N TOT IS ` AA i 1 ) 9 N N AN SS X d N BER BE Fr BL F. Ar; PAi f F BER, H Py F LH EEE, HH fi A HE, 7 H Hl GE Hi VIEH WE, / É ER j PER Dh HH HN, f: f I F ER, HR, 2 f i i PE A APPR TII i j TE f ERI EEE Y In Sachen Darwin’s ‘insbesondere - contra Wigand. Ein Beitrag - zur ch Rechtfertigung und Fortbildung der | Umwandlungslehre Dr. Eisler J aeger, Professor der Zoologie und Anthropologie am Polytechnicum in Stuttgart und der land- und forstwirthschaftlichen Akademie Hohenheim. | STUTTGART. | EB . Schweizerbartische Verlagshandlung (E. Koch). ee g #183 ze n ADN Aun A n = ; EINER pS anhnianannnani z i ARAARA REN RA A AAAA An ANA n AAAA AAAA 6 EURE IOEONDN anaran inn N aaan - Annan nananana HH And 2 - i KAAHAHHAHRn Inn Aan 5 = Charles Darwin's \ gesammelte Werke. Aus dem Englischen übersetzt i Yan J. Vietor Carus. Complet in 60. Lieferungen, mit über 200 Holzschnitten, 7 Photo- graphien, 4 Karten ete. und dem Portrait des Verfassers in Kupferstich. Preis der Lieferung Mark 1. 20 Pig. Mit Ausnahme der monographischen Arbeiten über „lebende und fossile Rankenfüsser“ sind in der vorliegenden Ausgabe sowohl die selbständigen Schriften als auch die einzelnen Aufsätze Charles Darwin’s aufgenommen worden, erstere vollständig, letztere gleichfalls fast sämmtlich, insofern sie nicht in erweiterter Form den grösseren Schriften einverleibt worden sind. Es haben uns hierbei auch der Rath und Wunsch des Verfassers geleitet. In Bezug auf die Reihenfolge haben wir auf die Darstellung der Reise, welcher Darwin die ersten Anregungen zur Entwickelung seiner Theorie verdankt, das’ die letztere erörternde Hauptwerk folgen lassen; diesem schliessen sich dann die zoologischen und botanischen Spiga arbeiten als Belegstücke an. Die geologischen Arbeiten machen den Schluss. | In Sachen Darwin’s insbesondere ‚contra Wigand. ' Ein Beitrag zur Rechtfertigung und Fortbildung der Umwandlungslehre von " Sai Dr. Gustay Ja aeger, Professor der vergleichenden Zoologie und Anthropologie am Polytechnicum in Stuttgart und der land- und forstwirthschaftlichen Akademie Hohenheim. ; H STUTTGART. 4 E. Schweizerbart’sche Verlagshandlung (E. Koch). | 1874. Druck der E. Schweizerbart’schen Buchdruckerei in Stuttgart. Vorred e. \ Für die Darwin'sche Lehre wäre es has grosses Unglück gewesen, wenn sie nicht von Anfang an eine gewaltige Opposition gefunden hätte. Der menschliche Geist ist in seinem Durste nach Abschluss des Wissens nur zu sehr geneigt, solche gewaltige Erkenntnissfortschritte, win'sche Lehre brachte wie sie uns die Dar- , für diesen letzten Abschluss zu halten, und darin _ liegt die grösste Gefahr für den Fortschritt des Wissens. Wer als Sachver- ständiger den Kämpfen um den Darwinismus ‚aufmerksam gefolgt ist, wird als das wesentliche Ergebniss derselben folgendes verzeichnen: Darwin hat uns in seiner Selektionslehre mit einem bis dahin in seiner Bedeutung völlig übersehenen Complex wirksamer Ursachen auf dem Gebiet Aes organischen Lebens bekannt gemacht, wodurch eine Masse der interessan- testen und wichtigsten Beziehungen der Organismen zu einander und der Aussenwelt und der einzelnen Theile des Organismus zu den andern in uner- erwarteter Weise klar geworden sind und die längst schon sich jedem Denker unabweislich aufdrängende De scendenzth eorie eine kaum mehr erschütter” bare Stütze gewonnen hat. Allein statt uns eine Lösung aller, auch der letzten. Räthsel zu bieten, sind wir vor die durch die näherliegenden Räthsel bisher verschleierten noch geheimnissvolleren Erscheinungen des organischen Lebens gestellt worden. So ist die oben bezeichnete Gefahr völlig beseitigt und nicht nur das: durch die Darwin'sche Lehre sind der Forschung die weitesten Bahnen geöffnet und, wie die zahlreichen Arbeiten zeigen, nicht vergebens. í Vorrede. Auch noch ein Weiteres ist geschehen. Seit die Naturforschung ihre Er- gebnisse weiteren Kreisen zu bieten angefangen hat, -fehlte es zu keiner Zeit. an Versuchen seitens gewisser Philosophenschulen , aus diesen Ergebnissen Kapital für ihre aprioristischen Spekulationen zu schlagen. Auch diese Ver- suche sind gescheitert und, wo sie noch da und dort auftauchen, von keiner erheblichen Wirkung mehr. So freut sich jetzt die Wissenschaft der Befreiung von der Gefahr, sich als Dienstmagd destruktiver Tendenzen in Misskredit gebracht zu sehen, sowie der Niederwerfung einer Erkenntnissschranke. Darum mit den diese Klärung durch ihre Polemik fördernden Gegnern keinen Zänk! sie sind der wohlthätige Sturm gewesen, der den Baum der jungen Lehre schüttelte, ihn so kräftigte und von allen morschen Reisern befreite, In dem Wigand’schen Buch *) jedoch haben wir eine andere Sorte von Gegnern vor uns, einen jener Zaunwächter obiger Erkenntnissschranke, der mit ihr alle die schönen Phantasien umgestürzt sieht, mit denen er die Planke ji bemalen beflissen ` war. Einsehend, dass der offene Sturmkampf nur Wasserschosse bricht und Morsches herabschleudert, jedoch den Baum nicht brechen kann, greift er zu den Praktiken des Fanatismus. Kein Mittel ver- werfend, fasst er den Baum an den Wurzeln an: er sucht den Verstand seiner Leser zu verwirren. An Fachmännern von Urtheil und Reife wird dieser Versuch wirkungslos abprallen, aber das Zeugniss muss man dem Buch lassen, abgesehen von einzelnen, nur einem unachtsamen Leser ent- gehenden Plumpheiten, ist es ein ziemlich feines sophistisches Gewebe, welches Leute, die nicht länger sich mit Methode und Inhalt der Forschung befasst haben, nothwendig verwirren muss. Das Geständniss zweier meiner Schüler, dass sie durch das Wigand’sche Buch wirklich irre gemacht wurden, ist die direkte Veranlassung zur Abfassung vorliegender besonders gegen Wigand gerichteten Schrift. Der zweite Grund ist der: die Transmutationslehre schien mir in mehreren Punkten theils einer Modifikation, theils einer schärferen Fassung bedürftig und ausserdem lasteten auf ihr einige Detaileinwendungen sachlicher Natur, die beseitigt werden *) Dr. Albert Wigand, Per Darwinismus und die Naturforschung Newtons und Cuviers, Braunschweig 1874, Vorrede. ae IN mussten. Diese Fortbildung und Festigung der Lehre vorzunehmen, schien mir mit obigem Zweck sehr leicht vereinbar. Meine Schrift ist alse nur zum Theil Streitschrift, zum andern Theil ent- hält sie eine Reihe Neues, theils Erweiterungen der Theorie, z. B. hinsichtlich des Artentodes, der constanten Arten, der geschlechtlichen Zuchtwahl, des Fortsehvittgesetzes, des Gebrauchs etc., theils bezüglich spezieller Fragen, z. B. Erklärung des Bienenstachels, des Windens der Pflanzen, des Pflanzen- fresserdarms, der rudimentären Ba der expressiven Bewegungen, der Gewohnheit ete. 3 Bezüglich der Gli ederung des Wigand’sche Buch gleichen. Inhaltes habe ich mich ganz an das gehalten und auch die Capitelüberschriften blieben die Was den Ton meiner Polemik betrifft, so wird vielleicht mancher ihn zu herb finden. Auch mein Grundsatz ist, jeden persönlichen Anklang aus ehrlichem wissenschaftlichem Streit wegzulassen , allein wenn der Gegner zu solchen Mitteln greift, wie ich sie pag. 237 schilderte, wenn er durch das ganze Buch das Bestreben zeigt, die Wahrheit zu verdunkeln suchen, so hat man das Recht , statt sie zu , seiner Entrüstung über solches Beginnen denn auf jedem Kampfplatz werden Leute faktisch oder moralisch hinausgeworfen , die sich unerlaubter Kampfmittel bedienen: Auch der Geisterkampf hat seinen "Comment den darf. : Ausdruck zu geben, ‚ der nicht ungestraft verletzt wer- Sonderbar mag es erscheinen, gegen ein Buch zu polemisiren, von dem nur der erste Band erschienen ist. Allein ich dachte, bei Vergiftungsversuchen soll man mit Verabreichung des Gegengiftes nicht bis zum zweiten Versuch warten, und hier kann das Gegengift auch präservativ wirken. Desshalh ist es möglicherweise ganz überflüssig, auf den zweiten Band einzugehen. Aus den gegen die Darwin’sche Lehre erschienenen Schriften wäre natürlich noch Material für ein doppelt so starkes Buch zu holen gewesen, allein der Herr Verleger und ich waren darin einig, dass solchen Schriften, wie der vorliegenden, keine zu grosse Ausdehnung gegeben werden dürfe, Desshalb habe ich mich mit wenigen Ausnahmen an das, was Wigand vor- bringt, gehalten. Da darunter vieles ist, was Wigand andern Gegnern ent- lehnt, so ist der sachliche Schaden nicht gross. Endlich zwei Sorten von VI : Vorrede. Gegnern können wir hier mit wenigen Worten abtlıun. Von theologischer und philosophischer Seite, z. B. von Plank, ist der Einwand erhoben worden, dass die Consequenz der Lehre, die Affenabstammung des Menschen, ent- würdigend sei. Eine derartige Aeusserung legt ein schlechtes Zeugniss von dem naturwissenschaftlichen Geiste dieser Gegner ab. Oberstes Prinzip der Naturforschung ist: naturalia non sunt turpia! Die Affenabstammung ist nicht mehr und. nicht weniger entwürdigend, als die unbestreitbaren That- sachen, dass der Embryo in seinem Urin schwimmt ‘und der Mensch noch nach der Geburt einem Schweine gleich sich in seinem eigenen Kothe wälzt. Eine andere Sorte von Gegnern, :z. Be Giebel, die gegen die Lehre nichts weiter hervorzubringen vermochten, als gelegentliche hämische oder gering- schätzige Bemerkungen und absichtliche Verdrehungen, die somit noch unter Gegnern, wie Wigand, stehen, können getrost der »natürlichen Auswahl« überlassen werden, welche nur die produzirenden Geister übrig lässt. Stuttgart, 15. Okt. 1874. Gustav Jaeger. ek Inhalt. Der Artbegriftf ; FE 1) Unveränderlichkeit der S rationen + : j i : ; : ; 2) Unveränderlichkeit der Spezies gegenüber äusseren Ein- flüssen 2 2 3) Spezies und Varietät. . Die Variabilität Fixirung der Abänderungen durch Vererbung . Die Häufung und d rungen Fe Die Bedeutung der künstlie Selektionstheorie : : . Der Kampf ums Dasein als Voraussetzu türlichen Zuchtwahl Die systematischen Charaktere im Kampf ums Dasein Die geschlechtliche Zuchtwahl = ; ? Die Divergenz des Charakters und die Vollkom- menheit -der Organisation Darwins Hilfse rklärungen Das natürliche System. 1) Allgemeines . i : s ' 2) Die Ausprägung des systematischen Charakters . 3) Die scharfe Abgränzung der Typen. 4) Der Classifikationscharakte 5) Die Bedeutung des genealogischen Prinzips 6) Der genealogische Zusammenhang . 7) Die systematische Verwandtschaft als Blutsverwandt- schaft 3 8) Der Fortschritt im System . as Fortschreiten der Abände- hen Zuchtwahl für die ng der na- r des Systems —— — pezies im Laufe der Gene- pag. » > » » VII . Inhalt. XII. Die Geschichte des organischen Reichs, der Art und des Individuums ; i ; ; $ . pag. 200 1) Der paläontologische Beweis “= 000 2) Das Fehlen der Stamm- und Mittelformen in der Jetztwelt . : f j ; 3 ; Mn e 3) Der embryologische RER i = h à Eee mE 4) Ermittlung der Stammformen durch Vergle,.chung fertiger . ; ; > : - 220 Die geographische REN s F 232 Die Zweckmässigkeit in der organis Shen Fater 227 Die morphologischen Thatsachen . ; i A T | Instinkt, Sprache und geistiges Leben : ate Be; >. 1) Instinkt ; > ; : ; } i À P E 2) Die Sprache . ; . a E:; 3) Erkenntnissvermögen w Selbstbew at ; £ 254 FREE r EE Wen E 255 5) Religion ; ; 3 + : 5 : ; ; 256 & sJ N DOE O D E a l. Der Artbegriff. Während bei den früheren Biologen von Aristoteles an das Wort »Art,< »Spezies,« blos eine logisch formale Bedeutung ‚hatte, um Gleiches zusammenzufassen und von Verschiedenem zu trennen, wurde dasselbe von John R ayzum erstenmale zum Rang eines genetischen Begriffs. erhoben, indem er als. Kriterium spezifischer Uebereinstimmung »den Ursprung aus dem Samen »der spezifisch oder individuell identischen Pflanze« aufstellte. _ Dabei stützte er sich auf den Satz: »Welche Formen nämlich »der Spezies nach verschieden sind, behalten diese ihre spezifische »Natur beständig und es entsteht die eine nicht aus dem Samen »der andern und umgekehrt.« Allein gleich im folgenden Kapitel desselben Buches fügt er hinzu: »Nun ist aber dieses Zeichen »der spezifischen Uebereinstimmung, obschon ziemlich constant, »doch nicht beständig und infallibel; denn dass einige Samen »degeneriren und wenn auch selten Pflanzen erzeugen, welche »von der spezifischen Beschaffenheit der mütterlichen Form ver- »schieden sind, dass es also bei Pflanzen eine Umwandlung »der spezifischen Form (transmutationem specierum) gibt, »lehren die Versuche.« EEE Aus diesen wenigen Sätzen geht hervor, dass der erste Begründer der Spezieslehre weit entfernt war, diesem Begriff . irgend etwas unterzuschieben, was nur erschlossen, nie aber beobachtet werden konnte. Das’ geschah erst durch Linné durch die Aufstellung des eine reine Behauptung bildenden Satzes: »es gibt so viele Arten, als deren ursprünglich erschaffen Jaeger, In Sachen Darwin’s, : f 2 Der Artbegriff. worden sind.« Wigand hat nun wohl Recht, wenn er sagt, dass dadurch dem Nachweis, wie diese Formen geschaffen worden seien, nicht vorgegriffen werde, allein Linné ging noch weiter und sagte: »Diese Formen haben nach den Gesetzen der »Zeugung mehrere, aber immer sich selbst ähnliche hervorgebracht.« Das ist nicht nur ebenfalls eine Behauptung und kein Erfah- rungssatz, sondern sobald der Artbegriff in dieser Weise einge- schränkt wird, greift man der Erfahrung vor und stellt ein Dogma auf. Wigand gibt nun auch das zu, sagt sogar, die Annahme der Unveränderlichkeit der Art sei nur eine »vorläufige, der weiteren Prüfung unterliegende,« und so sollte man glauben, er werde nichts dagegen einzuwenden haben, wenn die Trans- mutisten diese Prüfung vornehmen. Statt dessen sagt er im gleichen Athem, »sie sei nichtsdestoweniger, da sie keinem all- »gemeinen Vernunftgesetz (sic!) widerspreche, eine für den gegen- »wärtigen Standpunkt vollkommen berechtigte, ja dieallein »berechtigte Annahme.« ; Ein solcher Ausspruch ist nicht der eines unbefangenen Kritikers, für den sich Wigand an verschiedenen Stellen auszu- geben beliebte. Eine Annahme, welche gegenwärtig von so be- deutenden Forschern wie Darwin, v. Siebold, Huxley, Gegenbaur, Leydig, O. Schmidt, Claus, Kölliker, Hyrtl, Nägeli, Hofmeister, Sachs, Hofmann, Bern. v. Gotta, Hochstetter, Schaaffhausen etc. verworfen wird, sollte doch zum mindesten als eine offene Frage behandelt werden. Doch sehen wir, womit Wigand seine Behauptung zu rechtfertigen versucht. 1) Unveränderlichkeit der Speziesim Laufe der Generationen. Der erste Satz Wigands ist der, dass die Art im Wechsel der Generationen unveränderlich sei, und hiefür führt er fol- gendes an: | 1) »Die Eigenschaften der Eltern vererben sich auf die ge- »schlechtsreifen Nachkommen in solcher Weise, dass die Nach- Der Artbegriff. a »kommen gleicher Eltern sowohl mit diesen als untereinander in »höherem Grade übereinstimmen, als mit andern Pflanzen und »Thieren, welche von den Eltern der erstern verschieden sind.« Dieser Satz ist falsch. Nehmen wir zuerst aus den engsten Verwandtschaftsverhältnissen die Belege: Es kann Niemand be- haupten, dass die Geschwister, die einem Menschenpaare ent- sprungen sind, unter sich und mit ihren ‚eigenen Eltern mehr übereinstimmen, als mit Angehörigen: einer- andern Familie. Z. B: in meiner eigenen Familie von 6 Kindern befindet sich ein Mädchen, welches einem meiner Neffen und einer meiner Nichten mehr gleicht, als seinen Geschwistern, und ein Knabe, welcher zwei Schwestern meiner Aa ähnlicher ist, als der letz- teren, seiner Mutter. Gehen wir zu weiteren Versandischaiszerhälinissen: Unter den Jungen eines Maskenschweines und eines Maskenschwein- bastarden, die ich züchtete, befand sich ein Stück,- welches einem jungen Wildschwein in weit höherem Masse glich, als seinen Geschwistern und seinen Eltern. Auch da, wo es sich um zwei verschiedene Arten handelt, ist der Satz falsch, trotzdem , dass Wigand durch den Beisatz »geschlechtsreif« die weitgehenden, Lebensunfähigkeit bedingenden Missgeburten auszuschliessen sich bemühte. -Auch so noch gibt es eine grosse Zahl individueller Abweichungen, wodurch ihre Träger eine grössere Aehnlichkeit mit Individuen anderer Arten, ja Gattungen. gewinnen, als mit denen ihrer eigenen Art, wenn auch nur in Bezug auf einzelne Merkmale. Dabei gibt es fast kein noch so wichtiges Organ, welches sich dieser Jadiy duellen Veränderlichkeit entzöge. s ; 9) Stützt Wigand die Behauptung - von der Unveränderlich- keit der Art im. Lauf der Generationen ‚auf die bekannte Thatsache, dass viele Thierarten durch mehrere geologische Forma- tionen hindurch sich nicht verändert haben und auf die That- sache, dass gewisse, als Mumien uns erhaltene GARR Thiere den heute lebenden noch völlig gleich sind. I Diesen Thatsachen, dass gewisse Thierarten in sehr langer Zeit sich nicht geändert haben, stehen jetzt schon Fälle von 4 = Der Artbegriff. Thierarten gegenüber, die sich im Lauf der Zeit evident ver- änderten und oft recht beträchtlich. In erster Linie sind die meisten Hausthiere und Culturpflanzen zu nennen, deren Ver- änderung und Veränderlichkeit Niemand bestreiten kann. Wi- gand und Genossen wollen zwar diese Veränderungen, weil durch den Menschen hervorgebracht, nicht. als definitiv gelten lassen, worüber später des Näheren gesprochen werden soll, allein zu- nächst handelt es sich nicht darum, ob die Veränderung defi- nitiv oder nicht definitiv ist, sondern «um die Thatsache der Veränderung und Veränderlichkeit gewisser Thierarten, und zu ` letzteren gehören unstreitig unsere Culturorganismen. Denn selbst wenn Wigand recht hätte, dass die abgeänderten Cultur- organismen durch die freie Natur auf ihren Urzustand zurück- geführt werden, sa wäre ja ‘das auch wieder eine Veränderung im Laufe der Generationen. Neuerdings gesellen sich hiezu auch Thierarten, die dem freien Naturzustand nicht entzogen worden sind. Der erste der- artige Fall ist eine Süsswasserschnecke (Valvata multiformis), deren Umwandlung im Laufe der Generationen von Hilgen- dorf dargelegt wurde. Wigand ficht zwar den von Hilgen- dorf aufgestellten Stammbaum an, allein die Thatsache einer Veränderung im Laufe der Generationen kann er nicht bestreiten. Weitere Fälle sind: die durch Waagen nachgewiesene Mutation des Ammonites subradiatus, die ähnlichen Beobachtungen an Am- moniten von Würtenberger, an Arca und Pectunculus von Mayer in Zürich. Diesen Fällen werden sicher noch weitere folgen, da die Paläontologen jetzt einmal darauf aufmerksam geworden sind. Allein es kommt zunächst nicht darauf an, wie viele solcher Fälle constatirt werden können, es genügt ein ein- ziger Nachweis zur Feststellung des Satzes: es gibt natürliche Arten, welche im Laufe der Generationen yariiren. Das thatsächliche Material für die Lösung der Frage von ‚der Veränderlichkeit der Arten ist mithin: es gibt Arten, welche im Laufe der Generationen sich: verändert haben und solche, die sich in langen Zeiträumen nicht verändert haben. Daraus kann ein unbefangener Beobachter i eg nn rer Der Arthegriff. | g nur den Schluss ziehen, dass die Arten sich in puncto Veränderlichkeit sehr erheblich unterscheiden. Statt dieser natürlichen Schlussfolgerung macht sich auf beiden Seiten, sowohl bei den Transmutisten als ihren Gegnern, den Anhängern der Gonstanztheorie (wir wollen sie Constanzianer nennen), der Dogmatismus, dieses Grundübel der Gelehrten, breit. Die Constanzianer sagen: die Veränderungen der ' Hausthiere sind nicht definitiv, sie würden rückgängig gemacht, sobald man die freie Natur walten liesse, und den Abänderungen in der freien- Natur gegenüber behaupten sie, dass dieselben über ein gewisses Mass nicht hinausgehen, was sie auch bei der individuellen Va- riation annehmen. Ausserdem seien alle diese Fälle so wenig zahlreich, dass man sie ignoriren könne, und so kommen sie zu dem Dogma: die Art, d. h. alle Arten sind unveränderlich und jene: kleinen Schwankungen gleichen nur den Schwingungen eines Pendels, der trotzdem unverrückt am gleichen Punkte haftet. ing Umgekehrt verfallen’ die Transmutisten in den gleichen Dog- matismus. Weil gewisse Thierarten sich im Laufe der Zeit ver- änderten, behaupten sie, jenen stationären Arten haben eben die äusseren Bedingungen gefehlt, um sich zu ändern, mithin beweisen sie nichts gegen die Veränderlichkeit und stellen ihrer- j seits das Dogma auf: die Art, d. h. alle Arten sind ver- änderlich. Ñ ; Ich gestehe offen, dass ich selbst seraume Zeit zu pat Dog- matikern der Veränderlichkeit gehört habe und erst sorgsame Prüfung hat’ mich zu folgender Anschauung gebracht. Es gibt ohne Zweifel thatsächlich unveränder- bare Arten im Sinne der Constanzianer; Arten, bei denen es heisst: sint, ut sunt, aut non sint, d. h. die, in-andere Verhältnisse gebracht, als diejenigen sind, die ihrer Natur ent- - Sprechen, eben einfach zu Grunde gehen, ohne. > etwas ' Neues aus sich 'zu erzeugen. Eben so unzweifelhaft gibt es Arten, welche einer | Abänderung mehr oder weniger zugänglich sind, die | in andere Verhältnisse gebracht, sich accommodiren und in letzter l BETEN AR SENARE Be naear wege a Er Er VE FREE EEE ei . u 6 Der Artbegriff. Instanz so, dass sie ihren alten Vorfahren gegenüber als neue Spezies aufgefasst werden dürfen. Die Gründe für diese Auffassung der Abänderungslehre er- laube ich mir in folgendem etwas ausführlicher zu geben. ` In erster Linie spricht hiefür die tägliche Erfahrung, die man mit den Individuen derselben Art und Rasse bei Menschen und Hausthieren macht. Am auffälligsten ist es þer ersteren auf dem psychischen Gebiet. Jeder Pädagoge weiss, dass es bildsame und nicht bildsame Kinder gibt, sowohl in Bezug auf den Intellekt, als in Bezug auf die Führung: auf der einen Seite die sogenannten unverbesserlichen Faullenzer und Taugenichtse, bornirte Köpfe und störrige Naturen, auf der an- deren Seite die Lernköpfe, die Fleissigen und die Folgsamen. Dass diese Gegensätze nicht erst Produkt der Erziehung sind, sondern dass man es mit einer der Erziehung grösseren oder geringeren Widerstand leistenden Naturanlage zu thun hat, lässt sich durch Beobachtung leicht ermitteln. Dieselbe Erfahrung macht der Jurist und Polizist: es gibt schmiegsame Naturen, die noch im erwachsenen Zustande eine gewisse Bildsamkeit be- wahren, und verstockte Naturelle, die jeder Besserung und Be- lehrung trotzen. Endlich wer kennt nicht in der Politik den Gegensatz zwischen ģen verbissenen, jeder Belehrung, sei es durch Worte, sei es durch Thatsachen unzugänglichen Quer- köpfen, die einer politischen Neugestaltung gegenüber nur sterben können, und denen, welche den veränderten Verhältnissen Rechnung tragen und sich in sie zu schicken wissen. Die- selben Erfahrungen können auch bei unseren Hausthieren ge- macht werden, was schon der Sprachgebrauch beweist, denn man spricht bei ihnen ebenso von störrigen Bestien, an denen Hopfen und Malz verloren ist, als- von gelehrigen, frommen und folgsamen Individuen. — l Auch auf dem physischen Gebiet bestehen dieselben indi- viduellen Unterschiede, z. B. in Bezug auf die Mastfähigkeit, Trainirungsfähigkeit ete. So ist z. B. bekannt, dass es Indivi- duen unter Mensch und Vieh gibt, bei denen »das Futter nicht anschlägt,« während andere sich leicht und schnell mästen. Bei Der Artbegriff. x Be. gewissen Individuen erzeugt Muskelgebrauch -leicht eine Massen- zunahme und Kraftzunahme der Muskulatur, bei andern schwer. In zweiter Linie begegnet man denselben Unterschieden in der Form von Rasseneigenthümlichkeiten. - Unter den Menschenrassen stehen den bildsamen, gelehrigen, in alle Sättel gerechten, sogenannten »Culturrassen,« wie den Indogermanen, Semiten ete., die starren und desshalb dem Untergang verfallenden Indianer, Melanesier, Buschmänner etec. gegenüber, und die neuesten Erfahrungen in Nordamerika zeigen zur Genüge, wie tief sich in diesem Punkte Neger und Weisse unterscheiden. Dasselbe finden wir bei den Hausthierrassen: z. B. bei den Hunden haben wir im Dachshund, Windspiel, Buldogge ete. auf der einen Seite, Pudel, Vorstehhund ete. auf der andern Seite dieselben psychischen Gegensätze. | In dritter Linie kommen die Arten. Schon ein Blick auf unsere Hausthiere lehrt uns, dass die morphologische Bild- samkeit derselben durchaus nicht gleichgradig sein kann. Aller- dings muss man dabei behutsam sein: die grossen Unterschiede in der Rassenzahl, wie sie z. B. zwischen der Haustaube und der Hausgans bestehen, kommen gewiss zum grossen Theil auf. Rechnung des Umstandes, dass der Mensch bei den einen (Taube, Hund) vielerlei verschiedene Züchtungsziele verfolgte, und so die grosse Rassenspaltung zuwege brachte, während er bei andern (Gans, Ente, Pfau etc.) nur einerlei Züchtungszwecke vor Augen hatte. Allein daneben sind wir. doch noch zu der Annahme ge- zwungen, dass eine Spezies nur dann in zahlreiche weit ausein- anderliegende Rassen gespalten werden kann, wenn sie von Hause aus bildungsfähig ist, und umgekehrt, dass Thiere, die so wenig sich in der Hand des Menschen verändert haben, wie Pfau, Gans, Ente etc., diess zu einem nicht geringen Theil Auer unbeugsamen Natur Br A Der Grund für diese Annahme liegt einerseits, in dem, was wir bezüglich solcher Differenzen sonst beobachten können und von mir oben und im Verfolg namhaft gemacht wird. Anderer- seits liegt es in der Natur des künstlichen Züchtungsvorgangs. Da ich später darüber ausführlich zu handeln haben werde, so i q EEE eier e p A U E ._ Eee RE E 8 - | Der Artbegriff. begnüge ich mich mit der Andeutung, dass wir bei Hausthieren und Culturpflanzen keine Rasse schaffen können, es uns gar nicht einfällt, eine zu schaffen, wenn die fragliche Art nicht durch ' eine in dieser Richtung liegende individuelle Variation den nö- thigen Wink und Anhaltspunkt gibt. Z. B. wäre es dem Menschen eingefallen, eine schwanzlose Hühnerrasse zu züchten, wenn nicht ein in dieser Richtung abnormes Individuum ihm dieses Züchtungsziel nahe gelegt hätte? oder eine Pfauentaubenrasse zu erzeugen, wenn nicht ein Individuum mit überzähligen Schwanz- federn die Möglichkeit einer solchen Rassenbildung gezeigt haben. würde? Ich verweise in dieser Beziehung noch auf das unten angeführte Beispiel von den Eichenseidenraupen. Wenden wir uns zu den wilden Thierarten. Hier steht obenan die Thatsache, dass die Variabilität bei verschiedenen 2 Arten nach Qualität und Quantität beträchtliche Unterschiede aufweist. Auf der einen Seite gibt es Arten, bei denen es ausser- ordentlich schwierig hält, auch nur Ein abweichendes Individuum aufzutreiben, auf der andern Seite stehen solche, die theils mehr oder weniger constante Variationen, theils ein nahezu planloses Variiren auf weiter Skala aufweisen, so in der Grösse z. B. manche Holzkäfer (Apate capucina, Hylocoetus dermestoides), in der Färbung manche Coceinelliden (Coce. variabilis, C. dispar, Epilachna glo- | bosa etc.) und Chrysomeliden (Lina lapponica ete.). Bei genauerem | Eingehen findet man diese Gegensätze fast in jedem artenreichen | Genus, nämlich neben vielen sehr constanten Arten eine oder \ einige variirende. gab o A Hiezu kommen “die Erfahrungen, die man bei der Accli- matisation wilder Thierarten und bei ihrer Versetzung in die Gefangenschaft macht. Ich habe über die Acclima- tisationsfähigkeit und die hiebei bestehenden constitutionellen Unterschiede in meinem Werke »Skizzen aus dem Thiergarten« pag. 360 und 365 ausführlicher gesprochen und einen Theil der- selben auf äussere Ursachen zurückgeführt. Allein mögen die constitutionellen Unterschiede herkommen, wo sie wollen, That- sache ist, dass Thierarten derselben Gattung, und Thierarten des gleichen Landes und Standortes bezüglich Acclimatisations- - Der Artbegriff, Bf 9 fähigkeit und Resistenz gegen die, Gefangenschaft sehr verschieden sind: die einen ertragen die Gefangenschaft gar nicht, andere ` kann man zwar halten, allein nicht fortpflanzen, und eine letzte Gruppe bewahrt nicht nur das Leben, sondern auch die Fort- pflanzungsfähigkeit unter derartig veränderten Verhältnissen. Auch auf die Unterschiede in der Zähmbarkeit muss aufmerk- sam gemacht werden: der Löwe ist sehr leicht, der nah ver- wandte Tiger fast gar nicht zu zähmen, ähnlich verhalten sich Edel- und Hausmarder zu Wiesel und Iltis, ERREN und Mur- melthier zu Hamster etc. - Ein interessantes Beispiél haben mir in den letzten Jahren zwei äusserst ähnliche Schmetterlingsarten gegeben: Antherea yama-mai und A. mylitta var. Pernyi, beides eichenfressende, _ haspelbare Cocons liefernde Seidenraupen. Die erstere Art, welche die für Mitteleuropa sehr missliche Eigenschaft hat, schon Mitte April als Raupe aus dem Ei zu schlüpfen, also zu einer Zeit, in welcher die Eiche noch nicht belaubt ist, hat bis jetzt siegreich allen Versuchen getrotzt, durch Anwendung von Kälte ihre Ausschlüpfzeit weiter hinauszuschieben: die Eier gehen eher zu Grunde, als dass sie sich auch nur um einige Tage aufhalten lassen. Im Gegensatz hiezu ist die andere Eichenraupe (Pernyi) von mir innerhalb vier Jahren bezüglich ihrer Entwicklungsperioden vollständig umgezüchtet worden. Von Hause aus bivoltin, d. h. in Einem Jahre zwei Generationen ausführend, habe ich sie in . einen Univoltiner umgewandelt und ausserdem die erste, jetzt einzige Generation, die sonst in den Monaten Mai, Juni und Juli sich abwickelte, auf die Monate Juli, August und September verlegt, also um volle zwei Monate hinausgeschoben. Hiebei bemerke ich mit Bezug auf das pag. 7 alinea 3 Gesagte: die Idee zu dieser Umzüchtung tauchte desshalb in mir auf, weil im ersten Zuchtjahre einige wenige Individuen univoltin blieben, während die grosse Mehrzahl bivoltin sich entwickelte. Der entscheidendste Punkt scheint mir endlich folgender zu. sein. Wenn sich alle Arten in der von den Transmutisten auf- gestellten Form gleich rasch umgewandelt und durch Divergenz | in mehrere Arten zerspalten hätten, so müsste das Thier- ‚10 Der Artbegrift. reich ein ganz anderes Aussehen haben, als diess thatsächlich ‚ der Fall ist. Fürs erste müsste selbst bei den His Voraussetzungen die Zahl der Spezies eine viel grössere sein, als sie es thatsächlich. ist. Nehmen wir beispielsweise für die Divergenz einer Art inzwei Arten den gewiss sehr respektabeln Zeitraum von 100,000 Jahren an. Wenn nun nach jedesmal 100,000 Jahren sämmtliche Arten sich verdoppelten, so wären aus Einer Thier- art nach Verfluss von 1 Million Jahren 21% — 1094 oder rund 1000 Arten, nach 2 Millionen Jahren 1000.1000 = 1 Million Arten, nach 3 Millionen Jahren = 1000 Millionen, nach 4 Mil- lionen Jahren eine Billion Arten geworden etc. Da die Geo- logie der Thierwelt ein noch viel höheres Alter. geben zu müssen glaubt, so kämen wir zu einer Zahl, welche die thatsächliche Artenzahl, .die auf 200,000 geschätzt wird, um Unendliches übertrifft. | ae. ai : Fürs zweite wäre die ganze Anordnung des Systems eine andere, wenn alle Arten jederzeit in gleicher Weise pro- duktiv gewesen wären. In diesem Fall müsste jedes Genus we- nigstens annähernd gleichviel Spezies, jede Familie‘ gleichviel Genera, jede Ordnung gleichviel Familien etc. haben. Die That- sache, dass es artenreiche Gattungen neben artenarmen, dass es Familien gibt, die nur durch wenige Arten, und andere, die durch deren Tausende repräsentirt werden, steht in voller Har- monie mit den oben aufgeführten Unterschieden: die einen Formen sind die bildsamen, die andern die unnachgiebigen. Diese Auffassung findet ihre völlige Bestätigung durch die Paläontologie. Wo uns die letztere über artenarme Thier- gruppen der Jetztwelt Aufschluss geben kann, erfahren wir, dass dieselben in der Vorzeit eine weit grössere Artenzahl aufgewiesen haben: z. B. die vierkiemigen Cephalopoden, die Crinoideen, die Ganoidfische ete. Das sind also diejenigen Thierabtheilungen, unter welchen der Artentod gehaust hat, die dahin- gestorben sind, weil ihnen die Bildsambeii: abging: sint, ut sunt, aut non sint. 2 Die Thatsache, dass eine fossile Art jetzt nicht mehr vor- Te Te mmn aa agan ~ Der Artbegriff. ; 11 handen ist, lässt eine doppelte Erklärung Zu: 1) sie kann wirk- lich verschwunden sein, indem sie ohne Descendenz zu Grunde ging, 9) das Verschwinden ist nur ein scheinbares, weil die Descendenz eine ‚spezifisch andere geworden ist. Der ersten Form des Aussterbens fallen die unnachgiebigen Formen, die guten, d. h. unveränderlichen Spezies zum Opfer; der zweiten die plastischen, und nur die letzteren sind. es, welche den Zu- sammenhang der Faunen der verschiedenen Erdepochen aufrecht erhalten haben. sb a j Die Transmutisten haben bisher die doch gewiss feststehende Thatsache des faktischen Artentods viel zu sehr vernachlässigt. Wenn es richtig wäre, dass allen Thierarten die Fähigkeit inne- wohnte, sich allmählig neuen Verhältnissen zu accommodiren, so wäre ja der faktische Artentod unmöglich, ausser man würde zu der mit Recht verlassenen Katastrophentheorie zurückkehren und annehmen, dass neue Verhältnisse stets plötzlich hereinge- brochen seien. Mit Recht haben einzelne Paläontologen, z. B. . Barrande, darauf hingewiesen, dass nach der Transmutations- theorie die Artenzahl bei einer "Thiergruppe stetig zunehmen müsse, während thatsächlich die Paläontologie ein Anschwellen und ein Abschwellen derselben oft in mehrfacher Folge nach- weist. JE | Diese Schwierigkeit besteht nur, wenn man die Theorie von der allgemeinen Veränderlichkeit aufstellt, sobald man aber — wie oben gezeigt wurde, im vollen Einklang mit den That- sachen — zwischen veränderbaren und absolut constanten Arten unterscheidet, so löst sich die Sache in der befriedigendsten Weise auf. | | Zuerst fragt es sich, in welcher Beziehung diese beiden Sorten von Arten zu einander stehen, und da ist entschieden die plausibelste, in ähnlicher Weise von Weissmann aufge- jat stellte Annahme, dass in der Geschichte der Spezies zwei Ent- wicklungsphasen vorkommen: eine der Variabilität oder besser gesagt Plastizität und darauffolgend eine Phase der Im- ' plastizität, d. h. der absoluten Constanz. In Bezug auf die ur- sächlichen Momente können wir die Hypothese aufstellen: je ~ { > en a a a aR a A amenna: < iR 12 í Der Artbegriff. länger und strenger eine Art durch die Momente der natürlichen Zuchtwahl auf einem ganz genau bestimmten Adoptionsverhält- niss festgehalten wird, desto mehr nimmt ihre Bildsamkeit ab und es tritt schliesslich eine Art Wendepunkt ein, nach dessen Ueberschreitung eine Biegsamkeit absolüt aufhört. Wir kommen somit zur selben Auffassung von der Ge- schichte der Spezies, wie sie schon lange vor Darwin viele Paläontologen, namentlich Bronn, ausgesprochen haben, indem sie die Geschichte der Art vergliechen mit der Geschichte des Individuums, d. h. sie als einen Lebenslauf aus Jugend, Reife- stadium und Greisenalter ansahen, den der Tod beschliesst. Wir hätten diese Auffassung jetzt nur dahin zu präzisiren, beziehungs- weise zu modifiziren: ; In der ersten Zeit nach ihrer Entstehung (wie sie entstan- den, ist hier gleichgiltig) gleicht der Zustand der Art dem Ju- sendzustand des Individuums, dessen hervorstechendste consti- tutionelle Eigenthümlichkeit eine höhere Plastizität ist. Verharrt . die Art sehr lange unter absolut gleichen äusseren Züchtungs- | verhältnissen, so ändert sich die constitutionelle Beschaffenheit der Individuen in ähnlicher Weise, wie beim Uebergang des Individuums aus dem jugendlichen in den erwachsenen Zustand, d. h. sie verlieren die Plastieität, und das Endresultat ist das Aussterben der Spezies selbst bei geringfügiger äusserer Veran- lassung. Erfolgt dagegen bei der Spezies (oder einem Theil ihrer Individuen) in ihrer ersten plastischen Periode ein Wechsel der äussern Bedingungen, also eine Verrückung des Ziels der natür- lichen Züchtung, so accomodirt sich dieselbe nicht nur der neuen Anforderung durch entsprechende funktionelle und morphologische \ Abänderung, sondern diese Veränderung hat einen ver- | jüngenden Einfluss auf die Art. Letztere Behauptung stützt | sich auf Erfahrungen, die man sowohl an den Individuen, als/ an den Generationen machen kann. Angemessener Beschäfti- gungswechsel, Luftveränderung, bei der Pflanze das Versetzen, kurz alle Wechsel der äusseren Bedingungen haben auf das In- dividuum einen belebenden verjüngenden Einfluss. Was die Generationen betrifft, so wissen wir, dass bei den Pflanzen fort- ~ -anaa e r me Der Artbegriff. 13 dauernde Züchtung mit dem eigenen Saatgut die Constitutions- kraft der Pflanze, insbesondere zunächst ihre Fruchtbarkeit herab- - mindert, während Saatgutwechsel eine verjüngende, die Consti- T und Fruchtbarkeit erhöhende Wirkung hat. Bei der Thierzucht wird das schädliche Inzuchtverhältniss nicht bloss durch nahe Verwandtschaft ‚hergestellt, sondern auch durch langen Aufenthalt unter ganz gleichen Existenzbedingungen. Umgekehrt kann man z. B. bei Hunden ohne jeden Nachtheil Geschwister paaren, sofern man sie in der Jugend trennt und beide an klimatisch, und was die Haltung betrifft, ganz andere Verhältnisse bietenden Oertlichkeiten aufzieht. Diese Erschei- _ Nungen gestatten die Annahme, dass jene Momente, welche zu } bleibender Abänderung einer Art führen, auf die Individuen | \_/ einen ähnlich verjüngenden Einfluss ausüben, wie die Blutauf- Mischung und der Bodenwechsel. | Für das Verständniss des Schicksals der Art im Laufe der Generationen muss weiter auf Folgendes hingewiesen werden. Die Inzucht mit ihren nachtheiligen Folgen in Bezug auf Fruchtbarkeit und Constitutionskraft tritt bekanntlich unter Ver- hältnissen ein,. bei welchen wir Grund haben, eine zu grosse constitutionelle Gleichheit der beiden Erzeuger anzunehmen: eine Gleichheit, die entweder von Blutsverwandtschaft oder von langer Einwirkung gleicher Lebensbedingungen herrührt. Wenn wir nun unter diesem Gesichtspunkt die variabeln Spezies mit den wenig oder gar nicht variirenden vergleichen, so müssen: wir sagen, dass die letzteren in einem gewissen ihre Constitutions- kraft schwächenden Inzuchtverhältniss stehen wegen der grossen Gleichheit ihrer Individuen, während bei dem variabeln durch das Nebeneinander der Varietäten die stete Gelegenheit zu ver- Jüngender Blutaufmischung gegeben ist. Damit stimmt in auf- fallender Weise die Beobachtung unserer Hausthiere: die so sehr constanten Pfauen, Goldfasanen, Silberfasanen und Gänse sind _ viel zärtlicher, namentlich in ihrer frühesten Jugend, als Tauben ' und Hühner, und wie enorm unterscheiden sich nur die Haus- hühner und Pfauen sammt-Fasanen in puncto Fruchtbarkeit ! Daraus folgt natürlich, dass constante Arten, weil durch Inzucht t 14° | Der Artbegriff. geschwächt, dem Artentod mehr ausgesetzt sein werden, als variable. Damit stimmt, dass Arten, die durch Variabilität aus- gezeichnet sind, fast immer auch sogenannte gemeine, d.h. sehr individuenreiche Arten sind. | Hieraus ergibt sich ein neues Moment bezüglich des Schick- sals der Art im Laufe der Zeit. Lebt eine Thierart unter so strengem äusserem Zuchtzwang, dass sie ihre Kopfzahl nicht er- heblich vermehren kann und ihre Neigung zur Variation allmäh- lich unterdrückt wird, weil jede Abweichung von einer ganz genau bestimmten Qualität ausgemerzt wird, so tritt die Spezies früher in jenen Zustand der Inzucht als da, wo die Variabilität und das Anwachsen der Kopfzahl auf geringere äussere Hinder- nisse stösst. Also Constanz und Variabilität, mithin geringere oder grössere Constitutionskraft und frühere oder spätere Aus- sicht auf das Erlöschen der Art werden in hohem Grade durch die äusseren Existenzbedingungen beeinflusst. 2 Damit sind wir jedoch noch nicht zu Ende. Nach dem be- kannten, auch von Wigand pag. 7 anerkannten Satze, dass jede Wirkung sofort wieder zur Ursache wird, führt die Inzucht nach den allgemeinen Erfahrungen der Thierzucht an und für sich zu grösserer Gleichartigkeit der Nachkommenschaft. Darunter -haben wir nun nicht nur morphologische Gleichheit, sondern auch grosse Uebereinstimmung in Neigungen, Trieben und Ge- wohnheiten nebst grosser Hartnäckigkeit im Festhalten aller dieser Merkmale zu verstehen. | Nehmen wir jetzt an, es trete eine der Natur einer solchen constant, d. h. unplastisch gewordenen Spezies widrige Aenderung der Existenzbedingungen ein, so wird dadurch nicht etwa das ganze von der Spezies bisher bewohnte Territorium unbewehnbar. Z. B. wenn die Feuchtigkeit abnimmt, so werden diess nur die - trockenen Stellen, nimmt die Wärme ab, so wird das Thier bei hügliger Bodenbeschaffenheit auf die sommerlichen Abhänge ein- geengt etc, Oder treten neue Feinde auf, so muss eine solche Art sich mit den geschützteren Lagen begnügen kurz, in. allen Fällen nimmt das Terrain und damit die Kopfzahl ab. Die Art wird seltener und individuenärmer und was endlich die Haupt- nn nn ee Der Artbegriff. 15 sache ist: der vorher zusammenhängende, die freie Mischung der Individuen ermöglichende Verbrei- tungsbezirk wird in getrennte Parzellen‘ zerlegt, zwischen denen der sexuelle Verkehr erschwert oder unmöglich gemacht wird. In diesem Augenblick kommt. die Inzucht in noch viel gesteigerterem Masse zur Geltung und die Constitutionskraft sinkt noch weiter. Damit steht die jedem aufmerksamen Thiergärtner bekannte Thatsache im Zusammen- 5 hang, dass seltene, d. h. individuenarme Spezies in der Gefangenschaft schwieriger zu halten sind, als häufige (z. B. Haselhuhn contra Rebhuhn), isolirt lebende schwieriger, als solche, die sich wenigstens zeit- weise rudeln, z. B. Waldschnepfe contra Strandschnepfen ; | endlich sogenannte »monomane,« d. h, an ganz bestimmte enge begrenzte Lebensbedingungen geknüpfte Arten schwieriger als »universelle:« z. B. unter den Bachstelzen ist die schwefel- gelbe auf Gebirgsbäche beschränkte Art (Motacilla sulphurea) entschieden zärtlicher, als die allerwärts am Wasser und über- diess noch als Feldvogel lebende weisse Bachstelze (Motacilla ; alba). ; or S | Rekapituliren wir jetzt unsere Aufstellungen bezüglich des Verhaltens der Art im Laufe der Generationen. - 1) Wir erblicken einen Gegensatz zwischen. we en, "unver- änderlichen Arten und andern, die mehr oder weniger rasch sich im. Laufe der Generationen verändern. ý 2) Daraus schliessen wir: jede Art durchläuft in ihrer Ge- Schichte zwei Phasen: eine erste Variabilitäts-, beziehungsweise Plastizitätsphase und eine zweite, die Phase der Constanz oder. | Implastizität, an deren Schluss das Erlöschen der ‚Spezies, der Artentod, steht. R -3) Nur in der ersten Phase kann eine Art sich in neue Arten spalten oder durch Waffenvervollkommnung überhaupt sich abändern. | l 4) Geschieht letzteres, so hat die ara verbundene Verände- rung der Existenzbedingungen den Werth einer Blutaufmischung, 16 Der Artbegriff. d. h. sie erhöht die Constitutionskraft und somit die Dauer des Artenlebens. 5) Den gleichen Werth einer Eiiitaugfuikschiitg hat es für die Art, wenn sich einer bei ihr vorhandenen Neigung zur Variabilität keine der natürlichen Serei entspringenden Hin- dernisse entgegen stellen. 6) In die Phase der Constanz tritt eine Art durch alle Ein- flüsse, welche möglichste Gleichmachung der Descendenz an- streben. Diess führt zu einer in der grossen Gleichheit der In- dividuen begründeten Inzucht, die selbst wieder zu einer gleich- machenden Ursache wird. 7) Wird eine solche durch Inzucht constant gewordene Art durch äussere widerliche Einflüsse in ihrer Kopfzahl beschränkt und ihr Territorium in unzusammenhängende Parzellen gespalten, so tritt die Inzucht in ihr höchstes Stadium und damit ist die Art reif zum Erlöschen. Ich glaube, dass die hier vorgetragene Auffassung vom zeit- lichen Verlauf der Transmutation ein nicht unwesentlicher Fort- schritt der Transmutationslehre ist. 1) Werden durch sie eine Reihe von Einwürfen, welche gegen die Transmutation erhoben wurden, beseitigt, 2) schmiegt sie sich in vollkommener Weise einer Menge von Thatsachen an, die bei Annahme einer allge- meinen und jederzeit vorhandenen Transmutationsfähigkeit un- verständlich sind, z. B. der Unterschied zwischen constanten und variirenden Arten, zwischen gemeinen und seltenen, zwischen kräftigen und schwächlichen, zwischen aussterbenden und sich fortentwickelnden Arten. 3) Steht sie im Einklang mit Erfah- rungen bei der künstlichen Zucht, die man bisher bei den natür- lichen Züchtungsvorgängen ignorirt hat. ` 2) Unveränderlichkeit der Spezies gegenüber a äusseren Einflüssen, Einen zweiten Beweis für das Dogma der absoluten Unver- änderlichkeit der Art will sich Wigand aus dem Verhalten derselben gegen die äusseren Einflüsse holen. Allein auch in eh Bi: Der Artbegriff. : sp7 diesem Punkte zeigt eingehende Betrachtung dieselben Unter- schiede, wie wir sie im vorigen Abschnitt gefunden haben; plastische und nichtplastische Formen. Zum Beweis dessen nur einige Beispiele. 4 Betreffend die N tee bemerkt man, ` wie schon pag. 6 gesagt, einen’ Gegensatz von mastfähigen Thieren und solchen, bei denen eine Mästung schwierig oder gar nicht gelingt. Bei wilden Thierarten äussert sich diess darin: es gibt Arten, namentlich unter den Insekten, welche sich in der Körpergrösse sehr variiren lassen, je nach der Reichlichkeit der Fütterung während ihrer Entwicklung, z. B. Bienen, Holz- käfer etc., bei andern gelingt diess durchaus nicht, weil sie bei kümmerlicher Nahrung sofort sterben, einen Ueberschuss zurück- weisen. Von der Nahrungsqualität gilt dasselbe: einmal gibt es Thiere, die eine veränderte Nahrung absolut zurückweisen ‘und lieber verhungern, andere nehmen sie an und zwar, ohne dass sie selbst dadurch eine erhebliche qualitative Abänderung erfahren würden, während bei anderen unzweifelhafte Verände- rungen eintreten. So weiss jeder Raupenzüchter, dass er bei manchen Arten, z. B. der gemeinen Bombyx caja, durch Aende- rung des Futters Farbenspielarten erzielt, während bei andern Raupenarten diess nicht gelingt. Bei Distelfinken beobachtet man bei ausschliesslicher Hanfsamennahrung eine Schwärzung des Gefieders; Arsenikzusatz zur Nahrung verleiht dem Pferd ein glattes-glänzendes Haar; Holmgreen bewirkte bei Tauben durch consequente Fleischfütterung erhebliche Veränderung in der Be- schaffenheit des Gefieders, des Magens, der Aüsdänstung und der Gemüthsart ete. ete. 3 Aehnlich verhält es sich mit den Wärmeunterschieden: Es gibt Thierarten, welche schon durch geringfügige Schwan- kungen aufs tiefste alterirt werden. Im allgemeinen gilt diess von vielen kaltblütigen Thieren: in der Wärme rasch, lebhaft, fresslustig, scheu, verfallen sie bei Abnahme der Wärme um wenige Grade in einen torpiden Zustand, verweigern die Nah- rungsaufnahme, lassen sich mit den Händen greifen und sterben Jaeger, In Sachen Darwin’s. 9 ne ERS = < = 18 * Der Artbegriff. sehr bald. Andere, namentlich die Warmblüter (Vögel und Säugethiere), ertragen grosse Temperaturunterschiede, ohne in ihren Funktionen wesentlich alterirt zu werden. Was die mor- phologischen Verhältnisse betrifft, so gibt es unstreitig Arten, die unter sehr verschiedenen Wärmegraden ihre Natur unver- ändert bewahren, aber ebenso unstreitig solche, welche Wärme- schwankungen mit Abänderungen beantworten. So ist bekannt, dass Pferde und Kühe, die Winters in der Nähe der Stallthüre ihren Stand haben, also der durch letztere eindringenden Kälte mehr ausgesetzt sind, als ihre übrigen Stallgenossen, längere, dichtere und struppige Behaarung bekommen; weiter, dass Thiere, die unter ungünstigen Wärmeverhältnissen aufwachsen, z. B. Haushühner, in der Körpergrösse zurückbleiben, ohne dass das eine für alle Arten geltende Erscheinung wäre. Als gegenthei- ligen Fall führe ich die Laubfrösche in dem Orchideenhause meines Freundes Dr. Beer in Wien an, die in dieser constanten tropischen Wärme die volle Grösse einer Rana esculenta erreicht haben. Bekannt ist weiter, dass gewisse alpine Zwergformen von Pflanzen, in. die Ebene versetzt, einen hohen Wuchs be- kommen, die Behaarung ihrer Blätter sich vermindert etc., wäh- rend andere Alpenpflanzen, in die Ebene versetzt, ihre Natur völlig unverändert bewahren. Ich verzichte darauf, durch Beispiele darzuthun, dass diese - Verschiedenheit in der Accommodationsfähigkeit an äussere Um- stände ebenso wie die Veränderungsfähigkeit im Laufe der Ge- nerationen nicht blos zwischen verschiedenen Arten besteht, sondern auch zwischen verschiedenen Rassen Einer Art und zwischen den verschiedenen Individuen Einer Spezies. Wenn also Wigand pag. 16 sagt, »der Charakter der »Spezies erscheine als etwas dem Organismus Inhärentes, nicht »von aussen Bestimmtes und Abzuänderndes, und unter Einflüssen, »welche diesem Charakter widerstreiten, werde der Organismus »zu Grunde gehen, aber nicht seinen Charakter aufgeben,« so ist das ein einseitiges, weil nicht allgemein gültiges Urtheil. Uebrigens gestehe ich offen, nicht zu begreifen, wie Wigand hier die Unveränderlichkeit den äusseren Einflüssen gegenüber Der Artbegriff. 19 behauptet und pag. 24 gelassen von »Standortsvarietäten« spricht, »welche beweisen, dass mit einer Veränderung der Lebens- »funktionen auch eine Veränderung der äusseren Gestalt verbun- den ist.« 3 ; Ein gewisses Licht wird über diese Unterschiede durch das Verhalten des Thierkörpers gegen die Wärme verbreitet. Eine Gruppe von Thieren, die wir desshalb Warmblüter heissen (Vögel und Säugethiere), wissen ihre Körperwärme auch unter den verschiedensten äusseren Temperaturen auf derselben Höhe zu erhalten; andere Arten, die wir desshalb kaltblütig nennen, sind diess nicht im Stande: ihre Körperwärme sinkt und steigt mit der des umgebenden Mediums, wenn auch nicht in ganz gleichem Betrag. Diess Verhalten der Warmblüter erklärt die Physiologie daraus, dass diese Thiere im Besitz sogenannter Wärmeregulatoren sind, über die in jedem Handbuch der Physiologie das Nähere nachgelesen werden kann. Die Kaltblüter sind nun zwar in dieser Hinsicht nicht direkt geprüft, allein man wird aus dem Erfolg schliessen dürfen, dass ihnen diese regulatorischen Vorrichtungen mangeln, oder dass sie unvoll- kommener arbeiten. Die Physiologie hat weiter gegründete Ur- sache, von Wachsthumsregulatoren zu sprechen, und ich stehe ‚nicht an, zu behaupten, dass wir von Feuchtigkeitsregulirung, von regulatorischen Einrichtungen bezüglich Nahrungsqualität und -Quantität, ja bezüglich aller Bedingungen sprechen dürfen, die einen Organismus von aussen beeinflussen können. Je voll- kommener diese Regulirungseinrichtungen bei einem Individuum oder einer Art oder einer ganzen Thier- gruppe sind und funktioniren, desto unabhängiger ist _ es von dem betreffenden Einfluss und umgekehrt. ; Weiter muss hiezu bemerkt werden: die Erfahrung an Mensch und Thier zeigt, dass die Regulirungsvorrichtungen nicht etwa unveränderlich sind, sondern durch Erziehung zu vollkom- mener Leistungsfähigkeit ausgebildet werden können. Das beste Beispiel ist die Beseitigung der Echauffementsursachen durch die Trainirung, über welche ich in einem Aufsatz: »Die menschliche 20 Der Artbegriff. , Arbeitskraft und die militärische Trainirung«*) ausführlicher ge- äussert habe, wesshalb ich hier nur darauf verweise. Durch eine Beachtung der Umstände, unter welchen bei einem Individuum, die regulatorischen Einrichtungen sich vervoll- kommnen, kommen wir auch zu näherer Einsicht in die ursäch- lichen Momente, die obigen Unterschieden zu Grunde liegen. Wir wollen uns hiebei hauptsächlich an die Wärme halten, weil diese vergleichsweise am besten studirt ist und weil hier in den warmblütigen und kaltblütigen Thieren der Gegensatz am schönsten ausgesprochen ist. In der Hauptsache darf ich hiebei auf meine ziemlich ausführliche Darlegung der Entstehung der W armblütig- keit in meinen »Skizzen aus dem Thiergarten« pag. 318 ff. ver- weisen**) und will daraus nur kurz folgendes verallgemeinernd rekapituliren. Ä | Die Entstehung sowohl als die Ausbildung regulatorischer Apparate tritt dann ein, wenn der Reiz, um welchen es sich handelt, z. B. die Wärme, viele und bedeutendere Dichtigkeits- schwankungen aufweist. Also im cönereten Fall: die Wärme- regulatoren bilden sich nur dann aus, wenn das Thier häufigen und bedeutenderen Wärmeschwankungen ausgesetzt wird; damit besitzt die Natur ein Mittel, die ausgiebigsten individuellen und speziellen Unterschiede in diesem Punkt zu erzeugen. *) Deutsche Zeitung. Naturwissensch. Theil vom 3. und 17. Febr. und 2. März 1872. Wien. **) Bei Gelegenheit dieses Citates erlaube ich mir folgende Bemerkung, die man mir sicher nicht falsch auslegen wird. Bei der freundlichen Beach- tung, welche meine in verschiedenen Zeitschriften erschienenen gemeinver- ständlich gehaltenen Aufsätze im Kreise der Fachgenossen gefunden haben, scheint es auffallend, dass obiges Werk (Leipzig 1872), das im Wesentlichen eine Sammlung dieser Essai’s ist, unter Beigabe einer Reihe sonst nicht publizirter, in den Kreisen meiner Fachgenossen nicht bekannt geworden zu sein scheint. Ursache ist wohl, dass dessen erste Hefte während des 1866ger Kriegs erschienen, die Verlagshandlung kurz darauf in eine Finanzkrisis ver- fiel, so dass ein Wechsel des Verlegers eintrat, die Vollendung von 1866—1872 sich hinauszog und keine Rezensionsexemplare zur Versendung kamen ete. Aus diesem Grund glaubte ich denen, welche sich für meine Essai’s interes- sirten, hier diese Mittheilung machen zu sollen. y armeene a m ne m Der Artbegriff. -O ' Aus dem bisher Gesagten lässt sich folgendes kurz rekapi- tuliren: 1) die Erscheinungen an den Organismen bei veränder ter Einwirkung. äusserer Einflüsse zeigen dieselben Plastizitätsunter- Schiede wie das Verhalten der Arten im Lauf der Generationen. 2) Wir haben Ursache, diese Unterschiede der höheren oder ge- tingeren Ausbildung gewisser regulatorischen Apparate im Thier- körper zuzuschreiben. 3) Es lässt sich ein direkter Zusammen- hang der Existenzbedingungen und des Ausbildungsgrades der tegulatörischen Apparate in hohem Grade wahrscheinlich machen. ` 3) Spezies und soe Die Transmutisten betrachten bekanntlich diese beiden ee Matischen Termini technici als den Ausdruck zweier Entwick- lungsphasen in der fortlaufenden Geschichte der Transmutation und läugnen, dass sich eine scharfe Gränze zwischen Art und Varietät ziehen lasse, wie das die Constanzianer annehmen. Wigand ist in der Vertheidigung der letzteren Schule wenig glücklich. Er sagt z. B. pag. 15: »Solche Formen innerhalb >einer Spezies, welche nachweislich im Laufe der Zeit aus einer »andern Form hervorgegangen sind, selbst wenn sie während ihrer Dauer sich beständig erweisen, nennen wir Varietäten.« Einmal dürfte man da nur bei Hausthieren und Culturpflanzen von Varietäten reden, da nur bei ihnen der historische Beweis erbracht ist, und fürs zweite gibt obiger Satz lediglich keinen Anhaltspunkt für die praktische Entscheidung. Ebenso wenig Wird man aus Folgendem klug: nachdem Wigand zuerst die $ Spezies für etwas »nicht von aussen Bestimmtes und Abzuän- derndes« genannt hat, fährt er fort: »Im Gegensatz hiezu ver- >hält sich die Varietät. Zwar gibt es auch Varietäten voh einer ’gewissen Beständigkeit, und insofern bildet die Unveränderlich- >keit kein Mittel, in allen einzelnen Fällen zu entscheiden, ob >eine Form als Spezies zu betrachten ist.« Worin soll denn nun der behauptete Gegensatz bestehen? Der Gegensatz gegen die Unveränderlichkeit der Spezies kann ja nur die Veränderlichkeit ET 22 Der Artbegriff. der Varietät sein; kann aber auch die Varietät beständig sein, so fehlt es an Gegensatz und Kriterium, um so mehr, wenn, wie Wigand an andern Orten zugibt, die sonst beständige Art auch manchmal veränderlich sein kann. Wenn Wigand pag. 24 sagt, »es lasse sich nach den bis- »herigen Erfahrungen mit einiger Wahrscheinlichkeit voraussagen, „dass man demnächst . . . zu einer schärferen Fassung des Be- »griffes Spezies faton der Art gelangen würde,« so nimmt sich neben diesem Zugeständniss die Bestimmtheit, mit der er Spezies und Varietät auseinanderhält, sonderbar aus. Dann noch eine kritische Bemerkung: An verschiedenen Stellen seines Buches erklärt es Wigand für unstatthaft, den Mangel der Ueber- gänge zwischen den Formenkreisen unter den fossilen Resten der Unvollkommenheit unserer Kenntnisse zuzuschreiben, und doch sagt er pag. 31: »Aber selbst wenn in einzelnen Fällen die »Frage (ob Art oder Varietät) offen bleiben müsste, so würde. es »doch nicht richtig sein, solche Fälle als Verbindungsglieder „zwischen Art und Varietät geltend zu machen, da sie zunächst nur als Beispiele unserer unvollkommenen Kenntniss zu betrachten »sind.« Und weiter pag. 32, wo er in alinea 2 in nuce sagt: »Die Schwierigkeit der Beurtheilung des einzelnen Falles liege in »der Natur der Sache und weil man noch keine vollständige Ein- »sicht in das Wesen des Artbegriffs habe.« Er macht also eben auch gerade in dem Fall, an welchem die Entscheidung hängt, von einem Mittel Gebrauch, das er im Munde der andern eine »Ausflucht« nennt. Wir wenden uns nun zu dem seit Buffon und Kölreuter gebräuchlichen Kriterium in der Artfrage: zu der Fruchtbar- keitsprobe. Auch hier sucht Wigand vergeblich die That- sache abzuschwächen, dass es verschiedene morphologisch gut i abgegränzte Arten gibt, die in mehrfacher Generation fruchtbare Bastarde liefern, dass es also Fälle gibt, wo auch dieses Krite- rium. nieht mehr stichhaltig ist. Eigenthümlich und bezeichnend für Wigands naturwissenschaftliche Logik ist folgendes: Nach- dem er die bekannte Thatsache erwähnt, dass die gegenseitige Fruchtbarkeit von der engsten Inzucht, der Selbstbefruchtung, Ge | —— Der: Artbegrit, -` gg angefangen stetig zunimmt mit der-Abnahme der Verwandt- schaftsgrade, fährt er fort: »Wäre nun auch die Spezies nur »relativ verschieden von der Varietät, so müsste diese Steigerung »der sexuellen Verwandtschaft (d. h. der gegenseitigen Fruchtbar- »keit) in derselben Richtung fortschreiten (d. h. die Spezies- »kreuzung fruchtbarer sich erweisen, als die Varietätenkreuzung); »diess ist aber nicht der Fall, vielmehr tritt zwischen Varietät >und Art ein Wendepunkt ein und von da an gilt das um- >gekehrte Gesetz. Es scheint daraus hervorzugehen, dass bei »diesem Wendepunkt zwischen Varietät und Spezies eine neue »Ordnung der Dinge, nämlich der absolute Unterschied zwischen »den Arten eintritt.« Hiegegen ist zu bemerken, dass ein derartiges Umschlagen ins Gegentheil eine Erscheinung ist, die für alle möglichen Ver- hältnisse sich wiederholt, ohne dass wir das Recht hätten, sie für den Beweis einer neuen Ordnung der. Dinge zu halten. Z.B. ein gewisser Wärmegrad ruft in uns angenehme Gefühle hervor, die sich bei einer gewissen Erhöhung steigern, bis ein Wende- _ Punkt eintritt, von dem aus die Steigerung das gerade Gegentheil, nämlich Schmerz, hervorruft und in letzter Instanz Tod durch Wärmestarre. Dieselbe Erscheinung wiederholt sich bei allen Reizen und allen Thätigkeiten; z. B. bei völliger Unthätigkeit magern die Muskeln ab , bei mässigem Gebrauch nehmen sie an Masse und Leistungsfähigkeit zu, und zwar eine zeitlang um so mehr, je intensiver die Thätigkeit ist, bis zu einem Wendepunkt, über den hinaus eine weitere Gebrauchssteigerung das Gegentheil, dee; Consumption des Muskels hervorruft. Genau so ist es mit der gegenseitigen Fruchtbarkeit: Wie ich in meiner Abhandlung Ueber Urzeugung und Befruchtung«*) formulirt habe, gehört zur Befruchtung ausser der allgemeinen Differenz zwischen Ei und Samenzellen noch eine gewisse constitutionelle Differenz der. beiden Erzeuger. Fehlt diese, wie bei der Selbstbegattung eines Hermaphroditen, so bleibt die Befruchtung meist aus; steigt sie, 50 nimmt die gegenseitige Fruchtbarkeit zu bis zu einem Wende- me u 5 En *) Zeitschrift für wissenschaftl. Zoologie. Bd. XIX. pag. 499. p er Ji. ; Der Artbegriff. punkt, wo die Sache ins Gegentheil umschlägt. Daraus, dass dieser Wendepunkt -in der Nähe der Gränze von Spezies und Varietät liegt (NB. dass er genau und immer mit ihr zusammen- - falle, ist durchaus nicht bewiesen, ja durch mehrfache Beispiele sogar sehr zweifelhaft), folgt in gar keiner Weise, dass Spezies und Varietät etwas absolut Verschiedenes sind. Denn mit demselben Recht müssten wir eine Wärme von 20 Grad und eine solche von 60 für absolut verschiedene Dinge erklären, weil die erste Wohlgefühle, die letztere das Gegentheil, den Schmerz, hervorruft. Aus den berührten Thatsachen folgt nur, dass es einen Grad constitutioneller Differenz gibt, von welchem an die Befruchtungsfähigkeit abnimmt. Auf die Ursache, welche diesen Differenzgrad hervorrief, gestatten sie gar keinen Schluss. Wir können nur sagen: zwischen zwei Formen, bei denen wirksame Befruchtung möglich ist, und zwischen solchen, bei denen sie unmöglich ist, bestehen wesentliche Unterschiede, und diese dürfen wir nicht ignoriren. Desshalb stimme ich nicht mit denjenigen Transmutisten überein, welche den Unterschied ganz verwischen wollen; ihnen möchte ich entgegenhalten, dass es bei der Bildung zweier Arten aus Einer Art durch Divergenz des Charakters eine Art Rubikon geben muss, dessen Ueberschrei- . tung ‚die Artspaltung erst zu einer definitiven macht, und die Natur dieses Wendepunkts muss gesucht und bestimmt werden. Ebenso wenig befriedigt aber die Schablone der Constan- zianer, weil sie den thatsächlichen Verhältnissen gegenüber sich als eine Zwangsjacke erweist. Die Thatsachen heissen: es gibt zweifellos Formenkreise, die sich in morphologischer, biologischer und sexueller Weise aufs schärfste von einander sondern lassen, das sind gute, wohl abgegränzte Arten; ebenso gibt es Formen- kreise, die so sehr durch morphologische und biologische Uebergänge und durch Befruchtungsmöglichkeit verknüpft sind, dass wir sie als unzweifelhafte Varietäten zu behandeln haben. Dazwischen aber gibt es ebenso unzweifelhaft Formenkreise, die in allen Stücken das Mittel halten zwischen Art und Varietät. Ich bezweifle nun keinen Augenblick, dass noch manche dieser zweifelhaften Formenbeziehungen durch eingehende Unter- ee S Der Artbegriff. : 95 ł % suchungen ‚entschieden werden können, allein wenn die Constan- ` zianer sagen, es müssen sich mit der Zeit alle derartige Fälle klarstellen lassen, so ist das nichts weiter als eine Behauptung, und den einschlägigen Versuchen ist dasselbe Schicksal zu pro- _ Phezeien, wie den Bemühungen, alle Organismen in Thiere und Pflanzen zu scheiden. So lange aber auch nur ein einziger Fall übrig bleibt, in welchem nicht widerspruchsfrei festgestellt ist, ob man es mit Art- oder Varietätendifferenz zu thun hat, be- steht für den Transmutisten die entwicklungsgeschichtliche Brücke ‘zwischen Art und Varietät. Wigand sagt pag. 34: »Wenn sunter der Zahl der bisherigen »Spezies« nur 10°% die Probe »bestehen, so ist der Schluss von diesen auf die Realität des »Artbegriffs jedenfalls viel mehr- berechtigt, als das vulgäre Ar- »gument: »in sehr vielen Fällen hat sich eine Spezies nachträg- »lich nicht bewährt, mithin gibt es überhaupt keine Spezies.« Dem gegenüber sage ich: wer das letztere behaupten würde, wäre ein ebenso einseitiger Generalisator. als Wigand, wenn er - das erstere behauptet, und beiden muss man den nöthigen Ein- blick in die Mamnigfaltigkeit der Natur und ihrer Hilfsmittel ab- sprechen. Dadurch erledigen sich auch die Expektorationen Wigands auf pag. 36. Dagegen muss auf folgendes geant- wortet werden. 1 f Br Wigand sagt: »Der Darwinismus steht in prinzipiellem »Gegensatz gegen die eigentliche Naturforschung Newtons und »Guviers, denn ersterer glaube die unvollständige Erfahrung durch eine Spekulation ergänzen zu dürfen, während letzterer »keine Spekulation anerkenne, welche sich nicht den vorliegenden «Thatsachen unmittelbar anschliesst.< ! = Zu diesem merkwürdigen Satz ist zunächst anzumerken, dass nach demselben Wigand die Spekulation nicht verbietet, sondern nur sagt, »sie müsse sich den vorliegenden Thatsachen anschliessen ;« wahrscheinlieh wollte er sagen, seine Natur- forschung anerkenne keine Spekulation, aber. während des Nieder- schreibens ist ihm eingefallen, dass die Cuvier-Linn&’sche Lehre von der Urzeugung der Speziesstammväter lediglich nichts andres ist, als auch .eine Spekulation, und die Wigand’ sche 26 x Der Artbegriff. Urzellentheorie, auf die wir seiner Zeit zurückkommen w erden, nicht minder. Nur ist dann, wenn beide spekuliren dürfen, nicht gut einzusehen, wo der prinzipielle Gegensatz bleibt, denn selbst, wenn zugegeben werden müsste, dass die Transmutisten falsch spekuliren, und die Es richtig, so wäre das doch kein prinzipieller Gegensatz! | Noch komischer ist die Behauptung, dass nur die Constan- zianer nach der induktiven Methode verfahren, »indem sie die »aus einer beschränkten Beobachtungsreihe abstrahirte Regel zu »einem allgemeinen sogenannten empirischen Gesetz erweitern.« Was thun denn diese Herrn: aus der Beobachtung, dass viele Arten sich in langen Zeiträumen nicht verändern, stellen sie das Gesetz auf, dass alle Arten unveränderlich seien. Nun, wenn die Transmutisten aus der beschränkten Beohachtungsreihe von `- Fällen, wo die Arten sich verändern, das allgemeine “Gesetz ab- leiten, die Arten sind veränderlich, ist das vielleicht dann keine Induktion ? Allerdings ein prinzipieller Unterschied besteht zwischen den Transmutisten und Constanzianern: Erstere wenden die | Deduktion, die sich bekanntlich zur Induktion verhält, wie die Bischliche zur Rechnung, an, um das Ergebniss ihrer In- duktion allseitig zu prüfen, und zögern keinen Augenblick, ent- gegenstehenden Thatsachen dadurch Rechnung zu tragen, dass sie von der Allgemeingültigkeit ihres Gesetzes absehen, wie ich das in meiner oben gegebenen Fassung der Transmutations- lehre gethan habe. Wigand dagegen verschmäht die Deduktion, d. h. die Prüfung seiner Aufstellung, spielt den entgegenstehenden Thatsachen gegenüber die Rolle des Vogel Strauss, der sie nicht sehen will, und hält seine Verallgemeinerung aus einer be- - schränkten Beobachtungsreihe für den »einzig legitimen Ausdruck »unserer dermaligen Erkenntniss« (pag. 37). Was soll man aber vollends vom Schlusssatz dieses Ap- schnittes pag. 38 sagen: »So wird durch die Spekulation (der »Transmutisten) die erfahrungsmässig constante Spezies veränder- »lich und die erfahrungsmässig veränderliche Varietät constant »gemacht, — kurz die Spezies zur Varietät, die Varietät zur »Spezies umgekehrt.« nn Die Variabilität. 97 Welche Sorte von Lesern glaubt denn Herr Wigand durch solche Taschenspielerkunststücke zu berücken, höchstens Schul- buben? Seit wann wird die Spezies zur Varietät dadurch, dass Jemand behauptet, sie sei variabel und spalte sich in Varie- täten? l 4 Rekapituliren w wir diesen Abschnitt, ‚so können wir pipii Sätze aufstellen: 1) der Artbegriff, sofern man die rein hypo- thetische und spekulative Behauptung von der Urerzeugung des Stammvaters derselben bei Seite lässt, hat seine reale Berechti- gung. 2) Es gibt mehr oder weniger constante Formenkreise, deren Verhalten derart ist, dass wir das Recht haben, sie für Varietäten einer Art zu halten, also die Unterscheidung zwischen Varietät und Art ist eine berechtigte. 3) Es liegt durchaus nichts vor, was uns an der Annahme verhindert, es können Fälle vorkommen, in denen die Varietätendifferenz sich bis zur Speziesdifferenz steigert. 4) Diese Annahme ist methodologisch genau so erlaubt, wie die entgegengesetzte. 5) Beide Annahmen können richtig sein und es kann sich nur darum handeln, welche im gegebenen Spezialfall die richtige ist. II. Die Variabilität. In diesem Capitel sucht Wigand den ersten Stoss dadurch zu führen, dass er auf einige Differenzen unter den Transmu- tisten bezüglich der Qualität derjenigen Variationen hinweist, welche der Bildung neuer Arten zum Ausgangspunkt dienen. Während nämlich ein Theil der Transmutisten, unter ihnen ins- besondere Darwin, mehr nur jene geringfügigen Verschieden- heiten, wie sie zwischen Geschwistern vorkommen können, als ersten Ausgangspunkt der Artbildung ansehen, gehen Nägeli und Ascenasy wenigstens für das Vervollkommnungsprinzip 98 Die Variabilität. von sprungweisen Abänderungen aus, und Hofmeister lasse die neue Form nicht durch Sartre kleiner Differenzen, son- dern mit einem Schlage entstehen. Diese Meinungsdifferenz gibt Wigand zu der Aeusserung Anlass: »Wir konstatiren hiermit die bis auf das Fundament »herabreichende Zerklüftung der Selektionstheorie.« Darauf ist zu entgegnen: Wenn der eine nur die eine, der andere nur die andere Sorte von Abänderungen für Objekt der natürlichen Se- lektion erklärt, so wird doch dadurch das Fundament der. Se- lektionslehre nicht berührt; denn das besteht eben in dem _ Akt der Selektion; auch bezüglich des Objekts ist die Differenz nicht gross und jedenfalls nicht prinzipiell, da der eine wie der andere sich an jene Abänderung. hält, wie sie in dem Verlauf der Generationen einer Spezies auftreten. Genau so wie zwischen geringen Abänderungen und Monstrositäten nach Wigands eigenem Geständniss (pag. 49, Anm.) nur ein gradweiser, durch alle möglichen Abänderungen verbundener Unterschied be- steht, so ist auch dieser Meinungszwiespalt ein gradweiser und kein prinzipieller. Uebrigens gilt über diesen Zwiespalt folgendes: Es gibt eine ganze Reihe von Speziesmerkmalen, deren Ausbildung durch. eine Summirung kleiner Abweichungen nicht nur völlig-erklärt werden kann, sondern die Umwandlungen unserer Culturarten beweisen es auch, dass man fast jede solche kleine Abänderung durch Se von Generation zu Generation zu ‘steigern vermag. Ich verweise z. B. auf das von Fritz Müller mitgetheilte Bei- spiel der Züchtung des vielreihigen Maises,*) auf die Vermehrung der Schwanzfedern bei den Pfauentauben etc. Auf der andern Seite, sagt man, gibt es gewisse Merkmale, deren Entstehung nicht anders gedacht werden kann, als durch eine plötzliche, mehr oder weniger beträchtliche individuelle Ab- weichung, z. B. Aenderung der Grundzahl der Blattkreise bei den Pflanzen. Obgleich ich nun bei den Thieren gefunden habe, dass manche solcher Fälle, in denen man an einen Sprung *) Hermann Müller, Die Befruchtung der Blumen durch Insekten. Be i a SSrER Die Variabilität. 99 appelliren zu müssen glaubt, bei genauer Prüfung sich doch in in eine Anzahl kleiner vortheilhafter Abänderungen zerlegen ` lassen, so stelle ich nicht in Abrede, dass unzerlegbare Fälle bleiben, für welche ‘an bedeutendere Abweichungen appellirt werden muss. Ä Der Bemerkung Darwins, dass solche in gewissem Sinn monströs zu nennende Abweichungen bei ihrem isolirten Auf- treten durch Kreuzung fast sicher verwischt werden würden, möchte ich zwei Fälle aus meiner* Erfahrung entgegenhalten. In einer Gegend Steiermarks sind vierhörnige Schafböcke keine . Seltenheit, und ebenso in einer gewissen Gegend Ungarns ein- hufige Schweine. Ich habe von beiden lebende Exemplare er- halten und Erkundigungen eingezogen, aus denen hervorgeht, dass das schon seit Dezennien so ist. Diese Fälle sind nur so zu erklären: entweder stammen alle diese Monstra von Einem monströsen Stammvater ab, dann'spricht diess gegen die Leich- tigkeit des Verschwindens solcher Monstrositäten durch Kreuzung | ” (ein anderes Beispiel hiefür sind die vielfingerigen Menschen). Sind dagegen die betreffenden Individuen nicht in dieser Weise verwandt, so wären sie ein Beleg dafür, dass solche Monstrosi- täten gleichzeitig in einer grösseren Individuenzahl auftreten können, so dass sich für sie sofort-die Möglichkeit der Inzucht eröffnet. Se Per parenthesin ist hier eine Behauptung Wi gms BEF . zuweisen. Er sagt: »Darwins Bëmerkung von der Verwischung »monströser Abweichungen durch Kreuzung gelte ganz ebenso >für die von Darwin angenommenen unbedeutenden Abände- »rungen.« Das ist total falsch: grosse monströsse Abweichungen sind in der Regel selten und isolirt, an jenen kleinen Abwei- chungen kann ‘aber gleichzeitig eine beträchtliche Individuen- Summe theilnehmen, und sobald zwischen diesen Individuen das >simile simili gaudet,« das Gefallen am Gleichartigen, auftritt, und die Abänderung so vortheilhaft ist, dass mit den zurück- bleibenden rasch’ aufgeräumt wird, so ist die Gefahr des Ver-_ wischtwerdens durch die Kreuzung gering, jedenfalls viel ge- ringer, als im ersten Fall. en ER a ih En rn LEG er Fe SE E E — —— i a m | na En i nn üg u ee — = KT ee N EN nen i D . zu 30 - Die Variabilität. Bezüglich des simile simili gaudet noch eine Beobachtung! Meine ‚Studiengenossen Dr. Albert Günther vom britischen Mu- seum und Dr. David Weinland, sowie ich, haben uns als Stu- denten bemüht, am Schädel von Vögeln allgemeine sekundäre Geschlechtsdifferenzen aufzufinden. Dabei machten wir die Er- fahrung, dass gepaarte Paare von Singvögeln in Bezug auf ihre Schädel auffallend vollständiger übereinstimmten, als nicht ge- paarte, so dass angenommen werden muss, es spiele bei diesen Thieren möglichste Gleichheit ein wesentliches Paarungsmotiv. Doch zur Sache: Ich meinestheils kann nicht einsehen, warum nur grosse oder nur kleine individuelle Variationen von der natürlichen Zuchtwahl erfasst und zur Artdifferenz sollen erhoben werden können, und stehe um so weniger an, sämmt- liche Variationsgrade für selektionsfähig zu halten, als die Natur _ der klassifikatorischen Merkmale darauf hinweist, es habe die Selektion von allen sich darbietenden Variationen Gebrauch ge- macht. Eine Entscheidung ist somit nur im einzelnen Falle nöthig. y | Wigand unterscheidet weiter in genetischer Beziehung zweierlei Arten von Variationen: a) Standortsvarietäten, d. h. solche, die der direkten Einwirkung äusserer Ursachen ihre Entstehung verdanken. b) Angeborene, d. h. lediglich innern Ursachen entsprungene. Ganz entsprechend seiner überall hervortretenden engherzigen und einseitigen Anschauungsweise frägt er: »welche von beiden ‘Sorten artbildungsfähig sei,« wäh- rend für jeden Unbefangenen das nächstliegende ist, beiden Sorten gleiches Recht zuzugestehen. Faktisch thut er allerdings letzteres, indem er keine von beiden für hiezu befähigt erklärt, was er nach seinen Auslassungen über die Unveränderlichkeit der Art eigentlich gar nicht mehr hätte zu versichern nöthig gehabt. Doch sehen wir seine Gründe an. a) Bezüglich der Standortsvarietäten sagt er: »eine Ab- »änderung, welche die Pflanze durch die direkte Einwirkung _ »äusserer Agentien während ihres individuellen Daseins erfahren vhat, dauert nur so lange, als die Ursache dauert.« Dieser Satz ist falsch: z. B. jemand, der in heissem Klima eine wetterver- | i l -_ Die Variabilität. 31 brannte Hautfarbe erhalten hat, bewahrt sie nachgewiesener- massen noch nach Uebersiedlung in ein gemässigtes Klima ent- weder zeitlebens oder noch lange Jahre. Im Gefühl, dass der Satz falsch ist, fährt Wigand fort: »selbst, wenn man anneh- >men dürfte, dass eine solche Standortsmodifikation im Laufe der >Generationen sich befestigen könne, so würde sich diess doch >nur in der Weise äussern, dass der erworbene Charakter unter > veränderten Einflüssen nicht sofort, sondern langsam erst im >Lauf der Generationen verschwände.« Dass thatsächlich solche aAllmählige Rückumänderungen vorkommen ,. beweist, dass ein tworbener Charakter die Einwirkung der betreffenden Ursache "überhaupt überdauern kann, was Wigand unmittelbar vorher läugnete. Was kann nun Wigand den Transmutisten entgegen- "halten, wenn sie sagen, dass Standortsmodifikationen auch völlig Constant werden können? »Damit sei die Zähigkeit unvereinbar, °’womit die Organismen ihren ererbten Charakter auch den he- »terogensten Einflüssen gegenüber behaupten, so dass sie eher >zu Grunde gehen, als eine »erhebliche« Abänderung erleiden.« Was es mit dieser Behauptung im allgemeinen für eine Bewandt- niss hat, wurde schon pag. 16 u. ff. gezeigt, und die vorsichtige Einschaltung des »erheblich« zeugt nicht von grosser Zuversicht _ Wigands. Zum Unglück passt aber der Satz gar nicht: Wenn eine bestehende (also faktische) Standsortsmodifikation nach der Ansicht der Transmutisten constant und dadurch zum Artenrang erhoben wird, so kann diess geschehen, ohne dass sie irgend eine, geschweige denn eine erhebliche morphologische Verände- rung erfährt, denn es handelt sich nur um eine constitutionelle Veränderung, d. h. darum, dass der erworbene, also bereits be- Stehende Charakter zu einem dauernd sich vererbenden werde. b) Bezüglich der angeborenen Abänderungen hat er fol- Sende Anschauung. Verschiedene Forscher haben für die Exi- Stenz von Abänderungen, die durchaus von innerlichen Ursachen herrühren, die Thatsache hervorgehoben, dass solche Abände- rungen in gleicher Weise an den verschiedensten Standorten Auftreten. Diese Thatsache, die doch weiter nichts sagt, als dass die mit der Bezeichnung »Standort« zusammengefassten AED: BOEIEN e B = me an Te Be EEE m man 32 Die Variabilität. ad klimatischen und Bodenverhältnisse kein ursächliches Moment für die in Rede stehende Variation abgeben, legt er dahin aus, »dass solche Abänderungen sich indifferent gegen die äusseren »Lebensbedingungen (d. h. gegen alle) verhalten, und desshalb »können sie für die (von den äussern Lebensbedingungen aus- »gehende) Zuchtwahl keinen Angriffspunkt darbieten.« Einmal ist jene obige Erweiterung auf alle Lebensbedingungen durchaus unstatthaft, weiter kann eine Abänderung, trotzdem dass sie durch die klimatischen Einflüsse nicht ‚verursacht wurde, doch in eine ganz ausgesprochene Beziehung zu ihnen treten. Z. B.: Es entstehen weisse Spielarten von Vögeln und Säugethieren unter allen Klimaten und sicher ohne direkte Beeinflussung des Klimas. Dennoch treten sie insofern in ganz bestimmte, wenn auch in direkte Beziehung zum Klima, als die weisse Farbe in der Schnee- region eine Schutzfarbe, ausserhalb derselben eine nachtheilige “ist, und damit ist der natürlichen Zuchtwahl ein ganz bestimmter Angriffspunkt gegeben. Ueberhaupt ist jede Abweichung, mag sie entstanden sein durch was immer für Ursachen, ein Objekt der natürlichen Zuchtwahl, d. h. entweder wird sie stets wieder vernichtet, wenn sie nachtheilig , stets geschont und begünstigt, wenn sie nützlich ist. Wigand kommt nun zu den durch Gultur RARE Varie- täten. Hier macht-er es wie alle Constanzianer, er erklärt die - Domestikation für etwas ganz künstliches, mit der Natur nicht vergleichbares: »Culturvarietäten verdanken ihr Dasein ganz »anderen Bedingungen als die natürlichen.« Dieser Satz ist schon desshalb falsch, weil die Bedingungen, über welche die Cultur verfügt, eben nichts anderes sind als die Naturkräfte und Natur- stoffe, mit denen auch die freie Natur operirt. Es wird doch niemand behaupten wollen, dass die künstliche Wärme etwas anderes sei als die natürliche, oder dass z. B.. das Futter, das wir einem Thiere oder einer Pflanze reichen, wo anders her ge- nommen sei, als aus der Natur. Was führt nun Wigand für seine Behauptung an? »Wenn in der Natur dieselben Gesetze »gelten wie in der Cultur, warum findet sich unter den vielen »Milliarden wildwachsender Erdbeerstöcke nicht doch auch einmal rn gerri age E à : * a ” ne ng . j ` ; aprii agian: u iie. -$ í Die Variabilität. 33 E »ein Exemplar mit faust- oder doch wallnussgrossen Früchten = >oder unter den unzähligen wilden Stiefmütterchen ein solches >mit zwei Zoll grosser Blüthe, da eine grosse Frucht als an- »sehnlichere Lockspeise für die Verbreitung der Samen günstig »ist, eine grosse Blüthe als Anziehungsmittel für befruchtende laden wohl ein Motiv für die natürliche Zuchtwahl darbieten »möchte. « Für diese und ähnliche Fragen gilt ec was ich am . Schlusse meines Aufsatzes über »die Milchdrüsen« *) gesagt habe, doch will ich mich über diese Frage vom zoologischen Standpunkt aus äussern: auf meinen Geschmack übt die kleine aromatische Walderdbeere eine viel intensivere Anziehung aus, als die faden wässerigen Riesenerdbeeren unserer Kunstgärtner, und wenn die Schnecken, die hauptsächlichsten Verzehrer der Walderdbeeren, derselben Ansicht sind, so wird es in der äussern Natur an jedem züchtenden Motiv für eine solche wassersüchtige Frucht ‘fehlen. Was das Stiefmütterchen betrifft, so könnte Wigand diese Behauptung nur dann machen, wenn. unsere grossen künstlichen Stiefmütterchen von den Insekten fleissiger besucht ‚Würden, als die wilden. Da diess thatsächlich nicht der Fall ist, wovon sich jeder in seinem Garten überzeugen kann, und da auch die wilden Stiefmütterehen nach Herm. Müllers An- fehlt eben auch hier in der Natur der aape ausi und damit bleibt die Abänderung aus. x Der Unterschied zwischen natürlicher und künstlicher Zucht- wahl besteht mit Bezug auf die durch sie hervorgebrachten Ab- änderungen in folgendem: die Culturrassen sind Anpassungen an -die Culturbedürfnisse und Gulturbedingungen, die Naturrassen Solche an die Bedürfnisse und Bedingungen der Natur. Die ersteren unterscheiden ‚sich von den Naturbedürfnissen ganz klar. In der Natur ist der Züchtungszweck einzig und allein die *) Ausland 1874. pag. 638. =) H. Müller, Die Befruchtung der Blumen durch Insekten, pag. 145. Jaeger, In Sachen’ Darwin’s. 3 Sm ur — -~ mm“ — - ee ES a S a Ze 34 Die Variabilität. Selbsterhaltung des Individuums und die Erhaltung der Art, oder anders gesagt, die Selbsterhaltungsfähigkeit und Selb- ständigkeit, d. h. Unabhängigkeit. In der Cultur ist der Züch- tungszweck ein ausserhalb des gezüchteten Thiers liegender, nämlich. der Vortheil des Menschen; statt dass er der Art Selbständigkeit anzüchtet, macht er sie zum Sklaven, er züchtet Eigenschaften, welche nur dem Menschen Vortheil bringen, der Art aber Nachtheil bezüglich ihrer Selbst- erhaltungsfähigkeit. Er thut diess dadurch, dass er der Art die Sorge für die Selbsterhaltung abnimmt, damit ist sie Sklave des Menschen geworden, der ohne dessen erhaltende Thätigkeit entweder zu Grunde geht oder die in der Cultur er- worbenen Sklavencharaktere aufgeben und gegen die der freien »auf eigene Füsse« gestellten Arten eintatıschen muss. Der Unterschied in Bezug auf die Bedingungen besteht hauptsächlich darin: Bei der künstlichen Züchtung schützt der Mensch den Züchtling vor den grossen Schwankungen, welche die natürlichen Bedingungen aufweisen: vor Wärme- und Kälteextremen, vor zu grossen Feuchtigkeitsschwankungen, vor grossen Differenzen in der Arbeitsleistung der Sinne sowohl als des Bewegungsapparats, vor erheblichen Schwankungen in der Nahrungsmenge etc. Das Resultat dieses Schutzes ist mit dem einzigen Wort »Verweich- lichung« hinreichend gekennzeichnet , während die natürliche Züchtung die »Abhärtung« anstrebt. Ein weiterer Unterschied zwischen Natur- und Culturrassen ist folgender. Wir können im Leben eines Thieres zwei Perioden unterscheiden: die passive oder rein vegetative, während welcher ihm die Nahrung von selbst zufliesst und die Gefahren von ihm abgehalten werden, und die aktive, während welcher es sich seine Nahrung erwerben und erkämpfen, vor Gefahren sich selbst bewahren muss. Bei Thieren ohne Jungenpflege "werden diese beiden Perioden durch den Geburtsakt geschieden, bei solchen mit Jungenpflege dauert die erstere, wenn auch etwas abgeschwächt, fort: beim Säugethier bis zum Ende der Säuge- zeit, beim Vogel bis zum Ende der Aezzeit oder der Führung bei den Nestflüchtern. Zwischen den Bedingungen der Cultur ar und denen der Natur besteht nun ein ähnlicher Gegensatz, wie zwischen den Bedingungen der passiven und aktiven Lebens- periode: das Culturthier geniesst von Seite des Menschen eine Pflege, welche in manchem Stück die Jungenpflege ersetzt, durch sein ganzes Leben, und der Ernst des letzteren tritt nie so voll an dasselbe heran, wie an das wilde Thier. Diese Differenz der Bedingungen bringt zwischen Culturthier und Naturthier einen -ähnlichen psychologischen, physiologischen und morphologischen Unterschied hervor, wie er zwischen jungen und erwachsenen Thieren besteht. ‚Halten wir nun gegeneinander: das Culturthier ist ‚verweich- licht, juvenil, das Naturthier abgehärtet und gereift im Kampf ums Dasein, so liegen die Ursachen für die Bildsamkeits- unterschiede zwischen beiden klar zu Tage. Hiezu kommt noch folgendes. Wie ich pag. 12 auseinandergesetzt habe, steht die Constanz einer Form in geradem Verhältniss zur Dauer ihrer Züchtung, und zur Strenge, mit welcher sie gezüchtet worden ist, In beiden Beziehungen unterscheiden sich die natürliche und die künstliche Züchtung zwar nicht prinzipiell, aber himmel- weit. Bei sehr vielen Culturrassen können wir nur von De- tennien ‚sprechen, bei den N aturarten von Jahrtausenden, und die Launigkeit und Neuerungssucht der menschlichen Züchtung macht es unmöglich, dass irgend eine Rasse zur Ruhe, d.: h. zur Constanz kommt, und daher die excessive Variabilität. _ Wenn Wigand sagt: dass Culturvarietäten unfähig seien, als Anfänge der Bildung von Arten zu dienen, so kann man ihm diess, gestützt auf obiges, allenfalls recht gut — wenigstens für die meisten — zugeben. Wenn er aber sagt, dass irgend welche Analogieschlüsse von der Variabilität in der Domestication auf die in der freien Natur ‚unzulässig seien, so ist das total falsch: daraus, dass die Produkte der natürlichen Züchtung an- dere sind, als die der künstlichen, folgt durchaus nicht, dass. die von beiden angewandten Mittel prinzipiell verschieden sind, Sondern es handelt sich nur um eine andere Constellation, andere Intensitäten und um andere Anwendungszeiten der gleichen Mittel. Allgemein gesagt: die Verschiedenheiten in der Variabi- Š ER 36 Die Variabilität. ra lität zwischen Culturorganismen und Naturorganismen findet ihre volle Erklärung durch die verschiedene Anwendung, welche die gleichen Züchtungsmittel in den beiden Fällen rn er- fahren müssen. Wigand geht weiter auf die Qualität der Bisher ein und meint, nur morphologische Abänderungen wären allen- falls im Stande, als Artbildungsmaterial zu dienen, nie aber chemische, anatomische etc., und zwar desshalb, weil »alle syste- »matischen Charaktere wesentlich morphologischer Natur sind.« Zunächst die Nebenbemerkung, dass die Unterscheidung zwischen anatomischen und morphologischen Abänderungen an und für sich höchst unklar ist; doch bescheiden wir uns, mit Wigand unter letzteren Abänderungen der Gestaltungsverhältnisse zu ver- stehen. Er unterscheidet 1) Monstrositäten. Hier ist fol- gendes interessant: Er sagt, die meisten Monstrositäten gehören der rückschreitenden Metamorphose an und »diese können dess- »halb. nicht als beginnende systematische Typen betrachtet »werden, weil sie einer Richtung folgen, derjenigen entgegen- »gesetzt, welche die Natur bei der Hervorbringung des Reichs »der Organismen einzuschlagen hat, nämlich aufsteigend vom »Niederen zum Höheren, vom Einfachen zum Zusammenge- »setzten etc.« Zehn Zeilen nach -dieser Behauptung schlägt ihn das Gewissen, »dass allerdings Fälle vorkommen, in denen _ »systematische Charaktere eine gewisse Analogie mit Fällen der »rückschreitenden Metamorphose zeigen.« Wie kommt er nun aus der Klemme? Durch folgende. Behauptung: »diese Charak- »tere lassen sich jedenfalls ebensogut als Stufen einer fortschrei- »tenden als einer rückschreitenden Bewegung, z. B. der sterile »Staubfaden ebensogut als »ein noch nicht vollkommen ausgehil- »deter, wie als ein von einer »früheren Vollkommenheit herab- »gesunkener Staubfaden auffassen.« Allerdings gibt es solche zwei- felhafte Fälle! aber die Entwicklungsgeschichte des Individuums gibt in hunderten von Fällen die genaueste Auskunft — we- nigstens im Thierreich — dass die endliche Gestalt eines ganzen Thieres, oder eines Organes das Produkt einer rückschreiten- den Metamorphose ist (Grustaceen, Insekten, Helminthen etec.). m ———— —— — Die Variabilität. E. 37 Von -den Monstrositäten, welche keinen Rückschritt be- gründen, also z. B. plötzlich auftretende Pelorie der Blüthen, Aenderung der Zahl der Blüthenwirtelglieder etc. meint er: 1) können sie nur gelten, wenn -sie vollkommen erblich seien, was doch selbstverständlich ist. 2) Da sie nur ein Merkmal, nicht aber, was zur Spezies gehöre, eine ganze Combination von Merkmalen bilden, so taugen auch sie nichts zur Artbildung. Gegen letzteres ist zu sagen: die Artbildung kann recht wohl in der Weise erfolgen, dass nicht alle Charaktere gleichzeitig, . Sondern gewissermassen einer nach dem andern erworben wird, letztere entweder consecutiv, das heisst. herbeigeführt durch . die Primäre Abänderung, oder spontan. 3) Meint er: auch diese Fälle zugegeben, so sei »durch das Hereinziehen dieser Sorte »von Abänderungen ein wesentlich neues Prinzip aufgestellt, »welches von der der eigentlichen Darwinschen Lehre zu Grunde »liegenden allmähligen Summirung kleiner individueller Varia- »tionen. durchaus verschieden sei.« Warum? Das Wesentliche der Selektionslehre ist das Ueberleben des Passendsten infolge der Auswahl durch den Kampf ums Dasein. Die Lehre von der Summirung der Variation ist erst eine weitere Folge von obigem Prinzip. Das Selektionsprinzip spricht aus, dass ‚eine nützliche Variation ergriffen und aufbewahrt wird, und an diesem Prinzip wird nichts geändert, ob diess einmal oder mehrmals nach ein- ander in der gleichen Richtung. geschieht, wodurch die Summi- rung hervorgebracht wird. ~ Wenn Wigand nur diejenige Sorte von morphologischen Varietäten als der Besprechung werth gelten lässt, bei denen der - ganze Habitus, d. h. viele Merkmale zugleich variiren, so kann man ihm hiebei nicht zustimmen. Nach meiner Anschau- ung ist jederlei Variation im Stande, den Ausgangspunkt neuer ‘ Formen zu bilden, wenn sie nur zweierlei Bedingungen erhält, 1) erblich ist und 2) entweder nützlich oder — mit Bezug auf die consecutiven Merkmale — nicht schädlich ist. Ueber eine an vielen Stellen immer wieder auftauchende Behauptung Wigands können wir kurz hinweggehen,, nämlich die, »es sej eine wesentliche Voraussetzung der Selektionstheorie, 38 Die Variabilität. »dass sich die Variabilität innerhalb einer Art vollkommen »planlos, richtungslos und unbestimmt Ääussere.« Der Kern der Selektionslehre ist das Prinzip, das Darwin »die Aus- wahl« genannt hat, und dieses bleibt gänzlich unberührt, ob die Zahl der Varietäten, unter welchen die züchtenden Faktoren auswählen , eine kleine oder eine grosse oder “ eine unendlich grosse ist, da bekanntlich schon die Ent- scheidung zwischen zwei Möglichkeiten eine Auswahl ist. Die Beschränktheit der Variation auf bestimmte Richtungen hindert allerdings die Divergenz in beliebig viele Formen, allein die Entscheidung, welche dieser Richtungen definitiv eingeschlagen und zur Artdifferenz erhoben wird, ist und bleibt Sache der Selektion — und mehr hat kein Transmutist von ihr behauptet. Somit ist es — für diesen Zweck — rein leeres Stroh gedroschen, wenn sich Wigand auf pag. 405 die Mühe gibt, an der Neri- tina virginea ausführlich nachzuweisen, dass die Variation keine richtungslose ist. Natürlich ist auch die Wigand’ sche Behauptung hinfällig, »die Selektionstheorie entbehre der thatsächlichen Basis, »weil die Variation innerhalb der Art nur innerhalb bestimmter »Richtungen erfolge.« Derselbe Irrthum beherrscht auch zum Theil den folgenden Abschnitt. Kein Darwinianer hat behauptet, dass die Variation einer Art nach jeder beliebigen Richtung und bis zu jedem be- liebigen Masse möglich sei. Was will überhaupt der Trans- mutist? Die in der Natur faktisch vorkommenden Formen- differenzen erklären. Da nun die thatsächlich vorkommenden Arten, z.B. einer Gattung oder einer Familie, weit entfernt da- von sind, alle innerhalb der Gattung denkbaren Modifikationen zu erschöpfen, so kann es ihm auch nicht einfallen, der Variabilität alles Denkbare unterzuschieben. Der zweite Punkt, dass eine und dieselbe Abänderung sich über ein gewisses Mass hinaus nicht steigern lasse, also dass man z. B., wie Wigand meint, die Stachelbeeren trotz allem niemals `əbis zur Grösse eines Riesenkürbis« bringen werde, erfordert eine nähere Besprechung. Es leuchtet wohl in erster Linie jedem Kind ein, dass ein Stachelbeerzweig eine Frucht von dem Ge- Die Variabilität. .”39 wicht eines Riesenkürbis gar nicht zu tragen vermöchte; sollte das möglich sein, so müsste die Stachelbeere aus einem Strauch entweder ein Baum werden oder gleich dem Kürbis eine krie- chende Pflanze mit krautig weichem Stengel, welche ihre Früchte auf den Boden legt oder wie an einem Strick aufhängt. In zweiter Linie müssten die Saftgefässe, die zu der Frucht führen, im Stande sein, die zu solchem Wachsthum erforderliche Nah- rungsquantität zu liefern, und dabei kommt es auf die Zahl und Weite der Röhren an, kurz auf. Strukturverhältnisse, deren Be- urtheilung und desshalb systematische ‚Benützung dem einfachen Kunstgärtner nicht möglich ist. Für die gewöhnliche Bewurz- lung, den gewöhnlichen Saftgefässbau etc. mag- die in England für die Stachelbeere erreichte Grösse von 5 Loth allerdings die äusserste Gränze sein. Damit ist aber nicht gesagt, dass diese nicht bedeutend übertroffen werden könnte, sobald man zunächst eine möglichste Verstärkung der vegetativen Organe der Pflanze anstrebte und erst diese jetzt unter jene Bedingungen bringt, “unter welchen den Generationsorganen ein ‚möglichster Prozent- satz der assimilirten Nahrung zukommt, also nach dem Grund- satz eines Hundezüchters vorgeht, der, um grosse Hunde zu er- ziehen, nicht gerade nach der grössten Hündin greift, sondern nach’der gefrässigsten. Fassen wir die Sache allgemein. Jede existirende Art ist eine gegebene Basis, von der aus nicht alles beliebige weder nach Qualität noch nach Quantität gemacht werden kann, und zwar einfach desshalb, weil die - Theile eines Individuums in engen Beziehungen zu einander stehen. Man kann allerdings z. B. einen bestimmten Körper- theil vergrössern, allein nur auf Kosten der andern, wovon später näher gesprochen werden soll, und dann kommt ein Punkt, wo die andern Theile gewissermassen auch ein Wort einzulegen haben, weil ihre Leistungsfähigkeit für das Ganze beeinträchtigt wird, z. B. wenn man beim Schwein in dem Uebergewicht des Rumpfes über die Gliedmassen so weit geht, dass die Füsse den Rumpf nicht mehr tragen können. Will man jetzt im Rumpfgewicht weiter gehen, so muss von dieser einseitigen Vergrösserung abgegangen und zunächst eine to- ri SF 7 ne ee en U EEE EN RE RT ee mar . 40 Die Variabilität. tale Vergrösserung des Thiers, das heisst eine gleichmässige Vergrösserung aller Theile angestrebt werden. Ein weiterer, höchst wichtiger Punkt, in welchem die Ab- änderung beschränkt ist, ist folgender. Die Zuchtwahl, natür- liche wie künstliche, kann erst dann einen Einfluss auf die morphologischen Verhältnisse eines Thiers gewinnen, wenn dasselbe geboren ist. Sie kann mithin auf alle Gestaltungs- prozesse, die-während des Eilebens sich abwickeln, gar keinen oder einen nur sehr entfernten, unbedeutenden Einfluss nehmen. In dem Zeitpunkt, -in welchem das Individuum ihren Händen übergeben wird, besteht dieses mithin aus bestimmten Theilen, die in bestimmter Weise zu einander gelagert und in bestimmter Weise funktionell von einander abhängig sind. Daran kann nicht mehr viel geändert werden. Alle Aenderungen sind jetzt nur noch Variationen des im Geburtsmoment gegebenen Grundthemas. Daraus erhellt zunächst, dass die Zuchtwahl nach oben wie nach unten beschränkt ist. Weitere Consequenzen hieraus sind später zu ziehen. Die Frage ist nun, ob durch diese RNIT die Trans- mutationslehre ihren Boden verloren hat. Gewiss nicht! Trans- mutation bleibt Transmutation, ob sie beschränkt ist oder nicht. Unbeschränkte Transmutation hat niemand behauptet, und der Zustand der organischen Welt braucht sie auch nicht zu seiner Erklärung. Es genügt einfach die Annahme, dass sich im Lauf der Zeit die Spezies zur Gattung erweitert, die Gattung zur Fa- milie etc., worauf wir später noch ausführlich zurückkommen, weil Wigand die Möglichkeit dieses Prozesses bestreitet. Was stellt nun Wigand den thatsächlichen Umwandlungen, die man an Culturarten bewirkt hat, und die er nun einmal nicht läugnen kann, wären sie auch noch so sehr beschränkt, entgegen, um die Lehre zu bekämpfen? Einfach die Behaup- tung, dass die Umwandlungen nicht weiter gehen, als sie gegangen sind, und dass sie wieder rückgängig ge- macht werden; sie seien die höchsten Ausschwingungspunkte eines Pendels, der wieder in seine Ruhelage zurückschwingen werde, oder die Variabilität sei nicht unbegränzte Dehnbarkeit, Die Variabilität: roo oOo sondern Elastizität und was dergleichen Bilder mehr sind. Nach einem Beweis für diese Behauptung sucht man zunächst ver- geblich, oder hält vielleicht Wigand diese Bilder für Beweise? Im folgenden sucht unser Autor die Selektionslehre dadurch zu untergraben, dass er sagt, der in der Darwin’schen Lehre als haare Münze eirkulirende Begriff Variabilität sei selbst etwas ganz Unerklärbares, also ein Räthsel, ein Fragezeichen. Die Selektionstheorie operire demnach mit lauter Räthseln und »die >Summe unendlich vieler, unendlich kleiner Räthsel gebe noch »keine Lösung des Gesammträthsels,« »eine Häufung von noch so >verschwindend kleinen Fragezeichen bilde niemals eine Antwort.« Hier möchte ich Hrn. Wigand fragen, ob es irgend eine wissen- Schaftliche Theorie gibt, an deren Ende nicht etwas Unerklärtes, . Räthselhaftes steht. Ist denn die Schwerkraft etwas Erklärtes, ist der Aether des Physikers, das Atom des Chemikers nicht. etwas Räthselhaftes? und somit z. B. jede Formel eines Che- Mikers eine Summe von unendlich kleinen Fragezeichen? Warum hat denn der Chemiker seine Atomentheorie gemacht? weil durch die von’ Wigand dem Darwinismus zum Vorwurf ge- machte »Auflösung in die kleinsten Elemente« eine Sache ver- Ständlich wird, während sie es ohne das nicht ist. Was dem Chemiker das Atom ist, das ist dem Biologen die fast un- Merklich kleine individuelle Abänderung; beide gestatten eine Rechnung, Messung und graphische Darstellung, und wenn man einen Stammbaum des Thierreichs entwirft, der aus lauter Frag- zeichen zusammengesetzt ist, so ist damit doch eine greifbare Figur geschaffen, eine bestimmte Antwort gegeben. Ueberhaupt, wenn ein Naturforscher vergisst, dass jeder Fortschritt in der Erfor ‘schung der Natur nur ein gradweiser ist und in letzter In- Stanz alle Materie, alle Kräfte und alle Erscheinungen, mit denen Wir operiren, selbst wieder Räthsel sind, dann ist er noch nicht bis zu jener Stufe der Weisheit vorgeschritten, von der Sokrates Sagt: „Nur der ist weise, der weiss, dass er nichts weiss.« Uehrigens die Sache ist eben die, dass Wigand es weiss, denn pag. 64 sagt er: »wir wissen vor allem, dass die Abände- rungen gesetzmässige Wirkungen und Aeusserungen eines Ya . ei un s x s U Tin nr a — 5 You vn a 49 i Fixirung der Abänderungen. „bereits in der ersten Stammform ängelegten Planes sind.« Wigand hat offenbar kein Gefühl dafür, 1) wie nichtssagend das Wort »Plan« ist, und 2) welches Armuthzeugniss für den menschlichen Geist und welches Hinderniss für die exacte For- schung es ist, wenn man das, was erklärt werden soll, dadurch zu erklären vermeint, dass man es zu dem Wort »Plan« ver- diehtet und als prädestinirtes Geschick der ersten Stammform in die Wiege mitgibt. Das ‚ist wissenschaftlicher Muhameda- nismus. Wenn wir heute eine Locomotive ansehen, so macht sie allerdings auch den Eindruck, als seie sie nach einem ganz be- stimmten uranfänglichen Plan allmählig so geworden und doch weist die Geschichte nach, dass sie das Produkt einer ganzen Summe von vereinzelten, in gewisser Beziehung zufälligen Ent- deckungen und Erfindungen ist und dass eine Masse von indi- viduellen Locomotiv-Variationen auf dem Wege der Auswahl beseitigt werden mussten, ehe die Locomotive zu dieser wunder- baren Maschine der Gegenwart heranwuchs. Ich erinnere be- züglich des ersteren Punktes nur daran, dass die Selbststeuerung der Dampfhahnen die Erfindung des die Maschine bewachenden Knaben Potter war, dem es zu langweilig wurde, die Hahnen selbst auf- und zuzumachen, und der sie desshalb durch einen Strick mit der Kurbel verband. Il. Die Fixirung der Abänderungen durch. Vererbung. Dieses Capitel beginnt Wigand mit einer wie absichtlich ‚aussehenden Täuschung des uneingeweihten Lesers. Bei obiger Frage handelt es sich natürlich in erster Linie darum, ob eine individuelle Variation auch auf die Nachkommen übergehen kann. Fixirung der Abänderungen. 43 Dass diess der Fall ist, wird durch zahlreiche Beispiele aus der Literatur in Darwins und seiner Nachfolger Schriften darge- than. Wigand läugnet das auch nicht, sondern sagt: »die > Aufzählung zahlreicher Beispiele von einer »Stachelschwein- »familie,« von bis in die 4. Generation erblichen überzähligen Fingern ‚oder einer andersgefärbten Haarlocke, selbst von ver-. »erbten Verstümmlungen, steht mit der Theorie in gar ` keiner »Beziehung. Für den vorliegenden Zweck sind derartige Bei- »spiele sogar ganz ungeeignet, indem sie das gerade Gegentheil »von dem beweisen, was bewiesen werden soll, nämlich dass »die neu auftretenden Eigenthümlichkeiten nicht vollkommen »erblich sind, sondern schon nach wenigen Generationen 'er- »löschen.« ut | | Die erste Täuschung besteht‘ darin, dass Wigand ver- Schweigt, es handle sich in allen diesen Fällen um Vererbung | trotz stets stattfindender Kreuzung mit nicht abgeänderten Individuen, ein Umstand, den Darwin selbst (siehe oben pag. 29) für geeignet hält, das Aufkommen einer Variation definitiv zu, verhindern. Die zweite Täuschung besteht darin, dass er die Fälle, bei welchen die Inzucht unter den Abgeänderten zu einer förmlichen Rassebildung geführt hat (hörnerlose Rinder, Mauchamp-Schafe, die Southdown-Schafe ete.) dem Leser verschweigt. Was die Darwinische Lehre behauptet, ist: y neue auftretende Eigenthümlichkeiten werden häufig vererbt — da- gegen hat Wigand selbst nichts, denn er sagt pag. 68, »das sei ohnehin notorisch.« 2) Zur Fixirung gehört, dass die Kreu- zung mit nicht abgeänderten Individuen möglichst verhindert wird, so dass schliesslich Inzucht zwischen den Trägern der neuen Eigenthümlichkeit eintritt. 3) Diese Bedingung wird er- füllt durch die natürliche Zuchtwahl, wenn der neue Charakter nützlich ist, indem dann die nicht abgeänderten Individuen in ihrem Personalstand mehr geschädigt werden, als die abgeän- derten, so dass die ersteren schliesslich der Coneurrenz der letzteren erliegen. i Wenn also die Transmutisten von einem Fixirtwerden durch RE H $ 34 E 13 E E E Ad Fixirung der Abänderungen. Vererbung sprechen, so ist diess nicht so zu verstehen, dass die Vererbung für sich allein diese Fixirung zu Stand bringe. Wigand unterschiebt ihnen aber das und bemüht sich nun, auf pag: 70 und folgenden darzuthun, dass diess nicht möglich sei, wobei er sich also gänzlich umsonst abmüht. Doch soll ein Punkt aus diesen Deductionen Wigands ausgehoben werden: er behauptet, wenn eine Spezies die Neigung habe, so zu vari- iren, dass Stammform und Varietät etwa in einem Verhältniss von 2:1 oder 1:1 Million auftreten, so bleibe dieses Verhält- niss-in Ewigkeit dasselbe, und daran könne selbst die Ausmerzung durch die Selektion nichts ändern, »unter keinen »Umständen könne von einer Steigerung der Vererbungsfähigkeit »gesprochen werden.« Dagegen ist folgendes einzuwenden: Einmal ist die Behauptung, dass die Neigung zu varüren im Laufe der Generationen unveränderlich dieselbe, und zwar mathematisch dieselbe bleibe, eine von jenen Behauptungen Wigands, für die er keinen Beweis bringt, sondern die nur aprioristische Ableitungen aus seinem Constanzprinzip sind. Fürs zweite ist es überhaupt eine ungerechtfertigte Genera- lisation, das, was man an einem relativ winzigen Bruchtheil von Individuen beobachtet, immer ohne weiteres von der Spezies im Ganzen auszusagen, da die tägliche Beobachtung zeigt, dass in Bezug auf Variationsneigung und Vererbungsfähigkeit die grössten individuellen Differenzen vorkommen. Wenn innerhalb einer Spezies das eine Individuum constant eine sehr gleichartige Nachkommenschaft, das andere constant eine sehr unegale liefert, wie kann man da die Behauptung aufstellen, die gesammte Spezies besitze eine mathematisch bestimmbare, sich stets gleich bleibende Variationsfähigkeit! Fürs dritte ist in obiger Behauptung Wigands die Vor- - aussetzung gemacht, däss es Ursachen gebe ohne Wirkungen,- oder besser gesagt, dass einer Veränderung der Ursachen keine adäquate Veränderung in den Wirkungen entspreche. Die Sache liegt nämlich folgendermassen: | Geben wir zunächst zu, eine Spezies habe die Neigung, fort und fort in zwei bestimmten Variationen A und B aufzutreten, ~ er ge a S ne Fixirung der Abänderungen. i 45 und zwar so, dass diese Varietäten innerhalb eines Wurfes stets in einem bestimmten Zahlenverhältniss, z. B. wie 2: 1 vorhan- den seien. Wenn von diesen Varietäten keine einen Vortheil im Kampf ums Dasein repräsentirt, also die natürliche Zuchtwahl beiderlei Individuen gleich lang am Leben erhält, so würden wir auf zwei gemischte Ehen von A und B eine Ehe von A mit A haben. Gesetzt nun, Wigan d hätte Recht, dass in diesem Falle das Verhältniss der Varietäten A und B stets = 2:1 bleibe, so könnten wir das mathematisch so formuliren, 2AB + AA = 2 (2 A+B). Gesetzt den Fall, die eine dieser Varietäten, z. B. A, sei lebensunfähiger, d. h. der Ausmerzung durch die natürliche Zuchtwahl unterworfen, und zwar so, dass nur die Hälfte der Individuen dieser Art zur Fortpflanzung ge- lange, so wäre der mathematische Ausdruck für die Ehen ent- weder A B + AB, d. h. zwei Kreuzehen oder AA + BB, d.h. zwei Harmonieehen. Wenn nun jemand behauptet, dass auch in diesem Fall die Nachkommenschaft = 2 . (2 A -+ B) sei, so behauptet er, das Hinzutreten einer neuen Ursache sei ohne Einfluss auf die Wirkung, oder die Aenderung der Faktoren einer Rechnung sei ohne Einfluss auf das Produkt. Der Behauptung, es könne von einer Steigerung der Ver- erbungsfähigkeit keine Rede sein, stelle ich noch folgendes ge- genüber. Wie uns die Thierzucht aufs klarste lehrt, ist die Vererbungsfähigkeit den grössten individuellen Schwankungen unterworfen, und keineswegs eine allen Individuen einer Spezies oder Rasse in gleichem Masse inhärente Eigenschaft. Die Thier- zucht spricht desshalb von Individuen mit mächtigem Blute und von solchen mit schwachem Blut. Die Steigerung der Ver- erbungsfähigkeit im Laufe der Generationen ist nun einfach auf die natürliche Zuchtwahl zurückzuführen. Sobald die Eigenschaft, ' um deren Fixirung durch Vererbung es sich handelt, eine nütz- liche ist, so wird die natürliche Zuchtwahl 1) diejenigen Indivi- duen, die sie nicht erben, allmählig ausmerzen, 2) unter den übrig bleibenden mit der fraglichen Eigenschaft ausgerüsteten Individuen tritt eine weitere, allerdings indirekte Auswahl ein, indem diejenigen, welche vererbungsfähiger sind, d. h. die frag- 46 Fixirung der Abänderungen. liche Eigenschaft vollkommener, d. h. auf möglichst viele ihrer Kinder und in möglichst genauer Weise übertragen, eine zahl- reichere Descendenz produziren als die anderen, und so kommt es zuletzt dahin, dassnur diejenigen übrig bleiben, welche das »kräftigste Blut« haben. Also sobald eine individuelle Variabilität in Bezug auf Ver- erbungsfähigkeit anerkannt wird, sobald weiter anerkannt wird, dass Inzucht der Varietät für die Erhaltung der Abänderung derselben günstig, Kreuzung mit anderen ihrer Erhaltung nach- theilig ist, so bedarf es nur des Eingreifens der Zuchtwahl, um die Gesammtvererbungsfähig- keit zu steigern. | Auf pag. 74 sagt Wigand: »man pflege sich die. all- »mählige Fixirung einer Abänderung mittelst der Zuchtwahl so »vorzustellen, als ob die Natur des Organismus sich mit der »Zeit an die Abänderung gewöhne.« Ich will es ganz un- -entschieden lassen, ob diese Vorstellung eine gute ist oder nicht, wenn aber Wigand sagt, »Gewöhnung sei an sich kein natur- »wissenschaftlicher Begriff,« so muss dagegen energische Ein- sprache erhoben werden. Bei einem Botaniker — Wigand .. ist das — ist es allenfalls verzeihlich, wenn er über die mit diesem Wort bezeichneten Thatsachen noch nicht ernstlich nach- gedacht hat, allein ein Pädagoge und ein Thierzüchter werden denn doch wohl gewaltig protestiren, wenn man behaupten wollte, dass Gewöhnung nichts Reelles sei. Geradezu grotesk ist aber Wigands Ausspruch: »man würde sich diese Ge- »wöhnung "etwa so denken können, wie ein aufrecht gestellter, »aber hin und her neigender Stab durch fortwährende Verhinde- »rung am Umfallen sich immer mehr der senkrechten Gleich- »gewichtslage nähert, wodurch die Neigung, umzufallen, immer »schwächer wird, je kleiner der Neigungswinkel gegen die Ver- »tikale ist.« TR Hat denn Wigand keine Ahnung davon, dass die nur dem lebendigen Organismus zukommende Reaktionsfähigkeit und Regulationsfähigkeit (siehe oben pag. 19) einen totalen Ge- gensatz zwischen ihm und leblosen Dingen schafft? Dem unein- Fixirung der Abänderungen. R a geweihten Theil der Leser will ich dikaon Gegensatz mit einem einzigen Beispiel klar machen: Wenn man einen Wassertropfen continuirlich a dieselbe Stelle eines Steines fallen lässt, so entsteht ein Loch; lässt man ihn auf eine Stelle eines Thierkörpers fallen, so entsteht ‚eine Geschwulst. Wie kann man bei dem Wort »Gewöh- 'nung« an einen Vergleich aus der unorganischen Natur denken! Hier sind auch die Anschauungen von Settegast, auf die sich Wigand beruft, einer Besprechung zu unterziehen. -Settegast bestreitet, dass die Vererbungskraft mit der Zeit ‘sich potenziren solle. Dass diess bei den Hausthieren so ist, kann einem Fachmann, wie Settegast, nicht bestritten werden. Allein wie kommt Wigand dazu, sich auf die Haus- thiere zu berufen, .da er pag. 47 Domestication und Naturzu- stand »für so ‘disparate Gebiete erklärt, dass irgend welche _ >Analogieschlüsse von dem ersteren auf das letztere durchaus un- »zulässig sind?« Wigand macht es eben so wie alle, die in eine aprioristische Anschauung verbissen sind: was ihnen in den Kram passt, wird genommen, mag es einem Gebiet ange- hören, welchem es will (wie wir oben sahen, sogar aus dem un- Organischen Gebiet), was aber nicht pagdbs von dem heisst es: das gilt nicht! Doch zur Sache! Der akii s ettegasts het durch- aus nichts Unerwartetes an sich. Aus dem, was ich oben (pag. 34) über die Differenz zwischen Culturthier und Naturthier gesagt habe, ist ganz einleuchtend, . dass das erstere nie jenen Constanzgrad erreichen kann, wie das letztere. -Kein Thier- züchter wird einen Augenblick darüber im Zweifel sein, wo er »kräftiges Blut,« d. h. grosse Vererbungsfähigkeit suchen soll, ob bei einem kräftigen, abgehärteten , temperamentösen, stram- men, vollausgereiften Thiere, oder bei einem schlaffen, verweich- lichten, trägen, in allen seinen Energien herabgestimmten, eigent- - lich noch kindlichen Thiere? Und das ist nach dem obigen der Unterschied zwischen einem Naturthier und einem Culturthier. Also steht die Sache so: die Domestication strebt an und für sich eine Verminderung der Vererbungsfähigkeit an 48 Fixirung.der Abänderungen. und die Gegenmassregeln, welche die 'Thierzüchter ergreifen, reichen eben nicht weiter als zur Verhinderung dieser Annahme, nicht aber zur Steigerung der Vererbungsfähigkeit. Auf denselben Conto ist die Leichtigkeit des Ausartens der Culturformen zu setzen. Einem verweichlichten, kindlichen, ein- seitig gezüchteten Organismus fehlt es an jenem inneren, festen, morphologischen und physiologischen Zusammenhalt, der ab- ändernde Einflüsse zurückweist. Für jene spezielle Form des Ausartens unserer Gulturformen, die wir deh Rückschla g auf die wilde Form nennen, kommen auch noch andere Momente in Betracht. Bei den meisten Culturformen handelt es sich um eine eins eitige Entwicklung entweder bestimmter ° Körpertheile und Organe oder bestimmter Thätigkeiten etc., und zwar auf Kosten der übrigen. An einem Beispiel wird sich diess klar machen lassen. Bei unserem Schlachtvieh haben wir ex- cessive Fett- und Fleischbildung gezüchtet. Diess konnte nur geschehen 1) auf Kosten des Temperaments, d. h. der Reizlei- tungsfähigkeit und Reizbarkeit von Muskel- und Nervenapparaten, 2) auf Kosten der Athmungsfähigkeit, 3) wahrscheinlich auch (Messungen liegen hierüber keine vor) auf Kosten der Energien und gewisser morphologischer Verhältnisse des Kreislaufapparates. (z.B. Erweiterung vongewissen Gefässprovinzen aufKosten anderer), 4) auf Kosten der Knochenbildung, die Knochen des Schlacht- viehs sind theils wirklich kleiner (Gliedmassen und Gesichtsknochen), theils weniger schwer und kompakt, als die der entsprechenden wilden Individuen. s Uebergeben wir nun ein solches Thier dem Kampf der freien Natur, so werden gerade an diejenigen Or- gane, welche bei obiger Züchtung beeinträchtigt wurden, an Athmungs-, Kreislauf- und Nervenorgane höhere Anfor- derungen gestellt und desshalb ein stärkerer Gebrauch |à derselben eingeleitet. Die interessanten Versuche von R ank e*) | haben dargethan, dass erhöhter Gebrauch eines Körpertheiles *) Ranke, Die Blutvertheilung und der Thätigkeitswechsel der Organe. Leipzig 1871. k 7 Fr d R Fixirung der Abänderungen. 49 eine Veränderung der Blutvertheilung in folgender Weise herbei- führt: Im arbeitenden Theile steigt die Blutmenge (gegenüber | = dem Ruhezustand) bis auf 80% und in entsprechendem Masse | sinkt sie in den ruhenden. Die Folge ist mit der Zeit eine dauernde Erweiterung der Gefässbahnen in den gebrauchten, | ee EUER, eine dauernde Verengerung in den unthätigen Theilen. Damit] ist nothwendig verbunden eine reichlichere Ernährung der ersteren ‚und eine spärliche der letzteren, “und als Folge hievon Massen- zunahme der ersteren und Schwund der letzteren. Analysiren wir nun den obigen Fall weiter. Das erste, was , inter den neuen Verhältnissen schwindet, ist derjenige Gewebs- 2 bestandtheil, welcher aus der Unthätigkeit der sich bewegenden Apparate den grössten Nutzen gezogen hat: das Zellgewebe mit _ dem darin abgelagerten Fett. Die erste Wirkung der natürlichen Trainirung ist der Schwund des Fettes im interstitiellen Binde- - gewebe. Etwas eomplizirter ist die Sache beim Muskelfleisch. Während der Arbeit steigt Athmungs- und Pulsfrequenz, das Blut fliesst rascher und ist sauerstoffreicher, und so fallen die leichtoxydablen Theile des Körpers — und das ist das Fett, wo es auch sei — ihm zum Opfer. Das Muskelfleisch, das bei einem Mastthier sehr viel fein vertheiltes Fett in und zwischen den Muskelfasern führt, wird fettfrei, nimmt also an Masse ab. Eine zweite Veränderung ist folgende. Der unthätige Muskel ist wasserhaltiger als der vielbeschäftigte, die Trainirung raubt ihm einen Theil desselben, was eine neue Volumsverminderung ist. Zum Theil werden nun diese Volumsverminderungen dadurch ersetzt, dass der Gebrauch eine Massenzunahme des Muskels zur Folge hat und desshalb ist der quantitative Unterschied im Muskelfleisch des Natur- und Culturthiers sehr unbedeutend, um So grösser aber der qualitative: das Fleisch des ersteren ist trocken, fettarm und zäh, der des letzteren ist fett, saftig und Mmürbe. : An diesem Beispiel sehen wir, wie der Rückschlag bei | Unseren Culturthieren in der freien Natur in sehr vielen Fällen | eigentlich fast nothwendig eintreten muss, weil die trainirende | Wirkung des Kampfes um das Dasein die alten, dem Natur- | Jaeger, In Sachen Darwin’s. 4 = = es EES GT DE u Too ae aE u ne län RE EB paraan RL a T en. = ar n. =- RT ee ET REN amarae nn nn ~ 50 Fixirung der Abänderungen. zustand angehörigen Funktionirungsverhältnisse wieder aufleben lässt und somit schon die Gebrauchsgesetze eine restitutio ad integrum anstreben. Hiezu kommt der prinzipielle Gegensatz der Züchtungsmotive, die zur Folge haben, dass der Culturcharakter dem Thier im Naturzustand nicht bloss nicht nützlich, sondern meist effeetiv schädlich ist. Wird er mithin nicht schon durch die Veränderung des Körpergebrauchs beseitigt, so merzt ihn die natürliche Zuchtwahl aus. #5 Daraus geht hervor, dass die angeführten negativen Fälle aus der Domestication gar nichts beweisen, und dass die wenigen positiven Fälle von Fixirbarkeit einzelner Culturspielarten, z. B. die von Hoffmann Angeführten um so schwerer ins Gewicht fallen. Ueberhaupt hier noch eine Be- merkung! An und für sich ‚schon beweist in solchen Fragen ein einziger positiver Fall mehr als tausend negative. Noch ; mehr fällt, wie bereits gesagt, ein positiver Fall ins Gewicht, wenn er bei Culturformen vorkommt. Endlich sind die zwei Hoffmann’schen Fälle, in denen. die weissblühende Form zweier Pflanzen (allerdings, wie Wigand pag. 177 bemerkt, »wenigstens anscheinend«) eine mit der Zeit prozentisch zunehmende Fixabilität zeigten, desshalb noch von ganz besonderer Beweiskraft, weil der Leucismus — wenigstens bei den Thieren — als Zeichen geschwächter Constitutionskraft gilt, also von Leueisten am wenigsten Vererbungskraft erwartet ‚werden sollte. Somit spricht für die Möglichkeit einer Fixirung durch Vererbung nicht bloss die theoretische Erwägung, sondern auch Thatsachen. ' Auf pag. 78 hebt Wigand noch einmal hervor, dass Darwin selbst von der grossen Unwahrscheinlichkeit der Er- haltung von Abänderungen, welche nur in einzelnen Individuen auftreten, überzeugt zu sein erkläre, und fährt dann fort. »Ob- »gleich hiermit die erste und wesentlichste Voraussetzung der »natürlichen Zuchtwahl aufgegeben worden ist, so lässt nichts »destoweniger Darwin seine Theorie fortwährend in neuen Auf- »lagen erscheinen.« Diesem Satz gegenüber kann ich nicht umhin, »deutsch« zu Fixirung der Abänderungen. 51 reden und zu sagen: der Vordersatz ist eine Unwahrheit, der Nachsatz eine Gemeinheit. Ad Punct Nr. 1: Grosse Unwahr- Scheinlichkeit ist nicht gleichbedeutend mit Unmöglichkeit, sondern mit Seltenheit, weil besonders günstige Umstände dazu gehören, weiter spricht Darwin bloss von solchen Abänderungen , die >» mmer in einzelnen Individuen« auftreten, nicht aber von solchen, die in vielen Individuen erscheinen; er gibt also der natürlichen Zuchtwahl einen engeren Spielraum (wie ich nachher zeigen werde, mit Unrecht), aber keineswegs entzieht er ihr die Voraussetzung. Ad Punct Nr. 2 nur so viel: wer es fühlt, dass der .Nachsatz eine Gemeinheit ist, dem brauche ich es nicht zu sagen, und wer es nicht fühlt, dem erst recht nicht ! Nun noch ein Wort bezüglich der Erhaltung vereinzelt auf- tretender Abänderungen. Ich gebe Darwin zu, dass hiezu seltene günstige Umstände gehören, der eine ist ungewöhnliche Zähigkeit der Vererbung, der andere entschiedenes Uebergewicht der Abänderung im Kampf ums Dasein, und endlich alle die Momente, welche möglichst rasch die Gefahr der Kreuzung mit nicht abgeänderten Individuen beseitigen. Zum letzteren eine Bemerkung aus meinem Erfahrungsgebiet. In die Thiergärten werden zahlreiche Individuen einer Thier- art eingeführt, ohne dass es gelingt, eine Fortpflanzung der- selben zu erzielen, z. B. Papageien, endlich langt ein Pärchen an, das züchtet, also eine Varietät ist in Bezug auf die Fortpflan- zungsfähigkeit. Da von den nicht züchtenden Individuen keine Kreuzung zu besorgen ist, so befindet sich ein so variirendes Pärchen sofort isolirt, der Nachschub von wilden: Indivi- duen wird eingestellt, nur von eigenem Material gezüchtet und die Akklimatisation ist fertig, weil auch in der Folge von Seiten etwa nicht züchtender, also zurückschlagender Individuen keine Kreuzung zu befürchten ist. Aehnliches, d. h. plötzliche Isolirung kann auch bei der Akklimatisation in der freien Natur stattfinden, z. B. eine flug- bare Thier- oder Pflanzenart sendet fort und fort Colonisten ` nach einem neuen Territorium, z. B. einer benachbarten Insel, a AME aeoe- = a PERE ENS n? hiii ia " REN ap EEM Bi Die DE De nu pà u — = en er EEE Are Desk. rm E e nr ET v an. Terem ba painaneen a E E A 592 ; Fixirung der Abänderungen. oder einem durch Meer von der Urheimath getrennten Festland. Die ursprüngliche Beschaffenheit der Art ist so, dass diese Co- lonisten nach kurzer Frist immer wieder vernichtet werden, sei es durch Klima, sei es durch Concurrenten, sei es durch Feinde. Tritt nun unter den vielen Tausenden und aber Tausenden von Individuen, die im Verlauf der Jahrtausende in das neue Terri- torium verschlagen werden, auch nur Ein Pärchen, ja nur ein Individuum auf, welches in einer solchen Weise abgeändert ist, dass ihm die Ansiedlung und Fortpflanzung ermöglicht ist, so ist es sofort isolirt, also die allerwichtigste Bedingung für die Erhaltung erfüllt. . Allein nicht bloss bei der von Moriz Wagner so ein- seitig betonten geographischen Migration, sondern auch bei der von mir so genannten biologischen Migra- tion sind solche Vorkommnisse möglich. Setzen wir den Fall, einige wenige Individuen eines pflanzenfressenden Insektes gehen in Folge einer Instinktvariation (oder örtlicher oder zeitlicher Zwangs- lage) auf eine andere Nahrungspflanze über. Nun wissen wir, dass Aenderung der Nahrung sehr leicht den spezifischen Aus- dünstungsgeruch eines Thieres ändert und zweitens, dass bei sehr vielen Thieren (Säugethieren und Insekten) die Geschlechter .sich durch das Geruchsorgan suchen und der sympathische Ge- ruch eine Hauptrolle in der Erotik derartiger Thiere spielt. So- bald nun die wenigen, zu anderer Nahrung übergegangenen In- dividuen einen fremdartigen Ausdünstungsgeruch angenommen haben, so liegt die Annahme sehr nahe, dass sie von den andern zurückgewiesen und zur Inzucht nicht bloss gezwungen sein, sondern sich in Folge der gleichartigen, also sympathischen Aus- dünstung schon an und für sich zur Inzucht hingezogen fühlen werden. Um dem Laien, der die Feinheit des Geruchsinns der frag- lichen Thiere nicht kennt, eine Vorstellung hievon zu geben, nur ein Beispiel! Mein Freund Trinker hat die Gewohn- heit, wenn ihm von einem seltenen Schmetterling ein Weibchen aus der Puppe schlüpft, dasselbe nicht sofort zu tödten, sondern lebend bei offenem Fenster auszusetzen, um damit Männchen ra Fixirung der Abänderungen. er. anzulocken. Auf diese Weise hat er mit einem Weibchen von Sphinx ligustri mitten in der Stadt Stuttgart zwei Dutzend von Männchen in Einer Nacht gefangen, ebenso viele mit einem Weibchen von Sphin« ocellata. Will man einem weisellosen Bienenstock eine neue Königin geben, so muss man sie »ver- wittern,« sonst wird sie als fremd zurückgewiesen etc. Zum Ueberfluss möchte ich hier unter Hinweisung auf die pag. 10 aufgestellte Rechnung noch einmal bemerken: Wenn das Erblichsein einer individuellen Variation und das Fixirtwerden derselben durch sofortige oder allmählige Isolirung etwas so all- tägliches wäre, wie es Wigand verlangt, so müsste die orga- nische Welt an Formenmannigfaltigkeit das unendlichfache von dem bieten, was sie in der That bietet. Rechnen wir noch einmal: Gesetzt, die Thierwelt sei 20 Millionen Jahre alt und die Zahl aller Thierarten, recent und fossil zusammen, betrage 1 Million. Nehmen wir weiter an, dass es anfänglich nur Eine Spezies gab, und die Artbildung stets im gleichen Tempo erfolgt Sei, so kommt es alle 20 Jahre zur Bildung Einer neuen Art. Nehmen wir einen stabilen Artenstand von 200,000, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass unter den individuellen Variationen, welche irgend eine Spezies im Laufe eines Jahres produzirt, eine auftritt, die zur Artbildung gelangt wie 1 : 4,000,000 oder anders ausgedrückt: eine bestimmte Spezies hat im Laufe von 4 Mil- lionen Jahren nur ein einzigesmal die Chance gehabt, eine neue -Art zu bilden. Dem gegenüber ist es nicht, wie Wigand pag. 78 sagt: »eine verschwindende Minderheit,« wenn H o ff- mann unter seinen Versuchen bei vier Varietäten Fixirbarkeit durch Vererbung und bei zwei weiteren sogar mit der Zeit pror ae | Zentisch zunehmende Fixirbarkeit fand. Wigand erhebt den Vorwurf gegen Darwin, »dass die »Art, wie er das Gesetz der Vererbung formulire und mit der >Variabilität in Verbindung setze, willkürlich und voller Wider- >sprüche sei.« Was den letzteren Vorwurf betrifft, so liegen die Widersprüche in der Natur der Sache. Die Vererbungs- erscheinungen zeigen unter sich so viele Widersprüche wegen des fortwährenden Ringkampfes zwischen Vererbung und Variabilität, & pa $ Een en 5% Fixirung der Abänderungen. in welchem eben bald die erstere, bald die letztere die Ober- hand bekommt, dass jeder Berichterstatter über dieses Gebiet scheinbar um so mehr sich in Widersprüche verstrickt, je ehr- licher und gewissenhafter er ist. Ueber den Vorwurf der Willkürlichkeit erlaube ich mir fol- gendes auszuheben. Auf pag. 81 sagt Wigand: »Vererbung »und Variation in Darwin’ schem Sinne sind im Grund ganz unvereinbar; denn anzunehmen, dass die Spezies die Neigung »habe; ihre Eigenschaften zu vererben und zugleich die Neigung, »ihre Eigenschaft abzuändern, ist ein Widerspruch, welcher nur „dadurch beseitigt wird, dass man die beiden Begriffe in der »Verbindung, in welcher sie in der Natur ‘verknüpft sind, stehen »lässt, nämlich so, dass der Vererbung das a llgemeine nur »durch ein gewisses Mass von Variabilität beschränkte Gesetz vist, und dass es überdiess verschiedene Eigenschaften sind, von »denen die einen streng vererbt werden, während die andern »unabhängig von jenen variabel und unvollkommen erblich sind. »Aus diesem naturgemässen Zusammenhang reisst Darwin »die beiden Prinzipien heraus und operirt damit als mit ganz „abstrakten Begriffen oder Schlagwörtern ganz beliebig. Gilt es »die Fortbildung zu erklären, so stellt sich das Prinzip der unbe- »gränzten Variabilität — gilt es die Fixirung der neuen Formen »zu erklären, so stellt sich das Prinzip der gesteigerten Ver- »erbung als bequemes Mittel zur Verfügung.« Das sieht nun allerdings für den uneingeweihten Leser höchst gravirend aus, während doch die Sache einfach so liegt. Der Widerspruch zwischen Vererbung und Variabilität wird allerdings zum Theil dadurch beseitigt, dass die variirenden Charaktere andere sind als die sich vererbenden, aber auch nicht so, wie Wigand sagt: es muss beigesetzt werden »bei einem und demselben Individuum, denn ab- straktgenommenist es falsch, da jeder Spezies- charakter variabel und jeder auch constant ver- erbungsfähig ist, d. h. beim einen Individuum varürt er, - beim andern vererbt er sich constant. Wigand entpuppt sich also auch hier äls Generalisator und er ist es, der das Prinzip x " " n c ER Rn, Br n p ` Pr À - ge - en ee _ " y u = E -= Zen ey wei a ei Ci na ee en. 2 F ng a en e at TREE "nr EEE nern Cm ne Sanvean en a a ass ee s pi #4 _ Fixirung der Abänderungen. 55 aus seinem natürlichen Zusammenhang, aus dem Individuum, herausreisst und es mit dem »abstrakten Begriff« der Spezies verbindet. Dann ist es allerdings ein Widerspruch, wenn man sagt, dieses Merkmal sei constant und veränderlich zugleich. Sobald man aber den natürlichen Zusammenhang lässt, so heisst es: dieser Charakter ist beim Individuum A constant, d. h. es vererbt ihn, und beim Individuum B ist er variabel, was voll- _ ständig mit den Thatsachen harmonirt. > Nun’liegt die Sache so: Eine Spezies, in welcher überhaupt Variabilität vorkommt, ist eine Summe von zweierlei Indi- viduen, von constanten, d. h. den Durchschnittscharakter der Individuen, d. h. den Speziescharakter streng vererbenden und von varlirenden. Die Variirenden selbst zerfallen wieder in solche, die die Variation streng vererben und in solche, die | rückschlagende Nachkommen erzeugen. Diese dreierlei Individuen ringen gewissermassen mit einander, oder wie sich Wigand pag. 81 abstrakt ausdrückt, »die beiden entgegengesetzt wir- ‘»kenden Neigungen concurriren mit einander.< »Nun,« sagt Wigand, »kommt Darwin, reisst die beiden Prinzipien »heraus und operirt bald mit dem einen, bald mit dem andern, »wie es ihm in den Kram passt.< Nein! Die natürliche Zucht- wahl kommt und entscheidet, ob in dieser Concurrenz die con- stanten Individuen oder die mit Vererbung der Variation varii- renden obsiegen. .- ‚Ist eine Art für die obwaltenden Existenz- bedingungen vollkommen angepasst, so werden die constanten | Individuen die Oberhand behalten, die variirenden ausgemerzt .oder nur sporadisch auftauchen; ist dagegen die Anpassung un- vollkommen (wegen Uebersiedlung unter andern Existenzbeding- ungen, oder weil sich letztere in loco geändert haben), sobe- günstigt die natürliche 'Zuchtwahl die in einer nützlichen Weise variirenden und unter diesen wieder die, welche diese Variation verderben. Das ist die grausame Willkür Darwins! Zum Schluss tischt nun Wigand noch die von Huber mitgetheilte Berechnung auf, die Seidel über den die Fixirung einer neu auftauchenden Variation hindernden Einfluss der Kreuzung gemacht hat: Gesetzt, unter 100 Individuen befinden Hi Eiern a gere - i Kar, Sp y ý ven X ” Pr N ea a a N ETAGE — ehren à num m 56 Fixirung der Abänderungen. ‘sich je vier in bestimmter Weise abändernde und bei jeder Generation wird die Individuensumme um das 100fache ver- mehrt. Nun berechnet obiger Mann Gottes, »dass die Wahr- »scheinlichkeit, wonach der Abänderungscharakter in der ersten »Generation (den Kindern) noch unverändert als »Vollblut« vor- »handen ist = 16 ist, in der zweiten Generation (Enkel) aber »nur = 2,56, in der dritten Generation (Urenkel) = 0,00000554, »in der vierten (Ururenkel) = 0,00000000000000499.« Zu dieser Rechnung »ohne den Wirth« erlaube ich mir einige Rand- glossen zu machen. Wenn das Individuum sich hundertfach vermehrt, so haben 100 Individuen 10,000 Kinder, 1,000,000 Enkel, 100,000,000 Ur- enkel und 10,000 Millionen Ururenkel. Hält Herr Wigand es für möglich, dass auf einem Territorium, wo 100 Individuen so stehen," dass sie sich beliebig vermischen können, schon in der vierten Generation 10,000 Millionen Individuen Platz haben? Nehmen wir den bescheidensten Fall, es seien diese Individuen Pflänzchen, von denen Eines 1 Quadratdezimeter Raum braucht, so müsste die Nachkommenschaft sich in 4 Jahren einen aus- schliesslichen Raum von 1000 Hektaren erobern, im fünften Jahr von 100,000 Hektaren und im sechsten von 10 Millionen Hektaren. Da wird denn doch wohl erlaubt sein, einen recht beträchtlichen Abstrich zu machen auf Rechnung der Vernich- tung, welche der Kampf ums Dasein bewirkt. Wie nun, wenn diese Vernichtung in überwiegendem Masse die nicht abgeän- derten Individuen trifft? Setzen wir z. B. den Fall, von den abändernden werde gar kein Individuum vernichtet, so liefern die obigen vier Individuen 400 Kinder, 40,000 Enkel,- 4 Millionen Urenkel und 400 Millionen Ururenkel, sind’ also im Stande, schon in 4 Jahren durch die CGoncurrenz ihre Nebenbuhler aus einer Fläche von 40 Hektaren zu vertreiben. Der zweite Wirth, ohne den die Rechnung gemacht wurde, ist die natürlich nur bei Thieren gültige pag. 52 hervorgehobene Neigung zur Inzucht. Wenn diese bei den obigen 4 Individuen vorhanden ist, so ver- mehren sie sich ganz unbekümmert um die andern, und wenn ihnen die Zuchtwahl behülflich ist, so sind sie»sim Stande, in Rh. EN Die Häufung der Abänderungen. 57 kurzem die Majorität und schliesslich die Alleinherrschaft zu er- fingen. So schliessen wir denn auch dieses Capitel mit der Ueber- * zeugung, dass es Wigand auf keinem Punkt gelungen ist, das Gefüge der Darwin’schen Lehre zu erschüttern, und dass alle seine Rechenexempel, an denen er zeigen will, dass die Lehre irrig sei, desshalb falsch sind, weil er gerade den Faktor, dessen Einfügung in die Rechnung Dar wins Verdienst ist, die natür- liche Zuchtwahl, beharrlich ignorirt, d. h. aus der Rechnung weglässt. Sobald man sie in die Rechnung einfügt, stimmt sie mit der Voraussetzung, und das beweist am besten die Wirk- samkeit des Selektionsprinzips. IV. Die Häufung und das Fortschreiten der Abänderungen. . Für den Vorwurf, den ich Wigand am Schluss des vorigen Capitels machte, liefert der Anfang des vierten den schönsten Beweis. Wigand sagt: »Nach Darwin soll sich nicht bloss die Fixirung einer »Abänderung, sondern auch das Fortschreiten des Umwand- »lungsprozesses durch Wiederholung und Häufung ausschliesslich durch die Variabilität und Vererbung vollziehen.« Wer hat das behauptet? Lautet nicht die Darwinische Lehre klar dahin, dass Variabilität und Vererbung für sich allein gar nichts Neues schaffen können, sondern nur die natürliche. Aus- Wahl den Karren vom Fleck zieht? Mithin ist obige Behaup- tung Wigands zum mindesten eine Unwahrheit, wenn nichts R Schlimmeres. Uns braucht Wigand nicht erst zu sagen: diese Faktoren (Variabilität und Vererbung) allein reichen für 58 Die Häufung der Abänderungen. »den vorliegenden Zweck keineswegs aus,» das wissen wir selbst. Wigand gibt folgende Darstellung des Häufungsvorgangs: »Nach Darwins Annahme vergrössert sich durch die Variabilität »des Organismus, z. B. der betreffende Körpertheil um ein Ge- ! əringes — diese Veränderung wird wegen ihrer Nützlichkeit er- shalten und durch Vererbung fixirt. Sodann macht sich von „Neuem die Variabilität geltend; unter allen möglichen Abände- „rungen des betreffenden Theils erscheint wiederum nur dessen »weitere Vergrösserung nützlich, wird desshalb erhalten und »fixirt, — neue Variation, neue Erhaltung derjenigen Individuen, = »welche gerade eine Vergrösserung des Organs erhalten haben, »— Fixirung dieser Eigenschaft und so ins Unbestimmte fort. »Zur Versinnlichung dieses Vorgangs kann ein Apparat dienen, „welcher dazu bestimmt ist, die schwachen Oseillationen eines »Pendels ohne Aufwendung einer neuen Kraft (sic!) allmählig »zu einer unbegränzt rotirenden Bewegung zu steigern und so »eine sehr wohlfeile Arbeitskraft zu gewinnen. Sobald nämlich »die Schwingung des Pendels in einer Richtung, z. B. nach „rechts das Maximum, etwa 1°, erreicht hat, bedarf es nur den »Pendel in dieser Lage zu arretiren (ist denn das Arretiren »möglich »ohne Aufwendung einer neuen Kraft?« Jaeger), worauf „derselbe von dieser Ruhelage aus von Neuem um 1° zu oscil- »liren beginnt, sobald das Maximum nach rechts erreicht ist: »neue Fixirung (wiederum ein neuer Kraftaufwand! Jaeger) — »neue Schwingung) ete. Der Fehler bei diesem Paradoxon liegt »in der Annahme. ...« — den Satz will ich schliessen — dass ein lebendiger Organismus ein Pendel sei. Nur ein Mann, der mit dem Nagel der Constanztheorie durch den Kopf an die Wand geheftet ist und desshalb selbst einem Pendel gleicht, kann 1) auf einen so horrenten Vergleich kommen und 2) auf den genialen Gedanken, einem Pendel dadurch eine fortschreitende Bewegung zu geben, dass er das ausschwingende Gewicht arre- tirt, statt dass er die hiezu nöthige Kraft auf den Aufhänge- punkt das Pendels wirken lässt. Die Krönung dieser Pendel- theorie bildet aber der Satz auf pag. 87: »Selbst durch die An- Die Häufung der Abänderungen. | 59 >nahme einessich spontan aus der Buhlige erhebenden lebendigen »Pendels würde das Problem (d. h. des Fortschreitens) nicht ge- »löst!« Das ist leider gewisslich wahr! Der letzte Fehler ist der, dass er die natürliche Zuchtwahl für keine »neue Kraft ‚oder Ursache« gelten lässt, während sie von allen Kräften, die auf den Organismus wirken, die continuir- lichste und beharrlichste ist. Will man auf die Pendeltheorie, die Wigand so sehr ans Herz gewachsen ist, eingehen, so - Muss man dem Pendel einen beweglichen Aufhänge- Punkt geben, und jetzt kann man darüber disputiren, ob z. B. ein Magnet dadurch, dass er auf das schwingende Gewicht in einer bestimmten Richtung anziehend wirkt, d. h. die Exkursion des Pendels nach dieser Seite erleichtert, nach der entgegen- Sesetzten erschwert, im Stand ist, den Aufhängepunkt des Pen- ~“ dels zu verrücken. Aber wenn sich Wi sand in seinem Buche Mehrmals die Mühe gibt, zu beweisen, dass ein Pendel mit festgenageltem Aufhängepunkt durch alles Oscilliren nicht vom Fleck kommt, dann ist das doch wirklich mehr als leeres Stroh Sedroschen. ial Doch folgen wir Wi gan d weiter: »das Fehlen bei diesem _ »Paradoxon liegt in der "Annahme, dass der Pendel, nachdem ?er am Zurückschwingen gehindert und in eine künstliche Ruhe- lage gezwungen worden ist, noch ebenso die Neigung besitze, >ZzU oscilliren, wie er sie in der ersten Lage hatte. Ebenso bei »der fortschreitenden Variation. Die abgeänderte organische »Form, nachdem sie einmal fixirt ist, hafan sich nicht die Seige nach derselben Seite zu variiren, diese Neigung >ist mit der ersten Abänderung erschöpft.« Für eine so kühne Behauptung sollte doch der, welcher sie auf- Stellt, auch einige Beweise bringen, das geschieht aber keines- Wegs, offenbar glaubt Wigand den Beweis durch seinen Ver- Sleich mit dem Pendel erbracht zu haben und zwar so: »die >Variirende Spezies gleicht einem oscillirenden Pendel, und da bei »letzterem die Neigung, zu oscilliren mit dem Maximum des Aus- >schlags erschöpft ist, so ist auch bei der Spezies die Neigung, >zu variiren, mit der ersten Variation erschöpft. E 60 Die Häufung der Abänderungen. Wigand fährt fort: »Hätte diese Spezies überhaupt die »Fähigkeit, weiter zu variiren, so würde sich dieselbe gleich im »Anfang oder auch im Laufe der Zeit geltend machen, ohne dass ves dabei einer Fixirung und Zuchtwahl bedürfte.« Hinter diesem Satz steckt erstens jener in seiner Nichtigkeit schon früher ge- _ brandmarkte Prädestinationsglaube, dem Wigand denn doch selbst im gleichen Augenblick, wo er ihn ausspricht, in gelindem Masse wieder verläugnet, wenn er sagt, es könne sich auch verst im Lauf der Zeit« das Maximum der Variationsfähigkeit einstellen, was ja auch wir behaupten. Zweitens ist es falsch, den Einfluss der Fixirung und Zuchtwahl auf den Fortschritt der Variation zu läugnen. Wigand hat pag. 82 selbst darauf hingewiesen, dass die freie Kreuzung zwischen Abgeänderten und Nichtabgeänderten das Variiren beeinträchtige, wenn nun die Zuchtwahl eine allmählige Isolirung der Varietät herbeiführt und diese nur noch Inzucht treibt, soll das ohne Einfluss auf die Fähigkeit sein, in einer bestimmten Richtung zu variiren? Dann noch ein Wort über Fixirung. Wigand spricht von ihr als einergezwungenen Ruhelage. Er versteht darunter, dass der neue Charakter in Conflikt stehe mit der Neigung, zum ursprünglichen Charakter zurückzuschlagen. Nun, das mag an- fangs sein, gerade so wie bei einem Baumzweig, den man ge- waltsam niederbindet, anfangs auch die Neigung besteht, in seine ursprüngliche Lage zurückzukehren; allein, wenn er lang genug in dieser Zwangslage war, so haben sich die Spannungen ausgeglichen und von einer Zwangslage ist nicht mehr die Rede. Da wir doch eine greifbare Vorstellung von solchen Verhältnissen schaffen müssen, so können wir sagen: die in einem bestimmten Organ eingetretene Abänderung hat das bisherige Gleichgewicht zwischen ihm und den übrigen Organen gestört und so lange sich die letzteren diesem neuen Sachverhalt durch consecutive Abänderung ihrer selbst nicht accomodirt haben, können wir bei der neuen Form von einer Zwangslage sprechen; haben sie sich aber äccommodirt, so ist das Gleichgewicht wieder hergestellt, und das heissen wir »fixirt sein.« Wenn dem nicht so wäre, wie käme es dann, dass bei solchen fixirten Rassen der Rück- Bedeutung der künstlichen Zuchtwahl. 61 Schlag auf frühere Form seltener eintritt, als es zuvor der Fall ist? Wenn diese Auffassung von’ der Sache — wenn auch nur bildlich — richtig ist, so steht eine fixirte Form einer neuen _ Variation des erst variirt habenden Organs vollkommen unbefangen gegenüber, weil das Widerstreben der übrigen Organe gebro-: Chen ist. Ungemein naiv ist das Wigand’ sche Gleichniss von der Heuschrecke: »der Fall wäre jetzt etwa so, als wenn jemand »behaupten wollte, eine Heuschrecke könne sich durch unzählige >wiederholte Sprünge allmählig bis in die Wolken erheben. Eine ’Solche Summirung der Sprünge ist aber desshalb nicht möglich, weil jeder aktive Sprung aufwärts mit einem ebenso tiefen pas- ’Siven, durch die Schwere bewirkten Rückfall (Atavismus) ver- >bunden ist.« Ich will Herrn Wi gand noch mit einem Gleich- niss aufwarten, der bairischen Polka: zwei Schritt rechts, zwei Schritt links, und dreimal um sich selbst gedreht, bringt auch die Leute nicht vom Fleck. : ! Die übrigen Ausführungen in diesem Kapitel sind von ‚Sleichem Schlage, wie die besprochenen, so dass wir sie dem Urtheil jedes Lesers überlassen können , rathen aber die Durch- lesung, weil noch ein paar wunderbare Gleichnisse (z. B. von den balancirenden Stäben) kommen , mit denen überhaupt W i- Sand viel freigebiger ist als mit Beweisen. V. Bedeutung der künstlichen Zuchtwahi für die Selektionstheorie. Auf die in diesem ‚bezeichnenderweise sehr kurzen Capitel behauptete totale Verschiedenheit der natürlichen und künstlichen “üchtwahl habe ich bereits pag. 33 geantwortet. Es bleibt nur Noch folgendes nachzutragen. 62 = Bedeutung der künstlichen Zuchtwahl. 1) Behauptet W i gan d die Heterogeneität des Mat erials — beläufig gesagt, ein sehr schlechter Ausdruck, denn man glaubt, dass er damit sagen wolle, die in der Cultur verwen- deten Organismen seien etwas wesentlich anderes; er meint aber darunter die Art der benützten Variationen. »Die „Variationen in der Cultur beziehen sich mehr auf die Structur, »den Chemismus, blosse Dimensionsverhältnisse und auf die rück- »schreitende Metamorphose (?),« »wogegen die Variationen, wie »sie sich in der freien Natur finden oder ‚wenigstens für die » Ausbildung systematischer Typen vorausgesetzt werden, wesent- »lich morphologischer Natur sein müssen.« Diese Behauptung ist falsch. Für jeden Unbefangenen sind unter den Differenzen zwischen den Rassen einer Culturart soviel morphologische, als nur irgend wünschenswerth, und zwar mit Bezug auf fast alle Organe. Wenn Wigand Obiges behauptet, so wäre er hier verpflichtet gewesen, eine strikte Definition des Begriffs »mor- phologischer Charakter« zu geben; und dann im Detail nachzu- weisen, dass diese Bezeichnung für die einzelnen differenziellen Charaktere der Culturrassen nicht anwendbar sei. Er hat diess wohlweislich unterlassen, weil es unmöglich ist. Weiter sagt er: »die Culturvariationen bewegen sich innerhalb bestimmter Gränzen »(ist richtig! Jaeger), die in der freien Natur müssen ihrer Ex- »tension nach unbegränzt sein (ist falsch, da sie nicht über den Rahmen der Mutterspezies hinaus zu gehen brauchen, worüber später des Näheren zu handeln sein wird. Jaeger). Weiter sagt ‚er: »die Culturvariationen werden grossentheils durch die äussern »Lebensbedingungen bestimmt.« Da er srossentheils sagt, SO lässt er innere Ursachen zu, und wegen einem mehr oder weniger soll hier nicht gestritten werden, wenn er aber sagt, dass die Naturvariationen »durch innere, nicht aber durch äussere Ur- sachen bedingt sein müssen ‚« SO ist das falsch. Hiegegen sprechen die von ihm selbst so oft angeführten Standortsvarie- täten, zu denen noch die Standortsspezies gehören. Es gibt unter Thieren und Pflanzen eine Menge von Arten, deren spe- zifische, d. h. sie von ähnlichen Spezies unterscheidende Merk- male mit der höchsten Wahrscheinlichkeit als direkte oder in- `i Bedeutung der künstlichen Zuchtwahl. 63 direkte Wirkungen der Standortsbedingungen aufgefasst werden müssen. Zahlreiche Belege liefern hier die Faunen und Floren der Hochgebirge, des Salzbodens, der Wüste, der Flussufer ete. 2) Sagt Wigand, auch die Produkte lassen sich nicht vergleichen, »indem die Spezies und Gattungen von den künst- »lichen Rassen nicht bloss relativ, sondern. absolut verschieden Sind.« Hier stellt er eben einfach eine Behauptung gegen eine andere, ohne auch nur einen Versuch zum Beweis zu machen. 3) Sagt er, seien die Prozesse selbst »sowohl in Be- >ziehung auf das auswählende Subjekt, als in Beziehung auf das >Motiv der Auswahl vollkommen heterogen.« — Das ist nur für die Kunstrassen, nicht aber für die Naturrassen der Hausthiere richtig. — »Der einzige hiernach übrig bleibende Berührungs- Punkt ist eine ganz äusserliche und untergeordnete Aehnlichkeit >im Effekt; und nur dadurch, dass man den Umstand, dass von ’Mehreren (nein, sehr vielen! Jaeger) nur etliche, durch ge- Wisse Eigenschaften im allgemeinen Untergang gerettet werden, in sehr uneigentl ichem Sinne als »Wahl« bezeichnete, ’würde (wenn auch gegen den bildlichen Ausdruck an sich >selbstverständlich durchaus nichts zu erinnern ist) zwischen den »beiden Prozessen eine Aehnlichkeit im W o r t geschaffen, welche >über die Aehnlichkeit in der Sache weit hinaus geht und offen- >bar Veranlassung zu jenem unmotivirten Analogieschluss ge- geben hat.« In diesen Worten wird die Uebereinstimmung einmal geringschätzend behandelt, womit Wigand doch eigent- lich nur auf Laien einzuwirken hoffen kann, und dann wird sie Unvollständig behandelt. Die Berechtigung, von der künstlichen Zuehtwahl auf die natürliche zu schliessen, liegt in. folgendem. .. 1) Beweist die künstliche Zucht, dass die Organismen Überhaupt abgeändert werden können, dass also ihr Organisches Gefüge nicht diejenige Starrheit hat, die es bei losser Betrachtung der. frei lebenden Organismen zu haben Scheint. Ea ' ' 2) Da die von der Cultur behandelten Organismen die Nach- Ommen von wild lebenden Individuen sind, so beweist die Do- Mestication, dass auch wild lebende Thiere im $ F B2 $ à B $ p$ } $ g j k » na a Dr er en 64 Bedeutung der künstlichen Zuchtwahl. Laufe der Generationen abgeändert werden können. 3) Beweist die Domestication, dass diese Abänderungen nicht auf einmal ihr Maximum erreichen, sondern nur von Ge- neration zu Generation gesteigert werden können, was in Ueber- einstimmung steht mit der durch die Paläontologie nachgewie- senen Thatsache, dass die Thier- und Pflanzenwelt im Ganzen gleichfalls eine gradweise, mit der Zeit fortschreitende Verände- rung erfahren hat. 4) Wir kennen aus der vielhundertjährigen Praxis der Do- mestication die Mittel, welche es dem Menschen ermöglichen, die Organismen im Ganzen und in ihren einzelnen Theilen zu verändern. Dieselben lassen sich kurz in Folgendem zusammen- fassen: Aenderung der Intensitätsgrade der Funktionirung (Ge- brauchswirkung), Aenderung der Nahrung, der Wärmeverhält- nisse, der Feuchtigkeit etc., Aenderung der Blutmischungsverhält- nisse bei der Befruchtung, Benützung all der den verschiedensten inneren und äusseren, theils bekannten, theils unbekannten Ur- sachen entspringenden individuellen Abänderungen dadurch, dass man die dem Züchtungsziel entsprechenden Individuen zur allei- nigen Nachzucht auswählt und die andere vernichtet, also Se- lektion treibt. Die Uebereinstimmung zwischen Domestication und Freileben besteht nun darin, dass die freie Natur gleichfalls über alle diese Abänderungsmittel verfügt und zwar in unendlich verstärktem Masse, 1) inso- fern, als ihr unendlich grössere Zeiträume zu Gebot stehen und - 9) insofern sie alle diese Abänderungsmittel mit unendlich grös- serer Präzision und Beharrlichkeit anzuwenden im Stande ist, als der Mensch. 5) Daraus ziehen die Transmutisten den Schluss: Wenn die genannten Mittel in den Händen des Menschen im Stande sind, grössere und bis zu einem gewissen Grade dauerhafte Abände- rungen zuwege zu bringen, so ist lediglich kein Grund vorhan- den, anzunehmen, dass die Anwendung der gleichen Mittel seitens der freien Natur erfolglos sein sollte. Wer das Ge- gentheilbehauptet, derist beweisfällig, muss - Der Kampf ums Dasein. 65 eine reale, experimentell zu erhärtende Ur- Sache aufweisen, die im Stande ist, den Effekt zu vereiteln. Eine solche hat Wigand in seinem Buche nirgends nachge- wiesen, denn der Satz von der absoluten Unveränderlichkeit der Spezies ist eine Redensart, die um kein Haar mehr werth ist, als die andere Behauptung: die Spezies sei ein Pendel. N - VI. Der Kampf ums Dasein als Voraussetzung der natürlichen Zuchtwahl. Dieses Kapitel des Wigand’schen Buches ist psychologisch höchst interessant, indem es zeigt, in welchem Masse ‘der .ge- Sunde Menschenverstand durch ein eingewurzeltes Vorurtheil mit Blindheit geschlagen werden kann, und man ist versucht, zu glauben, Wigand habe es als Illustration zu dem seinem Buch mitgegebenen Motto geschrieben : »Da seht, was aus dem Verstande werden kann, »wenn er auf verbotenen Wegen schleicht.< Zuerst muss gegen folgendes protestirt "werden. Darwin hat eine ganze Summe von Ercheinungen in der belebten Welt — nämlich, wie Wigand sagt, »die einfache Wahrheit, dass >von der ungeheuren Zahl von Keimen, welche die Natur pro- >duzirt, eine sehr grosse Zahl niemals das erwachsene Alter er- »reicht < und, wie ich hinzusetze, von den in das erwachsene Alter Eingetretenen ebenfalls viele ein vorzeitiges Ende erreichen, weil sie durch die verschiedensten Einflüsse früher vertilgt werden — unter dem Terminus »der Kampf um s Dasein« zusammen- Sefasst. Nun kommt Wigand und sagt: = »Man braucht den Begriff »Kampf ums Dasein< sowohl im >Sinne eines Wettkampfes als auch ohne alle Beziehung zu einer >Concurrenz, man braucht ihn sowohl für eine Coneurrenz unter Jaeger, In Sachen Darwin’s, 5 — ji TEE E A I ug a gay — ee hiii nasse: i es TE EH | n ? | RFN i: S 4 f 3 Š p» P; i kár Ei k i f | f % | 1 ag 66 Der Kampf ums Dasein. »den ungleich abgeänderten Individuen derselben Art, als auch »zwischen verschiedenen Arten, — man braucht ihn sowohl in »solchen Fällen, wo derselbe für die Erhaltung einer gewissen »Form entscheidend ist, als auch in solchen Fällen, wo eine »solche Entscheidung durchaus nicht stattfindet. Gegenüber »diesen Auffassungen, wonach am Ende jede Thatsache, wo ein »Wechsel der individuellen Existenzen stattfindet; als ein Beleg »für die Selektionstheorie betrachtet wird, werden wir im fol- »genden den Begriff »Kampf ums Dasein« scharf formuliren und »auf denjenigen Sinn beschränken, in welchem allein von einer »Anwendung desselben für die natürliche Zuchtwahl die Rede »sein kann.« | | Mit welchem Recht unternimmt es Wigand, einem von seinem Autor ganz bestimmt definirten Terminus technicus eine andere Bedeutung unterzuschieben? Man kann sich allenfalls darüber streiten, ob das von Darwin gewählte Wort glücklich ist oder nicht, ob es nicht die Gefahr von Missver- ständnissen (diese aber doch nur für Laien!) birgt, oder in welchen Fällen es den von Darwins Theorie geforderten Dienst thut ete. Allein das Wort auf eine andere engere Gruppe von Thatsachen anzuwenden und nun mit diesem gefälschten Ter- minus weiter zu operiren, ist unerlaubt. | Die Berechtigung Darwins, die Beziehungen des Indivi- duums zu seinen Existenzbedingungen als einen »Kampf« zu be- zeichnen, fusst auf der unleugbaren Thatsache, dass es während seines ganzen Lebens von Gefahren und widerlichen und hem- menden Einflüssen der verschiedensten Art bedroht ist. Aller- dings ist das Wort »Kampf« hier bildlich gebraucht, weil das Verhalten des Organismus obigen Einflüssen gegenüber in den wenigsten Fällen ein aktives Kämpfen ist, allein wo steht _ denn geschrieben, dass einem Naturforscher das verwehrt sein sollte, was der Sprachgebrauch jedem andern erlaubt? Und noch etwas: Wir haben alle Ursache, Darwin Dank dafür zu wissen, dass er bei der Schaffung dieses Terminus, wie der Anderer den glücklichen Griff in den Wortschatz der Umgangs- sprache that, anstatt den leidigen byzantinischen Manieren un- Der Kampf ums Dasein. 67 serer deutschen Naturforscher zu folgen, welche sich die unend- lichste Mühe geben, die Wissenschaft durch eine Unmasse zu- Sammengestoppelter griechischer Fremdwörter zu einem Mixtum Compositum umzugestalten, welches schliesslich der Fachmann selbst kaum mehr versteht, geschweige denn ein anderer Mensch. Wigand meint nun: wenn Darwin mit dem Ausdruck »Kampf ums Dasein« nichts anderes als obige Thatsachen ge- meint habe, so sei es in der That »eine überflüssige Mühe, diese >triviale, sich auf jedem Schritt im gemeinen Leben darbietende >Wahrheit durch Aufzählung von Beispielen zu begründen, und »vollends wunderlich sei es, wenn die Verehrer Darwins >(womit Büchner gemeint ist) diese Wahrheit als eine neue Entdeckung preisen.« Auch dieser Vorwurf ist ganz unbe- gründet. Es gibt eine Menge von Fällen, in denen die Wissen- Schaft an einer allerdings ganz trivialen Wahrheit achtlos vor- überging und noch geht, weil sie dieselbe für selbstverständlich hält. Allein’noch jedesmal, so oft einer auf den Gedanken kam, Sie aufzugreifen und näher zu untersuchen, so fand er dahinter Nichts geringeres als ein allgemein gültiges Natur- Sesetz. Ich will zwei eigene Beispiele anführen. Erstens: Es ist eine triviale Wahrheit, dass der Baum von einer Rinde, das Blatt von einer Oberhaut, das Thier von einer Haut, ein Nagel von einer Rostschichte, eine Bleikugel von einer Orydeckiiik, die Erde von einer erstarrten Rinde ete. umgeben ist, und doch glaube ich, dass es von mir kein ganz unglück- licher Gedanke war, alle diese Thatsachen in dem Satz zusam- Menzufassen: Jeder Körper, der mit den ihn um- Ssebenden Medien Wechselbeziehungen unter- hält, differenzirt sich concentrisch. Wenn es einmal eine generelle Mor phogenie als Wissenschaft geben Wird, so muss obiger Satz als das allgemeinste morphogenetische eiz in ihr einen hervorragenden Platz einnehmen. Zweitens: Es ist eine triviale Wahrheit, dass im Thier- körper die Nerven von der Peripherie nach dem Centrum, also tadial verlaufen, und die Muskelfasern in statu nascenti pa- tallel der Oberfläche, dass also Nerv und Muskel be- Ze an ne nn ET BT En we ein nn men ae Darm. EEE Tann re ann aa rn EEE nn ~ 68 ; Der Kampf ums Dasein. züglich ihrer Lagerung in re chtwinkligem Verhältniss zu einander stehen, und, physiologisch gesprochen, der Nerv parallel der Reizbahn verläuft, der Muskel sie kreuzt. Obwohl es bei dem geringen Stand unserer histiogenetischen Kenntnisse noch nicht möglich ist, die hinter dieser anatomischen Binsenwahrheit stehende Ursache mit Bestimmtheit zu fassen, so gibt sie doch einen ganz bestimmten Wink, in welcher Richtung die Ursachen liegen, denen es zuzuschreiben ist, dass eine Embryonalzelle entweder zum Nervenfaden oder zum Muskelfaden wird. Darwin darf es entschieden als ein Verdienst angerechnet werden, dass er eine solche, gleichsam an der Heerstrasse der Beobachtung liegende, bisher ganz ignorirte Binsenwahrheit in ein Wort gebunden und nachgewiesen hat, dass sie einer der wichtigsten Motoren in dem Getriebe der organischen Welt ist. Von der praktischen Wichtigkeit des vorliegenden Gegen- standes erlaube ich mir, wieder zwei Beispiele aus meiner Er- fahrung zu geben. ! Es frägt Jemand einen Naturforscher, wie viel Forellen- eier er pro Jahr ausbrüten lassen soll, um ein bestimmtes Fischwasser genügend zu besetzen. Da an mich öfter diese Frage gerichtet wurde, so weiss ich, mit welch kolossalen Schwierigkeiten es verbunden ist, sie auf wissenschaftlichem Wege zu lösen, denn es handelt sich dabei um die Bestimmung, wie viel Prozent der ausgesetzten Brütlinge im Kampf ums Da- sein erliegen, bis sie das fortpflanzungsfähige Alter erreicht haben. Dieselbe Frage liest mir gegenwärtig wieder bei meinen Versuchen vor, eine eichenfressende Seidenraupe im Freien auf Waldbäumen zu kultiviren. i Es ist also auch in dieser Beziehung ein Verdienst Darwins, i einer der grossartigsten Erscheinungen in der belebten Natur die ihr gebührende Stelle in dem wissenschaftlichen Gebäude. der Biologie gegeben zu haben. Eine Frage für sich ist nun der neue, von Darwin auf. gestellte Satz, dass dieser Kampf sich zu einem Wettkampfe gestalte, weil in Bezug auf die Kampf- fähigkeit individuelle Differenz und sonstige bestehen. x Der Kampf ums Dasein. 69 Wigand nimmt auch hiezu eine ablehnende Haltung ein: >Auch diese Auffassung ist in der Natur im Grossen und »>Ganzen nicht begründet. Denn die im grossen Massstab »stattfindende Reduktion der überzähligen Individuen wird in »der Regel keineswegs durch bestimmte individuelle Eigen- »schaften, sondern durch jenen Complex von unbekannten und »unregelmässigen Ursachen, welche wir Zufall nennen, ent- »schieden.« Hiegegen ist zu bemerken, dass kein Transmutist gesagt hat, dass in allen Fällen, in denen eine Vernichtung vorkommt, von einem Wettkampf die Rede ist. Sobald z. B. keine individuellen Widerstandsdifferenzen gegen einen bestimmten Intensitätsgrad eines vernichtenden Einflusses vorhanden sind, so gibt es keinen Wettkampf, z. B. in dem von Wigand an- geführten Fall des Erfrierens, sobald nämlich der Kältegrad die allenfalls vorhandenen Differenzen im Erfrierungspunkt sämmt- lich überschreitet. Aber die Behauptung Wigands, dass, ` wenn zufällig einzelne Individuen nicht erfrieren, sie es immer dem Zufall eines geschützten Standortes verdanken, dass also keine innerlichen Differenzen im Erfrierungspunkt bestehen, ist falsch. Als Beleg führe ich z. B. die Versuche Haberlands an. Um zu ermitteln, welcher Kältegrad für die Eier der Seiden- taupen tödtlich sei, schloss er sie parthienweise in Kältemischungen verschiedener Grade ein und fand eben, dass bei gewissen Tem- peraturgraden nur Ein Theil erfriert, ein anderer Theil nicht. So wie die Versuche gemacht sind, kann von »zufälligem Ge- schütztsein« einzelner nicht die Rede sein. Nach meinen Erfahrungen wird derselbe Versuch mit Pflanzen- samen oder anderen Thiereiern ganz dieselben Differenzen er- ‘geben. Doch führe ich noch anderes an: bei nestsitzenden Vögeln ist es eine fast ausnahmlose Erscheinung, dass unter derselben Brut ein Schwächling ist, dem von seinen stärkeren Geschwistern das Futter geschmälert wird, so dass er verküm- mert und zu Grunde geht. Weiter sieht man ebenso gewöhnlich `Y bei solchen Vögeln ein »stärkstes« Individuum, das im Nest _ immer »oben auf« sitzt, das grösste Geschrei bei Ankunft der zenden Mutter macht und auch stets das meiste Futter er- =“ 70 Der Kampf ums Dasein. wischt. Dasselbe Schauspiel bietet jeder Wurf eines mehrgebä- renden Säugethiers, z. B. jeder Katze, jedes Hundes. Dreijäh- rige Beobachtungen an jungen Forellen haben mich belehrt, dass bei diesen Thieren das gleiche Verhältniss zwischen den Jungen eines Elternpaares besteht, und meine vierjährigen Beobachtungen an den Seidenraupen (Bombyx mori und Pernyi) haben mir das- selbe Wettkampfverhältniss bei diesen Thieren gezeigt, nämlich dass es nicht nur von Hause aus Schwächlinge und Kräftlinge gibt, sondern auch, dass die ersteren von den letzteren aktiv vom Futter abgedrängt werden, so dass man genöthigt ist, sie zu isoliren, wenn sie nicht zu Grunde gehen sollen. Besonders deutlich ist diess bei Bombyx Pernyi zu beobachten. Kurz, meine Erfahrungen haben mich überzeugt, dass wohl bei allen Bruten jedes Thieres ein Wettkampfverhält- niss unter den Geschwistern besteht. Zum Ueberfluss gebe ich noch folgende zwei Beobachtungen. In diesem Frühjahr fand ich beim Befischen einer etwa zwei Kilometer langen Strecke eines Forellenbaches am Ufer die Reste von vier, einem Habicht zum Opfer gefallenen Tauben: sämmt- liche vier stammten von weissen Exemplaren. Ein paar Wochen zuvor “besuchte ich bei Annweiler in der Pfalz einen Wander- falkenhorst und fand auf dessen Schlachtplatz nur weisse und gelbe Taubenfedern: beides Beweise, dass der Raubvogel bei den Haustauben Auswahl trifft, was indirekt einen Wettkampf ` zwischen weissen und wildfarbigen Tauben begründet. Wenn desshalb Wigand pag. 98 »von einzelnen Fällen« spricht, in denen »wirklich ein Wettkampf um eine Erhaltung im Sinne »Darwins vorkommen möge, die aber nicht in Betracht »kommen ‚« so ist das der Ausspruch eines Mannes, der sich entweder in der lebenden Natur noch gar nicht umgesehen hat, oder. der durch ein Vorurtheil mit Blindheit geschlagen ist. Die Sache kommt aber noch toller: »Mit Unrecht sagt »Darwin, ein Kampf ums Dasein trete unvermeidlich ein in »Folge der starken Vermehrung aller Organismen. Im Gegen- »theil möchte man, wenn wir sehen, dass überall da, wo eine »übermässige Produktion stattfindet, dieselbe auf andere Weise Wi Der Kampf ums Dasein. 71 >(auf welche? denn darüber verräth Wigand nichts! Jaeger) »compensirt werden kann, fragen: warum überhaupt einen »Kampf ums Dasein annehmen? Wenigstens wäre ein solcher »in den einzelnen Fällen besonders nachzuweisen. Bis jetzt liegt »wohl nicht ein einziger thatsächlicher Nachweis (!!!) vor, viel- »mehr hat man den Kampf ums Dasein als hypothetischen Er- »klärungsgrund für den Zweck der Theorie a priori construirt.«_ Ich muss gestehen, dass bei Lesung dieses Satzes mein Ent- schluss, Wigands Buch einer eingehenden Widerlegung zu würdigen, ins Wanken kam. Denn eine solche Stirne steht auf gleicher Stufe mit der der Tischrücker und Geisterklopfer , mit denen man sich nicht streitet. ‚Im folgenden stossen wir auf den im Eingang dieses Ca- Pitels zurückgewiesenen Versuch, dem Wort »Kampf ums Da- Sein« etwas anderes zu unterschieben. »Hätte man anstatt des »zweideutigen Ausdrucks »Kampf ums Dasein« den Ausdruck »Wettkampf« oder »Concurrenz« eingeführt, so wäre man nicht »in Versuchung gekommen, so oft ganz verschiedene Dinge zu »verwechseln.« | Darauf ist zu sagen: »Kampf ums Dasein« und »Wett- kampf« sind zwei sich durchaus nicht deckende Begriffe. Was unter ersterem verstanden ist, habe ich zum Ueberfluss pag. 65 formulirt. Dieser Kampf ums Dasein ist nicht an und für sich und in jedem Fall ein Wettkampf, sondern er wird nur zu einem solchen unter den bestimmten Verhältnissen, die ich ebenfalls oben pag. 65 namhaft gemacht habe, also ist Kampf ums Dasein ein weiterer Begriff, als Wettkampf. Z. B. der direkte Kampf zwischen einem Raubthier und seinem Opfer ist ein Kampf ums Dasein; er kann erst indirekt zu einem Wettkampf werden, indem 1) die verschiedenen Individuen der Raubthierspezies unter einander in der Erbeutung ihrer Opfer in der Weise wetteifern, dass das stärkste, bestbewaffnete, kühnste, energischste und schlaueste Individuum seine Existenz besser und länger zu fristen vermag, als das minderbegabte Individuum, 2) als die verschiedenen Individuen der Beutethierspezies wieder unter sich wetteifern in Bezug auf die Fristung ihres Lebens į p EEE a E a S A oe APA AES. et 2 u = i sa ina ean m rasato ainai änogl n i een Katar a a ne -= Š iat P " ee. WEN, 2. Fee Ca. en F 72 Der Kampf ums Dasein. gegenüber jenen Raubthieren derart, das das flinkste, vorsich- tigste, durch Farbe und Form am besten geschützte Individuum länger den: Nachstellungen des Raubthiers sich zu entziehen ver- mag, als solche, die durch irgend eine Minderbegabung dem- selben leichter zum Opfer fallen, wie z. B. die weissen Tauben durch ihre auffällige Farbe, was schon Darwin anführte und wovon ich oben zwei charakteristische Fälle mittheilte. Ebenso ist der Kampf eines Thiers gegen die Kälte ein Kampf ums Da- sein, den es theils durch aktive Massregeln (Suchen von Deckung), theils durch mehr unwillkürliche (reichlichere Ernährung bei Frost), theils durch constitutionelle Eigenschaften (siehe oben pag. 69), führt. Indirekt wird dieser Kampf ums Dasein zu einem Wettkampf insofern, als die Individuen der betreffenden Art, wie ich oben zeigte, in Bezug auf Resistenz gegen Frost indivi- duelle Differenzen aufweisen. = Wigand hat Recht, wenn er sagt: »der Kampf ums Da- »sein muss ein Wettkampf sein, wenn er von Bedeutung für die »natürliche Zuchtwahl sein soll,« allein Unrecht hat er, wenn er diesen Fall für einen seltenen hält, indem jede Art von Da- seinskampf in unzähligen Fällen zum Wettkampf wird. Weiter sagt Wigan d (pag: 100), der Kampf müsse absolut »entscheidend sein für die Existenz der coneurrirenden Formen, »wenn er ein Mittel der natürlichen Zuchtwahl sein solle,« Das ist nicht in allen Fällen richtige. Hat sich eine Art über grosse Räume unseres Planeten verbreitet und ist im Laufe der geolo- gischen Veränderungen ein Theil dieses Territoriums von dem andern so abgetrennt worden, dass eine Vermischung zwischen den Inwohnern der beiden Bezirke‘ unmöglich ist, so tritt fol- gendes ein. i Setzen wir den Fall, der eine dieser Bezirke sei eine klei- nere Insel, der andere ein grosses Festland. Da auf letzterem die Zahl der ein Thier bedrohenden Gefahren erstens der Art nach eine grössere ist, zweitens der Natur nach ein andere ist, als auf einer Insel mit armer Fauna, so verlangt das Festland von seinen Bewohnern nicht bloss intensivere Befähigungen, sondern auch der Art nach andere Befähigungen, als die Insel. Der Kampf ums Diois ` T Mithin iii auf dem Festland nicht den gleichen individuellen Variationen eine höhere Existenzfähigkeit zu, wie auf der Insel, und so können auf dem einen gewisse Charaktere zum Sieg ge- langen, die auf dem andern wohl auch auftauchen, allein nicht zum Sieg gelangen, weil sie hier werthlos oder schädlich sind. Nehmen wir einen bestimmten Charakter: die Flugfähigkeit, und setzen voraus, dass die fragliche Thierart auf dem Festlande von Raubthieren bedroht ist, auf der Insel nicht. In diesem Fall kommt zuerst die Gebrauchswirkung in Betracht. ‚Die Fest- landindividuen werden durch die Raubthiere zum Fliegen ge- 2wungen, d.h. erzogen, und entwickeln schon dadurch ihr Flug- werkzeug stärker. Auf der Insel ist es umgekehrt, der Nicht- | gebrauch ist der Anstoss zu beginnender Verkümmerung. Hiezu kommt folgendes: Auf einer kleinen Insel ist Flugfähigkeit und die damit verbundene Gewohnheit, viel zu fliegen, nachtheilig wegen der Gefahr des Verschlagenwerdens auf das Meer, wäh- rend auf dem Festland die Flugunfähigkeit ein Nachtheil ist, denn sie schafft eine Gefahr gegenüber den Raubthieren. Unter diesen Umständen kann es unmöglich zu einer absoluten Ent- scheidung zwischen Flugfähigen und Nichtflugfähigen kommen, die Entscheidung ist nur örtlich absolut: auf der Insel Siegen die letzteren, auf dem Festland die ersteren. - Wigand sucht den Wettkampffall noch weiter einzuengen durch den Satz: »nur spontane Abänderungen können concurriren« (pag. 100). Er meint unter »spon- tan« solche Abänderungen, die nicht direkt durch äussere Ein- flüsse bestimmt werden. Er sagt: »wenn die Abänderung durch >die äusseren Einflüsse bestimmt wird, so findet unter- allen, >den gleichen Lebensbedingungen ausgesetzten, also etwa >auf demselben Standort befindlichen Individuen selbstverständ- »lich gar keine Differenzirung, also auch kein Wettkampf statt, >sie werden entweder sämmtlich erhalten bleiben oder durch >einerlei Ursache sämmtlich zerstört werden.« Das ist falsch, denn, wie ich pag. 69 nachwies, sind nicht alle Individuen gleich ‚ Tesistent gegen eine bestimmte Standortsbedingung, z. B. die T emperaturgrade, und so besteht ein Wettkampf zwischenresistenten en ORNE a dadie ma > ; ur aaa linie Mn hr iR na asian le a EE ne a E E 3 nag > TEY ; g SE a a en ee — 3 a- aii s je p F “ RETTEN u nn RE, BETH Ta NDR a REN ET er te amao RR e TR A IA OPEN OPP. 74 Der Kampf ums Dasein. und nicht resistenten Individuen. Diess wird noch klarer, wenn wir z. B. den Gang der Schwankungen der Temperatur ins Auge fassen. Jeder weiss, dass die Strenge der Winterfröste in den einzelnen Jahren sehr wechselt. Folgen mehrere milde Winter, so können unter den während dieser Periode geborenen Indivi- duen auch die minder resistenten, wenn sie nur sonst existenz- fähig sind, ganz gut fortkommen. Folgt jetzt ein harter Winter, so erfrieren nieht alle, wie Wigand meint, sondern nur die letzteren. So hält jeder harte Winter eine na- türliche Auswahl und ruft einen Wettkampf hervor, in welchem nur Ein Theil der Individuen siegt. ‘Wigand wird nun behaupten wollen, die Qualitäten, auf denen die Resistenz gegen Kälte beruhe, gehören ins Gebiet der »spontanen« Abänderungen. Das kann er nicht, denn sonst fällt die von ihm gemachte Unter scheidung zwischen »spontan« und »durch äussere Einflüsse bestimmt« (ich will in. der Folge hiefür sagen »aufgezwungen.« Jaeger) weg. Weiter zeigt die Praxis, dass Abhärtungscharaktere nicht “nothwendig spontan sind, sondern durch rationelle Erziehung gemacht werden können. Wigand fährt fort: »Eine Ungleichheit zwischen zwei In- »dividuen derselben Art (damit meint er wohl in Bezug auf die. »aufgezwungenen Charaktere! Jaeger) könnte nur durch un- »gleiche Standorte hervorgerufen werden.« Auch das ist falsch. Bleiben wir bei der Wärme. Selbst wenn an einem Standort Jahr für Jahr mathematisch genau dieselben Wärmeverhältnisse bestünden, so würde diess nicht verhindern, dass Individuen von differenter Widerstandskraft gegen Kälte auftauchen, unter denen‘ der kommende Winter eine Auslese veranstaltet. Da aber, wie bekannt, mehrere milde Jahrgänge aufeinander folgen können, und mildes Klima nicht bloss den zärtlichen Individuen das Bestehen neben den andern möglich macht, sondern auch direkt verweichlichend wirkt, so können an einem und demselben Standort weichliche und resistente Individuen (die letzteren sind die, welche der Verweichlichung widerstehen), erzeugt werden. Die Ursache für diese Möglichkeit liegt in der Labilität der Vererbungsfähigkeit und zwar so: der letzte harte , Der Kampf ums Dasein. = 75 Winter hat alles Zärtliche vernichtet und nur resistente übrig gelassen. Nun folgen die milden Winter. Ein Theil der Resi- stenten vererbt diese Resistenz auf die Nachkommen, ein anderer nicht, und so ist der vom letzten Winter beseitigte Unterschied von neuem vorhanden. | swye Wigand fährt fort: »Aber auch dann (d. h. wenn Dif- »ferenz der Standorte eine Ungleichheit erzeugt hat) ist von einem >Kampf ums Dasein (falsch! es muss heissen »Wettkampf !« »Jaeger) nicht die Rede; denn eine Bergform concurrirt nicht »>mit einer Form des Thals.« Das ist dreifach falsch! Erstens: wenn die Bergform aus der Thalform entstanden ist, so werden Unter der ersteren, namentlich im Beginne ihrer Bildung, stets : Individuen vorkommen, die auf die Thalforın zurückschlagen, Und so concurrirt die Thalform mit der Bergform auf dem eigenen Grund und Boden der letzteren. Zweitens werden jederzeit Sowohl Bergindividuen ins Thal verschlagen, als Thalindividuen ‚auf die Berge, und das wird jedesmal einen Concurrenzfall setzen. Welcher Botaniker wüsste denn nicht, dass Bergformen längs der Flüsse weit hinaus in die Thäler vordringen und durch die Winde zahllose Samen von Thalformen auf die Berge entführt werden! Endlich drittens concurriren Bergform und Thal- form in intensivster Weise auf der‘ganzen Linie, in welcher ihre Verbreitungsbezirke ‚an einander ‚gränzen. Das Capitel auf pag. 101 ist eine vollendete Confusion. Der Wettkampf zwischen den Individuen einer Art ist allerdings ver- Schieden von dem Wettkampf zwischen zwei nahe verwandten Arten. Allein falsch ist es, zu behaupten, nur der erstere könne der natürlichen Zuchtwahl, d. h. der Umänderung durch dieselbe zu Gute kommen. Der Unterschied liegt nur in Fol- Sendem. Im ersteren Fall ist die Wirkung eine direkte: die Schwächeren Individuen der Art kämpfen mit den stärkeren der Sleichen Art. Im zweiten Fall ist das Verhältniss ein indirektes: durch den Kampf der Spezies A mit der Spezies B kommen alle Unterschiede unter den Individuen der Spezies B in Bezug auf ihre Vertheidigungsfähigkeit gegen die Individuen von A zur Vollen Geltung und zwar so, dass die minder kampffähigen m e e — u nn £ Ey E e ca pee u pè l; $ > g | $ iz I E #2 $ $ f 4 % Amy WH u f NAE R KHT : 3 = E: ji IR i E f 3 = nie B i E i| EES EE i ` p i } Bid p pi f | a- mlie SON tn men or ~ EEE TS ARD ae ee nn men upon ll. 535 En zu ne arena er 76 Der Kampf ums Dasein. B-Individuen von A unterdrückt werden, die Kampffähigen nicht. | Der naheliegendste Fall ist der Kampf zwischen einer Cultur- | pflanze und einem Unkraut: die schwächlichen Individuen der ersteren werden vom Unkraut unterdrückt, die schneilwüchsigen Kräftlinge arbeiten sich durch und so ist durch den Wettkampf zwischen Culturpflanze und Unkraut ein indirekter Wettkampf zwischen den Schwächlingen und Kräftlingen der erstern gesetzt und damit eine Zuchtwahl geschaffen. Mit der folgenden Einschränkung Wigands: »Entschei- »dend im Wettkampf müsse diejenige Eigenschaft »der concurrirenden Individuen sein, welche ge »züchtet werden solle (pag. 103),« kann man im allgemeinen einverstanden sein, doch finden sich in der betreffenden Ausein- andersetzung einige Irrthümer. Er meint: pag. 105: nach Darwin ist »die Anpassung der »Organismen an ihre Lebensbedingungen die wichtigste That- »sache, welche durch die natürliche Zuchtwahl ihre Erklärung »finden soll. Diess kann jedoch höchstens für die relativ »vollkommene Anpassung gelten. Dagegen ist die einfache »oder Minimalanpassung (darunter versteht er die, ohne »welche die Art gar nicht existiren kann) jedenfalls nicht Sache »der Zuchtwahl, ihre Entstehungsursache muss eine andere -von der natürlichen Zuchtwahl ganz unabhängige sein.« Dieser Satz muss vorher richtig gestellt werden. Der Trans- mutist behauptet nicht, die natürliche Zuchtwahl sei die erste Entstehungsursache eines Charakters, diess sind vielmehr alle, die individuelle Variation bedingenden, theils bekannten, theils unbekannten Ursachen, die Zuchtwahl entscheidet nur über Erhaltung und Fortentwicklung eines aus beliebiger Ur- sache erstmals aufgetretenen Charakters. Wigand will übrigens offenbar sagen, dass die Zuchtwahl in Bezug auf die Minimal- anpassung auch diese bloss ‘erhaltende Thätigkeit nicht habe ausüben können, weil überhaupt kein Thier habe leben können, _ ohne sie schon zu besitzen, mithin die Möglichkeit einer Auswahl gar nicht vorliege. Aber auch so ist die Behauptung: falsch. ' Bei dem Begriff »Anpassung« handelt es sich ja doch um zweierlei Der Kampf ums Dasein. 77 sanz bestimmte Dinge: erstens, um eine bestimmte Qualität des Organismus, und zweitens, um eine bestimmte Qualität und Constellation von Lebensbedingungen. Wenn ich von einem Charakter »minimale Anpassung« aussage, so kann sich das doch nur auf eine ganz bestimmte Constellation von Lebensbedingungen beziehen. Nun, ein solcher Charakter kann für eine andere Constellation von Lebensbedingungen schon eine relativ sehr vollkommene Anpassung sein. Z. B. für ein vom Wasser entfernt lebendes Luftwirbelthier wird als >minimale Anpasssung« der Besitz irgend eines Luftathmungs- Organes entschieden gefordert, ohne dieses Organ kann es nicht leben. Für ein Wasserwirbelthier dagegen ist der Besitz einer Lunge nicht nothwendig, es kann durch Kiemen und durch die Haut athmen. Taucht nun bei einem der letzteren der erste Noch so rudimentäre Anfang einer mit Luft erfüllbaren inneren Blase auf (gleichgültig aus welchen Ursachen), so verschafft diess den damit behafteten Individuen entschiedene Vortheile, und zwar schon für das Wasserleben selbst, indem dieser Sack ihnen die bekannten Dienste als Schwimmblase leistet. Allein es kann dieses Organ ihm auch den Dienst leisten, dass es durch den Besitz desselben befähigt wird, vorübergehend aufs Ufer zu Steigen und so sein Nahrungsgebiet zu erweitern. Auf letztere Weise kann sich die natürliche Zuchtwahl des minimalsten Anfanes eines Luftathmungsorgans bemächtigen und durch fortschreitende Ausbildung desselben aus einem Wasser- Wirbelthier ein Luftwirbelthier schaffen. Ein zweiter Irrthum ist folgender: »Nur wenn eine Abän- >derung nicht bloss nützlich, sondern wenn sie von en t- ’>scheidendem Einfluss für die Existenz allein der abgeän- >derten Individuen ist, — nur wenn die Anpassung der Abän- | >derung selbst eine relativ vollkommenere, die dadurch bedingte »Entscheidung zugleich eine absolute ist — ist diese Abänderung >für die natürliche Z üchtung geeignet.«e Damit meint er nach dem Vorausgegangenen, die Abänderung müsse derart sein, »dass | >die abgeänderten Individuen erhalten werden, alle nicht abge- »änderten dagegen zu Grund gehen.« Allerdings in letzter A ee a en cn a ei P a r ice A Ze a aa FE É atidi EENE ren PEE NAA EN EE t. N iink nti en E. e Rr RT a RE; TE = as -a — a - z = - z — > n eg wur ee me ne x m a PRM saze d r Me Re 1 4 a. = np E - 2 = ” aegre d = “ à ma —— LE NEET adt Me; > - ee rt AR ADS P 4 78 Der Kampf ums Dasein. Instanz muss es dazu kommen, allein bis dahin können sich viele Generationen abwickeln, während welcher beide, abgeän- derte und nicht abgeänderte, neben einander existiren, aber so, dass die Zahl der Nichtabgeänderten stetig abnimmt gegen- über der Zahl der Abgeänderten. ` Das kann nun jeder, selbst der kleinste Vortheil, zu Wege bringen, in welchem Fall aller- dings bis zur Entscheidung eine längere Zeit verstreicht, als wenn der Vortheil ein sehr überwiegender ist. Weiter stellt Wigand die Behauptung auf, »dass bei dem »Kampf ums Dasein, wenn anders derselbe erfolgreich für natür- sliche Zuchtwahl sein soll, ganz bestimmte Zahlenver- »hältniss e für die betheiligten Individuen vorausgesetzt werden »müssen. Wäre z. B. die Zahl der Beutethiere gleich oder »kleiner als das Bedürfniss der vorhandenen Raubthiere, so »würden sie entweder sämmtlich verzehrt, sie möchten gleich »oder verschieden sein — also keine Concurrenz und keine Aus- »wahl.« Hiezu macht er die harmlose Anmerkung: »Wobei wir, »um die Betrachtung nicht zu sehr zu compliziren, von dem »Fall, dass einzelne Raubthiere aus Mangel an genügender »Schnelligkeit und Stärke leer ausgehen und Hungers sterben, »absehen oder vielmehr voraussetzen, dass alle Raubthiere þe- »friedigt werden.« Wenn ein Mathematiker einem Schüler eine Aufgabe stellt, in welcher zwei veränderliche Faktoren vorkommen, von denen der eine sich verkleinert, sobald sich der andere verkleinert, und der Schüler sagen würde, um die Rechnung nicht zu kompli- ziren, schlage er vor, den einen Faktor als unveränderlich zu behandeln — welche schmeichelhafte Benennung würde ihm wohl sein Lehrer geben? Nein, Herr Wigand! wenn man eine Rech- nung machen will, so ist die erste Bedingung, dass man in die- selbe keine falschen Faktoren einsetzt. Doch nehmen wir die Sache speziell in Behandlung. Gesetzt, den für Wigand noch günstigsten Fall, ein Raub- thier sei ganz ausschliesslich auf ein bestimmtes Beutethier an- gewiesen, z. B. der Fuchs könne sich bloss von Hasen nähren und beide seien allenfalls auf einer Insel internirt, so liegt die Der Kampf ums Dasein. 79 Sache so. Unter allen Umständen werden von den Füchsen die langsamsten und unvorsichtigsten Hasen zuerst gefangen und die schnellsten und vorsichtigsten , die jetzt übrig bleiben, sind Nur wieder für die schlauesten und flinksten Füchse leichter er- reichbar, die minder begabten Füchse leiden Hunger, kümmern und gehen zu Grunde. Dieser Akt gegenseitiger Auswahl wieder- holt sich fort und fort, bis in letzter Instanz der kräftigste und sSewandteste Fuchs und der schnellste vorsichtigste Hase übrig bleiben. Jetzt handelt es sich darum: fängt der letzte Fuchs den letzten Hasen, um dann zu verhungern, oder verhungert er, ehe er ihn erwischt. Es findet mithin während des ganzen Kampfes ein fortwährender dreifacher Wettkampf statt: 1) zwi- . Schen den starken und schwachen Füchsen um die Ernährung, 2) zwischen ‘den flinken und lahmen Hasen um die Errettung und 3) zwischen Fuchs und Hase selbst um den Preis der Srössten Leibesbegabung. Wem das nicht sonnenklar ist, für den habe ich mein Buch nicht geschrieben, für den gibt es über- haupt keine Naturforschung. | Nun liegt aber in der Natur die Sache für Wigands Be- hauptune nocH ungünstiger. In den allermeisten Fällen hat ein Raubthier mehrere Beutespezies, gewöhnlich sogar sehr viele, nd wenn z. B. die Hasen selten und die übrig Gebliebenen wegen vieler misslicher Erfahrungen schlauer werden, so frisst eben der Fuchs Rebhühner oder Wachteln oder Mäuse oder Engerlinge oder Heuschrecken ete., und wenn all das fehlte — ehe der Fuchs sich die Lunge heraushetzt, um den letzten Hasen u fangen, frisst er Gras und Kraut, oder wenn auch das fehlte, SO fangen die Füchse an, sich selbst aufzufressen, lange ehe der letzte Hase ins Gras beissen muss. Auch in diesem letzteren Fall findet die Auswahl statt, dass der stärkste Fuchs alle an- deren überlebt. Endlich kommt folgendes dazu: ganz abgesehen von der individuell verschiedenen leiblichen Begabung, welche bewirkt, dass ein alter abgeschlagener Rammler sich nicht von jedem beliebigen Grünling von Fuchsen übertölpeln lässt, bedingt Auch noch ein anderer Umstand, dass das Raubthier seinem Beutethier nicht unter allen Umständen überlegen ist und den EEE nn nn ne a een a n wanna an aae ae T a D a ae 80- Der Kampf ums Dasein. Kampf bis zur Vernichtung des letzteren führen kann. Die Hauptjagdmethode der Füchse auf den Hasen besteht darin, sich dem letzteren unter dem Wind hinter einer Deckung anzu- schleichen. Im coupirten Terrain, das überall Deckung bietet, kann es desshalb leicht zu einer örtlichen Vertilgung der Hasen kommen, freilich immer wieder mit stetiger Auswahl, so dass der vorsichtigste Hase zuletzt daran glauben muss. Allein auf offenem Terrain, wo es an Deckung mangelt, befindet sich der Hase im Vortheil und hier wird der Fuchs selbst dann nicht fertig werden, wenn er seinerseits auch gar keinen Feind atıf offenem Terrain hätte, dem er sich hier mehr exponiren muss. Ich will nur den einen Umstand erwähnen: sobald ein Fuchs oder eine Katze beim ‚hellen Tag auf offenem Terrain von Krähen, Dohlen, Schwalben, Bachstelzen etc. bemerkt wird, um- _faltern diese ihn mit warnendem Geschrei, das der Hase und jedes Beutethier der Füchse versteht und als Fluchtsignal þe- handelt, und der Fuchs muss unverrichteter Dinge abziehen. Daraus geht hervor, dass Wigands Behauptung (pag. 107) mit all den daran geknüpften Schlussfolgerungen absolut falsch ist und nur von Jemand gemacht werden kann), der das Ge- triebe der lebendigen Natur nicht kennt. Wigand wird sich vielleicht entschuldigen, er sei Botaniker und kein Zoologe; dann heisst es: »Schuster bleib beim Leisten !« Recht hat Wigand, wenn er pag. 109 sagt, zur Häufung und Fortbildung einer Abänderung gehöre »eine sich fortwährend »steigernde Erschwerung der Concurrenz, d..h. Steigerung der »Ansprüche an die Anpassung.« Allein falsch ist es, wenn er meint, diess verlange »eine fortsehreitende Veränderung in den »äusseren Lebensbedingungen,« also z. B. Zunahme der Feinde oder Zunahme der Winterfröste oder Sommerdürre ete. Aller- dings wird eine derartige Aenderung der äusseren Lebensbeding- ungen die Ansprüche steigern und damit ein Motiv für die Fort- bildung sein, allein die Hauptsache ist, dass ein wichtiges Motiv aus der erstmaligen vortheilhaften Abänderung mit Nothwendig- keit von selbst sich ergibt. 5 Nehmen wir zur Nlustrirung das von Wie and selbst Der Kampf ums Dasein. 81 herausgehobene, aber falsch behandelte Beispiel von dem langen Hals der Giraffe. Wigand meint, die stetige, oder, wie er sagt, Tuckweise Verlängerung des Halses könne nur erklärt werden, Wenn man nicht bloss eine Wiederholung der Hungersnoth (welche die kurzhalsigen tödte), sondern auch annehme, sie Müsse sich »jedesmal um einen, der Steigerung der Halslänge entsprechenden Grad steigern, sei es dadurch, dass sich die »Zerstörung der Vegetation (des Baumlaubs durch Dürre) jedes- >mal um einen Zoll höher erstrecke (!), oder dadurch, dass »Zwischen je zwei aufeinanderfolgenden Zeiten des Mangels ein »längerer Zeitraum verlief, mithin eine stärkere Vermehrung der >Concurrirenden Individuen veranlasste. Gewiss eine Annahme s0 ungeheuerlich als die andere!« Die erstere Annahme ist allerdings ungeheuerlich, allein wer hat diesen,Unsinn behauptet’? Niemand als Herr Wigand selbst! Die andere Annahme Wigands ist weniger ungeheuerlich, aber doch noch so, dass Sie zeigt, derselbe habe nicht die blasse Idee von-dem wirklichen Vorgang. Die Sache steht so: ` In einem Land, in welchem die Bodenvegetation zeitweiliger $änzlicher Zerstörung durch anhaltende Dürre ausgesetzt ist, muss ein pflanzenfressendes Thier, wenn es sich erhalten. soll, die Gewohnheit annehmen, Bäume abzuweiden. Hat es genug Bäume, .so wird der Personalstand der Thiere nicht beeinträch- tigt und sie werden sich vermehren, bis ein gewisses Gleich- ‘ Sewicht von Futtervorrath und Futterbedarf eintritt. Von jetzt ` an bedarf es gar keiner Hungersnoth durch Verdorren der Bäume, ' um eine stetige Halsverlängerung herbeizuführen, das besorgt Sanz einfach die Concurrenz und zwar so: Kommt eine Giraffen- heerde an eine Mimosengruppe, so werden die Bäume von unten auf abgeweidet und zwar nicht, wie Wigand anzunehmen Scheint, nur entblättert, sondern da die Giraffe auch das Ge- ”weig mitfrisst, bis zu einer gewissen Höhe total geschoren. Befinden sich nun einige Individuen mit längerem Halse unter dem Trupp, so werden diese noch fortfressen können, wenn die ‚Kurzhalsigen schon aufhören müssen. Diese sind nun gezwungen, Wenn sie nicht hungern wollen, weiter zu gehen. Da aber die Jaeger, In Sachen Darwin’s. ee 6 82 Der Kampf ums Dasein. Giraffe ein geselliges Thier ist, so geht das nicht sogleich von. Statten, sondern erst, wenn es auch den Langhalsigen gefällig ist. Dasselbe wiederholt sich nun von Baumgruppe zu Baum- gruppe: jedesmal kommen die kurzhalsigen etwas zu kurz. Nehmen wir an, auf einer Oase seien schliesslich alle Baumgruppen bis auf die Höhe, in welche die langhalsigen Individuen reichen können, abgeweidet, so ist den kurzhalsigen dauernd die Baumnahrung entzogen; nicht durch eine Veränderung der äusseren Lebensbedingungen, sondern durch ihre langhalsigen Concurrenten, und sie müssen zu Grunde gehen, wenn sich ihnen keine andere Nahrungsquelle eröffnet. Solange nun unter den zurückbleibenden langhalsigen kein noch längerhalsiges 'Indivi- duum auftritt, bleibt die Höhe, bis auf welche die Bäume ge- schoren werden, sich gleich und der Personalstand der Giraffen wird sich dem durch den jährlichen Trieb wieder in ihr Bereich wachsenden Futterquantum anpassen müssen. Als Beleg für diese eigenthümliche Baumschur führe ich das Aussehen der Bäume in einem starkbesetzten Hirschpark oder auf einer Schaf- weide an: sämmtliche Bäume sind genau bis zur gleichen Höhe abgeschoren. Sobald nun neuerdings (aus irgend welcher Ur- sache) ein Individuum mit gesteigerter Halslänge auftritt, so wird diess sich entschieden reichlicher ernähren, länger leben und sich reichlicher fortpflanzen können. Ist seine Langhalsigkeit erblich, so wird eine Mehrzahl von langhalsigen erscheinen, so dass sich schliesslich der gleiche Prozess wiederholt, ohneirgend welche Beihülfe geänderter Ausserer Bedingungen. Item! Das Motiv der Fortbildung liegt einfach in der Goncurrenz, welche die Abgeänderten den nicht Abgeänderten machen — ‘sobald kein Ueberschuss von Futter mehr vorhanden ist, und letzterer Fall wird immer mit mathema- tischer Nothwendigkeit eintreten, sofern sich der Vermehrung des _ Pflanzenfressers nicht ein anderweitiges Hinderniss (Raub- thier etc.) entgegenstellt. Pag. 113 kommt Wigand auf diet Gränzen, welche dieser Steigerung eines Organs gesteckt sind, zu reden und anerkennt, dass eine gewisse Selbstregulirung denkbar sei, . Der Kampf ums Dasein. 83 allein »nicht überall sei sie denkbar. So-ist z. B., obgleich ein »übermässig verlängerter Hals der Giraffe sich nicht mehr tragen »>würde, dennoch kein Grund vorhanden, wesshalb der Züch- »tungsprozess in dieser Richtung eine Beschränkung erfahren »sollte; eben weil in diesem Fall kein Grund ist, warum das >Motiv für die Fortbildung des Organs, nämlich die sich fort- »während steigernde Erschwerung des Kampfes um die Lebens- »bedingungen nicht ebenso gut wie bisher fortdauern sollte.« Hierauf diene zur Antwort 1) eine Giraffe, deren Hals so lang ist, dass sie ihn nicht mehr aufheben kann, hat so gut wie gar keinen Hals, also ist auch hier, wie überall, dafür gesorgt, dass die »Giraffen nicht in den Himmel wachsen.« 2) Wird der Kampf um die Existenz nicht fortwährend in gesteigertem Masse erschwert, weil die Natur in der durch die Concurrenz hervorge- brachten Verminderung der Kopfzahl einen vollständigen Regu- lirungsapparat in all den Fällen zur Hand hat, wo es ihr an andern Mitteln hiezu fehlen sollte. Also was Wigand pag. 114 über die Zukunft der Giraffe äussert, ist gelinde gesagt Blöd- Sinn. Ebenso lächerlich falsch ist der Fall von Biene und Blume behandelt. 5 Unter der Ueberschrift »Schwierigkeiten in Folge der voll- kommenen Anpassung« folgt pag. 115 eine Auseinandersetzung, die den peinlichen Eindruck macht, dass Wigand sich einer Aufgabe gegenüber befindet, der er nicht gewachsen ist; denn die Schwieriekeiten liegen nicht in der Natur der Sache, sondern darin, dass Wigand angesichts seiner Aufgabe der Verstand still steht. Von den aufgeführten Schwierigkeiten will ich zum Beweis für meine Behauptung zwei herausgreifen. »Die zweite Schwierigkeit, welche mit dem‘ Eintreten der > vollkommenen Anpassung verbunden ist, besteht darin, dass . >mit dem Aufhören des Kampfs ums Dasein gerade derjenige »Faktor, welcher nach Darwin bisher die übermässige Pro- >duktion von Individuen compensirt und das Gleichgewicht er- -= >halten hat, hinwegfällt.« Diese absurde Behauptung ist nur dadurch erklärlich, dass Wigand »Kampf ums Dasein« und »Wettkampf« gleichbedeutend nimmt. Offenbar versteht Wi-. en ae Eee en Senn ne a Dan aa rn nane rn nenn nn nn 84 Der Kampf ums Dasein. gand unter »vollkommener Anpassung« nicht bloss eine voll- kommene Beschaffenheit des Individuums, sońdern auch, dass alle Individuen ganz gleich sind.) Gesetzt, diese Vorbedingung absoluter Gleichheit sei erfüllt (was thatsächlich nie zutrifft), so eoncurriren trotzdem alle Individuen um das vorhandene Futter; dessen Quantum nimmt nun in gleichem Masse ab, als die Kopfzahl der dasselbe verzehrenden Thierart zunimmt und es liegt auf der Hand, dass der so entstehende Mangel schon an und für sich das Mittel wird, eine Uebervölkerung zu hindern, denn der Nahrungsmangel beeinträchtigt zunächst direkt die Fortpflanzung, die Fruchtbarkeit nimmt ab, die Jungensterb- lichkeit nimmt enorm zu und schliesslich werden auch die Alten von Krankheiten befallen, welche nicht bloss das Gleichgewicht herstellen, sondern meist eine weit darüber hinausgehende Vernichtung herbeiführen. .Diess lehrt der Verlauf jeder Mäuse- oder Raupenübervölkerung. Hiezu kommt dann naturgemäss folgender Umstand. Es gibt fast kein Thier, das nicht einen Schmarotzer oder sonstigen Feind hätte. Sobald es sich ver- mehrt, wächst damit das Nahrungsquantum des Feindes, so dass dieser sich auch vermehrt. Tritt nun in Folge Futtermangels die oben geschilderte Verminderung ein, so stürzen sich die in Ueberzahl vorhandenen Feinde oder Schmarotzer (z. B. bei den Raupen die Schlupfwespen, bei den Mäusen Füchse, Marder- arten, Raubvögel etc.) über die reduzirten, durch Nahrungs- mangel geschwächten Thiere her und vernichten sie oft so voll- ständig, dass es viele Jahre braucht, bis die wenigen durch die Gunst der Umstände und individuelle Resistenz aus dem allge- meinen Untergang geretteten Individuen wieder eine irgend nennenswerthe Nachkommenschaft erzeugt haben. Von diesem letzteren Faktor hat zwar Wigand eine Ahnung, allein nun sagt er: »damit ist aber Darwin nicht gedient, weil »durch Zulassung solcher Mittel der Kampf ums Dasein, »welchen er als das regelmässige Mittel, die Ueberfüllung zu »beseitigen, zur Grundbe dingung seiner natürlichen Zuchtwahl »bedarf, prinzipiell ausgeschlossen ` würde.« Diese unsinnige Behauptung ist wieder nur durch die von Wigand vorgenom- G Der Kapi ums Dasein. ` | 85 ~ Mene Fälschung des iin »Kampf ums Dasein,« indem er es gleichbedeutend mit »Wettkampf« nimmt, erklärlich, Allein selbst, wenn man Wettkampf sagen würde, ist obige Behaup- tung dennoch falsch, weil auch in diesem Fall ein Wettkampf vorliegt, und zwar selbst dann, wenn (was nicht richtig ist} alle Individuen körperlich gleich wären. Hält denn Wigand _ einen Wettkampf zwischen zwei körperlich ganz gleichen Indivi- ‘duen nicht für möglich? Wigand wird nach allem, was er über diesen Gegenstand in seinem Buch verlauten lässt, ant- worten: »Nein, weil keiner dem andern überlegen ist, kann es »zu keiner Entscheidung kommen und es gehört zum Begriff des »Wettkampfes, dass der eine gewinnt und der andere verliert.« Ganz richtig! Allein diese Entscheidung tritt, sobald der Wett- kampf fortdauert, unte r allen Umständen dadurch ein, dass irgend ein äusseres Hinderniss, ‚das dem einen aufstösst, dem andern nicht, die Entscheidung bringt. Ein solches Hinder- niss muss schliesslich mit apodiktischer Gewissheit eintreten: wenn 2. B. zwei ebenbürtige Duellanten noch so viele resultatlose Gänge gemacht haben — sobald sie das Duell fort und fort wieder aufnehmen, kommt zum Schluss doch ein »Anschiss« heraus. Der zweite Fall, bei welchem Wigand ‚der Verstand still steht, ist der, wie es möglich sei, dass höhere und niedere Thierformen neben einander bestehen (pag. 118): »Es ist nicht ` »einzusehen, warum die letzteren nicht entweder schon längst von »den besser angepassten höheren Formen besiegt und verdrängt »worden sind oder warum sie nicht, wie diese, ebenfalls sich »auf eine höhere Stufe der Organisation erhoben haben.« Darauf könnte man antworten: diess hat die gleichen - Gründe wie’die Thatsache, dass neben dem vollkommeneren Transportmittel, der Eisenbahn, noch das unvollkommenere, die Postkutsche, neben dem vollkommeneren Dampfpflug der un- vollkommenere von Thieren gezogene, neben den Reibzündhölz- chen die Schwefelhölzchen, der Feuerschwamm und die Feuer- Teibhölzer der Wilden, neben dem Telegraphen die Briefpost, 86 r Der Kampf ums Dasein. neben dem Gelehrten der Handwerker etc. etc. existiren. Doch wollen wir die Sache genauer analysiren. Der Unterschied zwischen einer höheren und niederen Or- ganisationsstufe besteht in der grösseren Differenzirung des Körpers bei der ersteren. Z. B. unter den Gliederthieren unter- scheidet sich das höher organisirte Insekt von dem niederen Ringelwurm in folgender Weise: die Leibesringe des Wurmes sind alle nahezu gleich und mit den gleichen Organen ausge- rüstet, beim Insekt sind einige zum Kopf, andere zur Brust, andere zum Hinterleib zusammengetreten; die des Kopfes besitzen Fühler und Fresswerkzeuge, die der Brust Füsse und Flügel und die des Hinterleibs herbergen die Eingeweide. Der Unterschied zwischen dem niedriger stehenden Reptil und dem höher stehen- den Vogel beruht unter anderem darauf, dass beim ersten hinten und vorn Füsse, beim Vogel vorn Flügel, hinten Füsse stehen, darauf gründet sich der biologische Unterschied zwischen Hoch und Nieder. Der höhere Organismus ver- fügtüber mannigfaltigere Hülfsmittelzu sei- ner Existenz, als der niedere, und das schafft ihm die Möglichkeit, unter complizirteren, also für die Exi- stenz eines Organismus schwierigeren Bedingungen noch sein Fortkommen zu finden: der höhere Organismus ist universeller verbreitungsfähiger. Ich will diesen Satz an den Wirbelthieren beweisen. Der Fischtypus ist niedriger organisirt als die übrigen Wirbelthiertypen. Dem entsprechend ist er auf das Wasserleben beschränkt, während die andern Typen sowohl im Wasser, als in der Luft angetroffen werden. Unter den Pulmonaten stehen die kaltblütigen Reptilien und Amphibien niedriger, als die warmblütigen Vögel und Säugethiere, erstere sind auf die warmen _ und gemässigten Erdgürtel beschränkt, letztere bewohnen die Erde von Pol zu Pol. Unter den Säugethieren sind die niedrigen Beutelthiere auf kleine Erdkreise eingeschränkt, die Beutellosen universell. Unter den Amphibien sind die niedrigstehenden Kiemenmolche nur an wenigen Erdpunkten zu finden, die höheren kiemenlosen Schwanzlurche Kosmopoliten etc. etc. » i Der Kampf ums Dasein. 87 Sehon diese einzige der Verbreitung entnommene Thatsache weist darauf hin, dass höhere und niedere Formen biologisch verschieden sind, d. h. eine andere Lebensweise führen. Dieser Umstand ist auch der Schlüssel dafür, dass Sieneben einander existiren können, ohne sich aüszuschliessen : weil sie verschiedene Lebensweise führen (nach Aufenthaltsort, ' Nahrungsqualität, Zahl der Futterstoffe ete.), ist die Goncurrenz weder direkt noch energisch genug, als dass es zur Stellung des aut — aut in der Existenz käme. Letzteres ist nur dann der Fall, Wenn zwei concurrirende Formen die ganz gleiche Lebensweise führen. Für den Nichtfachmann mag der Hinweis auf das Menschenleben genügen: Wenn an einem Ort zwei Bäcker sind. So machen sie sich erbitterte Concurrenz, während ein Bäcker und ein Metzger, trotzdem dass beide auch um das gleiche Ob- jekt,: das Geld ihrer Ortsgenossen, concurriren , friedlich mit einander leben. Doch zu was Gleichnisse! Thatsache ist, der Wurm lebt neben dem Insekt, der Fisch neben Reptil und Frosch, letztere neben ‘Vogel und Säugethier: kurz, die Natur selbst ist ein einziger grosser Beweis dafür, dass das Nebenein- anderleben höherer und niederer Formen möglich ist und der Schlüssel liegt darin: jede Form, die niedere so gut wie die höhere, ist vollkommen angepasst , aber die eine für diese, die "andere für eine andere Lebensweise, und somit ist die Wi- gand’sche Frage so, wie er sie gestellt hat, albern. Hätte dagegen Wigand gefragt: wie es möglich sei, dass - aus einer an ihre 'Lebensbedingungen angepassten Form auf dem Weg der natürlichen Züchtung eine höhere hervorgehen könne, ohne dass erstere verschwinde, dann hätte er eine immerhin zu stellende Frage gethan. und auf die will ich auch ausführlicher antworten. u u. 0 o) al aoto Der Hauptsache nach liegt allerdings die Antwort schon im Obigen: die Sache wird dadurch möglich, dass die höhere Form zu einer anderen Lebensweise übergeht. Trotz-. dem lohnt es sich, die Sache in extenso zu betrachten, und ich thue diess um so mehr, als weder Darwin noch Häckel und andere dieses Gesetz, das Fortschrittsgesetz, in einer mir Í 3 f & px $ & $ $ 3 $ z i une en ann re Tan S7 SRS F z 3 š z p 88 .x Der Kampf ums Dasein. genügend erscheinenden Weise zergliedert haben. Wir wollen die Erscheinung die Divergenz durch Fortschritt nennen und darunter die Spaltung der Descendenz in eine niedere und höhere Form verstehen. | Unerlässliche Vorbedingung für den Eintritt dieser Divergenz ist, dass die sich entwickeln sollende höhere Form ein noch nicht besetztes, also concurrenzfreies Er- nährungsgebiet vorfindet. Man könnte einwenden, dieser Fall werde nur äusserst selten eintreffen. Das ist aber nicht richtig, wenn wir die Natur dieses Erwerbsgebietes als eines complizirteren und desshalb für die niedere Form unzugäng- lichen ins Auge fassen. Als passendstes Beispiel bietet sich der Unterschied von Wasser und Land. Eine Masse der verschie- densten Gründe zwingen uns zu der Annahme, dass die prim- ordialen Faunen ganz aus Wasserthieren bestanden, und so wird im Verlauf der Erdgeschichte ein Zeitpunkt existirt haben, in welchem es zwar trockenes Land gab, aber noch keine Land- thiere. Es war das Land noch unbesetzt, mithin concurrenzfrei, und dass der Aufenthalt auf trockenem Land für einen Organis- mus complizirtere Vorrichtungen nöthig macht, dass also das Land ein complizirteres Erwerbsgebiet ist, erhellt aus einer ein- fachen Betrachtung der Existenzbedingungen.*) Untersuchen wir nun, wie die Spaltung der Descendenz eines Wasserthiers in eine dem Wasserleben treubleibende niedere und eine höhere Luftform möglich ist. Die innere Voraussetzung ist das, aus was immer für einer - Ursache erfolgende Auftreten einer individuellen Abweichung, welche seinem Träger das, wenn auch nur zeitweilige Heraus- gehen ans Land ermöglicht (siehe pag. 77). Mag diese Vorrich- tung so unvollkommen sein, als sie will, so ermöglicht sie seinem Träger ein den nicht abgeänderten Individuen verschlos- senes Ernährungsgebiet zu betreten, und da diess ein unbestreit- barer Vortheil ist, so werden — Erblichkeit der Variation vor- A *) Siehe meinen Aufsatz »Der Lebensprozess im Wasser.« Ilustrirte Familienbibliothek. Bd. I. Leipzig 1869. Der Kampf ums Dasein. 89 ausgesetzt — die Nachkommen dieses Individuums nicht nur er- halten und sich vermehren, sondern diese Vermehrung wird auch desshalb sehr rasch vor sich gehen, weil das neue Gebiet noch Nicht bevölkert, also coneurrenzfrei ist. Dieser glückselige Zu- Stand wird jedoch in dem Augenblick beendigt, in welchem dieses neue Luftthier sich so vermehrt hat, dass eine heftigere Coneurrenz der Artgenossen entsteht. In dieser liegt jetzt das Motiv zu einer fortschreitenden Vervollkommnung und Anpassung an das Luftleben. Damit ist zweierlei geschehen. | Je vollkommener die Anpassung an das Luftleben, desto Seringer wird die vorher bestandene Anpassungan das Wasserleben, d. h. mit der Möglichkeit, sich länger auf dem Land aufzuhalten, vermindert sich die Möglichkeit eines längeren Wasseraufenthaltes, und damit vermindert sich auch die Concurrenz zwischen den nicht abgeänderten Wasserindivi- duen und den abgeänderten Luftindividuen in dem ursprüng- lichen Gebiet, dem Wasser. | | | Das zweite ist, dass auch umigekehrt dasselbe gilt, und darin liegt die Antwort auf den zweiten Theil der Wigand’schen Frage: »warum die niedere Form sich nicht ebenfalls auf die. >höhere Stufe der Organisation erhebe?« Fürs erste zwingt kein einziger Grund die nicht abgeänderten Individuen auch aufs Land zu gehen, ist diess fürs zweite ihnen schon wegen der mangelnden Organisation verschlossen und dann desshalb, Weil ihnen, den nachträglich diesen Versuch machenden Indivi- duen, die dem Luftleben bereits besser angepassten Individuen dort eine Concurrenz bereiten, welche die erstmals an die Luft tretenden Individuen noch nicht vorfanden. So bewirkt die na- türliche Zuchtwahl eine stetige Erweiterung der Kluft zwischen Land- und Luftindividuen. Sollte es ein Luftindividuum ver- Suchen, wieder ins Wasser vorzudringen, so erliegt es der Con- Currenz der für ihr Element noch vollkommen angepassten asserindividuen und umgekehrt. | Ein anderes derartiges Beispiel wäre das Flugbarwerden der Thiere, d. h. die Bevölkerung der Luft durch die Descendenz 90 Der Kampf ums Dasein von Kletterthieren,*) und ähnliches wiederholt sich bei der Bevölkerung einer noch insektenlosen Pflanze durch die ab- ändernde Descendenz der Insekten einer andern Pflanzenart, beim Uebergang vom Freileben zum Schmarotzerleben (hiebei ist es Divergenz durch Rückschritt), von festsitzender Lebens- weise zum freien Uıinherschweifen ete. etc., kurz, bei jeder biologischen Divergenz, sei sie ein Fortschritt oder ein Rückschritt oder Paralleldivergenz. Aus dem Ebengesagten kann sich der Leser auch leicht entnehmen, dass es falsch ist, wenn Wigand pag. 119 darthun will, die Divergenz einer Form in zwei gleichzeitig fortbestehende neue Formen sei »nur dann denkbar, wenn die zwei verschie- »denen Abänderungen unter ungleichen äusseren Einflüssen, »d. h. an zwei getrennten Lokalitäten auftreten.« Das ist bekanntlich auch die Ansicht, die der sonst transmutistische Moritz Wagner in seiner Migrationstheorie aufstellt. Diese Ansicht ist desshalb falsch: Sobald die neuauftretende Varietät eine Instinktvariation ist, d. h. zu einer andern Lebensweise übergeht, so bildet sich, wie ich schon pag. 52 nachwies, sehr leicht Abneigung zu geschlechtlicher Vermischung oder, um das Weissmann’sche Wort zu benützen, Amyxie durch Abneigung, und der Divergenzprozess hat damit den einzigen gefährlichen Gegner verloren. Es wären in diesem Capitel noch eine Reihe falscher Behauptungen Wigands zu widerlegen, es wird aber schon das Vorstehende genügen, meinen Ausspruch im Anfang dieses Capitels zu begründen und die völlige Nichtigkeit seiner Deduk- tionen klar zu legen. Dem gegenüber nimmt sich folgender Satz, mit dem Wigand dieses BE RE unendlich komisch aus: »So glauben wir mit unserer Deduktion Darwin vor die »unvermeidliche Alternative gedrängt zu haben: "entweder einen »Schöpfungsplan, dessen Beseitigung gerade das Motiv. »seiner Theorie bildet, nun erst recht als Voraussetzung und *) Siehe Jaeger, Skizzen aus dem Thiergarten, pag. 305 und 310. Die systematischen Charaktere. 9 ` >conditio sine qua non der natürlichen Zuchtwahl anzuerkennen, >— oder, wenn nicht, das Selektionsprinzip, d. h. die ganze ? Theorie aufzugeben.« i Ona Ich schliesse dieses Capitel mit folgendem Ausspruch. Wenn gegen die Darwin’sche Lehre nichts Stichhaltigeres j Vorgebracht werden kann, als was Wigand in diesem Gapitel vorbringt, und wenn man, um sie bei Nichteingeweihten zu . disereditiren, zu solchen Mitteln greifen muss, wie es Wigand sethan, dann dürfen Darwin und seine Schüler unbesorgt in die Zukunft schauen: der Wettkampf zwischen den Transmutisten Und den Constanzianern intra muros wird nicht mehr zu lange \ Auf seine Entscheidung harren dürfen. VII. Die systematischen Charaktere im Kampf ums Dasein. In diesem Capitel untersucht Wigand, ob die im Kampf ums Dasein entscheidenden Charaktere, die er »Anpassungs- Charaktere« nennt, zugleich von systematischer Bedeutsamkeit Sind und umgekehrt: ob die systematisch bedeutsamen Eigen- Schaften im Kampf ums Dasein entscheidend seien. Er kommt ‚hiebei natürlich ` zu einem negativen Resultat, woraus folgen Würde, dass die systematischen Charaktere, mithin die Arten, nicht durch Zuchtwahl entstanden sein können. Mit welchem echt Wigand zu diesem Resultat kommt, mag der Leser aus folgendem beurtheilen. Walt 29 it Seine erste Aufstellung lautet, es gebe Anpassungscharak- tere ohne systematischen Werth, z. B. die constitutionelle Wider- Standskraft gegen die Kälte, Trockniss etc., die grössere Ernäh- Tungsfähigkeit einer Pflanze durch eine längere Wurzel, grössere Stärke und Schnelligkeit eines Raubthieres, eine der Umgebung ähnlichere Farbe etc. ie | e. 99 . Die systematischen Charaktere. Es ist ganz richtig, dass diese Charaktere an und für sich keine systematischen Charaktere im Sinne der zünftigen Syste- matik sind, allein eine andere Frage ist die, ob sie nicht solche consecutiv hervorrufen können. Ich bin viel zu wenig Botaniker, um zu wissen, von welchem Einfluss ein stärkeres Wurzelsystem auf die übrigen morphologischen Charaktere einer Pflanze sein kann, allein für das Thierreich ist leicht nachzuweisen, dass solche an und für sich systematisch werthlose Anpassungs- charaktere Veränderungen, welche systematischen Werth haben, hervorrufen können, ja wahrscheinlich geradezu müssen. Man nehme eine beliebige zoologische Monographie, so wird man finden, dass unter den von der Systematik zur Speziesunter- scheidung benützten Merkmalen die Proportionalität der Körper- theile eine ganz erhebliche Rolle spielt, z. B. bei den Vögeln das Längenverhältniss von Tarsus und Mittelzehe, oder von Schnabel und Tarsus, das Verhältniss von Spannweite der Flügel und Rumpf- länge, das Ueberragen der Flügelspitzen über das Schwanzende, die relative Länge der Schwungfedern etc., bei den Fischen das Verhältniss von Höhe und Länge des Leibes, bei den Insekten Länge- und Breite-Verhältniss des Brustschilds, Längenverhält- niss der Fühlerglieder, der Tarsenglieder, Länge- und Breite- verhältniss der Flügeldecken, Längeverhältniss der Vorder- und Hinterflügel, ob die Flügeldecken den Hinterleib ganz bedecken oder nicht, Länge der Fühlhörner im Vergleich zum Leib, rela- tive Länge der Fusshüften mit Bezug auf die Hinterleibslänge etc. etc. Derlei Merkmale werden nicht bloss zur Speziesunter- scheidung, sondern sogar zur Unterscheidung von Gattungen und Familien benützt, z. B. unter den Käfern ist Verkürzung der Flügeldecken systematischer Charakter für die Familien der Staphylinen, der Histeriden und der Bruchiden, relative Hüft- länge systematischer Charakter für die Blattwespengattung Macrophya etc. Dass die Proportionalität der einzelnen Körpertheile den Einflüssen der Gebrauchswirkung unterworfen ist, habe ich schon pag. 48 ausführlich dargelegt und verweise hier nur noch auf folgendes. Eine vermehrte Arbeitsleistung, z. B. die von Wi” u < Die systematischen Charaktere. 93 Sand angeführte Schnelligkeit, kann den Körper niemals im Ganzen vergrössern, sondern es geschieht dies immer nur mit bestimmten Körpertheilen und da, wie wir oben sahen, die Ver- Srösserung eines mehr beschäftigten Körpertheils stets die Ver- kleinerung eines relativ minderbeschäftigten zur Folge hat, so Müssen sich die Proportionsverhältnisse ändern, z. B. ein schneller fliegender Vogel bekommt längere Flügel auf Kosten seiner Fuss- länge, ein schneller hüpfendes Känguruh längere Hinterbeine auf Kosten seiner Vorderbeine, der Schmetterling (Sphingiden) vergrössert seine Vorderflügel auf Kosten der Hinterflügel etc. Also die durch den Kampf ums Dasein bedingten Aende- rungen der Gebrauchsintensität verändern die Proportionalität der Körpertheile und schaffen so unmittelbar Unterschiede, Welcher sich die Systematik überall bedient. Allein es können auch mittelbar noch weitere systematische Merkmale daraus hervorgehen. Z. B: bei den Käfern hat die Verkürzung der Flügeldecken so, dass sie ein bis mehrere Hinterleibsringe frei lassen, die weitere Folge, dass’ der Rückenabschnitt der letzteren ZU einem sogenannten Pygidium erhärtet, was wieder einen ‘yStematischen Charakter abgibt. Weiter spielt z. B. in der: Systematik der Käfer das Rückenschildchen eine sehr grosse Rolle: ob es vorhanden ist oder fehlt und wie lang es ist im Verhältniss zu den Decken. Nun hat es mit dem Rückenschild- then die gleiche Bewandtniss wie mit dem Pygidium: es ist eine Stelle der Rückenfläche der Mittelbrust, die sich desshalb snthünlich entwickelt, weil sie von den Flügeldecken nicht bedeckt ist; es hängt also in seiner Grösse ab von der Grösse der Flügeldecken und diese von der Gebrauchsintensität. Derlei Beispiele, dass Aenderung der Gebrauchsstärke nicht bloss un- mittelbar, sondern auch mittelbar Unterschiede schafft, die wir in der Systematik benützen, liessen sich zahllose anführen. Aber auch zugegeben, es gäbe wirklich solche Anpassungs- Charaktere, die‘ weder systematischen Werth an sich haben, Noch mittelbar oder unmittelbar systematische Charaktere Schaffen, so folgt daraus gar nicht, dass nicht eine grosse Zahl Anderweitiger systematischer Charaktere der Anpassung ihre 94 Die systematischen Charaktere. direkte Entstehung verdanken. Diess hat auch Wigand ge fühlt und macht sich im Folgenden an die Beantwortung der Frage, ob die systematischen Charaktere durch Anpassung ent- standen sein können. | Sein erster Satz lautet (pag. 124): »Die Entstehung von »systematischen Anpassungscharakteren durch Zuchtwahl ist von »vornherein nur dann denkbar, wenn der dadurch bedingte »Lebenszweck die Erhaltung des Individuums selbst ist. Diess »ist jedoch keineswegs bei allen Anpassungscharakteren der Fall.« | Ehe wir auf das angeführte Beispiel eingehen, muss folgende Be- merkung eingeschaltet werden. Kein wissenschaftlich gebildeter Transmutist behauptet heutzutage, dass alle systematischen Charaktere der natürlichen Zuchtwahl unmittelbar ihre Ent- stehung verdanken ; daraus kanh aber nur ein Prinzipienreiter, = als welchen wir Herrn Wigand in.der Folge noch genauer kennen lernen werden, den Schluss ziehen, dass es demnach gar keine systematischen Charaktere gäbe, bei deren Entwick- lung die natürliche Zuchtwahl von entscheidendem Einfluss ge- wesen sei. Gehen wir auf Wigands Satz näher ein. Er sagt: »So sind z. B. die die Aussaat vermittelnden Ein- richtungen, wie der Pappus der Gompositen, ohne Frage von | »grosser Bedeutung, indem dieselben je nach ihrer Vollkommen- »heit den Grad der Verbreitung der betreffenden Pflanzenarten »bestimmen; die Existenz des Individuums dagegen wird »dadurch nicht bedingt.« »Eine vollkommenere Fliegeinrichtung »mag dem betreffenden Individuum eine grössere Verbreitung „an Zahl und Raum gewähren, aber durchaus keine grössere '»Sicherheit der Existenz. Im Gegentheil muss den pappuslosen »Individuen, ‚welche dem Standort der Eltern treu bleiben, gerade »die durch den Pappus beförderte Auswanderung ihrer Art- »genossen mindestens ebenso zu Gute kommen und ihnen die »Behauptung ihres Platzes und ihrer Existenz erleichtern.« Diese Auseinandersetzung ist geradezu haarsträubend! Was versteht denn Herr Wigand unter »Individuum«? Ist denn ein Same nicht so gut ein Individuum als eine ausgereifte Pflanze? Der reifen Pflanze, die nach Abwurf ihrer Samen ihre Lebens- d Die systematischen Charaktere. ` 95 aufgabe und bei den einjährigen Pflanzen sogar ihr Lebensende erreicht hat, kann es für ihre Existenz allerdings völlig gleich- giltig sein, ob ihre Samen im Haufen zu ihren Füssen liegen bleiben oder im Wind davon fliegen, also ob sie einen Pappus haben oder nicht, allein für den Samen, der doch mindestens Nach seiner Loslösung ebenso gut ein Individuum ist, bleibt es nicht gleichgiltig. Wigand selbst gibt zu, »dass eine »Flugvorrichtung eine grösse Verbreitung an Zahl und Raum »gewähre.« Weiss Wigand nicht, dass das ein direkter Vor- ` theil für den einzelnen Samen ist? weiss er nicht, ‘was jedem Bauern bekannt ist, dass der Saatwechsel., d. h. die Ueber- tragung eines Samens auf einen andern Boden als den seiner Mutterpflanze dem Gedeihen des Samens förderlich ist? Weiss Wigand. nicht, dass die durch eine solche Samenwanderung ünterhaltene Kreuzung der Individuen verschiedener Standorte die heilsamen Folgen einer Blutauffrischung nach sich zieht ? Weiss er endlich nicht, was wieder jedem Bauern bekannt ist, dass bei zu’dichter Aussaat die einzelne Pflanze sich schlechter entwickelt, als wenn sie frei steht? Warum versetzt denn der Bauer seinen Salat und lichtet die Reihen seiner Krautpflanzen, und warum durchforstet man den Wald , sobald die Pflanzen zu dicht stehen? Endlich ist denn nicht die grössere Individuen- zahl, die Wigand als Folge zugibt, ein indirekter Vortheil der einzelnen Pflanze insofern, als ihr Leben durch Pflanzenfresser um so weniger gefährdet ist, je mehr Individuen sich in die Fütterung des betreffenden Feindes zu theilen haben? Wenn z.B. einem Schmetterling sich nur wenige Exemplare seiner Nährpflanze darbieten, so ist er gezwungen, alle so dicht mit Eiern zu besetzen, dass die daraus kommenden Raupen die Nährpflanzen total zerfressen, während im andern Fall viele Pflanzenindividuen ganz raupenfrei bleiben, die andern nicht bis zur Abtödtung befressen werden. AE-S Geradezu komisch ist die Schlussbehauptung im obigen Passus (»Im Gegentheil ete.), denn erstens, hier behauptet er das, was er gerade vorher läùgnet, nämlich dass die grössere Zerstreuung der Samen dem Fortkommen derselben 'und zwar TEE ee 96 Die systematischen Charaktere. aller nützlich ist. Zweitens sagt er, ganz im Sinne der Trans- mutationslehre, der Nutzen trete schon ein, wenn auch nur ein Theil der Samen eine Flugvorrichtung habe! Hier passt das Sprüchwort : Blinder Eifer schadet nur! Der Versuch Wigands, diejenigen systematischen Anpas- sungscharaktere, welche den Samen oder Eiern anhaften, von der Zuchtwahl auszuschliessen, ist nicht nur ein vollständig missglückter, sondern es ist geradezu haarsträubend, von einem solchen Charakter zu sagen, durch ihn werde die Existenz des Individuums nicht bedingt, denn die Grundbedingung jeder indi- viduellen Existenz.ist doch zum mindesten, dass eine Pflanze aus dem Samen keimt und ein Thier geboren wird. Ein weiterer nicht minder unglücklicher Versuch, die Selek- tionslehre zu erschüttern, ist die Behauptung Wigands, es hängen die einzelnen Charaktere eines Thieres so sehr gegen- seitig von einander ab, dass jeder Charakter die übrigen bereits zur Voraussetzung habe und umgekehrt, dass mithin unmöglich Platz für die natürliche Zuchtwahl sei, und diese in der Luft schwebe. Was er meint, wird aus seinen Beispielen klar, an denen wir zugleich auch die Nichtigkeit der Behauptung am besten darthun können. | Er sagt pag. 127: »Für Pflanzenfresser ist eine gewisse »Form der Zähne zweckmässig und zur Erhaltung des Indivi- »duums auch nothwendig, vorausgesetzt, dass dasselbe durch die »Einrichtung des Verdauungsapparates auf Pflanzennährung be- »schränkt ist.«e »Die entsprechende Einrichtung der Verdauungs- »organe bedarf selbst erst der Erklärung und wenn diese nach »Darwin aus der Zuchtwahl abgeleitet werden soll, so muss »die zum Kauen der Pflanzenstoffe erforderliche Zahnbildung »vorausgesetzt werden.« Wigand hätte kein geschickteres Beispiel wählen können, um an ihm die Nichtigkeit seiner Behauptung darzuthun. Die zum Pflanzenfressen nöthige Einrichtung der Verdauungsorgane besteht im wesentlichen in einer grösseren Weite und Dick- wandigkeit des Magens und in einer grösseren Länge des Darm- kanals. Der erste Punkt ist, dass diese Einrichtung nicht Die systematischen Charaktere. 97 die Voraussetzung für die Pflanzennahrung, son- dern die Folge derselben ist. Dieser Satz kann in dop- belter Weise experimentell beseitigt werden: | 1) Wenn man einen Pflanzenfresser von Jugend an zur ' Fleischnahrung oder zu einer physikalisch dieser entsprechenden Nahrung zwingt, so unterbleibt die Ausweitung des Magens und . die Verlängerung des Darms: z. B. bei den Rindern, die man mit breiigen und flüssigen Futtermitteln ernährt, bleibt der Pansen .. ?elativ kleiner, und ebenso haben sie einen relativ kürzeren - Darm, als die mit Rauhfutter ernährten Rinder. Dasselbe Ex- Periment ist mit Haustauben gemacht worden (s. pag. 17). 2) Wenn man einen Fleischfresser zur Pflanzennahrung “zwingt, so wird der Darm länger und der Magen weiter; ein Experiment, das der Mensch an sich häufig genug macht und an jedem Hund wiederholt werden kann. | Abgesehen von den Experimenten zeigt auch eine einfache Physiologische Erwägung, dass das so sein muss.. Der eine Punkt ist die physikalische Beschaffenheit des Futters. Das teigig weiche Fleischfutter übt einen viel geringeren mechanischen Reiz auf die Magenwände als das rauhe Pflanzenfutter. Da der Organismus‘ jeden Reiz mit einem stärkeren Wachsthum des Sereizten Theiles beantwortet, so muss die Darmwand durch Rauhfutter zu einem stärkeren Wachsthum veranlasst werden. Der zweite Punkt ist die chemische Beschaffenheit, d. h. die Verdaulichkeit des Futters: Fleischnahrung wird in wenigen Stunden verdaut und damit hört die mechanische Reizung des Magens viel rascher auf, als bei Rauhfutter, wo Sie desshalb continuirlich ist, weil wegen der mehrere Tage in Anspruch nehmenden Verdauung der Magen bekanntlich gar nie leer wird. Weiter hinterlässt das Rauhfutter massenhafte und Sowohl durch diesen Umstand als durch ihre eigenthümliche Physikalische Beschaffenheit mechanisch reizende Kothmassen, die für den Darmkanal einen ausgiebigen, fast continuirlichen Wachsthumsreiz abgeben, in Folge davon seine Verlängerung bei Rauhfutternahrung. Der dritte Punkt ist endlich die Masse des Futters. Von Rauhfutter muss ein Thier viel ` m Jae ger, In Sachen Darwin’s, i RETTET lan 2 Pr | | EH 4: td ua u 98 Die systematischen Charaktere. grössere Massen verschlingen als von Fleisch und zwar aus zwei Gründen: Fürs erstere ist das Fleisch völlig verdaulich, Rauhfutter nur zum Theil. Fürs zweite: Wenn ein Futterstoff in 4 Stunden verdaut wird, so braucht das Thier nur den dritten Theil seines Tagesbedarfs (die Fressperiode zu 12 Stun- den gerechnet) auf einmal in seinen Magen aufzunehmen. Hat es dagegen zur Verdauung -2 Tage nöthig, so, muss das Thier neben dem vollen Tagesbedarf noch eine weitere, erst in der Vorverdauung begriffene Tagesration in seinem Magen führen. Die damit verbundene mechanische Dehnung des Magens führt zu bleibender Vergrösserung durch interstitielles Wachsthum. Aus dem Gesagten geht hervor, dass die mit der Nahrungs- qualität zusammenhängenden Darmeinrichtungen unabhängig vom Zahnbau verändert werden können, dass also Darmbau und Zahnbau nicht im Verhältniss gegenseitiger nothwendiger Voraussetzung stehen. Wigand wendet (siehe oben) dagegen ein, ein Thier mit Fleischfressergebiss werde keine Pflanzenkost fressen können oder wenigstens nicht fressen wollen und um- gekehrt. Auch das ist falsch! Das ausgesprochenste Fleisch- fressergebiss haben Hunde und Marderarten. Nun weiss jedes Kind, dass der Fuchs Trauben nascht, der Hund Gras und fast alles Obst frisst, sobald er es einmal gekostet hat. Dasselbe thun die Marderarten mit allem Süssobst, wie Trauben, Pflau- men, Reineclauden, Kirschen ete., denen sie leidenschaftlich nachgehen. Der Bär und der Dachs sind trotz eines sehr aus- gesprochenen Fleischfressergebisses viel mehr Pflanzenfresser als Fleischfresser, ja die Bären weiden die junge Saat ab trotz Hirsch und Reh. Dasselbe gilt von den Ichneumons, Zibeth- katzen ete. und nur von den ächten Katzen ist mir nichts von Pflanzennahrung bekannt. Umgekehrt gilt dasselbe: die spezifischsten Pflanzenfresser- gebisse sind die der Nager und Wiederkäuer; unter den Nagern ist bekannt, dass die Eichhörnchen Vögel fangen und verzehren, dass die Wanderratte Hühner, Gänse, Enten und Tauben mordet trotz einem Marder, dass die Feldmäuse und andere Nager sich gegenseitig auffressen selbst ohne grosse Noth. Auch N Die systematischen Charaktere. 99 die Wiederkäuer greifen, wenngleich seltener, zu Fleischnahrung, 80 fressen die Rinder auf den schottischen Inseln Fische und ich sah, wie eine Wapitihirschkuh eine Krähe, die ich flügellahm in ihren Park herabschoss, verfolgte, mit dem Lauf niederhieb und ohne weiteres verschlang. > Daraus geht hervor, dass die von Wigand aufgestellte er von dem solidarischen Verbundensein der systema- er -tischen Charaktere falsch ist. Thatsächlich kann der eine in Il kommen, ohne. dass der Andere sofort ebenfalls un- möglich wäre, und bei einer durch den Zwang der äusseren $ Umstände oder durch Instinktvariation erzeugten Aenderung der - Nahrungsweise ändert sich zuerst der plastischere der beiden Charaktere — hier der Eingeweidebau — zunächst durch Ge- brauchswirkung , dann aber auch unter Mitwirkung der Zucht- wahl, welche die durch den Gebrauch am leichtesten sich ab- ändernden Individuen auswählt. Erst sekundär kann es dann auch zu einer entsprechenden Abänderung des minder plastischen Charakters, des Zahnbaues, kommen. | Noch unverständlicher ist, wie Wigand die Beziehungen von Ranke und schwachem Stengel bei Kletterpflanzen gegen die Wirksamkeit der Zuchtwahl verwerthet. Er sagt pag. 197: »Die Ranke ist für die Kletterpflanzen nur nützlich, wenn die »Pflanze einen schwachen Stengel hat; ohne diesen würde die »Ranke überflüssig sein. Man könnte mit gleichem Recht die »schwache Beschaffenheit des Stengels aus der natürlichen »Zuehtwahl erklären, indem man von dem Vorhandensein der »Ranke ausgeht: denn von zwei rankenden Individuen wird »dasjenige, bei welchem der in diesem Falle unnütze Aufwand »von Pflanzensubstanz auf Befestigung des Stengels gespart wird, »einen Vortheil vor dem andern mit kräftigem Stengel haben.« Hier gibt also Wigand nach beiden Seiten hin die Möglichkeit der Zuchtwahl zu, was will er also damit? Er sagt: Eine rankende Pflanze mit schwachem Stengel kann auf zweierlei Weise entstanden sein: entweder hatte sie den schwachen Stengel zuerst und verschaffte sich einen Vortheil durch Ranken- bildung oder umgekehrt. Beide Fälle sind möglich und man 100 Die systematischen Charaktere. kann nur bei der einzelnen Pflanze die Frage stellen, ob die Ranke oder der schwache Stengel das Primäre war. Ich werde darauf unten zurückkommen und nachweisen, dass wahrschein- lich immer der schwache Stengel das Primäre ist. Noch toller ist folgendes (pag. 127): »die grosse bunte »Blumenkrone als Lockmittel für Insekten setzt, wenn sie durch- »Zuchtwahl erklärt werden soll, sowohl die Nektarbildung als »auch erschwerte Selbstbefruchtung voraus.« Falsch! das Insekt kommt nur des Nektars wegen. Die erschwerte Selbstbefruch- tung ist dagegen durchaus keine nothwendige Voraussetzung. Eine solche Pflanze kann von Hause aus leicht sich selbst bestaübend sein, ist aber einmal durch den Insektenbesuch die Ge- legenheit zu Fremdbestaübung gegeben, so wird jeder Schritt, den die Pflanze in der Richtung einer Erschwerung der Selbst- bestaübung macht, von der natürlichen Zuchtwahl erfasst. Die erschwerte Selbstbestaübung ist also Folge des Insektenbesuches, genau so wie die bunte Blumenkrone Weiter sagt er: »die »Erklärung der 'Honigabsonderung durch Zuchtwahl setzt wie- »derum die Pollenbildung und die Erklärung der Pollenbildung »umgekehrt die Honigabsonderung und die erschwerte Selbst- »befruchtung voraus.« Bei diesem grotesken Unsinn wird man an die Geschichte erinnert: »Wenn der Hund mit der Wurst »über den Spucknapf springt« etc.; siehe übrigens über diesen Fall noch pag. 101. RI, Wigand begnügt sich nun nicht damit, dass er sagt, gewisse Charaktere -bedingen sich gegenseitig so, dass keiner ohne den andern gedacht, also keiner von der Zuchtwahl einseitig ergriffen und abgeändert werden kann, sondern er sagt, das sei geradezu bei allen Organisationseinrichtungen der Fall. Mit diesem Satz leugnet er das ganze Gebiet der Tera- tologie und individuellen Variation. Darnach gehören die hörner- losen Rinder, Schafe und Ziegen, die 6fingrigen . Menschen} die . gefüllten Blumen, die Schweine mit ungespaltenen Hufen, die haarlosen Rinder, die behaarten Menschen, die dachsbeinigen Schafe, kurz, die unzähligen Fälle, in denen ein bestimmter Charakter primär abändert, ohne dass die anderen Die systematischen Charaktere. 101 - Charaktere zunächst alterirt werden, in den Bereich der fabelhaften Thiere, aleigh den Meerjungfern, Drachen und Einhörnern! Gerade so wie Wigand eine Mitwirkung: der Zuchtwahl bei der gegenseitigen Anpassung der Organe eines und desselben . Individuums für unmöglich hält — wir haben gesehen mit welchem Recht — so leugnet er sie bei der gegenseitigen An- "Passung zweier Organismen und greift den von Darwin (pag. 108 der V. Aufl.) behandelten Fall von der Rüssellänge der Bienen und der Kelchröhrenlänge der Kleearten heraus. Er sagt pag. 129: »Bei dieser Erklärung wird vorausgesetzt, dass die nektar- '>suchenden Insekten mit einem für das Saugen des Nektars »aus dem Grunde der meistens verlängerten Blume geeigneten »Rüssel versehen sind. Da aber, wie nach Darwin alle ‚»>Charaktere durch natürliche Zuchtwahl erklärt werden sollen, >diess auch für den "Saugrüssel, welcher doch ursprünglich, »nämlich auf den niederen Stufen der Thierreihe nicht vorhanden War, gelten muss, so wird damit. nothwendig die Nektar- »absonderung bei den Pflanzen, an welchen sich das Saugorgan >der Insekten allein (sic) durch Zuchtwahl ausbilden konnte, »vorausgesetzt, d. h. es wird zur Erklärung der einen Ein- richtung eine andere, und zwar gerade diejenige, welche selbst »erst vermittelst der ersteren erklärt werden kann,- voraus- »gesetzt.« | Das Bornement in obigem liegt zunächst darin, dass Wigand von der Voraussetzung ausgeht, es sei bloss eine einzige Spezies von nektarabsondernden Pflanzen und eine einzige Spezies von honigsaugenden Insekten vorhanden. Wenn alle nektarabsondernden Pflanzen eine lange Blüthenröhre hätten wie die Kleearten, so wäre natürlich der lange Saugrüssel eine conditio sine qua non. Allein wie Wigand als Botaniker wissen Muss, gibt es genug Blumen mit ganz offen liegenden Nektarien, deren Benützung durch die Insekten keinen langen Saug- Tüssel voraussetzt. Die Neigung, Honig zu saugen, kann sich also ausbilden ohne Vorhandensein eines langen Saugrüssels. 109 Die systematischen Charaktere. d Gesetzt nun: es gibt honigabsondernde Blüthen mit offenen Nektarien und solche mit versteckten und unter letzteren alle möglichen Grade des Versenktseins in eine Röhre. Befindet sich jetzt ein honigsaugendes Insekt diesen verschiedenen BlJüthen gegenüber, so ist unbedingt jede Verlängerung des Rüssels ein Vortheil, 1) ist es durch dieselbe im Stand, auch Blüthen mit längerer Röhre zu besuchen, die ihm vorher unzugänglich _ waren, ohne dass ihm die mit offenen Nektarien damit entzogen würden, es vergrössert also sein Ernährungsgebiet. 2) Während ihm auf ‘den Blüthen mit offenen Nektarien alle kurzrüssligen Insekten-Concurrenz machen, fällt diese bei den langröhrigen Blüthen weg, was ein weiterer Vortheil ist. Im vorigen ist nun Seitens der Pflanzen zweierlei voraus- gesetzt: 1) Nektarbildung überhaupt, 2) verschiedene Zugäng- lichkeit des Nektariums. Es frägt sich jetzt, ob wir nicht mit ' einer -einzigen Voraussetzung ausreichen, d. h. ob sich nicht auch die verschiedene Zugänglichkeit der Nektarien erklären lässt. Setzen wir voraus, alle Blüthen haben von Hause aus offene Nektarien und fragen wir, ob es für eine Blüthe vortheil- haft sein kann, die Zugänglichkeit zu ihrem Nektarium zu erschweren. Diese Frage ist unbedingt zu bejahen und zwar aus folgendem Grunde. Haben alle Blüthen offene Nektarien, so werden die Pollen in planloser Weise von einer Spezies zur andern, von einer Gattung zur andern verschleppt, was nament- lich bei selteneren oder nicht geselligen Pflanzen die Befruchtungs- ‘ wahrscheinlichkeit mindert. Verlegt nun eine Pflanze ihr Nek- tarium auf den Grund einer engen Röhre, so brauchen wir jetzt nicht, wie Wigand glaubt, »Insekten mit langem Rüssel« vorauszusetzen und so einen circulus vitiosus zu machen; bleiben wir dabei, alle Insekten seien rüssellos oder kurzrüsslig. In diesem Fall ist die Blüthe mit verstecktem Nektarium allen Insekten verschlossen, die zu gross sind, um in die Röhre ganzhineinschlüpfenzukönnen, es wird mithin die Arten- zahl der sie besuchenden Insekten vermindert. Befindet sich nun unter den noch übrig bleibenden Besuchern eine Art mit monophagen Gewohnheiten, so hat die Pflanze den entschiedenen Die systematischen Charaktere. i w 103 Vortheil erreicht, dass ihr Pollen weniger auf verschiedene andere Spezies verschleppt, sondern sicherer auf Individuen der eigenen Art übertragen wird als zuvor, wo das Heer der polyphagen Mücken, Käfer, Blattwespen etc. den Pollen nutzlos verschleppten. Dieser Vortheil steigt, je enger die Artenzahl begränzt wird, und so liegt in dem Insektenbesuch, ganz gleich- gültig, ob sie lange oder kurze Rüssel haben, das Motiv für Verlängerung und Verengerung der Blüthenröhre, ‚ohne dass wir etwas anderes vorauszusetzen hätten , als die Nektarbildung überhaupt und die allgemeine Thatsache, dass es grosse und kleine, monophage und polyphage Honig- insekten gibt: Mi Hat nun obiger Prozess neben den Blüthen mit offenen Nektarien auch solche mit mehr oder weniger zugänglichem ‚Honig geschaffen, dann beginnt auf den letzteren seitens der vom Zugang ausgeschlossenen grossen Insektenarten die Be- werbung um diesen Honig auf dem Weg der Rüssel- verlängerung, und jetzt kann ein Wettkampf zwischen der Blume und den Insekten eintreten, aber nur indem Fall, wenn es für die Pflanze von Vortheil ist, die Zahl der sie | besuchenden Insektenarten auf niedrigem Stande zu erhalten. / Dass es solche Fälle geben muss, ist oben gezeigt worden. Es l kommt dann dahin, dass unter den um den Nektar dieser Blume concurrirenden Insektenarten -diejenige Art oder diejenigen Arten den Sieg davon tragen, d. h. vollständig der Blüthe adaptirt werden, welche der Pflanze den grössten Nutzen bereiten und welche der Röhrenverlängerung durch eine entsprechende Rüssel- verlängerung standhalten. Ein Laie, auch vielleicht Herr Wigand könnte nun fragen, warum das nicht in infinitum fortgeht? Weil eine Pflanze durch eine so hochgradige Verlängerung der Röhre, da kein Insekt mehr beikann, sich ihres letzten Befruchters berauben, also zu Grunde gehen würde. Die Pflanze darf ebenso wenig ein Prinzipienreiter sein als ein Naturforscher, was sich Herr Wigand merken möge. en Letzterer wird nun aber noch den weiteren Hacken in der Sache finden, dass die Nektarbildung vorausgesetzt sei j cu ü r Coe R REN Teen u EOS DEE aa ANTAL n s a 31. 3 FH $s BER JA 1:9 SH Ei ij, a si N E g 4 E á i E je: É; f 3 Er E a a AT Aai j panes EEE EN 10% Die systematischen Charaktere. und auch diese, da sie auch nur durch die Zuchtwahl erklärt werden soll, wieder honigsaugende Insekten voraussetze, die es nur gäbe, wenn Honigabsonderung vorausgesetzt werde; somit auch hier wieder ein Zirkel! — durchaus nicht! weil gerade das letztere falsch ist. Die Anwesenheit honigsaugender Insekten setzt durchaus nicht voraus, dass es honigabsondernde Blüthen gibt. Bekanntlich gibt es auch honigsaftabsondernde Baumstämme (Zuckerahorn, Birke etc.), honigabsondernde Blätter, deren Honigfluss sowohl spontan auftritt, wie in Folge von Insektenstich (z. B. Manna, dann der bekannte Honigthau an den Knospen des Apfelbaumes in Folge des Stiches des Apfel- blüthenstechers ete.). Endlich kann sich die Gewohnheit des Honigsaugens mittelst Einstich ganz unabhängig von der Existenz der Nektarien ausgebildet haben. Wigand wird wahrscheinlich weiter sagen: Trotz alledem sei das erste Auftreten eines Nektariums an einer Blüthe unabhängig von den Honiginsekten, es könne erst benützt werden, wenn es bestehe, sei also eine durch die Zuchtwahl nicht zu erklärende Voraussetzung. Selbst das ist nicht wahr, denn es lässt sich sehr gut einsehen, dass ein Nektarium erst durch die Insekten erzeugt wird. Thatsache ist, dass viele Insekten die Blüthen schon wegen des Pollens besuchen , dieser Besuch bildet nun einen mechanischen Reiz für die Blätter der Corolla, der allein schon genügen kann, einen stärkeren Saft- zufluss zu den von den Insekten am meisten betretenen Wurzel- theilen der CGorollablätter mit örtlicher Gewebshypertrophie herbeizuführen. Wir wissen weiter aus den Erscheinungen an wurmigen Früchten, dass eine solche örtliche Reizung die Zuckerbildung befördert. Nun darf hiezu nur noch die Ver- wundung durch stechende oder beissende Insekten und der durch das Ablecken der Wundsäfte entstehende mechanische Reiz "hinzugenommen werden mit Erblichwerden der erworbenen Geschwürsbildung (wenn wir so sagen wollen), so ist die ganze Sache erklärt ohne jede andere Voraussetzung als die, dass Pflanzen Zuckersäfte führen, und dass es Insekten gibt, die Pollen fressen und Zuckersäfte lieben. Die sun echen Charaktere, Ru 105 Im weiteren kommt Wi zu einem schon von Mi vart Semachten Einwurf: »es gebe andere Anpassungscharaktere und. ’zwar scheinen diese die überwiegende Mehrzahl zu bilden, >welche, um sich im Kampf ums Dasein als nützlich. beweisen KAN Bu: bereits einen. gewissen Grad von Ausbildung RS « Für das von Mivart gewählte Beispiel von den Milchdrüsen ‚der Säugethiere habe ich das Unbegründete dieser Behauptung bereits anderwärts ii nachgewiesen. Ich will im folgenden, Weil es lehrreich ist, noch einige andere der in Wigand auf- geführten Fälle analysiren. T Pag. 131: sagt Wigand: »So lange der Sangria der »Biene nicht die vollkommene Länge hat, um bis zum 'Nektarium der Blume zu reichen, hilft dieses Organ dem Individuum eben ’sar nichts, das Insekt wird gar nicht zur Goncurrenz mit denjenigen Individuen, deren Rüssel noch unvollkommener ist, >gelangen, sondern einfach verhungern !« Zunächst enthält dieser Satz gelinde gesagt einen Blödsinn: Denn, wenn die Biene mit dem ängeren Rüssel verhungert, so können die »mit noch unvoll- kommenerem Rüssel« ja erst recht nicht existiren. Uebrigens so grausam ist die Natur nicht, denn sie hat durch eine Unmasse von Pflanzen mit offenem Nektarium glücklicherweise dafür gesorgt, dass selbst Insekten ohne Rüssel nicht zu ver- ungern brauchen und ‚die obige Biene ruhig zuwärten kann, bis ein längerer Rüssel sie befähigt, auch Blumen mit verstecktem Nektarium zu besuchen und so sich der Concurrenz der Individuen ’mit noch unvollkommenerem Rüssel« zu entziehen — nicht aber, wie Wigand unsinniger Weile bagt, »mit ihnen zur Con- Currenz zu gelangen.« Ä Eben so unsinnig behandelt EEE die Darwin’sche Erklärung der Rankenbildung bei Kletterpflanzen. Er sagt: >So lange die Ranke -nicht die Fähigkeit des Windens und ’zugleich die genügende Länge besitzt, um eine Stütze fest Er EEE *) Jaeger, Die Milchdrüsen, Ausland 1874, pag. 638. - r _ ' yrity a 3 BERN REED peene ne ee AEAEE D NNa TEE IE IOE A Fik u EEE zen | ra BENDER "7 a pE 27 ‚3% s, paa O 106 Die systematischen Charaktere. zu umschlingen, hilft dieses Organ dem Individuum eben »gar nichts.< Bekanntlich ist eine Ranke entweder ein umgewandeltes Blatt oder ein umgewandelter Zweig, d. h. ehe sie Ranke ist, ist sie Blatt oder Zweig. Nun wird doch Wigand nicht behaupten wollen, ein Blatt oder ein Zweig nütze seinem Träger nichts! »Ja, wird Wigand sagen wollen, wohl nützen diese Organe »einer Pflanze, aber nicht als Kletterorgane.«e Warum nicht? Die kletternden Pflanzen haben alle das gemein, dass sie andere Pflanzen, die ihnen zur Stütze dienen können, also Holzpflanzen, durchwachsen. Das ist der Ausgangspunkt der Rankenbildung- Man schneide eine Brennnessel, die durch eine Hecke hindurch gewachsen ist, am Boden ab, fällt sie um? Nein! — Mit was hält sie sich? Mit ihren Blättern, und wenn sie Zweige hätte, mit ihren Zweigen, und ausserdem noch mit ihrem Stengel. Allerdings ist dieses Halten kein aktives, sondern ein passives: - ein Gehalten werden, allein darin liegt nun der Anfang für die Rankenbildung und das Winden. Ich will das ausführlicher darlegen, da ich auch Darwins Erklärung für nicht ganz voll- ständig halte. Eine. Krautpflanze, die im Dickicht einer Hecke, d. h. zwischen den die Hecke bildenden Holzpflanzen, welche ich »die Stützpflanzen« nennen “will, wächst, erfährt zuerst aus dreifachen Gründen eine Verschwächung und eine Verlängerung ihres Stengels. 1) In jeder Baumschule und jedem Wald kann man sich überzeugen, dass eine passiv gehaltene Pflanze eine Verschwächung ihrer Axe erfährt. Es gilt auch hier der von mir für das Knochenwachsthum aufgestellte Satz: »die Stärke des Wachsthums steht in geradem Verhältniss zur mechanischen Leistung,« *) die Biegungen der Axe durch die Windströmungen bilden für den Stamm einen Wachsthumsreiz, welche eine Verstärkung des Stammes zur Folge hat und letztere bleibt aus, wenn die Bewegung mangelt. Aus demselben Grund wird ein *) Jaeger, Das Längenwachsthum der Knochen. Jenaische Zeitschrift: Ba. y, í Die systematischen Charaktere. 107 freistehender Baum stärker schaftig als einer im geschlossenen Stand. 2) Das Unterdrücktstehen hat bei dem Heckenkraut, das dem Lichte zustrebt, eine Vermehrung des Längewachsthums, auf Kosten des Dickewachsthums zur Folge, was eine zweite Verschwächungsursache ist. 3) Die Beschattung der untern Stengelparthien und die feuchtere Luft, in der sie sich befinden, bewirkt, dass derselbe erstens sich stärker streckt (s. das Aus- wachsen der Kartoffel im Keller); und zweitens, dass er weicher bleibt. i Was mithin obeh pag. 99 unentschieden MB, ob bei deù Schlinggewächsen die Verschwächung des Stengels oder das Schlingorgan primär ist, ist hier zu Gunsten des erstern ent- schieden und nachgewiesen, dass diess eine direkte Wirkung der Standortsbedingungen ist. Die Schwächung des Stengels vermehrt nun die Abhängigkeit dieser Krautpflanze von ihrer Stützpflanze. Während sie” vorher sich noch aufrecht trug und nur seitlich gestützt wurde, fängt sie jetzt an, Sich auf ihre Stützpflanze förmlich zu lagern, sich an sie zu hängen. In diesem Zustand kann man sie Lagerpflanze oder Geflechtpf lanze nennen, weil sie sich in die Stützpflanze einflicht. Hiebei hält sie sich mit allen ihren Körpertheilen. Ob nun aus derselben eine Windepflanze oder eine Ranken- Pflanze wird und ob die Ranken aus einer Blatt- oder einer . Zweigmetamorphose hervorgehen, , das wird theils von ihrer eigenen Natur, theils von der Beschaffenheit der Stützpflanze, theils davon abhängen, mit welchen Körpertheilen sie vorzugsweise sich hält. Ich will zuerst bei dem Fall stehen bleiben, dass sie sich vorzugsweise mit ihren Blättern hält. In diesem Fall wird jede Verstärkung und entsprechende Formveränderung des Blattstiels für sie ein Vortheil sein. Eine Verstärkung des Blattstiels geht aber auf Kosten der Blattfläche und je mehr das Blatt zur Ranke wird, um so mehr verliert es seinen Charakter als Blatt. Hiezu kommt noch der Vortheil der Arbeitstheilung: wenn ein Theil der Blätter, also z. B. das erste an einem Auge, sich zur Ranke entwickelt und die mechanische Arbeit des Haltens auf sich allein nimmt, so ent- Gii EEE BT a ze x er RER \ e 108 . Die systematischen Charaktere. fällt für die folgenden Blätter diese Arbeit, so dass sie sich vollständiger den andern physiologischen Leistungen des Blattes widmen können. 5 Nun noch die Erklärung des Windens. Das nicht völlig Genügende der Darwin’schen Erklärung liegt wohl darin, dass er sich von Hause aus die Stütze, um die sich die Pflanze windet, als senkrecht stehend denkt. Die ersten Anfänge des Windens. scheinen mir besser erklärbar, wenn man eine wagrechte Stütze, z. B. die wagrechten oder schiefstehenden Aeste eines Strauches oder Baumes denkt. Auch die Winde- pflanzen entstehen aus Geflechtpflanzen und zwar dann, wenn bei ihnen die Stengelentwicklung über die Blattentwicklung über- wiegt, die Pflanze sich mehr mit dem Stengel als mit den Blättern hält. Liegt die Stengelspitze auf einem wagrechten Ast auf, überwächst diesen und erreicht keine Stütze, so kippt sie über und wird hängend. Ist jetzt der überhängende Theil so schwer und der Stengel so weich, dass an der Auflagestelle eine ein- seitige Compression der Saftgefässe entsteht, so ist der Anstoss zur spiraligen Windung gegeben, indem die gepresste Seite im Wachsthum zurückbleibt; hiezu kommt dann die bekannte Phototropie, welche die Spitze veranlasst, wieder nach oben zu streben. In den ersten Stadien der Bildung wird nun das nicht hinreichen, dass der Trieb wieder zu demselben Stützast herauf- steigt und einen zweiten Bogen über ihn beschreibt, "sie wird aber, wenn sie einen tieferen Ast erreicht, denselben im Sinne der gleichen Spirale überschreiten und so fort in Spiraltouren sich in das Gezweig der Stützpflanze einflechten. Auf dieser Stufe kann man sie eine spiralig flechtende Pflanze nennen; erst aus dieser wird sie die völlige Windepflanze, die sich in letzter Instanz auch an einer senkrechten Stütze aufwindet. Gehen wir nun zur Beantwortung der Frage Mivarts betreffs der Walfischbarten. Auch hier lässt sich zeigen, dass schon der erste Anfang dieser Bildung vortheilhaft sein musste, Darwin hat nur die Sache zu kurz abgefertigt. Der primäre Zustand des Walfisches ist, wie die rudimentären Zähne darthun, der eines Zahnwales. Es frägt sich nun, ob es einem Thier Die systematischen Charaktere. 5 109 | von Nutzen sein musste, wenn zwischen seinen Zähnen noch Hornleisten auftraten. Diese Frage ist zu bejahen, da die Leisten ihm auch auf geringster Stufe das Festhalten und Ergreifen kleinerer Thiere, die für die jedenfalls mächtigen Zähne Nicht mehr fassbar waren, ermöglichten, wodurch sich sein Nah- Tungsgebiet erweiterte, denn der Wal konnte jetzt neben grossen Auch kleine Thiere fressen. Weiter war jede fernere Vergrösserung der Hornleisten wieder vortheilhaft, weil damit die Leichtigkeit des Ergreifens der Kleinthiere zunahm und schliesslich nur noch ein Abseien des Wassers als von selbst sich vollziehendes Geschäft übrig blieb. Damit war die immerhin viel beschwer- lichere Jagd nach grossen Thieren überflüssig, die grossen Zähne funktionslos und der Verkümmerung durch Nichtgebrauch und Discorrela ion des Wachsthums überantwortet. Wig aa ist aber auch mit solchen Erklärungen nicht zu- = frieden. »Dadurch wird die Frage nur hinausgeschoben, denn >wie entstanden die ersten Hornleisten?« Darauf lässt sich kurz antworten: aus demselben Grunde, aus welchem an gedrückten Stellen Hühneraugen entstehen, durch den Gebrauch. Damit kommen wir zum weiteren Fall: Mivart frägt, wie das Verschieben der beiden Augen auf die eine Seite des Körpers bei den Plattfischen durch Zuchtwahl zu erklären sei, da doch der erste Anfang einer solchen Verschiebung ohne allen Nutzen Sewesen sei? — Hierauf antwortet Darwin richtig, das sei Nicht Sache der Variation, sondern des Gebrauchs, der Fisch Verschiebe aktiv seinen Kopf, um auch das untere Auge ge- brauchen zu können. Hierauf sagt Wigand pag. 132: »Wir »bemerken hier vorläufig, wie das Lamarksche Prinzip der >Gewohnheit (richtiger: Gebrauchswirkung! Jaeger) als Lücken- »büsser für die Selektionstheorie benutzt wird und constatiren >vor allem, dass damit die Unfähigkeit der letzteren zur Erklä- : ’Fung der ersten Anfänge adaptiver Einrichtungen anerkannt °wird.« Diess ist einfach nicht wahr, weil bei der Herbeiführung einer Gewohnheit die Selektion gerade so entscheidend mitwirkt, - Wie bei der Fixirung einer individuellen Variation. Doch abgesehen davon, ertappen wir Wigand hier, wie Be 3 "P: A ET ET anne ne EFT iR! ` l wenn Ri go p j JL | 110 Die systematischen Charaktere. schon früher und noch später, auf der für ihn bezeichnenden Prinzipienreiterei: Er versteht nicht, dass zum Zustandekommen jeder Naturerscheinung nicht bloss eine, sondern mehrere Ursachen gehören, also bei der Transmutation neben der Selek- tion noch die Gebrauchswirkung und eine Reihe anderer Ur- sachen. Weiter entpuppt er sich noch einmal als Prinzipien- reiter und Generalisator, wenn er aus der Unfähigkeit, den ersten Anfang einer Einrichtung durch Selektion zu erklären (was übrigens im obigen Fall nicht einmal wahr ist), schliesst, dass sie nun überhaupt kein Faktor sei, d. h. dass diess für alle Fälle so sei. Selbst wenn die Selektion in gar keinem Fall das erste Auftreten einer Einrichtung erklären würde, so ent- scheidet sie doch in allen Fällen 1) ob dieser erste Anfang er- halten und dadurch zu einem systematischen Merkmal gemacht wird oder ob er auf der Stufe einer gelegentlich als Curiosität auftretenden individuellen Variation verharrt, 2) ob derselbe durch Cumulation vergrössert wird. Das ist nun aber gerade der Knotenpunkt der ganzen Transmutationslehre. Es ist also falsch, wenn Wigand pag. 134 sagt: »Wenn für das erste Auf- »treten eines Organs eine andere Erklärungsweise zugestanden »werden muss, dann ist kein Grund vorhanden, für die Fort- »bildung über jenen Punkt hinaus ein ganz neues und zwar »künstlich ersonnenes Prinzip (d. h. das Selektionsprinzip) auf- »zustellen.« ; | Ueberhaupt geht aus obiger Bemerkung Wigands und aus vielen andern hervor, dass er von der Transmutationskraft der Gebrauchswirkung und von dem innigen Zusammenhang von Gebrauchswirkung und Selektion nicht die mindeste Ahnung hat. Letzterer besteht einfach darin: die Intensität des Daseins- kampfes bestimmt schon an und für sich die @ebrauchsintensität einer bestimmten Waffe im Kampf ums Dasein und die Selektion ist bereits bei. der Herbeiführung einer stärkeren Gebrauchs- intensität thätig, indem sie die kräftigeren Individuen, welche einer “solchen Gebrauchssteigerung fähig sind, auswählt, die andern vernichtet. So ist sie z. B. bei jener primären Gewohn- heit der Plattfische, aufwärts zu schielen, thätig, indem sie die- Die systematischen Charaktere. 111 jenigen, welche diess am häufigsten und vollkommensten thun, auswählt. Wer den Zusammenhang von Gebrauchswirkung und _ Selektion nicht versteht, der versteht die ganze Transmutations- lehre nicht, und wer glaubt, dass irgend eine Naturerscheinung Nur Einer Ursache ihre Entstehung verdankt, der kann nicht einmal den Anspruch erheben, ein Naturforscher zu sein. Die Mimiery glaubt Wigand mit folgender Bemerkung (pag. 135) abthun zu können. »Da der natürlichen Zuchtwahl >die Annahme einer unbestimmten und unbegränzten Variabilität >zu Grunde liegt, ‘wornach also auch jene unschädlichen Schmet- »terlinge und Schlangen nicht bloss in der Färbung, sondern »auch in der Erzeugung übelriechender oder giftiger Absonde- »rungsstoffe variirt haben müssen, so sollte man denken, dass »gerade diese letzteren Abänderungen vorzugsweise durch die natürliche Zuchtwahl bevorzugt und befestigt worden wären, »>weil dadurch jener Zweck, das Individuum gegen die Feinde >zu schützen, viel einfacher und sicherer erreicht würde. Will .>man aber eine bestimmte Neigung jener Thierarten, gerade . ?aur in der Färbung zu variiren, annehmen, so würde man ja >damit das Grundprinzip der Selektionstheorie : die freie Wahl »aufgeben.« 2 | Was Wigand een freier Wahl versteht, ist mir unklar, er kann wohl damit nur, wie oben, die unbegränzte Variabilität meinen. Dass diese im Wigandschen Sinn ein Unsinn ist, dessen sich kein Transmutist schuldig gemacht hat, und dass auch bei begränzter Variabilität die Selektion vollkommen mög- lich ist, wurde schon pag. 38 gezeigt. Ueber den speziellen F all bemerke ich folgendes. Für eine Fliege wird der Schutz viel einfacher erreicht, wenn sie die Farbe einer Wespe annimmt, als wenn sie sich den Giftstachel derselben erwirbt. Letzterer ist nämlich die Modifikation eines Legebohrers. Die Fliege müsste Sich also zuerst einen für obigen Zweck ganz unnöthigen Lege- bohrer anschaffen und diesen erst zum Giftstachel modifiziren, zu welchem Umweg in dem Schutzbedürfniss lediglich kein Motiv liegt, Ta Dasselbe gilt von den übelriechenden Absonderungen : Um 112 Die systematischen Charaktere. Stinkdrüsen auszubilden, müssen zuerst überhaupt Hautdrüsen vorhanden sein, also wieder ein Umweg, zu dessen Betretung kein Motiv vorliegt. Diesen Umwegen gegenüber ’ist die Be- tretung des Wegs zur Mimiery entschieden der einfachere und geradere um so mehr, als bekanntlich die Neigung der Thiere, in der Farbe zu variiren, eine weit grössere ist, als die Neigung, ganz neue Organe, wie Stinkdrüsen oder Giftstacheln, auf dem Weg der Variation zu erzeugen. i Also auch hier zeigt Wigand, dass ihm jedes tiefere Ver- ständniss wenigstens der thierischen Natur völlig abgeht. -Auf pag. 135 erhebt Wigand den Einwurf, es gebe systematische Charaktere ohne alle funktionelle Bedeutung, d. h. ohne nachweisbaren Nutzen für das Indivi- duum, die mithin auch nicht durch natürliche Zuchtwahl ent- standen sein können. Gut! das soll im allgemeinen zugegeben werden, obwohl immer noch im einzelnen Fall die Frage bleibt: ist dieser Charakter in Wirklichkeit gleichgültig oder scheint es nur so,: weil uns die nöthige Einsicht mangelt? Z. B. die Ge-- wohnheit einiger Pflanzen, mittelst besonderer Vorrichtungen | Fliegen zu fangen, schien den Naturforschern vor kurzem ganz gleichgültig für die Existenz der Pflanze, jetzt hat man entdeckt. dass die Pflanze diese Fliegen verdaut, dass die Einrichtung also höchst nützlich ist. Früher glaubte man, die giftigen Thiere tragen ihre bunten Farben als reinen Luxus, Wallace hat gezeigt, dass sie ihnen von grösstem Nutzen sind. Solche Bei- spiele lassen sich zu hunderten anführen. Die teleologische Schule hat eine Menge derselben aufgedeckt. Nachdem diese Schule . mit Recht in Misskredit gekommen war, weil sie auf Irrwege. führte, ruhte die so nothwendige Detailforschung in dieser Be- ziehung und es ist ein hohes Verdienst der Transmutationslehre, dass durch sie die Detailforschung wieder auf dieses reiche und dankbare Gebiet hingewiesen wird. ; Aber gesetzt, es bleiben auch nach völlig erschöpfender Detailforschung eine Reihe von Charakteren ohne nachweisbaren Nutzen übrig, so würde das nur beweisen, dass sie einer andern oder wahrscheinlich mehreren anderen Ursachen, als der Selektion, . Die systematischen Charaktere. 113 ihre Erhebung zum Rang eines systematischen Charakters ver- danken, nicht aber, dass gar kein systematischer Charakter seine Rangerhöhung der Selektion verdankt, das wäre die Behaup- tung eines einseitigen Generalisators ‚und Prinzipienreiters. ' Da Wigand hier nur botanische Beispiele als Beleg für Seine Behauptung anführt, so unterlasse ich es, im einzelnen zu untersuchen, ob sie wirklich alle stichhaltig sind, ohnediess da wir- später noch auf die zoologischen Fälle zu sprechen kommen und bemerke nur noch, dass gerade von diesen Fällen das Sprichwort gilt: »ein Narr frägt mehr, als zehn Weise beant- ` Worten können,« weil die Frage nach dem Nutzen eines be- Stimmten Charakters in den wenigsten Fällen aus dem Stegreif beantwortet werden kann, sondern die eingehendsten langwierig- sten Untersuchungen erfordert. Dagegen muss auf den Schluss- passus Wigands pag. 137 geantwortet werden. Dort heisst es: »Ja die Merkmale, welche systematisch die »wichtigsten sind, indem sie die obersten Kategorien (Ordnungen »und Familien) charakterisiren, welche die beständigsten und »nach Dar win ältesten ‘sind und daher am meisten angepasst »sein müssten, sind, wie Darwin selbst hervorhebt, oft gerade »physiologisch’die unwesentlichsten, z. B. embryonale EEE »Tudimentäre Organe u. s. w.< Diese Thatsache beweist im Sinne Wigamds gar nichts und obige Behauptung verräth nur, wie tief die Ignoranz des Behaupters geht. Ist denn ein embryonaler Charakter, z. B. der ‚Besitz der Allantois, des Amnion, der Placenta etc. desshalb Physiologisch. unwesentlich, weil ihn de Erwachsene nicht mehr braucht? Ein embryonaler Charakter erhält sich, weil der Embryo seiner bedarf, mit Zähigkeit durch eine ganze Ord- nung, einen ganzen Typus, aber er bleibt »embryonal,« weil er nach der Geburt funktionslos wird und seine Anpassung bezieht Sich nur auf den Embryonalzustand, für den sie auch, wie sich in jedem einzelnen Fall nachweisen lässt, eine vollständige ist. Was die rudimentären Organe betrifft, so sind einmal viele von ihnen Reste von Embryonalorganen, von denen obiges gilt. Von andern, z. B. den Halteren der Zweiflügler , welche als Jaeger, In Sachen Darwin’s. 8 ME. TIREN AO ENA yeay ar EF Y e A ý me ; aià aclid Y 4 re Aus da 5 ht Ba aah i > TETE SEEE ST, i at ach iu o eaa, Miia 2 nio yi Aa EN T en ANN i a A ii i = NY = Š ~ ine — -- -i ~ — m u Ks - - m a a = - a - ~ -5 a -a ners TOPEA: Em - TOSIA a pasm ; MEI ESA ENB . vage qero s 2 i a a aiia a van Er ` n ” monen a T á REN annais dana u pe : . aarue PRT u BZ Er Zinn a x ne RT Mey EAPN - F Er ja ih u - fh PEST) E r Ba SR” Y à ~ - m mea ans aa A a + aae a ee 4 Š EEE TEIA NZ j - 3 - m ir re te a a ii EN E TN ee . nn ei 5 Ee ge: a a RRF ; a . i j f 114 Die systematischen Charaktere. Flügelrudimente angesprochen werden können, lässt sich mit mehr oder weniger Bestimmtheit eine Funktion nachweisen, wichtig genug, um ihre Fortexistenz zu erklären. Eine dritte Sorte rudimentärer Organe, welche weder für den Embryo noch für den Erwachsenen von Vortheil ist, eine Sorte, deren Zahl sich aber im Verlauf weiterer genauer For- schung stetig vermindern wea fügt sich aufs beste folgender Be Den andersartigen Ahnen war ein Organ A von Nutzen 3 er seine Entstehung hat sich in innigen Zusammenhang mit einem Organ B gesetzt, in sogenanntes Correlationsverhältniss. Eine Aenderung der Lebensweise setzt das Organ A ausser Funk- tion, nicht aber das Organ B. Die Entstehung des Organs B hat stets auch die Entstehung seines Begleitorgans A zur Folge, allein, da jetzt für letzteres das in der Gebrauchswirkung und der Nützlichkeit liegende Motiv der Fortentwicklung fehlt, so „ bleibt es rudimentär. Ein solches Organ ist z. B. die Nickhaut des Auges. Diese Falte ist eine nothwendige Begleiterscheinung bei Bildung der Augenlider, bei den Vögeln ist ‚sie durch Ge- brauch und Selektion entwickelt, bei den Säugethieren bleibt sie rudimentär. Aber selbst hier ist die Selektion noch in Thätigkeit, denn von ihr hängt es ab, ob ein solches funktions- loses Begleitorgan überhaupt noch fortexistiren darf, oder ob es schliesslich gänzlich beseitigt wird. Letzteres wird in dem Augenblick eintreten, in welchem das Organ hinderlich oder sonst schädlich ist. Ja die Selektion kann auch ganz entschei- dend bei der Reduktion eines Organs auf den rudimentären Zustand (neben dem Nichtgebrauch) mitgewirkt haben und zwar so: ein funktionsloses Organ ist, so lange es das Volum eines funktionirenden hat, ein nicht bloss unnützer, sondern hinder- . licher Ballast und da jede Verminderung eines Ballastes ein Vortheil ist, so kann die Zuchtwahl hier in wirksamster Weise eingreifen, um es auf das Volum der Unbedeutendheit herabzu- drücken. Ist aber das geschehen, d. h. das Organ auf ein Volum reduzirt, bei welchem von einer hinderlichen Belastung Die systematischen Charaktere, 115 Nicht mehr die Rede sein kann, dann fehlt das Motiv für eine totale Beseitigung durch die Selektion. * Zum Schlusse des achten Capitels greift Wigand die Me- thode an, die Darwin schwierigen Fällen gegenüber anwendet. So sagt er z. B., wo Darwin mit seiner Beweisführung- zu Ende sei, »werde der Vorhang der Unwissenheit vorgezogen, um >in ihrem Dunkel anstatt mit Wirklichkeiten mit Möglich- »keiten zu operiren.« Werthester Herr Wigand! wissen Sie vielleicht Alles? Sind Sie nicht. gleichfalls genöthigt, den Vorhang der Unwissenheit da gelten zu lassen, wo Ihr Wissen am Ende ist? Ist es denn nicht besser, wenn man auf dem hinter diesem Vorhang liegenden Gebiet mit den auf Natur- gesetzen basirten und durch tausendfache Erfahrungen gebotenen Möglichkeiten operirt, als wenn man es mit solchen, allen Naturgesetzen ins Gesicht schlagenden, jeder empirischen Basis entbehrenden Unmöglichkeiten, wie Ihre Urzellentheorie eine ist, versucht ? Pag: 139 wendet sich Wigand gegen Darwins Erklärung der schon oben pag. 113 besprochenen Thatsache, dass oft die Klassifikatorisch bedeutsamsten Merkmale physiologisch bedeu- tungslos seien. Hier gebe ich Wigand insofern Recht; als auch mich das, was Darwin sagt, in Üomeeder Weise nicht ganz befriedigt hat. Der erste Punkt ist, dass reed für einige EEDA Cha- taktere von hoher morphologischer Bedeutung seinen Gegnern die physiologische Bedeutungslosigkeit mit völligem Unrecht ein- | geräumt hat: z. B. für den Bauplan der Insekten und das Skelet | der Wirbelthiere. Beide sind nach meiner Ansicht von der höchsten physiologischen Bedeutsamkeit. Es würde mich zu weit führen, diess in voller Ausführlichkeit zu erörtern, ich be- / sShüge mich desshalb mit folgenden Andeutungen. = Im Bauplan der Insekten ist das Constante und Merkwürdige die Dreizahl in der Eintheilung des Gesammtkörpers (Kopf, Brust, Abdomen) und die Dreizahl der Beine. Hiezu bemerke ich, dass die Zahl »Dreis die Grundzahl höchster orga- . Nisatorischer Vollkommenheit ist. Schon der bekannte 116 Die systematischen Charaktere. Satz: »tres faciunt eollegium« spricht diese wichtige Thatsache aus. Ich will nicht ausführlich nachweisen, dass wir bei allen Organisationen innerhalb der menschlichen Gesellschaft diesem Prinzip huldigen, einfach, weil uns die Erfahrung belehrt hat, dass es die leistungsfähigste Constellation ist. Ich will nur sagen, dass auch im Körperbau in den mannigfachsten Fällen die Drei- zahl auftritt; z. B. die Dreieinigkeit von Hautmuskelschlauch, Darmschlauch und Perigastrium, die Dreieinigkeit von Epithe- Talis, Conjunctivalis und Muscularis, die Dreieinigkeit von Ober- arm, Vorderarm und Hand, die Dreieinigkeit von Handwurzel, Mittelhand und Fingern, die Dreizahl der Phalangen, die Drei- einigkeit von Zahnbein, Schmelz und Cement ete. ete. Statt der wissenschaftlichen Begründung des Werthes der Dreizahl gebe ich ein Gleichniss : Wirft man eine Wurst zwischen zwei Hunde, so frisst sie der stärkere, wirft man sie zwischen drei, so frisst sie gar keiner, weil zwei zusammen immer stark genug sind, den dritten zu verhindern, dass er sie frisst. Oder sagen wir so: Zwei ist der Krieg nach Innen, die Machtlosigkeit nach Aussen; Drei ist der Friede nach Innen und die Macht nach Aussen. Item! Die Grundzahl Drei ist von generellster organisato- rischer Nützlichkeit und desshalb ist sie geeignet, die Grundlage für morphologische Charaktere der generellsten Natur zu sein. ~ Das Gleiche gilt von dem Skelet der Wirbelthiere. Es ist für die Bewegungsphysiologie von der allgemeinsten Wichtigkeit, einen zwar seitlich biegsamen, aber in der Längenaxe nicht comprimirbaren, d. h. steifen Stab im Leib zu haben, weil dieser dem Thier die Nothwendigkeit erspart, seine Muskel- schichte in zwei Lagen, eine Längsmuscularis und eine Ring- muscularis zu zerlegen. Was der skeletlose Wurm durch aktiven Kraftaufwand seiner Ringmuscularis bewerkstelligen muss, näm- lich verhindern, dass die Bewegungen der Längsmuscularis statt einer Ortsbewegung eine blosse Durchmesserveränderung des Körpers herbeiführen, das besorgt ohne jeglichen Kraftaufwand die Wirbel- und Gliedmassensäule, sie macht also die Ring- muscularis entbehrlich und erspart Muskelkraft. Die systematischen Charaktere, 117 Es ist mithin falsch, diese klassifikatorisch so hochwichtigen Charaktere für physiologisch bedeutungslos zu erklären und ich stehe nicht an zu behaupten, dass im Thierreich das allgemein so ist. So gilt dasselbe für den Gliederungsplan der Radiaten, „für die Fünfspaltigkeit der Finger und Zehen etc. Wie sich die Sache im Pflanzenreich verhält, darüber ent- halte ich mich des Urtheils, weil ich viel zu wenig Pflanzen- kenner bin. Ich möchte nur den Botanikern, gestützt auf meine Erfahrung im Thierreich, den Rath geben, diese Frage einer wiederholten Untersuchung zu unterwerfen, vielleicht geht ihnen doch ein Licht auf. Es ist klar, dass, wenn ich die physiglogische Bedeutungs- -~ losigkeit solcher allgemeiner nesplieiggieehte Charaktere nicht -= zugestehe, mir auch die unter dieser von mir geläugneten Vor- aussetzung gegebene Darwin’sche Erklärung nicht ganz zusagt. Ich meine, hier sollen wir einfach zuwarten, bis die Detail- forschung ihr letztes Wort gesprochen hat, dann werden wir klar sehen. Hier liegen Lücken vor, deren Eingeständniss die Selektionslehre nur in den Augen eines so oberflächlichen Gene- ralisators wie Wigand herabsetzt. a Pag. 141 rückt Wigand der Darwin’ schen Lehre mit den sogenannten schädlichen Charakteren der Organismen zu Leibe. Er sagt, die natürliche Zuchtwahl könne nur Nütz- liches erzeugen; nun kommen aber entschieden schädliche vor, wie sei das zu erklären! Als schädliche Charaktere führt er das Brüllen des Löwen und das Klappern der Klapperschlange an. Wenn Wigand keine besseren Beispiele aufzutreiben ver- mag, dann kann er zu Hause bleiben. Das Brüllen des Löwen ist ein entschieden nützlicher Charakter. Mir hat erst vor kurzem mein Freund, Dr. Hahn in Reutlingen, der lange in Südamerika war, durch seine Beobachtungen am Jaguar vollends auf den Sprung geholfen. Die Katzen zeichnen sich bekanntlich nicht durch feinen Geruchsinn, wohl aber durch ein äusserst feines Gehör aus. Löwe und Jaguar brüllen und bellen auf ihrem Beutegang, um das stillliegende Wild aufzujagen und sich dann durch das Geräusch der Flucht auf seine Spur zu nn Age ende uni nn mn ee un nn ne nn en ana ner m — See yes sr Can um nn nen en aim ram nn no 118 Die systematischen Charaktere. bringen. Ganz dasselbe ist offenbar der Nutzen der Klapper bei der Klapperschlange, sie gleicht der Klapper unserer Treiber auf den Treibjagden, sie machen ihr Wild rege. Diese Erklärung wird noch dadurch bestätigt, dass alle diese laut jagenden Thiere in Gesellschaft, d. h. zu zweit oder zu mehr jagen, wobei- der eine den Treiber für den andern macht. Wenn also Dar- win bei seiner Besprechung der Klapperschlange in der von Wigand gerügten widerspruchsvollen Weise hin und her schwankt, so rührt diess nur davon her, dass Darwin der richtigen Erklärung nicht auf die Spur kam und stets ehrlich genug ist, nicht zu schwindeln, sondern etwaige Bedenken und anderweitige Möglichkeiten unverholen auszusprechen. Aüch der widerhackige Bienenstachel ist mit nichten ein schädlicher Charakter. Das Wesentliche der Biene und das für sie Nützlichste ist die Bildung eines Dauerstaates (im Gegen- satz zu der periodischen Staatenbildung der Hummeln und Wespen). Ein Dauerstaat setzt voraus, dass das einzelne Indi- viduum nur als Mitglied des Ganzen den höchsten Grad der Existenzfähigkeit hat, und das setzt voraus, dass ihm die Ver- einzelung nachtheilig ist. Letzteres ist bei der Biene da- durch erreicht, dass sie trotz ihres Wehrstachels als Individuum wehrlos ist — dass sie stirbt, wenn sie sticht, d. h. sie erreicht den Zweck, ihr individuelles Leben zu vertheidigen, nicht. An- dererseits ist es für den Bienenstaat von der grössten Wichtig- keit, dass die ihn bildenden Individuen stechen können; dass sie dabei sterben, ist für den Staat gleichgültig, da er in der Neu- produktion von Individuen das Mittel hat, diesen Verlust zu er- setzen. Die Biene verhält sich also zum Stock wie die Nessel- zelle eines Polypen zum Individuum, die auch im Augenblick, wo sie den Polypen vertheidigt, geopfert ist und durch eine Neuproduktion ersetzt werden muss. Der Bienenstachel soll Organ zur Vertheidigung des Stockes und nicht zu der des Indi- viduums sein. Dieser Zweck kann nur dadurch erreicht werden, dass das Individuum vom Stechen stirbt. Ich möchte den Stachel der Biene ein patriotisches Organ nennen, während er bei der Wespe ein egoistisches ist. Die systematischen Charaktere. 119 Uebrigens ganz abgesehen davon, dass so wie, obige Fälle, noch eine Reihe gegenwärtig für schädlich gehaltener Charaktere schliesslich als nützlich werden erkannt werden, kann man ohne jede Beeinträchtigung der Lehre zugeben, dass es schädliche Charaktere gibt. Fürs erste muss gesagt werden, dass von ab- soluter Schädlichkeit gar nirgends die Rede sein kann (Miss- geburten stehen ja hier nicht in Frage), sondern nur von rela- tiver, d. h. von Merkmalen, welche dem Thier in seinem Kampf ums Dasein einer bestimmten Gefahr gegenüber oder bei Er- füllung einer bestimmten Funktion hinderlich sind. Dieser _ Fall muss in der Natur trotz der Zuchtwahl stets eintreten, + wenn eine derartige Veränderung der äusseren Lebensbedingungen eintritt, dass ein vorher — d. h. unter andern Umständen — nützlicher Charakter jetzt zum Gegentheil wird. Bleiben wir bei dem Darwin’schen Fall von den kleinen auf exponirten Inseln lebenden Insekten, welchen ihre Flügel schädlich sind, weil sie durch den Gebrauch derselben sich der Gefahr des Schiffbruchs aussetzen. Diese Thiere haben ihre Flügel auf den benachbarten Continenten (von denen nachweisbar die Bevölkerung solcher Inseln ausgegangen ist) als völlig nützliche Instrumente erworben und verdanken es diesen, dass sie nach der Insel gelangen und sich hier ansiedeln konnten. Hier unter diesen neuen Verhält- nissen sind die Flügel für sie schädlich — nein, das ist nicht einmal richtig! Schädlich ist ihnen nur ein bestimmter Gebrauch, . den das Thier von seinen Flügeln macht, nämlich zu fliegen. Um was handelt es sich nun? bloss darum, dass das Thier die Gewohnheit viel, weit und namentlich die Gewohn- © heit, hoch zu fliegen ablegt. Sobald es das gethan hat, ist das Thier relativ angepasst, die Möglichkeit seiner Fortexistenz ist gegeben. Ob nun Nichtgebrauch und Selektion auch noch die. Flügel beseitigt, das hängt in erster Linie davon ab, ob hiefür ein ausreichendes Motiv vorhanden ist. Die Flügel leisten nämlich noch andere Dienste, sie bedecken den weichen Hinter- leib, schützen ihn gegen Feinde, gegen Kälte und Verdunstung, und so lange dieses Schutzbedürfniss besteht, hat die Zuchtwahl alle Veranlassung, die Flügel zu erhalten, trotzdem dass sie 1. nee nie nn nn rn ae 120 Die systematischen Charaktere. dem Thier relativ, d. h. mit Bezug auf die Schiffbruchsgefahr schädlich sind. Aber selbst wenn ein solches gegentheiliges die Erhaltung verlangendes Motiv nicht vorläge, so liegt die Sache zunächst so: der Flügelbesitz ist nur schädlich, sobald das Thier sie zum Fliegen gebraucht, im andern Fall sind sie ein gleich- gültiges, weder nützliches noch schädliches Organ, für dessen Beseitigung gar kein Grund vorhanden ist, ihr Fortbestand ist jetzt einfache Vererbungswirkung. Denken wir selbst den dritten Fall: die Flügel seien, auch wenn sie nicht mehr zum ‚Fliegen gebraucht werden, schädlich, d. h. für andere Verrichtungen hinderlich, so ist das auch immer nur relativ, d. h. es wird da- durch die Existenz des Thieres nicht absolut in Frage gestellt, sondern sie bilden nur ein Hinderniss für die starke Vermeh- rung: ein solches Thier wird selten bleiben, nur an ganz be- schränkten Oertlichkeiten sich halten können, und so lange die Macht, mit welcher dieses hinderliche Organ vererbt wird, nicht gebrochen ist, wird dieser Zustand dauern. Ueberhaupt ist eine derartige Unterscheidung von nützlich und schädlich, wie sie Wigand macht, an und für sich ein Unsinn. Es gibt kein absolut nützliches und kein absolut schäd- | liches Organ, beziehungsweise Gewohnheit. Die Kiemen sind für einen Fisch nur nützlich, so lange er im Wasser ist, wirft man ihn an’s Ufer, so sind sie ihm schädlich; uns ist die Lunge nützlich, so lang wir im Trockenen sind, und wenn man uns i unter Wasser taucht, so ist sie gerade das Organ, das uns dann am schädlichsten ist. Jedes Organ ist unter Umständen schädlich, und es lässt sich gerade bei den seltenen, d. h. indi- viduenarmen Arten bei genauer Prüfung immer ein Charakter finden, welcher die Seltenheit verschuldet, d. h. verhindert, dass es zu einer grösseren Verbreitung nach Raum und Zahl kommt, und .diesen Charakter können wir a ohne weiteres schädlich nennen. Also das Ergebniss ist, dass auch von dieser Seite aus die Selektionslehre nicht angefochten werden kann. Wenn endlich Darwin in mehreren Fällen die Unmöglichkeit, dieselben ver- mittelst der Zuchtwahl zu erklären, ausdrücklich anerkennt, rG Die systematischen Charaktere. 10 So habe ich erstens gezeigt, dass sich Darwin in mehreren solcher Fälle selbst Unrecht gethan hat, zweitens wiederhole ich die Nichtigkeit der Wigand’schen Behauptung auf pag. 143, alinea 3, dass damit »eine Verzichtleistung auf das Selektions- Prinzip in toto ausgesprochen sei.« Endlich noch einmal: Wenn Wigand neuerdings auf pag. 144 und 145 für die Erklärung der systematischen Charaktere einerlei Erklärungsprinzip ver- ‚ langt und die Herbeiziehung anderweitiger Erklärungsgründe für Ausflüchte erklärt, so beweist er, dass er kein Naturforscher ist. Auf den folgenden Seiten will Wigand daraus Capital schlagen, dass Darwin selbst zugibt, gewisse, scheinbar voll- kommen adaptive Charaktere können ohne jede Selektion als direktes Resultat des Lebensprozesses entstehen, z. B. grosse Blumenkrone, prachtvolle Farben niederer Thiere ete. Pag. 147 ruft Wigand aus: »hierin liegt ein weitreichendes Zugeständ- '»niss. Vor allem sind wir überrascht, endlich einmal wieder »eine lange nicht vernommene Sprache zu hören. Die im Dar- >winismus unerhörten Begriffe von Ursache und Wirkung im . >gewöhnlichen naturwissenschaftlichen Sinne heimeln uns an und, »lange genug mit Möglichkeiten und erdichteten nebelhaften »Prinzipien schwindelnd in den Lüften umhergetrieben , fühlen >wir, wenn auch nur kurz vorübergehend, einmal wieder Land Sue den Füssen.« Eines ist an dieser Deklamation richtig, man fühlt aus den Schriften Darwins heraus, dass ihm das physiologische Gebiet im engeren Sinne des Wortes, welches früher einseitig cultivirt wurde, ferner steht, und es ist klar, dass ein Constanzianer, wie Wigand, dem die ganze Biologie so fremd ist, dass ihm der Kopf schwindelt, sich jedesmal an- geheimelt fühlen muss, wenn Darwin das Gebiet der engeren Schulweisheit streift. Allein wenn Wigand aus obigem Zuge- Ständniss (pag. 149) schliesst, dass Darwin damit »eine zwar »nicht klar ausgesprochene, aber thatsächliche Preisgebung des >der ganzen Theorie zu Grunde liegenden Prinzipes vollzieht,« so ist das falsch. Einfach jeder Charakter und jedes Organ eines Thieres ist »das Produkt chemischer und physikalischer Prozesse in dem complizirten Organismus und das direkte Re- area nn een A ee 7 2E TO Es 7 va a i r vo ren, , + AUT > 7 ar Et KaR NT > 4 ee ee hen ee E Bae aen a p s E ii h f N | t i E. 122 Die systematischen Charaktere. sultat der Beschaffenheit der Gewebe,« aber eben die Zusammen- setzung dieses complizirten Organismus, eben diese Beschaffen- heit der Gewebe ist zu Stande gekommen unter der stetigen, theils direkten, theils eben durch die Selektion indirekten Ein- wirkung der Lebensbedingungen, deren Einfluss zu läugnen, also Ursachen ohne Wirkungen anzunehmen und mithin das Causalitätsprinzip zu läugnen einzig das Privilegium der Con- stanzianer ist. Bei der Züchtungslehre haben wir stets zu unter- scheiden zwischen der direkten und indirekten Züchtung eines Charakters, d. h. das einemal bewirkt die Zuchtwahl direkt die Erhaltung und Fortbildung eines Charakters, das anderemal ruft sie ihn (siehe oben pag. 114) als Begleitcharakter, und zwar dann gewöhnlich auch als indifferenten Charakter indirekt hervor, da- durch, dass sie direkt auf die ihn zur Folge habende physiolo- gische Gewebsqualität hinarbeitet. Es ist endlich gar kein Grund, einzusehen, warum ein: und derselbe Charakter nicht in dem einen Fall direkt, in dem anderen als indirekte Begleiterschei- nung gezüchtet werden soll können. Ich schliesse dieses Capitel mit folgendem: Wigand sagt pag. 148: »Weil und insofern es im organischen Reiche über- »haupt systematische Charaktere gibt, welche wegen ihrer vitalen »Indifferenz die Erklärung durch natürliche Zuchtwahl nicht ge- »statten, so ist dieses Erklärungsprinzip für alle, auch für die »adaptiven Charaktere, überhaupt nach dem Grundsatz von der »Einheit der Natur und von der Sparsamkeit in’den Erklärungs- »gründen zu verwerfen.« i Das ist ungefähr so, wie wenń ein Physiker sagen würde: »weil es Bewegungen gibt, die sich durch die Undulationstheorie nicht erklären lassen (elektrische, magnetische und geleitete Wärme), so ist sie auch für diejenigen, welche durch sie erklärt werden können (Licht, strahlende Wärme und Schall) zu ver- werfen.« | | Sapienti sat! Die geschlechtliche Zuchtwahl. 193 Il. Die geschlechtliche Zuchtwahl. Zunächst muss constatirt werden, dass Wigand das aus- schliessliche Verdienst gebührt, entdeckt zu haben, es sei die geschlechtliche Zuchtwahl eine »neue Erklärungsweise, von »Darwin, der an der natürlichen Zuchtwahl irre geworden, »ersonnen, um seinen Rückzug zu maskiren.« Ist denn nicht die geschlechtliche Zuchtwahl unter allen Wahlmethoden die natürlichste und direkteste Zuchtwahl? oder ist es vielleicht eine künstliche? Der erste Einwurf, den Wigand erhebt, ist der: »Erste »Voraussetzung der Theorie sei, dass mehrere Männchen um ein »Weibehen eoneurriren, dass mithin die Zahl der Weibchen be- . >trächtlich kleiner sein müsse, als die der Männchen, was in »der Natur nicht der Fall sei.« Das ist z. B. schon sogleich bei allen polygamischen Thieren falsch: wenn zwei Haushähne mit einander kämpfen, so concurriren nicht zwei Männchen um ein Weibchen, sondern um eine ganze Heerde von Weibchen, und da die Weibchen dem Sieger zulaufen, so bleibt der unterliegende unbeweibt, d. h. er hat von der Ueberzahl der Weiber gar nichts. Aber auch bei monogamischen Thieren ist selbst bei Gleichheit der Geschlechter vollständige Wahl möglich. Da uns das Menschenleben am nächsten steht, so wähle ich aus ihm ein Beispiel. Ä | Wenn in einem Bauerndorf gleichviel heirathsfähige Burschen und Dirnen sind, so hat die schönste und reichste Dirne die . meisten Anbeter und nach dem schönsten und reichsten Burschen sehen die meisten schönen Augen. Diese beiden bevorzugten Individuen haben die freieste Wahl, während bei beiden Ge- schlechtern das arme und hässliche Individuum nehmen muss, was übrig bleibt. Also die geschlechtliche Zuchtwahl ist bei jedem Zahlenverhältniss nicht bloss möglich, sondern tritt mit absoluter Gewissheit ein, sobald irgend eine Differenz bezüglich \ ae nn nn Boi inani ED DER ZT TEE —_ rs um 124 ` Die geschlechtliche Zuchtwahl. der Werbemittel vorliegt. Z. B. unter den Singvögeln wird der beste Sänger die meisten Weibchen anlocken, und der beste Raufer die meisten Concurrenten aus dem Feld schlagen. Wi- gand wird sagen: »Wer Gott vertraut, kriegt auch ’ne Braut! »Wer warten kann, fängt auch ’nen Mann! und desshalb, da »schliesslich alle zum Ziel, d. h. der Ehe gelangen, so ist der- »Totaleffekt für die Abänderung gleich Null, es tritt keine allge- »meine Steigerung der Werbemittel durch Auswahl der Best- »werbenden ein, wie es die Transmutationslehre doch ver- langt.« Das ist falsch! Wer Kanes) sorgfältig diesen Werbekämpfen zugesehen hat, wird sich bald überzeugen, dass da, wo viele Individuen concurriren, dieselben sehr lange dauern; wenn die ersten siegreichen Paare schon längst beweibt sind und nisten, dauert der Kampf unter den übrigen immer noch fort und das hat für die zuletzt geschlossenen Ehen den unbestreitbaren Nach- theil der Brutverspätung (das hässliche und arme Mädchen wird alt, bis sie einen Mann bekommt). Zweitens treten die zuletzt beweibten Männer, welche die ganze Kampfperiode durch- machten und immer wieder unterlagen, in geschwächtem Zustand in die Ehe, was wieder ein Nachtheil ist. Endlich, so- bald die Zahl beider Geschlechter, wie fast immer, nicht abso- lut gleich ist, bleibt entweder ein Rest von unbeweibten ‘Männern oder ein Rest von unbemannten Weibern, und das werden diejenigen sein, welche die unvollkommensten Werbemittel besitzen, also beim Menschen die armen und hässlichen. Diese fortwährende Begünstigung der Bestwerbenden und diese fortgesetzte Ausstossung der Schlechtestwerbenden muss mit mathematischer Nothwendigkeit bei jedem Zahlenver- hältniss eintreten, und so ist von drei Seiten her eine causa finalis für die Fortbildung der Werbemittel egchen., ganz so, wie es die Selektionslehre verlangt. Eine längere Auseinander setzung knüpfe ich an folgenden Passus (pag. 155): »Mit welchem Rechte nimmt Darwin an; »dass das männliche Geschlecht gerade das bewerbende und »nur das weibliche das wählende ist? Wenn, wie Darwin Die geschlechtliche Zuchtwahl. 5 195 »hervorhebt, das Männchen überall im Thierreich das Weibchen »aufsucht, so erscheint es ja eben dadurch als der aktive und »positiv wählende und in erster Linie entscheidende Theil, wäh- »rend das Weibchen, nachdem es gewählt worden ist, sich nur »abwehrend verhalten. kann, also eine negative Wahl ausübt; »es müsste demnach gerade vorzugsweise am weiblichen Ge- »schlecht sekundäre Sexualcharaktere gezüchtet werden. Darwin »scheint sich zu denken, dass die grössere Begierde das Männ- >chen in der Wahl vollkommen blind mache, so dass nur das »Weibchen als der entscheidende Faktor in Betracht komme — »eine unbegründete und nach der Analogie des Menschen, von »welchem ja die Theorie der sexuellen Zuchtwahl ihr Motiv ent- »liehen hat, unrichtige Annahme.« Erstens ist es falsch, zu sagen, das Männchen sei nur aktiv und das Weibchen passiv; beide Theile sind aktiv und wir haben es desshalb auch mit zwei’ganz verschiedenen Vor- gängen und im Gefolge davon mit zwei ganz verschiedenen sekun- dären Geschlechtscharakteren zu thun. i Der eine dieser Vorgänge ist der Männ erkampf, d: h. der Kampf der Männchen unter einander, bei dem das Weibchen ` völlig passiver Zuschauer ist. Z. B. der Kampf der Hirsche zur Brunstzeit, der Kampf der Hähne ete. Durch diesen Kampf werden dem männlichen Geschlechte Waffen angezüchtet: ZTB. dem Hirsch die Geweihe, dem Hahn die Sporne ete. Hiezu treten gewöhnlich vermehrte Körpergrösse und Körperstärke (unter Concurrenz des Gebrauchsgesetzes) und Kampftrieb, und . im Gefolge davon noch eine Reihe feinerer physiologischer und morphologischer Differenzen, z. B. andere Beschaffenheit und Geschmack des Fleisches, Unterschied der Stimmwerkzeuge ete. Da bei diesem Kampf das Weibchen gänzlich unbetheiligt ist und sich in jeder Beziehung passiv verhält, so ist auch das Er- gebniss für das Weibchen ein rein negatives, d. h. alle MGR sekundären Geschlechtscharaktere fehlen ihm. | Der zweite von obigem sehr verschiedene Vorgang ist das, = Was ich kurzweg die »Damenwahl« nenne, weil hier die Aktion und mithin die Entscheidung ganz in der Hand 4 ER? $ 5 N . Sg 126 Die geschlechtliche Zuchtwahl. des weiblichen Geschlechtes liegt. Dieser Umstand ist eine der Ursachen, dass auch diejenige Kategorie von sekun- dären Geschlechtscharakteren, ‘die Folge der Damenwahl sind, ausschliesslich oder wenigstens zuerst beim männlichen Geschlechte sich vorfinden. Wenn wir das Verhalten des Weibchens vor der Begattun& näher prüfen, so kommen wir zu folgenden Unterschieden. Bei gewissen Thieren äussert das Weibchen kein Begattungs- verlangen und gibt dem Männchen keinerlei Avancen, z. B. bei Kröten, Fröschen und vielen Insekten. Hier muss das Männchen einfach warten, bis es dem Weibchen gefällig ist, und das kann sehr lange anstehen. Bei anderen Thieren wehrt sich sogar das Weibchen gegen die Begattung, so dass das Männchen gezwungen ist, Gewalt anzuwenden, wie man es z. B. bequem bei den Hausenten sehen kann. In diesen beiden Fällen ist die Veran- lassung zur Ausbildung von Fass- und Klammerapparaten ge- geben, mit denen das Männchen das unwillige Weibchen bis zum geeigneten Momente festhält. Wir könnten diesen sekun- dären Geschlechtscharakteren den Namen »Nothzuchtapparate« geben. Der dritte Fall ist der, in welchem das Weibchen wirk- liches Begattungsverlangen äussert und dem Männchen Avancen gibt. Davon könnte ich bei Hunden, Hirschen, Fasanhennen ete. viele schlagende Fälle anführen und aus meinen Erfahrungen möchte ich folgern, dass bei allen sich begattenden Thieren, denen Nothzuchtapparate fehlen, es auch keine Nothzucht gibt, d. h. dass die Entscheidung, ob eine Begattung statt- findet, oder eine Ehe zu Stand kommt, lediglich vom Weibchen abhängt. Darin bestärkt mich die Erfahrung bei Vögeln. Es ist mir in meiner Praxis kein Fall vorgekommen, dass bei Paarungsversuchen mit monogamischen Vögeln das Weibchen vom Männchen zurückgewiesen worden wäre, wohl aber sehr viele vom Gegentheil. Dasselbe kann ich von meh- reren Säugethieren bestätigen, z. B. von den Hunden; jeder männliche Hund läuft jeder brünstigen Hündin nach, über das Zulassen aber entscheidet nur das Weibchen. So war ich Zeuge eines fast eine Stunde langen vergeblichen Begattungskampfes Die geschlechtliche Zuchtwahl. | 127 Zwischen einem grossen Bernhardiner und einer Wölfin, die kurz darauf einen Brakirhund bereitwillig und erfolgreich zuliess. Von den Eigenschaften des Männchens, die das Weibchen bei seiner Wahl leiten, lässt sich im Allgemeinen sagen: Es sind Solche, die geeignet sind, das Weibchen sinnlich zu er- regen. Ich sage absichtlich sinnlich und nicht geschlechtlich, weil es sich in erster Linie um die Erregung der Sinne und dann erst um die geschlechtliche Erregung handelt, die eine Folge der ersteren ist. Hiebei kommen alle Sinne in Betracht, aber die Thiere verhalten sich in dieser Beziehung nicht gleich, die einen werden von diesem, die andern von jenem Sinne aus leichter geschlecht- lich erregt. Diess hängt offenbar mit der relativen Ausbildung des betreffenden Sinnesvermögens und mit der Rolle zusammen, die es bei den übrigen Funktionen des Thieres spielt. So ent- Spricht es der hohen Entwicklung des Auges bei den Vögeln und dem Umstand, dass sie beim Aufsuchen der Nahrung sich vorwaltend vom Gesichtssinn leiten lassen, dass bei ihnen das Licht, beziehungsweise -die leuchtende Farbe die Hauptrolle Spielt. Jeder, der Tagvögel beobachtet hat, weiss, wie sehr sie durch das Licht erregt werden, wie sie jeden Sonnenstrahl dankbar begrüssen und lebhafter werden, und an trüben Tagen traurig sind. Es ist desshalb begreiflich, dass bei ihnen so häufig leuchtende Farben gezogen wurden. Bei dieser Gelegen- heit will ich auf einen prinzipiellen Einwand Wigands gegen die geschlechtliche Zuchtwahl antworten. Er meint, eine Vor- . liebe des Weibchens für eine Eigenschaft des Männchens könne Sich ja erst entwickeln, wenn diese Eigenschaft vorhanden sei, mithin könne die Vorliebe nicht die züchtende Ursache sein. Diese Behauptung ist falsch. Schon der Umstand, dass überall, wo die Färbung auffälligere Geschlechtsunterschiede bildet, leuch- tende Farben (grün, gelb, roth, blau und Metallglanz) die Haupt- Tolle spielen, zeigt klar, dass die Vorliebe für leuchtende Farben der allen Tagthieren eigenen Lichtfreundlichkeit entspringt Und alle derlei buntgefärbten Thiere zeigen in ihrem Betragen anz entschieden, dass sie Sonnenfreunde sind. - Anderer- [5% > AAN : BEER nen pa r aana SEE E re RN msi nie eure nn tee ne nn Een anne een an" 128 Die geschlechtliche Zuchtwahl. seits ist mir kein Fall bekannt, dass bei Nachtthieren leuchtende Farben oder gar sekundäre Geschlechtsdifferenzen in diesem Punkt vorkommen. Die Vorliebe des Weibchens für Licht und Farbe kann sich an der Sonne und der äusseren Natur zu einem sehr hohen Grade entwickeln, ehe beim Männchen auch nur eine Spur von bunter Färbung auftritt. Die einfache Thatsache, dass es bei vielen Fischen genügt, einen rothen Lappen oder eine Pfauenfeder an die Angel zu binden, um sie anzulocken, beweist zur Genüge, dass ein Thier Vorliebe für leuchtende Farben haben kann, auch wenn sie sich nicht auf dem Leib seines Geschlechtsgenossen befinden. Bezüglich des Gehörorgans brauche ich nur auf die Rolle hinzuweisen, welche der Gesang beim Menschen und bei den Vögeln in der Erotik spielt und auf die innigen physiologischen und pathogenetischen Beziehungen zwischen Kehlkopf und Geni- talien. Auf diesem Gebiet liegt die Erklärung des Vogelgesangs; in welchem bekanntlich nur das Männchen excellirt. *) Auf den ersten Blick scheint es nun höchst befremdlich, dass auf dem Gebiet des Geruchsinnes nicht häufiger sekun- däre Geschlechtscharaktere sich entwickeln, da von ihm aus ge- schlechtliche Erregung sehr leicht eintritt. Alles, was wir auf diesem Gebiet sehen, besteht darin, dass bei manchen Säuge- thieren das Männchen namentlich zur Brunstzeit eine entschieden stärkere Ausdünstung hat, als das Weibchen (Bock, Hirsch, Gemse etc.) und nur bei wenigen Thieren, z. B. dem Biber, sich Parfümdrüsen nur beim Männchen finden. Bei näherer Besichtigung wird das aber vollständig erklärlich und wir ge- winnen dabei noch. eine weitere Antwort auf die Frage Wi- gands, »warum nicht gerade am weiblichen Geschlecht sekun- »däre Geschlechtscharaktere gezüchtet werden.« Darwins Satz, dass überall im Thierreich das Männchen das Weibchen aufsucht, ist vollkommen richtig, und wenn nun gefragt wird, ob und welche sekundäre Geschlechtsdifferenzen *) Siehe auch meine Aufsätze über den Sprachursprung, die pag. 137 An- merkung eitirt sind. | Die geschlechtliche Zuchtwahl. 2 . 129 dabei beim Weibchen gezüchtet werden könnten, so ist: die erste Frage die: womit sucht das Männchen sein Weibchen? i i Für die Säugethiere ist die Antwort allgemein die: es : Sucht sie mit der Nase. Nur ein Säugethier nehme ich davon aus: den Menschen. Ich habe noch nie gehört, dass ein Mann ' seine Braut mit der Nase gesucht hätte. Damit erledigt sich auch zugleich die geradezu kindische Bemerkung Wigands am Schluss seines oben citirten Passus. Beim Menschen spielt der Geruchsinn als Waffe im ‘Kampf ums Dasein eine so untergeord- nete Rolle, dass er auch aufgehört hat, ihn bei seiner geschlecht- lichen Zuchtwahl zu leiten, um so mehr, als der Mensch in den Stand gesetzt ist, sich künstlich zu parfümiren. Was ihm von dieser Säugethiergewohnheit geblieben ist, besteht eben nur in dem allgemeinen Gebrauch der künstlichen Parfüme im Dienste der Erotik, namentlich seitens des weiblichen Geschlechtes. Von Seinen iein leitet ihn vorzugsweise das Auge, ganz entsprechend der Rolle, welche dieses Organ bei seinem Selbst- erhaltungsgeschäft spielt. Umgekehrt: für das Säugethier ist der Geruchsinn beim N ahrungserwerb und der Selbstvertheidi- \ sung so entscheidend, dass es auch in Sachen der Liebe sich durch die Nase und nicht durch das Auge leiten lässt; das Säugethier ist in diesem Falle allerdings blind, der Mensch nicht. Son dem Säugethiermännchen das Auffinden des Weibchens erleichtert werden, so kann es nach Obigem nur dadurch ge- Schehen, dass das letztere eine deutliche Witterung hat, und es könnten somit den weiblichen Säugethieren Parfümdrüsen oder cin allgemeines starkes Ausdünstungsvermögen angezüchtet werden — sonst aber lediglich nichts! Warum entstehen nun auf diesem Gebiet keine sekundären Geschlechtscharaktere beim weiblichen Säugethiere? einfach desshalb, weil, wie oben gesagt wurde, das Männchen gleichfalls und offenbar noch grössere geschlecht- liche Vortheile aus dem Besitz einer sympathischen Ausdünstung ‚Zieht. ‚Werden also auf diesem Gebiet Vortheile erworben, so Würden meist beide Geschlechter daran theilnehmen, und. wo > Jaeger, In Sachen Darwins, 3 9 130 Die geschlechtliche Zuchtwahl. diess, wie beim Biber, nicht der Fall ist, bedarf es einer spe- ziellen Erklärungsursache. | Wenden wir uns zu den Vögeln, so kann sich jeder davon überzeugen, dass das Männchen sein Weibchen nicht eigentlich sucht, sondern mit der Stimme lockt. Dadurch könnte begreif- licherweise nur. eine Differenz der Gehörapparate gezüchtet werden, allein diess geschieht desshalb nicht, weil das Locken ein gegenseitiges ist und der Besitz eines scharfen 'Gehörs dem Männchen desshalb und seiner Selbsterhaltung wegen genau so nützlich ist, wie dem Weibchen. Betreffs der sonstigen Werbemittel, mit denen das Männchen sinnlich erregend auf das Weibchen wirkt, will ich nur noch folgendes erwähnen. Auf dem Gebiet des Tastsinns spielen kitzelnde und frottirende Berührungen nicht bloss während des Coitus, sondern auch als Präludium eine wichtige Rolle, besonders bei den Fischen, wo sich sehr allgemein die Geschlechter an einander reiben. Ber der Forelle genügt es z. B., sie am Bauch sanft zu streicheln, um sie zur Ejaculation der Eier und des Samens zu bewegen. So möchte ich die Kopfborsten bei dem Männ- chen von Plecostomus barbatus (Darwin, Abstammung. Bd. I. pag. 9), die Darwin unerklärt lässt, als Kitzelapparate ansprechen. Ein sehr häufiges Werbemittel sind eigenartige Bewe- gungen des Männchens: dass es Kapriolen macht, sich auf- bläst, sich verneigt, mit einzelnen Theilen zitternde Bewegungen ausführt, seine Schwanzräder entfaltet, sich im Kreis dreht etc. Hiebei wirkt dieBewegung einfach sympathisch: der Anbli ck der geschlechtlichen Erregung des Männchens erregt das Weibehengeschleehtlich. Auch die Schwellapparate mancher Vögel gehören hieher, z. B. die Schwelllappen der Truthähne, die Rosen an den Augen der Tetraoniden ete. Sie dienen der Manifestation der geschlechtlichen Erregung, um sie beim Weib- chen hervorzurufen. Allein die Bewegungen spielen noch eine andere unmittelbare Rolle, indem der Anblick eines sich bewe- genden Körpers direkt’ sinnlich erregt, den Trieb, sich selbst zu bewegen, wachruft, oder in heitere erregte Stimmung versetzt- Ich erinnere nur an die erregende Wirkung des Tanzes beim t Die geschlechtliche Zuchtwahl. 131 Menschen auf die Zuschauer. Auf diese psychologische Wirkung möchte ich die Entstehung der flatternden Federn zurückführen, die im Schwanz oder an den Flügeln so vieler Vögel (Nacht- Schwalben, Colibris, Paradiesvögel etc.) sich, vorfinden. Nament- lich spricht dafür die.zitternde Bewegung, is die Paradiesvögel, Pfauen, Truthähne ete. mit ihren Schmuckfedern ausführen. a Aus dem Bisherigen geht hervor, dass Wigands Auffassung (siehe die Capitelüberschrift pag. 150), als sei geschlechtliche Zuchtwahl gleichbedeutend mit »die Schönheit als entschei- »dendes Moment im Kampf ums Dasein,« mit all den daran geknüpften Deklamationen eine durchaus falsche ist. Zu seiner Entschuldigung kann nur angeführt werden, 1) dass er als Botaniker von Zoologie nichts versteht, und 2) dass Darwin das Schönheitsmoment selbst etwas zu einseitig in den Vorder- grund stellte. Ich stimme desshalb auch mit Darwin nicht - überein, wenn er eine gewisse Stufe psychischer Ausbildung als Bedingung der sexuellen Zuchtwahl voraussetzt und die niederen Thiere von ihr ausschliesst, denn unter den Werbemitteln gibt „es solche, die entschieden direkt, d. h. ohne zwischenliegende Psychische Vorstellungen, stimulirend wirken, also Reflexreize für die Genitalien sind, und zwar gerade leuchtende blitzende Farbe, kitzelnde Bewegungen, Gerüche etc. Im Weiteren möchte ich nun den gewöhnlich unterschätzten Oder übergangenen Umstand hervorheben, dass durch die geschlechtliche Zuchtwahl allein die thatsächlich vorkommenden sekundären Geschlechtsdifferenzen Nicht erklärt werden können. In meinen »Skizzen aus dem Thiergarten« habe ich pag. 161 am Beispiel des Pfauen sezeigt, dass der Kampf um die Selbsterhaltung eine wesentliche Rolle bei dem Zustandekommen sekundärer Ge- Schlechtsdifferenzen spielt. Untersuchen wir nämlich dieselben, So finden wir fast allemal, dass sie dem Weibchen effektiv schädlich wären. Dahin gehört vor allem bunte Farbe, die das brütende Weibchen den Augen seiner Feinde aussetzt. Soll das Brutgeschäft sich glücklich abwickeln, so ist Nämlich nicht bloss nöthig, dass das Weibchen überhaupt am i m ad 7 id er LEE ne wenn md nme a Tun an nn an een nenn Ph a 132 Die geschlechtliche Zuehtwahl. Leben bleibt, sondern auch möglichst selten zum Verlassen des Nestes gezwungen wird. Bei dem Hahn bringt es der Nachzucht keinen Nachtheil, wenn er vor einem Feinde, der ihn erblickt hat, fliehen muss, aber beim Weibchen wird dadurch die Brut gefährdet. Die natürliche Zuchtwahl wird also stets diejaimmer gelegentlich auftretenden hahnfedrigen Weibchen ausmerzen, aber nur bei denjenigen Vögeln, welche offen brüten, d.h. so, das sie auf dem Nest gesehen werden können. Wo dagegen das Weibchen während des Brütens nicht gesehen werden kann, wie z. B. bei den Höhlen- brütern, ist kein Grund vorhanden, warum die bunte Färbung, welche die geschlechtliche Zuchtwahl beim Männchen zuerst hervorrief, nicht auch auf das ‚weibliche Ge- schlecht übergehen sollte. Damit stimmt die Thatsache, dass 1) bei Höhlenbrütern meines Wissens keine Sichtbarkeits- - differenzen zwischen den Geschlechtern vorkommen, 2) dass die meisten höhlenbrütenden Vögel sehr buntfärbig sind, z. B. Eis- vögel, Bienenfresser, Meisen, Papagaien, Tauben etc. Ich bin desshalb geneigt, der geschlechtlichen Zuchtwahl mit grösserer Entschiedenheit, als es Darwin thut, einen wei- teren Spielraum anzuweisen, andererseits aber auch ihren ‚Spielraum einzuengen, d. h. für die Fälle, in denen wir sekun- däre Geschlechtsdifferenzen finden, in ihr nur Ein Motiv, aber kein ausreichendes, zu sehen. Es muss hiezu feindliche Auswahl treten, sonst gehen die durch sie hervor- gerufenen Charaktere auch auf das weibliche Ge- schlecht über. Für diese meine Anschauung spricht- auch die Thatsache, dass bei bunten Vögeln die Weibchen immer etwas weniger lebhaft gefärbt sind, als die Männchen. Diesen Vorsprung des Männchens sehe ich als ein Zeichen an, dass die bunte Farbe bei ihm früher auftrat, als beim Weibchen. Auch das allgemeine Vorkommen rudimentärer Milchdrüsen bei den männlichen Säugethieren ist ein Beweis dafür, dass Charaktere, die das eine Geschlecht erwirbt, auf das andere leicht über- gehen, wenn nicht ein positives Pennot sich dem in den Weg stellt. Die geschlechtliche Zuchtwahl. 138 Man wird nun der obigen Darstellung einwenden wollen: »wenn bunte Farbe einen Nachtheil gegenüber den Feinden »begründe, so könne sie ja auch beim Männchen nicht auftreten, 5 əda kein schädliches Merkmal gezüchtet werden könne.« Dieser `! Einwand ist falsch. . Allerdings ist das individuelle Leben der Männchen dadurch gefährdet, und es ist eine jedem Jäger bekannte Thatsache, dass man unter den. Resten von Reb- hühnern, _ die von Raubvögeln zerrissen worden sind, äusserst selten die eines Weibchens findet. Allein dieser Umstand ist für die Erhaltung der Art ein Vortheil und kein Nachtheil. Darüber gibt uns die einfache Beobachtung Auf- ` schluss, dass sich bei allen Hühnerarten der Hahn dem Feinde gegenüber geradezu exponirt, um seine Aufmerksamkeit von der Brut ab- und auf sich zu lenken. Diesen für die Erhaltung der Art höchst wichtigen Zweck erreicht er aber erst vollständig, wenn er dem Feind zum Opfer fällt, weil dieser dann seinen. Hunger stillen kann und der Brut zunächst nicht mehr nach- stellt. Zum vollen Verständniss der Sache gehört nun noch die Untersuchung, ob dieses System des Männeropfers nicht anderweitig nachtheilig für die Erhaltung der Art ist. Hierüber ist zu sagen: durch das Lege- und Brütegeschäft ist das Weib- chen an und für sich grösseren pathologischen und sonstigen 'Fährlichkeiten ausgesetzt, als das Männchen, und ohne dieses ‚Männeropfer wäre eine Ueberproduktion des männlichen 'Ge- schlechtes unvermeidlich, was bei dem Kampftrieb dieser Thiere störend für das Geschäft der Arterhaltung sein müsste, während ‚der gegentheilige Fall, eine Ueberproduktion von Weibchen, in dieser Beziehung keinerlei Nachtheile bietet, höchstens dazu - führen wird, dass aus einer monogamischen Art eine polygame ` ' Wird, was ja bekanntlich auch gerade bei den Hühnern so häufig ist. Endlich: zur Zeit, wo das Weibchen brütet, hat das Männchen seinen Beitrag zum Geschäft der Erhaltung bereits geleistet und somit ist sein Leben entschieden minderwerthig geworden: »der Mohr kann gehen.« Vu" Diess führt uns zur Erklärung einer meines "Wissens noch nicht in dieser Richtung besprochenen Erscheinung, zurErklärung ee a ma TEE ne ne nn nn a Tun is 134 Die geschlechtliche Zuchtwahl. des Hochzeitskleides, d. h. der Thatsache, dass bei manchen Vögeln,‘ z. B. den. Schwimmenten, die Männchen ihr buntes Gefieder nicht permanent tragen, sondern dasselbe nach Be- endieung der Fortpflanzungsperiode jedes Jahr mit einem schutz- farbigen Kleid vertauschen. Es ist namentlich bezeichnend, dass dieser Wechsel zwischen buntem Hochzeitskleid und: Schutzkleid bei den mehr unter Deckung lebenden hühnerartigen Vögeln fehlt, dagegen am auffallendsten ist bei den durch ihre Um- gebung minder beschützten Enten. Durch obiges erledigt sich auch der Einwurf Wigands (pag. 159), warum nur das Weibchen Sinn für schöne Farben habe, das Männchen nicht. Das ist einfach nicht der Fall, der Sinn ist beiderseits vorhanden, aber bei vielen Vögeln sind die äusseren Umstände beim Brutgeschäft ein Hinderniss, dass die bunte Farbe auch auf die Weibchen übergeht. Erst wenn dieses Hinderniss fehlt, wie bei den Höhlenbrütern, dann kommt auch ‘der Sinn des Männchens zu seiner Wirkung. Ganz dasselbe gilt vom Gesang. Was würde aus einem weiblichen Vogel und seiner Brut werden, der während des Brütens singen wollte! Auch der Fall mit den bunten Schmetterlingsmännchen, der Darwin in Verlegenheit setzt, erledigt sich durch obiges auf ‘die einfachste Weise. Ist die Begattung vollzogen, so ist das Leben des Männchens in jeder Beziehung werthlos, das Weibchen “hat dagegen das wichtige und ziemliche Zeit erfordernde Lege- ‘geschäft zu vollziehen, bei dem bunte Farbe eine Gefahr bildet ; - umgekehrt ziehen die bunten Männchen die Augen der Insekten- -fresser auf sich und von den eierlegenden Weibchen ab, was “für die Erhaltung der Art denselben Werth hat, wie das Män- 'neropfer der hühnerartigen Vögel. Dadurch erledigt sich weiter Wigands ganz richtige Frage “(pag. 162), woher denn die sekundären Geschlechtscharaktere des Weibehens kommen, die Antwort ist: die Auswahl durch die Feinde verhindert, dass die männlichen Charaktere auf sie übergehen, wozu beständige Neigung vorhanden ist, wie z. B. das i fortwährende vereinzelte Auftreten hahnfedriger Fasanhennen ett. u nn . NEN ie Nu FORD tie > ur > ne, >, by Wii pa- Cà Pr eg 5 =- r = — ann = uni ER eE STE Ve tn | A EEE ne era > ne manner. mac er - 20 — | Die geschlechtliche Zuchtwahl. 135 beweist; dafür spricht auch, dass die sekundären | Geschlechts- - charaktere des Weibchens meist negative sind. Die Fälle, in denen beim Weibchen positive sekundäre Sexualcharaktere vorkommen, sprechen gleichfalls dafür, wenn ` . man weiss, dass bei. derartigen Vögeln, z. B. Phalaropus das Männchen brütet: die Neigung zu bunter Farbe ist auch hier bei beiden Geschlechtern vorhanden, allein sie kann auf ; den brütenden Theil nicht übergehen. Warum bei gewissen Arten der Fischgattung Solenostoma das umgekehrte der Fall ist, d. h. das Weibchen bunt ist, trotzdem dass es brütet, kann = nicht aus dem Stegreif gesagt werden, sondern erfordert ein- gehende Prüfung der Lebensweise und des Daseinskampfes bei diesem Thier, dann wird das Motiv gefunden werden. Endlich erledigen sich durch obiges sämmitliche Dekla- mationen Wigands bis incl. pag. 169, unter‘ denen nur das eine vernünftig ist: »die Annahme, dass die durch geschlecht- »liche Zuchtwahl entstandenen Charaktere auf beide Geschlechter '»übergehen, also Speziescharaktere werden können, sei gefährlich, »weil man die Entstehung einfach einer bestimmten Geschmack- »richtung des Thiers zuschreiben dürfe, wenn Einen andere »Erklärungsgründe im Stiche lassen.« Allein erstens wird man diess nie ernsthaft thun können, wenn nicht bestimmte Anhalts- punkte dafür vorliegen und zweitens ist eine Erklärung, die sich Auf eine positiv beobachtbare Qualität des Thieres, nämlich einen Geschmack zu haben, stützt, immer noch weit besser als- die mit der Wigand’schen Urzellentheorie; denn erstere ist eine Realität, die Urzellentheorie hängt, wie Wigand pag. 169 treffend sagt, »an einem Nagel, welcher in der Luft befestigt ist.« Wigand beschäftigt sich nun ‚Pag. 169 und folgende mit Darwins Anwendung der sexuellen Zuchtwahl auf den Menschen und sucht zunächst daraus Capital zu schlagen, dass Darwin Sich auf diesem besonders schwierigen Gebiet sehr vorsichtig und reservirt bewegt, alle Möglichkeiten erwägt und sich selbst fortwährend Einwürfe macht. Das beweist nur, dass Darwin ehrlich und gewissenhaft ist und nirgends den Schein erwecken 136 Die geschlechtliche Zuchtwahl. , will, da klar zu sehen, wo er nicht klar sieht. Gegen die Theorie beweist das gar nichts. Was die Sache selbst betrifft, so hat sich Dave ini dabei einige unnöthige Schwierigkeiten bereitet. Die erste ist, dass er für das Zustandekommen der sekundären Geschlechtscharaktere nur an die sexuelle Zuchtwahl appellirt. Wie ich oben gezeigt habe, bringt diese für sich allein gerade das Gegentheil, d. h. Gleichheit der Geschlechter hervor. Die Ungleichheit ist Folge der differenten aus der Geschlechtsdifferenz hervor- gehenden Beziehungen der Geschlechter zu den äusseren Züch- tungsfaktoren oder Folge einer Geschmacksdifferenz unter den Geschlechtern. Die zweite selbstbereitete Schwierigkeit ist, dass Darwin meint, die Wahl müsse immer vorzugsweise von Einem Geschlecht ausgeübt werden, das halte ich weder für theoretisch nothwendig noch für faktisch bestehend. Die dritte Schwierig- keit ist, dass Darwin den Menschen zu sehr als eine zoologische ‘ Spezies behandelt. Was den Menschen von allen Thierarten himmelweit unterscheidet, ist die ungeheure Spaltung in Rassen, Völker, Stämme, Staaten, Sprachen, Religionen, Gemeinden, Corporationen, Beschäftigungsweisen ete. Die Herrschaft, die der Mensch durch seine höhere leibliche und geistige Begabung über alle andern Organismen sich erworben, hat ihm eine Frei- heit des Handelns verschafft, die weit alles Thierische über- trifft und während z. B. ein Thier: in allen seinen Individuen gezwungen ist, sich an eine bestimmte Form der Ehe zu halten, hat der Mensch die Freiheit, alle Formen der Ehe, die über- haupt denkbar sind, und die bei Thieren nur auf verschiedene Arten vertheilt vorkommen, auf dem Boden einer einzigen Spezies gleichzeitig zu verwirklichen. Dadurch hat die Ehe aufgehört ein Merkmal für die Spezies zu sein, sie ist nur noch ein Merkmal für die Völker, Religionsgenossen- schaften ete., sie ist kein somatisches, sondern ein sociales Merkmal. | i “ Auch ich gestehe, dass mich unter allen von Toini behandelten Capiteln das von der Abstammung des Menschen am wenigsten befriedigt hat und das Gleiche möchte ich auch EE Neo, 16. re nn — m ee m i a a Die geschlechtliche Zuchtwahl. 137 Häckel sagen. Beide. suchen die Lösung . des Räthsels fast nur auf dem äusserlich systematischen, so zu sagen zoologischen Boden mittelst der Selektion und vernachlässigen den wichtigsten Theil, den morphogenetischen, den ich in meinem, wie es Scheint, nicht in weiteren Kreisen der Fachgenossen bekannt gewordenen Aufsatz »die Menschwerdung des Säuglings« *) be- treten habe, und den psychogenetischen, auf den ich gleichfalls‘ in meinen Aufsätzen über »den Ursprung der menschlichen Sprache« **) und zwei andern »über die Entwicklung der Seele« ***) hinwies. Natürliche und sexuelle Zuchtwahl (wenn man mit Wigand diesen Unterschied machen will) haben beim Zustande- kommen der allgemeinen Charaktere des Menschen eine colos- sale Rolle gespielt, aber sie haben‘ ‚ebensowenig als bei den Thieren alles gemacht. Ich will mich nicht des breiteren auf (das anthropologische Gebiet einlassen, um so mehr, da ich beabsichtige, dieses Thema einmal in einer eigenen grösseren Schrift zu behandeln, sobald meine Studien einen gewissen Abschluss erreicht haben. Nur auf einen Punkt weise ich hin. Wallace hat in seinen »Beiträgen zur Theorie der natürlichen Zuchtwahl« (deutsche Uebersetzung pag. 384) darauf hingewiesen, dass die Macrocephalie des Menschen seiner Intelligenz voraus- gehe, also kein Produkt der Zuchtwahl sein könne, weil ein grosses Gehirn nur dann nützlich sei, wenn es auch mehr leiste. Ich führe diesen Fall an, weil er das schönste Beispiel für die pag. 92 und 114 besprochenen consekutiven oder Begleitcharaktere ist. Der Knotenpunkt der Menschwerdung, d. h. das von der Zuchtwahl direkt verfolgte Ziel ist die Differenzirung der Glied- massen durch Herbeiführung des aufrechten Gangs (Mensch und Säugethier unterscheiden sich in diesem Punkt qualitativ wie Vogel und Reptil). Eine einfache Begleiterscheinung oder besser gesagt, ganz unbeabsichtigte Wirkung der aufrechten Stellung, Ra Neue freie Presse. Abendblatt vom 19. Mai und 2. Juni 1870. **) Ausland 1867 Nro. 42. 44. 47; 1868 Nro. 23; 1869 Nro. 17; 1870 . ***) Ausland 1871. pag. 961. und 995. rn WEL E EEE u ie no. a u « P yart ED UNST. le er ST RE et m 5s ha Pr SE EEE EAEE: ADEE SOR 138 Die geschlechtliche Zuehtwahl. eine einfache Folge des veränderten Zugs der Schwerkraft, ist die Erweiterung des Beckens, mithin des Geburtsweges, und die Kopfstellung des Embryo und Fötus in der Gebärmutter, durch welch’ letzteren Umstand die Wachsthumsenergie des Gehirns als des tiefliegendsten Organs gesteigert wurde, ohne dass Gebrauch und Zuchtwahl irgend wie einwirkten. Die anatomischen Charaktere des Menschen sind der Hauptsache nach eine direkte Wirkung der Schwerkraft und des Gebrauchs, wobei die Selektion nur unterstützend mitwirkte. Wenn Wigand pag. 172 u. folgende sich von den Dar- winschen Erklärungsversuchen der Nacktheit des Menschen, des menschlichen Bartes, der Hautfarbe ete. nicht erbaut zeigt, so kann ich nur erklären, dass es mir gerade so geht; hier reichen wir mit der Selektion entschieden nicht aus (woraus allerdings nicht folgt, dass diese in 1000 andern Fällen ein völlig stich- haltiger Erklärungsgrund ist), desshalb gehe ich auch über die Auslassungen Wigands, obwohl sie.sehr viel anfechtbare Be- hauptungen enthalten, hinweg und wende mich zu pag. 177, wo Wigand die ganz kolossale Behauptung aufstellt, in der Naturforschung handle es sich anerkanntermassen allein um die Erforschung der causa efficiens. Für jeden Naturforscher und Praktiker, der bisher dumm genug war, sich auch um causa praedisponens und causae adjuvantes zu bekümmern, wird diese - Entdeckung Wigands gewiss höchst überraschend sein, sie steht aber auf gleicher Linie mit Bemerkungen, wie wir sie schon öfter, z. B. pag. 110 und 122 gerügt haben und wie eine gleiche auf pag. 182 steht, wo Wigand sagt: »Zur Erklärung der sekundären Geschlechtsunterschiede darf »schlechterdings nur ein einziges Prinzip für das ganze or- »ganische Reich angenommen werden. Wie für die natürliche »Zuchtwahl, so gilt es auch hier, dass eine Theorie, . welche, »wie die vorliegende, nur für einen Theil der Organismen > möglich ist, schon wegen ihrer Beschränkung, selbst wenn »sie für dieses Gebiet zulässig sein sollte, unbedingt zu ver- »werfen ist.« Weiter sagt Wigand pag. 177: »Der Grundfehler des E a 3 Die geschlechtliche Zuchtwahl. ; 139 ` »Selektionsprinzips liege in der Verwechslung von causa efficiens - >und causa finalis, von Ursache und Zweckbestimmung (Motiv).« Als Beispiel führt er die Aeusserung Häckels an: »Die künst- - >lichen Geschmeide der menschlichen Weiber seien ebenfalls »Produkte der sexuellen Zuchtwahl.«e Wigand sagt: »Die causa »effiiens der künstlichen Geschmeide sei nicht die sexuelle »Zuchtwahl, sondern die Arbeit des Juweliers.«- Glaubt wohl Herr Wigand, dass ein Juwelier so thöricht sein werde, künst- liche Geschmeide zu machen, wenn es nicht Frauen und Männer ‚mus on > > m u ® ee: hr e e a RNN a nn ne messe gäbe, die daran Freude haben und ihm seine Arbeit bezahlen ? Den Geschmack der Geschmeideträger können wir ohne weiteres eine causa finalis nennen und diese ist für das Zustandekommen des Geschmeides durchaus nicht gleichgültig, wie gerade obiger Fall beweist. ‘Allein am gleichen Fall lässt sich auch zeigen, dass die Wirkung der causa, finalis nicht überschätzt werden darf: ein Handwerker kann z. B. einen Gegenstand erzeugen, der entweder so geschmacklos oder so unpraktisch ist, dass ihn kein Mensch kauft, also es kann (wie oben pag. 122 in extenso ausgeführt wurde) hier die causa finalis fehlen, und trotzdem die Sache entstehen. Andererseits: verfolgt Jemand einen Zweck und bestellt sich hiezu bei einem Arbeiter ein passendes Werk- zeug, dessen Construktion er dem Ingenium des letzteren. über- lässt, so geht hier die causa finalis der causa efficiens voraus; endlich das dritte im Thierreich häufigste Verhältniss ist folgen- des: Irgend eine causa efficiens schafft ein Instrument, z. B. jene ersten Spielzeuge der Experimentalphysiologie, an denen sie die bewegende Kraft des Dampfes demonstrirte. Diese bleiben Spielereien, bis die eausa finalis, d. h. das Brauchbarkeitsmotiv hinzukommt, dann wird das Spielzeug zur mächtigen Dampf- maschine entwickelt. Also von einer Verwechslung von causa efficiens und causa finalis ist im Darwinismus nirgends die Rede, das Verdienst dieser Lehre ist, der schon von der teleologischen Schule studirten causa finalis ihre richtige Stelle einzuräumen, nämlich den von ihr erstrebten Zweck innerhalb des Organis- , statt ausserhalb, wie es die Teleologen thaten, zu verlegen und die causa selbst aus dem Gebiet der Metaphysik PIET. ET a an ERS, TOM BE —— N BE E iâ ~ t$ a En 2. Bu ~~ RER RT pos y Br: ee Er were puncto. WERTE ana ein dien nn an a um rn am dan anne un men. = 140 Die geschlechtliche Zuchtwahl. auf das der Physik herüber zu versetzen, d. h. sie in ihre reellen Faktoren (die Beziehungen zwischen Ich und Aussenwelt) zu zer- legen und deren transmutirenden Einfluss nachzuweisen. Der Hauptunterschied besteht also darin: Während Wigand gerade so wie die alte teleologische Schule die causa finalis für eine Ursache ohne Wirkung hält, stellen sich die Transmutisten auf den Boden des von Wigand stets betonten Causalitätsprin- zips, dessen; einer Satz lautet: Keine Ursache (also auch nicht die causa finalis) ohne Wirkung. Uebrigens möchte ich auch sonst Herrn Wigand rathen, die Causalitätsgesetze, mit denen er sich so sehr brüstet, in einem beliebigen Handbuch der Logik zu studiren, denn auf pag. 7 sagt er, eines dieser Gesetze laute: »Gleiche Ursachen — gleiche Wirkungen und umge- kehrt. Das erstere ist richtig: 3.4 ist immer 12, allein das letztere ist falsch, da 12 nicht nothwendig = 3.4, sondern auch = 2.6 = 2.2.3 = 10 + 2 etc. ist. Der richtige umge- kehrte Satz lautet: Aehnliche Wirkungen — ähnliche Ursachen. Hier ist vielleicht auch der schicklichste Ort, etwas über die Wigandsche Urzellentheorie zu sagen, weil es ein neuer Beweis ist, auf welch’ gespanntem Fusse Wigand mit den Causalitätsgesetzen steht. Seine Theorie, die er in einem eigenen Schriftchen *) niederlegte und deren gänzliche Ignorirung - seitens der Wissenschaft wahrscheinlich die Ursache der grossen Animosität Wigands gegen den Darwinismus ist, besteht in fol- gendem. Er lässt für jede Spezies eine Urzelle entstehen, aus der sie sich direkt als stets constante Form entwickelt. Statt aber diese Urzellen durch generatio spontanea entstehen zu lassen, wie die andern Constanzianer, nimmt er das Descendenz- prinzip an und lässt diese Urzellen für jede Spezies genau in der gleichen Weise von einander abstammen und durch Diver- genz aus einer primordialen, absolut indifferenten Urzelle sich entwickeln, wie es der Darwinismus für die Spezies selbst thut. "Er nimmt also gleichfalls eine Transmutation im Lauf der *) Wigand, Die Genealogie der Urzellen. 1872. a ee Eee — re = PER ner ppp Die geschlechtliche Zuchtwahl. 141 . Descendenz an, allein eine Transmutation ohne Ursache. Er macht nicht den leisesten Versuch für die Transmutation der Descendenz seiner indifferenten Urzelle in die Urzellen für die bestimmten Spezies, z. B. in die Urzelle des Hasen oder der Rose etc. eine causa anzugeben, weder eine causa finalis noch eine causa efficiens noch causae adjuvantes, und mit Recht, weil Sich eben absolut keine denken lassen. Während wir oben Wigand auf der Behauptung ertapp- ten, es gäbe Ursachen ohne Wirkungen, -baut er hier eine ganze Theorie auf den Satz, dass es Wirkungen gäbe ohne Ursachen! Und-solche Leute sitzen auf akademischen Lehrstühlen als Lehrer und Vorbilder für die Jugend! Ein trauriges Beispiel, wohin der Grundsatz führt, unsere Hoch- Schulen in puncto Naturwissenschaften zur EEE ein- Seitigen Spezialistenthums zu machen. Um diesem traurigen Zustand abzuhelfen, sollte auf jeder Hochschule ein Lehrstuhl — nicht für Naturphilosophie, sondern für Philosophie der Naturwissenschaften errichtet und mit einem Philosophisch gebildeten Naturforscher besetzt werden. Bis da- hin wird aber noch viel trübe$ Wasser den Bach hinunterrinnen! Was Wigand pag. 178 sagt von der praktischen Nutz- Anwendung der geschlechtlichen Zuchtwahl zur Veredlung, des Menschengeschlechts, die Darwin in seinen Aeusserungen kurz berührt, um eben nur auf die praktische Wichtigkeit der Sache aufmerksam zu machen, nicht, um sie erschöpfend zu behandeln, kann als gänzlich verständnissloses Geschwätz füglich mit Still- schweigen übergangen werden. Wigand tanzt hier einmal Wieder bayrisch Polka und wundert sich, dass er nicht von der Stelle kommt. Dasselbe gilt von der ganzen Schlussbetrach- tung, in der er alle seine falschen Voraussetzungen, seine Un- kenntniss von der Natur überhaupt und von den speziell in Rede Stehenden natürlichen Vorgängen, seine methodologische Ver- schrobenheit und seine falschen Schlüsse noch einmal in nuce zusammenfasst. i E. | i: EEEE EE er A a A a o ae ú wine r meri ar x — - Cua z a een u ne nn = TURN iði nP? ig aa er Mibi KEPT T G wA i| O NDARE an Neo TEE A ee o j T Ai á ta < Br ZUBE = DINE — "= j ze)". aai Ze en aaa oe. Rh EAE E S. a, o a i rem rn EEE AAA nern Dee Den en gen an I E a ET Die Divergenz des Charakters. IX. Die Divergenz des Charakters und die Vollkommenheit der Organisation. In diesem Capitel bestreitet Wigand zuerst die allge- meine Gültigkeit folgenden Satzes Darwins: »je weiter die »Abkömmlinge einer Spezies im Bau, Constitution und Lebens- »weise auseinandergehen, um so besser werden sie geeignet »sein, viele und sehr verschiedene Stellen im Haushalte der »Natur einzunehmen und somit an Zahl zuzunehmen.« Wigand sagt nämlich, dass es Fälle gäbe, in denen gerade die mittleren Formen nieht bloss möglich, sondern sogar bevorzugt seien- Ich will nicht darauf eingehen, dass einer der von Wigand angeführten Fälle von einer unmöglichen Voraussetzung ausgeht, also nicht vorkommen kann. Ich beschränke mich darauf,- zu sagen, dass dem gegenüber, wie Wigand selbst pag. 187 u. fi. zugibt, der Satz in der grössten Mehrzahl der Fälle gültig ist. Mehr brauchen die Transmutisten nicht, denn keiner wird so einseitig, wie Wigand, sein, zu behaupten, dass ein Motiv, das in vielen Fällen zutreffend ist, diess in allen sein müsse. Im Gegentheil :` es liegt in der Natur aller bei der Selektion in Betracht kommenden Motive, dass sie nur unter bestimmten Umständen und Voraussetzungen gültig sind, unter andern da- gegen nicht. Diess stimmt auch mit dem objektiven Sachver- halt: gegenüber den zahlreichen Fällen, in denen zwei Formen- 7 kreise (durch Aussterben der Mittelformen) scharf von einander abgegränzt sind, stehen zahlreiche Fälle, in welchen die Mittel- formen zwischen zwei Formenkreisen fortbestehen, so dass wir nicht im Stande sind, sie als 2 gute Arten von einander zu sondern. Aber in all diesen letzteren Fällen lassen sich ver- änderte Umstände denken, unter welchen die Mittelformen ver- schwinden müssen. In seiner gewöhnlichen generalisirenden Manier schliesst nun Wigand pag. 189 aus der beschränkten Gültigkeit von Die Divergenz des Charakters. 143 der Wirkung der »Divergenz des Charakters,« dass »jenes wich- >tige Stück in der Darwinschen Theorie, nämlich die Erklä- >rung der scharfen Abgränzung der Typen im System durch »das Aussterben der Mittelformen aus der natürlichen Zucht- >wahl ihren Boden verloren habe.« Endlich dreht Wigand den Spiess um und sagt: Es gäbe in der That Fälle, wo Mittelformen entschieden weniger existenz- fähig sind als die extremen; nun brauche aber die Darwinsche‘ Theorie zu ihrer Annahme einer allmähligen Ausbildung ex- tremer Eigenschaften gerade die Mittelformen als die Uebergangs- stufen. »So kehrt also der Vortheil extremer Eigenschaften »über mittlere da, wo. derselbe thatsächlich Geltung hat, an- >statt ein Motiv für die Wirkung der natürlichen Zuchtwahl »zu bilden, seine Schärfe umgekehrt gegen das Selektionsprinzip.« Diese Behauptung ist so albern, dass sie offenbar nur auf ‚Dummköpfe berechnet sein kann, denn die mittleren Formen Sind nicht an und für sich existenzunfähig, sondern nur dann weniger existenzfähig, wenn die extremen Formen be- reits vorhanden sind und mit ihnen concurriren, was be- ‚greiflicherweise während der Uebergangsperiode nicht der Fall ist, Geradezu kläglich ist aber das Beispiel Wigands pag. 190: ein Mittelding zwischen einem Nesthocker und einem Nestflüchter müsste alsbald zu Grunde gehen, »denn wollte man annehmen, »die Nestflüchter hätten sich allmählich aus Nesthockern aus- »gebildet in der Weise, dass ein junges Individuum einer nest- »hockenden Spezies zufällig die Neigung hatte, das Nest früher »zu verlassen als die Geschwister, so würde dasselbe, wenn »es nicht mit einem Mal zum vollkommenen Nestflüchter um- »gewandelt würde, d. h. die Fähigkeit besass, sich frei zu be- »wegen und sich selbst zu ernähren, den mancherlei Gefahren »>bald unterlegen sein.« Nur einer, der von den Vögeln gar nichts versteht, kann behaupten, dass die Nestflüchter von den Nesthockern abstammen, da gerade das umgekehrte der Fall gewesen sein muss, und zwar unter anderem, weil das vorzeitige Verlassen des Nestes für ein solches Individuum von Nachtheil ist. Statt dass aber Wigand daraus auf die Falschheit seiner A a vA 3 r. ee ee m na i i aa aaa e = na eg. ED EEE ER TESTER a E E a n WRRER® nr ET A a rni t: tt i C Ri et kel 212088 - RE 1 TIOE Ar de iiia ` a ie . a Pe 7 ea 4 r ee x " "s nn ee RETTET er ern Dan Een een 144 Die Divergenz des Charakters. Voraussetzung schliesst, schliesst er auf die Irrigkeit der Theorie! j i Ein noch eigenthümlicheres Verfahren schlägt er in der Frage. des Fortschritts zu höherer Organisation ein. Darwin hat natürlich hier das im Auge, was ich pag. 86 näher aus- einandersetzte, d. h. er findet das Motiv für die Entstehung höherer Organisationsstufen darin, dass dieselben entsprechend der im Lauf der Zeit zunehmenden Differenzirung der Erdober- fläche und der sonstigen Existenzbedingungen von einfacheren zu complizirteren Existenzkreisen übergehen, also von concurrenz- freien Beschäftigungs-. und Ernährungsgebieten Besitz ergreifen können. Wigand sagt nun pag. 191 und 192: »In diesem »Sinn würden wir von Darwins Standpunkt nichts hiergegen »einzuwenden haben. Es wäre diess eben nichts anderes als »die früher besprochene, durch die natürliche Zuchtwahl be- »wirkte Anpassung der Organismen an die gegebenen Lebens- ` »bedingungen. So aber kann die in obigen Sätzen ausge- »sprochene Ansicht nicht gemeint sein.« Trotzdem er früher in einer Anmerkung sagt: »an manchen Stellen scheint allerdings »Darwin die vorstehende (d. h. die richtige) Auffassung im '»Sinne gehabt zu haben,« schiebt er Darwins Aussprüchen den falschen Sinn unter, als seien die niederen Organismen ihren speziellen Existenzbedingungen weniger angepasst als die höher Organisirten und weist diess nun mit grosser Emphase als »einen der grössten und zugleich handgreiflichsten Irrthümer »in der Darwinschen Theoriex nach. Es ist allerdings richtig, dass Darwin es unterlassen hat, sofort zu unterscheiden zwi- . schen fortschreitender Anpassung des Organismus an einen þe- stimmten Complex von Existenzbedingungen unter Vernich- tung der Minderangepassten und zwischen der von mir »Diver- genz durch Fortschritt« genannten Spaltung der. Descendenz in eine höhere, zu complizirteren Existenzbedingungen übergehende Form und eine niedere, dem einfacheren Bedingungscomplex bleibend angepasste, fortbestehende. Allein dieser Mangel an scharfer Unterscheidung gibt Wigand kein Recht, einem Naturforscher vom Range Darwins eine handgreiflich falsche # / Die Divergenz des Charakters. 145 Ansicht unterzuschieben, besonders wenn derselbe, wie Wi gand selbst zugesteht, an manchen Stellen erkennen lässt, dass er die richtige Ansicht im Sinne hatte. Das ist ein moralisch ver- werflicher Kniff! Für die Orientirung des nicht eingeweihten Lesers will ich hier die Sache scharf präzisiren. 1) Der eine Prozess ist folgender: eine Art, die unter ganz bestimmten Bedingungen existirt, erhöht ihre Existenzfähigkeit durch Vervollkommnung der Qualität der ihr zu Gebot stehen- den Waffen unter Verdrängung der qualitativ schlechter bewaffneten Individuen ihrer eigenen Art überall da, wo voll- kommenere Individuen mit den unvollkommeneren in Coneurrenz treten. Dieser Prozess führt entweder zur einfachen Vervoll- kommnung der Art, wenn nämlich die unvollkommeneren Indi- viduen total vernichtet werden, oder sie führt zu einer Spaltung der Art in zwei Formen, einer vollkommeneren und einer un- vollkommeneren, wenn die Art in zwei verschiedene Territorien gespalten ist und vollkommener ausgerüstete Individuen nur in dem Territorium A auftreten, im Territorium B dagegen nicht, oder dann, wenn in dem Territorium B, z. B. einer abge- trennten Insel der Daseinskampf erheblich geringer ist als in dem etwa durch ein grosses Festland repräsentirten Territo- rium A. Eine solche Spaltung setzt also eine Divergenz durch geographische Migration voraus. j 2) Der zweite Prozess, den ich Divergenz durch Fort- schritt nenne, ist der, wenn ein Gegensatz zwischen einer quantitativ besser ausgerüsteten, d. h. weiter differenzirten Form und einer quantitativ schlechter ausgerüsteten, d. h. we- niger differenzirten Form auftritt in der Weise, wie ich es Pag. 87 geschildert habe. Hier tritt zu der inlrcheiöilätien Divergenz der Uebergang der höheren Form zu complizirteren Lebensbedingungen, also die biologische Migration, wobei die Existenz der niederen Form durchaus unange- tastet bleibt, weil die beiden Formen in Folge ihrer different Sewordenen Lebensweise nicht mehr oder nur en mit einander concurriren. Jaeger, In Sachen Darwin’s, 10 e — FE rer er 2 = je rm 2. ee » » 3 146 Die Divergenz des Charakters. Ich will ausser dem pag. 88 gesagten noch ein handgreif- liches Beispiel geben. Bei einem Widerkäuer ist es ein quan- titativer Fortschritt, wenn derselbe Hörner oder Geweihe erhält. Durch den Besitz dieser neuen Waffe ist er unter an- derem befähigt, den Gefahren des unbedeckten Bodens zu trotzen, d. h. Steppenthier zu werden. Auf der andern Seite ist das Gehörn einem Waldthier hinderlich, weil es damit leichter im Dickicht hängen bleibt. Hierin liegt ein Motiv für die Spaltung der Descendenz eines hörnerlosen Widerkäuers in ein hörnerloses Waldthier und ein gehörntes Steppenthier. Zu dieser biologischen Divergenz kommt nun in diesem Fall sekundär eine weitere morphologische Divergenz durch Gebrauchswirkung. Wenn der Hörnerträger seine Waffe zum Kämpfen gebraucht, was eine vergrösserte Arbeitleistung des Gesammtkörpers ist, so nimmt in Folge dessen sehr bald die Körpergrösse zu, wäh- rend das nicht kämpfende Waldthier klein bleibt. Diese Diver- genz bringt die Formen noch weiter aus einander. Für das Waldthier ist Kleinheit ein Vortheil, da es leicht durchs Dickicht schlüpft und sich leicht deckt, für den Hörnerträger ist die Grösse ein Hinderniss, wenn er in dem Wald bleibt, ein Vor- theil dagegen auf dem Kampfplatz der Steppe. Es ist mithin klar, dass die genannte biologische Divergenz schliesslich den- selben Werth hat wie eine geographische, d. h. räumliche Tren- nung und damit Beseitigung der Concurrenz. Ich bemerke, dass dieser Fall nicht aus der Luft gegriffen ist, er ist die Deutung der Coexistenz der kleinen hörnerlosen, waldlebenden Tragulus- arten und der grossen, das offene Land bewohnenden Antilopen, Rinder, Schafe und Ziegen. Die Hirsche scheinen allein gegen obiges zu sprechen, da sie bei den Zoologen allgemein für Waldthiere gelten. Wer jedoch, wie z. B. ich, im Wiener Prater und der Lobau die Hirsche in ganz ungestörtem Lebenswandel beobachtet hat, der weiss, dass der Hirsch die offene Steppe entschieden bevorzugt, und es ist wohl nur der intensiven Ver- _ folgung durch den Menschen zuzuschreiben, dass der Edelhirsch Europas als Waldthier einen ebensolchen Gegensatz zu den Pampashirschen Südamerikas bildet, wie der Auerochs der euro- Darwins Hilfserklärungen. 147 Päischen Wälder zu den Präriebüffeln Nordamerikas: Sie sind nicht Waldthiere aus Wahl, sondern durch Zwang. | Im Gegensatz zu obigem quantitativem Fortschritt ist es ein qualitativer, wenn ein Horn- oder Geweihträger diese Waffe vergrössert und vervollkommnet, wodurch er eine erhöhte Concurrenzfähigkeit auf dem einmal gewählten Lebens- gebiet erhält, keineswegs aber eine erhöhte köhigkeil, ein neues anderartiges Lebensgebiet zu betreten. X. Darwins Hilfserklärungen. Schon in der Gapitelüberschrift, noch mehr aber in den einleitenden Worten. zeigt sich Wigand in seiner ganzen Nackt- heit als Prinzipienheld und baar jedes Verständnisses der Natur, in welcher jede Erscheinung einer Concurrenz mehrerer Ursachen ihre Entstehung verdankt. | = »Obgleich Darwin als das ea Erklärungspriozip in »seiner Theorie ausdrücklich die natürliche Zuchtwahl bezeichnet »und durchführt, so begegnen wir doch hin und wieder auch »anderen Erklärungsursachen, nämlich der Correlation, der »Wirkung von Gebrauch und Nichtgebrauch und der »direkten Einwirkung äusserer Einflüsse. Insbesondere >pflegen die genannten Erklärungsprinzipien (bei Wigand ist jede Ursache ein Prinzip! Jaeger) von Darwin allemal da, wo »er sich gezwungen sieht, der Unzulänglichkeit der natürlichen »Zuchtwahl für die Erklärung gewisser Charaktere anzuerkennen, »vorgeschoben, um nebst der geschlechtlichen Zuchtwahl zur »>Ausfüllung der Lücken in seiner Theorie benutzt zu werden. »Auch die meisten anderen Darwinianer sind nicht so unbedingte »Anhänger: der Selektionstheorie, dass sie nicht das Ungenügende Me. EEE ae N a a a Ar se reis ne nn mn nenn er ” te Dr ng 148 Darwins Hilfserklärungen. »derselben erkennen sollten; auch sie, anstatt hierdurch an der »ganzen Theorie irre zu werden, glauben dieselbe durch Zuhilfe- »nahme jener anderen Erklärungsweisen retten zu können, wo- »bei der Eine mehr auf die Eine, der Andere mehr auf die »Andere Gewicht zu legen geneigt ist. So erscheint die Dar- »winsche Lehre im Grund als ein Gemengsel von vier ver- »schiedenen Theorien — ein Gemengsel, weil, wie im Folgenden »gezeigt werden soll, diese vier Erklärungsprinzipien ganz dis- »parat sind und sich nicht organisch mit einander in Verbindung »setzen lassen.« | Die methodologische Verschrobenheit in diesem Passus ist bereits zur Genüge gegeiselt worden, sehen wir jetzt zu, was Wigand gegen das einzelne »Prinzip,« um diese Wigandsche Ausdruckweise zu acceptiren, und gegen die Verbindung derselben einzuwenden hat. Unter der Bezeichnung »Correlation«e versteht Darwin in Uebereinstimmung mit der Gesammtheit der Biologen die That- sache, dass die einzelnen Organe und Charaktere eines Organis- mus durch die mannigfaltigsten morphologischen, funktionellen und genetischen Beziehungen mit einander verkettet sind, und zwar in zweierlei Weise: »correlativ,« d. h. so, dass die Ver- änderung eines Theils die entsprechende des andern hervorruft, oder »discorrelativ,« d. h. so, dass die Veränderung des einen Theils die entgegengesetzte des andern hervorruft. Darwin sagt nun: »Die Bedeutung der Correlation besteht darin, dass, wenn ein Theil durch natürliche Zuchtwahl modifizirt wird, andere Theile unvermeidlich mit modifizirt werden.« Hiezu bemerkt Wigand: »Damit wären alle Bedenken, »welche sich aus der Bedeutungslosigkeit der meisten systema- »tischen Charaktere (und der Differenz der Arten betreffs vieler »Charaktere) gegen die Selektionstheorie erheben, mit einem »Schlage beseitigt und es ist nur zu verwundern, dass Darwin »zu diesem Auswege nur so zurückhaltend und zögernd seine »Zuflucht nimmt.« Während also Wigand oben behauptet, die vier Erklä- rungsprinzipien, also hier Correlation und Selektion, lassen sich. epson en a ie een dy Sala ET ARE m ae EEEL ra Sean rer E S T EE e FERN ” Darwin Hilfserklärungen. 149 | nicht organisch verbinden, gibt er jetzt zu, dass sie vortrefflich zu einander passen! Dann fährt er fort: »Hiergegen ist nur zweierlei einzu- >wenden 1) dass Darwin die Wirkung der natürlichen Zucht- >wahl in keinem einzigen Fall wirklich nachgewiesen hat.« Das gehört doch offenbar nicht hieher und beweist nicht im mindesten, was Wigand beweisen will, dass nämlich Correlation und Selektion ganz disparat und unvereinbar sind! — »2) dass »jenes Gesetz der Correlation nur eine Thatsach e, ein empi- >Tisches Gesetz ist, dass aber der Zusammenhang selbst völlig >unbekannt und unerklärlich ist.« Erstens beweist das wieder nichts gegen die Vereinbarkeit von Correlation und Selektion ; zweitens: was soll der ganze Satz heissen? ist eine Thatsache darum weniger Thatsache, weil sie nicht erklärt ist? Fusst denn nicht schliesslich das ganze Lehrgebäude jeder Naturwissen- Schaft auf Thatsachen, die nicht erklärt sind? Ist denn z. B. die Schwerkraft, auf der die ganze Astrokinetik basirt ist, erklärt? Endlich rückt er pag. 198 mit folgender Behauptung her- aus: »Der Begriff Wahl setzt eine Vielheit von Abänderungen »voraus, welche alle gleich möglich sind, deren jede also zu- fällig ist. Mag für einzelne Eigenschaften ein solches zufälliges » Auftreten denkbar sein, eine so complizirte gesetzmässige Ver- »kettung von Charakteren, wie wir sie in den systematischen »Typen finden, kann nicht durch Zufall, d. h. neben vielen an- »dern eben so möglichen in die Welt gesetzt werden, — ein »Gesetz kann nicht Werk des Zufalls sein.« Hier ist erstens falsch, dass die verschiedenen, bei einem Organismus vorkom- menden Abänderungen gleich möglich seien. Die Möglichkeit, dass eine Taube in der Farbe variirt, ist viel grösser als z. B. die Variation der Schwanzfedernzahl; die Möglichkeit, in Weiss zu variiren, ist bei den meisten Thieren grösser als die, in einer anderartigen Farbe es zu thun ete. etc., ein Beweis, dass auch die Abänderungen trotz aller scheinbaren Launenhaftigkeit nicht Produkte des Zufalls sind, sondern das Produkt gesetzmässig wirkender Ursachen. Wenn Jemand eine Variation zufällig nennt, so ist diess nichts anderes als eine missbräuchliche An- - ne SE ER y Ji Epi i rE 8 men a RS Bye No E D Taa e E ee 150 Darwins Hilfserklärungen. wendung dieses Wortes. Keine einzige Variation eines Thiere® ist zufällig, sondern die eine ist selten, die andere häufig etc. Dann was soll der Schlusssatz heissen? Ein Gesetz ist allerdings nie ein Werk des Zufalls, aber sehr vieles, was wir Zufall nennen, ist Wirkung eines Gesetzes. Uebrigens handelt es sich bei der Selektion gar nicht um die Erklärung der Variab ilität, sondern um ihr thatsächliches Vorkömmen, und das kann nicht \ bestritten werden. Eben so thatsächlich ist, wie Wigand selbst zugibt, die Correlation. Was thatsächlich ist, muss sich vereini- gen lassen und die Vereinigung besteht darin: die Correlation ist nicht allseitig so streng, dass sie die Variation in einer gewis- sen mässiger Breite ausschlösse, was der tägliche Augenschein lehrt. Dass die Theile eines Organismus überhaupt in Correlation stehen, ist ein Gesetz, dagegen ist das Correlationsverhältniss einem mehr oder minder elastischen Bande zu vergleichen, das die Verschiebung des einen Charakters gestattet, aber dann auch den andern allmählig verschiebt durch den elastisch, d. h. con- tinuirlich wirkenden Zug. Allerdings Wigand denkt sich das Band der Correlation als starr — das ist das Charakteristische seiner Constanzlehre — dann ist natürlich keine Vereinbarung möglich zwischen Correlation und Variabilität, und da es ohne Variabilität keine Selektion gibt, so geht natürlich auch Corre- lation und Selektion nicht zusammen. Die von Wigand be- hauptete Unvereinbarkeit besteht also nur darin, dass Wigand der Correlation eine falsche, d. h. die Thatsache der Variabilität ausschliessende Deutung unterschiebt. | Ueber die Beziehungen zwischen dem Gebrauchsgesetz und der Selektion habe ich mich schon pag. 110, wie ich hoffe, ver- ständlich genug geäussert, so dass ich die Bekanntschaft des Lesers mit der Sache voraussetzen kann. Gegen das Gebrauchs- gesetz an und für sich macht Wigand folgenden ans Unglaub- liche gränzenden Einwand. Er sagt pag. 200: »Mit demselben »Rechte, womit man annimmt, dass der Hals der Giraffe ur- »sprünglich kurz war und erst durch vermehrten Gebrauch »übermässig verlängert worden ist, kann man annehmen, dass »der Hals aller Säugethiere so lang wie der der Giraffe war (!!!)r Darwins Hilfserklärungen. 151 »aber durch Nichtgebrauch verkürzt worden ist, wärend der Hals '»der Giraffe lang geblieben ist. — Eine Erklärungsweise, 'durch »welche man ebenso gut eine gewisse Thatsache als ihr Gegen- »theil erklären kann, ist keine Erklärung.« Das ist so, als wollte Jemand sagen: Wenn eine Flüssigkeit kalt, die andere warm ist, so kann diess ebenso wohl davon herkommen, dass beide ursprünglich warm waren, und sich die eine abkühlte, als. davon, dass ursprünglich. beide kalt waren, und die eine erwärmt wurde. Eine Wärmetheorie, die auf beide Fälle passt, mit der man also ebensogut das Kaltwerden einer warmen Flüssigkeit, als das Gegentheil, das Warmwerden einer kalten, erklären kann, ist keine Erklärung.« REN EEE Weiter hofft Wigand, Leser zu finden, denen er glauben machen kann, Gebrauchswirkung und Selektion seien wider- streitende Prinzipien, und zwar so: »Das Gebrauchsgesetz geht = »aus von der physiologischen Wirkung und steht daher auf dem »Causalprinzip, die Erklärung der Entstehung jeder einzelnen »Vergrösserung durch natürliche Zuchtwahl ist dagegen im »Prinzip teleologisch. Gebrauchswirkung und Zuchtwahl verhal- »ten sich also wie Ursache und Motiv. Man kann daher nicht zwischen diesen beiden Erklärungsprinzipien, wie Darwin thut, “ »je nach Bedürfniss und Belieben wählen oder gar beide mit »einander amalgamiren.«e Für die Entdeckung, dass Ursache und Motiv, d. h. causa efficiens und causa finalis, sich gegen- seitig ausschliessen und nie zu der Erzeugung einer Erscheinung zusammenwirken können, darf Wigand wohl unbedingt die Priorität und das ausschliessliche Privilegium in Anspruch nehmen. Ä | Bezüglich der direkten Wirkung der äusseren Einflüsse gibt er sich anfangs die gänzlich unnöthige Mühe, die Geoffroy’sche Theorie, wornach durch sie allein die Anpassung der Organis- men an die Lebensbedingungen und die Umwandlung einer Form in die andere erklärt werden können, zu widerlegen — unnöthig, weil gegenwärtig kein Transmutist so etwas behauptet, für sie st dieser direkte Einfluss der Lebensbedingungen nur Ein Fak- tor, aber nicht der einzige. Ueber die Unvereinbarkeit wieder- reg er er er nn u er 4 ; TREES OTEN = TEREE N AREAN OEREN, et Eee Aue was pe nn nen un DE aan rn een en 152 Das natürliche System. holt er das, was er von der Gebrauchswirkung sagte, es sei der Gegensatz von Ursache und Motiv, worüber soeben das Nöthige gesagt wurde. Xl. Das natürliche System. Nachdem Wigand in den vorhergehenden zehn Capiteln die Begründung der Theorie angegriffen, bestreitet er in den’ folgenden sechs Capiteln, die er als zweiten Abschnitt den an- dern gegenüberstellt, die Leistungsfähigkeit derselben betreffs Erklärung der thatsächlichen Verhältnisse in der organischen Natur, und zwar im vorliegenden Capitel betreffs der Erklärung des natürlichen Systems. | 1) Allgemeines. In diesen Auseinandersetzungen stossen wir zuerst wieder auf, die schon pag. 37 widerlegte Behauptung, dass planloses Variiren unerlässliche Voraussetzung der Selektion sei. Weiter: während Wigand im zehnten CapitelDarwin ausführlich zum Vorwurf gemacht hat, dsss er neben der Selektion noch drei andere Erklärungsprinzipien (Correlation , Gebrauchswirkung, direkten Einfluss der Aussenwelt) annehme, sagt er jetzt pag. 212: »dass Darwin in der Ausführung seiner Lehre im Einzelnen »die Charaktere geradezu als die alleinige Wirkung der »natürlichen Zuchtwahl darstelle.« Ein solches Verfahren ist, abgesehen von allem andern, geradezu eine Beleidigung des Lesers, wenn man ihn nämlich für dumm genug hält, dass er solche Widersprüche nicht merke. 1% | Was soll man ferner zu Wigands Aeusserung pag. 215 sagen? - » Warum vergrössert sich die Corolle bei dem einen »Individuum und bei dem andern nicht? Ist die Ursache unbe- »kannt, so schneide man wenigstens die Erforschung nicht durch Das natürliche System. 153 »das nichtssagende Schlagwort: Variabilität, ab, womit nicht >nur der Erklärung ausgewichen, sondern die Naturgesetzmässig- »keit im Prinzip verläugnet wird.« Schwerlich ist es einem Naturforscher schon eingefallen, dass er durch die Zusammenfassung einer Summe übereinstim- mender Erscheinungen mittelst eines Wortes die Erforschung der sie bedingenden Ursachen abschneide und prinzipiell die Naturgesetzmässigkeit dieser Erscheinungen verläugne. Mit obigem Satz schneidet Wigand jeder Wissenschaft die formale Mög- lichkeit ab. Jede wissenschaftliche Arbeit schliesst mit dem Zu- sammenfassen einer Summe als gleichartig erkannter Einzeln- erscheinungen mittelst eines Wortes ab und das ganze Gebäude der Wissenschaft ist aus solchen Worten zusammengefügt, ohne Sie gar nicht denkbar. Gebrauchen ‚wir das von Wi- Sand auf pag. 213 malträtirte Gleichniss von dem’ Bauwerk: die von der Natur uns dargebotenen zahllosen Einzelnerschei- nungen gleichen einem Haufen von Sandkörnern. Die wissen- Schaftliche Arbeit besteht darin, dass erstens die gleichartigen Sandkörner zusammengesucht, zweitens mittelst eines Wortes zu einer Einheit gleich einem ‚compakten Stein verbunden werden, ünd dass drittens aus diesen compakten Steinen ein wissen- Schaftliches Gebäude aufgeführt wird. Zu letzterer Arbeit ist die Zusammenfassung der Vielheit gleichartiger Erscheinungen in eine Einheit ebenso wenig zu entbehren, als man aus einem Haufen loser Sandkörner ein Gebäude errichten kann. Uebrigens in einem Punkt hat Wi gand Recht. Es gibt Leute, die sich begnügen, wenn sie ein Wort gefunden haben, ‚die nicht weiter darum fragen, ob dieses Wort einen natur- Sesetzmässigen Inhalt hat, ja die ein solches Wort geradezu aufstellen, um die Weiterforschung abzuschneiden. Ein solches Wort ist z. B. die »Urzelle« Wigands, sowie sein »Entwick- lungsplan.d Das sind Worte, die Wigand speziell erfunden hat, um der Erforschung der Differenzirungs- und Entwicklungs- Ursachen im organischen Reich den Weg abzuschneiden und der Erklärung des schwierigsten aller naturwissenschaftlichen Pro- bleme auszuweichen. Es liegt also in obigem Satze Wigands Ba aa a ner sie > Pra TE 154 Das natürliche System. ein grosses Stück Selbsterkenntniss, indem er das, was er selbst thut, von andern voraussetzt. 2) Ausprägung des systematischen Charakters. Nach diesen allgemeinen Einwänden geht Wigand zu speziellen Punkten über: der erste gilt der Thatsache, dass zwei Arten sich nicht bloss in einem Charakter, sondern in einer grossen Zahl von Charakteren unterscheiden. Pag. 216. „Wollte man etwa für jeden Einzelncharakter einen besondern »Züchtungsprozess annehmen, so würde sich der ganze lebendige »Organismus lediglich als ein mosaikartig zusammengestückeltes »Flickwerk, nicht aber als ein in seiner Vielheit vollkommen ‚einheitliches, wie aus einem Gusse geflossenes harmonisches »Ganze darstellen. Man wird vielleicht, um diesen Schwierig” „keiten zu entgehen, seine Zuflucht zu dem Prinzip der »Corre- „lation« nehmen und diesem einen Theil der Arbeit zu theilen, „womit man dann aber im Grunde, wie wir oben gezeigt haben, „das Prinzip der natürlichen Zuchtwahl daran geben würde. Man sieht also klar, wie die methodologische Verschrobenheit; die schlechterdings bloss Ein Erklärungsprinzip zulassen will, Wigand an der richtigen Erkenntniss verhindert. Während jeder logisch geschulte Mann aus der Unzulänglichkeit einer Ursache schliesst, dass noch andere Ursachen mitwirken müssen; schliesst Wigand, dass die vorliegende Ursache überhaupt nicht concurrire. Ich bemerke dabei gelegentlich, dass darin auch die Erklärung liegt, wie Wigand zu seiner pag. 140 charakterisirten Urzellentheorie kommt: da keine einzige Trans- mutationsursache für sich allein zur Erklärung ausreicht, s0 verwirft Wigand alle und kommt zu der Theorie von einer Tyransmutation ohne Ursache. | 3) Die scharfe Abgränzung der Typen. Weiter bestreitet Wigand pag. 217, dass durch die Darwin’sche Lehre »die Begränzung der systematischen Type®: a Das natürliche System. 155 >die Gruppirung der organischen Gestalten nach scharf von »einander gesonderten Arten, Gattungen, Familien etc.« erklärt werden können. Zunächst meint er, suchte man sich »die Auf- »gabe dadurch zu erleichtern, dass man die Thatsache überhaupt »läugnet oder wenigstens möglichst abschwächt, indem man »sich auf die Uebergangsformen beruft.« Für die Spezies- begränzung hält er die Sache durch seine früheren Erläuterungen über den Artbegriff für abgethan: mit welchem Recht haben wir gesehen. Nun stellt er aber die weitere Behauptung auf: »je »weiter wir in der Rangfolge der systematischen Kategorien »aufwärts steigen, desto schärfer treten die Unterschiede zwischen »je 2 benachbarten Gattungen, Familien, Ordnungen hervor.« Ich glaube, dass jeder Zoologe mit mir übereinstimmen wird, wenn ich sage, dass weit eher das Umgekehrte der Fall ist. Doch braucht darüber gar nicht gestritten zu werden, denn die Sache ist für den vorliegenden Fall gleichgültig. Nicht gleich- gültig ist dagegen, wenn Wigand sagt, das stetige Auffinden neuer Arten, durch welche Lücken im System ausgefüllt werden, bringe zwei coordinirte Gattungen zwar in nähere Berührung, aber ohne dass sie desshalb zusammenfliessen, denn es werde »nicht leicht der Fall vorkommen, dass man sich durch die »Entdeckung einer neuen Spezies oder Gattung u. s. w. genöthigt »sähe, zwei bisher getrennte Gattungen oder Familien in eine »Gruppe zusammenzuziehen.« Diese Behauptung ist falsch, da die Zoologie mehrere solche Fälle aufweist, z. B. früher hat man die Hufthiere in drei gleichwerthige Abtheilungen, Vielhufer, Zweihufer und Einhufer, getrennt; das Auffinden zahlreicher Uebergangsformen hat die Zoologen veranlasst, sie in zwei Abtheilungen zusammenzufassen, d. h. die Zweihufer mit den paarhufigen Vielhufern und die Einhufer mit den unpaarigen Vielhufern zu vereinigen. Aehnlich hat das Auffinden der Uebergangsformen zwischen Reptilien und Vögeln Huxley veranlasst, dieselben unter der Bezeichnung Sauropsida zusam- menzuziehen und solcher Beispiele könnten noch mehrere ange- führt werden. Die Hauptsache ‘aber ist folgende. e Das Auffinden von Uebergangsformen zwischen den Arten 156 Das natürliche System. Gattungen, Familien ete., namentlich aber das stetige Anwachsen dieser Uebergangsformen parallel mit der Erweiterung unseres paläontologischen Erfahrungsmaterials stösst die Behauptung der Constanzianer um, dass die heute bestehenden Lücken zwischen den systematischen Typen von Anfang an gegeben seien, und bestätigt den Theil der Darwin’schen Lehre, welcher dieselben durch das Aussterben von Uebergangsformen entstehen lässt. Diess nicht anerkennen, heisst die unbestrittene Thatsache des Aussterbens und die nicht minder unbestreitbare Thatsache, dass sehr viele dieser ausgestorbenen Arten Ueber- gangsformen sind, läugnen. Die CGonstanzianer werden doch zugeben, dass es sich bei der Frage von der Abgränzung der Formen gegeneinander nicht bloss darum handelt, ob sie über- haupt abgegränzt sind, sondern auch um die Breite der Lücke, durch welche sie getrennt sind? Wenn nun die Trans- mutisten sagen, die Breite der Lücke ist durch das Aussterben von Uebergangsformen entstanden, so haben sie einen wesentlichen Theil der Begränzungsfrage erklärt und, wenn sie sagen, das Aussterben der Uebergangsformen sei ein Akt der Selektion durch den Daseinskampf, so haben sie eine Erklärung gegeben, so genügend, als man sie überhaupt verlangen kann — oder weiss Wigand eine bessere? Der: Schwerpunkt der Frage liegt also darin: sind die Uebergangsformen als solche im Nachtheil gegen die extremen? Hören wir darüber Wigand: Auf pag. 222 steht folgender Passus, den ich etwas gekürzt wiedergebe: »Es »handelt sich nicht bloss um die Scheidung der Varietäten und »Spezies, sondern auch um die Scheidung der Gattungen, »Familien, Classen u. s. w. und da hier, wie gesagt, die Kluft »zwischen den coordinirten Gruppen immer tiefer wird, so »müsste das Erlöschen nicht bloss von Zwischenvarietäten, son- »dern von Arten zwischen den Gattungen, von Gattungen »zwischen den Familien angenommen (ist denn das nicht durch die Paläontologie dutzendfältig bewiesen? Jaeger) und aus »der Divergenz des Charakters erklärt werden. Da wir nun »innerhalb jeder Gattung, Familie u. s. w. eine Reihe von Das natürliche System. 157 »Formen haben, die sich zwischen gewissen extremen Repräsen- »tanten bewegen, so müssten consequenter Weise alle diese »mittleren Gattungen einer Familie im Lauf der Zeit verdrängt »werden und bei strenger Consequenz bliebe nur das höchste >Thier und die höchste Pflanze übrig.« Darin liegt allerdings etwas unbestreitbar Richtiges, näm- lich, dass eine Zwischenform nicht an sich, d. h. als solche minder existenzfähig, mithin zum Verschwinden bestimmt ist und Wigand, der im Fach der Prinzipienreiterei unbedingt als Autorität gelten muss, zeigt hier sehr schön, wie richtig das Wort ist: Vivat principium, pereat mundus! Also haßen sich die Transmutisten wohl vor dem Ausspruch zu hüten: »weil »Zwischenformen in vielen Fällen minder existenzfähig sind, so »ist diess immer der Fall.« Einmal ist es Thatsache, dass heute noch Uebergangsformen zwischen Arten, zwischen Gat- tungen, Familienordnungen ete. bestehen, welche der Systematik früher schwere Sorgen bereitet haben — ich erinnere z. B. an den Streit um den Lepidosiren. Fürs zweite ergibt eine theore- tische Erwägung, dass in zahlreichen Fällen eine Mittelform voll- kommen ‚existenzfähig sein kann. Das Aussterben der Ueber- gangsformen ` darf also nicht a priori angenommen ‚werden, es tritt dasselbe nur unter bestimmten Bedingungen ein, ' von denen ich oben zwei genannt habe: geographische oder bio- logische Trennung, und bei letzterer nur dann, wenn die Mittel- form B weder auf dem biologischen Territorium von A, noch auf dem von C erfolgreich concurriren, noch auch dadurch Sich erhalten kann, dass sie sich beide Territorien dienstbar macht. at Wigand macht sich natürlich über solche Details kak. Kopfzerbrechens, für ihn existiren nur Prinzipien, desshalb schliesst er auch den citirten Passus auf pag. 222 mit folgenden Worten: »Wollte man aber hiegegen die Mannigfaltigkeit der Existenz- ` »bedingungen für das dauernde Bestehen unendlich vieler Typen »geltend machen, so würde man das ganze Prinzip preissgeben,« d. h. weil die Uebergangsformen nicht unter allen Um- Ständen minder existenzfähig sind, sind sie es gar nie! Ea ovili Fs: rag a ee en ee > 158 Das natürliche System. Auf pag. 219 greift Wigand Nägelis Beispiel von Hiera- cium an. Dieser Forscher hat nachgewiesen , dass in besagter Pflanzengattung fünferlei Verwandtschaftsformen vorkommen: die chaotische, die gränzlose, die Uebergangs-, die Bastardirungs- und die agamische Verwandtschaft, und sieht darin den Aus- druck eines stetigen Entwicklungsprozesses, der mit der chao- tischen Verwandtschaft (d. h. mit der regellosen Variabilität) beginnt und mit der Trennung in differente, sich gegenseitig ` nieht mehr befruchtende Spezies (agamische Verwandtschaft) endet. Hiegegen macht Wigand den prinzipiellen Einwand, es sei >ein weit verbreiteter Irrthum, eine durch Uebergangs- »stufen vermittelte Reihe von Erscheinungen desshalb für das »Produkt eines und zwar in einer bestimmten Richtung liegenden »genetischen Prozesses zu deuten.« Gründe dafür,- dass ein solches Verfahren prinzipiell ein Irrthum sei, bringt Wigand keine vor, offenbar, weil er keine hat, denn prinzipiell ist das- selbe vollständig gerechtfertigt, was jedoch nicht ausschliesst, dass die Reihe in einem gegebenen Falle falsch sein kann. Charakteristisch für Wigand ist der zweite Einwand: »aus‘ »der chaotischen Verwandtschaft lässt sich die gränzlose Ver- »wandtschaft (d. h. mehrere deutliche, aber schlecht abgegränzte „Formen durch zahlreiche constante Zwischenformen verknüpft) »auf zweierlei Weise ableiten: entweder (nach Nägeli) dur ch »Verminderung der zwischenliegenden Abänderungen oder durch »Vermehrung einzelner divergenter Abänderungen. Da hiernach »für die Entstehung der Gruppirungsweise zwei von vornherein »gleichber echtigte Deutungen neben einander bestehen, so fehlt sauch von dieser Seite der Dar win’schen Ansicht von der »Varietät als werdender Spezies jede Unterstützung.« - Zunächst sind obige zwei Deutungen von einander gar nicht verschieden: Vermehrung der divergenten Abänderungen und Verminderung der Zwischenformen sind nicht discorrelat, sondern stehen. in innigster unauflöslicher Correlation, indem jede Ver- minderung der Zwischenformen sofort eine Vermehrung der Di- vergenten (in Folge der Concurrenzabnahme) und jede Vermeh- rung der Divergenten in Folge der Concurrenzzunahme eine Ver- a = ra Das natürliche System. 159 Minderung der Zwischenformen zur Folge hat. Die Correlation ist desshalb so innig, weil beide Vorgänge die Folge einer ein- zigen Ursache sind, nämlich des Eintretens eines Ueber- gewichts der Divergenten über die Zwischenformen. | Aber selbst zugegeben, jene innige Correlation bestünde nicht, und es liege wirklich die Möglichkeit zweier Deutungen vor, so wäre Wigands Schluss auf die Darwin’sche Lehre falsch, und zwar in doppelter Weise, 1) für die Darwin’sche Lehre ist es bestätigend, wenn aus der chaotischen Verwandt- Schaft überhaupt die gränzlose hervorgeht, und zwar ganz gleichgültig wodurch. 2) Ist der Schluss falsch, weil so- wohl die Verminderung der Zwischenformen als die Vermehrung der Divergenten ein Akt der Selektion ist. Weiter sagt Wigand pag. 221: »Wenn Nägeli die Exi- »stenz scharf umschriebener Formenkreise, d. h. unzweifelhafter »Spezies unmittelbar aus der gränzlosen Verwandtschaftsstufe “ »ableitet, so können wir mit gleichem Recht solche Formen- »kreise (d. h. die scharf umschriebenen) als den Ausgangs- punkt der chaotischen Verwandtschaftskreise, die gränzlose »Verwandtschaft aber als den definitiven Zustand be- »zeichnen.« - i Hiegegen ist erstens zu bemerken, dass Nägeli, gerade so wie Darwin, die scharf umschriebenen Formen nicht unmittelbar aus der chaotischen Verwandtschaft hervor- gehen lässt, sondern mittelbar durch die gränzlose und die Uebergangsverwandtschaft hindurch. Zweitens behauptet die Darwin’sche Lehre dasselbe, was Wigand obigem ent- gegenstellt, nämlich dass die scharf umschriebene Spezies den Ausgangspunkt der chaotischen Verwandtschaft bildet. Diese Behauptung bildet sogar einen so integrirenden Bestandtheil der Darwin’schen Lehre, dass sie ohne das gar nicht bestehen kann. Es handelt sich hier ebensowenig, wie im obigen Fall, um zwei verschiedene einander ausschliessende Deutungen, son- dern um die zwei Hälften eines Zirkels, den ich für den minder eingeweihten Leser hier kurz gebe: die scharf um- Schriebene Spezies A löst sich in ein Chaos von Varietäten bD—- m 160 Das natürliche System. auf (chaotische Verwandtschaft); unter letzteren erlangen die Varietäten e, f und i das Uebergewicht, die andern erhalten sich zuerst alle (gränzlose Verwandtschaft); dann geht ein Theil unter, so dass zwischen e und f nur e, zwischen f und i nur 8 übrig bleibt (Uebergangsverwandtschaft); endlich sterben auch diese Uebergangsformen aus und das Endresultat sind wieder scharf umschriebene Formen, aber statt Einer deren drei, nämlich ce, f und i, deren Trennung noch schärfer wird, sobald auch f dem Artentod anheimfällt. Der Zirkel geht also von einer scharfumschriebenen Form aus und endet mit einer oder mehreren neuen scharf umschriebenen Formen. 4) Der Classifikationscharakter des Systems. Während im Bisherigen Wigand die Unzulänglichkeit der _ Darwin’schen Lehre zur Erklärung des Coordinationsverhält- nisses im System beweisen wollte, sucht er von pag. 223 an dasselbe für das Subordinationsverhältniss darzu- thun. Nach Darwin entsteht das Gattungs-, Familien- und Ordnungsverhältniss etc. in folgender Weise. Wenn eine Art sich successive in mehrere Arten spaltet, so bleibt der ursprüng- liche Artcharakter auch in diesen Abkömmlingen als ein sie einigendes Band, da nun aber eine Vereinigung mehrerer Arten in der Terminologie der Systematik eine Gattung heisst, so ist jetzt der ursprüngliche Speziescharakter auf die Rangstufe eines Gattungscharakters erhoben worden. Spalten sich die Arten der Gattung wieder und werden so je zur Gattung, so wird die alte Gattung zur Familie, mithin der Gattungscharakter zum Fami- liencharakter ete. Wigand sagt nun, diese Rangerhöhung eines Spezies- charakters zum Gattungscharakter und weiter- zum Familien- charakter u. s. w. sei undenkbar, pag. 225: »Die Kategorien: »Art, Gattung, Familie sind nicht bloss logische, sondern natur- »historische Begriffe, nicht sowohl quantitativ als qualitativ, »nicht graduell, sondern absolut von einander verschieden. Jede »derselben ist nicht bloss der Inbegriff der unter denselben sub- Das natürliche System. 161 »sumirten niederen Kategorien, sondern jede hat einen ganz ?bestimmten, eigenthümlichen und unverrückbaren Rang und »Charakter.«e Um diese Behauptung zu beweisen, müsste W i- gand darthun, dass ein Charakter, der irgendwo im System als unbezweifelbarer Speziescharakter auftritt, an keinem andern Orte als Gattungs- oder Familiencharakter etc. erscheint, ein Beweis, der ihm sehr schwer werden dürfte. Ich begnüge mich dagegen nur wenige positive Fälle anzuführen, wie sie mir ge- rade einfallen. Wählen wir z. B. das Fehlen des zweiten Papini bei Insekten. Bei einer Wanze (Pyrrhocoris apterus) ist diess ein Varietätencharakter, indem die cisalpinen hinterflügellos sind, unter den transalpinen öfters Exemplare mit Hinterflügeln vor-' kommen. Bei der Käferfamilie der Carabicinen treffen wir Hinter- flügellosigkeit sehr häufig als Speziescharakter und zwar sowohl so, dass eine Spezies einer Gattung, als so, dass mehrere Arten einer Gattung hinterflügellos sind, d. h. sie tritt'bald als unispezifischer, bald als multispezifischer Charakter auf. In den Käferfamilien der Melanosomen und Ptiniden erscheint die Hinterflügellosigkeit mehrfach als Gattungscharakter, ebenso bei der Ephemeriden- gattung Cloë und der Heuschreckengattung FPezotettix. Bei den Dipteren endlich treffen wir sie als Charakter einer ganzen Ordnung. Ganz dasselbe gilt von ligen Flögellosigkeit, Auf nieder- ster Stufe tritt diese als sekundärer Geschlechtscharakter bei vielen Schmetterlingen, Schildläusen ete. auf, Speziescharakter ‚ist sie bei Psocus pulsatorius, Gattungscharakter bei der Bett- wanze (Acanthia), bei der zweiflügligen Gattung Meloghagus etc., Familiencharakter bei Pediculinen, Mallophagen etc. Dasselbe ‘gilt von der in der Systematik der Käfer eine so grosse Rolle spielenden Zahl der Tarsenglieder : während eine bestimmte Zahl meistens für mehrere grosse Familien gemeinschaftlich ist, gibt es Fälle genug, wo sie als Gattungs- oder Artcharakter auftritt und zwar nicht bloss unter den andern UBER ERBEN Ingeit, son- dern selbst unter den Käfern. Gehen wir zu den höheren, Wirbelthieren, bei welchen die Jaeger, In Sachen Darwin’s. = a ne SEE EEE a a un anne a Dann arte msn nn hen Ben Ban EEE nn nn 162 ' Das natürliche System. Zahl der Zehen (und Finger) ein von der Systematik stets hoch- gehaltener Charakter ist. Hier sehen wir Differenz der Zehen- ~ zahl (theils durch Ueberzähligkeit, theils durch Verwachsung, theils durch Abortus) als individuelle Varietät bei den sechs- fingerigen Menschen, den pferdehufigen Schweinen, den fünfzehigen 'Hühnern, den Hunden mit fehlender Afterklaue; als Spezies- charakter bei dem Dreizehenspecht (Picus tridactylus), der Drei- zehenmöve (Larus tridactylus), dem kleinen Ameisenfresser (Myrmecophaga didactyla). Gattungscharakter wird die Zehen- zahl bei vielen Säugethiergattungen: z. B. die Faulthiergattung Choloepus hat zwei Zehen, unter den Raubthieren und Nage- thieren gibt es Gattungen, die vorn und hinten fünf Zehen haben, andere, die.vorn vier und hinten fünf, andere, die das umgekehrte besitzen. Die Vogelgattungen Charadrius, Aegialites, Rhea, Casuarius, Otis ete. sind dreizehig, die Gattung Struthio zweizehig, die meisten Vogelgattungen vierzehig. Bei den Zwei- hufern und Einhufern endlich treffen wir die bestimmte Zehen- zahl als Familiencharakter. Die Fusszahl, die doch ein Cha- rakter von grösster morphologischer, also systematischer Bedeu- tung ist, kennen wir (z. B. die Zweifüssigkeit bei Wirbelthieren) einmal als Gegenstand individueller Variation, so besitze ich einen Grasfrosch ohne Vorderfüsse, in der Sammlung der hiesigen Thierarzneischule steht ein derartiger erwachsener Hund. Bei der Reptiliengattung Seps tritt die Bipedie als polyspezifisches Merkmal, bei den Kiemenmolchen als Gattungsmerkmal für Siren, bei den Cetaceen als Familiencharakter auf. pe: Ich will den Leser nicht durch Aufzählung zahlreicher Bei- spiele weiter ermüden, denn selbst wenige würden genügen, um obigen Satz Wig ands in seiner Allgemeinheit umzustossen. Wir wollen jedoch die Möglichkeit des von Darwin aufgestellten Vorgangs auch noch von anderer Seite darthun, indem wir sehen, dass auch ein Charakter, der heute nur Gattungscharakter ist, sich recht gut als Speziescharakter denken lässt. Längst haben Paläontologen die hörner- und geweihlosen Anoplotherien für die Ahnen der hörnerlosen Moschusthiere, der geweihtragenden Hirsche und der hörnertragenden Antilopen 4 Das natürliche System. 163 erklärt. *) Denken wir uns nun in die Zeit zurück, in der jede - dieser drei Gattungen nur durch Eine Spezies vertreten war, und stellen wir uns vor, diese drei Spezies seien irgend eine Tragulusart, dann der kleine mit einem winzigen Geweihspiess versehene Spiesshirsch (Cervus rufus) und irgend eine Art der ‚Antilopenuntergattung Cephalopus mit winzigem, fast in den Haaren versteckten Gehörn gewesen. Ich möchte wissen, ob damals nicht jeder Zoologe diese drei Arten als Arten einer. ein- zigen Gattung angesprochen hätte, da niemand eine Ahnung davon haben konnte, dass jede dieser Arten den Grundstock für eine Gattung abgeben würde. Wenn wir heute den Besitz eines Geweihes für einen Gattungscharakter erklären, so geschieht es nur angesichts der Thatsache, dass er dasis t, allein nie- mand konnte das thun, so lange dieses Organ ein fast bedeu- - tungsloses Anhängsel einer einzigen Spezies war. Gehen wir zu den Vögeln: wenn bei einer einzigen Vogel- spezies der erste Anfang jener Hornzahnbildung auftrat, die das charakteristische Merkmal der Zahnschnäbler (Enten, Gänse, Schwäne, Flamingo, Säger) bildet, wer konnte da prognostieiren, dass sich dieser Speziescharakter zu solcher Höhe, wie bei der Löffelente, und zu einer solchen Mannigfaltigkeit auszubilden ' vermöchte, wie er jetzt in obigen fünf Gattungen vorliegt. Me -zs > gt Beispiele liessen sich beliebig vermehren. Ueberhaupt ob ein Charakter das Zeug hatte, Gaktungs- oder Familiencharakter zu werden, «das schliessen wir ja erst ex eventu, d. h. wenn er es schon geworden ist, allein ehe diess eintrat, können wir ihm diesen Namen nicht geben. Wigand wendet hiegegen ein, dass wir zahlreiche Arten haben , denen wir trotzdem, dass sie ganz für sich allein stehen, dennoch den Rang einer Gattung zugestehen , ja sogar einer eigenen Familie, 2. B. dem Schnabelthier, dem Ameisenigel, der Dronte, dem Strauss, dem Axolotl, dem Proteus ete. Hier habe man es auch nur mit Charakteren einer Spezies zu thun und doch räumen *) Siehe auch Jaeger und Bessels, Die geographische Verbreitung der Hirsche, in Petermanns geographische Mittheilungen 1870, ` \ adh i u 3 aii. n k OR "R iia i ATP SE ~ hen ” mie a BETEN f er $ ET N g ge EEE 4 > : ve er euer, > nenn 164 Das natürliche System. wir denselben Gattungs- oder Familienrang ein. Das ist richtig, “ allein wir thun es eben auch nur ex eventu, d. h. weil diese Arten sich in Charakteren unterscheiden, die bei andern Thier-, gruppen die Gattungen , beziehungsweise Familien trennen. Doch sehen wir zunächst von Beispielen ab und formuliren die Sache allgemein. Fürs erste gilt: Nicht jeder Spezies charakteristaprioriim Stand, sich zum Fat tungscharakter zu erheben, diess geschieht nur dann, wenn dieser Charakter einer erheblichen Steigerung und in seiner Steigerung einer erheblichen Modifikation zugänglich ist, und wenn für beides in dem Kampf ums Dasein genügende Motive liegen. Zur Begründung dieses Satzes möchte ich nur anführen: wenn alle Speziescharaktere einer derartigen Rangerhöhung zu- gänglich wären, so müsste die Zahl der Gattungen eine unend- lich grössere sein, als sie thatsächlich selbst unter Hinzurechnung der fossilen ist. Fürs zweite gilt: So lange der Charakter noch unispezifisch ist, befindet er sich in einem primitiven Grad der Entwicklung, also z. B. das Geweih auf der Stufe des Spiess- hirsches, das Gehörn auf der Stufe des Zwergböckchens. Der Prozess der Rangerhöhung besteht erstens in einer Vergrösse- rung (Spaltung in klein-, mittel- und grossgeweihige Arten) und zweitens in einer morphologischen Differenzirung (Spiesser, Gabler, Schaufler). z Es ist also total falsch, wenn Wigand pag. 229 der Darwin’schen Darstellung die Annahme zu Grunde legt, die Art gewinne lediglich dadurch, dass sie sich in mehrere Spezies differentiire, dèn Rang und Werth einer Gattung. Dazu wird sie nur, wenn ein bestimmtes primäres Speziesmerkmal sich, bildlich gesprochen, um einer Haupteslänge über die andere er- hebt, zu gewaltiger Bedeutung anschwillt, die andern unter- geordneteren Speziesmerkmale durch Correlation nach sich zieht in Folge der wichtigen Rolle, die es im Daseinskampf spielt (z. B. die Geweihe pag. 146), und nun zur Basis eines Differen- zirungsprozesses wird. Das ist der Vorgang, durch welchen sich eine Gattung aus’ dem Gewirre einer multispezifischen andern Gattung herauslöst. i Das natürliche System. 165 Nehmen wir noch einmal den Fall mit der Wirbelsäule vor. Um die Geschichte dieses auf den höchsten Rang erhobenen Charakters zu verstehen, müssen wir auf die primäre Wirbel- säule, die Chorda dorsalis des Amphioxus und der Ascidien- larven, zurückgehen, in welcher Gestalt sie nur ein ungegliederter Knorpelstr ang ist. So lange die Gesammtsumme der übrigen Wirbelthiere nicht bestand, wäre kein Mensch berechtigt gewesen, diesem Knorpelstrang einen höheren Rang zu geben, als z. B. dem Knorpelschulp der Loligiden, der bei den nächstverwandten Octopodiden fehlt. Es frägt sich nun: warum hat sich die Chorda dorsalis der Urwirbelthiere zu einem solchen Rang er- heben können, der Knorpelschulp der Loligiden dagegen nicht? Der Grund hiefür liegt darin, dass bei den Wirbelthieren die Muscularis der Länge nach gegliedert ist, bei den Tintenfischen nicht.. Das hatte zur Folge, dass bei den letzteren auch die Knorpelaxe ungegliedert und damit differenzirungsunfähig blieb, während bei den Wirbelthieren zu der primären ungegliederten Chorda dorsalis eine in Ringe sich gliedernde, die erste ein- scheidende sekundäre Wirbelsäule trat, eine Zerspaltung, welche durch die vorgängige Spaltung der Muscularis hervorgerufen wurde, und -die Möglichkeit für eine weitgehende Variation bot. Rechnen wir hiezu den pag. 116 geschilderten immensen physio- logischen Vortheil einer solchen gegliederten steifen Axe, dann den morphologischen Vortheil, namentlich gegenüber dem äusseren Skelet der Gliederfüssler, auf den ich hier nicht näher eingehen will, so begreift sich sofort, wie ein solcher in seinen ersten Anfängen ganz harmlos aussehender Charakter eine so hohe Rangstufe erreichen konnte. Mit dem Vorstehenden glaube ich dem Leser zur Genüge EE gezeigt zu haben, dass die von Wigand behauptete Undenk- | barkeit der Erweiterung des Speziescharakters zum Gattungs- charakter etc. nicht in.der Natur der Sache begründet ist, son- dern nur in der Beschaffenheit des Wigandischen Denk- vermögens, das eben auch bereits so constant geworden zu sein scheint, dass ihm vor jeder Bewegung ‘schwindelt und er sich nicht mehr zu helfen weiss. Das natürliche System. 5) Die Bedeutung des genealogischen Prinzips. Auf pag. 232 und folgenden bespricht Wigand die be- kannte Differenz unter den Transmutisten, dass die Einen alle Organismen aus einer Urform ableiten (Monophyletiker), die andern mehrere Urformen annehmen (Polyphyletike r). Diess ist der einzige Abschnitt, in welchem ich mit den Ausfüh- rungen Wigands harmonire, wenn er nämlich die Annahme der Polyphyletiker eine unnöthige Halbheit nennt. Wenn über- haupt das Descendenzprinzip richtig ist, so liegt gar kein Grund vor, den einheitlichen Ausgangspunkt aller Organismen zu be- zweifeln und mehrere Urformen anzunehmen. Die Schwierig- keit, welche die Polyphyletiker zu ihrer Ansicht bestimmte, scheint mir eine selbstgeschaffene, die von dem Begriff der or- ganischen »Form« herrührt. Sicher trat die Welt des Organi- schen zum erstenmal gar nicht als etwas »Geformtes« auf. Wie ich in dem pag. 23 eitirten Aufsatz über »Urzeugung und Befruchtung« ausführte, können wir uns von der Urzeugung jetzt ein ganz leidliches, jeden wunderbaren Sprung vermeidendes Bild entwerfen, das ich hier kurz wiedergebe. *) *) Ueber meine Theorie hat Prof. Giebel in der Zeitschrift für gesammte Naturwissenschaften 1870, pag. 92 eine Kritik gegeben, deren Durchlesung ich jedem meiner Leser dringend empfehle, damit er einen Begriff davon be- kommt, welche Sorte von Leuten es wagen, sich in solche Fragen zu mischen, zu deren Beurtheilung ihnen jegliche Kenntniss abgeht. Für die, welche hiezu keine Gelegenheit haben, ziehe ich nur folgendes aus: »Redner erklärt sich entschieden dagegen, dass die Nerven und die Muskelfaser die zwei wichtigsten Lebenskräfte seien.« Das ist ungefähr so, wie wenn jemand sagen wollte, »ich bestreite, dass der Ganarienvogel und die Nachtigall die zwei wichtigsten Gesänge sind.« Ein Lapsus calami kann es desshalb nicht sein, weil er noch einmal sagt, »aus der Untersuchung der zwei wichtigsten Lebenskräfte, der - Nerven- und+Muskelfaser.«e Von einem aus 188 Worten (!) gebildeten Satze setze ich bloss den Schluss bei: »erst Herr Jaeger wird gewiss auch allen lebenden Menschen auf der Erde die zu ihrer körperlichen und geistigen Exi- stenz nothwendige Elektrizität in beliebigen Quantitäten nachweisen und damit Paradies und Himmelreich schöner herstellen, als die glaubigste Phantasie die- selben zu träumen vermochte.«<« Und solche Leute sitzen auf akademischen Lehrstühlen ! Das natürliche System. 167 Der Beginn der organischen Welt datirt von dem Entstehen lebloser Albuminate. Das Auftreten derselben ist ein Akt einfacher chemischer Synthese unter Einfluss der experi- mentell bekannten synthetisch wirkenden Naturkräfte (hohem, langdauernden Drucke und hoher Wärme). Die primären Allu- minate waren wahrscheinlich in Lösung und traten erst später als Gerinnsel auf. Der zweite Akt war die Differenzirung des Protalbuminats in mehrere Metalbuminate wahrscheinlich in Folge der örtlichen Existenzdifferenzen. Den dritten Akt endlich bildeten die durch die Meeresströmungen herbeigeführte Vermengung der differenten Metalbuminate, d. h. ihr Zusammentreten zu jenem Gemenge verschiedener Albuminate, das wir Proto- plasma nennen, und dessen elektromotorische Eigenschaften eben die Folge seines Zusammengesetztseins aus differenten, d. h. in elektromotorischem Spannungsverhältniss stehenden Albumi- naten sind. Da die Lebenskräfte (wenn wir uns dieses zusam- menfassenden Wortes bedienen w rollen) elektromotorischer Natur sind, so hätten wir den Beginn des »Lebens« erst von diesem | dritten Akt zu datiren; denn die vereinzelten Albuminate sind so wenig lebendig, als ein Stück Zink für sich allein elektrische Bewegungen erzeugt: es thut diess bekanntlich erst, wenn es mit Kupfer und einer zersetzbaren Flüssigkeit in Contakt kommt. Dieses Urprotoplasma haben wir uns durchaus nicht als etwas »Geformtes« zu denken, sondern als ein riesiges, den Boden der Meere überziehendes, solides oder netzförmiges Plasmodium, ‘ähnlich, nur noch einfacher, als der Bathybius. Erst aus ihm differenzirten sich die Moneren, d. h. jene bereits individualisirten Protoplasmapartikelchen, die wir durch Häck els verdienstvolle Untersuchungen von Angesicht zu Angesicht kennen gelernt haben. Dass auf der Organisationsstufe des Moners eine Spaltung in mehrere Phylen stattgehabt hat, halte ich allerdings für sehr wahrscheinlich, aber keinen Grund kann ich finden, warum sie nicht alle ihren Ausgangspunkt von jenem gemeinschaftlichen Bathyplasmodium genommen haben können. Ich w ill mich dar- über noch des Näheren äussern. Die neuesten Ergebnisse der jetzt so eifrig gepflegten Tief- EZ el ten ba g gF- TS y PES ö È ” FEAF A 168 Das natürliche System. seeforschung sprechen für eine ausserordentliche Einförmiskeit der Existenzbedingungen auf dem Grund des Tiefsee, so dass alle jene auf der Oberfläche bestehenden, an geographische Länge und Breite gebundenen Differenzen zu fehlen scheinen. Der Boden der Tiefsee entspricht also allen Anforderungen an die Existenz eines indifferenzirten Urplasmodiums. Anderer- seits dürfen wir für die Differenzirung der Moneren einfach daran denken, dass die sich von dem Bathyplasmodium loslösenden Partikelchen durch das Auftauchen in die oberen Gewässerschichten undihre Verschleppungin differente Längen- und Breitegrade in den Be- reich der bekanntermassen differenzirend wirkenden Oberflächen- bedingungen kamen. Sobald wir uns also jedes Gedankens an Urzellen, Urmoneren etc. entschlagen und ein primäres Bathy- plasmodium annehmen, so ist lediglich kein Grund vorhanden, den einheitlichen Ursprung der Organismen zu bezweifeln. Dass der Bathybius noch jenes differenzlose primäre Bathyplasmodium ist, will ich durchaus nicht sagen, es ist im Gegentheil sehr wahrscheinlich. dass ihm eben durch den Kampf ums Dasein mit den jetzt neben ihm die Tiefsee bevölkernden Rhizopoden, Spongien, Polypen, Echinodermen, Crustaceen ete. Charaktere angezüchtet wurden, die das primäre Bathyplasmodium desshalb nicht be- sass, weil mit diesen später entstandenen Organismen auch die züchtende Ursache fehlte. Jedenfalls verlangen die Causalitäts- gesetze, dass wir in der Coexistenz jener höheren Organismen eine Ursache sehen, welche nicht ohne Wirkung war. — Diess sind die Gründe, die mich bestimmen, mich mit Entschiedenheit auf die Seite der Monophyletiker zu stellen. Doch kehren wir zu Wigand zurück. Er will, wie er pag. 237 sagt, mit seinen Aeusserungen über Monophylie und Polyphylie nichts bezwecken, als »von Neuem den rein spekula- »tiven Charakter der Descendenzlehre constatiren.«a Das ist jedoch ganz überflüssig, denn das leugnet kein Transmutist; auch ist es in sofern überflüssig, als Wigand in seiner Urzellen- theorie gleichfalls das Descendenzprinzip und zwar in seiner monophyletischen Form annimmt und sicher seine Urzellen- theorie auch für nichts weiter wird ausgeben wollen, als für eine = Spekulation. vei Der genealogische Zusammenhang. Nach dieser allgemeinen Vorerörterung greift Wigand den von Darwin aufgestellten genealogischen Zusammenhang der < Arten an. Hiebei hat er zunächst nicht ganz unrecht, wenn er sagt,- dass weder Darwin noch seine Schule die zweierlei Abstammungsmodalitäten, die direkte, wobei die eine Art die _ unmittelbare Stammform der andern ist, und die indirekte, wobei zwei Formen aus einer Bone CE ‚dritten hervor- „gegangen sind, scharf auseinander halten. Ich bemerke nur, dass ich diesen Vorwurf nicht auf mich beziehen kann, da ich in der gedrängten Darstellung, die ich auf pag. 150 u. ff. des dritten Bandes der »Elemente der Pharmazie« *) diese zwei Fälle auseinandergehalten habe. Weiter bemerke ich, dass ich nicht begreife, wie Wigand nur von coordinirten Typen im Thierreich reden kann, da er doch auch anerkennt, dass es Typen von gleicher Organisationshöhe (coordinirte) und solche von ungleicher Organisationshöhe (subordinirte und superordi- nirte) gibt; diese Bezeichnungen repräsentiren zugleich die beiderlei möglichen Abstammungsverhältnisse: coordinirte Formen stehen in indirektem Abstammungsverhältniss, während die direkte Abstammung ein Superordinationsverhältniss ist. Eine endliche allgemeine Bemerkung ist folgende: Pag. 240 sagt Wigand: »Es dürfe für alle coordinirten Formen, sie mögen von gleicher »oder ungleicher Organisationshöhe sein, nur einerlei Gesetz des genetischen Zusammenhangs angenommen werden.« Würde Wigand das Wort coordinirt in dem von. mir präzisirten Sinne anwenden, so hätte er Recht, da er aber alle Formen oordinirt nennt, so schlägt sich Wigand mit diesem Satz selbst ins Gesicht. Nachdem er unmittelbar zuvor behauptet *) Die Elemente der Pharmazie von Henkel, Städel und Jaeger. Leipzig 1873. es mm m ee penaas ` Das natürliche System. Pi y 169. & A EEE a e a mann mar ai x En aan ` a error ve een, ze I f 470 Das natürliche System. hat, man müsse bei der Abstammung nothwendig zweierlei Abstammungsweisen, die direkte und indirekte, auseinanderhalten — offenbar weil beide mit Naturnothwendigkeit vorkommen müssen, wenn es überhaupt eine Descendenzlehre gibt, — behauptet er jetzt auf einmal, man dürfe schlechterdings nur entweder die direkte oder die indirekte annehmen. Das ist gerade so als ob jemand sagen wollte, unter den Individuen dürfe nur einerlei Gesetz des genetischen Zusammenhangs ange- nommen werden, entweder müssen sie alle für Geschwister oder Vettern etc. erklärt werden (indirekte Verwandtschaft) oder es stehen alle im Verhältniss von Eltern und Kinder (direkte Ver- wandtschaft). Also die Frage, ob direktes oder indirektes Abstammungs- verhältniss besteht, liegt allerdings in jedem einzelnen Falle zur Beantwortung vor, allein prinzipiell steht fest, dass beide Verhältnisse vorkommen müssen. Da übrigens Wigand die Abstammungsmöglichkeit überhaupt leugnet, so leugnet er na- türlich beide Modalitäten. Die Gründe sind im wesentlichen folgende. Pag. 238 sagt er: »Ueberall sind je zwei coordinirte Typen »nicht etwa bloss durch ein mehr oder weniger nach der einen »oder anderen Seite unterschieden, sondern sie bilden einen "»vollkommenen Gegensatz, ihre Charaktere liegen in zwei »entgegengesetzten sich gegenseitig -ausschliessenden . R i c b- tungen. Hätte Wigand gesagt »in vielen Fällen«, so wäre gegen den Satz nichts einzuwenden, da er aber sagt »überall«, ‚so hätte er die Aufgabe gehabt, diess durch das ganze organisch® Reich hindurch zu beweisen, er hat. aber nicht einmal seinen Satz auch nur an einem einzigen Beispiel zu beweisen gesucht. Die Falschheit seines allgemeinen Satzes darzulegen, genügen wenige Beispiele. ee Auf pag. 82 meiner »Thiergartenskizzen« habe ich auf den Unterschied zwischen grossen und kleinen Thierarten hin- gewiesen und den Satz begründet, dass Golossalformen diè letzten unfruchtbaren Ausläufer eines Seitenzweig® ee” Das natürliche System. 171 vom Stammbaum seien. In einem zweiten Aufsatz »Gross und klein« *) habe ich die anatomischen Unterschiede zwischen grossen und kleinen Arten derselben engeren Verwandtschaft auf Grund von Messungen genau erläutert. Das Ergebniss meiner Untersuchungen ist folgendes: In den meisten Fällen haben wir die kleinen Arten für die Stammformen der grossen Arten zu halten, sie also in direktes Abstammungsverhältniss zu einander zu setzen; die osteologischen Unterschiede, deren hohen Werth für die Systematik Wigand nicht wird läugnen wollen, sind nämlich genau dieselben, welche innerhalb der Art zwischen jungen und erwachsenen Individuen bestehen. Die Charaktere der grossen und kleinen Arten liegen also nicht, wie Wigand sagt, in »zwei entgegengesetzten sich gegenseitig aus- schliessenden Richtungen«e. Oder hat Wigand vielleicht die Stirne zu behaupten, gross und klein schliessen sich so aus, dass sie nicht in direktem Abstammungsverhältniss * stehen können? Ein anderer Charakter sind die sogenannten Jugendkleider der Vögel. Es gibt zahlreiche Vogelarten, die sich dadurch von -einander unterscheiden, dass das bleibende Kleid der einen Art nach Farbe und Federform bei der andern Jugendkleid ist, welches bei der ersten oder zweiten Hauptmauser abgelegt und mit einem andern oft auffallend verschiedenen vertauscht wird, so ist z. B. das Jugendkleid von Aquila fulva dem bleibenden Kleid von Aquila imperialis -auffallend ähnlich, das bleibende Kleid von Anas strepera den Jugendkleidern der meisten Schwimm- enten, das bleibende Fleckenkleid des Axishirsches dem fleckigen Jugendkleid der übrigen Hirsche; **) dasselbe findet bei Fasanen, Finken etc. etc. statt. Es ist also Thatsache, dass zwei auf- fallend verschiedene Kleider in direktem Abstammungsverhältniss zu einander stehen können, d. h. in der geraden Entwicklungs- linie, nicht in entgegengesetzter liegen: so gut sie ontogenetisch auseinander entstehen, können sie auch phylogenetisch aus- *) Deutsche Zeitung. Abendblatt 31. Aug. 1872. **) Jaeger und Bessels, Die geographische Verbreitung der Hirsche, in Petermanns geogr. Mitth. 1870. 172 Das natürliche System. } einander hervorgehen. Noch eines: der wesentlichste syste- matische Unterschied zwischen den Kiemenmolchen und den Tritoniden besteht darin, dass die ersteren Kiemenspalten zeit- lebens tragen, die letzteren nur im Larvenstadium, während sie sich später schliessen. Will Wigand behaupten, dass offene und geschlossene Kiemenspalten auf sich gegenseitig ausschlies- senden Entwicklungslinien liegen, während die Ontogenie täglich das Gegentheil zeigt? Doch genug, denn derlei Beispiele liessen sich zu hunderten aufführen, die beweisen, dass der Wigand’ sche Satz falsch ist. Statt dessen will ich dem Leser einen näheren Einblick in den Vorgang der direkten Abstammung zu geben versuchen, da weder Darwin noch andere Transmutisten eine eingehendere, Jedermann verständliche Analyse desselben geliefert haben. Das wesentliche des morphologischen Theils dieses Vorgangs besteht kurz gesagt darin, dass der morphologische End- zustand der Stammform zu einem Jugendzustand der Sekundärform degradirt wird. Hiebei bleiben jedoch die systematischen Charaktere der Stammform nicht etwa unverändert, sondern sie erleiden eine Abänderung, die man kurz so bezeichnen kann: sie nehmen eine juvenile oder rudimentäre Beschaffenheit an. Am klarsten lässt sich die Sache bei den geschwänzten Amphibien übersehen. Der Kiemen- apparat eines Kiemenmolches, z. B. einer Amphiuma, eines Axolotl, einer Sirene hat eine knöcherne Grundlage, die einer Tritonenlarve eine knorplige; die Kiemenquasten der ersteren sind zahlreicher gefranzt, als die der letzteren, die ersteren besitzen einen entwickelten, lebhaft agirenden Muskelapparat zu ruckweiser Bewegung der Kiemenquasten, bei letzteren ist dieser Apparat schwach und seine Bewegungen kaum deutlich, lauter Unterschiede, die auf verschiedene Gebrauchs- intensitäten hinweisen. Damit ist auch der Hauptfaktor dieses Unterschiedes genannt: Ein Organ, welches das ganze Leben hindurch gebraucht wird, erreicht durch den Ge brauch eine höhere Stufe der Gewebsdifferenzirung und Massen“ entfaltung, als ein solches, das nur vorübergehend, also ne > >— a N Er er Das natürliche System. 173 kürzere Zeit, in Gebrauch steht. Das erklärt auch, warum so häufig solche Organe bei der Weiterentwicklung ga nz ver- schwinden, also nur noch als Larvenorgane vorkommen: sie verschwinden durch Nichtgebrauch und Discorrelation des Wachsthums, z. B. die Kiemen verschwinden erstens durch Nichtgebrauch (Bewegungslosigkeit) und durch das Discorre- lationsverhältniss zwischen ihnen und der Lunge. Aus denselben Gründen verschwindet der Schwanz der Froschlarve, sobald die Hinterfüsse das Hauptgeschäft der Ortsbewegung übernommen haben. Somit ist das die Stammform repräsentirende Jugend- stadium ein abgeschwächtes, die Charaktere des Mindergebrauchs an sich tragendes Abbild. derselben. Diese Abänderungen erstrecken sich nun nicht bloss auf das dem erwachsenen Zustand unmittelbar vorangehende Jugend- stadium, sondern auch weiter nach rückwärts auf die noch früheren Stadien und es ist von der grössten Wichtigkeit, sich diesen Vorgang klar zu machen. Hat doch selbst Prof. Ecker, der sonst der Transmutationslehre günstig gestimmt ist, auf der Anthropologenversammlung des Jahres 1872 das Bedenken erhoben, dass der Embryo des Affen in jedem Stadium sich von dem des Menschen unterscheiden lasse, was natürlich auch Wigand hervorhebt. A Zerlegen wir den individuellen Entwicklungsgang der Stamm- form, z. B. in 8 morphologische Stufen A, B, œ, D... H und in 8 physiologische Zeitabschnitte von 1—8, von eiti die ` vier ersten fötal, die vier andern postfötal sind. In dem oben geschilderten Vorgang einer Umwandlung der Stammform in die ‚Sekundärform tritt hiezu eine neunte morphologische Stufe. Da jetzt in der gleichen Zeit, d. h. in 8 Zeitperioden 9 Stufen durchlaufen werden müssen, so fallen die gleichen Stufen nicht mehr auf die gleichen Zeitabschnitte. Nicht bloss fällt jetzt das Ende der Stufe H nicht mehr auf das Ende der achten Periode, sondern in deren Anfang, sondern auch die morphologische Stufe E, die früher mit der fünften Periode, d. h. mit der Geburt begann, beginnt jetzt schon während des Frucht- manan a TE TE Therme re < — A igot ci Fat 174 Das natürliche System. lebens. Weiter setzen wir die fötale Stufe B und das Ende der Periode 2 bei der Stammform auf den Beginn der Fötal- bewegungen, dass also der Fötus sich zu bewegen anfängt, sobald er in das morphologische Stadium C eintritt, so ändert sich þei der Sekundärform auch das dahin, dass der erste Anfang der morphologischen Stufe Q in die Zeit der Regungslosigkeit des Fötus fällt. So wenig gleichgiltig es für die morphologisehe Stufe H ist, ob sie in die erwachsene Zeitperiode 8 oder in die juvenile Zeitperiode 7 fällt, so wenig gleichgiltig ist es für die morphologische Stufe E, ob sie mit dem Geburtsakt zusammen- fällt oder nicht und für die morphologische Stufe C, ob sie vor oder nach dem Eintritt der Fötalbewegungen beginnt. Bleiben wir wieder bei dem durchsichtigsten Fall mit dem Kiemenapparat. Wird das Thier mit offenen Kiemenspalten geboren, so bewegt es die Kiemenbögen und treibt einen Wasserstrom durch die Spalten. Dauert der Gebrauch fort, wie beim Fisch, so entwickelt sich der Kiemenapparat in einer diesem postfötalen Gebrauch entsprechenden Weise, tritt dagegen wie bei den Amphibienlarven in Folge der physiologischen Conceurrenz der Lunge Nichtgebrauch ein, so verkümmern die Bögen und die Spalten schliessen sich. Nun haben wir aber bei Reptilien, Vögeln und Säugethieren den dritten Fall, dass das Thier erst nach Verschluss der Kiemenspalten geboren wird, dass also die ganze Kiemenspaltenperiode ins Fötalleben zurückverlegt wird. Erstens ist klar, dass diess eine weitere Modifikation des Kiemenapparates zur Folge haben muss, die einfach davon herrührt, dass derselbe gar nie zur Funk tion kommt: die Bögen werden nicht bewegt, durch ihre Kapillaren strömen in Folge dessen keine grösseren Blutmassen und durch die Spalten wird kein Wasser getrieben. Die noth- wendige Folge dieses absoluten Nichtgebrauchs ist eine noch früher beginnende Verkümmerung, d. h. Rückbildung des Organs und namentlich der Verschluss der Spalten und zwar aus dem- selben Grunde, aus welchem sich eine Fistel schliesst, wenn keine Flüssigkeit mehr sie durchfliesst. Forschen wir nun nach der Ursache des gesammten Vorgangs, so erhalten wir fol- Das natürliche System. 175 gendes Resultat. Bei Fisch- und Salamanderlarve beginnen die Fötalbewegungen ganz kurze Zeit nach Beendigung der ersten | Anlage des Kiemenapparats und die Bewegungen, ‚die der Fötus jetzt mit den Kiemenbögen noch im Ei macht, verhindert den Verschluss der Spalten: das Thier wird mit offenen Kiemenspalten geboren. Bei Vogel, Reptil und Säuge- . thieren wird de AnlagederKiemenbogen vollendet lange vor demEintritt der Fötalbewegungen: dieses morphologische Stadium ist zurückverlegt in einen früheren Zeitabschnitt der Gewebs- und Funktionsdifferenzirung. Parallel mit der allgemeinen Unfähigkeit der Bewegung geht die Be- _ wegungsunfähigkeit der Kiemenbögen mit der oben beschriebenen Folge: der Verwachsung der Spalten. Endresultat: Mit der Zurückverlegung der Kiemspaltenperiode in das Larvenleben ging eine bestimmte Veränderung des Apparates vor; mit der ‘ weiteren Zurückverlegung in das Fötalleben erfolgte noch eine zweite, die erste Veränderung in derselben Richtung übertreffende Abänderung. Auf diese Weise entfernt sich die Entwicklungs- stufe der Spaltkiemigkeit, je weiter sie in die Anfangsperiode des Entwicklungsgangs zurückverlegt wird, morphologisch immer weiter von dem morphologischen Bilde, das uns ein Dauerspalt- kiemer, also ein Fisch oder ein Kiemenmolch, vorhält. Da dasselbe von jedem Organ und von jeder morphologischen Entwicklungsstufe jedes Organs gilt, so liegt es auf der Hand, dass auch die parallelen Entwicklungsstufen zweier im Verhält- niss der direkten Abstammung zu einander stehenden Thiere, also auch die Embryonen derselben, sich zu keiner Zeit völlig gleichen können. Mithin sind die aus diesem Umstand entnommenen Bedenken gegen die Transmutationslehre, : wie sie Ecker, Lucae und andere erhoben haben, völlig ungerechtfertigt, wir werden jedoch weiter unten noch eiñmal auf einen Unterschied der Embryonen, der durch andere Um- Stände bedingt wird, zurückkommen. | | Von dem oben gesagten aus können wir noch weiter in das Geheimniss des besprochenen Vorgangs eindringen. Wir sahen, dass bei Entstehung einer superordinirten Form aus einer 176 Das natürliche System. niederer stehenden Stammform zu der Zahl der von letzterer durchlaufenen Entwicklungsstufen eine neue hinzutritt, das ist eine Etappenvermehrung oder, kurz gesagt, eine V er- längerung des individuellen Entwicklung” gangs mit folgender Rückverlegung aller Entwicklungsetappen in frühere Lebensperioden. Jetzt gewinnen. wir eine Antwort auf die Frage nach den Ursachen des besprochenen Descendenz- vorgangs: Alle Ursachen, welche eine Verlänge® rung des Entwicklungsganges hervorzu rufen geeignet sind, können auch diebesprochen® Umänderung einerniederenForm ineine höhere herbeiführen. ' Zunächst muss noch gesagt werden, dass eine Verlängerung des Entwicklungsganges auf zweierlei Weise herbeigeführt werden kann, 1) durch Verlängerung der Entwick- lungsdauer, alsó z. B. Verlängerung der Brütezeit, Ver- längerung der Trächtigkeitsdauer, Verlängerung der Säuge- periode etc., 2) bei gleichbleibendem Zeitraum der Entwicklung durch eine Beschleunigung des Entwicklungs tempos. : Eine Verlängerung der Entwicklungsdauer kann durch ver- schiedene Einflüsse direkt hervorgerufen werden, z. B.: Wir | wissen, dass bei den Vögeln die grossen Arten eine längere Brutzeit haben als kleine derselben Abtheilung.*) Daraus, wie aus allgemeinen physiologischen Erwägungen, ist der Schluss gerechtfertigt: alle Ursachen, welche bei einer Vogelart eine Vergrösserung des Eies hervorrufen, sind geeignet, die Brüte- dauer zu verlängern, die Zahl der Entwicklungsetappen zu vermehren und mithin den Anstoss zu individuellen Variationen in der Richtung einer höheren Organisation zu geben, deren sich die Selektion bemächtigen kann. Damit stimmt vortrefflich das; was ich pag. 171 über das Descendenzverhältniss von grossen und kleinen Spezies sagte. Bezüglich der Ursachen, welche bei ii a 513 +" 4 Ea f fi i ! 3 | = x | 2 $ ? f x | hi H d 2% zii - f E kart ira EIH Alb 5 = i fii B RH J gy ig HE £ SHY & t ý x H $ Hi i j f a $ 17 12 H 1" 3 ik} ph HH i HH ¿ FPI iSi gi FHR- A f į 15 Lies Fs I | er y h p 1 H — me: Pe Er a A. m a ar a TE rk *) Siehe Jaeger, Ueber Wachsthumsbedingungen. Zeitschrift für wissen“ schaftliche Zoologie. Bd. 20. Das natürliche System. 177 einem Vogel die Eier vergrössern, kann ich auf die Praxis der Hühnerzucht verweisen. Ein zweiter Ursachencyklus, der eine Verlängerung der Entwicklungszeit hervorrufen muss, wird durch folgende Er- = wägung gefunden. Wir wissen, dass nicht bloss beim Aus- brechen des Vogels, Reptils, Insekts etc. aus dem Ei, sondern auch bei der Hervorrufung des Geburtsaktes der Säugethiere die Bewegungen des Jungen eine erhebliche Rolle spielen. Die Bewegungsfähigkeit und Bewegungsenergie des Fötus steht in geradem Verhältniss zu der Dauer und Energie der Fötal- bewegungen. Diese selbst hängen wieder ab von den Bewe- gungsreizen, welche das im Ei oder Mutterleib eingeschlossene Junge treffen und von denen ein sehr grosser Theil aus der Aussen- ; welt stammen. Wird nun ein Ei während seiner Entwicklung unter Umstände gebracht, unter welchen es seltener von Bewegungs- reizen getroffen wird, so werden die Fötalbewegungen später eintreten, seltener sein und weniger energisch und damit wird die Zeit des Ausbruchs aus dem Ei hinausgerückt, das Eileben verlängert werden. Diess erklärt uns den gewaltigen Unterschied in der Dauer des Eilebens zwischen den Eierlegern und den Säugethieren. Das freiliegende Ei ist allen Wärmeschwankungen, mechanischen Anstössen ete. preisgegeben, das Säugethierei ist allen Wärmeschwankungen entzogen und mechanisch im höchsten Grade beschützt, desshalb treten die Fötalbewegungen bei 27 letzterem viel später ein, die Folge ist ein viel längeres Eileben -und eine Etappenvermehrung des Entwicklungsgangs. Innerhalb = der Säugethiere spielt diese Ursache folgende Rolle. Die Be- wegungen der Mutter sind 'Bewegungsreize für den Fötus, je stärker die Mutter sich bewegen muss (worüber die Intensität | des Daseinskampfes entscheidet), desto stärker bewegt sich der Fötus. Daher haben grosse und desshalb träge sich bewegende Säugethiere eine viel längere Trächtigkeitsdauer als die kleinen lebhaften Arten. Damit stimmt wieder das, was ich pag. 171 über die Abstammung der grossen Thierarten von kleinen sagte. Es gibt noch andere ähnlich wirkende Momente (z. B. Anwesen- Jaeger, In Sachen Darwin’s. 12 178 Das natürliche System. heit von Nahrungsdotter etc.), ich begnüge mich jedoch mit dem vorstehenden. Die Verlängerung des Entwicklungsganges kann, wie oben gesagt, auch noch auf einem zweiten Weg erreicht werden, nämlich ohne Verlängerung der Gesammtzeit durch ein Rascher- werden des Entwicklungstempo’s. Hier stossen wir sofort auf einen ganz bestimmten Faktor, die Wärme: höhere Wärme beschleunigt das Entwicklungstempo. Aller- dings haben wir- es hier mit einem sich selbst regulirenden Faktor zu thun: die Wärme kürzt auch die Entwick- lungszeit ab. Allein ‚wenn die Entwicklungsumstände derart verändert werden, dass zu einer das Tempo beschleunigenden höheren Brutwärme, die oben citirten, die Brutdauer verlängern- den Ursachen hinzutreten, so sind gewisse Intensitätsgrade der beiderlei Faktoren denkbar, bei denen die Brütedauer dieselbe bleibt, wie früher dagegen das Tempo gesteigert ist, so dass der Totaleffekt doch eine Verlängerung des Entwicklungsgangs ist. Diess ist nun gerade bei den warmblütigen Säugethieren im Gegensatz zu den kaltblütigen eierlegenden Reptilien der Fall und — wenn auch nicht in demselben Masse — zwischen kalt- blütigen nicht brütenden Reptilien und den warmblütigen brü- tenden Vögeln. Der Eintritt der Warmblütigkeit bei den Wirbel- thieren musste mithin der Herausbildung höher organisirter For- men einen mächtigen Anstoss geben. Ueber die Ursachen zur Entwicklung der Warmblütigkeit siehe pag. 20. Dieser längere Exkurs wird dem Leser, wie ich denke, zeigen, mit welchem Rechte Wigand sagt, die direkte Um- wandlung einer niederen Form in eine höhere auf dem Weg der Descendenz sei undenkbar. Ich glaube es Wigand aufs Wort, dass er sichs nicht denken kann: ob ihm die nöthigen Vor- kenntnisse mangeln oder seinem Geiste der nöthige Scharfsinn und das unumgängliche Combinationsvermögen oder beides, will ich nicht entscheiden. Noch rathloser steht Wigand vor der Frage von dem in- direkten Verwandtschaftsverhältniss, d. h. wie es möglich sei, dass die Descendenz einer Stammform in zwei verschiedene co- 3 i u Ka ai N Ei | A: | H | | k W ji ; E | f N i ti = N 2 | | u | AR a g 1 t $ | Ii i Das natürliche System. 179. ordinirte Arten sich spalte, denn »wie soll man sich -einen »solchen gemeinschaftlichen Stammvater denken!« Es überkommt einen bei Durchlesung von pag. 242 u. ff. förmliches Mitleiden, zu sehen, wie sich W igan d-vergeblich abquält, den Gedanken an einen gemeinschaftlichen Stammvater zu fassen. Während mah an manchen Stellen des Wigand’schen Buches sich kaum der Zweifel an die Aufrichtigkeit des Autors entschlagen _ kann, gibt er sich hier vollkommen natürlich. Zuerst probirt er es von vorne: der Stammvater hat nur die, beiden Sekundär- formen gemeinschaftlichen Charaktere gehabt — aber dann muss er »in Bezug auf die unterscheidenden Charaktere der Abkömm- »linge vollkommen indifferent und bestimmungslos sein, etwa »wie in der individuellen Entwicklung der Embryo.« So aber ihres Speziescharakters entkleidet, wäre sie »nur eine leere Ab- »straktion, aber kein wirklich lebendiges Wesen.«e Da es so nicht geht, so stellt sich Wigand auf den Kopf und unter- sucht, ob nicht der umgekehrte Fall möglich sei, dass nämlich die Stammform nicht bloss die gemeinschaftlichen Charaktere, sondern auch die Spezialcharaktere beider Sekundärformen com- binirt besessen habe, und »dass die Differenzirung in einer »Reduzirung dieses Stammcharakters. nach verschiedenen Rich- »tungen sich äussere« — was natürlich auch wieder nicht geht wegen des »allgemeinen Gesetzes der aufsteigenden Entwick- »lung« iii. | Ä Dem Leser will ich die Sache mit wenigen Beispielen klar = zu legen suchen. Der Stammvater der hörner- und geweih- _ tragenden Widerkäuer hatte weder Hörner noch Geweihe und konnte ebensogut existiren, als die heute lebenden Moschus- thiere und die fossilen Anoplotherien. Der gemeinschaftliche Stammvater der gross- und bogenhörnigen Schafe mit dreikan- tigem Horn und der gross- und bogenhörnigen Ziegen mit vier- kantigem oder zweischneidigem Horn war eine klein-, gerade- und rundhörnige Art, ähnlich den thatsächlich existirenden Zwergantilopen, Diese Beispiele lassen sich beliebig vermehren, z. B. der Stammvater der schmuckfedrigen Fasanen hatte gar keine Schmuckfedern, sondern war schlichtfedrig, wie jetzt noch 180 Das natürliche System. die Weibchen der meisten Fasanarten. Der gemeinschaftliche Stammvater der gabelhörnigen und schaufelhörnigen Hirscharten war ein Spiesshirsch mit geradem unverästeltem Geweih. Der Stammvater des einhörnigen und zweihörnigen Rhinoceros war das hörnerlose Acerotherium; der gemeinschaftliche Stammvater der vier-, drei-, zwei- und einhufigen Säugethiere war ein fünf- zehiges Thier. Der Stammvater der Säugethiere hatte weder ein Nagethier-, noch ein Raubthier-, noch ein Widerkäuergebiss, sondern einen indifferenten Zahnbau gleich den Edentaten, Del- phinen, Reptilien ete. Also der Stammvater besass entweder das Organ, durch welches sich die beiden Sekundärformen unterscheiden, ga! nicht oder in einer undifferenzirten Form, was wie obige Beispiele zeigen, durchaus mit der Existenzfähigkeit des Thieres vereinbar ist, oder die Sekundärcharaktere entstehen durch differente Reduktion, wie in dem Fall von der Zehenzahl: die Fünfzehigkeit enthält potentia die Vierzehigkeit, Dreizehigkeit, Zwei- und Einzehigkeit. Ich gebe zu, dass es nicht immer leicht ist, sich eine ge- meinschaftliche Stammform zu construiren, wenn feste Anhalts- punkte in Gestalt lebender oder fossiler Zwischenformen fehlen und in allen Fällen gehört hiezu eine ziemlich grosse Summe - morphogenetischer, physiogenetischer und biologischer Kenntnisse, die nicht jedermanns Eigenthum sind, und zudem die nöthige® Dosis von Scharfsinn und Combinationsgabe. 7) Die systematische Verwandtschaft als Bluts- verwandtschaft. Auf pag. 247 u. ff. gibt sich nun Wigand Mühe, zu be- weisen, dass die Stammbaumform, die entsteht, wenn wir die Organismen nach dem Prinzip der Aehnlichkeit klassifiziren, nicht .nothwendig auf gemeinschaftliche Abstammung zurückzu- führen sei. Die ganze Auseinandersetzung schliesst mit dem Ausspruch (pag. 256): »im Vorstehenden haben wir nicht die »Möglichkeit einer genealogischen Erklärung der Classifikation Das natürliche System. f 181 »bestreiten, sondern nur nachweisen wollen, dass weder in der »Möglichkeit , dieselbe bildlich so darzustellen, als wenn eine »Genealogie bestände, noch in irgend welchen Analogien eine »Veranlassung zu dieser Annahme gegeben ist.« Dieser Aus- ‚spruch enthebt uns eigentlich der Nothwendigkeit, auf seine lange Auseinandersetzung einzugehen, noch mehr aber der Umstand, dass Wigand in seiner Urzellentheorie »die Einheit der Ab- >stammung als Grund der übereinstimmenden Charaktere *)« ebenfalls annimmt. Dennoch ist einiges über den Passus zu sagen. Fürs erste ist zu constatiren, dass es ihm nicht gelungen ist, eine andere Erklärung für die Classifikation zu geben. Fürs zweite passirt ihm folgendes: Auf pag. 251 sagt er: »Uebrigens | Ši die Figur der Ver- »zweigung nicht das einzige Bild, unter welchem man sich die »Classifikation versinnlichen kann. Lo- »gisch noch correkter würde das Ver- »hältniss durch mehrere einander um- »fassende Kreise dargestellt, von denen »die innersten kleinsten den Arten, die »weiteren den Gattungen, der die letz- »teren umschliessende Kreis dem Fa- »milienbegriff entsprechen würde. Siehe »Figur.« -Dabei hat Wigand nicht gemerkt, dass diese Erklärung ze, zu der Stammbaumerklärung sich verhält wie der Grundriss zum , Aufriss einer und derselben Figur: der grosse Kreis “ist die Querschnittprojektion des Stamms, die vier kleineren Kreise sind die Querschnittprojektionen von vier Aesten und die kleinen die Querschnittprojektionen ‘der Zweige. Mithin hat Wigand damit keine neue Versinnbildlichung geschaffen, son- dern nur statt des Aufrisses eines Baumes dessen Grundriss ge- zeichnet. O sancta simplicitas! Das dritte ist, dass Wigand einen Pùnkt berührt, der *) Wigand, Die Genealogie der Urzellen, pag. 27. armean < DAA gern hr raten a Das natürliche System. / } einer genaueren Besprechung bedarf, als sie ihm bisher zu Theil . geworden: die eonvergente Züchtung. Er sagt pag. 350: »Wie unsere Figur (die Stammbaumfigur) eben so gut für das „Bild eines Flusssystems als eines Baumes gelten kann, »so lässt sich der genetische Zusammenhang zwischen eine! »Gattung und ihren Arten auch in der Weise auffassen, dass »mehrere Spezies im Lauf der Zeit durch Umwandlung einander »in ‘gewissen Merkmalen ähnlich werden und in diesem neuen »gemeinsamen Gattungscharakter zusammenfliessen, wie mehrere »Bäche zu einem Fluss.« Die hiemit bezeichnete convergente Züchtung spielt in der Natur eine fast ebensogrosse Rolle, wie die divergen te, ‚und die Mimicry ist nur ein einzelner Fall derselben. Die gemeinschaftliche weisse Farbe der Thiere der Schneeregion, die Sandfarbe aller Wüstenbewohner, die lineare Körpergestalt von Wurm, Coceilie, Blindschleiche, Schlange, Aal und Wiesel, die Linsenform der Wasserkäfer und Wasserschildkröten etc. sind lauter Produkte convergenter Züchtung, die kurz dahin zu prä” zisiren ist: Thiere der verschiedenartigsten Abstammung ge- winnen, wenn sie unter gleichen Umständen leben, gemeinschaft- liche Merkmale, die Folge einer Uebereinstimmung in der Wir- kung der züchtenden Faktoren sind. Eigentlich versteht sich diese Sache ganz von selbst, allein im concreten Fall bereitet sie der Systematik die grössten Schwierigkeiten und hat zahl- reiche systematische Missgriffe zur Folge gehabt, so hat man z.B. früher die Blindschleichen und Blindwühlen zu den Schlangen; die Schmarotzermilbe Pentasotmum zu den Egelwürmern, die, Crustaceenabtheilung der Cirrhipeden zu den Schalthieren ge rechnet. Man hat die Pedieulinen, Mallophagen und Poduriden in eine Ordnung Aptera vereinigt und ist heute noch bei manchen Thiergruppen im Zweifel, ob die Uebereinstimmung ihrer Mit- glieder Folge gemeinschaftliche Abstammung oder Folge conver- genter Züchtung ist. l Aus diesem Grund ist es wichtig, sich über die Unterschiede zwischen Aehnlichkeit durch Verwandtschaft und Aehnlichkeit durch convergente Züchtung klar zu werden. Die Entschei- Das natürliche System. 183 dung gibt die Entwicklungsgeschichte: Waren zwei Thiere früher verschieden. und sind: durch convergente Züchtung ähnlich geworden, so treten im individuellen Entwicklungsgang die übereinstimmenden Merkmale später auf, als die differenten, im andern Falle ist es umgekehrt: hier treten die übereinstimmenden vor den differenten auf. Wo die Ent- wicklungsgeschichte nicht bekannt ist, leitet — jedoch nicht mit der gleichen Sicherheit — die anatomische Analyse: bei conver- genter Züchtung stimmen die Thiere in den anatomisch minder wichtigen Organen überein und unterscheiden sich in den ana- tomisch wichtigeren und umgekehrt. Auch die Physiologie gibt Anhaltspunkte: bei der con- . vergenten Züchtung werden diejenigen Charaktere übereinstim- mend, welche für die bestimmte Art der Lebensweise die wichtigste Rolle für die Selbsterhaltung spielen, different ‚bleiben diejenigen Charaktere, welche nur für das Leben über- haupt, ohne Rücksicht auf die bestimmte Lebensweise, wichtig sind. Ich will diess durch zwei Beispiele erläutern. Für ein Wirbelthier ist der Besitz eines Skelettes wichtig für die allge- gemeine Mechanik seiner Bewegungen (siehe pag. 116), die ‚Proportionsverhältnisse der einzelnen Knochen unter eimander haben dagegen nur Bedeutung für die bestimmte Art sich zu bewegen, d. h. zu schwimmen, zu kriechen, zu gehen, zu hüpfen, zu laufen, zu klettern etc. Oder ein anderes Beispiel: die Federn des Vogels stehen in direkter Beziehung zu der Wärmeökonomie und verleihen allen Vögeln bestimmte allgemeine _ Lebensvortheile; die Farbe der Federn steht dagegen in direkter Beziehung zu einer ganz bestimmten Lebensweise, von ihr hängt es ab, ob der Vogel in einer ganz bestimmten Situation beschützt ist oder nicht. Hiedurch kommen wir auch zu dem merkwür- digen Satze, dass die anatomisch und physiologisch wichtigsten Charaktere und Organe biologisch min- der wichtig sind und umgekehrt. Diess ist von grossem Belang mit Bezug auf die Binet die pag. 115 besprochen wurden. So viel Eher die Sache selbst! nun aber Wi gand dar- pa a a ee u a ea Ar x ~ N ú pean Zi ode Baal RE SE e ne ne RN ” EN. > pms AES x RE X i s huez: I er je i i | L ! | ; | & “ | L | f l i 184 Das natürliche System. aus, dass beide Fälle — Aehnlichkeit durch Abstammung und Aehn- lichkeit durch convergente Züchtung — möglich sind, schliesst: »so bleibt ja gerade die Hauptfrage, in welcher Richtung, von »unten nach oben oder von oben nach unten, dieselbe (d. h. die »Stammbaumform des Systems) zu Stande gekommen ist, unent- »schieden« — so ist das wieder nur der Ausspruch des Prin- zipienreiters, der nur ein »entweder — oder« nicht ein »sowohl — als auch« kennt. Dementgegen heisst es: in jedem einzelnen Fall muss die Frage entschieden werden und kann es auch, wie ich im obigen gezeigt habe; prinzipiell betritt die Natur beiderlei Wege. Ueber den Blödsinn, den die anonyme, von Wigand citirte Schrift: »die Auflösung der Arten durch natür- »liche Zuchtwahl« enthält, mich zu äussern, halte ich für un- nöthig, da ja nicht einmal ihr eigener Verfasser die Courage gehabt hat, denselben in der Oeffentlichkeit zu vertreten. Es ‚wird darin unter anderem das »Prinzip der convergenten Zucht- wahl« zu Tode geritten unter Voraussetzungen, die das gerade Gegentheil von den Bedingungen der Natur sind. Umgekehrt hat Wigand sich den Weg zum Verständniss dadurch abgeschnitten, dass er die convergente Züchtung igno- rirt, oder besser gesagt, sie für unvereinbar mit dem Vererbungs- prinzip hält. Denn pag. 260 sagt er: ` »Nach Darwins ursprünglicher Ansicht sollen ja alle »systematischen Charaktere durch Anpassung erklärt werden, »und wenn nicht seine ganze Theorie zusammen brechen soll, »so muss er auch dabei bleiben; — alsdann wäre das ganze »System nichts als ein durch die natürliche Zuchtwahl zu »Stande gekommener Abdruck der äusseren Lebensbedingungen; und zwar gilt diess nicht nur für die Verschiedenheiten, sondern »auch für die Aehnlichkeiten und damit wird das »Vererbungsprinzip als Ursache der Uebereinstimmung hin- »fällig.« In wenig anderen Sätzen Wigands steckt eine grössere Summe von Ignoranz und Oberflächlichkeit als in diesem. Die. Entwieklungsgeschichte des Individuums und die vergleichende Anatomie zeigen uns, dass die systematischen Charaktere eines Thieres nach dem Zeitpunkt ihres Auftretens bei der individuel- Das natürliche System. 185 len Entwicklung in eine ganz bestimmte Linie zu bringen sind, und dass diese Reihenfolge ein genauer Ausdruck für den morpho- logischen und systematischen Rang des Charakters ist. So folgen sich im Entwicklungsgang einer Stockente der Reihe nach 1) der Charakter des Cellulaten (Eizelle), 2) der des Multi- cellulaten (nach der Dotterfurchung), 3) des Darmthiers, 4) des längsgegliederten Thiers, 5) des Wirbelthiers, 6) des Amnioten 7) des Sauropsiden, 8) des Vogels, 9) des Palmipeden, 10) der Ente, 11) der Stockente. Also dem Speziescharakter geht voraus der Gattungscharakter, diesem der Ordnungscharakter, diesem der Glassencharakter ete. Genau in derselben Ordnung, in welcher die Charaktere im individuellen Entwicklungsgang auf einander folgen, sind sie auch phylogenetisch entstanden und die Lehre von der Entstehung der Charaktere durch Zuchtwahl lautet so: die Zuchtwahl kann nur auf den jeweils letzten, also jüngsten, d. h. den Speziescharakter direkt und dauernd einwirken und ihn durch Anpassung an die Existenzbedürfnisse modifiziren. Alle früheren hat sie seinerzeit zwar jedenfalls erzeugt, allein zu der Zeit, als sie die jeweils letzten, d. h. Speziescharaktere waren; nachdem sie aber aufgehört haben, die letzten, d. h. diejenigen Charaktere zu sein, mit welchen das Thier den Kampf ums Dasein direkt zu kämpfen hatte, nachdem sie aus dauernden Charakteren des Endzustandes Charaktere eines vorübergehenden Entwicklungszustandes geworden sind, hat die vom Kampf ums Dasein ausgehende Zuchtwahl keine direkte oder keine dauernde Fühlung mit ihnen, sie sind ihr entzogen und so rein nur der Vererbungswirkung überantwortet. Ein Vogel, ein Insekt ete. wird Objekt der natürlichen Zuchtwahl erst in dem Augenblick seines Auskriechens aus dem Ei, ein . Säugethier erst im Augenblick seiner Geburt. Auf alle Charaktere, die während des Fruchtlebens entstehen, ist die Zuchtwahl ohne Einfluss, d. h. ohne jeden direkten, und der indirekte, von dem ‚ich pag. 172 gesprochen, kann nur an sich höchst geringfügiges, ‚allerdings für die postfötalen Charaktere sehr oft folgeschweres hervorrufen (siehe die Schliessung der Kiemenspalten pag. 174). Uebereinstimmung durch das Vererbungsprinzip und Entwicklung 186 Das natürliche System. der Charaktere durch Zuchtwahl schliessen sich mithin in keiner Weise aus, sondern die Prozesse stehen im Verhältniss zeitlicher Aufeinanderfolge: der Charakter wird durch die Zuchtwahl ge- bildet, allein sobald er durch Vererbung fixirt worden ist, ‚ist er unabhängig von ihr und erhält sich entweder als Spezies- charakter (bei den constanten Spezies siehe pag. 14) oder als Charakter einer individuellen Entwicklungsstufe bei den in fort- schreitender Entwicklung begriffenen Descendenten. Also auch hier existirt die Unvereinbarkeit lediglich in dem Gehirne Wigands. Eines ist bei der Wigand’schen Auseinandersetzung richtig: weder Darwin noch seine Schüler haben bisher die zwei Fälle, Uebereinstimmung durch convergente Züchtung und Uebereinstimmung in Folge gemeinschaftlicher Abstammung so _ scharf unterschieden, wie ich es oben that, und Wigand hat Recht, diese Blösse aufgedeckt zu haben. Mit dem obigen fällt natürlich auch der von Wigand auf pag. 256 und folgenden erhobene Einwand, dass das Vorhanden- sein von netzförmiger oder ringförmiger Verwandtschaft ein direktes Hinderniss für die genealogische Erklärung des Systems sei. Alle derartige Fälle lassen die Erklärung durch convergente Züchtung zu, und es mag in manchen Fällen auch Bastardirung eine Netz- oder Ringverwandtschaft erzeugen, was namentlich von den Hausthierrassen gilt. Auf pag. 262 greift Wigand den speziellen Fall der Ver- wandtschaft von Mensch und Affe heraus, weil er glaubt, hier die Transmutisten auf einer Inconsequenz bei Anwendung des Abstammungsprinzipes ertappen zu können. Da seine Er-_ örterung etwas confus ist, so übersetze ich sie hier in bündige Worte. »Die Transmutisten behaupten, der Grad der Aehnlich- „keit zwischen zwei Formen sei ein genauer Gradmesser für »die Enge des Verwandtschaftsverhältnisses. Da nun der Mensch »mit allen Affen doch offenbar weniger übereinstimme, als die »Affen untereinander, so müsse die Verwandtschaft zwischen »den letztern eine engere sein, als die Verwandtschaft von Affe »und Mensch, mithin könne man nur von einem gemeinschaft- Das natürliche System. 187 »lichen Stammvater für den gesammiten Affenstamm und den »Menschen sprechen, nicht aber den Menschen mit irgend einer »speziellen Affenform, z. B. den anthropoiden Affen in engere »Verwandtschaft bringen, wie es die Transmutisten thun, wo+ »durch sie ihrem Prinzip untreu werden.« | Hierauf ist zu entgegnen: bei der Beurtheilung des Ver- wandtschaftsgrades handelt es sich nicht um die Zahl der ähn- lichen und der differenten Charaktere, sondern es handelt sich um den systematischen Werth derselben, über den uns die Entwicklungsgeschichte, vergleichende Anatomie und Physio- logie den genauesten Aufschluss gibt, was ich pag. 183 u. ff. dar- gelegt habe. Untersuchen wir mit Hülfe der dort angegebenen Kriterien die Verwandtschaftsverhältnisse von Affen und Mensch, so kommen wir unbedingt zu dem Schluss, dass der Mensch nicht als selbständige Unterordnung der Primaten neben die Unterordnung der Simiaden gestellt werden darf, sondern dass -er mit den anthropoiden Affen in eine engere Verwandtschaft gehört und zwar aus folgenden Gründen. ‚Wie ich schon pag. 138 andeutete, ist der allerwichtigste, weil die Gesammtheit der morphologischen Differenz gegenüber den Affen erklärende Speziescharakter des Menschen seine Bipedie, d. h. die Annahme einer senkrechten Aufstellung auf | den. Hintergliedmassen lange vor Beendigung des Körperwachs- : thums, in Folge dessen die gesammte Proportionalität des Körpers schon beim Fötus eine Veränderung erleidet. Die Frage ist jetzt: steht dieser Charakter zu der Quadru- manie (dem Affencharakter) im Verhältniss der Ausschliessung und Coordination oder im Verhältniss der Succession und Super- ordination, d. h. folgt die Bipedie- in: der individuellen Entwick- lungsgeschichte auf die Quadrumanie, oder sind sie zwei coor- dinirte, sich selbst gegenseitig ausschliessende und nur in einem dritten ihnen vorausgehenden Charakter convergirende Charaktere ? | Die Entwicklungsgeschichte antwortet hier aufs allerbestimm- teste dahin: die Quadrumanie ist beim Menschen die entwicklungsgeschichtliche Vorstufe der Bipedie, ee u E E E ii _ i —_ — ee 9 Wehe Ben ee j Staka i "T aanne =- er ER EEATT ESA: TOR Ei oi g z in a ~ m s 3 = em .- er I à ET euere ” RE i UN a į EEE sj ái - : s» ER een en % A y t~ e a EL gr 7 rs nn ar un Be az, w 188 Das natürliche System. denn der Mensch ist bis ans Ende des ersten Lebensjahres physio- logisch und morphologisch Quadrumane. Selbst ohne die Entwick- lungsgeschichte würde einfache physiologische und anatomische Erwägung *) darthun, dass ein{Bipede, wie der Mensch, nur aus einem Quadrumanen hervorgegangen sein kann. Also Affe und Mensch stammen nicht von einem dritten ab, sondern der Mensch ist der Abkömmling eines Affen. Ueber die Frage, von welchen der verschiedenen Affen- abtheilungen er herzuleiten ist, entscheidet wieder die Entwick- lungsgeschichte aufs deutlichste. Pag. 185 habe ich gesagt, dass über den systematischen Rang eines Charakters seine Stellung in der Zeitfolge der Entwicklungsstufen entscheide, und zwar so, dass der früher auftretende systematisch höher steht, als der ` später auftretende. Der Mensch stimmt nun mit den anthropoiden Affen in dem Mangel des Schwanzes überein und unterscheidet sich von allen Affen durch die Bipedie. Die Schwanzlosigkeit tritt schon im Fötalleben ein, während die Bipedie erst postfötal auftritt, die erstere steht mithin systematisch höher, als die letztere, und so gehört der Mensch in die engere Verwandtschafts- gruppe der Anthropomorphen. In diesem Ausspruch liegt durch- aus keine Verläugnung des Abstammungsprinzipes für die Er- klärung des systematischen Zusammenhanges, wie das Wigand oben gemeint hat. Ein ganz ähnlicher Fall ist das Verwandt- schaftsverhältniss zwischen Vogel und Reptil: trotzdem dass die Vögel sich auf den ersten Blick von sämmtlichen Reptilien mehr unterscheiden als diese untereinander, so zeigen sowohl Entwick- lungsgeschichte als die neueren fossilen Funde, dass die Vögel mit den Schildkröten näher verwandt sind, als mit den übrigen Reptilien, indem beide von den ausgestorbenen Kamphosauriern abstammen. | An dieser Stelle muss ich mich gegen einen andern Con- stanzianer, der jedoch wissenschaftlich und als Gegner mir unendlich höher steht als Wigand, nämlich gegen Lucae, *) Jaeger, Die Menschwerdung des Säuglings, siehe Citat pag. 137. Das natürliche ‘System. ; 189 insbesondere gegen dessen Ausführungen in seiner Abhandlung » Affen- und Menschenschädel im Bau und Wachsthum begriffen« *), wenden. Derselbe will durch Winkelmessungen an Affen und Menschenschädeln den Satz Huxleys widerlegt haben, dass Mensch und Gorilla näher verwandt sind, als der Mensch und andere Affen. Er findet nämlich, dass in Bezug auf die Winkel- verhältnisse an der Schädelbasis Cebus capueinus und Semno- pithecus entellus dem Menschen ungleich näher stehen als die Anthropoiden. Dazu hätte es keiner Winkelmessungen bedurft : bezüglich des Capuzineraffen habe ich diess schon 1864 in einem Vortrag **) ausgesprochen und Virchow sagt in seinem Vortrag a »Affen- und Menschenschädel« über die Uistiti dasselbe. Die j F P Thatsache ist richtig, allein hätte sich Lucae bemüht, nach A | der Ursache derselben zu forschen, so hätte er sich leicht über- | zeugen können, dass damit Huxleys Satz gar keine Schädigung erfährt. In einer vorläufigen Mittheilung***) ‚habe ich. gezeigt, ‚dass allgemein bei allen Wirbelthieren ein constanter 'Unter- schied im Schädelbau zwischen grossen und kleinen Arten derselben engeren systematischen Gruppe besteht, den ich so ausdrücke: bei den grossen Arten ist der Gesichtsschädel im. Vergleich zum Hirnschädel grösser als bei den kleinen Arten. Diesen allgemeinen Unterschied hat Lucae ganz ausser Acht gelassen: Cebus und Semnopithecus wie Uistiti sind -kleine Arten, die Anthropoiden grosse Arten. Die Uebereinstimmung der Schädel kleiner Affenarten mit dem Menschen verdanken sie dem Umstand, dass sie als kleine Arten grosshirnig und kleingesichtig sind. Das ist nun der Mensch auch und wir gewinnen hier eine neue Bestätigung meines anthropogenetischen 13 Satzes, dass der Mensch den grössesten Theil seiner morpho- A logischen Charaktere dem aufrechten Gang und der Dome- -nÀ m a en *) Archiv für Anthropologie. Bd. VI. ! **) Jaeger, Zoologisches über das Menschengeschlecht. Wien 1865. N d i pag. 37. ; ***) Jaeger, Gross und Klein: Deutsche Zeitung. Abendblatt vom 31. August 1872. - 5 Bene ee ee ee Te 190 Das natürliche System. stication verdankt. Gerade so wie der Schädel hochgezüchteter Schweinerassen durch Mindergebrauch der Kauwerkzeuge eine Reduktion seines Gesichtstheils erfuhr, hat sich auch beim Men- schen der Gesichtstheil reduzirt. Namentlich musste die Erfindung . des Feuermachens und die Verwendung des Feuers zum Erweichen der Nahrung einen entscheidenden Wendepunkt in der Rück- bildung des Gesichtstheils herbeiführen. Der zweite Punkt ist folgender: bei dem auf dem Kopf stehenden Embryo und Fötus wächst der Kopf als der unterste Theil am stärksten, Füsse und Becken am schwächsten. Mit dem Eintritt der senkrechten Körperstellung am Schluss des ersten Lebensjahres ist der Kopf umgekehrt an den obersten vom Wachsthum am mindesten begünstigten Endpunkt des Leibes verlegt worden. Dem jetzt beginnenden überwiegenden Wachsthum der unten liegenden Beine sammt Becken steht ein Zurückbleiben des Kopfes im Wachsthum gegenüber und so behält der Kopf des Menschen im Vergleich zum Vierfüsser »kindliche Proportionen.« Wie ich in der pag. 171 eitirten Abhandlung zeigte, sind die Proportions- unterschiede zwischen den Schädeln grosser und kleiner Arten dieselben, wie zwischen den Schädeln erwachsener und junger Thiere, und jetzt begreift man vollkommen, warum der Mensch trotzdem, dass er eine grosse Primatenart ist, die Schädelpro- portionen kleiner Thierarten, speziell kleiner Affenarten hat. Weiter will Lucae in seiner Abhandlung aus einem zweiten von ihm nachgewiesenen Satz Capital gegen die Abstammungs- lehre schlagen. Er zeigt, dass bei dem Menschen im Laufe der individuellen Entwicklung alle Winkel des Grundbeins mit der Horizontalen grösser werden, beim Orang umgekehrt kleiner. Aus diesem entgegengesetzten Entwieklungsgang will er den Schluss ziehen, dass Mensch und Affe in keinem genealogischen Verhältniss stehen können. Nun ist aber obiges Verhalten des Schädelwachsthums nur ein Stück jenet allgemeinen, auch von Lucae hervorgehobenen Thatsache, dass die meisten spezifischen Merkmale der Menschengestalt Folge des aufrechten Ganges sind, worüber ich schon pag. 137 gesprochen. Sie bestätigt also lediglich den Theil meiner Anthropogenesis, welchen ich in % Das natürliche System. 191 meinem Aufsatz »die Menschwerdung des Säuglings« *) aus- gesprochen habe. Also wenn Lucae die Affenabstammung des Menschen widerlegen will, so muss er die Unmöglichkeit darthun, dass die Descendenz eines vierbeiniggehenden Thieres allmählig zum aufrechten Gang herangezogen werden konnte, denn das ist der Knotenpunkt der Menschwerdung. Als weiteren Beleg für seine Anschauung führt Lucae die auch von Virchow hervorgehobene, schon pag. 173 besprochene Thatsache an, dass Affen- und Menschenfötus schon sehr frühe Sich beträchtlich unterscheiden, allein bei genauerer Besichtigung erweist sich auch das als eine einfache Folge der aufrechten Stellung, denn bei dieser befindet sich — von sekundären Stellungs- veränderungen durch Fötalbewegungen muss abgesehen werden, da sie erst spät eintreten — der Embryo in der Kopflage, d. h. der Kopf steht abwärts, während bei dem vierbeinig auf- gestellten Thier der Embryo wagrecht liegt. Dieser Unterschied in der Zugsrichtung der Schwerkraft hat abgesehen von anderem z. B. das grosse Wachsthumsübergewicht des Gehirns zur Folge, was sich schon beim Embryo sehr früh zeigt, und so ist begreif- lich, dass Affen- und Menschenembryo sich auch sehr früh deutlich von einander unterscheiden müssen, und zwar bedeu- tend mehr als Embryonen zweier Affenarten. Kurzum: Unter einfacher Berücksichtigung längst bekannter Wachsthumsgesetze kommen wir zum Schluss: die wesentlichsten anatomischen Charaktere des Menschen sind Consöquenzen aus den Charak- teren der Anthropoiden, herbeigeführt durch aufrechte Körper- stellung und Domestication (siehe über letztere auch pag. 32 u. 47) und wer die Affenabstammung leugnen will, muss beweisen, dass unter diesen Charakteren einer ist, der sich obiger Er- klärung nicht fügt. Da dieser Nachweis Lucae weder in der eitirten Abhandlung noch in seinem früheren Aufsatz »Hand und Fuss« **) gelungen ist, so kann ich seinen stolzen Ausspruch »er habe zum zweiten Mal die Hinfälligkeit des Huxley’schen *) Neue freie Presse. Abendblatt, 19. Mai und 2. Juni 1870. **) Senkenbergische NEO 1865. mimaa rein erden en mn ge un nee aaa nennen une 192 Das natürliche System. Satzes dargethan« zu meinem Bedauern nicht unterschreiben. Virchow hat allerdings Recht, wenn er sagt, der Affe könne sich bei seiner Fortentwicklung nur noch mehr vom Menschen entfernen; aber der Satz ist nur richtig, wenn der Affe fort- fährt, vierhändig kletterndes Baumthier zu bleiben, sobald sich aber ein Gorilla zum aufrechten Gang entschliesst, so muss er sich mit mathematischer Gewissheit dem Menschen nähern, und umgekehrt muss der Mensch, wenn er den auf- rechten Gang mit dem vierbeinigen vertauschen und aufhören würde, seine Nahrung durch Feuer zu erweichen, sich mit mathematischer Gewissheit dem Gorilla nähern, sonst ist alles, was wir über Wachsthumsgesetze wissen, Larifari. Dann noch eins: bereits 1870 habe ich in dem so eben citirten Aufsatze die »Menschwerdung des Säuglings« den Weg gezeigt, auf welchem der Affe Mensch werden musste und — nach dem Zeugniss Anderer — so klar gezeigt, dass es für jeden nicht durch Vorurtheile blind Gemachten zwingend ist. Ich habe in meinen pag. 137 zitirten Abhandlungen über den »Ursprung der menschlichen Sprache« aufs klarste dargelegt, dass auch dieser hochwichtige Speziescharakter des Menschen eine Consequenz des aufrechten Ganges ist und habe eine klare feste Brücke vom sprachlosen Affen zum sprechenden Menschen geschlagen; warum gehen die Forscher, welche die Affenabstam- mung des Menschen bestreiten, diesen meinen Arbeiten so sorg- fältig aus dem Wege? So lange sie meine dort niedergelegten Erörterungen nicht umgestossen haben, werden sie mir und Anderen erlauben, an der Möglichkeit der Affenabstammung des Menschen nicht zu zweifeln, trotzdem dass noch viele Räthsel ‚zu lösen sind. Den Herren Rütimeyer, Lucae etc., welche solche Produkte Zukunftsliteratur und Phantasielite- ratur nennen oder, wie Lucae mündlich zu mir sagte »zU viel Geist« darin finden, möchte ich sagen, dass man auch »zu wenig Geist und Phantasie« haben kann, wovon so manche Produkte der »Vergangenheitsliteratur« _ reiches Zeugniss ab- legen. Damit das richtige Mass von Geist und Phantasie in die ‚ Forschung hineinkommt, muss es auch Forscher geben, die einen Das natürliche System. 193 Ueberschuss von Geist und Phantasie haben, und wenn Häckel und ich zu den letzteren gehören, so wird uns niemand be- streiten können, dass wir nützliche Mitglieder der Forscher- republik sind. — Doch kehren wir nach dieser Abschweifung -zur Sache zurück! | i Auf pag. 266 macht Wigand die Bemerkung, dass auch das Mineralreich »eine Abstufung zeigt in dem Grade der »chemischen und morphologischen Charaktere, welche ihren Aus- »druck findet in engeren und weiteren Gruppen ganz analog »den Arten, Gattungen, Familien des organischen Reiches — ja »selbst die chemischen Elemente lassen sich bekanntlich je nach »den näheren oder entfernteren Beziehungen in verwandtschaft- »liche Gruppen elassifieiren. Das Gesetz der Einheit der Natur »verbietet, für in so hohem Grade analoge Thatsachen Erklä- »rungsprinzipien aufzustellen, welche heterogener sind, als es »die Verschiedenheit der beiderseitigen Gebiete der Natur der »Sache nach mit sich bringt. Es versteht sich von selbst, dass »nur im organischen Reich von einer continuirlichen, durch die »Fortpflanzung vermittelten Entwicklung und von einer succe- »siven Entfaltung jener systematischen Beziehungen im Zusam- »menhang mit dieser Entwicklung die Rede sein kann. Der »letzte Grund von Aehnlichkeit- und Verschiedenheit liegt aber »hier ebenso gut wie im unorganischen Reiche in der gegebenen »qualitativen Verschiedenheit der Materie. Wenn dagegen die »Selektionstheorie die allmählige Differenzirung der organischen „Formen aus einer unbestimmten Variation und aus der unter »dem bestimmenden Einfluss der äusseren Lebensbedingungen »stehenden Zuchtwahl erklären will, so ist diess eine Erklärungs- »weise, welche auf die ganz analoge verwandtschaftliche Grup- »pirung der anorganischen Körper, obgleich auch bei den Mine- »ralien individuelle Variabilität und eine Abhängigkeit von »äusseren Existenzbedingungen stattfindet, ohne Zweifel nicht anwendbar ist.« Warum? der Unterschied wirken beiden Gebieten besteht darin, dass. die Mineralien nicht züchten. Nehmen wir nun nach Jaeger, In Sachen Darwin’s. FB: == a ee ar 194 Das natürliche System. Wigands Vorschrift — »dass die Erklärungsprinzipien nicht »heterogener sein dürfen, als‘ die Verschiedenheit der beider- »seitigen Gebiete der Natur der Sache nach mit bringt« — aus dem: Wort: »Zuchtwahl« »Zuchts weg und setzen natürliche Auswahl, so passt das Prinzip der Selektion für beide Gebiete. Die Chemie hat uns gezeigt, dass ausser den. in der freien Natur vorkommenden chemischen Verbindungen noch eine ganze Masse anderer nur künstlich herstellbarer möglich ist. Aus diesen hat die, durch die äusseren Existenzbedingungen vertretene Natur diejenigen ausgewählt, die den Kampf ums Dasein mit den zer- setzenden Einflüssen der Aussenwelt bestehen konnten. Und ich frage: gibt es irgend einen Chemiker, der, wie Wigand, behaupten wollte, dass die Mineralien in derselben chemischen und morphologischen Erscheinung, wie wir sie heute sehen, durch alle Phasen der Erdentwicklung, also z. B. auch zur Zeit der Feuerflüssigkeit oder im Zustand des Gasballs constant. geblieben seien? oder der läugnen wollte, dass der hentige Zu- ' stand der Mineralien ‚nicht das Produkt einer allmähligen Dif- ferenzirung unter, der wählenden Hand der äusseren Existenz- bedingungen sei und dass die jetzigen Mineralien die Abkömm- linge früher bestandener andersartiger chemischer Verbindungen seien? 8) Der Fortschritt im System. Ich habe zwar schon pag. 88, 144 u. 172 das Fortschritts- gesetz besprochen und die Wigand’schen Einwürfe zurückge- wiesen, allein gerade so wie Wigand pag. 267 wieder darauf zurückkommt, muss auch ich hier noch einmal darauf zurück- kommen.‘ Erstens ist die Behauptung zurückzuweisen, Darwin gehe von der Voraussetzung aus, dass die nebeneinander stehenden Thier- und Pflanzenformen sich in eine einzige Entwicklungs- reihe von der niedrigsten Pflanzenform bis zum höchsten Thiere aneinander reihen lasse. Da Wigand — denn er polemisirt ja pag. 247 u. ff. ausführlich dagegen — wissen muss, dass alle Transmutisten für ihre Verwandtschaften die Stammbaum- Das natürliche System. 195 form und nicht die gerade Linie annehmen, so sagt er wissentlich eine Unwahrheit. Eine zweite Unwahrheit steht pag. 268, denn kein Trans- | mutist verwechselt Metamorphose und Entwicklung: Wenn in einer Pflanze ein Blumenblatt einmal ausgebildet oder auch nur als solches angelegt ist, kann es allerdings sich nicht mehr in einen Staubfaden verwandeln. Aber es kann bei einem Nachkommen an der Stelle, wo beim Vorfahren ein Staubfaden wuchs, ein Blumenblatt wachsen, was uns jede gefüllte Blüthe der Ziergärten vorführt. Ebensowenig hat ein transmutistischer - Culturhistoriker behauptet, dass jeder Palast ursprünglich eine Hütte und ein bürgerliches Haus gewesen sei, sondern nur, dass die Menschen zuerst Hütten, -dann bürgerliche Häuser und end- lich Paläste produzirt haben, und dass das eine natürliche Ent- wicklungsreihe sei. Darüber, inwiefern der Staatsmann die Stufenleiter vom Bauer zum Handwerker, Gelehrten ete. durch- _ laufen habe, mag sich Wigand in meinen pag. 137: eitirten Aufsätzen über die Entwicklung der Seele und ausserdem noch in einem weiteren Aufsatz von mir über die »Entwicklung der menschlichen Gesellschaft,« der sich gegenwärtig‘ im Redaktions- bureau des »Auslandes« befindet , des näheren Raths erholen. Darüber, dass es der natürlichen Zuchtwahl an einem Motiv fehle, die höher organisirten Individuen vor den niederen. zu bevorzugen, habe ich schon pag. 86 geantwortet. Nun kommt pag. 270 die alte Leier: »Es lässt sich nämlich »der Fortschritt vom Niederen zum Höheren von vornherein auf "„dreierlei Weise als Wirkung der natürlichen Zuchtwahl denken »und diese drei Erklärungsweisen, obgleich durchaus verschieden- »artig, liegen in der Darwin’schen Darstellung auf unklare » Weise vermengt neben einander.« Eines ist an der Aeusserung richtig: Es ist ein unläugbarer Mangel der Darwin ’schen Dar- stellungsweise, dass es sehr häufig an dem scharfen formalen Auseinanderhalten ‘des Verschiedenartigen, wie wir Deutschen es gewohnt sind, fehlt. ` Allein inhaltlich steht die Wigand’sche Aeusserung auf gleichem Niveau mit andern schon gerügten: es un Nenner naaa un mme O aE aaa unten nme 196 Das natürliche System. handelt sich gar nicht um die verschiedenartige Erklärungs- weisen, sondern um die concurrirenden Ursachen. Der Punkt Nro. 1, nämlich die allmählige Differenzirung der physikalischen Verhältnisse der Erdoberfläche und das allmählige Complizirterwerden der Wechselbeziehungen der Organismen durch ihre zunehmende Zahl ist die unerlässliche Vorbeding- ung für die zwei folgenden Punkte: 1) Dass höher organisirte Formen durch Auswahl anderer noch unbesetzter, weil neu ge- schaffener Stellen im Haushalt der Natur »sich mit den andern Individuen in Beziehung auf die Lebensbedürfnisse ergänzen und in die verschiedene in einem und demselben Medium vorhandene Nahrung theilen,« also die Concurrenz vermeiden konnten. 9) Dass höhere Formen auftreten, die mit den niederen in Con- currenz bleiben und sie vernichten. Bei der Fortentwicklung sind nämlich zwei Fälle möglich und kommen thatsächlich neben einander vor: Erstens die höhere und niedere Form bestehen neben einander fort, wenn sie durch biologische Trennung ausser Concurrenz gerathen; zweitens erfolgt die Vernichtung der. nie- deren Form durch die höhere, wenn sie in CGoncurrenz bleiben. Mithin verhalten sich die drei nach Wigand unvereinbar seiñ sollenden Erklärungsweisen so zu einander, dass die erste die unerlässliche Vorbedingung für die zwei andern ist und diese beiden andern die zwei allerdings im einzelnen Fall sich aus- schliessenden , aber auf zwei verschiedene Fälle vertheilt, noth- < wendig nebeneinander vorkommenden Möglichkeiten sind. Wi- gand fühlt auch hier, wie in andern ähnlichen Fällen, dass die Schwierigkeit der Frage sofort verschwindet, sobald man die drei Dinge zusammen nimmt und hilft sich nun damit, dass er sagt (pag. 273) »damit geht Darwin der Schwierigkeit aus »dem Wege.« Das heisst doch auf gut,deutsch: »die Schwierig- »keit ist beseitigt,« und es liegt ausserdem nur noch das Ge- ständniss darin, dass diess Wigand sehr unangenehm ist. . Hören wir nun, was er über jede einzelne Erklärungs- weise sagt. Betreffs der fortschreitenden Differenzirung der Existenz- bedingungen sagt er wieder ganz charakteristisch, dass. dieser \ Das natürliche System. 197 Erklärungsgrund nicht ausreiche, »um den Fortschritt von der Monade bis zum Menschen zu erklären.« Das alte Bornement der Unicausalität! Niemals reicht eine einzige Ursache zur Hervorbringung auch nur einer ‘einzigen Naturerscheinung aus! desshalb.ist auch alles, was er pag: 271 daran knüpft, leeres Stroh gedroschen, denn kein Transmutist hat behauptet, dass dieser Erklärungsgrund ausreiche., Betreffs der zweiten Erklärungsweise »dass unter gleichen »Existenzbedingungen die besser angepasste Form im Vortheil vor ` »der niederen sei, dieselbe mithin verdrängen müsse,« sagt er, »die »letzte Consequenz dieser Erklärung wäre, dass zum Schluss nur »der Mensch, als der höchstvollkommene Organismus, das allein »existirende lebende Wesen sein würde!« Offen gestanden ist es mir ein psychologisches Räthsel, wie ein Mann nicht schliess- lich zur Einsicht kommt, wo der Fehler liegt, wenn er bei dem Ziehen der letzten Consequenz eines Prinzips jedesmal auf einen Blödsinn kömmt oder zur Einsicht, dass es nicht. ausreicht! Warum die niederen Formen die Bedingungen zu ihrer Fort- existenz neben den höheren finder und unter welchen, aller- dings nicht in jedem Fall eintretenden Bedingungen, ist schon von Darwin gesagt und von mir pag. 86 präzisirt worden, und was hat Wigand zur Entgegnung? »damit geht Darwin »der Schwierigkeit aus dem Wege!« Aber damit nicht genug: pag 273 steht: »Wenn wir für höhere und niedere Formen »einer und derselben Ordnung und Familie, welche nebeneinander »existiren, keine Concurrenz annehmen dürfen, dann ist freilich »auch keine Verdrängung der niederen Formen zu erwarten, dann »fällt eben mit dem Kampf ums Dasein auch die natürliche Zucht- »wahl und die Erklärung der fortschreitenden Vollkommenheit »vermittelst derselben hinweg.« Der Unsinn in diesem Satz besteht darin, dass Wigand Kampf ums Dasein und direkte Concurrenz mit einer andern die gleiche Lebensweise führenden Art für gleichbedeutend nimmt, während bekanntlich zu ersterem noch der Kampf gegen die Feinde, der Kampf um die Fort- pflanzung innerhalb der Art, der Kampf mit den leblosen Natur- kräften etc., die gleichfalls fortschreitende Vollkommenheit GEBE ER Eee RESET 4 198 Das natürliche System. anstreben, gehören. : Der weitere Unsinn liegt darin, dass Wi- gand als Prinzipienreiter nur Goncurrenz und absolute Nicht- concurrenz kennt, nicht aber verschiedene Concurrenzgrade. Wie ich pag. 78 klar nachwies, gibt es Concurrenzverhältnisse ziemlich intensiver Art, die doch so sind, dass keine Form. die andere gänzlich vernichten kann und dieser Fall tritt jedesmal ein, wenn die Lebensweise nicht exakt dieselbe ist. Ich habe zwar pag. 89 bereits Gründe angeführt, warum nicht alle Organismen sich haben fortentwickeln können, damit ist aber die Sache noch nicht erschöpft, denn in dem, was ich 'im ersten Abschnitt über Constanz und Plastizität sagte, liegt ein weiterer Grund. Ich habe dort dargethan, dass uns die unläugbare Thatsache des Artentodes das Geständniss abnöthige, dass es Arten gibt, die nicht im Stande sind, sich neuen Ver- hältnissen zu adaptiren, mithin auch nicht, sich fortschreitend zu entwickeln. Wir haben weiter gesehen, dass diess ohne Zweifel von Umständen abhängt, die auf jeder Organisations- stufe eintreten können und müssen. Während nun die Arten, welche in Folge der pag. 12 angeführten Umstände ihre Pla- sticität bewahrt haben, die Träger der fortschreitenden Entwick- lung sind, liefern die Arten, welche in die Phase der Constanz gelangt sind, das Material für zweierlei: finden sie die Be- dingungen. ihrer Existenz nicht mehr, so sterben sie aus und liefern diejenigen fossilen Arten, die descendenzlos untergegangen sind; finden sie dagegen auch bei den weiteren Complications- stufen der Existenzbedingungen noch Raum für ihr Dasein, dann sind sie die noch lebenden Repräsentanten der früheren Organisationsstufen. Mithin wird durch die von mir im ersten Abschnitt gegebene Modification der Trans- mutationslehre ein ohnediess nicht ganz age Einwand gegen sie völlig beseitigt. Pag. 276 polemisirt Wigand gegen die von mir in meinen zoologischen Briefen *) gegebene, auch von andern Transmutisten angenommene Fortdauer der Urzeugung, welche allerdings an- Jaeger, Zoologische Briefe. Wien 1864, pag. 64. he Das natürliche System. ; 4199 genommen werden muss, wenn man allen Thierarten und allen Thierindividuen den immanenten Trieb zur unaufhaltsamen Fortentwicklung und die Fähigkeit hiezu beilegt, denn sonst ist die Coexistenz aller Organisationsstufen undenkbar. Hierauf bemerke ich: ' Diese Theorie habe ich, wie ich in der Einleitung meiner 'zoologischen Briefe pag. V. sagte, schon im Jahre 1857, also 2 Jahre vor dem Erscheinen des Darwin’schen Werkes, nieder- geschrieben, sie aber seither längst als überflüssig und wahr- scheinlich auch falsch verlassen. Ueberflüssig ist sie, wie ich so eben zeigte, weil die Coexistenz aller Organisationsstufen durch meine, auf ein sehr grosses thatsächliches Material sich stützende Trennung des Entwicklungsganges der Spezies in eine primäre Plastieitätsphase und eine sekundäre Constanzphase völlig erklärt wird. Für falsch glaube ich sie desshalb halten zu müssen: Die Urzeugung in der von mir pag. 167 ‘geschilderten Weise halte ich nur für möglich, so lange es noch keine Organismen gab oder besser gesagt, nur da, wo noch keine Organismen sind, und zwar aus einem sehr einfachen Grunde. Das Material für die Bildung des Protoplasmas sind die leblosen Albuminate; da diese zugleich. das begehrteste Nahrungsmittel für einen bereits be- ‘stehenden Organismus. sind, so werden sie da, wo solche Organismen leben, vom diesen annektirt und so die Urzeugung verhindert. Da nun die Böden der Tiefsee allem nach allein die Hauptbedingung der ‚Urzeugung (excessiv hohen Druck) darbieten, jetzt aber mit bestehenden Organismen völlig über- zogen sind, so scheint mir für die Urzeugung kein Raum mehr vorhanden zu sein. — Damit entfällt natürlich die Nothwendig- . keit, auf Wigands Einwände pag. 276 u. ff. zu antworten, nur das bemerke ich gegen die Aeusserung pag. 278 »mein Erklärüngsversuch sei vollkommen unwissenschaftliche: da meine Theorie sich gänzlich innerhalb der Causalitätsgesetze hält, so war sie wissenschaftlicher, als Wigands Urzellentheorie, welche, wie pag. 140 gezeigt, gegen eines der fundamentalsten Caausalgesetze verstösst. En en ren FRE a > j : ee Zn s ur T e - da. $ s2 ~— - 2 er 5 : E à FR vn. n R Saag y | = 5 f a A D moisi a = Er Ber $ 1 TT EEE S j e u mi A 2i 3,71 f | I an 00 Geschichte von Reich, Art und Individuum. Ueber die sogenannte dritte Erklärungsweise, dass die höhere Form und die niedere dadurch nebeneinander existiren konnten, dass sie sich in die verschiedenen Nahrungsquellen theilen, »durch ein ungleiches Bedürfniss hiezu befähigt« (wie sich Wigand pag. 279 ausdrückt) macht Wigand folgende, schon pag. 151 zur Genüge gegeiselte Bemerkung, diese Erklä- rung passe ebenso gut auf den Rückschritt als auf den Fort- schritt: »Eine Erklärung aber, welche ebensogut auf das Gegen- »theil der zu erklärenden Thatsache passt, als auf die letzere »selbst, ist eben keine Erklärung.« | So können wir denn auch dieses Capitel mit der Ueber- zeugung schliessen, dass es Wigand an keinem Punkte gelungen ist, das Gefüge der Transmutationslehre zu erschüttern, dass im Gegentheil seine Polemik mir die angenehme Gelegenheit gab, dasselbe in mehreren Punkten zu festigen. XII. Geschichte des organischen Reichs, der Art und des Individuums. : - In diesem Capitel beschäftigt sich Wigand mit der Frage: »inwiefern die Geschichte des organischen Reichs, wie sie uns »als concrete Thatsache durch die Paläontologie enthüllt wird, »mit dem genealogischen Prinzip in der bestimmten Form der »Selektionstheorie in Einklang steht.« 1) Der paläontologische Beweis. Hier führt er zuerst eine grosse Reihe von Thatsachen der : Paläontologie an, von denen er pag. 283 sagt, »dass sie, wie »nicht zu bestreiten ist, mit der Darwin’schen Theorie — »aber wohlgemerkt nur als Descendenztheorie — in Ueberein- »stimmung stehen. Sie weisen alle darauf hin, die Gesammtheit »aller erloschenen und lebenden Formen als ein grosses, durch »ein reales Band’ der Abstammung zusammenhängendes, im Ceschichte von Reich, Art und Individuum. - 901 MR der Zeit a entwickelndes Ganzes zu betrachten. fa »Mit der Transmutationstheorie stehen dieselben zwar nicht im w » Widerspruch, da sie aber ebensogut mit jeder andern Form »der Descendenztheorie übereinstimmen, so sind sie durchaus »nicht als Beweis geeignet, dass jenes reale Band in einer allmäh- ~ »ligen Umwandlung der Formen bestehe und noch weniger haben -dieselben joena etwas mit der natürlichen Zuchtwahl zu thun.« A. i Hiegegen ist zu sagen, dass die direkten Beweise für den Vorgang der Zuchtwahl von allen Transmutisten auf dem Gebiet der lebenden Natur geholt werden. Dann was will Wigand damit sagen, dass obige Thatsachen ebensogut mit jeder andern Form der Descendenztheorie stimmen? Wissenschaftlich aner- kannt ist heutzutage nur eine einzige Descendenztheorie, d. h. / die Transmutationslehre Dar wins; die Wigand’ sche Urzellen- i theorie :hat ausser ihrem Autor meines Wissens keinen Anhänger aufzuweisen, die Lamarkische Theorie ist als unicausalistisch i zu einem integrirenden Bestandtheil der multicausalistischen modernen Transmutationslehre geworden und an der Einheit der letzteren ändern die nebensächlichen Differenzen unter den Transmutisten gar nichts, insofern, etwa mit Ausnahme von | Moritz Wagner, alle Transmutisten Multicausalisten sind und 4 alle die Transmutation annehmen ganz gleichgültig ob MORE: weise oder durch Cumulation. Pag. 284 rückt Wigand mit Thatsachen vor, welche für die Selektionstheorie absolut unerklärbar sein, oder mit derselben geradezu in Widerspruch stehen sollen. 3 H - Die erste soll die für die Transmutation erforderliche Zeitdauer sein. Er behauptet pag. 285 »dagegen (d. h. gegen >die Rechnung der Geologen, die, sich auf thatsächlichem Boden »bewegend, 20—200 Millionen Jahre seit dem Festwerden der Erd- | »rinde annehmen) erscheint das Verfahren des Darwinismus, wel- , +33 »cher die Jahrmillionen der Geologen für seinen besondern Zweck »beliebig zu Milliarden erweitert und geradezu ins Blaue hinein »über ungemessene Zeiten verfügen zu dürfen glaubt, als boden- »lose Willkür.« Diese Behauptung ist eine reiste Unwahrheit. Das einzige, \ - re a j T a Š Dr BR ei Ann nn en aa gr 3 = =e Ka a er j P baki ven 3 iit + aibi < x m R. 13 We RT a a a en. FE 202 Geschichte von Reich, Art und Individuum. was Wigand anzuführen vermag, ist der Ausspruch Dar wins, »dass die von Croll auf 60 Millionen Jahre geschätzte Zeit seit »der cambrischen Periode kaum als genügend betrachtet werden »könne, um die grossen Umwandlungen zu erklären.« Wenn Darwin 60 Millionen für »kaum genügend« hält, so würde er 100 Millionen wahrscheinlich für »genügend« halten (da diess nahezu eine Verdopplung ist) und bliebe damit noch weit inner- halb des von der Geologie berechneten Rahmens von 20—200 Millionen. Ausserdem wären 100 Millionen immer nur der {0te Theil einer einzigen Milliarde und der 2000ste Theil von 900 Milliarden, mithin hat Darwin die Millionen der Geologen nicht ins Blaue hinein in Milliarden erweitert. Uebrigens habe ich an mehreren Stellen *) auseinandergesetzt, dass wir keineswegs solch grosse Zeiträume brauchen und ich will diess noch in anderer Weise darthun. Lösen wir den geradaufsteigenden Stammbaum des Menschen in möglichst viele Organisationstufen auf: 1) Bathyplasmodium, 9) Moner, 3) Nacktzelle, 4) Hüllzelle, 5) Morula, 6) Planula, 7) Gastraea (zweischichtig), 8) Coelenterat (dreischichtig), 9) Protenterat, 10) Gefässenterat, 11) Chordaträger (unge- gliedert), 12) Protovertebrat (gegliedert), 13) Protocraniot, 14) Protodipneust, 15) Protopulmonat, 16) Protamniot, 17) Proto- mammalier, 18) Protomonotrem, 19) Protomarsupialier, 20) Pro- toplacentarier, 21) Protodeeiduate, 22) Protosimiade, 23) Proto- catarhine, 24) Protoanthropoid, 25) Protanthropos, 26) Homo sapiens. Das sind 25 Etappen, welche den höchsten Anforde- rungen an Feinheit der Glassifikation und entwicklungsgeschicht- lichen Unterscheidung entsprechen. Räumen wir jeder Etappe den gewiss immensen Zeitraum von 2 Millionen Jahren ein, so haben wir für den höchsten in der Natur bekannten Fortschritt, den zum Menschen, erst 50 Millionen. "Nehmen wir ferner das allerniedrigste Mass der Divergenz, d. h. dass in jeder Etappe die Zahl der Spezies verdoppelt worden sei, so erhalten wir eine Spezieszahl von 2?°, d. h. in runder Summe nicht weniger als *) Siehe pag: 10 und 53. Geschichte von Reich, Art und Individuum. 9203 32 Millionen Spezies, was die Summe aller lebenden und fossilen Arten weitaus übertrifft. Setzen wir aber die jedesmalige Divergenz auf drei fest, so erhalten wir 3° = rund 111 Milli- arden Spezies. Dem gegenüber ist die Behauptung, dass es uns an Zeit mangle, sinnlos. . Wigand sagt pag. 285, es sei nur beschränkt richtig, dass die Organisation der Thiere und Pflanzen im Laufe der geologi- schen Entwicklung im allgemeinen vollkommener geworden, »indem die Haupttypen: Strahlthiere, Weichthiere, Gliederthiere, »Wirbelthiere, Algen, Farne, Gymnospermen, Angiospermen be- »kanntlich in allen Perioden bis hinauf zur Steinkohlenperiode »vorkommen und nur innerhalb der einzelnen Classen ein Fort- »schritt zu erkennen ist.« Diess beweist einmal gegen das Fort- schrittsgesetz gar nichts, weil etwas, was nur »beschränkt richtig« ist, doch »richtig« ist, und zweitens wissen wir trotz unserer - ückenhaften Kenntnisse über die ältesten Sedimentschichten, dass das Gesetz auch über die Steinkohlenperiode zurück gilt, denn rückwärts in den devonischen, silurischen, cambrischen und lauren- tischen Schichten verschwinden von den oben genannten Haupt- typen gerade wieder die höheren, so kennt man aus den drei untersten Schichten von Pflanzen nur Algen und in der unter- sten nur einen Protoplasten, das Eozoon canadense. »Unvoll- ständigkeit des paläontologischen Berichts!« wird Wigand ` sagen wollen, nur schade, dass er pag. 289 und folgende diese Antwort, wenn sie aus dem Munde eines Transmutisten kommt, in den stärksten Ausdrücken als eine nichtswürdige Ausflucht brandmarkt, wodurch er sich in der eigenen Schlinge fängt. Er behauptet nun aber, für die Selektionslehre sei auch dieser beschränkte Fortschritt unerklärbar, »da .die Voraus- »setzung, dass eine grössere Spezialisirung der Organisation »dem Individuum einen Vortheil gewähre, wie wir früher gezeigt »haben, unrichtig ist.« Da ich meinerseits pag. 86 diese Be- hauptung ‚als irrig gekennzeichnet habe, so ist alles, was Wigand daran auf pag. 286 knüpft, hinfällig. Dagegen muss über die von Darwin hieher gezogene bekannte Verdrängung der neuseeländischen Organismen durch die grossbritannischen 904 Geschichte von Reich, Art und Individuum. gesagt werden, dass diese Thatsache nur zum geringsten Theil hieher gehört. Ich habe in meinen »Skizzen aus dem Thier- ‚garten« pag. 361—368 nachgewiesen, dass die Hauptursache ‘in der eonstitutionellen Differenz zwischen Thieren aus oceani- schem und solchen aus continentalem Klima zu suchen ist. Pag. 286 frägt Wigand: »Wie ist ferner die Thatsache, »dass das organische Leben in den untersten fossilführenden »Schichten plötzlich in ganzen Gruppen verwandter Arten auf- »tritt, mit der Annahme gemeinschaftlicher Abstammung und »allmähliger Entwicklung des organischen Reiches im Sinne der »Transmutationstheorie in Einklang zu bringen?« »Dasselbe gilt »von dem Umstand, dass auch in den späteren Formationen »eine Gattung oder Familie sogleich in ihrer ganzen Fülle mit »einer grossen Anzahl von Arten erscheint.« Endlich gehört hierher der pag. 287 gemachte Einwurf, dass es mehrere Gat- tungen gibt, die eine oder einige Formationen überspringen. Schon in meinen »zoologischen Briefen« habe ich pag. 40 ff. auf das Ein- wanderungsphänomen hingewiesen und Darwin thut dasselbe. Wigand nennt diess eine »willkürliche Annahme,«.ich will aber hier darthun, dass diese Annahme nicht willkürlich ist. In mehreren Publikationen *) habe ich auf die wichtige Rolle hingewiesen, welche die Polargegenden in der Geschichte der Thierwelt spielen, es ist aber hier der passende Ort darüber im Zusammenhang zu sprechen. Allen Geologen zufolge war die Erde einst feuerflüssig und lebende Wesen konnten mithin erst auftreten, als sie einen bestimmten Abkühlungsgrad erreicht hatte. Obwohl ohne Zweifel zu jener Zeit die Wärmeunter- schiede zwischen Polar- und Aequatorialgegenden geringer waren als heutzutage, so liegt doch lediglich kein Grund vor, ihre Exi- stenz ganz zu läugnen. Mithin musste der nothwendige Ab- *) Der Nordpol ein thiergeographisches Centrum. »Ausland« 1865. pag. 865. — »Skizzen aus dem Thiergarten,« mehrere Stellen. — Die Salamander, »Ausland« 1867. pag. 121. — Die Polflüchtigkeit des Landes. Abendblatt der »Neuen freien Presse.« 1869. — Die Arctis ibidem. 18. Nov. 1869. — Jaeger und Bessels, Die geographische Verbreitung der Hirsche, Petermann, Geograph- Mittheilungen. 1870 — Deutschlands Thierwelt. pag. 17 u. ff. `a Geschichte von Reich, Art und Individuum. 205 kühlungsgrad zuerst in den Polargegenden einge- treten sein. Diess zwingt uns zur Annahme, dass die ersten Organismen in den polaren Meeren entstanden und erst von hier in die gemässigten und dann in die äquatorialen Zonen und zwar entschieden massenhaft vorgedrungen sind. Dieser Prozess muss sich der Natur der Sache nach mehrfach wieder- holt haben und zwar von beiden Polen aus; namentlich lassen sich zwei ganz bestimmte Fälle anführen. » Meine Theorie von der PolflüchtigkeitdesLandes und die darauf fussende arctische Hypothese, *) die neuerdings durch die Auffindung so grosser Landmassen am Nordpol eine glänzende Bestätigung fand. und die ich nächstens in einer weiteren Arbeit noch ausführlicher behandeln werde, führt in letzter Consequenz zu der Annahme, dass die älteste Terra firma ein Nordpolarland (Arctis) und ein Südpolarland (Antaretis) war, und dass die südlich davon gelegenen Länder erst von ihnen aus gebildet wurden. Die weitere Consequenz ist, dass die ersten Landthierfaunen Polarfaunen waren und die übrige Terra firma von dort aus durch Einwanderung bevölkert wurde. Speziell gilt diess von den sogenannten Kleiderthiere n, wie ich Vögel und Säugethiere zusammenfassend nenne. Schon in meinen »Skizzen aus dem Thiergarten« habe ich pag. 318 gesagt: »Vögel und Säugethiere mögen entstanden sein, als es »Mutter Erde in ihre beiden Pole zu frieren begann.« Da ich dort die Sache ausführlicher begründet habe, so begnüge ich mich mit folgendem: Wenn die Kleiderthiere zuerst in den beiden Polarfaunen erschienen, so sind alle Kleiderthiere der übrigen Erdstriche die Descendenten von arktischen und ant- arktischen Einwanderern. Diese Theorie ist für die Fauna und Flora der Miocenzeit und der Eiszeit Europas zum mindesten für die letztere so gut wie vollständig bewiesen. — Das möge genügen, um die Wigand’sche Behauptung »solche Wande- >rungen seien eine willkürliche Annahmes gründlich zurück- *) Die Polflüchtigkeit des Landes. Neue freie Presse. 1869. — Die. Arctis ibid. 18. Nov. 1869. — aite utis 2 Ahea DEEA im A n A E ja hidga ei Dee me $ gar ERREGER Ur co RER 1 u ái PETET ei ai jz BR E wen TEE a ae aa nenne a nun a eoe 206 Geschichte von Reich, Art und Individuum. zuweisen. Ich erlaube mir nur noch auf die in meinem Buch »Deutschlands Thierwelt« pag. 23 geschilderte, nacheiszeitliche, massenhafte Einwanderung aus Nordasien nach Europa, über die mein Freund Dr. Hofmann auf meine Veranlassung hin spezielle Studien machte, *) hinzuweisen. Solche Untersuchungen liegen allerdings den Constanzianern gänzlich fern und die Wuth, in welche die Hofmann ’sche Schrift die Constanzianer in der belgischen Société entomologique **) versetzte, ist geradezu erhei- ternd, eine Widerlegung ihrer -Tiraden werden jedoch die Herren Breyer und Borre schwerlich erwarten. Ist diese meine Theorie richtig, so liegen- unter dem Eise der Polarländer die wichtigsten Geheimnisse der Stammes- geschichte verborgen und damit ist — allerdings leider negativ — sehr vieles erklärt, namentlich das von Wigand mit mög- lichst viel Aplomb vorgetragene Fehlen so vieler Stamm- und Zwischenformen, z. B. der Zwischenformen zwischen den Säuge- thieren und Anamnioten. . Wigands Tiraden auf pag. 288 und ff. stelle ich nur den Ausspruch entgegen: »Wir Trans mutisten können warten.« Das können wir aus zwei Gründen, 1) weil schon recht viele Zwischenformen und Stammformen gefunden sind, z. B. bei den Hufthieren, dann die so lange fehlenden Stammformen zwischen Vögeln und Reptilien, und weil fortwährend neue gefunden werden. 2) Können wir Trans- mutisten: warten, weil aller junge zoologische Nachwuchs auf unsere Seite tritt und somit die alte Garde der Constanziane! innerhalb der Fachgenossenschaft auf den Aussterbeetat gesetzt ist; damit ist der Sieg der Transmutisten entschieden, trotzdem dass von Seite der Vertreter der menschlichen Anatomie und Physiologie, der Philosophie und Theologie die Constanziane! immer ausgiebigere Unterstützung erhalten und die prononeirten Transmutisten von ihnen förmlich in Acht und Bann erklärt werden. *) E: Hofmann, Isoporien der europäischen Tagfalter. Jahreshefte deS ~württembergischen Vereins für Naturkunde. 1873. ers **) Compte rendu de la Société entomolog. de Belgique 1874. Nro. 97 und 98. Geschichte von Reich, Art und Individuum. 907 2) Das Fehlen der Stamm- und Mittelformen in der Jetztwelt, Dieser Passus von pag. 293—296 ist eine fortgesetzte nichtswürdige Behauptung, die nur auf Laien niedrigster Sorte . berechnet sein kann. Jeder Zoologe und jeder Botaniker -hat hundertemal diese oder jene Spezies als »Mittelform« zwischen zwei andere Spezies, oder als »Uebergang« von einer Gattung zur andern, oder eine Gattung als »Uebergangsgattung« zwischen zwei Gattungen bezeichnet. Ich müsste das ganze System her- zählen, um zu zeigen, wie viel tausende und aber tausende von Arten mit Bezug auf zwei andere nicht bloss »Mittelformen« sind, sondern als solche von ganz vorurtheilslosen Forschern benannt wurden. Allerdings zeigt sich nirgends schärfer der Unterschied zwischen der Oberflächlichkeit der Constanzianer und der Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit der Transmutisten. Während, den ersteren jede beliebige Uebereinstimmung einer Art mit zwei andern genügt, um von »Mittelform« zu sprechen, ist für den Transmutisten, der das Wort »Verwandtschaft« Nicht platonisch, sondern ernst nimmt, die Frage, ob hier eine »wahre Mittelform«, d. h. eine »Stammform« vorliege, Gegen- stand der umfassendsten Erwägung und wenn irgend ein an nichts denkender Constanzianer irgend eine Art eine Mittelform genannt hat, so erkennt sie der Transmutist darum noch nicht als »Stammform« an. Um das zu sein, muss die Charakter- gemeinschaft, sowohl als die Gharakterdifferenz ganz bestimmte, pag. 179 im allgemeinen gekennzeichnete Eigenschaften haben, Dass Wigand keine Stammformen »anerkennt«, braucht er uns nicht erst zu sagen, da deren Läugnung eine einfache Con- Sequenz seines Prinzips ist; wenn er aber sagt, dass in der Jetztwelt die Mittel- und Uebergangsformen fehlen, dann. läugnet er das ganze, der Hauptsache nach von seinen eigenen Gesin- Nungsgenossen construirte systematische Gebäude, und läugnet die wissenschaftliche Berechtigung eines Terminus technicus, der gebraucht wird, seit es eine wissenschaftlich betriebene > ‚ Naturgeschichte gibt. | S en, , 2 a a0 Sale gg \ o i ~ - un Nass j anaa aa ea Daan n Me. > A 5 = pesans oraraa Ve my — 7 = vi s Ea AE T a EEE S EEE ie | \ í FB 3% b 5 Im 5 aS. a E | j A t f b; a gii t FE R I | m: 2a! IE 1 p A. fi f j IE bj p p #2 T = R2 ai > 3 | | E: g IE pa 208 Geschichte von Reich, Art und Individuum. Eine Bemerkung muss ich jedoch hieran knüpfen. Der Darwinismus hat bisher nur bei den höher geschulten wissen schaftlichen Zoologen, d. h. solchen, welche zugleich Embryologen, vergleichende Anatomen und Physiologen sind, Wurzel gefasst, und so kommt es, dass die meisten systematischen Arbeiten, in welchen die Darwin’sche Lehre zur Anwendung kam, eben nur die bisher unerledigten Verwandtschaftsbeziehungen grosser Gruppen, z. B. Vögel und Reptilien, der verschiedenen Insekten und Crustaceenordnungen, der vier Cuvier’schen Typen ett- behandeln. Sobald aber einmal auch den nur auf speziellen Gebieten thätigen beschreibenden Zoologen, also den Ornithologen; Coleopterologen, Lepidopterologen, CGonchyliologen, Ichthyologen; Herpetologen etc. das nöthige Licht aufgeht, dann werden wir erst sehen, welch ungeahnte Massen von »wahren Mittelformen®; d. h. Stammformen, die Jetztwelt noch birgt. So habe ich mich z. B. bei einem flüchtigen Umsehen unter den Tagraubvögeln (veranlasst durch “einen meiner Freunde, der mich um ein Thema zu einer Dissertation bat) überzeugt, dass unter ihnen eine ganze Reihe von Arten ist, die allen Erfordernissen eine! Stammform vollständig entsprechen. Natürlich ein Constanzianer; dessen Dogma lautet (pag. 995), »dass der Natur der Sache »gemäss überhaupt keine Stammformen als perfecte Organismen »haben existiren können« (wie grundlos dieses Dogma ist, wurde pag. 179 gezeigt), der wird dieselben weder in der Jetzt- welt noch in der Vorwelt suchen und Leuten, die nicht mit grösserem Wissen und Scharfsinn ausgestattet sind als Wigand, würde es auch gar nicht möglich sein, sie zu finden. Zum Schluss noch eins! Pag. 295 sagt Wigand: „Mit »Ausnahme einiger weiter unten zu erwähnenden Versuche „wagt man es nicht, eine jetzt lebende Spezies als die gemein” »same Stammform zweier anderen jetzt lebenden Spezies, Gat- stungen u. s. w. aufzustellen. Vielmehr nimmt man fast allge- »mein mit Darwin an, dass sämmtliche Stammformen (>die ‚verholzten Aeste des Stammbaums«) erloschen seien und der »Vorwelt angehören. Aber wie wunderbar, dass die Zeit der »Typenspaltung wieder gerade so fallen muss, dass die Mensch“ Geschichte von Reich, Art und Individuum. 909 »heit auch nicht einmal die Spuren derselben. wahrnehmen »kann!« Erstens ist es einfach, wie ich oben Bee, nicht Fe, dass sämmtliche Stammformen erloschen sind, sie sausen zu tausenden unter uns und nur die, welche ein Vorurtheil blind macht, sehen sie nicht. Fürs zweite: dass bis jetzt nur erst wenige bestimmte lebende Thierarten als Stammformen von den Transmutisten in litteris angesprochen wurden, z. B. Amphioxus, die Perennibran- chiaten etc. erklärt sich einfach daraus, dass die in Sachen der Transmutationslehre literarisch thätigen Forscher, wie ich oben sagte, bisher nur nach den Stammformen grosser systematischer Abtheilungen gesucht haben. Diese müssen der Natur der Sache nach in der Jetztwelt sehr rar sein und zwar aus einem sehr einfachen Grunde. Binden wir uns an die Stammform- scala des Menschen pag. 202: der gemeinschaftliche Stammvater der Anthropoiden, der Protanthropoid, ist begreiflich älteren Datums als der gemeinschaftliche Stammvater der Menschen, der Protohomo; der Protocatarhine älteren Datums als- der Protanthropoid, der Protosimiade älter als der Protocatarhine etc. oder allgemein gesagt: der Stammvater der Gattung ist älter als der zweier Arten, der der Familie älter. als ‚der Gattung etc. oder noch allgemeiner: Je höher die Rangordnung einer syste- matischen Gruppe, um so älteren Datums ist ihr gemeinschaft- licher Stammvater. Nun ist ganz begreiflich: je älteren Datums eine Stammform ist, um so unwahrscheinlicher ist, dass sie heute noch als solche, d: m unverändert fortexistirt. Also so lange wir nur nach den Stammvätern höherer Ordnung in der Jetztwelt suchen und zwar in Gestalt einer bestimmten Spezies, ist die Wahrscheinlichkeit, sie zu finden, unendlich viel geringer, als wenn wir nach den Stammvätern niederer Ordnung forschen, letztere werden sich uns auf Schritt und Tritt darbieten. Weiter: So lange sich unser Blick für das Erkennen der Stammformen nicht an den leichter und bestimmter erkennbaren und in Menge vorhandenen Stammformen niedersten Ranges geschärft hat, und so lange wir nicht in den Stammformen niederen Ranges die Verbindungsglieder mit den Stammformen höheren Ranges 14 Jaeger, In Sachen Darwin’s. ER en a 210 Geschichte von Reich, Art und Individuum. gefunden haben, wird unserem Suchen nach den letzteren grosse Unsicherheit anhaften. 3) Der embryologische Beweis. Diesen Unterabschnitt will ich mit einem für Wi gand im allgemeinen, insbesondere aber für seine Behandlung der vorliegenden Frage charakteristischen Passus auf pag. "305 eröffnen: »Wenn der Embryozustand in der Weise als die Enthül- »lung der Stammform aufgefasst wird, dass man nach Darwin »aus dem wolligen Haar des menschlichen Fötus auf einen »behaarten Stammvater des Menschengeschlechts schliessen darf, »so müsste man mit gleichem Recht auch annehmen, dass dieser »Stammvater zahnlos gewesen sei und sich während des ganzen »Lebens als Säugling von Muttermilch ernährt habe. Ja con- »sequent müsste nach diesem Prinzip der Urerzeuger während »seines ganzen Lebens auch im geschlechtsreifen Zustand, wie »ein Embryo, im Uterus seiner Mutter gelebt und sich daselbst »fortgepflanzt haben, um erst dann frei zu werden, wenn die »Mutter stirbt. Die Absurdität dieser Perspektive mögen die- »jenigen verantworten, welche das Prinzip und die Methode, »die in einfacher Gonsequenz zu diesem Absurdum führt, auf- »gestellt haben.« Hiezu möchte ich ein Gleichniss machen: Ein Drechsler stellt einen ungeschickten Menschen an seine Drechselbank, gibt ihm die nöthige Anleitung und die erforderlichen Werkzeuge und fordert ihn auf, einem Stück Holz eine bestimmte Form zu geben. Der Lehrling dreht, schnitzelt, bringt schliesslich eine Missgeburt, ein Absurdum heraus und macht nun die Werkzeuge für den Unsinn verantwortlich, statt seine Unge- schicklichkeit. So ein Mensch soll nicht Drechsler sein wollen! Oder ein anderes Beispiel: Man stelle einen alten Mann mit zittrigen Händen und schwachen Augen an 'das Mikroscop mit der Aufforderung, ein Präparat zu machen: trotz aller Anleitung bringt er nichts zusammen als ein — Patzen! Geschichte von Reich, Art und Individuum. 911 Weiter bemerke ich: Es ist mir aus Mangel an Raum nicht möglich, auf alle in diesem Abschnitt enthaltenen Miss- verständnisse, Sophistereien, falschen Behauptungen, falschen Schlüssen ete. einzugehen, da sie hier hageldicht fallen. Ich will desshalb nur einige herausziehen. | Die Thatsachen, um die es sich handelt, bestehen darin, dass die Entwicklungsstufen des Individuums eine ähnliche Auf- einanderfolge zeigen, wie die verschiedenen Organisationsstufen, welche nach der Transmutationslehre die Descendenz eines nie- deren Organismus durchlaufen musste, um auf eine höhere Or- ganisationsstufe zu gelangen. Die Transmutationslehre bringt diese beiden Thatsachen in der Weise in Verbindung, dass sie sagt: bei dem Fortschritt einer niedern Form in eine höhere wird der Dauerzustand der niederen zu einem vorübergehenden Entwicklungszustand der höheren in der Weise degradirt, wie ich es pag. 173 geschildert habe, und so ist schliesslich die Entwicklungsgeschichte eine abgekürzte Wiederholung der Stamm- baumgeschichte. Das erste, was ich gegen Wigand vorbringe, ist, dass er die zwei Prinzipien, auf die sich Darwin stützt, theils fälscht, theils falsch versteht. Das erste Prinzip Darwins heisst (Dar- win pag. 520): »Dass unbedeutende Abänderungen allgemein »zu einer nicht sehr frühen Lebensperiode eintreten.« Hiefür setzt Wigand pag. 297: »Dass jede der vielen nach einander »folgenden Modifikationen, wodurch eine Art ihre gegenwärtige »Bildung erlangt habe, in einer nicht sehr frühen Lebenszeit »eingetreten sei.« Das ist ganz zweierlei: Darwin meint jene unbedeutenden Abänderungen, die er- »individuelle Variationen« nennt und für den Ausgangspunkt der Artbildung hält, während Wigands Satz diess von allen, also auch den consecutiven Modifi- kationen und jenen aussagt, die erst nachträglich an den Juvenil-, Fötal- und Embryonalcharakteren vor sich gehen. In diesem Sinne wäre der Darwin’sche Satz ein Unsinn. Bleiben wir zunächst bei diesem ersten Prinzip. Wigand heisst es »eine rein aus der Luft gegriffene Voraussetzung.« Das ist schon desshalb eine schamlose Behauptung, weil Wigand durch die a aM >: > 3 ‘Bi | è f |; Ei 4 3 4 j c W a h 1 q 1 f: l 2 I f $ 1E ji | i i k. 1 | a u 4 | N N g i tE | 2192 Geschichte von Reich, Art und Individuum. Anerkennung des Satzes, dass junge Thiere ähnlicher sind, als erwachsene, die Fötus ähnlicher, als die Jungen, und die Em- bryonen ähnlicher, als die Fötus, den Darwin’schen Satz im- plicite auch anerkannt hat. Weiter aber wird jeder, der sich mit dem genaueren Studium der individuellen Variation befasst hat, sich überzeugen, dass weitaus die meisten individuellen _ Abweichungen, wie sie z. B. unter den Geschwistern von Säuge“ thieren oder Vögeln auftreten, postfötal sind, und dass die indi- viduellen Differenzen im erwachsenen Alter stärker sind, als im jugendlichen. Mithin ist obiger Satz Darwins ein Erfah- rungsatz und keine aus der Luft gegriffene Voraussetzung: Einen Fehler enthält derselbe allerdings in dem Wörtchen yall- gemein ;« denn Darwin gibt selber zu, dass es Fälle gibt, in denen die richtunggebenden Veränderungen auch. sehr früh- zeitig - eintreten. Wenn aber Wigand diese nach dem Satz »nulla regula sine exceptione« durchaus voraussetzbare Einräu- mung dazu benützt, zu sagen: »die »Prinzipien« sind also nicht »einmal empirische Regeln von irgend welcher Ausdehnung,« 50 ist das nur wieder charakteristisch für seine methodologische Verschrobenheit, die von jedem Prinzip verlangt, dass es »sine exceptione« sei, und für seine Unkenntniss der Naturvorgänge; denn das Charakteristische der letzteren ist eben, dass keiner unter allen Umständen regelmässig eintritt, sondern dass es selbst für den regelmässigsten Naturvorgang Umstände gibt, unter denen er nicht eintritt, was davon herrührt, dass kein Naturvorgang durch eine einzige Ursache bedingt, ist, sondern durch einen sehr verwickelten Ursachencomplex. Weiter sagt Wigand pag. 299: »die beiden Prinzipien »werden schon dadurch hinfällig, dass dieselben von der Vor- »stellung ausgehen, als seien die im Stammvater angenommenen '»Variationen plötzliche und in bestimmtem Lebensstadium dem. »Örganismus gleichsam von aussen eingeprägte Veränderungen; »während doch die Variation nach Darwins Ansicht bei der »Zeugung erfolgt, also der Anlage nach im Individuum von »Anfang an vorhanden ist, der Natur der Sache nach aber erst »in einem gewissen Stadium der Ausbildung, namentlich, wenn Ceschichte von Reich, Art und Individuum. 913 »die betreffenden Organe auftreten, zur Erscheinung kommt.« Es ist durchaus nicht einzusehen, wieso obiger Satz Dar wi ns von der genannten Voraussetzung ausgehen sol. Darwins Satz ist eine einfache Formulirung der Thatsache, dass die mit dem Terminus »individuelle Variation« belegten morphologischen Differenzen in einem relativ nicht frühen Lebensalter auftreten. Ueber ihre Ursachen, ob diese bei der Zeugung schon thätig waren oder erst später, oder im Moment des Auftretens der morphologischen Differenz enthält der Satz gar nichts und braucht nichts zu enthalten. Letzeres wäre schon darum gänzlich verfehlt, weil der Satz allgemein gehalten sein, d. h. für die a Charaktere so gut gelten muss, wie sie für später erworbe- nen. Eine grosse Zahl von individuellen Differenzen werden ja thatsächlich erst längst nach der Geburt durch Gebrauchs- wirkung erworben, z. B. alle die bekannten Proportionalitäts- differenzen, Schwielenbildungen etc., wodurch sich beim Menschen die verschiedenen Berufsklassen, Schneider, Schuster, Schmiede, | Tischler, Schulmeister, Gelehrte, Soldaten etc.: von einander unterscheiden. l Gehen wir zum zweiten Prinzip Darwins. Dasselbe heisst (Darwins Abstammung pag. 520): »dass unbedeutende >Abänderungen zu einer entsprechenden nicht frühen Periode »vererbt werden,« d.h. im correspondirenden Lebens- alter. Daraus macht Wigand im gleichen Lebensalter. Das ist wieder nicht das gleiche, was Wigand daran hätte merken können, dass man mit seinem Satze zu solch haar- sträubendem Unsinn kommt, wie ihn Wigands Passus pag. 304 enthält. © >»Wenmn es wahr wäre, dass die Charaktere in demselben »Lebensalter vererbt werden, in welchem sie von den Vorfahren »erworben worden sind, so müsste diess auch von den embryo- »nalen Charakteren gelten, d. h. die Zähne der Wal-Embryonen »und die im Oberkiefer des ungeborenen Kalbes verborgenen »Schneidezähne müssten von den Vorfahren ebenfalls im Em- »bryonalzustande erworben worden sein. Wie kann denn aber »hier, wo aus Söhne dem Embryo gar keinen Vortheil gewähren, EN EEE i m; nn ge u ——— manna An ern in ange nen EEE aan nn en mn . 914 Geschichte von Reich, Art und Individuum. / Di »die natürliche Zuchtwahl gewirkt haben? Wenn man hierauf »erwiedert, diese Zähne seien ein Erbtheil von einem Urerzeuger, „welcher dieselben im reifen Alter erworben und gebraucht habe, »so wird ja damit gerade das Prinzip der gleichzeitlichen Ver- »erbung geläugnet, indem hiernach jene Zahmbildung gerade »nicht auf ein früheres embryonales, sondern auf das reife »Lebensstadium hätte vererbt werden müssen.« Weiter: » Wäre »ferner die individuelle Entwicklung wirklich nichts als die Re- »kapitulation der in der Geschichte der Art successive durch »natürliche Zuchtwahl erworbenen Eigenschaften, so muss sich »dieses auch auf den Abschluss der individuellen Existenz »erstrecken, die als nothwendige Wirkung innerer Ursachen, sei »es in Folge der Fruktifikation bei monokarpischen Pflanzen »oder als nothwendiger Abschluss einer Periode der Remission »der Lebensthätigkeit erfolgt. Wenn daher das Remissions- »stadium ebenso ‘wie die übrigen Entwicklungsstadien erst im »Laufe der Geschichte der Art erworben worden ist, so muss »auch der durch die Remission bedingte Tod vor dieser Zeit der »Erwerbung nicht existirt haben, die Individuen müssen, abge- »sehen von Krankheit und Zerstörung, unsterblich gewesen sein.« In der That ein unsterblicher Unsinn! Wigand erinnert, wenn er darthun will, dass ein Darwin’sches Prinzip oder Gesetz zur Erklärung nichts taugt, hier und an anderen Orten an ein Kind, dem man zum ersten Male ein Messer in die Hand gibt: Es schneidet. zuerst mit dem Rücken der Klinge, dann mit dem Vordertheil des Heftes, dann mit dem Hintertheil des Heftes, und weil es in allen diesen drei Fällen nicht schneidet, so wirft es das Messer als unbrauchbar weg. Unter Vererbung im correspondirenden Lebensalter versteht der Transmutist, dass das Auftreten der Charaktere in den Nachkommen dieselbe Aufeinanderfolge einhalte, wie in den Vor- fahren, womit aber nicht gesagt ist, dass ein bestimmter Cha- rakter. im gleichen Lebensjahre, Monate oder Tage auftrete, wie beim Vorfahren, diess wäre schon Angesichts der gewöhnlichen Entwicklungsphänomene sinnlos: z.B. der Eintritt der Menstruation ist entschieden ein Signal eines ganz bestimmten Reifestadium, s Geschichte von Reich, Art und Individuum. 915 das Kennzeichen einer »correspondirenden Entwicklungsstufe< und doch schwankt ihr Eintritt individuell zwischen dem achten und zwanzigsten Lebensjahre; dasselbe gilt vom Auftreten der Bart- und Schamhaare, der Epiphysenverknöcherung, des Brechens der Stimme, der Involution, des Zahnwechsels ete. etc. Der Fall mit den Embryonalzähnen der Wale und Wider- käuer ist insofern ganz falsch behandelt: dieselben treten heute noch genau in demselben Lebensalter auf, wie bei dem zahntragenden Urerzeuger, d. h. im Fötalzustand, denn bei allen Säugethieren sind die Zähne schon im Zahn- fleisch des Fötus zu finden. Der Unterschied ist nur der, dass sie bei den letztern sich fortentwickeln und schliesslich durch- brechen, bei den Walen und Widerkäuern wieder verschwinden. Es gibt vier Thatsachenreihen: den stufenweisen Organisa- tionsfortschritt in der individuellen Entwicklungsgeschichte, den gleichen Fortschritt in der Organisationshöhe der zeitlich aufein- anderfolgenden Arten, den uns die Paläontologie zeigt, die schichtweise Uebereinanderlagerung von Organisationsstufen, welche durch die jetztlebenden Thierformen repräsentirt wird, endlich die Parallelität des individuellen Entwicklungsgangs zwischen Thieren, die wir auch aus anderen systematischen Gründen in Zusammenhang zu bringen uns veranlasst sahen. — Dass die Darwin’sche Theorie alle diese vier Thatsachen- reihen unter einen Hut gebracht hat, kann Wigand nicht läugnen, “macht auch gar keinen Versuch dazu, sondern sagt pag. 301: i i Eu. »Man mag der Hypothese einen noch so weiten Spielraum »zugestehen, — wenn aber, wie hier, in der ganzen Deduktion »keine andere Thatsache ausser der zu erklärenden Thatsache »selbst zu Grunde gelegt wird, wenn, um eine Thatsache zu »erklären, vier Hypothesen erfunden werden, so dass die ganze »Erklärung rein in der Luft schwebt, so wird hiemit denn doch daş Mass alles dessen, was erlaubt oder jemals dagewesen ist, überschritten.< Hiegegen ist zu sagen 1) handelt es sich in der vorliegenden Frage gar nicht um eine einzige Thatsache, sondern um das 216 Geschichte von Reich, Art und Individuum. Uebereinstimmende von vier umfangreichen Thatsachenreihen, und wenn jemand eine Hypothese findet, durch welche das er- klärt werden kann, so braucht er an sich dazu gar keine ander- weitigen Thatsachen herbeizubringen, die Hypothese, und selbst wenn es deren vier wären, ist ausgiebig fundamentirt. 2) Ist es einfach nicht wahr, dass der Deduktion keine anderen That- sachen zu Grunde liegen, als die, welche erklärt werden sollen. Ich habe oben gezeigt, dass die zwei »Prinzipien Darwins« (die Wigand jetzt Hypothesen nennt) Erfahrungssätze sind, denen eine grosse Reihe von Thatsachen anderer Art als die obigen zu Grunde liegen. Wigand fährt fort: »ein solches Verfahren scheint selbst »den blindesten Anhängern zu stark gewesen zu sein, denn die- »selben umgehen die Beweisführung des Meisters und ziehen vor, »das Dogma von der Entwicklung des Individuums als Rekapitu- | »lation von der Geschichte der Art ohne Weiteres an die Spitze »des »Embryonalbeweises« zu stellen und damit freilich dem letz- »teren erst recht das unverkennbare Gepräge der Unwissenschaft- »lichkeit aufzudrücken.« Mit solehen Rabulistereien lassen sich doch höchstens Grün- linge fangen; denn, wenn eine Theorie mehrere von einander zunächst unabhängige Thatsachenreihen erklärt, so kann jede derselben als Beweis für die Theorie fungiren und man kann ebensogut von der Thatsachenreihe A durch die Theorie hindurch auf die Thatsachenreihe B schliessen, als umgekehrt, oder A ebensogut als Beweis für B, als B für A ins Feld führen. Pag. 301 steht: »Bei der Entwicklung ohne Metamorphose »hilft sich Darwin zunächst durch einfache Umkehrung »seiner Prinzipien. Aus diesen entgegengesetzten »Prin- »zipien« werden nun diejenigen Fälle erklärt, wo das Junge nicht „wesentlich vom Alten verschieden ist. Das nennt man »Prin- »zipien,« welche für jeden einzelnen Fall ersonnen und im andern »Fall nach Bedürfniss ins Gegentheil gekehrt werden!« Hier hat Wigand recht: Darwin hätte seine Sätze nicht »Prinzipien« heissen sollen, sondern »Regeln« oder »Erfahrungs- sätze,« das ist aber nur eine formale Ungenauigkeit, ein weiterer - Geschichte von Reich, Art und Individuum. 917 Vorwurf trifft Darwin nicht: Es gibt keine Thatsachenreihe in der Natur, welcher nicht eine andere Thatsachenreihe ge- genüber stände, die man gewissermassen das umgekehrte der . erstern nennen könnte: z. B. warm und kalt, gross und klein, rückschreitende Entwicklung, fortschreitende Entwicklung, gesund und krank, farblos und gefärbt, dick und dünn, kurz und lang, mit Metamorphose, ohne Metamorphose, behaart und nackt, früh sich verändernd und spät sich verändernd, variabel und constant ete. ete. Wenn nun ein Naturforscher einzelne Fälle untersucht, und den einen in diese, den andern in die entgegen- gesetzte Reihe stellt, wie kann man da von einer Umkehr der Prinzipien sprechen! Ueber das, was Wi gand von pag. 301 ab über die Rolle, welche die Transmutisten die Metamorphose spielen lassen, sagt, will ich mich kurz fassen. Es muss Fälle geben, in denen die Ahnen eine Metamorphose hatten und die Nachkommen sie 'einbüssten, es muss aber auch gerade das Umgekehrte eintreten können, d. h. dass Formen, deren Ahnen sich ohne Metamor-. phose entwickelten, sich allmählich eine erwarben. Letzteres einfach desshalb, weil bei Thieren , die in sehr unentwickeltem Zustand geboren, mithin dem Kampf ums Dasein überantwortet werden, letzterer auch einzelne Entwicklungsstadien abändernd zu beeinflussen vermag. Es ist also leeres Stroh gedroschen, prinzipiell entscheiden zu wollen, ob die Metamorphose primär oder sekundär auftritt, darüber kann nur im einzelnen Fall _ gestritten werden. Wenn aber Wigand daraus, dass man durch die Descendenzlehre vor eine solche Alternative gestellt wird, die Unrichtigkeit der erstern ableiten will, dann — ich wiederhole es — versteht er von natürlichen Dingen nichts. Eine sonderbare Behauptung enthält der Passus auf pag. 308: | »Unter organischer Entwicklung versteht man die Reihe der »Veränderungen während des individuellen Daseins in dem Sinne, »dass jeder vorhergehende Zustand unter der Voraussetzung »der äusseren Bedingungen die bestimmende und ausreichende »Ursache für das nächstfolgende Stadium darbietet. Vererbt »wird nicht die Eigenschaft, dass zu einer gewissen Zeit eine I u ee Er Te ER > nn EEE a D y u a N a ern eaa en Fe 918 Geschichte von Reich, Art und Individuum. »Entwicklungsphase eintritt, bloss desshalb, weil der Erzeuger »dieselbe erlebt hatte, sondern vererbt wird die Eigenschaft des »Keimes, vermöge deren eine jede folgende Entwicklungsphase »als nothwendige Wirkung aus der vorhergehenden resultirt. »Nach Darwin ist die Entwicklung nichts anderes, als die »Wiederholung von Veränderungen, welche an der Stammform »zufällig zu einer ‚gewissen Zeit aufgetreten waren. So wird »also das wichtigste Prinzip der Natur, die Causalität, dieses »Gesetz der organischen Einheit, von Darwin auf die prägnan- »teste Weise verläugnet.« | Entweder versteht Wigand die Darwin’sche Lehre nicht, oder er sucht seinen Lesern Sand in die Augen zu streuen. Wo in der Welt läugnen die Transmutisten die CGausalitäts- beziehungen zwischen den einzelnen Entwicklungszuständen des Individuums und wo wird geläugnet, dass der Entwicklungsgang die Folge einer bestimmten Eigenschaft des Keimes sei? Unter Vererbung kann doch niemand an etwas anderes denken, als an bestimmte Eigenschaften des Keimes, deren Consequenz ein bestimmter Entwicklungsgang ist. Hat ja doch Wigand selbst pag. 299 anerkannt, dass nach Darwins Ansicht die Variation bei der Zeugung, d. h. der Keimbildung erfolgt. Was die Darwin’sche Lehre behauptet, ist nur, dass der Urheber dieser Eigenschaft des Keimes die Beschaffenheit des Erzeugers desselben ist: Ein Keim, der sich zu einem Kiemenmolch entwickelt, er- hält diese Eigenschaft nur dadurch, dass er sich in einem solchen bildet, und bei der fortschreitenden Entwicklung zu einem kiemenlosen Tritonen handelt es sich um Folgendes: Wenn ein variirender Einfluss 1) zur Folge hat, dass ein solcher Kiemen- träger am Ende seiner Entwicklung seine Kiemen verliert, und 2) zur Folge hat, dass die Neigung hiezu auch auf den Keim übergeht (das versteht denn ja doch jeder Vernünftige unter dem Ausdruck »erblich werden«), dann hat eben der Keim jene von Wigand geforderte Eigenschaft, eine gewisse, mit innerer Nothwendigkeit bis zum kiemenlosen Zustand führende Ent- wicklungsbahn durchzumachen. Also Darwin läugnet nirgends den Causalzusammenhang der Entwicklung, dagegen thut das Geschichte von Reich, Art und Individuum. ` 919 Wigand in seiner Urzellentheorie, indem er behauptet, der Keim habe die Qualität zu einem Kiemenmolch erlangen können, ohne dass er in dem Körper eines Kiemenmolchs entstanden sei. Wigand läugnet also den wichtigsten Causalzusammen- hang, den zwischen Qualität des Erzeugers und Qualität des Keimes. Weiter wenn Darwin sagt, der Causalzusammenhang, der zwischen den Entwicklungsstufen des Individuums besteht, ist der gleiche, welcher `in der `Geschichte der Art die einzelnen Organisationsphasen der Stammyväterkette verbindet, so ist wieder er es, der die Gausalität wahrt, während die Con- stanzianer, die jede Art ursachenlos aus Nichts oder aus Primor- dialzellen entstehen lassen, den Causalzusammenhang zwischen Erzeuger und Produkt zerreissen. Und was will Wigand da- nit sagen: »kurz, die Lebensgeschichte des Individuums wird »von Darwin als die Abwicklung eines überkommenen Pro- »gramms dargestellt.« Allerdings! das überkommene Programm ‘ist jene von Wigand pag. 309 geforderte »Eigenschaft des »Keimes, vermöge deren eine jede folgende Entwicklungsphase »als nothwendige Wirkung aus der vorhergehenden resultirt,« eine Eigenschaft, die, wie Wigand pag. 310 zugibt, »allerdings _ »in ihren letzten Gründen ein Räthsel ist.« Pag. 311 wendet sich Wigand gegen die Behauptung, dass wir die Stammformen der höheren Typen in den niederen Formen derselben Gruppen zu erblicken haben und sagt pag. 313: »Man mag sagen, die Froschlarve sei ein fischähnlicher Zustand, »aber sie ist doch kein Fisch!« Das hat auch niemand gesagt, = sondern nur folgendes: wenn heute noch jeder Frosch, um zum Frosch zu werden, einen fischähnlichen Zustand durchlaufen _ musste, dann musste auch der Frosch als Art eine Geschichte durchlaufen, in welcher ein fischähnlicher Zustand vorkam, das ist ein Postulat des Causalitätsgesetzes. Natürlich wer läugnet, dass die Art überhaupt eine Geschichte gehabt hat, der sieht diese Nothwendigkeit nicht ein. | Pag. 315 sagt Wigand: »Wenn Uebereinstimmung der »früheren Entwicklungszustände auf gemeinsame Abstammung »hinweist, — dann sollte man statt des Larven- oder Embryo- 990 Geschichte von Reich, Art und Individuum. »zustands doch lieber gleich zum allerersten Anfang des Indivi- »duums, zur Primordialzelle, zurückgreifen.« Werthester Herr Wigand: »warum in die Ferne schweifen, »sieh das Gute liegt so nah!« und dann desshalb: Wenn uns Wigand einmal einen einzigen Fall vordemonstrirt, in wel- chem aus einer Primordialzelle, ohne Vermittlung von Dotter- furchung, Embryonal- und Fötalstufen, direkt wie Pallas Athene aus dem Haupt Jupiters, irgend eine fertige Thier- oder Pflanzen- art entspringt, dann wollen wir mit ihm jenen ungeheuren Phantasiesprung vom reifen Thier zur Primordialzelle, machen, so lange aber möge er uns mit seinen Phantasien vom Leibe bleiben. Als letzte Karte spielt Wigand pag. 316 die schiefen Deu- tungen Ungers und Kützings aus, als die Thatsache entdeckt wurde, dass die Algen, Moose etc. thierähnliche Schwärm- sporen haben. Allerdings hat man eine Zeitlang über die theoretischen Betrachtungen dieser Forscher gelächelt, aber heutzutage lacht man eben doch nicht mehr darüber, son- dern betrachtet derartige Entwicklungsgänge mit weit mehr Ernst, als früher, wo man solche Thatsachen, ohne sich weitere Gedanken zu machen, in den bekannten Schubladenkasten legte. Man hat auch lange über Okens Theorie, dass die höheren Thiere aus Infusorien zusammengesetzt seien, gelächelt, seit’ Be- gründung der Zellenlehre durch Schleiden und Schwann belächelt man sie nicht mehr. - 4) Ermittlung der Stammformen durch Vergleichung fertiger. Ueber diesen Passus kann ich mich kurz fassen. Es ist klar, dass Wigand, der die Prinzipien der Darwin’schen Lehre läugnet, auch deren Anwendung für die Lösung syste- matischer Fragen verwirft und bekrittelt. Neues bringt er aber nicht vor, als etwa folgende Behauptung pag. 319: »Während »der Systematiker (d. h. einer nach Wigands Herzen) nach »einer Entscheidung, welches von zwei Entwieklungsprinzipien Er Geschichte von Reich, Art und Individuum. ` 991 >in erste Linie zu stellen sei? sucht — wird von dem Theo- »retiker (d. h. dem Transmutisten) nicht nur die Prätension »gemacht, dieses mit Sicherheit zu wissen, sondern auch durch » Aufstellung einer theoretischen Erklärung, bevor noch die doch »allein durch den Systematiker zu beurtheilende Frage ent- »schieden ist, einer sachgemässen und vorurtheilsfreien Entschei- »dung vorgegriffen.« | | Hiegegen ist zu bemerken, dass noch zu keiner Zeit ernster und eifriger die Entscheidung systematischer Fragen diskutirt wurde, als seit dem Auftreten der Transmutationslehre. Durch wen ist denn z. B. die umfangreiche Erörterung der systematischen Stellung des Menschen hervorgerufen worden? Vielleicht durch die Constanzianer, die, so lange sie die Alleinherrschaft besassen, sich um diese Frage so wenig kümmerten, als um den Mann im Mond? Die Systematik ist erst durch die Transmutisten zum Range einer historischen Wissenschaft erhoben worden, in _ welcher heutzutage nur der mitzusprechen wagen darf, der über völlige Kenntniss der vergleichenden Anatomie, Physiologie, Embryologie und Paläontologie verfügt, während in den glück- lichen Tagen der Constanzianer jeder, dem einige äusserliche Kenntniss der Organismen zu Gebot stand, neue Systeme aus- heckte so, wie ein Schneider neue Moden erfindet. Allerdings änderte sich das schon vor Darwins Auftreten, als man ernst- licher nach dem natürlichen System suchte, allein der Todes- stoss wurde der planlosen Fabrikation künstlicher Systeme erst durch die Darwin’sche Lehre versetzt. Zugegeben: alle bis jetzt von den Transmutisten aufgestellten Stammbäume seien verfehlt, so ist doch jetzt der Systematik gegen früher ein klares Ziel gesteckt und eine Methode mit Hand und Fuss gegeben, und so dürfen wir mit Sicherheit erwarten, dass eine systematische Frage um die andere zu ihrer Lösung gelangen wird. | N an WB rn ar Be Seien. E hi. m Kr raa Die geographische Verbreitung. % Die geographische Verbreitung. Von dieser sagt Wigand pag. 331: »Hiernach ist anzu- verkennen, dass die Darwin’ sche Lehre durch die angeführten »Thatsachen eine Bestätigung findet — aber nur insofern, »als dieselbe gleich der »Schöpfungstheorie« von der Annahme »von Schöpfungscentren ausgeht — und insofern als »dieselbe gleich andern Descendenztheorien von der Annahme »ausgeht, dass jede geographisch geschlossene Gruppe eine »genealogische Einheit ist. Weiter aber reicht die Beweis- »kraft der Thatsachen nicht; von der Art und Weise, wie eine »Spezies an ihrem Schöpfungscentrum entstanden ist, sei es »durch Zuchtwahl oder anderswie, sagen alle diese Thatsachen »kein Wort.« | ž Was es mit den »anderen Descendenztheorien« für eine Bewandtniss hat, habe ich schon pag. 201 gezeigt — es gibt heute keine andere wissenschaftlich acceptirte, als die Dar win’- sche Descendenztheorie, und wenn je in der Folge eine auftaucht, so kann sie sich nur so zur Darwin’ schen verhalten, wie diese zur Lamark’schen, d. h. sie muss von der Anerkennung der von Darwin aufgestellten Transmutationsursachen aus- gehen und nur eine oder einige neue hinzufügen, denn eine Descendenztheorie kann nur multicausalistisch sein. Was man in der Selektionslehre anfechten kann, ist, dass sie nicht aus- reicht; weiter kommt, wie wir des genaueren gezeigt haben, in seiner Polemik auch Wigand nicht. Denn sein steter Refrain ist ja: »das Prinzip ist für gewisse Fälle möglich, ich verwerfe »es nur desshalb, weil es nicht für alle möglich ist!« Mithin ist obiger Satz eine uneingeschränkte Anerkennung, dass die geographische Verbreitung eine Bestätigung der Dar- win’schen Lehre ist. Allerdings hat Wigand recht, wenn er sagt, dass in den Thatsachen der geographischen Verbreitung kein unmittelbarer Beweis für die Richtigkeit der Selektions- theorie liegt, aber falsch wäre es, zu behaupten, dass diess ì = Die geographische Verbreitung. 293 aai nicht mittelbar der Fall: Ein wesentlicher Faktor der Selektions- lehre ist die geographische Migration, indem diese die unerläss- lichste Vorbedingung für die Spaltung der Organismen in geo- graphisch vicarirende Varietäten, Arten, Gattungen etc. ist. Ich will mich bei der schon lange vor Darwin aufgestellten Lehre von der geographischen Viecarirung ‚etwas länger ver- weilen. _ Man versteht darunter die Thatsache, dass eine Art (oder Gattung ete.) eines bestimmten geographischen Territoriums durch eine ihr sehr ähnliche, die gleiche Lebensweise führende, in einem andern Territorium vertreten ist. Das charakteristischste und für die Darwin’sche Lehre beweisendste an der Sache ist, dass die zwei territorial getrennten vicarirenden Formen'syste- matisch näher mit einander verwandt sind, als zwei Arten derselben Gattung, die auf dem gleichen Territorium beisammen leben. Bestätigend kommt hinzu, der gleichfalls häufige Fall, dass die Verbreitungskreise zweier nächstverwandter Arten zwar übereinander greifen, aber sich nicht decken, was darauf hinweist, dass sie geographisch getrennte Schöpfungs- centra haben, d. h. durch geographische Migration aus einer gemeinschaftlichen Stammform gebildet wurden. Ich will vom ersteren Fall einige Beispiele anführen. | Die europäische Blaumeise (Parus coeruleus) ist mit der "asiatischen Lasurmeise (Parus cyaneus) systematisch näher ver- wandt, als mit den anderen europäischen Meisenarten. Der eisalpine Haussperling ist mit dem transalpinen Haussperling und dem afrikanischen Haussperling näher verwandt, als mit dem europäischen Feldsperling. Unser Uferaaskäfer (Necrodes littoralis) ist mit dem amerikanischen Necrodes surinamensis näher verwandt, als mit irgend einem andern europäischen Aaskäfer; die europäische Cicindela campestris hat ihre nächste Verwandte in der amerikanischen Cicindela purpurea, unsere Cicindela hybri- da und sylvicola in der amerikanischen Cicindela vulgaris, unser ~ Acilius sulcatus in dem amerikanischen Acilius fraternus, unser Emus maxillosus in dem amerikanischen Emus villosus etc. Dieser Fall ist so häufig, dass ich, wenn die Synonymik 924 - Die geographische Verbreitung. - nicht dadurch noch verwickelter würde, auf Grund hievon eine neue Nomenclaturmethode vorschlagen würde, worüber ich hier einige Worte beizusetzen für zweckmässig halte. Dem Anwachsen der 'Artenzahl einer Gattung und dem Bedürfniss nach schärferer systematischer Gruppirung hat die Systematik bis jetzt dadurch abzuhelfen gesucht, dass sie die alte Gattung in mehrere neue Gattungen zerspaltete, so dass jetzt z. B. eine Reihe europäischer Spezies zu ausschliesslichen Gattungsrepräsententen geworden, z. B. unsere Meisen-, Schwal- "ben-, Entenspezies etc. Geht man in dieser Weise consequent vor, so erhält man bei vielen Thiergruppen kleinste Gattungen, die nur aus vicarirenden Spezies bestehen, allerdings nicht aus bloss geographisch vicarirenden, sondern auch aus biologisch vicarirenden Spezies. .Da durch diese Methode allerdings die engeren Verwandtschaften besser zum Ausdruck kommen, andererseits aber die weiteren Verwandtschaftsverhältnisse dem Bewusstsein entrückt werden und die Wissenschaft mit einer Unzahl schwerverständlicher und häufig nichtssagender Gattungsnamen überschwemmt wird, so ist mir der Gedanke gekommen, ob nicht in anderer Weise zu helfen wäre, nämlich, indem wir von dem Linneischen Nomen bipartitum zum Nomen tripartitum übergehen. Dieser dritte Name wäre, wo es sich um geographische Vicarirung handelt, ein geographi- sches Wort, z. B. bei obigen drei Sperlingen »cisalpinus, transal- pinus, africanus; wo es sich um biologische Vicarirung handelt, ein biologisches Wort, z. B. das des Standortes alpinus, litto- ralis, arenarius etc. oder der der Nahrungspflanze etc. Dabei könnte der alte Gattungsname bleiben, und nur der zweite, der alte Speziesname, bereitet Schwierigkeiten. Die Schule der Constanzianer hat seit lange gerade auf diesen das grösste Gewicht gelegt und ihm die grösste Stabilität in der Systematik gesichert; er müsste jetzt etwas von seiner Stabilität einbüssen- Da innerhalb der Gruppe vicarirender Arten eben nur ein einziger zweiter Name bestehen kann, so hätten ihm die bis- herigen Speziesnamen der übrigen zu weichen. Hierin liegt die praktische Schwierigkeit, die nur durch einen Consensus aller ie geographische one betreffenden Spenalbonigen Eher werden Ka Dess- SE halb kann mein Vorschlag zunächst auch nichts weiter sein als | # ER ein frommer Wunsch, an dem nur eins positiv-ist: das Gefühl, = t dass es in der bisherigen Weise der Gattungsmacherei nicht i ` mehr fortgehen darf. Wenn mir die nöthige Muse wird, werde, 3 S -ich einmal an einer kleineren rapp einen J eranl mit dieser ee Methode machen. , a a A A E Der zweite Vorschlag betrifft die geographisch. vica- ~ rirenden Gattungen, in welche sich so manche der grossen. e Gattungen alter Autoren zerspalten lassen. Auch hier könnte = man auf dem Wege einer allseitigen Verständigung zu einer = den jetzigen Anforderungen - -der Wissenschaft besser entspre- r | chenden Namengebung gelangen, und zwar in. der Weise, dass ©. = man die Unterabtheilungen , die im Verhältniss geographischer AA k Vicarirung zu einander stehen, mit einem Nomen compositum aus dem alten Gattungsnamen und dem geographischen Namen bezeichnete. Ich will das an einem Beispiel zeigen. E : Die von Fabricius aufgestellte Mistkäfergattung Copris ist jetzt in zehn Gattungen zertheilt worden: Copris, Heliocopris, eoa = Catharsius, Synaspis, Pinotus , Ontherus, Chalcocopris, Phanaeus, se Bolbites und Gromphas. Betrachtet mansich diese zehn Gattungen, | so findet ‚man, dass sie keineswegs gleichwerthig sind, Sie | a | zerfallen in zwei grosse Gruppen, die eine, welche ich die eo Phanaeusgruppe nenne, umfasst die drei letzten Gattungen, = I von denen Phanaeus an Artenzahl die zwei andern weit über- N e wiegt. Diese- Gruppe, welche den Namen Phanaeus behalten a E kann, sticht durch den Habitus und ihre Metallfarbe scharf : CO l 2 x gegen die sieben andern dunkelgefärbten Gattungen ab, die wir - RE I die Coprisgruppe nennen können. Diese letztere zerfällt nun in drei vicarirende Gruppen, die erste ist nordeireumpolar , d. h. AF ` bewohnt Nordamerika, "Europa, Asien und Afrika, und wird f nur von der. Gattung Copris s. str. gebildet. Die zweite Gruppe ist rein südamerikanisch mit einigen Ablegern in den a Süden von Nordamerika und besteht aus einer Hauptgattung | ER = Pinotus und zwei sehr artenarmen. Nebengattungen (Ontherus Sr PErset, In Sachen Darwin’s. A D 15 88 Die geographische Verbreitung. und naar). Die dritte Gruppe ist afrikanisch mit einigen wenigen nach Asien hereinragenden. vicarirenden Arten, sie besteht aus den zwei ziemlich gleichgrossen Gattungen Heliocopr 18 und Catharsius und der unispezifischen Gattung‘ Synaspis- Nenhen wir die nordeireumpolare Gattung Circumeopris, die Südamerikaner Amerocopris, die Afrikaner Afrocopris («a und $)» so haben wir Namen, die formell nicht schlechter sind, als die obigen, dagegen den Vorzug besitzen, dass sie viel bedeutungs“ voller sind. Ich bemerke dabei, dass die Spaltung in nordeireum- polar, afrikanisch und südamerikanisch bei allen möglichen Landthiergruppen sich wiederholt. Der Umstand, dass die Afrikaner gewöhnlich einige Ableger in Süd- und Westasien, A die Südamerikaner in Mexiko und den Südstaaten Nordamerikas haben, bildet keine Schwierigkeit, da wir im obigen Nomen tripartitum das Mittel haben, sie mit den vicarirenden Stamm- arten zu verbinden. Selbstverständlich gilt auch hier, dass kein . Prinzip auf. alle Fälle anwendbar ist: wo die Zerspaltung nicht ‚geht, unterlässt man sie. Allein sehr viele Thiergruppen werden sich in der geschilderten Weise höchst befriedigend auflösen Jassen. Die :Spezialsystematik kann sich auf die Dauer dem Einfluss der Descendenzlehre nicht entziehen und wenn es auch für den Anfang eine Manchem unliebsame Revolution nach sich zieht: einmal wird und muss es geschehen und je früher es geschieht, desto besser. Zum Schluss noch eine ineke Wigana spricht von der »willkommenen Aushilfe,« ‘welche die Eiszeiten und nament- “lich die Alternirung derselben auf der südlichen und nördlichen Erdhälfte den Transmutisten darbiete und »von ungewöhnlichen Anstrengungen mit mundanen Eiszeiten.« Solche verdächtigende Ausdrücke sind der schlagende Beweis dafür, dass es Wigand ‚durchaus nicht um die Erforschung der Wahrheit zu thun ist, son- dern nur um die Rettung seines Prinzips, denn er ärgert sich über jeden Fortschritt in der Erkenntniss der Natur, der die bestehenden Schwierigkeiten beseitigt. Das ist nicht die Sprache ‚eines objektiven Forschers, sondern die eines Fanatikers. Weil dieser Tenor und diese Verdächtigungsmethode durch das ganze PIE EN URN BR i PNET AE REINE, 7 L ET T E ENEE Die Zweckmässigkeit. 297 m ‚Buch Wigands hindurchgeht, desshalb habe auch ich einen derberen persönlicheren Ton angeschlagen, den ich anderen, objek- tiven Gegnern gegenüber noch nie eingeschlagen habe und nie einschlagen werde. 7 XIV. Die Zweckmässigkeit in der organischen Natur. -Wigand unterscheidet hiebei. zweierlei, 1) dass jede Spezies den äusseren Lebensbedingungen angepasst ist, 9) die. Vollkommenheit der Organisation selbst, d.- h. die. vollkommene Anpassung eines- jeden Organs an, den besonderen. ‚Lebenszweck. — Er hätte. noch hinzu setzen können: die zweckmässige Ver- _ knüpfung der Organe eines und desselben Individuums. Bezüglich des ersteren. Punktes gesteht er zunächst zu, dass der Constanzianer diese Thatsache. nur so deuten kann, dass Ei: die Individuen jeder. Art die ihrer Natur entsprechenden Existenz- E k bedingungen aufsuchen, und sich erhalten, wenn sie dieselben - finden, zu Grunde gehen, wenn. diess nicht. der Fall ist. -»Aber »freilich wird dabei die Existenz der Art, (in ihrer bestimmten - »Beschaffenheit) nicht erklärt, sondern vorausgesetzt.« Er gibt = also zu, dass. damit- nichts, erklärt ist. . Gegenüber dem Dar- 7° swin’schen Erklärungsversuch beruft er sich nun darauf, dass 4 er früher nachgewiesen habe, derselbe bewege. sich in einem Zirkel. Ich berufe mich darauf, dass ich pag.. 101 diess wider- legt habe, Wigand hat sie für einen Zirkel gehalten, weil ihm “der Anfang, und das Ende der Linie. entging. Uebrigens auch abgesehen hievon leistet nach Wigand die Darwin’sche Er- klärung nicht mehr, als-die von Wigand gegebene Darstellung, »denn vorausgesetzt wird ja auch hier die Existenz der Spezies »mit ihrer den Bedingungen angepassten Organisation, nur dass »die Ausbildung derselben in unendlich viele einzelne Stufen, »nämlich individuelle Abänderungen zerlegt wird, indem ja jede TE ER P; aw Die Zweckmässigkeit. »einzelne Variation gerade so unabhängig von den Lebens- »bedingungen gegeben und unerklärt ist, wie wenn man »annehmen wollte, das- Individuum sei fertig vom Himmel »gefallen.« _ In diesem Satz ist mehreres falsch: 1) ist falsch, dass Darwin diejenige Spezies voraussetzt, die er erklären will, er setzt bekanntlich eine andere voraus. In dem Fall mit Blume und Insektenrüssel (pag. 101) setzt er eine kurzrüsslige Art voraus, um eine langrüsslige zu erklären, also ist von keinem Zirkel die Rede, 2) ist falsch, dass mit der Zerlegung in einzelne Stufen nichts [gewonnen sei. Gewonnen ist die Hauptsache, nämlich der Anschluss an thatsächlich vorkommende, direkt beobachtbare Verhältnisse, nämlich dass innerhalb einer und derselben Art derlei geringfügige stufenweise Unterschiede ein. sehr gewöhnliches Vorkommen sind, während das »vom Himmel fallen« bis jetzt nur von Meteorsteinen bewiesen ist, 3) ist - falsch, dass die einzelne Variation unabhängig von. den Lebens- bedingungen gegeben ist, denn wie ich pag. 92 gezeigt, sind ‘sehr viele’ solcher Variationen abhängig von dem durch die Lehensbedingungen abhängenden Gebrauchsgrade, und andere sind direkt durch die Lebensbedingungen hervorgerufen. Weiter sagt er pag. 333: »die Erscheinung der Varia- ybilität ist ja keine Ursache, sondern selbst eine gegebene »Thatsache, die zur Erklärung nicht dienen kann.« Wie reimt ‚sich das mit dem von Wigand in pag. 7 aufgestellten Grund- satz »alle Erscheinungen stehen in einer Wechselbeziehung von p Ursache und Wirkung?« Die Variabilität ist die causa praedis- ponens für die Selektion, denn, wo sie fehlt, i es keine Selektion und keine Veränderung. - Pag. 334 gibt er zu, »dass durch die natürliche Zuchtwahl »eine relativ vollkommenere Anpassung zu Stande komme, als '»nach seiner (Wigands) Erklärungsweise.< »Allein,« sagt er, »die höchst vollkommene Anpassung ist eine willkürliche An- “ nahme.« Wer macht denn diese Annahme? Niemand. Abso- lute Anpassung würde heissen, dass ein Thier oder eine Pflanze unsterblich sei, denn ein nn angepasstes Thier könnte z. B- 3 A "A E. 2 Die Zweckmässigkeit. | 999 ‚keinen Feind haben, der es tödten kann. .’Solchen Unsinn zu behaupten, ist keinem Transmutisten eingefallen. Nachdem nun Wigand zuerst den Transmutisten diesen Unsinn von der höchst vollkommenen Anpassung in die Schuhe geschoben, sagt er, dass Hofmeister gerade in der relativ unvollkommenen Anpassung der Pflanzen an ihre Umgebung eine Bestätigung der Selektionstheorie finde, »so dass also durch zwei einander »widersprechende Auffassungen der wirklichen Thatsachen ein »und dasselbe Prinzip bewiesen werden soll!« Weil Wigand wohl weiss, dass man eine relativ ak kommene Anpassung desshalb, weil sie nur relativ vollkommen -ist, auch relatiy unvollkommen heissen kann, muss er, um einen Widerspruch unter den Transmutisten‘ nachzuweisen, zu dem moralisch verwerflichen Mittel einer Unter- schiebung greifen! Pag. 334 macht Wi igand er; richtige Ba s man könne sich denken, »dass die Anpassung an die äusseren »Existenzbedingungen auch in der Weise sich erkläre, dass sie die >unmittelbare Wirkung der letzteren wäre,« da er aber von gar keiner Umänderung, möge sie kommen, woher sie wolle, . wissen will, so sagt er: »Alle solche Abänderungen sind nur »auf das Individuum beschränkt, 'von einem direkt bestimmenden »Einfluss der Aussenwelt auf die Bildung von Rassen, geschweige »denn von Arten ist nichts bekannt!« Das ist gar nichts weiter, als eine einfache Läugnung, dass erworbene Charaktere allmählig erblich werden können, ein Satz, für den bis jetzt zwar nicht viele, aber. doch gewichtige Thatsachen sprechen. Pag. 336 sagt Wigand: »Ueberhaupt ist der Fehler in »Darwins Erklärung der Anpassung durch natürliche Zucht- »wahl kein anderer, als die Verwechslung von Ursache und »Bedingung, indem desshalb, weil die Charaktere den äusseren »Bedingungen angepasst sind, diese Bedingun gen zu den die »Entstehung der Charaktere bestimmenden Ursachen gemacht »werden.« Das schreibt der gleiche Wigand, der in demselben Buch pag. 7 den Grundsatz aufstellt: » Alle Erscheinungen stehen »in der Wechselbeziehung von Ursache und Wirkung,« woraus E TEE eno n, EEZ, e, ae a 9 30 Rn Die Zweckmässigkeit, doch mit Nothwendigkeit folgt , dass auch die penkis als Ursachen zu betrachten sind. 3 Die Tirade pag. 336 hat zur Grundlage eine bewusste Un- ‚wahrheit, indem er nämlich den Transmutisten die Behauptung unterschiebt, bei allen Umwandlungen des organischen Reiches sei die Wirkung der Veränderungen der Lebensbedingungen der allein und vollständig massgebende Faktor. Ich sage be- wusste Unwahrheit, weil Wigand selbst von »Hilfserklärungen Darwins (siehe oben pag. 161) ausführlich spricht und somit = recht gut weiss, dass bei Darwin nirgends von einem »allein "und ausschliesslich massgebenden Faktor« die Rede ist. Bezüglich der Zweckmässigkeit des einzelnen Organs wieder- : holt er früher Gesagtes: »Da im Organismus alle Theile so ` »innig unter einander verknüpft sind, dass die Funktion, be- »ziehungsweise Zweckmässigkeit irgend eines Organs unmittelbar »von allen übrigen bedingt wird, so ist es unmöglich, irgend »einen einzelnen Charakter durch natürliche Zuchtwahl zu er- »klären.« Ich habe oben pag. 97 die Irrigkeit dieses Satzes nachgewiesen und’dargethan, dass die Correlation zwischen den einzelnen Organen- einem elastischen Bande gleicht, das der Ver- schiebung eines einzelnen ‘Charakters zwar einen gewissen Wider- a stand entgegensetzt, aber dieselbe nicht unmöglich macht, wovon = die Missgeburten und die individuelle Variation täglich die spre- chendsten Beweise liefern. Zum Schluss tischt Wigan d pag. 339- folgendes auf: »Schliesslich bietet sich’noch ein Argument dar, welches selbst i »den hartnäckigsten Gegnern der Selektionstheorie einleuchten »muss.« Niemand könne bestreiten, dass auch die Gesammt- natur, der Kosmos, zweckmässig organisirt sei; da diess doch dieselben Ursachen haben müsse, wie die Zweckmässigkeit des einzelnen Theiles, so müsste man. annehmen, »im Laufe der Zeit haben unzählige Welten existirt, variirt und einen Kampf »ums Dasein geführt, aus welchem diese eine gegenwärtige Welt » wegen ihrer höchst zweckmässigen Form siegreich hervorgegangen »wärele Das heisst doch wirklich »Himmel und Hölle« zu Hilfe rufen und es ist nur schade, dass auch diese die Hilfe vr er RE Ing aE x a Die morphologischen Thatsachen. | 231 Ich will die Sache jedoch nicht lange ausmalen, sondern nur auf folgendes hinweisen. Ohne von der Darwin’schen Lehre ` beeinflusst zu sein, spricht die Astronomie längst von den Me- - teorsteinen als Trümmern untergegangener Weltkörper, von dem Zusammenstoss von: Kometen und Planeten, von dem allmäh- ligen Fallen der Planeten in die Sonne, von dem Entstehen der Asteroiden aus dem Zerfall eines grösseren Planeten etc., so dass also auch hier von einem Kampf ums Dasein, dem Obsiegen des Stärkeren, der Vernichtung des Schwächeren, also einer Se- lektion gesprochen werden kann. Welch grossartige, mit Selektion verlaufende Kämpfe ums Dasein mögen vor sich gegangen sein, ` bis aus einem Ball feuriger Gase sich allmählig unser zweck- " mässig organisirtes, aus Gentralsonne, Planeten, Trabanten und Kometen zusammengesetztes Planetensystem gebildet hat. Von Züchtung, also von Zuchtwahl, ist selbstverständlich hier so wenig die Rede, als. in dem pag. 193 besprochenen Beispiel von ‚den Mineralien, aber mit dieser von Wigand selbst zugestan- denen Abänderung ist die Darwin’sche Erklärung vom Zu- standekommen der Zweckmässigkeit auch für die Gesammtnatur gültig. \ XV. Die morphologischen Thatsachen. Dass verwandte Thiere von einem gemeinsamen Bauplan im Ganzen und in den einzelnen Organen beherrscht werden, erklären’ die Transmutisten aus dem Gesetz der Vererbung, dass bei aller Gemeinsamkeit des Bauplans die Thiere im oa und die entsprechenden Organe im Einzelnen nach Arten, Gat- tungen etc. verschieden sind, wird aus der Anpassung an ver- schiedene Lebenszwecke erklärt. a - i Ersteres gibt Wigand, der ja in seiner Urzellentheorie auch die gemeinschaftliche Abstammung als Ursache- der über- einstimmenden Charaktere annimmt, zu, bestreitet aber, dass Die morphologischen Thatsachen. . die Verschiedenheit durch die Darwin’sche Theorie erklärt ° werden könne. Pag. 341 sagt er: »Die Transmutation solcher homologer Organe sei von vorn- »herein geradezu undenkbar schon desshalb, weil man sich weder | vorstellen kann, dass der Stammvater der Wirbelthiere lauter »gleichartige Wirbel ohne Schädel, mithin auch ein Rückenmark »ohne Differenzirung eines Gehirnes, noch dass derselbe nur seinen Schädel ohne Wirbelsäule und Extremitäten besessen »habe!« Diese Gebilde sind nicht bloss nicht undenkbar, sondern sie existiren thatsächlich: der Amphioxus ist ein Wirbelthier mit gleichartigen Wirbeln (d. h. richtiger gesagt Segmenten, da knöcherne Wirbel noch nicht vorhanden sind) und mit einem Rückenmark ohne Differenzirung eines Gehirns, und selbst die Thiere, die nur einen Schädel ohne Wirbelsäule und Extremi- täten haben, existiren, allerdings nur als Missgeburten: die so- sogenannten Engelsköpte. Weiter sagt Wigand: »Ebenso musste der Krebs, wenn »seine Maxillen durch nachträgliche Umbildung der Beine ent- »standen sind, ohne Maxillen fressen, oder, wenn die Beine »modifizirte Maxillen sind, ohne Beine sich bewegen.« Unglück- licherweise für Wigand gibt es aber auch solche Thiere, 1) Thiere, die sich ohne Beine bewegen, sind Blindschleiche, Wurm, Schlangen etc., 2) fressen die Molukkenkrebse ohne Maxillen, d. h. mit den gezähnelten Hüftstücken ihrer Beine. — Dem uneingeweihten Leser will ich die Differenzirung im letztern Fall klar machen. Das richtige ist, dass die Maxillen durch ` : Umbildung aus Beinen entstanden sind, nicht umgekehrt. Den Ausgangspunkt bilden Thiere wie die Molukkenkrebse, die mit ‚den Hüftstücken ihrer. Beine (die sich sonst in nichts von andern Beinen unterscheiden) kauen. Da diese Thiere mehrere Fuss- paare haben, zum Fressen aber schon ein einziges Paar genügt, so trat Arbeitstheilung ein: ein oder mehrere Fusspaare , die ' vorher beide Funktionen (Fressen und Gehen) ausführten, über- . lassen den rückwärts gelegenen das Gehen, und üben nur noch -das Fressen, ‘wobei bloss das Hüftstück gebraucht wird. Die Schenkel, Schienen und Tarsen sind jetzt ausser Gebrauch ge- PETTE Sr EEE RABEN FE Die mörphologischen Thatsachen. ER | 933 setzt und verkümmern zu einem gegliederten Anhängsel des Hüftstückes. . Letzteres ist jetzt Maxille oder Mandibel und der gegliederte Anhang der sogenannten Taster. Damit ist .der eine Fall erklärt: die Umwandlung eines mächtigen, bestimmten Zwecken dienenden: Organs in ein anderes, anderen Zwecken - dienstbaren: l = Wigand setzt nun aber noch einen andern Fall: das Organ sei anfangs bestimmungslos, gewissermassen rudimentär, und werde nun nach zwei verschiedenen Richtungen umgezüchtet. Auch das kann er. sich nicht denken, »weil man sich die mit lauter rudimentären funktionslosen Organen versehene Stamm- »form nieht wohl als selbständiges Individuum denken Kann.«. ` Hier ist erstens falsch, dass ein Organ, weil es noch auf geringer Stufe der Ausbildung stehe, funktionslos sei. Kein - Anatome wird. bestreiten, dass das Auge eines Wurmes im Vergleich zu einem Insekten- oder vollends Wirbelthierauge rudi- -mentär genannt werden kann, ist es aber darum funktionslos? Dasselbe gilt für das Ohr einer Schnecke im Vergleich zu dem eines Wirbelthiers, für den einfachen Darmkanal des Amphio- xus im Vergleich zu dem hochdifferenzirten eines Widerkäuers, - der festgewachsenen, einen blossen Fleischwulst: vorstellenden Zunge eines Fisches oder Delphins und der Greifzunge eines Frosches, eines Chamäleons und eines Spechtes, des einfachen aus zwei Riechgruben bestehenden Geruchsapparates eines Fisches und der complizirten Nase’ eines Säugethiers etc. Zweitens ist falsch, dass eine Stammform aus lauter, quasi rudimentären Organen zusammengesetzt sein müsste, es handelt sich meist nur um ein einzelnes Organ oder einige wenige, während die andern sehr hoch differenzirt sein können. So sind z. B. die Ringelwürmer in Bezug auf das Gefässsystem sehr hoch differenzirt, in Bezug auf Gliedmassenbildung stehen sie weit hinter den Arthropoden, die wir von ihnen ableiten müssen, zurück. Uebhrigens gibt es auch thatsächlich Formen, wie sie Wigand annehmen zu müssen glaubt, nämlich solche, die aus lauter quasi rudimentären Organen zusammengesetzt sind. Das beste Beispiel ist wieder der Amphioxus, bei dem 1 9 Die morphologischen Thatsachen. Alles, Nervensystem , Sinnesorgane, Gefässsystem, ‚Muskulatur, A Darm, Athmungsorgane und Geschlechtswerkzeuge, durchaus ru- dimentär ist im Vergleich zu allen Wirbelthieren, und der auch noch desshalb rudimentär ist, weil ihm die Gliedmassenbildung völlig abgeht. | Drittens ist es ein jörghlen Feller. wenn Wigand die fraglichen Organe der Stammformen »rudimentär« nennt. Es ist ein wesentlicher Unterschied zwischen einem noch undifferen- zirten, erst im Beginn seiner Entwicklung stehenden Organ und einem rückgebildeten verkümmerten. Das’ muss auch in der Benennung aus einander gehalten werden. Es ist am Ende nichts dagegen einzuwenden, wenn man das Wort rudimentär als das beide Fälle Zusammenfassende gebraucht und dann zwischen primitiv und abortiv unterscheidet, dann darf man aber nicht dasselbe Wort auch gleichbedeutend mit abortiv ge- brauchen, was Wigand thut. . Uebrigens kommen wir gleich nachher darauf noch ausführlicher zurück. | Pag. 343 preist Wigand noch einmal seine Urzellentheorie ‚an, »weil wir bei jeder Abänderung rückwärts auf die erste »Anlage des ganzen Individuums, also die Primordialzelle greifen »müssen, denn die nachträgliche Ablenkung eines einmal ange- »legten Organs sei unmöglich.« Hiegegen ist zu sagen, dass die Darwin’sche Lehre auch auf die Primordialzelle zurückgeht. Indem sie von Vererbung spricht, legt sie »der ersten Anlage ‘des Individuums,« also der befruchteten Eizelle, die Qualität bei, aus welcher das bestimmte Endprodukt der Entwicklung hervor- geht. Während aber Wigand diese Qualität bei seiner Prim- ordialzelle für eine »ohne Ursache« entstandene erklärt, bleibt die Darwin’sche Lehre dem Gausalitätsprinzip getreu, indem sie sagt: die Primordialzelle erlangt diese Qualität nur, wenn sie sich in dem Körper eines so 'beschaffenen Organismus ent- wickelt. Wigand sucht übrigens hier der Darwin’schen Lehre, wie schon früher einmal (s. pag. 195), die falsche Ansicht unter- zuschieben , als verwechsle sie Metamorphose im Sinne der Bo- taniker und Entwicklung. Das, was Wigand auf pag. 344 und folgenden über H iai i S o a a a A a, ee d | Die morphologischen Thatsachen. 935 abortiven Organe sagt, gehört unter die heillosesten Abschnitte des ganzen Buchs. Da die abortiven Organe das handgreiflichste Argument für die Transmutationslehre sind, so wendet er hier alle sophistischen Kniffe, rabulistischen Spiegelfechtereien und sogar eine wirkliche Fälschung an, um diese an sich so unge- mein klare Sache zu verwirren, und es gelingt ihm in der That so gut, dass es einem Laien, der diesen Passus liest, sein muss, als ging ihm -ein Mühlrad im Kopf herum. Aus Mangel an Raum muss ich darauf verzichten, ihm auf allen seinen sophisti- schen Kreuz- und Querzügen zu folgen. Dem verständigen Leser wird folgendes genügen. GEET ER Pag. 345 sagt er: »Darwin und andere sehen sie als »Resultat einer Rückbildung an, Wallace umgekehrt als vor- »übergehende Stadien einer fortschreitenden Entwicklung wer- »dender Organe. Auch Darwin nimmt diese für manche »solcher funktionslosen -Organe an, ohne. jedoch weder ein all- '»gemeines Merkmal für diese Kategorie aufzustellen, noch auch „im einzelnen Fall entscheiden zu können, ob er ein fort- oder ein _»rückschreitendes Organ vor sich hat. Schon hierdurch spricht ‚»eine Theorie ihr Urtheil, welche einen Prozess erklären will, »von welchem sie gar nicht weiss, ob dieser oder sein Gegen- »theil stattfindet.« Fürs erste handelt es sich darum, dass beides, fortschreitende und rückschreitende Entwicklung thatsächlich in der Natur: vor- kommt, dass es mithin primitive und abortive Organe ` geben muss. Die Frage ist nur, wie das im einzelnen Fall zu unterscheiden ist. Wenn Wigand sagt, das könne man “nieht entscheiden, so ist das falsch, denn es lässt sich in einer Masse von Fällen positiv entscheiden. Kein Morphologe ist darüber. im Zweifel, dass das Auge eines Wurms, eines See- igels primitiv, das eines Maulwurfs abortiv, die Flosse eines Seehundes und eines Pinguins abortiv, die Flosse eines Fisches primitiv, die Augenlosigkeit eines Schmarozerkrebses abortiv, die eines Rhizopoden primitiv, die Fusslosigkeit des Amphioxus primitiv, die der Schlangen abortiv ist etc. ete. Allerdings eines ist richtig, dem Organ kann man es meist nicht direkt ansehen, _ Die morphologischen m... ob es primitiv oder abortiv ist, ee wir haben RES ichs tige Kriterien. Das eine ist die Entwicklunesgeschichte, wenn sie uns zeigt, dass ein Organ zuerst fortschreitend, dann rück- schreitend sich entwickelt. Das zweite Kriterium liegt in der Vergleichung mit den nächsten Verwandten. Wenn unter einer Verwandtschaft von lauter Zahnträgern, z. B. Säugethieren, einige wenige zahnlos sind und vollends diese Zahnlosigkeit durch die Entwicklungsgeschichte als Rückbildung schon vorhandener ‚Zähne erkannt wird, dann ist kein Morphologe im Zweifel, dass diess ein abortiver Charakter ist. Auch die Paläontologie entscheidet mitunter, z. B. das späte Auftreten ‘der fusslosen Schlangen in der Geschichte unterstützt die morphologische Er- wägung, die schon für sich allein auf den abortiven Charakter ihrer Fusslosigkeit hinweist, in hohem Grade. . Diesen klaren, ohne weiteres entscheidbaren Fällen stehen. allerdings andere zweifelhafte gegenüber, aber wie soll das gegen die Theorie sprechen? Zudem habe ich mich überzeugt, dass sorgfältige Untersuchung und umsichtige Erwägung aller hiebei in Betracht kommenden Umstände auch in solchen schwierigen Fällen meist eine positive Entscheidung liefert. Pag. 346 sagt Wigand: »für die Erklärung der abortiven »Organe durch Rückbildung führe Darwin zwei prinzipiell »heterogene, also nicht .combinirbare Ursachen, Nichtge- »brauch und das Prinzip der Sparsamkeitan. Nichtgebrauch >»wirkt direkt, die Sparsamkeit indirekt als.Motiv der natürlichen »Zuchtwahl. : Darwins Combination ist ungefähr ebenso unbe- »rechtigt, als wenn man eine Erscheinung zur Hälfte causal, ‘»zur andern Hälfte teleologisch erklären wollte« Warum ist ? das unberechtigt? kann sich denn nicht die Zuchtwahl jeder Veränderung bemächtigen, mag sie causal entstanden sein durch was immer für eine Ursache? Wenn ich mir ein Messer kaufe, so haben zu dem Besitz dieses Werkzeuges zwei Ursachen -- zusammengewirkt, von denen die eine, die Arbeit des Messer- schmiedes, causal, die andere, d. h. die von mir geübte Aus- wahl, teleologisch genannt werden kann. Diese Combination liegt bei jedem Selektionsakt vor. Br D e. u ge PS BEN, a a Ta eat Die morphologischen Thatsachen. > 937 Auf pag. 530 seines Buches antwortet Darwin einem Physiologen, der die rudimentären Organe in der Weise erklären will, dass sie Organe zur Ausscheidung überschüssiger oder dem Systeme schädlicher Materie seien: »kann man annehmen, dass »die Bildung rudimentärer, später wieder resorbirt werdender »Zähne dem Kalbsembryo durch Ausscheidung der ihm so: »werthvollen phosphorsauren Kalkerde von irgend welchem. »Nutzen sein könne?« Diesen Satz, meint Wigand, könne man gerade gegen Darwins Sparsamkeitsprinzip 'einwenden, denn: »wenn die Resorption dieser Zähne gerade durch Spar- »samkeit auf dem Wege der natürlichen Zuchtwahl erklärt »werden soll, warum äussert sich diese Sparsamkeit nicht auch _ »in dem Embryo, wo eine Entziehung dieses Stoffes, wie Dar- »win selbst sagt, gewiss nicht von Nutzen sein kann?%« Ent- weder ist Wigand wirklich so unwissend, dass er selbt die falsche Anwendung des Satzes nicht merkt, oder er wendet ihn mit Wissen falsch an. Inwiefern wird denn in diesem Fall gegen das Prinzip der Sparsamkeit verstossen, da ja doch die Knochenerde nicht weg ggeworfen, sondern nur durch die Resorp- tion aus den Zähnen hinweg und den naeh der Geburt -der Knochenerde bedürftigen Knochen zugeführt wird, da es also einfach um den pag. 49 von Ranke so gut erklärten Vorgang handelt, dass die stärker gebrauchten Organe den nicht ge- brauchten das Material entziehen ? Nun folgt die stärkste Leistung Wigands im Fache fana- tischer Polemik: Pag. 346 zitirt er einen Ausspruch Darwins. in dessen Buch über das »Variiren« folgendermassen: »dass die »Gebrauchswirkung sich nur auf Länge und Gewicht, nicht aber »auf die Form der Organe beziehe und dass wir uns in Acht »nehmen müssen, diesen Schluss nicht auf Thiere im freien Zu- »stand anzuwenden.« Erstens steht dieser Satz nicht Bd. I. 399, sondern in der ersten Auflage Bd. II. 397, in der zweiten Auf- lage Bd. II. 342. Ich würde diesen Fehler, der ja recht gut ein Druckfehler sein kann, nicht zitiren, wenn hier nicht eine ein- fache Textfälschung vorläge. In Darwins Text heisst es »diesen letzteren Schluss,« In stinkt. das »letzteres unterdrückt Wigand und nun-höre man! “Wie Er aus dem Context Darwins klar hervor geht, wollte Darwin sagen: »daraus, dass bei domestizirten Thieren die Gebrauchswir- »kung sich nur auf Länge und Gewicht, nicht aber auf die Form »und Struktur erstreckt, dürfe man nicht schliessen, dass dieselbe '»bei freien Thieren nicht auch Veränderung der Form und Struktur erzeugen könne. « Wigand aber schiebt Darwins klarem Satz die Deutung unter, als habe er sagen wollen, von den Veränderungen, welche die Gebrauchswirkung bei domestizirten | Thieren hervorbringe, erfolge bei freien Thieren gar keine; demn Wigand sagt pag. 347: »das Prinzip des Gebrauchs und »Nichtgebrauchs findet wenigstens für das Pflanzenreich keine ‘»Anwendung und wird damit also um so mehr hinfällig, als »dasselbe nach Darwin auch von den Thieren im freien Zu- ` stand ausgeschlossen ist.« Also zu solchen Mitteln greift Wi- sand, um seine Theorie zu retten! Ist er bei den Jesuiten in die Schule gegangen, die lehren, dass der Zweck die Mittel heiligt? Eigentlich sollte ich hier von ihm Abschied nehmen, denn wer zu solchen Mitteln greift, der wird auf jedem andern = Kampfplatz hinausgeworfen. Im Interesse der Sache will ich aber auch noch auf den letzten Abschnitt eingehen. r XVI. Instinkt, Sprache und geistiges Leben. 1) Instinkt. Wigand hat Recht, wenn er sagt, dass wir die Ent- stehung der Instinkte genau eben so zu behandeln haben, wie die jedes anderen spezifischen Charakters, allein wenn er u meint, dass der Instinkt »lediglich der Ausfluss der ganzen ‚»physischen und psychischen Organisation des Thieres sei und durch „dieselbe allein und vollständig erklärt sei, wie mit der äusseren Ur- -sache eines Feuers auch die äussere Ursache des Lichtes gegeben »ist, weil dieses eben nur vom Feuer ausstrahlt« — so kann dem Instinkt. 9239 nicht ohne weiteres beigestimmt werden. Wir können Wigand mit seinem Beispiel fassen. Gerade so, wie es Licht gibt, das nicht von Feuer ausstrahlt (das Licht der Leuchtthiere), so ist umgekehrt der Instinkt keineswegs unfehlbar mit der spezifischen ‚Natur einer Art verbunden. Wenn dem so wäre, wie wäre es möglich, dass z. B. die Biber da, wo sie nur in einzelnen ver- sprengten ‚Paaren leben, sowie in der Gefangenschaft, den Instinkt, Däimme zu bauen, verlieren? Wigand wird doch ‚nicht behaupten wollen, dass sie ihre spezifische Natur verändert haben? Dasselbe gilt von dem Verlieren des -Instinktes von Vögeln in der’Domestikation. Auch das Auftreten neuer Instinkte, -wie das von Darwin angeführte Beispiel der ägyptischen - Tauben, die sich aufs Wasser setzen, der Inselrinder, die Fische „fressen etc. stimmt nicht zu der Wig an qd’ schen Anschauung. Die Sache ist vielmehr so: der Instinkt ist von der übrigen Organisation des Thieres gerade so viel und gerade so wenig abhängig, wie jeder morphologische Charakter von allen übrigen; d. h. er ist mit ihnen durch das elastische, eine Verrückung ge- stattende Band der Correlation verknüpft. Die obige Behauptung Wigands läuft natürlich darauf - hinaus, dass er die individuelle Variabilität der Instinkte läugnet. Er sagt »was Darwin in dieser Beziehung. anführt, »sind nur Abweichungen in der Lebensweise der Thiere, welche durch die äusseren Verhältnisse in den besonderen Fällen „veranlasst werden und gehören also nicht zur Sache.« Warum? Unter Instinkt verstehen wir den sich vererbenden’ Trieb der Thiere, eine bestimmte Lebensweise zu führen, ohne hiezu einer äusseren Anleitung zu bedürfen. Also jede Aenderung dieser - bestimmten Lebensweise, welche sich vererbt, ist eine Instinkt- veränderung, mag sie verursacht sein, wodurch sie wolle. Es gilt hier ganz dasselbe, was von den ‘morpho- | logischen Charakteren gesagt wurde: sobald eine Veränderung derselben, die durch den direkten Einfluss der äusseren Ver- hältnisse hervorgebracht wird, den Charakter der Erblichkeit annimmt, so gehört sie in das Bereich derjenigen individuellen Variation, welche der Selektion ihr Material liefert. & ae ur 4 EN EEE x Er en er Zi a a i E r 7 Nie TA qS. X I a IE NE. Bi: Bi I kWt N aT E I E | 9 $i $: #8 Kr I ER f pi x { | 2 em s u. 9: ur % $ E Hea | as 240 ; © Instinkt. Weil übrigens Wigand nicht zufrieden ist, so will ich ihm noch einige Instinktvariationen anführen, die gewiss nicht auf den direkten Einfluss der äusseren Verhältnisse zurückgeführt werden können. Im Hause meiner Schwiegereltern traf ich ein sechswöchentliches Kätzchen, das den unserer Hauskatze durch- aus fremden Trieb zum Baden in so hohem Masse besass, dass ich sie eines Morgens in meinem Nachttopf ertappte und kein Wassergeschirr vor ihr sicher war. Unter meinen Eichenspinner- _ raupen treten jedes Jahr zahlreiche Junge auf, welchen einer der wichtigsten Instinkte, der Ernährungstrieb, fehlt: sie irren rastlos auf dem Futter herum und sterben schliesslich Hungers. Unter den jungen Säugethieren. trifft man öfters solche denen der Instinkt zu saugen mangelt. Die instinktmässige Handlung der Hunde nach Absetzen ihrer Losung rückwärts zu kratzen, ver- üben manche Hunde mit absoluter ` Regelmässigkeit,. andere unterlassen es öfters und ich kannte einen Hund, von dem ich es nie sah. Ich erinnere weiter an die merkwürdige, in der Zeitschrift der »Zoologische Garten« veröffentlichte Beobachtung eines brütenden Kukukweibchens, an die von mir mitgetheilte. Beobachtung J. G. Fischer’s, dass ein Buchfinke sein Nest durch in den Rand eingesteckte Hühnerfedern mit einem Dach versah etc. Derlei Fälie von Instinktvariation lassen sich so zahlreiche anführen, dass ich behaupte: es gibt vielleicht gar keinen Instinkt, der nicht einmal individuell manquirte, oder in einen andern umschlüge, und mit dieser Variabilität ist die Grundbedingung für das Zustandekommen einer Selektion gegeben. Auf pag. 351 bringt Wigand den schon bezüglich der morphologischen Charaktere gemachten Einwurf: es gebe In- stinkte, »wo der Vortheil, welchen der Instinkt gewährt, nicht »bloss ein relativer (mithin einer Entstehung durch Summirung »kleiner Vortheile zugänglicher), sondern ein über die Existenz »unbedingt entscheidender ist,« bei dem mithin die Entstehung durch Cumulation ausgeschlossen sei. Er führt hiefür zwei Beispiele an: $ : = »Wenn der Zugvogel nur eine gewisse Neigung zu wandern, Instinkt. | = 241 »aber nicht den fertigen Instinkt besitzt, im Herbst über das »Meer zu ziehen, so fällt derselbe entweder auf halbem Wege »ins Meer oder die ganze Spezies verfällt dem zerstörenden »nordischen Winter.« Hätte sich Wigand ein bischen bemüht, über die Entstehung des Wanderfluges nachzudenken, so hätte er dieses Beispiel weggelassen. Ich habe*) nachgewiesen, dass und wie der Wanderflug allmählig entstanden ist. Das zweite Beispiel ist folgendes: »wenn die Schmeissfliege ihre Eier nicht »ins Fleisch legt, so geht die Brut und damit die ganze Art »mit einem Mal zu Grunde, weil es zur Natur der Spezies »gehört, dass die Larve Fleischnahrung bedarf.« Auch dieses Beispiel gehört nicht hierher: die Artgenossen von Sarcophaga carnaria haben Larven, die in Raupen schmarotzen gleich den ‚Schlupfwespenlarven, und von hier aus ist der Instinkt der Schmeissfliege zum Fressen von Wirbelthierfleisch ein in jeder Beziehung glatter Uebergang. Die Artgenossen der andern Fleischfliege, der Musca vomitoria, leben als Larven von failen- den Pflanzenstoffen und Dünger und auch von hier ist der Uebergang zur Aasnahrung ein durchaus glatter. Von stufen- weiser Ausbildung braucht weder im einen noch im andern Falle die Rede zu sein. Wenn also Wigand seine Behauptung aufrecht erhalten will, muss er sich nach anderen Beispielen umsehen; ich kann ihn aber versichern, dass es ihm sehr schwer werden dürfte, stichhaltige Beispiele zu finden, selbst, wenn er ein besserer Zoologe wäre, als er allem nach ist. Wigand wendet sich nun gegen die Darwin’sche Er- klärung des »Ausdrucks der Gemüthsbewegungen.« Ehe ich mich auf seine Behauptungen einlasse, muss ich-voraus- senden, dass auch ich mit Darwin nicht in allen Punkten ein- verstanden bin. Letzterer stellt dreierlei Erklärungsprinzipien auf: 1) das der zweckmässig assoeirten Gewohnheit, 2) das’ des Gegensatzes, 3) das der direkten Wirkung des Nervensystems. Klar und unanfechtbar ist das zweite Prinzip. Diess hat auch ein anderer Kritiker Darwins, der Philosophe Erdmann, *) Der Wanderflug, Neue freie Presse. Abendblatt 3. Juni 1869. Jaeger, In Sachen Darwin’s. 16 2492 Instinkt. zugestanden: *) er nennt es »völlig klar.« Wigand dagegen verwirft nicht nur auch dieses Prinzip, sondern er hat die Stirne pag. 457 sich zu rühmen, dass Erdmann seinen An- schauungen »in einer erfreulichen Weise begegne.« Die Sache, um die es sich handelt, ist folgende: Darwin ‚sagt: gewisse Gemüthsbewegungen werden durch Muskelbewe- gungen ausgedrückt, die nur dadurch zu erklären sind, dass sie die gegentheiligen Bewegungen von denjenigen sind, welche durch die entgegengesetzte Gemüthsstimmung. hervorgerufen werden. Das beste Beispiel ist der Gegensatz zwischen den Geberden eines streitlustig und muthig Gesinnten und denen eines Rath- und Hülflosen. Die Streitlust äussert sich durch Geberden, welche einen bestimmten Zweck haben: es sind die Vorbereitungsbewegungen zum wirklichen Kampf. Die Ge- berden der Rath- und Hülflosigkeit haben dagegen keinen Zweck, denn der Hülflose, hat ja, gar nicht die Absicht etwas zu thun, sondern er macht unwillkürlich oder besser gesagt zwangsweise die gerade entgegengesetzlen Bewegungen ; _ diese sind mithin nur durch ihren Gegensatz verständlich. Diese Erklärung steht vollkommen auf physiologischem Boden, da es jedoch Darwin unterlassen hat, das nöthige aus der Physiologie anzuführen, so will ich diess hier nachholen. Die Experimentalphysiologie hat die merkwürdige Ent- deckung gemacht, dass das CGentralorgan des Nervensystems aus antagonistischen Centren zusammengesetzt ist, die in folgendem Verhältniss zu einander stehen. Beide Centra sind fortwährend in Thätigkeit; so lange die Kräfte, mit welchen Jedes arbeitet, sich das Gleichgewicht halten, entsteht keine Bewegung, diese tritt dagegen sofort ein, wenn ein Centrum das Uebergewicht über das andere erlangt. Das Gleichgewicht kann nun durch Einwirkung auf ein und dasselbe der beiden Centra mit ganz entgegengesetztem Erfolg gestört werden: 1) dadurch, dass es zu stärkerer Thätigkeit gereizt wird, wodurch es das Ueber- gewicht über sein Gegencentrum erhält, 2) dadurch, dass es *) Sitzungen der naturforschenden Gesellschaft zu Halle 1873 pag. 20, Instinkt. 943 gelähmt wird, wodurch letzteres in Vortheil kommt. Nehmen wir einen bestimmten Fall. Das Gehirn hat ein Centrum für die Vorwärtsbewegung und ein antagonistisches für die Rück- wärtsbewegung. Arbeiten beide gleich stark, so steht das Thier still, wird das Vorwärtscentrum angespornt, so bewegt sich das Thier vorwärts, wird es dagegen gelähmt, so bewegt es sich zwangsweise rückwärts. Zum weiteren Verständniss ist nöthig zu wissen, wie sich Anspornung und Lähmung verhalten. Beide Erscheinungen werden durch einen und denselben Reiz hervor- gerufen, und es hängt nur von der Stärke des Reizes ab, ob - das eine oder das andere eintritt: bei geringerer Reizstärke erfolgt Anspornung, bei höherer Lähmung. Nun kehren wir zu unserem Beispiel zurück. Die Ursache, d. h. der Reiz für beide Gemüthsstimmungen, Streitlust und Hülflosigkeit, ist eine und dieselbe: der Anblick oder der Ge- danke an eine Gefahr. Ist dieser Reiz nicht zu stark, d. h. die Gefahr nicht zu gross, so wird das betreffende Bewegungscentrum angespornt, es treten bestimmte Bewegungen ein, welche der Abwehr gelten, ist dagegen der Reiz, d. h. die Gefahr sehr gross, so wird dieses gleiche Gentrum gelähmt und damit hat das antagonistische Gentrum das Uebergewicht erlangt, es erfolgen »zwangsweises und zwecklos die 'entgegengesetzten Bewegungen. Von diesen physiologischen Thatsachen hat Wigand keine blasse Ahnung und so »begegnen wir hier,« um seine eigene gegen Darwin gebrauchte Redensart auf ihn selbst anzuwenden, »dem bei Wigand so geläufigen Fehler,« über Dinge zu sprechen, von denen er nichts versteht, denn er sagt pag. 335: »Zunächst ist bei den fraglichen Seelenzuständen gar nicht, »wie von Darwin vorausgesetzt wird, von einem Gegensatz wie Nord und Süd, wie Plus und Minus, wie schwarz und »weiss die Rede, vielmehr handelt es sich um qualitative Unter- »schiede, welche sich nicht bloss nach zwei, sondern nach „mehreren Richtungen äussern.« - Anders steht es meiner Ansicht nach um die beiden andern Prinzipien Darwins, das erste und zweite, und hierin stimme ; YA Eu Instinkt. ich mit Erdmanns Kritik überein und zwar in doppelter Be- ziehung. Erstens hat Erdmann recht, dass es sich überall um direkten ‚Nerveneinfluss handelt, also auch bei den zweck- mässig associrten gewohnheitsmässigen Bewegungen; die von Darwin getroffene Eintheilung ist also nicht richtig. Zweitens hat Erdmann recht, dass er sich mit der Kritik be- snügt und es nicht versucht, die Sache besser zu machen. Solchen Dingen gegenüber darf die Philosophie keinen andern als den kritischen Standpunkt einnehmen, die Zeiten, in denen die Philosophie über derlei positive Aufstellungen machen durfte, sind vorüber, das steht von jetzt an nur den Naturwissen- schaften zu. Erdmann unterscheidet sich also auch hierin vortheilhaft von Wigand:- er bleibt beim Leisten, während der Botaniker Wigand fortwährend über zoologische Dinge spricht, von denen er nichts versteht. Ich will mich nun im folgenden daran machen, die zwei Darwin’schen Prinzipien durch etwas anderes zu ersetzen und wir werden finden, dass sich alles auf das erste Prinzip »die zweckmässig associrte Gewohnheit« zurückführen lässt. Zuerst gegen Wigand: er nennt pag. 354 »Gewohnheit« und. »Vererbung« »nichtssagende Phrasen.« Das ist ein frecher Faustschlag ins Gesicht der Wissenschaft. und ins Gesicht aller. derjenigen Forscher, welche sich mit diesen beiden des höchsten Studiums würdigen, geradezu das gegenwärtige Ziel der biolo- gischen Forschung bildenden Erscheinungen befasst haben und noch befassen. Ganz im Gegensatz hiezu — also wieder nicht in Uebereinstimmung, wie Wigand sagt — äussert sich Erd- mann folgendermassen: »Diese Facta allein müssten schon den »Gedanken nahe legen, der sich bei tiefer gehenden (nament- »lich psychologischen) Untersuchungen immer mehr aufdrängt, »dass die Gewohnheit einer der wichtigsten, aber auch dun- »kelsten Begriffe ist, und dass eine Theorie, die ihn zur Leuchte »macht, uns leicht in totaler Finsterniss lassen könnte.« In zwei Publikationen*) habe ich eigene Untersuchungen { *) Gymnastik und Physiologie. Abendblatt der Neuen freien Presse 1870. Instinkt. 945 mitgetheilt und besprochen, welche ein genügend helles Licht auf die Gewohnheit werfen, um den Erdmann’schen Einwurf zurückzuweisen. Ich habe gezeigt, dass der Gebrauch die Leitungsfähigkeit des Nerven erhöht. Letzterer leitet jetzt den Reiz schneller und vollständiger, und Reize, die vorher nicht stark genug waren, eine Bewegung oder Empfindung hervorzu- - rufen, sind es jetzt zu thun im Stande; wie der Physiologe sagt, »der Schwellenwerth« des Reizes ist gesunken, oder populär ge- sprochen: der Nerv ist feinfühliger geworden. Darwins Aus- druck, »dass sich die frei werdende Nervenkraft am leichtesten auf »gewohnheitsmässigen Bahnen entlade,« ist also vollständig zu- treffend und nur dahin zu erweitern, dass wir zunächst statt »gewohnheitsmässigen« sagen auf den »leitungsfähigsten«e und hinzufügen: die »leitungsfähigsten Nerven sind die, welche am häufigsten gebraucht werden.« Damit sind nicht nur die Erscheinungen bei der Gewöhnung vollkommen. - klar geworden, sondern es ist auch das Instinktmässigwerden der Gewohnheit einer- genaueren Präzisirung zugänglich: sie be- steht in dem Erblichwerden einer relativ höheren Leitungsfähig- keit bestimmter Nervenbahnen. Gewohnheit ist somit nicht einer der dunkelsten Begriffe, sondern gehört in dieselbe Rubrik, wie die klarste unter allen Transmutationsursachen, ‚die G@e- brauchswirkung. X Damit kommen wir auch zu einer he TENEN der expressiven Bewegungen, als Darwin, indem wir sein erstes und sein drittes Erklärungsprinzip zusammenfassen können. Doch zuvor etwas gegen Erdmann! Derselbe tadelt auf pag. 26, dass Darwin bei seinem dritten Prinzip nicht scharf unter- scheide zwischen »Reflexbewegungen,« auf die der Wille gar -keinen Einfluss habe, und den sogenannten »halbwillkürlichen« Bewegungen, die der Wille unterdrücken könne. Dem gegenüber sage ich: es ist allerdings ein schon mehrfach besprochener Uebelstand an Darwins Auseinandersetzungen, dass er nicht Nro. 1965 und 2000. — Der nationalökonomische Werth der oder Heere. Ausland 1870. pag. 701 ynd 955. l nyana 946 Instinkt. scharf genug sondert; die Wissenschaft erfordert- eben einmal in erster Linie ein genaues Auseinanderhalten dessen, was nur irgendwie verschieden ist, und so müssen wir auch obige zweierlei Sorten expressiver Bewegungen auseinanderhalten. Allein nicht minder ist es Aufgabe der Wissenschaft, den inneren Zu- sammenhang des so Geschiedenen zu untersuchen, anstatt, wie Wigand und Genossen, sogleich von prinzipieller Verschiedenheit zu sprechen, und so das oberste Prinzip der Naturforschung, »die Einheit der Natur« zu läugnen. Was an Darwins Eintheilung zu tadeln ist, will ich fol- gendermassen zusammenfassen. Die Fälle, welche er mit dem ersten Prinzip (zweckmässig associrte Gewohnheit) erklärt, sind ihrer Natur nach »halbwillkürliche oder instinktmässige Hand- lungen,« welche zwar keines Entschlusses bedürfen, sondern syn-. kinetisch (d. h. als unwillkürliche Begleitbewegungen) auftreten, allein dem Willen insofern noch unterworfen sind, als sie unter- drückt werden können. Unter den Fällen, welche Dar win durch sein drittes Prinzip erklären will, befinden sich nun eben- falls »halbwillkürliche Bewegungen« und ausserdem solche, welche die Physiologie Reflexbewegungen nennt. Der zweite Fehler ist, dass es sich sowohl bei den Reflexbewegungen als bei den halb- willkürlichen um »zweckmässig associrte Gewohnheit« handelt. Trotzdem werden wir sehen, dass Darwin in seinen Ausein- andersetzungen einen bedeutenden Schritt vorwärts gethan hat, was auch Erdmann — wiederum im Gegensatz zu Wigand -— ohne weiteres anerkennt. Zu einem Verständniss gelangen wir wieder auf Grund der pag. 242 berührten Erfahrungen der Experimentalphysiologie über das Vorhandensein antagonistischer Centra, speziell desjenigen Antagonismus, den die Physiologie den Gegensatz zwischen Be- schleunigungsnerven und Hemmungsnerven nennt. Man kennt bis jetzt mehrere Bewegungen — am klarsten die des Herzens — auf welche zwei anatomisch getrennte Nerven in der Weise einwirken, dass Anspornung des einen eine Beschleunigung, Lähmung des gleichen eine Verlangsamung bis Stillstand, Anspornung des andern dagegen Verlangsamung, Titik 947 Lähmung eine Beschleunigung hervorruft. In welcher Ausdeh- nung dieser Antagonismus beim Menschen besteht, ist experi- mentell noch nicht ermittelt, allein wir haben allen Grund, an- zunehmen, dass er im peripherischen Gebiet, namentlich aber im Seelenorgan, äusserst verbreitet ist. Das einzige Bedenken ist: durch die Annahme solch ausgebreiteten Vorkommens erzielt man eine so befriedigende Lösung der schwierigsten Probleme der Psychophysik, dass wir uns leicht veranlasst fühlen könnten, die experimentelle Constatirung zu vernachlässigen, und desshalb ist es zweckmässig, dass sich die Physiologen zunächst kritisch dagegen verhalten. Für unsern Fall aber ist das Bestehen dieses formell berechtigten Zweifels desshalb gleichgültig, weil er keine thatsächliche Stütze hat, d. h. weil bisher nichts bekanntist, wasgegen die Lehre vom Zerfall derNerveninhemmendeundbeschleunigende spricht, Gehen wir nun von dem Fall aus, ‘dass Hemmungs- und Beschleunigungsnerv einer bestimmten Bewegung annähernd gleiche Leitungsfähigkeit besitzen, so ist diese Bewegung eine | völlig willkürliche, d. h. der vom Centrum gegebene Impuls bringt ebenso leicht eine Hemmung als eine Bewegung hervor. . Aus meinen pag. 944 erwähnten Untersuchungen über die Ge- brauchswirkung ergibt sich nun mit Nothwendigkeit folgendes. Wird eine bestimmte Bewegung sehr häufig gemacht, also selten gehemmt, so erhöht sich die Leitung s- fähigkeitdesBeschleunigungsnerven und min- dertsich die desHemmungsnerven. Das ist eine Beeinträchtigung des Willenseinflusses, denn derselbe bekommt, da er auf leichter leitenden Bahnen sich leichter bewegt, »ge- bundene Marschroute,« d. h. zur Unterdrückung der Bewegung gehört eine kräftigere Innervation als zu ihrer Hervorrufung. So ist die Handlung »gewohnheitsmässig,« »halbwillkürlich« ge- worden. Dahin gehören alle die automatenartig erfolgenden Bewegungen bei den verschiedensten: menschlichen Hantirungen, z. B. beim Stricken, Nähen ete. . Instinktiv wird die, Bewegung, 248 Instinkt. wenn die genannte Differenz in der Leitungsfähigkeit zwischen Beschleunigungs- und Hemmungsnerv erblich wird. Auf dem gleichen Weg kann nun (w) die Bewegung schliesslich zur RS Reflexbewegungdegradirt werden, auf welche der Wille gar keinen Einfluss mehr hat. Vorher ist aber noch ein physiologischer Exkurs nöthig. Obwohl darüber keine direkte Beobachtung vorliegt, so zwingen uns namentlich psychologische Erschei- nungen, z. B. die Ideenassociation, aber auch die Erscheinungen auf dem peripherischen Gebiet zu einer An- nahme, die ich, sowie dass weitere mit Hülfe nebenstehender Figuren erläutern will. In der Figur stellen die Kreise Nervencentra vor und zwar ist W ein Willenscentrum der grauen Hirnrinde, die andern sind Durchgangscentra der Basisganglien und zwar S ein sensi- tives, B ein beschleunigendes, H ein hemmendes Centrum. E sei das Ende eines Empfindungsnerven, Mein Muskel. Fig. 1 gibt uns die Verbindungsnerven für die willkürliche Constellation: Ein Empfindungsreiz geht durch S nach W und von dort aus kann der Muskel m jetzt durch B hindurch bewegt oder durch H gehemmt werden. Wird nun die Empfindung von E und die Be- wegung von M derart, dass sie als völlig zweckmässig mit Regelmässig- keit auf einander folgen, d. h. handelt es sich um eine unter allen Umständen »zweckmässige Asso- ciation,« so scheint es Regel zu sein, dass sich die beiden Durch- Fig.3, Instinkt. 949 gangscentra S und B durch eine Querfaser SB nachträglich in Verbindung setzen können (Fig. 2), auf welcher der von E aus- gehende Reiz den Muskel M bewegen kann, ohne dass das Willenscentrum W dabei thätig ist. Anfangs besteht nun neben dieser neuen sogenannten »Reflexfaser« die Willensfaser W B und die Bewegung kann sowohl willkürlich als reflexartig hervor- gerufen werden und so hätten wir ein Verhältniss, wie es uns z. B. die mechanisch erfolgenden Handlungen bei vielen mensch- lichen Hantirungen, z. B. Stricken, Nähen etc. vorführen. Nach dem Satz, dass Nichtgebrauch zunächst die Leitungsfähigkeit beeinträchtigt und bei dauerndem Ausbleiben der Innervation der Nerv schliesslich degenerirt und verödet, käme es bei dieser Constellation bezüglich der Faser W B zuerst zur Minderung der Leitungsfähigkeit, was in Fig. 2 durch die Punktirung dieser Nervenbahn ausgedrückt ist. Endlich aber tritt die Verödung ein und jetzt ist die Constellation so wie sie Fig. 3 gibt und ‚die ich die »halbwillkürliche« nennen will: die Bewegung kann wegen Mangels der Faser WB durch den Willen nicht mehr erregt werden, sondern nur noch reflexartig von E aus, allein da. die Verbindung von W und. M durch die Hemmungs- fasern WH und HM noch besteht, so kann die Bewegung noch durch den Willen unterdrückt werden. Ist nun die Zweck- mässigkeit eine so hohe und regelmässige , dass die Hemmung sehr selten oder gar nie erfolgt, so büssen auch die Hemmungs- fasern gradatim ihre Leitungsfähigkeit, was ich wieder durch die Punktirung der Linien angedeutet habe, und jetzt ist das »Reflexverhältniss« ein gänzlich ungetrübtes. Daraus, dass die ' meisten Reflexbewegungen doch, wenn auch sehr EEE ge- hemmt werden können, z. B.’ das Niesen, wofür Darwin pag. 38 das nöthige anführt, geht hervor, dass es bei’diesen nicht bis zur Verödung der Hemmungsfasern gekommen ist, sondern dass sie nur in Folge von Nichtgebrauch in einen sehr schlechten Leitungszustand versetzt wurden. . Diese Auseinandersetzungen bieten nicht blase eine genü- gende Erklärung für alle expressiven Bewegungen, welche nicht durch das Prinzip des Gegensatzes zu erklären sind, sondern ei nn cn Tem Bee HR ES SE Ba A er EES Instinkt. lassen auch einen tiefen Blick in das Zustandekommen der Be- wegungsassociation überhaupt thun: die Zweckmässigkeit der Association findet nämlich ihre Lösung dadurch, dass Nerven, die eine unzweckmässige Association herstellen würden, der Ver- ödung durch Nichtgebrauch anheimfallen, Nerven, die zweck- mässige Verbindungen herstellen, durch Gebrauchswirkung zu höherer Leitungsfähigkeit gelangen. Darin liegt auch der Schlüssel für die Methode der körperlichen und geistigen Ab- richtung des Menschen. Desshalb habe ich mich hier etwas länger dabei verweilt. | Um auf unseren Gegenstand zurückzukommen, so sehen wir, dass Darwin mit seinem ersten Prinzip, der zweckmässigen Association, völlig ausgereicht und nicht nöthig gehabt hätte, für die Reflexbewegungen und gewisse halbwillkürliche Bewegungen zu einem dritten im Grund genommen nichtssagenden Prinzip seine Zuflucht zu nehmen. Nichtsdestoweniger liegt der Darwin’schen Sonderung etwas richtiges zu Grunde: die Fälle, welche er mittelst seines ersten Erklärungsprinzips auflöst, stimmen darin mit einander überein, dass die Bewegungen, um welche es sich handelt, zwar auf dem Wege der zweckmässigen Association entstanden sind, allein später ihren Zweck verloren haben. Sie gehören also in dieselbe Kategorie wie die abortiven Organe, und ich möchte sie desshalb »abortive Bewegungen« genannt wissen. Es sind das Bewegungen, die entweder ontogenetisch (d. h. beim Kind) oder phylogenetisch (d. h. bei einem Ahnherrn des Menschen) einen ganz bestimmten Zweck hatten, allein beim Erwachsenen als zwecklose Synkinesien auftreten. Dass eine Menge expressiver Bewegungen auf diesem Wege erklärt werden können, ist eine hochverdienstliche Entdeckung Darwins, die auch Erdmann anerkennt, indem er pag. 28 sagt, »dass sogar »der Gegner sich nicht enthalten könne, zu sagen: Sinnreich! -»oder: Hübsch! »Wigand befindet sich also keineswegs mit Erdmann in Uebereinstimmung, "wenn er sagt, »damit sei nichts erklärt!« Was verstehen wir denn eigentlich unter einer »Erklärung?« Doch offenbar den Nachweis der Ursachen einer Instinkt. 951 Erscheinung. Die Erklärung ist eine vollständige, wenn wir alle Ursachen nachweisen, es ist aber schon ein bedeutender Gewinn, wenn auch nur eine einzige der concurrirenden Ur- sachen nachgewiesen wird. Eine dieser Ursachen ist der Zweck, die causa finalis der Teleologen, die wir Transmutisten nicht verwerfen (was ich gegen Häckel bemerken möchte), sondern nur in causae efficientes auflösen. Mithin wer für ein abortiv gewordenes Organ oder eine abortive Bewegung einen Zweck in der Ontogenese: oder Phylogenese nachweist, hat unbestreitbar eine Leistung in der Richtung einer Erklärung aufzuweisen. Es ist hier unmöglich Raum, auf alle die von Darwin gegebenen Erklärungen bestimmter Fälle so einzugehen, wie es Wigand in dem Anhang pag. 447 gethan — es sind neben vielen völlig zutreffenden auch einige minder treffend behandelte — auch muss ich darauf verzichten, alle die theilweise wirklich albernen Bemerkungen, die Wigand an die einzelnen Fälle knüpft, zu - geiseln, aber die Behauptung Wigands, dass damit für die Erklärung dieser merkwürdigen Erscheinungen nichts geleistet sei, ist die eines Mannes, der eben absolut nichts erklärt haben will. Doch zurück zur Sache: Von den abortiven Bewegungen, wie es das aus dem Weinen abstammende Stirnrunzeln des mit einem Problem kämpfenden Denkers ist, unterscheiden sich die Fälle, auf welche Darwin sein drittes Prinzip anwendet, bloss dadurch, dass ihre Zweckmässigkeit nicht von olim datirt, sondern dass sie noch heute besteht, das gilt z. B. von den Reflexbewegungen ganz unstreitig. Aber eben desshalb gehören auch sie unter die Kategorie der zweckmässig associrten Ge- wohnheiten, sie haben nur die höchste Stufe der Association, die Reflexassociation, gewonnen. Wir können den Unterschied auch so präzisiren: die abortiven Bewegungen hatten einen Zweck, die Reflexbewegungen (und manche halbwillkürliche Be- wegungen) haben einen Zweck. Was man weiter an Darwins Aeusserungen über die abortiven Bewegungen mit Recht aus- setzen kann, ist, dass er manche derselben phylogenetisch erklären will, die nur einer ontogenetischen Erklärung zugänglich sind. + i Jandan X 959 - Instinkt. ” Dem gegenüber muss daran festgehalten werden, dass nicht alle Erscheinungen der Ontogenese mit Nothwendigkeit auf die Phylogenese zurückverlegt werden müssen, denn es können dem Kind später Charaktere angezüchtet werden, die dem- correspon- direnden Stammvater fehlten. Nun noch etwas’ gegen Erdmann: er hat Recht, wenn er Darwin tadelt, dass derselbe die psychologische Seite der frag- lichen Erscheinungen nicht bloss vernachlässigt, sondern auch die psychologische Betrachtungsweise geradezu herabsetzt. Allein Erdmann wird doch nicht behaupten wollen, dass es unerlaubt oder gar unwissenschaftlich sei, derlei Erscheinungen auch einer Analyse vom zoologischen oder biologischen Standpunkt aus zu unterwerfen? Er hat ja selbst zugegeben, dass Darwin auf diese Weise vieles zu Tage gefördert hat, das selbst der Gegner »hübsch« oder »sinnreich« zu nennen gezwungen sei. Jeder Standpunkt hat seine Berechtigung und von jedem Standpunkt aus lässt sich an einer Sache neues finden, weil es für keinen Naturgegenstand einen einzigen Standpunkt gibt, von dem aus man alles an demselben sehen könnte. Zum Schluss noch eines, was übrigens schon Darwin klar ausgesprochen hat. Das Fortbestehen mancher expressiven Bewegung, die heutzutage abortiv zu nennen ist, findet ihre Erklärung darin, dass sie ein Rest aus der primären Geberden- sprache des Menschen ist: Wie ich in meinen pag, 137 citirten Aufsätzen über den Sprachursprung nachwies, bestand die Ur- sprache des Menschengeschlechtes vorwaltend aus Geberden, zu denen wenige Empfindungslaute, Locktöne und Ahmlaute sich gesellten. Unter den Geberden spielten die Empfindungsgeberden als Verständigungsmittel über Gemüthsbewegungen eine wesent- liche Rolle; trotzdem dass sie in dieser Funktion durch die Ent- wicklung der Wortsprache überflüssig gemacht wurden, bestehen sie noch fort, weil sie die Worte des Redners und Schauspielers als »Geste« begleitend, noch immer einen gewissen, wenn auch untergeordneten Zweck haben. Sprache. 953 e 2) Die Sprache. Da ich mich selbst (s. pag. 137) und zwar in ausführlicherer Weise über den Ursprung der menschlichen Sprache geäussert habe, als Darwin, so will ich mich über diesen Gegenstand hie nicht länger verbreiten und nur folgendes zur Abwehr gegen Wigand aufnehmen. Pag. 358 sagt Wigand: »So wird die Sprache als Ursache »für die Entwicklung der geistigen Fähigkeiten, und diese wieder »als Ursache für die Entwicklung des: Sprachvermögens be- »trachtet, — eine Probe der bekannten Darwin’schen Logik, »— als wenn durch beliebige Vertauschung von Ursache und »Wirkung ein neues Kraftmoment hinzu gebracht würde!« Das AA schreibt derselbe Wigand, der pag. 7 seines Buches als Grund- | iS satz der Naturforschung aufstellt: »Alle Erscheinungen stehen >in einer Wechselwirkung von Ursache und Wirkung. Es gibt ‘skeine Veränderung, welche nicht die Ursache zu einer anderen ii »Veränderung wäre.« Für Wigand scheinen Grundsätze nur dazu da zu sein, dass man sie hat, wenn man sie > brauchen kann, und vergisst, sobald sie unbequem werden. Viel zu schaffen macht Wigand die Schleicher’sche Schrift, die nachweist, dass die Entstehung und Differenzirung der Sprachen eine vollständige Analogie mit dem Entstehen und Werden der organischen Formen im Sinne der Darwin’- schen Lehre zeige. Auf die zwei ersten Einwürfe, »der Ver- »gleich sei doch sehr uneigentlich, weil die Sprache nicht ein »reines Naturprodukt, sondern vor allem Ausdruck und Wirkung g »des menschlichen Geistes sei« und dass man »die Entwicklungs- l »erscheinungen der Sprache eigentlich nur mit dem Gebiet der : »Varietäten innerhalb einer Pflanzen- oder Thierspezies ver- aa : »gleichen dürfe,« legt Wigand selbst so wenig Gewicht, dass ich nicht nothwendig finde, darauf zu antworten. Der dritte Einwurf heisst: »die Fortbildung der Organismen sei nach »Darwin wesentlich ein Fortschritt, eine zunehmende Compli- N »„kation der Gestalt und Organisation , während im Gegentheil 1 ydie Fortbildung der Sprachen eine fortschreitende Abschleifung, 954 Erkenntnissvermögen. »Verarmung, Aushöhlung und Entartung darstelle.« Selbst wenn das wahr wäre, so ist das gar kein Einwurf, da die rückschrei- tende Metamorphose auch in der Natur vorkommt (Schmarotzer- krebse, Eingeweidewürmer etc.) und die Dar win'’sche Lehre diese so gut erklärt wie die fortschreitende. Der vierte Ein- wurf ist eine nackte Läugnung der Thatsache, dass es eine vom Volk unabhängige Concurrenz von Sprachen gibt, d. h. dass ein Volk einem andern, ohne dasselbe als solches zu vernichten, seine Sprache aufdrängt. Der fünfte Einwurf ist der, dass nach Schleicher die Grundverschiedenheit der grossen Sprachensippen wie indogermanische und semitische gegen einen gemeinsamen Ursprung aus einer Ursprache spreche. Diess beweist‘ wieder nichts gegen die Transmutationslehre. Es gibt bekanntlich Transmutisten, die auch für die Organismen eine polyphyletische Abstammung annehmen, und eine Transmutation innerhalb des Phylon ist eben auch eine Transmutation. Uebrigens geht meine Ansicht dahin, dass auch in sprach- geschichtlicher Beziehung die polyphyletische Anschauung eine unnöthige Halbheit ist, die darin liegt, dass man eine falsche Vorstellung oder besser gesagt gar keine Vorstellung von der Ursprache hat. Sobald man bezüglich dieser zu der Annahme sich bequemt, wie ich sie in meinen pag. 137 eitirten Aufsätzen niederlegte, so entfällt jede Schwierigkeit. Wenn die Sprach- forscher sich ein wenig um die Geberdensprache kümmern würden, so würden sie bald das alle Sprachen einigende Band finden. 3) Erkenntnissvermögen und Selbstbewusstsein, Ausser der längst gehörten Behauptung, dass das thierische Seelenvermögen und der menschliche Geist qualitativ verscHteden sei — Beweise für diese Behauptung hält er für überflüssig — brinst Wigand hier nichts. Dafür tischt er seinen Lesern folgendes auf: Häckel hat bezüglich der Entwicklung der Seele den Satz aufgestellt, dass alle Erkenntniss, von der wir ~ jetzt behaupten, sie a priori zu besitzen, ursprünglich aposterio- Moralität. $ 255 e risch, d. h. durch Erfahrung erworben sei, und erst dadurch aprioristisch werde, dass sie sich vererbe. Das heisst nach = Wigand pag. 365: »Der pythagoräische Lehrsatz und das auf .... Dezimal- stellen berechnete Verhältniss des Kreisumfanges zum Durch- messer ist von einem Affen, Haifisch oder einem anderen uralten Vorfahren durch Messung entdeckt, dann dem Affen- »geschlecht so geläufig und selbstverständlich geworden, dass »sich diese Wahrheiten in der Folge beim Uebergang des Affen »zum Menschen auf diesen in der Form apriorischer Erkenntnisse »vererbt haben.« Die Ehre der Entdeckung, dass die Kenntniss vom pythagoräischen Lehrsatz und der Ludolfine dem Menschen angeboren (das versteht man unter aprioristisch) sei, darf Wigand ganz für sich in Anspruch nehmen. Armer Pytha- goras! und wozu die Leute in der Schule mit Geometrie und Arithmetik plagen, wenn ihnen die Kenntniss derselben ange- ‘boren ist? 4) Die Moralität. Auch hier kann ich mich ganz kurz fassen. Ich stelle mich hier völlig auf den Standpunkt der Bibel, welche in der Lehre von der Erbsünde, von der angeborenen Verderbniss mensch- licher Natur die Moralität nicht als etwas dem Menschen Ange- borenes, sondern als etwas erst durch die Erziehung von jedem . einzelnen zu Erwerbendes behandelt, ich erkenne beim Menschen nicht einmal einen socialen Instinkt an, auch der ist Erziehungs- produkt. Die Mittel, durch welche die Moralität erworben wird, lehrt uns jede gute Pädagogik kennen. Vor allem spielt hier die Gebrauchswirkung, d. h. die Gewöhnung, die Hauptrolle, dann die Selektion, einmal indem wir unmoralische Menschen bestrafen bis vernichten, moralische beloben und begünstigen und fürs zweite indem der unter den Individuen, Familien, Gemeinden, Staaten, Völkern und Rassen bestehende Concurrenz- kampf in letzter Instanz das bekannte Sprüchwort erhärtet: »Ehrlich währt am längsten.« Gegen Wigand bemerke ich nur folgendes: er hat früher Darwin zum Vorwurf gemacht 956 Religion. dass er die Grundsätze seiner Lehre dem Menschenleben ent- lehnt habe; jetzt behauptet er, dass diese Grundsätze auf das Verhältniss der Menschen zu einander nicht angewendet werden können. Also auch hier blinde Opposition um jeden Preis, selbst auf die Gefahr in die Andern gegrabene Grube zu fallen. - 5) Die Religion. Dieses Gapitel gehört wieder unter die heillosesten des ganzen Buches, da es voller Widersprüche und Verdrehungen ist. Das Ganze gipfelt in folgendem Widerspruch. Pag. 380 sagt Wigand: »Wenn ich das Selektionsprinzip verwerfe, so ` »geschieht es daher keineswegs, weil ich mein religiöses Gefühl »dadurch verletzt fühle,« weiter unten: »die Religion wird durch »die Selektionstheorie nicht angefochten.«e Am Schluss seiner Auseinandersetzung pag. 387 sagt er: »dass sowohl die Unsterb- »lichkeit der Seele, als der Glaube an die Existenz Gottes durch »die Darwin’sche Theorie negirt wird.« Entweder ist diess ein nackter Widerspruch oder fehlt in Wigands Reli- | , gion der Glaube an Gott und die unsterbliche Seele, dann ist er ein Materialist vom reinsten Wasser. Diese Eine Probe möge dem Leser genügen; wenn er weitere kennen zu lernen wünscht, muss ich ihn auf das Original verweisen. Was die Sache selbst betrifft, so kann ich auf meine eigene Schrift *) verweisen, von der ich nichts wegthun und zu der ich nichts zuthun mag. Dieselbe hat eine solche Fluth von Ent- gegnungen (aber auch Zustimmungen) hervorgerufen, dass mit einer eingehenden Polemik diese schon genugsam angeschwollene Schrift über Gebühr beschwert würde. Ich verzichte auf eine solche um so leichter, als die Sache selbst durch diesen Ver- zicht nicht geschädigt wird. Was ich mit jener Publikation wollte, das habe ich völlig erreicht, nämlich den Nachweis ge- liefert, ‘dass wer keinen Conflikt zwischen den Ergebnissen der *) Jaeger, Die Darwin’sche Theorie und ihre Stellung zu Moral und Religion. Stuttgart. Jul. Hoffmann. ‚ Religion. 957: neueren Naturforschung und der Religion haben will, auch keinen zuhaben braucht, und der Erfolg dieses Nach- weises ist der, dass seitdem das verständnisslose Geschrei, die -Darwin’sche Lehre verstosse gegen Moral und Religion, > schwächer geworden ist und die Zahl derer, welche sich durch solches Geschrei die Freude an den geistigen Eroberungen un- seres Jahrhunderts nicht mehr verbittern lassen wollen, eine er- hebliche Zunahme erfahren hat. »Aber die ganze Summe von »Verdrehungen, Missverständnissen — absichtlichen und unab- »sichtlichen — höhnischen Bemerkungen, Verdächtigungen ete., »das kann man doch nicht ruhig hinnehmen?« — Warum nicht? Die Person ist in solchen Dingen Nebensache und die Sache, d. h. meine Auffassung von Moral und Religion ist in meiner Schrift zwar in nuce, aber doch so klar niedergelegt, dass jeder, der sie verstehen will, sie auch verstehen kann. Das einzige, was ich jener Polemik gegenüber hier sachlich ' für nothwendig halte, ist eine Präzisirung meines Satzes, dass die Religion eine »Erfindung« sei, worüber alle meine Gegner, auch Wigand, herfallen. Da ich hinzusetzte, »genau so, wie für mich die Sprache eine Erfindung des Menschen ist,« so ist klar, dass ich das Wort nicht im Sinne von »Erdichtung,« sondern in dem Sinne brauchte, dass der Mensch sich seine religiösen Dogmen zu praktischen Zwecken machte, was Niemand wird läugnen können. Wer ernstlich behaupten wollte, dass sie dern Menschen direkt von Gott eingegeben seien, der erklärte Gott für einen Lügner, denn das wäre er, wenn er den Indern den Buddhaismus und Brahmanismus, den Persern ihre Feuer- anbetung, den Muhamedanern ihren Muhamedanismus, den Negern ihren Fetischismus etc., also dem einen das, dem andern das Gegentheil als Wahrheit ins Ohr geflüstert hätte. Weiter ist mit dem Wort nicht gesagt, dass dieser Erfindung nicht etwas Reales, in der Aussenwelt Existirendes zu Grunde liege. Selbst für den vorgeschrittensten Naturforscher existirt jenseits des von ihm beherrschten physischen Gebietes nicht bloss etwas, Sondern gerade die Hauptsache, die mächtigste aller Ursachen, die ultima causa aller Dinge, das, was alle Welt »Gott« oder Jaeger, In Sachen Darwin’s. 17 ER E A AE pimi en i 7 258 Religion. »die Götter« heisst. Da nun aber, wie die Bibel sagt, »Gott unerforschlich ist,« so ist jede nähere Vorstellung, die sich jemand von dem Wesen Gottes macht, wieder lediglich nichts als eine Erfindung, aber eine durchaus berechtigte, weil der menschliche Geist an und für sich und der Gebrauch, den man von der Religion als Erziehungs- und Bildungsmittel macht, mit Nothwendigkelt eine positive Vorstellung verlangen, also mit der von der Bibel ausgesagten »Unerforschlichkeit« als einer absolut negativen Qualität sich nicht begnügen können. Zum Schluss beziehe ich mich noch auf meinen Aufsatz über das Strauss’sche ‚Buch vom »alten und neuen Glauben,«*) in welchem ich einige weitere Erläuterungen gegeben habe. Die zahlreichen schriftlichen und mündlichen Zustimmungen, die mir dieser Aufsatz eintrug, beweist mir, dass er einiges zu weiterer Klärung beigetragen hat und dass die Zahl derer, die unbekümmert um die Fanatiker von rechts und links die goldene Mittelstrasse wandeln, im Wachsen begriffen ist. | Man schilt uns die »Halben.« Sei’s drum! Die Welt- und Culturgeschichte hat niemals den extremen Partheien Recht ge- geben, der Sieg blieb immer denen, die den Grundsatz hatten, das Gute zu nehmen, wo man es findet. Es muss jederzeit ex- treme Partheien geben, sie sind der Sauerteig in der Cultur- geschichte, aber noch niemand ist es eingefallen, sich aus lauter Sauerteig sein Brot zu backen. Wigand- bringt in Form von umfangreichen Anmerkungen zu den einzelnen Capiteln seines Buches einen Anhang, aus dem noch vieles zur Charakteristik des Mannes taugliche ausgezogen werden könnte, allein ehrlich gestanden: ich habe genug und denke auch, der Leser wird es satt sein, noch weiter den Irr- gängen eines Mannes nachzuspüren, der sich alle Mühe gibt, was klar ist, zu verwirren, und was wahr ist, zu läugnen, dem seine Meinung höher steht, als die Sache, und der mit den Waffen des Fanatismus kämpft. *) Ausland 1874. Nr. 3. Häufung derselben 57. Abgränzung der Typen 154. Abhärtung 34, 74. Abneigung gegen Vermischung 52, 90. Abstammungsmodalitäten 169. Acclimatisation 8, 51. Aehnlichkeitsursachen 182. _ Affenembryo 173, 191. Affen- und Menschenschädel 189. Agamische Verwandtschaft 158. Albuminate, Entstehung der 167. Alter der organischen Welt 201. Amphioxus 232 fi. i Amyxie 90. £ à Anpassung 76, 228. j ` Antagonistische Nervencentra 242. Antarctis 205. ` Anthropogenesis 190. 2 Arctis 205. Artbegriff 1. Art, Geschichte der 12, 200. mane 14, 15. ` Artentod 10, 14. Association der Bewegungen 250. Abänderung, Fixirung derselben 42, Abortive Organe 235, Bewegungen 250. Affenabstammung des Menschen 186. Arten, gemeine, seltene und mono- Register. | Atomentheorie 41, | Aufrechter Gang 137, 190. Aeussere Einflüsse, Wirkung derselben 16, 30, 151. | Ausdruck der Gemüthsbewegungen 241. Ausdünstung, sympathische 52, —ver- mögen 129. ‚Aussterben der Mittelformen 149, Bastardirungsverwandtschaft 158. Bathybius 168. Bathyplasmodium 167. Befruchtung 23. Begleitorgan 114. Beine, Umbildung der 932. Bergformen 75. Beschleunigungsnerven 246. Bewegungen, geschlechtlich erregende 130, Association der 242 ff. Beweis, paläontologischer 200, a logischer 210. Bienenstachel 118. Bildsamkeitsunterschied 17. 145, Vicarirung 224. Bipedie 162, 187. Blumenkrone 100. í Blutaufmischung 13. Biologische Divergenz 90, Migration 52, w> 260 Blutsverwandtschaft 181. Blutvertheilung 49. Brüllen 117. Brütezeit 176. Buchfinkennest 240. Bunte Farbe der Giftinsekten 112, der Vögel 127, der Schmetterlings- männchen 134. Causa finalis 139, 150. Causalitätsgesetze 140. - Centra, antagonistische, des Gehirns 942. Chaotische Verwandtschaft 158. Charaktere, die systematischen 91, embryonale 113, schädliche 117, Reihenfolge ihres Auftretens 185, Rang derselben 185, Divergenz des Charakters 149. Circumpolare Gattungen 225. Classifikationscharakter 160. Coexistenz höherer und niederer For- men 85, 195. Colossalformen 170. Compositen, Pappus der 94. Concentrische Differenzirung 67. Concurrenzstärke 87. Constante Arten o 12 Constanzphase 15. Constitutionskraft 13. Convergente Züchtung 182. = Copris 295. Coordinirte Typen 169. Correlation 148. Correspondirendes Lebensalter 213. Culturrassen und — Varietäten 32. 33. « Damenwahl 125. Darm - Veränderung durch Pflanzen- nahrung 97. Deduktion 26. Divergenz durch Fortschritt 88, 144, 172, des Charakters 149. Domestikation, Wirkung derselben 32 47, 61, des Menschen 190. , | | | Dreizahl, organisatorische Bedeutung | derselben 115. Register. Echauffement 19. . Ecker 173. Ehe 45, 136. Eichenraupen 9. Eigrösse 176. 4 Einflüsse, äussere 16, 30. Einwanderung 204. Eiszeit 226. Embryologischer Beweis 210. Embryonalcharaktere 113, — Zähne 215, 237, Embryonen, 191. Entwieklungsdauer 176, — Tempo 178. Erdbeeren 32. Erdmann 241. Erfrierungspunkt 69. Erkenntnissvermögen 254. Ernährungstrieb, Mangel des 940. Erregung, geschlechtliche 127. Extreme Formen 143. Unterschiede der 173, Farbe, bunte, der Giftinsekten 112, leuchtende der Vögel 127, als Brut- hinderniss 131, der Schmetterlings- männchen 134. Fehlen der Stammformen 207. Feindliche Auswahl als Ursache der sekundären Geschlechtscharaktere 132. Feuermachen 190. Fingerzahl 162. Fixirung der Abänderungen 42. Flatternde Federn 131. Fleischnahrung, Wirkung derselben 97. Flugbare Samen 95. Flügeldeckenverkürzung 93. Flügellosigkeit 161. Flugfähigkeit 73, 119. Fortschreiten der Abänderung 57. Fortschritt im System 194, — der paläontologischen Entwicklung 203, —sgesetz 87, 144, 195. Fötalbewegungen 177. Fruchtbarkeit 13, 22. Fuchs und Hase 78. ! Fusszahl 162. Register. Gattungen, vicarirende 225. Gattungscharakter 164. Geberden 252. Gebrauch, Wirkung 48, 92, 172, Ge- brauch und Selektion 109. Geburtsakt, Ursache des 177. Geburtsmoment und natürliche Aus- wahl 40, 185. Gefangenschaft 8, 15. Geflechtpflanzen 107. Gegensatz, Prinzip des 242. Gemeine Arten 14. Gemüthsbewegungen , Ausdruck der 941. Genealogisches Prinzip 166, sammenhang 169. Geographische Verbreitung 292, — Vicarirung 223. . Geologische Zeitrechnung 201. _ Gepaarte Paare 30. i Geruchsinn, Schärfe des 53, Ger. und -~ geschlechtliche Zuchtwahl 128. Gesang, Entstehung 128, als Bruthin- derniss 134. Geschichte der Art, 12, 200, von Reich und Individuum 200. Geschlechter, Zahlverhältniss der 123. Geschlechtliche Zuchtwahl = Geschmeide 139. \ Geweihträger 146, 162. Gewohnheit 244. Gewöhnung 46. ` Giftstachel 111, der Bienen 118. Giraffenhals 81, 150. Gliedmassensäule 116. Gränzlose Verwandtschaft 158. Gross und Klein 170. Zu- Haberland 69. Hahnfedrigkeit 132, 134. Harmonieehen 45. Hase und Fuchs 78. Halbwillkürliche Bewegungen 949. Häufige Arten 14. Häufung der Abänderungen 57. Hemmungsnerven 246. Hieracium 158. 261 Hilfserklärungen 161. _ Hinterflügellosigkeit 161. | Hochzeitskleid 134. Höhere und niedere Formen, Coexi- stenz derselben 85, 195. Höhlenbrüter 132. Hörnerträger 146, 162; Hofmann 205. Hofmeister 229. Homologe Organe 232. Honigabsonderung 100. Hundezüchtung 39. Individuelle Variation, s. Variabilität, Zeit des Auftretens 211. Induction 26. Instinkt 238. Inzucht 13. Isolirung 51. Jugendkleider 171. Kaltblüter 19, 178. Kampf ums Dasein 65. Katze 240. Kiemen 172. Kitzelapparate 130. Klapperschlange 118. Kleiderthiere 205. Kletterpflanzen 99, ao: Körpergewicht 39. Kopfstellung des menschlichen Em- bryo 138. Kosmos 230. Kreuzehen 45. Kreuzung der Varietäten 43, 55, Kukuk 240. Künstliche Zuchtwahl 33, 61. Kützing 220. Lagerpflanzen 107. Laubfrösche, grosse 18. Leitungsfähigkeit der Nerven 245. Leuchtende Farben 127. Leucismus 50. ' Lichtfreundlichkeit 127. ~d Lockstimmen 130. Locomotive 42. 262 Lucae 189. Lücken im System 155. Luftathmungsorgan 77. Luftveränderung 19. Macrocephalie 137. Magen der Pflanzenfresser 97. Männerkampf 125. Männeropfer 133. Mann und Weib, Zahlenverhältniss 193. Mastfähigkeit 6. Maxillen, Entstehung der 232. Mensch, Embryo des 173, 191, — und Affe 186, Schädel des 189, Stamm- baum des 209. Menschwerdung 137, 186. Metamorphose, rückschreitende 36, Zeit ihres Entstehens 217. Metam, der Botaniker 195, 934. Migration 52, 145. Milchdrüsen 33. Mimeery 111. Mineralreich 193. Minimalanpassung 76. Mistkäfer 225. Mittelformen 142, Fehlen der 207. Molukkenkrebse 232. Moneren 167. Monomane Arten 15. Monophyletiker 166. Monstrositäten 29, 36. ‘Moralität 255. Morphologische Thatsachen 231. Muskelverlauf 67. Nägeli 27, 158. Nahrung 17, 97. Natürliches System 152. Nektarbildung 101. Nervenverlauf 67, der 245, Nesthocker und Nestflüchter 143. Netzverwandtschaft 186. Niedere und höhere Formen, Coexi- stenz der 85, 195. Nomen tripartitum 224, Leitungsfähigkeit Register. Nordcircumpolare Gattungen 225. Nothzuchtapparate 126. Paläontologischer Beweis 200, — Fort- entwicklung 203. Pappus der Compositensamen 94, Parfümdrüsen 198. Pendelgleichniss 58. Pflanzenfresserdarm 97. Physiologischer Rang der Charaktere 184. : Planetensystem 231. Polarfaunen 205. Polartheorie 204. Polyphyletiker 166. Primitive Organe 235. Primordialzelle 234. Prinzip des Gegensatzes 249. Proportionalität 92. Pygidium 93. Quadrumanie 187. _ Rang des Charaktere 185, Ranger- höhung des Speziescharakters 160. Ranke 48, rankende Pflanzen 99, 105. Ray 1. Reflexbewegungen 248. Regulirungseinrichtungen 19. Religion 256. Ringverwandtschaft 186. Rosen der Tetraoniden 130. Rudimentäre Organe 113, 233 ff. Rückbildung 235. Rückenschildchen 93. Rückschlag 48. Rückschreitende Metamorphose 36, 235. Rüsselverlängerung 101. Saatgutwechsel 13. Samenwanderung 95. Säugeperiode 176. Säugethiere, Schöpfungscentrum der- - selben 205. Saugen, Mangel des Triebs dazu 240. Saugrüsselverlängerung 101. 4 Register. Schädliche Charaktere 117. Schleicher 253. Schmeissfliege 941.” Schmetterlinge, Geruchssinn der 52, bunte Männchen der 134. Schönheit bei geschlechtl. Zuchtwahl 138 Schöpfungscentrum der Vögel und Säuger 205. ' Schwächlinge 69. ; Schwellapparate der Hühnerarten 130.4 Schwerkraft, Einfluss auf Menschwer- dung 138. ; Seidenraupen 9, 70, 69, 240. = Sekundäre Geschlechtscharaktere 131. Selbstbewusstsein 254. Seltene Arten 15. Settegast 47. Sinnliche Erregung 127% Skelett, ‚Nutzen EN 116. Sonnenfreunde 197. - Sparsamkeitsprinzip 236. Spekulation 25. Spezies, Zahl der 10, 203, Unverän- derlichkeit der 2, 16, Sp. und Va- rietät 21, vicarirende 224. Speziescharakter, Rangerhöhung des EIG, Sprache 137, 253. Stachelbeeren 38. Stammbaum, Figur des 181, St. des Menschen 202. Stammformen 207, 233 ff. Stammvater, gemeinschaftlicher 179, 209. Standortsvarietäten 30. Stengel, Verlängerungund avrog des 106. Stiefmütterchen 33. Stinkdrüsen 112. Subordinirte Formen 169. y System, Anordnung des 10, natür- liches 152. Systematische Charaktere 95, Ver- wandtschaft 180. des Weibchen 263 Tanz 130.` n Tastsinn 130. Tauben, weisse 70, Umänderung der 16. Tetraoniden, Rosen der 130. Thalformen 75. Tiefsee 168. "Trächtigkeitsdauer 176. Trainirung 6, 49. Typen, Abgränzung der 154. Uebergangsformen 155, — Verwandt- schaft 158. Uebervölkerung 84. Unger 220. Unveränderlichkeit der N 2, 16. Ursprung der Sprache 137. Urzellentheorie Wigands 140, 235. Urzeugung 166, Fortdauer der 198. Variabilität 97, —sphase 15, des In- stinkts 239. Varietät und Spezies 21. Verbreitung, geographische 929. Verbreitungsfähigkeit höherer Formen 86. Vererbung 42, 213, 218. Verjüngung der Art 12. Verlängerung des a > 176. Versetzen der Petece 12. Verwandtschaft 158, 180. Ver weichlichung 34, T4. Vicarirung 223.“ Virchow 189. Vögel, Schädel der 30, Goa der 128, Sehen E der 205, Farben der 197. Vollkommenheit der Organisation 142. Wahsscheinlichkeit der Artbildung 53. Walfischbarten 108. Wandertrieb 241. Warmblütigkeit 19, 178. Wärme, Unterschiede der 17, Schwan- - kungen der 74, 177, Regulirung der 19, W. und Entwicklung 178. ' Wasserleben 89. nn a mi mern mann in an en nn Sn 264 Weib und Mann, Zahlenverhältniss | von 123. k Weisse Tauben 70, weisse Blüthen 50. Weltkörper 231. Werbemittel 124, —kämpfe 124. Wettkampf 65 u. ff. Wirbelsäule 116, 165, 183, 232. Zahl der Spezies 10, 203. Zahlenverhältniss von Mann und Weib 123, von Raub- und Beute- | thieren 78. Zähmbarkeit 9. Register. Zahnbau und Nahrung 96. Zähne,-embryonale 215, 237: Zahnschnäbler 163. Zehenzahl 162. Zeitdauer der Thiergeschichte 201. Züchtung, convergirende 182. Zuchtwahl, geschlechtliche 123, künst- liche und natürliche 33. Zugvögel 240. A Zweckmässigkeit 227, associrter Be- wegungen 250. Zwischenformen 155. Cambridge Univ On permar the Botan sity Library, osit from f Die Eintheilung dieser, ersten Gesammt-Ausgabe ist folgende: Ba. I. Reise eines Naturforschers um die Welt. Bd. H—IV. Allgemeines. ` Ueber die Entstehung der Arten durch nätürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um’s Dasein. Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domesti- cation. 2 Bde. Bd. V—VI. Zoologisches. Die Knie des Menschen und die geschlechtliche Zucht- wahl. 2 Bde. | ‚Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen b bei dem Menschen und den Thieren. Bd. VII. Botanisches. N Ueber die Bewegungen und Lebensweise der kletternden Pflanzen. Ueber die Einrichtung zur Befruchtung britischer und aus- 'ländischer Orchideen durch Insekten und über die günstigen Erfolge der Wechselbefruchtung. Ueber Di- und Trimorphis- -mus. -Ueber Drosera und Dionaea. Bd. IX u. X. Geologisches. Ueber den Bau und die Verbreitung der Corallen -Riffe. Geologische Beobachtungen über vulkanische Inseln. aog Beob- achtungen über Südamerika. ' Diese erste ne erscheint in ca. 60 Lieferungen von je 4—5 Bogen in gr. 8°, im Format dieses Prospectes; alle 14 Tage wird eine Lieferung ausgegeben. Die erste Lieferung enthält die schon längst erwartete dritte gänzlich umgearbeitete ‚Auflage der Abstammung des Menschen (Werke V. Bd.).- Einzelne Werke aus dieser billigen Gesammt-Ausgabe können nicht abgegeben werden, da nach Erscheinen Be: PKPRI Ab- theilung der frühere kadens eintritt. Stuttgart, im October 1874. E. Schweizerbart’sche Verlagshandlung. (E. Koch.) Frühere Schriften desselben Verfassers: Zoologische Briefe. ' Lieferung L ind I. < Wien, Wilhelm Braumüller, 1864, 1870. Die Wunder der unsichtbaren Welt. Bine populäre Darstellung der Ergebnisse mikroskopischer For "schung Ä mit 1 Tafel. und 376 Holzschnitten. Zweite Auflage. Berlin, Gustav Hempel, 1868. ' Das Lehen im Wasser und das Aquarium. a; Mit 7 Farbentafeln und 79 Holzschnitten. Hamburg, Vereinsl buchlandlung, 1868. i Poa l ; Die Darwin’sche Theorie und ihre Stellung zu Moral und Religion. Stuttgart, Julius Hoffmann, 1868. - Handbuch der allgemeinen Zoologie. I. Theil: Zoochemie und Morphologie, =~ "Mit. 125 Holzschnitten. ; Leipzig, Ernst Günther, 1871. Skizzen aus dem Thiergarten, Mit 102 Holzschnitten. Leipzig, Wilhelm Baensch, 1872., Deutschlands Thierwelt nach ihren Standorten eingetheilt. Als Leitfaden zur Natur beohachtung und Führer auf Ausflügen. - Zwei Bände mit 6 Farben- und 8 Tontafeln und zahlreichen Holzschnitten. Stuttgart, A. Kröner, 1874. Elemente der Pharmacie. f II Theil: Allgemeine und medizinisch-pharmaceutische Zoologie. Mit zahlreichen Holzschnitten. Leipzig, Ernst Günther ‚ 1874. Druck der E. Schweizerbart’schen Buchdruckerei in Stuttgart. III SUN MH H H, / Hy H, HR R IN / N; Hl HL