MAGO

ZEITSCHRIFT FÜR ANWENDUNG. DER. PSYCHOANALYSE AUF DIE GEISTESWISSENSCHAFTEN

HERAUSGEGEBEN VON PROF. DR SIGM.FREUD REDIGIERT VON DE OTTO RANK u.DE HANNS SACHS

V. JAHRGANG / 1917 HERT 2

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. LEIPZIG u.WIEN-I-BAUERNMARKT 3

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ZEITSCHRIFT FÜR ANWENDUNG DER PSYCHO- ANALYSE AUF DIE GEISTESWISSENSCHARTEN

HERAUSGEGEBEN VON PROF. DR. SIGM. FREUD

SCHRIFTLEITUNG: V,.2. DR. OTTO RANK /DR. HANNS SACH 191

ESTER ETHERNET LECKERE HERE EHERTRERERENERERLOLKENTOEOKEOECHLTERNTEN

Eine Kindheitserinnerung aus »Dichtung und

W ahrheit«.

Von SIGM. FREUD (Wien).

»Wenn man sich erinnern. will, was uns in der frühesten Zeit der Kindheit begegnet ist, so kommt man oft in den Fall, dasjenige, was wit von anderen gehört, mit dem zu verwechseln, was wir wirklich aus eigener anschauender Erfahrung besitzen.« Diese Bemerkung madht Goethe auf einem der ersten Blätter der Lebensbeschreibung, die er im Alter von sechzig Jahren. auf- zuzeihnen begann. Vor ihr stehen nur einige Mitteilungen über seine »am 28. August 1749, mittags mit dem Glokenschlag zwölf« erfolgte Geburt. Die Konstellation der Gestirne war ihm günstig und mag wohl Ursadhe seiner Erhaltung gewesen sein, denn er kam »für todt« auf die Welt, und nur durch vielfahe Bemühungen brahte man es dahin, daß er das Licht erblikte. Nach dieser Be- merkung folgt eine kurze Schilderung des Hauses und der Räum= lichkeit, in welcher sich die Kinder er und seine jüngere Schwester am liebsten aufhielten. Dann aber erzählt Goethe eigentlich nur eine einzige Begebenheit, die man in die »früheste Zeit der Kind- heit« (in die Jahre bis vier?) versetzen kann, und an welde er eine eigene Erinnerung bewahrt zu haben scheint.

Der Bericht hierüber lautet: »und mich gewannen drei gegen- über wohnende Brüder von Odhsenstein, hinterfassene Söhne des verstorbenen Scultheißen, gar lieb, und beschäftigten und neckten sih mit mir auf mancherlei Weise.«

»Die Meinigen erzählten gern allerlei Eulenspiegeleien, zu denen mich jene sonst ernsten und einsamen Männer angereizt. Ih führe nur einen von diesen Streihen an. Es war eben Topfmarkt gewesen und man hatte nicht allein die Küche für die nächste Zeit mit solhen Waren versorgt, sondern auh uns Kindern dergleichen Geschirr im kleinen zu spielender Beschäftigung eingekauft. An

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50 : Sigm. Freud

einem shönen Nachmittag, da alles ruhig im Hause war, trieb ich | im Geräms (der erwähnten gegen die Straße gerichteten Örtlichkeit) mit meinen Schüsseln und Töpfen mein Wesen und da weiter nichts dabei herauskommen wollte, warf ih ein Geschirr auf die Straße und freute mich, daß es so lustig zerbrah. Die von Odhsenstein, welche sahen, wie ich mich daran ergötzte, daß ich so gar fröhlich in die Händchen patscte, riefen: Noch mehr! Id säumte nicht, so= gleih einen Topf und auf immer fortwährendes Rufen: Noch mehr! nah und nach sämtlihe Schüsselhen, Tiegelhen, Kännchen gegen das Pflaster zu schleudern. Meine Nachbarn fuhren fort, ihren Bei- fall zu bezeigen und ih war hödlih froh ihnen Vergnügen zu machen. Mein Vorrat aber war aufgezehrt, und sie riefen immer: Nod mehr! Ich eilte daher straks in die Kühe und holte die irdenen Teller, welche nun freilih im Zerbrechen ein noc lustigeres Schauspiel gaben, und so lief ih hin und wieder, brachte einen Teller nach dem anderen, wie ich sie auf dem Topfbrett der Reihe nach erreihen konnte, und weil sich jene gar nicht zufrieden gaben, so stürzte ih alles, was ih von Gesdirr erschleppen konnte, in gleihes Verderben. Nur später erschien jemand zu hindern und zu wehren. Das Unglück war geschehen, und man hatte für so viel zer- brohene Töpferware wenigstens eine lustige Geschichte, an der sich besonders die shalkischen Urheber bis an ihr Lebensende ergötzten.« Dies konnte man in voranalytishen Zeiten ohne Anlaß zum Verweilen und ohne Anstoß lesen, aber später wurde das analy= tishe Gewissen rege. Man hatte sih ja über Erinnerungen aus der frühesten Kindheit bestimmte Meinungen und Erwartungen gebildet, für die man gerne allgemeine Gültigkeit in Anspruch nahm. | Es sollte nicht gleihgültig oder bedeutungslos sein, welche Einzel- \ heit des Kindheitslebens sich dem allgemeinen Vergessen der Kind= heit entzogen hatte. Vielmehr durfte man vermuten, daß dies im Gedächtnis Erhaltene auch das Bedeutsamste des ganzen Lebens- abschnittes sei, und zwar entweder so, daß es solhe Wichtigkeit schon zu seiner Zeit besessen oder anders, daß es sie durch den Einfluß späterer Erlebnisse nachträglih erworben habe. | Allerdings war die hohe Wertigkeit solcher Kindheitserinne= rungen nur in seltenen Fällen offensictlih. Meist erschienen sie gleihgültig, ja nichtig, und es blieb zunächst unverstanden, daß es gerade ihnen gelungen war, der Amnesie zu trotzen, auh wußte derjenige, der sie als sein eigenes Erinnerungsgut seit langen Jahren bewahrt hatte, sie so wenig zu würdigen wie der Fremde, dem er sie erzählte. Um sie in ihrer Bedeutsamkeit zu erkennen, bedurfte es einer gewissen Deutungsarbeit, die entweder nachwies, wie ihr Inhalt durh einen anderen zu ersetzen sei, oder ihre Beziehung zu | anderen, unverkennbar wichtigen Erlebnissen aufzeigte, für welce sie als sogenannte Deckerinnerungen eingetreten waren. In jeder psychoanalytishen Bearbeitung einer Lebensgeschichte gelingt es, die Bedeutung der frühesten Kindheitserinnerungen in

Eine Kindheitserinnerung aus »Dichtung und Wahrheit« 51

solher Weise aufzuklären. Ja, es ergibt sich in der Regel, daß gerade diejenige Erinnerung, die der Änalysierte voranstellt, die er zuerst erzählt, mit der er seine Lebensbeichte einleitet, sich als die wichtigste erweist, als diejenige, welde die Schlüssel zu den Ge- heimfähern seines Seelenlebens in sich birgt. Aber im Falle jener kleinen Kinderbegebenheit, die in »Dichtung und Wahrheits erzählt wird, kommt unseren Erwartungen zu wenig entgegen. Die Mittel und Wege, die bei unseren Patienten zur Deutung führen, sind uns hier natürlih unzugänglih, der Vorfall an sih scheint einer auf- spürbaren Beziehung zu wichtigen Lebenseindrücken späterer Zeit nicht fähig zu sein. Ein Schabernak zum Schaden der häuslichen Wirtschaft, unter fremdem Einfluß verübt, ist sicherlich keine passende Vignette für all das, was Goethe aus seinem reichen Leben mit- zuteilen hat. Der Eindruck der vollen Harmlosigkeit und Beziehungs- losigkeit will sih für diese Kindererinnerung behaupten, und wir mögen die Mahnung mitnehmen, die Anforderungen der Psydho- analyse nicht zu überspannen oder am ungeeigneten Orte vorzu= bringen.

So hatte ih denn das kleine Problem längst aus meinen Ge- danken fallen lassen, als mir der Zufall einen Patienten zuführte, bei dem sih eine ähnlihe Kindheitserinnerung in durdhsichtigerem Zusammenhange ergab. Es war ein siebenundzwanzigjähriger, hoch- gebildeter und begabter Mann, dessen Gegenwart durh einen Konflikt mit seiner Mutter ausgefüllt war, der sih so ziemlich auf alle Interessen des Lebens erstrekte, unter dessen Wirkung die Entwicklung seiner Liebesfähigkeit und seiner selbständigen Lebens- führung schwer gelitten hatte. Dieser Konflikt ging weit in die Kindheit zurück, man kann wohl sagen, bis in sein viertes Lebens= jahr. Vorher war er ein sehr shwädliches, immer kränkelndes Kind gewesen, und doc hatten seine Erinnerungen diese üble Zeit zum Paradies verklärt, denn damals besaß er die uneingeschränkte, mit niemandem geteilte Zärtlichkeit der Mutter. Als er noh nidt vier Jahre war, wurde ein heute noch lebender Bruder ge- boren, und in der Reaktion auf diese Störung wandelte er sich zu einem eigensinnigen, unbotmäßigen Jungen, der unausgesetzt die Strenge der Mutter herausforderte. Er kam auch nie mehr in das rihtige Geleise.

Als er in meine Behandlung trat niht zum mindesten darum, weil die bigotte Mutter die Psychoanalyse verabsheute —,- war die Bifersuht auf den nahgeborenen Bruder, die sich seinerzeit selbst in einem Attentat auf den Säugling in der Wiege geäußert hatte, längst vergessen. Er behandelte jetzt seinen jüngeren Bruder sehr rücksichtsvoll, aber sonderbare Zufallshandfungen, durch die er sonst geliebte Tiere wie seinen Jagdhund oder sorgsam von ihm gepflegte Vögel plötzlih zu schwerem Schaden brachte, waren wohl als Nacdıklänge jener feindseligen Impulse gegen den kleinen Bruder zu verstehen.

®

52 Sigm. Freud

Dieser Patient berichtete nun, daß er um die Zeit des Atten- tats gegen das ihm verhaßte Kind einmal alles ihm erreihbare Ge= shirr aus dem Fenster des Landhauses auf die Straße geworfen hatte. Also dasselbe, was Goethe in Dichtung und Wahrheit aus seiner Kindheit erzählt! Ih bemerke, daß mein Patient von fremder Nationalität und nicht in deutscher Bildung erzogen war, er hatte Goethes Lebensbeschreibung niemals gelesen.

Diese Mitteilung mußte mir den Versuh nahe legen, die Kindheitserinnerung Goethes in dem Sinne zu deuten, der durch die Geschichte meines Patienten unabweisbar geworden war. Aber waren in der Kindheit des Dichters die für solhe Auffassung er- forderlihen Bedingungen nachzuweisen? Goethe selbst macht zwar die Aneiferung der Herren von Odhsenstein für seinen Kinder- streih verantwortlih. Aber seine Erzählung selbst läßt erkennen, daß die erwachsenen Nachbarn ihn nur zur Fortsetzung seines Treibens aufgemuntert hatten. Den Anfang dazu hatte er spontan gemadt, und die Motivierung, die er für dies Beginnen gibt: »Da weiter nichts dabei (beim Spiele) herauskommen wolltes, läßt sich wohl ohne Zwang als Geständnis deuten, daß ihm ein wirksames Motiv seines Handelns zur Zeit der Niederschrift und wahrscheinlich aud lange Jahre vorher nicht bekannt war.

Es ist bekannt, daß Joh. Wolfgang und seine Schwester Cornelia die ältesten Überlebenden einer größeren, recht hinfälligen Kinderreihe waren. Herr Dr. Hanns Sachs war so freundlich, mir die Daten zu verschaffen, die sich auf diese früh verstorbenen Ge= schwister Goethes beziehen.

Geschwister Goethes:

a) Hermann Jakob, getauft Montag, den 27. November 1752, erreichte ein Älter von sechs Jahren und sechs Wocen, beerdigt 13. Januar 1759.

b) Katharina Elisabetha, getauft Montag, den 9. Septem= ber 1754, beerdigt Donnerstag, den 22. Dezember 1755 (ein Jahr vier Monate alt).

c) Johanna Maria, getauft Dienstag, den 29. März 1757 und beerdigt Samstag, den 11. August 1759 (zwei Jahre vier Mo- nate alt). (Dies war jedenfalls das von ihrem Bruder ge- rühmte sehr shöne und angenehme Mädcen.)

d) Georg Adolph, getauft Sonntag, den 15. Juni 1760, be- erdigt, acht Monate alt, Mittwodh, den 18. Februar 1761.

Goethes nädste Schwester, Cornelia Friederica Christiana, war am 7. Dezember 1750 geboren, als er fünf- viertel Jahre alt war. Durch diese geringe Altersdifferenz ist sie als Objekt der Eifersuht so gut wie ausgeschlossen. Man weiß, daß Kinder, wenn ihre Leidenschaften erwacen, niemals so heftige Reaktionen gegen die Geschwister entwickeln, welhe sie vorfinden, sondern ihre Abneigung gegen die neu Ankommenden richten. Auch

Eine Kindheitserinnerung aus »Dichtung und Wahrheit« 53

ist die Szene, um deren Deutung wir uns bemühen, mit dem zarten Alter Goethes bei oder bald nach der Geburt Corneliens un= vereinbar.

Bei der Geburt des ersten Brüderchens Hermann Jakob war Joh. Wolfgang dreieinviertel Jahre alt. Ungefähr zwei Jahre später, als er etwa fünf Jahre alt war, wurde die zweite Schwester ge- boren. Beide Altersstufen kommen für die Datierung des Gesdirr- hinauswerfens in Betracht, die erstere verdient vielleicht den Vorzug, sie würde auch die bessere Übereinstimmung mit dem Falle meines Patienten ergeben, der bei der Geburt seines Bruders etwa drei- dreiviertel Jahre zählte.

Der Bruder Hermann Jakob, auf den unser Deutungsversuh in solher Art hingelenkt wird, war übrigens kein so flüchtiger Gast in der Goethescen Kinderstube wie die späteren Geschwister. Man könnte sich verwundern, daß die Lebensgeshihte seines großen Bruders nicht ein Wörtchen des Gedenkens an ihn bringt, Er wurde über sechs Jahre alt und Joh. Wolfgang war nahe an zehn Jahre, als er starb. Dr. Ed. Hitschmann, der so freundliih war, mir seine Notizen über diesen Stoff zur Verfügung zu stellen, meint:

»Auch der kleine Goethe hat ein Brüderchen nicht ungern sterben gesehen. Wenigstens berichtete seine Mutter nah Bettina Brentanos Wiedererzählung folgendes: ‚Sonderbar fiel es der Mutter auf, daß er bei dem Tode seines jüngeren Bruders Jakob, der sein Spielkamerad war, keine Träne vergoß, er schien vielmehr eine Art Ärger über die Klagen der Eltern und Ge- schwister zu haben, da die Mutter nun später den Trotzigen fragte, ob er den Bruder nicht lieb gehabt habe, lief er in seine Kammer, brachte unter dem Bett hervor eine Menge Papiere, die mit Lektionen und Geshichtchen beschrieben waren, er sagte ihr, daß er dies alles gemacht habe, um es dem Bruder zu lehren.’ Der ältere Bruder hätte also immerhin gern Vater mit dem Jüngeren gespielt und ihm seine Überlegenheit gezeigt.«

Wir könften uns also die Meinung bilden, das Gesdirrhin- auswerfen sei eine symbolishe, oder sagen wir es richtiger: eine magische Handlung, durh welche das Kind (Goethe sowie mein Patient) seinen Wunsch nach Beseitigung des störenden Rindring- lings zu kräftigem Ausdruck bringt. Wir brauchen das Vergnügen des Kindes beim Zerscellen der Gegenstände nicht zu bestreiten, wenn eine Handlung bereits an sich lustbringend ist, so ist dies keine Abhaltung, sondern eher eine Verlokung, sie auch im Dienste anderer Absichten zu wiederholen. Aber wir glauben nicht, daß es die Lust am Klirren und Brehen war, welche solhen Kinderstreihen einen dauernden Platz in der Erinnerung des Erwachsenen sichern konnte. Wir sträuben uns auch nicht, die Motivierung der Handlung um einen weiteren Beitrag zu komplizieren. Das Kind, welces das Geschirr zerschlägt, weiß wohl, daß es etwas Schlechtes tut, worüber die Erwachsenen scelten werden, und wenn es sich durch dieses

54 Sigm. Freud

Wissen niht zurüchalten läßt, so hat es wahrsceinlich einen Groll gegen die Eltern zu befriedigen, es will sih schlimm zeigen.

Der Lust am Zerbrehen und am Zerbrohenen wäre auch Genüge getan, wenn das Kind die gebredhlihen Gegenstände ein- fah auf den Boden würfe. Die Hinausbeförderung durch das Fenster auf die Straße bliebe dabei ohne Erklärung. Dies »Hinaus« scheint aber ein wesentliches Stück der magischen Handlung zu sein und dem verborgenen Sinn derselben zu entstammen. Das neue Kind soll fortgeschafft werden, durchs Fenster mögliherweise darum, weil es durchs Fenster gekommen ist. Die ganze Handlung wäre dann gleichwertig jener uns bekannt gewordenen wörtlihen Reaktion eines Kindes, als man ihm mitteilte, daß der Storh ein Geshwisterz chen gebradt. »Er soll es wieder mitnehmen«, lautete sein Bescheid.

Indes, wir verhehlen uns nicht, wie mißlih es von allen inneren Unsicherheiten abgesehen bleibt, die Deutung einer Kinderhandlung auf eine einzige Analogie zu begründen. Ich hatte darum auch meine Auffassung der kleinen Szene aus »Dicdtung und Wahrheits durch Jahre zurücgehalten. Da bekam ich eines Tages einen Patienten, der seine Analyse mit folgenden, wortgetreu fixierten Sätzen einleitete:

»Ich bin das älteste von acht oder neun Geschwistern!., Bine meiner ersten Erinnerungen ist, daß der Vater, in Nadhtkleidung auf seinem Bette sitzend, mir lachend erzählt, daß ich einen Bruder bekommen habe. Ich war damals dreidreiviertel Jahre alt; so groß ist der Altersunterschied zwischen mir und meinem nächsten Bruder. Dann weiß ih, daß ich kurze Zeit nachher (oder war es ein Jahr vorher)? einmal verschiedene Gegenstände, Bürsten, oder war es nur eine Bürste? Schuhe und anderes aus dem Fenster auf die Straße geworfen habe. Ih habe aud nod eine frühere Erinne- rung. Als ich zwei Jahre alt war, übernadtete ih mit den Eltern in einem Hotelzimmer in Linz auf der Reise ins Salzkammergut. Ih war damals so unruhig in der Nacıt und madte ein solches Geschrei, daß mich der Vater schlagen mußte.«

Vor dieser Aussage ließ ich jeden Zweifel fallen. Wenn bei analytisher Einstellung zwei Dinge unmittelbar nacheinander, wie

in einem Atem vorgebraht werden, so sollen wir diese Annähe-

rung auf Zusammenhang umdeuten. Es war also so, als ob der Patient gesagt hätte: Weil ich erfahren, daß ich einen Bruder be= kommen habe, habe ich einige Zeit nachher jene Gegenstände auf die Straße geworfen. Das Hinauswerfen der Bürsten, Schuhe usw. gibt sich als Reaktion auf die Geburt des Bruders zu erkennen.

! Ein flüctiger Irrtum auffälliger Natur. Es ist nicht abzuweisen, daß er bereits durch, die Beseitigungstendenz gegen den Bruder induziert ist. (Vgl. Ferenczi: Über passagere Symptombildungen während der Analyse, Zentralbl. f. Psychoanalyse. II., 1912.)

® Dieser den wesentlichen Punkt der Mitteilung als Widerstand annagende Zweifel wurde vom Patienten bald nachher selbständig zurückgezogen.

Eine Kindheitserinnerung aus »Dichtung und Wahrheit« 55

Es ist auh nicht unerwünscht, daß die fortgeschafften Gegenstände in diesem Falle niht Geschirr, sondern andere Dinge waren, wahr= scheinlich solhe, wie sie das Kind eben erreihen konnte... Das Hinausbefördern (durchs Fenster auf die Straße) erweist sich so als das Wesentliche, der Handlung, die Lust am Zerbrehen, am Klirren und die Art der Dinge, an denen »die Exekution vollzogen wird«, als inkonstant und unwesentlich.

Natürlich gilt die Forderung des zusainmenbanges auh für die dritte Kindheitserinnerung des Patienten, die, obwohl die früheste, an das Ende der kleinen Reihe gerückt ist. Es ist leicht, sie zu er- füllen. Wir verstehen, daß das zweijährige Kind darum so unruhig war, weil es das Beisammensein von Vater und Mutter im Bette nicht leiden wollte. Auf der Reise war es wohl nicht anders mög- fih, als das Kind zum Zeugen dieser Gemeinshaft werden zu lassen. Von den Gefühlen, die sih damals in dem kleinen Eifer- süctigen regten, ist ihm die Erbitterung gegen das Weib verblieben, und diese hat eine dauernde Störung seiner Liebesentwiclung zur Folge gehabt.

Als ih nach diesen beiden Erfahrungen im Kreise der psycho= analytishen Gesellshaft die Erwartung äußerte, Vorkommnisse solher Art dürften bei kleinen Kindern nicht zu den Seltenheiten

ehören, stellte mir Frau Dr. v. Hug-Hellmuth zwei weitere Bungen zur Verfügung, die ich hier folgen lasse:

Zum Hinauswerfen von Gegenständen aus dem Fenster

durch kleine Kinder.

I.

Mit zirka dreieinhalb Jahren hatte der kleine Erich »urplötzlih« die Gewohnheit angenommen, alles, was ihm nicht paßte, zum Fenster hinaus- zuwerfen. Äber er tat es auch mit Gegenständen, die ihm nicht im Wege waren und ihn nichts angingen. Gerade am Geburtstag des Vaters da zählte er drei Jahre viereinhalb Monate warf er eine schwere Teigwalze, die er flugs aus der Küche ins Zimmer geschleppt hatte, aus einem Fenster der im dritten Stockwerk gelegenen Wohnung auf die Straße. Einige Tage später ließ er den Mörserstößel, dann ein Paar schwerer Bergschuhe des Vaters, die er erst aus dem Kasten nehmen mußte, folgen!.

Damals machte die Mutter im siebenten oder achten Monate ihrer Schwangerschaft eine fausse couche, nach der das Kind »wie ausgewechselt brav und zärtlih still« war, Im fünften oder sechsten Monate sagte er wiederholt zur Mutter: »Mutti, ich spring’ dir auf den Bauch« oder »Mutti, ih drück’ dir den Bauch ein«. Und kurz vor der fausse coudhe, im Oktos ber: »Wenn ih schon einen Bruder bekommen soll, so wenigstens erst

nah dem Christkindl.«

ı Immer wählte er schwere Gegenstände,

bo Sigm. Freud

I.

Eine junge Dame von neunzehn Jahren sibt spontan als früheste Kindheitserinnerung folgende:

»Ih sehe mich furchtbar ungezogen, zum Hervorkriehen bereit, unter dem Tische im Speisezimmer sitzen. Auf dem Tische steht meine Kaffee- scale, ich sehe noch jetzt deutlich das Muster des Porzellans vor mir die ih in dem Augenblick, als Großmama ins Zimmer trat, zum Fenster hinauswerfen wollte,

Es hatte sich nämlich niemand um mich gekümmert, und indessen hatte sich auf dem Kaffee eine »Haut« gebildet, was mir immer fürchterlich war und heute nod ist.

An diesem Tage wurde mein um zweieinhalb Jahre jüngerer Bruder geboren, deshalb hatte niemand Zeit für mic.

Man erzählt mir noch immer, daß ich an diesem Tage unausstehlich war, zu Mittag hatte ich das Lieblingsglas des Papas vom Tische geworfen, tagsüber mehrmals mein Kleidhen beschmutzt und war von früh bis abends übelster Laune. Auch ein Badepüppcen hatte ich in meinem Zorne zertrümmert.«

Diese beiden Fälle bedürfen kaum eines Kommentars, Sie be- stätigen ohne weitere analytische Bemühung, daß die Erbitterung des Kindes über das erwartete oder erfolgte Auftreten eines Kon- kurrenten sih in dem Hinausbefördern von Gegenständen durch das Fenster wie. auch durh andere Akte von Schlimmheit und Zerstörungssuht zum Ausdruck bringt. In der ersten Beobadtung symbolisieren wohl die sschweren Gegenstände« die Mutter selbst, gegen welche sich der Zorn des Kindes richtet, so lange das neue Kind noch nicht da ist. Der dreieinhalbjährige Knabe weiß um die Schwangershaft der Mutter und ist nicht im Zweifel darüber, daß sie das Kind in ihrem Leibe beherbergt. Man muß sich hiebei an den »kleinen Hans« «(Jahrb. f. Psychoanalyse, Bd. I, 1909) erinnern und an seine besondere Angst vor shwer beladenen Wagen!, An der zweiten Beobachtung ist das frühe Alter des. Kindes, zweiein- halb Jahre, bemerkenswert.

enn wir nun zur Kindheitserinnerung Goethes zurückkehren und an ihrer Stelle in »Didhtung und Wahrheit« einsetzen, was wir aus der Beobachtung anderer Kinder erraten zu haben glauben, so stellt sich ein tadelloser Zusammenhang her, den wir sonst nicht entdeckt hätten. Es heißt dann: Ih bin ein Glückskind gewesen, das Schicksal hat mih am Leben erhalten, obwohl ich für tot zur

ı Für diese Symbolik der Schwangerschaft hat mir vor einiger Zeit eine mehr als fünfzigjährige Dame eine weitere Bestätigung erbracht. Es war ihr wieder- holt erzählt worden, daß sie als kleines Kind, das kaum sprechen konnte, den Vater aufgeregt zum Fenster zu ziehen pflegte, wenn ein schwerer Möbelwagen auf der Straße vorbeifuhr. Mit Rücksicht auf ihre Wohnungserinnerungen läßt sich feststellen, daß sie damals jünger war als zweidreiviertel Jahre, Um diese Zeit wurde ihr nächster Bruder geboren und infolge dieses Zuwacdses die Wohnung gewechselt. Ungefähr gleichzeitig hatte sie oft vor dem Einschlafen die ängstliche Empfindung von etwas unheimlich Großem, das auf sie zukam, ‘und dabei »wurden ihr die Hände so dicke.

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Eine Kindheitserinnerung aus »Dichtung und Wahrheite 67

Welt gekommen bin. Meinen Bruder aber hat es beseitigt, so daß ih die Liebe der Mutter nicht mit ihm zu teilen brauchte. Und dann geht der Gedankenweg weiter, zu einer anderen in jener Frühzeit Verstorbenen, der Großmutter, die wie ein freundlicher, stiller Geist in einem anderen Wohnraum hauste.

Ih habe es aber schon an anderer Stelle ausgesprochen: Wenn man der unbestrittene Liebling der Mutter gewesen ist, so behält man fürs Leben jenes Eroberergefühl, jene Zuversicht des Erfolges, welche nicht selten wirklih den Erfolg nad sic zieht. Und eine Bemerkung solher Art wie: Meine Stärke wurzelt in meinem Verhältnis zur Mutter, hätte Goethe seiner Lebensge- schichte mit Recht voranstellen dürfen.

58 Dr. H. Protze

Der Baum als totemistisches Symbol in der Dichtung. Von Dr. H. PROTZE «zurzeit Bad Ems).

eit sih die psychoanalytishe Wissenschaft, unter dem Vorgang

Freuds, der Erforshung der totemistischen und tabuistishen

Phänomene zugewandt hat, sind in der psychoanalytischenLiteratur mehrfach Fälle von sogenanntem »individuellen Totemismus« mitgeteilt worden, zuletzt meines Wissens von Abraham in seiner Arbeit »Über Einschränkungen und Umwandlungen der Schaufust« (Jahrbuch 1919. Unter. anderem bespriht Abraham dort den Fall eines Psydho- neurotikers, welcher, in Träumen wie in Wachphantasien, die Er- scheinungen eines ausgesprohenen Baumtotemismus bot.

Über ein Gegenstük hiezu, ein analoges Gebilde aus dem Gebiet der dichterischen Produktion, möhte ih im folgenden Näheres berichten. Bin solches fand ich in der Erzählung des früher viel gelesenen, jetzt wohl wenig mehr bekannten österreichischen Schriftstellers Kar! Post! (Charles Sealsfild) sDie Prärie am Jacintos, einem selbständigen Fragment aus des Dichters Roman »Das Kajütenbuh«e. Dies Phantasiestück, äußerlich betrachtet nichts weiter als die Schilderung eines Reiseabenteuers, erweist sich bei näherer Musterung als eine symbolische Darstellung unbewußten Erlebens, eben in jener eigenartigen, an den Pflanzentotemismus der Primitiven gemahnenden Form, dabei ist besonders bemerkenswert, daß die Dichtung ihre totemistishe Symbolik gleichsam selbst kommentiert, insofern ihr sonstiger Inhalt auf diejenigen infantilen Ten- denzen und Einstellungen, in denen die Psychoanalyse die Wurzeln totemistischer Bildungen vermutet, mit unverkennbarer Deutlichkeit hinweist. -— Gerade wegen letzterer Eigenheit, vermöge deren die ‚Dichtung zur Verifikation der psychoanalytischen Hypothese über den Ursprung des Totemismus beiträgt, möchte ich sie im folgenden in extenso wiedergeben, es dürfte jedoh, da die Erzählung an eine bestimmte Episode in des Dichters Leben anknüpft, und auch sonst Züge aus dessen realen Erleben verwertet, zweckmäßig sein, einige Daten aus der Biographie des Autors voranzustellen.

ahı der mir vorliegenden, leider sehr summarishen bio graphishen Skizze wurde der Dichter Karl Post! 1793 in einem kleinen Dorfe in Mähren, wo sein Vater die Würde eines Dorf- richters (»Gemeindevorstehers«) bekleidete, geboren. Der Vater, eine harte, derbe Bauernnatur, erzog ihn mit eiserner Strenge, weshalb der Knabe zuweilen dem elterlihen Hause entfloh und sich tagelang in der durh Naturshönheit ausgezeichneten Umgebung seines Heimatdorfes umhertrieb. Hier wurden, meint der Biograph, die Keime zu seiner späteren, namentlich in Natur-Scilderungen brillieren- den, poetishen Produktion geweckt.

Schon im frühen Älter von 8 Jahren wurde Postl, auf Wunsch seiner Mutter, aber audı seinen eigenen Wünschen gemäß, für den

Der Baum als totemistishes Symbol in der Dichtung 59

geistlichen Stand bestimmt, und bezog nod als Knabe das Jesuiten- gymnasium zu Znaim, um Ordenspriester zu werden. Er gelangte auc ohne besondere Zwischenfälle zum Ziele, entsagte jedod plötzlich, ohne zwingenden äußeren Anlaß, in seinem neunundzwanzigsten Jahre der Priesterwürde, brach alle Beziehungen zu seinem Orden, wie auch zu seinen Angehörigen ab und begab sih nah Amerika, wo er den Namen Charles Sealsfild annahm. Dort führte er ein unstetes Leben, wechselte häufig Wohnsitz und Beruf, hielt sich unter anderem längere Zeit in Texas auf, wo er den mißlingenden Versuh machte, sih als Farmer anzusiedeln, und kehrte 1832 nad Europa zurück. Nadı abermaligen längeren Irrfahrten in England und Frankreih madte er sih scließlih in der Schweiz seßhaft, nahm aber in der Folgezeit nodh dreimal längeren Aufenthalt in Amerika, um dann endgültig in die Schweiz zurückzukehren und dort seine Tage zu beschließen. Verheiratet war Postl nict. Über etwaige sonstige erotishe Beziehungen ist nichts bekannt,

Ein bemerkenswerter Zug seiner vielseitigen literarischen Tätigkeit ist, neben anderen, seine ausgesprohene Vorliebe für Napoleon I. Er redigierte, obwohl Österreicher, zeitweise in Neuyork eine Zeitung, die der Propagierung bonapartistischer Ideen und Interessen in Amerika dienen sollte, und trat auch später zu den in der Schweiz lebenden Napoleoniden in Beziehung.

Wir werden bei einem Manne, den wir, anscheinend un= motivierter Weise, sein Vaterland und Vaterhaus, seinen Vaters=

namen und seinen Beruf als Pater aufgeben sahen, eine stark negative Einstellung zum Vater vermuten dürfen. Hören wir nun die Dihtung.

Ein junger Amerikaner, aus dem Norden der Union, der zwecks Gründung einer Farm in Texas weilt (hierin also ein Eben- bild des Dichters), unternimmt gegen den Rat eines erfahrenen älteren Mannes ohne Begleitung einen Ritt in die Prärie und verirrt sich dort. Nah langem Umherreiten gelangt er, inmitten der Wildnis, an einen sehr großen, alten Baum von majestätisher Schönheit, »von dessen mächtigen Zweigen Tausende von Flechten jenes eigen- artigen, silbergrauen, spanischen Mooses, die wie wallende Greisen- bärte aussehen, herabhängen«.

Der Baum führt, wie man später erfährt, unter den Ansiedlern den Namen »Der Patriarchs. Nachdem der Jüngling dies Natur- phänomen eine Weile mit ehrfürhtigem Staunen, aber auch mit Be= klemmung, »mit einem Gefühl, das peinliher Angst nahe verwandt ist«, betrachtet hat, eilt er weiter, ohne aber den ersehnten Aus- weg aus der Prärie finden zu können. Endlih, nach tagelangem Umherirren, macht er die peinlihe Entdeckung, daß er sih wieder in unmittelbarer Nähe jenes Baumes, des Patriarchen, befindet, den er, wie durch einen tücischen Zauber gebannt, fortwährend umkreist hat. Verzweifelt, bewußtlos briht er unter demselben zusammen,

60 Dr. H. Protze

Als er wieder zu sich kommt, findet er sih in den Armen eines Prärienjägers, der ihn durh einen stärkenden Trank wieder zum Leben erweckt hat, und mit dem er dann die Reise fortsetzt. Dieser Lebensretter, der Jäger Bob, wird von da an der Hauptheld der Erzählung. Er madht dem jungen Reisenden von Anfang an einen unheimlichen, grausigen Bindruk, »als ob er eine sehr schwere Tat, etwa einen Brudermord, begangen haben könne« und nun »von gräßlicher Gewissensangst gepeinigt werde«. Aud führt er verworrene Reden, in denen der »Patriarh« wieder und wieder erwähnt wird. Scließlih beichtet der unheimliche Geselle, daß er vor kurzem einen älteren Mann, einen »Familienvater«, dessen reich gefüllte Geldkatze seinen Neid erregte, unter dem »Patriarhen« ermordet und dort verscharrt hat, Seitdem kann er nirgends Ruhe finden. Er irrt planlos umher, aber immer wieder zieht es ihn mit magisher Gewalt zu dem Baume hin, er- kann nicht von ihm loskommen. Und wenn er ferne von ihm ist, erscheint ihm der »Patriarhs als Gespenst, in Gestalt eines riesigen, weißbärtigen, zürnenden, alten Mannes, hinter welchem dann noch dasSchein- bild des ermordeten Familienvaters, Rache drohend, aufs taucht. Diese Qualen sind dem Mörder jetzt unerträglih ge- worden, und er bittet seinen Reisegenossen, ihn zu einem in der Nähe wohnenden, besonders vertrauenswürdigen Richter zu geleiten, dem er sih entdecken und den er veranlassen will, die Strafe für seine Untat an ihm vollziehen zu lassen, eine Strafe, die er sich selber ausgedadt hat und die darin bestehen soll, daß er an dem »Patriarchens aufgehängt wird,

Hatten wir in der Figur des Mörders eine »Verdoppelungs des anfänglichen, mit dem Dichter. identishen Helden der Erzählung zu erbliken, so wird der nunmehr auftretende Richter als ein Duplikat des Vateridoles kenntlih gemaht. Wir erfahren, daß vor der Tür seines Hauses ebenfalls ein »Lebenseihenbaums, ein Gegenstük zum »Patriarhens, sich erhebt, ferner daß er selbst ein älterer Mann von hocdragendem, majestätishem Wudhse ist, und daß er sein Richteramt in würdigen, zugleih aber wohlwollend-be- häbigen, kurzum »patriarhalishen« Formen führt.

Er spriht denn auh zunächst dem beichtenden Verbrecher in väterliher Weise zu, entschließt sih dann aber dodh, den Urteils- spruh zu fällen und ihn in der gewünschten Weise vollziehen zu lassen. Die Erhängung am »Patriarhens durch den Richter und seine Helfer, wird dramatish geschildert. Dann, ganz am Schluß, nimmt die Erzählung plötzlih eine versöhnlihe Wendung. Der Mörder, shon in der Schlinge hängend und fast erstickt, macht den Richtern verständliih, daß er noh Wichtiges zu sagen habe, man löst ihn los, er wird durch die besonderen Bemühungen des Vater- Richters wieder zum Leben erweckt, und teilt diesem nun eine be= deutsame, auf den unmittelbar bevorstehenden Befreiungsaufstand

des Landes Texas bezüglihe Nadriht mit, eine Nadhridht, durch

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Der Baum als totemistisches Symbol in der Dichtung 6i

die er dem Ricter und seinen Helfern, sämtlih Teilnehmer an einer dahinzielenden Verschwörung, das Leben rettet, und das Mißlingen ihrer Pläne verhütet. Zum Dank sprechen sie ihn auf der Stelle der Strafe ledig und akzeptieren ihn als Mitkämpfer.

Im weiteren Verlauf des Romans (denn hiemit schließt die Teilerzählung) erfährt man dann noch, daß der Verbreder, im Verein mit dem Richter und dem jungen Reisenden, im Befreiungskampfe Wunder der Tapferkeit verrichtet und schließlih in den Armen des Richters den Heldentod stirbt.

Wie eingangs bemerkt, ist unser Phantasiestück in seinen Grund- linien so durchsichtig, daß es eines analytishen Kommentars kaum mehr bedarf. Der Baum ist unverkennbares Vatersymbol, und zwar ein Symbol mit totemistishen Zügen, er erscheint einerseits als Objekt abergläubisher Verehrung, anderseits als ein furhterregendes, Race drohendes, Opfer heishendes Wesen. Letztere Qualitäten erlangt er im Zusammenhang einer wenig verhüllten Vatermords=- phantasie.

Das Inzestmotiv kommt in der Dichtung scheinbar niht zum Ausdruck. Um sein Vorhandensein aufzuzeigen, muß ih den oben erwähnten Parallelfall vergleihend heranziehen. Jener Neurotische, von dessen Baumtotemismus Abraham berichtet, produziert u. a. Wadträume, in denen er selbst als Baum im elterlichen Garten steht und dort feste Wurzeln geschlagen hat. Im Gegensatz dazu steht sein reales Erleben, in welchem er sich »sozusagen be= ständig auf der Flucht vor dem Mutterinzest befindets, daher von ständiger Unruhe geplagt wird und nirgends seßhaft werden kann.

Was zunächst dies letztere anlangt, so finden wir die gleiche Eigentümlichkeit im Leben unseres Dichters wieder. Aud er ist ein ewiger Wanderer. Einmal freilih versucht er sih als Farmer, also offenbar für die Dauer, seßhaft zu mahen, und zwar im Lande Texas, jenem Lande, dessen »jungfräulihe, unberührte Schönheit« er an verschiedenen Stellen seiner Schriften in glühenden Farben schildert.

Gerade an diese Episode seines Lebens knüpft unsere Br- zählung an. Der Held derselben wird als Träger der gleihen Absicht eingeführt, aber schon beim ersten Betreten des »jungfräulichen« Bodens kommt er in Konflikt mit dem »Patriarhens, der die er- sehnte Position des »Wurzelns« in diesem Boden bereits innehat, Im Anschluß daran entspinnt sih dann die lange Verirrungs-, Vatermords- und Bestrafungsphantasie, die damit schließt, daß sich die beiden Helden der Dichtung an der Eroberung des Landes beteiligen,

Bs ist offensichtlih, daß wir hier, mit geringer Abweichung, die gleihen Vorstellungsverknüpfungen vor uns haben: Der Baum der Vater, das Erdreich die Mutter, das »Wurzeln« das »sih seß- haft machen« besonders als Ackerbauer gleichbedeutend mit dem Inzest.

62 Dr, H. Protze

Zudem wird klar, daß unsere Dichtung, gleih den Phantasien jenes Neurotishen, auch deshalb als totemistisches Gebilde be- zeichnet werden kann, weil sie eben nicht bloße Phantasie ist, sondern in wesentlihem und bis in Einzelheiten determiniertem Zusammenhang steht mit einem das Leben ihres Urhebers be- herrschenden psydischen Zwang.

ließlih möchte ih noc auf eine, wie mir scheint bedeutsame, Besonderheit im Aufbau der Dichtung hinweisen. Der Vater- mörder, der dann von dem Vater-Richter an dem Vater-Baum ge- opfert wird, erscheint im ersten Teil der Erzählung als der Retter des anderen, gleichfalls in Ungehorsam (= Auflehnung) gegen den Vater befindlihen Jünglings, und als dessen Erlöser aus dem Banne des »Patriarhens, er erscheint ferner, im Verein mit dem Vater- Richter als Held im Befreiungskampfe. In diesen Zügen erinnert die Dichtung, mutatis mutandis, an jene völkerpsychologisch so wichtige Abwandlungsform des primitiven Totemismus, an den Mythus von der Opferung des Erlösers. Die Ähnlichkeit mit der uns ge= fäufigsten Variation dieses Mythus geht sogar überraschend weit, denn wir finden, um nur einige Züge hervorzuheben, auh in unserer Dihtung die Auferweckung vom Tode durh einen wohlwollenden Vater=Vertreter (der vorher den freiwilligen Opfer- tod ausdrücklich gebilligt hat), ferner das Zusammenwirken mit diesem an einem großen Erlösungswerk und die schließlihe Ver- klärung.

Spiegelzauber 63

Spiegelzauber. Von DR. GEZA RÖHEIM (Budapest).

Motto; »Tat tvam asi« (Das bist du) Chändogya Upanishad. VI. 9-15, «Siehe P. Deussen: Sechzig Upani- shad’s des Veda. 1905. 166—170.)

»Das Selbst, fürwahr, soll man sehen, soll man hören, soll man verstehen, ı

soll man überdenken, o Maitreyi, fürwahr, wer das Selbst gesehen, gehört, ver-

standen und erkannt hat, von dem wird diese ganze Welt gewußt.« Brihadäranyaka-

Upanishad. II. 5.b. IV. 6.

(Vgl. Geldner: Die Religion der Inder in Bertholet: Religionsgeshicht- lihes Lesebuch. 1908. 177 und Deussen: Sechzig Upanishad’s des Veda. 1905, 417, 483.)

I. Spiegel und Kind.

a) Negative Riten.

ines der wichtigsten Ergebnisse der Freudschen Forschung ist

die Dreistufentheorie der Libidoentwicklung. Als erste Haupt-

stufe kennzeichnet Freud die autoerotishe. »Dieselbe entsteht in Anlehnung an eine der lebenswictigen Körperfunktionen, sie kennt noch kein Sexualobjekt und ihr Sexualziel steht unter der Herrshaft einer erogenen Zone«!. Aud bei der zweiten Stufe wendet sih die Libido dem eigenen Ih zu, doch unterscheidet sih diese von der früheren dadurch, daß das Individuum bereits um einen Schritt weiter- geht, indem es das eigene Ic personifiziert, um sich selbst oder viel- mehr sein Ebenbild lieben zu können. Man nennt diese Stufe mit einer aus der Narkissossage gewählten Bezeichnung Narzissismus »Die Iclibido heißen wir im Gegensatz zur Objektlibido auh nar- zißtishe Libido« .,., »Die narzißtishe oder Iclibido erscheint uns als das große Reservoir, aus welhem die Objektbesetzungen aus- geschickt‘ und in welches sie wieder einbezogen werden, die nar- zißtische Libidobesetzung des Ichs als der in der ersten Kindheit realisierte Urzustand?, welhe durch die späteren Aussendungen der Libido nur verdeckt wird, im Grunde hinter den- selben erhalten geblieben ist«®, Die dritte Stufe ist die Objektwahl, nämlich die völlig entwickelte normale Sexualität, bei welcher die

1 5. Freud: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie 1915, 46, »Spiegelzauber« erscheint zugleich in ungarischer Sprache als Heft 2 der »Nepflelektani Dolgozatoks (Völkerpsydologishe Arbeiten),

% Von mir gesperrt.

® Freud: I. c. 79,

Die drei Haupt- stufen in der Ent- wicklung der Li- bido. Der Nar- zißmus.

64 Dr. Geza Röheim

Libido das gesuchte Objekt in der Außenwelt, im anderen Geschlechte findet. Schon der der Narkissosmythe entnommene Terminus läßt ahnen, daß die in der zweiten Entwiclungsstufe herrschende psychische | Einstellung auch für den Spiegelzauber ihre Geltung hat. Vor allem bleibt es Tatsadhe, daß die autoerotishe Personifikation im Einzel-

Die Kindheit als feben durch die der Objektwahl vorausgehende Periode, das Kindes-

Lebensalter. alter am vollkommensten vertreten wird?, Dem entspriht auch die hervorragende Rolle, welche das Kind im Spiegelzauber und Spiegeltabu spielt. Da aber das Tabu die Kehrseite des Magischen ist®, so bekommen wir, wenn wir statt des Magishen den Wunsch einsetzen“, eine durch die Hemmung des Wunsces entstandene Phobie®. Mit anderen Worten: verboten werden muß nur das, worauf sih unsere Wünsche richten. Dem Verbot des Spiegel- schauens entspricht der kindiihe Wunsch nach seinem Ebenbilde. Bei den Hienzen darf man das noch nicht einjährige Kind nicht in den Spiegel schauen oder es abbilden lassen‘. In England finden sich audh in den Kreisen der Gebildeten viele, die es nicht gerne sehen, wenn der Säugling sich im Spiegel betrachtet”. In Lincolnshire hatte eine junge Frau starke Angst, ihr kleines Kind könnte sich zufällig

Vgl. S. Freud: Drei Abhandlungen zu Sexualtheorie 1915. Über die narzißtishe Stufe im Besonderen: S. Freud: Zur Einführung des Narzißmus, Jahrbuch der Psychoanalyse 1914. VI. 1-24. D. s.: Sammlung kleinerer Schriften zur Neurosenlehre 1913. III. 249, O.Rank: Ein Beitrag zum Narzissismus. Jahre buh für psychoanalytishe und psychopathologishe Forschungen. 1911, II. 401-426. Freud: Eine Kinaheitserinnerung des Leonardo da Vinci, 1910. 36. I. Sadger: Ein Fall von multipler Perversion. Jahrbuch 1910, II. 112, Den Zu- sammenhang zwischen Narzissismus und Seelenbegriff hat ©. Rank nachgewiesen, der auch die Spiegelwahrsagung von diesem Standpunkte aus behandelt. ©, Rank: Der Doppelgänger. Imago. 1914. 99—164. Mance Zitate verdanke ich der freundlichen Mitteilung des Herrn M. Jellinek (Budapest). Die Abkürzung F. F, bedeutet die im ungarischen Nationalmuseum aufbewahrte handscriftliche Sammlung der ungarischen Sektion des internationalen Folkloristishen Forsherbundes (Folklore Fellows) und der Stadtname daneben den betreffenden Lokalverein. »Ethn.« ist. die atpnestapbias, (Ung.) das Organ der ungarishen Gesellshaft für Völker- unde.

® Vgl. H, von Hug-Hellmuth: Aus dem Seelenleben des Kindes. Schriften zur angewandten Seelenkunde., XV, 1913, 9,

®R. R. Marett: The Threshold of Religion 1909, 85. 115,

* Der große Zauberer vermag durch seinen bloßen Willen Bäume zu ent= wurzeln. Merker: Die Masai 1904. 21. 27. Wenn jemand großes Begehren nach irgend einer Obstgattung hat, beschleunigt er damit wirklich ihr Austeifen, W, ©. Roth: Superstition, Magic and Medizine (North Queensland Ethno- graphy Bulletin Nr. 5). 1903. 27. »Jeder Mensch hat eine Minute am Tage des Wunsches Gewalt. j. W. Wolf: Beiträge zur deutschen Mythologie, 1852, I. 237, In Hawai tötet der Fluch des Zauberers. R. Neuhauß: Anthropolo- gishe Untersuhungen in Ozeanien. Verh. d. Ges, f. Ethn. 1885, 29,

5 Vgl. über das Tabu Freud: Totem und Tabu 1913,

° I. Thirring-Waisbecker: Zur Volkskunde der Hienzen. Ethnologische Mitteilungen aus Ungarn, 1896. V, 16.

"WW. Hazlitt: Brands Popular Antquities of Great Britain 1905, I. 275. Es bedeutet Unglück, wenn das Kind in den Spiegel schaut, solange es noch nicht gehen kann. S. ©. Addy: Household Tales. 1895, 102, E, M. Leather: The Folk=Lore of Herefordshire 1912. 113.

Pl

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im Spiegel erblicken, ihre Mutter tröstete sie: »Wenn es nur zufällig hineinschaut, hat das nichts zu bedeuten, doh wenn man dem Kinde das eigene Bild im Spiegelzeigt, sokann das ihm allerdings Unglück bringen«!. In Rußland dürfen Kinder nicht in den Spiegel shauen, sonst könnten sie nicht ruhig schlafen?. Der amerikanishe Volksglaube meint, ein Kind, das sich im Spiegel erblickt, ehe es das erste Lebensjahr vollendet hat, werde ein Leben voller Sorgen führen®. In allen diesen Tabus verrät sich das unbewußte Wissen* der narzißtischen Einstellung, da sie die zu erwartenden Gefahren der durch das Spiegelshauen ge- förderten narzißtischen Fixierung betonen. Am dharakteristishesten und unbedingt treffend ist der im sächsishen Erzgebirge verbreitete Volksglaube, daß kleine Mädchen, die sich häufig im Spiegel betrachten, stolz und eitel werden’. In Meiderih darf man das Kind nicht in den Spiegel schauen lassen, weil es sonst eitel wird. Im Voigtland herrscht die Anschauung, ein nod nicht einjähriges Kind, das sich im Spiegel beschaut, werde sein ganzes Leben lang eitel sein’. Eitel wird das Kind, wenn es vor Vollendung des erstenLebensjahres in denSpiegel schaut,in derPfalz, in der Rheinpfalz, in Sachsen, leichtfertig in der Oberpfalz, hochmiütig in Sclesien, en °, in Sachsen, Thüringen, Baden, Voigtland, Meck- lenburg und in der Pfalz°. Läßt man das Kind unter einem Jahr in den Spiegel sehen, so wird es stolz!, InWales darf man das Kind nicht in den Spiegel schauen lassen, bevor es nihtreden kann, sonst wirds eitef!1, Im Voigtland darf es nicht in den Mond schauen, weil es mondsüdtig wird:2. Beachtenswert ist hier die Erklärung der Mondsüdhtigkeit aus der Sehnsucht nach dem Monde, beziehungsweise nach dem durh den Mond vorgestellten Objekt, in diesem Falle das eigene Ebenbild, In Westböhmen soll das noch nicht einjährige Kind nicht in den Spiegel

! M. Peacock: Scraps of English Folklore, Folk-Lore 1909. 218,

2 W.R.S. Ralston: The Songs of the Russian People. 1872. 117.

® Knortz: Amerikanischer Aberglaube der Gegenwart 1913, 42,

* Die Sanktion der Verbote entspricht daher entweder unmittelbar oder auf dem Umwege der verdrängten Komplexe, d.h. symbolisch, einer intrapsycischen Realität,

5 E. John: Aberglaube, Sitte und Brauch im sächsischen Erzgebirge 1909, 57.

° Dirksen: Aus Meiderih Zeitschr. d. V. f. Volksk. IV. 326. Im selben Sinne verwendet von L, Kaplan: Grundzüge der Psychoanalyse 1914. 221,

Köhler: Volksbraudh, Aberglaube, Sagen im Voigtlande. 1867, 424,

° K. Haberland: Der Spiegel im Glauben und Brauch der Völker, Zeitschr. f. Völkerpsychologie XIII. 341. Nah G. Lammert: Volksmedizin und medizinischer Aberglaube in Bayern. 1869. 119. Bavaria, IV. 257. Wuttke: Volksaberglaube., 392. Vgl. J. W. Wolf: Beiträge zur deutschen Mythologie, 1852. I, 208,

® Wuttke: Der deutsche Volksaberglaube, 1900, 392, Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Medilenburg. 1880. II. 53,

Die gestriegelte Rockenphilosophie. 1759. Kap. XXVIIL, p. 39.

!! Trevelyan: Folk=Lore and Folk Stories of Wales. 1909. 268.

'2 Joh. Aug. Ernst Köhler: Volksbraudh, Aberglauben, Sagen und andere alte Überlieferungen im Voigtlande, 1867. 423, Ölsnitz.

Vgl. I. Sadger: Über Nachtwandeln und Mondsudht. Schriften zur an= gew, Seelenkunde, XVI. 1914, Zu Mond = Mutter vgl. Ist ein Kind einmal ab=- gesetzt, so darf es nicht wieder angelegt werden, sonst wird es mondsüdhtig. Thüringen. Wuttke: I. c. 393, Bevor das Kind abgesetzt ist, darf die Mutter nicht verreisen, sonst wird es mondsüctig. D. s. ebenda, 392,

Imago V/2 3

Das unbewußte Wissen in den Tabu.

66 Dr. Geza Röheim

schauen, weil es sonst furchtsam wird (Schönwerth, Nallesgrün), oder hocdhmütig (Hochofen), oder schielend (Karlsbad, Duppau) !. Die mit dem Narzissismus eng zusammenhängenden Komplexe der aktiven und pas- siven Schaulust erscheinen zum erstenmal in dem letzten Tabu, und zwar als Talionstrafe des Sihbeschauens. In Disznöshorvät hält man dafür, daß man dem Säugling keinen Spiegel in die Hand geben darf, weil er sonst erblindet?, in Besenyötelke deshalb nicht, weil er sonst schielen wird. Der an der Cserta herrschende Volksglaube schaltet in diesem Komplexe wieder den Himmelsspiegel ein, denn hier heißt es, daß das Kind, das man ins Mondlicht hält und in den Mond schauen Jäßt, schielen wird*. Wie in Shönwerth und in Nallesgrün die Furdtsamkeit, hält man in Kisvarda die Weinerlichkeit des Kindes für eine Folge des Indenspiegel- schauens®. Die Furctsamkeit ist als Reaktionsbildung des narzißti- schen Selbstgefühles zu deuten. In Ost- und Westpreußen wird dasKind, das in den Spiegel schaut, krank, in Franken”, in der Bakonygegend und in dem Bäcser Komitat muß es sterben®. Jetzt vermögen wir die ab=- schrekende Wirkung des Spiegelbildes auh schon des Nakeren zu be- stimmen; die Eigenliebe des Kindes erschauert, wenn es sein Spiegelbild, d. h. sein zweites Ic in fremder Hand sieht. Das Spiegelschauen fördert natürlich die Entwicklung des visuellen Typus, und zwar dessen extreme, halluzinatorishe Form, die Gefühlsbetontheit des Selbstshauens dient als motorisces Element bei der Wiederbelebung der Deckerinnerungen. So haben es beispielsweise die Wenden nicht gerne, wenn das noch nicht einjährige Kind besonders um die Mittag- und Abendzeit allein bleibt? und in einen Spiegel sieht, da es Gespenster sehen und vor allem ershreken würde'®. In Schlesien darf man das Kind unter einem Jahr

1 John: Sitte, Brauh und Volksglaube im deutschen Westböhmen. 1905. 109.

2 Fäbiän: Nepköltesi gyüjtemeny (Volksdichtung-Sammlung). Särospatak F. F. 1914. 38.

3 Berze-Nagy: Babonäk etc. Besenyötelken, (Aberglaube und Gebräuche in Besenyötelke.) Ethn. 1910. 26. Vgl. Dr. Julius Meszäros: A magyar kerek tükör. (Der ungarishe Rundspiegel) Neprajzi Ertesitö. (Anzeiger der Ethn. Abt. des ung. Nationalmuseums) 1914. 240.

+ Gönczi: Göcsej. 1914, 142,

5 Rubovszky: Nepköltesi gyüjtemeny Kisvarda közsegböl (Gesammelte Volksdihtung aus der Gemeinde Kisväarda) Szabolcser Komitat. Eger. F. F. 34.

® Haberland: Spiegel. Zeitschr. f. Völkerps. XIII. 541. Wuttke: Volksaber=- glaube. 1900. 392. Tettau und Temme: Die Volkssagen Ostpreußens, Litauens und Westpreußens. 1837. 282.

Haberland: Ebenda 341. E. L. Rochholz: Alemannishes Kinderlied und Kinderspiel aus der Schweiz. 1857. 318.

8 J. Käldy: Bakonymegyei babonäk &s szöläsmödok (Aberglaube und Redens= arten im Bakonyer Komitat). Ethn. 1908. 284. J. Nagy: Bäcsmegyei babonäk (Aberglaube im Bäcser Komitat). Ebenda. 1896. 96. Vgl. Dr. Julius M&szäros: Der ungarische Rundspiegel Neprajzi Ertesitö. 1914. 240,

°» Vgl. Haberland: Die Mittagsstunde als Geisterstunde. Zeitschr. f. Völkerps. 1882. 310—324.

W, v. Schulenburg: Wendische Volkssagen und Gebräuche. 1880. 233. »Wenn Kinder unter einem Jahr in den Spiegel sehen, so bekommen sie Vor- ahnungen und werden furhtsam«. Schulenburg: Wendishes Volkstum, 1882. 109. Läßt man ein Unmündiges in den Spiegel schauen, so wird’s ein Narr. Rochs holz: Alemannishes Kinderspiel und Spiel in der Schweiz. 1857, 317.

Spiegelzauber 67

niht mit Blumen schmücken, noh in den Spiegel schauen lassen, weil es sonst bald stirbt oder eitel wird, oder aber später außer- gewöhnlihe Dinge (Gespenster) sehen wird‘,

Die folgenden Tabus betonen die fixierende Wirkung der nar- zißtischen Einstellung, die sich tatsächlich jeder psychisch determinierten ? Wandlung entgegenstellen kann. In Felnemet, wenn das kleine Kind in den Spiegel shaut, wird es shwer zahnen®. In den Komitaten Nögräd* und Bäcs® wachsen dem in den Spiegel schauenden Säug- ling die Zähne nicht aus‘. In Schwaben wird das kleine Kind, das

1 P. Drechsler: Sitte, Brauh und Volksglaube in Schlesien 1903, I, 212.

? Die unbewußte kollektive Apperzeption macht keinen Unterschied zwischen körperlichen und seelischen Erscheinungen, hier ist also alles psychisch determiniert,

> Szekely: Magyar Nephagyomänyok Gyüjtemenye (Sanımlung ungarischer Volksüberlieferungen). Eger. F, F. 1914. 18.

* Kaunitz: Babonäk (Aberglauben) Magyar Nyelvör. II. 277.

5 Nagy: Bäcsmegyei babonäk <Aberglauben im Bäcser Komitat). Ethn, 1896. 96, Meszäros: Der ungarische Rundspiegel Neprajzi Ertesitö. 1914, 240,

% Der Zahn ist hier wie so oft ein Penissymbol. Vgl. Stekel: Die Sprache des Traumes. 1911. 221—231. Das mit einem Zahn geborene Kind wird glücklich sein und Zauberer werden, aber nur wenn es im Alter von sieben Jahren im Ringen mit den älteren Zauberern (tältos) den Zahn zu bewahren vermag td. h. wenn es sih nicht kastrieren läßt). Istvänffy: A borsodi maty6 n&p &lete (Leben des Matyövolkes in Borsod), Ethn. VII. 364, Ipolyi: Magyar Mythologia (Un- garishe Mythologie). 1854. 449, Das Zahnausshlagen und die Riten der Circum-, beziehungsweise Subincisio sind gleihwertige Bestandteile der australischen Männer= weihen. Vgl. über Beschneidung als Kastrationsäquivalent Reik:; Die Pubertäts- riten der Wilden. Imago. 1915. 125. Über Beschneidung = Haarabschneiden = Zahnausschlagen bei Primitiven und Kindern, vgl. S. Freud: Totem und Tabu. 1913. 141. «Siehe aucı weiter unten über Nägelabschneiden.) Es ist bezeichnend, daß bei den Gringai die Mutter den ausgeshlagenen Zahn des Knaben auf- bewahrt (A. W. Howitt: The Native Tribes of South-Bast Australia, 1904. 575), wohl als symbolishen Ersatz des ihr endgültig entrissenen Knaben. Desgleihen bei dem Kamilaroi J. Fraser: The Aborigines of New South Wales. 1892. 14. Vgl. die Wenden, bei denen die Mutter den Zahn des Knaben, der Vater den des Mädchens verschluckt. (Ploß-Renz: Das Kind. 1912. I. 53. 58) Die Kaitish werfen den ausgeschlagenen Zahn in die Richtung des »Alcheringa Lagerplatzess der Mutter. (Spencer and Gillen: The Northern Tribes of Central Australia. 1904. 589. Alcheringa Lagerplatz= die Gegend, wo sich in der mythishen Urzeit die Heroen aufhielten, deren einer sich in der Mutter reinkarniert hat.) Nach Kaitish und Unmatjera Überlieferung bradhten die Alcheringa-Heroen ihre Vorhäute in ihren Nanjabäumen (Lebensbaum) unter. Derselbe. Ebenda. 341. »Am Goulbourn River sieht man eine ungewöhnliche An- zahl abgestorbener Bäume. Jeder tote Baum repräsentiert ein Mitglied des erloschenen Stammes. Die Zähne werden bei der Initiation ausgeschlagen und der Mutter über= geben, sie verbirgt die Zähne in den Rinden eines jungen Gummibaumes.« (Zu Mutter und Baum vgl. Jung: Wandlungen und Symbole der Libido. 1912, 240, 254.) »Im Falle nun die Person, welcher der Baum auf diese Art gewidmet ist, stirbt, wird vom Fuße die Rinde abgestreifts, R. Oberländer: Die Eingeborenen der australischen Kolonie. Globus IV. 281. Die Kastrationsbedeutung des Zahn- ausschlagens läßt diese Gewohnheit als Strafe oder als Zeihen der Sklaverei er= klärlih erscheinen, R. Lasch: Die Verstümmlung der Zähne in Amerika. Mitt. d. anthr. Ges. in Wien. 1901. S. A. 16. H.H. Bancroft: The Native Races of the Pacific States of North America. 1875. I. 764. Vgl. auh H. von Ihering: Die künstliche Deformierung der Zähne. Zeitschrift für Ethnologie. XIV. 1882, 213—262. J. G. Frazer: Totemism and Exogamy. 1910. IV. 180—195.

Narzißmus und Fixierung.

68 Dr. Göza Röheim

man zum Fenster schiebt, niht wacsen!, In Panjab dürfen Kinder, besonders wenn sie im Wachsen sind, nicht in den Spiegel schauen‘. Eine Gruppe der Verbote bezieht sih auf das Sprachvermögen. In Mecklenburg darf das kleine Kind nicht in den Spiegel shauen, weil es sonst im Reden schwerfällig wird?. In Ostpommern lernt das Kind unter einem Jahr das Reden nicht, wenn es in den Spiegel schaut‘. In Göcsej läßt man nicht zu, daß der ganz junge Säugling in den Spiegel schaue, weil ihm sonst die Sprache versagt’. In Gibraltar heißt es, daß, wenn man das Kind vor dem Spiegel wäscht, lernt es erst spät reden®. In Somlöväsärhely darf man den Säugling nicht vor den Spiegel stellen, weil er das Reden nicht lernt‘, In Nagyszalonta darf das kleine Kind, so fange es noch nicht reden kann, nicht in den Spiegel shauen, weil es sonst mit einem Male zu reden beginnt, dann aber für immer stumm bleibt®. »Wenn ein Kind in den Spiegel sieht, so nicht sprechen kann, ist nicht guts®. In Nagypalugya glaubt man, daß das Kind stumm!®, in Meclenburg, daß es stottern wird'!, in Rußland, daß es spät reden lernt!?., Im Voigtland dürfen Kinder unter zwei Jahren nicht miteinander spielen, weil sonst das eine schwer reden lernt‘, Hier übernimmt das eine. Kind als Doppel- gänger des andern die Rolle des Spiegelbildes. Bezeichnend ist folgende Angabe: noch nicht einjährige Kinder sollen einander nicht küssen, weil sonst keines das Reden erlernt (Karlsbad,

1 Grimm: Deutshe Mythologie. III. 435. Vgl. J. W. Wolf: Beiträge zur deutschen Mythologie. 1852. I. 208.

® Mündlich mitgeteilt vom Herrn Umrau Sing Shergill: Vgl. »A dild is never shown a looking glass ...... if he sees his reflection, he will become unwell. If however he insists upon having it, it will be turned the reverse side«. M. N. Venkataswami: Hindu Notes, Folk-Lore XI, 218.

K. Bartsch: Sagen, Märchen usw. aus Meclenburg. 1880, II. 53.

* ©. Knoop: Volkssagen, Erzählungen, Aberglauben und Märchen aus dem östlihen Hinterpommern. 1885. 156.

5 Gönczi: Göcsej, 1914. 143.

® Seligmann: Der böse Blick. 1910. I. 180,

L. Nagy: Nephit, babonäk, &s nepszokäsok Somlöväsärhelyen. (Volks= glauben, Aberglauben und Volksbrauh in Somlöväsärhely.) Päpa. F. F. 1914. 4.

8 S. Oltyän: Babonagyüjtemeny (Aberglauben-Sammlung) Nagyszalonta F.F.I.a. Vgl. den plötzlich zum Reden gebrachten stummen Wecselbalg. Gönczi: Göcsej, 1914. 319. Grimm: Deutsche Mythologie, 1875, I. 388.

° Grimm: Deutshe Mythologie. 1878. II. 477. Aus des uralten jungen Leiermatz lustigem Korrespondenzgeist. 1668. p. 170—176.

1% Istvanffy: Liptömegyei töt babonäk. (Siowakischer Aberglauben im Lip= tauer Komitat.) Ethn. 1912. XIII. 35. Dr. Julius Meszäros: Der ungarishe Rund- spiegel Neprajzi Ertesitö. 1914. 240, sa EEE Volksaberglaube. 392. Haberland: Spiegel. Zt. f. Vps.

12 Dr. Julius M&szäros: A magyar kerek tükör. (Der ungarishe Rund- pie. Sean Ertesitö (Anzeiger der Ethn. Abt. des ung. Nationalmuseums). ıs Köhler: Volksbraud. etc. im Voigtlande. 423. Ölsnitz.

Spiegelzauber 69

Duppau)!. In Mecklenburg: wenn zwei Kinder, die die Wörter noh nicht richtig auszusprechen vermögen, einander küssen, werden sie niemals richtig reden lernen?. Der Abwehrcarakter des Tabu gegen die narzissistishe Fixierung geht deutlih aus der Fassung aus Eger hervor, der gemäß das Kind nicht in den Spiegel shauen soll, bevor es reden kann, weil es sonst das Reden niemals erlernt?.

Um aber das Inhaltlihe des Fixierungsbegriffes näher zu be- stimmen, muß ich auf eine andere, wenn auch vorläufig hypothetische Determinante hinweisen. Laut der Mecklenburger Angabe wird das in den Spiegel schauende Kind nicht stumm, sondern ein Stotterert, Nun ließe sich aber auh nach unveröffentlihten Forschungen Freuds das neurotishe Stottern aus der analerotishen Zurückhaltung der Wörter erklären®. Den Zusammenhang zwischen der analen Erotik und dem Narzissismus hat Freud schon früher festgestellt‘, er läßt sih vielleiht noch augenfälliger mit folkloristishem und ethnologi- schem Material beleuchten‘. Von unseren Tabu wären die folgen- den in diesem Zusammenhange zu erwähnen: In Semjen wird das vor den Spiegel gehaltene Kind fausig®. In Diösgyör: wer nadts

1 John: Sitte, Brauch und Volksglaube im Deutshen Westböhmen. 1905. 209, Das zweite Kind entspriht auch der Todesbedeutung des Doppelgängers. Wenn in Wales Kinder, die noch nicht reden können, einander küssen, wird das eine von ihnen binnen einem Jahre sterben. Trevelyan: Folklore und Folk-Stories of Wales. 1909. 265. Kinder unter einem Jahre dürfen einander nicht anfassen, oder küssen, oder nicht miteinander spielen, sonst lernt eines derselben nicht sprehen (Schlesien, Wetterau, Böhmen, Voigtland) oder stirbt (Thüringen) oder beide wachsen nicht mehr (Erzgebirge). Wuttke: Der deutsche Volksaberglaube. 1900. 394, J. W. Wolf: Beiträge zur deutschen Mythologie. 1882. I, 208.

» K, Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Medlenburg. 1880, II. 51. Ein neugeborenes Kind soll ein anderes, das noch nicht reden kann, nicht küssen, denn sonst wird das Neugeborene schwer reden lernen. Derselbe: Ebenda. II, 42.

» P, Läzär: Gyüjtese. Eger. F. F. 66. Ebenso darf in Pamproux das Kind noch nicht in den Spiegel schauen, wenn es noh nicht reden kann, weil es sonst stumm bleiben wird. Souche&: Croyances. 1881. ex Seligmann: loc. cit. I. 180.

* Das Kitzeln ist gleichfalls eine Reizung der erotishen Zonen, (Vgl. I. Sadger: Haut-, Schl:imhaut- und Muskelerotik. Jahrbuch für psychoanal. For- schungen. 1912. III. 528. »Wenn’s einer Frau im Anus juckt, so wird sie von den Männern gelobt.« S. Revai: Baranyai babonäk. Ethn. 1905. 297.) Das Kind darf man nicht kitzeln, weil es stottern wird. Rochholz: Alemannisches Kinderlied und Kinderspiel aus der Schweiz. 1857. 318.

5 Dr. S. Ferenczi: Schweigen ist Gold. Int. Zeitschrift für ärztliche Psycho- analyse. 1917.

® Freud: Sammlung kleiner Schriften zur Neurosenlehre. 1913. III. 50. 216.

? Ich meine damit, aus der europäischen Volkskunde: die Schätze tragenden Kobolde, aus der allgemeinen Ethnologie: den Krankheitszauber vermittels Körper- ausscheidungen und Abfälle, deren Behandlung in diesem Sinne ih mir vorbehalte.

° K. Sütö: Lakodalmi köszöntök nepdalok, nepmesek &s babonak gyüjte-

menye (Sammlung von Hochzeitssprühen, Volksliedern, Volksmärcen und Aber glauben), Särospatak. F. F, 1915. 175. Vgl. den feurigen Drachen, der die Menschen mit stinkendem Schmutz, mit Pferdemist (Oldenburg, Meclenburg, Thüringen) oder mit Läusen und Ungeziefer übershüttet. Wuttke: loc. cit. 45. In Wetterau, wenn’s einem von Läusen träumt, so bekommt man Geld. J. W, Wolf: Beiträge zur deutschen Mythologie, 1852. I. 239,

Analerotik.

Spiegelschau er Kinder.

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in den Spiegel schaut, wird magenleidend!, Ein Kind muß abends nicht in den Spiegel sehen, sonst steht der Teufel hinter ihm?. Nah den auf das Kindesalter bezüglihen Spiegeltabus können wir auf jene Riten übergehen, an denen sich der hinter der Hemmung ver- borgene Wunsch dartun läßt. Während in den behandelten negativen Riten das Kind dem Spiegel gegenüber passiv magisch war, d.h. Objekt einer magischen Wirkung, läßt die nun folgende Gruppe das Kind in einer aktiv magischen Situation erscheinen, wie es auf dem Wege des Spiegels eine magishe Wirkung auf die Spiegel- bilder der Dinge ausübt,

b) Positive Riten.

Wenn in Indien jemand Unsichtbares sehen will, behält er laut der Sämavidhanabrahmana (Handbuch der altindishen Magie 3, 4, % ein noch nicht mannbares Mädchen“ und einen Spiegel eine Nadt hindurch bei sich, und singt über den Spiegel einen Zauber- sprudh, Bei Anbruch der Morgendämmerung wiederhole er die Be- shwörung, wishe sich den Mund ab® und befehle dem Mädchen

1 Szekely: Magyar nephagyomänyok gyüjtemenye (Sammlung ungarischer Volksüberlieferungen). Eger. F. F, 1914, 19.

® Grimm: Deutsches Wörterbuch. 1899, X, 2226, Nach Schütze: IV. 164, Auf Analerotik deutet das Erscheinen des Teufels hinter dem Kinde, worüber weiter unten,

® Die aktive und passive Magie, desgleihen die positiven und negativen Riten sind verwandte Ausdrücke, die ih hier als termini technici einführen möchte. Eine nähere Untersuchung des Gegenstandes würde dartun, daß stets dieselben Objekte und Subjekte, von denen die magishe Wirkung ausgeht, zugleich der von anderen ausgehenden magischen Wirkung am stärksten ausgesetzt sind. Das ist bloß ein Sonderfall des Gesetzes der psychischen Polarität oder Ambivalenz. Vgl. L. Kaplan: Grundzüge der Psychoanalyse, 1914. 174, Derselbe: Psycdhoanalytische Probleme. 1916. 1—16. (Nadhträglih bemerke ich die Einteilung in negative und positive Riten schon bei A. van Gennep: Les Rites de Passage. 1909. 11.)

* »Kanyäm adrstarajasams, Böhtlingk bringt das Beiwort mit dem Worte »adarsa« (Spiegel) in Zusammenhang und übersetzt es mit »blanks, Zachariae: Zur indischen Witwenverbrennung, Zeitschr. d. V. f. Volkskunde. 1905, 84. Viel- leicht ist das jungfräulihe Mädchen gleichzeitig leuchtend und strahlend, da sie ihr eigenes narzißtisch idealisiertes Ebenbild noch nicht verloren hat? Die Galeläresen glauben, daß heranwachsende Knaben und Mädchen nicht in den Spiegel schauen dürfen, weil der Spiegel sie ihrer Schönheit beraubt. ]J._G. Frazer: Taboo and the Perils of the Soul, 1911. (Golden Bough, Part. II.) 93. Zitiert nah I. van Baarda: Fabelen, Verhalen en Overleveringen der Galelareezen. Bijdragen tot de Taal- Land- en Volkenkunde van Nederlandsch=Indie. XLV. 1895. 462, Im rumänischen Märden kommt ein Spiegel vor, der den hineinschauenden Helden all seiner Kraft und Schönheit beraubt. L. Sainenu: Basmele Romane. 1895, 552. 553,

5 Dieser Satz ist zumindest zweideutig. Vergleihe zum Zusammenhang zwischen Coitus und Spiegelschau folgendes aus den ungarischen Hexenprozeßakten. Der Seher erblikt in seinem Nagel die Genitalien dessen, der den Schatz versteckt hat und daß dieser dabei mit seiner Frau den Beischlaf ausübte. Den Schatz kann nur der heben, der beim Graben dasselbe tut. Komäromy: Magyarorszägi Bo=s szorkänyperek, Okleveltära. (Ungarländische Hexenprozeßakten.) 1910. 251.

° Er entfernt die gefährlichen Spuren der magischen Worte. So pflegt z. B. derjenige, welcher Übles geträumt hat, sein Gesicht abzuwischen. H. Oldenburg: Die Religion der Veda. 1894, 490, oder er badet. I. von Negelein: Der Traum= schlüssel des Jagaddeva. 1912, 35,

u

Spiegelzauber 71

»Siehe« (d. h. in den Spiegel oder in ein mit Wasser gefülltes Ge- fäß) und das Mädchen wird sehen!. Laut Bellanger de Lespinay pflegt man in Pondichery aud heute noch durch einen kleinen Knaben oder eine Jungfrau wahrsagen zu lassen in der Weise, daß man sie nachts in einer verlassenen Pagode in ein mit Öl beschmiertes glänzen- des Kupfergefäß schauen läßt?. Die kanonishen Schriften des Bud- dhismus nennen das Spiegelshauen »ädäsapafha«, d. h. »Spiegel- befragen«, den damit parallelen Ritus »kumäripafihas, das »Mädcden- befragens. Die Gottheit, an die man die Fragen richtet, steigt in den Spiegel, beziehungsweise in das Mädcden®. Die Malaien glauben, daß nur ein Kind, welhes schon seiner Jugend halber noch nicht gelogen haben konnte, im Wasserspiegel die verborgenen Dinge sehen kannt. Leo Africanus berichtet über die Zauberer in Fez »Alii aquam catino vitreo infusam olei guttula admixta, Jucidam et transparentem reddunt, in qua tamquam in speculo daemones se videre affırmant, . .. quorum nonnulli in itinere sunt, ali rivum transmittunt, alii terrestre proelium gerunt, quos ubi quietos videt, de rebus quas scire cupit, interrogat; daemones porro nutibus respondent . ... Vitreum illud vas pueris interdum vix octavum egressis annum in manum dant, a quibus num hunc vel illum dae= monem viderint, interrogant«°. Die Hindus und indischen Moham- medaner nennen den Zauberspiegel »unjoun«, d. h., »lampe noire«. Wollen sie die Art der quälenden Krankheit erfahren, so geben sie einem Kinde ein »unjoun« in die Hand, und dort sieht das Kind die gräßlihe Fratze des Krankheitsdämons°. Der Falashazauberer schreibt das Wort »Allah« in den Sand und ein junges Kind muß starr auf die Buchstaben schauen und den Geisterkönig anrufen. Der letztere erscheint, fährt in den in Trance gefallenen Knaben und beantwortet die an ihn gerichteten Fragen. In der Regel stellt man vor den Knaben Wasser oder einen Spiegel, damit er statt in den Sand, dorthinein schaue’. Ähnliches finden wir auch im

ı Zachariae: Zur indishen Witwenverbrennung. Zeitschr. d. V. f. Volksk. 1905. 84. Vgl. auch die Tintenschau. Der Wahrsager im Panjab schreibt Zauber= sprüche auf Papier und gießt darüber einen großen Tintenflek, Er gibt einem kleinen Kinde Blumen in die Hand und sagt: »Zitiere die vier Schutzgeister«. Crooke: Popular Religion and Folklore of Northern India, 1896. 153. 154. Vgl. Lefebure: Le miroir dencre dans fa magie arabe. Revue Africaine. 1905. 209. eit. Doutt&: Magie et Religion dans !’Afrique du Nord. 1909. 388. E, W. Lane: Sitten und Gebräuche der heutigen Ägypter (übers. Zenker). II. 93.

®H. Froidevaux: Une seance de divination A Pondichery. Actes du Onzieme Congres international des Orientalistes. 1897. 271-276.

3T, W Rhys=-Davids: Buddhist Suttas. Sacred Books of the East. XI. 1881. 199. Zachariae: Loc. cit. 84. R. O. Franke: Dighanikaya. 1913. 20.

ı W, Skeat: Malay Magic 1900, 539.

s Leo Africanus: Africae descriptio. 1632. (Elzevir.) 335, 336.

8 Maury: La Magie et [Astrologie dans l’Antiquit& et au Moyen Age. 1864. 441 nach Qanoon e isfam publ. Herklots. 378.

? Et. Combe: Quelques coutumes des populations Soudanaises. Revue de [Historie des Religions 1911. 324. Vergleihe: E. Doutte: Magie et Religion dans l’Afrique du Nord. 1909. 590.

re EBERLE 72 Dr. Geza Röheim

> = ni ee MEERE: VS WEEEN

Altertum des Okzidents, Varro erwähnt es mit der Bemerkung, diese Art Wahrsagerei stamme aus Persien!, Didius Julianus be- nützt es, um des Schlachtes Ausgang zu erfahren set ea, quae ad speculum dicunt fieri, in quo pueri praeligatis oculis incantato vertice respicere dicuntur. Julianus fecit, funcque puer vidisse dici- tur et aduentum Severi et Juliani decessionem«:. Orientalishes und Okzidentalisches trifft sich in schönster Harmonie in den demotischen

auberpapyri, der Magier sitzt in einem finstern Raum auf zwei neuen Ziegeln, zwischen seinen Füßen der Knabe, dem er die gen mit der Hand verdeckt. Der Spiegel wird hier nicht erwähnt?.

ines der Geheimnisse von »Albert fe Grand« besagt, man müsse in das mit klarem Wasser gefüllte Glasgefäß ein »enfant vierge« hineinshauen lassen’, Aus doctor Hartliebs «leibarztes herzog Albrehts von Bayern. 1455) »Bud aller verboten Kunst« entnimmt Grimm folgendes: »cap. 88. Die maister und irgleihen die treiben die kunst auch in ainem schlechten spiegel und lassen kinder dar- ein sehen, »auh treibt man die sach in ainem schönen glanzen pulierten swert«. »So soll das ain swert sein, das vil leut damit ertöt sein, so komen die gaist dester ee und pelder.« »wann man

und beginnt auf dem ihm bezeichneten Ackerfeld oder Gartengrund herumzugehen, bis es auf einem Fleck stehen bleibt und erklärt, der

! Augustinus: De Civitate Dei. VII. 35, (I, Stoer. 1596. p. 435.)

? Spartianus: Didius Julianus. VII, 9. (Historiae Augustae Scriptores. Sex. Argentorati. 1677. 163.)

> A. Abt: Die Apologie des Apuleius von Madaura. 1908. 236, 237.

* Brand: Popular Antiquties of Great Britain I. 274,

5 E. Lambelet: Les Cröyances populaires au Pays d’Enhaut. Schweize- risches Ardiv für Volkskunde XI. 1908, 122,

° J. Grimm: Deutsche Mythologie. III. 1878. 431. Ähnliches über »ge=- pulierten cristallen oder parillen« ebenda.

? Szekely: Magyar Nep hagyomänyok Gyüjtemenye (Sammlung Unga=- tischer Volksüberlieferungen). 1914. Eger F. F: 11.

® M.M.R. Varga: Szarvasvideki babonäk, Aberglauben aus der Gegend von Szarvas.) Ethn. 1908. 162

° B. Szivös: Alföldi kinoskeresök (Schatzsucher im Alföld). Ethn. XXIII, 34,

u Hr 1 Se u ee er ae r Spiegelzauber 73

Schatz bestehe aus Gold oder Silber, befinde sih in einem Faß oder in anderem Gerät, sei zwei Klafter tief unter der Erde ver- graben und werde von einem Hunde solcher oder solcher Rarbe bewacht. Dann beginnt man die Erde aufzugraben und wenn man sih der angegebenen Tiefe bereits nähert, sucht man einen Hund, der dem von dem Kinde erwähnten in der Farbe ähnlich ist, tötet ihn und schmiert sein Blut auf dem Boden der Grube, In Pärkäny hatte man im Erdboden eines Baumes Gold vermutet. »Man rief ein magisch begabtes (tältos) Mädchen, es möge mit dem Stahl- spiegel schauen. Das Mädden sieht, daß unter der Erde an einem großen Balken mit einer Kette ein Kessel angebunden ist, in diesem befindet sih das Geld. Auf dem Balken sitzt ein Büffel, der nachts auf dem Grunde des Bauern stets zur Tränke geht. Sie können aber den Schatz nicht erreihen, denn wie sie graben, geht der Büffel mit dem Balken und dem Kessel immer weiter, John of Salisbury verzeichnet, als er noh Kind gewesen, habe ihn ein Geistliher zuweilen in einen mit Chrisma_ bestrichenen glänzenden Kelh schauen lassen, damit er wahrsage. Die anderen Kinder hätten denn auch in dem Kelch verschiedene Nebelbilder ge=- schaut, ihn aber, der stets nur einen glatten Kelch gesehen, habe man später gar nicht mehr gerufen®. Den Dieb oder den gestohlenen Gegenstand kann man ausfindig machen, wenn man einem »unschuldigen« Knaben ein mit Weihwasser gefülltes Glasgefäß in die Hand gibt und der Knabe mit dreimaliger Verbeugung sagt: »Du heiliger Engel, Du schneeweißer Engel, durch meine Keuscheit und deine Heiligkeit zeige mir den Dieb«*.

1 Jancsö &s Somogvi: Arad Värmegye Monographiäja (Monographie des Komitates Arad) III. 1912. Abt. 1. S. 344, Wenn man den Schatz nicht findet. so hat sich das Kind in der Farbe des Hundes geirrt: Die schatzhütenden Tiere sind Seelentiere, also wohl symbolische Vertreter der Vaterimago. Den Schatz im Schoße der Mutter Erde erlangt man aber durch das Töten des schatzhüten- den Hundes, bezüglicherweise seines Ebenbildes, mit anderen Worten des Vaters, Beim erwachsenen Manne kehrt das Motiv in der Retributionsform wieder: der Graf muß seine Söhne verlieren, wenn er den Schatz heben will. R. Kühnau: Sclesishe Sagen. III. 1913. 620. Die zu opfernden Hühner (Vgl. F. S. Krauss: Volksglaube und religiöser Brauch der Südslawen. 1890. 103. B, Szivös: Alföldi kincskeresök (Schatzsucher im Alföldy. Ethn. XXI. 30. In einer finnischen Varis ante wird das Blut von »9 Brüderns gefordert, doc der betreffende berichtigt die Forderung »9 Hähnes. A. Bän: A kincskereses a nephitben, (Schatzsuhen im Volksglauben.) Ethn. 1915. 34. In Torda hütet eine Henne mit ihren Küdlein (Ersceinungsform der Hexe) das Geld und es gehört das Blut von neun Brüdern (d. h. 9 Küdhlein) dazu, um es zu heben. Jankö: Torda, Aranyossz&k, Toroczkö magyar nepe, 1893. 244. Scheftelowitz: Das stellvertretende Huhnopfer (1914) sind wohl symbolische Äquivalente für ein Menschenleben.

.... Györffy: Babonäs hiedelmek a feketekörösvölgyi magyaroknäl (Aber- slubiede Anschauungen bei den Ungarn im Tal der Schwarzen-Körös). Ethnogr. ® Soldan-Heppe: Geschichte der Hexenprozesse. 1911. I. 97. Bastian:

Der Mensch in der Geschichte. 1860. II. 149.

4 Montanus: Die deutschen Volksfeste, Volksbräuhe und deutscher Volks» glaube. 1854. 117 ex Fehrle: Die kultishe Keuscheit im Altertum, 1910. 59,

Nagelschau.

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Ganz dasselbe berichtet Rimuald: man nehme einen Spiegel oder eine Phiofe und eine Weihkerze und indem man die Formel »Ange blanc, ange saint, par ta saintet€ et par ma virginite, montre moi qui a pris telle chose« hersagt, erblikt man das Bild des Diebes in der Phiole!, Der »Höllenzwangs verpflichtet denjenigen, welcher die Spiegelshau unternehmen will, zu_drei- tägiger Enthaltsamkeit?:. Wollte man den Aufenthalt des Diebes durh die Kristallschau ermitteln, ließ man einen etwa zehnjährigen Knaben, der noch unbeflekt und ein ehelih geborenes Kind sein mußte, in den Kristall schauen®. In Pembridge ließ man im Jahre 1671 ein unschuldiges Mädchen (oder einen unbefleckten Knaben)» um Mitternaht in den Kristall schauen, damit sie darin den Dieb sehen mögent. Bodinus erzählt den Fall eines Nürnberger Bürgers, der ein junges Kind in den Kristallring schauen ließ >.

Im Mittelalter zitierte man Erscheinungen niht nur in den Kristall und in den Spiegel, sondern auh in die flahe Hand. Im finsteren Zimmer schmierte man die Hand mit Öl und Ruß ein und beim Licht der Kerzen sah man die Erscheinung. Wenn der Betreffende das Gesiht aus der Hand eines Knaben schauen wollte, flüsterte er dem Kinde ins rechte Ohr, dreimal die Namen »Gar- diab, Fardiar, Ipodhars®. Spanische Hexen zeigten das gewünschte Gesicht, ob es nun ein Lebender, oder ein Toter sein modte, in einem Spiegel oder im Nagel eines Kindes’, In den Hexenprozeß- akten von Debreczen tritt neben dem Stahlspiegel, durch welchen das Mädden die Schätze erbliken soll, als subsidiärer Ritus auch

das Kratzen der beiden Daumennägel auf‘. In Toulouse las ein

t L. Maury: La Magie et L’Astrologie dans l’Antiquite et au Moyen Age. 1864. 441 nach Rimuald: Consil. in caus. graviss. 414t. IV. p. 254. Vgl. bei Cardanus: De rerum varietate. 1556. p. 1089 »per tuam sanctitatem et meam virginitatems. .

2 Kiesewetter: Faust in der Geschichte und Tradition 1893. 464, 465 Vgl. ebenda, 490.

en Hieron. Cardanus: De rerum varietate. 1556. 1088. Lib, XVI. cap. 93. % Leather: The Folklore of Herefordshire. 1912. 66.

5 J. Bodin; De Magorum Daemonomania. Vom Ausgelasne Wütigen Teufelsheer Alferhand Zauberern. etc. 1586. Ebendort auch Nagelschau. Es fohnt sich die Erklärung Bodinus über die Rolle der Jungfräulichkeit in der Magie an- zuführen: »Dann dieser Unrein Geist nimmt sih an als belieb er au die reine Jungfrauschaft, damit er Leut durch solche Mittel von ihrer zarten Jugend auff mög an sich ziehen: Auch zum theil dardurh die Vermehrung des Mensch- lichen Geschlechts hinderen und zerstören. Und nicht desto minder und er deß reitzt er die Personen, so er gewinnet zur Sodomy und unkeusch- heit wider die Natur an.s p. 227.

6 Kiesewetter: Faust in der Geschichte und Tradition. 1893. 490.

Schorfer: Die Novellen des Cervantes. 1907. II. 237 ex Soldan- Heppe: Geschichte der Hexenprozesse. II. 158.

® F. Szell: Törvenykezesi adatok alföldi babonäkröl. (Gerichtsakten über Aberglauben aus dem Alföld., Ethn. 1892. III. 113.

Spiegelzauber 75

Portugiese aus dem Nagel eines Kindes verborgene Dinge!. Laut Bodinus kann das Nagelshauen nur »ein jung Kind, das nie kor- rumpiert wordens, vollbringen®?. In Märmaros finden wir wieder das siebente Kind, das diesmal nicht mit dem Stahlspiegel, sondern durch den Mittelfinger der rechten Hand das Geld erblidt®, Man muß den Nagel des Mittelfingers der rechten Hand mit Mohnöl bestreihen und durch diesen hindurhschauen‘. In der Plattensee- gegend bestreiht man den Nagel des siebenten Kindes mit Eidedhsenöl und in diesem sieht es das verborgene Geld’. In Aranyosszek bestreiht man dem siebenten Kind den bunten Nagel mit Leinöl, führt es abends hinaus in die Gemarkung und wo es laut aufkreischt, dort befindet sih der Schatz‘. Im Szöklerland: wenn man dem siebenten siebenjährigen Kinde den Daumennagel mit weißem Mohnöl bestreiht und es dann unter ein Leintuh hüllt, vermag es anzugeben, wo sich das Geld in der Erde befindet’. Gleichfalls in Aranyosszek muß man um den Annentag herum bei Vollmond, vor der Morgendämmerung, auf dem Baucde kriechend Springwurzel suhen, womit man sih den Nagel bestreicht, um durch diesen hindurch das im Schoß der Erde verborgene Geld zu shauen®, In Felsö Boldogfalva: wenn man dem siebenjährigen Knaben den Daumennagel der rechten Hand mit Mohnöl bestreict, wird das Kind, wie durh ein Glas durh den Nagel sehen und den in der Erde vergrabenen Schatz finden®. Der oben angeführte Doctor Hartlieb berichtet (1455) »Die kunst pyromancia treibt man gar mit manigerlei weis und form. etlih maister der kunst nemen ain rains kind und setzen das in ir schoss, und lassen das in seinem nagel sehen und beschweren das chind und den nagel mit ainer großen beswerung, und sprehen dan dem dind in ain ore driu uncdunde wort der ist ains Oriel1% (cap. 83)«. Ferner »mer ist ain

! Hazlitt: Popular Antiquities 1905. I. 274. In hac oleo ac fulligine impolluti pueri unguem illinebant et usque solem versus obverso certum quid submurmurantes videbant que cupierant. Quendam militem Hispanum novi, qui Bruxellis in ungue suo elassem e portu Corunnae soluentum et paullo post procellis vehementer afflictam velut in speculo, clare ostendebat. M. Delrius: Disquisitionum magicarum libri sex. 1603. Tomus secundus. Lib. IV. C. II. Q. VI. Lec. IV. 6 Punkt. S. 170. 171.

? ]. Bodin: De Magorum Daemonomania 1586. 227.

® P. Visky: Babonak (Aberglauben), Nyelvör. VII. 206,

* Versenyi: Adalekok a gyermekröf valo magyar n£phithez. (Beiträge zum ungarischen Volksglauben über das Kind.) Ethn. 1894. 111.

° J. Jankö: A balatonmelleki fakossäg neprajza. (Ethnographie der Ans wohner des Balaton.) 1902. 408.

° J. Jankö: Torda, Aranyosszek, Toroczkö magyar nepe. (Das ungarische Volk in Torda, Aranyosszek und Toroczkö.) 1893. 344. an Benkö: Häromszeki babonak. (Aberglauben im Häromszek.) Ethn.

°J. Jank6: Torda, Aranyosszek. I. c. 1893. 344,

° D. Baläsy: Szekely kincsäsö babonäk. (Szekler Schatzgräber-Aberglauben.) Ethn. 1897. 296. Udvarhelyer Komitat.

Vgl, »the spryte Oryance< im Kristall G. F. Black: Scottish Charms and Amulets. Proc. Soc, Ant. Scot. XXVII, 436.

Keuschheit als Vorbedingung der Visionen.

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trugenlicher fist in der kunst, das die maister nemen öl und russ von ainer pfannen und salben audh ain rains Kind die haut... . und heben die hand an die sunnen, da die sunn darein schein oder sie heben kerzen gegen der hend und lassen das ind darein sehen« (cap. 84, usw.)!. Geiler von Kaisersberg verzeichnet: Man habe den Nagel eines Kindes mit Öl bestrihen, der Sonne zugewandt und daraus gewahrsagt. Wenn man aber nicht in den Nagel des Kindes schaut, muß wenigstens der Nagelbeshauer ein Kind oder eine un= beflekte Jungfrau sein?.

Von dieser Ritengruppe ausgehend, können wir die Keusch- heit als Bedingung des magishen Handelns, besonders beim Schauen der verborgenen Dinge, als Steckenbleiben im visio- nären Narzißmus im Sinne einer nicht erreichten erotischen Objektwahl erklären. Zum Fernshauen, zur Entdekung ver= borgener Gegenstände dient in Indien ein Knabe, dessen Körper günstige Omina zeigt?. In Nürnberg pflegten im sechzehnten Jahr- hundert die Menschen einander damit zu bedrohen: »Rede die Wahrheit oder ich gehe zu dem kleinen Mann!« Der kleine Mann erschien im magischen Kristall und zeigte den Menschen alles, aber das Männchen selbst konnte in dem Kristall nur ein unbefleckter Knabe schauen‘. Laut der Lku’ügen Sage kann man auf dem Berge Ngäa’k’un auc jetzt noch den Strik sehen, an dem sic

1 Grimm: Deutsche Mythologie. 1878. II. 431. Vgl. den Text bei S. Riezler: Geschichte der Hexenprozesse in Bayern. 1896. 333. Vgl. ebenda, 330 über »Jdromancia« mit einem reinen Kind. »Am Sonntag vor Sonnenaufgang geht man zu drei fließenden Brunnen und schöpft aus jedem ein wenig Wasser in ein fauteres poliertes Glas... ., brennt Kerzen davor und tut dem Wasser Ehre an wie Gott selber«.

2 A. Hermann: A köröm a nephitben. (Der Fingernagel in Volksglauben.) Ethn. 1893. 119. E. L. Rochholz: Afemannishes Kinderlied und Kinderspiel aus der Schweiz. 1857. 107. Rubin: Geschichte des Abergfaubens. 129, nad Geiler von Kaisersberg: Ameis. Bl. 39. Das den Schöpfungssagen eigene Motiv vom Verluste der Hornhaut als Folge des Verlustes der Unschuld, des Sündenfalles entspricht völlig dem im Ritus nahgewiesenen Zusammenhang zwischen Nagelschauen, Unbefledtheit und Kindheit. Psychologish einwandfrei ist die Auf- fassung der Sage, die das Aufhören des sich selbst bewundernden, den ganzen Leib als eine spiegelnde Fläche (Fingernagel) apperzipierenden Narzissismus vom ersten Coitus her datiert. Die Hornhaut der Urzeit des Menschengesdledtes ist natürlich eine Projektion der Kindheitserinnerungen ins Kollektive. Vgl. die Sage bei Dähnhardt: Sagen zum alten Testament (Natursagen 1.). 1907. 226. Munkäcsi: A szegedvideki magyar vilägteremtesi regek valtozatai. (Varianten zu den Scöpfungssagen aus Szeged.) Ethn. V. 266, Schreiner: A vogul kozmogönia eredetehez. (Zum Ursprung der wogulischen Kosmogonie.) Ebendort: 1892. 296. F. Gönczi: Göcsej. 1914. 181. Carra de Vaux: L’Abröge des Mervailles. 1898. 76.

»>H. Tawney: The Katha Sarit Sagara. 1884. II. 149. Das oben Gesagte bedarf allerdings einer einschränkenden Klausel. Die Visionen gehören teilweise nicht mehr dem rein narzißtishen Stadium an, jedenfalls ist aber die Keuscheit als Bedingung der Visionen mit Bezug auf Onaniephantasien zu deuten.

* Hartland: The Legend of Perseus. Il. 15, 16. Bertsch: Welt“ ei Volkssage und Volksbrauch. 1910, 138. Pröhle; Deutsche Sagen.

879. 232. ; :

Spiegelzauber 177

die irdishen Gattinnen der Sterne vom Himmel herunterließen. Aber nur ein solher Jüngling kann ihn schauen, der jedes Tabu streng einhält, viel badet und nocdı niemals ein Weib berührt hat!, Aud den heiligen Gral kann nur der keusche Held erbliden?, Die Zauberin und Seherin Ilona Borsi mied die Männer, »daß ihre Kunst die Wirksamkeit nicht verliere«®. Kassandra, Pythia und die vielen anderen Seherinnen des Altertums sind Jung- frauen*, Gemahlinnen Apollos, eines Gottes, nämlich ihrer eigenen, ins Übernatürlihe projizierten heterosexuellen Abspaltung®. Bei den Shuswap konnte der herangewadsene Jüngling die Shamanenweihen, die in der Traumerscheinung des Schutztieres gipfelten, nur dann durhmaden, wenn er noch kein Weib berührt hatte, Sowohl bei Knaben, als audı bei Mäddhen würde der geschledtliche Verkehr die Materialisierung des Schutzgeistes, mit anderen Worten die Vision, unmöglih machen‘. Bei den Haida nimmt der zur Sca- manenweihe bestimmte nur sehr wenig Nahrung zu sih und ent= hält sich gänzlich des Weibes. Schließlih trübt sich sein Geist ein wenig, er redet unverständlihes Zeug und schaut verborgene Dinge”. Dann wird er als Schamane anerkannt.

Die Rolle des mit dem Spiegel abwechselnden Fingernagels beansprudt ebenfalls einige Worte. Vom Standpunkt des Narzissis= mus ist der Nagel ein besonders geeignetes Objekt, denn außer der spiegelnden Flähe wird ihm noch ein Libidozushuß, durch die Zugehörigkeit zum eignen Leibe, zuteil. Bezeichnend ist der Schweiger Valle slacbe, ein Kind, das noh nicht in den Spiegel geschaut hat, könne in der linken Handflähe das eigene Antlitz schauen. Man darf dem Kinde keinen Strauß in die nd geben, weil es sonst eitel wird, »denn so oft sie dabei auf ihre Händden nieder- schauen, beschauen sie sih selbst drinnen und lächeln mit herzlihem

ı F. Boas: Indianishe Sagen von der Nordpazifishen Küste Amerikas. 1895, 63.

2 Malory: Le Morte d’Arthur. Book. XIII. Ch. XVI, .

® Lehoczky: Beregvärmegye Monographiäja. (Monographie des Komitates Bereg.) II, 1881. 248.

* Fehrle: Die kultishe Keuschheit im Altertum. 1910, 7. 78, et, pa.

® Vergleihe: Freud: Zur Einführung des Narzißmus. Jahrbuh für Psychoanalyse. VI. 1914. 15.

° J. Teit: The Shuswap. (Jesup North Pacific Expedition.) 1909, 589, 590.

Dawson: Report on the Queen Charlotte Islands. 1880. 127. Zitiert nah Frazer: Totemism and Exogamy. 1910. II. 437, IR. Swanton: Contri» butions to the Ethnology of the Haida <(Jesup North Pacific Expedition. Vol. V, P. 1.). 1905. 40. Über die Enthaltung vom Coitus und die magishe und mystische Bedeutung der Unbeflecktheit im allgemeinen, vgl. J. G. Frazer: Taboo and the Perils of the Soul. 1911. 5, 6. 11. 142, 157, 158, 161. 163-167. 175. 178. 179. 181. 188. 191-198. 200-204. 207. 220. 221. 272. 293. Fehrle: Die kul- tishe Keuscheit im Altertum. 1910. E, Crawley: The Mystic Rose. 1902. 188—190. 228. 343-346, Westermarck: The Origin and Development of the Moral Ideas. 1908. II. 406-421. A. Abt: Die Apologie des Apuleus von ur und die antike Zauberei (Rel, Vers, u, Vorarb. IV. 2.). 1908. 161. 184, b :

Die narzißtische Bedeutung des Nagels.

78 ET Dr. Geza Röheim

Wohlgefallen«!. Die auf dem Körper befindlihe spiegelnde Ober- fläche steht in näherer Beziehung zum AÄutoerotismus, der sih nur unter fangsamen Übergängen in den Kultus des vom eigenen Leibe losgelösten zweiten Ihs, in den Narzissismus umwandelt. Des- halb hält man in der Gegend an der Cserta dafür, das Kind er» blike sich eine Zeitlang in den Fingern, könne sich aber hingegen im Spiegel oder im Löffel nicht sehen. In Nagylengyel kann das Neugeborne, bis man ihm nicht Geld, einen Spiegel oder ein Bi? in die Hand legt, sih in der Handflähe schauen?. Von dem Kinde, das im Traum fact, sagt man, es spiele mit seinem Schutzengel‘. Der Schutzengel entspricht in der Sprahe der Psychoanalyse natür- fih der narzissistishen Abspaltung. Der Szöreger Volksglaube meint, mit dem Kinde unterhält sich sein Engel, auch dann, wenn es nicht schläft, sondern auf die Finger schauend laht. Man sagt dann auch, das Kind spiele mit seinem goldenen Apfel. In Öszent- ivän spielt das Kind, wenn man es nicht in den Spiegel schauen läßt, ehe es einen Zahn bekommt, mit dem goldenen Apfel, den sein Schutzengel ihm zeigt; es laht dann auf und schaut auf die Fingers. Während der Spiegel und der Schutzengel die symboli- schen Vertreter des Narzissismus sind, weist das Abwedseln des goldenen Apfels mit dem Spiegel auf die Rolle, welche der Mutter-Imago in der Entstehungsgeshichte des Narzissismus

ı E,L. Rochholtz: Afemannisches Kinderlied und Kinderspiel aus der Schweiz, 1857. 318. Zum Blumenstrauß, vgl. Kinder unter einem Jahre soll man nicht abbilden und nicht bekränzen, ihnen überhaupt keine Blumen geben, sonst sterben sie bald (Rheinlande, Westfalen, Thüringen, Schlesien, Süddeutschland), sie dürfen nicht an Blumen riechen, sonst verlieren sie den Geruh (Erzgebirge). Wuttke: I. c. 394. Das Sterben deutet wohl auf sympathetische Identifikation mit der dahinwelkenden Blume, das letztere aber auf die Verdrängung der ur« sprünglich übermäßigen Riechlust, welche wiederum ein Ableger der analerotischen Triebe zu sein scheint. Vgl. »Sieht abends man bei Lichtershein, Nodh in den Spiegel stolz hinein, Schaut reizend wie ein Blumenstrauß, Gifthauchend, Satanas herauss. Steiger: Sitten. 139, bei Wander: IV. 693. ex Grimm: Deutsches Wörterbuch. 1899. X. 2226. Blumen gibt man dem Kind in die Hand bei der Tintenschau (miroir d’encre). Crooke: Popular Religion and Folklore of Northern India. 1896. 153, 154.

2 Das Ei als Spiegel kommt in einer bogomilishen Schöpfungssage vor- K. K. Grass: Die russishen Sekten. I. Die Gottesleute oder Chüsten. 1907. 633. Vergleiche übrigens das Motiv »Rieseneiseele«, Röheim: A külsö lelek &s syno= nimäi a nepmeseben. (Die Außenseele und ihre Synonima im Märden.) Ethn. 1915, 299. Köhler: Kleinere Schriften zur Märdenforshung. 1898. 57, 158-161, 348, 404. Frobenius: Zeitalter des Sonnengottes. 1904 391. Mogk: Das Ei im Volksbraud und Volksgfauben. Zt. d. V. f. Vk. 1915. 217, 218. J. G. Frazer: oa an Beautiful. (The Golden Bough. P. VIL) 1913. II. 106, 110, 125, 132, ö

> Gönczi: Göcsej. 1914. 142. »Geld« wird natürlih ebenfalls der spiegelnden Oberflähe halber verwendet, außerdem aber führt eine Assoziations= reihe von Geld zum Ei, wobei. das Mittelglied (Exkremente) der Verdrängung anheimfällt.

+ L. Kälmäny: Boldogasszony, ösvalläsunk istenasszonya. (»Unsere liebe Fraus, eine Göttin unserer Urreligion.) 1885. 21.

5 L, Kälmäny: Ebenda. 22,

Spiegelzauber 79

zukommt!, In Szöreg sagt man, solange das Kind nicht die Katze fängt, spiele es stets mit dem goldenen Apfel?. Den goldenen Apfel gebe die heilige Jungfrau, also die Mutter Gottes dem Kinde in die Hand, »Christus der Herr hat mit dem goldenen Apfel gespielt, die heilige Jungfrau hat ihm denselben in dieHand gegeben. Man nennt ihn den goldenen Apfel des Jesuskindess?. Der Spiegel verdrängt den oldenen Apfel, die Handflähe, den Fingernagel von seiner Stelle. Die Schöpfungssage der Pawnee projiziert diese Spiegel-Nagelvor- stellung auf die Götter. Tirawa erschafft den Menschen und gebietet ihm, mit zusammengepreßten Daumen nah Norden zu weisen. Auf dem Nagel des Daumens bleibt der Abdruk des Gesichts der »vier Götter des Nordens« zurück. Im Ritus symbolisieren auf vier Säulen gelegte Muscheln und eine Scheibe aus Muscheln die auf dem Nagel des Urmenschen sichtbaren Göttergesihte und die Götter selbst‘. Die Wichtigkeit, die dem Nagel vom Gesichtspunkte des kindlichen Narzissismus, beziehungsweise bereits vom Auto- erotismus innewohnt, zeigt schon die Verbreitung der Tabus des Nagelschneidens5. In Göcsej darf man den Nagel des kleinen Kindes

1 Vgl. Sadger: Psydiatrisch-neurologisches in psychoanalytisher Beleuch« tung. Zentralblatt für das Gesamtgebiet der Medizin. 1908. 11-12. Zitiert nad O. Rank: Ein Beitrag zum Narzissismus. Jahrbuch. III. 411.

® Die erotishe Bedeutung des Apfels wird von Kälmäny sehr wohl erkannt, wenn er ihn mit dem Brautapfel in Verbindung bringt. Kälmäny: Ebenda. 22, Vergleihe des weiteren Röheim: A fuczaszek. (Der Hexenstuhl,) Neprajzi Ertesitö. (Anzeiger des ethnographishen Museums.) 1916. 31-37. Der goldene Apfel ist hier speziell die Mutterbrust, während die Katze der Vagina gleichzu- Ben wäre. Siehe Röheim: A fuczaszek. (Der Hexenstuhl.) Ebenda. 1916,

® L. Kälmäny: Boldogasszony. 1885. 23, Vgl. das Motiv der Schatzsagen, Eine Mutter verliert ihr Kind beim Schätzesuchen, nad Jahr und Tag findet sie es wieder, siehe da, das Kind spielt mit einem goldenen Apfel. (Das Spielen mit dem Apfel ist eben das Finden der Mutterbrust, dasselbe wird einmal symbolisch, einmal unmittelbar erzählt) Vgl. R. Kühnau: Schlesische Sagen. III. 1913, 578, 600, 602, 609, 615, 623, 637, 651, 652, 654, 657, 659, 667, 755. Zum Apfel des Jesuskindes vgl. die rumänishe Überlieferung Dähnhardt: Natursagen. 1909. II. 79.

* G. A. Dorsey: The Pawnee. Mythology. Carnegie Institution, Publ. Nr. 59. 1906. 28. Diese Götter verleihen dem Urmenshen die »power« (mana?) sih ein Weib zu erschaffen. Dorsey: Ebendaselbst. (Der narzissistishe Weg der Libidoübertragung!) Hinsichtlih der Muscel vergleihe die Wakandamuscel der Kansa. (Dorsey: A Study in Siouan Cults. Bureau of Ethnology. Rep. XI. 372), ferner die »Muscelgesellshaften«e der Omaha, Menonimi usw. A. C. Fletcher and F. la. Flesche: The Omaha Tribe (XXVII, Report. Bureau of Ethnology). 1911. 509-565. W. I. Hoffmann: The Menomini Indians (XIV, Report). 1896. 102. P. Radin: The Ritual and Significance of the Winnebago Medicine Dance. Journal of American Folk=Lore, 1911. 159. 182-187, 190-193. St. R. Riggs: Dakota Grammar, Texts and Ethnography. (Contributions to North American Ethnology, IX.) 1893. 228. Ferner: P, Sebillot: Legendes, Croyances et Superstitions de fa Mer. 1886. II. 275-278. Nork: Etymologisch- symbolisch-mythologisches Realwörterbuh, 1845. III. 208.

5 Hier berühren wir schon das Gebiet der sympathetishen Magie, auf die ich behufs einheitlicher Erklärung im ähnlihen Sinne anderwärts zurückzukehren Gelegenheit finden werde.

80 Dr. Geza Röheim

nicht stutzen, weil es sonst diebish wird!, In Pommern deshalb nicht, weil es sonst unglücklich wird?. In Schlesien beißt im ersten Jahre die Mutter des Kindes die Nägel ab®, denn wenn sie das nicht tut, wird das Kind zum Selbstmörder, wenn man ihm aber vor dem vollendeten ersten Lebensjahre die Nägel stutzt, oder das Haar schneidet, wird es unglüclih*. Man kennt dieses Tabu auch in Tirol®, und mit verschiedenen Begründungen überall in ganz Deutscland®. In Medilenburg erstrekt sih das Verbot auf das Haar und die Nägel?, ebenso in Böhmen, denn man schneidet dem Kinde den Verstand, das Glük ab, oder es wird sich später mit irgend einem scharfen Werkzeuge schneiden®, In der Gironde schneidet man die Nägel des erstgeborenen Sohnes unter einem Rosenbaum, wenn man nad ihm ein Mädchen erwartet®. In Here- fordshire!°, in Vorkt! und in Wales ist es verboten, dem nodh nicht

1 Gönezi: Göcsej. 1914. 142, Das Nagelschneiden ruft das Gefühl des Beraubtseins, des Mangels hervor; das Stehlen als Symptomhandlung, dient zur Behebung dieses Unlustgefühles und die gestohlenen Objekte bilden einen symbolishen Ersatz der verlorenen Körperteile. (Eine Erklärung der Kleptomanie? Vgl. W. Stekel: Die sexuelle Wurzel der Klfeptomanie. Zeit= schrift für Sexualwissenshaft. 1908. 588-600. ©. Pfister: Anwendungen der Psychoanalyse in der Pädagogik und Seelsorge. Imago. 1912. 61.) Ver- gleihe noch die magische Bedeutung der gestohlenen Gegenstände, die offenbar die Objektivierung der beim Stehlen empfundenen Gefühlsspannung ist. Siehe: Sebillot: Le Folk-Lore de France, 1906, II. 241, 487. P. Drechsler: Sitte, Brauh und Volksglaube in Schlesien. 1906, II. 99, 113, 243, 255. 261. 300, Wuttke: Der deutsche Volksaberglaube, 1900. 89. 171. 203. 364, 492. 513, 522. 537. 616. 650. 652. 658. 673. 702. 703. 711. 8. Strackerjan: Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg. II. 1909, 219, A, John: Sitte, Braudh und Volksglaube im deutshen Westböhmen. 1905. 265. Thos. 1, Westropp: A Folklore Survey of County Clare. Folk-Lore, 1911. 57. A. R, Wright: Secret Societies and Fetishism in Sierra Leone, Folk-Lore. 1907. 427. J-=EL Weeks: Notes on Some Customs of the Lower Congo People. Folk-Lore. 1908, 419. Sartori: Diebstahl als Zauber. Schweiz. Arc. f. Vk. XX. 380. In Indien versammeln sich bei Diebstahlsverdachte die Familienmitglieder und reiben ihre Daumennägel aneinander, wodurh auf einem derselben der Name des Diebes leserlih wird. F. A. Wiese: Indien. 1836/37. II. 464 ex Haberland: Spiegel. Zt. f. Vps. XIII. 337. Hier finden wir also den mit dem Stehlen assoziativ ver- bundenen Nagel in der Umkehrung als Spiegel zum Auffinden des Diebes.

2 ©. Knopp: Volkssagen, Erzählungen, Aberglauben, Gebräuhe und Märcden aus dem östlihen Hinterpommern, 1885. 157. »Man schneidet ihm das Glück ab.« Erzgebirge, Wuttke: I. c. 392. Glük (hier) Idlibido.

3 Drechsler: Sitte, Brauch und Volksglaube in Schlesien. I. 1903, 215,

* E. John: Aberglaube, Sitte und Brauh im sächsischen Erzgebirge. 1909. 39. Über den Zusammenhang zwischen Selbstmordimpulse und Narzißmus vgl. Rank: Der Doppelgänger-Imago, 1914.

5 N J. Zingerle: Sitten, Bräuche und Meinungen des Tiroler Volkes, 1857. 4.

° Wuttke: Volksaberglaube, 692.

"K. Bartsch: Sagen, Märdhen und Gebräuche aus Medienburg. 1880. II. 51.

® A. John: Sitte, Brauch etc, im deutschen Westböhmen. 1905. 109.

® Sebillot: Folk-Lore de France, II. 391.

1% Leather: The Folk-Lore of Herefordshire. 1912, 113,

115. ©. Addy: Household Tales with other Trational Remains, 1895, 102,

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Spiegelzauber 8

al hrigen Kinde die Nägel zu stutzen, weil es sonst diebisch wird!,

Die bisherigen Resultate zusammenfassend, können wir die auf das Kind bezüglichen Spiegeltabus als Verdrängungsformen des Narzissismus und der Schaulust, das Spiegelschauen aber als ungehemmtes Hervorbrehen derselben Triebe deuten. An Stelle der unzensurierten Wunscbetätigung könnten wir unter Annahme der von Rank in einem analogen Falle vorgenommenen Ein- teilung auh die Rückkehr des Verdrängten aus der Verdrän- gung setzen?. Die beiden Erklärungen sind eigentlich gar nicht ver= schieden, denn beide gehen von der positiven Seite, von dem Wunsche aus und erklären aus diesem den negativen Ritus, mit anderen Worten die Verdrängung. Im Hinblick darauf, daß unser Material sih auf das Kindesalter bezieht, dürfen wir wohl in den positiven Riten berectigterweise eine primäre und nicht eine tertiäre Bildungs- stufe erbliken®. Diese unsere Auffassung wird auh durch die Beob- ahtungen der Kinderpsychologie bestätigt. Laut Sully erkennt das vor den Spiegel gehaltene Kind nicht sofort sein eigenes Ebenbild. »Schon in der zehnten Woche lächelt es seinem Ebenbilde zu.« Anfangs, ja sogar noch einige Monate hindurh betrachtet das Kind sein Ebenbild als ein selbständiges Objekt, lächelt ihm manchmal zu, als ob es vor einem Fremden stehen würde, ja es küßt es so= gar oder wie sich dieses mit einem kleinen (fünfzehn Monate alten) Mädchen zugetragen -— schenkt es ihm allerlei, wobei es »Ta« (Danke! als Zeihen der Annahme) sagt‘. Die Erklärung

! Trevelyan: Folk-Löre and Folk-Stories of Wales. 1909, 267. Ver= gleiche noch die Tabus bei M. Toeppen: Aberglauben aus Masuren. 1867. 82. Schönwerth: Aus der Oberpfalz, 1859, III, 252, Gönczi: Göcsej. 1914, 206, Adler: Allerlei Brauch und Glauben aus dem Geiselthal. Zeitschrift des Vereins für Volkskunde. 1904. 429. J. W. Wolf: Beiträge zur deutschen Mythologie, 1852. I. 208, 209, » Wenn ein Kind unter einem Jahre in den Spiegel shaut, so zahnt es schwer, und solange darf man ihm auch die Nägel nicht abschneiden.« “Über Zahn und Spiegel vgl. oben) Moldovän: A magyarorszägi romänok. (Die Rumänen in Ungarn.) 1913. 149. »Unter einem Jahre darf man einem Kinde nichts abschneiden, z. B. auch keinen Heftel vom Kleide, sonst schneidet man ihm von seinem Olüce etwas ab.« Ebendort Nagel und Stehlenlernen. J»ASE. Köhler: Volksbrauh, Aberglauben, Sagen etc. im WVoigtlande. 1867. 424. Seyfarth: Aberglaube und Zauberei in der Volksmedizin Sachsens. 1913. 58. R. Andree: Braunschweiger Volkskunde. 1901. 292. Nagy: Bäcsmegyei babonäk, (Aberglauben aus dem Komitat Bäcs.) Ethn. 1896. 97. Zu den Spiegeltabus Koben) vgl. noh: »Der Spiegel muß verhängt werden, denn er bebt vor seinem Spiegelurangutang (Schneider)«. Rank: Doppelgänger. Imago. 1914 107. »Sieht ein kleines Kind viel in den Spiegel, so wird’s ein Affe« R. Andree: Braun schweiger Volkskunde. 1901. 293.

2 O. Rank: Die Nactheit in Sage und Dichtung. Imago, 1913. 445,

° Nämlih: 1. Wunsch, 2. Verdrängung, 3, Rückkehr des Verdrängten.

* Sully: Studies of Childhood. 1912. 112, vgl. S. 309, Vgl. Jekels: Narzissismus bei einem kleinen Kinde. Int. Zt. £ ärztl. Psychoanalyse, 1913, 375, 376. Vgl. noch die Experimente mit Affen vor dem Spiegel. Ch. Darwin: The Descent of Man. 1898. II. 443. Hachet-Souplet: Untersuchungen über die Psychologie der Tiere. 1909. 106.

Imago V/2 6

m.

Zusammen- fassung der bisherigen Er- gebnisse.

"Verfahren, daß sie audh

Das Infantile in

der psychischen

Einstellung des Sehers,

Die Seher der Primitiven.

32 Be: Dr. Göra Röhem

Sullys: Das Kind, das sein Ebenbild im Spiegel anlähelt und küßt, es überdies noh beschenkt und die Geschenke im Namen des Ebenbildes auh annimmt‘, erkenne nicht seine eigene Identität mit dem Bild im Spiegel, läßt sih also kaum annehmen. Wir möchten im Gegenteil sagen, das Kind handle deshalb so, weil es sih er- kennt. Eben darin sehe ich das Übergewicht der auf die Psydho- analyse gestützten Erklärungen gegenüber dem bisher gebräudlichen

die geringen Einzelheiten als verständ- lihe, den gesamten Zusammenhang aber als einen determinierten, notwendigen erscheinen läßt.

ll. Der Spiegel des Sehers.

In den jetzt folgenden positiven Riten sind die Seher Er- wachsene, die der Beihilfe von Kindern nicht mehr bedürfen. Wir können gleih hinzufügen, sie bedürfen ihrer deshalb nicht, weil sie selbst in ihrem Innern genügend von dem infantilen Narzissismus und der Schaulust bewahrt haben. Sie haben sich dieses Stadium entweder so bewahrt, daß sie die Verdrängung dieser Wünsche überhaupt niemals vollzogen haben, oder. aber deshalb, weil ihre ursprünglihe psydhishe Einstellung die Hemmungen durhbrehend aus der Verdrängung zurückkehrt. Vom Standpunkte des erwad- senen Sehers ausgehend, läßt sih auch unschwer eine neue psycdo- logishe Erklärung der bei der Spiegelshau beteiligten Kinder gewinnen, wenn wir sie nämlich autosymbolish als Objektivationen des Infantilen im Seelenleben der Erwachsenen betrachten. Bei den verschiedenen Abarten der Schamanen, Zauberer und Priester ist das Spiegel- und Kristallshauen so sehr verbreitet?, daß wir mit dessen Hilfe geradezu den psydishen Sondertypus des Sehers

ı Wir finden eine primitive narzissistishe Wurzel des Opfers in dieser Form, die dem eigenen Selbste opfernd die Freude des Empfangens mit dem Stolz des Gebens vereint und mit dem Schmelz der Entsagung überzieht. In Rom ist der Geburtstag das Fest des Genius’, der verbrauchte Weihrauh und Kuchen das dem Genius dargebrahte Opfer. H. Usener: Götternamen. 1896. 297. Wissowa: Religion und Kultus der Römer. 1902. 155. Schmidt: Geburtstag im Altertum. 1908. 9. 23. Die Batak opfern Geschmeide, Kleider, Speisen, lebende Tiere usw., dem eigenen »tondi«e. J. Warneck: Die Religion der Batak. 1905. 55-60. Die Tshi bringen am Geburtstage der eigenen Seele Opfer dar. A. B. Ellis: The Tshi Speaking People. 1887. 15. 149, 153-157, zitiert bei Crawley: The Idea of the Soul. 1909, 175. Die Asaba opfern »ihrem Glük«. I, Parkinson: On the Asaba People of the Niger. Journ. Antrop. Inst. XXXVI 312-314. Vergleiche die Opfer der Tshi und Ewe an das eigene »Aklama« (Seele, Glück, Schutzgeist). Westermann: Die Begriffe Seele, Geist und Schicksal bei dem Ewe und Tshivolk. A. R. W. VIII. 105. 106. Hinsichtlih des dem persönlichen Schutz= geist dargebrachten Opfers vergleihe Waitz: Anthropologie der Naturvölker. 1859. II. 182. 1. L, Wilson: Western Africa. 1856. 387. F. Boas: The Eskimo of Baffın Land and Hudson Bay. Am. Mus. Nat. Hist. 1901. XV. 156. 511. W, Bogoras: The Chukcee. (Jesup Nort-Pac. Exp. Vol. VII) II. Religion. 1907. 422.

2 Leider war mir N. W. Thomas: Crystal-Gazing 1909 zurzeit nicht zugänglich.

Be

Spiegelzauber 83

abgrenzen können. Bei den Euahlayi in Australien gebraucht der Australien und Schamane zum Kristallshauen den größten und wertvollsten der j Zaubersteine, aus dem der »yowee« (Seele) aufsteigt, um den Menschen, von dem wir etwas zu wissen wünschen, aufzusuchen und uns sein Bild im Kristall zu zeigen!. Diese »gubberah« sind gescliffene, halb durchsichtige Kristalle, in denen die wiswirreenun, die Weisesten der Seher, Vergangenheit und Zukunft und die Bilder der verborgenen Dinge sehen?. Murri-kangaroe erzählt die Geschichte seiner Weihe, bei der sein Vater die Quarzkristalle, die er ihm später in Wasser trinken ließ, in den Körper zauberte. »After that I used to see things that my mother could not see«®, In West Maitland (Westaustralien) krieht der Seher in die ge- scliffene Steinkugel, um den zu erwartenden Ausgang des Uhnter- nehmens zu sehen. Die Fijier kennen ein Kristall, woraus das Heilmittel jeder Krankheit ersichtlich ist5. In Tahiti gräbt der Priester ein Loc in den Boden des Zimmers und gießt Wasser hinein. Dann bringt ihm die Gottheit die Seele des Diebes und läßt sie sich im Wasser spiegeln®. In Samoa fängt Sinasengi die Schatten der Ereignisse in ihrem Zaubertümpel und fixiert sie an der Wasserflähe. Wer den Stein, der den Tümpel bedeckt, entfernt, sieht Tänze, Wettspiele, Kämpfe und Versammlungen im Wasserspiegel”., Die Medizinmänner in Nias benützen silberne Spiegel. Der Schamane in Borneo trägt den magischen Stein, der ihm die Ursahen der Krankheiten anzeigt, im Zaubersäkchen?. Er schaut in den »bata ilau« (Stein des Lichtes) und erblickt dort, wo sich die Seele des Kranken be- findet und welche Riten seine Gesundheit wieder herstellen könnten". Die übernatürlihe Macht des Kristalles zeigt das Wesen der Krank-

ı K. L. Parker: The Euahlayi Tribe. 1905, 36.

K. L. Parker: The Euahlayi Tribe, 1905, 26,

®> A. W. Howitt: The Native Tribes of South Bast Australia, 1904. 406. Wiradyuri. In den Weihen sceint eine Übertragung auf den Vater stattzu= finden, wobei der Jüngling übergangsweise in eine passive, weibliche Rolle ges drängt wird. »He placed two large quartz crystals against my breast and they vanished into me, I do not know how they went, but I felt them going through me like warmth.« Von nun ab sieht er die Geister der Toten und erbt auch den individuellen Totem seines Vaters. Ebenda,

* A. Lang: The Making of Religion. 1909. 83, Vgl. dazu über den Stein im Körper des Schamanen. Röheim: A varäzserö fogalmänak eredete, Ursprung des Manabegriffes) 1914. 57-60. In diesem Falle findet eine Umkehrung des ursprünglichen Motives statt (Vgl. Freud: Traumdeutung. 1911. 257 und L. Frobenius: Die Weltanshauung der Naturvölker. 1896. 396), der Zauberer vershwindet im Zauberstein.

5 D. Jenness: The Magic Mirror: a Fijian Folk Tale. Folk-Lore. 1913. 233,

° Ellis: Polynesian Researches. 1830. II. 240.

G. Turner: Samoa. 1884. 101, 102,

® Folk-Lore. 1910. 2.

° MH. Ling=-Roth: The Natives of Sarawak and British North Borneo. 1896. I. 269,

1 BE. H. Gomes: Seventeen Years among the Sea Dayaks of Borneo, 1911, 165, 166.

Amerika.

84 Dr. Geza Röheim

heit und ermöglicht das Zurücholen der fliehenden Seele!. Bei den Lenguas in Südamerika verlangen die Träumer oft die Hilfe des Zauberers, besonders wenn ihre Seele auf der Wandershaft von bösen Geistern belästigt wurde. Sie glauben nämlich, daß dieser in der spiegelnden Flähe seiner glänzenden Metallohrringe die Schatten der vorbeiziehenden Geister sehe?. Bei den Huille-he in Südamerika, ebenso wie im europäishen Volksglauben sind es die Schatzgräber, die einen glatten schwarzen Stein anstarren®., Der lossakeed der Apaden hat keine Theorie für die Operationsweise des Kristalles und sagt nur soviel, daß er darin alles sehe, was er wolle. In Yucatan heißt der Wahrsager h’men (aus dem Zeitworte men = wissen). Er ist »der Wissendes, der sein Wissen auh in Taten umsetzt. Seine wichtigste Handhabe ist der Zaztun (zaz = hell, durchsichtig, tun = Stein). Unter Hersagen im altertümlihen Dialekte gehaltener Zaubersprühe und Verbrennen von Copal wird der Quarzkristall oder ein anderer durcdsictiger Stein geweiht, und auf diese Weise Vergangenheit und Zukunft widergespiegelt, der ' Seher aber, der seinen Blick in die durchsichtigen Tiefen des Steines dringen läßt, sieht dort die verlorenen Gegenstände, erfährt das Schicksal der Abwesenden und erblickt den dem Fragenden feindlich esinnten Zauberer®. Der heilige Obsidian der Cakquicel, ihr tammesorakel, steht nah ihren Sagen in mystishem Zusammen- hang mit dem Ursprung des Menscengesclectes®. Die Cherokee finden den Ulünsu’ti (durchsichtig), d. h. den Kristall im Kopfe der Uktena »der scharfblikendens« Schlange. Im Besitze eines solchen Kristalles kann man die »little peoples (Zwerggeister) zitieren. Der Kristall bringt Glük in der Liebe, bei der Jagd, beim Regenmachen und allen anderen Unternehmungen, sein Hauptzwecd aber ist, den Blik in die Zukunft zu gewähren, denn die Zukunft spiegelt sich im durchsichtigen Kristalle wie der Baum im glatten Spiegel des vorbeifließenden Baches. Der Zauberer erblikt im Kristalle die ge- suchte Person oder Ereignis und je nach der Entfernung des Bildes von der Oberfläche stellt er die räumliche oder zeitliche Entfernung fest”.

ı Ling-Roth: Natives of Sarawak, 1896. I. 273.

2 W, Barbrooke-Grubb: An Unknown People in an Unknown Land, 1911. 149.

® Fitzroy: Adventure. Il. 389 ex Lang: The Making of Religion. 1909. 84.

* Bourke: The Medicine Men of the Apache. Rep. Ethn. Bureau. 1887/88, IX, 461.

5 D. G. Brinton: Essays of an Americanist. 1890. 165.

%# E. S. Hartland: The Legend of Perseus. 1895. II. 17.

? Mooney: Myths of the Cherokee. XIX. th. Report. Bureau of Ethn. 1900. 289, 460, 461. Das Räumliche wird also ins Zeitliche projiziert, beziehungsweise das Zeitlihe wird vom Unbewußten auch räumlich apperzipiert. Die schlafende Schlange zu erbliken bedeutet den Tod, aber nicht dem Zauberer, der den Schlangenstein «Uläßsu’ti) sucht, sondern seiner Familie. Ebenda. 298. Das schlafende Wundertier ist wohl das Verdrängte, Schlummernde im Zauberer, denn wenn er dieses erblickt, d.h. die endopsydhische Zensur durhbricht, werden die Todeswünsche frei, und seiner Wünsche Gewalt bringt seiner Familie den Tod. Zu den Schlangen, deren Anblick tot= bringend ist, vgl. Dorsey: A Study of Siouan Cults. Rep. Ethn. XI. 1894. 393, 441.

ge

Spiegelzauber > 85

Die Tuscarora legen einen Kristall in Wasser, worauf auf dessen Spiegel das Bild des bösen Zauberers ersceint!'. Die Latoka haben durchsichtige Steine, die ihnen den Dieb zeigen?. Die Gangas in Westafrika zitieren das Bild des Diebes in einem Spiegel, der Afrika. an dem Baude des Fetishes angebraht ist”. Der Befestigungsort des Spiegels weist auf den Baud als Seelensitz hin, wie dies schon Haberland rihtig bemerkt hat‘. Der. Manganja-Seher schüttelt den mit Kieselsteinen gefüllten Kürbis und shöpft dann seine Antwort aus dem im anderen Kürbisse befindlihen Holz-, Bein- und Glas- stükchen?’. Die Seher der Malimba schauen Zauberer und Ver- breder in einer mit Wasser gefüllten Schüssel®. Die Wadschagga haben fünf Klassen von Wahrsagern. Die erste ist die der Wasser- seher. Der Wasserseher schöpft Wasser mit einem großen Schöpf- löffel, und schlägt dieses Wasser dann mit einem Drazänenblatt, wobei er unverwandt in das bewegte Wasser schaut, bis ihm darin der Geist erscheint, dem das en lSkbrrde Opfer zu bringen ist”. Die Boloki gießen Wasser in die Zaubershüssel und nad- dem sie den Seelen und Geistern ein Palmweinopfer bringen, erscheinen diese in der Schüssel, welche aber nur vom Schamanen betrachtet werden darf®. Lobengula, der Matabelehäuptling pflegte in einen tiefen Teich zu schauen, um den Ausgang der Schlacht zu erkunden’. Die Kagoropriester gießen Mehl in ein mit Wasser gefülltes Gefäß und wahrsagen daraus!‘, Bei den Zulus schaut der Häuptling in einem Beken die Zukunft!! und in Madagaskar findet sih das Wahrsagen aus Kristall!?, In China steigt die Gottheit in Asien. das mit reinem Wasser gefüllte Gefäß, in ihrem Namen beantwortet

Er ES E. A. Smith: Myths of the Iroquois. II. Rep. Bureau of Ethn. 1883.

2 J. O. Dorsey: A Study of Siouan Cults. XI. Report. 1894. 447,

® A. Bastian: Der Papua. 1885. 69. Pechuel-Loesche: Die Loango= ton. 1907. IL 365, 366. R. H. Nassau: Fetihism in West=-Africa.

* K. Haberland: Der Spiegel, Zt. f. Vps. XIII. 1882. 330. In Guiana legt man dem Toten einen Spiegel aufs Herz. R. Schomburgk: Journal of the Ethnological Society. 1848. I. 275. Der chinesische Kriegsgott Quanti hat ein Glasstük am Bauch. Smith: Basler Missionsmagazin. 1848, 125. Beide ex Haber- land; loc. cit.

> H. W. Garbutt: Native Witchcraft and Superstition in South Africa. Journ. -Anthr. Inst. 1909. 558.

® Schneider: Die Religion der afrikanishen Naturvölker. 1891. 244. Das Ausland. 1888 145. h

Gutmann: Wahrsagen und Traumdeuten bei den Wadshagga. Globus. XCIH 1907. 166.

8 J. H. Weeks: Among Congo Cannibals. 1913. 286.

® M. R. Cox: An Introduction to Folk=Lore. 1897. 25.

A. I. N. Tremearne: Notes on Some Nigerian Head Hunters. Journ. Anthr. Inst. 1912. 160.

H Callaway: The Religious System of the Amazulu. 1870. 341. 2 .'® Lang:. Making of Religion. 1909, 84, 85 nah Flacourt: L’Histoire de la Grand Ile Madagascar. 1661. 76.

Er re FT I Er FERN 86 Dr. Geza Röheim

das Medium die gestellten Fragen!, und taoistishe Zauberer trugen Spiegel am Rücken®. In Hinterindien hat man im Inventar eines Kabuizauberers einen Spiegel gefunden, der wahrscheinlich dazu diente, die Seele des zum Opfer bestimmten Menschen aufzufangen‘. Ein wesentliher Bestandteil des Shamanenkleides bei den Golden und auh bei den Karagassen Südsibiriens ist der runde Bronze- spiegelt. Der Zauberer der Tshuwaschen erblikt die Ursahe der Krankheit aus einem Glas Wasser, und dasselbe Verfahren findet sih auc bei den Tscheremissen®. Die Syrjänen entdecken den Dieb oder verborgene Schätze durh Wassershau’. Bei den Tataren in

Kazan sieht der Zauberer aus dem Spiegel, wo das Gestohlene sih

befindet und wer den Kranken verhext hat®. Kalikuter Magier zeigten dem Volke in einem mit Wasser gefüllten Gefäße Vasco de Gamas ankommende Sciffe?. Die Geisterbeshwörer in Tibet schauen die Ankunft Gottes aus ihren Spiegeln!. Laut Angabe Ibn Khaldouns bedarf der wahrhaftige Seher keiner äußeren Hilfe, um den über unsere sinnlihen Wahrnehmungen gelegten Schleier zu durchdringen, während die übrigen, weniger een (Seher) alle ihre Per- zeptionen in einen einzigen Sinn, in das Gesicht verdictend, ihr Ziel zu erreichen traten. In dem Nebelscleier, der sih zwishen dem Seher und den Spiegel herabläßt, sehen sie dann mit ihren geistigen Augen das Gewollte!!, Aud die Malaien kennen die Hydromantie, doch wie es scheint, durch arabishe Vermittlung. Die Beschreibung Swettenhams zumindest spriht von einem Araber, der es unter- nimmt, nad dreitägiger Einsamkeit, Fasten und Gebet den Ort anzugeben, wo sich ee gestohlene Gut befindet. Er nimmt in die Hand ein beschriebenes Papierblatt, auf das er Wasser gießt, in

1 Goltz: Zauberei und Hexenkünste, Spiritismus und Chamanismus in China, Mitteilungen der deutshen Gesellschaft für Natur und Völkerkunde Ost- asiens. VI. 28 ex Zachariae: Witwenverbrennung. Zt. d. V. f. Vk. 1905. 84.

:J. J. M, de Groot: The Religious System of China. Vol. VI. Book. II. 1910. 1000.

» T. C. Hodson: The Naga Tribes of Manipur. 1911. 142,

„* Meszäros: A magyar kerek tükör. (Der ungarische Rundspiegel.) Nep- rajzi Ertesitö. 1914. 13 nah V.K. Vasiliev: Kratkii oderk karagasov. 1910, 29.

® Meszäros: A csuvas ösvalläs emlekei. (Urreligion der Tschuwascen.) 1909. 269.

° Mikhailowski: Shamanism in Siberia and European Russia, Journ. Anthr. Inst. 1894. XXIV. 155. Nah Rychkov: Zhurnal ili dnyevnyya zapiski. 86.

”D. R. Fuchs: Eine Studienreise zu den Syrjänen. Keleti Szemfe, XVI. 98.

| ® M£&szäros: A magyar kerek tükör. (Der ungarische Rundspiegel.) Nepr. Ert. 1915. 40. Nach eigenen Sammlungen. Diese Parallelen sind allerdings nicht »asiatish« im geographischen Sinne, aber doh wohl im kulturhistorisch-ethno- graphischen.

® E. S. Hartland: The Legend of Perseus. 1895. II. 16. Avebury: The Origin of Civilisation. 1902. 263 nah De Faira: Astleys Collection of Voyages. I. 63.

1% Zachariae: Witwenverbrennung. Z. v. V. f. Vksk. 1905. 84. Zitiert nah Waddell: Buddhism of Tibet. 1895. 482.

.0.',Vgl. Rubin: Gescicte des Aberglaubens. 31. A. Lang: The Making of Religion. 1909. 340-343 bringt nah Lefebure den ganzen Text.

Spiegelzauber 87

welhes er hineinstarrt, worauf ihm ein altes Männden ersceint, ein Dshin, der ihm sodann auf der Wasserflähe die ganze Dieb- stahlsszene vorspielt. Laut Pausanias erfuhren die Griehen in Patrai beim Heiligtum der Demeter das Schicksal des Kranken in der Weise, daß sie einen Spiegel auf die Oberfläche des Wassers niedergleiten ließen und je nachdem, wie der Kranke in dem Spiegel recht bei Fleishe oder aber bleih und shwad erschien, prophezeite man ihm Genesung oder Tod. In Kyaneai in Lykien befand sich eine Quelle, wo derjenige, welcher hineinshaute, alles sah, was er zu wissen wünschte?. Pythagoras (550 ante Chr.) soll um Voll- mond aus einem blank polierten Spiegel die Katoptromantie be= trieben haben?. In Rom nannte man diese Weissager »specularii«*, und deren Existenz ist noh um das Jahr 450 (post Christum) in Irfand bezeugt’. Die um 1270 entstandene »Summa de officio in- quisitionis« erwähnt die mit Spiegeln, Schwertern, Fingernägeln, Eifenbeinkugeln, Wasser, Ringen usw. betriebene Zauberei‘. Im Jahre 1326 erläßt Papst Johann die »Super illius speculas, in der er die Menschen tadelt, die den Dämonen opfern, in Ringe, in Spiegel und Fläschhen, Dämonen einscließen und von diesen Antwort auf ihre Fragen, Hilfe in ihrer Not erwarten”. In 1398 werden diese Praktiken von der theologischen Fakultät in Paris als Götzendienst verurteilt?. Im Jahre 1411 schreibt Vintler in den »Pluemen der Tugent« »und will die sehen in die Spiegel, Manigen wunderleihen triegels®, in 1471 wird in Frankfurt eine Frau der Zauberei geziehen, die angeblih aus dem Spiegel die gestohlenen Gegenstände erkennt‘. Thomas von Haselbah erwähnt gleichfalls den Zauberspiegel, der den Dieb anzeigt: »Item omnino reprobantur benedictiones speculorum ad inueniendum furtum«!". Ebenso berichtet Gervasius von Tilbury in den Otia imperialia über Spiegel und Schwertklingen beim Wahrsagen'?., Audh der

ı W, Skeat: Malay Magic. 1900, 38. 539,

2 Pausanias: VII. 21. 12, 13. Erwähnt bei W. E. Hazlitt: Brands Popular Antiquities of Great Britain. 1905. I. 274, der nah Potter: Greek Antiquitates: 1. 315 zitiert.

»M.R. Cox: An Introduction to Folk=Lore. 1897. 26.

* Ducange: Glossarium mediae et infimae latinitatis. VII. 1886. 549.

5 A. Maury: La Magie et Astrologie dans !’Antiquite et au Moyen Age. 1864. 438. £

° J. Hansen: Zauberwahn, Inquisition und Hexenprozeß im Mittelalter. 1900. 242. .

" Hansen: Ebenda. 255. »cum morte foedus ineunt et pacium faciunt cum inferno.«

s Maury: La magie, 1864. 440.

% Zingerle: Sitten, Bräuche und Meinungen des Tiroler Volkes. 1857. 196, 197. Zeile 314, 315 in Zingerles Ausgabe.

1% Soldan-Heppe: Geschichte der Hexenprozesse. 1911. I. 231. Hansen: Quellen und Untersuchungen zur Geschichte des Hexenwahns im Mittelalter. 1901. 579. Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Altertumskunde von Frankfurt. V1.1881.72.

ıı A, Franz: Die kirchlichen Benediktionen im Mittelalter. 1909. I. 469.

2? Maury: |. c. 440.

Der Spiegel des Sehers in Europa. Alter-

tum und

Mittelalter.

Spiegel und Seher im heu- tigen Volks- glauben,

88 Dr; Geöza Röheim en re...

primitive Steinspiegel taucht neuerdings auf in der Wahrsagung aus dem glänzenden Stück Kohle oder Stein. Einen solhen gescliffenen

tein nennt Butler den Spiegel des Teufels! In Bayern verbietet im Jahre 1611 Maximilian solche Praktiken, wie das »wahrsagen durch spiegel oder glass oder durdh dristall oder parillen«. Be- sonders die »fahrenden Schülers betrieben solhes?. Anno 1564 bekennt ein altes Weib in Görlitz, daß sie einen Zauberspiegel besäße, mit dessen Hilfe sie verlorene Sachen wieder verschaffen könnte®, In Mecklenburg legt Kröger am 13. Oktober 1570 in einem Hexenprozesse das Geständnis ab, wie er die Kristallschau gelernt hat. Wenn er den Namen des Verdäctigten weiß, nimmt er den Kristall und beshwört ihn. »Der hillige liham, dat hillige testament, dat sacrament und der leve vader im hemmel, do dik up, im namen dess vaderss, des sohns und des hilligen geistes.« Dann erscheint im Kristall ein weißer Engel, sowie das Bild des Sculdigen und der Engel zeigt auf den Menschen“. Bei Gertrud Schwarth (23. Dezember 1587) hat man Haselruten und Kristall gefunden, diesen hat sie beim Besuh von Kranken entnommen, ob die Stunde eine glücklihe oder unglüklihe sein werde>, Chettle (1592) erwähnt gleichfalls den magischen Kristall und nad Akten aus der Zeit der Königin Elisabeth von England erscheint, »the spryte Oryance« im Kristall und zeigt, wo sich das verborgene Geld befindet‘. Laut Pico di Mirandola kann man aus einem astrologishen Spiegel die Zukunft ersehen. Potet und Cagliostro bedienten sich gleichfalls dieses Mittels der Prophezeiung’, In Mecklenburg, in Ostpreußen, in Friesland, in Schlesien zeigt der Magier dem Fragenden im Zauberspiegel die gesuchte Hexe, den Dieb oder den zukünftigen Gatten®. In Leeminster gab es einen »weißen Hexenmeister«, der in den Kristall (Beryliy shaute und daraus auf die gestellten Fragen antwortete. Aubrey bescreibt einen solchen »Berill«, der sich im Besitze Sir Edward Harleys befand, In dem

1 Hazlitt: Brands Popular Antiquities. 1905. I. 46. Kiesewetter: Faust in der Geschichte und Tradition. 474. ® Ebermann: Zur Aberglaubenliste in Vintlers Pfuemen der Tugent. Zt. d. Ver. f. Volksk, 1913, 134, - ®R. Kühnau: Sclesische Sagen. 1913. III. 258, * K. Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräude aus Medklenburg. 1880. II. 8, ® Bartsch: Ebenda. II. 33. Laut dem Texte läßt sih der Nebensatz eher auf die Rute beziehen. °G. F. Black: Scottish Charms and Amulets. Proceed. Soc. Ant. Scot. XXVIL 436. f

?” Rubin: Geschichte des Aberglaubens. 31: Maury: La magie et [’Astro- logie. 1864. 441. Vgl. noch Grimoire ou la Magie Naturelle. A. La Haye. 309, P. G. Schott: Magia universalis naturae et artis. 1677. IV. 553. M, Delrius: Disquisitionum magicarum libri sex. 1603, Tomus Secundus. Lib. IV. C. IL Q. V126,19..170. 217100M: J. Praetorius: Der abenteuerliche Glücstopf. 1669. XXV.Cap. 188. N. Remi gius: Daemonolatria oder Beschreibung von Zauberern und Zauberinnen. 1693. II. 314,

® Wuttke: Volksaberglaube, 245. 246,

Leather: The Folk-Lore of Herefordshire. 1912, 66.

MR Spiegelzauber 89

Kristall erblikte man das Heilmittel oder die Beschreibung des zu beobadıtenden Verfahrens. Engel meldeten dem Besitzer seine Todesstunde. Der Berill ist eine vollständige Sphäre. An den vier Eden sind die Namen Gabriel, Raphael, riel und Michael ange- bradıt!. In den Ardennen geht der Mensch, der behext worden ist, zum »marecdal de Verlees, der ihm in einem Spiegel das Bild des- jenigen zeigt, welcher ihm den bösen Zauber zugefügt hat?. In Böhmen zeigt ein in den »Erzspiegel« (Hexenspiegel nekroman- tisher Spiegel), der Wunderdoktoren oder »weiser Männer« ge= worfener Blik den Dieb (Schönwerth, Egerland)®, Der weise Mann oder die kluge Frau schaut in den Stein, in den Kristall oder in den Spiegel, murmelt seine Beshwörungen und sieht die Gesicte‘. In Scleswig-Holstein stellt der Hexenmeister ein Sieb über das Wasser und erkennt den Dieb darin’. Aus Deslawen gehen manhe nah Saaz, ja sogar nah Wien zu einem ehemaligen Scarfricter, denn dieser besitzt einen solhen Zauberspiegel®. Der Darmstädter Scharfrihter sieht die verirrte Frau in einem Eimer Wasser”. Im Tal von Harmersbadh sieht der »Hetlishsbur« in dem aus reinem Bergkristall angefertigten »Bergspiegel« jede Krankheit und deren Heilmittel. Nodh berühmter ist der »Schwabendoktor« in Kinzigthal und in der Murgegend, der gleichfalls mit dem Berg- spiegel arbeitet. Der Schmied von Waldulm hat von ihm nur einen fehlerhaften »Bergspiegel« bekommen, deshalb ist sein Ruhm aud minder groß. Auh das Elzthal hat seinen » Weltspiegel«-Inhaber. Andere ließen den Fragesteller in Glas shauen. Nach Meyer zeigten solche Spiegel ursprünglich die in der Tiefe der Berge verborgenen Schätze und erst später auch die Diebe, die Hexen und die bösen Zauberer®. Diese Annahme ist jedenfalls irrig, denn ein Vergleich mit den primitiven Völkern beweist den entgegengesetzten Gang der Entwicklung. Bemerkenswert ist auch die Rolle des Schmiedes als Seher?. Im Jahre 1629 geriet in Calbah ein »krystallseher und zauberer« namens Breull in Untersuchungshaft, weil er mehrere

1 Aubrey: Miscellanies. 1696. 129-131. Die Angabe aus 1645, zitiert Hazlitt: I. c. I. 275 und Leather: I. c. 66. 2 A. Harou: Traditionnisme de la Belgique. La Tradition. 1903. 129. > A. John: Sitte, Brauch und Volksglauben im deutshen Westböhmen. 1905. 276. 2 * John:. Ebenda. D. s.: Volksglauben im Egerlande, Zeitschr. f. österr. Volksk. VI. 118, a 5 Müllenhoff: Sagen, Märden etc. von Scleswig-Holstein. 1845. 200, Bertsch: Weltanschauung, Volkssage und Volksbrauh 1910. 137. $ John: Sitte, Brauch etc. im deutshen Westböhmen. 1905. 277. "J. W. Wolf: Hessishe.Sagen. 1853. 63 ex Bertsch: I. c. 137, Bea a H. Meyer: Badishes Volksleben im neunzehnten Jahrhundert. 1900. . 564. ® Vgl. R. Andree: EthnographischeParallelen und Vergleiche. 1878.153— 159. ©. Schrader: Sprachvergleichung und Urgeschicte. 1906. II. 13-28, A: P, Zvon= kov: Oterk vjerovanij krestyän Jelatomskavo ujezda Etn. Obozr. 1889. II. 71. B. Gutmann: Der Schmied und seine Kunst im animistishen Denken. Zeitschrift für Ethnologie. 1912. 81-93. A. E. Crawley: The Idea of the Soul. 1909. 111, 116.

Schoß der Erde und Mutterschoß.

9 Dr. Göza Röheim

Frauen der Hexerei beschuldigte!. Er bekennt, den Kristall von einem Schmied in Altengronau, den man auch »der weise Mann« zu nennen pflegte, bekommen zu haben. In dem Kristall ist ein kleines, schwarzes »Dingelchens, wenn das zittert, kann man aus ihm erfahren, was dem Vieh fehlt. Die Spiegelshau kann nicht nur, wie bei den Schatzsuhern, nah dem Schoß der Erde, sondern in den Mutterschoß gerichtet sein, und es ist wohl kaum zu bezweifeln, daß wir darin die Urform des Brauhes gefunden haben, aus welhem das Schauen in den Schoß der Mutter Erde erst durch Übertragung entstanden 'sein kann. Die Zigeuner erkennen das Geschlecht des zu gebärenden Kindes, indem sie durch einen Trichter auf eine polierte Bleiplatte shauen, zuweilen sehen sie auf dieser auch das Gesicht des Dämons, der die von den Wehen ergriffene Frau quält?. Bei den Ga schaut der Wongtshä in einem Topfe mit Wasser die Ahnenseele, welche in einem Neugeborenen wieder zur Welt gekommen ist®, In Westafrika geht eine Eingeborne, die im Geheimen das Weib eines Europäers geworden war, zum Seher. Dieser sagt ihr aus dem Zauberspiegel, sie werde von einem Weißen geliebt, und er sehe in ihrem Schoß zwei Kindert. Der »Bergspiegel« zeigt die Lage des Schatzes im Schoß der Erde an und schützt vor den schatzhütenden Geistern, sowie vor dem bösen Blick der Hexen’. Nach dem ungarishen Volksglauben sieht derjenige, der am Gründonnerstag von der Frühe bis zum Abend mit einem Spiegel in der Hand auf einem Grabe sitzt, eine kleine Flamme in dem Spiegel, zum Zeichen, daß er noch im selben Jahre einen Schatz finden wird‘. Gleihfalls nach dem ungarishen Volks- glauben besitzen die Hexen einen solchen Spiegel, durch den hin- durch sie jeden in der Erde befindlichen Schatz sehen’. Zu Pfingsten kauft man vor Sonnenaufgang ohne zu handeln einen Spiegel und schreibt darauf die Worte oh + Holon + Taller + Ihatal -- Thaler + Theja + ganelei®. Der Spiegel ist zwar im allgemeinen das Attribut der »Hexenrieher«, der Seher, da aber die verschiedenen Typen der Priester und Zauberer ineinanderfließen, kann der Spiegel auch den Zwedken der Hexe dienstbar sein. In Nieder- österreich weiß der Volksglaube von neun » Walpurgisnähten«, so bezeihnet man nämlich die der Walpurgisnacht vorausgehenden neun

ı W. Crecelius: Frau Holda und der Venusberg. Zeitschrift für deutsche Mythologie und Sittenkunde. I, 1853. 272.

® Wlislocki: Volksglaube und religiöser Brauch der Zigeuner. 1893. 94.

® W. Schneider: Die Religion der afrikanishen Naturvölker. 1891. 259. Nadı H. Bohner: Im Lande des Fetisch. 1890. 146, 219, 221, 224.

*R. H. Nassau: Fetihism in West-Africa, 1904. 134,

5 G. Graber: Sagen aus Kärnten. 1914. 221.

° A. Hermann: Der volkstümlihe Kalenderglaube in Ungarn. Zeitschrift des Vereins für Volkskunde. 1894. 393. 394,

Ipolyi: Magyar Mythologia. (Ungarische Mythologie.) 1854. 442.

® ]. Wieder: Kincsäsö babonäk &s räolvasäsok. (Aberglauben und Zauber- formeln beim Schatzgraben.) Ethn. 1890. I. 248. Vgl. noch über Schatzspiegel im vorigen Kapitel. S. 70, 72, 74, 75.

Spiegelzauber 91

Nädte!, Während dieser Zeit wird die heilige Walpurga durd die Geister verfolgt. In Mank hat einmal ein Mann eine weiße Frau gesehen, mit feurigen Schuhen, fangem wallendem Haar, auf dem Haupt eine goldene Krone, die von einer auf weißem Pferde reitenden Gestalt verfolgt wurde, und die Verfolgte hielt in den Händen einen Spiegel und ein Spindel, diese war die heilige Walpurga. Während dieser neun Tage können die Hexen von der Heiligen verschiedene Dinge erbitten, namentlih Walpurgis-Spiegel, -Fäden, -Kräuter und -Blumen. Die Walpurgis-Spiegel sind kleine dreiekige Spiegel aus denen sich jedes erfolgende Ereignis im vorhinein ersehen läßt. St. Walpurga trägt außer dem Spiegel auch eine Spindel mit sehr feinen Fäden. Ein solher Faden vermag den Menschen aus der Gefahr zu er- retten. Die Kräuter werden öfters mit Sand auf eine Pflugschar gelegt und über Feuer gestellt. Sobald das Gemenge anfängt übel zu riehen, so muß derjenige erscheinen, an den man denkt. Die Blumen erhöhen die Schönheit der Mädchen, der Faden dient zum Wahrsagen in Liebesangelegenheiten?. Obschon das differenzierende Moment in der psychischen Einstellung des Zauberers im Vorherrshen der Befriedigungsform? zu suchen ist, im Gegensatz zu den neurotischen Hemmungen der Tabu, so behält das Gesetz der Ambivalenz doch ihre Gültigkeit und die negativen Tendenzen lassen ihre Spuren im Ritus zurük. In Neuenburg zeigt der »Erdspiegel« den Teufel, dodı vorher müssen zwei Tiere hineinshauen, die der gräßliche Anblick sofort tötet‘. Laut Albertus Magnus muß in jeden Zauber- spiegel zuerst ein Hund oder eine Katze hineinshauen, damit dem- jenigen, der zuerst hineinschaut, kein Unglük treffe’. In einer aus dem Ende des seczehnten Jahrhunderts stammenden deutschen Handscrift finden wir denn auch die Anleitung, daß der Mensch,

Vergleihe hinsichtlih der entsprechenden ‚neuntägigen Winterperiode. Röheim: A Iuczaszek. (Der Hexenstuhl.) Ne£prajzi Ertesitö. 1916. »Am 1. Mai oder neun Tage vorher und neun Tage nachher, ebenso am Luzetage kommen die Hexen und wollen sih etwas borgen, was beim Vieh gebraucht wird, damit sie einem etwas antun können, da darf man ihnen nichts borgen, vor allem kein Feuer, kein Salz. (Vgl. Jones: Die Bedeutung des Salzes. Imago. I. 361. Das Feuer natürlich im selben Sinne zu deuten)«. W. v. Schulenburg: Wendische Volkssagen und Gebräuche. 1880. 159, 160, Vgl ebenda. 246, 247 über die Periode neun Tage vor Weihnachten. In diesen Tagen soll man die verschiedenen Liebesorakel unternehmen aber.auch wachen wieder die Hexen (die Vertreterinnen der mit negativem Vorzeichen versehenen Mutterimago),; funktionell entsprechen sie der Regression, daher ist ihr Auftreten am meisten zu befürchten, zur selben Zeit, wo man die Liebesorakel unternimmt, d. h die Libido zum Objekt fort= schreiten soll.

2 Th, Vernaleken: Alpensagen. 1858. 109-112.

» Vgl. Rank: Die Nadtheit in Sage und Dichtung. Imago. 1913. 455, Anderseits bildet diese vom Durcdscnittlihen abweichende Befriedigung die Kompensation anderer, gleichfalls außergewöhnlicher Hemmungen. Vgl. A. Horn- effer: Der Priester. 1912, I. 28. 46. Disharmonie.

* Schönwerth: Aus der Oberpfalz. 1859. III. 41.

K. Haberland: Der Spiegel im Glauben und Brauch des Volkes. Zeit- schr. f. Völkerps. XIII. 339, Nah Albertus Magnus: Ägyptische Geheimnisse für Menschen und Vieh. II, 19.

Die verate- ung beim e Seher.

Die Seherin von Dormänd,

Die psychische Konstitution des Sehers,

2 Dr. Geza Röheim

bevor er den Zauberspiegel gebraucht, einen Hund oder eine Katze: hineinshauen lassen möge!. Alle diese Gebräuche deuten auf die neurotishe Verdrängung. Die Berechtigung einer auf die Psydıo- pathologie gestützten Methode wird durh den Fall der Seherin von Dormänd nur bekräftigt. Diese dormänder Seherin vermochte jedem über seine Toten Aufklärung zu geben: wo der Tote ruht, wo sich seine Seele befindet usw., mit einem Wort, sie bekundet sih als richtige Visionärin. Das Totensehen wurde bei ihr durch folgendes Trauma wacgerufen. Die Beschreibung sagt: Diese ihre »Begabung« zeigte-sich schon in ihrem Mädcenalter, sie und ihre Mutter kämmten sich eines Morgens, da sie aber nur einen Spiegel hatten, kämmte sich die Mutter vor diesem, die Tochter aber vor dem Glasdeckel des Marienbildes. Wie sie sih kämmen, erscheint auf der Glasplatte ein Totenkopf, worauf das Mäddhen in Ohn- macht fiel und erst nach längerer Zeit konnte man sie wieder zum Leben bringen. Von diesem Augenblik an sieht sie die Toten. Sie sagt dem Erzbischof, daß seine Mutter in der Nähe von Trencsen begraben ist und in den Armen ein kleines Kind hält, worauf der Erzbishof ihr verbietet, den Leuten Aufklärung über ihre Toten zu geben?. Wenn wir nun eine einheitlihe Erklärung der ganzen Situation versuchen, so kommen als auslösende Momente des Toten- sehens eine Regression der Libido, die in der unzweifelhaft narzißtisch gefärbten Lage des Kämmens vor dem Spiegel auf- tritt? und funktionell durch das Erscheinen des Totenkopfes sym- bolisiert wird, und die sexuelle Rivalität mit der Mutter in Betradht*. Unter Berücksichtigung der Rolle, welche die Mutter

ı C. Bartsch: Zauber und Segen. Zeitschrift für deutsche Mythologie. III. 330. Vgl. dasselbe in Ungarn. S. Wieder: Kincsäsö babonäk &s raolvasäsok. (Aberglauben und Zauberformeln beim Scaatzgraben.) Ethn. 1890. I. 248. »Völe- genyidezes.« (»Bräutigamzitierung.«) 1910. 39.

2 E.Benköczy: Egervideki babonäk. (Aberglauben in der Egerer Gegend.) Ethn. 1907, 102. Das »Können« (tehetseg = Können, Fähigkeit in der Literatur- sprahe Talent) der weisen Frau aus Novaj stammt daher, daß sie eines Sonntags sich eilends für den Kirchgang vorbereitete. Sie fand in der Schnelligkeit den Spiegel nicht und band sich vor dem Glase eines Heiligenbildes das Tuch zureht. (Nach anderen hat sie beim Kämmen in das Glas des Heiligenbildes wie in einen Spiegel geschaut.) In dem Heiligenbilde aber sah sie statt des eigenen Gesichts einen Toten= kopf und von da an wurde sie Totenseherin. (Halottlät6 = Totenseherin heißen diese Frauen, da ihre Sehergabe sich überwiegenderweise zu den Toten hinwendet.) Wenn dies tatsählih die Geschichte der weisen Frau von Novaj wäre, würde dies in hohem Maße die Wahrscheinlichkeit der im Text entwickelten Theorien bestätigen. Aber der Aufzeihner weiß, daß dies auch.die Geschichte der Toten- seherin von Dormänd ist und seiner Meinung nah wird sie irrtümlih über die von Novaj erzählt. Soviel steht aber fest, daß auch in den Visionen der novajer Totenseherin die Mutter Gottes neben dem Toten vorkommt, J. Fekete: Tudös- asszonyok. (Weise Frauen.) Ethn. 1910, 291.

° Vgl. weiter unten die Liebesorakel.

* Die Mutter bekommt den Spiegel, die Tochter bloß ein Ersatzobjekt. Die Situation entspricht dem Anfangsmotiv des Schneewittchentypus (vgl. ©. Rank: Ein Beitrag‘ zum Narzissismus. Jahrbuch für psydoanalytishe und psydhopatho= logishe Forschungen. III. 1. 1911. 406), insoferne Mutter und Tochter. hier Rivalen

Spiegelzauber 93

Gottes in diesen Visionen spielt, können wir dem noch hinzufügen, daß hinter der Rivalität mit der Mutter ein Sich=identifizieren, eine positive Libidoströmung der Mutter gegenüber zu vermuten wäre, während sich anderseits der Totenkopf als ein aus abge- lehnter Liebe entsprungener Todeswunsch darstellt. Ganz klar läßt sih aber aus alldem der Kern herausheben, eine Art experi- mentelle Verifizierung des Grundgedankens dieses Kapitels, daß nämlih das Differenzierende in der psychischen Konstitus tion des Sehers im Narzißmus zu suchen ist!. Ferner ist es auh wahrsceinlih, daß diese Totenseherinnen, deren Schaulust ur- sprünglich wohl auf Lebende, in erster Reihe auf die Eltern gerichtet war, indem sie. nun ihre Affektivität und Interesse auf die Dahin= geschiedenen übertragen, dasselbe auh den Lebenden entziehen müssen. So hält z. B. die jäszberenyer Totenseherin die Augen stets niedergeshlagen, als ob sie dem Blick Fremder ausweichen wollte und pflegt träumerish vor sih hinzushauen. Sie sieht seit Vollendung des siebenten Lebensjahres Geister und hat sich bereits so sehr an sie gewöhnt, daß ihre fortwährende Gegenwart sie nicht im geringsten in ihren Verrichtungen stört?. Der Narzißmus ist im allgemeinen bei den Frauen mehr ausgesprohen und die bisher bekannten Totenseher in Ungarn sind alle Frauen’. Das Tabu des Voghin zeigt den Narzißmus schon im Stadium der Verdrängung, denn wenn das Bild des in Wasser, in Öl, in einem Spiegel oder in zerlassener Butter schauenden VYoghin sich ohne Haupt zeigt, oder wenn ihm der Kopf scief sitzt, bedeutet dies den nahen Tod des Sehers*. Ebenso ist dem zukünftigen Zauberer, beziehungsweise

sind, aber umgekehrt, denn bei der dormänder Totenseherin ist die bewegende Kraft der Handlung der Neid der Tochter, bei Schneewittchen »die verzweifelte Gegenwehr der Mutter (Rank: Ebenda.). Vgl. Bolte-Polivka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärcen, 1913. I. 450-464, E. Böklen: Schneewittchen- studien. I. (Mythologische Bibliothek. III. 2.) 1910. II. (Ebenda. VII. 3.) 1915. L. Ciorbea: Apa tineretelor si alte Povesti Poporale. 1904. 85, I. Läzär: Als söfeher värmegye monografiäja. 1899. I. 2. 597. Gewissermaßen ein männliches Gegenstük zum Motiv »Schönheitswettstreit« findet sih in einem orientalischen Märdentypus. Vgl. Solymossy: A szep ember meseje. (Das Märchen des schönen Mannes.) Ethn. 1916. 257-275.

! Außerdem noc in der Schaulust, die sich als Partialtrieb sehr leicht mit dem Narzißmus verbindet. Das narzißtish gesteigerte Selbstgefühl durchbricht leichter die Hemmungen, die sih dem Bewußtwerden und noch mehr dem Erzählen der unbewußten Phantasiebildungen entgegenstellen, das Selbstshauen fördert die Tendenz des Visualisierens

® A. Nyäry: A halottlätö. (Die Totenseherin.) Ethn. 1908. 94.

A Nyäry: Ebenda. 95. In Besenyötelke findet sih aber doh ein Mann als Totenseher. Berze Nagy: Babonäk, babonäs alakok &s szokäsok Besenyötel= ken. «Aberglauben, abergläubishe Gestalten und Gebräuche in Besenyötelke.) Ethn. 1910. 27. Etwas anders liegt die Sache bei den Primitiven, die Männer be- sitzen hier auch unter den Sehern das Übergewicht.

* Zachariae: Zur indishen Witwenverbrennung. Zeitschrift des Vereins für Volkskunde. 1905. 84, zitiert: Särngadharapaddhati. 4576. A. Bertholet: Religionsgeschictlihes Lesebuch. 1908. Geldner: Die Religion der Inder. 133, zitiert Aiteraya- ÄAranyaka. 3. 2, 10,

Weiteres zum Thema des ver- drängten Narzißmus.

Das unbewußte Wissen.

94 Dr. Geza Röheim

Priester verboten, das eigene Spiegelbild zu schauen!, Gleicfalls mit negativem Vorzeichen erscheinen dieselben Gefühle bei einem dalmatinishen Seher, nahdem die übermäßig energishe Verdrän- gung seine eigene Neigung zum Selbstbespiegeln in feindlidie Ein- stellung gegenüber ähnliher Gefühle der anderen gewandelt hat. Wenn die Fechsung schleht war, pflegte der alte Radivoj, der be- rühmte Seher, zu sagen: Verfluht sei, wer den Spiegel dem Volk gebraht hat! Wenn es keinen Spiegel gäbe, würden die Ähren zweimal im Jahre reifen. Die Mädchen vergaffen sich in ihr eigenes Spiegelbild, flechten sich noch mehr Haare in den Schopf und des- . halb versengt die Sonnenglut alles auf Feld und Flur?.

Die bisher angeführten Beispiele zeigen das unbewußte Funk- tionieren der Psyche des Sehers. Da der Fragende aber häufig un- bewußt die Antwort auf das, was er vom Seher erfragen will, sehr wohl weiß, ist es natürlih, daß solche Antworten die größte Wirkung erzielen, die dieses verdrängte Wissen auf die Oberfläche bringen®, Deshalb schaut der Seher häufig nicht selbst in den Zauberspiegel, sondern überläßt es dem Fragenden, daraus die aus dem eigenen Unbewußten hervorbrehende Antwort abzulesen, Mande der östlihen Cherokee erklären die auf solhe Weise ge- wonnene Offenbarung als zutreffend. Drei Cherokee gingen zum Medizinmann, der sie in den Ulüäsu’ti (Kristall, Schlangenstein) bliken läßt. Alle drei sehen am Grund des Kristalls ihre eigene Gestalt. Der roten Linie folgend, steigen die Gestalten langsam im Kristall, doc nur eine erreiht die Oberflähe, die beiden anderen kommen nur bis zur mittleren Linie und sinken dann auf den Grund zurük. Es kam so wie der Medizinmann voraussagte, denn nur der Erzähler, dessen Ebenbild die Oberflähe erreicht hatte, überlebte den Feldzug‘. In Wagawaga wird folgendes aus Awai- ama stammendes Verfahren angewendet, um einen vermuteten Ehe- brudh zu beweisen. Der rote Saft der Blätter des »Popori«-Baumes wird in ein altes Gefäß oder eine Schüssel gedrückt. In der Ein- samkeit seines eigenen Hauses starrt dann der Mann in die Schüssel, dort sieht er das Bild seiner Frau und das ihres Geliebten, und wenn die Frau trotzdem leugnet, so läßt er sie in die Flüssigkeit

RE sE Jolly: The Institutes of Vishnu. (Saced Books of the East. VII.) 880. 226.

2 F.S. Krauss: Tausend Märhen und Sagen der Südslawen. 1914. I. 376. Beachtenswert ist die Verknüpfung zwischen dem narzißtischen, also unfruct- baren Spiegelshauen und der Unfruchtbarkeit der Erde. Das Steckenbleiben im Narzissismus wird durch die Sonne, als Vertreter der Vaterimago, bestraft (vgl. dazu Kapitel VIII). Die Objektliebe ist ja beim Mädchen die Wiederbelebung der Vaterimago, der Konflikt ist also der Konflikt des Narzißmus und des »Änleh- nungstypus«. Vgl. S. Freud: Zur Einführung des Narzißmus. Jahrbuch für Psychoanalyse. VI. 1914. 15.

s Vgl. Silberer: Lekanomantische Versuche. Zentralblatt für Psychoanalyse. II. 1912, 383, 438, 566.

* J. Mooney: Myths of the Cherokee. (XIX. Annual Report of the Bureau of Am. Ethn.) 1900. 461.

Dies ezauker \ 95

schauen und sie erblikt darin ihr eigenes Gesicht nebst dem ihres Geliebten. Der, den man durch dieses Verfahren entdeckt, traut sic nicht seine Shuld zu leugnen »inside belong him no good, man he savy«!, d. h. man appelliert zum Unbewußten als oberste In- stanz. In St. Gildas, wenn jemand wissen will, ob der Hund, der ihn gebissen, toll war oder nicht, so geht er zur Quelle und wenn er an Stelle seines Ebenbildes im Wasserspiegel einen Hund er- blikt, so ist: die Tollwut schon in ihm. Am Cap Sizun läuft der Gebissene dreimal um die Kapelle vom hig. Tugen und blikt dann in den Wasserspiegel, wenn er dort sein eigenes Antlitz erblikt, ist alles in Ordnung, wenn aber das Spiegelbild des Hundes sih zeigt, so war dieser schon früher beim Heiligen, der nun keine Macht mehr über die Tollwut besitzt?, Der Zauberspiegel (in Thüringen Erdspiegel, in Kärnten Berg- spiegel) ist in der Regel ein mit Schieber verscließbarer, ein- faher, viereckiger Glasspiegel, das charakteristishe Werkzeug des »Venedigers«. In Württemberg schreibt die weise Frau oder der weise Mann den Taufnamen des Fragestellers auf einen Zettel, dann schickt er den Betreffenden in ein anderes Zimmer, wo er im Spiegel Erscheinungen, wahrsceinlih Verstorbene sieht, die auf seine Fragen Antwort geben. Ein solcher Spiegel erhält seine Zauberkraft dadurh, daß man ihn um Mitternaht vor das Gesicht eines Leichnams hält®. Es ist bemerkenswert, daß die Spiegelschau, offenbar infolge der suggestiven Wirkung des Prestige des magischen Gegenstandes und des Sehers, gerade die am stärksten verdrängten Vorstellungen auf die Oberflähe bringt. So zeigt z. B. der Sicht- spiegel des Mannes in Schwarzwasser die wahren Diebe, »Leute, von denen man es kaum geglaubt hättest. Zwei Dorfbewohner be- gaben sih nacı Swansea, Weizen zu verkaufen, unterwegs aber scliefen sie ein und jemand stahl den Weizen aus ihren Säcken, das Geld aus ihren Taschen. Sie gingen darauf zu Dr. Harris, dem berühmten Seher. Dieser führte sie im Zimmer im Kreise herum und hielt ihnen einen runden Spiegel vor, damit sie hineinshauen mögen. Sie sahen in dem Spiegel nicht das eigene Gesicht, sondern die Landstraße, auf der sie gekommen waren, sich selbst, wie sie scliefen, und einen ihrer Nolan, den zu verdäctigen sie nie gewagt hätten, wie er. den Weizen und das Geld stiehlt’. In

G. Seligmann: The Melanesians of British New Guinea. 1910. 654, 655.

® P Sebillot: Le Folk=Lore de France. II. 1905. 245. In Saint-Segal gilt gerade das Entgegengesetzte: Wenn. er den Hund im Wasserspiegel erblickt, bleibt er gesund. In Saint Gildas kann man sich loskaufen, wenn man einen Hahn opfert. Ebenda. Vgl. ante über ähnliche stellvertretende Opfer beim Schatzsuhen, und auh Ferenczi: Ein kleiner Hahnemann. Int. Zeitschr. f. ärztl. Psychoanalyse. 1913. 240. ;

3 Wuttke: Volksaberglaube. 245,

4ıR. Kühnau: Sclesishe Sagen. 1913. III. 203, 204.

5 Trevelyan: Folk-Lore and Folk-Stories of Wales. 1909. 215, 216,

en

96 Dr. Geza Röheim

Schweigershausen wurde einem Mann sein Bienenkorb gestohlen. Er geht zum »weisen Mann« nach Gieboldshausen und dieser läßt ihn in den Spiegel schauen. Dort sieht er den eigenen Bruder mit dem Bienenkorb!. In Flums zeigt der Zauberer dem Bestohlenen auf sein Begehren im Berg- oder Weltspiegel den Dieb, dort sieht er, wie der Teufel an einer Furke seinen eigenen Bruder herhält:. In Medlenburg zeigt der Spiegel bei der Frage nach der Hexe, welche das Vieh oder die Menschen behext hat, häufig die Mutter der Fragenden®. Eine Rauriser Sage erzählt, daß der weise Mann in einem Glas Wasser das entfernte Heim zeigt und die auf dem Hausdadh herumgehende Hexe, wie sie einen Eimer Wasser in den Hof schüttet. Dieses hat das Vieh verzaubert‘. Ebenso zeigt der Zaüberer von St. Triphon in einer französishen Sage den Ver- zauberer der Kühe im Spiegel, doch früher muß der Beleidigte schwören, daß er keine bösen Gedanken gegen seinen Feind haben wird®. In Platznau sieht ein Hirte, wie das »Venedigermandels Gold wäscht und er bringt ihm den goldtragenden Sand nad Venedig. In einem fürstlichen Palaste sieht er den Venediger wieder und dieser zeigt ihm in seinem Spiegel, was seine Frau zu Hause

un und Müller: Niedersächsische Sagen und Märchen. 1855, 172, 5

® W. Manz: Volksbrauh und Volksglaube des Sarganserlandes. (Schriften der schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde Nr. 12.) 1916, 115, 116.

®» Wuttke: Volksaberglaube. »Der dreizehnjährige Sohn des Opfermannes zu Geitelde, Hans Reinhart wollte (1661) die Hexen sehen. Er setzt sich in der Walpurgisnaht auf einen hölzernen dreibeinigen Schemel, fährt damit in des Teufels Namen dreimal um das Dorf und setzt sih am Kreuzweg im Kreis, Endlih kommt ein grausamer Windsturm und darin sechs alte Weiber, die wollten ihn aus dem Kreise ziehen. Er nannte dann sechs Frauen aus Geitelde, darunter die eigene Mutter als Hexen. R. Andree: Braunschweiger Volks= kunde. 1901. 381, 382 und Soldan-Heppe: Geschichte der Hexenprozesse, 1911. I. 371. Beide nah H. Rhamm: Hexenglauben in braunschweigi- shen Landen (Wolfenbüttel). 1892. 94. Vgl. Röheim: A Iuczaszek. (»Der Hexenstuhl«.) Neprajzi Ertesitö, 1915. 8, 9. A. Löwenstimm: Aberglaube und Strafrecht. 1897. 47. Wenn wir nun bedenken, daß die häufigste Be- shuldigung, welhe man gegen die Hexen ins Feld führt, daß sie »virosque ne uxoribus, et mulieres, ne viris actus coniugales reddere valeant, impedires. J. Hansen: Quellen und Untersuhungen zur Geschichte des Hexenwahns. 1901. 25. »viros ad coeundum maleficio reddunt impotentes«. Ebenda. 294 (vgl. eben=- da: 97, 108, 129, 141, 210, 245, 260, 262, 283, 289, 295, 296, 320, 339, 350, 417, 452, 577 und Komäromy: Magyarorszägi Boszorkänyperek Okleveltära. 1910. 2, 5, 18, 38, 85, 87, 156, 157, 175, 176, 194, 195, 209, 244, 245, 264, 508, 509, 514, 530, 678) und daß die psychische Impotenz wirklich durch eine Fixierung der Libido an die Mutter entstehen kann. (Vgl. Ferenczi: Lelekelemzes (Psydoanalyse). 1914. 60), so werden wir das Erscheinen der Mutter im Spiegel als eine endopsyhishe Wahrnehmung deuten. Von diesem Standpunkt aus fällt ein ganz neues Licht auf den charakteristishen Zug der Hexenprozesse, daß die nächsten Angehörigen einander des Malefiziums beschuldigen. Vgl. noh C. G. Jung: Wandlungen und Symbole der Libido. 1912. »Mutter, furchtbare« im Index.

* M. Andree-Eysn: Volkskundlihes aus dem bayrisch=österreichischen Alpengebiet. 1910. 212, 213.

re 5 J. Jegerlehner: Sagen aus dem Unterwallis. (Schr. d. schweiz. Ges. 6.)

1909, 56.

Spiegelzauber 97

madt. Das war der Bergspiegel, mit dessen Hilfe er das Gold im Berge gesehen hatte. Als der Hirte versucht, die Goldmacerkunst zum eigenen Besten zu betreiben, vershwindet allesı, Zu einem Mann in Grund kamen jedes Jahr Leute aus Venedig, schauten in den Spiegel und sahen darin alles, was in den Bergen verborgen war, Der Gastgeber wußte dies und stahl den Spiegel. Er sah auch darin, daß das Innere des Iberg lauter Eisen ist und das Ganze auf Wasser shwimmt. Aber in der Frühe bemerkten die Venediger den Diebstahl, nahmen den Spiegel zurük und kamen niemals wieder in diese Gegend. Der Dieb verlor das, was er an den Venedigern stets verdient hatte?. In Edwein belaushte ein Bauer einen Fremden, wie er im Sande Gold wush und ahmte ihm nad. Er geht mit dem Golde nah Salzburg, da ruft plötzlich einer aus dem Fenster und ladet den Bauer ins Haus hinein. »Du, rühre nicht an meinem Sande, denn ih erschieße dih«, sagt der Fremde. Dann zeigt er ihm seinen Spiegel und in diesem sieht der Bauer sein Gehöft, seine Kühe und seinen Hirten?. Die Spiegelshau be- lebt die Erinnerungsbilder und diese bedeuten die esansenheir, das niht Bewußte und dunkel Geahnte und diese vertreten Gegen- wart und Zukunft. Der Venediger nimmt den Bergmann mit in seinen glänzenden Palast, wo er ihn vor einen Spiegel führt. In dem Spiegel sieht der Bergmann sich selber, wie er um die Hand seiner jetzigen Frau wirbt, wie er seine Braut zum Altar führt und noc vieles andere, was er schon längst vergessen hatte, was er sih aber jetzt ins Gedächtnis zurückruft. Dann führt ihn der Venediger vor einen anderen Spiegel, in diesem sieht er sein Heim, seine Frau und seine Kinder, die weinen und jammern, weil sie ihn für tot halten. Dieser Anblick greift ihm so sehr ans Herz, daß er in Tränen ausbricht. Schließlich zeigt ihm der dritte Spiegel die Zukunft, Er lebt mit seiner Familie in Hülle und Fülle, aber seine Habsudt stoßt ihn wieder in das Elend zurück. »Siehst du, sagt ihm der Venediger, das letzte wird nicht erfolgen, wenn du mir gehorsam bleibst.« Natürlich hält der Bergmann das Tabu nicht ein und die geträumten Schätze verschwinden’. Wie im Spiegel des Venedigers, so zeigt sich die Zukunft öfters im Spiegel, und jeder Versuch, dem Schicksal zu entrinnen, bleibt vergeblich, was

ı I. N. Alpenburg: Deutsche Alpensagen. 1861, 204, 205.

® Wrubel: Sammlung bergmännisher Sagen. 1882. 98, 99.

® Andree-Eysen: Volkskundlihes aus dem bayrisch-österreihishen Alpengebiete. 1910. 212. Vgl. auh W. Manz: Volksbrauh und Volksglaube des Sarganserlandes. (Schrift. d. Schweiz. Ges. f. Volksk, 12) 1916, 146. C. Meyer: Der Aberglaube des Mittelalters. 1884, 283.

* Hinsichtlih der drei Spiegel, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zeigen, vgl. I. Bibö: A szämok jelentese &s a gondolkodäs alapformäinak törtenete. (Die Bedeutung der Zahlen und die Geshichte der Grundformen des Denkens.) Neplelektani dolgozatok. (Völkerpsycologische Arbeiten.) 1. 1917. 16-21, 33, 34, 27, 37, 44, 49, 74.

5 Wrubel: Ebenda. 93-98: Nah Ey: Harzmärdhenbud. 40.

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DE Te nn

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von der Sprahe der Sage ins Psydologishe umscrieben der de- terminierenden Gewalt des Unbewußten gleihkommt. Eine Jungfrau sieht in einer großen kristallenen Kugel, daß der Bräutigam mit der Pistole auf sie zielt und dann auf sich selbst. Sie verlobt sich daraufhin mit einem anderen, aber die Vision bewahrheitet sich doh!. Die Vision im Spiegel drückt die unbewußten Befürchtungen des Mädchens, die es vor dieser Verlobung hegt und die dann durh die Lösung der Verlobung in der Tat die Ober- hand gewinnen, aus. Das folgende Beispiel zeigt wieder, wie der Verdadht zur Gewißheit wird. In Llandovery ging ein Knedt zum Seher und wollte erfahren, wer den in Verlust geratenen Widder estohlen habe. Der Seher zeigt ihm in einem großen Spiegel den Na seines Herrn. Er sagte ihm, daß nach drei Tagen abends neun Uhr der Dieb am Fuße eines Berges ihm entgegenkommen und sagen werde: »Hier ist der Widder deines Herrn, er hatte sih in die Ferne verirrt und ich habe ihn gefunden.« Und so ge= schah es audh?. In Steinitz hatte ein .kluger Mann einen Zauber- spiegel, zu dem ging ein Schäfer aus Schleife, um in den Spiegel zu sehen, weil ihm eine Hexe am Vieh und auch sonst viel Schaden tat. Aber der kluge Mann wollte dem Schäfer den Spiegel nicht zeigen, weil, wer hineinsieht, einen großen Schrecken kriegt. Denn der Böse hält die Hexe im Spiegel vor sich und sieht ihr über die Schulter. Dem Fragenden erscheinen im Sichtspiegel des Mannes zu Schwarzwasser fünf verschiedene Bilder vom Schmuggler- zuge. Er sieht auch seine Frau mit den Schmugglern und beobachtet die Gesellschaft bis zu ihrer Ankunft im Lager auf dem Rotenberge. Dann geht er zum Rotenbergwirt, der zeigt ihm die Lagerstätte, welche genau so aussah wie er sie im Spiegel gesehen hatte‘. Auf Jahrmärkten werden eine Art von Guckkästen aufgestellt, in denen jedermann die zukünftige Geliebte oder den Bräutigam im Spiegel sehen kann’. Hier wird gewiß der Ursprung des Schrankes der Siebenbürger Zigeuner zu suchen sein, von dem sie selbst sagen, er sei »für die Weißen« angefertigt. Der Apparat besteht aus einem kleinen Schranke, in welchem eine von außen drehbare vier- seitige Walze angebracht ist, über der Walze ist ein Spiegel be- festigt, einem in der Seitenwand des Schrankes befindlihen Guk- loche gegenüber. Auf zwei Seiten der vierseitigen Walze ist je ein Bild eines Mannes oder Weibes angebradt. Wenn nun der Fra=- gende durh das Loh in den Schrank sieht, so erblickt er sein Gesicht im Spiegel, weil eben die bilderlose Seite der Walze dem Spiegel zugekehrt ist, die Frau lenkt die Aufmerksamkeit des Fragenden ab, so daß er abermals in den Schrank blickend das

> W. von Schulenburg: Wendishes Volkstum. 1882. 88, * R. Kühnau: Schlesishe Sagen. 1913, III. 204-206. 5 Wuttke: Ebenda. 246.

Spiegelzauber 99

Bild, das sih auf der inzwischen gedrehten Walze befindet, im Spiegel sieht. Natürlih nur trübe und vershwommen, so daß die Einbildungskraft dann was immer daraus heraussehen kann!.

Da das im Spiegel erscheinende Ebenbild das zweite Ich des Aralogiezauber. Individuums ist, kann der Seher den in den Spiegel zitierten Dieb oder die Hexe auc verletzen. In der Nähe von Hohenstein zeigt der »Oberhexer« für einen Gulden die Hexe, von der man behext ist und bestraft sie auch gleich. Er schneidet dem Spiegelbild Nase und Ohren ab, damit man die Hexe solher Art erkennen könne, doh über Wunsh des Verzauberten schneidet er ihr auh den Hals ab?. Wenn jemand in Nikolivin (Gouvernement Jaroslav) beleidigt worden ist, so geht er zu einem Wahrsager. Der läßt ihn in ein Glas Wasser sehen, in dem nad einiger Zeit das Bild seines Feindes erscheint, der Beleidigte stiht nun womöglich in die Augen oder wenigstens in das Gesiht des Bildes und so kann er seinen Gegner an derselben Stelle verletzen?. In Gieboldshausen zeigt der weise Mann dem Fragesteller im Spiegel den Bruder als Dieb des Bienenkorbs. Der Wahrsager frägt: »Soll er nun sterben oder soll er ihm einen Arm oder einen Fuß abschneiden?« Der Geschädigte antwortet auf all das mit Nein, er will den Bruder nicht so streng bestrafen. Schließlih einigen sie sih dahin, daß sein Körper an- shwellen möge, bis er beinahe erstickt, dann aber soll er genesen‘. Im Kanton Zürih gab es einen Bezirksrihter, der den in den Zauberspiegel zitierten Dieb auch gleih umbradte’. In Edwein schießt der Venediger mit der Pistole auf das Spiegelbild der Kuh, zur selben Stunde steht zu Hause die Kuh des Bauern um‘. Im CI. Kapitel des Gesta Romanorum findet sih das Motiv des Ebenbildes gedoppelt, nämlih in der Form des Spiegels und des Wadsbildes. Die Frau eines Ritters, der das Heilige Grab besuchen will, verliebt sih in einen Kleriker »der wohl in der schwarzen Magie erfahren war« und von der Frau aufgefordert, ein Bild mit Namen des Ritters macht. Als der Gatte in Rom ankommt, ver- ständigt ihn ein gewisser, »kluger Meister«” von der drohenden

ı Wlislocki: Volksglaube und religiöser Brauch der Zigeuner. 1893. 94, 95.

®21. W. Kostolowski: Race für eine Beleidigung. Ardiv für Anthro- pologie. Bd. XXXIII. 1906. 306 (Etn. Obozr. 1902. Nr. IV.).

> M. Toeppen: Aberglauben aus Masuren. 1867. 39.

* Schambach-Müller: Niedersächsische Sagen. 1855. 172, 173.

> Wuttke: I. c. 246. Schweizerishes Archiv für Volkskunde. II. 269.

° Andree-Eysn: Volkskundlihes etc. 1910. 212. %

? Laut anderen Texten Virgilius, vgl. Charles Swan: Gesta Romanorum. 11.65. Deslongchamp: Essai sur les fables indiennes. 1838. 1. 153. 1. G. Büsching: Erzählungen, Dichtungen, Fastnadtsspiele und Schwänke des Mittelalters. I. 130. All diese zitiert G. Huth: Die Reisen der drei Söhne des Königs von Seren- dippo. Zeitschrift für vergleichende Literaturgeshicte. 1890. N. F. III. 310. »Ein kluger Meister« in der ungarischen Fassung. Katona: Gesta Romanorum. Übers. Haller (R. M. K. XVII). 1900. 295-297 und in H. Oesterley: Gesta Ro- manorum. 1872. 428. Vgl. ebenda. 727. Parallelen zu den Wacsbildern und

J. G. Th. Grässe: Gesta Romanorum. 1905. II. 266. Bodinus: De magorum daemonomania. 1586. 27, 387 —390.

L. j

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Gefahr. Er läßt ein Bad bereiten und den Ritter sich hineinsetzen. Nacdher aber gab er ihm einen hellpolierten Metallspiegel in die Hand, der ihm Wunderdinge zeigte. Er sieht in seinem Hause den Mönd, der ein ihm ähnliches Bild von Wachs gemadt hat, dieses an die Wand gestellt und nun mit einem Pfeil durhbohren will. Der Meister gebietet ihm, noch bevor jener den Pfeil abschnellt, ins Wasser unterzutauhen, denn so kann er das Bild nicht treffen. Der Versuh wiederholt sih dreimal, bis der zurückscnellende Pfeil den Mönd tötet!. Das Wasser wehrt dem Zauber, dies dürfte die geschützte Lage der Leibesfruht im Muttershoß symboli- sieren, wenn sih der Ritter im Wasser versteckt, folgt ihm auch sein Ebenbild in die Abgesclossenheit vor den bösen Zauberern der Außenwelt:.

ı Katona: Gesta Romanorum. (Text der Übersetzung von I. Haller. R. M. K. XVIIL) 1900. 295-297. J. G. Th. Grässe: Gesta Romanorum. 1905, I. 181-184. Vgl. dasselbe Grimm: Deutsche Mythologie. Vierte Ausgabe. 1877. II. 913 aus »Schimpf und Ernst. cap. 272.

2 Das Wasser bricht des Zaubers Macht, hebt den Einfluß der Dämonen auf, es bildet die wichtigste Grenze (vgl. A. van Gennep: Les Rites de Passage. 1909.) zwischen den beiden Welten des Profanen und Heiligen. Bei der Rückkehr vom Begräbnis läuft man in Tahiti ins Meer, taucht im Wasser unter und wirft die Kleider hinein. Ellis: Polynesian Researhes. 1830. I. 403. Audh nah dem sakralen Bogenschießen wird gebadet, ebenda. 301 und das Tabu kann man durch Waschen entfernen J. Cook: A Voyage to the Pacific Ocean. 1785. I. 410. Der Priester der Matamba wirft die Witwe einigemal ins Wasser, damit die Seele des Mannes darin ertrinken und die Frau in Ruhe lassen soll. W. Sonntag: Die Totenbestattung. 1878. I 113 und genau dasselbe geschieht in Celebes. G. A. Wilken: Das Haaropfer Revue coloniale internationale. II. 1886. 248, 249, D. s.: De Verspreide Gescriften. II. 427. In Borneo waschen die Kenyah die Krankheit, die aus dem Übertreten des Tabu stammt, mit dem Bfute eines Opfer- huhns und mit Wasser weg. Ch. Hose and W. Mc. Dougall: The Pagan Tribes of Borneo. 1912. II. 128. In Minehasa vertreibt das Wasser die Krank» heitsdämonen und schützt vor dem bösen Zauber. Wilken: Haaropfer. I. c. 251. Geschriften. II. 429. Die Bangalas bespritzen Bäume und Flußufer mit heiligem Wasser beim Anblick der ersten Europäer, die sie für böse Geister halten. H. M. Stanley: The Congo and the Founding of its State. 1885. II. 106. Die Karen ziehen einen Faden über den Bad für die Seele, E. B, Tylor: Primitive Culture, 1903. I. 442. König Guntrams Seele verläßt im Traum seinen Leib in Tiergestalt, aber den Bach kann es ohne Hilfe nicht überschreiten. J. Grimm: Deutsche Mythologie. 1877. II. 905. Die Baschkiren glauben, daß der Fiebergeist kein Wasser überschreiten kann. S. Roudenko: Traditions et Contes Badkires, Revue des Traditions Populaires. XXIV. 1909. 132. Fließendes Wasser zum Ver- treiben der bösen Mächte kennt sowohl die hebräishe wie auch die assyrische Magie. R. C. Thompson: Semitic Magic. 1908. 185, 188. (Vgl. ebenda im Index »Water« und »Washing«.) Fieberfrost heilt man, indem man ihn in eine Weide hineinhaudt, aber man darf über kein Wasser gehen. Grimm: Deutsche Mythologie. III. 475. Will man die Hexen sehen, so darf man am Weg kein Wasser überschreiten. Kühnau: Sclesishe Sagen. II 1913. 34. Langer: Deutsche Volkskunde aus dem ‘östlihen Böhmen. VI. 1901. 203. Hat man sie aber schon gesehen, so soll man schnell trachten, unter der Traufe oder übers Wasser zu gelangen, dann können einem die Hexen nichts anhaben. Drechsler:

Sitte, Brauh und Volksglaube in Schlesien. 1906. II. 246. Man sieht in der-

Andreasnaht des Zukünftigen Bild im Brunnen, aber nur, wenn man keine Wasser- leitung überschreitet. Hoffmann-Krayer: Feste und Bräuche des Schweizer- volkes. 1913. 96. In Guldal ist es wegen der Hexen gefährlih, den Arbeitern am

Spiegelzauber 101

Wir können jetzt auf jene Riten übergehen, mit deren Hilfe ein gewöhnlicher Spiegel in einen magishen umgewandelt werden kann. Da sich an jeden Spiegel gewisse Wünsche und Besorgnisse heften, deren Objektivierung nur in der Form magisher Qualitäten erfolgen kann, handelt es sih hier bloß um eine Steigerung der magischen Eigenschaften. Wir können aud hier, wie im allgemeinen bei jedem steigernden Ritus das Hineinspielen des Begriffs der Zauberkraft (Mana) voraussetzen, ohne uns mit dieser Erklärung zufrieden zu geben. Aus den aufzuzählenden Beispielen erhellt, daß

Felde Milh über einen Bach zu tragen. K. Liebrecht: Zur Volkskunde. 1879. 316. Die Bangalas überschreiten einen Bah, um sich vor der Seele der beerdigten Verwandten zu schützen. J. H. Weeks: Notes on Some Customs of the Ban« gala Tribe Folk-Lore. 1908. 93. Anderseits dürfen gerade die Totenträger nicht über Wasser. F. D. Bergen: Current Superstitions Journal of American Folk= Lore. 1889. 14. Bei den Weihnahtsumzügen der »Rusalki-Gesellschaftens der Bulgaren dürfen die Mitglieder bei ihren Wanderungen von Dorf zu Dorf nicht ins Wasser treten. Wenn ein Bach ihren Weg versperrt und sie ihn nicht über= springen oder umgehen können, so lassen sie sich hinübertragen. Strausz: Die Bulgaren. 1898. 357. In Nordungarn glaubt man, daß die Feen zwar bei der Quelle hausen, doh das Wasser nicht überschreiten können. Z. Elek: Gömör- megyei babonäk. (Aberglauben aus Gömör.) Ethn. VII. 1896. 288. In Irland kann sich einer, dem Feen oder Gespenster nachsetzen, in vollkommener Sicherheit fühlen, sobald er fließendes Wasser überschritten hat. W. I, E. Wentz: The Fairy Faith in Celtic Countries. 1911. 38. »It is a well-known fact, that witches, or any evil spirits, have no power to follow a poor wight any farther than the middle of the next running stream.«e R. A. Willmott: The Poetical Works of Robert Burns. 1856. 154. Tam o’ Shanter. »If you can interpose a brook betwixt you and witches, spectres or even fiends, you are in perfect safety. It is a firm article of popular faith, that no enchantment can subsist in a living stream.« W. Scott: Lay of the Last Minstrel, Canto. IN. Vers. XIII. Anmerkung. (The Poetical Works of Sir Walter Scott. Albion Edition. p. 680.) An den Banks- inseln verrichtet jeder seine Notdurft im Meere, weil das Wasser den Zauberer verhindert, der Exkremente habhaft zu werden und mit ihrer Hilfe den Menschen zu töten. Codrington: The Melanesians. 1891. 203. Kranke Kinder, die im Heilen begriffen sind, darf man vierzig Tage lang über kein Wasser tragen. Strausz: Bolgär nephit (Volksglaube der Bulgaren). 1897. 346. Die Ehsten spritzen ein paar Tropfen vom ersten Badewasser des Kindes auf das Fenster, damit Mondschein und Dämmerung dem Kinde nicht shaden sollen. Wiedemann: Aus dem inneren und äußeren Leben der Ehsten. 1876. 307. Vgl. ferner Goldziher: Wasser als Dämonen abwehrendes Mittel. Archiv für Religionswissenschaft. 1910. XII. 20 Sartori: Das Wasser im Totengebrauce. Zeitschrift des Vereins für Volkskunde. XVII. 1908. 353, 375. J. G. Frazer: On certain Burial Customs as illustrative of the Primitive Theory of the Soul, Journ. of the Anthr. Inst. 1885. 80. E. Crawley: The Mystic Rose. 1902. 198-200. E. B. Tylor: Primitive Culture. 1903. II. 429-434. Georgi: Beschreibung aller Nationen des russischen Reiches. 1776. 32, 34. Scheftelowitz: Die Sündentilgung durch Wasser, Ardiv für Religionswissenshaft. 1914. 353—412. Usener: Heilige Hand- lung. Ebenda. VII. 1904. 290. D. Westermann: Über die Begriffe Seele, Geist Schicksal bei dem Ewe=- und Tscivolk, A. R. W. VII. 106. A. W. Howitt: Native Tribes of South Bast Australia. 1904. 461. W. Crooke: An Indian Ghost Story. Folk=Lore. XII. 282. D. s.: Popular Religion and Folk-Lore of Northern India, 1896. II. 25. Skeat: Malay Magic. 1900. 77, 81, 277-279, 347, 348, 387, 399-401, 424. E. Samter: Geburt, Hochzeit und Tod. 1911. 85-89. A. van Gennep: Les Rites de Passage. 1909, 39, 134, 136, 138, 191, 227, R, Pettazzoni: I primordi della Religione in Sardegna. Ardiv für Religions«

Steigernde Riten.

102 Dr. Geza Röheim

man das Ziel auf dem Wege des Berührungszaubers (conta- gious magic) erreicht, indem nämlih der Spiegel mit einem Toten in Berührung kommen muß, von welchem er gewisse Bigenschaften übernehmen kann. Die Vorstellung des Spiegels, der alles zeigt, eine Objektivierung des Wunsches der Lebenden, alles zu sehen, verschmelzt leiht zu einem Komplex mit der Vorstellung über die Verstorbenen, die als Ersatz für den Tod ihres Leibes, nebst vielem anderen auch die Fähigkeit der Allsichtigkeit besitzen. Ein großer Teil der infantilen Schaulust wird ja gerade den Eltern, den Toten gegolten haben, nun wird diese Schaulust in eine entsprechende

wissenschaft 1913. 333. W. H. Bird: Ethnographical Notes about the Buccaneer Isfanders. Anthropos. 1911. 177. (Wasser vernichtet die Kraft des gegen das Ebenbild gerichteten Zaubers.) Nassau: Fetihism in West-Africa. 1904. 219. Moldovan: Alsöfeher varmegye romän nepe. (Die Rumänen im Komitat Alsö- feher.) 1899. 223. Wlislocki: Volksglaube und religiöser Brauch der Zigeuner. 1891. 113. I. Doolittle: Social Life of the Chinese. 1867. II. 373. Furness: Folk-Lore in Borneo. 1899. 24. F. Boas: Chinook Texts. (Bureau of Ethnology.) 1894. 209. Milne: Shans at Home. 1910. 34, 35. Nicholas: Reise nah Neus seeland. 1891. 41. W. E. H. Barrett: Notes on the Customs of the Wa-Giri- ama, Journ, Anthr. 1911. 33, 34. Z. Nuttal: Mexican Superstitions. Journ. Am. Folk-Lore. X. 277. Hornyänszky: A pröfetai ekstasis &s a zene. (Extase der Propheten und die Musik.) 1910. 56 Laistner: Das Rätsel der Sphinx. 1889, I. 116, 117. Strausz: Vilägteremtesi mondäk a bolgär nephagyomänyban. (Schöp- fungssagen in den bulgarischen Volksüberlieferungen.) Ethn. 1896. 209. Ich habe früher die Ansicht vertreten, daß diese Eigenschaften des Wassers aus dem Er- leihterungsgefühl zu erklären sind, die man bei seelischer Erregung, Fieber oder brennenden Wunden verspürt, wenn man sie mit dem Wasser in Berührung bringt. Die »Bösen« (Geister oder Menschen) oder die böse Zauberkraft ist die Ursache aller dieser Hitzegefühle, ist selbst ein übernatürlihes Feuer und wird somit durch ein ebenfalls magishes Wasser gelöscht. Röheim: A varäzserö fo= galmänak eredete, (Ursprung des Manabegriffes.) 1914. 225, Die Deutung dürfte ja aufrechtzuhalten sein, sie reiht etwa bis in die psychische Schichte des Vorbe- wußten. Wenn wir aber die Bedeutung des Wassers als Grenze des Jenseits (Wassergrab etc.) mit in Betraht ziehen (vgl. ©. Rank: Der Mythus von der Geburt des Helden. 1909.), so dürfen wir doh annehmen, daß das unbewußte, halb physishe Weiterleben der Erinnerung an die geschützte Lage im Uterus die tiefste Wurzel dieser Vorstellungen bildet. Die weit verbreitete Sitte der Taufe, die zweite Wassergeburt des Kindes stellt ganz sicher, wie Jung es richtig bemerkt, eine Nachahmung der Geburt dar (C. G. Jung: Wandlungen und Symbole der Libido. 1912. 306, vgl. E. Thurston: Castes and Tribes of Southern India. 1909. 52), sie deutet aber auch den Weg der Übertragung vom Frucdtwasser auf die Gewässer der Außenwelt an, wobei ihre dämonenabwehrende Kraft den »missing link< der ganzen Beweisführung herstellt. Vgl, über Taufgebräuce Pfannenschmidt: Das Weihwasser. 1870. Krohn: A finnugor nepek pogäny istentisztelete. (Heidnischer Kultus der finnish-ugrishen Völker.) 1908. 183, 185. Mikhailovski: Shamanism in Siberia and European Russia. Journ. Anthr. 1894. 148. W. Taurat: Die Zauberei der Basotho. 1910. 12. L. R. Farnell: The Evolution of Religion. 1905. 56, 57, 88, 162. W.E. Roth: Marriage Ceremonies and Infant Life. (North Queensland Ethnography Bulletin. 10.) 1908. 14. K. L. Parker: The Euahlayi Tribe. 1905. 52. R. Parkinson: Dreißig Jahre in der Südsee. 1907. 70, 71, 437, 442, 530. H. Zahn: Die Jabim. 294, St. Lehner: Bukaua. 400. (R. Neuhauss: Deutsch Neu-Guinea. 1911. III) D.G. Brinton: Myths of the New World. 1908. 144-151. A. v. Gennep: Les Rites de Passage. 1909. 88-90. Nassau: Fetihism in West-Africa. 1904. 212, 213. Ploss-Renz: Das Kind in Brauh und Sitte der Völker. 1911. I. 294-323,

Spiegelzauber 103

magische Fähigkeit umgewandelt und auf die Toten projiziert!. Wer in der Weihnachtsnadht, vor der Mitternahtsstunde einen am St. Nikolaustage »unbeshrien« gekauften Spiegel vergräbt, wird nach einem Jahre einen »Bergspiegel« erlangen, der alle Schätze der Erde zeigt”. Um die Spitzbuben sehen zu können, kaufen die Wenden einen Spiegel, ohne etwas abzuhandeln, und graben ihn unter einen Galgen, wo schon Menschen erhängt wurden, neun Nächte fang ein, und zwar jede Nact an einer verschiedenen Stelle. Die letzte Nacht, wenn man den Spiegel abholen will, kommt der Teufel (&ert) und hält ein Buch hin, in dem muß man sich unter- schreiben®. In Desfawen kauft man, ohne zu handeln, einen Spiegel und sowie jemand im Dorfe stirbt, legt man den Spiegel mit nadı abwärts gekehrter Spiegelplatte auf sein Grab. Nacı einem Monate hebt man ihn aus und der zetberspiege| zeigt jetzt jeden Diebs- anschlag oder feindliche Absicht. Den Toten, in dessen Grab der Spiegel war, muß man anrufen: »Josef, ic bitt dich, zeig mir den, der das oder das gestohlen hat.« Darauf erblidt man im Spiegel die Gestalt des Diebes‘. In Baden vergräbt man einen an den vier Eden mit dem Kreuzzeihen versehenen Spiegel in Gegenwart zweier Zeugen, ohne dabei ein Wort zu reden, in mondheller Nadıt auf dem Kreuzwege. Wenn man ihn solange dort läßt, bis drei Leichen darüber fahren, wird daraus ein Bergspiegel’. In Vohenstrauß öffnet man um Mitternaht das Grab des Selbst- mörders® und legt den Spiegel auf dessen Antlitz. Man muß ihn drei Tage und drei Nächte hindurh dort liegen lassen und dann in einer einsamen Waldquelle abwaschen. Man bekommt dann einen »Erdspiegel«, aus welhem man alles sehen kann, was man nur will. Ein solcher Spiegel zeigt die verborgenen Schätze, die Erz- lager, die Quellen, das gestohlene Gut und den Aufenthaltsort der Seelen in der Unterwelt!. Außer den Selbstmördern sind die im Wocenbett verstorbenen Frauen geeignet, den Spiegel in einen magischen zu verwandeln®. Beim Thema des Schatzsucens habe ich bereits die Möglichkeit der symbolishen Übertragung von der Mutter auf die Mutter Erde angedeutet. Wir können jetzt bereits

ı Dazu kommt noch das Motiv der infantilen Furht vor dem allsehenden Auge des Vaters. Vgl. 7. und 8. Kapitel unten.

2 Birfinger: Volkstümlihes aus Schwaben. 1861. I. 337.

3 W. v. Schulenburg: Wendishes Volkstum. 1882. 87, 88.

4 A. John: Sitte etc. im deutschen Westböhmen, 1905. 276, 277.

5 E. H. Meyer: Badisches Volksleben. 1900. 563, 564.

° Vgl. über den im Augenblik des Selbstmordes erscheinenden Doppel- gänger. ©. Rank: Der Doppelgänger. Imago. 1913. 99, 108, 117. Vgl. aud Seefried-Gulgowski: Von einem unbekannten Volke in Deutschland. 1911. 190,

: Schönwerth: Aus der Oberpfalz. 1859. III. 218.

s Vgl. dieRolle der schwangerenFrau bei derSpiegelshau. Kiesewetter: Faust in der Geschichte und Tradition. 1893. 466. »Adhibebatur puer impollutus aut mulier praegnans.< P. G. Schott: Magia universalis naturae et artis. 1677. IV. Lip. VI. II. 533, ferner bei den Spiegelschauverboten, hinsichtlih der Frauen im Kindbett, ebenda. Siehe die Erklärung, ebenda und im Kapitel Reinkarnation,

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mit größerer Bestimmtheit darauf hinweisen, daß man mit Hilfe des von der verstorbenen Mutter erlangten Spiegels in den Schoß der Mutter Erde hineinschauen kann!, Im 72. Kapitel des »Höllenzwanges« wendet man sich bei der Spiegelshau an Sancta Helena®. Hinter dem Rücken eines keushen Knaben kniet der Beshwörer und bittet die Heilige, daß sie »durh die Liebe, die du zu deinem Sohne Constantinum gehabt hast usw., im Kristall die gesuchte Vision offenbare«®, Dann erscheint im Kristall ein Engel, der die Fragen des Knaben beantwortet. Das alles soll geschehen »in ortu Solis, cum iam Sol emerserit et aer fuerit serenus et clarass‘. Es ist klar, daß in den folgenden Riten die im Kindbett verstorbenen Frauen gleihsam den Prototypus des Weibes, die Mutter darstellen. In Thüringen kauft man, ohne zu feilshen, einen durch ein kleines Deckblatt verscließbaren Spiegel und wartet, bis sih eine im Kindbett verstorbene Frau findet, die am Charfreitag begraben wurde. Wer den magischen Spiegel erlangen will, geht bloß mit einem Mantel bekleidet um elf Uhr in den Friedhof. Bei der Friedhofsmauer wirft er den Mantel ab und springt ganz splitternakt über die Mauer. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes steckt er den Spiegel mit nach abwärts gekehrtem Spiegelblatt in das Grab und das Gesicht dem Spiegel zugewendet, geht er rüclings schrei- tend zurück. Er muß dies drei Nächte hindurch wiederholen, in der dritten Nacht entsteht ein Gewitter. Jetzt nimmt er bereits »in Dreiteufelsnamen« den Spiegel heraus und geht, das Spiegelblatt an seinen Leib pressend, rüclings schreitend damit fort. Mittlerweile uält der Teufel den Menschen ab, doch dafür besitzt er jetzt schon den Zauberspiegel, der den Dieb, die verborgenen Schätze zeigt und die Hexe erkennt usw.°. In Neukirchen legt man sich mit dem Rücken auf das Grab einer Wöcnerin, unter sich einen Spiegel, Die Frau kann den Spiegel nicht ertragen und stößt ihn heraus,

! Vgl. die Erklärung, die Wünsch zur ersten Silbe des Wortes Erd- spiegel gibt und über das Spiegelorakel im Heiligtum der Erdmutter Demeter. R. Wünsch: Ein Odenwalder Zauberspiegel, Hessische Blätter für Volkskunde. re ee Ferner A. Abt: Die Apologie des Apufeus von Madaura,

2 Vgl. ihre Legende bei E. Lucius: Die Anfänge des Heiligenkults in der christlihen Kirche, 1904, 107, 505.

> C. Kiesewetter: Faust in der Geschichte und Tradition. 1893. 466, 467.

Re Hier, Cardanus: De rerum varietate. 1556. 1088, 1089. Lib. XVI cap. 93.

5 Vgl. ihre Rolle in der mexikanischen Mythologie. W. Lehmann: Die fünf im Kindbett gestorbenen Frauen des Westens und die fünf Götter des Südens in der mexikanishen Mythologie. Zeitschrift für Ethnologie. 1905, 848,

° Wuttke: I. c. 245, 246. Weinhold: Zur Entwicklung des Heidnishen Ritus. 1896. 9. E.L. Wucke: Sagen, von der mittleren Werra. 1864. II. 29. Das Rükwärtsscreiten symbolisiert die Regression, und zwar in diesem Falle die Regression in der Richtung des Narzißmus und der auf den Teufel projizierten infantilen Komplexe. Deshalb beginnt der Ritus im Namen der Dreifaftigkeit und endet in »Dreiteufelsnamen«.

Spiegelzauber 106

so wird daraus ein »Erdspiegel«. Jeder glänzend polierte Gegen- stand kann für diesen Zweck benützt werden!. Die auf die An- fertigung des »Erdspiegels« bezügliche Anleitung des »Höllenzwanges« weicht von dem bisherigen insofern ab, daß der die Zauberkraft erteilende Verstorbene hier ein Mann ist. Kapitel LXVII handelt, »wie man einen Erdspiegel madt, alles in der Erde verborgene Gut darinnen zu sehen«?.. An einem Freitag muß man, ohne zu feilshen®, einen neuen Spiegel kaufen. Man muß ihn im eigenen Namen im Friedhof auf das Antlitz eines verstorbenen Marines eingraben und adt Freitage lang dort lassen. Am neunten Freitag nehme ihn heraus, geh damit an einen Kreuzweg und lege ihn »in dreyer Geister Namen« in die genaue Mitte des Kreuzweges. Jetzt

! Schönwert: Aus der Oberpfalz. 1859. III. 218.

2 Die Schätze gehören natürlih den Seelen der Unterwelt, deshalb bedarf es für den Spiegel der Kraft einer Seele. Vgl. A. Bän: A kincskereses a nephit- ben. (Das Schatzsuchen im Volksglauben.) Ethn. 1915. 28.

3 Eine Erklärung für diese außerordentlich verbreitete Regel wird ebenfalls gegeben, »damit dir ihn kein Geist tadeln kann«. Kiesewetter: 463. Wer handelt, bewertet den Gegenstand, den er kaufen will, geringer, d. h. er setzt dessen Wert auc objektiv herab Vgl. J. A.E. Köhler: Volksbrauh, Aberglauben etc. im Voigtlande. 1867. 364. R. Reichhardt: Die deutshen Feste in Sitte und Braudh. 1911. 55. Benköczy: Egervideki babonäk. (Aberglauben aus Eger.) Ethn. 1907. 101. Die Geister, die den gekauften Spiegel tadeln. könnten, sind auch hier, wie stets, die eiizierten Komplexe des Käufers, für die also die Größe des gebrahten Opfers den subjektiven (d. h. also auch magishen) Wert des Gegen- standes bestimmt.

+ Besser als mit den »im eigenen Namens durchgeführten Ritus kann man die seelishe Attitude des Narzißmus kaum charakterisieren. In diesem Falle ist der Ritus eher progressiv oder stagnierend, denn der Spiegel wird »im eigenen Namen« vergraben und dann »in dreyer Geister Namens am Kreuzweg hingelegt. Infolgedessen entfällt das Motiv des Rückwärtsgehens. Außer der Regression kann das Rückwärtsgehen auch das Rückgängigmahen des Gescehenen bedeuten, z. B.: Man »kiiegt das Messen«, wenn man nur in einem Schuh läuft, man kann jedoch ‚dadurch vorbeugen, daß man den nämlichen Weg wieder zurücläuft. P. Drechsler: Sitte, Brauh und Volksglaube in Schlesien. II. 1996. 312. Vgl. D. s.: Mitteilungen der Gesellschaften für schlesishe Volkskunde. VII. 45. Die Regression ist ja auch ein Rückgängigmacen des intrapsychish Geschehenen. Das Rückwärtsgehen wird als Zurückgehen in den Mutterleib gedeutet von M. Jellinek: A sarü eredete. (Ursprung des Schuhes.) 1917. Vgl. Silberer: Probleme der Mystik und ihrer Symbolik. 1914. 175. Wenn ein Kindermädhen mit dem Kinde auf dem Arm rückwärts geht, bevor dasselbe laufen kann, so lernt das Kind schwer gehen. Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. 1880. 447. Das bulgarishe Kind darf beim ersten Ausgang aus dem Hause nicht rückwärts hinausscreiten. Strausz: Die Bulgaren. 1898. 298. Kinder, die rückwärtsgehen, graben zwar nicht sich selbst, sondern den Eltern das Grab. Drechsler: Sitte, Braud. I. 216. Wuttke: I. c. 394 als Analogiezauber zu deuten ist; dadurch sollen die Eltern auh rückwärts- gehen, d h. sterben. Vgl. noh: »Wenn ein Anfall von Fallsucht auftritt, so dreht man den Spiegel um (Wuttke: 334). Man will hier den Doppelgänger, der sih gewissermaßen »verkehrt« und dadurch den epileptischen Anfall hervorgerufen hat, durch abermaliges Umkehren in die alten Bahnen bringens, Negelein: Bild, Spiegel und Schatten im Volksglauben. Archiv für Religionswissenschaft. V. 29.

h., wenn wir die Rolle der Regression im Krankheitsbild der Epilepsie berücksichtigen, so bedeutet das Wenden des Spiegels den Versuch, die Richtung der Libidoströmung wieder ins Progressive zu wenden.

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muß man sich die Hilfe Ariels und Marbuels verschaffen, die die Tiefen der Erde auftun und die schatzhütenden »Stammgeister« vertreiben. Schließlich bleibt der Spiegel noch weitere neun Freitage hindurh im Grabe, dann muß man ihn herausnehmen und ohne hineinzushauen folgendes sagen: Bannung. »Ih N. banne dich Geist Ariel, dich Geist Aciel, dich Geist Marbuel, in meinen Spiegel durh Rore + ipse + Loisant + et Dortam + Bolaimy + Acom + Coelum + Quiavitit + Sammas + Restacia + o Adonay + o Jehova + prasa Deus.« Und so fort in einer unendlihen Litanei, die eingangs genannten drei Geister (»drey Fürsten«) bittet man,

im Spiegel zu bleiben und die Welt der verborgenen Schätze zu

offenbaren. Aber Mephisto hat an all dem noch nicht genug, denn wenn die drei Geisterkönige bereits glücklih in den Spiegel gebannt sind, fordert er, »daß du ihn (nämlih den Spiegel) auf einen Altar bringst, daß die Geister, von einer ordinierten Person konsekriert werden, damit sie dir die Wahrheit anzeigen«. Drei Sonntage bleibe der Spiegel auf dem Altare, aber man muß adt haben, daß in- zwishen keine »Leihen-Konsekrations darauf stattfinde, denn sonst ist die ganze Mühe vergeblih gewesen!, Eine Handschrift aus dem Anfang des siebzehnten Jahrhunderts zeigt den seltenen Fall, daß man den Ausgangspunkt eines Teils des Ritus im Volks- märchen suchen muß. Die Anleitung besagt, »sich unsichtbar zu machen, auch Fortunatusbeutel und einen glüclichen Spiegel zu bekommens«, Kaufe am Charfreitag, ohne zu handeln, drei shwarze Hennen, koche sie, ohne dabei ein Wort zu reden, an einem ver= borgenen Orte gar und trage sie nach Sonnenuntergang »unuer- meldt« dorthin, wo sich der Weg spaltet, grabe drei Löcher und in jedes stecke ein gekochtes Huhn. Am Morgen, wenn du zurüc= kommst, findest du im ersten Loch einen Ring, wenn du diesen an deinem Finger oder Halse umdrehst, bist du unsichtbar, solange, bis den Ring nicht Wasser trifft. Im zweiten Loch findest du einen Gulden, so oft du diesen auch ausgibst, wird daneben immer ein anderer sein. Im dritten Loch findest du einen Spiegel, in welhem du alles, was du willst, siehst, aber du mußt zuerst einen Hund oder eine Katze hineinshauen lassen®. Abgesehen von den aus dem Fortunatusmärden hiehergelangten Zügen weisen die näctlihe Stunde, die Gruben, der sih spaltende Weg® und

! Kiesewetter: Faust in der Geschichte und Tradition. 1893. 463, 464.

® C.Bartsch: Zauber und Segen. Zeitschrift für deutsche Mythologie. III. 330.

Vgl. über Kreuz- und Sceidewege. Roscher: Hekate. Ausf. Lexikon. I. 1890, 1891, 1894. Gruppe: Griechische Mythologie und Religionsgescicte. 1906. I. 761. Il. 1291. F. Boll: Griehishe Gespenster. Ardhiv für Religions= wissenschaft. XII. 149-151 (Lekanomantie auf dem Kreuzwege). R. C. Thomp= son: Semitic Magic. 1908..177, 201. Oldenberg: Die Religion des Veda. 1894. 267, 268, 442, 495, 497, 510, 562. (Auf dem Kreuzwege errichtet man dem König einen Grabhügel.) W. Crooke: The Popular Religion and Folk-Lore of Northern India. 1896. I. 78, 165. A. Maury: La Magie et l’Astrologie. 1864. 176, 177.

F. S. Krauss: Slawische Volksforshungen. 1908. 38. Drechsler: Sitte, Brauc. etc. und Volksglaube in Schlesien, 1903. I. 1906. II. Laut Index. Wuttke: Volks=

Spiegelzauber 07,

das Opfer schwarzer Hühner! auch hier auf den chtonishen Vor-

stellungskreis.

Bevor wir die Märchenvarianten des Seherspiegels berücksichtigen, wollen wir der materiell-ethnographishen Seite der Frage, dem so- genannten Formkriterium? einen kurzen Exkurs widmen. In Österreich finden wir den dreieckigen W alpurgisspiegel®. In Thüringen den viereckigen Zauberspiegel*. In Lechrain den »Bergspiegel«, ein mit Weihwasser gefülltes »Uringlas« und den Erdspiegel, eine runde Metallscheibe?,

abergfaube. 89 und laut Index. Wlislocki: Volksgfaube und religiöser Brauc der Magyaren. 1893. 166. P. Sebillot: Le Folk-Lore de France. I. 80, 206-208, 210, 288. III. 36, 86, 123, 135, 240, 487. A le Braz: La Legende de la Mort chez les Bretons Armoricains. 1902. I. 56, 172. (Vernichtungszauber an drei Kreuz- wegen. II. 314, 390, 396.) J. H. Weeks: Notes on Some Customs of the Lower Congo People. Folk-Lore. XIX. 423 (Zwillinge, durch den Blitz erschlagene Menschen und Selbstmörder bestattet man am Kreuzwege. Vgl. die oben zitierten griehishen Quellen und E. Rohde: Psyce. 1907. I. 320, II. 83, 410). B. Gutt=- mann: Die Opferstätten der Wadshagga. A. R. W. XII. 98 (Opfer der herum= irrenden Seelen). Abiose: Some West-African Customs. Folk-Lore. XVII. 1907. 871 (Das krähende Huhn tötet man und verzehrt es auf dem Kreuzwege). J. H. Weeks: The Congo Medicine Man. Folk-Lore. 1910. 454. E. M. Leather: The Folk-Lore of Herefordshire. 1912..83, 122, 123. W. Crooke: King Midas and his Ass’s Ears. Folk-Lore 1911. 185. E. Westermarck: The Origin and the Development of the Moral Ideas. 1908. II. 256 (Begräbnis). Lippert: Die Religion der europäischen Kulturvölker. 1881. 310. Der Kreuzweg ist die auto= symbolische Projektion der seelischen Spaltung, der einander kreuzenden Impulse, welche die sih an die Bewohner der Unterwelt wendende gerährliche Zeremonie, d. h. die Introversion, begleiten. Dieselbe Erklärung gibt Silberer: Probleme der Mystik und ihrer Symbolik. 1914. 171 über Scheidewege im Märden.

ı Vgl.I. Scheftelowitz: Das stellvertretende Huhnopfer. 1914. F. Dörfler: Kakas, tyuk &s tojäs a magyar nöphitben. (Hahn, Huhn und Ei im ungarischen Volksglauben.) Ethn. VI. 205. Blau: Huhn und Ei im Glauben des Volkes im oberen Angeltale. Zeitschrift für österreibische Volkskunde. 1902 Fehrle: Der Hahn im Aberglauben. Hessische Blätter für Volkskunde. XVI. 65. Wasiljew: Über- sicht über die heidnishen Gebräuche, Aberglauben und Religion der Wotjaken. Mem de la Soc. Finno-Ougrienne. XVIIL. 1902. 108. A. Strausz: Bolgär n£phit. Bulgarischer Volksglaube.) 1897. 340. G. Moldovän: A magyarorszägi romä= nok. (Die ungarländishen Rumänen.) 1913. 491. Wlislocki: Volksglaube und religiöser Brauch der Magyaren. 1893. 166. Marienescu: Az äldozatok. (Die Opfer.) Ethn. II. 56. Vgl. auch oben über Huhnopfer und Schatzgräberei.

2 Dem Formkriterium wird im Lager der »Kulturkreisler« eine außerordent= lih übertriebene Bedeutung zugeschrieben. Vgl. Gräbner: Die Methode der Ethnologie, 1911. Dr. Meszäros, geht in seiner öfter zitierten Abhandlung (Der ungarishe Rundspiegel. Neprajzi Ertesitö. 1914, 1915.) von der Annahme aus, der runde, grifflose Spiegel sei ausschließlih dem Kulturkreis der Völkerwanderung eigen und somit seien auch die westungarishen Formen auf China zurückzuführen.

> Th. Vernaleken: Alpensagen. 1885. 109-112.

t Wuttke: Volksaberglaube. 245.

5 Leoprechting: Aus dem Ledrain. 1855. 93, 94. Zum Uringlas mit Weih- wasser, vgl. Scot: Discoverie of Witchcraft. 1651. 188. Bourke-Krauss=-Jhm: Der Unrat in Sitte, Brauh etc. der Völker. Beiwerke zum Studium der Anthro- pophyteia. VI. 1913. 222. Eine besondere Determinante für das »Uringlas« bildet natürlich die magische, beziehungsweise vom Standpunkte der infantilen Sexualität, die affektive Bedeutung des Urins. Die Mongolen halten, um zu dem als Arznei hodh= geschätzten Schildkrötenurin gelangen zu können, dem Tiere einen Spiegel vor, worauf dieses beim Anblick seines Ebenbildes ihnen das Gewünschte abgibt. Seligmann: Der böse Blick. 1910. I, 182, nah Kirilow: Bote für Sozialhygiene. 1892. 103.

Ethnographisch- kultur-

historisches.

108 Dr. Geza Röheim

also eben jener Typus, der nah Dr. Meszäros auf den dinesi= shen Ursprung hindeutet. Ebenso wie Europa nicht aus- scließlih die Heimat der viereckigen oder mit einem Griff ver- sehenen runden Typen bildet, finden wir auch im nahen Orient nebeneinander die runden und eigen, gestielten und grifflosen Formen!. Im fernen Westen, in Wales finden wir ebenfalls den Rundspiegel?. Von allen diesen aber wissen wir nicht sicher, ob sie niht zu dem gestielten, runden Typus gehört haben, die Grifflosig- keit ist aber ganz sicher bei dem odenwalder Zauberspiegel. Dieses Exemplar wurde in Breitenbrunn aufbewahrt, es diente zum Sehen in die Zukunft, sowie auh zum Schatzsuhen. Nur ein am weißen Sonntag? geborner Mensch kann ihn benützen und auch dieser muß ihn anfangs vor den Augen halten und mit dem Hut zudecen. Das Ganze ist ein rundes Lederfutteral im Durchmesser von sieben Zentimeter mit ein Zentimeter hohem Rand, dazu gehört ein Deckel aus Fensterglas und ein rundes Papierblatt, auf welchem auf das achtzehnte Jahrhundert deutende Buchstaben sichtbar sind. In das Lederfutteral füllt man Erde (deshalb Erdspiegel). Auf diese legt man das Papierblatt und darauf die Glasscheibe, auf welcher die gewünschte Vision erscheint. In der Mitte des Papierblattes ist der »Drudenfuß«, das Hexagramm sichtbar, die Buchstaben aber ergänzt Wünsch folgendermaßen: [Eli] as [pro] phet [a]. Das Hexagramm umgeben die Planeten‘. Das Hexagramm ist in ein Quadrat gefaßt, in dessen vier Ecken wir die Namen der vier Erzengel sehen. Das Quadrat ist von zwei konzentrishen Kreisen umgürtet, im inneren Kreise befinden sih die Namen der vier Evangelisten, im äußeren Kreise ist die Schrift nur zur Hälfte les= bar... Jehova +... Alpha et Omega’. Die Formel können wir nah Quellen aus dem sechzehnten Jahrhundert dahin ergänzen »+ om Elohim + Adonai + EI Zebaoth + Agla Jehova + Alpha + Omega®. Aus Haute-Gruyere ist ein mit ähnfiher Formel ver- sehener Spiegel bekannt. Die ganze folgende Beschreibung stammt

ı M. Reinaud: Monumens arabes, persans et turcs. 1825. II. 393, 394. China wird hingegen tatsählih durch den runden Typus charakterisiert (R- Wilhelm: Chinesische Spiegel. Ostasiatishe Zeitschrift. II. 65-87).

2 Trevelyan: Folk-Lore and Folk-Stories of Wales. 1909, 215, 216.

® Invocavit: der erste Sonntag der Fastenzeit. Der Zusammenhang zwishen der Geburt am Fastensonntag und der Spiegelshau haben wir wahr= sceinlih in dem dem Sehen vorausgehenden Ritus des Fastens zu sucen. Wer »an einem goldenen Sonntage« in den »Erdspiegel« schaut, soll unter einem gewissen Zeihen in der zwölften Stunde geboren sein. Leoprechting: Aus dem Ledrain. 1855. 93. Haberland: I. c. 338.

* Vgl. den nad astrologischen Prinzipien verfertigten Zauberspiegel des Pico di Mirandola. S. Rubin: Geschichte des Aberglaubens, 31. M, Reinaud: Monumens arabes, persans et turcs. 1828. II. 404-417. Miroir astrologique.

5R. Wünsch: Ein Odenwalder Zauberspiegel. Hessishe Blätter für Volkskunde. 1904, 155.

6 W. Mannhardt: Zauberglaube und Geheimnisse im Spiegel der Jahr- hunderte. 1909. 165. Die Ergänzung ist nah Wünsh, obshon in der Quelle die Formel sid nicht auf einen Spiegel, sondern auf einen magischen Kreis bezieht. Vgl. zum Ganzen Zt. d. V. f. Vk, 1913. 223,

Spiegelzauber 109

aus dem französishen »Grand Grimoire«. Sie hat den Titel »Secret magique, rare et surprenant, Maniere de faire le miroir de Sala=- mon! propre a toute divination«. Solange als der Spiegel verfertigt wird, darf man keine »action charnelles begehen weder in der Tat, noch in Gedanken. Wir finden hier also wieder den oben behan- delten Zusammenhang zwishen Narzißmus, Spiegelshau und Keuscheit. Doch neben der individual=psydhologishen Erklärung erscheint dies natürlih auch als Ausfluß der christlich-mittelafterlihen Weltanschauung, wie dies die folgende Regel zeigt, die viele mild- tätige, fromme Handlungen vorschreibt. »Dann nimmt man eine glänzend gescliffene, ein wenig konkave Stahlplatte und schreibt mit dem Blute einer weißen Taube? in die vier Ecken die Namen Jehova, Elohim, Mebiaton (sic), Adonai und wickelt sie in reine, weiße Leinwand. Wenn man den Neumond sieht?, geht man in der ersten Stunde nach Sonnenuntergang zum Fenster und sagt andädtig: »O Eternel, O Roi £&ternel, Dieu ineffable qui avez cree toutes choses, par amour et par un jugement occulte, pour la sant& de ’homme, regardez-moi, N. votre serviteur tres indigne et mon intention et daignez m’envoyer l’ange Anael sur ce miroir quil

! Der berühmte magishe Ring des Königs Salamon (Salzberger: Die Salamonssage in der semitishen Literatur. 1907. Kap. II.) scheint sich im euro= päishen Folk-Lore in den Spiegel Salamons verwandelt zu haben. So in zwei russishen Salomosagen bei Dr. Meszäros: A magyar kerek tükör. (Der unga= rische Rundspiegel.) Ertesitö. 1914. 238. Ferner: »Oglinde fu Solomonu Imperatus. Saineanu: Basmele Romäne. 1895. 771. Auch auf dem Odenwalder Spiegel befindet sich das Sigillum Salamonis. Der Spiegel gleitet in den Typus des Fortu- natusmärchen hinüber und erscheint dort als Wunscgegenstand neben dem Ring. (A. Aarne: Vergleichende Märcenforshungen. Mem. Soc. F, Un. XXV. 1908. 34.) Der alles zeigende Spiegel und der unsichtbar-mahende Ring (©. Rank: Die Nacktheit in Sage und Dichtung. Imago. 1913. 438) sind komplementäre Symbole, denn der mit Hilfe des Ringes unsichtbar gewordene Mensch befriedigt die eigene Schaulust: Gyges belauscht die-nackte Königin. I. c. Der Spiegelshau analog ist das Schauen durch den Ring oder durch eine Spalte. (H. Bertsch: Weltanschauung, Volkssage und Volksbraud. 1910. 138, 139.) Vgl. Feilberg: Der böse Blick in nordischer Überlieferung. Zt. d. V. f. Vk. 1901. 429. Den Spiegel Salamonis erwähnt noch Reichardt: Vermischte Beiträge zur Beförderung einer näheren Einsicht in das gesamte Geisterreih. 1781. I. 518, zitiert bei Kiesewetter: Faust. 334.

® Mit dem Taubenblute vertreibt man die Warzen und sonstigen Aus- shläge, es ist also offenbar das Symbol der auch anderwärts betonten Reinheit. Vgl. Wuttke: I. c. 343, 119.. Die Taube ist im allgemeinen Symbol des Heiligen Geistes und als solcher Gegner des Teufels. (Vgl. übrigens E. Jones: Die Empfängnis der Jungfrau Maria durch das Ohr. Jahrbuch der Psychoanalyse. 1914. V1. 187, 188.) Intrapsychisch aufgefaßt entspricht ihre Rolfe der Sublimierung, besonders der teuflishen, der schwarzen (analerotischen) Wünsche, Vgl. den Kampf der Taube und des Raben um die Seele (Autosymbolish), E.M. Leather: The Folk-Lore of Herefordshire. 1912. 166. Strackerjan: Aberglauben und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg. 1909. I. 320. Ipolyi: Magyar Mythologia. (Ungarische Mythologie.) 1854. 359. Die Hexen vermögen die Gestalt eines jeden Tieres anzunehmen, nur nicht die der Taube. Drechsler: Sitte, Brauh usw. II. 123. Strackerjan: Aberglaube etc. aus Oldenburg. 1909. I. 403. H. v. Wlis- locki: Märchen und Sagen der transsylvanischen Zigeuner, 1886. 105. R. Kühnau: Sclesishe Sagen. 1911. II. 559, III. 1913. 226.

> Vgl. den Zauberkreis am Neumondfreitag. Kiesewetter: Faust. 1893. 447.

110 Dr. Geza Röheim

mande, commande et ordonne & ses compagnons et a vos sujets que vous avez faits ö& Tout-puissant, qui avez &t&, qui tes et qui serez eternellement qu’en votre nom ils jugent et agissent dans la droiture pour m/instruire et me montrer ce que je leur deman- drais. Man nimmt entsprehend wohlriehende glühende Kohle und spricht: unter Erwähnung der Cherubim und Seraphim ein neues Gebet, in welchem man Anael in einer der vorigen ähnlihen Weise anruft. Das muß man achtundvierzig Tage hindurh wiederholen. Nach Ablauf der actundvierzig Tage, manchmal auch schon früher, erscheint Anael in Gestalt eines herrlihen Knaben! und be-

fiehlt seinen Genossen, dem Eigentümer des Spiegels Gehorsam zu .

leisten. Vor dem Gebrauch muß man den Spiegel stets mit Safran duftig machen und mittels der Zauberformel Anael zitieren’. Dem französishen Verfahren entspricht vollkommen das des »Höllen- zwangs«®, das seinerseits wieder dem ungarishen Stahlspiegel zum Muster diente. Der Titel des Kapitels lautet: »Ein Experiment von einem stählernen Spiegel seu Divinatio Specularis.« Fertige einen Stahlspiegel an, das heißt, nimm ein rundes Blehstück als Spiegel und laß es schleifen bis es völlig glänzend wird. Dann nimm einen anderen Stahlspiegel, einen ebenso großen, doch dieser soll nicht glänzend sein und lege ihn auf die andere Seite, ohne hinein= zuschauen. Es bedarf auch eines Stück Holzes oder, wenn dieses nicht vorhanden ist, eines Papiers, über welches der Geistlihe das Evangelium Johanni lesen muß, aber der Geistlihe muß sich vor- her drei Tage des Weibes enthalten haben, au. soll das Papier- blatt mit Weihrauch beräucert, mit Weihwasser besprengt worden sein. Aus dem Papier schneide ein rundes Blatt heraus, genau so groß, daß es dem Spiegel entspricht; auf dieses aber schreibe in den ersten Kreis Alpha et Omega, Adonay, in den zweiten Tetragrammaton, Sabaoth, Emanuel, in den dritten »Verbum caro factum este. »Der schwarze Circul oder Umkreis aber soll haben eben diese Namen in einem Umkreisse durch das Widerspiel.« Der Geistliche liest drei Messen über dem Spiegel, dann das Evangelium Johanni und, wenn er zu den Worten kommt »Verbum caro fac- tum ests, macht er über den Spiegel das Kreuzzeihen und sagt

ı Der in Gestalt eines herrlihen Kindes erscheinende Engel dürfte ein idealisiertes Biect der infantilen Persönlichkeit des Spiegelshauers sein. Vgl. den »kleinen Mann« der Nürnberger Sage, der aber nur dem keuschen Knaben er= sceint. E. S. Hartland: The Legend of Perseus. 1895. II. 15. »He who owns a crystal can call one of the Little People to him at any time and make him do his Bidding.« Mooney: Myths of the Cherokee. (XIX. Report.) 1900. 460. Laut der Sage war einer dieser Zwerggeister einst ein Knabe, der in den Wald entlief und nun, um seine nekischen Spiele ausführen zu können, immer unsichtbar bleiben will, Ebenda: 334, 335. Das Nekishe im Wesen der Puc’s et Consortes deutet auf ihren Ursprung aus dem Infantilen.

2 T. Lambelet: Les croyances populaires au Pays=d’-Enhant. Schweize- rishes Archiv für Volkskunde. 1908. XII. 123. -

s Der »Grimoir ist offenbar der direkte Vorläufer des Höllenzwangs« Kiesewetter: Faust. 345.

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Spiegelzauber 111

die »Beschwörung« her. Ein anderer, als der Eigentümer, darf nicht in den Spiegel schauen, denn der Spiegel würde dadurch beflekt werden!. Aber auch der Eigentümer des Spiegels kann das Ge- wünschte im Spiegel nur dann sehen, wenn er in reiner Kleidung und in unbeflektem Zustande hineinschaut?. Schon die in den ver- schiedenen Varianten figurierenden Namen (die vier Erzengel? usw.) deuten gleichfalls auf eine einheitlihe Quelle. Bei einer Geisterbe- shwörung in Wales besprengt der Beshwörer Teppih, Tisch und Kristall mit dem eigenen Blute und zitiert den Geist, den er hier Phanael «vgl. Anael) nennt, »by the power of the holy names Aglaen, Eloi, Sabbathon, Anepituraton, Jah... ., Immanuel ..., Sadai...‘ in den »fleckenlosen« Kristall’, Die gesamte Überliefe- rung weist nad Osten hin, nicht die primitive, allgemein-menscliche Zauberei, sondern die gelehrte Magie des hellenistishen Zeitalters gibt die gemeinsame Urquelle ab. Auch arabische Handsdriften wissen von auf den Spiegel geschriebenen Koranworten, durch die der in den Spiegel schauende Kranke gesund wird; man macht den Spiegel duftig (vgl. ante. über ‚den Safran), beschwört die Engel und Erzengel, an den Rand des Spiegels schreibt man den Namen der vier Erzengel (Gabriel, Michael, Asrael® und Asrafel), man fastet sieben Tage und schließt sich von der Außenwelt ab, worauf über Beshwörung der Engel im Spiegel erscheint, um den Wunsch des Beshwörers zu erfüllen, Wie der deutsche Höllenzwang im Abhängigkeitsverhältnis steht gegenüber dem französischen Grimoire, so läßt sich auch der literarishe Einfluß auf die ungarishe münd- lihe Überlieferung und deren Abhängigkeit vom Deutschen voraus- setzen. Die hohe Schule der Magie hat trotz ihrer aus dem Orient stammenden Elemente in Europa offenbar denselben Weg zurüc- gelegt, wie die systematische Hexenverfolgung vom Westen nacı Osten®. Aud in den Stahlspiegel des ungarischen Schatzgräbers läßt man ein Kind schauen?, wir finden hier ebenfalls die auf den

! Vgl.: Der Spiegel wird flekig, wenn eine menstruierende Frau hinein- schaut, Plinius: Historia Naturalis. Lib. VII. Cap, XV.

2 Kiesewetter: Faust in der Geschichte und Tradition. 1893, 464, 465. Die Betonung der Reinheit ist vielleicht eine Verdrängungsform der Analerotik. Vgl. weiter unten das Verwenden von Safran, um den Spiegel duftig zu macen.

® Vgl. ante beim Beryli Aubrey: Miscellanies und die Verbreitung der Erzengelnamen in den Papyri, besonders eben bei der Lekanomantie. A. Abt: Die Apologie des Apuleius von Madaura, 1908. 257,

* Über den Namen Jao Sabaoth in den Zauberworten. Abt: Ebenda. 254.

®J. C. Davis: Ghost-Raising in Wales. Folk-Lore. XIX. 328.

% Aciel, Azernel, Azarel, Azael und ähnliche Namen in den mittelalterlihen Zauberbühern. Kiesewetter: Ebenda. 406, 407. et pa.

M. Reinaud: Monumens arabes, persans et turcs. 1828, 1. 401, 402.

® F, Hansen: Zauberwahn, Inquisition und Hexenprozeß im Mittelalter. 1900, 113, 19.

® M.M.R. Varga: Szarvasvideki babonäk. (Aberglauben aus der Szar- vaser Gegend) Ethn. 1908. 162. F. Szell: Törvenykezesi adatok alföldi babo- näkröl. (Gerichtsakten über Aberglauben im ungarischen Tiefland.) Ethn. 1892. 113. Dr. Meszäros: I. c. Ertesitö. 1915. 46.

Der Spiegel im Märchen als

Objektivierung

der kindlichen Schaulust.

112 Dr. G&a Röhelm

Spiegel geschriebenen Zauberworte und ähnlich wie bei den Deutschen as Vergraben am Kreuzweg, und das vorherige Hineinshauen- lassen durh einen Hund!. Aud jene-Voraussetzung Dr. Möszäros’, daß der grifflose Rundspiegel nur auf dem von der Völkerwande- rung berührten Gebieten figuriert, ist nicht stihhaltig. Auf isoliertes Vorkommen weist er selbst hin? und er würde gewiß dessen Vor- kommen in Wales, im Odenwald, in Lecdrain gleichfalls hieher ein- reihen. Ih war nicht in der Lage, derzeit behufs Anstellung von Vergleihen die Museen Österreihs abzusudhen, aber ih habe Dr. Trebitsch in der Ethnographischen Abteilung des ungarischen

Nationalmuseums die westungarischen Spiegelhölzer gezeigt und ihn

gebeten, sih für dieses Thema in Wien weiter interessieren zu wollen. Seine Antwort lautete, daß das Museumsmaterial zurzeit nicht zugänglich sei, aber laut Professor Haberlandts mündlihen Angaben schreibe er, daß der grifflose Rundspiegel in den Alpenländern sehr häufig vorkommt. Wie also die ungarishen magishen Stahlspiegel und der darangeknüpfte Volksglaube sih als aus den Westen stammend erweist, so ist auh anzunehmen, daß auch die west= ungarischen Spiegelhölzer eher zu ihren heutigen westlihen Nadı- barn, als zu den Spiegeln aus der Periode der Völkerwanderung, sowie zu den chinesischen in Verwandtschaft stehen. Der grifflose runde Typus war übrigens seinerzeit auch in Mitteleuropa vor= herrshend. Weinhold erwähnt neben den Spiegeln mit Griff die aus »grifflosen runden Kapseln« bestehenden, die man auf einer Schnur befestigt zu tragen pflegte®, und die deutschen Spiegel sind im all- gemeinen ursprünglih runde polierte Bronze-, Silber- oder Stahl- spiegel. Die letzteren standen noch im fünfzehnten Jahrhundert in Gebrauch‘. Der Glasspiegel war wohl shon im dreizehnten Jahr- hundert gebräudlic, aber nur in der Form kleiner runder Kapseln’.

Zweifellos gehören die alles zeigenden Spiegel der Märcen, die gewöhnlih in der Gesellshaft anderer » Wunscobjektes vor= kommen, in ein und dieselbe Kategorie mit dem Spiegel des Sehers und spielen gleichzeitig dem infantilen Charakter des Märdens ent=- sprehend die Rolle der Objektivation der kindlihen Schaulust. In einem russishen Märchen wird ein kleines Mädchen durd die älteren Schwestern umgebracht, damit sie ihm den silbernen Teller, in welhem es herrlihe, ferne Gegenden, Städte, Flüsse, Wälder,

ı ], Wieder: Kincsäsö babonäk. (Schatzgräber-Aberglauben.) Ethn. 1890. 248,

2 M. Moore: Carthage of the Phoenicians. 1905. 91. E.B. Tylor: Early History of Mankind. 1870. 255. E. Seler: Gesammelte Abhandlungen zur amerikanishen Sprach- und Altertumskunde. II. 850, 852. III. 412. (Meszäros: I. c. 1914. 19, 20.)

3K, Weinhold: Die deutshen Frauen in dem Mittelalter. 1882. II. 338.

ıK. Weinhold: Ebenda. II. 336. A. Schultz: Das höfishe Leben zur Zeit der Minnesinger. 1879. I. 176.

5 A. Schulz: I. c. I. 176, 177. Auf der Rückseite des einen Spiegels die allegorishe Abbildung von »vrouwe Minnes. Vgl. noh F. Hottenroth: Hand- buch der deutshen Tracht. 557.

Bee

Spiegelzauber 118

Meere, mädtige Berge und wundershöne Himmel sieht!, weg- nehmen können. In einem rumänishen Märchen schickt die böse Schwiegermutter zu den mit Sonnen- und Mondsymbolen? geborenen Kindern der Shwiegertochter die alte Hebamme, auf,deren Zureden hin das Mädchen von seinem Bruder folgendes verlangt: 1. Vogel- milh. 2. Den Spiegel der Lamia®. 3. »Die Schöne der Weltst, Zum selben Typus gehört ein ungarishes Märchen. Der goldhaarige Königssohn ist traurig. 1. Weil er den Vogel haben will, der Goldwasser trinkt. 2. Weil ihm der Spiegel fehlt, aus welchem er die ganze Welt sehen könnte. 3. Weil er das Fräulein des Meeres haben will. Den Spiegel bewahen zwölf Teufel, die nur um Mitternacht zehn Minuten schlafen. Das Zauberpferd zeigt ihm im Spiegel eine Steinmauer: »Dort wohnt eine sündhafte Frau, ich spuce sie stets an, wenn ich dieses Weges gehe.« »Spuc’ nicht mehr hin, das ist deine eigene Mutter«’,. In einer neugriedhischen Variante shit die alte Königin, um die Kinder aus der Welt zu schaffen, zur Tochter eine Hebamme, die dieser einredet, es fehle ihr zum vollen Glük noh: 1. Der Zweig, welcher Musik macht. Den hüten zwei Drachen, die jeden verschlingen, aber um Mitternacht schlafen sie mit aufgesperrten Rahen, da muß man ihnen in den Racden schießen. Die Sonne und der Morgenstern bringen ihn her- bei. 2. Der Spiegel, in welhem man alle Dörfer, alle Städte, alle Länder und Prinzen sehen kann. Den hüten vierzig Drahen, die um Mitternacht schlafen. 3. Den Vogel Dikjeretto, welcher alle Sprahen der Welt versteht und wenn er in den Spiegel schaut, sagen kann, was auf der ganzen Welt die Menschen reden. Der Vogel versteinert durch seinen Blik beide Geschwister, die Hemden, die sie zu Hause gelassen, färben sih schwarz. Den Vogel vermag nur das Mädchen selbst zu holen, die sih ihm von rückwärts nähert, wobei sie nackt sein muß. Sie weckt die Geschwister aus der Versteinerung, der Vogel erzählt dem König das Vorgefallene‘.

1J. A. Macculloch: The Childhood of Fiction. 1905. 35, zitiert T. L Naake: Sfavonic Fairy Tales. 1874. 170. Zur Vision, vgl.: in Wales erscheinen im Kristall verschiedene Gesichte, ausgetretene Pfade (Die ausgelaufenen Bahnen! Die Visionen sind ja symbolische Erinnerungsbilder, deren Wiederersheinen am ausgetretenen Pfade erfolgt.) mit ruhig einherwandelnden Männern, Frauen, Flüsse, Brunnen, Berge und Meere. Am sonnbescienenen Hügelabhang weidet der Hirte seine Herde, sieht man unzählige Tiere, Vögel, Ungetümer. J. €. Davies: Ghost-Raising in Wales. Folk-Lore. XIX. 329.

2 Vgl. Prato: Sonne, Mond und Sterne als Schönheitssymbole in Volks- märchen und in Liedern. Zeitschrift des Vereins für Volkskunde. 1895. 363. 1896. 24,

® Vgl. Synodus S. Patricii et Auxentii cap. 16. Christianus, qui crediderit esse Lamiam in Speculo, quae interpretatur striga, usw. Ducange: Glossarium mediae et infimae latinitatis, VII. 1886. 549. Specularii. 5

* Frumösa pämintului, Sainenu: Basmele Romäne. 1895, 411.

> L. Kälmäny: Ipolyi Arnold mesegyüjtemenye. (A. Ipolyis Märcen- sammlung.) 1914. 318—323,-

° 1. G. v. Hahn: Griedhishe und albanishe Märchen. 1864. II. 40-49. Aarne: Verzeihnis. F, F. Communications Nr. 3. Typus. 707. Bolte=Polivka: Anmerkungen zu den K. u. H. M. II. 1915. 380-394. Der Spiegel auch in einer

Imago V/2 8

114 Dr. Geza Röheim

Es läßt sich leicht erraten, daß der Wundervogel, der musizierende Zweig, der alles offenbarende Spiegel, die Schönste der Welt, alle dasselbe bedeuten, nämlich eben »die Shönste der Welts. Bei ein= gehender Analyse ließen sih die Verzweigungen sämtlicher Motive verfolgen, doch mangelt es uns hiezu an Raum, aud bedürfen wir ihrer nicht. Es genügt der Hinweis, daß schon die beiden Protago- nisten des Schauspiels, Bruder und Schwester, darauf deuten, daß die den Symbolismus herbeiführende Verdrängung den inzestuösen Wünschen der Kindheit gilt" und daß das In-den-Spiegel-shauen auh hier gewissermaßen ein reduziertes Symbol der erotischen Triebe darstellt.

III. Spiegel und Herrscher.

Das Zepter der schottishen und der ungarishen Könige wird durdh eine Kristallkugel gekrönt, deren Gestalt an den zu magischen Zwecken benützten »Beryli« erinnert?:. Zwishen den Welteroberern Asiens ist es Timur Lenk, der mit dem Spiegel als Brustshmuck abgebildet wird® und für das Haus der Baberiden war die auf dem Bruststük der Kleidung angebrahte Shmucsceibe derart charakte- ristish, daß man die königlihe Familie geradezu die mit dem »Spiegel« nannte*. In Afrika binden die Kabinda zum Zwecke der Wahrsagerei Spiegel auf ihre Hausgötzen. Quenquea, der König

türkishen Variante (Jakob: Türkische Bibliothek. II. 22. Bolte: 389.) und in einem swanetishen Märdhen (Ebenda. Etn. Obozr: VII. 153.) und in einem serbischen (Ebenda. 384. Dvorovit: 91-94. Blume, der Spiegel der Feenkönigin, die Feenkönigin selbst).

ı Im Märden wird die Wunscerfüllung durch eine doppelte Projizierung bewerkstelligt. Die Tochter projiziert ihre gefährlihen Wünsche auf das einflüsternde alte Weib (Mutter-Imago), der Bruder, der die Wunschgegenstände holt, auf die Schwester, deren Wünsche er erfüllt. Die Mutter-Imago ist in eine feindliche (Schwiegermutter, alte Hebamme) und in eine erotisch betonte Form (Schwester- Meerfräulein) gespaltet. (In der ungarischen Variante zeigt ja der Spiegel nicht den Prinzen oder die Schöne, sondern das Bild der Mutter) Für die Identität der Schwester mit der Schönen der Welt spricht ein Parallelmotiv, demgemaß die drei magischen Gegenstände, unter ihnen der Spiegel von den Freiern eben der Schönen der Welt gebraht werden. (Vgl. Macculloch: The Childhood of Fic= tion. 1905. 36, siehe weiter unten.) Das Mädchen wünscht ja eigentlih sich selbst (Meerfräulein), deshalb muß es auch selbst die Aufgabe lösen (Narzißmus). Die dabei geforderte Entblößung ist die naturgemäße Ergänzung der Schaufust (Spiegel). Drachen, Symplegaden, der versteinernde Vogel (Medusa) bezeichnen den Weg, auf welchem eine eingehendere Analyse fortschreiten könnte, Zu dem Spiegel des Sehers im Märchen, vgl. noh Afanassjev-Meyer: Russishe Märchen 1906. l. 105. Röna=-Sklarek: Ungarishe Volksmärdhen. 1909. Neue Folge. 227.

2 G. F. Black: Scottish Charms and Amulets. Proceed Soc. Ant. Scot. XXVII. 1893. 436. Ebenda. XXIV. 98, 116. Ipolyi: A magyar szent korona es a koronäzäsi jelvenyek. (Die heilige ungarische Krone und die Krönungs- insignien.) 1886. 208. Im Kristall sind Fabeltiere eingraviert, ferner ein angeblich »kabalistishes« Zeichen. £ 3 Dr. Me&szäros: A magyar kerek tükör. (Der ungarische Rundspiegel.) Ertesitö. 1915. 35, nah T. Mann: Der Islam einst und jetzt. 93.

4 Dr. Me&szäros: Ebenda nah A. Racinet: La costume historique. 1888. III. Unter dem Zeichen ) »de la famille de celles dites ä miroirs«,

—_

Spiegelzauber 115

von Remba, wollte sih um keinen Preis von seinem Spiegel

trennen, denn er glaubte, daß, wenn der Spiegel bricht, aud sein

Lebensfaden sofort abreißt!. Der dritte Typus also, auf den wir

im Zusammenhang mit dem Spiegel hinweisen können, ist nach dem

Kinde und nad dem Seher der König. Den Ursprung des Königtums Kane Reraler

aus der gesellshaftlidhen Schichte der Zauberer hat Frazer meisterhaft zung der infan- nachgewiesen, in den früheren Ausführungen aber vermocten wir "hantasien auf darauf hinzudeuten, daß die Fähigkeit des Sehers aus dem zähen un

Festhalten an dem infantilen Narzißmus und Schaulust, oder aber Königtums, aus dem Rüdfall in diese verständlih wird. Wir dürften kaum

irren, wenn wir dieselbe psychische Konstellation auch bei der könig-

lihen Kategorie der Zauberer voraussetzen. Die Allmachtsphantasien

des Kindes werden bei den Königen der Primitiven realisiert? und

die Selbstanbetung des Kindes wird durh die Anbetung eines

Volkes abgelöst?. Dem König bleibt auf Erden nichts anderes zum

Anbeten, als das eigene Ih, die augenfälligste Form dieser An-

betung ist das selbstgefällige Betrachten des Ebenbildes im Spiegel.

In Indien gehörte das Schauen in den Spiegel zu den gewöhnlichen,

alltäglichen Pflihten des Königs. »Gesalbt und geshmüct beshaue

er sein Gesicht im Spiegel.« Nachdem der Landesfürst den Göttern

und seinen Lehrern gehuldigt, einem Brahminen eine trähtige Kuh

BeSNEnEt, sein Gesicht in zerlassener Butter oder in einem ie etrachtet hat, möge er erkunden, in welchem Sternzeihen der Mond steht usw.*. Vor Beginn eines Bee ist die Zeremonie der königlihen Spiegelschau von besonderer Wichtigkeit’. Das erste Morgengeshäft Krsnas ist, unter die Brahminen tausend Kühe zu verteilen, glückbringende Gegenstände zu berühren und in einen glänzenden Spiegel zu schauen‘. Das Pantschatantram beschreibt die Königswahl der Vögel und erwähnt unter den für die Krönung

ı W. W. Reade: Savage Africa. 1863. 542. Macculloch: The Child- hood of Fiction. 1905. 123. Vgl. über die spiegeltragenden Häuptlinge. Pechuel- Loesche: Loango-Expedition. III. 2. 1907. 366.

2 Die Sondergötter der Könige sind die ins Übernatürlice projizierten Vertreter ihrer eigenen Persönlichkeit, der Gott der Könige ist der König der Götter, oder der Ahnherr der Könige, der König des mythischen Zeitalters,

3 Eine Novelle von Jan Maclaren führt den Titel: »His Majesty Baby.«

4 Zachariae: Zur indischen Witwenverbrennung. Zeitschrift des Vereins für Volkskunde. 1905. 81. Agnipuräna. 234, 6, 7.

5 I. v. Negelein: Der Traumsclüssel des Jageddevva, (Rel, Vers, u. Vorarb. XII. 4.) 1912. Jogayatra. 2. 23.

% Zachariae: Witwenverbrennung. Ztschr. d. V, f. V. 1905. 81. Mahab=- harata, XII. 53. 7. Unter den acht gfükbringenden Gegenständen (mangala) figu= tiert in der Regel aucı der Spiegel (die andern sind z. B.: svastika, Sonnenschirm, Thron, gefülfter Krug, Muschel, Lampe usw.). Zachariae: Ebenda. 78. Vgl. über dieselbe Bedeutung dieser Gegenstände (Spiegel usw.) im Traume, I. v. Negelein: Der Traumscfüssel des Jagaddevva (Rel. v. u. V. XI. 4). 1912. 126, 127. Auc in Tibet figuriert der Spiegel an erster Stelle unter den act Glücsobjekten. L. A. Waddell: The Buddhism of Tibet. 1895. 393. In Indien unterzieht sich der Haupttrauernde einer Reinigungszeremonie, bei welcher er ver= schiedene glückbringende Gegenstände, z. B. einen Spiegel berührt. Zachariae: I. c. 76. In Bombay ist der Barbier sehr gnädig, wenn er gestattet, daß der

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16 DyGsaRdkın

nötigen glückbringenden Gegenständen auh den Spiegel!. Das Märchen nimmt offenbar seinen Ausgang von den indishen Ge= bräuden desselben Zeitalters, denn nach der Agnipurana muß der König bei der Krönung in den Spiegel shauen®. Audh bei den gewöhnlihen Menschen steigert das Schauen in den Spiegel das Selbstbewußtsein oder das Glück ebenso, wie bei den Königen. In GudZerat kann man dem durh den Unglückstag verursahten bösen Schicksal ausweihen, wenn man in den Spiegel schaut oder Reis ißt?. Außerhalb Indiens ist der Königsspiegel am besten aus Ostasien belegt. In Japan werden dem Mikado gelegentlich der Thronbesteigung die Regalia überreiht: Der Spiegel, das Schwert und der Edelstein. Von diesen hält Aston den letzteren für eine spätere Zutat‘. Die feierlihe Überreihung ist von dem Hersagen der Worte Amaterasus begleitet,; die man natürlih im Sinne eines übernatürlihen Vorbildes für den irdischen Vorgang auffaßt: »Mein Kind, wenn du diesen Schatzspiegel siehst, achte das so, als ob du mic selbst sähest«°. Mit dem königlichen Spiegel ist zu ver- gleihen vor allem der »sonnenförmige Spiegel«, der »mitama« der Urmutter der Mikados, der Sonnengöttin®, Das mitamashiro (»Sinn=- bild des Geistes) oder shintai (Körper Gottes)? läßt sich als Eben- bild Gottes auffassen. Nach dem Mythos hat man diesen Spiegel vor die Höhle gelegt, um Amaterasu, die Urmutter der Mikados, welche die Welt in Finsternis gehüllt hielt, damit hervorzulocen, nämlih, um damit das Spiegelbild der Sonne aufzufangen. Bisher

»Patient« einen vershämten Blick in den Spiegel werfe. K. Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. 1903. 122. Der Barbier gibt übrigens den Spiegel nicht gern aus der Hand, denn die Begegnung mit ihm bedeutet nur dann Glück, wenn er mit seinem Spiegel versehen ist. Zachariae: Ebenda. 76.

ı Th. Benfey: Pantschatantra. 1859. II. 224.

2 Zachariae: |. c. 82. Agnipuräna. 218. 28.

> Campbell: Indian Antiquary. XXV. 78. Zitiert bei Zachariae: I. c. 78. Das »Glüks ist wahrscheinlich nichts anderes als die Objektivierung des ge= steigerten Selbstbewußtseins. k

+ W.G. Aston: Shinto. 1905. 135. Die maga-tana, nämlich eine Kristall- kugel, ist das Ebenbild der Seele des Weibes, das Schwert das der Seele des Mannes, und der Spiegel das Symbol der Seele der Sonnengöttin. G. Bonsquet: Le Japon de nos jours. 1877. Zitiert bei Wlislocki: Vom wandernden Zigeuner- volke. 1890. 220. D. Brauns: Japanishe Märhen und Sagen. 1885. 134. Die Kristalfkugel und der Rundspiegel sind nahverwandte Varianten.

5 K. Florenz: Japanishe Mythologie. 1901. 199, 200. In alten Zeiten soll der Kaiser den Spiegel ins Haar gesteckt haben, wahrsceinlih als Amulett. Die mexikanishen Götter Tezcatlipoca und Huitzilopodtli tragen runde Spiegel an der Schläfe. E. Seler: Gesammelte Abhandlungen zur amerikanischen Spradh- und Altertumskunde. 1908. III. 280-282 und bei den Lenguas dienen die Ohr= gehänge der Medizinmänner als Spiegel. W. Barbrooke-Grubb: An Unknown People in an Unknown Land. 1911. 149. Nach einer anderen Variante: »Meine Seele ist die Wahrheit und wenn du in diesen Spiegel schaust, wirst du die Wahrheit sehen.«e G. Bonsquet: Le Japon de nos jours. 1877, zitiert bei Wlis= locki: Vom wandernden Zigeunervolke. 1890. 220.

° Aston: Shinto. 1905. 70. »mistama« = »Erlauchter Geist, Seele«. K. Florenz: Japanishe Mythologie. 1901. 287.

Aston: I. c. 100. Florenz: I. c. 98.

Spiegelzauber 117

also könnten wir den Spiegel als Symbol der Urmutter der Herrscherfamilie auffassen. Nach japanisher Auffassung ist nämlich der Spiegel die Seele der Frau, das Schwert die des Mannes!. Auf alten Gräbern finden wir häufig die heute die Regalia bildenden drei Insignien, das Schwert, den Spiegel und den Edelstein?. Wenn also die Symbole des japanishen Herrshers sih in ein weibliches (Spiegel) und in ein männliches (Schwert) spalten, so ist damit der bisexuell-autoerotishe Charakter dieser Regalia angedeutet. Es scheint, daß die Herrsherwürde und der Spiegel auh in China in irgend einem Zusammenhang standen. Laut dem Si-King-tsah-ki hat Kaiser Süen (87 ante Christum), als er im Älter von zwei Monaten, in den großen Hexenprozeß verwickelt, in den Kerker geworfen wurde?, auf seinem Körper einen die Dämonen zeigenden und glükbringenden Zauberspiegel getragen. Zum Andenken daran hat er, nachdem er, erlöst aus dieser gefährlihen Situation, den Thron bestiegen, den Spiegel ständig in der Hand gehalten‘. Wenn wir die bereits behandelten indishen und japanishen Parallelen be= achten, erscheint es sehr wahrsceinlih, daß der Spiegel früher auch in China zu den kaiserlihen Insignien gehörte und daß die obige Sage ursprünglih einen Zug des kaiserlihen Rituells erklären soll.

Der Spiegel als königlihes Symbol war einst gewiß weiter verbreitet, denn Überlebsel davon sind in der Sage nachweisbar. Die Aufzählung der Sagen wollen wir gleichfalls mit einem asiati= schen Herrscher beginnen. Der legendäre Priester Johannes des Mittelalters, in welchem Oppert den Korkhan Karakhitais erblickt, beschreibt seinen Zauberspiegel folgendermaßen: »Ante foras palacii nostri iuxta locum in quo pugnantes agonisant est speculum pretiose magnitudinis et quod per gradus viginti quinque ascenditur ... In summitate vero supreme columne, est speculum, tali arte conse= cratum quod omnes macdinationes et omnia quae pro nobis vel contra nos et adiacentibus et subiectis nobis provinciis fiunt, a contuentibus liquidissime videri et agnosci possunt. Custoditur autem a tribus millibus armatorum, tam, in die quam in nocte, Ne forte aliquo casu frangi possit et deiici«. Der zweite mythisce Weltherrsher, an den sih das Spiegelmotiv knüpft, ist der Jama oder Husrava von Iran, in dessem aus sieben Spiegeln bestehen-

Der königliche Spiegel in der age.

ı W. Müller: Japanisches Mädchen im Knabenfest. Zeitschrift für Ethno» logie: 1911. 572.

® H. Florenz: Japanishe Analen. 1903. 260. : ®]1. 1. M. de Groot: The Religious System of China. Book. II. Vol. V. 1907. 842.

* 1.1. M. de Groot: Religious System. Book. II. Vol. VI. 1910. 1001.

.? Epistola Presbyteri Joannis. 184-200. Oppert: Der Presbyter Johannes. 1870. 175, 176. Laut Joannes de Hese. »Est ibi etiam speculum continens tres lapides precioses quorum unus acuit visum, alter sensum, tercius experientiam, ad quod sunt efecti quattor doctores qui intuendo ipsum omnia sciunt que fiunt in mundo.« Ebenda. 42. Vgl. G. Huth: Die Reisen der drei Söhne des Königs von Serendippo. Ztschr. f. Vgl. Literaturgesch. 1890, III. 309,

118 Dr. Göza Röheim

den Kelche sich, die Ereignisse der sieben Weltgürtel spiegelten'. Der in sieben Teile geteilte mystishe Kelh Dschemsdids entspricht nämlih dem »Weltenspiegels Kai Chosrus, der die sieben Welte gegenden zeigt?. In der SR haar kehrt Kai Chosru, der Schah, nachdem er zu Ormuzd gebetet hatte, daß er sein Reich vor Ahriman beschütze, in seinen Palast zurück und von Glorienschein umgeben.

»Trat zu dem Weltenbeher hin der Schah, Indem er alle sieben Kischwers sah,

Das Weltall sah er in dem Zauberischen

Vom Widderzeichen an bis zu den Fischen; Er sah die Himmel, die sich ewig schwingen, Sah das Warum und Wie von allen Dingen Sah Mond, Saturn und Mars und Nahid rollen Und durh den Zauber, den Geheimnisvollen Ward alles was verborgen ist, ihm klar

Und die verhüllte Zukunft offenbar« 3.

Alexander der Große hatte auf dem Pharos in Alexandria einen Spiegel, der ihm das Land Rum zeigte, die Inseln des Meeres, die ankommenden und abfahrenden Sciffe, ferner alles, was die Menschen taten. Christlihe Schiffe können in den Hafen von Alexandria erst gelangen, seit ein Griehe den Spiegel zerbrocden hat‘. Offenbar ist auch in der folgenden Sage Alexander der Große gemeint: in der Stadt Ca am Nilufer befand sich eine Säule, dar- auf ein Spiegel, in welher der König der Stadt Ca alle irdischen Dinge sah°. In einer anderen Variante heißt der reichste König der Erde Saurid, dieser hatte aus einer Mischung verschiedener Ble-

! G. Hüsing: Die iranische Überlieferung und das arische System. 1909. Myth. Bibl. II. 2. 31. V. Jäkel: War der magische Spiegel im Besitztum der Vorzeit? Internationales Zentralblatt für Anthropologie. 1903. 262, 263.

® A. F. v. Schack: Heldensagen von Firdusi. 1855. 71. Über die sieben Weltgegenden Yast. 10, 15. F, Wolff: Avesta. 1910, 200. Vgl. die Goldpfeifen, deren sieben Löcher den sieben Weltgegenden entsprehen: wenn der König in ein solches Lodh hineinpfeift, erscheint vor ihm alles, was in den betreffenden Weltgegenden geschieht. Carra de Vaux: Avicenne. 1900. 294,

® Schack: Heldensagen. 1851. 466, so findet er den in Gefangenschaft geratenen Bissen am Ende der Welt. Vgl. weiter unten den Spiegel der Königs- tochter und den versteckten Freier im Märden.

* Oppert: Der Presbyter Johannes. 1870, 42, Liebrecht: Zur Volks- kunde. 1879. 89, (Masudi, Benjamin von Tudela. I. 155. ed. Asher. Early Tra= vels in Palestine. Ed Wright. 1848.) L. Deslongchamps: Essai sur les fables indiennes. 1838. 152—154. Guignes: Notices et Extraits des Manuscrits. I. 25 ex Huth: Ztscr. f. vgl. Lit. 1890. 308,

5 Liebrecht: I. c. 88. Orient und Okzident. I. 335. Eine andere Variante spricht von mehreren Spiegeln, von denen ein Teil dazu dient, die Seeungeheuer davon abzuhalten den Strandbewohnern Böses zuzufügen, andere wieder werfen die Sonnenstrahlen auf die Schiffe des Feindes zurück und verbrennen die Schiffe, in anderen kann man die auf dem jenseitigen Strande des Meeres befindlichen Städte sehen, wieder andere zeigen ganz Ägypten und geben an, wo sich eine gute Ernte erwarten läßt. Carra de Vaux: L’Abrege des Merveilfes. 1898. 282. Gleichfalls Sa ließ in Memphis einen Spiegel anfertigen, der die Zukunft zeigt, besonders, wo Dürre zu erwarten ist und wo eine gute Ernte.

Spiegelzauber 119

———

mente einen Spiegel machen fassen, der alles zeigte, was unter den sieben Himmelszonen geshah, wo man den Acer begoß und wo nicht. Dieser Spiegel stand auf einer grünen Marmorsäule in der Stadt Amsüs (Emesa)!. Die Sage haftet auh an anderen mythischen Herrshern,; so an Nekraus?, an Misraim, dessen Spiegel für den Spiegel Alexandriens zum Muster gedient haben soll®, an Koftarim® und an Kersounos, dessen Spiegel auf die Schiffe seine Anziehungskraft äußerte und sie solcher Art zur Mautbezahlung zwang, damit das Schiff dann weiterfahren könne, mußte man den Spiegel verhüllen’. In Konstantinopel befand sih ein magiscer Spiegel, den Kaiser Leo der Weise hatte anfertigen lassen, in welchem alles klar zu sehen war, was auf der Welt sich ereignete, ja sogar auch das, was die Menschen erst planten. Als dann jemand Midael beim Gelage meldete, der Spiegel zeige, wie sich die Griehen rüsten, um gegen Konstantinopel zu ziehen, ließ er den Spiegel in Stücke schlagen, um in seiner Unterhaltung nicht gestört zu werden‘, Die neunte Erzählung des »Liber de septum sapientibus« berichtet, daß Virgilius in Rom »erexit columnam et super columnam posuit speculum, in quo repraesentabantur omnes apparatus omnes con« gregationes quae fiebant ad destructionem civitatis«”. In naher Verwandtschaft zur Säule des Virgilius und des Priesters Johannes steht die magishe, runde Säule des Chateau Merveille, welche Klinshor aus dem Lande des Feirefis entwendet hatte:

! Carra de Vaux: L’Abrege des Merveilles. 1898. 201. Liebrecht:I.c. 88. Orient und Okzident. I. 331.

?2 Carra de Vaux: L’Abröge des Merveilles. 1898. 175.

> Carra de Vaux: I. c. 234. Den Spiegel läßt ein ihm feindlich gesinnter König rauben und zerschlagen.

35m =s.: 1. c. 238, 250.

5 D. s.: 1.c. 281. Vgl. auch über diese ägyptischen Spiegel auh M. Reinaudi Momunens arabes, persans et turcs. 1828. II. 418, 419. L. Deslongchamps: Essai sur les fables indiennes. 1838. 153.

8 Liebrecht: Zur Volkskunde. 1879. 85. Zeitschrift für deutsche Philo- IKeie: II. 177. Neugriehishe Sagen. (Aus einem in 1763 in Venedig gedruckten

uche.)

? Huth: Die Reisen der drei Söhne des Königs von Serendippo. Ztschr. f. vgl. Lit. 1890. III. 309. K. Gödeke: Orient und Okzident. III. 1866. 412. Huth gibt zahlreiche Nachweise über Spiegel in den englishen, französischen und italienishen Versionen des Buches der »Sieben weisen Meister«. In dem Bud »Seven Sages« (ed. Wright. 1845. Percy Society LIII.) macht den Spiegel Merlin, anderwärts ist überall Virgilius der Anfertiger. Über von Virgilius stammende Gegenstände ähnlicher Bestimmung Huth: I. c. 313. Vier Totenköpfe. (Mass- mann: Kaiserchronik. 1854. III. 448.) Jede Säule entspricht einer römischen Provinz und wenn in irgend einer dieser Provinzen ein Aufstand ausbricht, beginnt die Glocke zu fäuten. (L. Deslongchamp: Essai sur les fables indiennes. 1838. 151. Die sieben weisen Meister. Die fünfte Rede der Kaiserin. Von dem Kaiser Octavianus. Benz: Die deutshen Volksbücder. 1911. 70. »Mit teuflisher Kunst hat er ein Standbild verfertigt...., welches Bild jedermanns geheim gehaltene Versündigung dem Kaiser meldete « Gesta Romanorum: Regi Magyar Könyvtär. (Alte ungarische ee Nr a 204. Teil LVII. Vgl. J. G. Th. Grässe: Gesta Romanorum.

5.1. 83, IL 261:

120 Dr. Geza Röheim

»Inmitten dieser Herrlichkeit,

Stand eine Säule, groß und breit,

Da sah er, was er nie gesehen,

Die Lande sih im Spiegel drehen,

Sah Berg und Tal vorübergleiten

Und Leute stehn und gehn und reiten;«

Arnive erklärt Gawan den Ursprung und die Rätsel der spiegelnden Säule:

»Es sei Geflügel, sei Getier,

Wer fremd, wer heimisch im Revier,

Zu Wasser und Gefilde,

Ersceint im Spiegelbilde« 1,

Es scheint, als ob die Einleitung des neugriehishen Märcens, laut welhem der König einen solchen Spiegel hat, der ihn alle dem Reiche nahenden Feinde anzeigt, ein Widerhall der byzantinischen Sage wäre. Einmal hatte ein Orkan den Spiegel fortgeweht und der »Drakos« hängte ihn in seinem Garten auf einen großen Apfel- baum, damit, wenn jemand Äpfel stehlen käme, der Spiegel die Wächter rufe. Der jüngste Prinz geht zur Mittagszeit, als der Drade scläfi, zu dem Baume hin, doh als er den einen Apfel berührt, erklingt der Spiegel?.

! Parzival übers. W. Hertz: 1914. XII. 310, 311. Vgl. die Übersetzung von Pannier: Parzival Reclam. XII. 589-592. S. 187—189. (Der Ursprung aus dem Lande des Feirefis zeigt die Einwirkung der Sage von dem mythischer orientalischen Herrscher, dem Presbyter Johannes auf die Gralsage. (Vgl. Oppert: Der Presbyter Johannes. 1870. 219) Gewiß befand sih unter den Regalia des Herrschers von Karakhitai, der bei den angrenzenden Herrshern in Ost=, Süd- und Mittelasien nachgewiesene Spiegel. Im Zusammenhang mit dem hispanischen Schauplatz der Gralssagen (Vgl. Oppert: I. c. 203.) erscheint die arabische Sage, beachtenswert die den Tisch Salomonis nach einem Palast in Spanien verlegt. Neben dem aus Gold angefertigten mit kostbaren Steinen geshmücten Tisch befindet sich der Zauberspiegel, der die sieben Weltgegenden zeigt. Carra de Vaux: L’Ab- rege des Merveilles. 1898, 122.

?1.G. v. Hahn: Griechische und albanishe Volksmärchen. 1864. 1. 284-286. Vgl. zum Parallelismus zwischen Apfel und Spiegel folgendes aus dem Briefe des Presbyter Johannes: »In extremitatibus vero super culmen pallacii sunt duo poma aurea, in unoquoque sunt duo carbunculi ut splendeat aurum in die et carbunculi fuceant in nocte, 161-164 s. Oppert: I. c. 174. Vgl. noc Apfel und Spiegel im Liebeszauber, ferner oben den goldenen Apfel des Jesuskindes.

Vom wahren Wesen der Kinderseele 121

Vom wahren Wesen der Kinderseele. Bedeer von De iv HUG-HELLMUTH,

I.

Von frühem Lieben und Hassen,

ist ein Maß für die unbewußte Anerkennung der Richtigkeit des

Bestrittenen. So erklärt sih auch gut die hartnäckig böse Stimmung

des Laien gegen den »Ödipuskomplex«, gegen die ambivalente Gefühlseinstellung des Kindes zu den Eltern, seine der Erotik ent- springende Identifikation mit Vater oder Mutter und nicht weniger gegen die von unbewußter Sinnlichkeit keineswegs immer freie elterliche Liebe zu Sohn oder Tochter.

Und darum ist jede Bestätigung dieser psychoanalytishen Erkennt- nisse aus dem Alltag, aus den Werken feinfühliger Autoren wertvoll und es mögen in der nachstehenden Zusammenstellung eine Reihe solher Belege Platz finden, zunächst einiges aus der direkten Kinderbeobachtung:

I. Ein vierjähriger Knabe, der an der Mutter mit großer Zärtlichkeit hängt, im Vater aber in erster Linie eine zu fürchtende stärkere Madt erblikt, die man wohl »auc gern hat, weil es eben der Papa ists, sagt: »Wenn ich groß bin, kauf’ ih mir und der Mama eine Kuh, die den Papa beißt,«

Die Zusammenstellung »mir und der Mama« ist bezeichnend genug für die kindliche Auffassung über die Zusammengehörigkeit der Familien- mitglieder. Gerade vom Vater aber wurde der Knabe wegen seiner starken exhibitionistischen und onanistischen Gelüste wiederholt derb bestraft. Die Kindern, besonders Knaben sehr geläufige Vorstellung, das Kuheuter sei dem namenlosen' und doch als so wichtig gefühlten Teil des eigenen Körpers gleih, mag neben der Größe des Tieres Anlaß sein, daß der Knabe gerade eine Kuh zur Vollstreckerin seiner Rahegedanken gegen den Vater wählt, Auh wurde dem Kinde wiederholt die Drohung ausge- sproden, ein Hund werde ihm die »schlimmen Fingers abbeißen. Was der Hund an ihm vollziehen soll, muß an dem großen Vater mit den großen Händen natürlich ein entsprechend großes Tier tun.

II. Zwei Knaben von fünf und drei Jahren gilt es als größte Freude, des Morgens, sobald der Vater das elterlihe Schlafzimmer verlassen hat, in Mutters Bett zu schlüpfen. Der Besitz ihres Körpers wird genau zuge- teilt und keiner darf in das Gebiet des andern auch nur mit einem Finger hinüberlangen. Jeder solchen Übertretung folgt ein erbitterter Kampf auf dem Körper der Mutter. Die Neigung zum Vater richtet sih nach der jeweiligen eingebildeten Bevorzugung des Konkurrenten durch die Mutter. Die Grundstimmung gegen ihn ist bei beiden Knaben eine ausgesprochen "feindliche, eifersüctige.

Der eine der beiden Söhne stirbt in seinem sechzehnten Lebensjahr, der andere bleibt zeitlebens an die Mutter fixiert, deren Einstellung zu ihm

! Frühzeitig tritt die Frage nach dem »ordentlihene oder »wirklichen« Namen des in der Kinderstube nacı seiner vorläufigen Funktion benannten Penis auf.

D' Erbitterung, mit welcher der Widerstand gegen eine Sache arbeitet,

122 Dr. H v. Hug-Hellmuth

sih in dem typischen Verhalten der Schwiegermutter gegen die Frau des Sohnes kundgibt.

Mit dreißig Jahren fällt ihm bei einem Gang durh die Stadt eine Dame, die vor ihm geht, so angenehm auf, daß er ihr folgt, Wie er sie an einer Straßenecke einholt und sie eben ansprechen will, wendet sie den Kopf und er erkennt in ihr mit Bestürzung seine Mutter.

III. Die eigentümlihe Gewohnheit mancher Kinder, einen Elternteil beim Vornamen zu rufen, findet sih in überwiegender Mehrzahl bei Knaben der Mutter gegenüber, selten bei Mädchen zum Vater, fast nie aber "nennt meines Wissens ein Kind den gleichgeshlechtlihen Elternteil mit dem Rufnamen. Es handelt sich eben dabei um eine Identifikation mit dem letztern und um unbewußte heterosexuelle Anziehung.

IV. Da, soviel mir bekannt ist, noch keine Beobahtung über die

Entwicklung des Ödipuskomplexes bei Kindern, die infolge einer Trennung der elterlihen Ehe nur unter der mütterlihen Obhut die väterliche allein kommt aus äußeren Gründen kaum in Betraht aufwuchsen, mit= geteilt wurde, sei folgender Fall berichtet:

Die Eltern eines Knaben trennen ihre Ehe, als dieser drei Jahre alt. Das Kind bleibt bei der Mutter, liebt sie zärtlich, ist aber bis zu seinem sechsten Lebensjahr von großer Sehnsucht nach seinem Vater erfüllt, wenn= gleih sich schon in dieser frühen Zeit oft eine scharfe Kritik über das Fernsein des Vaters bemerkbar macht. Trotz aller Vorsiht und feinen Taktes der Mutter entnimmt der aufgewecte Junge aus erlauschten Ge- sprähen mit Familienmitgliedern und Freunden, daß der Vater keine schöne Rolle gespielt und Frau und Kind einfah im Stiche gelassen habe. So nistet sih nah und nach neben der Sehnsucht ein tiefer Haß gegen den Vater in seiner Seele ein, der ihn trotz zärtlicher Briefe, die er an den Vater schreibt, gelegentlih mit sieben Jahren in böse Worte ausbrecen läßt: »Wenn ich groß bin und mein Papa alt ist und zu mir betteln kommt, werd’ ich sagen: Ich geb’ dir nichts, denn wie ih klein war, hast du dich auch niht um mich und um die Mutter gekümmert. Geh nur wieder fort.«

Und doc wieder, wenige Tage später drängt er auf einer Reise mit der Mutter, da sie den Aufenthaltsort des Vaters berühren, zu einem Besuch bei ihm, hofft ihn auf dem Bahnhof zu sehen, ist während des Weges von hier zum Hotel ganz aufgeregt und glaubt in jedem Passanten den Vater zu erkennen. So streiten Liebe und Haß um die Herrschaft in der kindlichen Seele und machen sie frühreif, verwirrt und müde,

Und trotz der zärtlihen Liebe zur Mutter steht der Knabe mand- mal auf Vaters Seite, so wenn ihm ihre Kleidung zu einfach scheint und er sagt: »Wenn wir nach X. (der Stadt, in welcher der Vater lebt) fahren, mußt du aber ein schönes Kleid anziehen, damit du dem Papa gefällst, wenn wir ihn sehen.« Er bemängelt häufig ihre Toilette, sieht nicht gern, wenn sie erhitzt oder übermüdet von ihrem Beruf nach Hause kommt und will ihr, wenn er groß ist, schöne Kleider und Hüte kaufen und »viele Flaschen Parfüm, damit du recht gut duftest«.

Aus diesem Falle und dem ähnlih verlaufenden Geschik eines kleinen Mädchens läßt sih entnehmen, daß in Kindern, deren Eltern ge- trennt leben, gegen den abwesenden, d. i. für ‘das Kind schuldigen Teil neben einem offenkundigen Haß eine tiefe oft unbewußte Sehnsucht nicht zum Schweigen kommt, ja daß diese sich gerade in den Haß hülft, um sich Ausdruck zu verschaffen, Dr. H. v. Hug-Hellmuth.

Vom wahren Wesen der Kinderseele 123

I. Eine Kinderbeobadtung.

Es sei hier einiges von einem jetzt dreijährigen Mädchen berichtet, das keine Bevorzugung oder Besonderheit in seiner analen, urethralen oder genitalen Trieblokalisation zeigt, in der Mundzone sich aber gleich anfangs auffallend »trinkfaul« zeigte,. keine Anstrengung machte, die Mutterbrust reichlih auszunützen, so daß nach wenigen Monaten zur Milchnahrung aus Fläshchen übergegangen werden mußte, wonach der Säugling aufblühte. Eine Shwäcde der Eßlust, ein Sträuben bei den Mahlzeiten zeigt sih an=- dauernd. Das Kind ist trotzdem von gutem Aussehen und nascht Bonbons und Obst gelegentlich gern, Zum letzten Geburtstag wünschte es sich »einen Tag nicht essen zu müssen«. Man hat deutlich den Eindruk, daß hier nicht das Bedürfnis des Organismus nach Nahrung, sondern ein vermutlich ererbt minderwertiger Eßtrieb die Hauptrolle spielt. Sadomasocdhismus, Schau- und Exhibitionsneigung treten gar nicht hervor. Von neurotischer Angst trat nichts in Erscheinung außer eine lebhafte Angst, mit einer laut schlagenden Stehuhr allein im Zimmer zu bleiben. Dies trat ein, nachdem die bis dahin harmlos geliebte Uhr durch Monate beim Uhrmacher gewesen war. Die Abwesenheit war dem Kinde aufgefallen. Ein großes Interesse für alle Uhren, besonders Turmuhren, auh auf Bildern, entsprang von dorther. Die Neurose hat sich etwa mit eineinhalb Jahren entwickelt und hält in abgeschwächter Form, auch mit Spott über sich selbst, noch an. Ängstigend scheint vor allem das laute Schlagen dieser Repetieruhr zu wirken, was sich analog beim plötzlihen Ertönen des Tischtelephons im gleihen Zimmer einstellt. Die Angst wird schlimmer nach einem gelegent- lihen strafenden Angefahrenwerden des Kindes, was am häufigsten (wenn auch im ganzen selten) von Seite der Mutter geschieht. Diese gibt übrigens auch laute Klänge von sich, sie ist nämlich Sängerin. Das Personifizieren, Beleben, Animisieren der Uhr scheint Voraussetzung dieser Phobie zu sein. Die ihm gegebene Beruhigung: »Es ist ja nur eine Maschine mit Räderns, wiederholt das Kind gern zur Selbstberuhigung.

Die Uhr scheint wie ein Symbol für strafende Autorität zu wirken, wie sie etwa auf einen Wilden wirkte. So wirkte einmal die rotglühende Sonnenkugel hinter dem Nebel oder starker Wind, ein großes flatterndes Blatt auf das Kind.

Aber warum hat die Uhr erst nach ihrer Abwesenheit so gewirkt!?

Die, wenn audı nur entfernte Möglichkeit, daß hinter der Uhrenphobie Gedanken gegen die Mutter stecken, legt uns nahe, über die Zeichen der Ödipuseinstellung bei der Kleinen zu berichten. i

Als Voraussetzungen muß betont werden, daß der Vater wie meist durch seine häufige Abwesenheit Raritätswert genießt, die Mutter als Haupterzieherin oft auch verbieten oder kritisieren und gelegentlich zum Weinen bringen muß. Die Mutter wäscht, badet und frisiert das Kind was neben Lust= auch Schmerzgefühle erregt. Das Zureden, Zwingen zum Essen hängt mit oben Angeführtem zusammen.

Trotz dieser fördernden Prämissen erscheint die Ablehnung der Mutter bei Gelegenheit deutlih. Wenn der Vater mit dem Kind spielt oder ihm erzählt, verrät es manchmal, daß das Eintreten oder Teilnehmen der Mutter ihm unangenehm ist und weist die Mutter hinaus. Dies geschah anfangs deutlich, jetzt nur andeutungsweise, mit Unterdrüken (Ähnlihes geschah nie bei umgekehrter Situation). Es fiel auch einmal zögernd die Äußerung

124 Dr. H. v. Hug=Hellmuth m ee a FE

zur Mutter: »Ich mag dih nicht wenn du nervös bist!«, mit Anknüpfen an ein aufgeschnapptes Wort. Scharf ist auh die Kritik der Kleidung der Mutter, einfache oder rauhe und unsceinbare Bekleidung macht manchmal die Mutter dem Kinde unsympathisch,; es schickt die Mutter hinaus, sich umkleiden!

Trotz alledem ist die Mutter ein beliebter, lustiger, immer was Neues erzählender oder singender Kamerad.

Der eigentliche Kamerad, mit dem man spontan jubelnd hetzt, den man gelegentlich schlägt, neckt, dem das Kind alles nahmacht und mit dem es sic identifiziert, ist das Kindermäddhen!. Für seine Kleider und Hüte, für seine Einkäufe, Telephongespräche, für seine Tätigkeit wie Wäsce- waschen, Aufräumen, Kehren und Wischen besteht nicht nur größtes Interesse, sondern höchstes, oft unmittelbar folgendes Bedürfnis, es ihr nachzutun. In diesen narzißtischen Phantasien, in denen die mahnenden Worte des Kindermädhens vom Kind gegenüber der Puppe nachgesagt werden, das Setzen, Heben, Legen, Fahren genau wiederholt wird, besteht das eigentliche, lebhafteste, eingesponnenste Spielen des Kindes. Hierin läßt es sih nur ungern stören, bezieht die Erwachsenen als Ersatz von Phantasiepersonen mit ein, sagt dabei den Eltern »Sie« oder »Herr Doktor« und »Gnädige Frau« und ist wie abwesend! Man gewinnt den Eindruck größter Ähnlichkeit mit dem halluzinierenden Tun Psycotiscer, die, abgewendet von der Wirklichkeit, »einen Traum leben«. Beginnt diese identifizierende, nahahmende Tätigkeit, so wird sie oft begründet mit »Ich muß jetzt z. B. aufräumen«. In dieses geschäftige Tun flüchtet das Kind auch gern, wenn die Großen, etwa weil Besuch da ist, sih mit ihm nicht abgeben. Auc Tätigkeiten der Mutter werden nachgemacht und die Identi- fikation ist auch hier deutlich. Wie aus einer Kombination von Identifizie- rung mit der Mutter und doch Bevorzugung des Vaters scheint es zu ent- springen, daß das Kind den Vater (nur diesen) gern mit seinem Vornamen ruft, und ausnahmsweise zu den Eltern ins Bett gehoben, beim Vater liegen will, respektive an Stelle der Mutter in deren Bett. Nachgeahmt wird frei- lih auch z.B. ein Mädchen, das tags vorher zur Laute gesungen hat. Das Befriedigende »Ih tu es auch!, ich kann es auch!« sieht man dem Kind vom Gesicht ab. Es zieht Kinder seines Geschlechts vor, fürchtet sih vor den »bösen Bubens. Charakteristisch ist auch ein selbstgefällig konstatie= rendes Fragen nach einem geglückten Tun: »Was hab’ ic jetzt getan?

Multaretuli. II.

Kinderszene.

Die Analyse weiblicher Patienten hat shon oft dazu geführt, eine Phantasie früher Kinderjahre wieder bewußt zu machen, in der sich das kleine Mädchen als Mutter mehrerer Kinder sah. Man hat das Bestehen solher »unkindlicher« Phantasien als Suggestionsprodukt der Analyse be- zeichnet und ihnen, ebenso wie dem zugrunde liegenden Wunsch des Kindes, die Stelle der Mutter einzunehmen, die dem geliebten Vater Kinder geboren

Für_dieses ruhige, langweilige Mädchen, das dem Wunsh der Eltern gemäß von Zärtlichkeiten absieht, besteht offenbar große Neigung. Das Kind hat ganz von selbst ihm Kosenamen gegeben, z. B. Ninerl, Nannerl u. dgl. Es ist seit der Geburt im Hause und liebt das Kind sehr,

Vom wahren Wesen der Kinderseele 125

hat, jeden Glauben versagt. Es ist deshalb nicht ohne Interesse zu sehen, wie gut die vorurteilslose Kinderbeobahtung mit den Resultaten der Analyse übereinstimmt, um so mehr, als es sih um Ereignisse zu Beginn des vorigen Jahrhunderts handelt, die gewiß nicht durch eine Voreingenommenheit zu= gunsten der Analyse veranlaßt wurden.

In dem Buce »Gabriele Humboldt, Ein Lebensbilds ist ein Brief Wilhelm von Humboldts vom Mai 1804 enthalten, in welchem dieser seiner Gattin von Rom aus über die bei ihm zurückgebliebenen Kinder Mit- teilung macht (S. 48). »Sie (die vierjährige Tochter Adelheid und die zwei- jährige Gabriele) sind allerliebst zusammen, die Adel geht wie mit ihrem Kinde mit ihr um und sorgt dafür, daß sie alle Tage spazieren gehen muß. Erst fragt sie mich deutsh um Erlaubnis und dann geht sie zu Vicenza: ‚Dice cosi: dovete andare a spasso, ma nel sole nol’« (Er sagt so: Ihr sollt spazieren gehen, aber in der Sonne nicht.) Durch dieses Be- nehmen, die Fürsorge um die kleine Schwester, die Einholung der Wünsche des Hausherrn in der den andern unverständlihen Sprahe und die Weiter- gabe seiner Befehle zeigt die kleine Adelheid niht nur, wie Humboldt ganz richtig empfindet, ihre mütterlihe Einstellung zur Schwester, sondern auch dem Vater gegenüber, da sie, soweit es ihr möglich ist, die abwesende Hausfrau kopiert. Immerhin ließe sich dies vielleiht noch mit der Phrase abtun, daß sie eben das Bedürfnis habe, die Große zu spielen und An- ordnungen zu geben, statt ihnen zu gehorchen.

Es folgt aber bald darauf in Marino, das die Familie als Sommer- frische aufgesucht hat, eine Szene, die keine Mißdeutung mehr zuläßt. Humboldt schreibt (S. 50): »Die Adel hat hier einen ganz sicheren Balkon, auf dem sie manchmal steht, und der nach der Straße geht. Von da herab hält sie Konversationen mit den Kindern, die sih unten versammeln, wirft auch wohl manchmal einen Bajocco hinunter, aber selten, weil sie das Aufheben liebt, Neulich hatte sie eine göttlihe Szene. Sie erzählte den Kindern sehr weitläufig, daß sie in Paris geboren wäre das ließen sie nun so hingehen daß sie einen Mann hätte da lacıten sie shon und daß sie sechs Kinder hätte, Darüber machten die unten einen großen Lärm. Adel nahm das aber so übel, daß sie sih auf die Erde warf und fürchterlich weinte. Wie sie indes sah, daß das Weinen nicht half, sprang sie auf einmal auf, lief wieder hin und schimpfte aus vollem Halse: ‚Maledette bestie‘ und Gott weiß was für entsetzliche Schimpfwörter und immer dazwischen: ‚E vero, & vero, ho sei creature‘, zum Todlacen .. Es ist anzunehmen, daß die kleine Adelheid Humboldt, ein Kind von bemerkenswert hoher Intelligenz, ebensoviel Einsiht wie die Straßenjugend von Marino besaß und die Unmöglichkeit ihrer mehrfahen Mutterschaft zu erkennen vermochte. Wenn sie trotzdem mit solcher Zähigkeit an dieser »Kinderlüges festhielt und dem Hohn und Unglauben einen so außer- ordentlich starken Leidenschaftsausbruch entgegensetzte, so geht dies offen- bar nicht auf intellektuelle Motive zurück, sondern auf die Affektstärke, mit der sie an jener Phantasie hing. Zur vollen Aufklärung des Falles ist nur die Angabe hinzuzufügen, daß ihre Mutter, die sich in Paris auf- hielt, eben damals einem sechsten Kinde das Leben gab,

Hanns Sachs,

126 ES Dr. H. v. Hug-Hellmuth

IV. Änatole France über die Seele des Kindes. Mitgeteilt von Dr, J. HÄRNIK, derzeit im Felde.

Ferenczi hatte es vor wenigen Jahren unternommen', den Seelenkenner und Philosophen Anatole France als einen der wenigen großen Vorläufer Freuds im Erfassen und in der Schilderung seelischer Vorgänge darzustellen. Einige Ansichten über psycisches Geschehen, die intime Psychologie in der Erzählung verwicelt-rätselhafter menschlichen Handlungen, Ausführungen über die Genese der Geisteskrankheiten von Ferenczi mit geübter Hand ausgewählt haben, durch ihre auffallende Übereinstimmung mit der psychoanalytishen Betrachtungsweise, überraschend und überzeugend gewirkt. Gleihsam ergänzend zu diesem Referat möchte ih nun die Aufmerksamkeit des psychoanalytischen Publikums auf eines der schönsten und ergreifendsten Bücher dieses Meisters lenken, welces »Das Buch meines Freundess betitelt, Beobachtungen und Reflexionen über die seelische Entwicklung des Kindes enthält, und schon mehr als hundertunddreißig Auflagen erlebt hat.

Das Bud zerfällt in zwei Teile: Im ersten Teil gibt der Verfasser, allem Anschein nach, seine eigenen Kindheitserinnerungen, der zweite Teil enthält Beobachtungen über das Gebaren und die Entwicklung seines kleinen Töchterchens, Suzanne, Alle seine feinen Bemerkungen, viele ent= zückende Einzelheiten bei Seite lassend, will ih hier nur den Inhalt des schönen Kapitels ausführlih wiedergeben, in dem uns France die Ge- shichte Andres, eines kleinen Freundes seiner Tochter, schliht und er- greifend erzählt. Eine Geschichte, die wie eine Kindheitserinnerung anmutet, welche als Ergebnis einer psychoanalytischen Sitzung zutage gefördert wird.

Andre ist der Sohn des berühmten Arztes Doktor Treviere. Der Vater aber starb, als der Junge noch sehr klein war und so blieb er mit seiner Mama allein. Dem netten, munteren Knaben tut die Großstadtluft nicht wohl, daher führt ihn die Mutter auf das Land, zu den Großeltern des Kindes.

Andre ist der schönen, jungen Mutter sehr zugetan, Das bezeugt unter anderem diese kleine Szene, die den ersten Abend am Dorfe abschließt:

»Sie zog Andre die Kleider aus.

Nun, sagte sie ihm, verrihte dein Gebet.

Er murmelte:

Mama, ic liebe dic.

Und, mit diesem Geständnis, den Kopf fallen fassend und die beiden Fäuste schließend, schlief er in Frieden ein,

Es kommen nun schöne, glückliche Tage der Sommerfrishe. Doch wird das friedliche Beisammensein bald durch das Auftaudhen eines alten Bekannten gestört, des benachbarten Fabriksbesitzers Lassalle, Der Junge scheint ihn als Störenfried zu betrachten, er empfängt ihn schlecht, ist mit ihm unhöflich, und äußert sich über den Herrn, der der jungen Frau und auch ihren Schwiegereltern sehr gefällt, folgendermaßen:

Im ersten Jahrgang des Zentralblattes für Psychoanalyse, ? A. F. Le livre de mon ami. Paris, Calmann-Levy, editeurs.

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Vom een Mean a ndlreede 127

Er ist garstig, der Herr. Worauf er natürlich tüchtig geschimpft wird.

Aber die Neigung der jungen Frau für ihren Verehrer wächst von Tag zu Tag und bis der Herbst kommt, wirbt er in einem schönen Brief um ihre Hand. Sie liest ihn an einem kühlen, stürmischen Herbstabend nachdenklich und voller Sehnsucht nach verlorener Zärtlichkeit.

Sie erinnert sich an ihren verstorbenen Mann. Dann dachte sie wieder nach.

Eine Frau kann nicht ganz allein einen Knaben erziehen... Andre wird einen Vater haben.

Mama!

Bei diesem Ruf, der aus dem kleinen Bette kam, fuhr sie erschreckt zusammen.

Was willst du, Andre? Du bist recht unruhig heute,

Mama, ich dachte an etwas.

AÄnstatt zu schlafen... An was?

Papa ist tot, nicht wahr?

Ja, mein armes Kind.

Also wird er nicht mehr zurückkommen?

Äh! nein, mein Lieber.

Nun, Mama, das ist doh ein Glük. Denn, ih liebe dih so sehr, siehst du, Mama, so sehr, daß ich dich für alle beide liebe, Und wenn er zurückkäme, könnte ich ihn gar nicht mehr lieben.

Sie betrachtete ihn einige Zeitlang mit Unruhe und fiel in den Lehnstuhl zurük, wo sie, den Kopf in den Händen, unbeweglich blieb.

Mehr als zwei Stunden lang schlief shon das Kind beim Geräusch des Gewitters, als sie sih ihm nähernd ganz leise seufzte:

Sclafe! Er wird niht zurückkommen.

Und doch kam er, zwei Monate später, zurük. Er kam zurück in der kräftigen Gestalt des Herrn Lassalle, des neuen Herrn des Hauses. Und der kleine Andre fing wieder an, bleih zu werden, abzumagern und der Mattigkeit zu verfallen,

Jetzt ist er schon geheilt. Und er liebt sein Kindermädchen wie er früher seine Mutter geliebt hat. Er weiß nicht, daß sein Kindermädchen einen Liebhaber hält.«

Ih habe den Schluß des Kapitels wörtlich hieher gesetzt, und habe eigentlih zur Erzählung des Meisters keine Bemerkung hinzuzufügen, da sie für sich selbst spricht und jedem Psychoanalytiker lebensgetreu er- scheinen muß. Es soll auh nur noch, da es einen Einblik in die ver- schlungenen Wege der künstlerischen Formgebung gewährt, die Erwähnung eines Details folgen, das im ersten Teile des Buches die Aufmerksamkeit fesselt. Bei der Schilderung der eigenen Kindheitserinnerungen sehen wir nämlih das Prinzip der Verdrängung mit der ganzen Kraft walten, indem hier der Verfasser der doch das Verhältnis des Sohnes zur Mutter im Sinne der Psychoanalyse auffaßt und darstellt diese erste und wichtigste Stufe in der erotischen Entwicklung gleichsam überspringt. Der kleine Pierre Noziere nämlich, der Held dieses ersten Teiles, dessen Verhältnis zu seiner Mutter mit wunderbar zarten, feinen Linien gezeichnet ist, verliebt sich zuerst (mit etwa vier bis fünf Jahren) in »die Dame in Weißs, die neben ihnen wohnt. Aucd vertreibt er einmal, als eifersüchtiger Nebenbuhler unerwartet auftretend, einen Herrn Arnold, der eben um die Liebe dieser Dame wirbt. Hier wird also die erotishe Objektwahl des jungen Knaben schon in der Form der Übertragungsliebe unseren Augen vorgeführt.

128 Dr. H. v. Brida

V. Eine Kindheitserinnerung Alexander Dumas‘.

Der Verfasser des »Grafen von Monte Christo« erzählt in seinen »Memoiren« von dem starken Eindruk, den der Tod seines Vaters auf ihn als Kind gemacht habe. Alexander war damals vier Jahre alt geworden. Er liebte seinen Vater, den berühmten Reitergeneral und Kampfgenossen Bonapartes, »grenzenlos«, wie er selbst sagt. » Vielleicht war diese grenzen« lose Verehrung in jenem Alter des Gefühlslebens das Alter der Liebe möchte ich es heute nennen nichts weiter als naives Erstaunen über

diesen herkulishen Wuchs, über diese gigantishe Kraft, die ich ihn so oft: entfalten sah, vielleiht war es auch nur eine kindish stolze Bewunderung

für seinen gestickten Ro, seinen dreifarbigen Federbusch und seinen großen Säbel, den ich kaum von der Stelle heben konnte ,..« Als der General, den Napoleon mit Vorliebe »Herkuless nannte, dem Sterben nahe war, wurde der kleine Alexander zu einem Onkel gebraht. Dumas erzählt nun, daß er nach einer sehr unruhig verbrahten Nacht geweckt wurde: »Dann vernahm ich ohne zu wissen, was sie bedeuten sollten, die Worte: ‚Mein armes Kind, dein Väterchen, das dich so sehr geliebt, ist tot.’ Ich blieb einen Augenblick nachdenkend. Obwohl nodh ein Kind und schwach an Einsicht, fühlte ich dennoch, daß ein verhängnisvolles Breignis in meinem Leben eingetreten sei. Im nächsten Augenblik, wo ich mich unbemerkt sah, ging ich meinem Onkel auf und davon und lief geradewegs zu meiner Mutter. Die Türen standen offen, ich trat ein, ohne von jemand gesehen oder bemerkt zu werden. Ich erreichte die kleine Kammer, in der die Waffen aufbewahrt wurden. Dort bemädtigte ich mich eines Gewehres, das meinem Vater gehörte, und das man mir versprodhen hatte, wenn ich einmal groß sein würde. Mit diesem Gewehr schleppte ih mic die Treppe hinauf. Im ersten Stock begegnete ich meiner Mutter, Sie kam eben aus dem Zimmer, wo der Tote lag. ‚Wo gehst du hin?‘, fragte sie erstaunt, mich hier zu sehen, während sie mich bei meinem Onkel wähnte, ‚Ich gehe in den Himmel‘, erwiderte ih. ‚Wie? Du gehst in den Himmel” ‚Ja, laß mich, Mutter.” ‚Aber, was willst du denn im Himmel, mein armes Kind?’ ‚Ih will den lieben Gott tot machen, weil er unser Väterchen tot gemadt hat.” Man hatte mir nämlich bei meinem Onkel gesagt, daß der liebe Gott meinen Vater zu sich genommen habe und daß der liebe Gott im Himmel wohne,«

Diese Kindheitsreminiszenz darf uns an typische Rachephantasien bei Neurotikern erinnern, welhe oft nach des Vaters Tod auftauchen. Die Person, an welcher der Vater geräht werden soll, ist selbst eine Ersatz- figur des Vaters und ihr wendet sich der unbewußte Sohneshaß zu, während das durch Selbstvorwürfe reaktiv gesteigerte Liebesgefühl des Sohnes im Verlangen nah Rahe für den Dahingeschiedenen befriedigt werden soll, Rank hat das Wirken ‘dieses Projektionsmechanismus in seiner Änalyse des Hamlet dargestellt‘, In unserer Kinderphantasie ist an die Stelle des alten Dänenkönigs und Claudius der tote Vater und ein noh höherer getreten: ein Wesen, das sich auf den ersten Blick als deifizierter Vater manifestiert. Das Motiv der Vaterrahe ist hier so gewendet, daß die abgespaltene Vaterimago, an der Rache geübt werden soll, ein Objekt stärkster Ehr- furht und Verehrung ist: der »liebe« Gott. Wir haben durch die Psydo=

! Das Inzestmotiv in Dichtung und Sage. Wien 1912, S, 57 #.

Vom wahren Wesen der Kinderseele 129

analyse erfahren, daß auch den Ersatzfiguren des Vaters die ambivalente Gefühlseinstellung gewidmet ist. An unserem Beispiel finden wir dafür wieder eine Bestätigung: denn dem lieben Gott gilt nicht nur der kindlihe, ur- sprünglih dem Vater selbst zugewendete Todeswunsh, sondern auch die Sohnesliebe. Wenn sich der Vierjährige als Racheobjekt gerade dieses höchste Wesen wählt, so dürfen wir daran erinnern, daß er seinen Vater grenzenlos verehrt, ja angebetet (sadore«) hat. Niemand Geringerer durfte die Stelle des übermäßig verehrten und unbewußt beneideten und gehaßten Vaters einnehmen. Wir haben durch die Forschungen Freuds die Psydho-= genese des Gottesbegriffes tiefer erfassen gelernt: der von der primitiven Urhorde ermordete Vater wurde als Gott wieder erweckt, und zwar in anthropomorpher Gestalt. Dieser wurde bestraft und gezüctigt, wenn er den Seinen nicht half oder ihnen gar Unglück sandte; Revolutionen gegen die Gottheiten gehören zu den häufigen Vorgängen der primitiven Religionen. Das Emporrücken des toten Vaters an die Stelle Gottes findet in unserer kleinen Kindergeshichte eine Parallele.

Es sei schließlih noch darauf verwiesen, daß auch in der geplanten Race der neurotisch-infantile Kompromißcarakter erkennbar ist. Denn zur Ausführung seiner Absicht bemäctigt sich der kleine Junge jenes Gewehres, das dem Vater gehörte (Verbotübertretung unmittelbar nach des Vaters Tode), er eignete es sih so an, als ob er gerade jetzt und durch des Vaters Tod »groß« geworden wäre. Gerade jenes Instrument aber, das er widerrehtlih, gegen des Vaters Gebot an sich genommen hat, soll der Race für den Vater dienen. Diese Aneignung aber gibt uns einen Finger- zeig, wem ursprünglih der Gewehrshuß zugedaht war. So mengen sic also gerade in jene Handlung, welcher der Liebe und Verehrung des Sohnes gelten soll, Züge, welhe den entgegengesetzten Tendenzen des Trotzes und der revolutionären Feindseligkeit dienen,

Dr, Theodor Reik. VI.

Mutter—Sohn, Vater— Tochter,

Ein reizendes Büchlein von Meta Schoepp »Mein Junge und ich«! läßt uns die feine Brotik im Verhältnis zwischen einer Mutter und ihrem Söhncen in so klaren Worten schauen, daß diese schönen Stellen zitiert zu werden wohl verdienen. Der kleine Junge, der »nur das gern ißt, was die Mama gern ißt«, vertraut ihr auf dem blauen Sofa, auf dem die beiden eine Welt für sich erleben, sein süßestes Geheimnis an: »Liebling, ih will dich heiraten. Eine andere mag ich nict.«

»Ad, Fritzchen, das geht ja nicht. Erstens habe ich schon einen Mann. Und zweitens muß doch der Mann immer ein bißchen älter sein als die Frau. Willst du dir’s niht noch überlegen?«

»Und er überlegte sich’. Am nächsten Tag sagte er mir Bescheid, Er stieg dazu aus seinem Bettchen in meines, lag gedankenvoll einige Zeit in meinem Arm und wartete, daß der Vater das Zimmer verließ, Denn in seiner Gegenwart kann man sih doch keine Geheimnisse erzählen! Kaum ist also der Vater gegangen, da fängt er an »Ich werde nun gar

.nicht heiraten, Liebling.« »Ad, wie schade! Ich hatte mih schon so auf

ı Berlin, Concordia, Deutsche Verlagsanstalt, 1910. Imago V/2 9

130 Dr. H. v. Hug-Hellmuth

deine kleine Frau gefreut! Warum denn nicht?« »Sie könnte vielleicht keine gute Mutter für meinen Jungen sein.«

»Und drei Jahre später, mit sechs oder sieben, ist seine Weltanschau= ung noch düsterer geworden: »Ich heirate nicht«, sagt er »zuerst sind die Frauen immer sehr nett. Und nachher sind sie ganz anders.«

»Ad,x sagt das Fräulein, »dann wirst du ja ein langweiliger Jung- geselle!«

Er überlegt.

»Nein. Meine Frau ist dann einfah schon gestorben. Und als Admiral«e das will er werden »kann ich gar keine Frau brauden. Dann habe ich einen Kod.«

Und bei einem sangreichen Spaziergang durch den Wald, da die Mutter sein Lieblingslied »die beiden Grenadieres vorschlägt:

»Nein, die kann ich nicht mehr leiden.«

»Warum denn nicht?«

»Weil sie keine guten Papas sind. Was sollen dann nun ihre Jungen anfangen? Mamas sind überhaupt viel besser als Papas. Hermann sagt das war ein Freund »er mag Papas überhaupt nicht, die hauen bloß.«

»Aber deiner ist doch so gut!«

»Ja. Aber hauen tut er aud,«

Äber aus der zärtlichen Neigung zur Mutter lodert gelegentlich böser Haß. Der kleine Wicht weiß, daß er Mutter bei der Arbeit nicht stören dürfe. Und trotzdem will er gerade da der Mutter »bloß 'nen Kuß geben«. »Und nad einigen guten Ratschlägen über Zeitanwendung wird die Tür wieder geschlossen.«

Einen Augenblick Ruhe. Aber dann erhebt sich ein Geschrei und Wehklagen und eine verzweifelte Stimme heult:

»Du liebst mich nicht mehr! Du liebst mich nicht mehr!«

Adieu Arbeit! »Aber Mäushen ic liebe dich! Ich liebe dich! Nur wenn Mama arbeitet —«

»Nein, ich hab’s schon immer gewußt, daß du mic nicht liebst

Gegenseitige Liebesbeteuerungen und Versöhnung.

»Warum hat dir der liebe Gott eigentlich goldene Haare gegeben?«, fragte er mich. Er sah so gern zu, wenn ich mein Haar kämmte. Wenn die Sonne darauf fiel, leuchtete es und dann mußte er es küssen,

Ih seufzte: »Etwas Schönes wollte er mir wohl aud geben.«

Wir verkehrten an dem Morgen sehr höflich miteinander, bis ja, bis auf einmal Meinungsverschiedenheiten ausbrahen ... Da wurde er wütend. »Und du hast überhaupt kein goldenes Haar, Lieblings, schreit er, »Hexenhaar hast du!«

u > er er TE EN ESEERPER

Sohn, der väterlichen zur reifenden Tochter.

Als der kleine vierjährige Fritz zum erstenmal sein Persönlichkeits- gefühl zur Geltung bringt in der Behauptung: »Wenn Papa und Liebling

Vom wahren Wesen der Kinderseele 131

Schrei so ein kleiner Mensch eine Persönlichkeit ist; ah, dachte ih, nun geht er seine eigenen Wege! Nun hat er schon seine eigenen Gedanken! Wie wird das später werden! Eines Tages wird er mir nicht mehr gehören! Eines Tages wird er eine Geliebte haben und seine Mutter wird er besuchen, wenn er gerade Zeit übrig hat! Nur für eine andere Frau haben wir unsere Söhne geboren! Ih dachte gar nicht daran, daß diese Geliebte noch gar nicht geboren war; aber ich hatte einen richtigen Haß auf das unbekannte Geschöpf, das mir meinen Sohn nehmen wollte.s

Diese eifersühtige Liebe der Mütter ist der heimliche Grund, warum sie ihre Knaben so lange im Kittelkleidhen gehen, das Haar in Locken wachsen lassen ...

Wie aber auch die Gefühle des Vaters zur heranwachsenden Tochter sich eines sexuellen Untertones nicht immer erwehren können, davon spricht Geijerstam in seinem Roman »Frauenmadhts ein feines Wort: »Ein Vater, der allein gelassen wird mit seiner Tochter, bekommt leicht in seinem Benehmen dem Kinde gegenüber ein gewisses Etwas, das zeigt, wie wenig er den Untershied des Gesclechtes zwischen ihnen vergessen kann. So weit ih zurückdenken kann, war Grethen für mich immer das kleine weiblihe Wesen, sie war es von den ersten Tagen an, wo sie sih nach=- denklich in der Metallplatte der Ofentür spiegelte oder mich bat, mit ihr zu spielen, ich sei ihr kleines Kind...

Hier, gerade hier stand sie jeden Mittag, wenn ich nach Hause kam, sie stand ruhig und wartete, bis ich mich meines Überroks entledigt hatte, um sich mir dann in die Arme zu werfen, mehr wie ein liebendes Weib als wie ein Kind... Sie war schon ein kleines Weib, während sie

noch ein Kind war, ..* Dr. H. v. Hug-Hellmuth.

Bucdrucerei Cari Fromme, G. m. b. H., Wien V.

| ®. INTERNATIONAL 25 PSYCHOANALYTIC. UNIVERSITY

DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN

SRUHRERTRRANTNENERTHHRTEETRRTRTETHERRTTEREERTTEEKUSRFRR AR ERRARTEEREURUNTERKEREEOEKORIAERERHNSREERKARTOGRITEE: Verlag Hugo Heller & Cie., Leipzig u. Wien I, Bauernmarkt 3. 3

Im dritten Jahrgang erscheint:

"Internationale Zeitschrift für ärztliche Psychoanalyse,

Offizielles Organ der Intern. Psydıhoanalytischen Vereinigung. Herausgegeben von

Prof. Dr. SIGM. FREUD.

Redigiert von Dr. S. FERENCZI (Budapest), Prof. ERNEST JONES (London) und Dr. OTTO RANK (Wien).

Jährlih 6 Hefte 24—30 Bogen stark M. 18° = K 21:60.

= = = = = En = = = = = = = = = = = = = = zz = = = = = I = = = Ben

Kürzlich erschien:

Probleme der Mystik und ihrer Symbolik.

Von HERBERT SILBERER. 18 Bogen, mit mehreren Abbildungen, geheftet M. 9— = K 10'80, in Halbfranz geb. M. 12°— = K 142%.

INHALT. I. Einfeitender Teit. 1. Die Parabola. 2. Traum- und Märdendeutung. = il. Analytischer Teil. 1. Psycdhoanalytishe Deutung der Parabola. 2. Alchemie. - =

= = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = == = = zZ = = zZ = = = = = = = = =} bj = = = = = = a3 = = = = = = zZ = —_ =

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3. Hermetishe Kunst. 4. Rosenkreuzerei und Freimaurerei. 5. Das Problem der mehr= fahen Deutung. IH. Synthetischer Teil. 1. Introversion und Wiedergeburt. A. Verinnerlihung und Introversion. B. Folgen der Introversion, C. Wiedergeburt. 2. Das mystische Ziel. 3. Königlihe Kunst. Anmerkungen. Quellen. Index, Dieses tiefshürfende Werk hält mehr, als der bescheidene Titel verspricht. Es führt insinnerste Wesen der Mystik selbst und gibt endgültige Aufschlüsse. Durdh die Anwendung der psychoanalytiscl,en Methode gelangt der Autor zu ebenso überraschenden als zwingenden Ergebnissen. Die Bildersprahe der Mystik = (wovon uns das Werk zahlreiche Beispiele aus seltenen Quellen vor Augen führt) Z “ist schon an sich teils wegen ihrer Kuriosität, teils wegen der Größe und Schönheit = ihrer Gedanken bemerkenswert. In der Beleuchtung des Verfassers aber entfalten = die Rätselworte der Mystiker, Alchemisten und Rosenkreuzer erst ihre volle Z Kraft, und die Zusammenhänge zwischen erotisch und mystisch reli- = giöser Symbolik treten klar zutage. Insbesonders auh wird das Wesen und 3 die Symbolik der Freimaurerei, sowie ihr Ursprung in eine ganz neue = Beleuchtung gerückt, wobei den Verfasser ein reiches historisches und philosopbi- = sches Wissen unterstützt. =

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Inhalt des zweiten Plehzs

SIGM. FREUD (Wien): Eine Kindheitserinnerung aus »Dicdtung und Wahrheits.

Dr. H. PROTZE (zurzeit Bad Ems): Der Baum als totemistisches Symbol in der Dicitung.

Dr. GEZA RÖHEIM Budapest): Spiegelzauber.

VOM WAHREN WESEN DER KINDERSEELE. Redigiert von Dr. H. v. Hug-Hellmuth.

Von frühem Lieben und Hassen. (Dr. H, v. Hug-Hellmuth.) Eine Kinderbeobahtung. (Multaretuli.)

Kinderszene, (Hanns Sachs.)

Anatofe France über die Seele des Kindes, (Dr. J. Härnik.) Eine Kindheitserinnerung Alexander Dumas’. (Dr. Theodor Reik.) Mutter—Sohn, Vater—Todter. (Dr. H, v. Hug-Hellmuth.)

Nachdruck verboten.

ı WIENER GRAPHISCHES KABINETT HUGO HELLER, WIEN L, BAUERNMARKT NR. 3

Zur Subskription ist gestellt:

SIGMUND FREUD.

Porträtradierung von MAX POLLAK. Plattengröße 472/,:47%/, em, Papiergröße 85:63 cm.

Es werden insgesamt nur 50 Exemplare von der Kupferpfatte gezogen, und zwar Nr. 1—25 auf kaiserlih Japan, Nr. 26—50 auf van Geldern-Bütten.

Jedes Blatt ist vom Künstler handschriftlich signiert und numeriert. Der Subskriptionspreis beträgt für die Abzüge auf kais. Japan 100 K = 85 M. für die Abzüge auf van Geldern-Bütten 60 X = 50 M.

Ein ausgezeichnetes Porträt und hervorragendes Kunstwerk, das auch losgelöst vom gegenständlichen Interesse besteht und fesselt, bietet hier der trefflihe Wiener Ra-

dierer den Sammlern und Kunstfreunden. Die Aufgabe des künstlerischen Porträtisten, den geistigen Gehalt einer Persönlichkeit auszuschöpfen und sichtbar zu machen, ist in

= diesem Kunstblatte nahezu restlos Ben,

DELELTERL FRAU RAAREET TEL) r N 7

BUCHDRUCKEREI CARL FROMME, % M.B.H. IN WIEN,