Kloss, Oliver:
Macht Arbeit frei?
Ein Versuch über den Wert der Erwerbsarbeit.
[Erstveroeffentlichung in: Bernd Gehrke/ Wolfgang Rueddenklau (Hrsg.): Das war doch nicht unsere Alternative. Muenster, Verlag Westfaelisches Dampfboot, 1999, ISBN 3-89691-466-9, S. 362–383.] Vorliegende Textfassung von 2001.
Während in griechisch-römischer Antike Arbeit und Freiheit einander ausschlossen, gilt heute den Nicht-Wohlhabenden der Ausschluss aus der Erwerbsarbeit als Verlust von Selbstbestimmung.
Funktion und Wert von Arbeit sind abhängig von der Machtstreuung vs. -konzentration in den jeweiligen Gesellschaften.
Nicht-kapitalistische Machtstrukturen erzwingen Arbeit durch materielle Not bzw. außerökonomisch zum Zwecke der Sozialdisziplinierung.
Der Kapitalismus ist zum Siege gelangt, wo Arbeit knapp und daher teuer – den Armen Mittel zum Zwecke der Teilhabe am Wohlstand – werden konnte.
Zuerst erkannten Friedrich Nietzsche und Paul Lafargue, dass die aus Not zur Tugend gelogene „Arbeitsmoral“ die Arbeitenden in ihrem Kampfe um die Steigerung des Preises der Arbeit nie mehr als hindern kann.
Seit Keynes ist die Funktionsweise des Kapitalismus bekannt: Vollbeschäftigung ist Bedingung der Möglichkeit, damit Arbeit im Konflikt mit dem Kapital zu Verhandlungsmacht gelangen kann. Die von Marxisten ersehnten Krisen des Kapitalismus sind seit Keynes durch staatliche Maßnahmen und wohlfahrtsstaatliche Umverteilung prinzipiell politisch regulierbar.
Wer aber öffentlich der politökonomischen Aufklärung dient, befähigt auch deren Widersacher dazu, sich an ihr zu bilden, die Konter-Strategie entlang ihrer Erkenntnisse gegenläufig auszurichten.
Der sogenannte "Neoliberalismus" lässt sich als politischer Anti-Liberalismus verstehen, offensiv gegen den Sozialstaat wie den gesamten Kulturbereich gerichtet, der mehr ist als nur boulevardeske Unterhaltung.
Ob Schrumpfung des öffentlichen Dienstes, Privatisierung kollektiver Güter oder Steuersenkungen für Vermögende, letztlich geht es um die Steigerung ungleicher Verteilung finanzieller Verfügungsrechte. Dem korrespondiert die Zersetzung demokratischer Steuerung durch Entpolitisierung: Wenn es gelingt vermeintliche Sachzwänge politisch glaubwürdig zu inszenieren, erscheint gleichgültig, welche Regierung angeblich nichts mehr zu entscheiden hat, weil sie den Haushalt konsolidieren müsse etc. etc.
Hohe Arbeitslosigkeit ist für den Erfolg neoliberaler Strategie entscheidend. Sie spaltet die abhängig Beschäftigten in realiter machtlose Arbeitslose (sie können nicht einmal streiken) und angesichts der Arbeitslosigkeit verängstigte Arbeitende (die sich aller Forderungen enthalten).
Arbeit und Lohn bleiben Verteilungsprobleme. Die Zukunft bietet die Alternativen, hinter den bewussten kapitalistischen Fortschritt zurückzufallen oder auf dessen Grundlage das Otium der Edlen für alle zu erkämpfen.