YALE MEDICAL LIBRARY HISTORICAL LIBRARY COLLECTION OF * Historische Studien und Skizzen zu Naturwissenschaft, Industrie und Medizin am Niederrhein. Der 70. Versammlung der deutschen Naturforscher und Ärzte gewidmet von dem naturwissenschaftlichen Verein, dem Architekten- und Ingenieur-Verein, dem Geschichts-Yerein und dem Verein der Ärzte Düsseldorfs. -*=i» Düsseldorf 1898 Bergisch-Rheinische Verlags-Anstalt und Druckerei (G. Müller). Der 70. Versammlung der deutschen Naturforscher und Ärzte widmen wir auf diesen Blättern eine Reihe kleiner Abhandlungen zur Geschichte der Medizin und Naturwissenschaft und einiger mit der Naturwissenschaft enger verknüpfter Industriezweige. Nach gegebener Anregung der historischen Sektion verfasst, sind es nur »Studien und Skizzen«, eilig gepflückte Früchte niederrheinischen Geisteslebens; dennoch zögern wir nicht, sie der illustren Versammlung anzubieten. Ist doch bei einem ersten Versuche, wie ihn alle diese Arbeiten ihrem ganzen Wesen nach darstellen, ein grosser Abstand zwischen Gewolltem und Erreichtem nie zu vermeiden, und das natürlich um so weniger, je mehr das Berufsleben die Mitarbeiter an einem solchen Sammelwerke in Anspruch nimmt. Alle, die wir uns hier zusammen fanden, stehen mitten d'rin im praktischen, nach jeder Hinsicht so regen Leben unserer Heimat, gehen auf im Berufe ; so dürfen wir es aussprechen, dass ein Mehr, als wir geleistet, für uns unmöglich war, und wohl auch hoffen, dass unser ehrliches Streben nirgends verkannt werde. Weit höher würden wir es anschlagen, wenn unser Versuch von berufener Seite weitergeführt und weit übertroffen würde. Noch ist die Muse der Geschichte bei den Herbstversammlungen deutscher Ärzte und Naturforscher nur selten zu Gast geladen worden; niemals noch wurde ihr soviel Aufmerksamkeit entgegengebracht, wie es auf dieser Jubel- versammlung in der rheinischen Kunst- und Gartenstadt der Fall sein wird. Möge ein gütiges Geschick es geben, dass sich ein Gastrecht in Hausrecht wandle und die Geschichte unserer Disciplinen zur ständigen Begleiterin der Forschung werde! Die lokale Umgrenzung unserer Forschungs- und Sammelthätigkeit ergab sich von selbst: Düsseldorf als Feststadt im Mittelpunkt und um diese die Gebietsteile der alten Herzogtümer Jülich, Kleve und Berg, die auch in physikalisch-geographischer und wirtschaftlicher Hinsicht zusammengehören; als weiteste Grenze demnach diejenige unseres Regierungsbezirkes. Doch wurde den Mitarbeitern völlige Freiheit gelassen, wie weit sie in diesem Rahmen gehen wollten, da der enge gemessene Raum und die Knappheit der Zeit auf manchen Gebieten die Fülle des zuströmenden Stoffes nicht hätten bewältigen lassen. Ausser Betracht blieben die grossen Kulturcentren Köln und Aachen, vornehmlich in der Erwartung, dass man sich dort eben- falls gelegentlich entschliessen wird, auf den Gebieten der Natur- und Heil- kunde das reich vorhandene kulturhistorische Material zu sammeln und zu sichten. Dass uns die Geschichte der Wissenschaften unter den Händen vielfach zui' Geschichte ihrer Vertreter geworden ist, liegt in der Natur der Sache. Je mehr sich der Raum einer historischen Darstellung verengt, desto mehr wird die Wissenschaftsgeschichte zur Gelehrtengeschichte. Immer stärker tritt in der Lokalgeschichte das Persönliche in den Vordergrund. Steht doch der Forscher der Geschichte seines Heimatgaues, mag er seinem Stoff noch so objektiv gegenübertreten wollen, naturnotwendig weit stärker als der Historiker seines Volkes unter dem Banne des Dichterwortes: Wohl dem, der seiner Väter gern gedenkt! An freundlicher Mithilfe der berufenen Organe und Institute hat es uns nirgends gefehlt. Vor allem konnten wir uns einer hervorragenden Mit- arbeiterschaft erfreuen, der keine Mühe zu viel und keine Anfrage zu lästig war, der Mitarbeiterschaft der Verwaltung des Königlichen Staatsarchivs in Düsseldorf. Mit singulärer Bereitwilligkeit haben uns Herr Geheimrat Dr. Harless, nicht minder die Herren Archivare und Assistenten Dr. Redlich, Dr. Küch und Dr. Knipping in jeder Weise das gedruckte und hand- schriftliche Material zur Verfügung gestellt, welches die ihrer Leitung unter- stellten beiden Institute, Staatsarchiv und Landesbibliothek in Düsseldorf, bieten. Ebenso hat die Königliche Universitätsbibliothek in Bonn allen an sie gerichteten Anfragen und Anforderungen mit einer Bereitwilligkeit entsprochen, die nicht übertroffen werden kann. Auch den Königlichen Oberbergämtern in Dortmund und Bonn, der Königlichen Gymnasial- bibliothek zu Düsseldorf, Herrn F. W. Grevel in Düsseldorf und Herrn Ingenieur Bardenheuer in Essen sind viele unserer Mitarbeiter zu Dank verpflichtet : wir tragen diese Dankesschuld im Namen aller derer, die an dieser Festschrift mitgewirkt haben, freudig und aus vollem Herzen an dieser Stelle ab. Endlich sei auch der Bergisch-Rheinischen Verlags-Anstalt gedankt für redliches Bemühen, unter einigermassen schwierigen Verhältnissen, bei drän- gender Zeit und Erschwerung des Satzes durch eine Fülle von terminis technicis und Anderes doch dem Werke eine möglichst korrekte Ausstattung zu geben. Wir haben nur den einen Wunsch, dass alle, die unsere Arbeit gefördert haben, und alle, die sie zu wüidigen sich die Mühe geben, die Überzeugung gewinnen, es sei mit einem reichen Pfunde redlich gewuchert worden. Namens der Redaktionskommission und des Ärztevereins: Dr. Karl Sudhoff, des naturwissenschaftlichen Vereins: des Ingenieur-Vereins: Dr. Berghoff, A. Schadt, des Geschichtsvereins: Emil Pauls. Inhalts-Verzeichnis. Naturwissenschaft und Industrie. I. Mathematik und Astronomie — Dr. Lassalle, Gymnasial-Oberlehrer Seite 1 II. Physik — Dr. Maurer, Realgymn. -Oberlehrer . » 9 III. Zoologie — Dr. Norrenberg, Oberlehrer . «14 IV. Botanik — Dr. med. Laubenburg-Remscheid . . »23 V. Mathematisch-naturwissenschaftlicher Unterricht in Düsseldorf — Kreutzberg, Oberlehrer » 4o VI. Der naturwissenschaftliche Verein zu Düsseldorf — Dr. Berghoff, Ober- lehrer » 52 VII. Aelterer Steinkohlenbergbau — Otto Vogel, Ingenieur • 56 VIII. Bergbau- u. Hüttenbetrieb irnBergisch. — Max Klees- (Witten-)Hochdahl » 72 IX. Mineralogie und Geologie im Bergischen — O. Rautert, Archäologe » 85 X. Metallindustrie — Schadt, Zivilingenieur . . . . »99 XI. Die Ingenieur-Vereine d. Stadt Düsseldorf — Fr. W. Lührmann, Ingenieur » 115 XII. Zur Chemie am Niederrhein — Schimmelbusch-Hochdahl » J2U Medizin. I. Zur römischen Heilkunde a./Niederrhein — C. Koenen-Bonn, Archäologie Seite 1* II. Chirurgische Instrumente der Römer am Niederrhein — derselbe » 12* III. Zur Heilkunde der Franken am Niederrhein — derselbe . »16* IV. Biographisch-Literarisches zur Heilkunde am Niederrhein — Dr. med. Sudhoff-Hochdahl » 25* V. Volksseuchen in früheren Jahrhunderten — Dr. med. Karl Hofacker, Kreiswundarzt > 61* VI. Oeffentliche Gesundheitspflege — derselbe . . » 76* VII. Krankenfiege und Krankenhauswesen am Niederrhein — Dr. Hucklenbroich, Sanitätsrat » 8S>* VIII. Irrenpflege und Irrenanstalten — Dr. Peretti-Grafenberg, Sanitätsrat » 101* IX. Apothekenwesen — Emil Pauls .... » 112* X. Heilquellen und Bäder in Jülich-Kleve-Berg u. nächster Nachbarschaft — Dr. med. Sudhoff-Hochdahl » 120* XI. Tierheilkunde am Niederrhein — f Wilhelm Junkers, Tierarzt I. Klasse » 140* XII. Medizinische Fakultät und Hebammenschule in Düsseldorf — Dr. Hucklenbroich, Sanitätsrat » 141* XIII. Ärztliche Vereinigungen in Bezirk und Stadt — Dr. med. Feldmann » 146* XIV. Naturwissenschaft und Medizin an der Universität in Duisburg 1. Naturwissenschaft — Emil Pauls . » 157* 2. Die medizinische Fakultät — Dr. med. Sudhoff-Hochdahl » i6i* Naturwissenschaft und Industrie. I. Mathematik und Astronomie. Unser schönes niederrheinisches Land liegt unter allen deutschen Ge- genden am weitesten entfernt von Wien, wo nach dem Wiederaufblühen der klassischen Studien 1 365 die Universität gestiftet wurde, von welcher das Studium der Mathematik, Physik und Astronomie in Deutschland seinen Ursprung genommen hat. So erklärt es sich, dass es bis zum Ausgange des 14. Jahrhunderts währte, ehe die Anfänge der Beschäftigung mit den genannten Disciplinen in den Jülich-Kleve-Bergischen Landen nachzuweisen sind, aber auch in späterer Zeit können wir nicht finden, dass diese am Niederrhein eine zusammenhängende Entwickelung genommen hätten; wir müssen uns daher im Folgenden auf Einzelheiten beschränken, deren Zusammen- stellung hier durchaus nicht den Anspruch auf irgend welche Vollständigkeit erheben soll. Die ersten Spuren unserer Wissenschaft zeigen sich an dem Jülich- Bergischen Fürstenhofe. Von Herzog Gerhard (reg. 1437 — 1475) existiert die Urkunde einer Anweisung zu einer Geldhilfe für seinen Astronomen, Magister Gerhard von Sittard, damit er Doktor der Medizin werden könne. Die Urkunde ist datiert vom 6. November 1440 zu Köln. Über die Thätigkeit dieses Astronomen scheint keine weitere Nachricht auf uns gekommen zu sein. Um dieselbe Zeit lehrte Alexander Hegius (gest. 1498) in Deventer am Niederrhein, an der 1 37 1 von den > Brüdern vom gemeinsamen Leben- be- gründeten Schule Geometrie und Astronomie, da sich auch diese Schule vor dem Aufblühen von Mathematik und Physik unter Männern wie Johann von Gmunden, Peuerbach und Regiomontanus nicht hatte verschliessen können. Die Saat aber, die Hegius in Deventer ausgestreut, trug besonders für Düssel- dorf Früchte, da aus der Tochterschule, welche der Deventerschen Schule in Münster erwuchs, der Mann hervorging, nach welchem mit Recht unsere erste höhere Schule benannt wurde : Monheim, der erste Rector der von Herzog 1 Wilhelm IV. 1545 gegründeten Gelehrtenschule. Er selbst vertrat an seiner kräftig aufblühenden Anstalt hauptsächlich die humanistischen Fächer, lehrte aber auch Rechenkunst und Mathematik, Geographie und Astronomie, Natur- lehre und Naturbeschreibung. Welche Stellung diese Fächer im Rahmen des Ganzen einnahmen, ersehen wir aus dem Lektionsverzeichnisse des Jahres 1556, in welchem sich unter lectiones extraordinariae , die in den Ferien statthatten, die Angabc findet: Caetcns diebus (ausser diebus Lunae et Jovis) rector arithmeticam et prima geographiae ac astronomiae elementa tradet . Lange nach seinem Tode aber erschien in weiter Ferne ein Rechenbuch: Methodus arithmetices computatoriae omnem supputandi artem tradens auetore Jo. Monhemio in scholae Rostochiensis usum et commodum typis exscripta et emendata. Rostoch. prost, ap. Jo. Hallervord 1634. Da ein früheres Erscheinen des Werkes nicht nachgewiesen werden kann, ist anzunehmen, dass es aus Nachschriften seiner Vorträge entstanden ist, welche dankbare Schüler von ihm aufbewahrt hatten. Monheim starb 1 564. Nach dem Tode seines Nachfolgers, des berühmten Franz Fabricius Marcoduranus, 1573, sank die Blüte der Anstalt dahin; mathematische Studien verschwinden aus Düsseldorf spurlos auf lange - - und nur ein vielgereister Mann aus jener Zeit verdient hier erwähnt zu werden, Jean Taisnier, der, hauptsächlich Mathematiker, in seinen jüngeren Jahren am Hofe Kaiser Karls V. lebte. Von seinen Schriften sind hierher gehörig: De usu sphaerae materialis. 1559, De annuli sphaerici fabrica lib. III Antwer- pen 1560 , Astrologiae iudiciariae isagoge, Köln 1559*. Opus mathematicum octo libris comprehensum Köln 1583 cum Authoris effigie- Er will ein Schiff erfunden haben, welches ohne Segel oder Zugtiere gegen Wind und Strom fahren könnte, und erwirkt von unserem Herzog Wilhelm III. 1562 ein Privileg, zufolge dessen in des Herzogs Landen kein anderer solche Schiffe bauen oder gebrauchen durfte. Im Anfange des 16. Jahrhunderts studierte ein Sohn Gelderns, Johannes Noviomagus (oder Neomagus) Philosophie und Sprachen. Von ihm rührt, wie bei Monheim, ausser Schriften seines Fachstudiums eine mathematische her: Arithmetica sive duo libri de numeris, Köln 1544 . Als dauernd hervorragendste Gestalt unter den Mathematikern des Niederrheins tritt dann Mercator auf. Gerhard Mercator erblickte das Licht der Welt am 5. März 15 12 zu Rupelmonde in Flandern, wo gerade damals seine Eltern aus Gangelt im Jülicher Lande auf Besuch bei einem Verwandten weilten. Seine Jugendbildung genoss er in dem Hause der Brüder vom gemeinsamen Leben zu Herzogenbusch. In seinem neunzehnten Lebens- jahre bezog er die Universität Löwen, wo er Magister und Doktor wurde. In der Mathematik scheint er Autodidakt zu sein, wenigstens erzählt ein 3 — Autor, dass er -ohne eines Menschen Anführung selbst Mathematik erlernt habe, und zwar mit solchem Eifer, dass er vor fleissigem Studieren oft Essen, I linken und Schlafen versäumt habe. Ebenso erlernte er in Löwen das Kupferstechen. Im ersten Jahre nach seiner Verheiratung mit Barbara Schellekens 1538 gab Mercator als Erstlingswerk eine Karte des heiligen Landes heraus, der bald mehrere andere folgten. Aus 1541 stammt: -Deglobi caelestis sculptura ad Nicolaum Perenottum , aus 1 5 5 1 : ad Georgium ab Austria Episcopum Leodiensem.« 4 Jahre darauf erschien sein erster Erdglobus und wiederum nach 10 Jahren sein erster Himmelsglobus. Für die Geschichte der Physik ist von grosser Wichtigkeit ein Brief Mercators, den er 1 546 in Löwen geschrieben hat. Diesen Brief hat Breusing auf der Göttinger Bibliothek wieder aufgefunden. Darnach hat Mercator zuerst die Lage der magnetischen Erdpole auf der Erdoberfläche mit hoher Genauigkeit nachgewiesen und die damals allgemein verbreitete Ansicht, die Nadel richte sich nach einem Punkte am Himmel, widerlegt. Der Verdacht, dass er ein Anhänger der neuen Glaubenslehre sei, zog ihm religiöse Verfolgung und selbst längere Kerkerhaft zu ; nur mit vieler Mühe gelang es, ihn der Verurteilung zu entziehen. Seitdem mag es ihm wünschenswert erschienen sein, seinen Wohnort zu ändern. Er zog im Herbst 1552 nach Duisburg, nachdem er noch vorher im selben Jahre seinen ^Tractatus de usu annuli astronomici« in Löwen geschrieben hatte. Von da an blieb er bis an sein Ende in Duisburg. 1554 erschien seine grosse Karte von Europa in 8 Blättern; sie ist es, die seinen Weltruf begründete. Als es 1564 den Bemühungen Herzog Wilhelms des Reichen endlich gelungen war, die Eröffnung seiner Universität in Duisburg ins Werk setzen zu dürfen, ward Mercator als Professor der Mathematik an die junge Anstalt berufen, nachdem er bereits vorher zum Kosmographen des Herzogs ernannt worden war. Die Universität kam allerdings damals nicht recht zu stände. Nicht viel besser erging es dem unter Mercators Beihülfe in Duisburg ge- gründeten Gymnasium. Mercator las zwei Jahre lang den Schülern der oberen Klassen in mathematicis». Für diese Mühewaltung musste er sich mit einer »Verehrunge« begnügen, die abgesehen von einer ganz geringen Summe Geld aus »drie vette verken« bestanden hat. Waren seine Einkünfte aus diesen Ämtern sehr schmal bemessen, so gewann er dafür aus der Herstellung mechanischer Instrumente, deren er bereits von Löwen aus an Kaiser Karl V. hatte senden dürfen, reichlichen Unterhalt, so dass er sich Haus und Hof in vornehmem Stadtteile erwerben konnte. 1577 erschien in Basel Chronologia a mundi exordio ad annum Chiist. 1568 ex eclipsibus et observationibus astronomicis ac Bibliis sacris«. 1» 4 Die letzten Jahre seines Lebens wurden vielfach durch Krankheitsfälle getrübt. Am 2. Dezember 1594 starb er: Pietate virtute integritate vitae morumque comitate Deo et hominibus carus . Mercators berühmtestes, zwar noch von ihm selbst fertiggestelltes, aber erst nach seinem Tode erschienenes Werk ist sein Atlas sive cosmographicae meditationes de fabrica mundi et fabricati figura ■■■. Nächst diesem Atlas - nicht nach Atlas dem Himmelsträger, sondern einem sagenhaften lybischen Könige, als erstem Verfertiger eines Himmelsglobus — , der allen ähnlichen Kartenwerken den Namen gegeben hat, ist von höchster Bedeutung seine berühmte und noch heute für die Seefahrer unentbehrliche Seekarte. Ihr Titel ist: »Nova et aueta orbis terrae descriptio ad usum navigautium emendate aecommodata Sic erschien 1569 und war dem Herzoge Wilhelm gewidmet. Über die Vorzüge der von ihm erfundenen und in dieser Karte zum ersten Male angewandten Projektion spricht er sich selbst mit dem grössten Nachdruck aus. Sic ist das Denkmal aerc perennius , welches sich der fleissige Gelehrte selbst errichtet hat. Die sog. Projektion Mercators ist die konforme, d. i. winkeltreue Ab- bildung der Erdoberfläche auf einen die Erde im Äquator berührenden Cylinder. Mercator fand diese Abbildung im wesentlichen auf folgendem Wege. Er sagte, die Schiffer können nur Karten gebrauchen, auf denen .Meridiane und Parallelkreise rechtwinkelig sich schneidende Gerade sind. Giebt man den Meridianen die ihnen zukommende natürliche Ausdehnung, den Breitenkreis- bogen aber überall dieselbe Länge wie auf dem Äquator (sogenannte Platt- karten Heinrichs des Seefahrers), so lehrt die Erfahrung, dass Schiffer, die auf solchen Karten ihren Kurs eintragen, niemals an den richtigen Ort ge- langen. Der Grund hierfür liegt darin, dass die kleinsten Teile des Bildes dem Urbilde nicht mehr ähnlich sind, ausser in der Nähe des Äquators. Würde man auf der Karte, auf der die nach den Polen zu gelegenen Kreis- bogen zwischen je 2 Meridianen überall gleich gross sind, während sie in Wahrheit doch gegen die Pole hin kleiner und kleiner werden, in demselben Masse die Meridiane ausdehnen, so wäre die Ähnlichkeit in den kleinsten Teilen wiederhergestellt, allerdings unter gesteigerter Einbusse der Flächen- treue, indem nach den Polen hin die Gebiete in immer grösser werdenden Massstäben dargestellt wären. Der wichtigste Vorzug dieser Abbildung ist der, dass die Loxodrome auf der Erdkugel sich in die Karte als gerade Linie einträgt, oder dass ein die wahren Erdmeridiane unter gleichen Winkeln kreuzender Kurs auf der Karte als gerade Linie die parallelen Meridiane schneidet. Ausser für Seekarten findet Mercators Projektion eine vielfältige Anwendung überall da, wo es sich um übersichtliche Darstellung weit aus- gedehnter Gebiete handelt. — 5 ~ Mit Recht ist Duisburg und der ganze Niederrhein stolz auf Mercator, was vollends zum Ausdruck kam, als in Duisburg zur dreihundertjährigen Wiederkehr des Monats, in welchem die Seekarte erschienen ist, der Grund- stein zu einem würdigen Mercator-Denkmal gelegt wurde, welches 1878 ent- hüllt werden konnte. Ein Zeitgenosse Mercators ist Thomas Segerus (oder Zengerus, auch Zegerius), artium et medicinae doctor", aus Kleve. Er genoss seinen ersten Unterricht im elterlichen Hause, besuchte mehrere deutsche Universitäten, darunter auch Marburg, und Hess sich hier nieder als Professor der Mathematik und Astronomie, daneben auch der Medizin. Aus Gangelt, der ersten Heimat Mercators, stammt Christianus Sculpinus. Er lieferte eine Explanatio in libros duos Astronomiae und Theoria Jacobi Fabri Stapulensis Ein Schüler des oben erwähnten Hegius ist Johannes Caesarius aus Jülich, gest. zu Köln 1 5 5 1 . Er lehrte grösstenteils in Köln, zeitweilig auch in Münster; berühmt als Humanist, wird er auch als physicus, mathematicus et medicinae doctor« genannt. Er gab 15 13 die -Introductio Jac. Fabri in arithmeticnm Boethii cum prologo Joh. Caesarii I 507 heraus. Werner Teschen- macher berichtet von ihm, dass er auch eine Epitome- aus den -Sex libri geometrici introductorii Caroli Bovilli« zu Basel herausgegeben habe. Theodorus Graminaeus aus Roermonde, Professor der Mathematik in Köln, schrieb u. a. Enarrationem uberem in Joannen! de Sacro-Bosco, Köln 1567*, »Speculum mundi de minitante Cometa, Köln 1577 *, Exhortationcm de exequenda Calendarii Romani, Düsseldorf 15N3* u. m. Lubertus Middendorf aus Bilefeld in der Grafschaft Ravensberg, Jesuit, lehrte Philosophie und Mathematik, wird wegen seines umgänglichen Charakters und seiner mathematischen Veranlagung sehr gelobt, starb 1648, gab Logarithmiam, Köln 1647, und Tabellam horologiariam, Köln 1648 , heraus. Petrus Juliacensis starb 1646, handschriftlich von ihm ein Opus de aequationibus Planetarum« sowie ein Tractatus de modo virgulandi seu men- surandi vasa«. Johannes Gelenius aus Kempen schrieb •Succinctum tractatum de natura et significationibus Cometarum, eclipsium et terrae motuum, Köln 1665 Reinerus Kylmann aus Solingen, geb. 1678, 22. März, studierte in Köln, Jesuit und Lehrer der Mathematik, verfertigte astronomische Instrumente und schrieb Elementa matheseos philosophiae auditoribus explanata , Köln, ohne Jahreszahl. Engelbert Teschenmacher aus Elberfeld, Arzt dortselbst, später in Deventer Mathematikus und Aufseher über das Kalenderwesen, hat eben- — 6 — deshalb ausser einigen medizinischen Schriften »Calendaria« gefertigt. Er starb 1649 in seinem 41. Lebensjahre. Aus Wesel stammt Gerhardus de Neufville, geb. 1590, gest. 164S, ein Enkel Gerhard Mercators von dessen Tochter Dorothea, studierte zu Leiden, ward Doktor der Philosophie, Professor der Mathematik in Heidelberg, 161 1 in Bremen, wo er auch das Amt eines Physicus primarius bekleidete. Geschrieben hat er eine »Arithmeticam theoreticam et practicam«, Bremen 1624, und mehrere Abhandlungen philosophischen, physikalischen und anthropologischen Inhalts. An der 1655 vom Grossen Kurfürsten gestifteten Universität zu Duisburg haben Mathematiker hervorragenden Namens nicht doziert. Hermann Schlath, ein Duisburger Kind, ist der erste »matheseos professor« der neuen Hochschule. Ihm folgte Adrian Ludolph von Becker, geb. zu Venlo, Rektor der Universität 1683, 89 und 98. Schriften sind von ihm nicht überliefert, ebenso wenig von Jak. Wittich und Nikolaus Engelhard. Berühmt als Physiker ist Peter van Muschenbroek, geb. 1692 zu Leiden und daselbst gest. 1761. 17 19 ist er Professor der Philosophie und Mathematik an der Universität Duisburg. Mathematische Schriften hat er nicht verfasst. Auch von Joh. Jak. Schilling, geb. zu Kleve 1702, sind nur Schriften theologischen und physikalischen Inhalts überliefert. Johann Albert Melchior, geb. zu Hanau 172 1, gest. zu Duisburg 1783, »war ein Mann von anhaltendem Fleisse und grosser Geschicklichkeit in allen Fächern seiner Wissenschaften. Sein Verlust wurde allgemein bedauert.« Unter seinen zahlreichen Schriften verschiedenen Inhaltes befindet sich nur eine mathematische Abhandlung »De arithmetica et geometria tarn theoretica quam practica « und eine >Die reine Elementar- Mathematik nach den Lehrbüchern des Professor Martin Ohm für die unteren Klassen der Gymnasien etc. Mit einem einleitenden Vorworte des Professor M.Ohm. I. Theil Elementar- Arithmetik, Wesel 1841.« Dieser Martin Ohm, Professor der Mathematik in Berlin, ist der jüngere Bruder des grossen Georg Simon Ohm. Endlich darf in dieser Zusammenstellung Adolf Diesterweg nicht über- gangen werden. In Siegen 1790 geboren, wirkte er lange Zeit in Elberfeld und Mors als Schulmann, kam 1832 nach Berlin und starb 1S64 an der Cholera. Durch sein verbreitetes Lehrbuch der mathematischen Geographie und popu- lären Himmelskunde (erste Auflage 1840) ist er ein Vorläufer W. Försters und M. W. Meyers geworden in dem Streben, die Wissenschaft, ohne ihrer Würde Abbruch zu thun, weiteren Kreisen der Bevölkerung zugänglich zu machen. Dr. Lassalle. II. Physik. Die geistige Atmosphäre, welche die Forscher im Reich der Wissen- schaft umgiebt, der Boden, auf welchem die Früchte ihrer Arbeit entstehen, ist nicht ohne Einfluss auf ihr Schaffen, und gerade die Physik als experimentelle Wissenschaft ist nicht leicht zu trennen von den bedeutenderen Centren der Wissenschaft oder doch der Bildung und von den wissenschaftlichen Instituten. Von solchen Centren ist am Niederrhein zuerst Köln zu erwähnen, dessen geistiges Leben seinen Mittelpunkt in der Universität fand, die dort von 1388 bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts bestand. Zur Zeit der Renaissance in Deutschland blieb Köln aber gerade die Hochburg einer dogmatischen Auf- fassung der Wissenschaft und verhielt sich auch nach der Reformation durch- aus ablehnend gegen Reformbestrebungen. Es scheint daher, dass sie für die Naturwissenschaften keine Bedeutung gehabt hat, was nicht zu verwundern — IO ist, wenn man bedenkt, welchen Einfluss die kirchliche Gewalt in dem Stamm- land der Physik — Italien — auf deren Entwicklung und ihren Begründer — Galilei — ausübte. Köln zehrte allein von dem Ruhm des Albertus Magnus (i 193—1280), der dort lange vor der Begründung der Universität gelehrt hat, von dessen eigenen Leistungen in der Physik aber nichts zu berichten ist. Ein zweites Centrum für eine spätere Zeit bildete die reformirte Univer- sität Duisburg, gegründet 1656. Die Universität ist ja zeitweise nicht ohne Bedeutung gewesen; wie weit indessen dort die Physik geblüht hat, vermochte Verfasser nicht klar zu stellen. Erwähnt sei nur, dass Leidenfrost, dessen Name aus dem nach ihm benannten Versuch bekannt ist, dort Professor der Medizin war. Der Versuch findet sich in seiner Schrift »De aquae communis nonnullis qualitatibus« (Duisburg 1756) beschrieben. Ausser ihm wäre noch Joh. Albrecht Melchior (172 1 — 1783)211 nennen, ein vielseitiger Gelehrter, der auch Physiker war und ausser mehreren nachgelassenen Werken 2 Schriften »De electricitate- (Duisburg 1750 und 1753) herausgab. Einen allgemeineren Aufschwung hat die Physik in Deutschland erst in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts genommen, nachdem Frankreich und England weit vorausgeeilt waren. Besonders die Fürsten fanden jetzt Geschmack daran, die Naturwissenschaften zu protegiren, wovon denn auch die Gründung zahlreicher Akademien in dieser Zeit Zeugnis ablegt. Für den Niederrhein lagen aber die Verhältnisse in sofern ungünstig, als die beiden grössten Landesteile, welche an ihn grenzen, von Fürsten regiert wurden, deren Residenzen weit ablagen. Indessen machte sich doch auch in weiteren Kreisen des Volkes allmählich das Bedürfnis nach physikalischer Belehrung bemerkbar. So wirkte in Elberfeld Dr. Dinkler, ein gelehrter und vielseitiger Mann. Er hielt in der dortigen geschlossenen Lesegesellschaft« populär wissenschaft- liche Vorträge, darunter auch physikalische. In Düsseldorf selbst wurden von 1785 an Vorträge über Experimentalphysik gehalten, worüber Tönnies in seiner Programmarbeit >Die Fakultätsstudien zu Düsseldorf' (1884) pg. 39 be- richtet. Auch ein physikalisches Kabinett wurde 1789 gegründet, welches mit den Apparaten versehen war, die in der Physik des Abtes Nollet be- schrieben sind. In Crefeld lebte Joh. Heinr. Scheibler, geb. 1777, der dort Besitzer einer Seidenmanufactur war (gest. 1837). Er hat sich einen Namen in der Akustik gemacht. Auf Grund des, von ihm entdeckten und deshalb nach ihm selbst benannten »Scheibler'schen Gesetzes«, wonach die Anzahl der Schwebungen zweier Töne gleich der Differenz ihrer Schwingungszahlen ist, gelang es ihm auch, die absolute Tonhöhe eines Tones zu finden. Er ver- schaffte sich 53 Stimmgabeln, von denen jede mit der folgenden 4 Schwebungen machte und welche den Umfang einer Octave ausfüllten. Diese Stimmgabeln — II — sind noch in den Händen seiner Familie. Er wies ferner auf die Bedeutung der Schwebungen zum Stimmen der Klaviere und Orgeln hin und konstruirte besondere Apparate, um das Stimmen in der temperirten Stimmung vom Gehör unabhängig zu machen. In Düsseldorf wirkten hauptsächlich zwei Männer, deren Namen in der Geschichte der Physik Erwähnung verdienen; beide, zwar noch im vorigen Jahrhundert geboren, gehören mit ihren Forschungen und Resultaten doch der neueren Zeit an, welche ihnen die zu Lebzeiten gespendete Anerkennung kaum verkürzen wird. Der ältere ist Joh. Friedr. Benzenberg, geb. 1777 in Schöller bei Mettmann, gestorben 1S46, der zweite Joh. Paul Brewer, den bereits die vorige Abhandlung -Mathematik und Astronomie« auf ihrem Gebiete würdigt. Als man zur Zeit des Grossherzogthums Berg unter Joachim Murat den Glanz des von Napoleon neu geschaffenen Staates durch Gründung einer Universität in Düsseldorf zu erhöhen trachtete, wurden diese beiden für die Lehrstühle der Physik und Astronomie in Vorschlag gebracht. Die »Propositions sur la rcpartition des chaires« (1806) sagen über Benzenberg: »Son Essai sur la loi de la chüte des corps graves lui a fait wie reputation me'rite'e, les applaudissements des pkysiciens en Allemagne et en France. La revue philosophiquc littcraire et politique No. 24. 180 § dit de lui: -»Cesl un jeune physicien rempli de lumiere et d'ardeur«« . II ambitionne la fkaire d'astronomie. « Brewer hat ausser dem mehrgenannten Werk »Über die Natur der festen und flüssigen Körper«, Düsseldorf 1805 ein Lehrbuch der Mechanik geschrieben (3 Bde., Düsseldorf 1S29 — 1832), welches durch Klarheit der Darstellung ausgezeichnet ist und auch heute noch mit Nutzen gelesen werden wird. Man lese z. B. den 5. Abschnitt des 2. Bandes, von den Central- kräften und der allgemeinen Schwere. Ferner sind von physikalischen Schriften noch zu erwähnen »Versuch einer neuen Theorie der Lichtfarben« (Düssel- dorf 181 5). Selbstverständlich steht Brewer in diesem kleinen Werk noch ganz auf dem Boden der Emanationstheorie. Es ist ja bekannt, wie wenig damals noch die arbeiten Youngs Anklang gefunden hatten. Was B. an Newton auszusetzen findet, ist dessen Annahme einer unendlichen Menge von Farben, was dem Gang der Natur zuwider sei, die überall die einfachsten Mittel liebe. Auch die Thatsache, dass die rote und violette Farbe die am meisten verschiedenen seien, widerspreche dem Augenschein. Das Auge, welches doch einzig zum Richter über die Farben der Natur gesetzt sei, weigere sich, diese grosse Verschiedenheit anzuerkennen. Man sieht, eine bedenkliche Hinneigung zu naturphilosophischen Betrachtungen ! Alle Schwierigkeiten der Newton'schen Theorie glaubt B. zu überwinden durch die Annahme zweier entgegengesetzter Prinzipien im Licht, eines leuchtenden und eines färbenden. Die Brechung des Lichts wurde bekanntlich durch die Anziehung erklärt, welche der durch- sichtige Körper auf das Licht ausübe. Indem nun B. a priori verschiedene Annahmen macht, z. B. dass der färbende Teil des Lichts mit stärkerer Kraft und aus grösserer Entfernung angezogen werde, findet er, dass sich nach dem Grade der Annäherung an das Prisma die beiden Prinzipien mehr und mehr trennen müssen und so die unendliche Abstufung der Farben erzeugen. Brewer stützt diese und andere Behauptungen auf Versuche, indes erscheint ein wei- teres Eingehen auf seine Hypothesen heute von keinem Interesse mehr. Die von ihm aufgestellte Theorie ist aber auch ein Beispiel für die naturphiloso- phische Richtung in der damaligen Physik, wie sie sich gerade im Gegensatz zu Newton bemerkbar machte. Dieser hatte sich auch in der Optik von allen Hypothesen fern und nur an die tatsächlichen Naturerscheinungen gehalten. Das unbesiegliche Bedürfnis nach zusammenfassenden Theorieen Hess aber unter Newtons Schülern die Emanationstheorie zu einem dogmatischen Lehr- gebäude werden, an dem so lange wie möglich neu- oder angebaut wurde, bis es schliesslich vor dem Ansturm der Young'schen und Fresnel'schen Theorien ganz aus den Fugen ging. Benzenberg gehört mehr der Geschichte der Astronomie oder Geophysik, als der der Physik an. Die Ausführung exakter Messungen scheint seiner geistigen Richtung am nächsten gelegen zu haben. Durch solche Messungen wollte er denn auch über den Wert physikalischer Theorieen zu einer end- giltigen Entscheidung kommen. Am bekanntesten sind ja seine Messungen der östlichen Abweichung fallender Körper, Versuche über das Gesetz des Falls, über den Widerstand der Luft und über die Umdrehung der Erde, Dortmund 1804 , die er 1802 am Michaelisthurm zu Hamburg und 1804 in einem Bergwerk zu Schlehbusch bei Düsseldorf anstellte. Uns interessirt hier mehr seine Veröffentlichung Über die Dalton'sche Theorie« (Düsseldorf 1830), worin er alles das zusammenfasst, was er, hauptsächlich in Gilberts Annalen, über diesen Gegenstand bereits geschrieben hatte. Schon Fechner berichtet in seinem Repertorium der Physik 32 (mitgeteilt in Rosenbergers Geschichte der Physik«, III pg. 108): »Die von Dalton aufgestellte Hypothese, dass die verschiedenen Gasarten, aus welchen die atmosphärische Luft besteht, garnicht gegenseitig aufeinander drücken, hat bisher bei wenigen Physikern Beifall ge- funden, unter welchen sich Benzenberg durch seinen unermüdlichen Eifer, mit welchem er jene Hypothese seit 20 Jahren in Schutz nimmt, auszeichnet.' In der Vorrede seines Buches meint B., es werde Dalton gehen, wie einst Harvey, dem Entdecker des Blutumlaufs ; seine Gegner seien tot, sein Name aber lebe. Vor allem wollte B. ins Klare kommen über die Richtigkeit der Dalton'schen Anschauung für die freie Atmosphäre. Daraus musste sich eine andre Berechnung der barometrisch gemessenen Höhen ergeben. Mit solchen barometrischen Höhenmessungen beschäftigte sich B. eifrig während eines Aufenthalts in der Schweiz (1810). Er stellte ausführliche Tabellen über die Abnahme des Barometerstandes mit der Höhe für die einzelnen Bestandteile der Luft, Stickstoff, Sauerstoff, Kohlensäure, Wasserdampf, her und verglich diese mit den üblichen Tabellen , die nur das Gemenge Luft in Betracht ziehen. Er zeigte an diesen Tabellen, dass der Einfluss der Dalton'schen Lehre nicht vernachlässigt werden dürfe. Weiter kontrolirtc B. sehr genau die trigonometrischen und barometrischen Messungen zweier Berge, des Monte Gregorio, gemessen von dAubuisson, und des Montblanc, gemessen von Saussure. Unter Anwendung der Dalton'schen Theorie kam er zu einem Resultat, welches mit dem trigonometrischen Ergebnis besser übereinstimmte. Daraus entnahm er nun seine Hauptwaffe zur Verteidigung der Dalton'schen Anschauung. Von eigentlich physikalischen Erwägungen findet sich keine Spur. Würden nun in der That die vier Gase in der Atmosphäre selbständig nebeneinander bestehen, so müsste der Sauerstoffgehalt der Luft mit der Höhe abnehmen und zwar nach B. in einer Höhe von 20000 Fuss nur 19,11 statt 21 Volumteile betragen. Gay Lussac untersuchte die Luft, die er bei seiner Ballonfahrt aus dieser Höhe mitgebracht hatte, ohne indes diese Änderung in der Zusammensetzung der Luft zu konstatiren. B. bestritt aber die Beweis- kraft dieser Untersuchung, weil die von Gay Lussac untersuchte Luft durch Wasser abgesperrt gewesen sei und sich daher wieder mit dem Sauerstoff des Wassers gesättigt habe. Darüber entspann sich zwischen ihm und Gilbert eine Diskussion (Gilberts Annalen 181 2). Bei dem Interesse, das B. dieser Frage widmete, registrirt er übrigens mit Bedauern, dass er bei einem Besuch in Paris (18 15) den Band der Annalen 18 12 auf der Bibliothek noch nicht einmal aufgeschnitten fand. Seine Indignation darüber musstc um so grösser sein, als in demselben Bande auch seine Versuche über die Fortpflanzungs- geschwindigkeit des Schalls standen. Diese Versuche hat B. 1809 und 181 1 in Düsseldorf und Ratingen an- gestellt bei sehr hohen und sehr niederen Temperaturen und bei Gelegenheit von Festen, die Napoleon zu Ehren mit Kanonenschüssen gefeiert wurden. Er kam dabei zu der viel gebrauchten Zahl 1027' In demselben Jahre 11 stellte er auch Versuche über die Schallgeschwindigkeit in anderen Gasen an unter Benutzung der Chladni'schen Methode, die Tonhöhe einer in dem zu untersuchenden Gase ertönenden Pfeife zu bestimmen. Die Abweichungen, welche diese Versuche von den nach Newtons Formel berechneten Werten ergaben, wollte Gilbert durch die Unreinheit der benutzten Gase erklären. B. widerlegte ihn , ohne indes die Abweichungen erklären zu können. Er beklagt es, dass von 181 2 bis 1830, bei der Herausgabe seines Buches, noch niemand die Versuche wiederholt habe. In der That ist erst durch neuere — 14 Untersuchungen festgestellt worden, dass sich die Unterschiede der beobach- teten und berechneten Werte durch die Reibung erklären, welche an den Wänden der Pfeife stattfindet. Dr. August Maurer. III. Zoologie. Das Gesetz, dass eine Fauna in ihrem Gesamtbilde sich niemals auf ein enges Gebiet beschränkt, wird auch durch unsere Heimat erhärtet. Die Tierwelt des Niederrheins ist im Wesentlichen diejenige Norddeutschlands, ja sogar Mitteleuropas. Im Nachfolgenden handelt es sich nur um die Frage : Welche Zeugnisse und Nachrichten sind uns über die Tierwelt Deutschlands, insbesondere des Niederrheins, übermittelt worden ? Dass bei der kurzen Erörterung dieser Frage nur bekanntere Tierarten berührt werden, dass aber ausser der geschichtlichen auch die vorgeschichtliche Zeit nebst der Sagenwelt flüchtig gestreift wird, bedarf wohl keiner Rechtfertigung. Rheinland- Westfalen mag vielleicht, was die Zahl der Höhlen betrifft, die in vorgeschichtlicher Zeit von Menschen bewohnt waren, hinter Belgien zurückstehen, hat aber doch zahlreiche, hoch interessante Denkmale der praehistorischen Zeit aufzuweisen. Unter diesen nehmen Jahrtausende alte Tierreste einen hervorragenden Platz ein. Aus der Fauna der vorgeschicht- lichen Ansiedlung in Andernach seien hier erwähnt: Renntier, Polarfuchs, Schneehuhn, ein Hipparion-ähnliches Pferd, die Gattung Bos, der Edelhirsch, Luchs, Wolf, Hase, Eichhörnchen und Maus. Das Schwein fehlt. Einige grössere Vogelknochen sind schwer bestimmbar; der Reiher ist vertreten und anscheinend auch der Schwan. Den fossilen Schädel eines bei Moselweiss in der Nähe von Koblenz gefundenen Moschusochsen legte Schaaffhausen i. J. 1879 der Anthropologen- Versammlung in Strassburg vor; im Buchenloch, einer Höhle bei Gerolstein, fanden sich von Tierarten: eine Elephantenart, Rhinozeros, Höhlenbär, Renntier, Riesenhirsch und Pferd. Weitere Quellen zur Geschichte der den Niederrhein belebenden Tierwelt sind die Mythen und Sagen der germanischen Völker. Da hören wir von dem, dem Gotte Wuotan geweihten Streitrosse, dem Gefährten im Kampfe, vom zottigen Bären, dem die Tier- fabel nach J. Grimm noch im 10. Jahrhundert das Königtum unter den Tieren anwies, vom Hunde, dem treuen Begleiter auf der Jagd, der Hausziege, welche die nährende Milch lieferte, und von den Böcken, welche den Wagen Donars zogen, dem auch das Rotkehlchen heilig war. Da treffen wir ferner die Milchkuh, welche dem nordischen Gotte Freyr, dem Gotte der Sonne und der Fruchtbarkeit, geweiht war, und die seinen Wagen ziehenden Eber. '5 i Ausser ihnen findet sich die Gans als Weissagerin und der Wolf, der den Weltuntergang herbeiführt, indem er Sonne und Mond mit gierigem Rachen verschlingt. Neben diesen aber kehrt vor allem eine Tierform in allen Sagen regelmässig wieder, die unserer Vorfahren ganze Phantasie erfüllte — das war der krokodilartige Drache, der Lintwurm, der in Felsenhöhlen und Sümpfen hauste und mit Klauen und Schweif und glühendem Hauche alle Nahe- kommenden bedrohte. Unfehlbar weist er mit seinem Schlangenleibe auf untergegangene Saurier hin, namentlich auf den, eine Länge von 8 m errei- chenden Mososaurus, dessen fossile Reste in den Steinbrüchen bei Maestricht aufgefunden wurden. Allgemein galt dieses Geschöpf als ein Zeichen des Schreckens, und als solches finden wir sein Bild noch in historische/ Zeit auf den Feldzeichen der Sueben, Markomannen, Ouaden und Dazier, sowie auf den Vordersteven der Wikingerschiffe. Sehen wir von diesen mythologischen Andeutungen ab und betreten wir den Boden der Geschichte, so finden wir als die ältesten Quellen Berichte römischer Schriftsteller, welche unsere Heimat in erster Linie allerdings in politischer Hinsicht durchforschten, gelegentlich aber auch einige naturwissen- schaftliche Beobachtungen in ihre Schilderungen einflochten. Wenn auch naturgemäss diese Mitteilungen eines Cäsar, Tacitus und Plinius auf Zuverlässigkeit und Vollständigkeit keinen Anspruch erheben können, so geben sie uns doch einigermassen ein Bild der Tierwelt, welche der von den Römern als Einfallsthor Germaniens benutzte Niederrhein beherbergte. Nur geringe Unterschiede weist die Fauna, welche nach jenen Berichten die wald- und sumpfreichen Rheinniederungen bewohnte, von derjenigen auf, welche heutigentags noch in unseren Feld- und Waldrevieren heimisch ist. Nur wenige Arten sind ausgestorben oder haben sich vor der vordringenden Kultur in die russischen Steppen oder den unwirtlichen Norden geflüchtet. Am meisten fielen den Römern die zahlreichen Arten wilder Rinder auf, die durch ihren, Kraft und Schnelligkeit verratenden Körperbau einen unge- wohnten Anblick boten, so der Auerochs (Bos primigenius Bojan.) und der Bison (Bison europaeus Ow., Bos urus L.), welche (nach Plinius VIII.) von den Unkundigen als Büffel (bubali) bezeichnet wurden. Während ersterer im 17. Jahrhundert gänzlich ausgestorben, findet sich letzterer, der noch zu Karls des Grossen Zeiten im Sachsenlande vorkam, nur noch in Litthauen und im Kaukasus. Die eben erwähnte Bezeichnung »bubalus« wird bei älteren Schrift- stellern mehrfach erwähnt und gab zu den verschiedensten Deutungen Ver- anlassung. Während einige aus der Anführung des Namens »bubalus- auf das thatsächliche Vorkommen von Büffeln schliessen zu müssen glaubten, deuteten andere die genannte Art als Auerochsen, Gazellen oder Kuhantilopen. Plinius scheint hier das Richtige getroffen zu haben; wenigstens stimmt mit ihm auch — i6 ein im 9. Jahrhundert in den Klosterschulen zu Fulda benutztes Kompendium von Fellner überein, nach welchem bubali (Büffel) Ochsen sind, die aber unge- zähmt sind und das Joch nicht tragen. Neben den beiden erwähnten wilden Rinderarten fanden sich schon zu Cäsars Zeiten zahlreiche Herden gezähmter Rinder ( pecorum feeunda», Tac. Germ. C. 5.), welche die unübertrefflichen Weideplätze Germaniens ausnutzten und den ganzen Reichtum unserer Alt vorderen bildeten ( eacque solae et gratissimae opes T. G. 6). Zwar schienen sie den Reimern im Vergleich zu ihren eigenen Zuchttieren unansehnlich ( ne armentes quidem suus honor aut gloria fontis«. Tac. Germ. 5, vergl. auch Tac. Ann IV 72 und Caesar B. g. IV. 2), aber umsomehr legten die Germanen Wert auf eine stattliche Anzahl ( »numero gaudent a. a. O.), da sie die Viehherden bei Abgaben, Kriegstributen und Strafen als Geldwert benutzten equorum (»pecorumque numero multantur , Tac. Germ. C. 12; certo armentoruro ac pecorum numero luitur , ib. C. 21). Bis ins späte Mittelalter hinein finden wir diesen Brauch, alle Schulden durch Vieh abzutragen, im Rhcinlande erhalten. Ausser den Rindern treffen wir in den Urwäldern Germaniens zahlreiche Herden von Schafen, Schweinen und wilden Pferden, welche letztere sich noch bis in die neueste Zeit hinein in den niederrheinischen Waldungen, namentlich bei Duisburg, erhalten haben. So erzählt Ferber in seinen historischen Wanderungen durch Düsseldorf, dass die in dem benachbarten Walde ge- fangenen wilden Pferde noch im Anfange dieses Jahrhunderts auf dem Mühlen- platz (jetzt Friedrichsplatz) gezähmt und eingeritten wurden. Eine zusagende Heimstätte fanden in den morastigen Forstrevieren der Rheinebene auch zahllose Rudel des Elchs (Alces palmatus), der sich jetzt bis nach Ostpreussen zurückgezogen hat. Von ihm weiss Cäsar Unglaubliches zu erzählen, ebenso wie Plinius (VIII. 16) von dem sagenhaften Achlis, der sich im Schlafen an Bäume anlehnt und, um mit seiner grossen Oberlippe nicht hängen zu bleiben, rückwärts gehend weidet. Vermutlich gesellte sich zu ihnen noch der in Irland bis ins 12. Jahrhundert heimische Riesenhirsch (Megaceros giganteus Ow.), der wahrscheinlich mit dem im Nibelungenliede erwähnten grimmen Scheiche identisch ist : »Darnach schlug er einen Wiesent und Elch, Starker Ure vier und einen grimmen Scheich.« Von der Vogelwelt Germaniens finden wir ausser den in Deutschland überwinternden Drosseln (Plinius X. 35) nur noch die Gans (ganta) erwähnt (Plinius X. 27), deren Flaum an Weichheit und blendender Weisse alle anderen übertraf und einen wichtigen Handelsartikel bildete. Auch die Insektenwelt bleibt in den römischen Mitteilungen wenigstens nicht ganz unerwähnt. Plinius berichtet über eine von wilden Bienen her- rührende und auf der unteren Hohlseite geschwärzte Honigscheibe von 8 Fuss Länge. Ueber manche der, jedenfalls nur in den Flüssen des Niederrheins vor mehr als 1 5 Jahrhunderten vertreten gewesenen Fischarten giebt das bekannte Moselgedicht des Decimus Magnus Ausonius willkommenen Aufschluss. In diesem Gedicht kommen u. a. vor: Die Aalrutte, der Aland, die Forelle, »deren Rücken mit purpurnen Sternchen besät ist«, die flüchtige Aesche, die Barbe, der Salm mit blassroth schimmerndem Fleisch', die Lamprete, der Barsch, der Hecht, »der Erbfeind klagenden Froschvolks«, die Schleihen, der Weissfisch, und der Stör. Eine wertvolle Ergänzung der römischen Berichte und die ersten zu- verlässigen Angaben über die niederrheinische Tierwelt geben uns die Be- stimmungen des salischen Rechtes, die lex salica, nebst den von ihr abgeleiteten Gesetzessammlungen. Als die Macht Roms sank, drangen die Ripuarier von ihrer ursprünglichen Heimat zwischen Ruhr und Lippe, sowie die Chattuarier, welche Xanten gegenüber siedelten, in das linksrheinische Gebiet vor und nahmen Wohnsitz zwischen Maas und Rhein, diese nördlich von Kleve bis Geldern (Hatteragau), jene südlich bis Köln. Ihre gesetzlichen Aufzeichnungen geben uns ein genaueres Bild von der Tierwelt, welche für ihre Lebenshaltung von Interesse war, und liefern uns einen Beweis, welche Bedeutung die Viehzucht und Viehwirthschaft im 4. und 5. Jahrh. nach Chr. am Niederrhein besass. Und dieser Bedeutung entsprechend nahmen auch die Kenntnisse von Arten und Varietäten, diese auf dem Boden des Erwerbs fassenden Anfänge zoologischer Wissenschaft, mehr und mehr zu, sodass z. B., wie Lamprecht in seinen Skizzen zur rheinischen Geschichte sagt, schon eine wahre Schweine- terminologie« und eine ebensolche für Pferde, Rinder und Schafe in dem salfränkischen Dialekte enthalten ist. In jenen Gesetzen, namentlich in dem der Chattuarier und Ripuarier finden wir auch zum ersten Male erwähnt die Enten und Hühner als Vogelvieh, bewacht von einem zahmen Kranich oder Storch ; die Bienenkörbe, die unter dem Dach des Hauses oder in besonderen Ständen untergebracht sind, die verschiedenen Arten zahmer Jagdfalken und Sperber, sowie den zum Anlocken des Wildes dienenden zahmen Jagdhirsch. Die mannigfaltigen Vorrichtungen zum Fischfang zeigen, dass auch der Fisch- reichtum der Gewässer von nicht geringer Bedeutung gewesen sein muss. Ein Schluss auf den Wert der einzelnen Haustiere lässt sich aus den, in dem ripuarischen Rechte angeführten Preisen ziehen. So kostete eine gehörnte Kuh 40 Denare, ein Ochs deren 80, eine Stute 120, ein Pferd 240, ein ungezähmter Falke 120 und ein gezähmter 480, ein Kranich 250 Denare. Soweit es sich um Haustiere handelt, ist Karls d. Gr. im J. 812 zu Aachen erlassene » Wirtschaftsordnung für die Königshöfe •< — Capitulare de villis für die 2 iS Fauna beachtenswert. Als Schmucktiere auf den Landgütern werden in Artikel 40 genannt: Schwäne, Pfauen, Fasanen, Enten, Tauben, Rebhühner und Turteltauben. Die übrigen Haustiere sind aus römischer und fränkischer Zeit her bekannt. Wenn auch, wie erwähnt, die dürftigen Notizen der römischen Schrift- steller, ebenso wie die des ripuarischen Rechtes, infolge ihrer Lückenhaftigkeit und Einseitigkeit dem Zoologen nur wenig Material zu einer Fauna des Niederrheins bieten, so sind sie dessungeachtet nicht zu unterschätzen. Denn die folgenden, dem naturwissenschaftlichen Forschen abgewandten Jahrhundertc enthalten in ihren Schriften kaum genauere Mittheilungen. Der >Physiologus% ein in 12 Sprachen bekanntes Compendium, beherrschte auf naturwissen- schaftlichem Gebiete das Mittelalter und Hess keine selbstständige Beobachtung zur Wertschätzung kommen. Erst als im \2. und 13. Jahrhundert durch Vermittlung der Araber die Schriften des Aristoteles im Abendlande wieder bekannt wurden und in den gelehrten Franziskanern und Dominikanern geist- reiche und selbstständig denkende Interpreten fanden, da erst ist ein Erwachen der Naturbeobachtung zu bemerken. Namentlich waren es zwei Männer, die hier an der Wiege der zoologischen Wissenschaft als Pathcn standen, Thomas von Cantimpre und Albertus Magnus, beide Dominikaner, welche mit reichen Kenntnissen ausgestattet, wohl zum ersten Male die naturwissenschaftlichen An- gaben des Aristoteles einer kritischen Sichtung unterzogen und hierdurch der echt wissenschaftlichen Forschung einen festen Boden bereiteten. Beide Männer hielten sich einen Teil ihres Lebens am Rhein, in Köln auf, und namentlich Albertus ( 1 193 — 1280) sandte von hier aus seine Schriften in die Welt. Mit Sicherheit ist anzunehmen, dass diese scharfen Beobachter, die als Geistliche im Lande umhergeschickt wurden, auch die bergischen Lande durchforschten und dass somit unsere Fauna zum Teil den Stoff für ihre Schriften lieferte. In diesem Sinne sind auch für uns jene Gelehrten von Bedeutung, und muss ihre Stellung in der Geschichte der wissenschaftlichen Forschung hier erwähnt werden. Eine bemerkenswerte Bereicherung erfuhr das zoologische Wissen durch die, seit der Entdeckung Amerikas bei Fürsten und Edlen in Mode gekommenen Weltreisen, die, wenn auch nicht aus naturwissenschaftlichem Interesse ,unter- nommen, doch die Kenntniss zahlreicher neuer Tierformen vermittelten und namentlich zu zoologischen Sammlungen erfolgreiche Anregung boten. Auch aus unserem Gebiete trieb es manchen hinaus, u. a. den Ritter Arnold von Harff, der von 1496 bis 1499 Arabien, Indien und Ostafrika durchwanderte. Während bis zum Ausgange des Mittelalters das Studium der Zoologie last ausschliesslich durch das Interesse an den merkwürdigen Formen der göttlichen Schöpfung veranlasst und somit meistens von Theologen betrieben wurde, ging mit Beginn der Neuzeit die Tierkunde in die Hände der Ärzte 19 über. Aus ihren Reihen gingen alle jene Gelehrten hervor, welche als Zoologen die Akademien zierten oder als Lehrer an den neugegründeten Universitäten wirkten und teils die schon bekannten Tierformen in übersicht- liche Systeme ordneten, teils auch durch vergleichend anatomische Arbeiten den Boden für die moderne wissenschaftliche Zoologie ebneten. Aus jener Zeit der Systematik und Morphologie sind aus unserem Gebiete nur dürftige Nachrichten erhalten. Nur wenige Namen sind hier zu nennen, die sich meist an die beiden in Duisburg und Düsseldorf gegründeten Hoch- schulen anknüpfen. Der erste, der uns in dieser Periode entgegentritt, ist Laurcntius Hielius, geb. 1559 zu Wesel. Er wurde später Professor der Medizin zu Jena und hinterliess eine Arbeit: Epitome historiae animalium quadrupedum . Er starb zu Jena am 1 6. September 1 666 an der Pest. Im J. 1785 erbarmte sich, wie Tönnies in seiner Programmarbeit: »Die Falkultäts- studien zu Düsseldorf- nachweist, an der Düsseldorfer Universität ein Lehrer der Mathematik und Physik auch der, bis dahin ganz vergessenen Zoologie. Es war Peter Jacob Melchior »J: A:F:, A: W:N: und J: Ab«, wie es hinter seinem Namen heisst, was ohne Zweifel: Joh. Alb. filius, Alb. Wilh. nepos, Joh. abnepos bezeichnet, da er ein Sohn des Johann Albrecht, somit ein Enkel von Albert Wilhelm und ein Urenkel von Johann Melchior ist — , welcher vom 2 1 . November ab infolge gnädigsten Privilegs dreimal wöchentlich Naturgeschichte dozierte, besonders über Insekten nach noch ungedrucktem System seines Vaters seeliger Individua-. Nach Peter Jacob Melchiors Tode bezw. Verschwinden scheint die Zoologie in Düsseldorf wieder der Vergessenheit anheimgefallen zu sein. Von höherem geschichtlichen Interesse war der Duisburger Professor Blasius Merrem. Geboren zu Bremen am 4. Februar 1761, war er von 1781 — 1784 Privatdozent in Göttingen, kam hierauf als Professor der Physik und Cameralwissenschaft nach Duisburg, wo er 1800 das Rektorat bekleidete, später nach Marburg, wo er am 23. Februar 1824 starb. Nach den von ihm hinterlassenen Schriften zu urteilen, scheint er mit einem klaren Blick und scharfem kritischen Verstände ein, alle Teile der Zoologie umfassendes Wissen verbunden zu haben. In seinen vermischten »Abhandlungen zur Tiergeschichte behandelt er insbesondere die Ordnung der Nager. Auch erwarb er sich ein dauerndes Verdienst durch die erste ausführliche, mit Abbildungen versehene Arbeit über die Muskulatur der Vögel, wobei er namentlich die Unterschiede der Falken und Adler klar hervorhob und auf Grund deren er die Vögel in Ratitae und Carinatae unterschied. Ferner unterschied er die Krokodile als ^ Gepanzerte von den Schlangen als Beschuppten Sein hohes Verständnis für die Wissenschaft bewies er auch durch eine sachgemässe Erörterung und Kritik der von Plinius gemachten faunistischen Angaben. Nach den Auf 20 Zeichnungen der Beckhaus'schen »Collektaneen zu einer Gelehrtengeschichte, erschienen aus seiner Feder neben anderen Werken folgende zoologische Schriften : De animalibus Scythicis et septentrionalibus apud Plinium, Dissert. inaugur. Göttingen 1791. Vermehrt und verbessert im Magazin für Philologen, neuherausgegeben von Ruperti und Schlichthorst. Bremen, 1797. Vermischte Abhandlungen zur Tiergeschichte, Göttingen 1781. 8° mit Kupfertafeln. Beiträge zur besonderen Geschichte der Vögel, 1. Heft 1786, 2. Heft 1787. Klein Fol., jedes mit illuminirten Kupfertafeln, Leipzig. Avium rariorum et minus cognitarum icones et descriptiones collcctae et e germanicis latinc faetae, Lips. apud Müller fol. min. 1786. Beiträge zur Geschichte der Amphibien, 1799 — 1821 Essen bei Bädecker. Versuch eines Grundrisses zur allgemeinen Geschichte und natürlichen Einteilung der Vögel; Leipzig 1788, auch lateinisch erschienen. Beiträge zur Naturgeschichte; Marburg [812. Ober die Luftwerkzeuge der Vögel; Leipziger Magazin zur Naturkunde 1781. 16 und 26 St. Beschreibung einer neuen Art von Stachelschweinen; ebend. 1786. Beschreibung der weissäugigten Affen (Simia Aethiopsj; ebend. 1787. St. 4. S. 438 — 46. Verzeichnis der rotblütigen Tiere in der Umgegend von Göttingen und Duisburg; Schriften der Berl. Gesellsch. naturforschender Freunde IX. 1789. Versuch eines Systems der Amphibien; Marburg 1820. Als Zeitgenosse Merrems bleibt noch zu erwähnen der Heidelberger Hof- kammerrat Christian Niesen, geb. zu Jülich 1733, der eine Schrift über die Naturgeschichte der Kohlraupe verfasste. In unserem Jahrhundert aber drang gerade das Studium der Zoologie in immer weitere Laienkreise, nachdem die populär gehaltenen Arbeiten eines Bufifon, Cuvier und Alex v. Humbold bahnbrechend gewirkt hstten. Na- mentlich waren es die Insekten, welche, allgemein verbreitet, zum Beobachten und vergleichendem Studium anregten. Zahlreiche Namen treten uns aus dieser letzten Periode entgegen, Namen von Männern, welche entweder berufsmässig oder als Liebhaber das Feld der Zoologie mit mehr oder weniger Erfolg bebauten. Mögen sie nun als Gelehrte aufgetreten sein oder als Dilettanten durch gelegentliche Beobachtungen Bausteine oder Sand- körner zum Bau der Zoologie herbeigetragen oder auch nur als Sammler ihr Interesse bekundet und dasjenige anderer geweckt haben, sie alle verdienen in einer lokalgeschichtlichen Übersicht erwähnt zu werden. Beginnen wir mit denjenigen, welche durch grössere wissenschaftliche Reisen die taunistischen Kenntnisse erweiterten, so begegnet uns zunächst Caspar Georg Karl Rein ward t, welcher, 1773 zu Düsseldorf geboren, sich der Zoologie widmete und später eine Professur an der Leydener Universität bekleidete. Auf seinen Reisen nach den grossen ostindi.schen Inseln durch- forschte er namentlich Sumatra und Java. Er starb zu Leyden i. J. 1S54. An ihn reiht sich würdig der, sowohl als erster Beamter der Stadt wie auch als Gelehrter gleichermassen verdiente Oberbürgermeister von Elberfeld Dr. Lischke an. Ihm verlieh die Universität Bonn in Anerkennung seiner Verdienste um die Erforschung der Conchilien die Ehrendoktorwürde. Die Ergebnisse seiner Studien und seiner Forschungsreisen nach Nord-Afrika, Ceylon und Norwegen legte er in den Berichten der malakozoologischen Gesellschaft und in seinem Hauptwerke über japanische Meercsconchilien nieder, welches in 3 Bänden 1S69 — 1 874 erschien. Seine nachgelassene, überaus wert- volle Sammlung befindet sich im Besitze des Rentners Löbbcke (Düsseldorf I, zum Teil auch im Bonner Museum. Der bedeutendste Systematiker zu Ende des vorigen und zu Anfang des jetzigen Jahrhunderts war am Niederrhein unstreitig Joh. Wilh. Meigcn, geb. zu Solingen um 1 760 , der soNvohl hier, wie in der vorigen und folgenden Abhandlung zu nennen ist. Sprachlehrer und gleichzeitig Sekretär des Hand- lungsausschusses und der Handelskammer , befasste er sich in seinen Musse- stunden mit geschichtlichen, astronomischen, botanischen, zoologischen, ins- besondere entomologischen Studien. Von ihm erschienen folgende faunistische Schriften : Versuch einer neuen Gattungs-Einteilung der europäischen zweiflügligen Insekten in Illigers Magazin für Insektenkunde II. 1803. Braunschweig. Klassifikation und Beschreibung der europäischen zweiflügligen Insekten (Diptera Linne). (I. Bd. I. Abt. 1804. XXVIII. 152 S. mit 8 Kupfer- tafeln. II. Abt. 1804. VI. 153 — 314 S. mit 7 Kupfertafeln. Braun- schweig, Reichard). Nouvelle Classification des mouches ä deux ailes. Paris 1 800. Systematische Beschreibung der bekannten europäischen zweiflügligen Insekten mit 11 Kupfertafeln. (I. Teil Aachen bei Forstmann 1818. XXXVI. 324 S. 8°. II. Teil 1820. X. 363 S. 8°). Systematische Beschreibung der europäischen Schmetterlinge mit Ab- bildungen auf Steintafeln. (I. Bd. 16 Heft mit X. Steintafeln VI. 42 S. 8°. Aachen und Leipzig, J. A. Mayer 1827. II. Bd. I. — 3. Heft. 136S. 1829. III. Bd. (Schlussband) 1832). Handbuch für Schmetterlingsliebhaber, besonders für Anfänger im Sammeln. Mit 16 Steintafeln. Aachen, La Ruelle 1827. 248 S. 8°. In Emmerich erschien um 1834 von Jos. Haupolder: Darstellung der gesamten Tier-Welt nach Stufen, Klassen und Ordnungen nebst deren Verbreitung auf Erden. Ein Leitfaden für den ersten Unterricht in der Tierkunde. IV. 1 10 S. 8°. Von demselben Verfasser, offenbar einem Landsmanne vom Niederrhein, erschien in Köln: Die Natur der Wesen auf Erden. 1834 . Mehrfach ist auch der Versuch gemacht worden, in engerer lokaler Begrenzung die Gcsamt-Fauna darzustellen. Einige Notizen hierüber finden wir schon in dem 1798 erschienenen Buche von Christian Friedrich Meyer, Kgl. Preussisch. Kriegs-, Domänen- und Forstrat »Versuche einiger Naturbeobachtungen des gebirgigen Süderlandes der Grafschaft Mark*, worin das Wasser, die Luft, Grund und Boden, Gewächse, Metalle, Mineralien, Steinarten, Säugetiere, Vögel, Fische und die Einwohner kurz beobachtet werden. Die Fauna von Solingen behandelte der Kreisphysikus Dr. J. W r . Spiritus 1823 in einer als Manuskript in der Düsseldorfer Landesbibliothek aufbewahrten Arbeit: Versuch einer medizini- schen Topographie des Kreises Solingen- In derselben führt er 20 Säuger, 60 Vögel, 1 2 Amphibien, 1 1 Fische, 267 Gliedertiere und 9 Würmer, ohne die allgemein bekannten Tiere mitzurechnen, an. Die Fauna von Viersen schilderte Farwick 1883 in seiner Programmbeilage der Viersener Realschule. Die Vogel-Fauna von Mülheim a. d. Ruhr fand einen Bearbeiter in d'Alquen (Verhandl. des nat. Ver. Rheinl. u. Westf. X. 102), diejenige des Wupper- thals in Fuhlrott (ib. V 227 und XI. 3581, die Schmetterlinge von Krefeld, Crdingen, Linn und Umgebung stellte F Stollwerck zusammen (ib. XI. 393, XVI. 20, XVII. 40, XIX. 289), diejenigen von Aachen W. Mengelbier (IV. 112. ib.). Die Mollusken von Rheinland und Westfalen wurden zusammen- gestellt von Goldfuss (ib. XIII. 29) und Hesse (ib. XXXV. 83). Die Käfer- Fauna unseres Gebietes wurde behandelt von Förster (ib. VI. 381 u. 1 ), welcher auch im Verein mit Bertkau die Spinnenfauna des Rheinlandes (XI. 265, 296) bearbeitete. Die Bienenzucht behandeln: Vollständige Anleitung zu einer vollkommenen Bienenzucht. Düsseldorf 1772. 2. Aufl. Düsseldorf 1775. 60 S. -- und Andreas I lecker aus Hainsberg: Anleitung zur Bienenpflege, gegründet aut vielfache bewährte Erfahrungen des Herausgebers und seiner beiden Voreltern. 2 Aufl. Arnsberg, Ritter, 1836 XXII. 183 S. gr. 8° Als Sammler von Naturalien seien -■ auf Vollständigkeit kann natür- lich bei dieser Aufzählung nicht gerechnet werden — genannt der Exjesuil Franz Beuth, Düsseldorf 1750, dessen Sammlungen vielfach besucht wurden; Apotheker Körte, Essen, Ende vorigen Jahrh. ; Hönninghaus, Krefeld, be- rühmter Entomologe zu Anfang ds. Jahrh.; Eisenbahnbetricbssekr. Wegmer, — 23 — Elberfeld (Schmetterlingssammlung ca. 30000 Exempl.); Bädecker, Düssel- dorf (Vögel-Eier-Sammlung, jetzt eine Zierde des Bonner Museums, Ver- zeichnis in den Verhandlungen des nat. Ver. der Rh. u. W. XXXVII 64); Landgerichtspräsident Witte, Düsseldorf (Käfer); Seminarlehrer Becker Rheydt, gest. 1896 (Käfer); Schumacher, Wermelskirchen (Vögel). Der Vollständigkeit halber seien zum Schlüsse noch die zoologischen Gärten erwähnt, welche ja allerdings nicht gerade wissenschaftlichen Zwecken dienen, aber doch das Verdienst beanspruchen können, das Interesse an der Zoologie in der Laienwelt wachzuhalten. Der zoologische Garten in Düssel- dorf wurde, nachdem hauptsächlich durch Vorträge Brehms ein kleines Stamm- kapital gesammelt worden war, 1 876 mit einem bescheidenen Bestände eröffnet, entwickelte sich aber allmählich zu einem immerhin bemerkenswerten wissen- 1 .schaftlichen Institute. Recht interessante Kreuzungsversuche wurden in dem- selben von dem Inspektor H. Goffart angestellt. So wurde z. B. Ovis musimon (.sardinischer Muflon) mit Ovis braehycerus ericetorum (Haidschnucke) erfolgreich gepaart und durch Kreuzungsversuche von Ovis tragelaphus (Mähnen- muflon) mit Schafen und Ziegen die Zugehörigkeit desselben zur letzteren Gattung entschieden. Der zoolog. Garten zu Elberfeld beherbergt nur einige wenige Tiere zur Rechtfertigung seines Namens. Dagegen besitzt Elberfeld ein beachtenswertes naturwissenschaftliches Museum, welches vom Elberfelder Naturwissenschaftlichen Verein begründet, durch zahlreiche Schenkungen vermehrt und u. a. durch Herrn . Prof. Dr. Mädge geordnet wurde. Zoologisch am wertvollsten sind eine Sammlung ausgestopfter Vögel z. T. mit Eiern und Nestern und eine stattliche Käfersammlung. Auch alle andern zool. Abteilungen mit Ausnahme der Protozoen sind mehr oder minder zahlreich vertreten. So erscheint denn die Geschichte der Zoologie am Niederrhein nicht gerade reich an Thaten und Entdeckungen, aber sie berechtigt doch zu der Hoffnung, dass das Interesse an der Zoologie im Volke nicht aussterben, sondern blühen und wachsen und dem lokalgeschichtlichen Forscher des kommenden Jahrhunderts reicheren Stoff zur Bearbeitung liefern wird. Dr. Norrenbertr. IV. Botanik. I. Einzelforschungen von der Römerzelt bis zur Neuzeit. Die ersten, wenn auch spärlichen und unsicheren botanischen Angaben über unser Gebiet finden wir bei Plinius dj:n Alteren in seiner Historia naturalis-. Wenn wir auch wissen, dass er in Deutschland, als er unter Claudius am — 24 — Niederrhein Kriegsdienste leistete, mehr seiner historiographischen Neigung folgte, so ist der grosse Naturforscher doch sicherlich nicht teilnahmlos an der, ihm neuen deutschen Flora vorübergegangen. Lib. XIX Cap. 28 berichtet er, dass Siser bei Gelduba (jetzt Gellop, Bürgermeisterei Langst) angebaut würde. Siser, von Minola später mit Erbsen, von Löhrer mit Rüben übersetzt, ist nach Ohligschläger Sium Sisarum L., oder das oft angebaute Cicer ariet. L. (Verf.). Ferner erwähnt er lib. XV Cap. 30 eine Art Kirschen, die in Belgien und am Rhein unter dem Namen der rheinischen*' Kirschen wüchsen, lib. XVI Cap. 64 ein Rohr, mit welchem die Belgier die Ritzen ihrer Schiffe ausfüllten (N. V. 4. 20). Von den mancherlei neuen Arten, um die nach Sprengeis Ge- schichte der Botanik (I. 163) die damalige Pflanzenkenntnis von Plinius bereichert wurde, dürfte dieser einige sicherlich auch bei uns genauer beobachtet haben, da sie wenigstens meist zu unsern gewöhnlicheren Pflanzen zählen - - die Richtigkeit der Deutung natürlich vorausgesetzt — z. B. Isatis tinetoria = glastum lib. 21. 1, Spiraea ulmaria = rhodora 24. 112, Fagus sylvatica = fagus 16. 7, Pulmonaria officinalis = consiligo 25. 48, Myrica gale 24. 54, Hordeum murinum = holeus 27. 63, Samolus Valerandi = samolus Druidarum Gall 24. 63 u. A. Eine weitere bemerkenswerte Angabe macht Gregor von Tours in seinen »Historiae Francorum«: Im Jahre 33S seien die Römer unter des Quintinus Führung bei Castellum Novesium (Neuss) über den Rhein gesetzt und hätten bald darauf von den Franken eine empfindliche Niederlage erlitten. Hierbei hätten die Franken vergiftete Pfeile gebraucht sagittas herbarum venenis inlitas« und selbst die anscheinend leicht Verwundeten seien alle gestorben. Ohligschläger, dem wir die Auffindung dieser interessanten Notiz ver- danken, hält dafür, das gebrauchte Gift stamme entweder von Anemone ranuneuloides, oder von .Aconit um Lycoctonum oder von Taxus baccata. In Bezug auf die letztere Pflanze erzählt schon Caesar in Bell. Gall. C. VI 31, dass Kativolk, Körnig der Eburonen, sich mit Taxus vergiftete, taxo cuius magna in C.allia Germaniaque copia est se exanimavit . Nach Dodonaeus (Stirp. hist. pemptade's sex Anto. 1616 p. S58) wächst er in •Arduenna Belgii silva . Adam Lonicerus sagt in seinem Kreuterbuch, neu zugericht 1557, unter Taxus: »Daher werden auch die Gifte taxica oder toxica genannt, weil damit die Pfeile vergiftet werden Dem frühen Mittelalter gehört der Mann an, der in der Geschichte aller naturwissenschaftlichen Fächer, ganz besonders aber hier rühmlichst zu erwähnen ist - - der Dominikanermönch Albertus mit dem wohlverdienten Beinamen der Grosse« Trotz seiner Abirrungen, die man der Zeit zu gut halten muss, ragt er doch so weit über diese hinaus, dass Meyer in seiner »Geschichte der Botanik ihn für 1 000 Jahre den hervorragendsten Botaniker« nennt; sein 2C Werk: »Libri VII de vegetabilibus -- bilde eine Epoche«! 1252 in Köln zum Provinzial seines Ordens gewählt, musste er als solcher weite Inspektions- reisen, nach der Ordensregel zu Fuss, zu den ihm untergebenen Klöstern in der grossen Provinz Teutonia unternehmen; diesen Fussreisen enstammt seine anschauliche Beschreibung der Pflanzen, die uns sofort die bestimmte heutige Pflanzenspezics erkennen Iässt. So erfährt unsere Pflanzenwelt durch ihn zuerst eine systematische Darstellung. Von den 7 Büchern handeln die 5 ersten über generelle, das 6. über spezielle, das letzte über ökonomische Botanik. In dem für uns wichtigsten, dem lib. VI -De speciebus quarundam plantarum«, giebt er, teils auf eigene Beobachtungen, teils auf Avicenna gestützt, eine statt- liche Zahl von Beschreibungen von Bäumen, Sträuchern (ca. 100) und Kräutern (ca. 150). Man muss die Schärfe der Beobachtungen bewundern, womit die Hauptmerkmale der Pflanze knapp, genau und deutlich hervorgehoben werden. Von den in unserer Gegend häufigen Arten, die Albertus ohne Zweifel selbst betrachtet hat, nenne ich nur: Pinus L. = Abies (S. 340), wo die Unterarten gut unterschieden werden, Alnus glutin. L. = Alnus (S. 350), Juniperus communis = juniperus (391 ), Mespilus germanica = Mespilus (4o5), Ouercus robur L. = quercus (440), Equisetum hiemale = cauda equi, sofort als solches gegenüber andern Equiseten erkennbar (505), Iris germanica L. = gladiolus (522) u. A. In weitem Abstand folgt Graf Hermann von Neuenahr, anfangs des 16. Jahrhunderts, Domdechant und Kanzler der Universität Köln. Er schrieb » Adnotationes aliquot herbarum« als Vorrede zu Otto Brunfels' bekanntem Werk: »Herbarum vivae eicones novi herbarii tom. II 1 5 3 1 < , worin er 28 einzelne Pflanzen der Alten ohne eigene Naturbeobachtung genauer zu erklären versucht. Er ist wohl nicht als eigentlicher botanischer Forscher, sondern als Förderer damaliger botanischer Bestrebungen anzusehen. Zu gleicher Zeit lebte in Köln Joh. Echtius, s. Z. berühmter Arzt und Botaniker. Hieronymus Bock, welcher in seinem -New Kreutterbuch und den späteren Ausgaben, 1539 u. f., eine Reihe neuer vaterländischer Pflanzen be- schreibt - - er bereiste auch unser Gebiet — , erwähnt die damals viel ange- baute Isatis tinetoria für das Jülicher Land, desgleichen auch nach Ohlig- schläger Conr. von Heresbach in -Rei rusticae libri IV Colon 1 5 7 1 « . In letzterem Buche finden wir auch Beschreibungen ungewöhnlich grosser Bäume, so einer Eiche bei Altena, die 130 Fuss bis zur Krone und 3 Ellen an Dicke gemessen habe. Dodonaeus durchreiste unser Gebiet verschiedene Male. 1580 und 1581 blieb er in Köln und beschäftigte sich dort mit botanischen und medizinischen Studien, schrieb u. A. : »Historia vitis viniferae et stirpium nonnullarum aliarum« etc., Coloniae, 1580. — 26 — Das 17. Jahrhundert bietet uns wenig, ausser einer von Professor Ascherson entdeckten historischen Notiz: Dr. Chr. Mentzel, Leibarzt des Grossen Kurfürsten, habe auf einer Reise am Niederrhein Hypericum elodes in einem Veen an der Grenze des Klevischen Gebietes betrachtet und sie in seinem »Pugillus rarior. plant., Berlin 16X3 recht kenntlich beschrieben. Aus dem 18. Jahrhundert sind zu erwähnen: »Flora Jenensis« von Ruppius (Lips. 1798), herausgegeben von Dr. Schütte, späterem Brunnenarzt in Schwelm. Natal Joseph de Necker, der kurpfälzische Botaniker, veröffentlichte 176S »Histoire naturelle du Tussilage et du Petasite, pour servir ä la Phytologie du Palatinat du Rhin et des Duches de Juliers et de Berg- (Comment. acad. Theod. Palatin V. 4 p. 209 — 252.) Nach seinen sonstigen Berichten scheint de Necker auch am Niederrhein botanisiert zu haben. In Köln erschien 1785: C. a Linne, genera plantarum«. Ed. VIII curante J. E. Gilibert, in Düsseldorf 1798 Medicus' Abhandlung: »Über den unächten Arazeenbaum«, ferner daselbst Joh. Fr. Meyers Versuch einiger Natur- beobachtungen des gebirgigen Süderlandes der Grafschaft Mark« 1. Heft 1798, 2. 1799. Zu Lüttringhausen wurde 1775 der bereits in der Abhandlung Zoologie< erwähnte C. G. Karl Reinwardt geboren. Teile seiner botanischen Forschungen sind niedergelegt in Hepaticae javanicae ed. conjunctis et opera Reinwardtii, Blumü et Neesii ab Esenbeck«. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts hören wir zuerst Botanisches von der Universität Duisburg, als dort die ungemein vielseitigen Professoren der Medicin und Botanik Gottl. Leidenfrost und später Blasius Merrem lehrten. Namentlich unter ersterem vermehrte der botanische Garten seinen Pflanzen- bestand um ein Bedeutendes. Um diese Zeit erschien auch eine bemerkens- werte, wenn auch noch kleine Spezialflora unseres Gebiets: Spicilegium novarum aut in clariorem lucem redditarum plantarum florae germanicae. Examini floristarum subjicit J. A. C. Hose in »Usteri, Annalen der Botanik 1797 21. Stück« S. 32 u. ff. Er behandelt 13 Pflanzen mit Unterarten und sucht ihre morphologischen Charaktere genauer, als es in Gmelins und anderen Werken bisher geschehen, darzustellen. Einige werden als neue Arten oder als neue Varietäten hingestellt. Hose zeigt sich darin als guten Beobachter und als selbstständigen Kritiker. Seine Beschreibungen sind eingehend und deutlich und betreffen nur selbst aufgefundene Pflanzen mit Standortsangaben aus der Umgegend von Krefeld. Von neu angegebenen Formen führe ich nur an: Sisymbrium erucastrum, wohl das spätere S. Loeselii; Sisymbr. interm. v. terrestr. zeigt einige neue mir nicht bekannte Charaktere (Jugend- oder Standortsform?); Polygala serpyllifolia = p. serpyllacea der jetzigen Floren, Callitriche dubia; C. intermedia entspricht ziemlich genau der später — 27 — von Herrenkohl (N. V. 38. 192) für dieselbe Gegend angegebenen C. platycarpa v. minor (»Flores androgyni, superne masculi inferne feminei nonnunquam in oppositis lateribus ). Die Angaben sind der vollständigen genaueren Nach- prüfung vielleicht eines Krefelder Botanikers wert. Möglicherweise enthalten sie eine neuere Varietät. Hose war Privatinstructor in Krefeld, später reformierter Prediger in der Pfalz und gab noch mehrere botanische Werke heraus, unter anderen »Herb. viv. musc. frond. cum descr. analit. ad normam Hedwigii, Lips., H. Graeff 1799 lat. et germ., 93 S. — das erste Beispiel der Herausgabe von Moos- herbarien mit guten klassischen Beschreibungen. Diesem ersten floristischen Versuch folgten bald zwei grössere. Es sind zwei medizinische Dissertationen mit vorwiegend botanischem Inhalte : 1 796 Diss. inaugur. med. de Vegeta- bilibus venenatis et spec. de plant, ven. agri Duisburg, etc. submittit Th. Car. Böninger Duisb. I. allgemeiner Teil, II. Special-Teil a) 25 pl. ven. acres, b) 7 narcoticae, c) 8 narcoticae acres — eine im Allgemeinen auf gute Litteratur- kenntnis und rege Durchforschung der Umgebung Duisburgs gestützte Arbeit, wobei jedoch der medizinisch-pharmacologisch-therapeutische Teil überwiegt; 1797 Diss. inaug. botanica sist. Plant, offic. circa Duisb. cresc. etc. publ. defend. F. Ferd. Grimm Nevigeso Montanus, den Duisburger Pro- fessoren D. E. Günther und C. J. Carstanjen gewidmet - - eine Flora mit 459 nach dem Linne'schen System geordneten Arzneipflanzen, ausgezeichnet durch eingehende floristische Untersuchungen des Ruhrgebietes, die erste grössere, systematisch angelegte Lokalflora unseres Gebietes ; man findet hier und da schärfere Beobachtungen z. B. über Varietäten: Tanacetum v. fol. crisp., Viola odorata v. flore albo et flore pleno 136, Sonchus oleraceus a. laevis b. asper 119, Achillea millef. a. fl. purp. b. fl. carneis 134 etc. Der geistige Urheber beider Dissertationen war Prof. Jakob Conrad Carstanjen. Geb. 1763, lehrte er von 1787 bis 1807 an der Universität Duisburg als Professor der Medizin und Botanik. Er war ein eifriger Erforscher der Flora des Ruhrgebietes. Als Arzt und Naturforscher hochgeachtet, starb er 1 840. Im eigentlichen bergischen Lande lebte der als botanischer Forscher rühmlichst bekannte Pastor Johann Löh, 1785 — 1802 in Solingen, 1802 — 1841 in Burscheid. Seine Erforschungen betreffen das mittlere und untere Wupper- thal. Zu erwähnen sind ferner Pastor Leuter in Burg und Notar Vinc. Deycks, Opladen, als bekannte Pomologen. Mit Stolz möchte ich hier auch daran erinnern, dass in Neuss am ". Dez. 1810 Theodor Schwann, der grosse Pilanzenanatom und Mitbegründer der Zcllentheorie, geboren wurde. — 28 — i822 erschien Rubi german. descr. et tig. illustr. cura A. Weihii et C. G. Nees ab Esenbeck. Elberfeld 1822—27; 1825 »Compend fior. Germ, von Dr. Dr. Bluff et Fingerhuth, Nürnberg bei Schräg, von Nees v. Esenbeck unterstützt. 1823 gab Meigcn, als Astronom und Entomologe bereits in diesen Blättern gewürdigt, mit Weniger aus Gladbach einen --Versuch einer Flora des Niederrheins heraus, mit im Verhältnis zur Grösse des Gebietes wenig zahlreichen Angaben. Bedeutender ist Meigens gross angelegtes Werk: -Deutschlands Flora» etc. 3 Bände, Essen 1833 — 36. Es ist eine umfangreiche Flora, ca. 3000 S. stark, und verrät einen selb- ständig denkenden Botaniker. Mit dem natürlichen System kann sich Meigen noch nicht befreunden, sein System ist das Linne'sche; origineller Weise benutzt er davon nur die ersten 20 Klassen, die Pflanzen der 21. — 23. Klasse reiht er unter die ersten 20 ein. Eine besondere Erscheinung des Werkes bilden die 144 Tafeln mit sicher nahe an 10000 selbst gezeichneten und zum grössten Teil auch selbst gestochenen Einzelzeichnungen. Sie enthalten klare Dar- stellungen der systematisch wichtigen Blüten und Fruchtteile. Die Standorts- angabe,n sind zahlreich, besonders für unsern engern Bezirk, ein Zeichen, dass M. ein guter Sammler und Beobachter war. Seltene Pflanzen sind z. B. Scheuchzeria palustris bei Bensberg, Alisma ranunculoides bei Dinslaken und Lintorf, Primula acaulis bei Köln, Cynodon dactyl. bei Duisburg etc. Kurz vorher, 1830, war erschienen in Crefeld bei Schüller: > Anleitung zur Kenntnis der vorzüglichsten Giftpflanzen von A. R. L. Voget, Apotheker zu Heinsberg . Populäres zur Verhütung von Unglücksfällen sehr brauchbares Werkchen, mit genauer Beschreibung der Gift-Pflanzen, deren Verwechselungen, Wirkungen und therapeutischen Massnahmen. Naturgetreu gezeichnet sind die neun gefährlichsten Pflanzen. Genaue Standorte werden für den ganzen Regierungs-Bezirk Aachen angegeben. V. war ein tüchtiger Botaniker und arbeitete später viel mit Herrnkohl zusammen. 1831 gab Ohligschläger Calend. pharmac. oder Anweisung zur richtigen Einsammlung der vegetarischen Arzneistoffe« heraus, eine von Nees v. Esenbeck angeregte Arbeit. 1832 erschien Monogr. Gen. Capsic. von Dr. Fingerhuth, Düsseldorf; 1830 — 32 Handbuch der med. pharm. Botanik von Dr. Ebermayer, Kreisphysicus, Düsseldorf, und Fr. L. Nees v. Esenbeck; 1821—34 »Plantae medicinales von Weyhe, Hofgärtner in Düsseldorf, im Verein mit Dr. Dr. med. Funke und Wolter von Nees v. Esenbeck fortgesetzt ; 1836 »Prodromus der Flora von Aachen- von Dr. Müller, mit >Addendis« von Dr. Fingerhuth, 1840. 2g 1837 Flora von Westfalen von Jüngst mit allgemeinen Standorts- angaben für das Wupper- und Ruhrgebiet, besonders von Kryptogamen. IL Organisierte systematische Durchforschung der Rheinprovinz. (Seit der Gründung des Bot. Vereins der Rheinl. 1834.) Waren bisher die Zeichen botanischen Lebens am Niederrhein meist nur vereinzelte gewesen, so bildet das Jahr 1834 einen entschiedenen Wende- punkt. In diesem Jahre wurde der botanische Verein am Mittel- und Nieder- rhein gegründet. Der geistige Vater des Vereins ist der unstreitig grösste rheinische Lokalforscher und Sammler Ph. Wirtgen. Ihn unterstützte durch seine Autorität und wissenschaftliche Fachkenntnis Prof. Fr. L. Nees von Esenbeck. Die Absicht dieser Männer war es, durch systematische Verteilung und Organisierung der Kräfte eine wissenschaftliche Erforschung der Rhein- Gesamtflora anzubahnen und zugleich ein rheinisches Normalherbarium und eine Bibliothek anzulegen. War die erste Versammlung auch nur von 1 1 Mitgliedern besucht, so führten doch ihre überzeugenden Aufrufe bald zahl- reiche Botaniker auch aus unserem Bezirk in ihre Reihen. Wirtgen verstand es, die Mitglieder zur Thätigkeit anzuspornen; ein lebhafter Tauschverkehr entwickelte sich, die Einsendungen für die Herbarien, handschriftliche Mit- teilungen und Vorträge über die Lokalfloren mehrten sich schnell, so dass z. B. schon nach 2 Jahren das Herbarium 1100 species in 1778 Exemplaren auf- wies. Aus unserer Gegend machten sich hauptsächlich durch Einsendung von Pflanzen und handschriftlichen Verzeichnissen verdient: Lehmann und Nehring, Pharmaceuten in Düsseldorf, Neubauer, Pharmaceut in Burg, Ohligschläger, cand. med. in Pattscheid, Apotheker Becker in Hüls, Pastor Löh in Burscheid, Oberlehrer Fuhlrott in Elberfeld, Fabrikant Winnertz in Krefeld u. a. Leider starb der um das Zustandekommen und die Bestrebungen des botanischen Vereins hochverdiente Professor Fr. L. Nees von Esenbeck schon im September 1 Proto- plasmaverbindungen bei Algen« in »Allgem. Ber. der deutsch, botanisch. Gesell- schaft 1891«, »Beiträge zur Anatomie und Biologie der Laubmoose« in »Allgem. botanische Zeitung 1894«. »Über die Schleimparaphysen bei Diphyscium foliosum«, Elberfelder Vereinszeitschrift, 1897, worin er sich als tüchtigen Mikroskopiker erweist, endlich »Die Kryptogamen des bergischen Landes in getrockneten Exemplaren«, bis jetzt 6 Lieferungen. Espenschied-Elberfeld ist mit der Erforschung unserer allgemeinen Flora beschäftigt. Zum Schlüsse macht es mir Vergnügen, eine Frau, die einzige »rebus botanicis studiosam«, den Reihen unserer botanischen Forscher anschliessen zu dürfen, Frau Schniewind-Thies, Elberfeld. Sie botanisierte viel mit Lischke, entdeckte mit ihm E q u. 1 i t o r a 1 e , wurde später von Dr. Behrens zu morphologischen und biologischen Studien angeregt. Auf Grund mehrjähriger mikroskopischer Untersuchungen im Poppelsdorfer Laboratorium unter Professor Strasburger, sowie in ihrem Elberfelder Privatlaboratorium veröffentlicht sie 1S52 Beiträge zur Kenntnis der Septalnektarien«, eine anerkennenswerte, wissenschaftlich gehaltene Arbeit auf diesem Gebiete. Vom Niederrhein sind mir aus letzter Zeit keine botanischen Arbeiten bekannt geworden. Naturwissenschaftliche Vereine bluten zwar überall auf, so in Barmen, Düsseldorf, Krefeld, in denen reger wissenschaftlicher Eifer herrscht. Indessen scheint es, als ob die chemisch-physikalischen Errungen- schaften der Neuzeit die Mitglieder mehr anzögen, als unsere alte »scientia amabilis botanica« Unser schönes bergische Land durchstreifen dagegen noch regsame Botaniker, so jüngst 189X Schmidt und Wirtgen jun., die den 20 Jahre verschollenen Standort von Asp. acul. an der Niederwupper wieder auffanden. Im Nachtrag möchte ich noch der Herbarien erwähnen, die die Pflanzen unserer I Icimat beherbergen. Es sind das Herbarien des naturwissenschaft- lichen Vereins der Rheinlande zu Bonn, des nat. Vereins zu Elberfeld und anderer naturwissenschaftlicher Vereine, Schulherbarien bes. zu Elberfeld, Remscheid, Barmen, Privatherbarien z. B. von Lehrer A. Hahne -Barmen, Sieser-Remscheid, Oberlehrer Schmidt-ElberL-ld, Korstik-Remlingrade u. a. — 40 — Nicht vergessen dürfen wir auch der botanischen Gärten'unserer Landschaft. Der älteste ist der botanische und pharmazeutische Garten der früheren Universität Duisburg. Unter der Leitung der s. Z. berühmten Professoren der Medizin und Botanik stand er Mitte des vorigen Jahrhunderts in Blüte. Er enthielt eine grosse Reihe seltener und für den Unterricht wichtiger Pflanzen. Grimm in seiner obenerwähnten botanischen Dissert., 1800, giebt 90 offizineile Pflanzenspezies als dort eultiviert an. Mit der Aufhebung der Universität 1X07 wurden alle Pflanzen meistbietend verkauft. Der botanische Garten zu Düsseldorf verdankt seine Entstehung dem Grafen Goldstein, der die Anlagen zu Düsseldorf und Schloss Benrath unter Herzog Karl Theodor ins Leben rief. Mitte dieses Jahrhunderts lebte in Düsseldorf der königliche Gartendirektor Weyhe, der, als tüchtiger Botaniker s. Z. bekannt, den gärtnerisch künstlerischen Pflanzungen den Charakter eines systematisch angelegten botanischen Gartens zu verleihen wusste, der ihnen später wieder verloren ging. Antz (Flora von Düsseldorf 1846) giebt ein grosses Verzeichnis damals vorhandener Bäume und Sträucher, darunter für Deutschland seltene, z. B.Salix phylieifolia, Coronilla Emerus, Aristo- lochia tomentosa etc. Ausser dem Schlossgarten zu Benrath sind zu er- wähnen die botanischen Anlagen des Grafen Salm-Reyfferscheid-Dyck (geb. 1773) zu Schloss Dyck bei Grevenbroich. Dr. med. Karl Ernst Laubenburii-Remscheid. V. Mathematisch-naturwissenschaftlicher Unterricht in Düsseldorf. a. Die Trivialschule und die Monheim'sche Schule. Die Umgestaltungen, welche die höheren Schulen im Laufe der Jahr- hunderte bis in die Jetztzeit hinein erfahren haben, schliessen naturgemäss auch die Entwicklung des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts ein. Die gelehrten Schulen, wie sie zuerst, von den Bedürfnissen der katho- lischen Kirche ausgehend, mit dem Trivium: Grammatik, Rhetorik, Dialektik — daher denn auch Trivialschulen genannt - - das ganze Abendland beherrschten, hatten für die naturwissenschaftlichen Fächer keinen Raum; erst die Reformation schul, wie überall, so auch bei uns am Niederrhein Wandel. Die Düsseldorfer Trivialschule wurde durch den damaligen Herzog von Berg (1545) in eine, religiösen Neuerungen zuneigende humanistische Anstalt um- und ausgebildet und in der heutigen Küsterwohnung der Lambertuspfarre \ Stiftsplatz No. 6) untergebracht. Diese Anstalt war weder ein städtisches, noch ein mit dem Stifte zusammenhängendes Lehrinstitut, noch etwa eine Schule der Evangelischen, — 41 — die erst später eine Gemeinde begründeten; sie war vielmehr eine Landes- schule , eine allgemeine Bildungsanstalt für das Land — ähnlich den aus den alten Klosterschulen zu Schulpforta, Meissen und Merseburg im Jahre 1543 zu ■Fürstenschulen« umgestalteten und nach dem Muster der in Emmerich und Wesel eingerichteten, nunmehr landesherrlichen Anstalten — , in ihren Zielen so erweitert, dass sie sich nicht damit begnügte, die Schüler für die Universität vorzubereiten, sondern letztere für zukünftige Lehrer, Theologen und Juristen teilweise zu ersetzen suchte. Diese, nach ihrem ersten Leiter Monheim benannte, Monheim'sche Schule« blühte gar bald unter Leitung dieses geistvollen Rektors, der, gleich ausge- zeichnet als Schulmann und Schriftsteller wie als Mensch und Christ, in wissenschaftlicher Hinsicht eine, geradezu Staunen erregende und für den Leiter einer grossen Anstalt so besonders wünschenswerte Vielseitigkeit besass. In den Lehrplan dieser siebcnklassigen Monheim'schen Schule, die zeitweise 1700 — 2000 Schüler zählte, wurden im Einklang mit dem, im 16. Jahrhundert erfreulicherweise fast allerwärts auftretenden Streben, den Realfächern im Plane einer höheren Schule einen bescheidenen Raum zu gewähren, neben Rechnen auch Mathematik und Naturlehre, sowie Naturbeschreibung, allerdings in aussergewöhnlichen Lektionen aufgenommen, da die Lektüre der Griechen und Römer und die Theologie doch noch alles zu sehr beherrschte. Der Haupt- vertreter für den mathematisch -naturwissenschaftlichen Unterricht mag wohl zunächst Monheim selbst gewesen sein, obschon seine Hauptfächer die gelehrte Theologie und die alten Sprachen waren. (Er wurde in seinen spätem Streitigkeiten mit den Kölnern von diesen gewöhnlich der Grammaticus Dussel- dorpiensis genannt.) Er lehrte, wie berichtet wird, Rechenkunst und Mathematik, Geographie und Astronomie und nach dem damaligen Standpunkte der Wissen- schaften aus allen Gebieten der Naturlehre und Naturbeschreibung, und dass dieser Unterricht bei ihm in sehr guten Händen war, geht wohl daraus hervor, dass ein Rechenbuch von Monheim noch im Laufe des 17. Jahrhunderts in Norddeutschland gebraucht wurde; ferner noch besonders aus der Thatsache, dass er 1542 — 1544 ein ziemlich umfangreiches Werk über das Gesamtgebiet der Natur, gleichsam einen Kosmos für die damalige Zeit, verfasste, wodurch er das Studium der Naturwissenschaften, das er für wahre Bildung als not- wendig erachtete, zu befördern suchte. Dieses Buch sollte für die Studierenden alles Wissenswerte aus der Natur, ihren Erscheinungen und Gesetzen enthalten. Gleichsam prophetisch für die Folgezeit weist Monheim hier öfters auf die Wichtigkeit der Naturbeobachtung für die Bildung des Menschen hin. Nicht lange sollte die Blüte der berühmten Landesschule dauern; zum Teil durch unfähige Persönlichkeiten in der Leitung und im Lehrkörper, zum grossen Teil auch in Folge der traurigen politischen Verhältnisse im Gross- — 42 — herzogtum Berg sank die Landesschule immer tiefer und zählte 15S1 unter dem unfähigen Gottfried Mühlmann (Mylander) kaum mehr 100 Schüler. Und es scheint gegen Ende des sechszehnten Jahrhunderts besonders mit den aussergewöhnlichen Lektionen in den mathematischen und naturwissenschaft- lichen Fächern schlecht bestellt gewesen zu sein; denn in einer, zuerst von Gustav Kniffler im 3. Jahrbuch des Düsseldorfer Geschichtsvereins abgedruckten Urkunde vom 27. Oktober 1600, in welcher der Bürgermeister und Rat viele Gebrechen der Schule aufdecken, heisst es unter Nr. 12: »Zudem, dass der Rektor sammt seinen Collegiis unter sich die Anordnung thue, dass dem alten Brauche und Schuldigkeit nach extraordinarie andere liberales artes publice gelesen und dociert werden, als namentlich in allen und jeden Wochen Musica 3 Tage, jedesmal eine Stunde, Arithmetica in zweien anderen Tagen und zum dritten Sphaera Prodi oder dergleichen auf einen anderen Tag oder Stunde!« b. Die Jesuitenschule 1621 — 1773. Im Jahre 1621 übernahmen die Jesuiten, welche in manchen rheinischen Städten vielbesuchte Schulen gegründet hatten, die Monheim'sche Schule und leiteten dieselbe bis zur Aufhebung des Ordens 1773, dann als Mitglieder der Kongregation 1773 — 1805. Mit dem Jahre 1621 erhielt also die Monheim'sche Schule den Lehrplan einer Jesuitenschule. In diesem Plane war natürlich für Mathematik und Naturwissenschaften nur wenig Raum; denn die Jesuiten- schulen verfolgten als obersten Zweck die Ausrüstung der Zöglinge für den Dienst der katholischen Kirche. Einem fünfjährigen Sprachenkursus folgte der höhere Lehrgang (studia superiora), der sich in das philosophische Biennium oder Triennium und das hiernach beginnende Studium der Theologie gliederte. In dem philosophischen Kursus war das zweite Jahr der Physik gewidmet, und mit dieser Wissenschaft verband man die Mathematik nach Euklid, Astronomie und Meteorologie. So wurde also 1621 zum ersten Male hier in Düsseldorf der mathematisch-naturwissenschaftliche Unterricht in den ordentlichen Lehr- plan einer Schule aufgenommen. Über den Anfang, in welchem dieser Unter- richt an den Jesuitenschulcn betrieben wurde, mag wohl die Bemerkung in etwas Aufschluss geben, dass der Unterricht durchschnittlich täglich 4 Stunden dauerte. Mit dem Unterrichte in Mathematik und Naturwissenschaften war ein besonderer Professor betraut. Von welcher Zeit an und in welchem Um- fange in den 5 unteren Klassen neben Sprachen Rechnen, Mathematik und Naturgeschichte getrieben wurde, lässt sich wohl nicht sicher feststellen. Man betrieb jedenfalls bei den Jesuiten den Unterricht in den Naturwissenschaften, besonders im 18. und am Anfange des 19. Jahrhunderts besser und in grösserem Umfange, als an den gelehrten Schulen des nördlichen Deutschlands. Dies scheint auch aus dem Umstände zu erhellen, dass man im Rheinlande erst — 43 — sehr spät das Bedürfnis nach einer Realanstalt verspürte. Denn während man an andern Orten Deutschlands schon im vorigen Jahrhundert eine ganze Reihe von Realanstalten eingerichtet hatte (die erste zu Halle unter dem Namen »Mathematische und mechanische Realschule« 1709), gab es bis in die Mitte der zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts in den Rheinlanden noch keine einzige Schule dieser Art; die erste am Rhein wurde 1825 zu Krefeld gegründet. Lieber die Professoren der Mathematik und Naturwissenschaften und die Art und Weise des Betriebes dieses Unterrichts speziell an der Jesuitenschule hier in Düsseldorf ist bis zum Jahre 1773 kaum etwas zu erwähnen. Wir wissen, dass im Laufe des 18. Jahrhunderts am ganzen Niederrhein in den Jesuitenschulen behufs richtiger und einheitlicher Erteilung des Unterrichtes Schulbücher vorhanden waren, welche das eigentliche Klassenpensum nach den verschiedenen Fächern enthielten. Ob noch solche für den mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterricht erhalten sind, ist zweifelhaft. Ein Buch, das auch Rechnen für die media grammatices classis« enthält, findet sich in der Bibliothek des Königlichen Gymnasiums zu Münstereifel. — Der Grundstein zu einem naturwissenschaftlichen Kabinett der Jesuiten- schule in Düsseldorf scheint schon frühe gelegt zu sein. Wenigstens finden wir in einem Berichte über eine Reise, welche der Freiherr von Vohenstein 1707 — 1709 durch Norddeutschland und Holland machte, folgende Stelle: »Nachdem besuchten wir das Collegium Jesuitarum, ein massives und schönes Gebäude, und kamen zu Herrn Pater Rektor Fernando Orbani, seiner Chur- fürstl. Durchlaucht Beichtvater, bey welchem wir ein besonderes Kunst- und Raritäten-Cabinet sahen, welches auss bisher ohnbekannten, von H. Pater Rektor selbst -inventirten instrumentis mechanicis, mathematicis , raren Uhrwerken, darunter ein perpetuum mobile auf etl. und neunzig Jahre gerichtet, chimicis, botanicis, naturalibus . , mineralibus, vasis peregrinarum gentium variisque illarum habitibus, armis, vestimentis, numismatibus und vielen anderen raren Dingen bestünde. Der Besitzer selbst ist ein gelahrter und in omni scibili versirter Mann, der täglich neue Maschinen erfindet und, wo möglich auch verfertiget. « In den uns erhaltenen Programmen und Einladungsschriften zu den öffentlichen Prüfungen der Jesuitenschule aus dem vorigen Jahrhundert ist be- sonders das Programm von 1761 für uns interesssant. Es enthält nämlich eine Aufzählung der am Schlüsse des Jahres 1761 für die Prüfung gestellten Aufgaben; da finden wir beispielsweise in der Arithmetik die Aufgabe, die Quadratwurzel aus 1 197 16 auszuziehen; aus den Naturwissenschaften ist keine Aufgabe gestellt, und überhaupt von ihnen in diesem Programm nirgendwo die Rede. — 44 — Während wir über den Lehrplan der Jesuitenschule nicht viel wissen, ist uns ein ausführlicher Lektionsplan für die untern Klassen der nach Auf- hebung des Jesuitenordens 1773 an die sogenannte Kongregation übergehenden Schule erhalten. (Die im Kollegium befindlichen Jesuiten verblieben nach 1773 unter dem Namen Kongregationisten in dem Lehrerkollegium.) Nach diesem Plane, der 1774 durch die Schulbehörde eingereicht wurde, sollten 4 Klassen statt der bis dahin an den Jesuitenschulen bestehenden 5 untern Klassen ein- gerichtet werden; für uns wichtig ist, dass in jeder der 4 Klassen, wenn auch in massigem Umfange, Rechnen oder Mathematik und Naturbeschreibung ge- trieben wurden. Wir finden in den Lehrpensen für die I. Klasse: Im Rechnen die Spezies und die Bruchzahlen; in der Geographie Kenntnis des Weltgebäudes mit den wichtigsten Teilen; die geo- graphischen Kunstwörter und das Allgemeine von Landkarten und derselben Verwendung ; für die II. Klasse, Syntaxis: Im Rechnen die goldene Regel; in der Geographie kommt man auf die Karten von Asien, Afrika, Amerika, auf die Völker, Landschaften, Flüsse, Städte, Gewerbe, Religion und Luft; für die III. Klasse, Poetica: Im Rechnen die gemeine Spezies der Algebra; in der Geographie: Karte von Europa, besonders Deutschland; für die IV. Klasse, Rhetorica : In der Rechenkunst die Algebra mit ihren Reduktionen; in der Geographie: Betrachtung der Erd- und Hinimels- kugel; in der Naturgeschichte die ersten Gründe; mithin in jeder der untern 4 Klassen Rechnen oder Mathematik und ein naturwissenschaftliches Fach. Die Zahl der Stunden, welche auf die einzelnen Fächer verwandt wurden, ist nicht angegeben. Während für die andern Fächer besondere Lehr- und Lesebücher und zwar meistens die opera des Goldhagen eingeführt waren, wurden für Mathematik und Geographie die Büchei den Lehrern überlassen, jedoch unter Approbation des Direktors der Studien. In dem erwähnten Lektionsplane sind die höheren Studien nicht einbe- griffen; indessen bestanden sie trotzdem fort, wie aus einer Bemerkung des Lehrplans hervorgeht. Ein Programm der Schule der Congregationisten, die damals offiziell den Titel führte: Electorale gymnasium Dusselanum«, vom Jahre 1778, ist uns wichtig, weil es die Aufgaben für die öffentliche Schluss- prüfung, die in den Naturwissenschaften gestellt wurden, enthält und uns dadurch einen Einblick gestattet in den Betrieb dieser Fächer. Es werden als Prüfungsgegenstände für die philosophische Klasse alle Zweige der Physik aufgeführt: besonders ausführlich die Mechanik der festen, flüssigen und gasför- migen Körper; dann ignis electricitas, lux, calor, Meteora aquea, endlich terra . Der in diesem Programm nun folgende Lehrplan sagt über Rechnen und Mathematik in den untern 4 Klassen: — 45 — I. Rhctorices classis superior : Institutio Algebraica : Praemissis de Reductione, Additione, Subtractione, Muliplicatione et Divisione Algebraica regulis ad analyticam problematum primi generis resolutionem gradum fecimus. II. Rhetorices classis inferior: vertimus arithmeticam universam. III. Grammatices classis superior : bei der Geschichte ist bemerkt : Quidquid otii supererat tum graecae linguae dabamus tum Arithmcticae«. IV. Grammatices classis inferior : Rechenkunst : man lehrte die Zahlen recht schreiben und aussprechen, wie auch die 4 Rechnungsarten in ganzen Zahlen. Es muss hier noch erwähnt werden, dass die seit 165 1 nach Düsseldorf übergesiedelten Patres minores recollecti ad S. Antonium, die sogenannten Franziskaner, im Jahre 1697 vom Kurfürsten die Erlaubnis erhalten hatten, ein Schedium philosophicum« (Logik, Physik und Metaphysik) zu lehren. Von dem Umfange und der Methode des Betriebes der Physik und der damit zusammenhängenden Fächer an dieser Franziskanerschule ist wohl kaum etwas bekannt ; es kann daher hier nur festgestellt werden, dass die Franzis- kaner von 1697 an ein volles Jahrhundert hindurch, wenn auch nicht ohne Unterbrechung, mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterricht er- teilt haben. c. Das anatomische Theater und die philosophische Fakultät. Neben den erwähnten Klosterschulen kommen für uns in Betracht die anatomische Lehranstalt und die philosophische Fakultät. Beide Einrichtungen sind unabhängig von den Klosterschulen hier in Düsseldorf im 18. Jahrhundert entstanden. Von der philosophischen Fakultät sind uns Einzelheiten erst vom Ende des 18. Jahrhunderts an bekannt. Nach dem Vorlesungsverzeichnis lehrte 1774 — 1777 Pater Arbosch Mathematik, 1778 — 1784 abwechselnd Pater Kiersten und Pater Dienhard Physik. 1785 lehrte der Pater Melchior Naturgeschichte. Ein botanischer Garten war auch damals schon vorhanden, an dessen Existenz die Orangerie-Strasse erinnert. Neben Naturgeschichte las Pater Melchior Arithmetik, Geometrie, Trigonometrie und Stereometrie viermal wöchentlich ; dreimal wöchentlich Experimentalphysik mit mechanischen, optischen, magnetischen und elek- trischen Versuchen. 1789 wurde auf Veranlassung eines Kurfürstlichen Hofkaplans und Stifts- herrn das physikalische Kabinett gegründet, welches mit den sämmtlichen Apparaten ausgestattet war, die in der Physik des Abtes Nollet beschrieben waren, und welche der berühmte Mechaniker Brander in Augsburg verfertigt hatte. Es fand seine Aufstellung im Kongregationshause. Das noch erhaltene Inventar vom Jahre 1789 führt 382 Nummern auf. Der Verwalter des Kabinets 4 6 nennt sich öffentlicher Lehrer der Naturkunde. Er begann seine für den Philosophen, Rechtsgelehrten, alle Klassen der Bevölkerung so erspriesslichen Vorträge über praktische Weltweisheit- am I. August 1791. Im Jahre 1790 gab es eine Sternwarte mit einem Lehrer der höheren Scherkunst«, aber öffentliche Vorlesungen über Astronomie zeigte er niemals an. d. Das grossherzogliche Lyceum. Die Jesuitenschule verschwand von der Bildfiäche, als 1803 durch den Reichsdeputationshauptschluss die Ordenshäuser und verwandte Einrichtungen aufgelöst wurden, lebte aber wieder neu auf in dem am 20. November 1805 gegründeten sog. Lyceum. In der Gründungsurkunde (Bibliothek des Königl. Gymnas.) dieses • Gross- herzoglichen Lyceums zu Düsseldorf heisst es zu Beginn: Mit höchster Ge- nehmigung des Churfürstl. Geh. Rates wird das Lyceum am Montag des 23. ds. (23. November 1805) unter den nachstehenden Bedingungen eröffnet werden: Der Unterricht in demselben erstreckt sich auf folgende Gegenstände in ver- schiedenen Klassen : ...... alte Geographie, reine Mathematik, Physik und Astronomie, neue Geographie, Naturgeschichte, gewöhnliches praktisches Rechnen.« Aus weiteren Akten der Jahre 1805 — 13 ist ersichtlich, dass an dem Lyceum das Rechnen in den untern Klassen aushilfsweise von einem Repetitor gegeben wurde; den Unterricht in der Naturgeschichte musste einer oder der andere Professor übernehmen, während für Mathematik ein ausserordentlicher Professor angestellt war, der den aufsteigenden Unterricht in allen Klassen besorgte. Es war dies der, wegen seiner Tüchtigkeit vielfach gerühmte Professor Brewer. Durch die uns erhaltenen Programme dieses Lyceums vom Jahre 18 10, 181 2 und 181 3 gewinnen wir einen Einblick in den Umfang, in welchem Mathematik und Naturwissenschaften an dieser Anstalt gelehrt wurden. Das Programm von 18 10 sagt uns über die behandelten Gebiete folgendes: »Obere Klasse, Mathematik (Herr Prof. Brewer). Algebra: Wir handelten von den Anfangsgründen der Buchstaben-Rechenkunst, von den Potenzen, der Ausziehung der Wurzeln, von den Proportionen und deren mannig- faltiger Anwendung, von den arithmetischen und geometrischen Reihen und beschlossen das Ganze mit der Lehre von den bestimmten Gleichungen des ersten Grades. Geometrie : Die Wissenschaft wurde bis zur Stereometrie vollständig nach Schmidts mathematischem Lehrbuche vorgetragen. Mittlere Klasse: Arithmetik (Herr Prof. Brewer). Die Lehre von den gewöhnlichen und Dezimalbrüchen; die Anwendung der letzteren auf 47 das neue Masssystem; die Lehre von den Verhältnissen und Proportionen nebst ihrer Anwendung auf die gerade und verkehrte, einfache und zu- sammengesetzte Regeldetri, Kettenrechnung etc., sowie die ersten Anfangsgründe der Buchstaben-Rechenkunst wurde den Schülern vor- getragen, und sie selbst durch häufige Beispiele in der Anwendung der Regeln geübt. Vorletzte Klasse: Naturgeschichte, allgemeine Übersicht der 3 Reiche, vorzüglich des Tierreiches. Arithmetik: Rechnungsarten der 4 Spezies in Brüchen. Vorbereitungsklasse: Arithmetik, Anfangsgründe derselben. Das Programm von 18 10 nennt uns also 4 Klassen, während wir in dem Programme von 1812 und 18 1 3 6 Klassen finden mit zum Teil ganz andern Lehrpensen. Das Programm von [812 sagt folgendes über den mathematisch- naturwissenschaftlichen Unterricht : 1. Philosophische Klasse: Reine Mathematik, Analysis, Geometrie, an- gewandte Mathematik, Statik, Hydrostatik, Aerostatik, Mechanik; Hebel, Schwerpunkt, Keil etc., Trägheit, Beschleunigung, Pendel, Wurfgesetze. 2. Erste Klasse: Quadrat- und Kubikwurzel, Gleichungen ersten und zweiten Grades, Logarithmen, doppelte Zinsrechnung. Geometrie : Lehre vom Kreise, Stereometrie und ebene Trigonometrie. 3. Zweite Klasse: Arithmetik, Dezimalbrüche, Proportionen, Regeldetri, Quadrat- und Kubikwurzel, arithmetische Reihe, Gleichungen I. Grades. 4. Dritte Klasse: Aus der Mathematik nichts; Naturkunde: Eigenschaften der Körper, Weltgebäude, Elemente, Elektrizität, Lufterscheinungen; ausführliche Beschreibung der Säugetiere und Vögel. 5 . Vierte Klasse : Naturgeschichte, Mineral-, Pflanzen- und Tierreich ; Arithmetik : die 4 Rechnungsarten in gewöhnlichen und Dezimal- brüchen; Verhältnisse, Proportionen. Regeldetri, Gesellschaftsrechnung, Kettenregel. 6. Vorbereitungsklasse : Arithmethik, Anfangsgründe nach dem Hand- buche des Herrn Prof. Brewer.« Aus dem Mitgeteilten ist ersichtlich, dass Mathematik und Natur- wissenschaften in einer recht gründlichen Weise betrieben wurden. In den Jahren von 1806 — 18 13 hielt Brewer mathematische und physikalische Vorlesungen an der philosophischen Fakultät; diese Vorlesungen wurden in dem Verzeichniss als "Privatvorlesungen im physikalischen Kabinet« bezeichnet; 1809/10 kündigt Brewer Privatvorlesungen über Mathematik und Experimentalchemie an. Ferner ist zu erwähnen, dass der Gartendirektor W. F Weyhe auf Begehren- von 1807 — 181 2 Vorlesungen über Kräuter während des Sommers Mittwochs und Samstags von 5 — 6 Uhr hielt. Weyhe 4 8 hat sich überhaupt um die Verbreitung botanischer Kenntnisse sehr verdient gemacht. Er war auch besonders bemüht, zu erreichen, dass regelmässige Unterweisungen in der Pflanzenkunde in den Volksschulen stattfänden. Im Jahre 1814 wurde das Lyceum aufgehoben und ein Gymnasium mit Sjährigem Kursus eingerichtet ; von diesem Zeitpunkte an sind wir zum ersten Male in der Lage, über die, den einzelnen Fächern eingeräumten Stundenzahlen genaueres angeben zu können. Es wurden verwandt auf Rechnen oder Mathematik in der untersten Klasse 4, in der vorletzten 3 Stunden, in -den übrigen Klassen je 2 Stunden mit Ausnahme der obersten Klasse, in welcher die Physik mit der Mathematik vereinigt gelehrt wurde unter dem Titel: »Physikalisch-mathematische Wissenschaften«. Aus dem angegebenen Lehrplan ist ersichtlich, dass damals den mathe- matisch-naturwissenschaftlichen Fächern auch an dem reformierten Gymnasium ein verhältnissmässig breiter Raum gewährt war; anderwärts wurde zur selben Zeit Mathematik in wöchentlich 2, Naturkunde in wöchentlich 1 Stunde gelehrt. e. Das Düsseldorfer Gymnasium seit 1815. Während bisher die Lehrpläne der einzelnen höheren Lehranstalten je nach der Neigung des Leiters und nach den örtlichen Verhältnissen sehr verschieden sein konnten, wurden sie unter preussischer Herrschaft mehr einheitlich eingerichtet, besonders in den zwanziger Jahren, und seit dieser Zeit machte denn auch das Düsseldorfer Gymnasium alle Wandlungen des preussischen Gymnasiums mit durch, so dass wir von dem Lehrplan der mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächer nicht mehr viel zu sagen brauchen. Es muss noch erwähnt werden, dass sich an dem Düsseldorfer Gymnasium ein für die damalige Zeit sehr umfangreiches naturwissenschaftliches Kabinett befand. Es war ja, wie bereits erwähnt, im Jahre 1789 ein physikalisches Kabinett an der philosophischen Fakultät gegründet worden; dieses ging mit in das neue Gymnasium über. Im Jahre 1803 wurde das Kabinett mit der Jesuitenschule in das Franziskanerkloster verlegt und von da kam es im Jahre 1831 in das neu- erbaute Gymnasium an der Alleestrasse. Ein im Jahre 1822 neu angefertigter Katalog dieses Kabinetts weist 296 Nummern auf, darunter sind 70 Nummern als seit 1789 neu angeschafft bezeichnet. Es war also in den dazwischen liegenden 33 Jahren nicht viel zum Ausbau und zur Vervollständigung des physikalisch-chemischen Kabinetts geschehen. Immerhin besass das Düssel- dorfer Königliche Gymnasium schon damals die nötigen Apparate, um die Hauptthatsachen der Physik und Chemie experimentell zu beweisen. Diese Experimente wurden aber, wenigstens in den zwanziger Jahren noch, nur der 49 — obersten Klasse vorgeführt, dieses allerdings in wöchentlich 4 Stunden; wahrend sich die anderen Klassen mit dem physikalischen Unterrichte ohne Experimente begnügen mussten. Als Leitfaden war für den Unterricht ein- geführt das Handbuch der Naturlehre« von Krics; dieses wurde später ersetzt durch den Leitfaden der Physik- von Trappe. Aus einer Abhandlung von Dr. B. A. Durst (Programm 1827): Leber die Methode des naturhistorischen Unterrichtes und den Nutzen desselben im allgemeinen entnehmen wir von Seite 3 folgendes über den Betrieb des naturgeschichtlichen Unterrichtes : Der Lehrkursus der Naturgeschichte ist auf 3 Klassen berechnet. Er beginnt in der Sexta mit einer allgemeinen Einleitung in das Gesammt- gebiet der Naturgeschichte, und an diese schliesst sich die Lehre von den Säugetieren. In der Quinta beginnt der Unterricht mit den Urtieren; an diese schliesst sich die Lehre von den Eingeweidewürmern, Ringelwürmern und Strahlentieren; dann Kerb- und Weichtieren, Fischen und Vögeln. In Quarta werden behandelt Mineralogie, Geognosie, Oryktognosic, Geologie ; ferner aus der Botanik botanische Terminologie, Physiologie und Geschichte der Botanik; Erklärung der 24 Klassen nach Linne. Als Hilfsmittel für den Unterricht diente der Leitfaden : Uebersicht der Naturgeschichte, erschienen bei J. E. Schaub, ferner in der Zoologie der naturhistorische Atlas von Goldfuss und das seit einigen Jahren angelegte Naturalienkabinett. In den fünfziger Jahren wurde noch Fürnrohrs Naturgeschichte gebraucht; diese wurde 1 862 ersetzt durch die Naturgeschichte von Schilling. > f. Die Realschule und die daraus sich entwickelnden Anstalten. In unserm Jahrhundert wurden bis zum Jahre 1838 -- abgesehen von den Vorlesungen an dem anatomischen Theater und der philosophischen Fakultät - - die mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächer nur an dem Gymnasium in dem bescheidenen Umfange gelehrt, den ihnen der Gymnasial-Lehrplan gewährt. Zwar hat es seit Beginn des 19. Jahrhunderts nicht an Augenblicken gefehlt, in denen man hoffen durfte, dass die Pflege der genannten Fächer in Düsseldorf einen breiteren Raum gewinnen würde. Schon Napoleon hatte, als er Düsseldorf zur Residenz des neugeschaffenen Grossherzogtums Berg wählte, mittelst Dekrets vom 17. Dezember 181 1 die Errichtung einer Universität mit 5 Fakultäten und einer Dotation von 1 14000 Frcs. verfügt und hierbei für Mathematik und Physik 3 Professoren vorgesehen. Die Vorbereitungen zum Feldzuge gegen Russland Hessen das Friedenswerk nicht zur Ausführung kommen. Nach der Besitzergreifung des Grossherzogtums Berg durch Friedrich Wilhelm III. gab dieser am 19. März 1819 die Verheissung eines polytechnischen Instituts; die Erfüllung blieb zwar aus, 5o aber immerhin geht aus dieser Verheissung hervor, wie der König selbst Düsseldorfs zukünftige industrielle Grösse vorausahnte und ihre Entwickelung beschleunigen wollte. Doch dauerte es noch bis in die dreissiger Jahre, bevor man in Düsseldorf zu der Ueberzeugung kam, dass es für das Unterrichts- bedürfnis der Stadt nicht ausreichend sei, in dem Gymnasium eine bewährte Bildungsanstalt für diejenigen zu besitzen, die sich einem gelehrten Berufe widmen wollten, sondern dass in einer Stadt, in welcher schon damals einige grössere Etablissements festen Fuss gefasst hatten und glückliches Gedeihen fanden, auch für diejenigen, welche in den Handels- und Gewerbestand über- gehen wollten, eine Anstalt zu gründen sei, welche ihnen eine angemessene Vorbildung zu geben vermöge. Nach Überwindung einiger Schwierigkeiten wurde am 28. Mai 1838 eine Realschule eröffnet mit den 3 unteren Klassen und den Winkel vor der Kammer der Haushälterinnen sollen alle Brüder zur Holz- und Kohlenniederlage benutzen«. Um diese Zeit dürfte im Aachener Bezirk der Kohlenbergbau schon im vollen Gange gewesen sein ; wenigstens werden in den aus dem XIV. Jahrhundert stammenden Stadtrechnungen Steinkohlen regelmässig als Be- heizungsmaterial für die der städtischen Verwaltung dienenden Räumlichkeiten aufgeführt. So wurden unter anderem Steinkohlen beschafft für die »domus civium« oder »domus consilii«, d. h. für das Gemeindehaus, ausserdem noch für das besondere Amtslokal der Bürgermeister »logium magistrorum civium.« Ueber die Art und Weise, wie in den frühesten Zeiten der Stein- kohlenbergbau betrieben worden ist, fehlen uns alle näheren Angaben. An einen regelrechten planmässigen Abbau in unserem Sinne konnte damals selbstredend nicht gedacht werden, die Auffindung der Kohlen hing vielmehr vom blossen Zufall ab, und war überhaupt nur dadurch ermöglicht, dass das eine oder andere Flötz zu Tage ausging. An solchen Punkten grub man die schwarzen Steine- aus, wie noch heute hie und da der Torf gegraben wird. Für diese Gewinnungsart spricht auch schon der Umstand, dass in den ältesten Urkunden die Kohlenbergleute immer nur als »Kohlengräber« be- zeichnet werden. Später, als jene Gruben beständig an Tiefe zunahmen, kam man ganz von selbst zum unterirdischen Bergbau, doch lässt sich heute nicht mehr mit Sicherheit feststellen, wann diese Umwälzung eingetreten ist. Dass diese Umwandelung indessen schon sehr früh vor sich gegangen sein muss, folgt daraus, dass in den Aachener Stadtrechnungen von 1333 — 54 bereits die Kosten für einen Wasserstollen verrechnet werden. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts dürfte der Gebrauch der Steinkohlen schon sehr verbreitet gewesen sein; so werden 1370 Steinkohlen unterer anderem im Zolltarif von Cochem an der Mosel aufgeführt. Einen Beweis für den grossen Wert, den die Schmiede bereits früh auf den Besitz der Steinkohlen legten, bildet die Nachricht der Dortmunder Chronik, dass während der grossen Belagerung im Jahre 138g »up sankt Reinoltznacht (6. Januarj die dortmundschen smede« über die Emscher gingen und » holden over 100 malder steinkollen Die älteste Nachricht über die Eschweiler Kohlengruben besitzen wir in einer Urkunde vom 28. Dezember des Jahres 1394, in welcher der Herzog Wilhelm von Jülich seiner Mutter, der Herzogin Maria von Jülich, unter anderen Ortschaften, Gütern, Gefällen und Rechten item den blyberg zu Kalle« und den koylberg zu Esschwylre mit allen nutze danaff kommende« als Wittum aussetzte. Den 13. Juli 1395 gestattete Herzog Wilhelm von Berg den Bürgern — 61 — des neuen Teils der Stadt Düsseldorf, als Beihilfe zur Anlage und Unter- haltung des Steinpflasters, der Brücken und anderer Notwendigkeiten daselbst, von jedem durchziehenden Fuhrwerke mit Steinkohlen eine Abgabe zu erheben und zwar: »van dem wahene stcynkoelen sess pennyncge Brab., van eyne karren steinkoelen drey pennyncge Brab.- l'm 1400 werden Steinkohlen auch in Duisburg vorübergehend als Brennmaterial genannt. Nach der handschriftlichen Dortmunder Chronik von I. Ch. B euer haus soll die För- derung im Gebiete der Stadt Dortmund 1443 ihren Anfang genommen haben. Fahne führt allerdings an, dass nach v. Ho evel 'sehen Familiennachrichten Tydemann v. Hoevel (1350— 1400) daselbst Kohlenbergwerke besessen habe; er macht jedoch keine weitern Angaben hierüber. Im 15. Jahrhundert scheinen die Es ch weil er Kohlenbergwerke von ziemlicher Bedeutung gewesen zu sein; es ist dies wenigstens daraus zu schliessen, dass sie in jener Zeit dauernd verpfändet waren. Dass der Mülheimer Steinkohlen- bergbau damals gleichfalls in lebhafter Entwickelung begriffen war, folgt aus einem im Jahre 1460 zwischen den Grafen von Limburg und Neuenahr abgeschlossenen Vergleich, welcher bestimmt: de gruyss im Kirchspiel Mülheim soll ein jeder zur Halbscheidt gemessen«. Auch der dortige Kohlen- handel, begünstigt durch die daselbst stets schiffbare Ruhr und die Nähe des Rheines, muss um jene Zeit geblüht haben. Um 1465 waren die Stein- kohlen ein regelmässiges Frachtgut der Rheinschiffer, wie dies aus den Zoll- rollen der Stadt Koblenz hervorgeht. 1475 werden die »Steinkoilen« als Gegenstand der Verproviantierung für den Kriegsfall in Köln genannt und dieselben um 1500 auch in einer Kölner Zollrolle aufgeführt. Unter den Waren, welche um 1489 Düsseldorf zn passieren pflegten, werden u. a. die Steinkohlen genannt. In dem Augenblick, als die Kohle anfing, Handelsartikel zu werden, wo sie also aus ihrem ursprünglich engbegrenzten Anwendungskreise heraus- trat, und der Kohlenbergbau demzufolge grösseren Umfang annahm, gewannen auch die berg rechtlichen Fragen allgemeinere Bedeutung. Bekanntlich bildete das Bergregal, das ist das Verfügungsrecht über alle in der Erde be- findlichen Erze und die übrigen sogenannten »vorbehaltenen Mineralien«, eines der Hoheitsrechte der deutschen Kaiser. Von diesen ging es teils durch die goldene Bulle, vom 25. Januar 1356 (Kapitel 9. § 1) oder durch besondere Verleihungen auf die Kurfürsten und andere Reichsstände über. Schon ziemlich früh richteten die deutschen Fürsten ihre Aufmerksamkeit auf die »schwarzen Diamanten«, doch wurde die Frage, ob die Steinkohlen ebenfalls zu den vorbehaltenen Mineralien gehören, nicht in allen Ländern im gleichen Sinne entschieden. Nach dem gemeinen deutschen Recht waren dieselben nicht zum Regal gehörig, doch wurden sie in manchen Gebieten, wie an — 62 — der Saar beispielsweise, schon sehr früh dem Verfügungsrecht des Landes- herrn unterworfen. Bereits ein » Schöffen- Weisthum« von Neu-Münster (bei Ottweiler) aus dem Jahre 1429 stellt in dieser Beziehung die Steinkohlen mit den Metallen auf gleiche Stufe. Es ist dies um so bemerkenswerter, als z. B. noch ein am 17. Juli 161 2 in Freiberg i. S. ausgestelltes Gutachten aus- drücklich erklärt, dass die Steinkohlen, wie Kalkstein und andere Flussmittel, nicht zu den vorbehaltenen Mineralien gehören. In demselben Jahre äusserten sich auch die massgebenden Personen der böhmischen Bergstadt Joachimsthal dahin, »dass Steinkohlen vor kein Metall noch Mineral zu achten«. In vielen Landesteilcn wurden die Steinkohlengruben nur als Steinbrüche < aufgefasst, weshalb auch einzelne der altern deutschen Berggesetze keine Bestimmungen über die Mineralkohlen enthalten. So wurden sie in der Jülich-Klevischen Bergordnung von 1542, in der Henneberger von 1566 und in der chur- sächsischen von 1589 nicht zu den vorbehaltenen Mineralien gezählt. Die Jülich-Bergische Bergordnung von 1719 nennt die Steinkohlen ebenfalls nicht besonders, spricht vielmehr neben den Metallen nur ganz allgemein von »Mineralien«. Noch im Jahre 1800 schrieb Danz in seinem »Handbuch des deutschen Privatrechtes" : »Steinkohlen enthalten weder ein Metall noch ein Mineral, hinterlassen in der Probe nichts, und können dieselben daher als unter dem Bergregal begriffen nicht geachtet Werden« Danz bezieht sich dabei offenbar auf Hertwigs Bergbuch, welches allerdings Seite 24i sagt: »Steinkohlen sind weder vor Metall noch eine Minerale zu achten und dürfen daher nicht gemuthet werden«; Hertwig greift seinerseits wiederum auf die »Bergurthel« von Sebastian Span zurück, welche 1636 veröffentlicht wurden. Auf den ersten Blick mag es vielleicht auffallend erscheinen, dass man über die Zu- gehörigkeit der Kohlen zu den vorbehaltenen Mineralien so verschiedener Meinung war; es wird dies aber sofort verständlich, wenn man bedenkt, dass man sich selbst bis in die neuere Zeit hinein über die wahre Natur jenes Brennstoffes noch nicht völlig klar geworden war. Wie sich der Steinkohlenbergbau bis zum 16. Jahrhundert im Ruhr- gebiet allmählich entwickelt hat, darüber fehlen uns alle nähern Nachrichten; doch können wir uns nach den aus andern Revieren vorliegenden Angaben wenigstens ein ungefähres Bild von der Art der damaligen Kohlengewinnung bilden. Von einer eigentlichen Bergbaukunst war auch in dieser Zeit noch keine Rede. Jeder Bauer grub vielmehr nach eigenem Gutdünken auf seinem Grund und Boden nach Kohlen und gewann davon, wo er sie just fand, soviel, als er gerade für seine Zwecke brauchte oder eben erlangen konnte. So kam es denn, dass oft mitten im freiem Felde, im Busch oder Wald »ein Kohlenberg« (kleiner Schacht, auch wohl »Pütt« oder »Pütz« genannt) an- - 63 - zutreffen war. Vielfach wurden die Zechen nur im Winter betrieben, wenn die Feldarbeit ruhte. Die ausgegrabenen Kohlen wurden in kleinen aus Weiden geflochtenen Körben nach Hause geschafft. Als Grubengeleuchte dienten anfangs Kerzen, später aus Thon gefertigte Oellampen. »Gegen das Jahr 1 500 , schreibt v. Velsen, »finden wir in unserem ganzen Bergwerks- bezirk die Gruben und Hütten in vollem Aufschwünge. Die früher spärlichen Nachrichten über den Steinkohlenbergbau mehren sich um diese Zeit hin- reichend, um erkennen zu lassen, dass von Mülheim bis in die Gegend von Unna in der Nähe der Städte, sowie in den Thälern der Ruhr und ihrer Nebenbäche, welche den gewerbreichen Theilen des Bergischen und märkischen Sauerlandes näher lagen, Steinkohlen gewonnen wurden. Sie werden jetzt bereits ein Gegenstand der fürstlichen Einkünfte.« Die Aebtissinnen von Essen und die Aebte von Werden waren schon sehr früh in den Besitz der Bergregalität gekommen und übten auch dieses Hoheitsrecht aus. Sie stellten Mut- und Schurfscheine aus, erteilten Konzessionen und forderten den Zehnten oder einen Teil der gewonnenen Ausbeute. Die Aebte von Werden trieben entwedes für eigene Rechnung Kohlenbergbau, nahmen auch wohl Mitgewerken an oder belehnten Andere damit. Die ältesten Urkunden hierüber reichen bis 1520 zurück; von diesem Jahre an trug der sehr sparsame Abt Johann V. (15 17 — 1540) jährlich den Kohlenzehnten in das Empfangsbuch ein. »Dass vor dieser Zeit überhaupt die Ausbeutung der Steinkohlen als Gegenstand der Belehnung im Ruhrgebiet nicht vorkommt,« sagt Wilhelm Grevel, der beste Kenner der hiesigen Industriegeschichte, »deutet darauf hin, dass mit denselben hier kein eigent- licher Handel getrieben und eine Einnahme nicht erzielt wurde. Sobald dieser Fall mit dem 16. Jahrhundert eintrat, als sich die Industrie der Kohlen be- mächtigte, wird der Bergbau kunstgerecht betrieben und schenkt man der Ausbeutung der Fossilien grössere Aufmerksamkeit auch seitens der Landes- obrigkeiten. « Der Zehnte wurde entweder verpachtet, oder durch den Zehntvogt, der eine eigene Behörde darstellte, erhoben. Wie gering der Ertrag desselben damals noch war, geht aus der ersten Eintragung Johanns V. hervor, welche lautet: »1521 durch den Schreiber Hermann und den Jäger Heinrich habe ich III Goldgulden aus dem Kohlen-Zehnt erhoben.« Unter der mildern Re- gierung der Aebtissinen von Essen sind die fälligen Gebühren nicht immer ganz regelmässig bezahlt worden, und kamen oft Unterschleife vor. Im Stift Essen wurden die Verleihungen ganz wie Belehnungen mit einem liegenden Gute behandelt, so dass, während in andern Ländern die Bestätigung der Mutung genügte, um das Grubeneigentum zu erlangen, hier die Leistung eines Lehneides, die Ausfertigung eines förmlichen Lehnbriefes und ein von — 64 — dem Lehnträger ausgestelltes Lchnversal erfordert wurde, auch die Erneuerung sowohl beim Absterben einer Fürst-Aebtissin als auch bei dem des jedes- maligen Lehnträgers nachgesucht werden m'usste. Im übrigen lauteten die Belehnungen nicht auf ein bestimmt begrenztes Feld, sondern auf einige in demselben näher bezeichnete Flötze, und waren so die Quelle fortwährender Streitigkeiten unter den benachbarten Gruben. Die stiftischen Behörden kümmerten sich nicht weiter um den Betrieb der Gruben, als dass sie den Kohlenzehnten einzogen, was ihnen nicht einmal immer gelang, da dies der westfälische Bauer als einen Eingriff in seine ererbten Hofrechte erachtete, der Adel wusste sich ohnehin davon zu befreien. Im Gegensatz zu Essen und Weiden durften im Stift Rellinghausen und der Herrschaft Biefang die Steinkohlen nur vom Grundeigentümer, von diesem aber ohne Konzession und Abgaben gewonnen werden. In den Herrschaften Broich und Hardenberg, sowie in der Grafschaft Mark galt ursprünglich die Bergordnung vom 27. April 1542, von Herzog Wilhelm IV. dem Reichen von Klcvc-Jülich-Berg erlassen. Im Gebiet der Städte Dortmund und Essen hat der Magistrat ursprünglich den Zehnten erhoben. In der Grafschaft Mark wurde die Regalität des Steinkohlen- bergbaues gleichfalls streng gehandhabt. Im 16. Jahrhundert schenkte man auch den rheinischen Kohlen- lagern erhöhte Aufmerksamkeit. So ist ein Revers des Johann v. Holt und des Hans v. Wildenburg, Bürger zu Köln, ausgestellt am 14. August 1549 zu Kaiserswerth, bekannt geworden, wonach denselben von dem Kur- fürsten Adolf von Köln die Beigbaugerechtigkeit in den Aemtern Brühl und Poppeisdorf, sowie in der Gemeinde Westum (bei Sinzig) verliehen wird, mit der besondern Befugnis, Kohlengruben anzulegen. Gegen Ent- richtung des Zehnten soll den Bergbautreibenden das erforderliche Holz frei geliefert werden. Die Erfolge des blühenden Mülheimer Kohlenbergbaues erregten den Neid der Duisburger Stadtväter, denn der Rath jener Stadt Hess im Herbst des Jahres 1561 den Meister Simon herbeirufen, um im Duisburger Walde auf Kohlen zu schürfen. Die hierzu erforderlichen Gerätschaften, im Preise von 57 Gulden, wurden aus Mülheim bezogen. Leider hatten die Schürfarbeiten, die Meister Simon mit seinen zwei Gesellen, »berchwerkers« oder »gravers« genannt, vollführte und die insgesammt 120 Gulden kosteten, nicht den geringsten Erfolg. Nichtsdestoweniger wurden, wie ich gleich hier bemerken will, 1705, 1728 und 1746 von Privatleuten neuerliche Schürfungen im Duisburger Walde angestellt, die aber gleichfalls ohne Erfolg waren, nur bei dem letzten Versuche wurde » etwas von einer der Kohle gleichkommenden Materie gefunden, aber sehr tief und noch tiefer als der nicht weit davon 65 fliessende Ruhrstrom.« In den früher genannten Revieren hatte dagegen die Kohlengewinnung bedeutende Fortschritte gemacht, in anderen Landesteilen wurden gleichfalls immer neue und aber neue Kohlenvorkommen erschlossen. 1466 wurden die Steinkohlenlager bei Wettin aufgefunden, als man nach Kupferschiefer schürfte; 1527 wurde die Steinkohle bei Osnabrück entdeckt; 1540 erschloss man die berühmten Kohlenlager des Plauen'schen Grundes; 1569 werden die Kohlengruben im kaiserlichen freiweltlich-adligen Damen- stift Rellinghausen genannt, in das Jahr 1594 fällt die Entdeckung der schlesischen Steinkohlenflötze in der Reichenbacher und Frankensteiner Gegend. Um 1595 wurde im Dillenburg'schen in geringem Umfang Braunkohlenbergbau getrieben. Ein Jahr später Hess Friedrich I. von Württemberg ein Stein- kohlenbergwerk in Mittelborn bei Eschbach eröffnen, um für seine Schwefel- und Alaunhütte zu Frickenhofen Material zu gewinnen. Die Steinkohlen wurden, wie bereits mehrfach erwähnt, in der ersten Zeit nur zum Schmieden, dann in geringen Mengen als Brennmaterial für • Stubenöfen und zum Kalk- und Ziegelbrennen benutzt; demgemäss unterschied man schon frühzeitig Brand-, Kalk- und Schmiedekohlen. Noch später wurden sie auch in der Eisen- und Glasfabrikation, sowie zum Salzsieden, Bierbrauen und zum Branntweinbrennen verwendet. 1537 wurde, um >dat Blydack (der Bochumer Kirche) to solderen (zu löthen), to Langendreer 1 Kaer Kaien gekauft, zu 19 albus«. Die Duisburger bezogen um 1588 und 1630 zum Heizen ihrer Rats- kammer und Wachtlocale Steinkohlen von Essen oder Mülheim. 1558 wurden letztere im Koblenzer Zolltarif erwähnt (von 1 Ctnr. Steinkohlen mussten 24 Albus entrichtet werden). Gegen Ende des 16. Jahrhunderts wurden sie in Düsseldorf und Köln häufig als Brennmaterial genannt. Später ergingen sogar von höchster Stelle aus in Düsseldorf wiederholt scharfe Rügen, wenn die Residenz mit dem schwarzen Brand« nicht gehörig versehen wurde. 1587 setzte Herzog Wilhelm für das Fürstenthum Kleve- und die Graf- schaft Mark eine »Axcyss« auf Kohlen fest, und zwar sollte »van yederm wagen Steinkaien, smitkalen und holtzkalen drei albus, Item van einer karren derselben kaelen ses heller« entrichtet werden. Das vorhandene Holz reichte infolge der zunehmenden Bevölkerung in den Städten und der sich immer mehr ausbreitenden Industrie nicht mehr aus und war gegen früher gewaltig im Preise gestiegen. Vor dem 30jährigen Kriege war es allerdings noch immer billiger als der sogenannte -schwarze Brand«, 1593 schrieb die Fürst-Äbtissin von Essen, dass sie aus »Mangel an Holz die teueren Steinkohlen habe kaufen müssen . Nach dem 30jährigen Kriege standen dagegen beide Brennstoffe gleich im Preise, aber die Holz- bestände waren bedenklich gelichtet. 1659 schreibt der Magistrat von Bochum, — 66 — »es reiche das Holz im Stadtgehölze nicht mehr aus, dass alle Bürger Gaben bekommen könnten.« Die damaligen ungeheuren Kachelöfen waren sowohl zum Holz- als zum Steinkohlenbrand eingerichtet. Im Betrieb der Steinkohlengruben hatte sich, als die Ausbisse der Kohlenflötze abgebaut waren und die Betriebsführung der Gruben wegen der mit zunehmender Tiefe in grössern Mengen auftretenden Grubenwässer auf nahezu unüberwindliche Schwierigkeiten stiess, die schon oben angedeutete Umwandlung vom offenen Tagebau in den unterirdischen Abbau der Flötze ganz von selbst vollzogen. Bei diesen wurden über der Thalsohle in den Kohlen führenden Berg Stollen getrieben, und mit letzteren so viele Kohlen abgebaut, als ohne augenscheinliche Gefahr zu gewinnen waren. Diese wenn auch verhältnissmässig einfachen, so doch schon immerhin mehr Zeit und Geld erfordernden Baue konnte der Einzelne nicht mehr ausführen, es thaten sich daher mehrere »Köhler' zusammen und bildeten unter sich eine .Gewerk- schaft« Unausbleibliche Zwistigkeiten unter den Gewerken führten bald zu verbrieften Verträgen. So findet sich bereits eine notariell abgeschlossene und von der Fürst-Äbtissin Irmgard bestätigte »Ordnung, Verkörung und Contract der Societät der Köhlers auf der goiss« vom 15. April 1575. Es ist dies eine freiwillig vereinbarte Bergordnung, die bei bestimmt festgesetzten Strafen anordnete, dass jeder Mitgewerke von 6 Uhr früh bis 6 Uhr Abends bei der Arbeit sein und keinen Feiertag« machen solle, -»wer mutwillig aus- bliebe oder bei dem Drinken und Sauffen wäre, soll duppelt geben« Zank und Streit werden mit 5 Thlr., Kohlendiebstahl bei Gewerken mit 10 Thlr. bestraft. »Wir sehen also hier,« sagt v. Velsen, »schon ziemlich entwickelte Societäts- Verhältnisse, die einen nicht unbedeutenden und bereits länger betriebenen Bergbau voraussetzen«. Wie geringfügig indessen einzelne dieser »alten Baue« waren, geht aus folgenden Angaben deutlich hervor. 1656 berichtet der Kellner (Rentmeister) des Amtes Angermund, dass in der Herrlichkeit Oefte auf einem Steinkohlenberg »zwei arbeitsleute in täglicher Arbeit« Kohlen graben. Dagegen waren die Kohlengruben bei Angermund »vergenglich worden, aus Ursachen, als man vom Wasser be- hindert worden«. 1695 wurde im »Richrader Berg« von den Gewerken einen Tag um den andern gekohlt. Es ward auf der Kanzlei (zu Werden) ver- ordnet, »dass sie hinfüro insgesammt kohlen, einen tüchtigen Meister annehmen und täglich wenigstens 4 Karren Kohlen ausgewinnen sollten«. Während früher der Kohlengräber gleichzeitig Eigentümer der Grube war, und später die Gewerken selbst Kohlengräber, hatte sich im Laufe der Zeit und mit zunehmendem Umfange der Grubenbaue ein anderes Verhältnis herausgebildet. Zwischen den Eigentümern der Gruben, den Gewerken, einerseits und den Bergarbeitern, «Köhlern» auch «Knechten» genannt, ^ 67 - anderseits, steht nunmehr der «Meisterknecht oder «Werkbas., ein mit- arbeitender Steiger. Die Leitung der über Tage auf der Grube vorkommen- den Geschäfte besorgte der «Schichtmeister», dem nach vollführter Arbeit jeder Bergmann seine Schicht angeben musste, und von dem er alle 14 Tage seinen wohlverdienten Lohn erhielt. Der Schichtmeister leitete auch den Kohlenverkauf und führte überhaupt die Grubenkasse. Während man es in der Grafschaft Mark schon 1542 angezeigt fand, einen besonderen Bergvogt und Bergmeister« anzustellen, gab es in Essen und Werden um jene Zeit noch keine besonderen Aufsichtsbeamten für den Bergbau, wohl aber war ein Aufseher, der »geschworene Kohlenzehnt- Aussnehmer« oder kurz » Zehntläufer« genannt, vorhanden, der für die richtige Abtragung des Zehnten zu sorgen hatte. Der unheilvolle 30jährige Krieg mit seinen verheerenden Nachwirkungen hat die Entwicklung unserer gesammten Industrie sehr ungünstig beeinflusst. Der grosse Kurfürst bot daher alles auf; um sowohl das Ansehen, als auch die Einnahmen seines Landes wiederum zu heben. Johann Moritz, Fürst von Nassau - Siegen, der von 1647 — 1679 Statthalter von Kleve, Mark und Ravensburg war, bemühte sich nach besten Kräften, das Wohl der ihm unterstellten Landesteile zu fördern. In erster Linie wendete er dem arg darniederliegenden märkischen Kohlenbergbau seine volle Aufmerksamkeit zu. Er beauftragte demgemäss den Bergmeister Hans Kutschaue r festzustellen, an welchen Punkten neue Gruben mit Aus- sicht auf Erfolg anzulegen wären. Im Jahre 1664 fand dieser im Amt Hoerde, wo schon seit 1620 und noch früher Steinkohlenbergbau betrieben worden war, eine ganze Reihe abbauwürdiger Steinkohlenbänke. Mit Patent vom 30. Juni 1681 wurde ein Oberbergvogt « zu Schwerte ernannt, der den Bergbau zu überwachen, bei den Löhnungen anwesend zu sein und für den richtigen Eingang des Zehnten zu sorgen hatte. Sein Einkommen bestand in einem Gehalt von 30 Thlrn., dem zehnten Teil des Zehnten von Privat- gruben und einem Viertel der Strafgelder. »War es unter dem grossen Kurfürsten eine Nothwendigkeit gewesen«, sagt v. Velsen , -dem verarmten Lande und der vernichteten Industrie durch alle staatlichen Mittel aufzuhelfen, und war der Erfolg auch nicht ausgeblieben, so konnte das System der Bevormundung und des Ausschlusses des fremden Wettbewerbs, dem auch seine Nachfolger, namentlich Friedrich Wilhelm I. und Friedrich der Grosse huldigten, doch die Kräfte des Landes nicht voll entwickeln. Mochten die Bergbehörden bei der Anlage neuer Bergbaue neben der polizeilichen Konzession auch ihren technischen Beirat erteilen, — es fehlte jenes frische Leben, welches allein die Industrie dauernd zu erhalten und in Krisen zweck- mässig umzugestalten weiss.« — 5* — 68 ^ Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts machte der Steinkohlen- bergbau nur verhältnismässig geringe Fortschritte; derselbe blieb auch ohne sonderliche Bedeutung, weil, abgesehen von den Industrie- Gegenden, noch hinlänglich Brennholz vorhanden war, und die Verkehrs- verhältnisse gar sehr im Argen lagen. Sehr lange Zeit musste der «Köhler« die Kohlen, welche er aus der Tiefe der Erde herausgehaspelt hatte, selbst mit der Schubkarre in die benachbarten Städte fahren, wo er für die Karre meist einen Stbr. Trinkgeld bekam. Später gab es allerdings in den Städten eigene Kohlenfuhrleute, welche gewerbsmässig das Brennmaterial auf Pferde- karren verfrachteten und verkauften. Im übrigen Lande aber war es nicht möglich, den Kohlentransport in Wagen vorzunehmen, das besorgte vielmehr der »Kohlentreiber« L. Berger giebt in seinem Buche: »Der alte Harkort« hierzu folgende Erklärung: »Der Kohlentreiber war Eigentümer eines kleinen im Walde belegenen Kottens, der ihm für 3 — 4 elende Pferde dürftiges Futter lieferte. Mit diesen zog er bei Tagesanbruch zum nächstgelegenen »Pütt«, um hier jedem der Tiere einen mit etwa 2V2 — 3 Cntr. Kohlen gefüllten Sack auf den mageren Rücken zu laden und sie dann gemeinsam mit denen seiner Nachbaren gleich einer grossen Kameel- Karawane der Wüste, unter unzähligen Flüchen und Schlägen und bei unerhörtem Schnaps- genuss den meistens mehrere Meilen entfernten Hämmern des Grossherzog- tums Berg, des Sauer- und Siegerlandes zuzutreiben.« Die Erinnerung an jene wüsten Gesellen hat sich bis auf unsere Zeit erhalten, da man noch heute in einigen Gegenden zu sagen pflegt: »Er flucht wie ein überruhr'scher Kohlendriever (Kohlentreiber.)- Freilich hat die Zeit auch Manches umge- staltet, seitdem lange Reihen von Fuhrwerken mit ihrem melancholischen Schellengeläute die Landstrasse belebten, und die »Karrenbinder« den »schwarzen Brand« aus dem engen Ruhrthalc in 's gewerb fleissige Wupperthal zu den Städten Elberfeld, Barmen, Remscheid, Lennep u. s. w. beförderten. Neben den Kohlentreibern waren es vornehmlich die Mülheimer Ruhi- sch iff er, welche damals mit ihren Nachen für die Verbreitung der heimischen Kohlen in der Nähe sorgten; grössere Kohlenschiffe brachten dieselben dann am Rhein stromauf- und abwärts. Ausser Mülheim a. d. Ruhr galt Hattingen, wo bereits im 16. Jahrhundert Kohlengruben bestanden, stets als Hauptplatz für den Steinkohlenhandel. Daneben gab es von der Grenze Essens bis unterhalb Werden an beiden Ufern zahlreiche Stein- kohlenniederlagen, d. h. grosse Magazine, um bei ungünstigem Wasser- stand und Frostwetter die Kohlen dort aufstapeln zu können. Unter den geschilderten Umständen konnten nur jene Gruben, die in der Nähe der Ruhr lagen, mit Vorteil betrieben werden. Erst unter Fried- rich des Grossen thatkräftiger Regierung wurden durch die Verbesserungen - 69 - der Wege, die Anlage von Chausseen, die Einrichtung regelmässiger Kohlen- fuhren nach dem Rhein und später durch die Schiffbarmachung der Ruhr bessere Absatzverhältnisse geschaffen. Die Bedeutung der Ruhr als Wasser- strasse hatte schon Herzog Wilhelm von Kleve erkannt, und ein eigenes v Ruhrrecht« festgestellt. Den ersten Plan zu ihrer Schiffjbarmachung und Regulierung hatte dagegen der grosse Kurfürst gefasst. Allein erst nach- dem Bergrat Decker 1736 von neuem auf die Wichtigkeit jenes Unter- nehmens hingewiesen, legte 1738 der Gewerke A. Hünninghaus einen Plan hierzu vor, dessen Ausführung indessen an dem Widerstand des Abtes von Werden und des Besitzers der Herrschaft Broich scheiterte. Dagegen begann 177° der Kaufmann W. Engels aus Kettwig in Verbindung mit dem Kaufmann I. H. Brockhoff aus Essen, die Werden'schen Kohlen zu Schiff nach Kettwig zu fahren, um sie von dort ins Bergische zu schaffen. Zwei Jahre später wurde auch damit begonnen, märkische Kohlen auf der Ruhr zu versenden. Da es aber damals noch keine Schleusen gab, so mussten die Kohlen bei jeder Mühlenschlacht (Stauwehr) umgeladen werden, sodass das Brennmaterial als Staub am Rhein ankam. — Es würde zu weit führen, wollte ich an dieser Stelle aut die Schiffbar- machung der Ruhr näher eingehen: 1781 waren endlich sämtliche Schleusen fertiggestellt, der Fluss also für den Massentransport vorbereitet, und damit auch der erste Schritt gethan, die Ruhrkohlen in den Welt- handel zu bringen. Seinen grössten Aufschwung aber hatte der Kohlenbergbau erst nach der Einführung der Dampfmaschine genommen. Schon hatte James Watt seine ersten grossartigen Erfolge gefeiert, schon war ein Widerschein der Morgenröthe jener »neuen Zeit« zu uns herübergedrungen, noch ein Schritt weiter, und sie selbst brachte auch uns neue Arbeit und neues Leben; »Vom müden Saumross, das sich wund getragen, Nahm sie das Joch und schirrt vor ihren Wagen Den Dampf, den wilden Riesen an«. Literaturzusammenstellung;. G. Baum: Städtebuch III. Band 1 58 1 . M. Merian: Topographia West- phaliae. 1654. Sebastian Span: Sechshundert Bergurthel. 1673. Sebastian Span: Speculum juris metallici, oder Berg-Rechts-Spiegel. 1698. Christoph Hertwig: Neues und volkommencs Bergbuch. 1734. G. W. Bartholdus: Von denen Rechten der Stein-Kohlen« 1742. Joh. Diederich von Steinen: Wertfälische Gesch. III. Th. 1757. Theophrastus: Von den Steinen. Übersetzt von A. H. Baumgärtner, 1770. Ch. Borheck: Archiv für die — 7° — Gesch., Erdbeschreibung u. s. w. der deutschen Nieder-Rheinlande. I. Band 1800. W. A. F Danz: Handbuch des heutigen deutschen Privatrechts. II. Band 1800, I.L.Jordan: Mineralogische, Berg- u. Hüttenmännische Reisebemerkungen. 1803. F. A. A. Eversmann: Uebersicht der Eisen- und Stahlerzeugung etc. in den Ländern zwischen Lahn und Lippe. 1804. Pet. Fr. Jos. Müller: Gesch. der Stadt Werden. iSo4. Staatsrechtliche Untersuchungen über die Gewalt der neuen Regenten in den säcularisierten Reichslanden. 1805. I. D. Engels: Über den Bergbau der Alten in den Ländern des Rheines, der Lahn und Sieg. 1808. H. A. Mündel: Wegweiser Düsseldorfs, statistisch - topo- graphisch-histor. Darstlg. v. Düsseldorf etc. 1817. I. I. Scotti: Gesetze und Verordnungen im Herzogtume Cleve und in der Grafschaft Mark. I — IV. 1826. Darstellung des Rechtsstreites zwischen den Gewerken Pörtingssiepen und den Gewerken der Zeche Oberschmalscheid. 1827. Franz Carl Ludwig Meyer: Werden und Helmstädt. 1836. I. G. v. Viehbahn: Statistik und Topographie des Regierungsbezirks Düsseldorf I. Teil. 1836. L. 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(»Glückauf« 1867 Nr. 19.) Otto v. Mühl- mann: Statistik des Regierungsbezirks Düsseldorf. II. Band. 1X157. H. Achen- bach: Gesch. der Cleve-Märkischen-Berggesetzgebung und Bergverwaltung bis zum Jahre 1815. 1X69. Heinrich Veith: Deutsches Bergwörterbuch mit Belegen. 1X70. Th. I. Lacomblet: Urkundenbuch für die Gesch. des Nieder- rheins. 1858. Müldener: Zur Gesch. der Steinkohle. (»Glückauf« 1872. Nr. 91 Jahrbuch des Vereins von Alterthumsfreunden. Heft 53. 1873. Michel: Zur Geschichte der Kohlenbergwerke im Wurmrevier. 1873. Hugo Loersch: Die Rechtsverhältnisse des Kohlenbergbaues aus dem Reich. 1873. H. Mietzsch: Geologie der Kohlenlager. 1875. Die Steinkohlen des Ruhr- gebietes. III. Auflage. 1X76. A. Gurlt: Bergbau- und Hüttenkunde. 1877. H. Wagner: Chronologische Übersicht der Betriebs-Perioden und der her- — 7i — vorragenden Momente beim Steinkohlenbergbau des Bergreviers Aachen. 1876. W. Forschepiepe: Führer durch die Rheinisch-Westfälische Bergwerks- industrie. 1880. 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Berger: Der alte Harkort. 1891. Festschrift der XXXII. Hauptversammlung des Vereins deutscher Ingenieure. 1891. Klanke u. Richter: Gesch. der bergischen Unterherrschaft Broich sowie der Stadt Mülheim a. d. R. 1891. M. Reulss: Mitteilungen aus der Gesch. des königlichen Oberbergamtes Dortmund und des Niederheinischen Bergbaues (»Zeitschrift für Berg-, Hütten- und Salinen- wesen im preussischen Staate« 1892). Festschrift für die XXXIV. Haupt- versammlung des Vereins deutscher Ingenieure. 1893. Av.erdunk: Gesch. der Stadt Duisburg. 1894. C. Bardenheuer: Gesch. der Zeche ver. Hoff- nung und Secretarius. 1894. Beiträge zur Gesch. der Gewerkschaft der Zeche ver. Sälzer und Neuack in Essen. 1892. (Manusk.) Beiträge zur Gesch. des Niederrheins. VIII. Band. 1894. Franz Darpe: Gesch. der Stadt Bochum. 1S94. H. Bardenheuer: Ueber Nebenindustrie beim Steinkohlen- bergbau. (»Der Bergbau« 1895 Nr. 27.) Festschrift zur XXXVI. Hauptv. d. Vereins d. Ingenieure, Aachen 1895. Stockfleth: Geschichtliche Mit- teilungen über den Bergbau in der früheren Grafschaft Mark. (»Der Berg- bau« 1895 IX. Nr. 10.) AI th üser: Die geschichtliche Entwickelung des Bergbaues in Bochum und Umgegend (»Der Bergbau« 1896 Nr. 28). Der neue Rheinhafen zu Düsseldorf. 1896. W. Grevel: Der Kohlberg an der Glashütte zu Königssteele (Beiträge zur Gesch. von Stadt und Stift Essen). 1896. Bergbauliche Bilder von der südlichen Ruhr. (»Der Bergbau« 1897. Nr. 10.) F. Büttgenbach: Der erste Steinkohlenbergbau in Europa. 1898. F Bütt- genbach: Geschichtliches über die Entwickelung des 800jährigen Steinkohlen- bergbaues an der Wurm. 1898. H. A. v. Kamp: Das Schloss und die Herr- schaft Broich. I. Teil. 1851. Ingenieur Otto Vogel. — 72 — VIII. Bergbau und Hüttenbetrieb im Bergischen. I. Bergbau auf Blei, Zink und andere Erze (ausser Eisenstein). Während der Geschichtsschreiber eines Landes sich sonst naturgemäss an dessen frühere oder jetzige politische Grenzen gebunden erachtet, dürfte es für eine historische Skizze zu »Bergbau und Hüttenbetrieb im Bergischen« geboten erscheinen, etwas über das alte Herzogtum Berg hinaus die drei Bergreviere Werden, Deutz und Ründeroth in's Auge zu fassen, denn diese bilden für uns weit eher ein einheitliches Ganze, als jenes, das für unsere Betrachtung wirtschaftlichen Lebens keine Abrundung bieten würde. Die historische Durchforschung der drei genannten Bergreviere ist übrigens, wie vorangeschickt werden mag, für einen Lokalhistoriker die denkbar erfreulichste Aufgabe, da sie ihn zu den interessantesten Anfängen heimatlicher Kultur- arbeit zurückleitet und ihm durchgängig ein Bild des regsten, oft bedrohten und behinderten, aber nie ermüdenden Erwerbsfleisses zeigt. Der Beginn des Erzbergbaues im Bergischen Lande dürfte schon deshalb nicht später, al» in dem benachbarten Sieger- und Sauerlande anzusetzen sein, weil auch hier die verschiedenen Gebirgsschichten durch Thaleinschnittc vielfach und in mannigfachen Schnittflächen freigelegt sind, so dass die eingesprengten Erze verhältnismässig leicht aufzufinden waren. Dass in der That am Rhein und in benachbarten Gegenden schon zur Römerzeit Bergbau getrieben wurde, beweisen die, mehrfach in alten Bauen gemachten Funde römischen Ursprungs, und statt archivalischer Daten, dk freilich fehlen, zeugen die überall verstreuten, zahlreichen Pingenzüge von dem hohen Alter geregelter bergbaulicher Thätigkeit. Die noch an manchen Stellen dieser Pingenzüge erhaltenen Bleiglanz- stufen geben zugleich über den Hauptgegenstand des damaligen Erzbergbaues Aufschluss. Weiterhin hat die neuerliche Wiederaufnahme des Betriebes in längst verlassenen Bergwerken den Beweis erbracht, dass das Fehlen des Pulver:; unsere Vorfahren nicht verhindern konnte, den Bergbau zur Blüte zu bringen, denn man ist auf Stollen und Strecken gestossen, die ganz offenbar mit Schlägel und Eisen, ohne jegliche Sprengarbeit, aufgefahren sind. Solche Über- reste früherer Thätigkeit fand man z. B. auf den Gruben Prinz Wilhelm, Emanuel und Ferdinande in der Umgebung von Velbert. In der Grube Prinz Wilhelm entdeckte man in den fünfziger Jahren unseres Jahr- hunderts einen nicht weniger als 266 Lachter (556 Meter) langen Gang, der bis zu 27 Lachter (56 Meter) Tiefe ging -- eine Ausdehnung, welche doch sicherlich ein Zeichen dafür ist, dass es sich hier nicht um blosse Ver- — 73 — Suchsarbeiten, sondern um einen regelrechten Bergbaubetrieb gehandelt hat. Auch konnte man bei der Wiedereröffnung der Grube Apfel im Oberbergischen ermitteln, dass dieser älteste Bergbau sich schon bis unter die Thalsohle erstreckte. In der Grube Lüderich bei Immekeppel fand man neuerdings in alten mit Schlägel und Eisen ausgehauenen Strecken angebrannte Holz- scheite, welche auf die Anwendung der alten Feuersatzarbeit hindeuten, Öfters helfen uns auch Ortsbezeichnungen, dem Volksmunde enstammend, aber heutzutage dem Volke selbst kaum noch verständlich, auf die Spur, auf welcher wir forschend zurückgehen müssen. So war, um hier nur einige wenige Beispiele anzuführen, die bereits genannte Grube Emanuel zwischen Neviges und Velbert unter dem Schutt def Zeit längst verschwunden, indess ein in der Nähe gelegenes Bauerngut mit der Bezeichnung »am Silberberg« noch daran erinnerte, was denn auch dem Nachforschenden durch eine Glocke der evangelischen Gemeinde Neviges bestätigt wird, denn diese trägt mit der Jahreszahl 1583 die Umschrift: »Dies Glock gehört den Ge werken auf dem Leiberg genannt Bleiberg«. »Bleikopf« nannte der Volksmund eine kleine Höhe bei Hasselbeck in der Nähe von Mettmann und ein » Bleiberg « kommt in den Kirchenarchiven der Gemeinde Lintorf vor — beides Andeutungen der Toponomastik, welche durchaus der Wirklichkeit entsprechen, wie sich inzwischen vor allem durch Wiederaufnahme der alten Thätigkeit gezeigt hat. Die ältesten bestimmteren Angaben über den Erzbergbau im Bergischen reichen bis in die zweite Hälfte des Mittelalters zurück. Bereits im Jahre 1122 wurde der Abtei Siegburg vom Kaiser Heinrich V. das Recht verliehen, in ihrem Gebiete auf Metalle zu bauen, und thatsächlich wurden von ihr im heutigen Felde Ziethen eine Reihe von kleineren Bergbaubetrieben geführt. In den Akten der Grube Heidberg in der Nähe von Denklingen findet sich eine Bemerkung, nach der Friedrich Barbarossa diese Grube und den benach- barten Wildberg dem Erzbischof Reinhold von Köln zum Geschenke gemacht hat. Erzbischof Konrad von Hochstaden soll um das Jahr 1250 die Grube Lüderich bei Immekeppel betrieben haben, um auf diese Weise Mittel für den Bau des Kölner Doms zu gewinnen. Desgleichen soll der Ertrag der Gruben Silberkaule bei Heckhaus und Bliesenbach zwischen Ründeroth und Gummers- bach zum Besten des Kölner Dombaues verwandt worden sein. Die älteste bergische Münzstätte, die im Jahre 1275 von dem schwer bestimmbaren Weleberch nach Wipperfürth verlegt wurde, lässt darauf schliessen, dass sich in der Nähe dieses Ortes Erzbergwerke befanden, was um so wahrschein- licher erscheint, als uns berichtet wird, Graf Adolf VII. vom Berge, in dessen Regierungszeit (1256 — 95) diese Verlegung fällt, habe erfahrene Bergleute aus dem Harz in sein Land geholt, um seinen Bergbau-Betrieb rationeller zu — 74 — gestalten. Aus dem folgenden Jahrhundert sind uns die ältesten Bergwerks- Privilegien erhalten. Die Herrschaft Hardenberg im W'erdenschen zählte schon 1496 Bergwerke zu ihrem Zubehör. Die erste allgemeine Bergordnung für Jülich-Kleve-Berg stammt zwar erst aus dem Jahre 1542, aber auch in dieser wird an wiederholten Stellen auf früheren Bergbau hingewiesen. Das siebzehnte Jahrhundert hat uns keine Berichte über Bergbau hinter- lassen; die für unser deutsches Vaterland so unheilvolle Zeit des dreissig- jährigen Krieges hatte auch die Montanindustrie zum Stillstand gebracht, und sie konnte sich von den harten Schlägen dieser Periode um so schwerer erholen, als es bei dem allgemeinen Niedergang wirtschaftlichen Lebens natur- gemäss noch lange an der nötigen Nachfrage fehlte. Zudem musste die traurige Folgeerscheinung von Mangel an genossenschaftlichen Vereinigungen, an Kapital und endlich an hinlänglichen Maschinen gerade in unseren Revieren das Eingehen der einfachen alten Betriebe nach sich ziehen, einmal, weil man es hier mit zum Theil überaus grossen Wasserzuflüssen zu thun hatte, zum anderen, weil unsere Bleierze durchweg recht erhebliche, damals gänzlich wert- lose Mengen von Zinkblende mit sich führten , deren Ausscheidung natürlich schwierig war; gegenüber solchen Aufgaben versagten die vorhandenen finan- ziellen und maschinellen Kräfte. Erst seit dem vorigen Jahrhundert konnten die verlassenen Gruben wieder Gegenstand eines mehr oder weniger zuver- sichtlichen Bergbaues werden, nachdem die allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse - - und damit auch die Nachfrage nach Erzen - sich allmäh- lich gehoben hatten, bedeutende technische Fortschritte hinsichtlich der Scheidung und Aufbereitung der Erze gemacht waren, und nicht zum mindesten auch die Gesetzgebung durch geeignete Bestimmungen zur Förderung des Bergbaues beigetragen hatte. Nach den gewichtigen, der Geschichte der Mineralogie angehörenden Mitteilungen des kurpfälzischen Bergrats Dörring aus dem Jahre 1775, auf welche wir uns nach Kinnes Beschreibung des Bergreviers Ründeroth und Buffs »Beschreibung des Bergreviers Deutz« beziehen, sind im Laufe des vorigen Jahrhunderts im Oberbergischen eine ganze Reihe von teilweise schon früher im Betrieb gewesenen, in der Zwischenzeit aber ins landes- herrliche Freie gefallenen Blei- und Kupfererzgruben neu verliehen worden. Mit den seit uralten Zeiten- betriebenen , dann in's Stocken geratenen« Gruben Wildberg und Heidberg in der Nähe von Denklingen wurde 17 18 eine neue Gewerkschaft belehnt mit der Massgabe, dass »alles Zubehör in guten Stand gebracht und die Werke steuerfrei waren« Dem Blei- und Kupferbergwerk bei dem Hofe Fahrenberg unweit Derschlag wurden 1739 200 Lachter erteilt. Der Gewerkschaft des Alten Bleibergs an der Agger ver- lieh die Jülich-Bergische Hofkammer im Jahre 1 743 ein Grubenfeld » 200 Lachter — 75 — kreuzweis über die neue Schacht.« Auf das Josina-Kupferbergwerk bei Mittellach ist 1752 die Belehnung erteilt worden. Im gleichen Jahre wurde die Katharinenzeche bei Rossenbach, die heutigen beiden Gruben Philippus und Gustav-Wilhelm, auf zwei Gänge belehnt. Bedeutende Mengen von reichhaltigen Bleierzen wurden auf der Grube St. Wilhelmina bei Oberagger gegen Ende des iS. Jahrhunderts gewonnen. Ausser den vorstehenden sind besonders noch Silberkaule bei Heckhaus, Friederike bei Reinshagen, Bliebach bei Wichl, Cäcilia unweit Ründeroth und Bliesenbach zwischen Gummersbach und Ründeroth zu nennen. Aber auch an zahlreichen anderen Stellen unseres Bezirkes wurde um diese Zeit Erzbergbau getrieben. So sind, um nur einzelnes herauszugreifen, nördlich der Kalksteinmulde von Berg. Gladbach in den Jahren 1780 bis 1823 verschiedene Betriebe mit recht günstigem Erfolge geführt worden. Auch im heutigen Felde Julie bei Höhscheid hat man zu Ende vorigen Jahrhunderts ge- arbeitet, und die, damals Kleeblatt genannte Grube hatte sogar zeitweise eine nicht unbedeutende Bleierzförderung. Nach Buffs Wiedergabe und Ergänzung der Dörring'schen Berichte wurde im Jahre 1752 auf der rechten Seite der Dussel bei Erkrath die Konzession Bescheertes Glück verliehen und der Betrieb eröffnet, freilich nicht für lange Zeit. Auch von dem preussischen Bergrat Eversmann werden verschiedene Erzbergwerke im Bergischen angeführt, die zu seiner Zeit, gegen Anfang dieses Jahrhunderts, im Betriebe waren, u. a. ein Bleibergwerk am Schirpenberge an der Chaussee von Opladen nach Solingen und ein Kupfer- bergwerk am Hollbach unweit von Wipperfürth. Nach Eversmann wurden weiterhin im Wildenburgischen, auf der Gössgenshütte, namentlich gelbe Kupferkiese, sowie 7 grob- und feinkörniger Bleiglanz aus dem Bergischen verschmolzen. Bei Lintorf im heutigen Bergrevier Werden war in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts der Schöffe Adolph Wiel mit dem Blei- und Vitriolwerk Gute Hoffnung belehnt , Bleierze scheinen aber nur in unbe- deutenden Mengen gewonnen worden zu sein, wogegen die grossen Halden gerösteter und ausgelaugter Reste von Alaunschiefer einen umfangreichen Betrieb auf Alaun und Vitriol beweisen. Auch ein Ouecksilbervorkommen ist in unserem Bezirke, in der Nähe von Bensberg, zu verzeichnen ; bereits im Jahre 1735 wurde Hofrat Gumpertz damit belehnt, 1765 die Belehnung er- neuert; man stellte auch in grossen Zwischenräumen Versuchsarbeiten an, gab aber schliesslich zu Anfang unseres Jahrhunderts die Sache auf, ohne über die Abbauwürdigkeit des Vorkommens klar geworden zu sein. Seit dem Anfang dieses Jahrhunderts sind die Verhältnisse des Erzberg- baues in allen Teilen unseres Gebietes recht schwankende gewesen. Die erwähnte, noch andauernde Unzulänglichkeit der Maschinenkräfte war vielfach die Veranlassung, dass eine Grube aufgegeben wurde, was aber nicht aus- 76 - schloss, dass in zahlreichen, vielleicht in den meisten Fällen nach kürzerer oder längerer Zeit der Betrieb wieder aufgenommen und mit wechselndem Erfolge fortgeführt wurde. So lagen die Verhältnisse namentlich im ersten Drittel des Jahrhunderts, wo auch das in den zwanziger Jahren eingetretene Fallen der Metallpreise einen ungünstigen Einfluss ausübte. Erst nachdem in den vierziger Jahren die Gewinnung des Zinks aus der Blende praktisch ausführbar geworden, kam wieder neues Leben in den alten Bergbaubetrieb. Indess würde es weit über den Rahmen dieser Abhandlung hinausführen, alle Einzelheiten dieses Bergwerksbetriebs wiederzugeben, weshalb nur von einigen der bedeutenderen, zum Teil ja bereits bei der Betrachtung der Ver- gangenheit kurz geschilderten Gruben das Wissenswerteste angeführt sei. Im Gebiet des Bergreviers Deutz sind im Oberbergischen als Haupt- betriebe zu nennen die Gruben Lüderich, Blücher, Cons. Weiss, Berzelius, Apfel, Castor und Washington. In der ersten Hälfte des Jahrhunderts waren diese Betriebe ziemlich unbedeutend, wurden aber zu Anfang der fünfziger Jahre durchweg sehr erweitert und hatten seitdem eine nicht unerhebliche Förderung aufzuweisen. Dieselbe betrug nach den Angaben des Bergrats Buff in den Jahren 1853 — 1891 : auf Grube : Lüderich Blücher Cons. Weiss Berzelius Apfel Castor Washington Erwähnenswert erscheint noch, dass um die Mitte des Jahrhunderts an verschiedenen Stellen im Kalkstein bei Berg. Gladbach Galmei aufgefunden wurde; einige Grubenbetriebe wurden daraufhin eröffnet, indessen erwiesen sich die Funde für einen dauernden Bergbau nicht ergiebig genug, da in der Zeit von 1853 bis 1881 insgesamt nicht mehr als 5452 Tonnen Galmei gewonnen wurden. Fast in gleicher Weise, wie im Deutzer Bezirk, gestaltete sich der Erz- bergbau im Revier Ründeroth, auch hier in der ersten Hälfte unseres Jahr- hunderts zum Teil zwar ziemlich lebhaft, aber im grossen und ganzen doch beträchtlichen Schwankungen unterworfen, bis er sich vom Ende der vierziger Jahre ab belebte. Zur Illustration der immerhin nicht unbedeutenden För- derung nachstehend einige Zahlen aus Kinne's Beschreibung des Reviers von 1826 — 1882: Bleierze (Tonneni Zinkblende (Tonnen) Kupfererze (Tonnen) 7088 123 463 — 8 680 «7935 134 6510 69796 5 I4642 46383 5 16966 39973 397 35088 1 3 030 15 8988 34831 1 1 77 Grube ; Bleierze Zinkerze Kupfererze (Tonnen) (Tonnen) (Tonnen) Wildberg 27898 — 722 Silberkaule 18 641 232 — Engelbertsglück II. 12709 — I>5 Heidberg I 1970 — 6 Silberhardt 4812 1223 — Aurora 5 575 124 — Gertrudensegen 2715 I 378 — Bliebach 1790 1553 — Der Hauptanteil an diesen Förderungsziffern fällt, wie schon gesagt, auf die Zeit nach 1850. Im Bergrevier Werden kommt namentlich das Lintorfer Erzvorkommen in Betracht, das vom Bergmeister Schrader in Essen als eines der reichsten unseres Vaterlandes bezeichnet wurde. Die Hauptschwierigkeit des Betriebs liegt auch hier wieder in den ganz ausserordentlich grossen Wassermengen, die zu bewältigen sind. So hat denn, trotzdem der Betrieb mit allerdings mehrfachen Unterbrechungen während des ganzen Jahrhunderts fortging, kaum eine der Bedeutung des Vorkommens entsprechende Förderung stattfinden können. Nur in den Jahren 1879 bis 1883 war dieselbe recht beachtenswert; sie betrug in diesen 5 Jahren insgesamt 4299 Tonnen Bleierze, 1665 Tonnen Zinkerze und 22059 Tonnen Schwefelkies. Seit dem vorigen Jahre sind wieder ganz beträchtliche Geldsummen aufgewandt worden, sodass bei der anerkannten Reichhaltigkeit der Erzlager ein lohnender Betrieb für die Zukunft wohl zu erwarten ist. Nicht weit von Lintorf entfernt wurden im Jahre 1 881 in der Gemeinde Seibeck mit grossem Glück Schürf- und Versuchsarbeiten unternommen, die zur Erschliessung einer ausgedehnten und reichen Blei-, Zink- und Schwefelkiesgrube führten. Es gründet sich auf dieses Vorkommen der Bergbau der Seibecker Erzbergwerke, die in den Jahren 1882 bis 1894 nicht weniger als 4166 Tonnen Bleierze, 1 10940 Tonnen Zinkerze und 937 Tonnen Schwefelkies förderten. Zwischen Velbert und Neviges wurde um die Mitte des Jahrhunderts der Betrieb des bereits erwähnten > Bleibergs« wieder aufgenommen und im Jahre 1852 der Tiefbau unter dem Namen Prinz Wilhelm Grube eröffnet; derselbe liefert seit einer Reihe von Jahren eine durchschnittliche Jahresmenge von ca. 1000 Tonnen Zinkblende, daneben auch einiges Bleierz. Durch die günstigen Lintorfer und Seibecker Auf- schlüsse veranlasst, sind dann seit der zweiten Hälfte der achtziger Jahre in der Gegend von Velbert, Heiligenhaus und Neviges an den Stellen alter Halden und Pingenzüge noch zahlreiche Versuchsarbeiten angestellt worden. Diese führten zur Errichtung verschiedener kleiner Bergbaubetriebe: Thalburg, - 78 - Ferdinande, Emanuel, Wilhelm II. und Erzbergwerk Glückauf, die indessen bisher nur erst geringe Mengen von Erz zu Tage gefördert haben. Mehr Aussicht auf dauernden Erfolg scheint ein in den letzten Jahren in der Nähe von Mettmann neuerkanntes Erzvorkommen zu haben, das in einer solchen Mächtigkeit, Reinheit und Nachhaltigkeit aufgeschürft worden ist, dass ein lohnender Betrieb erwartet werden konnte und daraufhin die Grube Bent- hausen eröffnet wurde. II. Metallhütten-Betrieb. Ueber die Verhüttung der Erze, deren Gewinnung im Vorhergehenden ' besprochen wurde, sind bestimmte historische Daten aus älterer Zeit nur äusserst spärlich erhalten; doch kann man wohl mit grosser Wahrscheinlich- keit annehmen, dass ursprünglich die Erze auch in unmittelbarer Nähe des Gewinnungsortes in den sogenannten Handhütten verschmolzen worden sind, denn bei den unentwickelten Verkehrsverhältnissen dürfte ein weiter Transport des Rohmaterials, wenn er überhaupt zu ermöglichen war, jedenfalls nicht gelohnt haben. Zudem lassen zahlreich vorhandene Spuren darauf schliessen, dass ein alter Metallhüttenbctrieb an den verschiedensten Punkten unseres Bezirks stattgefunden hat; findet man doch auf vielen Gruben heute noch Bleischlacken, die zu 40% Bleigehalt aufweisen, ein Beweis, dass sie aus einer Zeit herrühren, in welcher der Hüttenbetrieb noch ein recht unvollkommener war. Auf derartige Bleischlacken stiess man z. B. im Felde der Gewerkschaft Thalburg bei Heiligenhaus, wo eine grosse Halde liegt. Tief eingeschlämmt und mehr oder weniger mit alluvialen Bildungen bedeckt, findet sich ferner im Thale des Vogelsangbaches unweit Heiligenhaus im Sonderfelde Clara der Gewerkschaft Eisenberg eine recht umfangreiche Bleischlackenhalde. Die Bezeichnung für einen in der Nähe dieser Halde beim Hause Einloss gelegenen kleinen Teich als »Schmelzteich« deutet wohl auf einen frühern Bleihütten- betrieb hin. In gleicher Weise dürften vielleicht die in der nächsten Umgebung von Elberfeld bekannten Namen » Kupferhütte * und »Hütten- steigerkirmes « an einen altern Hüttenbetrieb erinnern. In Lintorf sollen einige 500 Meter von dem besprochenen Bleiberg« entfernt, auch Blei- hütten gestanden haben, worüber indessen nichts zuverlässiges zu ermitteln ist. In der Gegend von Bensberg findet man u. a. auf der Hardt im Brungs- bachthale alte Bleischlackenhalden. Auf der Grube Blücher hat man sogar beim Ausheben von Fundamenten Reste eines Schmelzofens entdeckt, und auf derselben Grube haben sich ebenso, wie auf Lüderich, kleine Mengen von Bleiglätte erhalten, die offenbar von einem alten Bleihüttenbetrieb her- rühren. Erst vom Ende des 18. Jahrhunderts ab besitzen wir einige bestimmtere Nachrichten über den Mettalhüttenbetrieb in unserm Bezirk. So sind die von 79 den achtziger Jahren des vorigen bis zu den zwanziger Jahren unseres Jahr- hunderts auf der Grube Wilhelmina bei Oberagger gewonnenen Blei- und Kupiererze auf einer etwas unterhalb im Thal gelegenen Hütte verschmolzen worden ; das hier erzeugte Garkupfer soll eine ganz vorzügliche Qualität gehabt haben. In der Nähe lagen die Brölerhütte und die Wildberger Hütte. Erstere war anfangs Eisenhütte, man ging aber 1817 nach Erbauung der Eisenhütte zu Morsbach zur Bleiverschmelzung über und stellte jährlich bis in die vierziger Jahre 500 — 2000 Centner Blei und bis zu 75 Pfd. Silber her. Auf der 1S12 errichteten Wildbergerhütte wurden bis Anfang der sechziger Jahre bis zu 1500 Pfund Silber und 18000 Centner Blei jährlich erzeugt. Das auf der Mittelacherhüttc aus den Erzen des »alten Bleiberges« gewonnene Blei war zu Anfang des Jahrhunderts wegen seiner besonderen Güte vorzugs- weise gesucht und erzielte stets einen ansehnlichen Mehrpreis gegenüber anderen Produkten. Von den, um diese Zeit im Oberbergischen betriebenen Metallhütten sind noch anzuführen die Gössgenshütte an der Grenze der Herrschaft Wildenberg mit einer durchschnittlichen Jahresproduktion von 200 Centner Blei, 40 — 50 Mark Silber und 100 Centner Kupfer, sowie die Blei- hütte am Pochwerk bei Eckenhagen. Im Milchbornthale bei Bensberg wurden die dort, wie bereits mitgeteilt, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts abgebauten Quecksilbererze in einer Hütte zu Gute gemacht, deren Stelle noch heute »Laboratorium« genannt wird. Auch bei der Grube Kleeblatt (heute Julie) unweit Höhscheid hat um dieselbe Zeit bereits ein damals bedeutender und lohnender Bleihüttenbetrieb stattgefunden. Eversmann nennt aus dieser Gegend als zu seiner Zeit im Betriebe befindlich noch die Bleihütte am Schirpenberge zwischen Solingen und Opladen, welche die Erze des dabeiliegenden Bergwerks verschmolz, und die Kupferhütte am Crenzberge bei Wipperfürth ; auf der letzteren wurden die Erze des dortigen Kupfer- berger Bergwerks »bey abgeschwefelten Steinkohlen aus der Grafschaft Mark« verhüttet. Alaunsiedereien wurden damals betrieben auf Fortuna im Harden- bergischen, auf Aurora am Hesperbach im Werdenschen und in der Nähe von Lintorf. Alle diese kleinen Metallhüttenbetriebe gingen indessen allmählich bis etwa zur Mitte unseres Jahrhunderts ein, da es nach dem Bau von Eisen- bahnen bedeutend vorteilhafter erschien, die gewonnenen Erze an auswärtige grössere und dementsprechend besser eingerichtete Hüttenwerke, z. B. zu Stolberg, Call, Mechernich, Oberhausen und Letmathe, zu verkaufen. Dagegen ist allerdings noch im Jahre 1848 auf Grund des Galmei-Aufschlusses bei Berg. Gladbach die heute noch bestehende Zinkhütte Berzelius gegründet worden, die z. B. 1891 eine Produktion von 4861 Tonnen erreichte. — So — III. Eisensteinbergbau. Der Eisensteinbergbau des Bergischen Landes steht im innigsten Zu- sammenhang mit der Eisenindustrie von Solingen, Kronenberg, Remscheid etc. Die Entstehung dieser Industrie geht wohl bis ins 12. Jahrhundert zurück. Es wird berichtet, dass Adolf IV. vom Berge von einem Kreuzzuge Friedrich Barbarossas 1 147 Waffenschmiede von Damaskus mit nach Solingen gebracht habe; gegen 1290 seien dann noch steyrische Sensenschmiede nach Remscheid eingewandert, und so die Eisenindustrie dieser Gegenden ausgebildet worden. Versetzt man sich in jene, durch Unwegsamkeit, politische und kommerzielle Abgeschlossenheit beengte Zeit zurück, so muss man zu der Ueberzeugung gelangen, dass die verschiedenen Zweige der Eisenindustrie, die hier schon so früh entwickelt waren, gar nicht hätten entstehen können, wenn nicht in ihrer Nähe bereits Eisensteinbergbau und Hüttenbetrieb als Grundlagen ihrer Existenz vorhanden gewesen wären. Und warum sollte dem nicht so gewesen sein ? War es doch selbst bei ziemlich unvollkommenen Hülfsmitteln gar nicht schwierig, Eisenerze zu ge- winnen, da die Thon- und Brauneisensteine gleich den früher besprochenen nur an wenigen Stellen in erheblicher Tiefe lagern. An manchen Punkten, wo reichere Erzlager zu Tage ausstrichen, konnte man das Erz einfach auf- lesen oder man warf im Herbst, wenn die Ernte eingebracht war, oberfläch- liche Schurfgräben auf. Da hierbei Gänge und Erdhaufen entstanden, die denjenigen des Maulwurfs, in bergischer Mundart : »Molls«, ähnlich waren, so nannte man diese Art der Erzgewinnung »Moltern« und das so erhaltene Erz »Moltererz«. Indessen lassen auch die alten Pingenzüge von zum Teil sehr beträchtlicher Ausdehnung im Ober- und Unterbergischen auf regelrechteren Tagebau schliessen, während die in ihrer Nähe gefundenen Schlackenhalden bezeugen, dass die Eisenerze bei den » Gewinnungsstellen« in einfachen Renn- feuern oder Tser-(Eisen-)Schmitten(Schmieden)« verschmolzen wurden, wozu die Wälder der Hochrücken das Brennmaterial hergeben mussten. Spezielle Daten über den Eisensteinbergbau der frühern Zeit sind nur äusserst spärlich überliefert. Der bereits erwähnte Adolf VII. vom Berge trieb in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts im Aggerthale Eisenstein- bergbau, von dem noch manche Spuren in Gestalt von Pingenzügen in der Ründerother Gegend vorhanden sind. Die noch weiter gehende Nachricht, dass der Bergbau in dieser Gegend bereits im 12. Jahrhundert mit herüber- geholten sächsischen Bergleuten eröffnet bezw. durch dieselben zweckmässiger gestaltet worden sei, ist nicht unbedingt sicher verbürgt. Ueber die Eisen- steingewinnung bei Oberkaltenbach von 1572 bis 1614 und bei Wallfeld in den Jahren 1595—98 geben zwei im Staatsarchiv zu Düsseldorf befindliche Aktenstücke einigen Aufschluss. Im Werdenschen ist der Eisensteinbergbau — 8i — mindestens ebenso alt wie der früher geschilderte Bergbau auf andere Erze; es sind z. B. an der Abtsküche unweit Kupferdreh bedeutende alte Pingen vorhanden. Durch Urkunde vom 17. November 1852 wurde dem Dr. Heim in Werden auf dessen Muthung hin im Thale des Vogelsangbaches eine »an- geblich in den Jahren 1547 bis 1660 betriebene Eisensteinlagerstätte* unter dem Namen Clara« verliehen. Dr. Heims Angaben sollen sich auf Ver- leihungsurkunden des ehemaligen reichsunmittelbaren Stiftes Werden stützen, deren älteste von 1537 schon auf frühern Bergbaubetrieb hinweise. Nach einer Urkunde des Düsseldorfer Staatsarchivs bestanden im Gebiete der heutigen Bürgermeisterei Kronenberg »im Wüstholz, in der Wachlert, unter der Kirchen, auf dem Eyssen und im Herrenholz« Eisensteinbergwerke, die aber bereits im 16. Jahrhundert nicht mehr im Betrieb waren. So dürftig diese Nachrichten aus früher Zeit auch sind, so liefern sie uns doch immerhin einige Anhaltspunkte. Dagegen verlassen uns für das 17. Jahrhundert alle Nachrichten über Eisenerzbergbau: auch ihn warf der 30jährige Krieg nieder. Erst seit Beginn des vorigen Jahrhunderts treten wieder einige Daten über den Eisensteinbergbau unseres Bezirkes auf; so erfahren wir z. B., dass auf der Grube Lollberg bei Börminghausen im Kirch- spiel Müllenbach während des 18. Jahrhunderts beträchtliche Erzmengen gewonnen wurden. Ueberhaupt hat in der ganzen Gegend von Ründeroth, wo lagerartige Vorkommen von Braun- und Thoneisenstein recht häufig sind, ein gar nicht unbedeutender Bergbau auf diese Erze stattgefunden; unter den Betrieben wird namentlich das Kauertsbergwerk im Amte Steinbach als besonders ergiebig gerühmt. Ueber einige Verleihungen etc. im vorigen Jahrhundert hier noch folgendes: 1723 wurde die Grube Fünfzehn Löwen- pfähle bei Kaltenbach verliehen und dort zunächst Stollenbau getrieben. Die sämtlichen Eisenerze in der Umgebung von Bensberg wurden 1740 dem bereits erwähnten Hofrat Gumpertz zugesprochen. Nach Dörring wurde die Grube Weissenberg bei Morsbach im Jahre 1741 belehnt, und auch sehr schöner Spateisenstein dort abgebaut. Die grossen Brauneisenstein- Ablagerungen zwischen Miebach und Spitze im Gebiet der heutigen Grube Luther unweit Berg. Gladbach wurden bereits 1 763 verliehen und hierauf alsbald der Betrieb eröffnet. Aus dem Unterbergischen ist von genauem Daten aus dem vorigen . Jahrhundert nur bekannt, dass 1765 die Eichenhöfer und Wolfskauler Eisensteinbergwerke in den Aemtern Bornefeld und Hückes- wagen belehnt worden sind. Um die Wende des Jahrhunderts wurden nach den Angaben von Eversmann im Oberbergischen Eisenerze gewonnen auf dem vorgenannten Kauertsbergwerk bei Steinbach im Kirchspiel Ründe- roth, in Fahlenbruch und an der Endte bei Engelskirchen. Aus dem — 82 — Werdenschen stehen uns für diesen Zeitabschnitt keinerlei Notizen zur Verfügung. In unserem Jahrhundert ist im Ründerother Revier auf einer ganzen Reihe von Gruben mit kürzern oder längern Unterbrechungen Bergbau auf Eisenstein mit verschiedenartigem Ergebnis geführt worden. Die Haupt- betriebsperiode ist hier wie bei dem sonstigen Erzbergbau dieser Gegend die Zeit vom Ende der vierziger bis Anfang der siebziger Jahre gewesen. Die Förderung während dieser Zeit bildet auch den Hauptbestandteil der nach- stehend aufgeführten Eisensteingewinnung auf den Hauptgruben des Reviers Ründeroth in den Jahren 1826 — 1882: Sperber 102693 Tonnen. Sonne 48104 „ Alter Stollenberg 35820 „ Magdalena 35623 „ Guter Wilhelm 26470 Juliane 25835 Fünfzehn Löwenpfähle 23 275 ,, Braunfels 18929 ,, Leipzig I. 18770 „ Georg 16632 Kreuzheide 16005 „ Im Bergrevier Deutz wurde auf Grube Eduard und Amalia bei Paffrath ein lagerartiges Vorkommen von Thoneisenstein aufgeschlossen, welches in den Jahren 1853 — 1881 10880 Tonnen Erz mit einem Gehalt bis zu 50 °/o Eisen und 2 °/o Mangan (im gerösteten ^Zustande) lieferte. Die Grube Schnepfenthal hatte in dem gleichen Zeitraum eine Förderung von 16 480 Tonnen Spateisenstein aufzuweisen. Der bereits erwähnte Aufschluss auf der Grube Luther bei Berg. Gladbach erwies sich als recht ergiebig, man förderte z. B. in der vorgenannten Periode hier 238440 Tonnen Brauneisenstein. Dieser Betrieb wird heute noch mit gutem Erfolge geführt. Der Bergbau auf der Grube Catharina ergab in den Jahren 1853 — 1881 eine Brauneisen- stein-Gewinnung von 12 152 Tonnen. Auch auf der Hahner Heide fand ein allerdings nicht sehr bedeutender Bergbaubetrieb statt. Von der Mitte des Jahrhunderts ab wurde sodann ein für längere Jahre recht lebhafter Betrieb an der nördlichen Grenze des Reviers geführt, der fast ausschliesslich in der Hand der Eintrachthütte (seit 1856: Bergischer Gruben- uud Hütten- Verein) zu Hochdahl lag. Diese Gesellschaft förderte z. B. in dem Distriktsfelde Vereinigung in den Jahren 1849— 1S60, der Hauptbetriebszeit auf diesem Grubenfeld, nicht weniger als 118 281 Tonnen Erz, hauptsächlich Brauneisen- stein. In dem ausgedehnten Distriktsfelde Vereinigtes Deutschland ist es — 8 3 - nur in der Hildener Heide zum Betriebe gekommen, und die Gewinnung beschränkte sich auf etwa 4000 Tonnen Raseneisenstein. Auf den übrigen nach Lennepp, Ronsdorf, Lüttringhausen hin gelegenen Konzessionsfeldern sind nur Versuchsarbeiten angestellt worden. Zu gleicher Zeit entwickelte sich im Zusammenhang mit diesem Bergbau auch an der benachbarten südlichen Grenze des Werdener Reviers ein reges bergbauliches Leben; waren doch hier z. B. im Jahre 1861 nicht weniger als 22 Eisensteinzechen im Betrieb. Beteiligt war hierbei ausser der Eintracht- hütte bezw. dem Bergischen Gruben- und Hütten-Verein namentlich die Gesellschaft G. A. Lamarche, deren Grubenbetriebe später die Phönixhütte bei Kupferdreh fortführte. Es wurden Braun-, Kohlen- und Raseneisensteine in nicht unbedeutenden Mengen gewonnen. Während im Jahre 1855 die Produktion erst 12993 Tonnen Rasen- und 64402 Tonnen Brauneisenstein betragen hatte, stieg sie bis 1861 auf 17863 Tonnen Rasen-, 163 491 Tonnen Kohlen- und 1 198 14 Tonnen Brauneisenstein. Da indessen diese Vorkommen hier sowohl wie am nördlichen Rande des Bergreviers Deutz fast ausschiesslich nesterartiger Natur waren, so Hess sich ein dauernder Bergbaubetrieb nicht aufrecht erhalten, und nur ganz vereinzelt sind nach Ende der sechziger Jahre noch unbedeutende Mengen von Eisenerz gefördert worden. IV. Der Eisenhüttenbetrieb. Der Eisenhüttenbetrieb, naturgemäss gleichen Alters mit dem Eisenstein- bergbau, ohne ihn undenkbar und demnach ihn mehr bedingend, als von ihm bedingt, erfuhr einen gewaltigen, im 1 5. Jahrhunderte beginnenden Umschwung durch die Einführung des Hochofenbetriebs, das heisst durch den Übergang von der direkten Eisenerzeugung mittelst Rennarbeit in kleinen Waldschmieden, den erwähnten »Ofenschmitten«, zur indirekten mittelst Hochofens. Beck nimmt in seiner »Geschichte des Eisens« an, dass diese Verbesserung des Hüttenbetriebs gerade hier im Rheinlande zuerst Eingang gefunden habe. Das Renneisen genügte eben nach Qualität, wie Quantität nicht mehr den gesteigerten Anforderungen. Im Jahre 1539 wird eine Hütte am Deutzer Weiher erwähnt, und wir wissen, dass 1580 Eisenhütten bei Remscheid be- standen. Im 17. Jahrhundert trat dann unter der lähmenden Einwirkung des dreissigjährigen Krieges eine allgemeine Stagnation im Eisenhüttenwesen ein ; soweit man den Betrieb aufrecht erhalten konnte, arbeitete man nach der alten Methode weiter, ohne sich viel auf Verbesserungen einzulassen. Das achtzehnte Jahrhundert war speziell für den Solingen-Remscheider Teil unseres Gebiets dadurch von Bedeutung, dass die eigenen kleinen Hütten, die wohl bereits im vorherigen Jahrhundert zum grossen Teil eingegangen waren, nun- mehr vollständig verschwanden. Infolge der verbesserten Verkehrswege konnte - 8 4 - man nunmehr leicht den vorzüglichen Rohstahl aus dem Siegerlande beziehen. Im Wcrdenschen hat um diese Zeit wohl auch kein Hüttenbetrieb mehr stattgefun- den. Dagegen waren im Oberbergischen im .vorigen Jahrhundert eine ganze Reihe von Hochofenwerken in lebhaftem Betrieb. Die im Jahre 1740 dem Hofrat Gumpertz verliehenen Erze des Bensberger Bezirks wurden auf einer Hütte unweit Bensberg verschmolzen. Nach Erschürfung des bedeutenden Eisen- steinvorkommens zwischen Miebach und Spitze wurde im Jahre 1770 die Hütte unterhalb Dürscheid angelegt. Kleine Hütten haben ferner bestanden in der Nähe von Paffrath, zwischen Spitze und Bechern, sowie im Kirchspiel Müllenbach; doch waren dieselben sämtlich bereits gegen Ende des vorigen Jahrhunderts eingegangen. In der Umgegend von Ründeroth waren indessen um die Wende des Jahrhunderts noch zahlreiche Hütten im Betriebe, so die Ründerother, Wegers-Lagener, Nümbrechter, Oesinghauser, Ober- und Unter- kaltenbacher, Looper, Waldbröler und Engelskirchener Hütte. Die letztge- nannte war eine sogennannte Kirchspielshütte, aus deren Erträgnissen Kirche und Schule zu Engelskirchen unterhalten wurden. Im Anfang unseres Jahr- hunderts kommen die Bielsteiner, Ruppichterother und Morsbacher Hütte und im Jahre 1846 die Britanniahütte bei Berg. Gladbach hinzu. Seit Beginn der sechziger Jahre haben aber auch diese Hüttenwerke meist kalt gelegen, weil der Betrieb mit Rücksicht auf die unzureichenden Eisenbahnverbindungen gegenüber günstiger gelegenen Werken nicht mehr konkurrenzfähig war. Die Entdeckung bezw. Neuentdeckung der Eisenerze im Grenzgebiet der beiden Bergreviere Deutz und Werden führte im Jahre 1847 zur Grün- dung der Eintrachthütte in Hochdahl, die bei der 1856 erfolgten Erweiterung des Werkes an die Aktien-Gesellschaft Bergischer Gruben- und Hütten- Verein überging und heute eine Produktionsfähigkeit von ca. 46000 Tonnen Roh- eisen jährlich besitzt. Nicht lange nachher wurde auf Grund ähnlicher Erz- vorkommen die Phönixhütte zu Kupferdreh erbaut; sie kam 1854 in Betrieb und hat seit einer längeren Reihe von Jahren ca. 3 1 000 Tonnen Roheisen jährlich dargestellt. Beide Hütten sind heute sozusagen ausschliesslich auf den Bezug fremder Erze angewiesen. Der Eisenstein der Wahner Heide ist zum grössten Teil auf der bereits 1836 gegründeten Friedrich -Wilhelms- Hütte bei Troisdorf verhüttet worden ; anfänglich besass dieses Werk nur einen kleinen Holzkohlen - Hochofen, wurde aber in den fünfziger Jahren erweitert und hat heute eine Jahresproduktion von ca. 33 000 Tonnen aufzu- weisen. In der Nähe der Wahner Heide wurde 1878 die Adelenhütte bei Urbach in Betrieb gesetzt, welche gegenwärtig ca. 22000 Tonnen Roheisen im Jahre erzeugt. Endlich sei noch zweier Hochofenwerke gedacht, die in unserm Gebiet in neuerer Zeit vorübergehend betrieben worden sind. In den , sechziger Jahren wurde in Mülheim a. Rhein ein Hochofen Rachettescher - 85 - Konstruktion erbaut, der sich aber nicht bewährte, so dass man anfangs der siebziger Jahre zu grössern Umbauten schritt; die Hütte ging bald darauf in den Besitz des Bochumer Vereins über, der bereits nach kurzer Zeit den Betrieb einstellte. Heute ist das Werk vom Erdboden verschwunden, und dasselbe Schicksal scheint die Germaniahütte bei Kalk teilen zu sollen, die 1873 mit drei Hochöfen erbaut, nur zu Beginn der achtziger Jahre vorüber- gehend betrieben wurde. Es sind demnach in unserm Bezirk zur Zeit noch vier Hochofenwerke mit einer ungefähren Jahresproduktion von 126000 Tonnen Roheisen in Betrieb. Max Klees, Witten. VI. Mineralogie und Geologie im Bergischen. Wollte man aus dem Alter von Erz- und Kohlenbergbau auf dasjenige mineralogischer und geologischer Wissenschaft schliessen, so würde die Ge- schichte der letzteren sehr weit zurückgehen. Empirie ist aber keine Wissenschaft. Gegenüber den frühen und reichen Resultaten, welche unser fleissiges Land der ersteren abgewann, ist es sogar überraschend, dass Mineralogie und Geologie in einigermassen wissenschaftlichem Sinne erst sehr spät, im vorigen Jahrhundert, bei uns in die Erscheinung treten - denn was ein Albertus Magnus, der grosse Forscher, der gewiss nicht leicht an einem Gebiete der Naturwissenschaften vorübergehen konnte, »de virtutibus lapidum« schreibt und was sonst noch aus früherer und späterer Zeit in Dissertationibus und gelahrten Curiosis niedergelegt ward - - es gehört in die Sphäre des Steins der Weisen , nicht aber in eine Geschichte unserer Wissenschaft. Trotz des verhältnismässig kurzen Zeitraumes, welchen letztere demnach bei uns umfasst, ist sie aber doch so reich, dass sie auf vorgeschrieben engem Raum keineswegs erschöpft, vielmehr nur wie mit Streiflichtern beleuchtet werden kann. Der ersten einer, die hier zu nennen sind, ist der kurpfälzische Bergrat Christoph Ludwig Dörring. Derselbe verfasste zu Anfang des Jahres 1766 auf Verlangen der Kurfürstlichen Akademie der Wissenschaften zu Mannheim ein Verzeichniss der Jülich-Bergischen »wirklich belehnten« Bergwerke, welches später, 1775, in den »Bemerkungen der kurpfälzischen physikalisch -ökonomischen Gesellschaft zu Lautern- veröffentlicht wurde. Zwar macht dieses Verzeichnis keinen Anspruch auf Vollständigkeit, da Dörring, wie der Vorbericht in den -Bemerkungen etc.- sagt, damals nicht — 86 — hinlängliche Zeit fand, Alles genau zu beschreiben, was ebenfalls der Fall war, als der Direktor der physikalisch-ökonomischen Gesellschaft, der durch Zufall auf diesen Bericht stiess, Dörring bat, doch Vervollständigungen vor- zunehmen. Nichtsdestoweniger schritt besagter Direktor zur Veröffentlichung, da der Bericht »von den unterirdischen Schätzen«, wie es im Vorwort heisst, »einer Gegend Nachricht gibt, die unseres Wissens wenigstens noch gar nicht beschrieben worden». Wenn auch von Kinne in seiner »Beschreibung des Bergreviers Ründeroth« und von Buff in der »Beschreibung des Bergreviers Deutz« einige Stellen aus Dörrings Bericht citiert werden oder Mitteilung über dieselben gemacht wird, so dürfte es doch nicht uninteressant sein, in folgendem einen Auszug dieser ersten , das Bergische Land betreffenden mineralogischen Nachrichten zu geben, zumal das Original schwer zu erlangen ist. I. An Bleierz förderten zu Tage: i) der Heidberg bei Denk- lingen, Kreis Waldbroel im Amte Windeck, Kirchspiel Eckenhagen, welcher in zwei Gängen, dem alten und neuen Heidberger Gange, »grob- und klarspeisigte 4,5 bis 6 Loth silberhaltige Bleierze« liefert; auf dem alten Schachte musste im Sommer 1765 eine sogenannte »Wasserkunst« (Pump- werk) angelegt werden, um das Grundwasser zu bewältigen; ferner sollte derselbe bis auf den Gang gänzlich abgeteuft werden, da er über dem Horizont ganz ausgebaut ist; 2) der Wildberg, dreiviertel Stunden vom Heidberge, derselben Gewerkschaft gehörig, der in drei Gängen ausser »grob- und klar- speisigten Bleierzen« noch »hoch- und bleichgelbe Kupferblankerze« führt; beide Gruben wurden »seit uralten Zeiten betrieben, gerieten in's Stocken«, und wurden am 29. März 17 18 einer Gewerkschaft verliehen; 3) das be- scheerte Glück im Amte Mettmann, Kirchspiel Mettmann, auf dem Hofe Beymes, nördlich von Erkrath auf dem rechten Düsselufer; in einem beständigen, drei bis vier Fuss mächtigen blauen Lettegang, der von SWS nach NON streicht, wird stahlderber, grobwürfeliger Bleiglanz zahlreich ge- wonnen. Am 22. December 1752 wurde dem Freiherrn von Syberg zu Abrath (Aprath) für eine Grube Erbstollengerechtigkeit gegeben und derselbe mit sechs »nächsteren Maassen» belehnt. II. Kupfererze enthielten die Kupferbergwerke: 1 ) das -Josina-Kupfer- bergwerk« auf dem Hütermich bei Mittelach, (jetzt Weiler Mittelacher) Kreis Waldbroel, Bürgermeisterei Denklingen; es führt einen kaum zwei bis drei Zoll mächtigen Kupfergang, welcher aber reichhaltige »braune- und Kupferblankerze« liefert; Belehnung: 26. Juni 1752 »auf eine Fundgrube, erstere und zweitere Maasse, sammt Erbstollengerechtigkeit«; 2) Dorothea bei Hundhausen an der Sieg im Kirchspiel Rossbach; in einem Gesenke wurden 30—40 Centner »schöne, hochgelbe Kupferblankerze« gewonnen; der Gang setzt sich jedoch gegen das Thal in die Tiefe fort, weshalb ein - 8; - Pumpwerk zur Bekämpfung des Grundwassers erforderlich wird; Belehnung an den Bergverwalter Link und Consorten »mit einer Fundgruben und sechs Maassen« am 26. Mai 1763; 3) der Marienberg im Auelsfeld bei Ruppichrat (jetzt Ruppichteroth, Siegkreis), Amt Blankenberg, Kirchspiel Ruppichrat. In einem Gerolle von Schmerkluften und Trümmern werden in einem braunen Mulm reichhaltige, hochgelbe Kupferblankerze nieren- und nesterweise« gewonnen. Belehnung: 19. September 1736; 6. Juli 1742 wird ein Distrikt gevierten Feldes zugemessen; 4) die Bertramsgrube bei Unterhacken, Bronnel am Steinfeld, Kirchspiel Eitorf (Siegkreis), lieferte «zuerst bleigelbe Kupferblankerze' ergiebig (3, 4 — 5 Fuss mächtig); der Gang war aber vollständig verdrückt und dadurch plötzlich abgeschnitten und konnte nicht wieder aufgefunden werden; Belehnung vom 22. Mai 1753 auf »eine Fundgrube und 6 Maassen«. III. Bleierz und Kupfererz lieferten die Bergwerke: 1) der Wild- berg (siehe sub I, 2); 2) Zum göttlichen Segen beim »Hofe' Fahrenberg (jetzt Weiler in der Bürgermeisterei Denklingen, Kreis Waldbroel) ; in einigen Gängen werden Trümmer mit grobwürfeligen Bleiglanz- und Kupferblankerzen nesterweise zu Tage gefördert, doch ist die Grube nicht ergiebig; Belehnung: 5. November 1739 mit einem Distrikt von 200 Lachtern (ca. 410 m.); 3) der alte Bleiberg bei Mittelacher; beim Treiben eines tiefen Stollens, ver- mittelst welchen man die bekannten Blei- und Erzgänge lösen wollte, stiess man auf einen neuen sehr ergiebigen Gang, aus welchem man »oft centnerschwere, drusenartig gewachsene Würfel von stahlderbem Bleiglanze« förderte; Belehnung: 31. Januar 1743; 4) Catharinenzeche beim »Hofe Rosenbach«' (jetzt Dorf Rossenbach, Kreis Waldbroel); zwei Gänge lieferten »drei bis vier Loth silberhaltige Bleierze und Kupferblankerze«; doch war die Zeche nicht ergiebig und wurde schwach betrieben ; Belehnung an eine Gewerkschaft: 17. Juni 1752. IV. An Eisensteinbergwerken sind vorhanden: 1) »Das Kauert'sche inner den fünfzehn Löwenpfählen', zu Oberkaldenbach (Oberkalten- bach), Amt Steinbach, Kirchspiel Engelskirchen (Kreis Wipperfürth); zwei mächtige Gänge bilden ein 6 — 7 Lachter (ca. 12,2 — 14,3 m.) mächtiges Stockwerk, das nach unten trichterförmig zuläuft und in dessen Tiefe mit Hülfe von einem Pumpwerke «reichhaltige Drusen und traubenartiger Glaskopf und brauner, schwarzer und gelber Eisenstein« gewonnen wird; Belehnung: 2. März I7 2 3; 2) das »Litzische Stollenrevier«, an das vorige angrenzend. Hier werden »mittels zweier kostbarer Wasserkünste mit sehr langen Feld- gestängen« aus einem mächtigen Eisensteinflötz dieselben Sorten Eisenstein gewonnen, wie im vorigen Bergwerk ; in der Tiefe schneidet dieses Flötz auf einer » Kalkleihe • ab; mit einer angelegten Versuchsstrecke und einem — 88 — Querschlag hofft man jedoch, nicht nur das alte Flötz wieder aufzufinden, sondern auf einen neuen Eisenstein- und auf einen Bleierzgang zu stossen; Belehnung »nach des Werkes älteren Herkommen und Appertinentien«: 7. Sep- tember 1724; 3) Anna Fundgrube zwischen den Höfchen Mebig und Lenzholz (jetzt Weiler) im Kirchspiel Kürthen (Cürten, Kreis Wipperfürth), liefert flötz-, nieren- und nesterweise braunen und gelben Eisenstein ; belehnt wurde die Wittwe des Peter Moll mit »einer Fundgrube und sechs Nächster- maassen« am 16. Dezember 1761 ; 4) Gottes Segen in der Gegend von Buchholz, Kirchspiel Engel skirchen, führt weisse und braune Eisensteine von so geringem Gehalte, dass die Gewinnung sich nicht verlohnt; Belehnung auf eine Fundgrube und zwölf Maassen am 22. November 1763; 5) Eisen- steinbergwerk der Eichenhover und Wolffskauler Gewerkschaft bei Rheinshagen, Amt Bornefeld im Kirchspiele Remscheid (Kreis Lennep); auf zwei bauwürdigen, 3, 4 bis 5 Fuss mächtigen Eisensteingängen brechen brauner und gelber Eisenstein; Belehnung: 18. Juni 1765. V. Kupfererz und Eisenstein bietet das Kupfer- und Eisenstein- werk der Weisse Berg im Herrnbusch, Amt Windeck, Kirchspiel Morsbach (Kreis Waldbroel). Zwei streichende Gänge führen »bleichgelbe Kupferblankerze«, sowie »braunen und weissen Eisenstein« Belehnt wurde der Eigenlöhner Johann Heinrich Heimann mit einem Distrikt auf der alten Halde am 11. Februar 1741. VI. Braunkohlen kommen vor: 1) im »holzartigen Steinkohlen- bergwerke« Johann Georg zwischen Niederpleis und Geistingen, Kirch- spiel Stiehldorf (Siegkreis); hier und ringsum in der Gegend befindet sich in einer Tiefe von 2, 3, 4 bis 6 Lachter (ca. 4,10, 6,20; 8,40 bis 12,80 m) ein 6 — 8 Fuss mächtiges Flötz, das Braunkohlen »in einer terra bituminosa turfacaea vermischt- liefert; die Kohlen werden in der Nachbarschaft zum gewöhnlichen Ofenbrand verwendet, während die »terra bituminosa» in Haufen zu Asche gebrannt und als Düngemittel für Äcker und Wiesen malterweise verkauft wird; Belehnung auf »eine Fundgrube und vier Maassen gevierden Feldes« am 29. November 1758; 2) in dem ebenso, wie oben bezeichneten Werke Gertraud, das in Cühdinghoven (Küdinghoven, Kreis Bonn) auf der Hart im Amte Löwenberg liegt; Belehnung *.auf eine Fundgrube und sechs Maassen gevierden Feldes« am 23. Mai 1760. VII. Steinkohlen fördert zu Tage: das Steinkohlenbergwerk, das in den anschliessenden Ämtern Angermond und Lansberg (Angermund und Landsberg, Kreis Düsseldorf), sowie in der Herrlichkeit Orfft (Oefte, Kreis Mettmann) liegt. Hier sind bereits verschiedene Kohlengänge findig ge- macht worden, die »aus dem Stifte Wärthischen (Werden) übersetzen« und hier die Umkehr nehmen« und »einander vice versa zufallen und in der - 8 9 - Tiefe Mulden und Becken formieren; auf einem der mittelsten Kohlen- gänge, welche 1 /a Fuss mächtig, wird ein tiefer Stollen angefahren, und wenn damit der innerste Kohlencirkel passiert worden, sollen sämmtliche übrigen Kohlengänge nach der Horizontallinie dieses Stollens ebenfalls durch Quer- schläge in die Tiefe gelöset werden». Belehnt wurde Freiherr Nesselrod v. Hugenpoet »mit einem grossen Distrikt« am 29. Januar 1766. VIII. Quecksilber endlich bietet dar: die einzige Grube Das hoffende Glück, die unweit Bensberg (Kreis Mülheim) in der Gegend von Mil- beren, Hocht und Kirrdorfer (Kierderferj Siepen im Amte Porz liegt. Zwar »inclinirt« das ganze Gebirge und die Gegend »auf Quecksilber und Zinnobererz«, doch hat man nur verschiedene, durcheinander laufende, schmerklüftige Trümmer gefunden, »auf welchen hin und wieder 1 U — 1 U Zoll mächtige derbe Quecksilbererze nieren- und nesterweise brechen«. Mit »einer Fundgrube und 20 Maassen gevierden Feldes« wurde die damalige letzte Gewerkschaft am 15. April 1765 belehnt. Ferner erwähnt Dörring, dass in den Kirchspielen Dollcndorf, Honnef und Gilgenberg, in denen der Banquier Wilh. Hock acht Jahre lang be- rechtigt war, auf allerlei Metalle, Mineralien etc. zu schürfen und einzuschlagen, von ihm und seinen Erben nichts von Beständigkeit gefunden sei. Auch habe man noch an anderen Orten Muthungen angestellt, die zu nichts geführt hätten, und Bergwerke, die Aussicht auf Erfolg versprochen, seien durch Unlust der Gewerke oder Zwist unter den Teilhabern in's Stocken gerathen. Von den angeführten Bergwerken baute noch bis in die neueste Zeit eines unter seinem alten Namen, nämlich der »Heidberg« (I, 1); die meisten anderen sind erlegen. Nur wenige der angeführten Gänge und Lagerstätten sind unter anderem Namen weiter abgebaut worden, so die »Catharinen- zeche« (III, 4) mit ihren 2 Gängen, welche unter den Bezeichnungen »Philippus« und »Gustav Wilhelm« bis 1868 in Betrieb waren; ferner bestand »das be- scheerte Glück« (I, 3) als »Grube Wilhelm« nördlich von Erkrath und »der weisse Berg« (V.) als » Weissenberg« noch 1884 als Teil der Grube »Magdalena« nordöstlich von Morsbach, Kreis Waldbroel. — Berichtet uns Dörring zuerst über das Vorkommen von Mineralien über- wiegend vom bergmännischen Standpunkte aus, so verzeichnet uns zuerst der als Forscher und Sammler bekannte Missionar Franciscus Beuth Petrefakten und Mineralien. Beuth, im Herzogtume Berg geboren, trat in den Jesuitenorden und wurde von diesem nach Westfalen geschickt, wo er 3 Jahre lang blieb. In der Umgegend Paderborns legte er in seinen Mussestunden den Grund zu seiner Petrefakten-Sammlung. Darauf nach Köln gesandt, hatte er Gelegen- heit, im »Museum Bossardicum« (»magis ornatum, quam ordinatum, cetera — 9 o — exquisitioribus speciminibus dives«, wie er selbst in der Vorrede seines Werkes schreibt) und täglich in der Privatsammlung des Statthalters - der Niederrheinischen Provinz Hieronymus de Wymar sich in der Petrefaktenkundc weiter auszubilden. In Münster, wo er dann weilte, fand er ein neues Forschungsgebiet. Von dort kam er in sein Vaterland und wurde bald nach- her der Jülich-Bergischen Mission zugeteilt. Seine berufsmässigen Missions- reisen benutzte er nun erst recht, wie einst der Dominikaner Albertus Magnus seine Inspectionsreisen, zur Vermehrung seiner naturwissenschaftlichen Kenntnisse und zur Bereicherung seiner Sammlungen. In seinem Schriftchen: »Juliae et Montium subterranea etc.« gibt er uns einen Katalog seiner Sammlung mit Angabe der Fundstellen der einzelnen Stücke. In der Be- schreibung und Benennung folgt er den bekanntesten Werken seiner Zeit, wie Scheuchzers »Herbarium Diluvii«, Cl. Walchii »Systema Regni lapidei«, Cl. Caroli Linnaei »amoenitates academicae« und vielen anderen. Die Einteilung seines Kataloges beruht, wie aus der »Synopsis« (Seite 170) ersichtlich ist, lediglich auf einer faunistischen und floristischen Zusammen- stellung. Ihm kommt es allein darauf an, uns die »Lapides Emmorphi« »ex transmutatione vegetabilium«, »animalium«, oder *ex lusu naturae«, nicht aber nach ihrem Herkommen aus den verschiedenen Formationen, vor Augen zu führen. Was der heutigen Wissenschaft Hauptzweck ist, nämlich Aufklärung der Formationen vermittelst der Petrefaktenkunde, ist ihm neben- sächlich, da er ganz im Geiste der damaligen classificatorischen Naturbe- schreibung arbeitet, deren Ausgangspunkt Linne ist. Jedenfalls ist ihm das Verdienst nicht abzusprechen, dass er mit ebensoviel Fleiss, wie Gewissen- haftigkeit unter Benutzung aller, ihm zu Gebote stehenden Mittel die Spezial- kunde der Jülich-Bergischen Subterranea begründet und so den Führer durch das »Museum Beuth« zu einer, unter allen Umständen interessanten Publikation gestaltet hat, die selbstverständlich sub specie temporis zu bewerten ist. Unter diesem Gesichtspunkte müssen wir es ihm verzeihen, dass er Fundstücke nicht zu rubricieren weiss, deren genaue Beschreibung oder gar Abbildung dem heutigen Forscher die Bestimmung keinen Augenblick zweifel- haft erscheinen lässt. Sei es gestattet, hierfür ein Beispiel aus den Pflanzen- versteinerungen ( Phytolithi«) anzuführen. Seite 23 unter Nr. 14, wovon er Tafel I eine Abbildung gibt, heisst es buchstabengetreu: »Curiosos oculos sane non parüm quoque recreabit, quem hoc Loco describo Lapidem pariter ex fodinis prope Willems t ein erutum. Fateor ingenuö, haefiffe me diu neque satis adhuedum scire, qua ratione id aecu- rate, et ad vivum, üt loquimur fieri ä me debeat. Sequentia Lector aeeipe : Exhibet miro ordine, et figurä dispofita folia dicam an flores, Foliis non nifi binis apparentibus, lineä inter se difünetis, capitibus rhom- — g\ — boidalibus superne incumbentibus, pinnulis, live ncscio quibus ftriis latus fingulorum ambientibus. Quindecim omnino ejusdem figurae flosculi ornant superficiem Lapidis. inferne Arundinis saccharinas folium conspicitur, junci etiam circinati, scirpi et graminis typi impreffi sunt, binc inde disperfi. Vid. files. Subterr. pag. 332 Tab. 4. Fig. 6 item Tab. 15. Fig. 4. pag. 112.« Die angeführte Quelle ist Cl. Volckmanni Silesia subterr. Lipsiac 1720, das Fundstück aber auf den ersten Blick als ein Lepidodendron zu erkennen. Die Angabe einiger mehr oder minder unwahrscheinlicher Fundorte ist wohl aus entschuldbaren Verwechselungen hinsichtlich der Bestimmung der Petrefakten zu erklären. Zweifel an seiner Ehrlichkeit dürften nicht berechtigt sein, da die weitaus grössere Mehrheit seiner Behauptungen noch dem heutigen Stande der Forschungen entspricht. Eine zweite Schrift Beuth's: »Continuatio Juliae et Montium subterraneorum« etc., handelt über das Vorkommen von Mineralien in den beiden Herzogtümern. Eingeteilt sind darin die »Met all a« in a) »perfecta« (Gold, Silber, Blei, Kupfer und Eisen), b) »imperfecta« (Queck- silber und Zink) und c) »phlogista« (Schwefel, Schwefelkies, Steinkohlen und Torf). Auch hiervon gilt, was oben schon gesagt: die Fundorte stimmen meist mit den anderen Forschungen, besonders aber mit den oben erwähnten Angaben Dörrings überein, was sich schon daraus erklärt, dass ihm zur Anfertigung dieses »Succinctus Mineralium Index« sowohl der Jülich'sche Bergrat Daniels auf Kurfürstlichen Befehl, als auch der Bergische Bergrat Dörring die Species der Mineralien ihrer Bezirke mit der Benennung derselben und Angabe ihrer Fundorte zusandten. Interessant dürfte die Mitteilung Beuths sein, dass aus dem Rheinsand bei Düsseldorf, Mündeheim, Kaisers- werth und Steinen damals Gold gewonnen wurde. Erschien nun bisher Beuth, wenn auch nicht gerade bahnbrechend, immerhin als begeisterter und thätiger Naturfreund dankbaren Gedenkens werth, so zeigt ihn eine Polemik, welche ein Freiherr J. W. K. A. v. Hüpsch in Köln gegen ihn wahrscheinlich aus verletzter Eitelkeit in scharfer Weise eröffnet hatte, als geist- und stets massvollen Kämpen für seine ehrliche Ueberzeugung Baron Hüpsch hatte in einem Werkchen: »Neue in der Natur- geschichte des Nieder-Deutschlandes gemachte Entdeckungen etc. 1768*, an erster Stelle die »Beschreibung einer seltsamen, bisher unbe- kannten und neu entdeckten Gattung einer versteinten, einem Pantoffel ähnlichen, zwoschaaligen Muschel« gebracht und der Muschel nach ihrer Form den Namen: »Pantoffelstein (Sandaliolithus)« (die heute unter der Bezeichnung: Calceola sandalina bekannte Koralle) gegeben. Beuth dagegen — er- führt in seinem Kataloge (1776), der von Diaconus Schroedter in Weimar und Doktor Gmeiin in Göttingen citiert und belobt wird, Seite 120 unter Nr. 180 eine eben solche Versteinerung als »Pilolithus« (Kappenstein) an und bemerkt dazu, dass schon vor 15 Jahren sich in der Sammlung seines Bruders mehrere Pilolithi aus Niederrehe- und anderen Orten der Eifel befunden und dort nie eine andere Benennung, als die von ihm gebrachte, geführt hätten. Auch die Bezeichnung «Calceus muliebris» sei im Gebrauch, »quapropter et forte D. L., B., de Hüpsch eandem Concham Sandaliolithi nomine placuit insignire<. Das war der erste casus belli. Als zweiter kam hinzu, dass Beuth in seiner Continuatio mehrere, für Hüpsch neue Arten und Benennungen von Mineralien, sowie neue Fundstellen derselben brachte, was die Eitelkeit von Hüpschs, welcher ja auch auf demselben Gebiete schrift- stellerisch thätig war, verletzt haben muss, wie aus der ganzen Art seines Angriffes gegen Beuth hervorgeht. Beuth zwar sucht nachzuweisen, dass Hüpsch als Händler mit Naturalien in seiner (B.'s) Publikation eine Schädigung des Geschäftes erblickt habe. Wir lassen es dahin gestellt sein, zumal da Hüpsch auch Beuth zum Händler stempeln will und eine diesbezügliche Untersuchung jetzt nicht mehr möglich ist. Der Angriff v. Hüpschs erfolgte Pseudonym in seinem: »E. Ph. B. Freih. von Detmaris Schreiben an seine Freunde über das in Druck erschienene, von dem Exjesuiten Franz Beuth verfasste Werklein Juliae et Montium Subterranea und die darauf neulich gefolgte Continuatio, 1779«. In seiner Kritik über den Katalog Beuths, Eingangs deren sich von Hüpsch rühmt, die beiden Herzogtümer bis in's Eingeweide zu kennen, macht er seinem Gegner hauptsächlich den Vorwurf, dass derselbe für die Versteinerungen wissentlich falsche Fundorte angegeben habe. Mit Unrecht: mag Beuth sich hin und wieder in den Fundorten geirrt haben, so ist daraus noch lange nicht auf einen dolus zu schliessen; er konnte sich, wie oben schon angedeutet, in der Bestimmung der Versteinerungen geirrt und so einen unmöglichen Fundort angegeben haben; ferner können fossile Fund- objekte durch irgend welche Einwirkungen und Zufälle, so z. B. durch Erosion oder gänzliche Zerstörung von Schichten, an einen Ort gelangen, an dem sie in vorhandenen geologischen Schichten nicht vorkommen oder doch nicht als gleichzeitige Einschlüsse gelten können. Wenig vorteilhaft für v. Hüpsch ist es aber, wenn er in seiner Streitschrift Seite 24 von dem »Sandaliolithus«, den er doch 1768 »neu entdeckt« haben will, nun als Antwort auf die oben angeführte Stelle des Beuth'sche Kataloges sagt, dass diese Versteinerung schon vor 30 Jahren als Muschel erkannt worden sei. Bezüglich der »Continuatio« bemängelt Hüpsch neben den Fundstellen besonders die Bezeichnungen der Mineralien, die jedoch, wie bereits gesagt, — 93 — zumeist von dem Bergrat Dörring herrühren. Z. B. kennt er das Josina- Bergwerk zu Mittelacher (cfr. oben Dörrings »Bemerkungen etc.« sub II, I) nicht als Fundort und ebensowenig ' versteht er den Ausdruck: »Galena plumbi sulphure et ferro mineralisata«, trotzdem er vier mineralogische Werke, darunter auch das von Cronstedt, nachgeschlagen habe. Beuth erwiderte die heftigen Angriffe, ebenfalls pseudonym, mit der Schrift: »A. v. P. S. Schreiben an seine Leser zur Beantwortung des von E. Ph. B. Freih. von Dethmaris in Druck ausgefertigten Schreibens an seine Freunde wider das Werklein Juliae et Montium subterranea und die darauf erfolgte Continuation des Missionars P. Beuth, 1780, die vielfach den Stein auf den Schleuderet- zurückwirft. So weist, um hier gleich an die letzte Behauptung v. Hüpschs anzuknüpfen, Beuth nach, dass und wo die Bezeichnung > Galena ferro et argento sulphurato mineralisata« bei Cronstedt vorkommt. 1 lier einige Proben beider Streitschriften : v. Hü p seh schreibt Seite $J : »Sie werden sich aber ebenso sehnen, als ich, von dem Hircocervo dem spatartigen Bleyglanz und dabei von stahlichtem Gewebe den Augen- schein einnehmen zu können. ■ und Seite 43 : »Jetzt kommt etwas rechtes. (Risum teneatis amici!) Ein Kleinäugiger mit geschwefelter Silber-Mine mineralisirter Bleyglanz so beim Stahl Feuer gibt: ich meine doch es recht übersetzt zu haben. Was haben wir nun hier? einen wahrhaften Hircocervorum asinum.« Beuth erwidert Seite 40): »Wir haben also erstens einen Kleinäugigen, zweytens einen mit Schwefel, und drittens mit Silber mineralisirten Bleyglanz, der viertens beym Stahle Feuer giebt. Nun suchen wir den Hircocervus, der zugleich Bock, Hirsch, und Esel ist. Stecket er im kleinäugigen Bleyglanze? Nein. Oder in der Schwefel und Silber Miner, womit er vermischt ist?« und Seite 37: »Die Petrefakten sind eine Sammlung seiner« (seiner = Beuths, da der- selbe ja den A. v. P S. für sich reden lässt) Emsigkeit, und eigner Kennt- nisse; Die Mineralien eine Gnade seines Durchlauchtigsten Kuhrfürsten, und deren Beschreibung grösstentheils das Werk ächter Mineralien-Kenner, die in ihrer Jugend vermuthlich schon mehr von diesem Theile der Gelehrsamkeit gewusst haben, als der Freih: jemal erlernen wird. — Was hat dann Dethmaris zu beschnarchen? Will er einen Bergrath Döring der Unwissenheit bestrafen? Will er ihm Hircocervos aufdichten? -- Deute er es mir nicht zur Ungnade aus, wenn ich ihm in solchem Falle wiederum — 94 — mit einem Paare lateinischer Worte beschwerlich fallen muss : Es ist ein nur kleines Sprüchwort, und heisst: Sus Minervam.« Wenn Beuth solcherweise gegenüber den hämischen Angriffen seines Gegners, die ihn öffentlich zum Lügner und Betrüger stempeln sollen, zuweilen derb zugreift, so ist das wohl nicht mehr, als recht ; jedenfalls ist er der Provozierte, auf dessen Seite weit mehr Vornehmheit zu finden ist, als bei dem adeligen Angreifer. Allem Dünkel fern, hält er selbst sein Syntagma nicht für ganz tadellos (Seite 32) und sagt (Seite 56): »Findet Dethmaris an den zweyen Werkchen des P. B. etwas in Vernunft auszusetzen, so thue er es; aber mit Gelassenheit etc.«, und ferner (Seite 32) : »Bei dem allem denke ich mit Horaz in seiner Dichtkunst: Ubi plura nitent in carmine, non ego paucis Offendar maculis .« Verwunderlich ist es nun, dass v. Hüpsch auf die Erwiderung Beuths eine abermalige Streitschrift, die weniger eine sachliche Widerlegung, als ein Pasquill ist, nicht mehr unter dem Pseudonym: »Frhr. v. Dethmaris« er- scheinen lässt, sondern die Chiffre, die Beuth angewandt hatte, in »Anton von Padua Steinwurm- ausdeutet und sich dieses Pseudonym aneignet. Das Pasquill trägt demnach den Titel: »Anton von Padua Steinwurm schreiben an seine Leser zur Beantwortung des von E. P. B. Frhr: von Detmaris in Druck ausgefertigten Schreibens an seine Freunde wider das Werklein Juliae et Montium subterranea und die darauf erfolgte Continuation des Missionars Franz Beuth mit Vorrede und Anmerkungen eines Nachts- wächters. Ritendo, dicere verum. Pinglang in der Provinz Xanssi an dem Fluss Ring in China. 1 15920 oder 1780«. So will v. Hüpsch den An- schein erwecken, als sei dieses Werkchen gewissermassen eine Vorrede zu demjenigen des »A. v. P. S.«, weshalb er auch auf der letzten Seite folgende »Nachricht« bringt: Hier folgt nun das Schreiben des Missionars Franz Beuth von Wort zu Wort«. Hüpsch erreichte so eine vollständige Verwirrung bei den Lesern, wofür es bezeichnend ist, dass auch in dem mir vorliegenden Exemplar der Bonner Universitätsbibliothek die Antwort v. Hüpsch's vor die Schrift Beuths, der sie gilt, gebunden ist; eine allerdings wenig ehrliche Kampfesweise ! Noch erübrigt, den Bruder des Missionars Beuth zu erwähnen: Herrn. Jos. Friedr. Beuth. Nach den »Collectaneen« von Beckhaus wurde derselbe 1733 zu Düsseldorf geboren, war tit. Hofkammerrat und Rechnungsrevisor in Düsseldorf, Ehrenmitglied der Akademie der Künste daselbst und der Gesellschaft naturforschender Freunde in Berlin und Ritter des preuss. Roten Adler-Ordens 2. Klasse; er starb am 19. April 18 19 (nach anderen am 21. April 1821). Er interessirte sich sehr für Natur-, speziell Petrefakten- — 9? künde und Kunst und besass eine seltene, schöne Sammlung von Naturalien und Kunstschätzen. Lag im vorigen Jahrhundert die Lokal-Forschung auf dem Gebiete der Mineralogie und Geologie in unserem Bergischen Lande lediglich in Händen von wenigen praktischen Bergbeamten oder autodidaktisch gebildeten Dilettanten, — denn die Duisburger Universität hat in diesen beiden Fächern wohl kaum etwas Hervorragendes geleistet — , so trat in unserem Jahrhundert hierin eine günstige Wendung insofern ein, als die strenge Wissenschaft, veranlasst durch die Bedürfnisse des Erwerbslebens, die in Bezug auf Gewinnung von Erz, Kohle etc. manche Anforderung an sie stellte, sich dieser Fächer annahm. Bei dem schnellen Wachstume aller Wissenschaften, besonders der Naturwissenschaften, welche ja unser Jahrhundert beherrschen, brachte die streng wissenschaftliche Forschung denn auch bald mehr Licht in unsere Subterranea. Naturgemäss übernahm die neue Friedrich-Wilhelm- Universität zu Bonn die wissenschaftliche Führung. Hier waren es vor- züglich J. J. Noeggerath und H. von Dechen, welche nicht nur in engerem Kreise des Geisteslebens glänzen, sondern weit über die Grenzen der Rhein- lande hinaus als Koryphäen ihrer Wissenschaft bekannt sind und auch so die lokalen Forschungen zu wissenschaftlichem Gemeingute machten. Schon 1808 beginnt Noeggerath seine rheinischen Lokalpublikationen und v. Dechen dieselben im Jahre 1823. Beider Gelehrten Werke sind dem Fachmanne hinlänglich als bahnbrechende bekannt, so dass es uns erlassen bleiben dürfte, auf dieselben näher einzugehen. Nicht ohne grossen fördernden Einfluss auf Mineralogie und Geologie blieben das Wirken und besonders die Veröffentlichungen der verschiedenen naturhistorischen Vereine des Rheinlandes, von denen an erster Stelle der »Naturhistorische Verein der preussischen Rheinlande und Westphalens« zu nennen ist. Derselbe gab seine -Verhandlungen« zuerst im Oktober 1844 heraus. Ihm folgte der »Naturwissenschaftliche Verein von Elberfeld und Barmen« mit seinen Publikationen im Jahre 1852 und der »Düsseldorfer Natur- wissenschaftliche Verein» im Jahre 1887. Unserem Jahrhundert war es auch vorbehalten, in geologischer und be- sonders antropologischer Beziehung den interessantesten Fund ans Tageslicht zu bringen, nämlich den Homo Neanderthalensis. Der Fundort war vordem ein weltfremdes und »weltentrückendes«, romantisches Thal, das von der Dussel durchströmte Neanderthal, welches den Dr. med. J. H. Bongard in seiner »Wanderung zur Neandershöhle« (Düsseldorf, bei Arnz 1835) bereits zu geologischen Betrachtungen angeregt hatte. Bald aber zog die Industrie in dieses mit Naturreizen so verschwen- derisch bedachte Thal ein, und die Naturschönheit musste dem menschlichen 96 - Erwerbstrieb ihren Tribut zollen. Damit aber waren der wissenschaftlichen Forschung zugleich Thor und Thür geöffnet. So brachte denn auch J. J. Noeggerath, angeregt durch die, von der Marmorschleiferei von Diepgen und Beckershoff im Neanderthal auf der Düsseldorfer Industrie-Ausstellung ausgestellten » Marmorarten « (geschliffener Elberfelder Kalk), eine mineralogisch- geologische Beschreibung unseres Thaies in Nr. 276 (28. Oktober) der Köln. Zeitung vom Jahre 1852. Die trefflichen Eisenerze (Brauneisenstein), so sagte er, seien in ihrer natürlichen Lagerung zuerst durch die Arbeit der Eisen- bahn-Einschnitte entdeckt worden und hätten sich so ergiebig gezeigt, dass daraufhin von der Gewerkschaft »Eintracht' die Eisenhütte in Hochdahl ge- gründet werden konnte. Als Eisengruben wurde »Morgenröthe« und »Oster- holz« begründet. Zur oben genannten Marmorschleiferei übergehend, erwähnt er, dass in derselben auch Erdfarben, Umbra, roter und gelber Ocker, fabriciert würden, zu denen die rohen Urstoffe in der Nähe gewonnen würden; ebenso werde blauer, echter Smirgel, der sonst nur aus Griechenland erhältlich, zum Polieren und Schleifen von Waffen etc. gepocht und geschlemmt, auch Knochenmehl, Stukkaturgyps gemahlen und sogenannter Roman-Cement als vorzüglicher Wassermörtel aus kohlensaurem Talk-Kalke dargestellt. Nach- dem er bemerkt, dass vor Alters hier schon Marmor gebrochen worden und die damaligen Besitzer die Brüche wieder erschlossen hätten, geht er zur Beschreibung des Marmors über. Die vorherrschenden Grundfarben wech- selten vom Dunkelschwarzen bis zum Lichtgrauen, doch gibt es auch rot- braune Varietäten. Die Oberfläche ist mit reizenden, schneeweissen Zeich- nungen bedeckt, welche durch die in Kalkspath verwandelten Körper und Schalen von Korallen, Strahlentieren, grösseren und kleineren Muscheln u. s. w. bedingt werden, von denen der Marmor eine grosse und mannigfaltige Anzahl einschliesst. Der Marmor wird zu grösseren Baustücken, Grabmonumenten, Vasen, Tischtafeln, Fliesen etc. verwendet. Zum Schlüsse giebt uns Noeggerath eine interessante, geologische Be- schreibung der Neanderhöhle. Der Kalksinter in ihr sei schmutzig, die Wände und Decke trocken; daher könnten die Kalksinter-Rinden und Tropfsteine nur von einer früheren Zeit herrühren und nicht mehr zunehmen. Die Spalten und Risse in der Höhlendecke, durch welche ehemals die kalkhaltigen Wasser einsickerten, seien durch den eigenen Absatz der letzteren verstopft worden. Der Boden der Höhle bestehe aus Lehm. Die Kalksinter-Pilaster setzten aber mit ihrer breiten Basis auf diesem Lehme scharf ab, zögen sich nicht in den- selben hinein, wodurch klargestellt würde, dass dieser Lehmboden schon vorhanden war, als die Kalksinter-Bildung ihren Anfang nahm. Der Lehm der Höhle, welcher gewiss in der wissenschaftlich sogenannten Diluvial-Periode gebildet worden, scheine noch nicht durchsucht. — So weit Noeggerath. — 97 — Vier Jahre später sollte das von ihm beschriebene, bis dahin unbekannte Thal Weltruf durch den Fund des Homo Neanderthalensis erlangen, über den sich mit der Zeit eine ganze Litteratur gebildet hat. Im August 1856 fanden Arbeiter in der südlich gelegenen kleineren der beiden Feldhof er Grotten auf der linken Düsselseite bei Ausräumung des Lehmschuttes eine Anzahl zusammengehöriger, menschlicher Gebeine, darunter die Schädeldecke. Professor Dr. C. Fuhlrott, Lehrer an der Realschule I. Ordnung zu Elberfeld, den der Mitbesitzer der Neanderthaler Steinbrüche, Friedr. Wilh. Pieper in Hochdahl, von diesem Funde in Kenntnis gesetzt hatte, unter- suchte zuerst an Ort und Stelle die Fundumstände und die Gebeine. Das Resultat dieser Untersuchung legte er in einem Aufsatze: »Menschliche Ueber- reste aus einer Felsgrotte des Düsselthals« in den Verhandlungen des Natur- historischen Vereins der preussischen Rheinlande und Westfalens«, 1859, Seite 1 3 1 nieder. Hierin kommt er immer mehr zu der Ansicht, dass es sich um fossile Menschenknochen handele, die zur Diluvialzeit an ihren Fundort gelangt seien. Auch Professor Dr. H. Schaaffhausen und Geheimrat Dr. Mayer in Bonn teilten, als Fuhlrott ihnen zuerst den Fund vorlegte, die Ansichten Fuhlrotts über den wahrscheinlichen Ursprung und die wissen- schaftliche Bedeutung des Fundes. Fuhlrott (a. a. O., Seite 8) beschreibt das Lehmlager, in welchem in einer Tiefe von 2 Fuss die Gebeine gebettet waren, folgendermassen: »Darnach hatte das beinahe trockene und in der oberen Lage (wie sich die Arbeiter ausdrückten) steinharte Lehmlager eine horizontale Oberfläche und an den tiefsten Stellen der Grotte höchstens 6 Fuss Mächtigkeit, war aber weder an der Oberfläche mit Kalksinter überzogen, noch irgendwo durch eine dünne Lage dieses Minerals in Schichten gesondert, sondern bildete, wenn man von den sparsam darin verteilten rundlichen Hornsteinen absieht, eine gleichartige, dicht zusammenhängende Masse.« Ferner weist er (Seite 22 bis 24) nach, dass die Gebeine nur gleichzeitig mit dem sie umgebenden Lehm in die Grotte gelangt sein können. Schaaffhausen hatte bereits in einer Sitzung der niederrheinischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde am 4. Februar 1857 und in der Generalversammlung des naturhistorischen Vereins für die preussischen Rhein- lande und Westfalen, sowie im September 1857 bei der Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte die Gebeine des Homo Neanderthalensis besprochen und vorgezeigt und dieselben darauf in Müllers »Archiv für Anat. und Physiol.«, Berlin 1858, S. 453 unter der Ueberschrift : -Zur Kenntniss der ältesten Rassenschädel« beschrieben und sie »für das älteste Denkmal der früheren Bewohner Europas erklärt«. Gibt Schaaffhausen in dieser Abhandlung die Möglichkeit zu, dass die Knochen fossil seien, so erkannte er deren - qR diluviales Alter nach dem Funde diluvialer Tierknochen im Neanderthale (in der von der Feldhofer Grotte nicht weit entfernten Teufelskammer) rück- haltlos an. Seit Anfang der 6oer Jahre zog der Fund die allgemeine Aufmerksam- keit der wissenschaftlichen Welt auf sich und es entstand eine ganze Reihe verschiedener Deutungen desselben. Als Beispiele hiervon seien folgende erwähnt: Geheimrat Mayer, der früher das hohe Alter der Neanderthaler Knochen anerkannte, hielt sie später (cfr.: Mayer »Über die fossilen Überreste eines menschlichen Schädels und Skeletts in einer Felshöhle des Dussel- oder Neanderthales in Müllers »Archiv für Anat. und Physiol.« Berlin 1864, No. 1) für die Überreste eines Kosacken, der 1S14 mit Tschernitscheffs Armee- korps in die Gegend von Mettmann kam und als Flüchtling Zuflucht in der Feldhofer Grotte fand und in ihr zu Grunde ging. Professor Virchow hielt die Knochen für die Überreste eines alten an Rachitis leidenden Mannes und behauptete, dass man den Schädel nicht als Rassen- schädel betrachten dürfe. Vogt, Pruner-Bey und C. Blake vermuteten in dem Neanderthaler Menschen einen Idioten. Die englischen Gelehrten Burk, Huxley und Lyell dagegen teilten im wesentlichen Schaaffhausens Ansicht über unseren Fund. In: »Der fossile Mensch aus dem Neanderthal und sein Verhältnis zum Alter des Menschengeschlechtes«, zwei Vorlesungen, Duisburg 1865, Seite 48, beklagt sich Fuhlrott darüber, dass die Fund- umstände »bei der Altersbestimmung des Neanderthaler Fundes entweder ganz übersehen oder wenigstens nicht in ihrer vollen Bedeutung gewürdigt worden« wären. Er gibt nochmals einen eingehenden Fundbericht, in welchem er die geologischen Verhältnisse des Neanderthales berücksichtigt und im weiteren Verlaufe (Seite 50 und 52), in Berichtigung früher von ihm aus- gesprochener Ansichten, behauptet, der Fund habe kein ganzes Skelett dar- gestellt und sei von oben durch eine Schichtenspalte in die Grotte gelangt. Seite 52 stellt er als »thatsächliches Resultat« folgendes auf: »Dass bei Ausräumung eines Grottenraumes in der Neander- thaler Schlucht eine Anzahl menschlicher Gebeine aufgefunden und gesammelt wurden, die in allen wesentlichen Beziehungen mit den fossilen Resten vorweltlicher Tiere übereinstimmen, welche man bisher unter ganz analogen Bedingungen aus andern Grottenräumen und Klüften desselben Kalksteingebirges zu Tage gefördert hat«. — Eine allseitig umfassende Abhandlung über den Fund und die darüber erschienenen Arbeiten gibt Schaa f f hausen unter dem Titel: »Der Neander- thaler Fund«, Bonn 1888, in welcher er allen gegenteiligen Behauptungen — 99 — entgegentritt und die Bedeutung der Gebeine als Rassentypus und deren diluviales Alter nachdrücklich und mit Erfolg verteidigt. Geschahen bis jetzt die Untersuchungen des Fundes hauptsächlich vom anthropologischen Standpunkte aus, so suchte Archäologe Const. Koenen in Würdigung der von Fuhlrott mitgeteilten Fundumstände das Alter der Knochen nach geologischen und praehistorischen Gesichtspunkten zu bestimmen. In einem Vortrage, den er in der Generalversammlung des »Naturhist. Vereins für die preussischen Rheinlande etc.« am 7. Juni 1892 zu Düsseldorf hielt, kam er zu dem Schlüsse, dass der Neanderthal-Fund viel älter sei, als gewöhnlich angenommen werde, und sich der Tertiärperiode nähere. In neuester Zeit neigt er der Ansicht zu, dass er tertiären Ursprunges sei, zumal die die Knochen einschliessende Lehmschicht, laut Fuhlrott's Angaben, nach ihren Einschlüssen als aus der Tertiärzeit herrührend zu betrachten sei. Nur analoge, auf das sorgfältigste wissenschaftlich untersuchte Funde können endgültig Licht verbreiten über das Alter unseres homo Neander- thalensis und somit auch über die Anfänge unseres Menschengeschlechtes. Möge der Zeitpunkt nicht fern sein, der uns in diesen wichtigen Fragen klar sehen lässt! Oskar Rautert. X. Metallindustrie. Für die Geschichte der Technik in älterer Zeit fliessen nur wenige dürftige Quellen, trotzdem die Überbleibsel grosser Werke, wie z. B. der römischen Brückenbauten über den Rhein, auf bedeutende Leistungen schliessen lassen. Unzweifelhaft erfuhr eine Grundlage aller Technik, die Gewinnung und Benutzung der Metalle, darunter namentlich des Eisens, schon früh eine ganz nennenswerte Ausbildung. Am Rhein fanden die Römer bei ihrer ersten Begegnung mit Kelten und Germanen die Kenntnis eiserner Gerätschaften vor. Freilich war damals bei uns das Eisen in der Bewaffnung nur spärlich vertreten, was viele Menschenalter hindurch den vorzüglich ausgerüsteten römischen Legionen den Sieg nicht wenig erleichterte. Später, in früh-mittel- alterlicher Zeit, galt die Herstellung von Waffen, Trutz- wie Schutzwaffen, für das erste und vornehmste Gewerbe, und am Niederrhein blühte bereits um das Jahr 1000 die Waffenfabrikation in Solingen. Dort gelangte sie zu grosser Berühmtheit, überdauerte die Jahrhunderte und erhielt sich bis auf den heutigen Tag, während die im frühen Mittelalter gleichfalls hochberühmten Waffen- fabriken zu Damaskus und Toledo jetzt kaum noch ihre Existenz fristen. Ob 7« — IOO — wirklich ein Graf von Berg, der sich dem Kreuzzug des Kaisers Barbarossa angeschlossen hatte, mehrere Waffenschmiede aus Damaskus, welche die Kunst verstanden, Stahl herzustellen und zu härten, nach Solingen brachte, mag dahingestellt bleiben: Jedenfalls wurde im 12. Jahrhundert die Klingen- fabrikation in Solingen schwungvoll betrieben, und zählten damals die deutschen Waffen mit zu den besten der Welt. Während des Mittelalters bestanden in Solingen für die Herstellung der Schwerter nicht weniger als drei Bruder- schaften, Schwertschmiede, Härter und Schleifer, Schwertfeger und Reider. Hierbei herrschte völliger Kastengeist. Kein Schwertschmied konnte Härter, kein Schleifer Reider werden. Es ist recht interessant, würde hier aber zu weit führen, die Klingenfabrikation in Solingen durch Jahrhunderte zu verfolgen und zu sehen, wie allmählich die trotzigen, auf ihre Kunst stolzen, durch manche Privilegien geschützten, selbständigen Handwerksmeister schliesslich doch der grösseren Gewandtheit der Kaufleutc unterlagen und zu Lohnarbeitern derselben herabsanken. Bittere Kämpfe zwischen Beiden füllen Jahrhunderte. Entscheidend für den Niedergang der Solinger Waffenfabrikation war aber die Erfindung des Schiesspulvers, die dadurch bedingte Einschränkung des Waffen- tragens, der Verrat eidvergessener Meister, die aus Solingen auswanderten und ihre Kunst verbreiteten, die Anlage staatlicher Waffenfabriken, die Zer- störung aller Zunftordnungen während der Zeiten der französischen Revolution und andere Ursachen mehr. Im Jahre 1883 vereinigten sich die beiden grössten Solinger Fabriken und gründeten eine neue unter der Firma Weyersberg, Kirschbaum u. Cie., die schon im ersten Jahre ihres Bestehens über 265000 Waffen aller Art, als Aufstecksäbel, Hirschfänger, Kavalleriesäbel, Degen, Offiziersäbel, Rappiere und Fechtklingen etc. nach allen Ländern der Welt versandten. Gleichzeitig mit der Klingenfabrikation blühte auch die Messerfabrikation; doch standen die Messerschmiede an Berechtigungen und an Ansehen weit hinter den Klingenschmieden zurück. In schlechten Zeiten war es jedem Schwertschmiede erlaubt, auch Messerklingen zu schmieden, aber niemals einem Messerschmiede, auch Schwertklingen zu schmieden. Die Messer- fabrikation hat sich bis auf unsere Zeiten in Solingen erhalten. In der unmittelbaren Nachbarschaft von Solingen zu Remscheid und Kronenberg bestand schon sehr frühe eine in grossem Umfange betriebene Herstellung von Sensen. Die Kronenberger Meister bestanden auf ihrem ausschliesslichen Privilegium, Sensen zu schmieden, so hartnäckig, dass in dem benachbarten märkischen Lande eine mächtige Konkurrenz durch die Anlage vieler Hämmer (durch Wasser getrieben) ins Leben gerufen und besonders in Remscheid die Steuer-Märker (Steiermark) Sensen, sogenannte gebläute Sensen, hergestellt wurden. — 101 — Fast in allen Orten am Niederrhein blühte im Mittelalter die Kleineisen- Industric, welche die Erzeugnisse der täglichen Bedürfnisse in grossem Maass- stabe herstellten. So wurden z. B. in Lennep, Düsseldorf, Ratingen, Wipper- fürth, Rade vorm Walde, Elberfeld, Barmen, Gerresheim, Blankenburg, Mülheim am Rhein, Lüttringhausen, Mettmann und Remscheid Schlösser, Schuppen, Hacken, Picken etc. angefertigt. Schon frühe bediente sich diese Industrie der vom Wasser getriebenen Hämmer, — landesherrliche Urkunden bekunden stete Vermehrung dieser Hämmer, sichere Nachrichten darüber datiren aber erst vom Ende des 17. Jahrhunderts. Die Angabe, dass im 14. Jahrhundert in der Stadt Ratingen eine damals berühmte Panzerschmiede bestanden habe, begegnet heute ernsten Zweifeln. Nach einem Vortrage des Dr. Eschback aus Ürdingen beruht die Nachricht auf einem Misverständnisse, wenn nicht gar auf einer Fälschung. Der Beschluss des Rats in Ratingen (Archiv der Stadt Ratingen, März 1442), nach welchem jedem zunftmässigen Bürger vorgeschrieben war: Harnisch, Panzer und Hundekugel zu tragen, beweist nicht, dass diese Waffen in Ratingen gefertigt wurden. Etwas mehr Wert wäre der Nachricht beizulegen, dass seit dem 13. Jahrhundert viele Panzer-Arbeiter nach Köln auswanderten; ich habe darüber aber nichts Näheres finden können. Dagegen bestand in Ratingen, wie in manchen anderen bergischen Städten, schon frühe die Scheerenfabrikation, da schon in einem Stadtbuche vom Jahre 1362 die Bruderschaft der Scheerenschmiede (confraternitas fabrorum) erwähnt wird. Aber bereits im Jahre 1686 klagt der Magistrat darüber, dass das früher so blühende Scheerenmacher-Handwerk ganz untergegangen sei. Nadelfabrikcn, für Nürnberg und Augsburg zu den Jahren 1370 und 1406 nachweisbar, entstanden in Aachen in späterer Zeit. Das im 14. Jahrhundert in Nürnberg erfundene Drahtziehen wurde später in Altena, Lüdenscheid und Iserlohn weiter ausgebildet. Die Nähnadeln bestanden aus Stahldraht, die Stecknadeln ursprünglich aus Messingdraht. Auch die Herstellung des Schmiede-Eisens machte im frühen Mittelalter schon grosse Fortschritte. Aus den alten Rennfeuern entstanden besser kon- struirte, sogenannte Stücköfen, in denen grössere und zahlreichere Luppen erzeugt wurden. Oft erzielte man in denselben das ursprünglich gar nicht gewollte — »Roheisen'- — , das man aber allmählich schätzen und gebrauchen lernte, ebenso wie seine Herstellungsweise in hochgebauten Stücköfen bei ununterbrochenem Betriebe, welche den Namen Hochöfen erhielten. Das Ausschmieden der Luppen aus den Stücköfen geschah in früher Zeit nur mit Handhämmern, aber in den Eisenhütten des 16. Jahrhunderts waren die von Wasserrädern getriebenen Hämmer schon im allgemeinen Ge- brauche; zum Ausschmieden der Luppen dienten die Aufwerfhämmer und die 102 — sogenannten Schwanzhämmer zum Ausrecken der schon vorgeschmiedeten Luppen. Im Sauerlande gab es im Jahre 1525 eine so bedeutende Anzahl dieser Hämmer, dass durch eine Verordnung Herzogs Johann von Kleve die Anlage neuer — »Schlachten« — verboten und die Beseitigung der seit Menschengedenken errichteten verfügt wurde! Also schon damals gab es — Überproduktion — und, wie man sieht, auch ein gewiss wirksames originelles Verfahren zur Beseitigung derselben. Ich muss darauf verzichten, die mühsamen Anstrengungen zu schildern, deren es für die Metallindustrie in zahlreichen Ortschaften des Niederrheins bis zur Zeit der Fremdherrschaft bedurfte, um die Nachteile, die der dreissig- jährige Krieg und so manche späteren trüben Verhältnisse gebracht hatten, zu überwinden. Erwähnt sei nur, dass zu Anfang dieses Jahrhunderts in und bei Remscheid nicht weniger als 23 Sensenhämmer, 23 Hammer- Werkstätten, 573 Schmiedefeuer, 4 Schleif kotten und 2 Amboshämmer im Betriebe standen, und dass ähnliche, wenn auch nicht so zahlreiche Industrie-Werkstätten sich in Mülheim a. d. Ruhr, in Velbert (Anfertigung von Korkziehern, Bügeleisen, Zirkel, Charniere, Waagen, Schnallen etc.), in Lüttringhausen (Anfertigung von Sensen, Sicheln, Küchengeräten), in Rade vorm Walde und in noch manchen anderen Orten vorfanden. Waren viele dieser Betriebe auch schon lange Jahre hindurch durch Wasserräder zu maschinellen und nicht mehr von der Hand und der Kraft des Mannes allein abhängig geworden, so trat durch die Erfindung des Walz- prozesses für Eisen und andere Metalle doch eine gewaltige Änderung ein. In den schon zahlreich vorhandenen Eisenhämmern wurde fast ausschliesslich das Eisen verschmiedet, gereckt mit vieler Mühe und mit grossem Zeitauf- wande. Der Walzprozess brachte hier Wandel und die Erzeugung von Stab- und Rundeisen, von Winkeleisen und anfänglich einfachen Profilen wuchs rasch bei stets steigendem Bedarf. Gleichzeitig gelang es mit den immer besser gebauten Wasserrädern, auch mächtige Gebläse-Maschinen zu betreiben, welche den Wind zu den Hochöfen liefern mussten. Wenn bis vor etwa 100 Jahren der Betrieb der Walzwerke und Hoch- öfen lediglich von der Leistungsfähigkeit der den Bächen und Flüssen ent- nommenen Wassermengen und Gefällhöhen abhängig und die Lage der Werke dadurch bedingt war, so änderte sich das vollständig, wenn auch langsam durch das allmälige Eindringen der »Dampf maschine« in unsere Betriebe. Die ersten Maschinen, welche in Deutschland aufgestellt wurden, dienten zur Wasserhaltung in unseren Bergwerken, die Maschinen kamen aus England wo der geniale Watt sie gleichsam zum zweitenmale erfand und zwar in einer so vollendeten Weise, dass sich dieser Type der Watt'schen Maschine lange Jahre hindurch unverändert erhalten konnte. — 103 — Die erste Dampfmaschine, die in Deutschland mit deutschem Materiale gebaut wurde (damals noch Feuer-Maschine genannt), wurde schon am 23. August 1785 auf dem Königs-Friedrichs - Schachte im Revier der Mans- feld'schen Kupferschieferbauenden Gesellschaft in Betrieb gesetzt. Im Ruhrrevier baute Franz Dinnendahl auf der Kunstwerker Hütte bei Rellinghausen schon in den Jahren 1801 — 1803 eine Dampfmaschine zur Wasserhaltung für die Zeche »Wohlgemuth« bei Kupferdreh und in den fol- genden Jahren noch mehrere dergleichen für benachbarte Bergwerke, darunter Maschinen bis zu 45 Zoll Cylinderdurchmesser (im Jahre 181 1 für Zeche Karoline). Auf der Gutenhoffnungshütte zu Sterkrade wurde die erste Dampf- maschine im Jahre 18 19 gebaut, aber auch in die Privatindustrie fand die Dampfmaschine immer mehr Eingang, man lernte mit höherer Dampfspannung arbeiten, die Expansion des Dampfes immer besser ausnutzen und den Kohlen- verbrauch zum Heizen der Kessel immer mehr und mehr vermindern; man baute Woolf'sche und in den letzten 1 5 Jahren auch die sogenannten Ver- bundmaschinen (Compound-System), welche die Kraft des Dampfes in zwei oder mehreren Cylindern nutzbar machten und eine ungleich gleichförmigere und billigere Erzeugung der Kraftleistung ermöglichten. Die der Erfindung der eigentlichen Dampfmaschinen folgenden neuen Erfindungen der Anwendung der Dampfkraft, die der Dampfhämmer, Dampf- schiffe und Lokomotiven, haben unsere Industrie nicht nur mächtig gefördert, sie haben alle unsere Lebensverhältnisse auf's tiefste durchsetzt und geändert. Die Ausführung dieser Maschinen bedingte aber ihrerseits die Anlage von Maschinenfabriken verschiedener Art, solcher zur Herstellung von Maschinen, die für das Berg- und Hüttenwesen, die zur Herstellung sogenannter Arbeits- maschinen und solche, die zu manchen andern Zwecken bestimmt waren. Ich habe schon erwähnt, dass auf der Gutenhoffnungshütte zu Sterkrade im Jahre 18 19 die erste Dampfmaschine gebaut wurde. Die Entstehung und Entwickelung dieser gewaltigen Hütte ist in einer Broschüre des bekannten Geschichtsforschers Wilhelm Grevel vortrefflich geschildert. In Düsseldorf selbst und in seiner nächsten Umgebung entstand eine bedeutende Maschinen- fabrikation, welche sich gerade in heutiger Zeit eines grossartigen Aufschwungs erfreut; ich erwähne mit Rücksicht auf den mir zur Verfügung stehenden knappen Raum hier nur die Maschinenfabrik von Haniel u. Lueg in Grafen- berg, die Werkzeugmaschinenfabrik von Ernst Schniess und die Lokomotiv- fabrik Hohenzollern zu Grafenberg, welche sich alle eines ausgezeichneten Rufes erfreuen und mit ihren Absatzgebieten die Grenzen Deutschlands weit überschreiten. Die neuen Erfindungen der Hütten-Industrie, vor allen die Erfindung des Gussstahls, kamen der Metallindustrie mächtig zu Hilfe. Schon in den — 104 — Jahren der Kontinentalsperre, während welcher der damals noch ausschliesslich aus England bezogene Gusstahl nicht nach Deutschland gelangen konnte, wurde von einer Gesellschaft in Rade vorm Walde im Jahre 1810 nach lang- jährigen Arbeiten und Bemühungen Gussstahl hergestellt, und zwar in so vor- trefflicher Qualität, dass er nicht hinter dem englischen Stahl zurückstand. Leider ging diese Gesellschaft im Jahre 1820 aus Mangel an Mitteln zu Grunde. Im Jahre 181 5 erfand F. Nicolai in Essen neuerdings den Gussstahl; ihm wurde ein Patent auf 12 Jahre erteilt, aber in demselben Jahre tauchte auch »Friedrich Krupp« auf, der sich mit Nicolai unter der Firma: »Nicolai und Krupp« verband. Eine Bekanntmachung dieser Firma vom 22. November 1815 besagt, dass die beiden Mitglieder die Fabrikation des Gussstahls für gemeinsame Rechnung betreiben wollen, und dass der Preis hier auf dem Platze (von Essen also) für schweissbaren sowohl als für unschweissbaren einstweilen auf 6 Sgr. Berl. Cour für's Kölnische Pfund von 3 bis 1 /s Zoll Dicke gegen gleich bare Zahlung gestellt sei. Im Jahre 18 12 wurde Alfred Krupp geboren, nachdem im Jahre vorher der erste Schmelzofen zur Gussstahlbereitung erbaut worden war. Im Jahre 18 18 begann der Bau der ältesten Werkstätte der heutigen Fabrik in Essen und im Jahre 1826 schon schloss der eigentliche Erfinder des Guss- stahls, Peter Krupp, die Augen, nachdem er nur ein Alter von 39 Jahren erreicht hatte. Seinem Sohne Alfred, der im Alter von 14 Jahren die Leitung des Werkes übernahm, war es vergönnt, nach ernstlichen Bemühungen und vielen sorgenvollen Jahren das Werk zu einer ungeahnten Entwickelung zu bringen. Die nachfolgenden Daten geben einen kurzen, aber prägnanten Beweis der Entwickelung: Im Jahre 1 843 : Herstellung an Gewehrläufen aus Gussstahl ; 1S47: Herstellung des ersten Geschützrohres (3 Mtr.); 1848: Alfred Krupp übernimmt die Firma als alleiniger Inhaber; 1853: Einführung des Krupp'schen Verfahrens, Radreifen ohne Schweissung herzustellen ; 1854: Herstellung des ersten 1 2-Pfdrs ; 1861 : Eröffnung des Betriebs des 50-tons-Hammers »Fritz« ; 1862: Konstruktion des Krupp'schen Flachkeil- Verschlusses für Kanonen; 1863: Bau der ersten Arbeiter-Colonie »Westend«; 1864: Anlage des Schienen- und Blechwalzwerks; 1 865 : Konstruktion des Krupp'schen Rundkeil-Verschlusses ; J 867 : Einführung des prismatischen Pulvers mit 7 Kanälen und Aufnahme der Ring-Konstruktion für die grossen Geschütze; — 105 — 1 886 : Einverleibung des Gussstahlwerkes von F. Asthoever & Co. in Barmen; (1887: Alfred Krupp gestorben am 14. Juli); 1889: Konstruktion des Krupp'schen Horizontal- Verschlusses für Schnelllade- Kanonen ; Einführung des rauchlosen Pulvers; 1890/92: Aufnahme der Panzerplatten-Fabrication; Schmiedepressen von 2000 und 5000 tons Druck in Betrieb gesetzt ; 1 892 : Kanonen- Werkstatt V und Lafett en-Werkstatt V in Betrieb gesetzt ; 1893: Kanonen- Werkstatt VI und Lafetten-Werkstatt VI in Betrieb gesetzt; 1892/93 :Abschluss des Betriebsüberlassungs-Vertrages mit dem Grusonwerk in Mageburg. Seit dieser Zeit sind auch die Howaldt'schen Werften in Kiel in den Besitz der Krupp'schen Firma übergegangen. So bildet diese Firma mit ihrer grossartigen Organisation den Stolz der niederrheinischen Industrie, unerreicht in der Güte und Menge ihrer Fabikate und in der Ausdehnung ihres den ganzen Erdkreis umspannenden Absatz- gebietes; aber ebenso unerreicht in der Fürsorge für ihre Arbeiter und Angestellten ! Ueber die Leistung der weltberühmten Kanonen Krupps entnehme ich dem vorher schon genannten Kataloge 6, dass aus den 24-Ctm.-Kanonen auf eine Entfernung von 22000 Mtr. (22 Kim.) geschossen werden kann, wobei die Flugbahn des Geschosses (Gewicht des geladenen Geschosses 160 — 215 kg) eine Höhe von 6540 Meter erreicht. Eine in St. Didier aufgestellte Kanone dieser Art würde also das Geschoss bis Cbamounix über den Montblanc hinweg schleudern, und zwar in einer Höhe von 1700 Meter über den Gipfel des letztern. Neben der Fabrikation der gewaltigen Geschütze und Hand in Hand mit derselben geht auch die Fabrikation der Panzerplatten zum Bekleiden der Wandungen der Kriegsschiffe und der Festungstürme. Die erstgenannten Platten bestanden anfänglich aus Stahl, später wurden die Compoundpanzer- platten geliefert aus der Verbindung einer Stahlplatte mit einer 'darunter- liegenden, angeschweissten Schmiedeeisenplatte und noch später aus Nickel- stahlplatten, die den Vorzug haben, auch durch Geschosse der grössten Kaliber nicht zum Reissen oder Springen gebracht werden zu können. Neben diesen aussergewöhnlichen Gegenständen fertigte die Fabrik auch Kesselbleche, Schmiedestücke, hohle Wellen, namentlich auch Wellen für die Schraubendampfer mit 3 eingeschmiedeten Kurbeln, fertige Radsätze für Locomotiven und Waggons und ferner aus Stahlformguss : Lokomotiv-Rad- sterne, Schiffssteven und Ruder, Schiffsschrauben, Fundamentrahmen für Schiffsmaschinen , Maschinenteile jeder Form , hydraulische Cylinder etc. — io6 — Lokomotiv-Rahmen, Radkränze und Getriebe für Panzerwalzwerke etc. und vielfach auch in Gesenken gepresste Gegenstände, als namentlich : Lafetten, Lokomotivdome, Drehgestelle für Personenwagen und eine Menge kleinerer Gegenstände, die alle hier anzuführen ganz unmöglich ist. Neben der Krupps'chen Fabrik haben aber auch manche andere sich mit grossem Erfolge der Gussstahlfabrikation gewidmet, vor allen der Bochumer Verein für Bergbau und Gussstahlfabrikation, dessen Fabrikate auch Weltruf besitzen und der in seinen inneren Einrichtungen der Kruppschen Fabrik kaum nachsteht. Unter der langjährigen und genialen Leitung Baares haben die Lieferungen des Bochumer Vereins im In- und Auslande hohe Aner- kennung gefunden. Nicht weniger erfolgreich als die Erfindung des Gussstahls war auch vor ca. 4o Jahren die Erfindung des Bessemerstahls in England, eine Erfindung, die sich rasch in Deutschland einführte und darin besteht, dass in einem grossen Behälter, der mit flüssigem Roheisen gefüllt wird, hoch gespannte Luft durch den mit einer Anzahl von Löchern versehenen Boden geblasen wird. Ein Teil der in dem Roheisen chemisch gebundenen Kohle und des Siliciums wird hierdurch verbrannt, das übrig bleibende nur noch schwach gekohlte Eisen ist Stahl, der speziell »Bessemerstahl« genannt wird. Da die gewaltigen Behälter, in denen der Arbeitsprozess vor sich geht, Konverter oder auch auf Deutsch »Birne« genannt, oft bis zu 14 tons flüssiges Roh- eisen fassen, das vor dem Beginne des Prozesses in denselben eingegossen wird, und da die auf 4 — 5 Atmosphären gepresste Luft aus 40 — 50 im Boden der Birne angebrachten Öffnungen von 20 — 25 mm. Durchmesser durch die flüssige Masse strömt, so entsteht ein gewaltiges Aufbrausen derselben und die gasförmigen Verbrennungsprodukte entströmen mit grosser Gewalt und starkem Geräusche dem Mundloch der Birne; um so mehr als in der Birne während des Prozesses noch eine bedeutende Steigerung der Temperatur in Folge der energischen Verbrennung der Kohle und des Siliciums im Roh- eisen entsteht. Der Anblick des Blasens einer Bessemercharge, das circa 1 U Stunde bis 20 Minuten in Anspruch nimmt, bietet ein grossartiges Schauspiel dar, ebenso wie das Steigen und Aufrichten der um zwei Dreh- zapfen schwingenden Birne, die trotz ihres enormen Gewichtes, durch hydrau- lische Kraft bewegt, dem Fingerdrucke eines Mannes fast geräuschlos gehorcht. Am Niederrhein erwarben fast alle grossen Hüttenwerke die Licenz zur Herstellung des Bessemerstahles; so kam auf der Gutenhoffnungshütte die betreffende Abteilung schon im April 1872 in Betrieb, aber auch das Krupp- sche Werk, der Bochumer Verein, die Thyssen'schen Werke zu Mülheim (a. d. Ruhr und Ruhrort), der Hörder Verein zu Horde etc. erwarben eben- — 107 — falls diese Berechtigung. Auf diese Weise wurden nun ungeheure Mengen von Stahl erzeugt und massenhaft zu Eisenbahn-Schienen ausgewalzt. Zu dem Bessemerprozesse eigneten sich aber keineswegs alle Roheisen- sorten und es bedurfte langwieriger und mühevoller Arbeiten seitens des Erfinders, bevor er das richtige Roheisen fand und namentlich gute Erfolge mit schwedischem Holzkohlen-Roheisen erzielte. Total unbrauchbar waren aber phosphorhaltige Erze beim Bessemerbetrieb und es war ein Erfolg von nationalökonomischer Bedeutung, als es gelang, phosphorhaltiges Roheisen im Konverter selbst vom Phosphor zu befreien. Diese Erfindung verdanken wir Sidney Gilchrist Thomas, geboren in Battersea (Surrey, England), der ein vom 5- Oktober 1878 ab laufendes deutsches Patent erhielt auf ein Verfahren zur Herstellung von feuerfest basischen Ziegeln durch Mischen von mangnesia- haltigem Kalkstein mit geringen Mengen von Kieselsäure, Thonerde und Eisenoxyd; Formen der Masse zu Ziegeln und Brennen derselben bei Weiss- glühhitze. Mit diesen Ziegeln wurde der Konverter ausgefüttert, während des Blasens trat die Phosphorsäure zum grössten Teil aus dem flüssigen Eisen und bildete mit dem basischen Futter neue Verbindungen. Der Thomasstahl war wegen seiner Befreiung von Phosphor dem Bessemerstahl weit überlegen an Weichheit und Dehnbarkeit und die daraus hergestellten Schmiedestücke und Walzstücke, Bleche, Winkel- und Facon- Eisen aller Art fanden rapide Verbreitung namentlich auch beim Bau von Brücken, deren Konstruktion gerade um diese Zeit (von 1870 ab) gewaltige Fortschritte machte. Ein drittes Verfahren der Stahlbereitung im grossen wurde von dem Franzosen Martin aus Sireuil erfunden; bei diesem Verfahren wurde eine bestimmte Menge von Eisen- und Stahlabfällen in einen mit basischem Futter ausgekleideten Flammenofen eingesetzt und eingeschmolzen bis zur Erreichung von flüssigem Schmiede-Eisen, dem alsdann eine genau bestimmte Menge von hoch gekohltem Eisen zugesetzt wurde, bis der für den Stahl genügende Grad der Kohlung erreicht war. Auch diese Fabrikation verbreitete sich im ganzen niederrheinisch-westfälischen Hüttenrevier ausserordentlich rasch (ich hebe hier nur die schöne Anlage des Martinwerks der Westfälischen Stahlwerke in Bochum hervor). Man erachtete die aus ihm gefertigten Produkte für noch höher als die aus Thomasstahl bestehenden, wie es scheint aber mit Unrecht. Immerhin wurde zu staatlichen Brückenbauten manche Jahre hindurch aus- schliesslich Martinstahl vorgeschrieben. Die ausserordentliche Dehnbarkeit und verhältnismässige Weichheit, die man bei der Herstellung des Stahls oder des Flusseisens immer besser erreichen lernte, führte auch zu ebenso interessanten als wichtigen neuen — 108 — Fabrikationszweigen, von denen ich hier besonders das Verfahren zur Her- stellung von nahtlosen Hohlträgern seitens des Geheimraths Ehrhardt hervor- heben will. Das Verfahren besteht darin, dass ein massiver Stempel in einen massiven, in Glühhitze befindlichen Block von quadratischem Querschnitt mit Gewalt eingepresst wird. Der Block wird dadurch zu einem Hohlkörper gestaltet; man kann den Block ganz durchstossen oder auch nur teilweise, so dass ein Boden bleibt. Das Material der zu lochenden Blöcke bestand aus Martinstahl oder Bessemerstahl von 40 bis 90 Kilog. Festigkeit und 15 — 20 "/ Dehnung. In der hier in Düsseldorf-Derendorf und in Rath gelegenen Rhei- nischen Metallwaaren- und Maschinenfabrik werden heute nach diesem Ver- fahren hergestellt: nahtlose Stahlrohre als Wellen; Wasserrohre für Schiffs- kessel mit oder ohne verdickten Enden; Dampfleitungsrohre für hohen Druck für die Marine bis 300 mm. Durchmesser mit verdickten Enden, Zugmuffen für Eisenbahnwagen; Hohlkörper aller Art, als Granaten, hohle Achsen für Lafetten ; Geschosse für Infanterie-Gewehre ; Bestandteile für Maschinenbau etc. ; nahtlose Flaschen für comprimirte und verflüssigte Gase bis zu 3 Meter Länge. Dass es auch gelungen ist, Röhren aus Blechstreifen herzustellen, die spiralförmig zusammengewunden in einer eigenen Weise in den spiralförmig aneinanderliegenden Kanten aneinandergeschweisst werden, darf hier nicht übergangen werden. Es ist einleuchtend, dass, wenn die Schweissung gut gelungen ist, Röhren dieser Art, selbst bei dünnen Wandungen, einem grossen Druck von innen nach aussen zu widerstehen vermögen. Schon vor diesem neuen Verfahren zur Herstellung von Hohlkörpern wurden in mehreren Fabriken unseres Bezirkes auch Röhren gewalzt, namentlich solche für Locomotivkessel, die bei 45 — 48 mm. innerem Durch- messer und 2 — 2V2 mm. Wandstärke eine Länge von 4 bis 4V2 Meter besitzen und einem äussersten Dampfdrucke von 10 — 12 Atmosphären wider- stehen müssen. Die Fabriken von Poensgen, Düsseldorfer Röhren- und Eiscn- walzwerke, Piedboeuf in Düsseldorf, Balke Tellermy & Cie. in Benrath, Union in Dortmund (Spezial- Abteil Hattingen) fertigen noch heute diese Röhren in grossen Mengen. Hergestellt wurden dieselben aus Blechstreifen, die zu einem Rohrquerschnitt mit überlappten Enden zusammengebogen in Weissglühhitze über einen Dorn gezogen wurden, so dass die überlappten Enden zusammen- schweissten, ohne dass die Schweissstelle am fertigen Rohre zu erkennen war. Auch gelangen die Versuche, die Bleche beim Zusammenbiegen in Rohrform nur mit stumpfen Enden aneinander zu legen, also ohne Überlappung, und sie in diesem Zustande zu schweissen und zu ziehen. Nun tauchte aber vor einer Reihe von Jahren schon eine Erfindung zur Herstellung von Röhren auf, die ungeheures Aufsehen machte und gross- artige Erfolge versprach; ich meine das Mannesmann'sche Verfahren. Es klang — 109 — zunächst fast unglaublich, dass es gelingen könnte, aus massivem Rundstahl derart Röhren zu erzeugen, die aus der äusseren Haut dieser Rundstäbe bestanden, welche sich von dem inneren Kern derselben loslöste in Folge einer eigenthümlichen Angriffsweise der Walzen, zwischen denen die massiven Rundstäbe eingeschoben wurden. Die ganze technische Welt geriet in Auf- regung und es wurden sehr grosse kapitalkräftige Gesellschaften gegründet, die sich der Ausbeutung dieses Artikels widmen wollten. Man stiess bei der Fabrikation auf ungeahnte Schwierigkeiten, die, wie es scheint, noch nicht völlig überwunden sind. Die besten Kräfte widmeten sich der immer besseren Ausgestaltung der zu dieser Fabrikation nötigen Apparate und Werkzeuge, mit der sich namentlich auch der berühmte Professor des Maschinenbaues, Reuleaux, beschäftigte. Von den noch immer andauernden Versuchen dringt wenig an die Öffentlichkeit, doch die Röhren, nach diesem Verfahren hergestellt, beginnen sich immer mehr und mehr in die Praxis einzuführen, so dass man wohl annehmen darf, dass die Erfindung den grossen Erwartungen entspricht, welche man bei ihrem Bekanntwerden von allen Seiten hegte, und schliesslich der niederrheinischen Industrie zu dauerndem Ruhme gereichen wird. Auch der Brückenbau hat dem vortrefflichen Materiale, dem Thomas- und Martinstahl, die verhältnismässig leichte und elegante Konstruktion zu verdanken, welche wir bei den letzt gebauten und im Bau begriffenen Rhein- brücken zu bewundern haben. In unserm Revier zeichnen sich namentlich die bereits wiederholt erwähnte Gutehoffnungshütte und die Harkort'schen Werke zu Harkorten an der Lenneperstrasse durch den Bau grosser Brücken aus; letztere hat die Rheinbrücke bei Hamm (bei Düsseldorf) gebaut und erstere baut gegen- wärtig die Brücken über den Rhein zu Bonn und Düsseldorf. Andere Fabriken in unserm Reviere, die mit dem Bau von Brücken und Eisen- Konstruktionen aller Art sich abgeben, sind namentlich: die Union in Essen (Fördergerüste), Fuchs & Klönne in Dortmund, die Dortmunder Union, das Hammer Eisenwerk, die Eisenprodukten-Gesellschaft Styrum in Oberhausen und andere mehr. Nicht minder als den Eisenkonstruktions-Werkstätten und Brückenbau- Anstalten kam das vorzügliche Eisen- und Stahlmaterial den grossen Maschinen- fabriken unseres Reviers zu statten nnd namentlich denen, die sich mit dem Baue der maschinellen Einrichtungen der Bergwerke und Eisenhütten be- schäftigten. Die Kohlen- und Erzbergwerke verlangten immer mächtigere Förder- maschinen, mit denen sie aus einer Teufe von 800 — 1000 Meter noch in kurzer Zeit (mit einer Fördergeschwindigkeit von 1 2 Meter per Sekunde) die HO — Kohlen zu Tage heben konnten. In den letzten Jahren ist auf die konstruktive Ausgestaltung dieser Maschine viel Fleiss und Mühe verwandt und fast überall das Compound-System eingeführt worden, das eine grosse Ersparniss an Dampf- und also auch Kohlenverbrauch gewährte. Die erste Compound- Fördermaschine im hiesigen Reviere hat die Maschinenbau-Actiengesellschaft Union vor etwa 8 Jahren auf der der Firma Krupp gehörigen Zeche »Hannover« geliefert. Das Compound-System besteht in der Anwendung einer geteilten Expansion des Dampfes, der in 2 Cylindern, dem Hochdruck- und dem Niederdruck-Cylinder, erfolgt. Die Maschinen unterscheiden sich äusserlich kaum von den alten Fördermaschinen, geben aber, falls sie mit hochge- spanntem Dampfe betrieben werden, eine höchst beträchtliche Dampfersparnis gegenüber den gewöhnlichen Zwillings-Maschinen, die sich bis auf 30 °/ erstreckt. Gleichzeitig stellten auch die Hüttenwerke nicht minder grosse An- forderungen an die Leistungsfähigkeit der Maschinenfabriken. Immer ge- waltigere Profile sollten auf den Hütten gewalzt werden, z. B. Träger bis zu einer Höhe von über 500 mm., Bleche von enormer Länge und Breite für Kesselböden, für Locomotivrahmen etc. wurden verlangt. Das Stahlmaterial stellte dem Auswalzen grösseren Widerstand entgegen, als früher das weiche Eisen. Der Walzprozess musste auf's äusserste beschleunigt werden, um die Blöcke vor vorzeitigem Erkalten zu bewahren. So erhielten die Walzenzug- maschinen immer gewaltigere Dimensionen und Cylinderdurchmesser von 14 — 1500 mm. bei etwa gleichem Hube, und Schwungräder bis zu 80000 Kg. (auf der Rothen Erde in Aachen) sind keine Seltenheit mehr. Die Walzwerke selbst stellten mächtige Triogerüste auf, in denen zwischen den 3 übereinander gelagerten Walzen (von oft 800 — 900 mm. Durch- messer) die zu walzenden Gegenstände: Bleche, Schienen, Fagon-Eisen, ununter- brochen hin und her gingen; einmal gingen sie zwischen der untern und mittleren Walze durch und dann, nachdem die Walzkörper auf die andere Seite des Gerüstes gelangt waren, wieder zurück zwischen der mittleren und obern Walze. In den letzten Jahren aber begannen die Walzwerke Duo-Gerüste, d. h. solche mit nur 2 Walzen versehene, aufzustellen von enormer Leistungsfähig- keit, sogenannte Blockgerüste, in denen die gegossenen Stahlblöcke (Ingots), ohne vorher unter dem Hammer ausgeschmiedet zu werden, direkt aus den Öfen zwischen die Walzen gelangen und dort in einem Querschnitte von circa 400 auf 400 mm. und 2 Meter Länge zu einem Stabe von 150 auf 150 mm. und ca. 14 Meter Länge ausgewalzt werden. Die Betriebsmaschinen dieser Duo- Walzwerke sind reversirbar, d. h. so konstruirt, dass sie sowohl rückwärts wie vorwärts laufen können. Ist der — III — Ingot einmal durch die 2 Walzen nach vorwärts gelaufen, so müssen die Walzen natürlich eine andere Umdrehungsrichtung erlangen, bevor der Stab nach rückwärts, d. h. auf die andere Seite des Gerüstes zwischen den Walzen hin- durch gelangen kann. In unserm Revier haben sich vorzugsweise die Gutehoffnungshütte in Sterkrade, die Friedrich-Wilhelmshütte zu Mülheim a. d. Ruhr, die Union in Essen, die Isselburger Hütte, die Kölnische Maschinenbau-Actiengesellschaft in Bayenthal, die Märkische Maschinenbau-Anstalt zu Witten a. d. Ruhr, mit dem Bau dieser Maschinen abgegeben; es muss indes hervorgehoben werden, dass die Konstruktion der grossen Drill ingsreversir-Maschine namentlich von der Maschinenfabrik von Ehrhardt & Schmer zu Schleifmühle bei Saarbrücken ausgestaltet und auch in unserem Reviere verbreitet worden ist. Viele dieser Maschinen-Anlagen sind in der Zeitschrift »Stahl und Eisen« in den letzten Jahren veröffentlicht worden, so dass ich darauf verweisen kann. Fast dieselben obengenannten Maschinenfabriken beschäftigen sich auch mit dem Bau der Hochofengebläsemaschinen und Wasserhaltungsmaschinen fü Bergwerke, ober- wie unterirdischen. Manche der neuen Gebläse-Maschinen liefern für Hochöfen eine Windspannung von 2 — 2 x /2 Atmosphären, für den Bessemer- und Thomas-Konverter aber von 4 — 5 Atmosphären Überdruck. Die Wasserhaltungsmaschinen, vielfach noch als Balancier-Maschinen gebaut, in der letzten Zeit aber mehr mit Kunstkreuzbetrieb, haben enorme Dimensionen, namentlich die oberirdischen, die oft bei 2,4 m Cylinder- Durchmesser einen Hub von 4 — 4V2 m haben. Diese Maschinen bewegen eine Reihe von im Schachte senkrecht übereinanderstehenden Drucksätzen, die je nachdem 100 — 150 m von einander entfernt, sich gegenseitig das Wasser bis zu Tage zuheben. Wir haben in unserem Kohlenrevier solche Pumpen, die per Minute 10 — 12 cbm. Wasser aus grosser Teufe zu Tage heben. Einfacher, aber der Gefahr zu ersaufen ausgesetzt, sind die im Innern der Bergwerke stehenden unterirdischen Maschinen, welche das Wasser in einer Röhrentour oft bis zu 300 Meter direkt empordrücken. Mit dem Bau der Pumpen und Drucksätze hat sich namentlich die Fabrik von Haniel u. Lueg in Düsseldorf- Grafenberg beschäftigt und in der Durchbildung der Rittinge-Drucksätze Grosses geleistet. Hand in Hand mit der Herstellung der vorbenannten mächtigen Maschinen, die mit immer grösserer Sorgfalt gebaut wurden und vor ihrer Abnahme sehr schwierigen Bedingungen genügen mussten, ging auch die Fabrikation der für den Maschinenbau speziell notwendigen Arbeitsmaschinen. Es entstanden grosse Fabriken, welche sich nur diesem Zweige des Maschinenbaues wid- meten, von denen ich hier besonders die schon früher genannte Werkzeug- maschinenfabrik Ernst Schiess in Düsseldorf hervorheben will; aber auch die 112 Fabriken von de Fries dahier, von Froriep in Rheydt, von Breuer, Schu- macher u. Cie. in Kalk, Maschinenfabrik Deutschland und Werkzeugmaschinen- Fabrik von Wagner u. Cie. in Dortmund müssen hier genannt werden. Der Dampfmaschine, welche seit 70 Jahren unsere Industrie mächtig gefördert, ja sie fast als Souveränin beherrscht hat, droht nun die Entthronung durch die Erfindung der Gaskraftmaschinen und der elektrischen Betriebs- maschinen. Die Gaskraftmaschinen von Otto haben, nach langen und mühevollen Versuchen von Otto und Langen, einen Grad von Vollkommenheit erreicht, der kaum noch zu übertreffen ist und vor Allem die Erzeugnisse der Deutzer Gasmotorenfabrik haben unter der Leitung ihres Direktors H. Schumann sich in einer überraschend grossen Anzahl von Betrieben eingeführt. Ursprünglich schien der Motor nur der Kleinindustrie dienen zu sollen und selten wohl wurden Motore über 8 — 10 Pferdekräfte gebaut, aber nach und nach verlangten auch grössere Betriebe nach diesen so sanft und gleichmässig laufenden Ma- schinen, die ebenso sparsam, wenn nicht noch sparsamer im Betriebe waren, wie unsere besten Dampfmaschinen und dabei noch fast geräuschlos arbeiteten und keinen Kessel und Zubehör nötig hatten. So entstanden Motore von 20, 40, ja bis 100 Pferdekräften; ja es sollen jetzt solche von 250 Pferdekräften aufgestellt werden. Natürlich ist der Betrieb der Gasmotoren an das Vor- handensein von Gasanstalten gebunden oder war es vielmehr, bis es gelang, das nötige Gas rasch und mühelos zu erzeugen in dem sogenannten Dowsongas- Apparat, der reines Wassergas liefert, das durch Zersetzung von Wasser- dampf bei Durchstreichen glühender Kohlen bei Luftzuführung entsteht. Der Betrieb des einfachen Apparates ist reinlich, bequem und billig. Es gelang aber auch, Gasmaschinen mit Petroleum und mit Benzin zu betreiben. In den erstgenannten wird die Arbeit durch die Verbrennung eines explosibelen Gemisches von Luft und Petroleumdampf geleistet, indem die dadurch erzeugte Spannung auf die obere Seite des Kolbens des senkrecht stehenden Motors geleitet wird. Der Benzin-Motor wird durch ein Gemisch von Luft und Benzingas betrieben und dieses Explosionsgemenge elektrisch entzündet ; er wird als horizontal liegende Maschine gebaut. Dass der Deutzer Gasmotorenfabrik in Deutschland bereits eine starke Konkurrenz erwachsen ist, dürfte bekannt sein. Neuere Versuche, die Hochofengase zum Betriebe von Gasmaschinen zu verwenden, sind gelungen und werden, soviel mir bekannt, einige über 200 Pferdekräfte starke mit solchen Gasen betriebene Motore in den Hüttenwerken des Hörder Vereins aufgestellt werden. Da entstand in den Jahren 1894 bis 97 nach langen Studien ein neuer Motor, der alle anderen an Nutzeffect so bedeutend übertrifft, dass er grosse — H3 — und allgemeine Aufmerksamkeit auf sich lenkte, ich meine den Motor »Diesel«, dessen Konstruktion und Theorie Rudolf Diesel auf der 38. Haupt- versammlung des Vereins deutscher Ingenieure zu Kassel (16. Juni 1897) vortrug. Versuche haben ergeben, dass mit diesem Motor bei normaler Leistung eine indizirte Wärme-Ausnutzung von 34—35 °/o erzielt wurde gegen die 27prozentige, welche bisher von den besten Gasmotoren gewonnen werden konnte. In diesem Diesel-Motor, mit dem auch in den Krupp'schen Werk- stätten zu Essen Versuche und Studien gemacht wurden, wird vor dem Ein- führen des Brenn-Materials — Gas, Oel etc. — eine sehr hohe Kompression des über dem Kolben befindlichen Luftraums erzeugt, eine Kompression, die bis zu 40—50 Atmosphären^ steigt, in welcher sich der plötzlich eintretende Brennstoff sofort entzündet und während des nun folgenden Kolbenhubes allmählich verbrennt. Der bisher ganz unerreichte Nutzeffekt dieser Maschine sichert ihr eine bedeutende Zukunft. Als auf der Industrie- Ausstellung zu Frankfurt a. M. im Jahre 1891 die gewaltigen Fortschritte der Elektrotechnik der erstaunten Welt vor Augen geführt und derselben auch der Beweis geliefert wurde, dass es möglich ist, vermittest des elektrischen Stromes eine gewaltige, mehrere 100 Kilometer entfernte Elementarkraft von bedeutender Leistung fernzuleiten und nutz- bringend zu verwenden, da stand man vor einem Blicke in die Zukunft aller technischen Betriebe, der geradezu verblüffend wirkte. Man sah in Frankfurt auf der Ausstellung einen mächtigen Wasserfall, dessen Wasser von Pumpen gehoben wurde, welche ihrerseits von einer mächtigen Dynamo-Maschine Bewegung erhielten. Der Dynamo aber bezog den zur Entwickelung seiner Energie nötigen Strom von einer Turbinen-Anlage zu Laufen am Neckar, die circa 300 Kilometer von Frankfurt entfernt, dort einen sogenannten Primär-Dynamo betrieb, der durch Kupferdrähte einen sehr hochgespannten elektrischen Strom bis zu der in Frankfurt aufgestellten Dynamo-Maschine sandte und diese befähigte, die oben genannten Pumpen zu treiben. Die Verwandlung der Leistung oder Energie einer bedeutenden elemen- taren Kraft in elektrische Energie, die einfache Fortleitung derselben auf meilenweit entfernte Gebiete, die leichte Teilung dieser Energie und Abgabe an die verschiedenen, auf ihrem Wege liegenden Fabriken, hat Anstoss zu Kraftanlagen gegeben, wie sie in dieser Grösse die Welt noch nicht gesehen hat. So werden in diesem Augenblick zur Nutzbarmachung eines Teils der Niagarafälle in Amerika auf dem linken amerikanischen Ufer Turbinen bei 41,5 m Gefälle aufgestellt, die zusammen eine Leistung von 100 000 Pferde- kräften, und auf dem kanadischen Ufer eine Anzahl solcher von 250000 Pferde- — 114 — kräften nutzbar machen sollen. Die Turbinen entwickeln eine jede 5 000 Pferde- kräfte. In unserem Revier, in welchem keine grossen Wasserkräfte zur Ver- fügung stehen, hat man gleichwohl den elektrischen Betrieb in manchen unserer Fabriken eingeführt, freilich waren dann zum Bau der elektrischen Centralen noch mächtige Dampfmaschinen erforderlich, welche die Primär- Dynamos antrieben, während die Secundär-Dynamos, die zum eigentlichen elektrischen Antriebe der verschiedenen Maschinen bestimmt waren, in grösserer Zahl vorhanden sind und zwar so, dass sehr grosse, bedeutende Kraft er- fordernde Maschinen einen speziellen Dynamo für ihren Betrieb allein erhielten, während eine Gruppe anderer, geringe Kraft erfordernde Maschinen von einer Transmissionswelle betrieben wurden, die von einem in der Regel an der Wand befestigten Dynamo ihre Bewegung erhält. Lange Trans- missionsleitungen (die so kraftverzehrend wirken) wurden völlig vermieden, das Ein- und Abstellen der einzelnen Maschinen oder Maschinengruppen wurde völlig gefahrlos und mühelos und erfordert nicht mehr Arbeit, als das Auf- oder Zudrehen eines Gashahns. Die mächtig aufblühende Fabrik von Haniel & Lueg in Grafenberg hat in den letzten Jahren ihren ganzen Betrieb in dieser Weise umgestaltet, auch die neuen Werkstätten der Krupp'schen Fabrik haben elektrischen Betrieb, der berufen scheint, alle anderen zu verdrängen! In der niederrheinischen Metallindustrie wird voraussichtlich für immer dem Eisen die Führung bleiben. Alle anderen Metalle treten an Bedeutung für die Industrie dem Eisen gegenüber tief in den Hintergrund. Hier nur folgende wenige Notizen. Dass die Goldschmiedekunst am Niederrhein stets auf der Höhe der Zeit stand, beweisen schon die herrlichen Kunstschätze so mancher Dome und Kirchen, sowie der Umstand, dass fast jede grössere Stadt Goldschmiede-Werkstätten aufweisst, die über die Grenzen der Provinz hinaus rühmlichst bekannt sind. Messingfabriken entstanden schon im 15. und 16. Jahrhundert in Aachen und Stolberg; in Stolberg auch im Jahre 1590 das erste Messinghammerwerk. Kupfer wird zur Zeit auf der Duisburger Kupfer- hütte auf nassem Wege gewonnen; Blei in Stolberg bei Aachen und zu Kommern im Reg.-Bez. Köln; Zink in den Bergwerken zu Seibeck und Lintorf. Die Aktiengesellschaft für Zinkindustrie (vormals Wilh. Grillo in Oberhausen) erzeugte auf der Zinkhütte in Hamborn im Jahre 1896 6,421 120 kg. Rohzink, welche in den Werken zu Oberhausen Weiterverarbeitung fanden. Zinn wird in unserm Revier nicht gefunden. In der Maschinenindustrie wird es in grossem Massstabe zu Legierungen angewandt, so namentlich bei grossen und schwerbelasteten Wellen. — r i s — Litteratur-Nachweis. - i) O. v. MuH mann, Statistik des Reg.-Bez. Düsseldorf (1864), Bd. I, S. 444 und Bd. II, S. 511. 2) Kessel, Geschichte der Stadt Ratirigen. 3) Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure, Jahrg. 1890, Teil II, S. 1280 ff. 4) Gefl. Mitteilung des Herrn Direktor Jacobi zu Sterkrade. 5) Die Gute- hoffnungshütte zu Oberhausen a. d. Ruhr. Angeheftet: Die Anfänge der Guss- stahlfabrikation im Stift Essen. Separat-Abdruck aus den Publikationen des historischen Vereins für Stadt und Stift Essen. 6) Geschichtliche Angaben über die Firma Friedrich Krupp im Prospekte, der für Worlds Columbian- Exposition zu Chicago 1893 ausgearbeitet und in der Buchdruckerei von Friedrich Krupp gedruckt wurde. 7) Näheres bei Hermann Vedding, die Darstellung des schmiedebaren Eisens. Erster Ergänzungsband, der basische Bessemer- oder Thomasprozess. 8) Zeitschrift »Stahl und Eisen.» Jahrg. 1893, Nr. 11, S. 473. 9) Näheres in den von der Deutzer Gasmotorenfabrik ver- öffentlichten, mit Zeichnungen versehenen Broschüren. 10) Vergl. Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure, Bd. 41, Nr. 28, S. 785 ff. Civil-Ingenieur Alb. Schadt. XI. Die Ingenieur-Vereine der Stadt Düsseldorf. Die Lage des diesjährigen Festortes inmitten des bedeutendsten Bergbau- und Industriebezirkes Deutschlands mit seinem vielgestaltigen Verkehrswesen gab dem geschäftsführenden Ausschuss der 70. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte Veranlassung, auch die »angewandte Mathematik und Physik« in den Kreis ihrer Verhandlungen zu ziehen; die Vereine der Stadt, in welchen die Ingenieur-Wissenschaften ihre Pflegestätten haben, be- grüssten dieses Vorgehen auf's Freudigste und liehen gerne ihre Unterstützung dazu. Es dürfte deshalb dem Leser dieser Schrift willkommen sein, Näheres über Entstehung und Thätigkeit dieser Vereine zu erfahren: In Betracht kommen vornehmlich : der Niederrheinische Bezirksverein deutscher Ingenieure, der Verein deutscher Eisenhüttenleute mit dem Bezirksverein »Eisen- hütte« und der Architekten- und Ingenieur- Verein Düsseldorf. Die Geschichte des erstgenannten Vereins steht im engsten Zusammen- hang mit derjenigen des Hauptvereines und es sollen deshalb die wesent- lichsten Vorgänge der Entstehung und Entwickelung desselben zugleich hier Erwähnung finden. — n6 — Die Anregung zur Gründung des Vereines ging von der »Hütte«, einer Vereinigung von Studierenden des Königlichen Gewerbe-Instituts zu Berlin, aus. Gelegentlich der Feier ihres 10. Stiftungsfestes zu Alexisbad i. Harz am 12. Mai 1856 beschlossen 23, meist jüngere Fachgenossen, denen noch 14 abwesende ihre Zustimmung ausgesprochen hatten, einen Verein in's Leben zu rufen, dessen Zweck ein »inniges Zusammenwirken der geistigen Kräfte deutscher Technik zum Wohle der gesamten vaterländischen Industrie« — wie es in seinem Statut heisst — sein sollte und gaben ihm den Namen »Verein deutscher Ingenieure«. Zum Sitz des Vereins wurde Berlin bestimmt und sowohl das von der »Hütte« entworfene und vorberatene Statut angenommen, als auch die Herausgabe einer eigenen technischen Zeitschrift in Aussicht genommen; als wesentliches Mittel zur Förderung der Zwecke des Vereins erkannte man aber vor allem die Zusammenschliessung der in den verschiedenen Industriebezirken zerstreut wohnenden Mitglieder in einzelnen Bezirksvereinen, und als erster derselben bildete sich am 24. Mai desselben Jahres der Niederrheinische Bezirksverein in Düsseldorf. Wie in den 42 Jahren seines Bestehens der Verein gewachsen ist, er- giebt sich aus der Thatsache, dass seine Mitgliederzahl, bei 39 Bezirksvereinen, heute rund 12 000 beträgt, von denen eine beträchtliche Zahl Ausländer sind oder im Auslande ihren Wohnsitz haben. Auf den Niederrheinischen Bezirks- Verein, welcher die Stadt Düsseldorf mit näherer Umgegend, sowie haupt- sächlich Neuss, Gladbach und Rheydt umfasst (ohne dass eine strenge Ab- grenzung der einzelnen Gebiete überhaupt stattfindet), entfallen hiervon rund 320 Mitglieder, auf die Rheinprovinz und Westfalen zusammen rund 4000 Mitglieder, welche Zahlen die industrielle Bedeutung dieser Provinzen deutlich hervortreten lassen. In der Thätigkeit seiner Mitglieder in den Bezirksvereinen wurzelt die Kraft und Bedeutung des Vereins deutscher Ingenieure; hier werden in regel- mässigen Versammlungen oder bei geselligen Zusammenkünften die wichtigsten Erscheinungen auf dem Gebiete der Technik und verwandter Kreise in Vorträgen oder zwanglosen Debatten erörtert, Experimente, Modelle und Zeichnungen vorgeführt, gemeinsame Besichtigungen hervorragender Werk- stätten, Bauwerke, Verkehrsanstalten etc. unternommen, geschäftliche, soziale, kommunale und sonstige Begebenheiten besprochen und auch die Freuden der Geselligkeit durch gemeinsame Ausflüge, Festlichkeiten mit und ohne Beteiligung der Damen gepflegt; nur die Politik ist mehr oder weniger voll- ständig von der öffentlichen Erörterung ausgeschlossen. Beratungsgegenstände von allgemeinem Interesse werden auf Veranlassung oder durch Vermittlung des Haupt- Vereins an die einzelnen Bezirksvereine gesandt, in diesen geprüft und beraten und alsdann die Ergebnisse dem Gesamtverein zurückgegeben, — ii7 — welcher sie zusammenstellt, durcharbeitet und der Öffentlichkeit oder ihrer sonstigen Bestimmung überweist. In dieser Weise hat der Verein im Laufe der Zeit eine grosse Zahl der wichtigsten, die Stellung und Berufsthätigkeit des Ingenieurs, das Schulwesen, Fortschritte der Technik, Gesetze und Verordnungen u. a. m. betreffende Fragen in seine Beratungen gezogen und eine segensreiche Wirksamkeit damit erzielt. Ferner hat der Verein durch Stellung von Preisaufgaben, Anregung von Versuchen zur Entscheidung wichtiger Fragen, Aufstellung von Normen u. s. w. die Verwirklichung seines Zweckes angestrebt. Hervorragende Leistungen sind von ihm durch Verleihung der »Ehrenmitgliedschaft«, sowie der »Gras- hof-Denkmünze« an einzelne seiner Mitglieder gewürdigt worden. Die Satzungen des Hauptvereins erfuhren infolge des raschen Anwachsens seiner Mitgliederzahl, der gewaltigen Entvvickelung der deutschen Industrie und der Veränderung der politischen Verhältnisse im Deutschen Reiche im Laufe der Zeit mehrfache Umänderungen, welche vornehmlich die Verwaltung be- trafen. Während anfänglich Geschäftsführung und Redaktion der Zeitschrift in einer Person vereinigt waren, wurde später durch teilweise Abtrennung eine Entlastung vorgenommen. Nach dem Tode des, um den Verein ausser- ordentlich verdienten ersten Direktors Herrn Geheimrat Dr. Grashof- Karlsruhe übernahm Herr Dr. Th. Peters, dem ein entsprechendes Hilfs- personal zur Seite steht, die alleinige Leitung des Vereins. Den Vorstand bilden 5 für 2 Jahre gewählte Mitglieder, welchem ein Vorstandsrat zur Seite steht; zu diesem wählt jeder Verein für je 250 seiner Mitglieder einen Abgeordneten. Im Jahre 1890 erwarb der Verein die Korporationsrechte; aus dem inzwischen auf ca. 500000 M. angewachsenen Vermögensbestand wurden die Mittel zur Erbauung eines eigenen Hauses in Berlin NW (Charlottenstr. 43) entnommen, welches im Jahre 1897 seiner Bestimmung übergeben werden konnte. Eine vor mehreren Jahren eingerichtete Hilfskasse mit besonderen Beiträgen gewährt Unterstützungen an Mitglieder oder deren Hinterbliebenen in Fällen der Not. Alljährlich findet eine Hauptversammlung statt, in welcher alle wichtigen Fragen und Anträge von allgemeiner Bedeutung und die innern Angelegen- heiten zur Verhandlung gelangen, sowie bei Vorträgen, Besichtigungen und Festlichkeiten eine grössere Zahl der Mitglieder sich mit ihren Damen zu- sammenfinden. Den Ort der Hauptversammlung bestimmt der dazu ein- ladende Bezirksverein und zweimal bereits, in den Jahren 1868 und 1891 hatte Düsseldorf die Ehre, dieselbe in seinen Mauern tagen zu sehen. — 118 — Die Thätigkeit des Niederrheinischen Bezirksvereins deutscher Ingenieure dürfte aus dem vorstehend Mitgeteilten genügend ersichtlich sein. Mit lebhafter Anteilnahme, auch seitens weiterer Kreise der Bürgerschaft, werden in demselben mitunter auch technische Fragen, welche ein allgemeines städtisches Interesse haben, verhandelt. Die Leitung des Vereins liegt einem aus 5 Mitgliedern bestehenden, alljährlich zu wählenden Vorstand ob, während 2 Mitglieder zur Vertretung bei den Verhandlungen des Vorstandsrates bestimmt werden. Ausser den 320 ordentlichen umfasst er noch 30, nicht stimmberechtigte ausserordentliche Mitglieder. Die Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure erscheint wöchentlich in einer Auflage von etwa 1 5 OOO Exemplaren. Der oben an zweiter Stelle genannte Verein deutscher Eisenhütten- leute ist entstanden aus dem ; Technischen Verein für Eisenhüttenwesen«, welch letzterer im Jahre 1860 gebildet und bald darauf dem Verein Deutscher Ingenieure als Zweigverein, mit gleichen Bestimmungen, wie diejenigen für die Bezirksvereine, angegliedert wurde. Im Jahre 188 1 wurde diese Zusammen- gehörigkeit gelöst und der Verein constituirte sich als selbständiger Verein unter obigem Titel mit dem Sitze in Düsseldorf. Als Zweck des Vereines bezeichnen die Satzungen »Die praktische Ausbildung des Eisen- und Stahlhüttenwesens, die Vertretung und Wahrnehmung der Interessen dieser Gewerbszweige, die Förderung des Verbrauches von Eisen und Stahl in allen Formen«. Regelmässige Versammlungen, literarische und sonstige angemessene Thätigkeit nach Innen und Aussen sollen dieses Ziel erreichen helfen. Ein Vorstand von 24 Mitgliedern, an dessen Spitze seit Bestehen des Vereins der Geh. Kommerzienrat C. Lueg in Oberhausen steht, leitet die Angelegenheiten des. Vereins; die Geschäftsführung ruht in den Händen des Herrn Ingenieurs E. Schrödter (für den technischen Teil) und Generalsekretärs Dr. W. Beumer (für den wirtschaftlichen Teil). Die Mitgliederzahl ist von anfänglich 327 auf ca. 2000 gestiegen, von denen die Mehrzahl auch noch dem Verein Deutscher Ingenieure angehört; auch viele Ausländer befinden sich darunter. Die Vereinszeitschrift -Stahl und Eisen«, früher monatlich, seit 1892 alle 14 Tage erscheinend, hat eine Auflage von 3500 Exemplaren. Alljährlich findet wenigstens einmal (im Winter) eine Hauptversammlung in Düsseldorf statt, zumeist auch eine zweite (im Herbst) auswärts, verbunden mit einem Ausflug zur Besichtigung interessanter Industriegebiete oder sonstiger hervorragender Anlagen. So besuchte der Verein im Jahre 1886 den Saar- — 119 — und Luxemburger Eisenindustrie-Bezirk, 1888 das Freihafengebiet in Hamburg und die Schiffswerften daselbst und in Kiel, 1890 die Verein. Staaten von Nordamerika, 1891 das Siegerland, 1896 den Oberschlesischen Bezirk und die Ausstellung in Budapest etc. Diese Versammlungen und Fahrten gaben den Teilnehmern nicht nur vortreffliche Gelegenheit, die Fortschritte der Eisenhüttentechnik in den ein- zelnen Gebieten aus eigener Anschauung kennen zu lernen, sie ermöglichen auch in wirkungsvoller Weise den Austausch von Erfahrungen und Be- obachtungen im persönlichen Verkehr. An Bezirksvereinen haben sich bis jetzt gebildet die »Eisenhütte Düssel- dorf« mit 70 Mitgliedern und die » Eisenhütte Oberschlesien « mit 280 Mitgliedern. Ehrenmitglieder des Vereins sind: Se. Durchlaucht Fürst Otto von Bismarck-Friedrichsruh, Herr Geh. Kommerzienrat F. A. Krupp in Essen, Herr Geh. Bergrat Prof. Dr. Wedding in Berlin, Herr Geh. Kommerzienrat Leop. Hoesch in Düren. Von seinem Ehrenmitglied Herr Geh. Kommerzienrat A. Krupp erhielt der Verein im Jahre 1896 in hochherziger Weise die Summe von M. 125 000 zur Verfügung gestellt, um dafür ein eigenes Geschäftshaus zu erwerben; dies wurde in dem Hause Jakobistr. 5 gefunden. Die Erwerbung desselben machte es erforderlich, dass der Verein eine Änderung der Statuten vornahm und Korporationsrechte erwarb. Der Verein besitzt ein Vermögen von ca. 250000 Mark. Der Architekten- und Ingenieur-Verein zu Düsseldorf wurde am 8. April 1891 von 18 Düsseldorfer Fachgenossen zunächst als Düsseldorfer Architekten- Verein gegründet und am 5. Juli 1893 von 38 Mitgliedern zum heutigen Verein umgestaltet; sein Zweck ist: ■»Eine Erweiterung der Fachbildung und ein freundschaftliches Verhältnis unter seinen Mitgliedern anzustreben, sowie das Gedeihen des Baufaches in jeder Weise zu fördern.« Hierzu dienen die monatlich zweimal stattfinden Jen Versammlungen, ferner Ausflüge, Festlichkeiten u. A. Als Verbands- und Vereinsorgan wird die Zeitschrift für Architek- tur und Ingenieurwesen benutzt; der Verein, wekher jetzt 64 Mitglieder zählt, gehört dem »Verbände Deutcher Arch. und Ing. -Vereine« mit dem Sitze in Berlin an. Fr. W. Lührmann. — 120 — XII. Zur Chemie am Niederrhein. Die Chemie nimmt unter den übrigen Naturwissenschaften eine völlig singulare Stellung ein: sie ist die »ancilla« aller anderen, denn ohne sie keine Medizin, keine Physiologie, Hygiene, Diätetik, Pharmakologie, keine Aufklärung über alle die tausend Gefahren, mit denen uns Bakterien und Verfälschungen bedrohen, ohne sie keine Zoologie, Botanik, Mineralogie, denn nicht mehr verdienten diese den Namen einer Wissenschaft, wenn sie nicht wenigstens soweit »in's Innere der Natur den erschaffenen Geist* eindringen Hessen, als dieses ermöglicht wird durch die Chemie, und selbst wenn wir mit den Fernrohren »nach den Sternen greifen, um Licht anzuzünden«, dass es die dunkelen Geheimnisse des Weltalls aufhelle, mahnt sie durch die Spektralanalyse: »Ohne mich könnet ihr nichts thun«; ja man kann sogar sagen: ohne Chemie keine Physik, denn erst durch die Unterscheidung von den chemischen entsteht der klare Begriff von den physikalischen Pro- zessen, und der Handreichungen der ersteren an letztere giebt's eine bunte Menge; ohne sie endlich keine Anwendung der Wissenschaften in der Industrie, denn sollte diese heute der chemischen Kenntnisse ent raten, sie bräche in gewaltigen Gruppen zusammen, die alles industrielle, gewerbliche Leben in den Strudel des Unterganges mit hinabzögen, da keiner der »goldenen Eimer« für sich allein bestehen kann. Erscheint aber einerseits die Chemie an den Triumpfwagen aller der Wissenschaften gespannt, welche der modernen Zeit ihren Stempel aufgedrückt haben, so steht sie andererseits als »victrix regina« vor uns: sie ist die Wissenschaft, die sich am wenigsten sprunghaft entwickelt hat, die das Geschaute, Gefundene am ehesten auf Gesetzmässigkeit zurückführte und, nachdem sie dem Kindheitsalter entwachsen, ohne consequentes Denken undenkbar ist; spekulatives und exaktes Forschen hat sie auf's harmonischste verbunden, und längst wird der Chemiker nicht mehr nach zufälligen Erfolgen bewertet , sondern nach solchen, die sein folgerichtiges Denken bekunden ; so hat sich die Chemie das festgefügte Reich ihrer Industrieen zu schaffen vermocht, wo ein staunenswerter Sieg der Wissenschaft sich an den andern reiht, weil alle Empirie durch Wissen- schaftlichkeit überwunden ist; sehen wir sie dort an, so dient sie nicht mehr ihren Schwestern, sondern reicht ihnen aus unerschöpflichem Kronschatze dar, wessen sie bedürfen. Überblickt man nun in deutschen Landen die weiten Gebiete, über die das Scepter der Chemie ausgestreckt ist, so darf man wohl unbeanstandet die Rheinlande an erster Stelle nennen; mag auch die Wissenschaft der Chemie als solche auf anderen Universitäten mit ruhmvollen Entdeckungen reichlicher gesegnet worden sein, als an den unserigen — den unserigen, — 121 insofern wir neben der jetzigen rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität auch an die Universitäten in Köln und Duisburg und an die »Fakultätsstudien« in Düsseldorf denken — so ist doch unsere chemische Industrie derart be- deutend, dass sie Weltruf geniesst, und durch die verschiedenen Fabrikations- branchen, die auf chemischen Prozessen beruhen oder mit ihnen verbunden sind, wie Eisen-, Montan-, Glas-, Steingut-, Textil- und Nahrungsmittel- Industrie und wie sie alle heissen mögen, ist die Rheinprovinz gleichsam ein Industriestaat im Staate Preussen geworden. Wie sollte es bei dieser all- gemeinen und für unsere Lage besonderen Stellung der Chemie möglich sein, anders, als in einem umfangreichen Werke den Stoff zu bewältigen? Aber selbst darauf, in einem Überblick alle aufragenden Höhen zu benennen, dass für passende Gelegenheit der Blick teilnehmender Freunde einigermassen seine Richtung vorgezeichnet fände, musste hier verzichtet werden, denn je straffer und kürzer ein solcher Versuch ausfallen soll, desto längere Zeit, weil gründlichste Durcharbeitung, erfordert er, und gerade daran gebrach es am meisten. So sind es denn nur einige lose »Miscellen« zur Chemie am Niederrhein, die sich gewis gründlicheren Skizzen und Studien aus anderen Gebieten an- reihen, und — mit Chamissos Bitte in Goethes Worten zu reden: » . . wie der Mensch nur sagen kann: Hie bin ich, Dass Freunde seiner schonend sich erfreu'n, So kann ich auch nur sagen: Nehmt es hin!« * * * Albertus Graf von Bollenstädt -- giebt es denn kein Gebiet der Naturwissenschaften, wo wir Dir nicht begegneten? Ein Aristoteliker, aber gross, von nicht zu ertötender Selbständigkeit des Denkens und Strebens, soweit es nur in jener Zeit der geistigen Unselbstständigkeit irgend möglich war, eine lichte Gestalt in der schwarzen Kutte, an derselben Stätte, wo später, als Deine Nachfolger traurigen Angedenkens »die Dunkelmänner geherrscht« — so trittst Du lebensvoll vor unseren geistigen Blick, sobald wir ihn auf die Geschichte der Chemie am Niederrhein lenken. Wohl wahr — die Geschichte unserer Wissenschaft wirft auch Dir Deine »scholastische Richtung«, die Festigung des Aristoteles und einzelner Araber als unantastbarer Autoritäten vor, aber Deine scharfe Beobachtungsgabe, Deine Fähigkeit für folgerichtiges Subsumieren des Erschauten unter ein, oft intuitiv erschautes Gesetz muss sie Dir doch lassen. Und wenn wir nun bei dem Widerstreit der Meinungen, ob der Libellus de alchimia« und das »Compositum de compositis - apokryph oder nicht, nur auf dasjenige sehen, was unbestreitbar Dein geistiges Eigentum ist -- auf die Kenntnisse vom Destillieren und Sublimieren, von der Reinigung des Goldes durch Cämen- — 122 — tation« und durch Blei, von der Verbindung des Quecksilbers mit Schwefel zu Zinnober, von dem verschiedenen Vorkommen des Arseniks und der Weissfärbung des Kupfers durch dasselbe, sowie der Färbung des Kupfers zu Messing und auf derlei noch so Vieles — müssen wir da nicht bekennen: »Dieser war wahrlich ein Chemiker!?« Wenn wir aber gar bei Dir auf den terminus »Verwandtschaft« stossen — »affinitas« oder »cognatio« — , so grübeln wir nicht, ob in diesem Aus- druck die Anziehungskraft, die wir darunter verstehen, bereits zu voller Anschaulichkeit abgeklärt sei oder ob sie mit Gebers »convenientia« Ähnlich- keit habe, sondern wir denken lieber an geniale »Vorahnung kommender naturwissenschaftlicher Ideen«, wie sie Helmholtz Goethe nachgerühmt hat — und grüssen'Dich, »Albertus Magnus«, doppelt dankbar dafür, dass Du auf deinen vielen Reisen durch unsere Heimat ganz gewiss, wie in andern natur- wissenschaftlichen Disciplinen, so auch in der Chemie gar manches Samenkorn in den Boden gelegt hast, dessen erstaunliche Fruchtbarkeit sich uns alltäglich neu offenbart! * * * Michael Potier, nach dem anonym veröffentlichten > Beitrag zur Ge- schichte der höheren Chemie oder Goldmacherkunde in ihrem ganzen Um- fange« etc., Leipzig, bey Christ. Gottlob Hilscher 1785 ein »peregrinirender hermetischer Philosoph« war, wie es dort weiter heisst, »in Frankreich geboren, hielt sich aber den grössten Theil seines Lebens in Deutschland auf« und »hatte bis zum Jahre 163 1 beynahe die ganze Welt, wenigstens ganz Europa durchreiset«; er »lebte und starb in Verachtung und Armuth«; nach Gmelins bekannter »Geschichte der Chemie«, Göttingen bey Joh. Georg Rosenbusch 1797, war er »zwar in Frankreich geboren, wanderte aber durch den grösten Theil der damals bekannten Erde, wenigstens durch ganz Europa herum und brachte einen grossen Theil seines Lebens in Deutschland zu«; nach Schmieders »Geschichte der Alchemie«, Halle, Waisenhaus- Verlag, 1822, war er »in Frankreich ge- boren, durchwanderte aber ganz Europa und brachte einen grossen Theil seines Lebens in Deutschland zu; auch hier — »geräth er nach und nach in Verachtung und stirbt in der grössten Armuth«; nach Hermann Kopp endlich, Die Alchemie älterer und neuer Zeit«, Heidelberg, Carl Winters Universitätsbuchhandlung, 1886 — war er »aus Frankreich gebürtig, durchzog ganzEuropa, brachte einen grossen Theil seines Lebens in Deutschland zu« und »starb in jämmerlichster Dürftigkeit, verac htet.* So sehen wir, dass sich nicht nur > Gesetz und Rechte wie eine ew'ge Krankheit forterben«, sondern auch unkontrolierte Äusserungen eines Ano- — 123 — nymus auf einem Gebiete, auf dem selbständiges Forschen »hart' Holz bohren« heisst. Das Endurteil über den Adepten zeigt, wenn wir die genannten Werke der Reihe nach durchmustern, dieselbe Abhängigkeit des Nachfolgenden von seinem Vorgänger; so viel erkennen wir aber doch daraus, dass es sich ver- lohnen würde, an Potiers Werke selbst heranzutreten, ohne dass man etwa der »Goldmacherkunst« gegenüber auf demselben Standpunkt zu stehen brauchte, den ein »Philalethes« in seiner Neuveröffentlichung des »Chemischen Herkules« (Dresden-Leipzig, Piersons Verlag 1898) so warm und alchymisten- freundlich verteidigt, und wer die Geschichte der Chemie am Niederrhein be- arbeiten will, darf Potenus, wie er auch genannt wurde, schon deshalb nicht übergehen, weil derselbe nachweislich in Recklinghausen, Essen und Köln längere Zeit verweilt hat; seine später in Frankfurt gedruckte »Philosophia chymica« widmet er dem Kaiser Ferdinand mit einem Zueignungsbriefe von Köln aus dem Jahre 163 1; am Schlüsse des Werkes heisst es: »Michael Potier philosophus hermeticus, dogmaticus, verus et fundamentalis, in civitate imperiali Essen in Westphalia, Septem leucorum intervallo ab urbe Colonia ad Rhenum inveniendus, aut inde vocandus. Sic enim litterae dirigantur ad postam coloniensem certo ac infallibiliter, Deo volente, ad manus meas pervenient.« In Köln erschien auch 1637 sein »Föns chimicus, id est vena auri et argenti conficiendi ex naturalis Philosophiae venis scaturiens.« Der zuerst genannte Anonymus sagt in seinem Urteil über Potier: »Ich gebe es zu, er war kein sogenannter Partikularist, er war kein Künstler vom gemeinen Schlag, kein Adept der zweiten Ordnung, die ihre Weisheit aus Basilius Valentini Triumpfwagen, dem grossen und kleinen Bauer u. s. w. er- lernen . . .« Das will schon viel heissen bei diesem Kritiker, dessen Zunge so scharf, dessen Spottlust so gross ist. Freilich — Albertus Magnus und Poterius, der sich »philosophus hermeticus eminentissimus clarissimus, suae aetatis primarius« u. s. w. nennen lässt — welch ein Unterschied! * * * In der Königlichen Landesbibliothek zu Düsseldorf befindet sich unter allerlei alchemistischem Krimskrams auch folgendes Werk: »Medicina theologica, chymico irenica et christiano-cabbalistica, Vorgestellet in der ersten Continuation curioser und erbaulicher Gespräche Vom Gold von Mitternacht, Oder von der Höchsten Medizin, darinen gezeigt wird, wie dieselbe in der Heiligen Schrift nach dem Grund-Texte, zu finden; Und dass die Vergleichung der Geistlichen und Leiblichen Höchsten Medicin, die rechte Cabbala der Alten oder wahre Chymie seye; auch dass nach dieser erkannten Einhelligkeit, die Entscheidung der theologischen Controversien, in- sonderheit die würckliche Einigkeit der beyden Evangelischen Religionen un- — 124 — partheyisch zu ersehen seye. — Von Joh. Philippo Maullio, St. Goarino, Med. Doctore, und Practico zu Lünen in Westphalen, auch Ihre König!. Mayestät in Preussen Medico, bei denen Neuen Mineralischen Wassern und Gesundheits- Brunnen, zu Schwelm in der Grafschaft Marck. Wesel, bey Jacobus von Wesel, Buchhandl. 17 13«. Herrn. Kopp thut das 1264 Seiten zählende Werk unseres Landsmannes, das sich schon durch den Titel als eines der merk- würdigsten seiner Gattung charakterisiert, mit leichtem Spotte ab: »es stehe für ihn in insofern vereinzelt da, als ihm nicht erinnerlich sei, dass eine derartige Gabe auch von einer andern Himmelsgegend her dargebracht worden sei* und verlegt das »Angebot« des Werkes in das Jahr 1709, was doch wohl auf einem Irrthum beruht. Wer sich aber eingehender mit der Geschichte der Chemie und Alchemie beschäftigt, wird das Werk schon wegen der Widmung an »Friedrich, den ersten König in Preussen« und wegen seines Zusammenhanges mit den ebenfalls dem Könige gewidmeten »Acidulae Schwel- menses« aus dem Jahre 1706 beachtenswert finden. Alles, was Maull schreibt, ist durchaus eigenartig. Im »Anhang« zum Mitternachtsgold, überschrieben »Vom Schwelmer Brunnen- beginnt er schlicht und nüchtern, wie ein vernünftiger chemisch gebildeter Brunnenarzt, kommt dann aber auf seltsam gewundenen Wegen zu einem vollständig theologisch-asketischen Schluss, der in Prosa das- selbe besagt, was er als Poet in einem »Brunnenliede« ausgesprochen: »Die Berg und Thäler bringen Gold! Ist dies denn das ich wünschen wollt? Die Hoffnung meines Lebens? Nein, Nein. Es rett' nicht von dem Todt, Es kann nichts thun in Krankheits-Noth ; Der Wunsch der ist vergebens. Eins ist, Mein Christ! Gold von Oben, Hoch erhoben Tieff gequollen, Durch all Lufft und Land erschollen Nachdem er dann das »Himmels-Gold« und Gottes Güte« in wirklich poetischem Schwung gepriesen, verfällt er am Schlüsse in die platteste Trivialität: »Wer nüchtern thut zum Brunnen gehn, Und Fussel lässt den Thoren stehn, Den wird die Weisheit führen.« So, will uns scheinen, tritt auch der Gegensalz zwischen nlchymistischer Nebelhaftigkeitund bald spiessbürgerlicher, bald biblisch-gegründeter Nüchternheit — 125 — bei kaum einem andern Gesinnungsgenossen so stark und oft hervor, als bei unserem, durch die Geschichte des Schwelmer Brunnens unvergesslichen Maull. * * Bei den Niederrheinern unserer, mit der 70. Versammlung der deutschen Naturforscher und Ärzte verbundenen Historischen Ausstellung« befindet sich auch eine, von Apotheker a. D. Wilhelm Grevel hierselbst seiner einzig dastehenden Bibliothek und Handschriftensammlung entnommene Kortum- Gruppe; sie gehört dahin ebenso gut, wie zu der benachbarten Sondergruppe der dichtenden Naturforscher«, denn der wohlbekannte, wenn auch noch immer von vielen fälschlich Kortum« genannte Jobsiaden-Dichter ist in Mülheim an der Ruhr geboren und stand in seinem arztlichen Wirkungskreise Bochum auf einem Boden, der weniger nach dem Herzen Westfalens, als nach dem bergischen Mittelpunkte hinneigt und zudem auch der Provinzgrenze so nahe ist, dass letztere nicht fühlbar wird. In der Geschichte der Chemie spielt Dr. Karl Arnold Kortum dieselbe Rolle, wie etwa in der politischen Geschichte die »Grumbachischen Händel« als letzter Landfriedensbruch oder die letzte Hexenverbrennung in der frommen Stadt Würzburg: Kortums Name verbindet sich mit dem letzten Auftreten der Alchemie — — oder sollte das amerikanische argentaurum bereits eine, freilich gänzlich neue Aera derselben eröffnet haben? * * * Die »hermetische Gesellschaft«, welche Kortum im Verein mit dem, ihm an Energie und Intelligenz entschieden nachstehenden Dr. Bährens in Schwerte, einem Pastor, der auch »Heilkunde« trieb und die medizinische Doktorwürde zu erlangen wusste, mittelst öffentlichen Aufrufes im Reichs- anzeiger im Jahre 1796 begründete, war lange Zeit für viele ein geheimnis- volles Rätsel. Nachdem aber die Correspondenz Kortum-Bährens in den Besitz der Giessener Universitätsbibliothek gelangt und dort von Kopp und Vulpius bearbeitet werden konnte, kam ein überraschendes Licht in die Sache ; heute kann kein Zweifel darüber bestehen, dass Seitens Kortums eine stupende Mystifikation aller Mitglieder der Gesellschaft, Bährens nicht ausgeschlossen, beliebt wurde, freilich nicht aus Eigennutz oder Gewinnsucht, sondern um — wenn man so sagen darf — von anderen die Kastanien aus dem Feuer holen zu lassen, damit Kortum zu klarer Erkenntnis über das wahre Wesen der Alchemie und manches chemischen Prozesses komme. Die »hermetische Gesellschaft« führte noch bis zum Jahre 1820 ihr Scheindasein. Sie erschöpfend zu bearbeiten, dürfte die noch ausstehende Aufgabe Wilh. Grevels sein, der mit staunenswertem Fleiss wie Glück alles Material zu einer Kortum'schen Lebens- und Familiengeschichte zusammen getragen und bereits mehrfach — 126 — durch Pressveröffentlichungen bewiesen hat, was ihm noch die Geschichte der Chemie verdanken hann. * * Wie sich allüberall in der ganzen gebildeten Welt mit Köln die Er- innerung an die Stollwerk'sche Chokoladen-Fabrikation und Jean Maria Farinas Eau de Cologne, mit Essen die an den Kanonenkönig Krupp verbindet, freilich ohne dass die Meisten daran denken, welche Rolle in diesen Betrieben der Chemie zufällt, so mit Elberfeld der Gedanke an eine der bedeutendsten chemischen Fabriken, die Aktiengesellschaft »Farbenfabriken vormals Friedrich Bayer & Cie.« Früher war das wohl anders: man sprach viel von -Tür- kisch-Roth«, von Zanella, vonElberfelder Seide, von Bändern, Litzen und Knöpfen; auch heute noch blühen und gedeihen diese Fabrikationszweige — sie alle der Chemie zu tausend Dank verpflichtet - - und bilden Elberfelder und Barmer Spezialitäten von Weltruf, aber die »Somatose« der Farbenfabriken hat sie an Popularität weit überholt; Somatose kennt heute neben Hämatogen und in weiterem Abstand Nutrose und Nutrol jede deutsche höhere Tochter, Jungfrau und Frau, denn tausende von bleichsüchtigen Mädchen, von Müttern, die um die schwächlichen Kindlein doppelt zärtlich besorgt sind, von Reconvalescenten, deren Schwäche gross war, preisen Somatose oder Eisensomatose als unent- behrlichen Lebenswecker, -Erhalter und -Festiger. Fälschlich aber wäre die Annahme, als verdanktem diesem Mittel auch die Bayer'schen Farbwerke ihr blühendes Leben ; der Name besagt's ja schon, und wenn man, wie Verfasser, Gelegenheit hatte, tiefer in die Geschichte dieses Etablissements einzudringen, so erkennt man etwas weit Umfassenderes als die tiefwurzelnde Ursache der gesegneten Blüte: die stete, unentwägte Befolgung des Grundsatzes: >Semper avanti!« >Semper Avanti!« war der Wahlspruch der Begründer der Aktiengesell- schaft, der früheren Inhaber der Handelsgesellschaft »Friedr. Bayer & Co.«, des verstorbenen Herrn Friedrich Bayer senior und seines Schwiegersohnes, des gleichfalls verstorbenen Landtagsabgeordneten Carl Rumpff. »Semper avanti« ist auch heute noch die Parole der Leiter der Fabrik und wird hoffentlich auch die der zukünftigen bleiben! Aus kleinen Anfängen hat sich langsam aber stetig die grosse Firma aufgebaut,- welche heute 123 Chemiker, 28 Ingenieure, ca. 160 technische und ca. 70 kaufmännische Beamte, in Summa ca. 700 Beamte sowie 3200 Arbeiter, davon ca. 1000 Handwerker, beschäftigt. Ausgehend von einem Fabrikationsraum, der bis dahin als Waschküche gedient hatte, und in welchem in kleinen Kesseln aus dem damaligen rohen Anilin und Arsensäure flüssiges Fuchsin gekocht wurde, hat sich diese jetzt — 127 — in der ganzen Welt bekannte Fabrik von der heute noch dort befindlichen ca. IOOOO Quadratmeter umfassenden Filialfabrik in Barmen-Rittershausen nach dem entgegengesetzten Ende der beiden, sich wurmförmig an der Wupper hinziehenden Städte, nach Elberfeld hin, dem jetzigen Sitze der Hauptfabrik mit ca. 80,000 Quadratmeter Flächeninhalt entwickelt. Von hier aus musste dann, wegen des grossen Eingangszolles auf Farb- stoffe, in Russland am Fuss der Sperlingsberge bei Moskau eine Filial- fabrik, welche heute ca. 80000 Quadratmeter umfasst, und, um dem fran- zösischen Patentgesetz, welches die Einfuhr patentierter Artikel aus Deutsch- land bei Verlust des Patentes verbietet, gerecht zu werden, auch in Frank- reich eine Filiale in der" Nähe von Flers bei Roubaix, Departement du Nord, mit 50000 Quadratmeter Fläche gegründet werden, und bald zwang der hohe amerikanische Eingangszoll auf Farbstoffe auch noch dazu, dass sich das Werk an einer amerikanischen Fabrik, der jetzigen »Hudson River Company«, beteiligte, welche Fuchsin, Anilinblau und Bismarckbraun, sowie die dazu erforderlichen Rohstoffe am Hudson in der Nähe von Albany fabriziert und bei der die Farbenfabriken jetzt Hauptaktionär sind. Aber noch immer gab's für die Ausdehnung und Filialisierung keinen Stillstand: das zur Herstellung des von Baumann und Käst erfundenen Schlaf- mittels, des Sulfonals, erforderliche, unangenehm riechende Mercaptan — von dem nach Emil Fischers Untersuchungen noch 1/460000000 Milligramm durch die Geruchsnerven unangenehm wahrgenommen werden kann — wurde zuerst die Ursache, dass die im Versuchsstadium in der Hauptfabrik in Elber- feld, dann in der Filialfabrik zu Barmen-Rittershausen und nachher in der nahe bei Elberfeld auf dem Lande gelegenen chemischen Fabrik Haan be- triebene Fabrikation dieses, Ekel erregenden, vom Schwefelwasserstoff abstam- menden Produktes nach der Lüneburger Heide verlegt werden musste, wo jetzt bei Schelploh mitten in einem grossen Waldkomplex von 1 200000 Quadratmetern eine eigens dazu bestimmte Filialfabrik im Betrieb ist, und als dann dem zu beiden Seiten der Wupper gelegenen und im engen Thal hingekeilten Riesenkorpus der Elberfelder Fabrik die Möglichkeit genommen war, sich zu verlängern und zu verbreitern und auch das Wachstum in die Höhe seine Grenzen gefunden hatte, blieb nichts anderes übrig, als auch an eine Verlegung der Hauptfabrik zu denken. In der Nähe von Köln, an der Stätte, wo der verstorbene Dr. C. Leverkus seinerzeit die Ultramarin-Fabrikation wenn auch nicht begonnen, so doch in grösserem Umfange betrieben hatte, und wo auch jetzt noch die Aktien- gesellschaft Zeltner, Leverkus & Consorten die Herstellung dieses anorganischen blauen Farbstoffes betreibt, in Leverkusen fand man einen Punkt, wo durch Ankauf der dort bestehenden Alizar in f ab rik von Dr. C. Leverkus Söhne die — 128 — Möglichkeit gegeben war, die vielfältige Fabrikation der Farbenfabriken zweck- mässig einzurichten, welche heute nicht nur Farbstoffe aller Art, einschliesslich der Alizarin farbstoffe, in grossem Umfange betreiben, sondern auch die dazu erforderlichen anorganischen und organischen Rohstoffe und Zwischenprodukte in grossem Massstabe fabrizieren und vor allem ihren Betrieb auf die Her- stellung pharmazeutischer Produkte ausgedehnt haben. Heute zieht sich ca. eine Stunde unterhalb Mülheim a. Rhein und etwa i'/s Stunde (Luftlinie) vom Kölner Dom entfernt, in einer Länge von mehreren Kilometern auf hochwasserfreiem Terrain gelegen an dem, von zahlreichen Schleppschiffen und Dampfboten, ja selbst von einer grossen Flotte von Seeschiffen, befahrenen Rheine die künftige Heimstätte der Farbenfabriken Friedr. Bayer & Co. hin. Auf einem Areal von über I Million Quadratmeter Grundfläche, welches von 30 bis 50 Meter breiten, gut kanalisierten, mit Gas- und Wasserleitung versehenen Strassen durchschnitten wird, sind die verschiedenen Abteilungen der Farbenfabriken: die anorganische Abteilung, die organische Zwischenprodukten-Abteilung, die Anilin-Farbenabteilung, die Alizarin-Farbenabteilung, die pharmazeutische Abteilung und endlich die Ab- teilung der Handwerkerbetriebe, im Aufbau begriffen. Schon zeigt Leverkusen ca. 20 °/o mehr bebaute Fläche als die Elberfelder Fabrik, und auf diesem für Industriezwecke tadellos gelegenen Terrain ist bereits für jedes Produkt die Stelle bestimmt, wo die zu seiner Herstellung demnächst notwendige Fabrik erbaut werden soll. Zwar dürfte es noch ein Decennium dauern, bevor alle Fabrikationen von Elberfeld bezw. Rittershausen nach Leverkusen verpflanzt sind, aber wenn dieser Zeitpunkt gekommen, dann wird man von den Farbenfabriken in Leverkusen wohl mit Recht behaupten, dass sie zu den besteingerichteten chemischen Fabriken der Welt . gehören. Eine vor Kurzem von den Farbenfabriken selbst gebaute, ca. 8 km. lange, normalspurige, täglich von 10 Personen- und 6 Güterzügen befahrene Kleinbahn verbindet Leverkusen mit Mülheim a. Rhein, und eine 26 km. lange, mit ca. 200 Weichen versehene Fabrikbahn vermittelt den Verkehr innerhalb der Fabrik selbst und ermöglicht, die Güter direkt auf den Staats- bahnen in sämtliche Betriebsgebäude hinein zu fahren. Ein grosses, für 60000 cbm. Wasser täglich berechnetes, vorerst für 20000 cbm. eingerichtetes Wasserwerk ist oberhalb der Fabrik im Bau be- griffen, desgleichen eine grosse elektrische Centrale, welche vermittelst drei 750- pferdigen Dynamomaschinen die erforderliche Kraft den einzelnen Fabrikationsstätten zuführen soll. Im Mittelhause der Fabrik liegen die zentralisierten Dampfkessel- und Maschinenanlagen, in denen ausser der obigen elektrischen Kraft die für das Heben von Flüssigkeiten erforderliche komprimierte Luft und das zur — 129 — Fabrikation nötige Eis bezw. das den rundum gelegenen Fabriken in Röhren zugeführte, zur Kühlung bestimmte, kalte Salzwasser produciert wird, und wo gleichzeitig auch alle Zwischen- und Endprodukte in einer grossen Central- Trockenanlage getrocknet und in einer nach den neuesten Erfahrungen ein- gerichteten Central-Mühlenanlage gemahlen werden. Um hier nur einige Zahlen zu nennen, sei erwähnt, dass die Fabrik zu Elberfeld und Leverkusen mit 3 grossen Linde'schen Eismaschinen täglich etwa 100 Tons gleich 10 Doppelwagen Kunsteis für eigene Zwecke erzeugt und täglich ca. 40 — 50 Doppelwagen Kohlen und Coaks verbraucht. An Arbeitslöhnen wurden gezahlt im Jahre 1877 ca. 3 Millionen Mark. In welcher Weise sich die Fabrik entwickelt hat, ergiebt sich am besten aus einiger Statistik: 1875: beschäftigte die Fabrik 119 Arbeiter, 1876: 139, 1877: 136, 1878: 139, 1879: 236, 1880: 298, 1881: 340, 1885: ca. 700, 1890: ca. 1000, 1895: 21 19, 1896: 2644, 1897: 3135, 1898: 3300. 1883 erhöhte man das 5400000 Mark betragende Kapital der im Jahre 1881 gebildeten Aktien-Gesellschaft auf 7V2 Millionen, 1889 auf 9, 1897 auf 1 1 Millionen und in Finanzkreisen spricht man davon, dass mit Beginn des nächsten Jahres eine weitere Kapitalerhöhung auf 12 Millionen stattfinden wird; rechnen wir hierzu die im Jahre 1891 aufgenommene Anleihe von 3500000 Mark, und die bis jetzt angesammelten Reserven von 3200000 Mk., so arbeitet die Firma mit einem sichtbaren Kapital von etwa 18 bis 19 Millionen! Die Dividende stieg > langsam aber sicher« von 4% im Jahre 1886 auf 7°/o im Jahre 1887, I2 /o im Jahre 1888, i5°/o im Jahre 1889, 17% im Jahre 1890, i8°/o im Jahre 1891 und ist seitdem dieselbe geblieben. Diese Statistik würde noch mehr in Staunen setzen, wenn sie hier bis zu den Jahren zurückgehen dürfte — was aber der Raum unmöglich macht — , in denen der verewigte Friedrich Bayer zu arbeiten begann; betrug doch im Jahre 1862, als man die »Parme-Fabrik« in Schwung brachte, die Zahl der Arbeiter — 4 und 1864 — 12, und als helfende Dampfkraft stand eine 8 pferdige Dampf- maschine zur Verfügung! — Fragen wir nun: wem verdanken die Farbenfabriken dieses stetige, staunenswerte Wachsen — wie sind sie zu diesem Höhepunkt des Erfolges gelangt? so muss geantwortet werden: sie verdanken dies in erster Linie neben der wägenden, aber auch wagenden technischen Umsicht und dem kaufmännischen Weitblick der Begründer und Leiter dem Anteil, den die Farbenfabriken heute an der wissenschaftlichen exakten Forschung nehmen, eben jener Wissenschaftlichkeit, welche die Chemie zur »victrix regina« gemacht hat! — 130 — Wenn auch die Anfangs nur von empirisch ausgebildeten Meistern geleitete Fabrikation bereits seit langem in den Händen von wissenschaft- lich durchgebildeten Chemikern lag, so fehlte doch ein eigentliches Forschen auf wissenschaftlicher Grundlage bis zum Jahre 1878, in dem es durch die Einführung des Patentschutzes inauguriert wurde, so ziemlich in allen deutschen chemischen Fabriken. In dem Bayer sehen Farbwerke gab aber erst die im Jahre 1884/85 beginnende Depression auf dem Farbstoffgebiete für den, mit weitem Blick und grosser Energie begabten Schwiegersohn von Friedr. Bayer, Karl Rumpff, damals Vorsitzenden des Aufsichtsrates, den Anstoss, trotz oder richtiger: gerade wegen der schlechten Zeiten, welche ihm aus seinen grossem Aktien- besitz gar keine Dividende brachten, auf eigene Rechnung, ohne die Mittel der Fabrik dafür in Anspruch zu nehmen, sich drei Chemiker zu enga- gieren, die an deutschen Hochschulen ausschliesslich erfinderisch thätig sein sollten. Dadurch, dass diese Chemiker dann ihre Thätigkeit von der Universität in die Fabrik verpflanzten und hier anregend und erfinderisch wirkten, dass ihnen Assistenten zugeteilt wurden und sich so allmählich das wegen seiner vortrefflichen Einrichtungen überall bekannte wissenschaftliche Labora- torium der Farbenfabrik entwickelte, liess der Erfolg nicht lange auf sich warten. Leider muss hier darauf verzichtet werden, die Entwickelung der Farbenfabrikation weiter zu verfolgen, obschon die Firma auf Wunsch in liebenswürdigster Weise das Material hierfür zusammenstellen liess, das doch nur von durchaus fachmännischer Seite zu erlangen war, und obschon eine ganze Reihe wichtigster Entdeckungen und praktischer Resultate hierin zu verzeichnen wären. Der Raum in der Festschrift aber ist knapper für uns ausgefallen, als bei Beginn der Arbeit erwartet wurde. Nur noch, was von Mitteilungen über die pharmazeutischen Produkte vorliegt, sei wegen seines grossen Allgemein-Interesses hier wörtlich angereiht, zunächst die Entwickelung des Phenacetins: >Als die beiden Mediziner Cahn & Hepp in Strassburg infolge einer Verwechselung des Naphtalins mit dem Acetanilid die seltsame Beobachtung machten, dass die bis dahin nur gewissen Alkaloiden und Chinolinderivaten zugeschriebene, temperaturmindernde Wirkung auf den menschlichen Or- ganismus auch dem einfach zusammengesetzten Acetanilid eigentümlich ist, Hessen die Farbenfabriken den Versuch unternehmen, ob nicht das in Zehntausenden von Kilos wertlos lagernde Paranitrophenol durch Alkylierung, Reduktion des gebildeten Nitrophenoläthers und Acetylierung desselben in ein dem Acetanilid (Antifebrin) ähnliches Produkt, in das Para-Acetphene- — I3.I — tidid umgewandelt, ähnliche Wirkungen besitze. Dieses im Laboratorium der Farbenfabriken dargestellte, von Käst in Freiburg pharmakologisch und klinisch geprüfte Produkt zeigte thatsächlich antifebrile Wirkungen. Mehr aber noch als das: es wurde auch gefunden, dass das Acetanilid im Or- ganismus unter Abspaltung der Acetylgruppe in Para-Amidophenol [über- geführt wird, das ja als solches schon im Acetphenetidid vorgebildet ent- halten ist und auch in dieses zerfallt. Damit war eine Erklärung dafür gegeben, dass thatsächlich das Acetphenetidid nicht nur ähnlich dem Acetanilid, sondern wesentlich besser wirkte. 1888 nahmen die Farben- fabriken die Darstellung dieses Paraacetphenetidins auf und brachten das- selbe unter dem Namen »Phenacetin« in den Handel.« Fast gleichzeitig stellte ein neues Produkt sich ein: • Professor Baumann in Freiburg machte zusammen mit Käst die Beobachtung, dass das Diäthylsulfondimethylmethan, von Baumann durch Condensation von Aceton mit Aethylmeicaptan und Oxydation des so gebildeten Mercap- tols dargestellt, die überraschende Eigenschaft zeigte, hypnotisch zu wirken, und übergab dieses Produkt zur technischen Verwertung den Farbenfabriken, welche dieses dann 1 SS8 unter dem Namen »Sulfonal« in den Handel brachte. An diese beiden Produkte, das Antiseptikum Phenacetin, und das Hypnotikum Sulfona!, haben sich dann kurz darauf noch als Ersatz und besser wirkendes Produkt des Sulfonals das »Trionai», das Diäthylsulfonäthylmethylmethan sowie als Jod-AIkyloxylirtes Thymolprodukt das Jodthymoljodid unter A dem Namen »Aristol« (1890) und das Jodsobutylorthocresoljodid unter dem Namen »Europhen« (1891) angeschlossen.« Ein grosses pharmazeutisch-chemisches, sowie damit verbundenes pharma- kologisches Laboratorium, letzteres unter Leitung des bekannten Pharmakologen Professor Dreser, mit zahlreichen Chemikern, Medizinern und Apothekern sorgt heute dafür, dass die Farbenfabriken auch auf dem pharm. Gebiet nicht stehen bleiben, sondern fortschreiten. Nur solche Produkte werden gebracht und den Ärzten zu Versuchen angeboten, welche in gründlichster Weise vorher untersucht und geprüft worden sind Hier beschränken sich die Farbenfabriken nicht allein auf die rein pharmazeutischen Mittel, sondern sind über diese Grenze hinaus auch zu den diätetischen Produkten übergegangen, auf die gleich Eingangs hingewiesen wurde; mit grossem Erfolg haben sie die Albumosen des Fleischfibrins unter dem Namen »Somatose« in den Handel eingeführt, denen neben der ernährenden Kraft vor allem die Eigen- schaft eigentümlich ist, Appetit reizend zu wirken. Gewiss — die Farben- fabrikation steht in jeder Hinsicht als eine Hauptbranche der Fabrik solcherlei Nebenzweigen weit voran, aber populärer als alle anderen Pro- — 132 — dukte sind doch die letzteren geworden, da sie dem stärksten aller menschlichen Triebe, dem Selbsterhaltungstriebe, so erfolgreich zu Hilfe kommen. Werfen wir schliesslich noch einen Blick auf das rege wissenschaftliche Leben in den Farbwerken, das zu pflegen der heutige, ungemein vielseitige Leiter der Gesellschaft, Dr. Henry Böttinger, ein geborener Würzburger, z. Z. preussischer Landtagsabgeordneter, sich nicht an letzter Stelle angelegen sein lässt. Die emsig schaffende grosse Schaar von Pionieren auf dem Gebiete der Farbstoffe und Pharmazeutica vereinigt sich allwöchentlich unter Leitung der Verwaltung zu Konferenzen der Chemiker, der Ingenieure, der Koloristen der Arzte, die für sich, wie auch zusammen stattfinden und in denen alle publizistischen und sonstigen Neuheiten besprochen und die Resultate der Prüfung aller in das Fachgebiet schlagenden 'Patente und Anmeldungen aller Länder sowie der neuerschienenen Farbstoffe und Pharmazeutica mitgeteilt werden. Eine grosse, jetzt ca. 22000 chemische Werke und Abhandlungen umfassende Bibliothek, welche durch den Ankauf der Bücher des verstorbenen berühmten Chemikers August Kekule vervollständigt worden ist und zur Er- innerung an diesen berühmten Förderer der deutschen Farbenchemie jetzt »Kekule-Bibliothek« genannt wird, sowie der von dem verstorbenen Viktor Meyer erworbene Handapparat ermöglichen eine Literaturkontrolle, wie sie nur an wenigen Universitäten durchführbar ist. In den Wintermonaten werden von Lehrern der Elberfelder höheren Schulen Vorlesungen über solche Ge- biete, wie Physik etc., gehalten, auf denen der Chemiker zwar heimisch sein muss, aber die er nicht beherrschen, deren Fortschritten er sonst kaum folgen kann. Geradezu grossartig sind auch die Wohlfahrts- und Unterstützungs-Ein- richtungen, die hier nur mit einigen wenigen Zahlen und Daten gestreift werden können. Der Unterstützungsfond, aus dem die Familien der Arbeiter in allen Fällen der Not, bei Krankheit oder Invalidität unterstützt werden, beläuft sich zur Zeit auf rund 459000 Mark. Aus den Zinsen desselben wurden im letzten Jahre für einmalige und fortlaufend wöchentliche Unterstützung bei Krankheiten, als Zuschüsse für Sterbegelder der Kinder der Arbeiter, für einmalige und wöchentliche Witwenunterstützung, für Zuschüsse zum Kranken- geld bei Unfällen oder Unterstützung der Halb- und Ganzinvaliden ca. 10000 Mk. bezahlt. Zu der Krankenkasse der Arbeiter der Farbenfabriken trug die Firma 33000 Mark bei. Hier erhalten die Arbeiter nicht nur für die ersten 26 Wochen der Erkrankung 9 Mark resp. für die weiteren 26 Wochen 4,50 pro Woche, sondern ausser freier ärztlicher Hilfe und Medizin auch für die Familienangehörigen, Sterbegelder für die Kassenmitglieder, deren Frauen — 133 — und Kinder. — Für die Kinder der Arbeiter, um denselben Milchkuren und Badekuren geben zu können, sorgt die vor kurzem mit Mk. 20000 von den Mitdirektor Dr. Böttinger und seiner Gattin, einer Tochter Fr. Mayers, be- gründete Henry und Adele Böttingerstiftung. Aber auch für die Erhaltung der Kraft und Gesundheit ist hervorragend gesorgt. In einer vortrefflich eingerichteten Speiseanstalt können die Arbeiter der Leverkusener Fabrik sich gegen Zahlung von wöchentlich sage und schreibe : Mk. 2 ein sehr gutes, aus Suppe, Fleisch und Gemüse bestehendes Mittagessen verschaffen, zu dem noch täglich 1 Liter Kaffe hinzukommt. In den in Elberfeld zentralisierten, in Leverkusen aber in jedem Betrieb für sich eingerichteten Wanne- und Brausebädern muss jeder Arbeiter wöchentlich mindestens einmal baden, ein »muss«, das längst zu einer weit häufiger gepflogenen Gewohnheit geworden ist. Selbstverständlich ist auch in den zahlreichen Beamten- und Arbeiterwohnungen den Anforderungen der Hygiene in jeder Weise entsprochen worden. Unermüdlich sorgt die Verwaltung der Farbenfabriken für ihre Beamten und Arbeiter. Möge das gute Verhältnis, das hier zwischen der Verwaltung, den Beamten und Arbeitern besteht, dauernd erhalten bleiben. So bieten uns die Bayer'schen Farbenfabriken ein Bild, von dem man schon nach dieser eiligen Skizze urteilen kann und muss: es verdient, von einem gründlichen Kenner ausgeführt und der ganzen gebildeten Welt zu- gänglich gemacht zu werden! * * * Ad vocem »Zanella?, jenes Futterstoffes mit baumwollener Kette und kammwollenem Einschlag, dessen oben Erwähnung geschah, verdient eine Thatsache um so mehr, hier verzeichnet zu werden, als sie wenig bekannt und doch von entscheidender Bedeutung nicht nur für die Existenz der ältesten deutschen Zanella-Fabrik, sondern für den ganzen Fabrikationszweig geworden ist, das ist die Einführung der Appretur und Färbung des Stoffes nach englischem Muster durch Kommerzienrat W. Böddinghaus sen. in Elberfeld. Sein erstes Verdienst war der Ersatz der bis dahin in England allein üblichen Holzspulen durch solche aus steifem Papier, da erstere wegen ihres bedeutenden Gewichtes den nötigen Bezug des Rohgarnes unerträglich verteuerten und die Versendung des Wollengespinnstes in Strängen mit dem grossen Nachteil verbunden war, dass das Garn rauh wurde, daher dann das Gewebe vor dem englischen an Glätte zurücktrat; lag es aber für einen praktischen Blick nahe, an solchen Ersatz zu denken, der freilich in den englischen Spinnereien An- fangs die hartnäckigste Ablehnung fand, so war es weit schwerer, die eng- lische Appretur und Färberei des Zanellas zu erreichen, da man es in Deutsch- land bis dahin nicht mit derart gemischten Geweben zu thun gehabt hatte, — 134 — also ohne jede Vorbereitung und Erfahrung war. Vor allem fehlte es natürlich an den hierfür nötigen Maschinen; die Aufgabe, welche demnach an den deutschen Maschinentechniker herantrat, konnte aber ganz erst gelöst werden, wenn diesem sich - - der Chemiker zugesellte. Und diese Lösung gelang: die Wilhelm Böddinghaus'sche Appretur-Anstalt und Färberei konnte schon in den vierziger Jahren den Wettstreit mit den Engländern erfolgreich dutch- führen; heute muss man ihr nachrühmen, dass sie für eine ganze Reihe solcher Betriebe in Erberfeld ein Vorbild geworden ist, und wenn die lutherische Trinitatis-Kirche in Elberfeld, deren Bau Kommerzienrat Böddinghaus frommen Sinnes durch Schenkung eines Platzes und reichliche weitere Spenden ermöglichte, ebendeshalb im Volksmunde den Namen »Zanella-Kirche« führt, so darf der Chemiker sich sagen, dass damit auch an seine, immer für die Industrie hilfsbereite Wissenschaft erinnert wiid. Eilige Miscellen lassen sich selbstredend ihrem ganzen Wesen nach niemals zu einem anschaulichen Geschichtsbilde zusammensetzen, zumal in der Geschichte einer Wissenschaft, in welcher nur der »fiomme und ge- treue Knecht", der »im Geringsten getreu ist, über Viel gesetzt werden« kann. Die hier gebotenen mussten aber noch obendrein aus einer weit grösseren Zahl lediglich nach Massgabc des Raumes ausgewählt werden, ,den die etwas eingehendere Darstellung der Geschichte der Bayer'schen Farbwerke übrig Hess, und hieran noch weitere Kürzungen vorzunehmen, konnte sich Verfasser nicht entschliessen; dieser eine Griff in unsere heimische Industrie musste denn doch auch den Fernstehenden die gewaltigen Dimensionen vor- führen, an welche wir Einheimischen als an etwas fast Selbstverständliches gewohnt sind. Anregungen aber zu selbstständigem Nachforschen, zur Ausführung eines imposanten Baues, zu dem hier nur eine Erdscholle ausgehoben und beseitigt, dort ein Stein beigetragen wurde — die können immerhin auch von Miscellen ausgehen. Sollte es vielleicht hier der Fall sein, wo der Stoff so viel »affinitas besitzt? Schimmelbusch- Hochdahl. Medizin. I. Zur römischen Heilkunde am Niederrhein. Der Niederrhein, soweit er später römisches Land bildete, gehörte zwar ursprünglich zu dem belgischen Gallien, wurde jedoch wegen der vorherr- schenden germanischen Völkerschaften schon früher Germania inferior genannt ; allein, abgeschnitten vom Mutterlande wurden die germanischen Elemente bald, wenn auch nie völlig, durch die gallischen überflutet und gleichzeitig romanisiert. In einer Bearbeitung der römischen Medizinalangelegenheiten dieses Landes kann deshalb die gallische und die germanische ältere Heilkunde nicht umgangen werden. Die gallische Idee der Krankenheilung war durchaus bigott: nur indem ein Menschenleben für ein anderes dargebracht wurde, Hessen sich die gallischen Götter besänftigen. In Krankheit, im Kampf und in der Gefahr brachte man solche Menschenopfer dar, oder man gelobte dieses zu thun. Selbst von Staatswegen geschah dieses (Caesar B. G. V, 16): Mit lebenden Menschen füllte man Modelle von riesiger Grösse und zündete sie an. Druiden waren die Priester und diesen fiel auch die Heilkunde zu. Eine Kaste bildend, lehrten sie Zauberverse; ihr Heilverfahren war magisch: Besprechen und Segnen unter Zuhülfenahme von Zauberpflanzen, unter denen die auf der heiligen Eiche wachsende Mistel eine besondere Rolle spielte (J. H. Baas, Die gesch. Entw. des ärztl. Standes und der mediz. Wissensch. Berlin 1896. S. 26). Der eigentliche Krankengott war Apollo, welcher freilich seinen Namen für eine ältere, einheimische Gottheit hergab. Sein Name wird auf rheinischen Inschriften nach dem Corpus inscriptionum Rhenanarum 28 mal genannt. In einer ähnlichen Vorstellung finden wir die Germanen. Ihr Heilgott war der seinen Namen mit dem heimischen Wuotan tauschende römische Mercu- rius, der nach dem C. i. Rh. auf rheinischen Inschriften 109 mal genannt wird; auch diesem brachte man an bestimmten Tagen Menschenopfer dar (Tacitus, Germ. 9). Wie bei den Galliern auch die Druidinnen eine Rolle spielen, so treten bei den Germanen die Frauen als heilend auf. >Sie sind für Jeden, « sagt Tacitus (a. a. O. 7), 'die heiligsten Zeugen, die höchsten Lobredner. Zu ihren Müttern, zu ihren Frauen tragen sie ihre Wunden, und jene bangen nicht davor, dieselben zu zählen und zu untersuchen; sie tragen Speisen und Zuspruch ihnen selbst ins Gefecht zu. — Ja sogar eine grosse Heiligkeit und einen Blick in die Zukunft legen sie ihnen bei und weisen weder ihre Rat- schläge zurück, noch missachten sie ihre Aussprüche. Wir haben unter dem verewigten Vespasian die Veleda gesehen, welche lange Zeit bei gar Vielen für ein höheres Wesen galt. Aber auch von Alters haben sie die Albruna und mehrere andere Frauen als heilig behandelt, nicht aus Schmeichelei, und ohne sie damit zu Göttinnen zu machen- (Tacitus a. a. O. 8). Diese Nachrichten, einer Zeit angehörend, in der die Römer in Gallien festen Fuss gefasst hatten und die Romanisierung bereits ihren Anfang genommen hatte, bezeugen, dass sich damals die Bewohner des Niederrheins noch in jenen primitiven Phasen der Heilkunde befanden, die in so gründ- licher Weise von Max Bartels (Die Medizin der Naturvölker, Leipzig 1893) geschildert werden. Der Unterschied zwischen gallischer und germanischer Heilkunde ist nicht gross; er dürfte sich durch die Worte Caesars bezeichnen: »Die Germanen sind beider alten Mittellosigkeit, Dürftigkeit und Entbehrung, bei der alten Lebensart und Abhärtung geblieben, die Gallier dagegen haben durch die Nähe der römischen Provinzen und durch die Bekanntschaft mit den überseeischen Produkten alle möglichen Bedürfnisse und Genüsse sich angeeignet. « Durch die römische Besitzergreifung Galliens wurden die einheimischen Gaue zwar nicht aufgehoben, aber wohl das alte Prinzip des Volksganzen, das an dem Gau haftete; Ilviri, römische Bürgermeister, verwalteten nunmehr die ehemaligen Sitze der Adligen und der Verwaltung, die so als Mittelpunkt der Gauverwaltung fortbestehen. Aber diesen bürgerlichen Charakter erhielt nur das Innere von Gallien; an der Grenze des gewaltigen Römerreiches, am Rhein sah es anders aus: Hier entsprechen den Städten der Provinz Grenz- festungen, die castra legionis (Schulten im Hermes 1894 B. 29, S. 482). Die beiden Germanien, zu denen der Niederrhein gehörte, waren lange Zeit nur das militärisch besetzte Vorland der gallischen Provinzen, der Limes Gallicus, ihre Festungen die Kastelle desselben, der Rhein der Festungsgraben (a. a. 0.). In dem Kölnischen und Klevischen Lande finden wir 4 Legionen, also etwa 4 Divisionen, eine Armee von 80 bis 90,000 Mann (Westd. Zeitschi-. II, S. 1 — 24). In ihrem Gefolge sehen wir die Handwerker, Krämer und den ganzen übrigen Tross, darunter auch die legitimen oder illegitimen Frauen der Soldaten, zu- meist Töchter der Provinzialbevölkerung. Die übrige Menschenmenge bestand zuerst vorzüglich aus Oberitalienern, dann folgten viele Germanen, Gallier, Raetier und Britanen. Inmitten dieser Militärmassen blühten am Niederrhein — 3* - zwei Städte: Köln, das 50 n. Chr. Kolonierecht erhielt, auf einem Flächen- raum von 97 Hectaren etwa 30000 Seelen umfassend (Nissen i. d. Bonner Jahrb.), und fünfzig Jahre später die grosse Kolonie Trajana vor dem heutigen Xanten (a. a. O.). Diese Verhältnisse lassen erkennen, dass in dem Medizinalwesen am Niederrhein das Einheimische eine nur ganz untergeordnete Rolle spielen konnte, im Vergleich zu dem italisch Römischen, das einen so mächtigen Träger durch die römische Militärmacht fand. Da wir in das römische Medizinalwesen bereits durch Isensee (Gesch. der röm. Medizin. Berlin 1840), Puschmann (Gesch. des medizin. Unter- richts. Leipzig 1889), Baas (a. a. O.), Pag el (Gesch. der Medizin. Berlin 1898), sowie durch viele andere bekannte mehr oder weniger gute Arbeiten und zwar für den vorliegenden Fall besonders durch das Handbuch der Römischen Altertümer von Marquardt und Mommsen eingeführt worden sind, glaube ich nützlicher zu wirken, wenn ich direkt das für den Niederrhein zu Be- achtende heranziehe. Wegen des vorherrschend militärischen Charakters der Grenzlande ist hier bis jetzt nur ein einziges Denkmal erhalten, das mit Sicherheit auf einen römischen Civilarzt zurückgeführt werden kann, nämlich der vor dem Klever Thor in Xanten gefundene Stein des Arztes Divo, und es ist bezeichnend, dass derselbe nicht etwa einem Gotte, sondern einer der segenspendenden Heilgöttinnen, der Matrone Alateivia, auf ihr Geheiss das Denkmal setzte (B. Jhrb. 36, 41). Bezeichnend ist es ferner, dass dieser erste nieder- rheinische Doktor seinem Namen nach kein Italiener oder Grieche oder Germane, sondern ein Gallier war. Das älteste Denkmal eines Militärarztes, das auf den Niederrhein be- zogen werden kann, ist die Inschrift des Claudius Hymnus, Medicus legionis XXI, eines Freigelassenen (Brambach 218; B. Jhrb. 9, 137; Orelli 448.) Diese Legion stand nämlich unter Augustus in Xanten. In Windisch, wo sie unter Claudius stationiert war, hinterliess sie das Denkmal ihres Regimentsarztes. Bedeutungsvoll ist auch der in Iversheim gefundene Stein von einem »Medicus miles« ; denn die medici als medici legionis sind immunes, zum Teil auch duplicarii. Sie mussten also als Angestellte in der Legion, sowie in den praetorischen und städtischen Kohorten römische Bürger sein, während in den Kohorten der vigiles und bei den Auxiliartruppen Freigelassene oder Pere- grinen gebraucht werden konnten (Marquardt, Röm. Staatsverw. II. B. S. 538). Marquardt hält es allerdings für wahrscheinlich, dass, wie in den militärischen Bureaus unter den Militärbeamten Freigelassene und Sklaven arbeiteten, so auch unter den Ärzten liberti et servi als Hülfsarbeiter beigegeben wurden, und hierin habe es vielleicht seinen Grund, dass die Stabsärzte sich medici - 4* ordinarii nennen. Zu einem militärischen Kommando konnten die Ärzte nicht gelangen. Aber schon auf der Trajansäule (Tafel 45 der Fröhner'schen Publikation) sind 2 Ärzte mit Verbinden von Wunden und Ausziehen von Pfeilen beschäftigt dargestellt, die wie die andern Soldaten Waffen führen, nur dass ihnen der Schild fehlt (Deutsche militärärztl. Ztsch. H. 1.; H. Droysen, Das Militärmedizinalwesen der römischen Kaiserzeit, S. 2.). Freudenberg (B. Jb. 50, 186) glaubte, der Iversheimer Fund scheine > auf Militärärzte zu deuten, welche nicht förmlich enrolliert waren«. Ausser diesen Monumenten gehört hierher noch der Stein des Anicius Ingen uns medicus ord(inarius) coh. I Tungr(orum) [C. I. L. VII, 690]; denn die Tungri bildeten einen Teil der alten niederrheinischen Bevölkerung. Welcher Güte ein Teil dieser Ärzte später war, die mit dem römischen Heere in den Krieg gegen Deutschland zogen, lässt sich vielleicht aus Galen (XIII, 604) entnehmen, welcher angibt, dieselben hätten zwar die Erlaubnis gehabt, die Leichen gefallener Feinde zu zergliedern, allein daraus keinen Gewinn für ihr Wissen gezogen, weil ihnen die notwendigen anatomischen Kenntnisse fehlten. Über weitere auf Militärärzte bezügliche Inschriften vergl. Marquardt (a. a. O. S. 537 Anm.). Höchst wichtig für uns ist auch der in Bonn ge- fundene Stein des Edistus optio valetudinarii (Brambach 462). Die kranken Soldaten (valetudinarii) wurden bekanntlich teils in ihrem Zelte, teils in einem besonderen Lazarett (valetudinarium, Hygin, de munit. castrorum c. 14) be- handelt. Das letztere stand unter den tribuni, in der Garnison unter dem praefectus castrorum; die optiones valetudinarii waren die eigenen Beamten des Lazaretts (Marquardt a. a. O. S. 539). Ist dadurch ein römisches Lazarett am Niederrhein nachgewiesen, so fehlt uns doch bis jetzt jeder Anhalt für ein römisches Veteritudinarium (Hygin a. a. O.). An der Stelle im Neusser Le- gionslager, wo Hygin das Lazarett für Menschen und das für Tiere angibt, sehen wir zwei grosse, mit schwebenden Holzfussböden versehene bauliche Anlagen. In dem einen wurde nichts, in dem andern aber verkohltes Getreide für Pferde gefunden. Andererseits wurde nicht im vermeintlichen Valetudinarum von Novaesium, sondern in dem Zimmer einer der Reiterkasernen der eiserne Hufschuh eines kranken Pferdes gefunden, wie ein solches auch in der Stallung des römischen Grossgrundbesitzers in Blankenheim lag. So sind wir vor der völligen Aufdeckung zu Novaesium zunächst nur auf das nach dem Befund für Heilzwecke be- nutzte, vielleicht sogar eigens zu dem Zwecke erbaute »Römische Militär- Hospiz« in Baden (vergl. Hauser, »Ein römisches Militär -Hospiz«, Separat- abdruck im Wochenblatt des Bezirkes Meilen, Stäfa 1897; dazu »Ein römisches Militärspital«, hrsg. im Polygraph. Inst., A.-G., Zürich. Anz. f. Schweiz. Altertums- kunde 1895, Nr. 2), mit dem das Pompejanische »Haus des Chirurgen« zu ver- - 5* - gleichen ist. Besondere Unterschiede zwischen den Grundrissen dieser Bauten und denjenigen der römischen Wohnhäuser sind nicht wahrgenommen worden. (N. Senn, Pompeian Surgery and Surgical Instruments from the medical News Dez. 28, 1895). Welchen Einfluss die den Kaiser begleitenden Ärzte in den Provinzen ausgeübt haben, kann bei dem Fehlen diesbezüglicher Anhaltspunkte nicht gesagt werden. Es ist aber nicht ohne Interesse, zu wissen, dass Scribonius Largus den Kaiser Claudius auf seinem Zuge nach England begleitete, und dass der berühmte Plinius in Germanien als Praefectus alae diente. Ich glaube, es dürfte nicht unwahrscheinlich erscheinen, dass er die Reiter- schwadron von Asberg (Asciburgium) am Niederrhein bei Krefeld komman- dierte; denn er sagt (Hist. nat. B. XIX, c. 28), dass Tiberius von daher die Zuckerwurzel bezog und zu Ansehen brachte (s. Bot. S. 24). Auch der Ver- fasser des bekannten Werkes über die Botanik, der Militärarzt Pedanius Dioscorides von Anazarba in Cilicien (Materia medica ed. Curt. Sprengel, Lips. 1829), ist nicht zu vergessen (Th. Puschmann, a. a. O. S. 90). Jeden- falls freuen wir uns am Niederrhein, einen Plinius lange Zeit unter den Unsrigen gesehen zu haben. Haben doch Plinius und Celsus, wie Isensee (a. a. O.) sagt, »für die einzelnen Zweige der Natur- und Heilkunde die starken und zahlreichen Säulen errichtet, über welche Galen bestimmt war, die hohe domartige Kuppel des Pantheons der Römer zu wölben, das alle späteren Römer dann nur bekleiden und verzieren sollten«. Sachlich wichtiger sind jedenfalls die am Niederrhein gefundenen römischen Ärztegräber. Ich meine, Totenwohnungen mit medizinischen Instrumenten. In Köln sind bisher fünf solcher Totenstätten geöffnet worden. (B. Jhrb. 19, 18; 25, 106; 64, 79; 7, 164. Westd. Zeitschr. 4 S. 110). Aus Bonn ist ein Grab dieser Art bekannt (a. a. O. 19, 163). Wir kennen ferner ein solches aus der Gegend zwischen Neuss und Xanten (a. a. O). Von einem Heilverfahren habe ich an den Skeletten der Römergräber nichts beobachtet. Aber nach einer mündlichen Mitteilung soll man in Niederbreisig an einem Skelette einen mit Golddraht befestigten Zahn gefunden haben. Nun hatten die Römer freilich Mittel zum Befestigen der Zähne. Sie kannten eigene Zahnärzte, benutzten auch Zahnstocher bei Tische. Der Zahnstocher war bei hohen Gastereien von einer kleinen Feder begleitet, um sich zum Vomieren zu reizen, so dass dann das Essen von Neuem be- ginnen konnte. In den am Rhein gefundenen Römerbauten bestätigen sich die für die Beurteilung römischer Bauten in Deutschland viel zu wenig berücksichtigten Nachrichten des Vitruvius Pollio in seinem wertvollen Buch über die Baukunst, das er dem Kaiser August us widmete. -Bei der Anlage einer — 6* — Stadt«, sagt Vitruv (I, 4) »ist das Erste, was man zu überlegen hat: die Wahl eines gesunden Ortes.« Von einem gesunden Orte verlangt er, dass er hoch liege, weder dem Nebel noch dem Reife ausgesetzt und weder gegen heisse, noch kalte, sondern gegen gemässigte Himmelsgegenden gerichtet ist; es dürfen sich in der Nähe keine Sümpfe befinden; »denn«, sagt Vitruv (a. a. O.), »wenn die Morgenluft bei aufgehender Sonne zur Stadt kommt und den aufsteigenden, mit dem Aushauche der Sumpftiere vermischten Nebel mit sich führt, so verbreitet sie über die Einwohner giftige Dünste und macht den Ort ungesund. In einem bedeckten Weinkeller bringe Niemand die Fenster auf der Mittags- oder Abend-, sondern auf der Mitternachts-Seite an, weil diese Himmelsgegend zu keiner Zeit Veränderungen unterworfen ist, sondern beständig sich gleich bleibt. Deshalb schlage auch in den Korn- speichern, welche gegen die Sonne liegen, alles gar bald um. Es halte sich weder Obst, noch Küchenspeise irgendwo länger als an Orten, die von der Sonne abgewandt liegen.« Eigenartig sind die Prüfungsmittel, welche die Alten zur Feststellung der Örtlichkeit einer Stadt oder eines Lagers hatten. An der für die Erbauung ausersehenen Örtlichkeit wurde auf dieser weidendes Vieh zu Opferzwecken geschlachtet und man untersuchte die Leber. War sie grüngelb und unge- sund, so schlachtete man weiteres Vieh. Wenn nach wiederholten Untersuchungen die Leber durchaus ungesund befunden wurde, so galt dieses als ein Zeichen, dass die Lebensbedingungen des Ortes auch für die Menschen verderblich seien. Zeigte sich die Leber gesund, dann legten sie ihre Befestigungswerke daselbst an oder bauten ihre sonstigen Niederlassungen. Durch Abflussgräben und indem man das gute Wasser die betreffenden Stellen ausspülen liest, wurde sumpfiges Terrain verbessert (a. a. O.). Wer die Lage der römischen und auch noch die der fränkischen Niederlassungen am Rhein der Wind- richtung gemäss beobachtet, der findet bald, dass man auch diesbezüglich die grösste Sorgfalt anwandte: »Mytilene auf der Insel Lesbus«, sagt Vitruv (a. a. O. I, 6), >zwar prächtig und zierlich gebaut«, war (bezüglich Lage der Gassen und Strassen dem Winde gegenüber) unklug gestellt. Denn, weht in dieser Stadt der Südwind, so erkranken die Einwohner, der Nordwest- Drittel-Nordwind (corus), so husten sie, der Nordwind, so genesen sie zwar wieder, können aber weder in den Strassen noch Gassen vor heftiger Kälte ausdauern.« Vitruv hatte die Vorstellung, ein Ort, von welchem der Wind ausgeschlossen, sei nicht nur der Gesundheit gesunder Menschen zuträglich, sondern er befördere auch durch die, aus Abwesenheit des Windes entstehende Temperatur der Luft, die Genesung von solchen Krankheiten, welche aus anderen Ursachen entstehen und welche an anderen gesunden Orten blos durch den Gebrauch der Arzneimittel können geheilt werden (a. a. 0. I, 6). - 7* - Er schlägt schliesslich vor, die Strassen einer Stadt so anzulegen, dass alle Winde gegen die Ecken der freistehenden Quartiere (insulae) treffen, sich da brechen, zurückprallen und verfliegen. Vitruv (I, 2) will ferner, dass die Schlafzimmer und Bibliotheken das Licht von der Morgenseite erhalten, die Badezimmer und Wintergemächer von der Winter-Abendseite, die Bildersäle nebst jedem Gemache, das eines gewissen, immer gleichen Lichtes bedarf, von der Mitternachtsseite, weil diese Himmelsgegend durch den Sonnenlauf weder erhellt, noch verfinstert werde, sondern den ganzen Tag über gleich und unveränderlich hell bleibe. Aber nicht nur gegen die Krankheiten, sondern noch mehr für die Ver- hütung solcher haben die Römer die grösste Sorgfalt gezeigt. Ein klar durchdachtes Kanalnetz sorgte für guten Abfluss des verbrauchten Wassers und besondere Leitungen führten gutes Trinkwasser oft aus viele Meilen weiter Entfernung herbei. Das beobachtete ich so recht klar bei der Unter- suchung des Standlagers von Bonna und von Novaesium, in denen jede Kaserne ihre besondere Abflussrinne zu einem Hauptkanal hatte. Ein ebenso klares Beispiel bietet die Eifler Wasserleitung, die, soweit ich sehe, mehrere grosse, bisher leider unerkannt gebliebene Sammelbecken hatte. Von diesen aus wurde das Wasser zu den Militäranlagen am Niederrhein geführt: ein Arm nach Bonn ins Lager, ein zweiter versorgte das römische Flottenlager an der Alteburg oberhalb Köln mit Wasser, ein dritter bediente das Lager der Cohors germanica in Köln und dann zielte ein, zumeist auf Bogen ge- geführter, etwas rheinabwärts nach den Militäranlagen am Niederrhein. Im Verfolge, von den Quellen bis zu dem noch unbekannten Endpunkte, wurde vielleicht sogar allen Militärstationen am unteren Teile des Niederrheins gutes Trinkwasser zugeführt. Zu den Einrichtungen irgendwie bedeutender Militäranlagen, wie auch zu jeder Villa gehören auch die körperkräftigenden Badeanlagen. Im Stand- lager von Novaesium befand sich nicht nur eine grosse Badeanstalt, sondern auch das Haus des Lagervoi Stehers hatte mehrere grössere Badezimmer; Baderäume fanden sich ferner in den einzelnen Offizierswohnungen der Centurienkasernen, eine ältere Badeanstalt lag ausserhalb des Lagers. Baden, Transpirieren, Abwaschen war den Römern geradezu Leidenschaft. Bekannt sind die grossartigen römischen Bäder in Trier, aber einfacher und klarer tre- ten die Balnea auf in dem von mir für das Provinzialmuseum aufgedeckten und von der Rheinprovinz überirdisch erhaltenen römischen Grossgrundbesitzerbaue zu Blankenheim in der Eifel. Hier schliesst sich an die zum Teil heizbaren Wohnräume eine mächtige Vorhalle an. Sie führt in ein kleines, zum Ent- kleiden gebautes Gemach (apodyterium). Nun gelangen wir in das Bade- zimmer selbst, das zum Transpirieren diente (caldarium). Wir sehen mehrere — 8* — Badewannen mit kunstvoll angelegtem Abflussrohr und bequem angebrachten Bänken. Ein weiterer Raum zeigt das Frigidarium, das zum Kaltabwasehen diente, bevor man sich im Apodyterium wieder ankleidete. Neben der Vorhalle sehen wir noch einen halbrunden, mit halbrundem Gewölbe versehen gewesenen, grossen Ausbau ; dessen Wände prangten in buntem Farben- schmuck und mehrere Stufen führen hinab in ein grosses Badebassin, das zum Schwimmen hinreichend kaltes Wasser aufnehmen konnte und dessen Abfluss die ausserhalb angebauten Bedürfnisräume ausspülte. Vor dem Ver- lassen des Bades konnte man sich in diesem grossen Bassin, in Gesellschaft badend, erfreuen. Dann gelangte man in das Tepidarium, den grösseren Raum, in dem die Abreibungen und Salbungen von besonderen Bediensteten vorgenommen wurden. Höchst lehrreich ist auch die Heizeinrichtung in dieser Villa, be- zeichnend gleichzeitig für die Erwärmung der Römerbauten am Rhein. Vor dem Caldarium ist ein viereckiger, halbrund überwölbter Schürofen (praefur- nium) angebaut. Hier wurde durch ein Holzfeuer heisse Luft erzeugt. Ein Kanal führte sie durch die Mauer des Schürofens und hauchte sie unter den Fussboden des Schwitz- und Auskleideraums. Beide Fussböden, aus dicker Estrichmasse sauber hergestellt, ruhen nämlich, von grossen Ziegelplatten unter- fangen, auf Säulen, die aus einzelnen runden oder viereckigen, gebrannten Ziegelscheiben aufgebaut sind. Von diesem schwebenden Fussboden (sus- pensura) her verbreitete sich die Hitze vermittelst kunstvoll hergestellter Hohlziegel (tubulae, im Standlager von Novaesium hat man sich auch der tegulae mammatae bedient) entlang der Wände. So war gemäss ihrer näheren Lage am Hypocaustum die Schwitzstube wärmer als das Auskleidezimmer; aber bei beiden musste sich die Hitze gleichmässig verteilen und vor Allem : es war für das Anwärmen der Füsse gesorgt; man fror nicht an den Füssen und glühte an der Nase. In dieser Weise wurden auch mehrere Wohnzimmer der Villa geheizt. In Zimmern, welche nicht durch Hypocausten erwärmt werden konnten, bediente man sich tragbarer Kohlenbecken oder aber des sogenannten Küchenherdes. In den Soldatenzimmern der Kasernen hat man sich in der Regel nur mit der letzteren oder einer ähnlichen, sehr einfachen Heizvorrichtung begnügt. Über die Raumverhältnisse in sanitärer Beziehung hat uns die Aufdeckung des Standlagers von Novaesium ebenfalls die vorzüglichsten gesicherten Auf- schlüsse gegeben. Darnach stand dem aus 8 bis 10 Mann bestehenden Contubernium ein Zimmer zur Verfügung, das 3,55 m Breite und 4,44 m Tiefe hatte; vor diesem Räume lag eine besondere, ebenso breite, 2,96 m tiefe Stube für die Waffen und vor dieser befand sich ein mit letzterer gleiche Raumverhältnisse teilender Verschluss für die Lasttiere (iumenta). Dem _ 9* - Centurio stand im Lager eine Wohnung zur Verfügung, die im Grundrisse dem römischen Hausbau in Pompei zum Verwechseln ähnlich ist ; sie hat eine Seitenlänge von 23,680 m, also von 80 pedes. Viel grösser und luxuriöser eingerichtet waren die Bauten der Kriegsobersten und des Stabes, am präch- tigsten endlich der des Lagerpraefecten. Innerhalb letzterer Bauten fehlen nirgendwo die Bäder, die Zu- und Abflusskanäle. Bei den vornehmen Be- gleitern der Feldherren war der Wandverputz, um jede Feuchtigkeit zu ver- hüten, mit Schilfrohrstielen unterlegt und wie bei den höheren Offizieren über- haupt, so prangten auch hier die Wände in kostbarem Farbenschmuck. Kräftigung oder Wiedergenesung suchten die Römer in Deutschland auch zu gewinnen durch Heilquellen und Heilbrunnen, heilige Seen, Flüsse u. dergl. In die Nähe derselben legten sie Haine; hier erbaute man Altäre und Tempel (Vitruv I, 2). In Bendorf bei Oberwinter befand sich ein Steindenkmal ; das in den Wiesen aufgefangene Wasser wurde vermittelst einer Urne aufgefangen, die von Neptun ausgegossen wird, als spende der Gott selbst dieses, wohl geheiligte Wasser (B. Jhrb. 53, 112). An einem zur Römerzeit zwischen Gohr und Straberg gelegenen kleinen Landsee be- stimmte ich ein den Nymphen des Ortes geweihtes Heiligtum. Die darauf hinweisenden Votivsteine (Brambach, Corp. inscr. Rhen. 290 — 292) besitzt das Bonner Provinzialmuseum. Hierher rührt auch eine als Nymphe verehrte thönerne Venusstatuette her, welche dieselbe Anstalt aufbewahrt. Daselbst förderte man ganze Körbe römischer Kupfermünzen zu Tage und eine Menge von Pinienzapfen, welche man grün über die Alpen geschafft und hier ge- opfert hatte. Ausserdem wurden zerkleinerte Nachbildungen von Pflugscharen gefunden und ähnliche Opfersachen, also alles Dinge, die erkennen lassen, dass der See als Heiligtum und an diesem die Heilgöttinen verehrt wurden. In der auf dem hohen Uferrande befindlichen Kirche zu Gohr wird heute die hl. Odilia verehrt und an ihrem Feste kommen von weif her Pilgerzüge, um gegen Augenkrankheiten u. s. w. Schutz zu erhalten. Man schöpfte noch vor Kurzem das Wasser aus jenem See und verbrauchte dasselbe, in der Kirche geweiht, gegen Augenleiden etc. Eine ganz besondere Verehrung fanden auch die Mineralquellen. So entdeckte man in der alten Roisdorfer Mineralquelle römische Münzen und Gefässscherben. Gegen den Bergabhang gelehnt, in einer stillen Ecke der Quelle, hatten Soldaten der Rheinflotte dem Herkules einen Altar gesetzt und ein zweiter hier angetroffener Altar nennt die Nymphen in Verbindung mit Apollo, dem Heilgotte. Dass die Nymphen hier, wie in Gohr als Heilgöttinnen Verehrung fanden, ist gewiss. Wurden sie anderwärts doch geradezu medicae genannt (Klein, B. Jahrb. 84, 187 f.). — Der Veterane Cassius Gracilis setzt dem Apollo und den Nymphen einen Altar für seine im Tönnissteiner — 10* — Heilbad wiedererlangte: Gesundheit. Hier weiht auch ein Soldat der 22. Legion dem Apollo einen Altar. — Im Tönnissteiner Heilbrunnen fand man ferner etwa 100 Münzen aus der letzten Zeit der Republik bis auf Constantin d. Grossen. Später wurden noch 238 Münzen von Claudius bis Arcadius entdeckt (a. a. 0.). Ähnliche Funde wurden gemacht: in der Schwefel- quelle zu Nierstein, wo ein Weihestein der Sirona gefunden wurde (Bram- bach 919) in der Verbindung mit Apollo, sowie Münzen aus der Zeit zwischen 86 und 267 n. Chr.; im Sauerbrunnen zu Schwalheim; beim Siedinger Dreis, einer Sauerquelle bei Gerolstein in der Eifel. (Lersch, Geschichte der Balneologie, 1863; B. Jahrb. 38, 53). In Wales legen junge Braut- und Liebespaare sich an einen Quell oder Brunnen und werfen als Pfand ihrer unzertrennlichen gegenseitigen Anhäng- lichkeit eine Anzahl Heft- oder Stecknadeln hinein. So sind auch die römischen Heftnadeln zu erklären, die zahlreich in dem Pyrmonter Brunnen angetroffen wurden, der noch im 17. Jahrhundert de hellige Born« hiess. Der Wiesbadener Quellen gedenkt bereits Plinius (Naturgesch. XXXI, 17). Martialis (XIV, 27) empfiehlt Seifenkugeln der Mattiaker (pilos Mattiacos) als Haarmittel für alternde Damen, wozu vielleicht der von Plinius erwähnte Niederschlag der Quellen gebraucht wurde. Auch diese Quellen sind bekannt durch ihre Votivsteine. Hier fand man u. A. einen der Sirona dea, einer Heilgöttin in der römisch-kelt. Mythologie, gesezten Stein. (B. Jahrb. 44, 63). Ebendaselbst kamen Votivsteine des verwandten Apollo Toutiorix zum Vorschein (Brambach 1529). Die Heilquelle wurde von bejahrten Kriegern gebraucht; denn unter Severus Alexander errichtet der Centurio der VIII Legion L. Marinianus, da er geheilt worden (voti compos), dankbar einen Altar (B. Jhrb. 23, 18). In dem Badehause »zum Römerbad« ist ein noch jetzt brauchbares Sitzbad, gewölbt und wohl erhalten (B. Jhrb. 23, 18; 44, 63). Es scheint mir jedoch sehr fraglich, ob die Schlange vom Schlangenbad bei Wiesbaden auf das Attribut des Heilquellengottes zurückgeführt werden darf (B. Jhrb. 33, 63); ich erinnere gegen jene Auflassung daran, dass ich selbst dabei eine in Deutschland sonst nirgendwo angetroffene, hier aber häufige Schlangenart erhielt und selbst bei einem verfallenen Bade daselbst Schlangen zischen hörte. Bekannt sind auch die öffentlichen römischen Bäder von Baden (Tacitus Hist. I, 67: locus in munieipii modum longa pace exstruetus, amoeno salubrium aquarum usu frequensj. Hier quillt das heisse Wasser aus der Felsspalte bei 54 — 60 ° R. zuerst in zwei Kühlbassins, um von da in zwei Piscinen geleitet zu werden, von welchen die erste 14,5 m Länge und 9 m Breite, die folgende eine Rotunde von 9 m Durchmesser bildet. Die Stufen zum Absteigen in dieses Badebassin nebst den Rundgängen sind noch erhalten. An die erste Pissine schloss sich eine 9 m Durchmesser haltende — II" Rotundemit Hypocaustum. Die übrigen Räumlichkeiten sind durch die Stifts- kirche bedeckt. An anderer Stelle ist das Praefurnium erhalten (B. Jhrb. 80,148). Die Thermen von Badenweiler wurden ebenfalls schon von den Römern zu Badezwecken benutzt. Zu Aachen hat man gleichfalls grossartige römische Thermen angetroffen. (C. Rhoen, Die römischen Thermen zu Aachen, 1890.) Die dem Niederrhein zunächst gelegene alte Mineralquelle, die man „vernachlässigt hatte und von neuem aufsuchte und von fremden Wässern, die sich mit ihr vermischt hatten, trennte" (Minola, Uebersicht etc. Köln 1816. S. 234) liegt bei Godesberg. Dass die Römer sie kannten, ist nicht unwahrscheinlich ; denn ein hier gefundener Altar ist von einem Legaten der 1. Legion gesetzt: Fortunis, Salutaribus, Aesculapio, Hyg. (Brambach, Corp. inscr. Rh. Nr. 516). Vielleicht, dass die Germanen schon jene Heilquelle kannten und sie nebst dem Berge selbst ihrem Heilgotte Wuotan weihten. Dem sagenumwundenen Badeorte Kleve, wo ein dem Apollo geweihter Altar gefunden wurde (a. a. O. Nr. 193) dürfte wohl auch eine heilwirkende Kraft schon zur Römerzeit zugeschrieben worden sein. Apollo wird ferner am Niederrhein genannt auf Altären von: Birten (a. a. O. Nr. 151), Vechten (Nr. 55), Köln (Nr. 720), Erp b. Köln (Nr. 516), Trier (Nr. 815, 816), wo der Polsberg sein Andenken erhalten hat und noch vor der französischen Revolution der Umsturz des Apollo-Bildes gefeiert wurde, (Minola a. a. O. S. 231), und bei Bonn (Brambach a. a. O. Nr. 463). Da Mercurius, wie schon gesagt, seinen Namen für den germanischen Heilgott Wuotan hergab, so muss letzterer am Rhein eine ganz besondere Verehrung gefunden haben ; denn schon bis zur Herausgabe des Brambach'schen Coipus inscript. Rhen. sind nicht weniger als 109 hier dieser Gottheit geweihte Denkmale gefunden worden. Bezeichnend für die von Tacitus bereits überlieferte heilende Wirkung der Frauen ist der Umstand, dass den Heilgöttinnen Matronac sogar 1 20 Steine gesetzt sind, deren nach der Herausgabe des Brambach'schen Werkes aber noch in grösserer Zahl gefunden wurden, wozu besonders der Schooss des Niederrheins zahlreiche hergab. Als Schreckmittel gegen Krankheiten und zur Erreichung gewisser Wünsche werden sehr häufig Amulette und Kapseln getragen. Zum Teil gingen die Vorstellungen von der germanischen in die römische über. In allen Nieder- lassungen und Befestigungen am Niederrhein hat man solche wunderthätige Amulette gefunden. In der Regel sind' es an kleinen Ringen befestigte bron- cene Phallusbilder, an einer Seite der Phallus erectus, an der anderen eine Hand mit obseöner Daumenhaltung, unten vielfach die Hoden, manchmal oben eine geflügelte Darstellung des Gottes selbst. Diese Bildnisse sollten gegen Unfruchtbarkeit schützen. Auch die weiblichen Genitalien wurden so bildlich dargestellt. Das Bonner Provinzialmuseum besitzt eine ganze Anzahl der- — 12 — artiger Anhängsel und Beschläge; sie wurden auch in Hirschgeweihscheiben geschnitzt und getragen. Die genannte Anstalt hat auch kleine steinerne und Bronce - Votivhände und andere Gliedmassen, bronzene Votivschlangen, Eidechsen, Frösche, Früchte aus römischer Zeit. Man kennt nun die Vor- stellung, nach der der Verstorbene als Zoll beim Eingange in's Totenreich Gliedmassen entrichten musste. (Odin beim Gange in die Unterwelt das Auge, Tyr die rechte Hand). Blitze waren fallende Füsse und Goldstücke. Man nimmt deshalb an, dass die nachgebildeten Gliedmassen u. s. w. geopfert und mit in das Grab gegeben wurden, um die wirklichen zu retten. Auch gab man bekanntlich dem Verstorbenen Münzen als Pfand für den Fährmann der Unterwelt. Kürzlich wurde in Gelb bei Krefeld eine broncene Schutz- Kapsel gefunden, welche auf papierdünnem Goldblech herausgetrieben die Namen von Göttern verschiedener Art und Herkunft vorführt. (Vcrgl. Sieburg, B. Jahrb.) Const. Koenen, Bonn. IL Chirurgische Instrumente der Römer am Niederrhein. Eine Art von Denkmalen gibt uns interessante Aufschlüsse über die Mittel, deren man sich zur Handhabung der ärztlichen Kunst bediente. Ich nenne zunächst die Salbenreibsteine. Das sind kleine Specksteinplättchen von zumeist viereckiger Form. Dieselben haben bald auf zwei, bald auf drei, bald auf vier ihrer platten Seitenflächen eine umgekehrte, also erst beim Ab- druck richtig erscheinende eingravirte Inschrift. Die Inschrift ist ein- oder zweizeilig, selten dreizeilig. Auf der Oberfläche der Plattseiten findet man in seltenen Fällen auch Namen von Personen, bildliche Darstellungen u. s. w. Es werden drei Arten unterschieden : 1. Stempel mit dem Namen des Augenarztes und seiner Mittel, 2. Stempel, welche auf der Plattseite den Namen des Graveurs zeigen, 3. Stempel, welche eine von den auf den Schmalseiten angeführten Aerzten verschiedene Persönlichkeit ohne nähere Bestimmung namhaft machen. (Deneffe, Les oculistes Gallo-Romains au III. siecle, Anvers 1896. Klein, Bonn. Jahrb. 55, 100 f.; 77, 242 f.). Da in Italien bis vor kurzem kein einziger Salbenstempel gefunden wurde, in Gallien solche zahlreich vorgekommen sind (Deneffe a. a. O.), haben wir es mit einem gallisch-römischen Gebrauch zu thun. Deshalb sind sie in dem mehr als das Innere Galliens italisch-römisch eultivirten Militärgebiete am Rhein seltener als im Innern Galliens. Die durch die Inschriften der _ i 3 * _ Stempel genannten Augenärzte waren sämmtlich Freigelassene oder deren Nachkommen, welche wohl die römische Civität erworben hatten. Ihren meist peregrinen Namen sind römische praenomina und gentilia vorgesetzt, Namen, die in ihrer verhältnismässig geringen Zahl vielen Trägern zukommen, also an sich wenig Unterscheidendes bieten (Bonn. Jahrb. 70, 142 f.). Ein Bonner Augenarztstempel, den O. Rautert veröffentlicht hat, diente einem thönernen Hähnchen als Standfläche (B. Jahrb. 70, 201 f.). Fernere sind aus unserm Gebiete beschrieben aus Köln (a. a. O. 2, 87), aus Bitburg (Westd. Ztschr. 188S, Mise. 40), zwei Salbenstempel von der Winseling (B. Jahrb. 7, 74), einer aus Heerlen zwischen Aachen und Maestricht und die drei in Sargtrögen Kölns vorgefundenen »kleinen dünnen viereckigen Platten, worunter eine von Verde antico, eine von Schiefer« Es bleibt freilich fraglich, ob diese Steine wirklich, wie angenommen wird (B. Jahrb. 7, ?4, dazu 18, 25 1), zu den »Siegeln für Salbe« gehören. Zu den medizinischen Instrumenten gehören auch die, manchmal mit öliger oder wohlriechender Masse versehenen Ol- oder Salb- flaschen von verschiedenartiger Gestalt (a. a. O. 19, 80; 50, 294; 90, 19; 29, 216). Dazu kommen auch die sogenannten Thränenfläschchen«, wie denn auch die deutsche Mythologie die Erlösung vom Tode von einem gewissen Maass in ein Krüglein aufzufangender Thränen abhängig macht (Edda D. 49 und die einrahmende Erzählung des neapolitanischen Pentamerone. B. Jahrb. 23, 187). Besonderes Interesse haben auch die kleinen bald röhrenförmigen, bald völlig oder mehr oder weniger kugeligen, manchmal an kleinen Kettchen befestigten Schminkfläschchen, aus verschiedenartigem Glase hergestellt. Einige haben Vogelform (B. Jahrb. 57, 226; 75, 160; 44, 106; 89, 280; 85, 1 18). Ferner sind zu nennen die Spiegel, deren Stoff nach Plinius (Hist. nat. XXXIII 45) aus einer Mischung von Kupfer und Zinn besteht und zwar 2 Teile Kupfer und ein Teil Zinn, was noch heute bei den Teleskopspiegeln benutzt wird (Bonner Jhrb. 53, 299). Blei ist betrügerischer Weise zuge- mischt worden (a. a. O.). Die meisten Spiegel sind, weil aus geblasener Kugel geschnitten, konvex; sie haben bald runde, bald viereckige Form und sind zum Teil auch mit Schutzvorrichtung (Kapseln u. s. w.) versehen. Selten ist ein Spiegel aus nachgeahmten Obsidian (Bonn. Jhrb. 60, 143). In der Saalburg bei Homburg wurden Spiegel angetroffen, die aus mit Goldfolie unterlegtem Glas bestehen; die Folie wird durch rötlichen Lack gehalten (Westd. Ztschr. 1887, S. 296). Zuweilen werden Spiegel zusammen mit chirurgischen Instrumenten gefunden (Bonn. Jhrb. 19, 163). Hierher gehören auch die römischen Arzneibüchsen : kleine Bronceblechkästchen, die oft in Fächer eingeteilt sind, manchmal Reliefdarstellungen des Aeskulap und der Hygiea u. s. w. zeigen (a. a. O. 52, 127 f.). Ein solches wurde zwischen Neuss und Xanten gefunden (vergl. auch Bonn. Jhrb. 14, 33 u. 52, 127; — 14* — Dencffe, Etüde sur la trousse d'un Chirurgien Gallo-Romain du III siccle. Anvers 1893. Senn, Pompejan SurgeryS. 6). Zu nennen sind ferner cylindrische Bronceblechbüchsen mit Schiebdeckel, die freilich auch als Federköcher benutzt wurden, vielfach jedoch auch zur Aufbewahrung medizinischer Instrumente dienten (Deneffe a. a. O. PI. II, 2 u. 4; Bonn. Jahrb. 25, 106 dazu. Taf. IV.). Zu demselben Zweck sind auch hölzerne benutzt worden, deren Reste sich fanden (Westd. Ztschr. 4. S. 170). Es sind auch gliederförmige Salbbüchsen vorhanden mit oberer Öffnung, die mit Schiebverschluss versehen ist (a. a. 0.). Interessant ist die Auffindung eines broncenen Schreibgerätes zusammen mit medizinischen Instrumenten (Westd. Ztschr. 16, 72). Selten ist die in Orken gefundene Salbenbüchse aus Silber (Bam. Jahrb. 36, 91). Es sind auch fassförmige Bronzebüchsen zusammen mit medizinischen Instrumenten gefunden worden (a. a. O.) und viereckige Büchsen aus Bein mit broncenem Handgriff (a. a. O.). Eigentümlich ist das in einem römischen Steinsarg in Köln mit medizinischen Instrumenten beisammen gefundene Glasei, welches eine aus mehreren rundlichen Stücken bestehende, harte grünliche Masse zeigt. An der Spitze des Glases, welches hermetisch verschlossen war, ist ein kleines Loch gebohrt (B. Jahrb. 25, 106). Die medizinischen Instrumente selbst, welche am Niederrhein gefunden worden (Wstd. Ztschr. 4, S. 170; B. Jhrb. 25, 106; 64, 79; Wd. Ztschr. 16, 72; B. Jhrb. 7, 164 f.; 36, 91; 9, 33; 25, 106; 60, 143) sind folgende: I, Nadeln aus Bein, Bronce, Eisen; 2. Shiegeln aus Bronce oder Eisen; 3. Steinplatten und Messer zu schärfen und Salben zu mischen; 4. Spateln aus Bronce um Salben zu mischen und zu streichen; 5. Sonden; 6. Ohrlöffelchen; 7. Pfriemen; 8. Scheeren; 9. Nagelreiniger; 10. chirurgische Zangen; n. Nagelzangen (abgeb. bei Jacobi, Saalburg, Textfigur 71,5); 12. Bajonettzange aus Eisen, Zahnzange (Geist-Jacobi, Gesch. d. Zahnheilk., Tübingen 1896; abgel. bei Jacobi, Saalburg, Textfigur 71,6); 13. Wundenbenetzer (a. a. O. XII 7 und 12); 14. kleine Gäbelchen (unter Neusser Lagerfunden im Bonner Prov.-Mus.), nach Jacobi (a. a. O. Taf. XII, 2) zur Operation des Staares benutzt; 15. Pincetten verschiedener Art: Federpincetten etc. (Abbild, vgl. b. Deneffe. Etüde sur la trousse etc. Anvers 1893 PI. 4 und 5); 16. verschiedenartige Waagen und Gewichte der üblichen Formen (Abbild, vgl. Deneffe, Les aculistes Gallo-Romains. Anvers 1896. PI. II, 2 und 9); 17. Rasiermesser aus Eisen (Stahl); 18. Messer verschiedener Form mit Holz-, Knochen- oder Metallgriff; 19. verschiedenartige Stilette; 20. Brenneisen verschiedener Art; 21. Saugfläschchen aus Thon und Glas; 22. Schröpfköpfe aus Mainz bekannt (Deneffe, Etüde sur la Trousse etc. Anvers 1893. S. 61 abgebildete andervvärtigen Fundortes ebendas. PI. 1, 5 — 8; PI. 9 rechts und — i_q* — links des Steines); 23. Löffel in allen Formen und Grössen aus Metall und Bein; am Niederrhein sind bisher von bekannten chirurgischen Instrumenten nicht veröffentlicht, wahrscheinlich auch nicht gefunden worden; 24. männ- liche Kateter (N. Senn, a. a. O. ); 25. Haeken (a. a. O.); 26. Ein- laufspritzen mit 8 kl. Löchern am Einführende (a. a. O. f.); 27. Pompe- janische Zangen (a. a. O. g.); 28. ein Fleam zum Aderlassen bei dem Pferde (a. a. O. m.); 29. Federzange mit Schieber (a. a. O. n.); 30. Secierzange (a. a. O. f.); 31. Abzapfer (Trocar) mit Loch am Ende zum Ablaufen der Flüssigkeit; 32. weibliche Kateter (a. a. O. r.); 33. dreiklappige specula (a. a. O. t); 34. Knochensägen; 35. gezahnte Trepanirinstrumente; 36. Perforatoren; 37. Canülen um das Wasser bei Wassersucht abzunehmen; 38. Schnallen, welche mit Sicherheit auf Bandagen zur Stillung einer Verblutung zurückzuführen sind; 39. hohles Rohr mit Löffelchen am Ende (Pelle), leicht gehöhlt, oval in der Form um Pulver in natürliche oder künstliche Höhlungen einzublasen, (Fisteln, Erkran- kungen der Gebärmutter etc.). Zu beachten sind gewisse Glas- oder Knochenstäbe, manchmal ge- wunden, an einem Ende runden Griff, an dem anderen Erbreiterung zeigend, um, wie Oefele glaubt, Werg oder Watte zum Reinigen innerer unterer weib- licher Organe zu befestigen. Im Provinzial-Museum zu Bonn sind mehrere ausgestellt. Ich werde an den Bügel einer römischen Einlaufspritze erinnert. Am häufigsten sind am Niederrhein die Spatulae gefunden worden, welche sich an einem Ende tropfenartig erbreitern, um Wunden zu sondieren, oder aber ein sondenartiges Löffelchen zeigen. Zahlreich sind auch die mit vier- eckigem Griff versehenen pfeilspitzenartigen kräftigen Schneid -Instrumente, welche als Bistouri bekannt sind (Deneffe a. a. O. PI. 3, 1 u. 2). Unter den vielen Pincetten, die übrigens auch zum Enthaaren des Körpers, für Lampen u. s. w. benutzt wurden (a. a. O. S. 49), zeichnen sich zwei im Mainzer Museum befindliche aus, die an dem dem Kneifer entgegengesetzten Ende ein tropfen- artig erweitertes Ende haben (a. a. O. PI. 5, 2 u. 3). Eine im Wormser Museum befindliche Pincette hat am Griff eine Spitze (a. a. O. PL, 4), das Mainzer Museum hat solche mit geraden und mit federnden Armen (a. a. O. IV, 3). Selten sind auch die im Mainzer Museum vorhandenen scheerenförmigen Pincetten, deren Griffe in knopfartige Erweiterungen enden und deren Zangen aussen konvex, innen konkav und gezahnt sind (a. a. O. VI, 5). Deneffe hat bis jetzt 6 — 700 med. Instrumente gesammelt. Eine nähere Bestimmung des Gebrauches aller ist schwer. Einigen Aufschluss geben die Schriften von Hippokrates und Celsus; ihre Altersgenossen und Nachfolger schreiben weniger ausführlich, nennen selten die Namen der Instrumente und geben auch keinen Anhalt, wodurch dieselben zu erkennen sind (Deneffe a. a. O. — 16* — S. 9). Viele der modernen Instrumente waren den Alten unbekannt; allein mit den genannten führten sie zahlreiche nnd schwierige Operationen aus. Geschicklichkeit ersetzte das Mangelhafte des Instrumentes (a. a. O. S. 1 1). Die zahlreichen mit zwei Gebrauchsenden versehenen Instrumente zeigen, dass die Alten die Ausstattung des Chirurgen zu vereinfachen und zu erleichtern suchten. Const. Koenen, Bonn. III. Zur Heilkunde der Franken am Niederrhein. Die Franken sind weiter nichts, als ein Teil der urwüchsigen ger- manischen Stämme, die in den rohen Anfängen der Medizinalangelegenheiten lebten. Sie sind freilich Germanen, mit einer späteren, durch die verschiedenen Kulturvölker, besonders durch die Römer, beeinflussten Kultur. Den Grund- stock der von Tacitus in seiner Germania beschriebenen Kultur finden wir gewiss noch bei ihnen, dazu kamen, wie gesagt, die fremden Neuerungen. Diese entstammen aber einer Zeit gänzlichen kulturellen Verfalles; auch er- erhielten sie dieselben mehr durch die dritte und vierte Hand und sie be- dienten sich derselben auf dilettantischem Wege. So huldigte man auch jetzt noch der Anschauung, dass überirdische Gewalten Krankheiten verursachten, dass daher vor Allem Gebete und Zauberei sie vertreiben könnten ; man be- diente sich dazu auch der heilkräftigen Kräuter und anderer Dinge, die man durch Rezeptenbücher, durch Hörensagen oder durch alte Überlieferung für gut fand. Besonderen Einfluss werden aber die im ehemaligen Römerlande zurückgebliebenen Ärzte oder deren Nachfolger gehabt haben. Hierzu kamen die auswärtigen, besonders die arabischen und jüdischen Ärzte. Einen ganz bedeutenden Umschwung verursachte das damals den Franken zugeführte Christentum mit seinem in damaligen Anschauungen gebildeten Klerus. In allen Erscheinungen gibt sich der harte Kampf des Alten und Neuen, des Römischen und Germanischen kund und er wird getragen von den die heid- nischen Anschauungen verdrängenden oder christianisierenden Bestimmungen der Kirche, die erst in der Neuzeit den Sieg davon trugen. Bezeichnend wegen des Anschlusses an das uns von Tacitus überlieferte Germanische sind die Zustände bei den Nordgermanen damaliger Zeit : Noch damals übten dort weise Frauen die Heilkunst aus. Eir wurde geradezu als weibliche Gott- heit der Heilkunde verehrt (K. Weinhold, Altnordisches Leben, Berlin 1856, S. 385 u. f.). Brunhilde war die Ärztin« und sie wie die Nornen ver- standen die Kunst des Entbindens. Aber Sigrdrifa (Brunhilde) sagte zu \y* — Sigurdr, er müsse, damit sein Kind von der Mutter gelöst werde, Runen einer gewissen Art kennen. Vom Jarlssohn Konr heisst es: er habe die Runen gekannt und den Frauen bei der Entbindung Beistand geleistet. Hier handelte es sich offenbar, wie Th. Puschmann (Gesch. des med. Unterrichts, Leipzig 1889, S. 157) sagt, um mystische Zauberformeln, denen ein wunder- barer Einfluss auf den Geburtsakt zugeschrieben wurde«. Held Gönguhrolf half bei der Entbindung, indem er die Hände auflegte. Die Germanen hatten auch bestimmte Bezeichnungen für einzelne Krankheiten (A. Pictet: Die alten Krankheits-Namen bei den lndogermanen, Ztschr. f. vergl. Spracht. V, S. 321 u. f.) Im Nibelungenlied wird die in Schmerz und Grarn ringende Chriem- hilde »aus dem Brunnen gar oftmals begossen . Man sorgte für »bequeme Ruh' der Wunden und sanfte Hut- (Baas, a. a. O. Berlin 1896. S. 261. Bei einzelnen Stämmen wurden auch Nachbildungen von kranken Gliedern an den Heiligtümern aufgehängt. Zaubersprüche existieren noch in ganzen Sammlungen. Eine ganze Anzahl uraltem Volksglauben entstammender Proceduren haben noch heute beim Volke Geltung. Ins Wasser getauchte Götzenbilder teilten diesem die Kraft mit, Entbindungen zu erleichtern, Unfruchtbarkeit zu beleben und alle Krankheiten bei Tier und Mensch zu heilen (a. a. O.). Mercurius bei Caesar, kein anderer als Wuotan, ist Krankenheirer (Caesar B. G.). Derselbe Odhin galt auch in der nordischen Götterlehre als Arzt und als besonders erfahren in der Heilkunde (Sigurdharkvida I, 17. Fafnismal 12. Sigrdrifumal 9. Rigsmal 40. Formalda sögur III, 276. Saxo Gramm. I, 1, 25. 23. 128 (Quellen nach Prof. R. Heinzel-Wien bei Th. Pusch- mann a. a. O. S. 157 Anm. 4). Fürsten und Heiden traten ebenfalls als Heil- kundige auf. Konr und Gönguhrolf sind oben schon genannt. Der mythische Ditolf galt als der Patron der nordischen Chirurgen (Puschmann a. a. O. S. 157 und 158). Die eigentliche Heilkunde wurde somit auch noch in der fränkisch- germanischen Zeit von Männern ausgeübt, die in Ansehen standen. In den Ge- setzen der Westgothen ist die Verordnung enthalten, dass der Arzt für den Unter- richt in der Heilkunde, den er seinem Schüler erteilte, ein Lehrgeld von 1 2 Solidi fordern konnte (a. a. O. S. 1 59)- Die Ärzte der damaligen Zeit unterrichteten somit wie die Römer im Altertum, oder aber sie hielten einen sogenannten Lehr- ling, wie die heutigen Techniker. Am Hofe der merovingischen Franken finden wir als Leibarzt Marileif von Poitiers. Er hatte sich aus dem niedrigsten Stande zu dieser Stellung emporgearbeitet. Ausserdem wirkte in derselben Eigenschaft Reoval, der in Konstantinopel studiert hatte (Gregor v. Tours V, 14; VII, 25; X, 15). Die Gemahlin des Königs Guntram wurde im Jahre 580 von den Ärzten Nico laus und Donatus behandelt (a. a. O. V, 35). Juden traten mit der arabischen Kultur und den gelehrten — t8* — Rabbinern in Beziehung. Sie galten jetzt als die besten Ärzte. Fürsten, Bischöfe, Päpste hatten jüdische Leibärzte und in den meisten Klöstern waren solche angestellt; sie wurden aber kirchlich untersagt. Selbst Karl der Grosse soll einen arabischen und einen jüdischen Leibarzt gehabt haben (Isensee a. a. O. und Freind, hist. med.) ; allein sicher ist nur, dass einer seiner Leibärzte den deutschen Namen Wintarus führte. (Eigils Leben des Abtes Sturm von Fulda, c. 25, ed. Migne, T. 105, p. 443. Puschmann a. a. O. S. 160.) Die Einnahmen der fränkischen Hofärzte waren hoch; denn Marileif wurde reich und im Nibelungenliede heisst es: -»Die da Arznei verstanden, denen bot man reichen Sold, Silber ungewogen, dann das lichte Gold, dass sie die Helden heilten nach des Streites Noth. Aber ebenso bedeutend war die Strafe und sie ging aus von verrohter barbarischer Vorstellung : Bevor ein Arzt bei den Westgothen des 5. Jahrh. eine Operation vornahm, schloss er mit dem Kranken oder dessen Verwandten einen Vertrag, aber er erhielt nur bei einem günstigen Verlauf das vereinbarte Honorar. Der Arzt musste sogar den durch den Tod eines Leibeigenen verursachten Schaden tragen. Erlitt ein Freigeborener Schaden an der Gesundheit oder am Leben, so wurde der Arzt zu einer entsprechenden Geldstrafe verurteilt oder sogar den Verwandten des Geschädigten oder Verstorbenen zur Bestrafung überliefert (Puschmann a. a. O. S. 159). Des Frankenkönigs Guntrams Gemahlin ver- langte vor ihrem Tode durch eine Seuche (J. 580) sogar die Hinrichtung der beiden sie behandelnden Aerzte (a. a. O. S. 160). Jedenfalls war aber die spätfränkische Arzneikunde nicht besser, wie auch schon aus der geringen Meinung hervorgeht, welche Karl der Grosse von der Medizin hatte (Einhard, Vita Caroli Magni, c. 22 ed. Pertz, Hann. 1863). Seine Bemühung zum Bessern glich in der Geschichte der Medizin nur einem vorübergehenden halblichten Aufflackern der vergessenen römischen Errungen- schaften. In einem Kapitulare von Diedenhofen vom Jahre 806 schreibt er vor, die Knaben sollten in der Heilkunde unterrichtet werden, offenbar um sich selbst helfen und etwa anderen Beistand leisten zu können. Eine Ausübung der Heilkunde, wie Puschmann glaubt, wird daraus schwerlich hervorgegangen sein. In der Nähe des Hofes scheint freilich ein Krankenhaus bestanden zu haben, in welchem die Ärzte ihre verschiedenen Verrichtungen vornahmen. »Der Eine öffnete den Kranken die Ader, ein Anderer mischte Kräuter im Topf, Jener kochte einen Brei, während Dieser ein Getränk bereitete« (Puschmann a. a. O. S. 161 ). Von bedeutendem Einfluss waren zweifellos die Lehrer an der Palastschule und jenes Institut, an dem Karl der Grosse die bedeutendsten damaligen Gelehrten zu Mitgliedern ernannte. — 19* — Puschmann vermutet mit Recht, dass die Krankenanstalten, welche mit vielen Klöstern verbunden waren, als Vorbild gedient haben (a. a. O. S. 161 ). Bezeichnend für den Geist, den diese religiösen Anstalten verbreiteten, ist der Ausspruch Cassiodors (Inst, divin. lect. I, c. 31 ): -Lernet die Eigenschaften der Kräuter und die Mischungen der Arzneien kennen, aber setzt alle eure Hoffnung auf den Herrn, der Leben ohne Ende gewährt. Wenn euch die Sprache der Griechen nicht unbekannt ist, so habt ihr das Kräuterbuch des Dioskorides, welches die Pflanzen des Feldes mit überraschender Richtig- keit beschrieben und abgebildet hat. Nachher lest den Hippokrates und Galen in lateinischer Uebersetzung, d. h. die Therapeutik des letzteren, welche er an den Philosophen Glaucon gerichtet hat, und das Werk eines ungenannten Verfassers, welches, wie die Untersuchung ergiebt, aus ver- schiedenen Autoren zusammengetragen ist. Ferner studiert die Medizin des Aurelius Caelius, das Buch des Hippokrates über die Kräuter und Heil- methoden und verschiedene andere Schriften über die Heilkunst, welche ich in meiner Bibliothek aufgestellt und euch hinterlassen habe« (a. a. O. S. 161). Indess blieb die Heilkunde selbst im Zusammenhang mit der ärztlichen Zunft. Die Praktikanten bestimmten die Dozenten und das Thema. Die Handhabung der Krankheiten selbst blieb den Krankenhäusern und praktischen Ärzten überlassen und die Hauptsache der höhern Lehranstalt blieb an die Erklärungs- schriften zu den Werken der Alten und der durch lateinische Uebersetzung be- kannten arabischen Schriftsteller. Die Synode von Aachen im J. 789 beschloss, dass in jedem Kloster und Domstift eine Schule sei, in welcher die Knaben die Psalmen, die Schrift- kunde, den Gesang, das Berechnen der kirchlichen Feiertage und die lateinische Grammatik erlernen könnten. (F A. Specht, Gesch. des Unterrichtswesens in Deutschi. Stuttgart 1885, S. 21.) Als Muster dieser Unterrichtsanstalten galt die Schule von Tours, wo Alcuin seit 793 als Abt des St. Martins- Klosters lebte. Berühmte Schulen dieser Art finden wir u. A. auch in Mainz, Worms, Speyer, Köln und Münster (Puschmann a. a. O. S. 164). Die erste deutsche Universität wurde 1 348 in Prag errichtet ; sie stand unter der Ober- aufsicht eines hohen Geistlichen. In Köln am Rhein entstand eine Hochschule 1388. Neben den so mangelhaft oder sozusagen gar nicht unterrichteten Ärzten praktizierten die Volksheilkünstler ohne jede Kenntnis medizinischer Literatur (a. a. O. S. 165). »Die wissenschaftliche Bearbeitung der Medizins sagt Puschmann, lag gänzlich darnieder. Der Schatz des Wissens, den man aus dem Altertum übernommen hatte, wurde nicht vermehrt, ja nicht einmal unversehrt erhalten. Es gab in jener Periode keine Naturforschung und kaum eine Naturbeobachtung.« — 2 CT — Die Resultate früherer Naturiorschung wurden zu einem merkwürdigen Gemische von Zauberei, Aberglauben und falschen bigotten Vorstellungen, welche die Arzneikunde mit in den Strudel geistiger Verfinsterung zog. Die Kirche kämpfte mit aller Macht gegen die abergläubischen Ideen und in dieser Art von Verboten spiegelt sich zum letzten male der gänzliche Verfall der römischen und der tiefe Stand der germanischen Vorstellungen ab. So finden sich in den fränkischen Gräbern bronceblecherne Büchsen, welche an einer Schnur getragen oder an Ketten um den Hals gehängt wurden. In dem im J. 742 vom h. Bonifacius abgehaltenen Konzil wird gegen abergläubische Totenopfer, Zauberkünste, Wahrsagereien und Hexereien Front gemacht. Im folgenden Jahre wiederholte das wieder unter dem Vor- sitze des h. Bonifacius zu Septimä gehaltene Konzil das Verbot heidnischer Gebräuche und den Acten ist in 30 Artikeln ein Verzeichnis abergläubischer Sitten, welche bei unseren Vorfahren damals noch vielfach üblich waren, beigefügt. Für den hier behandelten Gegenstand hat der 10. Artikel Interesse, welcher von den Anhängezetteln und Bändern (de Phylacteriis et Ligaturis) handelt. Aus Kupfer, Blech, Pergament oder Papier hergestellt und mit verschiedenen Figuren bezeichnet, trug man sie am Halse über den Kleidern und glaubte dadurch vor Unglück bewahrt zu werden. Die Deutschen nannten solche Amulette auch Plechir, weil sie meistens von Blech waren; in einem andern fränkischen Kodex heissen sie Zaubergecrip, d. i. Zauberschrift, Zauber- brief. Die Bischöfe verordneten, die Christen sollten statt dieser teuflischen Anhängezettel sich Kreuze oder Reliquien von wahren Heiligen anhängen, welche denn auch bei Schriftstellern des 8. und 9. Jahrh. unter dem Namen Phylacteria vorkommen. Um Krankheiten zu vertreiben und allerlei Wunder- dinge zu veranlassen, hing man um den Arm, den Hals oder den Leib »Ligaturae« oder Bänder aus Stauden, Kräutern und andern Dingen zusammen- gebunden und betete dabei gewisse Formeln. Und die noch gegenwärtig üblichen Johannes- oder Martinusfeuer wurden damals von der Kirche verboten. Es wird ein »gotteslästerisches Feuer« genannt, weil einige darüber sprangen und meinten, jetzt von allen widrigen Zufällen das Jahr hindurch befreit zu sein. Auch fasste man den Rauch durch die Kleider auf, in dem Glauben, dies sei ein Mittel gegen das Fieber u. s. w. Im 26. Artikel finden wir unsere » Weckmännchen « wieder, die am Nikolaustage am Niederrhein eine so grosse Rolle spielen. Es wird verboten, diese Götzenbilder aus Mehlteig, welcher mit dem den Göttern geheiligten Wasser angemacht war, herzustellen, sie zu verkaufen und sie zu essen. Dasselbe Verbot geht gegen die Brätzeln (= Brachile oder Brachiale d. i. Armband), die am Arm festgebunden wurden. Wie und wodurch man ferner in der Frühzeit Heilung suchte, zeigt eine Art von Beichtspiegel im fünften Kapitel des neunzehnten Buches. Da wird z. B- — 21 gefragt: Hast du heidnische Gebräuche beobachtet, welche gleichsam durch ein Erbschaftsrecht des Teufels bis auf diese Tage immer die Väter den Söhnen hinterlassen haben, d. h. dass du Elemente verehrest, oder den Mond und die Sonne, den Lauf der Gestirne, den Neumond, den abnehmenden Mond, damit du durch dein Geschrei und deine Hülfe seinen Glanz wieder herzu- stellen vermögest, oder damit die Elemente dir helfen? Hast du Arzneikräuter mit Zauberformeln gesammelt, statt des Gebetes des Glaubens und des Vertrauens? Bist du, um zu beten, an einen andern Ort gegangen, als in die Kirche, oder an einen andern Ort, als dir dein Bischof oder Priester angewiesen hat, z. B. an einen Brunnen, zu Steinen, Scheidewegen? oder hast du ein Licht angezündet zur Verehrung des Ortes, oder Brod oder sonst etwas als Opfer dahin gebracht, das dir an Leib und Seele nützlich sein soll? - - Bei Bejahung der Frage ist die entsprechende Busse verzeichnet. Aber diese altheidnischen Gebräuche, einmal im Volke festgewurzelt, setzten sich im Geheimen damals fort. So heisst es in einer in Köln im Jahre 1356 gehaltenen Synode: »Da wir vernommen haben, dass der Aberglaube der Wahrsagerei, Zauberei und Weissagerei in unserer Diöcese sich eingeschlichen habe, so schliessen wir alle beiderlei Geschlechts, welche sich mit solchen Dingen befassen, aus der Kirchengemeinde aus und befehlen, dass ihre Namen jeden Sonn- und Festtag in der betreffenden Kirche abgelesen werden, damit die Christgläubigen nicht durch ihren gefährlichen Eigensinn zum Götzendienst verleitet werden« (Binterim, Die vorzüglichsten Denkwürdigkeiten u. s. f. II, 2. S. s. 40 ff. Wuttke, Der deutsche Volksaberglaube der Gegenwart. 2. A. 1869. Fehr, Der Aberglaube und die katholische Kirche des Mittelalters). Aber der Zauber wird seinen Reiz behalten, so lange Menschen leben, wie das in der Mitte unseres Jahrhunderts in acht Bänden erschienene Schandwerk »Des alten Schäfer Thomas seine Geheim- und Sympathiemittel«, 1858 ff. (Altona, Verlagsbureau) zeigt, das in wenigen Jahren in 40,000 Exemplaren verkauft wurde ! Noch eine Sache ist zu beachten für die Geschichte der Medizin am Niederrhein. Ich meine den Volksglauben in Bezug auf heilbringende Kräuter. Montanus nennt in seiner trefflichen Schrift Die deutschen Volksbräuche, Volksglaube und mythologische Naturgeschichte. Iserlohn 1858.' (S. 136 — 160) nicht weniger als 24 Pflanzen, mit denen der Volksglauben gewisse Vor- stellungen verbindet, welche auf frühere Verwendung dieser Pflanzen zu Heil- zwecken schliessen lassen. »Wenn wir als Nahrungsmittel und Arznei«, sagt Montanus (a. a. O. S. 13g) »in zweifacher Anwendung besonders nützliche Pflanzen, z. B. die Kettenblume (Löwenzahn) und Preisseibeere, die zweimal im Jahre Blüten und Früchte trägt, durch mythologische Beziehungen be- sonders ausgezeichnet sehen, wenn die Narde, der Baldrian, das Hirschkraut, — 22* — der Rainfarrn, Wermut u. a. durch den Aberglauben ausgezeichnet und heilig gehalten sind, so muss auch bei den übrigen dem Aberglauben bekannten Pflanzen irgend eine Heilkraft verborgen und früher in Anwendung gewesen sein, wozu übrigens noch viele althergebrachte Geheimmittel Belege liefern; denn die Begriffe heilkräftig, heilsam und heilig standen früher in nächster Beziehung und waren häufig sogar gleichbedeutend«. Ausserdem führt Mon- tanas noch 24 heilige Sträucher und Bäume an, denen ähnliche heiligende und heilende höhere Kräfte zugeschrieben werden. Wir sehen, dass sich Alles um heilende Kräuter, um Zaubermittel und Aberglauben dreht. Und in der That stand die eigentliche Chirurgie in Deutschland noch im 12. Jahrhundert auf der denkbar niedrigsten Stufe. Bei einem rein empfindenden Naturvolke würde man mehr erwarten, als in dieser Periode geistiger Umnachtung. Als Heinrich IV. im Jahre 1 190 den Markgrafen Dedo von Rochlitz und Groiz zu einer Reise im Süden be- stimmte, glaubte dieser, sich wegen seiner Dickleibigkeit gegenüber dem heissen Klima und den Strapazen, einer Entfettungskur unterwerfen zu müssen. Es wurde nun das Fett seines Körpers einfach ausgeschnitten, wodurch er natürlich bald starb (a. a. O.). Im Jahre 1195 erlitt der Herzog Leopold von Österreich einen Unterschenkelbruch; nachdem er vergeblich seinen Leibarzt um Amputation angesprochen, nahm einer seiner Diener dieselbe vor, wodurch sich bald Brand einstellte und auch er starb. Der niedrige Stand der Chirurgie bestätigt sich auch durch meine archäologischen Beobachtungen bei der Aufdeckung fränkischer Niederlassungen, Bauten und Gräber. Es ist freilich zu beachten, dass seit der karlingisch-fränkischen Zeit die Mitgabe von Gegenständen in das Grab aufhörte. Auch sind bis jetzt nur wenige fränkische Kulturschichten wissenschaftlich untersucht worden. Allein ich habe zahlreiche merovingisch-fränkische Gräber mit reicher Ausstattung auf- gedeckt. Dieselben gaben wohl für das auf die Kampfeswerke der Germanen gerichtete Sinnen und Trachten der Franken reiche Bestätigung durch Mit- gabe von reichem Waffenschmuck; allein was ich an Instrumenten in häufiger Wiederholung fand, waren die kleinen, oft an Ringen befestigt gewesenen broncenen Pincetten, eiserne Scheeren, Nadeln und dergleichen Sachen, die nach römischer Weise hergestellt, aber auch zu anderen Zwecken : zum Haar- schneiden, Rasieren und zum Enthaaren benutzt wurden. Was vereinzelt an wirklichen medizinischen Instrumenten gefunden wurde, ist römischen Ursprungs und vielfach gar nicht in der dem ursprünglichen Gebrauche entsprechenden Art benutzt worden ; Sonden dienten z. B. als Haarpfeile und andere Instrumente als Schmuckgehänge. Das Christentum bot gewiss das Äusserste an Wohlthätigkeit. Wo Kirchen und Klöster, da auch Hospitäler, Häuser für Arme und Gebrech- — 23* — liehe aller Art (a. a. O. S. 215). An den Grenzen der Kultur ist bereits im 13. Jahrhundert das ganze Land mit Hospitälern und Leproserien ver- sehen (Virchows Archiv, B. iS, S. 150 u. ff., 275 u. ff., 310 u. ff.). Schon in der karlingisch-fränkischen Zeit scheint das in Neuss vor dem Rheinthor bei der Barbarakapelle während der Belagerung der Stadt 1475 zertörte »Le- prosen- oder Siechenhaus« bestanden zu haben; denn in den bei demselben aufgedeckten Kulturschichten fand ich karlingische Gefäss-Scherben. Es fehlte im Mittelalter auch nicht an Bädern. Frankfurt allein besass deren im Jahre 1387 wenigstens 15 und hatte 29 Bader. Ärztliche Dienste verrichtete im Mittelalter auch der Henker: er behandelte Wunden und richtete verrenkte Glieder wieder ein. Kommunalärzte werden in Deutschland erst im 14. Jahr- hundert angestellt (Puschmann a. a. O. S. 234). Ob schon in der fränkischen Zeit eine Scheidung zwischen Ärzten für interne Medizin und eigentlichen Chirurgen, d. h. Ärzten für äussere Krank- heiten, vorhanden war, wie das im Altertum der Fall, erscheint mir sehr zweifelhaft. In der Studienordnung des Kaisers Friedrich III. ist mit der Scheidung die Zusammengehörigkeit angeordnet. In den Schulen zu Salerno und Montpellier werden die medici physici und medici Chirurgie gleichberechtigt neben einander genannt, sogar wird der Titel Physici anstatt Medici gebraucht Eine gesellschaftliche und wissenschaftliche Scheidung der Vertreter beider Disciplinen scheint erst mit der Uebermacht der Kleriker insofern gediehen zu sein, als die Chirurgie nicht, wohl aber die Medizin Sache des damaligen Klerus war ; sie mochte aber auch in der Sache selbst nahe gelegen sein. Ganz entschieden kam sie zum Ausdruck in der mediz. Fakultät zu Paris im Jahre 1350, die ihren Zöglingen geradezu die Ausübung der Chirurgie verbot und, um sich völlig in das Licht wissenschaftlicher Superioiität zu setzen, be- wirkte, dass den Barbieren das Recht der kl. Chirurgie zufiel. Puschmann (a. a. O. S. 226) vermutet allerdings wohl mit Recht, dass das Bedürfniss von Heilgehülfen hinzu kam. Es scheint nicht lange gedauert zu haben, da waren die Barbiere, eines der später am meisten verachteten Gewerbe, auch als Wundärzte thätig, Leute, die nicht einmal einer Zunft angehören konnten, deren Grundsatz Ehrenhaftigkeit war. Noch im Ende des 17. Jahrhunderts (1637) wurden in Neuss am Niederrhein neun solcher Heilkundigen vom Stadt- rate als Wundärzte ernannt. Die Bestimmungen und Bedingungen sind für das Mittelalter so bezeichnend, dass es von Interesse ist, sie etwas zu be- leuchten. So hatte ein Wundarztlehrjunge der Rentkammer 1 Goldgulden, jedem Bürgermeister 1 Thlr und der Kirche ein Pfund Wachs zu geben. Ein Fremder musste sich einer Prüfung vor einem Doktor der Medizin und zwei Zunftgenossen unterziehen (erst im Jahre 1779 wurde die Approbation der Wundärzte durch den Medizinalrat zu Bonn angeordnet. Stadtarchiv M 8), — 24* — und bei Aufnahme in das Amt der Rentkammer und dem Amt je 6 Rader- gulden, den Bürgermeistern I Goldgulden und den Zunftgenossen ein Mahl geben. Starb ein von einem Wundarzte behandelter Kranker, so war durch einen Doktor med. die Ursache des Todes festzustellen und über das Verfahren des Wundarztes ein Urteil abzugeben. Der begutachtende Arzt erhielt ein Reichsort. Wenn zwei Wundärzte jemanden behandelten, so mussten sie sich die Gebühren redlich teilen, bei Strafe von einem Pfund Wachs. »Wer einem anderen seine Kunden abwendig macht, zahlt dem Amt 3 Radergulden; nur so lange einer abwesend ist, dürfen andere Zunftgenossen dessen Kunden be- dienen. Eine Wittwe darf mit einem Gesellen das Amt sechs Wochen fort- führen.« Für die Wittwen und Töchter der Zunftgenossen hatten die guten alten Neusser auch ein mitleiderfülltes Herz. »Wer die Wittwe oder die hinterlassene Tochter eines Zunftgenossen heiratet«, so heisst es, »hat ebenso wie der, welcher in Neuss seine Lehre bestand, beim Eintritt in das Amt nur halbe Gebühren zu entrichten.- Meistersöhne, die drei Jahre auf Reisen ge- wesen sind, zahlen nach besonderer Prüfung der Zunft und der Rentkammer je 1 Radergulden und dem Bürgermeister 1 Goldgulden (Tücking, Geschichte der Stadt Neuss, 1891 S. 270 — 271). Die Barbiere galten im Mittelalter als unehrliche Leute« (a. a. O. S. 270) infolge ihrer Dienstleistungen bei der Tortur eines Missethäters. Nach der Einrichtung des Wundarztamtes durfte der fortentwickelte Barbier, nunmehrige Wundarzt- , nicht mehr bei einer Folterung Dienste leisten, andererseits wurde es auch dem Gesellen eines Scharfrichters verboten, Wunden zu behandeln (Ratsprot. XXl, 62, Tücking a. a. O. S. 271). Neben einer ganzen Zunft solcher Wundärzte hatte man in Neuss nur einen Stadtarzt. Derselbe bediente das Hospital, die Armenhäuser und war da zur Besichtigung von Verunglückten und Getöteten. Nachdem er das Bürgerrecht erworben, war er, wie die römischen Ärzte, frei von allen Stadtlasten, erhielt freie Wohnung und ein Gehalt von 25, zuletzt sogar von 50 Thalern (a.a.O.). Die Ärzte selbst beschäftigten sich früher nicht mit der Geburtshülfe ; das war Sache der Hebammen. Diese prüfte man damals nach der öffentlichen Meinung, nach dem Urteil der angesehensten Frauen des Ortes (Puschmann a. a. O. S. 231). Um die Mitte des 1 5. Jahrhunderts hatten die Städte ange- stellte Hebammen. In Neuss fungierten seitdem zwei angestellte Hebammen, von denen jede 10 Thaler Jahresgehalt bezog; sie hatten vor ihrer Anstellung eine Prüfung zu bestehen (a. a. O.) vor dem Bürgermeister und — dem Pfarrer! Const. Koenen, Bonn. — 25* — IV. Biographisch-Literarisches zur Heilkunde am Niederrhein vom 12. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Wenn der Historiker die geschichtliche Entwicklung der Arzneikunde am untern Laufe des Rheins überschaut, so blinken ihm aus dem Schatten der Jahrhunderte drei Namen entgegen, wie Malsteine aus des Ufers Grün: Hildegard von Bingen, Günther von Andernach, Hermann von Neue nähr. Geboren 1099 zu Böckelheim an der Nahe aus ritterlichem Geschlecht, hat St. Hildegard 31 Jahre in dem von ihr gegründeten Kloster auf dem Rupertsberge bei Bingen als begeisterte Seherin, als geistliche Beraterin von Kaisern und Fürsten, als segenspendende Helferin weit und breit verehrt, gewaltet — eine seltene Frau. Die zweifellos von ihr verfasste »Physica s. Hildegardis « ist ein ehrwürdiges Denkmal des Standes der Natur- und Heil- kunde am Rhein in der Mitte des 12. Jahrhunderts. Keine geistlose Kom- pilation aus Schriften des Altertums, sondern eigene Arbeit im Latein ihrer Tage abgefasst, aber zahlreiches Deutsche einstreuend, stellt diese »Physica« eine aus der täglichen Erfahrung und der Überlieferung des Volkes geschöpfte Arzneimittellehre dar, die wie die Volksmedizin aller Zeiten auch von allerhand mystischem Krimskrams nicht frei ist, sich aber doch einer praktischen Nüchternheit befleissigt. Mit ganz wenigen Ausnahmen sind alle besprochenen Mittel heimischen Ursprungs; als Kompendium der deutschen Volksmedizin in so früher Zeit ist sie von unschätzbarem Werte, nicht minder als erster erhaltener Versuch einer vaterländischen Naturforschung und als Denkmal einer in vielerlei Betracht staunenswerten Naturerkenntnis. (Gedr. 1533 und 1544 zu Strassburg, Fol. : ein Auszug von F. A. Reuss, Wirceburgi 1835.8"; Vollst, nach einem Pariser Codex v. Daremberg mit Prolegom. von Reuss. Paris 1856; Migne Patrolog. Tom. CXCVil. recus. Paris 1882; deutsch von J. Berendes, Pharm. Post 1896/97, Wien, Sonderabdr. 110 SS. 8°). Weit weniger Bedeutung kann der auch >Causae et curae« genannte »Liber com- positae medicinae de aegritudinum causis, signis et curis« unserer Hildegard beanspruchen, der nur ganz auszugsweise nach dem einzigen erhaltenen Kopenhagener Codex von geistlicher Seite 1882 veröffentlicht worden ist (Analecta sacra spicil. Solesm. parata ed. J. Bap. Card. Pitra Tom. VIII. Typ. sacr. mont. Casin. gr. 8. S. 468 — 482). Wesentlich auf altüberlieferter klassischer Medizin oder deren arabistisch- salernitanischer Überarbeitung beruhend und nur spärlich untermischt mit volkstümlicher nordisch-germanischer Heilkunde sind einige mittelnieder- deutsche Arzneibücher, welche von gelehrten Mönchen für Laienbrüder verfasst sind und sprachlich zum Teil in den engeren Bezirk unserer niederrheinischen — 26* — Medizin zu weisen scheinen. Als solche mittelniederdeutsche Arzneibücher sind hier besonders zu nennen: »De dudesche Arstcdie« in 186(200) Kapiteln (Hdschr. Nr. 980 in Gotha; vgl. K. Regeis Gothaer Programme von 1872 und 73; Jahrb. des Ver. für niederd. Sprachf. 1878 S. 5 — 26, 1879 S. 61 — 108), das hiermit vielfach wörtlich übereinstimmende, bisher nur aus den Belegen im mittelniederdeutschen Wörterbuch bekannte, Rostocker Arzneibuch, das Utrechter Arzneibuch, (von J. H. Gallee im selben Jahrb. 1SS9 S. 105 — 149 zum Abdruck gebracht), die Wolfenbütteler Arzneischrift (Wolfenb. Cod. 23, 3, siehe ebenda 1878 S. 5 ff.) und auch die mittelnieder- deutschen Uebersetzungen der Practica des angeblichen Meisters Bartholo- mäus von Salerno (Josef Haupt in den Wiener Akademieschriften 71. Bd. S. 451 — 566 und die Ausgabe des Freiherrn von Oefele). Einige auf dem gleichen Boden der altüberlieferte klassische Heilkunde mit heimischer Volksheilkunde verbindenden Mönchsmedizin erwachsene arznei- liche Kenntnisse verrät auch der Mönch vom Siebengebirge, der in Köln geborene Caesarius von Heisterbach (1 176 — 25. Sept. 1240), wenn er z. B. in seinen Homilien von vier Arten des Aussatzes und der Einteilung der Arzneimittel in abführende und kräftigende spricht. Er hat uns auch die Nachricht von einem » Arzte hiesiger Gegend- aufbewahrt, der sich durch gallentreibcnde Arzneimittel gesundheitshalber einige Fieberanfälle hervorrufen wollte und dann ein ganzes Jahr am Fieber litt, das ihn fast ums Leben brachte (Annalen, Köln Hft. 9, S. 35 — 35; Homil, ed. Hörn III, 127). Auch berichtet er von einem Priester und Arzte Peter in Köln, der ein Hospital samt Kapelle stiftete (Dial. X. 56). Der grosse Aristoteliker Albert Graf zu Bollstädt ( 1 193 — 1280) gehört dem ganzen Deutschland an; was er durch seine Erneuerung der naturwissen- schaftlichen Denkweise des Stagiriten geleistet hat, kam der ganzen Welt des Mittelalters zu gute. Der Zug des Herzens, der ihn immer wieder nach Köln zurückführte, wo er auch sein reich gesegnetes Leben beschloss, gibt uns aber das Recht, Albert den Grossen zu den niederrheinischen Gelehrten zu rechnen; sein naturwissenschaftlicher Sinn, den unser Botaniker oben schon in's rechte Licht gesetzt hat (S. 24 f.), kam auch der Heilkunde zu statten, zu deren direkter Förderung er nichts Nennenswertes beigetragen hat. Die Schrift »De secretis mulierum« ist ihm untergeschoben. Das wissenschaftliche Leben am unteren Rheinlauf wurde im ausgehenden Mittelalter von der 1388 gegründeten und anfangs glänzend gedeihenden Kölner Universität beherrscht, wenn das auch für die Heilkunde im Einzelnen nur schwer nachweisbar ist, da die Zahl der in der Kölner Matrikel genannten Studierenden der Medicin eine fast verschwindend geringe ist (in den ersten 76 Jahren nur 103 unter 13 05 2 Immatrikulirten), noch geringer die Zahl der — 27* — nachweislich aus unserm Bezirke stammenden. Doch studierten Söhne unserer Herzogtümer auch auf anderen deutschen Hochschulen. So finden wir in der Erfurter Matrikel zwischen 1408 und 1455 sechs junge Leute »de Juliaco (Guliaco)« und »deprope Juliaco« und zwei »de Düren« ; die Fakultät derselben ist freilich nicht genannt. In unseren alten Urkunden sind die Namen einer ganzen Reihe von Mitgliedern des heilenden Standes erhalten. Ein Arzt magister Donatus wird in einer Urkunde des Klosters Altenberg vom November 1250 genannt; er war Leibarzt des Erzbischofs Philipp I. (1167 — 1191) gewesen und hatte sich nach dem genannten bergischen Kloster zurückgezogen und diesem sein Wohnhaus in Köln geschenkt. Der Gedanke, dass Donatus, der also im 12. Jahrhundert gelebt hat, im Niederbergischen geboren war, liegt nahe (Lacomblet, Urkundenbuch II, 191). Im Totenbuch desselben Klosters wird unterm 6. September genannt »Magister Jacobus physicus, frater magistri Wilhelmi« ; der Name ist von einer Hand des 14. Jahrhunderts eingetragen. Es scheint ein Bruder des grossen Kölner Malers »Meister Wilhelm« gewesen zu sein, der etwa 1370 — 13 So auf der Höhe seines Schaffens stand; unser Arzt Magister Jacobus wird also gleichfalls in der 2. Hälfte des 14. Jahr- hunderts gelebt haben und in engerer oder weiterer Beziehung zum bergischen Lande gestanden haben (Ztschr. des Berg. Gesch. -V XXXI, 130). Im Ver- brüderungs- und Totenbuche der Abtei München-Gladbach wird als am 9. März gestorben genannt »Wilhelmus de duren sacerdos et physicus (Ztschr. der Aach. Gesch. -V. II, 21); dieser Priester und Arzt Wilhelm von Düren gehört wohl auch noch ins 14. Jahrhundert, ebenso ein »Meister Goedert van Anrath, Artsitter«, welchen eine Urkunde des Krefelder Franziskanessen- Klosters vom 8. März 1408 als verstorben erwähnt. Da ein Sohn desselben (Heincken") in der Urkunde erwähnt wird, gehörte dieser Meister Godert nicht dem geistlichen Stande an (Staatsarchiv, Düsseid. Ms. B. 168 fol. 58). Unterm Jahre 141 2 lernen wir den ersten Leibarzt am klevischen Hofe kennen, »Magister Johannes de Conventis«. Nach der im Konzept erhaltenen Ur- kunde (Staats-Arch. Düsseid. A. II. Kleve-Mark Nr. 707; Ztschr. des B. G.-V. XXVI, 226) wird Meister Johann van Kloster für Herzog Adolf IV. von Kleve-Mark und seinen Hof mit freier Wohnung für sich und zwei famuli und 100 rhein. Gulden Jahrgehalt auf vierteljährige Kündigung angestellt. Am 16. September 1432 resigniert Amplonius de Fago in artibus ac in medicina doctor, (Leibarzt Herzog Adolfs?), auf eine Präbende. Derselbe Herzog Adolf, der sich 141 2 einen Leibarzt zulegte, veranlasste durch Uebereinkunft vom 6. Mai 1437 einen Meister Johann Vos (Vorss), sich auf 5 Jahre in Kleve als Apotheker niederzulassen (Z. d. B. G.-V. XXX, 180). Durch Urkunde vom 6. Nov. 1440 gewährte Herzog Gerhard von Jülich seinem Hofastronomen Meister Gerarde van Syttart zur weiteren Voll- endung seiner Kunst eine Beihilfe von 20 rhein. Gulden um »Doctoir in Medianen zu werden« (ib. XXIX, 160). Ob er als Doctor Gerhard von Sittard Leibarzt seines Herrn wurde, ist nicht überliefert. Im Juni 1460 besuchten »etliche Meisteren van medianen« aus Köln, auf Wunsch der Stadt, den schwerkranken Grafen Gerhard zu Jülich-Blankenheim, und i.;5s erbittet der Rat der Stadt Köln hinwiederum vom Herzog von Jülich den Peter von Coelne wontartzitt zo Gherisheim, obgleich man in Köln städtisch angestellte Wundärzte hatte, wie denn Johann von Hillesbach (angestellt 19. Nov. 1449), Reinhart von Monheim (ang. 15. Sept. 1457) und Hermann Karben von Markbruch (ang. 2. Aug. 1458) urkundlich als solche genannt werden (Annalen, Köln 50, 69). Der aus dem Bergischen erbetene Wundarzt Peter muss also einen grossen Ruf gehabt haben. Auch noch im Jahre 1491 (16. August) erbittet Philipp Graf zu Waldeck, Statthalter in Ravensberg, vom Herzog Wilhelm, er möge an »Meister petter zu geress- heym« schreiben lassen, dass er zu ihm komme, wenn der Herzog seiner entraten könne. Der Herzog schickte dem Grafen (Schreiben vom 21. Aug. 1 49 1 ) »den peter unser wontarzte der von gerissheym«; derselbe stand also auch damals- noch in hohem Ansehen als Meister seiner Kunst und in Diensten des Herzogs (Stsarch. Ddorf., Jül.-Berg.Litteralien B. II. 7). In der Zwischenzeit ist noch ein Wundarzt Peter im Dienste Wilhelms II. Herzogs von Berg nachweisbar, der mit dem Gerresheimer vielleicht nicht identisch ist. In einer Supplikation eines Neusser Bürgers an den Herzog vom 17. Nov. 147S wird er »uwer gnaden wuntarztitt peter van Heyissbach« genannt; er scheint den Bittsteller Heinrich Blarren in Neuss behandelt zu haben (Stsarch. Ddorf. Jül.-Berg. Litteral. M. 15). Da sich Herzog Wilhelm im Juni 1497 für Meister in Medizinen Dr. Mathias von Aachen, Probst zu St. Adalbert in Aachen, verwendet, um ihm eine Präbende zu verschaffen (Stsarch. Ddorf. J.-B. Litt. E, 5; vgl. Keussen, Köln. Martikel S. 198, 13), dürfte derselbe wohl als Leibarzt oder in ähnlicher Stellung zum Hofe in Beziehung gestanden haben. Sicher war Doctor Dietrich von Dortrecht Leibarzt der Herzogin Sibille, denn sie verwendet sich für dessen Sohn Cornelius von Dortrecht, als Sohn »ihres Meisters von Medicinen« im Jahre 1503 (ebenda). Laut Urkunde vom 24. Dez. 1 509 wird Matthys van Duyren (Matthias von Düren) von Herzog Wilhelm II. (IV.) von Jülich-Berg »zu unserm diener ind artzitter angenomen , also zum Leibarzt ernannt (ebenda Ms. B. 29 I. fol. 49; Z. d. B. G.-V. XXXII, 136). Hiermit schliessen wir diese lange Reihe von urkundlich aufgefundenen Ärzten aus drei Jahrhunderten, die bis heute fast alle nur Namen geblieben sind, da es uns nicht gelang, ihnen durch anderweitige Nachrichten ein literarisches — 29* — Antlitz oder sonstwie Fleisch und Blut zu geben. Von der Schwelle des 16. Jahrhunderts ab beginnt sich dies Verhältnis langsam zu ändern. Über das Leben des Joh. Vochs de Colonia artium et medicinae doctor sind die Nachrichten noch zu dürftig, als dass ich ihn hier gänzlich übergehen dürfte. Vielleicht bestehen bei ihm doch noch weitere Beziehungen zum Niederrhein, nicht nur zur Stadt Köln. Als er seine Schrift >De pestilentia anni praesentis et eius cura schrieb, welche er im Jahre 1507 in Magdeburg bei Jac. Winter in 4 erscheinen Hess und dem Kurfürsten Friedrich von Sachsen widmete, war er schon 40 Jahre in Köln als Arzt thätig, wo in den Jahren 1506 und 1507 die echte Pest herrschte (pestilentia legitima im Gegen- satz zu einer anderwärts grassierenden caeca et notha pestilentia). In dieser Pestschrift wird auch die Syphilis abgehandelt (»Carbunculi Franciae« genannt), was in einer von Dryander 1537 besorgten neuen Auflage auch auf dem Titel zum Ausdruck gebracht wird »y et de diuturna peste morbi Gallici< Er selbst nennt die Syphilis »inter chronicos longissima« und verrät überhaupt eine gewisse Selbständigkeit des Urteils in seiner kulturhistorisch mehrfach interessanten Schrift. — Ein Peter Himmelberger (Coelimontius), geboren in den 80er Jahren des 15. Jahrhunderts, wird als Arzt in Wesel genannt. Heinrich von Emmerich, gelehrter Arzt und Kleriker am Niederrhein, war 15 11 noch am Leben »apud Frisones« und soll einiges in seinem Fache ge- schrieben haben, das nicht gedruckt worden zu sein scheint. Graf Hermann von Neue nah r, Domprobst und Kanzler der Kölner Universität (1491 — 1530), der Freund vorwärtsstrebender Gelehrten, kann in seiner ganzen Persönlichkeit hier nicht geschildert werden (s. auch oben S. 25), er muss aber als Verfasser einer Schrift über den englischen Schweiss genannt werden, welche im Oktober 1527 in Köln bei Joh. Soter erschien (14. Bll. 40) und ihm den sonderbaren Namen »Hermannus de Sudatorio« eintrug. Diese Schrift »De novo hactenusque Germaniae inaudito morbo IdQorcvQecov, hoc est sudatoris febri, quem uulgo sudorem britannicum vocant« bringt in ihrem zweiten Teile eine Abhandlung über dasselbe Thema von Simon Riquinus (Montebur) aus Trier, über den der grosse Erasmus ein recht günstiges Urteil gefällt hat, während die Schrift selbst nichts Hervorragendes bietet. Riquinus soll Arzt in Köln gewesen sein, war aber damals jedenfalls am klevischen Hofe, wohl als Leibarzt, angestellt, denn er spricht selbst von »aula nostra Clivensis in qua nunc versor«, sendet Grüsse von Konrad von Heresbach (damals Prinzenerzieher am Hofe Herzog Johannes III.) und datirt seine Schrift am 10. September 1527 »ex Benroda in agro Juliacensi«. Graf Hermann von Neuenahr gab auch des Flavius Vegetans Schrift »Artis veterinariae sive mulo-medicinae libri IV' in Basel bei Joh. Faber Emmeus zum erstenmale heraus (4 ). Ein Zeitgenosse desselben war der gleichfalls zu Anfang dieser — 30* — Studie genannte Johann Günther von Andernach, eine der hervorra- gendsten medizinischen Gelehrtcngestalten jener Tage (1487 — 1574); wenn auch am Rheine geboren und am Rheine gestorben, fällt sein Leben und Wirken wenig in den Rahmen dieser Arbeit, als dass näher auf ihn einge- gangen werden könnte. Gerardus Bucoldianus, zu Bocholt im Münster'schen geboren, war Arzt und Philologe, hat 1529 eine satirische Rede »pro ebrietate« gehalten und weilte 1535 in Bologna; in die Heimat zurückgekehrt Hess er eine »Brevis enarratio de puella, quae sine eibo et potu per aliquot annos in pago Roed egit« bei Rob. Stephanus in Paris 1542. So und gleichzeitig in Speyer deutsch erscheinen: »Von dem Meydlin welche ohne essen und trinken lebt«; das Schriftchen ist bis ins 17. Jahrhundert mehrfach wieder gedruckt worden. Weyer erklärt in seinem Buche vom angeblichen Fasten die Sache für Schwindel (1577). Thomas Seger u s (Zegerius) Clivensis, in der Stadt Kleve geboren und von seinem gelehrten Vater zu Hause erzogen, studierte in Süddeutschland Mathematik und Medizin, erwarb den medizinischen Doktor- titel und war zuletzt Prof. der Mathematik in Marburg (s. oben S. 5). Im Jahre 1530 widmete ihm Gerhard Geldenhauer aus Nym wegen seine historia Batavica (Strassburg bei Christ. Egenolph). Wilhelm Insulanus Menapius aus Grevenbroich, der 1547 als Probst bei St. Adalbert in Aachen gestorben ist und Kardinalsekretär in Rom bei Sadolet gewesen war, hat in Italien studiert und sich unter Nicolo Leoniceno (1428 — 1524) mit Medizin beschäftigt. Als medizinische Schriften desselben werden genannt »Ratio victus salubris« Basel (Cnatanders Erben 8") und Köln (mit Mars. Ficini de tripl. vita 40) 1540 und ein »Encomion febris quartanae. Adjecta est quartanae febris curandae ratio« Basel, Oporinus 1542. 8° Weit bedeutender ist Johannes Caesarius Juliacensis, art. et medicinae doctor (s. oben S. 5.). Dieser in Jülich um 1460 geborene gelehrte Humanist hätte wohl einmal eine eingehende mono- graphische Würdigung verdient. Er studierte in Deventer unter Alexander Hegius Humaniora und in Paris die Medizin und lebte später in Köln, wie es heisst auch praktisch der Heilkunde beflissen, in strengem Coelibat, soll aber um 1543- des Luthertums verdächtig, zum Grafen von Neuenahr haben fliehen müssen. Hochbetagt schloss er in Köln 1551 sein bewegtes und arbeitsreiches Leben. Neben manchem andern gab er nach Art der damaligen philologischen Mediziner des C. Plinius seeundus naturalis historia heraus (ab innumeris mendis castigavit) mit Argumenten und Scholien versehen, Colon, apud Cervicornum 1524, ebenso desselben »De medicina piscium Lib. II, * Strassburg 1554. Des weiteren veröffentlichte er »In Cornelium Celsum castigationes«, Hagenau 1528 und in neuer Bearbeitung des Nicolo Bertuccio (f 1342) »compendium sive collectorium artis medicae«, Köln, Melchior Novesianus 1537. 40. — 3 1 — Als Weseler Ärzte werden in der Mitte des 16. Jahrhunderts genannt Dr. med. Joh. von Bertt und Heinrich von Lynner; letzterer ein Freund des berühmten Düsseldorfer Rektors Joh. Monheim, wohnte >in der Gold- strasse neben dem guten Schwert' In Wesel geboren ist Laurentius Hiel, der 1555 in Rostock doktorierte und 1559 in Jena Professor der Medizin wurde, aber schon am 16. September 1566 mit Frau und Kindern an der Pest starb. Er schrieb eine »Disputatio de morbo gallico«, Jena 1558. 4 und eine »Epi- tome historiae animaüum quadrupedum«. Dr. med. Johannes Pellemonta- nus, d. h. Johann von Velbert, in der Werdener Abtei erzogen, musste wegen seines Uebertrittes zum neuen Glauben nach Lüneburg fliehen, wo er »animae corporisque medicus war«' Er soll 1 541 an seinen heimatlichen Herrn Herzog Wilhelm von Jülich -Kleve -Berg ein Handschreiben über die Notwen- digkeit einer Kirchenreformation geschrieben haben. Unter Johann IB, Wilhelm IV und Joh. Wilh. I aus dem Klevischen Hause (1521 — 1609) waren die 3 niederrheinischen Herzogtümer in einer Hand ver- einigt ; mit der Blüte des Landes war auch eine gewisse Blüte der medi- zinischen Wissenschaft verknüpft, wenigstens treffen wir in dieser Zeit auch einige bedeutende Männer unseres ärztlichen Standes am fürstlichen Hofe zu Kleve und Düsseldorf. Am I. August 1554 wurde durch ein von Jülich datirtes Dekret (Staats- archiv Düsseid. Caus. Mont. B. 34. IV.; Beitr. z. Gesch. des N.-Rh. VI S. 188). Johann Lythodius als Leibarzt Herzogs Wilhelms angestellt mit 130 Thalern Jahrgehalt, 12 Thalern für seine Herberge, Hofkleidung, Futter für ein Pferd und Unterhalt für einen Diener. Herzog Wilhelms Schwester Anna, geb. 1 5 1 5 und seit 1 540 Gemahlin Heinrichs VIII. von England, hatte einen Leibarzt aus der Heimath, als welcher 1549 Dr. Cornelius Sifried von Xanten überliefert ist (Z. des B. G.-V. 144). Urkundlich bekannt ist auch durch Aufzeichnungen Konrads von Heresbach der Name der Hebamme, welche der Herzogin Maria von Österreich, Gemahlin Wilhelms IV. , in ihren schweren Stunden bei der Geburt der 3 Töchter Marie Eleonore, Anna und Magdalena (1550 — 1553) beistand: »obstetrix fuit Sophia Hambacensis Sophie Hambachen . Figgc ab Hambach." -- Ob Hermann Cruserius, der in Kampen geboren, zuerst Griechisch und Medizin, später Jura studirte und den juristischen Doktor erwarb, Leibarzt bei Herzog Wilhelm gewesen ist, konnte ich nicht feststellen, jedenfalls war er herzoglicher Rat und ist 1573 in Königsberg gestorben, als er seinen Herrn zur Vermählung der Prinzessin Maria Eleonore mit dem Brandenburger begleitet hatte. Als philosophischer Mediziner gab er verschiedene Schriften des Galen und Hippokrates übersetzt und kommentirt heraus z. B. Galen's »de pulsibus liber ad tirones« und die 16 Bücher über den Puls, Paris 1532. 4 °. »De marcore s. marasmo, senili«, — 32* — Paris 1534. 4°, des Hippokrates Lib. I, III und VI »De epidemus« Paris 1534, Fol. ° und des Galenos Kommentar hierzu und zu Kar iijcfteiov, Venedig 1 545. 4n. In der Grossen Haseler Galen-Ausgabe Frobens fanden seine Bearbeitungen Aufnahme und noch 1570 erschien in Basel bei Oporin sein Kommentar zur Hippokratischen Schrift De salubri diaeta« ; auch des Plutarch sämtliche Schriften hat er lateinisch herausgegeben. Doch kommen wir endlich zu dem grössten der heilkundigen Männer, die am Kleve-Düsseldorfer Hofe weilten, zu Johann Weyer, der sich mit seiner mutigen und genialen Bekämpfung des Hexenwahnes in finsterer Zeit einen unverwelklichen Lorberkranz errungen hat: allezeit wird sein Name als eines der verdienstreichsten Liclitbringer der Menschheit genannt werden. Geboren Ende 1 5 1 5 zu Grave an der Maas, genoss er früh die Unterweisung einer der interessantesten Persönlichkeiten dieser an eigenartigen Männern so reichen Epoche, des grossen Agrippa von Nettesheim, dem unsere deutsche Gelehrtenwelt schon lange eine seiner würdige monographische Bearbeitung schuldet (i486 — 1535). Bei ihm verweilte Weyer 1532 und 1533 in Bonn. Er hielt sich dann mehrere Jahre in Frankreich auf, namentlich in Paris, und kehrte etwa 1539 in seine Heimat zurück, wo er 1545 — 155° das Stadt- arztamt in Arnheim bekleidete. Im Jahre 1550 wurde er Leibarzt bei Herzog Wilhelm dem Reichen, dem er fast bis an sein Lebensende (24. Febr. 1588) in Heimat und Fremde seine Dienste geweiht hat. In den letzten Jahren wurde er von den Arbeiten und Sorgen des Hofdienstes grossenteils entlastet, als sein Sohn Galenus (1547 — 1619) am 31. October 1578 zum herzoglichen Leibarzt mit dem Wohnsitze in Düsseldorf ernannt wurde, in welcher Stellung er auch bei Johann Wilhelm I. bis zu dessen Tode verblieben ist. Ein anderer Sohn, Heinrich Weyer, war gleichfalls Arzt und Dr. med. von Bologna (1564). Derselbe praktizierte zuerst in Lemgo und später in Köln; seit 1570 wirkte er als kurfürstlicher Leibarzt in Koblenz und Trier. Als er 1565 in Köln an der Universität Vorlesungen hielt, kam er wegen seiner Hinneigung zum Ramismus mit der Fakultät in Konflikt. Er war mit einer Tochter des gleich noch zu erwähnenden Kölner Arztes Dr. Johann Bachoven von Echt (Margarethe) vermählt und starb bei einem Besuche in Köln am 16. Sept. 1 59 1 . Er hat über die von seinem Vater in Westfalen studierte Trichinose einen Brief an den von Lemgo her ihm befreundeten Dr. Heinich Smet von Leda geschrieben, der samt dem ins Lateinische übersetzten Traktat des Vaters in Smets bekannte Miscellanea medica« (Frankfurt 161 1 gr. 8 °) Aufnahme fand. »De endemico intra Westphalos affectu«, geschrieben in Koblenz am 1. Mai 1570. Die Höhe des geistigen Schaffens des Vaters Johann Weyer be- zeichnet dessen Hauptwerk »De Praestigiis daemonum«, an dem er sein — 33 — ganzes Leben lang weitergearbeitet hat, es von 1563 bis 1 5S3 in 6 Auflagen, alle bei Oporinus in Basel erschienen, zu immer grösserer Vollkommenheit zu bringen beflissen. Auch in eigener deutscher Übersetzung hat er es er- scheinen lassen (156; ». O.), um seine reformatorischen menschenfreundlichen Gedanken in immer weitere Kreise zu tragen. Was er mit diesem Werke Unsterbliches geleistet hat, kann hier nicht weiter dargelegt werden; weitere Ausführungen sind auch vollkommen entbehrlich seit Professor Karl Binz' trefflicher Weyermonographie (Bonn 1885 u. Berlin 1896), welche in der Bibliothek keines niederrheinischen Geschichtsfreundes fehlen darf; es sei also ausdrücklich darauf verwiesen. Man möge dort auch über die weiteren verwand- ten Schriften Weyers »De Lamiis», »De commentitiis jejuneis«, »Deira morbo«, den »Liber apologeticus « und die »Pseudomonarchia daemonum« alles Nähere einsehen. Vom juristischen Standpunkte aus hat unser niederrheinischer Historiker Dr. H. Eschbach das Lebenswerk Weyers trefflich beleuchtet ; seine Monographie ist im I. Hefte der Beiträge zur Geschichte des Niederrheines (S. 57 — 174) Düsseldorf 18S6 erschienen. Ein kurzer Hinweis auf Johann Weyers medizinische Schriften ist aber noch anzufügen. Der Liber 1. seiner »Medicarum observationumrararum« ist zuerst 1567 erschienen und 1657 bei Peter van den Berge (Montanus) in Amsterdam wieder aufgelegt worden als Vorläufer der im gleichen Verlag 1660 erschienenen »Opera omnia« (über 1000 Quartseiten). In erweiterter Gestalt hatte Weyer selbst seine »Observationes« 1580, 1583 und 1588 in Frankfurt a. M. bei Nicolaus Bassee deutsch erscheinen lassen. Auch hier zeigt er sich als Mann von gesundem Urteil, der zwar dem Galenos grosse Hochachtung ent- gegenbringt, aber doch einem gesunden Fortschritt huldigt und als nüchterner Beobachter dem einzelnen Krankheitsfalle objektiv gegenübersteht und auch »neuen« oder für neu gehaltenen Krankheiten gegenüber nicht einfach mil alten Schlagworten wirtschaftet, sondern den Krankheitserscheinungen in ihrer Besonderheit gerecht zu werden sucht, auch durch Leichenöffnungen die Diagnose zu bewahrheiten gelegentlich unternimmt. Das trat schon in den »Praestigiis« bei der Hysterie in die Erscheinung, nicht minder bei der treffenden Beschreibung des Skorbut in den » Observationes «, wo er das Löffelkraut (Cochlearia officinalis) als empirisches Heilmittel zum ersten Male empfiehlt. Das zeigt sich noch deutlicher beiden >Varen« oder »laufenden Varen«, einer in Westfalen häufigen Krankheit, die er in ihrer Besonderheit erfasste und als Plage ganzer Familien auf ein mit der Nahrung aufgenom- menes schädliches Agens zurückführt — die erste Schilderung der erst 300 Jahre später durch Virchow (1860) aufgeklärten Trichinenkrankheit. In seiner Abhandlung über die » Franzosen « (Syphilis) empfiehlt er als erster 12 — 34* — in Deutschland in späteren Stadien das vor ihm nur in Spanien (seit 1565) gekannte Lignum Sassafras. Fügen wir hier gleich die Schilderung eines Freundes und Bundesgenossen Weyers an, des Dr. Johann Ewich, der sich zuerst voll und freimütig an seine Seite stellte in der Bekämpfung des Hexenwahnes durch einen Brief vom 1. Juni 1563 und später in einer besonderen Schrift »De Sagarum quas vulgo veneficas apellant, natura, arte viribus et factis", Bremae 1584. Ewich ist um 1525 im damals Klevischen Frohnenbruch, Bürgermeisterei Hörstgen, im heutigen Kreise Mors geboren. Er studierte zuerst in Deventer und Köln Philoso- phie und Rechtswissenschaft und ging darauf nach Süddeutschland, Frankreich und Italien, wo er sich besonders in Venedig und Padua dem Studium der Arznei- kunde widmete und 1559 den medizinischen Doktortitel erwarb. In die Heimat zurückgekehrt, Hess er sich zuerst in Hörstgen nieder, wo er sich auch vermählte; später ging er nach Duisburg und endlich, um religiösen Verfolg- ungen zu entgehen, nach Bremen. Der Bremer Rath übertrug ihm schon 1562 das Amt eines Stadtphysikus, welches er mit grossem Eifer und Pflichttreue versah. Seine Beobachtungen und Erfahrungen als Arzt eines grossen Ge- meinwesens, namentlich zur Zeit der Epidemien, legte er in seinem Leitfaden der Gesundheitspolizei nieder : De officio fidelis et prudentis magistratus tem- pore pestilentiae rempublicam a contagio praeservandi liberandique libri duo« Neapoli Nemetum (Neustadt a. d. Haardt) ap. Math. Harnisch 1582. 8°. (in Bremen 1656 in 8° wieder aufgelegt und 15S4 durch Gust. Moller in Mühl- hausen deutsch als »Pestilenz-Ordnung« herausgegeben. Auch hat er sich in einer besonderen Schrift nochmals mit der Pest beschäftigt: Die Pestilenz ob sie eine anfällige Seuche sei und in wiefern ein Christenmensch weichen möge, zwei Fragen«, Basel 1582. 8° Als man in Bremen im Jahre 1584 die lateinische Schule in ein Gymnasium illustre umwandelte, erhielt der auch um das städtische Schulwesen hochverdiente Johann Ewich die Professur der Medizin, welche er im Oktober 1584 als Einleitung zu einem Kolleg über des Hippokrates Buch »de natura humana« mit einer Rede antrat, »in qua praeter brevem scholarum commendationem, agitur de vita antiquissimi scriptoris, Hippocratis, et nova Philippi Paracelsi medicina« (1584, Bremen Arnold Wessel, 16 Bll. 40). Er hat es wohl für nötig gefunden, sich bei dieser feierlichen Gelegenheit als waschechten Anhänger des Schulgalenismus zu dokumentieren und deshalb den grossen Einsiedler in der Manier des Erastus statt einer Widerlegung mit Schmähungen bedacht, die der Höhe des Partei- fanatismus ein trauriges Zeichen sind. — Seiner Dozententhätigkeit hatte er sich nur kurze Zeit zu erfreuen, denn er starb schon am 7. Februar 1558. Sein Nachfolger im Stadtphysikat war gleichfalls ein niederrheinischer Arzt, Gerhard Baumann, geboren in Emmerich; derselbe scheint sich 1 561 in — 3S* — Wesel niedergelassen zu haben und dort 1570 als Stadtarzt angestellt worden zu sein. Es wird auch von ärztlicher Praxis im Braunschweigischen berichtet, jedenfalls wurde Baumann 1589 als Physikus nach Bremen berufen und be- kleidete dies Amt bis zu seinem Tode am 6. April 1609. In den gesammelten »Consilia medica«, welche Joh. Phil. Brendel 161 5 zu Frankfurt bei Palthen in 4" herausgab, findet sich als 59. ein Consilium Baumanns für einen an Skorbut leidenden Jüngling. Die Baumannschen Brustkuchen waren noch lange in Bremen berühmt. In den scharfen Invectiven Ewichs gegen den Paracelsismus in seiner Habilitationsrede haben wir vielleicht einen Nachklang des Streites zu finden, den Ewichs ärztlicher Freundeskreis am Rhein mit einem pseudoparacelsischen Charlatan um 1565 auszufechten hatte, der sich Fedro von Rodach nannte, aus Oberdeutschland gekommen war und allerlei Kuren in Köln, Düsseldorf und Umgegend gemacht hatte, die ihn mit den eingesessenen galenischen Aerzten in Konflikt gebracht hatten. Zu seiner Vertheidigung schrieb Fedro eine »Verantwortung Auff etlich vnglimpff der Sophistischen Ärtzten und seiner Missgünner«, die am 20. November 1565 dem Erzbischof Friedrich von Köln gewidmet wurde und 1566 ohne Druckort in 40 erschien (18 Bll.), wo- rin er die Defensionen Hohenheims nachäffte und einige spöttische Malicen gegen seine ärztlichen Feinde am Niederrhein einfliessen liess, sich aber doch in den Grenzen anständiger Polemik hielt. Seine Gegner brachte das Schriftchen erst recht in Harnisch. Sie liessen unter dem Titel »Thyrsus ovayog in tergum Ge. Fedronis« ein Pamphlet 1566 s. 1. (12 Bll. 4 ) aus- gehen, das in dieser an Derbheiten in der Polemik so gesegneten Zeit an Schmutz das Grösste leistet, was mir bis jetzt vor Augen gekommen ist. Und da werden, wenn auch nicht als Verfasser, (als solcher wird ein unge- nannter Doktor iuris vorgeschoben) so doch als Mitstreiter ganz munter ge- nannt die Herren Doktoren Johann Echt, Johann Weyer, Reiner Salenander und Bernhard Cronenburgius. Persönliche Empfindlichkeiten und prinzipielle Differenzen werden mit unsagbar plumpen persönlichen Invectiven gesühnt! Johann Bachoven von Echt aus Geldern war Arzt in Köln und gab mit dem vom Niederrhein (15 15) gebürtigen Professor Hubert Faber, dem Bernhard Dessenius von Kronenburg (1510 — 1574, früher Professor in Groningen) und dem der Paracelsischen Medizin geneigten Dr. Theodor Birckmann im Auftrage des Magistrats das »Dispensarium usuale pro pharma- copoeis inelytae reipub. Coloniensis« heraus (Coloniae ap. haer. Arn. Birck- mann 1565, 8°. 1 Bll. — |— 198 num Bll. -)- 12 Bll.). Andere Schriften dieser gelehrten Männer übergehend (auch die zur Beurteilung Weyers vielleicht wichtige, angeblich zuerst 1541 erschienene Schrift Joh. Echts ?De Scorbuto«), erwähne ich nur, dass als späten Nachklang des niederrheinischen medizinischen — 36* — Sektenstreites der auch in andern Schriften recht weitschweifige Des senilis einen mehr als 300 Seiten starken Quartanten 1573 bei Joh. Gymnicus in Köln erscheinen Hess: -Medicinae veteris et rationalis ad versus oberronis cuiusdam mendacissimi atque impudentissimi Georgii Fedronis ac uniyersae Sectae Paracelsicae imposturas defensio«, worin der ganze Streit mit wissen- schaftlicher Dialektik reich verbrämt zur Darstellung kommt, aber auch manches zur Personengeschichte unserer Gegend Interessante mitgeteilt wird. Weyer hat dem mitteldeutschen Charlatan, den die Gemeinde der Paracelsusjünger weit von sich wies, in mehrfacher Polemik mit Krankengeschichten in seinen »Praestigiis« eine unverdiente Unsterblichkeit gesichert. Doch einer seiner Gegner in der ärztlichen Praxis am Niederrhein verdient noch ein anerkennendes Wort, D. Reinerus Solen and er (Sonder- mann), eine hervorragende ärztliche Gestalt in unsern Landen, die auch in die Zeitgeschichte mehrfach eingegriffen hat. Geboren 1525 zu Büderich oberhalb Wesel, studierte er 3 Jahre in Löwen, besuchte 7 Jahre die italienischen Hochschulen in Bologna, Pisa, Rom und Neapel und hielt sich dann noch mehrere Jahre in Frankreich auf. Derart vorzüglich wissenschaftlich vor- gebildet, wurde er 1559 als Leibarzt an den Hof Herzog Wilhelms berufen, dem er über 30 Jahre seine Dienste weihte, ihn 1566 auf den Reichstag zu Augsburg begleitete (wo er mit Casp. Peucer Freundschaft schloss), auch die Hochzeitsfahrt nach Königsberg 1573 mitmachte und bei der herzoglichen Familie in grossem Ansehen stand, wie seine Berufung zur Pfalzgräfin Magdalene, der ohrenleidenden Tochter Herzog Wilhelms, im Jahre 1585 darthut. Die hierüber gewechselten Briefe verwahrt das Düsseldorfer Staats- archiv (Guntrum'sche Sammlung 4). Sein Bericht über die letzte Krankheit Herzog Wilhelms vom 8. Januar 1592 ist in der Ztschr. d. berg. Gesch. - Vereins II. S. 172 — 176 veröffentlicht. Einen andern über den Zustand des Jungherzogs Joh. Wilhelm hat E. Pauls kürzlich ebenda mitgetheilt. Sonder- mann war dreimal vermählt und ist hochbetagt und allseitig hochverehrt am Tage vor Epiphanias 1601 in seiner Heimat Büderich gestorben und in Wesel begraben. Als man 1566 die Gründung der Universität Duisburg erwog, war Solenander zum Professor der Medizin ausersehen. Schon 1556 liess er eine »Apologia qua Julio Alexandrino respondetur pro Argenterio« bei Leo Torrentinus in Florenz in 8° erscheinen und schrieb »De caloris fontium medicatorum causa eorumque temperatione Lib. II«, Lyon bei Gabianus 40 und gab endlich »Consiliorum medicinalium sectiones quinque« gesammelt heraus (Frankfurt 1596 und Hanau 1609 Fol. ), deren erste schon 1558 bei Franz de Gabiano in Lyon mit des berühmten Johannes Montanus Consilien erschienen war. Hervorgehoben zu werden verdient, dass er der rezeptlichen Vielgeschäftigkeit seiner Tage zwar auch nicht ganz fremd — 37* — war, aber auch auf die Regelung der Diät seines fürstlichen Herrn ernstlich sein Augenmerk gerichtet hat. Als weitere Ärzte am Klevischen Hofe aus dem Ende des 16. Jahr- hunderts sind zu nennen Dr. Lambert Wolf, der seit etwa 1585 zum Leibarzt bestellt wurde, und Dr. Heinrich Butter (Botter), im Holländischen geboren, der in Padua studierte, 1576— 1578 in Marburg Professor war und später in Köln sich niederliess, wo er noch 161 2 gelebt haben soll (Z. d. Berg. G. -Vereins II, 177; XXIII, 21). Als seine Schriften gelten eine »Epistola de expurgationc empyematis« und ein Traktat »De Scorbuto«, die erst später 162 1 und 1646 veröffentlicht wurden. Auch Petrus Quentenius, Weilerij Bedburensis med. Dr., hat Johann Wilhelm im Nov. 1599 behandelt; ein Dr. Johann Luncken oder Lankyn war dessen Leibarzt von 1597 — 1599, gehört aber schon mehr zu den Charlatanen, unter denen auch ein englischer Barbiersohn genannt wird, welcher aus Gold einen Trank bereitet haben soll, aber selbst nur für Reisen für den geisteskranken Fürsten nötig erklärte (Z. d. B. G.-V. XIII, 101J. Man hat hinter diesem »Engländer« und Gold- koch auch- den in seinen spätem Lebensjahren stark sagenhaft gewordenen Leonhard Thurneysser suchen wollen, der 1591 in einem Kölner Kloster Unterkunft und am 9. Juli 1 596 seinen Tod gefunden haben soll. Von einem Quacksalber Meester Heyndrickvan Aken aus dem 16. Jahrhundert hat uns E. Pauls kürzlich Kunde gegeben (Z. d. B. G.-V. XXXII, 129 — 132). — Rühmend genannt werden muss dagegen der Leibwundarzt Wilhelm IV. Cosmas Slot (Slotanus), ein Schüler Vesals und selbst Lehrer des grössten chirurgischen Genies, das Deutschland im 16. Jahrhundert hervorbrachte. Dass ihn Solenander in seinen Consilien öffentlich »Compater charissime« nennt, kennzeichnet seine geachtete Stellung am Hofe. Ein Weseler Kind, Johann Varwichius (Warvich), geb. 1 539, studierte auf Kosten seiner Vaterstadt zuerst die Artes, dann Medizin; er promovierte in Mar- burg 1569 (Disputatio de calculo), war anfangs Arzt in Wesel, wurde aber später zu König Friedrich II. nach Kopenhagen berufen, als dessen Leibarzt er einen »Bericht wider die pestilentzialische Krankheit« schrieb, der 1577 und 1624 in Kopenhagen gedruckt sein soll. Mehr Beachtung verdient Johann Kühn (Tolmerus), nach seinem Geburtsort Rheinbreidbach bei Bonn (154H -'uch Breidbachius genannt, erzogen in Düsseldoif unter J. Monheim, für den er auch eine anonyme Ver- teidigung seines Katechismus schrieb ( 1561). Er studierte in Leipzig, Heidelberg und Italien (Dr. med. in Bologna), war 8 Jahre Professor der Medizin in Klagenfurt (Kärnten), und Hess sich in Köln nieder, wo er einen grossen Ruf als Arzt sich erwarb. Vom Markgrafen Ernst von Brandenburg 1609 zum Leibarzt ernannt, blieb er doch in Köln wohnen, bis er am 1. Januar 161 2 nach Wesel entweichen musste (wegen seines 161 1 in Heiborn erschienenen Gedichtes De Deo Panaceo ), wo — 38* — er 1613 plötzlich starb. Früh der Dichtkunst beflissen, hat er alle seine Schriften in Versen verfasst: »Militia christiana« (1560) »Zodiacus medicinae« (Köln 1587 bei Gerh. Grevenbroich 8° 1. Bd. 928 SS.) »Naumachia hispanica et anglicana« 1588.— Ein Solinger Wilhem Lauremberg, geb. 1547, starb als Prof. der Mathematik und Medizin in Rostock am 2. Februar 1612; er schrieb unter anderm eine Dissertatio de febris malignae petechialis essentia, causis et signis« Rostock 1605, 4" und eine »Diss. epistolica de curatione calculi vesicae die Joachim Morsius 161 9 zu Leiden herausgab, 161 9 in 8°. Auf der Schwelle zweier Jahrhunderte steht der grösste Sohn bergischen Landes aus jener Zeit, der grösste deutsche Chirurg des 17. Jahrhunderts: Wilhelm Fabricius (Fabry) von Hilden bei Düsseldorf; sein Beiname Hildanus hat das kleine bergische Städtchen in der ganzen Welt bekannt gemacht. Geboren am 25. Juni 1560 und schon früh widrigen Schicksalen preisgegeben, konnte er seinen brennenden Wunsch, Medizin zu studieren, nur langsam und auf Umwegen erreichen. 1576 — 1580 war er bei dem Wundarzt Dümgens in Neuss in der Lehre und trat dann bei dem schon oben genannten Leibwundarzt Cosmas Slot als Gehilfe ein, den er erst nach fünf Jahren ver- liess, um den berühmten Chirurgen Jean Griffon in Genf aufzusuchen; dort blieb er 3 Jahre und vermählte sich mit der Genferin Maria Colinet, die ihm in Beruf und Wandern eine treue Genossin wurde. Nach einer Reise durch Frankreich Hess er sich 1588 in seiner Vaterstadt Hilden nieder; seine Werke enthalten mancherlei Kasuistik aus dieser Hildener Zeit von lokalem Interesse. 1 591 siedelte er nach Köln über, seiner weiteren medizinischen Ausbildung allzeit beflissen, und veröffentlichte dort seine Erstlingsschrift vom heissen und kalten Brand 1593, die viele Auflagen und Übersetzungen erlebte. Nach mancherlei Wanderungen und Hin- und Herzügen nach Genf, Lausanne, Köln, Lausanne, Peterlingen (Payerne), Lausanne liess er sich endlich 16 14 dauernd in Bern nieder, wohin ihn der Rat als Stadtarzt gerufen hatte; er starb am 14. Februar 1634, weit und breit berühmt und mit Recht mit dem Ehrentitel der deutsche Pare« geziert. Auf allen Gebieten der Chirurgie hat er den Fortschritt angeregt oder selbst geschaffen, auch in der Geburtshülfe, in welcher er seine eigene Frau unterwiesen hat. Auch um die Technik der Operationen hat er grosse Verdienste und es ist nicht eitel Ruhmredigkeit, wenn er sagt, er habe fast alle Instrumente erfunden oder wenigstens ver- bessert. Alle seine Schriften kann ich hier nicht nennen; ich greife nur die bedeutendsten heraus : »de combustionibus« Basel 1607, 8"; »Lithotomia vesicae- Basel 1626 8°, und die Sammlung seiner Beobachtungen in sechs Centurien »Observationum et curationum chirurgicarum centuriae« 1606 — 1641. Die wichtigste Schrift über ihn ist die von P. Muller im deutschen Archiv f. Gesch. der Med. 1883. Bd. III. Ein Freund des Fabricius, Dr. Daniel Daniels - 39* - aus Duisburg, war Arzt in seiner Vaterstadt (vgl. seine »Epistola de morsu canis rabidi* in Fabric Hildani obs. chir. cent. IV, obs. 88). Zwei Ärzte, die den Namen Freitag führen, sind am Niederrhein ge- boren, aber nicht nachweisbar miteinander verwandt. Arnold Freitag aus Emmerich wurde im April 1589 Professor in Helmstädt und schon im November desselben Jahres Leibarzt des Herzogs Heinrich Julius von Braun- schweig-Lüneburg und Erzbischofs von Halberstadt; er starb am 5. September 1605. Seine Schriften sind: eine Übersetzung von »De esculentorum poculen- torumque facultatibus« des Balth. Pisanelli Herborn 1593 und 1620, eine »Mythologia ethica«, Antwerpen 1597, 40 und »Medicina animae« Bremen 1614,40. (Sein Sohn ist Johann Heinrich Freitag, geb. 1596, der 1636 zu Halberstadt eine Schrift über den Flecktyphus in 8" erscheinen Hess und im selben Jahre [s. 1. Quedlinburg?] den »Catalogus testium veritatis chimiatricae« herausgab.) Ein heftiger Gegner der Chemiatrie ist Johann Freitag geb. 1581 in Wesel, der in Helmstädt studierte und dort gleichfalls Professor und später ver- schiedentlich bischöflicher Leibarzt gewesen ist, z. B. 1614 in Osnabrück. Er wurde 163 1 Professor in Groningen und starb daselbst 1641. Er war ein grosser Kampfhahn; schon seine erste Schrift, die >Noctes medicae sive de abusu medicinae«, welche er mit einer Dissertatio »De sanitatis et morborum natura« und seinen »Poemata juvenilia 1619 m Frankfurt 40 erscheinen liess, ist scharfpolemisch, ebenso fast alles, was er weiter noch erscheinen liess ausser einer Schrift über die Pflichten des Apothekers ( 1633) und den Stein- schnitt (1638). Unter dem Titel »Novae Sectae Sennerto-Paracelsicae recens in philosophiam et medicinam introductae . . Detectio et solida refutatio« stellte er zu Amsterdam 1637 in einem 1356 Seiten starken Bande alle Streit- schriften zusammen, die er 1632 — 1636 in die Welt hatte gehen lassen, das ganze dialektische Rüstzeug, welches er für den letzten Ansturm der mittel- alterlichen Scholastik gegen die damals in Blüte stehende chemische Medizin geschmiedet hatte, unerquicklich und ungeniessbar, wie jeder blos dialektische Streit über naturwissenschaftliche Dinge, die nur durch Beobachtung und Experiment entschieden werden können. ' Wenn wirklich die 1630 zu Frankfurt in 4« erschienene conciliatorische Sammelschrift »Aurora medicorum Galeno-Chymicorum seu de recta purgandi methodo« von demselben Joh. Freitag herstammt, wofür ich bei der Durchsicht des Buches keinen Beweis finden konnte (er berichtet darin von Studien in Rostock), so wäre das nur ein Beweis dafür, wie die Übernahme der Professur in Groningen ihn zum einseitigen Parteimanne machte. Aller Kampf war freilich umsonst; denn seinem Gegner Daniel Sennert gehörte die Zukunft. Wir sind so schon mitten in die Kämpfe des 17. Jahrhunderts hin- eingeraten, von welchem man in unserem niederrheinischen Bezirke nicht — 4°* — viel bemerkt. Überhaupt ist hier das 17. Jahrhundert an bedeutenden Ärzten weit ärmer als sein Vorgänger, namentlich da in unserem Berichte die einer besonderen Abhandlung überwiesenen Duisburger Professoren (seit 1655) von der Besprechung ausgeschlossen sind. Ein Arzt in Siegburg, Dr. Christian Hansen, soll zugleich Scharf- richter und grausamer Hexenverfolger gewesen, aber 1636 von einer Hexe als Mitschuldiger genannt, selbst gefoltert und verbrannt worden sein. Der Kölner Universitätsprofessor Peter Holtzheim , aus Deventer gebürtig (sein gleichnamiger Vater, f 165 1, soll gleichfalls Pfalz-Neuburgischer Leibarzt ge- wesen sein und in Köln gelebt haben), gestorben 30. Okt. 1659, war zugleich Leibarzt des Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm zu Düsseldorf, wie aus dem Titel seiner >Essentia Hellebori rediviva, seeundo extraeta, sive retificata, et aueta, in gratiam novorum huius patriae, et saeculi medicorum«, Coloniae 1623, 8° hervorgeht (die 1. Auflage dieser kleinen Schrift gegen Quacksalber, Char- latane und mediz. Aberglauben war 1616 erschienen) und noch aktenmässig im Düsseldorfer Staatsarchiv zu erweisen ist. Dort finden sich nämlich (Jül.- Berg. Landes Mag. Famil.-S. Nr. 71. C.) Briefe des Holtzemius an Wolfgang Wilhelm und dessen andern Leibarzt Dr. Joh. Andr. Maffeus aus den Jahren 1632 — 35 über den Gesundheitszustand der Pfalzgräfin, die sich ein- gebildet hatte, schwanger zu sein (Holtzheim hatte ihr einKnäblein diagnosticiert; und an einem Fingeiabscess litt. In einer Kabinettsrechnung vom Jahre 1638 (Jül.-Berg. Famil. S. 74) wird das Gehalt des Holtzemius mit 90 Kronthalern angegeben, während der in Düsseldorf ansässige, literarisch nicht weiter be- kannte Maffeus 368 Reichsthaler und 96 Stüber, sowie 20 Malter Roggen und Gerste, 60 Malter Hafer und ein Fuder Wein erhielt, welche in Summa auf 250 Reichsthaler gerechnet werden. Holtzemius hat noch weiter geschrieben: Prognosticon vitae et mortis , zum Theil in Versen, Köln bei Greven- brochius 1605, 8 U ; eine Descriptio fontis medicati S. A.ntonii, vulgo Tillerborn dicti, prope Andernacum Köln bei Herin. Mylius 1620, 8°; er liess bei Beck- mann 1627 das Dispensatorium Coloniense neu bearbeitet erscheinen und war als Visitator und Examinator der Apotheken thätig. Ein Brief an ihn findet sich in der 5. Centurie, Beobachtung "]"] des Hildanus, mit welchem er be- freundet war. Als Arzt Wolfgang Wilhelms wird in einem Briefe des Maffeus noch ein Doktor Schor genannt, den auch die Kabinettsrechung 1638 als Dr. Schorn aufführt, ohne sein Gehalt auszuwerfen. Wegen des kranken Fingers wird noch ein Doktor Engelmann (aus Köln?), der Sohn eines Wundarztes, und ein Dr. Olitorius (brieflich) zu Rate gezogen. Vier Arzte des Namens Keuchen begegnen ans zu Anfang des 17. Jahrhunderts. Zunächst ein Servatius Kcuchenius Juliacensis, medicinae — 4J* — Doctor, von dem nur bekannt ist, dass er 1591 in Herborn immatrikuliert war, sodann ein Petrus Keuchenius medicus, der, in Düsseldorf unter Fabricius Marcoduranus gebildet, in Basel Dr.. med. wurde, sich in Wesel niederliess, später dort Bürgermeister wurde, 1624 in Xanten starb und in Rees begraben ist; ein Robert Keuchenius ist gleichfalls Arzt und Bürgermeister in Wesel gewesen (ein Gedicht von ihm findet sich in Solenanders Consilien), der Gross vater eines Professors Petrus Keuchenius, der 1662 eine Handschrift des Serenus Sammonicus aus grossväterlichem Besitze zu Amsterdam heraus- gab. Ob der von Haller genannte J. Keuchen, der 1614 in Basel eine Disser- tation »De tertiana« herausgab, vielleicht mit unserm ersten Peter Keuchen identisch ist, weiss ich nicht zu sagen. Ein Düsseldorfer Kind, Dr. med. Joh. Winand von Redichoven, geboren 1591 als Sohn des herzogl. Sekretärs Sibert von Redichoven, war Arzt in Düsseldorf und starb schon 163 1. Ein Enkel des grossen Gerhard Mercator hat sich einen Namen in der Wissenschaft gemacht : der in Wesel am 28. October 1590 geborene Gerhard de Neufville. Er wurde 1609 magister philosophiae in Leyden, 1610 Prof. extr. der Mathematik in Heidel- berg, 161 1 Prof. der Mathematik und Physik in Bremen, 1616 Dr. med. in Basel, 1624 Prof. der Medizin in Bremen und seit 1638 Stadtarzt daselbst, wo er am 28. Juli 1648 gestorben ist. Seine »Physiologia« (Bremen 1645) und deren posthume Fortsetzung ^Cosmologia« (Bremen 1668) verdienen neben der Arithmetica von 1622 Beachtung; medizinisch hat er nur einige Kleinig- keiten geschrieben (s. oben S. 6). Auch der Name der berühmten Elber- felder Familie Teschenmacher begegnet uns in der Geschichte der Arznei- kunde. Engelbert Teschenmacher, der Vater, war Arzt zuerst in Elberfeld, nachher in Deventer; Engelbert Teschenmacher, der Sohn, geboren 1608 in Elberfeld, studierte in Herborn, Köln und Leyden, wo er 1636 den Doctortitel erwarb. Am 19. August 1638 eröffnete er seine Lehrthätigkeit als Extraordinarius der Medizin in Deventer mit einer Rede »De dignitate et utilitatc anatomiaes 1644 wurde er Mathematikus und schrieb als solcher einige Kalender. Im September 1647 zum ordentlichen Prof. der Naturkunde ernannt, ist er in Deventer schon am 3. Juni 1649 gestorben (s. oben S. 5 f.) — Zwei Söhne des Pastors Johann Leunenschloss in Solingen (f 21. Mai 1656) waren Mediziner, der eine Matthias war Arzt in Wesel, der andere Johann Lcunenshloss wurde Professor der Medizin in Heidelberg. — Ein Neffe des grossen Düsseldorfer Rektors Johann Monheim, der am 7. September 1599 zu Köln geborene Franz Monheim, lernte in der väterlichen Apotheke die Pharmazie; seit 1619 studierte er Medizin in Köln, in Giessen und bei dem ihm verwandten Fabricius Hildanus in Bern, ging 1623 nach Italien und er- warb am 21. September den Doctorhut in Padua, wo er bis zum Jahre 1625 — 4 2 * — verblieb. Im Juli dieses Jahres war er wieder in Düsseldorf und Hess sich dann als Arzt in Wesel nieder, wo er am 25. Juli 1661 starb. Sein Bruder Gottschalk: Monheim (1572 — 1630) war 1598 — 161 1 Apotheker in Köln, später in Düsseldorf. Johannes Monheim war Apotheker in Wesel. Die Mutter Gottschalks und Franzens, Maria von Dulcken, war die Tochter des Kölner Wundarztes Bartholomäus von Dulcken. Eine ganze Reihe von Gliedern dieser Familie von Dülken waren Wundärzte in Elberfeld im 16. und 17. Jahrhundert, wie ich einer freundlichen Mitteilung des Historikers Herrn Otto Schell entnehme: Euerhart von Dulck (1 574), Heinrich von Dulcken (1614), Johann von Dulik (1625 — 1630) und sein Sohn Peter von Dullick (1625), Effertz vonn Dullick (1627 und 1628). An Ärzten werden gleichzeitig genannt ausser Teschenmacher Dr. Daniel Danielis aus Antwerpen, Dr. Engel Leuffer, Dr. Engelbert Hol t erhoff (1645 )> D r - Eller, Dr. Rud. Kessner und Adolf Isaaci. In Mors wurde am 15. Oktober 1612 Anton Deusing geboren; promoviert 1637 in Leyden, soll er kurze Zeit in seiner Vaterstadt praktiziert haben; später wurde er Professor in Harderwyk und Groningen, wo er am 29. Januar 1666 starb. Unmöglich kann ich hier alle seine Schriften anführen, die im »Lindenius renovatus« von 1686 10 Spalten füllen; er soll auch des Arabischen, Persischen und Türkischen kundig gewesen sein. Ein anderer geborener Mörser, Theodor van Essen (1657 — 1697), studierte in Leyden, war praktischer Arzt in Colham bei Groningen und wurde ein Jahr vor seinem frühen Tode Prof. der Medizin in Groningen. Joh. Matth. Lucas geb. in Düsseldorf studierte Medizin in Köln, Würz- burg, Prag, Rom und Bologna, war 10 Jahre kurf. kölnischer Festungs- und Garnisonsmedikus zu Kai sei swerth, später Reisemedikus bei den Brüdern Johann Wilhelms, seit 1666 kurf. Rat- und Leibmedikus und zugleich Professor der Pathologie in Heidelberg (Antrittsrede de Lithiasi«). Ein anderer üsseldorfer, Jakob Israel, geb. 3. Juni 1621, studierte in Duisburg und Köln, besuchte auch Universitäten in Holland, England und Frankreich, wurde dann 5 Jahre Feldmedikus, 1650 in Freiburg Dr. med., 165 1 Stadtphysikus und 1652 gleichfalls Professor der Medizin in Heidelberg; er gab nur einige Disputationen zwischen 1656 und 1673 heraus. Alexander Hymmen war 1666 Arzt und Bürgermeister in Duisburg und gab im genannten Jahre eine Schrift über die Pest (Wesel, 4 ) heraus. Wolrad Kuxholz, geboren zu Lippstadt am 11. Juni 1618 als Sohn des dortigen Stadtchirurgus, studierte in Rintelen und Groningen und wurde 1642 Stadt- physikus in Lennep, 1644 Reisebegleiter des Landgrafen Wilhelm VI. von Hessen und 1648 Leibarzt in Kassel. Von einer Reise, die er 1670 mit seinem Herrn nach England und den Niederlanden unternommen hatte, kam — 43* — er todkrank zurück und starb 1671 am 5. April. Er hat 1652 einen Unter- richt für Hebammen' in Kassel herausgegeben. Nach Akten des Düsseldorfer Staatsarchivs aus dem Jahre 1676 waren in diesem Ruhrjahre folgende Ärzte in Düsseldorf thätig: der Hofmedikus Dr. Holterhoff, der Leibarzt und Stadtmedikus Dr. G. Melm (der 1713 noch lebte) und die Doctoren Braumann, Hoffstadt und Schwartz. Engelbert Holterhoff war 1641 zu Lennep geboren, studierte in Leyden und war zuletzt Arzt in Schwelm. Er gab 1669 zu Düsseldorf ein »Consilium antidysentericum jussu ducis Jul. et Montium« heraus, 1670 in Köln eine »vita longa et brevis, in zwey Theil abgetheilt, (bei Balthas. Egmondt 248 SS. 120), 1675 ebenda »Animaversiones in J. Sylvii dispustationes«, 1676 einen »Discursus medicus ostendens errores medicorum in curationibus« und 1707 in Dortmund einen kurzen Unterricht von dem Medizinalbrunnen bei Schwelm. Söhne zweier obengenannter Ärzte sind Johann Konrad Melm (geboren in Düsseldorf 28. März 1677, Dr. med. von Duisburg, seit 1707 Prof. in Marburg, besuchte 17 13 seinen schwer- kranken Vater in Düsseldorf, der wieder genass, während der Sohn nach Marburg zurückgekehrt am 5. Januar 1714 an einem hitzigen Fieber verstarb), und wohl auch Dr. med. Johann Dietrich Hoffstadt, geb. in Düsseldorf, zuerst Apotheker in Hanau, dann nach Beendigung seiner medizinischen Studien in Wittenberg (1692 Dr. med.) seit 1700 Arzt in Heidelberg; sein schriftstellerisches Schaffen dreht sich um die nach ihm genannte Theriaca oder Panacea coelestis Hofstadiana (1680, 1692 und 1693). Nach Reese r Urkunden im Düsseldorfer Staatsarchiv war Christian Rademacher am 17. August 1666 Dr. med. in Emmerich und Dr. Nicolaus Engels am 17. Nov. 1667 Arzt in Rees. Wilhelm Holtmann phil. et med. Dr. in Mors, gab 1687 bei Frank Sas in Duisburg heraus: Betrieglicher Artzney- winkel; das ist eine kürtze und summarische entdeckung der Abergläubischen, Zauber- und Schmier-Ärlzten und dergleichen Harndeutern, welche entweder die Menschen betriegen, oder ihre Kunst mittel- oder unmittelbahr vom Sathan haben, und derhalben nit müssen geduldet werden- (6 Bll. 116 SS. 8°), worin er recht wacker gegen allerhand volkstümlichen und gelehrten medi- zinischen Aberglauben und andere Quacksalbereien seiner Zeit zu Felde zieht. Der Duisburger Professor F, G. Barbeck hatte eine empfehlende Vorrede geschrieben (29. Oktober 1687); Holtmann hat an dieser Universität 1680 den Doktortitel erworben mit der Dissertation De Hemitritaea s. febri tertiana continua« Dr. Werner Neuhausen geb. zu Hamm war Arzt in Emmerich; von ihm finden sich zwei Schriften Homo melancholicus« und ■ Homo hydrophobus», 1688 und 1689 zu Hamm gedruckt. Dr. Joh. Over- beck aus Altena, war um diese Zeit Königl. Rat und Leibarzt zu Kleve; er starb etwas mehr als 50 Jahre alt am 27. Juli 1702. Johann Tiling, ein — 44* — Bremer Kind, (10. October 1668 — 13. September 1 7 1 5), früh literarisch thätig, studierte in Holland und war 1693/94 fast ein Jahr in Mülheim am Rhein als Arzt thätig; er wurde darauf Prof. der Arzneikunde, später der Physik und endlich der Logik und Metaphysik, zuletzt 1704 Stadtarzt in seiner Vaterstadt. Er hat viele Dissertationen geschrieben und die chirur- gischen Schriften eines Nuck und Scultetus wieder herausgegeben. Dr. Eustachius Joachim Haniol war Arzt in Düsseldorf und später in Emmerich; er disputierte 1677 zu Leyden »De Melancholia hippochondriaca ■• , gab 1692 in Düsseldorf ein Schriftchen -Die preisswürdige Veronica« heraus, worin er diese Pflanze als europäischen Theeersatz empfahl, und 1697 ebenda den »entlarvten Jacob Böhm«. Wir schreiten ins 18. Jahrhundert. Ein Gott fr. Andreas Zahn in Unna im Märkischen Hess 1708 zu Wesel bei Jakob von Wesel eine »Disser- tatio de origine progressu et dignitate medicinae in 12 erscheinen. Johann Philipp Maul, in St. Goar geboren, in Leyden 1686 doktoriert (De abortu), war praktischer Arzt zu Lünen in der Mark und liess 17 16 zu Dortmund und Schwelm »Acidulae Schwelmenses« (159 SS. kl. 8°) und ein Jahr später »Praxis Schwelmensis erscheinen, worauf weiter unten bei den Bädern näher eingegangen wird. Seine Mediz. und theolog. und physik. Gespräche vom Gold von Mitternacht . seine Medicina theologica chymico irenica et christiana cabbalistica- und der Job Chymicus , alle drei zu Wesel 1709 erschienen, sind Specimina der alchemistischen Träumereien des 18. Jahrhurderts. Die erste Elberfelder Bürgeraufnahme im Jahre 1702 ergab 1694 Ein- wohner, welche von 3 Chirurgen (Johann Lukas, Eranz Heinrich de Foy, Friedrich Bormann) und 3 Doktoren der Medizin (Olimath, Johannes Plaum und Holte rhoff) bedient wurden, wie mir Herr O. Schell gütigst mitteilte. Johann Hartmann Degener (Degner) aus Schvveinfurt (19. IV 1677 — 6. XL 1756) soll direkt nach seiner Doktorpromotion in Utrecht 1 7 1 7 (De notab. casu febris petechialis) ein Jahr in Elberfeld praktiziert haben; er ging dann nach Nymwegen, wo er Stadtphysikus und Bürgermeister wurde und starb. Er schrieb einen seit 1729 öfters aufgelegten Traktat über den Torf, über die Ruhrepidemie von 1736 und über den Gesundbrunnen von Ubbergen (1745). Um 1741 wird ein Dr. med. Scher in Elberfeld genannt (Z. d. B.G.- V. XV, S. 208). Ein Theodor Isaac Herzogenrat war seit iögöWundarzt in Solingen und gab dort 17 14 ein geistliches Liederbuch heraus. Der Solinger Stadt- und Landphysikus Johann Daniel Erhard Brunner, ge- bildet unter Fried in Strassburg und 1730 dort promoviert (über placenta praevia) wurde im Jahre 1731 in Solingen angestellt uud gab dort 1740 bei Johann Schmitz eine Errorum et malitiarum obstetricum detectio, oder: Ent- deckung der Irrthümer und Bossheiten der Hebammen meistens in seiher Praxi erfahren (4 Ell -\- 1.10 SS. 8°) eine recht wackere und für ihre Zeit - 45* - recht notwendige Schrift, reich an kulturgeschichtlich wertvollen Notizen über die Ausübung der Gcburtshülfe im Bergischen vor 160 Jahren, über den Ge- brauch des Geburtsstuhles, Kinderwartung u. s. w. Erstarb 17793m ig. April. Vor ihm sind als Solinger Ärzte überliefert: ein Dr. Zahn, der im Oktober 1692 dorthin kam, ein Johann Peter Kerksig (1720) und als Brunners direkter Vorganger im Physikat Johann Coppenhagen. Als Chirurgen vor Herzogenrat werden dort genannt: Everard Dülcken und Johann Drücken (s. oben S. 42*), Ludwig Palbrier, Diedcrich, Johann Hessel oder Hassel. Bei Lennep wird es noch 1729 rühmend hervorgehoben, dass die Stadt ihren eigenen berühmten Doctorem Medicinae» habe (Z. d. Berg. G.- Vereins, XIX, 119). In Rees war nach Urkunden des Düsseldorfer Staats- archivs vom 23. März 1723 und 9. März 1725 ein Dr. med. Joh. Friedr. von den Sande Bürgermeister. Wynand Werner Weyermann, Pfarrersohn aus Kirchsteten im Jülich'schen, 1742 in Duisburg promoviert (De sternutatione) scheint in seiner Heimat praktiziert zu haben. Ein Peter Wilhelm Speck, geboren zu Urdenbach am Rhein, promovierte gleichfalls 1742 am 19. April in Duisburg (De nonnullis virginum morbis). In Düsseldorf wirkte damals Lorenz Rappoit, Dr. med. et phil., fürstl. Rat, Militär- und Stadtarzt; er prüfte am 25. Juni 1746 einen Österreicher Kaspar Melchior Wanco, wohnhaft in der freien Herrlichkeit Commern, als Operateur über allerhand Brüche, Staarstechen, Krebs und Hasenscharten schneiden, Gewächse ab- nehmen, Beinbrüche einzusetzen und zu kurieren« (Beitr. z. G. d. Nieder-Rheins VII, 440 — 441). Johann Kaspar Albert Eichelberg, geborenden 15. Ok- tober 1749 als Sohn des gleichfalls naturwissenschaftlich gebildeten Gymnasial- rektors zu Wesel Christoph Albrecht E. (geb. 17 13 in Unna), studierte Me- dizin zu Utrecht, wo er 1774 den Doktortitel erwarb (De causis celeritatis actionis spirituum animalium in musculis), wurde 1788 der Nachfolger seines Vaters und starb am 12. August 18 19. Es wird als Schrift des Vaters an- geführt >De causis phaenom., quae observantur in progressione morborum epidemicorum« Neomag. 1776. 8 U . Ein anderer Dr. Eichelberg in Wesel ist mit geburtshülflichen Abhandlungen in Siebolds Journal Bd. V und VIII. her- vorgetreten. Friedrich Winter, geboren 1712 im Städtchen Uedem, Kreis Kleve, studierte in Duisburg und Leyden, wo er 1736 promovierte (De motu musculorum, von A. v. Haller der Aufnahme in seine Disp. anatom. select. gewürdigt!), 1740 Prof. in Herborn, 1744 in Franeker (Medizin, Chemie und Botanik), 1747 zu Leyden. Er war ein Mitarbeiter Hallers auf dem Gebiete der Irritabilitätslehre, eröffnete in Leyden zuerst eine medizinische Poli- klinik und starb 1760. Ausser seiner Antrittsrede und Dissertationen seiner Schüler hat er nichts veröffentlicht. - 46* - Karl Kaspar von Siebold, das Haupt der berühmten Würzburger Ärztefamilie, stammt vom Niederrhein; er ist in dem Marktflecken Niedeggen (Kreis Düren) im Herzogtum Jülich am 4. November 1736 geboren als Sohn des dortigen Wundarztes Johann Christoph Siebold, der ihn zwei Jahre selbst unterrichtete und dann auf 3 Jahre in französische Militärspitäler schickte. 1760 trat er bei dem Oberwundarzt des Juliusspitals in Würzburg als I. Ge- hülfe für 3 Jahre ein und studierte gleichzeitig Medizin, bereiste von 1763 — 1766 Frankreich, England und die Niederlande, promovierte 1769 (Fasciculus obser- vationum medico-chirurgicarum. Bamberg 40, 70 SS.) und wirkte als Professor der Anatomie, Chirurgie und Geburtshülfe bis zu seinem Tode am 5. April 1807, weit berühmt und mit fürstlichen Titeln und Rangerhöhungen ausgezeichnet. In allen Fächern seines vielseitigen Lehrbereichcs hat er die Wissenschaft ge- fördert und vor allem als Lehrer und Operateur Hervorragendes geleistet. Er liess 1 791 sein Chirurgisches Tagebuch in Würzburg 8" erscheinen und 1802 zu Frankfurt seine »Praktischen Bemerkungen über die Castration«, 8°. - Johann Heinrich Schütte geb. 11. Juni 1694 zu Soest, studierte in Jena (siehe unter Botanik und Mineralogie), in Altdorf (De superfluis et noxiis quibusdam in chirurgia observandis, Altdorf 17 19) und in Utrecht (Dr. med. 17 19, De cautelis quibusdam in chirurgia observandis), war dann ein Jahr lang Arzt in Soest, 3 Jahre Stadtphysikus in Vianen bei Utrecht, wo er eine Medizinalordnung schrieb (Ordonantie of de Oeffening der Geneeskunde in der Stadt Vianen, Utrecht 1723, 8»). Darauf liess er sich in Kleve nieder und schrieb dort Die Nothwendigkeit und der Nutzen der Anatomie in der Republik (Leipzig und Duisburg 1726, 8°), und den Medizinischen Unterricht von den Ursachen der Krankheit und des Todes*, der 1732 in Soest gedruckt wurde. 1731 wurde er königl. Brunnenmedikus in Schwelm und schrieb über den dortigen Brunnen eine kleine Brochüre (Iserlohn 1733), war vorübergehend Garnisonmedikus in Hamm und kehrte später nach Kleve zurück, wo er 1741 den Klevischen Gesundbrunnen entdeckte, über welchen er zuerst im Duis- burger Intelligenzblatt 1741 Nr. 4 berichtete und 1741 — 1752 allerlei Brunnen- schriften in deutscher, holländischer und französischer Sprache erscheinen liess (siehe unten bei den Bädern). Unter dem Pseudonym I. H. Sagittarius gab er 1745 ein Schriftchen gegen die jüdischen Ärzte heraus und schrieb noch Die wohl unterrichtete Hebamme Frankfurt und Wesel 1765 und eine »Anthropologie« Halle 1769. Die Universität Duisburg ernannte ihn 1756 zum Dr. phil. honoris causa; sein arbeitsreiches Leben schloss am 20. Jan. 1774. Sein Sohn Christian Heinrich Schütte, geboren zu Kleve, war Stadt- physikus daselbst; er schrieb 1765 > Anmerkungen gegen Hofrath C. L. Hoff- mann's in Köln »Nachricht von einer guten Heilart der Kinderblattern«, dessen sich wieder der Neffe desselben Dr. Karl Hoffmann in Gronau annahm in — 47* — einer »Bestätigung der besonderen Krafft des neuen Mittels« (Münster 1765, 56 S. 40), welches in äusserlicher Anwendung des Kampfers bestand. Schütte »der Jüngere« gab ferner Watsons und Glass' »Versuche und Abhandlungen von der neuesten und besten Art die Kinderblattern glücklich einzupfropfen « aus dem Englischen übersetzt (Halle 1770. So) und seines Vaters Hebammen- buch 1773 zu Frankfurt a. M. vermehrt und verbessert heraus. — Theodor Gerhard Timm ermann wurde als Sohn des Duisb arger Professors Theod. Arnold Timmermann 1727 geboren und studierte in seiner Vaterstadt, wo er auch 1750 promovierte (De notandis circa naturae in humana machina lusus), war einige Jahre Arzt in Elberfeld und wurde dann 1760 als Professor der Anatomie nach Rintelen berufen, wo er 30 Jahre lehrte und eine Reihe von Disputationen erscheinen Hess (1762 — 1786), welche in der Biographie mediale VII S. 340 f. verzeichnet stehn. Er ist am 4. September 1792 in Mors gestorben. Dr. Josef Sigismund Loeven, Stadtarzt zu Ratingen veröffentlichte 1779 den Philosophischen Beweis der Möglichkeit, dass ausser den Seelen- kräften die anziehende und elektrische Kraft ursprünglich die eigenthümlichen Kräfte des lebenden menschlichen Körpers einzig und allein sein können« Düsseldorf (11 Bl. -(-224 SS. 8"). Ein zweiter Teil erschien 1786 ebenda bei Dänzer (16 Bll. -)- 143 SS. 8°); beide sind Professor Leidenfrost in Duisburg gewidmet. Als prakt. Arzt wirkte damals in Duisburg Dr. Jakob Theodor Schönenberg; er schrieb einige kleine Artikel über eine damals herrschende Viehseuche und über die Seife im Duisburger Intelligenzblatt von 1769, und mehr als 7qjährig: »Freie Gedanken und Betrachtungen über einige theo- logische und biblische Stücke , Duisburg 1778. Hervorragender als die meisten zuletzt genannten Ärzte ist Georg Florentin Heinrich Brüning, geboren 1734 zu Essen, der nach Vollendung seiner Studien in Leyden, London und Utrecht (Dissertatio sistens singultum, Traject 1758. 4 ) zuerst Physikus zu Kettwig, dann zweiter Physikus zu Essen wurde und später den Hofrat- und Pfalzgrafentitel erhielt. Sein Hauptwerk, die Constitutio epidemica Essendensis anni 1769 — 1770 sistens historiam febris scarlatino- miliaris anginosae eique adhibitam medelam» , Vesaliae et Lipsiae o. J. (16 Bll. — |— 1 28 SS. 8°), in welcher er eine Scharlachepidemie beschreibt, die vielfach zu Tonsillarabscessen führte und bei welcher er vom Gebrauch der Chinarinde günstige Erfolge sah, wird ihm immer eine geachtete Stelle in der Geschichte der Epidemieen sichern. Nach Sydenham's Vorgang legte er grossen Wert auf die Beachtung der »constitutio epidemica«. Ausserdem schrieb er »De ictero spasmodico Essendiae anno 1772 epidemico«, Ve- saliae 1773, 8" und die Abhandlung über die Schädlichkeit des Mohnsaftes in der Ruhr, Neuwied 1774, 8«. - - Der Düsseldorfer Joh. Karl Insfeldt pro- movierte am 28. April 1772 zu Leyden (De lusibus naturae) und war - 4 8* - 177 1 Bürger und Arzt in Amsterdam. Peter Delsauce, Dr. med. und kurpfälzischer Landphysik us im Jülich'schen Münstereifel, schrieb eine Kurze Anweisung zur gerichtlichen Wundarzneikunst .Leipzig 1765. 8°- Dr. Gisbert Johann Beuth, Arzt in Kleve, auch Hebammenlehrcr und Amtsphysikus daselbst, schrieb 1763 über die Einpfropf ung der Pocken (Kleve 8°), Anmer- kung zu Rubels wahrem Portrait eines geschickten Medici, Chirurgie oder Hebamme- (Kleve 1769) Etwas vom Fieber (Düsseldorf und Kleve, 2. Abth. 177 1 und 1772 gr. 8°) und endlich über die Viehseuche im Klevischen (Kleve 1796), sowie einiger Artikel in Zeitschriften. Auch ein Dr. Curtius war damals ausübender Arzt in Kleve und später der Vorgänger Rademachers in Goch. Er Hess 1780 eine Schrift erscheinen »Antwoorden op de Vrag in hoe verre kan en Longheering geneeslyk zyn Dr. Karl Josef Wirtensohn, geboren zu Opladen, starb im April 1788 zu Münster als Mitglied des Collegium Medicum und Oberchirurg des Re- giments Schaumburg-Lippe; er hat eine Abhandlung über den Einfluss des Opiums auf die Herzthätigkeit geschrieben (Harderwici 1775), welche C. L. Hoffmann (s. o.) in seinen -Opera latina medici argumenta, Münster 1789, wieder abdrucken Hess und Josef Fehr (s. u.) ins Deutsche übersetzte (Kassel 1778). Dr. Johannes Fabricius war Physikus in Mors; sein Sohn Gottfried Wilhelm promovierte unter Leidenfrost am 11. Februar 1786 zu Duisburg mit einer Dissertation über die endemischen Krankheiten. Gleich- falls in Mors geboren ist Johann Bernhard Keup (1755), der schon am 6. September 1773 in Duisburg promovierte (Ouinam eibi proprie viseidi sint vocandi?) und der Reihe nach Arzt in Mühlheim, Solingen, Winterswyk (Graf- schaft Zütphen), Duisburg und Deventer gewesen ist, wo er am I. August 1802 verstarb. Verschiedene medizinische Schriften übersetzte er aus dem Holländischen ins Deutsche, so des Professors Mathias van Geuns (Harderwyk) Abhandlung über die epidemische Ruhr (Düsseldorf 1790, 367 SS. 8°), Peter Kampers Lebensgeschichte (Stendal 1791 , 8°), W. von Barnefelds Abhand- lung über die Bestandteile des Wassers nach Lavoisiers Grundsätzen (Stendal 1792, 8°), Übersicht der ehem. Theorie des Herrn Lavoisier (ib. 1793), Jakob van der Haar, über die Beschaffenheit des Gehirns (ib. 1794, 8°), Joh. Veirac, Abhandlung über die Rachitis (ib. 1794 gr. 80) und die arzneikundigen Beobachtungen eines Arztes in Amsterdam aus dem Latein (ib. 1794, 8°) und umgekehrt Samuel Gottlieb von Vogels Handbuch der praktischen Arznei- wissenschaft (3 Thle. ib. 1790 — 1792 und 1793) und Joh. Daniel Metzgers (Königsberg) System der gerichtl. Arzneiwissenschaft ins Lateinische (ib. 1794). Die Übersetzung der Schrift über die Ruhr, deren Vorwort vom 4. Juni 1788 aus Solingen datirt ist, hat zahlreiche Anmerkungen aus Keups Feder, teils literarische Zusätze, teils eigene Beobachtungen, die ihn als vernünftigen Prak- — 49* — tiker erweisen. Auch eigene Schriften von ihm sind überliefert: »Über die Kenntnis und die Heilung der Wasserscheu« (Düsseldorf 1788) , »Libellus pharmaceuticus composita et praeparata praecipua praeparandi modum et encheiresin exhibens« (Duisburg 1789, 204 SS. 8°) und Manuale pharma- ceuticum principiis pharmaciae probatissimis superstructum (Stendal 1793 8°), endlich mehrere Artikel in Zeitschriften. -- In der Mitte des 18. Jahrhunderts war A. Peipers ein geachteter Arzt in Wesel. Sein Sohn Heinrich Wil- helm Peipers studierte in Duisburg und Leyden, promovierte 1763 in Duisburg (De cortice Hippocastani) und liess sich gleichfalls als Arzt in Wesel nieder, zog aber später nach Köln, währenddessen Sohn Goswin Friedrich Peipers, Dr. med. in Halle 1798 (über die Cervicalnerven etc.), in Elberfeld praktizierte. Ein Duisburger, J oh. Wilhelm Strickling, erwarb sich in seiner Vaterstadt im September 1781 den Doktorhut (De fluore albo climacterio vetularum). Eine ganze Reihe bedeutender Ärzte wirkte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in der Residenzstadt Düsseldorf, zum Teil auch Schrift- steller von Ruf. Seit 1740 praktizierte hier Dr. Schumacher, der gemeinsam mit Rappolt (s. S. 45*) schon 1746 Fachprüfungen abhielt. Er war schon damals Medizinalrat; über seine Lehrthätigkeit wird weiter unten berichtet werden. Er schrieb > Gesundes Düsseldorf* 1771 und starb 1784. Einiges Schnurrige von ihm bringt der Briefwechsel Jacobis (Auserlesene Brief- wechsel 1825 Nr. 143 S. 395). Ägidius Odendahl war prakt. Arzt in Düsseldorf, Direktor des Jülichbergischen Collegium Medicum und Garnison- medikus. Er war ohne Wissen des behandelnden Arztes Hofrat Abel zu einem im Zweibrücker Hof an »fäulichtem Gallenfieber« erkrankten irischen Edelmann namens Maxwell im September 1791 zugezogen worden und hat nachträglich noch mit Abel konsultirt, wobei es zu Dissidien kam, die zum Teil auf seit länger bestehender Spannung zwischen beiden beruhten. Oden- dahl brachte in einer »Berichtigung des zwischen hiesigem Arzte Tit. Hofrath Abel und Verfasser vorgefallenen bei Gelegenheit eines Kranken« (24 SS. 8» o. O. und J., Vorrede unterzeichnet »Düsseldorf im November 1791«) die Sache in gehässiger Weise vor das grosse Publikum und warf darin seinem Kollegen vor, durch eine Gabe Kalomel (4 Gran = 0,24 grm.j den Tod des offen- bar an Abdominaltyphus Erkrankten verschuldet zu haben: ein schwarzes Blatt in der Geschichte der ärztlichen Kollegialität! Abel antwortete in folgender Schrift: »Geschichte einer merkwürdigen Krankheit und Recht- fertigung der dabey gebrauchten Mittel samt einer Beylage über die von dem Herrn Medizinalrath Direktor Odendahl darüber herausgegebenen Schrift <, Düsseldorf bei Dänzer 1791 (VII + 128 SS. 8°). Das Schriftchen ist würdig gehalten und gut geschrieben; der wackere Mann gewinnt unsere Achtung beim Lesen seiner Verteidigungsschrift. Johann Gotthelf Lebrecht Abel 13 war als Sohn des namhaften Arztes Friedr. Gotth. Abel (1714 — 1794) in Halberstadt um 1750 geboren und kam, nachdem er schon in seiner Heimat Physikus gewesen war, in den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts nach Düssel- dorf, wurde 1802 Direktor des Colleg. Medicum, 18 16 preuss. Geh. Medizinal- rat und Direktor der Sanitätskommission und starb am 27. September 1822 in Düsseldorf. — Ein vielseitiger Mann und eifriger Schriftsteller war Dr. Johann Peter Brinkmann, als Pfarrersohn um 1740 zu Orsoy im Klevischen geboren, studierte in Göttingen, wurde praktischer Arzt in Düsseldorf, Jül.-Berg. Hofrat und Direktor des Med. Collegiums. Er schrieb: Beweis der Möglichkeit, dass einige Leute lebendig können begraben werden, nebst der Anzeige, wie man dergleichen Vorfälle verhüten kann . Düsseldorf, Kleve und Leipzig, J. G. Bärstecher 8°; Münster 1777; Leipzig 1786; holländisch, Amsterdam 1778, 8"; »Abhandlung von der Gährung , Kleve und Düsseldorf 1773,8°; Beyträge zu einer neuen Theorie der Gährungen«, Düsseldorf, Kleve und Leipzig 1774 (8 Bll. -|- 176 SS. 8°) und 1789. »Briefe über die Wirkungen des Blatter- eiters bey der Inoculation«, ib. 1774, 1789. Patriotische Vorschläge zur Verbesserung der Medizinal-Anstalten hauptsächlich der Wundarznei und Hebammenkunst auf dem platten Lande*, Düsseldorf 177S (60 + 38 SS. 8°). »Bemerkung über die neuerdings vorgeschlagene, und an einer Kreissenden verrichtete Operation der Durchschneidung der Symphyse der Schambeinen «, Düsseldorf, Ferd. Bauer 1778 (24 SS. 8°). »Patriotische Vorschläge zur Ver- besserung der chirurgischen Anstalten und Verhütung des Einreissens der Epidemien bei den Armeen , Düsseldorf 1780, 1784 und 1790. Anweisung für Ärzte und Wundärzte, um bei gerichtlichen Untersuchungen vollständige Visa reperta zu liefern: und wie die Rechtsgelehrten wissen können, ob von Seiten der Ersteren das gehörige beobachtet werde», Düsseldorf, Zehn- pfennig 178 1 (84 SS. 8°; wurde in Frankfurt nachgedruckt und erschien bei Dänzer 1791 in 2. Auflage, 85 SS.). Vergleichung der Erziehung der Alten mit der heutigen und Untersuchung, welche von beiden mit der Natur am meisten übereinstimme«, Dessau und Leipzig 1784 (8 Bll. — |— 5 70 SS.) und Düsseldorf 1788, 8°, worin er namentlich den Nutzen der fast vergessenen Gymnastik eingehend hervorhebt. Schon dieses Titelverzeichniss zeigt, dass Brinkmann, seiner Zeit vorauseilend, vielerlei Verbesserungen im Chirurgen-, Hebammen-, Krankenhaus- und Erziehungswesen anstrebte, mehr noch der Inhalt der Schriften, auf den aber hier nicht weiter eingegangen werden kann. Hervorgehoben mag noch werden, dass die von ihm entworfene Medizinal- ordnung am 8. Juni 1773 genehmigt und erlassen wurde (s. unten) und dass er Mitglied der Berliner naturforschenden Gesellschaft gewesen ist. Seine vielfachen erstrebten Neuerungen, die auch den Beifall seines Herrn, des Kurfürsten Karl Theodor fanden, machten ihn unbeliebt, -namentlich bei dem - 5'* - Hofrat Bruinink, und dieser ergriff die Gelegenheit, als Brinkmann 1780 anonym ein etwas freies religiöses Schriftchen »Philosophische Betrachtungen eines Christen über Toleranz in Religion zur Grundlage der Vereinigung sämmtlicher christlichen Religionen» 8° hatte erscheinen lassen. Man konfis- cierte das Büchlein und beantragte Brinkmanns Absetzung als Medizinal- Direktor. Die Verhandlungen liefen in Schriften und Gegenschriften von April 1781 bis Februar 17.X2. Die von den verschiedenen protestantischen Universitäten und Synoden eingeforderten Gutachten fielen vorwiegend zu seinen Gunsten aus und die Sache verlief im Sande (Düsseid. Staatsarchiv Jül.-Berg. Geistl. Sachen Generalia Nr. 81. Eine Gegenschrift von katholischer Seite >Ob die Duldung oder sogenannte Toleranz irriger Religion dem Charakter Christi und dem Geiste seiner Apostel gleichförmig sey«, gab Aloysius Merz 1781 in Köln heraus). Der Düsseldorfer Aufenthalt war Brink- mann infolgedessen verleidet. Ob er, wie berichtet wird, einen Ruf nach Göttingen erhalten hat, ist ungewiss. Er wurde 1784 als Leibarzt der Kaiserin nach Russland berufen und ist dort noch in guten Jahren am 26. Mai 1785 gestorben. Seine Frau, eine geborene Günther aus Solingen, zog nach seinem Tode wieder nach Düsseldorf. Seine Tochter Luise heiratete den Reg.-R. G. A. Jacobi. Beachtung verdient weiter der kurpfälz. -bayerische General-Stabswundarzt Dr. Josef Naegele; er hielt seit 1784 anatomische und chirurg. Vorlesungen (s. u.) Eine Abhandlung von ihm über eine Blutung aus der beim Bruch- schnitt durchschnittenen unteren Bauchdeckenarterie ist im 1. Bande der Johann Barthol. von Siebold'schen Sammlung seltener und auserlesener chirurgischer Beobachtungen« Rudolstadt 1805 an 3. Stelle aufgenommen. In seiner Lehr- tätigkeit, die bis 1 809 beglaubigt ist, wurde er von seinen beiden Söhnen Anton und Franz Karl unterstützt. Dr. Anton Naegele, geboren zu Düsseldorf, war Arzt und seit 1790 Hofarzt daselbst und lehrte gerichtliche Wundarznei und Physiologie. Er war ein Anhänger der John Brown'schen Erregungstheorie und schrieb in diesem Sinne über »Das Werden, das Leben, die Gesundheit, die Krankheit und den Tod des menschlichen Körpers«, Düsseldorf 1801 (130 SS. 8°); »Beitrag zu einer naturgeschichtlichen Darstellung der Entzün- dung am tierischen Körper , Düsseldorf, Dänzer 1804 gr. 8°; Einige wohl- gemeinte Worte über die Kunst, das menschliche Leben nicht zu verkürzen«, Düsseldorf 18 IO (86 SS. 8°). Weit bedeutender ist sein Bruder Franz Karl Naegele, geb. 12. Juli 1778, der von seinem Vater früh in das Studium der Medizin eingeführt und schon vor Beginn seiner Universitätsstudien Prosector und Repetitor der Anatomie am Düsseldorfer anatomischen Theater wurde. Er bezog dann die Hochschulen zu Strassburg, Freiburg und Bamberg und liess sich in Barmen nieder, wo er das Physikat der Ämter Barmen und r o* Beyenburg erhielt und sich mit besonderer Vorliebe mit Geburtshülfe und dem Unterricht der Hebammen und Chirurgen beschäftigte. Als Vorsteher der Armenanstalt führte er wichtige Reformen ein, die den Grund legten zu dem späteren grossen Rufe der Armenverpflegung in Barmen und Elberfeld. (Man vergleiche seine Schrift Über den Zweck, Nutzen und die Einrichtung von Armenanstalten. Eine Aufforderung an die Einwohner Barmens zur Ein- führung einer gemeinschaftlichen Armenpflege für die Armen sämtlicher Con- fessionen«, Barmen 1807, 8°). Schon im Jahre 1807 wurde er nach Heidel- berg als ausserordentl. Professor berufen; 18 10 wurde er ordentl. Professor und Direktor der Entbindungsanstalt. Über 40 Jahre wirkte er in dieser Stellung und starb am 2 1 . Januar 1 8 5 1 , als grösste geburtshilfliche Autorität allgemein anerkannt. Sein Name ist auch in der heutigen Ärztegeneration noch lebendig und wir feiern in ihm einen der grössten Söhne bergischen Landes. Die Anführung seiner epochemachenden Werke kann ich hier unter- lassen; sie stehen in allen Repertorien der Geschichte der Medizin. Die vor- züglichste Würdigung des Mannes gab Heinrich Rohlfs in seinen »Medizinischen Klassikern Deutschlands« 2. Abth. Stuttgart 1880 S. 499 — 556. Wilh. Xaver Jansen, den Abel in seiner Schrift gegen Odendahl mit Auszeichnung nennt, ist am 27. Sept. 1760 in Rees geboren, Hess sich nach vollendeten Studien (Jena und Leyden) in Düsseldorf nieder und starb früh als Medizinalrat und Stadtphysikus am 19. Juni 1793. Seine Leydener Disser- tation »Pinguedinis animalis consideratio physiologica et pathologica<- wurde von J. C. Jonas in's Deutsche übersetzt, Halle 1786. Er selbst gab 1788 in Düsseldorf eine Arbeit über Pellagra heraus als Frucht einer italienischen wissenschaftlichen Reise, die er in Briefen an seinen Freund und Lehrer Sandifort holländisch und später deutsch in zwei Teilen schilderte (Leyden 1790 u. 1793; Aurich 1791 und Düsseldorf 1793 u. 94). Einiges andere übergehe ich. — A. J. Varn- hagen, geb. in Düsseldorf 1756, studierte in Strassburg, wurde Arzt in seiner Vaterstadt, Medizinalrat und Stadtphysikus (1787), lebte zuletzt in Hamburg, wo er am 5. Juni 1799 starb. Er schrieb eine »Kurze Anweisung, die für Kranke und Gesunde dienlichen Nahrungsmittel und Getränke zu bereiten, Deutschlands Töchtern gewidmet«, Hamburg 1794, 8° und gab des Heidel- berger Professors Gattenhof akademische Schriften gesammelt heraus, Düssel- dorf 1795. Vermutlich ist der Doktor Varnhagen in Düsseldorf sein Vater gewesen, der 1752 vom Leibarzt des Abts von Werden und Helmstädt Dr. J. Joseph Hansen in Essen in einer Brochüre: »Entdeckter Ungrund Eines von Med. Doct. Varenhagen vor venerisch angegebenen Hals-Zustands . •« (Essen, Sebastian Straube 48 SS. 40) heftig angegriffen wurde. (Genannt werden hierin ausser den Med. -Räten Rappolt und Schumacher der Chirurgus Job. Wilh. Fr öl ig in Kaiserswerth und die Hebamme Lucia Krähe, dieQuack- — 53* — salberin Kath. Judith Weyers, der Stadtchirurg J. M. Brewer, der Chirurg J. G. Zeck und der Regimentsfeldscherer Franz Wahl, alle in Düsseldorf.) — P. J. Melchior, geb. zu Duisburg als Sohn des Prof. der Philosophie und Mathematik Joh. Albrecht Melchior (s. oben S. 6), studierte in seiner Vater- stadt und erwarb sich dort den Doktortitel, soll in Düsseldorf Mathematik und Physik gelehrt haben (nach 1780) und später prakt. Arzt in Kappelen im Geldern'schen gewesen sein. Josef Fehr geb. 24. Juni 1742 in Düsseldorf und dort zuerst vom Stabsmedikus Dubaud angebildet, studierte 1759 in Duisburg, war während des 7-jährigen Krieges in franz. Spitälern zu Düsseldorf und Köln thätig, widmete sich später in Münster als Stabschirurg bei einem Kavallerie-Regiment be- sonders der Tierheilkunde, bereiste zum Studium der Rinderpest 1777 auf Staatskosten das nördl. Deutschland und wurde 1779 ordentl. Professor der Tierheilkunde in Münster, wo er 23. Nov. 183 1 starb. Er hat 1778 »Auch noch ein Hebammen-Katechismus aus einer gefundenen Handschrift« in Rothen- burg an der Fulda erscheinen lassen, schrieb mehrfach über Hundswut und eine ganze Reihe tierärztlicher Schriften. Dr. Bernhard Guerard, Stabschirurg, Garnisonsmedikus und Me- dizinalrat, geboren 1734 zu Pont-ä-Mousson, hatte in Strassburg studiert und war Wundarzt im französischen Heere gewesen und Mitglied der chirurgischen Akademie zu Paris und des Colleg. Medicum in Mainz geworden. Auf seine Veranlassung errichtete der verdiente Statthalter Graf von Goltstein (f 1774) die Düsseldorfer Hebammenschule (s. unten), deren Direktor Guerard wurde. Er schrieb »Anfangsgründe der Geburtshülfe, zum Gebrauche seiner Vor- lesungen« (Düsseldorf, Zehnpfennig 1775 12 Bll. -(- 300 SS. 8°; neue Auf- lage 1781) grossentheils nach Professor G. A. Frieds in Strassburg Lehr- buch gearbeitet. Am 11. Mai 1778 nahm er nach Sigaults Vorgange bei engem Becken die Symphysiotomie vor und beschrieb dieselbe in einem Expose du cas pour lequel la Section de la Simphyse fut fait ä Düsseldorf« (Stahl, 1778, 8° Bll. +61 SS. 8°, das auch ins Deutsche übersetzt wurde: »Um- ständliche Nachricht des Zufalls« u. s. w. Auch Brinkmann, der mit Stadt- und Garnisonsphysikus Philippi, Regimentsfeldscherer Nägele und dem Repetenten der Geburtshülfe Strein Augenzeuge der Operation gewesen war, hatte eine kleine Schrift darüber veröffentlicht (s. o.). Von Wundarzt Lukas Boogers wurde Guerard darob angegriffen, worauf er 1781 mit einer ein- gehenden »Untersuchung und Lehre über den Durchschnitt der Schaambeine« (Münster, Perrenon 175 SS. 8°) antwortete. Er hat auch noch einen »Vor- schlag rechtschaffene Wundärzte zu verschaffen« (Düsseldorf 1779, 4 ) ge- schrieben, ist aber schon am 13. Oktober 1782 gestorben. Sein Sohn Karl Guerard, geboren 17. März 1765 in Düsseldorf, studierte in Göttingen, Paris, Bonn und erwarb in Duisburg 1784 den Doktortitel (De hydrope), liess sich — 54* — in Elberfeld als Arzt nieder, war vorübergehend auch in Düsseldorf als Phy- sikus (1794), dann wieder in Elberfeld seit 1795 ärztlich thätig. Er schrieb -Wöchentliche Unterhaltungen über Volks- und Thierheilkunde« (1. Bd. Elber- feld 1798) und einen »Unterricht über die herrschende Rindviehseuche, den benachbarten Landbewohnern gewidmet« (ib. 1797 und 1798). In Siebolds Journal Bd. X. schilderte er zwei Beobachtungen über kontagiöse Krankheiten des Fötus und ist am 30. Dezember 182S als Medizinalrat gestorben. Im März 1794 kam Bernhard Josef Reyland als Medizinalrat nach Düsseldorf. Er war am 29. April 1766 in Jülich geboren, hatte in Düsseldorf, Köln, Bonn, Wien und Ingolstadt studiert und an letzterem Orte 178 1 promoviert mit einer Dissertation »De inflammationibus latentibus«, welche er später erweitert deutsch erscheinen Hess (»Medizinisch-praktische Abhandlung von verborgenen und langwierigen Entzündungen«, Wien 1790, 8 Bll. -]— 22 1 SS. 8°). Er Hess sich» 1789 in Jülich nieder, wo man ihn in den Stadtrat wählte. 1794 gab er in Lemgo ein Handbuch zur Erhaltung und Wiedererlangung der Ge- sundheit heraus und 1795 zu Düsseldorf bei Schreiner die populäre Schrift Über den Nutzen der Pocken-Inokulation im Vergleich des Schadens der natürlichen Pocken, Eltern und Menschenfreunden zur Beherzigung' (223 SS. 8"), des weiteren «Generalia medico-practica prima in morbos chronicos in usum medicorum neopracticorum (Düsseldorf 1795 8") und »Gemeinnützige Bemerkungen und Aufsätze über einige Gegenstände der medizinischenPolizey«, Düsseldorf 1796 8°. Er wurde Stabs- und Garnisonsmedikus und Hofrat, hielt später Vorlesungen über Krankenpflege und wurde 1815 mit Josef Naegele Dirigent des Lazaretts für die Verwundeten von Belle-Alliance. Auch in Elberfeld wirkte in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Reihe namhafter Ärzte. Ausser dem oben S. 44 genannten Theodor Gerhard Timmermann nennen wir zunächst den Doktor Johann Simon Gottl. Dinkler, einen vielseitig gebildeten Mann, wie die Themata seiner Vorträge in der dortigen Lesegesellschaft beweisen (s. oben S. 10 und Ztschr. d. berg. G.-V. I, 6o).™Als er im Mai 1791 sein sojähriges Doktorjubiläum feierte, gab Dr. Karl Wilhelm Nose als Festschrift eine Rede »Von der Geduld besonders des Arztes am Krankenbette« heraus (48 SS. 8"). Nose war zu Braunschweig 1753 geboren, hatte seit 1774 in Helmstädt, Strassburg und Wien studiert (1777 Dr. med.) und später in Augsburg praktiziert. Wir finden ihn schon 17.X1 in Elberfeld, wo er sich hauptsächlich wissenschaftlichen Arbeiten, besonders geologischen und mineralogischen (s. o.), widmete und Vorträge hielt. Er zog später nach Köln, wo er am 22. Juni 1835 starb. Von seinen zahlreichen Arbeiten seien nur folgende genannt: »Über die Behandlung des venerischen Übels«, Augsburg 1780; «Abhandlung über die Gonorrhö ib. 1781; »Über Brechmittel in hitzigen Krankheiten« ib. 1781 und »Der Werth der — 55* — Anstalten gegen das Blatternübel«, Frankfurt a. M. 1800. Der Physikus Dr. Cramer war schon 1775 in Elberfeld und schrieb in Hufelands Journal »Über die Inflatio ventriculi« (1798). Dr. Weyershaus ist uns nur durch seine Vorlesungen in der »Lesegesellschaft' bekannt geworden (1785). Auch ein Dr. Ludw. Leidenfrost, Sohn des Duisburger Professors, war Arzt in Elberfeld. Im Jahre 1772 Hess sich dort nieder der bekannte Schriftsteller und Augenarzt Johann Heinrich Jung gen. Stilling (geb. am 12. Sept. 1740 im Dorfe Grund im Nassauischen), zuerst Schneider, dann Hauslehrer, endlich stud. med. in Strassburg, wo er mit Goethe und Herder bekannt und befreundet wurde. Trotzdem er sich durch seine glücklichen Staar- operationen nach der Extractionsmethode einen berechtigten Ruf weithin verschaffte, ging es ihm doch kümmerlich in Elberfeld, wohin er sich solange gesehnt hatte, sodass er es 1778 schon wieder verliess. Seine weiteren Schicksale als Kameralist in Lautern, Marburg, Heidelberg und zuletzt als vortragender Rat in Karlsruhe gehen über den Rahmen dieser Skizze hinaus; er starb am 2. April 18 17. Staaroperationen hat er auch, nachdem er Elber- feld verlassen hatte, noch mit Glück ausgeführt. Seine »sämmtlichen Werke«, worunter die Herausgeber aber nur die »religiösen« begriffen wissen wollen, sind in 13 Bänden und einem Ergänzungsband 1835 — 1838 in Stuttgart erschienen. Als medizinische Schriften sind zu nennen: »Günstige Erfolge mit dem Daviel'schen Verfahren der Cataract-Extraction«, Frankfurt 1775 und »Methode den grauen Staar auszuziehen und zu heilen«, Marburg 1791 (134 SS. kl. 80) mit 4 Tafeln. Diese beachtenswerten Arbeiten sind nicht ohne Verdienst und werden in der Geschichte der Ophthalmiatrie allzeit mit Ehren genannt werden. - - Heinrich Wilh. Theod. Pottgiesser, geb. 21. Aug. 1766 in Vörde bei Schwelm, studierte in Halle und Duisburg, wurde 1787 Dr. med. (De signis ex sputis) und übersetzte Prof. Daniel Erhard Günthers »Kurzen Entwurf der anatomischen Nervenlehre » aus dem Lateinischen, Düsseldorf bei Dänzer 1789 (176 SS. 8°) mit einigen Zusätzen Günthers. Er hat mediz. Artikel in der Westfäl. Zeitung, astronomische in Bodes astronom. Jahrbuch und musikalische in der allg. mus. Zeitung geschrieben und ist 1829 gestorben. Josef Stephan Anton Diemel, der Begründer der Elber- felder Hardtanlagen, geb. Ende 1763 in Soest, war Wundarzt in Elberfeld und bekannter Botaniker, 18 17 Ehrendoktor der Philosophie von Heidelberg; er starb am 31. März 1821. Als Elberfelder Wundärzte sind gleichzeitig zu nennen Lucas und der Stadtaccoucheur Willig, welcher 1787 durch einen Kaiserschnitt lokale Berühmtheit erlangte. Ein Chirurgensohn aus Gemarke (Mittel-Barmen) war Georg Wilhelm Grollmann, der zu Frankfurt a. d. Oder doktorierte (De putredine signo mortis minus certo 1794), sich 1795 in Elberfeld niederliess, aber schon am 12. Februar 1802 im 34. Lebensjahre - 5 6* - starb. Auch das benachbarte Barmen hatte damals Ärzte von Ruf. Gerhard Wilhelm von Eicken aus Langenberg war zuerst Kaufmann, besuchte dann das Gymnasium in Mors und studierte 1787 — 1789 in Göttingen und Jena. Er wurde 1790 Arzt in Mannheim und 1796 Hofrat und soll in Düsseldorf, Gemarke, Solingen, Haan und seit 1804 in Mülheim a. Rhein praktiziert haben. Vielleicht beruhen diese Angaben aber z. T. auf einer Verwechselung mit Johann Wilh. von Eicken, gleichfalls aus Langenberg, der 27. Dezbr. 1809 in Solingen 49 Jahre alt starb. Jedenfalls ist die Vorrede des 1. Bandes seiner »Sammlung interessanter Aufsätze und Beobachtungen für praktische Ärzte und Wundärzte« aus Elberfeld im März 1797 datirt (Elberf. 4 Bll -|- 418 S. -f- 1 BL). Die eigenen Arbeiten .von Eickens hierin beschäftigen sich mit »Darminfarkten« und »Wurmreiz« und deren Allgemeinerscheinungen; frei- mütige Briefe über das Brownisch- Weickard'sche System sind ohne Autor- nennung beigefügt. Schon in Mannheim hat er ein »Neues medizinisches Archiv für Leser aller Stände« in drei Stücken herausgegeben (1793, 1794 1798), später »Gedächtnissblätter. Enthaltend Nachricht von dem Leben und Charakter verdienter Ärzte und Naturforscher« (1797) und »Grundlinien zur Kenntniss der wichtigsten Krankheiten des Menschen . . für angehende Ärzte« (1797). Er übersetzte das »diätetische Tagebuch für Gelehrte« des le Camus (1797) und »Der Mensch physisch und moralisch betrachtet« des Ambrosius Ganne (1796). — Samuel Collenbusch, geboren in (Barmen-) Wichlinghausen 24. Sept. 1724, war lange Jahre ausübender Arzt in Barmen und starb, nachdem er 10 Jahre blind gewesen, am 1. Sept. 1803. Die Bibelstunden waren von Jugend auf seine Hauptbeschäftigung; bekannt ist seine mehrfach aufgelegte »Erklärung biblischer Wahrheit« in 8 Heften (Elber- feld 1807). Medizinisch hat er nur »Erfahrungen über den Nutzen und Schaden des Schwelmer Gesundbrunnens«, Hagen, Voigt 1791 (47 SS. 8°) veröffentlicht, die »Dahle im Juni 1791» datirt sind. Sein Namensvetter Daniel Collenbusch ist am 19. Sept. 1759 in Duisburg geboren, wurde 1789 zu Jena Dr. med., dann prakt. Arzt in Eisenberg, 1803 Physikus von Stadt und Amt Kahla in Sachsen-Altenburg (auch Arzt an dem Irren- und Zuchthaus Leuchtenberg), und ist dort am 14. April 1841 als Geh. Hofrat gestorben. Er gab 1794 und 1797 »Merkwürdige Abhandlungen holländischer Ärzte«, teils ganz, teils auszugsweise übersetzt heraus und schrieb zahlreiche treffliche medizinische Volksbücher, so den -Aufrichtigen Volksarzt« (2 Tle. Eisenberg 1796 und 98), die »Mildheimische Gesundheitslehre« (3 Tle. Gotha !799— 1802), arbeitete Hufelands Makrobiotik »für den Bürger und Landmann« um (Altenburg 1801) und gab populäre medizinische Zeitschriften heraus. Ferdinand Anton Bernhard Heuser, geb. im Jülich'schen, studierte und — 57* — promovierte in Heidelberg (De aeris nimis calidi et aestuantis in corpus human, effectibus 1791) und wurde prakt. Arzt in Gemarke. Christian Rudolf Hannes, geb. am 26. Mai 1734 zu Wesel, studierte in Duisburg, Halle und Berlin, promovierte in Duisburg 1756 (Foetum in utero per os nutriri) und Hess sich danach in seiner Vaterstadt nieder, wo er 1763 Stadt- und Landphysikus wurde und am 27.J28. Januar 1789 starb. Er gab heraus: »Beweis, dass man von der Mittagsbewegung keine allgemeine Regel geben könne«, Wesel 1758, 40; »De puero epileptico foliis aurantiorum recentibus servato«, Vesal et Lipsiae 1766, 8° (Roeder); »Die Unschuld des Obstes in Erzeugung der Ruhr«, Wesel 1766, 8°, »Briefe an Baidinger über .das Frieseis Wesel und Leipzig 1768, 8°; »De insitione variolarum in urbe patria Vesaliensi«, ib. 1772, 8 U und verschiedene Journalartikel. Joh. Jakob Mouje, gleichfalls zu Wesel geboren, wurde Dr. med. in Leyden 1785 (De animi pathematibusj. Heinrich Christian August Osthoff wurde ebenfalls in Wesel geboren (1772), studierte und promovierte in Duisburg (De morbo maculoso haemorrhagico) 1798 und war Arzt in Vlotho an der Weser und Bassum bei Bremen und seit 1809 Landphysikus im westphäl. Weserdepartement. Er hat eine ganze Reihe von Schriften verfasst (siehe bei Enslin und Callisen). Karl Anton Kortum, der Dichter der »Jobsiade« und auch sonst als Dichter und Schriftsteller bekannt, ist am 5. Juli 1745 als Sohn eines Apo- thekers in Mülheim a. d. Ruhr geboren, studierte seit 1763 in Duisburg, wo er 1765 promovierte. Er Hess sich dann in seiner Vaterstadt nieder, zog aber schon 1770 nach Bochum, wo er nach mehr als einem halben Jahrhundert praktischer (Bergarzt seit 1792) und schriftstellerischer Thätigkeit am 15. August 1824 (als Kgl. Hofrat) weit und breit berühmt und verehrt gestorben ist. Ein voll- ständiges Bild seiner vielseitigen schriftstellerischen Thätigkeit gibt die mit der 70. Naturforscherversammlung verbundene niederrheinische historisch-medi- zinische Ausstellung, deren Katalog im Folgenden vielfach unsere im Raum sehr beschränkten Ausführungen ergänzen muss. Seine meisten medizinischen Schriften sind populärer Natur und fast alle in Duisburg erschienen; genannt sei hier noch besonders seine »Skizze einer Zeit- und Literaturgeschichte der Arzneikunst« Unna 1809 und 1819. Ueber seine »hermet. Gesellschaft« siehe unter Chemie. Auch sein Verwandter Karl Georg Theodor Kortum war gleichfalls Apothekerssohn. Geboren in Dortmund am 29. Mai 1765, promo- vierte er 1785 in Göttingen, praktizierte zuerst in seiner Geburtsstadt und wurde 1790 Physikus in Stollberg im Jülich'schen, wo er am 9. Februar 1847 gestorben ist. Zahlreich sind auch seine schriftstellerischen Arbeiten, davon die wichtigsten : die zuerst lateinisch, später deutsch erschienene, von Paris preisgekrönte Arbeit über die Skrofeln 2 Bde. (1789/90 und 1793), die »Medi- zinisch-praktische Bibliothek« 3 Bde. (1789 — 1791), das »Handbuch der Augen- — 58* — krankheiten« 2 Bde. (179 1 — 1794), die »Beiträge zur praktischen Arzneiwissen- schaft« (1796) und seine Schrift über die Bäder von Aachen und Burtscheid 1798 und 18 18. (Ueber beide Kortum verweise ich besonders auf die »All« deutsche Biographie«, in welcher unsere Niederrheinischen vielleicht etwas zahlreicher vertreten sein könnten.) Als einer der bedeutendsten damaligen Ärzte am Niederrhein ist trotz al'cm Johann Gottfried Rademacher zu nennen, geboren am 4. August 1772 zu Hamm. Er studierte in Jena und Berlin, promovierte 18. April 1794 in Jena (Utrum differat rheumatismus ab arthritide), Hess sich 1796 in Kleve nieder und siedelte schon am 19. April 1797 nach Goch über, wo er bis zu seinem Tode am 9. Februar 1850 als pflichttreuer Arzt wirkte. Er schrieb eine Reihe von Abhandlungen in Hufelands Journal und Loders Journal für Chirurgie und gab heraus: »Beschreibung einer neuen Heilait der Nerven- fieber«, Berlin 1803 (noch in Brown'schen Geleisen); >Briefe für Ärzte und Nichtärzte über die Aftermedizin und deren Nothwendigkeit im Staate«, Köln 1804 (gut beobachtet und gut geschrieben); »Libellus de dysenteria«, Köln 1806 8° und endlich: »Rechtfertigug der von den Gelehrten misskannten verstandesrechten Erfahrungsheillehre der alten scheidekünstigen Geheimärzte und treue Mitteilung des Ergebnisseseiner 25jährigen Erprobung dieser Lehre am Krankenbette«, 2 Bde., Berlin 1 841, 1846, 1847, 1849. Aus dem Studium des Paracelsus und anderer Iatrochemiker und eigener Beobachtung war ihm ein System der Behandlung mit Universalmitteln und » Organmitteln (und deren Indikation nach einer ganz eigenthümlichen Art von epidemischer Konstitution) verwachsen, das, durchaus nicht dem Paracelsus entlehnt, viel Anhänger gefunden hat und auch heute noch einige spärliche Vertreter besitzt. Mag man auch über seine Schrullen lächeln, so wird doch jeder, der das Buch ernsthaft vorgenommen hat, ihm die Anerkennung nicht versagen können, dass man es hier mit einem durchaus tüchtigen Manne von Geist und Herz zu thun hat, aber auch mit einem scharfen gut beobachtenden Verstände, dem man mit Genuss zuhört, auch wenn man anderer Ansicht ist. Sein Nachfolger in Goch Bergrath hat ihm eine pietätvolle kleine biographische Skizze gewidmet, Berlin 1850. -- Ein guter Beobachter war Dr. Joh. Christ. Jonas, geboren in Kleve nach 1760, prakt. Arzt in Krefeld und seit 1790 Amtsphysikus zu Montjoie im Jülich'schen, wie seine Arbeiten in Zeitschriften über Erkrankungen der Tucharbeiter, Kotverhärtungen u. s. w., beweisen. Josef Ferdinand Michels, Arzt in Jülich, schrieb über die Nutzbarkeit des Aachener Mineralwassers, Köln 1785. In Nideggen im Jülich'schen ist auch am 17. April 1761 der Würzburger Professor der Chirurgie Hermann Josef Brünninghausen geboren, bekannt durch seine Verbesserungen der Geburts- zange (1802) und zahlreiche chirurgische Schriften aus den Jahren 1789— 18 18. — 59* — Er ist am 7. Februar 1834 gestorben. Johann Georg Mögling aus Düren wurde 1781 in Duisburg Dr. med. (De noxis quae ex mala administratione rei publicae in sanitatem et vitam incolarum redundant] und praktischer Arzt in seiner Vaterstadt. Im selben Jahre promovierte in Duisburg Joh. Wilh. Lauterbach aus Gruiten, der sich in Mettmann niederliess. Joh. Wilhelm Arnold Fr o wein war zuerst Arzt in Stolberg, dann in Haan und später an den preussischen Lazaretten in Köln thätig. Er schrieb; »Versuch, was sind Fieber« 2 Tle. Elberfeld 1805, Hamm 1806. 8°; »Beweis des absoluten Lebens, des Daseins und der Unsterblichkeit« Köln 1805, 8" Joh. Wynand Theod. Zanders, geboren in Solingen, wo sein Vater Joh. Friedr. Theodor Zanders aus Düsseldorf gebürtig (1737), Arzt und Physikus war (1770 — 1807), praktizierte in seiner Heimatstadt und schrieb »Rhapsodien physiologischen Inhalts« in Röschlaubs Magazin (Bd. 8) und »Beiträge zur Geschichte der Thiermetamorphosen«Köln 1807,8". Erstarb 29. Januar 1819. Wilhelm Kruse, Amtmannssohn aus Wevelinghoven, praktizierte gleich- falls in Solingen und schrieb in Hufelands Journal. Weitere Solinger Ärzte aus'jener Zeit sind Johann Zwicky (1769) und Joh. Clemens Dinger U775)- Als Solinger Wundärzte in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts wären zu nennen: Johann Gisbert Kramp aus Düsseldorf (1707 — 5. I. 1756), Christoph Gott- schalk (f 1790), Johann Fries zu Heesten (f 1777), Guilleaume, Clemens, Anton und Johann Nicolai, Johann Matthias Willig (f 1794), Joh. Wilh. Jacobs (f 1794), Johann Christian Finzinger aus der Schweiz (f 1789), Andreas Johann Kayser aus Haan (seit 1792), Wilhelm und Samuel Willig (beide seit 1795), Tillmann Haas (seit 1797) und Jos. Wilh. Joisten aus Düsseldorf (seit 1798). Zu Löhdorf, Amt Solingen, wirkte als Wundarzt J. H. Scheller, der an den Ritter v. Zimmermann Fridericianischen Ange- denkens ein Sendschreiben richtete: »Über den vorteilhaften Einfluss einer gemässigten und gut geordneten Ausübung der Wissenschaft auf die Beförderung unserer Gesundheit«, Stendal 1793, 8" Dr. Franz Josef Brunner, seit 1889 Physikus der bergischen Ämter Blankenberg und Beyenburg, schrieb Vorschläge einer zweckmässigen Heilart der Kopfverletzungen«, Düsseldorf 1806, 232 SS. 8". Peter Friedrich Weyland, geboren zu Meinertshagen im Märkischen, wurde 1797 Dr. med. in Duisburg (De curatione gangliorum), Arzt in Honrath im Oberbergischen und später Physikus in Siegburg. Johann Jakob Günther, geboren in Neviges in den 70er Jahren des 18. Jahr- hunderts, anfangs Schullehrer in Solingen, studierte Cameralia in Marburg, dann Theologie in Duisburg, wurde Vikar in Oberkassel bei Bonn, ergriff dann das Studium der Medizin in Bonn und Marburg (180 1 Dr. med.), wurde Arzt in Oberkassel, Physikus in Deutz (wo ihn Goethe besuchte), Kreisphysikus in Köln und Nassauischer Mediznalrat. Am 13. Juli 1862 ist er »lebensmüde — 60* — und mit sich und der Welt zerfallen« gestorben, einer der fruchtbarsten und vielseitigsten medizinischen Schriftsteller, aber hier nicht weiter zu besprechen, da er nach dem Jahre 1800 promoviert ist, welches Jahr ich des schon zu sehr in Anspruch genommenen Raumes halber mir als Grenze gesetzt habe. Sein Bruder Karl Günther, gleichfalls aus Neviges gebürtig, war Chirurg in der Napoleonischen Armee und später zu Montjoie ; er schrieb »Etwas zur richtigen Würdigung der Schmucker'schen Fomentationen und der übrigen bisherigen Verfahrungsarten bei Kopfverletzungen«, Frankfurt a. M. 1805, 28 SS. 8° Georg Christian Theophil Wedekind, geb. 8. Januar 1761 zu Göttingen als Sohn eines Professors der Philosophie daselbst, wurde dort 1780 Dr. med., war in den 80 er Jahren vorübergehend Arzt und Physikus zu Mülheim am Rhein. Auf sein wechselreiches und mit reicher schriftstellerischer Thätigkeit gesegnetes Leben, das sich meist in Mainz bei der französischen Armee und am Darmstädter Hofe abspielte, kann hier nicht näher eingegangen werden; alles Nähere ist im »Biogr. Lexikon der Ärzte« von Gurlt mitgeteilt (VI. 216 f). Ich breche hier ab, indem ich noch kurz erwähne den Dr. med. C. W. Schölten, geb. zu Mors, der 1768 — 1779 allerlei Nichtmedizinisches geschrieben hat, und den Dr. L. Castringius in Schwelm, den Verfasser einer Schwelmer Brunnenschrift (1799). Es ist eine lange Reihe tüchtiger Männer (leider gewiss nicht lückenlos), die an uns vorübergezogen ist ; nicht wenige darunter hervorragend und im weiteren Deutschland gleichfalls berühmt geworden. Auch im 19. Jahrhundert hat es am Niederrhein an tüchtigen Aerzten nicht gefehlt, und mancher hätte eine eingehende Schilderung wohl verdient, so der grosse Gräfrather Augen- arzt I. H. de Leuw (1792 — 1861), der Hofrath Joh. Heinr. Bongard in Erkrath (1779 — 1857), denen man im Bergischen Lande noch ein treues An- denken bewahrt; der Düsseldorfer Max Jacobi (1775 — 1858), der Sohn des Philosophen Goethi'schen Angedenkens und grosse rheinische Irrenarzt (s. 11.) und der Psychiater Friedrich Bird aus Wesel (1793 — 1851 s.u.), der Düssel- dorfer Künstleranatom Josef Neunzig (geb. 1797), die beiden Ebermeier, Heinrich Gerhardy, der Düsselthaler pietistische Sonderling Ernst Josef Gustav de Valenti, der geniale Martin Wilhelm von Mandt (1800 — 1858), die Brüder Friedrich Emil und Adolf Sander aus Wichlinghausen, Pagen- stecher Vater (Heinrich Karl Alexander 1799 — 1869) und Sohn (Karl 1824— 1865) in Elberfeld, unser unvergesslicher Eduard Graf und die wahrhaft grossen Theodor Schwann aus Neuss (1810 — 1S82), der Begründer der tierischen Zellenlehre, und Bernhard Gudden (1824 — 1886) aus Kleve, der grosse Hirn- anatom tragischsten Endes. Ihnen allen und vielen andern bewahrt ihr engeres — 61* — Vaterland ein treues Gedächtnis und zählt sie mit Stolz zu seinen Söhnen. So weit es uns möglich war, - - und wir haben uns keine Mühe verdriessen lassen und auch recht vielfach freudiges und rührendes Entgegenkommen ge- funden - - haben wir allen Söhnen Jülich - Kleve - Bergischen Landes, die auf ärztlichem oder naturwissenschaftlichem Gebiete irgend hervorragend gewirkt haben, in einer besonderen Abteilung der historischen Ausstellung auf der dies- jährigen Naturforscher- und Ärzteversammlung in Schriften und Bildnissen und sonstigen Erinnerungen ein pietätvolles Denkmal zu errichten gesucht. Dieser Teil der Ausstellung und sein Katalog wird allen Abteilungen der Festschrift als Illustration und willkommene Ergänzung dienen. Quellen: Benutzt sind ausser den bekannten Lehrbüchern und Handbüchern der Geschichte der Medizin von Sprengel, Isensee, Häser u. s. w. die Bibliotheca von Gesner-Simler-Fries, Tiguri 1583; die Bibliotheca medica v. Paschalis Gallus, Basil. 1590; Melch. Adam, Vitae german. medicorum Heidelb. 1620 und Francof. 1706; Paul Freher, Theatrum, Norimberg. 1688; F. A. Mercklin Lindenius renovatus, Norimb. 1686; J. Fr. Reimmann, Einl. in d. hist. liter. derer Teutschen Halle i. M. 1713; Chr. W. Kestner, mediz. Gelehrten Lexicon, Jena 1740; Chr. G. Jöcher, Allg. Gel. Lexicon, Leipzig 1750—51; Jos. Hartzheim, Biblioth. Coloniensis, Colon 1747; Eloy, Dictionnaire historique, Liege et Francf. 1755, Mons 1778; A. Haller, Biblioth. Chirugica, Basil. et Bernae 1774—75, Bibl. med. pract. ib. 1776— 1788; St. H. de Vigiliis von Creutzenfeld , Bibl. chirurg. Vindab. 1781 4 ; Biographie medicale, Paris 1820 — 1825; Biograph. Sk. Bremischer Ärzte, Bremen 1844; Bayle etThillaye, Biogr. medicale, 1855 ; Allg. deutsche Biographie Leipzig 1875 — 1898; Biogr. Lexikon der hervorr. Ärzte, Wien und Leipzig 1884 — 1888; J. K. Proksch, Gesch. der vener. Krankheit, Bonn 1895; B. Schönnes- höfer, Gesch. d. Berg. Landes, Elberfeld 1895; und die gleichfalls auf gedrucktem Material beruhende Beckhaus'sche Collectaneen- Sammlung auf der Landesbibliothek in Düsseldorf. Dr. med. Karl Sudhoff, Hochdahl. V. Volksseuchen in früheren Jahrhunderten. Die Gesundheitsverhältnisse in unserer engeren und weiteren Heimath waren keineswegs zu allen Zeiten so günstig, wie sie es heute sind, namentlich nicht in den Städten, die durch Handel und Wandel am meisten der Ein- schleppung ansteckender Krankheiten ausgesetzt waren und für ihre Ausbreitung den günstigsten Nährboden darboten. Das Attribut der Festung, welches die Städte durchweg besassen, bedingte eine Anhäufung von Menschen und Vieh 62 4 auf verhältnissmässig engem Raum ; auch war zur Einführung von Wohlfahrts- einrichtungen, soweit man überhaupt daran dachte, wegen der Beschränktheit der Mittel wenig Neigung vorhanden. Man sträubte sich sogar gegen die Einführung hygienischer Einrichtungen z. B. gegen die Pflege der Reinlichkeit, und erwartete vielfach nur von Busse und Gebet Hülfe in Epidemien. Um so furchtbarer waren denn auch die von den Seuchen angerichteten Ver- heerungen. So forderten die Pest und die rothe Ruhr auch in Düsseldorf wiederholt zahlreich Opfer, und der Aussatz war in vielen benachbarten Ort- schaften lange Zeit eine ständige Krankheit. Auch ist es höchst wahr- scheinlich, dass der englische Schweiss und die Blattern epidemisch vorge- kommen sind, weil erstere Krankheit nachweislich im Umkreise Düsseldorfs geherrscht und die letztere Seuche später im 19. Jahrhundert häufig in der Stadt grassiert hat. Welche andere Volkskrankheiten noch an der Dezi- mierung der hiesigen Bevölkerung Anteil hatten, lässt sich bei der Dürftig- keit der auf uns gekommenen Nachrichten nicht sagen. Doch lässt sich annehmen, dass diejenigen Seuchen, welche überhaupt am Niederrhein auf- getreten sind, auch Düsseldorf nicht verschont haben; sie mögen daher, ehe wir die vorhin genannten Epidemien (mit Ausnahme der Blattern) eingehender behandeln, in chronologischer Aufzeichnung hier mitgeteilt werden; diejenigen Krankheiten, die sich »über Deutschland- oder gar »über Europa« ausgedehnt haben sollen, konnten in der folgenden Tabelle keine Berücksichtigung finden, weil eine so weite Verbreitung nachweislich nicht ausschliesst, dass zuweilen ein enger begrenztes Gebiet von ihnen verschont geblieben ist. Jahreszahl Name der Krankheit Verbreitungsgebiet Quellen II 28 Epidemie des hl. Feuers Rheinprovinz. Lersch, Gesch. d. Volksseuch. S. 83. 1366 Grippe (Husten) Köln und Aachen. „ 163. 1373 Tänzer u. Tänzerinnen ziehen von Ort zu Ort (Tanzsucht ?) am Rhein (Köln) „ 165. 1374 Alienatio mentis,sich äuss. d. Wutanfälle, Schreien u. Herumwerfen am Rhein (Brauweil.) Münstereifel „ „ ,, 165. 1438 Resender suchden, nuwer suchd. (Gespensterfurcht) Coellen ,, 184. 1493 Dulle sikede (Influenza?) Wesel Ztschr. d. B. G.-V. X 6. 1494 Eine der Influenza ähn- liche Krankheit am Rhein Lersch.G.d.Vlkss.S.200. 1494 Nuwer krenkten(Syphilisr) (b. einem Kind, gestorb.) Düsseldorf Kgl. St.-A.Ddf. Bericht des Heinr. van Fry- merschen an Herzog Wilh. IV. v. JüL-Berg. 6 3 * Jahreszahl Name der Krankheit Verbreitungsgebiet Quellen 1496 1496 1498 1500 1504 1504 1517 1545 1545 1544,1545 1564 1564,1565 1565 15/6 1577 1596 1596 1630 1634 1673 1674 1674 1686, 1687 1693 1733 1734, 1735 1756, 1757 Krankheit m. Geschwüren (Syphilis ?) Sent Jobs krenckde Nigge sikede (morbi franzose) Nuwer krenkden (Syphil. ?) Smettelijke (schmutzige) Krankheit (Patechial- fieber? Syphilis?) Grosser Husten Unbekannt. Seuche (Zunge und Schlund weiss mit Kopfweh) Bösartige Anginen Gutartige Parotiden Diphtherie (Weyer) Contag. Anginen Sehr tötlich werdende An- ginen(Weyer beschrieb.) Bösartige Pneumonien (Weyer beschrieben) Bösartige Anginen Typhöse Pneumonie Kriegsfieber Kriebelkrankheit Scheussl. Krankheit (mit gross. Sterblichkeit, von fremden Soldaten ein- geschleppt) Italienische Krankheit Fleckfieber Typhus Ungarische Krankheit Kriebelkrankheit Bösartige Fieber im Kriegsgefolge Influenza Typhus Kriebelkrankheit in den Rheinlanden in allen Landen (Cöln. Chron.) over die ganze weld (Dortm. Reimchr.) Cölne am Rhein Köln am Rhein Lersch, Gesch. d. Volkss. S. 201. „ 201. Ztschr.d. B. G.-V. X 20. Kgl.St.-A.Ddf. Litt.Cg. Conc. Lersch, Gesch. d. Volkss. S. 205. „ 205. „ 210. „ 229. „ 229. „ 229. Unterrhein II 11 „ 242 Niederrhein „ „ 246 am Rhein 1? 1) „ 246 jj II II „ 257 Niederrhein II II „ 256 Rheinland II II „ 270 Bistum Köln II II „ 270 Düren Brüll, Düren, S. 122. 11 „ S. 127. Aachen, Burtscheid Lersch, G.d.V.. S. 320 Rheingegenden „ 320 Hülchrath ., 320 Köln „ 327 in d. Rheingegenden „ 329 Jülich Kühl, Jülich IV 49. am Rhein Lersch, G.d.V. S. 353 am Unterrhein „ 361 64* Jahreszahl Name der Krankheit Verbreitungsgebiet Quellen 1758-1760 Typhus u. Malaria unter den Engländern im Herzogtum Kleve Lersch, Gesch. d. Volksseuch. S. 362. 1770,1771 Kriebelkrankheit am Rhein, besond. in d. nördl. Distrikt. „ 368. 1784 Scharlach am Rhein „ 374. 1. Der Aussatz. Das Vorkommen des Aussatzes, welches Wort im Altertum und im Mittelalter als Kollektivbezeichnung für Hautkrankheiten aller Art diente, lässt sich in Deutschland bis ins 8. Jahrhundert verfolgen. Er galt allgemein als ansteckend, und deshalb wurden behufs Isolierung der Kranken zur Verhütung der Ansteckung weit ausserhalb der Städte und sonstigen Ortschaften Krankenhäuser erbaut, die man Leproserieen, Ladrerien (Maladrerieen), Mesel- lerieen, Lazarettieen, Melaten oder Siechen- 1 bezw. Sondersiechenhäuser nannte. Zwischen dem II. und 13. Jahrh. wurden die meisten Leprosenhäuser errichtet, und zu Anfang des 13. Jahrh. soll es deren in der ganzen Christenheit etwa 19000 gegeben haben. Man bringt das Anwachsen ihrer Zahl mit der Rück- kehr der Krieger aus den Kreuzzügen in Verbindung. Aus der grossen Vermehrung der Siechenhäuser lässt sich nun aber keineswegs der Schluss ziehen, dass die Krankheit auch einen entsprechend grösseren Procentsatz der Bevölkerung ergriffen hatte, sondern das kann auch die Folge davon ge- wesen sein, dass es viele nur vermeintliche Leprakranke gab. Es fehlte oft an der richtigen Diagnose, was nicht Wunder nehmen kann, da die Über- weisung in die Leprosenhäuser durch Laien geschah. Nachdem man gegen Ende des 15. Jahrh. die Syphilis als besondere Krankheit erkannt hatte, ist denn auch die Zahl der Leprosen bedeutend gesunken. In Anbetracht dieses Umstandes dürfte die grosse Ausbreitung der Leprakrankheit im 12. und 13. Jahrh. in einem anderen Lichte erscheinen 2 . Trotzdem ist das Vorhandensein der Siechenhäuser immerhin ein Beweis für das ehemalige Vorkommen des Aussatzes und die Geschichte der Lepro- senhäuser der einzige feste Halt für die Geschichte der Lepra, selbst. Die ältesten bekannten Siechenhäuser am Niederrhein sind die Melaten zu Köln und Aachen, 3 deren Erbauungszeit in den Anfang des 13. Jahrh. fällt. In Essen bestand schon ein derartiges Krankenhaus im 14. Jahrh. 4 und in Neuss 5 war ein solches 1416 vorhanden. Alsdann mag das Vorhandensein von Leprosenhäusern bei Düsseldorf 6 am Aap, bei Ratingen 6 (in der Nähe von Bauenhaus) bei Gerresheim-Aldenhoven, 6 Winkelhausen, 6 Eschweiler, 6 Ichen- dorf, 6 Wermelskirchen, 6 Polheim, 6 Wankum, 6 an der Villen, 6 Wittlaer, 7 Kleve, 8 Ginderich, 8 Düren 9 (1541 erbaut, 1543 zerstört, später wiederhergestellt), — 65* — Elberfeld 10 , Sonnborn 10 (1664), Jülich 11 (16. Jahrh.), Bonn 8 und Koblenz 8 , vermerkt werden. Die Zahl dürfte sich noch beträchtlich vergrössern lassen; sie genügt indessen, um die Allgemeinheit der Krankheit zu veranschaulichen. Die Zahl der Siechen an den einzelnen Orten kann jedoch nicht sehr gross gewesen sein, wie aus der Beschaffenheit der Häuser hervorgeht. Das Leprosenhaus zu Jülich hatte z. B. nur 4 Wohnungen, welche von den Siechen mit ihren Familien bewohnt wurden, und ausserdem eine Gastkammer zur Aufnahme und Verpflegung von fremden Siechen. Das Essener Siechenhaus war von 1544— 1605 durchschnittlich von 7 Aussätzigen bewohnt. Von 1644 ab war längere Zeit nur ein Kranker da, 1682 ebenfalls nur einer und 1724 gar keiner mehr. Überhaupt begann die Lepra in Deutschland während des 17. Jahrh. allmählich zu erlöschen. Was nun die Gründungszeit der Sicchenhäuser in der Umgebung von Düsseldorf, Neuss und Essen betrifft, so ist in Bezug auf Düsseldorf und Ratingen das Vorhandensein dieser Gebäude im 14. Jahrh. zwar noch nicht nachweisbar, aber doch wahrscheinlich, und umsomehr, da der Landesherr sicherlich seine Residenzstadt und deren Umgebung zu schützen ge- sucht hat. Raum für viele Aussätzige dürften auch sie nicht gehabt haben. Denn aus den Prozessmitteilungen (1391) der Jahre 17 10 — 12 geht hervor, dass die Gesamtzahl der Insassen des Ratinger Leprosenhauses nur 8, und die der am Aap befindlichen Siechen nur 2 betrug. Nach derselben Quelle belief sich die Zahl der Siechen in dem Aussatzhause zu Winkelhausen in der Bürger- meisterei Kaiserswerth ebenfalls nur auf 8. Unter den Ratinger Siechen hatten sich fälschlich als an der Lepra leidend 2 Personen und unter denen in Winkelhausen eine solche befunden. Zu erwähnen ist noch, dass die Individuen innerhalb jeder Leprosengruppe unter einander verwandt bezw. verschwägert waren. Ob die in den Prozess verwickelten Siechen wirklich an richtigem Aussatz gelitten haben, erscheint zweifelhaft, da sie nicht auf Grund ärztlicher Untersuchung, sondern auf Grund von Zeugnissen, welche, wie sich zeigte, erschlichen werden konnten, in die Leprosenhäuser aufge- nommen wurden. Auch der Titel der damals erschienenen Schlösser'schen Schrift, woraus die Mitteilungen geschöpft sind, bestätigt diese Ansicht; denn er sagt ausdrücklich: »Gegen und über die unterm falschen Schein des Aus- satzes etc.« Da die Raumverhältnisse für etwa 8 Sieche mit denen der benachbarten genau bekannten Siechenhäuser allem Anschein nach überein- gestimmt haben, so dürften auch in Düsseldorf und Ratingen seit der Er- bauung der dortigen Siechenhäuser selten mehr als ca. 8 mit der Lepra Be- haftete vorhanden gewesen sein. Ausser der Isolierung der Kranken scheint man keine Verhütungs- und Bekämpfungsmassregeln für nötig gehalten oder — 66* — gekannt zu haben. Auf die Lepra als Krankheit bezugnehmende Edikte sind nicht erhalten und vielleicht auch nicht ergangen. Plötzliche und zahlreiche Todesfälle, wie andere Volkskrankheiten, hatte den Aussatz nicht im Gefolge. Er war langwierig und entstellte den von ihm befallenen Menschen, daher der Abscheu vor den Aussätzigen und ihre Ausschliessung aus Furcht vor Ansteckung. Die Furcht und der Abscheu ging in den Jahren 1309, 13 16 und 1320 so weit, dass man die Leprosen beschuldigte, die Brunnen vergiftet zu haben, und sie wegen dieser vermeint- lichen Verbrechen an manchen Orten, z. B. in Aachen verbrannte. Im Jahre 1320 teilten die Juden dieses Schicksal 15 Die Siechen, welche so ent- fernt von der menschlichen Gesellschaft leben mussten, konnten nicht, wie Gesunde, sich durch Arbeitsleistungen ihren Unterhalt verschaffen. Man liess sie deshalb betteln, und durch die Leprosenordnungen gab man ihnen sogar ein Recht darauf. Eine solche ist für Kleve 1560 17 ergangen, andere sind für Berg 18 und Jülich 1603 19 erlassen worden. Durch diese erhielten die Siechen eine förmliche Organisation. Unter dem Schutze der hl. Maria und des hl. Lazarus bildeten sie eine Gilde, welcher 4 Brüdermeister vorstanden und bei der auch ein Bussenknecht oder Bote angestellt war. Sämtliche Leprosen des Herzogtums Berg mussten an jedem 8. September (Maria Geburt) auf dem Siechenhofe in Ratingen zusammenkommen, und dort wurde in Anwesenheit des Herzogs, seiner Gemahlin, der Beamten u. s. w. über Vergehen der Siechen Gericht gehalten. Das Gleiche geschah an demselben Tage in Düren für den oberen Teil, in Gladbach am 15. Juni (»St. Viti dagh«) für den unteren Teil des Jülich'schen Landes, in Xanten Montags vor Victoris Tag für Kleve. Aus der Leprosenordnung ersehen wir ferner, dass die Leprosen ein besonderes Siechenhabit ä0 tragen mussten und beim Betteln sich einer Klapper oder Schelle bedienten, um die Aufmerksamkeit bezw. Mildthätigkeit auf sich zu lenken. Sie mussten der Gesunden Nähe meiden, durften Niemanden lästig werden und nur einmal wöchentlich einen Bettelgang unternehmen; 30 Para- graphen enthalten über das Leben der Siechen und ihr moralisches Verhalten in den Herzogtümern Jülich und Berg genaue Bestimmungen und Straffest- setzungen für Uebertretungen. Dass die mit dem Privileg des Betteins ausgestatteten Aussätzigen in dem arbeitsscheuen Gesindel Mitbewerber fanden, die den Gesunden die falsche Thatsache vorspiegelten, mit dem Aussatze behaftet zu sein, um sich dadurch die Vorteile der wirklichen Leprakranken zu verschaffen und zugleich unter dem Deckmantel des Aussatzes Gelegenheit zur Verübung von Ver- brechen zu finden, ist begreiflich. Die Polizeiverordnung des Herzogs Wilhelm 21 von 1534, die 1696 erneuert wurde, richtet sich gegen die falschen Siechen. Sie befiehlt den Amtsleuten und exequierenden Gerichts- — 67* — personen, strenge auf die müssig gehenden Bettler zu achten und sie event. nach Gebühr zu bestrafen. Doch die grosse Entfernung der Siechenhäuser von den Städten und übrigen Ortschaften erschwerte die Beaufsichtigung der Insassen und begünstigte noch besonders die Ausübung von Verbrechen. Zu Anfang des 18. Jahrhunderts wurden in den Siechenhäusern von Ratingen und am Aap begangene Morde und sonstige Verbrechen aufgedeckt und gesühnt 22 An diesen waren indessen auch Insassen anderer Leprosenhäuser beteiligt. Nach- dem so constatiert war, dass die Siechenhäuser zu Mörder- und Räuberhöhlen geworden waren, erging am 26. Januar 1712 23 seitens des Landesherrn ein Edikt des Inhaltes, dass sämtliche Leprosenhäuser der Herzogtümer Jülich und Berg zu zerstören seien. Bei der Ausführung des Ediktes wurde nur ein einziges Haus 24 verschont, und in ihm wurden nach voraufgegangener ärztlicher Untersuchung die wenigen noch vorgefundenen Leprosen unter- gebracht. Welches Siechenhaus dies gewesen ist, war nicht sicher zu ermitteln. Vielleicht war es das Jülicher Haus, da dieses erst 1716 25 niedergelegt wurde. Trifft dies zu, so würde die Annahme gestattet sein, dass die Lepra in den Herzogtümern Jülich und Berg 17 16 endgültig erloschen war. Anmerkungen. 1) Das Wörtchen »syk« lebt heute in »siech« und in dem engl. Worte sick (sickness), »melaten« in dem französischen malade fort. 2) Vergl. bis zu dieser Stelle Hirsch, Handb. der hist.-geogr. Path. II 1-6. 3) Kühl, Jülich IV 110. 4) Beitr. z. G. von Stadt und Stift Essen 45. 5) Kgl. St.-A. Ddrf. Urkunde von Ouirin No. 45. Am 6. November 1416 ver- macht Hilger Campe, Bürger von Neuss, unt. And. den Leprosen vor der Stadt 6 solidi, ebensoviel für den Leprosen-Altar). Nach Tücking, Neuss 117, lag das Leprosenhaus vor dem Rheinthor. 6) Zeitsch. d. B. G.-V. X 81 ff. 7) Beantworteter Fragebogen 81, in Besitz des Ddf. G.-V. 8) Korrespondenzbl. d. west. Z. f. G. u. K. 1888 Sp. 43 No. 2 (Pick). 9) Brüll, Chr. v. Düren 72. 10) Monatsschr. d. Berg. G.-V. Jahrg. I 15 f. 11) Kühl, Jülich, IV. 110 ff. 12) Beitr. z. G. v. Stadt u. Stift E. XVIII 48. 13) Beitr. z. G. d. N.-Rh. II 100. 14) Z. d. Berg. G.-V. X 81 ff. 15) A. a. O.; sie ist in Besitz des Herrn Pflaum, Fahnenburg hei Ddf. 16) Lersch, Gesch. d. Volkss. 173. 17) Kgl. St.-A. Ddf. Kleve- Mark Landesverw. No.58 vol. I. 18) Beitr. z. G. d. N.-Rh. IV 151 ff. 19) Mittl. des Herrn Dr. Schooss aus dem Stadtarchiv. Düren. 20) Mantel und Hut von grauer Farbe. Kühl, Jülich IV 110. 21) Kgl. St.-A. Ddf. Gül u. Berg Pol.-O. d. Herz. W. S. 38. 22) Z. d. Berg. G.-V. X 81-115. 23) Kgl. St.-A. D'df. Quellwerk A 1089. 24) Z. d. Berg. G.-V. X 81— 115. 25) Kühl, Jülich 110 ff. 2. Die Pest in Düsseldorf. Nachrichten darüber, dass der »schwarze Tod« bei seiner Verbreitung über den Niederrhein in den Jahren 1 349 — 5 1 auch Düsseldorf berührt habe, sind nicht auf uns gekommen ; indessen kann aus dem Umstände, dass die von ihm heimgesuchten Städte Köln, Rheinberg, Wesel und Aachen mit unserer Stadt vielfache Handelsbeziehungen unterhielten, und ferner aus der Thatsache, dass in späteren Jahrhunderten, namentlich im 17. Jahrh., unsere Stadt durch die Volksseuchen ebenso viel gelitten hat wie andere, auch ihre Heimsuchung durch den schwarzen Tod angenommen werden. — 68* — Das erste nachweisbare Vorkommen der Pest in Düsseldorf fällt in das Jahr 1490'. Aus dem ganzen 16. Jahrhundert wissen wir nichts Bestimmtes über Pestepidemien in unserer Stadt, sondern nur über solche in den Herzog- tümern Jülich, Kleve und Berg, damit kann aber nicht ohne weiteres ihre Seuchenfreiheit zugegeben werden; denn die genannte Krankheit grassierte in der Umgegend und wurde zweifellos durch den Geschäftsverkehr in die Stadt verschleppt. Im 17. Jahrhundert kommen zunächst als Pestjahre 1613 und 1623 in Betracht. In letztgenanntem Jahre bestand hier ein Pesthaus; auch war ein Pestmeister angestellt. Dann tritt die Seuche wieder 1627 * 1634 5 , 1649 6 , 1666/67 7 und zum letzten Male 1669 8 auf. Ueber die Pest der Jahre 1666/67 und 1669 sind noch manche Notizen erhalten, die zwar kein vollständiges Bild bieten, immerhin jedoch einen ganz interessanten Einblick in die allgemeinen und sanitären Verhältnisse, sowie in die Entwickelung und in den Verlauf der Krankheit gewähren. Ehe wir aber hierauf eingehen, mögen noch die Massnahmen erörtert werden, welche von Seiten der kirchlichen und weltlichen Behörden zur Ver- hütung und Bekämpfung der so häufig wiederkehrenden bösartigen Seuche getroffen wurden. Während des Mittelalters hatte man die furchtbare Epi- demie durch Frömmigkeit und Gebet zu bekämpfen gesucht; im 16. Jahr- hundert wird auch die Mitwirkung der Ärzte bei den Erlassen der weltlichen Behörden erkennbar. Zum ersten Male sind in dem Edikt Wilhelms III. vom 2. September 1577 9 für die Herzogtümer Jülich, Kleve und Berg den kirch- lichen Mitteln sanitäre Vorbeugungs- und Verhaltungsmassregeln beigefügt. Auffallender Weise sind aber trotz des häufigen Vorkommens der Pest in den Herzogtümern und insbesondere in Düsseldorf in den ersten sechs Decennien des 17. Jahrhunderts ausser einem Erlasse vom September 1607 10 keine weiteren die Pest betreffenden Edikte aus dieser Zeit vorhanden. Die nächsten, welche uns erhalten sind, wurden durch das Auftreten der Pest in dem be- nachbarten Köln 11 in den Jahren 1665 und 1666 veranlasst und suchten der drohenden Gefahr der Einschleppung durch zahlreiche zweckdienliche Mass- regeln mit aller Kraft entgegenzuwirken. Der medizinische Einfluss wurde hier wie anderwärts vorherrschend, ja die damals gegebenen Vorschriften waren zum Teil dieselben, wie sie auch heute etwa zur Anwendung kommen würden: Möglichste Isolirung, Verbot der Einfuhr von Kleidern, Bettzeug etc., Vernichtung infektionsverdächtiger Stoffe. Daneben fanden jedoch die kirchlichen Vorbeugungsmassregeln, be- stehend in Gebet, Bussübungen und Prozessionen nach der Rochuskapelle in Pempelfort 12 , durch den der kathl. Kirche in Frömmigkeit zugethanen Herzog Philipp Wilhelm lebhafte Förderung 13 . Doch Alles blieb er- folglos; denn um Pfingsten (10. Mai) u 1666 wurde die Stadt von der — 69* — Pest ergriffen, und diese fand hier zu ihrer Verbreitung einen günstigen Boden vor. Auf eine Bevölkerungsziffer von 7 — 8000 Einwohnern, welche ich an anderer Stelle nachgewiesen habe, mit etwa 640 — 650 Häusern ent- fielen 15 nur 2 Apotheken und 2 Ärzte, neben denen die Stadt Ende August noch einen Stadtarzt le in der Person des Dr. Melm anstellte. Die sonstigen Verhältnisse waren, wie schon oben angedeutet, nicht günstiger Art. Auf Sauberkeit der Strassen und Plätze z. B. wurde wenig Wert gelegt 17 . Wenn trotzdem die Krankheit eine nach diesen Zuständen zu erwartende Verbreitung nicht fand und keine übergrosse Sterblichkeit im Gefolge hatte, so war das wohl den zweckmässigen Anordnungen des Dr. Melm und deren energischer Durchführung zu verdanken. In Folge derselben wurde dieser auch später als Leibarzt in den persönlichen Dienst des Landesherrn berufen 18 , was um so mehr an Bedeutung gewinnt, als er evangelischer Konfession war 19 . Während der Pestzeit erhielt Dr. Melm Wohnung in dem ge- schlossenen und zum Krankenhause umgewandelten Seminar 20 Vermutlich auf seine Veranlassung wurden täglich auf dem Rathause Beratungen ab- gehalten 21 , welchen auch der Regierungs-Kommissar Dr. Kerris beiwohnte. Ausser dem Pesthause wurden noch Baracken im gräulichen [gräflichen] Bongert« 2S in Benutzung genommen 23 ; und zahlreiche sonstige Einrich- tungen zum Schutze der Gesunden und zum Heile der Kranken getroffen 24 . Die zu diesen zählende Verhängung der Häuser, in welchen sich Pestkranke befanden, mit dem Schlosse erscheint zwar als eine grausame, aber doch als eine von den Verhältnissen gebotene Massregel. Endlich äusserte sich ein Nachlassen der Pest in dem Auftreten von heilbaren Fiebern 25 . Dann erlosch die Pestseuche, welche nach neunmonatlicher Dauer allein im Seminar gegenüber 58 Heilungen 112 Todesfälle 26 gefordert hatte, völlig. Die An- zahl der sämtlichen von der Pest hingerafften Personen war mir nicht möglich zu ermitteln, ebesowenig, ob die Aussenstadt in Mitleidenschaft gezogen war. Der Ausbruch der Pest im April 1669 27 erfolgte, nachdem sich die Krankheit bereits im Jahre 1668 in der Umgegend gezeigt hatte 28 Hofrat Dr. Kerris übernahm wieder die Leitung des Sanitätswesens, und alle in den Jahren 1666 und 1667 getroffenen Massnahmen, welche sich bewährt hatten, wurden wieder zur Anwendung gebracht. Nach einigen Sterbefällen 29 Hess die Seuche nach, bis im Juni bei grosser Hitze auf's Neue zahlreiche Er- krankungen an der Pest vorkamen 30 . Dann trat ein entschiedener Um- schwung zum Besseren ein. Am 20. Juli gab es nur nach an 3 Punkten Pestkranke und am 7. August war nicht allein keine neue Erkrankung mehr vorgekommen, sondern auch die meisten inficierten Häuser waren befreit. Der gute Gesundheitszustand hielt an, und am 21. August berichtete die Regierung in einer von fünf Räten unterschriebenen Eingabe an den — 7°* — Herzog das Erlöschen der Pest in der Residenzstadt mit den Worten, dass: |:»Gott seye lob und Dank:| die Contagion seithero in dieser residentz Statt weiter nit verspührt worden« 31 Seit diesem Jahre 1668 ist der Westen Deutschlands von der Pest ver- schont geblieben 32 Anmerkungen. 1) Kgl. St.-A. D'df. Aus dem Geschäftsjournal d. Kanzlers Lüninck v. J. 1490, fol. 130. Auf eine Untersuchung, welche Volkskrankheiten, ob Bubonenpest, Blattern, Influenza, etc. unter den Collectivnamen »Pest« bezw. »pestis« fallen, konnte hier nicht eingegangen werden; in den meisten Fällen dürfte es sich um wirkliche Pest handeln. 2) Beitr. z. Gesch. d. N.-Rh. III S. 116; 3) A. a. O. IV; 4) A. a. O. III 85, 89; 5) Dd. Staats.-Arch.; 6) A. a. O. III 86, 89; 7) A. a. O. 89; 8) A. a. O. II. 101; 9) Dsgl. St- Ar. D'df. Quellw. K. No. 103; 10) A. a. O. N. 174; 11) A. a. O. No. 505, 509, 512, 518; 12) Kgl. St.-Ar. D'df. Mfcrpt. A. 185, 13) A. a. O.; 14) A. a. O.; 15) Nach einer Steuer- liste von 1663 (Kgl. St.-A. Ddf. Jül. Berg Stadt Ddf. No. 19). Die Verhältnisse dürften in 3 Jahren kaum eine wesentliche Änderung erfahren haben. 16) Kgl. St.-A. D'df. Jül. -Berg. III, 2, Städte No. 16 Fase. 272.; 17) 10 Jahre später war es so, um so mehr musste es um diese Zeit der Fall sein, Kgl. St.-A. Ddf. Jül.-Berg Stadt. D'df. No. 274. 18) A. a. O.; 19) Kgl. St.-A. D'df Stadt Düsseid. No. 278; 20) A. a. O. 21) Kgl. St.-A. D'df. Jül.-Berg Stadt D'd. No. 274.; 22) Er lag in Pempelfort, unweit der neuen Rochus- kirche und des israel. Friedhofes; 23) Kgl. St.-A. D'df. Jül.-Berg. Stadt D'df. No. 274; 24) Kgl. St.-A. D'df. Quellw. A. No. 505—518 und Schrift 1797 (Darstell, wie die Stadt D'd. 1666 etc.); 25) Kgl. St.-A. D'd. Jül.-Berg, Stadt D'd No. 274.; 26) Kgl. St.-A. D'd. Mscpt. A. 187.; 27) A. a. O. Stadt D'd. No. 274; 28) A. a. O.; 29) A. a. O.; 30) A. a. O.; 31) A. a. O.; 32) Vergl. Hirsch, hist. geog. Path. S. 353, 54. 3. Der englische Schweiss. In den Jahren i486, 1507 und 15 iS wüthete mit grosser Sterblichkeit in England eine Fieberepidemie, »der englische Schweiss« genannt. Sic blieb jedoch auf dieses Inselland beschränkt und verschonte sogar Schottland. Ein vierter Ausbruch im Mai des Jahres 15 29 nahm grössere Ausdehnung an. Die Seuche übertrug sich im Juli auf die Häfen der Nord- und Ostsee und verbreitete sich in 5 Monaten über ganz Deutschland, die Niederlande, Dänemark, Schweden, Livland, Lithauen, Russland und die nördliche Schweiz, während die südlichen Länder Europas sowie Frankreich und sogar Schottland von ihr verschont blieben. Vgl. Hirsch, Hdb. d. hist. geog. Path. I. 59 ff.) Nach einem im Kgl. Staatsarchiv zu Düsseldorf (Fase. »Chur-Köln, Ver- hältniss zu Jülich-Berg No. 1 «) befindlichen Aktenstücke, dessen Kenntnis ich dem Herrn Archivar Dr. Redlich verdanke, muss man annehmen, dass der englische Schweiss schon im August 1529 im Westen Deutschlands Ver- breitung gefunden hatte. Es ist das Konzept zu dem Schreiben des Erz- bischofs Hermann von Köln an den Herzog Johann III. von Kleve, Jülich und Berg, datiert Samstag nach Egidij. Die beiderseitigen Räte sollen sich Dienstag nach Lamberti (19. Sept.) in die Ämter Altena, Rade, Schwarzenberg und Balve begeben, um am folgenden Tage über die »Gebrechen«, die in — 7 1 * — den genannten Amtern vorlagen, zu konferieren; wegen der ansteckenden Krankheiten, welche in den genannten Ämtern herrschten, schlägt der Erzbischof vor, die Konferenz zu vertagen. Der Passus lautet: »das grusame wesen der sweyssenden sucht im stift van Münster vast hertlich reguiret, auch in etlichen uver liebden und unseren der artt anstoissenden flecken zu reguiren ange- fangen, zudem werden wir glaubwürdiglich bericht, wie die swerliche und snelle kranckheit der pestilentz in unserm stetgen Balve und andern darumb lygenden flecken swintlich reguiere.» War dem Erzbischof in den ersten Tagen des September (Samstag nach Egidij, welcher letztere Tag auf den I. Sept. fällt) die verheerende Wirkung in den westfälischen Ämtern bekannt, so ist anzunehmen, dass der englische Schweiss im Westen Deutschlands schon im August aufgetreten war. Unmittelbar an den Rhein gelangte die Krankheit erst später. Nach Hecker (d. engl. Schw. 107, 224 f.) war Köln um den 6. Sept. von ihr er- griffen, und nach Creighton (Hist. of epid. in Britain, Cambridge 1 871 , 256) herrschte sie um die Mitte des September in Jülich, Köln und Lüttich. In der unmittelbaren Nähe Düsseldorfs, in einem 500 — 600 Fuss von Benrath entfernten Dorfe (Urdenbach?) kam der engl. Schweiss im Jahre 1529 gleichfalls nachweislich vor, also in fast unmittelbarer Nähe Düsseldorfs. Leider fehlt bezüglich dieses Falles das Datum in dem Briefe des Hofarztes Simon Riquinus (s. oben S. 29*) an den Prälaten Hermann, Grafen von Neuenahr (Häser und Grüner, Scriptores de sud. angl. 114). Riqu. berichtet darin über eine sonderbare Heilung eines vom englischen Schweiss befallenen Einwohners des betreffenden Dorfes, der in einen noch heissen Backofen stieg, aus welchem soeben die Brode herausgenommen waren und nach kurzem Aufent- halte in demselben von dem Leiden befreit wurde. Riqu. empfiehlt die Kur indessen nicht zur Nachahmung; er weiss auch nicht, ob diejenigen, welche von dem in jenem Ofen später gebackenen Brode gegessen, angesteckt worden sind. Aus der letzten Bemerkung geht hervor, dass die gewöhnlich nur einen Tag andauernde Krankheit für sehr contagiös gehalten wurde. (Nach Lersch, Gesch. d. Volkss., 214 ff., sagt Fraskator: »In einem Tage endet die Krankheit oder der Kranke.«) Ein fünfter und letzter Ausbruch des englischen Schweisses erfolgte in Shrewsbury am Severn um die Mitte des April 1 5 5 1 . Mit grosser Bösartigkeit verbreitete sich die Seuche wieder über ganz England, überschritt jedoch nicht dessen Grenzen und erlosch im September desselben Jahres (Hirsch, hist. geogr. Path. I 50 ff.). Es sollen damals nach Hecker (d. engl. Schw. 167, 227) Ausländer in England verschont geblieben sein, dagegen auf dem Kontinente weilende Engländer (vor der Krankheit geflohene?) von ihr er- griffen worden sein. — 7 2 * — Was die Uebertragbarkeit dieser Krankheit von einem Individuum auf das andere betrifft, so wird sie von den meisten Autoritäten bestritten. 4. Die rote Ruhr. Das Vorkommen der roten Ruhr in den Herzogtümern Jülich und Berg bezw. am Niederrhein lässt sich zum ersten Male für das Jahr 1669 1 nach- weisen und zwar aus einem vom 6. September 1669 datierten Berichte 2 der Regierung an den Landesherrn Philipp Wilhelm, in welchem es heisst, dass die »abscheuliche Krankheit der roten Ruhr« in- den beiden »Fürstenthumben Gülich und Berg annoch grassiren thuet«. Die Seuche hatte damals stark um sich gegriffen. Ein Edikt 3 vom 10. Oktober desselben Jahres erstrebte daher ihre Bekämpfung, und aus ihm lässt sich auch erkennen, dass bereits ein grosser Teil der Städte, Freiheiten und Dörfer beider »Fürstenthumben« infiziert war. Ein abermaliges Auftreten des erwähnten Übels finden wir im Jahre 1674, denn in einem Aktenstücke 4 vom 7. Septbr. 1674 bitten Bürger- meister, Schöffen und Rat der Stadt Düsseldorf um Rücksendung des in herzogliche Dienste getretenen Stadtarztes Dr. Melm und begründen ihr Ge- such mit der Mitteilung, dass die Dysenteria in der Stadt und Umgegend herrschte. Zum dritten Male tritt die rote Ruhr 1676 auf und damals soll sie von der oberländischen Miliz 6 eingeschleppt worden sein. In dem heissen und trocknen Sommer des letztern Jahres grassierte sie dann mit einer solchen Furchtbarkeit, dass sie sogar die Wirkungen der Pest in den Schatten stellt: 900 Einwohner 7 der eine Bevölkerung von annähernd 8000 Seelen 8 enthaltenden Stadt Düsseldorf sollen damals (1676) von ihr hingerafft worden sein. Über die Zustände dieser Zeit geben uns die Vorschläge Aufschluss, ;l welche der Stadtarzt zur Bekämpfung der Epidemie machte. In denselben geht er unter anderm der Unreinlichkeit, welche auf den Strassen und Plätzen gross gewesen sein muss, und ihren Ursachen, z. B. dem Halten von Schweinen, energisch zu Leibe. Die sanitären Verhältnisse lagen nicht ungünstig. Vier Ärzte prak- tizierten hier. Als fünfter Arzt kam später der herzogliche Leibarzt und Stadtmedikus, welcher sich in Neuburg beim Herzog aufhielt, auf Rekla- mation von Regierung und Stadt hinzu. Daneben gab es noch Heilkunst treibende Barbiere. Es bestanden vier Apotheken, nämlich neben denen »zum Hof« und »in der Klocken uffm Markt« noch je eine in der Altstadt und an der Flingerstrasse. An welchem Tage des Frühjahres 1676 die Krankheit ihren Anfang ge- nommen, ist nicht zu bestimmen; am 20. Juni war sie bereits stark verbreitet. Die Sterblichkeit scheint um die Mitte des Juli, die Ausdehnung der Krank- heit dagegen, wie wir noch sehen werden, erst Ende Juli ihren Höhepunkt — 73* — erreicht zu haben. Der am n. Juli angekommene Stadtarzt Dr. Melm be- richtet am 18. Juli an den Herzog, dass er die Stadt in einem sehr betrübten Zustande gefunden habe, und dass kaum das 5te Haus seuchenfrei gewesen sei. Die Schulen mussten geschlossen werden, und das ganze Regierungs- personal flüchtete nach Bensberg, Mülheim und Ratingen. Zum Leiter der Sanitätspolizei wurde seitens des Landesherrn der Regierungsrat Dr. Kerris bestellt. Die Sterblichkeit wuchs in der ersten Hälfte des Monats; bis zur Mitte gab es 9, 10, 12, ja bis 20 und 22 Todte täglich. Kurz darauf nahm sie zwar etwas ab, so dass von 30 Kranken kaum einer starb, aber nicht so die Krankheit. Im Gegenteil waren zu Ende des Monats Juli keine zehn Häuser ohne Kranke, und wenn auch das Verhältnis der Sterblichkeit zu den Erkrankungen wesentlich sich gebessert hatte, so war doch die Zahl der Sterbefälle im Ganzen noch eine hohe. Bis zum 29. Juli waren ohne die- jenigen bei der Garnison, die ihre Verstorbenen selbst begrub, 655 Sterbe- fälle bekannt geworden. Unter den Hingerafften befanden sich Leute jeden Alters, Standes und Geschlechtes. Besonders gross war die Sterblichkeit bei den Kindern. Bis zum 12. August kamen 51 neue Todesfälle vor, die sich auf die einzelnen Tage ungleich verteilten. Bisweilen gab es 6, 7, 8, auch IO Leichen an einem Tage. Dagegen wurden in den letzten 7 Tagen vor dem 12. August keine neuen Erkrankungen bekannt. Bis zum 15. August forderte die Seuche noch 5, bis zum 19. August weitere 4, bis zum 26. noch 1, bis zum 9. September 2 und bis zum 12. September noch 1 Opfer. Mit der Ab- nahme der Dysenterie ward das Entstehen einer neuen weniger tötlichen hitzigen Fieberkrankheit wahrgenommen, welche ebenfalls einen grossen Um- fang annahm. Da die Pest auch mit Fiebererkrankungen geschlossen hatte, so betrachteten die Ärzte die neue Erscheinung als eine mildere Form der Hauptkrankheit, und als den Anfang des Erlöschens der Seuche. Die Fieber wurden um den 19. August zuerst beobachtet. Bis zum 5. September hatten sie sich aber stark verbreitet, und in einzelnen Häusern waren 6 — 7 Fieber- kranke. Indessen war die Sterblichkeit nicht beträchtlich. Die Städte Köln, Neuss, Duisburg und Kleve litten gleichfalls unter der roten Ruhr, und desshalb war schon vor dem 1 1 . Juli den aus jenen Orten kommenden Reisenden der Zutritt in die Stadt Düsseldorf untersagt worden. In Duisburg wirkte die grosse Sterblichkeit panikartig. Die Professores theoretici und Doctores practici liefen zu Anfang September davon, was übrigens in Düsseldorf Knechte und Mägde zur Zeit der grossen Sterblichkeit ebenfalls thaten. Durch Handel und Verkehr verpflanzte sich die rote Ruhr in die naheliegenden Dörfer. Anfang August war sie in Hamm auf den Steinen, in Flingern und Pempelfort und wütete überall ebenso heftig wie in der Stadt selbst, so dass z. B. auf einem Rotten, der dem Präsidenten — 74* — Hugenpoet gehörte, sämtliche Insassen (Mann, Frau, Magd, Knecht und Kinder) und in der Honschaft Unterbach gleichfalls alle Einwohner starben. Um den 12. August wurden in Ratingen gleich 5 Häuser von der Ruhr- epidemie ergriffen; auch verbreitete sie sich über die umliegenden Ortschaften und Angermund, Mettmann, Misenlohe, Monheim und deren Umgebung waren bald infiziert. Ende August waren ferner die Ruhrerkrankungen in Bensberg sehr zahlreich, so dass das Hoflager der Prinzen nach Düsseldorf, wo mittler- weile die Seuche nachgelassen hatte, verlegt wurde. Auch wurde die in Bensberg untergebrachte Abteilung der Regierung nach Düsseldorf zurück- verlegt. Das Erlöschen der roten Ruhr in Düsseldorf fällt in die zweite Hälfte des September, und allmählich Hessen auch die Fieber nach. Montag, den 12. Oktober, ward von den Kreuzbrüdern für die Befreiung von der Plage eine Dankesprozession veranstaltet. An Opfern hatte die Seuche, wie schon oben erwähnt, mehr als 10 % der Bevölkerung gefordert 10 Ob aber die grosse Zahl der Hingerafften nur auf die innere Stadt entfällt, oder ob die Bevölkerung der zur Stadt ge- hörenden Ortschaften eingerechnet ist, Hess sich nicht ermitteln. Die Be- kämpfung der Ruhrepidemie war sowohl mit kirchlichen als auch mit medi- zinischen Mitteln unternommen worden. Jene bestanden darin, dass die Geistlichkeit die Bevölkerung »zu milden Gedanken disponirte«. Die ärztlichen Vorschriften richteten sich in erster Linie auf die Reinigung und Reinhaltung von Strassen und Plätzen. So wurde z. B. vorgeschlagen »publica loca secreta* aufsustellen (was heute noch nicht in jeder Grosstadt geschehen ist) und die Strassenspülung angeordnet, welche zugleich die Luftabkühlung zum Zwecke hatte. Der Genuss von unbekömmlichem Fleisch, Wein, Bier und Obst wurde bekämpft. Alsdann wurde das Meldewesen zur Erlangung einer Übersicht über die Zu- und Abnahme der Krankheit ins Leben gerufen und durch die Abnahme des Eides den Ärzten und Apothekern ihre Pflicht in Erinnerung gebracht. Auch fand, um eine Zunahme der Ängstlichkeit bei der Bevölkerung zu verhüten, eine Einschränkung des Begräbnisläutens statt; kurzum es kam, vielleicht mit Ausnahme der Wachholderverbrennung behufs Purifizierung der Luft, eine Reihe von zweckmässigen Massnahmen zur An- wendung. Für die Aufnahme von 20 unbemittelten Patienten war ein Haus auf dem neuen Kirchhofe reserviert; dagegen mangelte es Anfangs an Raum zur Unterbringung der Soldaten. Als Medicamente gelangten Brech- und Abführ- mittel, sowie Opiate zur Anwendung. Der Leiter der Sanitätspolizei Dr. Kerris macht in seinen Berichten einen Unterschied zwischen Erkrankungen an Diarrhö und Dysenterie. Von ersterer Krankheit, sagt er, seien Hunderte — 75* — und Tausende ergriffen worden, aber alle seien genesen; an der anderen dagegen, welche Blutabgang mit sich gebracht habe, seien die meisten Patienten gestorben. Es wird sich wohl bei beiden Krankheitsformen um denselben Kranheitserreger gehandelt haben, welcher in wechselnder Menge übertragen wurde, aber bei widerstandsfähigen Individuen nur leichtere Erkrankungen veranlasste. Es wurden aber auch zu gleicher Zeit von der- selben Krankheit viele ergriffen, die nicht etwa unter einem Dache, sondern in verschiedenen Teilen der Stadt von einander getrennt lebten, so dass man versucht ist, an eine Verbreitung der Krankheitskeime durch die Luft zu denken. Interessant ist der Bericht des Bürgermeisters Mattenclodt von Mett- mann. »Am 19. August«, schreibt er, »hat sich vor Mettmann ein Volk Hummeln gezeigt, wie von vielen beobachtet worden ist. Dasselbe hat sich in der Nähe eines Hauses — »die fürt« genannt — in 3 Teile geteilt, wovon ein Teil nach Mettmann, der 2te Teil nach Gruiten und der 3te Teil etwas abwärts gezogen ist, und sogleich ist die Ruhrseuche in 30 Häusern von Mettmann, Grüth und an anderen Stellen ausgebrochen. Die Erkrankten«, berichtet er weiter, » leiden an Leibschmerzen, dass sie fürchterlich schreien, dabei purgiren sie schrecklich«. Wir überlassen es dem Leser, ob er diesen Bericht des ehrsamen Bürgermeisters von Mettmann als bloses »Prodigium« einer abergläubigen Zeit auffassen oder an die Übertragungswege der Krank- heitskeime durch Insekten denken will. Laut vorhandener Verordnungen 11 ist in den Herzogtümern Jülich und Berg die Seuche der roten Ruhr noch wiederholt wahrgenommen worden, nämlich in den Jahren 1686, 1779, 1 78 1 , 1795. Ausserdem herrschte sie nach Lersch (Gesch. d. Volksseuchen) 1690 in Aachen (S. 318), 1702 in Kleve (S. 332), 1757 — 59 in den Rheingegenden, hauptsächlich da, wo Truppen durchmarschierten (S. 361), 1789 in den Rheingegenden (S. 376). Ob Düsseldorf in diesen Jahren ebenfalls heimgesucht worden ist, lässt sich bei dem Mangel von auf uns gekommenen Nachrichten nicht feststellen. Sicher ist Düsseldorf nicht immer verschont geblieben, hat doch auch nach- weislich noch in diesem Jahrhundert (1811 — 13) die Ruhr in unserer Stadt geherrscht. Das Jahr 1686 muss indessen ausgenommen werden, da die sonst zuverlässige Franziskaner-Chronik 12 , welche die Zeit von 1650 bis Ende 1693 umfasst, auf eine Ruhrseuche sich beziehende Mitteilungen aus dem genannten Jahre nicht enthält. In den zitierten Verordnungen gelangt die stetige Fortentwicklung der Arzneiwissenschaft deutlich zum Ausdruck. Die dritte derselben von 1781 erwähnt bereits Desinfektionsmittel, welche 1676 noch unbekannt waren. — 76* — Anmerkungen. 1) Hirsch teilt in seinem Handb. der hist. geogr. Path. III 217 f. das Vorkommen der roten Ruhr in 4 Arten ein und legt bei der dritten — epidem. Verbreitung über grössere Landstriche, mehrere Jahre hinter einander auftretend, ohne sich auf benach- barte Gebiete auszudehnen — ihr frühestes Vorkommen im 17. Jahrh. in den Rheinlanden fälschlich in die Jahre 1676 — 78. Durch obige Beweisführung mag der Irrtum berichtigt sein. Auch bei Lersch (a. a. O. S. 316—320) finden sich folgende frühere Ruhrdaten: Linz a. Rh. 1666/1667, Aachen 1669, Duisburg 1672, 1673, Hülchrath 1675-1677, Neun- kirchen 1675-1677. 2) Kgl. St.-A. üdf. Jül.-Berg Stadt Ddf. No. 274. 3) Ebenda Quell- werk No. 551. 4) Ebenda Jül.-Berg Stadt Ddf. No. 272. 5) Hirsch, hist. geog. Path. III 218. 6) Kgl. St.-A Ddf. Jül.-Berg Stadt Ddt. No. 274. 7) A. a. O. Mscr.-A. No. 187. 8) Einwohnerzahl ist vom Verf. an and. Stelle^nachgewiesen worden. 9. Kgl. St. -Ar. Ddf, Jül.-Berg Stadt Ddf. No. 274. Diesem Fascikel sind die gesamten folgenden Ausführungen entnommen. 10) Kgl. St.-A. Ddf. Mscr.-No. 185. 11) A. a. O. Quellwerk A. No. 731, 1186, 1189, 1447. 12) A. a. O. Mscr. No. 185. Georg Bloos. VI. Oeffentliche Gesundheitspflege. Ein wirksames staatliches Eingreifen zur Beseitigung sanitärer Misstände war den letzten Jahrhunderten vorbehalten. Die Grundlage bildete die staatliche Organisation des Medizinalwesens, wie sie sich in den sogenannten Medizinal- ordnungen dokumentiert. Erst durch diese war allen weiteren sanitären Massregeln die Gewähr einer zweckdienlichen Ausführung gegeben: als solche wären vornehmlich zu betrachten die Massnahmen zur Abwehr der Seuchen, die Regelung des Verkehrs mit Nahrungs- und Genussmitteln, die hygienischen Einrichtungen auf dem Gebiete des Begräbniswesens, der Schule und der Reinliqhkeit der Städte. Im Folgenden sollen die behördlichen Massnahmen auf allen diesen Gebieten kurz besprochen werden, soweit sie sich in unsern niederrheinischen Landen haben nachweisen lassen bis zu dem endgültigen Übergang unter preussische Verwaltung im Jahre 1815. Die Grundlage für unsere Darstellung bildet, soweit nicht ausdrücklich anders angegeben, die Scotti'sche »Sammlung der Gesetze und Verordnungen, welche in den ehemaligen Herzogtümern Jülich, Kleve und Berg . . ergangen sind'. Medizinalordnungen. Für alle derartigen behördlichen Regelungen des Medizinalwesens diente als Anregung und Vorbild das brandenburgische, bezw. preussische Medizinal- edikt, erlassen im Jahre 1694 und erweitert 1725. Wie im übrigen Europa, so fand auch am Niederrhein dieses Beispiel bald Nachfolge in der Jülich- und Bergischen Medizinalordnung vom Jahre 1708. Sie empfiehlt den Ärzten ein kollegiales Verhalten unter einander be 1 Konsultationen und Vertretungen. Alle Ärzte sollen alljährlich die Apotheken fleissig visitieren. Ärzte und Apotheker sollen sich gegenseitig achten. letztere — 77* — sollen keine »Arznei von Consequenz ohne eines medici schriftliches Recept« abgeben. Wenn in zweifelhaften Krankheiten eine dritte Person ein gewisses Mittel anbietet, so darf dieses nur »mit Approbation . und Consens eines medici- gebraucht werden. Neue Medizinalpersonen sollen sich dem Collegio medico anmelden. »Alle Barbiere wie auch Hebammen sollen vor der Admittirung zu ihrer Possession unterrichtet und examiniert werden, und damit alle Missbräuche desto nachdrücklicher abgeschafft werden, soll das Collegium medicum von Zeit zu Zeit, so oft es nöthig, zusammen kommen, alle Missbräuche und Uebertretungen dieser Verordnung sowohl in hiesiger Residenzstadt, als an- deren Städten und Orteren auf dem Lande sich referiren lassen, untersuchen, den Contravenienten eine proportionirte Strafe dictiren und solche, welche ad pias causas und zwar zu Behuf des Spitals, verwendet werden soll, gehörigen Orts liefern lassen.« Einzelne Bestimmungen dieser Medizinalordnung werden in den späteren Jahren mehrmals erneuert und ergänzt. So wird 17 14 verordnet, dass die noch nicht geprüften Chirurgen sich zu diesem Behuf unverzüglich beim Consilio medico zu Düsseldorf stellen sollen. 1738 werden wegen der gegen das Verbot von 1722 eingeschlichenen unapprobierten Medizinalpersonen, Markt- schreier u. s. w., die Beamten angewiesen , sich von sämtlichen Ärzten, Wundärzten, Apothekern und Hebammen die Approbationsscheine des Düssel- dorfer Medizinalrats vorzeigen zu lassen und in deren Ermangelung ihnen die Ausübung ihrer Kunst nicht zu gestatten, auch sollen keine Marktschreier geduldet werden. Die gegen die nicht approbierten Medizinalpersonen erlassene Bestimmung wird 1745 und 1748 wiederholt. Die bisherigen Verordnungen scheinen nicht genügend gewirkt zu haben. Wenigstens erliess Karl Theodor, auf Veranlassung des oben (S. 50* f) in seinen Bestrebungen auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege geschilderten Medizinalratdirektors Brinkman, 1773 eine neue, viel ausführlichere Medizinal- ordnung, in deren Einleitung es heisst: »Da trotz aller bisheriger Verordnungen in der Medizin, Chirurgie und Pharmazie allerhand schädliche Missbräuche annoch beybleiben und sich aller- lei Leute finden, die zum Verderben und Nachtheil unserer Unterthanen sich des innerlichen und äusseren Kurirens anmassen, und dadurch viele Menschen um ihre Gesundheit und Wohlfahrt, ja gar um's Leben bringen, so soll das Consilium medicum auf folgende Medizinalordnung und Instruktion festhalten.« Von den 41 Paragraphen, die sich mit der Ausbildung, Prüfung, An- stellung und den Pflichten der Ärzte, Wundärzte, Apotheker und Hebammen beschäftigen, gebe ich folgende Auszüge: — 78* — »Da die Bevölkerung und das immer steigende Wachsthum derselben der fürnehmste Grundsatz der Staatswissenschaft ist, so ist nichts nötiger, als eine genaue Aufsicht über das ganze Medizinalwesen, sowohl insgemein, als wohl hauptsächlich über die Ärzte, deren begangene Fehler gemeiniglich den Augen des Publikums entgehen und durch die Erde bedecket werden. « Es soll kein Medicus weder in der Residenz noch sonst in den Herzogtümern bei Strafe von 50 Rthl. die Arzneikunst ausüben, er habe denn um Erlaubnis angehalten, sich beim Consilio medico gemeldet, sei geprüft und approbiert. Vorbedingung hierzu ist ein mehrjähriges Studium in den theoretischen und praktischen Teilen der Arzneiwissenschaft auf einer Universität und die Doktor- würde. Auch die Wundärzte und Hebammen müssen vom Consilio medico geprüft und approbiert werden. Diesen sowohl wie den Ärzten, wird die Approbation zunächst nur auf 6 Jahre verliehen; nach Ablauf derselben müssen sie sich beim Consilio medico zu einer neuen Prüfung melden und werden dann, je nach Ausfall derselben, auf beständig oder auf eine Anzahl Jahre approbiert. Alle Physici und Medici sollen jährlich an's Consil. med. über die geherrscht habenden, besonders die endemischen Krankheiten, berichten, eine Liste der in ihrem Kreise wohnenden Arzte, Wundärzte, Apotheker und Hebammen einsenden und den Ausbruch sofort berichten. Bei plötzlichen Todesfällen (wo Scheintod vermutet werden kann) soll alle Vorsicht angewendet werden, sowohl in der Untersuchung, ob die Unglück- lichen wirklich tot sind, als in der Anwendung der zu gebrauchenden Mittel. Jeder solcher Fall ist in den jährlichen Berichten zu beschreiben. Die medicinae doctores sollen sich auf das innere Kurieren beschränken und sich der chirurgischen Kuren enthalten, umgekehrt die Wundärzte; letztere dürfen ohne den Rat eines Medikus keine Merkurialkur unternehmen. Beide sollen keine offizinellen Medikamente dispensieren. Sie sollen einem Kranken nicht ihre Hülfe versagen , aber auch keine unnötigen Kosten ver- ursachen, daher in gefährlichen Krankheiten täglich nicht mehr als 2, an kritischen Tagen 3 Visiten anrechnen; bei einem »zweifelhaften und sehr verwirrten Casus« nicht eine Consultation mit einem anderen Arzte verweigern; wenn zwei Ärzte bei solcher Zusammenkunft sich zanken, sollen sie bestraft werden, und zwar der angefangen hat, mit 10 Rthl., der andere mit 5 Rthl. Die Ärzte sollen mit einander kollegial verkehren, in Bezug auf heimliche Mängel ihrer Kranken verschwiegen sein, mit den Apothekern kein heimliches Verständnis haben , von ihnen keine Geschenke annehmen und durch sie keine teuren Geheimmittel verkaufen lassen , Fehler der Apotheker dem Consil. med. anzeigen, die Visitationen der Apotheken jährlich und zwar streng, sorgfältig und unvermutet vornehmen. 79* - Die Apotheker, denen es schon vor Erlass dieser Ordnung im Jahre 1762 bei Verlust ihrer Privilegien verboten wurde, die Rezepte durch noch nicht geprüfte Lehrlinge anfertigen zu lassen, sollen keine schlechten, verfälschten oder veralteten Arzneien führen. Wenn der Apotheker eine vom Arzt verschriebene Arznei nicht hat, so soll er ihm dies sofort anzeigen und nicht statt deren eine andere nehmen. Den Apothekern ist das innere Kurieren bei 20 Rthl. Strafe verboten. Sie dürfen nur solche Rezepte anfertigen, welche von bekannten und approbierten Ärzten unterschrieben sind. Apotheker, Provisor, Gesellen und Lehrburschen sollen Verschwiegenheit beobachten. Das Verzapfen von Liqueur und Aquavit wird bei 10 Rthl. Strafe verboten. (Diese Verordnung sieht sich im Jahre 18 14 der Generalgouverncur zu erneuern veranlasst, mit der Verschärfung, dass die Strafe beim zweiten Male 20 Rthl. beträgt und bei abermaliger Wiederholung die Schliessung der Apotheke erfolgt.) Gefässe mit Bleizusatz sollen nicht gebraucht werden, Gifte und andere gefährliche Medikamente in einem besonderen verschlossenen Kästchen aufbewahrt werden, woraus nur der Apotheker oder Provisor etwas nehmen darf. Auch sollen hierfür besondere Wagschalen, Mörser, Siebe und Reibsteine gehalten werden. Solche Materialien dürfen nie ohne Schein eines Arztes abgegeben werden. »Da es sich nicht selten zuträgt, dass Hebammen, Kinderwärterinnen, Säugammen und wohl selbst lieblose und gar zu gemächliche Mütter, wenn die Kinder etwas weinen, selbigen gleich ein schlafmachendes Mittel aus der Apotheke holen, so ver- bieten wir jedem Apotheker bei 10 Rthl. Strafe dergleichen Opiatmittel, auch nicht einmal die gelinderen, als den Mohnsyrup, an oben gedachte Personen ohne Vorschrift eines Arztes ausfolgen zu lassen.« Ergänzt werden diese Bestimmungen im Jahre 1791 durch die Ver- ordnung, dass Gifte und sogenanntes Rattenkraut von den Materialisten und Apothekern nur an solche Personen verkauft werden dürfen, welche über dessen gefahrlose Anwendung ein obrigkeitliches Zeugnis beibringen. Den Hebammen verbietet die Medizinalordnung die Abgabe innerlicher Arzneien und empfiehlt ihnen ein ehrbares und nüchternes Leben; wird eine Hebamme, die zu einer Kreissenden gerufen wird, trunken befunden, so be- kommt sie 20 Reichsthaler Strafe. Wenn Schwangere von ihr abortiva ver- langen, so darf sie diese nicht geben, muss aber auch die verdächtige Person anzeigen. Einen Todesfall von Mutter oder Kind oder von beiden soll sie anzeigen, und wegen Scheintod niemals eine Kreissende oder ein neu geborenes Kind für tot erklären. Gemäss einer Verfügung vom Jahre 1784 sollen die Gemeinden zur Aufmunterung der zur Erlernung der Hebammenkunst sich eignenden Per- — 80* — sonen den anzustellenden Hebammen ein kleines Gehalt von 13 — 15 Reichs- thalern bewilligen, wogegen diese den armen Kreissenden Hülfe bieten müssen. Die Medizinalordnung schliesst mit zwei Paragraphen, die gegen die Kurpfuscher gerichtet sind. Mehrere Verordnungen deuten darauf hin, dass deren Unwesen und der Vertrieb von Geheim- und Arzneimitteln ausser- halb der Apotheken die öffentliche Gesundheit geschädigt hat. Es lässt sich dies verstehen für eine Zeit, wo Ä'zte und Apotheken schwer zu erreichen waren und die Bewohner namentlich des platten Landes alle möglichen Bedürf- nisse des Lebens und Haushaltes meist auf Jahrmärkten und von Hausierern einkauften. Schon in der Jülich- und Bergischen Polizeiordnung von 1554 heisst es: »Dieweil auch etliche fremde Unbekannte allerlei Salben, Gekreuter, Triäckel, Rattenkraut und andere betreugliche Waaren hin und wieder den armen ein- fältigen Unterthanen mit geschmückten Redensarten verkaufen, dadurch die- selben zu mehrmalen in gefährliche Leibesschwachheit fallen, auch zuzeiten damit vergeben (vergiftet) werden, soll man dieselben »hinfüro nicht zulassen noch gestatten« u. s. w. Die erwähnten Paragraphen der Medizinalordnung von 1773 lauten: Den auf Jahrmärkten herumziehenden Bruchschneidern, Zahnärzten, Wurzelkrämern ist nicht erlaubt, in unseren Städten und Ort- schaften öffentlich auszustehen. Allen Studiosis medicinae, Geistlichen, Chymisten, Laboranten, Scharfrichtern, Pferdeärzten ist alles innerliche und äusserliche Kurieren an Menschen verboten ; den auf dem Lande herumziehenden Thüringer Wasser- und Olitätenkrämern sollen ihre Medicamente abgenommen werden. Zu den hausierenden Juden, Marktschreiern, Tierbändigern u. s. w., die nach einer Verfügung von 1781 ferner im Lande nicht geduldet werden sollen, werden auch die Arzneimittel verkaufenden Charlatans gezählt. Im Jahre 1802 wird gefordert, dass die gegen die Quacksalber und sogenannten Olitäten- und Theriakkrämern festgesetzten Strafen strenge gehandhabt werden. In einigen anderen Verfügungen aus den Jahren 1784, 1803, 1805, 1808 wird nicht nur das Verbot der Kurpfuscherei wiederholt, sondern auch ver- langt, dass die einzelnen Medizinalpersonen ihre Befugnisse nicht überschreiten, dass z. B. die in der Hebammenkunst nicht geprüften Ärzte und Chirurgen keine Operation bei Kreissenden vornehmen, dass ohne Zuziehung eines Arztes kein Wundarzt eine schwere chirurgische Operation ausführe und kein Geburtshelfer Instrumente gebrauche. Den Zwecken der öffentlichen Gesundheitspflege muss auch der im Jahre 1780 ernannte Polizeikommissar dienen, der u. a. verpflichtet wird, das Auftreten ansteckender Krankheiten unter Menschen und Vieh dem Geheimen Rate anzuzeigen. Er soll auch auf die Sinnlosen Obacht geben, die — 8i* — diesen Leuten gewidmeten Häuser von Zeit zu Zeit visitieren und wahrnehmen, ob dieselben menschlich behandelt werden; ingleichen bei den Alexianern und Sebastianitern zu Neuss sich gelegentlich erkundigen, ob die dorthin gesetzten Leute nach Vorschrift be- und nicht mishandelt werden. Der im Jahre 1809 geforderte monatliche Polizeibericht soll u. a. enthalten: Gesundheitszustand, ungewöhnliches Sterben, epidemische Krankheiten und Seuchen unter Mensch und Vieh; Veränderungen bei den Medizinalpersonen und Quacksalbern, Nach- lässigkeit der ärztlichen Personen. Der Uebergang unter französische Herrschaft brachte für die Jülich- Bergischen Länder auch eine Veränderung in der Mcdizinalverfassung mit sich. Sie wird durch eine Verfügung vom Jahre 1809 in folgender Weise geordnet: Die Provinzial-Medizinalräte sind aufgehoben. Die Medizinalpolizei wird unter Autsicht des Ministeriums des Innern in den Departements von den Präfekten ausgeübt. Die Präfekten erteilen die Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde und verpflichten in herkömmlicher Weise die damit versehenen Personen. Die Erlaubnis wird erteilt, wenn ein Zeugnis der Fähigkeit bei- gebracht und die Anstellung an dem Orte nötig oder nützlich befunden wird. Niemand darf ohne solche Erlaubnis sich als Arzt, Wundarzt, Apotheker, Geburtshelfer oder Hebamme gebrauchen lassen. Wer solche Erlaubnis hat, darf sich nur an den in der Erlaubnis genannten Orten niederlassen, indes wenn er anderwärts berufen wird, auch dort seine Wissenschaft oder Kunst ausüben. Der Präfekt kann den ärztlichen Personen seines Departements wegen begangener Vergehen oder grober Fehler die fernere Ausübung auf unbe- stimmte Zeit oder immer untersagen, oder sie nach Ermessen der Medizinal- beamten anweisen, sich einer neuen Prüfung zu unterwerfen. Dienstvergehen der Physiker oder höheren Medizinalbeamten wird der Präfekt dem Minister anzeigen. Der Medizinalrat von Düsseldorf wird als solcher für das ganze Gross- herzogtum Berg bestellt. Er prüft und erteilt Zeugnisse und wird darauf achten, dass die angestellten ärztlichen Personen in ihrer wissenschaftlicheu Bildung nicht zurückbleiben. Er kann die verdächtigen zu einer neuen Prüfung laden und bei dem Präfekten auf beschränkte oder unbeschränkte Einziehung der Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde antragen. In jedem Departement wird ein Departementsphysiker angeordnet; er dient dem Präfekten als Rat bei allen auf Heilkunde und Gesundheitspflege sich beziehenden Gegenständen; er berichtet an den Medizinalrat über alle merkwürdigen Vorfälle, prüft die Hebammen und erteilt ihnen das Zeugnis. Für jedes Arrondissement wird ein Arrondissementsphysiker angeordnet. Schon mehr an den Geschäftsbereich der heutigen Kreisphysiker erinnert 82* — die von dem nach Beendigung der französischen Herrschaft vorläufig ernannten Generalgouverneur 1814 erlassene Instruktion für die Kantonsphysiker: Die besondere Aufsicht über das Medizinalwesen in jedem Kanton soll von dem dazu angestellten Kantonsphysiker geführt werden. Bei Antritt seiner Stelle soll er eine Darstellung aller Verhältnisse, welche mit dem ge- sundheitlichen Wohl der Einwohner in Beziehung stehen, dem Medizinalkollegium einschicken. Diese medizinische Topographie soll enthalten: physisch-geogra- phische Bestimmung, statistische Rücksichten, Beschreibung der körperlichen Beschaffenheit der Einwohner, in wie weit sie in der Kultur vorgeschritten und welche dem Gesundheitswohl nachteiligen Vorurteile unter ihnen gewesen sind; die Einflüsse des Klimas, der Nahrungsmittel (ob mehr Fleisch- oder Pflanzenkost), der gewöhnlichen Getränke, Wohnung in Stadt und Land, Ge- werbe, Lebens- und Bekleidungsart; Viehzustand; genaue Angaben der statio- nären und epidemischen Krankheiten; Menschenpocken, ob Schutzpocken- impfung; Zahl der Wahnsinnigen, Blinden, Fallsüchtigen, Gebrechlichen, Tauben; der Medizinalanstalten, Krankenhäuser, Bäder, Rettungsanstalten; Untersuchung und Einrichtung der Schulen, Arbeitshäuser, Gefängnisse und Begräbnisplätze; Zustand der Apotheken; Pfuscher. Der Physikus hat die Aufsicht über das gesamte Medizinalpersonal in seinem Bezirk; er muss die Apotheken visitieren; bei einer Epidemie soll er an den Ort gehen, wo die Krankheit sich zeigt, untersuchen und berichten, auch von den Viehseuchen Bericht erstatten; er soll sich in Bezug auf Gegenstände des öffentlichen Gesundheitswohls mit dem Polizeivogt, mit einem von der Gouvernements-Polizeidirektion ausersehenen Wundarzt, Schullehrer und Pfarrer des Kantons, welche eine Sanitätskommission bilden, benehmen, in Gemeinschaft mit ihnen an der medizinischen Aufklärung des Volkes und an der Ausrottung schädlicher Vorurteile arbeiten. Diese Sanitätskommission wird monatlich eine ordentliche Sitzung halten und an das Medizinalkollegium berichten. Abwehr der Seuchen. Während die Medizinalordnungen im allgemeinen die Verbreitung der Seuchen und ansteckenden Krankheiten in's Auge fassen, finden sich schon früher, im Falle der Not erlassen, also ohne bleibende Wirkung, besondere Verordnungen gegen die Ausbreitung und Verschleppung der Pest, roten Ruhr, Hundswut und Menschenpocken. Die Geschichte dieser Seuchen ist zum Teil an anderer Stelle behandelt; ich führe hier nur die in Bezug auf die öffentliche Gesundheitspflege aufgefundenen Bestimmungen an. Da die Seuchen in früheren Jahrhunderten als Gottesgericht galten, so wurden in erster Linie allgemeine Landesgebete und Bussübungen angeordnet, so in den Jahren 1496, 151g, 1525, 1543, 1586, 1587, 1588, ausserdem aber Absperrmassregeln durch Beschränkung des Verkehrs. — 83* - Gegen die Pest wird im Jahre 1577 folgendes bestimmt: Ein jeder soll vor sein Haus, da die gefährliche Krankheit gewesen oder noch ist, ein Bünd- lein Stroh aufstechen. Diejenigen, so solche Krankheit haben, und die ihrer warten, sollen sich nicht zu Kirchen, Strassen, unter die Gemeine und Ge- sellschaft begeben, sondern in den Häusern bleiben oder gehen, wo es einsam ist, die Wohnung verschlossen halten; innerhalb 3 — 4 Monate keine Kleider, Betten, Speck, Wolle oder andere Güter daraus tragen, auch nicht an Orte, wo die Pest ist, reisen. Im Jahre 1665 wird gegen die Verbreitung der im Jülich'schen herr- schenden Pestseuche verordnet: Essollen keine Reisenden ohne Bescheinigung, dass sie von pestfreien Orten kommen, in den Städten, Flecken und Dörfern aufgenommen, auch die Kleider von verstorbenen Pestkranken verbrannt und kein Handel damit getrieben werden. Im folgenden Jahre werden diese Verordnungen erneuert, besonders, weil mit der infizierten Stadt Köln unge- schont verkehrt wird. Auch im Jahre 1666 wird bei der Konvokation zu einem Landtag nach Mülheim den Landständen befohlen, sich mit ihrem möglichst zu beschränkendem Gefolge 14 Tage vor dem Landtage in pest- freien Orten aufzuhalten. Weitere Vorschriften über Pass und Quarantaine bringt das folgende Jahrhundert, besonders wegen der im Osten herrschenden Pestilenz. 17 10 und 17 12 wird den Handwerkern, Fuhrleuten und Reisenden aufgegeben, einen Schein beizubringen, dass sie von keinem infizierten Orte herkommen. 17 13 wird verordnet: Niemand soll ohne Gesundheitsschein das Land betreten oder passieren. Alte Sachen, Kleider, Pelze, Häute und Haare dürfen nicht ohne Schein ein- und durchgeführt werden. Die eigenen Unterthanen sollen, wenn sie ausser Land reisen, einen Gesundheitsschein mitnehmen und ihn überall, wo sie sich aufhalten, unterschreiben lassen. Solche und andere Zeugnisse und Pässe sollen aber keinen herumziehenden Juden, Zigeunern, Kessel- beutheren, Wahlfahrteren, Eremiten und anderen verdächtigen Landstreichern gegeben werden. Ein Landoffizier soll patroulliren und solche Leute fest- nehmen. Die Wohnungen sollen visitiert und die Einwohner examiniert werden, was sie für Gäste halten. Fremdes Gesindel soll fortgeschafft werden. Ähnlich lautet eine Verfügung von 1738: Betteljuden sollen abgewiesen und wenn man sie antrifft, eingesperrt werden. Waren aus Ungarn und Siebenbürgen, die von dort kommenden Werber, Pferdehändler, abgedankten oder entlaufenen Soldaten sollen nicht eingelassen werden. Von dort zurück- kehrende Unterthanen und Leute von Distinktion müssen an einem unver- dächtigen Ort 6 Wochen Quarantaine halten. Gift fangende Waren, als alte Kleider, Federn, Bettgeräte, Leinen, Garn, Hare, Pelze, Flachs, Wolle sollen zurückgehalten oder gar verbrannt werden. Fast dieselben Vorsichts- 15* — 84* — massregeln wurden 1770 wegen der in Polen herrschenden Pest vorge- schrieben. Auch gegen die Verbreitung der roten Ruhr werden in den Jahren 1669 und 1686 dieselben Beschränkungen des Verkehrs angeordnet; infizierte Orte sollen gemieden weiden, Reisende einen Gesundheitsschein beibringen. Aus dem Jahre 1781 stammen zwei Verfügungen des Consilium medicum; die eine wendet sich gegen den gefährlichen Brauch, dass die Brodherren ihre von der Seuche befallenen Dienstboten entlassen und in ihre Heimat schicken. Es wird dies streng verboten und sollen die Herrschaften angehalten werden, in ihrem eigenen oder einem anderen Hause am Ort ihren erkrankten Dienst- boten ein besonderes Zimmer mit nötiger Bettung und Wartung zu ver- schaffen; die andere bestimmt, dass die Faeces auf dem Lande in Gruben eingescharrt, in Städten in einem besondern verdeckten Gefäss weggebracht und mit Sand und Alaun bedeckt werden; ferner werden die Leichenessen verboten. 1795 und 18 14 wurden die früheren Massregeln auf's neue empfohlen. Gegen die Hundswuth findet sich nur eine Verordnung aus dem Jahre 18 14; sie ist im Sommer erlassen, weil wegen der grossen Hitze der Aus- bruch der Hundswuth befürchtet wird. Den Hunden sollen in den Städten Zeichen angehängt werden ; welche ohne diese herumlaufen, sollen tot- geschlagen werden. Auf dem Lande sind die Hunde bei grosser Hitze und Kälte anzulegen. Die alten Hunde sollen aus der Welt geschafft werden, da sie hauptsächlich dem Tollwerden unterworfen sind. Die Hunde sollen rein- liche Kost und frische Getränke erhalten. Es ist streng verboten, Mittel gegen die Wuth für die von Hunden gebissenen Personen zu verkaufen. Wo ein verdächtiger Hund sich zeigt, soll er getötet oder eingesperrt werden. Das Schutzmittel gegen die Blattern, welches Jenner im Jahre 1796 durch die Kuhpockenimpfung gefunden hatte, fand am Niederrhein sehr bald warme Empfehlung und Verbreitung. Dies beweisen folgende Erlasse, der erste aus dem Jahre 1804: »Wir haben die rühmlichen Bemühungen mehrerer Ärzte, die Impfung der Kuhpocken oder Schutzblattern im Herzogtum Berg zu verbreiten und das Erbieten einiger derselben zur unentgeltlichen Impfung mit Wohlgefallen wahrgenommen. Im Ganzen scheint diese für die Menschheit so wohlthätige Erfindung jedoch den allgemeinen Eingang noch nicht gefunden zu haben, den ihr jeder Freund des Vaterlandes wünschen muss. Indem wir es nun als eine unserer ersten Regierungspffichten ansehen, die Aufnahme derselben mehr und mehr zu befördern und dadurch endlich die Staaten ent- völkernde Pest der natürlichen Blattern gänzlich auszurotten«, so befehlen wir: den Medizinalräten, Physikern und Ärzten, die Vorzüglichkeit der Schutz- blattern den Einwohnern bei jeder Gelegenheit begreiflich zu machen; den Pfarrern, dass sie in ihren Kanzelvorträgen und bei sonstigen passenden Ge- — 85* — legenheiten dieses Geschenk der Vorsehung ihren Pfarrgenossen mit Nachdruck und Wärme ans Herz legen und ihre etwaigen Vorurteile dagegen aus dem Wege zu räumen sich bestreben; sämtlichen Beamten, dass sie ihr Zutrauen und Ansehen unter den Einwohnern zur weiteren Verbreitung der Schutz- blattern benutzen sollen. Über den Erfolg soll durch Anzeige der Zahl der in jedem Amt Geimpften halbjährlich berichtet werden. Im Jahre 1809 Hess das Ministeiium des Innern, da die Entdeckung der Schutzblattern noch nicht so verbreitet und anerkannt war, wie sie es verdiente, durch das Medizinalkollegium eine Instruktion in 17 Artikeln ent- werfen, die an alle Pfarrer, Ärzte, Wundärzte, Hebammen und Schullehrer verteilt wurde und folgenden Inhalt hatte: Die Leitung des Impfgeschäfts liegt den Arrondissementsärzten ob. Allen Personen, welche nicht dazu berechtigt sind, wird das Impfen untersagt. Zu diesem wichtigen und menschenfreundlichen Geschäft sind zwar vorzugsweise Ärzte, Wundärzte und Hebammen berufen; man darf es aber von der Humanität und dem Patriotis- mus der Geistlichen und Schullehrer erwarten, dass auch sie in Gegenden, wo jene Personen mangeln, sich demselben gerne unterziehen. Sie erhalten Unterricht und Autorisation zur Ausübung der Vaccination von ihrem Arron- dissementsarzt. Die Verteilung des echten Impfstoffs soll den Departements- physikern anvertraut werden. Sobald sich an einem Impfling irgend eine andere Krankheit zeigt, so muss, wenn die Impfung nicht durch einen Arzt geschehen ist, sogleich ein legaler Arzt dazu berufen werden. Den früher genannten zur Impfung autorisierten Personen ist die Behandlung der Krankheit untersagt. Der Impfarzt kann von bemittelten Personen nicht mehr wie 2 Rthlr. als höchste Taxe für die Impfung fordern, Personen von mittel- mässigem Vermögen zahlen 40 Stüber, geringe 15, notorisch Arme nichts. Die Bestimmung gilt aber nur für die Impfärzte, nicht aber für die Geist- lichen und Lehrer. Der Impfende muss jeden Impfling vom 3. — 7. Tag jeden zweiten Tag, vom 7. Tage an täglich sehen, um sich zu überzeugen, ob die Impfung gut angeschlagen sei. Weniger um die mit der Impfung sich befassenden Personen zu belohnen, als ihnen zu zeigen, welchen Wert das Gouvernement auf ihren Eifer für eine gute Sache legt, wird für jedes Arron- dissement der Preis einer Medaille von 100 fr. oder deren Wert so aus- gesetzt, dass jeder der dazu berufenen Personen derselben teilhaft werden kann, der in seinem Arrondissement die grösste Zahl der Geimpften nachweist, aber mindestens 100. Jeder Impfarzt soll vierteljährlich eine Liste über die Impflinge und den Erfolg der Impfung einreichen, hiernach wird die Preis- medaille verteilt. Jeder Pfarrer soll bei Verkündigung dieser Verordnung und sodann immer nach Verlauf eines halben Jahres seiner Gemeinde die Wichtigkeit der Impfung u. s. w. in einem öffentlichen Kanzelvortrag statt — 86* — der gewöhnlichen Predigt zweckmässig und mit Wärme an's Herz legen. Auch die Lehrer sollen die Schüler und ihre Eltern belehren. Die Impflinge sollen ein Attest erhalten. Jedem Handwerksmeister ist es verboten, einen Lehrling anzunehmen, der nicht schon die Blattern gehabt oder ein Attest über die erfolgreiche Impfung vorweist. Ferner sollen die Soldaten und Conscribierten geimpft werden. Ohne Attest soll Keiner in einem öffentlichen Institut, Hospital, Waisenhaus, Arbeits- und Erziehungsanstalt aufgenommen werden. Wo sich die natürlichen Blattern zeigen, soll dies bei Strafe von 10 Thl. einem legalen Arzt angezeigt werden. Alsdann wird die Polizei die nötigen Anordnungen treffen und den Ausbruch der Pockenkrankheit zu Jedermanns Warnung öffentlich bekannt machen. Stirbt Jemand an den natürlichen Blattern, so muss die Leiche am folgenden Tage ohne Begleitung beerdigt werden. Im Jahre 1810 wurden genauere Vorschriften zur Ausführung der letzteren Bestimmungen erlassen. Die Maires an der Grenze sollen sich vom Ausbruch einer Blatternseuche im Auslande Kunde zu verschaffen suchen. Der Ausbruch der Blattern in einem Hause muss angezeigt und dann ein approbierter Arzt zur Konstatierung hingeschickt werden. Dann wird durch eine Warnungs- tafel: >Hier liegen Pockenkranke« das Haus in Sperre gelegt. Zum Betreten des Hauses erhalten Erwachsene einen Erlaubnisschein, wenn sie nachweisen können, dass sie der Gefahr der Blatternansteckung nicht mehr ausgesetzt sind. Zur Vermeidung der Ansteckung wird ein Regulativ entworfen : Der Kranke und seine Pfleger sollen isoliert werden; ist die Gefahr vorüber und der Kranke geheilt, so wird die Sperre aufgehoben. Stirbt ein Pockenkranker, so muss die Leiche von dem, der. ihn während der Krankheit bedient hat, ausgekleidet und gereinigt, und mit Tagesanbruch ohne jede Begleitung begraben werden. Die Instruktion der Departementsphysiker lautet: Die Pockenkranken sind im abgelegensten Teile des Hauses zu isolieren. Die Pfleger dürfen während der Dauer der Krankheit das Haus nicht verlassen und nicht mit anderen Bewohnern in Berührung kommen. Alles was der Kranke berührt oder gebraucht, darf nicht aus dem Zimmer gebracht, Hunde und Katzen, die mit ihm in Berührung kommen, müssen tot geschlagen und tief verscharrt werden. Im Krankenzimmer sollen die Fenster offen bleiben. Die Ärzte dürfen andere Kranke nur besuchen, wenn sie sich gewaschen und angekleidet haben. Der völlig hergestellte Pockenkranke darf erst dann unter die Gesunden zurückkehren, wenn er wohl gereinigt und frisch gekleidet ist. Kleider, Bett- und Leibwäsche, alles was gewaschen werden kann, ist in Seifen- oder Aschenlauge wohl zu waschen. Was nicht gewaschen werden kann, ist mit Wachholderrauch stark zu durchräuchern und hiernach in einem verschlossenen Lokal 4 Wochen lang dem Durchströmen der atmosphärischen — 87* — Luft auszusetzen. Die gebrauchten Betten sind auszuleeren, die Überzüge zu waschen, die Federn im Backofen zu trocknen, Haare und Wolle auszu- kochen, Stroh zu verbrennen, Metall und Holzwerk mit Lauge abzuwaschen. Das frisch überkälkte Krankenzimmer ist noch einige Wochen zu lüften. Im Jahre 1824 wurde wegen der an mehreren Orten ausgebrochenen Menschenblattern in Bezug auf die Impfung der Kuhpocken auf die frühere Verordnung und deren strenge Durchführung hingewiesen. Nahrungs- und Genussmittel. Über den Nahrungsmittelverkehr enthält schon die erwähnte Jülich- und Bergische Polizeiordnung vom Jahre 1554 Bestimmungen: In allen Städten und Freiheiten sollen 2 Marktmeister verordnet werden, welche zu beaufsichtigen haben, dass den Polizeiordnungen betr. Bier, Brod, Fleisch, Fisch und fette Waren allenthalben nachgekommen werde. Die Markt- und Kuyrmeister sollen darauf sehen, dass das Bier gut gemacht und gar gesotten werde. Der Bürgermeister, 2 Ratsfreunde und die beiden Marktmeister sollen in jeder Stadt das Fleisch besichtigen und den Preis festsetzen. Es darf kein Kalb geschlachtet werden, es sei denn 3 — 4 Wochen alt. Insonderheit sollen die Verordneten fleissig Aufsicht üben, dass kein krankes Vieh geschlachtet noch untaugliches oder aufgeblasenes Fleisch zu Markte gebracht oder verkauft werde. Dasselbe fordert die Stadt-Düsseldorffische Polizey- und Taxordnung vom Jahre 1706 im Artikel XV: Der vereidete Marktmeisterdiener, der desshalb in der Halle seine Wohnung haben muss, soll das zu schlachtende Vieh vorher wohl besehen und visitieren, ob das Fleisch gesund und hallenmässig befunden werde. Die Hallenordnung von 1774 bestimmt: Das Vieh soll erst besichtigt werden; die Metzger sollen sich nicht gelüsten lassen, krankes, un- gesundes, infektiertes oder ohnmarkgebiges Vieh zur Hallen hereinzuführen oder zu verkaufen; geschieht dies dennoch, so soll das Fleisch vergraben oder in den Rhein geworfen werden; die Metzger sollen jede Woche wenigstens 2 — 3 wohlgemästete Ochsen in die Halle bringen. Das Verbot des Schlachtens der Kälber, ehe sie 3 — 4 Wochen alt ge- worden, wird 1775 mit dem Zusatz erneuert, dass jeder, der solche gesund- heitschädliche, unzeitige Kälber kauft, verkauft oder schlachtet, jedesmal mit 12 Rthl. bestraft werden soll. Die erwähnte Polizeiordnung von 1706 verbietet in Art. XI den Wein- wirten, bei 50 Goldgulden Strafe, ihre Weine mit Meth oder sogenanntem spanischem Wein und anderen gesundheitschädlichen Schmierereien und Zu- sätzen zu verfälschen, und beschäftigt sich im Art. XII mit dem Bierbrauen und Bierzapfen. »Hiesige Brauer sollen das Bier gut machen, dabei absonder- lich besorgen, das selbes gar und wohlgeschmackt mit aufrichtigem Hopfen, keineswegs aber mit anderm unzulässigen Zusatz und Komposition ausgekocht, auch kein Bier zum Verzapfen angestochen werde, es sei denn etliche Tage alt, klar und wohlgesetzt. Das Gebräu soll vorher vom Markt- oder Kuyr- meister probiert werden.« Begräbnis, Schulwesen, Strassenrelnigung. Erst als die Städte grösser wurden, wandte die Regierung auch dem Beerdigungswesen ihr Augenmerk zu. Im Jahre 1784 werden aus ge- sundheitspolizeilichen Rücksichten die Begräbnisse in den Städten allgemein verboten und wird die Verlegung der Kirchhöfe auf freie ausserhalb der Orte gelegene Plätze befohlen. Nur den Standespersonen und Klostergeistlichen wird es gestattet, ihre Toten in besonders dazu (wie Backöfen) einzurichtende und zu vermauernden Grüften in den Kirchen zu begraben. Dieser Verord- nung eine weitere Ausdehnung zu geben, sah sich die Landesdirektion im Jahre 1803 nach dem Beispiel anderer Staaten veranlasst, da der nachteilige Einfluss der Gräber und Grüfte in. den Kirchen, wie auch der Kirchhöfe in bewohnten Ortschaften auf die Gesundheit der Menschen in jüngster Zeit von Sachkundigen in's Licht gestellt wurde. Sie verordnet demnach: Es wollen alle Kirchhöfe im Bergischen Lande nicht nur ausserhalb der Städte, sondern auch ausserhalb der Dörfer und sonstigen Ortschaften an etwas entfernte, offene Plätze verlegt, die Grabhügel auf den alten Kirchhöfen weggeschafft und diese eben gemacht werden. Es soll von nun an kein Begräbnis mehr in Kirchen und Klöstern gestattet werden, sondern alle Leichen ohne Rücksicht auf Geburt und Stand des Verstorbenen auf dem gemeinschaftlichen Gottes- acker zur Erde bestattet werden. Dass auch ohne den mindesten Bezug auf ihre Todesart alle Menschen ohne Ausnahme auf dem allgemeinen Kirchhof begraben werden, wird 1807 verfügt. Bis 1766 hatten die Katholiken in Düsseldorf ihren Begräbnisplatz um die Lambertuskirche herum; dieser wurde dann über die Benratherbrücke in die Gegend der jetzigen Steinstrasse verlegt, der der Protestanten nach Derendorf. 1802 wurde der gemeinsame Friedhof an der Golzheimer Insel eröffnet, und 1805 der erste Leichenwagen eingerichtet, nachdem bis dahin die Leichen getragen worden waren. Ueber die hygienische Seite des Schulwesens findet sich nur eine Ver- ordnung aus dem Jahre 181 3. Zur Handhabung einer besseren Sanitätspolizei in den Schulen sollen die Maires die Ärzte auffordern, die öffentlichen Schulen von Zeit zu Zeit während der Lehrstunden zu besuchen, um die Reinlichkeit der Schullokale und den Gesundheitszustand der Schüler zu untersuchen. Die noch nicht vaccinierten Kinder, welche auch die natürlichen Blattern noch nicht gehabt haben, und jene, welche mit irgend einer Hautkrankheit, als Krätze, behaftet sind, müssen aus den Schulen entfernt und dürfen nicht eher wieder aufgenommen werden, bis sie ein ärztliches Zeugnis über ihre Heilung — 89* — bezw. die stattgefundene Impfung beigebracht haben. Eine Dienstvorschrift für die Schulpfleger von 1814 gibt diesen auf, zu berichten u. a. über die Be- schaffenheit und den Zustand des Schulgebäudes und Schulzimmers, und ob ein Garten und Spielplatz vorhanden und wie er beschaffen sei. Betreffs der Strassenreinigung bringt das Jahr 1703 die Erneuerung des Befehls, dass jeder Einwohner der Residenzstadt Düsseldorf die Reinigung vor seiner Wohnung selbst besorgen und den Kot in den Rhein bringen lassen soll. Auch die Düsseldorffische Polizey-Ordnung von 1706 ordnet im Art. VII an, dass die Einwohner zweimal in der Woche vor ihren Häusern die Gassen säubern und den zusammengekehrten Kot an die von den Stadtdienern an- gewiesenen Orte hinschütten lassen. Zwecks Abholung des Kehrichts durch die Stadtkarre wird die Stadt in 3 Quartiere geteilt. Ähnliches verordnete 1760 Karl Theodor mit dem Zusatz, dass an heissen Tagen die Gassen täg- lich gesäubert werden und alle Einwohner ein Gefäss mit Wasser vor ihre Thüre setzen müssen. Dr. med. Karl Hofacker. VII. Krankenpflege und Krankenhauswesen am Niederrhein, insbesondere in Düsseldorf. Rheinabwärts und nördlich von den alten volkreichen Reichsstädten Köln und Aachen besassen bis in dieses Jahrhundert hinein die Städte des ausge- dehnten niederrheinischen und bergischen Gebietes nur eine massige Grösse und verhältnismässig geringe Einwohnerzahl. Einzelne, wie Neuss, Duisburg, Wesel, Lennep erhoben sich durch Handel und Gewerbefleiss wohl zu grösserer Blüte, jedoch ist die Zahl der Bewohner bei keiner Stadt über 10000 hinaus- gekommen. Durch die Kriege des 16., 17. und 18. Jahrhunderts sank die Zahl überall, und erst in diesem Jahrhundert wurden durch die mächtige Ent- faltung der Industrie aus kleinen Ackerstädten von 2 bis 3000 Seelen Gross- städte mit über 100000 Einwohnern. Das Krankenhauswesen war in allen Städten in dem Sinne ungefähr gleich, als es keine Krankenhäuser nach dem jetzigen Begriffe gab, sondern nur Gasthäuser« (Xenodochia), in denen alle Arten von Bedürftigen : Arme, Waisen, Pilger, Obdachlose, Sieche, ihre Unter- kunft fanden. Eigentliche Krankenhäuser in neuerem Sinne sind innerhalb der Grenzen des ehemaligen Grossherzogtums Berg, ausgenommen das 1802 gegründete Max Joseph-Spital zu Düsseldorf, erst vom zweiten Drittel dieses Jahrhunderts an eingerichtet worden. So in Düsseldorf 1835 (kath.), dann 1S67 (evang.j, 1871 (k.), Neuss 1844 (k.), M.-Gladbach 1855 (ev.j, 1859 (k.), Rheydt 1885 (städt.), Düren 1864 (k.), Eschweiler 1858 (k.), Stolberg 1863 (k.), Viersen 1839 (k.), Dülken 1856 (k.), Krefeld 1847 (städt.), Moers 1856 (ev.), — 9°* — Geldern 1843 ( k ). Goch 1849 (M> Kleve 1845 (k.), Emmerich 1846 (k.), Wesel 1836 (ev.), Ruhrort 1892 (ev.), Duisburg 1842 und 1847 (ev.), 1861 (k.), Mülheim (Ruhr) 1850 (ev.), Essen 1844 (k.) und 1854 (ev.), Werden 1854 (k.) und 1858 (ev.), Kettwig 1856 (ev.), Ratingen 1854 (k.), Kaiserswerth 1836 (ev.) und 1855 (k.), Mettmann 1877 (ev.), Langenberg 1865 (ev.), Elberfeld 1839 (Bürger) und 1847 resp. 1863 (städt), 1855 (k.), Barmen 1S41 (ev.), Solingen 1863 (ev.), Ronsdorf 1875 (ev.), Remscheid (1866 (ev.), Lennep 1850 (ev.), Siegburg 1854 (k.), Mülheim (Rhein) 1857 (k.) (Einige Städte konnten nicht aufgeführt werden, weil die um Auskunft ersuchenden Fragekarten von den betreffenden Herren nicht beantwortet sind.) Die Pflege der Kranken war früher in der Regel eine ambulante; diese sowie die Sorge um Schwache und Arme beruhte bis über das Mittelalter hinaus bei der Geistlichkeit. Bischof Chrodegang von Metz empfahl im 6. Jahrhundert den Priestern, in der Nähe ihrer Kirchen Wohnungen für Schwache und Bedürftige einzurichten. Bischof Kunibert stiftete im 7. Jahrhundert in Köln bei der Lupuskirche am Nordthor der Römerstadt eine Genossenschaft von 12 Brüdern, die aus- gingen und arme Kranke pflegten. Er sandte auch Lupusbrüder in 12 be- nachbarte Städte, so nach Bonn, Lechenich, Jülich, Zons, Neuss. 1 Die Synoden ferner von Aachen 816 und 836 entschieden, dass bei jedem Kloster oder Stift Wohnungen für arme, fremde und kranke Leute sein sollten. So be- sassen die grossen Abteien und Kollegiat- Stifte am Niederrhein (Neuss, M.-Gladbach, Knechtsteden, Brauweiler, Kamp, Xanten, Elten, Essen, Werden, Kaiserswerth, Gerresheim, Altenberg, Siegburg) ihre eigenen Hospitäler für die Mitglieder sowohl (infirmerien), als auch für das Gesinde und für Fremde. Auch hatten die im 11. und 12. Jahrhundert gestifteten Ritterorden ihren Regeln gemäss Kranke zu pflegen und übten diese Pflege in eigenen bei ihren Niederlassungen bestehenden Häusern aus, so die Deutsch - Ordensritter in Neuss und Rheinberg, die Johanniter-Malteser in Burg, Duisburg, Emmerich, Wesel. In letzterer Stadt gründeten sie 1453 ein besonderes Hospital für arme Frauen. 2 Als zu anfang des 14. Jahrhunderts der »schwarze Tod« die Völker heimsuchte, bildete sich zur Pflege der Erkrankten und Bestattung der Toten die Bruderschaft der Alexianer (fraters Cellitae), vom Volke auch Sollharten genannt. Sie hatten Häuser in Köln, Trier, Aachen und Neuss, die noch be- stehen, dazu kommen Niederlassungen in M.-Gladbach und Krefeld. Jetzt be- schäftigen sie sich hauptsächlich mit der Irrenpflege. 3 Von weiblicher Seite finden wir als Krankenpflegerinnen die Beghinen, angeblich im 15. Jahrhundert von dem Weltpriester de Beghue in Lüttich gestiftet. Sie fanden bald in Brabant und am Niederrhein grosse Verbreitung. 91* Es waren Jungfrauen und Witwen, die in Konventen nach einer bestimmten Hausregel lebten und dieselbe Kleidung trugen. Doch waren es keine eigent- lichen Nonnen, da sie keine bindenden Gelübde ablegten und immer austreten konnten. Ausser mit Gebet und Arbeit beschäftigten sie sich im 13. und 14. Jahrhundert auch mit Krankenpflege. i Letztere wurde später jedoch von den Ordensschwestern übernommen, zu welchen auch einige Beghinenkonvente übergingen, so in Neuss, Wesel, Kleve, Essen. In Neuss bestanden 3 Kon- vente, in Wesel 5, in Essen 6 (später 5), dann solche in Ratingen, Duisburg, Emmerich, Goch, Geldern (3 Konv.), Xanten, Düren. In Köln waren anfangs des Jahrhunderts 37; jetzt noch bestehen dort 5 Konvente. Ihre Insassen haben aber seit dem 15. Jahrhundert die Krankenpflege nicht mehr geübt, sondern beschäftigen sich nur mit Hand- und Hausarbeit und Beten. Von den Siechenhäusern sind namentlich die für die Aussätzigen, Leprosen, Melaten, zu erwähnen. Sie entstanden abseits von den Städten im 14. und 15. Jahrhundert, so bei Köln, Neuss, Düsseldorf, Gerresheim, Essen, Ratingen, Kaiserswerth, Wesel, Bergheim, Aldenhoven, Jülich, Düren. Die Leprosen durften bei Todesstrafe nicht mit andern Menschen verkehren; Sachen, die sie haben wollten, durften sie nur mit einem Stabe berühren und das Betteln um Lebensunterhalt nur durch einen gesunden Mann für sie geschehen lassen Es nistete sich in diesen entlegenen, verfehmten Häusern später viel Raubgesindel ein, welches allerlei Missethaten vollführte. Deshalb wurden 171 2 alle Siechenhäuser im Kurkölnischen und Jülich-Bergischen auf- gehoben und abgebrochen, ein Teil der Insassen, welche der Mordthaten über- führt waren, hingerichtet (s. oben S. 66*). In den verderblichen Pestseuchen des 17. Jahrhunderts sind die meisten Erkrankten in den Häusern gepflegt worden, und namentlich durch Ordens- priester und barmherzige Schwestern. Von diesen fielen in Düsseldorf ver- schiedene ihrem Eifer zum Opfer. Doch hatten einzelne Städte auch Pest- häuser (Loimodochia), so Düsseldorf, Duisburg, Wesel, Kleve, Xanten, mit eigenem »Pestmeister« und »Pestfrau«. Für die Geisteskranken gab es ferner in einzelnen niederrheinischen Städten Geckhäuser«, so in Jülich, Ratingen, Emmerich. Sie waren für die Tobsüchtigen bestimmt. Doch wurden auch an einigen Orten Straf- fällige für kurze Zeit dort untergebracht, insbesondere widerspenstige Lärm- macher (s. die folgende Abhandlung). Von den weiblichen Orden, welche sich die Krankenpflege zur Aufgabe machten, waren am Niederrhein vertreten die Cellitinnen nach der Augustiner- regel in Kaikar 1438, in Emmerich 1580, Düsseldorf 1650. Dann die Elisa- betherinnen nach der Franziskanerregel in Düren 1521, Jülich 1678. Nament- lich aber waren sehr verbreitet die Franziskanessen (Tertiarerinnen, so in Neuss — g2* 1365, M. -Gladbach 1407, Rheydt 1434, Rheindahlen 1433, Bocknm 1424, Krefeld 1430, Hüls 1468, Kempen 1476, Straelen 1420, Geldern 141 2. Wachten- donk 1430, Aldckerk 1465, Kranenburg 1446, Grieth 1447, Rees 1436, Wesel 1372, Duisburg 1419, Gerresheim 1335. s Nach Aufhebung der Klöster 1802 waren fast überall Jahrzehnte lang die Ordensschwestern von der Kranken- pflege ausgeschlossen. Erst um die Mitte dieses Jahrhunderts treten wieder die »barmherzigen Schwestern« auf als Pflegerinnen von Hauskranken sowohl wie auch im Hospitaldienst. Sie haben am Niederrhein Nieder- lassungen nicht allein in allen grösseren und Mittelstädten, sondern auch in den kleineren und vielfach auf dem Lande, und gehören verschiedenen Genossen- schaften an, deren jede ihr eigenes Mutterhaus besitzt. So die Franziskane- rinnen (Mh. Aachen, 14 Krankenanstalten) und solche aus Salzkotten (7), St. Mauritz bei Münster (12), Olpe (16) und Heithuizen (4), Kreuzschwestern (Lüttich, 7), Borromäerinnen (Trier, 2), Vinzentinerinnen (Köln-Nippes, 10), Do- minikanerinnen (Arenberg, 3), Elisabethcrinnen (Aachen und Essen, 16), Augusti- ner-Cellitinnen (Neuss, Düren und Köln, 24), Christenserinnen (Aachen, 2), Cle- mensschwestern (Münster, 34), Dienstmägde Christi (Dernbach imWesterwald, 33). 6 Von evangelischer Seite bestehen seit 1836 die Diakonissen in Kaiserswerth mit 2 eigenen Krankenanstalten daselbst und 24 in anderen Städten des Niederrheins, in denen sie die Pflege ausüben. Mit der Männerpflege befassen sich die Diakonen in Duisburg seit 1844; sie besorgen Krankenhäuser in Duisburg, Barmen (Männerstation) und Kleve und Filialen zur Hauspflege in Düsseldorf, Elberfeld, Essen. Von ihnen wird auch das Trinkerasyl in Lintorf seit 185 1 geleitet, die erste derartige Anstalt. In den letzten Jahren sind für die häusliche Wartung kranker Männer hinzugekommen die barmherzigen Brüder von Montabaur mit Niederlassungen in Düsseldorf, Essen, Oberhausen-Styrum. Zu erwähnen sind hier noch die Schwestern der evang. Diakonie zu Herborn. Sie pflegen in den Krankenhäusern zu Elberfeld (städt), Duisburg und in der Irrenpflegeanstalt zu Waldbroel. Dann widmen sich noch der Krankenpflege die »Schwestern vom roten Kreuz« und zahlreiche einzelstehende Personen, namentlich in den Privatkliniken der grossen Städte. Weltliches Pflegepersonal ist in wenigen Krankenhäusern (Krefeld, Rheydt, Barmen Frauen- station), dann in den Provinzialirrenanstalten Grafenberg und Düren. Ausser letzteren gibt es jetzt noch im ehemaligen Grossherzogtum Berg die von der Provinz unterstützten Anstalten für Geisteskranke in Lüttringhausen und Wald- broel, ferner die sog. Departementals-Irrenanstalt zu Düsseldorf (1826), sowie noch etwa 12 private Anstalten für Geistesschwache. (Näheres in der folgenden Abhandlung.) Nicht vergessen sei hier die frühere städtische Augenklinik in Dussel- 93* — dorf, welche von 1862 bis 1803 unter der Oberleitung von Dr. Albert Mooren, Geheim. Medizinalrat und Professor, vielen Tausenden von Augen- kranken zum Segen gereichte. Die »Gasthäuser«, auch Xenodochien, dann mensae pauperum, m. s. spiritus genannt, wurden im 13. und 14. Jahrhundert allerorts errichtet, teils durch einzelne Wohlthäter, teils durch die Magistrate. Sie waren meist unter den Schutz des hl. Geistes, des pater pauperum, gestellt, hatten unter der Aufsicht der Stadtbehörden zwei Provisoren, welche die Rechnungen führten, einen Geistlichen als Seelsorger und einen Gasthausmeister zur Aufrechter- haltung der Disziplin. Gasthäuser finden sich in Jülich um 1330, in Düren im 14. Jahrhundert, neuerbaut 1650, in Neuss ein älteres und das neue 1445, Krefeld 1447, Uerdingen vor 1403, Kempen 1421, Geldern 1415, Goch 1455, Xanten 1516, Kaikar 1616, Kleve um 1400 (1728 neu e.rbaut), Emmerich 1364, Rees 1456, Wesel um 1400 schon vorhanden, Duisburg 13 18 schon urkundlich da, Ratingen schon vor 1362, dann später in Elberfeld 1665, Barmen 1752, M. -Gladbach im 18. Jahrhundert. 5 In manchen Städten gingen die Gasthäuser in diesem Jahrhundert über in wirkliche Krankenhäuser (Neuss, Essen, Ratingen), in andern wurden sie zu Pflege- und Siechenhäusern oder gingen ganz ein. In Düsseldorf finden wir bereits ein »Gasthaus«, als der kleine Markt- flecken 1288 durch den Grafen Adolf V. von Berg nach der siegreichen Schlacht bei Worringen den Städtebrief erhielt. Es lag gleich vor dem öst- lichen Thor des Städtchens neben einer alten Wallfahrtskapelle, die von vielen Pilgern besucht wurde, »bei unser lieben Frauen-Kirche vor der Ratinger- pforte.« Um arme und kranke Wallfahrer zu verpflegen, war dieses Gasthaus ad s. spiritum, welches insbesondere noch der h. Anna, der Patronin der Armen, geweiht war, im 13. Jahrhundert errichtet und von wohlhabenden Familien, so namentlich durch die Ritter von Einer, mit Stiftungen ausge- stattet worden. Neben den Pilgern wurden auch arme und kranke Bürger der Stadt dort untergebracht und die Pflege und Aufsicht der Geistlichkeit anvertraut. In Düsseldorf waren es die zahlreichen Geistlichen des Kollegiat- stifts an der sog. grossen Kirche, zu denen später die Kreuzhrüder traten, welche 1443 Kloster und Kirche gleich neben das Gasthaus bauten. (Die zweischiffige gothische Kirche steht heute noch an der Ratingerstrasse und dient dem Bekleidungsamt des 7. Korps). Letzteres musste bald weichen und wurde auf der Flingerstrasse neu aufgerichtet. Um 1449 war es soweit vollendet, dass der Umzug erfolgen konnte. Im 15. und 16. Jahrhundert sind die Vermächtnisse zu Gunsten des Gasthauses recht zahlreich. Wir finden in Urkunden von 1414, 1418, 1509, 1559 manche Namen von Wohlthätern, — 94* — welche Grundstücke und Erbrenten schenkten; 7 der Herzog Wilhelm II. gab sogar IOOO Goldgülden. So war das Einkommen des Gasthauses fast auf 7000 Kölner Gulden gestiegen, doch ging dasselbe durch die Kriege des 17. Jahrhunderts erheblich zurück. Das Gebäude selbst, welches über zwei Jahrhunderte auf der Flingcrstrasse verblieb, war verfallen. In seiner Nähe hatten von 1621 an die Kapuziner Kirche und Kloster gebaut, an der Stelle des heutigen Gasthofes »Kölner Hof«. Kurfürst Johann Wilhelm, der für die Entwickelung und Verschönerung seiner Residenz so Vieles gethan, fasste auf den Rat seines Beichtvaters, des Pater Orban, den Plan, in der sog. »Extension«, der Erweiterung der Festungswerke nach Süden hin, ein neues Gasthaus nebst Kirche zu errichten. Letztere wurde später zur Garnisonkirche erweitert, die heute noch ihrem Zwecke dient. Durch die Freigebigkeit des Herrschers und der kurfürstlichen Familie, sowie durch den reichen Ertrag von Sammlungen, die der Pater in allen pfälzischen Landen abgehalten, konnte es ermöglicht werden, die Gebäude für 100 Hospitaliten statt der frühern 22 einzurichten. Das Gasthaus erhielt einen eigenen Pfarrer, welcher auch die Aufsicht über das Haus und seine Insassen führte. Für letztere wird eine Hausregel gegeben. Jeder Pfründner erhält wöchentlich 56 Fetmenger gleich 28 Stüber, für den Tag also 4 Stüber (16 Pfennige), dazu Brod und Brandholz. Das Haus ist mit 14 grossen wohlgeheizten Zimmern versehen. Ein Doktor der Medizin und ein Chirurgus werden angestellt, deren »Vor- schreibung« vom curato parocho unterschrieben wird. Sofern man nicht mit ordinären Medikamenten versehen, müssen solche aus der Apotheke abgeholt werden. Kurfürst Johann Wilhelm stattete das Hospital fernerhin mit festen Einkünften aus. Er hatte den von Herzog Gerhard II. zum Gedächtnis des Sieges bei Linnich (1444 am St. Hubertustag) gestifteten Hubertusorden er- neuert, dem nur der vornehmste Adel angehörte. Der Orden besteht jetzt noch in Bayern als einer der höchsten. Jeder Ritter musste bei seiner Auf- nahme 100 Dukaten an das Düsseldorfer neue Hospital geben, welches nun den Namen St. Hubertus-Gasthaus erhielt. 8 Um diese Zeit finden wir auch die ersten Anfänge eines eigentlichen Krankenhauses. Denn »es sollen in dem Hospitale einige Zimmer ledig und vorbehalten bleiben für diejenigen, so etwa als Hof-Bediente oder bei den primären Ministern erkrankten nicht wohl könnten beherbergt werden, um solchen allda aufzuwarten bis zu deren Genesung, jedoch dass die Kost von denen Herrschaften gereichet werde.« Unter dem Pfarrer als Inspektor besorgte ein Hospitalmeister die Verwaltung. 9 Nach dem Tode des Kurfürsten Johann Wilhelm verlegte sein Nach- folger und Bruder Karl Philipp die Residenz von Düsseldorf nach Heidelberg, dann nach Mannheim. 1777 unter Karl Theodor wurde München die Haupt- stadt der vereinigten Lande. Das grosse niederrheinische Gebiet stand unter 95* der Verwaltung eines Statthalters, von denen besonders der vortreffliche Graf Goltstein zu nennen ist. Um dem Elend, das durch die Kriegszüge hervor- gerufen war, einigermassen zu steuern, Hess er manche öffentlichen Arbeiten ausführen, so den Bau von Landstrassen, die Anlage des Rheinwerfts und des ältesten Teils des Hofgartens. Durch ein Reskript vom 31. Januar 17 50 wurde ferner angeordnet, dass den sich anmeldenden armen und presshaften Personen quartaliter 20 Reichsthaler (Ein Reichsthaler = 2,40 Mark) aus der Landmeisterei-Kasse abgegeben werden sollten. 1779 erhöhte ein kurfürstlicher Befehl diese Summe auf 280 Rthlr. = 420 Gulden im Jahr. 1784 wurde sie auf 600 Gulden vermehrt und 1806 durch die französische Verwaltung auf IOOO Reichsthaler. Das Geld vergab die Regierung in kleinen Portionen bis zu 6 Reichsthalern quartaliter an Jungfern, Wittwen und Kindern. Auch der Stadtkapellan Peters, welcher die Kranken der Stadt zu versehen hatte, erhielt von 1782 ab auf seine Eingabe jährlich 24 Reichsthaler. 10 Schon 1702 hatte Johann Wilhelm begonnen, in der »Extension« neue weitläufige Kasernenbauten aufzuführen, zu damaliger Zeit eine grosse Sehens- würdigkeit für fremde Gesandte, heute verbaute unzweckmässige Gelasse, welche in diesem Jahr zum letzten Mal Soldaten beherbergen. Das neue Gasthaus, damals auch Xenodochium neben den Kasernen genannt, diente auch zur Aufnahme von Kranken der Besatzung. Doch strebten die Militär- behörden danach, das ganze Hospital nebst der Kirche für sich zu gewinnen. Während in der Hauptstadt Jülich des gleichnamigen vereinigten Herzogtums schon seit 1685 ein eigenes Lazarett für die kranken Soldaten, welche bis dahin den Bürgern zur Last gefallen, bestand, ist dies in Düsseldorf erst um 1772 erreicht worden. Die Ausgaben für das Militärspital wurden zur Zeit der französischen Besetzung auf die bergischen Ämter pro rata zur Auf- bringung verteilt. So 1798 tausend Reichsthaler, von denen allein 597 Reichsthaler für 1226 Pinten Wein und 110 Reichsthaler für 4 Ohm Brannt- wein innerhalb der 3 Monate Nivose , Pluviose , Ventose (Dezember, Januar, Februar) ausgelegt waren. Das Hubertusspital musste seine gut eingerichteten Räume der Garnison als Lazarett überlassen und nach der Neustadt, jetzt Neusserstrasse, übersiedeln. 11 Dort war ihm 1770 neben dem Provianthaus ein Neubau errichtet, zu dem noch das von dem kurfürst- lichen Hofkammeragenten, dem Israeliten Joseph Jakob van Geldern, neu er- baute Haus zugekauft wurde. Etwa 80 Hospitaliten gingen nach der Neustadt hinüber. Doch auch hierhin folgte ihm das Militär nach. 1781 wird be- stimmt, »aus den Jülich- und Bergischen Kriegskassen werden zum Hubertii- Hospital jährlich 1 162 Florin 30 Kreuzer in monatlichen Raten bezahlt, wofür beständig 22 Soldatenweiber und Kinder mit all Erforderlichem unterhalten werden müssen.« 12 Um die Einkünfte des Spitals zu verbessern, wird 1782 — 96* — angeordnet: »Es sind die konfisziert werdenden Vermögensgelder deren aus den Jülich- und Bergischen Landen gebürtigen Deserteurs, imgleichen der in fremde Kriegsdienste getretenen Unterthanen dem Hubertusspital dergestalt gewidmet, dass davon 8 /g dem Militär und 1 /s dem Civilstand zum Guten gehen sollen«. Über die »bei den verschiedenen Kurpfalz bayrischen Regimentern desertierten Niederländischen Unterthans Söhnen« finden sich ganz genau geführte Listen mit Angabe von Namen, Alter, Geburtsort und Amt, Regiment, Tag der Desertion. Es sind von 1790 bis 1S03 nicht weniger wie 2121 Mann! In 7 Jahren (1782 bis 1789) waren dadurch eingegangen 3063 Florin. Im Jahre 1S04 ging nichts mehr ein. 13 Bald nachdem das Gasthaus zum vierten Mal eine neue Stätte gefunden hatte und jetzt ausserhalb der Festungswerke sich befand, taucht zum ersten Mal der Plan auf, für die Kranken ein eigenes Maus zu gründen. Auf behörd- liche Weisung hin wurde 1775 im ganzen Lande für ein Krankenspital zu Düsseldorf kollektiert. Da aber nicht viel cingekommen, soll das Geld laut kurfürstlichem Reskript zinsbar angelegt werden. 1781 beträgt dies Kapital aus Kollektengeldern 1409 Rthl. 1783 wird der Plan des Krankenhauses erörtert. General-Polizeikommissar von Neorberg schlägt dazu eine Kommission vor. 1786 wird durch ein Reskript Karl Theodors aus Mannheim dieser Plan zum Besten der »daruntigen Landes-Unterthanen < in Erinnerung gebracht. 1797 wird bereits die zwölfte Rechnung über Empfang und Gefälle des hier einzurichtenden neuen armen Krankenspitals vom ersten Geheimen-Raths Registratur Neuss aufgestellt. Das Kapital beträgt jetzt nach Abzug von 639 Rthlr. Unkosten 2035 Rthlr. 14 Bei solchen Vorbereitungen blieb es seitens der Behörden. Diese, die kurfürstlichen sowohl wie die städtischen, befanden sich aber auch seit 1794 durch die fortwährenden Kriege in einer sehr mislichen Lage. Der Kurfürst Karl Theodor, der seine niederrheinische Residenz in 57jähriger Regierung nur 2 Mal auf kurze Zeit besucht hatte, war 1799 gestorben. Sein Nach- folger Maximilian Joseph, der spätere erste König von Bayern, verblieb ganz in München; dort mussten alle Verordnungen, selbst die geringfügigsten, von ihm genehmigt werden. Durch die Kriegsdrangsale und das Stocken jedweden Verdienstes war die Bevölkerung so arm geworden, dass ganze Schaaren von Bettlern auf den Plätzen, an den Stadtthoren und Kirchenportalen herum- lagen. Die Blätter von damals sind gefüllt mit Konkursen, selbst von Adeligen und Geistlichen 15 Bei dem allgemeinen Elend und der Ohnmacht der Obrigkeit fanden sich glücklicherweise energische Männer, welche die Sorge für die Armen und Kranken in die Hand nahmen. 97* — Durch Aufrufe an die besitzende Bürgerschaft und durch Einsammeln von Beiträgen gelang es ihnen, die allgemeine Armenversorgungsanstalt« in das Leben zu rufen, welche das Almosengeben regelte und ein Arbeitshaus sowie ein Erziehungshaus nebst Armenschule unterhielt. Vom selben Geist der Humanität beseelt, unternahm es 1798 die Marianische Bürgersodalitaet, an ihrer Spitze der Kaufmann Karl Eberh. Roosen, durch persönlich über- nommene vierteljährliche Sammlungen die Mittel zu einem von ihr selbst ver- walteten Krankenkause aufzubringen. Im April 1799 traf die Genehmigung des neuen Kurfürsten zu dem Plan und zu den Kollekten ein. In der Reuter- kaserne wurden einige Zimmer unentgeltlich von der Regierung hergegeben und bald konnte die erste Kranke aus Bilk vermittelst porte-chaise hineinge- bracht werden. Es waren Räume und Betten für 16 Personen 16 vorhanden. Doch scheint das Volk der ungewohnten Einrichtung etwas mistrauisch gegen- über gestanden zu haben; denn 1801 empfahlen in den Blättern der erste Stadtphysikus und Medizinalrat Dr. Zanders und der Stabschirurg Dr. Jos. Naegele, »Oberwundarzt des marianischen allgemeinen Krankenhauses«, das Institut dringend zur Benutzung. Das scheint so geholfen zu haben, dass im folgenden Jahre die Zimmer in der Reuterkaserne nicht mehr ausreichten. Im Gasthause in der Neustadt waren unterdes Räume leer geworden, da die Zahl der Hospitaliten hatte verringert werden müssen; denn die linksrheinischen Güter und Einkünfte waren sämtlich von den Franzosen eingezogen worden. (Nach Angabe des allerdings unzuverlässigen Hospitalverwalters konnten die Titel der Fundationen 1807 nicht mehr bestimmt werden, da die Registratur mit sämtlichen älteren Rechnungen bei dem Schlossbrande 1794 verloren ge- gangen sei. 17 ) Der Kurfürst genehmigte am 8. Juli 1802 die Uebersiedelung in die Neu- stadt. Das Krankenhaus erhielt nun den Namen des Landesherrn: Max Joseph Krankenhaus. Bald sind 32 Betten belegt. Die Mitglieder der marianischen Sodalität sorgen weiter für die Unterhaltung der Anstalt unter Aufsicht der Zentral- Armenverwaltung. Auf ihre wiederholten Bitten bestimmt 1804 Max Joseph, dass der auf 859 Rthlr. geschätzte frühere Garten der Franziskaner vor dem Bergerthor dem Hospital überlassen werde. Der alte Klostergärtner Franz Welraff soll für 30 Rthlr. Pacht ihn weiter mit benutzen. Als Vorsteher fungierte der Begründer, Kaufmann Roosen, er unterschreibt nicht nur als Direktor, sondern wird auch von den Behörden so genannt. 18 Ausser den Einnahmen durch die Kollekten in der Stadt und die freiwilligen Beiträge der Soldaten werden auch durch Massnahmen seitens der Regierung dem Kranken- hause Einkünfte verschafft. 16 — g8* — 1801 wird eine Industriesteuer für das Hospital den Industrial-Kontri- buenten in den Jülich- und bergischen Ämtern umgelegt und gemahnt zu zahlen, wenn nicht Militär-Exekution abgeschickt 19 werden soll. 1802 wird ver- fügt, dass auf die im Herzogtum Berg gelegenen Güter und Einkünfte der jenseits des Rheines befindlichen Schulen, Hospitäler und Stiftungen Sequester gelegt werden solle, da das französische Gouvernement den Sequester nicht aufhebe, welchen es auf die linksrheinischen Güter der Hospitäler im Bergischen gelegt hat. 20 1803 ordnet der Kurfürst an, dass die Einkünfte, welche die Spitäler des linken Rheinufers (hauptsächlich die Kölner) aus dem Bergischen bezogen haben, und die sich auf 688 Rthlr. 26 Stbr. belaufen, dem Max Joseph-Spital in Düsseldorf zugewiesen werden. 21 Da nicht allein aus dem Kanton Düsseldorf sondern auch aus den anderen Kantonen die Kranken und Irren in das Max Joseph-Spital gebracht werden, so beantragt der Landesdirektor Graf Spee einen Zuschuss von IOOO Rthlr. aus den Landessteuern. 22 Herzog Wilhelm, der 2 Jahre in Düsseldorf und Benrath residierte, be- suchte im April 1804 mit seiner Gemahlin das Krankenhaus, belobte die So- dalitätsmitglieder und schenkte Roosen eine goldene Denkmünze mit seinem und der Herzogin Bildnis, 10 Dukaten an Wert. Das Spital selbst erhielt von ihm 100 Louisd'ors. Die Verwaltung des Krankenhauses giebt u. a. 1806 eine Rechnungs- ablage. Danach sind die Einnahmen 1940 Rthlr. 29 Stbr. 8 Heller, die Aus- gaben 2379 Rthlr. 59 Stbr. 12 Heller. Unter den Einnahmen sind die be- deutendsten noch immer die vierteljährlichen Kollekten mit 507 Rthlr. Von zahlenden Kranken sind 242 Rthlr. eingekommen. Für Jungfer Corsten werden pro Tag 20 Stüber gezahlt; für Frau Hagemus wöchentlich 1 Rthlr. Ein Zuschuss aus den Landessteuern ist nicht aufgeführt. Unter den Aus- gaben ist die für den Arzt Dr. Naegele mit 30 Rthlr. für das Krankenhaus und Wundarzt Heinen mit 35 Rthlr. für Krankenhaus und Gasthaus zusammen. 23 (Arzt des Gasthauses war der Medizinaldirektor Dr. Odendahl ; Odendahl bat 1812 zum 3. mal das Ministerium, ihm das seit 13 Jahren rückständige Gehalt für das Hubertusspital [jährlich 25 Rthlr.] zu zahlen; 1814 erhielt er abschlägig 150 Rthlr., 1816 hat Odendahl den Rest von 175 Rthlr. noch zu fordern.) Roosen gab 18 10 die Verwaltung auf und an seine Stelle trat eine Kommission von 4 Herren. Diese veröffentlichte nach dem Abzug der Franzosen 18 13 und 18 14 einen eingehenden Bericht über die »Ver- pflegungshäuser« an den General-Gouverneur Prinzen Solms. 24 Es befanden sich damals 3 Anstalten gewissermassen unter einem Dache in den Häusern der Neustadt (jetzt Neusserstrasse 23 und 25) und deren Nebengebäuden: — 99* — 1. Das Max Joseph Krankenhaus mit durchschnittlich täglich 20 Kranken und 6 Vorstehern (Ökonom und dessen Frau, 2 Krankenwärter und 2 Dienstboten, von denen eine die Tochter des Ökonomen war). 2. Das Gasthaus zum hl. Hubertus mit 28 alten Personen und 2 Vor- gesetzten (der Pfarrer und die Vorsteherin, welche zugleich Pfründnerin ist). 3. Das Irrenhaus (neu errichtet) mit 19 »Irrenden« und 3 Vorgesetzten. Für das Krankenhaus sind die Haushaltungskosten auf 1800 Rthlr. ver- anschlagt, die Arzneien auf 500 Rthlr. Für alle 3 Anstalten bezieht der Em- pfänger (Rendant) 200 Rthlr. im Jahr, der Arzt ebenfalls 200 Rthlr., der Wund- arzt für Bedienung des Hospitals 15 Rthlr., für alle 3 Anstalten 66 Rthlr. 40 Stüber (200 Francs); für Bureaukosten sind 266 Rthlr. (500 Francs) zu verausgaben. Es fehlt dem Krankenhause an Leinwand und Betten bis zur äussersten Dürftigkeit. Früher war für die Frauen keine eigene Krankenwärterin angestellt. Dieser Unschicklichkeit ist nunmehr abgeholfen. Die angestellte Wärterin erhält monatlich 5 Rthlr. nebst freier Kost. Im Irrenhaus sind Männer und Weiber noch nicht abgesondert. Die Verwaltungskom- mission macht darauf aufmerksam, ebenso auf Anlegung von »festen Behältern für die Rasenden*. Das Irrenhaus kann trotz besserer Behandlung doch nur als Aufbewahrungsort und nicht als eine zweckmässige Heilungsanstalt ange- sehen werden. Der untere Stock soll für die Tobenden zugerichtet werden. Das Hubertus-Gasthaus besteht seit vielen Hundert Jahren und ist für alte gebrechliche Personen fundiert. Die ganze Einnahme muss der Absicht der Stifter gemäss auf die Pfründner verwendet werden. Dagegen ist diese An- stalt nicht berechtigt, aus städtischen Mitteln noch Zuschuss zu erwarten. Das Gasthaus müsste zu den Verwaltungskosten auch seinen Teil tragen; weil es aber die Gebäude für Kranken- und Irrenhaus ohne Vergütung her- gegeben hat und sogar die Steuer davon abträgt, so ist es billig, dass es wenigstens von den Verwaltungskosten frei bleibt. Die Hospitalkirche muss nach alten Stiftungen aus dem Hospitalfonds unterhalten werden, ebenso Pfarrer und Küster. Das Hubertus-Hospital hat an Einnahmen 2786 Rthlr. 55 Str., an Aus- gaben 2756 Rthlr., bedarf also keines Zuschusses. Der Zuschuss für das M. J. Krankenhaus beträgt dagegen 2042 Rthlr., für das Irrenhaus 2148 Rthlr. Die Verwaltungskommission klagt darüber, dass die Quartalssammlungen seit 181 1 weniger eingebracht haben, im letzten Quartal nur 66 Rthlr., besonders dadurch, dass die letzte Sammlung von den Sodali tätsgliedern unordentlich und unvollständig gehalten worden. Der Vorstand will die nächste Sammlung selbst abhalten. Aus korrektioneilen Strafgeldern kommen etwa 200 Rthlr. ein. 24 16« — IOO* — Das Krankenhaus bestand in der Neustadt neben dem Hubertusstift bis 1872. Nachdem die konfessionellen Krankenhäuser (1867 das evangelische und 1871 das katholische Marienhospital) eröffnet worden, mussten die von der Stadt unterhaltenen Kranken in diese übersiedeln. Das Irrenhaus war bereits 1826 eingegangen, nachdem die sogenannte Departementals-Irren- anstalt am Fürstenwall eingerichtet worden. Es verblieb in den alten Häusern der Neusserstrasse in der Neustadt einesteils das mit 30 Pfründnerinnen stets besetzte Hubertusstift, andererseits die städtische Siechen- und Pflege- anstalt. Das Stift befindet sich noch in dem alten Heim; das Pflegehaus, welches jetzt an 650 Insassen zählt, ist seit 1892 in neuen mustergültig ein- gerichteten und geräumigen Gebäulichkeiten im Süden der Stadt, in freiem Felde gelegen, untergebracht. Das Pflegepersonal im alten Krankenhause war bis 1868 weltlich. Von da ab traten auf Wunsch des Kuratorium und der Stadtverwaltung die Franziskanerinnen aus dem Mutterhause zu Aachen ein. Als Ärzte des Max-Joseph-Spitals fungierten bis 181 3 Stabschirurg Dr. Naegele und der Wundarzt Heinen. Ersterer erhielt 30 Reichsthaler Gehalt für Kranken- und Irrenhaus, letzterer 35 Reichsthaler für alle 3 Anstalten. Von 181 3 ab war Arzt Dr. Heinrich Brewer, er erhielt 200 Reichsthaler an Gehalt; dann bis 1856 der Kreisphysikus Dr Ernst; von 1856 bis 1872, dem Jahr der Auflösung, Sanitätsrat Dr. Zens mit 900 Mark Gehalt. 25 Das Krankenhaus der Kreuzschwestern im ehemaligen Kloster der Karmelitessen in der Altstadt zu Düsseldorf. Die in den Jahren 171 3 bis 1716 neu errichteten Klostergebäude der Karmelitessen wurden nach dem Aufhebungsedikt von 1802 allmählich immer stiller, da keine neuen Ordensmitglieder aufgenommen werden durften. Zuletzt waren nur noch die Priorin und eine Laienschwester übrig. Es bemühten sich nun die Cellitinnen nach der Augustinerregel, welche 1650 von Köln aus in Düsseldorf auf der Hundsrückenstrasse eine Niederlassung gegründet hatten, darum, in dem fast leer stehenden Kloster ein Hospital einzurichten. Diese Schwestern pflegten hauptsächlich die Kranken in den Häusern; sie hatten sich in Zeiten der Pest sehr opferwillig gezeigt, auch einige Mitglieder an der Seuche verloren und waren dadurch in der Stadt recht beliebt. Der frühere Stifts-Kanonikus, spätere Regierungs- und Schulrat Bracht befürwortete sehr diesen Plan, und ein Fräulein Therese von Buschmann gab dazu ein grösseres Kapital. Eine Königliche Kabinetsordre vom 1. Januar 1 831 schenkte wirklich das Kloster mit seinem Vermögen von etwa 1 1 000 Thalern den Cellitinnen. Diese nahmen am 30. Mai 1831 Besitz von Allem und richteten sofort durch Umbau die Gebäude zu einer Krankenanstalt ein. Letztere konnte im Januar 1832 eröffnet werden; sie nahm vorerst nur weibliche Patienten an. Die Schwestern fuhren auch ferner fort, in der Stadt die Kranken zu pflegen. — IOI* — In dem neuen Hospital wurden im i. Jahr 36 Kranke aufgenommen, im folgenden 49; 1834 waren es schon 101, 1838 deren 172 und 1841 bereits 238 im Jahr. Der erste Arzt war Hofrath Dr. Reyland, der von Dr. Gerhardy, seinem Nachfolger, unterstützt wurde. Das Gehalt des Arztes war erst 50 Reichsthaler, später 76; das des Wundarztes erst 50, dann 60 Rthlr. 26 Die Cellitinnen sandten 1844 auf Wunsch der Stadt Neuss einige Schwestern dorthin, um das städtische Hospital zu übernehmen. Allmählich bildete sich in Neuss eine selbständige, von dem Düsseldorfer Kloster unab- hängige Genossenschaft mit eigenen Filialen in der Stadt selbst und ihrer Umgegend. 27 Dadurch wurde den Schwestern in Düsseldorf der Zugang von Aspirantinnen erschwert, so dass sie bald zum Aussterben kamen. Ihre Zahl genügte nicht mehr für den Krankendienst. Deshalb übergab die geistliche Behörde das Hospital nebst der Kirche im Jahre 1852 den jetzt noch die Anstalt führenden barmherzigen Schwestern vom heiligen Kreuz. Die letzte Cellitin verblieb bis zu ihrem Tode bei den Kreuzschwestern. Anmerkungen. 1) Prof. Dr. Kühl, Geschichte der Stadt Jülich IV. Teil, 1897 p. 97 und ff 2) Gantesweiler, Chronik der Stadt Wesel. 1795, p. 72 3j Gymnäsial-Direktor Dr. Tücking, Geschichte der kirchlichen Einrichtungen in der Stadt Neuss. 1886. p. 188 u. ff. 4) Die Beghinenkonvente in Essen von Prof. Dr Heidemann: Beiträge zur Geschichte von Stadt und Stift Essen. 1886. 5) Professor Dr. P. Clemen, Kunstdenkmäler der Rhein- provinz. 6) Handbuch der Erzdiözese Köln, 1895 p. 403 u. ff und Handbuch der Diözese Münster 7) Düsseldorfer Stadtarchiv. 8) Dr Bücheler, das Gasthaus der Stadt Düssel- dorf. 1849. p. 12 u. ff. 9) Regula des Neuen Kurfürstlichen Hospitals zu Düsseldorf, mitgeteilt bei Bücheler p. 29. in) K Staatsarchiv, acta Jülich-Berg fasc. 260. 11) Bücheler p. 16. 12)Acta Jülich-Berg 267. 13) Ebenda 2ü8. 14) Ebenda 266 und 163. 15) Jülich-Berg. Wöchentliche Nachrichten. 1770 Nr. 31 und 1799. 16) Bücheler p. 17. 17) 18) 19) 20) 21) 22) Acta Jülich-Berg, Stadt Düsseldorf. 23) Grossherzogtum Berg, Stadt Düsseldorf. Nr. 6. 24) Ge- neralgouvernement Berg, St. Düsseldorf. 25) Stadtrechnungen. 26) Die Heilanstalt für weibliche Kranke im Elisabethen-Kloster der Celliten-Ordensschwestern. Berichte von 1832 bis 1840. 27) Tücking, Teil IV. p. 303 u. ff. Sanitätsrat Dr. Hucklenbroich VIII. Irrenpflege und Irrenanstalten. Für die Zeit vor dem Beginn unseres Jahrhunderts gibt es für unser engeres Vaterland keine Geschichte der eigentlichen Irrenpflege und Irren- anstalten. Das Wenige, was wir aus frühern Jahrhunderten wissen, hat mit einer wirklichen Pflege und Behandlung der Irren so gut wie Nichts zu thun. Man sah in den Geisteskranken kaum jemals den bedauernswerten Mit- menschen, man betrachtete ihn vielmehr als ein lästiges und störendes Wesen, das man unschädlich zu machen suchte. — 102* — Entsprechend diesen Anschauungen sperrte man die Geisteskranken entweder ein oder suchte sie abzuschieben. Für Beides gibt die Rechnung der Stadt Aachen ein Beispiel. Die vom Jahre 1373 enthält einen Posten: »Item diliranti captivo in turri Porchetensi pro pane 20 s«, und in der vom Jahre 1 391 heisst es: »It. Andries deme geck 1 M., dat hee wech ginge«. 1 Im Düsseldorfer Archiv findet sich das Gesuch einer Neusser Bürgerin Irmgen aus der Zeit zwischen 1495 und 1500 an den Herzog in Düsseldorf, in welchem sie bittet, ihren Mann, der in Folge von allerhand Prozessen »syner synne bister gemacht« und »in alsulger wansynnigheit« in Düsseldorf herumgelaufen sei, allerhand angestellt habe und deshalb »gefenklich zo thoyrm gesatzt« worden war, freizulassen, da die Krankheit durch das Sitzen schlimmer werden würde und sie ihn selbst in ihrem »huyse oder in einem andern platze beynen Nuysser setzen und verwaren« könne 2 . Unzweifelhaft haben einige der seit dem 13. Jahrhundert in fast allen Städten bestehenden Gasthäuser und Hospitäler häufiger Geisteskranke auf kürzere oder längere Zeit aufgenommen. Es geht dies ausdrücklich aus einem Beschluss des Kölner Provinzial-Konzils unter Erzbischof Hermann von Wied im Jahre 1536 hervor. Da werden (pars XI cap. I) folgende Wohlthätigkeits- anstalten genannt: Xenodochia, Ptochotrophia, Orphanotrophia, Gerontocomia et Brephotrophia in quae reeipiantur: peregrini, pauperes, invalidi, senes, parentibus orbati atque inopes liberi, infantes expositi, furiosi, leprosi, contagiosisque ac perpetuis morbis obsiti« 3 . Und von dem 1453 gestifteten Gasthaus St. Johann in Kleve heisst es, dass »später«, anscheinend im 16. Jahrhundert, wohl wegen der mehr isolierten Lage gern Irr- und Schwach- sinnige aufgenommen wurden 4 Ganz allgemein scheint dies aber nicht Brauch gewesen zu sein, so sollte z. B. das Bürgerhospital in Düren nach dem Neu- bau 1543 »mit unsinnigen Menschen nit beschwert werden« 5 , und in den Bestimmungen über den Zweck der Gasthäuser in den andern Städten am Niederrhein geschieht der Geisteskranken keine Erwähnung. Eine geregelte Benutzung der Krankenhäuser im Mittelalter für Irre bleibt, so schliesst auch Kirchhoff 6 , also sehr fraglich. — Aus dem 16. und 17. Jahrhundert werden verschiedentlich »Geck- häuschen« erwähnt. So bestimmt das Regulativ für die Verwaltung der Stadt Düsseldorf vom 15. Febr. 1457, dass Studenten d. i. Gymnasiasten, die abends nach 9 Uhr ohne Licht auf der Strasse herumliefen, »handfest gemacht und ins Geckshuyssgen gesatzt und zu geburlicher straeff gehalten werden«. 7 In Duisburg befand sich im 16. Jahrhundert am Burgplatz das Geckhäuschen, in das Frauen und Kinder auf 1 — 2 Tage wegen geringer Vergehen gesteckt wurden, 8 und in der Wachtordnung der Stadt Ratingen vom 26. Sept. 1623 wird bestimmt, dass zur Wacht keine Jungen zugelassen werden sollten, dass 103* sie aber, wenn sie trotz Abweisung doch wiederkämen, »anderen zum Exempel ins geckshäusgen verwahrlich hinzusetzen« seien. 9 Geckhäuschen ist gleich- bedeutend mit Narrenhäuschen, Geck ist der niederrheinische Ausdruck für Narr. Ein »Narrenhäuschen« bestand in Köln am Altenmarkt im 16. Jahr- hundert und in dieses wurden mitunter Betrüger und Uebertreter der Markt- ordnung für einige Stunden eingesperrt. Als »Narrenkasten« bezeichnete man 1674 in Solingen das Gefängnis, in das die Feld- und Holzdiebe vom Stadt- boten abgeführt wurden; die nämliche Bezeichnung findet sich 1623 zu Elberfeld. l0 Nach diesen Angaben liegt der Schluss nahe, es handle sich bei diesen Häuschen oder Kasten um eine Art polizeilicher Haftlokale, trotz- dem der Name auf Bewohnungsort für Irre hindeutet. Andererseits ist im Pfarrarchiv der Stadt Jülich von 1627 von einem »Geckhaus am Heckweg« die Rede, das allem Anschein nach mit dem Gasthaus in Verbindung stand und daher doch wohl den Zweck der Unterbringung von Geisteskranken, vielleicht der im Gasthaus selbst nicht zu verpflegenden Tobsüchtigen hatte. u Die Verquickung der Bezeichnungen und Zwecke der Gefängnisse und Narren- häuschen muss in jenen Zeiten eine weitgehende gewesen sein; so bedeutet nach Grimm (Wörterbuch V) das Wort »Kotter« österreichisch: Gefängnis, bayrisch: Narrenhäuschen, und nach Kriegk 12 dienten die Frankfurter Privat- gefängnisse auch zur Unterbringung von Geisteskranken. Das Wahrschein- lichste für die Geck- und Narrenhäuschen unseres Bezirks ist wohl, dass sie in erster Linie die Bestimmung hatten, solche Personen für kurze Zeit auf- zunehmen, die sich leichte Vergehen zu Schulden kommen Hessen und die dann in diesen Häuschen und Kasten von den Vorübergehenden zum »Geck«, zum » Narren « gehalten, d. h. verspottet wurden, woher der Name entstand. Natürlich wird man auch Geisteskranke, wenn sie auffällig oder störend wurden, vorübergehend in drr gleichen Weise eingesperrt haben. (Vgl. zu dieser Frage Kirchhoff.) Der in den niederrheinischen Chroniken oft vorkommende Ausdruck Tollhaus hat mit Geisteskranken nichts zu thun, er bedeutet Zollhaus. Wesel scheint die erste Stadt am Niederrhein gewesen zu sein, die ihren Geisteskranken dauernde Unterkunft und Pflege gewährte. Der Magistrat kaufte am 24. Juli 1626 von der Wittwe von der Reck von der Horst ein Besitztum, »das Hohe Haus«, für 3000 Spezies-Thaler, um dorthin die sct. Spiritus-Armenstiftung zu verlegen und bestimmte, dass dieses Haus vor- zugsweise armen und unverheirateten Bürgern und Bürgerinnen Wesels über 50 Jahre, welche ihrer Gebrechlichkeit halber den Lebensunterhalt selbst zu verdienen ausser Stande waren, sowie andererseits auch geistesschwachen und irrsinnigen Personen als Zufluchts- und Pflegestätte offen stand. Dass aber diesen Geisteskranken ärztliche Behandlung zu Teil wurde, ist nicht wahr- — 104* — scheinlich; denn in der am 14. März 1771 erneuerten und ergänzten Ver- ordnung für das Hohe Haus vom 14. Oktober 1626 ist alles Mögliche über Lebenswandel, Rechte und Pflichten der Insassen, nicht aber ein Arzt er- wähnt, und in Artikel XV heisst es nur: »Vor allen Dingen ist Sorge zu tragen, dass die kranksinnigen Personen in ihren verschlossenen Behältnissen wohl verpflegt, reinlich gehalten und verwahret, des Endes täglich öfters visitiert werden, weil Menschen, die ihren Verstand verloren, doppelt arm sind, auch eine doppelte Wartung verdienen« 13 Aber man stellte hier wenigstens die Geisteskranken mit andern gebrechlichen und kranken Personen auf eine Stufe, während man sie anderwärts nach wie vor mit Verkommenen und Verwahrlosten einsperrte. In einem Vertrage zwischen der Stadt Aachen und ihrem Schutzvogt, dem Kurfürsten von der Pfalz aus den Jahren 1660 und 1661, erneuert und ergänzt 1777, wird genau der Modus festgestellt, wer die Einwilligung zu geben hat, wenn »Sinnlose oder auch ungehorsame, widerwärtige oder sträfliche Kinder von ihren Eltern und Verwandten in Ver- wahrung, entweder in Privathäuser oder aber in gemeines Gefängnis zu stellen« und »gefänglich zu verhalten« beabsichtigt wird. 14 Von einer Unterbringung der Geisteskranken bei den Alexianern, die doch schon im 14. Jahrhundert in ihrem Kloster in Aachen solche aufgenommen haben sollen, sagt der Vertrag nichts. Dass aber in jenen Zeiten doch auch schon Geisteskranke ärztlich be- handelt wurden, das zeigt uns die 1616 herausgegebene Schrift des in Hilden bei Düsseldorf 1560 geborenen, in Bern 1634 gestorbenen Wilhelm Fabricius Hildanus, der von einzelnen glücklichen Kuren bei Geisteskranken berichtet, und das zeigt ausführlich die Geschichte der Geisteskrankheit des Herzogs Johann Wilhelm von Jülich-Klcvc-Berg, die schon früher in Bergrath ir> und in neuester Zeit auf Grund von Studien im Düsseldorfer Archiv in Pauls 1 " ihre Bearbeiter gefunden hat. Herzog Johann Wilhelm war erblich sehr belastet. Sein Urgrossvater väterlicher Seite, Johann IL, »der Kindermaeker«, hatte vor seiner Heirat im 31. Jahre bereits 63 Kinder gezeugt; dessen Sohn, Johann III., bei den Annalisten der Friedfertige, auch der Einfältige genannt, liebte schöne Kleider und stand unter dem Pantoffel seiner Ehefrau Maria, deren Grossvater blödsinnig war. Johann Wilhelms Eltern, Wilhelm III. und Maria von Österreich, die Enkelin der geisteskranken spanischen Johanna, waren beide geisteskrank; Wilhelm III., von dem zwar Weyer lobend hervorhob, dass ihn noch niemand betrunken gesehen hätte, der aber von Anderen für einen »grossen Simulator-, für »in seinem religiösen Benehmen furchtsam, wankelmütig und zweideutig« bezeichnet wurde, zeigte in seinem 58. Jahre, wahrscheinlich nach einem Schlaganfall, die ersten Zeichen geistiger Störung, die nach einem weiteren Schlaganfall mit halbseitiger Lähmung sich zu Tob- — 105* — suchtsanfällen steigerte und mehr und mehr in Blödsinn überging. Über die Geistesstörung der Herzogin Maria ist Näheres nicht bekannt. Johann Wilhelm, das jüngste von 7 Kindern, erblickte am 29. Mai 1562 das Licht der Welt. Bald nach seiner Vermählung mit der Markgräfin Jacobe von Baden 1585 wurde er in seinem Wesen auffallend; vielleicht war das ge- spannte Verhältnis zu seinem Vater und die für das Herzogtum verhängnisvolle Kinderlosigkeit seiner Ehe die Ursache der Geistesstörung, die sich auch für weitere Kreise erkennbar Anfang des Jahres 1588 durch Verfolgungsideen äusserte. Schon jetzt setzte eine ärztliche Behandlung ein; eine im Sommer desselben Jahres mit der Gemahlin unternommene Badereise nach Ems hatte wohl den doppelten Zweck, den Herzog aufzuheitern und Jacobe die sagen- hafte Wirkung der Emser Quellen an kinderlosen Frauen erproben zu lassen (Pauls). Als sich dann im nächsten Jahre seine Wahnidee gegen den Vater richtete, von dem er getötet zu werden fürchtete, liessen die herzoglichen Räte in Düsseldorf sich ein Gutachten des Beichtvaters Hubert Fronhoven, sowie ein solches von den Hofärzten Dr. Solenander, Dr. Lambert Wolf und Dr. Galenus Weyer geben. Letzteres, datiert vom 18. Oktober 158g, spricht von einer melancholischen und schwermütigen Complexion, die angeboren sei, da der Patient »ex paterno semine et materno sanguine hierzu naturiert und geneigt« sei, verordnete Ausreden der Wahnideen, »ehrliche Kurtzweil neben dem music«, Hinausziehen mit guten Leuten »ohne das frawenzimmer, damit also die Ursache des stetigen beywohnens benomen werde«, »linde, sanfte, weiche speis und drank* »als ein mandelmilch oder emulsionem S. S. frigid, maior. et papaveris, cum confect. manus Christi perlati« und »anstatt seiner morgensuppen einen drunck seusser, lieblicher Milch*. Eine auf dieses Gut- achten hin unternommene Vergnügungsreise nach Grevenbroich wurde schon nach 5 Tagen unterbrochen, weil sich der Herzog dabei schlechter befand. Neujahr 1590 trat ein Erregungszustand heftigster Art mit Bedrohungen und Gewaltthätigkeiten auf, so dass der Kranke entwaffnet und eingesperrt werden musste. Diese Einsperrung im Düsseldorfer Schlosse scheint einige Jahre ge- dauert zu haben. Während schon vorher auf den Rat des Pfarrers des be- nachbarten Dorfes Lank die Herzogin dem Kranken nicht konsecrierte Hostien unter Austern als Speise vorgesetzt und einen Zettel mit dem Evangelium des hl. Johannes in die Kleidung eingenäht hatte, wurde von den Räten am 20. Januar 1590 ein Gutachten des Pfarrers über den Zustand des Herzogs eingefordert, das aber in so abergläubischer Weise sich über die Ursache der Krankheit und die vorzunehmende Kur erging, dass man es nicht weiter be- rücksichtigte. Dagegen wurde im Juni 1596 die »Jungfer zu Ertzelbach, Margarethe von Ahr« konsultiert, die mit Zustimmung der Ärzte Dr. Wolf und Dr. Butler dem Herzog einen Trank eingab, dessen Zubereitungsart sie — io6* — als ihr Geheimnis verschwieg, während sie sich auf das Drängen der Ärzte herbeiliess, die benutzten Kräuter zu benennen. Ebenso wenig wie dieser Trank, hatte die von Januar bis Pfingsten 1597 ausgedehnte Kur eines sonder- lichen Meisters oder Doktors aus Holland eine günslige Wirkung, der dabei ein gutes Geschäft machte und auch noch die Gelegenheit benützte, zwischen- durch in Köln Sprechstunden abzuhalten. Da der Herzog immer mehr in »Simpelheit« verfiel und da auch eine Badereise nach Schweich bei Trier 1603 zwecklos verlief, wurde, um alle Mittel zu erschöpfen, auch noch der Exorcismus versucht. Die Ärzle, von der Ansicht ausgehend, dass die Krankheit, wenn sie auch nicht Besessensein vom Teufel sei, doch ihren Grund in etwas Übernatürlichem haben müsse, gaben ihre Zustimmung zur Anwendung von Heilmitteln kirchlicher Art. So wurde denn 1604 — 1605 der Exorcismus nach allen Regeln der Kunst an dem Herzog vorgenommen, der das Meiste gutwillig über sich ergehen Hess, einmal aber doch mit dem Ausruf: Ihr seid selbst Teufel und vom Teufel besessen« das Weite suchte. Am 15. März 1609 starb der unglückliche Herzog im tiefen Blödsinn. Die Geschichte seiner Krankheit bietet des Interessanten viel, zumal sie einer Zeit angehört, wo der Glaube an Besessensein und Zauberei selbst noch die Gebildeten beherrschte, wo aber schon der Kampf gegen die Hexen- prozesse begonnen hatte. Ich muss es mir versagen, auf die Beziehungen zwischen Hexenwesen und Geistestörung näher einzugehen, doch wäre es unrecht, wollte ich nicht die Männer wenigstens nennen, die als erste den Kampf gegen den abergläubischen Hexenwahn aufgenommen hatten, gehören sie doch unserm niederrheinischen Gebiete an; es sind Johann Weyer, der berühmte Leibarzt des Herzogs Wilhelm III. von Jülich-Kleve-Berg, geb. 15 15, gest. 1588, und der Jesuit Graf Friedrich von Spee, der in Kaiserswerth 1591 geboren wurde und 1635 zu Trier starb. Einer der letzten Hexenprozesse in Deutschland war der gegen Helene Mechtildis Curtens, die in Gerresheim bei Düsseldorf im Jahre 1737 hin- gerichtet wurde. Ich erwähne ihn deshalb, weil der Richter die Frage der Geisteskrankheit erörterte; er hat »die vorgenannte Helenam Curtens in einen etwahe finsteren orth unt zwahren deswillen hinsetzen lasen, damitt eines- theils denen judieiis medicorum, welche denen im gehirn etwahe verrückten personen jedesmahls unter anderen auch einen finsteren orth praescribiren, anderntheils auch der meinungh der theologorum, welche bei denen Energu- menis unternehmenden Exorcismis die applicirung natürlicher Mittel mitt an- rathen, etwahigen genügen geschehen möge. Bey dieser finsterer etwahe 4 tag gewehrter Hinsetzung hatt das tohben, wüthen und die vngestallte geberden gentzlich aufgehorth vnd bei drey wochen cessirt, das man ohn diese Curtens — io7* — nit allein nit das geringste seltzame hat verspüren können, sondern hat auch ferner mit vollenkomneren verstant ihre vorherigen aussagen abermahlen repetirt<. 17 In der 2. Hälfte des vorigen Jahrhunderts begann man allerwärts humaner über die Geisteskranken zu denken, es enstanden in England Heilanstalten, die Ausstellung und Verhöhnung der Irren in den »Narrenhäuslein«, »Tollen- kisten «, wurden verboten und die Behörden kümmerten sich mehr um das Schicksal dieser Unglücklichen. So wurde auch in der Instruktion für den neuernannten General Polizei-Kommissar der Jülich- und Bergischen Herzog- tümer in Düsseldorf vom 26. Mai 1780 vorgeschrieben: »Er solle auch auf die Sinnlosen Obacht geben, die für diese Leute gewidmeten Häuser von Zeit zu Zeit, jedoch ohne Veranlassung einiger Diäten, visitieren und wahrnehmen, ob dieselbe menschlich behandelt werden. Imgleichen bey denen Alexianer und Sebastianiter zu Neuss sich gelegentlich erkundigen, ob die mit Bewilligung Unseres Geheimen Raths dorthin gesetzten Leute nach der Vorschrift be- und nicht misshandelt werden« 18 . Im Jahre 1809 hat man in Düsseldorf ein Irrenhaus gebaut. Durch Anweisung des Herrn Maire vom 2. März wurden dem Max Josef- Kranken- haus »an Ersatz wegen dem Krankenhaus zugehörten Holz und Steinen, die an dem Irrenhaus verbraucht sind, 36 Rthl. 39 Stb.« zugebilligt, und 18 12 wird in den Budgets der zu den Central-Wohlthätigkeitsanstalten gehörigen Verpflegungshäuser das neu errichtete Irrenhaus erwähnt, in welchem 19 Irrende, jeder täglich zu 19 Stüber, verpflegt wurden 19 . Ob auch in den andern Städten des Niederrheins in ähnlicher Weise besondere Abteilungen oder Häuser für Geisteskranke in den Hospitälern vorhanden waren, habe ich aus dem mir zu Gebote stehenden Material nicht ersehen können. * * * Der Grundstein einer geordneten Irrenfürsorge in der Rheinprovinz wurde gelegt, als der Minister von Altenstein im Oktober 1817 eine Zusammen- kunft der Oberpräsidenten der Provinzen Niedeirhein, Jülich-Kleve-Berg und Westfalen nach Godesberg beiief, um den Pian einer rheinisch-westfälischen Irrenanstalt zu besprechen. Der zweite Schritt war der, dass nach Rücktritt der Provinz Westfalen 1820 eine Kommission zum Suchen eines geeigneten Gebäudes — an die Errichtung eines Neubaus scheint man gar nicht gedacht zu haben — bestimmt und in diese Kommission der Regierungs- und Medi- zinalrat Maximilian Jacobi in Düsseldorf berufen wurde. Jacobi, als Sohn des Philosophen Fr. H. Jacobi aufgewachsen unter dem Einfluss der natur- philosophischen Schule, wurde trotzdem mit dem Bonner Kliniker Friedrich Nasse der Begründer der somalischen Schule in der Psychiatrie und seine auf naturwissenschaftlicher Forschung beruhende Überzeugung von dem Zusammen.- — io8* — hang aller Seclenstörungen mit körperlichen Erkrankungen wurde massgebend für die Errichtung der rheinischen Irrenanstalt, für die als Heim die alte Benediktinerabtei Siegburg erworben worden war, als eine Heilanstalt, in die unheilbare Kranke zur Aufbewahrung und Pflege nicht aufgenommen werden sollten. Mit welch' einem jugendlichen Eifer der bei der Eröffnung der Anstalt am I. Januar 1825 fast 50jährige Mann sich seiner Aufgabe widmete, wie dankbar er dem Minister und dem Oberpräsidenten von Ingers- leben für die Berücksichtigung aller seiner Wünsche bei der Einrichtung der Anstalt war und wie glücklich er sich in seiner Direktorstellung fühlte, das lesen wir in seinem ausführlichen Briefe vom 25. Mai 1S25 an Goethe, dem er in seiner Studentenzeit in Jena nähergetreten war, und der beim letzten Zusammensein 1821 Nachricht über Jacobis Hoffnungen betreffs der geplanten Anstalt erbeten hatte. »Ich habe<, schrieb er u. A., meine Wünsche und Absichten, wenn auch später, doch in einem Grade erfüllt gesehen, wie ich es nie erwarten konnte, indem ich als Werkzeug gedient habe, für die unglück- lichste Klasse der Leidenden eine Heilanstalt zu gründen, von der ich glaube, dass sie, wenn sie auch mehrercs zu wünschen übrig lässt, die meisten Vor- züge in sich vereinigt, die sie nach dem jetzigen Zustande der Wissenschalt und nach den gegebenen Lokalitäten ci halten konnte. ao Noch ein Menschen- alter bis zu seinem am 18. Mai 1858 an Gesichtsrose erfolgten Tode ieitete Jacobi die Sicgburger Anstalt, die erste reine Heilanstalt in Deutschland, die erste Anstalt mit selbständiger ärztlicher Leitung, die erste Anstalt, in der die Psychiatrie klinische Bearbeitung fand, eine Anstalt, zu der als einer Mustcr- anstalt die damaligen Irrenärzte hinpilgerten. Ausser Jacobi hat der Niederrhein in der ersten Hälfte unseres Jahr- hunderts noch mehrere verdienstvolle Wohlthätcr hervorgebracht. Ich nenne den am 1. Sept. 1793 in Wesel geborenen Bird, der von 1S30 — 1834 zweiter Arzt in Siegburg war und verschiedene psychiatrische Schriften veröffentlichte, ferner den am 14. November 1805 in Dorsten b. Wesel geborenen Professor Albers, der in Bonn Vorträge über Geisteskrankheiten hielt, dort 1850 eine Privatirrenanstalt gründete und die Memoranda der Psychiatrie herausgab, und B. von Gudden, der am 7. Juni 1824 in Kleve geboren wurde und dessen Bedeutung für die Psychiatrie, weil noch zu frisch in Erinnerung und Wirkung, ich nicht erst zu betonen brauche. Auch die erste Privatirrenanstalt des Rheinlandes gehöt unserm Bezirke an, sie wurde von Fr. Meyer, der früher Assistenzarzt in Stegburg gewesen war, in Elberfeld 183 1 gegründet und 1846 nach Eitorf an der Sieg verlegt, wo sie bis 1879 bestand. Als Werner Nasse nach dem unglücklichen Ende des 2. Siegburger Direktors Hoffmann im November 1863 die Direktion dieser Anstalt über- — 109* — nahm, drängte sich ihm sofort die Ueberzeugung von der Unzulänglichkeit der für nur 200 Kranke eingerichteten überfüllten Gebäude auf, und seiner Anregung verdanken wir es, dass nach längeren Kommissionsberatungen der Provinzial- Landtag 1865 beschloss, statt der einen Zentralanstalt für die Provinz in jedem der 5 Regierungsbezirke, wie schon Richartz 1844 vorgeschlagen hatte, eine Anstalt zu bauen und die irrationelle Scheidung von Heilbaren und Unheilbaren in Wegfall kommen zu lassen. Von diesen 5 neuen Heil- und Pflegeanstalten, die auf zusammen 1300 Kranke berechnet, einen Kosten- aufwand von rund 13 Millionen Mark notwendig machten, wurde als erste die für den Regierungsbezirk Düsseldorf bestimmte, Grafenberg, am I. Juli 1876 eröffnet, als letzte 1S82 die Anstalt Bonn, die gleichzeitig der rheinischen Universität als Klinik dient. So grossartig auch diese Reform des rheinischen Irrenwesens sich dar- stellte, so genügte sie doch, wie schon die nächsten Jahre bewiesen, nicht, und schon 1886 musste der Provinziallandtag sich mit der Frage der Ent- lastung der überfüllten Anstalten befassen; man half sich dadurch, dass ein- zelne Anstalten durch bauliche Umänderungen zur Unterbringung einer grösseren Zahl von Kranken eingerichtet wurden und dass man mit religiösen Genossen- schaften Verträge zur Unterbringung von Unheilbaren abschloss. So hatte die Provinz im Jahre 1891, abgesehen von den 5 Provinzialanstalten, noch in 20 anderen Anstalten Kranke untergebracht. Das mit dem 1. April 1893 in Kraft getretene Gesetz, nach welchem alle der Anstaltspflege bedürftige unbemittelte Geisteskranke seitens des Land- armenverbandes in geeigneten Anstalten unterzubringen sind, brachte unsere Provinz vorab nicht in Verlegenheit. Aber man wusste, dass die Zahl der zu verpflegenden Kranken von Jahr zu Jahr um ca. 200 wachsen würde und die Provinzialverwaltung vereinbarte deshalb 1894 mit dem Provinzialausschuss für innere Mission und mit der Gesellschaft mit beschränkter Haftpflicht »Evan- gelisches Krankenhaus zu Waldbroel« Verträge zur Unterbringung evangelischer Pfleglinge in zwei neu zu erbauenden Anstalten. Die eine dieser Anstalten, die im bergischen Kreise Lennep gelegene Tannenhof bei Lüttringhausen, wurde für 300 Kranke, auch solche besserer Stände, eingerichtet und nahm am 11. Mai 1896 die ersten Kranken auf. Die Anstalt zu Waldbroel wurde 1897 eröffnet. Damit waren aber der Anstalten immer noch nicht genug. Wir stehen augenblicklich wiederum mitten in der notgedrungenen Arbeit der Erweiterung des rheinischen Anstaltswesens. Besonders im Regierungsbezirk Düsseldorf mit den zahlreichen grossen Städten und der hlühenden Industrie macht die Unterbringung der Menge von Kranken mehr und mehr Schwierigkeit. Trotz- dem die Kreise Krefeld, Gladbach, Grevenbroich und Kempen seit 1882, und HO* die bergischen Kreise Lennep, Remscheid und Solingen seit 1893 ihre Kranken nach der Provinzialanstalt in Düren (Reg. -Bezirk Aachen), bezw. nach der in Bonn statt nach Grafenberg bringen, beträgt doch in letzterer Anstalt die Zahl der Aufnahmen jährlich rund 500 bei einem Etatsbestand von 600 Kranken. So beschloss denn der 1897 zusammengetretene Provinzial-Landtag die Er- weiterung der Grafenbergcr Anstalt bis auf einen Krankenbestand von 800 durch Neubauten, die im nächsten Jahre sämtlich bezogen werden können. Ausserdem wurde aber auch noch der Bau einer neuen Provinzialirrenanstalt Galkhausen bei Langenfeld (Eisenbahnstation zwischen Dusseldorf und Köln) im Kreise Solingen beschlossen, die auf 800 Kranke berechnet, vor Allem dazu dienen soll, die Kranken der Stadt Köln, die ihre Anstalt Linden- burg aufheben will, sowie diejenigen Kranken aufzunehmen, die sich jetzt in der nach dem bekannten Alexiancrprozess 1895 von der Provinz gepachteten Anstalt Mariaberg bei Aachen befinden. Im Jahre 1900 wird voraussichtlich die Provinzialverwaltung, da auch an den andern Provinzialanstalten Änderungen und Erweiterungen vorgenommen werden, in der Lage sein, in eigenen Anstalten ca. 4200 Kranke und in andern öffentlichen bezw. privaten Anstalten ca. 2400 Kranke unterzubringen. Zudem ist auch noch ein Grundstück in der Nähe von Krefeld erworben worden, auf dem wohl schon im nächsten Jahr mit dem Bau einer Provinzial- Anstalt begonnen wird, in der in erster Linie an Epilepsie und verwandten Krampfformen Leidende, aber auch ausserdem Geisteskranke aufgenommen werden sollen. — Während so die Provinz seit der Eröffnung von Siegburg die Fürsorge für ihre Geisteskranken in einer umfangreicheren Weise bethätigte, entstanden am Niederrhein in derselben Zeit auch noch andere Anstalten. Als erste und grösste dieser Anstalten ist die Departemental-Irrenanstalt in Düsseldorf zu nennen, die schon zur Zeit der Fremdherrschaft für das Rheindepartement des damaligen Grossherzogtums Berg geplant, am 23. Oktober 1826 fin- den Regierungsbezirk Düsseldorf eröffnet wurde, eine öffentliche mit Kor- porationsrechten versehene Wohlthätigkeitsanstalt darstellt und nach be- deutenden Um- und Neubauten in den Jahren 1865, 1880 bis 1890 jetzt Platz für 550 unheilbare Irre beiderlei Geschlechts hat. Die Heilanstalt zu Kaiserswerth verdankt ihre Entstehung der Güte des Königs Friedrich Wilhelm IV., der 1848 dem Gründer des Diakonissen- hauses in Kaiserswerth, Dr. theol. Fliedner, zusammen mit einem Geldgeschenk von 4000 Thlr. die disponibel gewordene Invalidenkaserne überwies, »um eine weibliche Irrenanstalt darin zu errichten und mittelst derselben einen Teil der Kranken-Diakonissen für die Pflege weiblicher Irren besonders vor- — III* — zubilden.« Nach einigen baulichen Umänderungen wurde die Anstalt am 8. Mai 1852 eröffnet, aber, weil die Räume unzureichend und die Gebäude den Überschwemmungen des Rheins ausgesetzt waren, am 27. Juni 1881 in einen Neubau »Johannisberg« verlegt. Die Anstalt verpflegt 50—60 Kranke besserer Stände. Die Stadt Elberfeld hat an ihren 1863 fertiggestellten Krankenanstalten ein isoliertes Gebäude zur Aufnahme von ca. 60 Geisteskranken aufgeführt, doch wurde dieses 1878 zur Unterbringung anderer Kranken benutzt, und die Geisteskranken brachte man nach der Departementalanstalt, nach Grafenberg oder nach Privatanstalten. Ein neues Gebäude für Geisteskranke, das zugleich mit den Erweiterungsbauten der Krankenanstalten errichtet und am 15. No- vember 1893 bezogen wurde, hat Raum für ca. 25 Kranke, die aber nur vorübergehend bis zur Überführung in eine Irren-, Heil- oder Pflege-Anstalt Aufnahme finden. Von klösterlichen Anstalten entstanden in der zweiten Hälfte unseres Jahr- hunderts in unserm Bezirke eine ganze Reihe; es sind: die Anstalt der barmherzigen Schwestern von der Regel des hl. Augustinus für weibliche Geisteskranke, St. Josef in Neuss, gegründet 1857, Bestand 330 Kranke, mit der 1895 eröffneten Filiale Königshof zu Fischein bei Krefeld für 180 Kranke; die Anstalten der Alexianergenossenschaften in M. -Gladbach (seit 1857, jetzt 230 Kranke), in Neuss (erbaut 1869, jetzt 210 Kranke), und in Krefeld (1871 für 200 Kranke); die Anstalt der Franziskanerinnen für 140 weibliche Irren und Idioten, St. Bernardin in Hamb bei Capellen, Kreis Mors, die als Fortsetzung einer seit 1877 in Zons bei Neuss bestehenden Anstalt am I. März 1883 für 156 Kranke eröffnet wurde, und die ebenfalls 1883 für 150 Kranke bestimmte Anstalt der Schwestern vom hl. Kreuz für katholische weibliche Epileptische in Rath bei Düsseldorf. In unserm Regierungsbezirk liegen auch die beiden grössten Idioten- anstalten des Rheinlandes. Die evangelische Hephata bei M.-Gladbach, am 23. April 1859 eröffnet, hat einen Bestand von 1 80 kindlichen und erwachsenen Idioten und nimmt seit Oktober vorigen Jahres nur männliche Kranke auf. Die katholische Anstalt Franz Sales-Haus zu Huttrop bei Essen wurde am 10. November 1884 mit 52 Betten eröffnet, im Jahre 1891 in einen Neubau verlegt und beherbergt jetzt 320 männliche und weibliche idiotische Kinder. Meines Erachtens würde ich den Bericht über das Anstaltswesen un- vollständig lassen, wollte ich nicht auch des Trinkerasyls zu Lintorf Erwähnung thun, das durch die Diakonissenanstalt zu Duisburg für 25 Personen im Jahre 1868 gegründet und, seit 1879 durch das Haus Siloah für 25 Ge- bildete vergrössert, die erste Trinkerheilanstalt in Deutschland war. — 112* — Quellen, i. Laurent, Aachener Stadtrechnungen S. 236 und 373. Aachen 1866. 2. Staatsarchiv Düsseldorf. Litteralien Jüüch-Berg M. 15. 3. Quentel, Sta- tuta S. ecclesiae Coloniensis. S. 398. Köln 1554. 4. Schölten, die Stadt Kleve. S. 514. Kleve 1879. 5. Bonn, Rumpel und Fischbach, Sammlung von Materialien zur Geschichte Dürens S. 378. 6. Kirchhoff, Grundriss einer Geschichte der deutschen Irrenpflege. Berlin 1890. 7. Goecke, Ztschr. des Berg. Geschichtsvereins, 19. Bd. S. 44. 8. Averdunk, Geschichte der Stadt Duisburg S. 150. Duisburg 1844. 9. Kessel, Geschichte der Stadt Ratingen. 1. Bd. S. 283. Köln und Neuss 1877. 10. Pich, Monatsschrift für rheinisch-westfälische Geschichtsforschung, II. Jahrgr. S. 485 und 633, III. Jahrg., S. 156 und 356. 11. Kühl, Geschichte der Stadt Jülich IV. Teil, S. 114. Jülich 1897. 12. Krieg, Frankfurter Bürgerzwiste und Zustände im Mittel- alter XVI. S. 466. Frankfurt 1862. 13. Bestimmungen und geschichtliche Darstellung, betreffend die Hohehaus - Stiftung. Wesel 1897. 14. Vertrag zwischen der Reichsstadt Aachen und ihrem Schutzvogt Kurfürst von der Pfalz aus den Jahren 1660 und 1661, erneuert und ergänzt 1777. i5.Berg- rath, Allgem. Ztschr. für Psychiatrie, Bd. 10 S. 249 und 396. 16. Pauls, Zeitschr. des Berg. Geschichtsvereins XXXIII. Bd. 1897 zwei Aufsätze, und Annalen des historischen Vereins für den Niederrhein, Heft 63. 17. Fahne, Ztschr. des Berg. Geschichtsvereins 1878 XIV. Bd. S. 211. 18. Scotti, Jülich-Kleve- und Bergische Sammlung von Urkunden etc. No. 2165. 19. Staatsarchiv Düsseldorf (Näheres siehe oben). 20. Bratranek, Goethes naturwissen- schaftliche Korrespondenz I. Bd. S. 224. Leipzig 1874. Dr. Josef Peretti, Grafenberg. IX. Apothekenwesen. Auch in Deutschland schloss ursprünglich das Recht zur Ausübung der Heilkunde das Recht der Zubereitung und Abgabe von Arzneien in sich ein. Der Arzt war somit gleichzeitig der Apotheker des Kranken. In spätmittel- alterlicher Zeit trat eine Teilung der Arbeit in dem Sinne ein, dass die Be- schaffung und Herstellung der Arzneimittel zu einer unter ärztlicher Aufsicht ausgeübten Kunst sich gestaltete, deren Jünger eigene Arzneiläden und Laboratorien eröffneten. Am Rhein, wie überhaupt in Deutschland, entstanden solche von Apothekern geleitete Anstalten nicht vor dein 13. Jahrhundert. Die Wiege der deutschen Pharmazie ist ganz entschieden im Orient zu suchen. Ein arabischer Kalif errichtete be»«its im 8. Jahrhundert eine öffentliche Apotheke in Bagdad. Durch die Mauren kamen die Apotheken zuerst nach — ii3 — Spanien, und von dort aus sollen sie sich nach Italien, Frankreich und Deutsch- land verbreitet haben. Sei dem, wie ihm wolle: unbestritten bleibt den Arabern das Verdienst um eine erhebliche Bereicherung des Arzneischatzes mit wertvollen Heilmitteln und um die Begründung des der griechischen Medizin ganz fremd gebliebenen Apothekenwesens, womit der Entwurf einer Pharmakopoe in Verbindung stand. 1 Im wesentlichen ruht die deutsche Pharmazie des späteren Mittelalters auf den das Gepräge arabischer Kultur tragenden Satzungen der medizinischen Schule von Salerno, deren Stempel auch den im 15. Jahrhundert am Rhein verbreiteten Arzneiverzeichnissen un- verkennbar aufgedrückt ist. 8 Kaiser Friedrich II. wandte in seinen Bestimmungen für die Salernitaner Schule dem Apothekenwesen einige Sorgfalt zu und suchte namentlich dem Verkauf verdorbener und verfälschter Arzneimittel vorzubeugen 3 Gleichzeitige ähnliche Bestimmungen für Deutschland fehlen. Aber es ist jedenfalls nicht zufällig, dass im 13. Jahrhundert die Erwähnung von Apothekern in den Urkunden deutscher und namentlich auch rheinisch - westfälischer Städte häufiger zu werden beginnt. Ein so wichtiger Erlass wie der für die tonan- gebende Schule von Salerno konnte in den deutschen Landen vom Gesetzgeber um so weniger ganz unbeachtet bleiben, als damals bei uns die starke Ver- mehrung der Bevölkerung in den Städten, und damit die an die Berufstätig- keit der Ärzte gesteigerten Anforderungen eine schärfere Sonderung zwischen Pharmazie und Medizin nahe genug gelegt haben mögen. Die Quellen zur Geschichte der deutschen und rheinischen Pharmazie fliessen für das 13. und 14. Jahrhunderts recht spärlich. Hier einige Namen und Jahreszahlen. Trier: 1241 und 1262 die Apotheker Fiiedrich und Rudolf 4 ; Münster: 1267 der Apotheker Willekin 5 ; Köln 6 : die Apotheker Wilhelmus Clericus (1263 — 83), Jakobus (1371 — 80), Ludolf Coilbuch (1378 — 81) und Johannes Stolle 7 (1379). Wichtiger als die Zusammenstellung solcher Listen erscheint die Frage nach der Berufsthätigkeit der damaligen Apotheker und nach der ein- schlägigen Gesetzgebung. Da aber tritt uns ein undurchdringliches Dunkel entgegen. Ziemlich unzweifelhaft spielte allerdings im kaufmännischen Leben der in den Urkunden als Apotheker bezeichneten Personen der unter ärzt- licher Aufsicht betriebene Arzneihandel oft eine nennenswerte Rolle, — darüber hinaus ist indes nicht zu kommen. In den Kölner Urkunden des 14. Jahrhunderts finden sich für Apotheker die Bezeichnungen: Specionarius, apotecarius, mercator ungnorum (Salben), herbator, cruder (Kräuter, Kraut- sammler) und specionaria. Das stimmt in etwa zu der Angabe des Glossars von Du-Cange, dass man ausser den Medizinalapothekern noch diejenigen apotecarii genannt habe welche Warenniederlagen hatten, ferner die Gross- händler von Waren, Aufseher eines Vorrathauses . . . und schliesslich 17 — 114* — diejenigen welche gekochte und überzuckerte Früchte als Vorsteher der Küche in den Häusern der Grossen herstellten. 8 Bei einem so umfangreichen »Sammelbegriff' kann selbstredend in jedem Einzelfalle, wo ein apotecarius des 13. und 14. Jahrhunderts auftritt, erst nach genauer Prüfung der Neben- umstände festgesetzt werden, ob es sich um den Betrieb einer Medizinal- apotheke oder um eine Thätigkeit anderer Art gehandelt hat. Süddeutschen Verordnungen nach zu schliessen, wurde es seit der Mitte des 14. Jahrhunderts üblich, die Berufsthätigkeit des Medizinal-Apothekers behördlicherseits durch Bestimmungen zu regeln. Für das Gebiet des Nieder- rheins bietet ein Kölner Ratserlass und eine hierauf fussende Apotheker- ordnung von 1478 wahrscheinlich das erste Beispiel einer solchen Regelung. Die medizinische Fakultät, so heisst es im Erlass, 9 klagt über den Vertrieb von Arzneien durch herumziehende, unwissende »Landläufer«, und die hiesigen Apotheken entsprechen keineswegs unseren berechtigten Anforderungen. Ihren Vorstehern mangelt die nötige Ausbildung (nyet verstendige mannen), so dass die Rezepte zuweilen nicht nach ärztlicher Verordnung angefertigt werden. Darum ist auf die Anstellung von Apotheken-Revisoren Bedacht zu nehmen. Die gleichzeitige Apothekerordnung bestimmt im wesentlichen folgendes. Jährliche Revisionen der Apotheken durch Ärzte der medizinischen Fakultät und durch Mitglieder des Rats. Zuziehung dieser Ärzte seitens des Apothekers bei der Anfertigung von Arzneimitteln, die für eine längere Aufbewahrung bestimmt sind (Composita). Befolgung der Vorschriften der alten Arzneibücher (antidotaria) bei der Bereitung solcher Mittel. Vereidigung der Apotheker und ihres Geschäftspersonals. Schwur: Nur beste »Materialia« nach ärztlicher Anordnung zu liefern und bei der Rezeptur nicht eigenmächtig andere als die verordneten Arzneimittel unterzuschieben (Nicht quid pro quo!). Ver- pflichtung der Apotheker, nur durch ausgebildetes männliches oder weib- liches Personal Arzneien anfertigen zu lassen. Die Standgefässe in den Apotheken dürfen nicht leer sein; ihr Inhalt muss der Aufschrift des Gefässes entsprechen. Die Original-Rezepte bewahrt der Apotheker; der Patient er- hält auf Wunsch eine Abschrift. »Weil das Amt der Apotheker ein be- sonders treffliches Ampt ist, antreffend des Menschen Leib und Leben«, soll niemand, es sei Kleriker oder Laie, Frau oder Mann, Jude oder Christ, zur Arzneibereitung oder »Haltung einer offenen Apotheke binnen Köln« befugt sein, der nicht vor den Doktoren der medizinischen Fakultät eine Fachprüfung bestanden hat. Arzneien und Heilmittel (jedenfalls zusammengesetzte) dürfen Apotheker nur auf Anweisung eines in Köln zur Praxis zugelassenen, geprüften Arztes verabfolgen. — H5* — Soweit die Ordnung von 1478. Bemerkenswert ist ausser der Zulassung weiblichen Geschäftspersonals die Verpflichtung der Apotheker, zusammen- gesetzte Arzneimittel des Arzneischatzes nur unter ärztlicher Aufsicht zu be- reiten. Die Aufbewahrung der Originalrezepte sollte eine gewisse Kontrolle bei auffälligen Todesfällen ermöglichen : »bei einiges minschen snellen of un- versienlichen doet«. Nach zu Ausgang des Mittelalters wurden zu der Ord- nung von 1478 Ergänzungen nötig. 10 In diesen fehlt die Erwähnung weiblichen Geschäftspersonals, wenn man von der an zwei Stellen unbestimmt ange- deuteten Möglichkeit absehen will, dass die Hausfrauen der Apotheker Arzneien bereiteten und verkauften. Nach der Hauptbestimmung mussten die Apotheker entweder selbst die ärztlichen Rezepte anfertigen, oder zur Rezeptur ver- ständiger Knechte sich bedienen, die mindestens drei Jahre hindurch in anderen Apotheken ausgebildet worden waren. Des Weitern legen die Vor- schriften Wert auf den Gebrauch richtigen Masses und Gewichtes. Kein anderer Theriak darf geführt werden, als Theriaca magna Galeni. Die Aus- übung der Heilkunde ist den Apothekern untersagt, der Verkauf von Pillen und einfachen Mitteln aber gestattet. Zum Verkauf von Gift bedurfte es der Erlaubnis eines Arztes oder Ratsmitgliedes; Gewerbetreibende (Goldschmiede und dergl.) erhielten aber zu technischen Zwecken giftige Stoffe unbean- standet. Eine Andeutung lässt auf das Bestehen einer Arzneitaxe schliessen. Die > alten« Arzneibücher (Antidotaria) der Doktoren Nikolaus und Mesue werden für rechtsgültig erklärt. Nikolaus Präpositus (12. Jahrh.) war einer der berühmtesten Ärzte der Schule von Salerno, während das Antidotarium Mesues (des Jüngeren 10. — 11. Jahrh.) galenisch-arabische Grundsätze vertritt. 11 Am Niederrhein beruhte also in den letzten Jahrhunderten des Mittelalters der Kern des Arzneischatzes der Apotheken auf Rezepten arabischer Ärzte! Eine neue Apothekerordnung nebst einer umfangreichen Arzneitaxe erschien für Köln im Jahre 1628. 12 Wir ersehen aus der Einleitung das Be- streben des Rats, die Zahl der in Köln bestehenden Apotheken zu vermindern, um so das Vorhandensein guter und frischer Heilmittel in den Offizinen zu sichern (Ut omnia in offleinis sincera, selecta et recentia essent pharmaca). Apotheker- Witwen konnten das Geschäft durch geprüfte Pharmazeuten weiter- führen lassen, doch fiel beim Eingehen einer zweiten Ehe diese Begünstigung fort, wenn der Gemahl zur Ausübung der Apothekerkunst nicht berechtigt war. Immer noch mussten die Composita des Arzneischatzes, ja sogar ein- fachere Mischungen, wenn ganz besonders kostbare Stoffe, wie Moschus, Ambra, Perlen und Edelsteine zur Verwendung kamen, in Gegenwart des ärztlichen Revisors angefertigt werden. Übertretung der Bestimmung wird mit Geldstrafe bedroht; die ältere Ordnung drohte statt dessen mit Geschäfts- schliessung oder Verhängung der Ladenfenster auf einige Zeit. 17' — n6* — Für kurkölnisches Gebiet, sowie für Jülich-Kleve-Berg ergingen wesent- liche Bestimmungen zur Regelung des Apotheken wesens erst lange nach 1478. Jedenfalls kamen am ganzen Niederrhein viele Menschenalter hindurch die Grundzüge der Kölner Ordnung zur Geltung. Der Nachweis einer dreijährigen Lehr- und kurzen Gehülfenzeit, der vom Lehrherrn, meist wohl gemeinsam mit einem angesehenem Arzte ausgestellte Meisterbrief, dazu günstigsten Falls die »Approbation« irgend einer medizinischen Prüfungsbehörde, dies Wenige ermächtigte ehemals bei uns den Jünger der Apothekerkunst, mit obigkeit- licher Bewilligung dort ein Geschäft zu eröffnen, wo ihm eine einigermassen gesicherte Zukunft zu winken schien. Erst kurz vor der Fremdherrschaft wandte man auch ausserhalb Kölns dem Apothekenbetrieb mehr Aufmerk- samkeit zu. Nach kurkölnischen Verordnungen 13 (1765, 1779, 1787) mussten die Apotheker approbiert sein. Die Prüfung lag zuerst in der Hand des kur- fürstlichen Leibarztes oder der Landphysiker, später in der des Bonner Medizinal-Kollegiums und der medizinischen Fakultät in Bonn. Jülich-Berg weist für das 18. Jahrhundert zahlreiche Verfügungen auf, unter denen die Medizinal-Ordnungen von 17 18 und 1773 die wichtigsten sind. Die unhalt- bare Kölner Bestimmung inbetreff der Anfertigung der Composita unter ärzt- licher Aufsicht fehlt. Höchste Behörde war das Collegium medicum in Düsseldorf, dem auch die Prüfung und Approbierung der Apotheker oblag. 1708 heisst es: »alle Medici sollten alle Jahre die Apotheken fleissig visitiren« während 1773 die Physiker und das Consilium medicum mit diesen all- jährlichen Revisionen beauftragt erscheinen. Jede Benachrichtigung über den Zeitpunkt solcher Revisionen war streng untersagt, und nicht einmal ein Mahl oder eine »Collation« durften die Revisoren vom Apotheker annehmen. Überhaupt war es den Ärzten untersagt, von den Apothekern Geschenke an- zunehmen, weil dies doch nur geschehe, damit entweder der Arzt die geschäft- lichen Nachlässigkeiten des Geschenkgebers stillschweigend hingehen lasse, vder aber ihn auf Kosten anderer Apotheker besonders empfehle. Ferner werden die Ärzte gewarnt vor dem Verschreiben allzuvieler und unnötiger Arzneien, sowie vor »Kompagnie-Geschäften« mit Apothekern. Desgleichen wird es als unstatthaft bezeichnet, dass ein Arzt Medikamente unter erdichteten neuen Namen verfertige und »solche fingirten Arcana« in den Apotheken zum Schaden des Publikums teuer verkaufen lasse. Die Ausübung ärztlicher Praxis war den Apothekern verboten, auch hatten sie sich besonderer Em- pfehlungen eines bestimmten Arztes zu enthalten. Lehrlinge durften selb- ständig Rezepte erst dann verfertigen, nachdem sie eine Prüfung vor dem Physikus bestanden hatten. Liqueure und Branntwein durften Apotheker nicht führen; den Giftverkauf regelten besondere Bestimmungen. »Charla- — ii7* — tans, Kunststückmacher, Tierleiter,« und andere Marktschreier, die mit Arzneien hausierten, traf die Strafe der Landesverweisung. Den Klever Gegenden brachte nach ihrer Trennung von Jülich-Berg die brandenburgisch-preussische Herrschaft im 17. und 18. Jahrhundert auf dem Gebiet des Apothekenwesens keine bedeutenden Aenderungen. Aufsicht- führende Behörde war das Provinzial-Medizinal-Kollegium in Hamm, welches i. J. 1786 entschied, dass ein Arzt nicht Eigentümer oder Besitzer einer Apotheke sein könne. Die Fremdherrschaft gab durch Beseitigung der Einzelstaaten dem Nieder- rhein die Vorteile einer einheitlichen Gesetzgebung. Dies kam auch dem Apothekenwesen zu gut. Sonst hat die »Franzosenzeit« besondere Verdienste um die Pharmazie nicht aufzuweisen. Die Prüfungsbehörden hatten eigent- lich nur den Namen gewechselt, die Revisionen besorgten ärztliche Apotheken- Inspektoren. Ein amtliche Arzeneitaxe gab es nicht, und infolge der gewerbe- freiheitlichen Richtung der Gesetzgebung nahm die Zahl der Apotheken in den Städten auffällig zu. Leider erfolglos versuchte die Regierung (1810) das Geheimmittel-Unwesen zu bekämpfen; Anerkennung verdient auch Napo- leons I. Versuch, dürftige Landbewohner bei Epidemieen auf Staatskosten mit Arznei zu versorgen. Die zu diesem Zwecke i. J. 1805 in die rheinischen Departements versandten Arzneikästen enthielten je 25 Arzneimittel nebst einer Wage mit Gewichten. 14 Schon zu Ende 18 14 verfügte der General- Gouverneur des Nieder- und Mittelrheins, dass künftig weder Neuanlagen noch Verlegungen von Apotheken ohne Erlaubnis der Regierung stattfinden dürften, und mit dem 1. Januar 18 16 trat in den Rheinlanden die preussische Arznei- taxe in Kraft; ,5 — eine neue Zeit war angebrochen. Niederlassungsfreiheit für geprüfte Apotheker gab es vor 1 800 am Nieder- rhein nur in beschränktem Sinne. Dort, wo eine Apotheke nicht bestand, wurde allerdings meist ein Bewerber mit offenen Armen aufgenommen, er- hielt sogar oft unentgeltlich das Bürgerrecht und andere kleine Vorteile. Anders in den mit Apotheken versehenen Orten. Da wies man Neuanlagen häufig zurück. So in Köln (s. S. 115*), und in Jülich, 16 wo der Rat eine neu ange- legte Apotheke schloss, »weil eine dritte Apotheke in Jülich nicht bestehen könne.« Die Genehmigung zu Neuanlagen von Apotheken oder zu Ueber- tragungen an Geschäftsnachfolger ging meist vom Landesherrn aus. 17 Die Konzession — das Wort war schon im vorigen Jahrhundert gebräuchlich — war in der Regel sorgfältig verklauselt. 18 Das Düsseldorfer Collegium medicum drängte »wegen guter, frischer und wohlfeiler Waren* mehr auf eine Ver- minderung, denn auf eine Erhöhung der Zahl der bestehenden Apotheken. Um die Verteilung der Apotheken am Niederrhein war es kläglich bestellt: Ueberfüllung in Städten und in industriereichen Bezirken, Mangel auf dem — n8* — Lande. So wies der grosse Euskirchener Bezirk bis z. J. 1780 weder Ärzte noch Apotheken auf, in Rheinbach war man auf das vier Stunden entfernte Bonn angewiesen. 19 Eine Liste der linksrheinischen Apotheken von Bonn bis Kleve, die ähnliche Verhältnisse enthüllt, findet sich in den Präfekturakten des Roerdepartements vom Jahre 1806. In Düsseldorf gab es um 18 16 sieben Apotheken, darunter eine, deren Inhaber 20 Jahre vorher mit 32000 Rthlrn. (ä 2,40 Mk.) Passiva in Konkurs geraten war. Ein Ministerial-Reskript vom 3. Dezember 1816 wirkte auf eine Verminderung hin, wurde aber schon im Jahre 1820 aufgehoben, da die sieben Düsseldorfer Apotheken »in blühendem Zustand« seien. Über ärztliche Hausapotheken in älterer Zeit findet sich nichts verzeichnet. Einige Arzneimittel für Notfälle hielt sicher jeder Landarzt vorrätig; auch Krankenhäuser waren mit Arzneimitteln versehen. Ein tieferes Eingehen auf die Apotheken -Gesetzgebung am Niederrhein in der Zeit vor 18 14 ergiebt sehr bald, dass man allenthalben die eine scharfe Überwachung und staatlichen Schutz erfordernde Ausnahmestellung der Phar- mazie unter den Gewerben richtig erkannte. Dabei hielt man sich aber von dem selbst der neuesten Zeit eigentümlich gebliebenen schweren Fehler nicht frei, die Hebung oder Abschwächung der durch die Sonderstellung entstandenen Schwierigkeiten einzig von Ausnahme- und Überwachungsbestimmungen zu erwarten, anstatt gleichzeitig durch Erhöhung der Ansprüche an die Vorbildung den Zuzug minderwertiger Kräfte einzuschränken. Über die technische Seite des Apothekenbetriebs bei uns geben die älteren Quellen nur wenig Aufschluss. Was uns H. Peters in seinem an- ziehenden Werke »Aus pharmazeutischer Vorzeit« von süddeutschen Apotheken berichtet, kann unbedenklich auch auf niederrheinische Anwendung finden. Dass die Apotheker meist Nebengeschäfte der verschiedensten Art betrieben, verdient kaum Erwähnung. Eine besondere Zunft konnten sie schon ihrer geringen Zahl wegen nicht bilden. Bei der Wahl der Zunft, welcher die einzelnen Standesmitglieder sich anschlössen, gaben örtliche Verhältnisse den Ausschlag. Seit dem 16. Jahrhundert traten am Niederrhein die arabischen Arznei- bücher in den Hintergrund. Köln ging bahnbrechend und tonangebend voran. Kölner Pharmakopoen erschienen 1565 und 1627, ä0 ein Dispensatorium medico- pharmaceuticurn für Jülich- !3erg aber erst 1764, 21 während im Klevischen die preussische Pharmakopoe galt. In allen diesen Arzneibüchern spiegeln el'en- lange Vorschriften ein Bild der damaligen ellenlangen Rezepte wieder. Haupt- mittel war der opiumhaltige Theriak, der noch im Jahre 1764 aus mehr als sechszig Arzneisubstanzen sich zusammensetzte. Trotz der verhältnismässig geringen Anforderungen an die Fachbildung erfreuten sich die niederrheinischen Apotheker einer geachteten gesellschaftlichen Stellung. Ausser ihren der leidenden Menschheit geleisteten verantwoitungs- — ii9* — vollen Diensten mag wesentlich hierzu der Reiz des Geheimnisvollen beigetragen haben, der Jahrhunderte hindurch den Werkstätten von Arznei und Gift an- haftete. Ehrend gedenkt schon die Kölner Ordnung von 1478 des »besonders trefflichen Amts der Apotheker« (vgl. S. 114*); auch in der noch älteren Ur- kunde von 1437, 22 laut welcher Herzog Adolf von Kleve unter lockenden An- erbietungen einen Apotheker für seine Residenz zu gewinnen suchte, tritt das Ansehen des Standes deutlich zu tage. Und in der neueren rheinischen Städte- geschichte werden vielfach Apotheker genannt, deren Wirksamkeit auf sozialem Gebiete die Zeitgenossen in rühmendster Weise gedenken. Dass im 18. und noch im 19. Jahrhundert manche Gelehrte, darunter namentlich Chemiker und Mediziner, auf kürzere oder längere Zeit dem Apothekerstande angehört haben, ist allbekannt. Auch für den Niederrhein werden sich manche solcher Ge- lehrten ergeben, wenn die Biographien und Bibliographien, die unser Gebiet betreffen, zahlreicher vorliegen, als es jetzt noch der Fall ist. Hier nur drei Namen: Johann Dietrich Hoffstadt, 23 geboren zu Düsseldorf, Apotheker in Hanau, später Arzt in Heidelberg; schrieb eine im Jahre 1693 zu Hanau erschienene bekannte Schrift übxr Theriak. Martin Johann Haesbert, 23 Sohn des Hof- apothekers Peter Haesbert in Kleve, war mehrere Jahre hindurch in der Phar- mazie thätig, später Professor der Medizin in Duisburg, wo er als Rektor der Universität im Jahre 171 1 starb. Kaspar Georg Karl Reinwardt wurde geboren zu Lüttringhausen im Herzogtum Berg, war zuerst Apotheker, dann (1800) Professor der Chemie, Botanik und Naturwissenschaft in Harderviyk. 23 Nicht durch den Geburtsort, wohl aber durch seinen Wirkungskreis gehört Theod. Fr. Ludw. Nees von Esenbeck, der ursprünglich Apotheker war, dem Niederrhein an. Er starb als Professor und Mitdirektor des botanischen Gartens in Bonn; hier erwähnt wegen seiner vielfachen Beziehungen zu Düsseldorf. 1 Quellen-Nachweis. 1) A. Hirsch, Geschichte der medizinischen Wissenschaften in Deutschland. 1893, S. 19. 2) F. A. Flückiger, die Frankfurter Liste 1873 S. 4 und 5; vgl. auch S. 115* dies. Aufsatzes '3) Philippe-Ludwig, Geschichte d. Apotheker 1858, S. 82 f. 4) Ebenda S. 1016. 5) Ebenda S 85. 6) Annalen des histor. Vereins für den Niederrhein, Heft 19, S. 300. 7) Gütige Mitteilung des Herrn Dr. R. Knipping. 8) H. Peters, Aus pharmazeutischer Vorzeit 1891 Bd. I., S. 293. 9) Annalen a. a. O. S. 302 f. 10) Annalen a. s. O. S. 306 f. 11) F. A. Flückiger a. a. O. 48. Über Mesue vgl. Philippe- Ludwig a. a. O. S. 383. 12) Beigebunden dem Exemplar von Holtzhems Dispensatorium Coloniense in der Bonner Universitätsbibliothek. 13) Vgl J. J. Scottis ^umfangreiche mit guten Registern versehene Sammlungen der kurkölnischen, jülich-kleve-bergischen und kleve-märkischen Gesetze und Verordnungen. 14) Vgl. zu den vorstehenden An- gaben aus der Zeit der Fremdherrschaft, die ebenfalls mit einem guten Register ver= sehenen Präfektur-Akten des Roer-Departements Bd. 1802-1813. 15) Journal des Nieder- und Mittelrheins 1814 Nr. 72, 1815 Nr. 150. 16) Kühl, Jülich III, S. 267. 17) Zum Teil beruhen die nachfolgenden Angaben auf den im Düsseldorfer Staatsarchiv vorhandenen Akten über die Apotheken in Düsseldorf, Lennep und Mettmann. 18j Zeitschr. des — 1 2CT — Bergischen Gesch.-Vereins Bd. XL S. 110—112. 19) Katzfey, Münstereifel Bd. II, S. 54 und 162. 20) Kestner, Medic. Gelehrten-Lexikon 1740, S. 233 und Annalen a. a. O. Heft 50, S. 70. 21) Wurde Pfälzisches Dispensatorium genannt; erschien in Mannheim. 22) Zeitschr. des Bergischen Gesch.-Vereins Bd. 30. S. 180. Beckhaus'sche Sammlung in der K. Landesbibliothek zu Düsseldorf. Emil Pauls, Düsseldorf. X. Heilquellen und Bäder in Jülich-Kleve-Berg und nächster Nachbarschaft. Die Gebiete der ehemaligen Herzogtümer Jülich, Kleve und Berg, aus- gezeichnet durch Reichtum des Bodens, Industrie, Wohlhabenheit, sind, wie schon ein oberflächlicher Blick auf eine Bäderkarte zeigt, im Verhältnis zu ihren Nachbaren arm an Heilquellen und Bädern, arm sowohl, was deren Zahl, wie auch deren Bedeutung anlangt. Könnte man schon deshalb versucht sein, einige Schritte über diese politischen Grenzen hinaus zu wagen, wo man bedeutsamen Zuwachs gewinnt, so noch mehr, weil derselbe mit Ausnahme der kurkölnischen Quellen, auf Gebieten liegt, die wenigstens zeitweilig in die genannten Grenzen einbe- griffen waren. Demnach wären hier zu betrachten: 1. In dem Grenzgebiet nach Osten: Schwelm, im heutigen Westfalen, hart an der Grenze unseres Regierungsbezirkes Düsseldorf gelegen, in der alten Grafschaft Mark, die früher schon länger mit dem Herzogtum Kleve vereinigt, seit 1521 auch mit Jülich-Berg und der Grafschaft Ravensberg verbunden war, bis sie 1666 zu Ende des jülich-klevischen Erbfolgestreites in den Besitz des grossen Kurfürsten von Brandenburg überging ; 2. inmitten der alten Herzogtümer: der junge Krefelder Sprudel, in seiner Nachbarschaft das nicht viel ältere Soolbad Alstaden bei Mül- heim a. d. Ruhr und endlich Kleve, alt schon, aber auch abgestanden; 3. auf dem Wege zum südlichen Grenzgebiet: der einst berühmte, kur- kölnische Godesberger Brunnen und in seiner Nähe die erst in zweiter Reihe zu nennende Roisdorfer Quelle, von je mehr ein Tafel- als ein Heilwasser liefernd ; 4. im südlichen Grenzgebiete — linksrheinisch: uns zunächst die Quellen an der Ahr : die schon seit dem 15. Jahrhundert so berühmten kalten Mineralbrunnen von Heppingen, jetzt von dem 121* benachbarten 1852 entdeckten Appolinarisbrunnen tausendfach überflügelt, und die weltbekannten Thermen von Beul-Neuenahr (einst Hauptstadt der Grafschaft Neuenahr), von 1546 bis zur französischen Occupation dem Herzogtum Jülich (später Pfalz Bayern) unterthan; weiter strom- aufwärts das einst vielbesuchte, aber der Konkurrenz von Neuenahr bald erliegende Bad Sinzig, 10 Minuten von dem gleichnamigen Ort, einst einer alten Reichsveste, die schon 1348 in Folge einer Verpfändung in den Besitz der bald nachher zu Herzögen erhobenen Grafen von Jülich übergegangen war und in der Folge bis zur Auf- lösung des deutschen Reiches dabei verblieb ; endlich unser ältestes Bad Tönnisstein mit dem benachbarten Heilbrunnen — schon zur Römerzeit bekannt, wie es mehrfache Funde unzweifelhaft dargethan — heute noch, wenn auch nicht mehr im alten Glänze, so doch neben Neuenahr das bedeutendste der niederrheinischen Bäder; rechtsrheinisch : Brohl gegenüber die Hönninger und Arienheller Sprudel, rhein- abwärts die Drachenquelle bei Honnef, das einst dem Bergischen Siebengebirgsamte Löwenburg zugeteilt war, endlich Bonn gegenüber bei Pützchen die Adelheidquelle, in ältere Zeit zurückreichend, wäh- rend die drei vorgenannten der neueren Zeit angehören. Schwelm, nach Tönnisstein das älteste unserer Bäder, hat nicht nur im Düsseldorfer Staatsarchiv seine dichtgedrängten Aktenbündel, die von 1706 — 1788 reichen, abgelagert, sondern auch eine Literatur hervorgerufen: 1. Acidulae Schwelmenses oder Beschreibung des Neuen Schwelmer Sauer- brunnens von Dr. J. P. Maul (1706) — damals noch Arzt in Lünen, später Brunnenarzt in Schwelm. 2. Kurzer Unterricht von dem Medizinalbrunnen in Schwelm von Dr. E. Hölterhoff (Dortmund 1707), einem schon lange in Schwelm wirkenden Arzte. 3. Joh. Diedrich von Steinen, Westfälische Geschichte, Lemgo 1757, darin Dr. Schuttes Bericht über Schwelm. 4. Erfahrungen über den Nutzen und Schaden des Schwelmer Gesund- brunnen. Dr. S. Collenbusch, Hagen 1791. Der Neuzeit gehören an: 5. Bilder aus der Geschichte von Schwelm. Festschrift von Dr. W. Tobien, Schwelm 1890. 6. Notiz aus d. Schw. Zeitung 27. IL 1897. — 122* 6. Gutachten von Bergingenieur Abt 1886 »Über den Ursprung der Erz- lagerstätte der Zeche Schwelm und des Schw. Ges.-Brunnens*. Schriftl. Gutachten. Bes. Alb. Ritter, Buchhandlung Sehers in Schwelm. Das sind unsere Hauptqucllen über den Schwelmer Gesundbrunnen, »welcher eine viertel Meile von der Stadt, an der Landstrasse, die über Gevelsberg nach Hagen führt, in einer lustigen Gegend auf einem Wiesen- Grunde gelegen und umher auf etliche Meilen weit mit fruchtbaren Bergen umgeben ist« und »am Fuss des Allaunberges, der vielerley mineralien, alss Alaun, Vitriol, Kupier, Schwefel, Eisen, ja auch vermuthlich Silber und Gold bei sich hat«, entspringt. Am 10. August 1706 reicht Casparus Frowein, med. Doctor, eine »remon- stration« ein, mit folgendem Wortlaut: »Ew. Königl. Majestät wollen sich allergnädigst in aller Unterthänigkeit vortragen lassen, wessgestalt sich bey dem Stettlein Schwelm in dasigem hohengericht bey sogenannten Vitriol-Berge (:so meine Vorfahren vor mehr dan 40 und 50 Jahren mit grossen Kosten bearbeitet:) ein sehr heil- bahrer Brunnen gefunden, welcher ein Zeitlang sehr, da man an diesem geringen orth nicht viehl medicos gehabt, verdunkelt blieben, nach dehm ich aber vor und nach von diesem Brunnen Wasser, ehe man gedanken darauf gehabt, selber getrunken und verspüret, dass darinnen eine sonder- liche Krafft verborgen, So hab ich solch Wasser auss curiosität distüliren und abziehen lassen, da sich gezeiget, dass dieser Brunnen ex minera martis, worauss vorhin das vitriol ausgearbeitet worden, seinen Uhrsprung nehmen, Und sich dabey ein sa! wie auch sulphur vitrioli martis et saturni, so vieleicht der minera martis beyläuffig spüren lasse. Und wie nun der- gleichen art Brunnen von den meisten medicis vor die Besten gehalten, Und in morbis chronicis, malo hypochondriaco, obstruetione mesenterii, lienis, hepatis, in nephritide, scorbuti, chlorosi, obstruet. mensium, catarrhis etc. So wohl in- als ausswendig zu gebrauchen sehr dienlich, ich auch diesen Brunnen bereits verschiedenen patienten, die sich ailesambt wohl darbei befunden sonderlich recommandiret, daher dan Viehle damit curirel, also dass dieser Brunnen von Gross Und Kleinen beginnet aestimirt zu werden, dass habe hierdurch dem gemeinen Beste zu gut, da sowohl Ew. Königl. Majestät hohes interesse, alss der Unterthanen Vortheil darunter notorie versirt Aller Unterthänigst in Vorschlag bringen soilen, ob Ew. Königl. Majest. nicht Allergnädigst gefallen möchte, weil der Brunnen ganz offen und bloss lieget, durch menge der Brunnengäste Und Unordentliches- schöpfen Und spühlen verunreiniget, ahnbey je mehr Und mehr Unbrauchbahr ge- machtjWirdt, dahero zu befehlen, dass dieser sehr heilbahre Brunnen vor erst aus den Brüchtengeldern ( Brüchtengelder = Strafgelder) -zugemacht — 123* — Und in esse« (in esse = in Ordnung) »gebracht, im Besondern Brunnen Meister wie ingleichen medicus . . . ahngesetzt werden mögte, gestallt solche ahnordnung diesem geringen orth, woselbst sonsten die Nahrung schwer fällt nicht wenig in aestim bringen, und diejenige Kosten, so zu dieses Brunnens Uffnahme vorläuffig emplorirt weiden müssen, dem eigenthumbs Herrn hundertfach wieder einbringen können, Und da ich Meines orths der erste Author Und erfinder von diesem heilsamen Werke bin, Und in aestim gebracht, mich Vff allerunterthänigste Vorgeschlagene weise pro medico ordinario allergnädigst ahn zu ordnen« etc. Nachdem Dr. Frowein das gewünschte Amt übertragen war, schreibt er am 13. Sept. 1706 weiter: »Nachdem nun der Zulauf von Patienten ungemein gross nach dermahlen solche euren bereits an stockblinden Und gantz lahmen Leuten geschehen, welche an andern Brunnen nicht geheilet werden können, die mengde von Leuten auch noch täglich mehr zu- alss abnimmt, so hat man vor nöthig erachtet, den Brunnen, weil mit allerhand ansteckenden Seuchen beladene Patienten, so mit schöpfen das Wasser verunreinigen Und andern Brunnengästen das Trinken zu wider machen, sich zugleich mit einfinden zu verschliessen — und einen viereckigen Kasten mit zweyn Deckeln von Holz verfertigen lassen, so füglich geschlossen werden kann.« Über die Entdeckung des Gesundbrunnens berichtet uns in der West- fälischen Geschichte von J. D. von Steinen 1757 auch der später noch zu er- wähnende Brunnenarzt Dr. J. H. Schütte folgendes: »So viel ich Nachricht habe einholen können, soll vor mehr als 80 Jahren ein Herr auf dem Freyadelichen Hause Matfeld gewesen sein, der. wenn er des morgens bei den Arbeitern des Vitriolgewerks gewesen, in der Wiesen an dieses Brünnlein, welches damahls im sumpfigten Grunde hervorgequollen, gegangen, daraus getrunken, seine Hände gen Himmel gehoben, und Gott für dasselbe gedanket, auch zuweilen gesagt haben : Es wäre schade, dass die Leute nicht wüsten, wozu dieses Wasser gut seie. Zur Entdeckung dieses Gesundbrunnens mag wohl Ursach und Anlass gegeben haben, dass er in der grossesten Kälte nicht zugefroren, sondern nur einen Dampf und starken Dunst von sich gegeben ; so dass keine Kuh und Pferd draus trinken wollen, ob man sie schon dazuzwingen will« u. s. w. »Wegen solcher besonderen an diesem Wasser befindlichen Eigenschaften, ist es schon mehr als 30 Jahre vorher, ehe dieses Wasser bei auswärtigen in Ruf gekommen und bevor Dr. Hölterhoff und Maul davon geschrieben haben, von denen darum wohnenden getrunken, und von dannen geholt worden.- Wir erfahren aus demselben Berichte, dass schon im Juni 1706 der alte neben dem Brunnen wohnende Gastwirth Neuhauss einigen nach Pyrmont zur — 1 24* — Kur reisenden Bekannten das Mineralwasser mit den Worten empfohlen habe : »Wenn die Herren wüssten, wie gut das Wasser an der Quellen in der Math- felds Wiesen ist, sie würden nicht nach Pyrmont gereiset seyn« u. s. w. »Hierauf trunken einige unsern Gesundbrunnen und wurden von solchem blossen Trinken und Baden, verschiedene Bleichsüchtige, Scharbutische, Con- tracte und Lahme unverhoft, und mit jedermanns Verwunderung curiret. In selbigem Jahre gleich darauf, kam dieser Brunne in grossen Ruf, und jeder- mann sprach davon, als einem Wunderbrunnen, welcher Ruf auch in ent- legene Örter erscholl.« Dr. Frowein selbst teilt in einem (im Düsseldorfer Archiv befindlichen) Brief vom 28. Oktober 1707, Archiv - Akten S. 103, mit, dass »binnen 2 Monaht Zeit ä 60 biss 70000 Menschen sich dabei eingefun- den«, welche teils aus Kuriosität, teils aus Superstition, am allerwenigsten aber brunnenmässig trunken« ; und dennoch sollen nach Froweins Aussage »bcy die 800 Patienten* Besserung gefunden haben. Bei solcher Frequenz lag es nahe, dass man auch den ärmeren Klassen die Wohlthat des vielgepriesenen Wassers zuwenden wollte. Von Seiten der evang. Reformierten und Lutherischen Geistlichkeit wurde ein Allmosen- kasten beim Brunnen angebracht, mit der Bestimmung, dass »die einkommenden Allmosen unter die den Brunnen besuchenden bresthaften Armen distribuirt würden«, eine Einrichtung, welche leider zu längeren Streitigkeiten führte mit der katholischen Frau Wittib von Stael zu Matfeld, auf deren Besitztum die Brunnen zu Tage traten. Auch die Regieruug bekundete ihr Interesse für den Trinkbrunnen, indem sie ihn »mit einer Mauer umbfangen und mit einem Tach versehen Hess«, doch durften die Kosten dafür den Betrag von 8 — 10 Rthl. nicht übersteigen, im anderen Falle »will man zu ein mehreres nicht verbunden sein.« König Friedrich I. von Preussen liess später den Brunnen in einen Seckigen steinernen Brunnen-Coup einschliessen und mit einem auf 8 steinernen Pfeilern stehenden Brunnen-Thurm bedecken. »Nachher kam dieser Brunnen wieder in einen bösen Ruf und Abnahme« und zwar verschuldete das nach Dr. Schuttes Berichten neben der noch immer nicht genügenden Commodität auch der Umstand, dass, infolge einer neuen Domainen-Verpachtung, das »salarium des Brunnen medici (Maul) hin- gefallen, gefolglich der Brunnen von ihm nicht mehr besucht worden, und also ohne rath eines medici durch missbraüch des brunnens verschiedene widrige euren entstanden.« Auch klagt Schütte sehr über das dreiste Treiben von Quacksalbern, Beutelschneidern und anderem Gesindel an demselben. Anno 1731 wurde nach dem Tode des obengenannten Dr. Maul (im Jahre 1727) Schütte selbst dort Brunnenarzt und erhielt zugleich den Auftrag »was — 125* — am Brunnen zu reparieren nöthig sey, aufzunehmen- , welches auch im Januario 1732 geschehen. Im Sommer desselben Jahres (1732) Hess man auch den zweiten Brunnen, den sogenannten scharfen oder Scharbocksbrunnen, welcher »wegen seiner grossen adstringierenden Schärfe* nur zum Baden ohne das Wasser einzutrinken benutzt wurde, in einem Brunnen-Coup einfassen. Dr. Schütte reiste am 8. Juni 1732 zum erstenmal von Kleve aus zum Gesundbrunnen, »und war daselbst bis auf den I2ten Sept., in welcher Zeit 191 Brunnengäste sind gezehlet worden.* Im Duisburg. Wöchent. Intelligenz-Zettel kündigen sich ferner als Brunnen- ärzte an: 1764 und 65 Dr. med. Dullalus, 1767 Dr. Eibers, 1785—88 Dr. Jäger. Aus dem Jahre 1 768 (26. Juli) bieten die Archivakten noch ein Brunnen- Reglement mit einzelnen bemerkenswerten Bestimmungen. »§ 6. Die Mittags-Mahlzeit soll um 12 Uhr eingerichtet werden, ohne nach dieser Zeit länger auf andern warten zu lassen. § 7. Und damit die Brunnen, Gäste sowohl als fremden der nöthigen Ruhe geniessen mögen, so soll bis 5 Thlr. strafe, so der Brunnenwirth erlegen soll, des Abends gleich nach 10 Uhr die Music aufhören, und kein Wein weiter an Gesellschaften verpachtet werden.« Nach § 9 wird ein Brunnen-Gericht etabliert, welches »aus dem jedesmaligen Bürgermeister und Brunnen medico bestehen und denen dem Reglemente zu- widerlaufenden Beschwerden abhelfen soll.« Dem Reglement beigegeben ist eine genaue Taxe für die Bewirtung und Konsumtion der Gäste am Gesund- brunnen. 1770 sind die Badeeinrichtungen verbessert. 1773 macht man bekannt, »dass zur mehreren Bequemlichkeit annoch ein Wirtshaus erbaut werden soll, und demjenigen, welcher zu solchem Bau Lust bezeiget und in ermeldetem Behuf ein bequemes Wirtshaus hinsetze, 200 Rthlr. Bau Freiheits Gelder gereichet werden sollen.« Trotz des strengen Reglements scheint das Schwelmer- Brunnenleben aber durchaus keine Temperenzler gezüchtet zu haben; das beweist die Brunnenannonce vom 8. Juni 1779 mit dem Wortlaut: »Wenn es aber vorigen Sommer einem oder anderm nach Wunsch nicht geglücket, die haben es dem Misbrauch zuzuschreibeu, dass sie ganze Nachmittage mit Versäumung nöthiger und heilsamer Bewegungen am Spieltisch sich steif gesessen.» Wir sind jetzt an der Glanzzeit unseres Brunnens angelangt. Vier grosse Gasthäuser sind um denselben entstanden und beherbergen besonders während der Sommermonate eine bedeutende Anzahl Kur- und anderer Gäste. Aus der damaligen Chorographie des Schwelmer Predigers Friedrich Christoph Müller (1798) entrollt sich uns ein Bild des ganzen Lebens und — 126* — Treibens daselbst. Er schreibt: »Es ist also nicht zu verwundern, wenn fast noch mehrere den Brunuen blos zum Vergnügen besuchen, als der Kur wegen gebrauchen. Die märkische und bergische schöne Welt ist deswegen in der Brunnenzeit meist da versammelt, und bedauert nichts mehr, als dass es noch zu sehr an öffentlichen Anstalten zum Vergnügen fehlet. Besonders vermisst sie ein Schauspielhaus, bedeckte Gänge, worunter sich bey regnerischem Wetter spazieren Hesse, einen englischen Garten und dergl.« Er rühmt dann die Brunnenwirtc: »Sie haben seit einigen Jahren viel gebauet, ihre Häuser zweckmässig eingerichtet, und grosse Sääle mit Orchestern angelegt. Sie unterhalten Truppen Musikanten, lassen alle Delikatessen der Jahreszeit kommen, und bedienen ihre Gäste aufs angelegentlichste. Dem ohngeachtet ist es nicht theurer, als in jedem andern guten Gasthofe. Z. E. eine Mahlzeit kostet S gute Groschen, eine Bouteille guten Rheinweins 10, ein Zimmer 4 Gute groschen, und so nach den Verhältnissen das Uebrige. Der Sonntag ist, zumal wenn gutes Wetter einfallt, ein rechter Erndtetag für sie. Alsdann kommen ganze Karawanen von Kaufleuten und Fabrikanten, Mann und Weib, zu Ross und zu Fuss aus dem Bergischen, um sich Be- wegung und Freude zu machen, und sich schröpfen zu lassen.« Dass aber der Brunnen dessungeachtet durchaus ernst genommen wurde, zeigt Dr. med. S. Collenbusch, der 1791 nach Aufzählung vieler erfolgreicher Kuren schreibt: »Es erhellet unwiderstehlich, dass in allen Krankheiten, die aus schwachen und schlaffen Fiebern herrühren, und folglich in allen denen, deren erste Ursach Mangel an Umlauf des Blutes ist, dies Stahl-Wasser von sichrer, guter Wirkung ist. In allen Krankheiten, die aus verdorbenen Säften ent- stehen, die durch den Mangel an Verdauung und Mischung, an Absonderung und Abfluss verursacht werden, hat die Erfahrung den innerlichen Gebrauch des Schwelmer Stahlwassers als unfehlbar wirkendes und heilendes Mittel bestätigt«. Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts wurde der Brunnen noch be- sonders, berühmt durch die zahlreichen Emigranten aus Frankreich und den Niederlanden, denen Schwelm einige Jahre als Zufluchtsort diente (der Magistratsbericht v. 18. IX. 1795 zählt ihrer z. Z. 500). Den Bemühungen der preussischen Regierung, sie, die nicht immer ruhigen Angehörigen einer fremden Macht, über die Grenze zu entfernen, verstanden viele sich eine Zeit lang wenigstens erfolgreich durch die Versicherung zu entziehen, den Schwelmer Brunnen für ihre thatsächlichen oder fingierten Krankheiten benutzen zu müssen. Im Jahre 1 8 1 3, nach dem russischen Feldzug Napoleons, war am Brunnen ein kaiserlich-französisches Lazareth eingerichtet, ohne Zweifel auch mit Rücksicht auf das Vorhandensein des heilkräftigen Wassers. Jedenfalls war letzteres die Veranlassung, dass nach dem Befreiungskriege viele verwundete i2; oder sonst erkrankte Krieger dort Heilung ihrer Leiden, namentlich der rheumatischen, suchten. Auch fernerhin, bis zum Anfang der 70er Jahre (mindestens bis 73) waren die verschiedenen Gasthäuser am Brunnen viel von Kurgästen besucht, bis im Jahre 1882 das Ende eintrat. Es verschwand nämlich plötzlich das Wasser der Heilquellen. Die Schuld wurde dem 1866 wieder aufgenommenen bergmännischen Betrieb in den roten Bergen von Seiten der Zeche Schwelm (Aktiengesellschaft Harkort), welcher seit Ende des 17. Jahrhunderts eingestellt war, beigemessen; ob mit Recht oder Unrecht, vermag ich nicht zu entscheiden. Ein mir vorliegendes fachmännisches Gutachten des Bergingenieurs Abt aus Schwelm (1886), im Besitz des Herrn A. Ritter (Scherz'sche Buchhandlung); behauptet die Ursache des Versiechens der Quelle, sei in der dortigen Boden- beschaffenheit zu suchen und rühre von Verstopfungen der Zuflussadern in den Lenneschiefern durch plastischen Thon her, die Quelle würde wieder auftreten und die konstatierte Änderung in der Qualität und Quantität der Mineralbe- standteile der Quelle zwischen jetzt und früher begründe sich dadurch, dass das Quellenwasser beim Durchsickern durch das Gebirge Gesteine, Mineral- "und Erzlagerstätten von anderer Zusammensetzung als früher passiert habe. Doch wie dem auch sei, nach einem 6 Jahre dauernden Prozess zahlte die Aktien- Gesellschaft Harkorts Bergwerke den 4 Besitzern der Quellen, die ein Anrecht auf solche hatten, Rüggeberg, Geschw. Bolling (Friedrichs-Bad), Erlenbruch und Kregeloh eine Entschädigungssumme von 30,000 Mark. Gebadet wurde nach Aussage des Wirthen Rüggeberg noch bis 1886, doch musste man das Wasser per Karre vom Brunnen ins Badehaus schaffen, was sich auf die Dauer als zu beschwerlich erwies. Das jetzt dort befindliche Brunnenhaus soll in den 60er Jahren erbaut sein. Steinpfeiler und andere Reste des früheren sind daneben am Rügge- berg'schen Garten aufgestellt. Geöffnet ist das Brunnenhaus zur Benutzung des Wassers jetzt nur an Sonntag- und Mittwoch-Nachmittagen, aus welchem Umstände schon ersichtlich ist, dass von regelrechten Brunnenkuren keine Rede mehr sein kann; doch lassen sich die zahlreichen Vergnügungsgäste gern aus Neugierde ein Glas Stahlwasser (aus der Pumpe) reichen. Als Ver- gnügungsplatz und Ausflugsort für die ganze Umgegend hat der Schwelmer Brunnen seinen alten Ruf nämlich wohl bewahrt (besonders seit Eröffnung der elektr. Bahn von Barmen bis zu ihm) und auch jetzt noch ergies^t sich an Sonn- und Feiertagen oft eine wahre Völkerwanderung in die auch in der letzten Zeit meist noch vergrösserteri Gesellschafts- und Tanzlokale. Übrigens ist der Platz als guter und nicht teurer Luftkurort sehr zu empfehlen und wird als solcher auch frequentiert. — 128* — Die Zweitälteste Mineralquelle unseres Bezirks, die Klever Eisenquelle, mit grossem Gehalt von kohlensaurem Kalk und Kieselsäure, verdankt ihre Entdeckung und ihr Bekanntwerden vornehmlich den Bemühungen des oben mehrfach erwähnten Dr. med. J. H. Schütte, welcher 1725 von Schwelm nach Kleve verzogen war. Er schrieb mehrere Werke darüber, davon mir zur Verfügung standen: 1. »Naturgemässe Beschreibung des Klever Gesundbrunnens«, 1742, Kleve- Dortmund. 2. »Der rechte Gebrauch und die kräftige Wirkung des Klever Gesund- brunnens«, Kleve, 1751. Weitere Aufschlüsse gewähren wiedeium die Akten des Düsseldorfer Staatsarchivs, ferner Fr. Char, »Geschichte des Herzogtums Kleve« u. s. w. 1845, un d G. v. Velsen, »Die Stadt Kleve und ihre nächste und entferntere Umgegend«, Kleve-Leipzig. 1846. Schütte sagt in seiner Schrift, Kleve 1751 S. 6 unter Hinweis auf die 1742 in Druck gegebene erste Beschreibung des Brunnens: »Es ist merkwürdig, dass schon vor 30 und 40 Jahren einige Bürger der Stadt, bey dem Ausfliessen des Wassers (im Thiergarten) eine rotgelbe niedergeschlagene Erde gesehen, aber nicht gewusst, was es gewesen, und daher von keinem erkannt und geachtet worden. Ich selbst habe auch seit 18 Jahren, so lange ich nemlich hier wohne, die Spuren unserer Quellen angemerket und zwar damahls wohl erkannt, was es vor ein Wasser sey, aber weil diese Spur nur tröpfelnd und nicht stark ausfliessend, sich er- zeigte, wegen Sorge, dass nicht so viel Wasser, als zu einer Brunnenkur erfordert wird, herausquellen mögte; habe deswegen mit meiner Entdeckung so lange still geschwiegen, bis ich vorhero von einer hinlänglichen Menge des Wassers versichert war: welche Versicherung ich aber erst anno 1741 von einigen Arbeitern, die bei Legung des Fundaments an dei Gallerie oder Amphitheatro gegenwärtig gewesen, durch fleissiges Nachsuchen erhielte; damit, bey Mangel des Wassers, mich ein jeder nicht verspotten und auslachen möchte: Wie es dennoch ohnedem, als ich dieses wichtige Werk unternommen hatte, und in der Arbeit begriffen war, an mancherley unzeitigen Beurteilungen und Vorurteilen nicht gemangelt hat, und fast jedermann mein Vorhaben vor unbedachtsam angefangen, und vergeblich sich endigend, achtete.« Auf diese Arbeiten am Amphitheater u. s. w. bezieht sich der in den Akten des hiesigen Staats-Archivs befindliche Bericht der Kriegs- und Domä- nen-Kammer (Regierung) vom 7. September 1741 mit dem Wortlaut: »Ew. Königliche Majestät geruhen allergnädigst, sich hiermit vor- läufig allerunterthänigst anzeigen zu lassen, wasmassen von Werks-Kündi- — i 29* — gen an der Farbe der Erden, weiche ein sicheres Quell-Wasser beym Springe (d. h. Springberg) im Thiergarten hierselbst, wenig Schritte davon, wo der Adler im Springe stehet, aus dem Berge heraus führet, erkannt und bemerkt worden, dass die Quelle mineralisch sey, worauf der erfahrene Brunnen-Medicus Dr. Schütte hierselbst, vielfältig Proben vor jedermanns Augen davon gemachet, und Uns versichert, dass dieses Wasser mineralisch und so gut, wo nicht besser, als das Schwalbacher sey. Und weil es eine grosse Avantage für hiesige Stadt Cleve sein würde, wenn sich dieser Brunnen in der That so beschaffen finden möchte, dass Kranke daraus genesen werden konnten ; So haben Wir auf gedachten Doctoris Ansuchen die Quellen aufräumen, und einen kleinen Stollen anlegen lassen, auch dazu 30 Thaler Vorschuss-weise aus der Bau-Kasse wie auch etwas Holz und Bretter aus dem Bau-Magazin assigniret, dem Doctori Schütten aber aufgegeben, eine ordentliche Descriptio von der Qualität der Mineralien, so in dem Wasser vorhanden ist, ehistens zu überreichen.« Sshüttes eigenhändig geschriebener Bericht darüber ist vom 4. Sep- tember 1741 datiert und repräsentiert ohne Zweifel die erste noch vorhandene schriftliche Urkunde über den Klever Gesundbrunnen; die meisten Akten des ehemaligen Generaldirektoriums über denselben sind leider, wie ich von dem Königlichen Geheimen Staats-Archiv Berlin erfahre, in älterer Zeit kassirt worden; Schütte schreibt: » . . . dass nachdem durch die in Arbeit habende Berg Leute einen Stollen anlegen lassen, die mineralische Quelle an Quantität des Wassers wird reicher, und an Tugenden kräftiger anjetzo gefunden werde, als sie anfänglich geschienen, so dass ich an hinlänglichem Wasser zur Kur nicht mehr zweifele, und dieses umb derweniger, weilen ich an der andern Seite der obersten Fontaine noch eine gute Quelle Mineral- Wassers entdeckt habe, welche auch noch gegraben und eingefasst werden muss.» (Die erste Quelle ist etwa 40 Schritte von dem untersten der 4 Thiergarten-Spring- brunnen entfernt gelegen.) »Was die Natur dieses Wassers anlanget, ist solches ein gutes Stahl- Wasser, oder so genannter Sauer-Brunnen ; und dieses wird daher bewiesen, weil in den Bergen im Thier-Garten kräftiges Eisen-Ertz gefunden wird, welches hin und wieder zu Tage ausgehet, und diese Quellen durch solche Eisenertze geflossen kommen, auch solches der Ge- schmack und die Proben, welche ich vielfältig gemacht habe, augenscheinlich darthun. Meinem allerunthänigsten Bedünken nach, Kommt dieses Mineralische Wasser dem Schwalbacher Wasser ziemlich nahe. Die Wirkung dieses Wassers wird vornehmlich in Scharbout, Milzverstopfung, Gicht, und verschie- denen anderen Krankheiten, auch zum Baden in contractur, Lähmung und 18 — i 30* — dergleichen äusserlichen Gebrechen, wie solches aus den contentis des Wassers in meiner Brunnenpraxis erfahren habe, sehr dienlich seyn: und wegen solcher herrlichen Tugenden von den benachbarten Holländern häufig besucht werden. Und um dieses mineralische Wasser in guten Ruf zu bringen, so wird nöthig sein, i. dass diese beyde Quellen noch weiter aufgegraben, die wilden Wasser von den Mineralischen genau abgesondert und behörig ein- gefasst werden. 2. Ist gute Commodität vor die Frembde und Brunnen- Gäste zu veranstalten, wobei wir bereits diesen Vortheil haben, dass die schönen, schattigen Allees, wie auch die Gallerie bei diesen Wassern schon vorhanden sind, wenn letztere nur reparirt . . wird ; dass also die übrige Veranstaltungen desto leichter gemacht werden können. 3. Muss eine gründ- liche Brunnen-Beschreibung, in Hoch- und Nieder-Teutscher Sprache ge- schrieben und gedrucket werden: Weilen die Niederländer die Hochteutsche Sprache nicht lesen und verstehen. 4. Ist gleich beim Anfange dieses Brunnens vorsichtig dahin zu sehen, dass man diejenige, welchen das Wasser nicht dienet, als Schwindsüchtige, Blutspeiende, Schwangere etc. : von diesem Ge- brauch abhalte, damit nicht gleich im Anfange anstatt der zu befördernden Aufnahme grosse Fehler vorgehen, und das Wasser geschädigt, und bloss durch Missbrauch und verkehrten Gebrauch, in einen bösen Ruf gerathe. Desswegen hier viele Wachsamkeit werden muss. Auf solche Weise getraue ich mir, unter göttlichem Beystand und Segen, diese Quellen in Aufnahme und guten Ruf eines Gesund-Brunnens zu bringen, wenn mir die Direction hierüber allergnädigst anvertraut wird«. Er bittet dann um ein jährliches Brunnen-Physici-Gehalt von 200 Thalern. Das Königl. Ober-Colleg. Media, dem von dem Mineral - Wasser nach Berlin gesandt war, berichtet in seinem Gutachten vom 4. Juni 1742: >dass selbiges Wasser auf der Stelle aus der Quelle getrunken gute Wirkung thun werde und dass die von Schütte gemachte experimente und Proben ihre zuverlässige Wirkung haben« Eine genaue Beschreibung der mühevollen Arbeit des Fassens der Mineralquellen finden wir in dem Wöchentl. Duisburgisch. Adresse- und Intelligentz-Zettel v. 10. Oct. 1741 u. f. wiedergegeben, von dem die be- treffenden Exemplare den Archiv -Akten beigefügt sind. Um die Mitte 1742 waren die Quellen soweit gefasst, dass die Wässer vermittelst einer uoFuss langen, durch einen Krahnen verschliessbaren Röhre in einen vorläufig aus Brettern aufgeschlagenen, 24 Quadratfuss grossen Brunnensaal geleitet werden konnten, wo sie in Form eines Springbrunnens hervorsprudelten. Zum Andenken wurde im Brunnensaal über diese Fontaine eine Gedächtnisinschrift aufgerichtet, deren Wortlaut uns Schütte in seiner zweiten Brunnenschrift aufbewahrt hat. — I3i* — In freudigem Stolz über das endliche Gelingen des Werks schreibt er in einem Briefe, der bei den Akten liegt: »Da ich nun gegen jedermanns Verwunderung nach vieler gehabten Mühe, Sorgen und fleissigen Nachsuchen der mineralischen Quellen, durch Gottes Güte, annoch an verschiedenen Orten, ein noch häufigeres Mineral -Wasser gefunden, so, dass vor einige hundert Kur -Gäste täglich ein hinlängliches Wasser, sowohl zum Trinken als zum Baden, hervbr- quillet; Als bin ich im Stande, die Brunnen-Curen unter Göttlichen Segen damit anzufangen: wozu ich den 25. Juni a. c. als Montag nach V. Trinitatis oder nach St. Johannis-Tag ansetze, und alsdann den Anfang, geliebt es Gott, machen werde«. In der That begann die Brunnenkur am 17. Juli 1742 und »kontinuierte« bis zum halben Septembris. Im ersten Jahre haben sich 85 Brunnengäste eingefunden, welche nach Schuttes Angabe »alle insgesamt eine gute Wirkung an sich verspüret haben«, im folgenden 130 Personen, 1744: 145, »ohn- geachtet bisher noch nicht die behörige Bequemlichkeit, bes. noch kein Bade- haus bei dem Brunnen vorhanden, welches der Medicus am meisten regret- tiret, indem er sich von dem Bade noch mehreren Effect als vom Trinken verspricht«. Anno 1745 sind 180 Personen zum Kurgebrauch erschienen, 1750: 267, 175 1: 352, 1752 sind 357 in der Liste aufgezählt, »welche Theils kurmässig (den Brunnen) gebrauchet, Theils zu ihrem divertissement einige Tage bei demselben sich aufgehalten hatten«, wobei noch berichtet werden muss, »dass noch wohl einmal so viel Frembde, deren sämptliche Zahl sich auf 600 erstrecket, im verwichenen Sommer an unserm Brunnen ge- wesen sind, als in der gedruckten Liste gemeldet worden«. Unter den Besuchern findet man manche fürstlichen Namen, 1750 z. B. Jhro hochfürstl. Durchl. Herrn Herzog v. Hildburghausen und Ihro Durchl. Herrn Herzog von Wolfenbüttel-Bevern, im Sommer 1763 ferner den Prinzen Heinrich von Preussen und den Herzog Ferdinand von Braunschweig, die Helden des siebenjährigen Krieges. Sogar Friedrich der Grosse besuchte und trank während seines Aufent- haltes in Kleve vom 11. — 15. Juni 1763 den Brunnen. In unserm Archiv ist aus jenem Jahre leider nichts vorhanden. Die Mitteilung darüber in der Brunnen- liste findet ihre Bestätigung in mehreren damaligen Zeitungsberichten. Die Spener'sche Zeitung schreibt am 25. Juni 1763 unter Kleve 15. Juni: »S. Maj. der König haben während dero hiesigen Aufenthalts von Sonntage bis heute früh um 5 Uhr zu unterschiedenen mahlen, theils zu Pferde und theils zu Fuss die Stadt, den Thiergarten, den Gesundbrunnen uud die ganze umliegende Gegend besehen.« Ferner findet sich in der Nr. 80 der Ber- linischen privilegierten Zeitung vom 5. Julius 1763 die Notiz: »Cleve, vom 18« — 132* — 26. Juni: Am 6ten hat die Brunnencur hier einen Anfang genommen. Se. Majestät der König von Preussen haben während dero hiesigen Aufenthalts Sich täglich das mineralische Wasser nach dem Herrn Obersten von Spaan bringen lassen, und mit Approbation davon getrunken. Se. Königl. Hoheit der Prinz von Preussen und Seine Durchlaucht der Prinz Ferdinand haben es bey der Fontaine getrunken und auch das Badhaus besehen. Nun das Wetter wärmer wird, nimmt auch die Zahl der Brunnengäste zu. In dem Brunnen- hause ist eine gedruckte Königl. Taxe angeschlagen, wonach sich der Wirth richten muss. « Gleichlautend ist die Notiz der Gazette de Leyde vom I. Juli 1763. Friedrich der Grosse Hess auch 1749 an Stelle des erwähnten bretternen Brunnensaales ein schönes achteckiges Brunnenhaus mit einem Kuppeldach errichten, nachdem er im Jahre 1746 schon der Trinkhalle gegen- über einen Gasthof für die Brunnengäste mit Mineralbad-Einrichtungen hatte erbauen lassen (das spätere Hotel de Stimm); Pläne, Kostenberechnung etc. dazu liegen den Akten des Archivs bei. Im Übrigen wurden die Unterhaltungs- kosten des Bades zum Teil durch Brunnenlotterien aufgebracht, worüber auch in den Akten reichliches Material zu finden ist. Zum ersten Mal bewirbt sich um den Vertrieb einer solchen Lotterie am 15. VII. 1742 ein Heinrich Wietzen, welcher » 1 30 Thlr. jährlich zur Erbauung des Gesundbrunnens von 6 Jahren in 3 en Jahres Terminen zu erlegen, sich allerunterthänigst offerirt.« Um die 50er Jahre hat die Klever Mineralquelle ihren Glanzpunkt erreicht, eine kurze Glanzperiode, welcher eine lange Zeit des Sinkens und der Ver- gessenheit folgte, wobei dem Gründer Schütte das harte Schicksal nicht er- spart blieb, den Verfall seines Werkes zu erleben, trotz aller erdenkbaren Versuche, das sinkende Unternehmen zu heben. Zu diesen Bemühungen gehört unter Anderm auch sein Gesuch um das Verbot des Trinkens ausländischer Mineralwässer am Gesundbrunnen (22. III. 1756). Er schreibt diesbezüglich: »Der Clevische Gesundbrunnen ist durch Gottes Segen und viele glück- liche Kuren in guten Ruf bei den auswärtigen gekommen, und von den- selben frequentiret worden. Weilen aber einige Einheimische bishero fremde Mineral Wasser, als das Pyrmonter, Spaa- und Seiter- Wasser an unsern Brunnen bringen, und daselbst, um von der Brunnen Gesellschaft zu profi- tiren, trinken, solches aber denen Holländern eine gar niedrige Idee von unserm Brunnen, und ein sehr schädliches Vorurtheil gegen denselben ver- ursacht; indem sie sagen: Wann die einheimischen selbst das Pyrmonter, Spaa und Seiter Wasser vor besser und kräftiger halten, als das Clevische, so ist es nicht nöthig, dass wir hierhin nach Cleve die Reise thun, und unser Geld hier verzehren, weil wir alle diese fremde Wasser ebenso wohl bei uns in Amsterdam etc. haben und trinken können.« - 133* — Am 30. Martii 56 kam darauf der Bescheid: »— Es findet sothanes Suchen nicht statt, weilen eines Theils bey allen Gesund-Brunnen auch frembde Mineralische Wasser zu trinken erlaubet wird und andern Theils viele Frembde, welche an sothanen Gesund-Brunnen kommen, die aus- ländischen Wasser nur bloss zu ihrem Plaisir, derer schönen Gegenden und gesunden Luft bey Cleve halber gebrauchen, welches mehr zu befördern, als zu verhindern; wie denn überhaupt Keiner den Clever Gesundbrunnen zu gebrauchen gezwungen werden kann«. Ein gleiches Gesuch vom 7. Mai 1769 erhielt dieselbe abschlägige Antwort. In den Berichten dieses Jahres 1769 (in welchen sich übrigens Chr. Fr. Mey- wald als neuer Anpächter des Brunnenwirths- und Badehauses offerirt. 10. I. 69. Duisb. Wöch. Anzeig.) treten die Klagen über den Verfall des Brunnens immer offener hervor. Man schreibt ihn der sechsjährigen Einquartierung der Franzosen und Östreicher zu, welche die Holländer abgehalten haben, zu kommen, dann nach dem Frieden sollen es u. A. die am Brunnen einlogierten »Tobacks-Husaren« (Grenzwächter) gewesen sein, welche die Holländer zu sehr belästigten, sie schon um 4 Uhr morgens aus den Betten holten, um ihre coffres zu visitiren. Der mangelhafte Zustand des Amphitheaters, der Fon- tainen und Wege wird herangezogen, die Konkurrenz des jetzt blühenden Schwelmer Gesundbrunnens als Grund für den Niedergang erwähnt u. s. w. 1772 hatte man endlich eine Geldunterstützung von der Regierung zum Renovieren der beim Gesundbrunnen befindlichen Tiergartenanlagen erhalten, 1773 war dann auch die Zahl der Brunnengäste wieder etwas gewachsen. In der Liste dieses Jahres sind 106, 1774: 100 Personen mit Namen auf- geführt. Während des Krieges der verbündeten Mächte gegen die französische Herrschaft jedoch wurden die Tiergartenanlagen und der Gesundbrunnen von den fremden Truppen, welchen sich der Pöbel der Stadt angeschlossen hatte, barbarisch verwüstet. Im November 1794 gruben sie die Bleiröhren der Wasserleitungen und der Mineralquelle aus der Erde, rissen das Blei von den Dächern des Brunnenhauses und Amphitheaters, zerstörten überhaupt Alles, was ihnen erreichbar war. Ob die Brunnenkuren während dieser Zeit gänzlich aufgehört haben, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen; jedesfalls fehlen im Duisburger Wochen- Anzeiger die Brunnenannoncen für 1795 und 96, sind dagegen anno 1797 und 98 wieder eingerückt. Nach 1798 bringt das Blatt, soweit ich es habe einsehen können, nichts mehr über unsere Mineralquelle. Bei der Renovierung der Tiergartenanlagen durch Kabinets-Ordre des Königs Friedrich Wilhelm III. vom 6. IV. 1822 wurde auf eine Wiederher- stellung der Wasserwerke, also auch des Gesundbrunnens, als zu kostspielig, — U4* — leider zunächst verzichtet. Erst 1846 und 47 Hess man, nach Genehmigung der einschlägigen Pläne durch Kabinets-Ordre vom 22. XI. 1844, die in Folge der Vernachlässigung immer mehr verkommende Mineralquelle wieder fassen und eine neue Trinkhalle, in Form eines, gegen den Berg hin geschlossenen Octogons mit 2 Seitenflügeln, welche Sitzbänke enthalten, nach den Entwürfen des Düsseldorfer Regierungs-Baurats Umpfcnbach errichten. Aus einem im Berge befindlichen Sammelbassin gelangt das Wasser in die Trinkhalle und wird daselbst durch einen Krahnen glasweise entnommen; fortwährend fliesst es nicht, hat nur einen dünnen Strahl und keinen Druck. Zum Baden reicht solcher Wasservorrat selbstverständlich nicht aus. Im Jahre 1847 wurde neben der Trinkhalle auch ein geräumiges Badehaus nach dem Plan des Rendanten Weinhagen erbaut, das Friedrich Wilhelms-Bad (seit 1870 — 71 mit einer neu angelegten Wasserheilanstalt verbunden). Ferner Hess man um diese Zeit eine dem damaligen wissenschaftlichen Standpunkte entsprechende chemische Analyse anfertigen, eine genaue Gebrauchsanweisung verbreiten und dergl. mehr. Die Hoffnung jedoch, die Mineralquelle >aus dem Dunkel einer fast 50-jährigen Vergessenheit wieder hervorzuziehen,« hat sich nur schwach erfüllt. Auch der spätere Versuch, dem Wasser durch Zusatz von Kohlensäure mehr Absatz zu verschaffen, entsprach nicht den gehegten Er- wartungen und musste daher aufgegeben werden. Augenblicklich, bes. seit dem Erblühen der beiden Wasserheilanstalten von Dr. Fackeldey und Bergmann (letztere ist Kneippanstalt) wird Kleve seiner Stahlquelle wegen kaum noch besucht; Brunnenkuren gehören daselbst zu den Seltenheiten, sind aber in geeigneten Fällen von gutem Erfolge begleitet. Passanten, besonders Niederländer, pflegen jedoch nicht selten an die Trink- halle heranzutreten und von ihr, sei es aus Neugierde oder Achtung vor der verflossenen Grösse, ein Glas des nach kurzem Stehen reichlich Eisenoxydul- oxyd absetzenden Wassers zu trinken. Zahlreiche Limonadenflaschen, Annoncen von Roisdorfer Wasser und Anderes weisen übrigens darauf hin, dass die alte von Schütte so oft gerügte Entweihung der Quelle durch fremde Wasser u. s. w. heute mehr, denn je besteht. Die Trinkhalle ist übrigens täglich während der Monate Mai bis Oktober von morgens 8 Uhr an geöffnet. Eine grosse Anzahl der Erholungsbedürftigen, welche alljährlich Kleve besucht, weiss jedoch kaum etwas von seiner Eisenquelle; ihr ist der Ort die heiterumgrünte Hügelstadt am Niederrhein, das »Herz von Deutschland«, wie wohl die Nieder- länder zu sagen pflegen. Alstaden, noch ohne Literatur, daher als Quelle die sehr dankenswerte briefliche Mitteilung des Herrn Bergwerksdirektors Dach in Alstaden dienen musste, liegt bei der Bahnstation Styrum, unweit Mülheim a. d. Ruhr, ist also ein recht eigentlich bergisches Bad; es besitzt eine Soolquelle, welche am — 135* — meisten der Elisabethquelle in Kreuznach ähnelt, sich vor dieser aber durch einen höheren Gehalt an Jodnatrium auszeichnet. Die Hauptquelle entspringt in dem Steinkohlenbergwerk gleichen Namens bei 330 m Tiefe und hat eine Temperatur von 25V2 ° C. Im Jahre 1877 wurde daselbst in einem Querschlage des Schachtes II eine besonders starke Soole angetroffen, während schwächere schon längst bekannt waren. Der ge- nannte Schacht II hebt pro Minute */« cbm Soole von 5 bis 6 °/o Gehalt, während Schacht I 3 / 4 cbm einer 4 °/ Soole zu Tage fördert. Im Jahre 1882 trat das Soolbad ins Leben und 1888 wurde die Heilanstalt für schwächliche und skrophulöse Kinder, besonders für solche aus minderbemittelten Kreisen, auf einem 3 Morgen grossen Grundstück, durch Umbau eines Bauernhofs, eingerichtet. Die Zahl der Kurgäste erreichte in den letzten Jahren durch- schnittlich 850 mit 11 000 Bädern, anno 1895 wurden 10470, 1896: 1 1 206, 1897: 11 617 Bäder verabfolgt. Die Badezellen befinden sich in einem neben der Zeche errichteten Gebäude, welches deren 1 3 enthält, davon der eine Teil für Knappschaftskranke, der andere, mit etwas besserer Ausstattung, für die sonstigen Patienten eingerichtet ist. Der Baderaum für die Kinder liegt in einem Flügel dieses Gebäudes, hat einen besonderen Eingang und enthält zwei grössere Bassins und zwei Wannen. Die kalte Soole wird auch zum Trinken benutzt. Auch über Krefeld, das noch jüngere Bad, mussten briefliche Nach- richten erbeten werden; Herr Dr. med. Hesseling (Krefeld) hatte die Güte, Auskunft hierüber zu erteilen : Im Jahre 1895 liess eine grosse, nicht genannt sein wollende Berliner Bankfirma in der Umgebung von Krefeld in der Richtung nach Kempen und Mors hin an 4 verschiedenen Stellen auf Kohlen bohren, in der Vermutung, dass zwischen dem Aachener Kohlengebiet und dem des Ruhrgebietes eine Verbindung bestehe. Während sich aber nirgends ein Abbau lohnend er- wies, wurde in dem Bohrloche an der Krefelder Grenze, im Hülser Bruche in einer Tiefe von 278 m in Sandsteinfelsen am 16. Mai 1895 der Kre- felder Sprudel erbohrt, und schon nach einer vorläufigen Analyse des Kre- felder Chemikers Herrn Dr. Bertkau kam es zur Gründung einer Gesellschaft zwecks Ausnutzung der Quelle. Nach der Analyse des bekannten Professors Fresenius ergiebt sich eine weitgehende Übereinstimmung des Krefelder Sprudels mit dem Wiesbadener Kochbrunnen, dem entsprechend der Sprudel ärztlicherseits auch empfohlen wird (bei Rachen-, Kehlkopf-, Magenkatarrh und Gicht). Er stellt eine wasserreiche Quelle dar, deren Wasser unter ziem- lich starkem Druck 54 m hoch aus einem 4-zölligen Rohre über die Erdober- fläche emporsteigt. Nach einer von dem Wiesbadener Chemiker Herrn Dr. Hintz ausgeführten Messung liefert die Quelle 40 Liter Wasser in der — 136* — Minute, also in einer Stunde 2400 Liter. Nach seinem Austritt pausiert das Wasser sofort ein Filter, wodurch es von Eisen befreit wird; es folgt dann die Imprägnierung mit Kohlensäure. Das Wasser des Krefelder Sprudels gehört zu den sogenannten einfachen Kochsalzquellen. Wegen seines kräftigen Geschmacks ist es nicht unbeliebt und trotz seiner Jugend in den Nachbarstädten Düsseldorf, Duisburg, Gladbach etc. viel begehrt. Man will versuchen, ihm" auch im Auslande und zwar speziell in England und Holland Absatz zu verschaffen. Lassen sich nun auch den bisher besprochenen Bädern, zumal Kleve, land- schaftliche Reize durchaus nicht absprechen, so darf man doch, sich rheinauf- wärts wendend, sagen: in demselben Masse, wie die Schönheit der Landschaft zunimmt, bis sie im Siebengebirge und im Ahrthale eine ganz hervorragende wird, wächst auch die Bedeutung der Bäder und Heilquellen. Roisdorf, von wo aus man »die sieben Berge« noch »blau dem Blick sich färben« sieht, besitzt, wie gesagt, keine Heilquelle im strengen Sinne des Wortes; ihr Wasser ähnelt dem Selterswasser, unterscheidet sich aber von diesem durch höheren Kohlensäuregehalt. Die genannte Quelle wurde Ende der 30 er Jahre wieder neu angegriffen und von wilden und unreinen Wässern getrennt durch einen Freiherrn v. Karnapp auf dem benachbarten Schloss Bornheim, welcher die Quellen von dem Fürsten Salm auf IOO Jahre für sich gepachtet hat, wie unser E. M. Arndt in seinen »Wanderungen aus und um Godesberg« erzählt. Der Begründer ihres jetzigen Ruhmes ist jedoch Professor Harless von Bonn in einer weitverbreiteten Druckschrift gewesen. Bis heute beschränkte man sich hauptsächlich auf den Versandt des beliebten ungemein verbreiteten Sauerbrunnens; ein regelrechtes Badeleben hat sich in dem freund- lichen Orte nie entwickelt. Godesberg dagegen 1 Stunde oberhalb Bonn a. Rh. dem Siebengebirge gerade gegenüber gelegen und selbst durch seinen Burgberg verschönt, erfreute sich schon wiederholt in alten Zeiten als Badeort eines bedeutenden Rufes. Das Auffinden eines römischen, dem Aesculap geweihten, Votivsteins auf dem benachbarten Schlossberg im XVI. Jahrhundert legt wenigstens den Gedanken nahe, dass die Heilkräfte des dortigen Wassers schon zur Römer- zeit bekannt und geschätzt waren. Der jetzt im Alterthümer-Museum zu Bonn aufbewahrte Stein trägt die Inschrift: » FORTUNIS / SALUT ARIBUS / AESCULAPIO. HYGIAE / Q. VENIDIUS RUFUS / MAXIMUS CALUINIANUS / LEG. LEG I M. P. F/LEG. AUG. PRAET /PROVINC. G. I. D. /. Freilich gerieth die Quelle später für weitere Kreise in Vergessenheit, aber die Ein- wohner der dortigen Gegend hielten doch immer viel auf ihren »Draisch« wie man die Quelle nach ihrem Ursprung aus dem Draiser Berge nannte, gehalten und seit undenklichen Jahren ward das Wasser getrunken. Seine — 137* — Heilkraft wurde besonders von der Landbevölkerung sehr gerühmt und kein Hirte unterliess, wenn es nur irgend möglich war, die Herde an die Quelle zu treiben, um sie durch ihr Wasser vor Seuchen zu schützen. Des Botanikers Th. Tabernaemontanus Werk »Neuer Wasserschatz, Frankfurt 1593«, erwähnt ihrer schon. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts zog der Brunnen die Aufmerksamkeit des Kölner Kurfürsten Clemens August auf sich. Er Hess Sachverständige von Spaa zur Untersuchung kommen und den Brunnen mit einer hölzernen Einfassung versehen. Der letzte Kölner Kurfürst Max Franz von Österreich leitete 1789 die 5 Quellen süssen Wassers, welche mit dem Heilbrunnen in einem Behälter gefasst waren, ab, gab dem nahen Bach einen andern Lauf und Hess das Wasser durch seinen Leibmedicus Dr. Wurzer chemisch untersuchen. 1790 übergab er den Betrieb einer Gesellschaft reicher Unternehmer; ein Brunnenhaus, Gesellschaftsräume (Spielbank), Gärten etc. wurden angelegt, die Verbindungen mit den Nachbarorten erweitert und erleichtert und bald war Godesberg ein weitberühmtes Modebad mit allen Licht- und Schattenseiten. 1794 aber schon machte die französische Occupa- tion der ganzen Herrlichkeit ein schnelles Ende. Erst in den 30er Jahren wurde der Brunnen auf ein günstiges Gutachten von Prof. Nasse hin neu gefasst und kam wieder in Aufnahme. Im Jahre 1861 nahm der Apotheker Richter aus Köln wieder eine Untersuchung vor; obgleich auch diese nicht ungünstig ausfiel, war man doch der Meinung, dass der Gehalt des Brunnens bei der letzten Fassung durch Beimischuug wilder Wässer sich verschlechtert habe. Auf den Rat des Professors Bischof wurden daher 1864 und 1865 neue Bohrungen angestellt, wodurch die »alte Quelle« zu Tage trat. 9 Jahre später, 1874, fanden wieder Bohrungen statt und die jetzt erlöste Quelle bekam und behielt den Namen »neue Quelle«. Schon in den 60er Jahren hatte die Gemeinde Godesberg die Quellen erworben, 1871 aber ging der Betrieb an eine Aktiengesellschaft über. Beide Quellen sind kohlensäure- reiche alkalisch muriatische Stahlquellen; »die alte«, mit geringem Eisen-, aber höherem Gehalt an festen Bestandteilen, besonders Natriumsalzen, wird zum Trinken und Baden, die daneben gelegene »neue« nur zum Baden benutzt. Hauptindication des wohlschmeckenden und leicht verträglichen Wassers bilden katarrhalische Affectionen, besonders bei geschwächten blut- armen und scrophulösen Individuen. Als Godesberger« wird das Wasser besonders in England vertrieben. Bei Neuenahr, der Perle unserer Bäder im wilden, romantischen Ahr- thale, müssen wir uns nun leider mit kurzen Hinweisen begnügen, da schon eine nur annähernd erschöpfende Übersicht über die Quellen und ihre Literatur weit über den uns vergönnten Raum hinaus ginge. Seine Quellen wurden 1852 — 1856 von G. Kreuzberg, Ahrweiler (auch Entdecker des — 138* — Apollinarisbrunnens) und Prof. Fr. Bischof (Bonn) erbohrt, der grosse Sprudel kam noch später, 1861, zum Vorschein. Erste Badeschrift: Bad Ncuenahr und Umgebungen von Dr. Wegeier, Bonn 1 861, ferner Jos. Steinbach Führer durch das Ahrthal, Neuwied Leipzig 1883, Heusers Verlag; Hol scher, Wanderbücher Nr. 6, Köln 1895. Die Literatur ist damit natürlich ebenfalls nur angedeutet, indessen ist Neuenahr bei gewiss allen Lesern dieser Festschrift so bekannt, dass wir uns dess getrösten können. Dem in unserem Überblick über das nachbarliche Sinzig Gesagten ist nichts mehr hinzuzufügen, als dass heute noch die Einwohner und die Besucher das Wasser aus der schlechthin »Brünnchen« genannten Quelle seines Wohlgeschmacks wegen gerne trinken. In dem an Mineralquellen reichen Brohlthal finden wir den Heilbrunnen und die Tönnissteiner Quellen. Der Heilbrunnen unweit der Schweppen- burg, im Volksmund »Hellert« genant, ein alkalischer Säuerling, ist schon seit dem Altertum bekannt. Eine römische Brunneneinfriedigung, bei der Neufassung der Quelle gefunden, beweist das durch die in ihr enthaltenen Kupfermünzen (I — IV Jahrhundert). Der berühmte Günther von Andernach — sein Name wird auch in dieser Festschrift an seinem Orte zu nennen sein — bezeichnet in seinen »Comment. de balnis et aquis medicat« 1565 schon die Quelle als eine »fons excellentissimus«, glaubt aber, dass der Name Heilborn nicht mit »heilen« zusammenhänge, sondern, dass die Alten den Brunnen wegen seines Salzgehaltes Haiborn genannt hätten. In der That zeichnet sich die Quelle von den benachbarten einfachen Säuerlingen durch ihren Gehalt an Kochsalz aus und ist in ihrer Wirkung den Karlsbader und Marienbader Wässern ähnlich. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts scheint sie besonders beliebt gewesen zu sein. Aus einem Bericht der kurfürstlichen Hofkammer vom Jahre 1741 geht hervor, dass fast alle be- nachbarten Orte den Brunnen benutzten und die Einwohner von Brohl einen solchen Handel damit trieben, dass jährlich 50 — 60,000 Krüge versandt wurden; im Mai 1742 allein 16,928 Krüge. Gegen Ende des Jahrhunderts geriet trotzdem die Quelle in Verfall. Im Jahre 1850 wurde der Brunnen neugefasst und 1857 der Betrieb einem Aktien- Verein übergeben; doch ist das Unter- nehmen nicht wieder in Schwung gekommen. Jetzt gehört die Quelle zu Bad Tönnisstein und wird hauptsächlich zur Kohlensäure-Gewinnung benutzt. Das Bad Tönnistein selbst hiess früher nach Steinbachs «Führer zum Lacher See« »Tillerborn« von einem Schäfer Tyll her, welcher die Quelle entdeckt hatte. Erzbischof Maximilian Heinrich von Köln Hess daselbst 1663 ein kurfürstliches Schloss bauen. Im Jahre 1700 wurde die Quelle gefasst und mit einem von 4 toskanischen Säulen getragenen Kuppeldach bedeckt. — 139* — Im Innern der Kuppel sieht man heute noch die Reste italienischer Fresko- malerei. Das Marmorbassin trägt die Inschrift: I. C. C. Z. C. H. I. B. Anno 1700, das heisst: Joseph Clemens, Kurfürst zu Köln, Herzog in Baiern. Von seinen Nachfolgern schätzte besonders der prachtliebende Clemens August das romantisch gelegene Bad und lebte häufig dort, was selbstredend nicht wenig dazu beitrug, den Brunnen in Ruf zu bringen und Kurgäste von nah und fern anzuziehen. In dieser »kurfürstlichen« Zeit hielt man das stark kohlen- säurehaltige Tönnissteiner Wasser für besonders wirksam, wenn es mit Esels- milch getrunken wurde. Es war daher bei den Besuchen der hohen Herrn für eine genügende Anzahl Eselinnen Sorge zu tragen. Unter Clemens August mussten hin und wieder bis zu 12 derselben gestellt werden. In den Akten des hiesigen Staatsarchivs sind dafür die Belege (resp. Rechnungen) vorhanden, So heisst es unter Joseph Clemens 1721: »Wilhelm Odenthal, welcher den Esel zur Milchkur Ihrer Kurfürst- lichen Durchlaucht hergegeben und nun wieder zurücknimmt seinen Zettul, worauf er schon eine Pistole empfangen, jetzt völlig gezahlt i'/a Pistolen. Summa 21 Rthlr. 29 Stüber. Nach dem Tode des Fürsten Hess man die Anlagen und Gebäude ver- fallen. Während der französischen Occupation dienten die Räume des Schlosses zu einem Lazerett und wurden später teilweise durch Brand zerstört. 1861 wurden die Anlagen restaurirt und erweitert. Im Bruunenhause befinden sich neben der alten Römer Quelle noch die jetzt besonders zum Trinken benutzte Natron-Lithionquelle, welche vorzüglich bei darniederliegen- der Magentätigkeit und gichtischer Anlage gebraucht wird und die Angelika- quelle, mit ihrem Gehalt an doppelkohlensaurem Eisenoxydul besonders Blutarmen und Geschwächten empfehlenswerth. Um die Quellen sind die Baderäume untergebracht. Träumt man in den schattigen Waldgängen des Brohlthals von Romantik und verflossener Herrlichkeit, so führen uns auf der andern Rheinseite, Brohl gegenücer die fast haushoch und mächtig emporschnellenden Hoenninger nnd Arienheller Sprudel das gewaltig pulsirende Leben der Neuzeit vor die Augen. Während die seit die 1894 erbohrten Hoenninger Wasser (Hubertus- und Hohenzollernquelle) neben Kohlensäuregewinnung hauptsächlich als Tafel- wässer dienen und vertrieben werden, hat man in dem 20 Minuten rhein- aufwärts gelelegenen Arienheller, neben dem Kohlensäurewerk, eine komfortable Badeanstalt, mit Kohlensäure-Sprudelbädern etc. eingerichtet, welche seit diesen Sommer dem Berieb übergeben wurde, und, wie Schreiber dieses selbst erprobt, den weitestgehenden Anforderungen entspricht daneben eine Restauration, und weiter nach dem Höhenzug ein Hotel. Und wieder umfängt uns die Romantik alter, weltberühmter, sagenum- — 140* — wobener Zeiten am Fusse des Drachenfels, wo die jüngste unter allen rhei- nischen Mineralquellen, die Drachenquelle, diesen Sommer erbohrt wurde. Von dem Parke der Villa Röder oder nach dem Vornamen der letzten Besitzerin Villa Mila umgeben, wird die Quelle, ein lithiumhaltiger, alkalisch muiiatischer Säuerling, mit reichlichem Gehalt freier Kohlensäure, wohl noch eine reiche Zukunft haben. Das Wasser wird gern getrunken und die luxuriös ausge- statteten Bäder, (Salon-Bäder, vom Volk » Fürstenbäder « genannt, ä 4 Mark, die gewöhnlichen Bäder natürlich billiger) erfreuen sich schon eines regen Besuches. Den Beschluss unseres Bäderbesuches macht die wieder auf ein hübsches Alter zurückblickende Adelheidquelle bei Pützchen. Sie befindet sich in einem 1724 von Kurfürst Karl Philipp von der Pfalz gegründeten und 1804 aufgehobenen Kloster. Die heilige Adelheid ist in der ganzen Umgegend als Helferin und Trösterin bei Augenübeln bekannt und verehrt und was an den Augen leidet, versammelt sich besonders an den Tagen des Herbstjahrmarktes (zweiten Sonntag im September) an ihrem Brunnen, um seine Augen durch das leicht zusammenziehende Wasser zu erhellen, jedoch wird auch zu anderer Zeit das Wasser für Augenleidende geschöpft und mitgenommen, wie es E. M. Arndt in der obengenannten Schrift und Weyden in seiner Schrift über »Godesberg, das Siebengebirge und Umgebungen« erwähnen. Dr. Feld mann. XI. Tierheilkunde am Niederrhein. Eifrige Materialiensammlung, von welcher der Redaktionsaus- schuss noch Kenntnis erhielt, Hess erwarten, dass unter obigem Titel Herrn Tierarzt I. Klasse Wilhelm Junkers ein wertvoller Beitrag zu verdanken sein werde. Inmitten der Arbeit entfiel dem rastlos thätigen Manne die Feder; nach kurzem Krankenlager ist er am 27. August entschlafen. Was er an Aufzeichnungen für diese Abhandlung hinterliess, ist doch wohl zu sehr Torso, als dass es veröffentlicht weiden könnte, wohl aber reichliche Veranlassung für uns, dem so uner- wartet von uns geschiedenen Mitarbeiter an dieser Stelle ein Wort des Dankes und der Anerkennung nachzurufen. Der Redaktionsausschuss der Historischen Festschrift. — 141* — XII. Medizinische Fakultät und Hebammenschule zu Düsseldorf von 1770 bis 1814. Obgleich Düsseldorf ein halbes Jahrtausend hindurch die Hauptstadt eines ausgedehnten Gebietes und der Mittelpunkt einer grossen Verwaltung war, hatte es doch, ähnlich wie die meisten deutschen Residenzen, niemals die Ehre, der Sitz einer Universität zu sein. Die zur Zeit der französischen Fremdherrschaft erst vom Regenten Joachim Murat, dann von Napoleon selbst geplante Landesuniversität für das Grossherzogtum Berg kam nicht zu Stande, trotzdem schon der 1. März 181 2 als Eröffnungstag festgesetzt und u. a. für die medizinische Fakultät drei Professoren ernannt waren. Es fehlte an hin- reichenden Mitteln, und bevor diese beschafft worden, fand die Herrschaft der Franzosen in den Rheinlanden ihr Ende. 1 Die Studierenden der jülich-bergischen Lande mussten, wenn sie nicht vorzogen, auf die Landesuniversität Heidelberg oder andere weit entfernte deutsche Hochschulen oder selbst in das Ausland zu gehen, in einer der be- nachbarten Rheinstädte: Köln oder später Bonn oder auch Duisburg, ihren Studien obliegen. Die Kölner Universität, 1388 gegründet, hatte im Mittelalter grossen Ruf, sank aber durch Religionsstreitigkeiten so sehr, dass im 17. Jahrhundert in der medizinischen Fakultät nur noch ein promovierter Doktor las. An ihre Stelle trat unter den letzten Kölner Kurfürsten die erste Bonner Universität bis zum Einmarsch der französischen Truppen 1794, der von 18 18 ab die jetzt noch blühende Friedrich-Wilhelms-Universität folgte. Duisburg war eben- falls 2 Mal zum Sitz einer Hochschule ausersehen. Das erste Mal im 16. Jahrhundert durch Herzog Wilhelm von Jülich-Berg und Kleve. Als nach langwierigen Verhandlungen 1564 endlich die päpstliche Bestätigung eintraf, Hessen die den Niederrhein verwüstenden Kriege, sowie die lange Krankheit und der Tod des Herzogs 1592 das kaum erstandene Werk wieder zu Grunde gehen. 2 Die zweite Duisburger Universität, durch den grossen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg gestiftet, bestand von 1655 bis 1818. Ihre medizinische Fakultät hat 204 Doktoranden promoviert. 3 Da die jülich-bergischen Beamten, Geistlichen und Ärzte in Düsseldorf ihre Examina ablegen mussten, stellte sich von selbst die Notwendigkeit ein dass die jungen Leute auch in der Hauptstadt Vorlesungen hören konnten. So entstanden, jedoch ohne die Mithilfe der Regierung, Fakultätsschulen, zu- erst für die Theologen und Juristen, dann auch für die Mediziner, insbesondere die Militärchirurgen. Die Theologen hörten Vorlesungen bei den Jesuiten und Franziskanern, die Juristen bei den Hof-Advokaten und höhern Beamten des — 142* Geheimen Rathes. Für die Mediziner, weiche bis in dieses Jahrhundert hinein in zwei Klassen: praktische Ärzte und Wundärzte, geschieden waren, hielten Ärzte der Stadt, meist beamtete und Mitglieder des »consilium medicum«, Vorträge. Das consilium medicum war die oberste medizinische Behörde des Landes, welche die Examina abnahm ; es bestand aus 1 Direktor, 4 Me- dikern und 2 pharmazeutischen Beisitzern. 4 Die Fakultätsschulen wurden nicht als staatliche Anstalten angesehen, die Professoren erhielten kein festes Gehalt und mussten die Vorlesungen zum Teil in ihren eigenen Wohnungen halten. Es sind deshalb auch keine Akten vorhanden, und die spärlichen Kenntnisse darüber sind meist nur aus dem amtlichen Organ, den »Jülich- und bergischen wöchentlichen Nachrichten« zu schöpfen. In diesem Blatte ver- öffentlichten die Dozenten die Mitteilungen über ihre Vorlesungen; für die Mediziner geschah dies von 1797 an durch das consilium medicum selbst. Der erste, welcher Anzeige über Vorlesungen erstattet, ist der Medizinal- rat Dr. Schumacher. Er kündigt 1770 seine Vorlesung über Osteologie und Anatomie an und sagt dabei, dass er schon über 30 Jahre lang medizinische Vorträge gehalten habe. 1771 liest Seh. Pathologie und Physiologie. 5 Sein Nachfolger ist der Stabschirurg Joseph Naegele. Er zeigt an, dass mit der chirurgischen und anatomischen Lehrstunde am 16. Dezember 1787 Nachmittags 3 Uhr im gewöhnlichen Hörsaal im Lazarett fortgefahren wird. Seine Vorlesungen finden sich noch bei dem Schlüsse der Fakultät 1813/14. Naegele nennt sich jetzt Dr. med. und Professor der Anatomie und Chirurgie; er hält öffentliche Vorlesungen über »Anatomie und Chirurgie, und Privatvorlesungen über das ganze Gebiet der Chirurgie in Einem Jahr. Der vollständige Cursus umfasst Anatomie, Physiologie, Pathologie, Chirurgie, In- strumente, Bandagen- und Operationslehre. In Hinsicht Anatomie und Opera- tionen üben sich die Zuhörer selbst an Leichnahmen, auch einbegriffen Augen- operationen. Stunden nach Vereinbarung«. 6 Neben ihm kündigt 1799 sein Bruder Anton Naegele, Dr. med. und chir. und Hofmedikus, Vorlesungen an. Im Winter 1799 liest er »für Wundärzte und Liebhaber der Anthropologie über Kräfte und Verrichtungen des mensch- lichen Körpers«. Im Sommer: Gerichtliche Arznei und Wundarzneikunst. 7 Dr. J. A. Varnhagen, »der Heilkunst-Lehrer und ausübender Arzt«, kündigt an: Materia Medica, danach generelle Pathologie und gerichtliche Wundarzneikunde im Sommersemester vom 16. April 1793 an. (Dr. Varnhagen ist der Vater des bekannten Diplomaten und Schrift- stellers V. von Ense (1785 in Düsseldorf geboren). Er scheint ein sehr rühriger Mann gewesen zu sein, war Medizinalrat und Stadtphysikus, revidierte fleissig die 4, später 5 Apotheken und empfiehlt ihre Waren, hielt unent- geltliche Sprechstunden, gründete eine Kasse zur Unterstützung armer Kranker, — 143* schrieb Zeitungsartikel für das Gemeinwohl, so 1786 über »den Nutzen und Missbrauch der Rheinbäder «, was die Entgegnung eines ungenannten »patriotischen« Arztes und damit einen Federkrieg hervorrief. Nach dem Ausbruch der Revolution in Paris eilte V. 1791 dahin, kam aber bald zurück, da er »mit dem tumultuarischen Unsinn der Westfranken und ihrer babylonischen Verwirrung nichts mehr zu thun haben will.« 9 ) Dr. Schmigd, Medizinalrat und 2. Stadtphysikus, hält Vorlesungen über den Unterricht für Krankenwärter. Erwähnenswert ist hier, dass Hof- und Medizinalrat Dr. Reyland »im Gefolge allergnädigsten Auftrages 1806 im Cellitenkloster auf der Hunds- rückenstrasse öffentlichen unentgeltlichen Unterricht im Krankenwärterdienst erteilt für Jedermann männlichen und weiblichen Geschlechts, auch für Wartsweiber bei kleinen Kindern. Lehrbücher werden gratis abgegeben. Die Namen der fähig Gefundenen werden verkündigt.« 8 Dr. Strein, Professor der Entbindungskunst an der Hebammenschule, hält 1792 auf Ersuchen auswärtiger Wundärzte einen Privatkursus in der Geburtshülfe. 9 Dr. Kleinhans, Professor der Hebammenkunst, gibt 1807 neben seinen öffentlichen Lehrstunden für Hebammen auch täglich Privatstunden für Accoucheurs. 10 Dr. J. P. Brewer, Professor der Mathematik, trägt 1809 über Experimental- physik und Chemie vor. u W. F. Weyhe, Gartendirektor, liest im Sommer Kräuterkunde im botanischen Garten. 12 Die anatomisch-chirurgischen und innern Vorlesungen wurden im neuen Militärlazarett von 1772 ab gehalten. Die Gebäude waren für damalige Zeit grossartig, Material an Kranken und Leichen genügend vorhanden, denn die Garnison von Düsseldorf war recht bedeutend, im Frieden an 2000 Mann. 1790 bestand sie aus 3 Regimentern Füsiliere, 1 Bataillon Grenadiere, 1 Regiment Kürassiere, 1 Kompagnie Artillerie. In Kriegszeiten stieg die Besatzung auf 8 bis 10000 Mann. 13 Im Lazarett musste ein und derselbe Raum zum Sezieren und zum Vortrag dienen. Immerhin waren Professoren und Studierende noch besser daran, als an der 1737 eröffneten Göttinger Hochschule. Dort konnte der berühmte Albrecht von Haller seine Vorträge und anatomischen Übungen nirgendwo anders als in einem verfallenen Thurm der alten Stadtbefestigung abhalten. Der treffliche Statthalter Graf Goltstein nahm sich der anatomischen Lehranstalt, in der auch das Heilpersonal für das Militär seine Ausbildung fand, bestens an. Von 1786 an liess die Regierung an die Kompagniefeld- — 144* — scherer jährlich 3 Medaillen in Silber zur Aufmunterung in Anatomie und Wundarzneikunst verteilen. Die Namen der Prämiierten wurden veröffentlicht. u Die Geburtshülfe musste poliklinisch betrieben werden. Es gab keine Entbindungsanstalt. Die Frauen erhielten seitens der Regierung eine Unter- stützung, wenn sie sich zu Unterrichtszwecken bereit fanden. Ein physi- kalisches Kabinett war vorhanden und befand sich bei der Sternwarte im Jesuitenkollegium. Der botanische Garten war 1764 errichtet, zugleich zu dem Zweck, der gleichzeitig begründeten Chirurgenschule das Material zum Studium der Botanik zu bieten. Seine früheste Stätte hatte derselbe auf einem Platze zwischen dem Militär-Lazarett und der damaligen Artilleriekaserne, etwas hinter der heutigen Garnisonkirche. 1804 wurde er in den Garten des auf- gehobenen Kapuzinerklosters in der Pfannschoppenstrasse (jetzt Klosterstrasse) verlegt. Nach Schleifung der Festungswerke (von 1801 an) kam der bota- nische Garten auf die zwischen Ratinger- und Flingerthor gelegene Halbinsel an der Landskrone, (181 2 bis 1814) dort wo heute das Stadttheater steht. 1865 wurde er nach Osten hin hinter das Theater verlegt und 1895 nach Errichtung des Kriegerdenkmals an die Krefelderstrasse am alten Kirchhof. ia Die Hebammenschule wurde 1771 am 20. September in das Leben gerufen durch Bernard Guerard, Dr. med., Stabschirurg und Garnison- Medikus zu Düsseldorf, Mitglied des consilium inedicum. 16 1775 veröffentlichte Guerard die »Anfangsgründe der Geburtshülfe«. Er widmet das Buch Sr. Excellenz dem Statthalter Grafen Goltstein, als »ersterem Einführer der Hebammenschule dahier«. Im Vorbericht sagt der Verfasser: »DieHebammcn- kunst war vor einigen Jahren in hiesigen Herzogthümern Gülich und Berg so wenig bekannt und geübt, dass es unglaublich scheinen würde, wenn nicht noch würklich viele Provinzen Deutschlands leider! ein lebendes Beispiel davon abgäben. Se. Excellenz des Herrn Statthalters, nunmehr auch Finanzien- Ministers Grafen von Goldstein, gerührt durch die Abschilderung, welche ich ihm davon zu machen die Ehre hatte, voll Beileid über die öftern Unglücks- fälle, welche ihm zu Ohren kamen, machte Se. Churfürstliche Durchlaucht die unterthänigste Vorstellung, diesem Übel durch Einsetzung einer Hebammen- schule zum Unterrichte der Wundärzte und Hebammen zu steuern. Carl Theodor gewährte nicht nur dem Eifer seines Ministers diese Einsetzung, sondern bestimmte noch überdem einer jeden Hebamme ein tägliches Gehalt für die Lehrzeit. Es entstünde also die hiesige Hebammenschule einige Jahre, nachdem die Wundarzneikunst ein gleiches Glück durch die Freigebigkeit Sr. Churfürstlichen Durchlaucht und den Eifer höchst dessen Statthalters er- halten hatte. — — Da nun dahier kein Armengeburtshaus vorhanden ist, so ersetze ich, um diese Übung dem Unterrichte so viel möglich zuzugesellen, diesen Mangel durch die Freigebigkeit, welche Se. Churfürstl. Durchlaucht den — 145* — Gebärenden anzugedeihen geruhet, so sich von den Lehrlingen entbinden lassen, oder diesen wenigstens erlauben, der Geburt beizuwohnen«. 1777 bringt das amtliche Blatt folgende Bekanntmachung: »Wir Kar! Theodor u. s. w. thun kund und zu wissen: Da das hier angeordnete Hebammen-Collegium den 15. Oktober künftig hinwiederum seinen Anfang nehmen wird, so ist unser gnädiger Befehl, solche Weiber auszusuchen, welche von einem guten Begriff, guten Sitten, Lebenserfahren und nicht zu alt seyend, mithin zur Untersuchung dieser Qualitäten die Amts-physicos oder benachbarte medicos et chirurgos zuzuziehen, fortgemeldte Weiber mit be- sagten attestatis anhero abzuschicken, — so ergeht an Euch der fernere gnädige Befehl, dass Ihr diesen Gestalten sich auf vorgemeldtem Tag dahier einzufinden unter 6 Reichsthaler Straf aufgeben sollt. Aus höchstgemeldtem Ihrer Churfürstlichen Durchlaucht sonderbarem gnädigen Befehl«. In späteren Jahren begann der Kursus meist Anfangs oder Mitte März, auch schon im Februar, April oder Mai. 1808 erging die Bekanntmachung für die Provinzen Berg, Kleve, Essen, Werden. Es wurde seitens der Regierung streng darauf gesehen, dass nur Personen, welche den Kursus durchgemacht und das Examen bestanden hatten, Wöch- nerinnen entbinden und pflegen durften. So wird 1800 die Frau des Maurer- gesellen Odenbach mit Zuchthausstrafe bedroht, weil sie kuriert und Hebammen- dienste geleistet hat Es war auch nicht approbierten Ärzten das Kurieren bei Zuchthausstrafe verboten. 18 Erwähnt sei noch, dass auch in Kleve eine Hebammenschule war, welche unter Leitung des Dr. Beuth stand. 19 Diese ging nach 1806 ein, das Düssel- dorfer Hebammenkollegium erst 181 5, als in Köln die Provinzial- Hebammen- Lehranstalt eröffnet wurde. Der Nachfolger von Guerard als Leiter der Schule war von 1786 an Joh. Mich. Strein bis zu seinem Tode 1806. Ihm folgte der Repetitor J. F. Klein- haus bis zur Aufhebung. 20 Quellen. 1) Dr. P. Toennies, Oberlehrer, die Fakultätsstudien zu Düsseldorf. 1884. Teil I. p. 48. 2) Toennies, Th. I. p. 14. 3) Dr. J. G. von Viebahn, Reg. -Rat, Statistik und Topo- graphie des Reg. -Bez. Düsseldorf. 1836, p. 267. 4) v. Viehahn, p. 218. 5) Jülich und Bergische wöchentliche Nachrichten, 1769/70 und 1771. 6) bis 12) ebenso J. u. B. w. N. 13) Ritter, Lieutenant, zur Geschichte von Düsseldorf und Kaiserswerth, 1855, p. 45. 14) Jül. und Berg. wöch. Nachr. 1786 No. 37 u. f. 15) K. Staatsarchiv. Akta Vol. IX. B 1. 16) B. Guerard, Dr. med. »Anfangsgründe der Geburtshülfe Düsseldorf bey Augustin Zehnpfenning. 1775, Vorbericht. 17) Jül. u. Berg. wöch. Nachr. 18) J. u. B. w. Nachr. 19) v. Viebahn, p. 297. 20) J. u. B. w. N. Sanitätsrat Dr. Hucklenbroich. 19 — 146* — XIII. Ärztliche Vereinigungen in Bezirk und Stadt. i. Verein der Ärzte des Regierungsbezirks Düsseldorf. Dass vor allen anderen im Ärztestand Vereinigungen zur Wahrung der Standesehre und Standes-Interessen, zur Abwehr des Eindringens unlauterer Elemente, zur Pflege der Wissenschaft und der Ideale geradezu nothwendig sind, — das wird auch von der gebildeten Laienwelt rückhaltlos anerkannt. Hat sie doch selbst, wenn sie der ärztlichen Hülfe bedarf, das grösste Interesse daran, dass die »Heilkunst« als solche aufgefasst und ausgeführt wird, mit tiefgründigem Wissen, Wollen und Können und mit all dem Hoch- und Fernsinn, der eben gepflegt und bewahrt sein will, »wie Blumen edler Art«. In der Geschichte ärztlicher Vereinigungen strahlt nun um Düsseldorf ein lichter Schein : nicht nur dass hier zwei Vereine, Verschiedenes wollend, aber beide von gleichem Idealismus durchdrungen, fröhlich erblüht sind, ist der älteste der beiden, der »Verein der Ärzte des Regierungsbezirks Düssel- dorf«, auch der älteste Standesverein von Ärzten eines ganzen Bezirks in Preussen; seine Stiftung fällt auf den 2. Mai 1844, zurückgehend auf eine Anregung Dr. Küsters von hier bei einem im Jahre zuvor stattgehabten Festessen zu Ehren des neuernannten Reg. -Medizinalrats Dr. Ebermeier. 56 Mitglieder, von denen 2, Geh. Ober-Medizinal-Rat Eulenberg (Bonn) und Geh. Sanitäts-Rat Märklin (Cronberg), noch unter den Lebenden weilen, traten alsbald dem Verein bei. Frühjahr und Herbst jeden Jahres sollte eine Sitzung stattfinden. Erster Vorsitzender war Dr. Pagenstecher (Elberfeld), gestorben 1869 in Heidelberg. Die Statuten bezeichnen in ihrem § 3 als Zweck des Vereins: 1. Belebung und Förderung des wissenschaftlichen Strebens, 2. Anregung und Ausbildung der kollegialen Verhältnisse, 3. Hebung und Veredelung des Standes in seinen bürgerlichen und staatlichen Beziehungen. Diesen Satzungen entsprach der Verein nach allen Richtungen, vor allem durch Vorträge von Mitgliedern und auswärtigen Vertretern der Wissenschaft und durch energische Vertretung in wirtschaftlichen Angelegenheiten. Schon früh fand die damals viel ventilierte Frage der Reform des Medizinalwesens lebhafte Erörterungen, bis 1847 em Ausschuss die wichtige Angelegenheit in der Schrift behandelt: »Zur Reform der Medizinal- Verfassung mit Rücksichtnahme auf die Vorschläge des Dr. J. H. Schmidt, bearbeitet von einem Ausschüsse des ärztlichen Vereins des Reg. -Bezirks Düsseldorf, Dr. Dr. Ernst, W. Müller, Pagenstecher, A. L. Richter, Schlegtendal (17, J. Buddeus)«. - 147* - Die Klassifikation des Medizinalpersonals, die medizinischen Studien, das Prüfungswesen, das Militär-Medizinalwesen, die Armenkrankenpflege und das Medizinalbeamtensystem und als Nachtrag ein Protest gegen die Ein- reihung der Ärzte unter die Gewerbetreibenden und die Duldung der Kur- pfuscherei nebst Reformvorschlägen bilden deren Inhalt. Aus den folgenden von politischen Unruhen, Cholera und anderen un- günstigen Umständen beeinträchtigten Jahren sind die Gründung und allerdings auch wieder baldige Auflösung einer Witwenkasse und von wissenschaftlichen Leistungen besonders solche auf dem Gebiet der Augenheilkunde sowie später der Reform des Irrenwesens in der Rheinprovinz zu verzeichnen. 1 865 gründete unser Verein mit den inzwischen entstandenen Bezirks- vereinen Köln (1 861), Coblenz (1863), Aachen (1864), denen sich später noch Trier, die nassauischen — diese allerdings nur bis 1894 -- und westfälischen Vereine anschlössen, das Centralorgan, einen Ausschuss, zu dem sich die Vorsitzenden der einzelnen Vereine vereinigten, um zweimal jährlich vor den Sitzungen zusammenzutreten. Zweck war ein engerer Anschluss der einzelnen Vereine an einander zu mehr Erfolg versprechendem gemeinsamen Vorgehen in allgemein interessierenden Fragen. Von 1866 an erscheint im April und September jedes Jahres das Korrespondenzblatt mit den Arbeiten der Vereine und des Centralorgans im Auszug. Letzteres wurde später auch als zweite Berufungsinstanz in Erenratsachen eingesetzt. Schon bald nach seiner Gründung nämlich, prinzipiell aber erst 1872, hatte sich der Verein für die Einsetzung eines Ehrengerichts, wie bei den Advokaten, als eines der wichtigsten Mittel zur Hebung des Standes, ausgesprochen. 1878 wurde die Wahl desselben vorgenommen. Seine Aufgabe ist: 1. die ärztliche Standesehre zu wahren, 2. über deren Verletzung unter den Ärzten selbst abzuurteilen, 3. Streitigkeiten und Misgriffe unter denselben zu schlichten, 4. Zurechtweisungen und Strafen zu bestimmen. 1873 wurde in Wiesbaden der deutsche Ärztevereinsbund gegründet, um die über das neu geeinte Deutschland zerstreuten ärztlichen Vereine eben- falls zu einer »einheitlichen Körperschaft« zusammenzufassen. Unser Verein erwies sich von Anfang an als ein äusserst rühriges Mitglied des neuen Bundes und unser verdienstvoller Vereinsvorsitzender Dr. Graf (Elberfeld) wurde auch Leiter seiner Sitzungen, der Ärztetage. Letztere beschäftigten sich vornehmlich mit Standesangelegenheiten; als daselbst (1874) die Beziehungen der Ärzte zur Gewerbeordnung und die Kur- pfuschereifrage besprochen wurden, musste selbstverständlich auch unser Verein hierzu wieder Stellung nehmen. Die Stimmung der Kollegen war, den Zeit- läufen und dem allgemeinen Aufschwung entsprechend, eine recht selbst- 19« — h8* — bewusste. Leider aber glaubten die Kollegen, um einem Ausscheiden aus der Gewerbeordnung und damit dem Wiederaufleben des ominösen § 200 des Strafgesetzbuches (Zwang zur ärztlichen Hilfeleistung) vorzubeugen, auf den erstrebten staatlichen Schutz gegen Kurierfreiheit und mithin Kurpfuscherei verzichten so sollen; nur zu bald aber musste man erfahren, dass das Vertrauen auf die eigene Stärke doch zu gross gewesen. Schon 1880 drang man doch wenigstens wieder auf eine Vertretung unseres Standes bei der Re- gierung, um Wünsche und Beschwerden anbringen zu können, und endlich auf die Einführung einer allgemeinen deutschen Ärzteordnung. Die letzten Jahre haben mit dem kolossalen Überhandnehmen der Kurpfuscherei und der Urteilslosigkeit des grossen Publikums ihr gegenüber vollends bewiesen, dass auch die energischste Selbsthülfe allein hier nichts auszurichten vermag. Diese Erkenntnis trat denn auch auf den Arztetagen deutlich hervor, wobei das Wiederherausheben des ärztlichen Standes aus der Gewerbeordnung lebhaft betont wurde (1897). Andere Fragen, wie Krankenkassenangelegenheiten, Lebens-, Unfall- und Alterversicherungswesen, Berufsgenossenschaftswesen mit den vielfachen Be- ziehungen zu den Ärzten, Seuchenfragen und Desinfektionsangelegenheiten wurden natürlich ebenfalls oft und eingehend in unseren Vereinssitzungen, teils selbständig, teils vorbereitend für die Arztetage und Ärztekammern, behandelt. Seit Errichtung der Ärztekammern! (1877) wurden die Vorwahlen für die Kammer unserer Provinz in den Vereinssitzungen jedesmal mit Erfolg gethätigt. 1879 entstand die jetzige Unterstützungskasse für notleidende Ärzte und deren Hinterbliebenen im Regierungsbezirk Düsseldorf, jedoch ohne rechtlichen Anspruch. Bei der Gründung steuerten der Verein 1000 Mark, eine Anzahl Mitglieder je 50 Mark bei. Kollege Mooren überwies ihr 1880 aus den Überschüssen der städtischen Augenklinik 4000 Mark für die Unter- stützung augenkranker Ärzte, 1895 noch einmal eine bedeutendere Summe zu demselben Zweck. Am 11. Februar 1889 wurde ihr die Verwaltung des 8200 Mark betragenden Vermögens des Vereins »zur Pensionierung von Ärzten und ärztlichen Witwen zunächst für die Stadt Düsseldorf« übergeben mit der Massgabe, »dass das Kapital ganz in ihren Besitz übergehen soll, wenn von den jetzt Unterstützungsberechtigten Niemand mehr vorhanden ist«. Der Beitritt zur Unterstützungskasse ist für alle Vereinsmitglieder (aus- genommen Militär- und Assistenzärzte an Krankenhäusern) obligatorisch, der Jahresbeitrag 10 Mark. Augenblicklich verfügt die Kasse über ein Ver- mögen von 63000 Mark. Durchschnittlich werden im Jahre 15 Notleidende mit je einem Betrage von 100 — 300 Mark unterstützt. Im Ganzen zahlte die Kasse seit ihrer Gründung die stattliche Summe von 35250 Mark. — F49* - Der von anderer Seite in der Ärztekammersitzung zu Koblenz 1894 gestellte Antrag, dass die Ärztekammer selbst eine Witwen- und Waisenkasse mit rechtlichem Anspruch auf Renten gründen solle, zu der die Unterstützungs- kassen der Bezirks- Vereine ihr Vermögen ganz oder zum Teil hergeben sollten, wurde von unserem Verein, weil ohne die Bedingung des zwangs- weisen Beitritts aller Ärzte die Lebensfähigkeit der Kasse in Frage stand, bisher noch abgelehnt. Die Einrichtung der Unterstützungskasse, des Ehrenrats und Anderes veranlassten den Verein, schon in den 80er Jahien bei der Obrigkeit um Verleihung von Korporationsrechten nachzusuchen, bisher ohne Erfolg! Die 1896 zu diesem Zweck neubearbeiteten Statuten sind der Regierung vorge- legt, haben aber noch nicht die Genehmigung derselben gefunden. 1894 wurde im Frühjahr das 50jährige Stiftungsfest des Vereins ge- feiert und dazu von Mitgliedern eine Festschrift, 50 Beiträge aus dem Ge- biete der gesamten Medizin, herausgegeben. Hier wäre denn auch wohl unsere Litteratur anzureihen : 1. Correspondenzblättcr des ärztlichen Vereins des Regierungsbezirks Düsseldorf. 2. Dr. Eduard Graf, Geschichte des Reg. -Bezirks Düsseldorf aus der erwähnten Festschrift (Wiesbaden, Bergmann ji 897). 3. Dr. Ed. Graf, Elberfeld, Das ärztliche Vereinswesen in Deutschland und der deutsche Ärzte- vereinsbund, Leipzig, F. C. Vogel 1890. 4. Geschichte des ärztlichen Vereins- wesens in Deutschland von Dr. H. Berger, Frankfurt a. M., Joh. Alt, 1896. Leider konnten bei diesem kurzen historischen Überblick die wissen- schaftlichen Leistungen während der Sitzungen nicht ausführlicher in den Bereich der Erwähnung gezogen werden. Auf eine Anführung der Mitglieder, deren Bemühungen das Werden und Gedeihen des Vereins in besonderem Masse zu verdanken ist, muss ebenfalls aus Raummangel verzichtet werden. In danbarer Erinnerung seien nur genannt : Pagenstecher I (Elberfeld), Fr. Schneider senior (Krefeld), Graf (Elberfeld), unser genialer und erfolgreicher Führer durch 28 Jahre und endlich der jüngst hingeraffte Busch (Krefeld), der unermüdliche Vorkämpfer des ärztlichen Standes auf dem Gebiete des Kranken-, Unfall-, Invaliditäts- und Altersversicherungswesens. Der Verein zählt augenblicklich 445 Mitglieder, darunter 7 Ehrenmit- glieder, deren eines, Geh. Medizinalrat Professor Dr. Mooren, bekanntlich erster Geschäftsführer der jetzigen Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte ist. Vorsitzender ist Dr. Künne (Elberfeld), Schriftführer Dr. Keimer, Kassierer Dr. Hölling (beide Düsseldorf). — iso* — 2. Verein der Arzte Düsseldorfs. Aus den ersten Jahren des > Vereins der Ärzte Düsseldorfs» sind uns nur spärliche Nachrichten erhalten, schriftliche Aufzeichnungen fehlen fast ganz, und von der Zahl der Männer, welche sie miterlebt, weilen nur noch sehr wenige in unserer Mitte. Unter dem Vorsitz des Dr. Gerhardy (f 6. I. 1890) hatten sich die Kollegen während der Sommermonate in dem Geissler'schen Garten, der jetzigen Tonhalle, versammelt, zur Winterszeit, da ihnen der Weg dorthin zu weit, im Innern der Stadt bald dieses bald jenes Lokal zu den jeweilich verab- redeten Zusammenkünften aufgesucht. Die lediglich gesellige Vereinigung feierte am 26. Juli 1859 das 25jährige Doctor- Jubiläum des Vorsitzenden. In dem uns erhaltenen Düsseldorfer Journal vom 28. Juli wird darüber berichtet: >Es waren ihm (Gerhardy), als einem der bekanntesten Ärzte, mehrfache Ovationen von Seiten seiner Freunde zugedacht, die er indes nicht annehmen konnte, nachdem sich bereits der ganze Kreis der Kollegen zur Feier seines Jubiläums vereint hatte. Sie veranstalteten im Breidenbacher Hof ein Festmahl und überreichten dem Jubilar einen Pokal. Den Ärzten und Apothekern hatten sich mehrere Kollegen aus den Nachbarstädten ange- schlossen und die beim hiesigen ärztlichen Vereine bestehende sehr treund- liche Kollegialität bewährte sich in der fröhlichen Stimmung des heitern Abends « . Der erwähnte Krystallpokal trägt eine Widmung und die Namen von 17 Kollegen: Bourny, Ebermaier I, Ebermaier II, Eckardt, Gottschalk, Hardt, Hasenclever, Kaufmann, Krauss, Küster, Nagle, Nieland, Pfeffer, Reinartz, Rentrop, Spiegelthal und Zcns. Der einzig Überlebende ist Hardt. Bis auf Generalarzt a. D. Spiegelthal, der damals übrigens schon lange nicht mehr als Militärarzt fungierte, repräsentierten diese 17 Ärzte die Mehr- zahl der Civilkollegen von 1859 (das Adressbuch zählt ihrer im Ganzen 24 auf, dazu noch 13 Militärärzte) und auch Hardt erinnert sich nicht, dass dem erwähnten Verein Andere, als Civilärzte angehört hätten, was schon darum nicht unwahrscheinlich ist, weil die Militärärzte sich um jene Zeit, obgleich sie mit den andern Kollegen in regem Verkehr standen, ebenfalls, und zwar monatlich, zu einem kollegialen Abend zusammenfanden. Gerhardys Verdienst ist es, diese beiden getrennten Lager vereinigt zu haben. Geheimer Sanitätsrat Dr. Siering schildert als Augenzeuge den Vor- gang folgendermassen: 'Im Sommer des Jahres 1865 versammelten sich auf Anregung des Dr. Gerhardy eine Anzahl Civil- und Militär-Kollegen (etwa 20) zu Ehren des Oberstabsarztes Dr. Middendorf zu einem kollegialen Abend in der Tonhalle bei einfachem Abendessen und Glase Wein. Der angenehme Ton im kollegialen Verkehr an diesem Abend liess den Dr. Gerhardy den — 1 5 r* — Wunsch aussprechen, solche Zusammenkünfte dann und wann zu wiederholen, auch ohne eine Veranlassung wie diese, nur des kollegialen Verkehrs wegen. Es haben dann im Sommer und Herbst auch einige stattgefunden. Aus ihnen ist unser jetziger Verein erwachsen, der vielleicht schon am Ende des Jahres 1865, aber ganz gewiss in den ersten Monaten von 1866, als solcher bestand. Bis zum Jahre 1868 fanden die Sitzungen in der Tonhalle, dann in den unteren, damals an die Gesellschaft »Verein« vermieteten Räumen des Rat- hauses statt. Von der ersten Sitzung dieses Jahres lautet ein in launigen Versen abgefasstes Protokoll des Kollegen Dr. Preiss, s. Z. Oberarzt am hiesigen evangelischen Krankenhause: Dies ist das erste Protokoll — Vom Jahre achtundsechzig, In Versen, wie ich's machen soll; — Obs Beifall findet, fragt sich. Versammlungsort: der alte Stall — Im untern Rathausstocke. Erschienen ist 'ne grosse Zahl; — Gerhardy führt die Glocke. Ein Gast hat sich auch eingestellt, — Steinhausen, Arzt aus Elberfeld. Ein neues Mitglied zeigt sich, — Herr Leske, und verneigt sich. Was wir geplaudert, ist kaum wert, — Dass wir's hier wiedergeben: Manch einer setzt sich hoch auf's Pferd — Manch einer auch daneben. Ich melde nur, dass Publicus — Sich häufig bei uns zeigte, Wodurch er machte viel Verdruss — Und wenig fand Geneigte. Das brachte denn naturgemäss — Die Red' auf faule Praxis, Und führte dann zu Ach und Weh's — Ob der noch faulern Taxis. Und diese ist auch wahrlich schlecht! — Doch soll es wohl passieren, Dass ein'ge wider Fug und Recht — Noch drunter liquidieren. Drum wird hierdurch jetzt fest bestimmt — Den Alten wie den Jungen, Dass man nur solche Preise nimmt, — Wie Preiss sie hier besungen. Wer in der Stadt geht oder fährt — Bis an die Steuer-Wachen, Nie wen'ger als die Tax' begehrt! — Wer mehr bekommt, kann lachen. Fährt weiter man, nach Derendorf — Nach Oberbilk, Bilk, Flingern, So müssen wir in jedem Dorf — 'nen Thaler uns erzwingern. Soll wer zur Fahrt nach Volmerswerth, — Hamm, Flehe sich bequemen, So soll der Doktor samt dem Pferd — 'nen Thaler fünfzehn nehmen. Und sind wir weiter noch gereist, — Nach Eller, Itter, Himmelgeist, So zahlt der Thaler zweie — Als Minimum der Laie. Geht wer nach Benrath, Kaiserswerth — (Wenn's nur der Hinze nicht erfährt!) Nach Erkrath, Ratingen hinaus, — Wir bitten uns drei Thaler aus. Von diesem nied'ren Gedankenkreis — Ging's schnell zu höh'ren Gebieten. »Im Sommer flickt man vernünftigerweis — So sagt Gerhardy — den Schlitten.« »Drum, weil jetzt die Cholera uns verliess, — Die Pilz' aus dem Staube sich machten, Drum wollen wir sie mit Ruhe gewiss — Von hinten her einmal betrachten.« Zum Referenten ward Zens ernannt: — Er soll uns vortragen, was ihm bekannt. Und höher stieg der Gedankenflug — Er stieg bis zum reinsten Äther, Den Richardson in die Journale trug - Der englische Anästheter. Man sprach vom neuen Chlorometyl — Und lokalem Anästhesieren. Wenn Richardson uns was schicken will, — So wollen wir es probieren. Trotz aller Gelehrtheit hat doch zuletzt — Der Abend recht gut uns gefallen; Alle 14 Tage kommen wir jetzt! — So ward es beschlossen von allen. — 152* — Dieses uns durch Siering gerettete Gedicht giebt ein recht anziehendes Bild von dem Vereinsleben in jener Zeit. Gerhardy pflegte beim Beginn der Sitzungen zu sagen: »Ein Stündchen Ernst, ein Stündchen Scherz,« Den Unterhaltungsgegenstand während der Zusammenkünfte bildeten dem zu Folge nicht nur wissenschaftliche Vorträge, sondern besonders auch gegenseitige Aussprache. Der Verkehr soll ein ungemein gemiil'icher gewesen sein. Für jeden November wurde ein Gänseessen angesetzt, zu dem Dr. Leske im Herbst 1868 das noch vorhandene »Lob der Gans« dichtete: Wenn er gut gerathen, — Ist der Gänsebraten, In der That ein wahrer Hochgenuss; — Knusprige Umhüllung, Und Kastanienfüllung, — Untermischt mit feinem Apfelmus! Unter solchen Düften — Gilt's den Gurt zu lüften, Denn man schlingt unglaublich viel hinein, — Soll's noch besser rutschen, Muss dazu man lutschen — Einen exquisiten Moselwein u. s. w. Seit dem Jahre 1868 ist uns zunächst aus der Hand des verstorbenen Kollegen Sachs das Mitgliederverzeichnis (mit Ausnahme von 72 und 73) und der jährliche Kassenbericht erhalten. Von den in genanntem Jahre zu Düsseldorf praktizierenden 44 Ärzten gehörten dem Verein 36 (darunter 12 Militärärzte) an, von denen wir heute noch die Kollegen Bartel, Hardt, Mooren, Nebe, Siering und v. d. Steinen unter uns sehen. 1868 begann der Verein mehr als solcher aufzutreten; man wählte Siering zum stellvertretenden Vorsitzenden, Sachs zum Schrift- und Kassenführer und jedes Vereinsmitglied musste jetzt den Jahresbeitrag von einem Thaler zahlen. 1869 konstituirte sich der Verein fester durch die Annahme von Statuten. Siering erinnert sich, nach einem Diktat Gerhardys in dessen Wohnung den Entwurf dazu geschrieben zu haben. Leider sind diese ersten bei Dreesen gedruckten Statuten verloren, ebenso wie auch das erste Protokoll- buch, welches im Juli 1S70 angelegt worden war. Am 23. Sept. 69 genehmigte die königl. Regierung die Statuten des ärztlichen Pensionsvereins. Dieser war im Juni desselben Jahres von 10 Vereinskollegen (nicht von dem Verein als solchem), auch wieder auf Anregung Gerhardys, gegründet worden »zu dem Zweck, allen beitretenden Ärzten nach erlangtem 65. Lebensjahre und schon früher denjenigen, welche durch körperliche und geistige Störung zur Praxis unfähig geworden waren, eine jährliche Pension zu sichern, auch eine solche den Witwen. Jedes Mitglied verpflichtete sich auf mindestens 5 Jahre zu einem mit dem Lebens- alter steigenden Jahresbeitrag von 10 — 30 Thlrn. Als aber mit der Zeit eine Anzahl Mitglieder wieder ausgeschieden, andere durch Wegzug und Tod in Abgang gekommen waren, beschlossen die 5 letzten, die Verwaltung des Vermögens und später das Kapital selbst der inzwischen entstandenen Unter- stützungskasse des Reg. -Bez. -Vereins zu übertragen. — 153* — 1872 finden wir den Verein in der Februarsitung zum ersten mal mit Laden- und Kassenangelegenheiten beschäftigt. Die Fixa, nach denen für ärztliche Behandlung pro Kopf und Jahr durchschnittlich 10 Sgr. bezahlt wurden, erschienen mit Recht zu gering, daher denn nach längeren Verhand- lungen am 11. XII. 72 als Honorar für ärztliche Behandlung der fixirten Laden und Kassen Düsseldorfs vom I. I. 73 oder von der nächsten Kontrakter- neuerung an, der Minimalsatz von 20 Sgr. und zwar nur für die in der Ober- bürgermeisterei D. wohnenden Kranken vereinbart wurde. Ferner verpflichtete man sich, nicht unter die von den Armenärzten beantragte, um 50 Prozent erhöhte Honorarforderung ihres jetzigen Gehaltes zu gehen. Diese Verein- barung wurde bis in den Anfang der 80er Jahre allen Kollegen zur Unter- schrift vorgelegt. 1873 brachte eine Erneuerung und Erweiterung der Statuten; sie ent- halten 1 1 kurze Paragraphen, von welchen sich nur der erste bei allen Ver- änderungen (69, 73, 78, 86, 90, 94, für 98 wieder eine angeordnet) in der ursprünglichen Fassung erhalten hat: »Der Verein hat zum |Zweck die Be- sprechung wissenschaftlicher Fragen sowie Wahrung und Hebung der Kollegalität und der Standesinteressen.* 1874 wurde das 40jährige Jubiläum Gerhardys, des rechteigentlichen Stifters unseres Vereins, festlich begangen. Von 1878 (3. II.) an ist uns das Protokollbuch der Vereinssitzungen und vom 22. November 1880 auch dasjenige der Vorstands- resp. Ausschuss- sitzungen erhalten. Die Anlage des ersteren, wie auch die eines Ver- zeichnisses aller seit 1878 gehaltenen wissenschaftlichen Vorträge und Demonstrationen verdanken wir unserem verstorbenen Ehrenmitglied Kreis- physikus Dr. Zimmermann, welcher sich überhaupt um das Gedeihen des Vereins in jenen Jahren sehr verdient gemacht hat. Seit 1892 stehen uns ausserdem gedruckte Jahresberichte zur Verfügung und ihnen angefügt er- scheinen die wissenschaftlichen Vorträge in einem von den Vortragenden selbst angefertigten Auszug, der seit 1895 in der Berliner medizinischen Wochenschrift veröffentlicht wird und jedem Mitglied unentgeltlich zugeht. Das Jahr 1878 brachte in einer Statutenänderung die »bindenden Be- schhlüsse-, durch welche den Mitgliedern im Interesse der Kollegialität und der Standesehre in gewissen Beziehungen einheitliche Grundsätze des Handelns gegeben werden, deren Nichtbeachtung den Ausschluss aus dem Verein zur Folge haben soll. Dass man mit der Einführung derartiger Bestimmungen einen folgen- schweren Schritt unternommen und einen ganz neuen Weg betreten habe, war den damaligen Vereinsmitgliedern vollkommen klar; die Notwendigkeit dieser Bindung betonend, schlägt der Vorstand in den Motiven sehr vorsichtig — iS4* — und weise vor: »dass man künftig in allen solchen Fällen, die Beschlüsse nicht absolut notwendig machen, in Rücksicht auf eine abweichende Minorität lieber die Form der Resolution (z. B. es ist wünschenswert oder dergl.) wählen und das Weitere dem eigenen Ermessen und Takte jedes Einzelnen überlassen möge«. Durch die damalige Statutenveränderung wurde auch den Kollegen des Landbezirks der Eintritt in den Verein ermöglicht. Am 2. November 1880 ernannte der Verein eine Kommission zur Abhülfe > gegen die Schädigungen des ärztlichen Standes und des Publikums, wie sie aus Kurpfuschereien, Ankündigung von Geheimmitteln, Hebammen- unwesen, unrichtigem Handeln von Seiten der Apotheker etc.« hervorgehen, eine Angelegenheit, die, wie wir aus einigen uns erhaltenen Tagesordnungen von 1871 und 1872 ersehen, schon früher die Gemüter der Vereinsmitglieder bewegt hatte. Das in den Akten aufbewahrte umfangreiche Material gibt beredtes Zeugnis von dem Eifer der Kommission, zeigt aber auch die grossen Schwierigkeiten in der Lösung der Aufgabe. In's Jahr 1881 fallen zunächst Erörterungen über die Behandlung von Kassenkranken durch nicht angestellte Ärzte, was nur im Einverständnis mit den Kassenärzten geschehen soll; Verhandlungen mit der Stadt über die Anzeige ansteckender Krankheiten und Desinfektionsmassregeln, Schulatteste, auch in Betreff nicht erkrankter Geschwister, folgen; endlich beschliesst man, die erwähnte Kommission und den Vereinsvorstand in einem Ausschuss von 7 Mitgliedern zu verschmelzen. 1882 beschäftigen sich die Sitzungen wieder vorwiegend mit hygienischen Fragen, Anschütten der Strassen, Frühbeerdigung, Totenschein, Leichenhaus etc. Man verhandelt lange und — damals — erfolglos mit der Stadt über eine bessere Vertretung unserer Fachwissenschaft in der städtischen Sanitäts- kommission; ferner wird die Stellung des Arztes als Zeuge und Sachver- ständiger vor Gericht beleuchtet. Auch die Bildung eines Lesezirkels wurde in jenem Jahre schon angeregt, welcher die betr. Zeitschriften in einem Zimmer im Mittelpunkt der Stadt auflegen sollte. 1883 finden wir den Verein mit namentlicher Anführung seiner Ausscliuss- mitglieder zum ersten mal im hiesigen Adressbuch verzeichnet. 1884 beschäftigen sich die Beratungen hauptsächlich mit der Stellung- nahme des Vereins zu der staatlich projektirten Standesordnung und zu dem neuen Krankenkassengesetz. Ad I wird erklärt, dass konform den Beschlüssen anderer Vereine auch der unserige eine staatlich anerkannte Vertretung des ärztlichen Standes freudig begrüsse, dass man aber eine disziplinare Beauf- sichtigung der Ärzte Seitens des Staates weder dem Interesse des Publikums noch dem Wunsche der Ärzte entsprechend erachte; ad 2 wird beschlossen, - 155* - dass nach Einführung des Krankenkassengesetzes bei den Kassen 0,60 M. für die Konsultation im Hause, 1,50 M. für den Besuch als Minimalsatz in Rechnung zu setzen sei. Das jährliche Pauschquantum soll 3 M. für den Einzelnen, 9 M. für die Familie betragen, eine besondere Vergütung für geburtshülfliche uud grössere chirurgische Leistungen wird in beiden Fällen beansprucht. (Bindend. Beschluss.) 1885 beginnen dann die langen Kämpfe mit den Ortskrankenkassen um diese Honorarsätze. Sie endigen mit der Niederlage des Vereins insofern, als die Kassenvorstände unsern Mitgliedern kündigten und 4 Ärzte von auswärts heranzogen, welche zu einem geringern Honorarsatz die Ärztestellen über- nahmen. Als nach langen Verhandlungen ein neuer Vertrag zu stände gekommen war, laut welchem für den von den Kassen angesetzten Betrag von 0,50 M. per Konsultation, 1,00 M. per Besuch (2,50 M. als Höchstbetrag per Kopf und Jahr) nur Mitglieder des Vereins der Ärzte die Behandlung der Kassen- patienten in Zukunft übernehmen sollten, unter Belassung der früher im Widerstreit mit unsern Bestimmungen angestellten Ärzte in ihren Stellungen, hoffte man den Kampf endlich beigelegt zu sehen. Doch schon am 2. X. 91 entbrannte er auf's neue infolge eines Schreibens des Ortskrankenkassen- vorstandes des Inhalts, der Ausschuss des ärztlichen Vereins solle die schrift- liche Erklärung abgeben, dass gewisse Statutenparagraphen, durch welche Ärzte bei Zuwiderhandlung gegen bindende Beschlüsse des Vereins in Kassen- angelegenheiten vom Verein und von dem kollegialen Verkehr ausgeschlossen waren, aufgehoben wären. Der Verein schlug selbstverständlich diesen durch nichts begründeten Angriff auf sein Recht, interne Standesfragen nacli seinem Ermessen zu beurteilen, ab, konzedierte jedoch zur Vermeidung jedes üblen Scheines seinen Mitgliedern, dass sie mit den früheren Kassenärzten bei Kassenkranken ungehindert konsultieren, überhaupt dienstlich verkehren könnten. Trotz dieses weitgehenden Entgegenkommens kündigten die Orts- krankenkassen am 31. I. 92 den Vertrag von 1890 und fragten zugleich die Vereinsmitglieder, welche Kassenärzte waren, an, ob sie ihre Stellungen be- halten wollten. Der Verein entschied 15. II. 92, um seine Mitglieder nicht, wie schon einmal, in die Zwangslage zu versetzen, zwischen Verein und, für die Mehrzahl sehr harter, Einbusse an Einkommen zu wählen, dass dieselben, trotz der Kündigung, Kassenärzte der Ortskrankenkasse und Vereinsmitglieder, selbstverständlich unter Beobachtung der sonst den letzteren obliegenden Verpflichtungen, bleiben dürften. Trotzdem kündigten nunmehr -- ohne jede Motivierung — die Ortskrankenkassen allen Vereinsmitgliedern, schrieben die Stellen aus und nahmen nur solche Ärzte wieder - - auch in der Folge — an welche aus dem Verein austraten oder demselben nicht angehörten. — 156* — Privater Mitteilung nach wollte der damalige Vorstand »den Verein sprengen'. Der Verein verlor bei dieser Gelegenheit, die recht drastisch das unhaltbare Verhältnis der Ärzte 7.11 den ihre wirtschaftliche Übermacht ausbeutenden Kassenvorständen illustriert, 5 Mitglieder, für welche damals eine schwere wirtschaftliche Zwangslage als gegeben anerkannt und deshalb die für den Ausschluss vom kollegialen Verkehr geltenden Bestimmungen ausser Geltung gesetzt wurden (Juli 1892). Am 13 Juni 1892 erkannte der Verein auf Antrag des Kollegen A. Müller (jetzt in Forbach) das Prinzip der freien Ärztewahl als die für sämtliche gesetzlichen Krankenkassen beste Form der ärztlichen Fürsorge für erkrankte Kassenmitglieder grundsätzlich an und regelte durch neue Satzungen, welchen die Erfahrungen derjenigen deutschen Städte, in denen die freie Ärztewahl bestand, zu Grunde gelegt waren, auf's Eingehendste die Pflichten der Ärzte gegen die Kassen und untereinander. Eine Krankenkassen -Kommission von 5 Mitgliedern bildet das Bindeglied zwischen Kassen und Ärzten und die Aufsichts- und Beschwerdeinstanz für beide. "JJ Vereinsmitglieder haben sich bis jetzt für die Vereinskassenpraxis zur Verfügung gestellt, darunter 20 Spezial- ärzte. Im Laufe der Zeit haben 13 Kassen, davon 7 mit Familienversicherung, für 3600 Mitglieder und 1500 Familien die freie Arztwahl eingeführt. Sie besteht bei einzelnen bereits über 5 Jahre und hat sich wohl bewährt. 1893 trat ferner unser Verein in corpore dem deutschen Ärztevereinsbund bei; von 1895 ab wird er auf den Ärztetagen durch ein eigenes Mitglied regelmässig vertreten. Anlässlich der Choleragefahr in diesem Jahre wurden in mehreren Sitzungen Gegenmassregeln erörtert und zweckentsprechende Vorschläge der städtischen Verwaltung unterbreitet, dabei auch die Einrichtung eines Epidemie- hauses als dringendes Bedürfnis erklärt. 1894 starb am 5. IV. unser hochverdientes und allbeliebtes Ehrenmitglied Kreisphysikus Dr. Zimmermann, dem Seitens unseres Vereins und des Medizinalbeamtenvereins des Reg. -Bezirks auf dem städtischen Friedhof ein Denkmal mit Portraitmedaillon (aus der Künstlerhand Buscheis) gesetzt wurde. 1896 schuf sich der Verein eine Vereinsbibliothek und ein Lesezimmer, beschäftigte sich mit der Honorarfrage für Lebensversicherungs- und berufs- genossenschaftliche Atteste, trat 1897 dem Spezialisten wesen näher und stellte den bindenden Beschluss auf: Wer allgemeine Praxis treibt, darf sich nicht Spezialarzt nennen.« 1 898 endlich wurde eine Geschäftsordnung für die Sitzungen ausgearbeitet und angenommen. Das wissenschaftliche Leben war während aller Jahre ein sehr reges, das ganze Gebiet der Medizin umfassend, die Vorträge wurden nicht selten in — '57* - solcher Anzahl zu den Sitzungen angemeldet, dass sie erst an entferntem Terminen gehalten werden konnten. Ihre Zahl beträgt von 1878 bis Schluss 1897: 210. April 1898 gehörten dem Verein 122 Mitglieder und 5 Ehrenmitglieder an. Erster Vorsitzender ist zur Zeit Oberstabsarzt Dr. Hecker, zweiter Vor- sitzender Dr. Pfalz. Dr. Feldmann. XIII. Naturwissenschaft und Medizin an der Universität in Duisburg. 1. Naturwissenschaft. Schon Wilhelm III. (V.), Herzog von Jülich-Kleve-Berg, hatte zu Beginn der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Errichtung einer Hochschule in Duisburg in 's Auge gefasst. Aber erst hundert Jahre später, unter dem Grossen Kurfürsten, der durch den Friedensschluss zwischen Kurbrandenburg und Pfalz- Neuburg Landesherr im Klevischen und damit auch in Duisburg geworden war, ging, wie es in der Stiftungsurkunde heisst, die An- und Aufrichtung einer Universität zu Duisburg vor sich. Am 15. Oktober 1655 wurde der erste Rektor magnificus in der Person des Professors der evang. Theologie Joh. Clauberg in sein Amt eingeführt. Im Herbst 1 8 1 8 trat die Hochschule in Bonn an die Stelle der Duisburger, welche damals zwei Jahrzehnte hindurch, an der Wende einer neuen Zeit, nur mehr ein Schattendasein geführt hatte. Ein lebhafter Besuch war Duisburg überhaupt niemals beschieden gewesen, was nicht zum kleinsten Teil auf Rechnung des Umstandes zu setzen ist, dass eine höchst kärgliche Dotierung erspriessliche wissenschaftliche Leistungen vielfach nicht recht aufkommen Hess. Auf dem Gebiete der Naturwissen- schaften traten die Folgen des Geldmangels besonders insofern in die Er- scheinung, als es um die Anlagen und Sammlungen der Universität überaus kläglich bestellt war. Mehrfach dagegen haben Duisburger Universitätslehrer durch Entdeckungen oder Schriften naturwissenschaftlicher Art sich verdient gemacht, vereinzelt sogar — es sei auf Leidenfrost (vgl. oben S. 10) hinge- wiesen — ihren Namen auf immer vor dem Vergessenwerden geschützt. Die Archivalien der ehemaligen Universität Duisburg befinden sich zur Zeit in der Königl. Universitäts-Bibliothek zu Bonn. Auf ihnen beruhen W. Hesses i. J. 1879 erschienenen »Beiträge zur Geschichte der früheren Universität in Duisburg. « Dieser Schrift Hesses sind einige der nachstehenden Angaben entnommen. Meist aber entstammen letztere dem in der Bonner Univ.-Bibliothek vorhandenen Sammelbande »Lebensnachrichten von den Pro- fessoren der Universität Duisburg.« Als. 4 . Manche ihrer Abhandlungen ver- öffentlichten im vorigen Jahrhundert die Lehrer der Duisburger Hochschule im Duisburger Intelligenzblatte, von dem nach Hesse die Stadt Duisburg ein vollständiges Exemplar besitzt. Im folgenden wird dieses Blatt durch D. I. B. bezeichnet ; die neben der Jahreszahl stehenden eingeklammerten Zahlen bezeichnen die im genannten Sammelbande angegebenen Journal-Nummern. Den Personal-Notizen und bibliographischen Nachweisen lasse ich einige Einzel- heiten über die ehemals mit der Universität Duisburg verbunden gewesenen Anlagen und Sammlungen naturwissenschaftlicher Art vorhergehen. Eine Sternwarte hat in Duisburg nur sehr kurze Zeit bestanden. Wohl wurde auf Betreiben des tüchtigen Physikers, Professors Peter van Musschen- broeck, im Mai 1720 auf dem Turme der St. Salvatorskirche in Duisburg ein Observatorium astronomicum auf akademische Kosten errichtet, doch ging dasselbe schon im Jahre 1723 ein, als Musschenbroeck eine Professur in Utrecht annahm und Duisburg verliess. Es mangelte später an tüchtigen Lehrern, sowie an den Mitteln zur Beschaffung der erforderlichen Instrumente. Ein mit der Universität verbundener botanischer Garten stand unter der Aufsicht des ältesten Professors der Medizin. Der hortus medicinalis soll im 18. Jahrhundert unter Leidenfrosts Leitung gut im Stande gewesen sein; be- deutend war aber die Anlage jedenfalls nicht. Noch im Jahre 1815 sprach man von einer Erweiterung des botanischen Gartens, kurz bevor, ehe seine Pflanzen und Gewächse öffentlich dem Meistbietenden zugeschlagen wurden. Ein geringer Apparat zu den nötigsten chemischen Arbeiten, so hiess es amtlich im Jahre 1799, steht unter der Verwaltung des Professors der Chemie. In der Wirklichkeit gab es in Duisburg keinen besonderen Lehrstuhl für Chemie; im »Nebenfach« mögen einige Experimente primitivster Art zur Führung des Titels »Professor der Chemie« berechtigt haben. Nur wenig besser sah es in der Physik aus. Als Professor Schilling im Jahre 1779 starb, kaufte die Universität einen grossen Teil der im Nachlasse vorhandenen physikalischen Instrumente an. Hierauf wurden ferner jährlich 15 — 19 Thaler auf die An- schaffung von Apparaten und Instrumenten verwandt, so dass in den letzten Zeiten etliche mechanische und hydrostatische Tische und Werkzeuge vor- handen waren. Ein Naturalien-Kabinett scheint die Universität Duisburg niemals besessen zu haben, da ein solches im amtlichen Berichte des Jahres 1799 nicht erwähnt und erst sieben Jahre später als erwünscht bezeichnet wird. Im Ganzen blieben, wenn nicht alles täuscht, vor 100 — 200 Jahren die naturwissenschaftlichen Sammlungen und Anlagen der Duisburger Hochschule hinter denen mancher zeitgenössischen niedereren Schulen weit zurück. — 159* — Es braucht nicht aufzufallen, dass es in der theologischen und in der juristischen Fakultät der Universität Duisburg an Dozenten oder Schriftstellern anf dem Felde der Naturwissenschaft gemangelt hat. Wohl die einzige Aus- nahme bildet der Professor der Rechte Otto Ludwig von Eichmann mit einer Schrift über die Vorzüge der Feuerung mit Steinkohlen, Halle 1788, und mit einem Aufsatze »Wirtschaftliche Vorschläge zum Weinbau und dessen Ver- besserung, D. I. B. 1772, (29)«. Anders in der medizinischen Fakultät, deren Dozenten, Barbeck, Scherer, Leidenfrost und Carstanjen, hier hervor- zuheben sind. Friedrich Gottfried Barbeck, geb. 1644 zu Duisburg, 1670 dort ordent- licher Professor der Medizin, gest. 1703, schrieb: De tremore terrae 1678; de principiis chymicis ad praxin applicatis 1680; de accessu et discessu solis quotidiano, nee non eius ad circulos aestatis et hiemis appropinquatione 1697; de igne aer. et subterraneo eiusque admirabilibus effectis pluribusque meteoris 1698. Christian Arend Scherer, geb. 17 14 zu Magdeburg, ordentlicher Professor der Medizin in Duisburg seit 1741, gestorben 1777, veröffentlichte im D. I. B.: Geschlecht der Pflanzen 175 1 (9 und 11); Zusätze zu Seguierii bibliotheca botanica 1758 (17), 1760 (8, 29, 43, 52); 1761 (9 und 22); Aus- arten der Pflanzen 1759 (40 und 52); Einige ausländische Pflanzen 1762 (31 und 46), 1763 (47 und 48), 1771 (27), 1772(8); Über Uva Ursi 1767 (20); Belladonna 1767 (33 und 50); Vorsicht bei der Kultivierung giftiger Pflanzen 1768 (15 und 31); Alle Pflanzen tragen Samen 1775 (25); Einige merkwürdige Pflanzen hiesiger Gegend 1775 (35), 1776 (3 und 23); Des Abts Royer Scalet Abhandlung von den Erdbeeren 1774 (8 und 9). Joh. Gottlob Leidenfrost, geboren 17 15 zu Ortenberg in der Grafschaft Stollberg; ordentlicher Professor der Medizin in Duisburg 1743, Mitglied der Königlichen Akademie der Wissenschaften 1756, starb nach 51 -jähriger Lehr- tätigkeit in Duisburg am 2. Dezember 1794. Das handschriftliche Verzeichnis der Leidenfrost 'sehen Schriften und kleineren Aufsätze füllt mehr als acht Quartseiten. Hierher gehören : Nonnullae observationes circa aquae simplicis naturam 1753; de aquae communis nonnullis qualitatibus 1756; tentamen chemicum de theoria solutionum 1782; de lethargo hirundinis 1758; excerci- tatio academica de coagulo seroso eius resolv. medicinis 1752. Ferner aus dem D. I. B. : Hannibals Kunst, die Felsen durch Essig zu zermalmen, 1760 (47 — 49); Ursprung des Brunnenwassers 1754 (8 — 13); Unterschied des blauen und grünen Eises im Rheinstrom 1768 (7 und 13); Unerhörte Überschwemmung des Rheins und anderer Flüsse des Herzogtums Kleve 1758 (Nummer nicht an- gegeben); Spätere Wirkungen der unerhörten Wasserflut des Sommers 1758 1759 (32 und 33); Merkwürdige Versengung der Bäume und Sträucher im letzten Monat Mai 1772 (30); Nachrichten von einigen Überbleibseln des — IÖO* — Elephanten Alulabatz 1750 (27, 2y, 30); Vorschlag zur Verbesserung des Kalenderwesens 1775 (28). Professor Jakob Konrad Carstanjen in Duisburg (vgl. oben S. 27) schrieb: Enumeratio plantarum officin., quae circa Duisburg, ad Rhenum tarn sponter quam culturae ope crescunt. 1800; dissertatio de Quercus robur virtute medica 1791. Der in der philosophischen Fakultät der Universität Duisburg natur- wissenschaftlich thätig gewesenen Gelehrten und ihrer Schriften ist bereits in dieser Festschrift (S. 6, 10, ig, 27) gedacht worden. Deshalb hier nur einige Ergänzungen von vorwiegend bibliographischer Art. Peter van Muss- chcnbroeck schrieb: Epitome element. physic. 1726 — 28; dissertat. physic. experiment. et geometr. de magnete, de magnitudine terrae, de cohaerentia corpor. firm. 1729; tentam. experim. academ. Florentin. 1732; dissertat. de methodo instituendi experimenta physica 1736; de astronomiae praestantia et utilitate 1732; de beginsel. der Naturkunde 1736; elcmenta physices 1734; institutio nes physic. 1748; compendium physic. experiment. 1762. Joh. Jak. Schilling, der im Jahre 1731 zum Mitgliede der Kgl. Akademie der Wissenschaften in Berlin ernannt wurde, veröffentlichte im D. I. B. ausser mehreren Aufsätzen über Elektrizität, Erdbeben, Wetter und elektrisches Feuer folgende Abhandlungen: Ob Glockenläuten die Gewitter verteilt 1737 (32); Röte des jüngsten Nordscheins 1738 (4 und 5); Nordschein 1739 (11); Zufälle der Tiere im luftbeeren Raum 1738 (20 — 22); Schädlicher Kohlen- dampf 1738 (45 und 46); Schädlicher Dampf der Fermentation 1739 (38); Physikalische Gedanken über die Arten, das Feuer zu löschen, 1740 (50 und 52), 1741 (2 — 7); Tierchen im Weinessig 1750 (31); Tierchen im Pfeffer- wasser (Pfeifenwasser?) 1750 (50 und 51); Zweifel wider die Schwere der Luft 1752 (41); Fall der Körper im luftleeren Raum 1753 (4). Von Joh. Albert Melchior ist die Schrift: Schediasma physic. mathemat. de regressu umbrae in solariis 1755. Aus der schriftstellerischen Thätigkeit des Professors Blasius Merrem seien schliesslich noch erwähnt: Kurzer Entwurf der Naturlehre 1786; Hand- buch der Pflanzenkunde nach dem Linnöischen System, Marburg 1809; Amphi- biologische Beiträge in Band I und II der Annalen der Wetterauischen Gesell- schaft für die gesamte Naturkunde 1809; Beitrag zur Bestimmung der europä- ischen Geierarten in den Wildungen (Taschenbuch für Forst- und Jagdfreunde 1807); tentamen System, natur. avium. (Abhandlungen der Berliner Akademie der Wissenschaften 1812). Emil Pauls, Düsseldorf. — i6i* — 2. Die medizinische Fakultät. Sie trat sofort bei der Gründungsfeier der Universität handelnd auf; am zweiten Festtage, dem 15. Oktober 1655, wurden Gerh. Muys aus Arnheim, Anton le Brün aus Nürnberg und Jonas Barbeck aus Essen zu Doktoren der Medizin promoviert und ihnen zugleich die Berechtigung zur Ausübung der ärztlichen Praxis und zur Thätigkeit als Dozent erteilt. Doch von den sechs Lehrern, welche das ganze Professoren-Kollegium bei der Eröffnung bildeten, gehörte der medizinischen Fakultät nur einer an, und der war auch, während man sich Lehrkräfte anderer Fakultäten schon seit Monaten und Jahren ge- sichert hatte, erst unmittelbar von der Inauguration im Oktober 1655 berufen worden mit einem Gehalt von anfänglich 50, später 100 Thalern. Ein zweiter Professor kam zwei Jahre später hinzu mit 200 Thalern Gehalt; der dritte Professor (nach Weggang des Erstberufenen) erhielt gar 300 Thaler. Zu An- fang des 19. Jahrhunderts bezog der erste Professor der Medizin, alle Neben- einkünfte eingerechnet, 539 Thaler, der zweite 484 Thaler. Wenn auch fast Alles, was am Niederrhein Medizin studierte, wenigstens vorübergehend Duisburg besuchte, so war die Zahl der studierenden Mediziner doch selten über 20, ja öfters nicht >mehr als 2 oder 3. Die nahen holländischen Universitäten mit ihren Koryphäen medizinischer Wissenschaft übten eben eine zu grosse Anziehungskraft aus auf die heranwachsenden Ärzte unseres Gebietes. Promoviert wurden zu Duisburg in den ersten hundert Jahren des Bestehens der Universität 204 Mediziner. Kümmerlich bestellt war es mit den medizinischen Universitätsinstituten. Anfangs waren jährlich nur 50 Thaler für den Hortus medicus und ebenso- viel für Instrumente ausgeworfen. Das >anatomische Theater* war 1799 so unbrauchbar, dass die Vorlesungen in einem anderen Hause abgehalten werden mussten, später wird es gar nicht mehr als vorhanden gezählt; eine anatomische Sammlung und eine desgleichen von chirurgischen Instrumenten bestand aller- dings; die Leichen wurden von den Studenten bezahlt. Gebärhaus und Klinik gehörten immer zu den frommen Wünschen. Bei dieser kümmerlichen Lage der Dinge an der kleinen, immer vom Schicksal und Fürstengunst stiefmütterlich behandelten Universität war es naturgemäss kaum möglich, Berühmtheiten zu gewinnen; ja, wer sich einen Namen gemacht hatte, folgte gewöhnlich gern einem Rufe nach auswärts. So blieb man denn bei der Wahl der Universitätslehrer meist fein bescheiden in der Nähe; verwandschaftliche Beziehungen waren nicht ohne Einfluss. Doch sehen wir uns die Männer etwas näher an, die an der Duisburger medizinischen Fakultät gewirkt haben und betrachten wir ihre Leistungen! (Benutzt sind die Duisburger Universitätsakten, die S. 156* genannte Schrift von Hesse, die Arbeit Th. von Mörners in der Ztschr. für preuss. Geschichte — 162* — und Landeskunde 5. Jahrg., Berlin 1868, S. 542-574 und die oben S. 61* angeführten Quellen.) Johann Bernhard Daniels, Enkel des oben S. 36* schon genannten Duisburger Arztes Daniel Daniels und Sohn eines Düsseldorfer Rechtsanwalts Bernhard Daniels, ist in Düsseldorf geboren und auf den Gymnasien zu Mors und Duisburg vorgebildet worden. Er promovierte zu Harderwyk 1652 (De Epilepsia). Bei der Universitätsgründung wurde er als erster und anfangs einziger Professor der Medizin angestellt, gehörte dem Universitätsverbande von 1655-1661 an und war 1658 Rector; aus dieser seiner Dozentenzeit ist nur eine >Disputatio anatomica de cord« Duisburg 1657 4 überliefert, bei welcher G. Melm aus Düsseldorf respondierte, der spätere Düsseldorfer Stadt- arzt (s. oben S. 43* und S. 69*). Daniels war ein gelehrter Arzt, aber ein arroganter, streitsüchtiger Mann, der beständig mit seinen Kollegen in Fehde lebte, namentlich mit Clauberg und Cranenius. Er trat später zum kathol. Glauben über und wurde Arzt am Pfalz -Neuburgischen Hofe zu Düsseldorf. Wirich Scriba, als Pfarrersohn in Xanten geboren am 14. März 1624, besuchte die Gymnasien zu Mors (wohin sein .Vater Theodor berufen worden war) und Bremen, wo er sich schon mit Arzneiwissenschaft und orientalischen Sprachen beschäftigte, später die Universitäten zu Groningen, Franeker, Utrecht und Leyden, wo er 1646 zum Dr. med. promovierte (De febre intermittente). Er fand zuerst eine Anstellung als Lehrer der Philosophie und des Hebräischen und Hess sich zwei Jahre später als prakt. Arzt in Duisburg nieder, wo er 1657 eine ausserordentliche Professur für Arzneikunde und Hebräisch erhielt. Schon wenige Monate später, am 5. September 1657, wurde er zum ordent- lichen Professor in beiden Wissenschaften ernannt, auch war er 1662 und 1667 Rektor der Universität. Mitten in seiner ärztlichen Berufsthätigkeit ereilte ihn am 10. August 1671 der Tod am Schlag, als er gerade seinem Kollegen Hugenpoth, der ihm später die Leichenrede hielt (in 4 gedruckt in Duisburg), ein Rezept verschrieb. Theodor Craanen, nach Duisburger Universitätsüberlieferung als Sohn eines Schiffers zu Köln 1635 geboren, während ihn C. E. Daniels 1620 in Herzogenbusch geboren sein lässt. Er studierte in Utrecht (?), Leyden und Duisburg und wurde an letzterer Universität am 4. Mai 1657 Dr. med. (De suffocatione uteri) und schon im selben Jahre mit Wirich Scriba ord. Professor der Medizin und Mathematik. Im Jahre 1659 ernannte ihn die Duisburger philosoph. Fakultät zum Doktor der Philosophie. 1661 wurde er Professor der Medizin und Philosophie in Leyden, wurde aber wegen seiner cartesia- nischen Anschauungen 1673 vom Kuratorium des Amtes enthoben, indes zum Professor der Medizin an Stelle des 1672 verstorbenen de le Boe-Sylvius er- nannt, in welcher Stellung er den Lehren des Descartes getreu blieb. 1686 - i6 3 * - oder 87 wurde er Kurbrandenburgischer Leibarzt in Berlin, und man übertrug ihm 1688 das Kuratorium der Universität Duisburg. Als Praktiker folgt er den chemiatrischen Lehren des Sylvius und Daniel Sennert. Wegen seiner Experimenta microscopica wird er von Becher in seiner »weisen Narrheit« ver- spottet. Sein Bild hat van der Aa in Folio gestochen. Er schrieb de intem- perie frigida, Utrecht 1678. 4 ; eine Oratio funebris in obitum Arnoldi Syen, Leiden 1679. 4°; Oeconomia animalis ad circulationem sanguinis delineata, Goudae 1695; Lumen rationale medicum seu observationes quibus emendatur et illustratur Henrici Regii medicina reformata, Middelburg 1686. 8° (Leipzig 1689. 4 ?); Observationes in Sennertum, Leyden 1687. 12 ; De homine tractatus physico-medicus, Leyden 1689 4 , Neapoü 1722. 40 (mit der oeco- nomia 1703 in Amsterdam 8° erschienen). Tobias Andreae, geboren den 1 1. August 1633 als Sohn eines Apothekers zu Bremen, studierte in Duisburg Philosophie, später in Leyden und Groningen auch Medicin. Nach Duisburg zurückgekehrt, promovierte er dort zum Doktor phil. 1657 oder 59 (De phaenomenis et natura cometarum) und am 1. Oktober 1659 zum Doctor med. (Casus epilepticus.) Er erhielt darauf die Professur der Philosophie in Bremen und wurde 1662 ord. Professor der Arzneiwissenschaft, Philosophie und Naturlehre in Duisburg. Schon 1669 ging er nach Herzogenbusch als Lehrer am dortigen Gymnasium, angeblich um dort bei seinem Verwandten Ludwig de Bils dessen Konservierungs- methode der Leichen zu lernen. Jedenfalls hat er die Vorzüglichkeit der de Bils'schen Methode verteidigt und sie der Gabriel Clauders vorgezogen. (Breve extractum actorum in cadaveribus Bilsiana methodo praeparatis. Duisb. 1669. 4 ; Marburg 1678. 4 ; Bilanx exacta Bilsianae et Clauderianae balsamationis, Amst. 1682. 4 .) Er muss sie auch schon in Duisburg geübt haben, denn noch 40 Jahre später sollen in Duisburg zu Hennins Zeiten Leichenteile nach dieser Methode konserviert vorhanden gewesen sein. 1674 wurde er als Professor der Medicin nach Frankfurt a. d. Oder berufen, 1680 nach Franeker, wo er die Professur der Philosophie 1681 antrat und bis zu seinem Tode (5. Januar 1685) eifrig die Lehren Descartes vortrug. In Frankfurt hat er einige Disputationen erscheinen lassen : De concoctione ciborum in ventriculo 1675; De ternario sui ipsius medico 1678; De catarrhis 1678; De cura mentis per corpus 1678; De cura corporis per mentem 1679; De counigio corporis et mentis, 1679), m Franeker eine »Exercitatio pihlos. de impossib. Mundi aeternitate« 1684 und »De calculo in equo observato (Act. Erud. 1682.) Nach seinem Tode erschienen zu Amsterdam 1691 in 12° »Exercitationes philo- sophicae de angelorum malorum potentia in corpore.« Jonas Barbeck (163 1 — 1670), in Essen als Sohn des Arztes Wilhelm Barbeck geboren, der später nach Duisburg übersiedelte und dort Bürger- 20« — 164* — meister wurde. Jonas B. wurde bei der Universitätsgründung am 15. Oktober 1655 zum Doktor med. promoviert (De Scorbuto), liess sich als Arzt in Elberfeld nieder, wurde später als ausserordentlicher Professor nach Duis- burg berufen und war gleichzeitig in den Jahren 1665 — 1670 Rektor des dortigen Gymnasiums. Friedr. Gottfried Barbeck, ein Bruder des Jonas B., wurde 1644 am IO. Oktober in Duisburg geboren, besuchte zuerst (seit 1663) die dortige, später (seit 1669) die Leydener Universität. Im Jahre 1669 erteilte ihm die Duisburger philos. Fakultät den Doktortitel und am 22. Januar 1670 die medizinische. Er praktizierte gleichfalls kurze Zeit in Elberfeld und folgte 167 1 dem Rufe nach Duisburg als ordentlicher Professor und Nachfolger des Prof. Scriba. Im Jahre 1676 wurde er nebenbei mit dem Lehrauftrag in der philos. Fakultät betraut. Er war 5 mal Universitätsrektor, 1675, 1682, 1688, 1694 und 1700, 31 mal Dekan seiner Fakultät und starb am 20. Dezember 1703. (Vergl. Prof. Hennins Leichenrede, Duisburg 1704. 4 .) Unter seinem Präsidium sind 36 Disputationen (1669 — 1703) aus allen Gebieten der Heil- kunde in den Duisburger Akten überliefert (nach andern Quellen soll er 54 zu Doktoren der Medizin promoviert haben), aber keine andern eigenen wissenschaftlichen Arbeiten (s. oben S. 159*). Einen Ruf nach Groningen und Leyden hatte er abgelehnt; er war einer der fleissigsten Dozenten der niederrheinischen Universität und hielt besonders anatomische, chemische und botanische Vorlesungen. Johann Adolf von Gostorff, als Sohn des Predigers Gerlac von G, am 28. April 1640 geboren, studierte in Duisburg, Heidelberg und Leyden, promovierte 1663 am 17. Oktober in seiner Vaterstadt (De tertiana in specie), praktizierte im Haag und wurde 1677 am I. Mai ausserordentlicher Professor in Duisburg mit Sitz und Stimme in der Fakultät. Er starb am 14. Mai 1693. Theodor van de Graeff, Arzt in Wesel und kurbrandenburgischer Hofarzt, wurde auf besondern Vorschlag des Kurfürsten Friedrich III. bei dessen Anwesenheit in Wesel 1689 als ordentlicher Professor der Arzneikunde angestellt neben F G. Barbeck, der seit 10 Jahren alleiniges ordentliches Mitglied der Fakultät gewesen war; 1702 wurde Graeff nach Harderwyk berufen. Heinrich Christian de Hennin, geboren zu Schlüchtern am 20. Juli 1658, studierte zu Hanau und Utrecht, wo er 1679 zum Dr. med. promoviert wurde (De cholera). Neben der Medizin betrieb er besonders eifrig das Studium des Griechischen und griff in den damaligen Streit über die Aus- sprache des Griechischen ein. Er war längere Zeit Rektor des Gymnasiums zu Thyl in Geldern und wurde 1690 zu Duisburg als ordentlicher Professor der Geschichte und Beredsamkeit und ausserordentlicher der Arzneiwissen- — 165* — schaft angestellt. Nach Abgang van de Graeffs wurde er am 28. Januar 1702 ordentlicher Professor der Medizin, starb aber schon am 21. Juni 1704 als Rector magnificus. Neben zahlreichen philologischen Schriften und Leichen- reden, einer Übersetzung von Joh. Swammerdans »Historia insectorum gene- ralis,« der Herausgabe der «Epistolae Itinerariae« Jakob Tolls und der Reisen Joh. Arnold v. Brands ist medizinisch nur eine Dissertation über eine Duis- burger Ruhrepidemie im Sommer und Herbst 1702 bemerkenswert. (Duisb. 1703. 40.) Joh. Gabriel Rudolphi aus Halle studierte in Duisburg und promo- vierte am 16. Mai 1699, hielt Vorlesungen und wurde zum ausserordentlichen Professor ernannt, aber nicht »introduziert« und zog später nach Minden, wo er Adjunkt der Consil. Medic. provinciale wurde. Martin Johann Haesbaert, als Sohn des Hofapothekers Peter H. in Kleve geboren, arbeitete 2 Jahre in Dortrecht und 1 Jahr in Kassel in einer Apotheke, studierte Medicin in Marburg, Giessen, Heidelberg, Basel und Strassburg, wurde 1679 Doktor in Marburg (De hydrope) und reiste in Frankreich. Er praktizierte dann in Strassburg und Herborn je 2 Jahre, später in Kleve und zuletzt in Wesel, von wo er 1704 als Professor der Medizin nach Duisburg berufen und am 13. September in sein Amt eingeführt wurde. Er wurde von der Rom. Kaiserl. Societäl der Naturforscher zum Mitglied ernannt, war aber viel kränklich und starb am 11. August 171 1 als Rektor der Universität ; Heinrich Mascamp hielt ihm die Leichenrede. Heinrich Jacob Conte, geboren 167 1 in Düsseldorf als Sohn eines Kaufmanns aus Genf, studierte in Duisburg und Halle, wurde Dr. med. zu Duisburg am 27. Juli 1693 (De generatione), praktizierte in Jülich und später in Düsseldorf. Im Jahre 1704 am 17. September, als ausserordentlicher Professor eingeführt und seit dem 26. September 1705 ordentlicher Professor an Hennins Stelle, starb er schon 24. Mai 1707, erst 36 Jahre alt; auch ihm hat H. Mascamp das Programma funebre verfasst. Friedrich Gottfried Sylvester Erckels, geboren 1662 zu Hattingen als Sohn des dortigen Arztes und Bürgermeisters Werner Erckels, studierte in Duisburg (1683: De infimo ventre seu abdomine) und Basel (Dr. med. 1686: De inflammatione in genere), praktizierte in Elberfeld, später in Hattingen und wurde 1764 Landphysikus in Minden, endlich am 15. November 1707 ordentlicher Professor der Heilkunde in Duisburg, wo er am 22. Okt. 1723 gestorben ist. J. H. Withof schrieb das Programm auf seinen Hingang. Das Rektorat der Universität hat er zweimal versehen, 17 13 und 171 8. Andreas Ottomar Goelicke, geboren 2. Februar 1671 zu Nienburg in Anhalt, besuchte das Gymnasium zu Zerbst, war 2 Jahre Hauslehrer bei den Söhnen des Leibarztes des grossen Kurfürsten Krug von Nidda in Berlin, — i66* — studierte zu Frankfurt a. d. Oder und Halle, wo er den Doktortitel erwarb, und besuchte dann noch Leyden und Amsterdam. Nach kurzer Praxis in Zerbst wurde er ausserordentlicher Professor in Halle und übernahm am 19. Juni 17 13 den durch Haesbaerts Tod freigewordenen ordentl. Lehrstuhl der Medizin in Duisburg, folgte aber schon 17 16 einem Rufe nach Frankfurt a. d. O. als ord. Professor und Kreisphysikus. Er ist am 12. Juni 1744 dortselbst gestorben. Seine zahlreichen Schriften sind in den verschiedenen Bibliotheken Hallers verzeichnet. Einen dauernden Namen hat er sich gemacht durch seine historischen Arbeiten, die »Historia anatomiae« (171 3 und 1738), die »Historia chirurgiae* (Halle 171 3), die > Historia medicinae universalis qua celebriorum medicorum vitae et dogmata pertractantur« in 6 Perioden (Halle 1717, 1718, 1719 u. 1720), obgleich dieselben schon zu seinen Lebzeiten allerlei Anfechtung erfahren mussten (vergl. z. B. Gottlieb Stolle, Anleitung zur Historie der Medizinischen Gelehrtheit, Jena 1 73 1 . 4 ). Als in Duisburg erschienen werden nur zwei Disputationen genannt: »De medico cathedrali et clinico diversaque utriusque curandi ratione« (resp. J H. Kalkhoff 171 5. 4°). und »De diversione humorum per revellentia ac derivantia veterum« (resp. H M. Neuhausen 17 16. 4 ). Goelicke war ein Anhänger der Lehren Georg Ernst Stahls (1660-1734), des Animismus, des Plethora u. s. w. Gottlieb Ephraim Berner, geboren am 14. Mai 1671 zu Hoym (Anhalt-Bernburg) als Sohn des Kaufmanns und Bürgermeisters David Berner, studierte in Frankfurt a. d. O., Wittenberg und Halle, wo er 1696 den Doctor- titel erwarb (De salis volatilis usu et abusu in medicina) und wurde Arzt und Physikus in Köthen, 1706 Prof. extraord. zu Halle und, nach Goelickes Ab- gang als Professor nach Duisburg berufen, am 7. Oktober 1718 in sein Amt eingeführt, das er bis zu seinem Tode am 9. April 1741 verwaltete. Dreimal war er zum. Rector der Universität gewählt, 1723, 1728 und 1736. J. H. Withof hat ihm die Leichenrede gehalten (Duisburg 1742. 40). Seine Duisburger Inauguralrede handelte »Defallatia sensuum et usurpationis in rebus physicis et medicis« (Duisburg 1 7 1 S . Fol. 0). In Halle hat er nur einige kleine Abhandlungen (De aegro ruminante, De plethora complicata cum cacochymia, De insufficientia principiorum Paracelsi pro explicandis naturae phaenomenis, Ordo et methodus medicinae 1716) veröffentlicht; in Duisburg liess er er- scheinen: »De applicatione mechanismi ad medicinam« mit einigen Annexen über Apoplexie und Spinnenbiss (Amsterdam 1720. 80) und »De efficacia et usu aeris in corpore humano mechanico«, Amsterdam (1723 ? und) 1738. 8°; angehängt sind Abhandlungen »De fungo mammarum cancroso« und »De congregatione et ruptura vesicae urinariae. Seit 1725 war er Mitglied der Römisch Kaiserlichen Gesellschaft der Naturforscher. — \6y* — Pieter van Musschenbroeck (1692-1761) war seit 1719 ord. Professor der Philosophie und Mathematik und wurde mit dem 5. Dezember 172 1 zu- gleich Extraordinarius der Medizin in Duisburg. Seine Verdienste als Physiker und Meteorologe sind schon oben hervorgehoben. Beachtenswerth ist hier nur seine medizinische Antrittsrede »De coniungenda medicina cum philoso- phicis scientiis«. Er hat Duisburg schon 1723 wieder verlassen, um in Utrecht und Leyden weiter als Dozent und Forscher zu wirken. Johann Arnold Timmermann, geboren 17. August 1693 zu Homberg am Rhein (bei Mors), stammte aus einer Pfarrfamilie. Er studirte in Duisburg, Leyden und Amsterdam und promovierte zu Duisburg am 14. Juli 17 14 (De atra bile, praeeipua morborum in literatis causa). Am meisten verdankte er dem grossen Boerhaave in Leyden, wie er selbst sagt. Er praktizierte 2 Jahre in Venlo (Geldern), ging dann nochmals nach Jena und Halle und besuchte die Gesundbrunnen am Ober- und Niederrhein. In Jülich wollte es ihm in der Praxis nicht recht glücken, trotzdem er die Tochter des dortigen Apothekers heiratete; bessern Erfolg hatte er in Köln. Schon 17 16 wollte man ihn nach Duisburg als Professor berufen, doch wurde er erst 1723 ernannt und am 24. Juni 1724 in sein Amt eingeführt als ordentl. Professor, der er auch bis an sein Ende am 24. November 1742 geblieben ist. Er war zweimal Rektor 1732 und 1740. In ausgedehnter Praxis, auch vielfach von Fürstlichkeiten consultiert und mit dem Leibarzt- und Hofrattitel vom Kurfürsten von Trier und dem König Friedrich Wilhelm von Preussen geehrt, führte er ein arbeits- reiches Leben, hat aber zu wissenschaftlichen Arbeiten, abgesehen von einigen Dissertationen 1735-1741, keine Zeit gefunden. Er war trotzdem Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Sein Sohn war wohl der oben ge- nannte Elberfelder Arzt, spätere Professor in Rintelen, Theodor Gerhard Timmermann. Johann Anton de Blecourt, geboren den 4. Februar 1712 zu Meiderich bei Duisburg als Sohn des Predigers Johann de Blecourt, studierte in Duisburg und Leyden und wurde in der erstgenannten Universität am 24. November 1734 Dr. med. (De ferro). Am 22. Juni 1737 wurde er als ausserordentlicher Professor der Medizin in Duisburg eingeführt und starb am 12. Dezember 1772. Er hat eine Beschreibung eines Falles von Hundswut in den Duisburgischen Intelligenzblättern (1738 Nr. 10) und die Geschichte einer Epidemie exanthematischen Fiebers (1731) im Herzogtum Kleve in dem 1. Fase, der Opuscula Societatis literariae Duisburgensis 1760 ver- öffentlicht. Leidenfrost hat ihm einen ehrenden Nachruf gewidmet. Christian Arend Scherer, 1714 zu Magdeburg geboren, studierte in Heimstatt, Strassburg, Paris und Leyden. Den Doktortitel erhielt er in Strassburg (De calculis e duetu salivali exeretis 1737) und war eine Zeit — 168* — lang Prosektor am anatomischen Theater in Berlin. Er wurde dann nach Duisburg berufen und als ordentlicher Professor am 20. November 1741 in- stalliert. Gestorben ist er am 10. Juni 1777. Er versah das Rektorat 1747 und 1755, er hat eine ganze Reihe von botanischen, anatomisch-physio- logischen, chirurgischen, gerichtlich-medizinischen und biographischen Abhand- lungen in den Duisburgischen Intelligenzblättern erscheinen lassen (s. obenS. 1 59*). J. P. L. Withof hat über ihn, wie über Blecourt, ein Programma funebre veröffentlicht. Johann Gottlob Leidenfrost, geboren 24. November 1715 zu Ortenberg (Grafschaft Stollberg) als Sohn des Predigers Joh. Heinrich Leiden- frost, studierte zu Giessen, Leipzig und Halle, zuerst Theologie, später Medizin, promovierte zu Halle, 21. April 1741 (De motibus corporis humani, qui fiunt in proportione harmonica, praesertim crisibus et febribus), machte dann noch wissenschaftliche Reisen, praktizierte in Berlin und ging mit der preussischen Armee als Feldarzt nach Schlesien. Er wurde aber bald nach Duisburg be- rufen und am 14. September 1743 in das Amt als ordentlicher Professor eingeführt, welches er, zweifellos der bedeutendste der Duisburger Professoren der Medizin, über 50 Jahre bis an seinen Tod am I. September 1794 mit Eifer und Ruhm versah. Er war im Jahre 1756 von der Königl. Akademie der Wissenschaft in Berlin zu ihrem Mitglied ernannt worden, und ihm zu Ehren Hess der Akademische Senat von Duisburg zu seinem 50jährigen Professorjubiläum eine Medaille schlagen, welche auf der einen Seite das Brustbild des Gefeierten trägt, auf der andern die opfernde Hygieia. Als Arzt, Physiker und Chemiker genoss er einen gleich trefflichen, wohlverdienten Ruf. Das bekannte physikalische Experiment des »Leidenfrost'schen Tropfens« hat seinem Namen die Unsterblichkeit gesichert ; er hat diese Beobachtungen in der kleinen Schrift »De aquae communis nonnullis qualitatibus tractatus« Duisburg 1756 (4 -f- 150 SS. kl. 80) und 1796 veröffentlicht (s. oben S. 10). Zahlreiche Abhandlungen von ihm stehen im Duisburger Intelligenzblatt, meist populär gehalten und die verschiedensten Gebiete betreffend, und in Bal- dingers Magazin für Ärzte. Lang ist die Reihe der Dissertationen und sonstigen akademischen Abhandlungen, die er erscheinen Hess, alles in allem über 70 Schriften (s. oben S. 159*). Die wertvollsten seiner lateinischen Abhandlungen aus fast allen Gebieten der Naturwissenschaft und Medizin sind nach seinem Tode gesammelt herausgegeben: »Opuscula physico-chemica et medica, antehac seorsim edita, nunc post ejus obitum collecta«, 1707 — 1798 in 4 kleinen Oktav- Bänden, Duisburg und später Lemgo. Otto Friedrich Sproegel, geboren in Berlin am 1. August 1742 als Sohn des Arztes und Professors der Therapie am Berliner Collegium Medico- Chirurgicum Otto Theodor Sproegel, studierte am genannten Berliner Collegium, — i 6g* — in Halle und Leyden, machte seinen Doktor am 2. Dezember 1766 zu Halle (>De humoribus intestinorum tenuiorum physiologice consideratis >generatim« und als 2. Teil >pathologice et therapeutice consideratis generatim«) und be- suchte darauf die Londoner Spitäler. Schon am 16. Oktober 1767 wurde er als Professor extraordinarius in Duisburg eingeführt (Programma academicum de antagonismo inter musculos illorumque actionis causis. Duisburg 1767. 4 ), legte sein Amt aber 1772 nieder und praktizierte in Köln am Rhein bis zu seinem Tode am 1. Januar 18 19. Er hat einige populäre Abhandlungen in den Duisburger Intelligenzblättern von 1768 — 1777 veröffentlicht. Daniel Erhard Günther, geboren am II. Juni 1752 in Solingen im Bergischen als Sohn des Juristen Matthias Gerhard Günther, studierte in Duisburg und Göttingen, wurde am 25. September 1772 in Duisburg zum Doktor ernannt (Signa ex lingua), besuchte dann noch Wien, Strassburg, Berlin, Leyden und London, hielt einige Zeit Vorlesungen in Duisburg und ging dann als praktischer Arzt nach Frankfurt und wurde endlich am 4. Mai 1778 in Duisburg als ordentlicher Professor angestellt, wo er 40 Jahre bis zur Aufhebung der Universität 1818 und nachher bis zu seinem Tode am 11. August 1834 als praktischer Arzt wirkte. Er wurde 18 17 der Marburger Gesellschaft zur Beförderung der gesamten Naturwissenschaften und 18 19 der Niederrheinischen Gesellschaft für die Natur- und Heilkunde in Bonn Ehren- mitglied. Bei seinem 50jährigen Doktorjubiläum erhielt er den roten Adler- orden 3. Klasse und die dankbare Stadt Duisburg Hess ihm eine Ehren- medaille in Gold mit seinem Bildnis überreichen, die in Silber unter seinen Verehrern verbreitet war. Die Universität Bonn erneute damals sein Doktor- diplom. Auch sein 60 jähriges Doktorjubiläum durfte er noch in Ehren feiern, von seinem König mit der Schleife zum roten Adlerorden ausgezeichnet. Ein Nekrolog mit seinem Bildnisse ist in Duisburg in 80 (23 S.) erschienen. Seine Sammlung pathologischer und physiologischer Präparate wurde von den Erben der Akademie in Münster geschenkt. Ausser der »Cerebri et ner- vorum distributionis expositio« Duisburg 1786 (deren deutschen Bearbeitungen durch Pottgiesser, s. oben S. 55*) hat er nur einige Dissertationen verfasst: Animadversiones aliquae in Studium anatomicum, De Solutione secundinarum artificiali semper damnanda, De causis quare sextio caesarea recentium tem- pore instituta, fausto, quemolim habuit eventu careat, De catarrho vesicae, Observationes anatomicae circa velamenta oculi humani. Konrad Jakob Carstanjen, geboren zu Duisburg 3. Februar 1763, studierte in Duisburg, wo er auch am 3. März 1785 die Doktorwürde erlangte (De origine bilis cysticae), besuchte darauf Wien, Strassburg und Berlin zur weiteren Ausbildung, Hess sich 1777 als praktischer Arzt in Duisburg nieder, hielt Vorlesungen über Experimental-Chemie und wurde schon im nächsten — 170* — Jahre ausserordentlicher Professor. 1792 wurde er ordentlicher Professor und erhielt nach Leidenfrost:-; Tode auch das ordentliche Gehalt eines solchen. Dreissig Jahre las er über Botanik in Verbindung mit botanischen Ausflügen, Experimental-Chemie, besonders der Gase, Pharmazie, Arzneimittellehre und Diätetik, allgemeine und spezielle Pathologie und Kinderkrankheiten mit Unterricht am Krankenbett, und über medizinische Polizei. 1817 und 18 19 wurde er wie Günther Ehrenmitglied der Gesellschaften in Marburg und Bonn. Auch die Auszeichnungen bei seinem Doktorjubiläum 1835 waren ganz denen Günthers entsprechend; die ihm übergebene goldene Ehrenmünze der Stadt ist in Silber und Bronce gleichfalls verbreitet gewesen ; das Andenken an dies Ehrenfest ist in einer besonderen kleinen Druckschrift festgehalten worden (Duisburg bei J. Hamels). An literarischen Arbeiten Car- stanjens ist uns nur eine Reihe von Dissertationen erhalten von 1791 — 1817: Enumeratio plantar, officinal. und De Vegetabilibus venenatis (s. S. 27 u. 160*); De Quercus Roboris virtute medica; De aeidi phosphor virt. med.; De hydrope ventriculorum cerebriT* De trismo neonatorum; De opthalmia neon. ; De Erysipelate neon.; De tympanitide; De morbo maculoso haemorrhagico ; De haematemesi; De epilepsia exquisita; Remedia contra tussim convulsivam celebrata. * * Hiermit ist die Reihe der medizinischen Professoren der Duisburger Hochschule erschöpft. In mehr als anderthalb Jahrhunderten haben 23 Männer, darunter nur wenige von weiterem Rufe, gewirkt. Selten waren gleichzeitig mehr als zwei Dozenten der Medizin vorhanden, vorübergehend bildete nur ein einziges Mitglied die ganze Facultas medica. Ähnlich war es in den andern Fakultäten; die Reihe der theologischen Professoren umfasst 27 Namen, die der Juristen 32, die der Philosophen 23. Schon lange nur ein Scheindasein führend, ist die Duisburger Universität 181 8 definitiv aufgehoben worden. Doch eine neue Hochburg des Wissens ist am Niederrhein erstanden in der alten kurfürstlichen Residenzstadt Bonn, unter dein schirmenden Fittig des Preussenaars der stolzesten eine im Strahlen- kranze der deutschen Hochschulen. Und flüsternd tragen es des Rhaines Wellen der alten Teutoburga zu: bei uns in Bonn am Fusse des Siegfried- berges wirken ständig treue Diener der Wissenschaft und was sie in strenger Arbeit der Laboratorien und des Studierzimmers erforscht, das kommt auch Deinen Söhnen zu gute, das setzen sie um in das Gold des Handels, in das belebte Eisen der schaffenden Industrie. Karl Sudhoff, Hochdahl. KLfßS from: QjJk/S, f 'fcs^Ki^—^!^--* J< Ak^rU^J* X^rt 1 ^ W^bof 9 9 vJ^^X ? 9 jVfft^ 9 ^!«!/r<£. 9 £w«v£* 9 55^% 2 jmv//^ 9 Jf™^ 5 v^^ 9 9 tj$§M 9 9 ■.^^jy 5 9 9 l 1 l 9 wü 9 s l 2 9 9 9 hÄÄsr 1 h£*ä» 9 9 ^äH 9 •5 srs 5=^=^r-^ FESTSCHRIFT der 70. Versammlung der deutschen Naturforscher und Ärzte/. dargeboten von den wissenschaftlichen Vereinen DÜSSELDORFS. .4v- (5>i-> jcfc, c^cd % Düsseldorf 1898. % l mw jgmm ~^^^ü^ ■% i2/j-> n« ^., *• l/> A Q ü'i f 1 /T X Accession no. Author Historische Studienund Skizzen. . . Call no. 19th cent Hist QH21 G5H5S T898 " -^ vmm