ZEITSCHRIFT FÜR ANWENDUNG DER. PSYCHOANALYSE AUF DIE GEISTESWISSENSCHAFTEN
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HERAUSGEGEBEN VON “Sn PROF DR SIGM. FREUD in. REDIGIERT VON 2.0.2... DEOTTO RANK u.DE HANNS SACHS
I. JAHRGANG / 1913 HERT-2 7// APRIL
allem des Interesses Jener- versichert, an die sih die Zeitschrift zunächst wandte,
nicht minder aber die Hoffnung bestätigt, daß auch weitere Kreise an den Problemen und Ergebnissen unserer jungen Wissenschaft Anteil nehmen werden; endlich hat uns die rege Mitarbeit der Vertreter verschiedener Fahgebiete das Bewußtsein gegeben, daß unser Unternehmen aud imstande war, der Anregung geistiger Produktionstätigkeit zu dienen. j | Die reihe und vielseitige Arbeit des abgelaufenen Jahrgangs zeigt die Inhaltsüber- 4 siht und wir dürfen hoffen, mit der Festhaltung und Ausgestaltung unseres Programms | auh unseren Erfolg sichern und steigern zu können. |
Soweit es durchführbar ist, sollen alle jene Zweige der Geisteswissenschaften, für die die Psychoanalyse Bedeutung gewonnen hat, zu Wort kommen; aud soll weiterhin neben Sonderproblemen der Individualpsycologie besonders die Völkerpsydologie einen breiten Raum einnehmen, die ja am deutlichsten den Wert und die Frucdtbarkeit der am Einzelnen gewonnenen Seelenkenntnis erweist. ’
Ä ÄSTHETIK, LITERATURGESCHICHTE, PHILOLOGIE, PÄDAGOGIK, MORALTHEORIE, KULTUR- UND RELIGIONSGESCHICHTE, ETHNO- GRAPHIE UND FOLKLORE, die im I. Jahrgang bereits vertreten waren, sollen sorgrältig weiter gepflegt werden; andere Wissenschaften, besonders die MYTHEN- FORSCHUNG, dann auh PHILOSOPHIE und METAPHYSIK, soweit sie einer psychologischen Betrahtungsweise zugänglih sind, werden hinzukommen, so daß jeder, der an wissenscaftliher Forshung Anteil nimmt, die Probleme, die ihn vorzüglich interessieren, unter neuen Gesichtspunkten behandelt finden wird. Die Einheitlichkeit wird durh die gemeinsame Beziehung zur Psychoanalyse gewahrt werden, durh die jedes Problem in neue Zusammenhänge eingefügt wird.
Aud wird ein gemeinsames Abonnement auf „Imago” und die „Inter- nationale Zeitschrift für ärztliche Psychoanalyse” zum ermäßigten Gesamt- jahrespreis von Mk. 30.— = K 36.— eröffnet.
REDAKTION UND VERLAG.
DD: über Erwarten günstige Erfolg des abgelaufenen ersten Jahrgangs hat uns vor >
Für die REDAKTION bestimmte Zuschriften und Sendungen wollen an Dr. HANNS SACHS,Wien XIX/1, Peter-Jordangasse 76 adressiert werden.
»IMAGO« erscheint SECHSMAL jährlih im Gesamtumfang von über 36 Bogen und kann für M. 15.— = K 18.— pro Jahrgang durch jede gute Buchhandlung sowie direkt vom Verlage HUGO HELLER & CIE. in Wien |, ch 3, abonniert werden. Einzelne Hefte werden nicht abgegeben.
Die wenigen noch verfügbaren Exemplare des nunmehr 2. schlossen vorliegenden I. Jahrgangs werden im Preise erhöht, so daß
der komplette \. Jahrgang nunmehr M. 18.— = K 21.60, gebunden M. 22.50 = K 27.— kostet.
Druckfehlerberichtigung.
ar Im vorliegenden Hefte ist zu lesen
Be ; Seite 110, Zeile 20 von oben: „reaktiv” statt „reaktionär”;
Seite 136, Zeile 8 von unten: „Seilliere” statt „Seillere”;
Seite 137, Zeile 4 von oben: „Leblosen” statt „leblosen’””;
Seite 142, Zeile 10 von unten: „als unbewußtes” statt „unbewußt entstandenes”; Seite 147, Zeile 3 von unten: „ist” statt „st”.
c.: Copyright 1913. HUGO HELLER ® CIE., Wien I, Bauernmarkt 3.
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MIT GENEHMIGUNG DER VERLAGSKUNSTHANDLUNG AMSLER & RUTHARDT, BERLIN W, 8
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IMAGO
ZEITSCHRIFT FÜR ANWENDUNG DER PSYCHO- ANALYSE AUF DIE GEISTESWISSENSCHÄFTEN
HERAUSGEGEBEN VON PROF. DR. SIGM. FREUD
SCHRIFTLEITUNG: Il.2. DR. OTTO RANK /DR. HANNS SACHS 1913
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Schopenhauer. Versuh einer Psyhoanalyse des Philosophen'!. Von Dr. EDUARD HITSCHMANN.
»Schopenhauer idealisierte das Mit= leiden und die Keuscheit, weil er am meisten von dem Gegenteile litt.«
Nietzsche.
ie Psychoanalyse hat schon mehrfah mit Erfolg versucht, in
die Psychologie des Dichters und Künstlers ebenso einzu=
dringen, wie in das Seelenleben des Normalen und des Neu= rotikers. In diese Kette reiht sich der Philosoph insoferne ein, als durhaus nicht alle Vertreter dieser Wissenshaft als exakte Forscher zu betrahten sind, vielmehr der produktive Philosoph im engeren Sinne, der ein eigenes System aufbaut, dem intuitiv schaffenden Künstler oft näher steht, als es nah dem Material, in dem er arbeitet, den Anschein haben mag. Wir stoßen in der Geschichte der Philosophie immer wieder auf unabhängige geistige Persönlichkeiten, die den unbewußten Drang in sich fühlen, ein System aus sich selbst heraus zu entwerfen, das die Welt deuten, das Rätselhafte des Daseins erklären sollte und nach ihrer Überzeugung diese Pro= bleme auch endgiltig gelöst hatte (Metaphysiker). Jeder dieser pro- duktiven Philosophen fand seine Gemeinde und hatte seine Wirkung auf ein gewisses Zeitalter. So erinnert die Geschichte der Philosophie an die Geschichte der Religion, und wie den Atheisten nur diese noch interessiert, so beschleiht einen beim UÜberblicken der Jahr- tausende fortgesetzten philosophishen Spekulationen eine Skepsis gegenüber jedem doch nur vergänglich gebliebenem System. Schon darin, daß jeder Philosoph seine Vorgänger, so weit er nicht auf ihren Schultern stehend höher gelangt, zu desavouieren sucht, zeigt sich
ı Nah einem Vortrag in der »Wiener psychoanalytischen Vereinigung« (8. Mai 1912).
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diese Vergänglichkeit. Sie beruht letzten Grundes auf nichts anderem als auf der Tatsahe, daß jedes Geistesprodukt, sofern es nicht Resultat der fortarbeitenden wissenschaftlihen Forshung ist, von der Subjektivität des Schaffenden vollkommen erfüllt, Richtungslinien verraten muß, die notwendigerweise aus Persönlichkeit und Psyche entspringen, wie sie singulär nur in dieser einen Kristallisation aus Vererbung, Anlage, Schicksal und Zeitalter Form gewinnen konnte. Was allen diesen Philosophen gemeinsam ist, das ist kurz gesagt das Philosophieren: jener eigentümlihe und unwiderstehliche Drang, sein Sinnen und Leben der Deutung der Welt, des Werdens und Vergehens beim Individuum und im Kosmos zu widmen, um, mit dieser Weltdeutung die Mitmenshen belehrend, Ansehen zu er- werben, — anstatt so wie der AÄAlltagsmensh nah außen zu leben, was das Leben zu bieten vermag als selbstverständlih hinzu= nehmen. Der Philosoph macht bei den frühen Problemen des Lebens, die shon dem Kinde zum Anlaß des Grübelns werden, Halt: den Problemen von Geburt und Tod, von Gut und Böse, Zweck und Ziel des eigenen Daseins. Diese ersten Themen des kindlihen For- schungstriebes bleiben beim Philosophen die gleihen, während beim Forsher das Interesse auf ein anderes Gebiet verschoben und damit die glatte soziale Binordnung ermöglicht ist. Über das Leben selbst nachdenken, statt zu »leben«, dies wäre der Lebensinhalt des Philosophen. Während dem Forsher neben der Vershiebung auf andere Gebiete auh die Sublimierung seiner infantilen Interessen und Neugierden in weitgehendem Maße glückt, verrät der Philosoph durh sein ewiges Zweifeln, Suhen und Kämpfen, daß er mit diesen Urproblemen niemals ganz fertig geworden ist und zeitlebens an ihnen »leidet«. Natürlih sind die Übergänge zwischen diesen beiden Typen zahlreih und nicht scharf abzugrenzen, es hat immer Philo- sophen gegeben, welche sich hauptsädlich der erkenntnistheoretischen Wissenshaft oder physikalishen und mathematishen Problemen zuwendeten oder von dort ausgingen, während andere bloß das fertige Rüstzeug dieser Wissenschaften für ihre Zwecke heranzogen, dabei aber den Grundproblemen des philosophishen Denkens treu blieben. Dem Psycdoanalytiker sind auh die anderen Typen von Menschen geläufig, welhe dadurh, daß sie mit ihren Trieben und seelishen Komplexen nicht so fertig werden wie der gesunde und genußfrohe Mensch, entweder in dem Kampf unterliegen wie der Neurotiker oder zu höheren Zielen gelangen wie der Dichter und Künstler. Aus der Kinderforshung wissen wir, daß das Kind in einem gewissen Älter ganz nah Art des Philosophen, über das Problem, woher es selbst und eventuell seine Geschwister gekommen sind, also über Werden und Vergehen selbständig zu forschen beginnt. Dieser frühinfantile Forschungstrieb, der in den typischen philosophishen Neigungen der Jünglinge zur Zeit der Mannbarkeit in mehr vergeistigter Form wieder auflebt, scheint sih bei dem, der Philosoph zu bleiben bestimmt ist, aus gewissen Gründen in
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dieser Zeit zu fixieren, etwa wie sonst ein Entwiclungsstadium. Daß sih in jedem Philosophen mystishe und künstlerishe Ele= mente, manchmal auh Züge des Neurotikers finden, wie nicht selten auch beim Dichter, deutet auf die gemeinsame Ursahe ab- normer oder unproportionaler Triebanlage hin, die je nah Disposi= tion und Begabung minder- oder überwertige Typen verschiedener Ordnung ergibt. Den endgiltigen Ausgang dieser Gestaltung hat Freud für die pathologishen Fälle dahin erklärt, daß das unvoll- kommen Verdrängte, wenn es stellenweise symptombildend ins Be- wußtsein durhbricht, zur Neurose, wenn es als Strom das Bewußt- sein überflutet, zur Psychose führt. Der Künstler ist so glücklich, seinen unbewußten Reihtum an Phantasien für sich A andere genußvoll darstellen zu können. Anders der Philosoph, der gleichfalls
im Kampfe um die psychische Selbsterhaltung das, was in ihm | ringt, als allgemein Menscdliches zu fassen sucht: er deutet sih die Welt so nah seinem Sinne, daß sie, wenn auch nicht seine Wünshe
direkt erfüllt, wie etwa die vom Dichter geschaffene Phantasiewelt, so dodh seine Shwäcdhen und Überkräfte rechtfertigt und ihm auf diese Weise das befriedigende und beruhigende Gefühl verschafft, in diese (seine) Welt hineinzupassen,; er sucht seine — sei es opti= mistishe oder pessimistishe — Grundstimmung mit der Qualität der realen Welt zu begründen und projiziert seine inneren Kräfte- spannungen symbolish und oft hinter dem Gegenteil verborgen nad
außen. »Der Philosoph bestimmt selbst, niht nur was er ant-
worten, sondern auh was er fragen wills, ja, Frage und Antwort des originellen Denkens sind »etwas in sih so Einheitlihes, so sehr der intellektuelle Ausdruk eines in sih geschlossenen Seins, daß Frage und Antwort erst eine nadhträglihe Spaltung des Denk- bildes bedeuten.« (Simmel.) In diesem Sinne entspricht das Origi- nelle eines Systems haarscharf dem Individuellen seines Schöpfers.
Das hier Gesagte läßt sich überaus deutlich am BeispielSchopen=
hauers erörtern, wie er sich überhaupt ganz besonders eignet, um '
den innigen Zusammenhang zwischen Philosophie und Persönlichkeit, verfolgt bis in ihre Triebwurzeln, zu erweisen. Zeigt doh kaum ein anderer Denker in seinem Wesen und Werke so viel eigen- artige und krasse Züge (Pessimismus, Askese, Weiberverahtung); keiner hat sichtlih, wie auch nad eigenem Geständnis so unbewußt und intuitiv geschaffen, ja seine Philosophie direkt der Kunst zu- gerechnet, kaum einer hat sein ganzes Leben lang so zähe und konsequent an seinem im Jünglingsalter fertig hervorgetretenen System festgehalten und immer wieder daran gezehrt, kaum ein zweiter vor ihm hat so viel über sich selbst gedacht und geschrieben und keiner der nachantiken Philosophen die en die wir als Formbildnerin der Psydhe kennen, einer so freimütigen und offenen Behandlung würdig befunden!
Aber auch das grundsätzlih Neue, das dieser hochbedeutende Philosoph zum erstenmal in so klarer Weise im Gegensatz zu fast
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allen seinen Vorgängern, die den Menschen nur als Vernunftwesen auffaßten, nachdrücklich betont, durchgesetzt und popularisiert hat: nämlich seine Lehre vom Primat des blinden, rein Willens im Menschen und in der Welt, auh das läßt sich aus seiner eigenen überstarken Triebanlage klar ableiten, was längst den Schopenhauer- forshern aufgefallen ist. (Volkelt, Paulsen, Möbius) Ebenso läßt sich zeigen, daß die Zweiteilung in Wille und Vorstellung einer stark empfundenen »Duplizität des eigenen Wesens« entsprungen ist, welhen Zwiespalt Paulsen auch sonst überall in Schopenhauers Philosophie wiederfindet, und den wir psychologisch ableiten aus dem Konflikt starker Triebanlage und deren Verdrängung durh den vergeistigenden Gegentrieb (Verneinung des Willens) sowie aus dem Gegensatz zwishen Bewußtem und Unbewußtem. Ferner läßt sich zeigen, daß auch seine Verehrung für Asketentum und Heiligkeit gerade seiner shwer bekämpfbaren Sinnlichkeit entspringt; dab sein schwerer Pessimismus, die schlehte Meinung, die er von der Welt und den Menschen hatte, primär seiner eigenen Stimmung ent= stammt, seine Mitleidsmoral der Reaktion gegen sein boshaftes und grausames Wesen, endlih die Sehnsuht nach reiner Erkenntnis der Verzweitlung über den ewig quälenden Dämon der Leidenschaft. Es wird unsere Hauptaufgabe sein, die möglichst exakte Beweisführung für diese Zusammenhänge zu erbringen. Dazu ist es nötig, daß wir sowohl einen Abriß von Schopenhauers Lebenslauf, als auh ein Bild seines Charakters geben, wobei wir das, was wir von seinem Triebleben durh ihn und über ihn erfahren haben, ebensowenig übergehen können wie seine neurotishen und vershrobenen Züge. Im Anschluß daran wollen wir den Versuh maden, die Ableitung des Systems aus seiner Persönlihkeit — bis in ihre Triebwurzeln verfolgt — so weit als möglih im Detail zu liefern, um damit an diesem verlockenden Beispiel einerseits den Wert der psydho- analytishen Betrahtung für das Verständnis des philosophischen Genies zu erweisen, anderseits in Schopenhauer selbst einen intui= tiven Kenner des Unbewußten und Urahner psycdoanalytischer Erkenntnisse aufzuzeigen.
I. Leben und Persönlichkeit.
Vor allem sei hervorgehoben, daß die Daten der Lebens- geschichte, die einer speziellen psychoanalytischen Untersuhung zur Verfügung stehen müssen, neben den Zufälligkeiten der Begeben- heiten und der Milieueinflüsse vornehmlich die ursprünglihen seeli- shen Triebkräfte des Individuums, sowie die daraus folgenden Reaktionen betreffen. Daß so mandes scheinbar unwidtige Detail uns wie durch Akzentvershiebung shwerwiegend erscheint, daß wir aus einem Traumbild, aus einer nur für den Moment hingeworfenen Notiz Bedeutsames zu erschließen uns berehtigt wissen, daß wir
Schopenhauer 105 Erlebnisse ebenso wie Eigenheiten, Vershrobenheiten und neuroti= she Züge durh Übung in der Deutung psycologishen Materials oft erfolgreih verwerten, wird gleichfalls als eine Eigenart der psychhoanalytischen Betrahtungsweise offenbar werden. Dazu ist die Kenntnis der psydhishen Mechanismen Voraussetzung, welche zu=- nähst durch Beobadhtungen an Kranken gewonnen, sih zum größten Teil aber am gesunden Durdhschnittsmenshen nachprütbar und auf den Produktiven und das Genie anwendbar erwiesen haben. Gelingt unserer Darstellung diese Arbeit, »so ist das Lebensverhalten der Persönlichkeit durh das Zusammenwirken von Konstitution und Schicksal, inneren Kräften und äußeren Mächten aufgeklärts (Freud).
Unter diesem Gesichtspunkt berücksichtigen wir als Psychoana- Iytiker besonders die sonst allgemein vernadlässigte allererste Jugend — wie spärlih auch oft die überlieferten Daten aus jener Lebenszeit sind — namentlih die Äußerungen des Trieblebens!, ferner das Verhältnis zu Eltern und Geschwistern, die den speziellen Charak- teren und Scicksalen der Eltern entsprehende Einstellung des kindlihen Individuums, da aus ihr so viele seiner späteren Reak= tionen verständlih werden, besser als aus der oft überschätzten Vererbung. Das Kind kann nämlich seinen Eltern auch auf anderem Wege ähnlih werden als dem der angeborenen erblihen Eigen- schaften, es gibt ein gleichsinniges Nadlebenwollen aus Liebe, ein Nacdahmen, das eigentliih ein unbewußtes Sichhineinversetzen und Finfühlen ist, das Freud »lIdentifizierung« genannt hat. Übersehen wurde sonst vielfah auch die unbewußte feindselige Einstellung gegen den oder jenen Elternteil aus Rivalität um die Liebe einer a stehenden Person (Mutter, Schwester), für den später so oft beim Heranwacdsenden die ursprünglih zärtlihe Einstellung wieder in übertriebener Weise an den Tag tritt.
Der größte und bleibendste Eindruk des Kindes sind natür- ih seine Eltern, die liebende Mutter und der anscheinend allmäh- tige Vater, die für das Neugeborene zwei Riesengestalten sind, die es liebend, pflegend, umgeben. Wenn diese infantile Ein- stellung der Liebe, der Ehrfurht und Übershätzung auch vom heranreifenden Individuum periodenweise von der aus der kind- lihen Eifersuht entspringenden Feindseligkeit abgelöst und durch die Realfıguren der Eltern desavouiert wurde, so bleibt im Un- bewußten doc jene romanhafte kindlihe Einstellung erhalten, die den Vater als göttlich-allmächtigen Herrscher, die Mutter als hehre
! Audh Schopenhauer huldigte (vgl. W. W. II. Bd., p. 464f) der vor- psychoanalytishen Auffassung, daß das Kind nicht sexuell sei: Die heillose Tätig- keit des Genitalsystems schlummere noch, jener unheilschwangere Trieb fehle, daher sei die Kindheit die Zeit der Unshuld und des Glücks, das Paradies des Lebens. Die Basis jenes Glücks sei, daß in der Kindheit unser ganzes Dasein vielmehr im Erkennen als im Wollen liege. Der unschuldige und klare Blik des Kindes sei aus dem Gesagten erklärlih. — Für den Psychoanalytiker ist diese Anschauung nichts weniger als ein Gegenbeweis gegen eigene reiche Kindersexualität, die ver- drängt wurde.
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gütige Fee, aber diesen oder jenen Elternteil auh als feindselige Madt auffaßt. Es macht sih nämlih in der Beziehung der Kinder zu den Eltern die sexuelle Anziehung und Abneigung insofern geltend, als der Sohn die Mutter mehr liebt und den Vater als störend empfindet, die Tochter dem Vater angehören möchte und den Platz von der Mutter schon besetzt findet. So wertvoll uns daher auch die objektiven Berichte über die Eltern Schopenhauers sein müssen, so bleibt doh für das Endbild des Charakters unseres Darstellungsobjektes seine Auffassung von den Dingen und Per- sonen die entscheidende. E Die Familie.
Zunädhst wird es sich empfehlen, im Sinne der Familien- forshung einen Blik auf auffällig entwickelte Charakterzüge in der Reihe der Vorfahren zu werfen. Wohl als der hervorstehendste er= scheint kraftvolle, gewalttätige Energie und ausholender, nicht rück-= sihtsvoller Tätigkeitstrieb. Es zeigt sih, daß des Großvaters Tatkraft und Entschlossenheit sih in ähnliher Weise beim Vater Schopen- hauers aufweisen läßt, der ebenfalls Tätigkeitstrieb, sich hinauf- arbeitende Tüchtigkeit, Stolz und Hartnäcigkeit verrät. Von hef- tigem Charakter war auch die Großmutter väterliherseits, welce ebenso im Wahnsinn endete, wie ein Onkel väterlicherseits, während ein anderer von Jugend an blödsinnig war. Der Vater, Heinrich Floris Schopenhauer, war groß, kräftig und häßlih,; der Sohn, der immer unter Mittelmaß blieb, empfand ihn in seiner Kindheit als Riesen. Später klagt er, er habe durh die Härte des Vaters viel in der Erziehung zu leiden gehabt. Der Vater, immer schon jäh= zornig und hartnäckig, wurde mit den Jahren reizbarer und heftiger, seine Pedanterie shwerer erträglich, gelegentlich ließ er sih zu hef- tigen Ausbrüden hinreißen, nah denen er aber bald wieder »zur Besinnung kam«. Im Alter von 58 Jahren ertrank er, aus einer Speicheröffnung in den Kanal fallend, und es wird vom Sohn, wie auh von den Biographen Selbstmord vermutet. Im Alter von 38 Jahren hatte er die um 19 Jahre jüngere Johanna Trosiener ge- heiratet, die Tochter eines gleichfalls als jähzornig und unbezähmbar heftig geschilderten, tüchtigen Kaufmannes. Sie heiratete den um so vieles älteren, unschönen, aber angesehenen Mann nad einer un- glücklihen Liebesgeshihte und hat ihn auch nie eigentlich geliebt, obwohl sie mit Hocdhadtung von ihm sprah. Ihr Charakterbild schwankt in den Berichten, doh scheint es siher zu stehen, daß sie mehr intellektuell als gemütvoll war, und insbesondere den Kindern gegenüber stets egoistisch ihre eigenen Interessen vertrat. Als Witwe und im Verkehr mit zum Teil berühmten Männern entwickelte sie sih zu einer gewandten Gesellshaftsdame und entdeckte ihr schrift= stellerisches ae dem ihre Tagebücher und mehrere seinerzeit geschätzte Romane entsprangen. Fällt shon die Rastlosigkeit und die
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fast krankhafte Reiselust des Ehepaares als Zeihen mangelnder Be=- haglihkeit und wohl auch mangelnden Glücksgefühles auf, so deuten die vielseitigen Geselligkeiten und Freundschaften, dieSchopenhauers Mutter nah dem Tode ihres Mannes pflegte, auf eine in der ernsten Konvenienzehe nicht zur Befriedigung gelangte Lebenslust hin, der sih voll hinzugeben sie ursprünglih in dem Milieu ihres Eltern hauses gewohnt war. Ihre Freunde wurden ihr wichtiger als ihr Sohn, und zwishen einem dieser Freunde, dem unbedeutenden Dichter Müller, genannt v. Gerstenbergk (mit dem sie seit 1813 zu= sammenlebte, d. h. ihm einen Teil ihrer Wohnung vermietete und mit ihm zusammen aß, wie sie es schon früher mit v. Fernow getan hatte), geriet der Sohn in einen Konflikt, der schließlih dazu führte, daß die Mutter dem Sohne den »Scheidebriefs schrieb. Es scheint plau= sibel, daß der Sohn die Mutter eines unsittlihen Verhältnisses ge= ziehen haben mag, obwohl die Mutter damals bereits 47 Jahre, Müller allerdings 33 Jahre alt war. Dieser Konflikt zwischen Mutter und Sohn reiht aber schon weiter zurück und wurde hier nur aktuell und akut. War auch in der ersten Zeit des jungen Mutterglückes, das in ländliher Zurückgezogenheit mit dem nach dreijähriger Ehe geborenen Knaben verbraht wurde, die Zärtlihkeit der in der Ehe wenig befriedigten Frau sicherlih eine große, vielleiht eine über- große, so muß der Knabe doch später wenig Zärtlihkeit zu Hause gefunden haben, sonst könnte er nicht zweier bei einem Geschäfts- freunde des Vaters in Havre verbrahten Knabenjahre (10 bis 12) in seinem Curriculum vitae als des »weitaus frohesten Teils« seiner Kindheit ausdrüklih gedenken. Als die Eltern ihn drei* Jahre später für mehrere Monate abermals im Ausland, bei einem engli- schen Geistlihen unterbrahten, schreibt ihm die Mutter kluge er- zieherishe Briefe, welche jedoch deutlich Gereiztheit und Unzufrieden- heit mit dem wenig entgegenkommenden, selbstgefälligen und rauhen Wesen des Sohnes verraten und seine Stimmung gegen die Mutter gewiß nicht günstig beeinflußten: vielleiht um so weniger, als ihre Kritik zum guten Teil berechtigt gewesen sein mag. Einen viel heftigeren Widerstand gegen die Art des Sohnes zeigen spätere Briefe, die sie ihm, als er endlich seinen wissenschaftlihen Neigungen nachgehen durfte und sein intellektuelles Selbstgefühl in die Höhe schoß, geschrieben hat. Zwar muß sie ihm Geist, Bildung und Gemüt zugestehen, aber weiter heißt es:
»Alle deine guten Eigenschaften werden durch deine Superklugheit ver- dunkelt und für die Welt unbrauchbar gemacht, bloß weil du die Wut, alles besser wissen zu wollen, überall Fehler zu finden, außer bei dir selbst, überall bessern und kritisieren zu wollen, niht beherrschen kannst. Damit erbitterst du die Men= shen um dich her, niemand will sich auf eine so gewaltsame Weise bessern und erleudhten lassen, am wenigsten von einem so unbedeutenden Individuum, wie du doh nod bist. Niemand kann es ertragen von dir, der doh auch so viele Blößen gibt, sich tadeln zu lassen, am wenigsten in deiner absprechenden Manier,
die im Orakelton gerade heraussagt: so und so ist es, ohne weiter eine Ein- wendung nur zu vermuten«. (Gwinner p. 49.)
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Als es sih darum handelt, ob der neunzehnjährige, nad Weimar zurückehrende Sohn bei der Mutter wohnen soll, ver- weigert sie es ihm:
»Es ist zu meinem Glück notwendig zu wissen, daß du glücklich bist, aber nicht ein Zeuge davon zu sein. Ich habe dir immer gesagt, es wäre sehr schwer mit dir zu leben, und je näher ich dich betrachte, desto mehr scheint diese Schwie- rigkeit, für mich wenigstens, zuzunehmen. Ich verhehle es dir nicht: so lange du bist, wie du bist, würde ich jedes Opfer eher bringen, als mih dazu ent= shließen.... Ich kann mit dir in nichts, was die Außenwelt angeht, überein- stimmen. Auch dein Mißmut ist mir drückend und verstimmt meinen heiteren Humor.... Du bist nur auf Tage bei mir zu Besuch gewesen und jedesmal gab es heftige Szenen um nichts ..... und jedesmal atmete ich erst frei, wenn du weg warst. Weil deine Gegenwart, deine Klagen über unvermeidlihe Dinge, deine finstern Gesichter, deine bizarren Urteile, die wie Orakelsprühe von dir ausgesprohen werden, ohne daß man etwas dagegen einwenden dürfte, mic bedrükten..... An meinen Gesellschaftstagen kannst du abends bei mir essen, wenn du dich dabei des leidigen Disputierens, das mih auch verdrießlich macht, wie alles Lamentierens über die dumme Welt und das Menscenelend enthalten willst.« (Gwinner, p. 52.)
Mutter und Sohn waren nun einmal nicht für einander ge- schaffen. »Er warf ihr vor, das Andenken seines Vaters nicht ge- ehrt zu haben, glaubte auch, da sie diesen nicht geliebt habe, nicht an ihre Mutterliebe.« Er war in Besorgnis, »das väterlihe Vermögen könnte in den Händen der Mutter noch ganz zusammenshwinden und ihm, der sih zum Erwerb nicht befähigt fühlte, die Sorge für seine nächsten Angehörigen zufallens. (Gwinner.)
«Als der fünfundzwanzigjährige Doktor der Philosophie doch wieder versuhen wollte, bei der en in Weimar Wohnung zu nehmen, sollte er dort keine Heimat mehr finden. Es kam zu heftigen Auftritten zwischen Mutter und Sohn, welche bei den geringsten Veranlassungen shon alles Maß des Schicklihen überschritten und schließlich zu einer endgiltigen Trennung führten. Mutter und Sohn scheinen einander seit dieser Zeit niht wieder gesehen zu haben, obwohl die Mutter noh 24 Jahre lebte.
Aus,dieser zunehmenden Abneigung gegen den Sohn kann man wohl auf tiefere Differenzen der BR schließen. Die Mutter spielte gern selbst die geistig Interessierte und Überlegene; sie ließ sih gern anbeten und bewundern. Einen dieser »Seelen- freundes beschrieb sie, sonderbarerweise in einem Brief an ihren neun= zehnjährigen Sohn, folgendermaßen: »Wollte ih ausgehen, so hatte ih seinen Arm, wollte ih Schach spielen, so spielte er; wollte ich mir vorlesen lassen, so las er; wollte ih Musik, so sang er zur Gitarre, wollte ih quatre mains spielen, so spielte er, wollte ich malen, so saß er, wollte ih allein sein, so ging-er. Solch einen Cicisbeo finde ih nie wieder.« Der unwirshe, eigenwillige und geistig so enorm überlegene und dessen bewußte entsprach freilih nicht diesem Ideal!
Faßt man die Äußerungen Schopenhauers über seine Mutter
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zusammen, so würde man fast nicht glauben, daß er je aud ein zärtliher Sohn war, wie es wohl für die frühe Kindheit anzunehmen ist. Später gab er ihr, wie R. v. Hornstein berichtet, die Schuld an dem Selbstmord seines Vaters und er schrieb ihr das finanzielle Herabkommen seiner Familie zu. Mit Ironie erzählte Schopenhauer, wie seinem Wunsce, Flöte spielen zu lernen, der Vater Recht gab, »aber«, heißt es weiter, »meine poetische Mutter, der Schöngeist von Weimar, war meinem Wunshe entgegen: er wird einmal so viel Geld haben, daß er sich Flöte vorspielen lassen kann«. Die ab- fällige Äußerung L. Feuerbachs (1815) über sie: »Eine reice Witwe, madht von der Gelehrsamkeit Profession. Schriftstellerin. Schwatzt viel und gut, verständig; ohne Gemüt und Seele. Selbst- gefällig, nach Beifall hashend und stets sih belächelnd«, ließ der Sohn gelten, als man sie ihm berichtete.
Es mag zunächst Schopenhauers individuellem Erleben ent- sprohen haben, daß er meint, der Mensch erbe von seiner Mutter den Intellekt und vom Vater den Willen. Gebildet, belesen, schrift- stellerish tätig, mit Dichtern und Literaten in dauerndem Verkehr, wurde die Mutter, die durch ihre literarishe Bildung und Erfolge vielleiht ursprünglih ein Vorbild für den Knaben war, später, unter dem Einfluß seiner zunehmenden Feindseligkeit und Ablösung von der seinen männlichen Stolz beleidigenden mütterlihen Autorität, für ihn zum oberflählichen Blaustrumpf. Hatte er doch seither durch ernste wissenscaftlihe Arbeit die schöne Literatur weit hinter sic gelassen. Als Schopenhauer der Mutter seine Dissertation »über die vierfahe Wurzel des Satzes vom zureihenden Grundes über- reichte, meinte sie spöttish — wo andere Mütter stolz gewesen wären —, das sei wohl etwas für Apotheker. Der gekränkte Philo- soph entgegnete gereizt, man werde seine Scrift noch lesen, wenn von den Schriften der Mutter kaum ein Exemplar in einer Rumpel- kammer stehen werde. Doc sie gab schlagfertig die Antwort: »Von den deinigen wird die ganze Auflage noh zu haben sein.« All- mählih nahm die Verahtung des noh durch Verdädtigung der Treue befleckten Mutterbildes einen so hohen Grad an, daß das Zusammenleben unmöglich wurde.
Man kann als siher annehmen, daß eine solche auffällige Ab- wendung von der Mutter als Reaktion auf eine ursprüngliche Liebe eintrat, sobald der Vater nah seinem niht ohne Schuld der Mutter Re. Tode zum ehemaligen infantilen Idealbild wieder erhoben wurde. Ein Charakter wie Schopenhauer konnte Abhängigkeit, vielleiht sogar masodistisher Färbung, von einem, seiner Meinung nah schon durh sein Geschleht minderwertigen Wesen, ins Mannesalter nicht mitnehmen, und auch diese Regung wird zur Verallgemeinerung seines Mutterhasses zum Weiberhab beigetragen haben.
Schopenhauer erzählte in späten Jahren — was die Stärke des Erlebnisses beweist —, er sei als sechsjähriges Kind von
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Angst befallen worden, weil er geglaubt habe, die auf einem Spaziergang befindlihen Eltern hätten ihn für immer verlassen. Dieses häufig zu beobadhtende Angstgefühl zeigt den starken Kon- flikt des Kindes in dem bereits zwiespältig gewordenen Verhältnis zu den Eltern an (Ödipuskomplex). Wir erwähnen hier, worauf wir später noh zurückkommen, daß sich diese Kinderangst bis zur neurotishen Ängst steigerte und wiederholt im späteren Leben in krankhafter Form hervortrat.
Im Gegensatz zu seiner Mutter schien der immer strenge und auf seinen Willen beharrende Vater, der sih hartnäckig den Plänen des Sohnes widersetzte, in der frühen Kindheit als der Feind des Knaben. So bringt Schopenhauer seine Auffassung, daß die Welt eher von einem Teufel als von einem Gotte gemacht worden sei, mit seinem Eindruk von der Strenge seines Vaters in Zusammen- hang. In den späteren Äußerungen des Sohnes erscheint der ver- Ey Vater jedoch wieder als übershwenglich gepriesenes Idealbild eines charaktervollen, fürsorglichen, unvergeßlihen Mannes. Man kann wohl annehmen, daß, als ne mit siebzehn Jahren den Vater verlor und eine shwere Verstimmung bei ihm eintrat, damals seine Liebe zum Vater eine reaktionäre Verssänlding aus der Reue erfuhr, die sih auf Ungehorsam oder Lieblosigkeit, sowie feindselige Rahewünsche bezogen haben mag.!,
2. Eigenart seines Wesens.
Die Eigenartigkeit des Wesens Schopenhauers, die kleinen und großen originellen Züge desselben, die selbstverständlih auch aus seinen Werken sprechen, haben seine Persönlichkeit überaus populär gemadt. Wäre nicht sein Werk ein so imponierendes, würden nicht die ernsten, wuctigen, tiefsinnigen, eine starke, c&haraktervolle und heftige Persönlichkeit verratenden Züge überwiegen, so könnte mander Zug ihn als verschroben, ja vielleiht komish erscheinen lassen. Besonders dort, wo seine Lebensführung, sein Äußeres, seine gesellschaftlihen Manieren, seine sozialen Gewohnheiten von der Norm abweihen, wo Auffallendes, Verschrobenes, Sonderbares aufzuzeigen ist, werden wir ins Detail gehen. Neurotishe Züge bei einem genialen Menschen aufzufinden, ist der modernen Auffassung geläufig, auch diese können wir nicht schonend übergehen.
Man rufe sih das Bild des in dem vornehmen Hause oder auf weiten, in aller Bequemlichkeit unternommenen Reisen seine Jugend verbringenden Knaben ins Gedächtnis. Das Bild der Eltern haben wir bereits entworfen, viele Nachrichten zeigen uns die Ehe,
1 So ist auch der schwärmerisch begeisterte Stil der Entwürfe zu einer Dedikation (der 2. Ausgabe seines Hauptwerkes) an den Vater zu verstehen. Für die ambivalente Einstellung des Sohnes gegen den Vater ist es charakteristisch, daß sich Schopenhauer an stilistishen Änderungen und mehrfahen Entwürfen dieser Widmung nicht genugtun konnte, aber doch scließlih davon Abstand nahm, überhaupt eine dieser Fassungen zu veröffentlichen.
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in der so mander Streit ausgekämpft wurde, als wenig glücklich, und ein lebensfreudiger Ton hat wohl nie vorgeherrsht. Des Vaters rauhe und strenge Ärt, deren der Sohn sich noch spät erinnert, hat gewiß vielfah wie ein Druck auf dem Hause und dem Knaben ge- lastet. Darum empfand er die beiden in Havre verbrachten Jahre als die glüclichsten seiner’ Jugend und nennt den Mann, der dort bei ihm Vaterstelle vertrat, rühmend einen »lieben, guten, sanften Manns. »Offenbar,« sagt Möbius, »war der Knabe nicht nur durd das positive Gute beglükt, sondern auh durh die Trennung von seiner Familie, in der die Eigentümlichkeit seines Vaters und die Weltlihkeit der Mutter ihm das Leben erschwertens <p. 34). Übrigens hat das eigentlihe Leben im Vaterhaus sowohl durd die vielen Reisen mit den Eltern wie durch den jahrelangen Aufenthalt in fremden Städten schon früh mehrfache ungen erfahren. Zeitig fill auh am Kind schon ein schwermütiges Grübeln und jene Verstimmung auf, die er selbst als Dyskolie geschildert hat!, und die zum erstenmal deutlih in den Reiseeindrücken des Knaben zum Vorschein kommt. So schreibt ihm die Mutter im Jahre 1807, »daß ih nur zu gut weiß, wie wenig Dir vom frohen Sinn der Jugend ward, wieviel Anlage zu shwermütigem Grübeln Du von Deinem Vater zum traurigen Erbteil bekamst«. Der ernste Knabe, der shon mit 13 und 14 Jahren einen ungestümen Drang zur Wissenschaft verrät, mit dem der Vater rehnen muß, wird durch verschiedene Eindrücke einer Reise (1803), durh die der Vater ihn für das praktishe Leben gewinnen will (er sagte »mein Sohn soll im Buche der Welt lesen«)?, in seinen düsteren Stimmungen viel- fach bestärkt. Er besichtigt die Ruinen des römishen Amphitheaters in Nimes und seine Gedanken werden, wie er in sein Tagebuch schreibt, an die »Tausende längst verwester Menschen gemahnt« und an die Kürze des Menschen Lebens. Im Bagno von Toulon entsetzte sih der lebensunerfahrene Jüngling über das Los der Sträflinge und verliert ein andermal alle Reiselust, weil der Wagen an elenden Hütten und verlotterten Menschen vorbeigefahren ist. Diese trüben Stimmungen, Todes- und Vergänglickeitsgrübeleien, denen wir so häufig in der Jugendgeshidhte von N nen (Zwangskranken) begegnen, sind auch in enge Beziehung zu bringen zu den bei Schopenhauer seit der frühesten Jugend bis ins späteste Alter in geradezu krankhafter Weise auftretenden Angst-
! In dem schönen Kapitel »Von dem, was einer ist« in den » Aphorismen zur Lebensweisheits nimmt die Bedeutung der Stimmungsanlage für Lebensglük des Individuums eine auffallend breite Stelle ein, was auf das eigene Erleben Schopenhauers hindeutet.
2 Es liegt die Vermutung nahe, daß diese Äußerung, falls sie früh und eindrucksvoll dem Knaben zukam, in mißverständliher Auffassung und Danadh-= rihtung ein Antrieb zum Philosophieren wurde. Vgl. dazu Schopenhauers Worte: »Die Gelehrten sind die, welhe in den Bücern gelesen haben, die
Denker, die Genies ... . sind aber die, welche unmittelbar im Buch der Welt ge- lesen haben.«
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gefühlen. Schon im sechsten Lebensjahr wurde das Kind, wie er- wähnt, von Angst befallen. Krankhafte Angstgefühle treten bei dem zeitlebens ängstlih gestimmten Philosophen in späterer Zeit wiederholt auf, sowohl In ninien ı, als auh bei Tage. Gwinner berihtet über eine »an Manie grenzende Angst, die ihn zu- weilen bei den geringfügigsten Anlässen mit solher Gewalt über- fiel, daß er bloß mögliches, ja kaum denkbares Unglück leibhaftig vor sih sah... Als Jüngling quälten ihn eingebildete Krankheiten und Streithändel. Während er in Berlin studierte, hielt er sich eine Zeitlang für auszehrend ... Aus Neapel vertrieb ihn die Angst vor den Blattern, aus Berlin die Cholera. In Verona ergriff ihn die fixe Idee, vergifteten Schnupftabak genommen zu haben. Als er 1833 im Begriffe war, Mannheim zu verlassen, überkam ihn ohne alle äußere Veranlassung ein unsäglihes Angstgefühl. Jahrelang verfolgte ihn die Furht vor einem Kriminalprozesse, vor dem Ver- luste seines Vermögens und vor der Anfechtung der Erbteilung seiner eigenen Mutter gegenüber. Entstand in der Nacht Lärm, so fuhr er vom Bette auf und griff nah Degen und Pistolen, die er beständig geladen hatte. Auch ohne besondere Veranlassung trug er eine fortwährende Sorglihkeit in sich, die ihn Gefahren sehen und suchen ließ, wo keine waren... In späteren Jahren scheint ihn die krankhafte Erregbarkeit seltener heimgesuht zu haben. Jedoch blieb er von Rücfällen niht vershont... Wie sich selbst, so uälte er die, welche mit ihm umgingen, durch seinen Argwohn ... deine Wertsahen hielt er derart versteckt, daß trotz der lateinishen Anweisung, die sein Testament dazu gab, einzelnes nur mit Mühe aufzufinden war. Seit seiner zweiten italienischen Reise führte er sein Rehnungsbuh english und bediente sich bei wichtigen Gescäfts- notizen des Lateinishen und Griehishen. Um sih vor Dieben zu schützen, wählte er täushende Aufsdriften, verwahrte er seine Wertpapiere als arcana medica, die Zinsabschnitte besonders, in alten Briefen und Notenheften, und schwere Goldstüke als Not= pfennige unter dem Tintenfaß im Schreibpult. Nie vertraute er sich dem Schermesser eines Barbiers an, aud führte er stets ein ledernes Sciffhen bei sih, um beim Wassertrinken in öffentlihen Lokalen keiner Ansteckung ausgesetzt zu sein. Die Spitzen und Köpfe seiner Tabakspfeifen nahm er nach jedesmaligem Gebrauhe unter Ver- shluß. Aus Furht vor dem Sceintode verordnete er, daß seine Leihe über die gewöhnlihe Zeit hinaus offen beigesetzt werden solle«. (p. 249 u. ff.) Sehr charakteristisch für seine nächtlihen Angstgefühle ist ein aus m zwanzigsten Lebensjahr erhaltenes Gedicht, in welchem es eißt: »Mitten in einer stürmishen Nadt, Bin ih in großen Ängsten er- wadt,; Hört’ es sausen und hört’ es stürmen Durch Höfe, Hallen und an den
! Es ist charakteristish, daß sich so viele seiner Träume und Ahnungen mit dem Thema des Todes beschäftigen. (Vgl. später).
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Thürmen ... Da that gar große Angst mic fassen, Fühlt” mich so bang, so allein und verlassen,... ... Sucte vergebens zurük es zu rufen, Wie wir uns gestern Freude erschufen ...« (N. P. p. 369). Eine andere Stelle zeigt das Erlebnis und seine Anwendung nebeneinander. »Wenn in schweren grauenhaften Träumen die Beängstigung den höchsten Grad erreicht, so bringt eben sie selbst uns zum Erwaden, durch welces alle jene Ungeheuer der Nacht vershwinden. Dasselbe geshieht im Traume des Lebens, wann der höhste Grad der Beängstigung uns nötigt, ihn abzubredhen.«
Wie hier die Angst direkt mit der Todesangst in Beziehung gesetzt ist, so erscheint noh an anderer Stelle die Todesangst als schreckliche Begleiterin des Lebens (N. P. $ 276):
»Es gibt Augenblicke, wo, wenn wir an den Tod lebhaft denken, er in so fürchterliher Gestalt erscheint, daß wir nicht begreifen, wie man mit solcher Aussicht eine ruhige Minute haben könne und nicht jeder sein Leben mit Klagen über die Notwendigkeit des Todes zubringe.«
Und scließlih seien noh die Worte aus den N. P. & 658 angeführt, welche so überaus charakteristisch sind für die Psychologie des Angstmenshen überhaupt:
»Wenn ih nichts habe, was mich ängstigt, so beängstigt mich eben dies, indem es mir ist, als müßte doch etwas daseyn, das mir nur eben verborgen bliebe. Misera conditio nostra!«
Diese das ganze Leben begleitende Angst, als pavor nocturnus beginnend, in pathologishen Angstäquivalenten wiederkehrend, viel- fah das Traumleben durdsetzend, das ganze Leben verbitternd, ist siher als krankhafte Erscheinung aufzufassen und steht nad unserer ärztlihen Beobahtung mit Verdrängungsvorgängen der in= fantilen Sexualität im engsten Zusammenhang. Wir sind gewöhnt, sie in der Kindheit mit der Ablösung von der kindlihen Selbst- befriedigung und deren Phantasien sowie mit der Verdrängung der auf Eltern und Geschwister gerichteten Todes- und Liebeswünsce in Be= ziehung zu bringen und finden sie besonders ausgeprägt bei einer starken, außen gehemmten und gegen das eigene Ich gekehrten gewalt- tätigen Anlage, wie eine solhe bei Schopenhauer nahweisbar ist. Daß Schopenhauer einen überstarken ee hatte, berichtet er selbst aus seiner Kindheit, er rühmte sih auh, außerordentlich heißes Blut gehabt zu haben (Gwinner p. 396). Er hat unter diesem starken Trieb sehr gelitten, wie wir am deutlichsten aus dem Jugendgediht (achtzehntes Fi ersehen, das den Kampf gegen die verwertlih empfundene Sinnlihkeit widerspiegelt (N. P. p. 366):
»O Wollust, o Hölle, o Sinne, o Liebe, Nicht zu befried’gen und nicht
zu besiegen! Aus Höhen des Himmels hast du mich gezogen Und hin mich ge= worfen In Staub dieser Erde: Da lieg’ ih in Fesseln. Wie wollt ih mich shwingen Zum Throne des Ew’gen, Mih spiegeln im Abdruck des höchsten Gedankens, Mich wiegen in Düften, Die Räume durdfliegen, Voll Andadıt, voll Wunder ... Doc du, Band der Shwäcdhe, Du ziehest mich nieder, Daß fest mich umklammert Das Heer deiner Fäden, Und jeglihes Streben Nah Oben
mißlingt mir.«
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Aud aus zahlreichen Stellen seiner intimen Aufzeichnungen, seiner Briefe und seiner Schriften folgert der Biographı Damm »wie ungeheuer shwer Schopenhauer unter dieser geheimen Geißel litt, wie er sich selbst bewußt war, daß die Leidenshaft zum weiblichen Geschlecht, der Sinnengenuß ihn stets aufs Neue in Fesseln schlug und seinem Charakter dunkle Schatten aufsetzte... Schon im Jünglingsalter suchte er diese Triebe zu bekämpfen: bald stürzte er sich mit Eifer in die kaufmännishen Obliegenheiten, bald suchte er Ablenkung in der Lektüre... im Besuh von Theater und Kon- zerten, in der Ausübung des Flötenspiels, in weiten Spaziergängen und im Betreiben des Segelsports. — Die Natur aber wollte ihr Redt. Schließlich überwältigte ihn der Ekel am ganzen Dasein und er versank in immer tiefere Melandolie« (p. 5%. Er litt zeitlebens unter diesem »Dämon« und »mit einem Jubelruf begrüßte er darum den Eintritt jener Lebensjahre, in denen die Be een schlafen ge=
angen sind« und die Erlösung erfolgt. Es Tiext nahe, in dem E losuschedürinie das auh in Schopenhauers Philosophie eine so große Rolle spielt, eine Analogie hiezu zu finden. Dem starken Trieb entspriht auch das starke Schuldgefühl, welches, wie wir sehen werden, mit die Grundlage seiner pessimistishen Weltanschauung eworden ist. Schopenhauer bemerkt gelegentlih, daß der der Kindheit fehlende Sexualtrieb später das Leben verdüstere:
»Dieser Trieb hebt jene Sorglosigkeit, Heiterkeit und Unschuld . . auf, indem er in das Bewußtsein Unruhe und Melandolie, in den Lebenslauf Unfälle, Sorge und Not bringt« (W. W. II, p. 668).
Das mit der Angst innigst zusammenhängende Schuldgefühl sind wir gewohnt, teils auf dem Ödipuskomplex entspringende böse Wünschen auf Eltern und Geschwister zurückzuführen, teils wird es verstärkt durh die von der Autorität der Eltern der kind= lihen Onanie entgegengesetzten Drohungen, die einer Natur wie dem strengen Vater Ehonehhätere gewiß nahelagen. Der Knabe, dem der Vater übrigens mit sechzehn Jahren noch seine schlechte Körperhaltung vorwerfen mußte, sceint auch seine Phantasien damals niht im Zaume gehalten zu haben. Er verschlang mit der üblihen Heimlichkeit und Begierde jener Jahre eine Menge poetischer Werke und Romane, sichtlih mit schlehtem Gewissen. »Du bist nun schon fünfzehn Jahre alt,« schreibt ihm die Mutter, »Du hast shon die besten deutschen, französishen und zum Teil auch eng- lishen Dichter gelesen und studiert und doh außer den Scul- stunden kein einziges Buh in Prosa, einige Romane ausgenommen, keine Geschichte, nichts als was Du etwa lesen mußtest, um bei Herrn Runge zu bestehen ... .. alles in der Welt wollte ich dich lieber werden sehen als einen sogenannten Belesprit.« Vielleicht hatte Arthur mehr Romane gelesen, als sie dachte, heißt es bei Möbius (p. 36) weiter. »Dem K. Bähr erzählte Schopenhauer, er habe als vierzehnjähriger Knabe mit Hilfe seines Kommoden- schlüssels der väterlihen Bibliothek den Roman »Faublass entführt
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und habe sih Nacdts auf seinem Bette sitzend darein vertieft. Da
sei der Vater, um in seiner Frau Zimmer zu kommen, unversehens hereingetreten: »Ein gegenseitiges Ertappen!« Vor dem Romanlesen hat Schopenhauer später die jungen Leute wiederholt gewarnt, er muß wohl die übeln Folgen gespürt haben.« Der psydisch be- deutsame Kampf zwischen Sexual- und Ichtrieb mag um die Zeit der Pubertät und später auch bei Schopenhauer eine wichtige Rolle für Charakterbildung und geistige Ziele gespielt haben!. Die ange- strebte sexuelle Abstinenz seines späteren Lebens, der er nur perio- dish untreu wurde, führte wieder zur Verstärkung, . Kon- tinuierliherhaltung der Angst, die wieder den Ausdruk in den verschiedenen bereits angeführten Phobien fand: in auffällig über- triebenen Vorsichtsmaßregeln gegen überschätzte Gefahren, gegen Krankheit und Tod insbesonders. Daher hat er auh das Thema der Vergänglichkeit, der Flüctigkeit der Zeit und insbesondere des Todes, welhe seit jeher die Anreger alles Philosphierens gewesen sind, aus seinen a Erlebnissen heraus als solhe empfunden,
wenn er sagt (W. IL, p. 185):
»Ohne Zweifel ist es das Wissen um den Tod und neben diesem die Betrahtung des Leidens und der Not des Lebens, was den stärksten Anstoß zum philosophishen Besinnen und zu metaphysishen Auslegungen der Welt gibt.«
Darum sagt Schopenhauer mit Redt, daß der Tod der wahre Musaget der Philosophie sei?. —
Den mehr als ernsten und grüblerishen Knaben hatte das be- wegte Reiseleben nicht aus seiner trüben Stimmung zu reißen ver- mocdt, er blieb nach innen gewendet und shon mit zwölf Jahren verrät er eine brennende Liebe zur Wissenshaft und eine starke Neigung zur Gelehrtenlaufbahn. Als er endlih nah dem Tod des Vaters, dem zuliebe er noch zwei Jahre in »nadhträglihem Gehorsam« (Freud) dem Kaufmannsstande treu blieb, sich der Wisselfschaft widmen konnte, zeigte er sich voll von edelstem Eifer und Wissenstrieb, ver- schlang zahllose Bände und es dauerte nicht fange, so hatte er alles nachgeholt und die ausgiebigste Grundlage für philologishe und philosophishe Bildung gelegt. Im zwanzigsten und einundzwanzigsten Lebensjahr begann er sich bewußt mit jenen ernsten, tiefsinnigen Themen zu beschäftigen, die er später im vierten Buche seines Hauptwerkes eingehend behandelt hat. Daß der junge Schopen- hauer, der sih shon den Philosophen merken ließ — »Jugend und Philosophie gepaart -— immer eine paradoxe Erscheinung» (Möbius) —
——
! Es ist auc interessant, daß er sich eines guten Gedäcdtnisses für seine ersten zwölf Lebensjahre rühmt. Warum nicht weiter? müssen wir fragen: vermut- lih begann um diese Zeit eine stark einsetzende Verdrängung.
® „Der Tod ist der eigentliche inspirierende Genius oder der Musaget der Philosophie, weshalb Sokrates diese auh Yavarov uslern definiert hat. Schwerlich sogar würde, auh ohne den Tod, philosophiert werden.s (Über den Tod und sein Verhältnis zur Unzerstörbarkeit unseres Wesens an sich, II. Bd., p. 542).
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keine großen Erfolge beim weiblihen Gescledhte hatte (bei den een seiner Schwester), ist begreiflih; »er war eben keine Speise für sie« (Möbius). Schopenhauer selbst sagt: »In meiner Jugend madte die Vernadhlässigung, die ich in der Gesellschaft erfuhr und der Vorzug, den man den AÄlltäglihen, Platten, Dürftigen vor mir gab, mih an mir selber irre.« — Fassen wir Schopenhauers seelishen Zustand um diese Zeit zusammen, so verstehen wir, warum er Wieland — als dieser ihm abriet, lediglih Philosophie zu studieren, was doch kein solides Fah sei — antworten konnte: »Das Leben ist eine mißlihe Sache: ich habe mir vorgesetzt, es damit hinzubringen, über dasselbe nahzudenken.« (April 1811.)
Wir dürfen uns um diese Zeit Schopenhauer im äußeren Leben nicht allzu vershieden von anderen Studenten vorstellen. Es scheint, daß seine materielle Unabhängigkeit‘, das Erreichen seiner geistigen Ziele und das anregende en in Weimar ihn geselliger machten und seine von der Kindheit her schon bestehende pessimi= stishe Verstimmung zeitweilig unter den ÄAblenkungen des Sportes und der geselligen Zerstreuungen vershwinden ließen. Wir werden noch einmal ein ähnlihes Aus-der-Art-shlagen dieses zu ernstem und eingezogenem Leben bestimmten Mannes begegnen, und zwar, als er nah Vollendung seines Hauptwerkes im dreißigsten Lebens=- jahr nad Italien reist. Er schreibt damals folgende siegesbewußte Verse nieder:
» Aus langgehegten, tiefgefühlten Shmerzen Wand sich’s empor aus meinem innern Herzen. Es festzuhalten hab’ ich lang gerungen: Doch weiß ih, daß zu= letzt es mir gelungen. Mögt euh drum immer wie ihr wollt gebärden: Des Werkes Leben könnt ihr nicht gefährden. Aufhalten könnt ihr’s, nimmermehr vernichten: Ein Denkmal wird die Nahwelt mir errichten !«
Es ist ein Zeichen für seinen geistigen Ehrgeiz, daß Höhepunkte seines Studien- und Arbeitsfortschritts ihm die Lebensfreude nahe- bringen. Dem durh Jahre wider Willen im Kontor festgehaltenen Jüngling war eine goldene Zeit angebrohen, da er mit seinen Geisteskräften und mit seinem Tätigkeitstrieb sich auf das ganze Gebiet der Wissenschaften werfen konnte und sein Fleiß, sein Inter= esse waren bewundernswert. Ausgezeichnete Lehrer und Ratgeber standen ihm zur Seite, sein vortrefflihes Sprachtalent kam ihm zu Nutze und das Ideal, in allen Fächern zu Hause zu sein, um später der Königin der Wissenschaften dienen zu können, mochte ihm schon damals vorgeshwebt haben. Sein Interesse für Naturwissenschaft, vielleiht auh für hygienishe Fragen (wohl aus Hypodondrie stammend), wandte sih vorübergehend der Medizin zu. Das um-
ı Mit einundzwanzig Jahren erhielt er von der Mutter das väterlihe Erb- teil ausbezahlt, welches ihm nach dem damaligen Kapitalswerte vollkommen aus-= reihend erscheinen mußte, ihm für seine Person zeitlebens ein bequemes Auskommen zu sichern. Die materielle Unabhängigkeit, die gleichzeitig mit der von der Mutter einherging, mußte sein Selbstgefühl heben.
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fassende Universalstudium, das Schopenhauer damals beschäftigte, erhielt die entscheidende Rihtung durch den Rat seines Professors G. E. Schulze, der ihn bestärkte, Philosoph zu werden, und zu= nächst seinen Fleiß ausscließlih Plato und Kant zuzuwenden riet. Er warf sih dann in Berlin mit erneutem Eifer auf das Studium der Philosophie und begann sich gesellschaftlih mehr und mehr zurückzuziehen. Er verzichtete, daran zu denken, ein Haus zu gründen, Weib und Kinder zu besitzen und lebte nur dem einen Lebenszwec&k, sein Werk zu vollenden. Seine Dissertation »Über die vierfahe Wurzel des Satzes vom zureihenden Grunde« verriet einem Kritiker schon, daß der junge Philosoph die Absicht habe, »die Ethik zum Schlußstein der ganzen Philosophie zu mahen«. Er war damals schon mit seinen weit höher strebenden Absichten be= schäftigt, sein Haupt- und Lebenswerk gewann bereits in seinem Innern Gestalt, es sollte eine Philosophie werden, die niht auf dem Wege der Wissenschaft gesuht war, sondern durh Anschauen der Welt (Intuition), mehr Kunstwerk als Wissenshafl. Schopen= hauer hat dann wiederholt geschildert, wie er die Freude, etwas Großes und Wertvolles in sih wachsen zu fühlen, gleih einer stolzen jungen Mutter empfunden hat, er hat damit allen jenen, die etwa noch glauben, daß ein Philosoph die Grundlehren seines Systems ausklügle oder konstruiere, in klarster Weise gezeigt, daß das Entstehen eines philosophischen Gebäudes ebenso unbewußt vor sich gehen kann, wie ein Tagtraum oder ein Kunstwerk. Am besten zeigt sich dies darin, daß diese Jugendkonzeption seines Hauptwerkes — des Werkes seines Lebens, wie er selbst sagt — die endgiltige blieb, da alle spätere Giedankenarbeit des Philosophen in eigenartiger Starrheit nur der Ausgestaltung, Bestätigung, Begründung und Rechtfertigung seiner Grundprinzipien galt. Diese Jungmannszeit war die eigentlich und einzig shöpferische in seinem Leben, in ihr gebar er den seiner würdigen Geistessprossen, dessen Schutz, Pflege und Verteidigung sein übriges Leben gewidmet war. Ruhe und Muße. war der frucdt- bare Boden für die Schöpfung und Jahrzehnte lange Verteidigung dieses Kindes. Man mag sic sender in seiner Studenten- stube vorstellen, wo Platos und Kants Werke, des Sokrates Büste und Goethes Bildnis zu finden waren und wo damals schon der den menschlichen Vertrauten vorgezogene Pudel auffallend erscheint. Mag es auh zu gelegentlihen Disputen unter Kollegen gekommen sein, wobei sih Schopenhauer selbstbewußt und brüsk benommen hat, so mied er doc, angeblih weil es ihm unbequem und antipathish war, vermutlih aber mehr aus den tieferen unbewußten Cränden seiner Asozialität, des Widerstandes gegen das Zusammensein, fast alle Geselligkeit, jedes Familien- oder Vereinsleben und prädestinierte sih shon damals für das dauernde Junggesellentum. Wenn er aber auch Junggeselle blieb — die Ehelosigkeit ist eine wiederholt hervor- gehobene Figenart der Lebensführung der Philosophen, wie besonders Nietzsche in seiner Abhandlung »Was bedeuten asketische Ideale«
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betont hat! —, so mögen doch hier entgegen den vielfah um= gehenden Meinungen, daß Schopenhauer gar nichts mit Frauen zu tun gehabt habe, sowie der unberechtigten und leichtfertigen Be- hauptung Lombrosos über größte sexuelle Ausschweifungen, einige Bemerkungen über das Liebesleben Schopenhauers Platz finden. Im Gegensatz zu seinem so oft von ihm selbst als über- mäctigen Dämon bezeichneten Sexualtrieb, der ihn erst im Älter zur Ruhe kommen ließ, wissen wir Sicheres nur von einigen nicht dauernden Liebesbeziehungen, die er einging, niht ohne mit dem Ge- danken an die Ehe theoretish zu spielen. Aus dem Tagebuch der Schwester, der er in Briefen so manches anvertraute, wissen wir, daß seine Geliebte in Dresden guter Hoffnung war, wobei er sich übrigens »rechtlih und gut benommen« haben soll. »Zärtlihe Be- ziehungen fesselten ihn an Fräulein Medon, die der Berliner Hof- bühne angehörte... für die Stärke seiner Neigung zu ihr spricht es wohl, daß er ihrer nach dreißig Jahren mit einem bedeutenden Legat gedaht hat« (Damm, S. 184).
Liebe und Ehegedanken traten Schopenhauer audh in Venedig nahe. Nadı Italien war er ja nah Abschluß seines Werkes lebens- und wahrsceinlih auch liebesdurstig geeilt, nachdem ihm shon die letzten Jahre hindurh Wunschträume jenes Land vorge- spiegelt hatten. Möbius sagt von den dort eingegangenen Liebes=- beziehungen zusammenfassend: »AÄbgesehen von rein sinnlichen Verhältnissen geriet Schopenhauer audh zu einer Dame der Gesellshaft in Beziehungen (»die Geliebte ist reih, sie ist von Stand gar,« schreibt Adele), die, wie es scheint, beinahe mit einer Heirat geendet hätten« (p. 67). »Von den inneren Kämpfen,« sagt Gwinner (p. 20), »die er gegen Änfechtungen dieser Art zu be= stehen hatte, geben Überlegungen Zeugnis, die er in englischer Sprahe Zetteln anvertraute, deren Inhalt jedoh im ganzen sich nicht zur Mitteilung eignet.« Daß trotz seiner Abneigung gegen eine dauernde Verbindung mit der Frau, oder vielmehr eben dadurd, Schopenhauers Sinnlichkeit, vielfach unbefriedigt, die Phantasie sehr leicht überflutete, so daß er zum weiblihen Geshlehte kaum geistige Beziehungen eingehen konnte, hat er selbst verraten: indem er seiner Schwester schrieb, er hätte außer ihr nie eine Frau ohne Sinnlihkeit geliebt.
Wir können hier niht die Psychologie des Ledigbleibens, des Hagestolzentums breit erörtern. Es ergibt sih für Schopenhauer speziell schon aus vielem hier Gesagten, daß er zur Ehe aus den Tiefen seiner Persönlichkeit vollkommen ungeeignet war.
Er weiß ganz gut: »Von der Natur bestimmt ist des Menschen Los: Tages Arbeit, Nachts Ruhe und wenig Muße, und des Menschen Glük: Weib
ı Schopenhauer erwähnt, sich selbst vergleihend, alle echten Philosophen seien ledig geblieben, so Cartesius, Leibniz, Malebranche, Spinoza und Kant, des Sokrates Leiden sei bekannt und Aristoteles sei ein Hofmann ge- wesen.
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und Kind, die sein Trost sind im Leben und Sterbens. Aber heißt es selbst=- tröstend weiter: »Wo eine abnorme Beschaffenheit große geistige Bedürfnisse, und mit diesen die Möglihkeit großer geistiger Genüsse herbeiführt, da wird freie Muße zur Hauptbedingung des Glüks, für welche sodann dem normalen Menschenglük durh Weib und Kind willig entsagt wird.«
»Die meisten Männer,« sagt Schopenhauer an anderer Stelle, »lassen sih durh ein schönes Gesicht verlocken: denn die Natur induziert sie dazu, Weiber zu nehmen, indem sie diese auf einmal ihre volle Glanzseite zeigen läßt, die vielen Übel dagegen, die sie im Gefolge haben, verbirgt: als da sind endlose Ausgaben, Kindersorgen, Widerspenstigkeit, Eigensinn, Alt- und Garstigwerden nah wenigen Jahren, Betrügen, Hörneraufsetzen, Grillen, hysterishe Anfälle, Liebhaber und Hölle und Teufel. Deshalb ist die Heirat eine Schuld zu nennen, die in der Jugend kontrahiert und im Alter bezahlt wird... Die freie Muße, welche sie ihren Weibern zu erarbeiten den Tag verbringen, braudt der Philosoph selbst. Der Verheiratete trägt die volle Last des Lebens, der Unverheiratete nur die halbe.«
Die unbewußten, aber wirklihen Motive sind die Sexualab- lehnung und die damit im Zusammenhang stehende Angst, das böse Vorbild der elterlihen Ehe u. a. wirkten zusammen mit seiner Asozialität, seinem Binsamkeitsbedürfnis, um Schopenhauer nie heiraten zu lassen. Schopenhauer hat diese Hemmungen kaum durchschaut, vielmehr sie sekundär verstandesmäßig zu begründen gesucht (»rationalisiert«). Die Angst vor Betrogenwerden, Körperlich- Geshwäctwerden, von materiellen Opfern etc. verrät er zu deut= lih. Bei seiner Sensibilität und Intellektualität, seinem Sinn für Unabhängigkeit, bei seinem Entshluß, von seinem kleinen Ver- mögen ohne Arbeit sparsam zu leben, last not least bei seiner, allerdings teilweise sekundären, herabsetzenden Ansiht über das weiblihe Geshleht — konnte die Entsheidung nur nach der negativen Richtung fallen. Das gehaßte und verachtete Bild seiner Mutter, zumindest die von widerstreitenden Gefühlen getragene Einstellung des Sohnes werden dabei eine entscheidende Rolle gespielt haben. In dieselbe Rihtung weist auh eine weitere letzte Wurzel, seine seltsame Einstellung zum Weib und seinen Mitmenschen.
Die Widerstände, die wir bei Schopenhauer sowohl gegen die Verbindung mit dem Weibe wie gegen die Wertung des Weibes finden, seine Herabsetzung des Geschlectsaktes, lassen den geübteren Psychoanalytiker shon hieraus eine stärkere Betonung des homosexuellen Anteiles der bekanntlich allgemeinen bisexuellen Anlage des Menschen bei Schopenhauer annehmen!., Vom tat- sählihen Liebesumgang mit Männern absolut fernbleibend muß Schopenhauer als sozusagen »ideell gleihgeshlehtlih« (Freud) bezeichnet werden. Als Beweise für diese Annahme sei auf folgende gewichtige Tatsahen hingewiesen. Shopenhauer en den weiblihen Körper als häßlich, den des Jünglings als schönsten,
So heißt es P, P. II, p. 654 »über die Weiber«:
ı Vgl. Frauenstädt, »Memorabilien etc,«, p. 393 und 394.
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»Das niedrig gewachsene, schmalshultrige, breithüftige und kurzbeinige Geshleht das schöne nennen konnte nur der vom Gescledtstrieb umnebelte männliche Intellekt: in diesem Triebe nämlich steckt seine ganze Schönheit. Mit mehr Fug als das schöne, könnte man das weiblihe Geschlecht das unästhetische nennen.«
Und in der »Metaphysik der Geschlectsliebe« ist die Rede von den Jünglingen, »die doch eigentlih die höchste menschlihe Schön- heit darbieten«!,
In einer brieflihen Kritik von Frauenstädts Bud »Ästheti=- she Fragen« heißt es p. 50:
sein vollkommenes Weib ist schöner als ein vollkommener Mann,« — quae qualis, quanta! Hier haben Sie ein höchst naives Bekenntnis Ihres Ge- schlectstriebes abgelegt ... . Warten Sie, daß Sie in meinem Alter sein werden, wie Ihnen dann diese kurzbeinigen, langleibigen, shmalscultrigen, breithüftigen, mit Zitzen exornierten Persönchen vorkommen werden: auc ihre Gesichter sind nichts gegen die der schönsten Jünglinge, zumal die Augen ohne Energie.s
Mit Reht sagt B. Friedländer? in bezug auf diese Stelle: »Meiner Änsiht nach ist derjenige, der so wertet, wie Schopen= hauer, ein sozusagen ästhetisch Homosexueller. Aber audh die anderen Auslassungen über Weiber, nämlih über deren Psyche und Intellekt, atmen denselben Geist... und er beweist damit eine, wenn man so sagen darf, psychisch gleichgeschlectlihe Neigung. Denn es ist doh unmöglich, daß, wer so denkt und empfindet, ein inniges Verhältnis mit einem Jüngling einem solchen mit einem Weib niht bei weitem vorziehen sollte.« Friedländer gibt sogar der Vermutung Raum, daß »vielleiht die Lebensfeindlichkeit, die ver- feinerte Grießgrämigkeit, kurz der Pessimismus des großen Denkers die letzte tiefste Wurzel in einer unbefriedigten uranishen Veranlagung gehabt habe... Nur der ganz Unkundige würde die nachgewiesenen, vorübergehenden, rein sinnlihen Beziehungen Schopenhauers zu Weibern als Gegengrund anführen können«.
Als ergänzende Argumente seien hervorgehoben Schopen- hauers übertriebene Abneigung gegen den Änblick des männlichen Bartes wie auch die später (vgl. p. 129) zitierten Äußerungen über das Verbergensollen des Genitales. Er verwirft den Bart wieder-
holt als häßlih und tierish. So heißt es «P. P. I, p. 204:
»Sogar als äußerlihes Symptom der überhand nehmenden Roheit er- blikt ihr den konstanten Begleiter derselben — den langen Bart, dieses Ge- schlectsabzeichen, mitten im Gesicht, welches besagt, daß man die Maskulinität, die man mit den Tieren gemein hat, der Humanität vorzieht .... Das Ab- scheeren der Bärte in allen hochgebildeten Zeitaltern und Ländern ist aus dem
ı Wenn wir uns berechtigt glauben, diese Äußerung als Zeichen einer unbewußten homosexuellen Neigung anzuführen, so übersehen wir dabei nicht, daß die Frage nah:einem objektiven Schönheitsideal vielfach von Ästhetikern zugunsten der Männlichkeit entshieden wurde.
? „Die Renaissance des Eros Uranos«, Berlin 1904.
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rihtigen Gefühl des Gegenteils entstanden... Zudem ist alles Behaartsein tierish. Die Rasur ist das Abzeichen der höheren Civilisation.«
» Schopenhauer gehört also zu jenem nicht seltenen Typus sexuell relativ zurückhaltender Männer, die durch diese Eigen- shaft und durh kleine andere Züge verdrängte homosexuelle Neigung verraten. Daß Schopenhauer selbst die etwa von seinen Gegnern ihm zugemutete Homosexualität im vorhinein ironish ab- lehnt, kann für uns kein Gegenargument gegen diese Vermutung sein. Schopenhauer hat der Päderastie einen eigenen Abschnitt als Anhang zur Metaphysik der Gesclecdtsliebe gewidmet, in welchem er sie als häufige Erscheinung des Alters und der Jugend- jahre teleologish dahin auslegt, die Natur wolle dadurh die Er- zeugung degenerierter Nachkommen hintanhalten. Am Schlusse be= gründet er die Abfassung dieses Abscnittes mit folgender ironischer Bemerkung: Er hätte damit »den Philosophieprofessoren eine kleine Wohltat zufließen lassen wollen, indem er ihnen Gelegenheit er- öffnete zu der Verleumdung, daß er die Päderastie in Schutz ge= nommen und empfohlen hättex. — Es sei auh aufmerksam gemadt auf jene Darstellung des Entstehens seines Hauptwerkes, wo Schopenhauer sich selbst ganz weiblich=mütterlih und »schwanger« empfindet, das Werk als Kind im Mutterleib: »Ich sehe es an und sprehe, wie die Mutter: ih bin mit Frudt gesegnet« (N. P, 8% 630). Es entspräche dieses Bild passiver Homosexualität, wie wir sie als Folge übergroßer Liebe zum gefürchteten Vater ent= stehen sehen. Schopenhauers unbewußte homosexuelle Neigung mag selbst wieder verstärkt worden sein durh seine Ab- wendung vom Weibe (von der Mutter). Finden wir aber bei anderen Menschen als Sublimierungsprodukt verdrängter gleich- geschlechtlicher Neigung den Sinn für Freund und Geselligkeits- beziehungen, so sehen wir, daß Schopenhauer auch diese im weiteren Sinne der Libido eesensönden Beziehungen zu den Nebenmenshen in ganzen großen Abschnitten seines Lebens ver- missen läßt und erst im Älter von einem kleinen Kreis geistiger Anhänger umgeben ist. Auch dem Vereinsleben bleibt er zeitlebens ferne und sein Mensen der sich in niht shwäcderen Ausdrücken und Übertreibungen äußert als sein Weiberhaß, zeigt, daß beiSchopen- hauer auch die Libidoübertragung auf die Mitmenschen späterhin gehemmt war, wenn er auch vorübergehend in seinen Knaben- freundshaften! und als Jüngling wenige Ausnahmen gemadt hatte. Ohne Freund, ohne Frau, ohne geselligen Kreis, ohne Empfindung dafür, den übrigen Menschen zu geben oder von ihnen zu empfangen, ging der in diesem Sinne tief unglücliche Mensd allein durchs Leben, eingehüllt in seinen Stolz und seine Menschenverahtung, die ihm, aus Ressentiment entspringend, zum Trost in seiner Einsamkeit dienten.
ı Vgl. dazu den Traum des 42jährigen Schopenhauer von »seinem
Busenfreund und steten Spielkameradens Gottfried Jänisch, der mit 10 Jahren ge= storben war (N. P. $ 194).
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Nad elfmonatlihem Aufenthalt in Italien wurde er in Mai- land durh die alarmierende Nachricht von einer das Vermögen der Seinigen bedrohenden finanziellen Krise unangenehm überrascht, Die Mutter hatte den größten Teil ihres Vermögens sowie das der Tocdter verloren und erhielt sih später durh Schriftstellerei. Das nächste war, daß er der Schwester schrieb, er sei bereit, mit ihr und der Mutter das Wenige, was ihm geblieben sei, zu teilen, wo- von jedoh kein Gebrauh gemadht wurde. Er beschloß jedoch so- fort, sich als Privatdozent zu habilitieren. Sein ausgesprocdener Besitz=- trieb und seine geschäftlihe Tüctigkeit erreichten es im Verein mit seiner Hartnäcigkeit, daß er sich sein eigenes Vermögen unbeein- trächtigt erhielt. Die Geschwister aber entfremdeten sich in diesem brieflihen Konflikt für mehr als 10 Jahre. Die Dozentur endete mit einem Mißerfolg, da sein Gegner Hegel auf der Höhe seines Ruhmes stand, und Schopenhauer selbst sih wie gewöhnlich shroff benahm. Dies war für ihn ein zu berechtigter Verstimmung und mißtrauishem Pessimismus Anlaß gebendes Erlebnis. Die Ignorierung seines Lebenswerkes durch viele Jahrzehnte gab weitere zureihende Gründe. Es schließen sih jetzt Jahre an, in denen Schopenhauer nah Fortsetzung seiner unterbrodhenen Italien= reise seinen Wohnort an verschiedenen Städten aufzuschlagen suchte, 1825 nach Berlin zurückkehrte und 1833 sih von der Cholera vertrieben, endlih dauernd in Frankfurt a. M. festsiedelte, wo wir ihn, zu einer stadtbekannten Figur geworden, als welt- rg Berühmtheit aufgesuht, auh seine Tage beschließen sehen.
War Schopenhauer im allgemeinen von großer körperlicher Widerstandsfähi Bi und noh im Greisenalter kräftig und rührig, von gesundem Schlaf und gesegnetem Appetit, so madte er dod einmal — mit 35 Jahren — eine langwierige Krankheit durh, von der wir nichts Bestimmtes wissen, über die er aber Klage geführt hat, der er die Schuld an seinem frühen Ergrauen gab und seine Nervenshwähe zushrieb. Über die Art dieser Erkrankung ist zwishen Iwan Bloh und Wilh. Ebstein ein wissenschaftlicher Streit ausgefohten worden. Der erste Autor glaubt auf Grund von Schopenhauers Greheimaufzeichnungen über seine Quec-= silberkur und aus anderen Gründen den Nachweis erbringen zu können, daß es sih um eine schwere tertiäre Syphilis gehandelt habe <(primäres Stadium nah Bloch 18134), der zweitgenannte Autor jedoch leugnet das Zwingende der Beweisführung und meint, es habe sih um die von Schopenhauer in einem Brief an den
ı Bloch findet auch in der venerischen Erkrankung Schopenhauers »eine der Wurzeln seiner asketishen Weltanshauung und seines Pessimismus.« — Wir schließen uns dieser Ansiht an, aud für den Fall, daß die Syphilis Schopen= hauers nicht tatsählih war, denn an Syphilisangst hat er deutlih gelitten. Man vgl. dazu Schopenhauers ÄAnsiht: »Damit der Gesclecdtstrieb nicht zu
viel Gewalt über den Menschen gewinne, ist die venerishe Krankheit ein sehr dienliher Damm.«
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intimsten seiner älteren Jugendfreunde, Osann, angegebene Krank= heit: Hämorrhoiden mit Fistel, Giht und Nervenübel gehandelt. Es zeigen sih auch im weiteren Leben keine Folgezustände und erst mit 72 Jahren starb er nah kurzem Leiden an einer Herzlähmung. Wie viele andere Persönlichkeiten ist auh Schopenhauer erst durch die Bilder seines Alters zu einer populären Figur ge=- worden, und sein ernstes, durhfurhtes Gesiht mit den weißen Haarbüscheln zu beiden Seiten des mädhtig gewölbten Schädels gehört zu den markantesten Bildern großer deutsher Männer. Als stürmisch dahinschreitender Spaziergänger in altmodischer Kleidung, der laut vor sih hinmurmelt und oft unartikulierte Laute ausstößt, dazu mit dem Stok heftig zur Erde stampft, war er, unzertrennlih von seinem Pudel, in Frankfurt eine bekannte Straßenfigur. Mehr noch als in früheren Stationen lebte er hier als ein Fremder, er speiste im Restaurant, saß in der Regel allein und fing nicht leicht ein Ge= spräh mit fremden Tischgenossen an, was für seine allgemeine Menschenunfreundlichkeit zeugt. War ihm jedoch einmal ein Gespräch sympathish, so konnte er auh bis in die Nadt hinein sitzen bleiben, philosophierte auch hier mit Vorliebe und viele seiner Zeit= genossen rühmen seine ernste, der Zote wie der Banalität ent= ratende Konversation. Auch hier war er gerne didaktish und Gwinner gibt mit tiefer psydhologisher Ahnung das befremdende Gefühl wieder, seinen über a=a sprehen zu hören und ein Ge-= siht dazu machen zu sehen, als spräche er mit seiner Geliebten von der Liebe.« Wie sich im Verkehr manche Verschrobenheit und Pedanterie verrät, so ist es auch interessant, dem Philosophen in seine Wohnung zu folgen. Am Morgen sehen wir ihn energish sich das »optimum« geistiger Konzentration wahren: er darf nicht gestört werden, sieht niht einmal die Dienerin um diese Zeit. Sein Zimmer war nüc- tern, nur eine vergoldete Statuette des Buddha thronte auf einer Marmorkonsole. Kants, Shakespeares, Descartes und Goethes Bildnisse hingen an den Wänden, daneben — Hundestüke! Dem Pudel, den er in den vierzehn Jahren seines Frankfurter Aufenthaltes besessen hatte, gab er außer einem profanen Namen für den intimen Verkehr den esoterishen Namen Ätma, d. i. Weltseele, Schopenhauers Charakterbild zusammenfassend, müssen wir zugeben, daß die Kritik Fichtes aus dem Jahre 1850 über die »Parerga«x, so ungereht sie sonst war, das Wesen der Per- sönlichkeit nicht unzutreffend charakterisierte, wenn er Schopen- hauer als pathologish-psydhologishes Problem zu betrachten emp- fehlt, »dessen Rätsel sich eigentlih nur durch persönliche Kenntnis lösen ließe«. Es ist seltsam, welch verschiedene Charakterzeihnung Schopenhauer widerfuhr und es erklärt sich dies aus dem Um- stand, daß er aus seinen Werken einen ganz anderen Eindruck mact, als aus den Details seiner Lebensbeshreibung und besonders aus den nicht vor einem großen Publikum gemachten Äußerungen seiner Briefe und Privataufzeihnungen. Wie wir in unserer Arbeit
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zeigen werden, sind die Grundsätze, die er in den Werken vorträgt, keineswegs gerade Ausläufer, sondern größtenteils Reaktionsbildungen auf seine Charaktereigenshaften (Überwindung), und so wird es verständlich, daß dieser Verteidiger des Mitleids — im Leben als ein hartnäciger, heftiger, mißtrauisher, rasch aburteilender Mens, selbst von seinem ihn persönlich liebenden Pathographen Möbius be= zeichnet wird. v. Seydlitz, der ja das Pathologishe an Schopen- hauer weit überschätzt hat, erzählt gar, des Philosophen Ankläger hätten seine geistigen Ausschreitungen, »fanatisches Selbstlob, wahr- haft häßlihe Gemütsstimmung, nichts achtenden Ehrgeiz, Menschen- veradhtung, Lieblosigkeit, Roheit, fanatishe Propaganda gegen okzi- dentalishe Bildung, Gesittung und Religiosität« genannt. In seinem Büchlein »Schopenhauer als Er schildert Graf Keyserling die Schattenseiten dieses »kleinen Menschens, der allerdings ein großer Geist war. Keyserling nennt ihn einen ausgesprohenen Praktiker mit Zügen eines unternehmenden Handelsherrn, einen Tatenmenschen von zäher Vitalität, von rücsictsloser Bigenlebig- keit, einen starren Charakter, unbildsam bis zur Unwahrsceinlih- keit. Ferner von Widersprüchen durchsetzt, von Leidenschaft durdh-= schüttert, unharmonish gequält, zerrissen, voll kleiner häßlicher Züge, unvornehm, von Ressentiment erfüllt, abstoßend durch klein= lihen Egoismus und Zynismus, von dürftigem Gemütsleben — eine verkrüppelte Seele. Seine singuläre Individualität zu überwinden gelang ihm nicht, seine Ideale blieben stets unerreiht. — Mag dieses Urteil aus kontradiktorischer Individualität stammen, wir regi=- strieren es. Wir vergessen aber nicht, daß Schopenhauer ein im höchsten Sinne wahrhaftiger, ehrlicher, uneigennütziger Mann gewesen ist, daß er in seinen Werken tiefsinnig, geistreih, genialish er- scheint und als Mensch von hoher Welt- und Lebensauffassung, als Propagandist idealer Forderungen im Menschen, für alles Geistige, Künstlerishe eintritt! Hingegen müssen wir jene voreingenommenen Urteile zurükweisen, die einen besonders edeln Charakter oder be- sondere Gemütstiefe an dem Mann hervorheben, der ja gerade seine kräftigsten Impulse und seine Hauptenergien aus jener rohen, zuschlagenden, heftigen familiären Naturanlage bezog, die er in seiner Ethik zu überwinden versuchte. So geht ein gebrochener Zug durd dieses Mannes Persönlichkeit und Werk, der :von kraftvoll zugrei- fenden und trotzig sih im Leben durcsetzenden, praktisch tätigen Vorfahren stammt und sih durch eine Marotte des Schicksals damit begnügen mußte, — hinter Büchern zu sitzen und die Feder zu führen!: »So wenig als möglih zu wollen und so viel als möglich zu
! Der Übereinstimmung halber sei erwähnt, daß der Phrenologe Scheve nach Untersuhung von Schopenhauers Scädel, »das Organ des Tätigkeitssinnes« am meisten ausgeprägt fand. Auch der Gescledtstrieb verrät sih nach dieser allerdings stark angezweifelten Lehre, als entschieden ausgeprägt. — Möbius, auch Anhänger Galls, meint sogar, daß aus dem Schädel auf einen Zerstörungs=
trieb, ähnlich wie an Mörderköpfen, geschlossen werden könne, der allerdings bei Schopenhauer nur als rücksihtslose Energie in Erscheinung trat.
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erkennen, ist die leitende Maxime meines Lebenslaufes gewesen«, schrieb Schopenhauer einmal auf ein heimlihes Blatt.
Es würden sih hier manderlei Ausblicke ergeben auf den Zusammenhang von heftigem Temperament, unterdrücter Aggression und Grausamkeit — mit geistig-künstlerisher Produktion. Der Begriff der Sublimierung wäre heranzuziehen und dergleichen. Aber wir müssen es uns versagen, das Ihema der Produktivität weiter= zuverfolgen.
II. Deutung der philosophischen Grundprobleme.
Ehe wir darangehen, die aus den biographischen und haraktero- logishen Details gewonnenen psydologishen Einsihten auf das Verständnis der Entstehung der Schopenhauerschen Philosophie anzuwenden, wollen wir unsere Aufgabe neuerlih scharf um= renzen, um dem Eindruk vorzubeugen, als prätendierten wir, S chopehr Werk in seiner Gänze zu würdigen und zu deuten. Vielmehr beschränken wir uns, wie wir glauben, mit rihtigem Instinkt, auf die Hauptgrundsätze sozusagen die Leit- motive, die uns, neben der Erkenntnistheorie, das objektiv Wert- volle und Bleibende der Lehre zu enthalten sceinen. Doc ist es kein Zufall, daß gerade diese wenigen mächtigen Grund- pfeiler der Lehre sih dem psychologischen Verständnis am ehesten erschließen, da sie auf den individuellen Schicksalen des Seelen- lebens basieren. Und so wird unsere Betrahtung vor allem eine psychologishe Genese der Grundgedanken von ee Philosophie zu geben versuchen, damit aber niht etwa eine philo= sophishe Würdigung und Beurteilung seiner Erkenntnistheorie, Ethik und Metaphysik, geshweige eine Kritik. Überhaupt ist unser Standpunkt, daß es sich nicht darum handelt, dem Wahrheitsgehalt einer Philosophie nachzuspüren, am wenigsten dem einer Metaphysik, da uns vielmehr eine andere Frage vorshwebt, nämlih: warum jemand gerade dieses Problem und gerade in dieser Richtung löst. Die psydologishen Voraussetzungen und die individuellen Deter- minierungen, warum und warum so philosophiert wird, klarzulegen, Individualpsyhologie an einem ganz Großen zu treiben, weil sein Werk dazu anreizt, sein Leben aber um seines Ruhmes willen im Detail bekannt ist, das betrahten wir als unsere Aufgabe. Wir be= anspruchen nicht etwa als Philosophen gewürdigt zu werden, betreiben auh nicht irgendeine allgemeine Psychologie, sondern — Psydo-=
analyse. 1. Willenslehre.
Das unvergänglihe Verdienst Schopenhauers war die Ent- dekung des Willens als »Ding an sih«!. Durch Intuition wird der
‘ Über frühere ähnlihe Anschauung anderer vgl. »Arthur Schopen- hauer«, Memorabilien etc. von J. Frauenstädt, p. 251 und 253.
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Mensh sih dieses seines tiefsten Wesens bewußt, der Wille ist »das innere wahre und unzerstörbare Wesen des Menschen . ,. ., das allein Metaphysishe und daher Unzerstörbare im Menscen«. Der Schopenhauershe Wille ist niht der bewußte Wille, sondern etwas Neues, es ist ein dumpfer, blinder Wille, der nicht vom Intellekt geleitet wird. Schopenhauer hat also den Begriff des Willens erweitert und der Wille im gewöhnlichen Sinne ist nur ein Teil des seinigen. Schopenhauers Wille ist ein Drängen, eine Art Wille zum Leben, Trieb also im weitesten Sinne des Wortes. Dieser Wille wird jedoh im System nicht nur den bewußten Wesen zugeschrieben, sondern audh in der außer- menschlihen und anorganischen : Welt soll er sich manifestieren. Wie wir sehen werden, ist die Blindheit des Willens auh ein Hauptargument für den Pessimismus Schopenhauers. Das einzelne Wesen faßt er als Objektivation dieses Willens auf, der den Drang in sih hat, sih in Einzelindividuen, Gattungen und Ideen zu ge= stalten. Am heftigsten tritt dieser Wille in unseren Teilen ach und Begierden zutage und am charakteristishesten in dem »unge= stümen und finstern Drang« des Sexualtriebes. Sehr mit Recht hat sih Schopenhauer daher in weitem Umfang mit der Sexualität beschäftigt, wie er in der Einleitung zur »Metaphysik der Geschlecdts=- liebe« hervorhebt:
»,... man sollte daher, statt sih zu wundern, daß auch ein Philosoph dieses beständige Thema aller Dichter einmal zu dem seinigen madt, sich dar- über wundern, daß eine Sache, welche im Menschenleben durchwegs eine so be= deutende Rolle spielt, von den Philosophen bisher so gut wie gar nicht in Be= trahtung genommen ist... .« (W. W. II, p. 625).
Den Gescdledtstrieb faßt Schopenhauer als die stärkste und zusammengedrängteste Äußerung des Willens auf. Dies läßt sich an mehreren, überaus charakteristischen Stellen, namentlich des zweiten Bandes seines Hauptwerkes und in zerstreuten skizzenhaften Auf- zeihnungen der späteren Zeit nahhweisen. Dodh schon in seinem in der Jugend konzipierten Hauptwerk ist diese Auffassung vertreten:
»Diesem allem zufolge sind die Genitalien der eigentlihe Brennpunkt des Willens und folglih der entgegengesetzte Pol des Gehirns, des Repräsen- tanten der Erkenntnis, d. i. der anderen Seite der Welt, der Welt als Vor- stellung. Jene sind das lebenerhaltende, der Zeit endloses Leben zusichernde Prinzip, in welher Eigenschaft sie bei den Griechen im Phallus, bei den Hindu im Lingam verehrt wurden, welche also das Symbol der Bejahung des Willens sind. Die Erkenntnis dagegen gibt die Möglichkeit der Aufhebung des Wollens, der Erlösung durh Freiheit, der Überwindung und Vernichtung der Welt.« (W. W. I, p. 427.)
Ausführliher hat sih dann Schopenhauer über die um- fassende Bedeutung der Sexualität in den späteren Nacdträgen zu seinem Hauptwerk geäußert:
»Aus diesen Betrachtungen erklärt es sich, warum die Begierde des Ge- shledhts einen von jeder anderen sehr verschiedenen Charakter trägt, sie ist
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nicht nur die stärkste, sondern sogar spezifisch von mächtigerer Art als alle anderen. Sie wird überall stillschweigend vorausgesetzt, als notwendig und unaus- bleiblich und ist nicht wie andere Wünsche, Sache des Geshmads und der Laune, Denn sie ist der Wunsch, welcher selbst das Wesen des Menschen ausmacht. Im Konflikt mit ihr ist kein Motiv so stark, daß es des Sieges gewiß wäre. Sie ist so sehr die Hauptsache, daß für die Entbehrung ihrer Befrie- digung keine anderen Genüsse entshädigen: auch übernimmt Tier und Mensch ihretwegen jede Gefahr, jeden Kampf... Dem allen entspriht die wichtige Rolle, welhe das Geschledtsverhältnis in der Menschenwelt spielt, als wo es eigentlih der unsichtbare Mittelpunkt alles Tuns und Treibens ist und trotz allen ihm übergeworfenen Scleiern überall hervorguckt. Es ist die Ursahe des Krieges und der Zweck des Friedens, die Grundlage des Ernstes und das Ziel des Scherzes, die unershöpfliche Quelle des Witzes, der Schlüssel zu allen An- spielungen und der Sinn aller geheimen Winke, aller unausgesprochenen Änträge und aller verstohlenen Blicke, das täglihe Dichten und Trachten der Jungen und oft auh der Alten, der stündlihe Gedanke des Unkeushen und die gegen seinen Willen stets wiederkehrende Träumerei des Keuschen, der allezeit bereite Stoff zum Scherz, eben nur weil ihm der tiefste Ernst zum Grunde liegt . . . Dies alles aber stimmt damit überein, daß der Geschlechtstrieb der Kern des Willens zum Leben, mithin die Konzentration alles Wollens ist; daher eben ich im Texte die Genitalien den Brennpunkt des Willens genannt habe. Ja, man kann sagen, der Mensch sei konkreter Geschlecdtstrieb, da seine Entstehung ein Kopulationsakt und der Wunsh seiner Wünshe ein Kopulationsakt ist und dieser Trieb allein seine ganze Erscheinung perpetuiert und zusammenhält ... Daher ist der Gesclectstrieb die vollkommenste Äußerung des Willens zum Leben, sein am deutlichsten ausgedrückter Typus: und hiemit ist sowohl das Ent- stehen der Individuen aus ihm, als sein Primat über alle anderen Wünsche
des natürlihen Menschen in vollkommener Übereinstimmung.« (W. W. II, p. 602 ff.)
Im Nadlaß, in den für seine Person und das Verständnis seiner Lehre so aufsclußreihen »Neuen Paralipomenas (N. P.)
heißt es (& 401):
»Wenn man mid frägt, wo denn die intimste Erkenntnis jenes innern Wesens der Welt, jenes Dinges an sih, das ih den Willen zum Leben ge= nannt habe, zu erlangen sei? oder wo jenes Wesen am deutlichsten ins Bewußt= sein tritt? oder wo es die reinste Offenbarung seiner Selbst erlangt? — so muß ih hinweisen auf die Wollust im Akt der Kopulation. Das ist es! Das
ist das wahre Wesen und der Kern aller Dinge, das Ziel und der Zweck alles Daseins.«
Und ähnlih in den »Parerga und Paralipomena« (P. P. II, p. 330):
»Geht man bei der Auffassung der Welt vom Dinge an sih, dem Willen zum Leben, aus, so findet man als dessen Kern, als dessen größte Konzen= tration, den Generationsakt: dieser stellt sih dann dar als das Erste, als der
Ausgangspunkt: er ist das punctum saliens des Welteies und die Haupt- sache.«
Was Schopenhauer hier generell in der Welt findet und als erster Philosoph betont hat, das ist im Hinblick auf seinen bereits geschilderten heftigen Sexualtrieb aus seiner Konstitution und
Persönlihkeit abzuleiten. Das Gediht sO Wollust, o Hölles hat
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uns gezeigt, wie sehr er darunter gelitten hat, und diese Tatsache macht uns vieles in seinem Wesen als Reaktionsbildung und Subli= mierung, als Sehnsucht nad Befreiung von diesem quälenden Drange verständlich.
Haben wir hinter dem »vernunftlosen Willens Schopen- hauers zunächst seinen heftig drängenden Sexualtrieb gefunden, so wissen wir wohl, — und erledigen mit den weiteren Ausführungen auch einen Einwand mandes Lesers — daß Schopenhauer selbst in dem Gefühl eines in ihm waltenden triebkräftigen Willens mehr umfaßt hat, als die Sexualität allein: auh alles Wünschen, Hoffen, Fürdhten und Hassen. Auch empfand er jenes dunkle Unbewußte, das wir hinter jedem einzelnen Akt unserer Seele noch als tragende und zugleih darüber hinausragende Energie empfinden. »Wir wissen zwar immer, was wir in jedem gegebenen Augenblicke wollen, nie aber, was und warum wir überhaupt und ganz wollen« (Simmel). Das hinter dem Bewußtsein, der Erkenntnis und dem Wollen als Dunkles, Blindes und eigentlih niht Erkennbares Waltende ist Schopenhauers Wille — das, was wir Psychoanalytiker als das Unbewußte bezeichnen. Daß Schopenhauer so ein Vorläufer der Erkenntnis des Unbewußten geworden ist, welhes auch nah psydho- analytisher Auffassung ewig wünscht und treibt, soll am Schluß ausführlih besprohen werden.
Gegenüber dem starken Voluntarismus in Schopenhauers Leben und Lehre muß es dem oberflächlichen Betrachter als Wider- spruh imponieren und wurde auch wiederholt von Schülern und Kritikern eingewendet, daß gerade der Entdeker und Bewunderer dieses starken Lebenswillens zu einem Verherrliher der Willens- verneinung (des Quietismus) wurde. Psydhologish ist dies jedoch leiht verständlih aus den Konflikten der menshlihen Seele, die in einem Kampf der UÜrtriebe mit den Hemmungen bestehen, die der Ich- trieb des Kultivierten ihnen entgegensetzt. Diese Bekämpfung und Ver- drängung trifft die kraß egoistishen und die Sexualtriebe, an denen er sih darum auch am deutlichsten manifestiert, zugleih wird dieser Kampf aber audh vorbildliih für die gesamte Einstellung der Persön- lichkeit gegenüber Trieb und Reaktion, gegenüber der Außenwelt über- haupt. Den Psycdioanalytiker wird es also am wenigsten wundern, daß dort, wo er einem starken Triebe begegnet, auch eine starke Bekämpfungstendenz sichtbar wird.
Audh im Sexuellen nähert sih nur der Mensch dem Ideal Schopenhauers, weldher die häßlihe, verwerflihe Gesclecdts- befriedigung aufgibt, die ja den Fluh des Menschen an der Wurzel des Lebens bedeutet.
»Die Befriedigung des Geschlechtstriebes ist an sih schlechthin ver- werflih, weil sie die stärkste Bejahung des Lebens ists (N. P. $ 355).
Damit hängt auh der abstoßende und häßlihe Eindruck, den der Sexualakt und die Genitalien auf Schopenhauer maden, zusammen:
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Bar TER ERLEN was die Verliebtheit uns vorspiegelt, ist, so lange wir es im Prospekt haben und als kommend erbliden, ein Paradies der Wonne; aber wann vorübergegangen und demnach von hinten gesehen, zeigt es sich als etwas Geringfügiges und Unbedeutendes, wo nicht gar Widerlihes« (N. P. $ 375).
»Dem Gesagten gemäß hat man seinen Willen zu verbergen wie seine Genitalien, obgleih beide die Wurzel unseres Wesens sind« (P. P. II, p. 633).
»Der Akt nun aber, durh welchen der Wille sich bejaht und der Mensch entsteht, ist eine Handlung, deren alle sih im Innersten shämen, die sie daher sorgfältig verbergen, ja, auf welcher betroffen, sie erschrecken, als wären sie bei einem Verbrechen ertappt worden. Es ist eine Handlung, deren man bei kalter Überlegung meistens mit Widerwillen, in erhöhter Stimmung mit Abscheu ge- denkt .... . Eine eigentümliche Betrübnis und Reue folgt ihr auf dem Fuß, ist jedoh am fühlbarsten nad der erstmaligen Vollziehung derselben, überhaupt aber um so deutlicher, je edier der Charakter ists. (W. W. IL, p. 670).
Diese für Schopenhauers Person so charakteristishe Abwendung von der Sexualität, die er als niedrig und unwürdig empfindet, zeigt sih auh deutlich in einer Stelle über Träume, wo er, zunädst nur für seine Person, charakteristishe Träume als allgemeine Erfahrungen mitteilt. Auch hier geht er von den gewiß nicht ohne persönlichen Grund so auffällig oft erwähnten Pollutionsträumen aus:
»Es gibt bekanntlih Träume, deren die Natur sih zu einem materiellen Zwecke bedient, nämlih zur Ausleerung der überfüllten Samenbläshen. Träume dieser Art zeigen natürlih schlüpfrige Szenen: dasselbe tun aber mitunter auch andere Träume, die jenen Zweck gar nicht haben, noch erreichen. Hier tritt nun der Unterschied ein, daß, in den Träumen der ersten Art, die Shönen und die Gelegenheit sih uns bald günstig erweisen, wodurch die Natur ihren Zweck er- reiht. In den Träumen der andern Art hingegen treten der Sache, die wir auf das heftigste begehren, stets neue Hindernisse in den Weg, welche zu über- winden wir vergeblich streben, so daß wir am Ende dodh nicht zum Ziele ge- langen. Wer diese Hindernisse schafft und unsern lebhaften Wunsch Schlag auf Schlag vereitelt, das ist doch nur unser eigener Wille, jedoch von einer Region aus, die weit über das vorstellende Bewußtsein im Traume hinausliegt und daher in diesem als Schicksal auftritt.«
Es kann nicht prägnanter, als durch diese Darstellung von Wille und Gegenwille im Traume, Schopenhauers vernunftgehemmte Stellung zur Sexualität charakterisiert werden. Wir wissen, daß Schopenhauer für gewöhnlih den Geschlechtsverkehr vermied, und dies muß wohl die Ursahe sein, daß Pollutionsträume bei ihm eine häufige Erfahrung waren. Es hätte ihm gewiß nicht an weib- lihen Lebensgefährtinnen gemangelt, hätte er sie niht aus Wider- stand gegen die Sexualität und das Weib meist gemieden. Aus der Beobachtung der Entwicklung von Charakteren, namentlih aus der ärztlihen Beobahtung, läßt sich feststellen, daß diese Verac- tung und dieser Absheu vor dem eigentlih sexuellen Genuß auf Ablehnung und Verdrängung des als sündhaft Empfundenen beruht und meist durch Erziehung verstärkt wird. Es ist nicht zu gewagt zu behaupten, daß der strenge rauhe Vater in dem, vielleicht einer mit Schuldgefühl verbundenen Jugendsünde ergebenen Knaben durch Imago 11/2 9
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ein die Sexualität noch mehr herabsetzendes Verbot diesen Konflikt verschärft hat. Verstärkend und fixierend in dieser Rihtung dürfte bei Schopenhauer der Umstand gewirkt haben, daß die mit der frühen Kenntnis vom elterlihen Sexualverkehr normalerweise oft eintretende Verahtung des Weibes (der Mutter) und der Sexualität überhaupt, durh Schopenhauers in dieser Zeit bereits offenkundig ae Verhältnis zu seiner Mutter, der Korrektur entzogen blieb. Die Psychologie dessen, dem das Sexuelle in dieser doppelten Weise früh beflekt erscheint, entspriht es vollkommen, daß er — seine individuellen Erfahrungen generalisierend und ob- jektivierend — dann das Weib überhaupt herabsetzt! und die Sexualität nicht naiv und frei von Schuldbewußtsein genießen kann, überall findet er in ihr ein Verschulden. So wie Schopenhauer (ana= log der Erbsünde des Christentums) den Fluch der Welt zurückführt auf das Verwerflihe des Zeugungsaktes, so genügen ihm zur Er- klärung des allgemeinen Strebens nah Wollust und der Betörungen der Liebe nicht allein die Freuden, die sie an und für sich bietet, sondern er entwirft die »Metaphysik der Gesclecdtsliebe«, in der er das teleologishe Prinzip irrtümlich als ein ursprüngliches einzuführen sich genötigt sieht. Dieses originelle Bedürfnis Schopenhauers, der das Liebesverlangen durch den naiven sinnlichen Genuß nicht genügend motiviert empfand, einer rationalistishen Erklärung nadhızugehen, deutet darauf hin, daß er nad seinen eigenen in Sexualeindrücken den Liebesgenuß doch nicht proportional fand der Heftigkeit, mit welcher der Mensch danadı strebt. Es muß dies ein individueller Ein- druck gewesen sein, der ein Stück seines Liebesdranges nicht durch sich selbst erlöst fand. Die Annahme, daß Schopenhauers Ge- shlehtsgenuß selbst vielleiht ein unbefriedigender, minderwertiger war, läßt sih nicht nur hier, sondern audh an anderer Stelle ver- mutungsweise ableiten. Ist die Sexualität sonst so vielfah für die übrige Psyche vorbildlih, so könnte man auch hierin eine der Wurzeln seines im Pessimismus gipfelnden unbefriedigten Lebens- genusses erbliken. So kommt er dazu, die Pollution auffallender- weise der Koitusbefriedigung gleichzusetzen:
»So gewiß zwishen dem Leben und dem Traum kein spezifisher und absoluter, sondern nur ein formeller und relativer Unterschied ist, so gewiß ist eigentlih und im Ernst gar kein wesentlicher Unterschied zwischen einer Pollu= tion und einem Koitus. Beide geben ein verfliegendes Traumbild und eine Er-
gießung des Samens« (N. P. $ 361). Ä
Von hier mag audh eine Veranlassung ausgehen, warum Schopenhauer nicht dauernd und nur relativ selten in seinem Leben in innigere Beziehung zu einem weiblihen Wesen trat und endlich letztlih auch Junggeselle geblieben ist.
i » Allen Generalurteilen eines Mannes über das Weib kommt in erster Linie eine Bedeutung als Symptom seiner eigenen psychosexuellen Anlage zu; sie haben mehr einen biographischen als einen normativen Werts (Rosa Mayreder,
»Zur Kritik der Weiblichkeits).
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Mehr als sonst in der Psyhe des Menschen zeigt sich bei Schopenhauer eine Art Zweiteilung in Positiv und Negativ, die für sein ganzes System gleihsam das Gerippe gegeben hat. Ganz ungewöhnlih muß in Schopenhauer die Tendenz gewesen sein, dem immer wieder sih meldenden und in Phantasien wucdernden Sexualtrieb gerade dann, wenn er am stärksten war, den Hydrenkopf abzushlagen. Finden wir sonst, wenn der Sexualtrieb zur Befriedi- gung drängt, das Individuum auch dazu bereit, so verrät Schopen- hauer den seltsamen Drang, die sexuelle Lust, wenn sie ohne ein besonderes Objekt, also aus somatishen Ursahen oder aus Phantasien heraus sich am stärksten meldet!, gerade dann zu unter- drücen:
»An den Tagen und Stunden, wo der Trieb zur Wollust am stärksten ist, nicht ein mattes Sehnen, das aus Leerheit und Dumpfheit des Bewußtseins entspringt, sondern eine brennende Gier, eine heftige Brunst, gerade dann sind auh die höchsten Kräfte des Geistes, ja das bessere Bewußtsein zur größten Tätigkeit bereit, obzwar in dem Augenblik, wo das Bewußtsein sich der Begierde hingegeben hat und ganz davon voll ist, latent: aber es bedarf nur einer ge= waltigen Anstrengung zur Umkehrung der Richtung und statt jener quälenden,
bedürftigen, verzweifelnden Begierde füllt die Tätigkeit der höchsten Geisteskräfte das Bewußtsein« (N. P. & 345).
Wir stehen damit vor der psydhologishen Tatsahe, welche aus dem triebgepeinigten Schopenhauer jenen tiefen Metaphysiker werden ließ, dem die enthusiastishen Worte über den hohen Genuß des vom Wollen freien, reinen Erkennens zu Gebote stehen, nämlich vor der Tatsache, daß er wie wenige den Willen so zu ver- neinen, den Trieb so zu unterdrücken und dem Irdishen so zu ent= fliehen wußte. Schon in seinen Jugendkonzeptionen, in der Zeit vor 1815, shwärmt er von dem »besseren Bewußtsein; Wir haben etwas in uns, was über Sinnlichkeit, Verstand, Vernunft, über Sub= jekt und Objekt weit hinaus liegt und die gemeinsame Geburtsstätte des Genies und Heiligen bildet. Künstlerische, philosophishe und asketishe Erlösung sind hier in dunkler. Einheit verschmolzen. Später klärt sih die Lehre und Schopenhauer unterscheidet als Reaktion auf den heftigen Willen die »Willensverneinungs, die Grundlage seines asketishen Ideals und anderseits das »reine willen- lose Erkennens, die Ideenerkenntnis, deren Äußerungen in Philo- sophie und Kunst zutage treten und wohl mehr einer Subli- mierung des Triebes entsprehen würden. Die Auffassung, die wir hier vertreten, hat kein Geringerer als Nietzshe (in der dritten Abhandlung seiner »Genealogie der Morals: »Was be- deuten asketische Ideale?«) in vollendeter Darstellung zum Aus-
ı Es gibt Personen, die, der Selbstbefriedigung ergeben, den Akt bis zu einem Grade hoher Erregung fortsetzen und dann aus Furcht des Säfteverlustes oder andern rationalisierenden Schuldgefühlen plötzlih unterbrechen. Diese mastur- batio interrupta scheint das Vorbild jener oben beschriebenen Umkehrung zu sein. Daß Schopenhauer der Ansicht huldigte, daß Gebrauh der Sexualität schwäde, Enthaltsamkeit aber alle Kräfte erhöhe, ergibt die Stelle in W. W. II, p. 600,
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druck gebraht. Der scharfsinnige Meta-Psydhologe wirft hier, wo er ja längst seine jugendliche een für »>Schopenhauer als Erzieher« überwunden hatte, die Frage auf, was es bedeute, wenn ein wirkliher Philosoph dem asketishen Ideal huldige; ein wirklih auf sich gestellter Geist, wie Schopenhauer, »ein Mann mit erzernem Blik, der den Mut zu sich selber hats, und er kommt zu der Antwort: »Er will von einer Tortur loskommen.« Diese Tortur ist nichts anderes als die allzu ansprudhsbereite, ethisch bereits verworfene Gesclectlichkeit, welche, wie Nietzsche sagt, »Schopenhauer in der Tat als persönlihen Feind behandelt hat, einbegriffen deren Werkzeug, das Weib, dieses »instrumentum dia=- bolix. Das höchste Ziel dieser Willensverneinung ist nah Schopen- hauer die Askese, ein Verwerfen und Verzicht auf die ganze böse, leidensvolle Welt, »die vorsätzliihe Brehung des Willens durd Versagung des Angenehmen und Aufsuhen des Unangenehmen, die ste rchihe büßende Lebensart und Selbstkasteiung zur an- haltenden Mortifikation«. Dieses Ideal shwebt Schopenhauer als Sehnsuht vor und er bezeichnete es einmal beim Anblick des Bildes eines Trappisten unter Tränen als Sahe der Gnade‘. Der rücsictslose Psyholog Nietzsche, der hinter diesem pessimi= stiishen Verziht den masodistishen Leidenswunsh aufdekt, hat diese Tendenz des Verzichtens und des Heiligseins zersetzt: »Man sieht, das sind keine unbestochenen Zeugen und Richter über den Wert des asketishen Ideals, diese Philosophen! Sie denken sich — was geht sie »der Heiliges an! Sie denken an das dabei, was ihnen gerade das Unentbehrlihste ist: Freiheit von Zwang, Störung, Lärm, von Geschäften, Pflihten, Sorgen, Helligkeit im Kopf... . Ruhe in allen Souterrains; alle Hunde hübsch an die Kette gelegt... Man weiß, was die drei großen Prunkworte des asketishen Ideals sind: Armut, Demut, Keuschheit: und nun sehe man sich einmal das Leben aller großen fruchtbaren erfinderischen Geister aus der Nähe an — man wird darin alle drei bis zu einem
i Wie Schopenhauer, der das Ideal des Heiligen (auch nach eigener Aus= sage) nie erreiht hat, sich des Zwiespalts und beständigen Ringens bewußt war und der Tatsache, wie schwer der Mensh zu diesem Ziel gelangt, zeigt eine Bemerkung (N. P., $ 588): »Es ist eine unmögliche, in sich selbst sich widersprehende Forde- rung fast aller Philosophen, daß der Mensch innre Einheit seines Wesens, Ein- tracht mit sich selbst erlangen soll. Denn als Mensch ist innere Zwietradt sein Wesen, durchaus so lange er lebt. Denn nur Eines kann er wirklih ganz und gar sein: zu allem Ändern hat er aber die Anlage und die unvertilgbare Möglichkeit, es zu sein. Hat er sih zu Einem entschlossen, so steht alles Übrige als Anlage immer bereit und fordert unablässig aus der Möglichkeit zur Wirklichkeit zu ge- langen: er muß es also fortwährend zurückdrängen, überwältigen, töten, so lang er jenes Eine sein will... So, wenn er sich zur Heiligkeit entschlossen hat, muß er sein ganzes Leben hindurh, und nicht ein für alle Mal, sich als ge- nießendes, der Wollust ergebenes Wesen töten: denn ein solches bleibt er, solange er febt... So durchaus in allem in unendlihen Modifikationen. Bald mag das Eine, bald das Andere in ihm siegen: er ist der Tummelplatz. Siegt auh das Eine fortwährend, so kämpft doh das Andere fortwährend: denn es lebt, so lange er lebt: Als Mensch ist er die Möglichkeit vieler Gegensätze.«
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gewissen Grade immer wiederfinden. Durchaus nicht, wie sih von selbst versteht, als ob es etwa deren ‚Tugenden‘ wären... ... sondern als die eigentlihsten und natürlichsten Bedingungen ihres besten Daseins, ihrer schönsten Frudtbarkeit. Dabei ist es ganz wohl möglih, daß ihre dominierende Geistigkeit vorerst einem un- bändigen und reizbaren Stolze oder einer mutwilligen Sinnlichkeit Zügel anzulegen hatte«.
In der Ideenerkenntnis hat sih nah Schopenhauer unser In= tellekt vom Willen gleihsam abgewendet, der Wille hat das Bewußt- sein geräumt, damit sei auch alle Unruhe, Not und Qual abge- wendet. Im willensfreien Anschauen der Ideen, dem eigentlich ohil = sophishen Betrachten, findet er die reinste Beruhigung und nirgends sonst wird Schopenhauers Sprahe so enthusiastish und voll Entzücken, als wenn er dieses willenlose Erkennen, das in der Be- tätigung der Philosophie und Kunst Ausdruc findet, schildern kann:
»Was ist der größte Genuß, der dem Menschen möglih? — Die intuitive Erkenntnis der Wahrheit. Die Richtigkeit der Antwort leidet nicht den mindesten Zweifel« (N. P., $& 648).
Nietzsche widerspriht selbst am empfindlichsten dieser Lehre von der reinen interesselosen Erkenntnis in der Philosophie und der gleihen Anschauung vom Kunstgenuß und hat die vielgepriesene »interesselose Änshauung« als einen »Unbegriff und Widersinn« entlarvt: »Hüten wir uns nämlich, meine Herren Philosophen, von nun an besser vor der gefährlihen alten Begriffsfaselei, welhe ein »reines, willenloses, schmerzloses, zeitloses Subjekt der Erkenntnis« angesetzt hat, hüten wir uns vor den Fangarmen solher kontra- diktorisher Begriffe wie »reine Vernunft«, »absolute Geistigkeit«, »Erkenntnis an sich«, ... je mehr Äffekte wir über eine Sahe zu Worte kommen lassen, ... um so vollständiger wird unser Begriff dieser Sahe, unsere »Objektivität« sein. Den Willen aber über- haupt eliminieren, die Affekte samt und sonders aushängen, gesetzt, daß wir dies vermöcdten: wie? hieße das nicht den Intellekt kastrieren?«
Anknüpfend müssen wir hier als selbstverständlih hervor- heben, daß auch nah unserer Anschauung, wenngleih in anderem Sinne, es ein willenloses Erkennen gar niht geben kann. Schopenhauer hat sih vollkommen darin getäuscht, daß der Wille (das Unbewußte) je schweigen könnte und das Denken unbeeinflußt ließe: Gerade deshalb ist seine — wie er selbst sagt — intuitiv geschaffene Philosophie ein so schönes Beispiel für die Sub- jektivität aller Philosophie, weil nach dieser Art des Arbeitens durch Aufsteigenlassen von Einfällen (was Schopenhauer »Anschauen der Welt« nennt) gerade das Individuelle am reinsten zutage tritt. Er beging so den Irrtum, durch Insichhineinhorhen und Selbstbeob- ahtung objektive Wahrheiten finden zu wollen. Wir stellen dem Ge- sagteı? die tiefgründige Einsiht Nietzsches an die Seite:
»Man muß doch den größten Teil des bewußten Denkens
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unter die Instinkttätigkeiten rechnen, . . . das meiste bewußte Denken eines Philosophen ist durch seine Instinkte heimlich geführt und in bestimmte Bahnen gezwungen, . . .. dahinter stehen Wert- shätzungen, deutlicher gesprochen, physiologische Forderungen zur Erhaltung einer bestimmten Art von Leben .. . ein abstrakt ge- macdter und durcgesiebter Herzenswunsch wird von ihnen mit hinterher gesuchten Gründen verteidigt.«
Außer dem Genuß, den Schopenhauer in dem angeblich willenlosen Erkennen fand, vermag er dem Pessimismus auh nod die beglükende und erlösende Wirkung der Kunst entgegenzusetzen, die über des Daseins Schmerz und Langeweile erhebt. Ein willen- und interesseloses Anschauen soll auh die Grundlage des ästheti= schen Genusses sein, der ebenso, wie das reine philosophishe Er- kennen vom Willen befreit und von der Welt erlöst. Insbesondere das Trauerspiel lenkt zu Entsagung und Willensverneinung!, während die Musik am unmittelbarsten das »bessere Bewußtsein« anregt und am fernsten vom empirishen liegt. Der Musikgenuß ist bei ihm ein Quietiv des Willens; der Musik, welcher er eifrig huldigte, kann er niht genug nadrühmen, wie sehr sie das Ge- müt reinige, »sie spült alles Unreine, alles Kleinlihe, alles Schlechte weg, stimmt jeden hinauf, auf die höchste geistige Stufe, die seine Natur zuläßt« (N. P., p. 398). Man vergesse hier nicht, daß andere die Musik und die schönen Künste als Verführer empfanden, wie Plato, Stendhal, Tolstoi. Wenn Schopenhauer daher die sonst als sinnlih geltende Musik Wagners verwirft?, so zeigt er damit vielleiht auch seine Abkehr von der verführerischen Seite der Kunst, welhe Ablehnung auch wieder Nietzsche als die Grundlage der Schopenhauershen Ästhetik erkannt und damit zugleih die scharfsinnigste Deutung des ganzen Systems ge= geben hat: |
»Schopenhauer hat sih die Kantishe Fassung des ästhetischen Problems zunutze gemadht ... . ‚Schön ist, hat Kant gesagt, was ohne Interesse gefällt. Ohne Interesse! Man ver- gleihe mit dieser Definition jene andere, die ein wirkliher »Zu= shauer« und Artist gemacht, — Stendhal, der das Schöne einmal
! »Wir sehen im Trauerspiel die Edelsten nah langem Kampf und Leiden den Zwecken, die sie bis dahin so heftig verfolgten und allen Genüssen des Lebens auf immer entsagen, oder es selbst willig und freudig aufgeben, so »den standhaften Prinzen des Calderons (Schopenhauer). Durh Calderons Schau= spiel wurde er schon als Jüngling so erschüttert, daß er die gewohnte Gesellschaft bei seiner Mutter eine Zeitlang verlassen und die Einsamkeit aufsuchen mußte. Möbius vermutet daraus, daß Schopenhauer sehr früh das Erlebnis der Ent- sagung gemadt habe, »da er schon als Jüngling von einem Drama so tief erschüttert war, dessen Held in einer plötzlihen edeln Aufwallung seine Person und seine Interessen dem Vater zum Opfer bringt«.
2 Rihard Wagner ließ er sagen, »er solle die Musik an den Nagel hängen, er habe mehr Genie zum Dichter. Er, Schopenhauer, bleibe Rossini und Mozart treus. (Grisebach, Gespräde.)
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une promesse de bonheur nennt!. Hier ist jedenfalls gerade das abgelehnt und ausgestrihen, was Kant allein am ästhetischen Zustande hervorhebt: le desintöressement. . .. Kommen wir auf Schopenhauer zurück, der in ganz anderem Maße als Kant den Künsten nahe stand und doh nicht aus dem Bann der Kantschen Definition herausgekommen ist: wie kam das? Der Umstand ist wunderlih genug: Das Wort »ohne Interesse« interpretierte er sih in der allerpersönlihsten Weise, aus einer Erfahrung heraus, die bei ihm zu den regelmäßigsten gehört haben muß. Über wenige Dinge redet Schopenhauer so sicher wie über die Wirkung der ästhetishen Contemplation: Er sagt ihr nah, daß sie gerade der geschlechtlichen »Interessiertheit« entgegenwirke, ähnlih also wie Lupulin und Kampfer, er ist nie müde geworden, dieses Loskommen vom »Willen« als den großen Vorzug und Nutzen des ästhetishen Zustandes zu verherrlihen. Ja, man mödte ver- sucht sein zu fragen, ob nicht seine Grundconzeption von »Willen und Vorstellungs, der Gedanke, daß es eine Erlösung vom »Willen« einzig durh die »Vorstellung« geben könne, aus einer Verall- gemeinerung jener Sexualerfahrung ihren Ursprung genommen habe. »(Bei allen Fragen in betreff der Schopenhauershen Philo= sophie ist, anbei oe niemals außer acht zu lassen, daß sie die Konzeption eines sechsundzwanzigjährigen Jünglings ist, so daß sie nicht nur an dem Spezifishen Schopenhauers, sondern auch an dem Spezift= schen jener Jahreszeit des Lebens Änteil hat.) Hören wir zum Bei- spiel eine der ausdrücklichsten Stellen unter den zahllosen, die er zu Ehren des ästhetischen Zustandes geschrieben hat (W. W. I], p. 231), hören wir den Ton heraus, das Leiden, das Glück, die Dankbarkeit, mit der solhe Worte gesprohen sind. ‚Das ist der schmerzenslose Zustand, den Epikuros als das höchste Gut der Götter pries,; wir sind, für jenen Augenblik, des shnöden Willens- dranges entledigt, wir feiern den Sabbat der Zucthausarbeit des Wollens, das Rad des Ixion steht stil” . . . Welche Vehemenz der Worte! Welche Bilder der Qual und des langen Überdrusses! Welce fast pathologische Zeit-Gegenüberstellung ‚jenes Augenblicks’ und des sonstigen ‚Rads des Ixions’, der ‚Zucthausarbeit des Wollens’, ‚des schnöden Willensdrangs” — Aber gesetzt, daß Schopenhauer hundertmal für seine Person Recht hätte, was wäre damit für die Einsiht ins Wesen des Schönen getan? Schopen- hauer hat Eine Wirkung des Schönen beschrieben, die Willen- calmierende, — ist sie audh nur eine regelmäßige? Stendhal, wie gesagt, eine nicht weniger sinnlihe, aber glücklicher geratene Natur als Schopenhauer, hebt eine andere Wirkung des Schönen her- vor: ‚Das Schöne verspriht Glück‘, ihm scheint gerade die Er=-
ı Vgl. dagegen Stendhals Übereinstimmung mit Schopenhauers Erklärung des ästhetishen Empfindens an anderer Stelle: »Die Seele, schon halb erlöst von den eitlen Wünschen dieser Welt, ist in der Stimmung, die erhabene Schönheit zu empfinden.« (Zit. nah Seilliere.)
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regung des Willens (‚des Interesses‘) durh das Schöne der Tatbestand. Und könnte man nicht zuletzt Schopenhauern selbst einwenden, daß er sehr mit Unredht sich hierin Kantianer dünke, daß er ganz und gar niht die Kantsche Definition des Schönen Kantish verstanden habe, — daß audh ihm das Schöne aus einem Interesse gefalle, sogar aus dem allerstärksten, allerpersönlihsten Interesse: dem des Torturierten, der von seiner Tortur los= kommt.« Aud eine Stelle aus der »Götzendämmerung« sei hier zitiert: »Schopenhauer ist für einen Psychologen ein Fall ersten Ranges: nämlih als bösartig genialer Versuh, zu Gunsten einer nihilistishen Gesamt-ÄAbwerthung des Lebens gerade die Gegen-Instanzen, die großen Selbstbejahungen des ‚Willens zum Leben’ .. . ins Feld zu führen. Er hat, der Reihe nad, die Kunst, den Heroismus, das Genie, die Schönheit, das große Mit- gefühl, die Erkenntnis, den Willen zur Wahrheit, die Tragödie als Folgeersheinungen der ‚Verneinung oder der Verneinungs- Bedürftigkeit des Willens’ interpretiert — die größte psychologische Falshmünzerei, die es, das Christenthum abgerechnet, in der Ge- schichte gibt.«
Haben wir bisher, ganz im Sinne Schopenhauers selbst, den Sexualtrieb und dessen Ablehnung als tiefste Bedeutung für seinen Willen und seine Willensverneinung betont und Näheres dazu ausgeführt, so sind noh andere Hy Maniac Determinanten für diese seine Lösung des von Kant aufgegebenen Rätsels vom »Ding an sih« heranzuziehen. Das Treibende im Menschen ist nicht nur das Sexuelle, sondern auh die Summe der dem Ih dienenden Triebe (Selbsterhaltung), der Kampf um das Durdsetzen der Per- sönlichkeit. Der Wille ist nicht nur Wille zur Zeugung, Wille zum Leben, sondern auh Wille zur Macht. Im Gegensatz zu Fichte, Schelling und Hegel, die den Intellekt verherrlihten und die Welt für ein Produkt bewußter Entwicklung hielten, war es Schopen- hauer vorbehalten, dem Triebleben, dem Unbewußten, dem Wollen
„das gebührende Redht einzuräumen. Ist aber der Wille auh das Madtbedürfnis, so erkennen wir, daß Schopenhauer, der von so willensstarken heftigen Vorfahren abstammt und dem robusten Vater unterworfen war, den Kampf des »Willens zur Mact« intensiv erlebt haben mußte, daß er für seinen übermädhtigen Vater, die Gewalt, die er in seiner Jugend so kräftig über sich fühlte, ein Symbol hinausprojiziert hat ins Weltall — als Wille. So geshah es dem soisdisant-ÄAtheisten Schopenhauer, daß er, wie Seillere ridti sagt, den Willen zu seinem Gotte (Gott und Teufel) macte, daß er die väterlihe Macht sozusagen vergöttlihte, Erst nach des Vaters Tode begann er im Leben seinen eigenen Willen durchzusetzen, bald darauf konzipierte er sein Werk.
Aber auch die Willensverneinung ist mehr, als wir vorher ausgeführt haben, sie ist audh alles Nadgeben, Verzichten, alle Demut. Wir verstehen, warum Calderons »Standhafter Prinz« in
Schopenhauer 137
jener Szene tiefster Demütigung vor dem königlihen Vater, ihn so tief erschüttert hat. Der Gehorsam und die Demut des Heiligen blieb ihm darum das erstrebenswerteste Ideal.
Daß der Wille Schopenhauers auh im leblosen Körper
ewinnt, daß die ganze Welt wie durcseelt gedaht wird vom
illen, das erinnert an die vorreligiösen und vorwissenshaftlihen, animistishen Anschauungen primitiver Völker. Der Mystiker Schopenhauer kann, wie es eben jenen Völkern durh ihre ani- mistishen Anschauungen gelingt, damit die ganze Welt aus einem Punkte erklären!, Eine naive, infantile Animisierung des Leblosen finden wir in der Anekdote, die Schopenhauer aus seiner frühen Kindheit berichtet: er warf einen Schuh in ein Mildhgefäß und bat ihn herzlih, doch herauszuspringen.
Betrahten wir die Willenslehre Schopenhauers zusammen- fassend, so müssen wir diese gewaltige Inthronisierung des Unbe- wußten und des Trieblebens als eine geniale geistige Leistung aner- kennen. Die Verwendung dieser psydhologishen Einsicht zur philo- sophischen Systembildung behandeln wir am Schlusse unserer ÄAus- führungen.
2. Ethik.
In Nietzsche, der Schopenhauer in seiner Jugend fast väterlich verehrt hatte, erstand unserem Philosophen sein gefähr- lihster Gegner. Denn Nietzsche, der im Gegensatz zu dembei seiner Jugendkonzeption verharrenden Schopenhauer in stetig fort- schreitender Entwiklung immer tiefer in das Verständnis der menschlihen Seele vordrang, hat durch seine unerbittlihe Kritik dem »letzten Metaphysiker« den Boden unter den Füßen weg- gezogen. Nicht nur das »reine Erkennen« hat er zersetzt, nicht nur den »Heiligen« von seinem Piedestal gestoßen, sondern auch die Mitleidsmoral Schopenhauers, die so viele inbrünstige Verehrer fand, hat er kritish-psydhologish untergraben und intuitiv=-psycho- analytish auf ihre Triebwurzeln zurückgeführt.
Es hat immer Schopenhauer-Forsher und =Verehrer ge- geben, die von der edeln und gefühlvollen Mitleidsmoral begeistert in dem Schöpfer derselben, — durh ihren Wunsch unkritish ge= macht, — einen besonders gemütvollen und guten Menschen gesehen haben. Es liegt der allgemeinen Auffassung gewiß näher und ist psyhologish leichter zu verstehen, wenn die Lebensführung des Philosophen seinem System entspricht, wie das etwa bei Spinoza, Kant, Fichte zunädhst den Eindruck macht, und es tut uns fast innerlih weh, wenn wir sehen, daß der Lehrer des Mitleids im Leben so wenig von tiefem Versenken in fremdes Leid, von Mit-
ı Schopenhauers Sinn für magishe, abergläubishe und andere über- sinnlihe Phänomene kann mit dem Animismus in Zusammenhang gebraht werden, Vgl. Freud: »Animismus, Magie und Allmaht der Gedanken« (»Imago«. II. Jahrg., 1913, Heft 1).
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leiden mit anderen, zeigt. Von der psychoanalytishen Erfahrung aus=- gehend, daß das Mitleid eine Reaktionsbildung auf antisoziale, grau=- same Triebregungen darstellt, überhaupt das kulturelle Ih erst sekundär auf dem Trieb-Ih aufgebaut ist, werden wir erwarten, daß es verschiedene Übergänge gibt, von jenem Individuum, das diese Urtriebe unverändert behält und auslebt (Verbredher) bis zu jenem, das die Triebe restlos verdrängt und den altruistischen Charakter als Resultat davon aufzeigt. Schopenhauer ist es nicht gelungen, seine aggressiven Triebe im Leben zu Güte und Mitleid umzuwandeln und es läßt sich zeigen, daß er Regungen der Bosheit, der Grausamkeit, der Schadenfreude, des Neides, ferner Schimpflust, Spottsucht, Mangel an Menscenliebe in hohem Grade verraten hat.
Schopenhauers Vorfahren zeigten shon, wie erwähnt, ein auffallend heftiges, zornmütiges, nah Tätigkeit drängendes Wesen, das in dem dem geistigen Leben zugewandten Philosophen nur in seinem groben und abweisenden Verhalten sowie in Schimpfen, Bosheiten und Aggressionen einen direkten Ausweg fand. In den Werken, welche das Mitleid idealisieren, darf man allerdings nicht danah suchen, aber in den unstilisierten Äußerungen im Umgang mit Menschen und in den Briefen verrät Schopenhauer viel Grob= heit, grimmig-aggressiven Humor, er schimpft mit Ausdrücken, die wir von Gebildeten sonst kaum zu hören gewohnt sind; auch im Disputieren wird er als heftig und rechthaberish geschildert. Wer nicht seinen Geist zu bewundern berufen und befähigt ist, der findet in ihm einen unfreundlihen, leicht gehässigen, unbeherrschten, Patron. So war er imstande, eine ältere, ärmlihe Frau wiederholt mit Gewalt vor die Tür zu setzen, weil es ihm nicht recht war, daß sie seine Hauswirtin in seinem Zimmer besuchte. Mit der Frau, welche eine Entshädigungsklage wegen einer durch den Sturz über die Treppe eingetretenen Arbeitsunfähigkeit anstrengte, hatte er sechs Jahre zu prozessieren und mußte der »höcdhst verschmitzten und boshaften Person« durch zwanzig Jahre eine ansehnlihe Entshädigungssumme zahlen. Auf ihren Totenshein schrieb er, über den od hinaus hassend, folgenden grausamen Witz: »Obit anus, abit onus.« Aus den Briefen ließen sich zahlreiche für seine Grobheit und seinen unstillbaren Haß beweisende Stellen anführen!. Sein Verleger Brockhaus äußerte niht mit UÜnreht im Zusammenhang mit der Verlagsangelegenheit des Hauptwerkes: »Ih muß mich mit diesem Menschen sehr zusammennehmen, er ist ein wahrer Kettenhund.« Audh hat er sih über die göttlihe Grobheit und Rustizität Schopenhauers, sowie über dessen sackgrobe Formen beklagt. An Dr. Asher screibt Schopenhauer einmal, als er sih über einen Gegner, Professor Weisse, zu ärgern hatte: »Fänden Sie Gelegenheit ihm dies irgendwo noch nadträglih einzureiben und spanischen Pfeffer darauf zu streuen, so würde mich das sehr freuen.«
ı Vgl. Damm, p. 167.
Schopenhauer 139
Der gröbsten und herabsetzendsten Ausdrücke bedient er sich gegen- über den Philosophenprofessoren (den »windbeutelnden Sophisten«), namentlih Hegel. Er spriht von Hegeischer Afterweisheit, nennt dessen Werk eine philosophishe Hanswurstiade und bezeichnet es als den inhaltlosesten Wortkram, an welhem jemals Strohköpfe ihr Genüge gehabt, spriht von dessen Lehre als dem widerwärtigsten, unsinnigsten Gallimathias und wird dabei an die Deliramente der Tollhäusler erinnert. Man vergleihe nur einmal diesen rauhen, widerhaarigen, so sehr zum Hassen gestimmten Menschen, der auf der anderen Seite die Mitleidsmoral preist, mit dem feinen, zurück-= haltenden, leisen Nietzsche, der von sich selbst sagt: »Ich bin so gar niht zum Hassen und Feindsein gemaht« und — der in seiner Moral den Willen zur Madt, die Grausamkeit, die Rük- sichtslosigkeit preist!
Über Schopenhauer finden wir nur spärlih Züge von Mit- leid berichtet, wie etwa aus seiner Jugend, wo er — namentlich beim Anblick des Bagno von Toulon — gequälte Menschen bemitleidet. Mag sein, daß er in der Jugend »durch sein erregbares Tempera- ment zur Empfindlichkeit, ja selbst zur Empfindsamkeit gedrängt« war, »bevor die harte Lebenserfahrung ihn in das andere Extrem trieb und ihn zum selbstsüdtigsten and gelegentlih zum brutalsten alten Sonderling madhtes (Seilliere). Ein Zug, den wir auch ge= wohnt sind als Reaktionsbildung auf Grausamkeitssuht den Menschen gegenüber analytish aufzufinden, findet sih bei Schopenhauer überaus entwickelt: das ist sein tiefes Mitgefühl für die Leiden der Tiere. Er war Zeit seines Lebens der schärfste Gegner der »wissenscaftlihen Tierfolter« (Vivisektion). Mit Worten flammender Entrüstung brandmarkt Schopenhauer die Abscheulichkeit eines Naturforschers, der zwei Kaninhen planmäßig tothungern ließ, und er stellt auch Vorschläge zu Scutzgesetzen auf. Aber: »Die in England zu jener Zeit für Tierquälerei eingeführte Prügelstrafe mochte der Philosoph auch in Deutschland recht ausgiebig gegen die armen zwei= und vierbeinigen Mitgeshöpfe der Menschen angewendet wissen« (Damm). Prügel für Menshen zum Schutz von Tieren! Diese Liebe zu den Tieren, die zu seinem schriftlih und mündlih oft geäußerten Menschenhaß in scheinbar paradoxem Widerspruch steht, hat er nicht nur von den Indern preisen gelernt, sondern selbst tief empfunden. So äußert er einmal unverhohlen (N. P.,
p. 363):
»Ih muß es aufrihtig gestehen: der Anblik jedes Tiers erfreut mich unmittelbar und mir geht dabei das Herz auf... . Hingegen erregt der Anblick der Menschen fast immer meinen entshiedenen Widerwillen.«
Und ähnlich sagt er in einer »Äntistrophe zum 73. Venetianischen Epigramm« (P. u. P. IL, p. 696):
»Wundern darf es mich nicht, daß manche die Hunde verleumden, denn es beschämet zu oft leider den Menschen der Hund.s
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Bekannt ist Schopenhauers Vorliebe für Hunde!, insbesonders für seinen Pudel, den er im Testament noc treulich bedaht und versorgt hat. Die Wände seines Zimmers shmückten neben Porträts seiner großen Vorbilder, wie erwähnt, auch Tierbilder. Entgehen konnte einem so feinen Psychologen, wie es Schopenhauer war, die Bedeutung der Reaktionsbildung und Sublimierung doh nicht ganz. So kam er einmal beim Anblik eines jungen Orangs auf einer Marktmesse darauf zu sprehen, »wie es ihm schon in jungen Jahren aufgefallen sei, daß der Hund, dieses gezähmte Raubtier, der Verwandte, viel- leiht der Abkömmling des Schakals oder des Wolfs, — der treue, liebevolle, gelehrige, menschenähnlihe Gefährte des Menschen ge- worden sei, das harmlos grasfressende Schaf aber nicht, und daß beim Menschen etwas ähnliches stattzuhaben scheine, indem die ur= sprünglih wilden, harten, mit starken sinnlihen Neigungen und Leidenschaften behafteten Naturen zu den höchsten Tugenden ge- langen, wie denn shon Plato die starke Neigung zum Bösen in den trefflihen Naturen bemerktex (Gwinner p. 332).
Aud einen Teil seiner Angst müssen wir wohl aus Ver- drängung von Aggressionsgelüsten erklären, die sih in der Angst unbewußterweise gegen das eigene Ich gerichtet zeigen. Es spricht für die Be Stärke seiner Triebanlage, daß sie trotz dieser Verdrängungen und teilweisen Reaktionsbildungen doh noch so deutlih die ganze Persönlichkeit durchzieht und färbt. Kaum je ein anderer hat sein Haßgefühl intensiver in sich erlebt, die Grausam- keitsinstinkte des Menschen ausgebildeter gesehen und stärker im Zusammenleben empfunden und mehr darunter gelitten. Vielleicht nur Nietzsche hat nad ihm in ähnliher Weise Macht-, Rahegefühle und Grausamkeit im Innersten erlebt und im Tiefsten erkannt. Aber er verwirft sie niht wie Schopenhauer, sondern entdeckt darin die Urkraft des Menschen und anerkennt sie als Ideal des Gesunden, nicht Dekadenten. Gleihwie bei Nietzsche? ist bei Schopen- hauer in der Ethik, wo er über die Triebfedern des menschlichen Handelns spricht, viel von der Bosheit die Rede:
»Die drei Triebfedern der menschlichen Handlungen:
a) Egoismus, der das eigene Wohl will (ist grenzenlos);
b) Bosheit, die das fremde Wehe will (geht bis zur äußersten Grau= samkeit);
c) Mitleid, weiches das fremde Wohl will (geht bis zum Edelmut und
zur Großmut).«
er hen heißt es in dem Nadtrag zur Ethik (P. u. P. II, | 3:
! »'Wenn es keine Hunde gäbe, möchte ich nicht lebens (zu Frauenstädt).
? »Die Bosheit hat nicht das Leiden des andern an sich zum Ziele, sondern unsern eigenen Genuß, zum Beispiel als Rachegefühl oder als stärkere Nervenauf- regung. Schon jede Necerei zeigt wie es Vergnügen macht, am anderen unsere Madt auszulassen und zum lustvollen Gefühle des Übergewichts zu bringen« (Nietzsche, Mensdi. Allzumensdl.).
Schopenhauer 141
. Zum gränzenlosen Egoismus unserer Natur geselft sih aber nod ein, mehr oder weniger in jeder Menschenbrust vorhandener Vorrat von Haß, Zorn, Neid, Geifer und Bosheit, angesammelt, wie das Gift in der Blase des Schlangenzahns, und nur auf Gelegenheit wartend, sih Luft zu machen, und dann wie ein entfesselter Dämon zu toben und zu wüten. Will kein großer Anlaß dazu sich einfinden;, so wird er am Ende den kleinsten benutzen, indem er ihn durch seine Phantasie vergrößert.
. .. der Mensc ist das einzige Tier, welches anderen Schmerz verursacht, ohne weiteren Zweck als eben diesen... Kein Tier quält jemals, bloß um zu quälen, aber dies tut der Mensch, und dies maht den teuflischen Charakter aus, der weit ärger ist, als der bloß tierishe. Von der Sahe im Großen ist schon ge=- redet: aber auh im Kleinen wird sie deutlih, wo denn Jeder sie zu beobachten täglich Gelegenheit hat. Z. B. wenn zwei junge Hunde miteinander spielen, so friedliih und lieblih anzusehen — und ein Kind von drei bis vier Jahren kommt dazu: so wird es sogleih mit einer Peitshe oder Stock, heftig dareinshlagen, fast unausbleiblih, und dadurch zeigen, daß es shon jetzt Fanimal mecant par excellence ist. Sogar auch die so häufige zwecklose Neckerei und der Schaber- nack entspringt aus dieser Quelle ... .
.». Wirklich also liegt im Herzen eines Jeden ein wildes Tier, das nur auf die Gelegenheit wartet, um zu toben und zu rasen, indem es Änderen wehe tun und, wenn sie gar ihm den Weg versperren, sie vernichten möchte: es ist eben das, woraus alle Kampf- und Kriegslust entspringt ..... es ist der Wille zum Leben, der durh das stete Leiden des Daseins mehr und mehr erbittert, seine eigene Qual durch das Verursachen der fremden zu erleihtern sucht. Äber auf diesem Wege entwickelt er sich allmählih zur eigentlihen Bosheit und Grausamkeit...
Während sih Nietzsche bejahend zur Grausamkeitslust stell, wenn er sie auch persönlih fast restlos verdrängt und sublimiert hat, reagiert Schopenhauer, der in seiner Ethik das Mitleid als menschliche Regung katexochen preist, mit einer Ab- wehr, deren Ausdruck eben diese Ethik ist:
Nichts empört so im tiefsten Grunde unser moralishes Gefühl wie Grausamkeit. Jedes andere Verbrechen können wir verzeihen, nur Grausamkeit
nicht. Der Grund hievon ist, daß Grausamkeit gerade das Gegenteil des Mit- leids ist.«
Ist er auh an die Darstellung seiner Ethik erst relativ spät und auf einen äußeren Anlaß hin gegangen, so hören wir doc viel- leiht seine tiefsten Gemütstöne hier erklingen, wie er auch die Ethik zum Schlußstein seiner ganzen Philosophie gemacht hat. Es zeigt wieder reht von den Gegensätzen, die in der menschlichen Seele herrshen, wo ja Reaktionsbildungen so vielfah die Wurzeln der Charaktereigenscaften darstellen, daß gerade Schopenhauer, dieser rauhe, unerbittlihe, neidishe und rachsühtige Mensch, der fast alle anderen Menschen so grundverschieden und tief unter sih distanziert empfand, daß gerade dieser griesgrämige, vereinsamte und eigen= sühtige Räsoneur — die Mitleidsmoral, die er freilih bei den Indern vorfand, zu der seinen machte! Er empfindet in sich gleich sam als Hemmungsmittel gegen die bösen Instinkte, ohne nach der Herkunft zu fragen, als ethisches Urphänomen die Mitleidsregung.
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Es ist nah ihm eine unmittelbare, sih als solhe von selbst an-= kündigende, instinktartig wirkende Triebfeder. Auch das die Vor- aussetzung des Mitleids bildende Durhshauen der Wesenseinheit alles Lebenden, welches die indische Philosophie als »tat twam asi« ausspricht, ist eine unmittelbar, ohne Schluß und logische Reflexion vor sich gehende intuitive Erkenntnis. Wir sehen hier Schopen- hauers Mangel an Bedürfnis nah einer Genealogie der Moral, im Gegensatz zu dem tiefshürfenden Trieb nach Aufklärung der letzten Wurzeln moralisher Wertung bei seinem Antipoden Nietzsche. Seltsam mutet es an, den jugendlihen Nietzsche als dankbar ver- ehrenden Schüler Schopenhauers auftreten zu sehen (in der be= geisterten Jugendschrift »Schopenhauer als Erzieher«)!. Aber Nietz=- sche wird auh darin das Gegenspiel Schopenhauers, daß er sih immer wieder selbsterkennend zu überwinden sucht, während Schopenhauer ein für allemal bei seiner Konzeption des Welt- bildes starr verharrte. So brachte die Selbstanalyse Nietzsche weit über seinen Lehrer hinaus, gegen den er namentlich in der »Genea= logie der Moral« nicht genug polemisieren kann. Für eines aber bieten diese beiden in Leben und Lehre so gegensätzlichen Persönlich- keiten die pradhtvollsten Beispiele: Die Moral eines jeden von ihnen erscheint als direkter Gegensatz ihrer Persönlihkeit und Lebens- führung. So sagt Simmel von Nietzsche: »Es ist oft hervorgehoben worden, daß die Lehre Nietzsches den Gegensatz seiner Persön- lihkeit bildete: dieser rauhe, kriegerishe und dann wieder bachantisch weittönende Ruf quoll aus einer höchst sensitiven, still in sih ge= kehrten, liebenswürdig milden Natur.« Und von Schopenhauer sagt Paulsen, man könne seine Moral bezeichnen als seinen cata= logus desideratorum.
Sowohl Volkelt wie Simmel heben hervor, daß Schopen- hauer dort, wo er die Mitleidsmoral darstellt, niht jene echten, tiefen, auf Selbsterlebnis beruhenden schwärmerishen Gefühle äußere, wie in seiner Darstellung des »reinen willenlosen Erkennens«,. Sie wollen daraus schließen, daß diese Mitleidsmoral konstruiert sei. Wir hingegen versuchen dieselbe aus der aggressiv=-heftigen Anlage Schopenhauers und deren Verdrängung durh Reaktionsbildung unbewußt entstandenes, also psycdologish wahrhaftes und auf- richtiges Resultat abzuleiten. Denjenigen, die an einer solhen Zu= rückführung Anstoß nehmen, seien Nietzsches ironische Worte entge Are
»Wie könnte etwas aus seinem Gegensatz entstehen? Z. B. die Wahrheit aus dem Irrtume? Oder der Wille zur Wahrheit aus dem Willen zur Täushung? Oder die selbstlose Handlung aus dem Eigennutze? Oder das reine, sonnenhafte Schauen des Weisen aus der Begehrlichkeit? Solcderlei Entstehung ist unmöglih,; wer davon träumt, ein Narr, ja Schlimmeres,; die Dinge
{ Außer Schopenhauer (und Nietzsche in seiner Jugendperiode) hat kein Philosoph dem Mitleid als solhem moralishen Wert zuerkannt (A. Riehl).
Schopenhauer 143
höchsten Wertes müssen einen anderen eigenen Ursprung haben — aus dieser vergänglihen, verführerishen, täuschenden, geringen Welt, aus diesem Wirrsal von Wahn und Begierde sind sie unab- leitbar! Vielmehr im Schoße des Seins, im Unvergänglihen, im verborgenen Gotte, im ‚Ding an sih‘ — da muß ihr Grund liegen und sonst nirgendswo.«
Wir sind überdies gewohnt, wo wir der Verschränkung von Agsressionstendenzen mit einer sexuellen Komponente (Sadismus) und deren Verdrängung begegnen, auh gegen die eigene Person gerihtete Grausamkeit, d. h. masodistishe Einstellung, zu finden, wie sie shon Nietzsche in der verweicdlichenden Mitleidsmoral erkannt hat.
Ist die Ausschaltung aller gewalttätigen und egoistishen Motive nah Schopenhauer das Kriterium einer Handlung von moralischem Wert, so begnügt er sih doh nicht mit dieser Stufe der Voll» kommenheit. Es scheint, daß er schon sehr früh, jedenfalls aber als Jüngling, ein höheres ethisches Ideal vor sih sah: »er hatte den Hei- ligen als Richter des Daseins gesehen« (Nietzsche): Bevorzugte Menschen, hellblikende Geister erreihen in seltenen Fällen, eigent- lih nur durh Gnade, diese Vision der Sehnsucht. Sie töten ihren Willen ab und gehen über die Gerechtigkeit hinaus zu strenger Askese. Der erste Schritt ist geschlechtlihe Enthaltsamkeit, dann folgen freiwillige Armut, Vergebung der Beleidigungen, Nahrungsenthaltung, Kasteiungen und Sterben als Sühne. Dies ist das masodistisch-mysti- sche Bild, das Schopenhauer vom Heiligen entwirft: es läßt den Heiligen der cristlihen Religion weit hinter sih. Ganz besonders bewundert Schopenhauer jene plötzlihen radikalen Bekehrungen, für die ihm Buddha ein Vorbild war und mit rührend schönen Worten hat er diese Mythe dem Carl Bähr erzählt (April 1856). Aud hier sehen wir, wie Schopenhauer sich den mystischen Anschauungen der Inder nähert: die Heiligen gehen ins Nirwana ein, welches wieder nur ein Ausdruck der Wünsche und der Sehnsucht ist, die wir als die Motive aller Paradiesesshilderungen kennen. Dieses ganze Ideal des Heiligen, des Verzichtens, des sih Annäherns an Fakir- und Büßertum, müssen wir als Ausdruck schmerzfreudiger Phantasien ansehen, wie ja der Masohismus mit dem Sadismus eng verknüpft ist. Nur aus großen Schuldgefühlen können diese Selbst- bestrafungstendenzen ihre Intensität beziehen, und aus diesen Sculdgefühlen entspringt das Erlösungsbedürfnis!. Von sich selbst hat Schopenhauer gesagt, er sei in seinem siebzehnten Lebens- jahr plötzlih vom Jammer des Lebens so ergriffen worden, wie
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i »Es ist der Kunstgriff der Religionen und Metaphysiken, welhe den Menschen als böse und sündhaft von Natur wollen, ihm die Natur zu verdäcdtigen und ‚so ihn selber shleht zu machen: denn so lernt er sih als shleht empfinden, da er das Kleid der Natur nicht ausziehen kann. Allmählih fühlt er sih.... von einer solchen Last von Sünden bedrückt, daß übernatürlihe Mächte nötig werden, um diese Last heben zu können: und damit ist das Erlösungsbedürfnis auf den Schauplatz getreten.« (Nietzsche, »Menscdi. Allzumensdl.«)
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Buddha in seiner Jugend. Es muß als hoch bedeutsam für die dieser Wandlung zugrunde liegenden Schuldgefühle und Erlösungs- tendenzen hervorgehoben werden, daß sie gerade nach dem Tode des Vaters sich verstärkten! Deutlih läßt sih die Freude am eigenen Leiden in der ganzen pessimistishen Darstellung und Auffassung des Lebens erkennen, da ja »am Mißraten, Ver- kümmern, am Schmerz, am Unfall, am Häßlihen, an der willkür- lihen Einbuße, an der Entselbstung, Selbstgeißelung, Selbstopferung ein Wohlgefallen empfunden und gesucht wird. Dies ist alles im höchsten Grade paradox: wir stehen hier vor einer Zwiespältigkeit, die sich selbst zwiespältig will, welche sih selbst in diesem Leiden genießt« (Nietzsche: »Was bedeuten asketische Ideale?«). Be- sonders klar drückt dies auh Simmel aus: »Das Schwelgen in den eigenen Schmerzen, das wollüstige sih verbohren in jeden Kummer, die Sucht, von seinem Mißgeshehen auch vor sich selbst viel ‚her zu madhen’ — dies äußert sih durdhgehends in den Formen mit dem Hintergrund oder dem Vordergrund einer pessimistishen Auf- fassung der ganzen Welts.
3, Pessimismus,
Die Popularität seiner Philosophie verdankt Schopenhauer vornehmlich der pessimistishen Weltanshauung. Kaum jemand vor- her gab seinem Leiden an der Welt, seiner Enttäushung an den Menschen, an der Liebe, an Wert und Inhalt des Lebens, an der Entwiclungsfähigkeit der Menschheit und des Individuums in so prägnanter Weise Ausdruk. Das wictigste der Argumente, mit denen Schopenhauer immer wieder die Mißgefühle, die ihm die Welt erregt, zu rationalisieren sucht, ist der bereits in diesem Sinne erwähnte blinde, vernunftlose, ziellose Wille, der niemals voll zu befriedigen ist und keinen Ruhepunkt kennt. Vielleicht mehr nod als dieses methaphysishe Prinzip ist es der empirishe Eindruck der Betrahtung der Welt und der Menschen, die Unverbesserlihkeit der Menschheit in jeder Hinsiht: Es sei viel mehr Unlust als Lust im Leben, welches Unverstand, Bosheit und Zufall regieren, die Gesclectsliebe sei eine Prellerei, im letzten Grunde ekelhaft, die Menschen voil Versteflung und Heucelei, alles Wirklihe nur ein Schein, Trugbild, Gehirnphänomen, die Zeit von einer trostlosen Flüdtigkeit, ein Phantom, mehr sei niht zu erstreben als Schmerz- losigkeit, nur in der Geistigkeit, der Abwendung vom Leben, sei Beruhigung als eine Art von Glük zu finden. Selbst von den Kindern, die durh ihre Harmlosigkeit mit allem zu versöhnen ver- mögen, sagt Schopenhauer:
»Kinder sind wie unschuldige Delinquenten, die zwar nicht zum Tode, hingegen zum Leben verurteilt sind, jedoh den Inhalt des Urteils noch nicht vernommen haben.«
»Wir gleichen den Lämmern, die auf der Wiese spielen, während der Metzger schon eines und das andere von ihnen mit den Augen auswählt: Denn
Schopenhauer 145
”
wir wissen nicht, in unseren guten Tagen, welches Unheil eben das Schicksal uns
bereitet — Krankheit, Verfolgung, Verarmung, Verstümmelung, Erblindung, Wahnsinn, Tod.,.«
Und seinen Bindruk von den Menschen schildert er wieder- holt in folgender Weise:
»Wer geistige und leiblihe Schönheit kennt, dem gibt der Anblik und die Bekanntschaft eines jeden neuen sogenannten Menschen in hundert‘ Fällen gegen einen nichts, als ein ganz neues, wirklich originales, bisher noh nicht in den Sinn gekommenes Beispiel eines Compositi von Häßlickeit, Plattheit, Ge= meinheit, Verkehrtheit, Dummheit, Bosheit, mit einem Worte, Widerlichkeit und Absceulickeit.«
Das Leben erscheint ihm »als ein beständiger Kampf um diese Existenz selbst, mit der Gewißheit, ihn zuletzt zu verlieren. Ist nun aber die Not weit zurükgedrängt und ihr ein Stück Feldes abgewonnen, so tritt sogleih furdhtbare Leere und Langeweile ein, gegen welhe der Kampf fast noch quälender ist« (N. P, & 320).
Er findet daher, »daß es ungleich wahrer ist zu sagen: Der Teufel hat die Welt geschaffen, als: Gott hat die Welt geschaffen.« (N. P., $ 316).
Für den a Wa solch krass=pessimistisher Urteile aus Miß- stimmung spriht folgende Stelle, die volle Selbsterkenntnis verrät:
»Es kann hiemit soweit kommen, daß vielleicht manchem, zumal in Äugen- bliken hypochondrisher Verstimmung, die Welt, von der ästhetischen Seite betrachtet als ein Karikaturenkabinett, von der intellektuellen als ein Narrenhaus und von der moralischen als eine Gaunerherberge erscheint. Wird solhe Ver- stimmung bleibend, so entsteht Misanthropie,.« (Preisshrift über die Grund- lage der Moral.)
Nirgends läßt sih die strenge Subjektivität der Welt- anshauungen deutlicher erkennen, als in der Stellung, die der ein- zelne der Welt gegenüber als Optimist oder Pessimist einnimmt. - Es zeigt sih da, daß der Pessimismus gar keine Weltanschauung,
sondern eine Stimmung, oder um es gleich mit dem richtigen Namen zu sagen, — Verstimmung ist. So fragt Gwinner, der ja Schopen- hauer persönlich gekannt, in seiner Grabrede auf Schopenhauer mit einem psycdologish tiefen Vergleih: »Lief er nicht beleidigt, wie ein Kind, das sich im Spiel erzürnt, durh sein ganzes Leben dahin — einsam und unverstanden, nur sich selbst getreu?«s — In frühen Jahren, wo der in einem wohlhabenden Patrizierhause auf- wachsende Knabe noch keine Bekanntschaft mit dem rauhen Leben Be haben konnte, hat er, wie seine Mutter sagt, »schon als
nabe über das Elend der Menschheit gebrütets. (Gwinner, p. 22.) Vielleicht mit mehr innerer Berehtigung durfte er, seine persönliche Mißstimmung als Jüngling empfindend, später sagen:
»In meinem siebzehnten Jahre, ohne alle gelehrte Shulbildung, wurde ih vom Jammer des Lebens so ergriffen, wie Buddha in seiner Jugend, als er Krankheit, Alter, Schmerz und Tod erblikte. Die Wahrheit, welche laut und deutlih aus der Welt sprah, überwand bald die auh mir eingeprägten Jüdischen Dogmen und mein Resultat war, daß diese Welt kein Werk eines allgütigen Wesens
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sein könnte, wohl aber das eines Teufels, der Geschöpfe ins Dasein gerufen, um am ÄAnblik ihrer Qual sih zu weiden: Darauf deuteten die Data und der Glaube, daß es so sei, gewann die Oberhand.« (N. P. $ 6506.)
Als charakteristisch sei ferner noch eine Stelle hier angeführt, die um so mehr beweist, wenn man die Tatsache heranzieht, daß auch der melandholish Kranke morgens die größte, abends die geringste Verstimmung zeigt. Die analoge, von Schopenhauer gesdilderte Erscheinung kennen wir übrigens auch bei neurotishen und ver=- stimmten Menschen als Fluht aus der unbefriedigenden und peinlich empfundenen Realität in den Schlafzustand, den diese Menschen gelegentlih über Gebühr auszudehnen suchen. Schopenhauer formuliert diese zweifelsohne persönlihe Erfahrung so:
»Was man auch sagen mag, der glücklichste Augenblik des Glüclichen ist doch der seines Einschlafens, wie der unglüklihste des Unglüklihen der seines Erwadhens.« (W. W. II.)
Allen Schopenhauer-Forshern mußte die Frühzeitigkeit seines Lebensernstes und seiner Verstimmung auffallen. Möbius behauptet sogar, daß Schopenhauer »von Anfang an krankhaft« gewesen sei und meint, daß es schon auf Krankheit hindeute, »daß in der Jugend die Frage nah dem Werte des Lebens gestellt wird«. Treffend sagt Möbius: »Nict die Erkenntnis der Übel in der Welt hat ihn dazu (zum Philosophen des Pessimismus) gemacht, sondern er hat die Übel aufgesuht und gescildert, weil er Belege für seine lebensfeindlihe Stimmung brauhte.« — »Schopenhauer suhte nah Erklärungen für sein Wehgefühl, für seine Lebensangst und er fand seinen Pessimismus«, der das älteste Stück seiner Phil, sophie darstellt. Nah Möbius wird also das angeborene Gefühl der Dyskolie später durh die Lehre gerechtfertigt. Wir werden weiterhin ausführen, daß die eigenartige Stimmungslage Schopen- hauers nicht so sehr als angeboren, vielmehr als eine früh erwor= bene, zumindest aber durh frühe Eindrüke krankhaft verstärkte aufzufassen ist.
Ferner sei — indem wir uns hier gestatten von der Öber- fläche des Psychologishen auszugehen — daran erinnert, daß die von Schopenhauers Mutter so rücsichtslos geschilderten abstoßenden Charaktereigenshaften ihres Sohnes, wie sein hochfahrendes und reizbaress Wesen, sein Bigendünkel, seine Gehässigkeit und Un- freundlihkeit, sein ewiges Besserwissenwollen, vielfah im Leben Anstoß erregen und dadurh wieder zu einer Steigerung seiner Mißstimmung führen mußten. So mußte er sich in seiner Bitelkeit
=
! Vgl. auh Hebbel (Tagebücher): »Sehr schön sagte meine liebe Frau gestern Abend, als wir zu Bette gingen: in der Jugend steht man fröhlich auf, im Alter legt man sich fröhlich nieder.«
® Es gibt Familien, ja ganze Generationenreihen, die düsterer Stimmung sind; vom Vater her mag das Elternhaus Schopenhauers jenen von Ibsen oft geschildertem Mangel an Lebensfreude aufgewiesen haben.
Schopenhauer 147
und Empfindlihkeit um so mehr verletzt und herabgesetzt fühlen, als er in seinen maßlosen Ansprühen an die Menschen überhaupt nie zu befriedigen gewesen wäre. Tatsählih wird auh shon von seinen gesellschaftlihen Mißerfolgen berichtet, insbesondere den jungen Mädchen gegenüber,- die den mürrishen und abseits stehenden, jugendlichen Philosophen beläcdelten, der sie gewiß auch nicht ver= shonte und sie seine geistige Überlegenheit fühlen ließ, Schopen= hauer tröstet sich über diese Mißerfolge in der ihm geläufigen und sein ganzes Denken beherrschenden Manier durch Vergrößerung seiner Distanz zu den Menschen:
»In meiner Jugend machte die Vernachlässigung, die ih in der Gesell- schaft erfuhr und der Vorzug, den man den Alltäglihen, Platten, Dürftigen vor mir gab, mih an mir selbst irre: bis ih, 26 Jahre alt, den Helvetius las und nun begriff, daß die Homogeneität jene vereinigte und die Heterogeneität
mich ausshied .... « (N. P. $ 661.)
Allzu leicht stieß er in allen Lebenslagen bei seinen Neben- menschen an und räcdte sich dafür, indem er ihnen Bosheit und Lieblosigkeit vorwarf. Ambivalent in seinen Gefühlen, war er einer reinen Liebe nicht fähig, sondern sie mischte sih ihm allzu leicht mit Haß. So blieb ihm kein Ausweg als die Vereinsamung, In diesem Sinne sagt Paulsen: »Er sah, daß er mit den Menschen nicht leben könne, weder im Guten, dazu war er zu hocdfahrend und reizbar, noch im Bösen, dazu fehlte es ihm an kaltblütiger Überlegenheit, so entschloß er sih, ohne Menschen zu leben.«
In nicht für die Veröffentlihung bestimmten Aufzeichnungen (eis &avrov) hat Schopenhauer das ershütternde Bekenntnis gebudt: |
»Mein ganzes Leben hindurh habe ich mich schrecklich einsam gefühlt und stets aufs tiefste geseufzt: ‚Jetzt gib mir einen Menschen!‘ Ver- gebens! Ih bin einsam geblieben! Aber ich kann aufrihtig sagen, es hat nicht an mir gelegen, ich habe keinen von mir gestoßen, keinen geflohen, der an Geist und Herz ein Mensch gewesen wäre; nichts als elende Wichte von beshränktem Kopf, schlehtem Herzen, niedrigem Sinn habe ich gefunden, Goethe, Fernow, allenfalls F. A. Wolf und wenige andere ausgenommen, die sämtlih 25 bis 40 Jahre älter als ih waren. Demnad hat allmählich der Unwille über einzelne der ruhigen Verahtung des Ganzen Platz machen müssen. Früh ist mir der Unterschied zwischen mir und den Menschen bewußt geworden. Aber ich habe gedaht: Lerne nur erst hundert kennen und du wirst deinen Mann schon finden, dann: Aber unter tausend wirst du’s; dann: Zuletzt muß er doh kommen, wenn auch unter vielen Tausenden. Endlih bin ih zu der Einsicht gelangt, daß die Natur noh unendlih karger ist und ih muß die ‚solitude of Kings‘ Byrons mit Würde und Geduld tragen.«
Vergleiht man mit diesen zu sich selbst gesprochenen Worten die Äußerungen Schopenhauers für seine Leser, so st hier ein Ge= ständnis der Sehnsuht nach Vertrauten nicht zu finden, sondern stolz
wird das Einsamkeitsbedürfnis als Zeihen der Größe und Tiefe angeführt:
10*
»Daß ein Mensch edlerer Art sei, zeigt sih zunähst daran, daß er kein Wohlgefallen an den übrigen hat, sondern mehr und mehr die Einsamkeit ihrer Gesellschaft vorzieht.«
»Die eigentlihen großen Geister horsten, wie die Adler, in der Höhe,
allein.«
»Er ist ungesellig,« sagt beinahe shon: »er ist ein Mann von großen Eigenschaften.«
»Denn je mehr Einer an sich selber hat, desto weniger bedarf er von außen und desto weniger können die Übrigen für ihn sein. Darum führt die Eminenz der Geister zur Ungeselligkeit.«
Schopenhauers soziale Mißerfolge im Lehrberuf, bei Kol- legen, in der Geselligkeit, bei den Frauen, erregten sekundär bei ihm erst reht Groll (Ressentiment) und Überhebung, seine Miß- erfolge bei den Menschen legt er dann gegen die Betreffenden aus und war daher ein Menscenfeind, Feind jeder Geselligkeit und namentlih der Philosophieprofessoren und der Frauen. Wir erkennen in diesem Verhalten leiht den Mechanismus der Projektion, mittels dessen eine subjektive Enttäushung umgewandelt wird in objektive Entwertung. Selbstverständlih haben die Jahrzehnte vergeblichen Wartens auf äußeren Erfolg mit der großen Enttäuschung seines maßlosen Ehrgeizes Schopenhauer bis zu einem gewissen Grade beredtigt, an dem Wohlwollen und der Gerechtigkeit der Menschen zu zweifeln. Dafür mag auch sprehen, daß sein Älter, welches vom Glanz des späten Erfolges, von Popularität und Ruhm noch ver- klärt war, den Pessimismus und den Menschenhaß bedeutend ge- mildert hat. Doc sind jene Mißerfolge zweifellos in weitem Aus- maße durch sein Verhalten gegen die Menschen mitvershuldet und eben darum ist ja seine Reaktion ein so charakteristischer, die eigene Schuld überschreiender Rectfertigungsversud.
Wir wollen nun den Medhanismus des Ressentiments klar- legen, welcher darin besteht, daß durch Enttäushung, Erfolglosig- keit, Nichtanerkanntsein, durh das Gefühl der SI akräen. heit etc. eine Art »seelisher Selbstvergiftung« (Scheler‘) Platz greift, indem der herabgesetzte und enttäuschte Mensch seine Racıe- gefühle und -Impulse, Haß, Zorn, Neid, anstatt sie abzureagieren, ins Ünbewußte verdrängt, vermutlich weil auch sonst seine heftigen Triebregungen im Leben gebrochen wurden, es setzt nämlich ein Ohnmadhtsgefühl voraus, daß man sich nicht anders rächen und ent= schädigen kann, es gehört dazu das dunkle Gefühl, daß man selbst unvollkommen ist. Alle jene Ziele, Kräfte und Tugenden, die uns unerreihbar sind, beginnen wir dann herabzusetzen und minder zu werten, Es tritt eine Wertefälshung ein, die Unlust über das Entbehrenmüssen und Nidtbesitzenkönnen wird dadurch erleichtert (»die Trauben sind dem Fuchse zu sauer«). Dies führt zu einer Verfälshung des Weltbildes; aber nicht nur die Aussage über das
ı Max Scheler, Über Ressentiment und moralishe Werturteile (Zeitschr. f. Pathopsychologie, I. Bd., 1912, Heft 2/3).
Schopenhauer | 149
Weltbild wird verändert, »das wäre noh bewußte Fälschung, sondern allmählih wird das Urteil selbst ein anderes, d. h. audh das Unbewußte übernimmt die neue Wertung.
Den gleihen Mechanismus haben wir bereits bei der Redt- fertigung der subjektiv-pessimistishen Verstimmung aus der Scledtigkeit und Verwerflichkeit der Welt, wirksam gesehen und dürfen auf Grund zahlreiher Erfahrungen auf anderen Gebieten geistigen Schaffens schließen, daß ein großes Stück der Systembildung in nihts anderem als in derartigen unbewußten Projektionen besteht.
Die Flüchtigkeit der Zeit dient unserem Philosophen gleich- falls zur Begründung seiner traurigen Lebensanshauung: jeder Augen= blik ist nur insofern da, als er den vorhergehenden, seinen Vater, vertilgt hat und selbst wieder ebenso schnell vertilgt wird. Die Gegenwart ist nichts als Dauerlosigkeit, nichts als Dahinschwinden. So offenbart sich in der Zeit die Vergänglihkeit und die Nictig- keit aller Dinge. »Was im nächsten Augenblick nicht mehr ist, was sogleih verschwindet wie ein Traum, ist nimmermehr eines ernsten Strebens wert.« (Schopenhauer.)
Die Flüctigkeit der Zeit hat niemand so schwer empfunden, als Schopenhauer, sie läßt bei ihm kein Glücksgefühl auf-
kommen:
»In einer solhen Welt, wo keine Stabilität irgendeiner Art, kein dauernder Zustand möglih, sondern alles in rastlosem Wirbel und Wechsel begriffen ist, alles eilt, fliegt, sih auf dem Seile, durch stetes Schreiten und Be= wegen, aufrecht erhält, läßt Glückseligkeit sich nicht einmal denken.« (P. P. II.)
»Die Zeit ist die Form, mittels derer jene Nichtigkeit der Dinge als Vergänglichkeit derselben erscheint, indem, vermöge dieser, alle unsere Genüsse und Freuden unter unseren Händen zu Nichts werden und wir nachher ver= wundert fragen, wo sie geblieben seien.« (W. W. II)
»Ihr klagt über die Fluht der Zeit: sie würde niht so unaufhaltsam fliehen, wenn irgendetwas, das in ihr ist, des Verweilens wert wäre. (N.P. $ 305.)
Aud fand sih in Schopenhauers Papieren eine Übersetzung des Miltonshen Gedidhtes an die Zeit, das der Sehnsuht nad Erlösung von Zufall, Tod und Zeit Ausdruck gibt. (N, P, p. 365).
In auffälligem Gegensatz zu jener hartnäckigen Betonung der Flüctigkeit der Zeit steht des Philosophen immer wieder ange- stimmte Klage über die Unerträglihkeit der Langweile, welche die schmerzlosen Momente des Lebens ausfülle. Auch diesen Zug mödten wir aus der Verstimmung ableiten, da nur der Ver- stimmte oder vom Leben shwer Enttäuschte, der Vereinsamte und niht Liebende so schmerzlih über Langweile, d. h. über das Miß- empfinden der ungenützten Zeit klagen kann. Daß diese Empfindung namentlich bei genialen und scaffenden Menschen, die nur ihrem Werke leben, durh die Zeiten des Stillstandes der Produktion, also die Empfindung einer inneren Leere, gefördert und gesteigert wird, vi uns Freilich häufig die Selbstbekenntnisse großer produktiver
änner.
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Schopenhauer hebt immer wieder hervor, daß seine Philo- sophie durh Anschauung der Welt gewonnen sei. Und so imponierte seiner Betrahtung, neben der Flüdtigkeit der Zeit, das Traum- hafte alles Irdishen, das Unwirklihe des Lebens so intensiv, daß ihm dieses Gefühl den zweiten Grundpfeiler seines philosophischen Systems zwingend entgegenbrahte: Die Welt ist nur unsere Vor- stellung. Knüpfte er selbstverständlih damit an Plato, Kant und die Inder eklektish an, so kann man überall aus seinen Werken nachweisen, daß tiefstes inneres Erleben ihm zu seiner genialen Begründung des Phänomenalismus Stoff und Affekt gegeben hat.
Der Kantsche Vorstellungsidealismus gleitet, wie Volkelt treffend sagt, bei Schopenhauer unwillkürlic in indischen Traum- idealismus hinüber, es ist ihm vollkommen ernst damit: indem die Welt Vorstellung ist, hat sie damit auch niht mehr Existenzwahr- heit als ein Traum. An zahlreichen Stellen seiner Werke verkündet er bald mehr die Verwandtschaft, bald mehr die Wesenseinheit von Welt (Realität) und Traum.
»Meine Phantasie spielt oft (besonders bei Musik) mit dem Gedanken, aller Menschen Leben und mein eigenes seien nur Träume eines ewigen Geistes, böse und gute Träume, und jeder Tod ein Erwaden.« (N. P. $ 275.)
»Das Leben ist eine Nacht, die ein langer Traum füllt, der oft zum drückenden Alp wird.« (N. P. $ 273.)
Besonders folgt er hierin der Anschauung der Vedänta-Philo- sophie, ihrer Lehre von der Maja und dem Schleier, der »die Augen der Sterblihen umhüllt und sie eine Welt sehen läßt, von der man weder sagen kann, daß sie sei, nodh aud, daß sie nicht seis. Schopenhauer will damit, wie es weiter in den Aus- führungen Volkelts heißt, das ganz und gar Nidtige, Bestand- lose, dem Nictsein Ähnliche, zugleih das Sinnlose und Bange der Erscheinungswelt zum Ausdruk bringen. Es ist sonah klar, daß für Schopenhauer die Welt, indem sie bloße Vorstellung ist, zu= gleih ein in seinem metaphysishen Werte herabgesetztes Sein be= deutet. Die erkenntnistheoretishe Würdigung der gegenständlichen Welt ist ihm unmittelbar zugleih ein metaphysishes, und zwar pessimistisch-metaphysishes Werturteil. Bedenkt man, daß gerade Schopenhauer das heftig Brutale des Lebenswillens schmerzlichst empfunden hat, so liegt es nahe, hinter dieser Verflühtigungs= tendenz des Irdishen den sehnsühtigen Wunsh nah Erlösung davon zu suchen. Es sei dabei als höchst bedeutsam hervorgehoben, daß wir diese Empfindung der Welt als Traum und Schein, als ein befremdendes Gefühl typish von den melandolishen Patienten angegeben hören, es scheint auh dort dem aus der Verstimmung stammenden Wunsch nach Erlösung von der unerträglichen Wirklichkeit des Daseins zu entspringen.
So heißt es audh bei Paulsen; Wie überall, so ist auh bei Schopenhauer der theoretische Idealismus bedingt durh einen Idealismus praktisher Art, das Ungenügen der Wirklichkeit, wie sie
Schopenhauer 151
ist, führt zur Bildung der Idee einer vollkommenen Welt. Und diese drückt dann das empfindliche Dasein herab zuerst zur Unwertheit, sodann zur Unwirklihkeit: eine Welt, die nicht zu sein verdient, ist niht die wirklihe Welt.«
Als weitere Wurzel seines Pessimismus müssen wir die Schopen-= hauers ganzes Leben verbitternde Angst hervorheben, die ihn dazu führt, immer und überall Unheil zu erwarten und zu wittern: Die Furcht vor allen Übeln und besonders vor dem Erzübel, dem Tod, beshatte das ganze Leben, zu dessen sorglos heiterem Genuß der Mensh daher kaum komme. Zum Trost für diesen unerträglichen Gedanken des persönlihen Todes dient dem Philosophen, wie der todesfürhtigen Menschheit überhaupt, die Phantasie eines ewigen Lebens, bei ihm in der Form eines ewigen unzerstörbaren Willens, der sich zeitweilig im Einzelnen durch das principium individuationis objektiviert.
»Wir würden vielleiht, beim Anblik dieses Ablaufens unserer kurzen Zeitpause rasend werden, wenn niht im tiefsten Grunde unseres Wesens ein heimlihes Bewußtsein läge, daß uns der nie zu ershöpfende Born der Ewigkeit
gehört« (P. P. ID.
Fragen wir uns aber weiter nah dem Ursprung solcher ver- stimmender Angstgefühle, die Schopenhauer schon seit der Kind- heit begleiteten, so kommen wir, wie erwähnt, auf den Trieb, bei Schopenhauer auf einen überstarken und vermutlich sadistisch ge- färbten Sexualtrieb und dessen Unterdrückung: Die Angst entspräche einer mißglückten Verdrängung von Lust und Wut. Die Zusammen- hänge zwischen Sadomasodhismus und Pessimismus sind aber nodı viel weitere. Die Lust am fremden und die Lust am eigenen Leide ver- shlingen sih noch in ihren Erstrekungen in die Bbhraktioh hinein, gerade in der Erscheinung des Pessimismus selbst, wie Simmel meint:
»Eine sublime Grausamkeitslust liegt in der Zerstörung, mit der er sonst anerkannte Werte trifft, in der Leidenschaft, mit der er sonst unbewußt oder unberechnet gebliebene Leiden ins Bewußtsein hebt, in der Abschätzung unseres Seins, das nichts Besseres als dieses Leben und diese Welt verdiente. Aber die all- gemeine pessimistishe Anschauung ist keineswegs nur mit subjek- tivem Leide, sondern oft mit einem gewissen Genuß gerade an diesem verknüpft.«
Diese Zusammenhänge, die auh Nietzsche in meisterhafter Form in »Jenseits von Gut und Böse« aufgedeckt hat, rühren mit ihrer Zurükführung auf die Triebwurzeln an unsere psychoana- Iytishe Auffassung.
Was bisher über den Pessimismus ausgeführt wurde, gibt nicht die letzten, eigentlih im Infantilen wurzelnden Ursprünge der Ver- stimmung und damit des Pessimismus. Auf die Bedeutung konsti- tutioneller, ererbter Momente wie Triebanlage und Stimmungs- neigung, sowie auf die Möglichkeit irgendeines realen Defektes in Schopenhauers Sexualität, vielleicht einer allzuleihten Anspreh-
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barkeit, haben wir schon hingewiesen. Die vielleiht entscheidendste Ursadhe einer bleibenden Charakter- oder Wesensform sind wir aber nah Freud gewohnt, in psychosexuellen Momenten der frühesten Kindheit aufzudecken, und audh hierin stoßen wir bei Schopen- hauer auf reiches Material zur Begründung einer pessimistischen Weltanschauung.
Das Familienbild, welhes der erste verständnisvolle Blick des Knaben traf, zeigte ihm eine jugendliche, heitere, zärtlihe Mutter. Dafür sprehen die Bemerkungen Gwinners, daß die Mutter »am
age wie in der Nacht kaum einen anderen Gedanken« als ihren Arthur hatte, von dem sie »wie alle jungen Mütter, fest überzeugt war, daß kein schöneres, frömmeres und klügeres Kind auf Gottes Erdboden lebes. Die Zärtlichkeit der Mutter pflegt sih gerade dann in übertriebener Weise dem erstgeborenen Knaben zuzuwenden, wenn die Ehe, wie es ja hier der Fall war, Enttäushungen gebracht hatte. Dann aber mögen dem kleinen Knaben des Vaters Strenge, sein strafender Ernst und seine hohen Anforderungen in unlieb- samer Erinnerung geblieben sein. Wenn man den heftigen Charakter des Vaters, der übrigens schon seine Vorfahren auszeichnete, seine gelegentlich exzedierende Rauheit in Betracht zieht, so wird man es verstehen können, daß Schopenhauer, trotzdem er später so sehr vom Vater dankbar shwärmt, unter dessen Jähzorn, Pedanterie und Strenge ursprünglih schwer gelitten hat. Er selbst sagt darüber mit charakteristishem Hinweis auf seinen Pessimismus:
»Ich war als Jüngling immer sehr melandholish und einmal — ih mochte 18 Jahre alt sein — dadte ih, nod so jung, bei mir: Diese Welt soll ein Gott gemadht haben? Nein! Eher ein Teufel! Ih hatte freilih schon viel in der Erziehung, durch die Härte meines Vaters, zu leiden gehabt.« (Frauenstädt, Memorabilia.)
Diese Stelle ist eines der wichtigsten Dokumente dafür, daß der früheste Pessimismus, schon des Knaben, auh aus dem düsteren, heftigen und niederdrükenden Wesen des Vaters abzuleiten ist. Entstammt so die vielleicht bedeutendste und früheste Wurzel seines Pessimismus aus dem Verhältnis zum Vater, der ihm im Sinne seiner eigenen feindseligen Einstellung (Ödipuskomplex) um so böser und ungerehter erscheinen mußte, so geht die zweite entscheidende Wurzel seiner so düster gebliebenen Welt- und Menschenbeur- teilung, wie man der Bedeutung des ganzen Ödipuskomplexes ent= sprehend erwarten darf, aus seiner eigenartigen Beziehung zur Mutter hervor. Das Maßgebende in diesem Verhältnis ist das selt- same Umsclagen der gegenseitigen Zärtlihkeit zwischen Mutter und Sohn in eine Abneigung und Feindseligkeit, die sich im Laufe der Jahre zu einem erbitterten Hasse steigerte.
In einer Stelle der Parerga (II, p. 659 verrät Schopenhauer sein Wissen von dem Schwinden einer instinktiven Mutterliebe in einer Ehe, in der die Gattin ihren Mann nicht lieben kann:
Schopenhauer 153
»Die ursprünglihe Mutterliebe ist wie bei den Tieren, so audh im Menschen, rein instinktiv, hört daher mit der physischen Hilflosigkeit der Kinder auf. Von da an soll an ihre Stelle eine auf Gewohnheit und Vernunft begründete treten, die aber oft ausbleibt, zumal wenn die Mutter den Vater nicht geliebt hat.«
Bedenken wir, daß der neunjährige Knabe anläßlih der An- kunft eines Schwesterhens (geboren 1797) für zwei Jahre in die Fremde gegeben wurde, so liegt es nahe anzunehmen, daß in ihm eine Eifersuht auf diese ihn der Mutterliebe beraubende kleine Konkurrentin erstand, wie wir ja bei Kinderbeobahtungen soldhen Regungen bei der Ankunft jüngerer Geschwister so häufig begegnen. Es ist wahrsceinlih, daß hier eine bedeutsame Wurzel der Ab- wendung des Knaben von der Mutter und deren Entwertung ent- springt. Dieser Umshwung ist ein auffälliges Gegenstük zu dem re im Verhältnis zum Vater, der dem Sohne bei Lebzeiten anfangs als böser, den kindlihen Neigungen und Wünschen ent= an: Tyrann erschienen war, und dem er nah dem
ode, mit einer übertriebenen, wir sagen »reaktiven«, Liebe und Verehrung huldigte?, die wir als Kompensation infantiler böser Wünsche gegen den Vater erkannt haben. Solhe heimliche kindliche Todeswünshe, wie sie sih im ersten Verdrängungsstadium be- reits in der Angst des secsjährigen Knaben verrieten, (»seine Eltern könnten von einem Spaziergange niht mehr zurück- kehrens), lassen sih ihrer Tendenz und Intensität nah nicht bloß aus der shwer empfundenen Strenge des Vaters erklären, die sie gewiß unterstützt und bewußterweise rechtfertigt, sondern scheinen auh aus unbewußten erotishen Quellen gespeist, welche
i So sehr die Schwester, über die hier einiges eingefügt sei, dem Bruder mit Interesse, ja Liebe entgegenkam, dauernde Intimität, bis auf wiederholt gewechselte und vertrautere Briefe, kam nicht zustande. Auch hier isolierte sich Schopenhauer durh seine Ablehnung und Empfindlichkeit, ursprünglih muß er ihr doch sehr zugetan gewesen sein, denn er schreibt ihr einmal, außer ihr habe er nie eine Frau ohne Sinnlichkeit geliebt. Adele Schopenhauer war ein un- schönes, ihrem Water ähnlihes Mädchen, von verschiedensten Begabungen, ge- bildet und geistreih, von Goethe geschätzt. Unter der egoistishen Mutter litt sie gleichfalls sehr, machte die unschönsten Familienszenen mit, bei denen sie manchmal »die Lust empfand, sich aus dem Fenster zu stürzen, um dem Elend zu entgehen«, Aud ihr Leben verlief glücklos, oft war sie melandolisch und resig- niert, sie blieb trotz verschiedener Ansätze zur Liebe unverheiratet. Für den Bruder zu sie viel Verständnis und eine tiefe Zuneigung, und in ihren inter- essanten Tagebücdern heißt es einmal: »Eine Ahnung dessen, was ihm (ihrem Bruder) Liebe geben könnte, was aus ihm zu machen gewesen wäre — ein Blick ins Vergangene, ins Künftige zerstörte meine Heiterkeit, glühend tobten die Sehn- sucht und der Schmerz in meiner Seele«.
: Vgl. dazu die warm empfundene »Dedikation« der zweiten Ausgabe seines Hauptwerkes an die »Manen meines Vaters«, wo anscheinend den früheren eigenen Berichten über die Härte des Vaters widersprochen wird:
»Edler, vortreffliher Geist! dem ich alles danke, was ih bin und was ich leiste. Deine waltende Fürsorge hat mich beschirmt und getragen, nicht bloß durd die hilflose Kindheit und unbedachtsame Jugend, sondern auch ins Mannesalter und bis auf den heutigen Tag« etc.
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vornehmlich einer eifersühtigen Konkurrenz um die Liebe der Mutter entspringen (Ödipuskomplex). Die Annahme, daß der kleine Schopen- hauer schon frühzeitig vom Sexualverkehr zwischen den Eltern Erfah- rung gewonnen haben mag, ist niht von der Hand zu weisen. Aus Psychoanalysen von Kindern und Erwachsenen ist uns geläufig, daß der Knabe — wie hier —, wenn er diese für ihn unerhörte und das reine Bild seines Mutterideals beflekende Ernücterung erlebt, als typische Reaktion eine aus gemishten Gefühlen gegen beide Elternteile zu- sammengesetztes Verhalten an den Tag legt. Gegenüber der Mutter tauchen ihm aus Neid und Racegefühlen verstärkte Phantasien von deren Unreinheit, eventuell Verderbtheit auf (Dirnenphantasie), was zunächst ein enttäuschtes Abwenden von diesem ursprünglichen Ideal zur Folge hat. Entspriht im späteren Pubertätsleben, wo diese Phantasien unter dem Drang der mädtig erwadhenden Objektliebe ineu belebt werden, das Bild der Mutter dieser Knabenphantasie von ihrer moralishen Verderbtheit auh nur vermutungsweise oder in ganz geringem Grade, so erhält diese für ein gewisses Ent- wiclungsstadium typishe, aber sonst bald von normaler Gefühls- einstellung der Mutter und dem Weib gegenüber abgelöste pessi= mistisch-verähtlihe Auffassung von ihrer Schlechtigkeit — eine gewisse Fixierung. Dies trifft für Schopenhauers Mutter, welche ja nah des Vaters vermutlihem Selbstmord (an dem der Sohn ihr schuld gab) enge Beziehungen zu anderen Männern pflegte, doc so weit zu, daß auh dem erwachsenen und lebenserfahrenen Sohn Anhaltspunkte genug geboten waren, um seinen aus der Kindheit rege gebliebenen Phantasien eine reale Begründung und anscdeinende Beredtigung zu verleihen. Diese durch seine puerilen Erfahrungen verstärkte Enttäushung an dem unvergeßlihen infantilen Liebes- ideal der Mutter mußte bei Schopenhauer so tief und so nadh= haltig wirken, weil dieses als Untreue gegen ihn selbst aufgefaßte Ver- halten der Mutter, sowie überhaupt ihre ganze spätere lieblose und feindselige Einstellung gegen den Jüngling, in so krassem Widerspruch zu den allerersten intensiven Zärtlihkeiten stand. Während diese Phantasien normalerweise bald verdrängt und irgendwie nah dem Leben orientiert werden, wurde für Schopenhauer die an seiner heimlich immer geliebten Mutter erlittene schwere Enttäushung zur zweiten mächtigen Quelle seiner pessimistishen Lebensauffassung, insbesondere des Weiberhasses und der Weiberverahtung. So leitet er manche dem Weibe überhaupt geltende Herabsetzung direkt von gewissen an seiner Mutter gemachten Erfahrungen ab, wenn er z. B. gegen die Vershwendung er Weiber in allen Fällen eine männliche Kuratel verlangt, weil er glaubte, seiner Mutter Vergeudung des väterlihen Vermögens vorwerfen zu dürfen:
i Dafür scheint auch die kleine Erzählung zu sprehen, die Schopenhauer dem K. Bähr anvertraute: Daß ihn eines nachts sein Vater beim verbotenen Romanlesen überraschte, als er unversehens eintrat, um ins Zimmer der Mutter zu gelangen. Es war »ein gegenseitiges Ertappen«, sagte Schopenhauer wörtlich.
Schopenhauer 155
»In den allermeisten Fällen wird ein solhes Weib, das vom Vater der Kinder und mit stärkendem Hinblik auf sie, durch die Arbeit seines ganzen Lebens Erworbene mit ihrem Buhlen verprassen, gleihviel ob sie heiratet oder niht ... . Die wirkliche Mutter wird nah dem Tode des Mannes, oft zur Stiefmutter .... Überhaupt aber wird eine Frau, die ihren Mann nidt geliebt hat, audh ihre Kinder von ihm nicht lieben, nämlih nachdem die Zeit der bloß instinktiven, daher nicht moralish ihr anzurechnenden Mutterliebe vorüber ist.« (P. P. II, p. 268.)
Wir glauben so wahrsceinlih gemaht zu haben, daß die frühesten und zutiefst reihenden Wurzeln des Pessimismus bei Schopenhauer aus der eigenartigen Elternkonstellation entspringen, die ihm zu Zeiten den Erzeuger als grausam und teuflish, die Gebärerin als verworfen erscheinen ließ. Hierin ist wahrscheinlich auh die Begründung für die so oft von Schopenhauer betonte Verwerflichkeit des Geschlechtsaktes zu finden, den er als die erste Schuld des Menshen und — in Anlehnung an das Christentum — der Menschheit überhaupt auffaßt.
»Das menschliche Dasein, weit entfernt den Charakter eines Geschenks zu tragen, hat ganz und gar den einer kontrahierten Schuld. Die Einforderung derselben erscheint in Gestalt der, durch jenes Dasein gesetzten, dringenden Be= dürfnisse, quälenden Wünsche und endlosen Not. Auf Abzahlung dieser Schuld wird, in der Regel, die ganze Lebenszeit verwendet: doch sind damit erst die Zinsen getilgt. Die Kapitalabzahlung geschieht durh den Tod. — Und wann wurde diese Schuld kontrahiert? — Bei der Zeugung.« (W. W. II, p. 683.)
»Das Leben stellt sih dar als eine Aufgabe, ein Pensum zum Abarbeiten und daher, in der Regel, als ein steter Kampf gegen die Not. Demnadh sudt Jeder durch und davon zu kommen, so gut es gehen will: er tut das Leben ab wie einen Frondienst, welhen er schuldig war. Wer aber hat diese Schuld kontrahiert? — Sein Erzeuger, im Genuß der Wollust.« (W. W. II, p. 669.)
»Auf die Zeugung folgt Leben und auf das Leben unwiderruflih der Tod. Nun ist es der Betrahtung wert, wie die Wollust der Zeugung, die das eine Individuum (der Vater) genießt, niht von ihm selbst, sondern von
einem anderen (dem Sohne) durch Leben und mithin durh Tod gebüßt wird.« (N. P. $ 350.)
Viele Züge Schopenhauers, wie besonders die Verstimmung, Lebens=- und Liebesverbitterung und pessimistishe Weltanshauung erinnern in auffälliger Weise — wie schon Paulsen ausgeführt hat — an Shakespeares Hamletgestalt. Die letzte Wurzel dieser Übereinstimmung, die eine noch viel weitergehende und tiefer reichende ist, wird auf Grund der Freudshen Deutung des Hamletproblems aus dem gleichartigen Ödipuskomplex klar: Hier wie dort handelt es sih in gleiher Weise um eine relativ überbetonte, zärtlihe Liebe des Jünglings zu seinem, durch angeblihe Schuld der Mutter vor- zeitig aus dem Leben geschiedenen Vater, sowie um eine Verachtung der ehebrecherishen Mutter. Daraus resultiert hier wie dort die Anschauung von der Schlehtigkeit der Welt und Menschen, philo= sophishes Grübeln, namentlih über das Thema des Todes, und die Sexualablehnung des ursprünglich verliebten, von der Mutter aber
156 Dr. Eduard Hitshmann
shwer enttäuschten Sohnes gegen das Weib überhaupt. Es kann kein Zufall sein, daß Schopenhauer selbst an einer Stelle, wo er von inneren Widerständen gegen rücsichtsloses Aufdecken der wissenschaftlihen Wahrheit spricht, als Gleichnis gerade den Ödipus- mythus anführt:
»Der Muth, keine Frage auf dem Herzen zu behalten, ist es, der den Philosophen madht. Dieser muß dem Ödipus des Sophokles gleichen, der Auf- klärung über sein eignes, schreclihes Schicksal suchend, rastlos weiter forscht, selbst wenn er shon ahndet, daß sih aus den Antworten das Entsetzlichste für ihn ergeben wird. Aber da tragen die meisten die Jokaste in sih, welche den Ödipus um aller Götter willen bittet, nicht weiter zu forshen: und sie gaben ihr nah und darum steht es auch mit der Philosophie noch immer, wie es steht.« (Brief an Goethe vom 11. November 1815.) !
Diese Stelle scheint die Auffassung zu gestatten, daß das Ödipusthema für Schopenhauer in der Jugend ein bedeutsames, seelishes Erlebnis war. res hebt einmal hervor, daß erfahrungs- gemäß jene Männer, welche sih von der Mutter bevorzugt und aus- gezeichnet wissen, im Leben dann eine besondere Zuversiht zu sich selbst sowie unerschütterlichen Optimismus bekunden, die nicht selten als heldenhaft erscheinen und den wirklihen Erfolg erzwingen (Traumdeutung, 3. Aufl., p. 207, Anmerkung).? Einen Gegenbeweis für diese Beobachtung bietet Schopenhauer, den das auffällige Zu= rückgestoßenwerden und die scharfe, lieblose Beurteilung von seiten seiner Mutter in den entscheidenden Knaben- und Jünglingsjahren zum Pessimisten machen mußten.
Auf Grund dieses eigenartigen Ödipuskomplexes zeigt Schopen-= hauer auch andere Charakterzüge und Eigenheiten der Lebensführung. Das Hagestolzbleiben hat neben den früher angeführten, äußeren und inneren Ursachen, vielleiht als wichtigste Motivierung, eine starke Verkettung des inneren Schicksales mit der Mutter. Ahleser Typus Mann zeigt, wenn er sih von der Mutter enttäuscht fühlt, neben der sonst entstehenden Verehrung eines auf die geliebte Mutter zurückgehenden Liebesideales, Weiberhaß und Weiberveradhtung, und im Liebesleben die Trennung von Sexualität und höherer seelisher Empfindung (Erotik), mit dem Herabsteigen zur Prostitu-= tion. Schopenhauer, der ja die höhere geistige Liebe (Erotik)
! Vgl. zum psycdologishen Gehalt dieser Briefstelle die Arbeit von Ferenczi: »Symbolishe Darstellung des Lust- und Realitätsprinzips im Ödipus- mythos (gedeutet durch Schopenhauer).« (»Imago«, I, p. 276 ff.)
® Es sei auf Goethe hingewiesen, dessen Eltern, worauf Möbius auf- merksam mact, von ähnliher Gemütsart waren wie die Schopenhauers, und der trotzdem von der Mutter dauernd zärtlich geliebt — lebensfreudig, optimistisch und menscenfreundlih sih entwickelte.
: Als Beweis für die mütterlihe Wurzel von Schopenhauers Weiber- haß sei z. B. angeführt seine schroffe Abweisung auf Annäherungsversuhe weib- liher Schriftsteller, die ihm alle aus tiefster Seele zuwider waren, sowie seine scharfe Verurteilung der modernen »Dame« und ihrer bevorzugten Stellung in der Gesellschaft, er redet immer nur von » Weibern«.
Schopenhauer 157
kaum erlebt hat, sondern mit Mephistopheles meist das grob Sinn= lihe allein unter Liebe versteht (saus einem Punkte zu kurieren«), hat auh von hier Verstimmung und Pessimismus bezogen. Diese Auffassung von der Gescledtsliebe als jedes positiven, fördernden, erhebenden, geistigen Anteils bar, finden wir auch beim Pessimisten E. v. Hartmann, und sehr richtig betont Rosa Mayreder in ihrer »Kritik der Weiblichkeit« den generellen Zusammenhang zwischen der asketisch -pessimistischen Kektansdauun und der mit einer gesteigerten Geistigkeit verbundenen ern Sexualität. Unter- stützt wird diese auf die zwiespältige Empfindung gegen die Mutter zurückgehende Trennung von Sexus und Eros, mit besonderer Herabsetzung der Sexualität und des Weibes, durh eine frühzeitig erfolgende Verächtlihmahung des Sexuellen überhaupt. — Auch aus der psydhishen Einstellung zum Vater ergeben sih für das spätere Leben bedeutsame Charakterzüge: Wenn Schopenhauer aud die Umwertung seines Vaterhasses in Verehrung für den Verstorbenen gelang, so zeigt er doch gegen alle Welt, insbesondere aber gegen- über wissenschaftlihen Lehrern und seinen Vorgängern einen revo- lutionären Widerspruchsgeist, der sih gegen alles Bestehende und fast jede Autorität wendet, sowie ein ebenfalls aus dem Vaterkomplex stammendes ewiges Besserwissenwollen, das schon die Mutter sharf an ihm gerügt hatte. So sagt Paulsen: »Opposition und Widersprud ist das Element, worin ihm wohl wird; mögen andere ihrer Sache ewiß werden durh Anlehnung an das Geltende, er wird es durd iderspruh. Er würde sich veräctlih vorkommen, wenn er sic darauf ertappte, irgendwo zu denken, zu urteilen, zu empfinden, wie alle Welt urteilt und empfindet.«
Für den inneren Kampf des Sohnes zwischen Liebe und Ab- neigung, Verehrung und Spott spriht das eigenartige Verhalten Schopenhauers gegen Lehrer und autoritative Personen, denen er viel zu danken hatte. So verdarb er sich es schon in seiner Kind- heit mit einem Lehrer durh ein Spottgediht, schrieb an den Rand seiner Kollegienhefte boshafte Et anmaßende kritische Spottworte über die Professoren nieder («Gewäsh«, »Sophist«, »Rindviehs). Er verfolgte dann die Philosophieprofessoren überhaupt (insbesondere Hegel) mit einem in der Form maßlosen Hohn und Spott, und selbst die Verehrung, die er für Kant empfindet, shützt diesen niht vor Verunglimpfung. Kants Veränderungen in der zweiten Auflage der »Kritik der reinen Vernunft« führt Schopenhauer »auf Heucelei und Menschenfurht zurük«. Nicht anders ging es Goethe, der dem jungen Philosophen anerkennend und fördernd entgegengekommen war. Wurde er von dem jungen Doktor wie ein Gott verehrt (vgl. im Brief an F. A. Wolf: »gepriesen sey sein Name in alle Ewigkeit«), so wurde er in späteren Jahren von Schopenhauer als Egoist und Grobian bezeichnet. Daß der Knabe schon früh irreligiös wurde und im Gegensatz zu dem frommen Kant nie gottesgläubig war, deutet auch auf ein frühes Untergehen
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der väterlihen Autorität hin. Den gleihen Ursprung mögen zum Teil wenigstens die Abneigung gegen Vaterland und Vaterstadt, sowie gelegentlihe Äußerungen über seine Nation nehmen, die er einmal die dümmste nennt.
Haben wir in den vorstehenden Ausführungen über Schopen- hauers Pessimismus die individuell-psydhologishen Wurzeln dieser Einstellung hervorgehoben, die zum Teil in der Nähe des Patho- logishen ihre Nahrung ziehen, so haben wir damit indirekt eine Kritik dieses Pessimismus angedeutet, wie sie dem objektiven Beurteiler shon durch die krassen Übertreibungen Schopenhauers nahegelegt wird. Es ist bekannt, daß auh der Durcdhscnittsmensch vorübergehend und zwar gerade in den Stunden der Einkehr, zu skeptisch-pessimistischer Spruchweisheit geneigt ist, und daß der Heran- wachsende, namentlich zur Zeit der Pubertät, pessimistisch verstimmt sein kann. In solhen Zeiten wird man am leichtesten Anhänger eines pessimistishen Philosophen und auh dann, wenn einem im Leben und Lieben etwas mißglückt ist. Die Menschen werden aber nie dauernd zugeben, daß nur der Schmerz positiv, die Lust nur in der Befreiung vom Schmerz liege. Hier kann das natürliche Empfinden dem Philosophen nicht folgen, den offenbar persönliche Erfahrung anders sprechen ließ. Aber diesem, durh sein inneres Schicksal so isolierten Menschen, war die altruistisch bedingte Freude, die Mitfreude, völlig fremd; auf Hausgenossenschaft, Freundschaft, Familie, wo der Egoismus mehr zurücktritt, hat er fast sein ganzes Leben lang verzichten müssen. Bei Schopenhauer findet »alles, was stilles Behagen, traulihe Enge, munteren Scherz, frohes Spiel bedeutet, keine Würdigung« <(Volkelt, oder wie Paulsen meint: »Schopenhauer ist für diese Dinge, man mödte sagen farbenblind.«
In Äußerungen späterer Jahre, besonders in seinen berühmten »Aphorismen zur Lebensweisheit« zeigt sih Schopenhauer zu einer optimistischeren Lebensauffassung gestimmt. Er verfaßte diese Aussprühe als »AÄnweisungen zu einem glücklihen Dasein«. »Ja, diese Aphorismen sagen uns auf jeder Zeile, daß der wahre Weise, der Mensch, dem das größtmöglichste Erdenglük beschieden war, den man sich bei allen seinen Entschließungen und Neigungen zum Vorbild nehmen solle, der Dr. Arthur Schopenhauer ist« (Seilliere).! Hier zeigt sich klar, wieviel selbstgefällige Selbstbe- trahtung (Narzißmus) an philosophishen Anschauungen mitwirkt.
Schopenhauer hat also die Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit, die ihn überhaupt auszeichnet, im späteren Lebensalter darin be- wiesen, daß er seine optimistischer gewordene Lebensansidht nicht verschwieg. Seinem Pessimismus darf man darum nicht Unaufridhtig- keit nachsagen, wie Kuno Fischer. Denn daß seine unbewußte
i Übrigens ist erst kürzlih dem Optimismus Schopenhauers von S. Rzewusky eine Studie gewidmet worden (Paris 1911).
Schopenhauer 159
Freude am Leiden nicht weiter ging, als daß seine Anschauung der Welt und die Darstellung derselben pessimistish war, — daß er aber niht in Sack und Asche herumging, sih nicht selbstmordete; ist für uns kein Widerspruh, sondern zeigt nur die Grenze, bis zu welcher er unterlag. Auch der Märtyrer, der Büßer und der, der sich ent- leibt, tut ja letzten Grundes das, was er gerne tut. So war aud für Schopenhauer der Pessimismus schmerzlihe Lust, sein Schimpfen, Tadeln, Moralisieren Triebbefriedigung (man vergleihe den Satz »cela m’amuse, d’etre triste). Glück heißt, seine geistige Persönlichkeit aus- leben, seines inneren Wertes sich bewußt sein. In diesem Sinne durfte vielleiht Kuno Fischer sagen, daß Schopenhauer einer der glück- lihsten Menschen war, aber zu dem Glück gehörte auh — seinen Pes- simismus äußern zu können. »Die shönsten Güter des Lebens waren ihm beschieden: Eine hohe Geistesbegabung, eine völlige Ulnabhängig- keit des Daseins... ., alle Muße, um seinem Genius nadhzuleben und sih seinen Anlagen gemäß auszubilden ... ., die Erfüllung eines erhabenen Berufes in einer Reihe von Werken, deren Unsterblichkeit er mit untrügliher Gewißheit empfand und voraussah, eine in den letzten Jahrzehnten unverwüstlihe Gesundheit . . ., ein hohes, von der Sonne des Ruhmes glänzend erleuctetes und erwärmtes Älter .. endlih ein schneller und sanfter Tod.«
Wir konstatieren freilih viele Passiven in diesem Leben: Die Heiterkeit der Stimmung, das Geben und Empfangen von Liebe, das Arbeiten für andere, — aber wo wäre auch sonst der Pessimismus geblieben!?
Pessimismus und AÄAskese sind für Nietzsche ein Zeichen »niedergehenden Lebenss! Und Schopenhauer war einer jener Minorität von Tischgängern an des Herrgotts Tafel, denen es nicht schmeckt; ihr Kostverahten beweist nicht, daß das Gebotene schlecht ist, sondern — ihre psydho=physishe Konstitution.
I Schlußbetrachtungen.
Nacdıdem wir in psycdoanalytisher Eigenart die Persönlichkeit sowie die Grundzüge der Philosophie Schopenhauers gewürdigt haben, sind wir dem Ziele näher gekommen, das wir uns steckten. Wir wollten am Beispiel Schopenhauers zeigen, daß jeder Zug der lebendigen Persönlichkeit eines Menschen, das Charakteristische seiner Individualität, seine Betätigung, seine Arbeitsweise, seine Ver- schrobenheiten usw., daß all dies, von Vererbung und Einfluß des Er- lebens abgesehen, sich aus seinen schon in der Kindheit zutage treten- den Triebanlagen und seinen Schicksalen, namentlich der Familien- konstellation, erklären läßt. Wir haben auch den Versud intendiert, die Grundzüge einer Philosophie aus dem Unbewußten ihres Schöpfers abzuleiten und die Mechanismen aufzudecken, auf Grund welcher aus all den genannten Komponenten diese einzigartige Weltanschauung
TE
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entstehen mußte. Schopenhauer ershien uns für das hier zu Beweisende ein klassishes Objekt. Es scheint an einer Art Simplizität des Schopenhauerschen Philosophierens, einem Näherstehen des Philosophen zur seelischen Primitivität zu liegen, daß seine Philosophie und ihre Triebwurzeln durdhsictiger sind als bei anderen Metaphysikern. Den Schopenhauerforshern ist dies häufig zu Bewußtsein gekommen. Paulsen glaubt, »es gibt vielleicht nicht einen zweiten Denker, bei dem der Zusammenhang zwishen der Philosophie und Persönlichkeit zugleih von so durcgreifender Bedeutung ist und so klar zutage liegts. Dem Philosophen Schopenhauer war es, wie Keyser- ling kritisch hervorhebt, niht ganz gelungen, »das Empirishe durch die Idee zu überwinden«, wie etwa Hegel und anderen. »>Schopen-= hauers Philosophie ist wirklich ein Selbstbekenntnis, aber sie ist auch keine große Philosophie«, formuliert der so temperamentvoll ab- urteilende Graf Keyserling.
Da unsere psydologishe Betrahtungsweise zum großen Teil aus der Erfahrung ärztliher Psychoanalyse gewonnen und später erst einzelnes davon auf die Psychologie des Schaffenden angewendet wurde, empfiehlt es sih für uns, vor den pathologishen Kompo- nenten, die an der Persönlichkeit Schopenhauers Teil haben, nicht die Augen zu verschließen, wenn sie unsere Analyse fördern. Wir sehen zwar niht mit Schopenhauer im Genie (und im Heiligen) metaphysishe Wunder, sondern mit Nietzsche etwas Mensdlihes,;, wir verwahren uns aber hier gegen den Vor= wurf, daß wir die Großen herabsetzen, das Geniale banalisieren wollen, sondern sind uns deutliih bewußt, daß wir gerade vor dem Wesen der genialen Produktionsfähigkeit respektvoll Halt machen müssen.
Wir wollen nun die pathologischen Züge Shopenhauers zusammenfassend darstellen. So sehr er schon als Jüngling aus dem Munde größter Männer Anerkennung und Voraussage seiner Größe erhielt, und so erfolgreih er auch seinen geistigen Willen zur Madt voll durchgesetzt hat, muß doch sein Bigenlob und sein Selbst- gefühl als maßlos bezeichnet werden.
»Bei mir Widersprühe zu suchen, ist ganz eitel: alles ist aus einem Gußs«, schreibt er an J. A. Becker (1854, über seine Philo- sophie, welhe dodh nach dem Urteil der meisten berufenen Kritiker voll von inneren Widersprühen ist. So schreibt R. Haym am Schlusse seiner diesbezüglihen Ausführungen, daß Schopen= hauer sih durch seine eigenen Voraussetzungen aus den Fugen gehoben habe »und es ist nicht zu viel gesagt, wenn wir behaupten, daß dabei kein Stein auf dem anderen geblieben ist«. Das Wohn handensein zahlreiher Widersprühe im System Schopenhauers beruht teils auf der inneren Spaltung seines Wesens und der eigen= sinnigen Hartnäcigkeit, mit der er an einmal Gesagtem festhielt, aber auch auf seiner Untershätzung der bewußten begrifflihen Durdbildung gegenüber der intuitiven Anschauung.
Schopenhauer 161
Es seien hier zu früher angeführten Beweisstellen noch einige
Belege für dieses übertriebene, an Größenwahn grenzende Selbst= gefühl angeführt:
An Frauenstädt schrieb er:
»Meine Philosophie wird in der Welt eine Rolle spielen wie noc nie irgend» eine andere in alter oder neuer Zeit. —
»Meine Philosophie ist, innerhalb der Schranken der menschlichen Er- kenntnis überhaupt, die wirkliche Lösung des Rätsels der Welt. In diesem Sinne kann sie eine Offenbarung heißen. Inspiriert ist solche vom Geiste der Wahrheit: sogar sind im vierten Buche einige Paragraphen, die man als vom heiligen Geiste eingegeben ansehen könnte.« (N, P. $ 701).
»Mir ist unter den Menschen fast immer, wie dem Jesus von Nazareth war, als er die Jünger aufrief, die immer alle schliefen« (Dresden 1816.)
Schopenhauer hat sich ja selbst für den Stifter einer neuen Heils- und Erlösungslehre angesehen, sich selbst gleihsam als den abendländishen Buddha betrachtet, als den künftigen Gegenstand eines Bilder- und Reliquienkultus und hat seine Schüler und An- hänger allen Ernstes »als Apostel und Evangelisten!« bezeichnet (Kuno Fischer.)
Verrät Schopenhauer in der Jugend nod einige Neigung zur Geselligkeit, so nahm mit dem Übergang ins Mannesalter sein Zu= rückziehen auf sich selbst geradezu krankhafte Formen an und von da an mehren sih auch die Äußerungen, welche diesen unbe- wußten Drang durch die et der Welt und Menschen in
sozusagen paranoisher Weise rechtfertigen sollen.
»In einer Welt, wo wenigstens fünf Sechstel Schurken und Narren und Dummköpfe seyen, müßte für jeden des letzten Sechstels und zwar um so mehr, je weiter er von andern abstehe, die Basis seines Lebenssystems Zurükgezogen= heit sein. Wenn man nicht ein Spiel in der Hand jedes Buben und der Spott jedes Narren seyn wollte, so sei die erste Regel: zugeknöpft. Was ein Mensch wie er fühle und denke, habe keine Ähnlihkeit mit dem was jene dächten und fühlten.« (Nach Seidlitz.)
Fin solhes hypertrophisches Ihgefühl kommt gerade durch das Zurückziehen der sonst der Umwelt zugewendeten Liebe auf das eigene Ich zustande. Man könnte bei Schopenhauer von einer Art autistishen« Wesens {Bleuler) sprechen, so sehr ignoriert er die Umwelt zugunsten seines eigenen Innern und hält an seinem Träumen und Grübeln unentwegt fest. Wo er die Welt nicht ignorieren kann, wo er ihr nicht durch Libidoentziehung die Realität nehmen kann (»die Welt als Vorstellungs), da beschimpft er sie oder empfindet sie feindselig.. Wir haben beim Pessimismus darauf hingewiesen, daß Schopenhauer die feindlihe Beziehung zur Welt (wie zu seiner Mutter) erst sekundär eingenommen hat, nahdem er sich erwartungsvoll zärtlih hat nähern wollen, aber enttäuscht wurde. Diesen Mechanismus hat Freud aus der Analyse eines hodhintelli- genten Paranoikers abgeleitet, der sich gleichfalls ein, wenn aud
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verücktes, Weltgebäude entworfen hat.! Abgesehen vom Pessi- mismus, von dem Reindseligfühlen der Welt, finden sich tatsächlich Be- einträchtigungsideen? bei Schopenhauer, und zwar am deut- lihsten gegenüber den Philosophieprofessoren (Paulsen). Er hielt sie allen Ernstes für vershworen gegen sich: Seine Schriften würden nicht nur ignoriert, sondern auc »sekretiert« (absichtlih geheim gehalten).
Deutlih krankhaft waren Schopenhauers Ängstgefühle, die wir bereits ausführlih geschildert haben. Man könnte Schopen- hauer direkt als Ängst-Kranken bezeichnen. Nicht nur die Ängst- Anfälle, die Träume, die Phobien seines späteren Lebens sind gemeint, sein ganzes Wesen ist durchtränkt von auf verdrängter Sexualität und Äggresion beruhender Angsteinstellung und Unheils- erwartung, gegen die alle möglichen Schutzmaßregeln ergriffen werden.
Die eigenartige Stimmungslage Schopenhauers, von der wir schon in seiner Jugend Erwähnung tun hören, erinnert an das von der beschreibenden Schulpsyciatrie aufgestellte Bild der »konsti- tutionellen Verstimmung«, das eine erklärende und genetische Wissen= schaft jedesmal, wie wir hier, auf ihre Psydhogenese wird zurück= führen müssen. Es sei die Scilderung dieser Zustände hier mit den Worten Kraepelins zum Vergleih wiedergegeben: »Die konstitutionelle Verstimmung ist gekennzeihnet durh eine andauernd trübe Gefühlsbetonung aller Lebenserfahrungen ... Die Kranken haben eine besondere Empfänglihkeit für die Sorgen, Mühsale und Täushungen des Lebens .. . Das Leben, die Tätigkeit ist eine Last, die sie mit pflihtmäßiger Selbstver- feugnung gewohnheitsmäßig tragen, ohne durh die Lust am Dasein ... . entshädigt zu werden. Die gesamte Lebensführung der Kranken wird durh ihr Leiden erheblih beeinflußt. Sie sind unentsclossen, langsam, gehemmt durd ihre trübe Lebensauffassung;; jede Regung von Leicdtherzigkeit oder Wagemut wird erstickt durh das Zurükschrecken vor Verantwortung, durh die Furdt vor den entferntesten Möglichkeiten. Sie entwickeln nicht selten Schrullen und Eigenschaften, die in irgendeiner Beziehung zu der Verstimmung stehen und Schutzmaßregeln bedeuten, durh welcde sih der Kranke über die inneren Schwierigkeiten hinwegzuhelfen sucht ... .. Bei einer Gruppe von Fällen wird das Gefühlsleben dauernd von einer mißmutigen, gereizt galligen und verbitterten Stimmung beherrscht. Regelmäßig besteht dabei ein stark erhöhtes Selbstgefühl. Die Kranken sind leicht beleidigt, empfindlih, schwer
! D. P. Schreber: »Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken«, 1903.
° Mißtrauish, empfindlih und »paranoisch« findet man häufig Menschen, die in ihrem Gehör stark gestört sind. Es sei daher hier ergänzt, daß Schopen- hauer wie sein Vater an Gehörsstörungen litt, welcher Erbfehler, wie er sagt, ihn schon im Jünglingsalter und allezeit belästigt hat. Mit fünfunddreißig Jahren wurde sein rechtes Ohr beinahe völlig taub, im vierundsechzigsten Lebensjahr begann auch das linke allmählich sich zu vershlehtern. Aud für Schopenhauers gesellshaftlihe Isolierung muß dies eine Rolle gespielt haben.
Schopenhauer 163
zu behandeln, mißtrauish, nörgelnd, streitsühtig und unzufrieden. Sie sind unbotmäßig gegen die Obrigkeit, rechthaberish, wollen alles besser wissen. Bei einzelnen Kranken tritt ganz besonders eine
krampfhafte Zornmütigkeit in den Vordergrund ... Einzelne Kranke sind sogar sehr begabt, oft mit ausgeprägten künstlerischen und schöngeistigen Neigungen .. . Mandhe vermögen auh auf
geistigem Gebiet Genügendes und selbst Bedeutendes zu leisten.«
Der profunde Uhntershied, den wir hier nicht näher auf- klären können und der nur ein glückliches Sichhinaussetzen über dieses drohende Schicksal dauernder Erkrankung war, liegt in der genialen Begabung und konzentrierten, zielbewußten Leistungs- und Arbeitsfähigkeit bei Schopenhauer, gegenüber der leiht zusammen-= brehenden neurasthenischen Halbheit der Patienten. —
Gehen wir nun an den Versuh heran, verständliih zu machen, wie ein Philosoph und wie aus ihm wieder ein philo= sophishes System sih bilde, so hat hier Schopenhauer selbst im Sinne unserer psychologishen Erkenntnis vorgearbeitet. Wir leiten die philosophische Geistestätigkeit aus jenem kindlichen Forshungstrieb ab, der dem Entstehen und Vergehen, dem Woher und Wieso sih fragend zuwendet. Wir müssen an-= nehmen, daß ein Forshungstrieb von besonderer Intensität, von der Sexualforshung abgelenkt, als philosophisher Trieb nad Erkenntnis wiederkehrt und nun die intellektuellen Operationen mit Lust betont sind!. Das Leben muß enttäuscht haben, um bei diesen Problemen bleiben zu lassen und dem Denken vor dem Handeln den Vorzug zu geben. Wir haben schon erwähnt, daß Schopenhauer in jungen Jahren, da das Leben ihm »eine mißlihe Sahhes schien, beshloß, es mit Nachdenken darüber hinzu=
bringen.
»Erst nachdem wir mit der wirklihen Welt in gewissem Grade entzweit und unzufrieden sind, wenden wir uns um Befriedigung an die Welt des Ge- dankens.«
»Das philosophische Staunen ist im Grunde ein bestürztes und betrübtes die Philosophie hebt, wie die Ouverture zu »Don Juan«, mit einem Moll- akkord an.
»Nur der Mangel erhebt über dih selbst dich hinweg, (Goethe). So lange man hat, was den Willen befriedigt, oder nur Befriedigung verspricht, kommt es zu keiner genialen Produktion: denn die Aufmerksamkeit ist auf die eigene Person gerichtet. Nur wenn die Wünsche und Hoffnungen zunichte werden, unabänderliche Entbehrung sich zeigt und der Wille unbefriedigt bleiben muß, nur dann fragt man sih: Was ist diese Welt?
Wer nur geringe, shwade, leicht zu befriedigende Wünsche hat, wird immerhin befriedigt und fest gehalten und kommt zu keiner Kontemplation. Nur
! Zu dieser Auffassung vergleihe den Ausspruh Nietzsches: »Ich glaube nicht, daß ein ‚Trieb zur Erkenntnis‘ der Vater der Philosophie ist, sondern daß sih ein anderer Trieb, hier wie sonst, der Erkenntnis (und der Verkenntnis) nur wie eines Werkzeuges bedient hat.«
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wer gewaltig strebt, muß entweder ein Welteroberer oder großer Glücsritter werden oder untergehn, oder aber er kann, besonders wenn sein Streben durch gar nichts auf der Welt befriedigt werden kann, zur Kontemplation gelangen.«
Gerade bei Personen mit heftig gesteigertem Triebleben finden wir in der Pathologie die Neigung zu Todesgrübelei und überhaupt zur reaktivien Wendung vom Sinnlichen zum Übersinn- lichen. So kann gerade der Sadistishe nah unseren Erfahrungen am ehesten zur Zwangsneurose kommen. Angst und Tod werden bei so Veranlagten als notwendige Reaktionen auf verdrängte
rausame Todes- und Rahewünshe gegen Personen der nächsten
sn zu Hauptthemen. Ganz in Analogie zu solchen Zwangskranken, denen Freud einen Mißbrauh des Denkens nachsagt, finden wir in der Form des Überwertigen bei Schopen- hauer neben seinem unterdrücten, heftigen Triebleben, wie eine Reaktion und einen Ersatz, sein philosophisches System einscließlich der Ethik. !
Es dürfte für die meisten spekulativen Philosophen gelten, daß sie, wie die Zwangsneurotiker, deshalb mit Vorliebe über übersinnliche Dinge grübeln, namentlih über Tod und Jenseits, weil das Denken ursprünglih erfüllt war von sinnlihen Vorstellungen. Die Energie der sexuellen Impulse wurde dann vom anstößigen Inhalt der Vor- stellungen auf das Vorstellen selbst vershoben, das Denken sozu= sagen sexualisiertt. Von anderen psychischen Besonderheiten der Zwangskranken zeigt Schopenhauer Zweifelsuht und Unent- schlossenheit, ferner einen bei einem Vielwisser und Ungläubigen doppelt auffallenden Aberglauben. Nidht nur glaubt er an die Br scheinungen des Geistersehens und des Spiritismus, er verteidigt auch den unvertilgbaren Hang der Menschen auf Omina zu achten, ihr Bibelaufshlagen, Kartenlegen u. dgl. Die Assekuranzprämie seiner Lebensversicherung ist ihm »ein öffentlih und von Allen auf dem Altar der bösen Dämonen gebradhtes Opfer.« (P. I. p. 527.) Für die bedeutsame Beziehung des Aberglaubens zum Thema des Todes, die Freud bei den Zwangskranken aufgedeckt hat, zeugen folgende Erlebnisse, in denen Schopenhauer die Warnung vor einem zukünftigen Schicksal erbliken wollte. Der Traum scheint die von uns vermutete gleihgeschlecdtlihe Einstellung Schopenhauers anzudeuten, die Vision ist geeignet, die verdrängten Todeswünsce auf die Eltern zu beweisen.
! Um den Gegensatz zwischen dem Bedürfnis sih auszuleben und dem Bedürfnis nach philosophischer Erkenntnis der Welt zu charakterisieren, sei eine Stelle aus dem Roman »Ssanin« von Artzibaschew zitiert, der für das Aus- leben eine Lanze bricht:
»Mein Leben, das sind meine Empfindungen die angenehmen und die un- angenehmen. Und was hinter ihren Grenzen liegt, ih spucke drauf, welche Hypo= these wir auch hinstellen mögen, es bleibt immer nur Hypothese und auf dieser Grundlage sein Leben aufbauen, das wäre Dummheit. Wem es Bedürfnis ist, der mag sih dafür absorgen, ih aber will leben.«
Schopenhauer 165
»Und um der Wahrheit in jeder Gestalt und bis an den Tod zu dienen, schreibe ich auf, daß ich in der Neujahrsnaht zwischen 1830 und 1831 folgenden Traum gehabt, der auf meinen Tod in gegenwärtigem Jahre deutet. — Von meinem sechsten bis zu meinem zehnten Jahr hatte ich einen Busenfreund und steten Spiel- kameraden ganz gleihen Alters, der hieß Gottfried Jänisch, und starb, als ich, in meinem zehnten Jahr, in Frankreih war. In den letzten dreißig Jahren habe ich wohl höchst selten seiner gedaht. — Aber in besagter Nacht kam id in ein mir unbekanntes Land, eine Gruppe Männer stand auf dem Felde und unter ihnen ein erwachsener schlanker, langer Mann, der mir, ih weiß nicht wie, als eben jener Gottfried Jänisch bekannt gemacht worden war, der bewillkomm=- nete mich.
(Dieser Traum trug viel bei, mih zu bewegen beim Eintritt der Cholera 1831 Berlin zu verlassen: er mag von hypothetisher Wahrheit, also ein Warnung gewesen seyn, d. h. wenn ich geblieben wäre, wäre ich an der Cholera gestorben.) |
Gleih nah meiner Ankunft in Frankfurt hatte ich eine vollkommen deut= lihe Geisterersheinung: es waren (wie ich glaube) meine Eltern, und deutete an, daß ich jetzt die damals noch lebende Mutter überleben würde, der schon tote Vater trug ein Liht in der Hand.« (N. P. $ 194.)
In bezug auf diese Träume bemerkt Frauenstädt (Memora= bilien, p. 202). »Wie Schopenhauer in den magishen Wirkungen die Allmacht des Willens sah, so sah er in den Ahnungen, den fatidiken Träumen, den das Abwesende und Zukünftige shauenden Visionen ‚unsere Ällwissenheit'«.
Eine Eigenart des Zwangsdenkens ist auh ein auf der Emp- findung der Allmacht der Gedanken beruhender Glaube an magische Beeinflussungen anderer Personen. Dieses Bedürfnis, die Gedanken zu Kräften zu machen, finden wir gewissermaßen in Schopenhauers Grundauffassung wieder. Die ganze mädtige objektive Sinnenwelt ist nichts anderes als ein Produkt unseres Denkens: Die Welt ist meine Vorstellung. Daß die Welt anderseits Wille <= das Unbe= wußte) ist, — der Titel des Hauptwerkes faßt beides zusammen — weist auf die von uns hervorgehobene Projektion des Zwiespalts vom Bewußten und Unbewußten bei Schopenhauer in sein System, das die ganze Welt unter diesem Doppelglas betrachtet. — »Wie der Philosoph selber ein Doppelwesen ist, so wird er die Welt unter dem Gesichtspunkt dieser Doppelheit betrachten: als Wille und Vor- stellung. Überall wird er diesen großen Gegensatz wiederfinden und aufzeigen: in der theoretischen Philosophie ist es der Gegensatz vom Ding an sich und Erscheinung, in der Metaphysik von Körper und Wille, in der Ästhetik von Idee und Individuum, in der praktishen Philosophie von egoistischer Willensbejahung und überindividualisti- sher Willensverneinung.« (Paulsen.)
So kommen wir immer näher unserem Ziel zu zeigen, daß das, was der Philosoph für die objektive Wahrheit, für letzte Lösungen des Welträtsels ansieht, zunächst nur individuellste Zwangsgedanken- bildung und deren Projektion vorstellt, daß seine eigensten Affekte ihn in bestimmte Richtungen zwingen. Schopenhauer zeigt so
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deutlih die von Rosa Mayreder hervorgehobenen »beiden, das menschliche Geistesleben in seinen Untergründen am stärksten binden- den Eigentümlichkeiten: die Abhängigkeit alles Denkens von der angeborenen Eigenart und die Neigung, die Ergebnisse des eigenen Denkens für objektive Wahrheiten zu halten.«
Und Paulsen sagt in ähnlihem Sinne:
»Ih glaube nicht, daß es einen Fall gibt, an dem man den Einfluß des Affektes auf das Denken besser als an Schopenhauer studieren kann.«
Es ist dies keine neue Weisheit, die wir hier propagieren; der Subjektivismus philosophisher Betrachtungen ist ja längst in die Anschauungsweise der Einsihtigen übergegangen. Wenn Zola von der Kunst gesagt hat, sie wäre ein Weltbild, gesehen durch ein Temperament, so ist die Philosophie, nah Simmel, ein Temperament, gesehen durh ein Weltbild. Auch Goethe hat sehr hübsh die Philosophen mit den Ärzten verglihen, die uns etwas verbieten oder vorschreiben, je nachdem sie selbst es hassen oder lieben. »Der eine ist zum Stoiker geboren, gelangt deshalb zum Stoizismus und ebenso wird der andere Epikuräer;, die strenge Mäßigkeit Kants fordert eine Philosophie, die diesen seinen angeborenen Neigungen gemäß war. Jedes Individuum hat vermittels seiner Neigungen ein Recht zu Grundsätzen, die es als Individuum nicht aufheben. Hier oder nirgends wird wohl der Ursprung aller Philosophie sein.« (Falk, Biedermann, IV., p. 314.)
Dies gilt nah dem radikalen Nietzsche, der im Denken nur ein »gewißes Verhalten der Triebe zueinanders, in der Ver- nunft u ihren Gesetzen nicht viel mehr als ein »grammatisches Vorurteil« sieht, sogar für moralishe Grundsätze:
»Es gibt Moralen, welhe ihren Urheber vor anderen recht- fertigen sollen, andere Moralen sollen ihn beruhigen und mit sic zufrieden stimmen, mit anderen will er sih selbst ans Kreuz schlagen und demütigen, mit anderen will er Radhe üben, mit anderen sich verstecken, mit anderen sih verklären und hinaus, in die Höhe und Ferne setzen, diese Moral dient ihrem Urheber, um zu vergessen, jene, um sich oder etwas von sich vergessen zu machen, Kant gibt mit dieser Moral zu verstehen, »was an mir achtbar ist, das ist, daß ich gehorhen kann — und bei eudh soll es nicht anders stehen als bei mir! — Kurz die Moralen sind audh nur eine Zeichensprache der Äffekte«. (»Jenseits von Gut und Böse«.)
Wir haben bisher nicht näher ausgeführt, in welchem Bild wir es anshaulih machen könnten, wie das in der Seele Geschaute — und bekanntlih kann man so recht nur in die eigene Seele schauen — unwillkürlih erfaßt, zu Gedanken, Worten werden kann und als Metaphysik oder Religion Gestalt und Geltung findet. Freud hat den genialen Gedanken ausgesprohen, »daß ein großes Stück der mythologishen Weltauffassung, die weit bis in die modernsten
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Religionen hineinreicht, nichts anders ist, als in die Außenwelt projizierte Psychologie. Die dunkle Erkenntnis (sozusagen: endopsyhishe Wahrnehmung) psychischer Faktoren und Verhält- nisse des Unbewußten spiegelt sih in der Konstruktion einer übersinnlichen Realität, welhe von der Wissenschaft in Psy- chologie des Unbewußten zurükverwandelt werden soll. Man könnte sich getrauen, die Mythen vom Paradies und Sündenfall, von Gott, vom Guten und Bösen, von der Unsterblichkeit u, dgl. in solher Weise aufzulösen, die Metaphysik in Metapsychologie umzusetzen«,
Solhe unbewußte Projektionen endopsyhisher Wahrnehmungen spielen offenbar bei allen Aussagen von sih und den Menschen, allen Verallgemeinerungen eine Rolle und es ist dem Menschen gar nicht anders möglih, als anthropomorphish zu denken. Aud hier werden wir übrigens erinnert an die Symptombildung Paranoisher, zu deren Erklärung Freud gleichfalls jene »Projektion innerer (unterdrückter) Wahrnehmungen nah außen« herangezogen hat. Man muß uns gestatten, auf diese Analogien aus der Pathologie hinzuweisen; denn gerade dort konnte die Psydhoanalyse zuerst deutlih und gründlihst die Mechanismen studieren, Die mißlungenen, philoso- phishen Systeme und Kosmogonien, die die Psychoanalyse jetzt kunstvoller Weise bei den ganz in sih eingesponnenen Paraphre= nikern durchleuchtet hat, sind nur das pathologishe Zerrbild der offenbar aus ähnlihen Komplexen und mit Hilfe analoger Medha- nismen entworfenen Weltbilder ernst zu nehmender und über- ragender Philosophen. Bei den Kranken läßt sich aber deutlih nad- weisen, daß es verdrängte Vorstellungen sexueller Natur sind, die eine solhe Zurückziehung und spätere Projektion in die Außenwelt erfahren und als mehr weniger unkenntlihe Vergeistigungen banalster körperliher und psychischer Dinge erscheinen.
Schopenhauers Werk ist also im wesentlichen als ein Abbild — sei es nun ein Positiv oder ein Negativ — seines eigensten Wesens. Seine Metaphysik ist das riesenhafte Abbild seines tiefinnersten Naturells. »Ich habe,s sagt Schopenhauer, »den Satz umgekehrt, mit dem man seit den ältesten Zeiten den Menschen als Mikrokosmos angesprohen hat. Ich habe die Welt als Makranthropos nachgewiesen«,
Alle Philosophie ist letzten Grundes eine Selbstbetrachtung. Mit der Wohlgefälligkeit, mit der Narzißus sih im Wasser spiegelt oder mit der ein Vater sich in den ähnlihen Zügen seiner Kinder wiederliebt, erscheint im System des Philosophen die Physiognomie seines Wesens wieder, Schopenhauer war, wie Seidlitz sagt, »von seinem Hauptwerke bis zum Fanatismus entzükt: es war das einzige in der Welt, was er wahrhaft liebte und in welchem er sih selber liebte«. Bei keinem anderen Philosophen mag dies so grob deutlich ins Auge springen, daß »das A und OÖ seiner Philo- sophie, das Zentrum, auf welches sich alles bei ihm bezieht, wohin
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auc der fernste Ausblick reflektorish zurückweist, Arthur Schopen- hauers Person ist«. (Keyserling.)
In den vorstehenden Ausführungen wurde gezeigt, wie das Unbewußte, daß sih in der Persönlichkeit und so deutlih in den pathologishen Zügen Schopenhauers manifestierte, auh in der Form der Projektion zur Syerchitildung geführt hat. Das psycdo- logishe Genie Schopenhauers hat das gerade in ihm besonders wirksame und lebendige Unbewußte nicht nur in sich selbst (endo= psychish) wahrgenommen, sondern auh — freilih nur brudhstück-= weise — an einzelnen Lebensphänomenen erkannt.
Vor allem war es der Traum, der ihm, wie wir bereits an Beispielen zeigen konnten, wiederholt tiefsten Eindruk machte, Schon in der Grundlegung seiner Lehre tritt er als wichtiges Problem auf, welches er in seinem Aufsatz »Über das Geistersehen und was damit zusammenhängt« zu lösen glaubte. Das Anshauungsvermögen des Genies erscheint ihm fast identish mit dem » Traumorgan«, von dem er aussagt, es lasse in der Zukunft lesen.
Audh gewisse, charakteristisherweise meist vom Traumleben ausgehende Beobadhtungen Schopenhauers lesen sih, wenn man nur von den daraus gezogenen metaphysishen Konsequenzen abzu= sehen weiß, als hätte der Philosoph ein deutlihes Empfinden eines unbewußten Seelenlebens gehabt:
»Es gibt etwas, das jenseits des Bewußtseins liegt, aber zuzeiten in das- selbe hereinbriht, wie ein Mondstrahl in die umwölkte Nadt. Alsdann be= merken wir, daß unser Lebenslauf uns ihm weder näher noch ferner bringt, der Greis ihm so nahesteht wie das Kind und werden inne, daß unser Leben zu ihm keine Parallaxe hat, so wenig wie die Erdbahn zu den Fixsternen.« (N. P. & 145.)
»Wenn wir aus einem uns lebhaft affizierenden Traum erwacden, so ist, was uns von seiner Nichtigkeit überzeugt, nicht sowohl sein Verschwinden, als das Aufdeken einer zweiten Wirklihkeit, die unter jener, uns so sehr be=- wegenden verborgen lag und nun hervortritt. Wir haben eigentlih alle eine bleibende Ahndung oder Vorgefühl, daß auch unter dieser Wirklichkeit, in der wir leben und sind, eine zweite ganz andre verborgen liegt . . .x (N. P. $ 146.)
»Das Bewußtsein ist die bloße Oberfläche unseres Geistes, von welchem, wie vom Erdkörper, wir nicht das Innere, sondern nur die Schale kennen.«
Diese und ähnliche Stellen, sowie sein intensives Interesse für Magie, Hellsehen, Tishrüken etc. ein deutlihes Vorgefühl von der mäctigen Einwirkung unbewußten Seelenlebens.
Schopenhauer interessierte sih auch schon frühzeitig für Abnormitäten der Psyche. Es wird berichtet, daß er wiederholt die Charite besuht habe, wo zwei Melandoliker sein besonderes Interesse erregt hatten. Er wies in Polemik gegen Fichte schon auf die Zusammenhänge zwishen Genie und Irrsinn hin. Am überraschendsten ist aber sein Versuch einer Erklärung des Wahn- sinns, welcher die Lehre von der Verdrängung peinliher Vor- stellungen ins Unbewußte als Veranlassung der Psychoneurosen und
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mancher Geisteskrankheiten deutlih ausspriht! und auffallendste Analogien zu den Lehren Freuds aufweist.
Im ersten Band seines Hauptwerkes ($ 36) behandelt Schopen- hauer auh die Verwandtschaft von Genialität und Wahn- sinn und sagt von den genialen Menschen direkt: »Daher endlich sind sie zu Monologen geneigt? und können überhaupt mehrere Schwächen zeigen, die sih wirklih dem Wahnsinn nähern.« Im An- schluß daran hebt er als Wesen des Wahnsinns eine Schädigung des Gedäcdtnisses hervor und zwar in dem Sinne,
»daß der Faden des Gedäctnisses zerrissen, der fortlaufende Zusammenhang desselben aufgehoben und keine gleihmäßig zusammenhängende Rücerinnerung
der Vergangenheit möglich ist... in ihrer Rückerinnerung sind Lücken, welche sie dann mit Fiktionen ausfüllen ... . Immer mehr vermischt sich in seinem Ge- dächtnisse Wahres mit Falshem ... der Einfluß dieser falschen Vergangenheit verhindert nun auh den Gebrauh der rihtig erkannten Gegenwart... Daß
heftiges geistiges Leiden, unerwartete entsetzlihe Begebenheiten häufig Wahn- sinn veranlassen, erkläre ich mir folgendermaßen. Jedes solches Leiden ist immer als wirklihe Begebenheit auf die Gegenwart beschränkt, also nur vorübergehend und insofern noch immer nicht übermäßig schwer: überschwänglich groß wird es erst, sofern es bleibender Schmerz ist: aber als solcher ist es wieder allein ein Gedanke und liegt daher im Gedächtnis: wenn nun ein solher Kummer, ein solches schmerzlihes Wissen, oder Andenken, so qualvoll ist, daß es schledter- dings unerträglich fällt, und das Individuum ihm unterliegen würde — dann greift die dermaßen geängstigte Natur zum Wahnsinn als zum letzten Rettungs- mittel des Lebens: der so sehr gepeinigte Geist zerreißt nun gleihsam den Faden seines Gedäctnisses, füllt die Lücken mit Fiktionen aus und flüchtet so sih von dem seine Kräfte übersteigenden geistigen Schmerz zum Wahnsinn ... Ein shwades Analogon jener Art des Überganges vom Schmerz zum Wahnsinn ist dieses, daß wir Alle oft ein peinigendes Andenken, das uns plötzlich einfällt, wie mecanish, durh irgend eine laute Äußerung oder Bewegung zu ver- scheudhen?, uns selbst davon abzulenken, mit Gewalt uns zu zerstreuen sudhen«.
Zeigt schon diese ihrer Wichtigkeit wegen so ausführlich zitierte Stelle deutlih Schopenhauers Verständnis für die Verdrängung peinlicher Vorstellungen aus dem Bewußt- sein und ihre Bedeutung für die Entstehung seelischer Störungen, sowie für die determinierende Bedeutung des Wunscdlebens, das unter Ulmständen zur Flucht des Individuums in die Krankheit führt, so enthält die Erläuterung hiezu im zweiten Band seines Haupt- werkes (Kap. 32) eine ausgezeichnete Formulierung der Verdrän- gungslehre, sogar mit Berücksichtigung des Begriffes Er »mißglückten Verdrängungs (Freud):
' Auf die Übereinstimmung dieser Schopenhauershen Auffassung mit der psydoanalytishen hat zuerst Rank (Zentralbl. f. Psa., I. Bd., p. 69 ff.) hin- gewiesen. Die Parallele zwishen Schopenhauer und Freud bringt dann Hin- richsen in seiner Arbeit: »Zur Psychologie und Psychopathologie des Dichters« (Wiesbaden, 1911). Auf Juliusburgers einshlägige Ausführungen (Allg. Zeit- schrift f. Psychiatrie, 1912) ist oben im Text verwiesen.
? Daß Schopenhauer häufig laute Selbstgesprähe auf der Straße führte,
a darauf hinzudeuten, daß er diese Beobahtungen an der eigenen Person machte.
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»Die im Texte gegebene Darstellung der Entstehung des Wahnsinns wird faßliher werden, wenn man sich erinnert, wie ungern wir an Dinge denken, welche unser Interesse, unsern Stolz, oder unsere Wünsche stark ver- verletzen, wie schwer wir uns entschließen, Dergleihen dem eigenen Intellekt zu genauer und ernster Untersuhung vorzulegen, wie leiht wir dagegen unbe- wußt davon wieder abspringen, oder abscleichen, wie hingegen angenehme Angelegenheiten ganz von selbst uns in den Sinn kommen und, wenn ver- scheudt, uns stets wieder beschleichen, daher wir ihnen stundenlang nachhängen. In jenem Widerstreben des Willens, das ihm Widrige in die Be- leuchtung des Intellekts kommen zu lassen, liegt die Stelle, an welcher der Wahnsinn auf den Geist einbrechen kann. Jeder widrige neue Vorfall nämlich muß vom Intellekt assimiliert werden, d.h. im System der sih auf unseren Willen und sein Interesse beziehenden Wahrheiten eine Stelle erhalten, was immer Befriedigenderes er auh zu verdrängen haben mag. So= bald dies geschehen ist, schmerzt er schon viel weniger: aber diese Operation selbst ist oft sehr schmerzlich, geht auch meistens nur langsam und mit Wider- streben vonstatten. Inzwischen kann nur, sofern sie jedesmal ridhtig voll- zogen werden, die Gesundheit des Geistes bestehen. Erreicht hingegen, in einem einzelnen Fall, das Widerstreben und Sträuben des Willens wider die Aufnahme einer Erkenntnis den Grad, daß jene Operation nicht rein durch- geführt wird, werden demnah dem Intellekt gewisse Vorfälle oder Umscdläze völlig untershlagen, weil der Wille ihren Anblick nicht ertragen kann, wird alsdann, des notwendigen Zusammenhanges wegen, die dadurch entstandene Lücke beliebig ausgefüllt, — so ist der Wahnsinn da. Denn der Intellekt hat seine Natur aufgegeben, dem Willen zu gefallen: der Mensch bildet sich jetzt ein, was nicht ist. Jedoch wird der so entstandene Wahnsinn jetzt der Lethe uner= trägliher Leiden: er war das letzte Hilfsmittel der geängstigten Natur, d. i. des Willens ...
Der obigen Darstellung zufolge kann man also den Ursprung des Wahn= sinns ansehen als ein gewaltsames »Sich aus dem Sinn schlagen« irgendeiner Sache, welches jedoh nur möglih ist mittels des »Sich in den Kopf setzens irgend einer anderen. Seltener ist der umgekehrte Hergang, daß nämlih das »Sich in den Kopf setzen« das Erste und das »Sih aus dem Sinn schlagen« das Zweite ist. Er findet jedoh statt in den Fällen, wo einer den Anlaß, über welhem er verrückt geworden, beständig gegenwärtig behält und niht davon loskommen kann: so z. B. bei mandhem verliebten Wahnsinn, Erotomanie, wo dem Anlaß fortwährend nachgehangen wird; auch bei dem aus Schrek über einen plötzlichen, entsetzlihen Vorfall entstandenen Wahnsinn. Solhe Kranke halten den gefaßten Gedanken gleihsam krampfhaft fest, so daß kein anderer, am wenigsten ein ihm entgegenstehender, aufkommen kann. Bei beiden Hergängen bleibt aber das Wesentlihe des Wahnsinns das Selbe, näm- lih die Unmöglichkeit einer gleihförmig zusammenhängenden Rücerinnerung, wie solche die Basis unserer gesunden, vernünftigen Besonnenheit ist. — Vielleicht könnte der hier dargestellte Gegensatz der Entstehungsweise, wenn mit Urteil angewandt, einen scharfen und tiefen Einteilungsgrund des eigentlihen Irr=- wahns abgeben.
Übrigens habe ih nur den psychischen Ursprung des Wahnsinns in Be- tracht genommen, also den durch äußere, objektive Anlässe herbeigeführten. Öfter jedoch beruht er auf rein somatishen Ursachen ... Jedoch werden beider- lei Ursachen des Wahnsinns meistens voneinander partizipieren, zumal die psy- chishe von der somatishen . . . Ich habe die psychische Entstehung des Wahnsinns dargelegt, wie sie bei dem, wenigstens allem Anschein nah, Ge-
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sunden durch ein großes Unglück herbeigeführt wird. Bei dem somatisch bereits stark dazu Disponierten wird eine sehr geringe Widerwärtigkeit dazu hin= reihend sein ... . Bei entschiedener körperliher Anlage, bedarf es, sobald diese zur Reife gekommen, gar keines Änlasses. Der aus bloß psydhishen Ursahen entsprungene Wahnsinn kann vielleiht, durch die ihn erzeugende, gewaltsame Verkehrung des Gedankenlaufes, auh eine Art Lähmung oder sonstige Depra- vation irgendwelcher Gehirnteile herbeiführen, welche, wenn nicht bald gehoben, bleibend wird; daher Wahnsinn nur im Anfang, nicht aber nad längerer Zeit heilbar ist.
Wie weit Schopenhauer außerdem ein Vorläufer der Freud- shen Erkenntnis des Unbewußten und anderer psychoanalytischer Einsihten war, zeigte Juliusburger, der nebst anderem auf die von Schopenhauer bereits erkannte fundamentale Bedeutung der Sexualität, sowohl für die Entstehung seelisher Störungen als auch für das Begehen von Verbrehen hinweist.
Steht das eigentlih Unbewußte in engster Beziehung mit dem Triebartigen im Masten so mußte ja Schopenhauer die unge= heure Bedeutung der Sexualität klar werden, die, wie wir wissen, bei ihm besonders stark und eigenartig ausgebildet war. Wir haben shon früher Worte Schopenhauers zitiert, welche diese Bedeu= tung für die menshlihe Psyhe im weitesten Umfang anerkennen. Dafür ist ja auch ein Beweis, daß Schopenhauer die »Meta- physik der Gesclectsliebes geschrieben hat. Es ist kein Zufall, daß er gerade über dieses Thema sehr viel nahgedaht und gegrübelt hat. Er scheint damit zu bestätigen, daß dies vielleicht in seiner frühen Kindheit das Thema seiner ersten Forshung war. Nicht jeder hat aber gegenüber der Sexualität ein metaphysisches Bedürfnis, vielleiht ist es in Analogie zu unseren früheren Äus- führungen auh hier Verwundern, Leiden, Unbefriedigtsein, was nach Hintergründen suchen läßt.
Schopenhauer selbst hat sein philosophisches Schaffen als ein unbewußtes bezeichnet und auf diese Entstehungsweise hin den Re- sultaten den größtmöglichen Wahrheitsgehalt zugesprochen. Versichert er auch gelegentlih (in seinen Cogitata) »Alle Gedanken, welche ic aufgeschrieben, sind auf äußeren Anlaß, meistens auf einen anshau= lihen Eindruck, entstanden und vom Objektiven ausgehend nieder- geschrieben«, so stehen dem doc eine Anzahl von Bekenntnissen gegenüber, aus denen die persönliche, intuitive Art seines Schaffens unzweifelhaft erhellt. Außer den shon an anderer Stelle ange= führten Bemerkungen über die unbewußte Triebkraft seines Schaffens, sei hier auf eine der prägnantesten Stellen hingewiesen (N. P. % 630):
»Unter meinen Händen und vielmehr in meinem Geiste erwäcdst ein Werk... wäcst, konkresziert allmählih und langsam, wie das Kind im Mutterleibe: ich weiß nicht, was zuerst und was zuletzt entstanden ist... . Ich werde ein Glied, ein Gefäß, einen Teil nah dem anderen gewahr, d. h. id schreibe auf, unbekümmert wie es zum Ganzen passen wird: denn ich weiß, es ist alles aus einem Grunde entsprungen ..... Ih, der ich hier sitze, den
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meine Freunde kennen, begreife das Entstehen des Werkes nicht, wie die Mutter niht das des Kindes in ihrem Leibe begreift.«
Und an anderer Stelle (N. P. $ 652):
»Was mir die Echtheit und daher die Unvergänglichkeit meiner Philo- sopheme verbürgt, ist, daß ich sie gar nicht gemacht habe, sondern sie haben sich selbst gemacht. Sie sind in mir entstanden ganz ohne mein Zutun, in Mo= menten, wo alles Wollen in mir gleihsam tief eingeschlafen war und der Intellekt nun völlig herrenlos und dadurch müßig thätig war, die Anschauung der wirklihen Welt auffaßte... Mit dem Wollen ist aber aud alle Individualität vershwunden und aufgehoben: daher war mein Individuum hier nicht im Spiel, sondern es war die Anschauung selbst, rein und für sih, d. h. die rein objek- tive Anschauung oder die objektive Welt selbst, die sich in den Begriff rein und für sich absetzte.«
Schopenhauer will niht mehr zugeben, als was Nietz- sche in den Worten ausgedrückt hat: »Es denkt in mir.« Daß es aber kein Denken ohne Fühlen und Wollen gibt, ist ihm zuweilen entfallen. Möbius sagt treffend: »Schopenhauer ließ sih durd seine Anknüpfung an Kant verleiten, zuerst vom Erkennen, Vor= stellen, a zu reden als von etwas, das niht zum Wollen
ehöre. In Wahrheit kann Denken oder Vorstellen nicht ohne
ollen gedaht werden.« Im Grunde aber lehre Schopenhauer das Rechte, daß der Wille alles tut, und seine Lehre führt im Gegensatz zu der aller Früheren direkt zu der Einsicht, daß unser bewußtes Leben nur ein Ausschnitt aus dem großen für uns Unbe- wußten ist. »Immer kommen wir in der inneren Erfahrung rasch zu der Stelle, wo das Bewußtsein aufhört, wo der Weg in das für uns unbewußte führt, rückwärts sowohl wie vorwärts. Der Instinkt ist vor aller individuellen Vernunft, die Hand, die uns leitet, ist im Dunkel. Solche Erkenntnis shimmert sozusagen bei Schopenhauer immer durh.« (Möbius). Daß diese Worte ganz dem entsprehen, was Freud vom Unbewußten gelehrt hat, ist klar. Wirsehen aus diesen Hinweisen auf die Psychologie des Unbewußten, die sih bei Schopenhauer finden, auch eine Beredhtigung für unsere Ärbeit, die Hauptberechtigung, die wir längst gezeigt haben, ist die, daß Schopenhauer eines der trefflihsten Beispiele für die Richtigkeit der psydhoanalytisch gefundenen Tatsahen darstellt, die er allerdings mehr repräsentiert und demonstriert, als er sie selbst bewußt äußern konnte.
Indem wir nun von Schopenhauers ragender Erscheinung Abschied nehmen, erweisen wir noch einmal tiefsten Respekt diesem Entdeker des »Willenss, des treibenden Unbewußten, dem Prediger der Güte und des Mitleids, dem Verherrlicher des Genies, der Kunst und alles Geistigen, des Wahrhaftigen und Ecten, der nur die inneren Werte des Menschen aner- kannte, keine andere Überlegenheit zugab als die des Geistes und des Charakters. So sehr wir alle diese edlen Züge bewundern müssen und Schopenhauer als »Erzieher« verpflihtet sind, reißen
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wir uns doch los von den düsteren und allzupersönlihen Schatten- seiten seiner Weltanshauung und sehnen uns, ihn zu überwinden. Nietzsche ist eispiüihglidh als größter Bewunderer, später als freiester Überwinder Schopenhauers vorbildiih für die Me lih- keit einer solhen Überwindung des Philosophen auf dem Wege psydhologisher Erkenntnis und der Einsiht in die persönlichsten subjektiven Bedingungen des Philosophierens überhaupt.
»Allmählich hat sich nun herausgestellt, was jede Philosophie bisher war: nämlih das Selbstbekenntnis des Urhebers und eine Art ungewollter und unvermerkter m&moires. Die Philosophie schafft immer die Welt nach ihrem Bilde, sie kann nicht anders, Philosophie ist dieser tyrannische Trieb selbst, der geistige Wille zur Macht, zur ‚Schaffung der Welt, zur causa prima.« (Nietzsche.)
In ihrer Subjektivität liegt die shon von Nietzsche erkannte Beschränktheit aller philosophischen Wahrheit, die zur Resignation führen muß, da kein System imstande sein kann, das rätselhafte Wesen der Welt und des Lebens zu erklären, vielmehr nur dem einen Typus Mensh und seinem metaphysischen Bedürfnis ent- sprehen kann. In diesem Sinne dürfte man von einer Hoffnungs- losigkeit aller Philosophie sprehen: »Sobald — sagt Nietzsche — die Religion, Kunst und Moral in ihrer Entstehung so be- schrieben sind, daß man sie vollständig sich erklären kann, ohne zur Annahme metaphysischer Eingriffe am Beginn und im Verlauf der Bahn seine Zufluht zu nehmen, hört das stärkste Interesse an dem rein theoretishen Problem vom »Ding an sihs und der ‚Ersceinung’ auf ... Mit voller Ruhe wird man die Frage, wie unser Weltbild so stark sih von dem erschlossenen Wesen der Welt unterscheiden könne, der Physiologie und der Entwic- lungsgeshichte der Organismen und Begriffe überlassen.«
Sollte nun jemand, enttäusht darüber, daß sih Schopen- hauer »nicht gesund genug zum Philosophen« (Riehl) erwiesen hat, bei einem anderen sein Seelenheil suhen wollen, so sei er gewarnt. Audh Nietzsche, dem wir hier als Schopenhauer- Kritiker und Tiefenpsychologen so breiten Raum gewährt haben, scheint nicht berufen, zum Richter des Lebens gemaht zu werden.
er da auszöge, einen zu suchen, der gesund genug zum Philo- sophieren ist, dem erginge es wie jenem Boten eines kranken Königs, der das Hemd eines Glüclichen zur Heilung seines Herrn suhen ging. Denn als er endlih in einem Hirten den Glüclichen fand, besaß dieser kein Hemd. — Wer zum Philosophieren gesund genug wäre, der — philosophiert eben nicht!
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Literatur:
DAMM, ©. F.: Arthur Schopenhauer. Eine Biographie. Reklam, 1912.
EBSTEIN, Dr. W.: Arthur Schopenhauer, Seine wirklihen und vermeintlihen Krankheiten. Stuttgart 1907.
FISCHER, Kuno: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre. Heidelberg 1898,
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Psydoanalytishe Anmerkungen zur Geschichte der Philosophie 175
Psychoanalytishe Anmerkungen zur Geschichte der Philosophie‘. Von Dr. ALFR, Frh, v. WINTERSTEIN.
»In der ‚Kalewala’, einem finnishen Epos, kehrt ein eigentümlicher Vorgang von auffallender und selt- samer Bedeutung einigemale wieder. Der alte Held Wäinämöinen unterwirft sih hier die elementarishen Hindernisse, die er zu besiegen hat, nach vielen ver= geblihen Versuchen und Bemühungen endlih durch eine beshwörende Formel, die in jedem Fall von geradezu furhtbar bezwingendem Eindruck auf seine phantasti- schen Gegner ist: er spricht ihnen nämlich die Drohung aus, ihren Ursprung zu singen.«?
Mi: wird gut tun, bei der Aufgabe, die ih mir auf den
folgenden Blättern setze, ein Zweifahes zu unterscheiden:
einerseits wird es sih darum handeln — ohne irgendwie ins Detail einzugehen — festzustellen, was für wesentliche Bestand= teile in den Lehren der Philosophen nicht durch objektive Erkenntnis gefordert, sondern durh unbewußte Wünshe bedingt erscheinen (diese Teiluntersuhung wird in die Frage auslaufen, welhe Welt- anshauung sih auf dem Boden der Psychoanalyse mit Fug er= heben darf); anderseits wird in einem zweiten ÄAbscdnitt, wenn auh sadhgemäß nicht streng geschieden, der Versuh gemadt werden, die unbewußten Grundlagen der Persönlichkeit des Philosophen zu skizzieren. Vorab bemerke ih noch dieses: Festhaltend an dem von der Psychoanalyse vertretenen Prinzip der Schichtenbildung im Seelenleben, glaube ich keineswegs, mit dem Aufzeigen der untersten Scicte eine erschöpfende Konstitutionsformel (um einen Terminus aus der Chemie zu gebrauchen) des philosophishen Typus zu bieten, ferner lege ich schon hier gegen den etwa erhobenen Einwand der Unvollständigkeit Verwahrung ein, man wird von einem einzelnen nicht erwarten dürfen, daß er einen Urwald fällt, und sich zufrieden- geben müssen, wenn seine Axt da und dort eine Lichtung ge= schaffen hat, die einen freieren Ausblick ermöglicht.
I. Die Systeme. Daß es im weiten Felde der Geschichte der Philosophie nur
einige wenige, stets wiederkehrende Weltanshauungen — Varis ationen im einzelnen abgerehnet — gibt, wird den nicht ver= wundern, der vom Studium des Unbewußten und seiner geringen Anzahl pathogener Komplexe herkommt.
Eine historishe Übersiht über die Entwicklung des Problems
! In Erweiterung eines im Dezember 1912 in der » Wiener psydhoanalytischen Vereinigung« gehaltenen Vortrages.
® Zit. nah L. Ziegler, Der abendländische Rationalismus und der Eros. Diederihs, 1905, p. 216.
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eines Weltbegriffs und seiner Lösungen liefern, ja auch nur die aus dem Unbewußten stammenden Elemente in den einzelnen Systemen dartun, hieße den mir gesteckten Rahmen der Arbeit weit über- schreiten, ih will bloß bei einigen Philosophen, die typishe Ver- treter einer bestimmten Weltanshauung zu sein scheinen, die Ver- mengung des Wunschmaterials mit dem Erkenntnismaterial! nach- weisen. Zunächst gilt es jedoh, ein verbreitetes Vorurteil zu zer- streuen: man neigt leiht dazu, einem philosophishen System, das logish einwandfrei errichtet ist, deshalb auh den Wert der unbe- dingten Wahrheit zuzusprehen. Hier mag an Nietzsches aller- dings übertriebene Bemerkungen über die Bedeutung der Logik er- innert werden. Wir geben zwei bezeichnende Stellen aus »Jenseits von Gut und Böses mit Vorbehalt wieder: »Hinter aller Logik und ihrer ansheinenden Selbstherrlihkeit der Bewegung stehen Wert- schätzungen, deutliher geredet, physiologishe Forderungen zur Erhaltung einer bestimmten Art von Leben.« »Die Falschheit eines Urteils ist uns noh kein Einwand gegen das Urteil. Die Frage ist, wieweit es lebenfördernd, lebenerhaltend, vielleiht gar artzüctend ist; und wir sind grundsätzlih geneigt zu behaupten, daß die falshesten Urteile uns die unentbehrlihsten sind.« Das heißt: Logik ist ein Instrument, ein Mittel zu einem Zweck, oft nur ein will- fähriger Diener im Dienste einer Leidenschaft, eine »Laterne der Schritte des Willens«s (Schopenhauer), niht etwas in sich Be- ruhendes von unbedingtem Wert. Auc der Paranoiker, der Zwangs- neurotiker sind in ihren Folgerungen von großer logisher Treff- siherheit und dennoh spriht niemand ihren Produkten objektiv realen Wert zu. Überscharfe Logizität ist manchmal — und hiemit berühren wir das Wesen der Scholastik — geradezu ein verdächtiges Symptom, Überkompensation eines gewissermaßen endopsydhisch wahrgenommenen Mangels im Unterbau, der durch verdrängte Regungen geschaffen wurde. Man wird vielen in sih geschlossenen Systemen nicht leicht logische Fehler nahweisen können und braudt dennoh mit der Annahme nicht fehlzugehen, daß das Fundament des stolzen Baues niht auf den Boden konkreter Tatsahen er- richtet ist, sondern von den Fluten der Leidenschaft getragen wird. Dodh zurük zu der uns oben gestellten Aufgabe!
Zwei Dinge sind es vor allem, die uns bei flüchtigster Durch- sicht der Philosophiegeshichte als metaphysishe, nicht durch objek- tive Tatsahenbetrahtung, wohl aber durh eine Nötigung des Un- bewußten erforderte Dogmen erscheinen: der Begriff einer über- sinnlihen Welt und die Einführung Gottes in ein wissenscaftliches System. Übersinnlih ist »dasjenige, was prinzipiell nicht in die
i H. Silberer, Phantasie und Mythos, Jahrb. II, 1910, p. 622. Unter Wunschmaterial verstehe ih hier — niht ganz in Übereinstimmung mit Silberer, der darunter bloß infantile verdrängte Vorstellungen begreift — alle durh das tee des Subjekts, nicht aber durh objektive Erkenntnis geforderten nhailte.
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Sphäre des Sinnlihen hineingreift und daher prinzipiell nit mit Sinnesorganen wahrgenommen werden kann«. (O. Ewald.) Nun sind viele täglih von uns im Munde geführte Begriffe übersinn= lihe: die Materie ist etwas Übersinnlihes ebensogut wie die Kraft oder das Ih als Bewußtseinssubjekt oder das Unbewußte. Man kann im Denken und Sprehen schlehtweg nicht auf Metaphysik verzihten. Vershieden von dieser gleihsam durh die Ökonomie unseres Denkens gebotenen Metaphysik ist die Annahme einer zweiten Welt, die häufig! einer durh unbewußte Motive be- bestimmten Tendenz zur Entwertung der gegebenen Realität ent- springt, mag es sih nun beispielsweise um das Nirwana des Buddhismus, um die Ideenwelt Platons oder um das Ding an sih Kants handeln. Mehr oder weniger verhüllt blikt der wahre psyhologishe Sachverhalt aus allen diesen Fiktionen hervor.
Fassen wir zunächst das psydhologishe Phänomen, das im Laufe der Jahrtausende im Morgen- und Abendlande zu so ver= schiedenartigen Lehren geführt hat, näher ins Auge!
‚Auf Grund der Forshungen Freuds und C. G. Jungs wissen wir, daß es in unserem Seelenleben zwei entgegengesetzte Strömungen? gibt: die eine strebt vorwärts, von der Mutter, der Kindheit weg zur Eroberung der Außenwelt, durch sie löst sich der Heranwachsende, der das Realitätsprinzip auf seine Fahne ge- shrieben hat, von der Gemeinshaft mit dem unendlihen Leben, mit dem er im Mutterleib zusammenhing, los, um ein Individuum im höheren Sinne des Wortes zu werden. Nicht ohne schmerzliche Kämpfe vollzieht sih der Aufstieg zur Höhe des Lebens, doch den schlimmsten Feind trägt der Mensch in sich selbst, »die Sehnsucht nach rückwärts, nah dem eigenen Abgrund, dem Ertrinken in der eigenen Quelle, nah der Vershlingung in die Mutter. Sein Leben ist ein beständiges Ringen mit dem Tode, eine gewaltsame und vorübergehende Befreiung von der stets lfauernden Nadt. Dieser Tod ist kein äußerer Feind, sondern ein eigenes und inneres Sehnen nach der Stille und tiefen Ruhe des Nictseins, dem traumlosen Schlaf im Meere des Werdens und Vergehens«.® Die »Sehnsuct hin zur heiligen Nachts, zur Mutter, wo der Untershied zwischen Subjekt und Objekt aufgehoben ist, ist die eine Quelle unserer Jenseitshoffnungen, sofern sie nicht, einem zähen Lebenswillen ent= sprungen, eine bloße Fortsetzung dieses Lebens voll Streit und Gefahr (mit einer leihten Korrektur) erstreben;, auh Kunst und Philosophie tragen in ihrem innersten Kern das Verlangen »nach dem Tode, der Bewegungslosigkeit, der Sättigung und der Ruhes.t Alle Entwicklung beruht auf einer Wechselwirkung dieser zwei
! Bezüglich der zweiten Quelle unserer Jenseitswünscde s. u.
? Die bei Schopenhauer nicht recht begreiflihe Entzweiung des Willens wird durh die Annahme zweier Richtungen in uns psycdologish verständlich.
® Jung: Wandlungen und Symbole der Libido, Jahrb. IV, 1912, p. 386.
Jung: k.&
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Strömungen. Der Schöpfer steigt immer wieder in die Tiefe seines Unbewußten herab, um Kraft zu neuen Werken und Taten zu ge- winnen. Jeder Fortschritt vollzieht sih in der Weise jener Echter- nacher Springprozession, bei der die Teilnehmer zwei Schritte vor=- wärts und einen rückwärts machen müssen.
Es liegt nahe, drei Iypen von Menschen zu unterscheiden, Der eine, der Künstler, der Held, kehrt aus seinem eigenen Innern stets wiedergeboren herauf, »ein Antäus an Gemüte«, der den mütterlihen Ursprung berührt hat, der andere, der Neurotiker, ertrinkt in seiner eigenen Quelle, der dritte lebt ewig fremd seinem Unbewußten, aber auh ohne AÄußerordentlihes zu vollbringen.
Das Unbewußte ist das Typische, das Generelle, das Band, das uns mit der Geshihte unseres Geschlechtes und dadurch mit dem Leben des Alls überhaupt vereinigt, wohingegen das Bewußt- sein unseren eigensten Besitz, das wahrhaft Individuelle vorstellt. Wir verstehen von hier aus vielleicht, wie man immer wieder —
auf dem Wege über die Tiefe unseres Ihs — als der Weisheit letzten Schluß die Ineinssetzung von Mikrokosmos und Makrokosmos, von innerstem Ih und zentraler Weltpotenz, von mensclichem Atman und Atman des Universum verkündigt hat. Denn je weiter man in die Schichten seines Unbewußten hinabgelangt, je persön- liher die Tiefe zu werden scheint, desto mehr nähert man sid faktish dem Allgemeinen.
Wenn auch eine persönlihe Unsterblichkeit unwahrsceinlich, ja ausgeschlossen ist, so leben wir doch gewiß in unseren Kindern, unseren Werken, in den Spuren unserer bildenden Tätigkeit fort. Das innere Erlebnis jedoh, das uns diesen Glauben eingibt, ist der im Unbewußten dunkel gefühlte Zusammenhang mit der Gene- rationskette, deren Glied wir sind. Ein solher Glaube kann, falls er sich mit einer Entwertung dieses Lebens verbindet, »das Reid, das niht von dieser Welt ists, nur aus infantilem (individuell- prähistorishem) Material aufbauen und entstammt einer rückwärts gerichteten Sehnsucht, deren Wurzel in Anpassungsschwierigkeiten (Unmöglichkeit des Verzihtes auf das Lustprinzip) begründet ist.
In der dünnen Luftshicht allgemeinster Betrahtungen auf dem Berggipfel der platonischen Ideenlehre landend, haben wir uns zu fragen, welhe unbewußten Kräfte an der Errichtung dieses hohen Baues schöpferish tätig gewesen sein dürften. Doch ist Folgendes vorauszushicken: Das ganz auf die Außenwelt gerichtete reine Auge des griehishen Volkes, das in seinen Philosophen von einem naiven Realismus zum Phänomenalismus (auf Grund des Mißtrauens in unsere sinnlihe Wahrnehmung) übergegangen war, wendet sich erstmals mit Sokrates einer Betrahtung der Innenwelt zu. Diese für die Geshihte des abendländishen Denkens hoc be- deutsame und folgenshwere Tat, von Sokrates mehr als Forderung ausgesprohen denn erfüllt, vollzieht sih in großartiger Weise bei Plato, der dem Geist eine Richtung ins Transzendente wies, die man
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ganz allgemein als Platonismus bezeichnen darf und in der das Christen= tum durch zwei Jahrtausende schnurgerade weiterging. Die Wandlung, die sich seit dem siebenten und achten Jahrhundert allmählih in der griehishen Psyche vorbereitete, führte im fünften Jahrhundert im Gesamtleben des Volkes und im Leben des einzelnen zu tiefer- gehenden Störungen: an die Stelle des geschlossenen Kampfes gegen den äußeren Feind, den Perser, trat der innere Zwist zwischen Stadt und Stadt, ja selbst innerhalb der einzelnen Stadt, die De- mokratie nimmt immer mehr überhand. In dieser Zeit, der Zeit des peloponnesishen Krieges, zeigt die Kunst ein ruhiges Antlitz von nie wieder erreihter Schönheit und verrät nichts von den Leiden- schaften in der Brust der Künstler. Aber auch sie vermag nicht mehr die erregten Gemüter zu heilen, das Individuum wird asozial und sucht im Labyrinth seines eigenen Innern Trost und Zuflucht. Es beginnt die Geringshätzung der Außenwelt. Sokrates tritt auf und erklärt, er gehe nicht vor der Stadt spazieren, denn man könne von den Bäumen und Wiesen nichts lernen. Sein I’v@dı oadTov (die Forderung des delphishen Apollo) ertönt als eine ernste Mahnung in dem Getümmel der hellenishen Welt.
Erst Platon hat den Bruh mit der Sinnenwelt vollzogen, nachdem bereits die Eleaten gelehrt hatten, daß hinter der Welt der Mannigfaltigkeit und des wechselnden Scheines das eine wahre Sein ruhe, Er, besser noh: Sokrates sind die Ahnherren des Ratio- nalismus, der die wahre Erkenntnis aus der Vernunft ableitet und das metaphysishe Än-sich-sein der Dinge a priori und apodiktisch gewiß mittels intellektualer Anshauung zu erfassen vermeint. In dem schönen Buhe von L. Ziegler »Der abendländishe Ratio- nalismus und der Eros« wird gezeigt, wie das, was man später intellektuale Anschauung genannt hat, nichts anderes bedeutet wie den platonishen Eros, von dem im »Symposion«! die Rede ist. Der von Mystik fast ganz freie Rationalist $ okrates, bei dem das Daimonion, das Unbewußte nur warnenden, negativen, nicht positiv= shöpferishen Charakter trug, — hinter dem die Logik, um ein Bild Nietzsches in der »Geburt der Tragödie usw.« anzuziehen, wie ein Triebwerk stand, hinterließ seinem Schüler, in dessen Brust Be- wußtes und Unbewußtes, Philosophie und Theologie ein Leben lang miteinander haderten, den Ausbau der Ideenwelt, die durch den »Begriff« gefordert wurde, als sein Vermächtnis.
Diese Welt von übersinnliher Reinheit, von unbewegter und unveränderter Hoheit ist bei Platon nur auf künstliche Weise mit der Welt der Erscheinungen in Einklang gebraht. Die Ideenwelt, das » Wesens, övrog Öv, odoia ist der Zweck des » Werdenss, y&veoıs, das, was in der Seele aus Anlaß der Wahrnehmung der Sinnen- dinge unendlihe Sehnsuht nah dem Urbild, nah der verlorenen
ı Platons Gastmahl. Ins Deutsche übertragen von Dr. Rudolf Kassner. Diederichs, p. 63 ff.
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Einheit erregt; dieses Streben nah der Höhe, das audh in den zer- streuten und unvollständigen Erscheinungen waltet, aber ist der Eros, der philosophische Trieb, die platonische Liebe.
Platons metaphysisher Dualismus, unter dem Einfluß jener religiösen Strömung entstanden, die in den orphisch=dionysischen Mysterien ihren Ausdruck gefunden hat, ist eine Konsequenz seiner erkenntnistheoretishen Anschauung, die in dem Begriff etwas von der sinnlihen Wahrnehmung wesentlih Verschiedenes, und zwar quali= tativ Höheres, dem auch eine andere, wertvollere Wirklichkeit ent- sprechen müsse, erblickte. Diese jenseitige, immaterielle Welt aber ist nicht geistiger Art. Hatte bisher ein Strich Sinneswahrnehmung und Körperwelt getrennt, so wurde nun durh Plato die Grenz= linie zwischen diesen beiden als einer Einheit und dem Reich der Ideen, von dem sih nur die negative Eigenschaft des Immateriellen aussagen ließ, gezogen, wenn auch dieser Scheidung psycholo- gisch der Abfall des Geistes vom Körper, der Widerstreit von Bewußtem und Unbewußtem, mit einem Wort: der anthropologisce Dualismus! (man könnte beinahe von einem neurotischen Dua- lismus sprechen) zugrunde lag.
Vor Plato mußte die Re Frage aufsteigen: Wie gelangen wir zur Kenntnis dieser unbewegt thronenden Ideenwelt, deren shwäcdster Abglanz im Menschen das logish-sprahlihe Abstrak- tum der Begriffe ist? Auf keine andere Weise, lautete die Antwort, als durh ein unmittelbar gewisses intellektuales Schauen, und diese Erwiderung entsprah völlig dem visuellen Typus des hellenishen Volkes. Die Induktion der Erfahrung konnte niemals ein unfehlbar siheres Wissen um das A-priori-Sein verbürgen.
Eine zusammenhängende Darstellung der Ideenlehre zu geben, ist niht unsere Aufgabe, es verlohnt sich aber, die intellektuelle Anschauung, den Eros, der in der folgenden Geschichte des Den- kens eine so wichtige Rolle gespielt hat, als unleugbar vorhandenes psychologisches Phänomen, das bloß eine falsche Deutung erfuhr, näher zu untersuhen. Leopold Ziegler hat in seinem oben er- wähnten Bud eine trefflihe Schilderung dieser psydhisch realen Er- fahrung — wir haben keinen Grund, an der Aussage so vieler be=- deutender und wahrheitsliebender Männer zu zweifeln — unter- nommen und ist dabei diht an die Grenze dessen, was die Psydho- analyse aufgezeigt hat, gelangt. Wir geben zunächst seine Gredanken gekürzt wieder <(p. 66 ff.): Jede Konzentration des Bewußtseins auf einen einzigen Gegenstand hat ein erhöhtes Gefühl für die alleinige Wirklichkeit desselben zur Folge. Sucht der Mensch unter all dem Wandel der rastlosen Vorstellungszusammenhänge, die in
ı Nietzsche hat im »Problem des Sokrates« die Behauptung aufgestellt: »Die Instinkte bekämpfen müssen — das ist die Formel der Dekadenz: solange das Leben aufsteigt, ist Glük gleih Instinkt.« Wir würden sagen: seine Triebe verdrängen müssen, aber darin liegt noh nicht einmal etwas Neurotisches, da die Neurose erst auf Grund der mißglückten Verdrängung entsteht.
Psydoanalytishe Anmerkungen zur Geschichte der Philosophie 181
ihm auftauchen, eine einzige Vorstellung festzuhalten, so gelangt er bald dazu, diesem Objekt eine vergleihsweise höhere Wirklichkeit als der vershwindenden Gesamtheit der übrigen zuzuschreiben. Ist dieser Gegenstand auh nodh durdh seinen eenderen Inhalt von allen anderen verschieden, scheint er shon in sih durdhaus aus= nehmend, unvergleichlih, beziehungslos und gewissermaßen absolut, so wird eine starke Konzentration auf dieses Objekt das Gefühl erwecken, als sei das gewöhnlihe Dasein mit seinem gewohnten Geschehen verlassen, eine neue, schönere, über dem Weltgesetze der zeitlihen Kontinuität stehende Sphäre erreicht. Ein solhes Ob- jekt »sui generis« finden wir in uns selbst vor, in der Betrachtung unserer reinen Innerlichkeit. Die Vorstellung des bei sich beharrenden Ihs ist, wie alle Objekte im psydologishen Sinn, frei von den Formen der Kausalität und der Räumlichkeit, hingegen verläuft sie in der Zeitlihkeit und besitzt eine gewisse Intensität (die Stärke der sie begleitenden Gefühle). Da aber eine jede Versunkenheit des Menschen in sich selbst, jeder Akt der Kontemplation eben dadurch ausgezeichnet ist, daß die Beziehungen zu allen übrigen Objekten außer dem eigenen Ih unterbrohen und aufgehoben sind, so fehlt auh die Möglichkeit, sich der Zeitlihkeit und Gefühlsstärke dieses Erkenntnisaktes bewußt zu werden, da alles Bewußtsein von diesen Dingen auf dem Vergleihen beruht und sofort aufhört, wo dieses unterbleibt. Aus dem subjektiven Gefühl nun, daß die Betradh- tung des Ichs frei ist von den wichtigen kategorialen Gesetzen und Formen, denen unsere Vorstellungen unterworfen sind, wird die tatsächliche Ulnbedingtheit der Selbstbesinnung gefolgert und so aus dem uns nächsten Symbol des Ewigen das An-sich-seiende Ewige selbst gemaht. Der Anhänger des Eros vergißt, daß nur sein Gefühl im Augenblick der Selbstshau die Zeitlihkeit und Intensität seines Objektes aus dem Blickpunkt des Bewußtseins ver=- loren hat, weil er aufhörte, seinen Zustand mit dem vorhergehenden und nachfolgenden zu vergleihen, diese kategorishen Formen aber sind noch lange nicht in der Wirklichkeit aufgehoben, wenn sie sich dem beobadtenden Bewußtsein entzogen haben. Die selbstreflektierte Versunkenheit in das Ih wird zu einem tatsächlihen Verlassen der irdishen Welt und zu einem Verweilen im ewigen Ansih des metaphysishen Seins. Aus dem erscheinenden Abglanz des wahren Ansihs %, den wir gerade noh in glüclich-feierlihen Augen- bliken zu erhashen vermögen, wird das Metaphysische an sich selber, aus dem angeshauten Ih der Urgrund der Welt, das »seiend Seiende«.
Wir haben es hier, falls es sih um einen länger dauernden Zustand handelt, mit dem zu tun, was Jung »Introversion« nennt. Die betreffenden Individuen schließen sih immer mehr von der Realität ab und versinken in ihre Phantasie, wobei in dem Maße, wie die Realität ihren Akzent verliert, die Innenwelt an Realität und determinierender Kraft zunimmt. Eine Folge ist, daß
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sih die Libido von den Objekten der Außenwelt auf das Ih zu- rückzieht und sich in die Regression begibt, wobei die infantilen Imagines! wiederbelebt werden. Dieses Vernlen in die eigene Tiefe, Heruntersteigen zu den »Müttern«, hat infolge der libidinösen Überbesetzung das ganz einzigartige Gefühl einer besonderen Wirk=- lichkeit zur Folge, gegenüber dem Entstehen und Vergehen der Sinnenwelt, der wechselnden Libidobesetzung, herrscht hier Unver- änderlichkeit, »Beharren« im Gegensatz zum »Heraustreten« und »Zurückkehrens (Proklus). In dem Wesen der Libido, des Unbe- wußten, wurzelt der Begriff der Ewigkeit, der nicht eine unendlich lange Zeit vorstellt, sondern einer ganz anderen Bewußtseins- dimension angehört. Die Ewigkeit fängt nicht erst an, wenn die ER oe aufhört, sondern beide bestehen sozusagen überein- ander.
Die intellektuelle Anschauung besteht eigentlih in dem un- möglihen Verlangen eines dem visuellen Typus angehörenden Indi- viduums, sein eigenes Unbewußte, das ER Verbotene zu shauen. Sobald man das Ineinanderfallen von Subjekt und Objekt nachgewiesen hat, verliert jeder Glaube an eine metaphysishe Welt seine Berehtigung. Das erstrebte Schauen wird auf dem Höhepunkt der Ekstase beispielsweise bei Plotin durh eine grobsinnlihe »Be- rührung«?, ein »lustvolles Erfassen des Äbsoluten« ersetzt und dieses Absolute selbst ist die eigene mütterlihe Tiefe, das All-Eine, wo der Untershied zwishen Subjekt und Objekt aufgehoben ist.
Ziegler hat vergessen, seinen klaren Ausführungen hinzuzu= fügen, daß jede intensive Einkehr in sich selbst, jedes Zurücziehen von der äußeren Realität motiviert ist. Es ist jene früher be= schriebene regrediente Strömung des Seelenlebens, der wir uns vor allem im Falle der Versagung, d. h. bei einer Entbehrung im realen Leben, oder bei einer allgemeinen Libidosteigerung, die auf den bereits eröffneten Bahnen nicht befriedigt werden kann, überlassen. Die Libido, für die die Realität durh die hartnäckige Versagung oder Unmöglichkeit ihrer Befriedigung an Wert verloren hat, be=- setzt unsere Gedankenbildungen, nun gilt nur mehr die von Freud sogenannte »neurotishe Währung«, mit anderen Worten: die Übereinstimmung mit der äußeren Wirklihkeit wird gleichgiltig, die seelishen Vorgänge werden infolge ihrer Affektbetonung überschätzt. Doch nur mit einem Änteil seiner Persönlihkeit ist es dem Indi- viduum gelungen, auf die infantilen Bahnen zu regredieren, neue Wunschbildungen zu schaffen und die Spuren früherer, vergessener Wunscbildungen wieder aufzufrishen, der andere Anteil ist mit der Realität in Beziehung geblieben. Der daraus entstehende Konflikt wird Kompromißshöpfungen ins Leben rufen. Wenden wir
ı Bezüglih der Bedeutung von »Imagos s. Jung, Wandlungen und Sym-= bole der Libido, Jahrb. III, 1911, p. 164. 2 Stammesgeshidtlih werden die Tastempfindungen als die ursprünglihen
angesehen — eine phylogenetische Regression!
Psycoanalytishe Anmerkungen zur Geschichte der Philosophie 183
uns nach diesen allgemein giltigen Erwägungen der platonishen Ideenlehre zu.
Hatte shon bei Sokrates der Begriff gegenüber der sinn- lihen Wahrnehmung eine entschiedene Höherwertung erfahren, die mit einer Übershätzung der geistigen Realität zusammenhing und der Ausgangspunkt einer Problemstellung geworden ist, deren charakteristishe Äußerung der Universalienstreit des Mittelalters war, so wird bei Plato die ganze Frage ungleich mehr vertieft und ins Metaphysishe gewendet. Sokrates meinte, man gelange zu den Begriffen induktiv, an der Hand der Erfahrung. Hier war nur Wahrsceinlihkeit, niht Gewißheit zu erreichen. Plato hingegen, der der Erfahrung innerlih viel fremder! gegenüberstand, drang auf unmittelbare Oewißheit In dem, was er bezeichnenderweise »Eros« nannte, in der intellektualen Anshauung, glaubte er die Methode gefunden zu haben, zur Kenntnis des An-sich-seins der Dinge vorzudringen. Diese Sehnsucht, das reine Urbild von neuem zu shauen und ihm im begrifflihen Denken ähnlih zu werden, projiziert Plato auh in das Sinnending selbst, dem er ein gleiches Streben nah dem Übersinnlihen, ein gleihes Verlangen, die Idee in sih darzustellen, zuscreibt.
Indem sih Plato aus Gründen, die wir bloß vermuten, nicht wissen können «verdrängte Homosexualität’), in die Innerlichkeit zurückzog, löste er sich von den sinnlichen Vorstellungen der Außen- welt los, um zu den allgemeinen Begriffen aufzusteigen. Dieses Allgemeine, das in der äußeren Realität nicht anzutreffen war, er- hielt nun aus der eben erwähnten Ursahe eine intensive Gefühls- verstärkung, bot anderseits auh an und für sich infolge seiner Eigenshaft, vieles einzelne unter sih zu fassen, diesem über- geordnet zu sein wie der Vater seinen Kindern, die Möglichkeit, als eine Art Kompromißbildung zwischen den wiederbelebten infantilen Imagines des A are und dem in Relation zur Außenwelt ver- bliebenen Stück der Persönlichkeit zu gelten. Wem diese Auffassung des Begriffes unglaubhaft dünkt, sei daran erinnert, daß sih Vor- läufer der Platonishen Idee bei den Peruanern, den Irokesen Nordamerikas, den Bewohnern der samoanischen Inselgruppe und den Finnen gefunden haben: das einer Erklärung bedürftige Vor- handensein einer Anzahl gleichartiger Dinge wird auf die Erzeugung durh ein Urwesen zurückgeführt, das bald als ein älterer, den fraglihen Wesen an Kraft und Größe überlegener Bruder, bald als ihr im Land der Seelen wohnendes Urbild, bald als der auf einem Stern wohnhafte Gott oder Genius betrachtet wird?.
ı Man wende mir niht ein, daß Plato beständig vom Streben nah Ver- besserung der äußeren Welt geleitet wurde, also keineswegs bloß Theoretiker war. Eben in jenen mißglückten Reformversuhen verrät sih nur allzudeutlih der Glaube an die Allmaht seiner Gedanken. Auch die sokratische Gleichsetzung von Einsiht und (praktischer) Tugend ist für diese Überschätzung des rein Geistigen
charakteristisch. ® Vgl. Gomperz, Griehishe Denker, II., p. 320, 573,
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Es klingt wie eine endopsyhishe Wahrnehmung der tat- sächlichen Determiniertheit des logish-sprahlihen Abstraktums durch das Unbewußte bei Plato, wenn dieser in leidenschaftlihen Worten eine diesen blassen Ideen entsprehende höhere Wirklichkeit fordert. Als solche bot sih nur »das längst nicht mehr Vorhand’nes — die »Mütters, »umshwebt von Bildern aller Kreatur«!. Hätte uns nicht Goethe den Schlüssel zur Lösung des Geheimnisses in die Hände gespielt, wir fänden vielleiht einen bedeutsamen Hinweis auf die »Imagines« des Unbewußten in dem platonishen Vergleih der Idee des Cars mit der Sonne, die ein in der Mythologie sowohl als auh in der Psydhose und Psycdoneurose geläufiges Vatersymbol ist, jene Sehnsuht nah der metapsydhishen Wirklichkeit, »wo nicht Ort, noh weniger eine Zeit« (l), heißt bei Platon — Eros, Philo- sophieren ist ihm Sterbenwollen, d. h. der Wunsch, ins Unbe- wußte wieder einzugehen, zu introvertieren, an einer anderen Stelle wieder Erinnerung, und zwar an die infantile Präexistenz, von der der Erwachsene ja gewöhnlih durh gänzlihe Amnesie ge= trennt ist.
Die dem Unbewußten eigentümlihe Veränderungslosigkeit der Imagines kommt in der von Plato den Ideen verliehenen starren Ruhe trefflih zum Ausdruck, die Körperwelt dagegen ist die Welt der Unruhe, des Entstehens und Vergehens, das bedeutet die ewig wecselnde Libidobesetzung der Objekte, denn immer sucht man das verlorene Ideal, ohne es zu finden. Liebt man aber einmal einen irdishen Gegenstand, so liebt man ihn nur als Bild des intelligibeln. Erinnert das niht an die Bemerkungen Freuds über die Reihen- bildung bei der Objektwahl nah dem Vorbild der Mutter? Der Begriff der platonishen Liebe, wie er heute verstanden wird, erhält in diesem Zusammenhang einen sehr guten Sinn: er bezeichnet eine libidinöse Gefühlseinstellung, deren Aktivierung wohl durh unbe- wußt-inzestuöse Phantasien (oft die Ursahe der psyd&hischen Im- potenz) verhindert wird.
In großartiger Weise projiziert Plato den Eros in den ge= samten Lebensprozeß der sichtbaren Welt. Das ganze Weltall beherrsht der Trieb, in der unendlihen Reihe der sinnlihen Er- sheinungen die ewige Wahrheit und Schönheit der Idee zur Dar- stellung zu bringen. Die Idee ist das sehnsuhtweckende Bild und so Ziel und Zwec&ursadhe des irdishen Treibens.
Wir haben oben flüchtig erwähnt, welch mächtigen Einfluß die orphisch=-dionysische Religion auf Platos Anschauungen von einem Jenseits ausgeübt hatte. In diesen Vorstellungskreis gehört auch die Auffassung, der Eros sei der Schmerz, womit der Dämon, der durh eigene rätselhafte Schuld in die Geburt gestürzt?
1 Denn woraus soll eine solhe zweite wesensvershiedene Welt erbaut werden, wenn nicht aus dem prähistorischen Material des Individuums?
2 Der Ausdruk »Sturz in die Geburt« findet sih nicht nur bei den Orphikern, sondern auch im Buddhismus.
Psydoanalytishe Anmerkungen zur Geschichte der Philosophie 185
sei, nah dem verlorenen Paradies seines reinen und eigentlihen Wesens zurückverlange. Es ist wiederum nichts anderes wie jene Sehnsuht nah der Kindheit, die also symbolish verhüllt auftritt, das dunkle Schuldgefühl mag in längst verdrängten infantil-sexuellen Regungen und Todeswünshen wurzeln. Nicht nur hier, auch in der Denkweise primitiver Völker finden wir die Identifizierung des Eintrittes in die Pubertät, in das Stadium der verstärkten Sexuali= tät mit einer Greburt!.
Ziehen wir die Summe, Die Ideenlehre Platos stellt sih uns ihrem letzten Grunde nad (wir sehen von dem intellektuellen Über- bau ab) als eine Libidotheorie dar, die eine Richtung unserer Psyche, jene »passion de la paresse« (La Rochefoucauld), von der Jung in seiner bedeutenden Arbeit »Wandlungen und Symbole der Libidos? handelt, in wundervoll durchgeistigter Weise zum Ausdruk bringt. Mit einem wissenscaftlihen erdeinse der äußeren Wirklichkeit? hat sie freilich nichts zu tun. Das hindert aber nicht, daß sie den allergrößten Einfluß auf die folgenden Denker ausgeübt hat, wodurdh sie ihre psychologish=-reale Wurzel in der menschlichen Natur bewährt. Mit Sokrates-Plato beginnt die Er- oberung der Innenwelt. Fast scheint es, als wäre in jenem Jahr- hundert die Neurose* des abendländishen Denkens ausgebroden, von der wir uns heute noch nicht befreit haben. Das Christentum fällt unter den erweiterten Begriff des Platonismus — das Jenseits als Wille zur Verneinung der Realität! »Aber an der Wirklichkeit leiden, heißt eine verunglükte Wirklichkeit sein.«
Kehren wir noch einmal zu dem, was wir oben intellektuelle Anschauung nannten, zurück.
Wir haben gesehen, daß sie in dem Verlangen bestand, das Metaphysische, wir dürfen dafür einsetzen: das Metapsycische, mit dem inneren Auge zu schhauen5. Die unmittelbare Gewißheit, auf die das Individuum stürmish drang, erinnert uns beinahe an die Zweifel der Zwangskranken und ihr Streben nah Sicherheit, indes die Betonung des Sehens einen Hinweis auf den sogenannten visu= ellen Typus enthält. Nicht ohne einiges Zögern werfe ih an dieser Stelle die Frage auf, inwieweit vielleicht ein Zusammenhang zwischen diesem »type visuel« und dem infantilen Schautrieb, den das Ver- botene zu schauen reizt, besteht. Über die Zusammenstellung der intellektuellen Anschauung mit diesem Schautrieb wird sich wohl
i Vgl. Frazer, Totemism and Exogamy, IV, p. 228 u. passim.
?2 Jahrb. III und IV, 1911 und 1912.
® »Er dringt in die Tiefen, mehr um sie mit seinem Wesen auszufüllen, als um sie zu erforshen.< Goethe über Plato.
* Man darf vielleiht im übertragenen Sinn von Neurosen einer Massen- psyhe sprechen. Der Vergleich ist natürlich nicht wörtlich aufzufassen. Und es ist — etwaigen Einwendungen gegenüber — hinzuzufügen, daß die Neurosen den Fortschritt machen helfen.
5 Bei Fichte ist die intellektuelle Anschauung die unmittelbare Auffassung des reinen Ichs, das nichts anderes wie unser Unbewußtes bedeutet.
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nur derjenige entrüsten, der die Vorbildlihkeit des Sexuellen noch nicht kennen gelernt hat. Wie eine auf höherem Niveau erfolgende Wiederkehr der verpönten und verdrängten Schaulust — deren enauere Untersuhung uns tief in das Studium der infantilen Sexualität und speziell des Narzißmus hineinführen würde — mutet uns die infolge der Abkehr von der Realität libidinös überbesetzte Selbstbetrahtung des Denkers an, der, ein geistiger Narziß, seinem Denken förmlih zuschaut. Sein tiefstes Verlangen geht aber dahin, nicht mehr sein bewußtes psycologishes Ich, sondern sein Unbe- wußtes, den »Willen« Schopenhauers, das »Fünklein« Meister Eckharts zu erblicken.
Freud hat einmal die Phasen einer Zwangsneurose ganz all= gemein folgendermaßen beschrieben: An Stelle des verdrängten Sexuellen tritt eine affektvoll akzentuierte Handlung, die möglichst weit davon entfernt ist, das Sexuelle setzt sih aber dann as SO= weit durch, daß es in der Zwangshandlung geradezu nahgeahmt wird. An diese Bemerkungen wird man erinnert, wenn man den Er- kenntnisprozeß bei einem Mystiker wie Eckhart beschrieben findet. »Das Erkennen«, heißt es dort, »setzt Gleichartigkeit voraus im Erkennenden und Erkannten. Schon das sinnliche Wahenklnes be- deutet eine reale Vereinigung zwishen dem Wahrnehmenden und dem Wahrgenommenen.« Die Auffassung des Erkennens als einer geschlechtlihen Vermishung ist übrigens uralt und findet sich be= kanntlih schon in der Bibel. »Er erkannte sie«, d. h. er begattete sie, da die Erkenntnis ursprünglih vor allem auf das Sexual- geheimnis geht (auh im Englishen: »He new her«). Der Prozeß der Selbsterkenntnis, die an sih den idealen Fall der Gleichartigkeit um Subjekt und Objekt darstellt, ist, wenn sexualisiert, niht nur durh seinen Inhalt, sondern auh durh die Tätigkeit des eigenen Denkens lustvoll (Funktionslust). An irgendeiner Stelle spriht Freud von einem »Mißbrauh des Denkensse — ein Ausdruck, dem man angesihts mancher unfruchtbaren metaphysishen Spekulation nur zustimmen kann. Vielleiht paßt auh der Ausspruh Lessings in diesen Zusammenhang, daß ihm mehr am Suchen der Wahrheit als an ihr selbst gelegen sei.
Es ist bedeutsam, daß der Mystiker Eckhart den Vorgang der Erkenntnis des eigenen Ihs als göttliche Dreieinigkeit! darstellt. Ich setze einige bezeihnende Stellen aus Eckhart hieher: »In dem klaren Spiegel der Ewigkeit, dem ewigen Sichselbstwissen des Vaters, da gestaltet er ein Abbild seiner Selbst, seinen Sohn. In diesem Spiegel bilden sich alle Begriffe ab und man erkennt sie darin, freilih niht als Kreaturen, sondern als Gott in Gott.« Außer Gott ist bei Eckhart die Kreatur ein lfauteres Nichts. »Das reine Wissen als Beziehung der Seele auf sich selbst ist immateriell und hat mit Raum und Zeit nichts zu schaffen« (vgl. das oben über
I Schlegel hat einmal die Hegelshe dialektishe Methode die Methode
der Dreieinigkeit genannt.
Psychoanalytishe Anmerkungen zur Geschichte der Philosophie 187
die intellektuelle Anshauung Gesagte). »Diabolus est Deus inversus« das Böse ist der verkehrte Wille des Guten. »Gott liebt nichts als sich selbst oder sein Gleichnis in allen Dingen« (hier wird der Narzißmus im Gegensatz zur Objektliebe deutlih ausgesproden; man denke auh an die Liebe Gottes bei Spinoza),
»Durh den Akt des in sich selbst Reflektierens wird die Natur zur Person und als Person heißt die Natur ‚Vater’.« Schließlich: »Die Reflexion in sich ist das Wissen, der Vater ist also die reine Vernunft, die sih selbst vollkommen durhschaut. Das Objekt dieses Wesens ist der Sohn oder das Wort und die Liebe zwishen Vater und Sohn, als ihre ewige gegenseitige Beziehung aufeinander, ist der heilige Geist.« Hier wird Erzeugen und Sprechen gleichgesetzt. Aus diesen und ähnlihen Aussprühen Eckharts geht aud her- vor, wie groß die Rolle des Narzißmus vornehmlih bei den My- stikern ist. So, wenn sie beispielsweise lehren, daß im Paradies ein jedes Ding sih im anderen spiegelt, der Baum im Menschen, der Mensh im Tiere usw!,
Was hier als Vergleih gebrauht wird: das Bewußtseins=- subjekt setzt das Bewußtseinsobjekt, der Geist erzeugt das Wort — so gebiert der Vater den Sohn, kann für uns, die wir keinen Zu= fall im Psycdhischen anerkennen, nicht ohne Bedeutung sein. Die Ver- mutung ist vielleiht nicht völlig abzuweisen, daß der an und für sih neutrale Akt der Selbstbetrahtung (der die psychologisch inter- essante Frage nahelegt, ob es sih dabei um eine tatsächliche Gliederung in Bewußtseinssubjekt und =objekt handelt) dem Miß- brauch ausgeliefert wurde, »den die weggelogene und verdrängte Sexualität mit den höchsten seelishen Funktionen treibt»?, Gefühle, die dem Vater gegenüber unterdrükt werden mußten, steigen aus Tiefen der Verdrängung herauf und hypostasieren zwei Bestand- teile des Erkenntnisvorganges zu zwei Personen, wobei sie die Zweideutigkeit des Wortes »Erkennens und seine erkenntnis=- theoretishe Auffassung (reelle Einigung mit dem Objekt) benützen, um libidinöse Beziehungen zwischen Sl zwei nicht scharf von- einander zu sondernden Gliedern des einen Aktes herzustellen. Möglih, daß die Relation zwishen Vater und Sohn, den Personi- fikationen von Bewußtseinssubjekt und =objekt, das unbewußte Motiv jenes Rückzuges vor der Außenwelt war, der den Narziß- mus und die Mißachtung der Kreatur als lauteren Nihts zur Folge hatte. Und die auch anderwärts ausgesprochene Meinung, daß ein tieferer Zusammenhang zwishen Narzißmus und Homosexualität bestehe, würde in diesem Falle wenigstens keinen Widerspruch er- fahren. Die älteste Form der Beziehung zwischen zwei gleic-
ı Zit. nah R. Kassner: Der indishe Gedanke, Inselverlag, 1913. — Nietzsche: »Im Grunde spiegelt sih der Mensch in den Dingen, er hält alles für a was ihm sein Bild zurükwirft: das Urteil ‚schön‘ ist seine Gattungs- eitelkeit.«
? Jung, Jahrb. IV, p. 346.
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geschlechtlihen Individuen, die noh überdies einander oft sehr ähnlih sind, die Identifikation mit diesem väterlihen Sexualobjekt — und die beim Narzißmus vorhandene Identität mit dem Gegen- stand seiner Liebe: ih glaube, das spricht deutlih genug für eine Annäherung der zwei Phänomene. Sublimierte Homosexualität und geistiger Narzißmus sind bei Eckhart gewissermaßen auf einen Ausdruk gebradt!.
Hinter Gott, der Einen göttlihen Natur, die sih »zu einer Dreiheit von Personen entfaltet, indem sie sih selbst erkennend sich anschaut als ein reales Objekt ihres Erkennens und sich in Liebe und Freude an diesem ihrem Tun immer wieder in sih zurücknimmts, ruht das in sich selbst verborgene Absolute, die Gottheit. Wir dürfen wohl sagen: der kleinere Kreis des Bewußten und seiner Erkenntnistätigkeit ist vom größeren Kreis des Unbewußten einge- schlossen. Die sittlihe Aufgabe besteht nah Eckhart darin, sic durh unmittelbare Anshauung mit dem Absoluten zu vereinigen und so die Gottheit lustvoll zu besitzen. Das heißt mit anderen Worten: man soll in die eigene Tiefe steigen und sich seiner infantil gebundenen Libido hingeben. Das Sollen drükt nur die für Eckhart natürlihe Richtung der rückläufigen Strömung im Seelen- leben aus. Aud hier liegt dasselbe Mißverständnis wie bei dem oben erwähnten Begriff der Ewigkeit vor: etwas, was höchstens als Symbol des Absoluten gelten kann, der in der Mutter wurzelnde Urgrund des Individuums, wird für das Absolute selbst ausgegeben.
Vergleihen wir Mystik und Rationalismus, so sehen wir, wie innig beide zusammenhängen? Man könnte sagen: der Rationalis= mus ist eine aufgeklärte Mystik, die Mystik ein theologischer Rationalismus. Beim Rationalismus heißt das metaphysishe An-sich- sein nicht mehr Gott, bei ihm überwiegt der Erkenntniszwec&, indes der Mystiker vor allem die Vereinigung mit der Gottheit im Auge hat. Beide bedeuten einen Fortschritt gegenüber den Projektionen der Religion, indem sie das tiefste Geschehen in das mensclice Gemüt verlegen. Und von da ist der Weg nicht mehr allzuweit zu ihrer Interpretation als (verschobene and symbolish verkleidete) Libidotheorien. Mag man über jene Entgötterung der Welt aud klagen: aber möge man nicht vergessen, daß noch genug des Rätsel- haften und Schicksalsmädtigen in der eigenen Seele bleibt.
ı Über den Mystiker hat L. Feuerbach in den Noten zum »Wesen des Christentums (Kröners Volksausgabe, p. 181) nachstehende treffende Worte ge- sagt: »Sein Kopf ist stets umnebelt von den Dämpfen, die aus der ungelöshten Brunst seines begehrlihen Gemüts aufsteigen.« Ferner: »Er setzt sich einen Gott, mit dem er in der Befriedigung seines Erkenntnistriebes unmittelbar zugleich seinen Gescdlectstrieb, d. h. den Trieb nach einem persönlihen Wesen befriedigt. So ist auh nur aus der Unzucdt eines mystischen Hermaphroditismus, aus einem wol= lüstigen Traume, aus einer krankhaften Metastase des Zeugungsstoffes in das Hirn das Monstrum der Schellingshen Natur in Gott entsprossen, denn diese Natur repräsentiert, wie gezeigt, nichts weiter, als die das Licht der Intelligenz
verfinsternden Begierden des Fleisches.« ® Vgl. auh L. Zieglers op. cit., p. 70.
Psydoanalytishe Anmerkungen zur Geschichte der Philosophie 189
Schon mehr als einmal war im Verlaufe dieser Arbeit vom Gottesbegriff die Rede. Bevor wir nun zur Besprehung der kosmo- gonishen Phantasien — denn das sind die philosophishen Systeme, die Gott an den Anfang setzen — übergehen, wollen wir einen Augenblick Halt mahen und die möglihen Bedeutungen des UGottes=- begriffes ganz flühtig betrachten. Gott ist, abgesehen davon, daß er eine Erhöhung des Vaters! darstellt, eine Personifikation psychischer Phänomene. Er kann einmal — mit einigen Einschränkungen — als Projektion der wunscerfüllenden, allmächtigen, allweisen endo- psydhishen Instanz des Unbewußten gelten, welch letztere während unseres sanzen Lebens das leistet, was der Vater nur dem be= BranTee Kind zu leisten shien. Auch der Kindern, Primitiven und gewissen Neurotikern eigentümlihe Glaube an die »Allmadht der Sedaukals (Freud) erschafft sih, wenn ihn die Wirklichkeit eines anderen belehrt, in Gott eine Wunscherfüllung, vielleiht auf dem Um- wege über den Vater, unser erstes Ideal. Wir wissen, daß das Kind seinem Grotte die Züge des Vaters, des zornigen und des liebenden (Altes und Neues Testament), leiht und sih der Erwachsene in Momenten der Hilfsbedürftigkeit in den Schutz dieser infantilen Mad begibt.
Der Teufel, »Deus inversus», der eine Personifikation unseres elementaren Trieblebens (Freud) vom Standpunkt des ablehnenden Bewußtseins (oder auc der entgegengesetzt gerichteten, regredienten Strömung im Seelenleben) ist, kann, wenn er als von Gott ab- fallend dargestellt wird, die im Verhältnis zum Vater existierende Komponente des Hasses bedeuten, während Gott auch ein Symbol unseres Bewußtseins, unserer höchsten Sexualverdrängung, unserer sittlihen Persönlichkeit, kurz: unser Ideal ist.
In der Auffassung des Verhältnisses Gottes zur Welt kann man zweierlei Systeme untersheiden: das Emanations- und das Kreationssystem?. Dem erstgenannten begegnen wir in der grie= chishen Philosophie zuerst bei Heraklit und dann bei den Stoikern. Beide fassen das Wesen Gottes als feurige, erwärmende und bildende Kraft auf (Urfeuer bei Heraklit, A6yos omeouarızdz bei den Stoikern), die alles in der Welt in ewig erneutem Kreislauf aus sih hervorgehen und in sih zurückströmen läßt, wobei das Ganze das Beharrende, sich ewig neu Erzeugende ist (Schwegler). Die Welt ist also eine Ausstrahlung Gottes in der Art, daß die mittelbare oder entferntere Emanation einen geringeren Grad von Vollkommenheit besitzt als ihr Prinzip, daß demnah die Gesamt- heit des Seienden ein absteigendes Stufenverhältnis darstellt. Die Emanationslehre findet ihre großartige Ausgestaltung bei den Neu- platonikern, später bei Scotus Eriugena und Meister Eck- hart, in der neuzeitlihen Philosophie kehrt sie beispielsweise bei
' »Die Gefühlsbedeutung des Vaters ist in Gott als äußerlihe Macht projiziert.< Freud. : Thomas von Aquino hat einen Mittelweg eingeschlagen.
19) Alfr. Frh. v. Winterstein
Jakob Böhme und Spinoza! (dessen Auffassung sih in vielen Punkten eng mit der stoischen berührt) wieder. Dem Kenner der Psyho- analyse erscheint diese ganze Theorie, die sih auh im Wahn- system des geistvollen Paranoikers Schreber? findet, als eine Pro- jektion gewissermaßen endopsydhish wahrgenommener Libidovor- gänge, als eine Darstellung der Emanation der beim Ih im Stadium des Narzißmus® verbleibenden Triebe, die zur Objekt- besetzung führt, und der immer wieder zu diesem Ausgangspunkt erfolgenden Regression. »Im Wechsel liegt Erholungs, sagt Heraklit. Ein solhes Alternieren zwishen den zwei Strömungen gehört vielleiht zu den normalen Vorgängen in uns. Und der Unterschied im Rang, den beispielsweise ein Plotin zwischen dem »Unendlih- Einens, wo die Entgegensetzung von Subjekt und Objekt aufge- hoben ist, und der din Welt als der entferntesten Emanation macht (voös und Seele sind eingeshobene Glieder dieses kosmo-= logishen Prozesses), drükt auf recht bezeihnende Art die ver- shiedene Bewertung von eigenem Sexualsubjekt-Objekt und dem fremden Libidoobjekt aus. Auch das von Plotin angewendete Gleichnis des Lichtes, welches, ohne selbst an seinem Wesen einzu= büßen, in die Finsternis strahlt, deutet geradeso wie die »Gottes- strahlen« Schrebers auf ein Libidosymbol. Ich erinnere ferner an das, was ih oben über die intime Beziehung von Narzißmus und » Vaterimago« (Gott) gesagt habe.
Der vom Neuplatonismus wie von aller Mystik erstrebte subjektive Zustand der Ekstase, wo das Subjekt »sich des Abso- futen innerhalb seiner selbst bemädtigt, es umarmt (l), wo das innere mystische Schauen? einer Berührung (dm/woıs) des Absoluten gleihkommt, wo das Subjekt sih vom Absoluten erleuchtet und erfüllt fühlt«, ist uns ebenfalls seinem Wesen nah schon bekannt (gesteigerte Introversion, die Vaterimago trinkt wie der Schatten in
er griehishen Unterwelt gewissermaßen Blut und erwadht zu vollem Dasein). Der vermutete Zusammenhang zwischen Narziß- mus und infantiler, konstitutionell verstärkter Schaulust® — Alfred Adler würde von einer Triebvershränkung sprehen — wird durch die große Bedeutung, die in den Plotinishen »Enneadens dem »ÜdEewoeiv« eingeräumt wird, bis zu einem gewissen Grade bestätigt.
ı Welder Unterschied freilih zwishen dem Urfeuer Heraklits und der abstrakten Substanz Spinozas!
? »Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken«, Leipzig 1903, Mutze, p. 19.
> Vgl. Freud, Psydhoanalyt. Bemerkungen über einen autobiographisch be- schhriebenen Fall von Paranoia, Jahrb. III, 1911, p. 54.
* Ich erinnere hier auh an die drei Momente des dialektischen Prozesses bei Proklos: Beharren, Heraustreten, Zurükkehren, Movn, stoöoÖdog, EtLoToogn. Bi 5 Das mystische Fühlen der Gottesnähe, das sogenannte persönliche innere
rlebnis.
6 Die narzißtishe Lust am eigenen Gliede ist mit der Lust, die Genitalien des anderen zu schauen, vershränkt. — Schreber madht auf p. 16 seines oben zitierten Buches folgende Bemerkung: »Die Seligkeit bestand in einem Zustand ununterbrochenen Genießens, verbunden mit der Anschauung Gottes.s
Psydhoanalytishe Anmerkungen zur Geschichte der Philosophie 191
In der III. Enneade, Buch 8, antwortet die Natur jemandem auf die Frage: »Weswegen schaffst du?« »Weil ich eine schaulustige Natur bin.« Und über den Narzißmus, der unser aller Denkweise beherrscht, äußert sih Plotin in der V. Enneade, Buh 8, wie folgt: »Wir indessen, die niht gewöhnt sind oder nicht verstehen, in das Innere zu schauen, jagen dem Äußeren nah, ohne zu wissen, daß es das Innere ist, was uns bewegt, wir gleichen einem Menschen, der beim Anblick seines eigenen Bildes niht wüßte, wo- her es kommt, und ihm nadjagte.«!
Wir sagen nihts Neues, wiederholen vielmehr nur mit anderen Worten schon Gehörtes, wenn wir dem Gedanken Aus- druk geben, daß dieses Absolute, mag es nun (mit deutlihem Hin- weis auf seinen Symboldarakter) Urfeuer, Gottheit, Erstes, Sub- stanz, Geist, Wille oder wie immer heißen, oft gegenüber der flüchtigen, veränderlihen Sinnenwelt die - Libido gegenüber ihren ewig wecselnden Besetzungen bedeuten kann. Im »Rigvedas ist die Welt direkt als Libidoemanation aufgefaßt. In Wagners »Tristan und Isoldes kommt es auf dem Höhepunkt der Liebesraserei zu einem Weltuntergange. Indes hier das Sexual- objekt alle der Außenwelt geschenkten Besetzungen an sich zieht, saugt während des stürmishen Stadiums der Paranoia das Ih des Kranken selbst diese Besetzungen ein, wodurh die Weltkatastrophe herbeigeführt wird.
Das Versinken in die eigene Libidoquelle, das Verlangen, in die eigenen Eltern wieder einzugehen, den Weg von neuem zu betreten, der in die dunkelste, fernste Vergangenheit, ins Absolute zurückführt, drükt auh den Wunsch jener mädtigen Strömung in unserem Innern aus, zu einem neuen und anders beschaffenen Leben geboren zu werden. Wie hier kosmisches und egoistisches Gefühl durdheinanderspielen, läßt sich im einzelnen nicht mehr sagen.
Im Absoluten ist der Untershied zwischen Subjekt und Ob- jekt ausgelösht. Dies wird von dem Individuum als lustvoll empfunden und ist unseres Erachtens von wesentlicher Bedeutung bei den ästhetishen Einfühlungsvorgängen. Vielleiht liegt darin eine Art Sehnsuht nah dem Zustande vor der Geburt‘.
Absdließend mödhte ih noch die Emanationstheorie® J. Böhmes mit wenigen Worten berühren. Da ist vorerst seine Lehre von der ewigen Natur in Gott. Der anthropologishe Dualis- mus zwishen Materie, Unreinem, Finsternis auf der einen und Geist, Bewußtsein, Licht auf der anderen Seite wird in Gott, den
! Nadı einem alten Mythus war Bacdus, als er sih in einem Spiegel be- trachtete, so entzückt von seiner Schönheit, daß er die Natur nach seinem Bilde formte. (Zit. bei ©. Kiefer, Die Enneaden des Plotin, Diederichs, 1905.)
? Freud, Psychoanalytishe Bemerkungen über einen autobiographish be= schriebenen Fall von Paranoia, Jahrb. II, p. 61.
® Vgl. Karl Joel, »Das Urerlebnise. Zit. bei Jung, Jahrb. IV, p. 316.
* Eigentlih eine Verbindung von Emanation und Kreation.
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gemeinsamen Urgrund, als von Anfang an bestehend, verlegt — eine Umgehung, nicht eine Lösung des Problems von Körper und Geist. Hier wird der Widerstreit von Bewußtem und Unbewußtem unnötigerweise auf Gott übertragen, Gott ist bei Böhme nichts anderes wie eine Projektion seiner eigenen neurotishen Psyche, Es ist, als ob Böhme den Konflikt, dessen Lösung für ihn zu shwer war, vertrauensvoll seinem Vater übergeben hätte. Da ihm ein Madtspruh Gottes zum Verständnis der Schöpfung nicht genügte, sudhte er nah einer natürlihen Erklärung der Natur und entdeckte so zwei letzte Qualitäten. Weil aber die Annahme von zwei selbständig existierenden Urelementen mit seiner religiösen Ge- sinnung unvereinbar gewesen wäre, setzte er diesen Gegensatz in Gott selbst — er untershied ein sanftes, wohltätiges und ein grimmiges, verzehrendes Wesen (das vollkommenste Wesen und die böse Welt). Alles Feurige, Bittere, Herbe, Zusammenziehende, Finstere, Kalte kommt aus einer göttlihen Herbigkeit, Bitterkeit, Kälte und Finsternis, alles Milde, Glänzende, Erwärmende, Weide, Sanfte, Nacdgiebige aus einer milden, sanften, erleuchtenden Quali- tät in Gott!. Die Ersheinungswelt spaltet sih noch einmal in Gutes und Böses, Schönes und Häßlihes, Wahrheit und Irrtum. Wir dürfen vielleiht sagen, daß die dem Vater gegenüber herr- schende ambivalente? Gefühlseinstellung auf Gott projiziert und auf sie alle Verschiedenheit in der Qualität der Dinge zurückgeführt wurde. Ic erinnere an dieser Stelle auh an Empedokles, der zwei Kräfte als Prinzipien der Bewegung annahm: die Liebe als das Ver- einende und den Haß als das reale
Im Gegensatz zu der Emanationstheorie, wo die Ersheinungs- welt aus dem Ding an sich emaniert (mit oder ohne Remanation), ist nah der Kreationsauffassung das Ding an sih von uns völlig wesensvershieden. Für Augustinus, den bedeutendsten Vertreter dieser Richtung, ist »mundus a deo ex nihilo creatus«. Über die Bedeutung des »nihil« ist viel gestritten worden, einige nahmen ein totales Nihts an, andere meinten, das »nihil« heiße soviel wie wüste ungeformte Materie. In diesem Falle würde es sih um die stärkste Enntwertung des gegenüber der Emanationstheorie immerhin wenigstens noch vorhandenen sexuellen Partners? handeln.
Das anfänglihe Befremden über diese Gleichstellung von letzten kosmischen Potenzen und den zwei Geschlechtern verliert ein gutes Stück seiner Berechtigung, wenn man sih vor Augen hält, daß die Menschheit in ihren urtümlichen Bildern überall den Körper, die Materie (vgl. den etymologishen Zusammenhang mit mater) als das weiblihe, negative, gebärende, den Geist, das Erkennen
ı Zit. nah L. Feuerbach, Das Wesen des Christentums, p. 58. Kröners Volksausgabe.
2 Nach einem treffenden Ausdruk von E. Bleuler.
® Bei einem Philosophen unserer Tage, ©. Weininger, ist die Gleihung Weib-Nichts-Materie zu neuem Leben erwacht.
Psycdoanalytishe Anmerkungen zur Geschichte der Philosophie 193
als das männliche, positive, zeugende Prinzip aufgefaßt hat. In der indishen Bhagavad Gita werden die Körper Kscetra (Gefäße, fruchttragender Boden, Mutterleib) genannt. Dasjenige, was (in dem- selben) Bewußtsein hat, heißt Kscetradshna (der Geist). Der höchste Weltgeist ist die erzeugende, befruchtende Kraft, die Welt- seele (Paramatma) in der ganzen Natur. Und in der Lehre des Buddhismus ist das Erkennen die formende Kraft, die aus den materiellen Elementen ein Wesen, das einen Namen trägt und mit einem Körper bekleidet ist, entstehen läßt!. Die chinesische Schrift besitzt für das Wort »Weibs und das Wort »Negations? das gleihe Zeichen. Die Beispiele ließen sih natürlih vermehren.
Hätte — um an das Frühere wieder anzuknüpfen — das »nihil« hingegen die Bedeutung eines völligen Nichts, so käme bei der Ershaffung der Welt etwas Ähnliches wie der früher erwähnte Glaube an die »Allmaht der Gedanken«® in Betraht. »Und Gott spraht: Es werde Liht. Und es ward Liht.« Gott ist hier der wunscerfüllenden endopsydhishen Instanz gleichzusetzen.
Zur Unterstützung dieser »sexualistishen« Interpretation führe ih folgende Sätze Jungs an: »Bei Anaxagoras handelt es sich darum, daß die lebendige Urpotenz des voös der toten Urpotenz der Materie wie durh einen Windstoß die Bewegung erteilt. Dieser voös, der dem späteren Begriff des Philo, dem /oyos omsouarızös der Gnosis und dem paulinishen wveöua sowie dem sweöua der nebendhristlihen Theologien shon reht ähnlih ist, hat die alte mythologishe Bedeutung des befruhtenden Windhaudhs, der die Stuten Lusitaniens und die ägyptischen Geier befruchtete.«
Es ist im höchsten Grade bemerkenswert, daß die bei den Naturvölkern überaus verbreiteten Weltelternmythen, die sich indes auh in den Kosmogonien® der Kulturvölker finden, in den ent- wickelten Religions- und Philosophiesystemen zumeist den Shöpfungen der Welt durh Gott allein den Platz einräumen, was sich vielleicht dadurh erklärt, daß die Libidobesetzung der Mutter infolge von Inzestwiderständen schon sehr bald und in ausgiebiger Weise auf den Vater vershoben wurde, wodurdh dessen beinahe pathologische Überbesetzung begreiflih wird. Ih hege überhaupt die Vermutung, daß die religionsbildende Kraft vom Sohne ausgeht, Religion hat der Sohn, indes der Vater (nah einer Äußerung Freuds) die Gesetze gibt. Der Gott der Juden ist ein strenger Gesetzgeber der Un- mündigen, das Christentum (wohl auch der Mithraskult) die Shöpfung
ı Oldenberg, Buddha, p. 256.
®: Was am Weibe negiert wird, ist der Penis. Die Feststellung dieses Untersciedes hat für das kindlihe Denken die folgenreichste Bedeutung.
> Vgl. auch den bergeversetzenden Glauben des Christentums!
* Wir haben an früherer Stelle Gelegenheit gehabt, auf die Identifikation von Sprehen und Zeugen hinzuweisen.
5 Unter den Gnostikern ist es namentlih Bardesanes, der dem »Vater ‚des Lebens« eine weiblihe Gottheit als empfangende Potenz bei der Weltbildung zur Seite gab.
Imago II/2 13
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des mündig gewordenen liebenden Sohnes. Das Alte Testament kennt nur den Begriff des Gerehten, niht den des Heiligen wie die Jesus-Religion (Kassner). Der Heilige ist ein Mensc, der, um nicht eine Person lieben zu müssen, alle, ja alles liebt! und so auf eine arhaische Stufe regrediert, wo die Sonne sein Bruder und der Mond seine Schwester ist (hl. Franciscus von Ässisi, ähnlih mande Geisteskranken). Der Heilige hat ein exquisit infantiles Weltbild: es ist alles eine Familie, die Eltern sorgen shon für einen?.
Einen Hinweis auf die der Verdrängung verfallene Bedeutung der Mutter können wir — wie oben festgestellt wurde — in der völlig zurücktretenden Rolle entdecken, die in einem System die Materie, aus der Gott die Welt schafft, gegenüber seiner Allmadt spielt. Es besteht ein tieferer Konnex zwischen der Tendenz zur Entwertung des Weibes, die aus der Sexualablehnung® resultiert, und dem neurotish verstärkten Glauben an den besonderen Reali=- tätsgrad des Geistigen. Die zurücgezogene Libido hat eine Über- besetzung des Denkens zur Folge. Aber »naturam si expellas furca, tamen usque recurret«. Die blutlosesten Begriffsverhältnisse werden nun einmal nach dem Vorbild des Sinnlihen aufgefaßt.
Allgemeinste Seinskategorien sollen die einzelnen Erscheinungen »erzeugen«, ihre Gesetze sollen sih Befolgung »erzwingen«*. Nod die Hegelsche dialektishe Methode, die die der Position zur Seite gestellte Negation zum Vehikel des dialektischen Fortschritts und der realen Entwicklung überhaupt madt, zeigt die Spuren dieser irdi- shen Herkunft. Selbst die höchsten intellektuellen Operationen sind also oft an die Vorbildlihkeit des Sexuellen gebunden.
Die Annahme, daß die Erscheinungen durh Gott allein erzeugt werden, hat ihre Heimstätte in der Religion und geht wohl auf die früher erwähnte Abkehr von der Mutterlibido und entsprechend ver- stärkte Besetzung der Vaterimago zurük. Der Glaube an die All- macht der Gedanken fließt ununtersheidbar in den Glauben an die Allmaht des Vaters über. In der dhristlihen Religion hat Gott seinem Sohn gegenüber direkt androgynen Charakter, indem er mit einer Gebärmutter versehen wird (Mißlungene Verdrängung des anderen Elternteils). Bei Petavius, de Trinitate lib. V. c. 7, $ 4 heißt es: »Ebenso sagt die Schrift, daß der Sohn aus der Gebär- mutter vom Vater erzeugt sei, denn obgleich in Gott keine Gebär- mutter, überhaupt nichts Körperliches ist, so ist doh in ihm wahre Erzeugung, wahre Geburt, die eben mit dem Worte: Gebärmutter, angezeigt wird.«
ı Vgl. die Worte: »Da sie (die Welt) ein Korn Staubes ist, nimm allen Staub an dein Herz! Da du einen Menschen nicht lieben darfst, liebe alle Menschen !«
2 Wie ganz anders empfand die Antike mit ihrer Distanz zum Objekt, ihrem kriegerischen Hasse gegen die Feinde.
3 Ihre Gründe sind inzestuöser Natur.
EN 4 Me G. Simmel, Vom Wesen der Kultur, Österr. Rundshau, XV. Bd, ı P- ,
Psychoanalytishe Anmerkungen zur Geschichte der Philosophie 195
Es ist nicht völlig ausgeschlossen, daß die Fiktion einer leib- lihen Abstammung vom Vater die Überkompensation eines infantilen, namentlih aber von Zwangskranken gehegten Zweifels, ob man der Sohn seines Vaters sei,! bedeutet. Nach der Anschauung der maz- däishen Sekte Gajomarthija entstand Ahriman durch den Zweifel des Gottes Jazdans?. Man darf aber anderseits nicht vergessen, daß der Glaube an das Hervorgehen des Kindes aus dem Vater ein der primitiven Denkweise nicht fremder ist: er findet sich so gut bei Stämmen Südostaustraliens wie in den »Eumeniden« des Äschylus, in der Bibel u. a. a. ©.
Daß Gott gerade einen Sohn hat, findet möglicherweise eine (freilih nur partielle) Erklärung in der bekannten kindlihen und ee Auffassung, daß die Mutter Töchter macht, der Vater
öhne.
Im Vorübergehen sei nun bloß mit einigen Worten dreier Lehren Erwähnung getan, die im Laufe der Zeit immer wieder die Gedanken der Philosophen beschäftigt haben: ih meine den Glauben an eine Präexistenz, an die Seelenwanderung und an »die ewige Wiederkehr des Gleihen«. Die erstgenannte Überzeugung hat wohl ihre individuelle Wurzel in dem bekannten Gefühl des »deja vus, das nah Freud? der Erinnerung an eine unbewußte Phantasie ent- sprehen soll. Die Präexistenz ist höchstens eine soldhe in bezug auf die Existenz des Erwachsenen, der infolge einer großen Lücke in seinem Gedäcdtnis seiner Kindheit ganz fremd geworden ist und sie als ein früheres, anderes Dasein empfindet. Charakteristisch hie- für ist der Ausspruch von Liebenden, die ihr Objekt unbewußt nach dem Vorbild der Mutter gewählt haben: Mir ist, als hätte ich sie schon vor Jahrtausenden gekannt, als hätten wir bereits auf einem anderen Stern zusammen gelebt, und so ähnlich.
Die mit dem Glauben an eine Präexistenz verwandte Auf- fassung, daß die noch nicht geläuterten Seelen nah dem Tode einer Wanderung durh neue Menschen-, Tier- oder Pflanzenleiber unter- worfen sind, entspringt in erster Linie wohl ethisch=religiösen Motiven, vor allem dem Glauben an eine sittlihe Weltordnung. Aud das Bewußtsein, daß unser innerstes Wesen mit seinen Begehrungen und Fähigkeiten in einem individuellen Dasein nie und nimmer erschöpft werden könne, mag bei der Entstehung dieses allerdings über- wiegend pessimistish gefärbten Glaubens mitgewirkt haben. Eine Bestätigung shien dem Anhänger der Seelenwanderungslehre aus der Außenwelt entgegenzukommen: er konnte in einer Zeit, wo die
! Lichtenberg, »Ob der Mond bewohnt ist, weiß der Astronom ungerähr mit der Zuverlässigkeit, mit der er weiß, wer sein Vater war, aber nicht mit der, woher er weiß, wer seine Mutter gewesen ist«. (Zit. bei Freud, Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose, Jahrb. I., 1909.
® Zit. bei J. Nelken, Analytishe Beobahtungen über Phantasien eines Schizophrenen, Jahrb. IV, p. 536.
3 Freud, Zur Psychopathologie des Alltagslebens. Berlin 1910, p. 139.
* »Das Geheimnis der Reminiszenzs im Sinne Schillers.
13*
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ihn umgebenden Objekte noch mit Libido besetzt und zum Teil schon im Begriffe waren, Libidosymbole zu werden, oder auch später, wenn die Libido, von ihrem ursprünglihen Ziele aus irgendwelchen Gründen abgelenkt, sih an die Gegenstände der Natur heftete, in dem Blicke eines Hundes so gut wie im Wehen einer Pflanze eine ihm ähnliche Seele vermuten, die wie zur Strafe — denn der Mensch hatte sih schon als Krone der Schöpfung empfinden gelernt — in diese Gestalten gebannt zu sein schien. Nur seine untermensdliche Natur, seine bösen Triebe und Neigungen, personifizierte er nun in gewissen Tieren. Erhielt ein Tier den Charakter eines Libidosymbols, so setzte das einen Dualismus im Menschen, einen Widerstreit zwishen Bewußtem und Unbewußtem voraus. Auf diesem Boden erst waren ethisch=religiöse Wertungen entstanden, die, vom Stand- punkt des ablehnenden Bewußtseins aus vollzogen, die Existenz der ne in einem soldhen tierishen Symbol als Erniedrigung auffassen mußten.
Die Seelen wandern also in dem Maße, als die Libido wandert. Ein auffallender Hinweis auf ihre Gleichstellung findet sich in der Schrebershen Biographie!. Auf p. 333 lesen wir: »Die Seelen gleihen kleinen Kindern, die auf ihre Nashware — die Seelen- wollust — nicht einen Augenblick verzichten können oder wollen.«
Die dritte der zu besprehenden Theorien, die Lehre von der ewigen Wiederkehr des Gleichen, ist uralt?, tritt bei den Orphikern, bei Pythagoras, Heraklit, Anaximander und Empedokles, dann bei Plato und den Stoikern auf und wir finden sie bei Nietzsche wieder (verwandte Anschauungen sprahen auh Herder und Goethe aus). So wie Nietzsche die Lehre von der »ewigen Wiederkunfts in der »fröhlihen Wissenschafts? formuliert: »Jeder Schmerz und jede Lust und jeder Gedanke und Seufzer und alles unsäglih Kleine und Große dieses Lebens muß dir wiederkommen und alles in derselben Reihe und Folge — und ebenso diese Spinne und dieses Mondliht zwishen den Bäumen und ebenso dieser Augenblik und ich selber. Die ewige Sanduhr des Daseins wird immer umgedreht — und du mit ihr, Stäubchen vom Staube!« — in dieser Übertreibung und Übershätzung des Augenblicks erscheint sie jeder realen Berechtigung entbehrend. Sie hat ihre Quelle in der Beobachtung äußerer und innerer Periodizität; auch das bekannte un- heimlihe Gefühl, genau dieselbe Situation schon einmal erlebt zu haben* — das oben zur flüchtigen Erörterung gelangte — mag
ı Schreber erwähnt übrigens auch flüchtig die Seelenwanderung (Il. c., p. 15): »Die betreffenden Menschenseelen wurden dabei (nämlich bei der Seelenwanderung) auf anderen Weltkörpern, vielleicht mit einer dunklen Erinnerung an ihre frühere Existenz, zu einem neuen menschlichen Leben gerufen, äußerlih vermutlich im Wege der Geburt, wie es sonst bei Menschen der Fall ist«.
®2 Assyrish=-babylonishen Ursprungs.
° Ähnlih dann auh im »Zarathustra«.
* »L’essentiel du ‚deja vu’ est beaucoup plutöt la negation du present que laffırmation du passe.« P. Janet, Les nevroses, Paris, Alcan,
Psydhoanalytishe Anmerkungen zur Geschichte der Philosophie 197
seinen Anteil an der Entstehung dieses Glaubens haben. Es ist dann ferner der periodische, für alle Entwicklung im Menschen wesent=- lihe Wechsel in der progredienten und regredienten Strömung unseres Seelenlebens, der sih der endopsyhishen Wahrnehmung bemerkbar macht und bei Heraklit eine durdhsichtige symbolishe Darstellung erfahren hat: im Weltgeschehen existieren zwei ewig alternierende Prozesse, der Weg des Urfeuers nah unten (6öös xarow), der Prozeß der Erstarrung, durch den die Einzeldinge (Natur) entstehen, — und das Übergehen ins Feuer, der Weg nach oben (dos dvo), Ganz ähnlich lautet die stoishe Lehre von der periodishen »Ermiowoıs« und »walıyyeveoia« der Welt, immer entstehen dieselben Menschen,
die das gleihe Geschick erfahren. |
Ih erinnere hier auh an die Goetheshen Verse aus der »Legende«: »Immer wird es wiederkehren, immer steigen, immer sinken, sich verdüstern, sich verklären, so hat Brahma dies gewollt.« Im paranoishen System Schrebers findet gleihfalls diese Lehre »von dem ewigen Kreislauf der Dinge, der der Weltordnung zugrunde liegts, Erwähnung. Auf p. 19 seiner »Denkwürdigkeiten usw.« lesen wir: »Indem Gott etwas schafft, entäußert er sich in gewissem Sinn eines Teiles seiner selbst oder gibt einem Teil seiner Nerven eine veränderte Gestalt. Der scheinbar hiedurch entstehende Verlust wird aber wiederum ersetzt, wenn nad Jahrhunderten und Jahrtausenden die selig gewordenen Nerven verstorbener Menschen, denen während ihres Erdenlebens die übrigen erschaffenen Dinge zur körperlihen Erhaltung gedient haben, als ‚Vorhöfe des Himmels’! ihm wieder zuwadsen.« Hier ist — wie auch aus anderen Stellen des Buches zur Genüge hervorgeht — das Aussenden und Wiedereinziehen der Libidobesetzungen in dingliher Weise zur Darstellung gebraht. In endopsydhish wahrgenommenen Libidovorgängen können wir also die gemeinsame Grundlage der Emanations- (beziehungsweise Re= manations=-) Systeme und bis zu einem gewissen Grad auh der Lehre von der ewigen Wiederkehr des Gleihen erbliken. Ewigkeit, Zeitlosigkeit ist eine dem Unbewußten wesentlihe Bestimmung. Eine psychoanalytische Untersuhung der buddhistishen und vorbuddhisti= schen Spekulation würde wahrsceinlih eine Beziehung zwischen ihrer Verinnerlihungstendenz und der gering geschätzten Rolle, die der Zeitbegriff? in ihr spielt, aufdecken.
Im folgenden gehen wir zu einem anderen Kapitel über: wir wollen nämlich die typischen Begriffe der Welt in aller Kürze vom Standpunkt der Psychoanalyse aus mustern, um festzustellen, welcher Weltbegriff einer solchen Prüfung standhält und sich nicht als durch unbewußte Motive bestimmt erweist. Die Aufgabe der Psychoana-
‘ Der Ausdruk »Vorhöfe des Himmels« kommt auch bei Eckhart vor.
® Das scheint auch mit Eigentümlichkeiten des indischen Volksgeistes zu=-
sammenzuhängen, »der für das Wann der Dinge nie ein rechtes Organ gehabt hat« (Oldenberg).
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Iyse ist also eine rein negative. Was uns als wesentlich neurotische, infantile oder primitive Betrahtungsweise der Wirklichkeit erscheint, scheidet aus der Gruppe der Weltanshauungen, die auf objektiven Wert Anspruch erheben, aus, ohne daß die Psychoanalyse es als ihre Aufgabe eradhten dürfte, innerhalb dieses Kreises selbst end- giltige Entscheidungen zu treffen. Als rein psychologisch orientierte Wissenshaft hat sie den Erkenntnisinhalt als psydhischen Tatbestand hinzunehmen und zu versuchen, auf seine individuellen und generellen Entstehungsbedingungen zurückzugehen, eine erkenntnistheoretische Würdigung liegt ihr fern, sie kann nicht die Giltigkeit von Normen begründen, denn aus der eindringendsten Kenntnis dessen, was ist und gescieht, leitet sih nicht mit innerer Notwendigkeit ab, was sein und geschehen soll. Wer sich für eine kritische a die den Erkenntnisinhalt seiner Geltung, seiner Bedeutung und Trag- weite nach nimmt, interessiert, möge die vorzüglihe Arbeit eines Wiener Philosophen: Weltbegriff und Erkenntnisbegriff, von Dr. Viktor Kraft! einsehen.
Gehen wir vorerst von der fundamentalen Einteilung der Welt- begriffe in monistishe und dualistishe? (eventuell pluralistische) aus, so werden wir auf der einen Seite die materialistishe Auffassung den Weltbegriff der psychophysischen Identität, den idealistishen und positivistishen Weltbegriff, auf der anderen Seite den realistish- dualistishen Weltbegriff vorfinden. Ih füge hinzu, daß sich diese einzelnen Typen trotz des befremdenden, ja verdrehten Eindrucs, den dieser oder jener auf den sogenannten gesunden Menschenver- stand machen mag, schließlih nur als konsequente Fortbildungen der naiven, an inneren Widersprühen reihen Weltansicht, eines »vagen Dualismus« (Jerusalem), herausstellen.
Der Materialismus, die bequemste und plumpste Art, die Ver- schiedenheit von Seelishem und Körperlihem aufzuheben, ist ja seinem Wesen nah bekannt. Das Seelishe mit einem Gehirnvorgang einfach zu identifizieren — wie es der primitive Materialismus tut —, ist offensichtlich falsch, dabei ist er aber doch eine der verbreitetsten Weltansihten. Es ist schon viel weniger grob, wenn man das Seeli- sche als Resultat körperliher Vorgänge auffaßt oder jenes an diese unlösbar geknüpft denkt. Hier ist bereits ein Dualismus, obzwar nodh nicht auf dem Boden der Gleichberehtigung, angedeutet.
Einer gewissen Beliebtheit erfreut sich in philosophischen
! Joh. Ambros Barth, Leipzig 1912. — Ich halte mich im nachstehenden an sein Schema. | ? Diese Gliederung hat mit der metaphysishen Frage nach einem Jenseits, heiße es nun wahres Sein, Ideenwelt, Ding an sich oder Noumenon, unmittelbar nichts zu schaffen. Hier handelt es sih bloß um das psychophysische Problem: Zwei Wesenheiten oder eine? indes die Annahme eines Jenseits zumeist die Tendenz zur Entwertung der gegebenen körperlich-geistigen Welt voraussetzt. Es gibt frei- lfih auch einen metaphysishen Idealismus, der beide Probleme zusammen erledigt. In Wirklichkeit fließen sie leicht ineinander über.
Psychoanalytishe Anmerkungen zur Geschichte der Philosophie 199
Kreisen der Begriff der psyhophysischen Identität. Entweder werden Physishes und Psydisches als Erscheinungsweisen desselben unbe= kannten Wesens oder als eine zweifahe Beschaffenheit des einen Absoluten, als zwei Arten von Eigenschaften, von »Ättributens, von »objektiven Realitätsformen« angesehen, Kraft hat mit Redt darauf hingewiesen, daß die erste Auffassung ein Subjekt als Träger eines Bewußtseins voraussetzt, indem sih das X »das eine Mal von innen, das andere Mal von außen, das eine Mal direkt in der Selbstwahrnehmung, das andere Mal indirekt, d. h. durdh die Sinnesorgane«! darstellt. Wir stünden also wieder vor einer Dualität von Sein und Bewußtsein, vor einem Phänomenalismus. In der zweiten Fassung liegt ein wirklicher, allerdings metaphysischer Monismus vor. Diese Ineinsetzung jenseits der Erfahrung hat die deutlih empfundene Verschiedenheit von Geist und Materie zur Bedingung und ist ein bloß spekulativer Gedanke.
Fin Monismus, wenn auch zumeist empirisher Art, ist die Lehre des Positivismus und Idealismus. Vorab eine kurze Be- merkung über die beiden Termini: sie sind keineswegs etwas Ein- deutiges. Man spriht von einem subjektiven, objektiven, absoluten, transzendentalen, metaphysiscen, erkenntniskritishen, psychologischen, ja »magishen« Idealismus, man untersheidet den Positivismus Auguste Comtes, von dem eines J. St. Mill, Laas und Avena- rius. Beshränken wir uns auf diesen letzteren. Er erhebt das »Be- wußtsein zum übergeordneten Begriff, der sowohl Körperlihes als Seelisches in völlig neutrale Erlebnisphänomene auflöst. Beide be- deuten nur eine bestimmte Zusammenhangsbeziehung innerhalb des Bewußten «Eingeordnetheit im Natur-, im Ich-Zusammenhang). Derselbe Erkenntnisinhalt kann je nach der Eingliederung, je nad der Betrahtungsweise als seelisch oder körperlih genommen werden«?, Diese Trennung gegenüber dem Idealismus, de Bewußtsein und Seelisches gleichsetzt, ist jedoch im letzten Grund nicht haltbar; das Bewußte ist ja seiner Realitätsart nach nichts anderes wie das Seelishe und damit ordnen sich Positivismus und Idealismus der gleihen psychoanalytischen Betrachtung unter.
Jeder Idealismus — der nah Krafts überzeugender Darlegung in seiner konsequenten Weiterbildung bewußtseinsimmanenter Sub= jektivismus werden muß — geht von einer unbewußten Tendenz zur Entwertung der materiellen Außenwelt aus. In der Gestalt des metaphysishen Idealismus beispielsweise läßt er neben der immateri- ellen Welt der Jdeen die niedrigere Welt der Körper und der Wahrnehmung bestehen, der Solipsist hingegen anerkennt überhaupt nur seinen individuellen Bewußtseinsinhalt: das Binzige, was existiert, sind seine Vorstellungen. Als eine Fortsetzung des vor= platonishen metaphysishen Gegensatzes von Erscheinung und
! Jodl, Lehrbuch der Psychologie, I. Bd., p. 91. ?: Kraft, b €, p. 122
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wahrem Sein erweist sih der transzendentale Idealismus oder Phänomenalismus, der uns bloß eine Erkenntnis der Phänomena, aber nicht der erfahrungsjenseitigen Noumena einräumt und in sich nun auch den Gegensatz! von Seeliih-Bowaßtem und Körperlichem einschließt. Auch diese Kantishe Lehre leitet, energish zu Ende gedacht, zum subjektiven Idealismus über. Der magische Idealismus eines Novalis — ohne nennenswerte visseischa Bedeutung — fußt auf dem Glauben an die »Gedankenallmahts: die Körper- welt sol[ durh den Geist willkürlih beeinflußt werden, höchstes Ziel ist die faktishe Aufhebung des Lebens durh den Willen. Aud andere Gestaltungen des Idealismus: die Monadenlehre Leibniz’, die Theorien Berkeleys, der subjektive Idealismus Fichtes, der objektive Schellings, der absolute Hegels bieten der erkenntniskritishen Betrahtung ebensoviele verschiedene Prob- lemstellungen, für den Psychoanalytiker vershwimmen diese Uhnter- shiede gegenüber der ähnlihen psychischen Ausgangssituation, auf deren Beschreibung es mir hier ankommt. Es handelt sih nämlich in allen Fällen um das Verhältnis zur äußeren Realität, deren ob= jektiver Charakter vom Idealismus, wenn nicht aufgehoben, so doch mindestens graduell beeinträchtigt wird. Das Geistige, das von der naiven Weltansiht des Erwachsenen? überhaupt nicht als mit einem spezifishen Wirklihkeitsgrad versehen empfunden wird, erhält — wahrsceinlih infolge der von der Außenwelt zurücgezogenen Triebbesetzungen — ein ungewöhnliches, erhöhtes Realitätsgefühl. Ih habe den Ausdruck Triebbesetzungen gewählt, da ih mir vor- stelle, daß das Interesse, das wir der Außenwelt entgegenbringen, niht nur aus libidinösen, zumindest nicht aus »rezentsexuellen« ? Quellen allein gespeist wird. Dabei ist folgender Unterschied zu beachten. Die Besetzungen, die von den Ichtrieben, namentlih vom Nahrunsgstrieb, ausgehen, sind infolge der besseren Befriedigung, die diesen Trieben gewöhnlih im Gegensatz zum Sexualtrieb gewähr- leistet ist, oft von geringer Intensität, ja, hier die Störungen des Kontaktes mit der Außenwelt viel seltener, da beispielsweise beim gene eine halluzinatorishe Besetzung des Erinnerungs- bildess des Nahrungsobjektes praktish wertlos ist, indes beim Sexualtrieb die Besetzungen vor allem infolge der stärkeren Berük- sihtigung des Individuellen bei der Objektwahl und der größeren
! Der Dualismus von Körper und Seele hat seine Vorbereitung bereits in der späteren Stoa und dem Neupythagoräismus, seine Vollendung bei Augustin gefunden.
?2 Beim Primitiven und beim Kinde ist das Denken noch in reihem Maße sexualisiert;, aus dieser Überbesetzung folgt der Glaube an die Allmadht der Gedanken (vgl. Freud, Über Animismus, Magie und Allmadht der Gedanken, »Imagos, II, 1).
® S. Jung, Wandlungen und Symbole der Libido, Jahrb. IV, p. 171ff;, an dieser Stelle wird einem genetischen Begriff der Libido das Wort geredet, »der das Rezentsexuale um einen beliebig großen Betrag an desexualisierter Urlibido erweitert«.
Psydhoanalytishe Anmerkungen zur Geschichte der Philosophie 201
Schwierigkeit der Bedürfnisstillung ihrer Intensität nach erhöht sind, Störungen leicht eintreten und jederzeit der Rükzug auf sich selbst, die Introversion und Wiederbelebung der infantilen Imagines durdh= führbar ist. Mit Freud wird man die Möglichkeit von Rük- wirkungen der Libidostörungen auf die Ichbesetzungen ebensogut zulassen dürfen wie die Umkehrung davon, die sekundäre oder induzierte Störung der Libidovorgänge durh abnorme Ver- änderungen im Ih. Da diese aber ziemlich selten sind, anderseits die Ichbesetzungen der Außenwelt auh im Falle einer Libido- störung noch aufrechterhalten werden, kann man faktish, die ge- störte Relation zur Umgebung auf den Ausfall des Libidointeresses allein zurückführen. Die endopsyhishe Wahrnehmung einer solhen Affektablösung (Differenzierung) kommt nun in dem Gefühl des Fremden!, Traumartigen zum Ausdruck. Diese Affektablösung kann nur eine gewünschte, eine vollkommene oder teilweise gelungene sein. Den möglihen Zusammenhang einer solhen psyaischen Konstellation mit dem »idealistishens Standpunkt des Philosophen ersieht man vielleiht aus einer (natürlih einseitigen) Bemerkung Schopenhauers: er bezeichnet nämlih geradezu die Gabe, daß einem zu Zeiten die Menschen und alle Dinge als bloße Phantome oder Traumbilder vorkommen, als das Kennzeichen philosophischer Begabung?. Nun ist das sicherlih nicht die einzige Bedingung, um ein idealistisher Philosoph zu werden. Wir werden über einige weitere, wahrscheinlich notwendigen Voraussetzungen im zweiten Teil unserer Ärbeit handeln.
Ziehen wir die »Denkwürdigkeiten« Schrebers zu Rate, jenes geistvollen Paranoikers, der ein in sich geschlossenes theologisch- philosophishes System errichtete, so erfahren wir daraus, daß sein Verkehr mit übersinnlihen Kräften — von denen er sich sehr be= stimmte Vorstellungen maht — in dem Augenblick beginnt, wo die Libidoablösung von der Realität vollzogen wurde. Auc das dadurch bedingte Gefühl des Fremden fehlt hier nicht:® »In der Rihtung des Barreike Bahnhofs sah ich über die Mauern der Anstalt hinweg nur einen schmalen Streifen Landes, der mir einen durchaus fremdartigen, von der eigentlihen Beschaffenheit der mir wohlbekannten Gegend völlig abweichenden Eindruck machte, man sprah zuweilen von einer ‚heiligen Landschaft‘.« Es klingt fast wie eine innere Wahrnehmung der Hand in Hand mit der Ablösung
! Stekel, Die Sprahe des Traumes, Bergmann, 1911, p. 437. Ferner: Löwenfeld, Über traumartige und verwandte Zustände, Zentralbl. f. Nerven- heilk., 20. Bd., 1909, — Goethe: »Trocknet nicht, trocknet nicht, Tränen der ewigen Liebe, Ad, nur dem halbgetrockneten Auge wie öde, wie tot die Welt ihm erscheint !«
2 Siehe auh C. Ph, Moritz, Anton Reiser, Reklam, p. 96: Beobachtung »eines unserer größten jetzt lebenden Philosophen hinsichtlih der Verwechslung von Traum und Waden.«
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ehenden Introversion! der Libido, wenn Schreber sih an zwei tellen seines Buches? folgendermaßen äußert: »Ein anderes Mal durchquerte ih die Erde vom Ladogasee bis Brasilien und baute dort in einem scloßartigen Gebäude in Gemeinschaft mit einem Wärter eine Mauer zum Scutz der Gottesreihe gegen eine sic heranwälzende gelblihe Meeresflut — ich bezog es auf die Gefahr syphilitisher Verseuhung.« Und die zweite Vision lautet: Ich habe ferner Erinnerungen, nah denen ich eine Zeitlang in einem Schlosse an irgendeinem Meere gewesen bin, das in der Folge wegen drohender Überflutung verlassen werden mußte und aus ia ih dann nadı langer, langer Zeit in die Flehsigshe Anstalt zurückgekehrt bin, in der ih mich auf einmal in den von früher bekannten Verhältnissen wiederfand.«
Es ist nicht ausgeschlossen, daß das in allen möglihen Mytho- logien und Kulten vorkommende uralte Motiv der Sintflut mit der Rettung eines einzigen Menschen neben anderen Determinanten auch auf die endopsyhishe Erkenntnis einer zum Stadium des Narzißmus regredierenden Strömung (wir gebrauhen noch immer das Bild!) der Libido zurückgeht. Wir werden also Schreber nicht widersprechen, wenn er findet, »daß in seinen Visonen Methode lage. Und in der Sintflutsage selbst: der eine tugendhafte Mensch gegenüber den vielen Sündern — diese Fiktion verträgt sih sehr gut mit der narzißtishen Selbstübershätzung, die sih bei Schreber in dem a an eine unerhörte »Änziehungskraft auf die Gottesnerven« audert.
Wenden wir uns wieder zu unserem eigentlihen Thema zurük. Das Gefühl des Fremden, das beispielsweise Schreber in den Menschen »flühtig hingemahte Männer« erblicken ließ, bedeutet nicht viel anderes wie jener Schopenhauershe Eindruk von den Menschen als bloßen Phantomen oder Traumbildern.
Dieses Ineinanderfließen von Traum und Wirklichkeit scheint für die idealistishen Philosophen gewissermaßen von heuristischer Bedeutung für ihre Weltanshauung zu sein. Der Denker, der zu=- erst in der neueren Philosophie die Frage aufgeworfen hat: Viel- leiht ist das Leben ein Traum? — Descartes schreibt in einem Brief? an seinen Freund Balzac vom Jahre 1631: »Ich schlafe hier jede Nacht zehn Stunden, und nachdem der Traumgott meinen aller Sorge ledigen Geist lange durch verzauberte Wälder, Gärten und Paläste geführt hat, in denen ih alle Freuden genieße, die die Märcden geschildert haben, vermengen sich allmählich beim Erwachen die Träume des Tages mit denen ieh Nadt.« In den »Meditationes
! Jung erklärt die Sintflut als Introversionssymbol. — Schon in der Ilias (XIV. Ges.) heißt es von Zeus, daß die Liebe seinen Sinn »rings umflutend bewältigt«.
21.0: 974573.
® Rene Descartes Epistolae, Frankfurt 1692. Epistola CI ad Dominum Balzacium (Officii ergo).
Psychoanalytishe Anmerkungen zur Geschichte der Philosophie 203
de prima philosophias stellt er eingangs die Behauptung auf, es lasse sih an allem zweifeln! nur niht daran, daß wir zweifeln?, also da das Zweifeln ein Denken ist, niht daran, daß wir denken. Der von ihm gesuchte archimedishe Punkt, der völlig gewisse und unzweifelhafte Sa ist dann für ihn das berühmte: Cogito ergo sum, ih denke und in diesem Denken besteht eben mein inneres Sein (Identität, niht Folgerung). Das Denken ist die unmittelbar gewisse Tätigkeit in uns. Aber, fragt Descartes weiter, bin ich dessen auh wirklih sicher, könnte ich niht von einem Dämon trotz der klaren und bestimmten Perzeption des Behaupteten getäuscht worden sein? Er geht nun zur Uhntersuhung des Daseins Gottes über und vermag im weiteren Verfolg nur durh Appellation an die Wahrhaftigkeit Gottes und seine Unfähigkeit zur Lüge die Realität der empirishen Welt zu beweisen.
Wer jemals Einblick in die Gedankengänge und Eigentüm- lihkeiten eines Zwangsneurotikers gewonnen hat, dem muß die Ähnlichkeit mit den Descartesshen Erwägungen und Zweifeln eine auffällige dünken. Die Isolierung von der äußeren Wirklichkeit, die Übershätzung der Denkrealität, der Zweifel und vielleicht auc die Rolle des Vaters, beziehungsweise Gottes — hiemit sind die haupt- sächlihsten Übereinstimmungen aufgezählt. Ih füge hinzu, daß der Vater im Leben Descartes von großem Einfluß gewesen ist. Wenn es wahr ist, daß das Verhältnis zum Vater von vorbildliher Be- deutung für das religiöse Verhalten eines Menschen ist, so dürfen wir uns nicht die den aufgeklärten Philosophen sein Leben lang in einem respektvollen Verhältnis zur Kirche stehen zu sehen. Für seine Beziehung zu Gott findet Descartes folgende shwär- merishe Worte®: »Die Überzeugung von dem warmen und innigen Anteil, den das allerhödste Wesen an unserem Geschick nimmt, wird uns nicht nur mit Dankbarkeit ihm gegenüber erfüllen, sie wird auh das Gefühl einer außerordentlihen unsagbar großen Liebe zu ihm in uns wacrufen, ein Gefühl, das so mächtig zum Ausdruk gelangen kann, daß ihm sogar nichts von der sinnlichen Lebhaftigkeit und Glut, mit der die Liebe zu einem irdishen Geshöpf verknüpft ist, zu fehlen braucht.« Die sinnlihe Liebe zu Frauen scheint indes im Leben des Philosophen im allgemeinen keine allzugroße Rolle gespielt zu haben. »Les enchantemens de voluptez«, berichtet sein erster Biograph Baillet*, »ne purent agir
! Es gebe aud kein zuverlässiges Kriterium, um zu entscheiden, ob wir in diesem Augenblick träumen oder wachen.
® Ganz ähnlih shon Augustin: »Indem ich zweifle, weiß ich, daß ich der Zweifelnde bin«, und so erzeugt gerade der Zweifel die Überzeugung von der Realität des bewußten Wesens. An einer anderen Stelle: »Tu, qui vis te nosse, scis esse te? Scio. Unde scis? Nescio. Simplicem te scis an multiplicem? Nescio. Moveri te scis? Nescio. Cogitare te scis? Scio«. — Verwandt ist der Ausgangs=- punkt des Philosophierens bei Occam und Campanella.
> Akademieausgabe, IV. Bd., p. 608 und 609.
* A. Baillet, La vie de Mr. des Cartes, Paris 1691, Chap. VIII, p. 39.
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en Juy que tres=foiblement contre les charmes de la philosophie et des mathematiques.«
Es liegt vielleiht ein tiefer psydhologisher Sinn darin, daß für Descartes die Realität der Außenwelt aus der Existenz jenes so persönlich gestalteten Gottes folgte. Ludwig Feuerbad hat den wahren Sachverhalt folgendermaßen formuliert: »Alle Gewißheit von Dingen außer uns ist uns vermittelt durh die Urtatsahe von der Existenz anderer Menschen (‚alter ego’). Denn ‚Ich’ bin zugleich ein ‚Du’ für den Nädhsten.«
Soll man es wagen, Einzelheiten aus der Lebensgeschichte des Descartes mit seiner Stellung zum Vater in Zusammenhang zu bringen? Es hat im Leben des Philosophen — bald nach dem Ab- gang von der Schule -—— eine Periode gegeben, in der eine mystische Naturstimmung den anfänglichen Skeptizismus ablöste: es existiert, hieß es damals, nur eine lebendige Kraft in den Dingen, das ist die Liebe, das Mitgefühl und die Harmonie. Wie weit sind wir hier von jenem Zweifel an der Realität alles und jeden entfernt, der den ersten Abschnitt der »Meditationes« durchdringt! Muß es gerade ein Zufall sein, daß der junge Descartes nicht lange nah Ablauf dieser pantheistishen Epoche seines Denkens in die Dienste der aufstrebenden, freiheitlih gesinnten Niederlande trat und es vermied, an den inneren Kämpfen, die in seinem Vaterlande wüteten, teilzu= nehmen? Der auch äußerlih! dokumentierte Versuh, zur Unab- hängigkeit zu gelangen, droht ihn aber in seinem Denken der Rea- lität der Außenwelt zu entfremden — worauf die einleitenden Sätze der »Meditationes« hinzudeuten sheinen? —, bis er auf dem Um- wege über Gott in alte Bahnen zurüclenkt und sein normales Ver- hältnis zur Umgebung wiedergewinnt.
Der oben erwähnte Vergleich des Lebens mit einem Traum ist natürlih längst vor Descartes gemaht worden. Wir treffen ihn in den indishen Veden und Puranas, bei Plato, Sopho- kles, Shakespeare und Calderon, dessen bekannte Dichtung Schopenhauer »ein gewissermaßen metaphysishes Dramas nennt.
Ich möcte schon jetzt? einem Mißverständnisse vorbeugen, das möglicherweise aus meiner Nebeneinanderstellung des Philosophen Descartes und eines beliebigen Zwangskranken entstanden sein könnte: es fällt mir nicht ein, zu behaupten, daß beide völlig identisch seien. Bin großer Denker, bei dem man ähnliche neurotische Züge nacdweist, ist viel mehr, wenngleih er in manchen Fällen
! Descartes nahm Kriegsdienste in fremden Ländern. — Bezüglih der Reiselust des Philosophen verweise ih auf meinen Aufsatz »Zur Psychoanalyse des Reisens«, Imago, I, 5.
? »„Quil falloit nier (aumoins pour quelque tEms) qu’il y eüt un Dieu, que Dieu pouvoit nous tromper; qu’il falloit revoquer toutes choses en doute, que l’on ne devoit aucune cr&ance aux sens, que le sommeil ne pouvoit se distinguer de la veille« (Baillet).
® Man entschuldige die nun folgende längere Abschweifung, die in manchem wesentlichen Stück streng genommen in den zweiten Teil der Arbeit gehört.
Psydhoanalytishe Anmerkungen zur Geschichte der Philosophie 205
auch ein Zwangsneurotiker ist. So wie wir mit dem pathologischen Experiment arbeiten, bedient sich vielleiht das Genie! gewissermaßen seines eigenen krankhaft veränderten Persönlichkeitsteiles, um mikro- skopish vergrößert das zu schauen, was dem gesunden Menschen- verstand ewig entgeht. Ich will mih durdh ein erfundenes Beispiel deutliher machen. Die Tatsahe der Determiniertheit des Willens ist wohl eine feststehende: aber der normale Mensch fühlt sie nicht, man wird ihm nicht feiht ausreden können, daß sein Wille völlig frei sei. Es mußte denkbarerweise ein einzelner kommen, der sich — was in der Neurose der Fall sein kann — nicht als den nad Willkür schaltenden Urheber seiner Handlungen empfindet, um den rihtigen Tatbestand zu erraten®. Mit einem Wort: Nervöse Störungen können einen heuristischen Wert besitzen, indem sie den besonders befähigten Geist in eine bestimmte Richtung einstellen, ermöglihen sie es ihm, neue Seiten des Daseins zu entdeken. Man kann vielleiht die Behauptung wagen, daß die Neurosen den Fort= schritt machen; es ginge jedoch entschieden zu weit, sie für den Fort- schritt zu erklären.
So beredhtigt es nun auh in manchen Fällen ist, die ver- drängten Triebkräfte des Unbewußten bloß als Agens — ohne nennenswerten inhaltlihen Einfluß auf die Denkprodukte des Philo- sophen — zu betrachten, so begründet ist in anderen Fällen die Annahme einer materialen Determinierung durh unbewußte Phanta- sien, Zwischen einer bloßen Steigerung der im Ichbetrieb vorhandenen Anlagen und einer stärkeren em mit dem Sexualtrieb im einzelnen Falle zu entscheiden, ist bisweilen fast unmöglih. Die größere oder geringere Anerkennung bei den anderen ist eben= falls kein ae or Kriterium in der Frage nah dem Anteils= verhältnis des Wunsch- und Erkenntnismaterials. Was subjektiven Wert für den Neurotiker besitzt, kann immer auch einen mehr oder weniger objektiven (Massen-) Wert darstellen, d. h. mehr oder minder allgemein giltig werden. Nicht ein (fiktiver) Wert an sich spielt in den Augen der Mehrzahl eine Rolle, sondern die Frage, ob das nerrefiende Geistesprodukt die Gemütsbedürfnisse möglichst vieler Menschen befriedigt. Und da ist zu sagen, daß die soge- nannten interessanten Philosophen, ein Platon, ein Schopenhauer vielleiht weniger Erkenntnis- und mehr Wunscmaterial bieten als beispielsweise ein Locke, ein Spencer, ein Auguste Comte, dabei
! Man hat der Psychoanalyse — mit Unrecht, wie mir scheint — vorge- worfen, daß sie das Genie verdähtige und verkleinere. Sie hat bloß — was keineswegs selbstverständlih schien — nachgewiesen, daß auch der Genius nicht
von oben kommt, sondern aus dunkler Tiefe nach oben geht. Sie hat ferner zwishen Echtem und Falshem oder sagen wir: zwischen objektiver Erkenntnis und subjektiver Phantasie unterscheiden gelehrt. Ihr Fehler war freilich bisweilen, die Dinge ohne die nötigen Einschränkungen und in allzu schroffer, einseitiger Form geschildert zu haben.
® Ih behaupte nun aber keineswegs, daß sich der Vorgang tatsächlich so abgespielt hat.
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aber viel weiter reihende Wirkungen erzielt haben. Sie heißen dem interessant, dessen gleichgestimmtes Unbewußte sie mitschwingen lassen. Die größere oder geringere Allgemeinheit der Komplexe und die Art ihrer Darstellung (die intellektuelle Blendung) entscheidet über ihre Aufnahme bei den anderen.
Bei der zweiten Gruppe von Denkern, den nüchternen, handelt es sih nur zum geringsten Teil um das Ausleben der Komplexe und ein solhes durh das Unbewußte nicht wesentlih gefälschte Weltbild verdankt seine Entstehung bloß einem kräftigen Forscher- trieb, zu dem sich eine in Wißbegierde sublimierte Libido als Ver- stärkung gesellt. Der bei diesen Denkern nicht zu unterschätzende Anteil der Ichtriebe soll noch im Verlauf unserer Arbeit zur Sprache kommen. | Auf dieser nicht mehr mythologishen Stufe des Erkennens hätte es keinen Sinn, das Unbewußte für die Forschungsresultate verantwortliih zu machen, da die Libido hier bloß als Motor des Denkens wirkt. Es wäre geradeso, wie wenn man aus dem Brenn= material der Lokomotive die Eigentümlihkeit der durchfahrenen Landschaft herleiten wollte.
Die vorläufige Untersheidung von nüchternen und mytholo- gischen Philosophen deckt sih ungefähr mit der von »Denkern« und »Scauern« (Chamberlain), wozu ih bemerke, daß diese Bezeich- nungen nur ein Mehr oder Minder, d. h. eine vorwaltende Anlage des eieres ausdrücken. Vielleicht sind eigentlihe » Weltanshauungen« bloß die Schöpfungen dieses visuellen ae dem der Typus des Dichters so nahesteht!. Ich erinnere nur an Plato. Es sei mir ge- stattet, über dieses Vorbild eines idealistishen Philosophen noch Einiges zu sagen.
Wenn wir ihn in die Nähe der Künstler stellen durften, so verdankt er dies niht nur der hohen Kunst seiner Sprahe, sondern auch seiner ganzen persönlichen Art, bildlich aufzufassen. Wer ent- sinnt sih nicht des glänzenden Vergleiches des irdishen Daseins mit dem Aufenthalt in einer unterirdishen Höhle am Anfang des sie- benten Buches der »Republik<? Wieder im »Phädross erscheint Plato die Seele unter dem Bilde eines Gespannes. Der vernünf- tige Seelenteil (Aoyıorıxov) ist der Lenker zweier geflügelter Rosse: eines edlen (des Övuoeıöes) und eines unedlen (der &midvuia). Im »Staate« endlih wird der begehrende Seelenteil mit einem Hunde verglihen. Es sind aus der Traumdeutung bekannte Symbole, teil- weise der funktionalen Kategorie?, die als unvergeßlihe Eindrücke in uns haften.
! Der halluzinatorishe Charakter des Unbewußten dürfte bei den »Schauern« ein gewichtiges Wort mitzureden haben. Man könnte vielleiht kurz und ungenau sagen: Bei diesen findet eine Regression von Gedanken zu Bildern statt, während umgekehrt der Dichter aus Bildern einen gedanklihen Zusammenhang zu gewinnen
sucht. ® H. Silberer: Beriht über eine Methode, gewisse symbolische Halluzi-
nationserscheinungen hervorzurufen und zu beobachten. Jahrb. I, p.
Psychoanalytishe Anmerkungen zur Geschichte der Philosophie 207
Platon der Künstler stellt in dem eben erwähnten Höhlenvergleich die Idee des Guten, die bei ihm wohl der Gottheit gleihkommt, durh das Bild der Sonne dar, bei deren Anblick der aus der Höhle Tretende Schmerz empfände, kaum vermödte er die Helligkeit der Flamme zu ertragen. Wer den Nadtrag zu der Arbeit Freuds über Schreber! kennt, wird sih der Vermutung nicht erwehren können, daß das dort über das Verhältnis zur Sonne Gesagte denk- barerweise auch bei Plato seine Anwendung findet. Ich setze die bezeihnenden Stellen aus dem Aufsatz hieher: »ÄAuf p. 48? er- wähne ih das besondere Verhältnis des Kranken zur Sonne, die ih für ein sublimiertes ‚Vatersymbol’ erklären mußte. Die Sonne spriht zu ihm in menshlihen Worten und gibt sich ihm so als ein belebtes Wesen zu erkennen. Er pflegte sie zu beschimpfen, mit Drohworten anzuscreien, er versihert auh, daß ihre Strahlen vor ihm erbleihen, wenn er gegen sie gewendet laut spricht. Nad seiner Genesung rühmt er sich, daß er ruhig in die Sonne sehen kann’ und davon nur in sehr bescheidenem Maße geblendet wird, was natürlich früher nicht möglich gewesen wäre (Anmerkung auf p. 139 des Schrebershen Buces).«
»An dieses wahnhafte Vorredht, ungeblendet in die Sonne shauen zu können, knüpft nun das mythologische Interesse an. Man liest bei S. Reinach* (nah Keller, Tiere des Altertums), daß die alten Naturforscher dieses Vermögen allein den Adlern zugestanden, die als Bewohner der höchsten Luftshihten zum Himmel, zur Sonne und zum Blitze in besonders innige Beziehung gebracht wurden. Dieselben Quellen berihten aber auh, daß der Adler seine Jungen einer Probe unterzieht, ehe er sie als legitim erkennt. Wenn sie es nicht zustande bringen, in die Sonne zu schauen, ohne zu blinzeln, werden sie aus dem Nest geworfen.«
»Über die Bedeutung dieser Tiermythos kann kein Zweifel sein. Gewiß wird hier den Tieren nur zugeschrieben, was bei den Menschen geheiligter Gebraud ist. Was der Adler mit seinen Jungen anstellt, ist ein Srle eine Abkunftsprobe, wie sie von den ver- sciedensten Völkern aus alten Zeiten berichtet wird.« Folgen nun einige Beispiele.
»Der Adler, der seine Jungen in die Sonne schauen läßt und verlangt, daß sie von ihrem Lichte nicht geblendet werden, benimmt sih also wie ein Abkömmling der Sonne, der seine Kinder der Ahnenprobe unterwirft. Und wenn Schreber sich rühmt, daß er ungestraft und ungeblendet in die Sonne shauen kann, hat er den mythologishen Ausdruk für seine Kindesbeziehung zur Sonne
! Freud: Nadtrag zu dem autobiographish beschriebenen Falle von Paranoia (Dementia paranoides). Jahrb. III, p. 588.
2 Jahrb. III, p. 48.
> Von mir im Druck hervorgehoben.
* Cultes, Mythes et Religions, T. II, 1908, p.80 (Anmerkung Freuds).
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wiedergefunden, hat uns von Neuem bestätigt, wenn wir seine Sonne als ein Symbol des Vaters auffassen.«
Um zu unserem Ausgangspunkt zurückzukehren: drückt mög- liherweise der Höhlenvergleih für den, der an keinen Zufall im Psydhishen glaubt und die typischen Bilder des Ünbewußten kennt, auch eine Mutterleibsphantasie! aus, so dürfen wir wiederum in der Sonne, der Idee des Guten, ein sublimiertes Vatersymbol vermuten und in der Unfähigkeit, anfangs ungeblendet in die Sonne zu schauen, könnten wir die mythologishe Äußerung eines Zweifels an der Ab- stammung vom Vater erblicken. Im zweiten Teil dieser Abhandlung soll die Bedeutung eines derartigen infantilen Zweifels für die System- bildung der Philosophen erörtert werden. Der Aufstieg zur Welt der Ideen hingegen würde im Bilde einer Geburt die Verschiebung der Libidobesetzung von der Mutter zum Vater, eine Entwicklung? an- zeigen. Diese Überleitung scheint von großer Bedeutung für die Entstehung von Philosophie und Religion zu sein.
Wir haben erst durh die Psychoanalyse die Vorbildlihkeit des Sexuellen für das Verhalten des Individuums erkennen gelernt. Kühle oder feindselige Einstellung zur Frau, die wieder in der Beziehung zur Mutter ihre Quelle haben dürfte, hat leicht die Neigung, sic zu verallgemeinern?® und die Beurteilung der Sinnenwelt zu beein- flussen. Hieraus erwäcdst oft die allzu hohe Schätzung der rein geistigen Wirklihkeit. Die ganze sinnenfeindlihe Position des Platonismus, die indem Christentum und seinem Willen zur Entwertung der gegebenen Realität zwei Jahrtausende nachklang, wurzelt nur zum Teil in den individuellen Lebensbedingungen ihres Urhebers, zum größeren Teil hat sie ihren Ursprung in den Libidowandlungen der griehishen Gesamtpsyche. Es wäre eine eines psydhoanalytisch geshulten Kultur-
ı Vgl. das orphishe ooua — onua! Plato ist durch die orphische Religion sehr beeinflußt. Bezüglich der Mutterleibsphantasie, deren Bedeutung und Häufigkeit verweise ih auf Freud (»Traumdeutung«, p. 198 und 199) und Stekel (Die Sprahe des Traumes«, p. 284 ff). — Um empörte gegnerishe Stimmen zu be= schwicdtigen, bemerke ih noch dies: Die Aufdekung der tiefsten Shiht will nicht mit einer erschöpfenden Darstellung des möglichen Ideengehaltes jener Bilder verwechselt werden.
? Vielleicht lassen sich die nachstehenden Ausführungen Bachofens (»Das Mutterrechts, Stuttgart 1901, p. XXVID als Ergänzung zu dem oben Gesagten auffassen: »In der Hervorhebung der Paternität liegt die Losmachung des Geistes von den Erscheinungen der Natur, in ihrer siegreihen Durchführung eine Er- hebung des menschlichen Daseins über die Gesetze des stofflihen Lebens. Ist das Prinzip des Muttertums allen Sphären der tellurischen Schöpfung gemeinsam, so tritt der Mensch durh das Übergewicht, das er der zeugenden Potenz einräumt, aus jener Verbindung heraus und wird sich seines höheren Berufes bewußt. Über das körperliche Dasein erhebt sih das geistige und der Zusammenhang mit den tieferen Kreisen der Schöpfung wird nun auf jenes beschränkt. Das Muttertum ge- hört der leiblichen Seite des Menschen an und nur für diese wird fortan sein Zu= sammenhang mit den übrigen Wesen festgehalten, das väterlich-geistige Prinzip eignet ihm allein... Das siegreiche Vatertum wird ebenso entschieden an das himmlische Licht angeknüpft, als das gebärende Muttertum an die allgebärende Erde«.
> Vgl. den Ausdruk »Frau Welts.
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historikers würdige Aufgabe festzustellen, was die Ursache des mächtigen Verdrängungsshubes im acıten und siebenten vordristlihen Jahr- hundert, nah Rhode der wichtigsten Periode griehisher Entwicklung, gewesen sein mag. Möglich, daß die Verdrängungswelle von Ägypten herüberflutete. Seit dieser Zeit tritt in der griehischen Volksseele jener Zwiespalt zwishen Bewußtem und Unbewußtem, zwischen Apollinishem und Dionysishem — um die berühmte und völker- sydhologishe bedeutsame Unterscheidung Nietzsches in der »Ge- but der Tragödie usw.« zu gebrauhen — immer wieder auf. Die Bedeutung dieses Widerstreites für die griehishe Ethik hoffe ich einmal in anderem Zusammenhang darlegen zu können. Die Seele ist vom Leibe zu reinigen als einem beflekenden Hindernisse — das ist das Ziel des in jener Epoche blühenden, an die Tendenzen anderer Reinheitsreligionen: des Brahmanismus oder Zoroastrismus, gemahnenden orphischen Geheimdienstes. Was hier gebändigt und geläutert wurde, strömte ursprünglih in wilden Wellen von den Bergen des Nordens herunter: ich meine den Dionysoskult thrakischer ! Herkunft. Seine Ergänzung findet der orphische Glaube im pytha- goräischen Geheimbund, dem auc der Leib ein Kerker der in ihn gebannten, aus höheren Regionen verirrten Seele ist. Ägyptische und vielleiht auch indishe Einflüsse sind bei Pythagoras zu verspüren. Der Dienst des Dionysos und die Askese des großen Reformers bezwecken eigentlih dasselbe. Es gibt ja zwei Möglichkeiten, mit der lästigen Sexualität fertig zu werden: entweder man verdrängt seine Libido oder man entledigt sich ihrer durch fortgesetzte Real- übertragung. Das zweite Verfahren, durch rücsichtslose Hingabe an die Natur ihrer überdrüssig zu werden, das Schwelgen »in impuris naturalibuss (Nietzsche) scheint dann wieder in der Schule der Kyniker aufzuleben. Diese will aber durhaus niht den Menschen von der Welt ablösen, sondern nur den Einzelnen mitten in der Welt von deren Herrschaft über seinen Willen freimahen?. Der Zynismus entspringt nämlih im letzten Grunde nicht einer freudigen Wertschätzung der natürlihen Triebe, sondern einer Erniedrigungs- tendenz im Sinne einer Ablehnung. So paradox es aud klingt: der Überempfindlihe wehrt sich oft durh Zynismen (ein Shutzcharakter des Schamhaften). So wie ein Feigling, wenn er gereizt wird, am gefährlichsten werden kann.
Die uns überlieferten Aussprühe der Kyniker kommen unserer Auffassung stark entgegen. Äntisthenes soll gesagt haben: »Könnte ih der Aphrodite habhaft werden, so würde ich sie erschießen«.® Von
einem anderen wird berichtet, er habe sich geäußert: »Lieber will ich verrückt sein als genießen«.t
! Der thrakishe Ursprung ist nach neueren Untersuchungen nicht feststehend. 2 Siehe J. Burckhardt, Griehishe Kulturgeshicte, II. Bd
> frg. 35 (Mullach, Fragmenta philosophorum graecorum II. Paris, Didot 1867, p. 274 ff.).
* frg. 65. Diog. Laert. VI, 3. Imago 11/2 14
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Aud die hedonische Meß- und Rehenkunst, Ausdruck einer an Instinkten ärmer gewordenen Zeit, die mißtrauish in die Zukunft blickt, zeigt immer mehr ihr wahres Gesicht: um sich gegen die Herrschaft der Triebe zu sichern, strebt sie Leidlosigkeit an, die Meeresstille des Gemüts, Ruhe und Glük ist nur im Tode, lehrt Hegesias, der »reioıdavaross, wie der Verfasser der Schrift »Der Selbstmörder durch Nahrungsverzicht« (»drroxagreo@v«) genannt wurde. Die Ehe- losigkeit dieser Männer entspringt nicht minder dem neurotischen Dualismus von Bewußtem und Unbewußtem.
In diesen Jahrhunderten der Verdrängung, wo die Seele dem Leibe entfliegen und sih mit der Gottheit vereinigen will, ist kein Platz für die Frau. In der harmonischen, hellen Welt Homers, viel- leiht viel später noh bei Herodot!, hören wir zum ersten- und zum letztenmal starke Gefühlstöne als Ausdruck der Beziehungen zwishen Mann und Weib. Um Helenas? willen kämpft man vor Troja, Hektor nimmt Abschied von Andromadhe. Diese Klänge ver- stummen fortan. Was an zärtlihen Regungen in der Seele des Mannes keimt, wird zur Knabenliebe®? verwendet, die ihren sublimsten, leuchtendsten Ausdruk im »Gastmahl« des Plato* erhalten hat. Alle Wissenshaften und Künste stammen aus dem Eros, heißt es dort. Trotzdem wird Eros dem Menschen zum Feinde. Äußere Umstände gleiherweise wie innere führen zu einer immer größeren Isolierung des einzelnen, der Stoiker bedarf keiner Güter mehr, da er das Himmelreih in sich selber, in seines Unbewußten wunscerfüllender Instanz trägt. Die Ethik wird vollkommen individualistish,; die Kyniker der vordristlihen Zeit nehmen bereits die Anshauungen der Mönde des dritten und vierten Jahrhunderts vorweg: die Apo- litie, die Verahtung der Welt, die Freiheit von Menschen, Bedürf- nissen und Meinungen?. So sieht der Boden aus, der das Christen= tum vorbereitete.
Schüctern erst und dann mutiger wagt sih in diesem ein Marienkultus hervor, im mittelalterlihen Minnedienst findet dann der Mensch jene veredelten Beziehungen zur Frau wieder®, entwickelt sich jener Frauenkultus, in dem es die folgenden Jahrhunderte auf Kosten des homosexuellen Fühlens so weit gebradht haben. Schopenhauer bezeichnet eine vereinzelte Reaktion dagegen.
Wenn wir im Auge behalten, daß die Homosexualität aus dem
ı Vgl. Go mperz, »Griehishe Denker«, II. Bd. ? Spätere griechische Schriftsteller haben sich bezeichnenderweise darüber lustig gemacht, daß die Ilias den Kampf um die Frau besang.
3 Dorishen Ursprungs. Die Jonier haben eine abweichende Entwicklung durchgemadht.
+ In den »Gesetzens wird die Knabenliebe aufs schärfste verurteilt!
5 Vgl. Jodl, Geshichte der Ethik, I. Bd.
6 In der hellenistishen Periode spannen sih zwischen den Geschlechtern Fäden einer vergeistigten Sinnlihkeit an, die an das achtzehnte Jahrhundert er- innern. — Ich weiß sehr genau, daß das Verhalten der Römer zur Frau ein anderes wie das der Griehen war, bin aber mit Absicht hier nicht darauf eingegangen.
Psydhoanalytishe Anmerkungen zur Geschichte der Philosophie 211
Verhältnis zum Vater ihre stärkste Anregung empfängt und eine ursprünglih intensive Fixierung bei der Mutter voraussetzt, werden wir nicht erstaunt sein, Plato durh den Mund des Sokrates, einer Neuauflage des väterlichen Ideals, sein Leben lang sprechen zu hören. Für die im »Symposion« gefeierte Knabenliebe! aber läßt sich fol- gende Erklärung geben: Wenn der Betreffende Vater wird (ich meine nicht: physischer Vater), identifiziert er sich mit seinem eigenen Er- zeuger und liebt, indem er die alte väterlihe Rolle den Knaben egenüber durchführt, eigentlich seine eigene Jugend, sich selbst. Jener Nelbmii hat dann bei Aristoteles in der Schilderung des sich selbst genießenden, ewig seligen Gottes großartigen Ausdruck gefunden — was wieder an die Liebe erinnert, mit der sich Gott bei Spinoza selbst liebt. Auch die heterosexuelle Rihtung verrät nod ihren Ein- fluß in der Liebe vorzugsweise zu solhen Knaben, deren Aussehen ein mädchenhaftes ist.
Bei einem Individuum wie Plato, dem wir ein besonders hohes Maß von Sublimierungsfähigkeit werden zusprechen müssen, dürfen wir eine ebenso starke Ablehnung alles Grobsexuellen erwarten. Vieles deutet darauf hin: seine Seelenlehre, diese ganze Auffassung des Verhältnisses zwischen Leib und Seele, die En sucht der Seele nach ihrer wahren Heimat, der idealen Welt, der Unsterblichkeitsglaube? — der eigentlih im Widerspruch mit seiner Ideenlehre steht —, die nur scheinbar überbrükte Kluft zwishen dem göttlichen Aoyıorıxov und dem vergänglihen Erd vunrtıxov in der mensh- lihen Brust, endlih der Kultus der unsinnlihen Begriffe, der sich nach einem treffenden Worte Iherings einen Begriffshimmel errichtet.
Furcht vor übermädtigen Sinnen — wir würden sagen: Ab- lehnung drängender Triebe — hielt auh Nietzsche? für den Grund des Idealismus Platos, in dem der Künstler und der Theolog nie zur Versöhnung gelangten. Nur halbwegs gesicherte psychoanalytische Aufshlüsse über die Beziehung von Philosophie und psychosexueller Konstitution bei Plato zu geben — Plato selbst nennt den Eros den philosophishen Zeugungstrieb —, ist bei der nicht allzugroßen Ausführlihkeit der Nadrichten über sein Leben und der Ungeeignet- heit des Materials ein Ding der Unmöglichkeit. Wir sind daher hier wie anderwärts bloß auf Vermutungen angewiesen.
Wir wissen, daß Plato nah dem Tode des Sokrates aus äußeren, politischen und wahrsceinlih auch aus inneren Gründen Athen verließ und erst nad beiläufig zehnjähriger Reise nah Athen zurükkehrte. In der Fremde mag die Sehnsuht nah dem verlorenen väterlihen Ideal des Lehrers den herangereiften Schüler zur Abkehr von der äußeren Welt und zu jener Vertiefung in sich selbst ver-
! Plato sagte, daß es gar keine platonische Philosophie geben würde, wenn es niht so schöne Jünglinge in Athen gäbe.
2 Zwischen Todesfurdt, die Unsterblihkeit fordert, und unbefriedigter Sexu=- alität besteht ein Zusammenhang (die Wünsche sind das Unsterbliche).
3 »Die fröhlihe Wissenschaft«, p. 329.
14*
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anlaßt haben, die die Voraussetzung einer Lehre war, in der die Ideen allein objektive Realitäten und Sitz aller Wesenheit und Wahr- heit, umgekehrt die Ersheinungen der Sinnenwelt unzulänglihe Ab- bilder derselben sind. Die Erinnerungen seiner Jugendzeit scheinen bei Platos Heimkehr verstärkten Einfluß auf ihn gewonnen zu haben. Dafür spricht, daß die Schriften dieser Periode sih wieder mit Vor- liebe zur Persönlihkeit des Sokrates zurükwenden, die Überhand- nahme der mythishen Form verrät vielleiht auch eine größere Nähe des Unbewußten. Jetzt entsteht der »Phädross, das »Symposions, der »Phädons, Werke, in denen die Erhebung zur Erkenntnis der Ideen, die Auffahrt der Seele zum überhimmlishen Ort ihre voll- endetste künstlerische Gestaltung erhalten hat.
Nur scheinbar entflieht Plato auf den Flügeln der Seele ir- dischen Begehrungen und Leidenschaften, in Wirklichkeit kehrt er auf den Gipfelpunkt seines Schaffens zum »tiefsten, allertiefsten Grunds zurük, »umshwebt von Bildern aller Kreatur«. Jeder Himmelsflug führt tatsähhlih ins bodenlose Unbewußte hinab. »Versinke denn! Ich könnt” auch sagen: Steige! ’s ist einerlei«!,
Im »Staate« läßt Plato der Dreiteilung der Seele in ziemlich gezwungener Parallele die Dreiteilung der Stände entsprechen. Der Staat wiederum ist für den Philosophen eine Welt im kleinen. Ich habe dieses Beispiel angeführt, um den Übergang zu einer Behauptung zu finden: daß nämlih das ganze Altertum von der Voraussetzung ausging, der Mensc sei ein Mikrokosmos. Erst Schopenhauer? ist zu dem entgegengesetzten Bilde des Kosmos als Makranthropos ge=- kommen, »sofern Wille und Vorstellung ihn wie sein Wesen er- schöpft«. Er hat insoweit recht, als der Mensch eigene bewußte und unbewußte Regungen in die Außenwelt projiziert; der Mensd ist für sih tatsählih das größte Hindernis, um zur Welt zu gelangen. In unzähligen Fällen stellt er, indem er ein Weltbild zu geben glaubt, nichts anderes wie sein eigenes Unbewußtes, eigene psychische Struktur verhältnisse mit Hilfe des Materials der Außenwelt dar. Denn er weiß nichts von diesem Prozesse der Einfühlung, im Bilde kommt ihm bloß sein eigenes? Wesen entgegen.
Der »Urmythos aller Mythen« <H. St. Chamberlain), die Annahme einer Identität von Geshautem und Gedadhtem, Natur und Vernunft, Denken und Sein beruht in der einen seiner mög- lihen Gestaltungen auf dem Mißverständnis einer anthropomorphen,
ı Vgl. Augustinus: »Ih werde mih also auh noch über diese Kraft meiner Natur erheben, schrittweise emporsteigend zu dem, der mich bereitet hat, werde kommen zu den Gefilden und weiten Palästen meines Gedäcdtnisses«. (Bek. Buh X, Kap. VII, zit. bei Jung, Wandlungen und Symbole der Libido).
2 Die Welt als Wille und Vorstellung, II. Bd., Kap. 50.
3 Novalis, Die Lehrlinge zu Sais: »Erkennen sie in der Natur nicht den treuen Abdruck ihrer selbst: Sie selbst verzehren sih in wilder Gedankenlosigkeit. Sie wissen nicht, daß ihre Natur ein Gedankenspiel, eine wüste Phantasie ihres Traumes ist. Jawohl ist sie ihnen ein entsetzliches Tier, eine seltsam abenteuerliche Larve ihrer Begierdens«.
Psydhoanalytishe Anmerkungen zur Geschichte der Philosophie 213
die eigene Libido projizierenden Anshauungsweise, die in dem Sein immer nur sich selber finden kann. So kam Schopenhauer, der auh hier angeführt werden muß, dazu, beispielsweise in der Schwerkraft eine Äußerung des »Willens« zu erbliken, Und für diese Art, die Dinge zu betrachten, gilt das Wort des Novalis: »Die Welt ist ein Ulhniversaltropus des Geistes, ein symbolisches Bild desselben.« Bei Fidhte, Schelling und Hegel, auf die ich in diesem Zusammenhang nicht näher eingehen kann, ist jene Identitätstheorie in abstrakten Gedankenverknüpfungen wieder zu hohen Ehren gelangt. Es sind bei dieser Einheitslehre zunädhst zwei entgegengesetzte Sclußfolgerungen möglih. Wer in seinem Innern das Drängen von dumpfen Kräften verspürt und sih als Tätigkeitszentrum empfindet, wird nur allzuleicht geneigt sein, die Beseeltheit der Außenwelt zu übershätzen. Daher audh der Pantheismus der Jugend. Anders bei jenem, der, durch kein ge- schäftiges Weben der Seele gestört, die Dinge um sich mit leiden- ya spiegelndem Auge auffängt. Ihm wird das All zu einem leblosen, seelenlosen Mechanismus und sein eigenes Psydhisces also auch. Natürlich ist der oben gebraudhte Ausdruk »Sclußfolgerungen« etwas irreführend: es handelt sich niht um logishe Konklusionen, sondern um einen gefühlsmäßigen Eindruk, der durch die Libido- konstellation des betreffenden Individuums mitbedingt ist.
In arhaishen Zeiten hat gewiß die erstere Anschauung allein geherrsht. Damals waren weitaus mehr Objekte der Außenwelt, lebendige und leblose, mit Libido primär besetzt als später, die Sonne war nicht ein Vatersymbol, sondern etwas, dem eine — sagen wir — gleich starke Libido wie einem Vater entgegengebradt wurde. Nadträglich, mit zunehmender Exklusivität und Konzentration der Libido, konnte ein Libidostärkeäquivalent. wie beispielsweise die Sonne oder die Erde als Vater- oder Muttersymbol verwendet werden. Es eignete sih dazu, da es niht mehr Libidobedeutun besaß. Um bei unserem Exempel zu bleiben: ich glaube aud, daß ursprünglih bereits oder wenigstens sehr frühe (in diesem Fall immerhin sekundär) der Sonne und der Erde eine differenzierte Libido infolge eines verschiedenen, sozusagen physishen Entgegen- kommens gewidmet wurde. Die Erde ist etwa in jener prähistori- shen Zeit als wirklihe Urmutter, die Sonne als wirkliher Urvater verehrt worden. Im Verlaufe einer Entwicklung, deren Dauer wir niht abzushätzen vermögen, hat sih die Libido von vielen Objekten zurückgezogen, sih teils für die nunmehr als solce a Liebesobjekte verstärkt, teils sublimiert und jetzt erst onnten die der Urlibido ledigen Objekte als Symbole — wie wir es noh immer im Traum, in der Dichtung, in der Neurose! und
!Freud deutete einmal den Angstanfall eines Patienten, den dieser bei einer Erdarbeit bekam, als die Sonne ihn beschien, nah den eigenen Angaben des Kranken dahin, daß er Angst vor dem zusehenden Sonnen-Vater hatte, der ihn beim Herumarbeiten in der Mutter-Erde überraschte.
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Psychose! erleben — gebrauht werden. Mit einem Wort: Vieles, was jetzt als Libidosymbol angesehen wird, war vielleicht einmal Libidoobjekt.
Der Mythos, das Unbewußte, ist die Regenbogenbrüce zwishen Innen und Außen, zwischen Geist und Natur. Was ic in die Dinge projiziert habe, täuscht mir eine Ähnlichkeit ihres Wesens mit dem meinigen vor. Auf allen Pfaden des Denkens tritt ewig der Mensh nur sich selber entgegen? und erkennt sich nicht. Im Rierede heißt es: »Im Herzen schuf Varuna den Willen, am Himmel die Sonne, gleicherart sind beides.* Und Jahrhunderte später lehrte Giordano Bruno, daß die Stufenleiter der menschlichen Gemütsbewegungen genau der Stufenleiter der Natur entspreche®.
In einem gewissen Sinn gilt von unserem gesamten Erkennen der Satz, daß jeder nur das findet, was er zu finden voraussetzt — kraft seiner eigentümlichen Beschaffenheit. Auch der Philosoph nur das, was sein UÜnbewußtes wünscht, sofern er dessen Herrschaft nicht eingedämmt hat. Die Forderung Ferenczis erscheint deshalb sehr berechtigt, daß jeder, der an die Behandlung philosophischer Probleme herangeht, sih vorher gründlih analysieren solle.
Und so ist die Philosophie verwandt mit der Erdihtung von Mythen, ja ihre Tochter, wie schon Aristoteles bemerkt, der hinzu- fügt, daß der Philomythos notwendig ein Philosophos sein müsse. Wir werden von unserem heutigen Standpunkte aus umgekehrt sagen, daß der Philosoph, der Metaphysiker, notwendig ein Freund von Wunschdidhtungen sei.
Figentlihe Philosophiegeshihte zu treiben, ist dieses Ortes nicht, aber wir verstehen von hier aus die verschiedenen Gabelungen, die in den entgegengesetztesten Systemen Vertretung gefunden Pin Die Kluft zwishen Geist und Natur, Denken und Ausdehnung schließt sih — dies ist eine Lösungsmöglichkeit — in einer trans- zendentalen Substanz, Gott genannt, zusammen. Jedoch ist das eine äußerlihe Vermittlung, da diese beiden Attribute als dasjenige, was der Verstand an der Substanz als ihr Wesen ausmachend wahr- nimmt, Gott selbst gleihgiltig, da sie nicht immanente Unterschiede der Substanz sind. Gott ist hier wirklih nur ein Deus ex macina. Spinoza, ein Vernunftungeheuer, das die Prinzipien des Seins more geometrico zu demonstrieren unternahm und vermeinte, alles lasse sih »commodissime explicari«®, konnte aus unmittelbarer
ı Siehe die Sonne als Vatersymbol bei Schreber.
2 Inwieweit das Unbewußte tatsächlich als Vermittlung zwishen Psycdhischem und Somatishem aufgefaßt werden könne, soll späterhin dargelegt werden.
3 „Einem gelang es — er hob den Schleier der Göttin zu Sais — Aber was sah er? Er sah — Wunder des Wunders, sich selbst.«
* Die philosophishe Ansiht des Rigveda erfaßt nah Jung (Jahrb. IV, p. 408) die Welt als eine Libidoemanation.
‚5 Zit. nah Chamberlain, Immanuel Kant, p. 326 (2. Aufl.) 6 Zit. bei Chamberlain, I. c., p. 392.
Psydoanalytishe Anmerkungen zur Geschichte der Philosophie 215
Anschauung niemals die Brücke finden. Sein Geist war zu sehr der sinnlihen Aue entwacdsen. Die Vernunft war zum Äffekt geworden, der sih in Syllogismen auslebte. Dem kühlen Denker, der ssh nah einem shwahen Anlauf zur Objektliebe bei der Tochter seines Lehrers, Clara Maria van den Ende, narziß- tish auf sich selbst zurükzog und in der abstrakten Persönlichkeit Gottes sich selbst liebte (Beziehung zwischen Narzißmus und Vater- imago), vermochte sich gefühlsmäßig ein Zusammenhang zwischen Außenwelt und mathematish-nüdhterner Gedankenwelt nur in dem Abgrund der göttlihen Substanz zu ergeben. Der »amor intellectualis«, mit Es der endlihe Mensh, »Stäubhen vom Staubes, dem Versinken in die unendlihe Tiefe zustrebt, ist ein Nadfahr jener Unterwürfigkeit, mit der sich Israel vor dem strengen Gott in den Staub warf!. Die innere Auflehnung Spinozas gegen seine Eltern, die wir aus seiner Biographie ers liefen dürfen und die seinem Denken den Stempel der ehe aufgeprägt hat, war nicht imstande, die Bedeutung des Vaters für ihn zu mindern?. In der Rolle, die Gott in seinem System innehat, er- kennen wir sie wieder. Er wagt es nicht, von ihm für seine grenzen= lose Hingebung Liebe zu fordern, »nicht Gott liebt uns, sondern wir, die wir Gott erkennen, lieben Gott. Weil aber alle Menschen zusammen einen Teil des unendlihen Verstandes bilden, welcher ein Attribut der ewigen Substanz ist, einen Teil jener Kraft, die allüberall Gott erkennt und Gott liebt, so kann gesagt werden, daß unsere Liebe ein Teil der Liebe ist, mit der Gott sich selber liebt« ®.
Sollte nun mit der Vermittlung zwischen Innen und Außen ernst gemacht werden, so ergaben sih zwei Möglichkeiten: der Realismus (Empirismus, Sensualismus) und der Idealismus. Nur über diesen will ih noch einiges bemerken. Leibniz faßt die Substanz als lebendige Aktivität, als tätige Kraft auf, die Substanz ist ihm ferner Einzelwesen, Monade, es gibt eine Vielheit von Monaden, die alle psyhishen Charakter haben. Sie sind die Grund- wesen des ganzen physishen wie geistigen Universums und unter- scheiden sih voneinander nur durch größere oder geringere Deut-
! Der masodistishe Zug rükt Spinoza in die Nähe der Mystiker. Es fehlen — was nicht erstaunlih ist — auch nicht sadistische Neigungen. Sein Bio- graph Colerus (1705) berichtet: »Wenn es ihm um irgendeinen anderen Zeit- vertreib zu tun war, so fing er einige Spinnen und ließ sie miteinander kämpfen; oder er fing einige Fliegen, warf sie in das Netz der Spinne und sah diesem Kampfe mit großem Vergnügen, selbst mit Lahen zu.< Freudenthal merkt hiezu an: »Die Zusammenstellung dieser Angabe mit der nachfolgenden über Spinozas mikroskopische Untersuhungen beweist, daß er nicht aus Grausamkeit Spinnen und Fliegen miteinander kämpfen ließ, sondern um wissenscaftlicher Zwecke willene. — Als ob das — nad den Erkenntnissen der Psychoanalyse — ein Widerspruh wäre!
®2 Die Kinder des Hauses (bei Hendrik van der Spyk) ermahnte er zur Unterwürfigkeit und zum Gehorsam gegen die Eltern (Colerus).
® Eth. V, Prop. 35 u. 36. Es soll — trotz der vorstehenden Ausführungen — nicht verkannt werden, welche Großartigkeit in der Auffassung Spinozas liegt.
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lihkeit der Erkenntnis. Aus den näheren Bestimmungen der Leibnizshen Monaden geht hervor, daß wir in ihnen bloß Projektionen der eigenen seelishen Spontaneität in den gesamten Kosmos auf Ghand eines AÄnalogieshlusses zu erbliken haben. Hier haben wir es eigentlich mit einem wissenscaftlihen, atomistisch gefärbten »Änimatismus«! zu tun. Die den einzelnen Monaden zu= Unfähigkeit, aufeinander einzuwirken, gestattet viel= eiht Rückschlüsse auf einen ziemlih weitgehenden »Äutismus« ? bei diesem Denker. Geradeso, wie in der Feststellung, daß in jeder Monade sih alles, was ist und geschieht, reflektiert?, aber durch ihre eigene spontane Kraft, die Interessebesetzung bei der Wahr- nehmung der Außenwelt möglicherweise ihren indirekten Aus= druk findet. Die Monade ist — nah dem Aussprudhe Leibniz’ — >parvus in suo genere deuss. Gott ist die Monade mit der distinktesten Erkenntnis. Der Gottesbegriff spielt im ganzen bei Leibniz eine durch sein Monadensystem in nichts gerectfertigte, wohl durh Gefühlsmomente bedingte Rolle.
Berkeley ist einen Schritt über den Idealismus Leibniz’ hinausgegangen. Sein religiöses Gefühl allein hinderte ihn, in Solip- sismus auszuarten. Esse = percipi,; es existieren nur Geister, d. h. denkende Wesen. Zur Erklärung des nicht spontan von uns Ge- setzten wird Gott herbeigezogen, der die sinnlihen Empfindungen in uns hervorbringt. Die Ideen, die er uns mitteilt, muß er konse- quenterweise auh in sih tragen, diese Ideen in Gott heißen Ärchetype (Urbilder), diejenigen in uns Ektype (Abbilder). Die Entwertung der materiellen Außenwelt, die überragende Bedeutung Gottes, den man sich in Analogie mit dem in uns selbst Wirken- den zu denken hat — alles das spriht eine für den Psydo-= analytiker durchsichtige Sprache‘.
Jeder Idealismus führt — wie Kraft in seiner früher zitierten Arbeit scharfsinnig darlegt — in folgerihtiger Weiterbildung zu einem Solipsismus, dem auch Nidtssychöahkisikens pathologischen Charakter zuschreiben müssen. Ein idealistishes System wie das Fichtes liegt trotz der Größe des Gedankens auf dem Wege dazu. Die Welt ist eine Schöpfung des reinen oder unendlichen
ı Vgl. auhR.R. Marett, Preanimistic Religion, Folk-Lore, XI, London, 1900,
2 Der Ausdruk stammt von E. Bleuler,; siehe auh dessen Arbeit: Das autistishe Denken, Jahrb. IV, 1
8 Leibniz (Principes de la Nature et de la Gräce, $ 3): »Chaque monade est un miroir vivant, representatif de l’univers suivant son point de vue.«
* Im Leben war Berkeley ein warmherziger Philanthrop.
5 Die Verneinung der objektiven Welt könnte als praktishe Überzeugung »nur im Tollhaus gefunden werdens (Schopenhauer). Der englische Psydholog James Sully spriht an irgendeiner Stelle von dem »Solipsismuss oder »Berkeley- anismuss des Kindes und des Wilden. Der erste Ausdruck trifft nur teilweise zu, der zweite ist entschieden unridhtig, falls er das gleihe damit bezeichnen soll.
Psydhoanalytishe Anmerkungen zur Geschichte der Philosophie 217
Ihs!; der shaffende Geist erzeugt das (empirishe) Ih und Nict- Ih. Dem Ich tritt das Nicht-Ih als seine Beschränkung entgegen, aber von ihm als metaphysishem Daseinsgrund selbst gesetzt. Die wirklihe Welt ist das versinnlihte Material unserer Pfliht. Das Beispiel des Traumes mag die etwas unklar wirkende Behauptung von der Schöpfung der endlihen Ihs und ihrer Schranken verdeut= lihen. Im Traume ershafft das Ih unbewußt seine Traumwelt, die dem Ih im Traum als sinnlih=objektiv gegenübersteht. »Das ganze System unserer Vorstellungen«, heißt es in der »Wissenschafts- lehres, »hängt von unserem Triebe und unserem Willen abs. Dieses ursprünglihe Wirken aber ist bei Fichte das reine Ih als »Tathandlung«. Wenn er behauptet, die wahre Realität liege in dem (notwendigen, gesetzmäßigen) Wirken, das ohne unser Wissen das Weltbild in unserem Bewußtsein erzeugt, so hat er damit Schopenhauers Lehre vorweggenommen, die durch ihn mehr, als ihr Urheber zugestehen wollte, beeinflußt ist.
Ohne die erkenntnistheoretishe Berechtigung der Theorie Fichtes ausshöpfen zu wollen, bemerke ih, daß Fichte eine äußerst energische, geistige, selbstherrlihe Natur war, die sich wohl vermögend fühlte, eine Welt zu gebären, um an ihrem Widerstand ihre Kräfte zu proben.
Sofern wir Schöpfung Interessebesetzung gleichstellen, besteht der Satz Fichtes zu Redt. In einem gewissen Sinne existiert ja wirklih die Außenwelt — freilih nur für uns — nicht, sofern wir sie nicht beachten. Bei Schopenhauer, der den Willen, die Libido als Urgrund des Seienden ansah, ist der Prozeß des Bewußtwerdens des — ich möchte sagen — metaphysishen Mechanismus shon weit fortgeschritten und liefert gewissermaßen eine Probe auf die Richtig- keit unserer Behauptungen?. Schopenhauer ist — nebenbei be= merkt — der erste atheistische Philosoph. Der irrationale Wille tritt an stelle des höchst weisen Gottes.
Über die unsterblihe Geistestat Kants, der die Metaphysik vom Throne jagte und ihren Platz der von der Psychoanalyse nicht anfechtbaren Erkennt einräumte, — der den ganzen Apparat der übersinnlihen Welt in den Menschen verlegte, will und kann ih hier nicht reden, da dies den mir gesteckten Rahmen der Arbeit sprengen würde, möcte nur jeden, der die Absicht hat, Kant mit dem Rüstzeug der Psychoanalyse zu bearbeiten, zu allergrößter Vor-
! Dieses reine Ih, das bei Fichte die Rolle Gottes einnimmt, entspricht ungerähr dem Unbewußten. In einer späteren, mehr mystischen Periode lehrte Fichte, daß das unendlihe Ich, dessen Erscheinung alles ist, selbst nur »die Erscheinung einer absoluten Realität, einer unendlihen Kraft, eines Lebens, eines Lichtes ist, das bloß in gebrochenen Strahlen in unser Bewußtsein gelangt«.
®? Was Schopenhauer über die Metaphysik der Gesclecdtsliebe und den Wahnsinn sagt, stimmt auffällig mit Ergebnissen der Psychoanalyse überein. Vgl. OÖ. Rank, Schopenhauer über den Wahnsinn. Zentralbl. f. Psychoan., I. Bd., 1/2, und ©, Juliusburger, Weiteres von Schopenhauer, ebenda, I. Bd., 4.
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siht mahnen, will er sich nicht einer gröblihen Verwedslung von Erkenntnistheorie und Psychoanalyse shuldig macen.
Es ist so gut wie eine Tautologie, wenn ich sage, daß der Idealismus, je energisher und konsequenter er entwickelt wird, um so mehr den Charakter des Asozialen annimmt. Was die Philosophen im allgemeinen unbewußt abhielt, diesen letzten Scritt, so sehr er durch die Logik geboten schien, zu vollziehen, war ein größerer oder geringerer Rest von sozialem Gefühl!, der sie neben anderem Uhnter- rk ren von den vorwiegend asozialen Psycdotikern (besonders die Dementia praecox) trennt. Übrigens ist beispielsweise die Para- noia, die uns im Wahnsystem des Senatspräsidenten Schreber so viel zur Erkenntnis der philosophischen Systembildung lieferte, keines- wegs so asozial wie manche Neurose. In der Psychose können wir ebenso wie in Religion und Philosophie eine Umwandlungs-, An- passungs- und Heilungstendenz wahrnehmen, die vielleiht ihren mehr oder weniger sozialen Charakter erklärt. Auc der Paranoiker richtet wie der Philosoph den Wunsh an die Gesamtheit, anerkannt zu werden, er wirbt um den anderen, der konsequente Idealist? freilich dürfte das niht tun, er würde damit in Widerptu mit seiner eigenen Lehre geraten, da es ja für ihn kein anderes Ih gibt.
Ih mödte es an dieser Stelle als Vermutung aussprechen, daß in der Paranoia? sowohl als in der metaphysishen Systembildung der Anteil der Vaterimago ein überwiegend großer* ist und ihnen deshalb einen mehr oder weniger sozialen Charakter verleiht, indes in der Dichtkunst, je mehr sie sih der Lyrik nähert, und in den neurotischen Produktionen vielleiht der Anteil der Mutterimago vor- herrsht und das soziale Moment mehr in den Hintergrund rückt. Die Erklärung hiefür läge in der Tatsache, daß die erstrebte Rück- kehr zur Mutter eine zunehmende Aufhebung des Unterschiedes zwishen Subjekt und Objekt, zwishen Ih und Du: herbeiführen würde, wohingegen der Vater einem von Anfang an als fremdes gleihgeschlehtlihes Du gegenübertritt. Eine in den metaphysischen
! Die sublimierte Homosexualität, die nah Freud einen wichtigen Beitrag zur Konstituierung der sozialen Triebe liefert, scheint bei den Philosophen eine gewisse Bedeutung zu haben; ihre oft vorhandene Ehelosigkeit würde nicht dagegen sprechen.
® Ein solcher Idealist steht dem neurotishen Tagträumer sehr nahe,
3 Freud, Psychoanalyt. Bemerkungen über einen Fall von Paranoia usw., Jahrb. III, 1.
* Die Naturphilosophen — beispielsweise ein Giordano Bruno, ein Vanini — scheinen eine Ausnahme zu bilden. Die affektive Beziehung zur Mutter ist bloß auf die Natur übertragen, doh in ihrer Äußerung nicht unterdrükt. N o= valis hat für diese Sexualisierung der Natur folgende Worte gefunden: »Er fühlt sih in ihr (der Natur) wie am Busen seiner züchtigen Braut und vertraut auch nur dieser seine erlangten Einsihten in süßen vertraulihen Stunden. Glücklich preis’ ich diesen Sohn, diesen Liebling der Natur, dem sie verstattet, sie in ihrer Zweiheit, als erzeugende und gebärende Macht, und in ihrer Einheit, als eine un- endlihe, ewig dauernde Ehe, zu betrachten. Sein Leben wird eine Fülle aller Ge- nüsse, eine Kette der Wollust und seine Religion der eigentliche, ehte Naturalis- mus sein«.
Psychoanalytishe Anmerkungen zur Geschichte der Philosophie 219
Systemen manchmal nahzuweisende » Vaterleibsphantasie«, auf deren Existenz in Träumen Stekel und Silberer! hingewiesen haben und die ihrer Hauptbedeutung nah den Wunsh zum Inhalt hat, das gegenwärtige Leben los zu sein, spräce freilih für eine andere Auf- fassung des Verhältnisses; doch ergibt sich diese Phantasie (die bei dem Mystiker in Gestalt eines Verlangens nach Vereinigung mit der Gottheit auftauchen kann, sich wünsche mir allein in meines Heilands Schoß tief einversenkt zu sein,« heißt es bei Angelus Silesius) möglicherweise aus einer bloßen Vershiebung von der Mutter her, also als etwas Sekundäres. Der Neurotiker und der Künstler folgen offensichtlih dem Lustprinzip?, während der Philosoph das Realitäts- prinzip? zu beobachten glaubt, freilich projiziert er oft, ohne es zu wissen, mehr oder weniger infantiles Wunschmaterial in seine Welt- anschauung. Je mythologisher diese ist, um so mehr nähern sich die »Begriffsdihtungen« Produkten der Kunst°.
Eine Welt mehrfahen Individualbewußtseins, wie sie beispiels= weise die Monadenlehre Leibniz’ annimmt, ist eine Halbheit, was hier nicht gründlicher erörtert zu werden braucht. Wir haben es also nur mit diesem letzten Gegensatz in den Weltbegriffen zu tun: mit dem Realismus, der die Welt aus einer objektiv für sich be= stehenden Natur neben den vielfahen Einheiten des Bewußtseins aufbaut, und der Philosophie der Bewußseinsimmanenz (Idealismus und Positivismus), die sie nur als ein begrifflihes System von Ge- setzen für die Verknüpfung der Wahrnehmungen und » Vorstellungen« denken darf‘.
Nicht nur, daß diese zweite Weltanshauung erkenntnistheore- tisch unhaltbar ist: wir konnten aud in bestimmten, durch Anpassungs- schwierigkeiten verursachten regressiven® Vorgängen der Libido, die zu einer Übershätzung der Denkrealität führen, ihre unbewußten Determinanten erkennen. Die Schopenhauershe Verneinung des Willens entspricht psychologisch einer solchen Introversion. »Wo kein Wille ist, da ist keine Realität,« hat Ludwig Feuerbach einmal gesagt, wir dürfen den Satz psydhoanalytisch dahin erweitern: Wo
eine vorwärts gerichtete Libido ist, da ist keine objektive Realität. Und an einer anderen Stelle äußert der große Denker, der mande Erkenntnis der Psychoanalyse schon vorweg genommen hat: »In der Tat, niht der Verstand, nur die Liebe ist es, welhe Wesen außer sich setzt, und zwar nicht nur der Vorstellung nah, sondern wirklich, wahrhaft, leibhaftig, wie die Geschlectsliebe sinnfällig beweist«®.
‘ HA. Silberer, Spermatozoenträume, Jahrb. IV.
? Freud, Formulierungen über die zwei Prinzipien des psych. Geschehens. Jahrb, III, 1.
® Die zweite Welt des Künstlers ist »die Realität noch einmal, nur in einer Verstärkung, Auswahl und Korrektur« (Nietzsche), indes die wahre Welt des Philosophen und Theologen eine Absage an die gegebene bedeutet.
+ Zit. nah Kraft, I. c. p. 166.
5 Die Regression reicht häufig bis zum Stadium des Narzißmus zurück.
® Kritik des Idealismus. Ausg. von Bolin und Jodl, X. Bd., p. 216.
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Schließlih möchte ih noch Fichte heranziehen, der in der »Än- weisung zum seligen Leben« bemerkt: »Die Liebe ist die Quelle aller Gewißheit und aller Wahrheit und aller Realität.«
Wo die Realität gesuht und gefunden wird, das begründet nah Weininger! alle Untershiede zwishen den Menschen. Das Erfassen der Wirklichkeit aber ist in der Hauptsahe durch unsere Libidokonstellation bedingt. Ja, hinter unserem gesamten Denken stehen treibende Wünshe — es wäre sonst leer und unfructbar. Der Mensh ohne Binnenleben, für den das Geistige keine Realität vorstellt, wünscht gar nicht, zu einer anderen Weltanshauung als der materialistishen? zu gelangen, wohingegen der Phantasiemensch, »tatenarm und gedankenvoll,« regressiv Gedanken die unerfüllbaren Taten vertreten läßt, die objektive Realität entwertet und Idealist wird, scheinbar allerdings auf Grund scarfsinniger logisher Er-= Ser
ollte man schließlich fragen, welher Weltbegriff der Freud-= schen Psychologie am gemäßesten erscheint, d. h., weldher ein Minimum von subjektiver oder mythologisher Betrahtungsweise und ein Maximum von Anpassung an die objektive Wirklichkeit aufweist, so muß man sich vor Augen halten, daß das eine Glied der oben dargelegten Alternative, der subjektive Idealismus, abgesehen von seiner erkenntnistheoretishen Unvollziehbarkeit? auh aus Gründen, die in ihm das Erzeugnis einer ganz bestimmten Libidokonstellation erkennen lassen, ausfallen muß. Bleibt also nur der realistisch-dualisti- N Wie verhalten sih nun die Anshauungen Freuds azu?
Im Gegensatz zu der sonst vorwiegend üblichen Meinung hat dieser* uns gelehrt, daß es für das Bewußtsein ein zweifahes von ihm bloß erschlossenes Reales, das seiner inneren Natur nah un- bekannt bleiben muß, gibt: einerseits die sogenannte Außenwelt, d. h. Seen der ee e Apparat, der mit dem Sinnesorgan der
=Systeme® der Außenwelt zugekehrt ist, ist selbst Außenwelt für das Sanesdreas des Bw, — anderseits das eigentlih reale Psydi- she, das Unbewußte (durch die Daten des Bewußtseins uns ebenso
ı Vgl. Novalis: »Wo der Mensch seine Realität hinsetzt, was er fixiert, das ist sein Gott, seine Welt, sein Alles.«
2 „Der Materialismus, der das Ih ganz in der Außenwelt aufgehen läßt, bezeichnet das Maximum der denkbaren Projektion, der Solipsismus, der die ganze Außenwelt in das Ich aufnimmt, das Maximum der Introjektion«. (Ferenczi, Zur Begriffsbestimmung der Introjektion, Zentralbl. f. Psydıoan., II. Bd., 4.)
3 Siehe Kraft, I. c. p. 164ff.
* Traumdeutung, 2. Aufl., p. 380ff.
5 Nah Freud ist der seelishe Apparat aus Instanzen oder Systemen zu= sammengesetzt und hat eine bestimmte Rihtung vom sensiblen zum motorischen Ende. An jenem Wahrnehmungsende befindet sih das System W.,; das letzte der Systeme am motorishen Ende heißt das Vorbewußte (Vbw), das System dahinter das Unbewußte, weil es keinen Zugang zum Bewußtsein hat, außer durh das Vorbewußte, bei welchem Durchgang sein Erregungsvorgang sih Abänderungen gefallen lassen muß. Vgl. Genaueres darüber in der Traumdeutung, p. 331 ff.
Psycdhoanalytishe Anmerkungen zus Gedichte der Philosophie 221
unvollständig gegeben wie die Außenwelt durch die Angaben unserer Sinnesorgane), das durh das System Vbw vom Bewußtsein abge- schlossen ist. Das Bewußtsein hat die Rolle eines Sinnesorgans zur Wahrnehmung psydhisher Qualitäten.
Gegen diese Aufstellungen muß ich jedoch persönlich folgenden Einwand erheben: Mit welhem Recht behauptet Freud, das Be- wußtsein sei ein Sinnesorgan zur Wahrnehmung psychischer Quali=- täten, und in demselben Zusammenhang: das Unbewußte sei das eigentlihe Psyhish-Reale? So ausgedrückt, sheinen mir beide Sätze irreführend zu sein. Halte ih mich an die Bedeutung des Wortes »Sinnesorgan«, so heißt das, daß ein von mir bloß gedadter, aber niht anschaulich vorstellbarer, realer Gegenstand des Bewußtseins mittels einer unbegreiflihen werdßaoıs eis dAAo yEvos — und darum dreht sich ja die Streitfrage: Wie ist überhaupt eine Erkenntnis von etwas jenseits des Bewußtseins Liegendem, an sich Seiendem möglich ? — zu einem Bewußtseinsinhalt wird. Ebenso sind nun beispiels- weise Träume oder Halluzinationen niht Gegenstände des Be- wußtseins, sondern nur dessen Inhalte, von denen wir Psydo- analytiker auf ein determinierendes reales Unbewußtes mit dem gleihen Rechte schließen müssen (falls das Bewußtsein ein Sinnes- organ ist) wie von der Vorstellung! »Baum« auf die Existenz eines einem anderen Wirklichkeitsbereih angehörigen Gegenstandes »Baum« der Außenwelt. Warum sollte man nun dieses Unbewußte für das eigentlih Psychische ansehen? Das heißt nur, ein uns geläufiges Wort für ein tatsächlihes X setzen, das, sofern man bei der Auffassung als Sinnesorgan verharrt, eher etwa dem Somatishen (Cerebrations- vorgängen) gleichzustellen wäre.
Aud die Identifizierung der W-Systeme mit einer Außenwelt für das Sinnesorgan des Bw ist, wörtlih genommen, unrihtig. Das Bewußtsein bewirkt, daß das von den Sn sateanen übermittelte Empfindungsdatum apperzipiert, begrifflih verstanden und dadurdh zur Wahrnehmung werde, das Bewußtsein apperzipiert das Perzi- pierte, das bereits Psycdishes, also niht Außenwelt für das Apperzeptionsorgan ist. Mit einem Wort: Was Gegenstand des Bewußtseins ist, kann nichts Psycdisces sein.
Aber lassen wir diesen Vergleih des Bewußtseins mit einem Sinnesorgan zur Wahrnehmung psychischer Qualitäten, der vielleicht nicht streng durchgeführt werden sollte, fallen; bescheiden wir uns bei der empirisch ziemlich gesicherten Annahme, daß es neben dem Bewußtpsyhishen auch ein Unbewußtpsycdisches gibt, das Freud im Sinne eines Wert-, nicht eines Existentialurteils das reale Psy- hische nennt. Die Bedeutung dieses Wortes weist wohl nicht auf einen der Art nah vom Bewußtsein vershiedenen Wirklichkeits- zusammenhang hin, sondern drükt nur den zur Äusfüllung von Lücken in der Kausalkette des seelishen Geschehens statuierten
! Vorstellung niht im Sinn von Erinnerungsbild.
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Unterbau aus, den wir dem unmittelbar erlebten Zusammenhang der Bewußtseinserlebnisse als Träger zugrunde legen müssen. Schien es also vorhin niht widersprudhsvoll, das Unbewußte etwa als eine Summe von Cerebrationsvorgängen der Körperwelt einzugliedern, so dürfen wir nah dem eben Gesagten das Unbe- wußte, dieses qualitativ an sih völlig unbekannte Geschehen, in den Kreis des Psyhishen — Subjektiv-Psydhishen: damit wäre schon
vielleiht zuviel gesagt — einbeziehen. Welche der beiden Auffassungen — die somatishe oder die psyhishe — man sih auch zu eigen madht, — der realistisch-
dualistishe Weltbegriff wird dadurch nicht wesentlich berührt, sofern man nicht das Reale des Unbewußten als einen zwischen den beiden anderen Wirklihkeitszusammenhängen vermittelnden! dritten Reali- tätszusammenhang betrahten wollte. Denn dies allein wäre ein monistisher Realismus.
I. Die Persönlichkeit.
»Kein Wunder, daß sich Stutzer so gern im Spiegel sehen: sie sehen sih ganz. Wenn der Philosoph einen Spiegel hätte, in welhem er sich so wie jene sehen könnte, er würde nie davon wegkommen.«
Lichtenberg.
Der bekannte Satz Fichtes: Was für eine Philosophie man wählt, hängt davon ab, was für ein Mensch man ist?, hat erst durch die Lehren Freuds eine gesicherte wissenshaftlihe Grundlage er- halten, nachdem bereits Re tzlche — um nur einen bedeutungs- vollen Namen zu nennen — tiefgehende Auskünfte zur Beant- wortung der Frage nah der psydologishen Abstammung des Philosophen gegeben hat. Es fehlt zwar auch sonst niht an ge= legentlichen Sei stbekenntnissen der Denker — ich erinnere hier an Descartes, an Pascal —, dodh sind jene zu unvollständig und ermangeln zumeist der letzten Aufrichtigkeit, um für mehr denn als Winke in unserer Untersuhung dienen zu können. Aud Nietzsche hat keine zusammenhängende Darstellung geliefert; die uns inter-
1 Einerseits psychische Gesetzmäßigkeit, anderseits niht zum Bewußtseins- ih gehörig, niht subjektiv. — Ich halte bei dem gegenwärtigen Stande unserer Kenntnisse den Dualismus für die der Erfahrung am meisten entsprehende An=- shauung. Das Psychische ist etwas anderes wie das Physishe — womit ich nichts über die Herkunft des Geistigen gesagt haben will — und der Versud, sie in einem völlig unbekannten Ding an sich zu vereinigen, bleibt jedem unbenommen, bedeutet aber einen Schritt ins Transzendente.
? In der »Ersten Einleitung in die Wissenschaftslehres« (1797) wird des weiteren ausgeführt: Ein philosophisches System ist kein lebloses Gerät, das man nach Belieben besitzen und veräußern kann, es entspringt aus der innersten Seele des Menschen. Die Wahl (zwischen Idealismus und Dogmatismus) wird darauf beruhen, ob das Selbständigkeits- und Tätigkeitsgefühl oder das Abhängigkeits- und Passivitätsgefühl die Oberhand in uns hat (zit. nah. Höffding, Gesch. der neueren Philosophie, II. Bd., p. 157).
Psydhoanalytishe Anmerkungen’ zur Geschichte der Philosophie 223
essierenden Bemerkungen sind in bunter Fülle über alle seine Schriften verstreut. Aus der großen Zahl setzen wir in beliebiger Reihenfolge einige bezeihnende Aussprühe hieher. In der inleduo zur »Fröhlihen Wissenshaft« spriht Nietzsche über das Verhältnis von Gesundheit und Philosophie und davon, »wenn die Notstände Philosophie treiben«. Ferner heißt es dort: »Die unbewußte Ver- kleidung physiologisher Bedürfnisse unter die Mäntel des Objektiven, Ideellen, Reingeistigen geht bis zum Erschrecken weit und oft genug habe ih mic gefragt, ob nicht, im großen gerechnet, Philosophie bisher überhaupt nur eine Auslegung des Leibes gewesen ist. Hinter den hödsten Kernen: von denen bisher die Geschichte des Gedankens geleitet wurde, liegen Mißverständnisse der leiblichen Beschaffenheit verborgen, sei es von Einzelnen, sei es von Ständen oder ganzen Rassen.« An einer anderen Stelle seiner Werke lesen wir, daß zum Entstehen des Gelehrten »eine Menge sehr mensch- liher Triebe und Triebchen zusammengegossen werden mußs, das- selbe gilt vom Wesen des Philosophen. — »Jede Philosophie war bisher das Selbstbekenntnis ihres Urhebers und eine Art ungewollter memoires, es gibt an dem Philosophen ganz und gar nichts Unper- sönlihes.« — »Wenn ih etwas vor allen Psychologen voraus habe, so ist es das, daß mein Blick geschärfter ist für jene schwierigste und verfänglihste Art des Rücsclusses, in der die meisten Fehler ge- macht werden — des Rücsclusses vom Werk auf den Urheber, von der Tat auf den Täter, vom Ideal auf den, der es nötig hat, von jeder Denk- und Wertungsweise auf das dahinter komman- dierende Bedürfnis.« — »Audh die Segnungen und Beseligungen einer Philosophie, einer Religion beweisen für ihre Wahrheit nichts: ebensowenig als das Glück, welches der Irrsinnige von seiner fixen Idee her genießt, etwas für die Vernünftigkeit dieser Ideen beweist.«
Im Denken sieht Nietzsche nur ein gewisses Verhalten der Triebe zueinander, von den Philosophen sagt er: »Ihr Wille zur Wahrheit ist — Wille zur Madt.« Mikeische selbst sucht nach Riehls! Worten das »Wehetuende der Erkenntnis« auf wie einen neuen Reiz, der von ihr ausgeht. »Neugierig bis zum Laster, Forscher bis zur Grausamkeit« hat er sich genannt und verheißen, man werde ihm eine »ausschweifende Redlichkeit« nachsagen, nadhı- rühmen. Das Wort: Don Juan der Erkenntnis, ist von ihm. »Br- kenntnis — eine Form des Asketismus,« schreibt Nietzsche im >AÄntichrist«. Endlih: »Die Wertshätzungen eines Menschen ver- raten etwas vom Aufbau seiner Seele und worin sie ihre Lebens- bedingungen, ihre eigentlihe Not sieht.s
>Il nr a pas de maladies, il n’y a que des maladess — es gibt kein alleinseligmachendes philosophishes System, sondern nur verschiedene Philosophen mit sehr menschlicher Herkunft: dies ist die uns nicht mehr fremde Einsicht. Aber es mußten sih noh die
ı A. Riehl, Fr. Nietzshe, Der Künstler und der Denker, Dritte Aufl., Fromann, Stuttgart.
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grundlegenden Ergebnisse der Freudshen Forshungen zu einer Einheit zusammensdließen, um ein ungefähres Verständnis des geistigen Typus des Philosophen zu ermöglichen.
Der Trieb, den Kausalzusammenhang des Weltgeshehens im ganzen zu erforschen, und das Verhältnis zur Realität sind die wichtigsten Elemente in der Persönlichkeitsformel des Philosophen. Über beide Ersheinungen hat Freud! schon das meiste gesagt, so daß ih mich wohl begnügen darf, seine Auffassung ganz kurz zu wiederholen.
Aus der durch einen Schub energischer Sexualverdrängung ab- geschlossenen Periode der infantilen Sexualforshung? erübrigen sich für das weitere Schicksal des Forscertriebes aus seiner frühzeitlihen Verknüpfung mit sexuellen Interessen drei Möglichkeiten, von denen wir die erste: die neurotishe Hemmung (die erworbene Denk- shwäde leistet dem Ausbruch einer neurotishen Erkrankung Vor- schub), hier außer aht lassen können. Die zwei anderen Typen: der des neurotishen Grüblers®? und des nicht neurotishen Forscers, mögen sich aber gleicherweise unter den Philosophen finden. In beiden Fällen wird das Forshen zum Zwang und Ersatz der Sexualbetätigung, die intellektuellen Operationen sind beim Grübler mit der Lust und der Angst der eigentlihen Sexualvorgänge betont und die Beschäftigung mit den ursprünglihen Komplexen der infan=- tilen Sexualforshung macht sih noch bemerkbar, indes der zweite seinen kräftigen Forscertrieb, der bloß durh die sublimierte Libido eine Verstärkung erfahren hat, aber an sich niht aus dem Sexuellen abstammt, frei im Dienste des intellektuellen Interesses betätigen wird. Der Sexualverdrängung trägt er insofern noh Rechnung, als er die Beschäftigung mit sexuellen Themen vermeidet. Die zugrunde liegenden psychischen Prozesse sind also verschieden: das eine Mal erfolgte ein Durhbruh aus dem Unbewußten, das andere Mal kam es zur »Sublimierung«e — was freilih bloß ein Wort, das eine große Lücke in unseren Kenntnissen geschickt verdekt. Man hat sih etwa vorzustellen, daß im Ichbetrieb vorhandene Anlagen durdh einen sexuellen Zushuß gewissermaßen befrucdtet, zur Aktualität erweckt werden (Fließ faßt das Werk des Genies als ein Produkt der inneren Befruchtung des Bisexuellen auf).
Was das Verhältnis zur Realität anbelangt, so hat shon vor Freud P. Janet? in einer Störung der »fonction du reel«, in einer herabgesetzten psychologischen Spannung einen besonderen Charakter der »psycdastheniex zu erkennen geglaubt. Ich greife aus seinen
! Freud: Eine Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci, Schriften z. angew. Seelenk. I. Hefl. — Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose, Jahrb. . — Formulierungen über die zwei Prinzipien des psydhishen Ge= schehens. Jahrb. III, 1 und passim.
2 Siehe die Arbeit über Leonardo, p. 15 ff.
83 Lichtenberg: »Der gesunde Gelehrte: der Mann, bei dem Nachdenken keine Krankheit ist.«
4 P. Janet, Les nevroses, Paris, Alcan, 1900, p. 354 ff.
Psydhoanalytishe Anmerkungen zur Geschichte der Philosophie 225
interessanten Ausführungen einige wenige heraus: »Leurs fonctions psychologiques ne presentent aucun trouble dans les operations qui portent sur l’abstrait ou sur l’imaginaire, elles ne prösentent du dösordre que lorsqu’il s’agit d'une operation portant sur la r£alite concrete et presente,«e — »Quand ils conservent quelque activite, on voit qu’ils se complaisent dans les hoses qui sont les plus eloignees de la realit& materielle: ils sont quelquefois psychologues, ils aiment surtout la philosophie et deviennent de terribles mötaphysi- ciens. Quand on a vu beaucoup de scrupuleux, on en arrive A se demander avec tristesse si Ja speculation philosophique n’est pas une maladie de l’esprit humain.« — »Qui ne croirait A premiere vue, qu’un raisonnement syllogistique demande plus de traveil celebral que la perception d’un arbre ou d’une fleur avec le sentiment de leur röalitE et cependant, je crois que ce point de sens commun se trompe. L’operation la plus difficile, celle qui disparait le plus vite et le plus souvent, dans toutes les döpressions, est celle dont on vient justement de reconnaitre limportance, l’apprehension de la realite sous toutes ses formes.« — Freud selber erblickt in der Tendenz zur Isolierung von der Realität einen für die Neurose wesentlihen Zug. Die Durdhleuhtung der Genese und des feineren Mechanismus der Zwangsneurose, die uns unter anderem die Vorliebe der Kranken für den Zweifel und die Unsicherheit sowie ihren Glau- ben an die Allmaht der Gedanken dargetan hat, und die Analysen einiger Wahnsysteme der Paranoia und Dementia praecox!, die eine überrashende Ähnlichkeit mit den metaphysishen Konstruktionen der Philosophen zeigen, schließen sih an die anderen Erkenntnisse an und gestatten uns, ein annähernd richtiges Bild von den unbewußten Grundlagen der philosophishen Produktion zu gewinnen. enn wir nun darangehen, in einem bestimmten Verhalten der Triebe ein entscheidendes Moment für die Entwicklung zum Denker herauszustellen, wollen wir nicht vergessen, vorher zu er- wähnen, daß wir uns nicht vermessen, eine Synthese der Elemente, die die Persönlichkeit irgendeines großen Philosophen konstituieren, zu geben, denn wie Sexualtrieb und Ictriebe im einzelnen zu= sammenwirken, wieviel auf Rehnung der angeborenen Anlage zu setzen oder den »Zufälligkeitens des Erlebens zu verdanken ist, welches ferner der organische Hintergrund von Sublimierungsfähigkeit und Verdrängungstendenz sein mag und worin schließlih das Spezifishe einer solchen Begabung beruht — alles das sind ebenso- viele ungelöste Probleme. Aber der Eindruk, den man aus den Analysen namentlich gewisser Zwangskranker und dann auch der Paranoiker erhält, stimmt so auffällig zu jenem, den man sich bei Betrahtung von
! Vor allem Freud, Psychoanalytishe Bemerkungen über einen Fall von Paranoia usw., ferner J. Nelken, Analytishe Beobahtungen über Phantasien eines Schizophrenen, Jahrb. IV und S. Spielrein, Über den psyciologischen Inhalt eines Falles von Schizophrenie (Dementia praecox), Jahrb. III.
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Lehre und Leben vieler Denker holt, daß man dieser Ähnlichkeit eine mehr als zufällige Bedeutung beimessen muß. »Denn wie der Baum mit lichtentfernten Wurzeln die etwa trübe Nahrung saugt tief aus dem Boden, so scheint der Stamm, der Weisheit wird genannt, und der dem Himmel eignet mit den Ästen, Kraft und Bestehn aus trübem Irdishen, dem Fehler nah Verwandten auf- zusaugen«!,
Wir haben an einem früheren Ort hervorgehoben, daß eine besonders verstärkte infantile Wißbegierde?, die namentlih die Her- kunft der Kinder, die Beschaffenheit der Genitalien des anderen Geschlehts und die shwer zu ergründende Rolle des Vaters zum Gegenstand nimmt, sih aber im Verkehr mit Erwachsenen dieser speziellen Fragen zumeist enthält, um desto unermüdliher über alle möglihen anderen Dinge Auskunft zu verlangen, ein — soweit unsere Interessen in Betraht kommen — doppeltes Schicksal erfahren kann und das mädtigste Motiv für alle spätere Denkarbeit abgibt. Wir sind natürlich im allgemeinen bloß auf Vermutungen angewiesen, wenn es sih darum handelt, diese Besonderheit bei allen Individuen, die nach den letzten Dingen forshen, durch biographishe Details zu belegen. Um so willkommener ist es uns, Descartes’ ersten Bio- graphen Baillet? berichten zu hören, daß der Vater des Philosophen
i Grillparzer, Die Jüdin von Toledo, I. Aufzug.
® Einen schönen Nachweis für den Zusammenhang von Sexualtrieb und Forscherfreude — wenigstens in einem Falle — hat Dr. K. Furtmüller im Zentralbl. f. Psycdhoan., I, 5/6, durh Anführung einiger Sätze aus einem Briefe Multatulis erbradt. Die betreffende Stelle (Multatuli-Briefe, herausgegeben von W, Spohr, 2 Bde., p. 72f.) lautet: ».... Ich hoffe, ich hoffe, eine vereinfachte Methode für die Trigonometrie zu finden. Alle Schüler werden mir dankbar sein. Ich. habe noch viele andere Dinge von dieser Art zu untersuchen. Es ist herrliche Poesie, das Aufheben des keushen Gewandes der Natur, das Suhen nad ihren Formen, das Forshen nach ihren Verhältnissen, das Betasten ihrer Gestalt, das Eindringen in die Gebärmutter der Wahrheit. Siehe da die Wollust der Mathematik!
Und — ih Tor — ih bin ihr Freund! Wahrlih, sie stößt mich nicht zurück, ergibt sie sich gleich nicht mühelos. Just Mysterium genug, um gewünscht und begehrt und angebetet zu bleiben. Nicht genug, um den stürmischen Bewerber mutlos zu machen. Ich habe ihre Fußknödel, ihre Knie gesehen, ja die Hüfte und die Lenden, dann und wann .... aber, aber, dann stößt sie mih weg und flieht dahin, Daphne, die sie ist, Sylphe, die sie ist, Irrliht, Courtisane, Jungfrau . . Und bei alledem die große, mächtige Isis, die Frau Jehovah, die ist, war und sein wird, unveränderlih, unantastbar, unvernihtbar: das Sein, die Wahrheit.«
Ähnlih auh Schopenhauer in den »Fragmenten zur Geschichte der Philosophie«: »Als den eigentümlihen Charakter meines Philosophierens darf ich anführen, daß ich überall den Dingen auf den Grund zu kommen suche, indem ich nicht ablasse, sie bis auf das letzte, real Gegebene zu verfolgen. Dies geschieht vermöge eines natürlichen Hanges, der es mir fast unmöglich macht, mic bei irgend noch allgemeiner und abstrakter, daher noch unbestimmter Erkenntnis, bei bloßen Begriffen, geschweige bei Worten zu beruhigen, sondern mich weitertreibt, bis ich die letzte Grundlage aller Begriffe und Sätze, die allemal anschaulich ist, nackt vor mir habe... «
3 Baillet, I. c. I. ap. IV, p. 16.
Psychoanalytishe Anmerkungen zur Geschichte der Philosophie 227
die Gewohnheit hatte, den kleinen Rene seinen Philosophen zu nennen, wegen der unersättlihen Neugier, mit der ihn dieser um die Ursahen und Wirkungen alles dessen, was ihm gerade durch den Kopf ging, befragte. Derselbe Descartes hat später in dem »Discours de la Methode« seinen Erfolg als Denker nicht seiner besonderen Genialität, sondern bloß unermüdlicher, harter und kon-= sequenter Gedankenarbeit zugeschrieben.
An dieser Stelle möchte ich eine kleine Einshiebung maden. Ih halte den Antrieb zum Denken bei den Menshen für durdh- schnittlich recht gering; man wundert sih wirklich oft, über wieviele Dinge sie sih nicht den Kopf zerbrehen, wieviel sie gedankenlos hinnehmen, und ich glaube, daß die Qualitätsuntershiede im Denken sih ziemlich häufig, wenigstens zum guten Teil, auf Intensitäts- differenzen (bei großer Intensität wird oft ein sexuelles Agens an- zunehmen sein) zurückführen fassen. In diesem Sinne behielte der Ausspruh: »Genie ist Fleiß«, reht gegen den Goethe’shen Satz: »Alles Denken in der Welt wird uns nicht auf Gedanken bringen.«
Es muß entweder der Inhalt des Denkens oder die Tätig- keit des Denkens an sich lustvoll sein, um als Anreiz zum Forschen zu wirken. Was den ersten Faktor betrifft, so sind es gerade in der Metaphysik die alten infantilen Komplexe, die in nur leicht zen- surierter Form immer wieder zur Bearbeitung gelangen. Mander vertieft sh — nah den Worten Freuds — in die Wissenshaft, um die Leidenschaft in Wissensdrang umzuwandeln, um ein Äusleben der Komplexe zu ermöglihen und damit ihre Wirkung zu dämpfen.
In dem sinnreihen Märchen des Novalis von Hyazinth und Rosenblüthen sehnt sich der junge Hyazinth, die unausspredhliche Natur zu umfassen. Er muß sie suchen gehen. »Ich wollt’ euch gerne sagen, wohin, ih weiß selbst niht, dahin wo die Mutter der Dinge wohnt, die verschleierte Jungfrau. Nah der ist mein Gemüt entzündet.« Er fahndet nach dem geheimnisvollen Auf- enthalt der Isis. Sein Vaterland und seine Geliebten verläßt er und achtet nicht im Drange seiner Leidenshaft auf den Kummer seiner Braut Rosenblütchen. Lange währt seine Reise. Endlich begegnet er
ı Vgl. audh die folgende, von E. Jones (Jahrb. IV, p. 583) mitgeteilte Phantasie eines Zwangsneurotikers: »Der Held, natürlih er selbst, verfolgt ein stets ausweichendes Etwas. das er nie erreicht und das ihm der wirkliche Sinn und Mittelpunkt des Lebens zu sein scheint. Nadı jahrelangem Umherwandern kommt er wieder in die Nähe seiner alten Heimat, traumverloren in einen tiefen Teich starrend. Träumend malt er sich aus, wie er vor vielen hundert Jahren Maid Marion aus den Händen der Normannen befreite und zur Strafe eine große Anzahl derselben tötete. Er erwachte aus seinem Tagtraum und findet sih zur Seite seiner Cousine, von der er vor Jahren geschieden war, und weiß nun plötzlich, was er so lange gesuht hat.« »Der Patient war als Kind,« fügt Jones hinzu, »sehr verliebt in eine erwachsene Cousine, natürlih als Ersatz rür die Mutter.« Derselbe Patient, bei dem die Analerotik eine große Rolle spielte, wollte über- haupt bei allem im Leben, sei es konkret oder abstrakt, zum »Mittelpunkt« oder auf den »Grund« gelangen. Sein Streben ging auch dahin, die zentrale Bedeutung des Lebens, des Weltalls usw. herauszufinden.
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einem Quell und Blumen, die einen Weg für eine Geisterfamilie bereiten. Sie verraten ihm den Pfad zum Heiligtum. Er tritt ein und steht vor der himmlischen Jungfrau, da hebt er den leichten, glänzenden Schleier und — Rosenblütchen sinkt in seine Arme. —
Der tiefsinnige Dichter hat hier den Zusammenhang zwischen (vershobener) Mutterlibido und Forshungsdrang in deutliher Weise ersichtlih gemadt. h
Die Frage nah dem Ursprung der Dinge geht audh auf das Grübeln über die eigene Herkunft zurück und der kindlihe Zweifel an der Abstammung vom Vater (hinter dem sich vielleiht manchmal der feindselige Wunsh, keine Gemeinschaft mit dem Vater zu haben, dessen Rivale der Sohn bei der Mutter ist, birgt) erfährt mit der Verdrängung der inzestuösen Mutterlibido eine Art Über- kompensation durch Phantasien von der Geburt aus dem Vater! und der Shöpfung der Welt durh Gott. Die aus unbewußten Gründen erfolgende Entwertung der Mutter- und Überbesetzung der Vaterimago (Ausnahmen haben wir früher erwähnt!) führt also zu exquisit männlichen Geburtsphantasien, die einerseits viel- leiht bisweilen auf die eben besprohene Unkenntnis betreffs des Anteils des Vaters hinweisen, anklöfseits gewisse infantile Wünsce, wie sie beispielsweise der kleine Hans in Freuds »Änalyse der Phobie eines fünfjährigen Knaben«? äußert, nämlih in Identifizie- rung mit der Mutter Kinder zu kriegen, zu wiederholen scheinen. Die manifeste Bedeutung des Vaters dünkt mir in manchen philo- sophishen Systemen von so überragender Bedeutung gegenüber der der Mutter zu sein, daß ihr wohl einige Bemerkungen ge- widmet werden müssen. Es ist vielleiht mehr als ein Zufall, daß so viele hervorragende Denker in Pfarrhäusern geboren wurden, eine sehr religiöse © feichung genossen haben oder Theologen waren, ehe sie sih in Auflehnung gegen die religiöse und väterliche Autorität zur Unabhängigkeit des Geistes durhrangen. Aud jene mystishe Stimmung, in die nicht selten diese Männer auf dem sih senkenden Stük Leben gerieten, wird begreiflih, wenn man bedenkt, daß das Alter, besonders bei unverheirateten Individuen, die Realübertragung zurücktreten und die infantilen Imagines regressiv wiederbeleben läßt. Vor den dräuenden Schatten des Todes flüchten sie wie einstmals als Kinder in den tiefsten Schoß des Friedens.
Betrahtet man die Lebensgeshichte vieler Denker, so hat man wirklih den Eindruk, daß sie niemals von ihrem WVater- komplex — sei es in positivem oder negativem Verhalten — ganz
i Jung schreibt in seiner mehrfah zitierten hochbedeutsamen Arbeit »Wandlungen und Symbole der Libido«: »Ein Sohn darf natürlih denken, daß ein Vater ihn auf fleishlihem Wege erzeugt habe, nicht aber, daß er selber die Mutter befruchtet und so, sih selber gleih, zu neuer Jugend wiedergebären lasse.« (Jahrb. IV, p. 269.)
2 Jahrb. I, p. 70/71.
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losgekommen sind. Auf ihre negative Einstellung läßt sih bisweilen mit Recht der von einem französischen Soziologen geprägte Ausdruck »contre=imitation« anwenden. Die psydhishe Konstellierung durch den Vater kann sih nun auf die verschiedenste Art und Weise geltend machen. Entweder besteht die ambivalente Einstellung . nebeneinander wie beispielsweise bei Descartes, der ein unab-
hängiger Denker und Zurich ein ergebener Sohn der Kirche war, der im Lande der Freiheit, in Holland, lebte und jeden Meinungs- konflikt mit der Geistlichkeit ängstlich vermied!, oder sie verschmilzt zu eigenartigen Gestaltungen innerhalb des Systems. So kann dieses von dharakteristisher Neuheit und Kühnheit sein und zugleich eine mystishe Beziehung des Menshen zur Gottheit lehren. Ich darf hier wohl an Spinoza erinnern. Je stärker das konventionell- religiöse Moment bei einem solhen Denker betont erscheint, desto höher dürfen wir die Bedeutung der positiven Komponente der Vaterlibido gegenüber der negativen veranshlagen. Oder endlich die zwei Verhaltungsweisen lösen einander im Leben des Individuums ab, die Abhängigkeit vom Vater wird sich in diesem Falle haupt= sählih am Anfang und Ende des Lebens geltend mahen. Fichte ist vielleicht der Verraien eines solchen Typus. Es ist natürlih audh möglih, daß der Einfluß des Vaters shon frühzeitig und voll- ständig überwunden wurde, doh ist dies bei den Metaphysikern niht eben wahrsceinlic.
So interessant eine nähere Untersuchung der Mystiker und dann auh der Gnostiker wäre, in deren Lehre das sexuelle Fundament besonders unverhüllt durhschlägt, müssen wir doc des Raumes wegen davon absehen und begnügen uns nur mit der einen, aber, wie es scheint, nicht bedeutungslosen Bemerkung, daß alle Mystiker Masodisten® sind. Die alte passiv-homosexuelle Ein=- stellung zum Vater, auf die mögliherweise dessen seinerzeitige Kastrationsandrohung von nachhaltiger Wirkung gewesen ist, kann sih in späteren Jahren im Rahmen eines Systems beispielsweise als Streben nach lustvollem Aufgehen im Absoluten? äußern. Die Ver- einigung* mit der Gottheit ist ja das Erlebnis und das Ziel jedes Mystikers. Die Schleier heben sih, wenn man in den »Denk- würdigkeiten« des philosophishen Paranoikers Schreber liest, daß dieser von Gott entmannt und als Weib mißbrauht wurde. Natür- lih gehört das Verlangen des Mystikers und die Schrebersche Phantasie nicht demselben psydhishen Niveau an. Der Mystiker gibt den ungeeignetsten iss für eine nücdterne Tatsahen- forshung ab. Der Forsher hat — im Gegensatz auh zum Künstler — ein, man möchte sagen, feindlihes, grausames Verhältnis
! Aud Leibniz gehört in diese Kategorie. 2 Siehe auch die interessante Arbeit von OÖ, Pfister, Hysterie und Mystik bei Margaretha Ebner. Zentralbl. f. Psychoan., I. Bd., 10/11.
3 „Aber sich so verlieren, ist mehr sich finden« (Franciscus Ludovicus Blosius).
* Die Berührung (änAwoıs) des Absoluten!
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zur Außenwelt; er will Macht, Herrschaft über die Dinge erlangen, und zwar durh Erkenntnis. »Wissen ist Maht«!. »Tantum possu- mus, quantum scimus.« Unter den Philosophen ist vor allem ein Bacon,? einHegel zu nennen. Die eigentlihen Metaphysiker, die das Reich der Ahnungen mit Wunschmaterial ausbauen, sind dagegen wohl überwiegend Masodisten.: Bezüglich der Gelehrten aber heißt es in Nietzsches Scrift »Schopenhauer als Erziehers®: »Dazu füge man einen gewissen dialektishen Spür- und Spieltrieb, die jägerische Lust an verschmitzten Fuchsgängen des Gedankens, so daß nict eigentlih die Wahrheit gesucht, sondern das Suchen gesucht wird? und der Hauptgenuß in listigem Herumsdleihen, Umzingeln, kunst= mäßigem Abtöten besteht. Nun tritt noch der Trieb zum Wider- spruch hinzu, die Persönlichkeit will, allen anderen entgegen, sich fühlen und fühlen lassen, der Kampf wird zur Lust und der per- sönlihe Sieg ist das Ziel, während der Kampf um die Wahrheit nur der Vorwand ist.«
Man kann vielleicht geradezu die Philosophen in die zwei Typen des mystishen Masodisten und amystishen Sadisten — im Sinne einer vorläufigen Auskunft — einteilen. Bei dem ersten Typus dieser Gattung äußert sih die seinerzeitige Auflehnung gegen den Vater, dessen Überlegenheit man nicht mehr anerkannte, später in einer rücsictslosen, unbefangenen Betrahtung der Dinge, eine Art ver= feinerten Sadismus, eine gewisse intellektuelle Grausamkeit zeichnet diese Individuen aus. Sie gewähren dem Psydhoanalytiker wegen des Vorherrshens des Realitätsprinzips weniger Interesse als der zweite Typus, dessen Denken in reiherem Maße nicht nur aus infantilen Quellen intensiv verstärkt, sondern ebenfalls material bestimmt ist. Um Mißverständnissen vorzubeugen, muß ich immer wieder bemerken, daß in Wirklichkeit die zwei eben skizzierten Typen nicht so scharf gegeneinander abgesetzt sind, wie ih es hier zu tun versucht habe,
ı Vgl. Nietzsche über die Philosophen: »Ihr Wille zur Wahrheit ist Wille — zur Madt.« Der »Wille zur Madhts Nietzsches steht zwar in einer gewissen Beziehung zum Sadismus, ist aber mit ihm keineswegs identish. Er ist (nah einer mündlihen Äußerung des Wiener Philosophen Professor A. Stöhr) eine gemeinsame Erscheinungsform aller Grundtriebe. Der Madtwille des einzelnen Triebes ist jedoch unseres Erachtens von dem Willen zur Madt des Individuums zu unterscheiden, der als Resultante eines bestimmten Verhältnisses der Triebe zu= einander (gleichsinniges Zusammenwirken der konstitutionell verstärkten Trieb- aktivitäten) die inhaltlichen Bestimmungen der betreffenden für das Individuum charakteristishen Triebe gegenüber der formalen Eigentümlichkeit der Hemmungs=- losigkeit, der Expansionssudht, der das fremde Individuum zur gleichgiltigen Sache wird, zurücktreten läßt. Der Sadismus ist gewissermaßen als sexueller Repräsentant dieses „Willens zur Macdhts anzusprehen. Wenn dem Fichteschen Ih die Welt das Material seiner Pfliht ist, so ist diese Welt dem »Willen zur Madts ein Material seiner Mactgelüste.
2? Nah ©. Weininger eine Art Zauberer, Eroberer auf dem Gebiete der Wissenschaft.
3 Nietzsches Werke, I. Bd., p. 455. Naumann, Leipzig 1903.
4 Vgl. Lessings Aussprudh, daß ihm mehr am Suchen der Wahrheit als an ihr selbst gelegen sei. Anmerk. d. Ref.
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daß im Leben eines Denkers abwechselnd bald das eine, bald das andere Moment deutliher vorklingen kann, daß ferner ja bekanntlich Sadismus und Masodhismus nie ganz voneinander getrennt vor= kommen und sich schließlih von beiden Typen Fäden zu gemein- samen eigentümlihen Charakteren des Seelishen herüberspinnen. Über den Schautrieb und seine mögliche Beziehung zu Rationa- liimus und Mystik ist shon im ersten Teil der Arbeit in Ver- mutungen — und mehr können wir heute noh nidht geben — gesprohen worden. Wie wir 'bei diesem im einzelnen Fall einen Zusammenhang mit der infantilen Relation zum Vater (eventuell zu beiden Eltern) angenommen haben, so gilt das Gleihe auch vom Narzißmus (im geistigen Sinn), den wir als einen für die Philosophen wesentlihen Zug! anführen mußten. Nur die Funktionslust am Denken an und für sich erklärt jenen »Mißbrauh des Denkenss, der oft zu den abenteuerlihsten und unsinnigsten Spekulationen geführt hat. Die intellektuellen Operationen sind hier mit der Lust und Angst der eigentlichen Sexualvorgänge betont?. Die Überbesetzung des Denkens hat natürlih einen erhöhten Glauben an die Realität des Gedahten und eine Entwertung der transsubjektiven Wirklich- keit zur Folge. Die fortgesetzte Introversion kann einen völligen Abbruch der Beziehungen mit der Außenwelt bewirken. Das System, das in Anknüpfung an die Realität ein Ausleben uralter Komplexe ermöglicht, erinnert in bezug auf seine biologische Bedeutung bis- weilen an den mißlingenden kompensierenden Übertragungsversuc mancher Geisteskranker im Aphelium ihrer Entfernung von der Außenwelt, wo ihnen die Abspaltung bewußt zu werden vermag.’ Betreffs des geistigen Narzißmus der Denker wage ih die Bemer- kung, daß der Übergang des Narzißmus vom Objekt auf die Funktion vielleiht die Brüke zur Sublimierung bildet. Die »Re- gression von Handeln aufs Denkens sowie einige andere, teilweise noh anzuführende Charaktere der Philosophen erinnern in so auf- fälliger Weise an Symptome der Zwangsneurose, daß man nicht umhin kann, die meisten Philosophen in die Nähe jenes Typus, den Freud als »Zwangstypus« bezeichnet, zu stellen. Der genannte Forscher hat in seinen tief shürfenden »Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose« der Verdrängung des infantilen Hasses gegen den Vater die allergrößte Bedeutung für den Aufbau dieser Neurose zugesprodhen, Der auf intellektuelle Probleme diffundierende Zweifel ist eigentlich der Zweifel an der Liebe, die durch einen eben so starken Haß im Unbewußten gebunden wird. Das
! Fichte ist ein besonders schönes Beispiel dafür, der das Ih und die Er- kenntnis desselben in den Mittelpunkt der Weltbetrahtung stellt.
2 Vielleicht liegt darin eine Quelle der Behauptung einer Verwandtschaft zwishen Erkennen und Zeugen, welch letztere von Franz v. Baader in merk- würdiger Weise dargetan wurde. Selbstverständlih ist die Gegensatzrelation im Unbewußten auh an der Herstellung dieser Beziehung beteiligt.
s Vgl. J. Nelken, Analyt. Beobahtungen über Phantasien eines Schizo- phrenen. Jahrb. IV.
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stimmt sehr gut zu dem, was ich früher über die Bedeutung des Vaters für das Schicksal des Philosophen gesagt habe, und wenn wir mit Stekel den Zweifel einen negativen Glauben! nennen wollen, verstehen wir auh das oft ein Leben lang währende Schwanken zwishen Atheismus und Glauben? und die endliche Flucht in die Religion. Das frühzeitige Auftreten des sexuellen Shau- und Wißtriebes sowie die Ausbildung der sadistischen Komponente? würden als von Freud festgestellte Bigentümlich- keiten der Zwangskranken das Material für die oben erörterten Sublimierungen ergeben. Wenn Freud ferner hervorhebt, daß die Zwangshandlungen sih immer mehr, und je länger das Leiden dauert, infantilen Sexualhandlungen autoerotishen Charakters nähern, ist vielleiht im Rahmen dieser Krankheit audh Platz für den von uns so oft herangezogenen Narzißmus. Die ziemlih gleich- lautenden Aussprüche lee und Descartes*, daß sie erst im Zweifel ihrer Existenz gewiß geworden seien, weisen offenbar auf die libidinöse Überbesetzung des Denkaktes hin, dem die sonst den Inhalten des Denkens gewidmete Lust und Angst verliehen wird. Wer den Aberglauben und das Phänomen des Todes in seiner Bedeutung für die Zwangsneurotiker kennen gelernt hat, wird auf- merksam, wenn Schopenhauer das Todesproblem® an den Ein- gang der Philosophie stellt. Ih weiß nun sehr genau, daß der Tod einerseits auh Nichtneurotiker zu philosophishen Betrahtungen an= regen kann, anderseits der Tod allein die Menschen nicht zur Phi- fosophie veranlaßt haben wird. Das »davuaßeıw« ®, die Verwunderung über alles, in der Aristoteles die Quelle des Philosophierens erblikt, mahnt hinwiederum an den Verstehzwang, an die Vorliebe der Kranken für die Unsicherheit und den Zweifel. Auch der Philo- soph beschäftigt sich mit Problemen, die einer gesicherten Lösung widerstreben, so z. B. mit dem Ursprung der Welt und ähnlichen ihrer Natur nah schwebenden Fragen. Gewissermaßen als Ersatz für die fehlende Einsicht in die Determinierung des Innern regt sich bei Denkern und Zwangsneurotikern ein erhöhtes Kansalitätsbedüffnis der Außenwelt gegenüber, das mit treffender Anschaulichkeit, wenn aud in pathologisher Verzerrung, von Schreber beschrieben worden
ı »]st doch der Glaube nur das Gefühl der Eintracht mit dir selbst.« Grill- parzer.
2 Audh Schreber war seiner eigenen Aussage nah vor Ausbrud seiner Krankheit ein Zweifler.
3 Nacı späteren Untersuhungen dürfte gleichfalls der Analerotik eine gewisse Bedeutung für die Zwangsneurose zukommen.
* Aus den von Baillet (I. c., p. 81 ff.) mitgeteilten Träumen des dreiundzwanzig- jährigen Descartes geht das innere Shwanken des Philosophen zur Evidenz hervor.
5 Die Welt als Wille und Vorstellung, II., 4 Buh, 41. Kap.: »Der Tod ist der eigentliche inspirierende Genius oder der Musaget der Philosophie, weshalb Sokrates diese auh Vavarov ueietn definiert hat. Schwerlih sogar würde aud, ohne den Tod, philosophiert werden.«
6 Aristoteles, Metaphysik: »Aıa yao To Yavudlsıw ol Avdooroı zai vöv xai TO no@tov Nolavro YıLooogelvs.
Psycdoanalytishe Anmerkungen zur Geschichte der Philosophie 233
ist (4. c., p. 229: »Gerade das zusammenhanglose Hineinwerfen der das Kausalitätsbedürfnis oder irgendwelhe andere Beziehung ausdrückenden Konjunktionen in meine Nerven (warum nur usw.) hat mih zum Nachdenken über viele Dinge genötigt, an denen der Mensch sonst ahtlos vorüberzugehen pflegt und dadurh zur Ver- tiefung meines Denkens beigetragen. Jede Vornahme irgendeiner menschlichen Tätigkeit in meiner Nähe, die ih sehe, jede Natur- betrahtung im Garten oder von meinem Fenster aus regt gewisse Gedanken in mir an, höre ich dann in zeitlihem Ansclusse an diese Gedankenentwiclung ein in meine Nerven hineingesprohenes ‚Warum nur” — so bin ih dadurh genötigt oder ae in ungleich höherem Grade, als andere Menschen veranlaßt, über den Grund oder Zweck der betreffenden Erscheinungen nachzudenken.
Und dieses Kausalitätsbedürfnis konstruiert sih — gleichsam als späte Wunscerfüllung für den unabscließbaren Charakter der Kinderforshung — beim Philosophen ein in sich geschlossenes System, wo die Beantwortung er quälenden Frage ihren Platz findet, eine Zufluchtsstätte der Sicherheit und Beruhigung.
In Parenthese merke ih an, daß die pythagoräische Tafel der Gegensätze (die assyrish-babylonishen Ursprungs ist) vielleicht denselben Zweck verfolgt, gewissermaßen: Tertium non datur. Sie enthält unter anderem die Oenshenisllene von Rechts und Links, Männlih und Weiblih, Liht und Finsternis, Gut und Böse und bringt die »antithetische Einheitsbeziehung zwischen Vorstellung und Gegenvorstellung« (Lipps) zum Ausdruck. Diese uns auch aus der Traumsymbolik (z. B. linker Weg — Weg des Unrehts) und dem Folklore geläufigen Entsprehungen findensich zum Teil in der Zeugungs- theorie des Parmenides wieder, wo der männlihe und weibliche Charakter des Individuums von der Lage des Embryo im Mutter- leib — ob rechts oder links — abhängig gemadht wird!.
Von Freud ist die frühzeitige Scheidung der Gegensätze von Liebe und Haß beim Individuum als eine Bedin ung der Ent- stehung der Zwangsneurose angesprochen worden. Die durh Ver- shiebung allgemein gewordene und durch den Zweifel stets lebendig erhaltene Empfindung »des scharfen Widerspruchs, des unerbitt= lihen Entweder-Oder« mag denkbarerweise ihren Anteil an der Errihtung der pythagoräishen Tafel der Gegensätze? haben.
! Der Biologe Fließ erblickt in der linken Hand den Index des Gegen- geschledhtlihen. Nah desselben Ansicht liegt, wie schon früher erwähnt, das Wesen des Genies im Hermaphroditishen, das Werk ist ein Produkt der inneren Befruchtung des Bisexuellen. Vielleiht ist die »Sehnsuct, sich selbst zu gebärens, von der in einer J. Böhme nacempfundenen Schrift Schellings die Rede ist, ein Ausdruck dieser biologischen Verhältnisse. Schreber spricht auf p. 4 seiner »Denkwürdigkeiten« eine hieher gehörige Beobachtung aus. Die Schule der Züricher Psydoanalytiker würde die Vorstellung der Selbstgeburt in Analogie mit den Vorstellungen vom Sterben und Wiedergeborenwerden wohl als den bloß mit ardhaischen Mitteln dargestellten Begriff von Umwandlung und Entwicklung auffassen.
? Vgl. die große Bedeutung des Gefühls für Symmetrie bei Kant, der sicher=- lih dem Zwangstypus angehörte.
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Wer diese Verquickung von philosophishem Denker und Zwangskranken unangenehm und ungeredtfertigt findet, soll nicht außer act lassen, daß einerseits shon einem gewöhnlihen Zwangs- neurotiker im Durchschnitt eine ziemlich große intellektuelle Begabung zugesprohen werden muß, anderseits der Denkzwang! — gute geistige Fähigkeiten vorausgesetzt — zu Resultaten führen kann, über deren Wert und Giltigkeit ihre Genese ja nicht ent- scheiden darf,
Wenn ih vorhin einen sadistishen und masodistishen Typus beim Philosophen unterschied, so gilt für diese und für andere ähn- jihe Einteilungen der Satz, daß die Typen in Wirklichkeit nicht so streng voneinander getrennt sind, daß nur ein Mehr oder Weniger betont werden soll, daß mit einem Wort die Wissenshaft die Dinge einfacher sieht, als es der vielfahen Verschlungenheit und Kompli- kation der Erscheinungen entspriht. Auch der nücterne Forscher wird nicht ganz frei von den Einwirkungen persönlicher Komplexe bleiben, so gut der mythologishe Denker sih in den Schöpfungen seiner Phantasie niht völlig vom Boden der Realität zu entfernen brauht. Mindestens den Wert des Psycdologish-Realen wird er für sein Werk beanspruhen dürfen. Wir wollen freilih nicht so weit wie Feuerbach gehen, dem alle Theologie und Philosophie nur Psychologie ist; das müßte erst streng bewiesen werden. Die Psydhoanalyse kann — um einen Einwand H. Höffdings? gegen Feuerbachs Religionsphilosophie modifiziert wiederzugeben — alle philosophishen Vorstellungen als psycdologishe Erzeugnisse er= klären, daß sie aber wirklih nichts anderes und nicht mehr sein sollten, läßt sich nicht beweisen. Es ließe sih die Realität einer philosophishen Idee denken, die dem tiefsten Trahten des mensch- lihen Gemüts entsprungen wäre. Ob hinter dieser Denkbarkeit sich allerdings nicht bloß ein schühterner Wunsch verbirgt, ist nicht auszumachen.
Ohne uns in eine Diskussion über den Anspruh auf objek=- tiven Wert, der von der oder jener Weltauffassung erhoben werden könnte, einzulassen, stellen wir fest, daß viele he Libidotheorien zu sein scheinen, die sih entweder als vershobene Bearbeitungen psychoanalytisher Erkenntnisse darstellen oder mit den Ergebnissen der Psychoanalyse direkt übereinstimmen.
Es sei mir an dieser Stelle, bevor ih zu den Schlußgedanken übergehe, gestattet, in Form einer kleinen Einshiebung dem philo- sophishen Optimismus und Pessimismus einige wenige Betradh- tungen zu widmen. Man hat hier weit klarer als in anderen Fällen shon lange erkannt, daß ein philosophishes System, das sich auf
ı Freud, |. c. p. 417: »Der Zwang ist ein Versuh zur Kompensation des Zweifels und zur Korrektur der unerträglihen Hemmungszustände, von denen der Zweifel Zeugnis ablegt.«
= ® H. Höffding, Geschichte der neueren Philosophie, II. Bd., Leipzig 1906, p.
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einer bestimmten Wertshätzung des Lebens autbaut, nur »der kosmishe Ausdruck eines bestimmten Temperamentes« ist. Nietz- sche! hat das Entsceidende gesagt: »Urteile, Werturteile über das Leben, für oder wider, können zuletzt niemals wahr sein: sie haben nur Wert als Symptome, sie kommen nur als Symptome in Betraht — an sih sind solhe Urteile Dummheiten. Man muß durchaus seine Finger danah ausstrecken und den Versuh maden, diese erstaunliche ns zu fassen, daß der Wert des Lebens nicht abgeshätzt werden kann. Von einem Lebenden nicht, weil ein solcher Partei, ja sogar Streitobjekt ist und nicht Richter; von einem Toten nicht, aus einem anderen Grunde. Von seiten eines Philo- sophen im Wert des Lebens ein Problem sehen, bleibt dergestalt sogar ein Einwurf gegen ihn, ein Fragezeihen an seiner Weisheit, eine Unweisheit.«
Wenn sih auh eine Weltanshauung wie die Schopen- hauers, die das Lebensgefühl eines einzelnen zu dem der ganzen Welt madht, gewiß nicht auf objektive Wahrheit berufen kann, so darf doh niht verkannt werden, daß sein radikaler Pessimismus dazu beigetragen hat, gewisse uns manchmal abgewendete Facetten des Daseins in einem deutliheren Lichte zu erblicken. Daß der Weltschmerz fast stets mit einer ganz bestimmten Libidokonstellation (Unfähigkeit zur Realübertragung, Fälle der Versagung, Unmöglih- keit der Befriedigung auf den bereits eröffneten Bahnen infolge einer allgemeinen Libidosteigerung) einhergeht, ist wohl evident, indes ein übertriebener Optimismus stark an die Euphorie von Manischen erinnern kann?.
Im weiten Umkreise unserer Untersuhung konnten wir vor allem zwei Dinge in den Mittelpunkt stellen: den geistigen Narziß- mus der Philosophen und ihr Verhältnis zu den Eltern. Jener ist ein doppelter: einerseits wird die oft zwangsmäßig? ausgeübte Denkfunktion förmlih zu einer autoerotishen Handlung, der Phi- losoph betradhtet mit Lust sein Denken, das bisweilen bloß um seinetwillen betrieben wird, unbekümmert um Erfahrung und Inhalt — wir haben traurige Beispiele dafür. Anderseits spiegelt sich der Denker im Kosmos; das Tiefste, was ihm von außen entgegen- tritt, wiederholt nur seine eigene innerste Natur, aber er erkennt es
ı Götzendämmerung, p. 69, Naumann, Leipzig 1895.
? In der »Geburt der Tragödie usw.« wirft Nietzsche die Frage auf: »Ist Pessimismus notwendig ein Zeichen des Niedergangs, Verfalls, des Mißraten- seins, der ermüdeten und geshwäcten Instinkte? — Wie er es bei den Indern war, wie er es, allem Anschein nah, bei uns, den modernen Menshen und Europäern ist? Gibt es einen Pessimismus der Stärke?« WVielleiht gehört die Schwermut der Jugend hieher, die auf einer aus äußeren oder inneren Gründen stattfindenden Triebstauung beruhen dürfte. Vgl. auh Nietzsches Aussprud: »Carlyle: der Pessimist oder das zurückgetretene Mittagessen.« In dieser witzigen Form ist die physishe Verursahung des Pessimismus gekennzeichnet.
3 Freud erblikt im Denkzwang häufig eine Reaktion gegen die Drohung oder Befürhtung, man werde durch sexuelle Betätigung, speziell durch Onanie, den Verstand verlieren. Vgl. die Arbeit über Schreber.
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nicht als solhe, sofern er nicht zuerst den umgekehrten Weg nadı innen geschritten ist. Dann glaubt er, im Abgrund des Gemüts den Kern der Natur! entdeckt zu haben.
Es ist das Verdienst des deutshen Volkes, nahdrüklich in jene Rihtung gewiesen zu haben, aber die Frage wird wohl kaum je von der Philosophie beantwortet werden können, ob der Mittel- punkt unseres Wesens wirklih eins sei mit dem, »was die Welt im Innersten zusammenhält«. Von unserem nicht egozentrischen Standpunkte aus möchten wir diese Lösung eher verneinen.
Die Bedeutung der Eltern, namentlih des Vaters, scheint für das Schicksal des Metaphysikers von maßgebendstem Einflusse zu sein. Die an die Eltern gerichtete Frage nad der Herkunft des kleinen Menshenkindes wiederholt der Erwachsene, wenn er sich an die Natur wendet, um das Geheimnis ihres Daseins zu er- forshen? und die Allmadhıt des Vaters überträgt er auf Gott, den er die Welt erschaffen läßt. Auch der Glaube an die Allmadht der Gedanken, hinter dem ein Stück kindlihen Größenwahns steckt, wird auf Gott projiziert. So heißt es bei Leibniz: »Dum deus calculat, fit mundus.« Im Erkennen des göttlihen Urgrundes liegt eine Art Vereinigung und das tiefste Streben des Denkers geht dahin, sih in den »Schoß des weltenshwangeren Nicts«®, des Einen, des Absoluten zu retten. Der von den Eltern ausgeübte Bann zeigt sich vielleiht auh noch in der Ehelosigkeit der meisten Philosophen, in diesen Zusammenhang gehört gleichfalls die »Re- gression vom Handeln auf’s Denken«. »Primum vivere, deinde philosophari« — einige aber haben von vornherein auf das Leben verzihten und grübeln müssen‘.
Damit wird keine Abdankung der Metaphysik verkündigt. Sie ist eine notwendige Erscheinung des menschlichen Geistes und wenn ı Goethe: »Ist nicht der Kern der Natur Menschen im Herzen?«
2 In einem »Philosoph« überschriebenen Gedichte von Fr. Langheinrich, das sich auf die beigegebene Radierung von Klinger bezieht, heißt es:
»Natur, wie hab ich tief vor dir gekniet, Das dumpfe Haupt an deine Brust versunken:
‚Irink‘, sprachst du, ‚daß dein Auge Klarheit sieht‘, Und Liht und Wunder hat mein Mund getrunken. Nun lehre mih, warum dies Dasein glüht,
Die Seele, Mutter, gib mir deine Seele!«
Die Aufklärung über das Sexualgeheimnis kann eventuell auch eine praktische sein. »Wenn dann,« schreibt Novalis in den ‚Lehrlingen zu Sais‘, »jenes mächtige Gefühl, wofür die Sprahe keine anderen Namen als Liebe und Wolfust hat, sih in ihm ausdehnt, wie ein gewaltiger, alles auflösender Dunst und er bebend in süßer Angst in den dunkeln lockenden Schoß der Natur versinkt, die arme Persönlichkeit in den übershlagenden Wogen der Lust sih verzehrt und nichts als ein Brennpunkt der unermeßlichen Zeugungskraft, ein verschluckender Wirbel im großen Ozean übrig bleibt!«
s Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Il. Bd., #4. Kap. 41. — Was als Vergleih gebrauht wird, ist hier das psyhish Zugrundeliegende.
* Schopenhauer, »Das Leben ist eine mißliche Sache, ich habe mir vor= genommen, das meine mit dem Nachdenken darüber zuzubringen.«
Psycdoanalytishe Anmerkungen zur Geschichte der Philosophie 237
sih auch ihre Anhänger über die Tragweite der dort gegebenen Aufshlüsse wahrscheinliih Täushungen hingeben, sofern sie in ihnen objektive Wahrheiten erblicken, so ist anderseits niht zu leugnen, daß wir durch die Weltanshauungen der Philosophen eine höchst wirksame Förderung in psycologisher Hinsicht erfahren, indem jene Schöpfer, oft mehr geniale Künstler als Forscher, be- deutsame Einsichten in unser eigenes UÜnbewußtes symbolish zum Ausdruck gebradht haben. Gleihwie Feuerbach gegenüber Voltaire in der Auffassung der Religion einen Fortschritt Breähk, indem er die festgestellte Subjektivität religiöser Dogmen zu einer Verherr- lihung der menschlihen Natur eher hat, werden wir in dem Umstande, daß der Philosoph sein Weltbild in Übereinstimmung mit unbewußten Kräften des eigenen Gemüts zusammenscdaut, nur einen verstärkten Äntrieb sehen, die Schöpferkraft der menschlichen Phantasie zu bewundern. Und bei aller Ähnlichkeit, die viele philo- sophishe Systeme mit den kunstvollen Konstruktionen beispiels- weise der Paranoia auch aufweisen mögen, dürfen wir nicht das Spezifisch-Differenzierende gegenüber neurotishen und psy= aotishen Erscheinungen außer aht lassen: ich meine ganz all- gemein die jarellekttaik: Blendung, deren Vorbild die von Freud so genannte sekundäre Traumbearbeitung! ist. Je feiner und reicher die im Ictrieb vorhandenen Anlagen des Individuums entwickelt sind und je größer seine Realitätsanpassung ist, umso stärker treten in der Fassade eines philosophishen Gebäudes die subliminalen Mächte, die am Werke tätig waren und deren verhüllter Äußerung jene Fassade zunächst dienen sollte, zurük und das Gebäude erhält, gewissermaßen nah dem Gesetz der Heterogonie der Zwedke (Wundt), eine seiner ursprünglihen Bestimmung fremde, selbständige Bedeutung.
ı Freud versteht darunter die in ihrem Ausmaß inkonstante Über- arbeitung des Trauminhalts durh das zum Teil gewekte Wachdenken während der Traumbildung. Vgl. Traumdeutung, 2. Aufl., p. 302 ff.
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Aus der »Psychologie*t von Hermann Lotze. Mitgeteilt von Dr. S. FERENCZI (Budapest).
In den Werken des mit Recht berühmten und populären deut- shen Denkers und Universitätslehrers Hermann Lotze! fand id einige Sätze, die — obzwar rein spekulativ entstanden — eine so weitgehende Übereinstimmung mit den auf empirishem Wege ge- wonnenen psycdologishen Erkenntnissen der Psycoanalytik auf- weisen, daß wir ihren Autor als einen der Vorahner der Ideen Freuds betrahten dürfen. Eine solhe Kongruenz der Resultate intuitiven Denkens und Dichtens? mit den Ergebnissen der prakti- schen Erfahrung ist niht nur vom geschictlihen Standpunkt inter- essant, sondern sie kann auch als ein Ärgument für die Stihhältigkeit jener Erkenntnisinhalte selbst in Betraht kommen.
In der »Psychopathologie des Alltagslebens« erklärt bekanntlich Freud das Vergessen als ein Ünbewußtwerden von Vorstellungen, begründet durh Unlustmotive. In seinen »Grundzügen der Psydho- logiexs (VII. Aufl. Leipzig, S. Hirzel) sagt Lotze über dieses Thema u. a. folgendes:
815. ».... die Erinnerungsbilder früherer Eindrüke (sind) nicht immer im Bewußtsein vorhanden, sondern treten nur zeitweilig in demselben wieder auf, dann aber so, daß kein äußerer Reiz nötig war, um sie von neuem zu erzeugen.
Hieraus schließen wir, daß sie in der Zwischenzeit für uns niht ganz verloren gewesen sind, sondern sih in irgendweldhe ‚unbewußte’” Zustände verwandelt haben, die wir natürlih nicht beschreiben können, und für die wir den an sich widersprehenden aber bequemen Namen ‚unbewußte Vorstellungen, brauden ...«
16. ».... Zwei Ansichten standen sich hier gegenüber. Man hielt früher das Vershwinden der Vorstellungen für natürlih und glaubte das Gegenteil, das Gedächtnis, erklären zu müssen. Man folgt jetzt der Analogie des physishen Gesetzes der Beharrung und glaubt das Vergessen erklären zu müssen, weil an sih die ewige Fortdauer eines einmal erregten Zustandes sih von selbst verstehe.
Diese Analogie ist niht ohne Bedenken. Sie gilt von der Be- wegung der Körper. Allein Bewegung ist nur eine Änderung äußerer Relationen, von welcher der bewegte Körper nichts leidet, denn er befindet sih an einem Orte genau so wie am andern, und hat daher weder einen Grund, noch einen Maßstab für einen der Bewegung zu leistenden Widerstand. Die Seele dagegen befindet sich selbst
1 Rud. Hermann Lotze (1817—1881) war Professor der Philosophie und Physiologie in Leipzig, Göttingen und Berlin. Er war ein Schüler Herbarts und
Anhänger von Leibnitz. 2 Ähnliche Übereinstimmungen mit der Psychoanalyse sind bereits in den Werken von Schopenhauer, Nietzsche, Änatole France u. a. nahgewiesen
worden.
Aus der »Psydologie« von Hermann Lotze 239
in vershiedenen Zuständen, je nachdem sie a vorstellt oder b oder auh gar nichts. Denkbar wäre daher, daß sie gegen jeden ihr aufgedrängtenEindruck zurückwirkte, wodurchsie zwar niemals diesen ganz annullieren, aber doch vielleicht aus bewußter Empfindung in einen unbewußten Zustand ver- wandeln könnte,«!
8 19. »Als Grundlage einer ‚psychischen Mechanik’ könnten .... die Begriffe von Stärke und Gegensatz nur dann selbst= verständlih dienen, wenn sie sih auf die vorstellenden Tätig- keiten bezögen. Das ist nicht der Fall. — Man würde es daher als eine bloße Tatsache anerkennen müssen, wenn die Stärke und Gegensatz des vorgestellten Inhalts die entscheidenden Bedin= gungen für die Wechselwirkung der Vorstellungen wären. Die Er- fahrung bestätigt dies niht. Die Vorstellung größeren Inhalts verdrängt keineswegs immer die von kleinerem, im Gegen- teil ist die letztere selbst imstande, zuweilen die Empfin- dung äußerer Reize zu unterdrücken?.
un kommen aber Vorstellungen niemals in einer Seele vor, die außerdem nichts anderes täte, sondern. an jeden Bindruk knüpft sih außer dem was in dessen Folge vorgestellt wird auh nod ein Gefühl des Wertes, den derselbe für das körperlihe und geistige Wohlbefinden des Perzipierenden hat. Diese Gefühle von Lust und Unlust sind einer Gradabstufung offenbar ebenso fähig, wie das bloße Vorstellen unfähig dazu ist. Nach der Größe nun dieses Gefühlsanteils, welche übrigens außerordentlih wechselnd ist je nach der Verschiedenheit des Gesamtzustandes, in dem die Seele sih eben befindet, oder kurz gesagt: nah dem Grad des Interesses, welche eine Vorstellung aus vielerlei Gründen in jedem Augenblike zu erwecken vermag, richtet sih ihre größere oder geringere Macht zur Verdrängung anderer Vorstellungen. Und nur hierin, aber nicht in einer ursprünglihen Eigenschaft, welche sie als bloße Vorstellung hätte, besteht das, was wir ihre Stärke nennen können.«
In diesen Sätzen finden wir zum Teil Freuds Feststellungen über die bestimmende Rolle der Lust- und Unlustqualität für die Perzeption und Reproduktion wieder. Daß dies kein Zufall ist, darauf läßt eine andere Stelle der »Psydhologies Lotzes schließen, an der er — ganz wie es die Psychoanalyse zu tun gezwungen ist — gegen die Haltlosigkeit der reinen Bewußtseinspsychologie und philosophie Stellung nahm.
886»... Die Frage nah der Art und Wahrheit unserer Erkenntnis oder nah dem Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt hatte so sehr alle Aufmerksamkeit gefesselt, daß der Vor- gang, durh welchen das Seiende dazu kommt, sich selbst zu er- fassen, d. h. die Entwicklung des Selbstbewußtseins, für das
ı Vom Referenten hervorgehoben. ®: Vom Referenten gesperrt.
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eigentlihe Ziel oder für den letzten Inhalt der ganzen Weltordnung gehalten wurde. Nun erschien die Seele nur Kar bestimmt, diese Aufgabe der Selbstbespiegelung innerhalb des irdischen Lebens auf- zulösen, und die verschiedenen Formen, in denen diese Aufgabe der reinen Intelligenz stufenweise immer mehr gelöst wird, nahmen ziemlich allen Platz in der Psychologie ein. Der Inhalt dessen aber, was empfunden, angeshaut oder begriffen wird, trat ebensosehr dagegen zurück, wie das ganze übrige Seelenleben, der Gefühle und Strebungen, die selbst wieder bloß so weit in Betradt kamen, als sie auh zu jener formellen Aufgabe der Selbstobjekti- vierung in bezug gesetzt werden konnten.«
In der Sprahe der Psychoanalyse heißt das etwa: Bewußtheit ist keine notwendige Qualität des Psydhishen, ja: der Inhalt der Psydhe ist an sih unbewußt und nur ein Bruchteil dieses Inhalts wird vom Bewußtsein, dem Sinnesorgan für (an sih ubw.) psydhische Qualitäten, wahrgenommen.
Audh die Anshauung Lotzes über die Rictkraft des Lust=- prinzips bei der Entstehung der Triebe deckt sich mit unseren Anschauungen. »$ 102... . Triebe sind ursprünglih nur Gefühle, und zwar meistens der Unlust oder doh der Unruhe, sie pflegen aber verknüpft zu sein mit Bewegungsantrieben, welhe in der Weise der Reflexbewegungen zu allerhand Bewegungen führen, durh die nach längerem Bike kürzerem Irrtum die Mittel gefunden werden, jene Unlust zu beseitigen.« (Vgl. dazu Freuds »Prin- zipien des psydishen Geschehens« und den theoretishen Teil seiner »Traumdeutung«.)
Audh das Problem der objektivierenden Projektion und der Introjektion wird von Lotze angescnitten. Wo er von der Bildung des »Ich« im Gegensatz zur Objektwelt spriht. »Jeder unserer eigenen Zuständes — sagt er im $ 52 — »alles was wir selber wirklih leiden, empfinden oder tun, ist dadurch ausgezeichnet, daß sih daran unmittelbar ein Gefühl (der Lust, der Unlust, des Inter- esses) knüpft, während diese Begleitung demjenigen fehlt, was wir als die Zustände, das Tun, Empfinden, Leiden anderer Wesen bloß vorstellen aber nicht selber erfahren oder erleiden... Ein bloßess Wissen überhaupt kann) niht das Motiv dieser ganz beispiellosen Unterscheidung sein, durh die jedes beseelte Wesen sich selbst der ganzen übrigen Welt entgegenstellt.« »Äuf die dargelegte Weise wird, glauben wir, zuerst der Sinn des Possessivpronomen ‚mein’” uns deutlih; erst nachher, wenn wir unsere denkende Reflexion auf diese Umstände richten, bilden wir auch den substantivishen Namen des Ich als des Wesens, dem das, was ‚mein’ hieß, zukommts« (& 53). (Vgl. dazu aud meine Ausführungen in der Arbeit »Introjektion und Übertragung« (Jahrbuch für Psychoanalyse, I. Jahrg.).
Wenn Lotze die »beispiellose Untersheidung«s des Ih von der übrigen Erfahrungswelt auf seinen Wert für das Individuum
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zurükführt, (worunter er zweifellos dessen Lustwert und nicht den Nutzwert versteht), so nähert er sich der psychoanalytischen Auffas- sung, nad der die Ih-Bildung im innigsten Konnex steht mit dem Narzißmus, dem Verliebtsein in die eigene Person. (Vgl. Freud: Animismus, Magie und Allmaht der Gedanken, »Imagos, II. Jahrg., 1, Heft, p. 12.)
Dafür spriht unter anderem aud folgende Stelle bei Lotze d, c.8 53): »... Zweierlei muß man unterscheiden. Das Bild, welches wir uns von unserem eigenen Wesen machen, kann mehr oder weniger zutreffend oder irrig sein, das hängt von der Höhe der Erkenniniekran ab, durh weldhe jedes Wesen sich über diesen Mittelpunkt seiner eigenen Zustände theoretish aufzuklären sucht. Die Evidenz dagegen und die Innigkeit, mit der jedes fühlende Wesen sich selbst von der ganzen Welt untersceidet, hängt gar nicht von der Vortrefflihkeit dieser seiner Einsicht in sein eigenes Wesen ab, sondern äußert sich bei den niedrigsten Tieren, soweit sie durch Schmerz oder Lust ihre Zustände als die ihrigen anerkennen, ebenso lebhaft, als bei dem intelligentesten Geiste.«
Interessant ist, was er über den Sinn »der vielen, zum Teil zierlihen, zum Teil sonderbaren beweglihen Zusätze oder An- hänge an unseren Körper« sagt, »deren sih die Putzsuht zu be- dienen pflegt«. Lotze meint, daß man damit gleihsam einen Teil der Außenwelt zum Ih schlagen will um dieses zu vergrößern, diese Zusätze »geben uns im allgemeinen das angenehme Gefühl
einer über die Grenzen unseres Körpers erweiterten geistigen Gegenwarte.
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»Wenn wir eine Gemütsbewegung oder einen Affekt von dem Gedanken der äußerlichen Verursahung trennen und mit anderen Gedanken verbinden, so werden Liebe oder Haß gegen die äußerliche Verursahung und damit auh die Schwankungen des Gemüts, die aus diesen Affekten entspringen, vernihtet werden. Ein Affekt, der ein Leiden ist, hört auf ein Leiden zu sein, sobald wir eine klare und deutliche Idee von ihm bilden. Und es gibt keine Körpererregung und also auch keinen Affekt, wovon wir niht einen klaren und deutlihen Begriff bilden könnten. Ein jeder hat die Madt, sich und seine Äffekte, wenn auch nicht absolut, so doch zum Teil klar und deutlih zu erkennen und folglih auh zu bewirken, daß er weniger von ihnen leide. Darauf hauptsählih muß daher unser Bemühen gerichtet sein, daß wir jeden Affekt, so viel wie möglih, klar und deutlih erkennen, damit so der Verstand, von dem Affekt aus, zum Denken dessen bestimmt werde, was er klar und deutlich erfaßt und worin er sich selb- ständig beruhigt, und so der ÄAffekt selbst von dem Gedanken der äußerlihen Verursahung losgelöst und mit wahren Gedanken verbunden werde.< Spinozal!.
Bücher.
DR. PAUL HÄBERLIN, Privatdozent an der Universität zu Basel: Wissenschaft und Philosophie, ihr Wesen und ihr Verhältnis. II. Bd.: Beer (426 S. Basel, Kober, C. F. Spittlers Nachfolger 1912, 6 M,, geb. ni
Es ist vielleicht nicht das höchste Lob, das man einem philosophi- schen Werke spenden kann, wenn man sagt, es erscheine gerade im richtigen Zeitpunkt, es hieße jedoch die eigentlihe Absicht des vorliegenden Buches gänzlich verkennen, wenn man daran denken wollte, ihm das Prädikat des Unzeitgemäßen zuzuerkennen. Häberlins Buch hat eingestandenermaßen propädeutischen Charakter und beabsichtigt, in der gegenwärtigen Krisis klärend über das Wesen, die Aufgabe und die Möglichkeit der Philo- sophie überhaupt zu wirken. Das wichtigste, das Wesen der Philosophie selbst angehende Problem, vor dem unsere deutsche Philosophie heute steht, laßt sich zusammenfassen in die Disjunktion: nur-wissenschaftlihe (positi= vistische) Philosophie oder Philosophie in universalem Sinn mit dem Rechte einer metaphysischen Position.
Der Verfasser betrachtet als ”die Aufgabe der ideal gedachten Philo- sophie einheitlihe, überzeugungskräftige Problemlösung im umfassendsten Sinnes, er stellt damit an die Philosophie die Forderung, ?nicht nur umfassende und einheitliche theoretishe Wahrheit zu suchen, sondern auh harmonische und universale Wahrheit im praktishen Sinne zu erstreben und beide zu einer Weltanshauung zu vereinigen“ (p, 4).
Den Weg dazu bahnt sich der Verfasser durch eine eindringliche Analyse des Wesens der praktishen Wahrheit, die im ersten Kapitel ab- gehandelt wird, während die Probleme der theoretischen Wahrheit im ersten Band des Werkes behandelt worden sind, und zum Teil im zweiten Kapitel (Das Werden der Weltanschauung) noc einmal zur Sprache kommen, Dem- gemäß beginnt dieser Band mit der Untersuchung der elementaren Tatsachen
ı Mitgeteilt von Dr. E. Simonson.
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und Beziehungen des praktischen Erlebens überhaupt, zunächst durh die Analyse der »gewöhnlichen Handlung als psychischen Vorgangs«, ein Kapitel, das wegen der Herausarbeitung der entscheidenden psychischen Momente des Handelns sehr verdienstvoll zu nennen ist. Man vergleihe die Aus- führungen über die Zielphantasie und ihre drei Begleitgefühle, die zwei posi=- tiven und das eine negative (p. 14f.) und die Resultatgefühle (p. 38f.), so- wie die allgemeine Feststellung, daß die negativen Gefühle stets mit posi- tiven gepaart sind, — »Die praktische Seite der ganzen Sukzession bedeutet ein Oszillieren der Gefühlslage zwischen negativen und positiven Nuancen. Dem negativen ÄAusgangsgefühl entspricht ein positives, zunächst vorgestelltes, aber auch bereits als Vorgefühl vorweggenommenes Zielgefühl. Den nega- tiven Wunschgefühlen der Absicht entsprechen die positiven Vorgefühle der erfüllten Wünsche, dem Spannungsgefühl entspriht das Gefühl der Ent- spannung. Je ein Paar soldher Gefühle gehört zusammen, als Kontraste oder Pole derselben Art des Fühlens. Es offenbart sich in ihnen je eine Art des Fühlens oder Werdens überhaupt, sie sei mehr individuell oder mehr Ge- meingut vieler Individuen, Das Treibende liegt im Kontrast oder vielmehr im Zusammensein positiv=negativer Gefühlspaare, — in einer bestimmten Art des (negativ-positiven) Fühlens überhaupt.«
Unser besonderes Interesse erregen die Ausführungen des Verfassers über die Fehlhandlungen, als welche er solhe Erlebnissukzessionen be- zeichnet, denen »charakteristishe Züge augenscheinlich fehlen«, Handlungen, die nicht das erwartete und gewünschte Resultat bringen. Ob Handlungen mit Alteration der Resultatgefühle (wegen eingetretener Änderung der Wertungsweise der Zielphantasie) als Fehlhandlungen zu bezeichnen sind, darüber ließe sich streiten — vielleiht wäre es ein Streit um Worte. Hin- gegen hat sih Häberlin den Dank aller — von Seite der Philosophen ja nicht gerade verwöhnten — Anhänger der psycdanalytishen Methode ver- dient, wenn er die andere, eigentlih so zu nennende Art der Fehlhand- lungen unserem Verfahren gemäß auf eine nicht überwundene Zwiespältig- keit der Absicht zurückführt, wobei die eine der beiden Absichten über- haupt niht bewußt oder nicht voll bewußt ist. Dies führt den Verfasser zu einer Auseinandersetzung mit dem Begriff des Unbewußten,
Er unterscheidet zwischen solchen Erlebnissen, die von Anfang an nicht im Bewußtsein sind, und solchen, die einmal bewußt waren, aber zu einem gewissen Zeitpunkt entweder vergessen, oder verdrängt wurden, ein Unterschied indes, den der Verfasser, ohne sich darüber näher zu äußern, nicht als konstitutiv angesehen haben möchte. Der psychologisch zunächst nicht ganz klare Begriff des von Änfang an Unbewußten, wird (p. 57f.) durch ein Beispiel erläutert. Das Charakteristische dieser Art des Unbewußten er- blikt der Verfasser darin, daß der betreffende Inhalt von Anfang mit an- deren bewußten Erlebnissen nicht in Beziehung gesetzt wurde: »die augen- bliklihe Reproduktion ist das Kennzeichen des bewußten Erlebens« (p. 58f.), »dodh sind diese Grenzen fließend« (p. 60), man könne sagen, »alles Er- leben ist ursprünglih unbewußt,; aber ein Teil wird gleih, ein anderer später reproduziert.« » Warum nun einiges Erleben gleich, anderes erst später bewußt wird, das wäre eine Frage für sic.«
Es liegt wohl in der Natur des Zusammenhangs, in dem der Ver- fasser die in Rede stehenden Probleme behandelt, wenn er dabei nicht (Ge- legenheit findet, sich theoretish des näheren mit dem umstrittenen Begriff des Unbewußten auseinanderzusetzen, da wir doc bei ihm erwarten dürften, darüber etwas anderes als den sprachlich orientierten Einwand zu vernehmen,
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das Unbewußte als Psydisches im Sinne der Psychoanalyse sei ein unmög- liher Begriff, da alles Psydhishe nur als Bewußtes vorhanden sein könne, Das Vorhandensein eines Unbewußten überhaupt wird vom Verfasser wie von der Psychoanalyse mit wünschenswertester Sicherheit erschlossen, die Frage aber, ob das Unbewußte als ein Wort für neurozerebrale Vorgänge und Dispositionen oder als etwas Psychisches mit fehlender Selbstspiegelung betrachtet werden müsse, wird niht zur Diskussion gestellt. Der Ver- fasser stellt sich vielmehr, auh hierin dem Verfahren der meisten Psych- analytiker folgend, auf den Standpunkt des unbewußt Psychischen, wenn er den Gedanken als möglich hinstellt, es könnten nicht nur die Bewegungen „willkürliher« Muskeln, sondern auch andersartige Veränderungen im Or- ganismus, Kontraktion »unwillkürliher« Muskeln psychische Hintergründe und Prämissen haben. Dieser Gedanke ist, wie man weiß, sehr alt. In un- serem Zusammenhang berührt er unmittelbar das zweite Problem im Be- griff des Unbewußten;, ob dieses nämlich entweder ein bloßes Refugium unbrauchbaren seelischen Hausrates oder die Residenz derjenigen Gewalten ist, die die apollinishe Außenseite des Seelenlebens aus einer unnahbaren Ferne regieren. — Vielleiht dürfen wir uns der Hoffnung hingeben, daß der Verfasser an anderer Stelle seine glänzenden, in scharfen Disjunktionen arbeitenden logischen Fähigkeiten in den Dienst der Bearbeitung dieses Be- griffes stellt, den die Psychoanalyse, wie jede ehrlih zu Werke gehende Wissenschaft, auf Grund hingebungsvoller Einzelforshung als notwendig auf- gestellt hat, ohne bis jetzt Zeit gefunden zu haben, ihn eindeutig zu de- finieren.
Nad der Fehlhandlung, deren anscheinende Unvollständigkeit sich bei Ansetzung unbewußter Absichten völlig verflüchtigt, wird in ähnlich orientierter Weise die Ersatzhandlung beschrieben, die bei völliger Hemmung (als Vorsatz oder schöne Phantasie) in die »innere Handlung Br mit ihrer versuchten Umgestaltung sekundärer Größen« (p. 7/
is 64).
Häberlin unterscheidet weiter an jedem praktischen Erleben die vier Momente der Intensität des den theoretishen Inhalt des Erlebens be- gleitenden Gefühls; der Modalität des Gefühls als Bezogenseins desselben auf ein bestimmtes Objekt, der Polarität mit den Unterschieden positiver oder negativer Wertung (ein Gut oder ein Übel), schließlih der Qualität als desjenigen Moments, in dem zum Ausdruk kommt, unter welchem »Gesichtspunktes das Wertobjekt gewertet werde. — »Wir schätzen — oder lehnen ab« — ein »Ding« entweder um seinetwillen oder um unsertwillen. (p. 109),
Die Ableitung der Momente der Intensität, Qualität und Polarität aus den vom Verfasser angesetzten Grundtendenzen, der Identifikations- eg und der Ichtendenz gehört zu den gelungensten Teilen des
uches.
Wir alle streben in jedem Moment unseres bewußten und unbe- wußten Erlebens danah, mit Anderem Eins zu sein, darin aufzugehen, uns in Anderes zu versenken, oder in Änderem zu sein. Dies Andere kann jedes beliebige Element und jeder Komplex theoretischen Erlebens sein, also jedes möglihe Wertobjekt.« Diese »Veranderung bedeutet, wenn sie vollzogen ist, ein Miterleben, oder besser Zusammenleben, Zusammen- existieren mit einem Änderen« .... diese »Tendenz braucht Persönlich- keiten«,; sie »ist das harmonische Miterleben mit dem Persönlihen, das in den Objekten gesehen wird« .. .. Mit fremdem Erleben streben wir uns
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nach unserer »seelischen« Seite zu identifizieren, mit dem »leiblihen« Aus- druck fremder Persönlihkeit streben wir nach unserer »leiblichen« Seite Eins zu sein,
»Die Sehnsucht nah Einheit setzt das Erleben der Andersheit, den Gegensatz, das Getrenntsein voraus. Daß dieser Gegensatz existiert, schreiben wir der zweiten Grundtendenz zu. Wir alle gehen darauf aus, Individuen zu sein... .„ Selbstdarstellen, Selbstsein, ist die allgemeine Idee dieser zweiten Tendenz« (Ichtendenz), »Sie brauht Anderes, braucht einen Gegensatz, eine Folie. Sie macht, daß etwas im Erleben dem Ich gegen- übergesetzt wird ... . nicht als andere Wesen, sondern einfach als Anderes, als Gegenstände,« Dieser Gegenstände bedarf das Individuum, um sich in seiner »Ichheit« zu erleben, wie es vom Identifikationstrieb aus der Persön- lichkeit bedurfte, um sich identifizieren zu können, ,.. ?Die Ichtendenz strebt weiter danach, gerade am Anderen selbst zu sein . . . durch Beherrschung, d. h. durh Einbeziehung in die eigene Existenz.«
Aus dem Zusammensein dieser beiden Tendenzen entsteht ein »Wett= streit, der das ganze praktische Erleben jedes Individuums ausmadht«.
»Es handelt sih ... . in jedem Moment und jedem Objekt gegen- über um einen Kampf ... . beider Tendenzen. So gelangen wir zum Be- griff der Intensität und des Intensitätsverhältnisses der Urabsichten.« — Der SL: der einen oder anderen Tendenz entscheidet über die Qualität des
ertes.
»Er wird ein Identifikationswert, wenn die Identifikationstendenz im ganzen überwiegt, im anderen Falle ein Ichwert«, (Persönlihkeitswert oder Sachwert), »ohne daß jedoch jemals ein absoluter Sieg festzustellen wäre« (p. 132). — Die Ichtendenz wird im Falle des Unterliegens auf die besondere Form des Identifikationswertes in solcher Weise einwirken, daß sie das Sonderdasein des Individuums gegenüber dem anerkannten Per- sönlichen erst recht hervorzuheben versuchen wird, während die Identifikations- tendenz über die bloße Konstatierung hinaus gänzlih in die fremde Per- - sönlichkeit eingehen will. Der Ausgang dieses erneuten Kampfes entscheidet
über den polaren Charakter des Wertes: »Das Objekt wird positiv ge- wertet, sofern es der Identifikationstendenz gelingt, der Ichtendenz das Auf- geben des Sonderdaseins abzuringens, im Gegenfall negativ.
»Mit dem Gelingen oder Nicdtgelingen der Durchsetzung der einzelnen Tendenz sind die Urwerte gegeben, bei gelungener Identifikation in Gestalt eines Gefühls der Seligkeit« .... im Falle der Unmöglichkeit der Identifi- kation in Form eines Gefühls, das »eine Form der Angst darstellt«.
»Gelingt einem Objekt gegenüber die restlose Einbeziehung ins Ich ... so begleitet diese gelungene Aktion ein Triumphgefühl . . .«, im gegen- teiligen Fall der Ohnmadıt, Shwäche, der anderen Form der Angst. »Ängst im allgemeinen Sinne wäre dann das Gefühl der Hemmung einer Urtendenz überhaupt, das Gefühl des (partiellen) Nichtseins und zugleich etwas wie ein Vorgefühl des Todess (p. 117).
Aus diesen Urgefühlen entstehen die (primären) Objektswerte, indem wir den einzelnen Objekten das »Verdienst« am Gelingen der Identifikations= oder Ichtendenz »zuschieben« und ihnen einen positiven (oder negativen) Identifikations- oder Ichwert beilegen. Um seinetwillen gefällt es, wenn es der Identifikationstendenz entspricht, (wir lieben es, finden es schön und gut), um unsertwillen, wenn es der Ichtendenz entspricht (brauchbar, nützlich). — Qualität, polarer Charakter und Intensität jedes primären Wertes sind vari- able Größen und hängen ab von der Variabilität der Grundtendenzen selbst.
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Die Einsiht in diese Verhältnisse gibt uns aber auch unmittelbar den Schlüssel zum Verständnis der Erscheinungen der Ambivalenz in die Hand. Sie ist dann vorhanden, wenn die Entscheidung über den Sieg der einen oder anderen Grundtendenz »in einer oder der anderen Phase lange niht oder überhaupt einem Objekt gegenüber nicht auftritt« (p. 136).
Wir müssen es uns versagen, an dieser Stelle die weitere gedank- lihe Entwicklung dieses Werkes durch so reihlihe Anführungen zu schildern und glaubten dies im eben geschehenen Falle nur deshalb tun zu müssen, weil wir zeigen wollten, wie der von der Psychanalyse empirish gewonnene Begriff der Ambivalenz durch die Deduktionen Häberlins eine wohlfundierte Begründung erhält, die, besonders was die Ansetzung der beiden Grund- anlangt, der ernstesten Beahtung der Psychanalytiker sicher sein darf.
Nur noch einige Hinweise auf den Weg, auf dem der Verfasser das ethishe Normproblem zu lösen versuht. — Der vorhandenen Variabilität der primären Werte und der darauf begründeten Inkonstanz des Handelns tritt gegenüber ein Ideal des praktischen Verhaltens; dieses »schließt ein Ideal aller drei Wertcharaktere mit Bezug auf jedes Objekt und damit aud ein Ideal der Wertverhältnisse aller Objekte untereinander ein, dazu ein Ideal der Überzeugung von den theoretischen Beziehungen zwischen den Objekten« (p. 158), vollendet in einem Wertsystem (p. 164), aus dem die Normen für das eigene Verhalten abgeleitet werden. Die Überwindung der Schwierigkeit, über die das nach Normen verlangende Individuum nicht hinaus kann, nämlich, wie denselben die Autorität und Absolutheit verbürgt werde, glaubt der Verfasser in der Identifikation mit einem anderen prakti- shen Ich zu erkennen, einer Einzelpersönlihkeit oder einer persönlichen Gemeinschaft (p. 191 f.), die als ein dem eigenen Ich Überlegenes, als eine Persönlichkeit höherer Ordnung imponiert (p. 194).
»Diese Identifikation mit einem Überlegenen, dieses Einswerden mit einem Imponierenden, einer ‚Autorität‘ ist das große Geheimnis aller Normbildung und daher aud aller wirklichen Problemlösung. Es ist einfach das Geheimnis aller Erziehungsmöglichkeit.« , .. . »Man kann allgemein so viel sagen, daß in allen diesen Dingen der frühen Kindheit und damit der Familie oder dem, was ihre Stelle vertritt, die wichtigste Rolle zufällt« (p. 195): — Häberlin unterscheidet weiter zwischen allogener und autogener Normbildung und meint mit letzterem Ausdruck die »Findung des eigenen Ideals ohne Führer, selbständig, autogen«; macht aber dazu die psydo- logish höchst wichtige Bemerkung: »Man geht wohl nicht fehl, wenn man alle autogene oder originale Normbildung in kindlihen Erlebensweisen be= gründet sieht, die nachträglich unbewußt die Normbildung leiten.« — Der Verfasser berührt sich mit dieser Einsicht wieder direkt mit den Ergebnissen der Psychanalyse, die ja im Hintergrund nicht nur der persönlichen (fürst- lihen) Autorität, sondern auh der transzendenten Idealbilder die Vater- imago als wirkendes Motiv aufgedeckt hat.
Angesichts der von uns als Psychanalytikern mit Genugtuung aner- kannten Bearbeitung und Einordnung wichtiger Begriffe und Erkenntnisse unserer Wissenschaft wird es nicht schwer ins Gewict fallen, wenn ich vom Standpunkt der Philosophie mir einige Bemerkungen zu Häberlins Lösung des Normproblems erlaube, Der Verfasser scheint mir nämlich in seiner Zurükführung der Normen auf eine wie immer gedachte Autorität zu sehr pädagogisch orientiert. Es liegt darin eine Hinausschiebung des eigentlichen ethischen Problems, die auch sozusagen von ihm eingestanden wird, wenn
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er den Begriff eines absoluten persönlihen Normzentrums einführt, mit dem ich offengestanden nichts anzufangen weiß,
Wir erfahren nichts über die ontologishe Natur dieser Normen und gerade darin liegt der philosophishe Kern des ethischen Problems. Wir möchten uns wehren gegen die Annahme, als sei es überhaupt möglich, Einzelobjekte oder Objektgruppen ihrem Werte nach zu bestimmen und diese Werte zu einem ethishen Gesamtaspekt zusammenzusetzen, ohne eine vorausgehende allgemeinste Überzeugung von einem Sinne alles Geschehens überhaupt, der erst die Werte bestimmt. In dieser von uns geforderten Grundüberzeugung liegt aber die eigentlih schöpferishe philo= sophische Intuition, der Häberlin an anderen Stellen seines Buches so warme Worte widmet.
Sind wir in diesem einen Punkte, an dem wir — vielleicht über- flüssigerweise — unsere eigene Meinung angedeutet haben, mit dem Ver- fasser verschiedener Ansicht, so muß ihm jeder von den yıyolog Yılooopodvres ohne Vorbehalt beistimmen, wenn er die höchste Aufgabe der Philosophie in der Entwerfung eines Weltplans erblickt, »der zugleich umfassenden Vor- satz des gesamten eigenen Handelns wie Vorstellung desjenigen W eltlaufs bedeutet, welcher zur Realisierung der Idealwelt führen mußte«, und er- bliken hierin das niht hoch genug anzuschlagende Verdienst, den echten Begriff der Philosophie, wie er zuletzt in den Systemen des deutschen Idealismus seinen mäctigsten Ausdruck gefunden hat, auf Grund ein- dringendster Analyse der theoretishen und praktischen Probleme heraus- gearbeitet und die Möglichkeit seiner Verwirklihung dargetan zu haben. Dafür sei auf das Buch selbst verwiesen, von dem wir aus den angeführten Gründen glauben, daß sie gerade zur rechten Zeit ans Licht getreten ist.
Dr. Lorenz.
ADOLF STÖHR, Psychologie der Aussage. (»Das Redht.« Samm- fung von Abhandlungen für Juristen und Laien. IX. u. X. Bd.) Berlin. Puttkammer & Mühlbredt,
Der Wert der kleinen Schrift, die den bekannten Professor der Philo- sophie an der Universität Wien zum Verfasser hat, liegt nicht nur darin, daß sie zuerst einen orientierenden Überblik über die Aussagepsychologie bietet, sondern auh in ihrer klaren und besonnenen Kritik und den viel- fahen Anregungen, die sie spendet.
Ein kurzer, historischer Abschnitt über die Entwicklung der Aussage- psychologie dient zur Einführung. Es folgt eine komprimierte Darstellung ihres gegenwärtigen Standes, in welcher den Forshungen von Freud, Jung und Riklin ein großer Raum reserviert ist. Professor Stöhr zeigt das Neue und Fructbare, das die Psychoanalyse gerade für dieses Gebiet geliefert hat. Er scheidet in seiner Kritik den allgemeinen Gesichtspunkt Freuds, dem er die größte Bedeutung zuerkennt, von den besonderen Aus- führungen der Psychoanalyse, Sein erster Binwand erwächst aus seiner De- finition des Charakters. Charakter ist das Intensitätenverhältnis der Grund- triebe. Ist bei einem Menschen der Geschlectstrieb am stärksten entwickelt, so wird man vom Charakter des Sexualisten reden müssen. In ähnlicher Weise müsse man auch vom Charakter des Egoisten, des Altruisten usw., schließlih auh von einem harmonischen Charakter, in dem alle Grund- triebe sich gleihmäßig entwickelt haben, ausgehen. Eine Besonderheit der Freudshen Theorie bestehe nun darin, daß die Menschheit den Charakter des Sexualisten haben solle. Man kann die Definition des Charakters, die der Autor aufstellt, als eine sehr glücklihe ansehen, ohne darum mit den
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ferneren Ausführungen einverstanden zu sein. Denn die Charakterbildung ist shon ein sehr später, komplizierter Begriff, den eine psychologische Forschungsmethode an den Schluß ihrer Untersuchungen stellen muß. Die überragende Bedeutung, die die Psychoanalyse der infantilen Sexualität und ihrer Weiterentwicklung zuscreibt, ist kein Resultat abstrakter Gedanken- arbeit, sondern streng empirischer Beobachtung. Der Weg zur Aufstellung typisher Charaktere kann nur über eine Geschichte der Libido, welche der Verteilung, Umformung und Verdrängung des kindlichen Trieblebens folgt, führen. Die Psychoanalyse hat auf diesem Gebiet shon manche wertvolle Ergebnisse zutage gefördert, gleichsam einige Stufen zu dieser letzten Höhe psyhologisher Forshung ausgehauen ')..
Ein anderer Einwand Stöhrs richtet sih gegen die Annahme einer allgemeinen Tendenz peinlicher Vorstellungen, verdrängt zu werden. Aud hier müßten verschiedene Typen untershieden werden. Die Lebenskräftigen scheinen die Gabe zu haben, unangenehme Eindrücke zu vergessen und zu verdrängen, während sich in anderen, vermutlich lebensuntüchtigeren Naturen gerade das Peinlihe einwühle., Diese Unterscheidung besticht wohl auf den ersten Blik, doc sie erscheint in einem anderen Lichte, wenn man gelungene und mißlungene Verdrängung trennt. Sicher ist, daß alle Kulturmenschen gewisse lust- und unlustbetonte Erinnerungen ihrer Kinderzeit verdrängt haben. Ob diese Verdrängung geglückt ist oder nicht, ob diese Menschen psychisch gesund bleiben oder Neurotiker werden, das hängt wohl in letzter Linie von der psychophysischen Konstitution ab.
Diese zwei prinzipiellen Einwände verleiten den Autor indessen nicht, die große Bedeutung der Psychoanalyse in der Aussagepsychologie zu unter- schätzen. Er widmet einen Abschnitt der »unbewußten Aussages und be- tont, welchen großen Fortschritt die psychoanalytishe Forschung in der Ent- wicklung dieses wichtigen Zweiges namentlich durch die Assoziationsmethoden Freuds und Jungs gebraht habe. Schon früher waren durh Wert- heimer und Klein Assoziationsversuche zu forensishen Zwecken gemacht worden; auch über die Methode W,. Sterns enthält das Buch interessante Ausführungen.
Bei diesen Versuchen, welche bei Personen angewendet wurden, die etwas ableugneten, bei Zeugen, die z. B. etwas nicht gehört zu haben be- haupteten, wechselten harmlose und sogenannte »komplexe« Reizworte ab. Vorher war shon von Kräpelin, Bleuler, Sommer u. A, die Ässoziations- methode zur Prüfung des Vorstellungssystems verwendet worden.
Die Neuheit des Jungschen Verfahrens aber besteht darin, daß es jedes beliebige Wort zur Aufnahme des Versuches für geeignet hält, (wegen der durchgängigen Determiniertheit des Psyhischen) und daß es das Haupt- gewicht auf die Wirkung der unbewußten Seelenvorgänge legt. Die Ein- wendungen, die Max Lederer den üblichen Assoziationsmethoden macht, scheinen berechtigt: es ist zweifelsohne rihtig, daß schon die Forderung, nur in einem Worte zu antworten, eine Formung des Reaktionsablaufes bedeutet, die zwangsmäßiges Reagieren ausschließt. Die Versuchsperson kann auch Impulse zu Gesten, zu Gefühlsausbrüchen verspüren, es können ihr auch Melodien, Figuren usw. einfallen. Der Psychoanalytiker, dem der seelische Mechanismus des Unbewußten bekannt ist, wird in der Lage sein, auch diese Reaktionen zu verstehen. Besonders interessant erscheint das letzte Kapitel, das der Deutung, Lenkung und Reizung der Aussage gewidmet
1) Charakter und Analerotik in Freuds »Kleineren Schriften zur Neurosen-=
lehres, II. Bd,
Bücher 249
ist. Vieles von dem, was hier Stöhr über die Psychologie des Verhörenden sagt, trifft auf den Psycdoanalytiker zu.
Einige Bedenken und Anregungen mögen hier nod ihren Platz finden. Die freisteigende Erinnerung im Traume ist nah den Traumforshungen Freuds kaum mehr annehmbar. In dem sehr interessanten Abschnitt über den sprachlihen Ausdruck der Aussage vermißt man eine gerade durd die Psychoanalyse geforderte Hervorhebung der Determiniertheit der Wortwahl und Wortfügung. Vielleicht sind den Begriffen der Identifikation und Intro= jektion neue entscheidende Aufklärungen über die Rolle der Suggestion in der Aussage abzugewinnen. Es wäre auch zu untersuchen, wie weit die Autosuggestion im Dienste eigener Komplexe steht.
Rückblickend kommt Professor Stöhr zu dem Schlusse, daß die An- wendbarkeit der Assoziationsmethode in der Gerichtspraxis noh in der Ferne liege, während »die Deutung der unbewußten Aussage viele Erfolge versprichts.
Das durch Inhalt und Form gleih wertvolle Buh wird jeden, der sih für die wichtigen Probleme der Aussage interessiert, fesseln. Wir be- grüßen es nicht nur als den bis jetzt wertvollsten, kritischen Überblick dieses Gebietes, sondern auch als Vorläufer eines fange erwarteten, vollständigen Psychologielehrbuches, das zu geben Professor Stöhr wie wenige berufen ist.
Dr. Theodor Reik. ZUR PSYCHOLOGIE DES PRIESTERS,.
Beethoven sagte, nahdem er die »Eleonora« von Paer gehört hatte: »Diese Oper gefällt mir, ich hätte Lust, sie in Musik zu setzen.« Ähnlich ergeht es einem nach der Lektüre des großangelegten Werkes, in dem August Horneffer das Problem des Priesters in seiner ganzen Tiefe zu umfassen sucht!. Der Hauptfehler des psychologischen Teiles (die sozialen und refor- matorischen Ausführungen kommen für uns erst in zweiter Linie in Betracht) scheint mir der zu sein, daß der Autor hier einen deskriptiven Standpunkt einnimmt, wo ein psychogenetischer geboten wäre, Zwar hat er, was das völker- psychologische Material betrifft, fast zu reichlih das Werden des Priester- charakters belegt, darüber aber die andere Seite des Problems, die individual- psychologische, vernachlässigt. Hier aber wären die Fragen nach den seelischen Bedingungen der Berufswahl, wie sie sich dem Psychologen aus der Ent- wicklungsgeshichte der Libido und der wechselnden Verhältnisse der Trieb- komponenten ergeben, am Platz. Der Wert der beiden starken Bände, die sicherlih eine Arbeit mehrerer Jahre voraussetzen, ist dadurch leider ver- ringert; doch bleibt er immerhin ein sehr großer und kein Psychologe, der sih mit den vielen Religionsfragen beschäftigt, wird es unterlassen, sie mit großem Interesse zu lesen. Besonders lehrreich erscheinen die Ausführungen Horneffers über die primitiven Glaubensformen, über die Tabuierung und andere Arten religiöser Gesetzgebung. Als feiner Beobachter kommt er oft psydhoanalytishen Gedankengängen nahe, Ein hübsches Beispiel für die »Allmacht der Gedankens, das er erzählt, ist folgendes; wenn ein Skythen- könig erkrankte, ließ er die drei bedeutendsten Wahrsager kommen. »In der Regel lautet ihr Spruch dahin, daß ein Stammesgenosse, den sie namhaft machen, einen Meineid auf die königlichen Hausgötter geschworen habe,s Die Therapie ist einfach und radikal: der Schuldige wird ergriffen und geköpft,
In dem Kapitel »Der Priester als Kranker« prüft Horneffer alle
i »Der Priester. Seine Vergangenheit und Zukunft.« Verlag Eugen Diederichs.
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jene pathologishen Züge des Priestertums, die namentlih in primitiveren Kulturstufen hervortreten, Seine Betrahtungsweise ist in ihrer Verbindung von Psychologie und Biologie sehr fruchtbar. Er zeigt, daß Krankheit nicht nur Kräfte lahmlegt, sondern auch entbindet und erklärt so den »Willen zur Krankheit«. Er weist auch auf den Zusammenhang zwischen dem Ver- siegen der Zeugungskraft und gewissen auffallenden, religiösen Wandlungen im Alter hin, die sich bei Männern wie Swedenborg, Tolstoi, Heine, Brentano, Huymans usw, zeigen. Wie mir scheint, haben an dieser Wandlung Veränderungen innerhalb des von der Psychoanalyse aufgedeckten Vaterkomplexes einen großen Änteil, Der »religiöse Anfall«e — wie ihn Horneffer beschreibt — ist wohl psydhologish zu einfach erklärt. Der Priester werde von ihm ergriffen, wenn er ein bestimmtes Kleid anlege, eine gewisse Handlung vornehme, etwas berühre usw. »Die Wirkung dieser Um- stände ist suggestiver Art, ihr Zusammenhang ist zufällig und beruht auf religiöser Konvention. »Ein Psychoanalytiker, der die strenge Gesetzmäßigkeit des seelishen Geschehens kennt, wird nicht leiht solche Zufälligkeiten zu- geben können, sondern nach assoziativen und zwanghaften Zusammenhängen suchen. Sehr hübsch klärt der Autor die Beziehungen zwischen religiösem Tanz und Sexualität auf. Er erzählt, wie die Ängst, die eine der treuesten Begleiterinnen des Priesters war, ihn zu ablenkenden und entladenden Zere- monien, zu Gebeten und Waschungen geführt habe. Die Zauber- und Kult- handlungen »sind in den meisten Fällen Scheinhandlungen, sie bringen eine Phantasiebefriedigung, eine scheinbare Lösung von Stauungen hervor. Sie lenken Trieberregungen ab und erfüllen unerfüllbare Wünsche«. Mit gutem Recht zieht Horneffer manche Vergleihe zwischen den religiösen Ge- bräuhen der Wilden und den dristlihen Taufzeremonien. So wascen z. B. die Krieger in Südafrika nah der Schlaht sih und ihre Waffen, damit, wie sie sagen, die Schatten der Erschlagenen sie nicht mehr verfolgen.
Interessant, wenn auch oft zum Widersprud reizend, sind Horneffers Ausführungen über Totemismus, über die Stellung der Wilden zum Tod und zu den Träumen. Aud ihm fällt die ambivalente Einstellung der pri- mitiven Völker zu teuren Toten auf. »Man schlägt sih blutig, wälzt sich im Kote, streut Erde auf sein Haupt, um den Toten mitleidig zu stimmen und ihn ja nicht auf den Gedanken kommen zu lassen, daß man sich über sein Äbleben freue. Man zieht Trauerkleider, meistens schwarzer oder weißer Farbe an, vielleiht um sich der verfolgenden Seele unkenntlich zu machen. Ferner übt man kräftigen Gegenzauber gegen den gefährlihen Zauber der toten Seele aus, hauptsählih dadurh, daß man sich stärker und lebens- voller macht: die Waffe gegen den Tod ist das Leben. Daher hält man einen üppigen Leichenschmaus, nimmt belebende Rauscgifte zu sich, führt Tänze auf.«
Aud über die Magie und den Totemismus, die durh Freuds psy- cologishe Erklärungen viel von ihrer Dunkelheit verloren haben, weiß Horneffer mandes Interessante mitzuteilen. Es scheint, als wären die An- fänge der Kunst enger mit der Magie verbunden, als man bisher annahm. »Wenn die Männer vor der Jagd einen Tanz aufführen, sih in zwei Gruppen teilen, deren eine den Jäger, die andere die verfolgten Tiere darstellt und nun eine scheinbare Jagd möglichst naturgetreu veranstalten, so wird dadurch der Erfolg bei der wirklichen Jagd gewährleistet. Die symbolishe Anwesen- heit der Tiere zwingt sie in Wirklichkeit herbei, die symbolishe Erlegung erlegt sie in Wirklichkeit.« Er erklärt, auch hier in Übereinstimmung mit psychoanalytischen Resultaten, daß der Ausübung erotisher Handlungen
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magisher Wert zukomme. Nach Meinung der primitiven Menschheit be- steht nämlich zwischen der Fruchtbarkeit der Natur und der tierish-mensch- lihen Zeugung ein sehr enger Zusammenhang. Die Aufführung der lasziven Tänze wirkt unmittelbar stärkend und befruchtend auf die in der Erde und in den Pflanzen und Bäumen vorhandenen Schaffenskräfte. Wenn die dionysi= schen Bacchhanten einherrasen, vollführen sie einen wichtigen und heilbringenden Frucdtbarkeitszauber. Der weiblihe Shoß wird dem nach Befruchtung ver- langenden Acer gleichgesetzt; der Pflug oder Grabstok ist das Zeugungs- glied;, mit seiner Hilfe wird der Same in die Erde gesenkt. In manchen Mythologien hören wir von dem Vater Himmel, der in liebender Um- armung auf der Mutter Erde liegt, wenn die Zeugung vollbracht ist, weicht er hinweg in die Höhe und damit beginnt der Tag, der Frühling, das Leben auf Erden. Der Gedanke der Weltshöpfung verbindet sih hier mit der Erfahrung.« Horneffer zählt noch andere Mythenmotive auf, die den sexuellen Sinn des Mythos verraten und stützt sich des öfteren auf Freuds und Ranks Forschungsergebnisse. Er madt ferner darauf aufmerksam, daß die Christen der Frühzeit, um ihrer religiösen Stimmung Ausdruck zu ver- leihen, mit Vorliebe Vergleihe aus dem sexuellen Gebiet wählten. Die Änderung, die mit dem Christentum eintrat, besteht im wesentlichen darin, daß man jetzt durch die Kulthandlungen nicht irdische, sondern himmlische Güter, erwerben wollte. Die vorschreitende Verdrängung und die Ver- änderungen, die sie im Seelenleben der Menschen hervorrief, entgehen auch Horneffer nicht. Er zeigt, wie diejenigen Bräuche, die das Triebleben und die zeugende Natur bejahten, als Teufelswerk erschienen, Ziemlich willkürlich scheint mir die Unterscheidung der Gemeindereligionen in männlihe und weiblihe Formen. In der ‚ersteren entlädt sih die Erregung nach außen, in der zweiten nach innen. Es handelt sich hier um eine Verschiedenheit des seelischen Mechanismus, deren späteren Fall wir Introversion nennen. Den bisher nicht genug beacdteten Sadismus des Priestertums hebt Horneffer zu Redtt hervor. »Die Priester waren die reinen Metzger; sie wateten im Blut; die Luft, die sie atmeten, war geschwängert mit Blutgeruh. Die heiligsten und wichtigsten Handlungen ihrer Berufstätigkeit waren Tötungen. Und die Tempel und Opferplätze hallten wider vom Gebrüll und Röcdeln der sterbenden Tiere.« Horneffer erzählt uns von drei privatpriesterlihen Typen, die in primitiver Zeit als heilkundig galten: der Schmied, der Henker und die alte Frau. Richtig errät Horneffer, daß der Schmied diesen ärzt- lihen Ruf der dämonischen Kraft seiner Werkzeuge und der Waffen, die er schmiedet, verdankt. »Lanzen und Pfeile, die der Schmied mit so eisernen Spitzen versieht, haben doppelte Eigenschaft: Wunden zu schlagen und zu heilen. Das klingt noch in der christlihen Sage von der heiligen Lanze nad, bei deren Berührung sich eine unheilbare Wunde schließt.« Ähnlich wie beim Schmied verhält es sich beim Henker und bei der alten Frau, Das Medizin- weib ist Hebamme und hat als solhe mit den Frauen zu tun, die durch die Schwangerschaft tabu sind. Alle diese Ausnahmsstellungen werden durch die »Ambivalenz der Gefühlsregungen« vermittelt.
Den hervorragendsten Platz aber in der ärztlihen Reihe nahm der Priester ein. Ihm oblag es, den Krankheitserreger zu entdecken. »Er legt sih also im Tempel zum Schlaf nieder und hofft, durh ein Traumbild diagnostisch und therapeutisch belehrt zu werden. Of muß auc der Kranke selbst diesen medizinishen Tempelschlaf halten, der in den Mittelmeerländern allgemein üblih war. In Griechenland, wo wir über den Gebrauch des Tempelsclafes genauer unterrichtet sind, hatte sih der ursprüngliche Sinn
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dieser Heilweise schon etwas verschoben. Die kranken Griechen, die zum Asklepiosheiligtum wallfahrteten, um den Tempelshlaf zu halten, wollten niht den Krankheitserreger erfahren, sondern hofften mit dem Heilgott Asklepios in Traumverkehr zu treten und von ihm Angaben über das ein- zuschlagende Heilverfahren zu erhalten. Ursprünglich aber war dieser Heil- gott vermutlich zugleih der Krankheitsdämon und der Tempelschlaf hatte den Zweck, die Bedingungen in Erfahrung zu bringen, unter denen dieser Dämon den Kranken freigeben würde.« Die letzte Vermutung hat alle Wahrsceinlihkeit für sich. Diese Völker haben — wenigstens was psydi= she Krankheiten anlangt — nicht so ungereimte Ansichten als es auf den ersten Blik scheinen möchte. Die Krankheitserreger werden von der Psycdho- analyse tatsählih in den Träumen der Neurotiker aufgedeckt.
Ebenso eigentümlih ist eine andere Heilmethode. Der Medizinmann wendet sich nämlih an den Kranken (oder den in ihm wohnenden Dämon); er bedroht ihn, beshwört im Namen aller guten Geister, Er beschimpft und bittet in reizvoller Abwechslung den Dämon, den Kranken zu ver- lassen. »Nocd heute ‚bespriht’ man im Volke manche Krankheiten, d. h. man kämpft mit Worten gegen sie und bringt sie durch Beschreibung des Heilvorganges oder durch ÄAufforderungen und Schimpfworte dahin, sich aus dem Staube zu mahen.« Wir erkennen hier etwas der Moralpredigt Ähnliches. Der Priester will dem Kranken durch dieses Zureden dazu ver- helfen, die Gewalt der übermädhtigen Triebe zu unterdrücken.
Eine Veränderung dieses Heilverfahrens ist das Heraussaugen der Krankheit. Der Priester berührt den Kranken und saugt an ihm, bis er alle bösen Krankheitsdämonen herausgetrieben hat. Doch nicht immer ist der Priesterarzt so geduldig. Er vertreibt auch den Dämon durch eine Radikal- kur: er prügelt ihn aus dem Kranken, übergießt ihn mit Wasser, gibt ihm Fußtritte usw. Es ist klar, daß diese Mißhandlungen nur den bösen Trieben (= dem Dämon) gelten. Mit Recht bemerkt Horneffer, daß in diesen alten Heilpraktiken, die ja alle bloß psychische Kuren waren, manches Wertvolle enthalten war. Über die Grundlagen der Inspiration weiß der Verfasser vieles Rihtige zu sagen. Er erkennt, daß die Quelle unseres tiefsten Wissens das unbewußte Seelenleben ist. Wieweit sein Glaube an die Determinierung des Psydhischen geht, läßt das folgende Urteil erkennen: »Ein visionäres Erlebnis, ein in der Ekstase gefundenes Wort kann zwar an und für sich Sinn und Wert haben, denn es entspringt stets einem tiefen Wünschen und Wähnen des Kranken — zufällige und sinnlose Gebilde erzeugt unser Geist überhaupt nicht, auch der des Irrsinnigen nicht; alles ist begründet, alles folgt einer inneren Logik, alles hat innerhalb des Trieblebens des Kranken seine berechtigte Stelle.« Ebenso stimmt er fast überall den Re- sultaten der Freudschen Traumdeutung bei und weist auf die Wichtigkeit der Herrscher- und Priesterträume hin. Gegenüber dem Unbewußten der Traumvorgänge verhalfen die Traumdeuter und Orakelpriester der bewußten Instanz berihtigend und ergänzend in ihre Rehte. Eine ebenso interessante Erscheinung ist die »Allmacht des Wortes«, von der Horneffer im Zu- sammenhang mit dem primitiven Gebet berichtet.
Das primitive Gebet war ein Machtwort, durch dessen Aussprechen Zauberwirkungen entstehen. Es richtet sich niht an Götter, es trägt seine Kraft in sih. »Wenn ich z. B. sage: jener Mensch wird sofort einen Schmerz in der Brust verspüren, wird umsinken und nach kurzer Krankheit sterben, so sind diese Erklärungen, wenn sie in die richtigen zauberkräftigen Worte gebraht werden, ein Gebet, das sih nach Meinung der primitiven Mensch-
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heit unfehlbar verwirklicht, falls kein Gegenzauber angewendet wird.« In dem Kapitel »Der Priester als Künstler und Denker« zieht der Autor eine Parallele zwischen religiöser Betätigung und Spiel und vertieft sie durch Fortführung der in einem Freudschen Aufsatz (Kleine Schriften zur Neu- rosenlehre, II.) ausgesprohenen Gedanken.
Er weist auf den uralten Glauben hin, daß das Abbilden eines Ge- shöpfes Macht über dasselbe verleihe, Die Kunst hat ihren Ursprung in Zauberhandlungen. Wenn ein Krieger einen Löwen auf seinen Körper malte, ging die Kraft des Tieres in seinen Körper über. Doch diese magische Wirkung geht weiter. Die dargestellten Tiere werden zu Schutzgeistern: auch die Wappentiere, die der Kulturmensh auf seinem Schild oder seinem Siegelring anbringt, sind Abkömmlinge solcher Stammesdämonen. Auch das Lied hat magishe Wirkung und zwingt den Erfolg herbei. Die Erlösung von den Zwangsgedanken, die zur religiösen Bildung führen, vollzog sich auf zwei Arten: indem man die Zwangsgebilde in Kunstwerken gestaltete oder indem man ihnen durch die Forshung auf den Grund ging. In Über- einstimmung mit der psycdhoanalytishen Ästhetik beschreibt Horneffer die kathartishe Wirkung der Kunst. »Indem der Priesterkünstler dem Volke unter dem Bilde der alten, furchtbaren Mythen — man denke z. B. an den Mythus von Ödipus, der seinen Vater tötet und seine Mutter eheliht — seine eigenen Sünden und Leiden vorhielt, die Seelen erschütterte, das Tiefste, Verborgenste, Böseste aus ihnen hervorholte, die verwegensten Wünsche und lärmendsten Schauer zu sichtbaren und greifbaren Gestalten verdichtete, dies alles aber nicht als formlose Gefühlsmassen, als wüste Phantasieerzeugnisse stehen ließ, sondern es in rhythmisierter und organi- sierter Form vorbradte, befreite er die Seelen, sprach sie los und befähigte sie zu dem schönsten Gottesdienste der Tat.« So anfechtbar der Stil dieser Zeilen ist, so richtig und erfreulih wirkt die psychologishe Erkenntnis, zu- mal sie unabhängig von der Psychoanalyse zustande kam: immer anregend, wenn auch oft zum Widerspruch reizend, bleibt Horneffer auch dort, wo er über die Beziehungen von Religion und Sexualität in unseren Tagen spriht. Der Priester der Zukunft wird ein Prediger der Norm sein, seine Aufgabe ist eine seelsorgerische, d. h. psychotherapeutische, Der Autor weist auf Freud und Dubois hin, die als Ärzte diesen Heilweg, der ein priesterliher im edelsten Sinne genannt werden muß, wiederfinden. Der Zu- sammenhang zwischen Psychoanalyse und Beichte, die von ihm als psyci- sche Entladungsersheinung aufgefaßt wird, wird hergestellt und Freuds psychoanalytishes Verfahren als eine Beichte niht begangener und nicht be- wußter Sünden bezeichnet, Ein tieferes Eindringen wird Horneffer auch seine Bedenken wegen der gefährlihen »Übertragung« leicht nehmen lehren.
Zu den eingangs erwähnten Mängeln des Buches kommt noc seine ungünstige Einteilung, die ihm viel an Übersichtlihkeit nimmt. Seine Ehr- lichkeit, sein Fleiß und seine psychologische Forschungsarbeit verdienen aber hohes Lob. Was haben wir bis jetzt besseres in dieser Art? Dieses ist das beste. Dr. Theodor Reik.
ANSCHAUUNG UND BEGRIFF, Grundzüge eines Systems der Begriffsbildung von Dr. Max Brod und Dr. Felix Weltsch. Verlag Kurt Wolff, Leipzig.
»Die genaue Abgrenzung zwischen den beiden Bereichen des Spontanen und der Reziptivität ist es, die in jeder psychologishen Arbeit aus dem Gebiet der reinen Deskriptive unwiderstehlih in das der Theorien und Zusammenfassungen drängt.« Dieses deskriptiv psychologishe Problem
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bekommt oft eine ethische und erkenntnistheoretische Fassung; die Diskussion zwischen den »Unmittelbaren«s und den »Logikerns wird eine lebhafte, erhält eine affektive Betonung und weitet sih »zum unüberbrückbaren Gegensatz zwischen ‚Leben’ und ‚Begriff’«.
Primär haben wir eine »einheitlihe ungegliederte Gesamtanshauungs«. In weiterer Folge wird das Phänomen der verschwommenen Vor- stellung aufgezeigt, die in dem System eine fundamentale Bedeutung gewinnt. Die »vershwommene Vorstellung«, deren näheren Beschreibung ein großer Teil des Buches gewidmet ist, resultiert in dieser Untersuhung als eine Vorstellung, die mehrere Einzelvorstellungen umfaßt, mit denen sie durh Aufmerksamsteigerung identish werden kann, dabei doc eine einheitlihe anschauliche Vorstellung bleibt und somit die erste Form des menschlichen Begriffes darstellt. »Wir sehen somit in den Begriffen keineswegs, wie es sonst geschieht, einen Gegensatz zur ‚Änscaulichkeit”, sondern eine Fortbildung, Modifizierung des Änscaulichen.«
Nebenbei wird in Fortführung der Gedankengänge die Ent- tehsung der Symbole gestreift.
Im wissenschaftlichen Denken ist zwar die größtmöglihe Atomi- sierung und Erstarrung der Anschauung erreicht, aber »es ist doch wieder nur Anschauung, die in dieser veränderten Form den wissenscaftlichen Begriff durchdringt und sih bis in seine feinsten Adern verzweigt. Nicht als ein neu von uns Geschaffenes, als eine leere Form, oder viel=- leiht als etwas Eingeborenes, bringen wir ihn an die Erfahrung heran, sondern im Gegenteil, in natürliher Entwicklung erwähst auch er uns aus der Anschauung. Denn sein ganzes Material entnimmt er der Anschauung, die ihm so ewig fließende Lebensquelle ist.« — Zum Nachweise, daß selbst abstraktes Denken oft in anschaulihen Symbolen ohne Worte vor sih geht, werden auh Silberers Forschungen (die autosymbolishen Phänomene) herangezogen.
Die Entwicklung der dargestellten Resultate aus dem Prinzip der verschwommenen Vorstellung gibt den Autoren Anlaß zu sehr tief- gehenden Gedankengängen, jedenfalls hat das Buch dem Probleme des Konzeptualismus eine neue und bedeutende Lösung gegeben, deren stilistische Fassung dem Referenten nur manchmal etwas langwierig und überladen scheint. Gaston Rosenstein.
MAX SCHLESINGER: Gesdhidhte des Symbols. Ein Versuch. (Berlin 1912. Verlag von Leonhard Simions Nadhf. Mk. 12.—.)
Der Verfasser bietet in seinem groß angelegten Werke eine verdienst- volle Zusammenfassung der Symbolgeshichte. Er behandelt zunächst die Wortgeshichte des Symbols, ferner die naturgeshictlichen Grundlagen seines Vorkommens (Psychologie, Pathologie, Traumleben) und gibt eine aus- führlihe Darstellung der Entwicklung des Symbolbegriffess von den alt- griehishen Philosophen bis in unsere Tage. Der dritte Hauptteil seines Werkes endlich bietet eine Übersiht über die Symbolersheinungen im Recht, in der Religion, in der Kunst, der Sprache und im Menschenleben. Ein aus- führlihes Namen- und Sachverzeicnis erleichtert die Übersicht über die Fülle des streng gegliederten Materials.
Es ist im Rahmen eines Referates unmöglich, den reichen Inhalt des Werkes aurzushöpfen, das den Psychoanalytiker in hohem Grade interes- sieren muß. Einzelne Stichproben mögen zu der lehrreihen Lektüre des
Buches selbst anregen. Der Autor hebt in der Einleitung die Bedeutung des Symbols für
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das Geistesleben und die Kulturgeshichte der Menschheit hervor und be= weist durh die vornehme und großzügige Art der Behandlung des Themas, wie sehr er von dieser Auffassung durchdrungen ist. Das Symbol ist ihm — und darin trifft er mit der psychoanalytishen Auffassung zusammen — ein Stük herabgesunkener Wirklihkeit: >Was seine Lebenskraft verloren hat, schwindet dahin, langsam zwar, aber es hört doch allmählih auf, Ursache zu sein. Oft überdauert sein Zustand der Madhtlosigkeit den Zeitraum dieser Blüte. Wenn es sich solchergestalt in Symbol verwandelt... so bleibt es erhalten... es stellt ein großes Stück auch jetzt noch nicht erloschener Menscheitsgeshihte dar“ (p. 2). Der Verfasser zeigt, »daß der Inhalt des Symbols keine objektive, dauernde Wahrheit ist, daß symbolische Darstellung und symbolisches Begreifen nur bedingt sind, bedingt sowohl durch die Kunst des Symbolbildners, bedingt aber auch durch die Begabung des Einzelwesens und ganzer Völker. Was dem Fortgescritteneren nur noch als veran- schaulichendes Bild erscheint, das hat sich der größeren Menge durch Ge- wöhnung in Wirklichkeit verwandelt und zwischen beiden Entgegenstreben- den flutet die große Zahl der Shwankenden, die durch die Zeitströmungen hin und her getrieben werdens.. Auch auf die in der Kinderseele zu be- obachtende Neigung zur Symbolisierung, »die aus Unerfahrenheit mit der Umwelt hervorgeht“, wird als ontogenetisher Parallele hingewiesen (p. 37).
Der Sexualsymbolik weist der Verfasser, wenn auch keinen breiten Raum, so doch eine um so größere Bedeutung an: »Die sexuelle Begierde neigt mehr als jede andere Erregung zum Symbolismus hin, ja, das sexuelle Gefühl des Erregsamen kristallisiert sih im Symbol, ohne aber deshalb un- natürlih zu sein.“ — ”In Sprahen, Mythen, Legenden, in Kranken- und Verbrehergeshidhten sind so viele Formen der sexuellen Symbolbetätigung niedergelegt, daß es hier. zur Zusammenfassung an Platz fehlt« (p. 52). Vor der Eingangspforte des menschlichen und alles Lebens stand als hochbedeut- sames Symbol der männlihen Zeugungskraft das Phallusbild. Kein Symbol dürfte eine weitere Verbreitung gefunden haben als dieses... und fast täglich wird Neues herbeigetragen, das Ethnographie, Medizin und Volks= kunde wissenshaftlih sichten. Jene leiteten von den dem Phallusdienste verbundenen Sagenkreisen religiöse und astronomishe Mythen, Feste, Mysterien, Sitten und Bräuche ab, diese zeigen an ihm dem Historiker den Weg, den einst die Kultur gegangen ist... Alle Formen, welche das Phallusbild von seiner natürlihen‘ Wiedergabe bis zu den kühnsten Aus- gestaltungen im ägyptischen Obelisk und den kolossalen syrischen Tempel- türen durchlief — alle die Arten seiner Verehrung, die von tiefsinniger Grübelei in den heiligen Mysterien bis zu der ausgelassensten Unzucdht im Hexensabbat und weit darüber hinausreichen, können hier nicht namhaft ge- macht werden“ (p. 437),
Wir wissen dem erstaunlich belesenen Verfasser gewiß Dank, daß er — wenn auch nur der Vollständigkeit zuliebe — die ”neuesten Forschungen“ der »Zürcherishen Schule*, womit er die Psychoanalyse meint, an ver- schiedenen Stellen erwähnt, hätten es jedoch lieber gesehen, wenn er dazu deutlih Stellung genommen hätte, anstatt sie im Anschluß an andere Auf- lassungen einfach zu referieren. Er wäre dann vielleiht dazu gekommen, der psychoanalytischen Bewegung, die ein erstes Liht auf die psychische Genese des Symbols wirft, eine besondere Stellung in der Geschichte der von ihm so intensiv geförderten ”Symbolwissenshaft* anzuweisen. Der Verfasser ist vielleiht zu bescheiden, wenn er die Erforshung des Symbols als seelishes Erlebnis »Berufeneren überlassen« möchte, und »die Ge=
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schichte des Symbols im wesentlihen nur als eine Materialsammlung* für diese Aufgabe ansieht. »Daß aber die wirklihen Maßstäbe der Wissen= schaft nicht in der Geschichte, sondern in der Psychologie liegen, entspricht völlig unserer Auffassung von der Lösung der vorliegenden Aufgabe“ (p. 44). Ein wesentliches Stück dieser Aufgabe ist in den kritischen Ein- wendungen angedeutet, die der zum Katholizismus übergetretene Arnobius (300 n. Chr.) seinen Landsleuten in tendenziöser Weise vorhielt, als sie die die griechischen Götter verunglimpfenden Mythen in allegorishem Sinn aus= zulegen suchten. Arnobius apostrophiert die Griechen in folgender Weise:
»Wir fragen zuerst, ob diese Dinge dort, wo ihr sie gefunden und angenommen habt, im allegorischen Sinne erfaßt worden sind oder so ver- standen werden müssen? ob euch nämlih die Scriftsteller zur Beratung herbeigerufen? oder ob ihr in deren Brust verborgen ward, als sie mit Verhüllung der Wahrheit das eine für das andere untershoben? ... Inwiefern seid ihr denn wohl sicher, daß ihr in der Erklärung und Äus- legung denselben Sinn wahrnehmt und darlegt, den jene Historiker selbst in ihren verborgenen Gedanken hatten, den sie aber nicht mit dem eigent- lihen Ausdruck, sondern in anderen Worten dargestellt haben? Es kann doh ein zweiter eine andere, scharfsinnigere und wahrsceinlihere Aus- legung ersinnen ... Da dem so ist, wie könnt ihr etwas Gewisses von vieldeutigen Dingen herleiten und eine bestimmte Erklärung dem Worte geben, das ihr durch zahllose Arten der Auslegung durchgeführt findet? ... Wie wollt ihr denn wissen, welcher Teil der Erzählung in gewöhnlicher Darstellung abgefaßt, was dagegen in ihr durch zweideutige und fremd- artige Ausdrücke verhüllt ist, wo die Sache selbst kein Merkmal enthält, welches die Unterscheidung an die Hand gibt? Entweder muß alles in allegorisher Weise abgefaßt sein, und von uns so erklärt werden oder nihts ... Vordem war es üblich, allegorishen Reden den ehrbarsten Sinn zu geben, schmutzige und häßlih lautende Dinge mit dem Shmuk anständiger Benennung zu verhüllen, jetzt sollen sittsame Dinge zotig und garstig eingehüllt werden«.
Diese Ausführungen sind niht nur insofern aktuell, als sie die naturmythologishe Deutung der Göttersagen aufs entschiedenste ablehnen, sondern auch weil sie — abgesehen von ihrem tendenziösen Sinn — sic gegen die Willkür in der Symboldeutung überhaupt wenden und bestimmte Kriterien der symbolischen Deutung fordern, deren Feststellung die Psydho- analyse durh Aufdeckung der Genese der Symbolik und ihrer Beziehung zum Unbewußten zu fördern glaubt. Dr. Rank.
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Druckfehlerberichtigung:
In dem Artikel von Dr. Lorenz: »Das Titanen-Motiv in der allgemeinen Mythologie«, »Imago«, II. Jahrg., Heft 1, ist zu lesen:
Seite 30, Zeile 15: zunächst statt zuredt. Seite 37, Zeile 14 von oben M. Meyer stattt K. Bapp. Zeile 10 von unten: ysvväodaı, Zeile 1 von unten: gesegneten. Seite 49, Zeile 3 von unten: Schrift über die Sprahenverwirrung (Kap. 2). Seite 61, Zeile 18: dem Ödipuskompfex. Seite 69, Zeile 31: Mythologie der Germanen.
DAS KAUSALGESETZ
DER
WELTGESCHICHTE
VON DR MAX KEMMERICH
Unter diesem zusammenfassenden Titel erscheint in unserem Verlag ein zweibändiges Werk, das folgende vier Teile umfaßt:
Erster Teil: INDIVIDUALPSYCHOLOGIE. Erbringt erst= malig den Beweis für die Giltigkeit des Gesetzes von der Er= haltung der Energie auch für das Geistesleben und wendet die Naturgesetze (Physik, Biologie, Mechanik etc.) auf dieses an.
Zweiter Teil: ETHIK. Fordert eine Synthese der Moral Christi mit der Nietzsches als Menschheitmoral der Zukunft und wen= det das Gesetz der Energieerhaltung auf religiöses Gebiet an.
Dritter Teil: GESCHICHTSPHILOSOPHIE. Führt zu dem Resultat, daß sich die Zukunft berechnen läßt und erbringt Beweise. Denn die Naturgesetze haben auch Geltung für
die Menschheitsgeschichte.
Vierter Teil: POLITIK. Zieht Nutzanwendungen auf die Gar gebung,Verwaltung,die i innere u. äußerePolitik der Kulturstaaten.
Der erste Band, der die beiden ersten Teile umfassen wird, erscheint im Mai,
der zweite, der die Schlußteile bringt, wird im September 1913 ausgegeben.
Subskriptionspreis bis 15. Juli 25 Mark, nach dem 15. Juli 30 Mark für das komplett in zwei Bänden gebundene Werk von etwa 1000 Druckseiten auf
holländischem Büttenpapier. Einzelne Bände werden nicht abgegeben. München, Ende März 1913. Albert Langen, Verlag, München
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Bei. der Buchhandlung won... a. rs Bear. subskribiere ich auf das bei ALBERT LANGEN, MeHtaE in München, erscheinende Werk
Dr. Max KEMMERICH, Das Kausalgesetz der Weltgeschichte Zwei Bände, gebdn. 25 Mk. (Der Subskriptionspreis erlischt am 15. Juli 1913.) Der Betrag folgt gleichzeitig — ist mit dem ersten Band nachzunehmen.
Name, Stand, Datum, genaue Adresse:
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Inhalt des zweiten Heftes.
DR. EDUARD HITSCHMANN (Wien): Schopenhauer, N n/ DR. ALFR. FRH. V. WINTERSTEIN (Wien): Poychoanapiche 2 Anmerkungen zur Geschichte der Philosophie. | Be) DR. S. FERENCZI (Budapest): Aus der »Psydologies von a ‘ A F Lotze. © N BÜCHER: N. PAUL HÄBERLIN: Wissenschaft und Philosophie. En TA ADOLF STÖHR: Psychologie der Aussage. en 3 AUGUST HORNEFFER: Der Priester. | BE an MAX BROD UND F. WELTSCH: Anschauung und Begriff. : | a MAX SCHLESINGER: Gesdidte des nahe ERS a
Kunstbeilage: »Der Pfilosophe. Örsinalrndierung von Prof. Max Klinger. Naddruck verboten.
Buch= und Kunsthandlung HUGO HELLER & CIE. Bee F: ST N N TAN TEE —————— —— ’ q i
Wien I, Bauernmarkt 3,
Max Klingers Original-Radierungen: | 7
Rettungen ovidischer Opfer, 5. Ausgabe, 15 Orig. -Radgn. in Mappe . K Be a
Eva und die Zukunft, 6. Ausgabe, 6 Orig.-Radgn. in Mappe 72.— v t
Paraphrase über den Fund eines Handschuhs, 4. Ausg. 10 Org.-Radgn.i.M. „ 120,— i Der Mittag, Original-Radierung, Bildgröße 45x37 cm 12 E Die Chaussee, „ 7 2 52,5X36,5 cm um. IL— Bi; Mondnacht, er y F 36x54 cm | 72.— Re Sommernachmittag, nn EEELAR IL EM N <a Ein Leben, 4. Ausgabe, 15 Original-Radierangen in Mappe 180.— \. Eine Liebe, 3. e 10 r H ;, 300.— 4 . Vom Tode ], 4. 7 10 180,— en Epithalamia, Titel’ u. 16 Gravüren nach ahnen ih Aredersdchhäe | "a Mit Text von Elsa Asenijeff, Ausgabe auf holländischem Papier .. „ 300,— ur An die Schönheit, Kupferätzung nach der Radierung aus „Vom Tode II” 3 auf Chinapapier, Bildgröße 35x26 cm 18.— ur Jedem Klinger-Sammier ist unentbehrlich: r Max Klingers Radierungen, Stiche und Steindrucke. EZ Wissenschaftliches Verzeichnis von HANS WOLFGANG SINGER. Fi Kr Ein starker Quartband von XVIII und 148 Seiten Text und 69 Tafeln mit 329 Abbildungen | > in vollkommenstem Lichtdruck. In Ganzleinen gebunden K 48.—, Numerierte Luxus=Ausgabe auf Ay schwerem Kupferdruckpapier. der Straßburger Manufaktur in Ganzleder gebunden und mit dem von ” Klinger radierten Selbstbildnis als Titelkupfer K 108,—. x K. U. K. HOF-BUCHDRUCKEREI CARL FROMME IN WIEN. | es $