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Sitzungsberichte

der

konigl. bayer. Akademie der Wissenschaften

zu München.

Jahrgang 1870. Band 11.

München,

Akademische Buchdruckerei von F. Straub.

1870.

In Commission bei G. Franz.

ftS )870

Uebersicht des Inhaltes.

Die mit ' bezeidmeten Vorträge sind ohne Auszug.

Mathemafiscli-pliysikaJ. Classe. Sitzung vom 11. Juni 1S70.

Seite

V. Kobell: üeber Krystallwasser . ... 1

V. Gorup-Besanez u. Grimm: Synthese des Rautenöls . . 9

Phüosophisch-phiJol. CJasse. Sitzung vom 11. Juni 1870.

Hof mann: a) Johannesminne und deutsche Sprichwörter aus Handschriften der Schwabacher Kirchen- Bibliothek 15

b) Ueber ein niederdeutsches Lancelotfragment und einige daran sich knüpfende literar- geschichtliche Fragen 39

Paranikas: Ueber das angebliche Triodium des h, Sophronius 53

IV

Seite Christ: Ueber die Bedeutung von Hirmos , Troparion und Kanon in der griechischen Poesie des Mittelalters, erläutert an der Hand einer Schrift des Zonaras . 75

Keinz: Altdeutsche Denkmäler 109

*Plath: Ueber die Schüler und Nachfolger des Confucius 120

Eistorische Classe. Sitzung vom 11. Juni 1870. *v. Löher: Ueber Helmkleinode 120

Einsendungen von Druckschriften ... 121

Mathetnafisch-physiTcal. Classe. Sitzung vom 2. Juli 1870.

Spirgatis: Ueber das Harz der Tampico-Jalape .... 125 V. Bezold: Untersuchungen über den Elektrophor .... 134 Wagner: Ueber den Einfluss der geographischen Isolirung und Colonienbildung auf die morphologischen Ver- änderungen der Organismen 154

freite

Philosophisch-philol. Classe. Sitzung vom 2. Juli 1870.

Hofmann: &) Ueber die Quellen des ältesten provenzalischen

Gedichtes 175

bl Studien über die Vorauer Handschrift . . . 183

c) Fragmente eines lateinischen Glossars ... 197

d) Zur Cronica rimada del Cid 201

Brunn: Ueber Styl und Zeit des Harpyienmonumentes von

Xanthos (mit einer Tafel) 205

Thomas: Bruun, geographische Bemerkungen zu Schiltberger's

Keisen (Schluss) 221

*Christ: Die Harmonik des Bryeunios 237

*Müller: Einige Bemerkungen über aus dem Arabischen her- übergenommene spanische Wörter 237

Historische Classe. Sitzung vom 2. Juli 1870.

*'Riehl: Ueber die Entstehung einer Volkssage von König

Konrad I. 238

Neuwahlen der Akademie 239

Beilage. (A S.) Lauth: Papyrus Prisee (HI. IV.j . .1—140

VI

Fhilosophisch-phüol. Classe. Sitzung vom 5. Kov. 1870.

Christ: lieber die Harmonik des Manuel Bryennius und das

System der byzantinischen Musik 241

*Hofmann: 1) Ueber die Sage des Apollonius von Tyrus im

Jourdain de Blayes 270

2) Ueber ein bisher unbekanntes Thierepos von

Raimundus Lullus in catalanischer Sprache . 270

Mathematisch-physikal. Classe. Sitzung vom 5. Nov. 1870.

vom Rath: Ueber ein neues Vorkommen von Monazit (Tur-

nerit) vom Laachersee 271

Gümb el: Vergleichung der Foraminiferenfauna aus den Gosau- mergeln und den Belemnitellen-Schichten der bayer- ischen Alpen 278

Vogel: 1) Einige Versuche über das Bximen der Samen . 289

2) Ueber huminsaures Ammoniak 300

Erlenmeyer: a) Ueber die Synthese suhstituirter Guanidine 304

b) Ueber die Säuren^ welche bei der Oxydation

des Gährungsbutylalkohols entstehen . . 306

c) Ueber Valerian - Säuren verschiedenen Ur- sprungs 308

H. V. Schlagintweit-Sakünlünski: Erläuterung der Ge- biete Hochasiens 313

*Seidel: Ueber die Grenzwerthe eines unendlichen Potenz- Ausdrucks 327

vn

Seite

Historische Classe. Siteung vom 5. Nov. 1870.

*v. Löher: Ueberblick der Elsässer Geschichte und ihre Er- gebnisse 327

Einsendungen von Druckschriften 828

PhilosopMsch-philol. Classe. Sitzung vom 3. Dezember 1870.

Lauth: Die älteste Landkarte nubischer Goldminen (mit

einer Tafel) 337

Historische Classe. Sitzung vom 3. Dezember 1870.

5aron V. Lilien er on: Nachträge zu Nr. 40 der historischen Volkslieder und zu den Bruchstücken der Simon'schen Keimchronik bei Lo- renz Fries 373

VIII

Seite

Mathcmat 'pliysiTcal. Glosse. Sitzung vom 3. Demetnber 1870.

*v. Fetten kofer: üeber den Kohlensäure-Gehalt der Luft im

Geröllboden von München 394

Einsendungen von Druckschriften 895

Sitzungsbericlite

der

königl. bayer. Akademie der Wissenschaften.

Mathematisch-physikalische Classe.

Sitzung vom 11 Juni 1870.

Herr Fr. von Kobell trägt vor: „üeber Krystallwasser."

Der Begriff von Krystallwasser ist von jeher ein wenig bestimmter gewesen und die Deutung dieses Wassers will- kürlich und unklar. Es geht dieses schon daraus hervor, dass man das leichte Entweichen als Kennzeichen solchen Wassers angibt, dabei aber die Gränzen der Temperatur, die das Entweichen veranlasst, sehr weit auseinandergesetzt findet, von 0" bis über 200^. Zugleich sind manche bezüglichen Verhältnisse unberücksichtigt geblieben, worauf ich in einem früheren Aufsatz über das Wasser der Hydrosilicate ^) hin- gewiesen liabe. Ich will das dort Erwähnte in nachfolgenden Sätzen noch näher begründen und erörtern.

1) Es ist wohl unstreitbar, dass die Species einer che- mischen Verbindung, wenn man ihr einen Bestandtheil ganz oder partiell entzogen hat, nicht mehr dieselbe Species ist, die sie vorher war. Sie ist eine andere geworden oder unter

*) Sitzungsb. d. math.-phys. Classe d. Akad. März 1869. [1870. n.l.] 1

2 Sitzung der math.-phys. Classe vom 11. Juni 1870.

Umständen auch ein Gemenge mehrerer anderer Species. Ebenso ist eine Species, welcher man einen Bestandtheil zugeführt hat, den sie vorher nicht oder nicht in einer solchen Quantität besass, eine andere Species geworden als sie vor diesem Zuführen war.

Dieses an und für sich klare Verhältniss bestätigt der Wechsel der Krystallisation , welcher dabei mit der ver- änderten Mischung eintritt. Der rhombisch krystallisireude Pyrolusit wird, wenn ihm durch Glühen Sauerstoff entzogen wird, zum quadratisch krystallisirenden Hausmannit, das hexagonal krystallisireude Eisenoxyd wird durch Glühen mit Kohle, wobei es ebenfalls Sauerstoff abgibt, zu Eisenoxyd- oxydul, welches tesseral krystallisirt , das klinorhombische Glaubersalz wird durch Entziehung seines Wassers zum rhombisch krystallisirenden Thenardit und ebenso die klinor- hombische Soda durch den Wasserverlust beim Verwittern zum rhombisch krystallisirenden Therm onatrit. Das bei 10 ° krystallisirende klinorhombische Hydrat des Chlornatriums zerfällt mit dem Wasserverlust schon bei in Würfel des Chlornatriums.

2) Es ist daher eine Hydrat - Species A, welcher man das sogenannte Krystallwasser entzogen hat , nicht mehr die Species die es war, sie ist eine andere B geworden und das Krystallwasser von A gehört ebenso zur Con- stitution dieser A Species, wie alles Wasser, welches sie enthält, und zwar zur chemischen Constitution, denn als einen physischen Appendix kann man es nicht ansehen, wie das hygroskopische Wasser, dessen Menge sich mit dem Eeuchtigkeitszustand der Luft fortwährend verändert.

Wenn man daher das Wasser, welches zum Bestehen einer Verbindung nothwendig ist, Constitutionswasser nennt, so ist für das Glaubersalz alles enthaltene Wasser Con- stitutionswasser , denn ohne dieses kann die Verbindung Glaubersalz nicht bestehen. Beim Verwittern dieses Salzes,

v.Kobeü: Ueber KrystaUwasser. 3

ehe es zum wasserfreien Thenardit wird, bildet sich noch ein anderes Hydrat , Beudants Exanthalose mit der Formel

NaS-|-2lI; dabei gehen also vom Glaubersalz 8 At. H fort, offenbar als sogenanntes KrystaUwasser, aber das bleibende Exanthalose ist nicht mehr Glaubersalz, sowenig als der wasserfreie Thenardit Exanthalose ist. Man verwechselt also hier Species , wenn man die Constitution des Glaubersalzes in der Constitution des Exanthalose und die des Exanthalose in der des Thenardit sehen will. Es ist gewiss, dass gar oft der gesammte "Wassergehalt einer Hydrat-Species sich nicht in eine befriedigende Formel fügt; construirt man aber diese nur mit einem Theil des Wassers und sclireibt den Ueber- schuss einfach mit der Zahl seiner Atome nebenhin , so ge- schieht es nur, weil man nicht weiss, wie dieser Ueberschuss in den näheren Verband zu bringen und weil man ihn doch nicht ignoriren kann. Das ist aber kein Grund , solches nicht unterzubringende Wasser als von eigenthümlichem Cha- rakter zu bezeichnen, als nicht zum Wesen der betreffenden Verbindung gehörig, als ein indifferentes Einmengsei. Man kann mit derlei Formeln nur sagen wollen , was bei Zer- setzung einer wasserhaltigen Species wird oder werden kann; natürlich bleibt ohne Angabe der dabei wirkenden Temperatur auch diese Darstellung mangelhaft.

3) Wenn das Losegebundensein , wie man sagt , das KrystaUwasser charakterisirt. so ist solches Wasser, welches im Vacuum von Vitriolöl einem Hydrat entzogen wird, ge- wiss lose gebunden und also KrystaUwasser. Da zeigt sich aber, dass auf diesem Wege bald mehr bald weniger Was- ser entzogen wird als durch gelinde erhöhte Temperatur.

Na ^ P + 25 H zersetzt sich bei trockener Luft mit

Wasserverlust zu Na^P -f isH; dieser Species können

im Vacuum über Vitriolöl wieder 14 At. il entzogen werden,

1*

4 Sitzung der math.-phys. Gasse vom 11. Juni 1870.

Ist die erste Quantität ein anderes Krystallwasser als die zweite? Ist bei den vielen vorkommenden Hydraten der schwefelsauren Magnesia das Krystallwasser, welches aus einer dieser Verbindungen etwas über entweicht, ein anderes als das, welches bei 52*^ oder bei 132*' entweicht? und wenn nicht, warum geht ein Theil bei 52*^ nicht fort,

da doch in allen diesen Hydraten das gleiche Mg S ent- halten und die ausiielfende Anuahuje eines basischen Wassers auch nicht wohl angeht. Nur in d' r bei Zersetzung sol- cher Hydrate stattfinden Bildung verschiedener Species, deren Eigenschaften verschieden wie ihre KrystalUsation und die sich daher nicht mit derselben Leichtigkeit weiter zersetzen lassen als es bei der Species geschehen, aus der sie ent- standen, nur darin kann der Giund des so verschiedenen Verhaltens bei Abgabe von Wasser liegen.

4) Alle chemischen Verbindungen sind nur unter ge- wissen Bedingungen existenzfähig und bei gleichen äusseren Verhältnissen ist die Fähigkeit des Bestehens für verschie- dene Verbindungen verschieden. Der Thenardit Na S kann nur in trockener Luft existiren, mit Wasser befeuchtet hört er als Species auf. das Wasser tritt zu seiner Mischung und die Species verwandelt sich mit Aenderung der Krystal- lisation und vieler Eigenschaften in eine wasserreichere und endlich in Glaubersalz. Umgekehrt kann das Glaubersalz nur in feuchter Luft bestehen und die Species hört auf zu sein, wenn sie einer trockenen Luft preisgegeben, mit Ab- gabe von Wasser zu Thenardit zersetzt wird. Dass Kry- stallisation und Amorphismus bei diesen Vorgängen auch eine Rolle spielen, ist sehr wahrscheinlich und wenn gelinde gebrannter Gyps durch Aufnahme von Wasser dem unge- brannten wieder gleich wird, stark gebrannter aber das Wasser nicht wieder in gleicher Weise aufnimmt, so ist beim gelinden Brennen entweder ein amorpher Anhydrit oder

V. Kdbell : Ueher KrystaUtcasser. 5

nach Analogie ähnlicher Fälle ein anderes Hydrat des schwe- felsauren Kalkes, als im Gyps, gebildet worden, ein Hydrat welches bei Zuführung von Wasser wieder untergeht und zu einem anderen, nämlich zu Gyps. wird, während der durch starkes Brennen gebildete, rhombisch krystallisirende Anhy- drit sich bei Zuführung von Wasser hält und nur bei lang andauernder Einwirkung der Umwandlung in Gyps nicht mehr widerstehen kann. Das sog. Krystallwasser kann da- her auch nicht dadurch charakterisirt werden , dass es bei Zersetzung einer Hydrat-Species, von dieser getrennt, unter günstigen Umständen mit der dadurch entstandenen zweiten Species wieder Verbindung eingeht und so die erste herge- stellt ^ird. Es tritt diese Verbindung nur dann ein, wenn diese zweite Species bei Zuführen von Wasser nicht existenz- fähig ist, sie tritt aber nicht ein, wo dieses der i'all. Wenn

der entwässerte Natrolith NaSi-j-ÄlSi das ihm entzo- gene Wasser (jH) wieder aufnimmt, wenn es ihm geboten

wird, so ist das nur ein Zeichen, dass die Species Xa Si + AlSi im Wasser nicht existiren kann, während unter gleichen Verhältnissen die Species des entwässerten Prehnit unverän- dert bleibt. Ebenso kann die Species Xa^P + H, welche

durch Wasserentziehung über Vitriolöl aus Na^P + äsH entstanden, in feuchter Luft nicht existiren. das Wasser ver- bindet sich mit ihr, sie nimmt jedoch nur 14 At. auf und

wird zu Na^P-f- isH, nicht aber zu Na^P-}- »^H, sollen die fehlenden 10 At. als ein anderes Krystallwasser ange- sehen werden, als die wieder aufgenommenen 15 At.? 5) Aus dem Gesagten geht hervor:

Krystallwasser ist nicht als ein specifisch charakteri- sirtes Wasser anzusehen, sondern einfach als Wasser, welches durch Zersetzung entweicht, wenn eine Hydrat- Species in eme andere wasserhaltige oder auch in eine

6 Sitzung der math.-phys. Classe vom 11. Juni 1870.

wasserfreie übergeht. Die zweite entstandene Species, wenn sie noch Wasser enthält , kann dieses wieder in erhöhter Temperatur abgeben und zu einer dritten werden, die noch weniger oder auch gar kein Wasser enthält. Eine solche dritte Species verhält sich zur zweiten wie diese zur ersten, nur geht die Zersetzung nicht bei jeder gleich leicht vor sich, weil ausserdem keine Mittelspecies vorkommen könnten, wie es der Fall ist. Den Grund , warum eine erste Species einen Theil ihres Wassers leichter abgibt, als die zweite, wenn sie zur dritten wird, den Grund dieses Verhaltens kennen wir nicht, wie wir den Grund der Eigenschaften der Körper überhaupt nicht kennen. 6) Wenn man die Vertretung einer Basis durch Wasser annimmt und damit übereinstimmendere Formeln nahestehen- der Mischungen erhält, so ist das ganz zweckmässig, das Wasser aber, welches nicht als ein solcher basischer Ver- treter dienen kann, steht nicht indifferent daneben, weil das in einer chemischen Verbindung nicht denkbar ist. Kann man ihm also nicht den Charakter als Vertreter einer Basis zuschreiben , so ist es als Vertreter einer Säure, als ein ne- gatives Glied gegenüber der andern Mischung zu betrachten,

wie das auch bei den Hydraten Ca H, Bau etc. geschieht

und weiter in (BaH) M^, (KaH) H* etc. angedeutet wer- den kann.

Das ganze chemische Formelwesen bewegt sich auf hypothetischen Grundlagen und dient nur zur Vergleichung und Unterscheidung der verschiedenen Mischungen , zum Nachweis dessen, was sie gemein haben, zur Angabe der Reactionen , die man zu erwarten hat u. s. w. Je nach den Gesichtspunkten, von denen man ausgeht, und je nach den Zwecken , die man verfolgt , können diese Formeln sehr mannigfaltig construirt werden und die moderne Chemie hat

v.Kohell: Ueler Krystallwasser. 7

davon den ausgiebigsten Gebrauch gemacht. Wollte man in dieser Weise bei den coniplicirteren IMiueraluiischungen vor- gehen , so Hessen sich auch für die Hydrate mit grossem Wassergehalte Formeln construiren , welche diesem Wasser bestimmtere Plätze anwiesen, als gegenwärtig geschieht, für die Zwecke der Mineralogie wäre aber der Nutzen davon sehr zweifelhaft. Ich will die Berechtigung nicht anstreiten,

dass man für gewisse Speculationen die Formel MgS-f-H als

OH

I

SO,

I

0 Mff OH schreibe oder als

H

SO2 Mg H

0

10

0

oder als HOSO3, SO3 MgO,MgOHO etc. ,2) o^^^^ besondere

Veranlassung ist aber MgS + H gewiss vorzuziehen. Die modernen I'ormeln sind zunächst nach Bedürfnissen der or- ganischen Chemie ausgebildet worden. Die Objecte dieser Chemie sind aber vielfach verschieden von denen, mit welchen die Mineralogie sich beschäftigt. Man erkennt das schon aus dem eigcnthümlichen Verhältnisse, dass dort Mischungen von gleicher Zusammensetzung doch ganz verschieden sein können , weil die absolute Zahl der Bildungsatome eine an- dere, wenn auch die relative die nämliche. Bei den Mineral- mischungen wird man nur in einzelnen Fällen an dieses Verhältniss erinnert. Ich habe vor längerer Zeit schon vielleicht zuerst angedeutet , dass man damit einige Anoma- lien der Krystallisation erklären könne, indem ich den Di-

2) E. Erlenmeyer: lieber das Haihydratwasser. Berichte der deutschen ehem. Gesellschaft zu Berlin. 1869. Nr. 11.

8 Sitsung der math.-phys. Classe vom 11. Juni 1870,

morphismus von MnMn und FeP als möglicherweise darin begründet bezeichnete, dass erstere Verbindung eine andere absolute Zahl von Atomen einschliesse als die letztere , und wenn ich mich recht erinnere, hat man ähnliches für Dia- mant und Graphit gebraucht. Es beschränkt sich dieses aber auf einzelne Fälle und ist nicht experimental nachzu- weisen, wie in der organischen Chemie.

Aber nicht nur die Objecte der Chemie überhaupt und die der Mineralogie, sondern auch die Zwecke dieser Wissenschaften sind vielfacli andere. Die Chemie erforscht die Eigenschaften der Elemente und ihrer Verbindungen durch fortwährende Darstellungen neuer Species, neuer künstlich combinirter Species, die meist in der Natur nicht vorkommen, oft auch unter dem Einfluss der allgemein waltenden Agentien der Luft, des Wassers, des Temperaturwechsels etc. gar nicht vorkommen oder bestehen könnten. Die Mineralogie be- schäftigt sich nicht mit der Darstellung neuer Species , sie hat es auch nicht mit Abkömmlingen aus dem organischen Reich zu thun, sie hat die ursprünglich unorganischen Species, welche in der Natur vorkommen , zum Gegenstand des Stu- diums und da haben sich für die Darstellung der Mischungen die bisher gebrauchten Formeln bewährt und geben ein- facher, unmittelbarer und bestimmter an als die modernen , was aus einer solchen Formel zu ersehen sein soll.^) Wenn erwähnt wird, es würden die Mineralogen, wenn sie ihre Formeln beibehalten, von der jüngeren Gene- ration der Chemiker nicht mehr verstanden werden, so scheint mir dieses Bedenken nicht erheblich, denn wenn diese Gene- ration Mineralogie treiben will, so wird sie auch die Formeln verstehen lernen, welche man in der Mineralogie für die zweckmässigeren hält.

3) S. m. Abhandl. „lieber die typischen Formeln etc." Sitz.-Ber. d. math.-phys. Classe d. Akad. 7. Dez. 1867.

V. Gorup u. Grimm: Synthese des Bautenöks.

Herr Bu ebner bespricht folgende von den Herren V. Gorup - Besanez und Ferd. Grimm in Erlangen ein- geschickte Arbeit:

,, Synthese des Rautenöles".

Das flüchtige Oel der Gartenraute ist wiederholt Gegen- stand chemischer Untersuchungen gewesen, ohne dass durch dieselben die Frage über seine Constitution zum Abschluss gelangt wäre.

Gerhardt und Cahours stellten auf Grund ihrer Versuche für die Zusammensetzung des durch fraktionirte Destillation gereinigten Oeles die empirische Formel Cio H20O auf und erklärten es für den Aldehyd der Caprinsäure, in- dem sie sich einerseits darauf stützten, dass sich dasselbe mit doppelt-schwefligsauren Alkalien nach Art der Aldehyde zu krystallisirenden Doppelverbindungen vereinigen lässt und andererseits geltend machten, dass es bei der Oxydation Caprinsäure liefere.

Spätere Versuche von Williams und Hallwachs setzten es jedoch ausser Zweifel, dass die richtige empirische Formel für das sorgfältig gereinigte Produkt: CiiH22 0sei. üeber die rationelle Formel des Rautenöls gingen aber die Ansichten auch dieser beiden Beobachter auseinander, denn während Williams an der AlJehyduatur des Oeles fest- haltend es in nicht vollkommen gereinigtem Zustande, als ein Gemenge zweier Aldehyde, des Enodylaldehydes und einer kleinen Menge Laurylaldehyd's, betrachtete, glaubte Hall wachs bezweifeln zu müssen, dass das Rautenöl über- haupt zu den Aldehyden zähle, und sprach unseres Wissens zuerst die Veruiuthung aus, es möge ein Keton sein.

10 Sitzung der math.-phys. Classe vom 11. Juni 1S70.

Der letzten Ansicht schloss sich Harbordt an, der mit Recht darauf hinwies, dass die Aldehyde der fetten Säuren durch die Fähigkeit mit sauren schwefligsaureu Al- kalien krystallisirende Verbindungen zu bilden nicht wohl ausreichend charakterisirt seien , da diese Eigenschaft den Ketonen ebenfalls zukommt. Auch die Verbindbarkeit mit Ammoniak, die für das Rautenöl von Wagner beansprucht wurde , sei kein stringenter Beweis , vielmehr sei es für die Aldehyde besonders bezeichnend , dass sie bei der Behand- lung mit Oxydationsmitteln mit Leichtigkeit in eine Säure von gleicher Anzahl von Kohlenstofiatomen übergehen.

Nun konnten aber weder Harbordt noch Strecker eine krystallisirte Verbindung des Ammoniaks mit Rautenöl erhalten, und ersterer wies weiterhin nach, dass das Rauteu- Oel ebensowohl bei der Behandlung mit chi'omsaurem Kali und Schwefelsäure, als auch bei längerem Kochen mit ver- dünnter Salpetersäure Caprinsäure, Cio H20 Os, liefert und eine kohlenstoffreichere Säure bei der Oxydation durchaus nicht erhalten wird. Ausserdem oxydiren sich die Aldeh3-de bekanntlich sehr leicht , während Harbordt das Oel mit Salpetersäure fasst 8 Tage lang kochen musste, um voll- ständige Oxydation zu bewirken. Aus seinen Versuchen schliesst Harbordt, dass das gereinigte Rautenöl ein ge- mischtes Ketou sei und ihm wahrscheinhch die Formel

CioHiaO I , ., r u .

l oder weiter aufgebaut

zukomme, wonach es als Methyl - Caprinol oder als Nonyl- Methylketon zu bezeichnen wäre. Als solches wurde es seither auch in allen neueren Lehrbüchern, zuerst in jenem von Strecker, in dessen Laboratorium Harbordt seine Versuche angestellt hatte, aufgeführt.

Ein vollgültiger Beweis für die Richtigkeit obiger Für-

V. Gorup u. Grimm: Synthese des Eautenöles. 11

mel war jedoch durch die bisherigen Versuche nicht erbracht ; ein solcher war erst geliefert, wenn es gelang, das Rauten- Oel künstlich und synthetisch mittelst einer jener Methoden darzustellen, welche Freund, Williams und Friedl zur Synthese gemischter Ketone mit so schönem Erfolg in An- wendung brachten. Die Möglichkeit , diesen Weg zu betre- ten, war aber von der Beschaffung einer grösseren Menge Caprinsäure abhängig. Ein glücklicher Zufall brachte uns in den Besitz einer reichlichen Menge eines ausgezeichneten Rohmaterials für die Gewinnung der Caprinsäure. eines un- garischen Weinfuselöls , welches das hiesige Laboratorium der Güte des Herrn Dr. Adolph Schmidt in Pesth ver- dankt. Einer von uns hat daraus ansehnliche Mengen Cap- rinsäure erhalten und sie und mehrere ihrer noch nicht näher gekannten Derivate zum Gegenstande eingehender Studien gemacht, deren Resultate er demnächst zu veröffent- lichen gedenkt. Einen Theil der erhaltenen Caprinsäure be- nützten wir aber zur experimentellen Prüfung der oben an- geführten Formel des Rautenöles.

Wenn nämhch das gereinigte Rautenöl wirklich Methyl- Caprinol ist, oder dieses Keton als Hauptbestandtheil ent- hält, so konnte erwartet werden, dass man es bei der trocke- nen Destillation eines Gemenges gleicher Moleküle caprin- sauren und essigsauren Kalkes erhalten werde, nach der Formelgleichung

C9H19.CO Ca

^ ^ l CH3

worin der Einfachheit des Ausdruckes wegen Ca als einato- miges Metall angenommen ist.

Unsere Erwartung wurde nicht getäuscht. Es gelang uns, auf diese Weise die Synthese des Rautenöls mit Leich- tigkeit, wie sich aus der genauen Vergleichung des so syn-

12 Sitzung der math.-phys. Classe vom 11. Juni 1870.

tlietisch dargestellten Methylcaprinols mit dem sorgtältig ge- reinigten natürlichen Rautenöle iu allen Punkten mit Sicher- heit ergab, festzustellen.

Wenn ein Gemenge gleicher Moleküle vollkommen rei- nen caprinsauren und essigsauren Kalkes aus einer Retorte der Destillation unterworfen wird, so schmilzt die Mischung bald, blässt sich auf, schwärzt sich dann, und es geht zu- erst eine acetonartig eigenthümUch riechende Flüssigkeit, später aber ein schon im Retortenhals erstarrendes Oel über. Durch fraktionirte Destillation des Uebergegangenen wurden erhalten :

1) Eine unter 200° siedende Flüssigkeit;

2) Ein von 210 245° übergehendes Liquidum;

3) Ein erst über 300° siedender fester Körper (Caprinon). Der von 210° bis 245° C. siedende Theil, der grössten-

theils aus Metylcaprinol bestand , wurde zur weiteren Rei- nigung in die schwefligsaure Ammoniak - Doppelverbiudung übergeführt , welche man sehr leicht erhält , wenn man in die mit Ammoniak versetzte alkoholische Lösung des Me- thylcaprinols schweflige Säure bis zur Sättigung einleitet. Die Lösung erwärmt sich dabei und beim Erkalten krystal- lisirt die Doppelverbindung in schönen perlmutterglänzenden weissen Blättcheu aus. Aus kochendem Alkohol umkrystal- lisirt und im luftverdünnteu Räume über Schwefelsäure ge- trocknet, besitzt sie die Formel

CiiHsaO .NH4SO3, H2O.

Wird diese Doppelverbindung in Wasser gelöst und mit kohlensaurem Natron erwärmt, so scheidet sich alsbald das Methylcapriuol als farbloses, stark lichtbrechendes Oel an der Oberfläche ab. Mittelst einer Pipette abgehoben und sorgfältig entwässert, geht es bei der Destillation von 223° bis 227° C. vollständig über. Sein specifisches Gewicht wurde bei 17,5°C. = 0,8295 gefunden.

V. GoTup u. Grimm: Synthese des JRautenöles. 13

Käufliches Rautenöl aus einer zuverlässigen Quelle be- zogen, der Destillation unterworfen, Hess unter 200°, bei etwa 160 bis 175° eine beträchtliche Menge Terpentinöl übergehen. Von 200 bis 245° dagegen ging ein Destillat über , welches ebenfalls im Wesenthchen aus Methylcaprinol bestand. In gleicher Weise, wie beim obigen Destillate wurde es in die Ammoniak -Doppelverbindung übergeführt, und daraus das Methylcaprinol dargestellt. Das spec. Ge- wicht des so erhaltenen Methylcaprinols betrug bei 18,7° C. 0,8281. Bei der Destillation ging es vollständig zwischen 224 und 225,5° über.

Die Analyse der schwetiigsauren Doppelverbindungen des synthetisch dargestellten und des aus Rautenöl erhalte- nen Methylcaprinols, sowie des daraus abgeschiedeneu Me- thylcaprinols selbst, lieferten mit den berechneten hinreichend übereinstimmende Werthe, wie nachstehende Zusammenstel- lungen beweisen:

Schwefligsaures Methylcaprinol - Amm oniak.

gefunden synthetisch dargestellt

berechnet

Cii

132

H28

28

05

80

N

14 4,89

S

32 11,19

286

Cn

132

H28

28

06

80

N

14 4,75

s

32 11,19

11 III IV

11,10. 11,50. 11,18. 11,32. 11,27.

aus nat. Rautenöl.

VI VII VIII IX

11,12. 11,49. 11,48. 10,92.

286

14 Sitzung der math.-phys. Classe vom 11. Juni 1870.

Methylcaprinol. berechnet gefunden

Cie 133

77,64

78,00 77,49

76,80 77,25

Ha« 22

12.94

13,06 13,21

13,26 12.99

Ol

synthetisch.

aus Rautenöl,

Mittel aus sämmtlichen

Bestimmungen:

77,38

13,13.

Hof mann: Johannesminne etc. 15

Philosophisch - philologische Classe.

Sitzung vom 11. Juni 1870.

Herr Hof mann tlieilte mit:

,,Johannesm inne und deutsche Sprichwörter aus Handschriften der Schwabacher Kirchen- Bibliothek."

Aus dem Neuen Literarischen Anzeiger (Jahrg. 1808 Nr. 7 vom 16. Febr. Spalte 108) ersah ich, dass in der Schwabacher Kirchenbibliothek sich mehrere Handschriften mit deutschen Stücken befinden. Meine sofort angestellten Erkundigungen hatten das glücklichste Resultat. Nach kür- zester Zeit stellte mir Hr. Joh. Andr. Schmidel, Präfect am kgl. Schullehrerseminar zu Schwabach , die zwei folgen- den Stücke zur Verfügung, von denen jedes in seiner Art ein ünicum und auch sonst grösster Beachtung würdig ist. Das erste ist ein gereimter Johannessegen in niederdeutscher Sprache, Schrift des XIV. Jahrb., aber gewiss von viel älte- rer Abfassung, da er in seinen Reimen noch theilweise das freiere System des 12. Jahrhunderts zeigt.

I. V. Zingerle, dessen Monographie über Johannissegen und Gerdrutenminne (Sitzung der Wiener Akademie vom 16. Juli 1862, Sitz.-Ber. S. 177) das umfassendste ist, was über diesen Gegenstand existirt , hat mir mündlich die Ver- sicherung gegeben, der vorliegende Segen sei gänzlich unbe- kannt und der einzige seiner Art. Er findet sich in der

16 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 11. Juni^l870.

Schwabacher HS. Nr. 23 (Vol. 13 f.), einer Papierhand- sclir. von 5 Blättern 4*^ , enthaltend

a) Bl. l.a unser Stück,

b) Bl. l.b 3.b eine lateinische Abhandlung vom Ader- lassen (de minucione),

c) Bl. 3.b 5.b: Vom Einfluss des gönnen- und Mond- standes in den verschiedenen Himmelszeichen. La- teinisch.

d) Bl. 5.b: Diätetische Regeln. Lateinisch.

Ueber a) bemerkt Hr. Schmidel: „Diese Segensformel ist von anderer und ohne Zweifel älterer Hand geschrieben, als die folgenden Stücke der Handschrift und füllt in 43 un- abgebrochenen Zeilen, ziemlich deutlich und sauber ge- schrieben, die ganze Seite aus. Die Schrift wird höchstens dem 14. Jahrh. angehören können. Das Papier ist ohne Wasserzeichen."

Ich lasse nun das Ganze mit Verstrennung, Interpunc- tion und Bezeichnung der Quantität folgen. Nur das lange y fehlt in unserer Druckerei, und da ich einen buchstäblich genauen Abdruck liefern will, so kann ich es nicht durch i ersetzen. Uebrigens sind in der HS. die Verse durch Puncte von einander getrennt. Die Einleitung ist Prosa.

In den namen des vaders vnt des sones vut des heyli- ghen ghestes, amen. Sunte Johannes, sunte Matheus, sunte Lucas, sunte Marcus,

dy heylighen vir ewangelisten, (I)

dy muten vns ghevristen

vor vnweder vnt vor wint,

vor alle sake dy vs scedeliken an lif vnt an seien sint. 5 des help vns de vader allermeyst,

dy sone vnt dy heylighe gheyst.

hir so seghene ik sunte Johannes mynne.

got vorlige mi sulke sinne.

Hofmann'. Johannesminne etc. 17

dat ich sy so mute seghenen, 10 dat vns got vnt dy güde sunte Johannes mute he-

gheghenen

wor wir varen, riden oder ghen,

lieghen (1, Hghen), sitten oder steyn,

welker hande vns ghewerf si,

dat got vnt dy güde sunte Johannes by vns sy. 15 Sunte Johannes mynne dy ys so gut, (II)

got vnt syn heylighe blüt,

dat müt User gewalden

vnt in syner hüte halden,

dat vs enegher hande not vmmer betrüue 20 noch gheyne wapene vns snyden,

dat hy ghesmedet wart

sint dat dy hylghe Crist geboren wart,

sunder üse alleyne,

dat mute steken sy snyden ghemeyne. 25 wen dat kumt üt üser haut,

so Sit to den andren ghewant.

Noch so seghene ik iu mere: (III)

got, al der werlt eyn here,

dorch syne hoghe driualdicheyt, 30 dorch dy martele dy he amme crüce leyt,

dorch dy dyffen wnden rot,

help üs here üt aller not.

ofte üse viende irghen over riden oder gheyn,

help üs, here, dat wi en seghes müthen irsteyn. 35 Sunte Jobannes mynne heft so dan craft,

dat sy eyn islik man tu seghehaft,

dat her van sinen vienden is behüt.

got mischet sich dar inne vnt syn vil hileghe blüt.

dar so drinke wir inne, 40 dy aller besten mynne, [1870. IL 1.] 3

18 Sitzung der pMos.-phihl. Classe vom 11. Juni 1870.

dy sunte Juri an drank,

dy (1. dat hy) al sya not vorwant. Wart sunte Johannes mynne hye (IV)

bat geseghent wen dye, 45 so mute ghene tu desser komen,

dat wy der beyder nemen vromen.

dy kome üs tu tröste vnt tu heyle,

dat vns syn heyligbe licbam werde tu deyle,

dy drank dy mute also wol gbesegbent s>ti. 50 so dat brot vnt dy win,

dat got sinen inngberen gaf allen sam,

dat was sin heyligbe lycbam ;

dy mute vs tu tröste werden

er wi scheyden van desser erden. 55 wy den drank drinket in deme seghene.

den muten got vnt dy gute sunte Jobannes belegenen

vnt muten syn vredescliilt sin,

so mach he vor synen vienden bebüt syn.

Sunte Jobannes mynne vntbeyt nye veygbe mau, (V) 60 dat rede ich sunder wän.

is bir ymant veygbe vnder vns allen,

den (1, dem) mute sunte Jobannes mynne vntvallen,

dat wi dat met vnsen ögben sen an,

so räde ich em dan, 65 dat be nergben vnghe.

vnt blive in des hüs he,

vnt teyle ym dat tu bute,

dat im nycht scaden mute.

des belpe vs dy gute, 70 des beyligben Crist müter

Nu bevet an gy vröwen vnt gy man, (VI)

drinket vröliken an.

wer sunte Jo. mynne vntbite,

der werde sälicb vnt rike

Hof mann X Johannesminne etc. 19

75 vnt dar to sälich

vnt alles scaden änich.

sege vnt sälde

Yorllge vs dy aide

vater allermeyst, 80 dy sone vnt och dy heyligh gheyst. amen.

gy senilen alle amen spreken,

dat vs der crechten leuen nicht vntbreke.

drink vnt du scalt vorbat gheven.

met gode mute wy ewychliken leven. amen. 85 explicit amor sanct

Man sieht, der Schreiber übersetzte Johannes minne wörtUch mit amor, während er richtiger memoria S. Johan- nis gesagt hcätte, aber auch die böhmischen Glossen bei Hanka geben Johannis amor, vgl, Giimm, Myth. 55 Note.

Einige Emendationen habe ich doch auch jetzt schon iu den Text gesetzt. Sie werden sich selbst rechtfertigen. Die bedeutendste ist in V. 5 und 6 , wo es in dei" Hand- schrift heisst: des help vns aller de vader dy sone vnt dy heylighe gheyst. Es fehlt also hier der Reim und ich hätte diese Zeilen als eingeschobenes Prosastückchen bezeichnen müssen , wenn nicht Vers 79 , 80 die einfachste Emendation und damit den fehlenden Reim an die Hand gegeben hätten. Ebenso steht V. 43 das Reimwort hye- (ie) vor sunte.

o

In V. 46 habe ich vromen geschrieben für vmme, welches die HS. bietet und eigentHch vromme aufzulösen wäre.

Vers 63 habe ich dat für den gesetzt, denn der Sinn ist: wenn hier Jemand unter uns dem Tode geweiht (= feig) ist, so möge ihm zum Zeichen dessen der Trank vor unse- ren Augen (,,so dass wir das mit unseren Augen ansehen'*

2*

20 Sitzung der philos.-pkilol. Glosse vom 11. Juni 1870.

sagt der Text) entfallen. Das ansehen kann sich nicht auf den Trinker, sondern nur auf das Verschütten des Trankes beziehen.

In 69 habe ich guter in gute geändert.

Vers 19, 20 reimen und assoniren nicht, betrüve (so ist betrüue zu schreiben) wird in begripe oder so etwas zu ändern sein.

21. hy in 21 ist natürlich = ie, i = jemals.

In V. 24 muss sy in unt geändert oder noch besser steken ausgelassen werden.

V. 36 ist wohl tut zu lesen.

V. 68 habe ich im in den Text gesetzt, da der Vers sonst zu kurz ist und keinen Sinn hat.

In V. 77 muss, um die 4 Hebungen herauszubringen, natürlich gelesen werden, sege vnde sälde.

In 79 fehlt eine Hebung, wir werden etwa zn lesen haben got vater, und dy aide steht dann als Apposition für sich.

In V. 74 75 wiederholt sich sälich, das erste ist zu ändern, denn das zweite schützt der Reim änich. Es ist eben so leicht, irgend ein Adjectiv, als schwer, das richtige einzusetzen.

V. 82 muss leueu getilgt werden, crechten ist = crefte, d. h. dass es uns nicht an Ki'aft mangle.

Was die Reime angeht, so finden sich folgende freiere: drank: vorwant (41, 42), man: wäu (59 60), gute: müter (69, 70), vntbite: rike (73, 74), sälich: änich (74, 75), sälde: aide (77, 78), spreken, uutbreke (81, 82), also 7 Paare unter 42 = ein Sechstel. Von den Versen sind manche mehr oder weniger zu lang, die meisten doch regelmässig gehoben. Hier Besserungsvorschläge zu machen, ist nicht angezeigt. Nur , wo grössere Textmassen vorliegen, lassen sich metrische Forschungen im Grossen machen und entsprechende Resultate gewinnen, wie in der

Hofmann: Johannesminne etc. 21

mittelhochdeutschen und mitteldeutschen Dichtung des 11. und 12. Jalirhuudeits. Im Niederdeutschen fehlt es an sol- chem Material, daher an aller Sicherheit des Vorgehens und bliebe nichts anderes zu thun übrig, als die im Oberdeut- schen gewonnenen Regeln einfach am Niederdeutschen in Anwendung zu bringen, was nicht so leicht geht, da wir ja schon in sehr früher Zeit im Niederländischen (in dessen neuer und constquenter Orthographie gegenüber der mittel- hochdeutschen Schreibung die sicherste Gewähr liegt) mit Bestimmtheit, im Niederdeutschen mit Wah r schein- lichkeit diejenige Umwälzung in Betonung, Quantität und Aussprache eingetreten sehen, welche in der Hauptsache un- serem neuhochdeutschen System entspricht und vorausgeeilt ist. Niederländische Verse nach mittelhochdeutscher Metrik zu messen, ist gewiss unstatthaft; bei den niederdeutschen wird das Verhältniss ein ähnliches sein. Mit Recht ist da- gegen z. B. der Münchener Ausfahrtsegen, den Wacker- nagel Lesebuch, Sp. 255 6 noch in seiner vermeint- lichen Reimprosa gibt (wirkliche Reimprosa ist etwas ganz anderes, hat aber nur im Lateinischen und Romani- schen, nie im Deutschen existirt), von MüUenhoff und Scherer D. M. S. 141 in durchgreifender Weise der metrischen Regel unterworfen worden. Bei Erwähnung dieses Segens mögen hier einige Vorschläge Platz finden.

Vers 8 ist statt gotes zu lesen geistes, dann wird der Bau des Gedankens erst klar. Gott Vater (min trehtin), Gott Sohn (daz heilige himelkint) und der heilige Geist sollen mich schützen,

daz mir allez holt si,

daz in deme himele si, und nun wird die Dreieinigkeit noch einmal vorgeführt als Sonne, Mond und Morgenstern V. 14. lies: ich springe, herre, in dinen gwalt. V. 19. lies; miner vinde wäfen.

22 Sitzung der philos.-pMöl. Classe vom 11. Juni 1870.

V. 21, 22. lies: si den beilegen Crist gebar

und docb ein reiniu meit was V. 25, 26. lies: min swert wil icb eine von deme segene sceiden.

In gleicber Weisse Hesse sich aucb der Wiener Blut- segen bebandeln und die von M. S. 409 vorgescblagenen Ver- besseruDgen sind von der Art, dass Jeder ihnen zustimmen wird ; aber ebenda ist auch mit Recht bemerkt , dass man der schriftHchen üeberlieferung Rechnung tragen müsse, auch wo sie metrisch verdorben ist, d. h. solche Sprüche waren bei ihrer ersten Entstehung sicher in reine metrische Formen gekleidet; aber in der Tradition wurden diese Neben- sache und verloren sich , indem man durch Einschiebung des einen und anderen kräftigen Wörtchens den Spruch noch wirksamer zu machen suchte , dadurch aber nebenbei den Vers verdarb. Aus allen diesen Gründen will ich auch un- seren niederdeutschen Johannessegen nicht weiter mit Her- stellung der 4 Hebungen angreifen.

Was den Inhalt betrifft, so ist er sicher nichts anderes, als der wirkliche Spruch, den der Geistliche bei Segnung des Johannesweines an die Versammlung richtet. Die kirch- liche Benediction des Johannesweines gilt nicht als Aber- glaube, ist heute noch im Gebrauch und das Formular da- für findet sich in den Ritualbüchern. Der Johanniswein wird in kleinen wohlverschlossenen Fläschchen in solcher Höhe aufgehängt, dass Kinder und Thiere ihn nicht beschä- digen können und dient unter anderem auch als Mittel gegen den Blitz. Seine zwei Haupteigenschaften aber sind Schutz gegen Tod durch Waffen, weil Johannes der Täufer durch das Schwert starb, und Schutz gegen Gift, weil Johannes der Evangelist zu Ephesus auf Anstiften eines heidnischen Priesters einen Becher voll Gift ohne Schaden austrank.

Merkwürdig ist in unserem Spruche besonders das Hereinziehen des heiligen Jurian, d. h. Julian, des Patrons

Hofmann: Johannesminne etc. 2 3

der Reisenden, an Stelle der hl. Gertrud. Julian ist zu seiner Würde nach demselben homöopathischen Grundsatze erhoben worden, wie Johann der Täufer und so viele andere Heilige. Natürhch ist der spanisch-französische J. hospitator gemeint.

Was endlich die äussere Verbreitung der Johannesminne betrifft, so weiss ich zu Zingerles Abhandlung für jetzt nur Folgendes hinzuzufügen. Er bemerkt nach mündlicher Ueber- lieferung, sie komme in Böhmen vor. In Karl Haupt 's trefflichem Sagenbuch der Lausitz (Neues Lausitzisches Magazin. 40. Band, Görlitz 1863, auch besonders erschie- nen bei Engelmann in Leipzig). S. 445 ist unter Hinwei- sung auf mehrere Schriften, darunter die Monographie Tho- mas, diss. de poculo Joannis Lips. 1675, bemerkt: ,,Bei den Wenden war es bis vor kurzer Zeit Sitte, dass die Bursche, ehe sie von einem Zechgelage nach Hause giengen, sich vom Wirthe einen unentgeldHch zu reichenden Abschiedstrunk forderten. Dieser hiess der heilige Johannes (swjaty Jan) ; denn der heilige Johannes hatte der Legende nach einen Giftbecher geleert, ohne dass es ihm geschadet. Desshalb wurde zu katholischen Zeiten am Tage St. Johannes auch den Laien ein Trunk geweihten Abendmahlweines geschenkt, welcher nicht nur vor der Wirkung des Giftes und sonstiger Lebensgefahr bewahrte, sondern auch den Männern Kraft, den Jungfrauen Schönheit , den Weibern Fruchtbarkeit ver- leihen sollte. Dieselbe Heiligkeit hat man denn auch dem Abschiedstrunke zugeschrieben."

Diese hübsche Mittheilung ist um so interessanter, weil sie uns den Gebrauch als einen jüngst (,,vor wenigen Jahren") zu Ende gegangenen zeigt. Nach Zingerle findet er sich im niederdeutschen Sprachgebiete heute noch im Hildesheimischen, also wohl auch noch im Westphälischen, da er zu seinem Fortleben katholischen Boden braucht.

Noch muss ich bemerken, dass die Absätze von mir herrühren, um die einzelnen Theile des Segens auch ausser-

24 Sitzung der pMlos.-pMlöl. Classe vom 11. Juni 1870.

lieh zu kennzeichnen. In der HS. sind grosse Anfangs- buchstaben, aber auch da, wo sie nicht hingehören, z. B. V. 19, 20, 23.

Die Absätze haben jetzt folgendes Zahlenverhältniss. Der erste (bis Vers 15) 14, (oder wenn man die voraus- gehende Prosa auch in Verse auflöst, etwa 16 Zeilen). Der zweite (15—27) 12, der dritte (27—43) 16, der vierte (43—59) 16, der fünfte (49—71) 12, der sechste (71— 84) 14. Daraus ergibt sich, (ich will nicht entscheiden, ob durch Zufall oder nach der Absicht des Dichters,) eine ganz regelrechte Zahlenfolge, indem der zweite Theil der Strophen (4 6) die Verszahlen des ersten Theils (1 3) in umge- kehrter Ordnung wiederholt, so: 14, 12, 16 16, 12, 14.

Gedankenfolge und Handlung vertheilen sich auf diese 6 Strophen in folgender Weise:

1. Str. Einleitung. Anrufung der 4 Evangelisten und

der Dreieinigkeit gegen Wind und Wetter, An- fang des Segens, Gott und Johannes sollen uns an allen Orten gegenwärtig sein,

2. uns behüten vor Noth und Waffen der Feinde, unsere Waffen allein sollen schneiden.

3. Christi Blut soll uns den Sieg über unsere Feinde, geben, wie es St. Juhan errettet hat. Schluss des eigentlichen Segens.

4. Wurde je ein Johannessegen kräftiger gesprochen, so möge sich seine Kraft mit der des unsrigen vereinen,

5. Wer St. Johannes Minne getrunken hat, ist vor dem Tode durch Waffen geschützt. Wem aber etwa der Tod durch das Entfallen des Kelches oder Verschütten des Weines vorher verkündet wird, der bleibe im Hause (wohl in der Kirche), für ihn gibt es keine andere Rettung.

Eofmann: Deutsche Sprichvcörier etc. 25

Nun ist der Wein geweiht . nun greifet fröhlich zu und trinket, Männer und Frauen, und lasst den Becher weiter gehn (drink unt du 5.calt vor- bat gheven), damit wir reich und froh auf Erden und selig im Himmel werden.

Die zweite Schwabacher Handschrift enthält in einer lateinischen Predigtsammlung des XIV. Jahrhunderts 162 deutsche Sprichwörter und bietet uns also die erste umfang- reichere Sammlung. Es ist eine Papierhandschrift des XV. Jahrh; bezeichnet Cod. mscr. Nr. 77 (Vol. 11. d.), 37 Blätter in Folio. Hr. Schmidel bemerkt : , .Diese nicht besonders sauber geschriebene Handschrift, in je zwei Columnen zu 46 50 Zeilen, gehört dem 15. Jahrh. an. Nach der Angabe der Anfangsworte des Textes folgt allemal das Sprichwort, wel- ches dann erklärt und auf den Text angewendet wird. Die Anwendung der Sprichwörter oder sprichwörtlichen Piedens- arten des gemeinen Lebens auf die Perikopen ist oft naiv, immer aber, wie sich denken lässt, gezwungen. Das ganze Verfahren trägt etwas von der Nüchternheit und Rohheit des Jahrhunderts an sich, dem es angehört. Als Probe diene Folgendes (Bl. 2a).

Dominica quarta post pascTia.

Petife et accipietis ut gaudium vesfrum pJenum sit (Joh. 16, 24) Jimn freud mid friss midi: hoc non potest intelligi de gaudio, quod habemus in hoc mundo, quia talia gaudia sunt inania et insulficieucia, ergo non possunt totum hominem apprechendere nee deforare etc.''

Aehnliche Anwendung von Sprichwörtern und zwar alt- französischen in lateinischen Predigten des 13. Jahrh. zeigt

26 Sitzung der pMlos.-pMol. Classe vom 11. Juni 1870.

eine Handschrift der hiesigen Staatsbibliothek, auf die mich Herr Collega Halm schon vor längerer Zeit aufmerksam ge- macht hat, mit deren Ausbeutung ich aber noch lange nicht zu Ende bin, weil die Schrift so ausserordentlich klein, eng und voller Abkürzungen ist, dass man kaum vorwärts kömmt. Für Heimath und Zeit unseres Predigers ist nun folgendes Citat auf Blatt 37a entscheidend: Hinc est quod Esopus ponit fabulam, de qua magister Heinricus de Mogelein canit de ranis , quae affectaverunt regem et cum datus esset truncus, in quo luJebant, voluerunt habere alium etc. Das ist die Fabel von den Fröschen, die in W. Müllers Aus- gabe von Heinrichs von Müglin Fabeln und Minneliedern, Göttiugeu 1847, auf S. 17 steht. ]\Iitteldeutschland und Ende des 14. Jahrhunderts ergeben sich daraus für Ort und Zeit der Abfassung dieser Predigten, die uns also, so abge- schmackt sie sonst sein mögen, doch den unschätzbaren Dienst leisten , die älteste deutsche Sprichwörtersammlung aufbewahrt zu haben. Von hier bis zu der ersten gedruck- ten Sammlung des Tunicius (die nicht einmal ober- oder mitteldeutsch, sondern kölnisch ist), liegen noch fasst andert- halb Jahrhunderte, und bis zu Frank und Agricola noch mehr. Durch Interpunktion, Emendation und Erklärung glaube ich für Verständniss der vorliegenden Sammlung das Nothwendigste gethan zu haben. Jedes einzelne Sprichwort durch andere Sammlungen hindurch zu verfolgen, fand ich überflüssig, zumal da solche Arbeiten nur wenn sie im Grossen ausgeführt sind, wahrhaft belehrend erscheinen.

Bl. 1.

1. Gefuger sclioff der geen vil jn ein stal.

2. Ess iverf dye leng nicht.

3. Gott weyss icol, wer ein guter pilgrani ist. (Non est enim vna intentio peregrinorum etc.)

Hofmann: Deutsche Sprichwörter etc. 27

4. Mansolnaygenden (1. d.eui)pavm,von demman schatenhat.

5. Senfte ode süsse straff uirt gern scherfig (Officium principum praesidencium et praedicatorum est arguere et corripere etc.)

Bl. 2.

6. Vil red macht vmdze tcort.

7. Wer in dem ror sitzt, der smjtzet pfeuffen . ivye er teil (hoc habet dici de consulibus et potentibus. spe- cialiter autem de amicis et cubicularijs principum et regum etc.).

8. Kum freud vnd friss mich.

9. Ich wil mit eynem (fehlt ein Wort) machen, sich sollen hundert daran stossen.

10. Gute red vint ein gute staf.

11. Spotters hattss Wirt prant auss.

12. wer den wagen ivol smirt, der vert leichtilclich (Sic comm uniter dicitur ab illis qui diligunt munera, statim promoventur illi, qui eis dant munera etc.).

Bl. 3.

13. Wenn es dir wol geet, so gedenk auch an mich.

14. Ein J:roe duckt der andern nit dye äugen aus. (hoc solet dici aliquando de raptoribus aut potentibus in civitatibus, proprie autem potest dici de hijs qui de- bent facere testimonium veritatis , vbi, si nequam fue- rint, ynus non testatur libenter super alium etc.).

15. Es ist XKSser genug, denn alzit (1. alzu) vil, ivann zu vil ist vngesunt.

16. Genod ist pesser denn recht, (hoc dicit aliquis , qui multa (1. mulctam) meruit et insufficiens est ad recom- pensam etc.).

Bl. 4.

17. We dm gesten, da der tcirt ein schalk ist. Sic per

28 Sitzung der pMlos.-philol. Classe vom 11. Jxmi 1870.

oppositum: ivol dem wirf, der do frum gest hat e converso icol den gesfen, die ein frummen ivirt haben.

18. Man sol den mantel leeren nach der ivint ivehet.

19. Wer do gern tanf^et, der ist gut an den reyen zu bringen, (hoc pro tanto dicitur, quia quocunque fuerit inclinatus effectus, illuc faciliter sequitur intellec- tus etc.)

20. Wer ober sich hacTc (1. hackt), dem vallen dye spen jn die äugen, wer zu ser lauft, ''der wirt gern mud.

Bl. 5.

21. dicitur communiter de homine qui bonam conversati- onem cum hoiuinibus habens tarnen peccare non ces- sat, hoc proveibium quod sequitur: Er ist nymant schedlich wenn jm selber.

22. hl ein hunt gehört hunt essen.

23. Wer auss den äugen isst, der isst auch aus dem sind.

24. Ess wirt selten so Heyn gespunnen , es kumet an dye sunnen (hoc pro tanto dicitur quod raro aliquid potest ita oculte fieri quod (1. quin) eciam reueletur etc.).

Bl. 6.

25. Werss erpeyten Jcunde^ ess ivurd alles geleich (Jam enim est dissimile, quia sedeuius in rota fortune etc. etc. Et ideo verum est proverbium cujusdam monachi ivir sein al bruder , aber unser dller schussellein sein nit sivester etc.)

26. Wer do gibt, den hatt man liep.

27. 3Ian sal buben

Mit Tcollen (1. kolben) icol vben ( Et ergo dixi Man sol puben mit Jcolben vben quia illi qui noluut converti illi per flagella aliquando adducun- tur etc.).

09

Hofmann: Deutsche Sprichwörter etc. 29

Wem das hleyn versmocJit, dem tvirt das gross nicht.

Bl. 7.

29. Der ivil ser gefreyet sein vnd hat der marter nit vber- ivimden (iioc dicitiir de hijs, qui aliquando sunt ma- lefici sew modici meiiti et multum volunt honorari, quod tarnen est ordo perversus, quia solus bonus se- cundum veritatem lionore est dignus etc.).

30. Man sieht an der hosen wol, wo das heyn enzwey ist.

31. Wer do vber hört, do wirt er auss (hoc com m uniter dicitur, sed non est communiter verum etc. tarnen ali- quando veritatem, vbi tales promoventur qui sciuut obaudire etc.).

32. Wenn ess dir getrojjffelt hat, so hat es mir geregnet (hoc dicit aliquando dominus ad servum et e con- verso etc.).

Bl. 8.

33. Wess sich der pocJc veriveyss,

Das vemüt (1. des bemüt) er sich auff dye geiss. yedem gevelt sein weyss wol.

34. Man kauft zvenig goltz tmib ein ay.

35. Wenn dye toren su marck humen , so wirt es gern ivolfeyl.

36. Geleich wert lang.

37. Wesniir dich nit., du hast ein iveyss hemd an.

Bl. 9.

38. Ein guter weg vmb, Hat kein krum.

39. Nymant iveyss ven (1. wen) der schlich trucket, denn der jn an hatt.

40. Süsser clee hat savren smack (patet in potacionibus et escis corporalibus quae de sero bene sapiunt, de mane autem non etc.)

30 Sitzung der philos.-philöl. Classe vom 11. Juni 1870.

41. In noten erkennt man freunt.

Bl. 10.

42. Es ist nit alles golt das do geleisset.

43. Ein guter man ist ein hoser gelter.

44. Wenn dem esel su iml ist, so get er auff das eyss tantzen.

45. Der geprant furcht das fevr.

Bl. 11.

46. Ess musen dy fercTüen engelten, wass dye save (saw) verpracJit hatt (Sic eciam familia et populus. quod dominus aut rex demeruerunt, sepe multi exsol- vunt etc.)

47. Ein kriech vier den £avn, die ander henvider, das ist gute gevaterschafft (hoc dicitur in bono et in malo sensu, quando enim aliquis bonum suscipit ab aliquo, tunc reinvitat et donat, et si iaterrogaretur, responderet proverbium praedictum. Sic eciam e cou- verso, ad (1. quando) aliquis suscipit malum, reinfert malum. Interrogatus quare, idem respondet etc.)

48. Lach, wenn du heim gest.

Bl. 12.

49. Der do hat dy wal, der hat auch den quäl (hoc est verum, si stulte elegerunt, si autem bene, tunc non angustiatur, sed plus gloriatur etc.).

50. Ye hoher perg, ye tieffer tal (Vadit super isto , de quanto homo superbior, de tauto casus maior etc.).

51. Elter wirstu, aber clug wirstu selten.

Bl. 13.

52. Wennss verdreust, der gee sein ah (hoc dicit aliquando dominus, cum conqueruntur serui de angustijs et mer- cator care vendens, cum conqueruntur ementes etc.).

53. Geleich sammet sie (1. sich) gern.

Hofynann: Deutsche Sprichwörter etc. 31

54. Wer do liait chj, die do dingen, der vint auch, dye do singen (ut est in lutinistis et phistolatoribus. Sic per larga munera regis [reges?] acceperunt magnam laudem et honorem etc.).

55. Wess dye Jcve ist, der zliyJie sye pey dem zagel (hoc communiter dicitur, ut quisquis ad suum profectum respiciat et non alienos consideret etc.).

Bl 14.

56. Man setz nit Jiinder vher eyer.

57. HaJt dich icarm, so freust dich nit.

58. Ess ist auss , das man speclc auff J:olen preü. (finis est etc.).

59. Dye nacht jst nymantz freiint.

Bl. 15.

60. Wer dem andern vom galgen hilft, der hilft im gern dar an. (mancher xmvt dem andern ein galgen vnt wirt gehencjit serber (1. selber) dar an.)

61. Verderben thut ice.

62. Geleich pvrd pricht nymant den ruch oder Jialss.

63. ^ach den jaren muss man geparen (Et vadit super isto: dar nach dy zeit ist, dar nach muss man sich halten.).

64. We dem. der den ertzte^i gepurdt (Quia maxime verum, dum male habentes quaerunt medicos etc.).

Bl. 16.

65. Vurwe* lest nymant heyn nve (1. ruwe) (hoc bene pa- tet de hijs qui citant homines et eciam de raptoribus. Et dicitur communiter ad eos qui venantur et agitant alios etc.).

* Turwe = mittelhochdeutsch vürbe = Reinigung , d. h. des Hauses = wenn das ganze Haus gefegt, gekehrt wird, hat Niemand Ruhe darin.

32 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 11. Juni 1870.

66. Wenn du gen Mmel verst, so stevb mir nit jn die äugen (Hoc dicitur yronice, quocl ego non credo te tarn sanctum, quod posses ascendere celis etc.)-

67. Ein alter hunt ist poss pendig zu machen.

Bl. 17.

68. Junger engel, alter tevfel (Sic patet de multis et hoc ideo, quia non jnformantur in juventute et ideo ar- centur ab insoleucia sua etc.)

69. Ess ist nijmant frevnt , er thue denn freuntUch.

BI. 18.

70. Faul vnd treg, das helt den leyh (Vnde videmus ad literam quia corpulenti sunt tales accidiosi etc.).

71. Ein man sol stellen, dar nach er sich han gebrechen (hoc pro tanto dicitur, qui roodicum habet, non debet multa expendere, ne postea coutiugat eum meudi- care etc.)

72. Wenn man das ferchelein loeivlt,^) so sol man den sack aufhalten (hoc pro tanto dicitur: tvenn man ey- nem gütlich tliun wil. so sol ers nit verschlahen).

73. Es ist ein vngenemer vogel^ der do weflecJct sein eggen nest. (Est auis ingrata, que defedat sua strata.)

Bl. 19.

74. Danck hah, liebe rute, du machst gute kinder.

75. Sprich nit juch. du kummest dann vber den pach (hoc dicitur de bijs, qui in periculis peccati sunt et quando modica venit consolacio, tunc putant se evasisse etc.).

Bl. 20.

76. Kranck ma7i, armer man, vel taliter, derkranck sucht

*) Man wird wohl wevilt = bevilt = tradit zu lesen haben. Es entspricht der Gewohnheit des Schreibers, im Anlaute w für b zu setzen.

Eofmann: Deutsche SpricMcörter etc. 33

gesunthait vel der Tiranch acht nicht, ivye er gesunt iciircl. 11. Wo einmannit vber mach springen, do muss er vnten hindurcli 'krichen.

78. Das man ein schach [schalck, nequam] vil vnter dye panch stcst, so ragen im dge fusse her für.

79. Der pfennig ist mjnert cdz geneme, als do er geschla- gen ist.

80. Frid tvard ny so gut, ivarmmg wer noch hesser.

81. Zeit hat ere (duobus modis dicitur hoc proverbium, primo , quando homines diu sederunt in aliquo loco et cum nox accedit, dicunt: zeit hatt ere. Item, quando aliqua procatur et iam amorosa [natura] ibi timetur de casu eins ? dicitur ibidem sicut congruit praesenti tempore etc.). (?)

Bl. 21.

82. Ein lieh sucht das andre gern.

83. Man darff nit mit dem dclielein anff den marck eylen, man verJcauft es 2Col jn der gassen.

84. Am hesten ist der x)est hauff. (Sic apparet in panuo, et in vino etc.).

85. Wechzel ist Jcein ravh nicht, (hoc est verum vbi si- mile datur, sed raptores aUquando rapiunt vaccas et dant ouem etc. Etiaui solent dicere verbum praefatum, sed false , quia : Si spilen nicht des gelcichen.).

86. Hat dich, meyn jpferd schlecht dich (Sic dicunt poten- tes , qui volunt dampna inferre Ulis , quibus peperce- runt etc.).

Bl. 22.

87. Äbent red vnd morgen red, dye u'ollen nicht vherein tragen (Sic apparet in aliquibus, cum inebriantur de vespere, multa promittaut, de mane autem nichil dant etc.).

[1870. II. 1] 3

34 Sitsung der ]jhilos.-p7iilol. Gasse vom 11. Juni 1870.

88. Guier mnt ist hallcr leib.

89. Ein alt sclialch ist Jcein leint nit.

90. JhcJ: (1. junk) geivant, alt geäant.

91. Bas clo zu eijnem hocJcen {= hacken) wil werden, das Jcrmnet sich in der jugent.

92. Wass mir lieht, das lait mir nijmant.

93. Wenn man dem Imnt m uil setzen, so halt er das smer gessen.

Bl. 23.

94. Flinter man. armer man.

95. Wo man nicJd hin legt, do vint man nicht.

96. Ess ist pesser dingen auss den schranchen, den aus den stocJcen.

97. Wer do liegen wil, der mag wunder sagen.

98. Schlecht vnd gerecht, das tvehaget gott am edler besten.

99. Als der vogel ist, cüzo singt er.

100. Wer sich vhernympt, der vbermrft sich gern.

101. Den letzten peyssen dye hunde gern.

Bl. 24.

102. Ye liher hind, ye grosser hesen.

103. Wenn das Jcint auss schieß, so wirt es gern gutes mnt es.

104. Torhait macht arhayt.

105. Wer ee zu der mnl Jcmnpt, der melt ee. lOG. Als der vogel ist, alzo singt er. Cf. ur. 99.

Bl. 25.

107. Vnseld lernet weynen.

108. Wer do nye *rill, der stund nye auff.

109. Wenn der schilt neiv ist, so hengt man yn an dy uannt; wenn er aber (dt wirt^ so stest man yn unter dy panch.

* = fiel.

Hof mann: Deutsche Sprichwörter etc. 35

110. Was man sagt dem ivolff, so spricht er neivr: lamp, lamp ! (hoc potest dici tyrannis et adulteris etc.)

BI. 26.

111. Wenn man das viech verleust, so verspert man den stal.

112. Wenn es geregnet, so wirt es nass.

113. Gencsche vil (= wil) schlcg han (hoc dicitur de adul- teris etc.)

ßl. 27.

114. Kurtze frevd, lange vnseld.

115. TJive seiiherlicJi, so nympt man dich.

116. Armer man hot armes manss Icaitff.

117. Man darff nit leuss in den peliz setzen^ si hichen selber icol dar ein, (hoc dicitur hijs, qui sibi uociua alHciunt, quibus bene carere possent , ut qui fures in domo sua nutriunt etc.).

118. Wer den andern teuscht, der ist meyn meyster (Sed hoc non est verum, sed debet dici der ist sein salcJc [schalclc] etc. Sed hoc est verum : tver den andern lernet, der sey meister etc.).

Bl. 28.

119. Von poser geselschaft ivirt der man JcrancJc.

120. Alt (1. Alter) vnd torhait ist ziveyerley schad.

121. 3Ian darff den tevffel nit an dy ivannt molcn, er humpt lool seiher jn das hauss (hoc dicitur duobus generibus hominum; primo hijs, qui in locucionibus suis semper nominant dyabolum, et non mirum, quod aliquando, venit eis etc. Secundo dicitur de hijs, qui aliquaudo habent circa se mulieres Hbidinosas in do- mibus suis, secuiidum dictum proverbium noa est mirum quod tales seducuntur etc.).

122. Als du mir dinst, also lone ich dir.

123. Von mussig gen tvirt mcm selten reich.

36 Sitzung der philos.-philöl. Classe vom 11. Juni 1870.

Bl. 29.

124. Der letzte habe den schaden (hoc dicitur de pauperi- bus Scolaribus, quibus panis datur etc.).

125. Milter haut geprach mje.

126. Er phit äye schuche mit passt., der ess gelten miiss. (hoc dicitur de laycis agricohs et venatoribus , qui omnia soluunt, quae principes et reges et alij consu- munt; ipsi enim tarn cibum quam potum labore suo acquirunt etc.).

127. Wem der teufel schaden wil, dem hengt er ein langen mantel an. (Dicitur hoc communiter contra tales, qui aliquando subhmantur honoribus et comprehenduutur postea in publicis peccatis etc.).

Bl. 30.

128. Stoss dye fidel jn den sacJc, hevt ist der ascher tag.

129. Der ivolt gern hofiren vnd Jean sein nicht.

130. Wer dye tveyss Ican, der fiirt dy praiä Jieim (hoc di- citur de duobus litigantibus pro vna sponsa etc.)-

131. Ein guten tag sol man cmff den öbent loben.

132. Wo der teiifclnit hin mag, do scndt er seinhiechthin.

Bl. 31.

133. Der hrug get als lang zu ivasser, biss das jm der henchel abpricht (Loc dicit vir uxori, dominus seruo suo transgredienti etc.).

134. Ess ist selten Tzein ding so boss, ess sey zu ichte gut.

135. Fride ward nye so gut, barnung*) ist noch besser.

Cf. Nr. 80.

136. Yeder man für sich selbs, aber got für vnns\al. (hoc, hev! pro prima parte verius est, quam bonum est. Nunc enim quilibet quaerit, quae sua sunt etc.).

* Warnung = Vorsicht, um den Krieg zu verhindern.

Eofmann: Deutsche Spriclv.cörter etc. 37

Bl. 32.

137. ^Vc)n nit su roten ist, dein ist auch nit zu helfen.

138. Wol anss, weiss heih ich geherpergt. (hoc dicitur de malis hospitibus etc.).

139. Lantman*), schantman. iceistii icht, so siveig. (Jero- nymus: Fere naturale est, ciues ciuibus invidere etc.)

140. Wer sich z wissen thur vnd cngel legt oder mengt, der clemmet sich gerne. (Hoc dicitur de Ulis , qui inter amicos se iniscent, dum sibi contendunt etc.).

141. Li suJchen wassern vecht man sulch vische.

Bl. 33.

142. ^Vo man hin Jcummet , da rint man den tciri do Jic/j- men, oder Irampt schir. (hoc dicitur couimuuiter contra instabiles seruos et dominos etc.).

143. GeJauh nijmant, so tevscld dich nijemant.

144. Feindes munds red bringt selten gutz.

145. Gesunter leih ist goldes ivert.

146. Lang sichen ist gewiser tod.

147. Für dich, für dich, verdenk mich nit,

Nach deiner pfeiffen fanfz ich nicJä (hoc dicitur capi- tosis, nolens (1. nolentibus) sequi consilia aliorum etc.).

Bl. 34.

148. Mancher frevet sich eins andern vngelucJc, vnd iveiss nich, das jm seins als nahent ist.

149. Fare schon jn das dorff\ dye pavren sein trunclcen. (hoc ad iiteram aliquando verificatur, quando homo accedit laycos ebrius et, si non composite se rexerit, offenditur etc.).

150. Mancher gibt ein andern ratt , der jm selbs nit ge- raten Jean.

* D. h. Landsleute reden sich am meisten übles nach.

38 Sitzung der phüos.-pliüol Classe vom 11. Juni 1870

151. PucJc dich, man sucht schelch.

152. Wenn das endt gut ist, so ist alles gut.

153. Wilkum sath und esset gem.

Bl. 35.

154. Seit frölich vnd lach nit [lacht n.]

155. Ess mocht ein htoit wol smecJcen , das die fladen gut weren.

Bl. 36.

156. Wer den andern vbermag, der schih jn jn den sacJc.

157. Wer do mag, der füg (hoc dicitur de duobus luctan- tibus. coütingit tarnen ahquando, verum (virum?) fortem cum aHo luctari, sed ambo corruunt. jUe autem, qui est forcior alium suj^erat etc. Et ergo dicitur: got hilft gern dem sterclcern etc.).

158. ÄUw scharff ivirt gern schertig (hoc commuuiter di- citur de illis, qui sunt nimis rigidi in iudicando etc.)

159. Solet enim dici ad eos, qui non vere penitent, sed ad peccata reuertuntur hoc tera))ore uel forte ficte con- fessi sunt; Du pist der sunden ledig, als der hunt der floch vmh sannt Johanns tag.

Bl. 37.

160. Auff guter hevt ist gut schloffen.

161. Ye mer Mrten, ye tvirser gehut (hoc potest intelligi tam de dominis sequentibus alternatis vicibus et etiam de dominis et seruis simul existentibus etc.

162. Wo nit gute red hilft, do muss man schleg zu thun.

Hofmann '. Ueher ein niederdeutsches Lancelotfragment etc. 39

„Ueber ein niederdeutscb es Lancelotfrag- ment und einige daran sich knüpfende lit er arge Schicht liehe Fragen."

Nachdem das lang verloren geglaubte „Bruchstück eines Romans", wie es Wackernagel nennt, wieder ge- funden und nebst seiner zweiten bisher unbekannten Hälfte in unseren Sitzungsberichten vom 6. Nov. 1869 p. 313 316 mitgetheilt war, ging ich an ein genaueres Studium des merkwürdigen und einzigen Stückes. Zuerst musste eine neue Vergleichung der Handschrift vorgenommen werden, welche Folgendes ergab:

I. Seite, zweite Spalte, Zeile 14: büslich (st. bustich.) Wackernagel hat also dem Sinne nach richtig, der Form nach unberechtigt, bouslich emendirt.

n. Seite, erste Spalte, Z. 9: wät (st. unter) 12: vor wi steht noch s; 13: dar na hiz sin (st. dar nah ir); 16: vucen. Zweite Spalte Z. 1: vesperzid; 3: dren- kene; 4: wal (st. uul) ; 9: brengen uh uvile mere urowe; 10: kint (st. lüde); 12: onbudt sie(t); 20: cambenic (st. cambenie).

Ausserdem ist I, H, 16 irt chapel in ir tchapel zu ändern und 17 wer st. wat zu ergänzen.

Dann ging ich an die Ergänzung der lückenhaften Stel- len und an die Bestimmung der Zugehörigkeit des Frag- ments.

Da an den Eigennamen Giflet und Cambeuic zwei feste Anhaltspunkte gegeben waren und G. nicht leicht etwas an- deres bedeuten konnte, als G^iwain, so fand ich das Ge- suchte sofort in Jouckbloets Analjse des französischen Pro- saromans von Lancelot, die er im 2. Theil seines Roman van Lancelot. Haag 1849, mitgciheilt hat. S. LV. seiner Ana-

40 Sitzung der _2^7ti7os.-2J7»7oZ. Classe vom 11. Juni 1870.

lyse finden sich Guiflet oder Girflet, Walewein und der Herzog von Cambenic neben einander, wie in unserem Frag- mente.

Da wir hier keine Handschrift des Lancelot Laben, so schickte ich meine ergänzten Stellen Hrn. Joseph Haupt in Wien, mit der Bitte, mir den Originaltext beizuschreiben. Nun hat die Wiener Bibliothek zwar auch keine Handschrift, aber zwei Incunabel-Drucke, deren genaue Beschreibung mir Herr Haupt ausser der Abschrift der erbetenen Stellen eben- falls mittheilte (ich gebe sie in der Note*), weil Hain mit

Hain No. 9849. F. 2 Yolumia. Le Roman de Lancelot du Lac. Yol. L f. 1" vacat f P Icon xylogr. f. 2* c. s. aai Tabula primae et secundae partis que expl f. 4^ col. a 1. 27 le mena a corbenic VL XX. 1. Interj. spat. Cy fine la table de la Seode j partie de ce present volume. Interj. spat. Cy cömence le prologue | de ce present liure. j ( ) Ombien que les anciennes histoi- | res ne sont pas de pareille foy que sont les etc. Prologus expl. f. 5"* col. b. 1. 40 böne cheualerie, dignes de imortelle memoire f. 5^'' Icon xylogr. et infra (c) y cömence le liure fait et compose |j a la perpetuatiou de memoire des I ver tueux fais et gestes de plusi j eurs etc. quasi compendium libri, quod expl. eädem pag. lin. ult. f. C' c. s. a i. incipit opus ipsum cuius pars secunda seu Vol. I. expl. f. 269*'- col. a. 1. 21 ronde | ce pre- sent et Premier volume a este Impri | me a Rouen. en lo8tel de gail- lard le bourgois j Lan de grace mil. cccc iiii. x. et huyt le x. X iiii. ' iour de nouebre. Par iehan le bourgois. A lex 1 altacion de la noblesse etc. usque ad 1. 31. mes et acquerir Tordre de cheua- lerie. Insignia typographi. f. 270 deest. Vol. IL f. 1" vacat. f. 1'' usque 2" col. a. 1. ult. Tabula, f. 2*' vacat. f. S" c. s. AI Icon xylogr. Infra col. a ( ) pres que Lancelot du i Lac se fut parti du cha 1 steau etc. Expl. f, 234''- col. 6. 1. 20. imprime a Paris par I Jeban du pre. En de grace mil cccc. iiii. xx. i et viii. le xvj. iour deSeptembre. I f. g. cl. c. s. . Vol I aa. a Z, A Lii., Vol. 11. A— V., aa ^kkiiii. i s. c. e. pp. n. 48 11. 270 et 234 £f. 2*^"^ coli, c. ff. xyll.

Hain Kr. 9850. F. 3 Volumina. In membranis. Les feits et gestes de Lancelot du Lac. III Partes. P. I. f. 1*

Eofmann: Ueher em niederdeutsches Lancelotfragment etc. 41

Unrecht die Existenz des einen davon bezweifelte. ,,Sie wer- den daraus ersehen, sind Haupts Worte in seinem beglei- tenden Briefe, dass Sie vollkommen Recht haben, in dem altfranzösischen prosaischen Lancelot die Quelle des nieder- deutschen zu sehen, und überrascht sein, wie die üeber- setzung ziemlich genau dem Original in den ineisten Stellen nachgeht. Leider war es mir nicht möglich, auch die Jung- frau MÜqg zu finden." Ich hatte nämlich Müne dem Wort-

tit. (L. xyl.) e premier voIume de lacelot i du lac nouuellement. ] imprime. a paris Av. (idest Antoine Yerard) f. l''. vacat. f. 2^ c. s. aii col. a ( ) Onsiderät que par les triüphalles et glorieuses oeuu- res que les vaillans hommes et nobles che I ualiers anciennement firent en fait de cheualerie acquirent en leurs vi es louenges et gloire de perpetuelle me moire etc. Prologus expl. f. 2^ col. b. 1. 43. le memoire. : Cy fine le prologue de ce pre sent volume i f. 3* usque 6^' Tabula f. 7*. col. a. (c) y cömence le premier volume de la etc. Pars I expl. f. 249^ col. a. 1. 20. Imprime a paris. Lan mille qua (tre cens quatre vingtz et quatorze. Le I premier iour de Juillet. Pour anthoine Yerard Libraire demourant sus le pont nostre dame a lymage Saint Je ban leuangeliste, Ou au premier pil ler au palais ou len chante la messe de messieurs les presidens. I f. 24^^ col.". Insignia typogr. f. 250 vacat. Pars II f. 1^. Tit. seconde volume etc. sicut in Vol. I. 1** usque 4'^ col. b. 1. 12. Ta- bula f. s. vacat. f. 6* c. s. bby. ( ) y commnce (sie) le second vo- lume de la table ronde lancelot du lac ouquel est faite metion pre I mierement etc. Expl. f. 191^. col. b 1. ult. gnon de la table ronde f. 192 vacat. Pars III. f. 1^ (L. xyl.) e Tiers volume etc. sicut in Vol. I. l''. vacat f. 2". c. s. Aii Tabula que expl. f. 6^ col. a. 1. 17 f. 7=" c. s. Aaa. i. Comment Lancelot du lac . trouua ded ans la forest perilleuse la tobe de son grät pere etc. Expl. f. 141*^ col. a. 1. 35. Imprime a paris ce derrenier iour dapuril mil quatre cccc quatre vingtz et quatorze i po"" | anthoine verard libraire de mourant a paris ßur le pont I nostredame a lymaige sainct iehan leuangeliste, ou au palais au premier pillier ou len f. 141'^. col. b. chante la messe de messeigneurs les presidens. Insignia typogr. f. 142 vacat. f. g. eh. ss. e. ff. n. s. c. 46. 11. 250, 192 et 142 fl'. 2'"»^ coli. c. figg. xyl. color. et deaur.

42 Sitzung der philos.-philol Classe vom 11. Juni 1870.

laute des Fragments nach für einen Eigennamen gehalten und gross geschrieben. Als ich den französischen Text ver- glich, fand ich, dass müae dem franz. ante entspricht, also die niederdeutsche und niederländische Form für hochdeutsch muome = i^.Iuhme, Tante ist; für iunfrowen muss jetzt natürlich min frowen in den Text gesetzt werden. Dann ist Alles in Ordnung. Ich lasse nun den corrigirten, ergänzten und mit Interpuuction und Längebezeichnung versehenen niederdeutschen Text vorausgehen, (die Ergänzungen cursiv), darauf den französischen folgen. Eine Stelle von 6 Zeilen konnte ich auch nicht ergänzen , denn aus ihr selbst ist die Ergänzung nicht möglich und im Franzoschen fehlt die Stelle ganz. Was im Deutschen fehlt, ist im Französischen mit kleiner Schrift gegeben. Ausgelassen dui'fte es nicht werden, wegen des Zusammeuhanges. Die einzelnen Sätze sind durchnumerirt, und so glaube ich dem Leser die Sache zur möglichsten Evidenz gebracht zu haben. Man sieht also, es gab nicht bloss eine oberdeutsche Lancelotüber- setzung (zwei Handschriften davon sind in Heidelberg), son- dern auch eine niederdeutsche, und es ist nun die nächste Frage, wie sie sich zu einander verhalten, ob die eine aus der andern geflossen ist oder jede für sich aus dem fran- zösischen Originale. Diese Untersuchung konnte ich noch nicht vornehmen, sie ist auch nicht besonders dringend.

Deutscher Text.

.... meist prise. 1. Do Sprüngen si z6 z ime onde bilden im sinen stireip, si gäven sim Urse z ezne ont däden im alle di ere, di si im gedon mohten ont allet dat ge- mah. 2. Si hingen sinen seilt bi im an einen boum ont sin heim, ont holpen him , dat he ontwäpent wart. 3. Do heng im de junfrowe ein herlicheu mautel umbc , ont ein \)Q.[vüiün stün]t dar bi, dar ded di junfrowe colen d[ra- geii], want dat weder calt was. 4. Benneu den paviliüne

Eofmanri'. Ueher ein nieder ämtsches Lancelotfragment. 43

was alle di gereitscaf, di man gedenken lüühte, 5. Min her quam int paviliün ont sah ein dat herlihste bedde Yur im gemäht stänt , dat Le ie me gesin hede. 6. He wonderde sih sere, dor wes wil dat bedde da gemäht were so scün ont so herlih. 7. AI uin dat vür wären tauen gereht ont man gaf wazcer onde ginc sitzen ezcen. 8. Do wart so herlih da gedint van spisen ont van dranke, dat sih min her Gäwein ser wouderde, wan allet gut cumen mühte ont di groce bereitscaf in den walde. 9. Do si wal mit gemache gezcen heden onde genoh, do nam de junfrowe min heren Gäwein mit der hant onde gingen al sprechende in einen walt. Min her Gäwein

10. ne wild ih um geinre hande gut, dat si \nste äe scü- niste , dad ir üren willen mit mir gedän Yi[oldet] haven.

11. ,.Hit wer mir euch leit'", sprach he. 12. Do \v[agde he\ ir, GiÜet ont sine junfrowe hinen wären. 13. (Bat) wil ih Uli sagen, sprah si. Di junfrowe. mit der {he) bleif, miunedde einen ridder lange, do wart de riddre Q\{ne an- der) minnende , di vil hezlicher vc(as dein) de gin . di he geladen hede, onde ga.i(i}- alle de sciO()]iede, dat d ander hede. 13. Nu hed er ir(dat chapelj genomen dat si der verlos

hede. 15, Do ward ir gesagt, dat hed sin (amie) hede. dad was ir zoru onde reit(^^ö im). 16. Si bad im, dat het ir wider geve. He ne W9(7f7e es) nit ont sprah ir büslich. 17. do ward ir zorn ont s])racli. dat si nimerme au die stat ne queme, da sin a(mie) were. si ne wolde irt chapel nemen ont ir a.iid(er) scünheit al ze mal der z6. 18. Do sprah der riddre. w(er) des helpen sulde. 19. Dat sal ein bezcer ridder don, sprach) si, dan ir sit, ont is des cuninc Arturs geselle, (der sal) mih vüren, da ür amie is. aldä mugt ir

44 Sitzimg der phüos.-phüol. Classe vom 11. Juni 1870.

mid {üren) ougen sin, dat ih ir allet dat nemen sal, dat ^(i)

20. an m ävonde venden an m ende van den (ivaT)diQ^ dat man heizt grant piain. aldä solen si (tvejvMh. comen.

21. ih wil üh ouch sagen ein \vkrzQ\(clien) . Min her Gäwein vürd einen wicen seilt ont G\(ßet) viird einen gedeilden seilt, dat uverste deil is (van) golde, ont dat niderste is rot van sinople. Alsos wisdons di iunfrowe . . . . uh

sulden. de seide w . . . g . . er vrev d wir ni ne wisten wi si was want sagen (?) ne wolde. Min her G. s. . . wi di iunfro wesen muhte, mit paviliün . . . 2r ont di (ji(nfrdue) dede min heren Gawein ontscon. dar hiz sin (släfe)n gän op dat scoue bede ende bleif vur im bez (he o)nt- släfen was. 22. Do hiz si ir ein ander bedde ma.{chen] ze sinen vücen ende ginc der op släfen mit der (and)erre jun- frowen. 23. Des morgius vrü stünden di (sivij) junfrövven op ende wecten gine enehte. 24. Do ont(wah)te min her Gäwein out stund op. di junfro hiz im (sin) wäpne brengen, ont sprah zen zvein sei-jan(?7e«^ , dat si balde ir seumeren bereiten onde riden ir (wege). 25, Si nam de junfro b'ein side onde hiz si balde en(tueg.)

26. onde quämen ze vesperzid ze min frowen munen hüs.

27. Da ward in alle di ere gedän , di man in don mühte ont allet dat gemah. 28. Si heden z ezcen ont ze drenkene alles des ir herze gerde. si bedurftens ouh wal, want si allen den dah gevast heden. 29. Do mannelich gezcen hede onde man izont de tafel suld opdon , do quämen zvene cnapen ingäude. 30. Der eine was (der vröicen) neve vanme hiis ont der ander was ir (son. de vröjyfe vrägd im, wat meren

Hof mann', lieber ein niederdeutsches Lancelotfragment etc. 45

si brähten. 31. Wir brengen üh uvile mere, vrowe, sprä- chen si. 32. Wad is dad, vil live kint? sprach si

32. Vil live meder, sprah der son al weinende, min vader onbüdt üh , dad ir in nimernie ne sie(^) ont dad ir sinre silen dor got gedenct , want im der hirzoge morne sal don düden an deme dage. 33. Do spranc de vrowe op onde mähte den meisten jamer van aller der werelde. 34. Min her GaNveiu trüste si so he meist mohte onde vrägd ir, wi id hei'zo comen were. 35. Dat \\\\ ih üh sagen, herre, sprah si. Min man is ein harde birve ridder gewesen, he is ein gedagt riddre ont is des hirzogen van Cambenic harde geweldih gewesen ont sins guds. 16. Nu wart me hirzogen ein son erslagen lii bi ons in einen walt. der ein harde scone cnape was ont ücermäfcejL^

F. LXXXVII verso. col. 1. (Vol. I. Hain. Nr. 9850.

A Tant sen partent monseigneur Gauuain et sa daBioiselle de Girflet et de samye et clieuauchent toute nuit tant quilz voient dedens la forest vng beau feu. La pucelle va celle part et treuue vne damoiselle et deux escuiers tous armez comme sergans et messire Gauuain va pres. Et quant les escuiers voient la damoiselle si la saluent en disant qua Lien soit eile venue. Et lui demandent: qui est ce cheualier? Et eile leur dist que cest le clieualier du monde quelle ayme le mieulx. 1. Hz vont par deuers monseigneur Gauuain et lui fönt grant reuerence puis le fönt descendre et prennent son cheual pour le mettre a lestable. 2. Et puis ilz lui delacent son heaume et lui ostent son escu de son col et le pendent a vng arbre. Aprez ilz le desarment, car la damoiselle lauoit commande. 3. Et quant il fust desarme vne aultre damoiselle qui ilec estoit, lui mist vng moult riebe manteau au col. Et fait porter ses armes en vng pavilon. lautre damoiselle et messire Gauuain vont apres.

46 Sitzung der phüos.-phüol Classe vorn 11. Juni 1870.

5. II regarde et veit dedens le pavilon vng des plus beaux lis quil vist oncques. 7. La table estoit mise pour mengier.

9. Et quant ilz eiirent mengie tout a leur voiilente messire Gauuain et la damoiselle sen alereut a lesbat parmy le bois si ne demeurent pas grantmentet au reuenir messire Gauuain deraande

a la damoiselle pourquoy si beau lit auoit este fait. Elle lui dit que tout ce est fait pour lui et si nol de ceans ne scait qui vous estes ex- cepte moy et Celle qui plus vous ayme que horae du monde nie enuoia cy pour vous faire feste et honneur , et sachez quelle vous cuide plus acointer que vous ne estes car eile cuide quil nait dacie ne damoiselle au monde de qui vous voulsissiez faire vostre amye se de trop haulte lignie nestoit et de trop grant beaute,

10. Ne ie ne lui voudroie pas auoir descouuert ce que vous me voulez faire car eile ne nie aymeroit iamais. Si vous gardez bien de le faire tant pour vostre gentilesse que pour euiter vostre domniaige. 11. Or nayez garde fait monseig- neur Gauuain. 12. Mais dictes moy ou sen va Girflet et sa damoiselle. 13. Voulentiers fait eile. 11 est vray que ceste damoiselle a long teraps ayme vng cheaulier le quel cest enamoure dune autre. Si a tolu les ioyaulx a ceste cy et les a donnez a vne autre. 14. Et principalenient vng chasteau (lies chapeau = Kranz) moult riebe et de grant valeur. 16. Elle ala demander au cbeualier ces ioyaulx et il lui dit que iamais ne les auroit. 15. Si trouua sa mye qui auoit son chapeau sur son cbief. 17. Et eile lui dit que au premier lieu ou eile la trouuera eile lui fera tolir et les autres ioyaulx aussi. 18. Le cbeualier demande qui ce fera. 19. Meileur cbeualier que vous le fera dit eile le quel me menera la ou vous serez si fera de vous et de vostre amye tout a ma voulente.

„Haa, pute ! dit le cbeualier, dicy a vng mois me trouuerez icy." Et cest la cause pourquoy la damoiselle maine Girflet. ainsi que nous pas- sions hier par ceste forest nous rencontrasmes vne damoiselle, qui nous demanda, que nous querions , et nous dismes que lune de nous queroit monseigneur Gauuain et lautre vng cbeualier de la maison du roy Artus et eile nous dit,

Hofmann: Ueher ein niederdeutsches Lancelotfragment etc. 47

20. que au cliief de la forest de Combes trouuerions mes- sire Gauuain et Girflet et vendront tont le grant chemin qui vient de Manesellcs 21. a Celles enseignes que monseigneur Gauuain porte vng escu blanc et Girflet porte vng escu de sinople a fesse dor inoult large. Ainsi sen vont deuisant iusques au pauilon et treuuent le riche lit appareille pour couchier. 21. Elle fait deschaucer monseigneur Gauuain et le fait coucher au beau lit et se tient deuant luy tant quil soit endormy. 22. Et puis eile et sa damoiselle sen vont coucher en vng autre lit au pres. 24. Au matin messire Gauuain se leua et len lui apporte ses armes. 23. La damoiselle ai)pelle les deus escuiers et leur dit , quilz attournassent leurs harnois et quüz sen allassent. 25. Puis parla a la damoiselle et lui dit a conseil : alez a ma dame et lui dictes que iay bien fait ce quelle raa charge et que ie seray dicy a trois iours par deuers eile et lui maine ce quelle scait. Mais nen parlez sinon a eile. Et eile dit que ainsi fera eile.

A Tant sen partent messire Gauuain et la damoiselle la queUe lui dit. Sire ie vous meneray le plus secreteraent quil sera possible et cou- cherons ennuyt en löstet dune mienne ante et demain ie vous cuide mener en vng des beaux lieux ou vous feussez oncques. 26. Tant sont alez quil est vespre, quant ilz vindrent chiez la dame. 27. Si IcS receut a grant ioye et les list menger. 29. Et en la flu de leur menger eutrerent leans deux varletz 30. dont lun estoit filz de la dame et lautre son nepueu. La dame leur demande : quelles nouuelles? 3L Et ilz distrent: ,,moult mauuaises". 32. Comment? fait eile. Certes, fait le varlet, 32. mon pere vous mande, que vous ne le verrez iamais et que vous priez pour son ame, car le duc a commande quil soit demain destruit. 33. Et la dame sault de la table toute desconfortee 34. et messire Gauuain lui demande que ce peut estre, 35. et eile lui dist: Sire, cest mon seigueur lequel a este longuement ayme du duc de Cambenic et gouverneur de sa tirre mais ainsi est auenu, que en la guerre du duc et du roy de Xorgalles

48 Sitzung der pMlos.-philol. Classe vom 11. Juni 1870.

36. a lentree de ceste forest le filz du duc fust occis par ceulx de Norgales.

Man wird aus der Vergleichung der Sätze und Satz- theile ersehen, dass die deutsche Bearbeitung etwas ausführ- licher war, als das Original, und dass ihr Hauptcharacter darin besteht, einen längeren französischen Satz in mehrere selbstständigc oder nur lose verbundene kürzere zu zerlegen. Freihch dürfen wir nicht vergessen, dass wir bis jetzt nur den modernisirten Text der Drucke verglichen haben und dass die Vergleichung der Handschriften gewiss ein im Ein- zelnen reineres Resultat ergeben würde, wenn sie auch am Hauptresultate nichts ändern kann.

Das Resultat dieser ganzen mühsamen Untersuchung ist von geringer positiver Bedeutung, um so grösser ist ihre ne- gative, indem das mysteriöse „Bruchstück eines niederdeut- schen Ritterromans" nun definitiv aus der an \Yahngebilden solcher und anderer Art überreichen deutschen Literatur- geschichte verschwindet, und sich als kleinstes Theil- chen eines weltberühmten französischen Buches entpuppt, denn das war der Lancelot ganz entschieden, wäre es schon durch die glänzende Stelle, die ihm Dante in der divina comedia angewiesen hat. Aber Dante's Lancelot war ja provenzalisch , vom berühmten Arnaut Daniel! höre ich er- widern. Nun, woher weiss man denn das so gewiss? Tor- quato Tasso hat es gesagt. Eine schöne Autorität für Ge- lehrte des 19. Jahrhunderts, wo es sich um literarische Fra- gen des 12.— 13. handelt. Dante selbst hat es sicherlich nicht gesagt und ich hofi'e zu beweisen, dass er es auch nicht gedacht hat. Alles, was in dieser Beziehung vorgebracht ist, sind vage Vermuthungen, Möglichkeiten, von denen tau- send noch keinen wirklichen Beweis ergeben. Das ein- zige, was Gewicht hat, ist die Behauptung Val. Schmidt 's (Wiener Jahrbücher 1825 S. 93): dass Dante

Eofmann: Ueber ein niederdeutsches Lancelotfragment etc. 49

im Paradis (XVI, 13) Beatrice mit Ginevras Kammermäd- chen, welches bei dem Vergehen derselben gehustet haben soll, vergleiche, und dass diese Erwähnung sich nicht im französischen Pros a - Lancelot finde. Es ist die bekannte Stelle :

Onde Beatrice, ch'era un poco scevra,

Ridendo parve quella, che tossio

AI primo fallo sciitto di (jiiievra. Man sieht , dieses Husten kann unter Umständen ein sehr gravirender Umstand werden. Glücklicher Weise sind wir in der Lage, beweisen zu können, dass Val. Schmidt Recht und Um echt zugleich gehabt hat, in der Entscheidung freilich Unrecht. Die erste Liebesscene zwischen der Kö- nigin Genievre und Lancelot ist ein Prachtstück, nicht bloss im V, Gesänge der Hölle, sondern auch im französischen Prosarou-an und darum -schon zweimal nach zwei verschie- denen Handschriften in extenso abgedruckt, einmal in Jonck- bloets Lancelot H, XLI ff., dann bei Moland, Origines htteraires de la France, Paris 1862 S. 373 fi\

Die Liebeserklärung lautet : Or me dites : totes les cheva- leries, que vos avez faites, por cui les feistes vos? ,,Dame, fait it, por vos. Comment, fait eile, amez me vos tant? Dame, fait iL ge n'ain tant ne moi ne aatrui. Et des quaut, fait eile, m'amez vos tant? Dame, fait il, des lo jor que ge fui apehz Chevaliers et si ne l'estoie mie. Et par la foi que vos me devez, d'ou vint cele amors que vos avez en moi mise?

Das ist also der primo fallo. Darauf folgt unmittelbar und in beiden Handschriften wesenthch gleichlautend : A ces pai'oles que la reine disoit, avint que la dame do Pul de Malohaut (das ist die Hofdame, Galehots (Galeottos) Ge- Hebte), s'estosi tot a esciant et drega ia teste c^ue avoit an- brunchiee et eil Tanteudi maintenaut , que maintes foiz l'avoit oie. Wörtlich so bei Moland S. 378. (la dame do [1S70.II. 1.] 4

50 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 11. Juni 1870.

Pui do Maleliaut s'estoussi tot a esciant). Dasheisst: Bei clicseu Worten, (d.h. woher kommt eure Liebe?) welche die Königin sprach, geschah es, dass die Dame von Malehaut absichtlich hustete, und das Haupt erhob, welches sie gesenkt hatte , und Lancelot merkte es sogleich , da er sie oftmals gehört hatte." Das Husten fehlt also nicht in den Handschriften und nur diese lagen Dante vor. Es fehlt dagegen richtig in den Drucken. Das Exemplar der hiesigen Staatsbibliothek (3 Bde. Fol. Paiis, bi Jehau Petit 1533), welches mir vorliegt, hat Bd. I, Blatt 66 r" a fol- gendes über die Dame von Malohaut : La royne vit qae le Chevalier nen ose plus faire, si le prent par le mcnton et le baise deuant Gallehault assez longuement. Et la dame de M a 1 1 e h a u 1 1 s e u t de v r a y quelle I e b a i s o i t. Das steht auch in den Handschriften mit denselben Worten, die Stelle vom Husten fehlt in dem Drucke gänzlich, und so hatte Schmidt, der nur die Diucko benutzen konnte, in seiner Weise auch Recht.

Auch Dantes Ausdruck scevra findet seine Quelle im franz. Prosaromau: Atant vienent soz les aubres, si s'asiont Galehoz et la roine loing des autres a une part et les dames a l'autre Molaud S. 373, Jonckbloet p. XLL Es müsste also, wenn es einen Lancelot von Arnaut Daniel gegeben hätte, an diesen entscheidenden Stellen ganz dasselbe darin gestanden haben , was im französischen Prosaroman steht, dem in Bezug auf die Abfassungszeit die Priorität zu- kommt, denn Crestiens Lancelot oder Chevalier a la cha- rete ist unzweifelhaft aus ihm genomn.en, Crestien aber war älter als Arnaut Daniel. Auch einen Renault oder Rinaldo soll nach Pulcis Angabe im Morgante Maggiore Arnaut Da- niel geschrieben haben. Da Rajna jüngst nachgewiesen hat, dass Pulcis Quelle keine andere war, als eine talentlose Ar- beit eines Zeitgenossen, in die er Leben und poetischen Schwung gegossen hat, so wird man dem Argument kaum

Hofmann: Ueber ein niederdeutsches Lancelotfragment etc. 51

mehr grosses Gewicht zugestehen. Allein auch die dirccte WiederlcgUDg aus Pulci selbst ist nicht schwer: Che mi dette d'Ärnaldo e d'Alcuino Notizia e lume del mio Carlomano.

Man sieht, von einem Daniel ist hier so wenig die Rede, wie bei Dante von einem Lancelot Daniels. Wer kann aber neben Alcuin, als Quelle für das Leben Karls des Grossen genannt, unter diesem Arualdo anders gemeint sein, als Einhard, in ital. Form Anardo und angeglichen Arnardo, Arnaldo? Dass ihn der schalkhafte Pulci an einer andern Stelle den famoso Arualdo nennt , das hat er aus Petrarca genommen ; aber gelesen hat er von allen diesen angeblichen Quellen, die er nur aus der Phantasie citirt, nichts.

Der franz. Lancelutroman ist uns noch in einer andern Beziehung von höchster Wichtigkeit. An ihm allein kann man bis jetzt Crestiens Art und Weise, seine Quellen zu be- nutzen, gen:iu studiren. Er nimmt einen der grossen Prosa- romane, die ungefähr ein Menschenalter vor ihm in England Uliler dem Einflüsse des normannischen Hofes (bekanntlich nennt man Heinrich H. nach der Mitte des 12. Jahrhunderts als Veranlasser) eine Masse keltischer Sagen in mehreren grossen Comploxen zusammeugcfasst haben, aus diesen hebt er eine Episode aus, (hier die von Lancelots Fart auf dem Schandkarren), entkleidet sie aller Bezüge auf Vorausgehen- des und Nachfolgendes, tilgt die Masse der Eigennamen, kürzt die breite, behaglich hinfliessende Erzählung, lässt den Stoff in seinen leichten und glatten achtsilbigen Reim- paaren rasch und lebendig an uns vorüberrollen, setzt in passenden Zwischenräumen die Schluglichter höfischer Sitte und Ausdrucksweise auf und so entsteht ein Crestiensches Gedicht, ein Werk nicht des Genies, aber des eminentesten Talentes. Alle seine ächten Werke (der Guillaume d'Angle- terre ist so wenig von ihm, wie der Servatius von Heinrich

von Veldeke) tragen den gleichen Stempel. So wird denn

4*

52 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 11. Juni 1870.

auch für seinen Perceval ein ähnliches Werk Quelle gewesen sein, aus dem er seine Grualepisode gezogen und in sich abzurunden begonnen hat, worüber er gestorben ist. Wir dürfen also hypothetisch folgende Proportion ansetzen: Wie sich Crestiens Lancelot verhält zu der Episode aus dem Lancelotroman (sie steht bei Jonckbloet S. LXXVII CXXXII), so verhält sich sein Perceval zu X, d. h. zu dem noch nicht wieder aufgefundenen Prosaromane, aus dem er geschöpft und dem er ,. Unrecht gethan," wie Wolfram sagt, weil er so vieles übergangen und ausgelassen hat. Wirklich verändert wird er hier wohl so wenig haben , wie im Lancelot , daher kommt es auch, dass Wolfram, der ihn so hart tadelt, doch in dem, was beide gemeinsam haben, fast immer mit ihm übereinstimmt. Wolfram ist äusserlich wie innerlich der gerade Gegensatz von Grestien. üeberfülle von Eigennamen und Begebenheiten ist sein höchstes Ideal, Grestien verab- scheut und tilgt sie. Ein solches Buch , aus dem Grestien nach seiner Art nur eine Episode brauchen ' konnte , war für Wolfram gerade, was er brauchte. Und ein solches Buch wird Guiot von Provins wohl nicht selbst gemacht, sondern nur nach Deutschland mitgebracht haben.

Paranikas: Triodium des h Sophronius. 53

Herr Chribt legt eine Abhaucllung des Herrn Paranikas:

,, lieber das angebliche Triodium des h. So- phronius" vor.

In der griechisclien Anthologie christlicher Gedichte, zu deren Herausgabe mein hochverehrter Lehrer, Herr Professor VV. Christ, mich als .Mitarbeiter heran zu ziehen die Güte hatte, sollen neben den- gefeiertesten Dichtern der griechischen Kij'che, neben Andreas Cretensis, Cosmas Hierosolysmitanus und Johannes Damascenus , auch die älteren christlichen Meloden , deren Lieder durch den Einfluss der genannten Dichter verdrängt wurden, ihre Berücksichtigung finden. Zu diesen zählt natürlich auch der h. Sophronius, der berühmte Erzbischof von Jerusalem im siebenten Jahrhundert,^) von dem nur zwei kleinere Gedichte in die gegen das Ende des Mittelalters redigirten Sammlungen griechischer Kirchenlieder (Menäen , Triodium, Pentecostarium) Aufnahme gefunden haben. ^) Als wir nun die verschiedenen Sammelausgaben von Angelo Mai, Matraaga, Pitra und andern nachschlugen, um zu sehen, ob von jenen Gelehrten nicht noch andere Gedichte der griechischen Kirche publicirt worden seien, fanden wir zu unserm Erstaunen in dem 4. Bande des von

1) Eine genauere Bestimmung der Lebenszeit erhalten wir durch Cedrenus, der in seinem Geschichtswerk p. 420 D die Wahl des Sophro- nius zum Bischof von Jerusalem im Jahre 629 berichtet.

2) Jene beiden Lieder sind: „Bri&Xnijfj. iroifxaCov" xrX. gesungen am 25. Dezember (p. L->3 der neuesten Ausgabe der Menäen von Bartholomäus Cutlumusianus, Venedig 1869), und „fwyrj xv^iov"' xrk. gesungen am 6 Januar (p. 65).

54 Sitzung der phüos.-philol. Classc vom 11 Juni 1870.

Mai veröffentlichten Spicilegium Roman um unter dem Namen des Sophronius eine ganze Reihe von Triodieii und anderen Kirchenlieder aus einem Codex Vaticanus pubh'cirt. Unser Erstaunen wuchs beim Durchlesen der Lieder, da die meisten derselben, ja fast alle nach Melodien (slqiwl) ge- dichtet sind , als deren Urheber man bis jetzt den Cosmas oder den Johannes Damascenus anzusehen pflegte; denn ein solches Verhältuiss bchien einen ganz neuen Einblick in das Alter der christlichen Liederweisen zu eröffnen, und dasjenige, was man bis jetzt als Schöpfung der Musiker des 8. Jahr- hunderts ansah , in ein weit höheres Alterthum zurückzu- rücken. Aber mit dem Erstaunen wuchsen auch unsere Zweifel an der Aechtheit jener Lieder.

Einmal musste uns schon dieses befremden , dass dar- nach Sophronius bereits solche Formen des KirchenUedes müsste gebraucht haben , die erst im 8. Jahrhundert in Aufnahme gekommen zu sein scheinen. Angelo Mai hat zwar jene Gedichte des Sophronius so gegeben , als ob jedes derselben getrennt für sich bestünde , und keines mit dem andern zusammenhinge, aber schon die Ueberschrift Triodium, die der Herausgeber nach seiner eigenen Angabe in der Vorrede p. VIP) aus der genannten Handschrift ent- nommen hat, mehr aber noch eine genauere Analyse der Gedichte zeigt , dass immer mehrere derselben zu einem grösseren Ganzen, zu einem Triodion, DioJion, Tetraodion,

3) „Dum Soplironii scripta in vaticanis praesertim codicibus vestigarem, incidi in amplum triodium quoddam, pulcherrimis lit- teris antiqua manu descriptum , atque ab hactenus editis totum dif- ferens, optimi generis et prorsus orthodoxi. Melodi in eo loquuntur Antonius monachus , Clemens quidam, Johannes monachus (scilicet Damascenus) Josepbus, Leo despota, Sergius, Sophronius, atque Stu- dita Theodorus, copiosissimi quidem omnium Sophronius ac Theo- dorus. Ego vero , reliquis omissis , Sophronii tarnen gratia non re. cusavi laborem omnia oxcerpendi, quae nomine ejus inscripta erant."

ParaniJcas: Triodium des h. Sophronius. 55

oder ganzen Canou zusammen gefasst werden müssen. Die erstercn jemr Gediclitarten aber, die Diodieu, Triodieu und Tctraodien , wurden von dun Meloden nur als Theile des vollständigen, aus neun Oden (ojdca) bestehenden Canon auf- gefasst/) und die Form der Canones selbst lässt sich nicht über das achte Jahrhundert zurück verfolgen ; wenigstens sind die grossen Gedichte des Romanus , des berühmten Meloden des 6. Jahrhunderts, weder in den Ausgaben, nocli in den Handschriften nach Weise der Canones in acht oder neun Lieder getheilt , und zeigen auch in ihrem Inhalt und ihren Melodien keine Spur von einer derartigen Eintheilung. Es spräche sonach gegen unsere ganze Kenntniss von der Entwickelung des griechischen Kirchengesanges, wenn bereits Sophronius geraume Zeit vor Joh. Damascenus die Formen des Canon und des Triodions angewendet hätte.

Sodann könnte man es sich wuhl gefallen lassen, wenn bloss eine und die andere Melodie des Cosmas und Johan- nes sich als älteres Erbtheil der griechischen Kirche erweisen würde; aber dass die Mehrzahl der Hirmen jener Meloden bereits von einem älteren Dichter, unserem Sophronius, an- gewendet sein sollte, dagegen spricht doch alle Ueberlieferung. Denn wie käme unter anderen Suidas^) dazu den Johannes

4) Diese Auffassung findet in den Ausgaben und bereits in den Handschriften darin ihren Ausdruck, dass von den drei Oden die beiden letzteren als achte und neunte Ode bezeichnet werden. Dass aber diese Meinung bereits von den Dichtern selbst getheilt wurde, zeigt die ^yahl der Melodien; denn dem zweiten und dritten Liede eines Triodions liegen durchweg solche Melodien zu Grunde, die ur- sprünglich der achten und neunten Ode eines Canon eigenthümlicli waren.

5) Suidas: .'Jwdii'r,^ 6 Jducisxr^vog. 6 snixltiS-etg Mupaov(). ccvriQ 'Atel (clrog sXXoyiixohuros, ovöfi'os 6tiTi(ios ttZv xta^ avtoy iu rrcdSucc Xufj.- ijjüvxuiv. (Ti<yyQicuuf(t(c cciTov rrut'v rroXXu xcci uaXiirr« (fiX6ao(fc<, a'g TB Trjp d-fiHv y(}cc(fTji' n c(Q('c7Jkr^ot z«t' £xXoyr,y; xcü oi c<<ytx(atxoi xarovtg.

56 Sitzung der pMlos.'philol. Gasse vom 11. Juni 1870.

und Cosmas als die berühmtesten und unvergleichlichen Me- loden hinzustellen , wenn sie nur den längst bekannten und allen geläufigen Melodien neue Texte augepasst hätten?

Aber auch der Inhalt jener von Mai herausgegebenen Gedichte machte uns an der Autorschaft des Sophronius stutzig; denn ähnliche Gedanken erinnerten wir uns in den bekannten Liedern der christlichen Dichter schon oft und vielfach gelesen zu haben. Sollten aber wirklich die gefeier- ten Dichter des 8. Jahrhunderts nicht bloss die Melodien, sondern auch ihre Gedanken einem später spurlos verschol- lenen Sophronius entlehnt haben, dann begriffe man wirklich gar nicht mehr, wie die Gedichte der Schule von Jerusalem zu einem solchen Ansehen gelangen konnten , dass sie die früher in der Kirche üblichen Lieder fast durchweg ver- drängten.

Da wir so zwischen Staunen und Zweifeln schwankten, veranlasste mich Herr Professor Christ, die Sache einer speciellen eingehenden Untersuchung zu unterziehen, und bald führte mich eine genauere Prüfung zu den überraschendsten interessantesten Resultaten, die ich hiemit der gelehrten Welt mittheilen will.

Cm gleich das schliessliche Ergebniss voran zu stellen, so bemerke ich in Kürze : erstens, dass weitaus die Mehrzahl der von Angelo Mai als inedita publicirten Gedichte längst gedruckt ist, und zwar in den bekanntesten Sammelwerken der Liederdichtungen der griechischen Kirche , im Triodium und Pentecostarium, und zweitens, dass dieselbe, wenn nicht alle , so doch in der Mehrheit nicht von Sophronius , dem Erzbischof des 7, Jahrhunderts , sondern von Joseph dem Hymnographeu des 9. Jahrhunderts herrühren.

itcf^ßixoi ra xcu xcaccT.oyuS^t'. avyijxuusf 6' air'Z xcci Koafxüg o 'Ifgo- aoXvuiov, «>'jj^ ficftiaTccTog xcci ttveiüv uoiaur,i' oXiog ttjV epciquoviov. Ol yotv ^aficauol xafoyfs 'liodyyov rt xai Koafia avyxQtaiv ovx iSe- ^avro. oi6k Se'^ccn'to av ,«f/p'? o xud-'' i^f^ccg ßiog Tifgatio^ijafTat.

ParaniJcas: Triodium d£S h. Sophronius. 57

Das Buch Triodium (Tqio^Siov) , eines der erwähnten drei Hauptsammelwerke der griechischen Kirchengesänge, enthält die Lieder der Fastenzeit bis zum Vorabende von Ostern. Seinen Namen hat es von den aus je drei Oden be- stehenden Triodien, die in diesem Buche eine hervorragende Rolle spielen, während sie weder in den Menäen, welche die Kirchenheder der verschiedenen Monate des Jahres enthalten,^) noch in dem Pentecostarium , dem Gesangbuche der Fest- tage von Ostern bis zur Woche nach Pfingsten , häufig vor- kommen.

Die Triodien nun gehen vom Montag der der Fastenzeit vorausgehenden Woche (V^ ißSofiaSi vfjg tvQivrfg^ sig zöv oQ^Qov) an und erstrecken sich bis zum Freitag der Woche vor Palmsonntag (Vwv ßa'ioov) ; sie rühren zum weitaus grössten Theil von den Hymnographen Joseph und Theodorus her , die ausdrücklich in der Ueberschrift als Verfasser ge- nannt sind.

Das Triodium. welches A. Mai herausgegeben hat, muss eigentlich dem Gebrauche der griechischen Kirche nach in zwei Theile eingetheilt werden : 1) in das eigentliche Trio- dium für die Fastenzeit (p. 126—171), und 2) in das so- genannte Pentecostarium , welches die Kirchenlieder von Ostern bis zum Tage vor Pfingsten umfasst (p. 171 225). Die Triodien des ersten Theiles nun sind , mit Ausnahme

6) Triodien finden sich ausser im Triodium noch 1) für Christi Geburt (Weihnachten), December p. 138. 147. 153. 162. 2) für die Taufe Christi (Epiphanie), Januar p. 13. 21. 3) für die Transfiguration Christi, August p. 26. Beiläufig bemerke ich, dass das Triodium seine heutige Form schwerlich vor dem 14. Jahrhundert erhielt; das schliesse ich aus der Akoluthie des hl. Gregorius Palamas, Erzbischofes von Thessa- lonich, die nach der ausdrücklichen Angabe des Triod. selbst p. 170 erst im Jahre 1368 gedichtet wurde; damit soll aber nicht geleugnet werden , dass es schon vor dem 14. Jahrhunderte andere ähnliche Triodia gegeben hat.

58 Sitzung der pMos.-phüol Classe vom 11. Juni 1870.

der zwei letzten verstümmelten Odeu (p. 170—171: „2vv€X- ^ovTtg Ssvra . . . ds^ccfjisvov") im ?yx- ß' (s. Dainabc. im Üctoecli. [). 41 und Joseph im Triod. p. 67) uicLts anderes, als die eben erwähnten Lieder des Hymuographen Joseph; und wenn A. Mai das jetzige Triodium der griechischen Kirche nachgeschlagen hätte, so würde er eingesehen haben, dass alle die von ihm als unbekannt edirten und dem So- phrouius beigelegten Triodien ganz bekannt sind , und der Ueberlieferung nach dem Joseph zugeschrieben werden. Dass aber die Ueberlieferung unverfälscht ist , und Joseph wirklich der Dichter der Triodien ist, will ich noch genauer rechtfertigen.

Diejenigen, welche sich mit der griechischen Hymno- graphie beschäftigen, wissen wohl, dass das sicherste Zeug- niss über die Autorschaft der einzelnen Gesänge in der Acrostichis enthalten ist, in der ganz gewöhnlich der Dichter seinen Namen eiugeflochten hat. Wir finden diese Sitte bereits schon bei Romanus , dem grossen Meloden des 6. Jahrhunderts (s. Pitra Hymnographie de l'eglise grecque p. 47). Cosmas und Johannes Damascenus scheinen dieselbe nicht befolgt zu haben ; hingegen hat wieder Joseph in allen seinen Cauones am Schlüsse der Acrostichis seinen Namen gesetzt; eben diesen Namen 'Icoai](p finden wir nun auch in der Acrostichis mehrerer von A. Mai herausgegebenen Triodien; so stehen bei Mai p. 138—139 drei Lieder j^O/Lißgoig iaßeaars . . . ." bis . . . ßaOiXsvovzi^^ die dem Tetraodion des Sonnabends der zweiten AVoche der Lasten- zoit entsprechen; dasselbe hat im Triud. p. 167 die Auf- schrift „Texqacndiov , noi'T]fia Icoorjcp, ov i] dxQoOnx^g. 'O viivoc, ovTog 'IcüOij^.''^ Und in der That geben die An- fangsbuchstaben der einzelnen Strophen der 4 Oden den verlangten Satz: d vfivog ovrog Ycoar^tp; in der Ausgabe von Augelo Mai stellen sich aus den Initialen freilich nur die Worte . . og ovrog 'Ioai](f zusammen; aber das rührt

Paranikas: Trlodium des h. Sophronius. 59

daher, weil in derselben, wie so oft, das Tetraodion um eine Ode, die sechste, verstümmelt, und in der ersten Strü|)he der neunten Ode ,'^O^^r]T€ ^sToi tug av^Qaxeg" statt j^iicf^iiie i>. (o. «'. fälschlieh geschrieben ist; jedenfalls haben ^Yir auch bui Mai in der Acrostichis den entscheidenden Namen 'I(oar^<f. Vollständig ferner stimmt das Tetraodion am Sonnabend der dritten Woche der Fastenzeit (Triod. p. 198) mit den vier Liedern bei Mai p, 145 147 ,,^t/<«Twv Tqqdsv- Oat€ . ." bis „. . f^iccxaQi^ovTi,'' deren Acrostichis lautet: „adei lavTcc o 'I(üGi](f(f (sie)". Endlich vereinigen sich auch noch die Anfangsbuchstaben der drei Lieder bei Mai p. 161 bis 1G3 : „'H vneQcpwzog . . ." bis „^vfiiafjicc^' zur entscheidenden Acrostichis ,5... rj (ndrj rov '/wöT^'y."; auch hier ist im Triod, p. 285 291 zum Sonnabend der fünften Woche das Tetraodion vollständiger gegeben, so dass sich daselbst auch noch der vollständige Satz : „ccvrrj rf rjjj»/ tov 'lcoarj(f^^ als Acrostichis ergibt.

Am Freitag der Woche vor Palmsonntag endigen im Triodium (p. 319) die Lieder des Joseph und folgen dann diu älteren Triodien des Andreas Cretensis , Cosmas und D^imasceuus vom Sonnabend derselben Woche bis zum Char- mittwoch (Triod. p. 329. 342. 344. 349. 352. 355. 357. 362.) auch in dem Buche von Angelo Mai steht jenes letzte Trio- dion p. 168 169: j/Ett« OzavQov xvqit . . .'^ bis „. . .(pQixTrj 60V . . . . jifjir^v'^' (vgl. Triod. p. 317 319), dann folgen aber zwei weitere Lieder (p. 169 171), die im Triodium nicht stehen und, so viel ich weiss, hier zum ersten Male heraus- gegeben werden. Das erste ist ein verstümmeltes Triodion, von dem die erste Ode ganz, und von der neunten Ode die letzte Strophe fehlt;'') dieses schliesse ich aus den Anfangs- buchstaben; denn die Acrostichis tsqcc 'IcoOrjyj der erhaltenen

7) Das Gedicht ist im ^/. 7t?.. 6' gesetzt- Vergl. die Ilirmen bei Damasc. im Octoech. p. 169—170 (ed. Venet. a. 1869).

60 Sitzung der phüos.-philol. Gasse vom 11. Juni 1870.

Strophen muss offenbar zu {rfl SsvIreQa 'IcoaTf}^ ergänzt werden. Dasselbe war. wie es scheint, bestimmt, am Mon- tag der Charwoche in der Frühe gesungen zu werden , an welchem Tage jetzt nach dem gebräuchlichen Triodium ein Lied des Cosmas (rfj Sswega. Triod. p. 344) gesungen wird ; merkwürdiger Weise stimmen sogar die Strophen der achten Ode fast wörtlich mit den Strophen der achten und neunten Ode des Triodion von Cosmas übereiu , wie aus der nach- folgenden Vergleichung klar wird.

„Torf ifxoi yywaS-ijrrfaS-f /uad-rjui , aoJreQ sXfgag, ots iyzoXwy ix- nXtjQural ysyriaea&e ifiwi': olaTreg e^Tjaa , i^eXoyrl ig^ofifyos ndßos TtQos aenxov , 6i^ ov aTtuS-uay Tiäg ns Kofiiafxcci xgavya^wy. iegeis ciyvfxyiCTS . . /' (Spicil. p. 169).

.,^YfA,üg fxov roTf fxad-r^Tdg rcaytig yycüaoyTut, it tag iuceg ivroXcig Tr]Qija(T& , (prjdcy o aiorriQ totg (piXoig ngog nd&og /uoXwy . . ." (Cosmas im Triod. p. 346).

,,'Ey iuiiTotg rccrt&ü'Ujaty dXr/S-^ nfQKfiQoyrig, x6y ruTifiyioSEyru fie ^foy fitfii](jcca&e, roig (piXoig ißorjaag, Ttd&og, XgtaTf. Ttgog 3-eloy fioXwv. 6 oiy vxpr^og d-iXujv yeyiaS-ui xccl rtQUJrog , rwy TidyTwy äovXog eazui Tfl TXQoS-iaft) XQKvyd^wy . . .'•' (Spicil. p. 169).

. . . fiQTjyfvfTS iy iuvToTg xcd rräai xccl rccrtiiyic (pQovovvteg dyv- ipcuSijrs . . ."

„•••0 ody TZQoxotrog iv viuTy fh-nt S-iXcoy, rüy dXXioy eatu) ndv- Tioy ia^caojTfpog . . .'■' (Cosmas im Triod. p. 346).

./Pirrov Ticc&öjy toi awfuurog xccl yji'XV^ ixxttd-dQUifify . . ." (Spicil. p. 169).

„'^Pvrcoy rrdyrce ifirta^rj drtwadfieyoi . . ." (Cosmas im Triod. p. 346).

Hierauf kommt bei A. Mai ein verstümmeltes Triodion (p. 170 171, wovon bloss die erste Ode im rj^ ß' (vergl. Damasc. in Octoech. p. 41) erhalten ist, wo das Oel der zehn Jungfrauen , die Ankunft des Bräutigams , der Verrath des Judas erwähnt wird. Seine Acrostichis „^sm . . ." lautete vielleicht vollständig ,,2£TtTfj zQirrj rg" , analog der des Cosmas „TjOiTv; rt" (Triod, p. 352); denn dem Dienstag der

ParaniTcas: Triodium des h. Sophronius. 61

Charwoche möchte ich dieses Lied zuweisen, weil an diesem Tage wirklich der obengenannten Parabel und des Verraths des Judas Erwähnung geschieht. (Triod. p. 351. 352).

Endlich steht im Spicil. p. 171 im rjx. ß' (Der Hirmus bei Joseph im Triod. p. 67) die erste OJe eines verstümmelten Triodions, wo wieder des Verräthers Judas und der Porne gl 'dacht wird. Dieses Gedicht mit der Acrostichis „Ti]v Tia . . ." scheint dem Charmittwoch anzugehören, an dem jetzt ein Triodion des Cosmas gesungen wird (Triod. p. 356. 357).

Alle bisher besprochene Triodien gehören ausschliess- lich der Fastenzeit und folgerichtig dem Gebiete des eigent- lichen Triodiums an. Die nachfolgenden Gedichte aber bei A. Mai (p. 171 225) gehören dem Pentecostarium, weil sie Canones, Diodien und Triodien sind, welche dem Zeitraum von Ostern bis zur dnodoGig des Himmelfahrtsfestes an- gehören.

Das jetzige Pentecostarium enthält hauptsächlich die Akoluthien der Sonntage von Ostern bis zum Allerheiligen- tag. An jedem Sonntag kommt ein CanuU vor, nämlich der Canon der Auferstehung von Damascenus ('AvaOTaOewg r]fi€q(x . . . Pentec. p. 2) , der zunächst für den Ostersonn- tag bestimmt ist und an sämmtlichen Sonntagen bis Himmel- fahrt wiederholt wird ; ferner ein zweiter Canon für den nächsten Sonntag nach Ostern (tov 'AvxCnaOxa rj tov Ocofiä) j^AiacofKv ndvzsg XaoV' von Johannes Monachus , und dann Canones von Andreas Cretensis, Joseph Thessalouicensis und Theophanes für die folgenden Sonntage.

Der entsprechende Abschnitt im Triodium des A. Mai (p. 171 225) weicht sehr bedeutend von dem eben analy- sirten Texte des jetzt gebräuchlichen Pentecostariums ab; er zerfällt selbst wieder in zwei Theile, von denen der erste Canones (p. 171 191: „"Ev xi\ußäXoig vvv . . . ^eov

62 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 11. Juni 1870.

xt;if](Ja(Ja.'9? de^' zweite Diodien und Triodien (p. 191 225: ,,T&" öTavQ^) Oov Xvöai . . . noQ£va(üf.im.") enthält. Alle diese Gedichte mit der einzigen Ausnahme des Canons am Vorabend (naQafxov^) der Himmelfahrt (Pentec. p. 138 142, bei Mai verstümmelt p. 215 216) sind dem jetzigen Pentc- cobtarium der griechischen Kirche unbekannt.

Die Canones bei A. Mai sind sechs an der Zahl und haben alle die Auferstehung Christi zum Inhalt; es kommen f]or Reihe nach der Canon im ^x- ß' in acht Oden (p. 171 174: „El' xvfißdXoig . . ." bis ,,. ^<^'e ipvx^i ijfjiwv.'^ Die Hirmen bei Damasc. im Octoech. p. 51 48), der im rjx- y in neun Oden (p. 174—178: 'O %d vöuta ndXai . . }'■ bis . . . sxaXXconiasv'^. Die Ilirmeu bei Damasc. im Oct. p. 58—65. Cosm. Febr. 2), der im fjx. 6' in sieben Odeu^) (p. 175 181 : „Ev(fQaiveO^€ ovgavol . . .'' bis j,. . . T^Xev^€Qc6&t]fi€v'^. (Die Hirmen bei Damasc. im Oct. (p. 79 85), der im rjx. nX. a in neun Oden (p. 181 184: ,'^OXoc, sni^viiia . . ." bis „. . . €OQTä^o[ji,€v.^^ Die Hirmen bei Damasc. im Oct. p. 99 107.), der im »f/. nX. ß' in acht Oden (p. 184—188: „Mw- (J^g stvnov . . .^' bis . . . fisyaXvvovrccg." Die Hirmen bei Cosmas im Triod. p. 364 368), endlich der im ijx. ßccQvg in acht Oden (p. 188 191: i,SvXo^ zrjv 6id ^vXov . . . bis ,,. . . xvrjaaaa^'. Die Hirmen bei Damasc. im Oct. p. 140 149). Dieselben gehören mit ihren Theotokien offenbar den Tagen der Osterwoche an, wo noch bis auf die Gegenwart an den einzelnen Tagen die Auferstehungslieder, ncämlich der Ostern- canon und die übrigen dxoXovd^iai dvaaTdai[.ioi von Joh. Damascenus in den verschiedenen, Tonarten , mit einziger

8) Ein Canon von sieben Oden gibt es nicht, und konnte es nach dem Ursprung des Canons nicht geben; es niuss also hier eine Ode entweder in der Handschrift fehlen, oder von A. Mai übersehen worden sein.

Paranikas : Triodium des h. Sophronius.

Ueberspringung des ijxo? ßctQvg, gesungen werden (Peutec. p. 2 21), und zwar so, dass auf Osternsonntag der rjx. et' fällt, auf Montag der weissen Woche (6iaxaivr^0ii.iov ißdo- fictöog) der i]x- ß\ auf den Dienstag der ?fx- /.• u. s. f. bis auf den Sonnabend, wo der /Jx- ^^- ^' gewählt ist.

Während also jetzt an allen Tagen der Woche nach Ostern derselbe Auferstehungscanon gi.sungen wird, scheint uns in dem cod. vatic. von Mai ein Riiual vorzuliegen, wo- nach gleichfalls an jedem T:ige mit dem »;xog gewechselt wird, j ■dem anderen r^x^S '^ber auch ein anderer Text unter- legt ist. Wir dürfen demnach wohl die Vermuthung aul- stellen, dass der erste Osterncanon bei Aug. Mai im )]%. ß' am Montag nach Ostern, der zweite im r^x. y am Dienstag, endlich der siebente im ?fx- ßctQ^q am Sonnabend gesungen wurde; es muss uns aber dieses V'erhältniss um so wahr- scheinlicher rrsch-dnen , da diese sieben Canones mit dem xaroor dvctOTctOtiiog das gemeinschaftlich haben . dass sie sich sämmtlich auf die Auferstehung beziehe:^.

Fragt man nun abt-r water, von wem diese Canones gedichtet sind, so lässt uns hier das oben mit so vielem Glück benützte Kriterium im Stich; denn keiner derselben lud eine Acrostichis , so dass man nicht ganz sicher Joseph als Verfasser vermuthen kann, zumal dieser, wie oben be- merkt, regelmässig in seinen Cauones eino Acrostichis anwendet, und in deisdben seinen Namen Ucunt. Das? aber auch hier nicht an den cdtehi'würdigen Sophionius gedacht werden darf, das zeigen erstens die Hirmen , welche mit einigen kleinen Abweichungen identisch sind n.it den von Damascenus und Cosmas gediichtelen , und zweitens die üebereinstimm- ungeu mehrerer Gedanken jener Canones mit ähnlichen Stellen im Joh. Damascenus und Cosmas. Zum Beweise setze ich einige besondere einleuchtende Fälle in extenso hieher:

64 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 11. Juni 1870.

Spicil. im ersten Canon.

p. 172. 5 Od. 2Str: Ivyet^sxgov- firjy aoi X^^S t'fffXQCOfj.Ei'ü) Si* E(XE, XvQie , a-^[X((}oy 6s av^dooirotovfxca ^uiriu uXrj&ty^y . . .

p. 173. 7 Od. IStr.: XfjtarosyicQ To oiXQOVop (füig xctl dvojXed-Qov

rißTQttlpfV .

im zweiten Canon.

p. 176. 4 Od, 2 Str. : näaxa iog- rajy eoQXri XafiitQct xai nayijyvgtg naaäjy nc(yriyvQfU)i/ . . .

p. 177. 7 Od. 3. Str.: Fwccixtg aTto -S-ias ygcccpixUig 6t vre ai]f^f- Qov Ziwy ivayyi'kiaaad-e Trjy eyfQüty . . .

im vierten Canon.

p. 182. 4 Od. 2 Str.: rwaixfg [Xfxd jUv(i(oy d-tocfQoyfg , ri iv T(S T€(<pio (og ^ytjToy X(jiar6y ^rjTetTe . .

Damasc. im Ostercanon.

Pentec. p. 2. 3 Od. 3 Str. : X&k avve&umofirjf aoi X^iaxe, awf- yeiQOfiai OTJfjf^oy avaarnpTi aot. avyearccvQOv firjy aot /^f?

Pentec. p. 4. 7 Od. 4 Str. : . . . eV ■fi TO axQoi'oy (pwg £x rucpov auj- fxuTixwg Tiüair ETiiXccfitpfu.

Pentec. p. 4. 8 Od. 1 Str. : ^vTt) ■^ xXriTrj xai dyi'a T^^fp« . . . eoQTMv eoQTrl xai TtayijyvQig iari navri- yv^füjp . . .

Pentec. p. 5. 2 Str. rcof aiyojy. Jfvxf fCTto d-Eag yvuatxeg evccyye- "kiaxQiat xai xrj 2!iwy einare 6exov TXUQ '^fj.wu j«(>«f eiayysXia r^f äyaaxdafcog Xqioxov .

Pentec. p. 4, 7 Od. 2 Str.: Fv- yaixfg ^axd fj,vQMv S-(6(pQovfg oni- ffW aov E6Qa[iov, oy 6e wg d-yrixoy /Hfxce 6aXQvü)y E^i^xovy TXQoßfXv- vriaay . -

im fünften Canon.

p.l85. 4 Od. 2 Str.: ~£i lEQoixcaoy Tidaxa Ttayxog xov xoafiov xaS-dg- aioy, "koyf &(ov xai 6vyafiig, 6i6ov xaS-a^wg fj.fXExfiy aov "^f^dg xovg fikiXQiyit as yytifiT} evafßwg 6o- ^d^oyxag dei ix yfXQüiy dyaaxdy- ttt TQirj^EQoy,

Pentec. p. 4. 9 Od. 3 Str.: ~il Tidaxa xo fisya xai lEQtJxaxoy XQiaxi. ao<fia xai Xoye xov ■9-fov xai 6vyafiig. 6i6ov i^/niy Ex- xvTTüjXfQoy aov fisxaaxftf i*' dyeanEQta ri[iiQ(( xijg ßaaikfiag aov.

Paranilcas : Triodium des h. SoplironiKS. 65

Diese Stellen mögen genügen, um den vorangestellten Satz zu beweisen ; im übrigen beschränke ich mich, um Tinte

uni.l Papier zu sparen , auf den blossen Hinweis der über- einstimmenden Stellen :

im ersten Canon (p. 171 174).

M. 1 Oll. 2 Str. Dam. 4 Od. 3 Str.

M. 1 Od. 3 Str. Dam. 4 Od. 3 Str.

M. 3 Od. 1 Str. Dam. 6 Od. 1 Str.

M. 3 Od. 2 Str. Der Vers von David imPentec. p. 2.

M. 3 Od. 3 Str. Dam. 6 Od. 3 Str.

M. 6 Od. 1 Str. Dam. 1 Od. 1 Str.

M. 6 Od. 2 Str. Dam. 5 Od. 3 Str.

M. 6 Od. 4 Str. Dam. 6 Od. 2 Str.

M. 7 Od. 3 Str. 3 Str. tmv ahcov.

M, 8 Od. 1 Str. 4 Str. rwr cd'vcov.

M. 9 Od. 2 Str. Dam. 3 Od. 2 Str.

M. 9 Od. 3 Str. Dam. 7 Od. 3 Str.

im zweiten Canon (p. 174 178).

M. 8 Od. 1 Str. Dam. 5 Od. 2 Str.

M. 8 Od. 3 Str. Dam. 7 Od. 3 Str.

M. 9 Od. 3 Str. Dam. 5 Od. 2 Str.

im vierten Canon (p. 161 184).

M. 6 Od. 1 Str. Dam. 6 Od. 2 Str.

im fünften Canou (p. 1S4 187).

M. 3 Od. 3 Str. Dam. 7 Od. 4 Str.

M. .5 Od. 1 Str. Dam. 6 Od. 1 Str.

M. 6 Od. 1 Str. Dam. 4 Od. 3 Str.

[1870. II. 1] 5

66 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 11. Juni 1870.

M. 6 Od. 2 Str. Cosm. 7 Od. 2 Str. im Charsonn-

abendcanon des Triod. p. 410. M. 7 Od. 2 Str. Cosm. 4 Od. 1 Str. im Charsonn-

abendcanon des Triod. p. 408.

im sechsten Canon (p. 188—191).

M. 5 Od. 4 Str. Dam. 6 Od. 2 Str.

M. 7 Od. 3 Str. Cosm. 7 Od. 3 Str. a. o. im Triod.

p. 410.

M. 8 Od. 2 Str. Dam. 5 Od. 3 Str.

Nach jenen sechs Canones folgen bei A. Mai mehrere Diodien und Triodien p. 191 215, welche alle avaardöifia sind, und p. 215 225 wieder andere, welche sich auf die Himmelfahrt beziehen; höchst wahrscheinlich waren dieselbe bestimmt in den Wochen von Ostern bis Himmelfahrt und bis zur dnodooig dieses Feiertages gesungen zu werden, welche Vermuthung schon durch den äusserlichen Umstand nahe gelegt wird , dass die Zahl der Gedichte fast genau mit der Zahl der Tage innerhalb jener beiden Endpunkte übereinstimmt, und die rf/ot der Reihe nach genau den am Sonntag 'cov dvxinaöxa bis zum Vorabend des Himmelfahrts- festes gebrauchten entsprechen.^) Dazu kommt nun noch der Inhalt der Lieder, wie die Erwähnung des Gelähmten

9) Pentec. p. 24 , T()ia6ix6s xavcov im ^x- ^<'- P- 29 ? t-o kwQ'ivov rov 7]/ov , im ^/.a. p. 41, xvqckx^ rcoy fAV(io^6()U}y , rix -ß' P* ^^i xv(i. zov nuQa'kvrov) ^x- 7' P- ^6» xvq. zrjs a(c[.uc()tiii6os, ^. 6'. p. 120, xvQ. rov rv(plov , 17/. nX. a. p. 138 142, Tia(jc(fuouTj rijs tci^n'kijipfias: ,yAfuj TtQos rov TiaTSQCc . . . 'If^rly nc<yijyv()iy . . ." Vergl. Spie. 1) p. 191 —192, Triodion im ^/. «'. 2) p. 192—193, Triod. im ^x- «'• 3) p. 193 —194, Diod. im ^x- «'• 4) p. 194—195, Diod. im ^x- «'• &) P- 195* 196, Triod. im ^x- «'• Diese fünf Gedichte sind für die Woche nach Ostern bestimmt, wo auch der ^x- *^' gesungen wird (Pentec. 1 p.30— 40). Sodann 1) p. 196— 197, Diod. im ^x- ß'- 2) p. 197— 198,

Paranihas: Triodium des h. Sophronius. 67

(p. 205. 208: ,^Trf.u(Ti nccqdXvrov Ocfiy^ag. ..'^) der Sama- titaneriu (p. 205 : ,'I^s 2a/j.aQsTTig yvvi\ Oe nqosXd^ovOce. dvrXf^öai . . .'' und 2^-205: ^.^avi^erai xaodi'a... Oaoxl ya^ ev yfi ßudi^wv ^aj-iageitidi uhovOi] Y^yccixl v6o}Q ^cov nu- qeöxsv . . .'•'' und p. 206: ,'I6ovaa yvvrj 2c((xaQshig . . .^^) und des von Christus geheilten Blinden (p. 207: ,,0at'/iaora xal nuQcidolia nqäypLaTu , xcd xvcfXovq d/iijAarovvTO . . .^'' und p, 211: ,,näXai TV(f?.o) ix ysvsTrlg cog söcoQr^Gco . . .^')\ denn gerade dieser Erzählungen des neuen Testaments geschieht in der griechischen Kirche in der Zeit nach Ostern Er- wähnung.

Was aber den oder die Verfasser dieser Gedichte an- belangt, so muss ich zuerst die Gedichte selbst auseinander- setzen , in Oden zerlegen , die Acrostichides , wo solche da

Triod. im ^/. /?'. 3) p. 198— 199, Triod. im ^/. ß'. 4) p. 200, Diod. im r,/- ß"- 5) p. 201, Diod. im r,/. /?'. für die Woche rw^ fxvooyoowy wo ebenso der ^/. ß'- gesungen wird (Pentec. p. 41 65). Hierauf

1) p. 201— 202, Triod. im ^/. y. 2) p. 203— 204, Triod. im ^/. /. 3) p. 204—205, Triod. im ^/. /. 4) p. 205—206, Triod. im ^/. /. für die Woche tov naoalttov , wo ebenfalls der ^/. y'- gesungen wird (Pentec. p. 65 94). Nachher 1) p. 207 208, Triod. im ^/. ^'.

2) p. 208— 209, Triod. im ?,/. 6\ 3) p. 209— 210, Triod. im ^x- «'. eine Abweichung , vielleicht wegen des Feiertages 6' r^s /ueao- TiivTri-Koarrig. 4) p. 210— 211, Triod. im f,-/ <5'. 5) p. 211— 213, Triod. im ij/. 6' , für die Woche rr,g aauaofhiSog, wo wirklich der r^/- S' gesungen wird (Pentec. p. 96—119). Endlich 1) p. 213—214. Triod. im ^/. nX. u. 2) p. 214 215, Tquä^iov TiQotöoxiov des Himmelfahrts- festes (s. die dritte Strophe der neunten Ode p. 215). 3) p.215, ver- stümmeltes Diodion, welches als ganzer Canon am Mittwoche vor Himmelfahrt im Pentec. p. 138 142 im ^/. ttX. u vorkommt, für die Halbwoche rov xvcflov bis Mittwoch; wo wirklich der r^y. nl. «' gesungen wird (Pentec. p. 120). Bis am Mittwoch vor Himmelfahrt haben wir einen Anhaltspunkt, nach Himmelfahrt aber kommen acht Diodien und Triodien, welche zwar keine Reihenfolge der ^/o< haben, genau aber den Tagen nach dem genannten Feste bis zur unoäoais desselben entsprechen (Pentec. p. 156—178).

5*

68 Sitzung der phüos.-philöl. Classe vom 11. Juni 1870.

sind, zeigen, um erst dann einen Schluss zu wagen. Es zer- fallen aber dieselben in zwei Gruppen: 1) in diejenigen, welche Acrostichides mit dem Namen des Dichteis haben, und 2) in diejenigen, welche entweder gar keine Acrostichis haben, oder doch nur eine solche, in der der Name des Verfassers fehlt. Zur ersten Kategorie gehören: 1) Diodion p. 191 192: .^To) aTavQ(i) Oov XvOocg . . .'' bis „...vc^ OvavQcp avzov'^', aus zwei Oden, der achten und__, neunten, im rjx. cc'. wie aus den Hirmen erhellt, welche sich bei Damascenus (im Oct. p.27 28) finden. Dieses Diodion hat die Acrostichis .,Täd€ 'I(oar](f^'. 2) Diodion p. 192 193: „0QrjeT Traöa. ." bis „...oAo)' iavTO)'\ aus zwei Oden, der achten und neunten, wahrschein- lich der Bruclitheil eines Triodions oder eines ganzen Canon. Dasselbe ist im rjx- ^^ gedichtet , was ich wieder aus dem von Joseph (Dezember 28 p. 227) gebrauchten Hirmus der 9. Ode schliesse; von demselben fehlt ausser der ersten Ode die letzte Strophe der neunten Ode; denn so Hesse sich eine Ergänzung der verstümmelten Acrostichis .,0f^~ 7wa>;[5p]" zu dem vollständigen Satze „[«<^« oder vfivog] ^soi 'Io)Grj[(pY^ leicht gewinnen. 3) verstümmeltes Diodion p. 193 194: ^^QävaTov iS^eXovatcog . . ." bis ,,...Tovg vjiivovvTdg df", aus der achten und neunten Ode im rj^. cc' den Hirmen nach, welche Cosmas gedichtet hat (Dezember 25 p. 201 202); es hat die Acrostichis ,,0£oV '[coar](p^\ was vielleicht in dem vollständigen Triodion zu ^^'V/^ivsT] -i^sov IwOr^g)^' sich er- gänzte. 4) wieder ein verstümmeltes Diodion p. 194 195: „Jo^(x T^~ XqiGtbj . . y' bis ,,.. .xo(>ft'oy(7a", aus der achten und neunten Ode im ^x- ^ tlen Hirmen nach, welche sich bei Damascenus in dem Ostercanon (Pentec. p. 4) finden ; es hat die aus ,,[T|ur^)]d'm oder [^PaA/iwJJm 'looarjcp"^ ver- stümmelte Acrostichis „Jicc 'Icoorjcp'^. Vgl. p. 204 205. 208—209. 5) Diodion p. 196—197: „Tov vipco^evra . . . bis ,,. . .x«(»tTt", aus der achten und neunten Ode, im ^x- i^' den Hirmen nach, welche auch bei Damascenus und Georgius

Paranikas: Triodium des h. SopJironnis. 69

vorkommen (Oct. p. 48. Dezember 8 .p. 56). Es trägt die Acrostichis „Tad' 'Icoör^tp.'' Triodium p. 203— 204 : „^cch- IxoTg dXaXd^w[xsv . .." h'i's, ... . .naQCixh^ösig^\ aus der zweiten (?), achten und neunten Ode, im r^x- Y den Hirmen nach, welche Joseph auch in einem andern Gedichte (Pentec. p. 79) angewendet hat; die Acrostichis lautet: „9faX{.io)diu 'IcoOri(p.^^

7) Triodion p, 208 209 : "Vipcoös aravQcoaiv ..." bis ,,...tcc ^av[iuGia^\ aus der ersten (?), achten und neunten Ode im ij/. 6\ Der Hirmus der neunten Ode kommt bei Joseph vor, Triod. p. 42 , mit der Acrostichis: ^.^YiKoSiu '/«(T//^)".

8) Triodion nqosoQTiov (s. die dritte Strophe der neunten Ode p. 215) am Himmelfahrtstage p. 214 215: "SianeQ ci'vvipooos ..." bis ,, . . . dvv}.ivo).oyovf.isv (Jf" mit der Acrostichis : 'SiiSi] avri] 'Iwörjcf.^' 9) endlich Diodion p. 215: ,,'fl ttqIv tfj d}.ic(QTia . . . bis ,.. . .6o^d^ovrec'\ im *;/. nX. a\ aus der vierten und neunten Ode des uns im Pentecostarium (p. 138 bis 140) noch vollständig erhaltenen Canon des Joseph für das Himmelfahrtsfest (dvdX.rjipig) , dessen neunte Ode die Acrostichis ^Iu)Or.(f hat.

Zur zweiten Kategorie gehören: 1) Triodion p, 195 196: j.Jrjfiog^EßQcacov . . .^' bis „. ,.f.(SYaXin'0}i.iev'-', aus der fünften, achten und neunten Ode im ^x- "' »^^en Hirmen nach, welche auch bei einem Anonymus December 6, p. 32. 43. vorkommen, mit der Acrostichis: ,,^d^a zcp ^€o)'l4f.u^v^^. 2) Triodion p. 197 198 : ,,XeiQi' Oov 6 noiY^Octg . . .'• bis ,, . . . deindq{f^sv£^\ aus der zweiten, achten und neunten Ode im r^x. ß' mit der Acrostichis: .^Xaiort öcoadv fxs^^ \ die Hirmen der achten und neunten Ode kommen auch bei Joseph vor (Triod. p. 11). 3) Triodien p. 198 199: .,'H xriOig -d^scogovOcc . . .'' bis ,,.. .iJ.axaQiCdvrcov", aus dtr vierten, achten und neunten Ode im if/. /S' den Hirmen nach, welche von Damascenus gedichtet sind (Oct. p. 42. 46. 47) mit der Acrostichis „'Hye'q^ri ö acoTr^q'-'. 4) Triodion p. 199 200: ,,l4r/;Ai>£g sv OTavQO)...'^ bis ,, . . . jU«xa^t^o,ufv'", aus der vierten (?), achten und neunten

70 Sitzung der philos.-phihl Classe vom 11. Juni 1870.

Ode im rjx« ß' den Hirmen nach , welche auch bei Cosmas (Triod. p, 352) und Damascenus (Oct. p. 28) vorkommen mit der Acrostichis .^^AiOfia aö<a tc^ i9-£^~". 5) Diodion p. 201: ,,0£o$ wv dya^og...^'' bis ,,. . .dvvf.ivovvT(ov (Je", aus der achten und neunten Ode im rfx. /S' den Hirmen nach, welche Ton Damascenus herrühren (Oct. p. 47) und von Joseph be- nützt wurden (Dezemb. 23 p. 168); es hat die Acrostichis ^jöf^l'^jitrjV" , welche gewiss aus ['^«(J'co] ^ecp'dixr^v^^ ver- stümmelt ist. 6) Triodion p. 201 202: „jlvaßdg slg vxpog...^^ bis ,,. . . ^isyaXvv(üfX€v''\ aus der ersten (?), achten und neunten Ode im 1]%. y den Hirmen nach, welche auch bei Joseph vorkommen (April 6 p. 32) mit der Acrostichis: ,,^r€'[(y]r}y o (Twrrf^". 7) Triodion p. 204 205: „"ArroQQrjToj ivcoOsi...'^^ bis ,,. . .ö(6aavza^\ aus der vierten, achten und neunten Ode im rjx. y'; es trägt die Acrostichis: ^^Al'veöig xvqic^^'- , und hat den Hirmus der neunten Ode aus Joseph Triod. p. 249 genommen. 8) Triodion p. 205 206: ..JeOf-ioi^i^ievov ohrig- jnov...^^ bis „. . .iiisyaXvvofisv^\ aus der fünften, achten und neunten im ifx- / den Hirmen nach, welche Cosmas gedich- tet hat (Febr. 2 p. 13), mit der Acrostichis: „^o^a aoi 6 T>£og". 9) Triodion p. 207—208 : „Jsöfisvaag vov sx^qov. . ." bis „. ..OvyxardßaOiv^^ aus der ersten, achten und neunten Ode im ijx- ^ den Hirmen nach , welche auch bei Damas- cenus vorkommen (Oct. p. 78. 85) mit der Acrostichis: „^o^a r^'5 &€(» ?]>wi'". 10) Triodion p. 209—210: „AvrlX^sg loys . . ." bis „. ..7Tavafi.cofxrjTs^\ aus der dritten, achten (?) und neunten Ode im tjx- ^ ii^ch den Hirmen des Joseph (Januar 16, p. 126 129) und mit der Acrostichis: ,^Ah>og rcp xvqio)^^. 11) Triodion p. 210 211: „'ß? vipoo^rjg . . .'' bis „...fieya- lvvo[ji€V^\ im i]x- ^ ii^ch dem Hirmus der neunten Ode, der den Joh. Damasc. zum Urheber hat (Oct. p. 95) und mit der Acrostichis : ;,'ß(^^' ^£(i nqensi.^'- 12) Triodion p. 211 213: ,,j£0f.iovi.i£vog deOnota ...'■'^ bis ,,&€Oi.irjvoQa^\ aus der fünften, achten und neunten Ode im rjx. <?'; die

Paranikas: Triodium des h. SopTironius. 71

Hirmen finden sich bei Damascenus (Oct. p. 81. 85. 86) und Joseph (Triod. p. 285. 289. 290); die Acrostichis hautet: .Jo^a T(ü -d^scp ■'Aj.u^v^^ 13) Tiiodion p. 213 214: .,Jia xov xifiiov oxavqov . . .'■'' bis ,,. . .dvvfivovOi (>«" , aus der ersten, achten und neunten Ode im r^x- ^rA. a mit der Acro- stichis: yJo^ct ^£0 7TQ67T£i^^ ] der Hirmus in der achten Ode ist auf Theodorus zurückzuführen (Triod. p. 163).

Endlich stehen bei Mai noch acht Diodien und Triodien ohne Acrostichis, welche sich auf die Himmelfahrt beziehen, und die, wie oben angedeutet ist, für die Tage vor diesem Fest bis zu seiner dnoöoöiq bestimmt sind ; dieselben sind ohne Beachtung der Aufeinanderfolge der Tonarten also ge- ordnet: 1) Triodion p. 216 217 : „IdvaXai.ißavofisvog . . .'^ bis ,.ßöve xvQis" , aus der vierten (?) , achten und neunten Ode im rx- ^ ; ^'6 der Hirmus der achten Ode bei Damasc. Oct. p. 85 zeigt. 2) Diodion p. 217—218: ..UXr^gcoGsig zd £711 y/"?... bis ... . . sv^.oyrjdg 6?'', aus der sechsten und siebenten Ode im rj/. n/.. J' dt-n Hirmen nach , welche bei Joseph vorkommen (Januar 13, p. 114 115). 3) Diodion p. 218 219: ,,'0 f.ioQ(f(o&€ig . . .^'' bis ,,.. .i5'-fo/ij;''ro (>«'•, aus der achten und neunten Ode im r^x- ^^- ^'j die Hirmen kommen bei Damascenus vor (Oct. p. 169 170). 4) Trio- dion p. 219 220: ,;^oiJ rrfv inl y/y?..." bis „...ovx k'h- n£v''\ aus der ersten, achten und neunten Ode im r^x- «' nach den Hirmen bei Damasc. (Oct. p. 19. 28.) 5) Triodion p. 220 221: ^^^vvcivh^di.urog. . ." bis ,,. . .vTisodya-S^ov^', aus der zweiten (?) , achten und neunten Ode im r^x- ß' ; der Hirmus der achten Ode steht bei Damasc. (Oct. p. 47). 6) Triodion p. 221— 222: ,.Tr^v xardxoiTov . . ,'' bis „...<fo- ^a^öix£rog'^ , aus der dritten , achten und neunten Ode im j;x- Y ■'■) die Hirmen der dritten und achten Ode stammen von Cosmas (Febr. 2) , der der neunten von Dan.asc. (Oct. p. 65). 7) Triodion p. 223— 224: ,,V dn-QoOirog . . .■' bis ,,.. . ßaad£iag aov^\ aus der vierten, achten und neunten

72 Sitzung der phüos.-philöl. Classe vom 11. Juni 1870.

Ode im ^/. tJ"; die Hirmen kelireu bei Damasc. (Aug. 15) und Joseph (Triod. p. 283) wieder, und 8) endlich Triodion p. 224 225: ,,0c(vätov x^«rog..." bis . . . 7io()svO(0[.iat^\ aus der fünften, achten und neunten Ode im rjx. nX. ß\ nach den von Cosmas gedichten Hirmen (nqog oh oqx^qi^o}. Ndfxcov naxqumv ol [^laxaQiOTol ' 'Anoqsl ttccOcc ylwOOa im Triod. p. 378. 367).

Ein äusseres Erkennungszeichen, von wem diese letzten Lieder gedichtet sind, fehlt also hier; aber den Kreis, wo wir den Verfasser zu suchen haben, deutet auch hier wieder die häufige Uebereinstimmung derselben mit Stellen bei Da- mascenus und Cosmas, Joseph, Leo dem Kaiser, den alvoi von Ostern an. Man vergleiche nur wieder:

Mai p. 198, 3 Str. : „fiitcl yexgcoy xi ^r{telxe top ^&vxa\"

M. p. 198, 9 Str. : »xul wV vs- XQoe Unvovg iy /ufijfxcai ixiS-r^g fj.axQoS'Vf^e . .•■'

M. p. 200, 3 Str.: .^IvvexQiijjug aöov xovs fio/^-ovs , X(u xovg 7t f- nfÖTjfXEyovg ip aägtiq Xgcarl 6ea- fXü)Tc<g iyeiQeig . . ."

M. p. 200, 9 Str.: ,;'P.<f3rtg7tXa-

XVXBQCC, 7lCC()d-iv& . OVQCCPWV d-ioy

^(0()i]ac(au xov vtxo aov xi/ß-Ev- xa . . ."

Pentec. p. 5 [cävoi 3 Str.): „xi i^i}Xecxs xoi' ^cöfxcc fiexd xwv ye- XQCoy;''

Cosm. im Triod. p. 410, 7 Od. 1 Str. : ,,£y tcc(p<o vexgog ccTiyovg xaxccxid-Etcci . . .■'■'

Damasc. am Ostermon. Pentec. p. 3, 6 Od. 1 Str. : ,.--.xai avyi- XQtipug fxox^ovg «myi'ovg xccro^oig Tientörjfiiyioy, Xqioxe . . ."

Damasc. imOct. p. 13: „...i6ti/- 3t}g TiT.ciTvrfQa twy ovQuyaiy ßcc- (jxaaaacc xov xxiaxtjy aov . . ■',

Ferner vergleiche man

M. p. 203, 7 Str.; 204, 3 Str.; 208, 6 Str.; 209,

7 Str.; 209, 10 Str. ; Cosm. im Triod. p. 410,

9 Ode 1 Str. M. p. 205, 5 Str. Cosm. Jan. 6, p . . . M. p. 206, 1 Str. Dam. im Oct. p. 91. M. p. 206, 3 Str. Dam. im Oct. p. 148.

Paranikas: Triodium des li. Sophronins. 73

M. p. 206, 8 Str. Dam. im Oct. p. 12.

M. p. 207, 2 Str. Pent. p. 5 eic roic ahovz von

Ostern. M. p. 211, 6 Str. Dam. im Uct. p. 33. M. p. 213, 3 Str. Dam. im Oct. p. 91. M. p. 216,4 Str. Dam. im Peutec. p. 15 1 , 3 Od. 3 Str. M. p. 217, 5 Str. Dam. im Pentec. p. 152, 5 Od. 2 Str.

Dazu kommen noch einige andere Stellen, die vollständig mit ähnlichen Gedanken bei Joseph übereinstimmen, wie

M. p. 217, 6 Str.; 218, 9 Str. ; 221, 5 Str. ; Juseph

im Pentec. p. 151, 3 Od. 1 Str. M. p. 218, 6 Str. Joseph im Pentec. p. 154, 8 Od.

1 Str.

Durch alles dieses wird es zur grössten Wahrscheinlich- keit erhoben , dass auch diejenigen Gedichte im Spicil. Ro- mauum von A. Mai , die keinen Verfasser in der Acrostichis nennen, nicht von Sophronius herrühren, sondern von einem jüngeren Dichter, der nach Johannes Damasceuus und Cos- mas lebte, und mehrere Gedanken aus jenen gefeierten m aller Mund lebenden Meloden in seine Gedichte mit herüber- nalim. Dass auch er jener Melode Joseph war, auf den uns die Acrosticliides von nicht weniger als 14 Gedichten führte, lässt sich zwar nicht zur vollen Evidenz beweisen, aber durch folgende Erwägung sehr wahrscheinlich machen. A. Mai fand über allen jenen Gedichten , die er aus dem Vatican- ii:chen Triodium im Spicil. Romanum mittheilte, den Namen eines Verfassers geschrieben, den er nun einmal Sophronius las. Ist nun erwiesen, dass in 14 Gedichten jenes 2(jo(fooviov aus ^I(oör^(p verschrieben sein muss, so folgert daraus, dass auch in den übrigen , wo sich aus andern Gründen kein stricter Beweis über den Verfasser gewinnen lässt, dass 2o}(fQoviov der flandschrift aus demselben ^IwOi](f verderbt

74 Sitzung der philos.-pMol. Classe vom 11. Juni 1870.

ist. Ob aber wirklich eine Corruptel in der Handschrift vor- liegt, oder A. Mai nur die Siglen falsch aufgelöst hat, das muss eine nochmalige genaue Einsicht der Handschrift er- weisen. Professor Christ hat sich desshalb an Herrn Dr. A. Spengel gewandt, der gegenwärtig in Rom weilt, und uns mit grösster Bereitwilligkeit schon öfters bei unserem Unter- nehmen Aufschlüsse über italienische Handschriften erheilt hat. Leider sind seine Bemühungen dieses Mal nicht vom Er- folg gekrönt worden, indem A. Mui, wie gewöhnlich, so auch hier die Numer der Handschrift anzugeben versäumte , und es so bei der ^langelhaftigkeit der Kataloge der Vaticana vorläufig unmöglich machte dieselbe wiederzufinden.

Christ: Hirmos etc. in der hyzant. Poesie. 75

Herr Christ trug eiue Abhandlung vor:

,,Ueber die Bedeutung von Hirmos, Troparion und Kanon in der griechischen Poesie des Mittelalters, erläutert an der Hand einer Schrift des Zonaras."

In unserer StaatsbibUothek befindet sich eine Baum- wollehandschrift (cod. gr. 226) aus dem 13. Jahrhundert, welche die gefeiertesten Kirchenlieder des Kosmas Hiero- solymitanus, Joannes Damascenus und Theophanes mit einem ausführlichen Commentar des Erzbischofs Gregorius von Korinth (fol. 1—89), und weiter unten (fol. 122—295) die weitschichtige Erklärung des Zonaras zu den y.avoveg ava- OTuoij.101 des Oktoechus enthält. Der Erklärung selbst schickt der Verfasser einen einleitenden Abschnitt über die Namen ■/MPcor, elofiog, tqojtuqiov, ud)] voraus, der schon öfters von Gelehrten, welche über die Gesänge der griechischen Kirche schrieben, wie von Leo Allatius , Arcudius und Goar benützt, aber meines Wissens noch nirgends im Zusammenhang herausgegeben wurde; und doch ist derselbe für die Fest- stellung der verschiedenen Arten der griechischen Poesie des Mittelalters so wichtig, dass ein Abdruck desselben mit Weglassung aller nicht zur Sache gehöriger bibhscher Excurse wohl gerechtfertigt erscheinen wird. Ich gebe denselben hiemit aus der genannten Münchener Handsclirift , die den Text in so reiner und verständlicher Fassung giebt, dass ich eine Vergleichung des cod. Vindobonensis Th. gr. 238 und eines cod. Coislinianus, die nach Fabricius Bibl. IX, 743. XI, 225 und Pitra L'liymnographie de l'eglise grecque p. 31 dieselbe Abhandlung enthalten, gerade nicht für nothwendig erachtete. Vorausschicken will ich nur noch bezüglich des

76 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vorn 11. Juni 1870.

Autors die kurze Bemerkung, dass ich keinen Grund sehe, denselben für verschieden zu halten von dem Erklärer der Kanones des griechischen Kirchenrechtes und dem Verfasser der bekannten ^Etiitoui] Iotoqlwv, der unter dem Kaiser Alexis (t 1118) die Stelle eines Staatssecretärs bekleidete und spcäter als Mönch in ein Kloster eintrat. Hingegen hat unsere Abhandlung niclits mit der gleichfalls dem Zonaras zugeschriebenen ^vvaycoy)] ki'^aov gemein, da in letzterer die Namen -/mvcov und ZQOTtaQiov gar nicht erklärt werden und von ojdt] eine ganz abweichende Deutung und Herleitung aufgestellt wird. Bestimmende chronologische Anhaltspunkte enthält unser Commentar nicht, nur das eine lässt eine annähernde Bestimmung zu , dass zur Zeit des Verfassers nach S. 82 das sogenannte iota subscriptum noch beigeschriebeu ward, während dasselbe vom 11. oder 12. Jahrhundert an untergeschrieben oder ganz weggelassen wurde. Es folgt nun also zunächst der Text der einleiten- den Abhandlung des Zonaras:

^Rtel y.avovcov eQiii^veia iart to ttuqov GvvTay(.ia, xqi] y.al jTEqI avTO to ovof.ia zov y.ai'ovog y.al Tr]v tov eiQ(.iov /.al zr^g qjÖTJg y.X)^^oiv, ezi de y.al zov TQOTtaqiov 6/ tovtojp yaQ a.7TaQTiLsTaL 6 y.avcov (fiXoooq:'i]GUL rji-iäg xavxa de xa ovof-iaza olovel teyvixa rf^ VTtod-eoei 7taqaXa(.ißavetai.

'0 f.iiy ovv EiQi-idg uQixovia zig iozt /xeloi-g iv avvd^ioei (ftovifi svdgd^Qov ze '/.cd oi]i.iuvziy.ov coQiai-iirq) zivi f^ttTQio xat Ttoaq (.leyid-ovg 7tEQiyQa(po{.dvi] ^) i[zLg aqj.iovia ttqowqio- l-ievi] ze y.al TrQoeyvioafiivrj TtQOVTtoxeizai , ^Qog r^v za Xeyo- l-ieva ZQOrtaqiu dvacfeQezai ' olovel yaQ ctqyj tcov zQO/taQuop eozl y.al y.avoviov, eitel zd ZQOirccQia öid zov eiQi-iov y.avo- viQezai y.al qvi^f^iQezai, TTQog avzöv log TCQOviTodeiyi.ia ovvzi- d-eixeva y.al dQi.ioC6f.ievd ze y.al {.leliodovixeva. Aiyezai de

1) TifQiyQiKpon^vu cod. Mon. et Vind. ; aut TifQiyQUipofj.Evn aut neQiyQtt(pofiii'ri aut neQtyQa^ofiEytjg corrigendum erat.

Clirist: Hirmos etc. in der hyzant. Poesie. 77

0 fiiv E^Qiiwg, OTi '/xaa za^ii' rivd riv Iv avvd^ioei y.ai i.iBXovQyia. eloof-uvog -/.al 7TXey..6jAevog y.al aouoLousvog ttqobigi, y.ul ovx wg evvyev ZQO/taQioi' öe, ort /rQog iy.eh'ov reTQuic- lai TE xal vivEvy.e /.al zov €iQf.idv i'xei oiovet TZUQuöeiyuari- y.ov /Ml teXv/ov aixiov Xoyov da a'xeL 6 Iv l/aoioig y.avwv 7rQog ra /.avovuöiiEva öidqoQOr ' cjg yccQ o y.ctnoi' [^y.ui\ ') ß'AAog Ev a'/jMig, ovrto yovv y.ai 6 Ewiiog TTQog rd TQO;Tccoia' ojdrj da y.ul^) y.anov ovTcog ayovaiv Ivravd-a, cjg t6 ^teoi- äyov y.ai lo TTEQiE/ouErov ' u)X 6 y.avtov wöiöp iori yr?^ei6vcov TT EQi EXT r/dg' ayoi ydo avvia tvqoeiolv wöiov otl 6 avvia t6 iiäyiaTov hm uärQov av dQid^/.iolg, ro de a^rjg dEy.dÖEg, a/a- TorrdÖEg, yiliovraÖEg y.al /.ivgidÖEg wGavnog TtQoycoQOvoai /aO^cog y.al al f-iovadsg aygig avvaa, ovTcog

Tavra j.iav ovv cog av ovvoipei EiQr^rai, Tt'kaxvxEOOv da ouTcog. To ovoua toi y.avovog av n:o)JMlg EVQio/eTat /raoa- XaußavoLiEvov y.uvövEg ydq y.al xoXg TrjV yQa/nfiari/rjv [xbti- ovGi Tayvr^v eIgl /al TÖlg (fiXooog'Oig -/al laTQolg /al Tolg jToXiTiy.oig voi-ioig' dlV di Ti^g yqui-iuaTr/r^g /al tiov voficov ovy. ayoioi ddid/tTcoTOv y.avoPEg da ).äyovTai y.al rd twv d^Eiov TturaQiov EvOEßi^ diuTayuaTW aiEih^TCzai ö' av Ttdoi TOVTOig TO ovoj.ia d/co tov ^vKov tov Tolg TEyviTaig sig iihiov y.al }.id-cüv ]] aXkojv tlvlov yQ)]fiaTiCovTog aTtOQd-iooiv y.al Ev&vTrjTa, '/avoviov a/Eivoig ovouauof.iavov^), o zolg ano^EO- [.lavoig 7TaQaTid^ef.isvov arroQÜ-ol TavTa y.al aBiool' OjTeq ovv t6 y.avovLOv Eig d/roQ&cooiv a/Eivtov öwaTui, tovto xal artl Ttdorig a7noT)\^Lrjg /al Tayvi]g Xoyr/r^g oi y.avovag TtXrjQOvai Elg ^) TO y.uvoviCouEvov xe /al oqi'Couevov ?JyETai ydg ö y.avojv y.al doog dicoöiaiQwv xi ^) xCöv d'kKoiv y.al UTiEvd'ivtiiv,

2) -KuL uncinis inclusimus.

3) x(d om. cod.

4) 'Anvovioi' ixiivotg oyofxai^ofjfroi' Cod.

5) fis om. cod.

6) anoäiaiQovytss . anevS-vvoyrfs cod.

78 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 11. Juni 1870.

tog fir^ TL f'zsQOv rcT 6QiLo/.(ev(ij ocv€/.i!ri/rt£iv '/.al röv ttbqI TOVTOv Gvyyi.uv "koyov '/.ul to xoIq. ayloiq, ös TtaTqaot ovv- TEd^lvza diaTayi.iura euoTCog y.ai'oreg -/.aXocvTaf dirsv^vpovoi yccQ y.cc/.Eiva Tovg :itid-oi.iivovg avToig jrqog .rioriv OQ^r^v re 'Kai ccTtaQeK'KXiTOV v.al rc^og ßiov IvaQsrov /.al d^edgeoTOV y.ad^ ov dr] Xoyov y.al rolg tfivoig xovroig x6 zov y.avovog s^elXtj/TTai ovof.(a, ort wQiOf.ievov Kai reTivTco/uivov to (.ietqov TOVTO sGtiv Ev ivpfa cjöalg ovvveXovf.iei'Ov xat ravrag f.n] VTTEQßah'OV od-Ev y.arcov )JyETai log ZETayfJEVov rov (.ietqov avTov h' ravtaig 6i] ralg (oöalg ' ovtco Se tc7 ovof.iatL tov ■Kavovog sxQt'^oaTo y.al 6 f-isyag drcoGioXog ygdifiag KoQivd-ioig (II, 10, 13): r^f^eXg ös ovk elg tcc ausTQa -/.avxiqoofxed-a, aXka '/.ard TO /.IETQOV tov '/.arovog, ov sj-ieqioei' i)i.uv 6 d-Eog /ietqov EcpixEod^ai axQi yal i/iow iXTrida EyovTEg av^o/uevr^g Trjg ■jtioTEiog v/aov ev v/uv (.lEyaXvvd^r^vat /.ata tov xavova f^/iüv elg TtsQiaoeiav slg vTtEQEKEiva' o öe XEyet toiovtov eotl .... zlio y.avcov v.al o v/ivog ovtoq h'Tavd-a ei'Qt^Tai' a\ öe ys todal doidai Tivig eloi /lOvaiKar oi yccQ ijßi y.al (fS-oyyoi, aQ/ioviai te y.al Qvd^/iol xrß f.iovaiy.rjg elolv, s^ tov tcc /lEXtj TTaQayovTai , tov tu /iev 7raS-7jTiy.i6TEQd ts /.al yoEQcoTSQa nä- ^og To~ig d/.QoaToig EviEvra y.al y.ivoivva jTQog dd-/Qva, Ta Se rßvTTad-eiav E/iTtOLOvvta yal yaQ(.iovi]v, tu öe TTQog d^v/iov E-/.y.aXovfieva, wg dXy.rjg /lE/irrjad^ai y.al TTQog ottXiov '') aQOtv OQ/iäv TOV y.aTE/raöo/LiEvov, olov ti XiyETai yEviod-ai '/.al tzeqI TOV 31ayed6va ^AXt^avÖQOV aöovTog yuQ tov /lovoiyov Tifxtovog ^) Ttao' avTCt y.al f.uXog avdQtodeg dQf.i6Co{.iEvov '/.al avvTOviog ^) TTQog S-vuov öiaviatcov tov d'/ovovTa, iy.Eivog oiov Evü^ovg e.y. tov /dXovg yEvoiiEvog, avaoxdg t]QE Ta OTtXa v.ai WQ/ia TTQog 7toX€iiiov' fxovGT/al yovv (ptoval '/.al al wöal eloi

7) oXoy cod.

8) Tifxovog cod. ; Tifxo&fos audit musicus apud Dionem Chryso- stomum or. I, c. I.

9) ffiV cum lacuna quinque litterarum cod.

Christ: Eirmos etc. in der hyzant. Poesie. 79

dia /.lovov rov oroixarog evaqi-iovuog ad6f.ievai' tovto yccQ ojQioxaL / lodr^' y.al roig uiv ^Eßqaioiq ov öid arof-iarog fio- vov Ol TCQog d-eov udovrai v/^ivoi, uKKa ymI di'' OQyavcov, wg 6 Javid i-iaQTVQeT 7To}Xuyov' y.al 6 lätuog (V, 23) qi]aiv e/. TtQOOiojtov d-EOv TTQog ^loQatjliTag ' fjisrdaTrjOov dit^ ifxov r^yov (iiörjg oov, y.al xpalt.idv ^'') oQ'/äviov aov ovy. dy.ovaof.iar r^Liiv de 7TQog S^elov vf.ivov ovdiv xl \.iovGiy.ov 7TaQa?MußdveTai öqyuvov, aXXd dia ^coarjg (lovov tpcoin^g Ivaqi-ioviov adofiev riZ S^eoj /cäoai yaq oyedov ai u dal, (3V ch 6 y.apiov dnaq- xiuezai, vLivoL xvyyavovGi y.al aoiiaxa yuQiaxr^qia dSofieva TiQog d-eov.

Evd-vg ovv t] TTQOJXtj Tta^d xov rTQocpifjXov Mwvaicog avv- Ttd^BLxai' oxL x6 xiov '^Eßqaicüv yevog e^ ^lyinxov dvayiOQi^- oav TTQOOxd^ei O^eov y.al y.aTadior/.of.iEVOv itto xiov ^lyv/ixltov XIV Iqvd-qdv ^alaoöav du^ld^ev dßqoyiog rrj qdßÖM x/u)]^e7oav xfj xov MwvG&iog' oi di ^lyvitxioi er a/.eh')] y.axETTOvxio- d^r^oav did xov Xj.ii\iAarog öieXd^eiv y.dy.eh'Oi rreiQt'Hievoi, avd-ig XOV McovGeojg xvipavxog xi qdßSqj xd l'Saxa y.al xavxu ovvu- xpavxog' did ydq xd VTTEqßdXkov xov d-avuaxog Gvred-exo rrjv ipdi]v rf" '^Eßgatdi dia?.ey.xio [cog] h i^auixQW xovo), cog 6 ^hoGrjTtog Iv xi^ aqyaioXoyia (II, 16, 4) (fr^Gi' ijGav ydg cog i'or/.e y.al rcaq' r/.eivoig liIxqiov öiaifoqal y.al xavxa jcaqi- dor/.ev aöeiv y.al xölg avöqaGL y.al xalg yvvai^lv, ii^qys de xov vfxvov xiöv (.lev dvdqwv avxog 6 MiovGr^g, xcov de yvvai- y.Civ 1^ avxov adeXq~}] I\Iaqidf.i ai'a/.qovoi.ievrj xo xvfu/ravov oxi de vfivog al'r/y y.al c^Gf-id eGxiv, avxod-ev drjXov dqyo(.ievri ydq '^aGiüf.iev xu y.vqiio (f>)]Giv (Exod. c. XV).

'^H de ye devxeqa xi ßtß?M xov Jevxeqovoi-dov (c. XXXII) fjLiTxeqieyexai, Tteql )]g uexd xt]v xcov XoiTZidp lodcöv qr^&tjoexai aTtaqid^fxriGiVj did xl 7CaqaXi(.iTidvevai iog eTti/iav iv zoig y.avoGiv Ttaqd xöJv /tieXcodcov.

Kai ij xqixtj de xojv lodtov v^vog iaxl :n:q6g dsdv xr^g

10) xpuXubjv cod.

80 Sitzung der philos-philöl. Classe vom 11. Juni 1870.

^vvt]g rrjg zov 7tQ0cp)]ti]v ^af.iovr.X yeivciittvriQ' rj oreiQa ovoa KavTEvd-EV odvvcaixsvri STtst f^ierd zov or/.Eiov dvdqog dm]Xd-E TTQog zrjv 2i]Xojf.t, evS-a rji> )] zov fiaQZiQiov a/.rjVf], eösEZO zov -d-EOv öovvai ccvzr '/.oiXlag " '/xc^ttov y.al i^dohtoyEL xazd. zr^v öiriGiv, wg ymI zcZ zqze aQyiEQsl zio ^Hlel f.iEd^vovoa öo^ar d-Aoiod^eloa de TraQcc zov S-eov v.al ovXXaßovou /.ai ze'/.ovGa zov ^a/iiovrjX xal dvadEloa avzöv zoj d-Ew rfv^aro zrjv loörjv zavzrjv (Reges I, 2) EvyaQiozovoa zq -/.iquo, ozl ov TtaQElÖE ztjv dei]GLv avzrjg, aAÄ' eXvoe zrjv iTr]QCüaiv zrjg fxrjZQag avzijg '/.ai TTUQtOyE ZFXVOV ttvzfi

Kai i] ZETccQzrj ziov cuöcov El'qrjzai /.lev zcd TTQoq^rjZy ^ißßav.ov(.i' ytyqanzai ydq tv zfj ßißho zrjg TTQoq^r^ZEiag avzov (c. III), y.al avzrj de dv9-OfxoX6yt^aig eozt ^Qog d-EOV TTQo'iöojv yccQ 6 TtQoq^rjzrjg ey.E~ivog zoTg voEQolg ocp&aXf.iolg zijv zov '/.VQiov :rrQ6g )),uag Gvy'/.azdßaaiv y.al ziv GUQy.ioGLV, eq>o- ßtj-d-t], (frjGl, y.al e^eGZJj

ylXXa /ii)jv y.al r^ 7tef.i7izrj wSrj zai '^Hoata a'ETTOirjf-ievrj y.al 8v zij ßt'ßXcü zi^g Ttgog^r^zEiag avzov y.Eif-iev)] (c. XXVI) TtEQt zov Xqigzov EGziv Tj TTQOGayoQEvGig y.al dvü-oiiioXoyrjGig rCQog avzov y.al jTQog zov rrazeqa de TtQOGevyrj OQa ydg ola (frjGlv ' ly. vvy.zog oqS^qIlei z6 7TVEVf.id f.iov Xqigze 6 S^Eog

Kai ij e/.zr] de öer^Gig eGzi TTQog O-eov y,al 7TQ0(frjZEia tzeqI zr^g dvaGzaGECog' yey^aTtzai de zd zr^g iGTOQiag ev tf^ ßißXto zov ^liova^^) ^QOCfr^zov (c. II), og dTTOGTaXelg nagd d-EOV y.r^Qviai zf^ NivevT zrv y.aTaGZQOcp)]v, y.al Eldcog zd (xay.- Qod^vf-iov zov S^EOv y.al z6 EvdidXXay.zov .... eßotjGE ^Qog zov d-EOV 7TQ0GEvyi]v dua y.al vi.ivov 7Toioif.ievog yaqiGzrjQia' OQa ydg dgyof-iEvog zi q^r^Gi' IßorjGa ev d-?JipEi fiov

'JFf fievzoi eßdofx}] y.al i] oydorj ipdal aivog eIgI Ttqog deov y.al e^OfioXoyt^Gig' yeyQayrzai de aiM(pio sv zf^ ßißXio zoi

12) cdrov cod.

Christ: Hirmos etc. in der hyzant. Poesie. ßl

Java]k (c. III)* / 6' loTOQia iozl ToiavTi]' fierd d^avatov TOV ^olo/AOJvog

^'Ooa fiivvoi sl'qrjrai To7g Ttaiolv ev zf xa,utVw, h/.Biva elg ovo iüddg eiQrjTai, fßS6in]v Xiyco y.al rr^v oydoriV ttqote- Qov (uiv yuQ öt^ liof.ioXoyrjOEiog y.al '/.aTay.QLOecog eavTiov y.al dvai-ivi^oscog tcov zotg tcqotiutoqöiv avxwv i7ii]yy£Xfxavcov Ttqog TOV d-EOv elg eXeov avrov rov l'S-vovg eTteOTtiovro y,al eavTaiv eiTa 6iazriQOV{.ttvovg 6X rov Ttvqog dßXaßelg y.aravoovvTeg eav- Tovg elg vurov itQaTtrjOav yaqiGTriQiov, Tcäoav Trjv y.Tioiv '/.aXovvieg elg eiyaQiGTiav avTÖig Gvveg'aipaad-ai örjULOvqyov *^) Y.ai dvrio toJv Ttavzcov eva deiy.vvovreg tov rcaq' avTcov oeßo- (.levov d-eov

Kai Tj swatt] ös twv ojÖmv vfivog iovlv arcciGa y.at alvog rcQog tov -dsov yal dvd-OfioXoyr^Gig' to /^iv yccQ Tavtrjg Tteql rrjg dyiag TtaQd^lvov yal ■d-eo/.u^roQog JjOd^rj, oti 6 ccq- yäyyeXog raßqu]X iriv avavöqov xamr^v yvoqrvQiav evrjyyeXiGaro, To de Tteql rrjg ftQücpr^zeiag tov Zaxaqlov TteTtoirjTai, ote piexd Ttjv TteQt t6 teyeXv avvov vlov dyyeXiyrjv ttqoqqi^glv yal tov rrjg yXcoTTt]g avvov öeG^ov Ttedrjd-eiGrjg öid t)]v dniGtiav tÖ)v aQyayyeXiywv qrjfiaTtov 6 t(ov ev yevvrjxo'ig yvvaiyäjv drrdvTOiv VTteqreqog svex^i] avT^ yal rdg rrjg yXiotTi^g Tteöag avru dieXvGazo' v/.ivov ydq ydyelvog TtQOGaycov ^eq yal xd rceg^i TOV GcoTrJQog Xqlgtov yal xd Tteql tov TcaLÖög rcQoayaQevcov riye x6 (jcGfia d^ea , tag ev x^ yaxd ^ovyav evayyeXUp (c. I) Ttegl djxqjolv dvayiyqaTtxai.

uäl fiiv ovv oyxcü xwv wöcHv vfivoi yal aofiaxa TtQog d^eov eloL yal dvd-o^oXoyrjGeig' tj devxeqa t^örj de ov xoi- avxYj, dXXd fTQOfxaQTVQia TtQog ^lovöalovg yal dvafxvr]Gig xiov elg avTovg eveQyeGicöv tov d^eov y.al Trjg eyelvcov yayJag Te y.al Gy.XrjQOTtjTog yal tcov elGerreiTa xovxoig did rrjv elg S^eov dniGTiav ey öo^ofxaviag yayioGecov' rjörj ydq yeyr]qayoTi MwoeT yal (xeXXovTi TeXevT^v 6 y.vQLog e'g)r], tog iv xi ßißXco xov

13) SrifilovQydi' Cod. [1870. II. 1.]

82 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 11. Juni 1870.

^EVT£QOvofilov (c. XXXI) yky^aTtxaL \6ov r^yyivMOiv ai ))ixi- Qüt, Tov ^avaxov v.a/.toov Ir^aoiv y.ai orr^oov Ttaqa rag ■dvQug zTg O'/irjvrjg tov fxaQTvqiov y.ai ivre?MVf.iai ai-Tq' y.al ixev^ oliya y.al elfte y.vQiog TTQog 3IcovorjV' ^Idov av yoif.iaoai l-ierd Tcov rcareQiov oov y.al 6 ?jxdg ovTog ey.noQveiooiOLV OTTiaco d-EoJv aJj.OTQLCov y.al eyy.aTaXelipco avxovg' xat evQri- oovoiv avTOvg y.ay.a 7toX}.d y.al 0-).iüieig' y.al fiszd Tiva' xa^ vvv YQuipare ^*) rd qr^uara rr^g qjör^g raiTi]g y.al didd^are avrd TÖlg v\olg ^loQai]X y.al £i.ißaXE~iTe avvd elg rd OTOf-ia avTCüv, h'a yivrjTal (.lOi ^ coörj avrr] elg fxaQrcvqiov ev v\o7g 'lOQai]?^' y.al ^uer' 6?Jya' y.al dvTi/.aTaGTr^aetai i) wdi] avTtj y.axd ^QoacoTTOv avxiov /.laQXvoovaa. y.al (.lexd xiva ^^) y.al ehxXrjOe Miovor^g elg xd wxa Ttdoi]g iy.y.XriGiag ^IoQai]X rd Qtifxaxa xrjg (odrjg xavxr^g' TTQOoexe otgavs y.al xd e^rjg. '^S2g yovv UQr^tai, ovyl aaua ioxlv elg ^eov 7] cud)] avxr], d?,Xd fCQOi-iaQXVQia y.al IXeyyog' dio y.al cog Ininav ^raoaXifi/tavexaL naqd xiöv f^eXcoöcov cog ovx viuvog. diaxi yovv bXcog avvxe- ray.xai ra~ig iada7g, enel ovy t'/a'Og ioxl Ttqog -d-eov, d)JAx Ttqof^aQXVQia y.al UTteiXiq; utcoi de xig, oxl tog (^drj iv xfj ßißXii) ^^) xov zfevxeQOvoiuiov y.aXovfxevov xd ovvxay^a tovxo, xad-wg ylyqanxai, xa~ig aXXaig todalg ovyr.Qi&iLir^xaf öiaxi di oXcog ü)d}] ij TCQOj.iaQXvqia covouaoxai; yal Xeyoi.iev, oti 7) loörj i/. rijg doidrjg Tcagayerai xe y.al yivexai yaxd y.Qaoiv TOV ao elg lo fxiya' Sio y.al xd l eyei nQOoyeyQaiJ.ixe.vov doid)) de Xiyexai fiiv y.al 7; /.le'Acoöla y.al 6 v/jvog, ?JyexaL de y.al fj XQaycüdia' xqaycoöia 6e xd d^QrjVudt] (AeXr^ elol' o&ev yal ra TOiavxa TTOir^fxaxa TQayiodlai y.aXovvxai y.al 01 rovxwv TtoiXjXal XQayiodoi' tog yovv TTQoy.t'-qv^ig y.ay.öh' rdlg 'lOQai^Xi- Taig enay&r^ooixeviov, a XQayiodoTCOiovöiv, ely.oxiog av Xeyoivxo

14) ygaiputna cod.

15) xivag cod.

16) w Xfis ßiß'kov-

Christ: Hirmos etc. in der hyzant. Poesie. 83

doiSi 'Kai -/MTct -/.QUO IV ci.dt . Ttcog öi eiQi]Tar reo d^eq diöd-

Baxe

JiaTL evvaa a\ tudai;

'Evvia (J' eiGii' ai wöat, otl Tr^g ev ovqavolg uqaqyiag y.at vixviüdiag ymI t] Ivzav&a yivofxevt] el/.cdv eotIv üoTieQ yovv iv TÖlg ovqavoig VMTa rov Ttokvv rd -d-sia zliowoiov (De coel. hierarchia c, VI u. VII) hvia itov dyyeXiy.iov xay- ^lärcov opTcor, cov i^j-üv ricog al Y.h\öEig eyi'coo&r^Gav elol yaQ y.axd rov f.dyav TlaTlov y.al ereoa, y.ad^cog ev rf nqog ^Eqeoiovg (1, 21) (fr.ai' 6 ^tga/ de Xiyei tteql dsov, rd de 7rXeioru rtov eqycov avrov eloiv iv arcoy.Qvqoig' wottsq ovv, iva TtdXiv eqöj to avro, Ivvia Tayfiarcov ovtcov e'y.aOTOv l'öiov ifxvov lyreXei, ovtoj y.ui Inl yrjg ivvia rolg Trargdaiv al cüdal, cog y.al rtov ivravd-a to d-eiov vlivovvtcov r>V ivvaöa Tv/TOvvTLov Tcov TaBscov TOJv dyyEXv/MV iiTtoi di Tig y.al rov aQtd^uov TOVTOv Ti^g dyiug ZQiddog tvttov elvai GvußoXr/.iog y.al Big Tiia]v avrtjg OQia&rjvai naqd rtov TtaTeqiov dviy.adsv' o\ yaQ aQid^fir^Tiy.ol rocg dQi&i.iovg Ttdvzag elg dgrioig diai- Qovoi y.al nsQiTTovg, dgrioig f.iiv y.aXovvTeg lovg elg ovo fioiqag diaiQOVf-iivovg looueQelg /^lixQi (.wvädog y.ariovGag' TtBQiTTOvg de rovg eig ovo toiavrag fioiQag öiaiQelGd^ai /.irj Ttecpvy.örag' vrcodiaioovGi d' avd-ig rovg TxeQirrovg, y.al rovg fusv TTQCjvovg, rovg de ueoovg, rovg öe Gvvd-erovg y.arovojud- LovGL' i-ieGoi (5' eIgIv Ol f.u']re dvol rj TtXeioGi i.ieTQOVf.ievoi aqid-f.io'ig, dXX^ hi j-iovco aQiSjiioj' 6 yovv 3-' rcov (.leGiov ioilv, log evl fxovLo {.lerQOVLievog dqi&uoj' fiovr] ydq rgidSi GvviGra- rai' rQiGGa/.ig yaQ rd TQia elTtcov rov evvarov avva^aig av aqid^uov (jog yovv rqiTtXrjv e'yovra rQidda rov dQi&i.i6v rov- rov y.al öi^ avrr^g GvviGrdi.ievov elg viivov rr^g dylag rQidöog rovrov dnira^av cog ydQ 6 f.iiyag iv d-eoXoyoig FQi-yoQiog rvjv rov ixaGya y.XrJGiv rQiTtXaGiaGag elg riur^v ri^g rQiddog, ovTiog y.al ol rdg wödg elg ivvia Gvvvd^avreg rov TQinXaGiaG- ftov rtjg rQiddog, i^ oviteQ 6 ivvia owiGrarai, elg rini]v

6*

84 Sitzung der math.-phys. Classe vom 11. Juni 1870.

elvai Tfj TQiaöog xex^/xafft* öio v,al Tag i^dag elg tovtov Tov aQi$^ix6v TtsqUoTrioav.

udOLTtOV ^') OVV eattv bItCBIV V.ai TtEQL TWV e^Qf-tOJV. ElQ-

/nog Xeyevai y.al f^ d-/.6Xovd-og %al rj rcQog rov ftQOi]yr]odf.i£vov STcavadqofxri te xat ovvoipig' oS^ev XiyofAev, ort. xa^' siqjxov 0 Xoyog Ttqoßalvei, a-/.oXovd-iog dr]Xadrj y.al Tig TtQoXaßovar^g kvvolag h/ot.ievog' tu yovv TtgoTerayf-iiva Igp' £7.aoT)]g tcZv wdiov aoi-iaTa stQi^iot XsyovTai, tog d'AoXovd^iav Tivd xal tcc^lv lAsXovg xat dqixoviav Stdovra roig ^er' avrd' Ttqog ydq to rov elqiAOv f-ieXog y.d/.£iva Qvd-i.iitovzai' i] ort, gvveiqei xat aviXTtXe-KEL eavTcT -/.atd f.ieXog 6 s^qi-iog xd iqOTcdqia.

Ta de xaXov/^Et'a TqoTtdqia cog ftqog zovg e'iQfiOvg tqetto- fiEva '/.al Ti^v dvaq^oqdv rov fxeXovg Ttqog Ey.Eivovg ^oiovfieva' Tj xat cog TQSTtovza ztjv qjiovrjv riov ddovrtov Ttqdg ro fxsXog y.al tov qyd^ßov xiov i^diov ei {ai] ydq oviiog, oüx evqvd-fxov eozai to jiieXog, dXX' dvaQjxooTov q:covr]{.ia.

Soweit der Text des Zonaras ; um nun aber doch etwas mehr als einen blossen Textabdruck zu geben, will ich noch einige erläuternde Bemerkungen über die hier behandelten Worte anfügen. Was zuerst das einfachste derselben, das Wort wör^ anbelangt, so liegt seine Zurückführung auf doidt] und seine Herleitung vom Verbum deiöio auf platter Hand und lässt sich sein Gebrauch in dem Sinne '^Lied, Gesang' bis in die ältesten Zeiten des Griechenthums zurückverfolgen. Ja das Wort mit seiner Bedeutung scheint in gleicher Weise, wie das verwandte v/xvog von sanskrit sumanas, noch über die Zeit der speciellen Entwicklung des Hellenenthums hin- aufzureichen, wenn anders das a in deiöco nicht ein bloss euphonischer Vorschlag, ähnlich dem e in eedva und andern ursprünglich mit einem Digamma anlautenden Wörtern, son-

17) Dieser letzte Abschnitt rührt schwerlich von Zonaras her, Bondern wurde aus einem andern Autor wegen der Aehnlichkeit des Inhaltes der Abhandlung des Zonaras angehängt.

Christ: Hirmos etc. in der hyzant. Poesie. 85

dern ein erstarrtes Präverbium ist, das wohl in der arischen Ursprache und auch später noch im Sanskrit, vrie in ä-huaye und dem nächst verwandten sam-d-vaddmi 'ich rufe herbei, ich rufe an', nicht mekr aber im Griechischen ge- braucht wurde.

Speciell für die einzelnen Lieder eines Kanon wurde das Wort offenbar desshalb angewandt, weil die neun Ge- sänge des alten Testamentes, woraus dieselben nach der lehrreichen Auseinandersetzung unseres Zonaras hervorge- gangen sind, von Alters her im Gegensatz zu den gleich- falls gesungenen Psalmen mit dem Namen lodal ausgezeichnet wurden. Diese engere Bedeutung von o'dr^ finden wir be- reits im cod. Alexandrinus der griechischen Bibelübersetzung, den die besten und zuverlässigsten Kenner der Paläographie in die Mitte des 5. Jahrhunderts setzen. Denn dort ist jenen im Anhang zu dem Psalterion zusammengestellten Liedern die Unterschrift o)öal id' beigefügt und haben ausserdem die beiden ersten die Ueberschrift : ojdr^ 3Iojioeojg ev xfi e^odoj und ojörj 3Ia}iG£cog ev tu ^€vrEQOvo{.iuij. Dass aber in der That aus jenen Oden die Theile der byzantinischen Kanones hervorgegangen sind, dafür zeugen ausser unserem Zonaras die ältesten Dichter selbst. Insbesondere hat An- dreas von Kreta die Hirmen seiner Kanones wie Mosaik- stücke aus Stellen jener biblischen Lieder zusammengesetzt ^^); während Kosmas und Joannes Damascenus schon mehr selbst- ständige Bahnen einzuschlagen begonnen.

18) So ist im grossen Kanon des Andreas

(o6. ((,' ßor^S-os y.cd ay.inuaTr^s aus wJ. «' 1-2

w(5. ß' 7Tgofjf/£ oioavk nccl P.kP.jjVw .... aus o)6. ß' 1

w6. ß' i6ere I6exs aus (ü6. ß' 39

w<J. y ini ttjV uavXevxov . . . aregiaiaoi' aus oj6. y' 1

to6. 6' dxijxoey d rtgo^r^rris aus o)6. f' 1

laS. h' hl vfKTog 6q3-qi^ovtu aus 0)6. 6' 9

w(J. f' ißor^aci aus 0)6. t 3. 7

86 Sitzung der philos.-iihilol. Classe vom 11. Juni 1870.

Nicht auf gleiche Weise lässt sich der zweite Ausdruck e\qf.iog aus dem Sprachgebrauch des Alterthums herleiten. Man verstand darunter im byzantinischen Mittelalter und versteht darunter noch heut zu Tage eine Strophe sammt der den Text begleitenden Melodie, insofern dieselbe an- deren Strophen zum Vorbild dient. Dieser letzte Punkt unterscheidet die siQ!.iot von den TQorcccQia, unter denen die- jenigen Strophen verstanden werden, die dem Rhythmus und der Melodie des Hirmus folgen. Ist nun aber auch dieses der herrschende Sprachgebrauch, so ist es doch sehr unwahr- scheinlich, dass jenes Verhältniss vom Vorbild zum Abbild von vornherein die Hauptsache bildete und dem Hirmos und Troparion ihre Namen gegeben hat. Fragen wir vielmehr nach dem Etymon des Wortes e\Qi.i6g, so weist dasselbe deutlich, wie auch Zonaras bemerkt, auf den Begriff des Zusammenreihens (eLQeiv) hin, von dem auch die aus Glie- dern zusammengereihte Kette im Alterthum den Namen eiQl-idg erhalten hatte. Mau rufe sich nur den homerischen Vers Od. o 460 = (J 296

XQvasov oQf4.ov k'xiov, fierd <5' rjXiv.TQoiaiv ebqto ins Gedächtniss, wo diese Etymologie vom Dichter deutlich ausgesprochen ist. Wie leiclit man aber von jener Grund- bedeutung ausgehend dazu kommen konnte , einen musikali- schen Satz einen eiqixog, eine Zusammenfügung verschiedener Töne zu nennen, möge man schon daraus ersehen, dass die Griechen heut zu Tage i-dXog mit oeiqa (pd-öyytov diadexo- fiivcov dXXr.lovg a^effxovrwg ti d-/.oi und fieXcodia mit tvXo-

qjS. ^' -^ixccQto(xiv aus io6. S' 29-30. 34

w(5. rf ov atQCiTicd aus <w<5. i'

iü6. ^' clanopov av^Xi^ipecjs aus (o6. la

genommen, und ähnlich stellt sich das Verhältniss auch in anderen Kanones des Andreas, wie Triod. p 34 87 und p. 323 326 ed. Barthol. Pentec. p. 46—02 und p. 83—88 ed. Barthol,

Christ: Hirmos etc. in der hyzant. Poesie. 87

zr Tig cfd-oyyiov tcov yuqu'/.rr^QCüv r7^g rrooorr^Tog y.al rrjg 7toi6Ti]Tog (s. Philoxenos im ude'Siy.ov rrg e?lrv. e/./J.ra. fuoior/Sg) erklären. Aber auch die alten Griechen gingen von einer ganz ähnlichen Anschauung aus, wenn sie von Rhapsoden sprachen, und wenn Hesiod von sich und Homer singt (Fr. 101 ed Schön.)

'Ev z/?'A<j^ Tors 7TQ10T0V iyoj y.al "Of.ir^Qog doiSoi (.läXnouev ev veaoo7g luvoig qaipavTeg doiör^v.

Denn sprachliche Gründe hindern uns, das "Wort quiDoj- öog mit dem Stabe, QclSöog, in Verbindung zu bringen, welchen die Sänger der epischen Lieder in den Händen trugen ; vielmehr kommt öaipcodog von QaTVTOJ und qjör] her und bedeutet nach der Analogie von ^aioirorog eyeoGiuayog y.Uil'lqqcov u. a. einen , der einen Gesang zusammenreiht. Diese richtige Ableitung gibt bereits der alte Commentar des Pindar zu Nem. H, 2, und zwar mit Worten, welche für das Verständniss unseres Wortes £iQi.i6g besonders wich- tig sind : o\ de (paaiv rrg "^Our^oov rtoiroecog fit] i y' ev oivrjyuivr^g, oiroQuör^v ds a'/J.cog y.al '/.axd. f-iigr] öir^or^iivi^g, OTtore qaxpojöolev, eIouoj rivi y.al qacpf TtaQaTc'/.röiov ttol- eiv elg ev airr^v ayovrag. Doch was ziehe ich die Analogie des ferner liegenden qaiL'ioöog heran? Das alte Wort für Tonart, das wir von jeder die Theile zu einem schönen, ebenmässigen Ganzen verknüpfenden Schöpfung zu gebrauchen pflegen, das Wort aquovia ist von derselben oder doch einer nahe verwandten Wurzel wie e^iquog abgeleitet und bedeutet gleichfalls ursprünglich eine 'Fügung' ^^), wie denn unter

19) Ich sehe, dass G. Curtius in seinen Grundz. der griech. Etym. die beiden Wörter trennt und äguoiia zur Wurzel ar, fcouos zur Wurzel sar oder svar stellt , und für diese Trennung spricht allerdings der Umstand, dass die 2. Wurzel auf griechisch-lateinischem Boden keinen a Vokal zeigt; auf der anderen Seite aber müsste man in einem solchen Fall einen unorganischen spir. asper annehmen, etwas was nicht unerhört, aber doch immerhin bedenklich ist,

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andern Bryennius Harmon. III , 8 die das Verhältniss von 4 : 3 nicht wahrenden Tetrachorde :^Qdg (.liXovg eiQi-idv dveiti- Tißua nennt, wo die alten Griechen Ttqog fxilovg aQ(.ioviav würden gesagt haben.

Wir fassen also etQ[^^g in dem Sinne von ^Fügung* oder ^Aneinanderreihung' und glauben, dass das Wort von Hause aus nur der Melodie zukam und von da erst auf die nach einer bestimmten Melodie gedichtete Strophe übertragen wurde. Leo Allatius in seinem Werke De libris eccle- siasticis Graecorum und Goar in seinem Euchologion sive Rituale Graecorum geben als Uebersetzung des griechischen EiQ/xog das lateinische tractus, und auch dieses Wort, welches im Abendland bereits seit dem 9. Jahrhundert gebräuchlich war (s. F. Wolf ,,Ueber die Lais Sequenzen und Leiche" S. 92), bezeichnete zunächst eine Melodie, speciell jenen lang hingezogenen aus Aneinanderreihung vieler Töne be- stehenden Gesang des Alleluja, Bei dem innigen Zusammen- hang des abendländischen und morgenländischen Kirchen- gesaugs und bei dem entscheidenden Einfluss, den die Griechen auf die Musik und den Gesang der lateinischen Kirche übten 2"), möchte man desshalb annehmen, dass der lateinische tractus von vornherein dazu bestimmt war das griechische eiQfiog wiederzugeben. Auch will ich dieses nicht geradezu in Ab- rede stellen, doch konnten die Lateiner auch ohne griechi-

20) Zumeist zeigt sich jener Einfluss in den vielen griechischen Wörtern, die den lateinischen Sequenzen und den noch heut zu Tage am Charfreitag gesungenen Improperies eingemengt sind, und in den griechischen Namen, womit die Abendländer die Tonarten und Tongeschlechter bezeichneten. Ja es wurden sogar geradezu grie- chische Lieder in Gallien gesungen nach Cyprian in der Vita S. Caesarii Arelatensis bei Gerbert De mus. sacra I, 340: adiecit atque compulit, ut laicorum popularitas psalmos et hymnos pararet alta- que et modulata voce instar clericorum alii graoce alii latine prosas antiphonasque cantarent.

Christ: Hirmos etc. in der hyzant. Poesie. 89

sches Vorbild das Wort gebildet haben, um damit das lange Hinziehen der Sylben, die protracta pronuntiatio (cf. Marius Victorinus I, 8) beim G-esang im Gegensatz zu der kurzen Aussprache beim Sprechen uud Lesen auszudrücken , wobei ich nur an dasjenige, was Athanasius in dem Brief an Mar- cellinus im cod. Alexand. der griechischen Bibelübersetzung über den breiteren Vortrag der Psalmen (xara rr/arog ?J- yctat, oid ioviv zd riöv \pa).ixö)v Y.ai ojöcöv y.al douazcov qiuuTo.) bemerkt, erinnern will.

Aber noch ein anderes "Wort der lateinischen Poesie des Mittelalters, das Wort sequentia hängt wahrscheinlich mit dem griechischen eioudg zusammen. Man verstand be- kanntlich unter Sequenz die langgedehnte, die letzte Sylbe von Alleluja , melismatisch wiederholende Jubilation nach dem Graduale in der Messe, und dann die als Text jener Jubelmelodie unterlegten Lieder (siehe Wolf Lais S. 30) Dass nun jenes lateinische sequentia eine üebersetzang des griechischen Wortes dy.o/.oid-la sei, hat man längst und allgemein eingesehen; aber die gewöhnliche Bedeutung von dy.olovS-ia, wonach man darunter die Folge der zu einem Feste oder einer Andacht gehörigen Gebete und Gesänge versteht, wie wenn man von einer dy.o'/.ovd-la tov ood-oov, einer aouarr/j] dy.oloi^ia tov Idyiov (Triod. p. 170) oder einer d.rroTiGuevr; UoovQyiag dy.o'/.oid-ia (Sophronios in Mai's Spie. Rom. IV, 31) redet, kann doch kaum hieher gezogen werden, da das lateinische sequentia keine Folge von Gesäugen, sondern nur eine Jubelmelodie bedeutet. Noch weniger passt die neuerdings wieder von Bartsch Die lat. Sequenzen des Mittelalters S. 2 aufgenommene Annahme, dass die Sequenzen ihren Namen davon erhalten haben, dass sie unmittelbar auf das Alleluja des Graduale folgten , zur Bedeutung des griechischen Wortes dy.o'/.ovd-la, das nie im Sinne eines folgenden Liedes gebraucht wird. Will man also nicht eine starke Verschiebung der ursprünglichen Be-

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deutung des Wortes im Munde der Lateiner annehmen , so muss man sich nach einer andern Bedeutung von ayioXov^ia umsehen; und nun wird in dem Schlusscapitel der oben mitgetheilten Abhandlung S. 84 das Wort elgi-idg mit dy.o- lovS^la Tig y.ai rd^ig f.iilovg y.al aQfxoviag erklärt , und ein in diesem Sinne aufgefasstes griechisches d'/.oXovd-ia = 'ge- ordnete Folge von Tönen' konnte wohl den Sequenzen der lateinischen Kirchenpoesie des Abendlandes den Namen geben.

Was schliesslich die Zeit betrifft , in der das Wort BiQi-iog in dem hier besprochenen Sinne vorkömmt, so finden wir bereits bei dem Lexikographen Suidas einen Artikel eiQl.ioX6yLov' ßißliov ri. Damals also im 10. oder IL Jahr- hundert hatte man bereits Bücher, in welchen vermuthlich gerade so wie in den heutigen Hirmologien, die bekanntesten Melodien mit den ursprünglichen Texten zusammengestellt waren. Leider ist bei Hesychius die Erklärung des Wortes E^QI-iog ausgefallen, so dass man nicht weiss, ob bereits er das Wort im musikalisch-poetischen Sinn gekannt hat oder nicht.

Mit dem elQi.i6g hängen, wie wir bereits oben (S. 86) gesehen haben, die xQOjräqia eng zusammen; hier aber können wir der Deutung des Zonaras nicht mehr beistimmen. Derselbe leitet das Wort unmittelbar von TQSTtco ab und glaubt, dass der Name daher komme, weil die Troparien dem Hirmos zugewandt seien {terqarcTai). Aber die Tro- parien treten in der ältesten Zeit unabhängig von den Hirmen auf und haben eine selbstständige Stellung für sich. Das zeigt schon das höhere Alter des Wortes; denn während der technische Gebrauch des Wortes eiQi-iog aus den ersten Zeiten des Mittelalters nicht nachweisbar ist, werden uns bereits aus dem 5. Jahrh. zwei Tropariendichter {TtoiT^val tQOTtaqUov) Anthinos^^) und Timokles von Kedrenos p. 349

21) Ein Anthinos schrieb nach Pitra Jur. eccl. Graec. hist. I praef. XVI auch eine Suha^is de re liturgica.

Christ: Hirmos etc. in der hyzant. Poesie. 91

C 7M dem Jahre 464 genannt, und finden wir schon im 4. und 5. Jahrb. den Gesang von Troparien in Alexandrien (siehe die Erzählung vom Abte Pambo in Gerberts Script, eccles. de mus. I, 1 ^*), in Cappadocien (s. Pitra L'hym- nogr. p. 43) und in Palästina (s. die Legende bei Pitra Jur. eccles. Graec. hist. I, 220) erwähnt. Die ursprüng- h'che Unabhängigkeit des Wortes spricht sich aber auch darin aus, dass es Hirmen nur zu den Oden der Kanones gibt , dass aber TQOrtuQia nicht bloss in den Kanones , son- dern auch sonst als kleine einzeln stehende Lieder vor- kommen. Das hat aber eine weiter tragende Bedeutung, da die in der Morgenandacht gesungenen Kanones jüngeren Ursprungs sind, es aber schon in viel früherer Zeit heilige Lieder für die verschiedenen Versammlungen in der Kirche und bei häuslichen Andachten gab.

Es hat daher der Verfasser des Schlusscapitels in der vorangestellten Schrift wohl daran gethan noch eine andere Etymologie von TQonaqiov zu versuchen, welche das Wort unabhängig von elq^og stellt. Aber wenn er dabei wieder unmittelbar auf das Verbum tQertsiv zurückgreift, so über- springt er das wichtigste Mittelglied und verletzt den von einer gesunden Sprachforschung vorgeschriebenen Gang. Denn tqorcäqiov ist augenscheinlich ein Diminutivum und zum Verständiss desselben muss daher zunächst auf das Primitivum, auf roo/rog zurückgegangen werden. Nun be- zeichnete man im 9. Jahrh. bei den Franken mit tropi die Cantica, welche zwischen den davidischen Psalmen gesungen wurden, siehe Anonym, des 10. oder IL Jahrh. bei Wolf Lais S. 94 : Hie (sc. Adrianus II) constituit per monasteria ad Missam maiorem in solemnitatibus praecipuis non solum

22) Dieses Schriftchen sowie die Erzählung vom Abte Neilos theilen wir wegen ihrer grossen Wichtigkeit für unsere ganze Frage am Schlüsse der Abhandlung im Anhange mit.

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in hymno angelico , Gloria in exelsis deo canere hymnos interstinctos, quas Landes appellant, verum etiam in psalmis Davidicis, quos Introitus dicunt, interserta cantica decantare, quae Romani Festivas laudes, Franci tropos appellant, quod interpretatur figurata ornamenta in laudibus Domini. Man erkennt in diesen tropi der Franken leicht die TQOTcaqLa des im Anhange abgedruckten Zwischengespräches der Aebte Sophronios und Neilos ; denn auch dort erwartet Sophronios nach dem Vortrag der Psalmen die Anfügung von gesungenen Troparien. Die Bedeutung wird uns aber klarer, wenn wir den Gebrauch des lateinischen Wortes modus, welches offen- bar eine Uebersetzung des griechischen rQOTtog ist, ins Auge fassen; man gebrauchte aber modi und moduli schon in der klassischen Zeit von Melodien und Gesangsweisen, und verstand danach auch im Mittelalter unter modus Ottinc eine zu Ehren der Ottonen gedichtete Liedweise (s. Bartsch Die lat. Sequenzen S. 145). Aus dem griechischen Alter- thum vermag ich allerdings keine Stelle nachzuweisen, wo TQOTtog für sich allein schon eine Gesangsweise , ein Lied bedeute, wohl aber gebrauchen Plutarch (De mus. c. 17) und die musikalischen Theoretiker, Aristides Bacchios Pto- lemaios das Wort rqcTtog von den verschiedenen Tonarten, und begegnen uns bereits bei Pindar die Wendungen : Avöko yaq ^OLOJtiyov iv tQortio ev neHraig t' deidcov ei.ioXov (Ol. XIV, 17) und Jlovoa d' ovTco /.loi TtaQeord/.oi veooiyalov EVQOvtL TQO.TOv ^cüQioj (fwvdv EvuQfio^ai Tteölho (Ol. III, 4). Eine schlagende Analogie aber für den alten Gebrauch von rqÖTiog und die mittelalterliche Bedeutung von ZQO^raQiov bieten die Ausdrücke sldog und eldilhov. Denn wie ich in meinem in den Verhandlungen der deutschen Philologen- versammlung zu Würzburg v. J. 1868 abgedruckten Vortrag über das Idyll nachgewiesen habe , bedeutete auch eiöog ursprünglich 'Oktavengattuug, Tonart', und ist daraus die abgeleitete Bedeutung von tidog = 'einem auf eine bestimmte

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Christ: Hirmos etc. in der hyzant. Poesie. 93

Tonweise gedichteten längeren Liede' hervorgegangen. Ge- rade so wie sich nun im Alterthum neben das primitive tidog das Diminutiv eldvlhov in dem bekannten Sinne stellte, so bildete man im christlichen Mittelalter von rgo/rog das Verkleinerungswörtchen TQO.taoiov in der Bedeutung eines auf eine bestimmte Gesangsweise gedichteten kleineren Liedes und einer einzelnen wiederkehrenden Strophe eines solchen Liedes. Wiewohl also die Wörter TQO.Taqiov und orQO(fi) sich in der Bedeutung fast decken und auch lautlich ähnhch khngen, so haben sie doch keine Gemeinschaft mit einander. Denn das Wort GTQocfy] hat mit der Tonart und der Melodie nichts zu schaffen , bezieht sich vielmehr ledighch auf die Bewegungen , auf die Kehren des das Lied vortragenden Chores.

Ich habe im Vorausgehenden modi und moduli für die üebersetzungen der griechischen Wörter tqottoi und tqo~ jtaqiu ausgegeben ; da nun aber tqottol vom Verbum TQe.rco herkömmt, und im Mittelalter bekanntlich versus in dem Sinne von Strophe allgemein gebrauclit wurde, so könnte man auch in diesem versus den lateinischen Ausdruck für das griechische tqottciqiov finden. Es scheint diese Meinung um so mehr für sich zu haben, da die Lateiner ganz ge- wöiinlich tropus mit versus erklären, und z, B. Duraudus Rationale divini Officii VI, 114, 3 sagt: Hi autem versus Tropi vocantur, quasi laudes ad Antiphonas convertibiles; TQOTTog enim graece, conversio dicitur latine. Nichts desto weniger halte ich auf eine solche Zusammenstellung nichts, und glaube vielmehr, dass die von den Lateinern aufgestellte Identität von tqottoi und versus in einer verkehrten Auf- fassung der Bedeutung des griechischen Wortes seinen Grund hat, indem spätere Gelehrte, welche die specielle Bedeutung von TQOTtog nicht kannten , sich bloss an die vage Etymo- logie von iqtTTEiv Venden' hielten. Ursprünglich war gewiss versus und versiculus die Uebersetzung der griechischen

94 Sitzung clef phüos.-philol. Classe 'com il. Juni 1870.

Ausdrücke otIxol und oziyrjQcc; denn auch diese spielen in der griechischen Kirche und in der poetischen Literatur des Mittelalters eine grosse Rolle ; und zwar verstand man unter OTIXOL einzelne, grösstentheils aus den Psalmen genommene Verse, und unter OTixr^qa Strophen, die, von byzantinischen Meloden gedichtet, in der Regel auf solche oilyoL folgten. Da auch diese GTiyr^oa geradeso wie die TQOTTUQLa gesungen wurden und auch von gleichem Umfang wie jene waren, so konnten leicht die Lateiner die tropi und die versus gleichstellen und das letztere Wort für die Uebersetzung des ersteren halten. y

Ich komme zu dem letzten, am schwersten zu deuten- 1 den Worte, zu xavwv. Unter einem Kanon also versteht f man in der kirchlichen Poesie der Griechen eine Vereinigung von neun, dem Inhalte nach nur locker zusammenhängen- den Oden, welche der Reihenfolge nach als erste, zweite, dritte bis neunte Ode aufgeführt werden. Sämmtliche neun Oden finden sich nur in zwei Kanones der Fastenzeit von Andreas Cretensis und in zwei Kanones des Pseudo-Sophronios (s. oben S. 62), in allen andern fehlt die zweite Ode, und dass dieselbe hier nicht etwa erst später ausgefallen sei, beweisen die Worte unseres Zonaras S. 79 , und wird durch die die Anfangsbuchstaben der einzelnen Strophen zusammen- fassende Akrostichis einer grossen Anzahl von Kanones be- stätigt. Der Grund lag, wie Zonaras bemerkt, in dem Charakter der als Vorbild dienenden zweiten biblischen Ode .(Deuteron, c. 31), die als ernste Strafrede nicht zum frohen Jubel der meisten christlichen Feste passte. Desshalb wurde aber doch so gezählt, dass die letzte Ode des Kanon nicht die achte, sondern die neunte Ode hiess; und in dem Kanon des Kosmas auf die Kreuzerhöhung (14. Sept.), der aus || 9 Liedern besteht, wird gleichwohl die zweite Ode als die dritte bezeichnet und die letzte als «AA»^ ioöt] ipcczi] aufgeführt.

Christ: Mirmos etc. in der byzant. Poesie. 95

Die neun Oden eines Kanon hingen, wie schon ange- deutet, unter sich nur locker zusammen; wenn etwas mehr, wie die neun bibHschen Lieder , welche ihnen zum Vorbilde dienten, so lag dieses lediglich darin, dass sie alle einem und demselben Feste galten; den Forderungen des einheit- lichen Aufbaues , die wir an jedes wirkliche Kunstwerk stellen müssen, wird also hier sehr wenig genügt, und ver- dienen schon die altgriechischen Lyriker und nicht am wenigsten Piudar wegen der schlecht vermittelten Gedauken- sprünge und wegen der vielen am dünnsten Faden auge- reiiiten Digressionen unsern begründeten Tadel, so fehlt selbst den gefeiertesten Kaaones des Mittelalters jene Ilaupt- bediüguiss eines wahren Kunstwerkes, der einheitliche Auf- bau. Nichts ist daher verkehrter, als wenn R e i n h. V o r m- bäum, der Bearbeiter der griechischen Kirchenlieder in Daniels Thesaurus hymnologicus, aus NachKissigkeit oder Unwissenheit in den aufgenommenen Kauones die einzelneo Oden gar nicht abtheilt; denn als einzelne Lieder wollten die Meloden jene Oden angesehen haben, die mehr nur äusserlich zu einem Ganzen zusammengefasst seien.

Zusammengehalten werden aber die 8 oder 9 Oden eines Kanon zunächst durch die gleiche Tonart {tjog) , in der die Melodie gesetzt ist, und es ist daher in den Aus- gaben und in den Handschriften gleich im Anfang der r^x^S jedes Kanon vorangestellt. Ausserdem werden in den meisten Kanones sämmtliche Strophen durch die Akrostichis ver- bunden, die sich bereits in den jüngeren Liedern des alten Testamentes findet (s. Ewald die poetischen Bücher des alten Testamentes I, 140. 172 ff.) und ganz besonders von den byzantinischen Dichtern ausgebildet wurde. Denn wie überall, so wuchs auch in Byzanz mit dem Schwinden ächter Kunst das Streben nach äusserlicher Künstelei. Viele jener dy.QOGTixlöeg enthalten die Buchstaben des Alphabetes {ä/.QooT. Y.a.x' dXg)dßrjTov), und gerade diese Form war schon häufig

96 Sitzung der pUtos.-phihl. Classe vom 11. Juni 1870.

in der hebräischen Poesie und dann in einem der ältesten christlichen Gedichte, in dem Parthenion des Methodios und in den Liedern der Nazareer (s. Pitr a L' hymnographie p. 40) angewandt worden ; andere bilden einen meist in einen oder mehrere Verse gefassten Gedanken, der gewöhnlich auch den Namen des Dichters enthält. In der Mehrzahl der Kanones beschränkt sich die Akrostichis auf die Anfangs- buchstaben der einzelnen Strophen, nur in einigen wenigen umfasst sie die Initialen säramtHcher Verse oder Perioden. So bilden die Anfangsbuchstaben der Trimeter in den drei berühmten jambischen Kanones des Joannes Damascenus auf Weihnachten, Theophanie und Pfingsten je zwei Distichen des heroischen Versmasses, und lassen sich durch Beachtung der Akrostichis die aus mehreren Kolen bestehenden rhyth- mischen Perioden einiger Kanones des Joannes Damascenus (25. März) Georgios und Bartholomaios (s. Pitra L'hymnogr. p. 18 ff.) bestimmt herausfinden.

Eine ganz eigenthiimliche Akrostichis finden wir bei Georgios, einem Dichter des 9. Jahrb., der die Anfangs- buchstaben der Theotokien der einzelnen Oden zu einem Satze vereint (Triodion p. 171 ff.). Bei dem immer wachsen- den Mariencultus des Mittelalters kam nämlich die Sitte auf nicht bloss die letzte Ode, die von Anfang an vermöge ihres Zusammenhangs mit demLiede bei dem Evangelisten Lucas c.I. der Jungfrau Maria gewidmet war, sondern auch die letzte Strophe jeder Ode als &EOToy.Lov der Mutter Gottes zu weihen, und die Initialen dieser 8 Marienlieder sind nun von Georgios zu einer Akrostichis verbunden worden.

Nachdem ich so das Nothwendigste über die Anlage der Kanones angeführt habe, wende ich mich zu ihrem Ursprung und werde damit von selbst zur Aufliellung des Namens geführt. Wie schon öfters bemerkt, sind die 9 Oden den 9 biblischen Cantica nachgedichtet, dem JubelUed der Mariam nach glücklicher Durchschreitung des rothen Meeres

Christ: Hirtnos etc. in der byzant. Poesie. Ö7

(Exod. XV), dem warnenden Zuruf des Moses an das israe- litische Volk vor seinem Hinscheiden (Deuteron. 32) , dem Freudengesang der Anna über die Geburt ihres Sohnes Samuel (Reg. I, 2), dem ahnungsvollen Lied des Propheten Habbakuk von dem Herannahen eines rettenden und strafen- den Erlösers (Hab. 3) , der Prophezeiung des Jesaias von dem anbrechenden Lichte der Gerechtigkeit (Jes. 26), dem Siegeslied des Propheten Jonas, nachdem ihn das Seethier nach drei Tagen wieder ausgespieen hatte (Jon. 2) , dem hoffnungserfüllten Gebet der drei Knaben , die auf Be- fehl des Königs Nebukadnezar in den Feuerofen geworfen wurden (Dan. 3), dem jubelnden Hymnus derselben drei Knaben im Feuerofen (ebendas.) , und den Freudenliedern der Jungfrau Maria nach der Verkündigung des Engels Gabriel sowie des Zacharias nach der Geburt des Jobannes (Luc. 1). Alle diese 9 Lieder beziehen sich oder wurden doch schon früh auf die Ankunft und das Wirken des Heilandes, die vea xaQig, bezogen, und ihre Beachtung von Seiten der Christen ist daher eine sehr natürliche. Um aber die Entstehungszeit der Kanones zu bestimmen, ist es vor allem nöthig zu ermitteln, wann jene 9 Lieder aus den Büchern des alten und neuen Testamentes ausgewählt wur- den, und wann sie eine feste Stelle in dem christlichen Gottesdienst erlangten.

In den ältesten Aufzeichnungen über die christlichen Ordnungen , in den Constitutiones apostolicae werden unter den kirchlichen Gebeten und Gesängen jene Cantica noch nicht erwähnt; es heisst daselbst bloss II, 57: ersoog Tig Tov Jaßld x1)u),)At(jj vf-ivoig y.al 6 '/.aog xa d'/.oooTixia vno- Uiü/jJtco, und es wäre wenigstens eine zweifelhafte Conjectur, wenn man unter den Hymnen des David auch jene Lieder mit verstehen wollte, die allerdings später und vielleicht schon damals den Psalmen am Schlüsse angefügt zu werden pflegten. Aber wenn wir auch von einer solchen Vermuth- [1870. II. 1.] 7

98 Sitzung der pfiilos.-phüol. Classe vom 11. Juni 187 ö.

ung ganz absehen, bo wissen wir doch aus anderen Zeug- nissen, dass in der Zeit, wo die Jiara^eig ccTtoGtohxal abgefasst wurden, jene Lieder neben den Psalmen allgemein im Gebrauch waren. K. Buhl in seinem lehrreichen Auf- satze über den Kirchengesang in der griech. Kirche bis zur Zeit des Chrysostomus in der Zeitschr, für die bist. Theol. Bd. XVIII a. 1848 S. 203 gibt genaue Nachweise, dass Chrysostomos ad. I Tim. hom. 14 t. XI p. 630 B unter den von den Mönchen gesungenen Psalmen auch das oben erwähnte Canticum des Jesaias aufzählt, und in der Schrift Quod nemo laeditur c. 16 t. III p. 462 E den Hymnus der drei Knaben als eine lodi] i-ifXQi fov vvv f^ e^eivov navxa- yov rfg oly.ovi.i6vi]g aöofievr] bezeichnet. Das nächste Zeug- niss bietet meines Wissens der cod. Alexandrinus der grie- chischen Bibelübersetzung aus dem 5. Jahrb. Hier sind im Psalterion den 150 Psalmen 14 Oden am Schlüsse ange- hängt, welche mit den Psalmen das Liederbuch der dama- ligen Christen bildeten. Unter jenen 14 Oden ist eine, die 14., ein neuer, im Anschluss an Bibelstellen gedichteter vi^vog kiod^ivog; ferner sind die Ausrufungen der Maria und des Zacharias als eigene Lieder, 11. u. 13. Ode, von einan- der getrennt, wie umgekehrt die beiden Lieder der drei Knaben in eine Ode, die 10. vereinigt sind; endlich sind ausser den besprochenen 9 Liedern noch einige ganz neue aufgenommen, nämlich als 12. Lied der Ausspruch des Symeon Nvv d/toXveig tov öovXov gov x. t. A. (Luc. 2), als 9. das reuige Bussgebet des Azarias (vergl. Dan. 3), als 8. das Gebet des Manasse um Vergebung der Sünden und Fehltritte (vergl. Paralip. II, 33), als 7. endlich das Gelöb- niss des Ezekias den Herrn mit dem Psalter alle Tage des Lebens zu preisen (vergl. Paralip. II, 32). In dem 5. Jahrh. war also noch nicht die Zahl der bibUschen Cantica auf 9 festgestellt worden, in jener Zeit konnten also selbstverständ- lich noch keine Kanones in dem Sinne des byzantinischen

Christ: Birmos etc. in der byzant. Poesie. 99

Mittelalters bestehen , da bei diesen die Zahl der 9 Oden typisch ist. Aber bald nachher scheint die kanonische Be- schränkung jener biblischen Cantica auf neun eingetreten zu sein und auch in den Ausgaben der Psalterien die Ausscheid- ung des 7. 8. 9. 12. Liedes zur Folge gehabt zu haben (s. Buhl S. 202). Genau vermag ich die Zeit, wann dieses eintrat, nicht anzugeben; aber im 6. Jahrb., in welches das oft erwälmte Zwiegespräch der Aebte Sophronios , Joannes und Neilos fällt, war schon das Gebet des Syraeon als aTtoXvzUiov für den Abendgottesdienst abgezweigt, und wur- den die 9 Oden hinter einander und zwar in der Regel in drei Abthcilungen, den drei oraoeig der Psalmen entsprechend, vorgetragen. Die Zahl 9 ist zwar nicht ausdrücklich ange- geben, lässt sich aber mit Zuversicht aus den angedeuteten drei Gruppen von je 3 Oden erschliessen. Gewiss war diese Neunzahl auch schon festgestellt iii der Zeit des Pseudo- nymen Dionysios Areopagita, dessen 9 himmlische Mächte, welche dem Herrn ohne Unterlass Loblieder singen , mit Recht von Zonaras S. 83 mit den 9 biblischen Oden in Ver- bindung gebracht werden.

Aber war nun auch im 6. Jahrb. bereits die Voraus- setzung zur Ausbildung der Kanones gegeben, so ersehen wir doch aus jenem selben Zwiegespräch , dass es damals noch keine Kanones gab; man begnügte sich noch damit die biblischen Lieder selbst zu singen und höchstens einigen, wie dem Liede der drei Knaben, noch neue Troparien an- zufügen. Auch Sophronios im 7. Jahrb. sagt in seiner Commentatio liturgica in Mai's Spie. Rom. IV, 40 nur, dass zu seiner Zeit in jeder Abend - und Morgenandacht ausser den Psalmen des alten Testamentes noch aa^uara T/]g veag XaQiTog gesungen wurden, ohne der Liedesforra der Kanones zu gedenken , und der berühmte Melode Romanos aus dem 6. Jahrb., dessen Herausgabe durch Pitra wir mit Spannung entgegensehen, bezeichnet seine Gedichte in den Akrostichen

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100 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 11. Juni 1870.

(s. Pitra L'hymnogr. S. 47) als vfxvot, ahoi ercrj xpalfiol TtOLrjiiaTa i^dal, nirgends aber als v.av6vEg. Es hat daher alle Wahrscheinlickeit, dass die ältesten Dichter, von denen uns Kanones erhalten sind, auch die Erfinder dieser Lieder- gattung waren , indem zuerst Andreas von Kreta an die Stelle der 9. biblischen Cantica eigene Oden setzte, die sich noch ganz im Gedankengang jener Vorbilder hielten, und dann erst allmählich Kosmas und Joannes unter Wahrung der Neunzahl der Oden sich in freieren Bahnen zu bewegen versuchten. Bei dieser Annahme erklärt es sich auch , wie es kam, dass bei den Abendländern die sonst fast alles in der kirchlichen Musik und Poesie den Griechen entlehnt hatten , jene Form der Kanones keinen Eingang fand. Denn im 8. Jahrh. war bereits die Spaltung der griechischen und lateinischen Kirche eingetreten , und hatte der massgebende Einfluss der Byzantiner in dem des Griechischen immer mehr unkundigen Abendlande aufgehört. ")

Auf der anderen Seite aber scheint sich dieser Auf- stellung die Erwähnung von -/.avoveg aus früherer Zeit ent- gegenzustellen. In erster Linie steht hier die von Pitra L'hymnogr. p. 32 aus einem cod. Barb. I, 150 f. 9 ange- führte Stelle des Grammatikers Theodosios von Alexandrien : Eav Tig d-iXrj Ttoirjaai xavova, Ttqiöxov dei /tieXiaai tov eIq- f4.dv, eira iftayayelv rd TQOfcaqta iooovXkaßovvra v,al Ojio- tovovvta y,al tov OKOTtov '*) a/roaw^ojra, denn hier ist ganz unzweideutig das Wort xaviov sammt den zugehörigen eiQfJ^og rqoTiciQiov in dem bei den Byzantinern herrschenden Sinne

23) Wir haben zwar auch heut zu Tage noch in unserer Musik eine Melodieform, die den Namen Kanon trägt ; aber diese hat mit dem griechischen Kanon nichts als den Namen gemein.

24) Jenes axoitov hat Pitra fälschlich mit *but' wiedergegeben, es bedeutet vielmehr das Wort nach byzantinischem und neugriechi- Bchem Sprachgebrauch so viel als Melodie, wie ich in der Recension des Buches von Pitra im Philolog. Anzeiger 1870 Nr. 2 andeutete.

Christ: Hirmos etc. in der hyzant. Poesie. 101

genommen; und da Theodosios von Alexandrien nach Göttlings Untersuchung nicht lange nach Constantin d. G. im 4. Jahrh. blühte, so müsste man danach annehmen, dass bereits vor Beginn des Mittelalters die Form des Kanon vollständig ausgebildet gewesen sei. Das schien mir nun von vornherein eine bare Unmöglichkeit zu sein, und es tauchte in mir sofort der Verdacht eines Irrthums oder einer Fälschung auf. Um aber in einer so wichtigen Frage nicht bei der blossen Vermuthung stehen zu bleiben, wandte ich mich an Herrn Dr, A. Spengel, der damals in Rom weilte und mir sofort mit der grössten Bereitwilligkeit zurückschrieb, dass die betreffende Stelle von Pitra richtig angegeben sei , und dass die Schrift in der That den Titel trage : ao//) otv ■d^eiü rcov EQonrjixarcjv d-eoöooiov yQai.iuariy.ov d?.e^av- ÖQecog Tteql :rroooojöicjv. lu der Hauptsache , in der Frage über den Autor der betreffenden Schrift sah ich mich so in meinen Vermuthungen ganz gegen Erwarten getäuscht ; aber etwas neues lernte ich doch aus der Mittheilung meines gelehrten Freundes, was, weiter verfolgt, zur vollständigen AutlielluDg der Sache führte. Pitra hatte nämlich ange- geben, dass Theodosios jene Vorschrift in seiner Epitome des Hephästion gebe, von Spengel erfuhr ich den richtigen und genauen Titel der Schrift, nämlich ^Eoom'ßaTa aeol 7iQOG(oöiä)v. Von diesem Buche war mir aber der Haupt- inhalt bereits aus Peiron näher bekannt, der im Anhange zur Ausgabe des Orion von Sturz p. 238 aus zwei Hand- schriften nähere Notizen über die Schrift gegeben und unter andern auch bemerkt hatte, dass darin der Grammatiker Choiroboskos sich citirt finde. Nun lebte aber Choiroboskos im 8. Jahrh. unter Leo dem Isaurier, und hatte daraus be- reits Göttling in seiner Ausgabe des Theodosios praef. XII und XIV den vollständig begründeten Schluss gezogen, dass jene Schrift ^eol rtgoocoduop entweder nur den erborgten Namen, des Theodosios Yon Alexandrien trage oder doch

102 Sitzung der xyhilos.-phüol. Classe vom 11. Juni 1870.

jedenfalls mit fremdartigen Interpolationen stark durchsetzt sei. Wenn sich daher in diesem Buche eine Bestimmung über -/.avcov e^Qi-idg und tqo.tccqiov findet, so kann daraus über die Zeit der Entstehung jener Begriffe gar nichts ge- folgert werden ; jene Stelle , die sich auch ohne Beifügung eines Verfassers in einer Hamburger Handschrift bei I. Bekker Anecdota gr. p. 1167 findet, ist aller Wahrscheiulickeit nach erst im späten Mittelalter in das Werk des Theodosios ein- geschwärzt worden.

Nun kommt aber das Wort Kanon in dem Sinne von Lied, wenn auch in minder scharf ausgeprägter Bedeutung, noch an anderen Stellen aus der älteren Zeit, zunächst an zweien vor, die von Zuständen des 4. und 5. Jahrhunderts berichten. In der Erzählung vom Abte Pambo heisst es nämlich : ovte y.avovag ovre TQonaqiu )J'/0f4ev (siehe Anhang) und in einer andern aus dem 5. Jahrb., die Pitra L'hym- nogr. p. 43 aus einem cod. Vallicell. E 21 f. 518 mittheilt: xat ro TooTTCcQia y.ul y.avovag i^iaD^iv y.al ryovg fieXlteiv zdig y.aza y,6ofiov lEQEial re y.al koLTToig aQf.i6^ov' diä xovto ycLQ Y.al 0 hxog ev xalg ly.y.Xr^Oiaig avvad^qoii^eod^ai eüod^e. Indess, wie wichtig auch jene Stellen für unsere Kenntniss von dem ältesten christlichen Gesänge sind, so wenig Verlass bieten sie für die Formen des Kirchenliedes in jenen Zeiten; denn leicht konnten die späteren Abschreiber aus dem kirch- lichen Brauch ihrer Zeit in jene alten Erzählungen das Wort y.avovag hiueininterpoliren. An drei andern, ganz ver- lässigen Stellen aber kommen die Worte ■Äavcjv und y.avovixög in einer zwar etwas abliegenden, aber doch wohl hieher gehörigen Bedeutung vor. Einmal lesen wir in der Erzählung von den klösterlichen Bräuchen auf dem Berge Sina (s. Anhang): iQ^ujusd^a Tov y.avovag xat fxera rov E^aipakuov x. r, X. und weiter unten mit Bezug darauf Eig rov y.avova ro Qeog y.vQiog. Betrachten wir die Stelle im Zusammenhang und verbinden wir damit die Aufzählung von zweimal zwölf Psalmen im

Christ: Hirmos etc. in der hyzant. Poesie. 103

Psalterion des cod. Alexandriuus unter den Titeln: Kavoreg {jueoivoL ipa).f.iü}v und Karoyeg vvy.Teqn'ol nov yja?,i.icüv'^), so ist es wohl kaum zweifelhaft, dass damals unter Kanon eine Auswahl von besonders erhebenden Psalmen ver- standen wurde , die vor den andern in den Andachten am Tage und in der Nacht gesungen wurden. Zweifelhafter ist die Bedeutung des Wortes y.avovr/.og in dem wichtigen 15. Kanon des Concils von Laodicea: IleQl zov lu] ddv nhv TiZv y.avovi/Mv xpaKitov twv en.1 tov dfißwra uvaßuL- vövTiov y.al arro diq'd^iqag ipaXkovTcuv ereQOvg rivdg ipä/J.siv h Tfi ly.ylr^oia. Nach dem oben bemerkten nämlich liegt es nahe unter jenen y.avovuol xl'älxai solche Sänger zu ver- stehen, welche die ausgewählten Lieder, jene y.avovag tcöv \palf.iC)v zu singen berufen waren. Da man aber auch unter y.avovi/.i] bekauntUch im Alterthum die Theorie der Musik ^^) und unter y.avcov das zur Bestimmung der Intervalle der Töne verwendete Instrument verstand, so könnte man auch bei den y.avovr/.oi ipä/.rai an geschulte, in den Prinzipien der Harmonik unterrichtete Sänger denken. Eine bestimmte

25) Man stelle damit noch folgende Stellen zusammen , die ich dem Werke des Leo Allatius De libris eccles. Graecorum entnehme, erstens des Cyrillus Scythopolitanus in vita S. Theodosii: ^OS-ty Kai rrjs Kofiufdjy avtos ayiug dxKXT](Jcas xpdXTr,g ■/QrfaifJ.wtatog yiyoyey ex. naiSos xai zoy dxxXijaiaaTtxoy xayoycc axgißwg dgfnaiScv^Tj xai E^i- fia3-f to ipciXttjpeoy xcd r«f ^oinu^ &{icc^ ygatfcis und in vita S.Sabae : ewf ov TO \puXT-qQioy uad-ioai xai rdv rr,s \pa7.uuj6ia5 xavora , sodann des Theodorus in vita S. Theodosii: oirw fj.ky ovy iv ravtatg o cego^ r^S ipaXfiüjSias inirt'ktiTai xayujy enrcixig trjg iqfisgag, x6 drj Xeyo- f^eyoy, xoy ndar^g XTiaetog aiyovyxwy TToitjTrjy.

26) Die Hauptdefinition von xayoytxi] findet sich bei Gellius N. A. XVI , 18 : xayoyixrj longitudines et altitudines vocis emetitur ; longi mensura ^iSixog dicitur, alti fiiXog \ est et alia species xaro- yi'x^S} quae appellatur fj,tTQiXTl , per quam syllabarum longarum et brevium et mediocrium iunctura et modus congruens cum principio geometriae aurium mensura examinatur.

104 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 11. Juni 1870.

Entscheidung, welche der beiden Auffassungen anzuerkennen sei, möchte ich nicht wagen, und nur das eine hervorheben, dass die erstere Deutung mehr im Einklang mit den son- stigen Bedeutungen des Wortes Y.aviov in der christlichen Kirche steht. Wie dem aber auch sei, so dürfen wir doch kaum die an jenen drei Stellen hervortretende Bedeutung von YMvcov von jener andern trennen, die das Wort in der Zeit des Andreas von Kreta und Kosmas von Jerusalem an- genommen hat. Auch ist die Vermittelung derselben nicht schwer: Noch im 5. Jahrhdt. bezeichnete xavtüv eine Aus- wahl von bestimmt festgestellten Psalmen, die in den Klöstern und in den Kirchen zu bestimmten Zeiten gesungen wurden. Mit demselben Worte auch die Auswahl der bib- lischen Cantica, die neben den Psalmen die ältesten Ge- sänge der Christen bildeten , zu bezeichnen , lag ausser- ordentlich nahe. War dieses einmal geschehen , so gab es sich von selbst, dass man auch die Oden, welche im Laufe des 8. Jahrhunders an die Stelle jener 9 biblischen Cantica traten, mit dem Namen y.avcov benannte. Man könnte auch daran denken den technischen Begriff, von Kanon, wie er sich in der byzantinischen Poesie ausprägte, unmittelbar auf die ursprüngliche Bedeutung von v.aviov = massgebende Richtschnur, zurückzuführen und dafür die Stelle bei Kedrenos p. 456 D : 'O ooiog ^Icodvvr^g xal (.leXcoödg wvof.tdod-i], {.ietcc KoGfia Tov ETCiö'KOTtov Tov Blaiovfiä xal Qeocpdvovg döelg)Ov QeodcüQOv xcov FgaTtTCüv Sid ro avtovg ^leXc^örjoai rd ev tctig 8'/.y.Xr]aiaig zwv XQLaviavcov zerv^tcofiiva xpdXXeoS^ai geltend zu machen ; aber die im Vorausgehenden von mir ge- gebene Herleitung trägt mehr der historischen Entwicklung und den verwandten Bedeutungen des Wortes -Kavcov Rechnung.

Christ: Hirmos etc. in der byzant. Poesie. 105

Beilagen.

reQorrixor rov aßßä Uajxßüj^'^).

'0 !Aßßag Ilaußiü arcioTeiXe tov fia&r]rrjv avxot ev ^le^ardgela TtQog xo TiwX^aai ro iqyoxeiQOv aiziov. Trou^oag 6e r^ixiqag dey.at^ ev rij noXu, log €7,eyev ^/.äv, rag WKrag €'/.dd^evöev ev reo vagS^rfKi rrjg l/.y.XrjOiag ev reo vacj} rov aylov BlccQ-KOV' /mI Idcov rr^v äy.oXov^lav trjg äyiag e/.y.Xrj- oiag dveY.afiipe ^rgog rov yiqovra' efiads de yal xqoTraqia.

uieyet ovv avxtZ 6 yi^cov oqco oe, xer/.vov, xexagayfxevov fiT^ xig Tteiqaonög aoi ovveßr] ev xfj TtolEL; Xeyu 6 adel<pög yeqovxi' (fvoei, l4ßßa, ev df.te?xia da7tavtöi.i€v rag i(.ieQag ^fxüjv ev xfj eoTficp xavrrj, v.al ovre '/.avovag, ovxe XQOTtaQia xpaXkoixEV dneXd^ovxog yaQ jxov ev ^iXe^avögeia eiöov xa tayfxaxa xrjg ev^'/Xr^oiag., fttüg xpd?J.ovoi, /.at ev Xv^tr^ yeyova ^oXXfj, diaxi /.al r^f-ielg ov ipidXXofiev y.avovag y.al XQorcaQia.

yteyei ovv avxai 6 yeqcov oval ^l^lv, xexvov, oxl ecpd^a- oav al rnxeqai, ev aig VTtoXelipovaiv ol fiovayol xrjv oxeQsdv TQog)r^v xr^v öid xov dylov nvEvixaxog qi^d^eloav y.al i^ayoXov- &7-G0VOIV aai-iaxa y.al rj^ovg' Ttoia ydq yaxavv^ig, noXa day.- qva riy.xovxai ex xcov xqoTtaqicov ; Tto'ia ydq y.axaw§ig r^ ixovayoj, oxav ev ey.y.Xrjaia 7] ev yeX?Jcij laxaxai, y.al vifiol rrjv qxüvr^v uvrov wg o\ ßöeg; El ydq evcoTtiov rov -d-EOv jtaQLO- rafied^a, ev n:oXXf^ y.axavv^Ei ocpEiXofXEv %oxaa&ai yal ov^l ev lueteioQiOfx^' y.al ydq ovk e^rjX-9-ov ol /xovaxol ev xfj eqr^fi(t) xavxr], iva Ttaqlaxavxai xid d^eiö yal fiExeiOQi^ovxaL y.al fieXcp- öovaiv aofxaxa y,al qvd-fxi^ovoiv r^x^vg xal aeiovai x^^'^9 ^'^^

106 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 11. Juni 1870.

(XETaßaivovGL Ttoöag, dXV ocpeiloiuev iv (foßio noXKi^ y.at TQO/uio da/.QvoL re y.al oievayf.iolg f-iera eiXaßeiag Kai svy.a- tavv/aov /.al fxeTQiag [raTtEivijg^ (puovrjg rag TtQOOBVXcig t<^ ^ea TtQOog^eQEiv ^Idov yccQ Xeyco aoi, rizrov, ort ilevoorrai Illegal, ove g^&eiQOvaiv ol XQioviavol rag ßlßXovg tcov äyuov evayyeXuüv /.al xwv äyuov drcooroXiov xat tcov d^eOTtealiov TtQOcf'inTüiv XeaivovTEg Tag yQaqxig tcov äyicov /al yqcccpovTeg TQOrrccQia v.al e?^XrjVi-/ovg ?.6yovg y.al yvd^r^OETaL 6 vovg etg TQOfTovg y.al Elg Tovg Xoyovg TcJöv '^EXXivcov did xovxo y.al Ol TtuTeQEg r^jACov EiQrf/aOLV, iva /urj ygacpcoaiv ol ev Ttj eqr^fic^ TavTj] ovTEg y.aXoyqacpoi Tovg ßlovg y.al Xoyovg tcov yEQOvrcov iv fiEf-ißgccvaig, aAA' iv y^aQtiOLg' i-ieXXEi ydq r^ SQyojxevr] yEvsd XEaivEiv Tovg ßlovg /al Xoyovg tcov naxiQCjov /al yqcxcfEiv ■/aTo, t6 d^eXr^f-ia avTolg.

Kai EiTiEV 0 dÖEXcfog' tI ovv ; dV.ccyd^r^aovTai tcc i'd-r] ■/al al TTaQadoOEig tcov XQiOTiavcov /al ov/ eoovrai lEQslg iv Trj i/y.XiiOicu, iva TavTa yivrjTai ; /al eIttev 6 yiqcov iv ToXg ToiovToig y.aiQolg ifjvyiOETai i] dyärnq tcöv tzoXXcov '/al egtul ^Xiifjig ov-/ oXiyri id^vwv.

27) Zuerst publicirt von Gerbert in seinen Scriptores ecclesiastici de musica t. I. p. 259 aus einer Wiener Handschrift.

Christ: Hirmos etc. in der hyzant. Poesie. 107

II «8)

JiT^yr^oaxo y^ixlv 6 aßßäg hoavvi]g v.al o aßßäg ^cocpQO- viog Xeyovzeg' ore aTtr^Xd-oixev*^) nQog xov dßßä NeD.ov öia- q^oißovorfi r^g ayiag ■/.vqia/.r^g elg ro oqog ^ivw r^v de 6 ytQiov T^GiyaUov avoj eig r/V y.OQvq'rjV zov oqovg eycov a)Xovg 6io fiad^i-zag. ^E).d^6vTcov öi j]uü)v slg rd eo.-teQiid Tg^aro 6 yiQiov ro Jö^a nuTot ovv rolg l^r^g. Kai ehrorTcov to 3IayMQiog (Ps. 1) y.al ro Kvois fyJy.Qa^a (Ps. 140) yoJQig töiv TQOTTaQuov, y.ai [tlTtövieg'] ro Ocog \)xiq6v y.al ro Kata- ^iiüoov, r^Q^avTO ro Nvv aTVoXvEig ovv rolg e^ijg (Luc. 2). y.al reXioavveg rd eartsoti'd Ttaqid-rf/.ev r^ulv rguTtstav. y.al fierd ro öeirtvi^oaL rQ^dt.ie&a rov y.avovog. y.al (.lerd rov \^a\pa).i.iov y.al elnovreg ro ndreo rf.aov 6 iv rolg oiqavolg r^Q^aiied^a roig \paX[.iovg dvircog. y.al elrtovreg ^'^) n]v ttqco- ri]v oraoiv rcov rrevrry.ovra xf.ia).Liwv r^q^aro 6 yiqcov ro Ilareq i)t.aov 6 ev rolg ovqavolg [zat v] y.al ro Kvqie IXii]- oov. y.al y.ad^ioavreg dveyvco elg rwv ^ad^rfiiov avrwv (an avrov?) rr^v y,ad-o?uy.rv ^la/.coßov. y.al dvaordvreg rcaXiv i]q^a(.ied-a rr^v öevriqav ordoiv riov v i/'aAwwv, xat TvXr^qoi- aavreg rovg v Uia?.uovg töor/.e roj aU.io döeXcfcZ y.al aveyvw iy, rov avrov ßiß?Jov^^) Ilirqov rr^v y.ad^oXr/.r^v eTiioroXi^v Y.al dvaordvTeg i]q^di.ied-a rr]v y otdoiv, yal rtXi]qcooayreg rovg qv i^iaXuoig y.al elnovreg ro Tlareq r^ixiov y.al ro Kvqie eXei]Oov, sy.a^iarr.juev y.al eScoy.ev efxol 6 yeqcov riv ßißXov

28) Wiederholt aus Pitra's Juris ecclesiastici Graecorum historia et monumenta IT. p. 220, der das Stück aus zwei codd. Vatic. A und B herausgab.

29) ci-nif.d-6yr(s codd. SO) scribe iirtoyrwy. 31) ßißXov codd.

108 Sitzung der phüos.-pMol. Ciasse vom 11. Juni 1870.

Y.al aviyvcoxa trjv y.ad^oXL/.r^v ^hoävvov v.a.1 dvaordvTeg rg^d- fied^a rag (oSag dvercog arev ZQOrtaQuov, xal ovre elg rr]v / (i>SrjV, ovre elg rrjv g STtoir^aafxev /ueocodiov, dXXd ro Hdxeq Vj^wv y.al To Kvqis sker^Gov y.al elnovreg rovg aXvovg avev rqoTtaquov ^g^avTO ro zf6$a sv iipiOTOig avv rfi tclotu y.al x6 ndveQ rjixiov y.al [r'] ro Kvqie iXiijOov TtQOöid-rf/.Bv ovv o yeqwv Xeywv ^Yii y.al Xoye tov d-eov ^Irjoov Xqiazi, 6 &edg '^f4cdv, iXer^aov rji^äg y.al ßor^d-rjoov y.al owaov rag ifjt'xag r^fxiüv. y.al utcovtojv r^fUüv ro l^firjv iy.ad-eozr^fxev.

Kai Xeyco tio ysQOvri' diazl, dßßa, ov (fvXdrTETe tiv xa^iv trjg y.ad-ohy.tjg yal dn:oGToXr/.r^g ey./.hjöiag; y.al keyev ^01 6 yäQiov 6 f-ii] (fv)xiZTO}v zr<v zd^iv z7]g /.ad^oXixrjg yal dytoozoXiy.rjg ey.xXr]aiag eozw dvd&e^a yal ev zw vvv alcovi ■Kai ev roj» fxiXXovzi. Kai Xiyia avzto Ttöjg ov avzog ov rpdXXeig^^) elg zd eOTteQcvd zrjg dyiag y.vQiay.rjg ovze elg z6 KvQie sy.ey.Qa^a zqondQia, ovze elg zd (Dwg \Xag6v ZQOTtdqiov, ovze elg zöv yavovazo&eög y.vQiog, ovze elg zi\v ozixoXoyiav Ziov iliaXuaiv y.ad^iOfuata dvaTtavoif-ia^^), ovze elg zag c^ddg xCöv zQiüiv TtaiÖDv ZQOTrdqia; dXX* ovze elg zd MeyaXvvei ro näoa Ttvorj, dXX' ovze elg zr^v öo^oXoyiav zrjv dvdazaOLv zov acDzr^Qog;

32) neos Cfff avTos oipi A Ttws iSv ^°'^ ^

33) dyadTaatfia coni. Paranikas.

Keim: Altdeutsche Denkmäler. 109

Herr Keinz übergibt einen Nachtrag zu 1869, 11, 290 ff.: „Altdeutsche Denkmäler."

Deutsches im Gebetbuch der heiligen Hildegard.

Der Cod. lat. mon. 935, Perg. 72 Bl. in 8", XII. und XIII. Jahrh. enthält eine Anzahl gleichzeitiger deutscher Ein- träge, welche theils in sachlicher, theils in sprachlicher Be- ziehung von nicht geringem Interesse sind und daher eine nähere Darlegung wohl verdienen.

Die Handschrift ist ursprünglich eine Sammlung von bildlichen in Farben ausgeführten Darstellungen von Gegen- ständen aus der biblischen Geschichte alten und neuen Te- staments und von lateinischen Gebeten dazu , welche n)eist dem Bilde gegenüber stehen. Dem alten Testamente gehören 10, dem neuen 62 Seiten mit theils geschichtlichen, theils sinnbildlichen Darstellungen an. Die Anzahl der Bilder selbst ist etwas grösser, weil auf einigen Seiten 2, auf der ersten, die Schöpfung sinnbildlich darstellenden, sogar 6 (die 6 Schöpfuugstage) beziehungsweise 9 Bildchen sind.

Bilder und Text sind gut erhalten. Nur die ersten 2 Bilder, der Schöpfungsgeschichte angehörend, haben durch Moder Schaden gelitten, ausserdem sind hie und da die zu den Bildern gehörigen erklärenden Umschriften durch den Buchbinder, der etwa im XVII. oder XVIII. Jahrh. die Hand- schrift in einen mit blauem Sammet überzogenen Einband brachte und mit Goldschnitt verzierte, beschnitten worden; von einer andern Schädigung wird bei Beschreibung der deutschen Texte die Rede sein. Zu besonderem Schutze hat der Buchbinder vorne und rückwärts eine Lage von je 8 Blättern weissen Pergaments angefügt und auch durch

110 Sitzung der philos.-philöl. Classe vom 11. Juni 1870.

Aufkleben eines gleichen Blattes das erste wie erwähnt be- schädigte Bild gegen weitere Zerstörung gesichert. Dieses Blatt trägt jetzt auf seiner Vorderseite eine wohl nach dem Binden angebrachte lateinische Inschrift, welche auf dem gegenüberstehenden letzten Blatte der genannten Ein- lage in schöner, die sogenannten gothischen Druckbuchstaben nachahmender Schrift in deutscher üebersetzung angebracht ist. Da diese Inschrift, welche dem Codex, wie es scheint, nachdem er gebunden war , beigefügt wurde , Aufklärung über die Entstehung der Handschrift gibt, so mag sie in der genannten üebersetzung hier Platz finden:

'Auss etlichen nit geringen vrsachen vud vermuettungen kan abgenommen werden, dass die Hailig Hildegard Äbtissin zu Sanct Robertsberg an dem fluss Naha nicht weit von Bingen sey ein beschreiberin und erfinderin diser gar an- dechtigen vnd gnadenreichen gebeten gewesen. Dise ist gestorben vnder Kaiser Friderichen dem ersten diss namens jm jar nach Christi geburt Tausend hundert vnd Achzig jres alters im Zway vnd achzigsten, des Sibenzeheuden Sep- tembris.*

Welcher Art die erwähnten Vrsachen vnd vermuettungen* gewesen seien , bleibt unbekannt. Dass die Handschrift in späterer Zeit hochgeachtet wurde, oder auch, dass sie Eigen- thum einer hochstehenden Persönlichkeit war, dürfte aus der oben gegebenen Beschreibung des Einbandes erhellen. Da sie indess nicht erst bei der Klösteraufhebung in die k. Staatsbibliothek kam, sondern schon der alten churfürst- lichen Bibliothek angehörte, so fehlen Angaben über ihre nähere Herkunft, und es ist aus dem Inhalte zu erforschen, ob die obige Angabe nach Zeit und Ort richtig sein kann. Nur die eine Vermuthung dürfte berechtigt erscheinen, dass sie, wenn einst das Kloster Rupertsberg ihr Eigenthümer war, nach der Zerstörung desselben durch die Schweden (1632) in den Besitz einer der pfälzisch - wittelsbachischen

Keim : Altdeutsche T>enJcmäler. 111

Linien und von da im Verlaufe der Zeit an die hiesige Bibliothek gelangte.

Bezüglich des Inhalts ergeben sieh nun folgende Schlüsse. Die Bilder sind nach dem Urtheile eines competenten Ken- ners, des Herrn Directors des german. Museums, Dr. Essen- wein, aus der Mitte des XII. Jahrhunderts. Die Schrift der lateinischen Gebete tritt ebenfills zum grösseren Theil, näm- lich bis Seite 48 mit der Ueberlieferung nicht in Widerspruch, indem sie der zweiten Hälfte des XII. Jahrhunderts angehört; von S. 49 an aber scheint der Text erst aus dem XIII. Jahr- hunderte zu stammen und also nachträglich beigefügt worden zu sein. Die deutschen Einträge Hessen sich der Sprache nach ganz gut dem XII. Jahrhundert zueignen , ihre Schrift aber neigt schon dem XIII. Jahrhundert zu. Die Mundart der letzteren steht auch der obigen Ortsbestimmung nicht entgegen, was mir nebenbei gesagt ein Grund mehr zu ihrer Wiedergabe war, da örtlich fest bestimmte Stücke, nament- lich aus so alter Zeit, für die Sprach- und besonders Mund- arten-Forschung immer von erhöhter Wichtigkeit sind. Da- gegen darf nicht verschwiegen werden , dass in Worten die sich auf die Persönlichkeit des Betenden beziehen, z. B. pec- catrix die weibliche Form auf Rasur steht; es ist indess die Correctur von kaum viel jüngerer Hand. Alle diese Umstände zusammen gerechnet darf wohl angenommen werden, dass die nach der Ueberlieferung ausgesprochene Behauptung, die Handschrift sei einst das Gebetbuch der heiligen Hildegard gewesen , auf ziemlich grosser Wahrscheinlichkeit beruhe. Näher darauf einzugehen, gestattet hier der Raum nicht, ich kann diess auch um so leichter unterlassen , da der wichtige Codex wohl sicher noch der Gegenstand genauerer Forschung werden wird. Von den zwei besondern , hier nöthigen Untersuchungen , über die kunstgeschichtliche Be- deutung desselben und über das Verhältniss der lateinischen Texte zu dem , was sonst von Schriften der heil. Hildegard

112 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 11. Juni 1870.

bekannt ist , muss ich die eine einem gründlicheren Kunst- kenner überlassen, zur andern mangelt mir die nöthige Zeit. Ich wende mich daher sofort zu den erwähnten deutschen Einträgen.

Dieselben sind zweierlei Art: 1) die einzelnen Bilder sind nicht bloss mit lateinischen, sondern auch mit deutschen Inschriften versehen , welche den Gegenstand der Darstellung angeben, und an den Rändern, oben oder unten, rechts oder links angebracht sind; 2) an drei Stellen ist frei gebliebener Raum zur Eintragung religiöser Diclitungen benützt. Von letzteren , als dem wichtigeren Theile mag hier zuerst die Rede sein. Kurz will ich zuvor erwähnen , dass die Ent- zifferung dieser drei Stücke eine ziemlich schwierige war, da durch sänimtliche Zeilen mit einer ziemlich dunklen Tinte breite, die Buchstaben fast in ihrer ganzen Höhe deckende Linien gezogen sind , durch welche irgend ein Barbar diese deutschen Texte , wohl als nicht in ein lateinisches Gebet- buch gehörend , unleserlich machen wollte. Indess scheint hie und da noch die andere Tinte durch und sind hiedurch sowie an den Spitzen der Buchstaben die Wortformen er- kennbar; in wenigen schwierigeren Fällen fand sich Hülfe, nachdem einmal erkannt war, welchem Gedichte das grösste Bruchstück angehörte. Schon Schmeller hat sich mit der Entzifferung dieser Stücke befasst, aber noch manches zu thun übrig gelassen.

Der grösste Eintrag findet sich auf Seite 70. Hier ist näm- lich eine ganze Seite frei geblieben und mit deutschem Texte ausgefüllt. Unser leider zu früh verstorbener Wackernagel, dem ich denselben, als er das letzte Mal hier verweilte, in meiner Abschrift vorlegte, erkannte sofort, dass diess ein Theil sei von der von ihm selbst und von Giaff nach der seit 1841 verschollenen Handschrift des Klosters Muri, zu- letzt von Scherer in den 'Denkmälern* als Nr. 42 heraus- gegebenen 'Sequentia de S. Maria'. Es ist davon der letzte

Seim: Altdeutsche Denkmäler. 113

Theil von V. 40 an, mit einigen Textverscliiedenheiten. Auf- fallend ist dabei, dass hier das Stück fast gerade da beginnt, wo nach ^Denkmäler p. 393' die Engel berger Abschrift, näm- lich bei V. 38 , abschliesst , weil der Verfasser des Katalogs das weitere nicht habe lesen können. Zu der Annahme, dass er nach der hiesigen Handschrift gearbeitet habe, wel- che übrigens den ersten Theil jetzt gar nicht enthält, findet sich keine genügende Stütze: es wäre diess nur in dem einen Falle denkbar, wenn man annehmen wollte, dass die hie- sige Handschrift früher auf einem besonderen Blatte den Anfang der Sequenz enthalten hätte und dass dieses Blatt aus derselben entfernt worden sei; da dieselbe aber keine Spur eines Defectes zeigt, so müsste diese Beraubung statt gefunden haben , ehe die Handschrift gebunden wurde , wo- rüber ich nicht urtheilen kann, da mir das Alter der Engel- berger Abschrift unbekannt ist. Ein anderer merkwürdiger Umstand ist, dass von den zwei einzigen Handschriften, welche dieses Stück enthalten, die eine der heil. Agnes, die andere der heil. Hildegard gehört haben soll.

Der Text nun, zu dessen sicherer Eutzifi'erung schhess- lich auch die Herren Wackernagel und Scherer noch einiges beigetragen haben , lautet , mit Beibehaltung der Zeilenab- theilung, wie folgt:

zu muter kos. Din wlrdecheit du

deine loch druge du maget vil rein[e]

daz lebendige brot daz was got selbo di si nen munt zu dinen brüsten bot unt di ne brüste in sine hende phing o woch cu ninginna waz gnaden got an dir beginc La mich genizen suanne ich dich nenne daz ich maria frowa des gelobe des an dirre chenne daz niman gudes mac des

V

verlochenen dun sis dirbarmunge moter [1870. n.l.] 8

114 Sitzung der pMlos.-phüol. Classe vom 11. Juni 1870. La mich genizen des hi beginge in dirre

V

werlende mit dirae sone du du en mit han den zu dir phinge wol du des kindes hil mir hin zu imo ich wez wol frowa daz du in senfde vindes diner bete mac dir din liber frowa(?) nimer verscien Nu bit in daz he mir waron rüen müze virlien, Daz er dur den namen dri siner mensHchen hant ge dat gnadec in den sunden si. Daz her dur den grimen dot den her leit dur di cristenheit se ä niensliche not hilf mir frowa da du sele [von m]ir scede da (= cum) mir ze dros de uon(?) ich geloven daz du bist müter unde maget beide.

Die beiden ersten Zeilen sind um einen Strich oder Buchstaben beschnitten , die letzte war mit andern Worten ausgefüllt, welche aber sorgfältig radirt sind.

Weitere Stücke ähnlichen Inhalts, die aber keinem mir bekannten Texte angehören, sind auf der 23. und 24. Seite auf freigebliebener Stelle am untern Rande eingetragen. Diese haben durch das Durchstreichen weniger als das erste gelitten. Ob sie selbständige Stücke sind, oder, wie der gleiche Schluss anzeigen könnte, zu einem grösseren Ganzen gehörten , wage ich nicht zu entscheiden. Eine besondere Eigenheit ist der tiradenmässig durchgeführte Reim auf a, wie sich einigermassen ähnliches auch in den mitteldeutschen Mariengebeten findet, welche Greith in seinem Spicilegium Vaticanum pag. 70 f. mittheilt.

pag. 23.

Aller mageda reinsda aller iuncfrowen minssamesta aller wibe bessesda aue Maria

Keinz: Altdeutsche Benkmcüer. 115

weget for mich gnedege frowa V[van?]de och minnet min herza(?) wände och lobet min zun (?) ga wände au ovch (?) diget min sela Evge (?) maget reina liether danne suuna sconer danue du morgenroda Milde wib seliga kunecliche frowa aller gnaden volla AI l[er] engt;le froweda aller heiigen mandunga aller eristenun heilfa aue Maria weget vor mich gnedege frowa

pag. 24. Reine müter milda wände mich ruwet min sunda wände svchen ich vwer gnada. E . . t

1 dog . . . weset mine sunda vnde

inzundet an mir di heiigen minua. Aller mütere seligista aller cuneginnen lussamsta aller heiigen helegista Aue M^ weget vur mich gnedega frowa ... eg.

Die erwähnten Inschriften sind grösstentheils am untern, zum Theil am äussern Rand der Bilder, ausserhalb des Um- fassungsrahmens angebracht. Einige sind fa»vt ganz verblasst und bedurften, um lesbar zu werden, besonderer AuifriscLung; einige sind etwas beschnitten. Sie dürften wohl so viel sprachliches Interesse bieten, um den Abdruck zu verdienen. Die Ziffern beziehen sich auf die Seiten, auf denen sie stehen.

2^ Daz sint du ses werck vnsers herre[n] do he di werlt

geschvf. 2^ [hi n]am vnser herro for ewä fon hern adames rippe. B hi gab he in den namen.

4 hi brachen si daz gebot unse's herren.

5 hi werscament si sich in den paradiso.

8*

116 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 11. Juni 1870.

6 Hi slük si der enge! vzze den paradiso.

7 hi sach her abraham dri engele vnde betethe einin ane.

8 hi offert her abraham sinen sün.

9 hi ir schein unser herro her in (herrin?) Moysese do

der busch inbrant was.

10 hi gab vnser herro her Moyses di ewe.

11 Hi kündet der engel vnsern herren vnser wrowen.

12 Hi gruzet unser wrowa sante Johannes Mvter.

13 Hi ist vnsers herren geburt.

14 Hi kündet der engel den hirten daz vnser herro ge-

borin ist.

15 Hi brengent di dri kunige unse'mo herren daz offer.

0

16 Hi wirdet vnser herro ge offeret in dem teplo.

0

17 . . wluwet her Joseph Mit unsermo herren vn unser

[wjrowen in egiptum for herode. 19 Hi disputirit unser herro in demo templo Mit den Juden do zewlf (so) herich waz

0

hi twfet sante Johannes unse'n h'ren

0

21 Hi wersuchet der dwwel vnse'n herren vn sprichet daz

di steine zu brode werden fon imo

0

22 hi sprichet vnser hr" zu dem dwwele ez ist gescriben

daz du dinen herren vn dinen got anebed[est] ^ demo aleine dinest

[Hi machet] unser herro daz wazzer zu wine zu der wirscheffe

23 Hi sprach unser herro zu der werlde Selinc sint di di

arm sint des gestes

0

24 Hi theilith vnser herro dw wnf broht vn di zwene

wische den wunf tusent werlde

25 Hi irloset vnser [herro] einer wrowen thoder fon demo

düwele

Keim: Altdeutsche Denkmäler. 117

26 Hi machet unser herro di wrowen ge recht di da was crunp

28 Hi machet unser hero di wrowen gesunt di da sich

was an dem blwde

0

29 Hi ist fon der wrowen di da imo vberhwre wart be-

griffen di man sol fersteinen do sprach unser herro swer ane sunde si der werfe si mith eimo steine

30 Hi quam vnser herro mwde vber einen bruvnaen unde

hiz imo eino (so) wrowen trinken geben

[hi irjloset unser herro einen menschen fon eimo dowben [djwwele unde von eimo stummen düweie

32 Hi irloset vnser herro einen menschen fo demo duwele

33 Hi ist fon den armen di des geistes arm sint vnde fo

0

den kundechin di da werwlüchint sint

34 Hi ist fon den selegin di da milde sint unde fon den

0

werwlwchedin di da zornic sint

0

35 Hi ist fon den selegin di da weinent ün fon '^'° ^" wlv-

chedin di sich frowwent der sunde

36 Hi ist fon den selegin di da hungert nach der gerech-

0

cheite vnde fon den werwluchedin di da girink sint

37 Hi ist fon den selegin di da barmerzik sint und fon

den werwluchedin di da bero . chint in de wider- wordechin ire nehistin

38 Hi bist von den di reines herzin sint ^ fon den wer-

wluchedin di da vnkusches herzin sint

39 Hi ist fon den geduldegin unde fon den Missehelledin

40 Hi ist fon den selegin di da duldent daz vnreht du

(durh?) di gerech vn fon den werwluchedin di da nach wolgent der gerechecheite

41 Hi generiht vnser herro den wazzersuthegin

42 Hi machet vnser herro zwene blinden gesehende

118 Sitzung der philos.-iyhilol. Classe vom 11. Juni 1870.

42 Hi machet unser herro einen geboriu blinden

gesehinde der fon siner geburthe blint was

44 Hi machet vnser herro zehene vzsezzegin gesunt

45 Hi ist vnser herro miht sinen iungeren uffe mere vn

wirbt ein groz sturniweder

46 Hi machet vnser herro eine thode iuncwrowwen lebendik

47 Hi machet vnser herro eine iungelink lebendik

48 Hi machet vnser herro lazarum lebendik

49 Hi thewhet sante maria magdaleua uusermo h . . . . n

0

sine wz[e?]

50 Hi kuraet unser herro zu ierusalem geriden uffe demo

esele

Hi sprichet unser herro zu sinen iungerin schewm (so) ich geben das gemerche brod der hat mich ferraden

51 Hi werchowffet iudas unserin herren umme drizek

phenninge

52 Hi thewet unser herro sinen iungerin ire fuze

53 Hi ginc unser herro vffe den berc beden vn qua[m]

unseres herren engel vn sterkchet in an der marthel 55 Hi hat iudas mith eimo küsse des menschen sün wer-

0

chowfht

Hi wuriut si in gewangen für pilatum 57 Hi werlowcheneht sante peter unsers herren Hi sted unsen herro for demo richere

59 Hi sezzent si imo di durnnin cronen vf vn werspothent

in vn halslagent in

Hi wirth he an der sule geslagen mith

60 Hi trheit unser herro daz cruze zv der marthel

62 Hi stirbet unser her (h') an demo cruze un di zewne

schechere iequeder sin einer

Hi nimet man in fon demo cruze und leid in zu grap 64 Hi ir sted unser herro fon den dothen un irloset di

sinen willen hant gethan.

Keim: Altdeutsche Denkmäler. 119

Hi kument di dri marien zu demo grabe wn

0

wellet sante Maria Magdalena [Jesu] zu wuz

65 Hi brathen vnseres herrin iungerin imo ein theil eines

wisches un ein raze honiges vn greif imo sante

0

thomas in sine wnden

66 Hi sprichet unser lierro zu sinen iungeren lat da (1. daz)

nezze zu der reihen hant so windet ir 69 Hi wert unser herro zu himele

Hi ir wllet (vullet) unser herro sine iungerin mith simo heilgin geisthe

71 Hi steut di thoden fon den greberin

Hi brenget di engle daz cruze an daz geriche

72 Ir werwluchethen (beschnitten) an

demo iungesthen dage.

Bezüglich der angewendeten Transcription mag für diese Um- schriften, die sämmtlich von einer Hand, aber von einer andern als die obigen poetischen Stücke stammen, folgendes bemerkt sein : Die Abkürzungen für er (r) und n (m) sind meist aufgelöst; statt des langen ist immer das kurze s gesetzt; der häufig stehende Strich über dem i wurde weggelassen ; in den Stellen von f. 10 und 42 hat das 10 in der Handschrift drei Schattenstriche; auf f. 25 fehlt herro in der HS.; statt ü hat die HS. häufig v mit übergeschriebenem o; auf f. 37 ist in bero . chint (gloriantur) das h aus h hergestellt und das o nicht sicher, es scheint hinter demselben noch ein Strich zu stehen; vn = vnde (f. 64 wn) hat immer den Strich über sich. Wo auf einem Blatte Inschriften auf beiden Seiten vorkommen , ist oben die der zweiten Seite eingerückt. Schliesslich mag noch bemerkt werden, dass die Bilder der HS. mit wenigen Worten erwähnt sind von Kugler in seinem Museum Bd. H (1834) S. 1G5 unter Nr. 23.

120 Sitzung der philos.-phihl. Classe vom 11. Juni 1870.

Herr Plath hielt einen Vortrag

„Ueber die Schüler und Nachfolger des Con- fucius" als Fortsetzung seiner früheren Abhandlung „über des Con- fucius Leben und Lehren."

Die Classe genehmigte die Veröffentlichung in den Denkschriften der Akademie.

Historische Classe.

Sitzung vom 11. Juni 1870.

Herr v. Löher hielt einen Vortrag ,,Ueber Helmkleinode" als Bestandtheil einer grösseren Abhandlung über Entstell- ung und Ausbildung der Wappen.

Berichtigung.

Seite 8 Zeile 1 von oben lies Fe Fe statt FeP 1

Einsendungen von Druckschriften. 121

Einsendungen von Druckschriften.

Von der Je. l: geologischen Eeichsanstalt in Wien:

a) Die fossilen Molusken des Tertiär - Beckens von Wien. Von Dr. Mor. Hörnes. 2. Bd. Nr. 9. 10. Bivalven. 1870. g. 4.

b) Jahrbuch. Jahrg. 1870. 20. Bd. Nr. 2. April, Mai, Juni. 8.

c) Verhandlungen. Nr. 6. 1870. 8.

Von der antiquarischen Gesellschaft in Zürich:

Mittheilungen. Bd. 16. Abthl. I. Heft 3. 4. und Abthl. II. Heft 4. 1869. 4.

Von dem physikalischen Verein zti Frankfurt a/M.: Jahresbericht für das Eechnungsjahr 1868 1869. 3.

Von der deutschen morgenländischen Gesellschaft in Leipzig:

Abhandlungen für die Kunde des Morgenlandes. 5. Bd. Nr. 3. Ueber das Saptafatakam des Häta. 1870. 8.

Von der k. k. patriotisch-ökonomischen Gesellschaft in Prag:

Centralblatt für die gesammte Landeskultur. 21. Jahrg. der neuen Folge. 2. Jahrg. 4. 5. 6. 7. 8. Heft. April August 1870. 8.

Vom historischen Verein für Niederbayern in Landshut: Verhandlungen. 14. Bd. 1. 2. Heft. 1869. 8.

122 Einsendungen ton Bruckschriften.

Vom historischen Verein in Bamberg:

31. Bericht über das Wirken und den Stand des Vereins im Jahre 1868. 1869. 8.

Von der astronomischen Gesellschaft in Leipzig: Vierteljahrsschrift. 5. Jahrg. 3. Heft. 1870. 8.

Von der Universität in Heidelbefg :

Heidelberger Jahrbücher der Literatur unter Mitwirkung der 4 Fakul- täten. 63. Jahrg. 4. 5. 6. 7. Heft. April— Juli 1870. 8.

Von der Gesellschaft der Aerzte in Wien: Medicinische Jahrbücher Zeitschrift. 26, Jahrg. 2. 3. Heft. 1870. 8.

Von der Gesellschaft für pommersche Geschichte und Älterthumskunde

in Stettin:

Baltische Studien. 23. Jahrg. 1869. 8.

Von der Bedaktion des Correspondenz-Blattes für die Gelehrten und Realschulen Württembergs in Stuttgart:

Correspondenz-Blatt. 17. Jahrg. 1870. Nr. 4. Juli. August 1870. 8.

Von der bataviaasch Genootschap van Künsten en Wetenschappen in Batavia:

a) Verhandelingen. Deel 33. 1868. 4.

b) Tijdschrift voor indische Taal-Land-en Volkenkunde.

Deel 16. Vijfde Serie. Deel 2. Aflevering 2—6.

») ■'•'• n )) n 3. 1 6.

18. 4. 1. 1866—68. 8-

c) Catalogus der ethnologische afdeeling van het Museum van het Bataviaasch Genootschap. 1868. 8.

d) Notulen van de algemeene en Bestuurs-Vergaderingen van het Bataviaasch Genootschap. Deel. IV. Aflev. 2. V. 1867. VI. 1868. VIT. 1869. Nr. 1. 8.

e) Catalogus der numismatische afdeeling van het Museum van Bataviaasch Genootschap. 1869. 8.

Einsendungen von Druckschriften. 12.3

Vom B. Comitato Geologico D' Italia in Florenz: Bolletino Nr. 6. Giugno 1870. 8.

Vom Instituto historico geographico e etlmographico do Brasil in Bio de Janeiro:

Kevista trimensal do Instituto historico Tomo 32. Parte 1. 2. I«. Trimestre. 1870. 8.

Von der Äcademie roydle des sciences, des lettres et des heaux-arts de Belgique in Brüssel:

Bulletin. 89. annee. 2. serie. tomo 30. Nr. 7. 8. 1870. 8.

Vom Beale Istituto Veneto di scienze lettere ed arti in Venedig : Atti. Tomo decimoquinto, serie terza. Dispensa settima. 1870. 70. 8.

Von der Äcademie imperiale des sciences in St. Petersburg:

a) Memoires. 7. Serie. Tom. 15. Nr. 5—8. 1870. 4.

b) Bulletin. Tom. 15. Nr. 1. 2. 1870. 4.

Von der kongelige NordisJce Oldskrift-SelsJcab in Kopenhagen:

a) Aarboger for nordisk oldkyndighed og historie. 3. 4. Hefte 1869. 1. Hefte 1870. 8.

b) Tillaeg til aarboger, Aargang 1869. 1870. 8.

Von der Societe royale des antiquaires du Nord in Kopenhagen: Memoires. Nouvelle serie 1869. 8.

Von der Accademia pontifica de nuovi Lincei in Born: Atti. Sessione 1—7. Decembre 1868— Giugno 1869. 4.

Von der koninklijke natnurkundige Vereeniging in Nederlandsch Jndie in Batavia : Natuurkundig Tijdschrift. Deel 31. Zevende Serie. Deel 1. Afle- vering 1—3. 1869. 8

Von der Societe Hollandaise des sciences in Harlem:

a) Verhandelingen 3. Serie. T. I. 1. 2. 1870. 4.

b) Archives Neerlandaises. Tom. V. 1. 2. 3. Livraison 1870. 8.

124

Einsendungen von Druckschriften.

Von der Societa italiana di scienze naturali in Mailand: Atti. Yol. 12. Fascicolo 3. 4. 1870. 8.

Von der Äcademie des sciences in Paris: Comptes rendus hebdomadaires des seances. Tom. 70. Nr. 25. 26. Juin. Tom. 71. Nr. 1—3. Juillet 1870. 8.

Von der Je. Gesellschaft der Wissenschaften in Kopenhagen: Oversigt over det Forhandlinger i. Aaret 1868. Nr. 6. 1869. Nr. 4. 1870. Nr. 1. 8.

Von der Commission imperiale archeologiqiie in St. Petersburg: Compte-reudu pour l'annee 1868. Avec un atlas. 1869. Fol.

Von dem Bureau de la recherche geologigue de la Suede in Stockholm: Sveriges geologiska undersökning offentlig bekostnad utförd under ledning afA. Erdmann, Bladea 31—35 de la Carte geologique de la Suede: „Upsala, Örbyhus, Svenljunga, Amäl, och Balders- näs samt geologisk översigtskarta öfver bergarterna Ostra Dal. 1870. 4

ff.lr-

Vom Herrn J, Ä. Grunnert in Greifsicald : Archiv der Mathematik und Physik. 52. Thl. 1. Heft. 1870. 8.

Vom Herrn Hermann Eolbe in Leipzig:

Journal für praktische Chemie. Neue Folge. Bd. 2. Heft 1. 8. 4, 1870. 8.

Vom Herrn F. C. Noll in Frankfurt a/M. : Der zoologische Garten. Zeitschrift für Beobachtung , Pflege und Zucht der Thiere. 11. Jahrg. 1870. Nr. 1—6. Januar— Juni. 8.

Vom Herrn Karl von Weber in Dresden: Archiv für sächsische Geschichte. 8. Bd. 4. Heft. 9. Bd. 1. Heft. 1870. 8.

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Sitziiiigsbericlite

der

königi. bayer. Akademie der Wissenschaften.

Mathematisch-physikalisclie Classe.

Sitzung vom 2. Juli 1870.

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1.U

ige lud

Herr Buchner macht eine vorläufige Mittheilung über eine Arbeit des Herrn Professors H. Spirgatis in Königsberg:

„lieber das Harz der Tarapico-Jalape."

Ausser der officinellen Jalapenwurzel von Ipomoea Pnrga Wenderoth und der stängeligen von Ipomoea Ori^ohensis Pelle tan wird seit einiger Zeit aus Mexiko eine dritte Jalapensorte über Tampico unter dem Namen Tampico- Jalape ausgeführt, deren Mutterpflanze zwar bis jetzt un- bekannt^) ist, deren Aeusseres jedoch mit Sicherheit schliessen lässt, dass auch sie von einer Convolvulacee herstamme.

Die Tampico- Jalape kommt nämhch in der echten Jalape sehr ähnlichen, ganzen, birnförmigen oder kugligen, schweren,

1) Herr Daniel Hanbury in London hat vor Kurzem die Pflanze, welche die Tampico - Jalape liefert , im Linnean Society's Journal, vol. XI, beschrieben und dieselbe Ipomoea simularis genannt.

Buchner. [1870. II. 2] 9

124 Einsendungen von Druckschriften.

Von der Societa italiana di scienze naturali in Mailand: Atti. Vol. 12. Fascicolo 3. 4. 1870. 8.

Von der Äcademie des sciences in Paris: Comptes rendus hebdomadaires des seances. Tom. 70. Nr. 25. 26. Juin. Tom. 71. Nr. 1—3. Juillet 1870. 8.

Von der Je. Gesellschaft der Wissenschaften in Kopenhagen: Oversigt over det Forhandlinger i. Aaret 1868. Nr. 6. 1869. Nr. 4, 1870. Nr. 1. 8.

Von der Commission imperiale archeologique in St. Petersburg : Compte-rendu pour l'annee 1868. Avec un atlas. 1869. Fol.

Von dem Bureau de la recherche geölogique de la Suede in StocTcholm : Sveriges geologiska undersökning oflfentlig bekostnad utförd under ledning afA. Erdmann, Bladen 31—35 de la Carte geölogique de la Suede: „Upsala, Örbyhus, Svenljunga, Amäl, och Balders- näs samt geologisk översigtskarta öfver bergarterna pa Ostra Dal. 1870. 4

Vom Herrn J. A. Grunnert in Greifswald : Archiv der Mathematik und Physik. 52. Thl. 1. Heft. 1870. 8.

Vom Herrn Hermann Kolhe in Leipzig: Journal für praktische Chemie. Neue Folge. Bd. 2. Heft 1. 8. 4. 1870. 8.

Vom Herrn F. C. Noll in Frankfurt a/M. : Der zoologische Garten. Zeitschrift für Beobachtung , Pflege und Zucht der Thiere. 11. Jahrg. 1870. Nr. 1—6. Januar— Juni. 8.

Vom Herrn Karl von Weber in Dresden: Archiv für sächsische Geschichte. 8. Bd. 4. Heft. 9. Bd. 1. Heft.

1870. 8.

Sitziiiigsbericlite

der

königi. bayer. Akademie der Wissenscliaften.

Mathematisch -physikalische Classe.

Sitzunor vom 2. Juli 1570.

Herr Bucliner macht eine vorläufige Mittheilung über eine Arbeit des Herrn Professors H. Spirgatis in Königsberg:

..Ueber das Harz der Tampico-Jalape."'

Ausser der officinellen Jaiapenwurzel von Ipomoea Fnrga Wenderoth und der stängeligen von Ipomoea Orisahensis Pelletan wird seit einiger Zeit aus Mexiko eine dritte Jalapensorte über Tampico unter dem Xamen Tampico- Jalape ausgeführt, deren Mutterpflanze zwar bis jetzt un- bekannt^) ist. deren Aeusseres jedoch mit Sicherheit schliessen lässt, dass auch sie von einer Convolvulacee herstamme.

Die Tampico-Jalape kommt nämlich in der echten Jalape sehr ähnlichen, ganzen, birnförmigen oder kugligen, schweren,

1) Herr Daniel Hanbury in London hat vor Kurzem die Pflanze, welche die Tampico - Jalape liefert , im Linnean Society's Journal, vol. XI, beschrieben und dieselbe J/^omoea st/nM?n?is genannt.

Buchner. [1870. IL 2 ] 9

126 Sitzung der math.-phys. (Jlasse vom 3. Jtüi 1870.

dunkelbraunen Knollen und in zerschnittenen Stücken grösserer, leichterer und hellerer Knollen vor. Zwar sind die ganzen Knollen meist weniger warzig, als diejenigen der echten Jalape und innen dunkler gefärbt, allein darauf ist nicht viel Gewicht zu legen. Von grösserem Belang ist es schon , dass diesen Knollen stets eine grosse ]\Ieuge von bis halbfusslangen, bis vier Zoll dicken, an beiden Enden verschmälerten, bisweilen der Länge nach gespaltenen, leichten, aussen schwarzbraun- runzligen , innen weiss-mehligen Stolonen beigemischt ist, welche häufig fast die Hälfte der Drogue ausmachen.

Die Untersuchung des in dieser Drogue enthaltenen Harzes, so wie die Vergleichung der Resultate dieser Unter- suchung mit den für das Harz der echten Jalape, das Couvolvulin,-) erhaltenen bildet den Gegenstand dieser Mit- theilung, Man gewinnt das Tampicoharz, welchem ich den Namen Tampicin beigelegt habe, nach Erschöpfung der Wurzel mit Wasser durch Ausziehen derselben mit Alkohol und reinigt es nach Entfernung des Alkohols durch Waschen und Auskochen mit Wasser, Wiederauflösen in Alkohol und Entfärben mit Kohle.

Die Eigenschaften des Tampicin gleichen im Allgemeinen denen des Convolvulin. Dasselbe ist durchscheinend, farblos oder von schwachem Stich ia's Gelbe, spröde, geruch- und geschmacklos, in Alkohol und Aether leicht löslich. Durch seine Löslichkeit in Aether unterscheidet es sich zunächst von dem Convolvulin,^) von dem in Aether ebenfalls löslichen Jalapin , dem Harze der stängeligeu Jalape, ist es in der

2) Kays er, Annal. d. Chem. u. Pharm. LI, 81; W. Mayer, ebenda LXXXIII, 121 und XCV, 129.

3) Bisweilen scheint diese Drogue mit den Knollen anderer Convolvulaceen, vielleicht denen der echten Jalape vermischt vor- zukommen. Aus einer Probe von Tampico-Jalape erhielt ich nämlich ein HarZ; welches in Aether nur theilweise löslich war.

Spirgatis: Das Harz der Tampico-Jalape. 127

Zusammensetzung verschieden. Die alkoholischen sowie die ätherischen Lösungen reagiren schwach sauer.

Von starken Basen wird es wie das Convolvulin unter Aufnahme von Wasser in eine in Wasser lösliche Säure, die T am picin säure, verwandelt.

Von starken Säuren , wie Salzsäure , Salpetersäure, Schwefelsäure, wird es, wenn man dieselben in verdünntem Zustande einwiiken lässt, bei gewöhnlicher Temperatur lang- sam, schneller in der Wärme zuerst aufgelöst und dann in Zucker und eine fettartige Säure, die Tampicolsäure zerlegt. Das Tam picin gehört also wie das Convolvulin zu den Glukosiden, den gepaarten Zuckerverbindungen. Auch färbt concentrirte Schwefelsäure das Tampicin ebenfalls anfangs gelb und löst es dann unter schön rother Färbung, die allmählig in Braun übergeht.

Auch in letzterer Flüssigkeit lässt sich, wenn sie mit Wasser verdünnt wii'd, Zucker und Tampicolsäure nach- weisen.

Nicht minder zeigt Essigsäure gegen Tampicin dasselbe Verhalten, als gegen Convolvulin. Diese Säure löst nämlich das Tampicin zwar schon in der Kälte leicht auf, bewirkt aber selbst beim Kochen keine Spaltung desselben, denn wenn man es nach dem Kochen mit Wasser verdünnt, scheidet sich wieder sämmtliches Harz aus.

Auch hat das Tampicin mit dem Convolvulin gemein- sam, dass seine alkoholische Lösung fast durch keines der gewöhnlichen Metallsalze verändert wird.

Gegen Wärme hingegen ist das Tampicin weit empfind- licher, als das Convolvulin. Wird es nämlich eine Zeit lang in geschmolzenem Zustande erhalten, so stösst es Geruch aus, färbt sich gelb und endlich braun und selbst nur längere Zeit einer Temperatur von 100'' ausgesetzt, erleidet es eine ähnliche Zersetzung. Dagegen kann es ohne eine bemerkens-

r

128 Sitzung der math.-phys. Classe vom 2. Juli 1870.

werthe Veränderung zu erfahren schnell bei 100'^ im luft- verdünuten Raum getrocknet werden.

Sein Schmelzpunkt liegt bei etwa 130° G.

Auf Platinblech erhitzt verbrennt es wie das Convolvulin mit heller russender Flamme.

Die Elementaranalyse des bei 100° C. im Vacuum ge- trockneten Harzes ergab im Mittel von einigen Versuchen die Zahlen :

C 59.45 H 7,94, aus welchen sich mit Rücksicht auf die Spaltungsprodukte die Formel:

C3.

H.

0.

berechnen lässt.

Ca.

408

59,48

H5.

54

7,87

o„

224

32,65

686 100,00

Für das Convolvulin stellte Mayer die Formel

C3, H^ 0,3 auf.

Ausser durch sein Verhalten zu Aether unterscheidet

sich hienach das Tampicin von dorn Convolvulin auch durch

seine elementare Zusammensetzung.

Tampicinsäure.

Diese Säure, in welche, wie schon bemerkt, das Tampicin durch Einwirkung von starken Basen übergeht, ähnhch wie sich das Convolvulin unter denselben Umständen in Convol- vuHnsäure verwandelt, kann folgendevmassen dargestellt werden.

^lan löst das gereinigte Harz in der Wärme in Baryt- wasser, entfernt den Baryt aus der Flüssigkeit mittelst

Spirgatis: Das Harz der Tampico-Jalapc. 129

Schwefelsäure, scheidet die überschüssige Schwefelsäure durch Bleizuckerlösung ab, das gelöste Blei durch Schwefelwasser- stoff und reiüigt durch öfteres Lösen in Wasser und Ab- dampfen.

Die Tampicinsäure ist sowohl ihrem Aeusseren, wie ihren Eigenschaften nach der Convolvulinsäure ähnlich. Sie stellt eine amorphe, gelblich gefärbte, glänzende, durch- scheinende, spröde Masse dar. Geruchlos, von säuerlich- bitterlichem Geschmack. An der Luft zieht sie mit Begierde Feuchtigkeit an. In Wasser und Alkohol ist sie leicht lös- lich; diese Lösungen reagiren stark sauer. In Aether ist sie kaum in Spuren löslich. Aus den kohlensauren Ver- bindungen der Alkalien treibt sie die Kohlensäure aus.

Weder die Salze der alkalischen Erden, noch schwefel- saures Kupfer, salpetersaures Silber, schwefelsaures Cadmium, schwefelsaures Zink, Platinchlorid verändern die wässrige Lösung der Tampicinsäure. Nur Lösungen von Bleizucker und von Aetzsublimat erzeugen weisse Trübungen und Blei- essig bewirkt eine weiss-flockige voluminöse Fällung. Beim Erhitzen an der Luft verbrennt sie mit heller Flamme ohne einen Rückstand zu hinterlassen.

Nachdem sie, um eine Zersetzung zu vermeiden, im luft- verdünnten Piaume bei etwa 90" C. getrocknet worden war, zeigte sie im Mittel von zwei Versuchen folgende Zusammen- setzung :

C 55,18 H 8,06,

aus

welcher

sich

die Formel Cg^

Hßo

0^7 berechnen

lässt.

Cb.

408

55,14

Hbo

60

8,11

o„

272

36,75

740 100,00

Die Tampicinsäure entsteht hienach aus dem Tampicin durch Aufnahme von 3 Hg 0.

130 Sitzung der matli.-pliys. Classe vom 2. Juli 1870.

W, Mayer fand in der bei 100° getrockneten Con- volvulinsäure

52,60 Kohlenstoff 7,92 Wasserstoff

und berechnete daraus die Formel C^^ H^^ O^g + 1 Va H^ 0.

Spaltungsproducte des Tampicin.

Schon Eingangs dieser Mittheilung ist erwähnt worden, dass das Tampicin, wie das Convolvulin zu den Glukosiden gehört, indem es in Zucker und eine fettartige Säure, welche ich Tampicolsäure genannt habe, gespalten werden kann.

Diese Zerlegung kann man auf dieselbe Weise, wie Mayer sie bezüglich des ConvolvuHn bewirkt hat, nämlich durch Behandlung von freier Tampicinsäure oder von tampiciu- saurem Alkali oder Baryt mittelst Salzsäure bewerkstelligen; oder man kann auch die Säure auf das Harz selbst ein- wirken lassen und es verdient besonders hervorgehoben zu werden, dass das Tampicoharz auf letztere Weise weit leichter gespalten wird , als das Convolvulin und die übrigen Con- volvulaceenharze. Es genügt für diesen Zweck. Tampicin mit Salzsäure einige Tage gelinde zu digeriren. Die Tampicol- säure ist dann in Gestalt gelblicher Flocken und körniger Massen ausgeschieden , während der Zucker sich in der Flüssigkeit befindet und durch die Trommer'sche Probe nachgewiesen werden kann.

Die rohe Tampicolsäure reinigt man durch Waschen und Schmelzen mit Wasser, Behandeln der weingeistigen Lösung mit Kohle und Umkrystalhsireu aus wässrigem W^eingeist.

Ebenso, wie Tampicin und Convolvulin, Tampicinsäure und Convolvulinsäure einander in ihren Eigenschaften gleichen, ist es auch mit der Tampicolsäure und Convolvulinolsäure der Fall. Die Tampicolsäure ist schneeweiss und besitzt bei

Spirgatis: Bas Harz der Tampico-Jalape. 131

SOOfaclier Vergrösserung die Form von aus feinen Nadeln bestehenden Büscheln. Sie ist geruchlos, von etwas scharfem Geschmack, in Alkohol leicht, schwerer in Aether löslich. Beide Lösungen reagiren deutlich sauer. In der Wärme schmilzt sie zu einer schwach gelblich gefärbten , ölartigen Flüssigkeit, welche auf Papier Fettflecke erzeugt und beim Erkalten zu einer harten weissen strahlig-kr/stallinischen Masse erstarrt. Bei abgehaltener Luft erhitzt zersetzt sie sich unter Verbreitung von weissem, Augen und Xase heftig reizendem Rauche und unter Hinterlassung von etwas Kohle. Bei Luftzutritt ist sie mit gelblicher, russender Flamme ohne Rückstand verbrennlich. Ihre alkoholische Lösung vermag aus den kohlensauren Verbindungen der Alkalien die Kohlen- säure auszutreiben.

Ich habe der im Vacuum getrockneten Säure die Formel Ci6 H32 O3 gegeben.

Die Convolvulin Ölsäure besitzt nach Mayer die Formel C13 H24 Ö3

"Was die Salze der Tampicolsäure anlangt, so sind die- jenigen, welche sie mit den Alkalimetallen bildet, in Wasser löslich ; diejenigen der Erdalkalimetalle hingegen und ihre Verbindungen mit den schweren Metallen sind in Wasser meist schwer- oder unlöslich.

Das Natriumsalz, welches eine weisse aus mikroskopischen Nadeln und Blättchen bestehende Masse bildet , hat die Formel C^g B.^^ Na O3 .

berechnet

gefunden

192 70,59

70,57

32 1L77

11,86

48 17,64

272 100.00

132 Sitzung der math.-phys. Classe vom 2. Juli 1870.

berechnet

gefunde

192

65,31

65,11

Hsi

31

10,54

10,68

Na

23

7,82

7,75

Ob

48

16,33

294 100^00

Die Aethylvei'bindung, welche in durchscheineuden rhom- bischen Tafeln krystallisirt, fand ich in 100 Theilen zusammen- gesetzt aus

C 72,05 H 12,03

die Formel C^g Hg^ ( Cg H^ ) 0, verlaugt:

C 72,00

H 12,00

0 16,00

100,00

üeberblicken wir schHesslich die Resultate dieser Unter- suchung noch einmal , so ergiebt sich , dass das Harz der Tampico-Jalape, das Tampicin, zwar wie das Harz der echten Jalape, das Convolvulin, zu der Classe der gepaarten Zucker- verbiudungeu, der Glukoside gehört, dass es sich aber von diesem nicht nur durch seine völlige Löslichkeit in Aether, sondern auch durch seine Constitution unterscheidet.

Sein Spaltungs - Process kann durch die Gleichung C34 H^ 0,, + 7 H, 0 =. C,, H3.3 O3 + 3 (C, H,, OJ ausgedrückt werden.

Was die medicinische Wirksamkeit des Tampicin an- langt, so scheint dieselbe, wenigstens nach Versuchen, welche in der hiesigen Klinik angestellt worden sind , zwar der des echten Jalapenharzes ähnlich , jedoch minder sicher zu sein.

Spirgatis: Das Harz der Tampico-Jalape. 133

Aber selbst angenommen, die Wirkung des Tampico- hai'zes auf den Organismus sei identisch mit derjenigen des Convolvuliu, so würde sich die Verwendung dieser neuen Drogue an Stelle der officinellen Jalape in praktischer Hinsicht doch keineswegs empfehlen. Denn trotzdem , dass der Handels-Werth derselben im Verlauf weniger Jahre auf fast ein Dritttheil des früheren gesunken ist, stellt sich der Preis des Tampicin, des geringeren Harzgehaltes der Wurzel halber und wenn man die bedeutend grössere Menge des zur Extraction aufzuwendenden Weingeists in Betracht zieht, doch immer noch höherj als derjenige des Convolvulin.

134 Sitzung der math.-phys. Glasse vom 2. Juli 1870.

Herr Beetz übergibt eine Abhaudluüg des Herrn Wilh. V. Bezold:

,, Untersuchungen über den Elektrophor."

Vor einiger Zeit machte mich Herr Prof. Beetz ge- sprächsweise darauf aufmerksam, dass die Versuche über das elektrische Verhalten eines Elektrophorkuchens nicht immer mit jener Sicherheit gelingen, welche man bei einem Apparate erwarten sollte, dessen Functionen man vollkommen zu kennen glaubt. Da ich damals gerade mit meinen vor Kurzem beschriebenen Versuchen über die elektrische Entladung beschäftigt war, und deshalb das empfindliche Pulvergemisch aus Schwefel und Mennige bei der Hand hatte , so lag es mir nahe, dieses Gemisch sofort zur Prüfung des Elektrophor- kuchens anzuwenden. Ich kam dabei nicht nur zu der Ueber- zeugung, dass mau in diesem Pulvergemische wirklich ein vortreffliches Mittel besitzt, um das Spiel dieses Apparates zu erforschen, sondern auch zu der anderen, dass dieses Spiel noch lauge nicht so vollständig ergründet ist, als man im Allgemeinen annimmt.

Die einzige dem heutigen Standpunkte der Wissenschaft entsprechende Untersuchung über den Elektrophor stammt bekanntlich von Riess^) her, und seine Theorie des Apparates ist es, welche man in allen Lehrbüchern wiederfindet.

Diese Theorie besteht im Wesentlichen darin, dass sich in dem Elektrophorkuchen während des Reibens drei Schichten bilden : zwei gleichnamige an den beiden Oberflächen und eine entgegengesetzt elektrische im Innern. Von diesen drei Schichten soll die eine auf die Bodenplatte übergehen.

1) Die Lehre von der Reibungselektricität Bd. I S. 291 305,

V. Bezold: Der EleJctrophor. 135

so dass nur mehr zwei ungleichnamige auf dem Kuchen zurückbleiben , durch deren Zusammenwirken sich alsdann sämmtliche Erscheinungen nach bekannten Gesetzen erklären lassen. Zwischen Kuchen und Schild soll kein Uebergaug von Elektricität statt finden , wenigstens nicht so lange, iJs die Elektrisirung des Kuchens eine bestimmte Grenze nicht überschreitet.

Diese Theorie enthält zwei sehr bedenkliche Punkte:

Erstens lässt sich der Versuch, aufweichen Riess seine Annahme von den drei Schichten stützt, ebensogut andtrrs und zwar eintacher erklären , als es von ihm geschehen ist, und

zweitens sieht mau ohne besondere Begründung durch- aus nicht ein , weshalb ein Uebergang von Elektricität nur zwischen Kuchen und Bodenplatte nicht aber zwischen Schild und Kuchen statt finden soll.

Im Folgenden soll nun zuerst gezeigt werden, dass der ersterwähnte Versuch wirklicli anders erklärt werden muss. Dann aber soll eine neue Theorie an der Hand der Versuche aufgestellt werden, bei welcher auch der zweite Punkt eine einfache Erledigung finden wird.

Vor Allem muss ich jedoch eine kurze Erörterung über die Methoden vorausschicken, welche man bei derartigen Unter- suchungen anwenden kann, um Klarheit zu gewinnen über die Bedeutung, welche das Pulvergemisch für diesen Zweck besitzt.

Diese Betrachtung soll deshalb als erster einleitender Abschnitt den beiden anderen eben bezeichneten vorangehen.

§ 1. Um das Verhalten der einzelnen Theile eines elektrisirten Isolators zu untersuchen, hat man bisher vor- zugsweise zwei Hülfsmittel angewendet. Man hat nämlich entweder den Köri^er direct an ein Elektroskop angelegt, oder wenn diess unthuulich war, eine Probescheibe zur Ueber- tragung benützt.

136 Sitzung der math.-phys. Classe vom 3. Juli 1870.

Die Angaben, welche man auf diese Weise erhält, müssen mit grosser Vorsicht benützt werden , wenn sie nicht zu Fehlschlüssen führen sollen.

Gesetzt man erhalte nach Anlegen eines elektrisirten Körpers (etwa eines Elektrophorkuchens) an den Knopf eines Elektroskopes einen positiven Ausschlag, so darf man daraus noch durchaus nicht den Schluss ziehen , dass sich an der untersuchten Stelle des betreffenden Kör^jers wirklich positive Elektricität befinde.

Ein solcher Ausschlag lehrt nur, dass an der betreffenden Stelle negative Elektricität angezogen und positive abge- stossen wird. Bleibt der Ausschlag bestehen auch nach Entfernung des Körpers, so ist zugleich entweder positive Elektricität auf das Elektroskop oder negative auf den Körper übergegangen.

Man erfährt demnach durch das Elektroskop nur den Sinn der an dem betreffenden Punkte wirkenden Kraft- componente. Zu noch viel grösseren Fehlschlüssen kann die Anwendung der Probescheibe führen. Eine solche kann be- kanntlich auf zweierlei Weise benützt werden , entweder berührt man mit der beständig isoHrten Scheibe zuerst den zu prüfenden Körper und dann das Elektroskop, oder mau verbindet dieselbe während der ersten Berührung einen Augen- blick leitend mit der Erde. Im ersteren Falle kann es ein- treten, dass die abgehobene Scheibe gar keine Elektricität besitzt, selbst wenn an der berührten Stelle, welche vor- handen, oder anderweitig verthoilte Mengen wirklich eine Scheidungskraft an der fraglichen Stelle ausgeübt hätten- Es handelt sich nämlich hiebei einzig und allein darum, ob die Kraft, welche zwischen dem Isolator und der Probe- scheibe thätig ist, hinreichende Stärke besitzt, um einen üebergang von Elektricität zwischen beiden zu gestatten. Nur wenn diess der Fall ist, kann man auf diesem Wege überhaupt eine elektroskopische Anzeige erhalten, welche

V. Bezolä: Der Elelctrophor. 137

aber alsdann wiederum nichts anderes angibt als die Richtung der Kraft, welche normal zur Probescheibe wirksam war.

Die andere Art der Prüfung mit Hülfe der Scheibchen ist vorzugsweise dann anwendbar, wenn die wirkenden Kräfte zu klein sind um einen Uebergaug zwischen Körper und Scheibe zu gestatten. Dann wird die abgestossene Elektricität durch die mit der Erde verbundene Leitung entfeint, und nur die angezogene bleibt zurück und giebt alsdann einen Ausschlag am Elektroskope. War hingegen die Wirkung auf das Scheibchen zu stark, so wird die dünne Luftschicht zwischen dem zu prüfenden Körper und der Probescheibe von Funken durchbrochen und man erhält nachher keine oder zu schwache Anzeigen von Elektricität. SelbstverständHch erhält man auch hiebei nur Angaben über den Sinn der wirkenden Kraft ohne irgend welche Andeutung über den Sitz derselben. Rückschlüsse auf die Grösse dieser Kraft sind vollkommen unzulässig, da man niemals mit Sicherheit wissen kann , ob in dem betreffenden Falle die dünne trennende Luftschicht als vollkommener Isolator gewirkt hat oder ob sie von Funken durchbrochen wurde.

Aber abgesehen von dieser Unsicherheit ist die Prüfung mit der abgeleiteten Probescheibe noch von einem anderen grossen üebelstande begleitet. Auf einer solchen Scheibe ist nämlich immer der Werth der Potentialfuuction gleich Null. Hat man nun Elektricität nur auf Nichtleitern vertheilt d.h. an feste Punkte gebunden , so wird durch Annäherung einer solchen Scheibe zwar nicht die Anordnung aber doch im All- gemeinen die Kraftrichtung allenthalben geändert. Ist hin- gegen ausserdem noch auf Leitern Elektricität vertheilt, so erfährt auch die Anordnung dieser Elektricitätsmengen durch Annäherung der abgeleiteten Probescheibe wesentliche Ver- änderungen. Es beziehen sich demnach alle Angaben, welche man mit Hülfe solcher abgeleiteter Scheibchen auch im

138 Sitzuvg der math.-phys. Classe vom 2. Juli 1870.

günstigsten Fall erhalten kann, nur auf das durch die An- wesenheit des Scheibchen mehr oder weniger stark modificirte System von Kräften.

Viel günstiger gestalten sich die Verhältnisse bei An- wendung des empfindlichen Pulvergemisches als Prüfungs- körper.

Man erfährt vermittelst desselben zwar zunächst auch nur den Sinn der in die Normale der bestreuten Fläche fallenden Componente. d. h. man weiss, an den vom gelben Schwefel bedeckten Stellen wird negative Elektricität gegen die Fläche hingezogen, an den von der rothen Mennige be- deckten, positive. Aber man hat dabei den unberechenbaren Vortheil, dass man dieses Resultat nicht nur für einen einzigen Punkt , wie bei direkter Anwendung des Elektroskopes oder nur als Mittelwerth für ein grösseres Flächenstück, wie bei der Probescheibe erhält , sondern , dass sich das elektrische Verhalten jedes einzelnen Punktes ausgedehnter Flächen mit einem einzigen Blick übersehen lässt. Ausserdem gestattet die eigenthümliche Anordnung dieser Pulver meist einen ziemlich sicheren Rückschluss auf den Sitz und die Entstehung der wirkenden Elektricitätsmengen.

Eine geriebene Fläche zeigt nach dem Bestäuben Streifen, welche die Richtung des Reibens angeben. War Elektricität durch Funkenentladung auf die Fläche übergegangen, so erhält man eigentliche Staubfiguren, nach Ghmmentladungen Staubflecke. Hat man es hingegen mit den Folgen von Fernwirkung zu thun, so findet man grössere Flächenstücke mit ein und demselben Pulver ziemlich gleichförmig bedeckt. Die kleinste Einwirkung störender Einflüsse benachbarter Körper, einer Spitze u. s. w. wird dem Auge sofort wahr- nehmbar, und wer sich die Mühe geben will die später be- schriebenen Versuche mit einer guten (glänzenden) Ebonit- platte zu wiederholen, der wird sich des Staunens nicht

V. Bezold: Der EleJdrophor. 139

erwehren können über die Einfachheit und Präcision des genannten Hülfsmittels und über die Schönheit der Er- scheinungen.

Ebenso wird man sich überzeugen, dass die mit den früher angewendeten Hülfsniittebi erhaltenen Resultate eben wegen solcher localer Störungen stets mit grosser Unsicher- heit behaftet sein müssen.

Man kann in dieser Hinsicht folgende recht lehrreiche Versuche anstellen, welche vortreffliche Gelegenheit bieten, die verschiedenen hier erwähnten Punkte zu studireu :

Führt man auf die eine Fläche einer Ebonitplatte, welche auf isolirende Stützen gelegt und ausserhalb des Wirkungs- kreises von Spitzen gebracht ist, mit Hülfe einer als Zuleiter dienenden Xadel einen positiven Entladuiigsfunken, so erhält man auf der einen, oberen, Fläche nach dem Bestäuben einen gelben Stern. Auf der unteren hingegen einen gelben Fleck mit verwaschenem Rande dessen Grösse ungefähr jener des Sternes gleich kommt. Befand sich aber in der Xähe der unteren Fläche eine Spitze oder eine Flamme, so findet man auf dieser Fläche einen verwaschenen rothen Heck. Lag endlich die Tafel auf einer abgeleiteten Metallplatte, so hat man auf der unteren Fläche nach dem Bestäuben einen scharf begrenzten rothen Fleck, dessen Ausdehnung viel geringer ist als jene des positiven Sternes, d. h. eine negative Lichtenberg'sche Figur.

Das erstemal befand sich nur auf der oberen Fläche wirklich Elektricität, welche nur durch Fern Wirkung ihr Vorhandensein auch auf der unteren Fläche zu erkennen gab. Das zweitemal war wirklich negative Elektricität auf die untere Fläche übergegangen aber nur durch Glimm- entladung, das drittemal hingegen durch Funkenentladung.

Bedeckt man eine isolirende Fläche, auf welche man eine kräftige Entladung übergehen Hess, mit einer vollkommen unelektrischen isolirenden Platte (Ebonit oder Glas) und be-

140 Sitmng der math.-pliys. Classe vom 2. Juli 1870.

stäubt man letztere, so erhält man einen gelben oder rothen Fleck, der ungefähr dieselbe Ausdehnung hat, wie die auf der unteren Platte entstandene positive oder negative Figur. Hebt man die Deckplatte vor dem Bestäuben ab, so erscheint keine Spur eines solchen Fleckes auf derselben. Man hatte also im ersteren Falle wiederum nur die Folgen reiner Fernwirkung vor sich.

Ausser den bisher erwähnten Hülfsmitteln kann man sich endlich noch eines weiteren bedienen, welches in manchen Fällen sehr schöne Resultate liefert. Man hann nämlich Grösse und Richtung der Fernwirkung in der Umgebung des zu untersuchenden Köipers erforschen. Daraus lässt sich alsdann in ähnlicher Weise auf die Anordnung der wirkenden Massen schliessen, wie man diess in der Lehre vom Erdmagnetismus zu thun gewohnt ist. Ich construirte mir zu dem Zwecke ein kleines Nädelchen von Schellack von 4 Ctm. Länge, welches an beiden Enden Hollundermark- kügelchen trug und an einem Coconfaden wie eine Dreh- waage aufgehängt war. Das eine Kügelchen wurde positiv, das andere negativ geladen und verhielt sich demnach gegen Elektricität genau ebenso wie eine Magnetnadel gegen Magnetismus. Von der Mitte des Nädelchens hing ein ganz leichtes Senkel (ein Coconfaden mit einem kleinen Gewichtchen beschwert) herab bis nahe auf die Tischplatte, welche mit einem Netz von Quadraten von 5 Ctm. Seite versehen war. Während nun das Senkel möghchst genau über einen Eck- punkt dieses Netzes gebracht war, konnte man durch Visiren die Richtung der Nadel mit ziemlich grosser Genauigkeit bestimmen, und fand so die Richtung der horizontalen Com- ])onente. Schwingungsbeobachtungen lassen alsdann auf deren Stärke schliessen.

Eine verhältnissmässig geringe Zahl solcher Beob- achtungen setzt in den Stand Systeme von Niveauflächen zu construiren, welche die interessantesten Aufschlüsse geben.

V. Bezold: Der EIeJ:trophor. 141

Ich habe mich bei der vorliegenden Untersuchung auch dieses Hülfsmittels bedient, muss jedoch die Mittheilung der dadurch erhaltenen sehr schönen Resultate wegen Mangel an Raum auf die ausführliche Veröfifentlichung an einem anderen Orte versparen.

Hier mag die Bemerkung genügen, dass diese Resultate mit der hier entwickelten Theorie in vollkommenem Einklänge stehen.

§ 2. Diess vorausgeschickt, will ich mich nun zu dem Hauptpunkte dieser Untersuchung wenden, zu der Frage über die von Riess angenommenen drei Schichten in dem Kuchen eines Elektrophors.

Gegen die Annahme dieser drei Schichten wurde vor Kurzem, als ich bereits mit der vorliegenden Untersuchung beschäftigt war, wenn auch nicht dem Wortlaute, so doch wenigstens dem Sinne nach, auch von anderer Seite her Bedenken erhoben. Poggendorff stellt nämhch in einer Abhandlung: ..Zur Frage, wie nicht leitende Substanzen influenzirt werden'',^) die Ansicht auf, dass man sich die Influenzirung von Nichtleitern in die Oberfläche verlegt denken müsse, eine Ansicht, welche mir vollkommen richtig scheint, wenn man es wirklich mit der Influenzirung solcher Körper zu thun hat. Wenn ich diese Ansicht im Folgenden nicht kurzweg adoptire, so geschieht es nur deswegen , weil sich die Thatsachen sämmtlich auch aus der blosen Fernwirkung erklären lassen und man gar nicht nöthig hat, eine Influen- zirung des Isolators oder seiner Flächen anzunehmen. Uebrigens lässt sich meine ganze Theorie ohne Anstand in die Poggen dörfische Anschauungsweise übersetzen, und scheint mir eine Entscheidung zwischen beiden nicht mögUch, so lange man nicht eine präcisere Vorstellung darüber be-

2) Poggdff. Ann. Bd. CXXXIX S. 458— 464. [1870.il 2.] 10

142 Sitzung der math.-phys. Classe vom 2. Juli 1870.

sitzt, wie überhaupt Elektricität auf eine isolirende Fläche übergeht.

Der Versuch auf welchen Riess') seine Annahme von den drei Schichten im Elektrophorkuchen stützt, ist folgender :

Reibt man eine Harz- (Schellack-, Ebonit-) Scheibe in freier Hand, so reagirt sie nach Prüfung an einem Elektroskop auf beiden Flächen negativ.

Liegt hingegen die Scheibe beim Reiben auf einer Metall- platte so reagirt die geriebene Fläche (A) negativ, die untere (B) aber gar nicht.*)

Entfernt man nun die negative Elektricität der geriebenen Fläche (A) durch Ueberfahren mit einer Flamme , so giebt sich sofort die positive Elektricität der unteren Fläche (B) am Elektroskope zu erkennen, und dafür erscheint die obere Fläche (A) unelektrisch. Ueberfährt man dann die untere Fläche (B) mit der Flamme , so erscheint sie unelektrisch und dafür die obere (A) wieder negativ. So kann man nun fortfahren und abwechselnd bald die eine, bald die andere Fläche unelektrisch machen.

Diese Versuche sind ganz richtig und lassen sich auch mit dem Pulvergemisch recht schön wiederholen ; wir werden später noch einmal darauf zurückkommen, wenn die sämmt- lichen auf die Theorie des Elektrophors bezüglichen Versuche im Zusammenhange beschrieben werden sollen.

Zur Vervollständigung dieser Versuchsreihe muss aber noch hinzugefügt werden, dass man anstatt den Kuchen beim Reiben auf eine Metallplatte zu legen , gerade so gut denselben in freier Hand reiben und nachher die nicht ge- riebene Fläche mit einer Flamme bestreichen kann. Aus

3) Die Lehre von der Reibungselektricität. Bd. I S. 294.

4) Diess ist jedoch nur der Fall, wenn hinlänglich stark gerieben wurde. Bei schwachem Reiben reagirt die Scheibe genau ebenso, wie wenn sie in freier Luft gerieben worden wäre.

r. Bezold: Der Elehfrophor. 143

diesen Versuchen schliesst Riess auf die Existenz dreier elektrischer Schichten in dem in freier Hand geriebenen Elektrophorkuchen. Diese Annahme ist vollkommen über- flüssig. Erinnert man sich nämHch an die bekannte That- sache. dass die Fernwirkung der Elektricität durch Zwischen- schieben eines Isolators umsoweniger alterirt wird , je voll- kommener dieser Isolator ist. so versteht man leicht, dass ein Kuchen, der aus einem solchen bestände nach Elektrisirung der einen Seite genau dieselben beschriebenen Erscheinungen zeigen muss, auch wenn keine andere Kraft als jene Fern- wirkung thätig ist.

Während nämlich bei Anlegen der geriebenen Seite A die durch Reibung erzeugte negative Elektricität direkt auf das Elektroskop übergeht, so wird bei Anlegen der Fläche B die im Elektroskope durch Influenz erregte positive Elektricität auf B übergehen und das Elektroskop demnach ebenfalls mit negativer Elektricität divergiren.

Liegt die Scheibe beim Reiben auf einer Metallplatte, so geht in Folge der von der geriebenen Fläche ausgeübten Fernwirkung in dieser Platte eine Scheidung der Elektricität vor sich und positive Elektricität begiebt sich in Funken auf die Fläche B. Diese Elektricitätsmenge ist aber nicht hin- reichend gross, um die Fernwirkung der auf A befindlichen negativen Elektricität zu überwinden und sie wird demnach au dem Elektroskop nicht erkannt werden. Ja es wird sogar im Mittel, wie wir später sehen werden, die Wirkung der primär erregten negativen Elektricität noch etwas über- wiegen. Mit dem Pulver untersucht, sieht man auf B die positiven Sterne ; aber nicht gelb auf neutralem Grunde, sondern schwarz, d. h. staubfrei auf rothem Grunde, wenn man bestäubt während man die Scheibe in freier Hand hält, oder noch besser auf hohe isohrende Stützen gelegt hat. D. h. die Wirkung der primären negativen Elektricität ge-

10*

144 Sitzung der math.-phys. Glosse vom 2. Juli 1870.

stattet nicht, dass der negative Schwefel sich auf den von der positiven Elektricität bedeckten Stellen auflege, und die Anwesenheit solcher Stellen verräth sich nur durch die geringere Anziehung, welche sie gegen die Mennige aus- üben. Vermindert man die Fernwirkung der primär erregten Elektricität, indem man die Scheibe mit der geriebenen Seite auf eine abgeleitete Platte legt , so erscheinen nach dem Bestäuben sofort gelbe Sterne.

In vollkommen analoger Weise lassen sich die Versuche mit der Flamme erklären. Bestreicht man nämlich die nicht geriebene Seite B mit der Flamme, so sieht man leicht ein, dass auf dieser Fläche positive Elektricität angehäuft werden muss, auch wenn man annimmt, dass vorher gar keine Elektricität auf derselben vorhanden und ihre elektroskopische Anzeige nur durch Fernwirkung der auf A primär erregten Elektricität bedingt gewesen sei. Man kann sich ja doch die Zerlegung durch Influenz in die Flamme selbst oder in die Schichte niedergeschlagenen Dampfes verlegt denken, welche sich im Momente des Bestreichens mit der Flamme an jeder Stelle bildet. Dann muss aber negative Elektricität durch die Spitzenwirkung der Flamme entfernt werden , während die positive Elektricität auf der Fläche zurückbleibt.

üeberfährt mau aber nun die Fläche A mit der Flamme, so kann die vorhandene negative Elektricität nur zum Theile weggeführt werden, da sie grösstentheils durch die positive der Fläche B man gestatte mir diesen Ausdruck ge- bunden wird. Selbstverständlich überwiegt nun die auf B vorhandene positive Elektricität und man kann so, wie schon Riess angiebt, durch abwechselndes Bestreichen der Flächen mit der Flamme bald der einen und bald der anderen Elektricität das Uebergewicht verschafi'en , freilich mit fort- während abnehmender Stärke. Stellt man das Experiment mit dem Pulvergemisch an, indem man zuerst auf einer Ebonit-

V. Bezdld: Der Elektrophor. 145

platte nur eine kleine Stelle reibt, so sieht man abwechselnd rothe und gelbe Flecken auf den entsprechenden Seiten entstehen.

Zur Erklärung der nach Auflegen auf eine abgeleitete Platte oder nach einmaligen] Bestreichen mit der Flamme auf B erscheinenden positiven Elektricität macht Riess die Annahme einer positiven Schicht im Innern. Consequenter Weise hätte er zur Erklärung der letztgenannten Thatsache eine Reihe abwechselnd positiver und negativer Schichten im Isolator annehmen müssen.

Bisher wurde nur gezeigt, dass sich die von Riess beobachteten Thatsachen auch auf eine andere Weise erklären lassen, als durch die Annahme der drei Schichten. Es er- übrigt nun zu beweisen , dass sie anders erklärt werden müssen. Diess kann man mit Hülfe eines Versuches, der einem in der citirten Abhandlung von Poggendorff be- schriebenen vollkommen analog ist.

Elektrisirt man nämlich die Scheibe, während sie nicht auf der Bodenplatte aufliegt, und überfährt man dann dieselbe zuerst auf der geriebenen nachher aber auch auf der nicht geriebenen Seite mit der Flamme , so müsste nach der Riess'schen Hypothese die positive Schicht zur Geltung kommen, welche sich im Innern des Isolators befunden haben soll. Nach meiner Ansicht hingegen muss die Tafel jetzt vollkommen unelektrisch sein.

Der Versuch zeigt , dass die Tafel wirklich alle Elektricität verliert. Er muss jedoch mit grosser Vorsicht angestellt werden. Ich konnte ihn nur rein erhalten, wenn ich eine grössere Ebonitplattc (wenigstens 25 Ctm. Durch- messer) nahm, und diese nur an einer kleinen Stelle in der Mitte rieb. Sobald ein grösserer Theil der Fläche elektrisirt, oder eine kleinere Tafel angewendet wurde, war es gar nicht zu vermeiden, dass positive Elektricität von den Fingerspitzen der haltenden Hand , vom Rockärmel u. s. w. auch auf die

146 Sitzung der math.-phys. Classe vom 2. Juli 1870.

nicht geriebene Seite überströmte und so das Experiment unrein wurde. Die Untersuchung mit dem Pulvergemisch lässt alle derartige Störungen auf's Schärfste erkennen.

§ 3. Es sollen nun die Versuche beschrieben werden, welche der neuen nur auf die elektrische Fernwirkung basirten Theorie als Grundlage dienen. Einige Wiederholungen Hessen sich hiebei nicht vermeiden, da sie zum Verständniss des Ganzen unerlässlich waren. Zu den Experimenten dienten zwei kreisförmige Ebouitplatten. Die eine hatte bei einer Dicke von 5 Mm. einen Durchmesser von 45 Ctm.; sie lag beim Gebrauche als Elektrophorkuchen auf einer Zinkscheibe von 52 Ctm. Durchmesser und trug einen Schild von 35 Ctm. Durchmesser. Die andere Platte war nur 4 Mm. dick und hatte 23 Ctm. Durchmesser. Ausserdem wurde auch mit ebenen Tafeln aus grünem ordinären Glase experimentirt und die gleichen Resultate, natürlich mit entgegengesetztem Vorzeichen erhalten.

Von den beiden Ebonitplatten hatte die grössere bereits seit einem Jahr als Elektrophorkuchen gedient, und war dem entsprechend gewöhnlich mit ihrem Schilde bedeckt gewesen. Merkwürdiger Weise zeigt nun an dieser Platte der äussere Rand in einer Breite von 5 Ctm., d. h. gerade so weit als er dem Einflüsse der Luft ausgesetzt war, ein ganz anderes elektrisches Verhalten als der centrale Theil. Die kleine Platte hingegen war ganz neu und verhielt sich ihrer ganzen Ausdehnung nach gerade so , wie der centrale Theil der ersteren. Da ich mich auf diese und auch noch auf andere Weise überzeugte , dass jenes eigenthümliche Verhalten der Randes nur in einer Oberflächenveränderung und nicht im Wesen des Elektrophors seinen Grund hatte , so nehme ich in dieser vorläufigen Mittheilung darauf keine Rücksicht. Die Beschreibungen gelten demnach nur für eine neue Platte oder für den durch den Deckel geschützten Theil einer älteren.

f. Bezold: Der Elektrophor. 147

Mit diesen Tafeln wurden nun folgende Versuche an- gestellt :

Erster Versuch: Reibt man den Kuchen, während man ihn senkrecht auf einen Tisch aufstützt, und nur oben leicht am Rande festhält , so wird er nach dem Bestäuben auf beiden Seiten von rother Mennige bedeckt. Nichts- destoweniger gewähren die beiden Flächen einen verschieden- artigen Anblick. Die geriebene Fläche zeigt Streifen , aus denen sich die Richtung des Reibens deutlich erkennen lässt, dann und wann untermischt mit gelben Stellen. Auf der anderen Seite hingegen ist der Pulverniederschlag ziemlich gleichförmig. Bei stärkerem Reiben ist der Uebergang von positiver Elektricität auf den Kuchen nicht zu vermeiden, was sich nach dem Bestäuben leicht erkennen lässt.

Die Erklärung dieses Versuches wurde schon oben ge- geben. Man hat es hier einfach mit der Wirkung einer einzigen negativ elektrischen Schicht zu thun und es wird demnach positive Elektricität auf beiden Seiten angezogen. Zweiter Versuch: Reibt man den Kuchen während er auf der abgeleiteten Bodenplatte liegt ganz schwach , so verhält er sich nach dem Abheben und Bestäuben gerade so, als ob man ihn in freier Luft gerieben hätte. Legt man auf einen solchen in gewöhnlicher Weise auf der Bodenplatte ruhenden Kuchen den Schild auf, so kann man aus dem abgehobenen Schilde einen positiven Funken ziehen. Kehrt man aber den Kuchen um , so dass er mit der geriebenen Seite auf die Bodenplatte zu liegen kommt, so liefert der Schild nach dem Abheben nur Spuren oder gar keine Elektricität.

Legt man dagegen den Knchen während er noch immer seine geriebene Seite der Bodenplatte zuwendet auf isolirende Stützen z. B. Siegellacksäulchen, so erhält man auf dem in gewöhnlicher Weise aufgelegten und abgehobenen Schilde

148 Sitzung der math.-phys. Classe vom 2. Juli 1870.

positive Elektricität, und zwar umsomehr je höher diese Stützen sind.

Diese Versuche lehren, dass bei ganz schwacher primärer Elektrisirung weder zwischen Kuchen und Bodenplatte, noch zwischen Kuchen und Schild ein üebergang von Elektricität stattfindet, und dass demnach in diesem Falle nur die durch Reibung direct erregte zur Geltung kommen kann.

Ruht nun der Kuchen in normaler Lage auf der Boden- platte, so wird die Wirkung der primär erregten Elektricität auf den Schild durch die in der viel ferneren Bodenplatte angezogene positive Elektricität nur wenig geschwächt, und der Schild muss deshalb nach dem Abheben merkliche Mengen positiver Elektricität liefern. Kehrt dagegen der Kuchen seine geriebene Seite gegen die Bodenplatte, so wird durch die in der dicht benachbarten Bodenplatte angesammelte positive Elektricität die Wirkung der primär erregten auf den viel entfernteren Schild ausserordentlich gering, und der Schild desshalb nach dem Abheben unelektrisch befunden werden.

Eine einfache Rechnung zeigt, dass sich die in den beiden Lagen auf dem Schilde befindlichen Elektricitäts- mengen wie D zu d verhalten müssen •'^), wenn man unter D die Dicke des Kuchens unter d die Dicke der zwischen ihm und der Bodenplatte (beziehungsweise dem Schilde) befind- lichen Luftschicht versteht. Dieses Verhältniss ^ ist aber

d

jedenfalls eine sehr grosse Zahl. ^Vird dagegen der Kuchen von der Bodenplatte entfernt, so verliert die auf der Boden- platte angesammelte positive Elektricität ihren Einfluss und zwar um so mehr , je höher die Stützen sind , die primäre

5) Streng genommen wie D + d zu d.

V. Bezöld: Der Elektrophor. 149

kommt wieder zur ^YirkuDg und der Schild muss demnach wieder positive Elektricität liefern.

Dritter Versuch: Reibt man den Kuchen während er auf der Bodenplatte liegt ziemlich stark, so bemerkt man im Allgemeinen nach dem Bestäuben der geriebenen Fläche keinen wesentlichen Unterschied gegen den vorhin be- schriebeneu Fall, Nur wenn gar zu stark gerieben wurde, was sich schon beim Aufsetzen des Schildes durch ein knisterndes Geräusch zu erkennen giebt , erblickt man nach- her an jenen Stellen, über welchen sich der Rand des Schildes befand, einen Kranz von gelben Strahlen und Sternen. Wir wollen zunächst von diesem Falle absehen, und voraussetzen, die obere Fläche zeige den schon früher beschriebenen An- blick, so bietet dagegen die untere Fläche jetzt ein höchst merkwürdiges und meist sehr schönes Bild dar , und zwar ein verschiedenes je nachdem der Kuchen während des Bestäubens (mit der Fläche A) auf der Bodenplatte oder auf hohen Stützen liegt.

Im ersteren Falle ist die ganze Fläche übersät mit gelben Sternen, welche zum Theil noch einen rothen Central- fleck besitzen , im letzteren Falle haftet gar kein Schwefel an der Fläche, sondern dieselben Sterne erscheinen schwarz d. h. staubfrei auf der Fläche. Hat man das Bestäuben iu der ersten Lage vorgenommen und hebt man dann den Kuchen ab, so fliegt der Schwefel von den Sternen weg gegen den Rand zu.

Dieser Versuch lehrt : während des Reibens wird der Raum zwischen Bodenplatte und Kuchen von Funken durch- brochen, und zwar schlägt sich die positive Elektricität in Form der bekannten Sterne auf dem Kuchen nieder.

Die Menge dieser positiven Elektricität ist aber viel geringer als jene der negativen, welche sich auf Fläche A befindet, denn wenn letztere nicht durch die in der Boden- platte angezogene positive Elektricität gebunden wird, so

150 Sitzung der math.-phys. Glosse vom 2. Juli 1870.

überwiegt die Wirkung der primär erregten Elektricität, da nach dem Abheben der Schwefel auch von jenen Stellen, welche unzweifelhaft mit positiver Elektricität bedeckt sind, nicht angezogen, sondern abgestossen wird.

Diess ist ein vortreffliches Beispiel dafür, wie die au einer bestimmten Stelle vorhandene Elektricität durch stärkere Fernwirkung anderweitig vertheilter Mengen elektroskopisch unkenntlich gemacht werden kann.

Die Richtigkeit der eben ausgesprochenen Ansicht lässt sich durch einen weiteren Versuch prüfen. Wenn es nämlich wahr ist, dass die auf die untere Fläche übergegangene positive Elektricität nur dann zur Wirkung kommen kann, wenn die primär erregte stärkere Elektricität gebunden ist, so darf auch nach Umkehr des Elektrophorkuchen nur so lange negative Elektricität im Schilde auftreten, als der Kuchen nahe genug an der Bodenplatte liegt, während bei allmählig grösserer Entfernung des Kuchens eine Stelle kommen muss, wo das Vorzeichen des aus dem abgehobenen Schilde gezogenen Funkens umspringt. Dass dem wirklich so ist, zeigt das folgende Experiment:

Vierter Versuch: Kehrt man den in normaler Lage hinreichend stark geriebenen Kuchen eines Elektrophors uui , und legt man ihn nun mit der geriebenen Seite auf die Bodenplatte, so liefert bekannthch der Schild nach dem Ableiten und Abheben negative Elektricität. Legt man aber den Kuchen nach und nach auf immer höhere Stützen, so nimmt zuerst die Menge der gelieferten negativen Elektricität ausserordentlich rasch ab, verschwindet- bei einem bestimmten Abstände zwischen Bodenplatte und Kuchen vollständig bis bei noch grösseren Abständen allmählig immer stärkere positive Ladungen auftreten. Man kann diess vortrefflich sichtbar machen, wenn man statt eines Elektroskopes wieder Staubfiguren anwendet , indem man den Schild nach dem jedesmaligen Abheben mit dem auf eine Probeplatte auf-

V. Bezold: Der Elelctrophor. 151

gesetzten Zuleiter in Berührung bringt. Dann erhält man der Reihe nach zuerst immer kleinere negative und dann fortgesetzt wachsende positive Figuren.

Fünfter Versuch: Die bisher angestellten Versuche haben gezeigt, dass bei nicht übermässiger Elektrisirung wirkUch, wie man auch stets annahm, zwischen Schild und geriebener Fläche kein üebergang von Elektricität statt hat, während ein solcher zwischen der Bodenplatte und der nicht geriebenen Fläche vor sich geht. Das Verständniss dieser merkwürdigen Thatsache wird erleichtert durch den folgenden Versuch :

Reibt man den Kuchen während er auf isolirenden Stützen liegt und bedeckt man ihn nun mit einem ganz un- elektrisch gemachten Ebonit oder Glasplatte und setzt man dann auf diese einen abgeleiteten Zuleiter auf, so sieht man auf diesen Platten nach dem Bestäuben positive Figuren. Diese werden viel kleiner, wenn man den Kuchen auf der Bodenplatte auflegt. Man könnte den Zuleiter auch direct auf den Kuchen aufsetzen, würde jedoch dabei im Allgemeinen keine zuverlässigen Resultate erhalten, da die Gestalt der entstehenden Figur auf einer dort geriebenen Fläche von der immer sehr verschiedenartigen Erregung der einzelnen Stellen abhängig ist.

Dieser Versuch lehrt, dass durch die Nachbarschaft der Bodenplatte und selbstverständhch ebenso durch die auf der Fläche B niedergeschlagene positive Elektricität die Scheidungs- kraft, welche A auf einen oberhalb gelegenen Punkt ausübt, vermindert wird. Es wird demnach auch viel leichter ein üebergang von Elektricität zwischen Kuchen und Bodenplatte stattfinden, als zwischen dem Kuchen und dem erst nach- träglich aufgesetzten Schilde, da die primär erregte Elektricität eben durch die auf der Bodenplatte und der Fläche B be- findliche grossentheils gebunden ist. War die primäre Erregung zu stark, so kann immerhin auch der Raum zwischen

152 Sitzung der math.-phys. Classe vom 2. Juli 1870.

Schild und Kuchen von Funken durchbrochen werden, dadurch wird dann ein Theil der ursprüngHch erregten Elektricität neutrah'sirt und man hat nun wieder den vorigen Fall. Daher rührt es auch, dass es für jeden Elektrophor ein von der Beschaffenheit der Luft abhängiges Wirkungsmaximum giebt, welches auch durch noch so starkes Reiben nicht über- schritten werden kann. Eigentlich lässt sich diess alles schon aus den bekannten Fuudamentalsätzen der Elektricitäts- i lehre ableiten, nichtsdestoweniger schien es mir zweckmässig, diesen Schluss noch durch einen besonderen Versuch zu bekräftigen.

Aus den hier mitgetheilten Versuchen geht hervor, dass sich sämmtliche Phänomene, welche man beim Elektrophor J! beobachtet, aus der Fernwirkung erklären lassen und dass 1 es ganz überflüssig ist, zu der Annahme einer Influenzirung des Isolators seine Zuflucht zu nehmen. Es ist leicht all' diese Erklärungen in mathematische Form zu bringen. Diess soll in der ausführlicheren Abhandlung geschehen, in welcher alsdann auch noch manches experimentelle Detail seine Erörterung finden wird. Hier war es mir nur darum 1 zu thun , die wesentlichsten Versuche im Zusammenhange I vorzuführen und ihre Erklärung in allgemeinen Umrissen , zu geben.

Kurz zusammengefasst ergab sich das Resultat, dass man sich den Vorgang beim gewöhnlichen Gebrauche des EIek- , trophors folgendermassen zu denken hat:

Die durch Reiben der oberen Fläche des Kuchens auftretende Elektricität wirkt vertheilend auf die Bodenplatte. Ist die primäre Erregung stark genug, so durchbricht die (ungleichnamige) Elektri- j cität der Bodenplatte den Luftraum zwischen der letzteren und dem Kuchen und geht in Funken- entladungen auf diesen über. Sowohl durch diese übergegangene als auch durch die in der Boden-

V. Bezold : Der EleJctrophor. 153

platte noch zurückgebliebene Elektricität wird die primär erregte der oberen KucLenfläche theilweise gebunden. Hiedurch wird die Kraft, welche in dem Räume zwischen dem erst später aufgelegten Schilde und dem Kuchen thätig ist, verringert, und dadurch ein Elektricitätsaustausch in diesem Räume ver- hindert. Die in dem Schilde durch Vertheilung hervorgerufene der primär erregten ungleich- namige Elektricität bleibt demnach auf demselben und kann durch Ableitung der gleichnamigen und durch Abheben des Schildes frei d.h. elektroskopisch wirksam gemacht werden. Alle übrigen begleitenden Erscheinungen lassen sich von diesen Gesichts- punkten aus nach bekannten Gesetzen erklären.

154 Sitzung der math.-phys. Gasse vom 2. Juli 1870.

Herr M. Wagner hält einen Vortrag:

..Ueber denEinfluss der geographischen , Isolirung und Colonienbildung auf die j morphologischen Veränderungen der 0 rgani s m en."

In einem Vortrag, den ich im März 1868 vor Ihnen zu halten die Ehre hatte, suchte ich, gestützt auf gewisse Thatsacl;en in der geographischen Verbreitung der Organismen, meine Ansicht zu begründen , dass Herr Charles Darwin in seiner berühmten Theorie über die Entstehung der Arten einen wesentlichen Factor bei diesem Naturprocess nicht nach seiner vollen Bedeutung erkannt und gewürdigt habe, nämlich: die räumliche Trennung einzelner Individuen vom Verbreitungsgebiet der Stammart. Das bei dieser geogra- phischen Isoliruug zur Geltung kommende Naturgesetz, welches, nach meiner damaligen Ansicht hauptsächlich auf dem ,, Kampf um's Dasein" beruhen und die Wirkung dt r natürlichen Zucht- wahl wesentlich unterstützen sollte, habe ich das ,, Migrations- gesetz der Organismen" genannt.

Die Fortsetzung vergleichender Studien über die Ver- wandtschaft und den Zusammenhang der Faunen und Floren vieler Länder und Inseln, besonders aber eine genaue Betrachtung und Prüfung zahlreicher, zuweilen schwer erklär- barer und scheinbar sich widersprechender Vorkommnisse und Erscheinungen in der geographischen Vertheilung der verschiedenen nächst verwandten Varietäten, Arten und Gattungen einzelner Familien haben meine damalige Ansicht hinsichtlich der Hauptfrage etwas modificirt.

Das Ergebniss dieser Untersuchungen ist aber minder günstig als meine frühere Ansicht für die Darwin'sche

Wagner: Zur Morphologie der Organismen. 155

Selectionslehre, welche mit der Descendenztheorie, die von Darwin zwar fester begründet, aber schon 1809 , also 51 Jahre vor Darwin von dem französischen Naturforscher Lamarck aufgestellt und mit Geist und Scharfsinn vertheidigt wurde, nicht verwechselt werden darf. Von der Richtigkeit der Descendenztheorie, für welche die gewichtvollsten geolog- ischen und paläontologisch en Wahrscheinlichkeitsgründe sprechen und an die auch bereits die grosse Mehrzahl der Naturforscher glaubt, bin ich vollkommen überzeugt. Dagegen hege ich jetzt die eben so tiefe üeberzeugung, dass die ,, natür- liche Züchtung" neuer Arten oder richtiger übersetzt die , .natür- liche Auslese" (natural selection) der durch Variation bevor- zugten Individuen in dem von Darwin aufgefassten Sinne ein Irrthum ist. Darwin's Selectionslehre, an deren Richtigkeit auch ich früher glaubte, steht mit einer ganzen Reihe von Thatsachen der Thier- und Pflanzengeographie im entschiedensten Widerspruch und ist auch anderen wohl be- gründeten und von Herrn Darwin und seinen unbedingten Anhängern niemals widerlegten Einwürfen gegenüber völlig unhaltbar.

Bevor ich jedoch meine Einwände gegen die Selections- lehre eingehender darlegen werde , will ich die Theorie der Artenentstehung durch C ol oni enbi 1 dun g d, h. durch Separation einzelner Individuen vom Standort der Stamm- art — eine Theorie, die von der Bedingung der Arten- bildung , wie sie Herr Darwin sich denkt , sehr wesentlich abweicht hier so kurz, bestimmt und klar als ich es ver- mag darzulegen versuchen.^)

*) Die Erfahrung in fast jeder wissenschaftlichen Polemik lehrt, dass man oft selbst in den einfachsten Dingen das Unglück hat, von Freunden und Gegnern theilweise missverstanden zu werden. Dieses häufige Missverstehen hat freilich mitunter auch den Anschein als ob es nicht ganz unabsichtlich sei. Man scheint besonders das-

I l

156 Sitzung der math.-pJiys. Ctasse vom 2. Juli 1870.

In der typischen Formenbildung, dem wichtigsten morphologischen Process der organischen Natur , offen- baren sich zwei antagonistische Kräfte oder Tendenzen. Die eine bezeichnen wir als die Vererbungskraft, die andere als die Variationstendenz. Durch die Ver- erbungskraft sucht die Natur eine bereits vollzogene Um- gestaltung des Organismus zu befestigen, den typischen Charakter einer neuen Art in zahlreichen Individuen schein- bar gleichförmig zu erhalten. Durch die Variationstendenz (Variabilität) dagegen trachtet die Natur nach einer weitern Veränderung, nach einer neuen Umgestaltung des Organismus, sucht sie also immer wieder neue Formen d. h, Arten hervor- zubringen.

Beide Naturkräfte, die conservative wie die reformirende Tendenz, sind nur scheinbar sich entgegenwirkend. In Wahr- heit wirken sie nebeneinander und unterstützen sich sogar gegenseitig bis zu einem gewissen Grade. Durch beide Kräfte erreicht die Schöpfung in höchst merkwürdiger Weise ihren Doppelzweck : die periodische Erhaltung wie die periodische Verjüngung und Erneuerung der typischen Formen des Thier- und Pflanzenreiches auf zwei ganz entgegengesetzten Wegen.

Die Vererbungskraft befestigt und erhält bei allen Orga- nismen , welche getrennten Geschlechtes sind , jene fertig gebildete typische Form, die wir Species (Art) nennen, durch das einfache Mittel der Kreuzung zahlreicher Individuen in dem gleichen Wohngebiet, also in einem räumlich zu-

jenige nicht ungern missverstehen zu wollen, was schwer zu wider- legen, also bei einer wissenschaftlichen Polemik den Gegnern etwas unbequem ist. Ein solches absichtliches Missverstehen ist besonders dann um so bequemer, wenn von unseren Gegnern die Verdrehung und Entstellung unserer Behauptungen als brauchbare Mittel nicht verschmäht werden. Man wird da oft an das Göthe'sche Wort er- innert: ,,sie haben meine Gedanken verdorben und bilden sich ein, mich wiederlegt zu haben."

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Wagner: Zur Morphologie der Organismen.

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sammeDhängenden Verbreitungsbeziik, welcher innerhalb seiner Grenzen die individuelle Isolirung schwierig, oft unmöglich macht.

Jede Thier- oler Pflanzenart hat bekanntlich einen meist zusammenhängenden , oft aber auch sporadisch unter- brochenen Verbreitungsbezirk oder Areal, auch Standort (Statio) genannt, dessen Form in Flachländern mehr oder minder kreisförmig oder elliptisch und in dessen Centrum die Individuenzahl der Art in ihrem Vorkommen gewöhnlich am grössten ist. Dieser Verbreitungsbezirk hat seine Grenzen theiis in den geographischen Schranken, die ihn umgeben z. B. Hochgebirge, Wüsten, Meere, breite Ströme, theiis in klimatischen oder anderen topographischen Verhältnissen. Von der morphologischen und physiologischen Beschaffenheit jeder Thier- und Pflanzenart hängt auch theilweise die Grösse ihres Verbreitungsgebietes ab. Dasselbe umfasst oft den Flächenraum eines ganzen Continents oder einer Insel und kann auch auf mehrere Welttheile oder einzelne Länder der- selben sich ausdehnen. Leicht beweghche Formen z. B. ge- flügelte Thierarten sind gewöhnlich weiter verbreitet als Thiere von geringerer Locomotionsfähi.Tkeit. Die äussersten Grenzen dieses Verbreitungsgebietes verändern sich immer etwas im Laufe der Zeiten und können sich in Folge des Kampfes ums Dasein, den jede Art mit anderen zu bestehen hat, oder aus anderen theiis natürlichen, theiis zufälligen Ursachen entweder erweitern oder verengen. Vermöge ihrer morphologischen und physiologischen Organisation und bei der allgemeinen Tendenz nach Vermehrung wird jede Tliierart wie jede Pflanze ihr Ver- breitungsgebiet so weit auszudehnen suchen als es ihr die physischen Verhältnisse des Bodens, die äusseren und inneren Lebensbedingungen gestatten.

Die Variationstendenz, welche schon in der persönhchen Eigenthümlichkeit eines jeden jungen Individuums sich äussert und in diesem individuellen Charakter jedes neuen Einzel- [1870. IL 2] 11

156 Sitzung der math.-phys. Classe vom 2. Juli 1870.

In der typischen Formenbildung, dem wichtigsten morphologischen Process der organischen Natur, offen- baren sich zwei antagonistische Kräfte oder Tendenzen. Die eine bezeichnen wir als die Vererbungskraft, die andere als die Variationstendenz. Durch die Ver- erbungskraft sucht die Natur eine bereits vollzogene Um- gestaltung des Organismus zu befestigen, den typischen Charakter einer neuen Art in zahheichen Individuen schein- bar gleichförmig zu erhalten. Durch die Variationstendenz (Variabilität) dagegen trachtet die Natur nach einer weitern Veränderung, nach einer neuen Umgestaltung des Organismus, sucht sie also immer wieder neue Formen d. h. Arten hervor- zubringen.

Beide Naturkräfte, die conservative wie die reformirende Tendenz, sind nur scheinbar sich entgegenwirkend. In Wahr- heit wirken sie nebeneinander und unterstützen sich sogar gegenseitig bis zu einem gewissen Grade. Durch beide Kräfte erreicht die Schöpfung in höchst merkwürdiger Weise ihren Doppelzweck: die periodische Erhaltung wie die periodische Verjüngung und Erneuerung der typischen Formen des Thier- und Pflanzenreiches auf zwei ganz entgegengesetzten Wegen.

Die Vererbungskraft befestigt und erhält bei allen Orga- nismen , welche getrennten Geschlechtes sind , jene fertig gebildete typische Form, die wir Species (Art) nennen, durch das einfache Mittel der Kreuzung zahlreicher Individuen in dem gleichen Wohngebiet, also in einem räumlich zu-

jenige nicht ungern missverstehen zu wollen, was schwer zu wider- legen, also bei einer wissenschaftlichen Polemik den Gegnern etwas unbequem ist. Ein solches absichtliches Missverstehen ist besonders dann um so bequemer, wenn von unseren Gegnern die Verdrehung und Entstellung unserer Behauptungen als brauchbare Mittel nicht verschmäht werden. Man wird da oft an das Göthe'sche Wort er- innert: „sie haben meine Gedanken verdorben und bilden sich ein, mich wiederlegt zu haben."

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Wagner: Zur Morphologie der Organismen. 157

sammenhängenden Verbreitungsbeziik, welcher innerhalb seiner Grenzen die individuelle Isolirung schwierig, oft unmöglich macht.

Jede Thier- oler Plimzenart hat bekanntlich einen meist zusammenhängenden . oft aber auch sporadisch unter- brochenen Verbreitungsbezirk oder Areal, auch Standort (Statio) genannt, dessen Form in Flachländern mehr oder minder kreisförmig oder elliptisch und in dessen Gentium die Individuenzahl der Art in ihrem Vorkommen gevröhnlich am grössten ist. Dieser Verbreitungsbezirk hat seine Grenzen theils in den geographischen Schranken, die ihn umgeben z. B. Hochgebirge, Wüsten, Meere, breite Ströme, theils in klimatischen oder anderen topographischen Verhältnissen. Von der morphologischen und physiologischen Beschaffenheit jeder Thier- und Pflanzenart hängt auch theilweise die Grösse ihres Verbreitungsgebietes ab. Dasselbe umfasst oft den Flächenraum eines ganzen Gontinents oder einer Insel und kann auch auf mehrere Welttheile oder einzelne Länder der- selben sich ausdehnen. Leicht beweghche Formen z. B. ge- flügelte Thierarten sind gewöhnlich weiter verbreitet als Thiere von geringerer Locomotionsfähirrkeit. Die äussersten Grenzen dieses Verbreitungsgebietes verändern sich immer etwas im Laufe der Zeiten und können sich in Folge des Kampfes ums Dasein, den jede Art mit anderen zu bestehen hat, oder aus anderen theils natürlichen, theils zufälligen Ursachen entweder erweitern oder verengen. Vermöge ihrer morphologischen und physiologischen Organisation und bei der allgemeinen Tendenz nach Vermehrung wird jede Thierart wie jede Pflanze ihr Ver- breitungsgebiet so weit auszudehnen suchen als es ihr die physischen Verhältnisse des Bodens, die äusseren und inneren Lebensbedingungen gestatten.

Die Variationstendenz, welche schon in der persönlichen Eigenthümlichkeit eines jeden jungen Indivitluums sich äussert und in diesem individuellen Gharakter jedes neuen Einzel- [1870. II. 2] 11

158 Sitzung der mafh.-phys. Classe vom 2. Juli 1870.

Wesens gleichsam schon die beginnende Varietät andeutet, also damit auch bereits die Grundbedingung zur Bildung einer neuen Art besitzt, bringt eine wirkliche Varietät, d. h. eine beginnende neue Art nur dadurch hervor, dass von Zeit zu Zeit entweder ein einzelnes Individuum oder ein Paar bei den Säugethieren und Reptilien dürfte es wohl in der Regel nur ein trächtiges Weibchen, bei den Vögeln, welche meist in Ehe leben, häufiger ein Paar, bei den Pflanzen aber nur ein befruchteter Saame sein vom Verbreitungs- gebiet der Stammart räumlich sich lostrennt und an einem neuen Standort, meist in der Nachbarschaft der früheren Heimat, aber gewöhnlich durch die Schranke eines Gebirges, einer Wüste oder eines Meeres , oft auch nur eines breiten Stromes von ihr geschieden, eine isolirte Colonie gründet.

Durch die geographische Isolirung eines Individuums werden dessen nächste Nachkommen der compensirenden Wirkung der Kreuzung zahlreicher Individuen entrückt, welche nach der Erfahrung aller Thierzüchter stets Gleich- förmigkeit erzeugt. Durch geschwisterliche oder nächste ver- wandtschaftliche Paarung aber müssen zugleich die individuellen Merkmale des isolirten Stammpaares oder Einzelwesens in dessen nächsten Nachkommen sich steigern, also im Laufe mehrerer Generationen stärker und schärfer sich ausprägen. Auch das ist eine Erfahrung der künstlichen Züchtung, dass wenn einmal bei den domesticirteu Thieren oder Pflanzen der Anstoss zu einer neuen Variation gegeben ist, dieselbe in den nächsten Nachkommen immer noch viel stärker her- vortritt und sich in den folgenden Generationen noch weiter steigert, bis sie den möglichsten Höhepunkt ihrer Ausbildung erreicht hat, dann schwächer wird und nach einer gewissen Reihe von Generationen stille steht. Die individuellen Eigen- thümlichkeiten der direkten Vorfahren , nemlich der Eltern und Grosseltern des Emigranten und Gründers einer isolirten Colonie, welcher der Stammhalter der neuen Race, Abart

Wagner: Zur Morphologie der Organismen. 159

oder Art wird , dürften bei dem morphologischen Bildungs- process der neuen Form durch Atavismus auf deren typische Richtung gleichfalls nachwirken, daher auf deren specifische Ausprägung immer noch einigen bestimmenden Einfluss üben. Die Veränderung der äusseren Lebensbedingungen in der neuen Heimat, welche bei etwas anderen Verhältnissen des Bodens und des Klimas wohl hauptsächlich darin besteht, dass die ersten Colonisten durch einen längern Zeitraum von der starken Concurrenz zahreicher Artgenossen bei der Ernährung und Fortpflanzung verschont bleiben , also im Vergleich mit dem früheren Standort sich reichlicher und mit verminderter Anstrengung ernähren und in der kräftigsten Jugendzeit sich paaren können , dürfte neben anderen physischen und lokalen Einflüssen des neuen Wohnorts auf den Gang und die Richtung der morphologischen ümprägung der ersten Coloniebewohner niemals ohne einige Einwirkung, aber im Ganzen doch viel weniger massgebend für die neue Form sein als die persönlichen Eigenthümlichkeiten des ein- gewanderten Stammvaters oder der Stammmutter und die individuellen Merkmale ihrer unmittelbaren Ahnen. Je stärker und ausgezeichneter diese individuellen Eigenthümlichkeiten d. h. die äusseren und die inneren morphologischen und physiologischen Abweichungen vom normalen Habitus der Stammart bei einem isolirten Colonisten und dessen directen Ahnen vorhanden waren und je mehr zugleich die klimatischen Verhältnisse und übrigen Existenzbedingungen, besonders Qualität und Quantität der Nahrung von denen des früheren Standortes differiren , desto grösser muss auch die morpho- logische Verschiedenheit der neuen Abart oder Art von der älteren Stammart ausfallen und desto entschiedener wird am Schlüsse dieses typischen ümgestaltungsprocesses die neue Speciesform ausgeprägt erscheinen. Die ganze Summe der erlangten typischen Veränderungen constituirt zuletzt den morphologischen Charakter oder habitus der neuen Species.

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Sitzung der math.-pliys. Classe vom 2. Juli 1870.

Der Naturprocess dieser Neugestaltung durch räumliche Separation ist aber keineswegs, wie Herr Darwin und dessen Anhänger bei ihrer Selectionstheorie an- zunehmen gezwungen sind , ein überaus lange dauernder, sondern kann vielmehr bei allen Organismen der höheren Klassen und Ordnungen immer nur ein Act von relativ kurzer Dauer sein. Daher auch die Seltenheit und die geringe Zahl der nächsten feineren Uebergaugsformen bei allen fossilen Organismen dieser höheren Klassen.

Die Vererbungskraft, welche bei freier Kreuzung in einem zusammenhängenden Verbreitungsgebiet den normalen Charakter einer aus zahlreichen Individuen bestehenden Art erhalten muss und einzelne Varietäten als constante Ver- änderungen nicht aufkommen lassen kann, wird dagegen in einer jungen Colonie bei den ersten Zweigen eines neuen Stammbaumes eine Zeit lang der Variationskraft dienstbar. Bekanntlich vererben auch die Veränderungen , die neuge- bildeten Merkmale einer Varietät, wenn dieselben nicht durch Vermischung zahlreicher Artgenossen wieder verwischt werden, sehr leicht und gerne auf die Nachkommen. Diess geschieht nach allen Erfahrungen der künstlichen Züchtung während der nächstfolgenden Generationen sogar stets in einem gesteigerten Grade. Die Vererbungskraft muss also in einer solchen Colonie die Variation durch eine gewisse Reihe von Generationen nothwendig unterstützen. Die Zeitdauer dieses morphologischen Umwandlungsprocesses hängt wohl meist von der Fruchtbarkeit und dem Gedeihen der entstehenden Art in der neuen Heimat ab , während die typische Richtung des- selben und zuletzt das ganze Resultat der Umgestaltung das Gesammtwerk all' der mitwirkenden Factoren ist.

Mit der Vermehrung der neuen Form, mit der zu- nehmenden Zahl der Individuen einer neugebildeten Race oder Art muss aber die Wirkung der Variationskraft noth- wendig wieder abnehmen, denn die Kreuzung der individuellen

Wagner: Zur Morphologie der Organismen. 161

Formen vieler Abkömmlinge wird bei steigender Vermehrung der Individuen auch in der neuen Colouie allmählich aus- gleichend wirken und zuletzt Gleicliförmigkeit erzeugen. Durch ihre compensirende Wirkung fixirt und erhält sich aber der typische Charakter der neuen Species und wird innerhalb des Areals der Colonie die Ausbildung einer abermaligen Constanten Varietät oder beginnenden neuen Art bei allen höheren Organismen von getrenntem Geschlecht unmöglich gemacht.

Durch Wiederholung dieses Separationsprocesses, durch abermalige örtliche Lostrennung und geographische Isolirung eines Individuums oder Paares jenseits der Arealgrenzen kann und wird in den meisten Fällen der artenbildende Natur- process sich räumlich und periodisch fortsetzen. So oft einem Emigranten die Gründung einer solchen geographisch getrennten Colonie für eine längere Zeitdauer gelingt, muss dieser Act eine constante Modification seines Speciescharakters hervorbringen und in den meisten Fällen die Bildung einer neuen Form zur Folge haben, welche dann der Systematiker im Verhältniss zum grössern oder geringem Grade der Ab- weichung von der Stammform als verschiedene Varietät, Art oder Gattung zu bezeichnen pflegt.

Dies ist nach meiner üeberzeugung der wesentliche Gang, das einfache Mittel, dessen die Natur sich zur Bildung neuer t}T3ischer Formen zur Züchtung verjüngter Arten bei allen höheren Organismen von jeher bedient hat und dessen sie sich auf unserm Weltkörper auch jetzt noch bedient , wenn gleich in Folge der verbreiteten menschlichen Kultur, welche die freie Wanderung bedeutend beschränkt und der isolirten Colonienbildung der Organismen mehr und mehr sehr wesent- liche Hindernisse entgegen setzt, in einem sehr ab- nehmenden Grade.

Der aufmerksame Leser des Darwin'schen Werkes: on

162 Sitzung der math.-phys. Classe vom 2. Juli 1870.

the origin of species wird ohne Mühe den bedeutenden Unter- schied seiner Selectionslehre von der eben dargelegten Isolirungstheorie erkennen. Die IsoUrung eines Indivi- duums oder Paares ist bei allen Organismen , welche durch Kreuzung sich fortpflanzen, die nothwendige Bedingung, also die nächste Ursache : dass eine neue typische Form entsteht. Alle übrigen bei dem Bildungsprocess der Art mitwirkenden Factoren, welche ich oben anführte, influiren sämmtlich nur auf die Richtung und den Gang der Veränderung, bestimmen also nur: wie die neue ty- pische Form in den Abkömmlingen eines isolirten Ansiedlers sich gestaltet. AU' diese Factoren stellen demnach durch ihre Zusammenwirkung am Ende des Um- prägungsprocesses zwar den Grad der Verschiedenheit fest, welchen die neue Form als Race, Abart oder Art gegenüber der alten Stammspecies erreicht, sind aber nicht die nächste Ursache, geben nicht den ersten Anstoss zu diesem Um- gestaltungsprocess , der nur durch Separation einzelner Individuen vom Wohngebiete der Art erfolgt.

Um den Unterschied beider Theorien möglichst kurz auszudrücken: nach der Darwin'schen Selections- theorie züchtet die Natur in Folge des Kampfes um's Dasein rastlos neue typische Formen der Organismen durch Auslese nützlicher Varietäten gleichviel ob in- oder ausserhalb des Verbreitungs- gebietes der Stammart und kann diesen Process der Bildung einer neuen Art nur innerhalb eines sehr langen Zeitraumes vollziehen.

Nach der Separationstheorie züchtet die Natur nur periodisch neue Formen stets ausserhalb des Wohngebietes der Stammart durch geographische Isolirung und Colonienbildung, ohne welche bei allen höheren Thieren getrennten Geschlechts keine

Wagner: Zur Morphologie der Organismen. 163

constante Varietät oder neue Art entstehen kann. Der Gestaltungsprocess einer neuen Form kann nicht von langer Dauer sein.

Dass bei den niederen Formen beider Naturreiche, bei den zahlreichen Zwittern und bei jenen Klassen und Ordnungen, welche sich ausschliesslich auf ungeschlechtlichem Wege durch Theilung, Knospuiig, Sporenbildung u, s. w. fortpflanzen, der ganz gleiche Process der Artenbildung obwalte wie bei den höheren Organismen getrennten Geschlechtes will ich hier durchaus nicht behaupten. Ich bin auch nicht im Stande anzugeben bis zu welchem Grade die räumliche Trennung und Colonienbildnug, welche auf den Gestaltungsprocess der höheren Organismen selbst nach dem Zugeständniss der unbedingten Anhänger der Darwin'schen Selectionstheorie einen bedeutenden Einfluss übt, auf die Formenbildung der niedersten Wesen bestimmend einwirkt.

Die geographische Verbreitung wie die Ernährung und übrige Lebensweise jener zahllosen Formen meist mikroskopisch kleiner Wesen, die in ihrer unermesslichen Mehrzahl Bewohner des Meeres sind , der Bryozoen , Coelenteraten , Infusorien, Foraminiferen, Radiolarien u. s. w., über welch' letztere höchst merkwürdige Thierformen wir Herrn Häckel so schöne neuere Untersuchungen verdanken , sind im ganzen noch so wenig bekannt und erforscht, dass wir über diese Frage eine auf genügenden Thatsachen beruhende Meinung nicht aus- zusprechen wagen.

Es scheint mir indessen recht wohl denkbar, dass bei den niedersten Organismen, wo die Art und Weise der Ent- stehung eines Individuums so wesentlich verschieden ist von dem physiologischen Vorgang, welcher bei den höheren Organismen die Entstehung eines solchen Einzelwesens ver- mittelt, auch der Process der Varietäten- und Artenbildung ein gleichfalls sehr wesentlich verschiedener nicht nur sein

164 Sitzung der math.-phys. Classe vom 2. Juli 1870.

kann, sondern wahrscheinlich sein muss. Der Eintritt der getrennten Geschlechter in den anatomischen Bau der höheren Organismen und der Act der freien Kreuzung, also der be- ständigen Wiederholung einer geschlechtlichen Vermischung von individuell verschieden gestalteten Einzelwesen , ist für den morphologischen Naturprocess der Artenbildung gewiss ein Factor von grösster Bedeutung, der zu den übrigen Bedingungen für die Bildung und Ausprägung neuer typischer Formen recht wohl noch eine neue Bedingung hinzufügen kann, welche bei den niederen ungeschlechtlichen Organismen und Zwittern nicht besteht.

Wenn daher Dr, Ernst Häckel in Jena, der neuer- dings in seiner ,, Generellen Morphologie" und in seiner „Natürlichen Schöpfungsgeschichte" über die grosse Streit- frage des Darwinismus so viele belehrende Thatsachen und geistvolle Bemerkungen niedergelegt hat, bloss mit Hinweisung auf die allbekannte Thatsache, dass die niederen ungeschlecht- lichen Organismen und die Zwitter sich auch ohne Kreuzung im Laufe der Zeiten spezifisch verändert haben, das von mir lediglich für die höheren Organismen aufgestellte Migrations- gesetz widerlegt zu haben glaubt , so beruht diese Schluss- folgerung auf einer ebenso falschen als unlogischen Basis.

Herr Häckel selbst hat in den beiden genannten Werken sehr geistvoll die Ansicht zu begründen versucht: es sei die Ontogenesis oder die Entwicklung des Individuums, eine kurze und schnelle, durch die Gesetze der Vererbung und Anpassung bedingte Wiederholung (Recapitulation) der Phylo- genesis oder der Entwickelung des zugehörigen Stammes, d. h. der Vorfahren, welche die Ahnenkette des betreffenden Individuums bilden. Nun wohl ! Wenn demnach der kurze natürliche Vorgang, der bei der Bildung jedes Einzelwesens stattfindet, nach Häckel stets eine gewisse Analogie mit dem Hergang hat, der die langsamere Bildung einer Art begleitet,

Wagner: Zur Morphologie der Organismen. 165

wäre es daun nicht auch in seinen Augen weit rationeller anzunehmen, dass auch die Speciesentstehung der höheren Organismen, die durch geschlechtHche Zeugung sich fortpflanzen, wesentlich verschieden sein und von anderen Bedingungen abhängen müsse als die Artenbüdung der niedrigen Orga- nismen, welche nur durch Theilung oder Knospenbildung sich individuell erneuern ? Die Trennung der beiden Geschlechter im anatomischen Bau der höheren Thierkhtssen ist schon gewissermassen selbst eine räumhche Trennung und man könnte die Trennung des Eis oder des lebendig geborenen Jungen vom Mutterleibe recht wohl als einen Act der Ontogenesis betrachten, dem die geographische Trennung eines Individuums vom Wohngebiet der Art als ein Act der Phylogenesis gewissermassen analog wäre. Häckel ist bei seinem Einwand, womit er das auf wohlbegründeten That- sachen beruhende Migrationsgesetz als beseitigt betrachtet, offenbar in einen Widerspruch mit sich selber gerathen, denn nach seiner Auffassung der Ontogenesis und Phylogenesis sollte der von ihm gemachte angebliche Einwurf viel eher als ein weiteres Argument zu Gunsten der von mir dar- gelegten Separationstheorie gelten. ^)

2) Dass selbst die grosse Masse der Protisten, die ,. wunderbare Klasse'' der Rhizopoden oder Wurzelf üsser. zu welchen die kalk- schaaligen Acyttarien und die kieselschaaligen Radiolarien gehören sich einzig nur durch den Process der natürlichen Zuchtwahl in neue Speciesformen verwandeln, dafür hat Häckel auch nicht Einen Beweis zu liefern vermocht. Die individuelle Eigenthümlichkeit scheint bei diesen niedersten ungeschlechtlichen Formen jedenfalls eine weit ge- ringere zu sein als bei den höheren Organismen. Eine allmählige typische Veränderung zahlreicher Individuen einer Art in Folge von plötzlich oder allmählig veränderten physischen Verhältnissen ihres "Wohngebietes im Meere z. B, einer veränderten Pachtung der kalten oder warmen Meeresströmungen, welche nach den neuesten Unter- suchungen der Meerestiefen oft sehr nahe sich berühren, oder eines

166 Sitzung der math.-phya. Classe vom 2. Juli 1870.

Herr Häckel beruft sich nun aber freilich auch noch auf einige andere sogenannte Einwände des Herrn Dr. August Weismann, der in seiner kleinen Schrift: ,,Ueber die Be- rechtigung der Darwin'schen Theorie'' (1868) das Migrations- gesetz „hinreichend widerlegt'' und gezeigt haben soll, dass auch in einem und demselben Wohnbezirk eine Species sich in mehreren Arten durch natürliche Zuchtwahl spalten könne. Die erwähnte Schrift hat aber diesen angeblichen Beweis keineswegs geliefert und die dort angeführten Beispiele sind durchaus nicht stichhaltig.

Herr August Weismann hat das von mir aufgestellte ,, Migrationsgesetz" in seltsamer Weise missverstanden, wenn er annimmt, dass ich damit in allen Fällen die Wanderung über eine bestehende natürliche Schranke als noth- wendige Bedingung der Züchtung einer neuen Species be- zeichnen wollte. Jede örtliche Separation, jede lokale Isolirung wie z. B. die Verbreitung in den verschiedenen Buchten und Tiefen eines und desselben Süsswassersee's, überhaupt jede topographische Ursache, welche die periodische Bildung einer getrennten Colonie begünstigt, kann nicht nur, sondern muss nach meiner Ueberzeugung eine gewisse morphologische Veränderung der Stammform, also in der Regel die Bildung einer neuen Abart oder Racenform zur Folge haben auch ohne Wanderung über die trennenden Schranken eines Hochgebirges, Meeres oder einer Wüste, wie auf S. 23. meiner

Wechsels der Tiefe und damit des Druckes, Lichtreizes u. s. w. scheint mir bei all diesen niedersten ungeschlechtlichen massenhaft vor- kommenden Organismen viel wahrscheinlicher als eine Züchtung durch allmählige Auslese bevorzugter Individuen wie sie Darwin an- nimmt. Dass diese niedersten Organismen, weil sie nicht durch freie Kreuzung ihre Gleichförmigkeit bewahren auch nicht der Isulirung als deren Gegenwirkung zu einer Aenderung ihrer Form bedürfen, ist selbstverständlich.

Wagner: Zur Morphologie der Organismen 167

Schrift ausdrücklich bemerkt worden ist. Das von Weismann angeführte Beispiel: dass aus Planorbis multiformis in dem- selben Seebecken, nicht gleichzeitig, sondern successive im Laufe der Zeit, 19 verschiedene Racenformen entstanden, ist nicht nur kein Beweis gegen das Separationsgesetz, sondern mit demselben ganz im Einklänge.

Auch ein Seebeckeu von massiger Ausdehnung ist für eine schwerfällige Süsswasser-Schnecke gross genug, um die allmcählige Bildung verschiedener Ansiedlungen in sehr ver- schiedenen Tiefen und mit der Isolirung die alluiählige Entstehung von neuen Racenformen zu gestatten. Aber eben weil ein Seebecken weder einen so weiten Raum noch so verschiedene Tiefen darbietet wie ein Meer und daher isolirte Colonien dort wohl nur selten ganz ungestört und für genügend lauge Zeit die nothwendigen Bedingungen zur üm- prägung der Form finden , eben desshalb bildeten sich in dem von Hilgendorf und Weismann angeführten Fall nur wenig abweichende Racenformen und nicht scharf ge- schiedene Species.

Auch die von demselben Forscher angeführten Beispiele der Verbreitung gewisser europäischer Lepidopteren-Arten sind kein Einwand gegen die Separationstheorie , sondern wenn man diese Verbreitung genau betrachtet, weit eher eine Bestätigung derselben.

Herr Dr. August Weismann ist nicht nur ein kenntuiss- reicher Entomolog, sondern zweifelsohne auch ein erfahrener Sammler, der das Thierleben nicht allein aus der Studier- stube kennt, sondern dasselbe auch im freien Naturzustande beobachtet hat. Es kann ihm desshalb der eben so wichtige als höchst bezeichnende Umstand einer überaus häufigen sporadischen Trennung der Fundorte und Wohn- bezirke bei den sogenannten Tikarirendeu Species, zu denen auch die von ihm angeführten Arten gehören , welche zum

168 Sitzung der math.-phyis Classe vom 2. Juli 1870.

Theil in sehr zerstreuten Standorten vorkommen, unmöglich entgangen sein. Schon der merkwürdige Umstand, dass die Raupen von ganz nahe verwandten Schmetterh'ngsarten auf ganz verschiedeneu Futterpflanzen leben , begünstigt ein ge- trenntes Vorkommen derselben, also auch eine örtliche Züchtung durch Separation.

Schlagende Beispiele dafür liefern die in Deutschland einheimischen Deilephila Eupliorbiae und D. Galii, zwei anerkannt gute Species, welche sich aber in Form, Zeichnung, und Farbe so ungemein nahe stehen , dass ein Kennerauge dazu gehört, sie zu unterscheiden. Die Raupe der ersteren Art nährt sich ausschliesslich von den Blättern der Wolfs- milchpflanze (Euphorbia Cyparissias) und kommt daher nur auf öden Haiden und unfruchtbarem Boden vor, während die Raupe des so überaus ähnhchen Doppelgängers von den Blättern des weissen Sternkrauts sich nährend nur auf fetten Wiesen gefunden wird.

Wenn die Wohnbezirke von sehr nahe verwandten Arten wie z. B. die von Weismann angeführten in Deutschland häufigen Falter Limenitis Sibylla und L. Camilla sich stellen- weise berühren und deren Grenzen dann theilweise ineinander verlaufen, so bleiben sie doch merkwürdiger Weise in vielen Gegenden sporadisch vollständig getrennt und diese Thatsache ist ein Wahrscheinlichkeitsgrund mehr für die Richtigkeit des Separatiougesetzes. So z. B. ist Limenitis Sibylla in den Wäldern bei Augsburg ein überaus häufiger Schmetterling, während L. Camilla dort gänzlich fehlt und erst am Fusse der bayerischen Alpen in Waldgegenden auf- tritt, wo L. Sibylla nicht vorkommt oder nur selten er- scheint.

Noch viel auffallendere und für unsere Streitfrage über- aus bezeichnende Beispiele von sporadischer Trennung der Wohnbezirke sehr nahe verwandter, allbekannter europäischer

Wagner: Zur Morphologie der Organismen. 169

Lepidopteren bieten sämmtliche Species von der Gattung der Goldeulen TPlusia) , welche Dr. Weismann anzuführen vergessen hat. Die Plusien bilden bekanntlich eine der schönsten und merkwürdigsten Gattungen der Nachtfalter und sind vor allen anderen Gattungen ausgezeichnet durch langen Säugrüssel, Brustrücken mit erhobenem Haarschopf und VorderflügL'l von lebhafterm Metallglanz oder mit Gold- und Silberflecken. Schon in ihrer Riupenform ist diese Gattung ausgezeichnet vor allen übrigen Noctuen durch die verminderte Zahl der Bauchfüsse und den spannerförmigen Gang. Keine andere Gattung der Schmetterlinge zeigt in einem so auffallenden Grade die nahe Verwandtschaft der Speciesformen , welche sicher aus einer Stammart hervor- gegangen sind und sich auch ohne die trennenden Schranken von hohen Gebirgen oder Meeren einzig durch das Mittel der Isolirung in sporadisch getrennten Wohnbezirken, be- günstigt durch die merkwürdige Verschiedenheit der Er- nährungspflanzen ihrer Raupen, in eine ziemlich grosse Zahl von anerkannt guten, leicht unterscheidbaren Species gespalten.

Auch in den äusserst wenigen Fällen , wo zwei sehr nahe verwandte Arten in ihrem Raupenstande dieselbe Futterpflanze verzehren , sind doch ihre Standorte häufig sporadisch getrennt und die äussersten Grenzen ihres ganzen Verbreitungsgebietes fallen besonders in nördlicher und süd- licher Richtung niemals ganz zusammen.

Weismann beruft sich ferner auf die Verbreitung des bekannten kosmopolitischen Distelfalters Tauessa Cardui als „einen schlagenden Beweis gegen das Migrationsgesetz.'" Ich glaube aber, er konnte zu seinem Zweck kein unglücklicheres Beispiel wählen, denn gerade die Einwanderung dieses Falters in Amerika und die dort aus ihm entwickelten vier höchst ähnlichen vikarirenden Species, deren Existenz Herrn ^S'eis- mann ganz unbekannt zu sein scheint, zeigt uns einen der besten Belege für die Richtigkeit der Migrationstheorie.

170 Sitzung der math.-phys. Classe vom 2. Jidi 1870.

Vanessa Cardui und V. Atalauta gehen bekanntlich bis zum hohen Norden hinauf und sind dort, ähnhch wie andere circum-polare Arten verbreitet. Sie kommen in ringförmiger Verbreitung durch das ganze nöidHche Europa, Asien und Amerika bis nahe an den Polarkreis vor. V. Cardui ist auf allen Inseln der Aleuten heimisch und erscheint selbst an der Behriugsstrasse noch als häufiger Sommergast. Bei der ungemeinen Flugkraft dieses Wanderfalters wird es ihm um so weniger schwer, Meere von massiger Breite zu über- fliegen, als er bekanntlich die Fähigkeit besitzt, bei Ermüdung auf dem Spiegel des Meeres mit ausgebreiteten Flügeln aus- zuruhen und dann sich wieder erhebend weiter zu fliegen, wie es oft beobachtet wurde. Zwischen dem östlichen Sibirien und Nordamerika findet daher ein häufiger üebergang vieler Emigranten dieser Art statt und wegen dieser häufigen Kreuzung zahlreicher Individuen der alten Stammform musste sich in den Polargegenden der drei Welttheile die alte Stamm- form unverändert erhalten.

Im südlichen Canada, wo Vanessa Cardui seltener wird, kommt aber neben ihr eine andere vikarirende Art vor, welche im Süden der Vereinigten Staaten wieder verschwindet und durch eine dritte ähnliche Form ersetzt wird. Je mehr man sich nun dem Wendekreis nähert , um so seltener und vereinzelnter beobachtet man die Stammart des Distelfalters, welche das tropische Klima zwar erträgt, aber dort nicht mehr gut zu gedeihen scheint. Dagegen tritt in der Cordillere Central-Amerika's eine aus einem solchen isolirten Emigranten durch räumliche Separation von der Stammform gezüchtete überaus ähnliche Species auf, welche dieselben eigenthüm- licheu weisslichen und braunen Schattirungen hat und die gleichen charakteristischen vier grossen Augenflecken auf den Flügeln zeigt. Gegen die Physiognomie aller übrigen dort vorkommenden Gebirgsschmetterlinge steht dieser eck-

Wagner: Zur Morphologie der Organismen. 171

flügelige Falter mit seinem nordischen Typus in einem höchst auffallenden Contrast.

Gegen den Aequator hin verirrt sich die Stamm art des Distelfalters, des einzigen Repräsentanten der europäischen Le|)idopteren-Fauna, uoch seltener und ich habe ^vährend eines achtmonatlichen Aufenthalts im Hochlande der Anden von Quito nur ein einziges Exemplar von Vanessa Cardui gefangen. D;tgegen beobachtete ich dort zu meiner grössten üeberraschung auf den Gehäugen der Berge Chimborazo und Pinchincha ziemlich häufig eine noch unbeschriebene vierte vikarirende Art (Vanessa Aequatorialis W.) die gewiss eine scharf geschiedene, gute Species und zugleich dennoch der Stammart so überaus ähnlich ist, dass sie die Verwunderung aller Entomologen erregte, welche sie in meiner Sammlung gesehen. Bei deren genauer Betrachtung leuchtete jedem auch ohne directen Beweis die Wahrscheinlichkeit ein, dass dieser äquatoriale Vertreter unseres europäischen Distelfalters, welcher in seinem ganzen Habitus von allen übrigen Falter- gattungen im äquatorialen Amerika gänzhch abweicht , in Folge lokaler Züchtung und Veränderung aus einem solchen verirrten Emigranten hervorgegangen sein müsse. Ein ähn- liches Beispiel liefert in Europa das Vorkommen des auf einen sehr kleinen Verbreitungsbezirk in Südfrankreich be- schränkten Papilio Alexanor, während der ihm so ähnliche Papilio Podalirius, aus dem sich jener höchst wahrscheinlich durch lokale Züchtung entwickelt hat, ein sehr weites Ver- breitungsgebiet durch ganz Europa von den Pyrenäen bis zum Kaukasus hat.

Das von Weismann gewählte Beispiel der geographischen Verbreitung eines kosmopolitischen Falters, dessen Wander- flüge über schmale Meere er zu ignoriren scheint , ist also kein Beweis gegen die Migratioustheorie , sondern in den Augen eines jeden unbefangenen wahrheitsliebenden Forschers

172 Sitzung der math.-pTiys. Classe vom 3. Juli 1870

weit eher ein indirecter Beweis für deren Richtigkeit.') Als einen directen Beweis für dieselbe will ich hier die be- kannte merkwürdige Umwandlung des mexikanischen Axolotl oder Kiemenmolchs (Siredon pisciformis) erwähnen, von welchem 1864 ein lebendes trächtiges Weibchen von Mexiko direkt nach dem Pariser Pflanzengarten gebracht wurde, dessen Abkömmlinge sich in Folge dieser räumlichen Trennung und Isolirung sehr schnell in eine andere Salamanderähnliche Molchform verwandelten, während in Mexiko selbst, wo der Axolotl in den Seen des Hochlandes massenhaft vorkömmt, und bei zahlreicher Kreuzung sich nicht verändert, diese verwandelte Form fehlt.

Eine lange Reihe von weiteren Beweisen für die Richtig- keit des Separations-Gesetzes liefern andere Erscheinungen und Thatsachen der Thier- und Pflanzengeographie. Bei dem Ungeheuern Umfang des Forschungsmaterials, welches uns in den beschriebenen Faunen und Floren aus fast allen Ländern der Erde vorliegt, ist es aber selir nothwendig, die charakteristischen wesentlichen Ergebnisse aus dem un- fruchtbaren Ballast der zahllosen unwesentlichen oder nur für den Systematiker und Sammler interessanten That- sachen zu sondern, weil deren sterile Masse sonst den Blick des Forschers mehr ermüdet und verwirrt als aufklärt. Ich behalte mir die Beleuchtung dieser wichtigsten und wesent- lichen Resultate der geographischen Verbreitung der Orga- nismen auf meinen nächsten Vortrag vor und will mich hier nur auf die Bemerkung beschränken , dass diese Ergebnisse

3) Eine Widerlegung anderer Behauptungen des Hrn. Dr. Weis- mann, den ich übrigens als geistvollen und kenntnissreichen Zoologen hochschätze, behalte ich mir für einen andern Ort vor, da ein akade- mischer Vortrag zu einer derartigen wissenschaftlichen Polemik sich nicht eignet.

Wagner: Zur Morphologie der Organismen. 173

zwar der bekannten Descendenztheorie Lamarck's und Darwin's entschieden günstig sind , zugleich aber der Selectionslehre des letzteren entschieden widersprechen.

Dr. Weismann bemerkt im Vorwort seiner obenerwähnten Schrift fast wie in einem Ton des Vorwurfs : dass das von mir aufgestellte Migrationsgesetz, wenn es richtig wäre, den Kern der Darwin'schen Lehre, die natürliche Zuchtwahl oder richtiger gesagt die ,, Züchtung durch Auslese" (statt einer Züchtung durch Isolirung und Colonienbildung, welche die Separationstheorie für alle höhern Organismen getrennten Geschlechtes in Anspruch nimmt) ,,auf einen sehr geringen Werth herabdrücken würde.!' Wahrlich ein sonderbarer Vorwurf!

In meiner aufrichtigen Verehrung und Bewunderung des grossen brittischen Forschers wie in der Anerkennung des unsterblichen Ruhmes, den er sich durch die feste Be- gründung der Desceudenzlehre und durch die Erkeuntniss der individuellen Variabilität als der einfachen Grundursache der Artenbildung erworben , glaube ich Herrn Weismann nicht nachzustehen. Jede üebertreibung der Pietät für einen grossen bahnbrechenden Forscher kann aber der Erkenntniss der Wahrheit eben so sehr schaden, wie die übertriebene Rechthaberei und Widerspruchslust aus Eigenliebe oder Miss- gunst. Cuvier und die vieljährige schädliche Herrschaft der Autorität seines grossen Namens ist uns gerade in der vorliegenden Streitfrage ein Beweis dafür. Noch über die Verehrung und Bewunderung, die wir für einen grossen Denker und Forscher hegen, muss die Liebe zur Wahrheit stehen, die das Endziel aller Forschung ist. V>"enn mir daher die Darwin'sche Selectionstheorie vielen Thatsachen der Zoo- Geographie gegenüber unhaltbar zu sein scheint, wenn Darwin das Gesetz der Isolirung und Colonienbildung als noth- Wendige Bedingung der Artenentstehung bei [1870.11. 2.] 12

174 Sitzung der math.-])hys. Classe vom 3. Juli 1670.

allen Thieren getrennten Geschlechtes und bei allen Pflanzen, welche durch Kreuzung sich fortpflanzen, nach meiner Ueber- zeugung nicht richtig erkannt und gewürdigt hat, soll ich diese Ueberzeugung etwa verschweigen , weil im Falle ihrer Richtigkeit der Kern der Darwin'schen Lehre nach Herrn Weismann's Meinung ,,auf einen sehr geringen Werth herab- gedrückt würde?" Das hiesse die Autorität über die AVahrheit stellen und diesen falschen Grundsatz, welchen Andere im Interesse der Erhaltung ihrer Dogmen festhalten mögen, verwirft die Naturforschung,

Hofmami: Quellen des ältesten provenzälischen Gedichtes. 175

Philosophisch - philologische Classe.

Sitzung vom 2. Juli 1870.

Herr Hofraann sprach:

a) ,,Ueber die Quellen des ältesten provenza- lischen Gedichtes."

Das auffallendste im Gedicht von Boeci sind bekanntlich gewisse Angaben, welche mit aller historischen Kenntniss in so grellem Widerspruche stehen, dass man in Zweifel sein muss, ob man es hier mit verwilderter Sage oder mit groben Missverständnissen positiver Angaben zu thun habe.

Ich finde die Erklärung in den alten vitae Boetii, welche Obbarius S. XXIV sqq. seiner Ausgabe glücklicher Weise diplomatisch genau hat abdrucken lassen. Da heisst es: Tempore Deoderici regis insignis auctor Boetius claruit qui virtute sua es. in urbe fuit. Dieses es., welches consul bedeutet, hat der Dichter für comes genommen und sagt also Vers 35: coms fo de Roma.

Aus diesem ersten Irrthum gieng der zweite , weit schwerere hervor. S. XXV Z. 14 heisst es bei Obbarius: Boetius iste de familia fuit Torquati Mallii nobilissimi viri. familia hat der Dichter im Sinne von Dienerschaft, Gesinde, Gefolgschaft, Vasallen genommen, und von dieser Voraussetzung aus weiter geschlossen : wenn Boecis selbst ein Graf und dennoch Vasall des Torquatus Mallius war, so musste dieser nothwendig höher stehen, als er, und folglich König oder Kaiser von Rom sein. Die Bezeichnung, die er in V. 35 gibt, rei emperador, ist die des kerlingischen

12*

176 Sitzungder philos.-phihl. Classe vom 2. Juli 1870.

Epos für Karl den Grossen und seine Nachfolger , die erst nach der Kaiserwahl Karls in die epische Terminologie Eingang finden konnte, nebenbei ein indirecter Beweis dafür, dass zur Zeit der Abfassung des Boeci das kerlingische Epos schon existirt hat. Ueberhaupt sind die Ansclianungen unseres Gedichtes, wie sich von selbst versteht, ganz die feudalen und so fährt der Dichter Vers 36 fort : er war der vor- nehmste von allen Lehensleuten des König-Kaisers. Honor entspricht dem deutscheu ere, ags. äre in dem Sinne von Lehensherrlichkeit (vgl. Nib. ere unde laut).

Da wir nun gesehen haben , welcher Missverständnisse der lateinischen Vorlage der Verfasser fähig ist, und wie seine Phantasie die Lücken seiner Kenntniss auszufüllen weiss, können wir zu einem schwierigeren, ja eigentlich dem schwierigsten Falle des ganzen Bruchstückes übergehen.

Dass der Verfosser den Anfang des Buches de conso- latione philosophiae benützt hat, haben Raynouard und Diez längst bemerkt. Raynouard hat sogar eine Anzahl der betreifenden Parallelstellen wörtlich unter den Text gesetzt, ohne gleichwohl den Nutzen daraus zu ziehen, den sie für Herstellung und Exegese des Textes gewähren.

Es heisst also Vers 204 205: an dem Kleide der Herrin seien zwischen dem Pi und dem Theta an den einge- webten Leitersprossen ,, hunderttausend Vögel emporgestiegen, einige hätten ohne die Spitze erreicht zu haben wieder umkehren müssen, die anderen, welche hinaufgelangt, hätten sofort ihre Farbe verändert und seien bei der Dame in grosser Liebe gestanden." Dann wird Vers 231 42 diese allegorische Darstellung weiter auf das Leben der Menschen gedeutet, von denen einige in der Jugend gut sind und im Alter schlecht werden (das seien die Vögel, die umkehren müssen). Das Ergänzungsglied, dass die Menschen, welche auch im Alter in der Tugend ausharren , die Vögel bedeuten , welche die Spitze der Leiter erreichen, lässt der Dichter weg und kann

Hofmann: Quellen des ältesten provemalisehen Gedichtes. 177

es weglassen, da es sich aus dem Parallelismus von selbst versteht. Dieser langen Stelle (drei Tiraden mit 39 Versen) entsi^rechen im Lateinischen die wenigen Zeilen : Harum (sc. vestium) in extremo margine 11, in supremo vero 0 legebatur iutextum. Atque iuter utrasque litteras in scalarum modum gradus quidam iusigniti videbantur , quibus ab in- feriore ad superius elemeutum esset adsceusus. Hat nun der Provenzale etwa einen Commentar vor sich gehabt, aus dem er seine Amplification genommen , oder hat er seiner eigenen Erfindung ganz und gar den Zügel schiessen lassen? Keines von beiden , denke ich. Er hatte eine alte Hand- schrift vor sich, ganz oder zum Theile in Uncial geschrieben, w'O Verwechslung eines A mit Q möglich ist, und da las er statt quibus, auibus. Von elementum wusste er nicht, dass es Buchstab heisst und das Theta darunter verstanden ist. Er bezog es auf avibus, und fand darin die Zahl der Vögel mille centum , fasste das Ganze als Satz für sich und las: Avibus ab inferiore ad superius mille centum erat adscensus, was denn nach seinen Begriffen bedeutete : 100,000 Vögel stiegen auf der Leiter in 'die Höhe. Aus dem lateinischen Texte ergibt sich nun sofort auch wieder die richtige Er- klärung einer bisher nach Raynouards Vorgange falsch abge- theilten Stelle. V. 213 al cor entspricht dem lateinischen supe- rius, muss also zusammengelesen werden alcor = algor=hüher. So stimmt es wörtlich mit dem Lateinischen. Ob es auch im prov. Originale al cor oder alcor geschrieben ist, lässt sich aus Raynouards diplomatischem Abdrucke nicht mit voll- kommener Sicherheit eutuehmeu, denn al steht am Schlüsse der Zeile, cor am Anfange der nächsten , da er aber sonst mehrmals Trennungszeichen setzt, so wird daraus höchst wahrscheinlich, dass im Ms. wirklich al cor steht. Der Mangel der Cedille, ^) die in dieser frühen Zeit noch nicht vorkömmt,

1) Ich erlaube mir liier eine Bemerkung über den graphischen

178 Sitzung der philos.-philol. Classe rom 3. Juli 1870.

hätte ihn sonst wohl nicht verhindert, in alcor den ar- chaistischen Comparativ zu erkennen.

Nachdem wir nun gesehen , um wie viel mehr der Proveuzale im Latein gefunden hat, als wir zu finden ver- mögen, wird sich die Frage, ob er etwa neben dem Buche de consolatione noch einen besondern Commentar dazu gehabt habe , wohl negativ beantworten lassen. Seine Phantasie reichte vollkommen aus, das Fehlende zu ergänzen, nachdem er selber die Hauptsache im Texte gefunden hatte, und was für ein Meister im Schlussfolgern er ist, das haben wir ja schon oben an seinem König -Kaiser Torquator Mallios gesehen.

Wir dürfen von unserer Stelle noch nicht Abschied nehmen. Abgesehen von drei kleineren Bedenken enthalt sie gerade noch dasjenige Wort, welches bis jetzt eine wahre crux philologorum gewesen ist, nämlich a r r e n s o.

Vers 210 glaube ich ist umzustellen: mas no sun nuallor. Der Dichter würde wohl u nicht auf o assoniren lassen.

In Vers 207 ist schapla verdächtig, denn scapula Schulter- blatt, dem es am genauesten entsprechen würde, kann es, wie Diez bemerkt hat, desshalb nicht heissen, weil sonst der Dichter die absurde Idee gehabt haben müsste, dass die Vögel der Dame am Rücken hinaufstiegen. Es mit Raynouard durch chape zu erklären (also etwa aus capula) ist formell unzulässig, denn wie könnte aus capula ein schapla werden. Am einfachsten wird es sein einen Schreib- fehler anzunehmen und mit Vers 232 schala Leiter zu lesen,

Ursprung der Cedille. Sie ist nicht, wie Littre in seinem Epoche machenden etymol. Wörterbuch sagt, aus Xebeneinandersetzung von

c und z entstanden, sondern aus Untereinandersetzung so . In den

provenzalischen HSS. kann man dies ganz deutlich verfolgen. Der obere Theil des z verschmilzt dann mit dem untern des c und wird endlich unkenntlich, während der Xame (kleines z) sich forterhält.

Hofmann: Quellen des ältesten provenzaliscJien Gedichtes. 179

was auch durch Vers 209 unterstützt wird , denn wenn hier von Leitersprossen die Rede ist, so muss ja logischer Weise die Leiter selbst vorher erwähnt sein.

In Vers 206 muss falsche Worttrennucg vorliegen in la vita qui enter'es. Wie es heissen muss, zeigt der Gegensatz. Theta bedeutet das Gesetz (= den Glauben) des Himmels (de cel la dreita lei V^ers 208). Dann muss der Gegensatz sein : Pi bedeutet das Gesetz oder Leben der Erde. Wir haben also zu lesen: la vita, qui en terr' es.

Wir kommen nun zu dem schwierigsten arrenso in Vers 210 und 232. Raynouard übersetzt 210 en arriere und 233 ä reculons. Diez bemerkt: ,,arrenso Adverbium dem die Bedeutung retro zukommen muss , gebildet aus a und dem Substantiv renso , für dessen Ursprung aber kein Rath ist. Schrieb der Dichter arreenso , das einen vollen Vers gab, so würde reenso auf redemptionem führen und tornar a reeuso ,, durch Rückkauf heimkehren", könnte mau endlich für heimkehren überhaupt gebraucht haben oder auf reventionem, das sich aber in keiner Sprache vorfindet." So weit Diez. Man sieht aus seiner Erörterung wie ver- zweifelt es mit arrenso steht. Wo Diez keine Erklärung findet, finden wir andern sicherlich noch weniger eine. Ich lasse also arrenso als solches fallen und suche nach einer methodischen Conjectur. Dass a renso zu trennen und r nach der Gewohnheit unseres Denkmals wiederholt ist um die Zusammenschreibung anzudeuten, ist im höchsten Grade probabel. Die fehlende Silbe entzieht sich am leichtesten durch Verwischung oder Uebersehung einer Abbreviatur. Die kleinste Abbreviatur ist ' und die leichteste und häufigste Verwechslung n mit u. Ich lese also a reu'so = a reverso = ad reversionem und das heisst genau, was der Sinn ver- langt und was Raynouard und Diez mit en arriere, ä reculons retro ausgedrückt haben. Bei Raynouard findet sich wirklich belegt a reversos = ä rebours, ä reculons und reversio =

180 Sitzung der philos-philol. Classe vom 2. Juli 1870.

inversio. Auf letzteres, der Uebersetzung des Albucasis ent- nommen und wohl nur ein Lehnwort aus dem Latein, lege ich wenig Gewicht. Dagegen das erste Citat aus Gaufre Rudel ist um so bedeutender, da es im Sinne gänzlich, in der Form ganz nahe mit meiner Conjectur zusammentrifft, denn reversos wird wohl der Plural von reverso sein und nicht etwa ein Adjectiv reversosus.

Diess dürften die Hauptfälle sein, wo aus Zuziehung der vita und der consolatio Hülfe für das Gedicht zu ge- winnen ist. Ich gehe nun noch zu einigen Stellen über, die mir corrupt oder verdächtig oder anderer Auslegung fähig scheinen.

Vers 14. bresa nimmt Raynouard ohne weiteres für presa. Ich kann mir nicht denken, dass ein provenzalischer Schreiber b für p setzen konnte und möchte lieber lesen des que 1' abrasa = sobald er sie umfasst (die Reue), so hält er sie nicht fest. Die folgenden Verse scheinen mir im Anschlüsse an die Handschrift und mit Wechsel des Numerus, wie er sich einmal zwischen Vers 236 (fan) und 237 (cuida) findet, am einfachsten zu lauten :

qu' eps lor forfaiz sempre fan epsamen e laisan deu lo grant omnipotent. Das e, welches in der oberen Zeile zu viel ist, füllt in der unteren gerade die fehlende Silbe. So dürfte auch Vers 12 E umzusetzen sein: Ni evers deu. Uebergeschriebene Silben pflegen bekanntlich an unrichtiger Stelle in den Text zu gerathen.

Vers 17, t und z sahen sich sehr ähnUch, wie die letzte Zeile des von Raynouard mitgetheilteu Facsimile beweist. Vielleicht steht in der HS., sicher stund im Original morz und toz.

Vers 26. Wenn penet , wie die Handschrift betont, richtig ist (also Praeteritum von penar) so muss mas auch getilgt und gelesen werden:

mal s'en penet quar non i mes foiso.

Hofmann: Quellen des ältesten provenzalischen Gedichtes. 181

^Yenn aber der urkundliche Text beibehalten werden soll, müssen wir penet als ein ganz anderes Verbum fassen und es zu dem Particip penent stellen, welches sich bei Paul Meyer, Anciennes poesies religieuses en langue d'oc, Paris 1S60 p. 10 findet. Von diesem Verbum penir (neben penedir und penedre) scheint auch das von Raynouard belegte penizos (Xom. Fem.) zu kommen. Der Tempuswechsel darf nicht stören. Die Hauptsache wäre, dass dann mit der Betonung penet der Vers nach Metrum und Sinn ohne jeg- liche Veränderung ganz untadelhaft wäre: .,aber sehr thut es ihm leid, bereut er es, weil er nichts ausrichten konnte."

Vers 38 vermuthe ich causa nnom avia. wie 58 sen tteiric.

Vers 61. altras leis scheint mir corrupt für altas lis = die hohen Processe. lis hat Rajnouard einmal belegt , aus einer Urkunde von 1283.

In wiefern bei dieser Geschichte vom Verrath mit den Griechen die vita benutzt ist oder eine andere Tradition oder die Worte des Boetius selbst (Cousol. I, 4.) lasse ich dahin- gestellt. Was unser Dichter sagt, stimmt nämlich der Haupt- sache nach am genauesten zur letztern Stelle :

Kam de conpositis falso litteris , quibus libertatem arguor sperasse Romanani, quid attinet dicere? Quarum fraus aperta patuisset, si nobis ipsorum confessione delatoruin, quod in Omnibus negotiis maximas vires habet, uti licuisset.

Aber die Griechen sind hier nicht ausdrücklich genannt und unser Dichter hätte diesen Satz vielleicht auch gar nicht verstanden.

Dagegen sagt die Vita von Boetius (Obbarius p. XXIV): videlicet clam litteris ad Graecos missis nitebatur urbem et senatum ex eins impiis mauibus eruere et eorum subdere defensioni. Sed postquam a rege reus maiestatis convictus est, iussus est intrudi in carcerem. Es hat also den An- schein, als ob der Dichter die näheren Umstände aus der

182 Sitzung der phüos.-'philöl. Classe vom 2. Jidi 1870.

vita, die Widerlegung der falschen Beschuldigung aus dem Buche seines Helden entnommen hätte.

Vers 68 1. sali en estaut (d. h. sallen).

Vers 71 1. apesant in einem Worte (= bedrückend) die HS. trennt wirklich auch nicht. Vielleicht wäre apressant noch besser.

Vers 96 1. inz e las carcers.

Vers 97 und 98 scheinen corrupt, wegen des zweit- maligen cum es am Schlüsse.

Vers 103. que poissas lo soste?

Vers 111. 1. deus a e lui mes so chastiament.

Vers 140. 1. e molt onraz,

Vers 147, 1. dechaden, beides um die fehlende Silbe zu ergänzen.

Vers 154. Die Auflösung sanctum spiritum (HS. scm spm) gibt der ersten Vershälfte zwei Silben zu viel. 1. e sant sperit, qu'e bos omes desend.

Vers 155. Die zweite Vershälfte hat eine Silbe zu viel. 1. el vai l'arma dozen.

Vers 156. 1. qui attal (= a tal) schala s te.

Vers 165. ent ist zu tilgen, da der Vers eine Silbe zu viel hat.

Obige Bemerkungen sind die Frucht meiner practischen Uebungen (eine Art germanisches und romanisches philo- logisches Seminar) au hiesiger Hochschule. Das Beste habe ich erst im vorletzten Sommersemester gefunden und da es mir nach öfterer Duicharbeitung der Mittheilung nicht ganz unwerth schien, so möge es zugleich als Antrittsschrift zu meiner im vorigen Herbste erlangten Professur der romanischen Philologie meinen Freunden und Fachgenossen empfohlen sein.

Hofmann: lieber die Vorauer Handschrift. 183

b) ,, Studien über die Vorauer Handschrift.

Die archaistische Periode der mittelhochdeutschen Literatur (vor der Mitte des 11. Jahrhunderts beginnend, nach der Mitte des 12. endend, schärfere Zeitgränzen noch nicht gefunden) wird niemals die moderne Popularität ihrer klassischen Periode theilen können, selbst wenn ein Simrock es unternehmen wollte, sie in jene mondbeglänzte lingua franca zwischen Mittelhochdeutsch und Neuhochdeutsch zu übertragen, mit der er Tausenden und Tausenden die Zauber- nacht unseres Mittelalters aufgeschlossen hat.

Nur den Gelehrten gehört das Vorrecht, sich mit An- dacht und Liebe in diese grauen Denkmäler zu versenken und in ihnen die Geistes- und Kunstentwickluug zweier hoch- wichtiger Jahrhunderte unserer Geschichte zu verfolgen.

Ein grosser, ja der grösste Theil dieser Dichtungen ist geistlichen Inhalts, daher sind für Nichttheologen begreiflich Sprache und Kunstform vorwiegende Momente der Be- trachtung, wiewohl auch wir zum Verständniss des Ganzen und Einzelnen in einen längstvergangenen Ideenkreis ein- treten müssen, in ein System naiver sinniger oft grossartiger Symbolik und Allegorik, über den sich vor und nach der Reformation so viele dogmatische Schichten gelagert haben, bis zu der jüngsten und letzten des romanisch-jesuitischen Caesaropapismus, an welcher der deutsche Geist keinen Theil gehabt hat und nimmermehr Theil haben wird.

Weit schwieriger noch als der Inhalt dieser ersten

184 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 2. Juli 1870.

mittelhochdeutschen Gedichte ist ihre Metrik und Wacker- nagel hat sie daher quasi re desperata als Reimprosa be- zeichnet und zum grossen Theile so in seinem allbekannten Lesebuch abdrucken lassen. Diese Auffassung war bequem für solche die gerne Germanisten heissen mögen, ohne sich allzuviel den Kopf zu zerbrechen. Sie bildete in diesem Sinne das Seitenstück zur andern, dass man in germanischer Etymologie sich am zweckmässigsten auf die klassischen ,.pelasgischen" Sprachen beschränke und Sanskrit wie andere unverdauliche Idiome bei Seite lasse. Solche Ansichten empfehlen sich leicht der Masse; aber der Wissenschaft gegenüber sind sie reactionär und darum verderblich , denn hier handelt es sich vor Allem darum , gerade die grössten Schwierigkeiten nicht zu umgehen, sondern immer w'ieder von vorn anzugreifen , um sie endhch durch verbesserte Methode zu überwinden.

Glücklicher Weise hat nun die Meinung, dass zwischen der ahd. und mhd. metrischen Periode ein anarchisches Interregnum liege, dem man kurzweg den Namen Reimprosa geben könne , sich nie allgemeiner Geltung erfreut und ist jetzt im V'erschwinden begriffen. Aber die positive Arbeit hat kaum noch begonnen. Was meinen Antheil an derselben betrifft , so habe ich nur zu sagen , dass ich mich seit Jahren immer aufs neue diesen Dichtungen zugewendet habe und dass endlich die Ueberzeugung in mir zum Durchbruche gekommen ist, dass wir es hier mit metrischen Gesetzen zu thun haben , welche den Uebergang von einer Periode zur andern bilden und daher ihre sicherste Erklärung in den sprachlichen und graphischen Aenderungen finden, die ihn begleiten. Das Gesetz der vier Hebungen (noch ohne klingenden Reim) greift aber überall durch und bildet den Grundchar acter der an- derthalbhundertjährigen Periode. Wie wäre es

Hofmann: Heber die Vorauer Handschrift. 185

sonst möglich, deutlich zu erkennen, dass in erzählenden Gedichten die Einleitungsworte directer Rede (er, sie sprach, sagte u. dgl) nicht in den Vers eingerechnet werden , dass in Gedichten, deren Absätze sich nicht durch gleiche Vers- zahl herausheben , die Scheidung durch einen Schlusssatz von 6 Hebungen geschieht. Wie wäre es möglich, dass ein sprachgewaltiger Dichter das gewöhnliche Gesetz der Senkungen mit daktylischem Gange vertauschend, immer aber das Gesetz der 4 Hebungen beibehaltend , ein dem lateinischen Hexameter ähnelndes Versmaass hervorbrachte, wie es im Gedichte vom Himmelreich geschehen ist. Nachdem ich einmal zu dieser Ueberzeugung gelangt war, habe ich Tausende und Tausende von Versen zu eigener üebung und Belehrung mit dem Bleistifte in der Hand metrisch und kritisch durchgearbeitet, am eingehendsten die berühmte Vorauer Handschrift, weshalb ich auch ihren Xaiuen an die Spitze stelle. Was ich liier zuerst gebe ist in Wirk- lichkeit der Schluss meiner Arbeit, an dem sich nun erproi)en muss, ob meine Grundsätze die richtigen sind. Als icli an das schwierigste Gedicht dieses ganzen Kreises gieng , die Schöpfung, wie sie bei Diemer, summa Theologiae, wie sie bei Müllenhoff und Seherer heisst, erkannte ich nach und nach, dass hier mit metrischer Kritik allein nicht durch- zukommen sei, um regelmässige zehnzeilige Strophen herzu- stellen. Fernere Erwägung führte zu dem Gedanken, dass die üebarladung der Verse, wie der Strophen daher rühren müsse (oder könne) , dass dem ursj^rünglichen Gedichte zwischen den Zeilen oder am Rande Erklärungen und Er- weiterungen beigefügt worden seien , die ein späterer Ab- schreiber oder üeberarbeiter in den Text aufgenommen und so fast überall das metrische Gefüge, häufig auch den Sinn in Verwirrung gebracht habe. Daraus hat sich nun der folgende Text ergeben.

186 Sitzung der philos.-pliäol Classe vom 2. Jvli 1870.

Vorauer HS. bei Diemer S. 93 ff. Müllenhoff und Scherer Denkmäler Nr. XXXIV. S. 84.

1.

Got ist daz anegengi alliri dingi,

der gibundin hat den diiival, des mäncraft wonit ubir al. 5 SU ist obin diu dinc richtinti, undin üfhabinti, innin irvullinti, üzzin umbivähinti. dar an ist unvirwandilheit, 10 äni unmüzi und äni arbeit. 2. Ein craft in drin ginennidin ist ouch gilän den selin, di habint ungischeidin rät gihugidi willin. 5 disi dri ginennidi

sint immir samint woninti. di ginädi uns got virliz, do er uns sin ädim in blis. dannin birin wir an der seli 10 erlichi gotis bilidi. 3. Got Dieinti in zwein dingin sin lob vuri bringinj daz er si giwaltic unde gut, von den er allu wunder tut. 5 er ist kunic alwaltic und vatir woliwillic,

Hofmann: Ueber die Voraucr Handschrift. 187

zi du daz wir in liinnin vorhtin unde minnin, daz wir ouch von disin dingiu 10 mugiü sagin unde singin.

4.

Got wolti irougin sini crefti vili dougin. diu siniu wisheit was dir rät mit dem er al giworcht hat. 5 er was meistir unde wercman, sin gizücli was vili lussani, er hiz werdin engili, vuirini geisti. wol gizam den edilia 10 daz si vri werin,

5. Der allir herist undir in, Lücifer giheizzin, der was ein insigili nach demo vroni bilidi. 5 sini herschaf ime gigebin durch gut di kerter alli in ubirmüt, er chot er wolti nordin sin ebinsezzi des hohistin. durh daz was er virstozziu 10 mit den sinin ginozzin.

6. Do des nidis vatir Lücifer wart ein engil abitrunniger, von der hohi er vil so nidiri daz er nimmir kumit widiri. 5 di gütin engil al ani sähin sinin val,

188 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 2, Juli 1870.

ziri lierrin si sich habitin, vorchlichi si in lobitin, durch daz wart in gigebin, 10 daz si imir samint goti lebin.

7. Der dir "wisi und almechtig ist, samfti irvultir disin gibrist. er gischüf zir seibin heinii Adam üzzir leimin, 5 (daz was in arzitwisi,) daz er bistünti in paradisi, wanti jenir noz zi der ubili di sini herin edili. got wac dur ebindüri 10 di erdi widir dem vüri.

AI des dir mennisch bidorfti, got in vimf dagin worchti. an demo sechstin worchter in, disu werilt allu wart durch in. 5 er habiti in allin gischepfidon wunni bilidi heizindüm. unsir chunftic ellendi was er mit disin drostinti, daz si unsich des irmauitin, 10 daz wir heim hugitin.

9. Er gab von dir gischepfidi uns misilichi chrefti. er gab uns mit demo stein! di herti der beiui, 5 mit dem grasi demo vachsi, daz iz selbi wachsi,

Hofmann: lieber die Vorauer Handschrift.

die sinni mit den vHgintin swimmintia und cresintin, mit den engilin bidrachtin, 10 güti und ubili achtin.

10. Von den anigengin virin got wolti den menniscliin zirin. er gam' mi von dem vüri gisüni vili düri, 5 von den luftin hohirin, daz er mag gihorin, von den nidiriu daz er stinkin mag, von dem wazziri gismag, der hendi und vüzzi girüridi 10 lizzer imo von der erdi.

11. Do wart zi stunt gitän mit dem eristin man suslich gidingi, daz er in einwigi 5 mit demo giboti rungi vuri mankunni, obi er den sigi irwurbi, daz der mennisch nimmir sturbi. der unsir chempho do giweich, 10 leidir er unsich bisweich.

12. Gotis minni und huldi virluri wir durch di sculdi. der düvil wart giwaltig, wir wärin dodis schuldig. 5 sid chom zem giwegidi sun gotes, barn der magidi. [1870. II. 2.] 13

190 Sitzung der philos.-phüol. Gasse vom 2. Juli 1870.

er nam von uns di doticheit unde gab uns di gotheit, want er dir inzwischen woldi wesin. 10 von des dodi sulin wir ginesin.

13.

Do der eingil givil, do wart er weibil ubir den gotis andin. zi dem siniu giwalti 5 Adam gihorti.

der magidi sun zistorti des viantis giwinni. ani imo zi vil biginc er, do müser widir gebin, 10 daz er e von schuldin mohti habin.

14.

Er wolti sinin ginannin von rehti widir giwinnin. er was von sundin reini, di torcuh'u drat er eini. 5 der viaut ächti dir mennischeit, da virborgin was diu gotheit. daz chordir vant ir hangin, mit dem angili er wart givangin. Crist gab sin unschuldi 10 vur unsih widir huldi.

15. Er wolti in vir halbin disi werilt alli gihaltin. do er wart irhangin, habiti er si bivangin, 5 daz er si zimo zugi,

swenn er den viant bitrugi.

Hofmann: Ueler die Vorauer Handschrift. 191

durch des scalchis not leit der gotis sun den döt. des dodis craft ir starbti, 10 sini holdin widir giarbti.

16. Adam wart ingunnin, Evun dannin bigunnin. vesti wib von man giwan, mit brodi wechsil wart gitän. 5 ingunnin ouch du archa was, in der manchunni ginas. unser heili was bidacht, Crist hat si vuri bräclit. von im wir birin giheilot, 10 der vuri uns wart virdeilöt.

17.

Drü des heiligin crücis ort sint des giloubin drü wort, dar undir ist daz virdi der driir ein gimeindi. 5 der vrüntiu unde viantin breitoti di hendi, an den sol üfrechtir stän, swer wili volhertan. gidingi obir houbit 10 daz inthebit al diu dougin.

18. Swer welli Cristi volgin, der dragi sinin galgin, an dem er sinin willin von ubili mngi gistillin, 5 sin selbis werdin giwaltig gihorsam ehaltig.

13*

192 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 2. Juli 1870.

wil er dar ane volsten durch den gotis willen, so hat er den gebilidot, 10 der durch in wart gicrücigot.

19. Du minni ist ein kunigin undir allin dugintin. di leitin vorchti und züvirsicht vuri gotis selbis anisicht. 5 vorchti dinit in scalkis wis, züvirsicht in suuis wis. swenni si volbringit unzi si got irkennit, äni vorchti bistet danne 10 mit dem vatir du minni.

20. Got hat uns offin gitän, wi wir di minni sulin hau. er gi schuf du lit alli dininti ein andir. 5 du der sint äni eri der bidurfi wir meri. nuni mugin di ougin wizzin di nidiri den vüzzin, absus biri wir gilegin, 10 wi wir sulin insamint lebin.

21. Wanti got al mag und al wili, von dan wart der dingi vili. swi si unsich dunkin mislich, zi gotis lobi sint s alli gilich. 5 ir zweir wir lebin middilanc, obin gnädi, undin dwanc.

Hofmann: Ueher die Vorauer Handschrift. 193

drewit uns zi der belli al du giscaft, du dir ist scarf und darihaft, swaz dir ist sempfti und wunniclich, 10 daz dinot in daz himilrich.

22. Der au den viantin richit gotis andin, sinis undankis dinot er. gotis holdin ächtit er, 5 er in mag niman bivellin wan mid sin selbis willin. unsih ist er schibinti, di gnädi gotis zihinti. also muozzer dinon 10 imo zi wizzi unsir Ion.

23. Nach den unsir vordirn virvlüchit wart du erdi. des wazzirs got rüchte, er gischid iz von dem vlüchi, 5 daz iz mohti voui den meinin an dir douffi gireinin. di erdi giwüsc du sinvlüt, di undi giwihiti sin blut, daz von sinir sitin ran, 10 mit dem er unsich heim giwan.

24. Cr ist unsir gisil lag zwo nacht und einin dag. sinis einin d6:lis (craft zistorti dis dodis) mäht, 5 des man dristunt bisouflit, den man rechti douffit.

194 Sitzung der philos.-philol Classe vom 2. Juli 1870.

da bi wir sulin werdin di sinin ebinerbin. der vordirn iiigultin wir, 10 des vurisprechin ginizzin wir.

25. Daz houbit ist irstandin, des al du lit m endin. erin wili vurdir douwin, voni du nist zwischil douffi. er hat avir bigunnin unsir herzin einis brunnin, der unsich mag gireinin. ob wir lütirlichi weinin. der dir lonit mit sin selbis gebi, 10 wil daz sin lit inein lebin.

26. Got lerti unsich dimüt und widir ubili wesin gut, vremidiz leit irbarmin, wärheit bischirmin, 5 ungerne swerigin, lastir joh werigin, giloubin joh gidingi zi cristinlichir minni, sin wort gihorin als iz zemi, 10 daz ouch er unsich viruemi.

27. Swi iz unsich rüwi,

so suli wir goti gitrüwin, der Dävidin dethi lobisam, Sit er virrith Urjam, 5 der dem scächeri virliz

und imo daz himilrichi gihiz.

Hofmann: üeber die Vorauer nandschrift. 195

der gotis dristunt virlouginoti, ist di himilsluzzil draginti. ir lütirit unsich als daz glas, 10 des gnädi was, daz Paulus ginas.

28. Gotis brüth, du adilvrowi, vorchti du kint der düwi. der lichami ist ir chamerwib, er mag ir vlisin den lib. 5 du seli sol ir rätin, der düwi gibitin. sol irsterbin iri kint, daz des licbamin wercb sint, und edilu kint giwinnin, 10 di mugi zem erbi bringin.

29. Der dir ist got und mennischi, der gibit urstendi zwischili. di seli er let von sundin irstän joh vil lütirlichi rüwi hän, 5 voni grabi erstent vir slachti an der jungistin wacbti. zi urtheili in chumint di wirsistin, di dir sint vor virdeiliti, di durchnahtigin sulin irdeilin, 10 di dir sint der zweiir meddimin.

30. Gotis urtel ist hi dougin, zi demo suontagi ist offin. manigin villit got mit seii, ob er sich bezzirin welli. 5 zi jungist er scheidit in zorni di heliwin von dem chorni.

196 Sitzung der philos.-philoh Classe vom 2. Juli 1870.

da sihit ein igilichir an demo gotis giricbti nach sin selbis wizintheit 10 im selbim üb odir leit.

31.

Sälig di zi der zesiwin sint immir mere gotis kint. der vatir erit da den sun. mid den er babiti hi giwoni, 5 insamint in drincliit er den wiu der ewigin mendin. mid din engilin undotlich erbint si daz himilrich. got ist ir lib und minni 10 als daz licht der ougin wunni.

32.

Herro, di dir dinint, ir ist daz richi. wi mugin wir dir giloni, du dir nidir gingi, 5 du dir woltis wesin unsir ginoz, draginti unsir burdin groz, nu hästu dinin miltin rät allin zi vrowidi bräht, daz dih, irloser, alliz lobi 10 undir dem himili joch dar obi.

Hofmann: Fragmente eines latein. Glossars. 197

Herr H o f m a n u theilte mit c) „Fragmente eines lateinischen Glossars.**

Vor längerer Zeit fand ich auf einem Bücherdeckel der Münchner Universitätsbibliothek die folgenden Bruchstücke einer Handschrift des XIV. .Jahrhunderts, die sich bei näherer Untersuchung als einem Glossare angehörig erwiesen. Am nächsten stimmen sie zu d-m von Angele Mai, Classicorum Auctorum e vaticanis codicibus editoruui to:n. VIH (Romae 1816,") herausgegebenen Thesaurus novus Latinitatis sivelexicon vetus e membranis nunc primum erutum, doch decken sie sich keineswegs völlig damit. Deshalb schien ein Abdruck, wenn man einmal überhaupt von dem Funde Notiz nehmen wollte, sich mehr zu empfehlen, als eine Collation, die auch, um ganz genau zu sein , ziemlich den gleichen Raum bei geringerer Anschaulichkeit eingenommen hätte.

a.

adverbium calculatim. id est numeratim. Item a calculo propter parvitatera. hie calcus ci. i (id est) quarta pars öbuli (sie), et est minima pars ponderis. et hoc calJicum. ci. id est foris deambulatorium quod et peribubulum^) dicitur et hie calculus li. lapis qui in vesica fir. unde calculosus. a um. qui taleni patitur intirmatem. Item a calco. as hec culcitra quasi calcitra quod ealcetur et farciatur plumis vel a colo is quia colatur diligenti cultura. Item a calco. as. hie ealeula id est lixa. vel servus militum vel nucius (1. nuneius) cursatilis. unde Plautus, viJeo calculam militare (sie), calco componitur conculco. as.deculco. asquod et de calco invenitur id est opus tectorum dealbare, exculco. as. inculco. as. proculco. as. reculco. as. et sunt omnia activa eorum

1) lies peribolum = nsQißoXoy = Corridor.

198 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 2. Juli 1870.

significaciones facile est coUigere. Calvo. as. are. id est aliquem calvum facere sed non est in usu. sed inde dicitur hie calvus. vi. et adiective invenitur calvus. a. unde hie cal- vulus. li di(minutive) et hie calvaster. tri. similiter di- (minutive) et hec ealvicies. ei. et calvicium. cii. et hec calvaria. e. id est locus patens super duo supereilia unde in evangelio legituz'. quod locus in quo latrones decapitabantur locus calvarie appellabatur propter scilicet calvarias abscisorum capitum que ibi iaeebant. vel propter ossa calva existencia ibi. Item a calvus. calvo. as. ui. ire. id est decipere verbuai activum et caret supino. deberet enim facere calutum sed non invenitur et tractum est a calvo qui quodamodo decipit videntes per galerum suum vel alio coopertorio unde cavillos as quod et eavillor. ris. invenitur et est diminutiuum et deberet dici cavillo as. sed subtrahitur.

dicitur cavillo. as. id est aliquantulum decipere et

. . bum hoc max(ime) ad sophjstas qui ver(um neg)ant vel falsum scienter affirmant

(cane)bant. aliquando metrice describere quomodo accipitur in principiis poetarum et est poetarum. sicut dicere est prosaieorum et in duabus primis significationibus est enim in aliis activum unde verbale et hie cantus. tui. unde cantilena. quod videtur esse compositum a cantus et lenis. non enim dicitur esse cantilena nisi sit cantus dulcis et knis. et suavis et non asper. et hoc canticum, unde quidam über intitulatur per exeellenciam cantica. orum. et eanto. as. verbum frequentativum a quo descendit aliud frequen- tativum scilicet cantico. as. unde Augustinus de civitate dei. ludi eecini. ubi hec dictitantur. cantieautur. canto compouitur acanto. as. id est iterum vel iuxta cantare. concanto. as. id est simul cum alio. et simul plura deeanto. as. id est valde cantare. et diseanto. as. et excanto. as. id est discan-

Hofmann: Fragmente eines latein. Glossars. 199

taie. et incanto. as. et recanto. as. id est iterum vel retro cantare. Item a cano Iiic canusius. verbosus. loquax. dicax. semiveibius, multiliügius muUicrepus et hie cantus. ti. pro cantu. et pro meditullio rote vel quod est melius curvatura et cirumferencia rote, scilicet lignum quod terram calcat cui radius infigitur. unde Persius: vertentem sese frustra sectabere cantum et hie Canor. ris. id est sonus. unde canorus. a. um. et hie caiitar;.?. quoddam vas vinarium. scilicit crater qui cantando portatur. unde Josephus de antiquitatum hysto. in VIP ex quo Salomon oantaros optimos fecit cum teuiplum edificaret. invenitur etiam et hie incanterius. rii. id est equus castratus. unde Plautus. ego faxim ut mali qui superant equi sternent vili(or)es gallicis canteriis. Item a eano hec

came (na) id est cantilena vel musa. quasi canens

amene et ntes. cium. id est fistule organorum in

quibus cantus vel ut Marciano plaeet Cantes

dicuntur dee unde idem ait. quippe illß

Cantes diee(bantur) d apprehenderant venusta-

bant. et apre

c.

(a prae)terito. scilicet cecini. hie cingnus quia bene cantat. unde hie cingnulus. li. diminutive et cingninus a. um. et cingnitus. tus. tui. vox cingni et secunduni quosdam eonciunus. a. um dicitur a cingno id est consors (1. Concors) et consonans sicut cantus cingnorum. set de hoc postea dicetur.

Item a cingnus dictus est quidam amnis. Cilicie. hie Cingnus tum quia miram habet aquarum suavitatem. tum quia autumpno et estate. quando nives solvuntur. tumescit. quadam enim lingua quitquid candidum est. dicitur cingnus. reliquis anni temporibus tenuis est et quietus.

Item a eano hec cauna. quia ea canitur. unde hoc cannetum. ti. id est locus ubi canne crescunt. et hec can- nula et hec eamella (sie) ambo di(minutive) et hoc cannabum.

200 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 2. Juli 1870.

bi. propter similitudinein caaue. vel a greco canabiu (sie) quod Greci dicunt. unde hec canabis. bis. pro codem et pro corda inde facta, unde Persius. tibi torta canabo fulto cena sit instrumento.

Item a canna hec cannalis et hoc. le. quia cava sit in modum canne. et hoc ciuamum vel cinamomum. et est brevis arbuscula cuius fructus dieuntur stacte. et dicitur ein. uel. ci. quia cortex eius in modum caunarum sit rotundus et tenuis.

d.

. . (iu)vemtur pro deridere. vel coutendere. vel conuiciose iocari. vel calumpniari. Item a calvo. vis. hec cavilla. e. id est cavillacio vel contencio. rixa. unde Plautus. pone hoc

sie cavillam et hee ealumpuia id est falsi

ciiminis aecusaeio vel iurgium aliene litis, unde calurapnior. aris id est reprehendere. falso aecusare set antiqui dieebant calumpnio. as. et caiumpnosus. a. um. calvo. as. eoinponitur decalvo. as. calvum facere. vel decapitare et ealvariam auferre.

Calcos dicunt Greci et vertitur in latinum et dieitur hie calcus. id est fex vel es. unde hec caleosmaragdus quedam gemma. quia sit viridis et turbida ereis veuis et hie calcitus. ti. aliqua gemma erei coloris et hec caleophanis. similiter gemuia et est nigra set lapidi illisa eris tinnitum reddit. et hoc ealeantum quoddam genus coloris dictum sie quia calcis ... est . . um id es flos. unde et apud Latinos eris flos appellatur et est genus glebarum ex aquis sicut et

vitrum et sal et auriealcum dieitur a calcos quod

supra diximus. Caleiea gemma est. Circa est genus unguenti.

Cap genub fictilis vasis. Calcasis genus tuniee

Hofmann: Zur Cronica rirnada del Cid. 201

d) „Zur Cronica rirnada del Cid."

Zu den lebhaftesten Wünschen meines seligen Freundes Ferdinand Wolf gehörte eine neue Vergleichung und eventuell kritische Bearbeitung der altspanischen Gedichte, besonders des Poema del Cid und der von Sanchez mit Censurlückeu herausgegebenen Werke des Ärcipreste de Hita. Ich sollte zu diesem Zwecke uach Spanien reisen uud Alles vergleichen, was sich dort von Handschriften findet. Ungunst äusserer Verhältnisse hat diesen , wie so manchen anderen meiner romanischen Pläne nicht zur Ausfühiung kommen lassen. Wurde ich ja im Winter 1857 auf 58 zuerst aus der Arsenal-, dann aus der weiland kaiserlichen Bibliothek geradezu ausgewiesen , weil das Unterrichtsministerium des second empire in seiner erleuchteten Liberalität nicht dulden konnte, dass ein baierischer Professor sich erlaubte, der kleinen Gruppe von Auserwählten Concurrenz zu machen , die sich dazu hergaben , die kaiserlich , altfranzösische Philologie zu besorgen. Es wäre mir wohl auch in dem damals so muster- haft regierten Spanien nicht besser gegangen, und so musste ich mich glücklich schätzen, meine romanischen Studien noch eine Zeit lang in den Bibhotheken Englands und der Schweiz fortsetzen zu können , wo die eben so noble als sinnreiche Idee, dem einheimisclien Literaturbetrieb durch ein Prohibitiv- system gegen deutsche Forscher unter die Arme zu greifen, dem öffentlichen Geiste als ein üngedanke erscheinen würde,

Indess hatte ich doch in Hoffnung auf andere Zeiten und ohne Ahnung dessen, was mir bevorstund, die spanische Arbeit begonnen und vorläufig die Cronica rirnada del Cid neu verglichen, deren einzige Handschrift sich in der Pariser grossen Bibliothek befindet. Sie ist bekanntUch zuerst im Anzeigeblatt der Wiener Jahrbücher der Literatur, 1846

202 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 2. Juli 1870.

S. 1 27 nach einer Abschrift von Francisque Michel abge- druckt und daraus wiederholt in Aribau Biblioteca de Autores Espanoles 1851 Bd. 16 S. 651—662. Später wurde sie zum Theil (und mit einigen Correcturen aus der Handschrift) wieder abgedruckt in Damas Hinard's Ausgabe und Ueber- setzung des Poema del Cid, Paris 1859.

Was ich in Spanien leisten sollte, ist seitdem in der Hauptsache , der neuen Vergleichung der Handschriften, ge- leistet worden durch den 57. Bd., (Madrid 1864,) der oben genannten Sammlung, der eine neue Ausgabe des Sanchez so wie der nach seiner Zeit bekannt gemachten altspanischen Gedichte, besorgt durch don Florencio Janer, enthält.*) Durch diesen diplomatischen Abdruck des Poema del Cid wurde ich in den Stand gesetzt, über diese Perle der alt- spanischen Dichtung durchgreifende metrische und kritische Studien zu machen , deren Ergebnisse ich nach V^ollendung nächstliegender Aufgaben in nicht zu ferner Zeit mittheilen zu können hoffe. Ich werde dann am ganzen Gedichte den Beweis zu führen suchen, dass die scheinbar regellosen Verse der einzigen und jüngeren Handschrift durch Anwendung methodischer Kritik, hauptsächlich durch Entfernung von bedeutungslosen Einschiebseln späterer Hand sich in eine etwas alterthümlichere Foim bringen lassen , welche der metrischen Grundregel der provenzalischeu, altfranzösischen und auch der übrigen altspanischen Gedichte entsprechen. In diesen Versuch muss auch die Cronica del Cid mit ein- bezogen werden, welche an metrischer Regellosigkeit das Poema del Cid noch weit übertrifft.

Hier soll einstweilen nur das Ergebniss jener CoUation mitgetheilt werden, welche ich nach dem Abdrucke in der Biblioteca, als dem in Spanien und wohl auch anderwärts verbreitetsten Buche, gemacht habe.

1) Nur die Cronica rimada del Cid fehlt in diesem Bande.

Hofmann: Zur Cronica rimaäa äel CUl. 203

S. 651. Sp. a, Prosaeinleitung Z.2. rrey, wie auch sonst meistens. Z. 3 Casso cassada 5 Alfon (sie) 8 Sepulveda 10 Granon 13 mugieres 14. Que (nicht e) 15 quel 21 Rasura 23 Nunes 30: et el 31 Frrnäd. que mantovo Castilla moy grant tiempo et 9 von unten Et und so noch öl'cer 8. Ferrnand 1 agipreste (sie). Spalte b. 2 abragarle. 5. te- niendo (sie) tendieudo ist richtig emendirt. 6. el (für al) peccado. 7 hee vos 9 devissando 12 wieder acipreste 16 oiuenaje 17. enl carro (so auch oben zweimal enl für en el.

Von hier an nach den Verszahlen. Die Verse sind in der Handschrift durch Paragraphenzeichen getrennt.

V. 2. Et ste (st. Este) Frruad 3. Nach Navarra beginnt ein neuer Vers. 4. nin a 6. nach nombre neuer Vers. 6 nach en plasarlo (sie) kein §. 10. Et 1 plaso 20 fincat vos 25 m 11 m7 27. non 28 quirie 29. con fijos e con fijos Castellahos 30 Ferruan 34 regnado 35 a beneugia 39 contado 40 Fr7s auch weiterhin so. 42 AlmCq" also=Almerique oder Almenique, nicht Almelique. Es ist Aimeri de Narbonne, der Vater des Guillaume d'Orange gemeint. 43. Et fiso (nich el) 48 Et en ella 49 eogia 51 edat 55 omrae 56 Ferrnand g°s 58 previllejos 60 g'ssado 63 sabra 64 plugo quando 69 Etl. Nach rreyuar fängt kein neuer Vers an. 72. Nach al kein neuer Vers, auch nicht 74 nach prestar 7c. Abarea 76 Aspa (sie, die berühmten port d'Aspre des französischen Epos sind gemeint) 76. Et el rey (nicht al), es muss also das folgende et el getilgt werden oder das vorausgehende Et el rey de Francia 81 Palengia (der Schreiber setzt auch sonst häufig eine Cedille , wo keine nothwendig ist) 82 caridat 86. dixo 96 ome 98 escalero (sie) 100 Bernaldo 101 granado (sie, lies grado) 108. vinose porydat 109 coramo. Vor Vers 110 hat der Schreiber aus Versehen noch einmal ge- setzt Quando el rrey. al conde fue tornado 111 datme 113 ela canpo 119 media. 121 canpo 133 Visagra 136 ca- ballo 139. al argobispo 147 datme soterrano 150 Etn essas

204 Sitzung der philos.-phüol. Gasse vom 2. Juli 1870.

154 previllegio sigo (sie) 166 omme 167 enl 172 commo 174 como 177 miro episcop^ 185 omme 197 seysgientos 198 Laynes 199 de se 202 Bei Atienga ganz grosser ge- malter Anfangsbuchstabe und neuer Abschnitt 208 grand tiempo passado gehört zum vorausgehenden Vers. 208 rrey 218. Alfouso 221. Ata puerta gragia 225 e el beginnt neuer Vers 228 rreyno 232 Asturyanos 235 quatro 237 Et (nicht El) 240 bitra (= biträ) 250 estrado 272 don fehlt 286 trae tienen 287 trae 288 traele 292 Ca mi 294 ptgar 297 querien 298 A (nicht E) cavalgam 305 hases (nicht bases) comieusan 310Fernan traxo 324 las las 339 yrme para (was auch ganz richtig ist) 344 pediendol 345 dueiia 847 fisome 361 lo (nicht la) 372 acae (e jünger) 373 andan 412 Dad 424 omme 428 bafiando 446 en alcauge 456 Fuente 463 ommes 478 499 M. g^s 508 grand 514 esto. Nach 522 ist ausgelassen : Rey que manda a Castilla et a Leon non deve ser desconortado 532 Ome nada 540 bi . . . en pie (sie.) Nach bi fehlt offenbar etwas 546 pessol 7 bohorilla 578 muy mal 591 y fehlt 619 rey moro 627 moro xp'iano 648 buelven 652 sie 663 in aconsejo ist a durchstrichen 674 Redesilla 675 Granon 688 la (st. le) 730 Et treynta 741 embio 755 regnos 773 g^s 775 hier fehlt: Y el conde don Ordono de Campös el major Et el conde don Fruela que a Salas mando 778 mögö. Die Abkürzung über dem zweiten o scheint kein n zu bedeuten. 782 Ell 806 atantos 813 bessastesme 814 Ome comO 815 metier 816 grand 823 Ome 825 u. 836 oras seyas 829 tanto conde 841 esto met' cuello 853 conbidado 854 fanbre 857 calla 877 Tornat 895 profia 897 Atan tantas primero 939 acogiesse 954 quantos 961 pero (nicht por) 966 leydo (sie) 987 Ue 889 Etn 1012 seres 1022 oviesedes 1032 el (st. e) 1043 senos 1048 enganädo 1069 lo (st. le) 1076 adelinat 1099 Ha uua 1101 yasia.

Brunn: Bas Harpyienmonumeyit von Xanthos. 205

Herr Brunn trägt vor : „lieber Styl und Zeit desHarpyiennionumentes von Xanthos."

(Mit einer Tafel.)

Das Harpyienmonument von Xanthos in Lycien ist bis in die neueste Zeit Gegenstand vielfacher gelehrter Er- örterungen gewesen. Doch richtete sich die Aufmerksamkeit fast ausschliesslich auf die Schwierigkeiten , welche der Inhalt der Reliefdarstelluugen darbietet, während man die Form, d. h. den Kunststyl an sich und in seinen historischen Wechselbeziehungen genauer zu untersuchen, weniger Aulass gefunden zu haben scheint. Die in den ersten Jahren nach der Entdeckung aufgestellte Hypothese, dass das Monument vor der Einnahme der Stadt Xanthos durch Harpagos, also vor Ol. 58, 3=545 v. Ch. G. (Herod. I, 176), gearbeitet sein müsse , war hauptsächlich in Fulge der Erörterungen von Overbeck (Ztschr. f. Altw. 1856, N. 37—38) allgemein auf- gegeben worden, und es hatte sich über Styl und Zeit der Reliefs eine Durchschnittsansicht, gewissermassen eine Vulgata gebildet, die sich kurz etwa in folgenden Sätzen zusammen- fassen lässt : ,,Die Reliefs zeigen im Styl eine starke innere Verwandtschaft mit altattischen Werken, namentlich mit dem Relief der sogenannten wagenbesteigenden Frau und der Stele des Aristion. so wie mit dem keiner bestimmten Schule zuzuweisenden Albanischen Leucothearelief; und sie stehen auch in chronologischer Beziehung mit den genannten Monu- menten, so wie mit den äginetischen Bildwerken etwa auf gleicher Stufe, d. h. sie gehören ungefähr der Mitte der siebziger Olympiaden an.''

Aeussere Zeugnisse für die Bestimmung der Zeit und der Kunstschule fehlen uns gänzlich, und wir sind daher [1870. n. 2.] U

206 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 2. Juli 1870.

vor allem auf die Betrachtung der Werke selbst und ihre formale Analyse angewiesen, mit welcher die Vergleichung der anderen mehr oder minder verwandten Monumente natürlich stets Hand in Hand gehen muss. Denn die Er- fahrung lehrt, dass jedes neue Resultat, welches übtr ein Monument festgestellt wird , auf die richtigere Erkenntniss aller andern eines verwandten Kreises fast nie ohne be- stimmenden Einfluss bleiben wird. Nachdem ich daher die Aegineten einer genaueren stylistischen Analyse mit günstigem und, wie es scheint, allgemein anerkanntem Erfolge unter- worfen hatte, musste sich dadurch fast mit Nothwendigkeit mein Auge für die Eigenthümlichkeit anderer archaischer Werke schärfen ; und ich darf in der That behaupten, dass als es mir vergönnt war, die Reliefs des Harpyienmonuments in den Abgüssen ruhig zu betrachten , sich bei mir sofort über das Veihältniss der Zeit und des Styls dieser Werke eine von der bisherigen sehr abweichende Ansicht bildete. Der Anblick der Abgüsse war dazu allerdings nothwendig; denn die erste Beobachtung, welche ich an denselben machte, war gerade die, dass alle bisherigen Abbildungen für jede feinere stylistische Untersuchung durchaus ungenügend waren, dass wir also damit beginnen müssen, die Eindrücke zu ver- gessen, die wir etwa durch sie erhalten haben.

Wenden wir uns jetzt möglichst unbefangen zur Be- trachtung der Formen, indem wir vom Aeusseren beginnend in das Verständniss derselben einzudringen versuchen. Die Gewandung theilt sich bei fast allen Figuren in Ober- und Uutergewänder , die sich auch in der künstlerischen Behandlung wesentlich von einander unterscheiden. Die Untergewänder sollen einen weichen, wahrscheinlich wollenen, gestrickten oder in feinen Rippen gewebten Stoff darstellen, der über den Körper nach Art eines Hemdes einfach herab- fällt. Diese Natur des Stoffes tritt an den unteren Partien, die auf die Füsse herabfallen, mit hinlänglicher Deutlicbkeit

Brunn: Das Earpyienmonument von Xanthos. 207

hervor, aber freilich auch fast nichts als diese Natur: wir sehen die gerade herunterfallenden Falten oder Rippen und darunter die ungefähren Formen des Körpers; aber eine Gliederung grösserer oder kleinerer Massen, eine Motivirung der Falten durch die besondere Lage der darunter liegenüen Körperformen fehlt fast gänzlich: an dem Manne mit dem Hunde fallen sie von unterwärts des linken Aermels senk- recht über den Schenkel ohne Rücksicht auf den stark ent- wickelten Contour der Rückseite der Figur. An den beiden sitzenden weiblichen Gottheiten, welche uns einen bildlichen Commentar zu den ^läorsg sXxsxitcovsg (Hom. II. XIII, 685) darbieten, zeigt sich in dem Mangel jeglicher Massengliederung an den Schleppen der üntergewänder der relativ noch ge- ringe Grad feineren Verständnisses besonders deutlich. Einer näheren Betrachtung bedürfen die Aermel. Nach unten zu enger, weiten sie sich nach der ^^litte stark aus. Auf der ganzen oberen Kante des Armes aber läuft ein Bund von glattem Stoffe, an welche der gerippte so angesetzt ist, dass die Rippen meist ziemlich senkrecht herabfallen. Es lässt sich nicht läugnen, dass diese Art der Verfertigung an einigen Figuren mit Sorgfalt und einem gewissen reahstischen Ver- ständniss dargelegt ist. Was nun aber die Behandlung der Rippen oder Falten selbst anlangt, so zeigt sich auch hier wieder der Maugel feineren Verständnisses und feinerer Durchbildung. Nur einmal, an der gewöhnUch Persephone genannten Figur wird durch die Anspannung des Mantels und den Druck auf die Stuhllehne der Aermel unter der Schulter zusammengeschoben und es sondert sich aus seiner Gesammtform eine kleinere Masse ab; sonst aber finden wir zwar nicht mechanisch harte, aber nach einem gewissen allgemeinen und Conventionellen Schema ausgeführte ziemlich parallele Linien ohne feinere Nuancirungen und an den unteren Begrenzungen einen kaum über die allgemeinste Form hinaus modulirten Contour: der zwar dicke, aber weiche

14*

208 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 2. Juli 1870.

und in der Natur leichte Stoff macht den Eindruck massiger Schwere.

Bei den Obergewändern tritt die Bezeichnung der Natur des Stoffes an sich zurück gegen die Faltengebung , hin- sichtlich welcher in archaischen Werken fast überall zwei Principien nebeneinander laufen, ohne zur vollen Vermittelung einer höheren Einheit zu gelangen. Wir scheiden zwii-chen den Falten , die durch mehr oder weniger kunstreiches Zu- rechtlegen des Stoffes, und solchen, die durch den Wurf des Gewandes entstehen. Für die ersteren richten wir unsern Blick vor Allem auf die über Schulter und Arm der Demeter fallende Masse so wie auf das Gewand der vor ihr stehenden Höre. Das System der Faltenlegung unterscheidet sich in keinem wesentlichen Punkte von dem, was wir sonst in archaischen Werken gebräuchlich fiiiJen. Aber auch hier geht der Künstler über den allgemeinen Schematismus kaum hinaus. An der Höre fallen die Falten ohne Modulation von der Schulter bis zur Höhe des Knies herab und eben so wenig übt an der Demeter die Rundung des Armes einen irgend bemerkbarem Einfluss auf dieselben aus. Namentlich aber ist an den Extremitäten, an den Rändern und Zipfeln noch nicht jene Sauberkeit, Sorgfalt und Zierlichkeit zu erkennen, die in Werken des entwickelten Archaismus ganz besonders zur Gharakterisirung des ganzen Systems dient ; und was bei flüchtiger Betrachtung vielleicht als eine gewisse Freiheit erscheint, erweist sich bei genauerer Untersuchung vielmehr als eine gewisse Laxheit, als Mangel an klarer und scharfer Durchbildung. Im Wurfe der Falten ist allerdings in der Hauptsache stets die Richtung angegeben, in welcher das Gewand um den Körper herum genommen ist: so sehen wir bei den sitzenden Figuren, wie das Gewand quer über die Hüften geworfen ist; bei den stehenden, namentlich bei der vordersten Höre und dem dicken Manne der Ostseite ist deutlich die Anspannung des

Brunn: Das Harpyienvwnument von Xanthos. 209

Anziehens von hinten nach vorn angegeben. Aber diese in der allgemeinen Intention richtigen Motive entbehren wiederum der feineren Durchbildung, namentlich insofern, als die Falten fast überall den Körper in gleichmässiger Stärke überziehen und eine Gliederung derselben nach der Natur der darunter liegenden einzelnen Körperformen fast nirgends mit Bewusstsein erstrebt erscheint.

Eben darum ist es auch schwer, über das künstlerische Verständniss dieser Körperformen selbst bestimmter zu ur- theilen, indem fast alle Figuren nicht nur vollständig be- kleidet, sondern, wie wir gesehen, von der Gewandung meist schwer belastet sind. Es bleiben also als Basis der Beur- theilung fast nur die äusseren Contouren und die freistehenden Extremitäten, namentlich die Arme. Ohne hier schon auf den besonderen Charakter der Proportionen, namentlich bei den sitzenden männlichen Gestalten näher einzugehen, darf doch im Allgemeinen eine gewisse Fülle der Formen und Schwere der Verhältnisse hervorgehoben werden. Innerhalb dieses Grundtypus aber linden wir nichts direct Verf-hltes, wie etwa in den bezüglich des Ganzen meist mangelhaften Werken der etruscischen Kunst , sondern die Gesammtver- hältnisse und der Zusammenhang der Theile unter einander sind richtig erfasst und zeugen von einer richtigen Gruad- anschauung und Auffassung des menschlichen Körpers : aber freilich auch hier nur von einem Verständniss im Ganzen, während wiederum, wie bei der Gewandung, die leinere Durchbildung des Einzelnen noch mangelt. Betrachten wir nur die Umrisse an der Rückseise der Hören und der stehenden Männer an der Ostseite, so werden wir uns leicht überzeugen, wie hier allerdings die Hauptformen scharf be- tont sind, aber ohne Eingehen auf di- feineren Modulirangen derselben im Einzelnen. Von der Form des Knies, von den vorderen Contouren des Ober- und Unterschenkels lässt sich durch die Gewandung hindurch fast nirgends ein etwas

210 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 2. Juli 1870.

klarerer Begriff gewinnen; und eben so wenig ist, wo der eine Fuss vor den andern gesetzt ist, das Verhältniss der Flächen des dem Auge näiier stehenden und des im Relief flacher zurücktretenden Schenkels mit hinlänglicher Schärfe betont ; wo es am meisten hervortritt , bei dem dicken Manne der Ostseite zeigt sich vielmehr eine gewisse Unsicherheit des Verständnisses. Eben so verräth sich in der Behandlung der Arme und Hände eine ähnliche stylistische Unsicherheit, Avelche die rundlichen und abgeflachten Relief- formen noch immer nicht völlig zu scheiden versteht. Im Allgemeinen überwiegen auch hier die rundlichen Formen; und wenn nicht einmal die Hauptmuskeln in deutlicher Sonderuug hervortreten, so werden wir nicht erwarten , die feineren Details an der Handwurzel und der Hand, wie Sehnen und Adern , auch nur oberflächlich berücksichtigt zu finden. Die gleichen Beobachtungen wiederholen sich endlich auch au den leider vielfältig und stark beschädigten Köpfen. Freilich würden wir selbst bt-i besserer Erhaltung darauf verzichten müssen . nach psychologischem Ausdrucke zu forschen als einem dieser Kunststufe noch fremden Elemente. BHcken wir vielmehr zunächst auf das Allgemeinste, die gesammte Form des Kopfes, so finden wir. dass dem Künstler ein im Ganzen richtiger Begriff von der Bildung des mensch- lichen Schädels nicht fehlt ; aber dass z. B. der der Demeter im Einzelnen correct sei., wird niemand behaupten wollen > man beachte z. B. nur die verfehlte Stellung des Ohres. Es beruht auch hier noch alles mehr auf einem gewissen Tact, als auf einem bereits zum klaren Bewusstsein durchgearbeiteten Verständniss ; und betrachten wir in Verbindung mit der Schädelform die rundliche ungegliederte Bildung der Hälse, so ist es gewisserwasseu selbstverständlich, dass man in der Darstellung der verschiedenen Flächen des Gesichtes, in Stellung und Bildung der Augen gleichfalls nicht über einen allge- meinen Schematismus hinaus gelangt ist.

Brunn: Das Harpyienmonument von Xanthos. 211

Mit dem frischen Eindrucke der bisherigen, später noch zu vervollständigenden Beobachtungen wenden wir uns jetzt zur Vergleichung der angeblich durchaus verwandten Monu- mente. Das sogenannte Leucothearehef ist in der ganzen Ausführung sparsamer. Doch dürfen wir uns dadurch nicht täuschen lassen über das Verständniss, welches der Künstler in dem zeigt, was er nun wirklich uns vor das Auge stellt. Wir werden vielmehr gerade in dieser Sparsamkeit bald den Fortschritt erkennen, am wenigsten noch in dem Obergewande der sitzenden Frau. Aber selbst hier deuten die Falten am Rücken bereits auf einen mehr entwickelten Sinn für feinere Gliederung der Massen hin; und auch an der stark zurück- tretenden mittleren stehenden Figur bemerken wir. dass die wenigen Falten des Mantels nicht mehr fast unabliängig von den Formen des Körpers geordnet, sondern in ihren Haupt- linien durch dieselben bedingt sind. Das Untergewand der sitzenden Figur soll ofifenbar einen ganz ähnlichen ^V'ollenstofi', wie die entsprechenden Gewänder am Harpyienmonument darstellen , und wir finden sogar in ganz verwandter Weise den eingedrückten Aermel wieder. Aber in den leise an- gedeuteten und verlaufenden Falten erkennen wir weit mehr die weiche, sich anschmiegende Qualität des Stoffes. Aller- dings tritt uns noch in bestimmter Weise die Gebundenheit des archaischen Styls entgegen, die alle Formen wie mit einer Hülle umschliesst; aber wie wir an der Puppe des Schmetterlings durch die Hülle schon deutlich die Formen des Körpers und der Flügel erkennen , so empfinden wir auch hier schon das innerlich pulsirende Leben ; die An- deutungen der leisen, welligen Linien, die nicht parallel laufen , sondern convergiren und divergiren , brauchen nur schärfer betont und gewissermassen wie der Schmetterlings- flügel aus einander gewickelt zu werden , und wir gelangen plötzlich zu voller Entfaltung der Freiheit. Noch bescheidener soll das Gewand der vordersten stehenden Figur erscheinen,

212 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 2. Juli 1870.

in dem fast keine Falte , sondern nur die Rippen des Ge- webes angegeben sind. Aber bei aller Gebundenheit des Ganzen finden wir auch hier kaum je einfach parallele, con- ventionelle Linien, sondern jede Linie des Gewandes hat bereits ihre bestimmte Beziehung zu den Formen des Körpers. Zugleich aber erkennen wir gerade hier, wie das Verständniss des letzteren bereits ein ganz anderes geworden ist: nicht nur dass die Gesammtverhältnisse gereinigter, die Umrisse ver- feinerter sind , auch die Flächen gliedern sich klarer und lassen trotz der geringen Höhe des Reliefs die Rundung der Formen deutlicher und stylgemässer hervortreten. Leider ist das Gesicht der stehenden Figur restaurirt; der Kopf der sitzenden Frau dagegen unversehrt. Auch an ihm be- stätigen sich die bisherigen Beobachtungen: trotz allen Fest- haltens an archaischer Strenge zeigt sich eine weit grössere Sicherheit der Auffassung, die nicht mehr nach einem mehr oder weniger richtigen Gefühl oder Tact, sondern mit einem bestimmten Bewusstsein den Formen ihren Charakter auf- drückt. — Vielleicht am deutlichsten werden wir uns aber des Gegensatzes zwischen dem Harpyienmonument und dem Leucotbearelief bewusst werden, wenn wir das Kind auf dem letzteren mit den kleineu Gestalten in den Armen der Harpyien und der am Boden kauernden Frau vergleichen. An diesen tritt in Anlage und Ausführung die Unbehülflichkeit einer noch wenig entwickelten Kunst in der unzweideutigsten Weise hervor, während umgekehrt im Leucotbearelief gerade an dem Kinde durch die Leichtigkeit des Meisseis, die Weich- heit der Formen und, der Strenge der erwachsenen Figuren gegenüber, durch die Naivetät der ganzen Haltung der Fort- schritt im inneren Verständniss und zu grösserer Freiheit sich besonders deutlich offenbart.

Wir gehen zu den attisciien ]\Ionumenten über. An dem Relief der wagenbesteigenden Frau ist vom üntergewande nur ein halber Aermel und c^in schmaler Streif am Leibe

Brunn -. Das Harpyienmonument von Xanthos. 2 1 3

sichtbar. Aber auch dieses Wenige zeigt unverkennbar die bei weitem grössere Feinheit der Hand. Statt der gradh'nigen Rippen linden wir zarte Wellenlinien, die auch um de untern Rand herum schön verlaufen. Zur Ergänzung mag hier das, wie ich wählend der Correktur sehe, von Benndorff; Gott. gel. Anz. 1870, 1564 als zu demselben Monument gehörig erkannte Fragment eines Hermes oder Theseus dienen (Memor. dell' Inst. II, t. 13), an dessen Chiton die Feinheit und Sauberkeit des Atticismus im Gegensatz zu der Derbheit der lycischen Sculpturen auch dem blödesten Auge deuthch werden mubS. Es mag hier sofort bemerkt werden, dass ein durchaus ent- sprechendes Verhältniss auch in der Behandlung des Ha;:rs obwaltet. Für das Obergewand bietet wieder das Relief der Wagenlenkerin hinhänglichen Stoff zur Vergleichung. Der Mantel ist locker über Rücken und Schultern geworfen, ohne eng am Halse anzuschliessen. Aber die Art , wie er über die Schulter genommen und durch die Bewegung der vor- gestreckten Arme angezogen wird, wirkt auf alle Falten zurück, die von der Schulter über den Rücken ge^issermassen radienartig, aber in fein geschwungenen Linien ausstrahlen. In den zickzackförmigen Zipfeln der über die Aru^e herab- falkuden Partien sind sodann trotz der Flachheit des Reliefs doch die feineren Schwingungen in den Flächen und um- rissen der einzelnen Falten, wenn auch noch nicht überall klar durchgebildet, doch mit feinem Gefühl bestimmt ange- deutet. Zwischen den Schenkeln ist endlich der Stoff in regelmässige Falten gelegt, ähnlich wie an der äginetischen oder auch der dresdener Pallas. Aber auch hier tritt die Wirkung der Bewegung augenfällig hervor und die Ent- wicklung der Falten nach den Seiten hin erscheint durchaus bedingt durch die Bewegung des gehobenen, den Wagen besteigenden linken Beines. Durch dieses werden wir schliess- lich auf die Betrachtung der Formen des Körpers selbst hingelenkt. Dass sie überall durchaus correct wiedergegeben

214 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 2. Juli 1870.

seien, soll keineswegs behauptet werden. Aber betrachten wir nur den linken Unterschenkel , das feine Durchscheinen des Oberschenkels und der Formen des Rückens durch die be leckenden Gewandiua^sen, so wird wenigstens kein Zweifel über die Absicht des Künstlers obwalten, in ein tieferes Verständniss der Formen einzudringen und dieselben im Einzelnen zu entwickeln. Auch der Urariss und die Flächen des Halses erlauben einen Schluss darauf, dass wir einer analogen Durchbildung in den Formen des Kopfes und Ge- sichtes begegnen würden, sofern dieselben besser erhalten wären. Leider sind auch die Unterarme und Hände zu sehr zerstört, als dass ein Urtheil im Einzelnen über sie möglich wäre. Werfen wir aber noch einmal einen Blick auf das Ganze, so tritt uns im Gesammteiudruck eine Eigen- scliaft besonders entgegen, die ich kaum glaube besser be- zeichnen zu können als durch einen Ausdruck, welchen Dionys von Halicarnass von einem allerdings etwas jüngeren attischen Künstler gebraucht. In der Schrift über Isocrates (p. 95 Sylb.) vergleicht er Kaiamis mit dem Redner Isaeus ri^? kemoTr^zog k've^fcc xal Trfg /«(»trog. Diese Xsmötr]g, die Feinheit, Sauber- keit , welche durch sorgfältiges Ab- und Ausarbeiten, durch Beseitigung aller Fülle und Schwere zur Zierlichkeit, zur X^Qig führt, ist es, durch welche gerade dieses Relief seinen besonderen Cliarakter erhält. Wenn wir nun schon an den Frauengestalten desHarpyienmonumentes eine gewisse Schwere und Fülle hervorheben mussten, wie sollen wir urtheilen, sobald wir dem attischen Relief die sitzenden Männer in ihrer wirk- lich plumpen Massenhaftigkeit gegenüberstellen? Ich denke, der Gegensatz kann kaum grösser und schärfer gedacht werden. Doch , wird man vielleicht sagen , die XeTttoxi^g mag ein specielle Eigenschaft dieses oder einiger wenigen attischen Ruliefs sein , und es bleibt trotzdem noch die Analogie zwischen dem stehenden Krieger der Nordseite des Harpyien- monumentes und dem Relief der Aristionstele. Dem alten

Brunn: Das Harpyienmonument von Xanthos. 215

Maratüonskä;iipfer dieser letzteren werden wir allerdings nicht vorzugsweise die Eigenschaft der lenxÖTr^c zuerkennen wollen. Aber genügt denn die ganz äusserliche Analogie von einem Paar etwa gleichgestellter Beine mit Beinschienen und von einem Panzer mit Lederstreifen, um daraus sogleich auf die gleiche Analogie in der künstleriscLen Auffassung u:id Durchbildung einen Schluss zu ziehen? Ich habe bereits früher (Kstlgesch, I, S. 109 flg.) über die styHstischen Eigen- thümlichkeiten dieses Reliefs ausführlicher gehandelt, wenn auch natürlich für die directe Vergleichung mit den lycischen Scuipturen manches dort ausgesprochene Urtheil in seiner speciellen Fassung mancher Modificationen bedürfen würde. Da sich indessen unser Blick durch die vorhergegangenen Vergleichungen geschärft hat. wird es nicht nöthig sein, hier nochmals auf die x\nalyse der einzelnen Theile einzugehen. So viel , denke ich , wird jetzt auch ohne erneute Unter- suchung klar sein, dass die künstlerische Grundanschauung und Auffassung in den beiden Gestalten eine wesentlich verschie- dene ist, und dass das attische Relief trotz einzelner Mängel doch in der stylistischen Behandlung des Reliefs in feinem Abwägen der Gomposition und in der sorgfältigerenund be- wussterea Durchbildung der Theile auf einer höheren Stufe der Entwicklung steht, als das lycische in seiner relativ nicht incor- recten, aber mehr allgemeinen und massigen Formengebung. Auch über die Aegineteu, mit denen man die lycischen Scuipturen als gleichzeitig hat betrachten wollen, werde ich mit Rücksicht auf meine frühere Behandlung derselben kurz sein können. Wir bewundern an ihnen das staunenswerthe Verständniss der Formen des KorperS; also gerade das Gegen- theil von dem , was wir an den Figuren des Harpyien- monumentes beobachtet haben. In den Gewändern finden wir zwar nicht jene A«7rTor?^g, jene feine Emjifindung des attischen Reliefs, aber doch dasselbe System der Falten- gebung und selbst im Westgiebel schon die grösste Schärfe

216 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 2. Juli 1870.

und Präcision der Ausführung. Sofern aber die Vergleichung statuarischer Werke mit Reliefs etwas Bedenkliches haben sollte, befinde ich mich in der glücklichen Lage, diese Lücke unserer Anschauung ;:a ergänzen, indem mich ein günstiger Zufall kürzlich unter allerlei Fragmenten oder richtiger Marmor- splittern das einzige 'deine Reiieffragment äginetischer Kunst wiederfinden Hess : ein Stück einer Scliildverzierung vielleicht von der Minerva des Ostgiebels, nur ein Stück Obez*- und Untergewaud einer weiblichen Gestalt in schneller Bewegung, etwa einer in der Weise der sogenannten Hierodulen tanzenden Victoria. Es genügt einfach das unscheinbare Fragment neben die lycischen Sculpturen zu halten, um die Kluft zu ermessen, welche das erstere von den letzteren trennt (s. die beigegebene Abbildung in Originalgrösse).

Blicken wir jetzt auf den Ausgangspunkt unserer Unter- suchung zurück, so sind die bisher gewonnenen Resultate mehr negativer Art : die angenommene Stylverwandtschaft mit altattischen Werken ist nicht vorhanden ; und eben so wenig lässt sich die chronologische Datiruug um die Mitte der siebziger Olympiaden als berechtigt anerkennen. Es fragt sich jetzt nur. ob wir nicht nach beiden Richtungen hin auch zu positiven Resultaten zu gelangen vermögen, wobei es vorzugsweise darauf ankommen wird , dass wir die Frage richtig stellen.

Das Harpyienmonument stammt aus Lycien. Wenn wir nach Verwandtschaft der Kunstschulen fragen, so ist es wahr- lich das Naturgemässeste , dass wir , statt in die Ferne zu schweifen, uns erst in der Nähe umsehen. Der nächste Ort an der kleiuasiatischen Küste, von dem uns archaische Werke bekannt sind , ist Milet oder das Heiligthum der Eranchiden bei Mikt. Von dort stammt eine Reihe sitzender Statuen , die jetzt in das britische Museum gelangt sind (Newton, Discoveries at Halicarnassus etc. T. 74 u. 75). Ihre hervorstechendste Eigenthümlichkeit beruht auf der Schwere

Brunn: Das Harpyienmonument von Xanthos. 217

der Verhältnisse, der Massenhaftigkeit, Fülle und Weichlich- keit der Formen, welche einerseits in bestimmter Weise an die innerasiutische , namentlich an die assyrische Kunst er- innert, andererseits aber unter griechischen Werken keine nähere Analogie findt^t als eben das Harpyienmonument und an diesem besonders die drei sitzenden männlichen Gottheiten und den dicken Manu an der Ostseite. Allerdings sind die milesischen Statuen noch älter und unbehülflicher als die lycischen Reliefs. Aber die Stofffalten an einigen der Unter- gewänder, das geringe Getühl für Masseugliederuug in den Obergewändern, welche mehrfach in gleich laufenden Falten über den Körper gezogen sind und nur in allgemeinster Weise den Körperformen folgen, zeigen deutlich, dass hier ben-its dieselben Grundanschauuugen obwalten , denen wir bei der Analyse der xanthischen Rehefs begegnet sind. Hier also liegt unzweifelhaft eine innere Verwandtschaft des Styls vor, und wir erkennen in den lycischen Sculpturen gegenüber den milesischen die weitere Entwickelung eines trotz innerasiatischer Reminiscenzen griechisch gewordenen kleinasiatischen Styls, der sich als ein innerhalb gewisser Grenzen selbstständiger dem attischen, äginetischen, sicilibchen bestimmt gegenüber oder an die Seite stellt.

Für die Beurtheilung der Entwickelungsstufe dieses Styls werd-n wir zunächst einen Umstand nicht ausser Acht lassen dürfen. Keine der grösseren Figuren des Harpyienmonuments befindet sich in einer auch nur etwas lebhafteren Bewegung oder Stellung; alle stehen ruhig oder sitzen. Hier vermochte also der Künstler mit der einfachsten Beobachtung der Natur auszukommen, ohne eines tieferen inneren Verständnisses zu bedürfen. Die Bedeutung dieses Umstandes zeigt sich recht /leutlich durch den Gegensatz an den kleinen Figuren in den Armen der Harpyien ; denn in ihren etwas aussergewöhn- licheren Lagen und Stellungen erscheinen sie theils unge- schickt, theils geradezu fehlerhaft und misslungen, während

218 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 2. Juli 1870.

es bei den grösseren Figuren dem Künstler gelang , nicht nur sie im Ganzen richtiger aufzufassen , sondern auch der Natur einzelne graziöse Züge besonders in den Bewegungen der Hände nicht ohne Geschick abzulauschen. Zugleich aber wird durch den Mangel lebendiger Bewegung über das Ganze eine eigenthümliche Ruhe verbreitet. Wenn nun Welcker (bei Müller Hdb. § 90) den Styl einen „alter- thümlich strengen, doch schon von Anmuth leis umflossenen" nennt , so kann es allerdings scheinen , als ob wir dadurch in Widerspruch mit unseren anfänglichen Beobachtungen ge- riethen. Und doch wird sich auch dieser Widerspruch lösen, sofern wir uns Rechenschaft darüber zu geben suchen , wo- durch Welcker zu diesem Lobspruche veranlasst sein mochte. Der Begriff, welchen namentlich die ältere Generation der Archäologen sich von dem Wesen der archaischen Kunst zu bilden vermochte, beruhte noch zumeist auf der Anschauung der an Zahl überwiegenden und allgemeiner verbreiteten archaistischen, nachgeahmt alterthümlichen Werke, in welchen der Ausdruck der Alterthümlichkeit zu ausschliesslich durch eine gesuchte, affectirte Zierlichkeit und eine rein mechanische Eckigkeit und Steifheit der Linien erstrebt war: Eigenschaften, welche den xanthischen Reliefs trotz ihres Alters und ihrer Unbehülflichkeit fremd sind. Hierin , in dem Mangel des Eckigen und Steifen liegt die Berechtigung des Welcker'schen Lobes: indem der Künstler sich innerhalb der Grenzen seiner Anschauung in vollster Unbefangenheit zeigt, entsteht jeuer leise Zug von Anmuth, entsteht sogar ein gewisser Zug von Freiheit in der Auffassung, die wenn auch beschränkt, sich doch in sich befriedigt zeigt, ja den Beschauer über das Maass der absoluten Freiheit täuscht und diese Werke vollendeter und in der Entwickelung vorgeschrittener er- scheinen lässt, als sie es nach unserer Analyse in der That sind. Gerade dadurch findet auch die bisherige späte Datirung ihre wenigstens theilweise Entschuldigung. Allein wir befinden

Bninn : Das Harpyiemaonument von Xanthos. 219

uns hier einer Erscheinung gegenüber . die in neuerer Zeit auch in der Geschichte der griechiscjieu Architectur beob- achtet worden ist. Seujper hat für die Periode des dorischen Styls, welche dein strengen Archaismus vorausgeht, die Be- zeichnung: Periode des laxen archaischen Styls gewählt. In den ältesten dorischen Werken nemlich zeigt sich eine gewisse üeppigkeit und Schwülstigkeit, ein gewisses üeber- wucheru mancher Elemente, welche erst allmählich aus- geschieden werden und welche der dem St/1 innewohnenden Idee erst nach und nach in voller Pieiuheit, Klarheit und Präeisiou ans Licht zu treten gestatten. Es ist gewisser- massen, wie beim Entwickelungsprocess organischer Geschöpfe, wie beim Menschen selbst, au welchem gleichfalls die Formen des Kindes eine etwas unbestimmte weiche Fülle und Piund- lichki'it zeigen und erst bei weiterem Wachsthum sich schärfer absondern und in ihrer Bedeutung und in ihren Functionen deutlicher hervortreten. Einer solchen lasen archaischen Periode der Plastik gehört nun nach meiner M^^inung in ganz ausgesprochener Weise das Harpyien- monument au, (dem an den entgegengesetzten Grenzen des GriechenthuUiS , natürlich unter den durch den Schulunter- schied bedingten Modificationen, etwa die ältesten selinuntischen Metopen zur Seite zu stellen sein möchten). Jene Fülle und Weichheit, jeine scheinbare grössere Freiheit ist nicht das Zeichen einer vorgeschrittenem Entwickelung , sondern im Gegentheil ein Zeichen der Kindheit der Kunst. Aus ihr erklärt sich die oben hervorgehobene Unsicherheit im Ver- ständniss und in der Bezeichnung der Formen, die Unklar- heit in vielen Theileu der Gewandung, luit einem Worte die Laxheit der gesammten Behandlung. Der nächste Schritt von dieser Stufe aus kann bei einer gesunden Entwickelung natürlich nicht ein Fortschritt zu grösserer ungebundenerer Freiheit sein , sondern vielmehr zu der strengeren Zucht des Knaben- und ersten Jünglingsalters. Das üeberfiüssige,

220 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 2. Juli 1870.

Wuchernde muss weggeschnitten , das Unklare geklärt und gereinigt, alles Einzelne geordnet, schärfer umschrieben und präcisirt werden. Dadurch wird allerdings an den Werken des vorgeschritteneren Archaismus eine gewisse Schärfe , ja scheinbar sogar Härte hervortreten, und wo es sich gar, wie bei den Aegineten, um die Darstellung lebhafter und schwieriger Bewegungen handelt, mögen solche VVerke in rhythmischer Fügung der Glieder gegen jenen leisen Anflug von Grazie sogar zurückzustehen scheinen. Bei genauerer Betrachtung indessen finden wir, dass wir uns auf der Bahn eines regel- rechten organischen Fortschrittes befinden. Die scheinbare Härte erweist sich als ein schärferes, klareres, bewussteres Verständniss, als die Frucht einer allerdings strengen Zucht, aber einer Zucht, die vorbereiten soll zu geregeltem Genuss der vollen Freiheit.

Hiermit glaube ich den Reliefs von Xanthos ihre be- stimmte Stellung in der Entwickelungsgeschichte der griechi- schen Kunst angewiesen zu haben. Ihre chronologische Be- stimmung aber ergiebt sich daraus mit fast mathematischer Sicherheit. Die milesischen Statuen sind nach dem paläo- graphischt-n Charakter ihrer Inschriften um die GO. Olym- piade gearbeitet. Die zur Vergleichung herangezogenen attischen Reliefs und die Aegineten gehören in die Zeit kurz vor und kurz nach der 75. Olympiade. Das Harpyien- monument steht zwischen diesen beiden Endpunkten in der Mitte und seine Entstehung fällt also in die Zeit zwischen der 65. und 70. Olympiade.

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Thomas: Bruun zu Schiliberger. 221

Herr Thomas übergibt den Schluss*) der ihm ge- widmeten

„geographischen Anmerkungen zum Reise- buch von Schiltberger" von Herrn Professor Philipp Bruun in Odessa.

VI.

Nachdem Schiltberger im V. Capitel (p. 61) erzählt, auf welche Weise Bajazids Sohn Mohammed den Fürsten von Siwas Burhan-Eddin aus ,,uiarsuany'' verjagt hatte, spricht er (Cap. IX, p. 65 69) auslührhch von dem Tode dieses Fürsten während der Belagerung von Siwas durch ,,Otman", d. h. Kara Jelek, den Führer der Turkomaiien vom Weissen Hammel, und von der Einnahme der Stadt durch den ihr zu Hülfe gekommenen ältesten Sohn Bajazids.

Hinsichthch des Todesjahrs Burhan-Eddins weichen die morgenländischen Historiker bedeutend von einander, ab. Schon Sead-Eddin (Weil, Gesch. d. Chal. V, p. 60 n. 1) be- merkt , dass ihre Angaben in Betreff dieses Ereignisses zwischen den Jahren 794 und 799 d. h. (1391 96) schwanken, Hammer fGesch. d. Osm. R. I, 226) spricht sich zu Gunsten der Meinung Nischandjis aus, dem zufolge der Fürst von Siwas im Jahr 795 (1392) gestorben wäre. Zinkeisen (Gesch. d. Osm.R. I, 353) theilt diese Ansicht, weil ,,der Gang der Ereignisse" und ,,die besten Quellen" zu Gunsten des Jahres 1392 sprechen. Dagegen beweist Weil (I.e.). dass der Tod Burhan-Eddins nicht vor dem Jahre 1398 hat erfolgen können. Es scheint demnach, dass unsere Historiker, nach dem Vor-

1) Vgl. diesen Jahrg. I, 441 ff. [1870. IL 2 ] 15

222 Sitsimg der philos.-philol. Classe vom 2. Juli 1870.

gange der orientalischen, zwei t'eldzüge Bajazids gegen den Fürsten von Siwas mit einander verwechseln, von denen der eine vor der Schlacht von Nicopolis (1396), der andere dagegen nach derselben unternommen worden war. In der Thal erfahren wir durch Schiltberger (1. c.) , dass vor dem von ihm mit- gemachten Felclzuge ,,und by dem Zuge was ich och" des 5, ältesten" Sohnes Bajazids, der jüngste, nämlich ,, Moham- med", den Burhan-Eddin aus der Stadt Marsivan (Vivien de S. Martin, A. M. II, 448) verjagt hatte, die Neumann (p. 29) mit Amasia verwechselt, indem er diese Stadt mit Schiltbergers ,,marsuary" indentifizirt , obgleich die Vater- stadt Strabos gar nicht dem Burhan-Eddin, sondern zu den Besitzungen der Fürsten von Kastemuni gehörte. Jeden- falls glaubt der Herausgeber des Reisebuchs ohne Grund, Schiltberger habe das schon im V. Capitel mitgetheilte ,,in den folgenden Abschnitten nochmals und ausführlicher erzählt", obgleich er hier, wie Xeumann richtig bemerkt, sich, als Augenzeuge, auf eine höchst lebendige und anschau- liche Weise ausdrückt. Wenigstens sagt Schiltberger im 5. Capitel ausdrücklich , die Eroberung Marsivans sei die erste Kriegsthat Mohammeds gewesen . der wohl befähigt sein konnte schon ums Jahr 1392 ins Feld zu rücken, da er bei seinem im Jahre 1421 erfolgten Tode 43 Jahre alt war. Nun erfahren wir freilich aus dem IX. Capitel, Bajazid habe das durch seinen ältesten Sohn eroberte Siwas auch dem Mohammed verliehen, erfahren jedoch zugleich , dieser sei nicht der Sohn gewesen ,,der den otman vertrieben hatt", so dass man glauben möchte , Schiltberger habe ab- sichtlich dies betont, damit man ja nicht die Feldzüge der beiden Brüder zusammenfallen lasse.

VIL

Im folgenden Capitel, wo von dem Feldzuge der Osmanen gegen den Sultan von Egypten die Rede ist, erwähnt Schilt-

Thomas: Brunn zu Schütherger. 223

berger Bajazid habe Letzterem namentlich die Städte „mala- thea" (p. 69) und ,,adalia"' entrissen.

Nach Sead-Eddin , dem Hammer und Zinkeisen folgen, wurde Malatieh, das alte Melitene, nebst mehreren anderen Städten, die unter egyptischer Botmässigkeit standen, im Jahr 799—800 von den Osmanen genommen. Dagegen meint Weil (1. 1. 70 73), sie hätten dies nicht vor dem Jahre 801 ihun können, da uuch dem Zeugniss arabischer Autoreu, man in Egypten erst nacu der im Jahre 1399 (801) erfolgten Thronbesteigung des Sultans Faradj die Einnahme der Stadt erfahren hatte. Zu Gunsten seiner Meinung stützt sich der Verfasser der ..Geschichte der Chalifen" namentlich auf den Umstand , dass einer der erwähnten Autoren das Schreiben gesehen hatte, in welchem der Fall von Malatieh dem Itmisch, Atabeken des jungen Sultans Faradj, mitgetheilt worden war (p. 74). Da jedoch Itmisch schon unter Berkuk, dem Vater und Vorgänger des Faradj, am egyptischeu Hofe eine grosse Rolle gespielt hatte, ja sogar von dem alten Sultan zum Vollstrecker seines letzten Willens ernannt worden war (p. 62) , so könnte er jenes Schreiben wohl schon zu Lebzeiten Berkuks erhalten haben. Diese Ansicht stin^mt besser mit dem Bericht Schiltbergers überein, während das, was er uns über die Einnahme von adalia mittheilt, Licht verbreitet über folgende sonderbare Stelle in der italienischen üebersetzung des Werkes Sead-Eddins: Et havendo (Bajazed) spedito al conquisto di Chianchria (das alte Gangra) Timurtas Bassa, pero tutto quel paese insieme con la citta d'Atena (la quäl' e patria de' philosophi) col suo distretto parveune in poter del re, il quäle prese anco dalle mani de' Turco- luani la citta de Bechsenia (Behesna) e di Malatia etc. ,,Hier muss ein Fehler im Texte oder in der üebersetzung sein" sagt Weil, nachdem er vorläufig gezeigt, dass Hammer und Zinkeisen sich offenbar inen, indem sie aus dieser Stelle den Schluss ziehen, die Osmanen hätten die Stadt ^linervens

15*

224 Sitzung der pMlos.-phihl Glosse vom 2. Jxüi 1870.

während desselben Feldzuges erobert, der sie nacli Malatieh und andern Städten Ciliciens führte.

Wenigstens wäre es nicht auffallend , wenn zu diesen Städten Atalia oder Satalia gehört hätte , das in der Nähe des alten Attalia in Pamphylien lag und loit dem Neu mann Schiltbergers adalia zusammenstellt, da diese Stadt, gleich Satalia, am Meeresufer in geringer Entfernung von der Insel Cypern lag. Um dieser Meinung noch mehr Gewicht zu geben , könnte man darauf aufmerksam machen , dass, nach den Acta Patriarch. Constant. (Band II. DLXXIV), Satalia wirklich um das Jahr 1400 in die Gewalt der Ungläubigen gefallen war.

Bei dem allen scheint es mir, dass unter Schiltbergers adalia nicht Sataha, sondern die cilicische Stadt Adana ver- standen werden muss, und zwar aus folgenden Gründen: Erstlich liegt diese Stadt in noch geringerer Entfernung von Cypern, als Satalia, obgleich nicht an der Küste, was übrigens, nach Schiltberger, auch nicht mit adalia der Fall war. Ferner stand diese Stadt unter der Botmässigkeit des Sultans von Egypten , während diese Bemerkung wohl auf die Residenz eines turkomanischen Häuptlings (s. ob.), nicht aber auf das schon dem osmanischen Reiche einver- leibte Satalia (Weil IV, 505 cf. Heyd. 1. c. XVIII, 714) be- zogen werden kann. Endlich passt der Umstand, dass Schilt- berger von den Umgebungen Adalia's nichts weiter bemerkt, als dass man sich dort auf die Zucht von Kameelen be- schränkte, eher auf Adana, als auf Satalia, das damals schon eine der bedeutendsten Handelsstädte der Levante und von prachtvollen Gärten umgeben war, die jetzt noch eine Zierde dieser Stadt bilden. Dem sei wie ihm wolle, jedenfalls hoffe ich mau werde mir zugeben , dass Sead-Eddin oder sein Uebersetzer Batutti Athen mit Satalia oder mit Adana haben verwechseln und dass von diesen drei Städten nur die letzte zugleich mit Behesna, Malatieh und andern

Thomas: Bniun zu Schiltberger. 225

cilicischen Städten von den Osmanen hat erobert werden können.

VII.

Wenn Schiltberger im 62. Capitel (p. 144) sagt, der FIuss ,,chur". d.h. der Kur in Transcaucasien , habe auch den Namen ,,tygris" getragen, so hat er seine guten Gründe gehabt, dies zu thun. Im entgegengesetzten Falle wäre es wenigstens sehr auffallend , weshalb sowohl Barbaro als Contarini denselben Fluss nur durch den zweiten jenes Xamens bezeichnen, dt-r, nach Plinius (VI, 27) im medischen ,, Pfeil" bedeutete : qua tardior fluit Diglitto, unde concittttior a ccleri- tate Tigris incipit vocari. Ita adpellant Medi sagittam. Nach Tiefenihaler (cf. Forbiger, 1. c. II, 66) Leisst ein Pfeil im Persischen tir und müsste demnach der Fluss nicht Tigris, sondern Tiris genannt werden, während er zugleich mit unserm Dniester verglichen werden könnte, dem nuUo tardior amne Tyras Ovids (Ex Ponto, IV, 10, 47), oder Tyris, wie Herodot den Fluss nennt. Wenn diese Aehnlichkeit nicht ein blosses Spiel des Zufalls sein sollte, so würde sie einen Beitrag liefern zu Gunsten der von mehreren Gelehrten, und namentlich von Mullenhof (M. B. d. Acad. zu Berlin. Aug. 1866 p. 549 seqq) mit vielem Scharfsinn verfochtenen Meinung , dass die Scythen Herodots zum arischen Volks- stamm gehörten.

Noch vor dem Kur wird die Wolga von verschiedenen Reisenden, nicht irrthümlich, wie man gewöhnlich annimmt, sondern absichtlich, durch den Namen Tigris bezeichnet. So z. B. sagt Marco Polo (ed. Pauthier, I, 7): Et de Üucaca (das heutige Dorf üwek, am rechten Ufer der Wolga nicht weit von Saratof, auf den Compaskarten lochachi, locac, nicht zu verwechseln mit der Stallt Ukek bei Jbn-Batuta, die am Asofschen Meer in der Nähe von Mariopol lag , wo auf besagten Karten ein zweites lochachi oder locaq an- gemerkt ist) se partirent et passerent le grant flun de

226 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 2, Juli 1870.

Tigere, et alerent pnr un desert qui est loins XVII journees etc."

Erst nachdem der Vater und der Oheim Marco Polos, von denen hier die Rede ist, diese nur von nomadisirenden Tataren bewohnte Steppe durchwandert hatten, kamen sie nach der Stadt Buchara. Nach dem Namen des Tigeri oder Tigry, über den die Brüder Poli, gleich nach ihrer Abreise aus der Stadt Oncaca, sich hatten setzen lassen, findet sich in vielen Handschriften noch die Bemerkung eingeschaltet, jener Fluss sei einer der vier Flüsse des Paradieses gewesen. Dass hier nichts destoweniger nur die Wolga gemeint sein kann, ersehen wir aus folgendem Bruchstück eines Briefes, den der spanische Franziscaner Paschalis im August 1338 in sein heimathliches Kloster Victoria schrieb (Mosheim, H. eccl. Tart. nr. 92 p. 194) : Cum jam annum demoratus fuissem in praedicta Sarray civitate Sarracenorum imperii Tartarorum, in Vicaria Aquilonari, ubi ante annum tertium quidam frater noster Stepbanus nomine fuit passus venerabile raartyrium per Sarracenos, In de recedens in quoddam navi- gium cum Armenis per fluvium qui vocatur Tigris, per ripam maris Vatuc (Baku) nomine usque Sarrachuk (Saraitschik, nicht weit von der Mündung des Urals) deveni per duo- decim dietas". Auch den Brüdern Pizzigani war, wie es scheint, dieser Name der Wolga zu Ohren gekommen, denn auf ihrer schönen Karte finden wir beim Zusammenflusse derselben mit dem Itil, der hier die Kama bezeichnet, fol- dende Worte angemerkt: flum tyrus q. omnium flum. de mundo dicitur esse major.

Dass die venetianischen Kartographen ebensowenig wie ihr berühmter Landsmann hier die "Wolga mit dem eigent- lichen Tiger verwechselten, geht daraus hervor, dass dieser Fluss bei ihnen, nach dem Namen der Stadt Bagdad, nur flum de baidach heisst, während Marco Polo sich begnügt zu sagen sie läge auf beiden Seiten eines ,,moult grant flun"

Thomas: Brunn zu Schütberger. 227

(p. 47). Wenn er ferner den Tiger des Paradieses in der Wolga wiederzufinden geglaubt , so hat er sich jedenfalls nicht so weit von der Wahrheit entfernt, wie Johann von Marignola (ed. Meinert, Prag, 1820 p. 18 sqq) dem zufolge der grösste Fluss Europas nur einen Theil des biblischen Pliisoü bildete, da dieser räthselhafte Strom, nachdem er das Land Hevilah in Indien umflossen , nicht bloss unter dem Namen Caramora (Kara-iiiuran . der schwarze Fluss: der mongolische Name des Hoangho oder gelben Flusses) China bewässert, sondern jenseits Caffa w^ieder erscheint und sich hinter Ghana , d. h. Tana , ins Meer Vatuch , d. h. Baku ergiesst.

Doch dürfen wir es auch dem Bischof von Bisignano nicht übel nehmen , dass er sich eine so sonderbare Yor- stellumg vom Pison gemacht hat, da sie wenig abweicht von der Ansicht, die noch vor Kurzem über denselben vor- süiidfluthlichen Fluss durch einen geschätzten Geographen (Raumer, Palaestina, 4. Aufl.ige p. 462 466) dem deut- schen Publikum mitgetheilt worden ist.

Dass auch Schiltberger unter seinem chur oder tjgris nicht den Fluss von Bagdad gemeint hat, ersieht man schon daraus, dass er den Fluss, an dem diese Stadt, die bei ihm Neu-Babylon heisst , lag , nur durch dessen heutigen Namen Schat (schatt) bezeichnet, dem es zuzuschreiben ist, dass auch bei Barbaro der Tiger nur den Namen Set trägt.

Dagegen gebe ich gern zu dass beide guten Catholiken der Meinung waren . den aus dem irdischen Paradiese strö- menden Tiger nicht in Mesopotamien , sondern in Trans- caucasien angetroffen zu 'haben , wo sie in der That nicht minder berechtigt gewesen wären ihn zu suchen, als in vielen andern Gegenden der alten und neuen Welt, wo man, der Reihe nach, jenen wundervollen Garten zu finden gewähnt hat, das Stromgebiet der Wolga nicht ausgenommen.

228 Sitzung der phüos.-philol Classe vom 2. Juli 1870.

vni.

Aus dem letzten Capitel des Reisebuchs (157 161), wo Schiltberger seine Rückkehr aus der Gefangenschaft ins Vaterland beschreibt, erfahren wir dass er aus der an der Mündung der Donau gelegenen Stadt gily (Kilia), wohin er von Constantinopel aus zu Wasser gekommen war, im weiteren Verfolg seiner Reise lüit Kaufleuten auf dem Landwege eine walachische Stadt erreicht hatte, von der er nur sagt, dass ihr Name in deutscher Sprache die ,, weisse" Stadt bedeutet hätte. Erst von dort sei er über ,,a5parseri"' und ,,sedschoff", der Hauptstadt der Kleinen Walachei nach hmburgch (Lem- berg) gelangt der Hauptstadt „in weissen reissen , des kleiner".

Unter der weissen Stadt kann keine andere gemeint sein als das heutige Akkerman , das damals zu den Be- sitzungen des Voievoden Alexander , Fürsten der Moldau oder kleinen Walachei gehörte. Der Name bedeutet be- kanntlich im Türkischen die ,. weisse Stadt" und verdankt seine Entstehung dem slavischen Namen Bielgorod, unter dem ihrer häufig in alten russisclien und polnischen Chroniken Erwähnung geschieht. Die Moldauer nennen sie noch heute Tchetate alba, während ihr magyarischer Name nicht Feiernar, wie sie bei Dlugosz (ed. 1712 XI, 324) irrthümlich genannt wird, sondern Feierwar lautet.

Die Byzantiner verwandelten die weisse Stadt in eine schwarze , maurocastrum , was die italienischen Seefahrer veranlasste die Stadt Mocastro oder Moncastro zu nennen und in dieser verstümmelten Form erscheint ihr Name auch bei De Lannoy, Barbaro und andern Reisenden. Vgl. Thomas, Periplus, p. 36, 38.

Es scheint übrigens dass auch den Byzantinern die Stadt früher unter dem Namen der ,, weissen" bekannt war, da sie die Stelle einnimmt, wo die Stadt Aspron (Const.

Thomas : Brunn zu Schiltherger. 229

Porph. De adm. imp.) gelegen haben muss. Freilich ver- setzt der Kaiser Constantin diese weisse Stadt an das Ufer des Dniepers: doch hier wird ein Fehler in seinen Text sich eingeschlichen haben, nicht allein deshalb weil am untern Dnieper niemals eine weisse Stadt existirt hat, sondern schon aus deui Grunde, weil der kaiserliche Autor hinzufügt, die Stadt habe an der Seite des Flusses gelegen , die der Bulgarei zugekehrt war, und weil diese Bemerkung weder auf das eine noch auf das andere Ufer des Dniepers , wohl aber auf das rechte Ufer des unteren Dniesters bezogen werden darf. Ferner kennt der Kaiser, ausser Aspron, noch fünf andere Orte, in deren Nachbarschaft die Petschenegen über den Fluss zu setzen pflegten und deren Namen bei ihm, mit Hinzufügung der allen gemeinschaftlichen Endsilben ,,catae", Tung, Crakha, Salma, Saca und Gieu lauten. In der Nähe aller dieser zerstörten Städte sah man noch am felsigen Ufer Spuren von Kirchen und Kreuzen, auch hatte sich die Tradition erhalten dass diese Gegend einst von Griechen bewohnt war. Wenn es erlaubt sein sollte jenes ,,catae" für einen alle diese Ortschaften bezeichnenden Gat- tungsnamen zu halten, so würde es vielleicht möglich sein ihre Stellen auf unsern heutigen Karten nachzuweisen, und dies um so leichter, da jetzt noch an verschiedenen Punkten des hohen Ufers zwischen Bender oder Tegin und Soroka, sowie höher hinauf auf der Bergseite des Dniesters , kleine in den Felsen gehauene und jedenfalls sehr alte Kirchen die Aufmerksamkeit wissbegieriger Reisender und frommer Pilger auf sich ziehen.

Uebrigens scheint der alte Name der weissen Stadt bei den Byzantinern nie ganz in Vergessenheit gerathen zu sein; denn bei einigen ihrer Schriftsteller aus dem späteren ^Mittelalter heisst sie nicht mehr Maurocastron , sondern Leucopolichnion und Asprocastron. Vielleicht wurde Schiit- berger durch diesen Umstand veranlasst von einer Stadt

230 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 2. Juli 1870.

asparseri zu reden, die Fallmerayer (p. 160, n. 272) wie mir scheint, ohne Grund, für das , unweit Bender auf der mol- dau'schen Seite des Duiesters liegende Scheriperni hält, ,,was man noch auf dem Ilomanuschen Atlas vom Jahre 1744 findet". Gegen die hinzugefügte Bemerkung, dass hier in früheren Jahrhunderten mehrere Städte waren ,,die nicht mehr vorhanden sind" ist freilich nichts einzuwenden ; nicht minder gewiss ist aber dass asparseri, von Schiltberger ins deutsche übersetzt, die weisse Stadt genannt worden wäre. Es ist wahr, seinen Worten zufolge, waren asparseri und die weisse Stadt nicht eins und dasselbe. Es fragt sich aber ob hier nicht ein Fehler in der Heidelberger Hand- schrift angenommen werden darf. Wenigstens erkläre ich mir auf diese Weise, weshalb dort, gegen die Gewohnheit Schiltbergers , der einheimische Name der weissen Stadt ganz fehlt, während nach der von Penzel benutzten Nürn- berger Handschrift, die leider abhanden gekommen ist, der Verfasser des Reisebuches direct aus der weissen Stadt, ohne asparseri zu berühren, nach Sutschava gekommen war, der damaligen Hauptstadt der kleinen Walachei.

Schon im grauen Alterthume hatten die Umgebungen Akkermans hellenische Ansiedler angelockt. Zu Herodots Zeit wohnten dort die Tyriten , wahrscheinlich in der von Milesiern gegründeten Stadt Ophiusa , die noch zu Strabos Zeit existirte und vielleicht ihrer Lage nach identisch war mit der Stadt Tyra oder Tyras, die jedenfalls die Stelle des heutigen Akkerman einnahm, wie aus den häufig daselbst vorkommenden autonomen und Kaisermünzen der Tyraner hervorgeht. Hier hätte man auch die Stadt Turis suchen sollen, die Justinian I. (546) den Anten hinterhess (Proc. B. G. in, 15), von denen sie sehr leicht durch den Namen Bielgorod hätte bezeichnet werden können. Da nun die Polowtzer ihrerseits diesen Namen übersetzt haben werden, so hätten wir einen Grund mehr in der weissen Stadt Schilt-

Thomas: Bruun zu Schilther ger. 231

bergeis die Stadt Acliba (liva?) wiederzuerkennen, die nach Edrisi (Joubert, Geogr. d'Edrisi, II, 394) an der Mündung des Dniesters lag.

Was das weisse Reussen Scliiltbergers anbelangt, so kann er darunter nur den östlichen Theil des Königreichs Galizien veistanden haben, der auch in Folge einer falschen Lesart des Namens der Stadt Tscherven noch jetzt Roth- russland genannt wird (Karamsin d, russ. Ausgabe v. Einer- ling, I n. 431). Dass Schiltberger in diesem Fall roth nicht mit weiss verwechselt, ersieht mau daraus dass ihm ausser dem ,, kleineren" weissen Russland ein ,, grösseres" bekannt sein musste. Dies kann nur das Gross türstenthum Lithauen mit Einschluss des heutigen Weissrusslands , nicht aber das damalige Grossfürstenthum Moscau gewesen sein, das bei Schiltberger ,,das Küngrich zu rewschen" heisst und dessen Abhängigkeit von den Tataren ihm nur zu gut bekannt war (das ist och zinsbar dem tartarischen Künig).

Gewiss geht Karamsin (II, n. 262 und 384) zu weit, wenn er in seiner Abneigung gegen Tatischef, diesem tüch- tigen Historiker vorwirft, er habe ohne irgend einen triftigen Grund die Besitzungen des Gründers von Moscau Weiss- russland genannt. Dagegen steht wohl auch fest, dass die späteren moscovitischen Grossfürsteu , unter dem Joche der Mongolen, nicht daran denken konnten als Beherrscher des weissen oder freien Russlands aufzutreten und dass erst Johann III (1462 1505) berechtigt war dies zu thun.

Weit eher als Moscau hätte der mit Lithauen verbundene westHche Theil Russlands auf den Namen des grösseren weissen Russlands Ansprüche machen dürfen. Dass jener Theil, zu Schiltbergers Zeit, wirklich so genannt wurde, be- zeugt sein Zeitgenosse Suchenwirt (cf, Adelung, Uebersicht d. Reis, in Russl. I, 136) in einem seiner geschichtlichen Gedichte, wo er die Erstürmung der Stadt Eysenburk, in Weizzen Reuzzen, durch den deutschen Orden im Jahre 1348

232 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 2. Juli 1870.

beschreibt. Diese Stadt war aber keine andere als Isborsk, das damals die Oberleheusherrlicbkeit des litbauiscben Fürsten Olgerd anerkannte.

Gleich den Besitzr.ngen dieses Fürsten war der durch Casimir den Grossen mit Polen vereinigte Theil des west- lichen Russlands nämlich das Fürstenthum Halitsch (Galizien), zu Schiltbergers Zeit, den Tataren nicht mehr tributpflichtig und verdiente demnach auch Weiss-Russland genannt zu werden , so wie es anderseits als das kleinere Land dieses Namens bezeichnet werden konnte , wie Schiltberger dies wirklich thut, und zwar von Rechtswegen. Dies beweist uns Unter andern ein im Jahre 1335 an den Grossmeister des Dtutschen Ordens gerichtetes Schreiben des Urenkels des ,, Königs'' von Haütsch, Daniel Romanowitsch Georg, der abwechselnd in Lemberg und in \Yladimir (in Wolhynien) residirte, und in jenem Schreiben Fürst totius ,,Russiae Mynoris" (sie) sich nennt (Karamsin IV, n. 276). Dass auch ausserhalb Russland Galizien als ein Theil von Kleinrussland betrachtet wurde, zeigt folgendes Bruchstück eines Briefes Marino Sanudos an den König von Frankreich, Philipp VI, datirt vom 13. Oktob(3r 1333: Russia minor, quae confinat ab occidente cum Polonia, a meridie autem Ungaria etc. (Kunstmann, Studien über M, Sanudo, München, 1855, p. 105).

IX.

Es sei mir erlaubt hier noch auf einige der bei Schilt- berger vorkommenden Namen aufmerksam zu machen, die man entweder gar nicht sich hat erklären können , oder aus denen man, weil man sie missverstanden, Schlüsse ge- zogen hat , die dem was er eigentlich hat sagen wollen, nicht entsprechen. Gewiss verdient er es , dass mau ihm auch in solchen Fällen Gerechtigkeit widerfahren lasse, wo die von ihm mitgetheilten Nachrichten nicht der Art sind

Thomas: Bruun zu Sehiltberger. 233

um uns zu veranlassen, eine Revision des schon anderweitig bekannten vorzunehmen.

a) Die Schlacht von Achtum 'and eben so wenig statt in der Ebene von Nachidschevan, wie Neumann (p. 85, n. 81) meint, als in den Umgebungen von Erzerum , wohin der Bischof von Theodosia Aivasofski die ,,heid genannt achtum" versetzt, wo nach Sehiltberger s Bericht (cap. XXIII) , der Ilchan Ahmed-ben Oweis von Kara lusuph, dem Führer der Turcomanen vom schwarzen Hammel, aufs Haupt geschlagen wurde. VVenigstens sehe ich nicht ein, weshalb das Schlacht- feld nicht gesucht werden dürfe in der Nähe von der am Kur gelegenen Oertlichkeit Aktam, wo einige Jahre vordem Tamerlan sein Lager aufgeschlagen hatte. (Dorn , Geogr. Caus. cf. Price , Chron. Resp. 206 : Acataom or Actam, a Station to the castward of Moghaun).

b) Zu den Fürsten, die während der Anwesenheit Schiit- bergers in der grossen Tatarei sich um die Herrscl.aft in der Goldenen Horde stritten, gehört ohne Zweifel Tschekre, da sich Münzen aus den Jahren 1414 1416 erhalten haben, die auf seinen Namen in Bolgar, Ssarai und Astrakhan ge- prägt worden waren. Man nimmt gewöhnlich an, dass von ihm in den russischen Chroniken gar nicht die Rede ist. Ich möchte aber gern ihn in dem ,,tzarewitsch Tegri-berdi" wiedererkennen, der im Gefolge des bekannten Edigeis oder Idekus sich befand, als dieser im Jahr 1408 bis in die Nähe Moscaus vordrang, alles auf seinem Wege verwüstend. Aus dem Gesagten ersieht man wohl . wer der tatarische Königssohn ,,zegre" (c. XXV, p. 88) oder gar zebra (bei Peuzel) war, der, nebst seinem Sclaven Sehiltberger, an dem Zuge des ,,edigi" nach Sibirien sich betheiligte.

c) Gewiss haben Hammer (p. 92 n. 108) und Fall- merayer (n. 110) Recht, dass von den beiden von Sehiltberger (cap. XXVIII) erwähnten Hauptstädten der Walachei die eine „agrich" keine andere sein konnte, als das heute noch

234 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 2. Juli 1870.

bestehende Ardscliisch. Dagegen hätte Fallmerayer nicht sagen sollen, der Name der andern, der bei Schiltberger ,,türckisch" lautet, bedeute Bukurescht. Wäre es nicht ge- rathener gewesen anzunehmen, Schiltberger habe durch sein türckisch die Leser mit dem Namen der Stadt Targowescht bekannt machen wollen, wo zu seiner Zeit die walachischen Fürsten residirten, anstatt sich abzumühen, den Namen der heutigen Residenz des Fürsten von Rumänien, die damals gar nicht zu den Hauptstädten des Landes gehörte, bis zur Unkenntlichkeit umzugestalten.

d) Von den geographischen Namen, die im XXXVl Capitel (p. 106) des Reisebuchs, wo von der Crim die Rede ist, vor- kommen, hat Neumann einige missverstanden, andere dagegen gar nicht erklärt.

So z. B. soll ,,Karckeri", das in einer von Christen bewohnten weinreichen Gegend lag Cherson gewesen sein, da doch Schiltberger hier nur die Judenfestung Tschufut- kale , oder Kirkier im Auge haben konnte. Der Irrthum Neumanns ist um so auffallender, da Schiltberger gleich darauf hinzusetzt, in derselben Gegend sei der heilige Clemens ins Meer versenkt worden ,,bei einer Stadt genannt serucher- man in haidischer sprach". Es ist wahr. Neumann identi- fizirt diese Stadt mit Akkerman. Aber was berechtigt ihn anzunehmen , Schiltberger habe sich eine so falsche Vor- stellung von der Gegend gemacht, wohin der Papst verschickt worden war, da schon im Jahr 1333 ein katholischer Bischof zu Cherson in Gothien fungirte, und da sogar dem Abulfeda, der nicht, wie Schiltberger, die Gegend selbst besucht hatte, bekannt war, dass dieselbe Stadt, die schon Rubruqnis ,,Kersona, civitas Clementis" nennt, bei den Eingebornen Ssarukerman hiess, so wie auch dass der heutige Name der Stadt Akkerman schon damals im Gebrauch war.

Wenn Schiltbei'ger uns ferner mittheilt dass die Gegend, in der die Städte Kirkier und Ssarukerman lagen „sudi" hiess,

Tliomas : Brunn zu Schiltherger. 235

zugleich aber beiden Heiden den Xamen ,,that" trug. ?o folgt aus einer andern Stelle des Reisebuchs (cap. I VI, p. 135), wo er sagt, die ,,Kuthia sprauch" heisse bei den Heiden ..thatt", dass sudi weiter nichts ist als eine schlechte Lesart des Wortes ..Kuthia'" und dass Schiltberger durch dies der armenischen Form des Xauiens der Gothen nachgebildete Wort die Südküste der Crim bezeichnen wollte, die damals allgemein unter dem Namen ,,Gotia" bekannt war, und wo die gothische . o 1er richtiger gotische . Sprache noch im XVI. Jahrhundert nicht ausgestorben war.

e) Wen Schiltberger (cap. XL p. 114) unter dem ..Koldigen Joseph" verstanden hcit, in dessen Gesellschaft er Jerusalem zweimal besucht hatte, lässt Xeumann sowohl als die Ver- fasser der Geschichten des osmanischen Reichs und des Kaiser- thums Trapezunt unerklärt. Auch Koehler, der strenge Be- urtheiler der mit Anmerkungen dieser drei Gelelirten ver- sehenen Ausgabe des Reisebuches, der es sich zur Aufgnbe gemacht, das von ihnen versäumte nachzuholen, beschränkt sich, nachdem er gesagt das Wort ..koldigen"' komme in jener Ausgabe vor, auf die hinzugefügte Bemerkung: ,,Auch die beiden Drucke (dt-r Frankfurter vom Jahr 1553 und der Nürnberger von Berg und N-^uber) haben diess mir räthsel- hafte Wort." Vielleicht hätte Herr Köhler den Schlü=sel dieses Räthsels gefunden , wenn er nur vorausgesetzt haben würde, dase der gottesfürchtige bayerische Kriegsknecht doch wohl, aller Wahrscheinlichkeit nach, die heiligen Stätten nicht anders als in Begleitung eines Geistlichen habe be- treten wollen , denn in diesem Falle könnte sein Begleiter Joseph ein griechischer Mönch oder y.aXoysooc gewesen sein, den er aus demselben Grunde in einen koldigen hätte ver- wandeln können, der einen Serben veranlasst haben würde, ihn kaludjer zu nennen, und dem es zuzuschreiben ist, dass unter den „Calori", die Frescobaldi (Viaggio, etc., Roma 1818

236 Sitzung der pMlos.-philol. Classe vom 2. Juli 1870.

p. 118) im Kloster auf dem Berg Sinai antraf, griechische Mönche verstanden werden müssen.

f) „Wenn man den Namen nicht wüsste, so würde man in They scLwerHch Ghasi erkennen" ist Alles was Neu- mann (p. 130 n. 213) hinzuzufügen für nöthig hielt zu dem, was Schiltberger im LI Capitel über eine gegen die Christen besonders feindselig gesinnte mahommedanische Gesellschaft mittheilt.

Dagegen erlaube ich mir zu bemerken, dass die Ghasi nichts mit der Gesellschaft zu thtm haben, deren Mitglieder Schiltberger they nennt. Denn da er unter dieser Gesell- schaft doch nur die Sekte des Assassinen verstanden haben kann , so erräth man leicht , dass er von denjenigen Mit- gliedern dieser Sekte spricht, die durch die Benennung Dey (Werber) bezeichnet wurden, Dass er sie they nennt, kann ihm schwerlich zum Vorwurf gemacht werden , da seine Landsleute lange sich darüber stritten, ob sie sich Deutsche oder Teutsche nennen sollen.

üeberhaupt muss man sich hüten, deshalb einen Stein auf ihn zu werfen, weil er sich nicht befleissigt hat uns die geographischen und Eigen-Namen in einer so cur- rekten Form mitzutheilen, dass man sie ohne Weiteres er- kennen könnte. Wenigstens hat er in dieser Hinsicht sich nicht mehr vorzuwerfen , als andere gleichzeitige Schrift- steller, ja sogar, nicht selten, die heutigen, in so fern es sich um die Rechtschreibung fremder Eigennamen handelt.

So z. B. darf man es Schiltberger nicht übel nehmen, dass er (cap. XIII, p. 72) den Fürsten von Arzendschan ,,Tarathan" nennt, da derselbe Fürst nicht allein bei Clavijo (92 96) den Namen Zaratan führt , sondern sogar in den Werken unserer Orientalisten , Weil nicht ausgenommen, unter dem ebenso wenig richtigen Namen ,,Taherten" auf- geführt wird, während man, wie aus dem Reisebuch des

Thomas: Bmun zu Schiltberger. 237

türkischen Touristen Evlija Efendi (Narrative of travels, transl. bj Hammer, II, 202) zu ersehen, ihm seinen Namen Zahir-ud-din hätte lassen sollen.

Berichtignng.

Auf Seite 450 des vorausgehenden Bandes ist Linie 7 von unten folgendermassen zu verbessern:

„dennoch betrüge die Entfernung zwischen dem Chopi und dem Vorgebirge Isgour . . . nicht mehr als 400 Stadien; zwischen jenem Fluss dagegen und dem alten Suchum" u. s. w.

Herr Christ sprach über

,,die Harmonik des Bryennios."

Herr M. J. Müller gibt

„einige Bemerkungen über aus dem Arabischen herübergenommene spanische Wörter."

[1870. n. 2.] 16

238 Sitzung der histor. Gasse vom 2. Juli 1870.

Herr Lauth übergibt den dritten und vierten Theil seiner Abhandlung über

„den Papyrus Prisse."

Dieselbe wird als besondere Beilage diesem Hefte der Sitzungsberichte beigegeben.

Historische Classe.

Sitzung vom 2. Juli 1870.

Herr Riehl hielt einen Vortrag:

„üeber die Entstehung einer Volkssage von König Konrad I."

Neuicahlen. 239

Neuwahlen der Akademie.

Die in der allgemeinen Silzung vom 28. Juni vorge- nommene Wahl neuer Mitglieder erhielten die Allerhöchste Bestätigung und zwar:

A. Als ordentliche Mitglieder: Der mathematisch-physikalischen Classe:

1) Dr. Bauernfeind Karl Maximilian, Director des hiesigen Polytechnikums,

2) Dr. Hesse Otto, Professor am hiesigen Polytechnikum,

3) Dr. Vogel August, ordentl. Professor an der k. Uni- versität München,

4) Dr. Voit Karl, ordentl. Professor an der hiesigen Hochschule.

B. Als ausserordentliche Mitglieder:

a. Der mathematisch-physikalischen Classe:

Dr. Erlenmeyer Emil, Professor am hiesigen Polytech- nikum.

b. Der historischen Classe:

Dr. Ritter Moriz, Privatdozent an der Universität München.

240 Neuwahlen.

C. Als auswärtige Mitglieder: a. Der philosoph. -philologischen Classe:

1) Dr. Heerwagen Heinrich, Rector des Gymnasiums zu Nürnberg,

2) Dr. Pott August Friedrich, Professor in Halle.

b. Der mathematisch-physikalischen Classe:

1) Dr. Gegenbauer Karl Professor in Jena.

2) Dr. Helmholtz Hermann, Professor in Heidelberg.

D. Als correspondirende Mitglieder: a. Der mathematisch-physikalischen Classe:

1) Dr. Baeyer Adolph, Professor in Berlin,

2) Dr. Haeckel Ernst, Professor in Jena,

3) Dr. Hlasiwetz, Professor der allgemeinen Chemie am polytechnischen Institut in Wien,

4) Dr. Lucae Job. Christian Gustav, Professor in Frank- furt a/M.,

5) Dr. vom Rath Gerhard, Professor in Bonn,

6) Rohlfs Gerhard in Bremen,

7) Dr. Rutimeyer Ludwig, Professor in Basel,

8) Dr. Sandberger Fridolin, ordentl. Professor in Würz- burg,

9) Dr. Tschermak Gustav, Director des k. k. Hofmineralien- kabinets und Professor in Wien.

b. Der historischen Classe:

1) Dr. Dudik Beda, aus dem Benediktinerstift Raygern in Mähren, z. Z. in Wien,

2) Dr. von Lübke Wilhelm, Professor am Polytechnikum und an der Kunstschule in Stuttgart,

3) Spach Ludwig, Präfectur-Archivar des Niederrheins in Strassburg.

Der Prinz Ptahhotep über das Alter (de senectute).

Von

Dr. Lanth.

(Papyrus Prisse. III, Theil.)

Nach den zwei vorausgegangenen Abhandlungen bedarf es hier nur einer kurzen Einleitung. Wir haben als Ver- fasser des ersten Theiles einen pharaonischen Beamten Namens Kadjimna getroffen; der zweite leider! wieder getilgte Text stammte von König Cheops; der vorliegende dritte Theil eignet dem Prinzen Ptahhotep, wie sofort erhellt.

Erstes Kapitel. Pag. IV.

sehait nt Mur-nu-äjet Ftalihotep

instructio praefecti urbis et orbis Ptahhotep

lin.

clier hon-n-suten-cJieb Assa anch djet rnlieh

sub majestate regis Assa perpetuo viventis usque ad aeternum.

[1870.11. Beilage.Jj A.

Alle diese Ausdrücke sind früher schon erläutert mit Ausnahme des letzten Wortes rnheh, welches dem kopt. eneh aeternitates entspricht. Dass ,,viventis" in ,,qui vivat" auf- zulösen ist, wie der analoge Ausdruck ■¥• | I die vyCsia wünscht (Diod. : Sovvai rrjv vyisiav rv} ßaGiXsi) . habe ich schon anderwärts dargethan. Für den Königsnamen Assa bietet die Ahueukammer von Karnak die Variante ( ui mM Ases^ wonach eine Reduphcation des Stammes as vorzuliegen scheint. Ein zweiter Name desselben Königs lautet auf der Sethos- tafel rouUj Tat-ke-1-a, dessen u im Schilde der Tafel

von Saqqarah irrthümlich durch f) ma vertreten wird. Für die Zusammengehörigkeit der beiden Namen ist die Gleich- heit der Pyramide I^^f ^. §^1 pulchra (sculpturis) be- weisend. Aus Tat-ke-ra ist Manetho's TavxeQr]g an der vorletzten Stelle der V. Dyuastif graecisirt , das sonach aus TaTxsQrjg verschrieben erscheint. Im Turiner Papyrus figurirt dieser König mit der abgekürzten Legende ( U^ 1 Tau

eine für meinen Zweck um so willkommnere Variante , als in dem Papyrus des Herrn Lepsius , der leider noch nicht

veröffentlicht ist, eine Prinzessin des Namens H uS Taut die

Hauptperson zu sein scheint. Ueber den dem Könige Tat-

kera gleichzeitigen Verfasser Ptahhotep werde ich am

Schlüsse Mehreres sagen.

Mur-nu-djet Ptahhotep djed-f Honhen

praefectus urbis et orbis Ptahhotep dicit: Osiris

•()^^|^ra^^(^)7.

neh-a dhena cheper aau hau

domine ini magae, fieri senem (est) malum (sinistrum)

Der durch das doppelte Krokodil bezeichnete Gott ist sicher Osiris , da das Todtenbuch cap. 142 unter seineu 100 Namen col. 16 b gerade dieseu aufführt, der c. 145, 27 unter der Form x vi f^'S^ss- hanti oder honlien (kopt. jubere) wiederkehrt. Weiterhin IV 4 wird er als Urdhet = jvqo- aijvTjgi V, 4 wird er bloss |l = ..dieser Gott" xßz:' £^o/?;'i',

VI, 5 aber ausdrücklich rj ^ Osiris genannt. Das Wort dhena^ entspricht dem tona valde und steckt wahrscheinlich auch in dem bisher unerklärten Elxxwv^) = nqöiJTov jid-

Yei\ua. wozu als erster Bestandtheil xU^^^ JicJ:a = hago magus, hik raagia, gehört. Die Gruppe hau (cf. hou malus) entbehrt hier fehlerhafter Weise des Deutbildes ^^, wel- ches sonst nicht vermisst wird, z. B. auf dem Sitzbilde des Bokenchons in München: ,. indem ich reichte meine Hand ~^rD ^^ ^^' den Unglücklichen". Man bemerke auch

das Wortspiel zwischen aau, hau, aliu, mau das sich nur unvollkommen nachbilden lässt.

lin. 3. ^'^^'^^^(li^'^f->^^-^ u qesqes u ahu hi mau

extremum, maledictio extrema, puerascere denuo.^)

1) Jamblich, de myst. YIII 3 p. 158 Gale.

2) Cf. Shakespeare : As jou like it II 7 : ,,Last scene of all

A*

Dass das Determinativ der schreitenden Beine am Ende von Zeile 2 nicht zu liau, sondern zu dem u der lin. 3 ge- hört, wird bewiesen durch das u nach qesqes. Am Schlüsse von pag. II ist uns der Stamm u (216 finis) als verbales Sub- stantiv begegnet; hier steht er als Adjectiv im Sinne von ,, äusserst". Als Verbum bildet er gewöhnlich einen Gegen- satz zu i ire, venire; i-m-liotep „komme im Frieden!" u-m-hotep ,,zieh' hin im Frieden!"; exitus und finis sind sy- nonym. Cicero sagt ähnlich ,,de finibus bonorum et malorum", um das höchste Gute und das äusserste Schlechte zu bezeich- nen. Sein Buch de senectute bietet überhaupt manche Pa- rallelen zu unserm Texte, die ich dem Leser zu ziehen überlasse. Das qesqes, kopt. Jcaskes maledicere, muss hier natürlich Substantiv sein, weil es das Adjectiv ti hinter sich hat. Die Misskennung dieses u hat bisher die Einsicht in manche Stellen unseres und manchen anderen Textes verhindert. Von ahu kommt das mit dem ableitenden i versehene aJi(n)i^ welches im Todt. c. 125 demotisch durch chel infans, puer übersetzt wird. hi-mau ist ist eine ad- verbielle Bildung mittels der Praeposition /w, wie denuo aus de novo (de integro). Die Wurzel mau habe ich zuerst mit dem baschmurischen mimi renovare verglichen.

•^

seäjor nef cheder ra nih; iri-ti nedjesu cubare ei vexatio quotidie; oculi deficiunt

Das Verbum sedjer vergleicht Brugsch lex. p. 1348 pas- send mit dem kopt. sdito cubare; nicht ganz genügt die Er-

Js second cHldisliness and mere oblivion; Sans teeth, sans eyes, Sans taste, sans every thing."

klärung des H. Chabas'): le papyrus Prisse, le document le plus ancien qui existe, cite la decrepitude qui couche, qui alite. Ich halte dafür, dass der volle Stamm in dem (ro- fxog) ^e^Qottrjg erhalten ist; denn die Lage des XIX unter- ägyptischen Gaues mit den Städten Pasupd (Pisubtu der Keilschrifttexte), Gesem ((Feaefi = ]Vj^) und Pakruru = WayqwQdänoXig entspricht dem ^e^Qoitrig, der nichts mit dem Gotte Seth zu schaffen hat, um so passender, als er best:iniig durch das Lager 'J^ (sedjer) bezeichnet wird, auf welchem der Sperber ruht. Ueber clieder = chiti vexare habe ich zu I 11 gehandelt. Hier bildet es mit seiner ein Wortspiel, ra (sol cf. lux) für hru dies sehr häufig. iri = igt = ocf^alfxog erwähnt Plutarch ; im kopt. medj-ere supercilia, wörtlich ,,circum-oculus" steckt es verborgen; nedjesu scheint in netjö turpis deformis erhalten zu sein.

anch-ti ameru peh-ti In aq an aures hebent, fortitudo (est) in pereundo; non.

urd het ro ger(u) an djedu nef

0 miticors, es pronunciat, non (est) verbum ei.

Das Ohrenpaar ist durch anch-ti ausgedrückt, welches Wort ich im Bokenchons mit onch sepimentum (cf. eqxog 666v- Tcog) zusammengestellt habe. ameru hält Brugsch für die

3) Deux papyrus . . . par Lieblein p. 30. Die sonstigen Ueber- setzungen des H. Chabas werde ich am Schlüsse als Anmerkungen zu meiner deutschen versio princeps geben.

6

achte Form von mer ,, binden" und übersetzt demgemäss ,,die Ohren sind wie zugebunden". Ich denke eher an tnbo surdus , afißXvc und dfiavQog. Dem peh-ti dürfte amahte robur fortitudo dem aq das kopt. aJco perditio , dem urd-het (oder vielleicht nrd-ah zu lesen?) das Verbum roteh decumbere entsprechen, lieber den letzten Passus habe ich oben zu I 1 genug gesagt. Es muss die Negation an zu ro ger gezogen werden und da kopt. at-röf = mutus , so könnte man auch hier zunächst an eine Verbindung der da- mit identischen Wörter an-ro denken. Allein dann erhielten wir den AVidersinn ..der at-rof^) (mutus. eigentlich „unmün- dige") spricht", während der Zusammenhang erheischt ,, nicht, 0 Mildherziger, ist der Mund sprechend".

Pag. V.

eilti"^

het temu an secka nef saf qas men-

cor obduratur, non reminiscitur heri; ossa laborant

f n-debuu vicissim.

Aus dem Koptischen sind zu vergleichen: töm n liet obduratio cordis; sa/heri; Z;a5 0s; w?^me corrumpere, vitiare; todbe retribuere und ethe propter. In der Inschrift des Schiffsobersteu Aahmes (cf. de Rouge) ist r debu-f vicissim cum eo richtig übertragen. Was secha betrifft, so ist es

4) VergL über dieses Wort Quatremere's Einleitung.

zwar kopt, nur in sach littera, scribere überliefert, aber in der Tanitica (lin. 8) durch ev^ixovfxs'voov (lin. 14) gegeben.

hu-7iefer cheper m bu-ban dept

bona fiunt (in) mala ; gustus

nibt schemet omnis abit.

Man vergleiche met-iiofri bona ; schöpi existere fieri ; bon malus; teipe gustus, welches zu debii ein Wortspiel liefert; sehe abire und was ich oben zu I 6 über hu-nt = me(n)t angeführt habe.

art aau uä-n redhu ban m

facit senectus unum ex hominibus miserum in

chetii nibt. re(-spectu) omni.

Keiner dieser Ausdrücke bedarf mehr der Erörterung bis auf ua-n, von dem ich zu lin. 3 alsbald sprechen werde.

5) Brugsch lex. p. 1713 setzt ungenau ^

6) Es steht fälschlich .

fend tiem an sesen-nef n tennu ha hems(t)

nasus constrictus (est), nulla respiratio eis oneri :stare (et) sedere.

Statt fend bietet das kopt. schanfe, eine andere Lautirung des iy, wie ich zuerst im Bolienchons gezeigt habe. Das dazu gehörige Adjectiv anlangend, so transscribirt es Brugsch p. 1626 mit teb; allein ein Blick auf das überstehende teh überzeugt sofort von der Unmöglichkeit dieser Transscription. Näher steht das Determinativ von äper (lin. 9), aber es ist unten nicht geschlossen. Dasselbe gilt vom Deutbilde zu Jianf^) (VI 7, XII 2). Ich denke desshalb an nem, welches conjungere bedeutet und bekanntlich zu men et, cum gewor- den ist men constringi genügt vollständig für unsere Stelle. tennu ist im kopt. tano molestus erhalten ; über ,, stehen" und „sitzen" vergl. oben zu II 7.

aut n hell am

(haec est) conditio in qua decrepitus (versatur).

Die Kürze dieser zusammenfassenden Phrase war Schuld, dass man bisher ihren Sinn nicht erkannte. Und doch bieten auch andere Sprachen viele Beispiele solcher Kürze.— aut im Sinne von ,, Stand, Rang, Würde" ist häufig, und auch im kopt. auet ordo bewahrt; Tceli ist das Simplex von liehJcoh und bedeutet fr actus (membra) wie z. B. iu

7) Wäre jedoch dieses richtig, so Hesse es sich mit hans angustus im Pap. Butler vergleichen (Chabas : Melanges II Artikel v. Goodwin).

Jceh-Jcees frangere ossa. Vergl. meinen Bokenchons p. 17.— Wegen am siehe oben zu I 5.

Bis hieher war es auch meinem Vorgänger leidlich ge- lungen , den Text zu verstehen , so ferne es sich um das Allgemeine : die Mühseligkeiten des Greisenalters , handelt. Die grösseren Schwierigkeiten, an denen bisher die Analyse scheiterte, beginnen mit liu. 3.

lin. 3.

art sen-n aau ach faci(a)t consenex quid?

Schon im Jahre 1864 habe ich zu Paris mehreren Aegjp- tologen meine Ansicht mitgetlieilt, dass die Stelle des Todten-

buches cap. 100, 3 (78, 39) :^^:iSjjgJüS^Sf^ zu

übersetzen ist : egi (partes) fratrem Isidis, sororiuni Nephthyis d. h. dass man hier Zahlsymbolismen vor sich hat, wie ich sie in meiner Abhandlung über den ägyptischen Ursprung unsrer Buchstaben und Ziffern^) nachgewiesen habe. Da sm kopt. snau und senti duo, son (san) frater bedeutet, so be- greift sich dieser Symbolismus leicht , der auch zum Theile in I = ua (unus) liegt . obgleich hier nur das Zahlzeichen für das Zahlwort steht, wie H. Goodwin nachträglich^) eben- falls entdeckt hat. Der ,, zweite" oder ., Bruder" des Greises ist aber der Mitgreis, consenex, Ovvyeqiov. Offenbar ist mit diesem consenex der Verfasser Ptahhotep selbst gemeint, da er XIX 7 von sich aussagt: ..Ich habe erreicht (errungen) 110 Lebensjahre". Das Fragewort «c7i, ascA(o) quid ist post- ponirt.

8) Sitzungsberichte 1367 I.Juni, p. 118.

9) Zeitschr. für aegypt. Spr. 1868. [1870. IL Beilage.]

10

cljed - a - nef djeäu sofemiu secheru

dicamne ei verbum audientium consilia

I I 1^

-^ I

amu ha't majorum ?

Dass ich Recht habe , diesen Passus ebenfalls interro- gativ zu fassen, beweisst die Antwort des Gottes (Osiris) in der nächsten Zeile. Das Wort secheru scheint in soc'tii con- silium bewahrt; seine Bedeutung ,,Plan , Verhältniss, ratio consuetudo etc. ist allseitig erhärtet. Es könnten auch die ,, Urkunden" der Vorfahren selbst darunter zu verstehen sein, da die Piosettaua und die Tanitica dafür xQr}.iaTianoC setzen. Was amu-ha't betrifft, so wird es lin. 5 durch eher ha't ersetzt ; kopt. nachklingend in dem präpositio- nellen hm in, ab, ex ha't in he initium; ,,die im Anfange" sind die ,,Vorvorderu, die Ahnen = majores".

pau - u sem n nuteru ach

(illa) eorum notitia de diis qualis (sit)?

Ueber das possessivum pauu vergl. oben zu II 5. Das Wort sem klingt noch nach in sme rumores; ach im Sinne von qualis, quantus sehr häufig.

art-neli mati der -tu chennu - u m

fac-tu exemplum delendi infirmitates in

11

w

rechit - u Jceh - nek huhui

hominibus, para-tu auxiliuml

Die kopt. Wurzeln ari fac, tör infigi, terfor fixus , (re dimiltere, djcr delere (Sr^Xew) . schöne morbus, infirmitas, laschie adbpirantes (eine der 4 Menschenklassen) , kehJcoh parare, heu utilitas lucrum commodum genügen zur Er- klärung; auch lür tnafi kann das durch das causative s ge- bildete smote similis beigezogen werden. Die Construction anlangend, so sind die beiden Verba mit n d. h. dem Dativus ethicus construirt, um eine Art Medium zu bilden.

djed an hon n nuter pen seba-nek su Dicitur a majestate dei hujus : doce-tu illum

lin. 5.

r djedt eher hä't (ad) verbum antiquitatis

Das allgemeine Pronomen der dritten Person: su hat sich als Ol'ject an vielen kopt. Verbis in der Form s erhalten z. B. a-dji-s o die illud! seha vergl. tuit sbo oßcS doc- trina , rcaiSsia. Die Construction des medialen seha-neh su mit r kehrt lin. 7 wieder in der Verbindung: ,, lehre du den Unwissenden zum Wissen !" Endlich steckt eher in e-chrei in, ad.

B*

12

ach ari -fba-u n mestt - u saru - u

ab! fac eum pretiosum apud liberos principum

-9 ZI

^-^Wk-^1]^

I "

äg sotem amf mati het nib

qui intrant (et) audiunt ex eo; obsequens (est) cor omue;

djet - lief an mesi sau

dictum ab eo non gignens satietatem.

Man vergl. bai praemium; siur eunuclius lii; princeps; ök (u het)") intrare cor = complacere; sei satietas; djed-nef yeyqantaC fioi (statt v/r' ifiov) ; scribendum mihi (statt a me) est.

Zweites Kapitel.

Nachdem der Verfasser Ptabhotep gezeigt hat, dass der Greis sich durch Unterweisung der Jugend nützUch und werth- voll erweisen könne, fährt er fort:

10) Am Schlüsse der Briefe steht ach (rech-su) exhortativ, wie hier. In Bezug auf ari ba(t) vergl. den Schluss dieser Abhandlung.

11) Brugsch lex. p.22-i vergleicht das stammverwandte ^ y äc[-het: allein dieses entspricht dem uc'o-s dimidium.

13

am— _£"' ' ' 1 ^ ^W -^^^

lid - m - tesu - tc n djedt nefert djedt n Initium sententiarum verbi boni : dictum a

(soweit die

Brugsch übersetzt lex. p. 1600: „Anfang der Aussprüche (djoos effatum) guten Inhaltes." üeber letzteren Ausdruck vergl. oben zu 1 6 das kopt. Praefix djiu.

re2jät M neter-atef neter-meri suten-si Repa-ha patre divino ■d-sog^iXP/g), regis fiiio.

Ueber die drei ersten Titel liabe ich im Bokenchous das Nöthige beigebracht; ^eo(fi).r^g ist oben zu Kadjimna beigezogeu worden. Ueber die Reihenfolge beim Lesen z. B. si suten, wo das Wort ,, König" nur aus Deferenz voran- gestellt -wird, vergl, meinen Aufsatz in der Ztschr. f. äg. Sp. 1866 p. 26.

©

<^Q __w_

ner n chet-f mur-nn-djet PtaMotep praecipuo ex stirpe ejus: Mur-nu-djet Ptalihotep.

Bloss über die Lautirung des ersten (figurativen) Zei- chens besteht ein Zweifel, ob man es nämlich statt mit Ker, nicht vielmehr mit te}) oder sefus transscribiren solle , weil

diese letzteren gerade in dieser Verbindung als gjf = tej},

sowie als 1^\^ ' = sems phonetisch vorkomuien. Was ich mit stirps übersetze, bedeutet eigentlich venter cMt.

u

k*^^®k^^

.=i=f=® o

m seba chemu u r rech r tep-hesb n

in doctrinam ignorantium ad scientiam, ad justain

djedt nefert, m achut n Duensuram vcrbi boni, in benedictionem

lin. 8. ^|^.S^|^^l!^i«^^ß^>^p- sotetn-ti-f, m qesqest nnti r teha st

audituiorum id, in maledictionem eorum qui trans- gressuri sunt id.

Von den bisher noch nicht erläuterten Ausdrücken er- fordert tep-Jiesp eine Besprechung. Brugsch lex. 257, 4 citirt aus den Rhindpapyii eine Stelle, wo das hieratische tep-hebs demotisch durch hesh-ap (cf. 2U'n computativ, epe aps nu- merus) übersetzt wird. Zu dem grossen Ohre des Sonnen- gottes*^) wird bemerkt : „es hört alle Dinge ■<2::^(<=>? ^x^ i^C3 in der ganzen Welt." Also scheint r fep liesh wörtlich „bis zum Klappen (cf. unser Topp!) der Rechnung d. h. sehr genau'"' zu bedeuten. Weiterhin VIII 5 wird uns r tep hesb in vollerer Schreibung begegnen. Ueber teha cf. oben zu I 3. Parallelen zu „Segen und Fluch" bietet auch die hl. Schrift.

12) Dümichen: Resultate XLV, c.

15

o t. ^

Ol $1 o

djed an-f eher si-f m aa het-Jc hi rech-h

Dicitur ab eo ad filium suum : ne superbias corde super scientia tua!

>^^w^^ a/na'v^

nefnef roJi hna chem ma rech

consultato (tibi) cum nesciente sicut (cum) sciente.

Hier erheischt nur nefnef eine Erklärung. Ich ver- gleiche damit Jithe verbum, hthre consilium opinio, letzteres mit Hinzufügung des ^ her, welches häufig dabei steht. In

^^•^ mit ßovXsviai übersetzt, üeber III

ma vergl. oben lin. 4 mafi. Die Beigebe der Person '^ hinter chem und rech kann sich hier nicht auf den Verfasser, sondern muss sich auf den per&önÜchen Begriff überhaupt beziehen.

Wir müssen jetzt den Grund erfahren, warum der Sohn sowohl mit dem Unwissenden wie mit dem Wissenden sich berathen soll.

an anfu fern äht an ähuu (ämu)

non clausus (est) carcer artis , non (est) artitex (praeditus)

13) Das Sylbenzeichen für ahn und dmu ist in dieser Zeile Ter- schieden geformt; weiterhin belehren uns Beispiele, dass nur hier das erste Mal abt zu lautiren ist.

1-6

ö' '^®"^' ' ' aper achii w f perfectus decoribus suis.

Die Bedeutung .,schliessen" (eine Thüre, Schranke) für das Verbum an (kopt. en ducere) ergibt sich aus dem Gegen- satze zu l^-^-mmiir auf der Pianchi- Stele lin, 104. So wie sesh ,, ausbreiten, öffnen" bedeutet, muss an derselben Zeile mit dem nämlichen Object || die Schliessung" der Thüre

bezeichnen. lieber am abt abtm gibt das kopt. ieb ars, eime scii'e , amsche artifex genügende Auskunft. Wegen aper , .geschmückt" vergl. meinen Aufsatz ,,Achiver in Äegyp- ten",*^) wo unter den erbeuteten Gegenständen auch der Schmuck (aper) eines Weibes aufgeführt ist. Endlich ist acliu, das auch cliu gelesen wird, dem kopt. schu dignus schon in meinem Bokenchons verglichen, wobei zu bedenken ist, dass dignus selbst auf decet zurückweist (daher aliquä re (decorandus).

Wir haben im Ganzen eine Sentenz vor uns: ,,ars longa vita brevis; nemo magister de coelo cecidit" kein Meister ist vollkommen. ^^)

degu^^) djet nefer r uat au djenit s aestima verbum bonum pluris quam smaragdum,

14) Sitzungsberichte 1867 p. 529, 2 v unten. Vergl. Zeitschr. d. DMC 1867 p.659 n^^y-

■r'r

15) Cf. Lepsius: Aelteste Texte etc. pl. 14, 55: an (äjper-s achu-u-s ,,non (est) praedita decoribus suis."

16) u in degu scheint ein Fehler statt des formähnlichen hiera- tischen a, da im Allgemeinen nur dega vorkommt.

17

m-a hont-u Jii benmu't - u

qui invenitur in brachio servarum super gemmis.

Das erste Wort äegu ist von Biugsch lex. p. 17G1 pas- send mit tog' affigere zusammengestellt wor.len ; ich glaube den ungequetschten und nur mit dem objectiven s vermehr- ten Staaim in tolc-s fixus wiederzuerkennen, wie wir ja auch ,,fixiren" statt , .scharf anblicken" gebrauchen. Aus diesem Begrifie ergibt sich dann leicht die abgeleitete Bedeutung aestimare. Der grüne Stein {iwf viridis) ist wohl eher der Smaragd als der Serpentin, ^^) weil von Edelsteinen die Rede ist, die weiterhin unter der Form hmenu-t-u hnöni gemmae genannt sind. Der Grund, wesshalb ich mich in diesem Satz von der Uebersetzung des H. Chabas so weit entferne er hat nämlich : ,,la bonne parole luit plus que l'emeraude que la main des esclaves trouve sur des cailloux" hegt in dem Zusammenhange des Textes, welcher auch wegen des Deut- bildes ^ die Bedeutung ,.luire" nicht zuLässt; ausserdem

aus Rücksicht auf einen ganz ähnlichen Text im Pap. Ley- dens. 1340.^^) Da heisst es VIII, 5: ,,Eine Unbeschurzte wird zur Herrin einer Tracht (Kleiderrechen, Garderobe); eine, die ihr Gesicht im Wasser betrachtete, wird zur Herrin (Besitzerin) eines Spiegels." An einer andern Stelle III 2/3 wird gesagt: ,,Gold, Lapis lazuH, Silber, Mafka. Hamagat,

17) Im pap gnost. zu Leyden XII. IV wird ein gelbgrüner Stein unter dem Xamen Karaina (•(ow^cc y.ukulvov cf. Hesych. y.a't.uuoi) erwähnt. Für lapis virens gibt Parthey auch das kopt. dokadion oder docation (?).

18) Ich gedenke diesen ganzen Text zugleich mit der politischen Unterweisung des Amenemha I analysirt herauszugeben.

[1870. II. Beilage.] C

18

Hasmen und Federn . . . begegnet man am Halse von Skla- vinen , (aber) die vornehmen Frauen durch das Land hin, die Hauslierrinen sind im Sagen: ,,0 hätten wir doch zu essen für uns!'" Daraus geht hervor, dass die Sklavinen bisweilen grossen Luxus trieben und sich die edelsten der Edelsteine^^) und Metalle als Schmuckgegenstände beilegten. Halten wir dieses fest, so ist der Sinn unserer Stelle: Strebe nach sittlicher Vollkommenheit mehr als nach äusserlichem Tande, wenn er auch noch so kostbar seiu sollte^"); denn dieser wird auch von den LTnedelsten. den Sklavinen getragen.

Leider ist J^^ zweideutig, indem es ebensowohl per ma- num (brachium) als mit in brachio (manu) übersetzt werden kann. Einer ähnlichen Dehnbarkeit unterliegt j super, je nachdem man es local, oder im Sinne einer Zuthat (w- hru ausserdem) auffasst.

Es folgt nun eine neue Rubrik: ,,Wenu du triffst einen Herrn in seinem (unwirschen) Augenblicke" etc. Da von jetzt au das Benehmen gegen die verschiedeneu Stände und Glieder der bürgerlichen Gesellschiift behandelt wird und kein logischer Zusammenhang zwischen den einzelnen Capi- teln besteht, so überspringe ich die nächsten 23 Abschnitte welche ich später zu analysiren gedenke und wende mich zu denjenigen, die mit den bisher besprochenen inhalt- lich zusammenhängen.

19) Das Wort henenut mit präfigirtem Artikel ta (also feminin.)

e

erscheint auch im pap. Leyd. I 3 19, 118 zweimal und wieder mit .

20) Cf. Prov. II13 15: Beatus homo qui invenit sapientiam . . pretiosior est cunctis opibus... VIII 11. Melior est enim sapientia cunctis pretiosissimis . . .

19

Kapitel 26. Pag. XII.

liu. 6. ^ ^^^%l^ 1^ ?©i§^ ^«-^«i' die »"brik)

tn cJiesf- tu m at aau

ne rejiciatur in momento (sinistro) senex!

Das oben zu I 4 besprochene at . welches V 10, 12, 13; \'Il; IX 11; Xn 4 wiedei kehrt , hat meistens die Neben- bedeutung von ,, schrecklicher, unglücklicher Augenbhck," so z. B. im Todtenbuch c. 42, 16)17, wo snad-f m chet-tenu in Parallele steht mit at-f ni chet-tenu ,,sein Schrecken ist in eurem Ltibe'". Man beachte auch das "Wortspiel zwischen at und aau, das ich durch sinister— senex nachbilde.

lö^^^Y^^ i'^-'''-

m SB - hefennu liet nnti atepu

ne sinas emori cor ejus qui onustus (est)

Brugsch lex. p. 1727 überträgt diese Stelle also: , .Be- schwere nicht das Herz dessen, der (schon) belastet ist.'' Wenig gefällt mir seine Identifizirung des se -hefennu mit dem kopt. htomtm gravari. Ich denke viel mehr an das kupt. hten mors, da bekanntlich die Endung nu bei vielen Wörtern facultativ ist. Dieses hten bildet mit het-n ,,das Herz des" ein Wortspiel. Mit dem causativen 5 praefix. versehen, ergibt sc-hten(nu) den Sinn ,, sterben machen", oder ..verkümmern lassen". Das üebrige ist schon erläutert bis auf atepu, welchem kopt. otp oneratus entspricht.

C*

20

cheper sedeba f r chent su

fit adhiböns eum pluris quam amovens eum

üeber sedeba bemerkt Brugsch lex. p. 1341: ,,es soll nach Chabas (voy. 153) so viel als ,,activite, assiduite au travail" bedeuten. H. Chabas citirt aber auch ein Beispiel, wo er es verbal mit ,,activer" übersetzt, wie mich bedünkt, ganz richtig. An unserer Stelle wird es zum Theil durch seinen Gegensatz cJient kopt. schon removere, excludere cf. englisch to sliim näher bestimmt. Vielleicht hängt stlibai instrumenta, sotf instrumentum utensile damit zusammen. Die comparative Geltung des (e)r kopt, zu e abgeschwächt, steht fest.

sefech ka m merer-su: tata »an pn lina nuter

cingere hominem (senem) amando eum: hoc efficit (ut) homines esse cum deo

o I

"AAAAAA I

merert f arit nef ser-roh-ho m chet neshen

qui amat ut fiat ei; solator faciem (ejus)'^) post miseriam!

21) Fälschlich steht M, das im Hierat. dem ^ sehr nahe steht.

22) Im Originale steht (irrthümlich ?) ^^, das freilich auch "^^r» sein könnte.

23) Das Pron. K^^ scheint vergessen zu sein.

21

üeber sefecli vergl. obeu zu I 8. Das so häufige Tca ist vielleicht mit erhalten in dje-ua = unus (cf. supra ad II 3). Die volle Form merer hat sich im Dinka als tnarer erhalten. Wegen des ta-te vergl. Brugsch lex. ; es entspricht nicht nur dem Stamm So von Si^oofii, sondern auch dem von Ti&ijfjii, sowie dem englischen to do, unserm thun. Ser kopt. sel-sol solari; Jio facies; m het cf. supra II 3; neshen ist mit nushs acerbari, torpere zu vergleichen.

au hotep eher Tia-f au sedeba eher

(cui) est pax apud personam suam , activitas apud

himet - f ha-u pu sered merut

feminam ejus : hi sunt homines metentes amorem

Die relativische Fassung wird aufgenöthigt durch den mit Jia-u pu beginnenden Nachsatz. Von allen Gruppen er- heischt hier nur sered eine Besprechung. Es ist nicht durch )i\ , wie sonst , sondern durch das die Gruppe uah augere VI 5 7 , IX 8 begleitende Determinativ der Garbe näher bestimmt, welches eine Zusammenfassung ausdrückt. Insoferne vergleiche ich dem s-red das kopt. sret spicas legere.

Der Sinn dieses ganzen etwas dunkeln Capitels^^) ist: Sei freundlich gegen den Greis, der ohnehin schon durch

24) Das Determinativ < ^ > ist vergessen.

25) Im Originaltexte steht fälschlich ^^^.

26) Das Zeichen C^ gleicht hier einem hierat. ©.

27) Die durch das brevis esse laboro : obscurus fio bedingte Schwierigkeit dieses Abschnittes erinnert lebhaft an die Sentenzen

das Alter belastet ist: verwende ihn (als Lehrer), umgib ihn mit Liebe; eiu solches Verfahren macht die Menschen Gott gefällig, der dem Greise so begegnet wissen will. Nach seinen ausgestandeneu Mühseligkeiten erheitere du ihm sein Angesicht. Wer diese menschenfreundliche Gesinnung hegt und dessen Frau die Mühe (der Verpflegung des Greises) nicht scheut, das ist ein Ehepaar, welches Liebe ärntet, (wie es sie gesäet hat).

^^1 I i^—.^ (soweit reicht die Rubrik)

Kapitel 27.

seba aau r acliut-u nef

doctrina senis in benedictionem ei (est),

se-cheper chep f m hur(}iet?) redh-u efficiens receptionem ejus inter homines

Mit Ausnahme von hur iuterius, und dem Verbum se-cheper sind alle Ausdrücke schon oben vorgekommen, und dieses selbst ist als Causativum von cheper von sehr

durchsichtiger Bedeutung. Die Variante j-, chep lür ^■^^^

beweist, und das Wortspiel hier empfiehlt die Lautung cliep. Das erste Wort: seha oßco ncadsia beweist, wie sehr ich Recht gehabt habe, im vorigen Kapitel die Beschäftigung des Greises auf das Lehren zu beziehen.

des Pythagoras, von denen Plutarch de Isid. c. 10 sagt, ,,dass sie den hieroglyphischen Schriften an Dunkelheit nicht nachstehen." 28) Es fehlt der Strich |.

23

^a-Ä; cÄo* saa /" /«' «eJ - f; unn

fac-tu ut cadat satietas ejus super dominum ejus;

djefa neJc eher Jca f; an tat nt

est hierum tibi apud eum ; est impulsus amoris

merut r hotepu, au sa-h r hehes

pluris quam oblationes; est dorsnm tuura pluris quam vestis.

Hier ist nur ^^-j^ etwas zweifelhaft, dass XI 5 am Schhisse steht und zu der Gruppe <zr>^=iSF^ XI 6 gehört. Da nun YI 2 zu Anfang (j £ziz-^^ 1^^^ mit der Bedeutung ,,thue ihn zu Boden" getroffen wird, so schUesse ich daraus, dass XI 5/6 derselbe Sinn erforderlich ist und dieser wird erreicht durch das Syonymum von arama, nän.Hch ^^-j^. Dieses Wort steht auch substantivisch, wie z. B. Todt. I 22 „Trieb des Herzens". Hier haben wir sonach ,, Trieb, ^°) Hang zur Liebe." Dieser ist mehr werth als die hotepu Opfer (cf. htop tabulae ob- latoriae) ; letztere verhalten sich nämlich zur Liebe (Huma- nität) wie das Kleid zum Rücken, d. h. wie das äusserlich

29) Dieses zweite a scheint eine Verschreibung statt m, wie oben V. lin. 10 degw umgekehrt für dega stand. Vergl. V 5 sau Indess steht XV 12 wieder saa.

30) Vielleicht ist die Präposition hiten per, a, ex zu decom- poniren in hi-te-n „auf Antrieb von".

u

Accessorische zum Innerlichen, VVesenhaften. Aus der Bibel Hesse sich manche Parallele beiziehen.

/VWW\ ( I

lin. 12. <=>-^

eher - s un chep f hi-7c r äneli par-Jc

idcirco est receptio ejus apud te in vitam domus tuae;

eher sähu h merer h mich su cher-s ari-f sed manes tui, quos amas, vivunt hi idcirco; ro facere

qäh nefer am h geru uah gert merut-

eum stationem bonam apud te, fama (est) ampla;

h pu m ehet nt mereru-u-tu mäh Jca etiam amor tuus est iu ventre amantiura te. Me-

pu merer sotem

mento persona esse amans obsequii.

Das zweimalige cher-s idcirco steckt mit dem in der Tanitica 1. 19 und sonst vorkommenden "^,1 im kopt. a-hro, a-hrai^ a-hrote cur. Dass unter sahu die manes der Ver- storbenen zu verstehen sind, ist allseitig anerkannt; da nun

25

sahu zugleich der Narae des Gestirnes Orion ist, so liegt es nahe. saJi-ti flamma zu vergleichen , so dass die aegypt. Manen gleichsam die ., Verklärten" wären. Das Zeichen

des gesenkten ^ fl Armes hinter der Gruppe qah, c'öh ma-

nere wird häufig als Haltpunkt roth zwischen zwei Texte gesetzt; diese Erklärung dürfte sich besser empfehlen, als

das von Brugsch lex. p. 1518 dafür beigezogeue ^K'^- ^

greh kopt. c'relit quics, dessen Bedeutung allerdings ebenfalls passen würde. lieber naJi kopt. nah addere ist oben zu lin. 9 das Nöthige bemerkt worden. Das Pronomen 2. Pers. sing, accus, tu verdient wegen seiner üebereinstimmung mit te Beachtung ; es lassen sich überhaupt bei den Fürwörtern wie bei den Zahlwörtern im Aegyptischen zwei Strömungen unterscheiden: eine semitische und eine arische. End- lieh ist iiiäJc im kopt. mohnek cogitare meditari (memento!) bewahrt. Der Sinn des ganzen Passus ist: Die Aufnahme eines Greises gereicht dir selbst und deinem Hause zu zeit- lichem und ewigem Vortheile. Die grosse Pietät, die hohe Achtung, deren sich das Greisenalter in Aegypten (wie in Sparta) erfreute, erhellt am besten aus einer Stelle der Stele des Harsiatef lin. 8. Nachdem vorausgeschickt ist: ,,man sagte mir, nämlich: es verfällt das Gotteshaus des Amon von Napata in dem nördlichen Saale" , fährt der Text fort

schrack (und) fragte einen alten Mann". Dieser sagte ihm, was er zu thun habe; der König befolgt diesen Piath, womit jetzt auch die letzte Gruppe ,,obsequii" erläutert ist.

"Wir überspringen wieder mehrere Kapitel, die mit dem Thema über das Alter nicht zusammenhangen, um den Text da wieder aufzunehmen, wo von den Wirkungen der Lehre des Greises gehandelt wird.

[1870.11. Beilage.] D

26

Kapitel 38. Pag. XV.

lin, 8. ,J> "^^^'^ ^ T T ^^ "^ ^=3:^ (soweit reicht die Rubrik)

ar sotem - k nen djed-na-nel', si obedieris iis quae dixi tibi,

Hier erfordert nur die Auslassung des Relativs eine Er- klärung. Sie ist im Aegyptischon so häufig als im Englischen, wo man auch sagen könnte: If thou followest those (words) I have Said to thee. Man könnte die Construction übrigens auch so auffassen: ,,Wenn du befolgst jenes von mir zu dir Gesagte".

&^~^^±^^-^<=^^ fi -^^^^==3<=. I []<=>

win secher-k nib r-hat; ar sopt n mä't ari

61 it ratio tua omuis pioficiens; est fundamentum veritatis comitans

.'I I I

ases senu pu rua seclia senu m

virtutem corum; restat memoria eoium in

M

I I I ro n redhn

ore hominum.

.-;l) Es steht fälschlich <::z> statt i '^ wegen der Verwandt- schaft der beiden hieratischen Zeichen.

27

Die Bedeutung proficiens, progrediens, die in un72-r ha't liegt, wird bestätigt durch das Sjnonymon i e-t-lie (pro- gredi, ire ad proram). Das Yerbum ar kopt. er esse hat auch das im vorigen Satze stehende ar si, erzeugt; es ist noch in dem negativen are schfem nisi , sowie in arei/ si forte erhalten. Ganz verschieden davon ist ari comes , vi- cinus kopt. areu, welches bisweilen zu der Präposition <cz>^') zusammenschrumpft. Das vieldeutige se2)t glaube ich in

sohti basis wieder zu erkennen; man vergl. ^"^^ solium

(verwandt mit solum Boden?). Das vielbesprochene ^ lese ich noch immer as, trotz des von Goodwin und Brugsch wohl belegten und hier vielleicht durch sapt als Wortspiel

empfohlenen d sheps, weil icli den 'Aövxig sowie den

«—

Moa^tjg (verschrieben aus 'Joaxi]?'?) nur mit ( "^P Ub^ j

Aseskev zusammenzustellen vermag. Auch dürfte die erste Sylbe von asch-iri virtus, activitas den adspirirten Stamm as, ases darstellen. Was das Verbum riia betrifft , so vergleiche ich lo cessare und kann weder Brugsch's i'-iiei facere recedere, noch Lepage Renouf's^^) „egredi" acceptiren. Denn im cap. 72 des Todt. steht unser rua im Gegensatze zu uha , einem Veibum der Bewegung. Auch werden wir sogleich von dei Zähigkeit der aeg. Tradition zu hören be- kommen , wozu der Begriff des Beharrens von lo cessare restare passt, welches zugleich mit 16 iro) ,,Mund" ein Wort- spiel bildet.

32) So z. B. in der Ha-sebait des Amenemha I bei der Var. zu rVcr totus II 2.

33") Traduction d'un chapitre etc., dem Prof. Merkel in Aschaffen- burg gewidmet.

D*

28

m-a (tot?) lief er n tesu-u-scnu; annetii djedt niht

propter praestantiam theseon eorum; traditum (est) verbum omne

Die Umschrift des Armes durch tot (manus) wird mir hier zweifelhaft , weil gerade die hier nothwendige Praepo- sition propter durch (das Compositum) ef-mä-dje ausgedrückt wird. Die erste Bedeutung von an (cf. anine portate) ist ducere adducere, welches mit dem Begriffe von „Tradition" stimmt. Weiterhin XVIII 7 werden wir dieses Zeitwort im Gegensatze zu „wegnehmen", also mit der Bedeutung „hin- zufügen" treffen, nachdem wir es oben V 9 mit dem Sinne von ,,schHessen" gefunden haben. Die vollere Form niht entspricht dem kopt. nihen omnia.

lin. 10. Pl^^^ D -

an seh m to pen tjet

inviolatum in terra hac semper.

Die kopt. Wörter 5ec', sie paralyticum fieri; ^^o mundus, orbis ; c'eet mauere genügen hier.

art - s sert r nefer djedu saru u

efficit perticam optimam; dicunt principes

eres: sha sa pii

de eo : docens aliquem est

29

Grosse Schwierigkeit verursacht das Wort sert. Da nicht an den Stamm sure aculeus zu denken ist , wozu das Determinativ auch nicht passen würde, so bleibt wohl nichts anderes übrig . als es mit "^^^(S sal /2 Messstrick zu- sammenzustellen. Vergleicht man die ,, Leiter" des Kadjimna, so wird hier die , .Leine" ^*) oder der ., Leitfaden" auch nicht unstatthaft sein. Das Determinativ c±f=i statt <S erklärt sich wie oben I 8 bei dem Worte ,, Gürtel". Die Verbindung r nefer bezeichnet, wie r mench, eine hohen Grad der Güte oder Tüchiigkeit.

lin. 11. ^^u^^

r djed n ni clieti sotem-f-st

scilicet, postquam (aliquis) obedivit ei;

Die Gruppe räjed ist construirt wie "''^^sX/ und das französische c'est-ä-dire ; n-m cliet enthält ein scheinbar pleonastisches n vor m, wie oben n-^i to in terra. Die Wurzel cJiet habe ich (Bokenchous p. 4) im K. hituö oder chatliuo juxta prope nachgewiesen.

clieper m ahm (ämii) sotem nefer rdjed n-m clieti

fieri magistrum (et) bene audire , scilicet postquam

ntef sotem-f-st is obedivit ei.

34) Vielleicht ist das kopt. sir justitia damit verwandt ; cf. sili foramen pani, e quo filum educitur.

35) Dieses nothwendige <rz=> ist wegen des Schluss-r von nefer irrtliümlich vergessen.

30

Die Verba fieri und audire hängen von seha docere ab. So wie xaXwg dxovtiv und bene audire, so enthält auch der aeg. Ausdruck sotem nefer ,, hören Gutes" eine Zweideutig- keit, nämlich ., guten Ruf haben". In derselben Bedeutung steht er IX 7. ntef is ille, mit Nachdruck.

Der Verfasser fährt fort, die guten \\irkungen der Lehre des Greises aufzuzählen , und die Gelegenheiten namhaft zu machen, wo dieselben sich zeigen können.

ar cheper sept nefer m (t) a (t) unn m

quod si facta est basis bona in potestate ovrog in

hitep, imnef mencJi n-n hell

(statu) superioris, est beneficus perpetuo.

Der Sinn ist: Wenn ein Oberer kopt. Mtpe die gute Basis des wahren und tugendhaften Wortes sich zu eigen gemacht hat, so wirkt er dauernd Gutes. mcnch wird griech. durch svsqyezr^g übersetzt. Das zweite n von nnlieli scheint entweder dissographisch , also fehlerhaft, oder nach Analogie von obigem n-m das erste n pleonastisch gesetzt. Man könnte auch an den Plural des Artikels: ne denken und dg Tovg alwvccg übertragen, wenn uns der Papyrus sonst ein Beispiel eines solchen ne oder die Pluralendung hinter n(e)h€h (kopt. eneh saeculum aeternitas) aufweisen würde.

au saa f nih r tjet an rech-t sem-

est sa-tians quemque in perpetuum scientiä; cogi-

31

fi - f m stnent nefer-f am-f

tatio ejus in fiimamem boni ejus fßaaecog) in eo (est)

..itt-^IVW^/Vi

lin. 13. l'f^Pö^^-^ O^^f'o'

tep to; sa-fii rech lii recht - nef.

super terra; satiatur scit-ns cognitis e'.

Ich brauclie hier nur das Wort sem-ti zu erläutern. Es ist schwer, diesen Stamm von '^0^ sma, y^*'^=^^^.\

und 1^. J^ in c^t?'' kopt. Nachfolge zu unterscheiden, da die

altägyptischen Schreiber selbst sie gegenseitig vertauschten, wie hier auch das ^ cf. sim herba anleutet. Legt man das reduplirte somem sonare, unser ., summen" zu Grunde, so würde sich für sem das stille Sprechen d. h. ,.das Denken" leicht ergeben und insoferne vielleicht som-s dijudicare, sum scire die passendste Vergleichung bilden.

a-ti sar hi sept nef er mia-n het-f

aitprinceps ob dialectum bonam ex impulsa cordis sui

d. h. ,,der Vornehme spricht wegen der soliden Bildung eines solchen Weisen und Redners unwillkürHch.'" Die Be- deutung des (1, welches auch [1^ geschrieben wird, für ,, sagen, rufen" ist constatirt ; es kehrt in unserm Papyrus öfter wieder, so z. B. XIV ult. mit dem Sinne ,,Ruf". Es lässt sich einerseits mit c, co, (o vor Vocativen, andererseits

32

mit ajo, y]fi(, wenn auch nur zu mnemotechnischem Zwecke, zusammenstellen. Man vergleiche auch das cap. 99 und 125 des Todtenbuches, wo die wahre Natur dieses a-n zu- erst von H. Chabas erkannt worden ist. Was sagt nun der Itr^?

nas - f äqa lingua ejus dimidium

Pag. XVI.

lin. 1. i^-^^ij_p'^^ spot-f sen auf hi djed labiorum ejus duorum, quando loquitur

Dass nas kopt. zu las i'it'b geworden, habe ich in meinem Manetho gelegentlich des Königsnameus f |2^!)^j

und ri llO 'Ct-las = TXäq p. 119 gezeigt. Ueber

die Gruppe aqa, die ich oben mit uco-s dimidium verglichen habe, gibt uns, wie meines Wissens zuerst H. Urugsch be- merkt hat, Horapollo II 6 die Erklärung ddxrvXoq = ar- ^QcoTtov Oiof-iaxog d. h. die Mitte des Kör^^ers. Hier haben wir die Mitte zwischen den zwei Lippen , d. h. die Zunge des Redners ist auf dem rechten Flecke , wie wir auch vom Munde eines Beredten sagen. Ueber spot = kopt. sj^hofu PEiy labia brauche ich kein Wort zu verlieren. Aber nicht bloss der Mund und seine Stellung, sondern auch Augen und Ohren des Redners sind zu berücksichtigen. Darum fährt der Text unmittelbar also fort:

33

ariti-f-sen hi maa mesdjer-ti-f tut hi sotem

oculi ejus duo in spectando, aures ejus aequales in audiendo

Was zunächst die Nachsetzung des \\ hinter die Dualform betrifft, so haben wir den Eigennamen ;^^;XC3^ ,,A-ugen- paar" aus sehr alter Zeit; dasselbe phonetisch geschriebene Zahlwort sen (kopt. snau ''^UJ) findet sich in den dynastischen Namen Hont-sen (Tochter des Ghufu) und Vesurt-sen m der XII. Dynastie. Diese Namen sind also nicht , wie Vic. de Rouge^^) glaubt, durch ein ausgelassenes neteru ,,der Götter" zu erklären, was schon durch Hont-sen unmöglich gemacht wird, da man eine irdische Frau nicht wohl als ., die Herrin ihrer (seil, der Götter)" bezeichnen konnte. Vielmehr spielt hier der Zahlsymbolismus herein, den wir oben in se7i-n-aan consenex Ovv-ysQwv getroffen haben. Beamte führen oft den Titel „Augen- und Ohrenpaar des Königs" d. h. sie hatten für ihn zu sehen und zu hören. Ob man die figurativen Ohren an unserer Stelle mesdjer-ti (kopt. mascJidje auris) oder, wie oben IV 4 anch-ti zu lautiren habe, bleibe dahin- gestellt. — Bei tili kann man zweifeln, ob collectae (tlmet) oder aequales (thuot simul-acrum) zu übersetzen sei. Ich habe mich für letzteres entschieden, weil das äqa bei der Zunge, das Geradaussehen (cf. moilie admirari) bei den Augen, auch bei den Ohren den analogen Begriff der Gleich- heit d. h. der symmetrischen, nach beiden Seiten gleichen Haltung zu fordern scheint.

36) Abrege grammatical p. 16. cf. meine Abhandlung: „Chufu's Bau und Buch". Sitzungsberichte, Febr. 1870.

[1870.11. Beilage.] E

34

aclmt n si-f ar ma't sJm m ger(u)

expedit filio alicujus facere veritatem, vacare (a) mendacio

Der Gegensatz zwischen Wahiheit und Lüge gehört zu den häufigsten; auch ist wiei veritas; slmo vacuus, evacuare; g'^ol mendacium aus dem Koptischen bekannt. Nur das Pron. f hinter si {sehe filius) macht einige Schwierigkeit, weil man es entweder auf ein Indefinitum ahquis, wie oben XV 10/11 beziehen kann und wirkh'ch steht XVI 13 si-sa ,,fihus ah'cujus" oder auf den Redner, dessen Eigenschaften eben aufgeführt worden sind. Dass ich Ersteres vorziehe, dazu bestimmt mich die Rubrik des nächsten Kapitels, wel- che durch obigen Satz gleichsam eingeleitet oder anticipirt wird.

Kapitel 39.37)

lin. 3. ,, Expedit obedieutia filio obedienti; commendatur

obediens per obedientiam" (Rubrik). Evadit obediens lin. 4. per obediendum praecepto meo; pulchrum est obedien-

tia, pulchrum est verbum; obediens quisque beatus.

Expedit lin. 5. obedientia obedienti; pulchrior est obedieutia quam

res omnes, praestita libenter; (at) pulchrius (est) lin. 6. (si) accipit filius dictum patiis sui : contingit ei

senectus idcirco^^). Amor

37) Ich gebe dieses Kapitel in latein. Uebersetzung ohne Trans- scription in Hieroglyphen, da nur wenige und zwar lauter erklärte Gruppen vorkommen.

33) Cf. Decalog. IV: Honora patrem tuum et raatrem tuam, ut sis longaevus super terram... cf. Prov I, 7; IX, 10; Ps. CXI, 10 ; Job XXVIII, 28; Isai.11,2,3; Prov. III, 2, 16; IV, 4, 10; VII, 2; X, 27

35

IId. 7. dei est obedientia , inobedienti'a in odium est Deo.

Est cor quod format lin. 8. dominum suum in obedientiam et inobedientiam.

Vita Salus robur alicujus est cor ejus. Quod attinet

ad obedientem, lin. 9. qui obedit libenter: obedire (nil aliud) est (quam)

exsequi dicta. Pulcbrius (est) obedire filium lin. 10. patri suo. ^^)Laetissimum (est si) dicitur ei illud :

filius est complacens tanquam dominus lin. 11. obedientiae; obediens, cui dicitur id. integer est in

corpore suo. Pius erga lin. 12. patreui suum: ejus memoria (est) in ore (bomiuum)

viventium, quotquot super terra (sunt et) lin. 13. erunt.

Das rechte Verständniss dieses Capitels ist allerdings schwierig ; allein die Beziehung auf unseren Verfasser und seine früheren Vorschriften wird durch eine einfache Aen- derung gewonnen. An einer früheren Stelle des Papyrus (XI 12) heisst es: ,,\\^enn du reich bist, so lege dein An- sehen in die "Wissenschaft und Intelhgenz: ^°^^<1 V'iT 5, dictum est in praecepto primo.'' In umgekehrter Ordnung treffen wir diese Gruppen XVIII 2: 4 gl [jjiUiJü-A quam Caput (auctor) praecepti antecedit". Man könnte mir ein- werfen . dass an beiden citirten Stellen statt | ein hiera- tisches (] steht, wie hier ^v^^v^^* Allein die Aenderung dieses im Original fehlerhaften (1 in T wird ja gerade durch die zwei Citate empfohlen, welche mit |1 keinen,

39) Cf. ProY. X. 1: Filius sapiens (sage) laetificat patrem.

36

mit I den richtigen und erforderlichen Sinn geben. Wollte man selbst annehmen, dass [1 XVI das proleptische Pron.

poss. der ersten Person Aväre , die aber als unmittelbar dahinter folgt , so gebe ich zu bedenken , dass weiter unten (9/10) das Verbum sotem mit der Präposition n construirt ist (sotem si n atef-f). Auch ist (VIII 1, 3) zweimal das aus dem Todt. 97, 4 wohlbelegte Verbum |'^%^%.,'^T^ (cf. Brugsch lex. p. 291/292) fehlerhaft mit der Initiale h statt I geschrieben.

Der Wortvorrath dieses Kapitels ist sehr gering. Das in lin. 4 stehende Substantiv ^^ ntet oder enti entspricht dem Sinne nach dem latein. ens, entis; weiterhin lin. 12 hat es die Form "^^^i und die Bedeutung eines Adj. (Relat.) generale. Im Todlenbuche C. XVII 10/11 hat das Wort die Form '^^1 , , , worauf ^^c±^ folgt , wie hier und mit

gleicher Bedeutung. Die Gruppe T" jj M anch uza seneb wird in der Rosettana durch vyieia übersetzt und Diodor (1 70) sagt ausdrücklich, dass die Priester zu den Göttern beteten : Sovvai T€ vyisiav xal rdXXa dyce^d ndvta xm ßaGiXai. Diess ist der Grund, warum diese Gruppe fast regelmässig hinter dem Königsnamen getroffen wird; sie ist als Wunsch aufzufassen , dass es dem Inhaber (neh) des Schildes Wohl- ergehen möge. Die Negation tem von Hn. 8 habe ich oben gelegentlich des are sch-tem, nisi citirt; im basch- murischen Dialecte erscheint tiii noch einfach als non.

37

Weiterhin XVII 3 wird uns tem-sotem als ,, Ungehorsam" wieder begegnen. Das zweimalige ^j üq^ 7 u. 8 dient

AAAAftA

zur Hervorhebung, vielleicht erhalten in dem en-dje, welches die Kopten dem Nominativ vorsetzen. Der Sinn libenter für merut ergibt sich aus merit beneplacitum. resJmi ist eine Art Intensiv- oder Comparativ- (Superlativ-) Form ,,gar erfreulich"; cf. kopt. (ef-)raschi laetus. cm, mit dem Auge J^s^ determinirt, bezieht sich sowohl auf ]^y oculus,

als auf das kopt. r-än placere. (I -^ amch erkenne ich

mit Brugsch in dein mpsche dignus, meritus und in dieser Bedeutung treffen wir es am Schlüsse von XIX 8; hier dürfte sich die active Färbung des Begriffes, die ich mit pius gebe, empfehlen.

Kapitel 40. Ar chep si-sa djecl atef-f (soweit reicht die Rubrik) Quodsi accipit iilius alicujus verbum patris sui

an netem n lin. 14. secJier-f nih ; seha-k m si sotemu

non est deliratio in ratione ejus omni; doctrina tua

in filio obediente

Pag. XVII.

.in. 1. [l^^Vt2lfl--^^^P--kl^ aqert -f- sen Jii het - n saru - ti sem ro -f est valor ejus duplex inter principes; effingit os

r djededt-nef ejus plus quam dictum est ei.

38

Trotz seiner Häufigkeit ist das Wort aqer noch nicht recht erläutert, üeber seine Bedeutung valde ist man einig; nicht so über den kopt. Stamm, mit dem man diese Wurzel vergleichen soll. Brugsch lex. p. 129 denkt an oi'g', das ursprüngHch muuitus bedeutet, und an rhz peifectus. Allein das - stimmt nicht zu zi, sondern lässt ein p, so wie der Begriff munitus das Deutbild v—o statt . -^ erwarten. Da ag'er in den Rhindpap. demotisch durch 5a&e sapiens, prudens überstetzt wird, so Hesse sich hak sapiens doctus beiziehen. Ich habe als substant. Begriff valor gesetzt, weil dies mit valde (validus) stimmt und die ursprüngliche Be- deutung ,, stark" (cf. Neit-aqert ^^ "A^ijvä vixrjifoqog) invol- virt. Als semit. Correspondent dürfte "ip"' carus kostbar, theuer , gelten. Das Determinativ ■— ^-^ steht auch bei aa ,, gross" und da dieses kopt. zu naa , wie as zu nas wird, so dürfte auch nad' nuc'te magnus (mit Verlust des r) hieher gehören. Zu sem effingere cf. smot effigies.

lin. 2. --_>^^1^^^ t^%^Vfi^üJi^

mmi m sotemu si aqer-f netemti-

Signum de obedientia filii (est) prudentia ejus :

-^ ' ^

I I 1^^

u - f äliennu nenetem hes

errores ejus ubi (sunt)? error emergit

n - tetn - sotem tua rech-t r sment-f.

e non-obediendo mane; scientia par est firmando ei (erigendo)

lin. 4.

39

au iicha m djed dah - f

est spontaneus in dicendo contradictionem suam.

Kapitel 41.

V®!^^ "^ ^»(2^^.'^^=^ (soweit die Rubrik)

ar iicha antu- sofern -f

est obstinax in-obediens

rt)i ar-nef chehi niht ; ma-f rech m chem non efficit sibi res ullas; videt scientiam in ignorantia,

aclmt u m ment-u

virtutes in vitiis.*^)

Das dreimalige netem (netem-ti, ne-netem) hat in nofem, nufem die Bedeutung „dulcis delicatus pinguis, ubera pen- dula et laxa habetis". Da hier zweimal das Deutbild ^^^ö. (parvus et pravus) dabeisteht, muss es in malam partem aufgefasst werden als lax, irr, wozu auch das Determ. 7!^ im Sinne von Verirrung (error) passt. Das fragende dhemm ist in tön, thön ubi getreu erhalten. bes ist von Brugsch aus Rücksicht auf das inax&oööiv der Tanitica

40) Brugsch lex. p. 1724 übersetzt: „er betrachtet das Wissen, als wäre es Dummheit, und die Tugend, als wäre sie das Laster."

40

1. 71 mit dem kopt. poscTih sacros ordines conferre (instal- lare?) verglichen worden. Näher liegt (u)vasche addere. Einer ähnlichen Assibilation zufolge ist uclia zu uasch, uoscJi spontaneus, velle cupere geworden; da ""^^ es determinirt, so muss es in üblem Sinne gefasst werden , wie oben II 2 men-het, also als „eigenwillig, halsstarrig". tua ist kopt, tui mane. Das darauffolgende r, welches sonst dem Futur eignet, dürfte durch parem esse alicui rei efficiendae dem Sinne nach getroffen sein. äah steht XI 2 in voller

Schreibung: ^^^^. JhM'^^ äah-u in dem Satze ,,er ist ein Mann der Widersprüche" ; in dem kopt. r-dbe-ut (wo r Präfix und ut passive Endung ist) mit der Bedeutung obnoxium , reum esse , schimmert der Sinn contradictio durch. Die Form antu-sote^n bildet das Prototyp zum kopt. at-sotem inobediens, refragarius.

g«J^:y,^^PHil Hn.7. [j^ ar-f chebdt u nibt, r-chd sest-u am-f

facit iniquitates omnes; apparent reprobanda in eo

rd nib änch-f m mu't; clier's dqu-f pu

quotidie; vita ejus in morte*^); idcirco panes ejus

41) Der obere Zug dieses Buchstabens ist oben gebrochen, so dass er vollständig einem m gleicht.

42) Das erste ^ scheint fehlerhaft statt ° (molecula) gesetzt zu sein.

43) Cf. Prov. VI 23; YIII 35, 36; X 17; XIII 14; Sap. I 12; Timoth. V G.

41

oj— ^ li„.8. J--i^^

cheben djed; hat - f - am m rech n

sunt depravationes verbi; uti'tur iis ut gnarus

> O

saru - u hi miit auch rCi nih principura in moriendo vivus quotidie;

soa t Jd sepi-H-f m-ä dscha-n n iit-u vagatur super lineas (theses) suas piopter muititu-

hi-f nih

dines delictoium in co quotidie.

Es bleiben nur wenige Ausdrücke zu erläutern, da alle andern schon früher vorgekommen und erklärt worden sind. cheht und chehen bezeichnen das moralisch Schiefe, im Gegensatze zur Geradheit und Ehrlichkeit; daher scheht dissimulare , decipere; schohi hjpocrita, scJioht peccatum, peccare. r-chä kopt. r-schai diem festum celebrare, be- zieht sich in der Rosettana deuiot. Hn. 24 auf die i'^oösia der Götteibilder. se-st-tt ist das Intensivum zu kopt. steu reprobus. Dass die Präposition hi dem Verbum (hier 7nut = kopt. mute mori) die Bedeutung eines Gerundiums

44) Auch dieses a gleicht fälschlich einem in. [1870. II. Beilage.]

42

verleiht, ist allgemein angenommen. iif mit dem Deut- bilde ^^ entspricht ganz und gar unserm „Vergehen".

Kapitel 42.

si sotemii ni shes Har ; nefer nef m

filius obediens fit in asseclam Heri; bona ei est post

^T^^^YW lin.ll.;^t^K_^^^ cheti sotem - f aau^'") u—f peliu-f

obedientiam ejus senectus ejus; attingit dignitatem;

amch sedjed - f m mnti n chrod-n-f m smau dictum ejus in exemplar liberis suis in renovando

sebau atef /"; sa nih seba ma ar-f;

doctrinam patris ejus; universi docent quomodo (ipse)

sedjed -f eher mes u ?< ach djed-n- facit; dictum ejus apud prognatos (fit) quanti! dicunt

45) Dieses oder das m der nächsten Zeile ist irrthümlich disso- graphirt.

46) In Ermangelung einer genaueren Type.

43

lin. 1,

lin.

^^

senu chrod-ii-n-senu ar ha

iis liberi eorum : esse mirum pretiiini

Pag. XVIIL

*') m rää - ii djedt - Je snid ma't - u

in effectibus verbi tui , spicilegium (cf. sesrit) veri- tatum*8)

ancJi mesu ii Je. ar tep utu ii u r (victum) vitam prognatorum tuoruni. Si auctor prae-

^ III 4^^^

asfet - u acJi

cepti praecedat exiturum ad peccata quemnam?

47) Herr Pleyte hat dieses cz^^s , welches allerdings in Folge einer Correctur undeutlich ausgefallen ist (cf. Jioses IX 2 ult.) mit Unrecht für das Zeichen I I i gehalten; es gleicht eher einem t=o>-=3 oder H , so dass t'esu im Sinne von ,, Lehrsätze" (cf. V, 6) stünde.

48) Allerdings könnte auch , mit Rücksicht auf die Vieldeutig- keit der Wurzel (sirucl kopt. rot und die adverbiale Bildung na-me =: vere, hier gaudium! vere, profecto! übersetzt werden.

49) In Ermangelung einer genaueren Type. Die Wörter mesu und chrodu erscheinen im kopt. als mas infans , mosi gignere ; mes natus; cJiroti fiLii, liberi.

44

Was unter den shesu Har zu verstehen sei, darüber habe ich im ,,Manetho" p. 66/72 Einiges beigebracht. Wörtlich bedeutet der x\ussdruck: pedissequus Hori. Da man nun in der Rosettana das Verbum shes mit ^squttsvsiv (bei den Götter- bildern) trifft, so übersetzte man .,Horus-worshippers'\ Auch dürfte das kopt. scliemsclii zu ferne liegen. Im histor. Sinn sind es die Urkönige Aegyptens, welche Bedeutung natürlich hier nicht zutrifft. Der Sinn verlangt vielmehr: so veie Horus seinen Vater Osiris (den einzigen bisher in unserm Pap. genannten Gott !) gerächt und geehrt hat und darum die Herrschaft erhielt, so wird es jedem gehorsamen guten Sohne auf Erden Wohlergehen. Es folgt unmittelbar der Lohn : ,,die Erreichung eines hohen Alters", wie oben XVI, wo ich die Parallele mit dem vierten der zehn Gebote absicht- lich nicht gezogen habe, weil sie sich jedem aufmerksamen Leser aufdrängen muss. Dass cheper zwischen sotenm und m in Gedanken zu suppliren ist, lehrt eine ganze Reihe von Beispielen des oben citirten Pap. Leyd. I 340. Während VIII 2 in dem Satze: ,,Die Auswürflinge des Landes werden zu Protect oren , (dagegen) werden die reichen Leute zu Nichtshabern" der Begriff werden durch ^<z:=» aus- gedrückt ist, fehlt dieses Verbum, mit Ausnahme der näch- sten Beispiele VIII 3 (bis) , bei allen andern Sätzen , so

z.B. 1X4: ^^^Ist'^LL'^J^ö^rtsO^Jt^

,,der nicht Fruchtkörner habende wird zum Besitzer von

Scheunen" , wo man doch offenbar das / nicht mit ,,in

statu" übersetzen darf, wie es oben und oft geschehen ist. amch in der Bedeutung ,, ehrwürdiges Alter" bietet die grosse Inschrift von Miraraar lin. 2 , wo es den Gegensatz zu clirodu ..Kinder, Junge" bildet. rdä entspricht dem kopt. ra actio (effectus). Das was in den Wirkungen der

Worte gelegen ist, wird -<s>- Jl3^ ar-ha genannt, welches

45

ich oben zu II 4, V 5 erwähnt habe. Mit Brugsch's (mef-)ebe ecstasis Stupor hängt es wohl nicht zusammen, da dieses Wort nach dem deraot. Beinamen des Ptol. Lagi : ahe, das durch ■;_— 0 oder -^ deterujinirt ist, nicht harmonirt; hJ:-

ahe nohem = Ocorr^q vielleicht eine Accommodation an Aüyo V '?

Da unser Verfasser : Ptahhotep dieses ar-ha von d-'u Wirkungen seiner Lehre (an seinen Sohn) aussagt . so ver- dient vielleicht die Legende einer Wiener Stele Nr. 124, die H. Reinisch für mich nochmals zu vergleichen die Güte gehabt hat, einige Aufmerksamkeit. Der hieber gehörige

Theil lautet: (j^.<s^^ J-||=^(JD|| „der Vater (des NN) war der leistende das Verdienst des Ptahhotep: Apepa (geboren von der Hakekit ; .... seine Mutter : i-iie Haus- lierrin ^^i^;;;!^!] geboren von An-Amentit)". Ich kann

nicht annehmen, dass der Vater des NN di_-n langen Namen Aru-bat-Ptahhotep-Apei>a geführt habe, sondern sehe nur den letzten Theil Apepa als sein nom. prop. an, woraus folgt, dass Aru-bat Ptahhotep eine Anspielung auf unseren Sitten- lehrer: Ptahhotep. darbietet.

Was unter '^M zu verstellen sei, habe ich oben zu

Pag. XVI lin. 4 angedeutet ; ich übersetze hier caput (auctor) praecepti in Ptücksicht auf den Zusammenhang. Die An- tithese der beiden Verba i (venire) und u (exire) , die ich oben zu IV 3 bemerklich gemacht habe, ist an jetziger Stelle von entscheidender Wichtigkeit; ohne dieselbe ist kein Sinn zu eruiren. Das Wort asfet wirii in den Pihindpap. durch das demot. ogi iniquns injustus übersetzt, ßrugsch denkt an sof violare polluere; vielleicht liegt, da dieses vielmehr

dem JiH ö sof potiones, NZD potavit entspricht und [1 wegen

46

der Schreibung Om'^^^^ nicht als prothetisch gefasst wer- den darf im kopt, osclif invadere, das uralte asf bewahrt.

■M.

-,11 _M^_es^i I 'i I 1 ''°*- %

äjeä reähu maa iu senu mati

dicunt homines videntes eos : ,,exemplum

as paf pic djed n sofern rä-semi mati as paf ecce! o ejus est!" dicitur ab audieutibus actiones

lin. 5. !

pu

eorum : .,exemplum ecce 6 ejus est!"'

Ueber mati im Sinne eines Substantivs (kopt. s-mat exemplum, exemplar) vergl. oben XVII 11 , wo mati ohne Zweifel so zu fassen ist, da eine Präpos. (m) vorhergeht. Weiterhin lin. 14 ult. werden wir das Pronom. x>af (kopt. pliöf oc 1] Ol', suus und ipsius oder 6 ejus) in Beziehung zu si (filius) treffen, das auch hier leicht dem Sinne nach zu ergänzen ist,

^^->^^J^--MP ™-i p^l^

ger maa hu nih~ ti senu segerh

porro vident homines omnes eas (ut) pacantes

47

ascha'hc, an qem n ases-u m climnt- multitudinem . non durantem in antiquis ob excel-

lin. G.

iP

I I I

semii

lentiam eorum

Diese Stelle bietet grosse Schwierigkeiten. Zwar die Partikel ger ^ die in dem kopt. g'e igitur erhalten ist, so wie segerh = sjrelit quies , sind sehr durchsichtig. Auch die Bedeutung von (lem durare ist durch manches Beispiel festgestellt, wozu ich aus der Unterweisung des Amenemha folgendes füge I 3/4 : m chejyer-neJc dqa an-qeni n ari ,,ne crees tibi servum (kopt. 0(7' servus^ inconstantem in socium!" Also scheint die ägyptische Menge des Volkes hier gerade so als unverlässig, unstabil und unbeständig geschildert zu zu werden , wie bei Plutarch. de Is. c. 72 , wo es heisst : Tovq Alyvmiovc . . . (fvOsi fxev xovcpovg xal Trqog /.leva- ßoXag xal v swr e Q lO f-iov o^vqqoTiovg ovrag. Aber das kopt. athi7n immotus, constans, sowie Jcatna separare würden gerade den entgegengesetzten Sinn ergeben, wobei allerdings zu bemerken ist, dass die letztere Bedeutung noch nicht monumental feststeht, wie die erstere von durare dauern; cf. äjam^ tranquillitas. Die Präposition m vor cliomt (kopt. scJiom excellens, eminens) muss an unserer Stelle ,, trotz"' bedeuten oder die Negation als interrogativ gefasst werden, wodurch freilich wieder das pacantes oder pacationem keinen rechten Sinn mehr hätte. Mit ^ Q , n . ehern ignorare darf unser cJi07nt nicht identifizirt werden , da beide in unserm Pap. nicht, wie in späterer Zeit, promiscue gebraucht werden.

48

A

m tit djedt, m an uä, m r-ä het m ne auferas verbum, ne adjungas unum, ne ponas

i

1 lin 8. ^ ast het

.0)

sa üi m un

iiiiiiiii

aliud in loco alius; caveto(te) ab aperiendo

ana - u am - h sau h tu r djed rech- gemmas iu te , doce-to-te dum dicaris rerum

I I 0

'^

^,i'iiiii, liu. 9.

chetu^ sotem Z; mcr-k, sme nt h

peritus, audias votuin tuum, stabilias te

m^^) ro n sotemiu-u djedui h äq-

in ore auditurorum sermonem tuum ; obveniat

J\

.52)

_ lin. 10.

ncJc m sept n ahmt djedu-

tibi in scopo (vox): ,,Unus artifex"! oratio tua sit

50) Es steht fälschlich ein m.

51) Es steht ein fehlerhaftes a.

521 Vielleicht besser mit *= > zu transscribiren , welches den nämlichen Sinn ergibt.

49

_^^| I I, w ,v^^wv lin. 11. Q ' J-^::- I Q~3^

A- >• sopnun imn secher k eher as'f-f

ad justam staturam; ratio tua prope seclera suam".

Diese lange Stelle erfordert nur wenige Erläuterungen. Das Yerbum fjit ist identisch dem kopt. fji auferre; sein Gegensatz an ist oben zu V 9 erklärt. J:et steht ebenso im kopt. Jcet alius; sa(u) eigentlich abwehren, erblicke ich im kopt. sahö abstinere. ana-u mit dem Deutbilde der Pflanze muss hier etwas Vorzeitiges, Unreifes bedeuten. Wenn es sicher wäre, dass bei cne des kopt. Lex. = gemma dieses lat. Wort auch in dem Sinne von ..Knospe'" (cf. Virgil) gemeint ist , so würde dieses einen passenden Gegensatz zu dem zu supplireneen Begriffe ., Frucht" abgeben. Brugsch's „aroue und aloui tribuli, stipula, rami palmae vel vitis, in quibus sunt dactyli adulti et uvae" scheint sich hier nicht zu empfehlen. sopmin , ob nun das Deutbild c^:> oder © zu umschreiben ist , entspricht dem ..sopon vir justae staturae" bei Kircher; eine ähnliche Wortbildung liegt vor

1X7 in ;3;^;^|i|cz5^ senan = ko])t. snfArii\\i([evQ, nugari.

Statt sopon hat Kircher aber auch sJcopon mit derselben Bedeutung etwa aus GxoTtog Ziel? Jedenfalls berechtigt mich das Wort C^u ,,die Spitze, das Ende'", hier das viel- deutige sep't mit scopus (meta) zu übersetzen, um so mehr, als alle anderen Bedeutungen des aeg. Stammes sep(t) sich im Hebräischen nachweisen lassen. Der folgsame Schüler (Sohn) bringt es zur Sachkenntniss und Meisterschaft in der Beredtsamkeit, so dass man ihm zuruft: „Ein Meister (Künstler)" , dessen Rede das rechte Maass hat und dessen Plan (Absicht, ratio) den gewünschten Punkt erreicht. Dass es sich hier überhaupt von dem Auftreten des Redners handelt, beweist auch das näcliste Kapitel.

[1870. II. Beilage.] G

<=> AAAAAAr— X !i Ir -^^^^V ^ (soweit Feiclit die Rubrik)

50

Kapitel 43.

Äerp 7ief-Z; hau ro-h

arctat cor tuura, angustat os tuum

Ausser der Bedeutung herp aqua, madofacere, rigare, auf welche schon das Deutbild des Wassers hinweist, eignet dem herp (cf. kopt. Iwrp dorniire, horp) soporare) auch noch ein anderer Begriff, der in hIcp-Möp coarctare angustare vorliegen dürfte. Dass ein ungünstiges Verhalten des Her- zeus gemeint ist , ergibt sich zunächst aus dem parallelen hau (mit ^^^) , weiches ich in dem hcois enge des Pap. Butler^ ^) (kopt. hen abstinere?) erkenne.

ach? secher-k m-a m sarii u meter

quid? conditio tua e regione priucipum; testeris

1 u ^ ^ ^^^^^-^\ ^ ^^-~ Ji

hi Jcednu eher neh-l- ar djed-nef si paf 2^u

de intelligentia (quae est) apud magistrum tuum ; facdiciei: ,,filius ipsius est"

Pag. XIX.

r djcd n sotem-ti-n-semi-st: hos gert mesi-nef- ut dicatur ab audituris (sibi) id: „laudandus quoque

53) Cf. Goodwin in Chabas' MelangesII p. 2G0; vergl. dessen Pap. mag. p. 47, wo han durch faute tort etc. vertirt ist.

51

SH nah liet-h ter n cljedui h

qui gGDuit eum'', Amplo sis corde tempore scrmonis

^1 I l/vww\(£

■Mt

cljed-h chetu äliemm ach cljed saru u

tui; dicas res quam maximas, (ut) dicant principes

sotem-ti-n- senil neferui peru n ro-f

audituri (sibi): „pulcherrimum (est quidquid) pro- cedens ex ore ejus".

Die Schwierigkeiten dieses Abschnittes liegen haupt- sächlich in den Fünvörtern; ich werde versuchen, in meiner deutschen Uebersetzung (am Schlüsse) dieselben schwinden zu machen. Die Präposition m-ä-m (oder vielleicht m-tot-m zu lautiren) drückt in den Texten regelmässig unser ,, gegen- über" aus und ist theilweise im kopt. hitm ex, cum er- halten. — meter = metre testari; Tiednu = Jcati intelligen- tia; ter = (n)tere quando; dhennu-ach ein Ausruf, der aus zwei erklärten Wörtern besteht; pere = pire oriri sind längst constatirt.

Kapitel 44.

'::=^\ ^ ^ Kubrik) ^

ar djedt nch-Jc (e)roJc nefend sehu n

fac (quod) dicit magister tuus tibi, pulcherrimura doctrina

52

lin. 4.

lin. 5.

?7V

atef f per nef am-f diont hau f djed- patiis propii, ex quo (quis) ortus est, ex membiis

nef -lief auf m cliet r tehu ur art-nef

ejus; locutus est ei versanti (adliuc) in ventre; propterea magnitudo facti ab eo

I I r

A/v"AV- c3 f

r djeddtu-nef maJc si ne-fer n tat nuter superat dicta ei. memineiit filius bonus de gratia

^=

r-a hau Jii djeddtu-^nef eher neh-f ar-f ma't

Dci qui dat iiicieiuentum ad dicta ei apud magistrum ejus; exeiceat veritatera

lin. 6.

J\

I I II

;()jS)7s^

ar-n het-f r netem ti-u-f ma pehu-l'ti-a hä-u- poeniteat eum errurum suoruui. Quomodu attigi equi-

^ii^ Ji'l^- U T

^D

^111^

Je uza sufen Jtotep m chepert-u niht

dem, (sie) membra tua salva; rex coutt-ntus gestis omuibus;

53

tjif Je renpet-u m auch an sher arf—n a

acquin's aunos vitae non pauciores (quam) egi ego

tejJ-fo fit-n-a renpet CX m auch n tat n super tua : aequisivi aimos 110 vitao cum gratia-

Sitten Jiest-u cliont cqm oul u m - a

regis ; laudes inter primores propter usum

art nia.t u sufen r as'f aiuch

veritatis ad i\geuj u-que ad punctum senectutis.

Die Gruppe nm''^ in den Dccanlisten nit x^^t traus- scribirt, hängt mit chen (cf. ad I 1) kopt. cliün intus zusammen ; eine Parallele zu unserer Stelle bietut das Todtenbuch 138 2. hcl Ghed ist bewahrt im kopt. hö. Welches den Fürwörtern zur Stütze dient, z. B. Iw-f et ille

xul aiTÖg ,,er ebenfalls"'. Das vieldeutige ta A D habe

ich mit gratia übersetzt, nach Analogie von kopt. taa datio, fo munus ar-n-het-f r vergleiche ich dem kopt. eire n Jief poenitere ,,>^ich etwas zu Herzen nehmen". j;e7»^ cf. pöh perveuiie, pJcoh assequi. finis. renpe cf. rompe annus (nicht ter zu lesen I). sher kopt. schere infans , filius (minor natu) ist hier als Comparativ zu nehmen. dpu~

54

äui-u kopt. apeue principes , vertices. Hieran reiht sich folgende Schluss-Kubrik

ii„.9. ^;^H^i^^fe'^'^4(l^^()^-

u f pu hd't-f r pchui-f ma djemit

finitus est (Über) initium ejus usque ud fineiu ejus

ni an (est) ut inventio in scripto.

Die Form peJitii hat ihr Analogou in pliöchi (vaHdus) acquirere. In Bezug auf Cm vergl. man ad II lin. 5. Es ist mir am wahrscheinh'chsten, dass mit dieser Wurzel nicht anan color, sondern on oni similem esse, imitari zu ver- gleichen ist, weil die ägyptische Schrift x«r' f^oxTjV die die Gegenstände nachahmte. Das kopt. sacli hingegen ist aus seclia entstanden und dem Begriffe ,,memüires" verwandt.

Der Verfasser unserer Urkunde: Prinz Ptahhotep, schrieb unter dem Könige Tat-kera Assa, dem vorletzten Mitgliede der V. Dynastie. Sein hohes Alter von 110 Jahren ist in Aegypten typisch geworden zur Bezeichnung der äussersten Lebensgränze , die den Bewohnern des Nilthaies wünschenswerth erschien. Die 110 Jahre, welche auch dem

54) Versetzt statt ^J;^ 5 ^'^^ ^^^ Dual-Endung ui hat übrigens die Gruppe '^^ mit derselben Lautung und Bedeutung einen Ein- fluss gehabt. Cf. supra ad IV 4 pehu-ti.

55

Patriarchen Joseph in der Bibel zugeschrieben werden und in dem ,.undecies denos annos'" des Horatius (carmen sae- culare) nachklingen , finden sich auf Denkmälern und in Urkunden sehr häufig erwähnt. So z. B. auf dem Sitzbilde des Bokenchons in der Münchner Glyptothek, wo es in der Sockel-Inschrift am Schlüsse heisst: ,,Er (der Gott Amon)

verschaiTe mir Dauer in der Glückseligkeit ■^'9] (^ nach den

110 Jahren" d. h. nach dem höchsten Alter. Die juristische Stele unserer Sammlung (rechts beim Eingange die erste) hat folgenden Passus: ., Gewähret iiAv (ihr Götter) Dauer

des Lobes für die J |j Unparteilichkeit auf meinem Munde am Sitze der Gerechtigkeit (und) dass ich niemals zurück- bleibe in eurem Dienste immerdar <!::>■ ^\\/ TT^^'^'n'

bis zum Anlangen bei den in Jen 110 (Jahren) Stehenden". Im Louvre^s gewährt Amon Jemanden ft^-^ fb'e Set-mati

(A[jf,6V^r]g Unterwelt) lÖj^ ,,nach 110 Jahren" und die- selben 110 Jahre kehren in der nächsten Zeile^^) wieder. Solche Beispiele Hessen sich in Menge anführen. Man wird dadurch vielleicht auch meiner Ansicht geneigt gemacht, dass die auf der Wiener Stele (cf. supra) vorkommende Anspiel- ung auf die ,, Verdienste des Ptahhotep" zu beziehen sein dürfte. Wessen Sohn er selbst gewesen, und wie sein eigener Sohn geheissen, erfahren wir aus dem Papyrus Prisse zwar nicht; allein das angegebene Alter lässt vermuthen, dass seine Geburt um die Mitte der V. Dynastie anzusetzen ist. Um diese Zeit regierte Xe'oi-g (Cha-(nefer-)ra). Auf Denk- mälern der V. Dynastie erscheint ein hoher Beamter des

55) Cf. Goodwin in Chabas Melanges II 231 „de la longevite chez les Egyptiens".

56

Namens Ptahhotep ziemlich häufig^^) und gerade auch unter Tetkera-Assa und mit Erwähnung solcher Priester- thiimer , die Königen der IV. und V. Dynastie vor Assa ge- widmet sind. Jedenfalls muss die Thatsache, dass ein Königssohn in so früher Zeit sich mit Gedanken über Moral und Umgang mit Menschen beschäftigte, und seine Ansichten in Bezug auf den Nutzen des lehrenden Gieiscs schriftlich niederlegte, das höchste Interesse beanspruchen.

Wie vom ßokenchons der Glyptothek, so scheint auch von Ptahhotep das Grab noch zu existiren.

Deutsche Uebersetzung.

Kapitel 1. Von den Mühseligkeiten des Greisenalters.

Pag. IV. lin. 1.-''^) „Unterweisung des Präfckten der Stadt und Umgegend: Ptahhotep unter der Majestät des Königs von Ober- und Ünter-Aegypten, Assa (Tat-kera), des immerdar bis in Ewigkeit lebenden.

lin. 2. Der Präfekt der Stadt und Umgegend: Ptah- hotep spricht: ,,0 Honhen (Osiris), grosser Herr, zu werden ein Greis ist ein Graus, ein äus-

lin. 3. -serster , der letzte Fluch , ein Kindischwerden auf's Neue. Das Liegen (Lager) gereicht ihm zur PLige jeden Tag, die Augen werden schwach.

5G) Lepsius: Denkmäler III 45, a; 71, 79. Dümichen Resultate: Taf, VIII, 2; XIV.

57) Chabas : Oraison de l'intendant civil Ptahhotep , sous la majeste du roi de la haute et de la basse Egypte Assa, vivant ä toujours.

L'intentant civil Ptahhotep dit: 0 Osiris, mon maitre, le chef se fait vieux, la decrepitude vient ä la place de l'elegance, la debi-

57

lin. 4. (las Olirenpaar stumpf, die Kraft geht verloren. Nicht, 0 Mildherziger, spricht (mehr) der Mund, keine Rede hat derselbe.

Pag. V. lin. 1. Das Herz verhärtet sich, nicht erinnert es sich an das Gestern; die Gebeine leiden abwechselnd; das Gute verwandelt sich in Schlimmes; jeder Geschmack schwindet.

lin. 2. Es macht das Greisenalter einen Menschen elend in jeder Beziehung ; die Nase ist verstopft, nicht kann sie athmen ; zur Last ist (ihm) Stehen wie Sitzen : das ist die Lage, in der sich der Decrepite befindet.

lin. 3, Was soll der Mitgreis thun? Soll ich ihm sagen die Worte der Erfahrenen in der Weisheit der Vor-

lite l'enveloppe chaque your, les yeux se rapetissent, les oreilles s'assourdissent, le courage s'amortit; plus de calme; la bouche crie, eile ne parle pas, le coeur s'annihile, il n'a plus la dilatation de la joie; un beau lieu devient un Heu aöreux. le goüt s'enfuit entiere- ment, la vieillesse rend les hommes dessagreables en toutes choses; le nez disparait, il ne respire j)lus; penibles sout le mouvement et

le repos Ah! lui dirai-je, la parole de ceux qui comprennent

les conseils du passe, les secrets qu'entendent les dieux. Ab! c'est ä toi d'opeier ainsi la destruction des resistances contre les gens eclaires ... La saintete de ce Pieu dit: instruis-le dans la parole du passe; oui. eile fera l'aliment des enfants et des hommes faits; celui qui la comprend, marchera dans la satisfaction du coeur. Sa parole n'engendrera pas la satiete. Commencement des arrangements de bonnes paroles dites par le noble chef, l'aime deDieu, le fils du roi, l'aine de sa race, l'intendant civil Ptahhotep, pour apprendre aux ignorants ä connaitre le principe de la bonne parole, pour le bien de ceux qui l'ecoutent, pour infirmer' ceux qui voudraient l'enfreindre. II disait ä son fils: Avec le courage que te donne la science, dis- cute avec l'ignorant comme avec le savant : les barrieres de l'art ne pont pas encore emportees, nul artiste n'est encore doue de toutes ses perfections. La bonne parole luit plus que l'emeraude que la main des esclaves trouve sur des cailloux.

[1870.il Beilage.] ß

58

zeit und welches ihre Kunde von den Göttern sei? Bewirke ein Muster der Tilgung der Schwächen unter den Menschen bereite du die Hülfe!" Es spricht die Majestät dieses Gottes : ., lehre du ihn nur

lin. 5. das Wort des Alterthums ; o mache ihn (da- durch) werth bei den Söhnen der Vornehmen, welche ein- treten und hören von ihm ; willig ist jedes Herz ;

lin. 6. was er spricht, erzeugt keine (Ueber-)Sättigung.

Kapitel 2.

Exposition des Schriftstellers.

Anfang der Sprüche (Sätze) des guten Wortes, gesprochen von dem Fürsten und Vorstande, dem gött- lichen Vater, dem Gottgeliebten, dem Königssohne,

lin. 7. dem Bevorzugten , von seinem Stamme , dem Präfekten der Stadt und Umgegend : Ptahhotep , als Unter- richtuug der Nichtwissenden zum W^issen (und) zum rechten Maasse des guten Wortes; zum Segen

lin. 8. derer, die ihm gehorchen (es befolgen), zum Fluche derer, die es übertreten werden. Er spricht zu seinem Sohne: Nicht sei überniüthigen Sinnes auf Grund deines Wissens; gehe nur zu Rathe

lin. 9. mit dem W^issenden wie mit dem Nichtwissenden: nicht ist geschlossen die Schranke der Kunst, kein Meister ist vollkommen in seiner Herrlichkeit.

lin. 10. Achte das gute Wort (oder: die Tugendlehre) höher als den Grünstein (Serpentin oder Smaragd); denn dieser wird auch getroffen am Arme von Sclavinen nebst (andern) Edelsteinen.

59

Kapitel 26.

Von der Aufnahme des Greises.

Pag. XII. lin. 6. Nicht werde zurückgestossen in seinem Graus ein Greis. Lasse nicht verkümmern (ersterben) das Herz desjenigen,

lin. 7. welcher (ohnehin schon durch das Alter genug) belästigt ist. Es wird höher geschätzt, wer ihn (verwendet) beschäftigt , als wer ihn beseitigt : den (alten) Mann mit Liebe umgeben, das macht die Menschen Gott gefällig

lin. 8. welcher will, dass dies ihm widerfahre. Tröste du sein Angesicht nach der (erlittenen) Mühsal. Wer Friede bei sich selber hegt und pflegt,

lin. 9. wessen Weib Rührigkeit (in der Pflege des Greises) beweist: das sind Leute, welche Liebe ernten.

K a p i t e 1 27.

Die Wirkungen der gastlichen Behandlung des Greises.

Die Lehre des Greises gereicht ihm zum Segen,

lin. 10. da sie bewirkt seine wirthliche Aufnahme

unter den ^lenschen; machend, dass seine Sättigung (als

Lob) zurückfällt auf seinen Herrn. Es ist ein Gewinn

für dich

lin. 11. bei seiner Person. Es ist der Hang (Trieb) der Liebe höher zu achten als Opferkuchen : es ist dein Rücken mehr werth als das Gewand. Desshalb gereicht seine Aufnahme bei dir

lin. 12. zum Leben deines Hauses; deine Manen aber, die dir lieb sind, sie leben darum fort. Wenn er (der

U*

60

Greib) einen guten Aufenthalt bei dir macht, so ist es ein Ruf

lin. 13. ein weitverbreiteter (für dich); weiterhin weilt auch deine Beliebtheit im Leibe der dich Liebenden. Ge- denke (desshalb) eine Person zu sein , welche liebt das Gehorchen.

Kapitel 38. Folgen des Gehorchens.

Pag. XV. lin. 8.^^) Wenn du gehorchst demjenigen, was ich dir gesagt habe, so wird dein Sinnen überhaupt vorwärts schreiten. Es ist das Fundament der Wahrheit verbunden mit der

lin. 9. Vorzüglichkeit desselben; es wohnt das Gedächt- niss (Andenken) desselben im Munde der Menschen wegen der Tüchtigkeit seiner Lehrsätze : überliefert ist jedes Wort, un-

lin. 10. verletzt in diesem Laude immerdar. Es bildet einen vortrefflichen Leitfaden. Es sagen die Vornehmen darüber: volksbildend ist es, nämlich

58) Chabas: Si tu ecoutes les choses que je viens de te dire, tous tes desseins progresseront ; c'est un veritable bonheur que d'en garder le merite et d'en recueillir l'inspiration de la bouche

des hommes quiconque en rapportera toutes les paroles,

n'eprouvera aucune affliction en ce monde ä jamais et croitra dans le bien : c'est la parole des sages pour instruire l'homme , une parole qu' apres l'avoir entendue, il devient prudent. docile et bon. Apres cette parole, il comprend cela.

Celui qui Jprend le bon parti il demeurera pieux pour

de longs jours et sa satisfaction sera entiere ä jamais. Par la science . . . . en ce que par eile est assure son bonheur sur la terre. La savant est rassassie de ce qu'il sait . . . bon est le lieu de son coeur et de sa langue, agreables sont ses levres: il parlera, ses yeux verront, ses oreilles entendront. La vertu de son fils sera d'exercer la justice Sans faussete.

61

ÜD. 11. nachdem einer es befolgt bat. Es bewirkt Meisterschaft uad guten Leumund, nämlich, naclidem einer es befolgt hat. "Wenn daher die gute Basis zu Tl. eil ge- worden ist dem, der sich befindet in der Stellung

lin. 12. eines Oberen, so wirkt er wohltliätig für die Ewigkeit: er sättigt Jegh'ch.n immerdar durch Wissenschaft; sein Nachdenken wird zur Festigung des Guten derselben (Basis) in ihm

lin. 13. hieuieden auf Erden: es wird gesättigt der Kenner durch das vou ihm Erkannte. Es spricht der Vor- nehme wegen seiner (des Meisters oder Kenners) scliönen Sprache unwillkürlich (aus dem Antriebe seines Herzens) : ,, Seine Zunge bildet die Mitte

Pag. XVI. lin. 1. seiner beiden Lippen, während er redet; sein Augen paar blickt gerade aus, seine Ohren siud gleich (symmetrisch)

lin. 2. beim Hören.'' Vortheilhaft ist es für den Sohn Jemandes, zu üben die Wahiheit, frei zu sein von der Lüge.

K a p i t e 1 39.

Vom Gehorsame der Kinder.

lin. 3.^^) Vortheilhaft ist der Gehorsam dem gehorsamen Sohne: es wird empfohlen der Gehorsam durch den Gehorsamen. Es wird Jemand ein Gehor^ame^

59) Chabas: C'est uii bienfait que l'obeissauce d'un fils docile Tobeissant marche daiis son obeissance et celui qui l'ecoute devient obeissant; il est bon d'ecouter tout ce qui peut produire rafi"ection: c'est le plus grand des biens. Le fils qui regoit la parole de son pere deviendra vieux ä cause de cela. Aimee de Dien est] l'obe- issance; la desobeissance est haie de Dieu. C'est le coeur qui est le maitre de l'bomme dans l'obeissance et dans la desobeissance, inais rhomme vivifie son coeur par sa docilite. ßcouter la parole»

62

lin, 4. durch Gehorsam gegen mein Gebot. Etwas Schönes ist der Gehorsam , etwas Schönes das Wort (Ge- horsam) ; jeder Gehorsame wird glückselig. Es frommt

lin. 5. Gehorsam dem Gehorsamen. Schöner ist Ge- horsam , als alle Dinge , wenn er geleistet wird freiwillig. Gar schön ist es, wenn

lin. 6. annimmt der Sohn das Wort des Vaters sein: es wird ihm zu Theil hohes Alter (Greisenalter) darum.

Ein Liebling

lin. 7. Gottes ist der Gehorsam(e), der Ungehorsam(e) verfällt dem Hasse Gottes. Es ist das Herz, welches bildet

aimer ä obeir, c'est accomplir les bons preceptes. L'obeissance d'un fils envers son pere, c'st la joie. Le fils dont on parle ainsi, est agreable en tout, docile et obeissant; celui dont on dit cela a la piete dans les entrailles; il est cber ä son pere et sa renommee est dans la boucbe des vivants qui marchent sur la terre.

Dümicben : Der Felsentempel Yon Abu-simbel p. 2S: „Die Tugend der Geborsamkeit eines folgsamen Sobnes , der einhergebt als ein Geborsamer in jGeborsamkeit. Es entsteht Geborsamkeit durch den Geborsamen. Schön ist Gehorsamkeit, ein herrliches Wort! Jeder Gehorsam ist eine Tugend und es leuchtet hervor der Gehorsame durch Geborsamkeit. Schöner jedoch als jeder andere ist der Ge- horsam, der da entsteht aus Liebe. Zweimal herrlich, wenn auf- nimmt ein Sohn die Rede seines Vaters; er wird alt werden deshalb. Die Liebe Gottes ist mit dem Geborsamen , der Ungehorsame aber ist Gott ein Greuel. Siebe, das Herz macht seinen Besitzer zu einem Gehorsamen oder Ungehorsamen; Wohl und Wehe eines Menschen hängt ab von seiner Sinnesart. Wer gehorsam ist , gehorcht einer Ermahnung willig; gehorsam sein, heisst bandeln nach guten Vor- schriften. Gehorcht ein Sohn seinem Vater mit Freude, wird das gesagt von einem Sohne, dann wird er gerne gesehen sein bei Jeder- mann. Wer in Geborsamkeit hört auf das zu ihm Geredete, dem wird es wohl gehen an seinem Leibe, der wird geehrt sein bei seinem Vater und sein Lob wird sein in dem Munde aller Lebenden, die auf Erden wandeln. So wird es sein."

63

lin. 8. seinen Besitzer (Inhaber) zum Gehorsame wie zum Ungehorsame. Leben Heil und Kraft Jemandes bedingt seine Gesinnung. Was den Gehorsamen betrifft

lin. 9. der freiwillig gehorcht, so ist Gehorchen nichts Anderes als Ausführung der Worte. Gar schön ist es, wenn gehorsam ist ein Sohn

lin. 10. seinem Vater. Gar erfreulich ist es, wenn gesagt wird von ihm jenes : er ist ein willfähriger Sohn, ein Herr (Besitzer, Eigenthümer)

lin. 11. des Gehorsams. Der Gehorsame, zu dem dies gesagt wird , der ist unversehrt an seinem Leibe. Wer an- hänglich ist gegen

lin. 12. seinen Vater, dessen Gedächtniss ist im Munde der Lebenden, so

lin. 13. viele ihrer auf Erden sind und sein werden.

Kapitel 40. Weitere Folgen des Gehorsams. ''°)Wenn daher annimmt der Sohn Jem.andes das Wort seines Vaters, so gibt es kein Abirren in

lin. 14. seinen Unternehmungen (Vorsätzen, Plänen) all; deine Lehre bildet in deinem «gehorsamen Sohne

60) Chabas : Le fils qui regoit la parole de son pere n'a aucun dessein de libertinage. Eleve en ton fils un homme docile; sa pru- dence fera les delices grands ; sa bouche sera reservee dans ses pa- roles. Dans l'obeissance d'un fils on voit sa sagesse. Enfin ses voies sont excellentes. Yienne le libertinage, l'obeissance demeure au lendemain, la science l'afi'ermit tandisque le rebelle reste avec sa parole imperieuse.

Dümichen: ,,"Wenn aufnimmt der Sohn eines Mannes die Rede seines Vaters, dann wird nicht Niedrigkeit kommen über seine Ver- hältnisse irgendwie. Erziehst du dir an deinem Sohne einen ge- horsamen Menschen, dann wird er auch vollkommen sein nach dem Wunsche der Mächtigen."

64

Pag. XVII. Hn. 1. seine Doppelstärke bei den Vor- nehmen : sein Mund ersinnt mehr, als zum ihm gesagt wor- den ist.

lin. 2. Ein Zeichen vom Gehorsam desselben ist seine Klugheit, seine Irrthüaier, wo gibt es deren ?

Un. 3. Der Irrthum entsteht aus fiühzeitigem Unge- horsame: die (bessere) Eikenntniss veimag ihn aufzurichtt-n,

Hn. 4. während der Halsstarrige seinen Widerspruch fortsetzt.

K a p i t e 1 41. Vom Widerspenstigen (Ungehorsamen).

^')Es ist der Widerspenstige (Halsstarrige) ein Ungehorsamer,

lin. 5. der nichts für sich zu Stande bringt, er erblickt das Wissen im Nichtwissen, die Tugenden

lin. 6. in den Untugenden ; er begeht allerlei Unge- hörigkeiten ; es erscheinen Verwerflichkeiten

lin. 7. von ihm jeden Tag; sein Leben ist im Tode; darum sind seine Nahrung Entstellungen des Wortes;

lin. 8. er gebraucht dieselben als Kundiger der Vor- nehmen, indem er stirbt lebendig jeden Tag.

lin. 9. Er schweift aus über seine Linie wegen der Menge der alltäglichen Vergebungen an ihm.

61) Chabas: Le rebelle qui n'obeit pas ne fait absolument rien; il voit la science dans l'ignorance, les vertus dans les vices; il com- met chaque jour avec audace toutes sortes de fraudes et en cela il vit comme s'il etait mort. Ses . . . sont la contradiction; il s'en alimente. Ce que les sages savent etre la mort, c'est sa vie chaque jour; il avance dans ses voies charge d'une foule de maledictions chaque jour.

65

Kapitel 42.

Weitere Folgen.

lin. 10. ®')Der gehorsame Sohn wird zum Begleiter des Horus (,,des Rächers seines Vaters"). Glücklich ist für ihn nach seinem Gehorsame das Greisenalter

lin. 11. sein, er erlangt die Würde der Pietät, sein Wort dient zum Muster seiner Kinder, in Erneuerung

lin. 12. der Lehre seines Vaters; allgemein lehrt man, wie er thut; sein Wort bei seinen Abkömm-

lin. 13. Hngen, wie hoch wird es geschätzt! Es sagen zu ihnen ihre Kinder, dass ein wunderbarer W^erth

Pag. XVIII. liu. 1. in den Wirkungen deines Wortes sei, eine Aehrenlese von W^ahrheiten.

lin. 1. das Leben(-smittel) deiner Nachkommen ; wenn das Haupt des Gebotes (mit seinem Beispiele) vorangehe, wer werde da aus-

lin. 3. gehen auf Sünden?" Es sprechen die Menschen, welche sie (die Wirkungen) schauen :

lin. 4. ,, ein Muster, siehe da! ist der Seinige (Schüler)". Es wird gesagt von denen , welche dieselben (Wirkungen) vernehmen (durch Hörensagen): ,, ein Muster, siehe da! ist der Seinige!"

lin. 5. Ferner betrachten sie alle Leute als eine Be- ruhi-

62) Chabas ; Un fils docile au service de Dieu sera heureux ä la Suite de son obeissance, il vieillira, il parviendra ä la faveur; il parlerande meme ä ses enfants. Precieuse est pour l'homme le discipline de son pere; chacun le reverera comme il l'a fait lui- meme. Ce quil a dit au sujet des enfants. ah! que leurs enfants le redisent, s'alimentant des donnees de tu parole, veritable germe de la vie de tes enfants.

[1870.11. Beilage.] j

66

lin. 6. gung der Mengen , die niclit hängt am Alten trotz seiner

lin. 7. Ausgezeichnetlieit. Nicht nimm davon hin- weg ein Wort; niclit füge ein einziges hinzu; nicht setze ein anderes an die Stelle

lin. 8. eines andern. Hüte dich vor dem Eröffnen (Zeigen) Unreifes an (aus) dir;

lin. 9. belehre dich, auf dass du genannt werdest .ein Sachverständiger , und bis du hörest, was dir lieb ist , dich befest-

lin, 10. igest im Munde der (Leute), welche hören deine Rede, und dir zu Theil werde

lin. 11. am Ziele (zuletzt der Zuruf): ,,Ein Künstler (Meister)!" bis deine Rede boiui rechten Maasse anlangt und dein

lin. 12. Plan an seiner (gewünschten) Stelle sich be- findet.

Kapitel 43. Verlegenheiten und Belohnung des Redners.

^^)Es ängstigt dein Herz, es beengt deinen Mund

lin. 13. welcher Umstand? Dein Verhalten gegenüber den Vornehmen. Zeuge

lin. 14. für die Einsicht, die in deinem Herrn (Lehrer) ist; mache, dass zu ihm (über dich) gesagt wird: ,,er ist sein eigner Sohn."

Pag. XIX. lin. 1. So dass gesagt wird von den Hören- den: 3, zu preisen ist auch, der ihn gezeugt". Sei gehobener Stimmung,

63) Chabas: Que ton coeur lave Tiinpurete de ta bouche.

67

lin. 2. so lange du voiträgst, rede uiöglichyt grosse Dinge, so dass spri cheu die Vornehmen,

lin. 3. welche es hören : ,,Gar schön it>t Alles , was hervorkömmt aus seinem Munde."

Kapitel 44. Schlussfolgerungeu.

^*)Thue, was sagt dein Herr (Lehrer) zu dir.

lin. 4. Gar schön ist die Lehre des eignen Vaters, von dem Einer entsprossen ist, aus seinen Gliedern. Dieser hat zu ihm gesprochen , als er noch im (Mutter-) Leibe war ; desshalb übertrifft die Grösse des von ihm Geleisteten

lin. 5. das zu ihm Gesagte. Es gedenkt ein guter Sohn an die Gnade Gottes, welcher thut das Gedeihen auf das zu ihm Gesagte bei seinem Herrn ; er übt Wahrheit,

lin. 6. und bereut seine Verirrungen, wie auch ich es erreicht habe : dann sind deine Glieder heil , der König ist zufrieden mit de(ine)n Leistungen all.

lin. 7. Du erringst Jahre des Lebens nicht wenigere, als ich verbracht habe auf Erden :^^) Ich habe errungen 110 Jahre des Lebens in der Gnade des (jeweihgen)

63) Accomplis la parole de ton maitre; bonne est pour l'homme la discipline de son pere, de celui duquel . . . il est sorti, dans les merabres duquel il a ete forme lors qu'il etait dans le sein (maternel). C'est une grande satisfaction que de se conformer ä ses paroles. C'ar un bon fils est un den de Dieu , mettant ses volontes dans les pa- roles qu'il entend aupres de son maitre; il accomplit la justice; son coeur rend ses voies excellentes . . . C'est ainsi que j'acquiers pour toi sante du corps et paix du roi en toutes circonstances et que tu parcourras des annees de vie sans faussete.

65) Chabas: Je suis devenu un ancien de la terre, j'ai parcouru Cent dix annees par le don du roi et l'approbation des anciens, en remplissant mon devoir envers le roi dans le lieu de la faveur.

I*

68

lin. 8. Königs, dem Beifalle des Adels, wegen Uebung der Wahrheit gegen den König bis zum Punkte des ehr- würdigen Greisenalters.

Schluss - Rubrik:

^^)Beendigt ist das (Buch); sein Anfang bis zu seinem

Ende stimmt überein mit dem Befunde in der

(Original-) Schrift.

66) C'est fini de son commencement ä sa fin comme on le trouve dans l'Ecriture.

Ptalihotep's Ethik (Sittenregeln).

(Papyrus Prisse III b.)

Nach der früheren Abhandlung über Kadjimna's naiie verwandtes Thema und mit Berücksichtigung des über Ghufu's Buch Gesagten, braucht es hier beim zweiten Theile von Papyrus Prisse III um so weniger einer Einleitung und Um- schrift in Hieroglyphen, als Ptahhotep's Ansichten über den Nutzen des lehrenden Greises, sowie über den Gehorsam der Jugend unmiitflbar vorangegangen und hieroglyphisch vor- geführt sind. In diesem Theile handelt er wie ein Cicero ,,de officiis" oder wie ein Kuigge ,,über den Umgang mit Menschen."

Drittes Kapitel. Pagina V. hn. 10. ar äjem-l: saasu m at-f (so weit reicht die Rubrik) si invenis dictatorem in momento ejus. Da dieselbe Ueberschrift sich beim nächsten Capitel wiedcihült, und ich achou zu I 4, XII 6 über at als ,, schreck- licher Augeiiblick" das Xöthige gesagt habe, so übiigt hier nur der Ilinwuis auf das kopt. coeis dominus in der Bibel stets für ,,Gott der Herr"'" gebraucht um saasu begreiflich zu machen. Das Dfutbild weist auf k. c'oos dictum, res narratu digna.

70

lin. 11. chcrp het m aqer eroh cham ä-ui-J: chcms sa-h offer cor ut prudens (-to), demitte brachia tua, inclina dorsum tuum

Den Nachsatz dieser Phrase übersetzt Brugsch lex. p. 1727: , .neige deine Hände und beuge deinen Rücken; verneige dich vor deinem Vorgesetzten" letzteres auf die letzte Rubrik von pag. XIII bezüglich. Offenbar entspricht cham dem k. schäme praecipitium; die Variante ^ 'w~K ^^^

steht in der Verbindung .,die Leute von erscheinen

vor seiner Majestät, ihre Nasen chamu auf den Boden, ihre Füsse auf der Erde." Aus dieser Schreibung wird auch die Phonetik des Königs Namens (n^a<^ )\ Chaf-ra Xaßqvig Xs(fQr]v über allen Zweifel gestellt, so dass 2acog^ig und 2ov(fig nnr Assibilationen desselben vorstellen. Was das chems betrifft, dessen s nach XIII rubr. ult. nicht zu sa k. soi dorsum gehört, so steckt es in dem vielberufeneu schemsche colere, ritus, ll'C'iI' dienen, seivire, weil der ägyp- tische Götter- und Menscheudieust mit vielen Verbeugungen verknüpft war, wie die Darstellungen auf Schritt und Tritt, und so auch die Lehrsätze unseres Verfassers, es beweisen. Die Protasis , welche Brugsch lex. p. 1693 so übersetzt ,,wenn du findest einen Weisen zu seiner Zeit, welcher her- vorragenderen Geistes in der Vollkommenheit als du" muss ich anders auffassen. Viele Beispiele unseies Papyrus zeigen, dass die Pronomina vom Verbuni abgelö-^t oder ent- fernt stehen , so muss auch hier ^^ zu che?-p (k scliorp praevenire, prius facere) gezogen, als ethi&cher Dativ gefasst und demnach vertirt werden muss: ,.SGi zuvorkommender Gesin- nung". Im Louvre auf dem Denkmale des Amenisneb (unter Ranedjer) heisst es ähnlich : au-a hi cherp het-a, achu n nuter-a, athui hi host-a ,,ich war zuvorkommenden Sinnes, würdig

67) Mariette Fouilles II pl, 18 col 34. Pap. Anastasi III 4, 6.

71

meines Gottes, der Grosskönig lobte mich." Das Wort cherp bedeutet wie k. chorp ursprünglich vola manus, mani- pulus pugillus , woher auch das Deterra. das sonst dabei steht. Aus dem Begriffe ..darbieten Qiorpi tentare hroprep explicare) (das Herz)" entwickeln sich die weiteren Bedeut- ungen dieses häufigen Wortes.

m dja het-h erof an men-nef nek

ne vehemens sis contra eura si non est ei patientia tecum.

Das nur aus dieser Stelle bekannte Verbuui clja wird von Brugsch kx. p. 1703 (cf. 1694 lin. 4 v. unten) durch „aufbrausen, heftig sein s'emporter" übersetzt. Icli habe keinen Grund, davon abzuweichen und wühle desshalb den Ausdruck vehemens (cujus mens vehitur) , der dem dja-het vollkommen entspricht. Dieses dja hat sich erhalten in djou (e)mittere; mcn in mun patienter ferre; amoni patientia.

s-änd-Jc. lin. 12. djed bau m tem annihilat te verbum foedum perfecte.

Die Bedeutung ,, vernichten" für s-änd „macheu nichtig" ist gesichert, durch die demot. Version mpe nihil. Kircher hat anti-rome inhumanitas, crudelis, was möglicherweise auf -^^^ aiiti (rem) „Unmenschlichkeit" zurückweist. Da aber dieses anti sonst überall zu at (in, ch-, tin-) geworden ist, so bedeutet es vielleicht ,, vernichtend Menschen." Doch würde in diesem Falle unser causatives s kaum fehlen können , wesshalb ich dem s-dnd lieber söldj delere gegen- überstelle. — m tem ist hier Adverb , wie das arabische tarn *J complet ; im k. tme thmei veritas (masc. !) hat sich derselbe Stamm erhalten, den man nicht mit tmei ti feml verwechseln darf.

cliesf-su m at-f nast-f m ehern chetu pu

offendere eum in momento ejus monstrans imperi- tiam rerum est;

72

remen n daar-het-h hä-u-f

peiferto cum resignatioiie cordis tui sufficientiara ejus.

Von den bisher nicht erklärten Wörtern ist das erste remen, welches in der erweiterten Furm auf derselben Linie weiterhin vorkommen wird mit der Bedeutung humerus ,,die tragende Schulter"; es ist das obige mwi pati mit prätigiitem r = esse. ha mit dem Deutbilde des Haufens ist ein Gegensatz zu daar carere djroh (cf. ad 1 4) und sehr häufig im Sinne von Ueberfluss z. B. XIII 8 ; auch hau „Lastschiff*' hängt damit zusammen ; cf. k. sufficere; t-höu, hoi, ohi acervus frumenti.

ar djem-h zaasu m at-f (ist oben bereits erklärt)

si invenis dictatorem in momento ejus,

maut-Jc nti m remehut-u-h tat-h cheper ager-Jc erof

recordare quid (-s? sit) in humeris tuis, facias fieri

prudentiam tuam contra eum.

Die Rücksicht auf VI 2 n nti cheft-Jc contra eum qui

est coram te und VI ult. t'emh-h r nti m meto-Jc cou-

sidera quis sit ante te könnte fordern, da auch im Roman

der 2 Brüder r mennu = apud bedeutet, hier zu übersetzen:

„Bedenke (k. meue recordari) wer bei dir ist, wen du vor

dir hast." Doch klingt auch das Horazische jjquid ferre

recusent, Quid valeant huuieri" verfühierisch herüber.^*)

cheper bedeutet hier ,,sich verwirklichen" se realiser,

sich zeigen. Im Ganzen will der Verfasser sagen : Sei klug

in deinem Benehmen gegenüber einem Vorgesetzten ; das

Gegentheil wäre Unweltläufikeit; besonders, wenn derselbe

übler Laune ist , sei geduldig und trage mit Resignation

seine Üeberhebung ; wenn du bedenkst , wer vor dir steht

68) Cf. Prov. XXIII. diligenter attende qaae (apposita sunt) ante faciem tuam.

73

(oder wie wenig) du vermagst so zeigst du dadurch gerade deine Klugheit ihm gegenüber.

lin. 14. m ger au-f hi äjedt han't %ir

ne loquitor, vociferante eo quam deterrime (dh) Ufa anek sotemiii-u r-neJc nefer m rech n saru-u lucrator (tibi) expertos : est tibi bene ex cognitione principum.

Der Anlaut des Verb, (dh) i(fa ist fehlerhafter Weise, wegen des vorangehenden ihm vollkommen gleichen Zeichens für <=>, ausgelassen worden; mit Rücksicht auf I 11. wo das Wort mit «z^^a anlautet, und auf VII 10, wo ^=^=f dasselbe V\'ort beginnt , wie hier das beweist die fefa Gans und ^ wird meine Ergänzung keinem Zweifel unterliegen.

Aehnlich verhält es sich mit aneJc, wo die Züge des n und Je im Papyrus verschmolzen sind. Es steht dieses aneJc, wie arek, für das einfachere 7ielc (erol') als Dat. ethic.

Viertes Kapitel. Pagina VI.

lin. 1. ar djem-Jc ZaaSU m at-f (soweit reicht die Enbrlk)

si invenis dictatorem in momento ejus.

m huru an ad maut-Jc^ m ad het-Ji erof cJioft cheses-f

ne emittas (n)unquam mentem tuam, ne ejicias cor

tuum ad eum quum saevit (in conspectn maligni-

tatis ejus?)

Das Deutbild ^ bei huru (k. hol emittere) und maut

muss in qa verbessert werden, weil es sich hier um Aeus-

serungen des Gedankens handelt. Was den zweiten Ausdruck

maut betrifft , so haben wir ihn mit QA eine Zeile vorher

[1870. U. Beilage.] K

74

getroffen ^^). Dass aber huru liier nicht als Substantivum actoris gefasst werden kann , beweist lin. 3 , wo uns huru- het-u als Abstractum erscheint. Auch hiedurch wird der Parallelismus zwischen huru und ad nahe gelegt, indem das Verbum ad, kopt. atao (d)ejicere, durch das rasch stürzende Krokodil determinirt, als Object het = cor bei sich hat. Ich kann desshalb auch nicht H. Brugsch bei- stimmen, wenn er p. 22 und 1713 seines lex. sagt: ,,ad hati das Herz verletzen" und unsere Stelle übersetzt: 5,verwundet, verletzt ist dein Herz".

amma-su r-to, chesf-f erof fesf m tishd su r hesi- redigitio eum ad terram, repellito cum ad se ipsum

het-h 7n het n ntl choft-Jc; qesn pu. adorandoj hoc est pluris quam effulguratio cordis tui; ne laves animum in eo qui (est) coram te: dsivov est.

Der Ausdruck „zur Erde thun" bedeutet hier das mo- ralische Ueberwinden, nicht das Gebären, noch das Bestatten. Dieselbe Redensart kehrt XI 5/6 wieder, nur dass statt am- ma ^-jP gesetzt ist. ushd, kopt. uscht incurvatio, ado- ratio. hesi hat sonst das Deutbild -^^ bei sich , um den durchbohrenden Blick, das Blitzen des Auges auszu- drücken; vielleicht erhalten im kopt. haschit vultur milvus, falco, cf. T'in Blitz; y^. perforavit, gewöhnlich vom Löwen ausgesagt ; hier steht das Wort in Beziehung zum Herzen als einem innerlichen Vorgange. ,,Das Müthchen kühlen" sagen wir auch im Deutschen , cf. kopt. ia lavare ; qesn vergleiche ich dem kopt. c'ons vis violentia, injustus, injuria.

69) Weiterhin XIII 9 kann ^ bei maut richtig sein. Uebrigena ist diese Verwechslung auf Denkmälern aller Epochen äusserst häufig.

75

Weiterhin XI 11 heisst es: .,qesn ist das Wort über (mehr als) alle Dinge" , wo doch nur der Begriff des griechischen deivov passt, nicht „das ist zu verwünschen, etwas Ver- fluchtes", wie Brugsch lex. 1475 glaubt; denn das xuzane- nXr^Yfxevcov der Tanitica stimmt mit meinem Ssivov = xara- nXi]xTix6v.

lin. 3. het'et'u huru-het-tu r art nfi m het-k, Jii-Jc sie m tentationem vehementiae ad faciendum quod in corde

chesf n saru-u

tuo (est) opj^rimito eam in coramercio cum principibus.

Das erste Wort vergleiche ich dem k. liatj febris acuta, dolor; Jietj acuere; het'jhot'j asper premere; Jietj affligi ; hte contus, hasta; hofje penetrare. Ueber hi k. hi pro- jicere braucht es keiner weiteren Belege. Der letzte Theil könnte allerdings auch prohibitiv gefasst werden: ,,ne opponas te principibus"' allein mit Rücksicht auf den Schluss des vorigen Capitels ziehe ich Obiges vor.

Fünftes Kapitel. ar unn-h m (soweit die Rubrik) lin. 4. semi hi utn n Si es in statu ordinatoris in

secher n aschcrt-u, heh-mh sop nih mencJi r imn praecipiendo (vitae) rationi multitudinis, quaerito tibi

secher-k an-fu

opportunitatem omuem, ut sit ratio tua in-laedens.

Mit Bezugnahme auf das oben über die Vieldeutigkeit der Wurzel seyn Gesagte bemerke ich hier nur , dass semi

ohne j^, auch weiterhin IX 3 mit dem Deutbilde /vj und

dem Beisatze ^ des Hauses vorkommt , wo es bestimmt

76

den „Verwalter" bedeutet. Hier passt dieser Begriff eben- falls und es lässt sich kopt. schime ordo, series, so wie wegen des v,=#^ oder ^^?i auch das griechische rafiiag bei- ziehen. — Die Stelle, die ich mit ,,quaerito tibi Opportuni- täten! omnem" übersetze, erscheint auch in der merkwürdigen Inschrift, wo die 66jährige Regierung von Ramses II Seso- stris durch einen seiner Nachfolger bestätigt wird."'') Das Wort fii oder vu, kopt. ua ovaC vae, begegnet uns in dem Compos. äje-ua dicere blasphemiam und vielleicht in ta-\io corrumpere.

lin. 5. am-f; tir mä't nah za't an clwnnt-s djer rek Osiri in ea; magna (est) justitia, necessaria, communis, integra inde ab epocha Osiridis.

Das Pronomen a7n-f ,,in ea" bezieht sich auf sop vices, scliop vicissitudines. nah vergleiche ich dem kopt. nahe necessaria; za-t mit tjet pertransire, tjot penetrare, tjöte quod sufficit et satis est; man erinnere sich auch an das oben zu I 6 citirte hu-za't die „Allgemeinheit, Unparteilich- keit". Das Determinativ zu chmnfs , nämlich ^^ scheint

statt 'pOj irrthümlich gesetzt zu sein ; ich vergleiche kopt.

chöns putrescere consumere t/a)(», Jcnoos corruptela, oder chönt tangere. Was reJc betrifft , so dürfte es dem n. rig ein Zeitabschnitt bis auf Weiteres gegenüber gestellt werden; seine Bedeutung, ,, Epoche" ist gesichert.

au cJiesf-tu n sesh hi hapii-u sesh't opponitor licentiae cum legibus ; lin. 6. pu m hra n aun-het

licentia est in consilio fraudulenti.

70) Kevue archeol. Avril 1869 lin. 22: Adolphe Pierrets Ueber- setzung: „pour recherclier toute occasion de bienfaisance" bedarf einer kleinen Modification.

7T

Die Aussprache sesli für x ergibt sich aus Varianten; es dürfte dem kopt. ssclie licet entsprechen mit der Be- deutung ,, offen stehen'" (nach all'jn Seiten), ,, keine Schranke haben'". Jiap Judicium (lex) ist in der Rosettana mit to dCxaiov übersetzt. aunhet entspricht in cap. 125 des Todtenbuches dem demotischen huruau, kopt. huro privare, fraudare, und dürfte, wie Brugsch lex. p. 166 richtig ver- muthet, in dem kopt. auan varietas entsprechen, wobei man sich vergegenwärtigen möge, dass die Begriffe variegatio, varus, varicus, variatior (prae-varicare) hauptsächlich auch vom Moralisch Schillernden , Unrechten gebraucht werden, Dass aber aunhet die betrügerische Absicht und den Betrug bedeutet , wird sich besonders aus p. X ergeben , wo die Folgen dieses Lasters drastisch geschildert sind.

an netjit-u djiti hä-u an pa zait-u mena num turpia expugnent acervos; nonne illud sup- plicium mortis viget?

Die fragende Haltung dieser beiden Sätze vermuthe ich sowohl wegen des zunächst folgenden , als wegen lin. 9 ult., wo an-pa^ kopt" 7np]ie non, vilis, wiederkehrt. Im Pap. judiciaire'^^) bedeutet ^a^Y, uisprünglich ,, Tadel", woher wohl auch tjout reprobus , die harten Verurtheilungen zur Ver- stümmelung und zum Tode. Man könnte den letzten Theil auch so auffassen weil das fragende aw sich auf beide Sätze erstreckt : „ist nichtig, ausser Kraft, die Todes- strafe' 2)?"

an sop-f au-f djed-f lin. 7. sechet-a eroa djes-a nonne occasio ejus est, quum dicit : venor ego mihi ipsi

71) Deveria im Journal asiatique.

72) Leider fehlt hier das Derterminativ des Todes '^V , welches wir oben II penult. getroffen haben.

78

an djed-nef sechet-a hi hant-a

neque dixit : venor ego super jure meo.

Der Sinn ist: Soll man die Todesstafe nicht anwenden, wenn einer (der fraudulenlus) nach eigenem Gestnndniss eigennützig handelt , ohne sich auf sein Recht dazu berufen zn können ? Das Verb, sechet , wohl mit kopt. sochi tex- tura, texere veer wandt, bedeutet ursprünglich wohl das Ge- webe des Netzes, dann auch, wie hier determinirt, die Vogelfalle; es wird im cap. 125 des Todt. col. 9 durch das demot. Icerek kopt. cerec' auceps übersetzt. Der Betrüger erbeutet, erjagt etwas für sich selbst, aber nicht auf Grund (hi) seines Rechtes : hant kopt. hont mores (cf. Moral ; et9-og und rj-d^og).

un pehui mä't uah, sadjedu sa w^') atef pu est valida justitia, necessaria haec vox personae paternae est.

Sechstes Kapitel.

h'n. 8. ajn-Jc ar hör m redhu (soweit reicht aie Rubrik)

ne tu facias horrorem in hominibus!

Wir haben hier die volle Form der Negation m; hör entspricht dem kopt. hur, hele terror, n-hur horrere, pass. halai trepide accurrere. Dasselbe Verbot findet sich beim Propheten Micha IV 4: ,,Et sedebit vir subtus vitem suam et subtus ficum suam, et non erit qui deterreat (eum)".

chesfnuter m mati au sa djed-f änch am au-f shu-f vetat Deus pariter esse quemquam qui dicatur vivere m ta-u n tap-ro au sa djed-f lin. 9. vesor auf ibi, quum sit vacuus a panibus in labio ; esse quem-

73) Es steht irrthümlich ein u statt m.

79

djed-f sechet-a ero-a djesa sa't-a au sa Jiut-ef Tci quam qui dicatur dives, quum dicat : venor mihi auf pehu-f rdt-f n chem-nef an pa hör ipsi sciens ego ; esse quemquam qui dicatui- feriie

lin. 10. 71 redJiu cheper utu-t nuter pu cliepert Jca änch m alteruin, quum perveniat ad facienjum id eo nescio. chennu her't ii tat-semi djes utu nonne hie est horror in homioes? factum manda- tum Dti est creationis, ut viveotes in pace veniant atque edant ii ipsi mandatum.

Dreierlei ist dem Verfasser zufolge ein Gräuel: Jemand verhungern lassen, Reichthum für sich unrechtmässig erbeuten, und einen Andern heimtückisch zu schlagen. Das Wortspiel zwischen lior horror und hert pax (kopt. liori sedare) ruft den Schlussgedanken hervor, dass die Friedfertigen kommen und selbst Befehle ertheilen werden, wie Gott dieses Gebot erlassen hat. Die Partikel am ibi bezieht sich entweder auf homines oder steht wie unser da in „dass er da lebt". sJrn vacuus , kopt. schuo evacuare , ist schon zu I 10 er- läutert. — tap-ro bedeutet auch im Koptischen os, oris. vesor habe ich im Bokenchons aus dem ßaaouqiov des Hesych. sowie aus dem kopt. haschor vulpes belegt ; seine Bedeutung ,, reich" ergibt sich hier aus dem Gegensatze, so- wie allenfalls aus dem kopt. usr-af emissio carnis , repullu- latio carnis supra ulcus. Ich wage kaum, an l^'N Vorraths- haus (Bazar?) zu erinnern. sa't erscheint im kopt. sou cognoscere scire und wird von Horapollo II 117 mit seiner Hieroglyphe OvQiy^ und seiner Bedeutung (fQovr^aig aufge- führt. — In Bezug auf die nothwendige Correctur des

schliessenden l\t=±i=i in T ist oben zu XVI 4, XVIII 2

das Nöthige bemerkt.

»0

Siebentes Kapitel.

lin. 11. ar unn-h m sa-n-hems-ii (soweit die Rubrik) si es in statu personae (ex) sedenti(bu)s r as't n sa ur eroTc shep tot-f tatu r fen(d)'k, (fac locum) cede loco personae majori te, saluta femh-k r-nti m-meto-Jc, m seJcu-su eum prostratus usque ad nasum tuum, cerne, quis sit penes te: ne molestes eum.

Die Formation sa-n-hemsu entspricht dem kopt. z. B. sa-n-af lanio, sa-^i-öik pistor, sa-n-Jcrof astutus. Im Kopt. bedeutet zwar shep-tot despondere, nämlich durch Hand- schlag; indess ist der Sinn ,,die Hand erfassen" (zum Zeichen des Grusses) wörtlich und sicher. Das Schluss-^ zu fen fehlt, ob irrthümlich? Im Bokenchons habe ich zu- erst gezeigt , dass chanti = kopt. schanti nares , nasus als hervorragender Theil des Gesichtes steht , während fent, vielleicht verwandt mit nifi spirare, das Athmungs - Organ bezeichnet; indess könnte auch 'jS wohl mit HJB Ecke zusammenhängend , hieher gezogen werden. femh kopt. temhe invenire und wie das Deutbild -^s^, sonst -^^, be- weist, be(tr)achten. Ueber r-nti bringt die Tanitica alles Erforderliche; cf. supra ad II 4. Die Lautirung des Phallus mit 7net habe ich zuerst im Bokenchons aufgestellt und bewiesen; das bisweilen dafür eintretende hah, kopt. fah praeputium , ändert daran nichts. seJcu (mit dem Messer) erinnert zunächst an secare: „sekiren" sagt man hier dialectisch statt plagen, kopt. sah molestare.

Pagina VII.

m tenih aschu-ti but ha pu udt am-f

ne obtuetor saepius: abominatus est a quo patra-

81

m djeäu-nef r aash.t-f

tur id; ne loquaiis ei usque dum voluerit.

Das Veihuui udt hat sich erhalten in ut-sana decenter, vgl. mit sano decorare asch velle; hingegen ashu, kopt. ösch adv. wie noXXd.

an rech-n-tu han-t her-het, djedu-Tc cheft ushd-f-tu incognoscibilis est nialitia interna; loquitor, quando rogaverit te.

Die Gruppe her-het kommt in der Decanliste mit uaa Barke vor und ist griechisch Tr^ovco umschrieben, woraus sich hre ergibt, das mit kopt. hur interior cavitas rei, hhur silere stimmt. ushd, kopt. tiösht salutare, uashf sup- plicatio.

au djedt-Jc r nefer her-het

(tunc) est loqucla tua pluris quam bonitas interna.

lin. 2. ar ur unn-f ha ta-u secher-f cheft utu Tca-f

est magnatis qui pone panes, conditio ejus, quando

r r-at n hoses-f

jubet genius ejus, ad dandum pro favore suo.

Hier ist bloss ha im Sinne von pone, post zu belegen. Diese Bedeutung ergibt sich aus dem Gegensatze ,,vorn", so wie aus ha (caput, occiput) , haau pharetra der Köcher, dessen Deckel sa ebenso den Rücken und das Hintere über- haupt bezeichnet. Das Deutbild bei der Gruppe hoses ist ein ungewöhnliches, weder die Harfe, noch das tympanum (kopt. lios) ; indess habe ich die Bedeutung favor schon im Bokenchüus nachgewiesen. Die etwas verwickelte Con- struction d9s Satzes erklärt sich durch Voraustellung des ur in absoluter Weise, während es doch von secher abhängt, [1870.11. Beilage.] L

82

welches desshalb das Pronomen f bei sich hat; analoge Fälle bietet das Koptische liäufig. Der Gegensatz wird dies klar machen.

secher pu n gerli cheper au ha dun fohi-f conditio est indigentis fieri in persouam erigentem manus suas.

gerh entspricht dem kopt. c'roJi inopia indigentia; dtm dem kopt. tun surgere, suscitare.

ur ta-f an-pehu n sa

magnas dat in-flagitatus a quoquam.

Die Kürze dieses inhaltschweren Satzes verhinderte bis- her das Verständniss des ganzen Capitels. Die passive Bedeutung von pelm cf. kopt, peh attingere wird durch ana- loge Bildungen wie z. B. at-phönh in-mutatus, iü-mutabilis erhärtet: wir könnten im Deutschen übersetzen „ohne dass er angegangen zu werden braucht".

au am ta-u eher

est manducare panes secundnm

lin. 2. secher nuter; an cheni änäi-f her-s

institutionem Dei; num ignoratur grätia ejus super id?

Hier macht nur die vorletzte Gruppe eine Schwierigkeit,

indem es ungewiss ist, ob ^/wws|j[j gelesen, oder das erste

a als A_J] gefasst werden soll. Ich ziehe ersteres vor,

■weil anai bonum esse benefacere cf. r-an placere hier einen guten Sinn ergibt und weiterhin XV 6 das nämhche änäi wiederkehrt. Bei dem Stamme (ä)näi, kopt. nai propitiari,

erklärt sich ^ ungezwungen. Der Sinn des Ganzen ist:

Der Bedürftige sei bescheiden, dei* Wohlhabende freigebig,

83

ohne uiu Almosen ersucht zu werden ; ,, leben und leben lassen," darauf hat Gott seine Gnade gesetzt.

Achtes Kapitel. ar unn-h m sa-n äq (soweit reicht die Eubrik) si es in statu servi (kopt. öc servus)

hahu tu' n nr mati Jti Jcedmi hah-f-tu (quem) mittit magnas magnati, concordato in modo (quo) mittit te

ar-^ief cqnit nia cljed-f

peragito ei opus (mandatum) ut dicit.

Das Verbum hahu hat sich erhalten in rem-liöh nuntius; der vieldeutige Stamm apu't erscheint in uop-h (ebol) de- tegcre, iojpe opus, t-epi labor praescriptus. Ich hätte statt opus wegen des Deutbildes auch praescriptum setzen können. Jcedmi habe ich als der erste mit Jcatn parabolae zusammen- gestellt. — Nach Bezeichnung der positiven Aufgabe des Boten oder Dieners, folgt jetzt die Negative.

lin. 4. sa't m s-du m djedt seJcentha'^^) ur n iir n der cave ab maculatione verbi disruptura magnatem a

md't m sen-s an nemt-as aä-n-het m djediic redhu magnate infringendo veritatem , ne transgrediaris

nibt, ur ktäi lin. 5. hut Ica pii eam; non repetitur unquam solamen ex dicacitate hominum omnium . magni et parvi; abominabilis res est.

74) Vergl. oben zu I, 9, wo ich statt dieses seTcentha vielmehr ein seTcen-i vermuthet habe. In Bezug auf den Sinn vergl. Prov. XVI 28; (homo) verbosus separat principes.

84

Die kopt. Wörter toe niacula ; solk (aus senk) disrum- pere ; sini, sen transire ; et-nem consors, sodalis (eigentlich die Wiederholung, daher nem auch ,,der zweite"); ia-Mt re- frigerare cor ,,sein Müthchen kühlen", dann auch satisfactio, solamen, genügen hier.

Neuntes Kapitel.

ar SeJca-Jc der ah m Secliet (soweit reicht die Rubrik)

si arator es, colligito in campo,

tatst mder ur m tot-l' ; m sa ro-k rma Jcau-u-h; quem dat Deus magnus in manum tuam ; ne saties

tir art horvt-u ent ger ar nih Iceihm m neb-chetii

OS tuum apud vicinos tuos ; magnus est horror con-

tendentis: est quisque instar possessoris.

lieber seha^ kopt. sJcai arare, et-skai qui arat, arator besteht kein Zweifel. Dagegen muss in der nächsten Gruppe das letzte Zeichen als Deutbild angesehen werden, wie oben zu XII 9, wo ich dem s-red das kopt. sref, sesrit collectio, spicilegium verglichen habe. In der Tb.at erscheint unser Determinativ öfter in Form einer Garbe, und ausserdem hat das kopt. djel colligere auch die hier in der (del) vor- liegende Metathesis bewahrt. Es ist dieses Kapitel von grosser Wichtigkeit, insoferne es das Eigen thumsrecht stark betont, und dem Communismus wohl die älteste Zurecht- weisung ertheilt. Diese Auffassung w^ird noch mehr bestärkt und bestätigt durch das Folgende, wo die schHmmen Folgen des Diebstahls mit gerade so drastischer Ausdrücklichkeit geschildert werden, wie die des Betruges auf pag. X.

lin. 6. fiti-f ma jnsiüi m qenhetu m toa n antii-mesu-ii-f rapax ut crocodilus a propinquis, repudio est non-

86

7)1 huru m äbä-am au-u timi ur; atef m ahu mut dum prognatis suis, Cünvicio et opprobrio, quum

mest Jiotep Tiet res an im lin. 7. secheperu nuter; sunt adulti; pater (est) in acrumna, mater infaiis

au'^'") neb ahit-u neh-s slies-f

mortis , alia prorsus per unam transformationem

Dei; est dominus agrestium hortans eam sequi se.

Die Bildung t'iti-f entspricht dem deutschen ein ,, Raubend- er" oder dem kopt. ref-dji acceptor ,,Thuer-nehmen". Hor- apollo I 67 erwähnt unter andern Eigenschaften des xqoxo- dsilog (yäi^Lipai msuh) in der That auch aqua^. Die qenhetu sind die ,,Änstösser'\ zusammenhängend sowohl mit kopt. Jcolm angulus uculi interioi-, als auch mit Cef propinquus. toa, kopt. fueio repudium ; huru vielleicht mit dem hier zu supplirenden 5 (causativum?) kopt. s-hur raaledicere, sahui convicium ; aha mit der Präposition am ob, kopt. ti-iihe oppositio, fi-oh fastidire. cf. I!."'.1N Feind ; ahu aerumna , cf. HmN wehp, kopt. ahe indigere; hotp occasus , htö}) ruina; res entspricht dem kopt. les extremum ; = iiä unus, hier phonetisch, während oben V, 2 nur | steht. Der letzte Theil klingt etwas mysteriös : wer ist der ,,Herr der Acker- leute"' ? Es kann sich nur um die elysäischen Gefilde han- deln, und da cap. 109, 6 des Todtenbuches , welches sich um die Felder von Äalu dreht, so wie 110, unter den Geistern des Ostens, in erster Linie Horus unter dem "iiisimen "AQfxaxtg erscheint, der auch sonst häufig ist z. B. c. 99, 33 gerade in der Verbindung shesu JSar asech-senu: Asseclae Hori metunt eas (spicas) so trage ich kein Be- denken, hier unter neb den Horus, unter ahit-u die Bewohner

75) Es steht irrthümlich ein u statt a.

86

der Aeker von Aalu ('HXvoiov) und uuler slies das An- scLliessen der Verstorbeneu au die Zahl der Auserwählteu zu verstehen. Dieser Gott Horus fordert die aus Gram gestorbene Mutter auf, ilm zu begleiten; das betreffende Verbum neh steht in der Tanitica lin. 24 unter der Form nehu und wird griechisch durch d^KüöavTeg übersetzt; es ist nach der Analogie von nas = las lingu i in dem kopt. leh sollicitare, soUicitudo erhalten.

Zehntes Kapitel.

ar ches-h shes sa aqer («oweit reicht die Rubrik) si miser es, sequere virum prudentem:

nefer sem-u-h nib eher nuter m recJi-neJc nedjes-u (tunc) bona est fama tua omnis; sed Deus in tri-

chentu am-h da

buendo tibi inferiori primatum; ne superbias

lin. 8. het-h erof hi reclit-neh am-f clientu snad-nef choft corde tuo contra eum propter quod attributus est

chepert-nef, an ii as chetu djes hap-senu pic n merru- tibi ab illo primatus; reveretor eum, postquam con-

senu; ar cM-f au sak nef djes an nuter ar aqer-f tigit; non veniunt unquam res (sua) sponte; lex earum incumbit amantibus eas; si quis fastuose se gerit, est humiliatio ei ipsi per Deum qui fecit dxurjv ejus;

lin, 9. cliesf-f hr-f au-f sefer

rejicit eum a se quum est jaceiiS.

Dieses schwierige Kapitel wäre ohne die Beiziehung des cap. 24 pag. XIII lin. 6— 9 unmöglich zu enträthselu. Was

87

das Verständniss erschwert , ist hauptsächlich . ausser der der verwickelten Construction, die neue Bedeutung des Ver- bums recli't zuerkennen, welche man im kopt. raM adscribere apponere nicht erblicken möge , da dieses ein Compositum ^us '^~"^ ra faccre positum esse ist. chentu wird in der Tanitica durch ctQ^r^ und ngcotog übersetzt; hier dürfte primatus sich empfehlen. chetu hat wia das latein. res (angusta domi) häufig den Sinn von resfamiliaris cf. kopt. chai res, substantia; doch könnte letzteres auch zugleich von Ul l'a herstammen. Die Bedeutung von chä, kopt. schöi altitudo, pars superior, ergibt sicli hier aus dem Gegen- satze sah, welches ursprünglich ,, geduckt, gebückt" bedeutet, wie denn Horapollo I G9 xqoxöSsiXog xsxvcpcog und xatuxfSQi^g = 6vOig setzt; es ist sak das gutmüthige Krokodil aovxog, kopt. suchi crocodilus; sök contrahere. Der letzte Aus- druck sefer scheint hier euphemistisch für das ,,todt oder ausgestreckt Daliegen" (TavrjXeyeog S^avuToio) gebraucht zu sein.

Eilftes Kapitel.

sheS het-k ter-n Unn-k (soweit reicht die Rubrik)

contine cor tuum quamdiu degis.

Die Schwierigkeit liegt in shes; hier hilft weder das

dsqctnsvsiv der Rosettana noch die Bedeutung ,, Begleiter,

Nachfolger" , die sonst diesem Worte eignet. Das kopt.

sches n Mt molestia dolor steht zwar unserer Legende nahe ;

es ist vielleicht damit zu identifiziren , da diese Bedeutung

eine abgeleitete und die ursprüngliche continentia sein könnte

(kopt. söscht continere?). Aus dem Umstände, dass dem

rw

ganz gleich geschriebenen ~^ das hebr. vJvy ßqoaog Baum- wolle entspricht, welches wohl auf den Begriff ,, binden wickeln" zurückgeht, wird kopt. schsche oportet, nahe gelegt,

da ja auch Sei auf Se'co, necesse auf nec-to, Noth auf nähen hinweist. Im Pap. Anenemha I ult. steht slies (hau) in Parallele zu akednu^ hopt. nJcotJc obdormiscere.

m ar hau-u hi djeddut-u, m cheb ter n shes-het ne excedas in sermonibus , ne differas tempus con- tiueutiae cordis.

Die Wörter kopt. r-huo excedere, schöbe differre genügen zur Erklärung. Der Sinn ist: Halte dich zurück bei Ge- sprächen, und sei enthaltsam bei Zeiten in Bezug auf Erwerb.

hut Jca im hefet at-f: m negeh sop abominauda res est terere momentum ejus; ne ex- pellas occasiouem

lin. 10. chertu-heru; m hau-u n gor par-Jc cheper chetu quotidianam ; ne abundes in possessione domus tuae:

shes-het; an qem n chetu au tefa-f est opulentia continentia cordis; non haerens in divitiis est lucrans.

Die kopt. Wörter het, hite höte = terere; nehf nechf vielleicht roc'jJ abjici expulsio; hua abundare; c'ame tran- quillus; fephö lucrari genügen zur Erklärung. Der Sinn ist: Versäume keinen Aulass zur Genügsamkeit, wie er sich täglich darbietet; begnüge dich mit dem Besitze deines Hauses; es liegt der Reichthum in der Zufriedenheit und wer nicht an ihm hängt , der ist ein Gewinnender. Die so häufige Redensart m chert heru (uti ra nib) wird von Brugsch lex. p. 1123 übersetzt: .,beim Eintreffen des Tages (jeder Sonne)." Nach Todt, cap. 133 col. 11, wo es heisst: ^D^^^^-^^y^^ es ist der gestirnte Himmel unter ihm (dem Fahrzeug)", ist kein Zweifel über die Bedeutung des chert \oca\e] so wie aber das latein. sub bei Zeitbegriffen

89

entweder die Annäherung (sub finem) oder die Dauer (sub regno) ausdrückt, so dür'te auch chert-herii dem iuterdiu, unsejin „untertags" entsprechen und so auf „täglich" führen.

Zwölftes Kapitel.

ar Unn-h m Sa aqer (soweit reicht die Rubrik)

si es in statu viri prudentis,

ar-k si n se-mam

educato filium in caritatem

lin. 11. nuter; ar mati-f pecher-f n qedmi-Jc ne(n)u-f chet- Dei; si obtemperat (et) ambulat in modo tuo,

u-h r as't ari, ar-nef hu nih nefer. tuetur-que res tuas usque ad locum debitum, facito ei humanitatem omnem.

Die Bedeutung ,,educare" für ar ergibt sich aus Compp. wie ar-an erregen das Gefallen placere etc. se-mam ist determiuirt wie amam I 11 ult. , wo ich es mit „wohl- geneigt" übersetzt habe; der Baum am, wohl dieZ)-om-Palme, hat die süsse (haner) Dattelfrucht und könnte sich in eu-ph- 6mit-es dilectus, euphömi honoratus erhalten haben. Das Wort peclier kehrt wyiterhin VIII 7 und X 9 wieder in der Bedeutung „bewandert" und „Erfordernisse". Ich denke an kopt. p-hos oportet , phoh oportere , von denen ersteres nach Abwurf des r ein s angenommen hat. nenu mit us=^ = kopt. nau videre wird sonst auch für „ausbessern"''^) gebraucht; der Begriff tueri (^saöd^ut) ,, blicken, das Auge auf etwas richten schützen bewahren", ergibt hier einen

76) Chabas Voyage. [1870.11. Beilage.] -^

90

genügenden Sinn. ari, kopt, et-ero quod debetur, pet-ela-f quod debitum est'^^). hu-nefcr wörtHch ., etwas Gutes".

si-k p-u iiesu sit ka-k am-k mid Jiet-k ero-f lilius tuus 0 stultus (quoque) semen est tuum : ne tu separes cor tuum ab eo

Das leider ! undeterminirte Wort nesu kommt weiterhin Vni 11 in der Verbindung vor ,,der seinem Bauche Fröhn- ende ist ein Narr seines Weibes'': das kopt. sa-les insanus stultus stolidus ist damit identisch cf. 7ias = las, neli = leh; wörtlich bedeutet es persona stulta; siti, sati semen, satio. uud ist sowohl in ute inter , als in 12 Absonderung , als twt separare erhalten. Der nächste Passus, positiver Natur, gehört dazu:

au iitu lin. 12. ar se-chenthi ar nenefem-f teha-f esto genitor facito adhortationem si delirat et trans-

secher-k, ha-nef djedt niht shetne ro-f m djedt cJies't silit consilium tuum (si) vanum ei verbum omne,

qak-k-sii r ro-f ma qedmt-f ud crok grassatui- os ejus in verbo maligno : percutito eum in os ejus quomodo edit contra te; ne cedas iisl

Oll man bei dem Worte ha an kopt he abominari, uei repudium , oder an das reduplicij te habe vanus, evanescere denkt, so wird der Sinn etwa der nämliche sein. Die Redensart von dem ,, spazierenden Maule oder Mundstücke" haben wir ebenfalls und ausserdem erscheint sie im Todt. c. 125, 33 b und wird demotisch durch dje djin-bone dicere verba foeda übersetzt. qak entspricht dem kopt. c'ak per-

77) Chabas Melanges II p. 338 v. Birch.

dl

cutere; chehäy verwandt mit schief, wird von den Biegungen überhaupt, besonders aber von den Gaukl-rn gesagt; cf. hahitä crabrones vespcie, hfot uhia Ellenbogen, hopf demit- tere, hibe humiliaji, f-hebie subjicere. Brugsch übersetzt diese Stelle so : ,.\Venn du ein verständiger M^nn bist, so erziehe deinen Sohn in der Liebe zu Gott. Ist er brav und arbeitsam und mehrt er dein Besitzthum im Hause, so gib ihm den b^.'bteu Lohn. Ist ai.er der Sohn , den du gezeugt hast, ein thörichttr Mensch, so wende dein Herz nicht von ihm ab, ilu bist sein Vater, (.•rmahno ihn! Wenn er aber lasterhaft lebt, dein Gebot übertritt, alle Ermahnungen miss- achtet und sein .Uund mit bösen Worten angefüllt ist , so bchlage ihn aui seinen MuuJ, gleichwie er ls verdient".

Pagina VIII.

lin. 1. utu-ded sedeb nef pu m cJiet; an net'em n sem- ligationi manuum occupatio ei est in corpore; nou

senu an djim n

est deliratio in operantibus, non inveuitur in remi-

iin. 2. vuu-senu za't

gantibus navem.

Ob bei der erstea Gruppe daS Häudep..ar determinirt, wie Brugsch lex. p. 292 glaubt, oder oh, wie ich gethau halje, ded zu 1 'utiren ist? Letzteres möchte sich empfehlen durch das kopt. ti-toot auxilium , wenn es nur sicher wäre, dass es nach Analogie von TAag (aus Ut-nas) diesem utii- tot, und niciit vielmehr einem ^—^f" .."eben die Hand, Handreichung" entspricht. Im Todt. c. 78, 34 nicht 94, 4!) steht unsere Gruppe mit ar als Parallele zu ,,Weg bereiten". so dass man sich versucht fühlt, das kopt. erautot manum adhibere b izu/iehen , welches freilich selbst wieder aus

M*

92

^^^^ ., geben die Hand" entsprungen sein könnte. Nimmt man das kopt. ot ligare, so bekommen wir den Sinn „Bindung der Hände d. li. Gebundenheit, Hinderniss vor Ausschweifung. Diese Erklärung wird durch lin. 3 bestätigt. Die viel- deutige Wurzel sem, der koptische Wörter mit anlautendem t gegenüberstehen , könnte auch in tamia operatio , tamie Opera erhalten sein. vim habe ich schon früher n.it uoi cursus verglichen, vielleicht gehört foi cursus aquarum auch hieher, nur dass wir dies Wort in causativem Sinne zu fassen haben. Brugsch übersetzt den letzten Theil p. 1691: „Nicht ist mangelhaft ihr Führer, nicht findet es sich, dass sie die Fahrt (kopt. tjoi uavis) unterbrechen müssen".

Dreizehntes Kapitel.

ar Unn-k m äri't ha hemS (soweit reicht die Rubrik)

si versaris in palatio, stare et sedere

lin. 3. r masha-k; utu~ded-neh hru äp, m soa; cJieper pluris est quam passus tui ; ligato manus tibi die

chemit-Jc lin. 4. sopd hra n äq sema, usech ast primo; ne discedas; foret exclusio tui (tua); inten-

nt aash-tief; au är- lin. 6. it r tep hesb; secher dito faciem ad introitum nuntii; ampla est occasio

nib clieft chai an nuter sechent as an aru appellandi ei; esto custodia accuratissima; consilium omne (est) ante mensuram per Deum, qui promovet locum,

lin. 6. r-sopd-u qah

non faciunt attenti pausam.

Das Wort äri hat Brugsch lex. p. 207 richtig mit l^j; ver- glichen ; es ist der Pylon , wo Wachen aufgestellt wurden,

93

wesshalb auch bei den ünterweltlichen Todt. c. 144, 145 solche äri ersch einen , mit dreierlei Wächtern, wovon der eine, wie hier, sema(n) genannt ist; das kopt. tamu osten- dere, ref-tamo manifestator, vielleicht semme coiuparere, semi accusare , sSmi mandatum lassen sich vergleichen. Der Wächter muss stehen oder sitzen; das ist besser als herum- gehen ; am allerwenigsten darf er sich von seinem Posten, entfernen, denn dadurch würde er chennt , kopt. schon re- motus, exclusus d. h. von fernerer Verwendung im Dienste ausgeschlossen. Dunkel ist die Beziehung auf Gott. Soll man annehmen, dass hiemit, wie so oft in späterer Zeit, der König bezeichnet sei? Das ganze Verhalten des Wächters unterUegt der Messung, Wägung (kopt. schi mensura, ma- schi libra) durch den Gott , von welchem die Beförderung der Stellung abhängt: aufmerksame Diener machen keinen Halt im Avancement. Wegen des voll phonetisch ge- schriebenen sopd lin. 4 habe ich auch die vorletzte Gruppe mit r-sopd-u umschrieben. Brugsch lex. p. 1206 citirt die Legende: sopd-lier m menfiu nib ..der erste unter allen seinen Kriegern'" vielleicht besser: ,, das Augenmerk aller seiner Soldaten", oder: ,, merkend auf alle seine Soldaten". In sohte directio schimmert diese Bedeutung noch durch; die Griechen haben aus dem Sternnamen Sopd ihr 2cö-d-ig gebildet. Weiterhin VIII 10, IX 10, XIII 8 treffen wir sopd wieder.

Vierzehntes Kapitel.

ar Unn-h hna redh-ll (soweit reicht die Rubrik)

si versaris una cum hominibus

ar-^ieJc meri ha: pehu het-a, pehu lin. 7. het-a blandientibus tibi egegie: lermine cordis nici, termine

94

antu pecher-f cljed m chet-f cheper-f m tesu djesf cordismei! imperitus (non versutus) dicit in ventie

neb-chetu lin. 8. 7n-ta m secher-f: rnek nefer an suo, se tieri in (statum) optiniatis ipsuiu : „possessor

djediii-k hä-u-Jc djefa-u lii-h lin. 9. r hau-u-Jc ä- dat me in potestatem consilii tui; tibi bonum uon

hut-tu-neh m cliemt-nek : unn het sotem n chet-f loqui te et ipsum : liicrum tibi adveisus tribules

ta-f l'ent-ii lin. 10, ju as't meriit \ het-f aku, tuos; opponitur tibi nescieuti: ,,est cor obediens

hd-uf chesa

ventri suo; dat iras loco amoris; cor ejus laCerura, membra ejus discerpta.

Das zweimaligem^) pehu-Jiet-a beweist, dass wir es mit einem Ausrutu oder Grusse zu thun Laben, wobei das ,,Herz" wie unser „Herzchen" ein Ko>e- oder Schmeichelwort ist, während später, wo es den äussern Gliedern parallel aresetzt ist, das Herz als Sitz der Intelligenz erscheint, welches deui Bauche, d. h. den Leidenschaften fröhnt, z. B. dem Zorne Icent. Sonst wird das Wort erewöhulich ^ ^ oder

^'^'-wvMl kopt. c'mt ira = nwp. geschrieben und Horapollo

emerkt I 14 ausdrücklich xvvox6(faXoq = ogyr^. Die

78) Das Wort ha , welches diesem 'pehu unmittelbar vorangeht, steht hier wohl als Adjectiv zu mer wie bei repaha. Die Zusammeu- bringung dieser zwei Wörter ha-pehu sonst Anfang und Ende (wie z. B. am Schlüsse XIX) gehörte vermuthlich zu den graphischen oder poetischen Künsteleien. Die nämliche Spielerei mit und pehu begegnet uns im Pap. SaUier II 3, 5 Ueberschrift.

95

zuletzt stt'lienJeu uuj durch das aufgelöste Haar dettrmi- uiiten Wolter aku und chesa sind iu deui kopt. oc'e vul- nerare, aegrotum facere und scIies dolor Uiolesiia mit etwas veränderter Bedeutung erhalten. Nach der Schilderung des leicht durch Schrueichelei zu Bethörendeu folgt nunmehr der Schlusssatz :

au tir-het r-sopd-u

est magnanimus scopus (uieta)

lin. 11. nuter; au sotem n chet-f nesu lümei-f

Dei; est obediens veutri suo liiililirium feminae suae.

Während der starkheizige ein Gegenstand der Aufmerk- samkeit, ein Augenmerk Gottes ist, der wohlgefällig auf ihn bhckt, ist der Leidenschafiliche, der durch Schmeicheleien hncht bethört wird , sogar unter das Weib , als ein Tiior oder Spiellball, gesunken.

Fünfzehntes Kapitel.

Sema Sem-U-k an-Öm-het (soweit reicht die Eubnk)

indicium judicii tui est impoenitabilitas

Ich habe in meiner Uebersetzung das Wortspiel nach- geahmt ; impoenitabilia, kopt. ath-uem-htheu gibt den Begriff des ,, nicht Bereuen - müssens" oder ,, nicht zu Bereuen- braucheus'". So heisst es auch im Todt. c. 125, col. 7b ,.non feci poenitabilia."'

ta seclier-h m

da cousihum tuum in

lin. 12. seh n neb-k; ar cJiä-f erof cheft djedf an

concilio domini tui; si assurgit contra id, quando dielt: Non!

Ö6

Auch dieser Absclinitt enthält ein Wortspiel zwischen secher und seh (kopt. soiih coelus) , welches ich durch con- siUum und conciliuui nachahme. -- Schwierig und wichtig zugleich wird dieses kleine Kapitel durch das erstmalige Auftauchen der Partikeln für Ja und Nein. Wäre auch letzteres durch den Zusammenhang und das kopt. an = non nicht empfohlen, so wird es durch seineu unzweifelhaften Gegensatz ,,Ja'' in lin. 14 gleichsam aufgeuöthigt.

qesen r aputi semat !iu. 13. an-iishebt m-a m"^^) durum (est) esse latorem sententiae non-respondere

rechst an ur recht-u-f nenetem ar Jca-f (est) in manu scientis eam ; quod ad magnatem cujus opiniones falsae si evocat

lin. 14. r chesf-f her-s, au-f ger-f ho au djed-na

ad refutandum (se) de iis atque clamat: ita! esto dicens per me (licet).

Trotz seiner Kürze bietet dieses Kapitel dunkle Stellen genug. ^°) Ich hätte seine Uebersetzung auch nicht gewagt, wenn nicht glücklicherweise weiterhin cap. 24 pag. XI lin. 8 11 dasselbe Thema und zwar etwas deutlicher be- handelt wäre. aputi, kopt. epoti columba (Botentaube?); usheht = uschb respondere; 7ca in c'e erhalten, in der Ro- settana = nQoaovofxaad^i^Oerai.

Sechzehntes Kapitel. ar unn-h m semi (soweit reicht die Rubrik) listen Si es in statu sciscentis ampli

79) Es steht irrthümlich ein a.

80) H. Pleyte hat in der Zisch, für aeg. Sp. einige Stellen da- von zu übersetzen gesucht, aber mit sehr problematischem Erfolge.

97

Pagiua IX.

lin. 1. sedier -u m tdut-neh ar-h chet-u dJiennu consiliisj ne fingas tibi facere te quidquam magni,

secha-nef lin. 2. liru-u ei Id-sa an ei cujus meminerint dies venientes in dorso: non venit

djedt m qah Jioses lin. 3, hescs Mim verbum in multiplicitatem laudis; emergit croco-

se(ha)Ji clieper sefa't

dilus, fit devastatio (abstersio)

Das Wort semi mit dem ableitenden i muss wohl auf sum scire zurückgeführt werden; es ist darunter der Denker (Redner, Dichter) überhaupt zu verstehen, wie analog im Deutschen das Wort simuliren den Begriff des Nach- denkens , Forschens in sich schliesst. idu ist der ältere Repräsentant für secha, kopt. sacli scribere, und so wie dieses ursprünglich memoire und figurer bedeutet , so hier iitu: „bilde dir (nicht) ein". Beide Wörter haben also ihre Rollen getauscht. Der Stamm qcib erscheint im kopt. Jiob multiplicatio, iikob multipliciter, vielleicht auch in T^epe lon- gitudo , c'öpe cucumis longissimus , c'epe abundantia , c'pe magnus. Der Sinn ist: ,,ein gesprochenes (oder geschrieb- enes ?) Wort gelangt nicht zu dauerndem Lobe , denn die Zeit zerstört es bald." Letzterer Gedanke ist durch ein Gleichniss ausgedrückt: Es taucht auf und unter (kopt. hjp occultari) das Krokodil (seßajJc mit seh, kopt. sev tempus, verwandt): es entsteht Verwüstung" {shof desolatio, chav devastare). In der That sagt Horapollo I 68, 69 das Kro- kodil sei = dvuToh^ und dvOiq und II 20 sagt er vom iTiTtog TcoTdf.i[og, dass es woav ör/.oT es ist die Gruppe ^^^g at momentum. Jicqm, auch ^^^- und mit der

[1870. n. Beilage.] N

Thierklaue (cf. xvg:i) geschrieben, 52» kopt. c'o}) voUi, planta pedis, könnte freilich auch der Name des Typhon unter der Gestalt des (Nilpferds?) Krokodils sein; allein gewiss ist es nicht zufällig, dass c'ejpe celer bedeutet.

Siebzehntes Kapitel.

ar unn-h m semi par (soweit reicw die Rubrik) r so(t)cm-k sie es tamias domus ut s amies (aures)

lin. 4. cljedii sepru, m gen-f; sii r sek't

(ad) verbum supplicis; ne subsannes eum: hoc pejus

clief-f; m hat

es(se)t quam ferire corpus ejus ; ne inveharis

lin. 5. nef äjeä-nek-st mer eher vii

in eum ; loquitor ei id humane , quod habet vae ;

aa't het-f r art eit-nef

refrigerato cor ejus ad faciendum propter quod

lier-s; lin, 6. ar ar-gennu sepr't-u au cljedtii au venit, est faciens-derisionem precum dictus: hoc est

ter r ma-telia-f-st an lin. 7. seprt-nef

modus faciendi adgredi eum id, ob quod ne precatus

nibt her-s; m cJieper.t-senu; senän het pu est quidem ; {.ni} ysvoiTO Tavxa \ delectatio cordis sit

sotem nefer audire bene.

Ich habe das Wortspiel zwischen sem und s(ot)em (ur- sprünglich sem cf. J/Ciy) nachgebildet durch die Wahl des samiare schärfen (cf. dx-ovcü die Ohren spitzen?) neben

93

Taixiag. kopt. sepru, sop , scpsop, sops supplicari, gen('nii) erblicke ich in c'er derisio, ref-c'cr clerisor, wie hier argenu, mit üebergang des n in r (l) cf. nas = las, negeh = roc'ep. seh't erscheint in sc'a percussio, sice, sec na- qciXvTixog. Der proleptische Gebrauch des Pronomen lin. 5 djed-neh-st, h'n. 6 teha-f-st ist auch sonst nachweisbar z. B. Todt. 78 , 3 an setu nuteru „was sie betrifft , die Götter", ^^) Das zweimab'ge hers propter quod in rela- tivem und interrogativem Sinne steht häufig; so z. B. Todt. 112, 2 „an autenu rechfenu rat-tu Pa n Hör lier-s? aii-a recJiJcu-a-s", „num estis vos scientes, quare datum sit urbs Pa Horo? Ego sum sciens id". ^er per f^isTa^saiv, kopt. ret ratio, modus. sewaw = kopt. sneini ludere, nu- gari, snaein saltare.

Achtzehntes Kapitel.

ÜT 'inGT-k (soweit reicht die Rubrik)

si amas

ÜB. 8. s-oali cJienefmes m chennu äq'Jc erof

condere auctoritatem in gynaeceo, in quod intras,

m neb m son lin. 9. m chcnefmes ro-pu r hu nib doLuini, fratris cognative, in loco omni,

dq-Jc am, sat m tcJcen mhimet-u lin. 10. annefer quo intras: cave a tactu mulierum ; non bonum est

n bu ani-st am, an sopd-n-ho lii pecha-st; in loco quo versatur; nemo cautus seducet eam;

au negebtu lin. 11. sa clio r achut-nef af Jcufi sunt abrepti viri mille ad fruendum (sibi) momento

81) Derselbe Satz steht im Pap. Senkowski XIII 6.

100

mati rasui au peJm-tu mut brevi instar somnii; (sed) acquiritur mors

lin. 12. hl rechst; tes pu dies siti t

in noscenda ea: propositum dirum est, Stimulus

fa pir-tu lii art-f, Jiet hi u- lin. 13. -an-f; attollens apparet in patrando eo; cor recusat id;

ar tdiaJi m sehen her-s, an mdt n si quis residat in tliely-mania, non est possibilitas

sedier nib am-f consilii ullius cum eo.

Im Ganzen sind die Schwierigkeiten auf den letzteren Theil beschränkt. Das sonderbare Wort neben s'oaTi (uaJie = habitare) , nämlich dienefmes, wird von Brugsch lex. p. 1103 mit kopt. sdienmau cognatus (filius) ex patre matris verglichen; mit ÜDrecht, da dieses offenbar in sdie-n-mau filius ex matre zu zerlegen ist. Ursprünglich clienems ge- schrieben , kommt es stets^^) zur Seite von son frater vor, bedeutet also den dritten Grad der Verwandtschaft, da son = II ö sen snau ''^'d, wie ich schon längst (1864) gezeigt habe. Es muss desshalb dienems mit kopt. sdiomt und 'ti^'^iy" tres zusammenhängen, da es lllö geschrieben wird. Den Uebergang stellt kopt. sdiolmes culex xcorcoip dar, wel- cher Name hierogl. gleichlautet. ropu in der Tanitica = 7J. feJcen, kopt. toc' taugere {tac-^^iyy goth. taika, tai- tok). pedia, kopt. padi scindere; HorapolloI63 gedenkt der Hieroglyphe [^ ^ wenn er sie auch für rjfj.iTOf.iog ocpig an- sieht, da ihm das ganze Schild CZDi 59—62 o(fig ist, richtig

82) Z. B. in der polit. Unterweisung Amenemha's I, 3; Todt. c. 78, 39. Im Louvre traf ich die beiden Ausdrücke sen und clienems zwischen hau tribules und djet-])a domestici.

101

mit der Bedeutung hs'qoc, zutreffend auch bei ^^fi]^ dena pars, Abzweigung, Canal. achut kann hier mit 2iasch de- lectari, tiosche consüm er e, nsche paropsis verglichen werden; jedenfalls bedeutet es hier frui. rasui, im Koptischen ge- rade so : somnium. rech in Bezug auf Weiber muss hier wie das biblische cognoscere den Beischlaf meinen. sifi, sali ssigitta; /o? portare, tollere; tdiah, welches XI 1 wieder vorkommt, entspricht wohl dem kopt. 2(]ii resistere (per- sistere?); seJcen dem xooxö6ei?.og = (xaironerog bei Hor- apollo 167, vielleicht in soce extollere erhalten; mät cf. 7no da. die Gebung, Möglichkeit.

Neunzehntes Kapitel.

ar mer-k (soweit reicht die Eabrik)

si amas

Pagina X.

lin. 1. nefer sem-u-k noJiem-tu ma ämd mht, bonitatem conscientiae tuae. liberam a macula omni,

sat Td sop n aun-liet lin. 2. dicct pu äm't cave ab ansa fraudulentiae , corpus est morbidum

ntbor-iu-f, an clieper n äci am-s ; au-s^^) sehat dissoluti ; nil ratum fit intranti eam ; est lepra

atef-u mut-ii lin. 3. hnä senmi-u na mut ; au patrum matrum(que) cum fratribus matris ; est

nesh-s liimet djai djaut pu

divortians feminam et conjugem; conjunctio est

83) Brugsch übersetzte diesen Satz 1663 in der Zeitschrift p. 22 so : „Die Sünde der Täter (und) Mütter und der Kinder der Mütter, sie wird erreichen Weib (und) Mann.

102

han't-u Hn. 4. niht, arf xm n cheMt-u niht; foeditatum omniuin, fascis est iniquitatum omuium ;

oah sa äqa-f mä'f, slieme dJienetem-ti-ii-f, viget vir, cujus pectus lioncstum ; means sulcos suos

liu. 5. au-f ar-f am-t-paru, au uni-par äun-Jief

est faciens penum eo, non habente domum fraudulento.

Ich habe diesmal sema cf. sitm mit conscientia über- setzt, oben cap. 10 mit fama (bona cf. kopt. snm) nach Analogie des pauliuischen ,,conscientiam (övvsidr^Giv) autem non dico tuam , sed alterius" (Cor. I 10 , 29). noJiem

servare liberare. Das Wort cha'f, sonst ITI geschrieben,

ist vielleicht im kopt. scJiau ossa, membra erhalten. äm'i cf. uöome succumbere. In Betreff des hor-tu-f (her- hört dissolutus) bin ich nicht sicher; wenn nämlich das an- lautende h statt der Negat. hu (ov?) stünde, so hätten wir bu-ra-tu-f non liciti cf. kopt. to, taai concedi. sehat, hopt. sohah; cf. Oaßßca des Josej^hus = ßovßcvvog aXyog. In Bezug auf nesh bietet mir eine Stele des Louvre die Parallele: sehen himet-f, cJirod-u-f nesh, art men seJc't^ art, seJc-f ututu eher heh = .,quicunque amovet uxorem suam, liberos suos separat, monumentum diruit, ejus ipsius dirutio scripta (constituta) est in aeternum". Vielleicht ist im kopt. uasch-peri terriculamentum coturnicum der ursprüngliche Begriff von «es/i, nämhch ,, auseinander thun, scheiden" noch bewahrt. djauf, das ich wegen des Wortspiels mit djai conjux durch consumtio übersetze, steckt vermuthlich in djcu captus im Sinne einer Zusammenfassung cf. edjö, etjaii forceps. ch'f mit dem Bündel determinirt, kopt. örf con- strictum teuere, wohl verwandt mit mit areh j^iguus n21.y.- uah entspricht hier dem kopt. itoh augere snidiöovai. dhenefem ist aus dhenem erweitert; wie oben sotem aus sem,

103

chenetmes aus chenmes; es ist in kopt. inom, ihm ühr\ sulcus bewahrt, am-pa(7')u ist gebildet wie am-chet quod in ventre est kopt. m-aclit viscera intestina; vielleicht in (ti-) limef penus noch gebraucht. an-uni-pa(r) wörtlich „ein nicht habender ein Haus" cf. im habere. Die hl. Schrift sagt ähnlich .,des Vaters Segen baut den Kiudern Häuser, sein Fkich reisst sie ein".

Zwanzigstes Kapitel.

m dun-liet-h In pesesll't-ll (soweit reicht die Rubrik)

ue frauderis in extensis (universum)

lin. 6. m liant an-as r chert-u-lc, m dun-het-'k r ne saevias (n)unquam in subditos tuos; ne frauderis

Jiau-2i-l', 2(r toa n

contra tribules tuos; major est exsecratio

Das Wort pesesli erscheint gewöhnlich in Verbindung mit Flügelpaar und Armen, kopt. phescJi perscJi, expandere, extendere also omnino, in extenso universim. Die Verbindung pesesMu m redhu , .Gemeinschaft der Menschen" steht im Pap. Sallier II, 1, 7.

sefu r necJifi, and pu perer clier liau- repudii quam durities; nihili est grassans in tri-

-u-f shu m ant n djeäf; an

bules suos ; vacuus a ductu verbi ; est (yel)

lin. 8. vehu n dim't her-s seclieper chentJii m

paullulum fraudis ideo gignens rixam ex refrigera-

qeb chet

tione libidinis.

104

Die Wörter nechti, cJienthi und qeh sind zu vergleichen mit nscJiot durities, scJiont rixa, Iche refrigerare^*).

Einundzwauzigstes Kapitel.

ar aq€)'-7c ger-Jc par-Jc (soweit reicht die Rubrik)

si sapis, possides(que) domum tuam,

lin. 9. mer-Jc 7iime't-7c m dien Jiesh, meJi cJiet-s,

ames uxorem tuam intra jus, implens ventrem ejus,

Jiehes sa-s: pecJier'f-u p>u nt Mus, merkt-u vestiens dorsum ejus: exigentiae sunt corporis ejus; olea

lin. 10. -s tebii Jiet-s ter n nmvt-'k, ahetu

ejus pertinent ad votum ejus, quamdiu yivis : provincia

pu aclmt n neh-s; mn-Jc n ua pir-a, seri't est, digna doraino ejus: ne sis tyrannus: blandimentum

lin. 11. seher-s r (se)chem uroä^-) as t'ä-s

accelerat eam magis quam vis ; alacris tunc spiratio

pu, ari't-s maa's, s-oah-s

ejus est; oculus ejus videns se (in speculo) faciens

lin. 12. pu m xmr-k; clioni-'k-s mti

habitare eam est in domo tua; exagitare tuum eam

pu Jcat-t-s n ä-ui-s; clion-i't-s caussa est laborationis ejus brachiis suis; exhortari

ar-nes meri

eam facit ei amorem.

84) Weiterhin cap. 32 p. XIV erscheint dieses Wort wiederholt.

85) Ea steht ein a, aus dem ich nichts als ein u zu machen weiss.

105

Das Wort ger wird von Hermapion durch xTiOrr^g über- setzt; es steckt ebensowohl in c'ere parare als in ta-'cro fundare. Jiebsö vestis cf. '\V2b. Die oben für pecher er- mittelte Bedeutung „Erforderniss" wird hier durch das parallele tehu, kopt. ethe quod spectat ad bekräftigt; sollte jedoch das s dazu gehören, so bietet sthebai instrumenta vasa das nöthige Material zur Erklärung. merh oleum steckt in mer-ötp (merh-hotep). ahe't, kopt. iohi ager, pos- sessio , opes. pir-a wörtlich fortis manu erscheint im Pap. Anast. I im Sinne von „Haudegen" cf. Todt. c. 125, 21 d. seri't cf. sälsel blandimentum. se-her Causat. zu hör, kopt. hol properare, engl, hurry. chem^ kopt. scMm, schöm altus excellens. urod, kopt. ef-urot alacer, leider ohne Deutbild! t'a, kopt. ifm spiritus. Wind und Athem. s-oah Causat. zu kopt. uah habitare, woher wohl auch avdasiq = olxi^Oeig oder olxovfxsvat, %wqa(, ,, Oasen" bei Strabo H p. 130. Das Wortspiel zwischen choni und choni'f habe ich durch exagitare (,,dein Vertreiben sie") und ex- hortari nachgeahmt; kopt. schon, engl, to shun amovere und chontj adhortatio. Das Wasser, kopt. nie aqua, als Ur- stoff gilt = Grund, Ursache; hat, kopt. Jcöt aedificare und „arbeiten" überhaupt.

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Pagina XI.

lin. 1. se-hotep äq-u-Jc m cheper-u-neh (soweit reicht die Rubrik) Placare servos tuos facultatibus tuis

cheper n hosesu nuter \ ar uheh m se-hotep fit in faventia Dei; est reservatus in placando

[1870. IL Beilage.] 0

106

lin. 2. aq-ii-f au äjeä-tu ha pu ^^)äal)-u an

servos suos dictus : sens est contradictionum : in

rech-n-tii cheperf-u sa-f tua lin. 3. Ica pu Jca cognoscibilia facturae intelligit maue; is sens est,

n mati liotepu am-f; ar

in quo essentia placentiae (morte) plaeata est; si

cheper sopu na liostu, an äq-u cljed lin. 4. i-ui an fiunt vices fabulandi, famuli dicunt: venite non

an-tu hotep't r dema au an-tu dq- commeat placenta ad vicum; est commeatus man-

-u un aq cipiorum res manca.

Dieses Kapitel wimmelt von Wortspielen, welche, wie sie schwierig in der üebersetzung nachzuahmen sind, so doch hinwiederum das Verständniss erleichtern. Das erste Wort der üeberschrift : liotep erscheint mit den Be- deutungen placare ,, befriedigen (durch ordentHche Kost)" placari leto ,,im ewigen Frieden d. h. todt sein" und als placenta der Opferkuchen als Befriedigungsmittel. Aehnlich verhält es sich mit äq mancipium (kopt. 6c servus), aq, kopt. aho perditus , das ich durch mancus ersterem as- similire; vielleicht gehört auch uhali dazu , kopt. ulii resi- stere, etwa durch mango der Kremper im Sinne von ,, knausern". Ferner steht clieper ebenfalls mit dreifacher Bedeutung: das zu Theil Gewordene, das Werden und die Welt (alt: werold). Der Stamm an wird (mit äjed) für ,, sagen", ,, nicht" ,, bringen" „Zugang" gebraucht und zugleich

86) Dieses a gleicht nur durch eine zufällige Verwischung einem m.

107

bildet loi (kopt. t(on res, aliquid) damit ein "Wortspiel. 7ca, welches ich mit dem nach prae-seus, ab-sens formirten sens To ov (niclit ensl) ausdrücke, bedeutet Person und Sache, wie unser ,, Wesen". Ein verstecktes Wortspiel hegt in adbu contradictionum, da r-abeut reus obnosius und zu- gleich et-r-aleut commensalis compotor bedeutet, welch' letzterer Begriff hier gerade per antiphrasin zu nehmen ist. Ähnlich dürfte es sich mit der Nachbarschaft von maü und hotepit verhalten, da ersteres an mut (mors) erinneit, während letzteres diesen Begriff wörtlich ausdrückt.

Dreiundzwanzigstes Kapitel.

lin. 5. am-Jc nem meska {(soweit reicht die Eubnk) noli legerere offensionem (sibilum)

n djcdt an-sotem-'k su im'u pii n(t) faa in sermone; non audire tuum eam effugium est

ta(t) lin. 6. nem cljecU ma(a) an soie-m- caloris, dantis disputatorem videntem non audiri

nest r ta; m äjed ress't; mak se, ad terram; ne loquaris prorsus; memento, ad-

cheft-l: reell lin. 7. a^fr; an uhit-tu djaut versarium tuum callere valde ; est scriptum : spurius

art-s seelieperu r djif-s m mesdt

qui facit id; efi'iciens ut acceptetur (est) in odio

ma hap maJc sesun rasu't pu

ut justum est; momento poenae: somnium est ve-

liehes r hra-s lata facie.

0*

108

Das Verbum nem bedeutet wiederholen {et-nem sodalis eig. „der mit"; nem cum, ti-nem bellare impugnare gehören wohl zur Wurzel ^ nem conjungere) und hat sich vielleicht im kopt. Jymen imago similitudo erhalten , gleichsam .,das zweiteich" oder „Bild, Ebenbild"; eu, ön zu ;;;;;;3;;;£ gehörig) ; die Bedeutung ,,der zweite" ist gesichert. meslia vergleiche ich dem schmschece offendi sibilus mit prothetischem seh, ■wie so oft. Der Beisatz n djedt zeigt, dass von Wortgezänk die Rede ist. dJaiU ist vielleicht mit dem kopt. djout spurius identisch, dessen Grundbedeutung captivus (cf. cattivo^ chetif) aus dja fliesst. sesun wörtlich ,,faciens mulctam" (kopt. sun pretium) muss hier wohl auf die in djauf und mesd (kopt. moste odium fiToog) liegende Strafe bezogen werden. Sehr sonderbar sind die drei hier gebrauchten Bilder oder Gleichnisse: Das Benehmen dessen, der keinen Wortkampf eingehen will , wird dem Ausbeugen vor einer Hitze verghchen. Das Todt. c. 125, 18d gibt uns darüber Aufschluss, indem es heisst: an taa (volle Schreibung tau, tav, kopt. ^/ia6 fermentum, i';o/" favor) ro-a „nicht war hitzig mein Mund(-stück)". Das zweite Bild, wonach die of- fensio offensiva oder Streitsucht ,,zur Erde gethan" wird, ist von dem überwundenen , zu Boden geschlagenen Feinde hergenommen. Am sonderbarsten ist das dritte Bild: ein Traum mit einem Schleier (kopt. halbes^ libos velamen) auf seinem Gesichte (kopt. rasui somnium, t fem.) Vermuthlich ist darauf abgezielt, dass der Erfolg eines solchen Wort- streites, wie der eines verhüllten Traum gesiebtes, sehr un- gewiss ist. Oben haben wir den Traum als Sinnbild einer schnell verrauchenden Lust getrojffen.

Vierundzwanzigstes Kapitel.

a,r Unn-h m Sa (soweit reicht die Rubrik)

si es in statu viri

109

lin. 9. aqer hems m seh n neh-f; saq

prudentis qui sedet in consilio domini sui: contrahe

hef~Ji, er lii-aqer ger-J:

cor tuum; est prudentia elocutionis tuae

liu. 10. achu-st r dJieftef-u djedid-l', rech-nek

dignior quam flosculi gariitüs tui; cognita tibi

halä-Jc an ahm lin. 11. ^'')äjedim m seh; explicato per artem orationis; ne convicieris!

qesen djedt r Jca'f-ii nibt; an 'bala(u)-s periculosius est verbum rebus omnibus: num solvens

tat-s r chet? id dat id retro?

Ohne die Entdeckung, dass unser alter Autor Ptahliotep Wortspiele verwendet, wäre auch dieses Kapitel unver- ständlich geblieben. seh concilium hat in seh, kopt. sohl criminatio arguere increpatio seineu entsprechenden Wort- kameraden, zu dem sich seq, kopt. se7c(-selc) seh trahere, ductilem esse, contrahere, colligere als dritter gesellt.

dheftef scheint eine Reduplication von ''"i^'^^X"^ dhufi,

welches Brugsch lex. p. 1580 mit dem kopt. djouf papyrus juncus calamus ßovroßov vergleicht. Weiterhin begegnet uns XIII 12 t;^ '"TJ"' im Sinne unseres ,, Stoff Zeug"; viel- leicht treffen beide Bedeutungen in djaphat palmes, ramus palmae, djoofe plantare, djohe plantatio zusammen. Das bisher gar nicht oder fälschlich seha lautirte Zeichen Cc9 schlage ich vor , aus Rücksicht auf lari ßdqig Barke , pro-

87) Dieses d gleicht im Originale einem r, cf. l und "i.

110

visorisch ial zu lautiren. In der Redensart kopt. hei e-hol exponere ist nur das letztere aus r-hunr oder rhol wörtlich usque ad fores, Hniina, (vielleicht mit baner die Palme ver- wandt, da die ältesten Holzbauten mit dem Querbalken auch in Stein nachgebildet wurden) entstanden. Hier steht das problematische Wort eiumal im Sinne von reproducere, dann im Gegensatze (oder Parallelismus?) zu retrovertere kopt. cMti cedere.

Fünfundzwanzigstes Kapitel.

lin. 12. ar VeSlir-k tat-Jc Sned-Jc (soweit reicht die Rubrik)

si dives es, pone reverentiam tui

m rech, m Jiort; äjed m utu ap in scientia, in ratione; dictum est in scripto primo:

lin. 13. an-as r-semu au mer tem äq-f

nunquam conscius est amans siguandi introitum

n vut-u suum diris.

Pagina XII.

lin. 1. m qa het-Jc tem-f äelia m ger

ne superbias corde tuo; ne id dejicias in dicendo;

saub chent-Jc

(docendo) castigato (dirigito) gressum tuum

lin. 2. uslieb-Tc djecU nnenesrf se-lier her-Jc

(et) responsum tuum; verbum praecox abigito abs te;

han-tu au nesiis-u lin. 3. nt taa-het secher-f

gubernato te; (est) gradus fervidi corde expugnat

111

an clienäu clierau maähen-f

euin(graclum)placiclu3; graditur pugnator viara suam

lin. 4. mensh ua n heni r tehu-f an

splendide : unus dies mutando ei (par est) , non

ar-nef cd nefer; unnf-Jiet: ua

transigit sibi momentuin pulchrum; laetus corde: unus

n lieru r tehu-f; an lin. 5. ger nef par; situ dies mutando ei est; non parat sibi domum ; sagit-

meli^ ma ar liemu sepi r fa; Jci tatione expleta, est ut remus relictus in terra: alius

nefeni lin. 6. au sotem n Jiet-f r lian politur. est obediens corde suo ad jubendum (de- stinatus, aptus).

Ein inhaltreiches Kapitel! Beginnen wir mit der Ueber- schrift: die beiden Arme sind offenbar tat. r-semu muss wie ein kopt. ,,ref-sum" ,,Thu-er wissen" gefasst werden. tem, mit dem rufenden Manne determinirt, erscheint ebenso Todt. 44, 4 mesd dient amenti tem ran-f odit Osiris nar- rationem (kopt. tatne) nominis tui'" cf. Herodot II 170: ai ru(ful xov ovx oOiov 7ioievi.iM . . . i^uyoqeveiv Tovvof.icc. qa, kopt. et-c'eu altus; tem prohibitio wie kopt. slvtem ne; delia, demot, dein., kopt. djoh deficere omittere, verschieden von atlm die Niederung, obwohl delia auch dem töli palea entspricht, das gerade so wie hier delia geschrieben wird. Ausserdem hat H. Goodwin^^) das Wort tUiot citirt, welches = Delta inter Canop. et Pelusiac. Nili ostium. said) hat liier , wie öfter , das Deutbild des schlagenden Mannes hinter sich, weil auch in Aegypten der Unterricht häufig

88) Cliabas Yoyage p. 305.

112

von Schlägen begleitet (,, eingebläut") wurde, und es sich hier um die „Bezwingung, Bemeisterung" handelt. nenesrt „Feuereifer" entspricht wohl hier dem kopt. nusenti prae- cox, praecursor; es ist sonst durch die Flamme^^) deter- minirt (nesel) und bildet hier ein Wortspiel mit nesutu, kopt. nusclii gradus,^") der Rang. seltey abjicere, kopt. sehr^ Wortpiel zu se-lier (eig, ,, melken" koqt. Mr) erhalten im kopt. selir haurire, und zugleich zu clicrau, kopt. cJier^ ch&r perdere, vastare. mcnsh erscheint ausserdem nur mit :^^Q^ als ein grosses, schön ausgerüstetes Schiff, Flotte. Dieser Begriff „flott" passt hier und ist vielleicht versteckt in mscli-ir praeditus oculis pulchris. wo ir = iqi iQig = dg)- ■d^aXfiog. loinf, kopt. «wo/* laetari gaudere; Jwmi remus; sejn reliquus, residuus. nee' er, kopt. roc'rec polire; mit dem Worte dep, kopt. tox^, carina erscheint es auch bei Birch Zts. 1866 p. 100 im Sinne von .,to sharpen, glätten". EndUch bildet au mit r eine Art Futurbildung, kopt. ei-e.

Achtuud zwanzigstes Kapitel.^^)

Pagina XIII.

lin. 1. ar ar-l' si n qenhe.t-u (soweit reicht die Rubnk) si es filius famuli

a-puti n hert ashat't-u affectator memoriae multitudinum :

89) Ein ähnliclier Tropus liegt in den beiden Ausdrücken mocTi, kopt. moh ardere, ustio und seref, kopt. serfe curam habere: Taci- tica 1. 9 und 27, beide Male = xtjdt/joyucwg.

90) Im Pap. Senkowski II 13, YI 9 ist der Thron deutlich hinter nes; daher auch der Lautwerth n für fi in späterer Zeit.

91) Die Kap. 26 u. 27 siehe oben zu Ptahhotep de senectute.

113

lin. 2. slied maäu 7nemm djedi-h m

exerceto disciplinam perpetuo; dictionem tuam ne

r-a lii-ina sauh lin. 3. djed-f secher-f; ponas ad latus praeceptoris, qui dicit consilium suum;

saru-u r-a-f djedt hi-ma ari; udeb sepi-Jc princeps ponit verbum ad latus socii; restat dialectus

lin. 4, r ufa't-u tua ad emendandum.

Das oben zu VII 6 erläuterte qenhet bezieht sich ur- sprünglich auf die aeg. Ecken (kohn angulus) steher d. h. Diener des Palastes; es scheint sich mit abgeschwächter Form in c'auan servus famulus erhalten zu haben (qeneh = qehen , qeven). aputi bedeutet ,,Bote {epo-ti columba) Spion, Verfolger"; vielleicht ist es auch in apatoot diligentia cura erhalten, wenn auch toot auf tot manus hinweist; denn der Stamm besteht nur in ap. Vieldeutig ist die Wurzel shed cf. Lieblein in Ztsch. 1865 p, 79 und Brugsch lex. p. 1413—1419. Hier eignen sich nur sliet petere, sliit com- parare, shote farina subacta, madu vergleiche ich dem kopt. matoii docere- mennu dem et-men perpetuus, kopt. mene quotidie. udeb, kopt. uoteb praestare, superare; im Rhind-pap. XVIII 11 wird uteh sa-f demot. durch ha m-en- so-f ,, stehend (übrig bleibend) hinter ihm" übersetzt. tit'a't wird in der Tanitica 7. 13. durch svvofxia gegeben; es könnte in dem causativen kopt. sofi emendare erhalten sein. sepi entspricht hier dem kopt. aspi lingua diäXsxzog.

Neunundzwanzigstes Kapitel,

ar Sef-k In Sepet ClieperU (soweit reicht die EubriU)

si piget te ob casum factum [1870.11. Beüage.] P

114

gesa-Jc n sa lin. 5. lii äqa-f, s-oa

et coagularis cum persona e cliametro ejus: evitato

hra-f, m secJiausu] fer ger-f-neJc

faciem ejus ; ne admoneas eam rei quam dixit tibi

lin. 6. Jieru dpi die primo.

Trotz oder gerade wegen seiner Kürze bietet dieses Kapitel manche Schwierigkeiten. Was in der Ueberschrift sept-cheperii wörtlich vix facta ,,ein gewordener Fall" genannt wird, heisst später fer, kopt. tre facere, gesa, kopt. c'es coagulatus wird auch von einer Benetzung gesagt und da

hiefür auch die Variante a_^c=E=i^ooo^ gash, kopt. c'esh

effundere eintritt, so hängt damit wohl auch kopt. c'asTie debilis impeditus eig. ,, trauernd" (fff) zusammen. äqa bedeutet ausser ,, Mitte" (uc'os dimidium) auch die Culmination der Gestirne kopt. oci finis terminus; hier ,, schnurstracks gegenüber". Die ursprüngliche Bedeutung ,, Mitte, Centrum" ist noch wahrnehmbar in at-u'cai dis-ciuctus, woraus auf ein ursprüngliches ,,cingere" geschlossen werden darf.

Dreissigstes Kapitel.

ar äa-Jc M Clieti nOC'eS-U-7c (soweit reicht die Eubnk)

si magnus es (fis) post minutias tuas

ar-lc clietu lin. 7. m cJieti gaf dp am

facis penum (post) pone penuriam, primatus ideo

m nu't reclit-nek m scliau-u cliepert-nek

in urbe tribuitur tibi (et) ob utilitates contingit tibi

lin. 8. client-u m hefa Jiet-Jc lii M-u-Jc

principatus: ne fiduciet cor tuum ob acervos tuos

115

clieper-nek r-tam-u mtfer ; aniu lin. 9. 7ia factos tibi munificentia Dei nequaquam posticus est

Jii matu-Ti cheperu-nef mati ari alter, aequalis tui; fito ei aequaliter socius.

Die Redensart „Geld machen'" anstatt „erwerben" haben wir auch im Deutschen; ich habe penus gewählt und peuuria so wie pone (= post) , um das beabsichtigte Wortspiel an- zudeuten; es hätte auch pecunia und paupertas diesen Dienst geleistet. Was ga(u)t betrifft , so hat es sich in g'ou cili- cium sowie in g'eu angustus (opp. augustus) erhalten. schau, kopt. scliau utilitas, bonum. Jcefa, kopt. c'afe fiducia. Ich habe r-tai-u, kopt. ref-ti liherahs, transscribirt ; mit Bezug auf das oben VIII 6. 10 stehende r-sopd-u könnte hier auch so gelesen und dann übersetzt werden ,;(und) dass du geworden bist zu einem Augenmerke Gottes". Statt

des Determiuativs ^ hinter matu (Wortspiel zu dem zu- nächstfolgenden 7na-ti) ist wahrscheinlich , wie oben VI 1 ^ zu corrigiren ; dann lautet die Cebersetzung : ..Gedenke

du zu werden ihm ebenfalls ein Genosse". Brugsch über- setzt dieses Kapitel so; „Weu.x du vorn(.hm geworden bist, nachdem du gering gewesen, Schätze sammelnd, nachdem du Mangel gelitten, und wenn du nun, der Erste in der Stadt, bekannt wirst wegen deiner begüterten Lage und du zu Oberst sitzest, so werde nicht übermüthig ob deines Reichthums, denn der Urheber des Segens ist Gott. Ver- achte nicht den andern, welcher ist gleich, wie du warst, er bleibt dein Nächster."

Einunddreissigstes Kapitel.

ChemS Sa-7C n Jiertep-lc (soweit reicht die Rubrik)

inclina dorsum tuum superiori tuo:

116

lin. 10. mur-k n sufen-par unn par-h

(tunc) praefectus es in regia domo; erit domus tua

men hi chetu-f qebaii-u-Jc m manens in rebus suis, cognatio tua in

lin. 11. (ment) as't ari; qesen pii atennu m Jier-tep, loco debito; periculosum est officium superioris:

dnch-tu ter n lin. 12. sefet-f an chah n qäh- degitur tempus in taedio ejus: non-curvatio in teti-

neJc-f tef m äjauiu gisse tuo eum materia fit condemnationis.

Das Wort hertep oder hi-tep, wörtlich supra Caput, ist im kopt. hit-pe superior noch vorhanden. Mit qehau ver- gleiche ich kopt. Txaplieos patruus, frater patris; hier ist es wegen r-^-^ abstract zu fassen. Wegen men^ kopt. men permanere möchte man vermuthen, dass der Sitz (Anfang von lin. 11), wie sonst öfter, men lautirt wurde, des Wortspiels wegen. Das schwierige atennu, das ich schon zu I 6 angedeutet habe, ist wahrscheinlich im kopt. Mor (aus aton, ator entstan- den) erhalten; djauiic = djaeio condemnatio; fe/" extremitas, vielleicht im Sinne von praetextus zu fassen , oder g'ef de- bitum ,, Schuld"? chah; im Semitischen 22p cavus, xvßi], sehr häufig, erscheint im kopt. nur noch als scJiaiu (scliaiv) simus ,,der mit eingebogener Nase". Ist aber der Superior ein gefährlicher Beamter für die Subalternen, so auch andere für ihn.

Pagina XIV.

lin. 1. pO'(r) saJiu-u m daur-chetu teken am-k familia lateralium in egentia rerum instat tibi

117

lin. 2, am-f se-vu-erok r sotem't-Jc; am

ne facito eum blasphemari tibi ita ut audias; ne pu n liet heqbequ lin. 3. ar rech-f-st, sis corde palpitante (occiduo); si animadvertit id, ati-f r cheni; qesen ;im n atemm m as't est rixaturus: periculum imminet potestati in loco

lin. 4. tekent

appropinquabili.

Ueber sehu mit dem Deutbilde "^ ist oben zu VIII gelegentlich des Orion-Saliu (= Osiris) die kopt. Naclifolge erwähnt worden ; dieser Stamm hat sich , wie mir scheint, in sken latus litus erhalten; das n ist Appendix, weil das Wort, cf, ad-latus = comes, gewöhnhch als präpositioueller Ausdruck verwendet wurde. Diese Bedeutung stimmt zu der von Goodwin scharfsinnig vermutheten: conterranei, conter- mini. Wegen teken vergl. man sowohl toli' appropinquare als et-tek qui adhaeret. heqbeq^ Reduplication von heq mit 7!i, kann zunächst mit lök descendere, occidit (sol) verglichen werden , wie wir ja auch sagen ,,das Herz fällt in die Hosen". Aber zugleich möchte ich an heteqtek des Todt. c. 113, ^/3 erinnert haben, wo es heisst: „sie (die Fische) zappeln unter meinen Fingern" hac' salire? atennu, oben schon mit /i^or officium zusammengestellt, ent- spricht hier demselben htor potestas, wobei es uns frei steht, das italienische podesta beizuziehen. Oben war atennu

auch noch mit M^ determinirt , hier ist nur der schlagende

Mann dahinter angebracht.

Zweiunddreissigstes Kapitel.

am-k neJl Jlime't Clirod (soweit reicht die Rubrik)

ne tu adultereris feminam filii

118

rech-nek che- lin. 5. -sf't-u r mu lii hati-f

nota est tibi repugnantia contra substantiam in sto-

an qeh n nti] m chet-f, macho proprio ; nemo refrigeratur eo , quod ex

am-f-s'ucJiu lin. 6. r art chesf-t-u

ventre suo|; ne efficiat abortum; actor repugnantiae

Cieh-f m cliet Jief-f het-f

refrigerat se postquam oppressit conscientiam suam.

Das Wort neh, kopt. noiJc adulter, moechari, so wie 7mi = maie substantia, qeh = clibob refrigerium, Tibe retri- gerare bedürfen keiner weiteren Erläuterung ; dagegen erhebt s-iiclm (mit einem ungewissen Determinativ) einige Schwierig- keit; indess steht uclie abortus zu nahe, um nicht damit identifizirt zu werden. Nur muss man vergesse das praefigirte s causativum nicht der Satz so aufgefasst werden, dass der moechus in diesem Falle schuld ist an der Fruchtabtreibung, welche geschieht, um den Familiengräuel nicht offenkundig werden zu lassen. Die drei Wörter Jiati, cliet und liet, kopt. het-s initium, principium ; chet uterus, venter; het cor mens sind schwer auseinander zu halten. Sie bilden zugleich Wortspiele mit m-chet postquam.

Dreiunddreissigstes Kapitel.

CLT t ÜT-k (»oweit reicht die Kubrik)

si desideras

lin. 7. qede)i n chenetmes m cJienen-eroh teilen

intelligentiam in cognato , ne convicieris (tibi) ap-

am-f; ar sept hnä-f uäu

propinquans ei; facito colloquium cum eo solo,

119

lin. 8. r tem't-'k men chart-u-f; zaas hna-f; m ut ne vities aestimationem ejus; agito cum eo; post

cJiet hall ushem liet-f m sept n djedt. ar ujoram mollitur cor ejus in dialecto loquelae. Si

pir mat-iief m-ta-f ar-f sepi sJiepf- apparet visum ei, ne dato eum relictum (ut) eru-

Jc hra-f lin. 10. dienet' mes-su ro-pu, m bescat te facies ejus; blanditor ei immo; ne

t'itu ho saqii m gerh-nef djedt, m

assumatur (vultus) facies severa; ne eripito ei vocem; ne

lin. 11. usheh m sept nesJia; m ua-tu erof

respondeas in dialecto censoris ; ne quid exprobretur

m Jiehu-su; an xm sept-f;

ei; ne affligas eum; nonne ho(ae)c est desertio ejus

tem II, an uh-n-tu, m scha sie infinita; non ruenda, in utilitatem haec (sunt).

Das erste Wort ^'ar, mit dem Determinativ des Pfahles und der Beine, entspricht durchaus dem kupt. for explorare „suchen" und dann „missen" cf. fal ramus ; Rosett. 1. 32 z(x xa&rjxovTu „das Erforderliche". dienen, welches im Todt. c. 125, 27, 30 d demot. durch sehur, kopt. s'Jmr male- dicere gegeben wird, steckt in sclien-heh convicia. Das vieldeutige sept hat sich erhalten in der Form aspi lingua, didXexvog (cf. SiaXäysöd^ai); chert-u = sdiaar Cie?,timsire. us- hem = usdiam conspersio. shept = schphit pudor, erubescere. Da chenefmes, ursprünglich chenmes, in scholmes = tscholmes erhalten ist, so gehört vielleicht auch clöusch blandimentum lenitas hieher. sah seJc contrahere, selcseJc coUigere, könnte

120

auch in sac'e amarus ..zusammenziehend" erhalten sein. gerli-ti golli amputare, groli iuopia, privari, deminutio. neslia statt senha? besser n se-Jia facientis cadere, hei thei (t-hei) deducere. u'a ne rebellem esse. hehti hebe luctus mit dem klagenden Vogel determinirt. lüi-n-tu, cf. uöh irruere (nicht höui Brugsch lex. p. 266).

Vierunddreissigstes Kapitel.

hef hra-k ter-n imn-h (soweit reicht die Rubrik)

luceat facies tua quamdiu vivis.

lin. 13. «>' i^er m macher n dq n a n si apparet in loco ciborum unus ex aridis cum re-

ta-u n pesesht-u

clamatione panum publicorum^^)

Pagina XV.

lin. 1. han-ti hra-f serechi pu shu m

appetitus faciei ejus significans est vacuitatem

chet-f, cheper atennu m s-ahehu

ventris ejus; fitque necessitas repulsae:

lin. 2. m ar su r teken am-h\ sechau pu n sa ne facito eum ad adoriendum te; monitum est viri

dmtu n qetu anvt chet tias (sam, nah), periti regularum eorum qui gestant scipionem.

92) Die Uebersetzung Brugsch's: ,,Ist einer herrorgekommen aus seinem (Todten-) Kasten, nachdem er er hineingegangen?" fügt sich nicht in den Zusammenhang.

121

Für lief bietet das Koptische het argentum , lief laevi- gare „blanlc machen" ; Moue mane. maclier kann aufge- fasst werden als locus inferus (chrei) oder ciborum (ehre). äq , kopt. öc' arescere , wohl auf den durch Hunger Aus- getrockneten zu deuten. (I im Sinne von ,, Zuruf" ac-

clamatio, clamor habe ich zu I ult. erläutert. atenmi = htor necessitas. s-aJiehu causat. zu ahehu, kopt. ahe iudigere. ämt, kopt. etni cognoscere. qetu, kopt. köt regula. Die Wortspiele zwischen ämhi und amf, qetu und chet legen für das Scepter die Aussprache shet sche't baculus, scipio nahe, um so mehr, als auch die nächste Ueberschrift ein shet enthält.

Fünfunddreissigstes Kapitel.

rech shet-U-h (so weit reicht die Rubrik)

scientia (sit) mercatura tua {scho-fi mercator, mente- schöt mercatura).

lin. 3. unn chef-u-Jc m ches; hat-Jc r

quum sunt res tuae in miseria, meritum tuum melius

chenefmes-u-h, hebrof pu meh-f ur su quam cognatio tua, cujus theca plena; majus id

lin. 4. r ases-u-f; su chetu Jci n

quam magnificentiae ejus; hae sunt res alterius ad

hi; achu hat nt si sa nef^ au

alterum; dignum est meritum fiUi alicujus eo; est

Jcednu nefer lin. 5. r secha intelligentia bona ad memoriam.

hehrofmit wohl versetztem Pronomen = höui theka (hovi), [1870. U. Beilage.] Q

122

Seclisunddreissigstes Kapitel.

Chesf hi-tpe Seba Jli TcednU (soweit reicht die Rubrik)

refutet superior docens cum intelligentia.

au net'ert cliau rement ha

est acritudo malum, patientia meritum.^')

lin. 6. ar sept an-as lii i-t r-a cJieper anai si casus nondum in devio est, indulgere gratiam

pu m atennu est in necessitate.

net'ert = norf terror (tyrannis) oder von obiger Bedeutung to sharpen „die Schärfe":

Siebenunddreissigstes Kapitel.

ar-Ji himet m shepent (soweit reicht die Rubrik). unnf't si ducis uxorem, ne parcior sis! gaudens

(sliepen't ist nach dem Pap. med. XIX Kargheit des Urins.)

lin. 7. hef recht n nu-u-s aus m Jiap-ui

super agnitione civium suorum est in jure bono ;

än-nes nenu m nesh-s am-ma eroTi am-s placet ei spectari; ne abigas eam; da (tibi) edere eam;

au unnf-t lin. 8. het sap-s äqa m^^) un (est) gaudens corde discernit rectum a culpa. (äqa, cf. supra. sap 6p dinumerare, judicare; un debere.)

93) Cf. Prov. XYII. 32 : Melior est patiens viro forti.

94) Es steht a wegen des unmittelbar vorangehenden a.

123

Deutsche Tebersetzung.

Kapitel 3. Vom Benehmen mit einem Vorgesetzten.

Pag. V. lin. 10. Wenn du triffst einen Gebieter in seinem (unwirschen) Augenblicke,

hn. 11. so sei zuvorkommender Gesinnung, neige deine Arme, beuge deinen Rücken ; sei nicht aufbrausenden Sinnes gegen ihn; (denn) er hätte keine Nachsicht (Geduld) mit dir. Es vernichtet dich

lin. 12. ein schlimmes Wort gründlich. Ihm entgegen zu treten in seinem (unwirschen) Augenblicke wäre ein Be- weis von Unweltläufigkeit. Ertrage mit Entsagung (Verzicht- leistung) deines Herzens

lin. 13. seine Ueberlegenheit ; bedenke, wer (was) auf (an) deinen Schultern sei; lasse erscheinen deine Klugheit ihm gegenüber;

lin. 14. rede nicht, wenn er auch noch so Schlimmes ausstösst. Mache dir zu Nutzen die Erfahrenen : (dann) geht es dir gut in Folge der Kenntniss der Vornehmen.

Kapitel 4. (Fortsetzung.)

Pag. VI. lin. 1. Wenn du triffst einen Gebieter in seinem (unwirschen) Augenblicke, so äussere nie- mals deine Herzensmeinung, nicht verrathe deine Gesinnung gegen ihn, wann er wüthet ;

hn. 2. bringe ihn zu Falle, verweise ihn auf sich selbst zurück durch Achtung : das ist mehr werth als das Aufljlitzen deiner Lcideuschafi ; kühle nicht dein Müthchen an dem, der vor dir steht: es wäre gefährlich;

124

lin. 3. die Versuchung der Heftigkeit zu thun, was dich gelüstet, unterdrücke du sie bei dem Verkehre mit den Vornehmen.

Kapitel 5. Pflichten des Ordners.

Wenn du bekleidest das Amt

lin. 4. eines Ordners, indem du zu befehlen hast über die Verhältnisse der Mengen, so suche jeden günstigen An- lass, damit dein Verfahren ein unverletzendes sei,

lin. 5. (darin); wichtig ist die Gerechtigkeit, noth- wendig und allgemein, unbestechlich seit der Epoche des Osiris. Man trete entgegen der Zügellosigkeit auf Grund der Gesetze; Zügellosigkeit

lin. 6. liegt in der Absicht des Betrügers. Soll das Schändliche sich Vorräthe erwerben? Steht nicht die (be- kannte) Todesstrafe in Kraft? Ist nicht Veranlassung dazu vorhanden, wenn einer sagt:

lin. 7. ,,Ich erbeute für mich selber", (dagegen) nicht behaupten kann: „ich erbeute auf Grund meines Rechtes"? Es ist stark die Gerechtigkeit und nothwendig das ist der Ausspruch einer väterlichen Person.

Kapitel 6.

Verbot des Schreckens.

lin. 8. ^*)Errege du mit Nichten Schrecken in den Menschen. Es weist Gott zurück ebenso, dass es Jemand gebe, der behaupte, er lebe da (unter ihnen), während

95) Chabas; N'inspire pas de terreurs aux hommes, etre hostile a Dieu, c'est la meme chose . . . . ce n'est pas la terreur de l'homme qui fait la volonte de Dieu.

125

er doch leer sei an Broden auf seines Mundes Rande dass es Jemand gebe, der genaunt werde

lin. 9. ein Reicher, während er behaupte : Ich erbeute für mich selbst als ein Schlauer dass es Jemand gebe, von dem es heisse, er schlage den Nächsten (Andern), so- bald es ihm gelinge, dieses zu thun , ohne dass jener es merkt. Ist das nicht

lin. 10. ein Schrecken (Greuel) unter den Menschen ? Aber es besteht das Gebot des Gottes der Schöpfung, lau- tend: ,,Die in Fiiedfertigkeit Lebenden mögen kommen und selbst Befehle ertheilen!"

Kapitel 7, Vom Benehmen des untergebenen.

lin. 11. Wenn du im Zustande einer Person aus den Sitzenden (Untergebenen) bist, so mache Platz einer PersönHchkeit . die wichtiger ist als du; begrüsse ihn (durch Handerfassung) niedergestreckt bis auf deine Nase;^^) beachte, wer vor dir stehe; nicht belästige ihn!

Pag. VII. lin. 1. Betrachte ihn nicht zu oft; verab- scheut wird , wer Solches thut ; nicht rede zu ihm , bis er es verlangt haben mid. Unerkennbar ist die innerliche Bosheit. Rede erst dann, wenn er es von dir wünscht. Dann ist dein Reden mehr werth, als die innerliche Güte (das Gut des Schweigens).

lin. 2. Es ist die Stellung eines Grossen , der Brode vor sich hat , so dass er , wann seine Laune ihn antreibt, austheilt nach seinem Belieben. Hingegen die Lage eines Bedürftigen erfordert . sich in ein Wesen zu verwandeln,

96) Chabas: Considere attentivement ce qui est devant toi nach Prov. XXIII, 1.

126

welches die Hände ausstreckt. Der Grosse gibt, unange- gangen von Jemand, Es ist das Essen von Broden gemäss lin. 3. der Einrichtung (Bestimmung) Gottes: vergisst man, dass seine Gnade darauf ruht?

Kapitel 8. Vom Verhalten des Knechtes.

Wenn du dich befindest im Zustande eines Knechtes, den ein Grosser an einen Grossen sendet, so handle übereinstimmend mit der Absicht des dich Sendenden; vollführe ihm seinen Auftrag, wie er ihn bezeichnet (aus- spricht) ;

lin. 4. hüte dich vor Entstellung eines Wortes, die den Grossen mit dem Grossen entzweien könnte durch Verletzung der Wahrheit; nicht überschreite dieses. Niemals erntet man eine Herzenslabung aus dem Geschwätze der Leute, gross wie klein :

lin. 5. es ist eine abscheuliche Sache.

Kapitel 9. Vom Diebstahle.

^^)Wenn du ein Pflüger bist, so binde Garben auf dem Felde, welches gelegt hat der grosse Gott in deine Hand; nicht sättige deinen Mund bei deinen Grenz- nachbaru. Gross ist der Greuel der Behauptung: ,,Es ist Jedweder gleichwie der Eigenthümer".

lin. 6. Wer da raubet, wie ein Krokodil, von dem (Gute der) Anstösser, der gereicht zur Verwerfung seinen noch

97) Chabas: Si tu cultives Terh. dans un champ . c'est Dieu qui te la donne, le grand pourvoyeur du rassassiement de ta bouche; le grand auteur des epouvantements de la voix.

127

nicht Gehörnen, zum Schimpfe und zum Vorwurfe, wenn sie erwachsen sind. Der Vater geräth in Kummer, die Mutter wird ein Kind des Todes , gänzlich anders geworden (ver- wandelt) durch (die) ein(zig)e

lin. 7. VerwandeluDg Gottes: der Herr der (jenseitigen) Landleute fordert sie auf ihn zu begleiten.

Kapitel 10. Rath für den Unglücklichen.

^^)Wenn du unglücklich bist, so schliesse dich an einen klugen Mann, (alsdann) wird dein Ruf durch- aus ein guter sein, Gott aber dir dem Geringen die Vor- standschaft zuerkennen. Sei dann nicht stolzer Gesinnung

lin. 8. gegen ihn , weil zuerkannt worden ist dir von ihm die Vorstandschaft; scheue und ehre ihn, nachdem sie dir zu Theil geworden. Niemals kommt das Vermögen von selbst; auch obliegt eine Bedingung desselben dem es Be- gehrenden. Wenn sich Jemand überhebt, so wird ihm De- müthigung gerade durch Gott, der geschaffen hat seine Blüthe ;

lin. 9. (indem) er verwirft ihn vor sich, wenn er (todt) daliegt.

Kapiteln. Von der Maasshaltung.

Sei enthaltsamer Gesinnung, so lange du lebst. Nicht thue ausschweifen in Reden, nicht verschiebe den Zeit- punkt der Bescheidung des (verlangenden) Herzens. Es ist

98) Chabas: S'il est humiliant pour toi de servir un homme sage, ta conduite sera bonne aupres de Diea, en ce qu'il sait que tu es parmi las petita; n'enorgueillis pas ton coeur contre lui.

128

eine abscheuliche Sache , den (günstigen) Augenbh'ck dafür zu versäumen ; nicht lasse entwischen die Gelegenheit,

lin. 10. die sich jeden Tag dazu bietet, nicht sei masslos im Besitze (Erwerbe) deines Hauses. Ist ja doch die Enthalt- samkeit des Herzens (selbst, an und für sich) ein Reichthum ; wer nicht am Reichthume klebt, der gewinnt einen solchen.

Kapitel 12. Vater und Sohn.

Wenn du ein kluger Mann bist, so erziehe deinen Sohn zur Gottgefälligkeit.

lin. 11. Gehorcht er, wandelt er nach deiner Regel, und sorgt er für dein Vermögen , wie es sich gebührt : so erweise ihm alle mögliche Freundlichkeit. Auch dein thö- richter Sohn ist (noch) ein Samen deines Wesens: entfremde nicht dein Herz von ihm. Sei ein Vater,

lin. 12. mache den Mahner. ^^) Ist er aber ausschwei- fend, übertritt er deine Grundsätze, schlägt er jedes Wort in den Wind, führt sein Mund böse Reden: so schlage du ihn auf seinen Mund, wie er sie gegen dich auslässt: nicht gib nach Solchem!

Pag. VIII. lin. 1. Zu einer Bindung der Hände gereicht ihm körperHche Beschäftigung: nicht gibt es Ausschweifung bei den Arbeitenden, nicht wird sie gefunden

lin. 2. bei denen, die ein Schiff rudern.

Kapitel 13. Vom Verhalten des Wächters. Wenn du weilest (als Wächter) im Palaste, so ist Stehen und Sitzen

99) Chabas: ... fils dont l'inconäuite viole les conseils paternels, meprise toute parole, dont la bouche marche en viles paroles.

129

lin. 3. mehr (zu empfehlen) als dein Umherschreiten. Binde dir die Hände am ersten Tage; entferne dich nicht (von deinem Posten) ; es wäre deine Ausschliessung.

lin. 4. Spanne dein Augenmerk auf den Eintritt des Aufsehers ; häufige Gelegenheit hat er zum Anrufen ; es geschehe die Wache

lin. 5. aufs Genaueste; das ganze Verhalten unterliegt der Wägung (Messung) durch Gott, welcher befördert die Stellung: nicht machen

lin. 6. Aufmerksame einen Stillstand.

Kapitel 14. Von den Schmeichlern.

Wenn du zusammen bist mit Menschen, welche dir erweisen vorzügliche Freundlichkeit: ,,Ziel meines Herzens,

lin. 7. Ziel meines Herzens", so spricht (denkt) nur ein Unbewanderter bei sich (in seinem Leibe), er werde jetzt selbst zu einem Gebieter: ,,der Eigenthümer setzt mich

lin. 8. in die Möglichkeit seines Planes". Es wäre gut für dich, dass du nicht ebenfalls laut sprächest: dadurch gewinnst du

lin. 9. gegenüber deinen Zunftgenossen. Ohnehin ar- beitet man dir hinter deinem Rücken entgegen (mit den Worten) : „Er ist ein Herz, welches seinem Bauche gehorcht (fröhnt); er setzt Zorn (Erbitterung)

lin. 10. an die Stelle der Liebe; sein Herz ist zer- rissen, seine Glieder zerpflückt". Es ist der Starkmüthige ein Augenmerk Gottes;

lin. 11. es ist der seinem Bauche Fröhnende der Narr (Spielball) seines Weibes.

[1870.11. Beilage.] R

130

Kapitel 15. Vom Benehmen im Rathe.

^'•*')Ein Beweis deiner Weisheit ist das Nicht-zu- Bereuen- Brauchen.

Ertheile deinen Rath im

lin. 12. Rathe deines Herrn. Wenn er sich dawider erhebt, wann er spricht; ,,Nein!" so ist es gefährlich, der Abgeber einer Meinung zu sein.

lin. 13. Das Nichterwiedern liegt in der Macht des sie Wissenden. Was den Grossen betrifft, dessen Meinung irrig ist, wenn er auffordert

lin. 14. ihn darüber zu widerlegen, und wenn er spricht ,,Ja!" so rede meinetwegen.

Kapitel 16. Vom Nachruhme.

Wenn du zu den Denkern (Dichtern?) gehörst, weit an

Pag. IX. Hn. 1. Plänen, so bilde dir nicht ein, dass du leistest etwas Grosses, dessen sich erinnern

lin. 2. die kommenden (künftigen) Tage: nicht gelangt ein Wort zu dauerndem Ruhme :

lin. 3. es taucht auf (und unter) das Krokodil (und schon) ist geschehen die Verwischung.

Kapitel 17.

Von den Pflichten des Verwalters.

Bist du Verwalter (Intendant) eines Hauses, auf dass du intendirest (dein Ohr)

100) Chabas: Ordonne ta conduite sans remords, applique ton Intention au profit de ton maitre.

131

lin. 4. dem Worte des Bittenden, so verspotte ihn nicht; dies wäre ärger als zu schlagen seinen Körper. Nicht sei schreiend

lin. 5. gegen ihn; sage ihm freundlich, was ein Weh enthält. Ermuntere sein Herz (mache ihm Muth), das aus- zuführen, wesswegen er gekommen ist. Wenn

lin. 6. Jemand verspottet Bittende , so heisst es von ihm : Das ist die Art, jenen das angreifen zu machen,

lin. 7. in dessen Betreff er nicht einmal gebeten hat. Das möge nicht geschehen ! Ein Herzensglück ist guter Ruf.

Kapitel 18. Vom Verkehre mit den (Harems-) Frauen.

*''^)Wenn du wünschest

lin. 8. zu begründen dein Ansehen in dem Weiber- gemache, zu welchem du Zutritt hast, eines Herrn, eines Bruders oder

lin. 9. eines Verwandten ; an jedem Orte, zu welchem du Zutritt hast; so hüte dich vor der Berührung der Frauen.

lin. 10. Nicht gut ist es für den Ort, wo sie sich be- findet (die Frau) ; kein Vorsichtiger wird sie verführen ; es lassen sich hinreissen

lin. 11. Tausend Männer, um zu geniessen einen kurzen traumgleich entschwindenden Augenblick. Aber man erreicht nur den Tod,

lin. 12. wenn man sie erkennt. Es ist ein schhmmer Vorsatz, ein treibender Stachel zeigt sich bei seiner Aus- führung, das Herz ver-

101) Chabas : Si tu aimes, ta conduite sera bonne, etant preservee de tout mal et gardee d'occasion de tourments.

K*

132

lin. 13. wirft ihn. Wer sich von Weibersucht über- mannen lässt, bei dem gibt es keine Möglichkeit guten Rathes mehr,

Kapitel 19. Vom Betrüge.

"Wenn du liebst

Pag. X. lin. 1. die Güte deines Gewissens, frei von aller Makel, so hüte dich vor dem Anfalle der Betrügerei.

lin. 2. Sie ist der kranke Körper eines Aufgelösten; nichts gelingt mehr dem sie (die Betrügerei) Betretenden; sie ist ein Aussatz der Väter und Mütter,

Hn. 3. nebst den Brüdern der Mutter ;'*") sie scheidet Frau und Mann: sie ist eine Verbindung aller möglichen Scheusslichkeiten,

lin. 4. ein Ausbund aller Ungebörigkeiten. Dagegen gedeiht der Älann , dessen Brust eine ehrliche ist ; wandelnd seine Furchen

lin. 5. schafft er sich einen Hausrath dadurch, während ohne Haus ist der Betrüger.

Kapitel 20. (Fortsetzung.)

Nicht sei betrügerisch im Allgemeinen

lin. 6. Nicht wüthe (n)iemals gegen deine Untergebenen;

nicht übe Betrug gegen deine Zunftgenossen. Grösser ist

die Verwünschung

lin. 7. der Verworfenheit als (die) der Härte. Ein

Nichtiger ist, wer (rücksichtslos) einschreitet (sich zeigt)

102) Chabas: La femme qui recherche l'homme (masculus) est un assemblage de toute espece d'horreurs, un sac de toute espece de fraudes.

133

gegen seine Zunftgenossen (Nachbarn) , olme sich leiten zu lassen durch das Wort; es ist sogar

lin. 8. ein Weniges von Betrug desshalb schon erzeugend Streit in Folge des (Hache-) Gelüstes der Leidenschaft.

Kapitel 21. Von der Behandlung der Ehefrau.

^''^)Wenn du klug bist und besitzest dein Haus,

lin. 9. so liebe deine Gattin in Züchten; füllend (näh- rend) ihren Leib, kleidend ihren Rücken : dies sind Erforder- nisse ihres Körpers. Die Oele (Salben)

lin. 10. derselben sind ein Zubehör ihres Wunsches, so lange du lebst: das ist ein Gebiet, welches würdig sei ihres Herrn. Sei kein Tyrann : Schmeichelei

lin. 11. beschleunigt dieselbe mehr als (rohe) Gewalt; munter ist alsdann ihr Athem , ihr Auge , welches sie (im Spiegel) schaut, macht sie wohnen

lin. 12. in deinem Hause. Dein Verweisen sie wird Ursache ihres Arbeitens mit ihren beiden Armen ; dein Zurechtweisen sie erregt ihr (Lust und) Liebe.

Kapitel 22.

Von den Dienstboten.

lin. 1. Beköstige deine Dienstboten mit dem, was dir zu Gebote steht das geschieht mit dem Beifalle Gottes. Wer es fehlen lässt an der Beköstigung seiner

103) Chabas: Si tu es sage, prends soin de ta maison, aime ton epouse dans l'intimite, nourris-la, habille sa personne: c'est le luxe de ses naembres; oins-la, rejouis-la pendant le temps de ta vie mit Verweisung auf Ecclesiast. IX, 9 : „Jouis de la vie avec la femme que tu aimes."

134

lin. 2. Dienstboten, von dem heisst es: ,,Er ist ein Wesen der Widersprüche : das Unerkennbare der Schöpfung versteht er frühzeitig; er ist ein

lin. 3, Wesen, in welchem das Wesen der Gefälligkeit verwest. Wenn eintreffen Anlässe zu Erzählungen, so spre- chen die Dienstboten:

lin. 4. ,, Kommet doch hinweg, nicht bewegt sich ein Kuchen (Kost) zu dem Dorfe", und so geht der Zugang von Dienstboten den Rückgang.

Kapitel 23. Vom Wortstreite.

lin. 5. Wolle nicht erwiedern eine Beleidigung (Schmäh- ung, sibilus) in der Rede. Dein Nichtbeachten derselben ist eine Flucht vor der Erregtheit, welche bringt

lin. 6. den Woitstreit, indem er sieht, dass er uube- beachtet bleibt, zu Falle; rede durchaus nicht; bedenke, dass dein Gegner schlau sei

lin. 7. sehr. Es steht geschrieben: Verworfen ist, wer Solches thut, wer bewirkt, dass (der Wortstreit) angenommen wird, verfällt dem Hasse,

lin. 8. wie es sich gebührt. Gedenke der Strafe (Sühne, Busse) : es ist ein Traumbild mit verschleiertem Angesichte.

Kapitel 24 (cf. c. 15). Vom Benehmen im Rathe.

Wenn du gehörst zu den Männern

lin. 9. der Klugheit, sitzend im Rathe deines Herrn, so nimm deine fünf Sinne zusammen; es ist die Klugheit deiner Rede mehr werth

135

lin. 10. als die Floskeln deines Geschwätzes; das dir Bekannte entwickele durch die Kunst

lin. 11. der Rede; nicht rede Schmähungen! Gefähr- licher ist das Wort als alle Dinge; wer es loslässt, bringt er es wieder zum Umkehren ?

Kapitel 25. Wissen ist Macht,

lin. 12. Wenn du reich (mächtig) bist, so setze dein Ansehen in das Wissen, in die Vernunft; es steht geschrieben im ersten Gebote (Buche):

lin. 13. Niemals liebt es ein Denkender zu bezeichnen seinen Eintritt durch Flüche.

Pag. XII. lin. 1. Nicht sei übermüthigen Sinnes, nicht niederträchtiger Gesinnung beim Reden; bemeistere deinen Schritt

lin. 2. (und) deine Antwort; das voreilige Wort, halt' es fern von dir ; zügele dich ; den Grad

lin. 3. eines Heissblütigen , ihn erobert der Ruhige (Sanftmüthige) ; es schreitet der Krieger seinen Weg

lin. 4. flott : aber ein einziger Tag genügt, um ihn zu verändern; nicht verbringt er einen glücklichen Augenblick; der Ausgelassene (vor Freude), ein einziger Tag genügt, ihn zu ändern. Nicht

lin. 5. erwirbt er sich ein Haus; ist das Pfeilschiessen vorüber (erfüllt) , so gleicht er einem am Lande (Ufer) zu- rückgelassenen Ruder : ein anderes wird geglättet.

lin. 6. (Aber) wer gehorsamen Sinnes ist, wird einst befehlen.

136

Kapitel 28. Vom Subalternen.

Pag. XIII. lin. 1. »o*)Bist du der Sohn eines Sub- alternen, strebend nach dem Andenken der Menge,

lin. 2. so übe das Lernen beständig. Dein Gerede, nicht setze es an die Seite deines Lehrers,

lin. 3, welcher seine (gereifte) Ueberzeugung ausspricht. Nur ein Vornehmer darf setzen ein Wort neben das seines Collegen, während deine Sprache

lin. 4. noch der Verbesserung (Entfehlerung) unterliegt.

Kapitel 29. Von der Begegnung mit Gegnern.

Hast du Verdruss wegen eines vorgekommenen Falles und stössest zusammen mit der Person

lin. 5. schnurgerade, so vermeide ihr Antlitz, erinnere sie nicht an die Sache, so sie dir gesagt

lin. 6. am ersten Tage.

Kapitel 30. Vom Emporkömmling.

i°')Wirst du gross, nachdem du klein gewesen, erwirbst du Mittel

lin. 7. nach früherer Mühsal, wird dir desshalb die Vorstandschaft in der Stadt zuerkannt und wird dir wegen Nutzeus zu Theil die Führerschaft:

104) Chabas: Si tu es fils de quelqu' un des kenbata, un her- aut de conseil de plusieurs . . .

105) Chabas : Si tu es grand, apres avoir ete petit.

137

lin. 8. so werde nicht brotzigen Sinnes ob deiner Vor- räthe, die dir geworden durch das Geschenk Gottes ; keines- wegs

lin. 9. steht zurück der Andere: er ist deines Gleichen; werde ihm wie ein Gefährte.

Kapitel 31. Von der Stellung des Oberen. Beuge(krümme)deinenRücken vor deinemOberen,

lin. 10. dann wirst du Präfekt des Königspalastes; es wird dein Haus bleiben in seinem Besitze, deine Ver- wandtschaft

lin. 11. in entsprechender Stellung. Gefährlich ist das Amt eines Oberen; man verlebt die Zeit in

lin. 12. Verabscheuung desselben: Das Nichtkrümmen bei deiner Berührung mit ihm wird Stoff zur Strafe.

Pag. XIV. lin. 1. Die Familie der Seitlichen, beim Mangel an Besitz, setzt dir zu;

lin. 2. mache sie nicht schimpfen auf dich, so dass du es hörst; sei aber auch nicht zitternden Herzens,

lin. 3. (denn) wenn sie dies merkt, bekommt sie Lust zu streiten. Gefahr droht der Amtsgewalt an

lin. 4. einem zugänglichen Posten.

Kapitel 32.

Von der Liebe.

*°^)Wolle nicht buhlen mit der Frau des Sohnes. Bekannt ist dir der Widerwille

106) Chabas: Xe frequente pas (ne stupres) la femme de quelqu' un de ta race; tu connais ce qui s'oppose ä l'eau de (ex) sa partie anterieure, pas d'ecoulement ä ce qui est, dans son ventre. [1870.11. Beilage.] S

138

lin. 5. gegen einen Stoff vom eiguen Leibe; Niemand erlabt sich an dem , was aus seinem Leibe stammt , damit er nicht etwa einen Abortus verschulde.

lin. 6. Der Thäter des Widerstrebenden erlabt sich nur, nachdem er abgestumpft hat sein Gefühl.

Kapitel 33. Behandlung der Verwandten.

Wenn du vermissest

lin. 7. Einsicht an einem Verwandten, so schmähe du ihn ja nicht, nahend ihm; halte eine Unterredung mit ihm allein (unter vier Augen),

lin. 8. auf dass du nicht schädigest seine Schätzung (in der öffentlichen Meinung) ; verhandle mit ihm : nach einer Weile wird erweicht sein Herz durch das

lin. 9. Zureden der Ermahnung. Zeigt sich, was ihm gut geschienen hat, so stelle ihn nicht verlassen hin, so dass sich vor dir schämt sein Angesicht:

lin. 10. im Gegentheile, sei zutraulich mit ihm; nicht werde (von dir) angenommen eine saure (zusammengezogene) Miene; nicht entreisse ihm die Sprache; nicht

lin. 11. antworte in der Weise eines Rügers; nichts werde ihm vorgerückt ; nicht drücke ihn nieder : wäre dies nicht

lin. 12. ein Preisgeben desselben, ein unendliches? Was nicht umzustürzen ist, das gereicht zum Nutzen.

Kapitel 34.

Von der Wohlthätigkeit.

Es leuchte (sei heiter, freundlich) dein Antlitz, so lange du lebst.

139

lin. 13. Wenn erscheint an dem Orte der Speisen einer Ton den Darbenden (Ausgetrockneten) mit dem Ansprüche an die Brode der Allgemeinheit (Almosen),

Pag. XV. lin. 1. ist die Gier seines Gesichtes eine Kund- machung der Leere in seinem Bauche und entsteht die Noth- wendigkeit einer Zurückweisung :

lin. 2. so bringe ihn nicht dazu, dich anzupacken. Das ist die Warnung eines Mannes, der kundig ist des Verfahrens derer, die den Stab tragen.

Kapitel 35. Vom persönlichen Verdienste.

Das Wissen sei dein Schatz,

lin. 3. wann dein Vermögen in kläghchem Zustande ist; dein (persönliches) Verdienst steht höher als (das) deines Verwandten, dessen Kasten voll ist; grösser ist dasselbe

lin. 4. als seine Pracht; denn diese ist nur das Eigen- thum eines Anderen , (vererbt) an einen Anderen. (Aber) würdig ist eigenes Verdienst des Sohnes Jemandes für ihn: die Einsicht ist gut

lin. 5. in Bezug auf das Andenken (der Nachwelt).

Kapitel 36.

Von der Geduld und Nachsicht.

Es weise zurecht ein Oberer lehrend mit Ein- sicht. Es ist die Schärfe (zu grosse Strenge) ein Uebel, Geduld ein Verdienst.

lin. 6. Wenn ein Fall noch nicht am Vergehen (an- gelangt) ist, so wird das Gewähren lassen der Nachsicht (Gnade) zur Nothwendigkeit.

140

Kapitel 37. Von der Ausstaffirung des Weibes.

Wenn du dich beweibst, so sei nicht karg (knauserig)! Die, welche erfreut

lin. 7. herzlich die Anerkennung ihrer Mitstädter, ist in doppelt gutem Rechte. Gefällt es ihr be(tr)achtet zu werden, so Verstösse sie nicht; gewähre ihr ihren Lebens- unterhalt! Es ist die sich Erfreuende

lin. 8. herzlich, unterscheidend das Rechte vom Un- rechten.

Sitziiiigsbericlite

der

königl. bayer. Akademie der Wissenschaften.

Philosophisch-pliilologisclie Classe.

Sitzung: vom 5. November 1S70.

Herr Christ übergibt seinen Vortrag:

..üeber die Harmonik des [Manuel ßryennius und das System der byzantinischen Musik."'

Während unsere Zeit mit unermüdlicher Emsigkeit und glänzenden Erfolgen die Entwicklung der Malerei, Skulptur, Architektonik, Philosophie und der meisten Künste und \yissenschafcen durch fruchtbare wie unfruchtbare Perioden hindurch verfolgt hat. ist die Geschichte der griechischen Musik im Mittelalter fast ganz unbeachtet gebheben. Noch nicht einmal das nothwendigste Material für eine solche Geschichte ist bis jetzt beschaffen und durch den Druck den Forschern zugänglich gemacht worden. Auch in Bezug auf den lateinischen Kirchengesang des Mittelalters gibt es noch viele unaufgehellte Punkte ; aber wir haben doch schon im vorigen Jahrhundert durch den Fleiss des gelehrten Mönches [IS70.II. 3.] 17

242 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 5. November 1870.

Gerbert iu seinem Buclie Scriptores ecclesiastici de lousica sacra ein Sammelwerk der wichtigsten Quellen- schriftsteller über den lateinischen Kirchengesang erhalten. Von byzantinischen Schriftstellern ist ausser den drei Büchern lAQuoriKcc des Manuel Bryenuius, die der vielseitige Mathe- matiker Joh. Wallis i. J. 1699 in dem 3. Bande seiner Opera mathematica herausgegeben hat, meines Wissens nur ein kleines, von mir im Anhange in reinerer Form wie- derholtes Bruchstück einer iL'cdTi/.i Tayrr^ von Gerbert in seinem Werke De cantu et musica sacra a. 1774 t. II tab. VIII veröfientlicht worden. Im Uebrigen ist umn auf zerstreute ungenügende Notizen in dem QecoQr^Tr/.dr j.ieya des Chrysanthos und in dem eben erscheinenden ^Ae^i/.ov rr^g '^E?M^i'i/S^g e7./M^aiaonySg fiovar/Sg von Philoxenos ange- wiesen. Vor allem thut also ein Quellenwerk der mittel- alterlichen Schriftsteller über griechische Musik und der in den handschriftlichen Gesangbüchern befolgten musikalischen Systeme Xoth, und hoÖentlich werden die Griechen selbst es als Sache ihrer Nationalehre ansehen , die ersten und wichtigsten Bausteine zur Geschichte einer Kunst zu liefern, die sie am besten kennen und auf die sie mit gerechtem Stolz als eine der schönsten Schöpfungen ihres Geistes blicken. In diesem Quellenwerk müsste den ersten Platz das Kccrorioi' vi^g j.ioioiy.\g der Begründer des griechischen Kirchengesangs, der Meloden Joannes Damascenus und Cosmas Hierosolymitanus einnehmen, das nach Chrysanthos und Philoxenos noch in alten Handschriften erhalten sein soll, nach dem ich aber bis jetzt vergebens gefahndet habe. Auch dürfte der Herausgeber es nicht unterlassen in den Bibliotheken nachzuforschen, worauf die in den theoretischen Büchern zerstreuten Angaben über das System des Ambrosius zurückgehen , da darin der Schlüssel zur Erkenutniss der mittelalterlichen Musik zu liegen scheint. Was sonst ausser den QevjQtji/.u des Manuel Chrysaphes, Joannes Plusiadinos

Christ: Die HarmoniJc des Bryennixis. 243

und Joannes Cladas noch Aufnahme in jenem "Werke finden müsste, lässt sich erst nach Untersuchung der handschrift- lichen Schätze der Bibliotheken ermessen. Nur darauf möchte ich noch aufmerksam machen , dass eine Geschichte der byzantinischen Musik nicht bloss aus den theoretischen Büchern geschöpft werden kann; gleich wichtig, wenn nicht noch wichtiger sind die zahlreichen handschriftlichen Melo- dienbüchtr; denn so viel ist mir schon aus der Durchsicht der Handschriften der Münchener und Wiener Bibliothek klar geworden, dass die Notenschrift im Laufe der Zeiten erhebliche Veränderungen erfahren hat und dass aus den Melodienbüchern die musikalischen Systeme der verschiedenen Zeiten ermittelt werden können.

Bei dem Mangel eines solchen Quellenwerkes und der geringen Zugänghclikeit des nöthigen Materials war natürlich bis jetzt eine erschöpfende Geschichte der byzantinischen Musik und eine lichtvolle Untersuchung über die allmählich eingetretenen Umgestaltungen des ursprünglichen Systems nicht zu erwarten. Dazu kommt noch, dass das seit An- fang dieses Jahrhunderts durch die grossen Reformatoren Gregorios Protopsaltes, Churmuzios Chart ophy lax und Chry- santhos Pruses eingeführte neue System zwar die ganze Lehre der griechischen Musik wesentlich vereinfacht, aber auch das Verständniss der älteren Systeme erheblich erschwert hat. Das Erheblichste indess , was trotzdem auf diesem Gebiete geleistet worden ist, ist von Griechen ausgegangen, von denen ich die bedeutendsten Werke , das OEcoor^riy.dv fxeya tr^g iiovoi/.i^g ovviuyßbv iiep ttccoo. XQVGavd-ov iy.doO-iv de V7t6 nekoTTidov Triest 1832, die QeojQrjn/,)] /.al TtQa/.Ti/.r^ E'/.^cXriGiaGTr/.i iioior/.i^ von MargaritesConstantinopel 1851 und das ^eiiv.dv sowie das &£COQr^Tr/.oi' aror/ucodeg rTg f.iovoiy.rg des Philoxenos, Const. 1859 benützen konnte. Aber so viel wir übrigen Europäer auch aus diesen Büchern lernen können , so vermissen wir doch in denselben durchweg,

17*

244 Sitzung der lihilos.-'pliüol. Classe vom 5. November 1870.

besonders aber in den beiden letzten die selbständige Durch- arbeitung der Quellen und die nüchterne Methode der strengen Forschung. Uns ist nichts gedient mit den dutzend- weis gehäuften Exclamationen über den Zusammenhang der byzantinischen Musik mit der altgriechischen , noch weniger mit den haltlosen Versuchen, Versen des Homer und Euri- pides Melodien christlicher Troparien anzupassen. Auf einem so dunklen Gebiete muss erst geforscht, müssen erst die älteren Quellen studirt und die verbindenden Glieder bios- gelegt werden, ehe man sich leeren Ausrufungen und träu- merischen Phantasien hingeben darf. Wie wenig aber von den genannten Griechen jene Grundbedingungen erfüllt sind, möge man daraus ersehen, dass Philoxenos -//£b. p. 17 noch nicht einmal eine Kenntniss davon hat, dass Bryennius, den er in der Pariser Bibliothek versteckt wähnt, schon vor fast zwei Jahrhunderten herausgegeben worden ist , und sogar zweifelt, ob das Werk des Ptolemäus mit der alexandrinischen Bibliothek mitverbrannt sei oder noch in irgend einer Bibliothek verborgen liege. Bei solcher Unkenntniss sind natürlich verlässige Ergebnisse für die Geschichte der griech. Musik von diesen Männern nicht zu hoffen ; der Werth ihrer Bücher besteht vornehmlich nur in dem, was sie uns über die heut zu Tage geltenden Skalen , Tonarten und Musik- zeichen berichten, wobei nur sehr zu bedauern ist, dass sie sich selbst gegenseitig in vielen wichtigen Dingen wider- sprechen.

Die übrigen Europäer haben bis jetzt von der Musik der griechischen Kirche noch sehr wenig Notiz genommen; das rührt von der ganz verschiedenen Notenbezeichnung der Griechen her, in die wir uns nur mit Mühe hineinarbeiten kön- nen, und von der geringen Verbreitung neugriechischer Bücher in unseren Ländern. So findet man selbst gewiegte Musik- kenner, die keine Ahnung davon haben, dass die Melodien der griechischen Kirchenlieder fast sämmtlich in Constan-

Christ: Die Harmonik des Bryennius. 245

tinopel unter den Titeln E'iQuohöyiov, l^vaaTaaiiiaoiov, z/o^a- OTaQiov, Uavdey.Tti bereits im Drucke erschienen sind , und bedurfte es auch hier in München meiner Anregung und des stets bereiten Engegenkümmens meines verehrten Freundes, Herrn Direktors Halm, um der hiesigen Staatsbibliothek die Hauptwerke über griechische Musik zu verschaffen. Offenbar ohne Kenntniss dieser Literatur hat in unsern Tagen R. Westphal in dem ersten Bande seiner mit Rossbach gemeinsam bearbeiteten Metrik der Griechen 2. Ausg. S. 310 ff. einen wichtigen Theil der byzantinischen Musik, die Theorie des Manuel Bryennius behandelt. Wie sonst, so hat auch hier der geistvolle Forscher manches mit richtigem Blick durchschaut ; aber in der Hauptsache ist seine Darstellung ungenügend und zum Theil verfehlt, eben weil er die Mittel nicht hatte, um die Stellung des Bryennius selbst richtig beurtheilen zu können. Ganz unbrauchbar ist, was der bedeutendste der griechischen Theoretiker, Chry- santhos in seinem Qevjorjr/.ov p. 127 ff. über denselben Ge- genstand geschrieben hat; derselbe begnügt sich die Theorie des Bryennius und der ipalucrjäol einander gegenüber zu stellen, ohne auf die grossen Verschiedenheiten derselben aufmerksam zu machen und nach einem Erklärungsgrund der Abweichungen zu forschen. Ich selbst will nun im Folgen- den die von Westphal begonnenen Untersuchungen wieder aufnehmen und mit Hülfe neuen Materials berichtigen und weiterführen. Ich bin mir dabei freilich von vornherein bewusst, wie sehr ich auf die Nachsicht meiner Leser zu rechnen habe, und wie wenig ich, als ein dviQ auovaog, zu solchen Studien geschaffen bin. Aber da ich nun in den Besitz neuer Hilfsmittel gekommen bin , und eine kleine Beisteuer zur richtigen Beurtheilung jenes nicht unwichtigen Werkes liefern zu können glaube , so will ich mit meinen Bemerkungen nicht zurückhalten ; vielleicht werden dann andere auf der geschaff'enen Grundlage weiter bauen, viel-

246 Sitzung der philos.-pJiilol. Classe vom 5. Noveniber 1870.

leicht wird dann auch Westphal , der uns immer noch den zweiten Band seiner Geschichte der alten und mittelalter- lichen Musik schuldig ist, veranlasst werden, die bezeichneten Quellen durchzuarbeiten , um eine nennenswerthe Geschichte der byzantinischen Musik zu liefern.

I.

Die ToninterTalle der diatonischen Skala.

Bryennius legt im Anschluss an Ptolemäns seinen Aus- einandersetzungen ein avGTrj[.ia nevrey.aidev.ayoQdov zu Grunde, dessen einzelne Töne von ihm mit den Namen des alt- griechischen Pentekaidekachords benannt werden und in folgenden Intervallen aufeinander folgen:

7tQogka(.ißav6fXEvog

vjtaTt] VTtaTcov

i— '

TtaqvTtatrj vjtaTiov

** \ c /

hyavog VTtatcov

VTtarrj (.leacov

TtaQVTtavi] i-ieatüv

hyavog (Aaocov

t— '

7taQa(.iiG7]

TQIT)] Öl€l,evy(X8VCÜV

TtaQavr^TKj diet,evyf.iivcov

. vr^xi^ öieKEvy[j.svo)v

I— '

TQITI] VTtEQßoXaiWV

Ttaqavrfvri VTteqßohxMV . vrTTj vTteQßoXauov.

Christ: Die Harmonik des Bryennius. 247

Die Theorie der neueren Theoretiker der Griechen hin- gegen geht in der Regel von der einfachen Oktave (/ dia TiaGojv y./.luui) aus, die sieh in ihren Intervallen folgender Massen darstellt:

9 7 12 12 9 7 12

Daneben stellen aber auch sie eine Doppeloktave auf, die den Umfang aller Töne der kirchlichen Lieder nach der Höhe und der Tiefe umfasst in folgender Gestalt:

12 9 7 12 9 7 12 12 9 7 12 9 7 12

Vieles ist, was bei der Vergleichung dieser Skalen des Bryennius und der neueren Theoretiker uns auffallen muss. Vorerst sind schon die Benennungen der einzelnen Töne (cf&oyyot) verschieden. Bryennius steckt ganz in der Ter- minologie der alten Griechen , was in mehr als einer Be- ziehung unpassend ist ; denn jene altgriechischen Namen haben den Gebrauch der Saiteninstrumente zur Voraussetzung, in der griechischen Kirche werden aber bis auf den heutigen Tag die Lieder ohne jede instrumentale Begleitung vorge- tragen; sodann entwickelte sich das System des alten Pente- kaidekachords aus der Aneinanderreihung mehrerer Tetra- chorde, in dem byzantinischen Gesang spielen aber nicht die Tetrachorde, sondern die Pentachorde, woraus sich die '//./- luccKeg; -/.ara. rooybv zusammenfügen, eine Hauptrolle. Die neueren Theoretiker gehen wie die Europäer von einer Oktave aus , welche die Töne der mittleren Stimmlage von d d umfasst, und benennen die einzelnen Töne mit neuen ein- fachen Namen; dieselben repräsentiren die sieben ersten Buchstaben des griechischen Alphabetes , indem den Con- sonanten ein Vokal nachgesetzt und den Vokalen ein Con-

248 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 5. November 1870.

sonant vorausgeschickt ist, wie aus dem Druck der mass- gebenden Buchstaben in Versalschrift klar werden wird

jt ^ Bov Fa J i /.E Zio vH n ^

Diese Namen bestanden indessnoch nicht in dem 14. Jahrh., in der Zeit des ßryennius; damals waren andere längere und in ihrem Ursprung dunkle Benennungen geltend, welche von Chiysanthos 0«a»^. p. 107 aufgeführt werden; Bryennius aber hat von der Praxis der Meloden und Sänger seiner Zeit abgesehen und sich in abstruser Gelehrsamkeit der da- mals erloschenen und in jeder Beziehung unzweckmässigen Terminologie der alten Griechen angeschlossen.

Wichtiger als die Abweichung in der Benennung der Töne ist die Verschiedenheit in der Feststellung der Inter- valle; Bryennius kennt nur Ganzton- und Halbtonintervalle; er beschränkt sich also auf die Unterschiede unserer gleich- schwebenden Temperatur und die von den altgriechischen Theoretikern gewöhnlich festgehaltenen Intervalle des Toj'og und des r^i-uroviov. Die neuen Theoretiker unterscheiden schon für die diatonische Skala drei Tovoiy einen xövog [leil^tov, einen rovog IXäoocov und einen rövog eläyiovog. Jeder wird darin einen Anklang an die drei Intervallunter- schiede der natürlichen Stimmung, den grossen Ganzton, den kleinen Ganzton und den Halbton erkennen. Dieselben sind bekanntlich nicht bloss in der modernen Akustik durch Zarlin und Keppler zur allgemeinen Anerkennung gekommen, sondern finden sich auch bereits von Ptolemäus im 10. und 11. Kapitel des ersten Buches seiner Harmonik angegeben und in weitläufiger Begründung entwickelt. Ja Bryennius selbst setzt in seiner Harmonik II, 6 bei dem yavog ovv- tovov diarovov jene drei Unterschiede auseinander und be- rührt dieselben an einer späteren Stelle III, 7 kurz in fol- gender Weise : tqiojv ^lueXtov öiacfOQCJv öiaOTr]jnaTiov optcov, £| cöv Ta Tov i^QuoG(.iivov yhi] ovviotaöO^aL 7iecfv/.€, fxeyiotov

Christ: Die Harmonilc des Bryenuius. 249

Te y.ctl uEuovog '/.al e/.ayiorov , y.al rov uh' usyioTov tov o^viuTov To.rov TOV dia reooäocov erüyeiv oqEi),o\Tog, rov öi eAayJoTov tov ßa^iTUToy, tov de ueuovog tov uioov X. T. A. Aber bei der Besprechung der Tonarten und des Tetrachordenverhältuisses lässt derselbe den subtilen Unter- schied von einem grösseren und kleineren Ganzton ganz ausser Acht und geht wie die alten Theoretiker von einer Tonleiter aus, die nur Ganz- und Halbtonintervalle auf- weist. Die neueren Theoretiker der Griechen hingegen haben jene drei unterschiede als etwas wesentliches in all ihre Skalen aufgenommen und die verschiedene Grösse der drei Intervalle bestimmt in Zahlen ausgeprägt; aber gerade diese Zahlen bieten uns nun wieder neue Räthsel.

Wie man aus dem oben verzeichneten Schema sieht, geben die Griechen dem Tovog uei'lcov 12, dem Tovog ilaa- acov 9, dem Tovog e/Ayiorog 7 Einheiten. TuruaTu genannt. Die Zahl 12 ist dabei ganz willkürlich gegriffen ; man nahm eine häufig beim Mass und Gewicht vorkommende Zahl zum Ausdruck des Ganztons und bestimmte in Brüchen derselben den Werth des kleinen Ganztons und des Halbtons. Bei Feststellung jener Bruchzahlen wurde im Allgemeinen den bereits von Ptolemäus aufgestellten und bewiesenen Sätzen Rechnung getragen. Denn wie Ptolemäus I, 10 u. 11 ent- gegen den Anhängern der Lehre des Aristoxenus bewiesen hat, beträgt auch in der Skala der Neugriechen die Gesammt- zahl der Intervalle der Oktave nicht ganz 6 und die der Quarte nicht ganz 2\i Töne. Sodann lassen auch die Xeu- griechen mit Ptolemäus das Intervall des kleinsten Tones etwas mehr als die Hälfte des Ganztons betragen. Ptolemäus war dabei (I, 15) von den zwei Sätzen ausgegangen, dass sich das Quarteniatervall e:a wie 4:3, das Terzenintervall f : a wie 5 : 4 darstelle; von welchen beiden Sätzen der erste bereits von Pjthagoras gefunden, der zweite aber erst durch Archjtas (s. Ptolem. I, 13) festgestellt worden war. Danach

250 Sitzung der philos.-plulol. Classe vom 5. November 1870.

berechnete sich nun aber für das Hemitonion ein etwas grösseres Intervall als für den wirkliehen Halbtou; denn

... 1 ^.. -,. D .1 j T^ 1 ■■^. 256 1280

wahrend für diesen rythagoras das \ erhaltmss = -

■^ 243 1215

gefunden hatte (s. Westphal Metrik I, 63), berechnete sich nun für den kleinsten Ton das Intervall - Verhältniss

4 5 16 1296 p, . , , , , ,.

TT '• T = T^ = ,^, - i^ben daraus lolgte nun auch die o 4 lo 12]o

Grösse des Unterschiedes der beiden grösseren Töne. Denn

5 90

da das Intervall der grossen Terz nur = - betragen

4 64

sollte, zwei wirkliche Ganztöne aber nach den gleichfalls schon

9 9 81

von Pythagoras gefundenen Verhältnisszahlen x =

•^ ° *= 8 8 64

betrugen, so musste für den einen der Gauztöne ein gerin- gerer ^yerth angenommen werden, der sich nach den ge-

u T. •• ^59 40 10 ,

gebenen rramissen auf —:- = —-=-- berechnete, so 4 8 36 9

9 10

dass sich die beiden Ganztonintervalle wie —zu oder

.81 80 ... wie - zu - verhielten, 72 i2

Man sieht also, die neugriechischen Theoretiker haben den von Ptolemäus auf mathematischem Wege gefundenen

Sätzen Rechnung getragen; ihre Oktave beträgt oder

9g

nicht ganz 6, ihre Quarte ^ oder nicht ganz 2 ','2 Töne,

ihr kleinster Ton ist etwas grösser als der wirkliche Halb- ton, und ihre beiden Ganztöne sind niclit völlig einander gleich. Aber räthselhaft sind die für die drei Tonintervalle von ihnen aufgestellten >Yerthe. Auf welche \yeise dieselben gefunden worden, finde ich nirgends angegeben ; auch ist es ganz und gar unwahrscheinlich, dass die Griechen durch

Christ: Die Harmonik des Bryennius. 251

feine akustische Untersuchungen auf dieselben gekommen sein sollten; dagegen sprechen schon die Zahlen selbst, die vielmehr das Gepräge einer allgemeinen Abschätzung , als eines mathematischen Calcül tragen. Es werden also die Neugriechen, nachdem sie dem rovog (.leiltov 12 Tiaauza zugewiesen hatten, dem tovoq e'/M^iOzog, eben weil er nach Ptolemäus etwas mehr als ein Halbton betrug, statt 6 x^^t^^- ixara die nächst höhere Anzahl von Tu/uata oder 7 rur- /.lara gegeben haben. Dum kleinen Ganzton oder dem Tovog iXäaacov durften sie aber nicht bloss ein ruiua weniger als dem rovog i-isi^ojv beilegen ; denn hätte der kleine Gauz- ton 11 Ti-itf-iaTa, so würde die Summe der rf-uauza einer Oktave ^^/i2 oder 6 Ganztöne betragen, was den Sätzen des Ptolemäus , wie wir sahen , zuwiderläuft. Aber hätten die Griechen dem kleinen Ganzton 10 ruruaiu, was der Wahrheit näher gekommen wäre , gegeben , so wäre gegen keinen der Sätze des Ptolemäus und der Musik Verstössen worden , und es ist mir schier unerklärlich , wie sie dazu kamen dem kleinen Ganzton den so wenig entsprechenden Werth von 9 tf^r^f-iara zuzuweisen. Am meisten Wahrschein- lichkeit hat es noch, dass sie gar keine subtileren Berech- nungen anstellten , sondern höchst summarisch den rovog e?MOOcjv in die Mitte zwischen den Topog /.uucop und rovog

12-4-7 ilaywrog stellten, dann aber statt der Bruchzahl - = 9 V2

die runde Zahl 9 wählten. Jedenfalls sind jene Intervall- bestimmungen von 12.9.7 Turuata höchst ungenau, und können nur verwirrend wirken , indem sie der Vorstellung Vorschub leisten , als hätten die Griechen ganz anders ge- artete Töne als wir übrigen Europäer. In der That be- hauptet auch der bedeutendste unter den griechischen Musik- theoretikern, Chrjsanthos Oscjo. p. 9 u. 102, dass die Griechen die Skala anders sängen, als die übrigen Völker {a/J.OEd-vr]g ^ovoiY.og)^ und dass unser Halbtonintervall kleiner als das

252 Sitzung der pliilos -philol. Classe vom 5. November 1870.

Intervall des griechischen rövo^ ^Icr/jazog. sei. Aber diese Behauptung ist wohl nur eine Schlussfolgerung nus einer un- genauen Theorie, und Margarites, der von den mir bekannten griechischen Theoretikern am freiesten von Vorurtheilen ist und das beste Verständniss der griechischen und euro]iäischen Musik hat, sagt über diesen Punkt im Gecoo. p. 90 : ^Eccv t6 Xelnua tcjv '^E/.h'^viov y.al v6 r^uiroviov rwv Evqojrcuiiov rivai oXiycj {.li/.Qoreqa äno tov \8i~/mv uag eXäyjGtov, i^ avay/.rig, TtqeTteL va ^vai y.al ro did Ttaoiov e/.eivcov /.ii/.qoteqov arco 10 IdiY.ov iLiag Sid TTuacov tovto ös av vrcäqyrj ah]d^eg i] oyjj aXXoi ag eittojol xar' iue di yQiTi]v y.al tovto y.ad-cog 'Aal TOTE y.al Twoa eivai t6 avzd y.al drraQCik'kay.Tov. Zum Anschluss an die einfache Theorie der Europäer düriten aber die Neugriechen noch besonders durch die Erwägung geführt werden, dass Bryennius, ihr bedeutendster Theoretiker aus dem Mittelalter, jene Lehre von den Tmemata noch nicht kennt und sich wie die Abendländer mit der Unter- scheidung von Ganzton und Halbton begnügt; vergl. insbe- sondere II , 9 : ij iviEQoyjj , t] VTxeQlyEi 6 eTtoydoog koyog (= Tovog f.ieiuoi'), tov Ltevv(xtov (= Tovog e'/x'caooji'), iv oig ra TOiavTa 7TEQiEih]:iTai öiaOTi\uaTa, ;rai'T£hog iori Talg dxoalg dvETTuiodr^Tog.

Noch einen dritten Punkt muss ich in diesem ersten Abschnitt berühren. Bryennius benennt mit den antiken Namen die einzelnen Töae seines Pentekaidekachords , in der That aber war, wie dieses Westphal klar nachgewiesen hat, das Pentekaidekachord des Ptolemäus und des Bryennius grundverschieden. In dem des Ptolemäus folgte auf ein Ganztonintervall ein Halbtonintervall, in dem des Bryennius waren die beiden untersten Intervalle gleich; oder mit an- dern Worten, der unterste Ton des Ptolemäus ist unserem A, der unterste des Bryennius unserem G gleichzustellen. Aus der Theorie der Neugriechen und namenthch aus dem oben S. 247 mitgetheilten Schema ihres dlg öid Tiaoiov er-

Christ: Die HarmoniTc des Bryennius. 253

sehen wir aber, dass die Lehre des Bryennius ganz aus der Praxis der Meloden genommen war; diese setzten für den Vortrag der gangbarsten Melodien derjenigen Oktave, welche die Töne der mittleren Stimmlage enthielt, oben und unten drei Töne und ausserdem nach unten noch einen (fOöyyoi ■/TQOo'/Mi.ii-iai'öi.ierog zu. Aber schon längst vor Bryennius stellten die christlichen Meloden eine Doppeloktave auf, die von unserem Tone G ihren Anfang nahm. Denn die Skala des Notker (s. Gerbert Script, eccles. de mus. p. 96) E F G A B C D E F G A' B' C D' E' F'

graves finales superiores excellentes

unterschied sich von der des Bryennius nur dadurch, dass sie nach oben noch einen weiteren höheren Ton annahm. Nach dem Mönche von St. Gallen schlössen nämlich die acht Tonarten sämmtlich in den Tönen B C D E, welche davon den Namen Schlusstöne (toni finales) erhielten; dem B, dem Schlusston der ersten Tonart, entspricht aber bei den Griechen das ^a, wie dem D, dem Schlusston der 3. Tonart das ya; unter dem Schlusston der ersten Tonart setzten also die Abendländer, wie die Griechen vier tiefere Töne an E F G A = c)V /.£ Cco vi]; Bryennius hat nur aus doktrinärer Beschränktheit, um über die 15 Töne des alten Pentekaidekachords nicht hinauszugehen , wieder von der Notker'schen Skala , die gewiss , wie die ganze musikalische Theorie des Abendlandes griechischen Ursprungs war, den obersten Ton weggenommen. Aber noch mehr; auch von dem System , das der Bezeichnungsweise des Notker zu Grunde liegt, findet sich bei den Griechen eine Spur. Aus dem musikalischen Lexikon des Philoxenos ersehen wir näm- lich, dass bei der alten Weise die Skala zu singen (dqyaia Ttaqalhxyrj) der mit a bezeichnete Ton di der 5. in der Reihe war; demnach lautete die Grundoktave ehemals nicht Tta ßov ya di /.e Uo vrj ?ra, sondern vt] rta ßov ya di 'Qco VT] und stimmte so vollständig zu der von Notker mit

254 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. November 1870.

den ersten Buchstaben des Alphabets bezeichneten Grund- skala ABCDEFGA. Auch ist es nicht schwer zu ersehen, warum man von dieser Oktave ehedem ausgegangen ist ; sie war nämUch nach den lateinischen Theoretikern (s. Hucbald bei Gerbert p. 110) diejenige, in welcher sich die authentische erste Tonart zu bewegen pflegte ; in den Tönen, welche nach oben und unten zugesetzt wurden , wiederholte alsdann Notker die ersten und letzten Buchstaben jener Grundoktave.

II.

Nirgends zeigen sich in der neugriechischen Theorie mehr die Verwirrungen und Verkehrtheiten, welche ein doktrinäres Festhalten an der Terminologie der alten Griechen hervorbringt, als in der Lehre von den yiri] iiovar/.rjg. Bry- ennius unterscheidet in seiner Harmonik die drei ;'c'j'>; i.iovoi- x/~l:, das diatonische , enharmouische und chromatische Ge- schlecht, und erörtert die Bedeutung der dieoig des tqlt)]- /lWqiov und TSTccQTr^iKoioi' ganz in der Weise der altgriech- ischen Theoretiker, ohne irgendwo auch nur anzudeuten, ob jene Tongeschlechter auch noch in der Musik seiner Zeit Geltung hatten oder nicht. Auch in den theoretischen Büchern der Neugriechen kehren jene Wörter wieder, doch haben ihre Verfasser es selbst hin und wieder ausgesprochen, dass die Namen wolil dieselben seien, wie die bei den Altgriechen vorkommenden, dass sich aber mit den Namen ganz andere Begriffe verbänden.

Was zuerst die dUoig (;/ anbelangt, so steht sie in der neugriechischen Theorie im Gegensatz zur vcfeaig p und bedeutet eine Tonerhöhuug, während jene eine Tonerniedrig- ung ausdrückt. Diese beiden Zeichen drücken aber nach den neugriechischen Theoretikern nur eine Veränderung des Tonintervalles nach der Höhe und Tiefe im Allgemeinen aus; zum bestimmten Ausdruck des Grades der Erhöhung und Vertiefung stellen sie noch weitere Zeichen auf, die Ver-

f Clirist: Die Harmonik des Bryennius. 255

änderungen des Tonintervalles {diaaTt^ud) um V^ ^/-i ^^ Vs und ^;'3 Ton besagen sollen. Indem sie nun noch ihre drei Hauptintervalle von 7. 9. 12 Jun'jiaTct heranziehen, erhalten sie diaori-uaza von 3. 4. 13. 14. 18 TLu\uaTa. Jedermann muss staunen über die Feinhörigkeit einer Nation , die im Gesang Unterschiede von Vi 2 Ton heraushören will, während unsere besten Sänger und die besten Sänger des Alterthums kaum die Unterschiede von V^ Ton auszudrücken und zu unterscheiden vermögen. In der That sind aber auch jene subtilen Unterscheidungen wesentlich nur Ausgeburten einer theoretischen Spekulation, zum grössten Theil hervorgebracht durch jene falsch berechneten Grössen des grösseren, kleineren und kleinsten Tonintervalles. Auch widersprechen sich die einzelnen Theoretiker selbst und die vorurtheilsfreiesten schütteln den Kopf über die Consequenzen einer von ihnen nun einmal angenommenen Theorie; s. Margarites p. 51 An. und p. 117 An. Die älteren Theoretiker vollends wissen nichts von dieser Lehre, und unter den zahlreichen Ton- zeichen z. B. die in der im Anhange zu dieser Abhandlung abgedruckten U^a)aiy.i\ reyvrj vorkommen , findet sich weder die vcf'saig noch die dieaig und noch viel weniger das reraQ- Tr^uoQiov, TQiTi-uoQioi' etc. Höchstens liesse sich unter den Zeichen der cfd^oqu, d. i. des Uebergangs von der einen Tonart zur andern , das hurfcn'ov und i]i.iiqd^OQOv hieher ziehen. Selbst in den gedruckten Melodienbüchern finden sich die meisten Zeichen jener neueren Theoretiker nicht ; hier begegnen wir nur unter den Liedern, welche nach dem ly/og '/ , rj. a'K. y und /]/. .t^Ä. ö gehen, die Zeichen, der v(f£Gig, diiaig und die iraoLiovog qS-oocc ß. Die dUoig steht hier unter den Tönen "Ico und ßov und die vqeaig über den Tönen Si und na, um anzudeuten, dass dieselben mit äusserst schwacher Stimme gesungen werden sollen. Dieselbe Be- deutung hat das Zeichen Q, wenn es über die Töne ya oder sich gesetzt findet. Es haben also hier diese Zeichen

256 Sitzung der philos.-phüol. Glosse vom 5. November 1870.

mit der Grösse des Tonintervalls nichts zu thun , sondern beziehen sich lediglich nur auf die Intension der Stimme. Wenigstens behauptet dieses ausdrücklich Margarites p. 51: Td vd TCQoqtQOJVTCiL o\ (fd^o'/yoL Ico y.ul ßov ui dövrarov q>cüVTJv, orar vTToyqdqeTaL elg avTOig t) dUoig, Of-Wicog v.al 6 öl Tiat 6 TT«, oTav BTTiyQacfeTaL elg avTovg rj vq)€aig, aTto- ßXajTsi slg Tt]v Ttoiözryia rr^g i.ie?jtjdiag y.al oyi elg trjv nooo- Trza zov rovi'/.ov diaoTtjuarog, r^yovv e/.eivij fj adwarog (fcovi) öeiy.viei ro {.leXog oXiyov tl diäq^oqov Ttaqd clv l:rQorfi- QOVTO ol Qr]d^evTeg q^d-oyyoi cw y.ai ßov y.ul di y.al na y.ard riiV (fvar/.rp' avrcov Zcor^QOTija, to öiaöT}^ua o?.tog dev i?Mrvov- Tai narrtXcjg- wobei es jedoch zu bemerken bleibt, dass jene Zeichen iür Minderung der Intension des Tones nur bei Liedern des sogenannten yevog evaQuoviov vorkommen.

Das vierte der erwähnten Zeichen f bezieht sich aber in der That auf eine Veränderung des Tonintervalls ; zur Darlegung des Thatbestandes wird es indess nöthig sein auf das Wesen dieses sogenannten enharmonischen Tongeschlechtes der Byzantiner und Neugriechen näher einzugehen; ich thue dieses an der Hand des Margarites p. 62 ff: Von den Ton- leitern, welche auf den verschiedenen Tönen der Grundoktave errichtet werden können, haben die meisten wie

. 1 . 1/, . 1 . 1 . 1 . 1/2 . 1 .

eine natürliche Harmonie, d. h. die drei ersten Töne bilden in denselben einen Tetrachordenintervall von 2*/j Tönen. Hingegen ist die auf ya errichtete Skala

. 1 . 1 . 1 . 1/, . 1 . 1 o . 1 .

an und für sich unharmonisch, weil ihre drei ersten Ton- intervalle den Umfang von drei Ganztöuen darstellen. Um daher die Skala auf der Basis ya zu gebrauchen, muss sie

Christ: Die Harmonik des Bryennius. 257

erst harmonisch {haQf.i6viOv) gemacht werden ; wir wenden dazu unsere Transpositionsstufen an ; die Griechen setzen über die Note uu ihre cpd^ooa ei'aQi.i6viog j* , wodurch sich folgende Skahi des rjyog y oder des yivog svaq^oviov

^ ^ N -'Ol ?* K «5:l >^

1 1 \'2 1-1 1

Diese Art der Harmonisirung der Skala des fjog y bestand gewiss schon seit alter Zeit; man verwendete blos früher zur Bezeichnung derselben keine besonderen Zeichen, weil sie sich eben von selbst verstund. Interessant bleibt aber doch immer die ausdrückliche Nachricht des latein- ischen Musikers Hucbald aus dem 10, Jahrh. in Gerberts Scr. eccl. de mus. p. 114: cuius tetrachordi exempla cum per omnes modos vel tonos se frequentius offerant, tarnen praecipue in autento triti vel plagis eius ita ubique perspici possuut, ut vix aliquod melum in eis absque horum permixtione tetrachordorum synemme- nou scilicet et diezeugmeuou reperiatur; denn mit diesen Worten ist die enharmonische Skala der Byzantiner ausgedrückt, wie aus folgendem Schema deutlich erhellt :

1

Xiyapog fieaojv

l

Z=

ya

z=

öl

1

=

'/£

V2,

=

TQirrj ovvtjfxi-dvcov = 1

^W

1

=

vrj

jtaQavrviq avvr]{.i. = 1^

vri

1

=

■na

vr^T)] ovvtj^. =

7ta

X

=

ßov

/2

TQLTrj VTteQßoXaicov

=z

ya

[1870. II. 3.]

18

258 Sitzung der philos.-plülol. Classe vom 5. November 1870

Wie man aus dem Gesagten ersieht, hat das neugriech- ische y&vog h'UQi-iovLOv auf der einen Seite durchaus nichts mit dem yävog avaqi^ioviov der Altgriechen gemein , auf der anderen Seite aber auch für uns nichts befremdendes und nichts was die Aufstellung eines eigenen Tongeschlechtes zu rechtfertigen schiene. Etwas ganz eigenthümliches hingegen hat das yevog y^qcof.iaxiMv der Neugriechen ; dieses Ton- geschlecht hat in der That eine grundverschiedene Skala, die sich schwer durch ein blosses Schema darstellen lässt und deren richtiger Vortrag unseren Sängern grosse Schwie- rigkeiten bietet. Mir fällt die Darlegung ihres Wesens um so schwerer, da auch hier wieder die neugriechischen Theo- retiker bedeutend von einander abweichen. Philoxenos lässt dieselbe v.(xTd dicpwviav in folgender Weise fortschreiten :

7 12 7 12 7 12 7

Dem widerspricht aber Margarites p. 82 und 84 mit Gründen , denen wir uns um ro eher anschliessen , als sie aus einer unbefangenen Beobachtung der Praxis genommen sind. Nach ihm werden in jener chromatischen Tonleiter nur zwei Töne xe und ^a erniedrigt, alle übrigen bleiben auf der Stufe, die sie in der diatonischen Skala inne haben; bezeichnen wir demnach die beiden erniedrigten Töne nach europäischer Weise mit :n£g und y.eg, so erhalten wir folgende chromatische Grundskala

•^ S> ex _

72 •i\2- \'2 1 V2 •i'A- 'h

neben der am häufigsten die von na ausgehende zur An- wendung kommt:

72 •172- 72 1 Vi •172- 7^

Christ: Die EarmoniJ; des Bnjennius. 259

Die von uns gesetzten Intervallverhältnisse stimmen freilich nicht ganz mit den von Margarites angegebenen, da auch dieser nicht von einer Skala mit Ganz- und Halbtönen, sondern von der oben besprochenen Skala mit grösseren, kleinereu und kleinsten Tonintervallen ausgeht, wonach sich für die chromatische Grundtonkiter folgendes Schema her- ausstellt :

7 14 7 12 7 14 7

unl in der That weichen chromatische Melodien, wenn sie nach der von uns angedeuteten , einzig möglichen Trans- scriptionsweise gesungen werden , etwas von dem Charakter des griechischen Gesanges ab. Ausserdem werden noch in der zweiten chromatischen Tonleiter, ähnhch wie wir dieses bei dem enharmonischen Tongeschlecht gesehen haben, die Töne yi^ und vi]ig mit ganz schwacher Stimme gesungen (s. Margarites p. 51). etwas was hinwiederum einige Theore- tiker veranlasste, eine Minderung des Tonintervalles von einem Halbton auf einen Viertelton anzunehmen, woraus sich folgendes Schema ergab :

7 13 3 12 7 13 3

All diese in dem zweiten Abschnitt behandelten Ab- weichungen von der diatonischen Skala finden sich bei Lry- ennius nicht erwähnt , dass sie aber nichts desto weniger zu seiner Zeit schon bestanden, ist ganz unzweifelhaft, weil sie aufs engste mit dem Charakter des zweiten und dritten iyog verknüpfe sind. Ob und inwieferne sich in ihnen aber Reste der Tongeschlechter der alten Griechen erhalten haben, muss ich vorerst unerörtert lassen.

ni.

Am meisten geht Bryennius in seiner Harmonik auf die Musik seiner Zeit ein in der Lehre von den Tonarten, indem er hier in mehreren Capiteln III. 4 und 5 die Theorie der byzantinischen ]\Ieloden im Gegensatze zu den alten von ihm excerpirten Schriftstellern behandelt. Er unterscheidet also

18*

260 Sitzung der philos.-p'hüol. Classe vom 5. Novemler 1810.

in der Musik seiner Zeit acht Tonarten, i]yoL, von denen er 4 als lyoL y.vQioi und 4 als i^/oi nXa'/LOL bezeichnet. Auf- gezählt sind dieselben als vfi- ^qcozog, j;/. ÖEVTEQog, r^i. TQiTog, ly. TaraQTog, i]y. 7tX. ^QcÖTog /.. r. X. , daneben ist aber auch für jeden derselben ein altgriechischer Name angegeben. Im Anschlüsse an die Lehre des Ptolomäus unterscheidet alsdann Bryennius die einzelnen i]yoi so, dass er auf seinem Pentekaidekachonl jedem i'yog eine besondere Oktave zuweisst. Diese Oktave bemisst sich nach den Schluss- tönen (y.aTa/jßeig), in denen die Melodien der einzelnen Ton- arten zu schliessen pflegen ; es schliessen aber die Melodien entweder in der ueor^ oder in der vjtaTrj ihrer Oktave. Da- nach gewinnt Bryennius für die einzelnen ijol folgende Oktaven, die ich in der nachstehenden Tabelle durch die Töne der neugriechischen Skala unter Angabe ihrer vTiazi^ und liearj ausdrücke:

Oktave vnuTr^ uiffrj

fj. a : i-itoij j'/r/^ vnsQßoX. =: 6i - di ^) xe Tta

ry. ß' : )uyav6g uio. TtaqavrjTr] V7t. = /a - ya dt vi]

iy. y : na^VTt. i-iiö. r^ixr^ iTTEqßoX. = ßov - ßov ya tco

iy. d' : iTtaTi] (.liocoy vi]Tr] öie^. = rca - ttu ßov /.e

ly.TiX. et : Uy^. vrcäi. 7iaQ^avr[cr\ öieC. = vi] - vrj na öi

i]y. TxX. ßf : jtaqvn:. vticit. XQLXiq öiet. = tco - uo vt] ya

rj. ßaQvg : VTcavr] vtkxt. 7taQaf.ieG)] = - Lto ßov

rj. TtX. ^ : TTQoaXaußavofuevog «c(^'/ = (5t -öl /.s rca

Prüfen wir nun diese Lehre des Bryennius im Einzel- nen, so finden wir sie im Wesenthchen im Einklang mit der

1) Ich habe hier in theilweisem Anschluss an die Griechen die Töne der Hauptoktave mit ihren einfachen Namen bezeichnet, wäh- rend ich denen der oberen Oktave einen Accent beisetzte, und die der unteren unterstrich.

Christ: Die HarmoniJc des Bryemmis' 261

Theorie der Neugrieehen. Vor allem stimmen beide in der Zahl der 8 lyoi , in ihrer Benennung und in der Unter- scheidung von ijoL n'/xr/ioL und r^yoL y.vQioi überein. Einige der Musiker nach ßryennius haben zwar noch zwei weitere rjoi aufzustellen versucht, eine Abart des i]x. d' , die sie yleyerog, und eine des t]x. stA. ß', die sie Nevarcj nannten ; aber die neueren Theoretiker sind wieder zu den alten 8 rjoi, nach denen eines der bedeutendsten Gesangbücher der griechischen Kirche, die ^O/.TCJiyog, benannt ist, zurück- gekehrt. Jedoch lassen sich noch Spuren jener erweiterten Theorie von 10 (yoi in den griechischen Melodien nach- weisen, die wohl schon über die Zeit des Brvennius hinauf- reichen. Jeder i]yog wird nämlich am vollständigsten und genauesten charakterisirt durch sein ajn'jj-ua , welches als Präludium die hauptsächlichsten Töne desselben zusammen- fasst; während nun von den übrigen fyoi der Natur der Sache gemäss jeder nur ein an:ryrua hat, haben der i]y. d' und der ^x« ^^>" ß' J6 zwei CLTirfyJuuru. Ausserdem weist eine der [.laQTvQiai oder der in Buchstaben ausgedrückten

Zeichen der einzelnen Töne, nämUch die /.laorvoia '- , unver- kennbar auf den ryog Aeyerog hin ; es wird nämlich mit jener uagTigia der Ton ßov ausgedrückt , in dem die Me- lodien des iy. udeysTog zu schliessen pflegen. Wann indess jene Theorie von dem iy. AiyEXog aufkam , ist mir nicht nachweisbar, nur soviel kann ich sagen, das-s ich in den handschriftlichen Gesangbüchern , von denen ich doch eine grosse Zahl eingesehen habe, jene uagrioia noch nicht ge- funden habe ; statt ihrer erscheint als uaqrvola für ßov eine ältere, die deutlieh auf den //. ß' hinweist.

In der Hauptsache also, in der Zahl der iyoi und ihrer Benennung, stimmt Bryennius mit der Theorie der Neu- griechen überein. Auch darin weichen die Neueren nicht von ihm ab , dass sie für jeden lyog eine besondere Skala auf- stellen; aber die von Bryennius aufgestellten Oktaven er-

262 Sitzung der pliilos.-pMol. Classe vom 5. Noremlcr 1870.

regen doch vielfach uusere Bedenken, und weichen stark von denen der Neueren ab. Einmal schon ist es höchst auf- fallend, dass Bryennius für den fj^. a und //, tcI. ^ im Grunde genommen ein und dieselbe Oktave aufstellt; denn die Skalen öl— öl und di dt haben dieselbe Aufeinander- folge der Töne und unterscheiden sich nur dadurch von einander, dass die eine eine Oktave höher liegt als die an- dere; etwas ähnliches kommt in der neueren Theorie gar nicht vor, da nach ihr die Melodien des rf/. rtX.d' in dt oder Vi] schliessen und überhaupt keines Liedes Schlusston unter das tiefe Leo hinabzugehen pfltgt. Damit hängt eine zweite auffällige Erscheinung in der Oktavenvertheilung des Bryennius zusammen, dass nämlich der zweittiefste und nicht der tiefste ijog den speciellen Beinamen lyog ßaqvg hat. Bryennius (III, 4} hat diese Sonderbarkeit wohl bemerkt, er weiss sich aber gleich zu helfen, indem er auf Pythagoras und Terpander zurückgreift, denen bei einem siebensaitigen Instrument das siebente eidog rcov did Ttaocov selbstverständ- lich das tiefste gewesen sei. Aber, um von allen andern UnWahrscheinlichkeiten zu schweigen, wird schon durch das einfache Faktum , dass die ^lelodieu des ?]/. ßuQvg wirklich die tiefsten sind, jede derartige Ausflucht abgeschnitten.

Eine sehr grosse Lücke zeigt aber die Lehre des Bry- ennius ferner darin , dass sie nicht blos die Tonleiter des yivog lvciq}.ioviov, was man noch entschuldbar finden könnte, sondern selbst die des yivog yQcofiaTr/.dv unberücksichtigt lässt, während doch in der That die Melodien des ly. // und des rj^. ^tl. ß' nicht sowohl in der Höhe der beiden Schlusstöne, als in der Sonderstellung ihrer chromatischen Tonleiter ihre unterscheidende Eigenthümlichkeit haben und bei dem Conservatismus der griechischen Kirchenmusik ge- wiss auch schon in der Zeit des Bryennius hatten.

Endlich lässt sich wenigstens in den griechischen Melodien, wie sie uns jetzt vorhegen, durchaus nicht so

Christ: Die HarmoniJc des Bryennins. 263

streng der Satz durcLführen , dass dieselben regelmässig in der VTtaTT] oder /itearj der Skala ihrer Tonart schliessen. Die y.arah^^Eig , namentlich die IvTEXeig an dem Schlüsse einer Periode und die rehy.al an dem Schlüsse eines Tro- parion spielen zwar auch noch in den heutigen Lehrbüchern eine Rolle als Kennzeichen der verschiedenen rjyoi, aber nur als die am wenigsten verlä&sigen. Nur die Melodien des rj. y schliessen fast ganz regelmässig in ya, aber die des »7. a und 1 y. TcX. a bald in tt«, bald in '/£, ebenso die des yy. ßaqvg bald in ya, bald in L,io, und die des iy. jtX. 6' nur meistentheils in vr]y die Melodien des ?/. ß' und ^7. jtA. /?' können sogar in mehr als drei verschiedenen Tönen schliessen ; von den Troparien des r^/. ^ haben die nartadi/M di, die eiQf.ioXoyiy.d ßov und die OTiyi]QccQi/.a. rr« durchweg zur ßaoig und grösstentheils auch zur Hauptkatalexis. Kurzv/eg die alten 8 ^yoL mit ihren fest bestimmten Schlusstöneu haben im Laufe der Zeiten namentlich mit der Einlührung gedehnter weitgespon- nener Melodien {{.ülrj äqya oder TtunuÖLy.u) viele Umgestalt- ungen erfahren, so dass es nicht mehr möglich ist, mit Bryennius die einzelnen Tonarten durch besondere Oktaven des Pentekaidekachords zu charakterisiren. Die /.uxah\^Eig, die ßaoeig oder l'oa und die (fd^oyyoi deOTtotoviEg kommen zwar auch heut zu Tage noch bei Unterscheidung der \yoL in Betracht, aber das Hauptcharakteristikon bilden die ciTirj- yr^^uTu, und selbst diese sind, wie wir oben S. 261 gesehen haben, in zwei i]yoL nicht dieselben bei allen Melodien. Ge- schichtlich den Verlauf der Umgestaltung der einzelnen r^yoi zu verfolgen, wäre eine sehr lohnende Aufgabe; ich bin zur Lösung derselben nicht befähigt , und will mich darauf be- schränken, zwei Hauptentwicklungsperioden zu bezeichnen. Die echte und ursprünglichste Gestalt der 8 \yoL liegt uns in den lateinischen Schriftstellern des Mittelalters vor. Nach ihnen werden in der Skala (s. S. 253)

E F G A B 0 D E F G A' ß' C' D' E' F'

264 Sitzung der phnos.-jyhiJoh Gasse vom 5. November 1870.

die Töne B C D E als soui finales bezeichnet, weil in ihnen sämmtliche ^lelodien schliessen, und zwar war

B der Schlusston von tonus primus auth. und plagius

C secundus ,,

u ,, ,j ,, ,, tertius 5 5 ,, ,,

E quartus

Es hatte also immer die authentische Tonart denselben Schlusston wie die entsprechende plagale; beide Tonarten unterschieden sich nur in der Richtung, in der sich ihre Melodien von ihrem Schlusston entfernten : die authentischen sollten in der Regel nur einen , die plagalen hingegen drei Töne unter denselben herabgehen; s. Hucbald p. 116 Gerb.: unus quisque tonus autentus a suo finali usque in nouum sonum ascendit, descendit autem in sibi vi- cinum et aliquando ad semitonium vel ad tertium, plagius autem usque in quartum descendens ad quintum ascendit. Dieses Verhältniss liegt der Eintheilung der 8 Tonarten in i]yoL y.iQioi und ryoL tt/m'/iol zu Grund, dieses erklärt auch, warum bei den Griechen die //ot y.vQioi auch o^äg und die )]yoi .T/.äyioi auch ßaoels genannt wurden. Aber dieses ursprüngliche Verhältniss erlitt bald grosse Ver- änderungen, in Folge deren z. B. der //. ttA. / zum tiefsten aller //o/ ward, zu Schlusstönen ausser jenen vier B C D E noch weitere Töne G (^w) A (vi^) und F (-/.e) zugelassen wur- den , und manchmal sogar die Lieder der plagalen Tonart eine höhere Tonlage erhielten als die der entsprechenden autht-ntischen; s. Margarites § 123: o uep rrowroc l'yei rceoia- aoTeqav tv.Taoiv hrl to ßaov /.cd oKiyvnlqav erii to o5r , o de TT/Ayiog rov Ttqcorov eyei TieoLOOOTiqav ey.Tuoiv etil to o^v /.al ohycuräqav e/rl to ßaqv' und § 131 : o öeiTEQog fjog div öia- qloEL /.axa to. öiaoTr^^iaTo. tojv tovcov tl tcote arro xov jrXayiov Tov öeiTeQOv Ttuoa {.lovov /.ata. to I'gov Tr^g /.Xii^ia/.og, to otcoIov 6 uir öeiTEQog i'yei TruvxoxE o^vreqov , 6 öi Tclxtyiog tov ßaqv-

Christ: Die Harmonik des Bryeimius. 265

reQOv. Eine Epoche dieser Umgestaltung bezeugen uns die sogenannten ftaoTVQica (s. S. 261); ihre Zeichen stammen aus der Schrift des 14. oder 15. Jahrh. ,^) und bezeichnen:

Tta u. y.e als Schlusstöne des //. a u. >;/. ?rZ. a

ßov als Schlusston des rjog udäyerog u. Tjx.ß' (s. S. 26 1)

ya als Schlusston des i]x. y

öl u. V)] als Schlusstöne des )j,. d^ u. /x- ^^'- ^^

^0) als Schlusston des rjxos ßaQvg.

Aber weder zur ursprünglichen Weise der Anordnung der 8 ijoi noch zur späteren stimmt die Lehre des Bryennius, und zwar besteht die hauptsächlichste Abweichung derselben darin , dass Bryennius die ursprüngliche Aufeinanderfolge der i]xoi auf den Kopf stellt und dem ersten fjog die höchsten Schlusstöne, dem zweiten die zweithöchsten u. s. w. zuweist, statt umgekehrt den rjog d' zu oberst zu stellen. Veran- lasst war sicher diese Umkehr dadurch , dass in der That eine grosse Anzahl von Melodien des //. a in y.e und von Melodien des )]x- ö' in ßov schlössen (s. S. 263). Aber diese Umdrehung der Schlusstöne in vielen alten Liedern war doch nur eine theilweise ; Bryennius hat sie zum Princip erhoben und ist dadurch zu einem System gekommen , das dem der lateinischen Theoretiker schnurstracks zuwiderläuft.

Darin ist schliesslich noch der Grund zu suchen, wesshalb Bryennius und die neueren griechischen Theoretiker, die hierin ganz mit den alten lateinischen übereinstimmen, auf

2) Der Mangel an Typen hindert mich die Formen der fiaQZv- qUci selbst herzusetzen; indess kann sich jeder, der sich für die Sache näher interessirt, aus den theoretischen Lehrbüchern und den ge- druckten wie handschriftlichen Melodienbüchern von der Wahrheit des Gesagten überzeugen. Philoxeuos will zwar in jenen uaonoiui Beste der altgriechischen Noten und z. B. in der fiagTigicc für ncc : 9 ein halbes griechisches cp wiederfinden , aber das sind eitle Phan- tastereien.

266 Sitzung der lihüos.-philol. Classe vom 5. November 1870.

ganz verschiedene Weise die einzelnen ijoi mit altgriechischen Namen benennen. Das Faktum wird zunächst aus folgender Tabelle erhellen :

Bryennius Neugriechen u. Lateiner

r^/. a vTxeQf.ii^o'kvdiog rorog öcoQiog rovog

TjX- ß' fiiBolvöiog X. (pQvyiog r. ^)

ryi. y Xvöiog r. Xidiog %.

7%. (5 (fQvyiog t. ^i^olvdiog r.

r^x. ttX. a dcoQiog r. VTXoöcooiog r.

?/. jrX. ß' vTTo'/adiog t. vrtoqQvyiog t.

]y/, ßciQvg VTtocfQvyiog r. VTCoXidiog r.

IX. ttX. ö' i.rodc'jQiog r. v7tof.ii^oXvdiog r.

Unrichtig sind beide üebertragungeu der altgriechischen Namen auf die byzantinischen lyoi, da sie beide von einem Pentekaidekachord ausgehen , das von dem altgriechischen verschieden war (s. S. 252), in Folge dessen eine durch- gängige Verschiebung eintrat und die phrygische Tonart den Namen dorisch, die dorische den Namen phrygisch u. s. w, erhielt (s. Westphal Metrik I. 269). Insbesondere weicht aber hinwiederum Bryennius von Hucbald und den neu- griechischen Theoretikern ab, weil er dem ^x- ^^- "> Huc- bald dem tonus primus autheutus 7ta zur VTtdzr] gibt und ebenso Si bei Bryennius als tvrar/y des r;x- ß j bei Hucbald hingegen als vttccti^ des tonus quartus authentus figurirt. Demnach lässt sich der Hauptunterschied der Lehre der lateinischen Musiker und des Bryennius dahin zusammen- fassen, dass jene ttu ßov ya di, dieser /.e öl ya ßov als die Hauptschlusstöne der vier Tonarten aufstellten.

3) Irrthümlich kehren Philoxenos und Margaritea die Ordnung um und nennen den zweiten »j/o? XvSiog und den dritten cpQvyios'^ aber siehe Hucbald p. 139 Gerb.

Christ: Die RarmornJc des Bryennius. 267

Beilage.

Im Anhange theile ich noch den Text einer li^alzi/.) rixvrj mit, die ich mir unlängst bei meinem Aufenthalte in Wien aus einer Handschrift der dortigen Hofbibliothek, cod. phil. n. 194 chartaceus s. XV, abgeschrieben habe. Dieselbe ist bereits von Gerbert in seiner Musica sacra t. n tab. VHI aus einer inzwischen verbrannten Hand- schrift des Klosters St. ßlasii veröfifentlicht worden und zwar mitsammt den Noten. Neben jener Publikation ■wird aber doch mein Textesabdruck des wichtigen Stückes byzantinischer Musiktheorie nicht unnütz erscheinen , da ich den Text an vielen Stelleu vervollständigt und ver- bessert habe. Die in der Handschrift selbst so genannte ipa?.Ti/,t] Teyvr^ begreift den ersten Theil und enthält eine magere Aufzählung der in der Musik damals gebrauchten Zeichen mit Angabe ihres Werthes und ihrer Zusammen- setzung. Die beiden folgenden Theile enthalten Melodien über die bekanntesten Zeichen, die eine von %jdryi]g D.i/.iq, die andere von ^hoavvr^q Koiy.ov^e/.i]g. Ausserdem stehen noch in der genannten Handschrift die ärciy/j uara der einzelnen \'/oi, deren Abdruck ohne die Noten jedoch keinen Sinn gehabt hätte.

T.

^oyi] övv i/ecj ayuj tcov Gr^uaöuoy rr^g ipa'/.Tr/.rg riyyr^g xdv re uvlÖvvcjv /.cd /.aziovrcov, Gojuavojv re /.cd 7ri'£Vf.iaTcn' y.al Tcäorg yeioovouiccg y.at dy.oXovd-lag ovite- d'Eiuivr^g elg aitip ttccou rtov y.cau y.aiqoig avadeiyd-hTcov TtoiriTÖJv Tta/Micüv re y.al veojv.

268 Sitzung der philos.-iihihl. Classe vom 5. November 1870.

-A^yj\ jnior] TiXog zcd ovorrj}.ia TTavrcov tojv Gr^f^iadicov TO Yoov iorr xcoQig yaq tovtov ov y.aToqd^ovrai cpcov/' keyszai di acpcovov ovy üti q)Cüv^v or/. eyer (fcovdrai [liv, Ol (.lETQeirai Sa' dicc fxsv Ttaorß rrjg iGorrjTog ipcdlerai to iGov , Sia di Ttuofjg rrjg araßaaecog t6 oXiyov, öiä de ftaarjg zr^g y.avaßdoEOjg i djtoaTQOcpog.

loov, oliyov, o^ela, Tceraa&r^, '/.ovcpiGf-ta , TtekaGd^ov, y.avTrif.ia, ovo y.evTr /.lara, viprjXrj, ^) (XTtoGTQOcpog, ovo ctTto- arqo(poL, GwöeG/iWi, eXaq^qov , yaf.ir]Xrj, aTtOQQOi), v.QCiri]i.io- VTCoqqoov ' xovrcuv xd /itiv eIgI ocüf-iara , zd di ^vevi-iara' '/.al Gcofiara f-iiv eiol to oXiyov, ij o^ela, r ^rreraGd-rj, ro '/.oicpiGi-ia, TO TTsXuGiyov v.al rd ovo '/.Evx{]\.iaxa ^ '/.al y.a- Xiovxa o aTiooxQorpog /.al ol ovo GvvdEGf.iOi' elgI di '/.al nvEifiaxa xaGGaqa, dviövxa f.iiv xo '/.avxr^iiia '/.al Vj vüir^h\ TiatLOVxa di xo iXa(fqdv -/.al 1^] yaiir^.r^ tj aTtOQQorj di ovxe Gtoj-ia ioxlv ovxe 7TV£V[.ta dlXd xov cpdQQvyog Gvvro- fiog y.ipr]Gig' eypvGL di cfcovdg xo oliyov a, rj o'^euc a', Tj TTExaGd^r^ a , xo ■/ovq'iGua a', xo TCElaG&ov a , xo '/äv- rtj/ua jS', xd dvo '/.Evxt^f.iaxa a, tj vipi^Xi] di , r^ dTioGxqocpog a' , '/al o\ dvo aTtoGXQOcpoi a , xo eXacfQov ß', /' dicoQQor ßf, ij ya/ur^h] d' , xo '/gaxrjixov/ioQQOOv ßf ' iv xovxoig xo~ig orii-iadioig dviQyExai /al /axäoyExai itaGa tj {.lahodia x^g xpalxi'/r^g xayyvfi.

Td di ^iEya?.a Gru-iddia xd acpiova, axiva Xayovxai f^Eyalai vrcoGxdGEig, eIgI xavxa: I'gov, di7tXrj, Tcaqa/Xrjxi/TJ, v.Qaxi]fxa, '/vXiGfj.a, dvxL/.Evo-/vXiGf.ia, XQOim/dv, i^iGTqE/txöv, ^) TQOi.u'/OGvvayfia, ^ir]g'iGxdv, iprjCpiGxoGvvayf-ia, yogyov, dgyov, GxavQog, dvvi'/ävioua, 0{.iaXdv, d^Ef-iaxiGf-iog tGco, axEQOg a'^co, ETtäyEQi-ia, TTa^a'/aXeGf-ia, axEQOv ^) , ^r^qov, '/XdGf.ia, dqyoGvv-

4) vipr/Xi] Gerbert: ipi^tj hie et infra cod. Vind.

5) ixTiJtnroy Gerbert.

6J exsfjoi' TC((Q((xn7^iafxc( Gerbert.

Christ: Die Harinonik des Bryennins. 269

dsTov, -/ooyoovvd^ETOv , ireoov tov il'a).Tr/.ov , ovoüvioua, aTTodeoLia , d-eg v.ai aj-todsg, O^iua arr'/.ovi' , yogeiucc, ilirj- (fiororrccoa'/.d?.€aua, TQOur/.orraQa/.a/^oua , rtiaoua, oüoLia, oirayua, Evaotig, ßaoEia y.cd ?.iyiGua.

Elal da v.ai ai q&ooal rwr iy/cjv airai: q&oqu tov ■TQCOTOv, TOV öevTagov , tov tqitov , tov TSTagTov , tov jt'/jxyiov öevTagov''), tov vevavov, ruicfxovov xat r^ulcfd-OQOv, (fdooa TOV Tthayiov ßaoaog y.al tov rcLayiov TeTUOTOv. ^)

^l diioioai (foral ayovoiv oiTcog

a\ -/.anoLOai qvn'cd ayovGiv ovrcog

ai aviovaai uerrd röjv y.utiovoojv ayovGiv ovTcog

at ai'iovGai o?xii VTtOTuoGovTai vtto tcjv y.aTiövTcov , /.iql- svovTai y.al irto tov ^lgov ovTiog /.. r. /,

II.

D.vxeog uu.og nar,! 0}]Liadiün'.

^'Igov, oJ.iyov, oiaia, rraqa/.'/.r^Ti/.i] lieto. urtoGTooqov, TtETaGd-Tp öiTT/S^, y.qaTr^Lia, y.ovqiGuu, y.QaTruo/.oig:io/xa.

in. 9)

^lüjayyov tov Kovy.ovZt'/.rj uelog rraQL aj]uafJLU)v.

Td Gr,uudia yeiooroui/.d li'a'/.Tr/.d /.ax lyyov uerd rta- Gig yßiooroLiiag y.al Givd-eGecjg 7T0ü]d^avTu ^raqd y.vQiov ^Icüdvrov f.idiGTOQog tov Kovy.ovLeXrj.

7) ante hoc comma commemoratio toni plagii primi excidisse videtur, paulo post tov rT/.ayiov ßaoeog xca om. cod Tind.

8) Post TfTttoTov Gerbert ex suo codice addit: eiat Sk xal s' ^utcrtuoyfiat : to xorttiUcc; if 6in?.Tj y.cd ol 6{o ccn6atoo(foi, oi cvv- 6i(juoi TO (5i r^KXia^uu £/ci TTJy ifuiaeiay. fiaiy ovy Gr,uä6ta (fioyixd i6' dytövra xac xarioyTct.

9) Hac in parte praeter cod. Yind. phil. n. 194 usi sumus cod. Vind. theol. n. 185

270 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. November 1870.

^'loov, oXlyov, o^eia y.ai TteTaod-ij xßi diTtlt , xQdTr]f.ia, Y,Qavri^oy.axaßaöi.ia, ZQOf.iiy.dv., aTQeTZTor , -d^ig xal d/rod^sg, ■aal d^ef.iciTLOf.iog, oqd^iov^^), Gvv tovroig ovQdriGf.ia, oeiOf.ict, di'aTQiyiOf.ia , Gwayfia, 'KvXioi.ia, aTQayyvo/LiaTa, '/.QOiG{.ia, aXXov, draßaGfia y.al '/.araßauf-ia, bfxaXov, ipijq^iaro'/MtdßaGfja, 7taqc{y.dlEGi.ic(, d/roQQOr], dvTiy.ivcuf.ia, dvTiyevOY.vXiGfAa, dqyo- Gvvd-£TOv, '/.oXacpiGfiog, yovq'iGfia, XQaTrjfioyovq^iGfia, rqofiixo- TtaqaydXeGfiu xal 7TaQay.Xi]Tiy.rp Gr^Gfia ^^) xal h'reQOv, öaq- fiog TOVTO XeysTai dvzr/.ovTiGfia yoqevfta, ereqov, Ofioiov, Gvv&sGig Tov fisyaXov aGfiarog, eieqa Givd^eGig ^^) , ereQov ßi'&oyQOvd^tGfia, yXaGiiuza afKforeqa, yaiqeTiGfidg xal ßaqela öfiov, TtiaGfia, Yyadiv , o ?Jy€tai öiTtXoTteXaG&ov , -d-ifia djrXovv, zeXog Gviyr^QOv iv awiZ, ßaqvg, ezeQog ßaqvg zezQa- g'covog, avuGzafia ds za avzd Tcavza fieza ETceyeQfiazog^^), dvditavfia, Gr^fiEQOv, yoQd-fiog, öiTiXoTtezaG^ov, cpS^OQa, e'vaq- §ig, yoQyov, aqyov, y.ai TTQOGyeg fia^i^zd, TTvevfiaia ztGGaga, eTtzd q^tovai, dijrXaGfidg y.ai ZQia y.Qan'^fiaza evreyvcZg gvvze- ■d^evza yraqd ^Icodvrov zov Kov/.oiLeXrj y.ai fia'iGzoQog.

10) o()S-iov cod. Yind. 185: oq&qiov cod. Vind. 194

11) an avQfi«?

12) post avvd-saig addit Gerbert : i's uvrwv vka

13) post iTieyegfiatog addit Gerbert: aravQog.

Herr Hofmann hielt einen Vortrag;

1) j.Ueber die Sage des Apollonius von Tyrus im

Jourdain de Blayes", erscheint später;

2) über ein bisher unbekanntes Thierepos von

Raimundus LuHus in catalanischer Sprache."

Die Classe beschloss die Aufnahme dieser Ab- handlung in die Denkschriften.

vomBath: Der Monazit vom Laachersee. 271

Mathematisch-physikalische Classe.

Sitzung vom 5. l^Tovemlier 1870.

Der Classensecretär Herr v. Kobell theilt eine Abliand- lung des Herrn Prof. G. vom Ratli in Bonn mit:

,,üeber ein neues Vorkommen von Monazit (Turnerit) vom Laachersee."

Als es mir im April d. J. vergönnt war, die namentlich an Laacher -Vorkommnissen reiche Mineraliensammlung des Hrn. Oberpostdirektors Handtmann in Coblenz zu besich- tigen, lenkte der geehrte Besitzer meine Aufmerksamkeit auf ein Stück einer Sanidinbombe, welches in einer Druse einen 3 mm. grossen Orthit, und auf diesem auf- und eingewachsen einen 1 mm. grossen lebhaft glänzenden Krystall von oliven- grüner Farbe umschloss. Da die Bestimmung des kleinen Krystalls (welcher durch Farbe und Glanz sowohl an Chry- solith , als an eine gewisse Varietät des Sphen's , oder an die seltenere grüne Abänderung des Laacher Zirkons erinnerte) ohne eingehende Untersuchung nicht gelingen wollte , so gestattete Hr. Handtmann , dass ich zum Zwecke goniome- trischer Messung den Orthit mit dem aufgewachsenen grünen Krystalle aus der Druse abnähme. So ergab sich das uner- wartete Resultat, dass letzterer Monazit ist, ein bisher weder zu Laach noch überhaupt in vulkanischen Gesteinen beobachtetes Mineral , welches hier mit spiegelglänzenden Flächen, ganz unähnlich seinem Vorkommen als braune matt-

272 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. November 1870.

flächige Krystalle, eingewachsen in einem grauitischen Gesteine, ausgebildet ist.

Bekanntlich wies Dana auf die Aehnlichkeit der Formen des Mouazit's und des Turnerit^'s hin. und machte es dadurch wahrscheinlich, dass beide Spezien identisch sind (s. Dana, Note on the possible identitj of Turnerite with Monazite. Am. Journ. of science and arts. Vol. XLII. Nov. 1866). Die scharfsinnige Annahme Dana's bewahrheitet sich für den Laacher Krystall vollkommen. Bei der vorauszusetzenden Identität der Krystalle von Miask , von Laach , sowie vom Berge Sorel im Dauphine und aus dem Tavetsch müsste demnach einer jener beiden Namen Monazit oder Turnerit in Wegfall kommen. Dem letztern (von Levy aufgestellt 1823) steht nun allerdings vor dem Monazit (Breithaupt 1829) die Priorität zur Seite. Dennoch wird man nicht schon jetzt den Namen Monazit aufgeben dürfen, da derselbe einem chemisch sowohl wie krystallographisch bekannten Mineral angehört, während die Mischung des Turnerit's noch unerforscht ist. Wenn eine neue Analyse das Resultat der ungenügenden Versuche Children's werden berichtigt, und für das Daupbineer und Tavetscher Mineral die Zu- sammensetzung des Miasker Monazit's werden ergeben haben, dann wird allerdings die letztere Bezeichnung als Spezies- name aufgegeben werden müssen. Noch könnte sich die Frage erheben , wesshalb ich den Laacher Krystall als Mo- nazit und nicht vielmehr als Turnerit bezeichnet habe , mit welch letzterem, wie alsbald ersichtlich, die Form des neuen Erfundes vollkommen übereinstimmt. Es geschah dies mit Rücksicht auf die Thatsache , dass der Laacher Krystall (wenngleich keine chemischen Versuche mit demselben an- gestellt werden konnten) durch seine unmittelbare Ver- wachsung mit Orthit eine Gewähr bietet, dass auch er eine Cer-Verbindung ist, und hierdurch die Identität mit dem Monazit von Miask wohl ausser Zweifel gestellt wird.

vom Bath : Der Monazit vom Laachersee.

273

Die Ausbildung des Monazit's von Laach ist , wie aus den Figuren zu ersehen , eine tafelförmisre. Die Tafel wird

2t?

einerseits symmetrisch (durch M M') , andrerseits unsym- metrisch (durch X w) zugeschiirft. Die am Krystall auf- tretenden Formen sind, wenn wir die Flächenbezeichnung Kokscharow's (s. Materialien zur Mineralogie Paisslands Bd. IV, S. 1 33) beibehalten, folgende;

Positive Hemipyramide v = ( a' : b : c), P

positives Hemidoma x = (a' : c : cc h), P co

w = (a : c : 00 b), P co

e = (b : c : 00 a), (P cc)

M = (a:b:ooc), xP

a =: (a : oc b : oc c), x P x

b (b : 00 a : Qc c), (x P oc)

negatives Hemidoma

Klinodoma

Prisma

Orthopiuakoid

Klinopinakoid

Da uuser Monazit (obgleich nur eine Tafelecke der Be- obachtung frei lag, aus dem Orthitkrystall hervorragend) genauere Messungen gestattete, als die bisher bekannten Krystalle, so benutzte ich denselben, um die Axenelemenie des Minerals neu zu bestimmen, zu Grunde legend die Funda- mentalmessungen :

M : M' (über b) = 86 0 2 5' . X : M = 11 5 ° 44 ' . e : M' = 109 nS'*)

*) Dies e bezieht sich auf die oben rechts liegende, M' betrifft die hinten rechts liegende Fläche.

[1870.11. 3.] 19

274 Sitzung der ttiath.-phys. Ciasse vom 5. Novemher 1870.

Die entsprechenden Winkel werden von v. Kokscharow für den Monazit nach seinen Messungen an zwei Krystallen aus den Goldseifen der Umgegend des Flusses Sanarka und an einigen Spaltungsstücken aus dem Ilmengebirge 5,"wel- che Messungen man nicht als ganz genaue ansehen kann, weil die Krjstalle dazu untauglich waren" wie folgt angegeben:

86° 37'; 115029'; 109M1'.

Aus unsern obigen Fundamentalwinkeln berechnen sich die Axenelemente unter Voraussetzung der angegebenen Formeln für die gemessenen Flächen, wie folgt; a:b:c= 0,965886: 1:0,921697 oder = 1:1,03532:0,95425.

Die Axenschiefe (Winkel der Axen a und c vorne oben) = lOS*' 28'.

Wir stellen in folgender Tabelle neben einander unter

I die aus den Axenelementen für den Laacher Mona- zit berechneten Winkel, II die von Kokscharow für den russischen Monazit berechneten Werthe,

III die entsprechenden Winkel des Turnerit's vom Mont Sorel im Dauphiuee nach Des Cloizeaux. Die Iden- tität der Formen des Turnerit's und des Monazit's ergibt sich, wenn man die Flächen in folgender Weise vergleicht

Monazit v x w e M a b Turnerit r x u m e ob

Die angeführte Bezeichnung der Flächen des Turnerits findet man in der von mir gegebenen Beschreibung und Zeichnung des Tavetscher VorkoLumenSj Pogg. Ann. Bd. 119 S. 247—254.

vomRath: Der Monazit vom LaacTicrsee.

275

I

II

III

a

: e

1=

99^^59'

100M2'V2

lOO^O'

a

: M

=

136 47^2

136 41V2

136 48

a

: V

=

118 36 V2

118 19 1/8

a

: w

=

140 40 V2

140 44

140 40

a

: X

=

126 34

126 15

126 31

b

: e

=

131 52 1/2

131 51

131 50

b :

: M

=

133 12 V2

133 18Vs

133 12

b

: V

=

126 30 V2

126 38

126 30

e :

: M

=

125 41^2

125 55

e

: M'

=1

109 18

109 11

e :

: V

=:

141 24 V2

141 28

141 25

e ;

: w

=

126 223/4

126 31^:2

126 25

e :

: X

=

118 34 V2

118 36

118 27

M : M'

(vorne)

M : V

=

93 35 139 82,3

93 23 138 59 Vi

93 36 139 7

M

: w

=

124 19^4

124 17^2

M

: X

=

115 44

115 29

V

: X

=

143 29 V2

143 22

143 30

w

: X

=

92 45 V2

93 1

92 49

Die Vergleichung der vorstehendeu Winkel beseitigt wohl jeden Zweifel an der Identität der Krystallform des Laacher Krystalls mit dem Monazit einerseits und mit dem Turnerit andrerseits. In der That könnten Krystalle, welche aus ein und derselben Druse gebrochen wären , keine voll- kommenere Uebereinstimmung ihrer Kanten zeigen, als die Winkel der Colonnen I nnd III. Die Abweichungen, welche nach Kokscharow's Beobachtungen der Monazit zeigt, können fügUch der Unvollkommenheit der Flächen zugeschrieben werden , welche ganz genaue Messungen nicht gestatteten, um unsern Monazit in die Stellung des Turnerit's (s. Pogg. Ann. a. a. 0.) zu bringen^ mache man e zum vertikalen Prisma, a zur Basis, w zum negativen, x zum positiven

19*

276 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. Novemier 1870.

Hemidoma, M zum Klinodoma, v zur positiven Hemi- pyramide.

Wie die Krystallform , so stimmen auch die Spal- tungsrichtungen des Laacher Krystalls mit dem Monazite überein. Ein starker Lichtglanz, von innern Sprüngen her- rührend, tritt längs der Kante w:x hervor und verräth eine deutliche Spaltuugsrichtuug parallel der, als Krystallfläche nicht auftretenden Basis c, welche mit dem Orthopinakoid a den Winkel 103° 28' bildet.

Eine zweite Spaltbarkeit geht parallel der Fläche a. Ausser diesen beiden, beim Monazite bekannten, glaube ich an unserm Krystalle noch Andeutungen einer dritten Spal- tungsrichtung wahrzunehmen, parallel dem Hemidoma w.

Der Monazit war bisher nur beobachtet worden ent- weder in altplutonischen Gesteinen oder im Seifeugebirge, dessen Entstehung auf jene zurückzuführen ist. Bekannte Fundstätten sind: Granitgänge im Ilmengebirge bei Miask in Begleitung von Feldspath, Albit und Glimmer; im Granite von Schreiberhau in Schlesien mit Ytterspath, Titaneisen und Fergusonit (dies Vorkommen von Websky aufgefunden); unter ähnlichen Verhältnissen an einigen Orten der Ver- einigten Staaten und Norwegens. Ferner im Goldsande in Mecklenburg Cty, N. C. Ver. St. in Begleitung von Granat, Zirkon, Diamant ; desgleichen im Goldsande von Rio Cliico, Antioquia ; endlich in den Goldseifen in der Nähe des Flusses Sanarka im Lande der Orenburg'schen Kosaken.

Von all diesen Lagerstätten ist das neue Vorkommen des seltenen Minerals in den vulkanischen Auswürflingen des alten Kraters von Laach sehr verschieden , indem es das einzige bis jetzt bekannte vulkanische Vorkommen darstellt. Der Monazit vom Laacher See bietet nun das zweite Bei- spiel des Auftretens von cerhaltigen Mineralien in vulkanischen Bildungen dar, und lehrt uns zugleich eine bemerkenswerthe Mineralassociation kennen; indem der Orthit (der früher

vomEath: Der 2Ionazit votn Laachersee. 277

sogenannte Bucklaudit) verwachsen ist mit dem Monazit, dem Phosphate des Ceroxyds. So sehen wir, dass die früher oft mit grosser Schärfe ausgesprocheneu Gesetze über die geo- logische Verbreitung der Mineralien einen Theil ihrer AU- gemeingühigkeit veilieren. wenngleich eine bedingte Geltung ihnen stets wird erLalten bleiben. Die Cererde galt lange Zeit für beschränkt auf die ältesten, sogenannten plutonischen Bildungen der Erdrinde, sie sollte, wähnte man, nicht mehr eintreten in die Mineralien der vulkanischen Processe. Doch gelang es rcir, den Orthit wie in L:iach , so auch in den Auswürflingen des alten Vesuvkraters, des Monte Somma, und nun den Monazit in unsern so räthselhaften Laacher Sanidinblöckeu aufzufinden. Ziehen wir nun in unsere Er- wägung auch den Turnerit aus den talkigen Gneissen des Dauphinee und des Tavetschen Thals , so sehen wir durch ein und dasselbe Mineral, das Phosphat des Cer- und Lant- hanoxyds , gleichsam verbunden die drei verschiedensten geologischen Formationen, das altplutonische , das krystal- linisch-schiefrige Gebirge und die vulkanischen Bildungen.

278 Sitzung der viath.-phys. Classe vom 5. November 1870.

Zur Vorlage kommt eine Abhandlung des Herrn G um bei:

„Vergleichung der Foraminiferenfauna aus den Gosaumergeln und den Belemnitellen- Schichten der bayrischen Alpen."

Während bei den tieferen Schichtenreihen der Procän- oder Kreideformation in den Kalkalpen bezüglich ihrer Gliederung und Gleichstellung mit ausseralpinen Bildungen sich keine besonderen Schwierigkeiten ergeben , lässt sich bei den höheren oder jüngeren Ghedern dieser Formation eine gleiche Sicherheit nicht gewinnen.

Abgesehen von den noch vielfach strittigen Grenzschich- ten zwischen den tiefsten Lagen der Neocombildung und den höchsten jüngsten der Juraformationen, den sog. tithonischen Schichten, welche vermöge ihrer vermitteln- den Stellung zwischen zwei grossen Formationen manche Charaktere der einen, wie der andern in sich vereinigen und naturgemäss als wahre Uebergangsgebilde örtlich hier in- niger den ersten, dort den letztern sich anschliessen werden, herrscht in den Neocom- und Galtablagerungen in den Alpen , in J^'rankreich , England und Norddeutschland ziem- lich grosse Uebereinstimmung. In den höhereu Schichten über dem Galt zeigen sich selbst ausserhalb der Alpen be- reits manche Differenzen, die ein weiteres Auseinandertreten dieser Schichten in verschiedene Entwicklungsformen (Facies) der Ablagerungen während der jüngeren Kreidezeit andeuten. Kalk, Kreide, Mergel (Pläner) und Sandsteinbildungen treten als gleichzeitig entstandene , aber petrographisch , wie palä- ontologisch durch gewisse Eigenthümlichkeiten unterscheid-

Gümhel : Die Foraminiferenfauna etc. 279

bare Sedimente neben einander in verschiedenen, selbst benachbarten, aber ganz oder theilweise getrennten Ver- breitungsgebieten (Provinzen) hervor. Nur die relative Lagerung und das Vorkorumen gewisser charakteristischer Versteinerungen liefern in solchem Falle den sicheren Beweis, dass sie dem gleichen geognostischen Horizonte angehören. In den Alpen kannte man zwar schon längst jüngere Glieder auf den Galt- und Xeocombil düngen aufgelagert, aber über ihre Gliederung und ihre Gleichstellung mit den ausserhalb der Alpen unterschiedenen und nachgewiesenen Stufen und Schichten sind in den verschiedenen Gegenden des Alpengebiets noch sehr abweichende Ansichten ver- breitet. Man musste sich daher meist noch mit allgemeinen BezeicLuuDgsweisen begnügen. In der Schweiz hat man bis in die neueste Zeit diese jüngeren Gebilde unter dem Namen Seewen-Schichten zusammengefasst^) und in den öster- reichischen Alpen als Gosau-, Orbituliten-Schichten und Hippuritenkalk beschrieben. lu dtn bayerischen Alpen konnte ich noch eine weitere Schichtenreihe , die der Nierenthal- oder Belemnitellen-Schichten zuerst näher unterscheiden und deren Stellung über den sog. Gosau- mergeln und Hippuritenkalk, sowie die unzweifelhafte Gleichzeitigung ihrer Entstehung mit den Belemnitellen- schichten ausserhalb der Alpen, w-elche BeJemniteUa mu- cronafa als charakteristische Versteinerung enthalten , mit voller Sicherheit nachweisen. ^Yährend die Hippuriten- kalk e als solche (nicht aber die sog. Gosauschichten im Ganzen, von welchen sie nur ein Glied oder eine Einlagerung

1) Ich habe zuerst versucht (geogr. Beschr. v. Bayern IL Bd. S. 701 Rubrik: Westalpine Provinz) in den sog. Seewenschichten auf Grund paläontologischer Erfunde das Vorhandensein verschiedener Stufen nachzuweisen und ihre Gliederung in Hohenemser, eigentliche Seewener und in Sentis-Schichten festzustellen.

280 Sitzung der inath.-phys. Classe vom 5. November 1870.

ausmachen) nach übereinstimmender Annahme einem Gliede der südfranzösischen Turonstufe (Angoumien Coq.) ent- sprechen, scheint zwar auch der Hauptmasse der sog. Gosaugebilden ein gleiches Alter zuzukommen, aber es treten doch in den zu ihnen gerechneten Schichten Ver- steinerungen zu Tag, die nicht ganz mit der Annahme in Einklang zu bringen sind, dass der gesammte Schichten- complex die gleiche Stellung einnehme.

Neue Anhaltspunkte der Beurtheilung gewinnen wir, wenn die sehr weitverbreiteten OrhituUtenschicJiten beigezogen werden. Ich konnte bei der Beschreibung der geographischen Verhältnisse der bayerischen Alpen (1861) von denselben (vergl. S. 577) nicht mehr feststellen, als dass in ihnen das Vorherrschen der tieferen Schichten (der oberen Kreide- schichten) angedeutet scheine. Emmrich sprach sich zu- erst mit grosser Bestimmtheit^) für das Cenomanalter der Orbitulitengebilde der bayerischen Alpen aus unter Bezugnahme auf das Vorkommen und das Alter der Orhi- tidites concava Lm. Ich habe inzwischen Gelegenheit gehabt, die Orbituliten schichten des bayerischen Gebiets an mehreren Stellen weiter zu untersuchen und glaube mich auch von ihrer Zugehörigkeit zu der Genom anstufe über- zeugt zu haben (IL Bd. der geogn. Beschreibung von Bayern Tabelle S. 701).

Diese Orbulitenschichten reichen aber westwärts in dem bayerischen Hochgebirge nur bis zu den Algäuer Alpen, bis in die Gegend von Vils und Füssen; jenseits dieser so zu sagen haarscharfen Gränze eines Entwicklungsgebietes für die Orbituliten- und Gosauschichten tritt in den Algäuer Alpen und weiter westwärts iu dem Schweizer Gebirge eine völlig neue, und anders geartete Ablagerung ein, die sog.

2) Die Cenomane Kreide im bayerischen Gebirge von Dr. Emm- ricli 1865.

Gümbel: Die Foraminiferenfaiom etc. 281

Seewen -Schichten. Diese müssen im Ganzen als Zeit- äquivalente der ganzen jüngeren Abtheilung über dem Galt gelten, wobei die Frage, ob auch die jüngsten sog. Belemni- tellenschichten mit eingeschlossen sind, bis jetzt noch nicht be- stimmt beantwortet werden konnte. Ich habe zuerst versucht, eine gewisse constaute Theiluug dieses Schicht encomplexes in die unten liegende Seewen-Kalke und in die nach oben folgenden Seewen-Mergel in den Alg<äuer Alpen nachzu- weisen. Ziehen wir hierzu noch die Verhältnisse in Rech- nung, wie sich diese Facies in den Schweizer Alpen, nament- lich am hohen Sentis, weiter entwickelt zeigt, so ergibt sich mit grosser WahrscheinHchkeit die dreifache Theilung, wie ich sie in der oben erwähnten Tabelle S. 701 aufgestellt habe, wobei sandige, glauconitische Mergel zu tiefst gelagert mit Ammonites ManieUi und darüber der dichte, dünuschich- tige, flasrigwellige Seewen-Kalk dem Unterpläner oder der Genom an stufe, wogegen wenigstens gewisse Mergel im Gehrentubel bei Hohenems dem Mittel pläner (Turonien) als Aequivalente entsprechen. Erst in den hohen Savoyer Alpen finden sich Ablagerungen mit Belemnitellen, und diese sind es , welche die Verbindung zwischen den alpinen und südfranzösischen jüngsten Procängliedern vermitteln.

Die Gosauschichten lagern in den östlichen Alpen un- mittelbar über den Orbitulitenschichten und es ist mithin auch der Lagerung nach in üebereinstimmung mit ihrem vorherrschenden paläontologischen Charakter wenigstens für die tieferen Schichten der Gosaugebilde die Zugehörigkeit zum Mittelpläner (Craie de Touraine) als sicher ermittelt anzunehmen. Um nun bezüglich der höheren Lagen zu festeren Anhaltspunkten zu gelangen, schien es nicht ohne Interesse, da diese besonders reich an Foraminiferen sind, ihre Foraminifereufauna näher zu untersuchen und sie mit jenen der ganz sicher orientirten, jüngeren Schichten der Be- lemnitellen-Mergel zu vergleichen. Um hierbei die

282

Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. November 1870.

Einflüsse zu beseitigen , welche die örtlichen Verhältnisse von weit auseinander liegenden Fundstellen möglicher Weise auf die Fauna ausüben könnten , wurden zu dieser vergleichenden Untersuchung die Gebilde zweier zunächst liegender Fundorte, nämlich eines Gosau- mergels bei Götzreuth und eines Belemnitellenmergels aus dem nur ^/2 Wegstunde entfernten Pattenauer Stollens am Kressenberge gewählt. Die Bestimmung der Arten hat grossentheils mein Assistent C. Schwager vorgenommen. Darnach ergeben sich folgende Ver- zeichnisse:

I. Yerzeichniss^)

der

in den Gosaumergeln von Götzreuth aufgefundenen Foraminiferen -Arten.

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C 3

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Foraminiferen- Arten*)

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1) Haplophragmhmi grande JRss. .

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2) Verneuilina Bronni JRss.

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3) Gaudryina pupoides d'Orb.. .

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4) oxgcona i?5s. . . .

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5) Plecanium comdus Bss. spec. .

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6) anceps Bss. spec.

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7) Cormispira cretacea Bss. . .

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8) Glandulina elongata Bss. . .

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9) Nodosaria Zippei Bss. . . .

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3) Dieses Verzeichniss dient zugleich zur Richtigstellung der in meiner Beschreibung des bayerischen Alpengebirges S. 568 und 569 gegebenen Arten- aufzählung und soll in Bezug auf schon bekannte Arten an seine Stelle treten.

4) Bei dieser Artenzutheilung •wurden die vortrefflichen Arbeiten von Reuss als Grundlage festgehalten.

Gümbel: Die Foraminiferenfauna etc.

283

Foraminiferen-Arten

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10) conferta Bss. .

11) ohscura Piss. .

12) Dentalina Jegumen Bss. .

13) anuidata JRss.

14) suhreda Bss.

15) acideata cV Orh.

16) ,, expansa Bss. .

17) ,, fdiformis Bss.

18) Frondiciäaria Cordcii Bss.

19) angusta Nds

20) inversa Bss.

21) Proroporns compJanatus Bss

22) Margimdina olliqua Bss.

23) CHsfellaria Gosae Bss. .

24) suhalata Bss.

25) orhicidata Bss.

26) inicroptera Bss

27) Bronni Boem.

28) Globidina Jacrima Bss. .

29) Bidimina ovidum Bss.

30) Textüaria glohifera Bss.

3 1) Bolivina incrassata Bss. .

32) ., tegidata Bss.

33) Botalia umhdicata d' Orh.

34) ,, stelligera Bss.

35) ., ammonoides Bss.

36) ., marginata Bss. .

37) ,, umhonella Bss. .

38) GJohigerina cretacea d' Orh

39) Placopsüina cenomana (d'OrhPJ

Bss.

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12

284 Sitzimg der math.-phys. Classe vom 5. Novemler 1870.

Auser diesen 39 Arten finden sich noch mehrere an- dere theils nicht genau bestimmbare, theils neue, welche für diese Untersuchung nicht weiter zu berücksichtigen sind. Es sei nur erwähnt, dass von Glohulina eine, von Nodosaria eine, von Bentalina drei , von VagimiUna zwei , von Fron- dicularia eine, von Marginulina zwei, von Bulimina zwei, von jRotalia eine, von DiscorMna eine und von Glolngerina eine neue Species, von Nodosaria und Bentalina mehrere unbestimmbare Exemplare vorliegen.

Von den aufgezählten Arten gehören 4 zu jenen, welche im Ceuoman- und älteren Schichten vorkommen.

19 sind Arten des Mittelpläners (Turonschichten),

20 ,, ,, desOberpläners(Belemnitellenschichten), 16 ,, ,, der Priesener Schichten Böhmens

28 ,, ,, , welche im Oberpläner vorkommen, wenn man zu diesem die Priesener Schichten rechnet, 12 ,die in österreichischen Gosaulocalitäten

nach Reu SS sich finden, 12 ,, ,, ,die auch in den Belemnitellen-Schichten von Pattenau vorkommen. Darunter sind:

2 ausschliesslich dem Mittelpläner, dagegen 8 ausschliesslich der Belemnitellenstufe angehörige Arten.

Wie schon die einfachen Zahlen beweisen, neigt sich der Foraminiferencharakter der untersuchten Mergel ganz ent- schieden dem des Mittel- und Oberpläners zu. Rechnet man die Priesener Schichten mit zum Oberpläner und zählt dann die Arten , so würden die Species dieser oberen Ab- theilung ziemlich stark über jene des Mittelpläners vorwalten. Indess ist dieses Verhältniss nicht so stark, dass eine unbe- dingte Zugehörigkeit der fraglichen Schichten zum Oberpläner damit ausgedrückt wäre, um so weniger, als man nicht

Gümhel: Die Foraminiferenfauna etc. 285

vergessen darf, dass gerade die Fauna der obersten Schichten am vollständigsten bekannt ist und daher diese Arten ein natürliches Uebergewicht über die weniger vollständig be- kannten des Mittelpläners erlangen. Auffallen muss , dass mit den benachbarten Belemnitellenmergel nur 12 Arten übereinstimmen, gerade so viele, als mit den durch Reuss auf ihre Foraminiferen- Einschlüsse untersuchten Gosau- mergelu österreichischer Fundstellen, nämlich ebenfalls 12. Fast eben so viele Arten sind mit den übrigen Gosauschichten der bayerischen Alpen gemeinschaftlich (11). Aus diesen Zahlenverhältnissen ergibt sich daher keine grössere Verwandt- schaft mit den Belemnitellenschichten von Pattenau, als mit den übrigen Gosauschichten, ohne dass aber auch dadurch der enge Anschluss an die Schichten des Oberpläners gelockert wird. In Rücksicht auf die Lagerung der betreffenden Schichten unter dem Belemnitellenmergel scheint diese Foraminiferenfauna in der Weise gedeutet werden zu dürfen, dass sie dem sie enthaltenden Schichtencomplex eine Stellung in den oberen Lagen des Mittelpläners zuweist.

Vergleicht man im Allgemeinen das gegebene Arten- verzeichniss mit jenem , welches Reuss in der Aufzählung der Foraminiferen der westphälischen Kreideformation (Sitz. d. \Yiener Ac. d. Wiss. Bd. XL. 1860 S. 159) gegeben hat, so leuchtet auf den ersten Blick die grosse üebereinstimmung in dem Gesammttypus dieser Faunen so bestimmt hervor. dass darin . wenn es noch nöthig wäre , ein neuer Beweis geliefert ist , wie bedeutend der Beitrag ist , welchen auch die Foraminiferenfauna zur paläontologischen Charakteristik der unterscheidbaren Schichten zu leisten im Stande ist.

Dieses ist nicht weniger bestimmt aus dem Gehalte der Belemnitellenschichten von Pattenau an Foraminiferen er- sichtlich , über welchen in dem folgenden Verzeichnisse näherer Aufschluss gegeben werden soll.

286

Sitzung der math.-pJiys. Classe vom 5. November 1870.

II. T e r z e i c h n i s s 5)

der

in den Belemnitellenscliicliten von Pattenau aufgefundenen Foramini feren- Arten.

Foraminif er en- Arten

O

1

2 3 4 5 6 7 8 9

10 11 12 13 14 15 16 17 18

Haplopliragmium irreguläre Boem Gaudryina pupoides d' Orh. Gaudryina rugosa d' Orh. ap. . Plecanium canaliculatum Bss. sp

,, dentatum Älth. sp.

articulatum Bss. sp.

Cornuspira cretacea Bss. sp. . Nodosaria obscura Bss. . . .

affinis Bss. . . .

Dentalina polyphragma Bss. .

,, sulcata (Nils.) Bss.

legumen Bss. . . .

LilU Bss

Lagena apicidata Bss. . . .

Margimdina inaequalis . . .

compressa (d'Orh.)

,, hullata Bss. . .

Cristellaria harpa Bss. . . .

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6) Dieses vervollständigte Verzeichniss soll an die Stelle des in meiner Beschreibung des bayerischen Alpengebirges S. 575 gegebenen mangelhaften treten.

Gümhel: Die Foraininiferenfanna etc.

287

Foramini feren-Arten

n

19) CristeJlaria intermedia Piss.

20) rotidata Lm. sp.

21) ,, exarata Hag. .

22) Glandidina elongata Bss. .

23) pijgmaea Bss. .

24) Frondicidaria Cordai Bss. .

25) 26)

30) 31)

lanceola Bss angidosa d' Orb.

27) FlahelUna reticidata Bss. .

28) Pleiirostoynella suhiudosa Bss.

29) Bidimina Pnschi Bss. . . Fresli Bss. . . iortüis Bss. . .

32) HeterostomeUa (Sagrina) rugosa

33) Globulina lacrima Bss. . .

34) cretacea AWi. sp.

35) Dimorphina nodosaria d' Orb.

36) AUomorplnna cretacea Bss.

37) Textilaria gJohifera Bss.

38) Bolivina tegidata Bss. .

39) incrassata Bss.

40) Bidimina Murcliisoniana d'Orh

41) VaJvidina aUonwrphinoides M.

42) Botalia umhilicata d' Orh. .

43) tnargi)iata Bss. sp.

44) ,, exscidpfa Bss. sj). .

45) constricta Hag. spec

46) Discorbina convexa Bss. sp.

47) pohjraplies Bss.

48) Globigerina cretacea d' Orh.

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288 Sitzung der 7nath.-phi/s. Classe vom 5. Novemler 1870.

Unter den zahlreichen, theils neuen Arten, tlieils schlecht erhaltenen Exemplaren angehörigen Einschlüssen sind her- vorzuheben eine x\rt ähnlich Ntihecularia, eine Art Clavidina, zwei Arten Nodosarien, eine Art Dentalina, zwei Arten Cristellarien, darunter eine der C. micropfcra sehr ähnlich, eine Art Frondicularia , sehr ähnlich F. ornata Bss., eine neue Art JDimorpliina , Viihulina, Gemmidina und eine Art Botalia, sehr ähnlich i?. stelligera Ess., welche übrigens hier nicht weiter in Betracht kommen.

Von den 48 aufgezählten Arten gehören :

9 älteren Schichten (Cenoman- und Galt-Schichten), 14 dem Mittelpläner, 37 dem Oberpläner, 19 den Priesener Schichten und 44 dem Oberpläner, wenn man ihnen die Priesener Schichten zurechnet, 6 sind mit den österr. Gosauschichten (nachReuss), 12 sind mit den Gosauschichten des benachbarten Fundortes Götzreuth identisch. In dieser Fauna treten die mit dem Mittelpläner gemein- samen Arten gegen jene mit dem Oberpläner in so auffallender Weise zurück, dass die Zugehörigkeit dieses Scbichtencomplexes mit JBelemnüella mucronata auch gemäss der Foraminiferen- faiina zur Stufe der weissea-schreibenden Kreide ganz unzweifel- haft ausgesprochen ist. Insbesondere zeigt sich eine grosse Verwandtschaft mit den Lemberger Schichten, dagegen eine selbst etwas geringere mit den näclistbenachbarten Gosau- schichten, als mit dem Mittelpläner im Allgemeinen.

Es ist dadurch der allerdings nicht mehr nothwendige weitere Nachweis geliefert, dass auch nach der Foraminiferen- fauna die Belemnitellen-Schichten der Alpen zur Stufe der Schreibkreide und des Oberpläners gehören, wie diess die übrigen organischen Einschlüsse so unzweideutig zu erkennen geben.

Vogel: Das Keimen der Samen. 289

Herr Vogel trägt vor :

1) ., Einige Versuche über das Keimen der Samen."

Schon vor einer Reihe von Jahren habe ich einige Versuche über das Keimen der Samen auf verschiedenen Unterlagen mitgetheilt. Es ist in jener Arbeit ausführlich gezeigt worden, dass chemische Verbindungen , welche nach der gewöhnlichen Ansicht als ganz unlöslich in "Wasser be- trachtet werden, zur Unterlage bei Keimversuchen benützt, dennoch die Keimung zu verhindern im Stande sind. Diess lässt darauf schliessen. dass sie durch den Keimvorgang aus ihrem ursprünglich unlöslichen Zustande in einen theilweise löslichen übergeführt werden , wenn man nicht annehmen will, dass einige derselben wie z. B. Berlinerblau, kohlen- saure Magnesia u. a. der Keimung ein mehr mechanisches als chemisches Hiuderniss entgegensetzen. Zu diesen Ver- bindungen, welche ungeachtet ihrer Unlöslichkeit in Wasser, auf die Keimung schädlich einwirken, gehören vor anderen die künstlichen Schwefelautimonpräparate, Kermes und Sulfur- auratum, Kupferoxjd, kohlensaures Kupferoxyd und chrom- saures Quecksilberoxydul. Es unterliegt keinem Zweifel, dass diese Substanzen durch den Keimvorgang theilweise in Lösung übergeführt werden und in solcher Weise hindernd wirken.

Bekanntlich treten bei dem chemischen Vorgange des Keimens organische Säuren auf. Ich habe es versucht, die durch Keimung erzeugte Säuremenge , ohne vorläufig auf die Natur der Säure selbst näher einzugehen zu wollen, an- nähernd zu bestimmen. 100 Gmm. Gerstenkörner waren mit Wasser befeuchtet mehrere Tage hindurch an einem [1870. IL 3.] 20

290 Sitzung der matli.-pliys. Classe vom 5. Koveniber 1870.

warmen Orte der Keimung überlassen worden. Nachdem die Keime grösstentheils entwickelt waren, wurden die ge- keimten Samen auf ein Filtrum gebracht und mit vielem Wasser ausgewaschen. Das Filtrat reagirte auch nach dem Aufkochen sauer. Die folgende Bestimmung der Säuremenge bezieht sich daher auf den durch Keimung gebildeten Säure- gehalt mit Ausschluss der Kohlensäure und Essigsäure. Durch Titriren mit Normalnatroulauge ergab sich im Durchschnitt aus mehreren Versuchen als ein Aequivalent von 0,17 Gmm. Schwefelsäurehydrat, welche Menge somit in diesem Falle auf Rechnung der beim Keimprozesse gebildeten nicht flüchti- gen organischen Säuren zu setzen ist. Die Menge und die Natur der Säurebildung durch den Keimungsprozess ist selbstverständlich verschieden je nach der Species der Samen, welche zum Versuche verwendet wird. Ich habe in derselben Weise noch Klee- und Kressensamen untersucht und behalte mir vor auf diesen Gegenstand in der Folge ausführlicher zurückzukommen. Eine gewogene Menge beider Samen, 100 Gmm., war in einer Schale mit Wasser befeuchtet der Keimung überlassen worden. Nachdem alle Samen gekeimt hatten, wozu für den Kleesamen ungefähr 8 Tage , für den Kressensamen 4 Tage erforderlich waren, wurden die ge- keimten Samen vollkommen mit Wasser ausgewaschen und die filtrirten Flüssigkeiten, welche beide deutlich sauer reagirten, ohne vorher gekocht zu haben, mit verdünnter Natronlauge von bestimmtem Gehalte filtrirt ; es ist also hier, abweichend von den oben beschriebenen Versuchen mit Gerstensaraen, der ganze Säuregehalt, auch der Gehalt an flüchtiger Säure, wie Essigsäure, Schwefelwasserstoffsäure u. s. w. , zur Be- stimmung gelangt. Als Resultat ergab sich, dass der durch Keimung von 100 Gmm. Kleesamen erzeugte Säuregehalt 0,35 Gmm., der durch Keimung von 100 Gmm. Kressen- samen erzeugte Säuregehalt 0,44 Gmm. Schwefelsäurehydrat entsprach.

Vogel: Das Keimen der Samen. 291

Den Körpern, deren Verhalten zur Keimung ich in der angegebenen Weise schon früher untersucht Labe, füge ich noch zwei hinzu, nämlich den amorphen Phosphor und das Anilin. Der amorphe Phosphor, welcher bekanntlich ohne Vergiftungserscheinungen hervorzubringen , innerlich genom- men und daher als unschädlich für den thierischen Organismus betrachtet werden kann, äussert nach meinen Versuchen einen ungünstigen jedenfalls verzögernden Einfluss auf den Keimprozess. Der zu diesen Beobachtungen verwendete amorphe Phosphor war vollkommen arsenfrei und durch längeres Waschen mit destillirtem Wasser von Phosphor- säure und phosphoriger Säure möglichst gereinigt worden. Von den darauf gesäten Kressensamen zeigten unter vor- sichtigster Behandlung erst am 6. Tage einzelne Körner eine unvollkommene Entwicklung des Keimes, während unter ge- W'öhnlichen Verhältnissen wie bekannt die Kresse schon nach 24 Stunden zu keimen beginnt. Andere Samen, wie Erbsen, Bohnen, Cerealien, Klee u. a. , gelang es mir in öfters und zu verschiedenen Jahreszeiten angestellten Versuchen bis jetzt nichtl, in amorphem Phosphor zur Entwicklung zu bringen.

Anilin, obgleich in Wasser ganz unlöslich , zeigte" sich der Keimung entschieden uachtheilig. Es konnte an Kressen- samen, welche auf befeuchtetes Anilin gesät waren, durchaus keine Keimerscheinung beobachtet werden. Hiernach dürfte das Anilin, welches nach Latheby's Versuchen') als ein heftiges Gift für den thierischen Organismus erkannt worden ist, als ein solches auch für das vegetabile Leben zu be- trachten sein. Als ergänzendes Resultat mag nebenbei be- merkt werden, dass auf fein gepulvertem sublimirten Indigo die Keimung ungestört vor sich geht.

Als eine Fortsetzung meiner früheren Versuche in dieser

1) Jahrb. der Pharm. Bd. 21. S. 37.

20*

292 Sitzung der matli.-}jhjs. Classe vom 5. Novemher 1870.

Richtung ist eine Arbeit Lea's zu betrachten,') welcher auf verschiedenen Lösungen Samen keimen Hess. VVeizenkörner gelangen zum Keimen auf Wasser, welches mit sehr kleinen Mengen von Schwefelsäure. Salpetersäure, Salzsäure, Brom- ammonium , schwefligsauren Natron, zweifach kohlensauren Kali, kohlensauren Natron, Ammoniak, chlorsauren Kali ver- setzt war. Am wenigsten schädlich zeigten sich für die Keimung zweifach kohlensaures Kali , schwefligsaures und kohlensaures Natron. Auf einer Lösung von Zucker oder Glycerin keimten die Samen wie auf reinem Wasser, auf Gummi kamen weniger Samen zum Keimen , aber die ent- wickelten Pflanzen wurden höher; auf Citronensäure oder übermangansaurem Kali blieben sie klein und setzten keine Wurzeln ab. Ich habe diese Versuche, welche für mich be- sonderes Interesse boten, mit anderen Samen, zunächst mit Klee- und Kressensamen, wiederholt und dieselben bestätigt gefunden. In Beziehung auf den Einfluss des übermangan- sauren Kali's will ich nur noch bemerken, dass dasselbe ähnlich wie Chlor, Brom und Jod unter Umständen den Keimprozess zu befördern scheint. Uebergiesst mau nämlich Samen mit einer verdünnten Lösung von übermangansaurem Kali (0,3 Gmm. Chamäleonkrystalle auf 1 Liter Lösung), so ist nach kurzer Zeit die violette Lösung vollkommen ent- färbt. Nach mehrmaligem Erneuern des übermangansauren Kali's und Abspülen der Samen mit destillirtem Wasser bemerkt man, dass die so behandelten Samen früher Keime zu entwickeln beginnen, als die in ganz gleicher Weise nur mit destillirtem Wasser befeuchteten. Ich weiss nicht, ob meine Annahme richtig ist, dass die Beschleunigung des Keimprozesses in diesem Falle von einer durch das zersetzte

2) Chem. Centr. 1867. S. 683.

Vogel: Das Keimen der Samen. 293

Übermangansaure Kali zugeführten grösseren Sauerstoffmenge herrühre. Indess schien es mir doch geeigneter, nicht un- mittelbar die Lösungen anzuwenden, sondern mit den Lösungen getränkte Unterlagen. Bekanntlich haben keimfähige Samen meisteutheils ein höheres specifisches Gewicht als Wasser, sie gehen daher auch in diesen sehr verdünnten Lösungen zu Boden. Man kann somit den Versuch nur mit dünneu Schichten von Lösungen anstellen, welche schnell ein- trocknen und so sehr häufig zu concentrirt werden , wo- durch denn auch ein mechanisches Hinderniss der Keimung eintreten kann. Es wurde desshalb, um diesem Uebelstande vorzubeugen, zu ähnlichen Versuchen von mir und Anderen als Unterlage Badeschwamm gebraucht; dieses Material hat indess als Unterlage in dieser Beziehung den Nachtheil, dass es mit zahlreichen Löchern von ganz verschiedener Grösse versehen ist, so dass einzelne Samen von der Oberfläche verschwinden ; es wird hiernach eine vergleichende quantitative Beurtheilung der gekeimten und nicht gekeimten Samen sehr erschwert. Li neuester Zeit habe ich ein Material kennen gelernt, welches mir als Unterlage bei Keimungsversuchen vor anderen dem Zwecke entsprechend erscheint. Diess ist der sogenannte Insektentorf; er führt diesen Namen, da er in dünne Platten geschnitten statt des kostspieligen Kork- holzes zum Aufstecken von Insekten u. s. w. in entomo- logischen Sammlungen dient. Dieser Torf stellt die lockerste Torfsorte dar, die mir bis jetzt vorgekommen und steht offenbar an der Gränze der Materialien, die man mit dem Ausdrucke „Torf" bezeichnen kann; derselbe enthält näm- lich nach allen Richtungen hin und in allen Theilen noch ganze, nicht in den Zersetzungsprozess hineingezogene Pflanzen und tritt somit eigentlich als ein Convolut getrockneter Pflanzenüberreste auf. Bis jetzt ist diese Torfsorte meines Wissens nur in Hannover gefunden worden und wird nach dem Trocknen in Platten von Va" Dicke geschnitten. Von

294 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. November 1S70.

seiner Leiclitigkeit und Porosität kann man sich einen Be- griff machen, wenn man dessen specifisches Gewicht und Wasserabsorptionsvermögen berücksichtigt. Sein specifisches Gewicht beträgt 1 Cub' bajer. wiegt 6,1 Zollpfund. Da es wie bekannt Maschinentorfsorten gibt von 60 bis 80 Zoll- pfund per 1 Cub' bayer. , so wird man zugeben müssen, dass diese Torfsorte kaum die Bezeichnung Torf beanspruchen darf. Durch die grosse Porosität dieses Torfes ist nun auch dessen unverhältnissmässig bedeutende Wasserabsorptions- fähigkeit bedingt ; 100 Gmm. Insektentorf absorbiren nach wiederholt angestellten Versuchen durchschnittlich 800 CG. Wasser. Das Wasser steigt in demselben schnell aufwärts, was man leicht beobachten kann , wenn man ein schmales Stück mit dem unteren Ende in gefärbtes Wasser taucht. Der Aschengehalt ist ein sehr geringer; er beträgt 1,3 Proc. Diese Platten sind daher auch sehr geeignet als Trocken- unterlage für chemische Zwecke. Bringt man feuchte Nieder- schläge mittelst des Filtrum's auf solche Unterlagen, so wird das Trocknen durch die grosse Wasserabsorptionsfähigkeit des Torfes sehr wesentlich gefördert.

Für die Benützung der porösen Platten als Unterlage für Keimversuche wurden dieselben in die betreffenden Lösungen eingelegt und so lange damit in Berührung ge- lassen, bis sie vollkommen imprägnirt waren. Man konnte nun die Samen reihenweise auf der Unterlage auftragen und somit den Einfluss der einzelnen Salzlösungen u. s. w. auf den Keimvorgang besser als auf irgend eine andere Art be- obachten. Um das Eintrocknen zu verhindern und einen gleichmässigen Feuchtigkeitsgrad dauernd zu erhalten, be- findet sich die Torfplatte auf einem flachen Glas- oder Porcellaogefäss, welches die betreffende Flüssigkeit enthält.

Ich will nun die Versuche, die bis jetzt zur Ausführung gekommen, in Kürze mittheilen, da ich mir vorbehalte, in der Folge die Reihe noch weiter auszudehnen.

Vogel: Das Keimen der Samen. 295

Als Samen sind nebeneinander Klee- und Kressensamen verwendet worden ; es ergab sich zwischen beiden nur darin ein Unterschied , dass letzterer viel früher zum Keimen ge- langte, indem wie bekannt der Keimvorgang bei Klee später eintritt. Im Allgemeinen zeigen sich au der Kresse nach 24 Stunden die ersten Keimbewegungen , während sie bei Klee erst am dritten Tage deutlich werden.

Man hat bisher die Kupfersalze als absolut schädlich für die Keimung und überhaupt für die Vegetation betrachtet und daher sogar Kupfervitriollösung als Vertilgungs- und Verhinderungsmittel gegen Unkraut in Vorschlag gebracht. Nach meinen neueren Versuchen hängt diese hindernde Ein- wirkung doch wesentlich von dem Grade der Verdünnung ab. Es ist eine Kupfervitriollösung in der Verdünnung von 1 Gmm. zum Liter nach der oben beschriebenen Art zum Versuche verwendet worden. Die Keimung der Kresse so- wohl als des Klee's zeigte sich bei dieser Verdünnung aller- dings sehr verzögert, allein nach längerer Zeit wurde sie doch bemerkbar. Auch kamen bei weitem nicht alle Samen zur Entwicklung, ungefähr Vs derselben blieb ganz unver- ändert. Es schien fast, als ob nur die vorzugsweise ge- sunden Individuen die durch Kupfervitriollösung gebotene Schädlichkeit überwinden konnten. Die fernere Entwicklung blieb eine sehr verkümmerte und es gelang nicht, eine voll- kommen ausgebildete Pflanze zu erzielen. Bei noch weiterer Verdünnung der Kupfervitriollösung erschien die Keimver- hiuderung verhältnissmässig noch gemindert.

Als eigenthümliches Resultat ist zu erwähnen, dass ver- dünnte Essigsäure die Keimung vollkommen verhinderte. Die zu den Versuchen verwendete Flüssigkeit enthielt 0,5 Proc. Essigsäure, die Essigsäure selbst hatte 42 Proc. Essigsäure- hydratgehalt ergeben. Der Gehalt der zum Versuche ver- wendeten Flüssigkeit an Essigsäurehydrat betrug demnach nur 0,21 Proc. Keiner der Samen zeigte auch nur die

296 Sitzung der math.-pliys. Classe vom 5. November 1870.

geringste Keimbewegung, sie schienen zu versclirumpfen und konnten auch nachdem sie längere Zeit mit destiUirtem Wasser abgewaschen worden waren , nicht mehr zur Keimung ge- bracht werden. Es scheint, dass die Essigsäure auch in dieser bedeutenden Verdünnung verändernd auf die Consti- tution des Samens einwirkt; ein ähnh'ches Resultat ergab eine in gleicher Weise verdünnte Lösung von Oxalsäure. In der oben citirten Arbeit von Lea^) ist angegeben, dass Samen zur Keimung gelaugten auf Wasser, welches mit ,,sehr kleinen Mengen" von Schwefelsäure, Salpetersäure oder Salzsäure ver- setzt war. Für Schwefelsäure habe ich die Gränzen der Verdünn- ung bestimmt , bei welcher die Keimung beginnt oder noch stattfindet. Im ersten Versuche diente eine verdünnte Schwefel- säure von 2 Proc. Schwefelsäurehydratgehalt; die zweite Verdünnung war 0,4procentig, die dritte 0,08procentig. In den ersten beiden Verdünnungen war durchaus keine Keimung bemerkbar , in der dritten zeigte sich ungefähr die Hälfte der Samen gekeimt, allein auch hier trat durchaus keine vollständige Entwicklung der Pflanze ein. Es ist somit an- zunehmen, dass die Verdünnung, bei welcher in den früheren Versuchen Keimung beobachtet worden ist, wohl noch etwas unter der von mir hergestellten (0,08 proc.) gestanden habe.

Eine Lösung von doppelt chromsaurem Kali in einer Verdünnung von 0,5 Gmm. zum Liter, verhindert die Keimung gänzlich, dasselbe findet statt mit salpetersaurem Silberoxyd in der nämlichen Verdünnung. In beiden Fällen tritt eine schwärzliche Färbung der Samen auf, welche eine voll- kommene Zerstörung der Keimkraft mit sich führt.

Die arsenige Säure ist noch in sehr bedeutender Ver- dünnung ein entschiedenes Hinderniss der Keimung; bei der Behandlung der Samen mit einer Lösung von 0,1 Gmm. arseniger Säure in einem Liter Wasser, demnach in einer

3) a. a. 0.

Vogel: Das Keimen der Samen. 297

Verdünnung von 1: 10000, fand nicht die mindeste Keim- bewegung statt; die Samen, welche nur kurze Zeit mit dieser wenngleich sehr verdünnten Lösung von arseniger Säure in Berührung gestanden hatten, zeigten sich auch nach längerem Waschen mit°^y asser nicht mehr keimfähig. Die Arsensäure ist bekanntlich für den thierischen Organismus kein Gift, indem sie nach oft wiederholten Versuchen in grösseren Mengen ohne nachtheilige ^Yirkung innerhch genommen wer- nen kann. Dieser Unterschied in Beziehung auf "Giftigkeit zwischen arseniger Säure und Arsensäure scheint für das yegetabile Leben nicht so auffallend zu bestehen. Samen, welche nur eine halbe Stunde in einer sehr verdünnten Lösung von Arsensäure gelegen hatten, zeigten nach dem völligen Abwaschen mit destilHrtem Wasser auch nach meh- reren Tagen keine Entwicklung des Keimes. Indess schien doch die Keimkraft nicht so gründlich zerstört , wie durch arsenige Säure, indem nach S Tagen die Samen aufgesprungen waren und somit offenbar noch einen Rest von lebendiger Bewegung bewahrt hatten. La der mehrere Tage mit Samen in Berührung gestandenen Arsensäure war keine Bildung von arseniger Säure wahrzunehmen. Keimversuche mit Cyan- wasserstoffsäure haben ergeben, dass dieselbe zwar ein Hiuder- niss des Keim Vorganges ist, nicht aber die Keimkraft auf- hebt. Es sind Samen mit Blausäure in der Verdünnung von 2 C.C. 4.5 procentiger Blausäure in 500 CG. Wasser behandelt worden. Die Keimung trat nicht ein; jedoch zeigte sich nach Verlauf von 8 Tagen normale Keiment- wicklung. Die Untersuchung ergab . dass die Flüssigkeit nach dieser Zeit keine Blausäure mehr enthielt. Da der Versuch selbstverständlich auf einer Unterlage in einem offenen flachen Gefässe stattfinden musste, so hatte sich die Blausäure verflüchtigt und die Keimung der lebensfähig ge- bliebenen Samen nach deren vollkommener Entfernung be- gonnen.

298 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. November 1870.

An die hier mitgetheilten Ergebnisse schliesst sich noch eine Versuchsreihe über das Verhältniss des Steinkohlen- leuchtgases zur Keimung.

Dass das Steinkohlenleuchtgas, d. h. das Gemeng ver- schiedener Gasarten, wie es zur Beleuchtung dient, unter Umständen auf die Vegetation nachtheilig einwirke, ist als allgemeine Thatsache angenommen. Die höchst interessanten und mit grossen Mitteln von Freytag in Bonn und von Poselger in Berlin in dieser Richtung ausgeführten Ver- suche"^) haben indess gezeigt, dass diese schädliche Wirkung des Leuchtgases sich vorzugsweise auf das gewöhnliche nicht gereinigte Gas beschränkt, bei vollkommen gereinigtem Gase dagegen nicht eintrete. Das noch mit Theerbestandtheilen imprägnirte Gas vermag bei einer bestimmten Anhäufung im Boden in der Art schädlich auf die Wurzeln der Bäume einzuwirken, dass letztere absterben. Dieses durch den Ver- such gewonnene Resultat findet auch theoretisch insoferne Bestätigung, als wie bekannt die Theerbestandtheile, ins- besondere aber die Phenilsäure, alles vegetabile Leben er- sticken und daher als fäulniss- und verwesuugswidrig zum Conserviren von Holz u. s. w. benützt werden.

Von der Schädlichkeit des ungereinigten Steinkohlen- leuchtgases auf die Vegetation kann man sich leicht durch einen sehr einfachen Versuch überzeugen. Bringt man näm- lich eine mit Kressenpflanzen bewachsene feuchte Unterlage auf einem Drahtgitter über ausströmendes Leuchtgas, so dass dieses von unten herauf das Vegetationsobjekt durchstreicht, so bemerkt man nach wenigen Tagen eine auffallende Ver- änderung an den Pflanzen. Obgleich doch immer noch mit einer grossen Menge von Luft in Berührung und daher nur in einer verhältnissmässig sehr verdünnten Atmosphäre von Leuchtgas befindlich, neigen sich die Pflanzen; bei längerer

4) Deutsche Ind. Zeitung. 1870. S. 85.

Vogel: Das Keimen der Samen. 299

Einwirkung des Leuchtgases tritt endlich vollkommenes Ab- sterben ein. Entfernt man die halbverwelkten Pflanzen recht- zeitig aus der Gasatmosphäre, so gelingt es bisweilen die Pflanzen zum normalen Zustande zurückzuführen; ist aber die Gaseiuwiikung etwas zu lang fortgeseszt worden, so er- holen sie sich nicht wieder.

Bringt man eine feuchte mit Samen belegte Unterlage in derselben \Yeise über eine Gasausströmung, so tritt auch nach längerer Zeit keine Keimung ein; es sind in diesem Falle nur ganz vereinzelte Samen, welche einige Keim- bewegung zeigen, wahrscheinlich nur diejenigen, welche bei der unvermeidlich immerhin ungleichen Vertheilung des Gases weniger oder fast gar nicht von dem Gasstrome berührt werden.

Endlich sind noch die Versuche zu erwähnen, welche ich über das Verhältniss einiger Theerbestandtheile zur Keimung angestellt habe.

Vollständige und unverzögerte Keimung findet auf be- feuchtetem Naphtalin statt, es folgt sogar eine Entwicklung der Pflanze, nur scheint eine geringere ChlorophjUbildung einzutreten. Bestreut man Samen, welche auf einer feuchten Unterlage zu keimen begonnen, mit Naphtalinpulver , so tritt durchaus keine Veränderung in dem Keimprozesse ein, derselbe schreitet ungestört durch dieses Ueberstreuen voran. Auf Tholuidin dagegen ist auch nach längerer Zeit keine Keimung bemerkbar.

Am auffallendsten ist das Hinderniss, welches durch Pheuylsäure der Keimung entgegengesetzt wird. In sehr be- deutender Verdünnung schon ist die Phenjlsäure im Stande, die Keimung gänzUch zu verhindern. Begiesst man Samen auf einer porösen Unterlage mit Wasser, in welchem durch Schütteln auf 50 G.C. nur 1 Tropfen Phenylsäure vertheilt ist, so zeigen die Samen nicht die mindeste Keimung.

300 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. November 1870.

2) „Ueber liuminsaures Ammoniak."

Schon bei einer früheren Gelegenheit habe ich auf die eigenthümliche Erscheinung aufmerksam gemacht,^) dass Pflanzen, welche auf einem kieselreichen aber humusarmen Boden gewachsen sind , weit weniger Kieselerde in ihrer Asche enthalten, als die Pflanzen eines an Kieselerde armen, aber humusreichen Bodens. Die Ackererde oder beziehungs- weise deren Gehalt an organischen Bestandtheilen ist eben die Vermittlung zur Kieselerdeaufnahme, ohne Gegenwart von Ackererde ist die Aufnahme der Kieselerde den Pflanzen wurzeln im hohen Grade erschwert. Wird in irgend einer Pflanzen- asche Kieselerde in reichlicher Menge nachgewiesen, so kann wohl mit Bestimmtheit angenommen werden, dass die Pflanze auf einem an organischen Bestandtheilen reichen Boden ge- wachsen sei. Der Kieselerdegehalt der Pflanzen steht mit dem Gehalte au Organismen des Bodens in einem bestimmten unläugbaren Verhältnisse , ja derselbe ist weniger von dem Kieselerde- als dem organischen Gehalte des Bodens ab- hängig. Bei der überaus grossen und allgemeinen Verbreitung der krystallisirten Kieselerde in allen Bodenarten wird ihre Aufnahme für die Pflanzen vorzugsweise durch die im Boden vorhandenen oder durch Dünger zugefiihrten organischen Bestandtheile bedingt. Hierin begründet sich auch die enorme Verschiedenheit in den analj^tischen Angaben der Kieselerdemengen in einer und derselben Pflanzengattung, wie sie fast bei keinem anderen Pflanzeuaschenbestandtheil vorkommt. Diese Differenzen beruhen, da doch die Kiesel-

1) Die Aufnahme der Kieselerde durch Yegetabilien. Von der kgl. Akademie d. W. in Berlin gekrönte Preisschrift 2. vermehrte Auflage. 18Ö8.

Vogel: Das huminsaure Ammoniak. 301

erde in allen Bodenarten vorhanden ist , nur auf dem ver- schiedenen Verhältniss von Organisch und Unorganisch im Boden. Nach meinem Dafürhalten hängt hiemit endlich noch der Reichthum der sogenannten sauren Gräser an Kieselerde zusammen, da diese wie bekannt auf einem humus- reichen aber zugleich verhältnissmässig an Kieselerde armen Boden stehen.

Diese meine Ansicht über die Vermittlung des Kiesel- erdegehaltes der Pflanzen durch Humussubstanzen hat neuester Zeit von einer meinen Erfahrungen fernliegenden Seite eine wie es mir scheint wesentliche Bestätigung erhalten. Thenard^) hat nemlich beobachtet, dass die Huminsäuren mit Ammoniak verschiedene äusserst beständige Verbindungen eingehen (sie verlieren erst bei einer sehr erhöhten Temperatur ihren Stickstoff), die sich mit Kieselsäure verbinden. Die neuen Säuren lösen sich augenblicklich selbst in sehr verdünnten Alkalien und können aus den entstandenen Salzen wneder unverändert abgeschieden werden. Die Verbindungen der Huminsaure mit Ammoniak nehmen desto mehr Kieselsäure auf, je mehr Ammoniak sie enthalten und ganz reine Humin- saure hat fast völlig diese Eigenschaft verloren. Thenard glaubt, dass die neuen Säuren sich auch im Boden bilden, da derselbe ja alle nöthigen Elemente enthält und ist der Ansicht, welche ich vollkommen theile, dass sie eine grosse Rolle in der Vegetation spielen.

Es ist somit die vermittelnde Beziehung der Humus- substanzeu zur Pflanzenernährung sehr entscheidend auf's Neue bewiesen. Kaum w^ird es einen humösen Boden geben, der nicht einen Gehalt an den von Thenard beschriebenen Ammoniaksalzen zeigte und da wie erwähnt die Verbindung

2) Sitzung der Pariser Akademie vom 27. Juni 1870 im Cor- respondenzberichte der deutschen chemischen Gesellschaft zu Berlin 3. Jahrgang, Xr. 14, S. 801.

302 Sitzung der math.-pliys. Classe vom 5. Novemler 1870.

zwischen Huminsäure und Ammoniak auch bei einer höheren Temperatur noch beständig ist , so ergibt sich hieraus eine höchst werthvolle Ammoniakquelle für die Vegetation, indem auch bei bedeutender und anhaltender Trockenheit und Dürre des Bodens stets demselben ein gewisser Ammoniakgehalt bewahrt bleibt.

Hieraus erklärt sich ferner auch der geringe Zusammen- hang der Vegetationsgruppen mit dem Humusgehalt des Bodens , wie ich diess schon früher an der Vegetations- physiognomie der Hochmoore und Wiesenmoore ^nachgewiesen habe.^) Den Humussubstanzen kann durchaus kein anderes Ernährungsvermögen für die Pflanze zugeschrieben werden, als das denselben durch die zufällig darin enthaltenen oder absorbirten unorganischen Stoffe zukömmt. Die Hauptrolle, welche die Humussubstauzen in der Pflanzeueruährung über- nehmen, ist die Rolle der Vermittlung eine Ansicht, die vor langen Jahren zuerst von Herrn Geheimrath Baron von Liebig auf das bestimmteste unter dem heftigsten Wider- spruche der damaligen Agriculturchemiker ausgesprochen worden ist und nun durch die Thenard'schen Beobachtungen abermals eine Bestätigung erfahren hat.

Ueber die Bildung der Humussubstanzen durch keimende Samen mag hier nebenbei noch eine Beobachtung aufge- führt werden. Lässt man Samen auf befeuchtetem weissen Filtrirpapier keimen, so bemerkt man, dass nicht unmittel- bar unter den im Keimen begriffenen Samen sich braune Flecken bilden, sondern vielmehr an den Rändern des Papieres in einiger Entfernung von den Samen. Wird der Versuch in der Art angestellt, dass man Samen auf dem einen Ende eines länglichen Papierstreifens keimen lässt und das andere Ende des Papierstreifens vertikal aufwärts richtet, so bemerkt man an dem aufwärts stehenden Papier-

3) Akademische Sitzungsberichte, 13. Januar 1866.

Vogel: Das huminsaure ÄmmoniaJ:. 303

rande braune Streiieu, wälueuJ die üurige Papierfläcbe un- gefärbt bleibt. Ich habe in mehreren Versuchen beobachtet, dass diese braunen Zonen einen Fuss über den keimenden Samen zum Vorschein gekommen waren. Dass der braune Körper , welcher sich bei dieser Gelegenheit bildet , in der That in die Klasse der Huminsubstanzen gehört, ergibt sich aus den damit vorgenommenen Reaktionen. Derselbe ist unlöslich in ^Vasser. löslich zu einer braunen Flüssigkeit in Alkalien. Es folgt aber aus diesem Versuche , dass die Huminsubstanzen ursprünglich im status nascens farblos und in Wasser löslich auftreten, da dieselben vermittelst Capil- larität des Papieres bis zu einer gewissen Höhe aufsteigen, was doch immer einen gewissen Zustand der Lösung voraus- setzt und dann, dass die charakteristische braune Färbung der Huminsubstanzen durch längere Berührung derselben mit der atmosphärischen Luft entsteht.

304 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. November 1870.

Herr Erlenmeyer spricht:

a) „lieber die Synthese substituirter Guanidine."

Ich habe früher mitgetheilt, dass man salzsaures Guani- din synthetisch darstellen kann, wenn man Chlorammonium in weingeistiger Lösung mit Cyanamid erhitzt. Indem ich 1. salzsaures Anilin, 2. salzsaures Toluidin, 3. salzsaures Methylamin in gleicher Weise gegen Cyanamid wirken Hess, erhielt ich die entsprechenden salzsauren Salze von Phenyl- Tolyl- Methylguanidin. Von diesen habe ich zunächst die Platindoppelsalze, dann die freien Basen und einige Salze dargestellt und untersucht und werde demnächst die er- haltenen Resultate mittheilen.

Unstreitig ist der interessanteste dieser Körper das Methylguanidin oder Methyluramin , welches zuerst Des- saignes') aus Kreatin und Kreatinin durch Kochen mit Wasser und Quecksilberoxyd erhalten hat und das später von Neubauer^) aus Kreatinin durch Behandeln mit Cha- mäleonlösung dargestellt wurde. Das von mir durch Synthese gewonnene Methyluramin zeigt in Zusammensetzung und Eigenschaften und in seinen Salzen, soweit die vorhandenen Beschreibungen eine Vergleichung gestatten, keinen bemerk- baren Unterschied. Nur in Betreff der Krystallform des Platindoppelsalzes stimmen die Angaben von Senarmont^) nach welchen es in Khomboedern krystallisiren soll, nicht mit den Beobachtungen überein, welche Herr Prof. v. K ob eil an den von mir dargestellten sehr schönen und grossen

1) Jhrsb. Chem. 1854, 6S2 u. 1855, 730.

2) Ann. Chem. u. Pharm. 119. 46.

3) Jhrsb. Chem. 1857. 542 Anm.

Erlenmeyer: Suhstitiiirte Guaniäine. 305

Krystallen zu machen die Güte hatte. Ich gebe diese Be- obachtungen wörthch so wieder, -svie sie mir Herr v. Kobell mitgetheilt hat.

„Die mitgetheilten Krystalle haben sich, insoweit dieses mit einigen Messungen und dem stauroskopischen Verhalten abzumachen war, als klinorhombisch erwiesen. Es sind Hendjoeder mit m:m = 109°; p: etwa 103° (unsicher, da die Fläche p vertieft und ge- furcht ist). Entsprechend dem klinorhombischen System zeigten die Flächen m bei Einstellung nach den Seiten- kanten im Stauroskop Kreuzdrehung nach links und rechts gegen den khnodiagonalen Hauptschnitt mit einem Winkel von etwa 20° und stellte sich das Kreuz auf p nach den Diago- nalen. Charakteristisch ist eine leicht zu erhaltende Spaltungs- fläche, welche der khnodiagonalen Fläche parallel läuft."

Dessaignes beschrieb Jhrsb. Chem. 1854. 682 die Kry- stalle des Platindoppelsalzes desjenigen Methyluramins, welches er aus Kreatin mit Quecksilberosyd erhalten hatte, als ab- geplattete Prismen. Später gibt er Jhrsb. 1855. 731 an, dass ein durch Bleihjperoxyd und Schwefelsäure aus Kreatin erhaltenes Methyluramin das Plattindoppelsalz in Prismen g.hefert habe, deren Form etwas anders gewesen sei, wie die des eben erwähnten.

Es liegen also drei verschiedene Angaben über die Krystallform des Platindoppelsalzes von Methyluramin aus Kreatin vor, desshalb halte ich es für nothwendig, mir selbst Dessaignes'sches Methyluramin darzustellen. Herr Professor v. Kobell wird dann die Güte haben, die Krystalle des Platindoppelsalzes mit denen aus synthetisch gewonnenem Methyluramin zu vergleichen. Andrerseits werde ich ver- suchen , durch Einwirkung von synthetisch dargestelltem Methyluramin auf Mouochloressigsäure Kreatin zu erzeugen.

[1870.11. 3.] 21

306 Sitzung der math.-j)hys. Classe vom 5. Novemler 1870.

b) jjUeber die Säuren, welche bei der Oxy- dation des Gährungsbutylalkohols ent- stehen."

Michaelson^) hat im Jahre 1864 angegeben, dass bei der Oxydation des Gährungsbutylalkohols durch chromsaures Kali und Schwefelsäure neben Buttersäure auch Propionsäure und Kohlensäure gebildet werden.

Als ich den Gähruiigsbutylalkohol auf seine Constitution untersuchte,^) überzeugte ich mich, dass bei dessen Oxydation neben der Buttersäure, die ich als Isobuttersäure erkannte, Kohlensäure und Essigsäure entstehen.

Michaelson hat das saure Destillat mit kohlensaurem Silber gesättigt und die Silbersalzlösung zur Trockne ver- dampft. In dem Salzrückstand bestimmte er den Silber- gehalt und fand 57,35 Proc. Daraus schliesst er, der Salz- rückstand habe buttersaures und propionsaures Silber ent- halten. Ich habe dagegen das saure Destillat mit kohlen- saurem Silber fractionirt gesättigt und jedes Silbersalz krystallisirt dargestellt. So bekam ich in einem Falle fünf, in zwei anderen Fällen je 15 verschiedene Silbersalze. Die erstereu 5 stammten von einer Oxydation, die ohne Zufuhr von Wärme ausgeführt war und erwiesen sich alle als isobutter- saures Silber. Von den beiden andern Oxydationen , die unter Erwärmung vorgenommen worden waren , zeigten die ersten 4 bis 5 Fractionen , Form und Silbergehalt des iso- buttersauren Silbers die 2 bis 3 letzten Fractionen Form und Silbergehalt des essigsauren Salzes. Die mittleren Fractionen waren der Form nach Gemenge und ergaben einen inter-

1) Compt. rend. 59. 442. vgl. Zeitscbr. Chem. 1864. 573.

2) Ann. Chem. Pharm. Suppl. 5. 338.

Erlenmeyer: Der Gährungsbutylalkohöl. 307

mediären Silbergehalt. Einmal erhielt ich als 10. Fraction ein Silbersalz, das fast genau die dem propionsaueren Silber entsprechende Menge Silber enthielt.

Trotz der grossen Unwahrscheinlichkeit , dass die Iso- buttersäure bei der Oxydation , (wenn man sie nicht nach Berthe lot^) vornimmt,) in Propionsäure verwandelt wird, hielt ich es doch für nothwendig, meine bisherigen Versuche noch zu vervollständigen.

Nach den gemachten Erfahrungen, lag die Vermuthung nahe, dass die Isobuttersäure vollständig zu Essigsäure, Kohlensäure und Wasser oxydirt werden könne. Einige in Gemeinschaft mit Herrn C. Grünzweig aus Schorndorf an- gestellte Versuche haben diese Vermuthung bestätigt, die Oxydation der Isobuttersäure ging nach dem durch folgende Gleichung ausgedrückten Process von Statten :

C4 Hs O2 + 06 = (£02)2 -f (H2 0)2 + C2 H4 Os 88Gew.Th. 88 GelvTlh.

100 Gew. Theile Isobuttersäure müssen daher 100 Gew. Th. Kohlensäureanhydrid liefern. Bei einem Versuch wurden 98,4 bei einem zweiten 100,4 Gew. Th. C O2 erhalten und die in dem Destillat enthaltene Säure wurde durch üeber- führung in Silbersalz als reine Essigsäure erkannt.

Es ist damit wohl auch ein weiteres Mittel gewonnen, die Isobuttersäure von der Normalbuttersäure zu unter- scheiden, da die letztere nach den Versuchen von Veiel*) bei der Oxydation keine kohlenstoffärmeren Säuren von der Zusammensetzung C^ H., 0^ , sondern Buttersäure-Propyl- und Aethylester zu liefern scheint.

3) Ann. ehem. Pharm. Suppl. 8. 45.

4) Ibid 148. 167.

21*

308 Sitzung der math.-phi/s. Classe vom 5. November 1870.

c) „Ueber Valeriansäuren verschiedenen Ursprungs."

Wie ich vor einiger Zeit^) mitgetheilt habe, ist der Gährungsamylalkohol nicht der normale, sondern ein Iso- alkohol der Quiutangruppe von folgender Constitution:

CHs

I

HaC-CH

I

CH2

I

HO-CH2

Als entscheidendes Argument hierfür betrachte ich die Thatsache, dass die aus Isobutylcyanür dargestellte Säure Co Hio O2 mit der durch Oxydation von Gährungsamylalkohol entstehenden Valeriansäure in allen wesentlichen Eigen- schaften und in ihren Salzen übereinstimmt. Welches Ver- halten diese beiden Säuren gegen das polarisirte Licht zeigen, hatte ich jedoch zu ermitteln unterlassen , einmal weil ich der MeinuDg war, dass die bisher angestellten chemischen Experimente vollkommen ausreichten um zu beweisen, dass die Valeriansäure aus Amylalkohol nichts anderes ist, als isobutylirte Ameisensäure oder pseudopropylirte Essigsäure, dann aber auch weil ich für die Entscheidung der Frage, ob zwei Körper chemisch identisch oder isomer sind, auf eine Verschiedenheit in ihrem optischen Verhalten keinen Werth legte.

1) Zeitschr. Chem. 18ö7. 117. und Ann. Chem, Pharm. Suppl. 338.

Erlenmeyer: Valeriansäuren. 309

Ich dachte mir nämlich, dass in Flüssigkeiten, ähnlich wie in festen Körpern, chemisch identische Moleküle je nach den Bedingungen, welchen sie unterworfen waren, bald nach bestimmten Symmetriegesetzen zu kleineren oder grösseren Gruppen, die sich als solche um einander bewegen, geordnet sein, bald als einzelne Moleküle neben einander existiren könnten , die sich einzeln umeinander bewegen. Im ersten Fall wäre, je nach dem Gesetz der Anordnung, oder wenn dieser Ausdruck erlaubt ist, je nach dem Krystallsystera, eine Wirkung auf das polarisirte Licht zu erwarten, oder es würde wie in dem zweiten Fall keine solche Wirkung stattfinden können.

Als ich nun später sowohl den Amylalkohol, der mir zur Darstellung der Valeriansäure gedient hatte und diese selbst, als auch die aus dem Isobutylcyanür bereitete Säure auf ihr optisches Verhalten untersuchte, fand ich,, dass die drei genannten Körper ohne jegliche Wirkung waren, dass also auch in dieser Beziehung die beiden miteinander ver- glichenen Säuren übereinstimmten. Hiernach konnte man es wohl als unanzweifelbar betrachten , dass dem optisch inactiven Amylalkohol die von mir angegebene relative Constitution zukommt und als ebenso unzweifelhaft muss es angesehen werden, dass die von Frankland und Duppa^) dargestellte Isopropessigsäure (Pseudopropylessig- säure) mit der Valeriansäure aus inactivem Amylalkohol identisch ist.

Ich hatte aber auch auf Grund meiner oben angeführten Anschauung kaum noch einen Zweifel, dass die optisch active Valeriansäure und der optisch active Amylalkohol gleich constituirt seien mit den respectiven inactiven Körpern. In dieser Ansicht wurde ich durch die Angaben von Frankland

2) Zeitschr. Chem. 1867. 120.

310 Sitzung der math.-phys. ülasse vom 5. November 1870.

undDuppa bezüglich der sonstigen Eigenschaften der activen Säure und der Pseudopropylessigsäure bestärkt, und ich würde mich vollkommen dabei beruhigt haben, wenn nicht S tal- mann') augegeben hätte, dass das Barytsalz einer Valerian- säure, welche durch Oxydation von Gährungsamylalkohol gewonnen war, unkrystallisirbar sei, während das Barytsalz der Säure aus Baldrianwurzel leicht in grossen Blättern krystallisire.

Diese Angabe stimmte nicht mit meinen Erfahrungen überein. denn die Valerian&äure . welche ich aus Gährungs- amylalkohol (inactivem) gewonnen hatte, lieferte ebenso wie die aus Isobutylcyauür ein leicht krystallisirendes Baiytsalz. Ich musste es danach für möglich halten, 1) dass S talmann activen Alkohol oxydirt und active Säure zur Vergleichung mit der Säure aus Baldrianwurzel benutzt hatte, 2) dass die letztere Säure identisch sei mit den Säuren, die ich untersucht hatte, 3) dass die active Säure von diesen letzteren nicht blos in ihrem optischen Verhalten sondern auch in ilu'er chemischen Constitution verschieden sei.

Um über diese Punkte Aufklärung zu bekommen, unter- nahm ich mit Herrn C. Hell aus Stuttgart eine vergleichende Untersuchung mehrerer Valeriansäuren verschiedenen Ur- sprungs, deren bis jetzt gewonnene Hauptresultate ich mir im Nachfolgenden mitzutheileu erlaube.

Wir fanden 1) dass die Valeriansäure aus Baldrian- wurzel optisch inactiv und chemisch identisch ist mit der Säure aus inactivem Alkohol und der aus Isobutylcyauür und dass diese di-ei Säuren dasselbe leicht krystallisirende Barytsalz liefern.

2) dass die Säure aus activem Amylalkohol sowohl, als auch die durch Oxydation von Leucin aus Eiweisskörpern

3) Ann. Chem. Pharm. 147. 131.

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4) Bar. cliem. Ge& BsbL 3. IM

310 Sitzung der math.-phya. ülasse vom 5. November 1870.

und Duppa bezüglich der sonstigen Eigenschaften der activen Säure und der Pseudopropylessigsäure bestärkt, und ich würde mich vollkommen dabei beruhigt haben, wenn nicht S tal- mann') angegeben hätte, dass das Barytsalz einer Valerian- säure, welche durch Oxydation von Gährungsamylalkohol gewonnen war, unkrystallisirbar sei, während das Barytsalz der Säure aus Baldrianwurzel leicht in grossen Blättern krystallisire.

Diese Angabe stimmte nicht mit meinen Erfahrungen überein, denn die Valeriansäure , welche ich aus Gährungs- amylalkohol (inactivem) gewonnen hatte, lieferte ebenso wie die aus Isobutylcyanür ein leicht krystallisirendes Baiytsalz. Ich musste es danach für möglich halten, 1) dass S talmann activen Alkohol oxydirt und active Säure zur Vergleichung mit der Säure aus Baldrianwurzel benutzt hatte, 2) dass die letztere Säure identisch sei mit den Säuren, die ich untersucht hatte, 3) dass die active Säure von diesen letzteren nicht blos in ihrem optischen Verhalten sondern auch in ihrer chemischen Constitution verschieden sei.

Um über diese Punkte Aufklärung zu bekommen, unter- nahm ich mit Herrn C. Hell aus Stuttgart eine vergleichende Untersuchung mehrerer Valeriansäuren verschiedenen Ur- sprungs, deren bis jetzt gewonnene Hauptresultate ich mir im Nachfolgenden mitzutheilen erlaube.

Wir fanden 1) dass die Valeriansäure aus Baldrian- wurzel optisch inactiv und chemisch identisch ist mit der Säure aus inactivem Alkohol und der aus Isobutylcyanür und dass diese drei Säuren dasselbe leicht krystalHsirende Barytsalz liefern.

2) dass die Säure aus activem Amylalkohol sowohl, als auch die durch Oxydation von Leucin aus Eiweisskörpern

3) Ann. Chem. Pharm. 147. 131.

Erlenmeyer: Vdleriansäuren. 311

dargestellte optisch activ ist, ein etwas höheres specifisches Gewicht und einen etwas niedrigeren Siedpunkt besitzt, wie die inactiven und dass sie ein zu einem amorphen Glas eintrocknendes Barytsalz liefern,

3) dass die optisch active Säure zwar bis jetzt nicht durch Erhitzen für sich, wohl aber durch Erhitzen mit einigen Tropfen Schwefelsäure auf 200° unter theilweiser Verkohlung in eine optisch vollkommen inactive Säure ver- wandelt wird, die aber die sonstigen Eigenschaften der activen Säure noch besitzt und besonders darin mit dieser übereinstimmt, dass ihr Barytsalz zu einem amorphen Glas eintrocknet. Diess scheint dafür zu sprechen, dass die active Säure und die daraus ertialtene inactive eine andere Con- stitution besitzt, als die ursprünglich inactive Säure. Es scheint ferner daraus hervorzugehen, dass in der That die- selbe chemische Substanz je nach den Bedingungen, unter welchen sie gestanden hat, optisch activ oder iijactiv sein kann, so dass von einer Verschiedenheit im optischen Ver- halten nicht unbedingt auf eine Veischiedenheit in der chemischen Constitution geschlossen werden kann. Ich glaube auch annehmen zu dürfen, dass bei dem Versuch von Ghap- man,^) nach welchem activer Amylalkohol bei der Destillation über NatronhyJrat oder Chlorcalcium in inactiven überging, der entstandene inactive Alkohol noch chemisch identisch mit dem activen und isomer mit dem ursprüaghch inactiven gewesen ist. Jedenfalls hann hier nur ein eingehendes chemisches Studium der beiden Alkohole und ihrer Säuren den entscheidenden Aufschluss geben-)

4) Ber. ehem. Ges. Berl. 3. 148

5) Um dieses Studium vollständig durchzuführen, fehlt es mir aa der nöthigen Menge activen Alkohols oder activer Valeriansäure und ich möchte daher an meine Fachgeuossen die Bitte stellen, mir

312 Sitzung der math.-phys. Clause vom 5. November 1870

Das Eine will ich noch hinzufügen : Wenn, wie ich jetzt überzeugt bin, die active Valeriansäure eine andere Consti- tution besitzt, wie die ursprünglich inactive, so kann dieselbe nach den Untersuchungen von Lieben nicht die der Normal valeriansäure sein; die active Säure könnte nur sein entweder Trimethjlessigsäure oder Methyläthylessigsäure. Wir sind mit der Synthese dieser beiden Säuren beschäftigt, um Vergleichs- objecte zu bekommen.

möglichenfalla anzugeben , wolier man diese Körper beziehen kann, oder, im Falle der eine oder andere solche selbst besitzt, mir die- selben zu überlassen.

H.v. Schlagintweit: Erläuterung der Gebiete Hochasiens. 313

Herr Hermann von Sclilagintweit-Sakünlünski überreicht der k. Akademie ein Exemplar des 2. Bandes der „Reisen in Indien und Hochasien"/) welcher den Himalaya von Bhutan bis Kashmir zum Gegenstande hat. Zugleich legt er die von seinem Bruder Adolph und ihm selbst ausgeführten Originale der 7 landschaftlichen Tafeln dieses Bandes vor.

Er berichtet, wie folgt:

Erläuterung

der

Gebiete Hochasiens.

Die 3 Hauptketten. Richtung und Begrenzung. Die FIuss- Systeme gegen Süden und Norden. Tibet als Längenthal. Die grosse Depression südlich vom Thianshän. Schwierigkeiten der Unter- suchung. Frühere Beobachtungen. Massenerhebung und Flächenausdehnung. Cubikvolumen der Gebirge; Verhältniss zu den Dimensionen des Erdsphäroids. Basis Hochasiens. Ge- staltung der Hochregionen und der Mittelstufen. Vor- herrschen der Ketten gegenüber der Massifs. Gebirgsprofile der Schneeketten. Ausführung der Tafeln. Vergleich mit den Alpen. Landschaftlicher Effekt des Erosion. Die Ränder der Gebirgs- region. Beschränkte Tertiärbildung. Mangel niederer Seen. Die tibetischen Salzseen. Die subtropische Tarai. Sandwüsten im Korden. - Die Bewohner, nach Rafe und Religion. Die Ab- originer in der Taräi und im östlichen Bhutan. Hindü-Ragen aus Indien. Der turanische Stamm. Tibeter. Mongolen.

1) Jena, H. Costenoble, 1871. Der 1. Band: „Indien" erschien 1869; der 3. Band: „Tibet und Turkistan", der die deutsche Aus- gabe abschliessen wird, ist im Drucke.

Von der systematischen Bearbeitung der Untersuchungen, „Results of a scientific Mission to India and HighAsia", sind bis jetzt 4 Bände und 43 Atlastafeln publicirt : Leipzig , F. A. Brockhaus ; London, Trübner and Co. Die Ausgabe des 5. Bandes ist vorbereitet.

314 Sitzung der math.-iihys. Classe vom 5. November 1S70.

Die 3 Hauptketten.

Hochasien*) schliesst sich als das mächtigste Gebirgs- land der Erde unmittelbar den tief gelegenen, tropischen und subtropischen Regionen Indiens an und erstreckt sich der Länge nach von Assam bis Kabul und der Breite nach von Bengalen, Hindostan und dem Pänjab über Tibet bis zur Mongolei und zum östlichen Turkistan.

Seiner ganzen Ausdehnung nach lassen sich in Hoch- asien 3 Hauptketten erkennen :

„der Himalaja, der Karakori'im und der Künliln."

Vom Brahmpütragebiete bei 96° östl. Länge von Greenw. bis nahe gegen die Mitte des Gebirgslandes bei 85° östl. Länge sind die drei Hauptkämme im Mittel von Osten nach Westen gerichtet, unter sich ziemhch parallel. Von hier bis 71° östl. Länge, wo nördlich von Peshaur das Ende des Himalaja , nördlicher noch und etwas östlich davon das Ende des Karakorüm anzunehmen ist, sind diese beiden Hauptkämme nach Nordwesten gerichtet; aber die Kette des Künlün zeigt ihrem ganzen Laufe entlang eine vor- herrschend ostw^estliche Pachtung, am deutlichsten da, wo sie dem Karakorüm am nächsten liegt. ^) Denkt man sich, um den Grad der Abdachung zu vergleichen , einen Querschnitt von Indien nach Turkistan gezogen, so ergibt sich: Von Indien bis Himalayakamm sehr steiles Ansteigen; nördhche Seite

2) Transscription wie bisher: ch = tsch, j = dsh, eh = seh. Diphthonge lauten rein; Kürzezeichen bedeutet unvollkommene Vocalbildung. Auf jedem mehrsylbigen Worte ist die accentuirte Sylbe bezeichnet. (Erläutert in „Results", Vol. III, S. 139—160.)

3) Eine Zusammenstellung der wichtigsten Höhenpunkte (Aus- zug aus Band II der „Results") gab ich in den Sitzungsber. der k. b. Akademie der "Wissenschaften von 1867; Indien S. 479 506, Hochasien S. 507 518.

E.V. Schlagintweit: Erläuterung der Gebiete Hochasiens. 315

des Himalaja und südliche Seite des Karakorüm hat mitt- lere Steigung, ähnlich den Formen des Engadin in den Alpen ; Nordseite des Karakorüm ist Hochplateau mit relativ niederer Begrenzung, auch durch die Südseite des Künlijin ; Nordseite des Künliin zeigt steilen Abfall, mit Kamm- und Gipfel-Bildung, die an die Hochalpen der Tauern erinnerte.

Die Karakoriimkette, die früher auf den Karten ganz fehlte , ergab sich bei unserem Ueberschreiten des Hoch- gebirges als die höchste und die wasserscheidende der drei Kammlinien. Ferner zeigte sich, dass der Karakorüm es ist, der nach \yesteu in den Hinduküsh sich fortsetzt, während man bisher den Künliin für die entsprechende, an den Hindu- küsh sich anschliessende Kette hielt.

Gegen Süden sowohl als auch an der Nordseite ist das Gebirgssystem Hochasiens scharf begrenzt, während gegen Osten und Westen die Ausdehnung weniger genau sich be- stimmen lässt. Nordöstlich von Assam schliessen sich näm- lich andere Züge von ziemlicher Mächtigkeit an ; doch sind diese verschieden in ihrer Richtung und wahrscheinlich auch in ihrer geologischen Entstehung. Gegen Westen , in der Nähe des Hinduküsh , könnten wohl noch manche der kleineren Gebirgskämme als Ausläufer der centralen Masse beigezählt werden, die jetzt, zum Theile der pohtischen Be- grenzungen wegen, als dem Hinduküsch angehörend betrachtet werden. Dass der Karakorüm sogleich als die höchste der drei Ketten hervorträte, wird unter anderem dadurch etwas verborgen , dass die Lage der Schneegrenze , wegen des ge- ringen Niederschlages, eine ungewöhnlich hohe ist. Diese Kette, für welche der Name Karakorüm ,,das schwarze Gebirge", im Gegensatze zum Himalaja, dem ,, schnee- bedeckten", der ganzen Ausdehnung nach entspricht, gabelt sich in der östlichen Hälfte seiner Längenentwickelung in zwei, wohl nahezu gleich hohe Zweige; diese umgeben gegen Norden und gegen Süden eine verhältnissmässig nicht

316 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. Novemler 1870.

sehr bedeutende Depression, deren Richtung der Wasser- scheide des Gebirges parallel ist. Die Seen Tengri und Nämur liegen in dieser Senkung , welche gegen Osten offen bleibt und als da endend betrachtet werden kann , wo der eigentliche Brahmaputra, vom Norden kommend, sie be- grenzt.*)

Dass in dem nach Süden gerichteten Flusssysteme viele Quellen grosser Ströme nördlich vom Himälaya liegen, war bekannt. Diese umströmen entweder die Enden desselben, wie der Dihöng im Osten, der Kabulfluss im Westen, oder sie finden ihren Weg nach Süden durch eine jener zahlreichen Depressionen der Hiraalayakette, von denen hier, des Beispiels wegen, nur die oberen Ausflussstellen des Monäs- flusses in Bhutan, des Kori- und des Gandak-Flusses in Nepal und die bekannteren des Satlej und Indus im nordwestlichen Himälaya genannt seien. Nach Norden, glaubte man, bilde die Grenze des Stromgebietes erst die Kette des Künliin, den übrigens bisher noch kein Europäer, weder vom Norden noch vom Süden her, erreicht hatte. Desto mehr waren wir überrascht zu finden , dass der Karakorüm , mit höherem Kamme als jener des Himälaya, und mit einzelnen Gipfeln, die nur wenige hundert Fuss von den höchsten , bisher im östlichen Himalaja bekannten, verschieden sind, noch südlich vom Künliin sich darbot.

Die Flüsse, deren Quellen auf der nördlichen Ab- dachung des Karakorüm gelegen sind , umfliessen oder durchziehen den Künlün, ganz ähnlich den Verhältnissen im Stromgebiete des Himälaya. Als Beispiele führe ich an den Yarkandfluss, der um das westliche Ende des Künliin

4) Den Unterschied des letzteren von dem so häufig damit verwechselten Zuflüsse Dihong aus Tibet habe ich bei der Besprech- ung der „hydrographischen Verhältnisse von Assam erwähnt. „Reisen" Bd. I S. 465.

n. V. Schlag intweit: Erläuterunr/ der Gebiete Hochasiens. 317

sich biegt, und den Karakäsli-, sowie den Keria-Fluss, welche durch Senkungen der Kette nach Norden austreten. Für die Hochregion nördlich vom Karakorümkamme, ebenso für beide Abhänge des Künlün ist auch noch des Umstandes zu erwähnen, dass die Ausflüsse aus manchen Quellen ver- siegen , ehe sie eines der grösseren Flussbette in der Thal- region erreichen.

Zwischen dem Karakorüm und dem Himalaja tritt Tibet deutlich als ein grosses Längenthal hervor, welches ziemlich nahe der Mitte ^ durch die Erhöbung der Thalsohle selbst, in eine nach Osten und eine nach Westen abfallende Hälfte getrennt wird. Ausschliesslich ,, plateauartig", das heisst mit sehr kleinen Thälern uud ohne bestimmtes Vorherrschen der einen oder andern Richtung derselben , zeigt sich vor- zugsweise jener Theil Hochasiens , welcher , nahe dem west- lichen Ende des Künlüu, diese Kette mit der Hauptkette Karakorüm verbindet. Selbst die Umgebungen des Tengri- Sees, obwohl in sehr bedeutender mittlerer Höhe gelegen, haben doch weit bestimmtere Thalformen.

Aehnlich dem tibetischen Längenthaie folgt gegen Nor- den eine zweite, aber viel breitere, longitudinale Eiusenkung, die im Osten in der Mongolei endet. Ihre südliche Grenze ist die Karakorümkette und der Hinduküsh, ihre nördliche der Thianshan (von den Turks ,,Sajanshäu" genannt). Die Flusssjsteme sind jene des Amu (Oxus) gegen Westen und des Yarkandflusses gegen Osten; sie sind durch den von beiden Seiten nur allmähhg ansteigenden Bücken des Bolor- Tägh getrennt.

Bei dem üeberschreiten der hohen Kämme, noch mehr bei dem Besteigen von Gipfeln, welche ausserhalb jener Linien liegen, welchen die Eingebornen ihres Verkehres wegen bisweilen folgen, waren bedeutende Hindernisse zu überwinden.

Selbst in Europa sind hohe Alpengipfel erst in verhält- nissmässig neuerer Zeit bestiegen worden und vor ein paar

318 Sitzimg der math.-pliys. Gasse votn 5. November 1870.

Jahrhunderten war ungeachtet des riesigen Unterschiedes in wissenschaftlicher und socialer Bildung zwischen Europa und diesem Theil von Asien auch das Alpengebiet noch sehr wenig durchforscht, Thäler, Fluren, Flüsse, Seen sind es, für welche das Volk, nahe den bewohnten Orten, zuerst sich Begriffe schafft ; auch Berge, durch Gestalt oder Grösse hervor- tretend, und einige der wichtigsten Pässe sind meist indivi- duell gut bezeichnet und dann noch in ziemlich weitem Umkreise bekannt; aber für die ferne liegenden oder die unbewohnten , schwer zugänglichen Theile der Ketten , wo die Hauptlinien des Systems zu suchen sind, fehlt im gewöhn- lichen Verkehr das Bedürfniss sie zu kennen.

Die wissenschaftliche Literatur über das Gebiet von Hocliasien ist sehr neuen Datums. Einzelne Ketten und Gipfel des Himalaya und die westlichen Provinzen von Tibet waren schon bald nach Befestigung der englischen Herrschaft in Indien Gegenstand der Untersuchung durch Europäer gewesen; aber es haben sich uns, auch der politischen Ver- hältnisse wegen , besonders in den östlichen und nördlichen Reichen noch grosse Schwierigkeiten geboten, die Verbindung der verschiedenen Theile zu einem geographischen Bilde zu erkennen.

Massenerhebung und Flächenausdehnung.

Das Cubikvolumen der Gebirge Hochasiens in ihrer Erhebung über das Niveau der tropischen Meere ist ein un- gleich grösseres als für irgend ein anderes Gebirge der Erde. Es betheiligen sich daran, im gleichen Verhältnisse, die be- deutende Fläche der Basis sowohl als die grossen Erheb- ungen der Kämme und Gipfel , in den centralen Gebieten selbst der Thalsohlen. In dem geologischen Theile der ,,Results" werde ich versuchen, die numerischen Einzeln- heiten dafür zu erläutern und zusammenzustellen, wie wir

E. V. Schlag intweit: Erläuteruug der Gehiete Hochasiens. 319

es früher für die Alpen im 2. Bande der ,, Untersuchungen'' gethan.^) Schon hier aber sei darauf aufmerksam gemacht, dass sehr wahrscheinlich auch die geringe Entfernung von den Tropen und die im Verhältnisse zur Länge (von West nach Ost) nicht sehr grosse Breite (von Süd- nach Nord) einen nicht unwesentlichen Einfluss darauf ausgeübt haben. Bekanntlich ist unsere Erde nahezu als ein elliptisches Ro-

tationssphäroid zu betrachten, dessen Abplattung -—- , genauer

300

beträgt (nach Bessel, dem ich auch in den übrigen

299- 152

Zahlenangaben hier folge). Die halbe grosse Axe hat eine Länge von 20" 9 Millionen englischen Fuss (nach Bessel 3,272,077" 14 Toisen) , und diese Entfernung vom Centrum gegen den Aequator ist um 70,000 engl. Fuss (genauer 69,941') grösser als jene vom Centrum gegen die Pole. Es ist nicht ganz ohne Bedeutung selbst im Verhältnisse zu den linearen Erddimensionen im Allgemeinen, dass gerade in der subtropischen Region die höchsten Kämme und Gipfel gelegen sind , und dass Höhen über 28,000 Fuss mehr als */3 des Unterschiedes zwischen den Hälften der grossen und kleinen Axe betragen. Solche Höhen zeigen sich auch als nicht unbedeutende Dimensionen im Verhältnisse zur Dicke der festen Erdrinde. So weit sich aus der Zunahme der Temperatur mit der Tiefe in Bergwerken und aus dem Ver- gleiche solcher Resultate mit dem Schmelzpunkte der festen Körper, die Dicke beurtheilen lässt, wird angenommen, dass bei 120,000 bis 150,000 Fuss unter der Oberfläche Metalle und die meisten eruptiven Gesteine schmelzen, dass also die Höhe der grössten Berge ungefähr V^ dieser festen Schicht beträgt.

Gegen die Dimensionen der Erde allerdings sind diese

5) „Mittlere Höhe nnd Masse der Alpen" S. 575—582.

320 Sitzung der math.-j^hys. Classe vom 5. Notemler 1870.

Grössen noch immer sehr gering zu nennen, denn bei

120,000 Fuss ist die Dicke der Schicht noch nicht - der

halben grossen Axe, noch immer viel weniger, als die relative Dicke der Schaale eines Hühnereies! Gradmessungen zur un- mittelbaren Bestimmung der Krümmungsgestalt der Erde sind in Indien zweimal ausgeführt worden ; das erstemal von Lamb- ton bei 12^2** nördl. Breite, das zweitemal von Lambton und Everest bei IßVs" nördl. Breite. Diese ergeben beide die Länge des Breitengrades kleiner, also weniger von der vollkommenen Kugelgestalt abweichend als jede andere der bisher vorgenommeneu Messungen. Die nördlichsten bis jetzt ausgeführten Messungen sind jene von Svanberg und von Maupertuis in Schweden bei 66 Vs*' nördl. Breite. Es hatte sich bei Maupertuis' Messung der Grad um 2738* 1 engl. Fuss grösser als jener in Indien gezeigt.

Der Flächenraum der Basis Hochasiens beträgt, bei 25 Grad Entfernung zwischen den Enden von Ost nach West und einer mittleren Breite von etwas über 4V2 Graden, an 350,000 nautische Quadratmeilen, ^) was sich zur Fläche der Alpenbasis (= 24,200 nautische Quadratmeilen) wie 14"46:1 verhält. Auf Weltkarten in Mercator's Projection tritt der Unterschied nicht in seiner vollen Grösse hervor, da auf diesen durch das Princip der Projection die Oberfläche in der Breite der Alpen weniger reducirt ist als in der Breite Hochasiens.

Gestaltung der Hochregion und der Mittelstufen.

Gemeinschaftlich ist es dem ganzen Gebiete, dass, bei der vorherrschenden Länge der Hauptketten, Erhebungscentra

6) 1 nautische Meile , = 6124"6 engl. Fuss , ist ebenso wie die deutsche geographische Meile als Theil des Aequators definirt. 60 Seemeilen sind = 1 Grad oder 15 deutsche Meilen.

H.v.Schlagintweit: Erläuterung der Gebieie Hochasiens. 321

analog den „Massifs" der Alpen im Gesammtbilde weniger hervor treten; ferner, dass man fast immer Standpunkte wählen kann , deren Höhe ausgedehnten Ueberblick be- günstigt. Es machte uns diess möglich eine Reihe von „Gebirgsprufilen der Schneeketten" aufzunehmen, wo- bei die Panoramen dem ganzen Himalaja entlang sich meist berühren , oder doch so wenig von einander entfernt sind, dass sie für jene Gipfel, die über die Schneegrenze sich er- heben, ununterbrochene Reihen bieten.

Von den Panoramen wurden 6, auf 3 Tafeln, für die Kammlinie von Bhutan bis Kashmir in dem jüngst erschie- nenen 2. Bande der ,, Reisen" gegeben; 12 werden für Tibet und Turkistau am Schlüsse des 3. Bandes folgen.

iur 76 der Bergspitzen auf den Himalayatafeln konnte zugleich Breite, Länge und Hohe angegeben werden. Die in Tibet und Turkistan ausgelührteu Messungen und Zeich- nungen werde ich in ähnlicher Vollständigkeit nur von Süden nach Norden , nicht von Osten nach Westen bieten können. da für die östlichen Theile Tibets nach jeder Richtung hin so viele Lücken bleiben. Auch die letzten Reisen . welche zwei indische Pändits im Reiche des Dalai Lama 1865 und 1866 ausführten, bieten, ungeachtet der wichtigen Beobach- tungen längs dem Flusslaufe des Dihong, von den das Thal seitlich begrenzenden Schneeketten weder Messungen noch Ansichten.

Die Ausführung, die ich für die Gebirgsprofile wählte, ist verschieden von der gewöhnlichen Darstellung landschaft- licher Objecte. Hier sind nur durch ungleiche Stärke der Contourlinien, sowie durch die Anwendung von Schraffirung, 3 Grade der Entfernung ausgedrückt; in den zur Firnregion gehörenden Erhebungen ist auch Licht- und Schatten-Seite unterschieden. Es enthalten desshalb , so wie sie hier vor- liegen, die ,, Gebirgsprofile"' nur Hintergrund und Mittelregion; die dem Beschauer näheren Theile wären in dieser Weise [1870, n. 31 22

322 Sitzung der math.-phys. Gasse vom 5. November 1870.

nicht "wiederzugeben. Die Aufnahme der Bilder wurde, von Adolph und mir, in gewöhnlicher Weise und in Farbe aus- geführt ; sie sind als solche zum Theil schon im Atlas der jjResults" in Farbendruck erschienen; die grösseren derselben werden dort als Doppeltafeln folgen.

Der Horizontalwiukel, den in günstigen Ansichten der Hauptketten die ununterbrochene Reihe von Schneegipfeln ein- nimmt, ist im Himalaja viel bedeutender als in den Alpen.

In den Alpen zeigen Standpunkte, vfie jener des Rigi, des Faulhornes , die stetige Folge von schneebedeckten Kämmen und Gipfeln von 30 bis 40 Grad, oder andere, wie jener des Piz Languard, lassen uns über einen viel grösseren Theil des Horizonts Gruppen von Schneebergen überbhcken , die aber unter sich weit abstehen und durch verhältnissmässig niedere Regionen des Mittelgrundes getrennt sind. Im Himalaja waren Panoramen von 150 Grad Schnee- region nicht selten ; im Falüt-Panorama in Sikkim erreicht sogar der äusserste Wiukelabstand zwischen den Schneegipfeln an ganz reinen Tagen 190 Grad, also 10 Grad über die Hälfte des Horizontes.

Aehnliche gewaltige Ausdehnung in derSchneeregiou zeigen auch die beiden andern Ketten Hochasiens; aber in den Mittelregionen sind die einzelnen landschaftlichen Gebiete sehr verschieden. Der Abhang des Himalaja gegen Indien zeichnet sich aus durch üppige subtropische Vegetation bis zu Höhen von 8000 bis 10,000 Fuss und durch ein sehr steiles Gefälle der Kämme und Thäler. Zu- gleich ist auch dieses sehr allgemein, wegen der steilen Ab- dachung gegen Süden, dass man im Mittelgrunde in Tiefen von 7 bis 8 Grad \Yinkelunterschied hinabsieht, von Stand- punkten , wo die fernen Berggipfel noch zu einer Höhe von 3 bis 4 Grad über den Horizont sich erheben. In Tibet ist der Mittelgrund gewöhnlich dem Beschauer weit näher ge- legen; in einzelnen Fällen jedoch kamen auch da sehr

n.v.Schlagintioeit: Erläuterung der Gebiete Hochasiens. 32 3

starke Depressionen mehr localer Art vor. weil auch in Tibet die Erosion der Flüsse nicht selten 2000' beträgt.

Jenseits Tibet, im Plateau zwischen Karakorüm und Künlün, ist Steinwüste mit Schneeketten im Hintergrunde der Charakter der Landschaft.

Die Ränder der Gebirgsregion.

Nicht weniger bemerkenswerth als die Verhältnisse der Kämme sind jene der niedersten Regionen längs der Ränder Hochasiens.

Ein grosser Theil des Himalaja entbehrt an seiner süd- lichen Basis sedimentärer Gesteine von einiger Breite; da- mit hängt in der Terraingestaltung der Umstand zusammen, dass vom Hauptkamme des Himalaja gegen Indien die Seitenkämme ununterbrochen sich fortziehen, während in den Alpen häufig zwischen solchen Ausläufern (.,Spurs*') und der Ebene noch Vorgebirge (,. Outerranges'') liegen'^), die meist wieder ziemlich die Richtung des Hauptkammes haben, und die Flüsse, die aus dem centralen Theile des Gebirges aus- treten, stark aus ihrem oberen Laufe ablenken.

In den östlichen Theilen jedoch fand sich solches Vor- gebirge, von geringer Höhe aber topographisch deuthch hervortretend. Zugleich hat sich dort in Form und geolo- gischer Bildung viel Uebereinstimmung mit den Vorbergen der Alpen erkennen lassen, ein Umstand, dessen ich noch mehr- mals bei der Besprechung der geologischen Verhältnisse der einzelnen Provinzen zu erwähnen haben werde. So gehören die Bhütia- Vorberge der Tertiärzeit an und doch sind sie stark gehoben ; es zeigt diess , dass die letzten Hebungen des Himalaja und der Alpen geologisch gleichzeitig sind; auch in der Art der Schichtenstellung war grosse Aehnlichkeit, und

7) „Results etc."', ^'ol. VI.

22^

324 Sitzung der matli.-plujs. Classe vom 5. November 1870.

ich fand Braunkolilenlager ganz jenen des Peissenberges ent- sprechend, in der Bhutan Tarai. Dagegen fehlt am südlichen Rande Hochasiens jene Seebildung, die sich in den Hoch- ebenen der Alpen noch jetzt theils als tiefe wassererfüllte Becken , theils in der Form von Mooren , wenn seicht und nun durch Erosion entleert, sich zeigen. Selbst im Innern des Himalaya sind Seen äusserst selten und verhältniss- mässig klein , nur in Tibet gibt es noch jetzt einige grosse Seen; aber auch diese sind spärliche Reste der früheren Wassermenge. ^)

Als allgemeine Eigenthümlichkeit , die am meisten in der so feuchtwarmen Zone längs des Siidrandes von Hoch- asien auffällt , ist ferner hervorzuheben , dass Moor- und Torfbildung fehlt, auch da, wo in den subtropischen Regionen die Bodengestaltung sie begünstigen könnte. Der Mangel erklärt sich durch die Verschiedenartigkeit des Vegetations- charakters. Die torfbildenden ^loose der Alpen (Sphaguum und ähnliche) sind dort nicht vertreten. Wo am Fusse des Gebirges beim ersten Austritt der Gebirgsströme in die Ebene grosse Bodenfeuchtigkeit veranlasst wird, hat sich ,,die Tarai" gebildet, ein Saum von wechselnder Breite, der dicht mit Rohrgewächsen , baumartigen Gräsern , zum Theil auch mit mittelhohem Holze dicotyledonen Gebildes be- deckt ist. Die Vegetation in solchen Lagen , wo grosse Wärme mit reichlicher Feuchtigkeit fast das ganze Jahr hin- durch sich verbindet, ist eine sehr üppige und die Zersetzung der ungeheuren Menge abgefallenen Pflanzenstoffes in Lagen, wo zugleich die reichlichen Ablagerungen der Flüsse sich anhäufen, macht die Tarai sehr ungesund. Am schlimmsten

8) Ihr "Wasser ist fast immer brackisch, und sie sind im Stadium des Yerschwindens durch Austrocknen. Ein Bericht über die „tibet- ischen Salzseen'" wird der Gegenstand meiner nächsten akademischen Mittheilung sein.

H.v. Schlagintwcit: Erläuterung der Geriete Hochasiens. 325

ist diess dem Südende von Sikkim und Nepal entlang. Be- wohnt ist die Tarai nur von einigen vereinzelnten , sehr spärlich vertheilten Aborigineistämmen. Für Europäer so- wohl als selbst für Indier ist schon die kurze Zeit, die nöthig ist , um die Taräi , auf dem Wege nach dem Himalaya . zu kreuzen, in vielen Theilen derselben und während der meisten Monate sehr gefährlich.

Auf der Nordseite Hochasiens , längs dem Rande des Künliin, ist nichts, was die Tarai vertreten würde. Sowohl die Temperaturabnahme in Folge der Breite und der noch ziemlich bedeutenden Höhe als auch die geringere Feuchtig- keit bei der ganz continentiilen Lage beschränken dort die Vegetation in den Hügeln; in den breiten Niederungen beginnen jene Sandwüsten, welche in so grosser Ausdehnung die Flächen Turkistans, von 4000 bis 2500 Fuss Höhe über dem Meere, bedecken. Der See Lop, der am östlichen Ende dieser Depression gelegen und als Binnensee der Wüsten angegeben ist, nimmt die Hauptströme aus dem Karakorüm- und Künlün-Gebiete auf. In den östlichsten Abdachungen des Künlün scheinen die Quellen schon zum Stromgebiete des Höang-ho zu gehören.

Die Bewohner Hochasiens.

Für die Vertheiluug der Bewohner nach Rage und Religion sind die Kammlinien der drei Hauptketten nicht die Grenzen. Auf der Indien zugewendeten Südseite des Himalaya sind die Völkergruppen am zahlreichsten unrl unter sich am meisten verschieden. In den östlichsten Theilen daselbst wohnen noch jetzt viele Aborigiuer-Ragen ; sie gehören zu jener grossen Gruppe, welche in der Tarai sowie im Osten und Südosten von Assäm sich findet. Früher haben sich diese Ragen, wie viele Spuren erkennen lassen, viel weiter gegen Westen ausgedehnt; gegenwärtig fand ich von

326 Sitzung der math.-phys. Classe vom 5. November 1870.

der Mitte Bhutans an bis Nepal im Gebirge allgemein Be- wohner tibetischer Ra^e, die vom Norden her den Him- alayakamm zu überschreiten hatten. In Nepal sind die Bewohner der mittleren Höhen , die zugleich die herrschen- den sind , gemischte Ragen , aus arischen und tibetischen, auch einigen Aboriginer-Elementen entstanden. Reine Abori- giner zeigten sich dort längs dem unteren Gebirgsrande, reine Tibeter in den alpinen Gebieten von grosser Höhe, nahe dem Kamme.

Weiter gegen Westen tritt fast überall nur arische Rage auf, die aus Indien eingedrungen war. Jene Himälaya- Bewohner arischer Rage, welche Hindus geblieben sind, haben auch meist ihre Rage so gut erhalten, dass, wie in Indien, die Kasten auch in den Körperformen Unterschiede erkennen lassen. In Kashmir dagegen, obwohl die Rage in ihren Mittelformen als arische sehr rein geblieben ist, sind die Kastenunterschiede längst verschwunden, weil dort der Islam die vorherrschende Religion geworden war.

Die tibetische Rage , die einzige unter allen Zweigen des tuiänischen Stammes, welche, wie eben erwähnt, südlich vom Himalaja vorgedrungen war, bevölkert ausschliesslich das Längenthal zwischen dem Himalaja- und Karakorüm- kamme. Fast die ganze grosse Strecke ist von Tibetern reiner Rage bewohnt; nur in Balti, im Westen, wo die Be- wohner in Folge von erobernden Einfällen aus den südlichen und westlichen Nachbarstaaten zu Mussalmans gemacht wurden, hat sich auch die Rage nicht ungemischt erhalten. Gegen Osten und Nordosten liegen die Gebiete der Mon- golen, die, wie die Tibeter, turanischen Stammes sind, und weniger in Körperformen als in Sprache, häuslichen und staatlichen Verhältnissen von diesen sich unterscheiden.

Dem arischen Stamme begegneten wir ein zweites Mal unter den Völkern Hochasiens im Gebirgszuge des Künlün und in dem weiten Thalgebiete von Turkistan Sein

n.v. Schlagirihceit: Erläuterung der Gebiete Hochasiens. 327

Vorkommen in dieser Region war uns bis zum Tage , wo wir damit zusammentrafen, ganz unerwartet, neu. Denn sind auch die Türken in Europa ihren gegenwärtigen Körperformen nach als Arier bekannt, so hatte man doch allen Grund zu glauben, dass ihre Vorfahren, und ebenso deren Stammes- genossen an den seit Jahrtausenden unveränderten "Wohnsitzen, zur grossen Völkergruppe der Turäuier, speciell der Mongolen, gehörten , auf welche ihre Sprache so deutlich hinweist , da diese nicht zur arischen, sondern zur tuiäiiischen Sprachen- gruppe gehört, Dass niedrigsteheude , ebenso wie stark gemischte Kacen ihre Sprachen wechseln , war uns schon mehrmals vorgekommen; doch hier lag der Fall in der entschiedensten Form für eine sehr wohl entwickelte arische Rage vor. die ungemischt geblieben ist.

Herr Seidel spricht:

jjüeber die Grenzwerthe eines unendlichen Potenz-Ausdrucks."'

Diese Abhandlung wird zur Aufnahme in die Denk- schriften bestimmt.

Historische Classe.

Sitzunsr vom 5. XoTember 1870.

Herr v. Löher gab einen

.,üeberblick der Elsässer Geschichte und ihre Ergebnisse."

328 Einsendungen von Druckschriften.

Einsendungen von Druckschriften.

Von der lyfälzischen GeseUscJiaft in Speier: Neues Jahrbuch der Pharmacie und verwandte Fächer. Zeitschrift. Bd. 84. Heft 1. 2. 3. Juli, August, September 1870. 8.

Vom historischen Verein von und für Oberdayern in München:

a) 30. und 31. Jahresbericht. Für die Jahre 1867. 1868—1869. 8.

b) Oberbayerisches Archiv für vaterländische Geschichte. 28. Bd. 2. Heft und 29. Bd. 1869—70.

c) Die Sammlungen des Vereins. Erste Abtheilung: Bücher, Handschriften, Urkunden. Zweites Heft. Alphabetischer Ka- talog über die Büeher-Sammlung M Z. 1868. 8.

Von der anthropologischen Gesellschaft in Wien'. MittheiluDgen. 1. Bd. Nr. 4. Septbr. 1870. 8.

Von der naturforschenden Gesellschaft in Emden: 45. Jahresbericht. 1869. 1870. 8.

Von der StadtbihliotheTc in Braitnschiveig :

a) Geschichte der Stadt Braunschweig im Mittelalter von Dr. Dürre. 1—6. Lieferung. 1861. 8.

b) Hundert Merkwürdigkeiten der Herzogl. Bibliothek zu Wolfen- büttel von C. P. Schömann, und Legende von Ritter Peter Dimeinger von Staufenberg in der Ortenau. Hannover 1849. 8.

Einsendungen von Vnickschriften . 329

c) ürkundenbuch der Stadt Braunschweig. Erster Band. Statute und Rechtebriefe 1227 14139. Herausgegeben durch den Archivverein. 18G2. 4.

d) Nachrichten über das Stadtarchiv zu Braunschweig. 18G8. 8.

e) Ueberblick der mittelalterlichen Architektur Braunschweigs und seiner nächsten Umgebung. 1863. 8.

f) Historische Notizen über Helmstädts Merkwürdigkeiten. 1863. 8.

Vom historischen Verein für Niedersachsen in Hannover: Zeitschrift. Jahrgang 1869 und 32. Nachricht über den historischen

Verein für Niedersachsen. 1870. 8.

Von der Gesellschaft der Äerzte in Wien: Medicinische Jahrbücher. 20. Bd. 4. Heft. Zeitschrift. 26. Jahr- gang. 4. Heft. 1870. 8.

Von der deutschen morrjenländischen Gesellschaft in Leipzig: Zeitschrift. 24. Bd. 3. Heft. 1870. 4.

Von der deutschen geologischen Gesellschaft in Bern : Zeitschrift. 22. Bd. 3. Heft. Mai, Juni, Juli 1870. 8.

Vom B. Comitato Geologico d' Italia in Florenz: Bullettino. Nr. 7. 8. Luglio ed Agosto. 1870. 8.

Von der Bombay geographical Society in Bombay: Transactions. Vol. 19. Part. 1. 1870. "8.

Von der südslavischen Akademie in Agram: Rad jugoslavenske Akademije. Knjiga 11. 1870. 8.

Vom Observatory in Cincinnati: Aunual report. June 1870. 8.

Von der historischen Gesellschaft in Basel: Beiträge zur vaterländisch u Geschichte. 9. Bd. 1870. 3.

330 Einsendungen von Druckschriften.

Von der schweizerischen naturforscTienden Gesellschaft in Bern:

a) Mittheilungen. Aus dem Jahr 1869. 1870. 8.

b) Verhandlungen der schweizerischen naturforschenden Gesell- schaft in Solothurn am 23., 24 , 25. August. 53. Jahresver- sammlung. Jahresbericht 1869. Solothurn 1870. 8.

Von der Carolinischen Universität in Lund: Acta Universitats Lundensis 1868. Philosophi , Spräkvetenskap och Historia. Mathematik och Naturvetenskap. Theologi. 1868—69. 4.

Vom Musee Theyler in Harlem: Archives. "Vol. 3. Fascicule premier. 1870. 8.

Von der Clinicäl Society in London: Transactions. Volume the third. 1870. 8.

Von der Societe des sciences de Finlande in Helsingfors:

a) Bidrag tili kännedom of Finlands natur och folk, häft XV och XVI. 1870. 8.

b) Öfversigt afF. Vet. Societetens förhandlingarXII. 1869—70. 8.

Von der Sternwarte in Bern:

Schweizerische meteorologische Beobachtungen. Septbr., Oktbr.,jNovbr. 1870. 4.

Von der Academia de las tres nobles artes de San Fernando

in Madrid:

Coadros Selectos. Cuaderno 1°. Publicados por la Misma. 1870. Fol.

Von der allgemeinen geschichtsforschenden Gesellschaft der Schweig

in Bern: Schweizerisches Urkundenbuch. 2. Bd. 2. Heft. 1871. 8.

Vom Verein für mecTclenburgische Geschichte und Älterthumslcunde in Schwerin:

Jahrbücher und Jahresbericht. 35. Jahrgang. 1870. 8.

Einsendungen von Drue'kschriften. 331

Von der Beddktion des Correspondenz-Blattes für die Gelehrten und Bealschulen Württembergs in Stuttgart: Correspondenzblatt Xr. 5. Septbr. und Oktbr. 1370. 3.

Von der pfälzischen Gesellschaft für Pharmacie und verwandte Fächer

in Speier: Neues Jahrbuch für Pharmacie und verwandte Fächer. Zeitschrift. Bd. 34. Heft 4. Oktbr. 1870. 8.

Vom Verein von Freunden der Frdkunde in Leipzig: Neunter Jahresbericht 1869 1S70. 8.

Von der Zr. t. Sternicarte in Prag: Magnetische und meteorologische Beobachtungen auf der Sternwarte im Jahre 1869. 30. Jahrgang. 1670. 4.

Von der l'. Akademie der Wissenschaften in Berlin:

a) Abhandlungen. 1869. 1. IL 1870. 4.

b) Monatsbericht. Juni, Juli 1870. 8.

Von der Je. sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften in Leipzig:

a) Berichte über die Verhandlungen. Philosophisch -historische Classe: 1868. IL IIL 1S69. I. IL III. 1870. 8.

b) Die Denkwürdigkeiten (1207—12381 des Minoriten Jordanus von Giano von Georg Voigt. (Abhandlungen der philosophisch- philologischen Classe Nr. 6. 1870.) 8.

c) Erophile. Vulgargriechische Tragödie von Georgios Chortatzes aus Kreta. Von Konrad Bursian. (Abhandlungen der philo- sophisch-philologischen Classe. VII. 1870). 8.

d) Berichte über die Verhandlungen. Mathematisch-phjs. Classe. 1869. IL m. IV. 1^70. I. n. 8.

e) Elektrische Untersuchungen. Achte Abhandlung. Ueber die Thermoelektrischen Eigenschaften des Topases. (Abhandlungen der mathematisch-phys. Classe Nr. 4. 1870). 8.

f) Bestimmung der Sonnenparallaxe durch Venusübergänge von der Sonnenscheibe mit besonderer Berücksichtigung des im Jahre 1874 eintretenden Vorüberganges. Von P. A. Hanven. (Abhandlungen der mathem.-phjs. Classe Nr. 5. 1870). 8.

332 Einsendungen von Druckscliriften.

Von der naturforschenden Gesellschaft in Dorpat:

a) Sitzungsberichte. 3. Bd. 1. Heft. 1869. 1S70. 8.

b) Archiv für die Naturkunde Liv-Esth- und Kurlands. Erste Serie: Mineralogische Wissenschaften nebst Chemie, Physik und Erdbescheibung. 6. Bd. Meteorologische Beobachtungen. 1. Lieferung. 3. Jahrgang. 9.

c) Archiv für die Naturkunde Liv-Esth- und Kurlands. Zweite Serie: Biologische Naturkunde. 7. Bd. 2. Lieferung. 1870. 8.

VoJ7i natunvissenschaftlichen Verein für SteiermarJc in Graz: Mittheilungen. 2. Bd. 1870. 8.

Von der American Geographica! and Statistical Society, Cooper Institute in Keiv-YorJc:

a) Annual Report of the American Institute of the City of New York for the years 186S. 69. Albany. 8.

b) Fourth, fifth annual Report of the metropolitan Fire. Depar- tement of the City of New York. 1869. 1870. 8.

c) Transactions of the N. Y. State Agricultural Society. 1867. Part. 1. 2. Albany 1868. 8.

d) Journal. 1870. Vol. 2. Part. 1. 2. 8.

Vorn Institut Boyal Grand-Ducal in Luxemburg: Publications. Section des sciences naturelles et mathematiques. Tom. 11. Annees 1869 et 1870. 8.

Von der Historisch Genootschap in Utrecht:

a) Kroniek 25. Jaargang. 5. Serie. 5. Deel. 1870. 8.

b) Werken. Nieuwe Serie. Nr. 13. 1870. 8.

Von dem Ic. Instituut vor de Taal-Land en VolkenTcunde van Neder- layisch Indie in S'Gravenhage: Bijdragen tot de Taal-Land-en Volkenkunde van Nederlands Indie. 3 Volgreeks. 5. Deel. 1. Stuk. 1870. 8.

Von der Meteorological Society in London: Proceedings. Yol. 5. Nr. 50. 1870. June. 8.

Einsendungen von Druckschriften. 333

Vo7i der Asiatic Society of Bcngal in Calcutta:

a) Bibliotheca Indica a collection of oriental works. New Series.

Nr. 172. 173. 177—17!). 181. 182. 183. 1870. 8.

b) Proceedings. Nr. 3. 4. March, April. 1870. 8.

c) Journal. Part. 1. 2. Nr. 1. 1870. New Series. Vol. 39. Nr. 159. IGO. 1870. 8.

Von der Academie royale des Sciences, des Teures et des heaux-arts de

Belgique in Brüssel: Bulletins. 39° annee, 2 serie, tome 30. Nr. 9 et 10. 1870. 8.

Von der Academie royale de Medecines de Belgique in Brüssel:

a) Bulletin. Troisieme Serie. Tom. 4. Nr. 5. 6. 7. 1870. 8.

b) Memoires couronnes et autres memoires. Collection in 8°. Tome 1. (2. Fase.) 1870. 8.

Von der Societe des sciences naturelles in Brüssel: Bulletin. Tom. 8. 3. Heft. 1870- 8.

Von der Societe imperiale des naturalistes in Moskau:

Bulletin. Annee. 1870. Nr. 1. 8.

Von der südslavischen Gesellschaft in Agram: a) Stari pisci hrvatski. Knjiga 2. 1870. 8. b; Starine. Knjiga 2. 1870. 8.

c) Monumenta spectantia historiam Slavorum meridionalium. Yol. 2. 1870. 8.

d) Rad Knjiga 12. 187o- 8.

Von der Societe d'enndation du Douhs in Besancon: Memoires 4. Serie. 4. Volume. 1868. 1869. 8.

Von den Herren C. G. Giebel und M. Sietvert in Halle : Zeitschrift für die gesammten Naturwissenschaften. Originalabhand- lungen und monatliches Repertorium der Literatur, der Astro- nomie, Meteorologie, Physik, Chemie, Geologie, Oryktognosie, Paläontologie, Botanik und Zoologie. Neue Folge. 1870. Bd. 1. (35. Bd.) Berlin. 8.

334 Einsendungen von DrucTcschriften.

Vom Herrn S. G.F.Terry in Oxford: An Ancient Syriac Document , purporting tu be tbe record in its chief features of the second Synod of Epbesus. and disclosing historical matter interesting to the church at large. Part. 1. 1867. 4.

Vom Herrn D. Cecilio Pajazon in San Fernando: Anales del observatorio de marina de San Fernando. Seccion 2.

Observationes meteorlogicas. Auno 1S70. g. 4.

Vo)n Herrn Robert Main in Oxford: Eesults of astronomical and meteorogical observations made at the Radcliffe observatory Oxford in the year 1867. Yol, 27. 1870. 8.

Vom Herrn J.T.Smith in Ilelbourne: 1870. Victoria. Mineral Statistics of Victoria for the year 1869. Fol.

Vom Herrn Alessandro Ghirardini in Mailand: Studj sulla lingua umana sopra alcune antiche inscrizioni e sulla or- tografia italiana. 18G9. 8.

Vom Herrn Marco Taharrini in Florenz: Dücumenti di storia italiana publicati a cura della R deputazione sugli studi di storia patria per le provincie di Toscana, dell' Umbria e delle Marche. Vol. 1. 2. 1870. 4.

Vom Herrn Joseph Giirney Barclei in London: Astronomical observations taken during the years 1865 69. at the private observatory. Vol. 2. 1370. 4.

Vom Herrn W. F. B. Suringer in Leiden: Nederlandsch kruidkundig Archief. VijfdeDeel. Vierde Stuck. 1870. 8.

Vom Herrn Christian Cron in Augsburg: Beiträge zur Erklärung des Platonischen Gorgias im Ganzen und Einzelnen. Leipzig 1870. 8.

Vom Herrn Max Zengerle in München: Lehrbuch der Chemie nach den neuesten Ansichten der "Wissenschaft für den Unterricht an technischen Lehranstalten. 2. Abtheilung. 3. Lieferung. 1870. 8.

Einsendungen ton Druckschriften. 335

Vom Herrn Friedrich von Stalin in Stuttgart: Württembergische Geschichte. 4. Thl. Schwaben und Südfranken vornehmlich im 16. Jahrhundet. 1. Abthl. Zeit der württem- bergischen Herzoge Eberhard II. und Ulrich 1498 1550. 1870. 8.

Votn Herrn J. Ä. Grunnert in Greifswald : Archiv der Mathematik und Physik. 52. Thl. 1. Heft. 1870. 8.

Vom Herrn Hermann Kölhe in Leipzig: Journal für praktische Chemie. Neue Folge. Bd. 2. 5. Heft. 1870. 8.

Vom Herrn Karl Hornstein in Prag:

üeber die Bahn des Hind'schen Kometen vom Jahre 1847. Wien. 1870. 8.

Vom Herrn Karl Goertz in Moskau: Archeolog. Topographia. Tamanskago Polyostrowa. 1870. 4.

Vom Herrn F. Zantedeschi in Venedig:

a) Delle burrasche dell' atmosfera solare e della possibile loro connessione colle burrasche dell' atmosfera terrestre. 1870. 8.

b) Intorno all' elettro-chimica applicata all' industria e alle belle arti. Padova 1870. 8.

Von den Herren E. G. Gersdorf und K. Fr. von Posemklett in Leipzig :

Codex diplomaticus Saxoniae regiae. 2. Haupttheil. 9. Bd. ürkunden- buch der Stadt Leipzig. 2. Thl. 1870. 4.

Vom Herrn Georg Ludwig von Maurer: Geschichte der Städteverfassung in Deutschland. 3 Bd. Erlangen

1870. 8.

Vom Herrn von Schlagintweit-Sakünlünski in Mimchen : Reisen in Indien und Hochasien. Eine Darstellung der Landschaft, der Cultur und Sitten der Bewohner, in Verbindung mit klima- tischen und geologischen Verhältnissen. 2. Bd. Hochasien : I. Der Himälaya von Bhutan bis Kashmir. Jena 1871. 8.

336 Einsendungen von Druclcschriften.

Vom Herrn Ernst EäcJcel in Jena: Die Catallacten, eine neue Protisten Gruppe. 1870. 8.

Vom Herrn G. vom Bath in Bonn :

Geognostisch- mineralogische Fragmente aus Italien. 3. Thl. Die Insel Elba. 1870. 8.

Vo7n Herr 71 G. Neumayer in Wien: Ein Project für die Vorarbeiten betreffs des Venusdurcbganges von 1874. 1870. 8.

Vom Herrn L. Karl in Würzburg: Die Aeneide des Publius Virgilius Maro. 1870. 8.

Vo7n Herrn Bitter v. Haidinger in Wien :

Der 8. November 1845. Jubel - Erinnerungstage. Eückblick auf die

Jahre 1845 bis 1870. Schreiben an Eduard Doli. 1870. 8.

Vom Herrn John Tyndall in London: On theaction of rays of highrefrangibility upon gaseous matter. 1870. 8.

Vom Herrn Jos. Sievering in Luxemburg :

a) Sur les orages du Grand-Douche en 1866 1869. 8.

b) De l'equilibre et de la stabilite des corps flottants. 1870. 8.

Vom Herrn Giuseppe Bellucci in Turin: Süll ozono note e riflessioni. Prato 1869. 8.

Vo7n Herrn De Colnet-D' Huart in Luxemburg:

Memoire sur la theorie mathematique de la chaleur et de la lumiere. 1870. 4.

Sitzungsberichte

der

königl. bayer. Akademie der Wissenschaften.

Philosophisch -philologische Classe.

Sitzung vom 3. Dezember 1870.

Herr Lauth hält einen Vortrag über

,,Die älteste Landkarte nubischer Goldminen."

(Mit einer Tafel.)

Das Turiner Museum besitzt unter seinen zahlreichen Schätzen aus dem ägyptischen Alterthume auch die älteste Landkarte. Lepsius, welcher sie 1842 zuerst^) veröffent- licht hat. hielt sie damals für das „Grab des Königs Seti I auf einem altägyptischen Situationsplane von Biban-el-moluk". Richtig ist an dieser Bezeichnung nur, dass die betreffende Urkunde einen Situationsplan mit dem Xamen des Königs Seti I darstellt eine für jenes Stadium der Aegyptologie nicht unerhebliche Errungenschal't. Eine wesentliche Bericht- tigung und Bereicherung erfuhr die Würdigung dieses alt-

1) In seiner ..Auswahl von Urkunden des ägyptischen Alter- thums" Taf.XXII.

[1870. IL 4.] 23

338 Sitzung der phüos-philol Classe vom 3. Dezember 1S70.

ehrwürdigen Denkmals durch den bahnbrechenden Aegypto- logen S, Birch^). Obschou ihm das Original nicht vorlag, sondern nur die Ausgabe von Lepsius, in welcher die Farben fehlen, so fand er doch, bloss durch die Hauptlegende ge- leitet, dass ,,die Berge, aus denen mau Gold gewinnt, auf dem Plane roth gefärbt" sind. Ich werde Birch's Lesungen weiterhin eingehend berücksichtigen, indem ich hier vorläufig nur bemerke, dass ,,die historische Tafel Ramses 11" die Stele von Kuban ist. Birch vermuthet Ellaqe sei die Oert- lichkeit. Brugsch gedenkt fünf Jahre später,') 1857, der Arbeit Birch's, deren Resultate er adoptirt, mit der Ver- muthung, dass die Bergwerke (von Oloqa oder die) von El Sokkot am meisten den Bedingungen ,, der Strassen zum Meere'" entsprechen dürften.

Wiederum fünf Jahre später, 1862, behandelte der in allen Zweigen der Aegyptologie wegen seines Scharfsinnes berühmte französische Aegjptologe F. Chabas*) unser Aktenstück. Seine Vorführung des Originals mit allen Farben; die Hinzufügung eines früher nicht beachteten Fragmentes am unteren Winkel der rechten Seite; seine Herbeiziehung der auf den nämlichen Köuig Seti I bezüg- lichen Inschriften von Radesieh, die er schon früher übersetzt hatte, sowie seine meisterhafte Charakterisirung des Ganzen überhaupt, zeigen einen uamhafteu Fortschritt in der Er- kenntniss des Wesens dieser Urkunde.

Wenn ich es dessungeachtet wage, nach solchen Vor- gängern mit einer neuen Untersuchung hervorzutreten, so

2) In seiner Abhandlung: ,,Upon a historical tablet of Eameses II of the XIX"" dynasty, relating to the goldmines of Aethiopia.'' Lon- don 1852.

3) ,,Die Geographie des alten Aegyptens" p. 38 Anmerkung; die Karte selbst gibt er Taf. VI oben in verkleinertem Massstabe.

4) Unter dem Titel: Les inscriptions des mines d'or.

Lauth: Die älteste Landkarte. 339

geschiebt diess , weil die Hauptfrage : wo die Goldminen des Turincr Papyrus zu suchen und zu finden sind , die noch gar nicht gelöst ist, durch die von mir beizubringenden Materialien und Lesungen der Entscheidung nahe gerückt wird. Die Wichtigkeit des Gegenstandes erfordert hiebei alle Spuren minutiös zu beachten , wesshalb ich mit einer detaillirten Beschreibung dieser ältesten Landkarte^) beginne.

Der frfigliche Papyrus war früher, nach Analogie aller übrigen , gerollt und durch irgend einen Druck von aussen platt gedrückt und beschädigt , so dass er beim Aufrollen in sieben ziemlich gleich breite Streifen zerfiel , deren Zu- sammengehörigkeit durch die streichenden Linien und Farben mit Sicherheit ermittelt und wieJerhergesellt werden konnte. Bloss das Fragment rechts oben muss der dunklen Stelle wegen umgestülpt werden.

Da nun jeder dieser sieben Streifen in der um ein Drittel gegen das Original verjüngten Ausgabe von Chabas ungefähr 2 Zoll misst , so beträgt die Breite des Papyrus von rechts nach links etwa 21 Zoll oder 1^/4 Fuss. Die Höhe ist allenfalls um V? geringer, so dass nach Wegdeukung des siebenten Streifens sich ein Quadrat darstellen würde. Leider sind aber au der rechten Seite wahrscheinlich, weil diese Partie bei der Rollung den äussersteu Umgang bildete, der ümbilicus also durch die linke Seite dargestellt war mehrere Stücke abgebrochen und wie es scheint, unwiederbringlich verloren. Die übrigen drei Seiten hingegen, deren Ränder die Grundfarbe des Pai3yrusstofi"es selbst an sich tragen, haben trotz mehrfacher Abfalle und Auszackungen keine wesentliche Einbusse erlitten. Ich habe diese Ränder weggelassen.

5) Ich gebe sie auf beifolgender Tafel nach der Ausgabe von Chabas, mit einer einzigen nolhwendigen Modification.

23*

340 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 3. Dezember 1870.

Zwei Wege, die laut der Begleitcbrift ,,zu einem Ge- wässer Namens jutna führen", zeigen die lehmartige Grund- farbe des Papyrus; die übrigen vier Wege sind mit blasser Rosafarbe bemalt, ebenso die bei C und H befindlichen Gebäude. Dieselbe röthlicbe Farbe, aber etwas intensiver, ist an der Masse der durch die Wege und sonstige schwarze Umrisslinien eingefassten Berge angebracht und inschriftlich als aiinnu descher color rufus bezeichnet. Einer dieser Berge (B oben) ist chocoladefarbig in drei Abtheilungen schattirt. Ich gebe der Einfachheit wegen den ganzen Plan auf rothem Papier. Die naive Art der Darstellung, wonach die genannten Berge zu beiden Seiten der Wege nach rechts und links auseinander fallen, findet sich ebenso in der Hieroglyphe für Weg: £^, wo die Bäume mit den Wurzeln einander entgegengekehrt sind, und in der Karte einer assyrischen Gegend,®) die ebenfalls Berge und Bäume so flach liegend an den Seiten der Wege aufweist. Vergl. weiterhin die Pflanzentheile.

Hiemit wird schon die Frage erledigt, ob wir das Innere eines Bergwerkes mit seinen Minen, Gängen und Schachten, oder im Gegentheile die äussere Ansicht eines Gebirgsstockes vor uns haben. Dass Letzteres hier zutrifi't, ergibt sich so- wohl aus den Wegen ,,die (parallel) zu einem Gewässer führen", als auch aus der Vergleichung mit dem Plane eines entschieden unterirdischen Baues, nämlich des Ramessiden- grabes, welchen Lepsius') in dankenswerthester Weise ver- öffentlicht hat. Indess wird uns dieser Plan eines Grabes behufs der allgemeinen Orieutation auch unserer Karte weiter- bin erspriessliche Dienste leisten. Er folgt in meiner nächsten Abhandlung.

6) Vergl. Brugsch : Geogr. I. Tafel VI unten.

7) Grundplan des Grabes König Ramses IV (ebenfalls auf einem Turiner Papyrus) Berlin 1867.

Lauth : Die älteste Landlarte. 341

Ungefähr in der Mitte des Ganzen ist ein unregelmässiges Fünfeck von tiefbrauner Mumienfärbung. Darauf steht (so hat man sich's wenigstens zu denkeu) eine Stele der gewöhnlichen oben abgerundeten Form von weissem Steine, Inschrift lieh (I) als ,.die utu (Stele) des Königs Ramenma" (Seti I) bezeichnet. Warum man zum Gedenksteine des Königs nicht das. jöthlieht- Material aus nächster Nähe ge- nommen hat. sondern Kalk- oder weissen Sandstein? Vermuthh'cli , um das Denkmal recht in die Augen fallend zu machen. Unter K sieht mnn ein ovales, durch die Wellen- linien hinlänglich gekennzeichnetes Gewässer von grüner Farbe. Ich habe schon anderwärts dargethan, dass die

übliche Bezeichnung des Älittelmeeres nK^^^U'^^^^^ Uas:-

ura wörtlich ..das grosse Grün" bedeutet. Die zu K gehörige Legende ist zwar sehr zerstört ; doch lässt sich nach dem erhaltenen Artikel ta (femin.) zu schliessen, leicht chmmit „Brunnen' herstellen. Das runde Loch bei L ist braun bemalt, wie das I'ünfeck. Oh dadurch die von der Nähe des Wassers bedingte Bodencultur angedeutet werde, wie man annimmt . mng einstweilen dahingestellt bleiben. Ein anderes rundes Loch im Mitt^ Ibaue (C) , ohne besondere Farbe, mag ebenfalls, wie das bei K eine Gisterne vorstellen; wenigstens gestattet der Tempelbau (C) nicht, an einen Schacht zu denken. Der unterste Weg (0) ist mit ver- schiedenen Gegenständen bedeckt, die man bisher für See- muscheln erklärt hat, verleitet durch die wiederkehrende Legende, in welcher das Wort juma vorkommt, das man (vergl. C') als j.Meer" auffassen zu müssen glaubte. Allein, diess einstweilen zugegeben, wie kommt es denn, dass gerade der Weg (0), auf den die angeblichen Seemuscheln hin- gestreut erscheinen, inschriftlich das jtwia gar nicht erwähnt? Betrachten wir die fraglichen Gegenstände ohne vorgefasste Meinung, so gehören sie offenbar nicht ins Mineralreich oder

342 Sitzung der philos.-phiJol Gasse vom 3. Dezember 1870.

zu den Gebilden des Meeres, sondern zur Pflanzenwelt. Die länglichten w eissfarbigen Körper, 18 an der Zahl, sind entweder Nüsse oder Fruehtkörnt r ; die grünen Büschel entweder Aehren oder Zwtige; die bräunlichen entweder dürre Blälter oder Blüthcn. Dass der Unterschied dieser Farben nicht s-.treng durchgeführt ist, beweisen vier oblonge Körper mit grüner , und die Hälfte der blätterartigeu . mit aus Grün und Braun juxtaponirter Färbung, wenn diese kleinen Abweichungen nicht der Reproduction zur Last fallen sollten. Aus dem Augenscheine ergibt sich also, dass der betreffende Weg nicht zum unfruchtbaren Westraude des rothen Meeres führte, sondern vielmehr in eine Gegend, die vom befruchtenden Wasser: dem Nile, bespült wurde. Die tief dunkle Farbe bei G deutet auf ein Souterrain oder eine Grotte. Die hieratischen Legenden, schwarz gesehrieben, ver- rathen die Epoche des Rauises-Sesostris und seines Vaters SetLosis I; sie sind, soweit nicht die Bruchlinien und aus- gefallene Stücke störend dazwischen treten, vollkommen deutlich; die nothweudigen Eigänzungen, bis auf eine, sämmtlich sicher. Ich will sie, hieroglyphisch transscribirt, genau in derselben Reihenfolge vorführen, wie sie durch die grossen Buchstaben des lateinischen Alphabets auf der Tafel bezeichnet sind.

A.

na duH-u n-ti fiita lii nuh-n omu-n eher

,,die Berge, wo man ist im Waschen Gold aus ihnen";

au-u m pai aunmi-u deschert

,,sie sind aber in d(i)e(se)r rothen Farbe" (gehalten).

/VW^A

I vww\

^[^^;^,ii™^^;^p;s5n.

Lauth: Die älteste Landkarte 343

Hier ist von der Gruppe ää, kopt. lavare, nur der Anlaut ä zu ergänzen. Was die Sache selbst betrifft, so kehrt der nämliche Ausdruck auf" der Stele von Kuban (lin. 10) wieder und ist auch sonst sehr häufig anzutreffen; jedenfalls also wurde auf dem Terrain unserer Karte das Gold durch Waschung gewonnen, nicht einfach , .entnommen" Quer „ausgefühlt", wie man früher meinte. Nicht hun, charcm, ans, wie Birch gelesen hatte, sind die betreffenden Gruppen zu lautiren.

B.

na duu ii n p nm nub-u „die Berge mit dem Stoffe des Goldes."

Au dieser Legende ist nur der Artikel ^; unsicher er- gänzt; würde eine andere Ausfüllung der Lücke oder viel- mehr der erhaltenen Schriftzüge beliebt, so entsteht dadurch kein anderer Sinn. Die drei (oder vier, wenn links unter der Legende N quer eine Legende stand) in den Legenden desselben Betreffs sind um den Artikel na „die" sowie die Gruppe 2^ w?«< ,,dem Stoffe" kürzer. Die wechselnde Schrift- richtung dieser Legenden (B) erklärt sich , wie beim Plane des obengenannten Ramessidecgrabes, wohl aus dem Bestreben, die mangelnde Perspective zu ersetzen , obschon sie nicht streng durchgeführt ist. Denn die unter dem Wege bei 0 stehende Legende müsste nach diesem Principe umgestülpt werden. Desshalb glaube ich , dass das Fragment (rechts oben) umzustellen ist , um dem beabsichtigten Grundsatze besser zu genügen, weil auch die tief dunkele Färbung nicht den Grundton des Papyrus wiedergibt, obschon diese leider diesmal so dunkel ausgefallen, dass der Text unleserlich geworden ist.

344 Sitzung der phüos.-'philöl. Classe vom 3. Dezember 1870.

(J.

2)a cliemm n Ämon pai du nah

„Das Chennu-Haus des Amon d(ies)es Heiligen Berges".

Die Lesung und Uebeisetung ist unbeanstandet. Desto mehr ist es zu verwundern , dass Brugsch , der Begründer der altägyptiscben Geograpbie, die fehlerhafte Lesung Birch's reproducirt, welcher bietet: pa chateni en Amen en tu „der Schrein'" oder „der verschlossene Platz Amon's in dem Hügel. Unter diesem ist das Wort ab rein; ob dieses sich jedoch auf den Hügel oder auf das Heiligthum a-ab „reiner Platz" das Äbaton, bezieht, ist nicht klar". Im Lexicon p. 1095 liest er, einschliesslich des zweiten Artikels pai, wie ich, übersetzt aber: „Das innerste Gemach des Amon, dies ist der Berg der heilige". In seiner Geographie p. 160 und 162 weiss er sehr wohl, dass unter du-uab ent- weder der Gebel Barkai oder der Gebel Dosche zu ver- stehen ist.

Das Wort cJiennu, durch den Hausplan determinirt, wie das mittels bu (Ort) davon gebildete bu-chennu, welches im Kopt. böhen tectum, opertorium, cortina tabernaculi, sowie in ]n2 specula, turris in colle exstructa nachklingt, stammt

vom Verbum chennu ( ® ^ y^n Chabas fitudes egypt.

p. 16 not. 56) in der Bedeutung ..Haltmachen, rasten, ruhen" und Hesse sich allenfalls durch ,, Station" wiedergeben. Auf unserem Plane ist das chennu des Amon ein aus 6 Piegen bestehendes Gebäude, das von der Strasse aus nur einen einzigen Eingang hat. Aus dem hiezu gehörigen länglichten Räume führt nach links eine Thüre in den mit einer Cisterne versehenen Hof; hinter der Cisterne öffnet sich durch eine

Laxcth: Die älteste Landkarte. 345

neue Thüre ein un regelmässiges Fünfeck ; im rechten Winkel hiez!i steht ein länglichtes Zimmer*) ebenfalls mit einem Eingange vom Hofe aus. Nach rechts vom ersten Räume aus führt aus seiner hintersten Ecke eine Thüre in ein aus zwei Rechtecken gebildetes förmliches Eckzimmer, und aus diesem eine letzte Thüre in den kleinsten Bestandtheil des Gebäudes. Man vergleiche mit dieser thatsächlicheu BeschaÖ'en- heit des Baues die Bemerkungen des H. Chabas hinter seiner richtigen Uebersetzung : ,,il se compose de deux salles en- tourees de chambres". Eher möchte ich ihm in seiner Schlussphrase zustimmen : ..qui servaient probablement de logement aux pretres et aux ofticiers commandant la Station'". Man muss bei diesem Chennu des Amon , wie beim Plane des Ramessidengiabes sich immer vergegenwärtigen, dass die scheinbar auf dem Boden liegenden Thüren aufrecht stehend zu denkeii sind, wie denn überhaupt die ägyptischen Zeichner architektonischer Entwüife Grundriss und Quer- durchschnitt in seltsamer Weise zu verbinden gesucht haben. Es ^^tand dieses Gebäude also am Berge, nicht unterirdisch im Berge.

D.

tu ma't n fa Sekcmth-ti ..Den Weg von (zu) der Sekanthtt'*

Die erste Gruppe ,.der Weg" kehrt noch dreimal wieder; sie unterliegt nicht dem geringsten Zweifel^;. Unsicher aber

ö) Dieses ist auf Lepsius Pian durch eine fehlerhafte Linie in zwei Räume getheilt. deren einer Theil ohne Ein- und Ausgrang sein würde.

9; Dass nicht mehr ta r.ha't zu lesen ist. wissen jetzt alle Aegyptologen.

346 Sitzung der phüos.-phihl 0asse vom 3. Dezember 1870.

ist das erste Zeichen des Namens der Stadt. Birch las en na Menta ,,(die Strasse) für die Arbeiter". Allein Chabas bemerkt dazu mit Recht: .,fie sens ne peut etre accepte", weil das Deutbild : der Stadtplan, nicht dazu stimmt. Doch las auch er menat-ti und übersetzte: ,,le lieu de la nourrice" oder: ,,le lieu de l'Asiatique" , beides unzulässig, weil das Wort nur ein Determinativ: ®. hinter sich hat. Da ferner die Sylbe men auf unserer Karte dieimal in der bekannten hieratischen Form auftritt , die von der die^^es angeblichen Menatti gänzlich abweicht, so bin ich befugt, mich nach einer anderen Lesung umzusehen.

Im Papyrus Prisse^") VII 4 kommt die Stelle vor: ,,Hüte dich vor einem Worte. '=^^3^/10^ ur n ur, welches entzweien würde einen Grossen mit einem Grossen". Die- selbe Gruppirung der Züge zeigt unsere Legende D hinter dem Artikel "(^ . Von »— ist noch das untere Stück der der durchschneidenden Linie vorhanden ; das K ^cz::;^ ist geformt wie im Anfange der Legende N '-^ ^. Dieses Wort sel'enth-ti fehlt wie seJcen und seJientha in Brugsch's Lexikon. Es ist eine Adoption des semitischen P^Zp sukkoth „die Höhlen" und bedeutet also ,,das Höhlenland". Die geo- graphische Einfügung ,,des )/, Sekenfh statt seJcefh" ist zu begreifen wie in r-hti-nur = ehol foras; tlienur = djor fortis also eine nasalirende Ersetzung des dunkelen Vo- kals 0.

Des wohlfeilen Auskunftsmittels statt '^^'»'^ ein - o zu lesen, was der Schriftzug gestatten würde, bediene ich mich desshalb nicht, weil eine solche Gruppe SeJiäth-ti nicht nach- weisbar ist. Ganz anders sind die Spuren der Legende in

10) Vergl. Sitzuugs- Berichte der k. b. Akad. d. Wiss. 1870. II. Beilage p. 83.

Laiäh: Die älteste Landkarte. 347

der Zeichnung von Lepsius. Besonders der Strich über dem Bruche des Papyrus . welcher in der zweiten Ausgabe von Chabas fehlt, wälirend seine erste ihn ebenfalls bietet, zwingt uns, eine andere Lesung zu versuchen. Zwar scheint auch hienach die Legende menth-ti ausgeschlossen, weil die untere Rundung des Zeichens nicht dazu passt und links dann jeden- falls ein Strich zu viel stünde. Dagegen ergeben die erhal- tenen Züge ungezwungen das Wort U Yj |^ SeJcath-ti . was mit SuTiliöt n"i3p noch leichter zu vereinigen ist, als mit Sekenth-ti. Wir besitzen sogar eine Gegenprobe dazu in der unterägyptischen Stadt loMA® sochet, ko]}i. sosche(t)

Campus, unser ,, Felden", welches von den Ebraeern zu dem nämlichen n"i2P adaptirt worden ist, von wo die Kinder Israels (Exod. XIII 20) nach der Station Etham zogen. Ich habe auf meiner Karte diese beherzigenswerthe Legende Sekath-ti jedoch nicht als Variante zu SeJcenth-ti gesetzt. Uebrigi ns zeigt die Zeichnung von Lepsius auf demselben Wege D zwei oder drei weitere Unrichtigkeiten, verglichen mit dem jüngsten Facsimile. Denn der Weg D ist nach hinten nicht durch eine Querlinie (bis zur Mitte reichend) abgegränzt, die Fortsetzung reclits fehlt und der linke Um- rissstrich des ,,hl. Berges'' greift einen halben Zoll in den Weg hinein. Auch ist das hinterste Zimmer des Chennu durch eine Linie in zwei Räume getheilt, deren einer ohne Ein- und Ausgang ist. Wäre indess auch Menth-ti zu lesen, so hätten wir das kopt. mone-(ti) mansio habitatio darin zu erblicken, aus welchem das heutige miniet „die Stadt" im Munde der arabisch redenden Bevölkerung entstanden ist, oder menti „das Gebirg" (montes). Eine letzte Möglich- keit, die durch Lepage-Renouf's Varianten nahe gelegt wird, wonach 3f€nti = Anienti ,,der Westen" will ich nur erwähnen , ohne sie zu acceptiren , obschon sie zu meiner

348 Sitzung der philos.-philoh Classe vom 3. Dezember 1870.

Orientation der Urkunde vortrefilicli stimmen würde. Die „Höblengegend" el StiMöt werden wir auch ohne die Le- gende 0 in G verzeichnet finden.

E.

fa I)elin(t)i n Airf ..Die Stirne (Fronte) von Ap't (Lokalität)".

Meine Vorgänger ergänzen hinter ta dehni, welches allein erhalten ist, die Gruppen en tu und übersetzen : ,,Die Vorderseite des Hügels" ., front de ... (sans doute de la fnontagne)''. Was dehni, kopt. teJini frons betrifft, so kommt es in der Geographie Aegyptens, besonders der Stele des Aethiopen Fianchi (lin. 27) vor, und zwar zwischen Pemdje und Phoe- nikopolis in der Heptanoniis. Dieses Ta-de(ha)ni ist ohne Beisatz und so wohl von dem Gewässer des XXL Gaues: Pen-iehani als von unsern Ta-dehn(t)i zu unterscheiden.

Was mich bestimmt, die Oertlichkeit mit dem Namen Ta-dehni durch n-Apt zu ergänzen . und in Aethiopien zu 8U suchen, ist eine Stelle des Todtenbuches, die bisher nicht gehörig beachtet worden ist. Im ersten Zusatzcapitel 163 col. 9 steht Folgendes:

^vV^AfV.

Arika van-f; entof hotep n pe m Mt-amenti Ta - dehanti

n Apt n p to Kenst au hu arf za r ab-fiu a

Lauth : Die älUste Landkarte. 349

Amon pe ha

,,Arika ist sein Name; er ruht im Nordwesten von Ta-

dehanti-n-A])t des Landes Kenest , bevor er macht die Fahrt

nach Osten. 0 Amon! du Stier'* etc.

Offenbar ist der Ruhende oder Untergehende der Gott Amon-ra, d. h. Amon als Sonnengott aufgefasst. der nach seiner Anlangung im Westen seine nächtliche Fahrt auf dem Hiuimelsozeau unterirdisch in der Richtung West Ost fort- setzend gedacht wurde. Meine Ergänzung wird nun nicht mehr zu kühn erscheinen und zugleich das Land To-Kenest d. h. Nubien oder ünteräthiopien als die Scene unserer Karte vermitteln. Bisher beruhte die Vermuthung, dass Nubien der Schauplatz sei, bloss auf der Legende nuh, kopt. nuh ,,das Gold", also auf ganz vager Voraussetzung, da ja auch andere Länder als Nubien Goldberge besitzen konnten. Dass aber nordwestlich von der Oertlichkeit wirklich ein Punkt war, Tadehn(t)i oder Chennu, wo Amon ruhte, beweist die nächste Legende

F.

hotepu Amon am - st ,,ruht (untergeht) der Gott Amon^*) in ihr".

11) Aus dieser Legende erklärt sich der so Läufige Name Amen- hotep, der zu 'Auiywtp&K; statt 'Auivüi&cfii und 'Auh'0(fis gräcisirt und von den Griechen mit ihrem Mifivoiv identifizirt wurde.

350 Sitzung der phüos.-iMlol. Classe vom 3. Dezember 1870.

Es ist der Anfang abgebrochen, aber sicher wegen des Pronomens st- ein Substantivum fem. nebst Artikel ta zu ergänzen. Auch Chabas fasst die Sache so, indem er über- setzt: ,,la demeure dans laquelle repose Ainmon". Birch gibt bloss die Lesung : hatp-Amen-em . . . Wir dürfen ohne

Bedenken

i

jj^ ta-as't oder ta-ment ,,der Sitz, die

Stätte" oder ein ähuhches Substantivum fem, (vielleicht n3p'?) ergänzen. Was gewinnen wir aber durch die drei Legenden C E F? Nichts Geringeres als die Orientation un- serer Karte, was für das Verständniss und die Bedeutung derselben von unschätzbarer \Yichtigkeit ist. Es geht daraus mit Evidenz hervor, dass die rechte Seite dem Norden, die linke also dem Süden, die untere dem Osten, die obere dem Westen entspricht. Genau dieselbe Richtung befolgten be- kanntlich die Gänge der Pyramiden, wie ich früher ^^) schon nachgewiesen habe. Der Eingang war dem Norden zugekehrt und senkte sich allmählig nach dem Innern in einem sol- chen Winkel, dass die Strahlen des Nordpolarsternes parallel damit einfielen. Der Situationsplan des Ramessidengrabes beginnt rechts ebenfalls mit der Nordseite und setzt sich geradlinig gegen Süden fort. Aehnlich erstreckt sich der Grundriss des Sonnentempels von Tel-el-Amarna von rechts nach links. ^^) Wir müssen also von der Orientation unserer modernen Landkarten völlig abstrahiren und auch den Satz des H. Chabas p. 32 : ,,Li carte se trouve donc orientee tout au rebours des notres , le sud ä la place de notre nord, Test ä la place de l'ouest , et ainsi de suite" etwas modificiren.

12) „Chufu's Bau und Buch " in den Sitzungsberichten dieser Akademie 1870.

13) Lepsius: Grundplan des Grabes Kanises IV pag. 14 lin. 3 von unten.

Lauth: Die älteste Landkarte. 351

Diesem iu Chabis' Ausg.be unfludbareii Buchstaben lasse ich die Legende des Fragments (rechts) entsprechen, die ich oben bereits angekündigt habe. Leider! ist sie nicht bloss am Anfange und Ende abgebrochen, sond'jrn von der dunkeln Färbung bis zur Unkenuth'chk-it getrübt. Indessen glaube ich daselbst 3 Zeilen einer Legende unterschfi Jen zu können, die senkrecht von rechts nach links stehen. Natür- lich bietet das Original eher die Möglichkeit einer sicheren Lesung. Ich lege kein Gewicht auf die Herstellung dieser Legende; übrigens verlieren wir in historisch-chronologischer Beziehung durch ihre Zerstörung nichts Wesentliches , da uns die unter I vollHn Ersatz dafür bi'-tet.

H.

)ia par-u n Djert bokn tuib ,,Die Häuser von Djert bearbeitend Gold".

Birch las: na ha-u en naJc nuh ,,difi Gebäude

des Landes von um zu waschen ( oderj um zu reinigen

das Gold". Ghabas übersetzte : .,Les maisons du pays de Ti? Z'on e^itrepose l'or"'. Die Schwierigkeit liegt in den vorletzten Gruppen, die allein verschiedener Auffassung fähig sind. Dass nicht vom Goldwaschen in diesen Häusern die Rede ist , ergibt sich unwiderleglich aus dem Mangel des Deutbildes des Wassers. Nach Analogie anderer Papyrus- Legenden haben wir hier das Wort '^'^^ hol-u, kopt. bök servus „der Arbeiter", byH'e merces (Resultat der

352 Sitzung der philos.-phüol. Clause vom 3. Dezember 1870.

Arbeit) zu erblicken. Offenbar sind die (4) Häuser als die Laboratorien anzusehen, in denen das Gold zu Barren oder Ringen verarbeitet wurde. Auf dem Plane der Goldberg- werke von Becheni (Bicbari) erscheint (B) der Ausdruck hoku nub dreimal, das zweite Mal in Verbindung mit einem leider zerstörten Stadtnamen, wie hier.

Den Namen der Stadt : Djer't anlangend, so liefert uns der Situationsplan des Ramessidengrabes unter b viermal die Legende:

„Gezeichnet nach dem Original , aufbewahrt in der Metall- tafel, ergänzt durch die nöthigen Farben".

Das Wort <^ v viu djeruu, im Zusammenhalte

mit dem kopt. djer varius, gibt uns auch den Schlüssel zum Verständniss des Stadtnamens Djer't unserer Legende : es ist die vom Terrain der Umgebung benannte ,, bunte" Stadt, wie es ja auch in Athen eine noixiXrj (öxod) gab, die Cor- nelius Nepos als Poecile aufführt.

L

utu suten Ra-men-ma't änch usa sneb „Stele des Königs Sethosis I der heil und gesund leben möge".

14) Auf der Stele von Kuban <=> Vfön <er»« geschrieben.

Laiith: Die älteste Landkarte. 353

Es besteht über diese Legende keine Verschiedenheit der Auffassung. ,,La stele du roi Ramamen" des Herrn Chabas setzt die 3Ia unnöthigerweise und gegen die hiera- tische Schreibung hinter f)ien , während Birch hutu en sut- heh Banienma liest, was er wohl jetzt etwas verbessert haben wird, mit der Uebersetzuug: ,,Die Tafel des Königs: Sonne Aufrechthalter der Wahrheit'' (Sethos I). Die Richtung der Stele anlangend, so sehen wir offenbar die Vorderseite, auf welcher die Inschrift angebracht war. Sie selbst scheint aber nach Nordwesten orientirt zu sein, nach dem oben in der Legende F genannten Punkte , welcher genau den Endpunkt der Diagonale von E nach F vorstellt. Die In- schrill war somit den Ankommenden auf den drei Strassen, die durch den gewundenen Verbindungsweg zwischen L und 0 zusammengefasst werden, geradezu eutgegengekehrt , um von ihnen gesehen und allenfalls gelesen zu werden. Was das weisse Material betrifft, aus welchem die Stele bestand, so wird ,.der gute weisse (Kalk)stein von Schaat" erwähnt in einer Inschrift von Kumme '"^j sollte die Xilinsel Sai damit gemeint sein? Ihre Nachbarschaft würde zu unserer Landschaft nicht übel passen.

K.

A,WW\ o'*'f^

ta chnumt

„der Brunnen"

ist nach Obij:em unzweifelhaft. Dasselbe Wort erscheint in der Iiischrilt von Kuban wiederholt; meine Ergänzung ist ausserdem durch die Spuren empfohlen.

15) Brugsch Geogr. I p. 45 und 160. [1870. IL 4.] 24

354 Sitzung der philos.-philoL Classe vom 3. Dezember 1870.

ta mat nti cliaä r pa juma

,,Der Weg, welcher leitet zu dem Gewässer".

Aehnlich auf dem Plane von Becheni (ßischari) : „(Der Weg, welche)r leitet zu dem Schlosse des Chor".

N.

Identisch mit der vorigen , nur mit ""^ U] hettlia „an- derer" vorn vermehrt. Nachdem ich oben die Seemuscheln auf dem Wege unter 0 beseitigt und durch Produkte des Pflanzenreiches ersetzt habe, kann mir juma nicht mehr das rothe Meer sein, jetzt auch nicht mehr wegen der oben erläuterten Orieutation. Hingegen spricht alles dafür, dass unter juma hier der profane Name des Nil zu verstehen ist. Die Alti^n nannten ihn bekannthch wegen seiner meer- artigen Ausdehnung zur Zeit der Ueberschwemmung "üxsavög und Herodot bestätigt dies sein Aussehen als Augenzeuge. Im Romane der zwei Brüder (Papyrus d'Orbiney) stellt der Juma dem Weibe des Batau nach, erwischt eine Haarlocke von ihr und trägt sie zu Wäschern des Pharao hinab. Ofi'en- bar ist hier der Nil als Flussgott aufgefasst. Hören wir endlich, was Brugsch in seinem Lex. p. 236 darüber sagt: „mma das Meer, auch der Nil, welchen bekanntlich noch heute die Bewohner Aegyptens mit dem Namen ^ A,^ ,,das Meer" bezeichnen". Dass C^, kopt. jom, plui-. amuiu mit diesem juma identisch sind und beide eigentlich ,,das Ge- wässer" bedeuten, ist Jedermann einleuchtend. Man versteht

16) L ist ohne Legende.

Laidh: Die älteste Landkarte. 355

jetzt auch, warum die beiden Paiallelwege M und N zum Nile führten oder vielmehr von da ausgingen; denn dieser Fluss bildet in Aethiopien wie in Aegyptcn die Vorbedingung der Locomotion. sowie der FrucLtbaikeit. Daraus erklären sich auch die Produkte des Pflanzenreiches auf dem dritten Pa- rallelwege, zu dessen L'-gende ich sofort übergehe.

0.

ta mat tJia pe ma-hes „Die Strasse die des Mahes".

Birch Hess den Namen dieser Strasse ungelesen; Chabas übersetzt: ,,le chemin de Tapimat ou qutique chose d'a- peu-pres". Er bemerkt hiezu: ce nom , d"a] res son deter- minatif, est celui d'un individu de race etrangere, mais non

celui d'une localite". Er hat das Zeichen | zu sehen ge- glaubt, das aber auf unserer Karte nicht vorkommt. Wenn das durch den Bruch des Papyrus fast spurlos verschwun- dene Zeichen hinter ^Sx^ ein fi war, so ist das nächst-

folgende ein ö oder I; war es ein Strich , dem das hieratische ß oft gleich wird , so gilt das nächste Zeichen

als Y ; jedenfalls folgt darauf ein liegendes "— nebst r-^-^.

Es kann nun sein , dass diese Gruppe ma-hes wörtlich ,,die gepriesene Seite" nur eine Aecommodation des semitischen

nCnD ,, Zuflucht'' eigentlich locus refugii i'^Tf) gewesen ist. Was mich in dieser Ansicht bestärkt, ijt die Ihatsache, dass der Bezirk Dar Succot oder el Soccot, den Brugsch als den

2i*

356 Sitzimg der philos.-phüol. Classe vom 3. Dezember 1870.

unserer Karte entsprechenden vermuthet hat, offenbar dem semitischen nüp ,,die Höhlen, Lager (des Löwen)" ent- spricht, was zu dem ,,Orte der Zuflucht" jjeine üble Nach- barschaft abgeben würde. Die Lösung der Frage, ob über- haupt die Herbeiziehung des Semitischen nach Aethiopien, und dieses Land als Scene unserer Karte zulässig sei, erheischt indess eine ausführlichere Besprechung, wodurch ich die genaue Lage und Gegend unseres Planes zu ermitteln hoffe.

Das Land Kenest.

Unmittelbar oberhalb der Nilinsel Philae (Pi-lak) begann nach den ägyptischen Nomenlisten eine Landschaft des Namens

/wwvA^C] abwechselnd durch 1, das Zeichen des Auslandes,

oder durch ^s^?-, cao , Q den Bogen, determinirt , welch' letzterer meist ohne alle sonstige Legende dazu dient, diese Landschaft zu bezeichnen. Daraus ergibt sich mit Noth- wendigkeit, dass Jcenes't in der Landessprache ,,den Bogen" bedeutete. Da nun dieses Wort kein ägyptisches ist, so sehe ich mich nach einer semitischen Hülfe um , auf die bisher Niemand verfallen war, nämlich das Wort n^'p., Plur. ntfl^'j?") Bogen arcus, welches sein n verloren hat , wie so manche ebräische Wörter z. B. higgid von nagad, ivajjet von natah, scJiethaim duae zwei vergl. schcnaim duo. Ein Analogon zn dieser Benennung eines Landes nach der Waffe bietet die Bezeichnung ni-Phaiat pars Aegypti ad occideutem Deltae. Es ist der lybische Bogen , den auch die saitische Göttin Neith führt, so wie der Thamehu, der Vertreter der hell- farbigen Menschenrage im Grabe Sethosis L Dieser Bogen

erscheint unter der Legende =^crc=^, für welches Deut-

17) Wegen des zum aeg. k "^^.^ nicht stimmenden p vergl. die wechselnde Legende Karkamascha und Qarqamascha = Karkemisch (Circesium).

Lauth: Die älteste Landkarte. 357

bild auch ^=7 oder f===^^*) eintreten und es entspricht dieses ped-ti genau dem kopt. pite, phiti^ pJiette arcus, so wie dem Volksnamen ni-Fhaiaf. Nicht zu verwechseln damit ist

das bibhsche Land Ü1D PMt, welches = ^ .^^ Pimt

dem Namen Arabiens, also gleichfall wie qescheth ein w ein- gebüsst hat. Man vcrgl. auch weiterhin Anutiu und schemer Q kopt. schemo alienus.

Wie weit sich die Grenzen des äthiopischen Bogenlandes Kenest erstreckten, will ich mit Brugsch^s*^) Worten er- läutern: ,,In den älteren Zeiten hiess To (Land) Ke7is das ganze dem ägyptischen Scepter unterworfene Land südlich von Assuan (Syene) an; in der jüngeren wenig mehr als der Theil, welcher zwischen Syene und Takom(p);0 lag. mit andern Worten , der sogenannte Jcoösxdaxoivog". Gerade dieser zwölf Schoenen oder 36 Stunden betragende Strich heisst aber jetzt noch Wadi-Kenus^^) , die Bewohner Beni- Kensi und der Name der Felseuinsel Konosso bei Philae steht damit um so wahrscheinlicher im Zusammenhange, als zu Herodot's Zeiten die ebenfalls benachbarte Lisel Ele- phaiitine zur Hälfte von Aegyptern , zur Hälfte von Aethio- pern bewohnt war.

Fragen wir weiter, wie weit nach Süden sich die ägyp- tische Herrscliaft UDter Sethosis 1. dem Pharao unserer Karte, erstreckt habe, so erhalten wir eine befriedigende Antwort

18) In Ermangelung der genaueren Type, die ihre Schenkel nach Aussen biegt.

19) Geogr. I, 100.

20) Nicht jedoch als Abkürzung aus (J(adixt<a-);(oii'oc, obschon <r/ow/o? selbst auf das ägyptische "^ | Qo ^ che-nuh ,,Messruthe" zurückgeht.

358 Sitzung der phüos.-philöl. Classe vom 3. Dezemher 1870.

in einem Briefe von Lepsius p. 256 : ,,Wir gelangten noch am 4. Juli (von oben herab) nach Sese^^), einem Berge, der die Ueberreste einer Festung tiägt. Die Ruinen, eine Viertel- stunde südlich vom Berge Sese gelegen, heissen Sesebi. Hier stand ein alter Tempel , von welchem jedoch nur noch vier Säulen mit Palmencapitälen aufrecht stehen; diese tragen die Schilder Sethos I, die südlichsten, die uns von diesem Könige begegnet sind".

Man bemerke besonders die Bestimmtheit des letzten Satzes, um sich vorzubereiten auf die von mir für unser Goldbergwerk zu eimittelnde Gegend, die etwas nördlicher als Sese Hegt, so dass ein dessfallsiger Einwurf gegen meine Thesis auf Grund der Königsschilder nicht erhoben werden darf. Auch notire man sich einstweilen die Thatsache, dass Sese zum Stamme {Dar IT Geschlecht) MaJias (Var. Mahass) gehört.

Das Land Kusch.

Nachdem von Seite der altägyptischen Geschiclite kein Bedenken gegen meinen Ansatz obwalten kann, fragt es sich weiter, ob die Natur keinen Einspruch erhebt.

Die Inschriften von Kadesieh, dem Wüstentempel Se- thosis I , würden allein schon genügen, die Ausbeutung des Gebirges auf Gold unter diesem Pharao darzuthun , der darin wegen eines zu diesem Behufe gebohrten Brunnens gefeiert wird. Dazu kommt die inhaltreiche Stele von Kuban. Auf dieser wird analog sein Sohn Rarases II (Se- sostris) gerühmt und lin. 20/21 wörtlich gesagt: „Es war der Wunsch jedes Königes des Oberlandes in der Vorzeit zu bohren einen Brunnen darin (in dem Lande Akait); aber nicht gelang es ihnen. Es Hess der König Ramenma (Se- thosis I) desgleichen thun: er Hess bohren (graben) einen

21) Auf der dazu gehörigen Karte steht Sesse T(empel).

Lauth: Die älteste Landkarte. 359

Brunnen von 120 Ellen an Tiefe in seiner Zeit; aber er (der Brunnen) ward unvollendet gelassen: nicht kam Wasser daraus hervor".

In der Umgegend von Kuban , das etwas südlicher liegt als Takompso, münden die Thäler der Wüste Etbaye, unter denen das Thal Alaqi oder Ellaqe, Ollaqi (El-akit?)^^) noch jetzt wegen seines Reichthums an edlen Metallen , be- sonders Gold , so wie an Schwefel etc. bekannt ist. Auch an einer classischen Bestätigung fehlt es nicht: Diodor (III 12) beschreibt ausführlich das mühsame Verfahren, die blendend weissen Adern aus dem schwarzen ^^) Gestein zu entnehmen, durch Mühlen zu Pulver zu zerstossen und daraus durch successive Waschungen das Gold zu gewinnen. Auf der von Lieblein (,,deux papyius") herausgegebenen Karte

von Goldbergen (Taf. V) erscheint der Berg von JC^\\

Becheni wiederholt. Da nun die hiemit identisch lautende

Gruppe jL^'"^^>- hechen nach Brugsch im Koptischen zu

baschur serra ,,Säge" geworden ist, so könnte dem Gold- berge Becheni allerdings die heutige Benennung Bischari entsprechen.

Diese Zeugnisse, welche sich leicht vermehren liessen, bekunden , im Zusammenhalte mit dem Augenscheine der Reisenden , genugsam das Vorhandensein goldhaltiger Berge in Aethiopien.

Wie wenn nun der altbekannte Name dieses Landes: 11/13 husch, ägyptisch ^^WjX] huschig auch Jcaisch und

22) Vergl. Linant de Bellefonds: Carte de l'Etbaye ou pays habite par les Arabes Bicharis, comprenant les mines d'or connues des anciens sous le nom d'Olaki , faite dans les annees 1831 et 1832 (publicirt 1854).

2'6) In der That sind die Berge des Planes von Becheni schwarz gemalt. (Vergl. die Taf. I des nächsten Heftes.)

360 Sitzung der phüos.-phüol Classe vom 3. Dezember 1870.

Jcesch geschrieben , selbst nichts Anderes wäre als eine Be- zeichnung für den Metallgelialt des Landes ? Im Ebräischen bedeutet IfÜ als Verbum metalla excoquere und identisch damit das kopt. c^ösch metalla excoquere. Als Lands- und Volksname erscheint in der koptischen Litteratur wegen der Quetschung des Anlautes die Form e-C'6sch, memphitisch e-Tösch, was per accommodationem sowohl zu Aix^ioip als Al'acojiog geführt haben mag. Nach weiteren Analogien, be- treffend die Benennung von Ländern nach den darin vor- findlichen Metallen, brauchen wir uns nicht umzusehen ; denn ganz nahe liegt, ja es coiucidirt mit Kenest und Kusch

Das Land Nubien.

Da nuh im Aegyptischen und Koptischen das „Gold" bedeutet, so hat Brugsch gewiss Recht gehabt, auf seiner Karte, nahe dem 22** südlicher Breite die urkundliche Le- gende r^C::£l (Nubi-a) ,,das Goldland" anzubringen. Noch

genauer wäre die üebersetzung von „Goldgebirg". Daraus indess , dass diese Bezeichnung auf der Ostseite des Nils angebracht ist , darf nicht vorschnell geschlossen werdenj dass die Gebirge westlich vom Flusse kein Gold enthielten. Denn die Nubaspraahe erstreckt sich zu beiden Seiten des Niles von Assuan bis Dongola^*), also viel weiter, als ich zu meinem Zwecke anzunehmen brauche. Doch es ist Zeit, zu positiver Bestimmung der Gegend unserer Landkarte auf Grund der Urkunde selbst zu schreiten.

Gebel Dosche.

Den Ausgangspunkt für meine Untersuchung bildet der Berg (C)/ n)it der Inschrift: ,,Das Chennuhaus des Amon

24) Lepsius Briefe p. 116, vergl. p. 117 und die Note 29.

Laiiih: Die älteste Landkarte. 361

des heiligen Berges'". Die hieratische Schreibung würde für den zweiten Theil auch die Uebersetzung : ,;Der heilige Berg" erlauben. Jedenfalls trug der betreffende ßeig'-) >lie

Benennung Cr^^CE]^ J^^ du-uah mons sacer. Man be- greift diese Benennung jetzt um so besser, weil unsere Karte d' n sottesdienstlichen Zwecken gewidmeten Bau des Gotttes Amon aufweist. Dieser ., heilige Berg"' nun niit derselben

Legende und der Variante ^^=^^f l^;:^^^)i>-/o-Ma& „das

heiliee Land" sonst und auch auf einer an Ort und Stelle befindlichen Felseninsqiaift urkundlich genannt, ist nichts an- deres, als ,.der Sandfelsen bei Dösche"", welcher auf dem linken Ufer des Niles an den Fluss vorspringt. ..Kaum eine Stunde von hier (nämlich Soleb, im Dar. Sukkot gelegen) liegt Gebel (der Berg. Gipfel) Do sehe, ein an den Fluss vorspringender Sandfels, in welchem von der Flusseite her eine Grotte eingehauen ist. Diese enthält Darstellun-jen des dritten Tuthmosis"".-'')

Vielleicht ist auf diesen Berg auch die Stelle des Pap. Anastasi I 15, 6 zu beziehen, wo von Steinschleppern die Rede ist, welche ziehen zum c^iii;^^^, um mennu (Denk- malsteine) dort zu holen. Bemerken>werth ist hiebei die Ab- kürzung ^^>, anstatt des ^^"^^ unserer Karte, welches

dem kopt. troscJi corona rubra iW) throsch, thresch, thörsch

rufus entspricht, wobei die Liquida r versetzt erscheint. Die altägyptische Form nach Abfall des r, der nichts Ungewöhnliches ist nämlich desch oder dosch, gemahnt

25) Wie der Gebel Barkai bei Xapata. Yergl. Brugsch Geogr. 1162 und meine Abhandlung ,,Die Piancbi-Stele" in den Denkschriften d. k. b. Akad. ISTO.

26) Brugsch Geogr. I 160.

27) Lepsius: Briefe p. 256/257.

362 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 3. Dezember 1870.

sofort an den heutigen Namen Gebel Do sehe, das sonoch wörth'ch der „rothe Berg" bedeutet. Nun besehe man sieh unsere Karte: ,, Der heih'ge Berg'' ist thatsächlich mit rother Farbe gegeben und zum üeberflusse ist dieses in der Le- gende A noch ausdrückh'ch bezeugt mit den Worten: „Die Berge, wo man ist im Waschen Gold aus ihnen; sie sind aber in d(ies)er rothen Farbe"'. Hiemit ist ebensowohl auf den Phin selbst , der ja ein Facsimile vorstellt , als auf die natürliche Farbe des Gebirgstockes Bezug genommen.

Der urkundliche Ausdruck ,,ilas lieilige Land" anstatt „der heilige Berg" gibt uns die weitere Andeutung, dass mit du-iiab und chi-dosch ursprünglich nicht ausschliesslich der einzige Berg Gebel Dosche bezeichnet wurde, sondern der ganze an den Nil vorspringende Gebiigsstock aus rothem^^) Sandstein. Aus diesem Umstände erklärt sich alsdann die ganze Orientation der Karte (vergl. die Pfeile). Wir haben uns den Nil als die zwei Seiten (Hnks und unten) unseres Rechteckes umfliessend zu denken. Möglicherweise wurde auch die dritte Seite (rechts) noch vom Nile bespült ; doch kann hierüber ohne Beobachtung an Ort und Stelle nichts Bestimmteres behauptet werden. Aber ein Blick auf die Karte (in Lepsius: Briefe) zeigt uns in der That eine Aus- buchtung des Nil im Dar-Mahass, deren Mitte von dem Tempel Ses(s)e eingenommen wird. Diese Ausbuchtung würde allen Bedingungen unserer Karte genügen, wenn wir nur eine Ahnung von dem Massstabe unserer Urkunde hätten. Indess scheint der Plan dieser Goldminen etwa neun Stunden weit sich zu erstrecken. Beruhigen wir uns einstweilen mit der erhärteten Thatsache, dass ,,der heilige Berg" dem Gebel Dosche entspricht. Ob die hinter die.-em Berge gelegene Oertlichkeit Te-dehnti-n-Apt ,,die Front des

28) Sollte eich die blassrothe Farbe der Wege auf Quarz be- ziehen ?

Lauth: Die älteste Landkarte. 363

Stuhles" eine Spur ihrer Gebäude oder ihres Namens hinter- lassen hat . üjüsste erst näher in loco unsersuchl werden. Auf der jetzigen Karte ist Nichts dergleichen zu entdecken. Aber keineufalls dürfen wir mit Brugsch Geogr. 1161 die Legende in n-A2)t verküizen und d;iraus Napet oder Nepat (Napata) gestalten, welches er in die Gegend von Amada, /wischen die Sonnenstadt Derr und die Amonstadt Sebüa setzt29).

Eben so wenig lässt sic\ über den nordwestlich (und das stimmt vortrefflich zu unserer Kartei) von Ta-dehnti-n- Apt gegebenen ,,AiiioiiSsiiz"", worin der Gott ruhte, aus den bisherigen Reiseberichten etwas entnehmen.

Dur Sukkot.

Desto erfreulicher ist die Wahrnehmung, dass dt-r Name der Oertlichkeit, welche jenseits Gebel Dosche (zwischen diesem Berge und dem 1 Stunde davon nach Süden ent- fernten Soleb läuft die Grenze) durch den Weg mit der Inscrift D angedeutet ist, sich noch so treu in der Benenn- ung Dar (Stamm) Sukkot bis auf uns erhalten hat. Nach den erhaltenen Spuren zu urtheilen da der Weg hinter D sich um die Haltte verengt musste man Sukkot auf Fusssteigen erreichen, was auf eine hohe Lage deuten würde. Im Einklänge damit steht, dass der Gott Amon, dessen Sitz bereits im Dar Sukkot zu denken ist, auf den äthiopischen

Denkmälern gewöhnlich mit der Schreibung ^s,^^ ^^^^ T

Amwii getroffen wird . determinirt durch den die Arme empor streckenden Mann. Diese Auffassung lässt sich auch

29) Ich habe darüber in meiner Abhandlung : „DiePianchi-Stele" Denkschriften d. k. b. Akad. d. Wiss. 1870 p. 30 Not 3 das Nöthige b'-merkt. Dazu kommt , dass ap't im kopt. epi fti) aedicula domun- cula erhalten ist.

364 Sitzung der philos.-pliüol. Classe vom 3. Dezember 1870.

noch im kopt. amun celsitudo, sublimis nachweisen, das im Hieroglyphischen U^^^ glorißcare. kopt. amwi gloria vor- gebildet erscheint. Jedenfalls war und ist Sukkot ein ge- birgiges Land und nichts weniger als unwahrscheinlich, dass es wegen seiner Höhlen n"i2p ,,Seka(n)th-ti" die Höhlen- gegend genannt werden mochte. Ueber die ägyptische Schreibung habe ich oben gehandelt. Die Präfigirung des Artikels El (Sukkot) stimmt zu dem ägypt. ta (Seka(n)th-ti).

So leb.

Diese Stadt, an einer fast rechtwinkligen Biegung des Niles gelegen , hatte einen bedeutenden Tempel des Königs Amenophis HI (Memnon), wie ich oben zur Legende D schon bemerkt habe. Auch Brugsch Geogr. I 161 gedenkt dieses Memnon - Tempels und eine schöne Stele der Münchner Glyptothek zeigt unter andern den Satz:

i|'<=>ilUo^ II c^'^^-^- -7' J

„Damals war er (Hui, Sohn des Nochtsebak, der Errichter

des Denkmals) im Ueberwacheu die Bauten (Arbeiten) auf

dem heiligen Berge".

Die Schilder des Königs Amenophis III und seiner Gattin Thei (Thaja) komnjtn im Texte und Giebelfekle vor. Dazu kommt, dass Amenophis III im Tempel zu Soleb sowie auf Lord Prudhoe's Löwen, die er seinem eigenen Genius „seinem (des Amon) Ebenbilde lebend auf Erden" errichtete, zugleich den Titel führt : ^^R=^ *?f^ ^o Icnest ,,Herr des Landes Ken est". Diese ihre bequeme Lage erklärt uns, wie die "Widder des Berliner Museums in alter Zeit nach Gebel Barkai und die Löwen des Prudhoe nach Europa verbracht werden konnten. Auf unserer Karte haben wir es nicht zu suchen, noch mit den Häusern der Stadt Djert

Lauth: Die älteste Landlcarte. 365

(JloixiXri) zu identifiziren , weil wir nicht wissen , wie weit sich „das heilige Land'', ,,der heilige Berg", „der rothe Berg" im Sinne des Kaitenzeichners erstreckten. Die Nuba gebrauchen für ..Gold"' jetzt das arabische daha'b mit An- hängung ihres Artikels -Jci. Da ditst-s oflfenbar = I~T au- rura. so liesse sich so.'eb als alte dialektische Form betrachten. Wenigstens bedeutet selupin im Demotischen und Kopti&chen digitus annularis (auricularis-articuLiiis). Dies war den Dar- stellungen zufolge bei den Aegyptern und Aethiopern der kleine Finger, dessen Benennung als ,, Goldfinger'' selup-in wohl auf ein nubisches seJiip oder soJep, soleb zurückweist. Aber so viel ist sicher, dass die obere Partie der rechten Seite dem Gebel Dosche und dem südlichen Theile von Dar- Sukkot entspricht. Volle Gewissheit hierüber können wir aber erst dann besitzen , wenn die entgegengesetzte Partie (links unten) uns den nördlichen Theil des Dar-Mahas(?) darbietet. Dieses ist glücklicherweise der Fall.

Dar-Mahas. Die Legende 0: ,.Die Strasse, die des Mahes" (oder Mahas) zeigt ägyptisirendes Bestreben, wie oben Seka(n)th-ti statt SoJiot-ti. So wie aber der Artikel El (Sukkot) dem weiblichen Ta-3eka(n)th-ti entsprach , so hier der männliche ägyptische Artikel p) den Genus des semitischen Wortes nOHD masc. locus refugii, mit dem ich oben Dar-Mahas(s) ideutifizirt habe. Wir h.iben ein weiteres Mittel, die Triftig- keit dieser meiner Gleichung zu erhärten , an den Früchten und Pfianzentheilen . welche auf dieser ganzen Strasse Lin- gestreut liegen, so weit sie auf der Karte erhalten ist. Auch der Plan des Goldbergwerkes Becheni (Bischari) zeigt einen so bestreuten Weg. Dieser führte vom Nil nach Osten, wie der unseres Planes nordsüdlich. Gerade so weit südlich vonSes(s)e, als Soleb von diesem nördlich liegt, trifft man den Ort (Fakir) Fenti, am Anfange des Wüstenweges (unser

366 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 3. Dezember 1870.

Weg von M durch L H nach G), durch den die Eingeboruen den grössten Theil der Provinz Mähas abzuschneiden pflegen, weil es ilmen einen zu weiten Umweg verursacht, wenn sie dem von hier aus fast rechtwinklig nach Osten , dann im Bogen weiter ziehenden und zuletzt Soleb gegenüber fast rechtwinkh'g wieder nach \Yesten einbiegenden Nile folgen würden. „Wir aber", schreibt Lepsius p. 255, ,, folgten den W^enduugen des Flusses (auf dem Wege 0 unserer Karte) und stiegen in der Nähe zweier alten Burgen an das Ufer zu einem Palmenhaine hinab, in dessen Schatten wir die heissen Mittngstunden über (es war am 3. Juli 1844 unter dem 20° nördlicher Breite) ruhten. Die nächste jener ro- mantisch zwischen zerklüfteten Felsen gelegenen Burgen finde ich auf jeder Karte verschieden angegeben, als F. Effendi (Cailliaud), F. el-Bint von hint das Mädchen (Hoskius), F. Bender von hender die Hauptstadt (Arrowsmith); sie (p. 256) heisst aber F. Fenti im hiesigen Dialekte oder F. Benti in dem von Dongola, und ist so von den Palmen zu ihren Füssen (fenti, henti heisst Palme und Dattel) genannt wor- den". Derselbe bemerkt p. 118: ,,Für Dattelfrucht und Dattelbaum, die im Arabischen verschieden bezeichnet werden : hellah und nachele, haben sie (die Nuba) nur ein Wort he(n?)ti (fenti)."3o)

Der Zusammenhang dieses benti mit dem kopt. baion palmeus, baihet ramus palmae, bati sing, bit rami palmarum, beni, benne palma, bnne, benne fructus palmae, dactylus, pal- ma ist ersichtlich ; alle diese Wörter weisen auf das ägypt. baner Palme, Dattel, zurück.

Ich denke, unsere Strasse 0 ,,die des Mahas" genannt, mit ihren Früchten (Datteln?), Blütiienbüschelu und (Palmen-) Blättern gewährt der philologischen Erklärung des H. Lepsius

30) Doch nennt Brugsch hinter bet-gi „der Dattelbaum" un- mittelbar diffe-gi „die Dattel".

Lauth: Die älteste Landkarte. 367

eine bedeutende Stütze, sowie meine Deutung der Legende und des Strassenpflasters 0 durch seine Bemerkung niclit unerheblich em[)fohlen wird.

Endlich muss auch noch der Umstand betont werdt-n, dass die Reise in der fraglichen Gegend nur auf dem We^-t- ufer des Nils gemacht wurde. Diess deutet auf Unwirth- lichkeit oder ünpassirbarkeit des östlichen Ufers, und folg- lich auf das Gegentheil beim westlichen Ufer , was auch durch die dortigen Bauten und Änsiedlungen bewiesen wird. Und wie die Reisenden beim Fakir Benti (Fenti) in einen schattigen Palmenhain traten, so wiesen die Früchte, Blüihen und Blätter der Strasse (0) des (Dar) Mahas uns schon oben auf die Nähe des befruchtenden Stromes hin. Wirklich läuft sie in geringer Entfernung parallel mit den zwei Wegen (M, N), von denen urkundlich bezeugt ist, dass sie ,,zum Gewässer" führten.

Der Nil.

Ich habe oben aus manchen Gründen vermutLet, dass das Gewässer jiima auf unserer Karte nicht das Meer, sondern den Nil bedeutet, und bei jener Gelegenheit ^'mna als ,, profanen"' Namen dieses Flusses , im Gegensatze zu seinem heiligen: Hapi , bezeichnet. Man könnte mir ein- werfen, dass NetXog Nikis (wie ich selbst früher'^) dargethan, aus dem aegyptischen Nu-hel gebildet, woher auch Nahal und Naiiar) eben diesen profanen Namen vorstelle. Allein ,, profan" könnte ja auch der Name juma für den Nil wohl in dem Sinne sein, dass er eine Uebersetzung z. B, der äthiopischen Bezeichnung darstellt. In der That scheint

juma statt des zu allgemeinen ^v. V^^ *'^^'' ^^V^- ^^^o(u) aqua, das desshalb auch ,,Stoti" bedeutet, aus dem semi-

81) Zodiaques de Denderah p. 32.

368 Sitzung der philos.-phüol. Clause vom 3. Dezember 1870.

tischen C] entlehnt zu sein , das mit vielen andern Wörtern in der literarischen Epoche Sethosis I und Rauises II, viel- leicht durch den Verkehr mit den Apriu (Ebräern) in die ägyptische Sprache eindrang. Wie hiess nun der Nil bei den Aethiopen? 'Aotcctiovc, "Aaroodßaq (Strabo XVII), 'Aoro- Odßag (Artemidor.) Astusapes (Plin.). Diodor (I 37) übersetzt den Namen AoraTTOvg mit ro sx Oxorovg v6(oq. Auch Astabores wird cähnlich von PHnius erklärt als ramus aquae venientis e tenebris und diess ist ziemlich genau die üebersetzung der hieroglyphischen Nillegende von Naga:

ast hapo reJiodh Jelo

ramus aquae provenientis e nocte (tenebris)

Zu dem in meiner fiüheren Besprechung^*) bloss durch ürn. ,,die Wasserrinne belegten rehodh kann ich jetzt ein hieroglyphisches Beispiel hinzufügen. Im Todtenbuch c. 163, 11 wird Amon mit dem Beinamen Schakanas genannt:

"ra" ^^'^ V I ^^^^ ^v I *'^^'^^^* ^^P ^^'^'* ,, erster Ausfluss des (AbendbOunengottes) Tum". Was ich aber dem ast gegenüberstellte, nämlich nQV. ramus , dürfte aus mehreren Gründen angefochten werden können. Es ist mir unterdessen von befreundeter Hand das Wort TW^ ,,Abfluss" , also ein Synonymon zu J2ni, notificirt worden. Mag es sich aber damit verhalten wie es wolle, jedenfalls ist das Wort essi der Nubasprache zu 'AöTanovg gehörig. Lepsius sagt da- rüber p. 118 seiner Briefe: ,, Wasser, Meer, Fluss ist ihnen alles essi; doch ist es auffallend, dass sie den Nil durch ein besonderes Wort: Tossi, bezeichnen. Brugsch bietet im Anhang zu seinen ,, Reiseberichten" : essi W^asser, essi-dul-gi der Fluss, esse-nadi-ge das Meer, tossi-ingemä der Nil".

32) Sitzungsberichte 1869 I. I. p. 28.

Lauth: Die älteste Landkarte. 369

Ich denke, Tossi ist nur ein Compositum, allenfalls mit ^[1 Ta(-ta) „Vater". Die Uebereinstimmung aller Ueber- setzungeu : vdcoQ, aqua, essi, Tossi, '£2x€av6g juma CJ für den Nil dürfte den Schauplatz unserer Karte von vornherein nach Aethiopien verweisen.

Einen letzten Blick beansprucht die dunkel gefärbte und dadurch in ihrer Legende unleserlich gewordene Stelle G. Nßch meiner Umstellung, die durch den punktirten Umriss des Berges A, durch die Richtung der Legende ß, die jetzt daran stösst, aber umzustülpen ist, so wie den in der Mitte des Fragments schräg ziehenden Strich gefordert wird, kommt die dunkle Stelle G in gleiche Höhe mit dem braunen Fünfeck zu liegen. Ihre Umrisse gelten keinem Berge, der vielmehr durch eine dahinter ziehende einfache schwarze Linie begränzt wird, noch einem Culturboden , wie das Fünfeck einer ist, überhaupt keinem überirdischen Terrain, sondern einem Sou- terrain, einer Höhle oder Grotte. Genau solche Umrisse zeigt das Ramessidengrab auf dem von Lepsius veröffentlichten Situationsplane, und auch die Schraffirung der Binnen wände durch länghchte Punkte lässt sich hier wie dort wahrnehmen. Da nun dieser dunkle Raum unmittelbar au den ,,rotlien Berg" stösst, und Lepsius von dem damit identischen Berge Gebel Dosche p. 257 anmerkt, dass von der Flussseite her in diesen an den Fluss vorspringenden Sandfeis von der Flussseite her eine Grotte eingehauen ist, welche Dar- stellungen Tuthmosis III enthält, so wird meine Vermuthung der Legende eines Pharao im Innern der dunkeln Grotte G, so wie überhaupt meine Orientation der Karte weniger Bedenken erregen. Da durch diese Grotte und gegenüber durch juma der Nil nur angedeutet, aber nicht wirklich in der Zeichnung vorhanden ist, so habe ich mich darauf be- schränkt, durch Pl'eile seinen Lauf und seine Krümmungen kenntHch zu machen , ohne eine eigene Karte jenes Theils von Nubien: Mahas und Sukkot, beizufügen. [1870. n. 4.] 25

370 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 3. Dezember 1870.

Schlussbemeikungen.

„Die Metalle benennen sie alle arabisch, mit Ausnahme des Eisens (das nach Brugsch's Gewähisiuännern scharfi heisst). Reich sind sie auf berbeiibch, arm auf arabisch, und in der That sind sie alle reich in ihrer ärmlichen Hei- math, der sie wie Schweizer anhangen, und veischinähen in ihrer Bediirfnisslosigkeit das arabische Gold, das sie sich in ÄPgypten verdienen könnten, wo ihre Dienste als Haus- \\ ächter und in allen Plätzen des Veitrauens sehr gesucht sind". So Lepbius p. 119 seiner Briefe. Dtiifen wir daiaus schliessen, dass der Artikel ,,Gold'' den alten Nubiern ebenso unbekannt gewesen? Nennt sie doch der Verfasser selbst Nuba, Bewohner des Golct-(nub)Landes , und erklärt ihre häufigere Benennung Berber als von Barbarus herstammend. Haben sie einen Rückfall in die Barbarei gemacht, oder ist die Tradition über die Gewinnung des edelsten Metalls ihnen abhanden gekommen? Au einen Wechsel der Bevölkerung selbst braucht man nicht einmal zu denken und die Treue der Namen Mahas und Sukköt scheint das Gegeniheil zu gebieten. Ohne Grund wiid der Nil nicht auch den Bei- namen XQVOoQQÖag (Syncell. Chronogr. p. 83 lin. 1 vox 1 Dindoif) bekommen hal)en. Aber es ist durch ägyptische Tributlibten mehr als genügend daigethan, dass die oberen Nilländer eine ganz ausserordentliche Masse Goldes lieferten. Auf der Stele von Dongola^') verzeichnet der älh opi>che Eroberer Nastosunen b, 27, 32 nicht weniger als 3212 an (G. wichte) von erbeutetem Guide. Auf der statistischen Tafel von Kainak col. 49 und 59 sind 400 -{• x ,, Gewichte Goldes" mit dem elenden Lande Kusch als hoJcu Eizeugnisse in Verbindung gebracht. Die Königin Hatasu wird (Lepsius Denkmälei Hl Taf. 50) vom nubischen Nil Dad-im „liand-

33) Lepsius: Denkmäler V 16. Brugsch Geogr. I 163.

Lauth: Die älteste Landkarte. 371

oflFen" angeredet : ,,Du liast ilim (Vesurtesen III) gewidmet zahlreiche T.ifflii von Silber, Gold, Bioiice, Eit-en und nub- ischem Metalle". Gewöhnlich ist das Negeilanl Ilahat als HeikuiifL des Goldt-s und das beiiachhai te Wawa als die des Silbers bezeichnet. Auf di^r Stele Anienophis III im Louvje sind an der Basis 22 Repräsentanten überwundener Nfgervöker aiigebr;icht, darunter als Nr. 4 auch Alcit ., das wir aus der Stele von Kuban als goldh.iltig kennen g>lerut haben. In dem Tempel von Soleb sind 28 zum Theile zerstörte Namen von besiegten Nigei Völkern angeschrieben und nicht weit davon, in Sesebi, also wieder auf dem Boden unserer Kate, aus der Regierung S.lhosis I steht eine Liste uit 10 Namen von N. gervö k -in , unter denen vielleicht AchenteJc (Nr. 2) mit dem heutigen H.mdak (zwischen Alt-Dongola und Neu-Do;igol;i) zu identifiziren ist. Dass wir die Tribute nicht erf ihren, lieyt zunächst in der argen Zerstörung dieser Denkmäler, welche al)ei" an sich schon den Bewiis liefein, dass die Aegypter hier festen Fuss gef ,sst und die Ausbeutung der Bergwerke iu die eigene Hand geuomujen halten.

Von unserm Pharao Sethosis I der Landkarte habea wir sj)ec:ell, ausser den Darstellungen seiner Kiiegsziige, schon ein geographisches Denkmal giösserer Ausdel nung kennen g^dernt, deren letzten Theil ich im ,,Tiinmphzuge des Sethosis"'^^) publicirt und erläuti rt habe. Der Zug des siegreichen Pharao und seiner Piinzen, wie sie mit einer grossen Zahl Gefangener aus Asien über den Kanal bei Heroonpolis zurückkehren, empfangen von den Grossen des Reiches, wubei die letzten Stauonen getreulich angeschrieben sind, hat einen ausge] ragt geogjajihisclu n. wenigstens einen topographischen Chai akter. Nichts Geringeres lässt sich von unserer Uikuude aus der II gierung desselben Königs be-

S4J Sitzungsberichte ISGO I p. 319.

25'

372 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 3. Dezember 1870.

haupten, da sie alle wesentlichen Kennzeichen einer Karte: Berge, Gewässer, Städte, Gebäude, Wege nebst Andeutung der Pflanzenwelt , eine Grotte , eine Stele , die Goldminen und noch dazu All dieses in verschiedenen Farben wiedergibt, welche die Natur der betreffenden Gegenstände nachahmen.

Schon das Todtenbuch zeigt in der Vignette zu cap. 110 ein ziemlich anschauliches Bild der elysäischen Felder mit ihren Gewässern , Ländereien , Städten und Inseln. Der Situationsplan eines Ramessidengrabes ist schon erwähnt. Lepsius gibt auf derselben Tafel XXII seiner ,, Auswahl" unter B und C zwei weitere Fragmente von Gräberplänen mit schraffirtem Souterrain, worauf die Namen der Könige Mend- huhotep (XL Dyn.) und Ramses -Sesostris stehen. Einen Plan von' Goldminen hat auch Herr Lieblein (,,Deux papyrus" pl. V, A, B, aus Turin), eine mit unserer analogen Karte von Goldbergwerken publicirt, auf welche der Berg JBacheni (,,wahrscheinlich im Thale von Hamamat") und der Name des Königs Ramses II (Sesostris) erscheinen. Ich werde im nächsten Hefte hierüber weiter handeln.

Es bildet demnach unsere ,, älteste Landkarte" von Gold- minen nur ein Glied einer längern Reihe ähnlicher Dar- stellungen, und beweist, wie so vieles Andere, für den hohen Culturgrad Aegyptens in so früher Zeit, vor mehr als 3300 Jahren. Wenn es auch nicht gelingen sollte, die in meiner Abhandlung gebotenen Winke praktisch zu verwerthen und jene Goldbergwerke neu aufzufinden oder auszubeuten, so dürfte schon die Befriedigung eines litterarhistorischen Be- dürfuisses, hier der Kartographie, als ein Gewinn anzusehen sein, und die Erschliessung des Verständnisses einer so alt- ehrwürdigen Urkunde als ein Fortschritt in der Entzifferung, als ein Goldkoru der Wissenschaft betrachtet werden. Hoffen wir Bestätigung durch neu zu entdeckende Denkmäler oder Urkunden entweder in Aegypten oder in Aethiopien zu erhalten.

V. Lüiencron: Nachträge zu N. 40 d. hist. Volkslieder etc. 373

Historische Classe.

Sitzung vom 3. Dezember 1870.

Herr Baron v. Lüiencron gibt

„Nachträge zu Nr. 40 der historischen Volks- lieder und zu den Bruchstücken dorSimon'- schen Reiuichronik bei Lorenz Fries."*)

Durch Herrn Dr. Rockinger bin ich darauf aufmerk- sam gemacht, dass das Standbuch Nr. 201 des kgl. Archiv- conservatoiiums zu Würzburg einige Bruchstücke historischer Dichtungen enthalte. Nachdem mir durch geneigte Ver- mittelung des kgl. Reichsarchivs der Codex hierher übersandt worden , erlaube ich mir, jene Bruchstücke, so weit sie von Interesse sind , hier mitzutheilen und einige Bemerkungen daran zu knüpfen.

Der Codex Nr. 201, erst von späterer Hand zusammen- gebunden, enthält ,,Miscellanea historica", die zwar in keinem inneren Zusammenhang stehen, aber doch nach Ort und Zeit zusammengehören, indem sie sich auf die Würzburger Diöcese beziehen und sämmtlich von Händen des 16. und anfang. 17. Jahrhunderts geschrieben sind. Die Blätter 136 140 enthalten jene poetischen Fragmente, vermuthlich, wie verschiedene andere Dinge in diesem Codex, von der Hand eines Kitzingers, denn mehre unter ihnen beziehen sich speciell auf Kitzingen.

*) S. 702—777 der Ludewig'schen Ausgabe.

374 Sitzung der kistor. Classe vom 3. Dezember 1870.

Die Ueberscliriit des Alischreibers lautet: ,.Extiact Etzlichei- Pai'jigiophoriiin auss einer Teütschen Kythinibchen Bestlireibuiig von \Vi^•tzburgi^cllen liiindehi". Das ist ein Irrthum oder eine Ungen luigkeit, denn de Bruchstücke sind nicht einem, sondern zwei verschiedenen Gedichten ent- nommen. Vielhicht (and der überhaupt niclit eben sojg- lähige Abschreiber beide in derselben Handschrift vereinigt und hidt sie, da auch beide sich auf Würzburg und auf ziendx'h nah aneinandergrenzende Zeiten beziehen, daium für ein einziges Werk.

Die ersten drei Bruchstücke nenilich, S. 136*— 137'', stamn)en aus dem Gedicht über den Würzburger Stiidte- krieg von 1397 1400, welches in meinen historischen Volksliedern als Nr. 40 niitgetheilt ist. Sie gehören in die daselbst S. 195 mit C bezeichnete Handschi if'tenclasse ; das zeigt neben verschiedenen Lesarten der Umstand, dass die Verse 103 4 lehlen. Es ist nichts weiter aus ihnen zu lernen.

Bei diesem Anlass sei aber bemerkt, dass seit dem Druck des 1. B.mdes meiner Sammlung auch ein Exemplar von dem als Quelle B dieser Dichtung bezeichneten Druck aus dem J.dire 1527, welcher mir damals nur in einer un- vollständigen Abscliiift (b) vom Jahre 1550 vorhig, aufge- taucht ist. Es befindet sich ji tzt in der Beiliner Bibliothek (\h. 301): 20 Bl. o. 0. 1527. „Widnhafftige bericht vnnd handlung Wie | der hochwirdig Füist und Herre, her Ger- I hanlt von Schwartzenbeig, Bischoue zw | Wirtzburg vn Heitzog zu Fiancken, seiner ] lüistlichen G. Auffrürische Landschnfft ] Anfang der handlung vnnd geschieht, Im M.CCCC.j. jar. Mit eroberter veld- | scldacht vor Bercht- heym eingenomen | vnd gestrafft hat, Alls wie her- | nach angezeygt ist. | M.GCUCG.XXVII." Der Druck hat zwei Columnen auf der Seite, jede zu duichschnittlich 36 (nicht 27) Zeilen. Die Verse 97-— 118 fehlen; das Gedicht schliesst

,,*.«ip,^,:'^:-^05St'^\

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V. Lilien croti: Nachträge zu X. 40 d. last. Volhslicder etc. 375

mit V. 2178. Der Scljreiber von b fand die ersten Blätter des Druckes in falscher i-"olge liecjend; er schrieb sie in folgender Ordnung: BI. 1 (V. 1 74), Bl. 4 (V. 383 526), Bl. 2—3 (V. 75-382).

Der Umstand, dass ein politisches Gediclit, wie liier der Fall ist, mehr als 100 -Jahre nach seiner Zeit in einem Einzeldruck erscheint, ist ein so ungewöhnlicher, dass es sieh lohnt, ihn etwas genauer ins Auge zu fassen. Denn im Allgemeinen zeipt sich das poliiische Lied um] Gedicht so sehr als ein flüchtiges Kind seiner Zeit, dass es über- haupt nur selten die geschichtliche Bewegung, der es ange- hört, überlebt, d. h. im Munde der Singenden und im Gedächtniss der Menschen überlebt. Unter den reichlich GOO Dichtungen meiner Sammlun:^ sind nur wenig einzelne Stücke , von denen sich nachw -isen oder annehmen lässt, dass sie länger in lebenvliger Ei'innerung gfblieben seien. Tür uns Späteren würden sie fast alle, so gut wie die ohne Zweifel nicht niinder zahlreichen Lieder früherer Jahr- hunderte, spurlos verschwunden sein, wenn sie uns nicht durch eine Handschrift oder einen Druck aus der Zeit ihres Entstehens und kurzen Lebens durch einen günstig n Zufall erhalten wären. Der Grund davon liegt nahe: an Tliat- sachen gekniipft, welclie im Fluss der Begeljenheiten bald -vieder untertauchten und ans der Erinnerung der lebenden Generation durch neue Interessen des Tages verdrängt '•den, veiloren diese Dichtungen schnell nicht imr das 'dige Interesse, sondein auch das Veiständniss. Es koinu't hinzu, dass in ihnen iauuer das Stoffliche auf Küsten d':" " .^tischen vorwiegt, so dass in der That die Mehrzahl voi.- - <s ästhetischen Gesichtspunkt betrachtet für herzlich erklärt werden muss. Nun kann es aber allerdings dass dem Stoff einer solchen Dichtung irgend nein Anziehendes innewohnt, welches seine Kraft Tiüther auch dann noch behauptet, wena die

schied: gesciiel etwGs über V,

374 Sitzung der ?iistor. Classe vom 3. Dezemher 1870.

Die Uebersclirilt des Alischreibers lautet: ,.Extract Etzlicher P.iijigiophoruin auss fiiKT Teütschen Üythinischen lu'Schreiüung von \Vil■tzburgi^cheü luindehr'. Das ist ein Irrthum oder eine üngeu aiigkeit, denn de Bruchstücke sind nicht einem, sonlcin zwei verschiedenen Geilichten ent- nommen. Vielhicht lutid der überhaupt nicut eben soig- fäliigfi Absclireiber beide in derselben Hand>chrift, vereinigt und liiilc sie, da auch beide sich auf Würzburg und auf zieuil.ch nah aneinandergrenzende Zeiten beziehen, daium für ein einziges Werk.

Die ersten drei Bruchstücke neralich, S. 136' 137'', stammen aus dem Gedicht über den Würzburger Städte- krieg von 1397 1400, welches in meinen historischen Volksliedern als Nr. 40 mitsjetheilt ist. Sie gehören in die daselbst S, 195 mit C bezeichnete Handschriftenclasse ; das zeigt neben verschiedenen Lesarten der Umstand , dass die Verse 103 4 fehlen. Es ist nichts weiter aus ihnen zu lernen.

Bei diesem Anlass sei aber bemerkt, dass seit dem Druck des 1. P);indes meiner Sammlung auch ein Exemplar von dem als Quelle B dieser Dichtung bezeichneten Druck aus dem J.ihre 1527, welcher mir damals nur in einer un- vollständigen Abscliiift (b) vom Jahie 1550 voilag, aufge- taucht ist. Es befindet sich ji tzt in der Beiliner Bibliothek (\h. 301): 20 Bl. 40 0. 0. 1527. „Wahihafftige berich vniid handlung \Vie | der hochwirdig Füist und Herre, h Ger- j hardt von Schwartzenlieig, Bischoue zw | Wirizb vn lleitzog zuFjancken, seiner, lüistlichen G. Auffrür' Landschafft 1 Anfang der handlung vnnd geschieht M.CCCC.j. jar. Mit eroberter veld- | schlacht vor I .1 . heym eingenoraen ! vnd gestrafft hat, Alls wie her angezeygt ist. | M CCUÜC.XXVIL" Der Druck ' Columnen auf der Seite, jede zu duichschnittlich 27) Zeilen. Die Verse 97— 118 fehlen; das Gedicat bcniicsst

Ecy.:-

V. Liliencron: Nachträge zu N. 40 d. hist. VolJislicder etc. 375

mit V. 2178. Der Sclireiber von b ftind die ersten Blätter des Druckes in falscher Folge liegend; er schrieb sie in folgender Ordnung: Bl. 1 (V. 1 74), Bl. 4 (V. 383— 52G), Bl. 2—3 (V. 75-382).

Der Umstand, dass ein politisches Gedicht, wie hier der Fall ist, mehr als 100 Jahre nach seiner Zeit in einem Einzeldruck erscheint, ist ein so ungewöhnlicher, dass es sich lohnt, ihn etwas genauer ins Auge zu fassen. Denn im Allgemeinen zeigt sich das politische Lied und Gedicht so sehr als ein flüchtiges Kind seiner Zeit, dass es über- haupt nur selten die geschichtliche Bewesung, der es ange- hört, überlebt, d. h. im Munde der Singenden und im Gedächtiiiss der Menschen überlebt. Unter den reichlich COO Dichtungen meiner Sammlung sind nur wenig einzelne Stücke , von denen sich nachweisen oder annehmen lässt, dass sie länger in lebendiger Ei'innerung geblieben seien. Für uns Späteien wüidea sie fast alle, so gut wie die ohne Zweifel nicht iniuder zahlreichen Lieder früherer Jahr- hunderte, spurlos verschwunden sein, wenn sie uns nicht durch eine Haoilschrift oder einen Druck aus der Zeit ihres Entstehens und kurzen Lebens duicli einen günstig n Zufall erhalten wären. Der Grund davon liegt nahe: an That- sachen geknü{)ft, welche im Fluss der Begebenheiten bald wieder untertauchten und aus der Erinnerung der lebenden Generation durch neue Interessen des Tages verdrängt wurden, veiloren diese Dichtungen schnell nicht nur das lebendige Interesse, sondein auch das Verständniss. Es kommt hinzu, dass in ihnen immer das Stoffliche auf Kosten des Poetischen vorwiegt, so dass in der That die Mehrzahl vom blos ästhetischen Gesichtspunkt betrachtet für herzlich schlecht erklärt werden muss. Nun kann es aber allerdings geschehen , dass dem Stoff einer solchen Dichtung irgend etwas allgemein Anziehendes innewohnt, welches seine Kraft über die Gemüther auch dann noch behauptet, wenn die

376 Sitzung der histor. Classe vom 3. Bezemher 1870.

specielle geschichtliche Beziehung, aus welcher sie ursprüng- lich erwuchs, vergessen ist. Unter dieser Voraussetzung, aber auch nur unter ihr, erhalten sich wirklich solche histori- sche Lieder dann länger im Gesänge und iu der Erinnerung des Volkes. Sie sind aber dabei gewissen Wandlungen unterworfen, die man im Allgemeinen wol so bezeichnen kann : dass aus dem geschichtlicheo Lied eine Romance oder Ballade wird. Ein Unterschied, der sich leicht versteht: der feste thatsächliche Hintergrund , auf dem das geschicht- liche Lied ruht, erblasst: statt seiner finden wir allgemeine, oft wenig verständliche, oft gradezu dunkle oder falsche Be- ziehungen und Namen. Au die Stelle von nicht mehr ver- standenen Versen voll lebendiger Hindeutungen auf Personen und Dinge treten oft stereotype Foim.ln von allgemeinem Inhalt. Ein einzelner Hauptpunkt, in dem wie in seinem Kern das eigentliche Wesen des Liedes beruht, wird in demselben Maasse stärker hervorgehoben und ausgebildet, als neben ihm alles Uebrige blass und lückenhaft wird. So entsteht jenes der Ballade und Romance so ganz characteri- stische Helldunkel: helle Schlaglichter auf der Hauptgestalt des Liedes, ein schleierartiger Nebel über allem Anderen. Dem geschichtlichen Liede ist es um die Thatsachen zu thun, innerhalb deren vielleicht eine bedeutende und auch wol poetisch anziehende Gestalt handelnd hervortritt ; dieser Einzelne gilt aber dem Liede nur so viel, als er innerhalb seines geschichtlichen Zusammenhanges bedeutet. Die Ro- mance dagegen hat es umgekehit eben auf die einzelne Per- sönlichkeit und ihr Thun oder Leiden abgesehen; ihr ist dafür wieder das Uebrige nur ein im Ganzen unwichtiger Hintergrund und Rahmen , mit dem sie je nach ihrem dichterischen Gutdünken willkührlich verfährt.

Die wenigen Lieder der Sammlung, welche nicht aus gleichzeitigem , sondern späterem Volksgesange aufgefischt wurden , zeigen diesen Zersetzungs- und Umbildungsprocess

V. Lüiencron: Nachträge zu N. 40 d. hist. VölTcslieder etc. 377

auf verschiedenen seiner Stufen. So z. B. das Lied von Eppele von Gailiiigen (Nr. 28), welches dem Jahr 1381 entstammt, uus aber erst in einer aus dem lebendigen Ge- sang des 16 Jahrhunderts gemachten Aufzeichnung vorliegt. Es war zunächst das Vergnü-^en an der kecken Reiter- und Räubergestalt des Eppele, welches ihn so lange und im Nürnberger Volksmuud bekanntlich bis h^ute vor der Vergessenheit bewahrte. Schon die jetzige Eingangsstrophe des Liedes, ohne Zweifel eine jüngere Zuthat, lässt dies epigrammatisch herausklingen : ,.Es was ein frisch freier reutersman , der Epple von Geilingen ist ers genant." Die Hauptursache aber für das Jahrhunderte lange Fortleben dieses Liedes liegt noch in etwas Anderem : darin nemlich, dass das geschichtliche Grundverhältniss, dem das Lied einst entsprang, während der folgenden Jahrhunderte dasselbe und über ganz Deutschland hin das gleiche blieb, jener unauf- hörliche Kleinkrieg der Städte mit der umwoiinenden Ritter- schaft. Dass die Nürnberger den Eppele wiiklich fingen und hingen, das machte den Gesang von ihm auc'.i in neuen Jahrhunderten als Trutz- und Spottlied gegen neue Plage- geister von gleichem Schlage brauchbar und erfreulich. Nichts ist mehr geeignet, diesen Zusammenhang zu be- stätigen , als der Umstand, dass unter den wenigen Liedern dieser Gattung, welche überhaupt ein längeres Leben hatten, so viele sind, welche einen Stoff von gleicher Art behandeln: so das Lied von Fiitsche Grad und den Görlitzern aus dem Jahre 1430 (Nr. 66) , voa Hamraan von Reischach und den ülmern a. d. J. 1466 (Nr. 118), von Schüttensam und den Nüriibergern a. d. J. 1474 (Nr. 127), vom Lindenschmit (Nr. 178) und ähnlicher Gattung auch das Lied vom kühnen Seeräuber Godeke Michel und den Hamburgern a. d. J. 1402 (Nr. 44), von dem sich Reste im lebenden Volksgesang sogar bis in unser Jahrhundert herabgefunden haben. Der gehasste und gefürchtete, aber dennoch im Stillen bewunderte Reiter

378 Sitzung der histor. Classe vom 3. Dezemher 1870.

und Räuber war und blieb eben eine allgemein beliebte Voli<sgestalt ; das ist es, was jene Lieder befäiiigte, im Vülksmuude, der sie leise und meistens mit feinem Gefühl uml'ormte, aus iioliäsclien Dichtungen voll peibönlicher Leidenschaft in ergötzliche Balhiden überzugehen. Ich w.-ihle aus den, wie gesagt überh lupt nur spärlichen Bei- spielen für diese Erscheinung die genannten Lieder heiaus, weil grade diese uns sämmtlich in Einzeldrucken des 16. oder anfang. 17. Jahrhunderts vorlagen. Sie erschienen also so gut wie viele andeie Volkslieder d.im.ds im Druck, weil sie allgemein beliebte Uuterhaltungslieder waren.

In den genannten Liedein nun ist der geschieh! liehe Inhalt zwar als solcher bereits zur Nebens.-iche herabge- sunken , aber er ist doch noch genügend deutlich erh;ilten, um nicht nur übeihaupt noeh erkannt, sondern auch sogar um mit Vorsicht noch als geschichtliche Quelle benutzt zu werden. Darum durften und mussten sie in die Sammlung der historischen Volkslieder noch aufgenommen werden. Wenn wir nun aber die Uhland'sche Samnilung von Volks- liedern aufschlagen, so findet sich eine Reihe an lerer Lieder, welche zwar von Haus aus nicht minder geschichtlich waren, als j-'ue, in denen jedoch der Zersetzungsprocess bereits so- weit vorgeschiitten ist, dass es wenigstens bisher noch nicht gelang, den histoiischen Gehalt in ihnen festzustellen. Ja bei einigen lässt sich mit Bestimmtheit sagen , dass sie von ihrem uispiünglichen geschichtlichen Grund völlig iosgelöot sind. In iliueu können wir also weitere und die letzten Stadien jener allmähligen Umbildung des geschichtlif' " Liedes zur rein poetischen Komance beobachten. E die Nr. 122—130 der Uhland'schen Samnilung, m n

die Lieder vom Grafen Fi iediicli, von der Frau vo bürg, vom Herrn v. Falkeustein, vom Schloss in Oe .., .

Peter Unverdorben, vom R lumensattel und vom :helbeck.

Wir erkennen, nebenbei bemerkt, hierio aiso deu Grund,

V. Liliencron : Kachträge zu K. 40 d. hist. Volkslieder etc. 379

weshalb Uhland diese Lieder zusammengeordnet und dem dritten Buch, welches vom Eppele von Gaih'nj^en bis zu den streng historischen Stücken fortschreitet, vorausgeschickt hat. Auch von ihnen hegen die meisten in spätem Diucken vor.

Verschwindet nun hier das geschichtliche Interesse als solches ganz und gar , so gibt es wiederum eine Anz »hl anderer Lieder, welche uuigekehrt allein aus geschichtlichem Interesse der Veigessen'ieit, welcher sie bereits zu verfallen drohten, wieder entrissen und lange Zeit nach ihrer Ent- stehung aufs Neue hervoi gesucht und zum Theil auch ge- druckt worden sind. Ganz besondt^^rs in der Schweiz ist dies der Fall gewesen. Hier hatten schon im 15. Jahr- hundert zwei Lieder für die Gescliichtschreibuiig eine be- sondeie Bedeutung gewonn^'n, iuilem sie die Qu -llen für zwei der gefeiertsten Namen biMeten: das Lied von Ur>pruiig der Eidgenossen^chalt (Nr. 147 der hiJ^tü^ischeü Volk^lieder) in seinen eisten 9 Strophen für den Teil und das Lied von der Senipacher Schlacht (Nr. 84) für Arnold Wiukelried. Als dann am Ende dieses Jahrhundeits die beiden grossen Kiiege. der butgumJische und schwäbische, einen zahlreichen neuen Liedeiflur hervorgetiieben hatten, veiflochten zwei gleichzeitige Geschichtschreiber, Diebolt Schilling und Lenz, der Reinichrouist des schwäbischen Krieges, diese damals neue Dichtung giadezu mit ihrer Erzählung, iiuiera sie sich nicht nur darauf beriefen, sondern vielmehr die Lieder selbst in ihren GesCi.ichtsweiken mittheilten. Diesen Spuren folgte dann einige Jahi zehnte später Tschudi auch für die ältere Geschichte : indem er die bekannten unifangreichen Materi- alien für sein Geschichtswerk sammelte, legte er dabei auch auf die alten Lieder ein ganz besonderes Augenmerk und forschte nach ihnen in den 13. bliotheken wie in dem Ge- dächtniss seiner Landsleute. Der Antheil an ihnen hatte aber damals schon weitere Wurzeln geschlagen uud gleich-

380 Sitzung der histor. Classe vom 3. Dezember 1870.

zeitig mit Tscliudi brachte Werner Steiner eine kostbare handschriftliche Sammlung von schweizerischen Volksliedern zu Stande, deren Original von 1536 sich auf der Züricher Bibliothek befindet. Je kleiner das Ländergebiet ist, dem der geschichtliche Inhalt dieser Lieder gilt, und je ge- schlossener seine Interessen , desto leichter musste sich an solchen Vorgängen eine allgemeine Theilnahme für diese alten Lieder, aus denen der Ruhm der Väter in so frischen Tönen erklang, entzünden. So konnte es geschehen, dass bald auch die Presse hoffen durfte, ihre Rechnung dabei zu finden, wenn sie sich ihrer wieder annahm. Um 1545 be- gannen damit die Drucker Rud. Deck in Basel und Augustin Friess in Zürich ; bei ihnen und Änderen erschienen auf fliegenden Blättern die Lieder von Sempach, vom Ursprung der Eidgenossenschaft, von Pontarlier (historische Volks- lieder Nr. 135), von Freiburg (Nr, 137), von Glurns (Nr. 205); von Dorneck (Nr. 206) und von da an bis über das Ende des Jahrhunderts hinaus noch eine Reihe anderer. Im Jahre 1600 sammelte Rud. Wyssenbach in Zürich 37 solcher Einzeldrucke zu einer chronologisch geordneten Sammlung, der er auf 2 Blättern ein Verzeichniss und auf den folgenden 5 Blättern eine geschichtliche Einleitung vor- ausschickte. Leider haben sich nur diese ersten 7 Blätter beieinander erhalten; sie sind aus Usteris Nachlass in die Berliner Bibliothek gekommen; doch kennen wir wol die Mehrzahl der 37 Lieder aus Einzeldrucken. Um 1615 hört diese reproductive Thätigkeit in der Schweiz wieder so ziem- lich auf; nur von einzelnen Liedern finden sich bis ans Ende des 17. Jahrhunderts noch immer neue Auflagen, namentlich von den zweien : Wilhelm bin ich der Teile (Rochholz Eidgen, Liederchronik S. 277) und „Von der eidgnoschaft so wil ich heben an" (historische Volkslieder Nr. 147). Das letzte dieser beiden Lieder ist alt; seine gegenwärtige Fassung stammt aus dem Jahre 1477. Das

V. Lüiencron : Nachträge zu N. 40 d. hist. Vollcslieder etc. 38 1

erstere dagegen vom Teil ist kein achtes historisches Lied, sondern ein junges Machwerk; sein Verfasser Muheiui , ein Pritschenmeister, lebte im 17. Jahrhundert und der älteste bekannte Druck von 1613 (Weller, Aunal. , Bd. 2, S. 504, Berliner Bibliothek Ye 2015) dürfte mit der Abfassung gleichzeitig sein. Die ersten Zeilen :

Wilhelm bin ich der Teile von Heldenmuth und Blut

sind eine Parodie auf den Eingaug eines sehr beliebten historischen Liedes aus dem Jahre 1568 (Soltau Volkslieder Nr. 68)

Wilhelmus von Nassawe

bin ich von Teutschem Blut auf dessen Melodie auch Muheim sein Lied vom Teil sang.

In dieser Verarbeitung eines älteren geschichtlichen Stoffes zu einem erzählenden Volksliede haben wir sodann ferner zu dem Neudruck älterer Lieder eine zweite der Schweiz eigenthüm liehe und aus der eimnai wach geworde- nen Neigung für die alten Lieder zu erklärende Erscheinung, von der es in dieser älteren Zeit aber auch in der Schweiz nur sehr wenig Beispiele gibt. Ich erinnere mich ausser dem eben genannten Teilenlied nur folgender : eines Liedes auf die Dättwyler Schlacht des Jahres 1351 (Berl. Bibl. Yc 2056), auf die Schiacht im Büttisholz von 1375 (Weller Annal. Abth. I Nr. 614, Berl. Bibl. Ye 2076), auf die Schlacht bei Näfels von 1388 (Weller 1. c. I 489, Berl. Bibl. Ye 2122) und auf den Appenzeller Krieg 1403 1408 (Berl. Bibl. Ye 2161, Anfang: Herr Gott im Himmel droben). Keins dieser Lieder ist vor der zweiten Hälfte des 16. Jahr- hunderts gedichtet ; sie schöpfen ihren Stoff aus den ge- druckten Chroniken. In die Sammlung der historischen Volkslieder sind sie selbstverständlich nicht aufgenommen.

Alles bisher Gesagte führt uns aber noch zu keiner

382 Sitzung der Mstw. Classe vom 3. Dezember 1870.

Erklärung der Thatsache , von der wir ausgingen : dass das gedachte Würzbuiger Gedacht vom Jahre 1400 im Jahre 1527 eines Einzeldiuckes gewürdigt w.ircl. Denn von den zwei bisher gefundenen Anlässen eii.es solchen Vorg;inges, dass nemlich entweder die Dichtung sich im Volksmuude wirklich bis dahin, wo sie neu gedruckt ward, erhalten hatte oder aber d.iss ein geschichtliches In.eresse zu der jüngeren Verbieitung in EinzeUlrucken lührte , pasbt auf das fragliche Würzburger Gedicht ganz offenbar keiner. Im Volksmunde erhalten kann sich überhaupt nur ein ge- sungenes Lied, nicht aber ein Gedicht wie dieses von mehr als 2000 Versen, welches nur zum Vorlesen bestimmt war und schwerlich je auch nur einmal von seinem Dichter aus- wendig gewusst sein mag. Ein geschiciitliches Interesse aber an einer so vereinzelten Begebenheit aus der älteren Geschichte des Stiftes lässt sich wol bei einem einzelnen Forscher denken, Avie denn in der That Lorenz Fries ji auf die alten Dichtungen sorgsam Acht und Bezog nimmt. Un- möglich kann man es sich dagegen im Volke so verbreitet vorstellen , dass ein Diucker daduich bei der Herausgabe des langen Gedichtes auf seine nicht unerheblichen Kosten hätte kommen können. Man muss also annehmen, dass iigend Jemand an der Verbreitung des alten Gedichtes ein Interesse hatte und unj deswillen die Kosten des Drucks nicht scheute. Den in der That leicht zu errathenden Zu- sanmienhang rang zunächst ein vorhin absichtlich un- erwähnt gelassener Hergang in der schweizerischen Lieder- geschichte aufhellen.

Den um 1545 dort beginnenden Erneuerungen älterer Lieder duich den Druck liegen nemlicli zwei einzelne Fälle um ein Jahrzehent vorauf, für die wir schon aus diesem Giund und weil es überhaupt die ersten sind, noch einen speciellen Anlass suchen müssen. Sie gehören durch diesen Anlass zusammen. Am 5. Apr.l 1536 wurde in Bern das

V. Liliencron: Nachträge zu N. 40 d. hist. Volkslieder etc. 383

aus dem J:ihr 1476 stammende Lied vom Sieg über Herzog Karl von Burguudbei Granson gedruckt und um dieselbe Zeit ward aus Resten eines alten Liedes mit Hülfe der Cbronikeii ein Lied auf die Laupenschlacht von 1389 ge- macht (historische Volkslied, r Nr. 13). Auch dies Lied erschien 15Hß im Diuck. Nicht ein historisches, sondern ein augL-nbh'cküches politisches Literesse hat darauf ge- führt: denn kurz zuvor, ehe am 5. April jener Druck be- sorgt ward , Wal en die ßerner von neuen erfolgreichen Siegen üljer einen anderen Herzog Karl, nemlich über Karl ni von Savoyen zurückgekehrt; die alle Laupenschlacht aber gegen die Herren und die Welsclien musste wol als der Anfang eben deij -nigen politi-chen Bewegung erscheinen, Welche in den Kriegsthaten der letzten Monate und in der Ausdehnung der Berner Herrschaft über den Genfer See und die Waat ihren Abschluss gefunden hatte. Darum passten plötzlich die alten Lieder wieder zur allerneuesten politischen Stimmung: dem frohen Siegesgefühl, dem stolzen Bjwusstsein gegenüber den WelbCl:en sollten neben neuge- sungenen Liedern auch sie Ausdruck geben; darum druckte man sie.

Etwas Aehnlicbes nun gewahrt man ohne Mühe in Betreff des Würzburger Gedichtes : es stellt eine demociati- sche Eihebung in der Stadt gegen den Lischof dar, über die der Bischof in dem blutigen Siege bei Bergtheim triuinphirt; die Besiegten müssen sich demü.hig unterwerfen und erleiden harte Strafe. Aehuliches hatte sich ja im Jahre 1525 wiederholt; die Stadt war von den aufiühreri- schen Bauern genommen und hatte sich ihnen in tleuio- cratischer Eihebung angeschlossen. Mit Mü.^e bei.aupteten sich die Bischöflichen auf dem Marieuberg. Der Niederlage der Bauern war aber dann auch diesmal eine schwere Züchtigung der wieder unterworfenen Stadt gefolgt. Eist im folgenden Jahre 1526 fand der Bauernkrieg seinen ausser-

384 Sitzung der histor. Classe vom 3. Dezember 1870.

liehen AbscLluss , die innere Bewegung der Gemüther wird noch viel länger gedauert haben. Unter solchen Umständen mochte wol ein Bischöflicher, dem im Jahre 1527 das alte Gedicht vom Aufruhr von 1397 in die Hände fiel, darin ein willkommenes Mittel erkennen, seinem Hass und Spott gegen die besiegten Städter gowissermassen hinter einer Maske freien Ausdruck zu geben. Eine Maske aber war bei dergleichen Dingen nicht übel , denn guttiefi'ende Spottge- dichte, auf die damals Polizei und Gerichte eifrig zu fahn- den pflegten , konnten für ihren Urheber leicht sehr ver- driessliche Folgen haben. Mit dem alten Gedicht sollte also auch hier zum zweiten Mal Politik gemacht und dem überwundenen Gegner eine enipfindliche Lection gelesen werden, darum ward ihm die Ehre eines Druckes zu Theil. Damit ist zugleich dem Herausgeber der historischen Volkslieder eine kleine Genugthuuug vorbereitet worden. Es ist mir nemlich mehrfach der Vorwurf gemacht worden, einige Gedichte aufgenommen zu haben, welche schon durch ihre Länge zeigen sollen, dass sie keine politischen Gedichte im Sinne der Sammlung, sondern lleimchroniken seien und damit ist neben einigen anderen grade dies Würzburger Gedicht gemeint. Der Hauptunterschied der Reimchronik und des politischen Gedichtes besteht darin , dass jene ver- gangene und abgeschlossene Begebenheiten nach ihrem zeit- lichen Verlauf erzählt, um die Thatsachen als solche dem Gedächtniss der Nachwelt zu erhalten, während dieses noch innerhalb der Erregung des augenblicklich Geschehenden oder soeben Geschehenen aus dem Verlauf der Thatsachen für seine Darstellung nur die Punkte heraushebt, mit denen es das Gemüth seiner Hörer zu Begeisterung, Hass oder Spott zu stacheln, mit deren Erwähnung es seine politischen Gegner zu demüthigen hofft. Die Chronik erzählt, das politische Gedicht berührt nur die Thatsachen, jene ent- wickelt folgerichtig, dieses springt nach Laune in seiner

V. Liliencron : Nachträge zu N. 40 d. h ist. VolkMeäir etc. 385

Darstellung; jene will trotz etwaiger Parteifärbnng objectiv, dieses dagegen will Partei sein und machen. Meines Er- achtens nun werden die angefoclitenen, allerdings lästig langen Gedichte durch eben diese entscheidenden Merkmale auf die Seite der politischen Dichtung gestellt, darum nahm ich sie auf. Da zeigt sich denn also hier, dass das eine von ihnen gar nach mehr wie hundert Jahren noch einmal wieder aus dem Sclilaf erweckt ward , um zum zweiten Male Politik zu machen , um noch einmal nicht zur historischen Leetüre, sondern zur politischen Geissei zu dienen.

Die ferneren 3 Bruchstücke des Würzburger Stand- buches Nr. 201 geben durch ihre Unterschrift kund, wohin sie gehören. Unter dem letzten steht nemlich:

,,Finis disses Chronici. Johannes Simonis fecit me Cujus anima requiescat in pace Hoc docent literae capitales Hujus libri speciales."

Ob die letzten Zeilen sagen wollen, der Name des Verfassers ergebe sich aus einer Ueberschrift oder, was mir wahrscheinlicher däucht , aus einem Acrostichon , bleibe da- hingestellt. Die wenigen Fragmente lassen es nicht ent- scheiden. Johannes Simonis oder Simon aber und sein Gedicht sind aus Lorenz Fries bekannt. ,,Es hat dazu mahl '(heisst es, S. 702a der Ludewig'schen Ausgabe, zum Jahre 1422) einer Johannes Simon genannt , von Bischoff Johannessen des andern leben, thaten und wesen ein sehr langes teutsclies gedieht gemacht." Darauf folgt dann ein Bruchstück dieses Gedichtes, und auf S. 727b, 771b und 777 a noch drei andere. Da sich bisher ein Exemplar dieses [1870. II. 4.] 26

386 Sitzung der histor. Classe vom 3. Dezember 1870.

Gedichtes noch nirgends gefunden hat, so ist es nicht ohne Interesse, dass das Würzburger Standbuch uns wenigstens drei neue Bruchstücke davon bietet. Dass das Gedicht nicht nur die Thaten Bischofs Johann IL von Brunn, 1411 bis 1440, sondern auch die Regierung seines Nachfolgers Siegmunds, Herzogs von Sachsen. 1440—1443 betraf, lässt schon das letzte Fragment bei Fries aus dem Jahr 1440 schliessen ; durch das letzte der hier folgenden Fragmente, welches das Jahr 1443 betrifft, wird es bestätigt. Der Dichter zeigt sich überall als ein Mitlebender, ohne Zweifel ein bischöflicher Diener. Seine Erzählung verdient eben darum die Beachtung, welche schon Fries ihr geschenkt hat. Das erste Bruchstück bezieht sich nicht auf Albrecht von Wertheim, wie die üeberschrift irrthümlich sagt, son- dern auf seinen Bruder und Vorgänger in der Pflegschaft des Bisthums Johann von Wertheim , nemlich auf dessen plötzlichen Tod im Jahre 1433, den das Gerücht einer viel- leicht gar vom Bischof Johann veranlassten Vergiftung bei- mass. Johannes Simonis , sonst gut bischöflich gesinnt, nimmt die Thatsache der Vergiftung als zweifellos an , fügt jedoch vorsichtig hinzu : er dürfe noch wage niemanden namentlich der That zu beschuldigen. Lorenz Fries sagt (728b), es heisse, dem Pfleger sei „durch einen weichen käse und im trincken vergeben worden." Den ,, weichen Käse" entnimmt er einem Volkslied des Jahres 1437 (histor. Volkslieder Nr. 73, Nr. 23), aus dem er die betreffende Stelle anführt. Eine andere Redaction des Liedes sagt statt des weichen Käses, d. h. Quarkkäses: ,,der pfleger wart mit einer suppen erstochen." Den Zusatz „und im trincken" fügt er offenbar aus dem Simon'schen Gedicht hinzu (s. u. Z. 14), Nur hätte er danach statt „und im Trinken" richtiger ,,oder im Trinken" sagen sollen. Denn beides sind doch wol nur verschiedene Versionen desselben Ge- rüchtes.

r. Lilimcron: Nachträge zxi N. 40 d. hitit. VolJ<aJieder etc. 387

I.

De Anno 1433 vom Wirtzburgischen Pfleger Graven Albrechten von Werdtheimb.

Darnach In Kurtz wiirdt ein Ta;^ gestelt,

Vtf dem mann doe erweit

Zu pfleger den herrn Zu liandt.

Den Ich vor hab genant ; 5 Ich wass Ihme von hertzen holt.

Aber ee mann Ihm hulten solt,

Wass geleget Ein Tag

Gein Kitzing, alss Ich sag,

Doe mann alle Ding solt beschliessen. 10 Den pfleger nicht gunt verdriesseu

Doe In das Closter zu gehn,

Dorumb Ich Mich noch sehn.

Wann Ihme doe wart gegeben

Ein Trunckh, der Ihm Sein Leben 15 Verkürtzet, das ist war,

Aber Ich ensoll noch thar

Der Keinen nennen nicht.

Die an derselben geschieht

Haben schuldt oder RLatt gethan. 20 Wann Ich liie vor gesprochen hau,

Dass Ich Niemandt wöll letzen

Oder mit diser schrifft setzen

In lasttr oder In leit,

Alss Ich dann vor hab geseyt. 25 Der Pfleger nicht laug wolt beiten,

Gein Würtzburg Thett Er Reiten,

Wann man doe solt eines wern

Wie mann hult dem Flerrn.

1. Ich füge die Interpunctiou zu. 12. ,,was mir noch

26*

388 Sitzung der histor. Classe vom 3. Dezember 1870.

heute Kummer macht". 17. ,, derer keinen nennen'^ 19. „die es gethan oder angestiftet haben". 25. Sein Tod er- folgte nemlich nicht gleich in Kitzingen , sondern erst nach 34 Tagen in Würzburg. 28. ,,auf welche Art man die Huldigung leisten solle".

Das zweite Bruchstück meldet: Markgraf Friedrich habe den Bischof Johann iui Verdacht gehabt, seine Wahl zum deutschen Könige 1439 hauptsächlich hintertrieben und da- durch die Wahl Friedrichs von Oesterreich herbeigeführt zu haben. Trotz der Verantwortung der Kurfürsten habe der Markgraf dies dem Bischof bitter nachgetragen. Der Dichter enthält sich auch hier des eigenen ürtheils. Es ist aber jedenfalls hierbei ein Irrthum zu berichtigen. Die Wahlhandlung, aus der Friedrich als König hervorging, fand nicht 1439 , sondern vom 28. Janunr bis 2. Februar 1440 statt. Bischof Johann war aber schon am 9. Januar ge- storben, konnte mithin damals nicht mehr in Frankfurt sein. Was der Dichter berichtet , bezieht sich vielmehr auf die Wahl König Albrechts IL im Jahre 1438 und stimmt zu dem, was Lorenz Fries (S. 762a) meldet; es sei damals ein Lied gesungen worden, welches dem Bischof Schuld gab, er sei es gewesen , der Markgraf Fi iedrichs Wahl hinter- trieb. Der Bischof habe das Singen dieses Liedes ver- boten. Demnach müsste also in unserm Bruchstück V. 31 ,, vierzehnhundert und acht und dreissig" und V. 27 statt ,, Friedrich" gelesen werden „Albrecht". Da jedoch an letzter Stelle der Name Friedrich durch den Reim geschützt wird, so ergibt sich, dass der Irrtluim nicht etwa auf Rech- nung eines Abschreibers, sondern des Dichters selbst zu setzen ist.

V. Lilicncron : Nachtrage zu N. 40 d. hist. Volkslieder etc. 389

II.

De Anno 1439 Von Marggraff Fridericben So

Römischer König zuwerden getrachtet

haben soll.

Ein Tag wart gesetzt Zuwehlen

Ein Römischen König,

Der dem Reich gerümig

Were In allen Sachen. 5 Der Tag der war gemachen

Gein Franckhfurt In die Statt,

Doe die Churfürsten mit Ihrem Rhatt

Ein König Zuwehlen gesammet waren.

Bey Ihnen In denselben Jahren 10 Was Im Rhatt Bischoff Johann

Von Würtzburg, Ein clug Mann,

Alss Ihr hie vor liabt gehört

An diss Buchs Erstem ortt.

Aldoe Zu Franckhfurt vnderstunde 15 Marggraff Friderich, wie Er künde,

Von Brandenburg geborn,

Das Er were König worn.

Dieselbe Ehr Iljm nicht was beschert;

Wer weiss wer das wehrt ! 20 Doch hett Marggraff Frideriche

Ein böss Zuversichte

Zu Bischoff Johann,

Der solt das gehindert han,

Das Er nicht wart König erwehlt. 25 Es wart Ein ander vffgezelt

Von dem Hauss Osterreich,

Genant Hertzog Friderich;

Derselbe Ein König wart

Gewehlt vff derselben vart

390 Sitzung der histor. Classe vom 3. Dezember 1870.

30 In den Jahren, das Ist war,

Vierzehen hundert vnudt Neun vnnd dreissig Jahr.

Marggraff Friderich von Brandenburg

War gehass dem Bischoff von wirtzburg

Vmb die obgemelte Tatt, 35 Alss Lievor geschriben stat,

Dass Ihne verautwortten Vleissigh'ch

Die Churfürsten alle gleich.

Aber der Marggraff wolt nicht ablan,

Vff Bischoff Johann hatt Er argen wan, 40 Alss das darnach wort offenbar etc.

3. ,,gerüuiig*' kann dem Zusammenhang nach nur ehrenvoll, rühm bringend bedeuten. Sonst ist rühmig, mhd. rüemec, nur in der Bedeutung „ruhmredig" bekannt. 5. Das falsche Particip , .gemachen" ist doch dem Dichter kaum zuzutrauen. Vielleicht schrieb er: ,.Der Tag der war zemachen". 13. „im ersten Theile dieses Werkes". 14 f. „da unternahm Markgraf Friedrich auf alle Weise, die Krone zu erwerben". (Veigl. Benecke-Müller Lex. II, 2, S. 586). 21. „versah sich eines Bösen zum Bischof". 2 6 f. Zu emen- diren wäre freilich leicht: ,,von der von Oesterreich Ge- schlecht, genant herzog Albrecht". 33. ,,trug Hass gegen den Bischof". 3 5 f. ,,wie ich denn schon oben erzählt habe, dass die Kurfürten ihn deswegen eifrig verantworteten".

Das dritte Bruchstück bezieht sich auf den Ausgang von Herzog Siegmunds Regierung. König Friedrich ent- schied auf einem Tag zu Frankfurt a. M. am 14. Aug. 1442 die zwischen dem Herzog und dem Stift obschwebenden Streitigkeiten dahin, dass Gottfried Schenk von Limburg an des Herzogs Stelle als Pfleger die Regierung übernehmen und der Herzog mit einigen Revenuen abgefunden sein solle. Da sich aber dieser dem Schiedsspruch hernach nicht fügen wollte, ward 1443 beim Papst seine Entsetzung und Gott-

v.Lüiencron: Xachträge zu X. 40 d. hist. Volkslieder etc. 39 1

fried Schenks Erhebung auf den bischöflichen Stuhl erwirkt. Mittlerweile hatte Markgraf Albrecht an das Stift eine For- derung von 47,000 fl. gemacht , welche er zum Nutzen des abgesetzten Bischofs aufgewendet haben wollte. Ein am 19. Dezember 1442 in dieser Angelegenheit zu Mergentheim gefällter Schiedsspruch ermässigte die Forderung auf 20,000 fl. und diese Summe ward dem Markgrafen auf den stiftischen Antheil an Kitzingen zugesprochen. Mit dieser Darstellung, wie L. Fries sie gibt, stimmt Simonis ganz überein.

III.

Vom Vertrag mit Marggraff Albrechten Anno 1443.

Zu Frauckhfurt vfl' des Tages Zill

Warn die Herrn Von dem Stifft ;

Mit mechtiger triS't

Lagen Sie doe solang, 5 Biss das Ihne gelang,

Dass die Sache vssgesprochen wart.

Vfi derselben Vart

Erwehlten die Herrn gutt

Mit Einmüti'giichem Mutt. 10 Eiuen Andern Pfleger,

Der des Landts herr

Were In allen sachen,

Alss dann was vssgesprochen

Von dem König hochgeborn, 15 Alss Ihr hieuorn

Habt verstanden vnud vernommen.

Bischoff Sigmundt der wolt nicht kommen

Dem Vssspruch nach;

Hier vmb dem Stifi"t wart Vngemach 20 Zuviel Zugezogen.

Marggraff Albrecht hett Seinen bogen

392 Sitzung der histor. Glosse vom 3. Deaember 1870.

Ueber den Stifft gespanuen;

Das Capitel Thet Er mauen

So hart VDndt so sere. 25 Das sie Kein were

Darwider getlum Kunen.

Die wirdigen Herrn besunen,

Wie Ihne gar mit gewere

Der Marggraff wer Zu swere 30 Vnndt mit Seinem punt

Zulegt Bischoff Sigmundt.

Der Einen solchen Bast

Mit Seinem Vberlast

Hatt bracht vber das Landt. 35 Den Herrn Thett das andt

Vnndt was Ihne viel Zu schwere ;

Sie gedachten hin vnndt here,

Wie Sie des Marggrafien quemen abe

Vnndt doch des stiefftes habe 40 Doe mit nicLt verlüreu

Vnndt wie Sich das möcht gebüren.

Dass wart doe gestellet an

An die Herrn Lobesan

Von Meintz an den Bischoff her 45 Vnndt an den würdigen Pfleger

Vnndt auch an den von Weinsperg.

Dieselben drey thetten ein guet werckh,

Es ging aber vber den Stifft

Mit Einer Zu grossen giefft. 50 Doe mit quame man des Marggraffen ab:

Kitzingen was die Zugab

Für Zwantzig Tausent Gülden.

Also kam der Pfleger Ein

Vnndt war des Stiffts Ein Heri-. 55 Von dem nun sagt der Schreiber.

V. Lüiencron: Nachträge zu N. 40 d. hist. Vollslieäer etc. 393

1. „Zu Frankfurt auf der als Termin angesetzten Zu- sammenkunft". 3. Wol: ,,in starker Anzahl"'. Trift wird sonst freilich, so viel ich weiss, nur von Vieh in dieser Bedeutung gebraucht. 6. ,,dass ein Schiedsspruch in der Sache erfolgte". Es zog sich dies lange hinaus. Der erst auf den 5. Juni anberaumte Tag ward auf den 13. Juli prorogiert; die Schiedshandlung begann aber erst am 25. Juli und der königl. Entscheid erfolgte den 14. August. 13. ,,in üebereinstimmung mit dem Spruch des Königs". 211: „bedrohte das Stift (neben das stift: mhd. der und die stift) mit Krieg''. 23. „bedrohte er durch seine Mahn- ung. Fordprung, so schwer". 28. ,,mit gewere" : an Kriegs- rüstung. 30. ,,und der mit seinen Verbündeten dem Herzog Siegmund Hülfe leistet , welcher mit seiner Bedrückung solche Flickerei über das Stift gebraclit hat". Basten wenigstens und basteln, basteln, seinerseits abzuleiten von Bast, mit dem man nähte, heisst flicken, kleine Handarbeit machen. Daraus wieder scheint mir dies ,,bast" erklärt werden zu müssen, falls es nicht etwa Kuthe (mit Bast ge- bundene Reiser) bedeutet. 35. ,, erregte das Verdruss". 41. ,.und wie das geschehen könnte". 49. ,,mit zu grosser Gabe, Vergabung", d. h. das Stift musste es zu theuer be- zahlen. 55. Danach scheint es also , als wenn Job. Simons Gedicht sich auch noch weiter auf Bischof Gottfried er- streckt habe.

394 Sitzung der math.-phys. Classe vom 3. Dezember 1870.

Mathematisch-physikalische Classe.

Sitzung vom 3. Dezember 1870.

Herr v. Pettenkofer hält einen Vortrag:

„lieber den Kohlensäure-Gehalt der Luft im Geröllboden von München."

Derselbe wird die Fortsetzung des Vortrages in einer der nächsten Sitzungen geben.

Einsendungen von Druckschriften. 395

Einsendungen von Druckschriften.

Von der l'. Ä\ geologischen Reichsanstalt in Wien : k) Jahrbuch. Jahrpr. 1870. 20. Bd. Nr. '6. Juli, August, Sept. 8. b) Verhandlungen. Nr. 10. 1870. 8.

Von der naturwissenschaftlichai Gesellschaft in St. Gallen: Bericht über die Thätigkeit derselben während des Vereinsjahres 1868. 69. 8.

Vom historischen Verein in St. Gallen:

Mittheilungen zur viterländischen Geschichte. Neue Folge. 2. Heft. 1870. 8.

Vom Verein für Hamdiirg'sche Geschichte in Hamburg: Zeitschrift, Neue Folge. 3. Bd. 1. und 2. Heft. 1869. 70. 8.

Vo7n akademischen Leseverein an der k. Universität in Graz: Dritter Jahresbericht 1870. 8.

Von der astronomischen Gesellschaft in Leipzig: Vierteljahrschrift. 5. Jahrg. 4. Heft. 1870. 8.

Von der Universität in Heidelberg: Jahrbücher der Literatur. 63. Jahrg. 8. Heft. August 1870. 8.

396 Einsendungen von Druckschriften.

Von der Archäologischen Gesellschaft in Berlin : Humoristisclie Vasenbilder aus ünteritalien. 30. Programm zum Winkelmannsfest. "\'on H. Heydemann. 1870. 4.

Von der anthropologischen Gesellschaft in Wien: Mittheilungen. 1. Bd. Dezember 1870. Nr. 5. 8.

Von der l'. 2>reussisclien Akademie der Wissenschaften in Berlin: Monatsbericht. August, September und Oktober 1870. 8.

Von der pfälzischen Gesellschaft für Pharmacie in Speier: Neues Jahrbuch für Pharmacie und verwandte Fächer. Zeitschrift. Bd. 34. Heft 5 und 6. November, Dezember 1870. 8.

Vou der Staats-Ackerbauhehörde in Ohio ; 23. Jahresbericht für das Jahr 1868. 2. Eeihe. 1860. 8.

Von der Societe Archeologique in Luxemburg :

Publications de la section historique de l'institut. Annee 1869 1870. XXV. III. 4.

Von der Linnean Society in London:

a) Transactions. Vol. 28. Part 4. Vol. 27. Part. 1. 2. 1869. 4.

b) Journal. Zoology. Vol. 10. Nr. 47. 48.

Botany. 11. ,, 52. b2. 1870. 8.

c) Proceedings. Session 1869 1870. November, December. 8.

d) List of the society. Fellows. 1869. 8.

e) Additions to the library of the Society. June 1868 June 1869. 1870. 8.

Von der Chemical Society in London: Journal. Ser. 2. Vol. 8. 1870. 8.

Von der B. Listitution in London:

a) Proceedings. Vol. 4. Part. 7. Nr. 43.

5. 5. 6. 7. Nr. 49. 5ü. 51. 1869. 8.

Vimeväiingen von Druclcschriften. 397

b^ List of the members, officers and professors; with the report of the visitors. statement of accounts, and list of lectnres and donations in 1S68. 1869. 8.

Von der Geological Society in Edinburgh: Transactions. Vol. 1. Part. 3. 1870. 8.

Von der Medical and chirurgical Society in London: Medico-chirurgical Transactions. Vol. 53. 1870. 8.

Von der Geological Society in London : Quarterly Journal Vol. 26. August 1870. Xr. 103. 8.

Voti der Academie royale des sciences, des lettres et des beaux-arts in

Prüssel :

Bulletin. 39. annee, 2. serie, tome 30. Xr. 11. 1870. 8.

Vo7i der Commission Geölogiqiie de la Societe HelvHique des sciences naturelles in Bern:

a) Materiaux pour la carte geologique de la Suisse. Supplement a la description du Jura Vaudois et Xeuchätelois (6* livraison). Avec une carte et quatre planches de profils geologiques. Par A. Jaccard. 1870. 4.

b) 8^"® livraison. Jura Bernois et Districts adjacents. Avec une carte, une planche de profils geologiques et sept de fossiles. Par B. Greppin. 1870. 4.

Von der Äsiatic Society of Bengal in Calcutta:

a) Journal. Part. 2. Xr. 2. 1870. 8.

b) Proceedings. Xr. 5. May 1870. Xr. 6. June 1870. 8.

Von der B. Accademia deUe scienze in Turin :

a) Atti. Yol. 5. Disp. 1—7. Xovbr. 1869 Giugro 1870. 8.

b) Appendice al volume 4. degli atti. 18G9. P.

c) Xotizia storica dei lavori fatti dalla classe di scienze tisiche e matematiche negli anni 1864 e 1865. scritto dal Prof. A. Sob- rero. 3,

398 Einsendungen von Bruckschriften.

Vom E. osservatorio deW Universitä in Turin: Bolletino meteorologico ed astronomico. Auno 4. 1869. 4.

Vom E. Comitato Geologico d' Italia in Florenz: Bolletino Nr. 9 ed 10. Settembre ed Ottobre 1870. 8.

Voyi der Smithsonian Institution in Washington:

a) Annual Report of the board of regents for 1868. 1869. 8.

b) Smithsonian Contributions to knowledge Vol. 16, 1870. 4.

c) Smithsonian Miscellaneous Collections Vol. 8. 9. 1869. 8.

Vom Patent office in Washington: Report. 1867. Vol. 1—4- 1868. 8.

Vom Ägricultural Deiyartement in Washington :

a) Monthly Reports for 1868. 1869. 8.

b) Annual Report for 1867. 1868. 8.

Vom U. S. Coast Survey Office in Washington :

Report of the Superintendent for 18Ö6. 1869. 4.

Vom Bureau of Navigation in Washington:

a) American Ephemeris for 1872. 1870. 8.

b) Tables of Harmonia by E.Schubert. 1869. 8.

Vom Interior Departement in Washington:

Annual Report for 1869. 8.

Vom U. S. Naval Observatorg in Washington: Appendix 2. Reports on observations of the total eclipse of the sun, August 7. 1869. 4.

Von der Chicago Academy of sciences in Chicago: Transactions. Vol. 1. Part. 2. 1869. 8.

Von der Academy of natural sciences in Philadelphia: a) Journal. New Series. Vol. 6. Part. 4. Vol. 7. Second Series 1869. 4.

Einsendwigen von Druckschriften. 399

b) Proceedings. Nr. 1 6. January Decbr. 1868. Nr. 1—4. Jauuary Decbr. 1869. 8.

Von der American Philosophical Society in rhiladelphia :

a) Trausactions Vol. 8. New Series. Part. 5. 1869. 4.

b) Proceedings. Yol. 9. 1869. Xr. 81. 82. 8.

Von der Historical Society of Pennsylvania in Philadelphia: Publications. Vol. 9. The Penn and Logan correspondence 1700 1750. 1870. 8.

Von der Academy of natural sciences (Chonchological Section) in Philadelphia :

American Journal of Conchology 1869 70. Vol. 5. Part. 1—4. 8.

Von der American Academy of arts and sciences in Philadelphia: Proceedings. Vol. 8. 1868. c.

Von der Peabody Academy of science in Salem : a) The American naturalist a populär illustrated magazine of

natural history. Vol. 3. Nr. 1 12. March 1869— February 1870.

Vol. 4. Nr. 1—2. March. April 1870. 8. bj First annual report of the trustees, January 1869. 8.

Von der Boston Society of natural History in Boston:

a) Proceedings. Vol. 12. 18—23. Vol. 13. 1 14. 1869. 8.

b) Address delivered on the centennial anniversary of the birth of Alexander von Humboldt by Louis Agassiz. 1869. 8.

Von der Portland Society of natural history in Portland:

a) Proceedings. Vol. 1. Part. 1. 2. 1862. 1869. 8.

b) Journal. Vol. 1. Nr. 1. 1864. 8.

c) Reports of the commissioners of fisheries of the state of Main. For the year 1867—1869. Augusta 1869. 8.

Von der American Association for the advancement of sciewe in Cambridge : Proceedings. Seventeenth meeting held at Chicago, Jllinois. August 1868. 1869. 8.

400 Einsendungen von Druckschriften.

Vom Essex Institute in Salem:

a) Bulletin. Vol. 1. Nnmber 1 12. January— December 1869. 8.

b) Proceedings. Vol. 5. Nr. 3. 4. July December 1866. Vol. 6. Part. 1. 186S. 8.

c) Record of American Entomology for the year 1868. 1869. 8.

Von der Sociedad Mexicana de historica natural in Mexiko: La Naturaleza. Entrega 1 7. Junio Diciembre 1869. Entrega 8 11. Enero— Abril 1870. 8.

Vom Herrn Hermann Kolbe in Leipzig: Journal für praktische Chemie. Neue Folge. Bd. 2. Heft 6. 7 und 8. 1870. 8.

Voyn Herrn M. Charles Grad in Türkheim: Essais sur le climat de l'Alsace et des Vosges. Mulhouse 1870. 8.

Vom Herrn Rudolf Wolf in Zürich:

a) Astronomische Mittheilungen. 26. 1870. 8.

b) Schweizerische meteorologische Beobachtungen. Sechster Jahr- gang 1889. 1370. 4.

Vom Herrn Kittel in Aschaffenhurg : Grundzüge der Naturgeschichte für den ersten wissenschaftlichen Unterricht. Verfasst von Fürnrohr. Augsburg 1870. 8.

Vom Herrn M. Ä. Colding in Kopenhagen : Extrait d'un memoire sur les lois des courants dans les conduits ordinaires et dans la mer. 1870. 4.

Vom. Herrn F.v. Hayden in Washington:

a) Geological report of the exploration of the Yellowstone and Missouri Rivers 1859—60. 1869. 8.

b) U. St. geological Survey of Colorado and New Mexico. 1869. 8.

Einsendungen von Druckschriften. 401

Von den Herren B. Silliman tind James D. Dana in Neto-Haven : American Journal of sciences and arts. Yol 47 49. Nr. 141 146. May 18G9 March 1870. 8.

Vom Herrn Eohert Ä. Parrish in Philadelphia: Details of an unpaid claim on France for 24,000,000 Francs guaran- teöd by the parole of Napoleon III. 1869. 8.

Vom Herrn Samuel Abhot in Boston: Report to the international sanitary Conference, of a commission from that body on the origin , endemicity , transmissibility and propagation of asiatic cholera. 1867. 8.

Vom Herrn Aug. Goiäd in Boston : Report on the invertebrata of Massachusetts. 1870. 8.

Vom Herrn Hinrichs in Joica ü. S. :

a) Contributions to molecular science or atoraechanics. 1868. 8.

b) The lilies of the fields, of the rocks and of the clouds, a few remarks on the resemblance between the flowers and the crystals. 1869. 8.

[1870. II. 4.] 27

Sacli-Register.

Aegrypten, Beilage A S. 337. Akkerman .»weisse Stadt'' 228 Altdeutsches 15. 39. 103. 183. Altspanisches 201. Ammoniak, huminsaures 300. Apollonius von Tyrus 270. Arabisch-Spanisches 237. Archaeologie 205.

Bauernkrieg 333.

Berliner Bibliothek 374.

Boetius 175.

Bryennius' Harmonik 237. 241.

Chemie 1. 9. 125. 304. 306. 310. 394.

Chemie und Mineralogie 8.

Cid, cronica rimada 201.

Colonienbildung der Arten (durch Separation) 155.

Confucius 120.

Dante 48. Darwin 154.

27*

404 Sach-Begister.

Electrophor 134.

Elsass 327.

Eppele von Gailingen 377.

Foraminiferenfauna der Alpen Oesterreichs, Bayerns, der Schweiz 278.

Crährungsbutylalkohol 306. Geographie 221. 313. 337. Glossar, lateinisches 197. Guanidine (substituirte) 304.

Harpyienmonument von Xanthos 205. Helmkleinode 120. Hildegard, heilige, Gebetbuch 109. Hochasien, dessen Gebiete 313.

dessen Bewohner 322. Humussubstanzen und Pflanzenernährung 302.

Insektentorf 293.

Johannesminne (niederdeutsch) 15. Johanneswein 22. Jourdain de Blayes 270.

xa).6y£Qog 235. Keimen der Samen 289. Kieselerdegehalt der Pflanzen 300. Kirchenlieder, griechische 53. 75. Kohlensäuregehalt der Luft 394. Krystallwasser 1.

Laach, dessen alter Krater 276. Lancelotfragment (niederdeutsches) 39.

Sach-Begister. 405

Landkarte, die älteste 337. XenroTr/s in der Plastik 214.

Marco Polo 225. Mathematik 327, Methyluramin 305. Metrik, mittelhochdeutsche 164. Mineralogie 1. 9. 271. Monazit vom Laachersee 271.

tafelförmige Ausbildung 273.

Fundstätten 276. Morphologie der Organismen 142. Münchener Staatsbibliothek 75. 109.

UniverBitätsbibliothek 197. Musik, byzantinische 241.

Niederdeutsches 39.

¥il 354. 367.

Nubische Goldminen 338. 865. 370.

Ontogenesis Phylogenesis 164.

Paläontologie 278.

Papyrus Prisse (III. lY.) 238. (Beilage).

Pflanzenphysiologie 289. 300.

Physik 134.

Poesie, byzantinische, vgl. Kirchenlieder.

Proven^alisch 175.

•faXtixT] ri/vn 267.

Eaimundus Lullus 270. Rautenöl 9.

Schiltberger's Reisebuch 221. Schwabacher Kirchenbibliothek 15. Schweiz, alte geschichtliche Lieder 379. Selectiona-Separationstheorie 1 62.

406 Sach-Register,

Simon's Reimchronik 385. S. Sophronius 53. SpricLwörter, deutsche 25. Steinkohlenleuchtgas und Keimung 298. Style der griechischan Kunst 205. der kleinasiatische 217.

Tampico-Jalape, deren Harz (Tampiciu) 125. Thierepos 270. Tigris-Wolga 225. Triodiura 57. Turnerit-Monazit 272.

Valerian-Säuren 808.

verschiedenen Ursprungs 310. Volkslieder, deutsche, historische 373. Volkslied-Romance 376. Vorauer Handschrift 186.

"Weissrussland 231. Wiener Hofbibliothek 267. Würzburger Archiv 373.

Zonaras 75.

Namen -Eeoister

Bauernfeind (Wahl) 239.

Baeyer, in Berlin. (Wahl) 240.

Beetz 134.

Bezold, V., 134.

Brunn 205.

Bruun in Odessa 221.

Buchner 9. 125

Christ 53. 75. 237. 241.

Dudik, in Wien, CWahl,^ 240.

Erlenmoj-er (Wahl) 239. 304. 306. 308.

Gegenbauer, in Jena, (Wahl) 240.

Gorup-Besanez, v., 9.

Grimm. Ferd., 9.

Gümbel 278.

Häckel, in Jena, (Wahl) 246.

Heerwagen, in Nürnberg, (Wahl) 240.

Helmholtz, in Heidelberg. (Wahl) 240.

Hesse (Wahl) 239.

Hlasiwetz, in Wien, (Wahl) 240.

Hofmann 15. 89. 175. 197. 270.

408 Namen-Begister.

Keinz 109. Kobell, V., 1.

Lauth 238 und Beilage. 337.

Liliencron, v., 373.

Löher, v., 120. 327.

Lucae, in Frankfurt a/M., (Wabl) 240.

Luebke, v., in Stuttgart, (Wahl) 240.

Müller, M. J., 237.

Paranikas 53. Pettenkofer, v., 394. Plath 120. Pott, in Halle, (Wahl) 240.

vom Rath, in Bonn, (Wahl) 240.

271. Eiehl 238. Ritter (Wahl) 239. Rutimeyer, in Basel, (Wahl) 240.

Sandberger, in Würzburg, (Wahl) 240. Schlagintweit-Sakünlünski, v., 313. Seidel 327.

Spach, in Strassburg, (Wahl) 240. Spirgatis 125.

Thomas 221.

Tschermak, in Wien, (Wahl) 240.

Togel (Wahl) 239.

289. 300. Voit (Wahl) 239.

Wagner, Mor., 164.

AS Akademie der Wissenschaften,

182 Munich

M8212 Sitzungsberichte

1870

Bd. 2

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