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Microfilmed For

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT URBANA-CHAMPAIGN

February 1 993

Microfilmed By

MAPS

The MicrogrAphic

Preservation Service

Bethlehem, PA 18017

Camera Operator PattyBanko

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MICROFILMED 1993

University of Illinois Library at Urbana-Champaign

1408 West Gregory Drive Urbana, Illinois 61801

Humanities Preservation Project

Funded in part by the

NATIONAL ENDOWMENT FOR THE HUMANITIES

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Reproductions may not be made without permission from the University of Illinois Library at

Urbana-Champaign

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University of Illinois Library at

Urbana-Champaign

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MASTER NEGATIVE STORAGE NUMBER

92-0903

AUTHOR: Sternheim, Carl TITLE: Napoleon PLACE: Leipzig

DATE: 1915

UIUC Master Negative 92-0903

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University of Illinois at Urbana-Champaign

University Library

Urbana, Illinois 61801

HUMANITIES PRESERVATION PROTECT CATALOG RECORD TARGET

Stemheim, Carl, 1878-1942.

Napoleon : eine Novelle / Carl Stemheim. Leipzig : K. Wolff, 1915. 41 p. : ill. ; 22 cm. Der Jüngste Tag ; 19 ( '

Napoleon I, Emperor of the French, 1769-1821 Fiction. Bücherei "Der Jüngste Tag" ; 19.

MICROHLMED BY

MAPS The MicrogrAphic Preservation Service

BETHLEHEM, PA

on behalf of The Humanities Preservation Project at the University Library . of the University of Illinois at Urbana-Champaign

Film size: 35mm microfilm Image Placement: IIA Reduction Ratio: to: \ Date Filming Began: ^-to^?^

Camera Operators:

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CARL STERNHEIM

NAPOLEON

DER JÜNGSTE TAG

KURT WOLFF VERLAG

19 15

LEIPZIG

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Mit drei Lithographien von Ottomar Starke.

Gedruckt bei Poesdiel ® Trepte in Leipzig

Juli 1915 als neunzehnter Band der Büdierei

»Der jüngste Tag«

COPYRIGHT 1915 By KURT WOLFF VERLAG LEIPZIG

REMOTE STORAGE

FÜR THEA, MEINE LIEBE FRAU

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NAPOLEON

'APOLEON wurde 1820 zu Waterloo im Eckhaus, vor dem sidi die Steinwege nadi Nivelles und Genappes trennen, geboren. Sein Kinderleben verließ historisdien Boden nidit.

Ober die durdi Hohlwege gekreuzten Flädien, auf denen des Kaisers Kürassiere in Knäueln zu Tode ge* stürzt waren, gingen seine Soldatenspiele mit Gleidi* alterigen. Sie lehrten ihn ewige Gefahr, Wunden und Sieg,

Zwölf Jahre alt, nahm er von Kameraden beherrsditen Absdiied, sprang zum Vater in die Kalesdie und fuhr nadi Brüssel hinüber, wo er vor ein Gasthaus abgesetzt wurde. In der Küdie des Lion d'or lernte er Sdiaum sdilagen, Fett spritzen, sdineiden und sdiälen. Gewohnter Überwinder der K^ei:aden auf weltberühmter Walstatt,"^ ließ er audi hier ganz natürlidi die Mitlernenden hinter sidi und war der erste, der die Geflügelpastete nidit nur zur Zufriedenheit des Chefs zubereitete, sondern audi nadi den Gesetzen zerlegte.

Er selbst blieb von allen Speisenden der einzige, den der VoUau-vent nidit befriedigte, dodi nahm er Lob und ehrenvolles Zeugnis hin, madite sidi, siebenzehnjährig, auf den Weg und betrat an einem Maimorgen des Jahres 1837 durdi das Sankt Martinstor Paris.

Als er von einer Bank am Flußufer die strahlende Stadt und ihre Bewegung übersah, wurde ihm zur Ge- wißheit, was er in Brüssel geahnt: Nie würde er aus den allem Verkehr fernliegenden Küdienräumen jene enge Berührung mit Mensdien finden, die sein Trieb verlangte. Tage hindurdi, solange die ersparte Summe in der Tasdie das Niditstun htt, folgte er den Kellnern in den Wirt- sdiaften gespannten Blidts mit inniger Anteilnahme/ ver- sdilang ihre und der Essenden Reden, Ladien, Gesten. An einem hellen Mittag, da eine Dame Trauben vom Teller hob, den ihr der Kellner bot, trat er stradcs in die Taverne auf den Wirt zu und empfahl sidi ihm durdi Gebärden und flinken Blidc als Speisenträger.

Nun bradite er Mittag- und Abendmahl für alle Welt herbei. Es kam von beiden Gesdileditem jedes Alter und jeder Beruf zu seinen Sdiüsseln und sättigte sidi. Un- ermüdlidi sdileppte er auf die Tisdie, fing hungrige Blidie auf und satte, räumte er ab. Nadits träumte er von malmenden Kiefern, sdilürfenden Zungen und ging anderes Morgens von neuem ans Tagwerk im Bewußt- sein seiner Notwendigkeit

Erst allmählidi sah er Untersdiiede des Essens von sdimatzenden Lippen ab. Er kannte den gierigen> weit- geöffiieten Radien des Studenten, durdi den unsortierte Bissen in ein niegestopftes Lodi fielen, untersdiied den Vertilger eines nidit heißhungrig ersehnten, dodi regel- mäßig gewohnten Mahles von jenem Qberemährtcn, der ungern zum Tisdi sidi niederließ und gclangweilt Lederbissen kostete und zurüdtsdiob. Er prägte sidi

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die kauende, trinkende Mensdiheit in allen Abstufungen fest und bildhaft ein.

Durdi Kennersdiaft wurde er ihr Berater und Führer/ wies dön Hungrigen feste Nahrung, bediente die ewig Satten mit Sdiaum und Gekröse/ von ihm zu allen Tisdien lief ein Band des Verständnisses. Hob der Gast nur die Karte, fiel von Napoleons Lippen erlösend der gewünsditen Speise Name.

Jahrelang blieben die seine Lieblinge, deren leiMidie Not die Kost stillen sollte. Ein saftiges Stüd Fleisdi, von kräftigen Zähnen gebissen, sdiien ihm die ge* lungenste Vorstellung. Dodi madite er Untersdiiede zwisdien den Sorten. Ließ er Kalb und Lamm im Hin* blidf auf ihre festere Zusammensetzung gelten, war ihm Wild und Geflügel wenig sympathisdi. Von Fisdien, Austern und Verwandtem hielt er der lodteren Struktur wegen nidit das Geringste. InbegrifiP- guter Nahrung war ihm das Rind. Unwillkürlidi sah er beim Hin* und Heimweg die Begegneten auf die BesdiafiPenheit ihrer Muskulatur hin an. Die ersdiienen ihm wohl bereitet, die über straffem Knodienbau gedrängte Materie trugen. Die Mageren veraditcte er, und die mit losem Fett Ge- polsterten waren ihm verhaßt. Einem gut aufgesetzten Körper folgten seine Blidte zärtlidi und zerlegten ihn augenbliddidi in gigots, seile, cotes und Kotelettes. In der Einbildung streute er Pfeffer und Salz hinzu, gar* nierte, sdinitt und servierte das Ganze mit passendem Salat/ dann lädielte das junge Gesidit, und hingerissen, ahnte er nidit, in weldier Zeit er lebte/ untersdiied

Sommer und Winter, Trockenheit und Regen, Überfluß und Notdurft nidit und wußte nur : dies freut den Gast.

Immer hitziger wurde sein Trieb, dem zu Bedienenden sättigende Kost zu bieten. Gewürz und Zutat sah er nur in dem Sinn, wie sie- die bestellte Speise fest und ausdauernd madien möditen. Es bildete sidi in seine Vorstellung der Raum des leeren Magens, in den er wie aus Betonklötzen die Nahrung baute.

Ging der Gesättigte, der sdilappenSdirittes gekommen, wuditig zur Tür hinaus, hing Napoleons Blids an dem Sdireitenden, als sei dessen Lebendigkeit sein Werk. Er braudite das Bewußtsein sdiöpferisAer Tat, um vor sidi bestehen zu können und steigerte es allmählidi zur Überzeugung, ohne ihn und seine Pflege sei die Lebensarbeit der Betroffenen nidit möglidi. Diese fest- zustellen, merkte er die Namen der Gäste/ nahm an ihrem

Vorwärtskommen teil.

Es gesdiah, als er am freien Tage durdi die Wege der Versailier Parks sdiritt, in der Einbildung, er habe gerade eine riesige Wurst mit den Hödistwerten mensdilicher Nährstoffe gestopft und sdinitte den Wartenden Sdieiben herunter, daß aufsdiauend sein Auge zu einem jungen Weibe fiel, das am entblößten Busen ein Kind hängen hatte. Gebannt wurzelte Napoleon am Boden und prägte sidi in aufgetane Sinne das Bild rosiger, geblähter Rund« heiten an der Frau und dem Säugling ein. War das eine Apotheose seiner Träume von kraftvoller Nahrung und ihrem besten Verbraudi! Er hätte an die Nährende nieder*

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fallen und durdi Umsdhlingung ihres und des Kindes Leibes an dem erhabenen Vorgang teilnehmen mögen.

Das gesdiaute Bild verließ ihn nidit und veranlaßte ihn, flüssigen Stoffen gesteigerte Aufmerksamkeit zu sdienken/ dann aber hob es den Wert der Frau, der bis heute ihrer geringen Lust zum Essen wegen für seine Welt nidit groß gewesen war, sidi jetzt aber unter einem anderen Gesiditspunkt auf das beste ins große Tableau tafehider Mensdiheit einordnete. Zum ersten Mal ^sah er das Mäddien an der Anridite, dem er bisher nur den kräftigen Gliederbau hatte bestätigen müssen, und immer eindringlidier, als prüfe er es auf gewisse ihm nun einleuditende Möglidikeiten. Er fand, sie nähme als Nahrung zu viel leidites Zeug, belade sidi mit Geblasenem und Aufgerolltem, das im Magen zu einem Nidits zusammenfiele, warnte sie vor Klebrig* keit und Süßem und forderte sie eines Tages geradezu auf, mit ihm irgendwo ein Mahl zu nehmen, das bis ins kleinste von ihm zusammengestellt, in seinem Wert für sie eröi^tert werden solle. Das Mäddien nahm des Mannes Kauderwelsdi für einen Umsdiweif, willigte ein, und sie gingen an einem der nädisten Tage gemeinsam ein Stüdc über Land und traten in einen Gasthof ab.

Dort versdiwand Napoleon und erklärte zurüA* kommend der sdimollenden Suzanne, er habe in der Küdie selbst bis ins Kleinste vorgesorgt. Mit einem Ragout vom Hammel in einer Burgunderweinsauce be- ginne man und gehe, alle falsdien Vorspiegelungen versdimähend, geradezu auf ein wundervolles, halb*

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blutiges Rindslendenstück zu, an das er cnglisdie Gurken und Zwiebeln habe braten lassen.

Als das Essen aufgetragen war, wies er sie, die Bissen langsam zu kauen und ohne Zukost von Brot zu sdilud^en. Er ruhte nidit, bis das letzte Teildien auf der Sdiüssel vertilgt war und befahl ihr und sidi selbst ein Gläsdien Sdinaps zu besserem Bekommen an.

Da nadi Tisdi sie draußen im Gras lagen, breitete er Arme und Beine von sidi und riet ihr, ein Gleidies zu tun. Er sei ein sdimäditiger Bursdi gewesen und nur durdi vernünftige Nahrung und angemessene Ver- dauung sein Gewebe fest und kräftig geworden. Dabei ließ er durdi Beugung die Muskeln der Arme und Waden zu kleinen Bällen sdiwellen, worauf sie, in der Eitelkeit verletzt, audi ihre Glieder spielen ließ und ihn zur Prüfung der festen Besdiaffenheit einlud, Dodi bestritt er alles von vornherein, meinte, es sei bei ihrer bisherigen Ernährung gar nidit möglidi und forderte sie auf, in Zukunft nadi seinen Vorsdiriften zu leben. Dann werde, was nidit da sei, kommen.

Er gefiel ihr. Dieser nüditerne Sinn madite Eindruck auf sie, und sie bemühte sich, seine Erwartung zu. er* füllen. Bei den nächsten Ausflügen blieb sie plötzlich stehen, bäumte den Arm auf und ließ seine Hände die Anschwellung fühlen. Doch kam durch Wochen nichts als ein Schnalzen von ihm, das ihr immerhin bedeutete, sie sei auf reditem Weg. Bis eines Tags beim Versudi, sich ein gelöstes Schuhband zu knüpfen, sie ihm ein so mächtiges Rückenstück entgegenhob, daß eine runde An»

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erkennung seinen Lippen entfuhr. Gleidi lag sie an seiner Brust/ bot ihm den Mund zum Kuß.

Der Besitzer der Taverne starb, und Napoleon wurde Inhaber des Speisehauses. Er konnte nun sdialten, wie er wollte, und entfernte vollends alle Spielereien von der Karte. Die gleidibleibende Kundsdiaft, er selbst und Suzanne waren gcwiditig auftretende Personen ge* worden, die eine Rede deutlidi in den Mund nahmen. Es gab in seinen Räumen kein Getusdiel, sondern zu sdiallenden Worten dröhnendes Ladien. Ein forsdies Zugreifen und Fortstellen. Überzeugte Meinungen und Entsdilüsse für kühne Taten.

Napoleons Vaterunser und Einmaleins hieß: in allen Molekülen drängende Kraft. Von Suzannes Kind, das sie von ihm unter dem Herzen trug, redinete er, es

müsse nadi Mensdienermessen ein Herkules werden.

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Der Ruf des Hauses hatte sidi verbreitet. Einer rühmte es dem andern und bradite ihn zu einem Versudi mit. Sdiließlidi reidite der Raum nidit, die Gäste zu fassen. Einen freiwerdenden Stuhl besetzte sofort ein anderer Hungriger. Große Tagesumsätze wurden erzielt und immer bedeutendere. Verglidi aber zum Jahresabsdiluß der Wirt Einnahme und Ausgabe, kam kaum ein Gut* haben zu seinen Gunsten heraus. Anfangs, bevor er das Ziel seines großen Rufe erreidit, ließ er es gehen,- als aber dieser über ganz Paris feststand, begann die sdiledite Abredinung ihn zu wurmen. Er war nun dreißig Jahr alt, hatte große Pläne, und sdiien Reiditum audi

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nidit seine letzte AbsiAt, mußte er doch mit dem üb- rigen kommen. Nodimals nahm er die Büdicr gründliA vor und stellte fest, der geforderte Preis war in An- betradit der hervorragenden BesdiafFenheit und Menge der gereiditen Speisen zu niedrig. Da ihm aber ein- leuditete, der Konkurrenz wegen könne er einen Preis- aufsdilag nidit eintreten lassen, stand er vor der Ent- sdieidung, alles beim alten zu lassen oder die Qualität des Gebotenen zu versdileditern. Treu seinen bisherigen Grundsätzen entsdiloß er sidi zu ersterem, stand aber den Essenden jetzt nidit mehr mit alter Unbefangenheit gegenüber. Bei jedem Filet, das der Kellner mit sdiönem Sdiwung zum Gast niedersetzte, stellte er den Vergleidi zwisdien Ware und erzieltem Preis an und kam bald dazu, daß ihn eine Platte, je besser sie gelungen und je reidilidier sie serviert wurde umsomehr in qualvolle Erregung versetzte. Besonders konnte er den Blidc von einem Gast nidit wenden, der mit dem Gebotenen an- fangs nidit zufriedep, die Bedienung und die Küdien- brigade durdi anfeuernde Reden zur hödisten Leistung für ihn angespornt hatte und nun wahre Fleisditrümmer vorgesetzt bekam, die er mit Mengen alles Erreidibaren würzte. Dazu warf er Napoleon triumphierende und anerkennende Blidie zu, die diesen anfangs erbitterten, sdiließlidi zu heller Empörung braditen. Der Vielfraß war ein Kanzleibeamter, von dem nie ein besonderes Verdienst verlautet hatte, und der Herr des Gasthauses fragte sidi ergrimmt, mit weldiem Rcdit, für weldies bedeutende Vorhaben der Betreffende eigendidi soldie

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Anforderungen für seinen Magen steifte. Man wisse schließlidi zu welchem Ende, sdilänge ein Thiers, ein Balzac soldie Mengen^ seine Därme. Dieser Durdi- schnittsbürger aber sAweife in geradezu widerlidier Weise aus, garniere er den faulen Baudi täglidi mit soldien Praditfleisdistüdcen. Überhaupt begann der Wirt des Veau ä la mode seine Stammgäste auf ihre Ver* dienste hin anzusehen und stellte vor seinem Gewissen fest, keiner habe durdi Erfolge die Sorge vergolten, die man jahrelang an seiner Ernährung genommen. Infolgedessen folgte er ihrem Sdilingen von nun an mit nodi sdieeleren Blidten, und als das Maß seines Grolls aufs Hödiste gestiegen war, brüllte er eines Tages dem Hauptkodi zu, der über ein Toumedos ein volles aditel Pfund Butter goß, ob er von Gott verlassen sei und ihn durdiaus ruinieren wolle.

Über all das hatte er sdilaflose Nädite, bis er zu fester Ansdiauung sidi durdigerungen hatte, die lautete: Es hat die Mahlzeit das Äquivalent zu sein der durdi die täglidie Arbeit verausgabten Kräfte. Und so steifte er den Bf idi seiner Kundsdiaft gegenüber neu auf Fest- stellung dieser Tatsadie ein und fand, er könne ruhigen Gewissens mit der Besdiaffenheit und dem Maß der Portionen herunter gehen und leiste nodi immer ein Mehr in den Magen der Speisenden. Audi Suzanne gegenüber, die ihm ein Mäddien geboren hatte und nodi in derselben Stellung bei ihm war, nahm er jetzt diesen Standpunkt ein. Auf Grund seiner Erziehung war sie gewöhnt, ihren und ihres Kindes Körper gehörig mit

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ausgesuchter Eßware zu stopfen. Jetzt wies er sie hin, es sei Schande, den ungeheueren Nahrungsmengen, die sie genösse, ein so winziges Maß an Leistung gegen* überzustellen. Sie möge Leib und Geist mehr tummeln oder ihren Eßverbrauch einschränken.

Damit aber hatte der Prozeß in ihm kein Ende. War gegen Mitternacht das Geschäft vorbei, das Haus leer, blieb er am Herd zurück und begann, schmorend und bratend. Versuche mit Surrogaten zu machen, die er den Speisen beimischte, von der innigen Überzeugung geführt, er habe das Recht und die Pflicht, es den Verbrauchern gleichzutun, die auch an Stelle wirklichen persönlichen Wertes für das Menschengeschlecht falsches Vorgeben, hohle Gesten und Phrasen gesetzt hatten.

Langsam begann er danach, seine theoretischen Er« kenntnisse in die Praxis umzusetzen. Äußerlich blieb alles, Name und Anrichtung der Speisen, beim alten. Bedachte er aber, wie ein Stück Fleisch durch Klopfen und Lockern der Atome angeschwollen, durch Bei* mischung scharfer Gewürze Kiefer und Gaumen jetzt weniger durch Kauen als durch Beize beschäftigte, schmunzelte er und trieb die entdeckte Kunst zu immer größerer Vollendung. Nun hatte er zwar am Schluß des Jahres die Genugtuung eines außerordentlichen Überschusses, fühlte aber, ihn befriedigten die Grund- sätze, nadi denen er heute Wirt sei, weder in Bezug auf die Beschaffenheit der Gäste mehr, noch hinsichtlich der Mittel, die er anwandte, ihre Erwartungen zu erfüllen.

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An einem Sonntagabend lief didit vor seinen Augen die Wendeltreppe zu den Räumen im ersten Stods des Restaurants ein Persöndien empor, das mit RoArüsdien und Volants wie ein Quirl über seiner Stirn hüpfte. Die Beine in weißseidenen Strümpfen nahmen zwei, drei Stufen auf einmal, und bei jedem Satz federte der Körper hodi auf in den Gelenken, Dazu flogen Haare, Federn, Pelzwerk um den Kopf, und ein empörtes HundekläfFen kam von ihrem vermummten Busen her. Mit einem Sprung sdiwang sie sidi oben zu zwei Herren an den Tisdi und rief klingenden Stimmdiens: »Hunger!« Na* poleon, der auf Zehen vor sie getreten war, durdi* fuhr's, hier sei seine ganze Speisekarte fehl am Ort, und während Röte sein Antlitz malte, sdilug das Herz Generalmarsdi in hastiger, aussiditsloser Erregung, was er diesem Püppdien bieten könne.

Als Madame Valentine Forain stellte sie einer der Herren vor, und Napoleons Unruhe wudis zur Ver« zweif lung, als er hörte, er habe die berühmte Tänzerin vor sidi, die seit Wodien Paris bezaubere. »Stillen Sie meinen Hunger mit Luft,« sagte sie, »die den Leib nidit besdiwert. Sie sehen aus, als verstehen Sie Ihre Kunst. Diesem süßen Ungeheuer,« sie wies auf das safranrote Hundesdinäuzdien, das aus einer Spalte ihrer Taille sdinüffelte, »reidien Sie ein Sdiäldien zerkleinerter Kalbsmildi.«

Einen AugenbiiA blieb Napoleon auf dem Gang zur Küdie im Dunkeln an einen Pfeiler gelehnt, als habe er einen Sdilag gegen die Stirn bekommen und

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müsse sidi erst zu neuem Leben sammeln. Gleidi aber schoß die Stiebflamme der Erkenntnis in ihm hoA, hier gelte es die Zukunft, und sdion spürte er den aus den Kämpfen der letzten Wodien gesammelten Willen zu etwas gänzlidi Neuem als ein Liditmeer über sidi fluten. An den Herd er glitt, sdinitt, misdite, quirlte/ hob es in kleinster Kasserole nur eben ans Feuer, nahm's fort, als der erste Wrasen stieg, und mit vier Sprüngen die ganze Treppe nehmend, servierte er das SdiüsseU dien in seiner frühesten Hitze: Taubenpüree mit frisdien Champignons.

Sie kostete, murmelte, sdiludite und sdilug ein Paar kornblumenblaue Augen lädielnd zu ihm auf. Er stürzte in die Küdie zurüdi, setzte den Herd in größere Glut und ließ über eine Handvoll Spargelspitzen, die er den jüngsten Sprossen abgesdinitten, heißen Dampf sdilagen, in dem er sie gar kodite. Im letzten Augenblidc gab er eine Sdiwitze von Sahne und Sellerie über das Ganze. Als drittes und letztes Geridit bot er frisdie, gesdiälte Wallnüsse mit Himbeeren ä la creme. Dem Hünddien aber hatte er Trüfieln an die Kalbsmildi getan.

Nun stand er unauffällig in der Nähe, sah, wie nadi wenigen Bissen von jeder Platte sdion die ganz sanfte Röte auf ihrer Haut lag, der Körper sidi tiefer in die Kissen des Sofas drückte und aus ihrem Munde ein Fauchen, winzige Tropfen Feuchtigkeit aus den Augen kamen, ansagend, das zarte Leibchen ziehe hin* gegeben jetzt Kraft aus dem Genossenen. Keiner der Herren sprach in diesen Augenblicken, da auf dem

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Antlitz der Frau ein andächtiges Läcfieln lag, mit ihr, als sei es ausgemacht. Zitternden Zwerchfells lachte Na- poleon, schüttemden Leibes in heller Seligkeit für sich dazu, bis ihm die Augäpfel in Tränen schwammen. Er war mit ihm eins und lobte Gott in der Höhe.

Die Begegnung wurde geänderten Lebens und neuer Ziele Anfang. Als er am gleichen Abend heimkehrend den kräftigen Leib Suzannes in den Bettkissen fand, sdinitt er der Schlafenden eine angewiderte Grimasse. Wütend deckte er ein freiliegendes Rundteil von ihr zu, schloß die Augen und träumte in Wolken duftiger Seide und Band die behende Gestalt der Tänzerin. Vor seinem geistigen Auge prüfte er die schlanken Arme, eine schmale Hand, ihre ^anze zierliche Er* sdieinung und stellte fest, wie wenig fleischliche Person die Begnadete sei, und wie geringer Kost sie bedürfe zu künstlerischer Leistung, durch die sie eine Nation zum Entzücken hinriß. Für welche Tat aber sei der Leib neben ihm derart aufgemästet, zu welchen Fort* sdiritten brauche er seine täglichen mächtigen Rationen? Mit was für Gesindel habe er, Napoleon, sich eigent* lidi bis über sein cfreißigstes Jahr hin abgegeben, und welch steilen Weg müsse er bis zu lohnendem Ziel noch ersteigen! Er fühlte, keine Minute sei zu ver- lieren, und alles Heil ruhe im Anschluß an die ver- ehrte Gastin. So widmete er ihr vom zweiten Erscheinen an sein Trachten und Vermögen. Dachte die Stunden bis zu ihrem Kommen nichts, als was er ihr vorsetzen, wie er ihre Erwartungen übertreffen müsse. Lief mor-

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gens vom Markt in Hallen und Kramereien/ suchte, tüftelte das Frisdieste, Zarteste und Rarste heraus. Zur Vorstellung ihres winzigen Kems in einer* Hülle von Tüll und Tand diditete er aus Sdiaum, Krusten, Farce und Saucen das assoziierende Speisengebild y sdiabte^ preßte in Tüdier, seihte und übcrquirlte wohl ein dutzendmal, bis das Gekodite sAwebend gleidi einer Wolke zum Teller niedersank. Dann sah er es entzüdit zwisdien zwei leuditenden Zahnreihen auf einer sdimalen Zunge zergehen.

Einst gönnte sie ihm ein Wort der Anerkennung, Ihm sdiien's ein Rausdien und hallte ihm lange im Ohr. Zum Sdiluß riet sie, das Stadtviertel des soliden Bürgers eiligst zu verlassen und jenseits des Flusses, mitten im Herzen des vornehmen Paris, ein Restaurant zu sdiafien, das trotzdem bis heute jeder entbehrte, der hödiste Anforderungen an Küdie und Keller zu stellen gewillt sei. Sie würde mit Freunden kommen/ wolle

seiner außerordentlidien Kunst Verkünderin sein.

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So gesdiah's. Nadidem er in einer Seitenstraße bei der Oper das passende Lokal gefunden, verkaufte er mit Nutzen die alte Wirtsdiaft, ließ die Wände der gemieteten Räume mit weiß silbernen Malereien zieren, die zu dem reidien Silber, der Wäsdie der TisAreihen stimmten. Ein roter Teppidi deckte den Boden. Kraft eines Sdilägwortes, das irgendwo auf und über die Boulevards flog, wußte Paris plötzlidi von der Existenz des Chapon fin, und daß der Kenner eines gewählten

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Bissens dort auf seine Rechnung käme. . Vier Wodien nadi Eröflhung ging die beste Welt regelmäßig bei Na*» poleon ein und aus, als habe sie nie einen anderen Ort des Stelldidieins gekannt. Der Ruhm seiner Küdie beruhte auf der Vorzüglidikeit der leiditen Platten. Man konnte wohl ein Chäteaubriant, ein Seile de dievreuil so gut wie anderswo bekommen, dodi wies der maitre d'hotel den Gast mit Augenzwinkern auf die Spezialität des Hauses : Musdielgeridite, Ragouts und Pürees inPfänndien/Über* rasdiungein in winzigen Sdiäldien und Kasserolen. Der Gast folgte und war regelmäßig zufriedengestellt.

Denn was der Herr des Hauses für die Tänzerin erdadit, vervollkommnete, vermehrte er von Tag zu Tag. Sdialentiere ließ er aus den Krusten, Geflügel vom Knodien bredien, nahm vom Tier das Gekröse, von den Gemüsen die Spitzen. Frikassierte und misdite die verblüflizndsten Gegensätze, verband das Widerstrebende in Saucen von Sahne, kostbaren Eiersorten, Pilzen und duftenden Essenzen. Das letzte Geheimnis seines Er* feiges aber war die »kurze Hitze«, in der die Speisen garwerden mußten. Der oberste Grundsatz hieß: was zu lange Feuer gerodien, ist für den Rudi verdorben.

Nadi-wie vor blieb Valentine die erste, die jede neue Sdiöpfung kosten mußte. Zwisdien ihr und dem Patron webte nun eine sdiöne Vertraulidikeit, geboren aus den Blidien dankbarer Anerkennung, mit denen die Essende nadi jeder von ihm selbst angeriditeten Platte Napoleon besdienkt hatte. Allmählidi lernten die Augen sidi audi sonst sudien, nadi dem lauten Sdierzwort eines Gastes

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etwa, einer unzarten Bemerkung von irgendwoher, bei ledern Vorkommnis, Und fühlten, wie es in der Blid^ tiefe des anderen ein Geheimnisvolles gai, durdi das das eigene Sdiauen wie an feinen Häkdien sdimerz* voll süß haranguiert wurde. Dazu fuhr die Frau mit freundsdiaftlidier Würde fort, ihm Beobaditungen und Anregungen mitzuteilen, die sie aus sidi selbst und von anderen zur Vervollkommnung des Betriebes nahm, Audi fragte sie ihn, legte er ihr die kostbare PelzhüIIe um die Sdiultern, letzthin nadi dem praktisdien Erfolg, und er war glüddidi, ihr von Mal zu Mal eine höhere Summe als erzielten Gewinn zuflüstern zu können.

Die Gefährtin seiner Lehrjahre und ihr Kind hatte er mit einer Summe abgefunden und aus seiner Nähe verbannt. Anfangs sah er sie nodi hin und wieder, dann aber stand sie plötzlidi im Sdirank seiner Er* innerungen als Gleidinis der Hausmannskost und klein* bürgerlidier Umstände.

Auf den Rat seiner Gönnerin widmete er der Zu* friedenheit jener Frauen besondere Aufmerksamkeit, die in kostbaren Toiletten nadi dem Theater in Be* . gleitung von Lebemännern aßen. Er merkte sidi irgend ein Besonderes, eine Laune der Betreffenden und spielte das nädiste Mal vertraut freundsdiaftlidi darauf an. Das Luxusgesdiöpf sieht sidi vom ernsten Mann ernst genommen, errötet vor Vergnügen und wird seine treue Kundin. Neben dieser Kategorie und ihrem Anhang stellte er sidi vor allem den Diplomaten und Staats*

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männcm zur Verfugung, indem er ihnen, kamen sie mit widitigen Gesiditern von einer Sitzung, um zu einer Sitzung zu gehen, ein stilles Bckdien anwies, wo sie ungestört blieben, nidit duldete, daß ein Kellner sidi näherte und sie durdi ausgesudite Led^ereien der Bürde ihrer Verantwortlidikeit für Äugenblidte enthob. Da er aber fühlte, es ging ihm im Umgang mit den Spitzen der politisdien Abteilungen aus Unkenntnis ihres Wirkens und Wollens die nötige Sidierheit nodi ab, lud er ^ie in ein abgelegenes Zimmer, durdi dessen Wand er von seinem Kontor ihre Gesprädie hören, ihre Mienen beobaditen konnte. Da lernte er alsbald, durdi weldie Spitzfindigkeiten und Umsdiweife aus Eifersudit und Ehrgeiz der Handelnden strittige Fragen zwisdien po* litisdien Parteien des Vaterlandes oder den versdiiedenen Nationen, aus ihrem logisdien Gelenk gerissen, zu Ent» sdieidungen wurden, die Zwisdienfälle, Krisen und ein KMißtrauensvotum für das Ministerium hervorriefen. Er sah den Führern Frankreidis ihrStimrunzeln, das ironisdi überlegene Lädieln und die knadtende Handbewegung ab, die ein Ultimatum bedeutet, und hörte sidi voll« kommen in die inner- und außerpolitisdien Strömungen hinein. Bald konnte er es wagen, dem eintretenden Minister, Attadie oder Abgeordneten eine so treffende Anmerkung zur gerade widitigen Afiaire zuzuraunen, daß der einen bedeutenden Eindrudi von ihm bekam und weitergab. Aber audi die vollkommene Kenntnis des galanten und des Gesdiäftslebens versdiaffte sidi Napoleon durdi seine Hordispalte, sah er verliebten

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Paaren, feilschenden Geldleuten mit angespannter Auf» merksamkeit zu, bis die in der Erregun|^ aufgesperrten Kiefern sidi krampften. Am erregendsten blieb es stets für ihn, verHeß ein Teil des Paares für Augenblidce das Zimmer, und der Zurüdcbleibende, sidi allein glau« bend, verlor alle Haltung, wurde Mensdi mit seinen Hoffnungen und Sorgen, zählte in der Brieftasche die Barschaft oder suchte durch Prüfung der zurückgebliebenen Kleidungsstücke des anderen auf dessen wirkliche Lebens* umstände zu schließen. Kurz, der Wirt des Chapon fin wurde ein Kenner, der ins Unterbewußtsein der Menschheit hinabsah.

Binnen Jahresfrist lag Paris zu seinen Füßen. Er beherrschte es durch die vollkommenste Kenntnis seines Magens als ein gütiger Fürst und lächelte, als man ihrt\ erst zaghaft und vereinzelt, dann ganz allgemein König Napoleon im Gegensatz zum Kaiser nannte. Rührung und Glück aber ergriff ihn, als Valentine das erstemal seine Hand suchte und drückte. Das war Be* weis nicht nur geschäftlichen Erfolges, sondern auch des erreichten gesellschaftlichen Ansehens, da die Gefeierte einen sozial unter ihr Stehenden nicht vor aller Welt so ausgezeichnet hätte. Nun wuchs er von Tag zu Tag mehr in eine überlegen menschliche Haltung hinein, die veranlaßte, daß selbst der höchstgestellte Gast ihm die Hand gab, ihm gutgelaunt auf die Schulter klopfte.

Für den Mann der Provinz vollends ward es bei der Rückkehr in die Heimat Glanzstücit des Berichts der in der Hauptstadt erlebten Abenteuer, konnte er

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nidit nur bemerken: Ich habe beim »König« gespeist, sondern hinzusetzen: der midi auf die Sdiulter sdilug und fragte: »Nun, Baron, wie wär's mit einer Boule au jus tutti?«

Als er von einenvfremdländisdien Herrsdier das erste Ritterkreuz erhalten, dessen violette Rosette er am gleidien Abend im Knopflodi trug, forderte Valentine ihn auf, sie am nädisten Tag um fünf Uhr nadimittags aufzusudien. Er ersdiien nadi sdilafloser Nadit, dem ruhelosesten Morgen, und fand sie im Raum auf der Erde, wo sie mit dem Hund balgte. Sie sprang hodi, ' stedite das entfesselte Haar auf und saß gleidi in einem niedrigen Sessel so nah ihm gegenüber, daß er das vergötterte Antlitz didit vor sidi hatte, es zum erstenmal andäditig sidi einprägen konnte. Sie madite keine Be^c^gung und ließ ihn sidi vollends sattsehen. Dann gab sie die Hand, die er inbrünstig küßte. Sie war selbst einfadier Herkunft und ehrte die Tüditig* keit, die ihm seinen außerordendidien Platz versdiafft. Umgehend nur mit Männern vornehmster Geburt, fesseke sie an ihn das Band etwa gleidier Vergangenheit,- bei ihm durfte sie Gefühle voraussetzen, die ihren Freunden fremd waren. In die Erzählung der Mühsale auf dem steilen Weg zum Erfolg vertieften sie sidi, I

spradien mit kräftig eindeutigen Worten und genossen in vollen Zügen mit kidierndem Sidilustigmadien die Sdiadenfreude, die sie irgendwie für eine Welt emp^ fanden, über die sie heute jeder auf seine Art herrsditen.

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V

Napoleon kramte vor ihr seine kleinen Geheimnisse, alle Mittel aus, mit denen er sidi in das Vertrauen der oberen Tausend gesdilidien^ erzählte von seiner durdisiditigen Kontorwand. Sein Vertrauen erwidernd, gab sie ihm die Hauptdaten ihres Aufstiegs, nannte drei, vier Männer, denen sie als Frau und Künstlerin verpfliditet war, und zeigte, alsbald vor ihm tanzend, durdi weldie dioreographisdien Binfälle sie nadieinander die Menge bezwungen hatte, Sie sdiwebte und bog sidi ohne Ziererei vor ihm, und da sie im leiditen Haus* rode war, wurde er durdi Zufälle von Rode« und Kleiderfall entzüdet. Zum Sdiluß einen Csardas von hinreißendem Rhythmus stampfend, kam sie aus der entfernten Edee des Zimmers auf den Zehen g^en ihn, bei jeder Taktsenkung das Bein wie einen bohrenden Pfeil gegen sein Antlitz stredtend.

Bei seinem zweiten Besudi ward sie mit reizender Natürlidikeit seine Geliebte. Diese Frau, die den Männern bisher das Bild eines buntsdiimmemden Vogels von phantastisdier Seltenheit hatte geben müssen, bla*« sierter Ungeduld zu genügen, war an seinem Hals das sdilidite, sdilanke Mäddien aus dem Volk voll naiver Hingabe. Es bedurfte nidits Außerordendidien von seiner Seite, die Sehnsudit der Umarmten zu stillen.

Dodi blieb bei dem mannigfadien Glüdt, das sie einander gaben, die gassenbübisdie Art, mit der sie alle offizielle Welt verhöhnten, hödister Genuß. Napoleon besonders war darin unersdiöpflidi. Größen der Geld* weit, Sterne der Wissensdiaft und Kunst stellte er

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blitzschnell in gedrängter Plastik hin und knidite dann mit witzigem Binfall das Pathos ihrer Geste. Berühmte politisdie Personen ahmte er nidit nur in Tonfall und Haltung nadi, sondern audi, wie er in der Betroffenen Art mit riesigem Wortsdiwall durdisiditige Tatsadien in ein Chaos verwirrte. Während sie vorgebeugt aus den Kissen ihm zusaht führte er dramatisdie Szenen auf zwisdien den Botsdiaftern zweier Staaten etwa, in deren Verlauf die beiden, sidi über eine unsagbare Niditigkeit unsagbar albern und aufgeblasen unter- haltend, allmählidi anstelle der verbindlidisten Um- gangsformen eine immer steifere Haltung, sdirofFere Bewegungen setzten> biö sie sdiließlidi wie zwei sdimol- lende Godtel hodimütig auseinanderstekten. Er erzählte, mit weldien Torheiten und Zufällen sidi das Sdiid^sal der Gesetzesvorlagen in den versdiiedenen Kommis- sionen, die nadi den offiziellen Sitzungen bei ihm fort- getagt, meist entsdiieden hatte/ sie gab ihm Einsidit in abertausend Spitzfindigkeiten, die die auf die Liebe gestellte Frau derGesellsdiaft anwendet, sidi ihre Launen und ihre Lust, am öfiFentlidien Leben teilzunehmen, zu erfüllen. Wie oft habe sie selbst ihre Gönner in hohen Stellungen aus Eigensinn zu unsinnigen, folgensdiweren Entsdilüssen bestimmt und den Reportern, die ihr das Haus einliefen, nodi dazu phantastisdie Lügen aufge- bunden! So reinigten sie sidi, das Thema unaufhörlidi variierend, innerlidi von dem Respekt, den proletarisdie . Herkunft ihrer Jugend auferlegt hatte, und wurden lädielnde Veräditer der feinen Lebensformen und des

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guten Tons, den sie wie den Stil in einem Drama von Corneille oder einer Molieresdien Komödie agierten, während ihnen aus ihrer Liebe ein herzlidies Wort, eine mensdilidie Bewegung gleidinishaft dazu immer gewärtig war.

Im Gesdiäft dehnte Napoleon die Herrsdiaft, die er über Franzosen besaß, auf die übrige Welt aus. Er hatte London, Petersburg und Wien gesehen. Verbin* düngen angeknüpft und befestigt, mandie Anregung mit heimgenommen. Sein^aus wurde an der Themse und Donau berühmt, bei Sadier und Claridge fand man Platten »Au Chapon fin«. Es sdieiterte audi sein Vor* marsdi an die Newa nidit wie der seines unsterblidien Namensvetters. Als der fünfzigste Geburtstag vor der Tür stand, war sein Ruhm über zwei Erdteile ver* breitet, der größere Teil der zivilisierten Mensdiheit streng nadi seinen Einfällen und VorsAriften. Er besaß ein fiirstlidies Einkommen und hatte die kluge, ihn immer anfeuernde Frau an der Seite, zu der die Beziehungen nidit legitimiert waren, die er aber leiden* sdiaftlidi und zärtlidi liebte.

Da man vierzehn Tage vor seinem Fest vom Krieg mit Preußen zu spredien begann, und die Gäste stür* misdier seine Meinung wollten, blieb er lädielnd ruhig und verneinte jede Möglidikeit eines Ausbrudis von Feindseligkeiten. Er wußte aus besten Quellen, kein ernsthafter Politiker glaube wirklidi an den Krieg/ er war gewiß, es handle sidi wieder einmal um die Prestige* frage, das sattsam bekannte Händeknaden und sdimoU

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lende Gockeltum. Aber audi als die Regierung unter einem frivolen Vorwand die Sdiiffe hinter sidi ver» brannt hatte, blieb Napoleon in tiefster Seele ruhig. Er, der wußte, hohe Politik wird gemadit, um ein paar Dutzend Ehrgeizigen in jedem Land Vorwand für eine Karriere zu geben und ihren Heißhunger nadi öffent* lidiem Bekanntsein und Sensationen, mit denen ihr" Name verknüpft ist, zu befriedigen, war überzeugt, man werde unverzüglidi diesen Widitigtuern Genug* tuung geben, indem man sie mit Titeln, Orden und sonstigen Auszeidinungen von überallher so reidilidi fütterte, daß sie satt werden mußten. Was den Frieden bedeutete. Einen Willen der Völker stellte er nidit in Redinung. Er hatte gelernt, es wird mit ihnen kurzer;:? band nadi Gutdünken der Regierung verfahren. Sie sind es seit ewig gewohnt, wissen und wollen nidits anders. Sagen heute zu sdiwarz sdiwarz und morgen zu schwarz weiß. Es genügt, ihnen zuzurufen: Das Vaterland ist in '^Gefahr! Sie fragen niemals: Durdi wen im letzten Grund? Lassen sidi bewaflhen, morden jeden Beliebigen als Erbfeind, erst zögernd, dann, aus Gewohnheit, mit Überzeugung und Hodirufen, Valen* tine gab ihm redit, Sie verspottete alles. Regierende und Regierte, Verbreitete Erzählungen, die die Albern« heit der Diplomaten in ein fabelhaftes Lidit setzten, militärisdie Maßnahmen des Generalstabs dem Ge« läditer preisgaben. Beide griffen mit Wollust nadi jedem Gerüdit, in dem sidi irgendeine großartige Dummheit manifestierte, futterten, hätsdielten es und waren vor

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Freude außer sidi, akzeptierten es selbst diejenigen mit feierlidiem Ernst, die aus ihrer übergeordneten Stellung heraus seine Sinnlosigkeit sofort hätten ein- sehen müssen. Mehr als der Friede gab der Krieg ihnen unablässig Gelegenheit, die blöde Einfalt der Welt auf Sdiritt und Tritt zu erkennen und sidi über sie zu erheben. Die einfadie Tatsadie, daß sie durdi Einsidit in politisdie Zusammenhänge die Lügenhaftig« keit aller Vorwände für den Krieg einsahen, gab ihnen vollkommen innere Unabhängigkeit von ihm.

So konnten sie sidi, während ringsum alle Welt immer tiefer in das verwirrte Auf und Ab der Ge- sdiehnisse verstridit wurde, auf Grund einer wirklidien Überlegenheit entsdiieden von den Mensdien trennen. In ihre Seele trat das Bewußtsein höherer Bestimmung, das sidi in den Antlitzen malte. Sie lebten jetzt und webten auf Wolken hodi über dem gemeinen Volk. Lädiclten unbetroffen erhaben zu allen Unglüdcsfällen und Ex- zessen, die die Folgezeit in unauf hörlidiem Aufeinander bradite. Die vollendete Katastrophe des Vaterlandes führte sie auf den hödisten Gipfel innerer Erhebung. Es lagen ringsum nidit nur die Mitbürger ihrer ernannten Weisheit, Napoleon und Valentine lagen einander und

jeder sidi selbst bewundernd und andäditig zu Füßen.

*

Eines Tages trat auf in Paris, was man die Kom- mune nannte. Sie zersdilug die Spiegelsdieiben des Chapon fin, zertrümmerte alles Gerät im Innern und setzte Valentine und Napoleon, jeden für sidi, ins öe"

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fängnis. Als es nach Wochen Napoleon durch einen Zufall gelang, sich zu befreien, erfuhr er, die Gefährtin seines Lebens sei, an die Wand gestellt, erschossen. Ihm fielen die Beine unter dem Leib fort, und tagelang schleppte er sich aus Gassen in Felder an Flußrändern entlang, ohne Licht und Finsternis scheiden zu können. Das erste Bewußtsein von sich empfing er durch einen Stoß vor die Brust, den ihm ein deutscher Landwehr* mann gab. Doch schwand es wieder, bis eines Nachts, da er auf einer Pritsche lag, Erinnerung an Valentine ihn überfiel. Sie war rosa und wie eine tanzende Guir* lande anzusehen, die sich immer enger um ihn schlang und ihm endlich die erste Träne, dann Tränenströme aus den Augen schnürte. Nun sank er hin, aufgelöst in ein unendlich weiches und warmes Weh, Lange er* sdiütterte es seine Glieder und hüllte die Welt in feuchte Schleier. Es trat aber der Vergleich seiner elenden jetzigen Lage und alles Gewesenen hinzu und erfüllte ihn mit Haß gegen die Menschheit und den Schöpfer. Tiefer kroch er in sich hinein und häufte Anklage auf Anklage gegen die Welt. In einer dunklen Nacht stand er plötzlich vor den mit Brettern vernagelten Fenstern seines Lokals^ noch hafteten einige goldene Buch- staben des Schildes und in das Loch plötzlich riesen* großer Erkenntnis fiel die Summe fünfzigjährigen Lebens : ein blankes Nichts und Einsamkeit.

Trotz und Empörung stachelten ihn zu neuem Tun. Gegen die Ungunst der Verhältnisse wollte er sofort versuchen, Mittel zu neuem Anfang zu schaffen/ des

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gleidien Abends aber legte er sidi irgendwohin nieder, spürend, es leide seine Natur nidit, daß man sie um das bestehle, was ihr vor allem notwendig sei: unge« störte, hingebende Trauer um Valentine. So sudite er sidi einen Platz, der ihm nur das täglidie Brot gab. Früh am Nadimittag aber sdion sdiloß er sidi in seine Kammer ein, stopfte Fenster und Sdilüssellödier, legte sidi aufs Bett und begann, die Frau von den Toten heraufzudiditen. Nadidem er sie zuerst bis in die kleinste Einzelheit körperlidi vor sidi wieder hergestellt, ging er sein Leben mit ihr vom frühesten Anbeginn an durdi. Um keinen Augenblidi ließ er sidi betrügen, repetierte die einzelne Situation so oft, bis sie in lebendiger Wahr- haftigkeit vor ihm stand. Jene erste, da sie mit Rodi* rüsdien und Volants wie ein Quirl über seiner Stirn die Treppe hinaufgehusdit war. Die Beine in weiß- seidenen Strümpfen nahmen zwei, drei Stufen auf einmal, er sieht sie im Gelenk flitzen, und da das aber hat er damals nidit gesehen ersdieint blitzend am Knie die goldene Strumpfbandsdinalle. Wahrhaftig, als Wirk* lidikeit dauerte, vor lauter Sdiauen und Staunen hatte sein Bewußtsein sie nidit gefaßt. Und heute erstand sie das erstemal zum Leben, besdiworen durdi seine unwiderstehlidie Zärthdikeit. So drang er inständig weiter i|i Erinnerung ein und entriß ihr, mit Hingebung und Andadit um ein Nidits und den Bruditeil einer Sekunde kämpfend, so viel Niditgespürtes und Nidit* erfahrenes, daß er ein vöIHg neues, reidieres Leben mit der gestorbenen Freundin führte.

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Als er bei jener Epodie angekommen war, in der sie ihr irdisdies Leben beendet hatte, bradite er sie leidit über die Klippe des leiblidien Todes handelnd und redend in die jetzige Zeit hinüber und sah sie Stellung nehmen zu seinem augenbliddidien Dasein. Er müsse, da die Verhältnisse sidi allmählidi wieder zur Ordnung fugten, den sinnenden Zustand aufgeben, an äußeres Fortkommen und eine neue bedeutende Ein- stellung zu neuen Umständen denken.

Hatte ihm der Krieg nidit tiefere Einblidse in Fragen der Ernährung, Möglidikeiten der Rohstofiverarbeitung gegeben, als jede Situation vorher? Weldie außerordent* lidien Aufedilüsse hatte die zwedcmäßige oder unzwedc« mäßige Ernährung eines Heereskörpers, der Bevölkerung einer belagerten Stadt, weldie Klarheit vor allem das Befinden des eigenen Körpers nadi dieser oder jener leiblidien Zumutung ihm versdiafit! Das eine mindestens war zur Evidenz klargeworden: Weit über die Not* dürft hatte der Mensdi vor dem Krieg gegessen und getrunken. Es sdiien Napoleon fernerhin ein Unding, das bisher üblidie Mittagsmahl von sedis oder sieben Platten, ein Abendessen von fast gleidiem Umfang zu servieren. Millionen hatten größere Arbeitsleistung, höheren Sdiwung bei einem Stüds Brot und wenigen Kartoffeln bewiesen als Generationen vorher bei einer täglidien Unzahl von Geriditen. Es sdiien ihm hohe Pflidit, die gewonnenen Erkenntnisse dem Publikum sofort praktisdi zu demonstrieren.

Er gab Valentine vollkommen redit. Sie habe nidit

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nur dem eigenen Leib nie mehr als das Notwendige zu» gemutet, sondern sei audi Anlaß gewesen, daß er den Gästen dasLeiditeste und Verdaulidiste geboten. Dodi in viel zu viel Platten auf einmal. Von jetzt ab müsse er in zwei, drei Geridite zusammendrängen, was der Magen zur Speisung des Organismus braudie, und ihm zugleidi die volle Wollust eines reidilidien Mahles vermitteln. Während er also die am Leben gebliebenen Gönner aufsudite und zu seiner Unterstützung vermodite, während die so lange leer gebliebenen Räume seines alten Heimes allmählidi in strahlenden Stand gesetzt wurden, unterriditete er sidi methodisdi über die wissensdiaftlidie Zusammensetzung der versdiiedenen Nahrungsmittel, über ihren Gehalt an Eiweiß, Kohle^ hydraten und Fett. Er madite Tabellen und Exempel über Exempel und erredinete an glüdiseligen Tagen eine neue ideale Sf)eisenkarte, auf der er jeden, audi den verführerisdisten Namen einer Platte, sofort durdi l^ arithmetisdie Zahlen ersetzen konnte/ aus der man mittels zweier Speisen einen ausreidienden Nenner sämtlidier für die Ernährung widitigen Stoffe erzielen konnte. Hatte aber anfangs Notwendigkeit, die gewollten Ein« y heiten in ein Geridit unterzubringen, vielleidit auf dessen gastronomisdie Vollkommenheit gedrüdit, ging jetzt auf Spaziergängen Napoleons Phantasie der erklügelten Platte von allen Seiten zu Leibe, wie ihre Sdimadi* haftigkeit und Anriditung auf die hödiste Höhe zu bringen sei. Und da ihm ein über das andere Mal die Hitze des Entdedterglüdis ins Gesidit stieg, fixierte er

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endgültig die Gcridite, mit denen er künftige Mcnsdien aus der Sdiwädiung durdi den Krieg zu frisdiem Leben führen wollte.

Der Erfolg an der wiedereröfFneten Stelle war nidit so überrasdiend und bedeutend wie das erstemal. Sdion nadi wenigen Tagen stellte der Wirt fest, er hatte es mit lauter Unbekannten zu tun, die nidit Empfehlung, sondern Zufall und Laune zu ihm gefuhrt. Der riesige Kreis seiner alten Gäste war vom Erdboden ver* sdi wunden. Dodi stählte diese Erkenntnis seine Kräfte, da ihm einleuditete, es braditen di^ Neulinge auf Grund liebgewordener Gewohnheiten keine Voreingenommen- heit mit. So verließ er Monate die Küdie nidit, wo er mit Anspannung aller Kräfte die gewonnenen Grund* Sätze in die Tat umsetzte. Vor allem mußte er die KöAe von der Riditigkeit seiner Ansiditen überzeugen, daß die nötige Herzenslqst zur Arbeit ihnen nidit fehlte. Erst als unten die Wirtsdiaft geregelten Gang ging, betrat er die Räume des Restaurants wieder und sudite Fühlung mit den Gästen.

Vom Ton zwisdien ihnen und den Kellnern ward er zuerst betroffen. Es gab keine Unterhaltung über die zu wählenden Speisen, nidit einen Sdierz, kein inter* essiertes Hin und "Wider. Kurze Kommandos flogen. Der Bedienende, geneigten Hauptes stumm, madite kehrt. Man sdinell, ließ sidi nidit mit Behaglidikeit nieder. Kaum, daß man die Kissen drüAte. Zur Ver* dauung gab sidi niemand Zeit. War der letzte Bissen

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genossen, fuhr der Gast in die Höhe und versdiwand. Rote Köpfe, fettgeränderte Lippen, müde Sdieitel, die sidi in die Sofarüdien lehnten, Hände, mit gesdiwollenen Adern aufs Gedeck gebreitet, sah Napoleon nidit mehr. Es wehte nidit der Atem einer allgemeinen glüdiseligen Sattheit nadi Tisdi und des Dankes gegen Gott und den Wirt durdi den Raum. Steif und gereizt fast saß der Kauende und vermied, audi nur von sidi fortzu* sehen. Das war nidit ein geänderter Kundenkreis, das war das Gesidit einer anderen Welt, erkannte Napoleon, Es war klar: andere Ideale herrsditen in neuen Mensdien. Der Krieg hatte die Madithaber von ehe* mals verniditet. Es saßen nidit mehr die Glieder alter Familien an seinen Tisdien, die in oft Jahrhunderte* langem Ringen Ansehen und Vermögen an sidi gebradit und es zu braudien wußten/ er bediente nidit mehr die dreifadie Aristokratie des Adels, ererbten Reidi* tums und des Geistes. Hier trat eine Rasse auf, die durdi den Umsturz aller Verhältnisse an die Oberflädie gespült, behend zugegriffen und in der allgemeinen Ver* wirrung, bei einer sentimentalen Ersdilaffung der Be« sitzenden, sidi übermäßig und skrupellos bereidiert hatte. Den Sadi voll Gold, saßen sie unkundig seines Ver* braudis, gierig, die Allüren der Wissenden sidi an- zueignen, elend und leer mit der einzigen Geste sdiweigender Abwehr. Stumm und in der Bewegung beherrsdit, konnten sie für unterriditet gelten. Spradien sie, wurde ein Wirken der Glieder notwendig, klappten sie zu völliger Ohnmadit zusammen.

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Nadidem er aber eingesehen^ die Zurüdihaltung der Gäste sei in einem Zuwenig begründet, ließ er seine beherrsdite Unterwürfigkeit und ging langsam, dodi eindringlidi zum AngriflF gegen die maskierte Ge- seflsdiaft vor. Wie ein Dieb bradi er in gepanzerte Unnahbarkeit, legte ein harmloses Sätzdien als Köder vor und amüsierte sidi göttlidi, ließ der gesdimeidielte Heraufkömmling sidi aufs Eis überkommener Begriffe locken und legte eine geradezu erbarmungswürdige Blöße an den Tag. Hatte er hinter undurdidringlidier Maske jemandes Vertrauen gewonnen, ließ er den Ge* tä^usditen das eigene Selbstbewußtsein ausbreiten, das sidi fast immer stützte auf alberne, mit Emphase vor* getragene Gemeinplätze über den Krieg, Heldentaten, die der Betreffende irgendwie während des Feldzugs vollbradit haben wollte/ dann kamen Napoleons Ein* würfe aus dem Sdiatz des Herkommens, Namen aus* gezeidineter Mensdien der Vergangenheit, bedeutender Erfindungen, irgendeiner Geistesgroßtat. Am hödisten hüpfte sein Herz vor Freude, konnte er durdi einen einzigen Kulturbegriff, den er wie einen spitzen Pfeil dem Gegner in die Parade flitzte, diesen bis auf die Haut entlarven.

Nun fing des Abends im Bett ein Gekidier an, das grausamer und sdionungsloser war, als jenes einstige Ladien mit Valentine über Narrheiten einzelner Zeit- genossen vor dem Krieg, Hier fand Napoleon eine ganze Welt närrisdi/ ihren einzigen Ehrgeiz, Geld* gewinn und Beurteilung des Mensdien nadi seiner

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Eignung dazu, über das Maß abgesdimadit und kahl. Während seine Gesdiäfte nodi gut gingen, sah er sAon die Kluft sidi auftun zwisdien einer modernen, rein merkantilen Weltauffassung und dem eignen Universa- lismus. Mit Ergriffenheit spürte er, wie zum erstenmal er hier von Valentine sanft sidi sdiied. Er wußte, audi für die sdireddidi veränderte Welt hätte sie nur gut* mutigen Spott- gehabt, in ihm aber kam von Tag zu Tag stärkere Empörung herauf, die ihn sdiließlidi völlig beherrsdite.

Ihm sdiien jetzt, die fröhlidie Überlegenheit, "die mit dem fortsdireitenden Alter Valentines iftimer friedlidier und harmloser geworden war, hätte ihn sdion in der letzten Zeit ihres Lebens gereizt. Hatte sie nidit sdiließ* lidi, hadidem man sidi gehörig ausgeladit, immer eine Entsdiuldigung, irgendeine Güte für den Verspotteten gehabt? Er war durdidrungen, sie würde es heute nidit anders madien, ja sie mödite zur Nadisidit nodi viel geneigter sein, und zürnte ihr darum. Je mehr seine Abneigung gegen das Publikum wudis, je hassenswerter ihm die Ersdieinungen wurden, um so mehr sdiob er Valentine den unbeugsamen Willen zy^ alles zu be* greifen und zu vergeben. Es begann ein täglidier Kampf, unaufhörlidie Auseinandersetzung mit der Welt einer* seits und dem lebendigen Bild der geliebten Frau auf der anderen Seite, der ihn zermürbte und elend madite. Dodi blieb allen Einwendungen gegenüber sein dumpfer Haß sdiließlidi siegreidi. Jahre hindurdi hatte er nun nidits mehr von Freuhdlidikeiten und Lieblidikeiten des

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geselligen Lebens bei sidi gesehen. Es war der Sinn für Blumen und brillante Qberrasdiungen, Tollheiten und geistreidi Unvorhergesehenes gesdi wunden/ nidit mehr gab es die über das Mannesbewußtsein als Spen- derin alles Glüdis erhöhte und angebetete Frau, Kein Ladien herrsdite mehr und liein Versdiwenden, nidit Laune und Überlegenheit. Wohin er hörte: Gesdiäfte. Ziffern, wohin er sah. Das Dadi des Hauses sdiien auf ihn zu stürzen, als eines Tages ein Gast, kühl und korrekt, an dem er mit witziger Bemerkung sidi gerieben, ihm ein Goldstüdi als Trinkgeld anbot.

Da lief das bis zum Rand gefüllte Gefäß über. Von jenem Abend bis zum andern Morgen grub sidi eine Falte zwisdien seine Brauen, die Lippen preßten sidi aufeinander. Er hatte fortan nidit nur keine Teilnahme für die gute Bedienung der Gäste, sondern genoß mit Sdiadenfreude ein Glüdt, sah er in irgendeinem Anditz Enttäusdiung über die angeriditete Speise. Sdinell ward sein geänderter Sinn den Kellnern, Ködien oflFenbar. Sorgfalt und Gewissen floh. Immer häufiger gab es un* zufriedene Gesiditer der Essenden. Unbewegter Miene sdilürfte der Wirt jedes Quentdien Wut, dessen Aus- drudi er erhasdite, und berausdite sidi daran. Ganz nadi vorn wudis sein Gesidit. Stedienden Blidts, ge* blähter Nase sdinüflFelte er sidi in das Empfinden der neuen Welt,- trank, wie bitter es sdimedite, sie völlig aus und spürte zum anderen Male deudidier und als Entsdieidung: in dreißig Millionen Narren besaß die Nation nur nodi einen Sinn: das Geld, und jeder, dem

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der Erwerb wie immer geglückt war, war im eigenen und im allgemeinen Urteil Person. In Napoleons Auf= Fassung aber war er ein Räuber, ein Sdieusaf, das die Anardiie der Vernunft während des Krieges benutzt hatte, den durdi Überlegenheiten und Mühsale in Gene* rationen erworbenen Familienbesitz des Landes an irdi* sdien und himmlisdien Gütern zu zerstören. Es kamen die Häuptlinge der neuen Geldaristokratie zu ihm. Fett, fredi und verlegen stümperten sie mit ihren Weibern Geselligkeit,

In Napoleons Hirn stieg wie ein Bläsdien zuerst der Gedanke an Gift, das ihnen zwisdien die Speisen zu misdien sei. Bald madite er sidi im Denken breiter, und endlidi beherrsdite er sein Traditen ganz. Von^ irgendwoher hatte er sidi das ansehnlidie Quantum Arsenik versdiafit, das ihm nun seit Tagen in der Tasdie brannte: es wie ein harmloses Gewürz in die Teller zu streuen, abzuwarten, bis die Wirkung, die in den Eingeweiden wühlte, ins Auge bradi. Glut stieg ihm ein über das andere Mal in die Haare, bis er fühlte, im nädisten Augenblidc widerstände er dem ungeheueren Verlangen nidit mehr.

Da riß er die Tür zur Gasse auf, und barhäuptig im Galopp, als wälzten sidi Lavaströme auf seinen Fersen, entlief er der Straße, dem Stadtviertel, der Bann- meile von Paris,- sank draußen ins Feldgras, sdiludizte, daß die Knodien bebten, sdiludizte sidi und die Erde naß.

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Er zog die Landstraßen entlang, durdi Märkte und Städte. Blieb aus Zufall irgendwo Monate, Jahre als AufVärter, Hausknedit, Gelegenheitsarbeiter, Sein Welt* bild wurde auf gleidier Basis runder und mannigfaltiger. Überall sah er die vom Kampf ums Dasein betäubten Massen, von rüdtsiditslosen Unternehmern an Kessel und Masdiinen gesdimiedet, Waren verfertigen, für die aus sdiließlidiem Mangel an Absatz, so rcdinete Na* poleon, über kurz oder lang durdi neue Kriege mit neuen Hekatomben zerfleisditer Mensdien neue Abnehmer in zu erobernden Provinzen gewonnen werden mußten.

Hellen Bewußtseins trat er aus diesem Lauf der Ge* sdiidce aus. Den Gedanken an Erwerb riß er mit allen Wurzeln aus seiner Seele, erlaubte sidi keinen Besitz über die Notdurft. Das von aller Welt gesonderte Dasein gab ihm Person und Überlegenheit,- der Mangel an Eigentum, Unabhängigkeit und freie Bewegung. Von einem Tag zum andern hatte er durdi einen einzigen Entsdiluß Verfügung über sidi und die Welt nadi allen Seiten gewonnen, und ein erlöstes Ladien trat in sein Gesidit. Jetzt, wo er audi stand und ging, war er bloßer Zusdiauer der mensdilidien Komödie, an der er, weil durdi eigene Qual nidit mehr verbunden, gutmütige Kritik übte. Da war es, daß er sidi dem vergessenen An* denken Valentines wieder offiziell und innig vermählte, der er, wie er sidi nun gestand, während seine Vernunft ihre Einflüsse bekämpfte, ahnend nadigefolgt war.

Eines Tages stand er vor jenem Edihaus, an dem sidi die Stein wege nadi Nivelles und Genappes trefl^en,-

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in dem er geboren war, Niemand kannte ihn dort. Alles Verwandte war tot. Als zwölfjähriger Knabe war er hier fortgegangen, der Wiedergekehrte zählte funfund^ sediszig Jahre.

Aber im Wirtshaus wußte man seine Gesdiidite, Erzählte Grandioses, Historie von ihm. Mehr war den Erfolgen dieses heimisdien Napoleon die allgemeine Teilnahme und Bewunderung zugetan, als dem Korsen. Man wies ihm, der sidi nidit zu erkennen gab, ge» rahmte Zeitungsnadiriditen, in denen es hieß, wie ganz Außerordentlidies von ihm in versdiiedenen Zeitläuften ausgeriditet war ^ »und angeriditet,« wie ein Witziger hinzufügte. Länder samt ihren Fürsten, die zivilisierte Welt von West nadi Ost habe sdiließlidi ihm, dem vlämisdien Bauernsohn, einmütig zu Füßen gelegen. Mit nadidenklidiem, gerührtem Erstaunen hörte Na* poleon die mannigfadien Erzählungen und entsann sidi der Kreuze und Sterne an rot und grünen, an ge* streiften Bändern, die irgendwo in einer Sdiubiade lagen.

*

Am Rand des unvergleidilidien Wälderkranzes, der Brüssel einsäumt, liegt in einer Talsenkung an der Straße von Quatre*bras nadi Waterloo das Sdilößdien Groenendael/ ein weißes, einstödiiges Haus aus dem Empire. In vergangenen Zeiten eine Abtei, wurde es im neunzehnten Jahrhundert Wirtshaus, in das die bes« seren Bürger Brüssels auf Ausflügen einkehren. Dort ganz nah der Stätte seiner Geburt, nahm Napoleon einen Platz als Kellner, Seine Jahre, die sdiwadien

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Füße erlaubten ihm angestrengten Dienst nicht mehr. Hier war im Winter nichts, im Sommer an Wochen* tagen wenig zu tun. Nur Sonntags mußte er sich ein wenig tummeln. Dodh nahmen die Gäste seiner viel Rücksicht und blickten mit neugieriger Erwartung ihm entgegen, trug er das hochbeladene Brett auf sie zu. Jeder hatte ein Wort für ihn, dem er freundliche Em* pfindung unterlegte/ alle Anrede begann mit Um* Schreibung und Entschuldigung fast Niciit, was er brachte, er selbst, wie er's ausführte, blieb Gegenstand teihiehmender Aufmerksamkeit, gutmütigen Staunens, und stand das Gewünschte auf dem Tisch, strahlte ihm alles Verwunderung und Anerkennung zu. Aher auch Napoleon selbst lachte in heller Befriedigung über das ganze Gesicht. Der Wirt mit seiner Familie merkte das Gefallen der Gäste an dem alten Mann, behandelte ihn mit Rücksicht und ließ ihn ungestört und ungescholten seine Tage hinbringen.

So kam von außenher alsbald kein Mißlaut mehr in sein Leben, das im ruhigen Gleichmaß ging. Den Frühling sah er, Gottes himmlische Wärme in be* stimmten Abschnitten über die Erde kommen, auf den Hügeln Buchen grünen, Kühe über die beblumte Wiese weiden. Mensdien aller Art aber wandelten ,j zu allen Jahreszeiten in einem schönen, landschaftlichen Panorama vor ihm. Lange sah er sie als deutliche Fi* guren mit Lärm und eigener Bewegung, dann noch wie scharfe Schatten. Allmählich aber lösten sie sich still in umgebende Natur auf.

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Die sich in seine Seele wie ein vollkommenes Ge^ mäMe spannte, das er mit Andacht schaute. War die Sonne mild, trat er unter Bäume und blickte das Warme an, das um ihn summte. Dort strahlte ein Vogel lang dasselbe Lied/ dann flog er wie Licht zum andern Baum hinüber. Hier putzte das Eichhorn sich schnurrig geduldig zum Goldbraun der Stämme, Blindsdileidie krodi mit dem Schatten ins Helle und züngelte. Dann faltete Napoleon die Hände, stieß entzückte Seufzer aus und legte sich lang ins Gras. Den Blick zum ewigen Himmel aufgesdilagen, hatte er die gesamte Schöpfung, Ton, Raum und Licht mit eins in der Netzhaut.

An Vergangenheit, viel Madit und Ehre, viel Leid und Elend, häusliches und bürgerliches Wesen, an einzelnes erinnerte er sich nidit mehr. Manchmal tätschelte er die Kuh, den Hund und dadite nidits dabei. Er wurde gar sehr schwadi. Das war ihm eitel Wollust. Als die letzte, größte Schwäche kam, war er gut und fromm.

Von CARL STERNHEIM erschienen:

IM INSEL-VERLAG

DON JUAN Eine Tragödie. Geh. M5.— , Halbleder M 8,— ULRICH UND BRIGITTE. Ein drama- tisdies Gedidit. Geh. M 3.^, Leinen M 4,—

AUS DEM BÜRGERLICHEN HELDENLEBEN:

1. DIE HOSE. Lustspiel.

2. DIE KASSETTE. Komödie.

3. BÜRGER SCHIPPEL. Komödie.

4. DER SNOB. Komödie.

Jeder Band geheftet M 3.—, Leinen M 4.—

KURT WOLTT PERLAG

5. DER KANDIDAT. Politisdie Komödie.

6. 1913. Sdiauspiel.

Als vierzehnter Band der Büdierei »Der jüngste Tag«

BUSEKOW Erzählung. Geheftet M 0.80, gebunden M 1.50

SCHAUSPIEL IN DREI AUFZÜGEN

VON

CARL STERNHEIM

ist in einmaliger Ausgabe mit Textzeicfinungen von Ernst Stern soeben ersdiienen und kostet geheftet M 3,—, leicbt gebunden M 4,50, in Halbleder gebunden M6, .

Büdierfreunde wollen bald bestellen, da ein Neudrud^ dieser illustrierten Ausgabe nidit stattfinden wird.

KURT WOLFF VERLAG

LEIPZIG 1915

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