K N rarae intis ioa Fü 4 >. he. $ u | 1. “4 ‘ E ee pale: s a Me ae, Iversal Portiolios Sa = PE meee rero Aiaia ai eres ry to = $ a x 5 -Botanische Mittheilungen x a $ Carl Nägeli. i II. Band. Mit 7 Tafeln. i (Aus den Sitzungsberichten der k. b. Akademie der Wissenschaften in München.) : München Druck von F. Straub. 1866. U + “ Inhaltsverzeichniss. 16 (7. Mai 1864). Ueber den innern Bau der vegetabilischen Zellmembranen. I. Theil. Mit 2 Tafeln 17 (9. Juli 1864). Ueber den innern Bau der vegetabilischen Zellmembranen. U. Theil. Mit 3 Tafeln . 18 (18. November 1865). Ueber den Einfluss der Suaren Ver- hältnisse auf die Varietätenbildung im Pflanzen- ; reiche i > ‘ a ee 19 (15. Dezember 1865). Ueber die Bedingungen des Vor- ‘kommens von Arten und Varietäten innerhalb ihres Verbreitungsbezirkes : $ 20 (15. Dezember 1865). Die Bastardbildung im Pflanzenreiche 21 (13. Januar 1866). Ueber die abgeleiteten Pflanzenbastarde 22 (13. Januar 1866). Die Theorie der Bastardbildung ee - = š _ 28 (16. Februar 1866). Die Zwischenformen zwischen den bg Pflanzenarten . R 24 (10. März 1866). Die systematische Behandlung der Hieracien -rücksichtlich der Mittelformen . s 25 (10. März 1866). Versuche, betreffend die Capillarwirkungen bei vermindertem Luftdrucke. I. Theil 26 (21. April 1866). Die systematische Behandlung der Hieracien rücksichtlich des Umfanges der Species 27 (21. April 1866). Versuche, betreffend die Capillarwirkungen i bei vermindertem Luftdrucke. II. Theil. Mit 2 Taf. 28 (5. Mai 1866). Synonymie und Literatur der Hieracien 29 (5. Mai 1866). Die Theorie der Capillarität 18. Ueber den Einfluss der äusseren Verhältnisse ~ auf die Varietätenbildung im Pflanzenreiche. (Vorgetragen den 18. November 1865.) Die Varietätenbildung ist bis jetzt fast ohne Ausnahme als das Resultat” der äussern Einwirkungen angesehen und dargestellt worden. Es wurde diess durch 'die Annahme der unveränderlichen Species bedingt. Dieselbe setzt näm- lich voraus, dass in der Pflanze zwei principiell verschiedene Naturen vereinigt seien. Der eine Theil ihrer Eigenschaften ist constant; er ist in allen Individuen der nämliche; er wurde der ersten Pflanze, mit welcher die Art in’s Dasein trat, als unveränderliches Ganzes verliehen; und verschwindet erst mit der letzten Pflanze wieder. Der andere Theil der Eigenschaften ist variabel; er wechselt von Individuum zu Individuum. Wir kennen den Apfelbaum als Holzapfel und in vielen Hunderten von cultivirten Sorten. Alle haben etwas Gemeinsames, wodurch sie sich eben als Apfelbaum charak- terisiren; dieses Gemeinsame bedingt die eine, die con- stante oder, um mich so auszudrücken, die ewige Natur des Apfelbaums, welche ihm anerschaffen sein soll. Aber kein Baum ist dem andern, keine Sorte der andern gleich; darin ist seine andere, die variable oder zeitliche Natur ausgesprochen. à Wenn man von dieser Annahme ausgeht, so giebt es keine natürlichere und logischere Folge, als die, es seien die veränderlichen Eigenschaften der Pflanze durch die äussern Einflüsse gegeben worden. Der in seinen spezifischen Merkmalen unveränderliche Organismus kam unter sehr ver- schiedene Verhältnisse, die auf ihn einwirkten; hier war es Trockenheit und Sonnenschein, dort Feuchtigkeit und Schatten; hier der kurze und kühle Sommer der Alpen, dort die lange und warme Vegetationsperiode der Ebene; hier der. trockene Sand, dort der bindende Lehm; hier die kalkarme Bodenkrumme des Urgebirges, dort eine kalk- reiche Unterlage. | Desshalb finden wir allerorts entweder die stillschweig- ende Annahme oder die laute Anerkennung des Grundsatzes, dass den Pflanzen durch die äussern Agentien ein eigen- thümliches aber unendlich manigfaltiges Gepräge aufgedrückt werde, welches selbst so verschieden sein könne, dass da- 9 a = os EIER 3 a ; gen a sara, FC 104 > durch die constanten spezifischen Merkmale mehr oder weniger verhüllt werden. Für diesen Grundsatz, dass die Varietäten die Folge äusserer Einwirkung seien, werden manche Thatsachen angeführt. Aber man würde sehr irren, wenn man glaubte, man sei durch die Beobachtung der Thatsachen dazu geführt worden. Im. Gegentheil,- der Grundsatz war als selbstverständliche Consequenz eines anderweitigen Axioms gegeben und man vermeinte dann, ihn in einer Menge von Beobachtungen: bestätigt zu finden. Die Behandlung der Frage, ob die Varietäten wirklich die Folge und der Ausdruck der äussern Einflüsse seien, hat also nicht bloss eine wissenschaftliche Bedeutung an und fir sich, weil sie die Ursache einer natürlichen Er- scheinung zu ergründen sucht. Sie gewinnt eine erhöhte Bedeutung wegen des Zusammenhangs mit der Frage über die’ Unveränderlichkeit der Art. Ergäbe sich aus einer sorgfältigen und kritischen Prüfung, dass die gewöhnliche Annahme gegründet ist, so würde die Unveränderlichkeit der Species einen sehr bedeutenden Halt gewinnen, Ergiebt sich aber das Gegentheil, so wird ihr die festeste Stütze . entzogen. Denn wenn es sich herausstellt, dass die Varie- täten nicht Folge der äussern Einwirkungen sind, sondern durch innere Ursachen hervorgebracht werden, so ist die prinzipielle Verschiedenheit von spezifischen und von varietit- lichen, von constanten und variabeln Merkmalen aufgehoben, man muss dann in der Pflanze, unabhängig von Aussen, — die Tendenz abzuändern voraussetzen; die spezifische Natur selbst ist es, welche die Varietätenbildung bedingt ; zwischen Art und Varietät besteht dann eine causale Beziehung, und diese Beziehung findet ihren logischen Ausdruck in der Lehre, dass die Art nichts anderes als eine weiter ent- wickelte Varietät ist. . Die Entscheidung von Fragen, bei denen eine lange Zeitdauer eine so wichtige Rolle spielt, und wo uns nur eine verhältnissmässig sehr kurze Erfahrung zur Seite steht, erfordert immer viel Vorsicht, diess kommt auch bei dem vorliegenden Gegenstand in Betracht; doch ist es kein Hin- derniss, dass die Schlüsse aus den zu beobachtenden That- sachen nicht die allergrösste Wahrscheinlichkeit gäben. Denn einerseits hat jede Theorie über die Entstehung der 105 Varietäten gewisse nothwendige Consequenzen, welche unab- hängig von der Dauer sind. Wenn die klimatischen und Bodenverhältnisse die Verschiedenheiten innerhalb der Art bedingen, so muss das natürliche Vorkommen der verschie- denen Formen in gewissem Grade jenen Verhältnissen ent- sprechen, ob nun "bloss Jahrhunderte oder Millionen von Jahren zu deren Bildung erforderlich waren. — Anderseits giebt uns auch die beschränkte Erfahrung über die Erzeug- ung der Racen nicht weniger feste Haltpunkte. Denn wenn auch die künstliche Racenbildung während der kurzen Be- obachtungsdauer nur bis zu einem bescheidenen Grad der Abweichung und Constanz gediehen ist, so haben wir doch den Anfang einer Bewegung vor uns, und wir können be- urtheilen, ob dieser Anfang die eine oder andere Theorie unmöglich macht. Trifft es sich nun, dass der erste und der zweite Weg zu dem- gleichen Resultate führen, so werden wir nicht anstehen dürfen, dasselbe als festbegründet anzu- erkennen. cy : Ehe ich in die Prüfung der Thatsachen selbst eintrete, scheint es mir zweckmässig, zum Voraus das Resultat, das sich mir ergeben hat, auszusprechen. Es heisst kurz: die Bildung der mehr oder weniger constanten Varietäten oder Racen ist nicht die Folge und der Ausdruck der äussern Agentien, sondern wird durch innere Ursachen bedingt'). 1) Der Einfluss der äussern Verhältnisse bewirkt allerdings auch Modificationen an der Pflanze, aber es sind diess keine eigentlichen Varietäten oder Racen, sie führen auch nicht dazu und erlangen keine Constanz. Ich spreche zunächst nur von den eigentlichen mehr oder weniger constanten Varietäten, und werde später jene Modificationen berühren. Den Ausdruck Racen brauche ich mit Varietäten synonym, indem ich alle diejenigen Racen der Gärtner und Viehzüchter ausschliesse, welche nur durch besondere Frrnährung 9* age T a = 4 Da TERRA EEE ESEL arar r ge Na SEE Eu — 106 ‘Die Richtigkeit dieses Ausspruchs, welcher gegenüber der in der jetzigen Wissenschaft gültigen Ansicht allerdings höchst paradox erscheinen mag, ergiebt sich aus zwei Reihen von Thatsachen, aus dem Verhalten der zur nämlichen Pflanzenart gehörigen Individuen einerseits unter den gleichen, anderseits unter verschiedenen äussern Verhältnissen. Dieses Verhalten aber besteht darin, 1) dass in einer Menge von Beispielen die verschiedenen Varietäten der gleichen Art auf dem nämlichen Standort, also unter den nämlichen äussern Verhältnissen vorkommen und dass die von dem Pflanzenzüchter erzeugten ungleichen Racen oder Abarten einer Species unter den gleichen äussern Bedingungen entstehen. 2) dass die nämliche Varietät einer Pflanze auf sehr verschiedenen, selbst auf den heterogensten Localitäten ge- troffen wird, und dass bei der Racenbildung auf künst- lichem Wege die nämliche Race unter verschiedenen äussern Verhältnissen sich bilden kann. | Dieses Verhalten ist ohne Weiteres beweisend. Würden die Varietäten durch die klimatischen Einflüsse bedingt, so müsste jeder wesentlich verschiedenen Combination von solchen, also jedem ausgezeichneten Standorte eine beson- dere Varietät entsprechen. Eine Pflanze, die in sumpfigen Wiesen und auf trockenen Hügeln vorkommt, hätte zwei diesen Localitäten entsprechende Formen, nämlich eine Varietas paludosa und eine Varietas collina. Selbstver- ständlich könnte die Varietas paludosa nicht auf den trockenen Hügeln, die Varietas collina nicht in den sumpfigen Wiesen wachsen. Wenn nun eine Pflanze zwei Varietäten hat, von denen beide zugleich auf trockenen Hügeln und in und Pflege oder, insofern es Pflanzen sind, durch die geschlechtslose Vermehrung conservirt werden und somit keine wirkliche Constanz besitzen. 107 sumpfigen Wiesen vorkommen, so dürfen wir mit vollstem Rechte sagen, dass der durch diese beiden Localitäten aus- gedrückte Gegensatz nicht die Ursache der Varietätver- schiedenheit ist. Wir könnten nun vermuthen, dass der Grund der.Varietätenbildung in irgend einem andern äussern Moment liege. Es könnten z. B. die eine Hälfte der Hügel und zugleich auch die eine Hälfte der Sümpfe beschattet und nördlich exponirt, diè andere besonnt und südlich ex- ponirt sein. Oder es könnte die eine Hälfte der Kalk-, die andere der Schieferformation angehören u. s. w. Ist es nun möglich, zwei oder mehrere Varietäten einer Art auf alle bekannten äussern Agentien und ihre Combinationen zu prüfen und stimmt ihr Vorkommen mit keiner überein, so müssen wir sagen, dass diese Varietäten nicht durch die äussern Einflüsse erzeugt wurden. Würden die Varietäten: durch die klimatischen und Bodeneinflüsse bedingt, so könnte ferner der Gärtner aus den nämlichen Samen auf dem gleichen Gartenbeet nur eine Race hervorbringen; er müsste auf zwei verschiedenen Beeten, die wesentlich ‘ungleiche Verhältnisse darböten, deren zwei erhalten. Wenn er aber auf dem gleichen Gartenbeet zwei oder mehrere verschiedene Racen erzielt, und: wenn er auf verschieden hergerichteten Beeten die gleichen erzeugt, so sind wir gezwungen, diese Formen nicht von äusserer Einwirkung, sondern von innern Te abzu eiten. ese Consequenzen sind für ein logisches Urtheil ganz ekini Sie sind so einfach und klar, dass gewiss jeder bei näherer Ueberlegung sie unbedingt zugeben muss. Wenn aber die Consequenzen bis jetzt nicht gezogen, wenn sogar das Gegentheil allgemein angenommen und behauptet wurde, so liegt der Grund nur darin, dass man sich nicht gründlich mit dem Gegenstand beschäftigte, dass man sich u Ei ee. 108 nicht die Mühe nahm, die Fragen richtig zu stellen, dass man sich mit einer oberflächlichen Betrachtung begnügte. Indem ich nun zu den Thatsachen übergehe, wende ich mich zuerst zu denen, welche die Beobachtung auf den Standorten ergiebt. Vor Allem aus wäre es von Interesse, diejenigen zu prüfen, welche den Anhängern der; bisherigen Meinung als Beweis dienten. Aber hier treffen wir mehr auf allgemeine und vage Behauptüngen, als auf bestimmte greifbare und einer kritischen Prüfung zu unterwerfende Thatsachen. . Manche führen nur im Allgemeinen an, dass die Varietäten durch die Eigenthümlichkeiten des Klimas und des Bodens hervorgebracht würden. Vorsichtigere fügen jedoch bei, dass man über die besondern Wirkungen nichts wisse. Viele Systematiker, namentlich Floristen, sagen von dieser oder jener bestimmten Varietät, dass sie durch diesen oder jenen bestimmten Standort erzeugt sei. Damit ist je- doch sehr wenig Bestimmtes ausgesagt, weil daraus nicht her- vorgeht, wie die äussern Faktoren auf die Abinderung eines Merkmales oder eines Complexes von Merkmalen einwirken. Ja sogar wenn man die Varietäten von verschiedenen Pflanzen, die durch den gleichen Standort erzeugt worden sein sollen, mit einander vergleicht, so findet man nicht die geringste Uebereinstimmung. Wollte man diesen Behauptungen Glauben schenken, so würde man zu der Folgerung geführt, dass die gleiche Ursache in verschiedenen Pflanzen ganz ungleiche, ja sich vollkommen widersprechende Resultate habe. Man müsste zwar auch mit dieser ungereimten Folger- ung sich zurecht finden, wenn die Behauptung iiberhaupt gegründet wäre. Sie stützt sich aber lediglich auf die That- sache, dass eine Varietät auf einer bestimmten Localität wächst. Nehmen wir nun einmal die vollkommene Richtigkeit dieser Thatsache an; nehmen wir an, dass eine Varietät nur einem ganz bestimmten Standort angehörte und dass andere Varietäten der gleichen Art nicht daselbst vorkämen, SS We Nor we = = SEE it a enone nn Rea inn EN. dime ar a . iad ace con i acs feat tel I ce GMO nyt BS LTT 109 so wäre damit doch nicht. bewiesen, (dass die Varietät ihr Entstehen‘ dem Standort verdanke. Es liesse sich’ immer noch annehmen , sie sei auf irgend, eine andere Weise er- zeugt worden, aber sie finde ihre Ezistanabedingangen bloss auf demselben. Doch | gilt. die oben gemachte uni = eine Varietät einem bestimmten Standorte, angehöre,. nur. in den wenigsten, vielleicht ‚in keinem einzigen Falle im ganzer Strenge. Die thatsächlichen . Verhältnisse. sind. ‚fast ohne Ausnahme der Art, dass der Schluss, es sei die Varietät durch den Standort hervorgebracht: worden, ganz unzulässig ist; und wenn der Schluss dennoch gezogen wurde, so kann es nur dadurch erklärt werden, dass man nicht an Ort und Stelle eine kritische Prüfung vornahm, sondern’ sich mit dem allgemeinen Eindruck, den'die Excursionen hinterliessen, begnügte und denselben im Dienste. einer vorgefassten Mein- ung verwerthete. Ich habe in den letzten Jahren Varietäten der verschiedensten Pflanzen mit Rücksicht auf ihr Vor- kommen wiederholt. und genau geprüft, und nicht einen einzigen Fall gefunden, der zu der gewöhnlichen Behauptung berechtigt ‚hätte. . Alle Fälle zeigten “deutlich, dass die Varietät unmöglich das Produkt des Standortes sein kann. Es: sind zwei entscheidende Thatsachen, welche bei jeder Art sich wiederholen, und welche man, wenn man den Pflanzen nachgeht, immer wieder bestätigt findet. Die eine ist die, dass eine Varietät nicht auf einen bestimmten Standort beschränkt ist, sondern auch auf andern Stand- orten sich findet. Wären die klimatischen und die Boden- verhältnisse: varietätbildend, so müsste auf einer andern Loealität die Varietät zu einer andern werden. — Die andere Thatsache, die noch leichter zu verifiziren, ist die, dass zwei Varietäten der gleichen Art auf dem gleichen Standort neben und durch einander vorkommen. Würde’ die Localität die Varietät bedingen, so könnte sie nur eine beherbergen. 110 Man möchte vielleicht, bezüglich der letztern Thatsache einwenden, dass ein Standort selbst wieder, und zwar auf kurzen Strecken, verschiedene Verhältnisse darbieten und daher auch verschiedene Varietäten erzeugen könne. Es giebt nun allerdings solche Standorte, wo rasch die Boden- verhältnisse wechseln. Aber von solchen spreche ich über- haupt nicht; sondern von Sandflächen, Torfmooren, Waiden, Wiesen, Siimpfen, Schutthalden, gleichférmigen Gebüschen und Wäldern, wo eine bemerkenswerthe Verschiedenheit ganz undenkbar ist und wo auf der nämlichen Quadratelle zwei verschiedene Varietäten der gleichen Art wohnen. Je- doch noch viel schlagender sind die Beispiele der Wasser- pflanzen, sowohl der schwimmenden im süssen Wasser, als der mit einer Haftscheibe versehenen Meerpflanzen. In dem nämlichen Rasen, der auf einem Teiche schwimmt, finden wir mehrere Varietäten der gleichen Oscillaria, oder Spirogyra, Mougeotia, Zygnema, Cosmarium, Navi- cula etc. An dem gleichen Felsen des Meeres und in gleicher Fluth-Höhe befestigt treffen wir neben einander die zwei Varietäten einer Fucoideen- oder Florideenart. Es ist kaum nöthig, Beispiele von Landpflanzen anzu- führen; man kann sich von dem Gesagten bei der ersten besten Pflanze überzeugen, und zwar um so leichter, je mehr dieselbe zum Variiren geneigt ist. Ich will nur zwei | Pflanzen nennen, Hieracium Pilosella und H. murorum, | welche überall vorkommen, welche der veränderlichsten ‘ Gattung angehören und selbst durch Vielférmigkeit sich ` auszeichnen. Die nämliche Varietät von H. Pilosella | (mit schmalen, spitzen Involucralschuppen, mit langen, schmächtigen, kleinblättrigen Ausläufern, mit oberseits grünen, unterseits weissfilzigen Blättern und mit unterseits intensiv ie rothgestreiften Randblüthen) kommt in ganz Europa (mit Ausschluss der arktischen Zone) vor; sie steigt in der Alpenkette bis über 7000 Fuss; sie wächst in Wiesen, an $ 111 Ackerrandern, auf Haiden , in Gebiisch- und Waldschatten, an Felsen, auf Sand und Kies, in Torfmooren, auf allen möglichen geologischen ‘Formationen. Ein. Anhänger der gewöhnlichen ‚Ansicht, dem von Hieracium Pilosella nur diese eine Form bekannt’ ware, müsste aus ihrem Vorkom- men schliessen, dass die Art gar keiner Abänderung fähig sei. Die Thatsache, dass es aber noch mehrere andere Varietäten giebt; beweist uns, dass dieselben “nicht ane z äussere Verhältnisse hervorgebracht werden. Es giebt kaum zwei ungleichere Standorte, als: die humusarmen Haiden, wo die Gewächse in dem trockenen Kalkkies- wurzeln, und die kalkarmen Hochmoore, wo die Wurzeln beständig in feuchtem Torf sich ‚befinden. Beide kommen auf der Münchner Hochebene neben einander vor. Beide tragen, wie es sich zum Voraus erwarten lässt, im Allgemeinen eine ganz ungleiche Vegetation. Allein auf || beiden findet sich die gleiche Varietät von H. Pilosella?). Wie die gleiche Varietät von Hieracium Pilosella auf allen möglichen Localitäten (die der Art überhaupt zu- gänglich sind) vorkommt, so finden wir anderseits auf dem i nämlichen Standort neben und durch einander verschiedene Varietäten der genannten Species. Auf nacktem feuchtem Lehmboden wächst neben der Varietät mit unterseits roth- gestreiften, diejenige mit unterseits blassgelben Randbiüthen; auf Wiesen und Waiden neben der Varietät mit unterseits weissfilzigen diejenige mit unterseits graugrünen Blättern; auf Geschiebe von Gletscherbächen und auf sandigen Waiden der Hochalpen neben der Varietät mit oberseits grünen die mit oberseits graugrünen und mit beiderseits weissfilzigen Blättern. 2) Ebenso die gleiche Varietät von H. praealtum, H. Auri- eula und einigen andern Pflanzen. l $ i Fi a “i 112 Sehr nahe verwandt, mit H. Pilosella ist eine Pflanze, die als H. pilosellaeforme oder Hoppeanum unter- schieden wurde. Die Ansichten iiber die Bedeutung dieser Form könnten nicht mehr abweichen, als sie es wirklich thun. Denn während die einen Autoren sie als besondere Art aufführen, soll sie nach Fries nicht die. mindeste Con» - stanz besitzen. : Derselbe giebt` nämlich an, er habe aus ihren: Samen das gewöhnliche H. Pilosella erhalten. Diese Angabe muss aber ganz sicher auf einem Irrthum beruhen; denn in andern Gärten wurde die’ unveränderte Form aus Samen gezogen, und ferner deutet das Vorkommen auf eine sehr grosse Constanz, wofür ich später den Beweis bei- bringen werde). — 3 An H. Hoppeanum macht man ähnliche Beobacht- ungen wie an H. Pilosella. Sein Verbreitungsbezirk ist zwar viel beschränkter, doch kommt die gleiche Varietät desselben auf fetten Alpenwaiden, in Fichten-, Lerchen- und Ahornwäldern nahe der Baumgränze, in Gebüschen von Erlen und Alpenrosen, an Felsen und im Geröll von 4500-7000‘ vor, wobei die Unterlage ein kalkarmes oder kalkreiches Gestein sein kann; ferner in der bayrischen Ebene auf Haiden mit Kalkkies und auf Wiesenmooren. — Ebenso findet man auf der gleichen Localität oft zwei ver- schiedene Formen von H. Hoppeanum, so z. B. mit unterseits rothgestreiften und mit unterseits blassgelben Randbliithen, ‘mit Involueralschuppen von verschiedener Ge- stalt, Färbung und: Behaarung. | 3) In Berücksichtigung der grossen Vielförmigkeit von H. Pilo- sella und H. pilosellaeforme und der zahlreichen Uebergangs- formen zwischen beiden müssten sie nach streng systematischen Regeln als H.Pilosella vulgare und H. Pilosella Hoppeanum aufgeführt werden: Der Kürze halber nenne ich sie H. Pilosella und H. Hoppeanum. : 113 x Mit Rücksicht "auf das» Verhältniss ‘von H: Pilosella und H: Hoppeanum' will ich "zuerst bemerken, dass’ es eine Mittelform. giebt, welche mit gleichem Recht dem einen oder andern 'beigezählt wird. Ihre Köpfe sind grösser als bei Pilosella, kleiner als bei Hoppeanum, die Schuppen sind breiter und) stumpfer als bem Pilosella, schmäler und weniger stumpf, als bei, Hoppeanum, die Ausläufer kürzer, grossblättriger und. stärker als’ bei Pilosella,' ‚länger, schwächer und -kleinblittriger‘als bei'Hoppeanum. Man findet nun zwar manchmal H. Hop peanum allein auf seinem Standorte und. ebenso« ist: H. Pilosella auch auf. den!’ Alpen sehr häufig: ‚allein. . ‘Jedoch nieht selten stehen H.-Pilosella und. die‘Mittelform, oder H. Hop» peanum und H: Pilosella, oder H Hoppeanum und die Mittelform’ oder auch alle drei (H. Pilosella, H: Hop- peanum und die Mittelforiú), durdhothander auf der gleichen Localitat. - l Eine. der. EEE Pflänzeriätten sia Hieracium murorum,. Sie ist so vielformig, dass. sie selbst mit ent- fernten Arten, mit H. alpinum und H. villosum durch die- unmerklichsten : Uebergangsformen- in Verbindung: steht. Die gewöhnlichste Varietät von H. murorum (streng boden- plattrig, mit herzförmigen Blättern, mit schmaleylindrischen bloss drüsigbehaarten Involucren) kommt "überall vor von der Ebene bis über 6000’, an sonnigen Abhängen und im Waldschatten, an trockenen magern und an feuchten fettern Stellen, auf kalkarmem und kalkreichem Boden. Wenn man Pflanzen dieser Varietät aus ganz Europa neben einander hielte, so müsste ein Anhänger der gewöhnlichen Theorie sie für eine der unverinderlichsten Pflanzen erklären, weil sie von den grössten Verschiedenheiten in den äussern Be- dingungen unberührt bleibt. Nun findet man aber selten einen doeh wo. nur “414 diese eine Värietät wächst. Meist kommen noch eine, zwei oder mehrere andere Varietäten daneben vor, z. B. die mit an. der Basis gerundeten oder allmählich - verschmälerten Blättern, oder die mit fast drüsenlosen Involucralschuppen etc. Bei Grosshesselohe in der Nähe von München wachsen 4 Hieracienformen in Menge durcheinander, welche ihre nahe Verwandschaft durch einen unmerklichen Uebergang von Zwischenformen kundgeben und somit nach den bis jetzt in der Systematik geltenden Grundsätzen als die gleiche Art betrachtet werden müssten *). | Es sind H. murorum, H. subcaesium, H. vulgatum und H. Sendtneri®). Anderwärts findet man H. muro- rum und H. subeaesium beisammen, oder H. murorum, H. vulgatum und die Mittelform zwischen beiden (H. me- dianum), oder auch nur H. murorum mit H. medianum oder H. vulgatum mit H. medianum. Wir treffen also bei zwei der vielförmigsten Pflanzen- arten (Hieracium Pilosella und H. murorum mit den verwandten Formen) die übereinstimmende Erscheinung, dass einerseits vollkommen dieselbe Form unter den verschieden- sten äussern Bedingungen auftritt und dass anderseits unter * $ 4) Diese Zwisċhenformen sind, wie ihre Beschaffenheit und ihre Verbreitung zeigen, im Allgemeinen nicht hybrid. Ich werde in einer folgenden Mittheilung die Hybridität der wildwachsenden- Mittel- formen besprechen. 5) Letzteres ist = H. ramosum Sendtner (non W.K.). Von dem ächten H. ramosum unterscheidet sich die Münchnerpflanze, welche, soviel mir bekannt ist, zuerst von Sendtner beobachtet wurde und der ich daher dessen Namen gebe, unter anderm durch den ein- fachen oder wenig ästigen Stengel mit nicht beblatterten Aesten, durch die kleingezähnten Blätter, die nicht weisslich flaumigen Blüthenstiele und Involucren, durch die porrecten Involucralschuppen und durch die im Verhältniss zu andern Arten frühere Blüthezeit, 115 den gleichen äussern Verhältnissen verschiedene Formen und zwar von denjenigen an, welche nur sehr wenig ab- weichen, bis zu denen, die von vielen Botanikern als be- sondere Arten erklärt werden‘, vorkommen. In gleicher Weise findet man die Varietäten anderer Pflanzenarten auf dem gleichen Standort vereinigt, so roth- und weissblühende, wohlriechende und geruchlose, kahle und behaarte, drüsenreiche und drüsenarme, gross- und klein- blüthige, grasgrüne und meergrüne, boden- und stengel- blättrige, lebendiggebärende und samenbildende Varietäten (Poa alpina nnd Poa bulbosa), ferner solche mit schmalen und breiten, mit stumpfen und spitzen, mit ganzrandigen und gezähnten, mit gleichen und verschiedenen Blättern, mit Ausläufern und ohne Ausläufer, mit unverzweigtem und verzweigtem Stengel. 4 Diess ist natiirlich nicht so zu verstehen, als ob die Pflanzenvarietäten gegenüber den äussern Einflüssen sich | gleichgültig verhielten. Wenn eine Pflanze in zwei Varie- täten vorkommt und auf zwei Standorten lebt, so. ist es wohl nur selten der Fall, dass die beiden Varietäten auf den beiden Standorten ein gleiches gegenseitiges Mengen- verhältniss beobachten. Die eine wird diesen, die andere jenen Standort mehr oder weniger bevorzugen, sie schliessen aber in der Regel einander nicht gänzlich aus. Wenn zwei Varietäten der gleichen Art, A und B, auf mehreren, z. B. auf fünf verschiedenen Standorten wachsen, so beherbergt einer der letztern vielleicht die beiden Varietäten in gleicher Menge, ein zweiter hat A in grösserer, ein dritter in weit überwiegender Zahl, so dass B hier nur spärlich vorkommt; auf einem vierten und fünften Standort verhält sich das Vorkommen gerade umgekehrt. Die klimatischen und Boden- \ verhältnisse haben also in gewissem Grade einen bestim- | menden Einfluss auf die Verbreitung der Varietäten, aber | 116 ‘nicht etwa in der Art, dass man daraus ‚schliessen könnte, | essei die Varietät das, Produkt. des Standortes®): = Es geschieht auch, dass auf einem Standort die eine, auf einem andern die andere ‚Varietät ausschliesslich vor- kommt. Dann beobachtet man aber zwei bemerkenswerthe Thatsachen; die. eine, dass auf andern Standorten sie in verschiedenen Verhältnissen untereinander gemengt sind, die andere, dass man auf der Uebergangslocalität zwischen den zwei in ausschliesslicher Weise bewohnten Localitäten nicht etwa, wie man erwarten möchte, die Uebergangsvarietät, sondern die beiden unveränderten ‘Varietäten durcheinander findet ==- is Ich habe bis. jetzt -die Behauptungen berücksichtigt, welche bloss im. Allgemeinen angeben, dass gewisse Varie- täten durch gewisse Standorte hervorgebracht worden seien. Wenn sie nun auch die grosse Mehrzahl ausmachen, so giebt es doch! einzelne Angaben, welche von. bestimmten äussern Ursachen bestimmte Wirkungen an der Pflanze her- leiten. Wasser oder Feuchtigkeit mache kahl; daher rühre die gänzliche Kahlheit bei Wasserpflanzen, die geringe Be- haarung an Sumpfpflanzen, die dichte Pubescenz, die Wolle, der Filz auf trockenen Localitäten, Licht mit Trockenheit zugleich begünstige die Bildung, von Sternhaaren und eine graugriine oder bläulichgrüne ‚Farbe; Schatten mit. etwas Feuchtigkeit dagegen veranlasse zu Driisenbildung und farbe dunkelgrün oder grasgrün. . Wasser oder Feuchtigkeit’ ver- _ längere. Stengel und Blätter und zerschlitze die letztern; ` daher komme es, dass die untergetauchten. Blätter von Callitriche: lineal, die schwimmenden verkehrteiférmig seien, dass die, untergetauchten Blätter von Ranunculus — 6) Ich werde auf die Verbreitung der Pflanzenformen und deren Ursachen in der nächsten Mittheilung zurückkommen. 117 aquatilis und von Trapa natans vielfach haarförmig ge- theilt, die ‚schwimmenden ungetheilt oder gelappt seien; daher sollen an feuchten schattigen Standorten: die Blätter länger, getheilt ‘und gestielt, an trockenen dagegen kürzer, ungetheilt und sitzend: werden; »daher seien an feuchten schattigen Localitäten‘ die Pflanzen: stengelblittrig mit mehr aufrechten, an trockenen bodenblättrig mit mehr ausge- - breiteten Blättern. | | | Diese dürften: wohl als die zuverlässigsten Angaben zu betrachten sein, zugleich als diejenigen‘, die am wahrschein- lichsten klingen, und. für die man viele Beispiele finden wird, welche ein kritikloses Urtheil als ‚Bestätigung der ge- wöhnlichen Meinung ansehen mag. Insofern sie aber zur Erklärung der Varietätenbildung dienen sollen, sind sie sicher unrichtig: ‚Betrachten wir diejenige Behauptung etwas näher, welche am häufigsten und:nicht nur von Systematikern, sondern auch von Pflanzenphysiologen ausgesprochen wurde, Feuchtigkeit mache: kahl, Trockenheit: behaart. Dass die Wasserpflanzen in:der Regel kahl sind, berührt die Frage nicht ‘unmittelbar. Denn: es fragt sich sehr, ob landbe- wohnende Potamogeton- «oder. Myriophyllum-Arten, wenn es solche gäbe, behaart waren. Anderseits giebt es behaarte Fucoideen. -> ? nba disin Es ist sehr zweifelhaft, ob Samen der nämlichen Pflanze auf feuchter Localität mehr- kahle, auf. trockener mehr behaarte Individuen geben. Mir ist kein Factum hie- für. bekannt, und ich glaube nicht, dass jemand die Frage, so gestellt, mit Grund bejahen könnte. Uebrigens auch hierauf kommt es nicht eigentlich an, sondern darauf, ob feuchte Localitäten kahle, und trockene Localitäten behaarte Varietaten’ hervorbringen. Diess ist entschieden zu ver- neinen, und der Beweis dafür um so leichter beizubringen, als es viele Pflanzenarten giebt, deren Varietäten durch schwächere oder stärkere Behaarung von einander abweichen. — 118 Solche Varietäten wird man entweder immer oder wenigstens hie und da neben einander auf dem gleichen Standort finden Von Campanula pusilla, °C. rotundifolia und C. Scheuchzeri giebt es Varietäten mit kahlen und mit graubehaarten Blättern; die letztern sind seltener. Beide kommen immer unter einander vor. Auf trockenen Waiden findet man häufig unter den kahlen einzelne behaarte Pflanzen. Im Rheinwaldthal (circa 6000° ü. M.) sah ich auf einer von herabfliessendem Wasser ganz benetzten Stelle die be- haarte Varietät von C. rotundifolia in grösserer Menge und darunter einzelne kahle Pflanzen. Nach meinen Er- fahrungen müsste ich eher sagen, bei Campanula ent- spreche die reichlichere Behaarung den feuchteren Stand- orten. Campanula persicifolia hat kahle und behaarte Kapseln; beide Varietäten'kommen zusammen vor. So findet man ferner kahle und beharrte Formen von Mentha-Arten, von Veronica scutellata u. A. Man findet Varietäten von Veronica spicata, Thymus Serpyllum, Achillea nana, A. Millefolium, Papaver alpinum, von Erigeron: Arten, Cerastium-Arten und von vielen anderen Pflanzen mit sehr ungleicher Behaarung auf der nämlichen Localität unmittelbar neben einander. > Es ist nicht nöthig, dass ich auch auf die andern der vorhin angeführten Merkmale weitläufiger eintrete. Insofern sie wirkliche Varietäten charakterisiren, ergiebt die ge- naue Prüfung immer, dass sie nicht durch den Standort hervorgebracht werden. Wir finden z. B. die glauke Form mit den Sternhaaren nicht nur an trockenen sonnigen, die dunkelgrüne und drüsige Form nicht nur an feuchten und schattigen ‘Orten; sondern beide kommen unter einander an den einen und andern Orten vor. Ebenso verhält es sich mit den sitzendblättrigen und gestieltblättrigen, mit den boden- und stengelblättrigen, mit den ganz- und eur blättrigen Formen etc. 119 Die angeführten Merkmale sind nicht die einzigen, die von bestimmten äussern Einflüssen abgeleitet werden. Ich erwähne aber anderer Behauptungen nicht, da sie allzu unbestimmt gehalten sind’). | 4 Wenn ich bis jetzt zeigte, dass eine grosse Zahl von Varietäten nicht durch äussere Einflüsse erklärt werden können, so gilt diess nicht von allen abweichenden Bild- ungen überhaupt. Denn es ist an und für sich klar, dass eine jede äussere Potenz, welche einer Abstufung fähig ist, auch eine verschiedene Wirkung auf den Organisınus haben muss. Diese Wirkung giebt sich hauptsächlich in der Steigerung oder Schwächung einzelner Processe kund. So 7) Man kann kaum eine Spezialflora durchblättern , ohne ein- zelne solcher Angaben zu treffen. Eine systematische Durchführung ist mir nur inden Werken He getschweilers bekannt, namentlich in dessen Beiträgen zu einer kritischen Au fzählung der Schweizerpflanzen 1831 und in seiner Flora der Schweiz 1840. Hegetschweiler als ein denkender und strebsamer Forscher konnte mit dem grundsatzlogen Verfahren der Systematik, welches" die Species nach *subjectivem Takte zurechtlegt, nicht befriedigt sein. Er suchte die Vielförmigkeit der Natur zu begreifen und glaubte diess aus der Vielförmigkeit der äussern Verhältnisse zu können Er führte seine Reformen nicht in der Studirstube, sondern auf zahlreichen Excursionen aus. Und wenn sein Unternehmen schliesslich missglückte, so zog die Wissenschaft doch einen Gewinn daraus. Denn es musste vielleicht der Versuch einer konsequenten Durchführung vorausgehen, um dem Gedanken Eingang zu ver- „schaffen, dass die Ursachen der manigfaltigen Formen überhaupt auf einem andern Wege zu suchen sind. Dass Hegetschweiler nicht selbst zu dieser Einsicht kam, begreift sich leicht. Auf dem Boden der Unveränderlichkeit der Art stehend, blieb ihm, wie ich schon Eingangs zeigte, nichts Anderes ‚übrig, als die Varietäten durch die äussern Einflüsse zu erklären. Die unkritische Methode aber, welche ihn die Mängel seiner Theorie übersehen liess, theilte er mit der ganzen Richtung seiner Zeit, insofern es sich um Er- klärung von Erscheinungen in der organischen Welt handelte. à 10 120 nimmt die Pflanze auf verschiedenen Standorten grössere oder geringere Mengen einer chemischen Verbindung auf; verschiedene Grade der Beleuchtung und der Temperatur wirken begünstigend oder hemmend auf gewisse chemische Vorgänge. Desswegen enthalten Pflanzen der nämlichen Varietät eine ungleiche procentige Zusammensetzung. Sie sind je nach dem Standorte reicher an bestimmten unor- ganischen Verbindungen, je nach dem Klima oder dem Jahrgang reicher an gewissen organischen Stoffen. Es ist bekannt, dass das Licht die Bildung von Farbstoffen , die Wärme dagegen die Bildung von Zucker auf Kosten von Säuren und Gerbstoffen, die Bildung von ätherischen Oelen, Alkaloiden etc. begünstigt. Reichliche Mengen von Nähr- stoffen verbunden mit einer passenden Temperatur und hin- reichender Beleuchtung vermehren die Assimilation und Er- nährung, machen demnach Zellen und Organe grösser und zahlreicher und vermehren die Trockensubstanz. Auf magern ‘Stellen bleiben‘ die Gewiichse klein, wenigblüthig, unver- zweigt, mit kurzgestielten , wenig re Blättern. Auf fettem Boden werden sie gross, reichbeblättert, mit länger gestielten und tiefer zertheilten Blättern; sie verzweigen sich stark und tragen reichliche Blüthen. Eine Vermehrung der Wasserzufuhr allein, bei ‚gleichbleibender Aufnahme der übrigen Nährstoffe, vergrössert die Pflanze und ihre Theile ohne Vermehrung der Trockensubstanz. Die Gewebe werden grossmaschiger und weicher, die Stengel und ihre Inter- nodien gestreckter, die Blattstiele länger, die Blattspreiten tiefer gelappt®). et 8) Darauf dürfte sich die Wirkung des Wassers Desire. Es wird derselben freilich, auch abgesehen von der Varietätenbildung auf feuchten Standusten, von der ich schon gesprochen habe, noch viel mehr a en Es ist jedoch dabei zu berücksichtigen, dass eine feuchte Localität, auch wenn die Bodenbeschaffenheit ganz Se no nt En AO RI nape = SSN Pr LE EEE TEEN RÄT rn Een te eein à ; : r D) 3 121 Aber alle diese Veränderungen bedingen noch keine eigentlichen Varietäten und führen auch nicht zur Racen- bildung. In die nämliche Kategorie gehören auch die Ver- änderungen, welche die Gewächse durch ungleiche verticale Erhebung erfahren. Man spricht in den Floren viel von Alpenvarietäten. Eine unbefangene Würdigung der That- sachen zeigt uns, dass die direkte Einwirkung einer be- trichtlichen Höhe vorzugsweise in einer geringern Ernährung besteht, was theils durch die in geringerer Menge vorhan- denen Nährstoffe, theils durch die niedrigere Temperatur. und die kürzere Vegetationsperiode bedingt wird. Das Alpen- klima bewirkt also stets, dass eine Pflanze ihre Theile in geringerer Zahl und Grösse ausbildet. Die Alpenpflanzen sind klein, wenigblättrig, wenigblüthig, mit spärlicher oder mangelnder Verzweigung; ihre Blätter klein ‘und wenig ge- theilt; der Wuchs gedrungen, weil die Stengelinternodien verkürzt sind, was ein Zusammenriicken der Blatter und ‚Zweige zur Folge hat. Dass diese Veränderungen in nichts anderem als in mangelhafter Ernährung bestehen, geht deutlich daraus hervor, dass ähnliche kleine und gedrungene Formen auf magern Standorten der Ebene, dagegen schlanke, dieselbe bleibt, nicht bloss durch. grössere Wasserzufuhr wirkt, son- dern dass sie der Pflanze unter Umständen auch eine bessere Er- nährung ermöglicht. Es wird aber ferner die Bodenbeschaffenheit . der feuchten Localität in der Regel eine andere sein, als die der angrenzenden trockenen, indem das Wasser verschiedene gelöste "Mineralstoffe mitbringt und dieselben durch Absorption in der Boden- krumme zurücklässt. — Was die von der Einwirkung des Wassers abgeleitete Verschiedenheit zwischen den untergetauchten und schwimmenden Blättern einiger Wasserpflanzen betrifft, so ist die Ursache jedenfalls in andern Momenten zu suchen. Denn die Ver- schiedenheit ist schon durch die Anlage gegeben und diese Anlage ‚bildet sich für beide-Blattarten unter den nämlichen Verhältnissen rücksichtlich der Wassermenge. 10* ~ nenn — A Te PR TR TC A ge mn 122 hohe, verzweigte Formen auf fetten Plätzen der Höhe ge- funden werden. So habe ich noch vor Kurzem auf Piz Ot und Piz Languard im Oberengadin bei einer Höhe von 9500 Par. Fuss ein halbes Dutzend Phanerogamen beob- achtet, die den merkwürdigsten Gegensatz zeigten, je nach- dem sie bei freier Lage fast auf dem kahlen Gestein oder nur einige Fuss davon entfernt bei geschützter Lage in Felsspalten, wo sich eine grössere Menge von Dammerde angehäuft hatte, wuchsen. Die ersteren waren jene stengel- losen, winzigen Gewächse der Eisregion, die letztern grösser und caulescirend, wie man sie sonst zwischen 6000 und 7000° findet. Aehnliche Beobachtungen machte ich in gleicher Höhe vor längerer Zeit am Monte Rosa und kürz- lich am Rheinwaldhorn (Bündten) und Sustenhorn (Berner- oberland). / Diese Merkmale bedingen auch hier noch nicht fiir sich die constante Varietät. Häufig aber kommen andere Modi- ficationen hinzu und durch die letztern entstehen wirkliche Varietäten, welche wie begreiflich den Habitus der Alpen- pflanzen ebenfalls an sich haben. Aber die gedrungene Kleinheit ist ihnen nur accidentell eigen; sie ist es nicht, welche das Wesen der Race bedingt. Diess ergiebt sich klar aus dem Umstande, dass zuweilen auch die Race der Ebene in die Alpen steigt und ‚neben der alpinen Race vor- kommt, ‘mit der sie dann Kleinheit und Gedrungenheit ge- mein hat, oder dass die Alpenrace in die Ebene sich ver- liert und grösser, schlanker und ästiger wird. Aus diesen Thatsachen müssen wir schliessen, dass das Alpenklima für sich nicht die Race zu bilden vermag. Wenn diess der Fall wire, so miisste die Alpenrace sich allmählich mit zunehmender Höhe ausbilden, was wohl nie beobachtet wird, und sie dürfte nicht neben der Race der Ebene vor- kommen, was fast immer da oder dort der Fall ist. | Dass die geringere und grössere Erhebung überhaupt mn nn EEE ah Rn a. a a = z = = 123 nichts. Wesentliches an der Pflanze ändert, sehen wir deutlich aus vielen Arten, die in der Ebene und auf hohen Ge- birgen die gleiche Form zeigen. Urtica dioica und Chenopodium bonus Henricus steigen bis über 5000‘. Vaccinium Myrtillus und V. uliginosum kommen von der Ebene bis 8000‘, Empetrum nigrum von der Ebene bis 7500’, Parnassia palustris von der Ebene bis über 6000’, Orchis conopsea und odoratissima von der Ebene bis über 7000°,. Achillea Millefolium von der Ebene bis 8000’ vor. Eriophorum alpinum wächst von 1600 bis 6000’, Pinguicula alpina von 1400 bis 6000’, Linaria alpina von 1600 bis über 8000’, Saxifraga oppositifolia von 1300 bis 9000’, Saxifraga Aizoon von 1300 bis 9000‘, Rhododendron ferrugineum von 700 bis über 70007 ete. . : Diese Pflanzen, und besonders die zuletzt genannte, be- ‚weisen, wie wenig die klimatischen und Bodenverhältnisse auf die varietätliche Veränderung der Gewächse Einfluss haben. Rhododendron ferrugineum wächst meistens — auf kalkarmem Gestein; es kommt aber auch auf Kalk vor und zwar nicht etwa bloss auf Lehm, der den Kalk über- lagert, oder auf einer dicken Humusschichte, sondern auch auf fast nackten Kalkfelsen. Im schweizerischen Jura er- ‚setzt es sogar das Rhododendron hirsutum. Es kommt ferner an sonnigen und schattigen, an trockenen und feuchten Localitäten vor. Es lebt einerseits nahe der Grenze des ewigen Schnees, wenigstens über 7000’; anderseits steigt es bis in die oberitalienische Ebene hinunter. Am Comersee und am Langensee kommt es bei 700° vor. Ich fand es letztes Jahr am Eingang in die Sementinaschlucht bei Bellin- zona, im Kastanienwald und in ‘der nächsten Nähe von Weinreben, Feigen- und Pfirsichbäumen. Einen ‚Unterschied gegenüber der hochalpinen Form bemerkte ich nicht. Man wird nun zwar einwenden, dass nicht alle Pflanzen 124 gleich empfänglich für äussere Eindrücke seien. Diess ist allerdings richtig, aber unter den genannten muss wenigstens Achillea Millefolium als variabel bezeichnet werden. Ueberdem habe ich oben schon Hieracium Pilosella er- wähnt, welches in der nämlichen Form von der Meeresküste bis über 7000’ hoch steigt, obgleich es zu den wandelbarsten Gewächsen zählt; ich könnte noch andere Hieracien nennen, die sich ähnlich verhalten. Was aber besonders entscheidend ist, alle diese Gewächse, die in der nämlichen Varietät von der Ebene bis in die Alpen gehen, zeigen ihre Empfäng- lichkeit für äussere Eindrücke, indem sie die vorhin be- merkten Veränderungen annehmen. Sie werden kleiner, ge- drungener, ihre Organe sind in geringerer Zahl vorhanden: ein Beweis, dass die äussern Verhältnisse in allen ähnlich, wenn auch in ungleichem Grade wirken. Die Verschiedenheit dieser Einwirkung von der eigent- lichen Varietätenbildung zeigt sich klar, wo beide neben einander auftreten. Ein Beispiel, wofür ich wieder Hiera- cium Pilosella wählen will, wird diess am besten dar- thun. Ich habe schon bemerkt, dass die gewöhnliche Form dieser Art auf allen möglichen Standorten vorkommt. Auf fetten Plätzen der Ebene wird sie verlängert und üppig, auf magern Waiden des Hochgebirgs klein, gedrängt, mit verkürzten Stolonen. Aehnliche kleine Formen kommen aber auch im Thal auf sehr magern und trockenen Stellen vor, während bei 4500 und 5500’ an Ackerrändern oder ‘an Strassendämmen sehr grosse und verlängerte Pflanzen ge- deihen. In der Ebene und in den Alpen kommen neben der gewöhnlichen Varietät verschiedene Modificationen der- selben vor. Ausserdem giebt es eine Form, die man als Alpenvarietät bezeichnet hat, H. Hoppeanum. Dass die- selbe aber nicht ein Product des Alpenklimas ist, ergiebt sich aus dem Umstande, dass H. Pilosella ebenfalls in den Alpen vorkommt und selbst noch etwas höher hinauf- EEE eae Sa capers TE id aA en aaa EA Tu EN Pe a ne 125 a Auch wäre mit dieser Annahme wenig in Harmonie der andere Umstand, dass H. Hoppeanum in allen Theilen grösser und stärker ist, als das gewöhnliche H. Pilosella, mit Ausnahme der verkürzten Stolonen. | Man könnte nun vielleicht sagen, es sei nicht das Alpenklima überhaupt, sondern eine besondere Modification desselben, welche H. Hoppeanum erzeugt habe. Dass diess nicht der Fall sein kann, erhellt aus der schon früher her- vorgehobenen Thatsache, dass H. Pilosella und H. Hop- peanum in den Alpen oft auf der nämlichen Localität vorkommen, und dass nicht selten mit .dem einen oder andern oder mit beiden auch die Mittelform vergesellschaftet ist. Ferner wächst H. Hoppeanum neben H. Pilosella auch in der Ebene bei München und bei Augsburg; die Mittelform fehlt hier ebenfalls nicht. Die wirklichen Alpenvarietäten, d. h. diejenigen, welche nicht bloss durch kleinen und gedrungenen Wuchs abweichen, sind also nicht eine Folge des Alpenklimas. Wenn sie sich ausser der Kleinheit noch durch andere Merkmale, dieselben mögen noch so unbedeutend ‘sein, und z. B. in nichts anderem, als in grössern Blumen bestehen, von der ge- wöhnlichen Form unterscheiden, so bilden sie sich immer unabhängig von den klimatischen und Bodenverhältnissen aus, und wenn eine solche Alpenvarietät, was aber selten der Fall ist, als der einzige Repräsentant ihrer Species in , den Alpen überhaupt oder auf- besondern Localitäten der- selben auftritt, so ist es nur, weil sie als die existenz- fähigere Form die übrigen verdrängt hat. ; Die ganze bisherige Beweisfiihrung stützt sich auf die | Thatsachen, 1) dass die Varietäten nicht nur unter den | äussern Verhältnissen vorkommen, die man als ihre Ur- | sache betrachtet, sondern auch unter ganz abweichenden / Verhältnissen, und 2) dass zwei verschiedene Varietäten, / die nach der gewöhnlichen Ansicht verschiedene äussere 126 Einflüsse voraussetzen, neben einander, somit unter ganz den nämlichen Einflüssen getroffen werden. Man könnte hie- gegen, und mit dem Anscheine einiger Berechtigung, folgende Einwendung machen. Die Varietäten würden allerdings durch die Einwirkung der klimatischen und Bodenverhält- nisse erzeugt. Dadurch dass sie durch viele Generationen auf dem nämlichen Standort gelebt und dessen Einwirkung erfahren hätten, wären sie zu grösserer oder geringerer Constanz gelangt, und wenn sie nun auf einem andern Standorte sich ansiedelten, so behielten sie noch einige Zeit lang die unveränderten Varietätsmerkmale, und giengen dann erst in die diesem neuen ‚Standorte entsprechende Va- rietät über. | Dieser Einwurf erscheint plausibel; denn er stellt ein Analogon mit der Racenbildung durch künstliche Zuchtwahl auf. Bei der letztern wird ein Merkmal oder eine Gruppe von Merkmalen durch eine Reihe von Generationen gehäuft und die Constanz wird um so grösser, je länger die Ver- erbung statt gefunden hat. Es ist nun, wie ich schon er- örtert habe, unzweifelhaft, dass die Pflanze, welche unter veränderte äussere Verhältnisse gebracht wird, auch ihre Merkmale etwas verändert. Die Frage ist aber, ob diese Veränderung durch mehrere Generationen hindurch fort- dauern und sich steigern könne, und ob gleichzeitig die Constanz zunehme. Gegen diese Theorie sind drei, wie mir scheint, ganz entscheidende Einwürfe zu machen; es wider- sprechen ihr 1) die Natur der wirkenden Einflüsse und die Art und Weise ihrer Einwirkung, 2) die damit überein- stimmenden Erfahrungen der Cultur, 3) die Verhältnisse des Vorkommens. : Auf die beiden erstern Punkte werde ich später ein- treten. Den letzten, welcher mit dem Vorhergehenden in Verbindung steht, will ich sogleich noch kurz berühren. Die Verhältnisse des Vorkommens müssten sich, wenn 127 der eben erörterte Einwurf gegründet wäre, folgendermaassen gestalten. Jede Localität würde die ihr eigenthümliche Va- rietät beherbergen, und mit dem Uebergang der Localitäten würden sich auch die Varietäten allmählich ändern und in einander übergehen. In Folge der Samenverbreitung durch den Wind und die Thiere würde man nun zwar auf einer Localität nicht bloss die ihr zukommende, sondern möglicher | Weise auch andere dahin geführte Formen antreffen. Aber 4 2 diess könnte nur als Ausnahme von der Regel auftreten, > um so mehr als die eingewanderte Varietät nach längerer oder kürzerer Dauer in die Form des Standortes sich um- ändern müsste. Damit stimmen aber nicht die beobachteten Thatsachen, namentlich nicht die weite und häufige Ver- breitung der gleichen Varietät über die ungleichartigsten Standorte und das Vorkommen von zwei verschiedenen Varietäten der gleichen Pflanzenart auf grossen gleichförmi- - gen Localitäten. Ueberhaupt erscheint in der Wirklichkeit die Uebereinstimmung | zwischen ‘Varietit und äussern Ver- hältnissen als Ausnahme, ‘während sie nach der Theorie als Regel sich geltend machen müsste. Wenn die Varietäten constant gewordene Standorts- formen wären, so müsste sich ein wesentlicher Unterschied in der Verbreitung der Formen zeigen, je nach der Leichtigkeit, mit der sie ihren Wohnort ändern. Pflanzen, deren Früchte oder Samen durch den Wind weit verbreitet werden, könnten sporadisch auch auf vielen andern Locali- täten vorkommen. Solche dagegen, deren Samen sich nicht weit entfernen, müssten streng an der Localität, die sie er- zeugte, festhalten. Mit der langsamen Verbreitung auf andere Standorte müsste auch eine langsame Umbildung er- folgen. Diese logische Folgerung -ist in der Wirklichkeit wieder nicht erfüllt. Wir sehen durchaus keinen Unterschied in der Verbreitung von Gewächsen mit transportabeln und nicht. transportabeln Samen. So stehen die beiden Varietäten | der gewöhnlichen Eiche (Quercus Robur pedunculata und sessiliflora), die beiden Varietäten der Haselnuss (mit rundlichen und ovalen Früchten) überall durcheinander. Die Vorkommensverhältnisse sind, wie wir eben ge- sehen haben, selbst. für den ungünstigsten Fall beweisend, für den Fall nämlich, dass die Varietäten leicht auf fremden Standorten unter den Varietäten der letztern sich ansiedeln. Die Erfahrung zeigt nun aber, dass eine Pflanze nur schwer sich einen neuen Platz erobert und dass sie es manchmal _ auch gar nicht vermag. Es giebt Pflanzenarten und Varie- My, täten, welche unter gewissen Umständen auf einem Stand- orte sich nicht ansiedeln können, wenn eine verwandte Art oder Varietät denselben bewohnt. Solche Beispiele finden wir an Achillea atrata und A. moschata, Rhododen- dron ferrugineum und Rh. hirsutum, Primula offi- cinalis und P. elatior, Hieracium Bienia und Ë. Hoppeanum, Orchis conopsea und O. odoratissima, an Arten von Erigeron, Rhinanthus und anderer Gattungen. Ich werde in einer folgenden Mittheilung diesen Punkt erörtern und will hier nur das Factum, soweit es für den vorliegenden Fall von Interesse ist, kurz berühren. Es giebt Gebirgsstöcke, auf denen Achillea atrata und À. mo- schata streng nach der geologischen Unterlage geschieden sind. Erstere gehört dem Kalk an, letztere dem Urgebirge (Granit, Gneis, Glimmerschiefer, grauer Schiefer etc.). Man hat daraus geschlossen, A. atrata könne nur auf kalk- reicher, A. moschata nur auf kalkarmer Unterlage wachsen. Man hat selbst gemeint, die eine „wäre die—Varietät der kalkarmen, _ die andere der kalkreichen Localitäten und “sie verwandelten sich in einander, wenn sie auf ihre gegenseitigen Standorte gelangten. Weder das Eine noch das Andere ist richtig. Denn A. moschata ge- deiht auch ganz gut auf Kalk, - und A. atrata ebenso auf . a ee rn % ed — i TEE gg OO, Ee : nn = “« Ss an A E r insbe a EEE EEE aae \ 129 Dahiti: wenn jede Form allein ist. Sind sie in Gesell- schaft, so scheiden sie sich nach der géognostischen Unter- lage aus. "Wir "können ‘diess nur so erklären, dass wir an- nehmen, es komme A. moschata besser auf kalkarmem Boden fort, als A. atrata, diese dagegen auf kalkreichem Boden besser als die erstere. Daher verdrängen sie sich *. gegenseitig, wenn sie als Concurrenten auftreten. Da es. Hänge in ‘den Alpen giebt, die, soweit der Kalk reicht, ausschliesslich mit A. atrata, und soweit sie aus Schiefer bestehen, ausschliesslich mit A. moschata bedeckt sind, und da diese zwei Standorte mit ihren Pflanzen unmittelbar an einander grenzen, so beweist uns diess, wie schwer es einer Form wird, auf dem ungünstigern Standort sich an- gusiedeln, wenn ein Mitbewerber ihr denselben streitig macht. l : Ich habe hier ein Beispiel angeführt, wo die beiden . Pflanzen eine ungleiche Empfindlichkeit gegen die chemische ' Beschaffenheit der Unterlage zeigen. In andern ist es die physikalische Constitution des Bodens, welche zwar an und für sich das Vorkommen jeder einzelnen von zwei Pflanzen- formen gestattet, welche aber, wenn beide vereint auftreten, bald die eine bald die andere als die stärkere erscheinen lässt, und daher den Ausschluss der Mitbewerberin ver- anlasst. In gleicher Weise müsste es sich mit allen Varietäten | verhalten, welche constant gewordene Localitätsformen wären. Jede bewohnte zuerst den Ort, dem sie ihr Dasein ver- dankt; von hier aus suchte sie auf andere, ihr fremde Standorte überzugehen. Diese waren aber mit den ihnen, eigenthünlichen Varietäten besetzt und mussten daher dem Eindringling fast unüberwindliche Hindernisse darbieten. Denn wir müssen doch immer annehmen, dass eine Varietät auf der Localität, auf welcher sie erzeugt wurde, auch existenzfähiger sei, als eine andere, die unter andern äussern 130 Bedingungen entstanden ist. Das Durcheinandervorkommen der Varietäten, wie es in der Wirklichkeit vorhanden ist, lässt sich also nicht mit der Theorie vereinen, dass die- selben constant gewordene Standortsformen seien. Diese Schwierigkeit fällt dagegen weg, wenn die Varietäten durch “> innere Ursachen entstanden sind. Es ist dann ganz gut möglich, däss zwei oder mehrere derselben gegen gewisse äussere Verhältnisse sich gleich verhalten, dass auf gewissen Standorten keine als die existenzfähigere erscheint und die andere zu verdrängen vermag, dass sie also daselbst neben einander bestehen können. Ich habe bis jetzt die Thatsachen erörtert, welche das Vorkommen der Gewächse auf ihren natürlichen Standorten darbietet. Eine andere Reihe von Thatsachen geben uns die Culturversuche und die Bildung von Racen oder Varie- täten im Garten. Das übereinstimmende Resultat der letztern ist, dass die nämlichen klimatischen und Bodeneinflüsse die ‚ gleichzeitige Entstehung von zwei und mehreren verschie- denen Racen gestatten. Auf demselben Gartenbeet und aus den Samen derselben Pflanze können durch eine Reihe von Generationen, wenn die gegenseitige hybride Befruchtung ‚vermieden wird, Varietäten mit verschiedenen Blättern, ‚Blüthen, Früchten, Wurzeln, mit verschiedener Verzweigung, _ Behaarung u. se w. sich ausbilden. Es kann selbst die Ab- , \ änderung in entgegengesetzter Richtung erfolgen; es können neben einander Racen mit grossen und kleinen Blättern, | Blüthen, Früchten, Samen, mit dünnen und dicken Wurzeln, = mit reicher und spärlicher Verzweigung, mit aufrechten und hängenden Zweigen, mit zerschlitzten und mit ungelappten Blättern entstehen. Daraus geht unzweifelhaft hervor, dass na a o Gm Fe Dunn nn ii nen ~ mn =- o ee ee u u Te ai catia age — ee es en wir die Ursachen der Variation unmöglich in den äussern | ya Verhältnissen suchen können. Ein anderes wichtiges Moment ist, dass bei der Racen- bildung nicht etwa die Veränderung in allen Individuen gleichmässig erfolgt, sondern dass sie nur einzelne trifft. Wenn die äussern Einflüsse die Veränderung bewirkten, so müssten alle Individuen, die denselben ausgesetzt sind, die übereinstimmende Wirkung erfahren. Säet man aber Samen des gleichen Pflanzenstockes, selbst der gleichen Samen- kapsel auf dasselbe Beet aus, so zeigt vielleicht eine einzige Pflanze eine Abänderung, welche bei fortgesetzter Aussaat zur Racenbildung führt, indess die übrigen Pflanzen und ihre Nachkommen der ursprünglichen Race treu bleiben. Mit den Erfahrungen der Gärtner stimmen bekannt- lich die der Thierzüchter überein. In dem nämlichen Tauben- schlag, in dem nämlichen Stall und auf der gleichen Waide bleibt eine Race in den einen Individuen unverändert, in andern Individuen bildet sie sich zur neuen Race um. Es werden vielleicht Gärtner -und Thierzüchter hiegegen einige Einwendungen machen und sagen, dass es bei der Racenbildung auch auf die Zubereitung der Erde und auf die Ernährung der Thiere ankomme. Diess ist immer richtig, wenn es sich um Racenmerkmale handelt, die durch die lebhaftern oder trägern Funktionen einzelner organischer Thätigkeiten bedingt werden. Solche Merkmale werden aber nie constant, und wir sollten eigentlich ihre Träger nicht mit dem Namen einer besondern Race bezeichnen. Ich werde auf diesen Punkt noch später zurückkommen. Wenn uns die Beobachtungen in der freien Natur eine fast unbeschränkte Menge von übereinstimmenden Beispielen vorführen, wo wir die Forderung der Theorie mit der Wirklichkeit vergleichen können, so giebt uns die Cultur zwar nur eine beschränkte Zahl von Beispielen, aber diese ersetzen den äussern Mangel durch grossen innern Werth; Bey denn sie erlauben die Entstehungsweise der Racen direkt zu verfolgen und mit Rücksicht auf die ursächlichen Momente zu prüfen. Zur Annahme der Racenbildung wird zweierlei er- fordert: 1) müssen neue Merkmale auftreten und 2) müssen dieselben constant werden. ‚Die neuen Merkmale müssen immer so ausgeprägt. sein, dass die Träger derselben sich deutlich von den schon vorhandenen Racen unterscheiden. Sie können entweder auf einmal auftreten, oder durch mehrere successive Ge- ' nerationen allmählich zu ihrer vollkommenen Höhe sich ausbilden. Die Constanz ist immer Folge der Vererbung durch eine Reihe von Generationen. Wenn ein Racenmerk- mal schon in der ersten Generation vollendet erscheint, so ist es noch variabel, erst durch wiederholte Ver- erbung wird es dauerhaft. Wenn das Merkmal aber sich’ nach und nach ausbildet, so hat es bei seiner Vollendung ‘schon einige Constanz ; dieselbe vermehrt sich in den folgen- den Generationen Ba, ohne dass das Merkmal in seinen sichtbaren Erscheinungen sich weiter verändert. Ich erlaube mir hier eine Bemerkung darüber, was wir uns eigentlich unter Constantwerden zu denken haben. ‘Wie dieser Begriff sich uns. unmittelbar darstellt und wie er auch häufig aufgefasst wird, scheint er im Wider- spruch mit dem Gesetze zu stehen, dass in der Natur Alles wie Ursache und Wirkung verknüpft ist. Denn wir be- greifen nicht, warum eine Eigenschaft ihrem Wesen nach anders sein soll, je nachdem sie längere oder. kürzere Zeit gedauert hat. Wir müssen daher annehmen, dass bei der Racenbildung nicht bloss die äussern sichtbaren, sondern ausserdem innere unsichtbare Veränderungen statthaben, welche möglicher Weise schon vor jenen eintreten und nach denselben noch andauern können. Da diese inneren Veränderungen mit den äussern, die 133 als Racenmerkmale sichtbar werden, in causalem Verhältniss H { { stehen, so wird nun sogleich einleuchtend, dass der Orga- 4 nismus die neuen Merkmale um so zäher festhält, je weiter ‘ die bedingenden inneren Veränderungen gediehen sind, dass / und dass es dazu einer gleichen Summe von Einwirkungen bedarf, wie diejenigen die sie hervorgerufen haben. Ein Beispiel, an dem dieses deutlich gemacht‘ werden kann, ist folgendes. Der Gärtner cultivirt eine blaublühende Pflanzenart. Bei einer Aussaat erhält er einmal ein weiss- blühendes Exemplar. Er sammelt ausschliesslich von diesem die Samen und gewinnt bei deren Aussaat neben blauen, einige weisse Pflanzen. Er setzt das nämliche Verfahren fort, er behält immer nur die weissblühenden Stöcke als Samenpflanzen. Seine Aussaaten geben immer mehr, zuletzt bloss noch weissblühende Exemplare. Die Constanz nimmt mit jeder folgenden Generation um einen Grad zu. Wir können uns diese Thatsache bloss im folgender Weise er- klären. Ob die Individuen einer Art blaue oder weisse Blüthen- tragen, muss von einer Verschiedenheit der Stoffmischung bedingt werden, welche wieder auf die ganze moleculare Beschaffenheit zurückwirkt. In irgend einem Individuum ist nun diese Aenderung soweit eingetreten, dass sie weisse Blüthen bedingt, aber nicht so weit, dass auch die er- -gzeugten Keime alle weissblühende Pflanzen ` gäben. Sie ist einer Steigerung fähig und diese Steigerung erfolgt durch eine Reihe von Generationen. Solange die Veränderung in der bestimmten Richtung andauert, wird auch die Constanz gesteigert. Es bedarf dann ceteris paribus einer gleichen Zahl von Generationen, um die eingetretene Umbildung durch entgegengesetzte Ursachen vollkommen zu tilgen und die weissblühende Varietät wieder in die rothblühende zu- riickzufiihren. Wenn aber die Umbildung ihren höchsten 4 fA 1 A Le A | 1 i 4 4 | 4 — um jene zu vernichten, diese zuvor entfernt werden müssen, / na 134 & . Grad erreicht hat, so hört auch die Steigerung der Constanz DW auf. Wenn z. B. mit der 20. Generation die grösstmög- liche Veränderung in der bestimmten Richtung eingetreten ist, so kann die 50. und 100. Generation sie an Constanz nicht übertreffen. i Pe Damit steht in Uebereinstimmung, dass nicht jede Eigenschaft, welche sich lange vererbt hat, desswegen auch constant geworden ist. Diess gilt namentlich von den Ver- änderungen, welche die äussern Einflüsse an den Pflanzen > unmittelbar bewirken. Wie ich schon früher bemerkte, be- stehen dieselben vorzugsweise in einer Steigerung oder Schwächung einzelner Processe. Die Wirkung entspricht der —_ Ursache und muss mit dieser aufhören. Auf einem frucht- baren Boden werden die Pflanzen gross, stark verzweigt und reichblüthig; aber niemand kann daran denken, dass diese Eigenschaften Constanz erlangen. Nach der hundert- sten Generation werden die Pflanzen, wie nach der zweiten, auf einem magern Boden klein, unverzweigt und armblüthig ausfallen. — In einem warmen Sommer werden die Trauben süss, in einem kalten sauer. Wenn 99 ununterbrochene Ge- nerationen der Weinrebe nur warme Sommer gesehen hätten, © ‚so würde die hundertste in kalter Witterung doch wieder saure Früchte geben. — Wenn eine Pflanze während einer “noch so langen Reihe von Generationen in Folge Licht- mangels bleichsüchtig gewesen ist, so wird sie doch, sobald das Licht wieder voll einwirkt, auch wieder intensiv grün werden. Wird ein Wald umgehauen, so treten verschiedene krautartige Pflanzen auf, von denen einige während langer ‘Zeit, möglicherweise Jahrhunderte hindurch, als Stolonen mit bleichen unausgebildeten Blättern ein kümmerliches Da- sein fristeten. Sowie die warmen Sonnenstrahlen nach der Abholzung den Boden treffen, so entwickeln sich diese Ge- wächse so üppig, und mit so lebhafter Färbung, als ob sie sich dessen nie entwöhnt hätten. 135 Die direkten Folgen der äussern Ursachen können also keine Constanz’ erlangen. Es liesse sich nun aber vermuthen, dass damit“ anderweitige ‘indirekte Veränderungen verknüpft wären, welche zur Racenbildung führten. Es könnte: die chemische und moleculare Natur durch eine lange Einwirk- ` umg so weit umgewandelt werden, dass dadurch noch be- , stimmte andere Merkmale, ausser den berührten direkten = Folgen, hervorgebracht würden. Es könnte eine Pflanze, es die einerseits auf einen an Humus, Feuchtigkeit, Kali- und Phosphorsalzen reichen Boden, anderseits auf einen trockenen ` und magern Boden kommt und daselbst während vieler Generationen bleibt, nicht bloss am einen Ort wohlgenährt und üppig, am andern Orte klein und schmächtig ausfallen, sondern in Folge der dauernden Einwirkung ungleicher Er- nährung zugleich soweit ‘in ihrer Constitution umgestimmt — er werden, dass sie auf den beiden Standorten zu zwei ver- schiedenen Racen sich umbildete: zwei Racen, die sich nicht bloss: durch Grösse, sondern durch eigenthümliche Form und Farbe der Blätter, durch eigenthümliche Zähnung oder Kerbung derselben, durch eigenthümliche Form und Verzweigung des Stengels, durch eigenthümlichen Blüthenbau, durch eigenthiimliche Behaarung etc. auszeichneten. Die theoretische Möglichkeit, dass sich durch den Ein- fluss der klimatischen und Bodenverhältnisse auf indirektem ‘Wege eine Race bilde, lässt sich also nicht bestreiten. Es ist nun aber die Frage, ob die Erfahrungen mit den Con- sequenzen dieser Theorie zu vereinen sind. Die nächste Folgerung wäre die, dass auf einem Standorte alle Indivi- duen einer Art sich umbilden müssten, und dass die Um- bildung nur in derselben Richtung erfolgen könnte. Denn gleiche Ursachen bringen gleiche Wirkungen ‚hervor. Die Pflanzen zeigen zwar individuelle Verschiedenheiten; sie be- sitzen vielleicht eine ungleiche Empfänglichkeit für die neuen Einflüsse und fangen daher nicht gleichzeitig zu variiren 11 136 an. Aber da sie nicht nur der gleichen Race angehören, sondern überdies noch möglichst gleichartig vorausgesetzt werden, so müsste die Veränderung in allen den nämlichen Weg einschlagen. . | | Mit dieser Forderung stehen die Beobachtungen über das Vorkommen der Racen, wie ich bereits gezeigt habe, und ebenso die Erfahrungen über künstliche Racenbildung im Widerspruche. Auf dem nämlichen Gartenbeet gelingt es dem Gärtner, wie schon erwähnt, nicht nur eine Race unverändert zu conserviren, sondern auch aus ihr mehrere neue Racen, selbst solche, die als direkte Gegensätze zu betrachten sind, zu erziehen. \ Man könnte vielleicht den Einwurf machen, dass die _ Pflanzen, wenn auch auf demselben Beete beisammen, doch nicht den gleichen Einflüssen ausgesetzt seien, die Erde sei ein Gemenge von verschiedenen Bestandtheilen, es könne daher geschehen, dass die Wurzeln der einen Pflanze mit ganz andern Stoffen in Berührung kommen, als die der übrigen. Es wäre leicht auf die Unwahrscheinlichkeit einer solchen: Annahme hinzuweisen und dafür verschiedene Gründe anzuführen. Diess ist überflüssig, da sich die Unmöglichkeit der Annahme aus dem Erfolge darthun lässt. Wenn unter 100 Pflanzen, die auf einem Beete stehen, eine einzige ab- ändert (z. B. weiss blüht, oder geschlitzte Blätter hat, oder frühzeitiger ihre Früchte reift), so müsste gemäss dem ge- machten Einwurfe der Boden auf 100 Stellen einmal anders beschaffen sein. Es würde bei einer folgenden Aussaat wieder nur eine Abweichung auf 100 Exemplare geben können. Es giebt deren aber, wenn Samen von jener einen Pflanze ausgesäet werden, viel mehr und früher oder später _ trägt das ganze Beet bloss Pflanzen der neuen Race. Daraus © folgt, dass der Boden entweder überall eine gleiche Be- ` schaffenheit hat, oder dass, wenn seine Beschaffenheit 137 wechselt, diese Verschiedenheit für die Racenbildung : ohne Bedeutung ist. | m. Wie unter den gleichen Verhältnissen aiin Racen entstehen, so bleiben sie, einmal gebildet, in ihrer Ungleich- heit beständig, trotz dem, dass die gleichen Einflüsse auf sie einwirken. Die Racen der ein- und zweijährigen Ge- wächse (die also nur durch Samen sich fortpflanzen) bleiben unverändert, wenn man sie in dem ‚gleichen Garten oder auf den gleichen Feldern neben einander. cultivirt. Kein Gärtner und kein Landwirth zweifelt. daran, dass er von Mais, Waizen, ‘Gerste, Hafer oder von Zierpflanzen beim Aussäen wieder die gleiche Sorte erhalte. Man wird viel- leicht sagen, die Dauer des Versuches sei hier zu gering, um eine Ausartung erwarten zu können. Für junge, erst kurze Zeit bestehende Racen wäre dieser Einwurf unge- gründet. Für alte Culturracen aber haben: wir zwei: anes von Thatsachen,-die unwiderleglich sind.. Einmal werden manche derselben seit Jahrtausenden in verschiedenen Ländern, unter verschiedenen klimatischen und Bodenverhältnissen gezogen, ohne dass sie desswegen in ebenso viele Racen auseinander gegangen wären. Die süssen Mandeln kannte man vor Plinius’ Zeit im Orient, in Griechenland und in Italien; sie werden immer noch in diesen Ländern, ebenfalls in China cultivirt, ohne dass sie in den verschiedenen Gegenden jetzt verschieden wären. Ganz das Gleiche gilt für die bittern Mandeln, deren Cultur in denselben Ländern ebenso alt ist. Die sechszeilige Gerste wurde von den alten Indern, von den Aegyptern, den Griechen und Römern gebaut ; sie findet sich noch in diesen Ländern, ohne verschiedene Racen gebildet zu haben. Aehn- liches lässt sich für verschiedene andere Culturpflanzen nach- weisen. Die zweite Reihe von Thatsachen besteht darin, dass zwei oder mehrere Racen der nämlichen Art, seit Jahr- 11* , 4 %# o% 138 tausenden in der nämlichen Gegend gepflanzt wurden, ohne dass man für sie eine ungleiche Behandlung rücksichtlich des Bodens oder anderer Verhältnissesanwendete.' Trotzdem, — dass sie also die gleichen Einflüsse erfahren haben, beharrten sie in ihrer Verschiedenheit; so die 'süssen und bittern Mandeln, die Getreidesorten etc. BE -° Die Ursache, warum die Culturracen unverändert fort- bestehen‘ oder sich in andere Räcen' umwandeln, kann also nicht in der Einwirkung von klimatischen und: Bodenver- hältnissen gefunden werden. Sie liegt einerseits in der grössern oder geringern Neigung einer Pflanze, ‘individuelle Abänderungen zu bilden, anderseits in dem Umstande, ‘ob die künstliche Zuchtwahl derselben zu Hülfe kommt oder nicht. roa roki | \\.ee~ Auch die in den botanischen Gärten dekiväten Pflanzen E if a ti | N | ‘sprechen durchaus nicht für eine Umbildung der Varietäten durch äussere Ursachen. Zwei noch so nahe stehende Va- rietäten oder Racen,“ die aus dem Freien in den Garten verpflanzt werden, bleiben hier unverändert neben einander, insofern ihre Eigenschaften unabhängig von einer reich- licheren oder spärlicheren Ernährung sind. Man bemerkt zwar häufig eine Umbildung an den Gartenpflanzen ; sie be- steht aber nur in einer bessern Ernährung. 'Dieselben sind ‘grösser, üppiger, mit reicherer Verzweigung. Ganz gleiche ‚Exemplare findet man aber auch im Freien an fetten humus- reichen Stellen °). 9) Man liest jetzt nicht selten in systematischen Werken, die oder jene Form sei eine gute Art, denn sie habe sich im Garten unverändert erhalten. Culturversuche sind gewiss sehr wichtig; sie >S _erweisen, was an der Pflanze durch den Standort bedingt war. Aber sie geben nicht den geringsten Aufschluss darüber, ob eine Form eine bessere oder schlechtere Varietät, eine bessere oder schlechtere a Art sei; denn sie vermögen nicht zu zeigen, welchen Grad der Con- | "Stanz eine Pflanze erreicht hat. BSH i 139 Wenn- die klimatischen Einflüsse eine Umbildung: be- wirken könnten, so sollte man diess namentlich an denjenigen Gewächsen, die aus fernen Ländern stammen, wahrnehmen. Man sollte die grösste Einwirkung der Cultur einerseits an Pflanzen der Tropen und der südlichen Hemisphäre, ander- seits der höchsten Alpen und des höchsten Nordens wahr- nehmen, was aber nicht der Fall ist. An die Ergebnisse der Cultur in historischer Zeit vie sich einige Fälle an, wo es möglich ist, die Resultate der Cultur in der Natnr während einer skroei viel längern Zeit zu beobachten. Wenn sich nämlich von einer Pflanze bestimmen lässt, zu welcher Zeit sie in verschiedene Gegenden gekommen ist, so können wir untersuchen, ob und welche Verschiedenheiten sie jetzt zeigt, und wir können darnach den Einfluss der klimatischen Verhältnisse beur- theilen. Im ersten Theil dieser Mittheilung habe ich von dem Vorkommen der Varietäten auf verschiedenen Stand- orten, ohne Rücksicht auf die bestimmte Zeitdauer, während welcher sie sich daselbst befinden, gesprochen. Ich will jetzt noch auf einige Fälle hinweisen, wo dieser Factor in die Rechnung gebracht werden kann. Die letzte Periode, in welcher eine grosse Veränderung in der Verbreitung der Gewächse stattgefunden hat, ist die Eiszeit! Seitdem haben dieselben ihren Wohnort, mit wenigen Ausnahmen, die hauptsächlich auf Rechnung des Menschen fallen, nicht gewechselt. Zur Eiszeit war das Flachland von Mitteleuropa sammt den brittischen Inseln vom Meer bedeckt, aus welchem nur die Gebirgsländer als Inseln emporragten. Nach derselben, als der Boden sich gehoben hatte und das Klima wärmer geworden war, wan- derten Pflanzen von Osten her ein, indess von den ein- heimischen Gewächsen die meisten sich in die höhern Re- gionen der Gebirge zurückzogen. Pflanzen, welche in Frank- reich, Deutschland, Ungarn, Polen, Russland und Sibirien 140 zugleich vorkommen , bewolinen diese Länder sehr wahr- scheinlich seit nahezu der Eiszeit, besonders wenn sie leicht transportable Samen besitzen. Pflanzen, die zugleich auf den Alpen, den Pyrenäen, im Caucasus und im hohen Norden leben, befinden sich daselbst mindestens seit der Eiszeit, weil seitdem die Communication gehemmt war. | Es giebt nun eine ganze Zahl von Pflanzen, die einige oder alle der genannten Tiefländer, die alle oder einzelne der genannten Gebirge und den Norden bewohnen, und die daselbst in der gleichen Varietät vorkommen. Müssen wir nicht den Einfluss der klimatischen und Bodenverhältnisse auf die Umbildung der Varietäten gleich Null setzen, wenn dieselben nicht vermochten, während so langer Zeit sich geltend zu machen? Es ist überflüssig, noch weitere Beispiele von Gegenden anzuführen ; die eine gleiche oder eine längere Zeit durch Meere getrehnt waren, und die von denselben Varietäten bewohnt werden. Ich will nur noch zwei Fälle aus den Alpen. selbst anführen.‘ Während der Eiszeit standen die durch Thäler und Ebenen getrennten Berge vermittelst der ‚Gletscher in Verbindung, so dass alpine Gewächse von einem auf den andern übersiedeln konnten, was vielen jetzt nicht mehr möglich ist... Die Alpenrose gehört hieher. Sie verbreitet sich äusserst langsam, wie. die geographische Vertheilung ihrer beiden einheimischen Arten zeigt, die. sich wesentlich nach dem Verlaufe des Eiszeitgletscher richtet. Heer hat hierauf aufmerksam gemacht und das Vorkommen von Rhododendron ferrugineum, das sonst im Allgemeinen den kalkarmen Formationen. angehört, auf dem Jura da- durch erklärt, dass dasselbe mit dem Eiszeitgletscher des Rhonethales dahin gebracht worden’ sei. In gleicher Weise muss ohne Zweifel: das Vorkommen‘ dieser Pflanze an dem Gomersee und Langensee, ferner an ein, Paar Stellen dies- 141 seits der Alpen gedeutet werden. Die eben genannten Stand- orte sind weit von den Alpen entfernt und die Verbreitung der Pflanze auf ziemlich grosse Strecken unterbrochen. Wir können also, um bloss einige extreme Standorte herauszuheben, sagen, die rostblättrige Alpenrose, habe seit der Eiszeit hochalpine bis’ 7000’ und darüber liegende kalkarme und kalkreiche Localitäten, ferner den warmen | und trockenen Jura, endlich die oberitalienische Ebene von ji 700 bis 1300’ bewohnt, ohne eine bemerkbare Verschieden- heit erlangt zu haben. _ Aehnlich wie mit der Alpenrose verhält es sich ah Hieracium Pilosella und H. Hoppeanum. Letzteres, das sonst in den Alpen von 4500—7000° gefunden wird, kommt unterhalb München auf Haiden und in Torfmooren vor. Man könnte vermuthen, dass es von der Isar herab- geschwemmt worden sei, wie diess mit so vielen Alpen- pflanzen der Fall ist. Allein diese Annahme ist nicht. ge- rechtfertigt. Heruntergeschwemmte Alpenpflanzen finden sich da und dort im Kies des Flusses, und zwar unter gleichen Verhältnissen um so häufiger; je mehr man sich dem Ge- birge nähert; sie verbreiten sich wohl auch an dessen nächste Abhinge. H. Hoppeanum kommt aber sonst im ganzen Isarthal nicht vor; es mangelt in den nächsten Alpen. Sein nächster Standort im Flussgebiet der Isar ist auf einigen ~ : Bergen bei Partenkirchen, in einer Entfernung von mehr als 13 geographischen Meilen Flusslänge. Ferner ` durch- strömt der Fluss (die Loisach) auf seinem Wege einen < See, wodurch der weitere Transport von Pflanzen und Samen unmöglich wird. Endlich findet sich die Pflanze bei München nicht im Kies der Isar, sondern auf der Haide und im Moor und entfernt sich bis auf mehr als 3 geographische Meilen vom Fluss. Dieses Vorkommen spricht entschieden dafür, dass H. Hoppeanum zur Eiszeit mit den Gletschern heruntergekommen ist und sich seit jener Zeit auf einem 142 vorgeschobenen und isolirten Posten behauptet hat. Von ebenso langer Dauer muss das Vorkommen “der gleichen Pflanze auf verschiedenen räumlich weit von einander ge- trennten Localitäten der Alpen sein. Trotzdem finden sich in der bayerischen Ebene, auf den bayerischen und den andern Alpen vollkommen die gleichen Formen dieser Pflanze. Bei Hieracium Pilosella gilt das Nämliche für noch viel ungleichere Localitäten. Hier ist auch einer Theorie von A. de Candolle zu erwähnen. Indem derselbe (Géogr. bot. 1088) annimmt, dass eine lange Einwirkung von äussern Einflüssen die Arten verändern und dauerhafte Varietäten bilden könne, gesteht er jedoch ein, er kenne nur eine einzige Eigenschaft, die sich durch das Klima gebildet habe, nämlich die Eigen- schaft dem Frost zu widerstehen. © Er führt für seine An- sicht zwei Gründe an. Der eine ist die Angabe von Hooker fil., dass Samen von Pinus und Rhododendron, die in einer bedeutenden Höhe des Himalaya gesammelt wurden, gegen den Frost dauerhaftere Pflanzen liefern, als Samen von geringerer Höhe. Der andere ist die Thatsache, dass die Arten, welche in wärmeren Gegenden, namentlich auf Inseln leben, bei uns die Kälte nicht ertragen, was de Candolle davon herleitet, dass sie während Jahrtausen- den der Wärme ausgesetzt gewesen und ihre Natur gleich- sam darnach geformt hätten. Ich war a priori durchaus nicht gegen diese Theorie; ich hielt sie für möglich, selbst für wahrscheinlich. Die thatsächliche Begründung scheint mir aber noch sehr mangelhaft. Da ich die Entscheidung der Frage für: wichtig ‚halte, so sei es mir gestattet, einige kritische Anmerkungen ga der Beweisführung zu machen, und dann die Art und Weise darzulegen, wie nach meiner Ansicht das Factum, wenn es sich bestätigen sollte, zu erklären wäre. Ich setze die vollkommene Richtigkeit des von Hooker 143 berichteten Verhaltens von Samen aus grösserer und ge- ringerer Höhe voraus. Aber ich frage mich, ob der daraus gezogene Schluss berechtigt sei. 1) Ist der Versuch hin- reichend oft wiederholt, dass man ihn für sicher halten kann, und dass man wirklich annehmen darf, der Erfolg | rühre nicht von irgend welchen Nebenumständen her, son- dern bloss von dem verschiedenen Klima, in welchem die Samen reiften? 2) Wenn diess unzweifelhaft ist, sind- die geringen Erhebungen und die Regionen der untern Ver- breitungsgrenze ebenso angemessen der Natur der fraglichen Arten, wie höhere Gegenden; oder gedeihen sie in den letztern vielleicht besser und geben desshalb besseren Samen und stärkere Pflanzen ? iy Beide Einwiirfe werden an einem Beispiel klarer her- vortreten. Wenn das Klima den von de Candolle ver- mutheten Einfluss hat, so wird es sich ebenso an den in kalten Gegenden wachsenden Pflanzen bestätigen. Hine Alpenpflanze, die von 3000 bis 9000’ ‘Meereshdhe vorkommt, wird das Klima der Ebene leichter ertragen, wenn die Samen bei 3000’, als wenn sie bei 9000’ gesammelt werden. Denn die bei 3000’ wachsenden Pflanzen haben sich während langer Dauer über ein Clima geformt, welches dem der Ebene nicht sehr ungleich ist. — Ich wünschte darüber Auskunft zu erhalten; aber ich bekam sie nicht. An Theorieen mangelt es zwar nicht, aber an sicheren That- sachen. In den einen Fällen wurde zwar beobachtet, dass Samen, in geringerer Höhe gesammelt, besser aufgingen und dauerhaftere Pflanzen gaben. In andern Fällen zeigte sich das Umgekehrte; und meistens liess sich eine Verschiedenheit nicht angeben. Offenbar überwiegen hier noch die Zufällig- keiten und Fährlichkeiten, welche mit der Cultur der Alpen ~~ pflanzen überhaupt verknüpft sind. Ferner wurden bis jetzt keine vergleichenden Versuche angestellt, welche sich gerade die Lösung des angeregten Problems zum Ziele setzten. lad Solche Versuche, die mit gehöriger Umsicht und Kritik aus-. geführt würden, könnten allein die Entscheidung geben. j Eine Thatsache scheint mir sicher, nämlich, dass einige | sehr tief hinabsteigende Alpenpflanzen in der Cultur nicht gedeihen, namentlich auch nicht zur Blüthenbildung ge- langen, wenn sie von den tiefsten Standorten in den Garten gepflanzt werden, während sie von höhern Localitäten gut gedeihen und reichlich ‚blühen. Ich erkläre mir diess folgender Maassen. Eine Pflanzenart befindet sich an den Grenzen ihres Verbreitungsbezirkes unter den ungünstigsten Bedingungen; denn eine geringe Veränderung der äussern Verhältnisse macht ihr Fortkommen unmöglich. Sie gedeiht hier also weniger gut, ist in schwächern, krankhafteren Exemplaren vertreten und -giebt dem entsprechend auch weniger guten Samen. Es ist somit begreiflich, dass wenn die schon von Natur schwächlichen Pflanzen von der untern Verbreitungsgrenze einer Alpenart unter noch ungünstigere äussere Einflüsse versetzt werden, sie denselben weniger zu widerstehen vermögen, als kräftigere Pflanzen von einem höhern Standort, der ihrer Natur vollkommen ange- messen ist. Ich habe früher expats dass Hieracium Pilosella bis über 7000’ hoch steigt ns dass das sehr nahe ver- wändte, sonst den Alpen angehörende H. Hoppeanum bei München vorkommt. Man sollte nun vermuthen, H. Pillo- sella, von den höchsten: Standorten in den Garten ver- pflanzt, gedeihe schlecht, weil es sich über ein alpines Klima geformt hat, H. Hoppeanum aus den nächsten Um- gebungen in Cultur genommen, komme gut fort. Es ver- hält sich gerade umgekehrt; ein Beweis, dass andere Vere hältnisse hier massgebend sind. | Von der merkwürdigen Verbreitung der rostblättrigen Alpenrose wurde ebenfalls schon gesprochen. Für die Cultur dieser schönen Pflanze müsste es, wenn das Klima die 145 Natur zu ändern vermöchte, von Wichtigkeit sein, ob man Samen und Pflanzen vom Jura, aus den Urgebirgsalpen oder vom Comersee holte. Es wäre selbst zu fürchten, dass die Pflanzen aus der oberitalienischen Ebene unser Klima zu. kalt finden: Der Versuch wäre jedenfalls zu machen; das Ergebniss würde von grosser Wichtigkeit sein *°). 10) Die Schlüsse, welche man aus der Cultur der Alpenpflanzen zieht, modifiziren sich je nach den Ansichten, die man über die Ur- sachen des Gelingens oder Misslingens hegt. Nach meiner Meinung ist‘ die Temperatur entscheidend. ‚Alpenpflanzen und nordische Pflanzen gedeihen desswegen in unsern Garten nicht, weil es ihnen zu warm ist. Der Sominer ist zu lang; seine ‘mittlere Temperatur und die Extreme sind zu hoch. High Man hat diese so einfache und einer unbefangenen Vergleichung sich unmittelbar aufdrängende Ansicht durch andere Erklärungen ersetzen wollen, dabei aber meist wichtige thatsächliche Verhältnisse übersehen. Ich spreche hier nur von einer dieser Erklärungsweisen, weil sie in enger Verbindung mit dem im Texte besprochenen Pro- blem steht. i <6 A. de Candolle (Géogr. bot. 325) kommt zu dem Schlusse, dass die Alpenrose auf den höchsten Bergen durch den Mangel an Wärme (nicht durch die Kälte) am Höhersteigen und umgekehrt am Fusse der Alpen durch die Winterkälte und nicht durch die Sommer- wärme am Tiefergehen verhindert werde. Uebrigens sollen noch viele andere Alpenpflanzen in der Ebene und am Fusse der Berge durch die Winterfröste leiden. Desswegen müsse man dieselben in den botanischen Garten im Winter: wie Gewächse südlicher Länder bedecken. sehr; Wenn diese Theorie richtig wäre, ŝo müsste die verticale Ver- breitung von Rhododendron durch einen breiten Gürtel unter- brochen sein. Die Pflanze würde hinuntergehen bis- dahin, wo die mächtige Schneedecke der Höhe aufhört, und ihr keinen Schutz mehr gewährt; sie müsste dann dort wieder beginnen; wo sie auch ohne Schneedecke. den milden Winter überdauert. Diess ist nicht der Fall. Rhododendron ferrugineum findet sich in der Nahe der oberitalienischen Seen von. 700 bis 1300‘, und wahrscheinlich hoher. Auf der Nordseite der Alpen fängt Rh. hirsutum bei 1300°, 146 Berücksichtigen wir noch die andere von A. de Gan- ‘dolle erwähnte Thatsache, dass Pflanzen, welche Jahr- Rh. ferrugineum bei 1700’ an; von dieser untern Grenze bis zur obern Grenze von 7000° ist keine Höhe ausgeschlossen. Wenn die Theorie von A. de Candolle über die Ursache der Verbreitung der Alpenpflanzen richtig wäre, so müssten viele der- selben auf den boromäischen Inseln leicht zu ziehen sein und in unsern Gärten müsste die Cultur bei frostfreier Ueberwinterung leicht gelingen, was wohl nicht der Fall ist. Gegen die Annahme, dass die Alpenpflanzen desswegen in der Ebene nicht fortkommen, weil ihnen die schützende Schneedecke der Alpen mangelt, scheinen mir überhaupt zwei Gründe zu sprechen: 1) Es mangeln in den Alpen die Erscheinungen, welche schäd- lich wirken sollen, nämlich Schmelzen des Schnees mit abwechselnden Frösten, keineswegs; nur treten sie einige Monate später ein. 2) Viele Alpenpflanzen sind im Winter gar nicht von jener mächtigen Schneedecke, von der man so häufig‘ spricht, geschützt. Es giebt in den Gebirgen an Felswänden und an andern sehr steilen und den Stürmen ausgesetzten Hängen genug mit Pflanzen bewach- sene Stellen, wo kein halber Fuss Schnee liegen bleibt. Es giebt selbst viele Pflanzen, welche den ganzen Winter über unbedeckt bleiben. Wer eine ordentliche Kletterpartie gemacht hat, wird genug solcher Standorte gesehen haben; und sie sind oft gerade von den schönsten und kräftigsten Exemplaren bevölkert. Ich sage nicht zu viel, wenn ich behaupte, dass 80 Prozente aller Arten ausnahms- weise solche schneefreie Stellen bewohnen. Wenn man die Alpenpflanzen in unsern Gärten bedeckt, so ge- schieht es mehr, weil man sie vor dem Aufthauen schützen will. Die Annahme, dass dieselben von den Winterfrösten leiden, beruht zum Theil auf Irrthum, weil schon im Sommer der Keim des Todes sich entwickelt; der Tod aber erst im nächsten Frühjahr, wo die Pflanze treiben sollte, deutlich wird. Zum Theil ist dieselbe jedoch richtig, aber die Pflanzen leiden bloss desshalb durch die Fröste, weil sie in der ungewöhnlichen Sommertemperatur krank und schwach geworden sind. — Es ist übrigens noch zu bemerken, dass das Herausheben der kleinen Alpenpflanzen durch den Frost, wenn die- selben noch nicht gut bewurzelt sind, eine Erscheinung ist, die auch andere kleine Pflänzchen mit ihnen theilen. » 147 tausende lang ein heisses Klima bewohnt haben, in kältern Ländern zu Grunde gehen. Die Argumentation ist folgende. Eine Art war entweder von Anfang an nur für ein heisses, oder sie war sowohl fir ein heisses als für ein kaltes Klima befähigt. In letzterm Falle hat sie durch “einen längern Aufenthalt unter den Tropen die Fähigkeit, in ge- missigten und kalten Gegenden zu leben, ‘eingebiisst. Wenn wir nun wüssten, ob es wirklich Arten ‘giebt, die zu der zweiten Kategorie gehören oder nicht, so wäre die Frage entschieden. A. de Candolle sagt, Pflanzen, die auf Continenten (z. B. in’ Mexico ‘oder in Indien) leben ‚ be- weisen nichts. Denn -denselben stand kein Hinderniss im Wege, sich nach Norden auszubreiten ‘und wenn sie €s - nicht: gethan haben, so miisse angenommen werden, dass eine physiologische Ursache ihnen von Anfang an nicht’ ge- stattete, die Kalte zu ertragen. Anders verhalte es sich mit den Pflanzen, ‘die auf den Inseln leben (z. B. auf St. Helena, Madeirs);; diesen war zu jeder Zeit die Möglichkeit der - Wanderung abgeschnitten; sie konnten es: nicht mit einem kältern Klima versuchen. Man habe-ihnen nun diese Möglichkeit verschafft; man habe sie in unsere Gärten ver- pflanzt, und es zeige sich, dass sie unsere Kälte nicht er- tragen. Also sei ihnen durch einen langen Aufenthalt in einem warmen Klima eine besondere Constitution verliehen worden. | | Ich sehe die Nöthigung zu dieser Folgerung nicht ein. Die Frage ist, ob die auf Inseln lebenden Arten von An- fang an ihre jetzige Natur hatten oder nicht.» Mit Sicher- heit lässt sich diess nicht entscheiden. Aber esw ist im höchsten Grade wahrscheinlich, dass die Pflanzen der Inseln sich in dieser Beziehung verhalten «wie (diejenigen, die in gleichen Breiten auf den Continenten sich befinden. Da nun die letztern, nach der Annahme de Candolle’s, von Anfang an nicht für ein kälteres Klima geeignet waren, SO müssen 148 wir das Nimliche fir die Inselpflanzen annehmen, Nur wenn ein grosser Theil der tropischen Continentpflanzen mit ihrer Verbreitung bis in die gemässigte Zone reichte, dürften wir mit einiger Berechtigung die Vermuthung hegen, es sei eine analoge Prozentzahl der Inselpflänzen ursprünglich für ein gleiches weites Vorkommen bestimmt gewesen, Die Erfahrungen vermögen also den Beweis noch nicht zu leisten, dass eine Pflanzenart, die während eines langen Zeitraums einer bestimmten Temperatur ausgesetzt ist, eine dauernde innere Umstimmung erfährt, während sie im Ueb- rigen die nämliche bleibt. Aber es ist auch das Gegentheil nicht dargethan. Diese Umstimmung, wenn sie wirklich vorkäme, wäre übrigens der Varietätenbildung vollkommen analog; sie könnte wie diese erklärt werden und würde durchaus nicht zu dem Schlusse berechtigen, dass die äussern Einflüsse die bestimmte Wirkung hervorgebracht haben, Die. Umbildung würde nämlich durch natürliche Zucht- wahl erfolgen. Eine Pflanze komme auf zwei klimatisch sehr ungleiche Standorte z. B. in die italienische Ebene und nach Norwegen oder in die Hochalpen. Es finden, wie das überhaupt immer geschieht, von Generation zu Generation geringe Modificationen in der chemischen und physikalischen Beschaffenheit statt. Sind dieselben für die Existenz nicht vortheilhaft, so gehen ihre Träger im Kampfe um das Da- sein zu Grunde; sind sie aber nützlicher als die schon vor- handenen chemisch-physikalischen Eigenschaften, so werden ‚sie erhalten, sie haben Gelegenheit, sich weiter auszubilden, und zuletzt werden sie allein in den Individuen repräsentirt sein, weil die Träger der weniger günstigen Eigenschaften verdrängt wurden. Es ist nun denkbar, dass in dem an- genommenen. Beispiel in Italien einerseits, in Norwegen oder auf den Alpen anderseits ungleiche innere Constitutionen sich als die vortheilhaftesten erwiesen und dass daher sich EEE ee, ni Pine ee a TEL E e EE 149 zwei verschiedene chemisch-physikalische Varietäten aus- bildeten. Somit wären auch hier die veränderten Eigenschaften der Gewächse nicht als die direkte Folge der äussern Ein- flüsse anzusehen. Wir könnten nur in sehr uneigentlichem Sinne sagen, die Pflanze habe sich über das Klima geformt. - Denn nicht in allen Individuen treten, wie es nach dieser Theorie nothwendig wire, die Veränderungen ein. Die letztern entstehen aus innern Ursachen, und die äussern Bedingungen entscheiden bloss über die Existenzfähigkeit derselben. ! Eine solche Veränderung in der chemisch-physikalischen Constitution, wie sie hier angenommen wurde, kommt nun sicher bei der gewöhnlichen Varietäten- und Racen-Bildung vor, und insofern müsste sie nicht besonders bewiesen werden. Aber bei der letztern gehen mit der innern Um- stimmung Abweichungen in der äussern Form Hand in Hand. Die von A. de Candolle beregte Frage sollte daher nach meinem Dafürhalten eigentlich so formulirt werden: Kann eine Pflanze bloss ihre chemisch-physikalische Natur ändern und im Uebrigen dieselbe bleiben, oder bedingt die innere Umstimmung nothwendig auch einen Wechsel im Habitus, so dass nicht bloss physiologisch sondern auch systematisch eine neue Varietät oder Race entsteht? Diese Frage gewährt das grösste wissenschaftliche In- teresse. Sie beschränkt sich nicht bloss auf den Einfluss einer ungleichen Temperatur, sondern betrifft alle klimatischen und Bodenverhiltnisse. Hat die rostblättrige Alpenrose, welche seit der Eiszeit auf dem Kalk des Jura, auf dem Granit, Gneis und Schiefer der höchsten Alpen und an den oberitalienischen Seen lebte, innerlich eine verschiedene Constitution angenommen, obgleich sie äusserlich als 'die gleiche erscheint? Wie verhält es sich mit Hieracium Pilosella und vielen andern Pflanzen, die ein eben so 150 mannigfaltiges Vorkommen darbieten? Sind Arten, die in den Alpen, in den Pyrenäen, im Caucasus, im hohen Norden in der gleichen systematischen Form auftreten, innerlich gleich oder ungleich? Die Zeit, während welcher sich die innere Verschiedenheit hatte ausbilden können, mangelt bei diesen Beispielen ‚gewiss nicht... Ob dieselbe. wirklich vorhanden ist, müsste sich bei passenden Culturversuchen ergeben.. Das Resultat lässt sich zwar nicht mit Sicherheit voraussehen, aber nach Allem, was bis jetzt bekannt ist, dürfte es wenig wahrscheinlich sein, dass eine innere Um- bildung ohne grössere oder kleinere Abweichungen im äussern Habitus eine constante Race zu bilden vermöge 11), 11) Die vorliegende Frage steht in inniger Beziehung zur Frage über die Acclimatisation. Wenn die äussern Einflüsse eine Umstim- mung in der chemisch-physikalischen Beschaffenheit eines Organismus hervorrufen könnten, so hätte die Acclimatisation im gewöhnlichen Sinne eine wissenschaftliche Berechtigung. Es wäre bloss ihre Auf- gabe, die Versuche ohne Zuchtwahl während hinreichend langer Zeitdauer, fortzusetzen. Wenn aber, wie ich glaube, die äussere Einwirkung für sich direkt nichts vermag, so hängt der Erfolg der Acclimatisation lediglich davon ab, ob sich nützliche Abänderungen bilden, und die Aufgabe besteht darin, fleissig zu züchten und aus der zahlreichen Nachkommenschaft immer wieder nur diejenigen Individuen zur Nachzucht zu verwenden, welche von dem nenen Klima am wenigsten leiden. Diess scheint mir der einzige rationelle und erfolgversprechende Weg zu sein, wenn er auch die Wünsche und Hoffnungen der Acelimatisationsgesellschaften auf ein schnelles Resultat wenig befriedigen dürfte. Es handelt sich also nicht darum, eine Pflanzen- oder Thierform an neue Verhältnisse zu gewöhnen, sondern darum, aus : derselben eine für . diese neuen Verhältnisse passende neue Varietät oder Race zu erzielen. Dass diess möglich ist, zeigen uns die vielen Sorten der Obstbäume, von denen die einen für südliche, die andern für nördliche Gegenden geeignet sind. in en ee 9 nt ne nn te 151 Ich habe in dem Vorstehenden die Thatsachen erörtert, welche uns die Vorkommensverhältnisse in der Natur und die Erfahrungen iiber_ die Cultur geben. Die Ergebnisse waren folgende: 1) Die Varietäten sind nicht so über’ die verschiedenen Standorte vertheilt, dass man jene als das Produkt dieser annehmen dürfte, indem. einerseits die gleiche Varietät auf den verschiedensten Localitäten, anderseits auf der gleichen Localität die verschiedensten Varietäten der gleichen Art leben. 2) Bei der Cultur entstehen auf dem gleichen Stand- orte zwei oder mehrere Racen. Die gleiche Race kann sich auf Standorten von wesentlich verschiedener Beschaffenheit während einer äusserst langen Dauer, selbst während eines ‚geologischen Zeitabschnittes unverändert erhalten; "während der gleichen Zeitdauer können zwei Racen der gleichen Art unter ganz gleichen äussern Bedingungen ihre Verschieden- heit bewahren. 3) Die Varietätenbildung wird demnach durch innere Üw Ursachen bedingt. Die äussern Einflüsse bringen nur Modi- ficationen von untergeordneter Bedeutung und ohne Fähig- keit, irgend eine Constanz zu erlangen, hervor, Modificationen die sich vorzüglich durch Grössen- und Zahlenverhältnisse charakterisiren. Ich will noch kurz ausführen, wie ich mir den Vorgang bei der Varietäten- oder Racenbildung denke. Alle äussern Einflüsse: wirken auf die Pflanze ein, jeder verursacht eine seinem Angriff entsprechende grössere oder kleinere Ver- änderung: Diese Veränderungen treffen zunächst die chemische und physikalische Constitution ; wenn sie ein gewisses Maass erreichen, so werden sie auch’ im Habitus und der äussern Form der Pflanze bemerkbar. Im Allgemeinen können wir zweierlei Veränderungen unterscheiden ; ` solche welche un- mittelbar sich als die ‘Folgen der äussern Einwirkungen 12 152 kundgeben, und solche, bei denen diess nicht der Fall ist. Die erstern: stellen sich immer ein; sie lassen sich zum voraus berechnen; sie sind unfähig, irgend eine Constanz zu erreichen, weil sie zu den äussern Agentien in unmittel- barem causalem Verhältniss stehen; — sie bewirken die -Standortsmodificationen. Die letztern sind für unsere Be- obachtung und Beurtheilung noch ein Räthsel; sie scheinen zu den äussern Einflüssen ganz ohne Beziehung zu sein; sie treten zunächst als individuelle Erscheinungen auf, erlangen aber unter Umständen eine grössere oder geringere Con- stanz; ~ sie führen zur Bildung von Varietäten oder Racen. Wenn eine Pflanze auf verschiedene Localitäten kommt, so wird sie sogleich yon denselben affızirt. Eine grössere Menge ‚von: Nährstoffen macht sie grösser und :üppiger. Höhere, aber nicht zu hohe Temperatur befördert die Bild- ung von Zucker, ätherischen Oelen, Bitterstoffen, Alkaloiden. Grössere Lichtmenge bewirkt intensivere Färbung. Feuchtig- keit macht die Gewebe grossmaschiger und weicher. Diese äussern. Ursachen können Formen hervorbringen, die em- ander sehr ungleich sehen; die Lichtform der Hochalpen weicht. beträchtlich: von der Schattenform der Ebene ab. Die erstere. ist klein, unverzweigt, fast stengellos, mit wenigen kleinen ungetheilten, dichtgedrängten Blättern ‚mit einer oder, wenigen Blüthen und mit lebhafter Färbung’ aller Theile. Die zweite ist ‘gross, verzweigt, mit zahlreichen grossen, ‚ getheilten, | entfernt stehenden Blättern, mit zahl- reichen Bliithen und mit blasser Färbung der Gewebe. Diese Standortsmodificationen, so unähnlich sie einander sind, stellen doch keine eigentlichen Varietäten oder Racen dar. Denn, sie haben keine Constanz, Auf einem andern Standorte gehen sie in die demselben entsprechende Modi- fication über. Die Cultur entscheidet daher immer, ob eine Pflanzenform! der einen oder andern Categorie beizuzählen 153 sei. Zweir@ewächse, die bloss in Standortsmerkmalen von einander differiren, müssen, neben: einander in den Garten gepflanzt, vollkommen gleich werden. | Die| Lehre von den unmittelbaren. Folgen’ «der äussern Einwirkung findet eine allseitige Anwendung in’dem Betriebe des Girtners und des Landwirths. „Darauf. beruht -das Düngen, das Begiessen, das Warm- und Kaltstellen, das Beschatten; und wenn sich auch die) Folgen bloss, im Allge- meinen voraussagen lassen, so. hängt: das, \mit,.der.. noch mangelhaften Erfahrung zusammen. Niemand kann ‚daran zweifeln , dass sich 'einst,. mit grosser ‚Genauigkeit, wird be- stimmen lassen, was: die ‚äussern, Medien, eine. gewisse Düngung, eine gewisse Temperatur, eine | gewisse Lichtmenge in der oder. jener. Pflanze unmittelbar ‚bewirkt. Diese unmittelbaren Veränderungen: treten in allen Indivi- duen, welche, den nämlichen äussern Einflüssen ausgesetzt sind, ein. Desswegen, mächen ‚sich. die’ Localitätsmerkmale auf einem. ‘gleichférmigen. grössern Standorte ‚überall ganz gleichmässig und gleichzeitig bemerkbar. Ausserdem: i-giebt es aber noch gewisse Eigenschaften, welche von Individuum zu Individuum wechseln; die Tochterpflanze . ist von... der Mutter, die Schwesterpflanze von der Schwester verschieden; die Abweichung: ist bald. äusserst gering , , bald aber auch so beträchtlich, dass. sie die Localitätsverschiedenheiten über- wiegt... Man. kann diese individuelle Veränderung nicht von den äussern Einflüssen herleiten, weil diese ja in dem gegebenen Falle auf alle Pflanzen gleich wirken; sie rührt von innern Ursachen her !?). 12) Wenn ich von innern Ursachen spreche, so. verstehe ich darunter die Gesammtheit der Erscheinungen, ‚welche das Individuum ausmacht und, mit der es der Aussenwelt gegeniibertritt, Darin sind natürlich die Folgen . der äussern Einwirkungen, welche „es, selber früher erlitt, und welche alle seine Vorfahren erlitten, inbegriffen. 12* 154 Die Verschiedenheiten zwischen den Individuen be- stehen, wie die von aussen angeregten Localitätsmodifica- tionen, zunächst in chemischen und physikalischen Veränder- ungen, vorzüglich aber in Veränderungen der Molecular- constitution 19). Sie geben sich nachträglich in allen möglichen Abweichungen der innern Structur und der äussern Form, namentlich auch in einem veränderten Habitus kund. Sie nehmen im Allgemeinen von Generation zu Genera- tion abwechselnd zu und ab; sie schwanken zwischen ge- wissen Grenzen hin und her. Ausnahmsweise aber geschieht es, dass die individuelle chemisch-physikalische Veranderung sich durch eine Reihe von Generationen steigert; die der- selben entsprechenden, der sinnlichen Wahrnehmung zugäng- lichen, äussern und innern Umbildungen nehmen allmählich oder sprungweise zu und werden constant. Die individuelle Verschiedenheit hat sich zur Varietät entwickelt. An - dieser Varietätenbildung können wir zwei Momente unterscheiden , den Beginn der Bewegung und die Richtung derselben. ‘Beides hängt von innern Ursachen ab. Es ist unzweifelhaft, dass die Neigung zum Variiren bei verschie- denen Arten verschieden, und dass sie bei der gleichen Art im Verlaufe der Zeit bald geringer bald grösser ist. Man könnte vermuthen, dass die Eigenthümlichkeit der äussern Einflüsse, das Gleichbleiben oder der Wechsel derselben daran "schuld wären. Diess wird aber desswegen unwahr- Sie haben sich mit seiner Natur assimilirt und bilden einen inte- grirenden und untrennbaren Theil derselben. 13) Dass es vorzugsweise die moleculare Constitution, also die eigenthümliche Anordnung der Stoffe ‘in ihren kleinsten Theilchen ist, welche die individuelle Veränderung bedingt. geht daraus her- vor, dass die letztere sich zur Varietätenbildung steigern kann, ohne dass die mikroskopische oder chemische Analyse noch die geringste Verschiedenheit nachzuweisen im Stande ist. scheinlich, weil von allen Individuen, die sammt ihren Vor- fahren den gleichen äussern Einflüssen und dem gleichen Wechsel derselben ausgesetzt waren, nur einzelne es sind, in denen die Varietätenbildung beginnt. Dass die Richtung der letztern von den äussern Verhältnissen unab- hängig ist, habe ich weitläufig nachgewiesen. Wenn ich 'sage, dass der Beginn und der Verlauf der Varietätenbildung von innern Ursachen bedingt werde, so will ich natürlich die Mitwirkung der äussern Verhältnisse nicht absolut ausschliessen. Diese müssen immer in ge- wissem Grade betheiligt sein; allein ihre Betheiligung ist immer nur eine untergeordnete und durchaus: nicht mass- gebende. Vielleicht dass sie den Anstoss zur Bewegung geben, vielleicht auch, wenn diese angefangen hat, den Im- puls zu einer Richtungsveränderung. Ein Beispiel wird diess deutlich machen. Eine Pflanze befindet sich auf einem Bolen mit mitt- | lerem Kalk- und Kieselerdegehalt; sie bleibt daselbst unver- © ändert. Auf einen sehr kalkreichen Boden gebracht, bė- ginnt die individuelle Veränderung und Varietätenbildung in zwei einzelnen Individuen, schlägt aber hier ungleiche Richt- | ungen ein und erzeugt zwei ungleiche Formen, während die übrigen Individuen unverändert bleiben. ` Die .reichliche Kalkzufuhr bewirkt ‘zwar unmittelbar die nämlichen Modi- ficationen in allen Pflanzen. Aber nur in einzelnen vermag sie eine merkliche und nachhaltige Störung des complizirten Lebensprozesses hervorzubringen, welche den Anstoss zu einer Reihe von secundären Veränderungen giebt. Diese Störung tritt in einem Individuum früher in dem andern später ein, hier in dem einen dort in einem andern Theil des Organismus, hier in dieser dort in einer andern Weise; sie führt daher in den verschiedenen Pflanzen ungleiche secundäre Veränderungen herbei und erzeugt ungleiche Racen. Alles diess hängt von der individuellen Beschaffenheit 156 ab. Es ist daher begreiflich, dass in dem angenommenen Falle neben einander gross- und kleinblüthige, früh- und spätreifende, kahle und behaarte Varietäten entstehen. — Wird die Pflanze, statt auf einen kalkreichen, auf einen sehr kieselreichen Boden gebracht, so können da die nämlichen Erscheinungen eintreten; es kénnen selbst die gleichen Racen entstehen. Denn-pwie die gleiche äussere Ursache ungleich- artige Störungen im Organismus: veranlasst, so’ müssen auch ungleiche ‚Ursachen gleichartige Störungen bewirken können. : Der Organismus ist. einer Maschine‘ zu vergleichen, in welcher die Krifte umgesetzt werden: Die Wirkungsweise hängt von der Art der Umsetzung ab. Das einfachste Bei- spiel ‘finden wir an dem Hebel oder der Rolle, wo die Richtung einer Kraft ‘beliebig geändert wird. ` Ein gleiches Gewicht, das an zwei Rollen hängt, bewegt vermittelst dieser eine Masse nach rechts, vermittelst jener nach links, also: in entgegengesetzter Richtung. — Ein anderes. fast eben so einfaches Beispiel geben uns die Pendeluhren.. Die Uhr mit dem gewöhnlichen Pendel geht in der Wärme zu langsam, In der Kälte zu schnell. Die Uhr mit ‚einem Compensa- tionspendel geht immer gleich. Eine Uhr mit übereompen- sirtem Pendel würde bei hoher Temperatur zu schnell, -bei niedriger zu langsam gehen. Die. Wärme wirkt immer gleich, sie dehnt die Metallstäbe des Pendels aus; aber 6s hängt von dessen Einrichtung ab, welcher Ausschlag durch die Ausdehnung oder Zusammenziehung der Metalle gegeben wird. Es kann also in zwei verschiedenen Uhren. die nim: liche äussere Einwirkung (die gleiche Temperatur) den. ent- gegengesetzten Effekt: hervorbringen, und es können: zwei entgegengesetzte Einflüsse (Wärme und Kälte) in zwei Uhren den gleichen: Erfolg haben. Wenn diess bei so. einfachen Vorrichtungen möglich ist, so begreifen wir, dass es in einer complizirten M aschine - wie die Pflanze um so eher der Fall sein muss . Die äussern 157 Einwirkungen werden hier so vielfach umgesetzt und ver- mittelt, dass wir keine Beziehung mehr zwischen dem ersten Anstoss und dem endlichen Resultat auffinden. Wie in der einfachen Maschine die Arbeit, welche dieselbe liefert, als das Produkt der bewegenden Kraft und der innern Ein- richtung sich darstellt, so ist es auch in der Pflanze; nur erscheinen hier wegen der äusserst complizirten Einrichtung die innern Ursachen ‘gegenüber den äussern . weitaus über- wiegend und massgebend. Ob eine individuelle Veränderung in der Cultur zur Race wird, hängt von der Zuchtwahl ab. Damit sie in der freien Natur zur ausgesprochenen und constanten Varietät sich ausbilde, müssen verschiedene Bedingungen erfüllt sein. Einmal wird der Ausschluss der Kreuzung verlangt. Dass im Allgemeinen die individuellen Verschiedenheiten hin- und herschwanken und’ gewisse Grenzen nicht überschreiten, be- ruht vorzüglich in dem Umstande, dass die Weiterbildung durch mehrere Generationen immer wieder durch die Be- fruchtung anderer Individuen gestört wird. Zur Entstehung einer Varietät in der Natur wird ferner erfordert, dass dieselbe sich hinreichend existenzfähig er- weise, um sich in dem Kampfe gegen die schon. vorhandenen Varietäten zu behaupten. Es beginnen gewiss eine Menge von neuen kormen in der Natur, aber sie werden sogleich wieder von den bereits bestehenden stärkeren Formen ver- drängt. ~ Der Grund, warum eine Varietät in der Natur dieselbe bleibt, kann also ein dreifacher sein: 1) weil ihr die Neig- ung zur Variation mangelt, 2) weil zwischen ihren Indivi- duen wenigstens von Zeit zu Zeit Kreuzung stattfindet, 3) weil sie existenzfähiger ist, als die Varietäten, die hin und wieder aus ihrem Schoosse geboren werden. — Wir begreifen, dass die Varietäten in der Natur sehr lange, selbst während der Dauer einer geologischen Periode sich unverändert erhalten, wenn die äussern Verhältnisse keine wesentlichen Modificationen erleiden; dass aber bei Umbild- ungen der Erdoberfläche und ihrer klimatischen Verhältnisse auch eine reichliche Varietätenbildung eintritt. Hat die neue Varietät sich durch ungestörte Inzucht ausgebildet und Constanz gewonnen, so hängt ihre Ausbreit- 158 À ung von dem Grade. đer Existe andern Formen ab. Erweist si stört neben einander fort. Da die Localitäten äusserst mani So müssen sich auch die Verhältnisse schliessungsvermögens sehr ver Varietäten vermag die eine di orten ganz, licher. W Stand aher finden , dort B allein, an einem d wiegender, an einem vierten in einem ‘fünften Beide Wir beobachten te Localität nur and die Form B trägt, faltigen Abstufungen der Existenzfähig klimatischen und Bodeneinfliissen, x nn: tee a nn en 19. Ueber die Bedingungen des Vorkommens von Arten und Varietäten innerhalb ihres Ver- i breitungsbezirkes. (Vorgetragen den 15. Dezember 1865.) In meiner Mittheilung vom 18. November habe ich über den Einfluss der äussern Verhältnisse auf die Varie- tätenbildung gesprochen und dargethan, dass nur die nicht- constanten, uneigentlichen Varietäten als die unmittelbaren Folgen der klimatischen und Bodeneinflüsse zu betrachten sind, dass dagegen die constanten, wirklichen Varietäten (und somit auch die Arten, insofern dieselben weiter ausge- bildete Varietäten sind) inneren Ursachen ihren Ursprung verdanken. Es wurden dabei vielfach die Vorkommens- verhältnisse auf den verschiedenen Localitäten angeführt, und daraus nachgewiesen, dass die Varietäten nicht die Produkte der Lokalitäten sein können. Damit ist. jedoch nicht gesagt, dass zwischen beiden keine Beziehung bestehe, und dass die äussern Verhältnisse nicht sehr wesentlich das Vorkommen der Varietäten und Arten bedingen. Ich erlaube mir über diesen Punkt heute einige Bemerkungen, Ich will nicht von der Vertheilung der Gewächse auf der ganzen Erdoberfläche sprechen es besteht kein Zweifel darüber, dass sie hauptsächlich durch die klimatischen Ver- schiedenheiten bedingt wird. Es handelt sich nur um die Ver- theilung derselben in der gleichen Gegend, wo also annähernd identische klimatische Verhältnisse vorausgesetzt werden können. Betrachtet man zwar die zahlreichen und eingehen- den Arbeiten, welche sich mit diesem Gegenstande, der so- genannten Bodenfrage beschäftigten, so sollte man glauben, ein weiteres Wort darüber verlieren hiesse Eulen nach Athen tragen. Berücksichtigt man ‘aber, dass alle Bespre- 13 160 chungen, statt zu einer Uebereinstimmung, zu immer grössern Widersprüchen geführt haben, so dürfte es sich rechtfertigen, wenn der Versuch gemacht wird, den Weg aus diesen Wiedersprüchen heraus zu finden, Die Frage, um die sich der bisherige Streit drehte, war die: Ist es die chemische oder physikalische Beschaffen- heit des Bodens, welche das Vorkommen der Gewächse be- dingt? und man hat uns abwechselnd bewiesen, dass es die erste oder die zweite sein müsse, oder vielmehr, dass es nicht die zweite oder die erste sein könne. Die Gegner der chemischen Bodentheorie führen aus, däss die sogenannten kalksteten Gewächse auch auf kalkarmem ‚und kieselreichem, und dass die sogenannten kieselsteten Gewächse auch auf kalkreichem und kieselarmem Boden gefunden werden. Die Gegner der physikalischen Bodentheorie zeigen dagegen, dass die Trockenheit liebenden Pflanzen auch auf feuchten Localitäten, die Feuchtigkeit liebenden auch auf trockenem Boden wachsen, dass die Pflanzen, welche dem pelischen Boden angehören sollen, auch auf psammischem vorkommen und umgekehrt. Wenden wir uns zuerst zu der chemischen Frage. Die Pflanze muss die für ihren Lebensprocess nöthigen minerali- schen Bestandtheile im Boden finden und zwar in einem Zustande, dass dieselben von ihr aufgenommen werden können. Anstehender Fels und Geröllstücke sind also für die Gewächse bedeutungslos: sie werden es nur, insofern sie verwittern und vorzugsweise, insofern ihre Bestandtheile von der Erdkrumme absorbirt werden. Diese Absorptions- fähigkeit, die von jeder Verbindung eine bestimmte Menge zu binden vermag, ist die für das Gedeihen der Vegetabilien wichtigste Erscheinung. Die in übergrosser Menge in den Gesteinarten enthaltenen chemischen Verbindungen werden, sobald sie die Bodenkrumme gesättigt haben, vom Wasser in den Untergrund oder sonst fortgeführt. Die nur in ge- 161 ringer Menge vorkommenden Stoffe werden vollständig oder doch zum grössten Theil absorbirt. Die Bodenkrumme kann somit von Stoffen, die nur als Spuren in dem verwitternden Gestein vorkommen, durch Aufspeicherung eine bemerkbare Menge ansammeln und für die Pflanzenwurzeln verwendbar machen. Auch wo eine solche Aufspeicherung nicht oder nur in geringem Maasse eintritt und der Boden z. B. kalk- arm oder kieselarm bleibt, vermag die Pflanze, indem sie unaufhorlich die dargebotenen geringen (Juantitäten nutzbar macht, eine beträchtliche Menge von Kalk oder Kieselerde aufzunehmen. Es ist daher begreiflich, dass fast ohne Aus- nahme jede Pflanze auf jedem Boden die nöthigen Nähr- stoffe findet, und dass z. B. eine sogenannte Kalkpflanze auf einem kalkarmen Boden gewachsen, zuweilen ebenso viel Kalk enthält, als stammte sie von dem kalkreichsten Standorte 4). In Uebereinstimmung hiemit wurde gefunden, dass die meisten bodensteten Pflanzen es in der That nicht sind, wenn man nicht bloss einen Theil, sondern das ganze Ver- breitungsareal berücksichtigt; und A. de Candolle (Géogr. bot. 442) neigt entschieden zu der Ansicht, dass es in chemischer Beziehung überhaupt keine Bodenstetigkeit gebe. Andere haben diess noch entschiedener ausgesprochen. Ein Anhänger der chemischen Theorie würde dagegen 1) Hoffmann Beilage zur-bot. Zeit. 1865. — In der Regel ver- hält es sich allerdings anders, und die Pflanze nimmt aus dem reichern Boden auch mehr von einem Stoff auf. Doch berühren diese Verhältnisse nicht unmittelbar die Frage’ des Vorkommens, welche einfach so lautet: Kann eine Kalkpflanze auf einem kalk- armen Boden, kann eine Schieferpflanze auf einem kalkreichen Boden gedeihen? u. s. w. Es lässt sich noch gar nicht absehen, wie mit dieser Frage die andere: Welchen Einfluss übt der gg auf den Aschengehalt der Pflanzen? zusammenhängt. 13* 162 nur mit Unrecht geltend machen wollen, es werden hiebei geologische und chemische Unterlage verwechselt. Diess ist in der That nicht der Fall, wie aus der grossen Verbreit- ung hervorgeht, welche Kalkpflanzen zuweilen auf Schiefer- bergen und Schieferpflanzen zuweilen auf Kalkbergen finden. Ueberdem ist für einzelne Fälle die Bodenanalyse gemacht worden (Hoffmann Beilage zur bot. Zeit. 1865), und end- lich giebt es noch ein ganz unwiderlegliches Beweismittel. Es ist das Vorkommen yon sogenannten schiefersteten oder schieferholden und kalksteten oder kalkholden Pflanzen unmittelbar neben einander , sodass ihre Wurzeln die Nahr- ung aus derselben Bodenkrumme ziehen. ~ Aus den oben erwähnten Thatsachen folgt ohne Zweifel, dass die chemische Zusammensetzung des Bodens als solche (für sich allein) nicht das Vorkommen der Gewächse zu erklären vermag; und es ist unbe- greiflich, wie gegenüber den so entschiedenen faktischen Verhältnissen jene Behauptung immer noch ‘von Einzelnen festgehalten wird. — Man hat aber mit grossem Unrecht viel mehr daraus gefolgert. Man hat den Schluss gezogen, die chemische Beschaffenheit des Bodens sei für das Vor- kommen der Gewächse gleichgültig oder habe wenigstens nur eine äusserst geringe Bedeutung. Ich glaube, dass die- jenigen, welche so urtheilten, weder mit Aufmerksamkeit unsere Alpen durchwandert, noch andere der offenkundig- sten und allgemeinsten Thatsachen berücksichtigt haben. H. v. Mohl hat bei seinen Untersuchungen über den Ein- fluss des Bodens (Verm. Schriften 393) mit Recht sich auf die Alpenpflanzen beschränkt. Die Verschiedenheit zwischen der Ebene und den Hochgebirgen ist in der That ganz auf- fallend, indem hier eine viel grössere Abhängigkeit der Vegetation von der geognostischen Unterlage beobachtet wird, als dort. Die Ursachen dürften hauptsächlich die folgenden sein. In den Alpen ist das Gestein häufig mit nn 163 einer äusserst dünnen Humusschicht bedeckt, welche durch Absorption leicht alle Bestandtheile aus demselben aufnimmt und zugleich den Wurzeln gestattet, bis zum Fels vorzudringen. In der Ebene und selbst schon in den untern und mittleren Alpen ist der Fels oder das Geschiebe oft mit einer dicken Humuslage überzogen, welche in ihren obern Schichten nicht alle Stoffe aus dem Gestein anzuziehen vermag und daher z B. auf einer kalkreichen Unterlage häufig kalkarm ist. In der Ebene ist ferner der Detritus manchmal von sehr verschiedenem Ursprung, daher von unbestimmtem Charakter und auf geringe Entfernungen wechselnd. In den Nieder- ungen endlich; was besonders wichtig ist und bis jetzt fast ganz unberücksichtigt blieb, kommt es häufig vor, dass der Boden zeitweise oder fortwährend von Wasser befeuchtet wird, das einen anderweitigen Ursprung hat, und seine Be- standtheile in der Krumme durch Absorption zurücklässt. Die Alpen zeigen nun ganz entschieden, dass die che- mische Unterlage für die Verbreitung der Gewächse ein wichtiger Factor ist. Ich spreche nicht von der verschiedenen Vegetation der Kalk- und Schieferberge im Allgemeinen. Ein sicheres Resultat können wir bloss da erlangen, wo die Localitäten in allen übrigen Beziehungen einander vollkom- men gleich sind, aber in den chemischen Eigenschaften differiren. Diess sind z. B. Kalk- und Schieferhänge von gleicher Neigung und Exposition, die mit einer dünnen Humusschicht von annähernd gleicher physikalischer Be- schaffenheit bedeckt sind; das sind ferner nackte Kalk- und Granitfelsen, die neben einander sich befinden; das sind . geologisch-verschiedene Sand- oder Schutthalden, die in einem ähnlichen Zustande der Verkleinerung sind und bei gleicher Lage in geringer Entfernung sich befinden oder auch unmittelbar an einander stossen. Man wird kaum solehe Localitäten besuchen, ohne Pflanzen zu treffen, deren Verbreitung mit einer bestimmten geognostischen Unterlage 164 endigt. Wenn wir aber Gewächse beobachten, die in einer Gegend nur den Kalk bewohnen, deren Vorkommen mit dem Aufhören desselben wie abgeschnitten ist, um vielleicht 10 oder 15 Minuten weiter auf einer Kalkinsel wieder zu beginnen, wenn wir sehen, dass dieselben auf den unmittel- bar angrenzenden Urgebirgslocalitäten von gleicher physi- kalischer Beschaffenheit mangeln, während sie auf andern Kalklocalitäten mit sehr ungleichen physikalischen Eigen- schaften gut gedeihen, was können wir logischer Weise für einen andern Schluss daraus ziehen, als dass unter Um- Ständen eine grössere Menge von kohlensaurem Kalk für dieselben nicht gleichgültig ist. Der Einwurf, dass die näm- lichen Pflanzen anderwärts auf kalkarmem Boden wachsen, hat mit Rücksicht auf die vorliegende Frage gar keine Be- weiskraft; er zeigt uns bloss, dass der Schluss nur für be- stimmte Verhältnisse gilt. | Ich habe bis jetzt nur von einem einzigen chemischen Gegensatz der Localitäten gesprochen, da die grösste und augenfälligste Differenz im Boden durch den Reichthum oder die Armuth von Kalk hervorgebracht wird. So sehen wir, dass in gewissen Gegenden und unter gewissen Umständen Rhododen- dron hirsutum, Achillea atrata, Gnaphalium Leonto- podium, Saussurea discolor, Hieracium villosum, H. glaucum, H. glabratum, Erigeron alpinus, An- drosace lactea und viele andere bloss auf kalkreichem, da- gegenRhododendron ferrugineum, Achillea moschata, Saussurea alpina, Hieracium glanduliferum, H. alpi- num, H. albidum, Erigeron uniflorus, Eritrichium nanum, Androsace carnea nebst vielen andern bloss auf kalkarmem Boden wachsen. Es ist möglich und auch sehr wahrscheinlich, dass nicht bloss. der Gegensatz von kalk- reichem und kalkarmem Boden, sondern auch andere chemische Gegensätze unter bestimmten Verhältnissen einen ähnlichen Ausschluss von gewissen Pflanzen bedingen. 165 Eine andere Thatsache von gleicher wo nicht noch stärkerer Beweiskraft bieten uns die Torfmoore. Bekannt- lich unterscheidet man im Allgemeinen Hochmoore und Wiesenmoore. Nach Sendtner’s Angabe ist das Wasser der ersteren kalkarm, das der letztern kalkreich. Die Ana- lysen beider, die er anführt, unterscheiden sich zwar nicht; aber er giebt an, dass das Wasser des Hochmoors an einem ungehörigen Ort aufgefangen wurde. Wie dem auch sein mag, so ist, worauf es gerade ankommt, der Aschen- gehalt: der beiden Torfarten verschieden, indem die Hoch- moore verhältnissmässig wenig, die Wiesenmoore viel Kalk führen. Damit stimmt überein, dass jene eine Thon-, diese eine Kalkunterlage haben. An einen physikalischen Unter- schied ist dagegen nicht zu denken, namentlich für solche Gewächse, deren Wurzeln in beständig nassem Boden sich befinden. Die Hochmoore tragen aber eine andere Vege- tation als die Wiesenmoore. Eine dritte Thatsache von unwiderstehlicher Beweis- kraft geben uns diejenigen Wassergewächse, welche nicht im Boden wurzeln, also vorzugsweise die Zellencrypto- gamen. Bekannt ist der Unterschied in der Vegetation der Nordsee, der Ostsee, der Brackwasser und der süssen Wasser, und ebenso unzweifelhaft ist, dass unter den süssen Wassern die harten und weichen rücksichtlich der Moos- und Algenvegetation einige bemerkenswerthe Verschieden- heiten zeigen. | Aus diesen Thatsachen ziehe ich den Schluss, dass die chemische Beschaffenheit der Unterlage, wenn sie auch das Vorkommen der Gewächse für sich allein meist nicht zu erklären vermag, doch dabei als ein mitwirkender Factor von grösserer oder geringerer Wichtigkeit immer zu be- rücksichtigen ist. In manchen Fällen, wo alle übrigen Ver- hältnisse ganz gleich sind, vermag sie selbst über das Vor- 166 kommen oder Nichtrorkommen von gewissen Pflanzen in gewissen Gegenden allein zu entscheiden. Ich bin auf die chemische Bodenfrage etwas näher ein- getreten, weil die Pflanzengeographen jetzt die Bedeutung der chemischen Differenz nach dem Vorgange von A. de Candolle bestreiten. Ueber die physikalische Frage kann ich kurz hinweggehen. Niemand hat die Bedeutung der physikalischen Bodenbeschaffenheit geläugnet, obgleich man dieselbe sehr ungleich taxirte. Von der einen Seite (z. B. von Sendtner) wurde ihr offenbar eine zu geringe Be- deutung beigelegt. Von der andern Seite (Thurmann, A. de Candolle, Hoffmann) wurde sie sichtlich über- schätzt. Wenn es unmöglich ist, das Vorkommen der Ge- wächse aus chemischen Ursachen allein zu erklären, so ist es gewiss noch weniger möglich, es aus der physikalischen . Beschaffenheit allein zu begreifen, Wenn auf einem Ge- birgsstock Achillea atrata bloss den Kalk, Achillea moschata bloss den Glimmerschiefer und Gneis bewohnt, so können wir diess aus der chemischen Verschiedenheit er- klären. Wir können es aber nicht durch die physikalische Beschaffenheit; denn wir finden, dass daselbst einerseits A. atrata, anderseits A. moschata sehr verschiedenartige Standorte bewohnen. Jede kommt auf feuchtern und auf sehr ‚trockenen Stellen, jede auf dem Humus der Waiden, im Sand der Bäche und an Felsen vor. So liesse sich eine grosse Zahl von Arten anführen, die in beschränkteren oder. weiteren Gebieten sich streng an die chemische Beschaffen- heit des Bodens halten und gegen die physikalische sich sehr indifferent zeigen. Damit will ich natürlich nicht die Bedeutung der physikalischen Verhältnisse bestreiten. Es ist sicher, dass es für jede Pflanze z. B. gewisse Grade der F euchtigkeit und der Trockenheit des Bodens giebt, welche die absoluten Grenzen für ihr Fortkommen darstellen. Aber damit ist % “nwt “ a ne. A a SNE AL. ee m en Du u ee EEE rn nern nn en 167 nicht gesagt, dass die Pflanze überall da gedeihen. könne, wo die Bodenfeuchtigkeit sich innerhalb dieser Grenzen be- wegt. Denn dieselben gelten nur für die günstigsten Ver- hältnisse; je ungünstiger diese sind, desto enger rücken jene Grenzen zusammen. Die aufmerksame Beachtung des Vor- kommens der ersten besten Pflanze wird von der Richtigkeit dieser Behauptung überzeugen. Nach meiner Ansicht besteht eine - vollkommene Ana- logie zwischen chemischer und physikalischer Beschaffenheit des Bodens. Wie es für jede Pflanzenart eine zweckmässigste Mischung der Mineralstoffe giebt, so giebt es auch für jede, um mich bloss an einen Punkt zu halten, eine beste Art der Wasservertheilung im Boden. Es hängt nun mit Rücksicht auf den ersten Punkt von allen übrigen Bedingungen ab, wie weit sich der Boden von der zweckmässigsten Mischung entfernen kann, bis das Gedeihen einer Pflanze unmöglich wird; PER OH sehen wir die nämliche Art auf dem einen EEREEEN kalkstet, auf dem andern bodenvag. Eben so hängt es mit Rücksicht auf den zweiten Punkt von allen übrigen Bedingungen ab, wie weit die Erdkrumme von der besten Art der Wäplerrektheilunk abweichen kann, bis eine Pflanze daselbst nicht mehr zu wachsen vermag. Daher finden wir, dass die nämliche Art in physikalischer Bezieh- ung hier bodenstet, dort bodenvag ist. - Es dürfte vielleicht auffallend erscheinen, warum die physikalische Theorie gegenüber der chemischen nach und nach immer mehr Boden gewonnen hat. Der Grund scheint mir sehr einfach. Die chemische Frage -hielt sich gleich an- fangs an den Unterschied von kalkarmen und kalkreichen Gesteinen. Der Uebergang von den einen in die andern ist meist so plötzlich und die geologische Formation oft auf grosse Strecken so constant, dass die Kritik ein leichtes Feld hatte. Bei der physikalischen Beschaffenheit handelt es sich immer um ein Mehr oder Weniger und es findet a ee tn pe RE s r Eu pete r u = en Zn nn Os A a ne 168 ein Wechsel auf kurze Strecken statt; ferner bewegen sich die Behauptungen in einer gewissen Unbestimmtheit, so dass die Kritik nirgends eine feste Handhabe zur Widerlegung findet. Es ist nichts schwieriger, als eine vage Vorstellung zu berichtigen. Mit dem Tage, wo die physikalische Theorie ihren Sätzen eine ebenso bestimmte und fassbare Form giebt, wie es die chemische Theorie that, hat sie gleich dieser ihre Herrschaft in der Allgemeinheit und Ausschliess- lichkeit, wie sie dieselbe jetzt noch behauptet, vernichtet. Wir müssen daher sagen, dass wir das Vorkommen der Gewächse eben so wenig allein aus den physikalischen Differenzen der Standorte begreifen können als aus den chemischen. Es fragt sich, ob beide vereint die Aufgaben zu lösen vermögen. Ich muss auch diess bestreiten. Denn wir be- obachten, um mich an das nämliche Beispiel zu halten, auf einem Gebirgsstock, der aus Kalk und Urgebirge besteht, Achillea moschata auf mehreren physikalisch verschiedenen Standorten des Urgebirgs, nicht aber des Kalkes, A. atrata dagegen auf eben so vielen ähnlichen Standorten des Kalks, nicht aber des Urgebirgs; es bewohnt ferner auf einem zweiten Gebirgs- stocke A. moschata die gleichen Löcalitäten auf Kalk, und auf einem dritten Gebirgsstocke A. atrata die gleichen Localitäten auf Schiefer. Nehmen wir statt dieser bestimmten Beobachtung einen allgemeinen Fall, der sich auf viele Bei- spiele anwenden lässt. Am ersten Orte (I) wächst die Pflanze A unter anderm auch auf Urgebirge (LU); am zweiten Orte kommt B unter anderm auch auf Kalk vor (IIK); am dritten Orte bewohnt A ausschliesslich den Kalk (IIIK) und zwar physikalisch gleiche Localitäten wie IIK, B dagegen ausschliesslich das Urgebirge (III U) und zwar physikalisch gleiche Standorte wie IU. Die identischen Standorte IU und IU werden hier von der Pflanze A, dort von B, die identischen Standorte IIK und IIIK hier von A, dort von B bevölkert. Zur Erklärung dieser Wider- RE GERA NOS aan. 169 sprüche reichen offenbar die combinirten chemischen und physikalischen Eigenschaften des Bodens nicht aus. Wir müssen also kurzweg sagen, dass die Bodenfrage allein noch nichts entscheidet. | Es sind noch zwei Momente, welche bis jetzt in der Diskussion nicht die hinreichende Berücksichtigung erfahren haben, die auf die Vertheilung der Gewächse einen grossen Einfluss ausüben. Das eine liegt in den mitbewerbenden Pflanzen, welche die gleiche Gegend bewohnen und einander den Raum streitig machen. Das andere besteht in dem Wanderungsstadium, in dem sich eine Art oder Race be- findet, Das erste erklärt uns, warum eine Pflanze von einem gewissen Standorte mit bestimmten physikalischen und chemischen Eigenschaften, welche ihr einige Stunden weiter das Wachsthum gestatten, ausgeschlossen bleibt, ob- gleich ihre Samen fortwährend dahin getragen werden. Das zweite zeigt uns, warum eine Pflanze auf einem Standorte, der mit einer bestimmten physikalischen und chemischen Eigenschaft begabt und mit einer bestimmten Vegetation bedeckt ist, nicht getroffen wird, obgleich diese Verhältnisse die günstigsten sind, die man sich denken kann. Was den ersten Punkt betrifft, so wurde zwar. schon lange von den Pflanzengeographen gezeigt, dass das Vor- kommen oder Nichtvorkommen der Gewiichse an bestimm- ten Orten wesentlich witbedingt wird durch den Kampf, den alle Pflanzen gegen einander führen, und dass es schliesslich nur darauf ankommt, ob eine die andern zu verdrängen, oder den Angriffen derjenigen, die sie verdrän- gen wollen, zu widerstehen vermag. Ebenso hat Darwin von dem Kampfe um das Dasein das Bestehen oder den Untergang der beginnenden Racen abgeleitet. Aber zur Er- klärung der eigenthümlichen Vertheilung der Pflanzenarten wurde das Princip bisher nicht angewendet. Der Vernichtungskrieg ist selbstverständlich am heftigsten en en REES EEE TED BET ZEREGEREEEET eae vas enya > mens age - en nn. a = es num Tin = = _ — a nn 5 170 zwischen den Arten und Racen nächster Verwandtschaft, weil dieselben auf die gleichen Existenzbedingungen ange- = wiesen sind. Achillea moschata verdrängt A. atrata oder wird von ihr verdrängt; man findet sie selten neben einander. Dagegen wächst die eine und die andere mit A. Millefolium zusammen. Offenbar machen A. mo- schata und atrata, wie sie einander auch äusserlich höchst ähnlich sind, analoge Ansprüche an die Aussenwelt. A. Mille- folium dagegen, welche beiden ferner steht, concurrirt nicht eigentlich mit ihnen, weil sie auf andere Existenz- bedingungen angewiesen ist. Noch weniger concurriren die Pflanzen anderer Gattungen und Ordnungen. | Wir machen daher die Beobachtung, dass die nächst- verwandten Arten oder die Racen einer Art sich am leichte- sten ausschliessen, und diess ist oft der Grund, warum eine Pflanze ausser den ihr am meisten zusagenden Localitäten hier auch gewisse andere Standorte bewohnt, weil sie allein ist, dort die gleichen Standorte nicht zu bewohnen vermag, weil dieselben mit der concurrirenden verwandten Form be- völkert sind. Diess ist häufig auf Localitäten von ungleicher chemischer Beschaffenheit der Fall. Ich habe schon wiederholt von den Achillea- Arten gesprochen, und will mich, der Einfachheit halber, wieder an dieses Beispiel halten. Im Bernina-Heuthal (im Ober- engadin) kommen A. moschata, A. atrata und A. Mille- folium in Menge vor; A. moschata und A. Millefolium auf Schiefer, A. atrata und A. Millefolium auf Kalk. Wo der Schiefer mit Kalk wechselt, da hört auch immer A. moschata auf und A. atrata beginnt. Es sind also hier die beiden Arten streng bodenstet; und so habe ich es an verschiedenen Orten in Bündten beobachtet, wo sie beide vorkommen. Mangelt aber eine Art, so ist die andere bodenvag. A. atrata bewohnt dann ohne Unterschied Kalk: und Schiefer; und ebenso findet man A, moschata, ob- 171. gleich dieselbe, wie es scheint, nicht so leicht auf den Kalk, wie jene auf den Schiefer geht, doch neben dem Urgebirge auch auf ausgesprochener Kalkformation mit der dieser eigenthümlichen Vegetation. Im Bernina-Heuthal traf ich mitten auf dem Schiefer, der mit A. moschata be- völkert war, einen grossen herabgestürzten Kalkblock, kaum mit zolldicker Bodenkrumme bedeckt. Auf demselben hatte sich eine Kolonie von A. moschata angesiedelt, weil hier die Concurrenz der A. atrata ausgeschlossen war. Ein ähnliches Ausschliessungsverhältniss wird in ge- wissen Gegenden zwischen Rhododendron hirsutum und Rh. ferugineum, Saussurea alpina und S. discolor, ferner zwischen Arten der Gattungen Gentiana, Veronica, Eri- geron, Hieracium u. a. beobachtet. Diese Thatsache, die oft sehr charakteristisch in die Erscheinung tritt, hat zum Theil Veranlassung zur Annahme der sogenannten Parallelformen gegeben. Aber die Theorie, die man mit denselben ver- bunden hat, war entschieden unrichtig. Ich werde am Schlusse noch einmal hierauf zuriickkommen. . Doch bin ich durchaus nicht der Ansicht, dass nur Pflanzen von nächster Verwandtschaft einander verdrängen. Ich habe dieses Factum nur vorangestellt, weil es sich theoretisch am natürlichsten erklärt, und weil es der Beob- achtung am meisten auffällt. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass auch Pflanzen, die systematisch weit von ein- ander entfernt sind, sich rücksichtlich der äussern Verhält- nisse, von denen ihre Existenz abhängt, analog verhalten und daher einen hartnäckigen Kampf auf Leben und Tod bestehen. Es kann eine einzige Pflanze, es kann auch ein Verein von mehreren Gewächsen sein, welche eine bestimmte ‘Art auszuschliessen vermögen. a Noch muss ich eine Bemerkung über das Verdrängt- werden von Pflanzenformen beifügen. Offenbar finden sich manche Botaniker mit dem neuen Begriff des Kampfes um 172 das Dasein nicht zurecht, wie das Bestreiten desselben und bestimmte Einwürfe dagegen beweisen. Ich will den Ein- wurf, der am plausibelsten erscheint, näher beleuchten. Wenn zwei Formen A und B sich ausschliessen, so dass die eine auf dem einen, die andere auf dem andern Stand- orte allein vorkommt, wie ich es für die beiden Achillea- Arten gezeigt habe, so wird etwa eingewendet, wie denn von einem Kampfe um das Dasein die Rede sein könne, so lange noch auf dem einen und andern Standorte viel überflüssiger Raum für die mangelnde Art vorhanden sei. Offenbar stellt man sich den Kampf um das Dasein, in welchem sich die Pflanzen verdrängen sollen, wie ein Ge- raufe dar, wo der Verdrängte immer noch neben dem Platz, von dem er weggeschoben wurde, sich behauptet. So naiv ist es nicht gemeint. Um ein Beispiel zu erörtern, will ich mich wieder an die beiden Achilleen halten. Auf einem Schieferabhang steht eine Million von Stöcken der Achillea moschata. Sie nimmt selbstverständlich nicht allen Raum ein; denn es hätten hundert Millionen und mehr daselbst Platz. Der übrige Raum wird von andern Gewächsen occupirt. Es ist . dies ein Gleichgewichtszustand, der sich mit Rücksicht auf die Bodenbeschaffenheit und die vorausgehenden klimatischen Einflüsse gebildet hat. Die Zahl von einer Million giebt uns also das Verhältniss, in welchem sich Achillea mo- schata gegenüber der andern Vegetation zu behaupten ver- mag; und es ist ein ganz ungereimter Einwurf, wenn man sagt, es wäre ja noch viel Raum für A. atrata da. Wenn derselbe den Achilleen überhaupt zugänglich wäre, so würde er von der vorhandenen und jedenfalls bevorzugten A, moschata eingenommen. Denken wir uns nun den Fall, es befänden sich einmal auf dem genannten Schieferhang, vielleicht in Folge künst- licher Anpflanzung, Achillea moschata und A. atrata 173 gemengt, jede. in. der halben Individuenzahl, nämlich von 500,000. Von den beiden Arten gedeiht A. moschata hier als auf der kalkarmen Unterlage besser als A. atrata; letztere ist schwächlicher, ihre ‚Gewebe sind weniger aus- | gereift; sie, vermag in Folge dessen den äussern schädlichen Einflüssen weniger zu widerstehen, wie den Sommerfrösten oder langandauerndem Regenwetter.oder anhaltender Trocken- heit u. s. w.. Nehmen wir beispielsweise an, es trete alle 20 bis 50 Jahre ein heftiger! Frost zur Blüthezeit ein, welcher. die Hälfte der Pflanzen von A. atrata. tödtet, während demselben die stärkere A. moschata- widersteht. Die Lücken werden durch Besamung wieder ausgefüllt; es gehen aber mehr A. moschata auf als A. atrata, schon desswegen, weil jene nach dem Frost in der Zahl von 500,000, diese. bloss von 250,000 Individuen vorhanden ist. Es sind also in der Folge unter der Million Achilleen, die an dem ganzen Hange vorkommen, A. moschata vielleicht mit 670,000, A. atrata mit 330,000 Individuen vertreten. Nach einem zweiten Froste, welcher, wieder die Hälfte von A. atrata vernichtet, kommen schon nahezu 800,000 Exem- plare von A. moschata auf 200,000 von A. atrata. So nimmt mit jedem aussergewöhnlichen Sommerfroste die Zahl der letztern ab, bis sie endlich ganz von dem Standorte ver- schwunden ist, auf welchem eine ‚verwandte stärkere Art auf ihre Unkosten sich ausgebreitet hat. Statt des Frostes kann irgend eine andere schädliche Ursache wirken; sie wird immer die schwächere Art schwerer treffen, als die. stärkere und jene zuletzt zum Aussterben bringen.‘ Wenn auch die beiden Pflanzen bloss durch un- gleiche Fruchtbarkeit verschieden sind, so muss der Erfolg der nämliche bleiben. Auf einer Localität, die eine Million — Pflanzenstöcken trägt, geht jährlich eine grössere oder kleinere Zahl der ältesten und gebrechlichsten zu Grunde. Wenn nun von’ den zwei genannten Pflanzen auf der be- 7. 14 174 ee stimmten Localität A. atrata bloss weniger fruchtbar ist als A. moschata, so wird der jährliche Verlust, den beide erleiden, nicht gleichmässig, sondern jedesmal durch eine grössere Zahl von A. moschata ersetzt. Es muss also die Gesammtmenge der Stöcke von A. atrata von Jahr zu Jahr, ‘wenn auch nur um wenig, abnehmen und zuletzt (vielleicht erst nach vielen Jahrhunderten) Null werden. Was mit Achillea atrata auf kalkarmem Boden, muss mit A. moschata auf kalkreichem Boden geschehen, wo diese Art als die schwächere sich erweist. In Concurrenz mit A. atrata unterliegt sie und verschwindet, Daher beobachten wir, wo Kalk und Schiefer an ein- einander stossen, eine scharfe Grenze zwischen der Ver- breitung der beiden Pflanzen. Man wird vielleicht noch einwenden, dass fortwährend Samen von der einen Art auf den Standort der andern fallen und daselbst aufgehen "müssen; und dass desswegen eine neue Vermengung, die sich jährlich wiederhole, unausweichlich sei. Diess ist aber unmöglich, da die beiden Standorte mit den entsprechenden Achillea-Arten und mit vielen andern Pflanzen vollständig besetzt sind. Wenn z. B. auf dem Schiefer eine Million von Stöcken der A. moschata stehen, so werden davon Jährlich im Durchschnitt wohl nicht unter- 10 Millionen Samen ausgestreut, von denen vielleicht nicht der 1000ste Theil keimt. Wenn nun von Achillea moschata auf ihrem eigenen Standorte 999100 Millionen Samen jährlich zu Grunde gehen, so werden wir uns nicht verwundern, dass die 100,000° ‘Samen der fremden A. atrata ebenfalls ‘zu Grunde gehen. Ausnahmsweise kann einmal ein fremder Same keimen, und. ausnahmsweise finden wir auch einen ‘oder wenige Stöcke von A. moschata auf dem Standorte von A. atrata und umgekehrt. Aber diese ‚äusserst ‘selten. ‘So kommt es, dass in Gegenden wo Achillea atrata Ausnahmen gind | te ae und A. moschata wachsen, die eine .das kalkarme Urge- birge, die andere den Kalk bewohnt. Wenn aber. das Ge- — stein in chemischer Beziehung eine Mittelstufe zwischen beiden darstellt, wenn es z. B. ein kalkreicher Schiefer ist, wie er in Bündten vorkommt, so können beide Arten sich neben einander behaupten, weil sie hier von gleicher Stärke sind. :Anderseits finden wir, wie schon erwähnt, A. mo- schata, wenn sie allein in einer Gegend vorkommt, ‚auch auf dem Kalk, und A. atrata besiedelt, wenn die Mitbe- werberin mangelt, das kalkarme Urgebirge. Die beiden Arten | können in diesem Falle, obgleich die äussern Verhältnisse ihnen weniger zuträglich sind, nicht ‚verschwinden , weil sie ohne Concurrenz sind. Es sei z. B. A. atrata allein über einen (ihr weniger zusagenden) Schieferhang verbreitet, und es trete, wie ich früher angenommen habe, alle20—50 Jahre ein ‚ausserordentlicher Frost ein, welcher die Hälfte der Individuen tödtet.. Der Verlust muss durch -Besamung von der andern Hälfte nach und nach. wieder ‘ersetzt werden. Es kann daher die Individuenzahl nicht für die Dauer ab- nehmen. _A. atrata allein auf einem kalkarmen Standorte verhält sich wie jede andere ‚Pflanze; sie erlangt. eine ge- wisse Individuenzahl, welche ab- und zunimmt, aber trotz ‚der Schwankungen immer wieder sich einer mittleren Zahl nähert. i | Man könnte ‚aus der eben gemachten Deduction viel- leicht den Schluss ziehen wollen, dass ein solches Resultat immer ‚eintreten und von zwei Pflanzen die eine verdrängt werden müsse, weil beide kaum je von gänz gleicher Stärke seien. Diess wire’ jedoch unrichtig; denn es gilt nur für Pflanzen von möglichst gleichen Existenzbedingungen. Wir können uns einen anderen Fall denken, wo die beiden Arten durch ganz ungleiche äussere Einflüsse (z. B. die eine durch Frühlingsfröste, die andere durch trockene Hitze) leiden, so dass bald die Individuenzahl der einen, bald die der andern 14* 176 sich vermindert, wo ferner der Samen ‘durch ungleich wird, so dass bald die ein vermehrt und die leergew die Samenbildung und das Keimen € äussere Einwirkungen gefördert e, bald die andere sich besonders ordenen Stellen ausfüllt. Hier muss das numerische Verhältniss der beiden Arten ein schwanken- des sein; aber 'keine vermag die andere zu verdrängen. Je nach Umständen sind sje einander im Mittel an Individuen- zahl gleich, oder wenn die Gesammtwirkung der äussern Umstände günstiger für die eine ausf entsprechendes Uebergewicht, Ich habe das Ausschliessungsvermögen zweier ver mehrerer Pflanzen bis jetzt bloss für eine bestimmte chemische Constitution des Bodens nachgewiesen. Das Nämliche gilt von der physikalischen Beschaffenheit. Es ist möglich, dass eine Pflanze unter gewissen Umständen sich auf einem Bo- den von bestimmten Feuchtigkeitsgehalt behauptet, unter andern Umständen nicht. Diess ist mit Prim ula offi- of ae n n A n cinalis und P. elatior der Fall. Wenn beide zusamme vorkommen , einander ab, tior die feu Standorte die stärkere und ver gen. Ist aber nur eine Art vo nicht so wählerisch, P, ‘tere, P. elatior fiir bewohnen, als allt, so erlangt sie ein £ n j = s on so schliessen sie sich zuweilen sehr genau i d ape . . a- indem P. officinalis die trockenern, P. e . ihrem chtern Stellen bewohnt. Jede ist auf ihre mag die andere zu 'verdrän- rhanden, so zeigt sie sich officinalis vermag fiir sich feuch- sich allein trockenere Localitäten zu wenn sie in Gesellschaft sind. gleicher Weise Schliessen sich verschiedene n aus, z B. Prunnella vulgaris und P. grandiflora, 177 schwach berieselt ist, so trifft man sicher auf den. beriesel- ten Stellen P. vulgaris, “auf den unbewässerten P. grandi- flora. Ich habe einige trockene Waiden beobachtet, wo neben P. grandiflora. strichweise P. vulgaris vorkam; die genauere Beobachtung ergab, ‚dass diese Striche zeit- weise von Wasser überrieselt werden. Die Rhinanthus-Arten zeigen ein ähnliches Verhalten... Findet sich nur ‚eine derselben in einer Gegend, so geht sie auf verschiedene Standorte. Treten zwei oder drei Arten zusammen auf, so schliessen sie sich meist ziemlich strenge aus. Rhinanthus Alectorolophus ‚bewohnt. auf der "Münchner Hochebene Brachfelder und fettere Stellen. auf | Waiden, Rh. minor die angrenzenden magern Waiden. Ist der letztere allein, so "kommt er auch auf Brachfeldern und fetten Waiden vor. Auf den Alpenwaiden scheiden sich in gleicher Weise Rh. Alectorolophus und Rh. alpinus aus, Man trifft auch neben einander Rh. minor auf Waiden, Rh. alpinus im Geröll, Rh. Alectorolophus im Gebüsch. Im Walde können. alle drei Arten mit einander wechseln; Rh. alpinus bewohut dann die lichten, steinigen und zu- gleich trockenen Stellen, Rh. minor die mehr feuchten und schattigen, magern Stellen, und Rh. Alectorolophus steht überall, wo sich eine üppige Vegetation befindet. Im Oberengadin, wo diese Pflanzen in Menge vorkommen, fand ich sie meist: strenge geschieden. _ Ausnahmsweise waren zwei Arten auf der Uebergangslocalität unter einander gemengt, Hieracium Pilosella und H. Hoppeanum kommen zuweilen durcheinander vor. Häufiger schliessen sie sich mehr oder weniger genau aus. H. Pilosella bedeckt dann die magern Waiden und die sandigen: oder felsigen rasen- losen Stellen, während H.: Hoppeanum fette Localititen mit hohem Rasen vorzieht. Ist nur eine Form da, so be- ° 178 siedelt sie auch die Standorte, yon denen sie anderswo durch die Mitbewerberin verdrängt‘ wird. Die physikalische Beschaffenheit des Bodens ist also ebenso sehr geeignet, eine gegenseitige Ausschliessung der Varietäten und Arten zu veranlassen Nur ist es viel schwieriger, hier die mi anzugeben. Ein anderes Moment, welches auf das Vorkommen der Pflanzen Einfluss hat, ist das Wanderungsstadium , in wel- chem’ sie sich befinden. Man nimmt gewöhnlich a die Arten und Racen vo Stellen ausgegangen ausgebreitet haben. ne Zweifel wahrschein- lich, aber beweisen lässt es sich nicht. Dagegen ist sicher, dass die Erdoberfläche seit der Tertiärzeit verschiedene Umgestaltungen erfahren hat, welche eine Aenderung der klimatischen Verhältnisse und in F olge davon eine Hin- und Herwanderung der Gewächse nach sich zogen. Diese Wanderung dürfte für die Mehrzahl der Arten,‘ namentlich für die mit leicht transportab Ganzen längst aufgehört habe langsam verbreiten, dauert sie möglicherweise noch fort. Das Vorkommen einer Pflanze an einem bestimmten Orte wird also nicht bloss dadurch bestimmt, ob sie hier die nöthigen äussern Bedingungen finde und sich gegen alle Mitbewerber zu behaupten im Stande sei, sondern yor Allem aus dadurch, ob sie überhaupt dahin gelangt sei. Wenn wir in einer Gegend eine Art, die wir daselbst ver- muthen, nicht finden, so ist es einerseits möglich, dass sie durch irgend einen hemmenden Einfluss ausgeschlossen wird, andererseits, dass sie auf ihrer Wanderung die Gegend nicht erreicht hat, wäs aber durch irgend einen Zufall heute. oder morgen geschehen könnte, oder auch, dass sie einmal wie die chemische. twirkenden Umstände n, eln Samen im Grossen und n; für andere, die sich sehr 179 da war, aus irgend einer Ursache ausgieng und nicht wieder hingelangte. | Dieser Grund des Nichtvorkommens einer Pflanze, weil sie nämlich auf ihrer Wanderung den bestimmten Ort nicht oder nicht wieder erreicht hat, scheint viel häufiger. vor- handen zu sein, als man vielleicht annimmt. Er erklärt uns, warum gewisse Arten in ganzen Gegenden, oder in einzelnen Thälern und auf einzelnen Gebirgsstöcken mangeln, während alle Bedingungen für ihr Gedeihen gegeben scheinen. Das Studium dieser Verhältnisse würde obne /weifel zu interessanten Resultaten führen. Dafür müsste man aber den Verbreitungsbezirk der zu erforschenden Art oder Race in seinem äussern Umriss und in seiner innern Configura- tion viel genauer kennen, als es jetzt der Fall ist.. Der genannte Umstand giebt uns für manche auffallende That- sache eine überzeugende Erklärung. Warum wächst Achillea atrata hier auf Urgebirge, obgleich sie in, einer andern Gegend kalkstet ist? Warum wächst die sonst urgebirgstete A. moschata dort auf Schiefer? Beides, weil die ver- drängende verwandte Art an dem betreffenden Orte man- gelt; und der gewöhnliche Grund dafür ‘ist ohne Zweifel der, dass dieselbe auf ihrer Verbreitungswanderung nicht dorthin gelangte. Wenn wir genaue Karten über die Verbreitung der beiden Arten hätten, so würde uns diess einleuchtend entgegen treten. An den Isarabhängen bei Grosshessellohe (unweit Mün- chen) wachsen neben Hieracium murorum und H. vul- gatum zwei ausgezeichnete verwandte Formen, H. sub- caesium und H. Sendtneri?). Die vier Formen schliessen einander hier nicht aus, obgleich jede bestimmten Modificationen der Localität den Vorzug gibt. Wenn man sich nach rechts 2) Vgl. die Notiz in der Mittheilung vom 18. November. 180 oder links von der Isar entfernt und wieder ganz analoge Loealitäten antrifft, so findet man immer nur H und H. vulgatum. H. Sendtneri und H. subeaesium entfernen sich nicht von den Isarabhingen, Die letztern beiden Formen kommen eigentlich im Gebirge vor und wurden ohne Zweifel yon der Isar herunter geführt. Sie konnten sich nicht von dem Flussgebiete entfernen, weil beiderseits Wälder und Felder (früher bloss Wälder) folgen. Da sie beide nicht in Wäldern vorkommen (indem sie hier von H. murorum und H. vulgatum verdrängt werden), so konnten sie nicht bis zu den ihnen 'zusagenden, aber stundenweit entfernten Localitäten gelangen. Ein interessantes Beispiel für die verschiedenen Ur- sachen, welche auf die Verbreitung der Pflanzen Einfluss haben, bieten uns die beiden Alpenrosen , Rhododendron hirsutum und Rh. ferrugineum. Von Unger wird für die Flora von. Kitzbühel Rh. hirsutum als kalkstet, Rh. ferrugineum als schieferstet angegeben. Mohl nennt sie kalkhold und urgebirgshold. Letztere Bezeichnung drückt das Vorkommen im Allgemeinen, erstere in einzelnen Ge- genden aus?) An einigen Orten Graubündtens z. B. in den Alpen von Parpan sah ich beide Arten in Menge, Rh. hir- sutum ausschliesslich auf Kalk, Rh. ferrugineum ebenso ` auf Schiefer, Auf der Grenze zwischen beiden Formationen berührten sich die zwei Arten und dort fand schmalen Strecke, gemengt unter dies Rh. intermedium. Auf der rothen Wand bei Schliersee in Oberbayern wachsen Rhododendron hirsutum: und Rh. ferrugineum durcheinander auf Kalk. Eine genauere Beobachtung zeigt aber, dass sie sich auch da nach der . murorum, sich auf einer elben, die Mittelform 3) Unrichtiger Weise heisst es in Moritz von Rh hirsutum, das fast ausschliesslich es komme „bloss auf dem Schiefergebirge vor. i’s Flora der Schweiz dem Kalk angehört, 181 Unterlage ausschliessen. Rh. “hirsutum kommt auf dem mit dünner Humusschichte bedeckten Kalkgesteine vor, ebenso bewohnt es die herabgestürzten Kalkblöcke. Zwischen diesen Blöcken aber steht Rh. ferrugineum überall, wo sich eine dicke Humusschichte gebildet hat, so dass seine Wurzeln in einem kalkarmen Boden sich befinden. Ebenso kommt Rh. ferrugineum da, vor, wo eine Lehmschichte den Kalk überlagert. | =~- -Mit Rücksicht auf solche Vorkommensverhältnisse muss man beide Arten als bodenstet bezeichnen; sie scheiden sich nach der kalkhaltigen und kalkarmen ya lage. K erner hat sogar, auf ähnliche Beobachtungen sich stützend, die Ueberzeugung ausgesprochen, dass Rh. hirsutum pi dem kalkreichen Boden, Rh. ferrugineum die dem kalkarmen Boden entsprechende Form einer und derselben Art (Rh. germanicum) sei; dass Rh. ferrugineum, auf eine kalk- arme Unterlage gebracht, zuerst in Rh. intermedium und dann in Rh. ferrugineum übergehe. Diess ist jedoch nicht der richtige Ausdruck für die Thatsache, welche uns die Verbreitung der beiden Alpenrosen zeigt®). > In allen Gegenden, wo von beiden Rhododendron- Arten nur die, eine vorkommt, bewohnt sie ebenso wohl die kalkreichen als die kalkarmen Localitäten. Im Rheinwald- thal (Ct. Graubündten) fand ich bloss Rh. ferrugineum; stellenweise wächst es daselbst. auf Kalk, so am Splügenpass und am „Kalkberg‘ über dem Dorfe Splügen 5). Am Gott- hard sah ich gleichfalls bloss Rh. ferrugineum und zwar 4) So weit meine Erfahrungen gehen, kann ich auch für die übrigen, sogenannten Parallelformen die allgemeine Gültigkeit der zu Grunde gelegten Thatsachen nicht zugeben. Diese Parallelformen sind nur für gewisse Gegenden bodenstet, für andere aber sind sie es nicht. 5 er 5) Nach Gaudin kommt am Splügen auch Rh. hirsutum vor. 182 5 ‘ebenfalls an einem Orte auf Kalk®). Das Joch über Engel- berg und die Engstlenalp (am Titlis), ferner die Blackenalp im Surenenthal, ebenso die Kurfirsten über Wallenstad, welche Gegenden alle der Kaikformation angehören, zeigten mir nur Rh. ferrugineum und zwar in grossen Massen ?), ` Der Schweizerjura hat ebenfalls nur diese Art. An allen genannten Stellen wächst Rh. ferrugineum nicht etwa bloss auf tiefen Humus- oder auf Lehmlagen, die den Kalk be- decken, sondern auch auf Kalkfelsen, die mit einer sehr dünnen Humusschichte überzogen sind, stellenweise auf fast nacktem Gestein. Nach mündlichen Mittheilungen von Hin. Prof. Theobald in Chur findet sich Rh. ferrugineum auf dem Calanda bei Chur in beträchtlicher Höhe auf fast nacktem Kalk. | a | ‚Die Verbreitung der beiden Alpenrosen wird also im Grossen und Ganzen nicht durch die kalkarmen und kalk- reichen geologischen Formationen bedingt. Sie erweisen sich auf dem grössten Theil ihres Verbreitungsbezirkes als boden- vag. Wo sie aber in beträchtlicher Menge neben einander kotrot werden sie bodenstet, indem sie Sich gegenseitig ausschliessen. Diese Ausschliessung ist, da es strauchartige langdauernde Pflanzen sind, nicht so strenge wie bei kraut- artigen Gewächsen; ‘sie ist ferner um so weniger genau durchgeführt, je spärlicher und zerstreuter die Stöcke stehen. So kommen an den Kurfirsten oberhalb (uinten die beiden Arten, welche hier in geringerer Individuenzahl auftreten durch einander vor und der nämliche Kalkblock trägt dewellon auf der einen Seite Rh. ferrugineum, auf der andern Rh., hirsutum. | + 6) Auch 'hier giebt Gaudin Rh. hirsutum an. 7) Auf der Trübseealp- über Engelberg bemerkte ich auch Rh. intermedium, was auf die Nähe von Rh. hirsutum hinweisen könnte. 183 Heer hat die vorgeschobenen Kolonien von Alpen- pflanzen auf den Hügelkuppen und in den Torfmooren der ebeneren Schweiz’ von der Eiszeit hergeleitet und als zurück- gelassene Posten der vorgedrungenen Gletscher erklärt. Rh. ferrugineum wurde nach demselben von dem Rhone- gletscher aus dem Wallis auf den Jura, Rh. hirsutum von dem Linthgletscher auf die Berge an der östlichen Grenze des Cantons Zürich (Hohe Rhonen und obere Téss- thäler) gebracht. In gleicher Weise dürfen wir wohl das Vorkommen von Rh. ferrugineum am Langensee und am Comersee von dem Langenseegletscher und dem Veltliner- gletscher herleiten. Auf einer Tour über die Terrassen der Kurfirsten sah ich oberhalb Wallenstad bloss Rh. ferru- gineum; weiter nach Westen auf einer Ausdehnung von etwa einer halben Stunde Rh. ferrugineum mit Rh. hirsutum und noch weiter westlich bloss Rh. hirsutum. Ich weiss nicht, ob diese Beobachtung auf einer einzigen Excursion die wirkliche Verbreitung ausdrückt, ob Rh. hirsutum den westlichen, Rh. ferrugineum den öst- lichen Theil der Kurfirsten bewohnt. Wie dem auch sei, das Vorkommen der beiden Arten auf diesem Gebirgsstocke kann vielleicht aus dem Zusammentreffen der beiden Eis- zeitgletscher, Linth- und Rheingletscher erklärt werden. Der erstere hatte Rh. hirsutum, der zweite Rh. ferrugineum herbeigeführt, insofern wir die ursprünglichen Verbreitungs- centren in die innern Alpen verlegen. Im Allgemeinen werden die Centralalpen und der Süd- abhang von Rhododendron ferrugineum, die nördlichen Alpen von Rh. hirsutum bewohnt. Aber diese Verbreit- ungsareale sind vielfach durch die andere Art durchbrochen. Eine genaue Aufnahme der geographischen Vertheilung der beiden Alpenrosen, welche sich offenbar sehr langsam aus- breiten, dürfte für die Erkenntniss der Verbreitungsursachen 184 if von grösstem Interesse sein und vielleicht Rückschlüsse auf die grossen Naturerscheinungen der diluvialen Zeit erlauben. Ich fasse zum Schlusse noch das Resultat über das Vorkommen der Gewächse zusammen. Innerhalb der Region, welche einer Form durch die klimatischen Verhältnisse im Allgemeinen angewiesen ist, wird die Verbreitung bedingt 1) durch die besondere Modification dieser klimatischen Einflüsse, durch die physikalischen und chemischen Boden- verhältnisse, 2) durch die übrigen Gewächse, welche mit ihr con- curriren, sowie auch durch die Thiere und den Menschen, welche fördernd und nachtheilig einwirken, . 3) durch das Stadium der Wanderung, in welcher sich die Pflanzenform befindet. Die Pflanzengeographie muss alle diese Momente com- binirt in Rechnung bringen, um die Ausbreitung einer Art zu verstehen. Bisher hat man einen andern Weg verfoigt. Man untersuchte nur ein Moment für sich und beschränkte sich dabei fast ausschliesslich auf die chemischen und physi- kalischen Bodenverhältnisse. Man glaubte, dass in ihnen die Lösung der Räthsel enthalten sei und stritt sich darum, ob die einen oder andern den Ausschlag gäben. Man be- gann mit der Betrachtung eines beschränkten Gebietes, und dehnte sie dann immer weiter aus.' H.. v: Mohl- und be- sonders A. de Candolle stellten als Grundsatz auf, dass man nur bei Berücksichtigung des grösstmöglichen Areals ein sicheres Ergebniss bekomme. Diese Forderung war gewiss gegründet, wenn es sich um die Beantwortung der Frage handelte: Giebt es Pilanzenarten, deren Vorkommen mit den Bodenverhältnissen parallel geht? Die Methode yon Mohl und de Candolle hatte ihre Berechtigung für: einen bestimmten Zweck. Aber sie wird entschieden unrichtig, wenn wir die F rage allgemeiner stellen: ob.und welchen Einfluss die Bodenbeschaffenheit auf das 185 Vorkommen der Pflanze habe? Wir müssen dann wieder zu der Erforschung des ganz beschränkten Gebietes zurück- kehren, dasselbe mit all seinen eigenthümlichen Verhältnissen als ein Ganzes auffassen und wir dürfen es nur mit einem andern speziellen Gebiet, das ebenfalls in allen seinen Einzel- heiten erforscht ist, vergleichen. Bloss auf diesem Wege wird es möglich sein, die Wirkung jedes einzelnen Factors und somit auch diejenige der Bodenbeschaffenheit zu be- stimmen. Wir finden, dass in einer Gegend eine Pflanze mit Rücksicht auf die chemischen Verhältnisse bodenstet ist, in einer andern bodenvag.: Nach bisheriger Behandlungs- weise wurde sie dann als bodenhold bezeichnet. Diess giebt uns aber keinen richtigen Begriff von dem Verhalten- derselben. Statt dass wir sie bodenhold nennen, müssen wir vielmehr erforschen, unter welchen Bedingungen - -sie bodenstet, unter welchen bodenvag ist. — Es ist selbst möglich, dass eine Art in einer Gegend kalkstet, in einer andern urgebirgstet ist. Es seien nämlich drei verwandte Arten A, B, C so constituirt, dass A sehr kalkscheu, C sehr kalkliebend, B ziemlich indifferent gegen Kalk ist. In einer Gegend komme A und B, in einer andern B und C gemein- ` sam vor. In ersterer wird A urgebirgstet, B kalkstet auf- treten, in letzterer wird dagegen B urgebirgstet und C kalk- stet sein. Wenn wir aber, statt diese Verhältnisse aus einander zu halten, B allgemein nach der bisherigen Be- handlungsweise als bodenvag aufführen, so erhalten wir einen - sehr mangelhaften oder selbst einen sehr unrichtigen Begriff von dem wirklichen Verhalten. Die Thatsache, ob eine Pflanzenart mit Rücksicht auf ihr ganzes Vorkommen in chemischer Beziehung bodenstet, bodenhold oder bodenvag sei, ist im Grunde ziemlich gleich- gültig, da diess offenbar von allen mitwirkenden Factoren bedingt wird, und da es vom Zufall abhängt, wie die letztern 186 combinirt sind. Es ist sogar denkbar , dass jede Pflanze irgendwo bodenstet ‚auftritt, denn keine wird ganz gleich- gültig gegen die chemische Bodenbeschaffenheit sein; es wird ein bestimmtes Mengenverhiltniss der Mineralsalze geben, welches ihr am besten, ein anderes, das ihr am wenigsten convenirt. Halten wir uns, wie bisher, bloss an kalkarme und kalkreiche Standorte, so mag es geschehen, dass jede Pflanze unter gewissen Verhältnissen, alles Uebrige gleich- gesetzt, sich auf dem einen gegen die Mitbewerber zu be- haupten vermag, auf dem andern nicht. Bodenstetigkeit und Bodenvagheit sind überhaupt Zu- stände, aus denen wir keinen ‚Schluss auf die Natur einer Pflanze ziehen dürfen, weil sie nicht von dieser Natur be- dingt werden. Achillea atrata und A. moschata leben theilweise getrennt und sind dann bodenvag , theilweise bei- sind dann bodenstet, somit im ganzen boden- hold. Hätten die Verbreitungsursachen sie überall zusam- sammen und mengeführt, so würden wir sie nur als bodenstet kennen. Wären sie überall allein, so würden sie uns als bo denvag entgegentreten. Wie mit der chemischen , so verhält es sich auch mit der physikalischen Beschaffenheit. Auch sie lässt die Pflanzen bald als bodenstet, bald als bodenvag erscheinen. Auch hier sind es nicht innere, in der Natur der Gewiichse be- gründete Ursachen, sondern äussere Umstände, welche den Ausschlag geben. Bei gleicher chemischer Bodenbeschaffen- heit und unter übrigens gleichen Verhältnissen verträgt eine Art in Gesellschaft einer bestimmten Vegetation sehr weite, in Gesellschaft einer andern Vegetation nur, sehr limitirte Grenzen in den Feuchtigkeitsgraden der. Bodenkrumme. Wie mir Scheint, ist es daher. die nächste und drin- gendste Aufgabe der Wissenschaft, die Aufmerksamkeit den Gewächsen zuzuwenden, welche die zu erforschende Art umgeben, vor allem aus den nächst verwandten, dann aber 187 \ auch überhaupt solchen, welche an die Aussenwelt nahezu ‚gleiche, Anforderungen stellen, und endlich dem ganzen - Verein von Gewächsen, welcher die Pflanzendecke bildet. Solche Untersuchungen werden, wie es die geringen Anfänge in dieser Mittheilung gezeigt haben, manches Räthsel in der Verbreitung der Pflanzen aufklären, und uns nachweisen, warum eine Art hier vorkommt und dort unter den näm- lichen klimatischen und Bodenverhältnissen constant mangelt, obgleich ihr die Wanderung dorthin offen stände. Eine andere nicht minder lohnende Aufgabe wäre es, die allgemeinern Thatsachen der jetzigen Verbreitung auf die grossen Veränderungen der Diluvialzeit zurückzuführen. ‚Bis jetzt sind darüber wenig mehr als allgemeine Gedanken und einzelne spezielle Andeutungen gegeben worden. | Die 'noth- wendigen Vorarbeiten dazu ‚wären genaue Verbreitungskarten mit allen Angaben, wo eine Art beobachtet wurde und wo sie fehlt, um aus den Lücken und Unterbrechungen in der Verbreitung auf die einstige Wanderung schliessen zu lassen. 20. Die Bastardbildung im Pflanzenreiche. (Vorgetragen den 15. Dezember 1865.) - Die Veranlassung zur Behandlung dieses Themas ergab sich mir aus einer Untersuchung über die Bedeutung der in der Natur zwischen manchen Arten vorkommenden Zwischenformen, welche ich in einer nächsten Mittheilung darzulegen. beabsichtige. Das Thema über die Bastardbild- ung ist. indessen, auch in anderer Beziehung von ‚grösster Wichtigkeit. Dieselbe verbreitet einiges-Licht über die Fort- pflanzung, insofern es sich nämlich darum handelt, -in welcher Weise die Eigenschaften der Eltern auf die Nachkommen übertragen werden, Sie hilft ferner die Frage über den \ 188 pier he rot ge ge da sich dieser auf In letzterer Bezichun rg = eg stardbildung Art und Bee — na = aas- weichen. Da in den Merk i ep on ecg deviations th : Eei. welche die äussere Gestalt, ! e bau und die chemische Zusammensetzung ergeben, = strenger Unterschied nicht gefunden wird, und da rück- en der Constanz, wegen der langen Dauer mancher N en, der Unterschied im besten Falle bloss eine rein theoretische Bedeutung hat, so glaubte man denselben darin wieder zu erlangen, dass die Arten sich mit anderm Er- folge gegenseitig befruchten sollten als die Varietäten. Diese Behauptung nun ist, wie sich ays der folgenden Darstellung ergeben wird, ungegründet. Zwischen Species und Varietät besteht auch in dieser Beziehung nicht eine absolute, son- dern eine allmählich abgestufte Verschiedenheit. Das Re- sultat ist um so sicherer, als es jedenfalls nicht durch sub- jective Befangenheit erhalten wurde. Weitaus die meisten und wichtigsten Versuche iiber Bastardbildung wurden von entschiedenen’ Anhängern der spezifischen Unveränderlichkeit ausgeführt, also von Beobachtern, die eher in der entgegen- gesetzten Richtung befangen waren und welche die That- ‘sachen von ihrem Standpunkte aus in dem ihren Anschau- ungen möglichst günstigen Lichte betrachteten. Es lag ihnen z zwischen Species und Varietät in der daran, einen Gegensat d zu. zeigen, dass hybriden Befruchtung zu begründen, un die Varietätenbastarde normale und dauerhafte ‚Bildungen seien, die Artbastarde dagegen Abnormitäten ohne Bestand. Wenn trotzdem die Versuche darthun, dass ein solcher Gegensatz nicht besteht, so kann man dieses Resultat als um so sicherer festgestellt erachten *). 1) Man unterscheidet zuweilen zwischen Bastard und Blend- ling (im Französischen zwischen hybride und métis), je nachdem 189 Die Thatsachen sind in reichlicher Menge vorhanden. Schon vor einem Jahrhundert hat Kélreuter sehr zahl- reiche (viele tausende) und sehr genaue Versuche über künstliche Befruchtung zwischen verschiedenen Pflanzenformen angestellt. In diesem Jahrhundert ‚hat: Gärtner während eines, Zeitraums: von 26 Jahren nahezu 10000 künstliche Bestäubungen vorgenommen. und dabei jede Vorsicht ange- - wendet, welche ‚für das Gelingen und die kritische Benutzung derselben erforderlich schien. Ausserdem haben verschiedene Forscher sich mit dem gleichen Gegenstand beschäftigt, unter denen ich Knight, Herbert, Treviranus, Sageret, Wiegmann, Regel, Wichura, Lecocq, Naudin, Go- dron, Grönland nenne. Wenn trotz dieser zahlreichen Versuche nicht grössere Uebereinstimmung betreffend die Bastardbildung im Pflanzen- reiche herrscht, so dürfte der Grund in verschiedenen Um- ständen liegen. Einerseits mangelt oft bei der Beurtheilung ein unbefangener und vorurtheilsfreier Standpunkt. Von der Unveränderlichkeit der Art ausgehend, sucht man vor Allem aus den Unterschied zwischen Artbastard und Varietätenbastard festzustellen, einen Unterschied, der in Wirklichkeit nicht besteht. Man wird dadurch veranlasst, die Thatsachen nicht nach ihrem innern Zusammenhange, sondern nach einem ihnen fremden Prinzip zu gruppiren, einzelnen Thatsachen eine gezwungene Erklärung ` aufzu- die Eltern Arten oder Varietäten sind. Diese Unterscheidung mag zuweilen praktischen Nutzen gewähren, häufiger aber ist sie ver- wirrend und irreführend, weil sie einen Unterschied voraussetzt, der nur gradweise vorhanden ist. Richtiger wäre es wohl, wenn man überhaupt trennen will, Bastarde alle diejenigen hybriden- Pflanzen zu nennen, die eine verminderte Fruchtbarkeit zeigen, Blendlinge» diejenigen mit vollkommener Fruchtbarkeit, ohne Rücksicht darauf, ob die einen und niini von Species oder Varietäten gefallen sind. 15 190 nöthigen, andere zu ignoriren oder als Ausnahmen zu be- handeln. i nicht in dem Maasse, als sie | Namentlich gilt diess von den obachtungen Gärtner’s, welche rsuche und Beobachtungen über die Bastarderzeugung im Pflanzenreiche 1849) mit allzu- geringer Uebersichtlichkeit dargelegt werden. Dafür lässt = sich zuweilen von Wahrnehmungen leiten, die man an wirk- lichen oder vermeintlichen Bastarden in der freien Natur gemacht und willkürlich commentirt hat. Oder man benutzt seine eigenen spärlichen Versuche, welche wegen ihrer Unvoll- ständigkeit und häufig wegen ihrer Ungenauigkeit unbrauch- bar sind, zu ‘einer neuen Theorie, ohne zu ahnen, d darüber zahlreiche und genaue Versuche längst entschieden Die Lehre von der Bastardbildung würde in der te gemacht haben, wenn manche zufangen, sich die Erfahrungen en Forscher zu Nutzen gemacht Lebens auf die Lösung dieses Keine Lehre ist weniger abge- kritisch ausgeführte Versuche sind henswerth, Aber sie können nur erth haben, wenn sie sich auf die ehenen Stützen, wenn sie entweder die festgestellten Regeln durch neue Thatsachen bestätigen, oder wenn sie dieselben modificiren, erweitern, beschränken, im letztern Falle aber die Bedingungen darthun, unter denen diese Modificationen eintreten. ‚Ich werde in der folgenden Uebersicht der Resultate mich ausschliesslich an die künstlichen Bas tardirungsver- suche halten, indem ich mir die Anwendung auf die wild- . es verdienen, gewürdigt. zahlreichen und trefflichen Be leider in seinem Buche (Ve , die die Arbeit ihres Problems verwendeten. 191 wachsenden hybriden Formen für eine folgende Mittheilung vorbehalte. ‚1. Pflanzenformen, die sich systematisch nahe stehen, können mit einander Bastarde bilden. Im Allgemeinen geht die Befruchtungsfähigkeit nicht über die Gattung, sehr oft nicht über die Gattungs- section hinaus, und manchmal bleibt- sie innerhalb der Art eingeschlossen. Es verhalten sich in dieser Beziehung die verschiedenen natürlichen Ordnungen und Gattungen sehr ungleich. Mit Rücksicht auf den Umfang, in welchem die Genera von der’ strengeren Schule der Systematik gefasst werden, können wir sagen, dass im Allgemeinen nur Arten des gleichen Genus sich befruchten können. Die wenigen Ausnahmen dürften sich auf folgende sichere Fälle beschränken: Lychnis und Silene, Rhododendron und Azalea, Rhododen- dron und Rhodora, Azalea und Rhodora, Rhododen- dron und Kalmia, Rhododendron und Menziesia?), Aegilops und Triticum, Gattungen der Cacteen (Echino- cactus, Cereus, Phyllocactus) und Gessneriaceen. Ich fiige bei, dass von den wildwachsenden Bastarden mir ausser- dem nur zwei bekannt sind, welche von verschiédenen Gattungen abstammen kénnten: Festuca loliacea Huds., welche nach A. Braun ein Bastard von Festuca elatior Lin. und Lo- lium perenne Lin. ist, und Nigritella suaveolens Koch, welche nach meinen Beobachtungen von Nigritella an- gustifolia Rich. und Myonadania odoratissima Rich. erzeugt wird. Mit Riicksicht auf die geringe Zahl der Ausnahmen dürfte vielleicht die Frage aufgeworfen werden, ob in diesen N 2) Bryanthus erectus Grah. et Paxt. Bastard von Rhodo» dendron Chamaecistus Lin. und Menziesia coerulea Wahlenb. 15* 192 Fällen die Gattung nicht zu enge, oder eher ob sie nicht unrichtig gefasst worden sei? ob die Verwandtschaft, welche in der gegenseitigen Befruchtungsfähigkeit sich kundgiebt, nicht verbiete, zwei Arten generisch zu trennen? Dafür liesse sich, ohne weiter auf das Prinzip einzutreten, wenig- stens anführen‘, dass es mehrere Beispiele giebt, wo zwei sich bastardirende Arten, die früher in den mehr künst- lichen Gattungen getrennt waren, jetzt in der nämlichen mehr natürlichen Gattung vereinigt sind. Schon von Herbert und Andern wurde die Regel aus- ‚gesprochen, dass nur congenerische Species sich bastardiren ‚ können, und dass Arten, welche diese Fähigkeit besitzen, zu einer Gattung vereinigt werden müssen. der unlogische und daher nichtige Einwurf wenn man diess als richtig anerkenne, so müsste man die sich nicht bastardirenden Species generisch trennen. Wenn ich sage, dass alle Weine zur Gattung Flüssigkeit gehören, so folgt daraus nicht, dass auch jede Flüssigkeit eine Wein- sorte sein müsse, und dass Alles, was nicht Wein ist, dess- wegen auch keine Flüssigkeit sein könne. Es giebt Genera, in welchen a Verhältniss zu “einander stehen, dass sie sich gegenseitig befruchten. In andern besteht diese Beziehung nur zwischen den Arten der gleichen Section, während Arten verschiedener Sectionen sich nicht mit einander bastardiren, Sehr häufig mangelt dieses Vermögen selbst den Arten d Gattungssection, so dass hier nur die Varietäten Art mit einander Bastarde bilden. In der Neigung zu hybrider Befruchtung scheint übri- gens eine grosse Verschiedenheit zwische Gruppen des Pflanzenreiches zu herrschen. Ueber die Crypto- gamen- lässt sich in dieser Beziehung , wegen Mangel an Versuchen, nichts sagen; man weiss bloss, dass sie Bastarde - bilden können. Unter den Phanerogamen gelingt die Ba- Es ist dagegen gemacht worden, lle Arten in dem nahen er gleichen der ‘gleichen n verschiedenen 193 stardbildung zwischen den Arten leichter bei folgenden Ord- nungen: Liliaceen, Irideen, Nyctagineen, Lobelia- ceen, Solanaceen, Scrophularineen, Gessneriaceen, Primulaceen, Ericaceen, Ranunculaceen, Passi: floreen, Cacteen, Caryophylleen, Malvaceen, Ge raniaceen, Oenothereen, Rosaceen. Die hybride Befrucht- ung zwischen den Arten gelang gar nicht oder nur ausnahms- weise bei den Gramineen, Urticaceen, Labiaten, Con- volvulaceen, Polemoniaceen, Ribesiaceen, Papa- veraceen, Cruciferen, Hypericineen, Papilionaceen. Eben so verschieden verhalten sich die Gattungen der gleichen natiirlichen Ordnung. Unter den Caryophylleen lassen sich die Arten von Dianthus leicht, diejenigen von Silene schwer bastardiren. Unter den Solanaceen sind die Arten von. Nicotiana und Datura zu hybrider Be- fruchtung geneigt, nicht aber diejenigen von Solanum, Physalis, Nicandra; unter den Scrophularineen die Arten von Verbascum, Digitalis, nicht aber Pentastemon, Antirrhinum, Diani unter den Rosaceen die Arten von Geum, nicht aber Te 2. Die Pflanzenformen (Varietäten und Arten) ba- stardiren sich um so schwieriger und geben bei. gegenseitiger Befruchtung eine um so geringere Zahl fruchtbarer Samen, je weniger sie unter ein- ander sexuell verwandt sind. Diese sexuelle Af Tinität ist nicht gleichbedeutend mit der systemati- schen, welche durch äussere . Formverschieden- heiten, Farbe und Habitus sich kundgiebt, noch mit der innern-Verwandtschaft, welche in der chemischen und physikalischen Constitution be gründet ist. Alle drei Affinitäten gehen jedoch ganz im Allgemeinen parallel. Der befruchtende Bliithenstaub wirkt ‘mehr oder weniger vollständig auf die weiblichen Organe. Wenn gar kein be- 194 fruchtender Einfluss statt hat, so welken dieselben, als ob überhaupt kein Pollen auf die Narbe gelangt wäre. Der erste und geringste Grad der Einwirkung besteht darin, dass bloss der Fruchtknoten, sammt dem Kelch, etwas wächst, ohne dass eine Veränderung an den Eichen sichtbar wird. Ein zweiter Grad besteht darin, dass der Frucht- knoten stärker wächst und die Ovula ebenfalls sich ver- grössern, aber dann zusammenschrumpfen. Ein dritter Grad bringt es zu kleinen unvollkommenen Früchten mit leeren Samen. Ein vierter Grad zeigt normal ausgebildete Früchte mit leeren Samen. Ein fünfter Grad bildet normale Früchte mit einzelnen scheinbar vollkommenen, aber keimlosen Samen. Ein sechster Grad entwickelt normale Früchte, deren Samen einen kleinen, welken, nicht keimungsfähigen Embryo ent- halten. Ein siebenter Grad endlich reift normale Früchte mit normalen Samen, aber in diesem letzten Grad der voll- kommenen Befruchtung giebt es wieder alle möglichen Unter- _ grade, je nachdem bloss ein oder wenige Ovula, eine grössere Zahl derselben oder nahezu alle sich in keimfähige Samen verwandeln. Der Einfluss des befruchtenden Blüthenstaubs auf die weiblichen Organe stuft sich also fast unendlich ab. Dass die sexuelle Affinität nicht genau mit der syste- matischen Verwandtschaft zusammenfällt, ergiebt sich aus vielen Beispielen. Es kommt nicht selten vor, dass zwei Arten A und B, die sich äusserlich sehr ähnlich sehen, sich nicht bastardiren, während A sich mit der Art C, welche in den Merkmalen viel mehr abweicht als B, leicht be- fruchtet. So ist es z. B. noch nicht gelungen, den Apfel- baum mit dem systematisch nahe verwandten Birnbaum hybrid zu vereinigen, ebenso wenig die sehr ähnlichen Ana- gallis arvensis Lin. und A. coerulea Schreb., Primula officinalis Jacq. und P. elatior Jacq., Nigella dama- scena Lin. und N. sativa Lin., Pentastemon gentia- = noides Poir. und P. Hartwegii Benth. und viele ıandere. al x. <= z D ae — En eR area canta ig in nid iA cas capes enana a nanai pcre: Wanne OAN 195 Dagegen befruchten sich die einander unähnlichen Aegilops ovata Lin. und Triticum vulgare Vill., Lychnis diurna Sibth. und Lychnis Flos cuculi Lin, Rhododendron ponticum Lin. und Azalea pontica Lin, Cereus spe- ciosissimus Desf. und C. Phyllanthus DC. (Phyllo- cactus Phyllanthus Link.), strauchartige und krautartige Calceolarien, die in den Früchten abweichenden Pfirsich- baum und Mandelbaum etc. Man könnte mit Gärtner. die Meinung hegen wollen, dass die sexuelle Verwandtschaft mit der innern oder chemisch-physikalischen identisch sei. Diess wird durch folgende, sich öfter wiederholende Thatsache unmöglich, dass von zwei Pflanzenarten (A und B) sich A durch B, nicht aber B durch A befruchten lässt, oder dass A leichter durch B als B durch A befruchtet wird. Da nun sicher A zu B die gleiche innere ‚Verwandtschaft hat wie B zu A, so muss die Anziehung zwischen den Geschlechtsorganen etwas Besonderes sein. Wir können die letztere auch nicht als eine Folge der innern oder chemisch -physikalischen Be- _ schaffenheit betrachten, da es viele andere Arten giebt, wo die Befruchtungsfähigkeit die gleiche ist, ob A oder B die männliche Rolle übernimmt. Mit der Affinität, die sich aus der künstlichen Befrucht- ung ergiebt, muss allerdings besondere Vorsicht angewendet werden, weil der Erfolg derselben noch durch so viele andere Nebenumstände bedingt wird. Desswegen darf aus einigen wenigen Versuchen nie ein Schluss gezogen werden. Wenn einige Blüthen A, durch B befruchtet, und einige Blüthen B, durch A befruchtet, zufällig ein ungleiches Re- sultat geben, darf man desswegen noch nicht auf ungleiche, — wenn sie- zufällig ein gleiches Resultat geben, noch nicht auf gleiche gegenseitige Sexualaffinität schliessen. Die Fol- gerung ist aber nicht zu beanstanden, wenn eine grössere Zahl von Versuchen in mehreren Jahren wiederholt im Ea 196 Resultat übereinstimmt. Ich will hiefür nur zwei Beispiele anführen. Gärtner hat in 5 verschiedenen Jahren 79 Bliithen der Nicotiana paniculata Lin. mit Blüthenstaub von N. Langsdorfii Weinm. befruchtet; 66 davon setzten Früchte an, die alle ziemlich viele Samen reiften. ‚Ebenderselbe hat ferner in 3 verschiedenen Jahren 44 Blüthen der N. Langs- dorfii mit Pollen der N. paniculata bestäubt, ohne den geringsten Erfolg. Kölreuter könnte Mirabilis Jalapa Lin. leicht durch den Pollen von M. longiflora Lin. be- fruchten: aber bei mehr als 200 Bestäubungen von M. longiflora durch M. Jalapa während 8 Jahren erhielt er nie Samen. Daraus geht unbestreitbar hervor, dass von gewissen hermaphroditischen Pflanzenarten die eine zu der andern eine ungleiche Anziehung besitzt, je nachdem sie als Mann oder als Weib sich ihr nähert. Wir müssen daher zwischen zwei Pflanzenformen drei verschiedene Affinitäten anerkennen: die äussere oder systematische, die innere oder chemisch} physikalische?) und die sexuelle. Was die letztere betrifft, so weiss man nichts über die Natur derselben. Möglicher Weise könnte sie durch äussere (mechanische) Ursachen be- dingt werden; wahrscheinlicher hängt sie mit localen, in den Geschlechtsorganen liegenden , chemisch-physikalischen Constitutionen zusammen. Wenn auch die sexuelle Affinität etwas Selbständiges ist, so geht sie im Allgemeinen doch mit der systematischen parallel, oder kommt wenigstens nicht in allzugrossen Wider- 3) Dass äussere und innere Verwandtschaft nicht identisch sind, ergiebt sich, um nichts Weiteres anzuführen, deutlich aus der Thatsache, dass ein Merkmal in zwei Pflanzen äusserlich ganz das gleiche sein kann, obgleich es in der einen noch durchaus variabel ist, in der andern aber durch correspondirende innere Verander- ungen eine grosse Constanz erlangt hat. —— 197 spruch mit derselben. Ich habe bereits gesagt (§. 1), dass Arten von verschiedenen Gattungen mit wenigen Ausnahmen sich nicht bastardiren. -Dasselbe gilt fast immer auch für die Arten, welche zu verschiedenen natiirlichen Sectionen der gleichen Gattung gehören, also für congenerische Arten, die sich systematisch ferner stehen, Zwei Species eines Genus, die sich nicht. zu befruchten vermögen, ‚können durch Vermittelung einer dritten, zu der sie beide Verwandtschaft haben, zusammengebracht werden. A und B bastardiren sich nicht, wohl aber A und C, ebenso B und C. Ist diess der Fall, so findet hybride Verbindung zwischen A und dem Bastard B+C, ebenso zwischen B und dem Bastard A+C statt®). = * Wenn von zwei Arten jede verschiedene Varietäten hat, so ‚besteht zwischen den gleichartigen Varietäten der einen und andern Art eine grössere Affinität, als zwischen den ungleichartigen. Verbascum Blattaria Lin. und V. Ly- chnites Lin. haben gelb- und weissblühende Varietäten. Das weissblühende V. Blattaria verbindet sich leichter mit dem weissblühenden als mit dem gelbbliihenden V. Ly- chnitis und umgekehrt. Die übrigen- Verbascum-Arten mit gelben Blüthen geben ebenfalls mit den gelbblüthigen Pflanzen von V. Blattaria und V. Lychnitis eine grössere - 4) Durch die Formel A--B bezeichne ich immer den Bastard. der elterlichen Formen A und B, wenn es unbestimmt oder gleich- gültig ist, welche derselben Vater und welche Mutter gewesen sei. AB dagegen ist die Pflanze, welche A zum Vater, B zur Mutter hat und BA ist aus der Befruchtung von A durch B hervorgegan- gen. Man bedient sich sehr häufig der umgekehrten Bezeichnungs- weise, indem man den Namen der Mutter voranstellt. Da hierüber keine Einigkeit herrscht, so wähle ich diejenige Namengebung, welche auch in andern "Gebieten gebräuchlich ist, wo man mit wenigen Ausnahmen dem Namen des Mannes die erste Stelle giebt. 198 Menge von hybriden Samen als mit weissblüthigen Pflanzen der gleichen Species. Eine solche Steigerung der sexuellen Affinität zwischen gewissen Varietäten verschiedener Arten kommt auch dann vor, wenn eine grössere Aehnlichkeit in den systematischen Merkmalen nicht bemerkbar ist. Es ist überhaupt eine häufige Thatsache, dass zwei Varietäten der gleichen Art nicht die nämliche Geschlechtsverwandtschaft zu einer andern Art haben. Schon Kölreuter hat diess durch eine Reihe von genauen Versuchen bewiesen. Von fünf Tabaksorten, welche sich durch die vollkommene Fruchtbarkeit ihrer Ba- starde als Varietäten einer Species erwiesen, vereinigte sich div eine bei wiederholten Versuchen mit Nicotiana glu- _tinosa Lin. leichter und gab mehr Samen als die übrigen vier. Gärtner erhielt bei re andern Pflanzen ein gleiches Resultat. Unter den Arten erfolgt die gegenseitige Befruchtung in der Regel am leichtesten bei jenen, welche an der-Grenze . zwischen Species und constanter Varietät stehen, und welche _ von. den einen Autoren als Arten, von den andern als Varietäten oder Racen angesehen werden. So giebt z. B. Lychnis diurna Sibth. eben so viele Samen, wenn sie durch L. vespertina Sibth., als wenn sie durch ihren eigenen Pollen oder durch den ihrer weissen Varietät be- fruchtet wird. Dessgleichen zeigt L. vespertina die näm- liche Fruchtbarkeit, wenn sie durch L. diurna, als wenn ‘sie durch sich selbst bestäubt wird. Beide Pflanzen wurden von Linné in eine Species vereinigt, von den spätern getrennt. | Noch leichter als unter den nächst verwandten Arten geschieht die Bastardirung zwischen den Varietäten der näilichen Art. Diese sind meist so geneigt dazu, dass man sie nicht neben einander pflanzen darf, wenn man sie rein erhalten will. Aus ihrer gegenseitigen Befruchtung gehen En gern ewe P == N ur se + 199 - sehr reichliche Samen hervor. Selbst in Ordnungen, wo ‘sich die Species nicht zu bastardiren vermégen, wie bei den \Cruciferen, Papilionaceen etc. befruchten sich die Va- rietäten leicht (Brassica, Pisum, Phaseolus). Doch giebt es auch Varietäten, die sich nur schwer verbinden. So berichtet Gärtner, er habe 14 Kolben (auf eben so vielen Pflanzen) der gelbfrüchtigen Zea Mays nana mit dem Pollen der rothfrüchtigen Zea Mays major befruchtet; 13 Kolben haben gänzlich fehlgeschlagen, der letzte bloss 5 Samen getragen. Ferner wurden von vier Pflanzen der Zea Mays major mit gelben Früchten zwei durch die rothfrüchtige und zwei durch die aschgraufrüchtige Zea Mays major, endlich von vier Pflanzen der roth- früchtigen Zea Mays major zwei durch die, gelbfrüchtige und zwei durch die aschgraufrüchtige Zea Mays major bestäubt. Jede dieser 8 Pflanzen, weit entfernt eine nor- male Ernte zu geben, reifte bloss eine ziemlich geringe Zahl von Samen. | Der nämliche Beobachter bestäubte Silene inflata Var. alpina mit eigenem Pollen und erhielt die normale Menge Samen. Aber alle Versuche (im Ganzen 36), wo zwei Varietäten der genannten Species mit- einander gekreuzt wurden, gaben eine merklich geringere Menge oder auch gar keine Samen. Er befruchtete nämlich Silene inflata alpina durch S. i. angustifolia, 8. i. latifolia durch S. i. litoralis, S. i. litoralis durch S. i. angustifolia und durch 8. i. latifolia 5). Ebenso haben die Versuche von verschiedenen Beob- achtern gezeigt, dass in der Ordnung der Cucurbitaceen 5) Diese Formen werden gewöhnlich als Varietäten betrachtet; Gärtner führt sie zum Theil als Arten auf: Cucubalus alpinus, Cucubalus Behen angustifolius, Cucubalus Behen lati- folius und Cucubalus litoralis. 200 z . gewisse Varietäten der gleichen Art sich schwer bastardiren, während die Mehrzahl es mit Leichtigkeit thut. Es soll hier die hybride Befruchtung um so schwieriger gelingen, je grösser der Abstand in den systematischen Merkmalen zwischen ihnen ist. = Vergleichen wir die Species und die Varietäten mit Rücksicht auf die sexuelle Affinität, so finden wir. keine Grenze, welche dieselben scheidet. Im Allgemeinen ist die Verwandtschaft allerdings grösser zwischen den Varietäten und geringer zwischen den Species. Allein es giebt Varie- täten (wie diejenigen des Mays, der Silene inflata und der kürbisartigen Gewächse), welche von einer Menge guter Arten in der Neigung zu gegenseitiger Befruchtung über- troffen werden. Wenn wir die Gewächse nach der Stärke der sexuellen Verwandtschaft in eine Reihe ordnen wollten, so kämen zuerst Varietäten, zuletzt Species, in der Mitte aber würden auf einer beträchtlichen Strecke der Reihe Varietäten und Species durch einander stehen und mit ein- ander abwechseln. 3. Die Fruchtbarkeit der Bastarde ist um so geringer, diemännlichen und weiblichen Geschlechts- organe sind um so mehr geschwächt und zur Be- gattung untauglich, die Zahl ihrer keimfähigen Samen um so kleiner, je weiter die erzeugenden Formen (Stammeltern) in der sexuellen Verwandt- schaft sich von’ einander entfernen. Die Species- bastarde sind also im Allgemeinen weniger frucht- bar als die Varietätenbastarde. Betrachten wir zuerst die Erscheinungen, welche die relative oder absolute Unfruchtbarkeit der Bastarde be- gleiten, so finden wir für die männlichen Organe Folgendes. Bei gänzlicher Impotenz verkümmern die Staubbeutel ent- weder vollständig, oder was häufiger der Fall ist, sie bilden bloss unausgebildete und. unregelmässig gestaltete , Pollen- Te Nir a 201 körner, welche nicht in Pollenschläuche auswachsen. Bei der partiellen Impotenz wird neben diesen unausgebildeten Körnern eine geringere oder grössere Zahl von vollkom- menen, zu Schläuchen auswachsenden Pollenzellen erzeugt. Diese letztern verhalten sich aber nicht ganz wie die Pollen- körner der Stammeltern; sie entwickeln nämlich ihre Schläuche in der nämlichen verdünnten Zuckerlösung oder in der nämlichen Nectariumflüssigkeit und ebenso auf den Narben langsamer. i Die gänzliche Unfruchtbarkeit der weiblichen Organe zeigt verschiedene Stufen; es sind die nämlichen, welche man bei der gegenseitigen Bestäubung solcher reinen Arten beobachtet, die eine geringe sexuelle Verwandtschaft zu ein- ander haben (vgl. §. 2). Entweder welkt der Stempel, ob- gleich bestäubt, doch gerade so, als ob eine Berührung mit Blüthenstaub nicht statt gefunden hätte. Oder der Frucht- knoten vergrössert sich weniger und mehr, selbst zu einer normalen reifen Frucht; die Ovula in demselben verkümmern gänzlich, oder sie entwickeln sich ebenfalls weniger und mehr, selbst zu anscheinend normalen Samen, die aber einen nicht keihungsfähigen Embryo enthalten. — Die partielle Un- fruchtbarkeit giebt sich darin kund, dass eine geringere Menge von keimungsfähigen Samen gebilt wird, dass die- selben langsamer keimen ¢ ‚als die Samen der reinen Arten und zu schwächlichen Pflanzen werden. Die Speciesbastarde verhalten. sich rücksichtlich ihrer Fruchtbarkeit äusserst verschieden und bieten Beispiele für alle erwähnten Abstufungen dar. Es giebt solche, welche (bei Selbstbestäubung) beinahe eben so viele keimfähige Samen erzeugen als die Stammarten selbst. Bei den Ver- suchen Gärtner’s reifte der Bastard von Lobelia cardi- nalis Lin. und L. fulgens Willd. in einer Kapsel gegen 900 Samen, die Eltern dagegen 1100—1200; der Bastard von Lychnis diurna Sibth. und L.. vespertina Sibth. 202 gab 90—125, seine Eltern aber 150—190 Samen; der Ba- stard von Dianthus barbatus Lin. und D. japonicus Thunb. 45, hingegen Dianthus barbatus 96; der Bastard von Datura Stramonium Lin. und D. Tatula Lin. 220—280, seine Eltern aber 600—800 Samen 6), Es giebt andere Bastarde, die nur 4, Ye, Yıo, 120 so viel Samen hervorbringen als die Stammarten; solche die unter vielen tauben immer nur einzelne gute Samen, und solche, die bloss in einzelnen Individuen einige wenige Samen erzeugen, in den übrigen nicht. In diesen Beispielen wurde Selbstbestäubung des Ba- stards vorausgesetzt; es sind also beide Geschlechtsorgane zeugungsfäbig. Es giebt jedoch auch manche Bastarde, die bloss ein conceptionsfähiges weibliches Organ besitzen, während der Pollen taub ist. Bei einigen ist der Blüthen- staub befruchtungsfähig, :aber der Stempel ist unfruchtbar. Die letzten beiden sind also unfähig durch Selbstbefruchtung Samen hervorzubringen; wohl aber können die erstern von den Stammeltern befruchtet werden, die zweiten können dieselben befruchten. — Endlich giebt es Bastarde mit ab- soluter Zeugungsunfähigkeit; die männlichen Organe der- selben sind gänzlich impotent, die weiblichen gänzlich untaug- lich zur Conception. es Diese relative oder absolute Unfruchtbarkeit der Art- bastarde wird immer durch eine entsprechende Schwächung der geschlechtlichen Sphäre bedingt. Diese Schwächung zeigt ‚sich auch deutlich darin. dass alle Artbastarde durch Selbst- befruchtung weniger Samen geben, als wenn sie von einer der beiden Stammarten pestiubt werden. Es giebt selbst solche, welche sich nicht selbst zu befruchten vermögen; 6) Datura Stramonium und D. Tatula wurden von Linné und vielen Autoren als zwei besondere Arten, von einigen Autoren jedoch als Varietäten einer Art betrachtet. 203 aber sie befruchten die Eltern und werden von ihnen be- fruchtet. Im letzten Falle sind die geschwächten Geschlechts- organe nicht ganz unfähig zur Zucht; aber jedes derselben vermag nicht: mit einem Organe gleicher Schwäche, wohl aber mit einem stärkern Organe einen lebensfähigen Keim hervorzubringen. Im Allgemeinen kann als Regel gelten, dass die männ- lichen Organe der Speciesbastarde stärker affizirt, d. h. in höherem Grade geschwächt sind, als die weiblichen; daher es auch mehr männlich impotente, als weiblich conceptions-: unfähige Bastarde giebt. Doch ist diese Regel nicht ohne Ausnahme. Schon Kölreuter giebt an, dass die Befrucht- ung von Dianthus chinensis durch Dianthus barbato- chinensis mehr Samen gegeben habe als die Befruchtungen des Bastards (D. barbato-chinensis) durch eine der beiden Stammarten (D. barbatus oder D. chinensis), und zieht daraus den Schluss, dass die Fruchtbarkeit des Bastards von männlicher Seite weniger eingeschränkt sei als von weiblicher”). Die Artbastarde zeichnen sich, wie ich später anführen . werde ($. 8), meistens durch einen grossen Reichthum an Blüthen aus. Von denselben bildet, selbst bei den frucht- barsten, nur ein kleiner Theil Samen; die grosse Mehrzahl bleibt immer taub. In dieser Beziehung giebt es, nach Gärtner, besondere Regeln für die verschiedenen Arten: Bald sind es die ersten Blüthen, bald die mittlern, bald die letzten der ganzen Blüthezeit, welche Samen ansetzen. Die Erscheinung, dass viele Blüthen unfruchtbar bleiben, kommt übrigens bekanntlich auch bei den reichblühenden Formen der reinen Arten vor. 7) Kölreuter (II. Fortsetzung 101) nennt Dianthus car- thusianorum, sagt aber früher, es sei darunter D. barbatus Lin. gemeint. 4 204 Wenn die Artbastarde durch Selbstbestäubung, Samen zu bilden vermögen, so vermindert sich bei fortgesetzter Selbstbestäubung meistens ihre Fruchtbarkeit von Generation zu ‘Generation. Sie ‘werden früher oder später gänzlich steril, die einen schon’ in der 2. und 3., die fruchtbarsten in der 9. bis 10. Generation. Doch giebt es auch Species- bastarde, deren Fruchtbarkeit in der ersten Generation ver- mindert ist, in der zweiten und den folgenden Generationen aber wieder zunimmt, wie diess z. B. bei dem Bastarde von Dianthus barbatus Lin. und D. chinensis Lin. beob- achtet wurde. Die Sexualorgane gewisser Artbastarde können also im Verfolg der Generationen wieder stärker werden, = woraus wohl geschlossen werden darf, dass sie eine eben so vollkommene Beschaffenheit zu erreichen im Stande sind, wie sie sie bei den Stammeltern haben. — Diess wird auch ausdrücklich von Herbert angegeben, welcher in mehreren Fällen die Artbastarde ebenso fruchtbar fand als ihre Stammarten, ünd zwar auch bei einigen Pflanzen, wo Gärtner wahrscheinlich wegen weniger günstiger Kultur eine ver- minderte Fruchtbarkeit beobachtete. Die Varietätenbastarde zeichnen sich vor den Artbastar- den im Allgemeinen durch eine grössere Fruchtbarkeit aus. Dieselbe kann in der ersten Generation geschwächt sein und in ‘den folgenden zunehmen, wie ich es eben für einige Speciesbastarde angegeben habe. Diess ist der Fall bei den Abkömmlingen von Varietäten, die weiter von einander ent- fernt sind und eine grössere Constanz erlangt haben. Die Varietätenbastarde können aber auch schon in der ersten Generation an Fruchtbarkeit die Eltern übertreffen. Aus den angeführten Thatsachen geht zur grössten Evidenz hervor, dass es in der Fruchtbarkeit der hybriden Formen eine allmähliche Abstufung giebt, und dass sich in dieser Beziehung zwischen Varietätenbastarden und Species- bastarden keine scharfe Grenze ziehen lässt. Man hat zwar 205 an verschiedenen Stellen diese Grenze festzustellen versucht, jedoch ohne günstigen Erfolg. Es war und ist zum Theil jetzt noch eine beliebte An- nahme, dass die Artbastarde keine Samen hervorbringen können. Man beruft sich dabei gewöhnlich auf Kölreuter; allein weder dieser Beobachter noch irgend ein anderer, der sich mit Bastardirungsversuchen abgegeben, hat eine so un- haltbare Ansicht ausgesprochen. Kölreuter sagt bloss, dass die Varietätenbastarde vollkommene Fruchtbarkeit besitzen, die Artbastarde dagegen entweder ganz unfruchtbar, oder doch weniger fruchtbar als die Stammeltern seien. Was die letztere Unterscheidung betrifft, so haben die spätern Ver- suche, in welchen die-Samen abgezählt wurden, dargethan, dass es einen allmählichen Uebergang von den Varietäten- bastarden zu den Artbastarden giebt. Wenn das Vermögen, Samien hervorzubringen, den Speciesbastarden mangelte oder ‚Ihnen nur in beschränktem Maasse zukäme, so müsste man z. B. Dianthus superbus Lin. und D. barbatus Lin., D. barbatus Lin. und D. chinensis Lin., D. arenarius Lin. und D. chinensis Lin., D. Armeria Lin. und D. del- toides Lin, Geum urbanum Lin. und G. rivale Lin. je in eine Art vereinigen; denn die hybriden Verbindungen ` derselben zeichnen sich durch grosse Fruchtbarkeit aus. Eine solche Reform der Pflanzenspezies dürfte wohl keinem Botaniker einfallen, um so weniger, als die Grenze zwischen Varietät und Art ebenso schwankend und unbestimmt bliebe als sie es jetzt ist. Wollte man gar, um eine besser deffinirte Grenze zu erhalten, alle Hybriden, welche durch Selbstbe- stäubung keimfähige Samen erzeugen, als Varietätenabkömm- linge erklären, so müsste man ganze Gattungen und Gat- tungssektionen zu Arten degradiren. ‚Eine andere Theorie beschränkt die ech DES auf die Unfruchtbarkeit der männlichen Organe, Dieselbe “16 206 wurde zuerst von Knight ausgesprochen, aber schon von seinem Landsmanne Herbert bestritten und widerlegt. Knight selbst musste schliesslich zugestehen , dass ein Ba- stard des Pfirsich- und Mandelbaums, der während 3 Jahren nur unvollständige Blüthen trieb, -im vierten Jahr vollkom- mene Blüthen und reichlichen Blüthenstaub hervorgebracht habe. Er fügte bei, dass er keine Ursache hätte, an der Fruchtbarkeit dieses Blüthenstaubs zu zweifeln. In neuerer Zeit hat Klotzsch (Bericht über d. Verhandl. d. k. preuss. Ak. d. Wiss. 1854 p. 535) mit grossem Eifer die Theorie von Knight verfochten, dabei die Unvorsichtigkeit von des- sen eben erwähntem Geständniss getadelt und den Grund, warum er in England keine Zustimmung gefunden, in dem Umstand gesucht, dass sein Gegner Herbert, der die Fruchtbarkeit der Bastarde behauptete, ein Geistlicher war. Dagegen hielt Klotzsch. es nicht der Mühe werth, der Hunderte von Beispielen zu erwähnen, in welchen schon Kölreuter sowie Spätere namentlich Gärtner von den Speciesbastarden Blüthenstaub erhielten, den sie zur Be- fruchtung benutzen konnten, noch auch die daraus sich er- gebende Consequenz zu erörtern, dass man die Arten ganzer Gattungen und selbst verschiedener jetziger Gattungen spe- zifisch vereinigen müsste. Eine mehr beachtenswerthe Theorie ist von Gärtner aufgestellt worden. Die Artbastarde sollen nach ihm darin sich auszeichnen, dass sie fruchtbar, bei der Selbstb schliessliche Gültigkeit bei- messen, da Gärtner selbst sagt: „Wir haben aber auch bemerkt, dass bei einigen fruchtbaren Bastarden die Frucht- barkeit durch die künstliche Befruchtung mit dem 207 eigenen Pollen®) in der zweiten, dritten und den weiteren Generationen wieder zugenommen hat, z. B. bei dem Dianthus chinensi-barbatus, indem die organische Be- schaffenheit und die Potenz der männlichen Organe durch diese wiederholten Zeugungen nach und nach wieder ver- vollkommnet wird.“ Dieses Zeugniss scheint mir um so wichtiger, als Gärtner die Verschiedenheit von Art und Varietät durch die angeführte Theorie zu retten versuchte. Ich bemerke noch, dass die Bastarde nur unter Umständen, welche sehr ungünstig auf ihre Fruchtbarkeit wirken muss- ten, gezogen wurden. Um sie vor der Bestäubung durch andere Pflanzen zu bewahren, wurden sie meist in Töpfe ge- pflanzt und im Zimmer gehalten. Wenn man Stöcke von reinen Arten so behandeln und durch 9—10 Generationen immer nur mit sich selbst befruchten wollte, so ist 100 gegen 1 zu wetten, dass viele derselben ebenfalls an Fruchtbarkeit ab- nehmen und zuletzt aussterben würden (vgl. $.4). Wenn trotz dieser ungünstigen Verhältnisse bei einzelnen Artbastar- den die Fruchtbarkeit durch mehrere Generationen sich vermehrte, so müssen wir annehmen, dass sie an Frucht- barkeit den reinen Arten nicht nachstehen und dass sie zu- einer Dauer und Constanz gelangen können, die. derjenigen der Arten gleichkommt. 4. Die Regel, dass die sexuelle Affinität um so grösser sei, dass also die hybride Befruchtung um so leichter erfolge und um so zahlreichere Samen gebe, dass ferner die aus ihr entsprungenen Bastarde. bei der Selbstbestäubung um so fruchtbarer seien, je näher die Stammformen äÄusserlich und innerlich verwandt sind, gilt nur bis zu einer gewissen Grenze, - 8) Diese gesprengt gedruckten Worte sind in derselben Weise von Gärtner selbst hervorgehoben. 16* 208 innerhalb deren die Frucht ziehungen abnimmt. dividuums scheint in aus den Samen Pflan keitund Vegetationsk barkeit in beiden Be Die Selbstbestäubung des In- der Regel weniger Samen und zen mit geringerer Fruchtbar- raftzugeben, alsdieBestäubung durch ein anderes Individuum. Ebenso ist die Be- ` gattung innerhalb der nämlichen Varietät für das Wachsthum und die Samenbildung meist weniger günstig als die Kreuzung mit einer nahe verwand- ten Varietät, Es: ist schwerer, zu beweisen, Niemand darü man daher bl tungen etwas diesen Grundsatz durch ee als die in §. 2 und 3 ausgesprochenen, PE ber direkte Versuche angestellt hat, und wel oss durch einzelne zufällig gemachte Beobach- darüber weiss, Niemand h Successiven Generationen die Selbstbe duums veranlasst. Man kennt aber den at während mehreren stäubung des Indivi- nachtheiligen Einfluss von fortgesetzten allzunahen Heirathen beim Menschen; und dass diese Analogie auch für das Gewächsreich gelte und dass hier Aehnliches Stattfinde, dafür sprechen einige merk- würdige Thatsachen. | Bei Parietaria können sich die hermaphroditischen Blumen, wie Schkuhr u nd Treviranus gezeigt haben, nicht selbst bestäuben; sie müssen durch den Pollen von anderen Blumen befruchtet werden. Es verhält sich mit ihnen, wie mit den hermaphroditischen e Schnecken, die sich nicht selbst befruchten. Es sind einige Pflanzen bek annt, bei denen der eigene Pollen nicht zu befruchten vermag, obgleich er vollkommen rtner beobachtete, Lobelia t befruchten, wiewohl beide higem Zustande sich befanden ; ld. sich nicht selbs Sexualorgane in zeugungsfä 209: denn ihr Pollen befruchtete die Ovula von L. syphilitica Lin. sowie von L. cardinalis Lin., und ihre Ovula wurden von dem Blüthenstaub dieser beiden Arten befruchtet: — Nach demselben Beobachter befruchtete ein Exemplar von Verbascum nigrum Lin. nicht sich selbst; es wurde. aber von V. austriacum Schott ziemlich vollständig befruchtet, und sein Pollen befruchtete die Ovarien von V. Thapsus Lin. An andern Arten von Verbascum wurde die nämliche Erfahrung gemacht. So beobachtete schon Kölreuter, dass vier Stöcke von Verbascum phoeniceum Lin. in einer grossen Menge von Blüthen, die mit eigenem Pollen künstlich bestäubt wurden, nicht einen einzigen Samen an- setzten, während die nämlichen Pflanzen sich durch Verbas- cum Lychnitis Lin, V. phlomoides Lin., V. nigrum Lin. und V. Blattaria Lin. leicht befruchten liessen. Gärtner bestäubte ferner 68 Blüthen von Tropaeolum majus Lin. mit eigenem Pollen; nur 2 derselben bildeten spärliche Samen. Von 16 Blüthen derselben Pflanze, die mit Pollen von T. minus Lin. bestäubt wurden, gaben 5, und von 10 Blüthen des T. minus, die mit Pollen von T. majus bestäubt wurden, gaben 8 spärliche Samen. | Nach den Beobachtungen von Herbert wurde Ama- ryllis carinata Spr. nicht durch den eigenen Blüthenstaub, wohl aber durch denjenigen von A. tubispatha Herit. be- fruchtet. Aehnliches berichtet er von anderen Amaryllis- Arten und von Arten der Gattung Crinum. — Verschiedene Beobachter bezeugen, dass mehrere Arten von Passiflora, wenn man sie sich selbst überlässt oder durch den eigenen Pollen künstlich bestäubt, keine oder spärliche Samen bilden. Mit dem Pollen verwandter Arten bestäubt, setzen sie reich- lichere Früchte an, und ihr eigener Pollen vermag ebenfalls andere verwandte Arten zu befruchten. Diese Beispiele zeigen deutlich, dass auch bei den Pflan- zen die Abneigung gegen die Selbstbefruchtung oder gegen 210 die Befruchtung durch ein Individuum der gleichen Form sehr gross sein kann. Denn sie ist grösser als die Abneigung gegen die Vermischung mit einer nahestehenden Species. Dass überhaupt eine allzustrenge Inzucht eine weniger frucht- bare und schwächlichere Nachkommenschaft zur Folge hat, ist die allgemeine Ansicht der Pflanzen- und Thierzüchter. Desswegen wird zur Kräftigung einer Race hin und wieder fremdes Blut in dieselbe eingeführt. Die Kreuzung von zgo nahestehenden Varietäten derselben Art giebt meist _ grossere Menge von Samen als die Befruchtung der einen . oder andern Varietät durch sich selbst: dessgleichen sind die aus solchen Kreuzungen hervorgegangenen Bastarde frucht- barer als die Individuen der reinen Varietäten. Die strenge Inzucht, wozu die in den botanischen Gär- ten gezogenen Pflanzen häufig verurtheilt sind, dürfte eine der Ursachen sein, warum manche Arten aus dem Betriebe rschwunden sind. Es ist sehr frag- ob Victoria regia sich auf die Dauer in unseren ien wird halten können, wenn nicht von Zeit zu Zeit Samen aus dem Vaterlande geholt werden. Lecocq giebt an, dass die Kreuzung verschiedener In- dividuen der nämlichen Varietät von Mirabilis kräftigere Pflanzen gebe, als die Selbstbefruchtung. 5. Wenn gleichzeiti üth derselben mit der Zeit ve lich, Aquari 211 von geringerer Affinität langsamer erfolgt, so kann Pollen von stärkerer Affinität, der etwas später zutritt, neben jenem wirksam werden, und das Vor- handensein von zweierlei Samen in einer Frucht veranlassen. Es ist selbstverständlich, dass ein Ovulum nur von einem einzigen Pollenschlauch befruchtet wird, und dass die früher von Einigen gehegte Ansicht, es. könne der Keim im Samen das Produkt von mehreren Pollenkörnern sein, ins Reich der Fabeln gehört. _ Alle künstlichen Boianu haben dargethan, dass wenn man die Narben einer Blüthe gleichzeitig mit eigenem Pollen und mit demjenigen anderer Arten bestäubt, nur Pflanzen der eigenen Art gebildet werden. Und zwar macht die kleinste Quantität des eigenen Blüthenstaubs die grösste Menge von fremdem unwirksam. Eine Ausnahme. findet nur dann statt, wenn eine Pflanze eine grosse Abneigung gegen die Selbstbefruchtung hat (§. 4). Ebenso entsteht, wenn eine Blüthe mit Pollen von verschiedenen Arten bestäubt und der eigene ausgeschlossen wird, nur eine Bastardart. Kommen verschiedene Arten von Blüthenstaub ungleich- zeitig auf eine Narbe, so ist der spätere immer unwirksam, insoferne er nicht einer grösseren Affinität entspricht. - Ist der nachträglich zutretende Pollen näher verwandt, so kann er nur wirken. insoferne die Befruchtung durch den entfernter- verwandten nicht schon eingetreten ist, wofür bei einzelnen Pflanzen nur eine sehr kurze Frist erfordert wird. Bastard- befruchtung kann bei Nicotiana schon nach 2 Stunden, bei Malva und Hibiscus nach 3, bei Dianthus nach 5—6 Stunden nicht mehr durch den eigenen Pollen ver- hindert werden. Wir müssen uns diess folgendermassen erklären. Wäh- rend die Pollenkörner auf der Narbe -in Schläuche auswachsen und diese Schläuche durch den Griffelkanal in die Frucht- EEE u EU eee eree e ner a TEE = 212 knotenhöhlung und zu den Eichen wandern, gehen ‚Verände- rungen in den letztern vor sich. Ihre Keimbläschen sind bei der Ankunft der Pollenschläuche auf die Befruchtung vorbereitet. Tritt letztere nicht ein, so geht die Conceptions- fähigkeit in Folge der eingetretenen Veränderung dennoch verloren. Kommen nun wenig Pollenkörner von grösserer und ‚viele von geringerer Affinität gleichzeitig auf die Narbe, so legen die Pollenschläuche jener den Weg in kürzerer Zeit zurück, und befruchten die entsprechende Zahl Ovula; die übrigen, welche ebenfalls vorbereitet waren, sind dann bei der späteren Ankunft der Pollenschläuche von geringerer Affinität nicht mehr conceptionsfähig. Daher wirkt von meh- reren gleichzeitig bestäubenden Pollenarten immer nur die, welche der grössten Verwandtschaft entspricht, auch wenn sie in einer für die Zahl der Ovula ungenügenden Zahl vor- handen ist. Daraus folgt auch, dass nur Pollen, w der gehörigen Entwicklung der weibli Narbe kommt, elcher zur Zeit chen Organe auf die befruchtend wirken kann, und dass äller später zutretende Bliitheistaub unwirksam bleibt. Es giebt nur einen Fall, wo diese Regel eine Ausnahme erfährt. Wenn Pollen von geringer Affinität allein auf die Narbe gelangt, so dringen dessen Schläuche langsam durch den Griffelkanal . hinunter. Kommt dann ein wenig später Pollen von grös- serer Verwandtschaft (z. B. der eigenen Art) auf. die Narbe, so können seine schneller wachsenden Schläuche gleichzeitig mit den vorigen das Ziel erreichen, und es kann ein Theil der Ovula von dem ersten, ein anderer Theil yon dem zwei- ten Pollen befruchtet werden. Es hängt also von sehr bestimmten Verhältnissen der Bestäubungszeiten ab, ob aus einer Blüthe sich nur eine oder Zwei Arten von Samen (d. h. Samen von gleicher oder verschiedener männlicher Abstammung) bilden, = Et ee so EEG ee yor ana a.” ryg E O e er eee ae 213 6. Die eigenthümliche Wirkung des männlichen Stoffes trifft ausschliesslich das von demselben be- fruchtete Keimbläschen, und giebt sich daher bloss an dem (im Samen enthaltenen) Embryo und an der daraus erwachsenden Pflanze kund. Die nach der Befruchtung erfolgende Veränderung der Blüthen- theile, die Frucht- und Samenbildung ist die näm- liche, ob das bestäubende Individuum so oder anders beschaffen ist. Letzteres vermag überhaupt nichts an den systematischen Merkmalen des be- stäubten Individuums zu ändern. Die erfolgte hy- bride Befruchtung kann also nicht schon an der Mutter, sondern erst am Kinde wahrgenommen werden. Dieser Grundsatz ist durch die künstlichsten Bestäu- bungen ausnahmslos erwiesen. Alle Veränderungen in der Blüthe, welche auf die Conception folgen, das Welken der Blumenkrone, die Vergrösserung des Kelches, die Ausbildung des Ovariums zur Frucht und der Ovula zu den Samen treten in ganz gleicher Weise ein, die Früchte und Samen sind äusserlich und innerlich ganz gleich beschaffen, ob die Befruchtung durch den Blüthenstaub der eigenen oder einer fremden Art und Varietät erfolgte. Bloss der Keimling, aus dem in der Folge die neue Pflanze sich entwickelt, hat je. nach der Natur des Vaters andere Anlagen erhalten. Gegenüber diesen bestimmten Thatsachen. müssen sowohl die älteren gegentheiligen Annahmen als auch ähnliche noch immer bestehende Vermuthungen und unbestimmte Angaben von Gärtnern, Landwirthen und z. Th. auch von Botanikern zurückgewiesen werden. Durch die hybride Befruchtung wird nicht die weibliche Pflanze, sondern nur der Bastard, nicht die Mutter, sondern nur das Kind affızirt. Wir lesen nicht ohne einige Heiterkeit von einem Apfel, der auf der einen Seite süss, auf der andern sauer und nach dem Kochen zur 214 Hälfte weich und zur Hälfte hart gewesen sein soll, und dessen Ursprung von einer hybridbefruchteten Blüthe abge- leitet wurde. Hat der Apfel wirklich sein Ursprung ein ganz anderer. Die Angaben, dass nebeneinander stehende Obstbäume, Getreidearten und andere Kulturgewächse durch gegenseitige Bestäubung sich etwas von ihren Eigenschaften mittheilten, dass die in den botänischen Gärten nebeneinander gepflanz- ten Perennien gegenseitig einen verändernden Einfluss aus- übten und dass dadurch Modifikationen der Kulturexemplare abzuleiten wären, verdienen keine bessere Beurtheilung als jener Apfel, wenn, sie auch unsern Glauben etwas harmloser in Anspruch zu nehmen scheinen. 7. Der aus der Vermischung von zwei verschie- | denen elterlichen Formen entsprungene Bastard existirt, so war gewiss steht in seinen systematischen Merkmalen zwischen’ denselben. Meistens hält er ziemlich die Mitte; sel- tener hat er von einer derselben einen überwiegen- den Antheil empfangen, so dass er ihr ähnlicher sieht als der andern elterlichen Form. Letzteres tritt bei den Varietätenbastarden auffallender her- vor als bei den Artbastarden. Abgesehen hievon giebt sich der Einfluss ‘hybriden Zeugung auf doppelte Art kund; entweder stellt jedes Merkmal eine mittlere Bildung dar, oder ein Theil der Merkmale nähert sich der einen, ein anderer der andern Stammform. Im letztern Falle findet die Scheidung oft in der Weise statt, dass die vegetativen Organe (Stengel und Blätter) mehr der einen, die reproduktiven (Blüthen und Früchte) mehr der andern elterlichen Form entsprechen. Im Allgemeinen gehen die Merkmale um so eher un- verändert auf den Bastard über, je unwesentlicher sie sind; sie stellen dagegen in Folge von gegensei- der nr ne ng nen a nn = ee “esi ch p E eee - san 215 tiger Durchdringung um so eher Mittelbildungen dar, je wichtiger und constanter sie sind. Daher finden wir die elterlichen Charaktere in den Art- _bastarden eher fusionirt, inden Varietätenbastarden mehr unvermittelt neben einander. -Ob die eine oder andere Stammform bei der Zeugung als Vater witwirkte, drückt sich in den Merkmalen des Bastards entweder gar nicht oder nur in sehr unbedeutendem Maasse aus. Dagegen bewirkt die Auswechslung von Vater und Mutter eine Modification der innern Eigenschaften des Bastards, welche in der ungleichen Fruchtbarkeit desselben und in der ungleichen Tendenz zum Va- riiren bei seinen Nachkommen offenbar wird. Die Achnlichkeit des Bastards mit den beiden erzeugen- den Pflanzenformen ist von verschiedenen Forschern in der - abweichendsten. Form aufgefasst worden. Diess wird aus zwei Gründen sehr begreiflich. Einmal haben nicht alle Merkmale der Pflanze einen gleichen Werth; der eine Be- obachter legt mehr Gewicht auf dieses, der andere auf jenes Merkmal, je nach dem theoretischen Standpunkt, den er bei der Beurtheilung einnimmt. Ferner gestattet die sinnliche Wahrnehmung selbst einen ziemlich weiten Spielraum für abweichende individuelle Ansichten. Dem einen Beobachter fällt mehr dieses Merkmal auf, während jenes zurücktritt; bei dem andern ist das Entgegengesetzte der Fall. Selbst für das nämliche Merkmal kann die Schätzung bei Verglei- chung mit den Stammformen durch verschiedene Individuen ungleich ausfallen. — Diese subjectiven Abweichungen be- treffend die theoretische Beurtheilung und die sinnliche Wahrnehmung sind immer in Anschlag zu bringen, went wir die Angaben der Experimentatoren kritisch prüfen. Vor allem aus muss die von den früheren Forschern festgehaltene Ansicht, dass zwei befruchtende Arten zugleich 216 ihre Eigenschaften auf die neue Pflanze übertragen können, aufgegeben werden (vgl. §.5). Der Bastard kann nicht, wie Sageret meinte, zwei Väter haben. Es ist daher. nicht möglich, dass, wie Kölreuter glaubte, je nach der ver- schiedenen Mischung des fremden mit dem eigenen Pollen auch verschiedene Grade der „Tinktur“, wie er es nannte, erfolgen, d. h. dass die ausschliessliche Einwirkung des fremden Pollens den reinen Bastard, abgestufte Beimengungen von eigenem Pollen dagegen : ebenso viele -Mittelstadien zwischen demselben und der Mutter hervorbringen. Ebenso wenig ist es möglich, dass nach der Annahme Wiegmann’s und: Herbert’s bei Ausschluss des eigenen Pollens der fremde je nach seiner Menge mehr oder weniger vollkommen einwirke, : wobei: nur die vollkommenste Einwirkung den _ reinen Bastard, minder- vollkommene Einwirkungen aber - Mittelglieder zwischen demselben und der Mutter erzeugten. Die grössere ‚oder geringere Menge des Bliithenstaubs, die Reinheit desselben oder: seine Vermischung mit anderem Blüthenstaub kann keinen Einfluss auf die Beschaffenheit des Embryo’s haben, weil dieser immer das Produkt des Keim- bläschens und eines einzigen, aber auch eines vollständigen Pollenkorns ist. Í Die zwei Fragen, auf die es rücksichtlich der Vererbung der Merkmale bei der Bastardbildung ankommt, sind 1) wie verhalten sich die väterliche und die mütterliche Pflanze und 2) wie verhalten sich die beiden sich bastardirenden Arten zu einander? : Rücksichtlich des männlichen und weiblichen Einflusses bei der Befruchtung. glaubte man früher, dass nothwendig irgend ein gegensätzliches Moment Platz greifen müsse. Da- her die Theorie von Linné, dass die äussern Merkmale wie die Blätter, die Rindengebilde u. s. w. vom Vater, die in- nern Eigenschaften oder diè Fructification von der Mutter herstammen; die Theorie der spätern Systematiker, dass 217 die Reproductionsorgane wie Blüthenstand, Blithe, Frucht dem Vater, die vegetativen Organe dagegen wie Wurzel, Stengel und Blätter der Mutter ähnlich seien; die Ansicht von Schiede und Andern, dass der: Bastard mehr yom Vater, die Ansicht von Bernhardi und Ander, dass er mehr von der Mutter geerbt habe. Von besonderer Wichtigkeit und auch allein entschei- dend sind in dieser Beziehung die wechselseitigen Bastardi- rungen oder die sogenannten „Kreuzungen“ °) wie sie Köl- reuter und Gärtner in grösserer Zahl ausgeführt haben. Von zwei Arten A und B wurden einmal A durch B, und ferner B durch A befruchtet, so dass man also zwei Bastarde von der Form B A und A B erhielt. Diese beiden Formen wären in den meisten Versuchen von Kölreuter und von Gärtner einander so gleich, dass eine Verschiedenheit nach der Abstammung nicht zu erkennen war. Bei andern Pflan- zen jedoch zeigte sich eine geringe Abweichung, seltener in der Form und Substanz der Blätter, häufiger in der Gestalt und Farbe der Blüthen, wodurch B A sich bestimmt von ' AB unterscheiden liess. Ein allgemeines Prinzip spricht sich aber dabei nicht aus, und es lässt sich der specifische Eim- Auss des Vaters und der Mutter nicht bestimmen. +°) 9) Gärtner braucht das Wort Kreuzung ausschliesslich in der oben bezeichneten Bedeutung. Der allgemeine Sprachgebrauch dagegen hält es mit Bastardirung synonym: Um Missverständnisse zu vermeiden, bediene ich mich des Ausdrucks wechselseitige Bastardirung, wo es sich um die Erzeugung von zwei Bastarden von der Form A B und BA handelt. . 10) Wiederholt hat Regel, der so manche schöne Bastardirung ausgeführt hat, die Theorie ausgesprochen,. dass die Bastarde, in denen Arten verschiedener Gattungen sich vereinigt haben, den Gat- tungstypus der Pflanze annehmen, die den Pollen lieferte. Er stützt sich dabei auf die Versuche, welche er mit Gessneriaceen-Gattun- gen, ferner mit Aegilops und Triticum angestellt : hat.: Ich e. ee oe eee x Sor er EEE a en EEE er — IT, A 218 Damit möchte ich nicht behaupten, dass ein solcher verschiedener Einfluss nicht wirklich bestehe, Die Thier- bastarde (Maulthier und Maulesel) weisen ebenfalls darauf hin, und es wurde früher schon hervorgehoben, wie ungleich die sexuelle Affinität sein kann, wenn A oder wenn B als männliche Pflanze functionirt ($.2). Daher ist es a priori wahrscheinlich, dass innerhalb gewisser Grenzen der Vater immer einen Sala Einfluss auf die innere (chemisch-physi- kalische) Constitution des Keimlings hat, als die Mutter. Aber derselbe drückt sich nicht daek in den äusseren - Merkmalen aus, oder wir sind wenigstens noch nicht im Stand, ihn hier zu erkennen. Dass er wirklich vorhanden sei, wird durch die ungleiche Fruchtbarkeit der wechsel- seitigen Bastarde und durch das Verhalten ihrer ferneren Generationen bewiesen, welche eine ungleiche Neigung zum Variiren haben. vermisse aber das einzige Criterium, welches zu dieser An- nahme berechtigte, nämlich die wechselseitige Bastardirung der beiden Gattungen. Angenommen, es hätte wirklich der Bastard, wel- cher aus der Befruchtung von Aegilops durch Pollen von Triticum erhalten wird, die Gattungsmerkmale von Triticum, so wäre noch zu entscheiden, ob er diess der Einwirkung des Vaters oder dem typischen Einfluss von Triticum verdanke. Der einzige Versuch, der darüber Aufschluss gäbe, wäre die Befruchtung von Triticum durch Aegilops. Wenn die Theorie von Regel wirklich Grund hätte, so müsste die letztere Verbindung den Gattungstypus von A'e gilops zeigen, und überhaupt von dem erstgenannten wesentlich verschieden sein. Wir müssen hieran zweifeln, bis der faktische Beweis vorliegt. Alle Versuche von Kölreuter, Gärtner und Wichura sprechen dagegen. Der erstere spricht wiederholt aus, dass die Bastarde A B und B A sich so ähnlich sehen „wie ein Ei dem andern“. Gärtner sagt ebenfalls, dass die geübtesten Kenner sie nicht zu unterscheiden vermöchten, und führt als ein „sehr charakteristisches Beispiel“ den Bastard von zwei Gattungen an, nämlich von Silene viscosa Pers. une Lychnis diurna Sibth, 219 Die ungleiche Fruchtbarkeit der wechselseitigen Bastarde ABund BA steht im Zusammenhang mit der verschiedenen sexuellen Affinität, welche die männlichen Organe A zu den weiblichen B und die weiblichen Organe B zu den männ- lichen A haben. In den Versuchen Gärtner’s gaben 44 Blü- then von Nicotiana rustica Lin., welche’ durch N. pani- culata Lin. befruchtet wurden, 38 Kapseln jede mit einer mittelmässigen Menge von Samen. Dagegen gaben 62 Blüthen von N. paniculata, bestäubt mit dem‘ Pollen von N. ru- stica, nur 17 Kapseln und diese mit spärlichen Samen. Der Bastard N. paniculato-rustica (worin N. panicu- lata als Vater, N. rustica als Mutter vertreten ist) ent- spricht also der grössern, N. rustico-paniculata der geringern sexuellen Affinität. Jener ist nach Gärtner’s An- gabe fruchtbarer, als dieser. Ich werde später ($. 9) von dem Variiren der Bastarde sprechen, und erwähne hier nur, dass A B und BA, ob- gleich sie äusserlich von einander nicht zu unterscheiden sind, doch in ihrer Nachkommenschaft sich verschieden ver- halten können. Wären A B und B A wirklich identisch, so müssten bei Selbstbestäubung auch ihre folgenden Genera- tionen identisch sein. Nun geschieht es aber zuweilen, dass A B geneigter ist, Varietäten zu bilden, als BA. So ist nach Gärtner die Nachkommenschaft von Digitalis pur- pureo-lutea variabler als diejenige von D. luteo-pur- purea, diejenige von Dianthus pulchello-arenarius variabler als von D. arenario-pulchellus etc. Weitere _ Thatsachen betreffend die Verschiedenheit der wechselseitigen Bastarde mit Rücksicht auf Fruchtbarkeit und Variabilität der Nachkommenschaft werde ich bei den zusammengesetz- ten Bastarden in der folgenden Mittheilung anzuführen Ge- legenheit haben. Was den Einfluss der beiden Stammformen betrifft, so scheint derselbe bald vollkommen gleich zu sein, und der ' 220 Bastard genau die Mitte zwischen ihnen zu halten; — bald ‚wirkt die eine bei dem Zeugungsakt mit grösserer Energie ` und der Bastard wird ihr etwas ähnlicher, als der andern Stammform. — Die letztere Thatsache hat zu den unrich- tigen Deutungen Veranlassung gegeben, es erbe der Bastard mehr von dem Vater oder von der Mutter, oder es habe bei seiner Erzeugung eine grössere oder geringere Menge Blüthen- staub mitgewirkt, oder es seien die Sexualorgane der einen oder ‘andern elterlichen Pflanze in einem geschwächten Zu- stande gewesen. Die Unrichtigkeit aller dieser Theorieen wird durch die Thatsache widerlegt, dass wenn .der Bastard A B eine grössere Aehnlichkeit mit B hat, diese grössere Aehnlichkeit auch der umgekehrten Verbindung BA zukommt. Hier übte also B einen überwiegenden oder typischen Ein- fluss aus. Diess liegt offenbar in der spezifischen Natur von A und B und lässt sich nicht weiter erklären. Mit Unrecht, wie mir scheint, hat Wichura neuerdings die Möglichkeit des typischen Einflusses einer der beiden Stammformen bestritten. Er stützt sich auf die Thatsache, dass bei den Salices die Bastarde immer genau mittlere Bil- dungen seien, und vermuthet, man könnte sich in der Schätzung der Aehnlichkeit bei andern Gattungen geirrt haben. Es ist nun ein sehr missliches Ding, sich über die Glaubwürdigkeit und Urtheilsfähigkeit Anderer zu streiten. Wir müssten sie jedenfalls gering anschlagen, wenn Alles, was besonders von Kölreuter und Gärtner über die stärkere Einwirkung einzelner Arten berichtet wird, ins Ge- biet der Täuschungen gehören sollte!!). Doch kann ich um ee ee 11) Damit will ich keineswegs sagen, dass Alles was von den verschiedenen Experimentatoren in dieser Beziehung angeführt wurde, auf Treu und Glauben anzunehmen sei. Denn'es ist darin wirklich das Unglaubliche geschehen, Man hat durch künstliche Bestäubung 221 so eher über diese Frage hinweggehen, als es eine That- sache giebt, welche für einzelne Fälle einen mathematischen Beweis liefert. Die Speciesbastarde werden durch wiederholte Befruch- tung mit einer der beiden Stammarten in diese zurückge- führt. Hält ein Bastard genau die Mitte, so bedarf es einer gleichen Zahl von Generationen, um ihn in die eine oder andere Stammart zu verwandeln; durchschnittlich werden dazu 5 Generationen erfordert. Hält er nicht die Mitte, so langt er nach einer geringern Zahl von Generationen bei der Species mit dem überwiegenden Einfluss an. Gärtner führt mehrere Beispiele an, wo der Bastard A + B eine Genera- tion weniger bedurfte, um in A als um in B überzugehen. Bei einzelnen betrug die Differenz 2 Generationen. Der Ba- stard von Dianthus chinensis Lin. und D. Caryophyl- lus Lin. verwandelte sich bei wiederholter Befruchtung mit D. Caryophyllus nach der 3. bis 4. Generation in D. Caryophyllus, bei wiederholter Befruchtung mit D. chi- nensis nach der 5. bis 6. Generation in D. chinensis. Ebenso gieng der Bastard von Dianthus barbatus Lin. und D. superbus Lin. nach der 3. bis 4. Generation in D. superbus, nach der 5. bis 6. Generation in D. barba- zwischen weit verschiedenen Arten der gleichen Gattung oder zwi- schen verschiedenen Gattungen Bastarde erhalten haben wollen, wo eine hybride Befruchtung unmöglich ist. Man hat dabei leichte Ab- weichungen oder auch zufällige Abnormitäten, die durch Selbstbe- fruchtung entstanden waren, für die Bastarde angesehen. Aber wenn sich auch Einzelne durch ein völlig kritikloses Verfahren solcher grober Täuschungen schuldig machten, dürfen wir dasselbe nicht bei allen Forschern voraussetzen, namentlich nicht bei Kölreuter und Gärtner, welche sich des Grundsatzes, dass der Bastard eine nahe- zu mittlere Bildung sein müsse, vollkommen bewusst waren. Sl: 222 tus über!?), Diess ist ein unwiderleglicher Beweis, dass Dianthus Caryophyllus gegenüber von D. chinensis und Dianthus Superbus gegenüber yon D. barbatus bei der hybriden Befruchtung einen überwiegenden Einfluss aus- zuüben vermag. — Ich werde bei den zusammengesetzten Bastarden noch ausführlicher auf diesen Punkt zurückkom- men, und nachweisen, wie sich der verhältnissmässige Antheil berechnen lässt, den zwei Arten an der Bildung eines Ba- ‚ stards ‚haben. Für einige extreme Fälle verhält sich ihr Einfluss wie 1:2, für andere wie 1; 5/2, 1:43 u. s. w. Wenn es sicher ist, dass bei der Bastardbildung in ein- zelnen Fällen die eine Stammform sich wirksamer betheiligt als die andere, so lässt sich mit Grund fragen, ob jemals der Bastard von seinen Eltern. mathematisch gleich viel erbe, ob nicht immer die eine oder andere elterliche Form ein Uebergewicht habe. ` Diess ist allerdings wahrscheinlich ; allein es mangeln noch die Thatsachen, welche die Frage in der einen oder andern Richtung entscheiden könnten. Die Merkmale der Stammformen werden in der Regel so auf den Bastard übergetragen, dass in jedem einzelnen sich der beiderseitige Einfluss kundgibt. Es geht nicht etwa die eine Eigenschaft unverändert von dieser,. eine andere unverändert von der andern Stamm findet eine Durchdringung der lichen Eigenthümlichkeit, Charakteren statt. Diese Re genommen. 223 / als bei den Varietätenbastarden, bei unwesentlichen Eigen- schaften (Farbe, Behaarung ete.) weniger als bei andern. In dieser Weise dürften sich die widersprechenden An- sichten der Experimentatoren erklären. Es wurde hier, wie in allen übrigen Gebieten der Lehre von der Bastardbildung, der Fehler begangen, dass man von den wenigen und ein- - seitigen Erfahrungen, die man selbst gemacht hatte, allge- meine Regeln ableitete, ohne die zahlreichen Erfahrungen der übrigen Forscher zu berücksichtigen. Diejenigen, welche vorzugsweise oder ausschliesslich Varietäten bastardirten oder bei der Beurtheilung der Ba- starde ihr Augenmerk auf Varietätsmerkmale richteten, sind der Ansicht, dass die Eigenschaften unverändert übergetragen werden: So sagt Sageret ausdrücklich, es finde in der Regel eine Vertheilung der elterlichen Charaktere im Bastard, nicht eine Fusion derselben statt. Er führt als Analogon an, dass beim Menschen das Kind von allen äussern und innern Eigenschaften (Farbe der Haare und der Augen, Nase, Ohren, Wuchs, geistige und Gemüthsanlagen, Krankheitsanlagen etc.) die einen vom Vater, die andern von der Mutter erbe. Ein Bastard, den Sageret aus der Befruchtung der Cucumis Chate Lin. durch die Cantalupmelone!?) (Cucumis Melo Cantalupus) mit netzförmiger Schale erhalten hatte, besass gelbes Fruchtfleisch, netzformige Zeichnung, ziemlich starke Rippen wie der Vater, weisse Samen und sauren Geschmack wie die Mutter. Ein anderer hatte den süssen Geschmack und das gelbliche Fruchtfleisch des Vaters, die weissen Samen und die glatte unberippte Oberfläche der Mutter. | Selbst in den gleichen Organen können die elterlichen Eigenschaften unvermischt neben einander liegen, wie das 13) Beide sind nach Naudin Varietäten derselben Art. : | 17* X 224 vorzugsweise an den Farben der Blüthen auch wohl der Früchte beobachtet wird. Schöne Beispiele sind die gestreif- ten und getupften Blumenblätter der Bastardvarietäten, die blau- und weissgestreiften Weinbeeren u. s. w. | Die Regel aber ist, das und der Mutter eine neue eigent s die Eigenschaften des Vaters sich combiniren und durchdringen, wodurch hümliche, mehr oder weniger die Mitte hal- tende Eigenschaft entsteht. Die Art und Weise, wie die Ver- einigung erfolgt, lässt sich zum voraus nicht bestimmen. Jedenfalls ist es keine Juxtaposition, wie einige Autoren irr- thümlich meinten. Gelbe und blaue Blumen geben nicht eine grüne Farbe, wie man erwartete. — Kölreuter legte die Blumenblätter der väterlichen und mütterlichen Pflanze auf einander und hielt sie gegen das Licht, um zu erfahren, was für eine Farbe der Bastard haben wiirde. Klotzsch verspeiste einen ausgezeichneten Apfel und eine Birne ersten Ranges zu gleichen Theilen, und da ihm diess nicht munden wollte, so erklärte er, es diirfte sich keineswegs lohnen, den Birnbaum und den Apfelbaum mit einander zu verbinden. Es ist nicht nöthig auszuführen, wie sehr eine solche Me- thode gegen die Erfahrung und gegen die Grundsätze der Physiologie verstösst. 14) | Daraus dass die väterliche und die mütterliche Eigen- thümlichkeit im Bastard sich durchdringen und durch Fusion Aber von ihrem Die Vereinigung wäre einer müsste bei fortgesetzten Ver- gelingen, da die Erfahrungen "geben haben, dass die Varie- he sexuelle Verwandtschaft zu 225 zu einer mittlern Eigenschaft werden, folgt aber nicht, dass der Antheil von beiden Seiten der gleiche sein müsse. Viel- mehr kann jedes einzelne Merkmal des Bastards von der einen oder andern Stammform ein grösseres Maass auf- nehmen, und somit ihr ähnlicher werden. Wenn wir uns in diesem Falle etwa so ausdrücken, es habe der Bastard die Blätter von A, die Blüthen von B geerbt, so ist diess ‚ nur bildlich aufzufassen, es heisst weiter nichts, als dass Blätter und Blüthen nicht die genaue Mitte halten, sondern sich einer Stammform mehr nähern. Eine hybride Pflanze, welche von den beiden Stamm- formen A und B im Ganzen gleich viel geerbt hat, kann entweder in allen ihren Organen zwischen beiden ziemlich genau die Mitte halten, oder sie kann in den einen sich mehr zuA, in den andern mehr zu B hinneigen. Ein anderer Bastard, auf welchen die eine Stammform (A) einen typi- schen Einfluss ausgeübt hat, kann entweder in allen Merk- malen eine gleiche Annäherung von A zeigen; oder es können die einen Merkmale sich der Form A in grösserem, die andern in geringerem Maasse nähern; die: letztern können nach Umständen genau die Mitte zwischen A und B halten oder auch von dieser Mitte etwas nach B hin abweichen. _ 8. Die Regel, dass die Eigenschaften der Ba- stardpflanze zwischen den entsprechenden der Stammformen sich bewegen, gilt nicht in -aller Strenge. Einerseits können, vermöge der indivi- duellen Veränderung, einzelne Merkmale etwas über diese Grenze hinausgreifen, was um so eher eintrifft, je näher sich die Stammformen stehen, also am ehesten bei den Bastarden von wenig ver- verschiedenen Varietäten. Anderseits erhält die Abweichung von der Regel bei den Artbastarden einen bestimmten allgemeinen Charakter durch den Umstand, dass die Bastarde der näher verwandten 226 Arten in den Fortpflanzungsorganen geschwächt sind, in den vegetativen Organen aber luxuriren, und dass die Bastarde der entfernteren Arten in allen Theilen kümmerlich sich entwickeln und aus Mangel an Energie des Lebensprocesses bald zu Grunde gehen. Man könnte erwarten, dass wenn zwei Formen A und B mit einander sich bastardiren, der Spréssling AB oder BA mit seinen Eigenschaften zwischen die Grenzen A und B gebannt sei. Diess kann am besten in folgender Weise an- schaulich gemacht werden. Jede Eigenschaft in den beider- seitigen Eltern lässt sich durch zwei Zahlen ausdrücken. Es entspreche z. B. der Kieselgehalt in einem Organ, oder die Menge des Imbibitionswassers in den Membranen eines Gewebes, oder die Theilung eines Blattes, die Behaarung auf dem- selben, die Länge der Stengelinternodien, die Zahl derselben, die Verzweigung oder irgend eine andere Eigenschaft bei A der Zahl 15, bei B der Zahl 24, so wird in dem Bastard die gleiche Eigenschaft irgend einer Zahl, die zwischen 15 und 24 sich befindet, entsprechen. Diess ist eine natürliche Folge der bewirkenden Ursachen und im Allgemeinen trifft es auch immer ein. Denn würde die Intensität der Eigenschaft auf 24 steigen oder auf 15 sinken, ` so müsste die Einwirkung der einen Stammform in dieser Beziehung Null sein, was an sich unwahrscheinlich ist. Noch unwahrscheinlicher aber ist es, dass das Symbol der Eigen- schaft eine Zahl über 24 oder unter 15 werde. Dennoch wäre der Schluss, es dürfe die einzelne Eigenschaft des Bastards in keinem Falle über die Stamm- | formen hinausgehen, in dem angeführten Beispiel nicht mehr als 24 und nicht weniger als 15 betragen, schon a priori nicht gerechtfertigt. Wir können bloss sagen, der Bastard AB oder BA müsse als Ganzes mit seinen innern Eigen- schaften oder Anlagen, die er von den Eltern geerbt hat, 227 zwischen denselben sich halten. Der Organismus ist aber so complizirt, die Einwirkungen der Eigenschaften auf ein- ander sind’ so mannigfaltig, dass in Folge davon eine ein- zelne besonders hervortreten, eine andere zurückweichen kann, ohne dass das Gesetz im Allgemeinen beeinträchtigt wird. Die Abweichung von der Regel, nach welcher auch jede einzelne Erscheinung sich als Zwischenbildung kund- geben sollte, trifft daher vorzugsweise in der Weise ein, dass die einen Functionen des Organismus gefördert, die andern geschwächt sind, dass also einzelne Organe in ihrer Grösse und Zahl, dass einzelne Stoffe in ihrer Menge über die Eltern hinausgehen, andere hinter denselben zurück- bleiben. | wag Dieses Hinausgreifen des Bastards über die Stamm- formen ist hiufig individueller Natur; es kommt nicht der Bastardform, sondern der einzelnen Pflanze zu, und kann in den einen Individuen in dieser, in den-andern in jener Richtung erfolgen. Diess hängt mit dem Umstand zusammen, dass die hybriden Pflanzen eine grosse Neigung zum Variiren haben (vgl. 8.9). Es ist an und für sich klar, dass das individuelle Hinausgreifen um so eher eintreten kann, je näher die Stammformen mit einander verwandt sind, dehn die Individualität vermag sich innerhalb enger Grenzen eher Geltung zu verschaffen, während sie gegenüber von grossen Verschiedenheiten verschwindet. Die Erfahrung bestätigt diess vollkommen. Wenn zwei nahe stehende Varietäten A und B mit einander verbunden werden, so erhält man` eine formenreiche hybride Nachkommenschaft, von welcher einzelne Individuen in der einen oder andern Richtung über A oder B hinausgehen. Seltener wird diese Erscheinung bei den Artbastarden beobachtet. l Zuweilen kommt die Eigenschaft, über die Eltern hin- aus zu gehen, auch dem Varietätenbastard als Form, d. h. allen Individuen desselben gleichmässig zu, und besteht 228 darin, dass sowohl die Vegetation als die Reproduction ge- steigert sind. Doch sind es vorzugsweise die Speciesbastarde, welche ein allgemeines Ueberschreiten der in den Eltern gegebenen Grenzen sowohl nach oben als nach unten voll- ziehen; und zwar leisten sie im Allgemeinen in den vegeta- tiven Functionen mehr, in den reproduktiven weniger als ihre Stammarten. | Wachsthum und Entwicklung des Individuums ist bei den Speciesbastarden besonders angeregt. Dieselben werden häufig grösser als ihre beiden Eltern; sie bilden mehr und grössere Blätter; der Stengel erhebt sich höher und ver- zweigt sich stärker; die Bewurzelung ist reicher. Es werden mehr Knospen angelegt und entwickelt, die Vermehrung durch Sprossung geht lebhafter vor sich und bewirkt mit grosser Leichtigkeit eine Vervielfältigung durch Stolonen, Ableger u. dgl. Die Bastarde haben ferner die Neigung, eine längere Dauer anzunehmen, aus einjährigen Gewächsen zweijährige, aus zweijährigen mehrjährige und aus mehr- jährigen vieljährige zu werden. Ihre Natur ist etwas härter als die der Stammarten und erträgt ein etwas kälteres und rauheres Klima. Zu den vegetativen Erscheinungen müssen wir auch den Blüthenstand mit den Hochblättern und die = Blüthendecke (Kelch und Krone) rechnen; denn nur die Staubgefässe und Stempel sind eigentlich bei der Fort- pflanzung betheiligt. Die Bastarde zeichnen sich nun nament- lich auch dadurch aus, dass sie früher zu blühen anfangen, dass sie es länger und reichlicher thun als beide Stamm- arten. Der Bastard von Pflanzen, die erst im zweiten Jahre blühen, blüht meistens schon im ersten; . derjenige von Pflanzen, die erst nach einer Reihe von Jahren zur Blüthen- bildung gelangen, kommt schon einige Jahre früher dazu. Auch mit Rücksicht auf die einzelne Vegetationsperiode gilt die Regel, dass die Bastarde früher im Jahr zu blühen an- fangen und länger in den Herbst hinein zu blühen fort- 999 fahren. Ueberhaupt bilden dieselben oft eine ganz ausser- ordentliche Menge von Blüthen, welche zudem grösser, manchmal auch wohlriechender und intensiver gefärbt sind, und von denen jede einzelne länger dauert, z. B. mehrere Tage, wenn die Blüthen der Stammarten schon nach dem ersten Tage welken (in dieser Beziehung verhalten sie sich wie kastrirte Blüthen).. Der Bastard einer rothblühenden und einer weissblühenden, oder einer gelben und einer weissen Species hat nicht selten dunkelrothe oder dunkel- gelbe Blumenkronen. Auch die Zahl der Blumenblätter nimmt leicht zu. Hat die eine Stammart A gefüllte, die andere B einfache Blüthen, so. ist fast ohne Ausnahme die hybride Verbindung ebenfalls gefüllt und zuweilen selbst stärker gefüllt als A. Ein erster Schritt zur Füllung der Blüthen besteht in der Vermehrung der Fortpflanzungsorgane, welche dabei unfruchtbar werden. So haben die Dianthus- Bastarde zuweilen 11 (statt 10), die Verbascum-Bastarde 6 (statt 5) Staubgefässe. Ebenso ist oft die Zahl der Griffel vermehrt. | | Be; Die Speciesbastarde zeigen also in der ganzen vege- tativen Sphäre im weitesten Sinne d. h. in der Assimilation . und in der Gestaltung der gebildeten Stoffe zu Organen eine auffallende Neigung zum Luxuriren; sie greifen in dieser Beziehung gewöhnlich über die beiden Stammarten hinaus. Dafür ist die eigentlich reproductive Sphäre im engsten Sinne auffallend geschwächt; die Bastarde bleiben hierin hinter den beiden Eltern zurück. Die Staubgefässe sind bei den einen äusserlich zwar vollkommen ausgebildet, aber ganz oder theilweise unfruchtbar, indem die Pollen- körner nicht die gehörige Ausbildung erreichen. Bei andern sind die ganzen Staubgefässe verkümmert und auf ein kleines Rudiment reduzirt. — Die Stempel der Bastarde lassen sich in den meisten Fällen äusserlich von den Stempeln der elterlichen Arten nicht unterscheiden, aber ihre Ovula haben Ba TN 230 keine oder nur eine geringe Conceptionsfahigkeit. Es werden keine Keimbläschen gebildet, oder der Embryo, der aus den Keimbläschen sich zu entwickeln beginnt, stirbt früher oder später ab. Im günstigsten Falle, wenn keimfähige Samen gebildet werden, so sind sie in geringerer Menge vorhanden und sie bekunden in der langsamern Keimung und in der ‘kürzern Dauer der Keimfähigkeit eine gewisse Schwäche. Das soeben beschriebene Verhalten ist vorzugsweise den Bastarden eigen, welche von näher verwandten Arten her- stammen. Es giebt andere, bei denen nicht bloss die Ge- schlechtsorgane gänzlich unfruchtbar sind, sondern auch die vegetative Sphäre auffallend geschwächt ist. Die Pflanzen bleiben klein, sie entwickeln sich langsam und kümmerlich, bringen auch weniger Blüthen hervor; sie ertragen äussere schädliche Einwirkungen. weniger gut, werden also durch Frost oder trockene Hitze leichter getödtet, und. erreichen lange nicht das Alter der Stammarten. Ueberdem zeigen sich zuweilen bemerkenswerthe Unregelmässigkeiten und Abnormitäten, namentlich in der Formbildung. Diese Ba- starde bleiben also nicht bloss in der Reproduktion, sondern auch in der Vegetation hinter den beiden Eltern zurück; sie stammen immer von Arten ab, welche in ihrer Ver- wandtschaft weiter von einander abstehen. 9. Im Allgemeinen variiren die Bastärde in der ersten Generation um so weniger, je weiter die elterlichen Formen in der Verwandtschaft von einander entfernt sind, also die Artbastarde weniger als die Varietätenbastarde; jene zeichnen sich oft durch eine grosse Einförmigkeit, diese durch eine grosse Vielförmigkeit aus. Wenn die Bastarde sich selbst befruchten, so vermehrt sich die Variabilität in der zweiten und den. folgenden Generationen um so mehr, je vollständiger sie in der ersten mangelte; 231 und zwar treten um so sicherer, je weiter die Stammformen aus einander liegen, drei entschie- dene Varietäten auf, eine die dem ursprünglichen Typus entspricht, und zwei andere, die den Stamm- formen ähnlicher sind. Diese Varietäten haben aber, wenigstens in den nächsten Generationen, wenig Constanz; sie verwandeln sich leicht in ein- ander. Ein wirkliches Zurückschlagen zu einer der beiden Stammformen (bei reiner Inzucht) findet vorzüglich dann statt, wenn die Stammformen sehr nahe verwandt sind, also bei den Bastarden der Varietäten und der varietätenähnlichen Arten. Wenn es bei andern Speciesbastarden vorkommt, go scheint es auf diejenigen Fälle beschränkt zu sein, wo eine Art einen überwiegenden Einfluss bei der hybriden Befruchtung ausgeübt hat. Die Variabilität der Bastarde, d. h. die Mannigfaltigkeit der Formen, welche der nämlichen Generation angehören, und ihr. Verhalten bei einmaliger oder wiederholter Fort- pflanzung durch Selbstbefruchtung bilden zwei Punkte der Bastardirungslehre,, welche noch am wenigsten festgestellt - sind, und welche auch am wenigsten festen Regeln unter- worfen zu sein scheinen. Die Bastarde der Varietäten sind überaus zum Variiren geneigt. Wenn eine Varietiit von einer andern befruchtet wird, so ist die Nachkommenschäft oft so mannigfaltig und formenreich, dass keine Pflanze der andern vollkommen ähnlich sieht. Daher wird die hybride Bestäubung innerhalb der Species von den Gärtnern häufig angewendet , um neue Formen zu erhalten. Pflanzt sich der Varietätenbastard durch Inzucht fort, so vermehrt sich . die Veränderlichkeit noch in den folgenden Generationen; zugleich kehren aber manche Individuen zu den Stammvarietäten zurück. Die Bastardform artet aus, wie die Gärtner sagen. 232 Diess gilt aber nicht für alle Varietätenbastarde. Es giebt auch solche, die in der ersten Generation noch ein- formig sind und erst in den folgenden variabel werden, und solche, die durch mehrere Generationen hindurch ihre Ein- formigkeit bewahren. Unter den Artbastarden giebt es auch solche, die schon in der ersten Generation eine merkliche Variabilität zeigen. Es sind diess besonders diejenigen, welche von sehr nahe verwandten Arten abstammen, so der Bastard von Lychnis diurna Sibth. und L. vespertina Sibth. Die geringste Veränderlichkeit findet man in der Regel pei den Bastarden derjenigen Stammarten, welche eine ge- _ ringe gegenseitige Verwandtschaft besitzen. Sind dieselben fruchtbar, so erzeugen sie eine Nachkommenschaft mit grösserer Vielförmigkeit, die in den folgenden Generationen sich steigern kann. Die Veränderung trifft zunächst die Blüthen, dann aber auch die andern Organe und den ganzen Habitus. Es bilden sich Varietäten. Unter denselben behält eine den (mittlern) Typus der ursprünglichen Bastardform (A+B), eine zweite nähert sich der einen Stammart (A), eine dritte der andern Stammart (B). Dje eine der beiden letztern kann ausbleiben, wohl auch alle beide. Im letztern Falle bleibt die ursprüngliche Bastardform einformig und constant. Diess beobachtet man z. B. an einigen sehr . fruchtbaren Dianthusbastarden. Wenn ein ‘Artbastard in der zweiten Generation mit einigen Individuen sich mehr der einen Stammart (A) ge- nähert hat, so können die Nachkommen derselben (dritte Generation) dieser Stammart A noch mehr ähnlich sein. Sie können aber auch wieder zum ursprünglichen Typus (A+B) zurückkehren, oder in seltenern Fällen selbst in das Gegentheil umschlagen, d.h. sie können der andern Stamm- art (B) sich nähern. Es kommt auch vor, dass schon in der ersten Generation 233 neben der ursprünglichen und normalen Bastardform (A + B) eine Varietät auftritt, welche sich der einen oder andern Stammart (A oder B) nähert. Gärtner hat sie als Aus- nahmstypus bezeichnet. Die Individuen, die diesem Aus- nahmstypus angehören, sind stets in sehr geringer Menge vorhanden; sie kommen, wenn zwei Arten mit einander be- fruchtet werden, das eine Mal vor und bleiben ein anderes Mal aus. Wenn die normale Bastardform der einen Stamm- art (A) ähnlicher ist, so gleicht der Ausnahmstyp us mehr der andern (B). Manchmal hat er kleinere Blumen als die Stammarten, während der normale Bastardtypus grössere Blumen zeigt. Die Ausnahmstypen unterscheiden sich von den normalen Bastardformen auch durch grössere Unfrucht-" barkeit. Uebrigens sind sie eine so normale und constante Bildung wie diese, indem sie sich bei den hybriden Verbind- ungen der nämlichen Stammarten immer in der gleichen Weise wiederholen. 3 Die Ausnahmstypen gehen, wenn sie fruchtbar sind, in der zweiten Generation gewöhnlich in den normalen Typus über. Sie können aber in den folgenden Generationen wieder zum Vorschein kommen. Zuweilen bilden sie sich erst in der zweiten Generation, statt schon in der ersten. Dann unterscheidet sich der Ausnahmstypus in nichts mehr von der Varietätenbildung, von der ich schon gesprochen habe +5). Wie man bei den Artbastarden rücksichtlich der Form- 15) Wichura bezweifelt das Vorkommen der Ausnahmstypen, welche er bei den Weidenbastarden nicht beobachtete, indem er den Verdacht hegt, es möchte die Absperrung der Pflanzen nicht voll- ständig, oder der zur Befruchtung benützte Pollen nicht rein oder die ausgesäeten Samen nicht frei von fremder Beimischung gewesen sein. Mir scheint dieser Verdacht gegenüber von Gärtner, der so viele Bastardirungen ausführte, der alle zu ergreifenden Vorsichts- massregeln kannte und, um seiner Sache sicher zu Sein, alle, auch 234 bildung 3 Varietäten unterscheidet, so giebt es zuweilen auch 3 verschiedene, denselben entsprechende Grade der Fruchtbarkeit. In der Regel scheint diejenige Varietät, welche dem normalen Typus entspricht, eine mittlere, von den beiden andern, den Stammarten ähnlichen Varietäten aber die eine eine grössere, die andere eine geringere Fruchtbar- keit zu besitzen. Doch giebt es hierin viele Modificätionen. Die Artbastarde nähern sich, wie wir eben gesehen haben, im Laufe der Generationen in einzelnen Varietäten den Stammarten. Ob sie dieselben aber wirklich erreichen und ob sie somit, wie man sagt, zurückschlagen können, bedarf noch sehr der Bestätigung. Bei den Varietäten- bastarden ist das vollkommene Zuriickkehren’ allerdings Thatsache; es erfolgt unregelmässig und sprungsweise. Bei den Speciesbastarden wird ein unregelmässiges und sprung- weises Umschlagen ihrer Varietäten in einander beobachtet. Von einer constanten Annäherung an eine Stammart durch eine Reihe von Generationen ist jedenfalls keine Rede. Uebrigens wird von Gärtner das Zurückschlagen auch die unbedeutendsten Verrichtungen mit eigener Hand ausführte, ungegründet. Ferner sprechen die objektiven Thatsachen gegen den erhobenen Zweifel. Er wäre gegründet, wenn unter den Pflanzen der Bastard- form AB eine Pflanze B oder ein Bastard CB aufgegangen wäre. Wo sollte aber eine hybride Form, die zwischen AB und A oder zwischen AB und B steht, kommen? Ferner wurde aus dieser Form in der zweiten Generation oft wieder der normale Bastardtypus AB erhalten, was mit Sicherheit auf ihren Ursprung aus A und B hin- weist. — Endlich spricht schon a priori die Wahrscheinlichkeit für die Darstellung Gärtner’s. Der Ausnahmstypus ist, wie ich oben sagte, nichts anderes als eine Varietät des Bastards. Letzterer bildet aber, wie auch Wichura annimmt, in der zweiten oder dritten Generation Varietäten. Es liegt nun nicht weit ab, dass die Va- rietätbildung ausnahmsweise schon in der ersten Generation zum Vorschein komme. 235 bloss als eine ausnahmsweise Erscheinung behauptet, die nur wenige Artbastarde und bei diesen selbst nur wenige Individuen treffe. Von den neuern Experimentatoren wird viel von diesem Zurückgehen gesprochen, aber dabei gewöhnlich keine Rück- sicht darauf genommen, ob der Bastard sich selbst be- fruchtet habe, oder ob er von einer Stammart befrüchtet worden sei. Um die Selbstbefruchtung der hybriden Pflanze zu sichern, werden ganz besondere Vorsichtsmassregeln er- fordert. Es genügt nicht, dass man dieselbe in einer Ecke des Gartens isolire; die blüthenbesuchenden Insekten werden immer Pollen der Stammarten, wenn dieselben in einem andern Theil des Gartens blühen, herbeibringen. Ist man aber der Selbstbefruchtung sicher, so genügt es ferner aber- mals nicht, zu constatiren, dass die Aussaat Pflanzen giebt, die einer Stammart sehr ähnlich sehen. Man muss diese scheinbar zurückkehrende Varietät durch fernere Generationen beobachten, wobei sich leicht ergeben dürfte, dass sie, statt vollends zu der Stammart, wieder zum ursprünglichen Ba- stard zurückgeht. z -— ao er u = re ~ 3 = BS ~- y < pa nn — = ae : eo Sn eR na au, ELLE Du rade seen Fe T ee BE SE EEE = = Re = bs \ 237 21. Ueber die abgeleiteten Pflanzenbastarde. (Vorgetragen den 13. Januar 1866.) i In meiner Mittheilung vom 15. Dezember 1865 über die Bastardbildung im Pfanzenreiche -habe ich von den hybriden: Formen gesprochen, welche unmittelbar aus den reinen Arten und Varietäten hervorgehen und nur insofern es nothwendig war, um die Eigenschaften dieser Hybriden besser ins Licht zu stellen, habe ich hie und da auch ihrer Abkömmlinge- erwähnt. Die Fortpflanzung der Bastarde, vorzüglich die Verbindung derselben mit ihnen ungleichen Formen und das Verhalten ihrer Nachkommen, bietet einige interessante Verhältnisse dar, welche das Bild der hybriden Befruchtung vervollständigen. Diese Nachkommen der Ba- starde bezeichne ich im Allgemeinen als abgeleitete Ba- starde, gegenüber jenen ursprünglichen, welche bloss reine Formen als Eltern haben. Ich werde mich übrigens hier ausschliesslich an die aus Speciesbastarden abgeleiteten Formen halten, indem man über die - Nachkommenschaft der Varietätenbastarde allzu wenig Sicheres weiss, Da die vegetabilischen Artbastarde meistens zeugungs- fähig. und conceptionsfähig sind, so wurde die Paarung der- selben mit ungleichen Formen sehr häufig ausgeführt. Vor- züglich wurde dazu eine der beiden Stammarten benutzt. Es hat aber auch schon Kölreuter in einem einzigen Bastarde 3, Gärtner 4 und endlich Wichura selbst 6 verschiedene Arten vereinigt. Man hat die Paarungen der abgeleiteten Bastarde mit reinen Arten, ursprünglichen und abgeleiteten Bastarden durch mehrere Generationen in manig- faltigen Combinationen und Verschlingungen fortgesetzt. Leider ist aber nicht zu läugnen, dass die Versuche oft mehr aus wissenschaftlicher Neugierde, ob eine neue Com- bination wohl gelingen und welches Produkt sie liefern werde, als nach einem bewussten wisstnschaftlichen Plane 18 ee u, (ge Bn cas ik AN OR BERGES ae ug 238 angestellt wurden, und dass sie daher nicht so viel und oft auch nicht so sicher beweisen, als es bei richtigerer Me. thode der Fall sein miisste. Zuerst will ich die Bezeichnungsweise dieser abgeleite- ten Bastarde erörtern. Ich habe die ursprünglichen hybri- den Verbindungen durch die Formeln AB und BA ausge- drückt und darin der väterlichen Pflanze die erste, der mütterlichen die zweite Stelle gegeben ($ 2 in der vorher- gehenden Mittheilung). Eine consequente Anwendung dieser Regel dürfte auch die kürzesten und übersichtlichsten Ab- stammungsformeln für die complizirten Bastarde ergeben. So ist A—AB aus dem weiblichen einfachen Bastard AB und der männlichen Pflanze A entstanden, BA—A dagegen aus dem männlichen Bastard BA und der weiblichen Pflanze A. Die Form des Stammbaumes macht diess noch anschau- licher; er ist für die eben genannten 2 Verbindungen !): JA OB gA AB A-AB Die Verbindung B-A-AB ist aus dem weiblichen Bastard A-AB und der männlichen Pflanze B entsprungen: JA OB gA CAB fe Oa ee: Der Bastard CB-A-AB ist aus dem weiblichen Bastard A-AB und dem männlichen CB hervorgegangen: JA OB gc -Sl B gA QAB “GOB O(A-AB) CB-A-AB 1) Das Zeichen $ drückt bekanntlich das männliche, © das weibliche Geschlecht aus. è 239 Der Bastard CD-CB-A-AB hat zur Mutter den rn CB-A- AB, zum Vater CD: gA GB rom gA CAB gic Tà CAB) JOD Ç(CB-A-AB) ETOT: Die: Verbindung (CD-CB)-A-AB ist aus dem: männlichen Bastard CD-CB und aus dem weiblichen A-AB entstanden: St. 8D. gE ee oe: g'CD CB | - OAL Jg (CD-CB) Q(A-AB) (CD-CB)-A-AB Die Verbindung (CD-CB-A)-AB ist aus dem männlichen Bastard CD-CB-A und aus dem weiblichen AB entsprungen: gC. SB | gi CB OA © (CB-A) gA OB g (CD-CB-A) | QAB | (CD-CB-A)-AB Man könnte die drei letzigenannten Verbindungen, auch folgendermassen schreiben, was mir aber weniger empfehlens- werth scheint (CD) { (CB) [A (AB) ]} [ (CD) (CB) ] [A (AB) ] ( (CD) [(CB) AJ} (AB) 19% a nn nen 4 “ato... eee ——— a N ee ae ee . ™ 240 Es ist leicht, sich in den Formeln, wie ich sie vor- schlage, zu orientiren, wenn man sich an die Regel hält, dass in der ganzen Verbindung der einfache oder zusammen- gesetzte Ausdruck links den Vater, der Rest die Mutter .bei der letzten Zeugung darstellt, und dass das Nämliche für jeden zusammengesetzten Ausdruck gilt. Die Abstammung der complizirten Bastarde wurde von den verschiedenen Autoren in verschiedener Weise ausgedrückt, wobei bald die Uebersicht und Verständlichkeit , bald die Einfachheit und Bequemlichkeit beeinträchtigt ‚waren, Köl- reuter baut seine Formeln nach folgendem Beispiel auf: (rustica © paniculata g $ rustica Q paniculata g paniculata... | paniculata Nicotiana In dieser Gestalt sind die Formeln sehr übersichtlich, aber für die Schrift und den Druck weitläufig und unbe- quem. Nach meiner Bezeichnungsweise würde ich sagen: der Bastard von Nicotiana rustica (R) und N. pani- culata (P) nach der Abstammungsformel P-P-PR-PR. Gärtner bezeichnet den einfachen Bastard durch einen zusammengesetzten Namen, in welchem die mütterliche Pflanze die erste, die väterliche die zweite Stelle einnimmt, Geum urbano-rivale ist aus der Befruchtung von Geum urbanum durch G. rivale entstanden. Die sogenannten väterlichen Bastarde, d. h. solche, welche aus der Be- fruchtung des einfachen Bastards durch den Vater gefallen sind, bezeichnet er nach dem Grade .z, B. als Dianthus barbato-carthusianorum?, D.. barbato-carthusia- norum’, nach meiner Bezeichnung C-CB und C-C-OB. Ein ne Te tt Neate u be er ur” a ie e ait en 3 ee — ` EEE a aaa DEE ee EN EOE aT ee Fi = Be = u eng 241 sogenannter mütterlicher Bastard dagegen ist Mirabilis Jalapolongifloro-Jalapa, nach meiner Bezeichnung J-LJ*). Für sehr complizirte Vereinigungen, wo die Namen unaussprechbar werden, sagt Gärtner z. B. Nicotiana rusticopaniculato-angustifolia befruchtet durch ru- sticoangustifolio-rustica oder Lobelia cardinali- fulgenti-fulgens befruchtet durch fulgenticardinali- fulgentisyphilitica. Doch würde dieses Aushilfsmittel für eine noch weiter gehende Zusammensetzung nicht mehr aus- reichen, denn dieselbe hiesse Lobelia (cardinalifulgenti-ful- genti)- -(fulgenticardinali-fulgentisyphilitica) befruchtet durch x. Ich sage statt dessen: der Bastard von Nicotiana rustica (R), N. paniculata (P) und N. angustifolia (A) nach der Abstammungsformel (R-AR)-A-PR und der Bastard von Lobelia cardinalis (C), L. fulgens (F) und L. syphilitica (S) nach der Formel (SF-CF)-F-FC, Wichura macht die Abstammung seiner complizirten Weidenbastarde theils in der Form von Stammbäumen über- sichtlich, theils driickt er sie durch Formeln von folgendem Bau aus: Q Salix {SLY (Lapponum + Silesiaca) + g! (purpurea + viminalis)] + gi (© caprea + g daphnoides)} + g' da- phnoides. ‚Diese Formeln, besonders wenn sie noch die verschie- v2 2) Der Name väterliche und mütterliche Bastarde scheint mir in dieser Beschränkung nicht glücklich gewählt. Denn ein väter- licher oder mütterlicher Bastard, freilich mit anderer Abstammungs- formel, wäre doch auch die aus der Befruchtung der väterlichen oder mütterlichen Pflanze durch den Bastard hervorgegangene Ver- bindung. Für die oben genannten Beispiele sind es die analogen Verbindungen CB-0, (CB-C)-C und LJ-J. 242 denen Bezeichnungen (Spont., Art, und die Autoren), die ihnen der Verfasser beigefügt hat, enthalten, machen immer viel Kopfzerbrechen, bis man sie enträthselt hat, während die Stammbäume zwar sehr übersichtlich, aber für Druck und Schrift weitschweifig sind. Nach meiner Bezeichnungs- weise würde ich sagen; der Bastard von Salix Lappo- num (L), S. Silesiaca ($), 8. purpurea (P), S. vimi- nalis (V), S. daphnoides (D) und S. caprea (C) nach der Abstammungsformel ; D-DC-(P+Y) (L+S). . ` Teh bemerke hiezu, dass P+V und L+S zwei wild- wachsende Bastarde sind, bei denen es unbekannt ist welche der beiden Arten Vater und welche Mutter ae Desswegen fehlen in der Formel von Wichura die Zeichen © und gj und erscheinen in der meinigen die Zeichen F, Der Stammbaum dieses zusammengesetzten Bastards ist folgender, wenn wir für alle Factoren mit der gleichen Generation beginnen: Salıx DDDDDDDDDD CO PY Lg De ae em WS gDe S(P+V)(L+S) ©[DC-(P+V)(L-+8) ] D-DO-(P-+V)(L:+8) Die bisherige Auseinandersetzung bezieht sich auf die Abstammungsformel. Dieselbe geniigt jedoch nicht um die Constitution des Bastards zu erkennen. Wir müssen noch durch eine andere Formel, die ich die Erbschafts- formel nennen will, den Antheil ausdrücken, mit welchem jede Stammart in dem Bastard enthalten ist, Diess wäre eine einfache Rechnung, wenn wir annehmen dürften, dass * 243 immer von zwei sich verbindenden Pflanzen jede gleichviel zur Bildung des Bastards beiträgt. Man hätte dann z. B. für folgende Bastarde folgende Erbschaftsformeln: AB Ve A + A-AB 34 A + A-A-AB Ue Ar AC-BG UA + (AC-BC)D ist Yee e+ hD AC-BC-D WA + %¥O+ HB + 14D @A-C-BA)-CD MA +: Is CP eB ID In dieser vollkommen rationellen Weise hat Wichura für die bestimmte Voraussetzung die Erbschaftsformeln ent- wickelt, Ich habe in der vorhergehenden Mittheilung gesagt ($ 7), und ich werde sogleich noch darauf zurückkommen, dass eine Art zuweilen einen merklich grössern Einfluss bei der Erzeugung hybrider Verbindungen ausübt als eine andere, und dass vielleicht sogar in allen Fällen der Antheil der beiden elterlichen Formen etwas ungleich ist. Wir können also sicher in manchen und vielleicht in allen Fällen die Natur des Bastardes AB nicht durch die Erbschaftsformel Ve A + "sB ausdrücken. Vielleicht wäre die richtige Formel 35s A + 25 B oder 4/7 A + 4/7 B etc., aber wir wissen darüber meistens nichts Genaues. Unter diesen Umständen scheint mir das richtigere Verfahren folgendes. Wenn die beiden. Arten A und B sich hybrid verbinden, so ist jede in dem Produkt mit einer eigenthümlichen Quantität vertreten, was wir durch a-und b ausdrücken und ` ‚die Bastardirungsäquivalente nennen können. Die Erb- schaftsformel ist somit a + b. Verbindet sich der Bastard AB mit A, so hat das Produkt die Formel 3a +b d. h. der Antheil der Stammart A verhält sich zu dem von B 244 wie drei Aequivalente der erstern zu Einem der zweiten (3a:b). Den auf einander folgenden Generationen des durch wiederholte Befruchtung mit einer der beiden Stammarten zurückkehrenden Bastards entsprechen daher folgende Formeln: Erbschafts- Generation Abstammungsformel formel?) AB arp A-AB ach A-A-AB oder 2A-AB va + b A-A-A-AB 3A-AB Da Tp A-A-A-A-AB 4A-AB sla + b A-A-A-A-A-AB |. 5A-AB 63a;-tb A-A-A-A-A-A-AB ‚ 6A-AB 127a +b 3) Ich habe hiezu noch zwei Bemerkungen zu machen. Die erste betrifft die mathematische Construktion der Formeln. Ich setzte den Antheil, den der Bastard von Vater und Mutter geerbt hat, oder vielmehr das Aequivalent dieses Antheils als Additionsgrösse an, wie man etwa sagt, dass die Mischlinge zwischen Europäern und Negern */2 weisses und 7/2 schwarzes oder °/s weisses und Y« schwarzes Blut ete. vereinigen. Der richtige mathematische Ausdruck wäre . wohl F (a, b), F (8a, b) F (7a, b), d. h. eine noch unbestimmte Function aus den Grössen a und b, 3a und b, 7a und b u. s. w. Die andere Bemerkung betrifft die Coeffizienten Ooty Log oF der Bastardirungsaquivalente in obigen Formeln. Wenn zwei Individuen der gleichen Varietät mit einander sich bastardiren, so wirken sie natürlich, abgesehen von individuellen Verschiedenheiten, in gleichem Maasse bei der Erzeugung des Bastards. Wenn dagegen zwei Indi- viduen verschiedener systematischer Formen (A und B) sich ver- binden, so verhalten sich die Antheile, die sie am Produkt haben, abgesehen von den individuellen Abweichungen, wie a:b. Der Ba- stard AB hat die Erbschaftsformel a-+-b, und in analoger Weise müssten wir einem Produkte von zwei Pflanzen der Form A die Abstammungsformel AA und die Erbschaftsformel a-+a geben. Verbindet sich nun AB mit A oder, um eine vollkommene Analogie een TE Rt te en mn ae a aaa a zur 245 Ich habe in $ 7 der vorhergehenden Mittheilung ange- geben, dass nach den Erfahrungen Gärtner’s einige Ba- 'stardformen nach einer ungleichen Zahl von Generationen zu der einen und andern Stammart zurückkehren, wenn sie fortwährend mit dem Pollen der letztern bestäubt werden. Ich habe zugleich bemerkt, dass“ man daraus die: Grösse der Bastardirungsäquivalente berechnen könne und rück- ` sichtlich der Berechnung hieher verwiesen. Es gehe der Bastard AB nach 4 Generationen vollständig in A, nach 6 Generationen in B über. Damit sagen wir, es ist die hybride Form mit der Abstammungsformel 3 A-AB und der Erbschaftsformel 15a + b der Stammart A so-ähnlich ge- worden, dass man sie von ihr nicht mehr unterscheiden kann; und eine eben solche Aehnlichkeit mit der Stammart B hat die andere hybride Form, deren Abstammungsformel 5B-AB und deren Erbschaftsformel 63b + a ist, erlangt. Es ist also b neben 15a und ebenso a neben 63b ver- schwindend klein; daraus erhalten wir die Gleichung Beni Bi 15a .63b somit 63b? — 15a? oder bY63 = aVY15; also nahezu 8b = 4a und 2b = a. Mit Worten: der Bastard AB hat von A doppelt so viel geerbt als von B. Auf gleiche Weise lassen sich die Bastardirungsäqui- valente für alle übrigen Fälle, wo man das Zurückkehren zu den beiden Stammarten beobachtet hat, berechnen. Ich stelle die Ergebnisse in der folgenden Tabelle zusammen: der Generation zu haben, mit AA (was natürlich dasselbe ist), so bedingt der Theil a des Bastards einen gleichen Theil a der reinen Pflanze AA und sein Theil b' bedingt den ihm äquivalenten Theil a von AA. Die Erbschaftsformel von A-AB ist demnach 3a +b. In gleicher Weise werden die übrigen Formeln abgeleitet. i 246 Zahl der Generationen, Verhältniss der Bastar dirungs- welche erforderlich sind ‘ äquivalente zur Rückkehrzu A zurRückkehrzuB 1) 23 a = 2 3) — aY!5jas nahezu et — astha £ ti a Tho a 6) av 1563 7) av 31 Ina - We a ”„ b b 5) í av "15 4 al? Uo a b b ? Wie 1 verhalten sich Malva mauritiana Lin. und M. sylvestris Lin., wie 2 Dianthus barbatus Lin. und D. chinensis Lin.; wie 3 verhalten sich Oenothera noc- turna Jacq. (B) und Oe. villosa Thunb. (A); wie 4 und 5 Nicotiana paniculata Lin. (B) und N. rustica Lin. (A); wie 5 Lychnis vespertina Sibth. und L. diurna Sibth., ferner Aquilegia atropurpurea Willd. und A. canadensis Lin.; wie 6 und 7 Dianthus barbatus Lin, und D. superbus Lin., ferner Dianthus chinensis Lin. und D. Caryophyllus Lin. Ich habe hiebei von den zwei wit einander verglichenen Arten immer diejenige mit dem kleinern Bastardirungsiquivalent vorangestellt. Die Beispiele sind alle den Versuchen Gärtner’s entnommen. Die richtige Bestimmung der Bastar dirungsäquivalente hängt von der richtigen Bestimmung der Generationenzahl ab, welche erfordert wird, um den Bastard in die eine und die andere Stammart überzuführen. Es giebt dafür zwei Fehlerquellen. Einmal verhalten sich die verschiedenen Ba- stardindividuen etwas verschieden, und es ist daher wünsch- bar, dass nicht nur eine, sondern mehrere zurückkehrende Reihen. beobachtet. werden. Ferner gestattet die subjektive: Auffassung, ob. eine hybride Form schon. bei; der Stammart angelangt sei oder nicht, ebenfalls einigen Spielraum, — . gee I renege cer en ne nn en SOA RAD, OT ee a ite 247 Doch ist diese Methode, um den Einfluss:der beiden Stamm- arten bei der Bastardbildung zu ermitteln, weitaus genauer als die Schätzung nach dem Aussehen des Bastards. Bei letzterer hat die subjective Auffassung einen viel gréssern Spielraum, und überdem können wichtige innere Eigenschaften durch äussere Merkmale verdeckt sein, -welche das Urtheil irre führen. Diese inneren Merkmale müssen sich aber bei der Umwandlung der hybriden Pflanze geltend machen. Eine weitere Frage, betreffend das Bastardirungsiqui- valent wäre die, ‘ob es in den Verbindungen mit verschie- denen Arten constant bleibt oder ob es ungleiche Grössen darstellt. Zwei Arter M und N bastardiren sich, die Aequi- valente sind m und n; M bastardirt sich auch mit O, die Aequivalente sind m und o. Es frägt sich nun, ob in der hybriden Verbindung von N mit O die Aequivalente die nämlichen seien wie n und 0, die schon durch die andern Bastardirungen bestimmt sind. Wäre diess der Fall, so würden sich die Bastardirungsäquivalente unter einander verhalten wie die chemischen Aequivalente. Doch spricht schon zum Voraus die Wahrscheinlichkeit dagegen. Es lässt sich ferner aus den Angaben Gärtner’s über die Genera- tionenzahl, welche für die Rückkehr der verschiedenen Dianthus-Bastarde zu ihren Stammarten erforderlich ist, durch Rechnung zeigen, dass eine Art gegenüber verschie- denen andern Arten nicht das nämliche Aequivalent be- hauptet. Ich will die Rechnung, die sich nicht kurz abthun lässt, hier nicht ausführen, da der Gegenstand ein gerin- geres unmittelbares Interesse und vorerst auch keine weitere Anwendung für andere Fragen gewährt. Es ist leicht aus der Abstammungsformel' eines aus zwei Arten zusammengesetzten Bastards die Erbschaftsformel zu entwickeln. Ich füge hier einige Beispiele bei. 19 Abstammungsformel Erbschaftsformel AB aii B-A-AB 3a + 5b A-AB-B Daith 3b AB-A-B-AB 9a + Tb B-(AB-A)-AB 5a + 11b A-AB-AB-B lla + 5b Ich habe die Beispiele so. gewählt, dass wie Gärtner sagt, die beiden Factoren in gleicher Zahl darin vertreten sind, In der That kommt, in dem ersten Beispiel A und B je einmal, in dem. zweiten und dritten je zweimal, in den drei letzten je dreimal vor. Gartner schliesst: daraus, dass diese Verbindungen: gleich sein müssen, weil an ihnen A und B gleichen Theil haben. ‘ Die Erbschaftsformeln zeigen, wie unrichtig dieser Schluss war. Diese irrthümliche An- schauungsweise ist bei verschiedenen Angaben Gärtner’s in Anschlag zu bringen, und dafür die nöthige Correctur anzuwenden. Ich will zum Beweis einen bestimmten Fall anführen. Gärtner sagt, die typische Uebermacht der Nico- tiana paniculata spreche sich in dem Bastard Nicotiana rusticopaniculato-paniculata@ —rustica g aus, indem bei gleicher Anzahl der beiden Factoren (d. h. rastica und paniculata) keine völlige N. rustico-paniculata sondern ein der paniculata näher stehender Typus entstanden sei. Der Bastard hat nach meiner Bezeichnungsweise die Ab- stammungsformel R-P-PR und somit die Erbschaftsformel 5r + 3p. Er kann also unmöglich der einfachen Verbind- ung PR. gleich sein, welcher, die Erbschaftsformel r +p hat. Dieses Beispiel zeigt aber, wie wichtig in der Lehre von - der Bastardbildung die richtige Anwendung der Erbschafts- formel ist, di h. die richtige Bestimmung des Antheils, den die Stammformen an der hybriden Verbindung haben. Wenn \ 249 man mit diesem Criterium die so zahlreichen Angaben von Kölreuter und Gärtner über die ursprünglichen und ab- geleiteten Bastarde von Nicotiana rustica und N. pani- culata mit einander vergleicht, so findet man zwar manche scheinbare Widersprüche, so dass man zunächst geneigt ist, an Irrthümer bei der Bestimmung oder an Verwechslungen bei den durch viele Jahre sich hinziehenden Versuchen zu denken. Da der vorhin genannte Gärtner’sche Bastard mit der Erbschaftsformel 5r + 3p der N. paniculata ähnlicher war als der N. rustica, so -könnte man daraus schliessen wollen, dass N. paniculata ein starkes Ueber- gewicht über N. rustica habe, denn 3p wäre > 5r; während aus den zurückkehrenden Bastardformen, wie. ich früher zeigte, die Gleichung 10p = 7r folgt. Indessen muss man mit der Bestimmung des Erbschaftsantheils aus der Aehnlichkeit der Bastarde sehr vorsichtig sein, da, wie ich schon gesagt habe, innere Eigenschaften vorhanden sein können, welche mit den äussern Merkmalen in Widerspruch stehen und welche die eigentliche Verwandtschaft bedingen. Dieselben bleiben oft in einzelnen Generationen verborgen und geben sich erst in andern durch die äussern Merkmale kund. — Dass bei der hybriden Befruchtung von Nico- tiana rustica mit N. paniculata die erstere das Ueber- gewicht kat, geht auch aus verschiedenen Angaben Köl- reuter’s hervor. So fand er constant, dass die Verbind- ungen mit der Erbschaftsformel 3r + p, nämlich R-PR und R-RP ziemlich fruchtbar, die Verbindungen mit der Erb- schaftsformel 3p + r, nämlich P-PR und P-RP dagegen fast ganz unfruchtbar waren. Besondere Schwierigkeiten bieten sich bei der Entwicke- lung der Erbschaftsformeln für Bastarde von 3 und mehre- ren Arten dar, da das Verhältniss der Bastardirungsäqui- valente unbekannt ist. Ich habe bereits bemerkt, dass wenn zwischen A und B und zwischen A und C die Ver- o 250 hältnisse a:b und a:c bestehen, das Verhältniss zwischen B und C nicht etwa b:c sein wird. Wir dürfen also aus der Abstammungsformel C-AB nicht die Erbschaftsformel a + b + 2c ableiten, denn C verbindet sich mit A in AB durch einen andern Antheil als mit B. Die Formel muss. somit durch a + b + c + ce’ ausgedrückt werden, worin ce’ das Bastardirungsäquivalent von C in Verbindung mit B bedeutet. — Mit dem eben genannten Bastard verbinde sich D zu einem sogenannten quaternären Bastard. Die Aequivalente von D seien in den Verbindungen mit A, B und © gleich d, d’ und d”. Ist die Abstammungsformel D-C-AB, so wird die Erbschaftsformel a + b + e t c ne Ron fa Ga Für andere Abstammungsformeln der quaternären Bastarde werden die Erbschaftsformeln noch viel verwickelter. Es ist überflüssig, dass ich auf solche verwickelte Ver- hältnisse eintrete, ebenso dass ich noch von den quinären und senären Bastarden spreche, deren Erbschaftsformeln Aus- drücke von nicht zu bewältigender Complication, darstellen. Es war mir nur darum zu thun, einerseits zu zeigen, auf wie unsichern theoretischen Grundlagen die Beurtheilung der aus 3 und mehr Species zusammengeseizten Bastarde ruht, und ferner auf den Schlüssel hinzuweisen, der uns über manche Angaben betreffend diese Bastarde Aufschluss giebt, welche nach der gewöhnlichen Annahme der gleichen Betheiligung verschiedener Species bei der Bastardbildung sich nicht erklären lassen ®). 4) Für Letzteres möge hier ein Beispiel folgen. Wichura ver- gleicht folgende zwei Weidenbastarde mit einander: Salix [Q (@ vi- minalis + G daphnoides) + GS caprea] und Salix [Q (Gea- prea + Q daphnoides) + g (Q viminalis + Q caprea) | Dieselben haben nach seiner Annahme ganz die gleichen Erbschafts- TEE Eu RE EL ne Een ee EEE ET nme ee Ae Bar = a. u EL 251 Die abgeleiteten Bastarde bestätigen im Allgemeinen alle Regeln, welche aus dem Verhalten der einfachen Ba- starde festgestellt wurden; nur dass die Ausnahmen und Ab- weichungen bei jenen noch häufiger auftreten als bei diesen, dass älso die Regeln sich innerhalb weiterer Grenzen be- wegen. Es ist vor Allem hervorzuheben, dass ein Ba- stard, vorausgesetzt dass er fruchtbar ist, die hybride Be- fruchtung mit einem andern Bastard oder mit einer reinen Form in gleicher Weise vollzieht, wie es die reinen Formen unter einander thun, und dass er mit allen seinen Eigen- thümlichkeiten auf die Bildung der neuen Verbindung in gleicher Weise einwirkt, wie es eine reine Form thut. Nur ist im Auge zu behalten, dass der Bastard in bestimmten Dingen wesentlich von den reinen Formen verschieden: ist, und dass daher auch seine Abkömmlinge von den Bastarden der reinen Formen sich gewissermaassen unterscheiden müssen. Die Verbindung zwischen den Bastarden erfolgt gemäss ihrer sexuellen Affinität, welche verschieden ist von der systematischen oder äussern und der chemisch-physikalischen oder innern Verwandtschaft. Wie zuweilen zwei reine Formen formeln nämlich !/⁄4 daphnoides + 7/4 viminalis + ‘/:caprea. Er giebt aber an, dass sie keineswegs gleich seien. Nach meiner Bezeichnungsweise hat die erste Verbindung die Abstammungsformel C-DV, die zweite CV-DC. Die Erbschaftsformel für die erstere ist ce+c+d-+v; d und v sind nämlich die Bastardirungsäquiva- lente zwischen D (daphnoides) und V (viminalis), d und c die Aequivalente zwischen D und © (caprea); v und c’ zwischen V und C. — Die Erbschaftsformel für CV ist c + v, diejenige für DC ist d+ c und die Erbschaftsformel von CV-DC vereinigt die Aequivalente c + e + epe + d+ ac a Ts oe Sie ist daher ` Cc Cc eine andere als die Formel fiir C-DV, und es kénnen die beiden zusammengesetzten Bastarde nicht gleich sein, ae i tei ag Er NE = a re RER 252 A und B leicht sich zu AB, aber schwer zu BA verbinden, so kommt es auch vor, dass zwei Bastarde A + B und C + D sich leichter zu (A+B)(C+D) als zu (C+D)(A+B) vereinigen. Dieses Gesetz tritt aber bei der Befruchtung der Ba- starde unter einander und mit reinen Arten nicht so deut- lich hervor, weil ihre Sexualorgane in ungleichem Maasse geschwächt sind. Wir können die geschlechtliche Verwandt-- schaft verschiedener Pflanzen zu einander nur dann aus den Befruchtungserfolgen entnehmen, wenn ihre Fortpflanzungs- werkzeuge einen annähernd gleichen Grad der Vollkommen- heit besitzen: Ist diess nicht der Fall, so giebt die Lebens- kräftigkeit der Sexualorgane, nicht die Verwandtschaft den Ausschlag. Desswegen wird der Bastard A + B leichter durch A oder durch B, selbst leichter durch eine verwandte andere Art C befruchtet als durch sich selbst. Wenn man also auf die Narben des Bastards zugleich eigenen "Pollen und solchen von A, B oder C bringt, so erhält man nicht etwa die Verbindung (A+B)(A+B) sondern A (A+B) oder B (A+B) oder C (A+B). Ebenso wird A (A+B) leichter durch A bestäubt als durch sich selbst, und giebt also eher Samen von der Form A-A(A+B) als von A(A+B)-A(A+B). Es ist ferner häufig der Fall, dass der Bastard A+B sich durch A oder B befruchten lässt, während er selber weder A noch B zu befruchten vermag. Auch diese Er- scheinung dürfte nur in den seltensten Fällen ihren Grund in einer ungleichen geschlechtlichen Affinität haben, meistens aber in dem Umstande, dass die männlichen Organe von A + B mehr geschwächt sind als die weiblichen. Der grössern Neigung des Bastards, sich mit einer ver- wandten reinen Form als mit sich. selbst zu verbinden, ent- spricht natürlich auch eine reichlichere Samenbildung bei dieser Verbindung. Bestäubt man die Narben von A + B mit einer überflüssigen Menge Pollen, so wird eine grössere 253 Menge von Eichen befruchtet, wenn der Pollen von A oder B als wenn er von A +B genommen wurde. Die Fruchtbarkeit der abgeleiteten Bastarde, d. h. ihre Fähigkeit, zu befruchten und befruchtet zu werden, ist im Allgemeinen um so geringer, je mehr sie genaue Mittel- bildungen sind, um’ so grösser, je mehr sie sich in ihrer Erbschaftsformel einer Stammart nähern. Desswegen ist die Verbindung A (A+B) fruchtbarer als A + B, aber unfruchtbarer als A-A(A+B). Wenn also ein einfacher Ba- stard (A+B) durch wiederholte Befruchtung mit. einer der beiden Stammarten in diese zurückgeführt wird, so nimmt die Fruchtbarkeit mit jeder folgenden Generation zu, wie auch die Pflanzen mit jeder Generation der Stammart ähn- licher‘ werden. Bemerkt man keinen Unterschied mehr zwischen der hybriden Verbindung und der reinen Art, so so hat jene auch nahezu oder ganz die vollkommene Frucht- barkeit wieder erlangt, was bei verschiedenen Species- bastarden bald schon: mit der dritten bald erst mit der siebenten Generation eintrifft. — Kölreuter berichtet, dass der zuriickkehrende Bastard von Nicotiana rustica und N. paniculata mit der Abstammungsformel P-P-P-PR oder 3P-PR gar keine merkliche. Differenz von Nicotiana’ pani- culata erkennen liess, dass er aber noch nicht die voll- kommene Fruchtbarkeit in den männlichen Organen erreicht hatte, indem der Pollen: neben ‘anscheinend normalen noch einige wenige verkümmerte Körner enthielt. Die Erbschafts- formel: ist 15p + r. — Die folgende Generation, abermals durch Befruchtung mit N. paniculata erhalten; mit der Abstammungsformel 4P-+PR und der Erbschaftsformel 3lp-+r war in vegetativer ‘und. reproduktiver Beziehung identisch mit N. paniculata. Doch gilt die Regel, dass der Bastard A(A-FB) frucht- barer sei als A +B, und 2A(A+B) fruchtbarer als A(A+B) nicht unter allen Umständen: Es giebt zwei Ursachen für 254 die nicht, seltenen Ausnahmen. Die eine besteht darin, dass die Form A-AB in der Regel unfruchtbarer ist als A-BA und ebenso 2A-AB unfruchtbarer als 2A-BA; ich werde auf diesen Punkt bei der Betrachtung des Einflusses von Vater und Mutter zurückkommen. Dabei trifft es sich zuweilen, dass die Fruchtbarkeit der beiden Formen A-AB und 2A-AB so geschwächt ist, dass die erste Form durch AB und BA, die zweite man A-BA übertroffen wird. — Eine EN Ursache liegt: in der Varietätenbildung; der Bastard A(A+B) tritt häufig in zwei oder mehreren Formen auf, welche eine ungleiche Fruchtbarkeit besitzen und von denen die einen unfruchtbarer sind als A + B. Diese Varietätenbildung zeigt uns auch, dass wir die allgemeine Regel über die Fruchtbarkeit der abgeleiteten Bastarde nicht so formuliren dürfen, wie es bisher geschehen ist, indem wir nämlich sagen, es seien dieselben um so frucht- barer, je mehr sie sich in ihren Merkmalen einer Stammart nähern, Sie sind im Gegentheil nur insofern fruchtbarer, als sie durch die Erbschaftsformel ihr näher kommen. Wenn von den Bastarden AB oder AB-AB einige Pflanzen der Stammart A oder B sehr ähnlich sind (während die übrigen einen mittlern Typus bewahren), so zeichnen sich dieselben meistens: durch grössere Unfruchtbarkeit aus. Die hybriden ` Formen A-AB und und B-BA sind den Stammformen eben- falls sehr ähnlich, aber zugleich auch fruchtbarer als AB und BA. 7 Eine andere allgemeine Regel, die ich schon in meiner frühern Mittheilung ($ 3) erwähnt habe, ist die, dass ein Speciesbastard bei der Selbstbefruchtung von Generation zu Generation steriler wird. Er stirbt bald schon in der 2. und 3., bald erst in der 9. oder 10. Generation aus. Doch erleidet auch diese Regel ihre Ausnahmen, indem es Art- bastarde giebt, deren Fruchtbarkeit von Generation zu Generation zunimmt und wieder vollkommen wird. 255 Letzteres ist um so ‘eher der Fall, je mehr ein Bastard sich in der Erbschaftsformel einer reinen Art nähert. Ich erwähne nur des einen Beispiels, das in neuester Zeit viel besprochen wurde. Der ursprüngliche Bastard von Triti- cum vulgare Lin. und Aegilops ovata Lin. (nach der Formel VO), welcher den Namen Aegilops triticoides Requien fiihrt, ist in hohem Grade unfruchtbar. Der abge- leitete Bastard nach der Formel V-VO:‘ (also aus der Be- fruchtung der ursprünglichen hybriden Verbindung durch Triticum vulgare erhalten), welcher Aegilops speltae- formis Jordan heisst, : bildet dagegen zahlreiche Samen und pflanzt. sich wie eine reine Form fort. — Godron giebt ähnliche Beobachtungen an Arten von Linaria, Nicotiana und Primula an. — | Endlich können wir noch als allgemeine Regel aus- sprechen, dass ein abgeleiteter Bastard um so steriler ist, je: mehr verschiedene Arten in demselben vereinigt sind. Der Bastard (A+B)+C ist also unfruchtbarer als A+B, als A+C und als B+C; und der Bastard (A+B)+(C+D) ist steriler als die zwei- und dreigliedrigen Bastarde, die aus A, B, C und D zusammengesetzt sind. Dabei wird. aber vorausgesetzt, dass die Arten ungefähr gleich nahe mit ein- ander verwandt seien. Denn wenn A und C sich näher stehen als A und B, so kann (A+B)+C an Fruchtbarkeit die ursprüngliche hybride Form A+B. übertreffen; und wenn A mit C näher verwandt ist als A mit B und © mit Ð, so kann (A+B)+(C+D) fruchtbarer sein als (A+B)+D und fruchtbarer als B+(C+D). Im Uebrigen wiederhole ich, dass die abgeleiteten Ba- stardpflanzen der gleichen Generation in ihrem Zeugungs- vermögen sich oft sehr ungleich verhalten. Das schliesst jedoch nicht aus, dass es auch Beispiele giebt, wo alle Individuen einer Generation ziemlich gleich fruchtbar sind. Zu diesen Beispielen gehören nach Wichura die Weiden, 256 n Wie mit’ der Fruchtbarkeit verhält es sich mit der Formbildung. Die abgeleiteten Bastarde sind meistens auch in ihren systematischen Merkmalen sehr variabel. Sie haben die Neigung Varietäten zu bilden, welche, wie bei den ursprünglichen Bastarden, vorzugsweise in einer Annäherung an eine der Stammarten bestehen, indess die Varietäten solcher Bastarde, welche einer Stammart ähnlicher geworden sind, häufig die Reprodueirung der ursprünglichen hybriden Form darstellen. Die Variabilität der abgeleiteten Bastarde zeigt einige Analogie mit der Sterilität; oft nimmt sie mit derselben in gleichem Maasse zu und ab, doch steht sie zuweilen mit ihr im Widerspruch! Im Allgemeinen vermehrt sich die Variabilität bei gleicher Erbschaftsformel, mit den Genera- tionen. Ich habe schon in meiner frühern Mittheilung an- geführt, dass der Bastard A + B in’der ersten Generation gewöhnlich einformig ist, und dass er in den folgenden Ge- nerationen meistens vielformig wird. Ebenso werden die hybriden Formen A (A+B), 2A (A+B) und C++ (A+B), wenn sie sich durch Selbstbefruchtung oder Inzucht fortpflanzen, variabler. : Die abgeleitete Bastardform ist ferner um so einformiger, je grösser die Aequivalentzahl, mit der eine Stammart in der Erbschaftsformel erscheint, wenn alles Uebrige nament- lich die Generation sich gleich verhält. So ist A (A+B), dessen Erbschaftsformel 3a+b, weniger variabel als (A+B)- (A+B), aber variabler als A+B, weil dieses ein Bastard der ersten, jenes ein Bastard der zweiten Generation ist; ebenso ist 2A(A+B) mit der Erbschaftsformel Ta+b weniger variabel als (A+B)(A+B), ebenso weniger variabel als A(A-+B)-A(A-+B), manchmal selbst als A(A+B), ob- gleich dieses eine Generation weniger hat; letztere beiden haben die Formel 3atb. i Endlich kann noch als Regel ausgesprochen werden; 257 dass, unter übrigens gleichen Umständen, die Variabilität mit der Zahl der in einem Bastard vereinigten Arten zu- nimmt; indessen lässt sich diess auch auf die Regel zurück- führen, dass die Variabilität mit der Abnahme der Aequi- valentgrössen sich steigert. Denn wenn die hybride Form (A+B)-+(C+D) an Vielförmigkeit (A+B)+(A+C) übertrifft, so kann diess mit dem Umstande zusammenhängen, dass in der erstern die Stammart A mit a, in der zweiten mit 2a enthalten ist. Es kommen auch noch andere Umstände ‚hinzu, welche die Vergleichung erschweren. Wenn z. B. der genannte Bastard (A+B)+(C+D) variabler ist als (A+B)+C, so muss ausser dem, dass dort die Species C mit c, hier mit 2c erscheint, noch berücksichtigt werden, dass in der erstern Verbindung die beiden Eltern Bastarde sind, in der zweiten nur der eine Theil. Ich habe in der frühern Mittheilung über die Bastard- bildung gezeigt, dass es nicht ganz gleichgültig ist, ob zur” Bildung des Bastards A+B die Stammart A als Vater oder als Mutter mitgewirkt habe. In den meisten Fällen» lässt sich zwar AB äusserlich nicht von BA unterscheiden; aber das Verhalten der folgenden Generationen zeigt, dass innere Differenzen zwischen jenen Formen bestehen. Das Gleiche lässt sich an den abgeleiteten Bastarden nachweisen. Die wechselseitige Befruchtung zweier Formen ergiebt namentlich Unterschiede in der Fruchtbarkeit und in der Variabilität. Eine besonders bemerkenswerthe Erscheinung ist die, dass Bastarde, mit dem Pollen reiner Arten befruchtet, ein anderes Produkt geben, als wenn die reinen Arten von den Bastarden bestäubt werden. Die Verschiedenheit besteht darin, dass die Bastarde mit der Abstammungsformel A-AB und A-BA viel einförmiger und auch fruchtbarer sind als die Bastarde AB-A und BA-A. Ebenso ist A-BU einförmiger und fruchtbarer als BC-A; ebenso A-(BC-B) weniger variabel 258 als (BC-B)-A. Der hybride Pollen hat also in höherm Grade als das hybride Ovulum die Fahigkeit, seiner Nachkommen- schaft eine grosse Vielgestaltigkeit und relative Sterilität zu verleihen. Gärtner führt ferner mehrere Beispiele an, wo die Bastarde von der Form AB-BA absolut unfruchtbar sind, während einige davon in der Form AB-AB noch einige Fruchtbarkeit besitzen. So ist der Bastard von Aquilegia atropurpurea und A. canadensis von der Zusammen- setzung AC-CA vollkommen steril, während CA ausgezeichnet fruchtbar ist und sich fast wie eine reine Art mit unver- ändertem Typus fortpflanzt. Es scheint endlich allgemeine Regel zu sein, dass die | hybride Form A-AB weniger fruchtbar ist als A-BA. — Hieher gehört ebenfalls die allgemeine Thatsache, dass A-AB viel steriler ist als B-AB d.h. dass ein Bastard (AB), durch ‘seinen Vater (A) befruchtet, ein zur Fortpflanzung viel un- tauglicheres Produkt giebt, als wenn er von seiner mütter- lichen Pflanze (B) bestäubt wird. Die Vermuthung liegt hier zwar nahe, dass. das Resultat nicht durch den Einfluss des Vaters und der Mutter, sondern der. beiden Stammarten bedingt werde. Wenn das Bastardirungsäquivalent von B grösser wäre als dasjenige von A (also b>a), so würde sich die grössere Sterilität von A-AB gegenüber von B-AB leicht begreifen. Denn die letztere Form würde sich B mehr nähern, als die erstere sich A nähert. Diese Voraus- setzung trifft zwar für einige Fälle ein, nicht aber für alle. So ist der Bastard von Nicotiana rustica und N. pani- culata von der Form P-PR weniger fruchtbar als R-PR, und, wie ich früher zeigte, ist p` angehérend, für die folgenden Mittheilungen aufbehalten bleiben. | Geum urbanum Lin. und G. rivale Lin. — Das als besondere Art unterschiedene G. intermedium Ehrh. ist hybrid und muss G. (rivale + urbanum) heissen. Seine Individuenzahl verhält sich auf den Standorten, wo es über- haupt vorkommt, wie 1 zu mehreren Tausenden. Saxifraga mutata Lin. und S. aizoides Lin. Die Mittelform kommt stellenweise in Gemeinschaft mit den beiden Hauptarten und im -Vergleich mit diesen in sehr geringer Individuenzahl vor. Sie ist hybrid und als S. (aizoides + mutata) zu bezeichnen, von Girtanner S. mutato-aizoides genannt. Dieser Bastard zeigt uns übri- gens deutlich, dass die jetzigen Sectionen der Gattung Saxi- fraga nicht natiirlich sind. Man stellt die beiden eben genannten Arten in zwei verschiedene Sectionen, obgleich sie unter einander grössere Verwandtschaft haben als mit den Arten ihrer Sectionen. | Jnula salicina Lin. und J. Vaillantii Vill. Die Mittelform J. semiamplexicaulis: Reuter kommt in Genf äusserst spärlich zwischen den Stammarten vor und ist | hybrid: J. (hirta + Vaillantii). Senecio incanus Lin. und S, uniflorus All. In '327 den Alpen von Zermatt sammelte ich schon im Jahr 1839 die Mittelform, welche die beiden Hauptarten durch allmäh- liche Uebergänge verbindet und nannte sie damals 8. oli- gocephalus (in lit.). Ich bin jetzt nicht sicher, ob die- selbe hybrid oder constant ist, da ich früher nicht so genau auf die Vorkommensverhältnisse achtete. Diese Uebergangs- form scheint mir aber desshalb einer Erwähnung werth, da sie eine merkwürdige Analogie bildet zu gewissen Mittel- formen der Gattungen Cirsium und Hieracium. Bei Hieracium Pilosella ist der Schaft einköpfig und un- mittelbar am Grunde verzweigt (wenn überhaupt Verzweigung - statt findet); die verwandten Arten H. Auricula, H. gla- ciale, H. praealtum, H. eymosum, H. pratense, H. aurantiacum haben ihre kleinen Köpfchen am Ende des Schaftes mehr oder weniger gehäuft. Die Zwischenformen zwischen H. Pilosella und den eben genannten Arten zeigen alle einen gabelig verzweigten Schaft mit langgestielten Köpfchen von mittlerer Grösse. — Senecio uniflorus trägt ein grosses Blüthenköpfchen am Ende des Stengels, welcher meistens unverzweigt ist, zuweilen jedoch am Grunde einen Ast von fast gleicher Höhe und ebenfalls mit einem grossen endständigen Blüthenköpfchen‘ treibt. Bei S. incanus sind die kleinen zahlreichen Köpfchen am Ende des Stengels ge- häuft. Bei der Uebergangsform 8. oligocephalus beginnt die Verzweigung des Stengels unter oder wenig über der Mitte; er trägt 2—5 langgestielte Köpfchen von mittlerer Grösse. — Aehnliche Verhältnisse wiederholen sich bei den Zwischenformen von Cirsium acaule und C. rivulare, C. acaule und C: heterophyllum, C. acaule und C. oleraceum, und andern. Achillea nana Lin. und A moschata Wulfen. Die Mittelform kommt sehr spärlich unter den Stammarten vor; ich fand sie früher im Oberwallis und auf dem Bernina im Oberengadin und hielt sie für hybrid: A. (moschata + nana). 328 Unter dem Namen A. hybrida Gaudin gehen zwei Pflanzen: die eben genannte Mittelform und eine halbkahle Varietät der A. nana. Achillea moschata Wulfen und A. atrata Lin. Die Mittelform beobachtete ich vor längerer Zeit sehr spärlich unter den Stammeltern auf dem St. Gotthard und hielt sie für einen Bastard: A. (atrata + moschata). Vielleicht gehört hieher A. moschata 8 impunctata DC. Prodr. A, atrata Lin. und A. macrophylla Lin. Die Mittel- form, welche als A. Thomasiana Hall. fil. bekannt ist. kommt im Oberwallis spärlich unter den Eltern vor, von denen sie ohne Zweifel abstammt: A. (atrata + macro- phylla). — In DC. Prodrom. ist die Vermuthung aus- gesprochen, es möchte A. Thomasiana ein Bastard von A. Clavennae und A. atrata sein. Die Exemplare, die ich kenne, haben nichts von A. Clavennae an sich, und diese Art kommt im Verbreitungsbezirke von A. Thoma- siana gar nicht vor. Achillea moschata Wulfen und A. macrophylla Lin. Die Mittelform, die ich vor längerer Zeit ebenfalls im “Wallis äusserst spärlich unter den Stammarten fand, gleicht der vorhergehenden im Habitus sehr und geht ebenfalls als - A. Thomasiana Hall. fil. Sie ist zweifellos ein Bastard: A. (macrophylla + moschata). Cirsium (lanceolatum ‘+ palustre). Ein einziges Exemplar unter vielen tausend Individuen beider Stammarten in abgehauenen Wäldern bei Zürich. Cirsium (acaule + lanceolatum). Ein Exemplar unter vielen Tausenden. der Stammeltern bei Schaffhausen. Cirsium (bulbosum + palustre). Einige wenige Exemplare der urspriiglichen Bastardform unter vielen Tau- senden der beiden Stammarten bei Ziirich und bei Miinchen. Diess ist die Pflanze, die ich als C. palustri-bulbosum in Koch Synops, Edit II pag. 997 aufgeführt habe. Häufiger 329 sind die Formen, welche zwischen dem ursprünglichen Bastard und C. bulbosum sich bewegen und alle Uebergänge darstellen. Eine Varietät, die sich dieser Art bloss durch die grössern Köpfe und längern Blüthenstiele nähert, und die vielleicht aus der Befruchtung des Bastards durch ‘C. bulbosum (weniger wahrscheinlich aus der Selbstbefruchtung des ur- sprünglichen Bastards) hervorgegangen ist, nannte ich irriger . Weise C. bulboso-palustre? (l. c. p. 997). Pflanzen, die sehr nahe zu C. bulbosum zurückgegangen sind, habe ich als C. palustri-bulbosum B recedens (l. c. p. 997) aufgeführt. — Der vorliegende Bastard ist also jedenfalls in den weiblichen Organen fruchtbar und lässt sich durch C. bulbosum befruchten. Alle Formen desselben bringen ausgebildete Samen hervor. Uebergänge zu C. palustre mangeln. | Cirsium Er PADA + rivulare). Einige wenige Exemplare der ursprünglichen hybriden Fořm unter vielen ‘Tausenden der Stammeltern im Jura (Vallée de Joux), bei _ „Einsiedeln und im Sihlthal, bei München. Etwas häufiger ww sind die Varietäten, welche sich C. rivulare nähern. Der ursprüngliche Bastard, der die Mitte zwischen den beiden Stammarten hält, Garde von mir früher als C. palustri- rivulare (l c. 998), die Varietät, die in den Blüthenköpfen sehr ähnlich dem C. rivulare ist, aber stark herablaufende Blätter hat, als C. rivulari-palustre nnd die stark zu C. rivulare zurückgehenden Exemplare als C. palustri- rivulare B recedens bezeichnet. Exemplare, die sich dem C. palustre nähern, mangeln zwar nicht, sind ‘aber äusserst selten. — Der Bastard befruchtet sich also mit beiden Stammarten. Ob er zu Č. palustre eine geringere sexuelle Affinität habe, oder ob die Seltenheit der zu dieser Art zurückkehrenden Exemplare in der zweijährigen Dauer von C. palustre ihre Ursache finde, bleibt zweifelhaft. — 25 330 Alle Formen des Bastards tragen vollkommen entwickelte Samen. Cirsium (Erisithales + palustre). Von diesem Bastard bildete sich ein Exemplar in der Alpenanlage des botanischen Gartens in Zürich, und zwar unmittelbar neben C. Erisithales und in einiger Entfernung von C. palustre, so dass ich keinen Zweifel hege, es sei der hybride Same von dem erstern erzeugt worden und der Bastard somit ak C. palustri-Erisithales in Anspruch zu nehmen (l. c. p. 990). Es ist diess, ausser dem folgenden, der einzige Cirsienbastard, unter dessen Eltern ich den Vater und die Mutter bezeichnen kann. Cirsium Erisithales + (oleraceum + palustre). Von diesem abgeleiteten Bastard entstand ebenfalls ein Exemplar, gleichzeitig mit dem vorhergehenden und amo gleichen Orte, aus C. Eristhales und C. (oleraceum + palustre). Die nämlichen räumlichen Verhältnisse spre- chen auch hier für die Annahme, dass ©. Erisithales die Mutter, C. (oleraceum + palustre) der Vater war, dass also die hybride Pflanze ein C. (oleraceum + palustre) — Erisithales ist. Cirsium (oleraceum + palustre). Wo die Stamm- ` arten in Menge beisammen wachsen, da kommen in der Regel hybride Förmen vor. Der ursprüngliche Bastard ist seltener; häufiger sind die mehr oder weniger zu C. olera- ceum zurückkehrenden Pflanzen. Eine dem C. palustre sich nähernde Varietät habe ich noch nicht gesehen. Cirsium Chailleti Koch (non Gaud.). Ich habe diese Pflanze, von der ich nur ein einziges Exemplar gesehen hatte, früher als Bastard von C. palustre und C. arvense angesehen, zwischen denen sie gewissermassen in der Mitte steht. Das zahlreiche und constante Vorkommen, von dem ich erst später Kunde erhielt; verbietet die Annahme einer hybriden Abstammung. Weitere, an lebenden Pflanzen ge- 331 machte Untersuchungen miissen entscheiden, ob diese Art wirklich als Zwischenform zwischen den genannten zu be- trachten sei. | Cirsium (arvense + oleraceum). Vier Exemplare “` der ursprünglichen Bastardform und ein Exemplar der zu C. arvense zurückkehrenden Form unter vielen tausend / Pflanzen der Stammeltern in abgehauenen Wäldern bei | Zürich. Cirsium acaule und C. bulbosum. Ueber die Be- deutung der Zwischenformen, welche alle Uebergangsstufen | zwischen den beiden Arten darstellen, bin ich wieder zweifel- ~ haft. Zuerst hatte ich sie für nicht hybrid (Cirsien der ` Schweiz 1840), dann für hybrid gehalten (Koch Synops. Ed. sec. 1845). Es verhält sich damit wie mit mehreren Hieracien-Zwischenformen. Auf einigen Standorten treten ~ sie so auf, dass man’ sie für Bastarde ansehen muss, auf ‚x andern dagegen so, dass sie als constante Form erscheinen. Es ist sicher, dass die genaue Mittelform, welche gleich viel von beiden Hauptarten an sich hat, eine grosse Menge von .„ vollkommenen Samen reift. Doch ist diess noch nicht ent- ~< scheidend, da auch andere Cirsien-Bastarde fruchtbar sind. Wir haben zwei Auswege. Entweder sind alle Zwischen- -$ formen der genannten Arten hybriden Ursprungs, haben aber stellenweise eine den reinen Formen ähnliche Gonstanz er- langt. Oder sie sind auf verschiedene Weise entständen, am einen Ort durch Bastardirung der Hauptarten, am andern durch Transmutation vielleicht zur Zeit als die Hauptarten sich bildeten ?). 2) Fr. Schultz, welcher früher Cirsium medium als Bastard betrachtet hatte (Flora der Pfalz 1846), hält ihn neuerdings für nicht hybrid, da er die Pflanze an mehreren Orten nur mit C. acaule und nicht mit C. bulbosum gefunden habe (Phytostatik der Pfalz 1863). Ein solches Vorkommen habe ich ebenfalls beobachtet; doch 332 Cirsium acaule und C. rivulare. Die Bedeutung der Mittelform scheint mir ganz die gleiche zu sein wie in dem vorhergehenden Beispiel. Ich habe sie zuerst ebenfalls für nicht hybrid gehalten und C. Heerianum genannt (Cirs. d. Schweiz), nachher für hybrid (Koch Synops. Edit. sec.). . Ich kenne sie bloss aus der Vallée de Joux im Waatländer Jura, wo ich sie theils mit beiden Hauptarten , theils nur mit C. acaule gefunden habe. Sie geht durch unmerkliche Uebergänge sowohl. in C. acaule als in C. rivulare über; ‚alle Formen bilden vollkommene Samen. Cirsium acaule und C. heterophyllum. Die Mittel- form zwischen diesen beiden Arten (= ©. alpestre Nag.) ist. offenbar den beiden vorhergehenden analog. Sie ist die seltenste und auf dem einzigen Standort, wo ich sje gefunden habe, ohne Zweifel hybriden Ursprungs. Die Uebergiinge (zurückkehrenden Formen) zu ©. acaule sind vorhanden, diejenigen zu C. heterophylinm mangeln noch, — Die Mittelform wächst auch bei Kals im südlichen Tyrol, nach einem von Molendo daselbst gefundenen Exemplar. ist es selten und nach meiner Erfahrung findet sich ©. medium nur dann mit C. acaule oder mit C. bulbosum allein auf einem Standorte, wenn in der gleichen Gegend auch die andere Hauptart wächst. Man muss übrigens, wie ich weiter oben ausgeführt habe, mit der Unterscheidung von C. medium und C. acaule caulesc- ens sehr vorsichtig sein. Ich weiss nicht, ob Fr. Schultz dar- auf hinreichend geachtet hat, da die besten Kenner sich leicht täuschen. So habe ich ein unzweifelhaftes Exemplar von C. acaule caulescens aus der Pfalz, das mir von C. H. Schultz Bip. als C. Zizianum Koch (= C. medium All.) mitgetheilt wurde, So liegen im Herbarium boicum der Münchner Akademie zwei in Oberst- dorf im Allgäu gesammelte, von Sendtner als Cirsium acauli- rivulare das eine, das andere als C. rivulari-acayle bestimmte Pflanzen, in denen ich nichts anderes als C. acaule caulesc ens erkenne. 333 C. bulbosum. und C. rivulare. Die Mittelform, von der ich bei München unter Tausenden von Exemplaren der beiden Hauptarten nur zwei Pflanzen bis jetzt gefunden habe, und die auch von andern hiesigen Botanikern nicht gefunden wurde, ist hier sicher hybrid. Ob sie in Württemberg, wo sie in Menge vorzukommen scheint, und Uebergänge zu C. bulbosum und ©. rivulare bildet, als constante Form auftritt, weiss ich nicht. Cirsium (heterophyllum + spinosissimum). Immer spärlich unter den Stammarten. Im letzten Sommer fand ich in den Alpen um Hinterrhein (Ct. Graubündten), welche ich drei Wochen lang durchstreifte, bloss an zwei Stellen, an der einen 3, an der andern 4 Exemplare. Es giebt zurückkehrende Formen sowohl zu C. spinosissimum als zu C. heterophyllum. Cirsium (bulbosum + oleraceum). Dieser Bastard kommt fast überall vor, wo die beiden Stammarten in Menge beisammen wachsen, doch immer in verhältnissmässig spär- licher Individuenzahl. Durch Befruchtung mit den beiden Stammeltern werden alle Uebergänge zu denselben gebildet. Der ursprüngliche Bastard sowie diese zurückkehrenden Formen bringen vollkommene Samen hervor. C. oleraceo- bulbosum Näg. in Koch Syn. Ed. sec. p. 1008 ist der ursprüngliche Bastard. C. bulboso-oleraceum |. c. p. 1007 ist eine Varietät, die sich etwas dem C. bulbosum nähert. ag C. (oleraceum + rivulare). Dieser Bastard verhält sich ganz wie der vorhergehende, nur dass er etwas weniger spärlich auftritt. C. (acaule + oleraceum). Das Verhalten ist das nämliche wie das von C. (bulbosum + oleraceum). C. (medium + oleraceum). Ich habe nur zwei Exemplare gefunden, die sicher diesen Ursprung haben und genau in der Mitte stehen zwischen ©. (acaule + olera- 334 ceum) und ©. (bulbosum +` oleraceum): Wenn C. medium ein Bastard ist, so wäre die Pflanze ihrer Ab- stammung nach als C. [(acaule + bulbosum) + oleraceum] zu bezeichnen. Man könnte auch den Ursprung aus C. (acaule + oleraceum) und C. (bulbosum + oleraceum) vermuthen, da alle diese Bastarde fruchtbar sind: Indess ist mir die erstere Ableitung die wahrscheinlichere, weil ich C. (acaule + oleraceum) wohl in der Gegend, nicht aber auf dem nämlichen Standort gefunden habe. Mit dem frag- lichen Bastard kamen zugleich vor, auf der einen Localität: C. acaule, C. bulbosum, GC. medium, ©. oleraceum und C. (bulbosum + oleraceum), auf der andern Loca- lität nur C. medium, C. bulbosum und C. oleraceum. C. (Heerianum + oleraceum). Von diesem Bastard, der das Analogon zu dem vorhergehenden bildet, und genau die Mitte zwischen ©. (acaule + oleraceum) und C. (oleraceum + rivulare) hält, habe ich ein einziges Exemplar in der Vallée de Joux gefunden, zugleich mit C. Heerianum, C. acaule und C. Oleraceum, die sich in | nächster Nähe befanden. Die Abstammung muss, wenn C. Heerianum als Bastard angesehen wird, durch C. [(acaule + rivulare) + oleraceum] ausgedrückt werden. Cirsium (heterophyllum + oleraceum). Einige wenige Exemplare des ursprünglichen Bastards (C. oleraceo- heterophyllum Näg. in Koch Syn. Ed. sec. p. 1009.) unter vielen Tausenden der Stammarten auf feuchten Wiesen bei Klosters im Prättigäu. C. heterophyllo-oleraceum Näg. l. c. p. 1010 ist eine Varietät, die sich etwas dem C. he- terophyllum nähert. Rhododendron ferrugineum Lin. und Rh. hirsu- tum Lin. ‚Diese beiden Arten schliessen sich häufig ‘aus, und stehen dann nur auf einer schmalen Strecke, wo ihre Standorte an einander grenzen, gemengt. Zuweilen findet man sie auch auf grössern Strecken durch einander, sei es, 335 dass kalkreiche und kalkarme Stellen rasch mit einander wechseln, sei es dass der Boden einen mittlern Kalkgehalt habe (vgl. die Mittheilung vom 15. Decemb.). Fast überall, wo siein Gesellschaft auftreten, findet man einzelne Exemplare der Mittelform (Rh. intermedium), die übrigens durch un- merkliche Uebergänge init den beiden Hauptarten verbunden ist. Dieses Vorkommen lässt fast keinen Zweifel darüber, dass die Zwischenformen hybriden Ursprungs und als Rh. (ferrugineum + hirsutum) zu bezeichnen seien, und dass der ursprüngliche Bastard mit den beiden Stammarten fruchtbare Verbindungen eingehe. Gentiana (lutea + punctata) = G. Charpentieri Thom. Dieser Bastard wächst in ziemlich spärlicher Indi- viduenzahl unter einer grossen Menge von Pflanzen der beiden Stammarten im Oberengadin. Gentiana campestrisLin, und G. obtusifolia Willd. Dass es zwischen diesen beiden Arten Zwischenformen giebt, ist schon wiederholt von den Floristen erwähnt worden. Die- selben sind, wie mir namentlich folgende Beobachtung zeigt, nicht hybrid. Am Piz Padella bei Samaden im Oberengadin fand ich auf einer Höhe von etwa 7500’ fast ausschliesslich Zwischenformen, während die zwei Hauptarten ziemlich selten waren. Diese Zwischenformen stellen alle möglichen Ueber- gänge von der einen Art in die andere dar. Die Blätter varliren von eiförmig bis länglich, von spitz bis stumpf, von kurzgestielt bis sitzend; die Kelchlappen von sehr ungleich bis zu fast gleich; die Blumenkronen ‘von vier- zu fünfspaltig. Es giebt Pflanzen, an denen die einen Blüthen vierspaltige Kronen und kathe Kelchlappen, die andern fünfspaltige Kronen und gleiche Kelchlappen besitzen, wo also Blüthen von G. campestris und G. obtusifolia auf dem gleichen Individuum vereinigt sind. Es kommen, zwar seltener, auch Blüthen mit vierspaltiger Krone und mit fast gleichen Kelchlappen vor, und ferner solche mit fünf- 336 spaltiger Krone und ungleichen Kelchlappen, also Blüthen, welche die Merkmale der beiden Arten vereinigen. Diese Form würde wegen der Combination der Merkmale mit Recht als Var. mixta zu bezeichnen sein. Die Inconstanz der Merkmale zeigt uns ferner, dass die beiden Arten wohl in eine zu verschmelzen sind, was auch die Annexion anderer verwandter Arten mit Nothwendigkeit- nach sich ziehen dürfte. r Pedicularis incarnata Jacq. und P, recutita Lin. Die Mittelform zwischen diesen beiden Arten ist P, atro- rubens Schleich. Dieselbe kommt, nach meinen Beobacht- ungen, bloss mit den beiden genannten Hauptarten und zwar nur spärlich unter grossen Mengen derselben vor, In dieser Weise fand ich sie auf dem grossen St. Bernhard, auf dem Bernina und an einigen andern Stellen des Oberengadins, Sie ist sicher hybriden Ursprungs und somit Pedicularis (incarnata + recutita) zu nennen. Primula acaulis Jacq. und P. officinalis Jacq. Die Mittelform zwischen diesen beiden Arten, welche von Goupil P. variabilis, von Godron P. officinali-grandiflora genannt wurde, hat in den letzten Jahren Veranlassung zu wiederholten Diseussionen in Frankreich gegeben. Aus den dabei festgestellten Thatsachen können nach meiner Ansicht zwei sichere Schlüsse gezogen werden. 1) Es giebt Gegenden, wo die genannte Mittelform als unzweifelhafter Bastard auf- tritt, wie sie auch wirklich durch künstliche Befruchtung von P. acaulis mit Pollen von P. officinalis hervor- gebracht wurde. Ich habe die Pflanze früher bei Genf be- ‘obachtet, wo sie ebenfalls als hybrid betrachtet werden muss, da sie in spärlicher Zahl zwischen grossen Mengen der beiden Hauptarten auftritt. Insofern ist sie als P. (acau- lis + officinalis) zu’ bezeichnen. 2) An andern Orten kommt die Mittelform ohne die eine der beiden Hauptarten vor und erhält sich durch eigene Aussaat constant‘, wie 337 Lebel und Rochebrune gezeigt haben. Insofern ist sie P. variabilis zu nennen. Dabei bleibt unentschieden, ob sie ursprünglich durch Transmutation oder durch Bastar- dirung entstanden sei, — Die Zwischenformen zwischen den beiden Primula-Arten verhalten sich also ganz analog wie manche intermediäre Hieracien, die ebenfalls auf doppelte Weise, nämlich als Bastarde mit verminderter Fruchtbarkeit und als constante Formen mit vollkommener Fruchtbarkeit in verschiedenen Gegenden vorkommen. Primula integrifolia Lin. und P. latifolia Lapeyr. Die Mittelform zwischen diesen beiden Arten, die als P. Muretiana Moritzi oder P. Dinyana Lagger bekannt ist, kommt auf dem Albulapassin Graubündten unter den beiden Stammarten vor. Sie ist an dem klassischen Standort zwar Dicht selten, tritt aber an Individuenzahl immerhin sehr zurück gegenüber den Hauptformen. Da sie überdem sonst nicht ohne die beiden genannten Arten gefunden wird, so ist ihr hybrider Ursprung wohl nicht zu bezweifeln. Ueber- gänge zu P. integrifolia und zu P. latifolia beweisen, dass sie sich mit beiden fruchtbar kreuzt. Nigritella suaveolens Koch. Das Vorkommen dieser sehr seltenen Pflanze lässt nicht bezweifeln, dass sie hybriden Ursprungs sei. Ich traf dieselbe nur in Gemeinschaft mit Nigritella angustifolia Rich, Gymnadenia odora- tissima Rich. und G. conopsea R. Br. und zwar dusserst Sparlich. Unter Millionen Exemplaren der genannten Arten fand ich nach vielem Suchen auf wiederholten Excursionen ‘In Parpan (Ct. Graubündten) 2, auf dem Albula 1 und bei St. Moritz in Oberengadin an zwei Standorten je 1 Exemplar der Mittelform. Die Affinität, welche, wie die hybride Be- fruchtung beweist, zwischen den beiden Gattungen besteht, dürfte Bedenken gegen die generische Trennung erwecken, da in so vielen andern Gattungen Arten, die sich nicht be- fruchten können und somit eine geringere Verwandtschaft 26 s 338 besitzen, vereinigt sind. Die Mittelformen, die als N. sua- veolens gehen, sind übrigens ohne Zweifel doppelter Ab- stammung: 1. (nigra + conopsea). Sporn so lang als der Frucht- knoten. Parpan, Albula (an beiden Orten mit den Stamm- arten ohne G. odoratissima), St. Moritz (mit den Stamm- arten und G. odoratissima); in den bayerischen Alpen, wo sie ebenfalls nur als einzelne Exemplare unter den Stammeltern gefunden wurde. i | 2. (nigra + odoratissima). Sporn kaum halb so lang als der Fruchtknoten. St. Moritz mit den Stammarten ohne G. conopsea. Ein gleiches Exemplar fand Molendo in den bayerischen Alpen. = Gymnadenia (conopsea + odoratissima). Von diesem Bastard, der genau die Mitte hält zwischen den beiden Stammarten, fand ich zwei Exemplare unter zahlreichen Pflanzen der Eltern in der Nähe von München. Auf den Alpen Graubündtens, wo die Stammarten in Unzahl bei- sammen wachsen, suchte ich ihn vergeblich. Ich habe bis jetzt Zwischenformen aufgezählt, welche sicher oder doch möglicher Weise durch hybride Befrucht- ung entstanden sind. Ich füge noch einige wenige bei, deren Vorkommen die Annahme von Bastardzeugung ausschliesst. Sie bilden continuirliche Uebergangsreihen; die einzelnen Stufen derselben scheinen constant zu sein, treten auch in grösserer Individuenzahl auf, und kommen zuweilen nur mit der einen Hauptform vor. Die beiden Arten, die in dieser Weise verbunden sind, zeigen übrigens nur geringere Ver- schiedenheiten und dürften wohl zu vereinigen sein. Ranunculus polyanthemos Lin. und R. nemo- "rosus DC. Cardamine resedifolia Lin. und C. alpina Willd. Hutchinsia alpina R. Br. und H. brevicaulis Hoppe. gi 339 Dianthus Carthusianorum Lin. und D. atro rubens All. Alsine verna Bartl: und Alsine recurva Wahlenb. Phyteuma hemisphaericum Lin. und Ph. humile Schleich. Saussurea alpina DC. und 8. discolor DC. 24, Die systematische Behandlung der Hieracien rücksichtlich der Mittelformen. (Vorgetragen den 10. März 1866.) In den Mittheilungen vom 18. November, vom 15. De- zember, vom 13. Januar und vom 16. Februar habe ich einige Fragen besprochen, welche für die systematische Be- handlung einer formenreichen und verwickelten Gattung nach meiner Ansicht von entscheidendem Gewicht sind. Sie be- trafen den Einfluss der äusseren Verhältnisse auf die Va- rietätenbildung, die Ursachen des Vorkommens, die Bastard- bildung und die Bedeutung der Zwischenformen. Ich habe diese Untersuchungen vorausgehen lassen, um eine Grund- lage für eine Reihe von Mittheilungen über die Formen der Gattung Hieracium zu gewinnen. Ohne Klarheit und Sicherheit über die angegebenen Punkte ist es, wie ich aus eigener Erfahrung weiss, nicht möglich, zu einem befriedigen- den Resultate zu gelangen. Ich glaubte früher, noch befangen in den Lehren der Schule, an die absolute Verschiedenheit der Arten. Ich zweifelte zwar nicht daran, dass ein genetischer Zusammen- hang zwischen denen der frühern Erdperioden und den jetzt lebenden bestehe, und dass diese aus jenen entstanden seien; aber die Umwandlung hatte sich, wie ich mir dachte, beim Uebergange der einen Periode in die andere rasch oder plötzlich vollzogen. Die gleichzeitig bestehenden Arten hielt ich für dergestalt verschieden, dass die eine sich nicht in andere umändern und dass es keine Uebergangsglieder zwischen ihnen geben könne. Die grosse Mannigfaltigkeit in den Formen leitete ich von den äussern Verhältnissen her und war daher der Ansicht, dass die gleiche Art auf ver- schiedenen Standorten und in verschiedenen Klimaten sich 341 in ungleichen Varietäten ausprägen müsse, und dass auf der nämlichen Localität nur Eine Varietät derselben Species vorkommen könne, Die Zwischenformen und Uebergiinge zwischen den Arten waren nach meiner Ansicht hybriden Ursprunges. Diess waren die herrschenden Ansichten der früheren und zum Theil noch der jetzigen Wissenschaft, oder wenig- stens die logischen Consequenzen aus den herrschenden Ansichten. . Ein Ueberblick über. die Formen und die Vor- kommensverhältnisse derselben, wie man ihn bei eifrigem Botanisiren und Sammeln von Phanerogamen und Crypto- gamen, ohne Beschränkung auf eine spezielle Pflanzengruppe, erwirbt, schien meiner Theorie günstig zu sein. Ich sah keine: wesentlichen Hindernisse, besonders wenn die Species in dem weiteren Sinne Linnés und der Altern Botaniker gefasst wurde. Zwei sehr vielformige und verwickelte Gat- tungen, nämlich Cirsium (in Koch Syn. 1845) und die Piloselloiden (Pilosellen) des Genus Hieracium (in Zeit- schrift für wiss. Bot. 1846) fügten sich meinen Ansichten glücklich. Ueber die Hälfte der Formen konnte ich als hybrid erklären und dadurch die Arten deutlich und hin- reichend verschieden hervortreten lassen. Die Hybridität bei der Gattung Cirsium, wie ich sie aufgestellt hatte, bestätigte sich durch meine späteren Beobachtungen sowie durch diejenigen vieler anderer Beob- achter. Doch zeigte sich dabei, dass eine oder zwei. der als hybrid betrachteten Formen zwar stellenweise als Ba- starde vorkommen, stellenweise aber auch als constante Formen auftreten, nämlich C. (acaule + bulbosum) oder C: medium All. und ©. (acaule + rivulare) oder C. Heerianum Nag. Eine andere Form, C. Chailleti Koch (non. Gaud.), welche ich nur in einem einzigen Exem- plar mit angeblich sehr seltenem Vorkommen gekannt hatte, 342 muss nach den mir seitdem bekannt ‘gewordenen 'Vorkom- mensverhältnissen als constante Form angesehen werden. Ungünstiger für die Bastardtheorie gestalteten sich die weiteren Beobachtungen an den Piloselloiden; denn es stellte sich heraus, dass alle angenommenen Bastarde jenen Mittelformen angehören, welche an gewissen Orten zwar un- zweifelhaft hybrid, an andern dagegen ebenso unzweifelhaft constant auftreten und welche daher eine doppelte Deutung zulassen (vgl. die Mittheilung vom 16. Februar). Zur Zeit als ich meinen Versuch betreffend die einheimischen (schwei- zerischen) Piloselloiden veröffentlichte, unterschied ich diese Verhältnisse noch nicht so genau. Ich dachte noch nicht an die Möglichkeit, dass die gleiche Zwischenform hier hybriden Ursprungs sein und dort eine Beständigkeit zeigen könne, die von der Beständigkeit der reinen Varietäten und Arten offenbar in nichts verschieden ist. Ueberdem sind die von mir als hybrid betrachteten Mittelformen in so geringer Individuenzahl vorhanden, dass sie darin von den Haupt- formen um das Tausendfache bis Millionenfache überboten werden, wenn wir das gesammte Vorkommen berücksich- tigen, und zur Zeit der Bearbeitung kamte ich einige der- selben nur von einem einzigen Standorte, wo ich sie ent- deckt hatte. i Nicht lange nachher machte ich an verschiedenen Pflanzen, sowohl an Piloselloiden und anderen Hiera- cien als an andern Gattungen die Beobachtung, dass es ausser den hybriden Zwischenformen auch Uebergänge giebt, die man nicht durch Bastardbildung erklären kann, sowie die fernere Beobachtung, dass diese Uebergangsformen und die Varietäten überhaupt nicht aus der Einwirkung der äussern Verhältnisse‘ sich erklären lassen. Ich gestehe, dass mir diese Wahrnehmungen sehr wenig behagten und dassich das Möglicheversuchte, um sie mit meinen Ansichten in Uebereinstimmung zu bringen. Ich habe be- 343 sonders interessante Standorte, deren Vegetation am meisten mit meiner Theorie im Widerspruch stand, über ein halbes Dutzend mal in verschiedenen Jahren besucht. Es gab keinen Ausweg.. Die Wirklichkeit zwang mich, vorgefassten und nicht hinreichend begriindeten Meinungen der Schule zu entsagen. Ich musste anerkennen, dass es total verschiedene Arten giebt, die durch constante Uebergangsformen mit voll- kommener Fruchtbarkeit verbunden sind. Die gewöhnlichen Aushilfsmittel, welche von verschiedenen Autoren abwech- selnd angewendet werden, und welche darin bestehen, die bisher unterschiedenen Arten zu vereinigen, oder die Mit- telformen als besondere Arten aufzustellen , genügten nicht, weil sie in manchen Fällen ad absurdum führten. Wer möchte Cirsium acaule mit C. bulbosum, ferner Hie- racium Pilosella mit H. Auricula, H. aurantiacum, H. pratense und H. praealtum, endlich Hieracium murorum mit H. villosum, H. alpinum, H. prenan- thoides und H. albidum vereinigen? Der entgegengesetzte Weg giebt kein besseres Resultat; wenn wir z. B, Cirsium medium, die Mittelform von C. acaule und C. bulbosum, als besondere Art anerkennen, was sollen wir dann mit der Form anfangen,- die zwischen C. acaule und C. me dium die Mitte hält, und mit derjenigen, welche zwischen C. medium und C. bulbosum sich befindet? Das Gleiche gilt für die erwähnten Hieracien-Arten, deren Zwischen- formen alle als besondere Species aufgestellt worden sind, aber selber wieder durch Zwischenformen mit den Haupt- arten zusammenhängen. - Ich musste ferner anerkennen, aus Gründen, die ich weitläufiger in der Mittheilung vom 18. November 1865 er- örtert habe, dass die Manigfaltigkeit der Formenbildung nur zu einem sehr unbedeutenden Theil unmittelbar durch die äusseren Einwirkungen bedingt wird. Fast alle varietätlichen Veränderungen entspringen aus inneren Ursachen; sie werden 344 von den äusseren Verhältnissen nicht affizirt und erscheinen daher denselben gegenüber beständig. Ich musste also darauf verzichten, die Formen in constante und variable, in absolute Arten und in Varietäten zu scheiden; denn die Varietäten erwiesen sich als relativ constant und die Arten als nicht absolut constant. Es schien mir nicht ganz überflüssig, die Veranlassung für die Umwandlung meiner Ansichten darzulegen und zu zeigen, dass ich dieselbe nicht leicht genommen habe. Viel- leicht wird der Eine oder Andere bewogen, den nämlichen Weg zu gehen; dann ist es sicher, dass er auch bei dem gleichen Ziel anlangen wird. Wenn es sich um die all- gemeine Frage handelt, ob die Arten absolut oder nur grad- weise verschieden seien, oder um die spezielle Frage, welche Bedeutung bestimmten Pflanzenformen zukomme, ‘so müssen, um zu einem sicheren Resultate zu gelangen, zwei For- derungen strenge erfüllt werden. 1) Man darf aus dem Studium des reichsten Materials in den Herbarien und aus der Beobachtung der im Garten gezogenen Pflanzen sich keinen Schluss erlauben. 2) Man darf eben so wenig aus allgemeinen Beobachtungen, die man auf zahlreichen Ex- cursionen an einer Menge von Pflanzen gemacht hat, eine Folgerung ziehen. Es ist unumgänglich nothwendig, dass man die Vorkommensverhältnisse nah verwandter Arten einer vielförmigen Gattung speziell studire; und dass man ein gleiches einlässliches Studium auf die Arten einiger anderer Gattungen ausdehne. Denn möglicher Weise könnten die Ergebnisse einer Beobachtungsreihe zweideutig sem. Ich hätte mich früher von den vorgefassten Theorieen der Schule losmachen können, wenn ich nicht zufällig meine speziellen Untersuch- ungen ander Gattung Cirsium angestellt hätte, welche, wie vielleicht keine zweite, weit verschiedene und scharfabgegrenzte Arten mit zahlreichen hybriden Zwischenformen besitzt. Die Piloselloiden waren ebenso wenig geeignet, auf richtigere 345 Ansichten zu führen, da nur einzelne seltene Vorkommens- verhältnisse entschieden gegen die Bastardtheorie sprechen. Weitere Publicationen über die Hieracien unterblieben damals, weil die Beobachtungen mit der Theorie absolut ge- schiedener Arten in einen nicht zu lösenden Conflict kamen. Ich nehme sie jetzt, nach fast 20jähriger Pause, wieder auf, in der Ueberzeugung von richtigeren Gesichtspunkten aus eine naturgemässe Bearbeitung und Anordnung ihrer Formen geben zu können. l Ich habe. die Gattung Hieracium für das spezielle Studium über die Behandlung der Pflanzenart gewählt, weil ich sie für die verwickeltste und variabelste unter den ein- heimischen Gattungen halte. Es dürfte wohl keinen Wider- spruch finden, wenn ich behaupte, dass sie alle andern in der Schwierigkeit, die Formen zu gliedern und abzugrenzen, übertrifft. Der Grund liegt darin, weil die als Arten auf- gestellten Typen nach allen Seiten hin durch Uebergänge verbunden sind, welche in der Mehrzahl der Fälle nicht durch Bastardbildung erklärt werden dürfen. Hierin stimmen fast alle überein, die sich namentlich durch eigenes Sam- meln mit Hieracien beschäftigt haben. Fast alle räumen ein, dass die Species, die sie aufstellen, durch Zwischen- formen verbunden seien. So sagt, um nur einen Gewährs- mann aufzuführen, der Nestor unter den Hieraciologen, Fries, ganz ‚zutreffend, dass die Gruppe von H. mu- rorum, nach: welcher alle andern Gruppen der Untergattung Archieracium Strahlen aussenden, den grossen Nebelfleck dieser Gattung darstelle, in welchem die Species wegen ihrer Menge und Veränderlichkeit, wie die Sterne in der Milch- strasse, kaum gehörig sich unterscheiden lassen“. Wenn man alle Typen, die durch Uebergangsformen von vollkommener Fruchtbarkeit verbunden sind, in eine einzige Art vereinigen wollte, so bekäme man für alle ein- heimischen Hieracien nur drei Species, die von einzelnen Ps je _ a eee - eee ee ~ er 346 Autoren auch schon als Gattungen getrennt worden sind: Pilosella (= Pilloselloiden), Hieracium (= Archie- racium Fries) und Chlorocrepis (H. staticifolium), Zwischen den drei Gruppen mangeln, wenigstens in Europa, die Uebergänge vollständig. Mit Unrecht hat man zwischen Piloselloiden und Archieracien Bastarde angenommen; die angeblichen Hybriden sind reine Piloselloiden oder reine Archieracien. | Es ist nun unmöglich, alle Piloselloiden und alle Archieracien je als eine Art zu betrachten. Eine solche Reduction der Species, die man consequenter Weise auch bei den übrigen Pflanzen durchführen müsste, hiesse nichts anderes als die Namen der systematischen Begriffe zu wech- seln und fortan Art zu nennen, was bis jetzt als Gattungs- section comparirte. Ebenso unmöglich: ist es, die Uebergangsformen als Ba- starde von: absolut verschiedenen Arten zu erklären. Denn diese Zwischenglieder sind, wie ich bereits erwähnte, wohl alle in gewissen Gegenden und Localitäten constant und ihre Hybridität mit den Gesetzen der Bastardbildung nicht zu vereinen. Ich verweise hierüber auf spätere spezielle Mit- theilungen. Nach dem jetzigen Stande der Wissenschaft sehe ich keine andere Möglichkeit als die Annahme, es seien die Hieracien- Arten durch Transmutation entweder aus un- tergegangenen oder aus noch bestehenden Formen entstan- den, und es sei ein grosser Theil der Zwischenglieder noch vorhanden, welche sich bei der Spaltung einer ursprüng- lichen Art in mehrere neue Arten naturgemäss mitbildeten, oder die bei der Umwandlung einer noch lebenden Art in eine von ihr sich abzweigende Species durchlaufen wurden. ’ Es hätten sich also bei den Hieracien die Arten noch nicht durch Verdrängung der Zwischenglieder so vollständig ge- trennt, wie es bei. den meisten andern Gattungen der Fall 347 ist. Inden einen Gegenden und Localitäten wäre die Ver- drängung erfolgt; in andern aber hätte sie wohl begonnen‘ aber noch nicht ihr Ende erreicht, denn die Zwischenformen sind hier immerhin in weit geringerer Menge vorhänden als ihre Hauptarten. — Diese Ableitung der Zwischenformen . aus der Transıiutation der Arten schliesst jedoch nicht aus, dass sich zwischen allen nah verwandten Formen auch Ba- starde bilden. Daher die Erscheinung, dass die nämliche Zwischenfori bald constant bald hybrid auftritt. - Damit habe ich das allgemeine theoretische Resultat ausgesprochen, welches sich aus meinen Untersuchungen an ‚den Hieracien ergiebt. Bei der Darlegung der Thatsachen und bei der kritischen Prüfung derselben werde ich mich vollkommen objectiv und voraussetzungslos verhalten. Ich hege die Ueberzeugung, dass die Systematik schon längst eine andere Bahn eingeschlagen hätte, wenn sie sich nicht von der vorgefassten Idee absolut verschiedener Arten be- herrschen liesse und daher diese Arten bald durch Trennen ünd bald wieder durch Vereinigen der Formen zu finden sich bemühte. Diese Ansicht kann ich um so unbefangener aussprechen, als ich, wie ich bereits angegeben, früher selber die vorgefasste Meinung der Schule getheilt habe. Ein voraussetzungsloser Standpunkt darf ebensowenig sich auf die Transmutation gründen. Es handelt sich vor- erst bloss darum, die Verwandtschaft der Formen und die Begrenzung derselben festzustellen. Die Theorie über die Entstehung derselben darf dabei überhaupt nicht in’s Spiel kommen. Die genaue Beobachtung der mannigfaltigen Hieracium- Formen auf den Standorten und das sorgfältige Studium ihrer Merkmale zeigt uns bald, dass es gewisse ausgezeich- nete Typen giebt, und dass die übrigen Formen Zwischen- glieder zwischen denselben darstellen. Das Gesetz der Zwi- schenformen, wie ich é in der Mittheilung vom 16. Febr. 28 348 dargelegt habe, findet hier eine so häufige Anwendung wie vielleicht bei keiner andern. Gattung. Das Charakteristische der Typen oder Hauptformen in der Gattung Hieracium wie in den übrigen Gattungen liegt darin, dass. sie nicht. als Mittelglieder anderer Typen aufgefasst werden können, dass sie also durch eine gewisse Originalität und Selbständigkeit in der Formbildung sich auszeichnen. Solche Typen sind in dem Subgenus Pilo- sella die Arten H. Pilosella, H. Auricula, H. prae- altum, H. aurantiacum, H. cymosum etc., in dem Subgenus. Archieracium die Arten H. alpinum, H. glan- duliferum,. H. villosum, H. glaucum, H. murorum, H. humile, H. amplexicaule, H. prenanthoides, H. albidum, H. umbellatum. etc. Keine: dieser Arten kann als die Mittelform zweier anderer angesehen werden. Keine ist so beschaffen, dass man sagen könnte, das hybride Pro- dukt zweier anderer Species, wenn ein solches bestände, müsste ihr ähnlich sein. Die Zwischenformen dagegen haben nichts Eigenthüm- liches, was den Hauptformen mangelte. Sie vereinigen die Merkmale je zweier der letztern. Sie sehen gerade so aus, als ob sie durch einfache oder wiederholte Bastardirung derselben entstanden wären. Sie stellen also meist das Mittelglied, zuweilen auch andere Glieder einer Uebergangs- reihe dar, wie sie durch ein- oder mehrmalige hybride Be- fruchtung zwischen zwei Arten erhalten werden kann. In mehreren Fällen existiren auch wirkliche Bastarde, welche den Mittelformen so ähnlich sehen, dass sie kaum davon unterschieden werden können und welche daher meine An- schauungsweise der Zwischenformen bestätigen. In gewisser Uebereinstimmung mit dem Verhalten der morphologischen Eigenschaften stehen die Vorkommens- verhältnisse der Hieracien-Formen. Diejenigen, welche ich als Hauptformen bezeichnete, sind viel zahlreicher ver- 349 treten als die Zwischenformen. Sie haben eine viel grössere ‘Verbreitung bezüglich der Standorte, Sie sind ferner auf den Standorten im Allgemeinen in viel grösserer Zahl vor- handen. Die Zwischenformen mangeln auf vielen Localitäten, wo die Hauptformen sich finden, gänzlich; auf den andern kommen sie, mit einer Ausnahme, die ich sogleich anführen werde, verhältnissmässig spärlich vor. Ich kenne keine Zwischenform von Hieracium, deren Gesammtindividuen- zahl von der der zugehörigen Hauptformen nicht wenigstens um das Tausendfache übertroffen würde. Was das Verbreitungsgebiet der Zwischenformen be- trifft, so richtet es sich, soweit ich die Verhältnisse bis jetzt kenne, fast genau nach dem der Hauptformen. Es ist beschränkt auf das Areal, wo die Gebiete der beiden zuge- hörigen Hauptformen sich decken. Die Zwischenformen zwischen Hieracium Pilosella und H. pratense kommen nur da vor, wo die Verbreitungsbezirke von H. Pilosella und H. pratense zusammenfallen; und so verhält es sich mit allen Zwischenformen. Dieses Gesetz erleidet nur insofern eine etwelche Be- schränkung, als die Zwischenform zuweilen die Grenzen der einen Hauptform wenig überschreitet. Hieracium muro- | | rum geht von der Ebene bis 7000’ hoch in den Alpen; H. alpinum von 5000‘ bis 8000’. Die Zwischenformen beider sind auf den Gürtel von 5000-7000‘ beschränkt; doch gehen sie etwas tiefer als H. alpinum. Die Zwischen- formen von Hieracium Pilosella und H. glaciale findet man auf den Voralpen noch an einzelnen Standorten, wo H. glaciale nicht mehr vorkommt. Der eben genannte Umstand‘ ist zuweilen die Ursache, warum in gewissen beschränkten Gebieten die Zwischen- formen in grösserer Menge auftreten als die eine der beiden Hauptformen. Man macht diese Beobachtung bloss auf der Linie, welche die Grenze des Verbreitungsbezirks der Haupt- 29 350 form. und zugleich der Zwischenform bildet. Hieracium aurantiacum tritt in den Voralpen sehr spärlich auf ; die Zwischenformen zwischen demselben und H. Pilosella einer- seits, sowie H. Auricula anderseits sind daselbst in þe- merklich grösserer Individuenzahl vorhanden, Umgekehrt verhält es sich in den Centralalpen. Da die wahren Zwischenformen nur da sich finden, wo die Verbreitungsbezirke zweier Hauptarten in einander greifen, so mangeln sie im Allgemeinen zwischen den Arten, deren Gebiete durch einen Zwischenraum getrennt sind. Alle in den Alpen lebenden Arten von Piloselloiden sind durch Zwischenformen verbunden, ebenso diejenigen, die die Ebene bewohnen. Allein von den Arten, die ausschliesslich den Alpen, zu denjenigen, die ausschliesslich der Ebene an- gehören, kenne ich keine Uebergangsstufen, so z. B. nicht von H. aurantiacum und H. glaciale einerseits zu H. echioides, H. praealtum, H. cymosum anderseits, Zur richtigen Beurtheilung dieser Vorkommensverhält- nisse von Haupt- und Zwischenformen ist es durchaus noth- wendig, die Verbreitungsbezirke genau abzugrenzen‘, eine Forderung, die auch aus andern wissenschaftlichen Gründen erfüllt sein sollte. Dabei muss sorgfältig zwischen einer zufälligen vorübergehenden und einer dauernden Ansiedelung unterschieden werden. Bekanntlich findet man gewisse Alpenpflanzen im Kies der Flüsse und am Fusse hoher steiler Felswände, wo sie einige Jahre aushalten und dann zu Grunde.gehen, während andere dagegen dauernd einzelne vorgeschobene Posten in der Ebene bewohnen. Unter den Alpen-Hieracien gehört z. B. H. aurantiacum zu den erstern, H. Pilosella Hoppeanum zu den letztern. H. aurantiacum wird selten von der Isar bis München ge- führt und erscheint dann in einzelnen Exemplaren an den Ufern derselben. H. Pilosella Hoppeanum ist ohne Zweifel seit der Eiszeit, wie ich in der Mittheilung vom 351 18. Nov. 1865 nachgewiesen habe, auf Haiden und eo. in unserer Nähe ansässig 2). : Die thatsächlichen Verhältnisse, betreffend die morpho- logischen Eigenschaften und das Vorkommen der Zwischen- formen, wie ich sie eben geschildert habe, machen es be- greiflich, dass die letztern von manchen Beobachtern als Bastarde; von andern dagegen als reine Formen erklärt worden sind. Die Theorie der Hybridität hat aber unter denen, die eine ausgedehnte Autopsie auf den Standorten zu Rathe ziehen können, die zahlreicheren Anhänger. Ich habe mich über die Bastardnatur der Zwischenformen in der Mittheilung vom Februar ausgesprochen. Was ich dort. sagte, gilt namentlich auch für die Gattung Hieracium. | Ich wiederhole, dass es für die systematische Verwandtschaft ziemlich gleichgültig scheint, ob eine Zwischenform hybriden Ursprungs sei oder nicht. Dem entsprechend finden wir, dass diejenigen Arten von Hieracium, zwischen denen constante Zwischenformen vorkommen, stellenweise auch Bastarde bilden, und es geht mit grosser Wahrscheinlichkeit aus den Beobachtungen hervor, dass die hybride Befruchtung zweier Arten um so leichter erfolgt, je häufiger und frucht- barer die Zwischenformen derselben vorhanden sind. Ob man die Zwischenformen als hybrid oder nicht hybrid be- trachte, ihre Erkenntniss und Unterscheidung dient immer dazu, die Verwandtschaft der Arten bestimmen zu helfen, und was noch wichtiger ist, die Arten deutlicher hervor- treten zu lassen und ihre Begrenzung genauer und sicherer fest zu stellen. Von diesem Gesichtspunkte aus müssen nach meiner Ansicht die Bemühungen der Hybridisten (im guten Sinne) beurtheilt werden. Dieses Ziel schwebte mir 1) Grisebach sagt von dieser Pflanze „in Alpibus, inde cum rivulis propagatur alt. 8000/—1500‘. Ich habe sie nie von den Flüssen oder Bächen herabgeführt gefunden. ; 29* 352 auch bei dem Versuche über die schweizerischen Arten der Piloselloiden (des Subgenus Pilosella) vor, “den ich im Jahre 1846 veröffentlichte, und dessen ich schon früher er- wähnt habe. Wenn ich dabei von den übrigen Hybridisten etwas abwich, so war es nur insofern, als ich die Methode vielleicht etwas consequenter durchführte. Mein Versuch fand. wenig Beifall bei den Monographen. E. Fries urtheilte darüber in den Symbolae ad historiam Hieraciorum (1848) folgendermassen: Nuperrime Cel. Nägeli Pilosellas plurimas hybriditate enatas demonstrare conatus est. Ipsius vero cognitionem tam formarum quam littera- turae, prorsus neglectae, nimis mancam. fuisse; mihi saltim manifestim videtur. Equidem in plerisque ab acutissimo viro propositis hybridis speciebus video modo varietates, € physicis, morphologicis et biologicis rationibus facile expli- candas. Plenior cognitio geographicae distributionis hybri- dam aliarum naturam prorsus refellit‘‘, Ich bin weit entfernt, meinen damaligen Versuch für vollkommen zu halten und ich fühle die Mängel desselben sehr wohl. Doch dürfte es mir nicht schwer fallen, zu zeigen, wie ungegründet die gemachten Ausstellungen waren, besonders in Berücksichtigung. dessen, was ich mit meinem Aufsatze anstrebte. Wenn ich’ darauf etwas näher eintrete so geschieht es weniger, um den schon sehr alten Teit zu widerlegen, als weil ich dabei Gelegenheit finde, einige die systematische Behandlung der Pflanzenarten und der. Hieracien insbesondere betreffende Fragen von allgemeinem Interesse zu besprechen. Bei der Bearbeitung einer Gattung giebt es drej ver- schiedene Gebiete, die bis auf einen gewissen Grad selbst- ständig sind: 1) die Feststellung der systematischen Verwandt- schaft der Formen, 2) die diagnostische Unterscheidung der- selben, 3) die Synonymie. Es ist möglich in jedem einzelnen dieser Gebiete die Wissenschaft sehr wesentlich zu fördern, m nn m ee en ne nen an = 353 ohne dass damit nothwendig ein Fortschritt in den andern verbunden ist. Ich glaube sogar, es wäre in manchen Fällen für die Wissenschaft erspriesslich, wenn der Bear- beiter eines Bruchstückes der systematischen Botanik sich auf eines der drei Gebiete vorzugsweise beschränken wollte, und wenn nicht jeder meinte, er müsse nothwendig die bis- herigen Arten verändern, er müsse zugleich die Diagnosen reformiren und endlich die Synonymie corrigiren. Ich hatte mir diese Beschränkung erlaubt. Bezüglich der Synonymie stellte ich gar keine Studien an und ver- nachlässigte somit die Literatur, wie Fries richtig sagt, gänzlich. Ob aber das ein Mangel war? Ich halte es so- gar für einen Vorzug. Denn in der Hieracien-Synonymie können nur die Monographen, die sich Jahre lang damit beschäftigen, ordentlich bewandert sein. Und selbst diese sind in allen kritisch schwierigen Punkten mit einander im Widerspruch. Es scheint mir sogar, dass mit jeder neuen Bearbeitung. die Zweifel gemehrt statt gemindert werden. Unter diesen Umständen halte ich es für geboten, rück- sichtlich der Synonymie sich an irgend eine Autorität an- zuschliessen und nur insoweit Correcturen anzubringen, als man für seine Ansicht vollkommene Sicherheit hat. Ich werde in der Folge noch einmal hierauf zurückkommen, und es wird mir um 'so leichter sein, meine Ansicht zu beweisen, als ich zeigen kann, dass in Bezug auf einzelne Formen, die von dem Autor durch Beschreibung, Abbildung und Standort genugsam bezeichnet schienen und jedenfalls besser bezeichnet waren, als die sämmtlichen übrigen, doch alle, selbst die griindlichsten Kenner der Literatur sich geirrt haben. — Bei meinem Versuch über die Piloselloiden hatte ich mich an die Synopsis von Koch gehalten und ausserdem die Synonymen für die Bastarde nach Exemplaren des Herbarium von de Candolle und der Zürchersamm- lungen, soweit sie mit der Bestimmung übereinzukommen 354 schienen, ergänzt. Wären die Symbolae von Fries schon publizirt gewesen, so hätte ich zu meinem Vortheil den- selben mit Rücksicht auf die Synonymie folgen können. Auch die diagnostische Unterscheidung war mir nicht Hauptzweck, sondern vielmehr bloss Mittel zu dem- selben gewesen; und ich hatte auch erklärt, dass es mir nicht möglich sei, bessere Unterscheidungsmerkmale an die Stelle der bisherigen zu setzen ?). 2) Doch glaube ich, einige spezifische Merkmale richtiger ange- wendet zu haben als selbst die Monographen, die nach mir kamen, und zwar lediglich desswegen, weil ich durch Annahme von bybriden Formen und durch Ausscheidung derselben auf den Standorten die Arten richtiger umgrenzen konnte. Ich erwähne diess bloss, Fries mir wegen eines solchen Falles einen Vorwurf machte; es war diess zugleich die einzige spezielle. Ausstellung, wodurch der- selbe seine allgemeine Kritik motivirte. Nachdem er die ganz richtige Bemerkung gemacht, dass die Ausläufer von Pilosella sich gabelig theilten, fügte er bei: „Haec est vera ratio scapi furcati, quem cel. Nägeli ex hybriditate derivandum censet; equidem ipse, absque omni hybriditate, arte produxi quam plurimas formas furcatas“. Nun führte aber Fries selber eine Reihe von Arten und zwar die gleichen, die ich als Bastarde bezeichnet hatte, auf, welche durch den „scapus furcatus‘‘ yon Hieracium Pilosella, das durch den .,scapus simplex monocephalus“ charakterisirt wird, sich unterscheiden. Er that also genau dasselbe, was ich gethan hatte. Nur nahm er irrthümlich an, die Gabelung meiner Pflanzen komme bloss an den Stolonen vor, obgleich ich von H. Pilosella gesagt hatte, seine Ausläufer seien zuweilen gabelig getheilt und mehrköpfig. Der gabelige primäre Schaft kommt wirklich, wi angenommen hatte, und wie ich später nachweisen w den Hybriden oder Mittelformen vor. Er mangelt bei H. Pilosella durchaus; und wenn Fries den scapus primarius furcatus ausnahms- weise auch für diese Art annimmt, wie aus von seiner Hand be- stimmten Exemplaren hervorgeht, so ist diess sicher ein Irrthum, welcher mit grösster Evidenz sich nachweisen lässt, wenn man H. weil e ich früher erde, nur an 355 Der Zweck meiner kleinen Publikation hatte nach meinen eigenen Worten dem Umfang und der Abgrenz- ung gegolten und als Mittel hiezu hatte die Ausscheidung einer grösseren Zahl von Formen gedient, die ich als hybrid erklärte. Wenn Fries hierauf sagte, er sehe „in diesen Bastardspezies bloss Varietäten, die sich leicht aus physi- schen, morphologischen und biologischen Ursachen erklären lassen“, so begreife ich nicht recht, warum dieser Autor dieselben Formen nicht als Varietäten, sondern als wirkliche - Arten aufgeführt hat. Denn meine hybriden Arten stehen zu den Arten von Fries (Symbolae und Epicrisis) in folgen- dem Verhältniss: H. e Pilosella et Auricula — H. auriculaeforme Fr. H. e Pilosella et angustifolio=H. sphaerocephalum Froel. „e Pilosella et praealto = H. brachiatum Bert. H. e Pilosella et aurantiaco — H. versicolor Fr. H. ex angustifolio et aurantiaco — H. suecicum Fr. Var. Ob diese und andere Formen, deren ich jetzt noch eine grössere Zahl kenne, als hybrid zu erklären seien oder nicht, bleibt vorderhand eine Streitfrage zwischen Hybri- disten und Nichthybridisten. Obgleich ich aus den in der letzten Mittheilung erörterten Gründen eher den letztern‘ angehöre, so kann ich doch nicht anders als zugeben, dass die eben genannten Formen an einzelnen Stellen wirklich hybriden Ursprungs sind. Fries verwirft im Principfalle Bastarde und bezeichnet besonders in der Epicrisis generis Hieraciorum die Methode der Hybridisten in vielen speziellen Fällen zum mindesten als unverantwortliche Leichtfertigkeit. Er betrachtet die Bastarde als geringfügige, kaum erwähnens- -—_ 000 Pilosella einerseits auf Standorten, wo es allein vorkommt, und anderseits auf Localitäten, wo es zugleich mit den Mittelformen wächst und in dieselben übergeht, beobachtet. 4 ] i | ji gen 356 werthe Varietäten und. beruft sich dabei auf Linné und Bentham. Ohne die Siinden der Hybridomanen (nicht der Hybri- disten) in Schutz nehmen zu wollen, darf ich doch als Ver- fechter der Hybriditat, wo sie eben angenommen werden - muss, an folgende zwei allgemeine Thatsachen erinnern. 1) Durch die grossartigen Arbeiten von Kölreuter und von Gärtner, wozu noch diejenigen vieler anderer Forscher kommen, ist die Lehre von der Bastardbildung zu einer wissenschaftlichen Disciplin geworden. Die Systematik muss dieselbe anerkennen und ihre Gesetze anwenden. Die oben genannten Mittelformen erfüllen in morphologischer Beziehung genau die Forderungen der Bastardlehre. Fr. Schultz giebt an, er habe durch hybride Befruchtung Hieracium auriculaeforme aus H. Pilosella und H. - Auricula, und H. bitense (das von H, brachiatum nicht verschieden ist) aus H. Pilosella und H. praealtum erhalten, eine Angabe, welche Fries nicht erwähnt hat. 2) Um zu entscheiden, ob eine Form hybriden Ur- sprungs sei oder nicht, ist die Autopsie auf den Standorten unerlässlich. Zu den Systematikern, welche am meisten gegen die Hybridität eingenommen sind, gehören namentlich die- jenigen, welche nach trockenem Material und nach lebenden Gartenpflanzen arbeiten. Von 12 ausgezeichneten Piloselloi- den-Formen, welche Fries als nicht hybride Arten oder als Vazietäten von solchen aufführt und die nach meinen Be- obachtungen auf den Localitäten als Zwischenformen , even- tuell als hybrid zu betrachten sind, hat Fries eine einzige im wilden Zustande beobachtet, und diese hat er früher für einen Bastard gehalten: H. Auriculo-Pilosella ‘Fr, & H. auriculaeforme Fr. — Unter den Formen von Ar- chieracium kenne ich gegen 20 in Süddeutschland und auf den Alpen wachsende, welche durch ihr Vorkommen - und ihre Merkmale als Zwischenformen und auf einzelnen rn 357 ‘Standorten als hybrid sich kundgeben, Fries, der sie alle nur im getrockneten Zustande gesehen hat, führt die Mehr- zahl als nicht hybride Arten, einige als Varietäten auf?). Fries sagte, es sei leicht, die von mir als hybrid er- klärten Arten der Piloselloiden als Varietäten nachzu- weisen. Hiezu bemerke ich, dass dieselben in der Mitte zwischen zwei Hauptarten stehen und fast ohne Ausnahme mit beiden in gleicher Weise durch Uebergangsglieder ver- bunden sind. Wenn H. auriculaeforme eine Varietät von H. Pilosella ist, so muss es aus den gleichen Gründen als eine solche von H. Auricula angesehen werden. H. bra- chiatum darf mit gleichem Rechte als Varietät von H. Pi- losella wie von H. praealtum, H. sphaerocephalum mit gleichem Rechte als Varietät von H. Pilosella wie ‘von H. glaciale abgeleitet werden u. s. w. Der Trans- mutationslehre würde der allergrösste Dienst geleistet, und ich wäre der erste, ihn mit Bewunderung und Anerkennung 3) Unter den fleissigen Sammlern gehört Christener wenig- stens nach einer Aeusserung in der Vorrede zu den Hieracien der Schweiz den Gegnern der Hybridität an. Doch hat er offen- bar dieser Frage auf den Excursionen wenig Aufmerksamkeit ge- schenkt, wie einige Bemerkungen bei den Arten zeigen. Ueberdem scheint der Zufall ihm die Zwischenformen seltener vorgeführt zu haben. Unter allen Zwischenformen der Piloselloiden hat er nur eine selbst beobachtet nämlich H. sphaerocephalum. Die Mittelform zwischen H. Pilosella und H. praealtum und die- jenige zwischen H. Auricula und H. praealtum führt er nach andern Beobachtern, diejenigen zwischen H. Pilosella und H. Auricula, zwischen H. Pilosella und H. florentinum All. zwischen H. Pilosella und H. aurantiacum, zwischen H. Auri- cula und H. aurantiacum, zwischen H. glaciale und H. auran- tiacum, zwischen H. sabinum und H. aurantiacum, die alle in der Schweiz vorkommen, führt er gar nicht auf; ein Beweis, dass sie jedenfalls selten sein müssen, was mit ihrer intermediären oder hybriden Natur übereinstimmt. a a Oe eg De A 358 zu begrüssen, wenn nachgewiesen werden könnte, dass die genannten hybriden oder Zwischenformen wirklich nichts anderes als „durch physische, morphologische und biologische Ursachen entstandene Varietäten“ sind. Allein, ungeachtet ich alle Erscheinungen, welche die Vorkommensverhältnisse darbieten, wiederholt nnd aufs sorgfältigste an Ort und Stelle geprüft habe, so weiss ich doch als Grund für die Transmutation weiter nichts anzuführen, als eben die Existenz der Uebergangsformen. Eine bestimmte Bezieh- ung zu den äussern Einflüssen besteht entschieden nicht; eine Beziehung zu den Gesetzen der Organisation und der Lebensverrichtungen ist mir nicht bekannt, Einige Erschein- ungen in den Wachsthumsverhältnissen, wie z. B, die gabe- lige Theilung der Ausläufer von H. Pilosella, könnten allerdings einer oberflächlichen Betrachtung einige Anhalts- punkte zu bieten scheinen für die Vergleichung dieser Art mit den typisch gabelspaltigen Formen. Allein, eine exactere und kritische Behandlung zeigt sofort die gänzliche Ver- schiedenheit solcher Erscheinungen. Ich werde bei der speziellen Erörterung der Formen die Nachweise hiefür geben. Als einen Beweis gegen die hybride Natur der von mir früher aufgestellten Bastardspezies führte Fries auch die geographische Verbreitung an. Eine vollständigere Kenntniss derselben weise meine Ansicht gänzlich zurück. Wenn Fries recht hätte, so wäre diess auch ein Grund gegen die Annahme der Zwischenformen, wie ich dieselben charakterisirt habe; denn ihre Verbreitung fällt, wie ich angegeben, mit derjenigen der Hauptarten zusammen, Es thut mir leid, auch hier zeigen zu müssen, dass die „voll- ständigere Kenntniss“ nicht auf Seite meines Gegners ist. Ich muss diess um so mehr thun, als dieser Umstand ge- rade das Gesetz der Zwischenformen und ihre hohe Be- deutung für die Systematik in ein helles Licht stellt. 359 Eine von Fries mehrfach beliebte Beweisführung ist die, es könne eine Form M nicht der Bastard von A und B sein, weil M im Norden vorkomme, B dagegen daselbst mangle. Wäre diess richtig, so gäbe es gewiss keinen stärkern Grund. Allein die Angaben von Fries beruhen, soweit sie meine Annahmen von Bastarden und Mittelformen betreffen, auf einer Verwechslung, welche allerdings nur dann vermieden werden kann, wenn man die hybriden oder Zwischenformen in ihr Recht einsetzt. Zur Erläuterung diene folgendes allgemeine Beispiel. Es giebt ein halbes Dutzend gutgeschiedener, aber doch nahe verwandter Arten: A, B, C, D, E, F. Zwischen denselben bestehen Mittelformen oder Bastarde, die ich der Kürze halber als AB, BC, AC ete. bezeichnen will. Vergleichen wir nun bloss die eine Reihe dieser Zwischenformen mit einander, nämlich AB, AC, AD, AE und AF, so sind dieselben selbstverständlich bloss halb so weit unter sich verschieden als es B, C, D, E und F sind. Desswegen ist es eine in der Geschichte der Hiera- cien - Bearbeitungen häufige Erscheinung, dass derselbe Autor, welcher B, C, D, E und F, trennt, von den Formen AB, AC, AD, AE und AF entweder einzelne oder alle ver- einigt. Es ist klar, dass solche Vereinigungen gegen die Natur sind, es mögen die Formen als constante Mittelarten oder als Bastarde betrachtet werden. Der Botaniker, welcher Hieracium Pilosella, H. Auricula, H. praealtum, H. pratense und H. aurantiacum als Arten unterschei- den und die Mittelformen zwischen H. Pilosella einerseits und den 4 übrigen Arten anderseits in Eine Species ver- einigen wollte, würde zwar diagnostisch dafür eine gewisse Berechtigung haben. Allein eine solche Behandlung wäre ebenso sehr im Widerspruch mit der natürlichen Verwandt- schaft als mit der geographischen Verbreitung. Ich glaube nicht zu irren, wenn ich annehme, dass » Fries mehrfach in einen ähnlichen Fehler verfallen ist, 360 als er die alpinen und nordischen Hieracien mit einander verglich. Er hat, um einen einzigen Fall- statt mehrerer zu besprechen, aus den bayrischen Alpen eine Pflanze er- halten, welche mit Hieracium aurantiacum und H. Auri- cula gemeinsam vorkommt und in den Merkmalen genau die Mitte hält; sie war als Bastard der beiden genannten Species bezeichnet. Fries bestimmte sie als H, suecicum und bemerkte dazu, sie könne nicht hybriden Ursprüngs sein, da H. aurantiacum in Schweden, wo H. suecicum häufig wachse, mangle. Nun ist aber unsere Pflanze, welche als H. variegatum bezeichnet werden mag, nach den Eigen- schaften und nach dem Vorkommen sicher entweder ein Bastard oder eine Mittelform von H. Auricula und H. aurantiacum. Der Widerspruch zwischen den beiden An- gaben : löst sich dadurch, dass unsere Pflanze zwar dem nordischen H. suecicum sehr ähnlich, aber doch deutlich davon verschieden ist. Ich trete hier nicht weiter in die Vergleichung ein, da ich in einer folgenden Mittheilung davon sprechen werde. Was das nordische H. suecicum betrifft, von dem mir eine Reihe von Exemplaren vorliegen, so sind ohne Zweifel darin zwei verschiedene Formen ent- halten. Ueber deren Deutung masse ich ‘mir nicht an, ein bestimmtes Urtheil abzugeben, da ich es für unmöglich halte, die Verwandtschaft der Hieracien-Formen sicher zu beurtheilen, wenn man sie nicht auf den Standorten be- obachtet hat. Ich bemerke bloss, dass die eine der beiden nordischen Formen von H. suecicum, nach den Merkmalen zu schliessen, in der Mitte zwischen H. Blyttianum und H. Auricula zu stehen scheint. Sollte sich diese Vermuth- ung durch Beobachtungen über das Vorkommen bestätigen, so wäre die nahe Verwandtschaft: von H. variegatum und H. suecicum begreiflich, denn H. Blyttianum weicht so wenig von H. aurantiacum ab, dass es von Grisebach 361 mit demselben vereinigt wurde; die beiden Mittelformen wären aber nur halb so weit von einander entfernt. Damit schliesse ich die Rechtfertigung meines frühern Versuches über die Piloselloiden; ich glaube gezeigt zu haben, dass die Gründe, warum ich eine Reihe von Formen als hybrid erklärte, doch etwas ernsthafterer Natur waren, als Fries angenommen hat. Ich kehre zu der Betrachtung der Zwischenformen zurück, um. noch kurz die Bedeutung zusammen zu fassen, welche die Berücksichtigung: derselben für die Systematik der Hieracien hat. 3 1) Die zahlreichen Formen, welche zwischen den Haupt- arten sich befinden, können nur richtig unterschieden wer- den, wenn man sie als Zwischenglieder auffasst. Ich habe diess eben an dem Beispiel von H: variegatum und H. sue- cicum nachgewiesen.:Es giebt, um ein’ anderes Beispiel zu erwähnen, Mittelformen zwischen H. Pilosella einerseits und fast allen andern Hauptarten der Piloselloiden ander- seits. Dahin gehören H. auriculaeforme, H. brachia- tum, H. stoloniflorum, H. hybridum, H. bifurcum, H. sphaerocephalum, H. versicolor (alle nach der Benennung von Fries). Diese’ Arten, die wir nach ihrem hauptsächlichsten Merkmale als die gabelästigen oder furcaten bezeichnen können, sind eine Quelle von unend- licher Confusion und Verwechslung gewesen, und ich be- haupte nicht bloss, dass es unmöglich ist, mit den besten Beschreibungen und Abbildungen sie zu bestimmen, sondern dass es überhaupt unmöglich ist, sie in allen Variationen richtig zu unterscheiden, wenn man sie nicht als die Mittel- formen der bestimmten Hauptformen auffasst. Als Beweis dafür kann ich bayrische Furcaten anführen, deren Standort und Bedeutung ich genau kenne und die von den’ ersten jetztlebenden Autoritäten unrichtig bestimmt wurden. 2) Die geographische Verbreitung der mannigfaltigen Formen, welche zwischen den Hauptarten stehen, kann nur 362 richtig festgestellt werden, wenn man sie als Zwischenglieder auffasst. Diess folgt aus dem Vorhergehenden. Eine andere Methode giebt keine Sicherheit dafür, dass nicht scheinbar ähnliche, aber im Grunde verschiedene Formen zusammen- geworfen, und dass nicht scheinbar unähnliche, aber in der That identische Formen getrennt werden. Für Beides giebt es bei den Hieracien genugsame Beispiele. Ein solches ist das vorhin erwähnte H, suecicum, dessen Verbreitung nach Fries sich bis zum 47° nördlicher Breite erstrecken würde, während es als natürlich umgrenzte Form wenig über den 60° hinausgeht. 3) Die richtige- Abgrenzung der Arten ist nur dann möglich, wenn man sie genau von den Zwischenformen scheidet. Es giebt sehr wenige Species von Hieracium, welche bis jetzt präcis und zugleich naturgemäss umgrenzt waren. Dahin gehören unter den deutschen und schweizeri- schen Arten vielleicht bloss H. albidum und H. humile, d. h. diejenigen zwei, welche am seltensten durch Zwischen- formen mit andern zusammenhängen. Alle andern werden zu weit gefasst, weil man noch die nächsten Glieder der Uebergangsreihen mit ihnen combinirt. Eine Pflanze, die in allen Stücken ein H. Pilosella ist, aber einen primären Schaft besitzt, der !s oder ”/s über dem Grunde sich ga- belt, eine Pflanze, die genau H. murorum ist, aber am Blüthenstiel und an der Blüthenhülle bloss spärliche Drüsen hat, eine Pflanze, die vollkommen mit H. prenanthoides übereinkommt, aber etwas grössere Köpfe hat und an den obersten Blättern einzelne spärliche Drüsen zeigt, wird von allen Hieraciologen mit der betreffenden Art vereinigt. Es sind geringe Abweichungen, die man aus der Einwirkung äusserer Einflüsse erklärt. Die Berücksichtigung der hybri- den oder Zwischenformen führt zu einem andern Ergebniss. Die Methode, eine Art richtig und naturgemäss abzu- grenzen, besteht, wie ich in der vorhergehenden Mittheilung 363 - angegeben habe, darin, dass man sie auf Standorten und in Gegenden beobachtet, wo sie nicht in Gesellschaft der Zwischenformen wächst. Die vorhin erwähnten Abweich- ungen kommen nur da vor, wo H. Pilosella mit einer furcaten Zwischenform z. B. mit. H. brachiatum oder H. sphaerocephalum, wo H. murorum mit H. sub- caesium, H. caesium etc., wo: H. prenanthoides mit H. cydoniaefolium gemeinschaftlich vorkommt. Man be- obachte irgend eine Art von Hieracium z. B: H. Pilo- sella, H. aurantiacum, H. praealtum, H. murorum, H. alpinum, H. prenanthoides auf den mannigfaltigsten Standorten einer Gegend, wo die von diesen Arten aus- gehenden Zwischenformen mangeln; man wird sie sehr ein- formig, in ihren Merkmalen sehr constant und in ihrem Formenkreis eng begrenzt finden. Man besuche dann ein- förmige Localitäten, wo neben den genannten Arten auch die sich an sie anschliessenden Zwischenformen auftreten; sie werden sich vielförmig, in ihren Merkmalen unbeständig und mit erweitertem Formenkreis kundgeben. Es zeigt diese Thatsache unwiderleglich, dass nicht die äussern Einflüsse, sondern die Anwesenheit der Zwischenform in Folge hybrider Befruchtungen die geringen Abweichungen von dem specifi schen Typus bedingen. Ich bezeichne dieselben desswegen als zurückkehrende Formen (formae recedentes). Um Missverständnisse zu vermeiden, wiederhole ich, was ich schon in der letzten Mittheilung angeführt habe, dass die Anwesenheit der Mittelformen nicht unter allen Umständen das Vorhandensein von hybriden Uebergängen (zurückkehrenden Formen) in die Hauptarten bedingt. Es giebt Fälle, wo sie nie mangeln, und andere, wo sie nur selten vorkommen. Bei H, murorum, das mit H. sub- caesium, bei H. Pilosella, das mit H. sphaerocepha- lum gemeinsam wächst, sucht man sie nie vergebens; während H. murorum, welches in Gesellschaft von H. hi- 364 spidum Fr. und H. Pilosella, das in Gesellschaft mit H. versicolor Fr. sich findet, meist derselben entbehren. Man darf die zurückkehrenden Formen nicht verwech- “seln mit den Standortsmodificationen und mit den constanten Varietäten. Den trockenen Exemplaren ist ihre Bedeutung freilich nicht anzusehen. Eine sorgfältige Prüfung auf den Localitäten kann aber nie im Zweifel lassen. Die Standorts- modificationen gehen mit den äussern Verhältnissen genau parallel, sie bleiben constant mit ihnen und wechseln mit ihnen. Die zurückkehrenden Formen sind unabhängig von den Localitäten, aber bedingt durch die Anwesenheit von hybriden oder Zwischenformen. Die constanten Varietäten sind weder von den äussern Bedingungen noch von der Anwesenheit nahverwandter Formen abhängig. Fries führt in seinen beiden Hieracien-Monogra- phieen den Ausspruch von Linné als Richtschnur an: „Va= rietates leviores non curat Botanicus“. Diess ist gewiss eine richtige und weise Massregel, wenn es sich um Bear- beitung getrockneten Materials und lebender ecultivirter Pflanzen handelt. Der Forscher aber, welcher die Gewächse in ihren natürlichen Vorkommensverhältnissen studirt, muss auch die geringste Abweichung berücksichtigen, nicht so- wohl um sie zu beschreiben, als um sie zur Beurtheilung der gegenseitigen Beziehungen und Verwandtschaften zu be- nutzen. Denn nicht selten reihen sich die unbedeutendsten Modificationen schnurförmig zu einer Formenreihe zusammen, welche zwei ganz verschiedene Arten verbindet. Und in andern Fällen geben diese unerheblichen Abweichungen die Grenze an, wohin die Einwirkung der für so mächtig ge- haltenen äussern Einwirkungen reicht. 4) Die natürliche Verwandtschaft zwischen den man- nigfaltigen Hieracien-Formen kann nur dann richtig er- fasst werden, wenn man sie in Haupt- und Zwischenformen scheidet. Betrachtet man alle als gleichwerthig, so ist es 365 ‘gar nicht anders möglich, als dass die Beziehungen 'unwahr und die Gruppen, in die man sie gliedert, unnatürlich wer- den. Als Beispiel möge gleich die erste Gruppe in der Anordnung von Fries dienen. Die Pilosellina bestehen aus der Hauptart H. Pilosella und aus Zwischenformen zwischen dieser Hauptart und den übrigen Arten der Pilo- selloiden. Diess gilt wenigstens für alle deutschen und Alpenformen; über einige andere, die ich nicht in der Natur gesehen habe, will ich kein Urtheil abgeben. Nun haben aber diese Zwischenformen eine ebenso innige Ver- wandtschaft zu den Arten der ‚übrigen Sectionen als. zu H. Pilosella. Es giebt Ueberginge zu jenen wie zu dieser. Die meisten dieser Zwischenformen kommen auch als Ba- starde vor. Zwei derselben sind auf kiinstlichem Wege durch Bastardirurg erhalten worden. Es ist nun nicht ein- zusehen, warum der Bastard mit der einen Stammärt näher verwandt sein soll als mit der andern. Es ist überhaupt nicht einzusehen, wie man Hauptarten mit hybriden oder mit Zwischenarten zusanımen in natürliche Gruppen ‚gliedern kann, wie man die Beziehungen richtig darstellen kann, wenn man die Miitelglieder nicht ‚als solche zwischen die Hauptformen stellt. Eine begreitliche Folge deri bisherigen Behandlungs- weise ist ferner die, dass. die nämliche- Zwischenform ihrer Verwandtschaft nach von dem einen Autor neben die eine, von dem andern! neben die andere Hauptart gestellt wird, und dass der: gleiche Autor sie bald -dahin bald dorthin bringt. In den Symbolae yon Fries finden wir H. hispi- dum Fr. bei. der Section Aceipitrina, in. der Epicrisis desseiben Autors bei der Section Aurella, Nach meiner Ansicht hat es eine gleich grosse oder eine gleich geringe Berechtigung fiir den einen und den andern Platz; denn was die Alpenform dieser Art betrifft (die -Pflanze aus dem Caucasus gehört ohne Zweifel nicht hieher), so ist sie eine 03 366 Mittelform zwischen H. alpinum und H. prenanthoides und somit beiden gleich sehr verwandt. — Ebenso gehört H. nigrescens Willd. Fries in : den Symbolae von Fries der Stirps H. vulgati, in der Epierisis dagegen der Stirps H. alpini an und andere Autoren führen diese Pflanze geradezu als Varietät von H. alpinum auf. H. atratum Fr. steht bei Fries in der Gruppe von H. murorum und i H. vulgatum, bei andern Autoren dagegen neben H. al- pinum oder als Varietät in dieser Art selbst. Beide Pflanzen, JH. nigrescens und H. atratum, haben als Zwischenformen “ Verwandtschaften nach zwei Seiten hin und werden daher mit gleichem Rechte oder vielmehr mit gleichem Unrechte in die Alpinum- oder in die Murorum-Gruppe gebracht. 5) Die Unterscheidung der Hieracien in Haupt- und Zwischenformen: ist endlich das einzige Mittel, um’ eine klare Uebersicht über die variable und verwickelte Gattung zu gewinnen. Diese Methode verhält sich zu der bisherigen Behandlungsweise wie die natürliche Methode zur künst- lichen in der: Systematik überhaupt. Das künstliche System mag den Vortheil gewähren, die Gattungen schnell bestimmen und einreihen zu können. Die sichere Bestimmung und die klare Uebersicht ist nur durch das natürliche System möglich. — Ebenso hat die bisherige künstliche Bearbeitung der Hieracien gewisse Vortheile, wenn es sich um die Benennung einer Zahl von unbekannten Formen handelt. Aber die vollkommene Sicherheit in der Bestimmung ünd in der Beherrschung des Stoffes lässt sich nur durch die natürliche Methode erreichen. Es bestätigt sich auch hier der Grundsatz, dass das Wahre 'nothwendig für die Er- kenntniss auch das Leichteste ist. Die natürliche Methode der Hieracien muss den nämlichen Weg gehen wie die der Systematik überhaupt. Wie diese zuerst die grossen und charakteristischen Ord- nungen feststellt und nach denselben dann die kleinen inter- 867 mediären Ordnungen bestimmt, so muss die Bearbeitung der Hieracien zuerst die Hauptarten als feste Marken sondern und dann zwischen denselben die Zwischenglieder einfügen. Auf diese Weise wird die verwickeltste aller Gattungen in der Behandlung verhältnissmässig leicht, sicher und übersichtlich. Vorausgesetzt, dass nıan die Hauptarten richtig bestimmt habe, was bei den Hieracien nicht schwerer ist, als in fedai andern Gattung, so kann man die intermediären Forinen auch für ein begrenztes Gebiet ohne die geringste Schwierigkeit erkennen. Es bedarf dafür nicht mehr einer reichen Sammlung mit Originalexemplaren und eines grossen literarischen Apparats, wohl aber der Autopsie auf den Standorten. Die Merkmale der Zwischenformen sind durch diejeni- . gen der Hauptarten bestimmt. Die Zwischenformen sind daher vermittelst dieser Beziehung leicht, ohne dieselbe aber nie sicher zu erkennen. Hierin weiche ich gänzlich von Fries ab, welcher diese Beziehung verwirft: , Hiera- cium Auriculo-Pilosella 1. Pilosello-Auricula est titulus ma- xime vagus; numquam idem a diversis collectoribus recepi, numquam nostrum primitivum“. Könnte man dies nicht von jeder Zwischenform sagen? Aber was wiirde es gegen den Namen von H. caesium z. B. beweisen, wenn ich sagte: H. caesium Fr. ist eine allzu unbestimmte Bezeichnung; von den Botanikern und Hieraciologen erhält man die ver- schiedensten Formen und selbst der Autor bestimmt mit diesem Namen einige Formen, die, wie sich aus den Be- obachtungen auf den Standorten onsen sicher nicht zu- sammengehören. Das Nämliche gilt für H. suecicum Fr. und viele andere. IR Wer möchte wohl aus der Diagnose H. brachiatum bestimmen und von den übrigen gabelspaltigen Hieracien unterscheiden können? Aber kein irgendwie aufmerksamer Sammler, der die Vorkommensverhältnisse und die morpho- 30* 368 logischen Beziehungen zu beachten und beurtheilen versteht, wird H. brachiatum verkennen, wenn er weiss, dass es die Mittelform zwischen H. Pilosella und H. praealtum ist. — Mit dem vorhin erwähnten H. Auriculo-Pilosella oder H. Pilosello-Auricula hat es übrigens eine eigene Bewandtniss, welche erklärt, warum Fries unter diesem Namen nie seine schwedische Pflanze erhalten hat. Die Pflanze, die in Mitteleuropa und in den Alpen vorkommt, ist nämlich von der nordischen wesentlich verschieden, wie auch unser H. Auricula von dem nordischen abweicht. Die, Verschiedenheit «bei diesem letztern ist immerhin so gross, dass in der Beschreibung von: Linné die südliche Pflanze nicht erkannt wird und dass von vielen Botanikern H. Auricula Lin. in andern: Arten gesucht wurde. Wie das nordische H. Auricula zum südlichen, so verhält sich auch die nordische Mittelform zur südlichen, In der Dia- gnose von H. auriculaeforme Fr. wird Niemand die Mittelform von H. Aurieula und H. Pilosella, die in Deutschland und den Alpen mit den beiden Hauptarten vorkommt, erkennen, und es ist daher begreiflich, dass auch Fries aus unsern Gegenden nicht seine Pflanze er- halten konnte. Diese Sachlage scheint mir eher für, als gegen die Mittelformen zu sprechen, da wir sehen, dass dieselben in gleichem Verhältniss wie die Hauptarten sich verändern, Die nähern Nachweise werde ich in den spätern Mittheilungen geben. Ich habe in dem vorstehenden Aufsatze mich einläss- lich gegen die bisherige Methode in der Behandlung der Gattung Hieracium und gegen die Resultate dieser Me- thode in den vorliegenden Monographieen aussprechen müssen. Es liegt mir dabei nichts ferner, als dass ich die hohen Verdienste der Männer, die sich mit der schwierigen Gattung beschäftigt haben, schmälern möchte, Ich verehre ihre grosse Formen- und Literaturkenntniss so. wie. den unüber- 369 trefflichen Scharfsinn und Takt, welcher sie bei der Unter- scheidung der Formen geleitet hat. \Ich anerkenne mit Be- wunderung, wie weit es Fries mit so unvollkommenen Mitteln in der naturgemässen Abgrenzung der Formen ge- bracht hat, so dass eine neue Bearbeitung wesentlich auf seinen Errungenschaften fortbauen kann. Die Anerkennung einer vorzüglichen Leistung darf uns aber nie hindern, nach einer bessern zu streben, die unvollkommene Methode durch eine vollkommenere zu ersetzen, zu den bisherigen Mitteln der Erkenntniss neue hinzuzufügen. Der folgende Fort- schritt ehrt am besten den vorhergehenden, und eine Leist- ung stellt sich das beste Zeugniss ihres Werthes aus, wenn sie eine fernere Leistung möglich und nothwendig macht. Uebrigens ist die Forderung, dass die Pflanzenformen nicht in den Herbarien und Gärten, sondern auf ihren natürlichen Standorten studirt werden müssen, schon längst und wieder- holt ausgesprochen worden. Wenn etwas in dieser Richtung zu thun übrig blieb, so war es bloss, den Grundsatz con- sequent durchzuführen und aus ihm die logischen Folger- ungen zu ziehen, welche sich mit Nothwendigkeit ergeben. 25. Versuche, betreffend die Capillarwirkungen bei vermindertem Luftdrucke. (Vorgetragen den 10. Marz 1866.) Die Untersuchungen über das Verhalten enger Capillar- röhren bei vermindertem Luftdrucke wurden durch ein pflanzen- physiologisches Problem veranlasst. Die belaubte und kräftig vegetirende Pflanze verdunstet eine grosse Menge von Wasser, welches von der Wurzel aufgenommen und durch den Stamm 370 und die Aeste empor geführt wird. Die Frage; durch welche Kräfte diese Arbeit geleistet werde, hat die Pflanzenphysio- logen vielfach. beschäftigt. Man hatte früher die Capillaritat dafür in Anspruch genommen und ist in neuester Zeit wieder auf diese Theorie zurückgekommen. | Es versteht sich von selbst, dass aus der Pflanze aus- fliessendes Wasser, wie man es beim Thränen der Wein- reben und bei einigen normalen Ausscheidungen beobachtet, nicht durch Capillarwirkungen gehoben werden kann. Da- gegen liesse sich denken, dass das Wasser, welches von der Verdunstung aus den Blättern weggenommen wird, durch Haarröhrchenanziehung ersetzt würde. Wenn man eine Capillarröhre in Wasser stellt, so steigt dasselbe bis auf eine durch ihre Weite bestimmte Höhe. Lässt man sie stehen, so verdunstet fortwährend eine gewisse Menge aus der Capillarröhre und wird durch nachströmendes Wasser ersetzt. — Füllt man eine weite Röhre mit feinem Sand und stellt dieselbe mit dem untern Ende in Wasser, so befeuchtet sich der Sand und die Ver- dunstung am obern Ende zieht fortwährend das Wasser empor. — Hieher gehört auch der bekannte schöne Ver- such, der schon vor längerer Zeit von Liebig ausgeführt wurde. Eine mit einer Blase verschlossene und mit Wasser gefüllte Glasröhre wird mit dem offenen Ende in ein Gefäss mit Quecksilber gestellt; das Wasser verdunstet durch die Blase und das Quecksilber steigt. bis zu einer gewissen Höhe, aber nicht, über dieselbe, da bei länger andauernder Verdunstung Luft dureh die Blase eintritt. In diesen Fällen ist es zugleich die Capillarität und die Verdunstung, welche einen aufsteigenden Wasserstrom möglich machen. Die Arbeit wird. wohl allein von der Ver- dunstung geleistet und dafür eine entsprechende. Wärme- menge verbraucht. Um ein Wassertheilchen, auf welchem nicht bloss der Druck einer Atmophäre lastet, sondern an —— ee | ie nn u ng TEE u AR i me Sr nn en am Bene nenn = ae - 971 welchem überdem eine Quecksilbersäule von 12 Zoll oder eine Wassersäule von 14 Fuss hängt, loszureissen und ver- dunsten zu machen, bedarf es unter "übrigens gleichen Umständen einer grössern Kraft, als wenn auf das Wasser- theilchen bloss 'die Atmosphäre drückt, in gleicher Weise wie letzteres schwieriger verdunstet als ein anderes, das einem verminderten Luftdruck ausgesetzt ist. Handelt es sich nun darum, in wiefern diese Erschein- ung zur Erklärung des Saftsteigens-in der Pflanze benutzt werden darf, so ist zunächst die Frage zu beantworten, wie hoch überhaupt die Flüssigkeit in Capillarröhren steigen könne. Ich war früher der Ansicht, dass die Höhe nicht überschritten werde, welche dem Luftdrucke das Gleich- gewicht halte; und ich habe dessnahen bei einer Besprech- ung der Ursachen, welche das Saftsteigen veranlassen, die Wirksamkeit der Verdunstung. in den Blättern als 32 Fuss Wasserhöhe in die Berechnung eingeführt (Pflanzenphys. Untersuch. I pag. 28. 1855). Diese Annahme, dass in einer Capillarröhre oder in einem Capillarsystem das Wasser nicht über 32 Fuss zu steigen vermöge, stützte sich auf folgende zwei theoretische Betrachtungen. | | Wenn die Flüssigkeit in einer Capillarröhre durch den Zug des concaven Meniscus empor gehoben wird, so wirkt der letztere wie der Kolben einer Pumpe. Das. Wasser steigt unter dem Meniscus empor. Wird die Röhre so enge, dass das Wasser in Folge dieses Zuges über 32 Fuss steigen sollte, so kann es dieses Maass nur um so viel überschreiten, als es seine Cohäsion erlaubt. Diese ist aber nach den Versuchen von Buijs-Ballot, Gaylussac u. A. so gering, dass sie vernachlässigt werden kann, indem sie für: Wasser von 10° nur einer F lüssigkeitsäule von 5 M.M. das Gleich- ' 872 gewicht halt!) — Wollte man aber nach der Theorie yon Laplace das Steigen in den Capillarröhren nicht durch den Zug des concaven Meniscus, sondern durch den über- wiegenden Moleculardruck der untern ebenen Flüssigkeits- oberfläche geschehen lassen, so- würde die Analogie mit einer Pumpe gleichwohl bestehen. Denn ungeachtet dieses Moleculardrucks reisst die Wassersäule jedesmal von dem Kolben ab, sowie dieser 32 Fuss über das Wasserniveau sich erhebt 2). | Sehen wir von dieser Analogie einer Capillarréhre mit der Pumpe ab, und berücksichtigen wir bloss die Spannu:igs- verhältnisse in der Flüssigkeitssäule einer Capillarröhre und deren wahrscheinliche Consequenzen, so ergiebt sich Fol- gendes. Die Wassersäule am Grunde einer Capillarröhre hat die nämliche positive Spannung wie das uingebende Wasser. Nach oben nimmt die Spannung ab, und auf einer welche eine Wasserfläche in dem luftleeren Raum zeigt. Wasser unter der Luftpumpe geräth aber ins Kochen. Da der Druck in einer 32 Fuss hohen Capillarröhre in gleichem Maasse ver- mindert ist, wie in der Luftpumpe, so müsste in dieser Höhe von 32 Fuss ist sie gleich derjenigen , 1) Nachträglich ist es mir unwahrscheinlich, dass die bei den erwähnten Versuchen mit Metallplatten, die horizontal auf das Wasser gelegt und durch Gewichte abgerissen wurden, gefundene Cohäsion auch auf das Verhalten des Wassers in geschlossenen Röhren angewendet werden könne. 2) Man dürfte vielleicht hiegegen einwenden, dass der Mole- eulardruck nicht bloss an den freien Wasseroberflachen wirke, sun- dern auch da, wo das Wasser die Wandungen berührt; letztere An- nahme scheint mir nicht gerechtfertigt, wie ich später noch zeigen werde. 873 Höhe Dampfbildung erfolgen und damit weiteres Steigen unmöglich werden ?). Bei der Bearbeitung der Mikrophysik für das von Schwendener und mir herausgegebene Buch „das Mikroskop“ kam das Thema des Steigens in sehr engen Capillarröhren wieder zur Sprache, und obgleich wir zu- nächst keinen Grund hatten, an der Richtigkeit der eben gemachten Folgerungen zu zweifeln, so war es doch nöthig, durch Versuche hierüber Gewissheit zu erlangen. Die ersten Beobachtungen ergaben ein scheinbar günstiges Resultat. Bevor wir an die eigentliche Frage giengen, schien es zweckmässig, zu prüfen, ob die bekannten Gesetze der ca- pillaren Anziehung auch für mikroskopisch enge Röhrchen bis zu den äussersten Grenzen der Wahrnehmbarkeit Gelt- ung haben. Die Höhe, bis zu welcher Flüssigkeiten in ca- pillaren Röhren emporsteigen, steht bekanntlich, soweit die Beobachtungen reichen, im umgekehrten Verhältniss zum Durchmesser. Für eine Röhrenweite von 1 M.M. beträgt sie 30 und für eine solche von Yıo M.M. 300 M.M. Gilt dieses Gesetz auch für Röhren von 44000 und 'ıoooo M.M. Durchmesser, so wie für noch engere, zu denen man die Molecularinterstitien der Zellmembranen rechnen kann? Es versteht sich, dass die experimentelle Prüfung jeden- falls nicht unter eine Weite von 4/1000 M.M. gehen kann, weil engere Lumina nicht mehr mikroskopisch zu messen sind. Die. Erfahrung zeigte, dass aus anderen Ursachen nicht einmal diese Grenze zu erreichen ist. Weil es nicht möglich ist, direkt die Steighöhe zu be- % 3) Hiebei wurde nicht berücksichtigt, dass die Dampfbildung in einer Capillarröhre in anderer Weise erfolgen könnte als in einem weiten Gefäss, was allerdings der Fall ist. Ich werde hierauf später noch zurückkommen. 374 obachten, so muss man die Kraft der capillaren Anziehung bestimmen, da aus dieser auf jene geschlossen werden kann. Zu Sobor ‚Behufe wurden fein ausgezogene Glasröhrchen von. 0,003—0,01 M.M. Weite mit Wasser gefüllt, dann mittelst eines Korkes in~ das umgebogene untere Ende A einer langen aufrechten Röhre B so eingefügt, dass die feine Spitze nach innen gekehrt war, und hierauf sorgfältig verkittet. Wurde nun in den langen Siaa B Quecksilber eingegossen, welches die Luft unterhalb A comprimirte, so musste sich zeigen, auf welche Höhe x der Druck gesteigert werden konnte, bis das Wasser aus der Capillarröhre ver- drängt und durch Luft ersetzt wurde. Die Höhe x, mit 13,6 multiplizirt, giebt die Länge einer Wassersäule von gleichem Gewicht, welche somit als das Maass der Capillar- anziehung zu betrachten ist und welche die Höhe anzeigt, bis zu welcher das Wasser in dem verlängert gedachten Röhrchen emporsteigen würde. In folgender Tabelle sind die auf diese Weise erhaltenen Resultate zusammengestellt, Durchmesser des |HöhedesQueck-| Höhe der ent- |Berechnete Steig- Capillarröhrchensisilbers in M. M.\sprechenden Was-|héhe des Wassers in M. M. sersäuleinMetern.| in Metern. 0,009 230 BP 3,33 0,008 290 3,91 3,75 0,004 520 7,02 7,5 0,003 810 10,93 10,0 Dass die beobachtete Höhe nicht genau mit derjenigen übereinstimmt, welche die Rechnung ergiebt, rührt jeden- falls zum Theil von den unvermeidlichen Fehlern in der Bestimmung des Durchmessers her; andern Theils mögen aber auch. noch Ursachen mitwirken, welche sich der Beurtheilung entziehen. Das Thepetinidititen mit so feinen Röhrchen, wie die hier angewendeten , ist überhaupt mit Schwierigkeiten verbunden, an die man. zum. Voraus 375 nicht denken‘ würde: Schon das Füllen derselben macht sich meist sehr schwer, Das Wasser muss auf der weitern äussern Seite so weit reichen, ‘dass die Wirksamkeit des daselbst befindlichen breitern Meniscus gegenüber derjenigen des schmalen innern Meniscus verschwindet. Lässt man nun das Wasser an dem breitern Ende eintreten, so condensiren sich im dünnern Ende sehr häufig kleine Wassertröpfchen, welche mit luftführenden Räumen alterniren, und das weitere Füllen unmöglich machen. Lässt man das Wasser dagegen an dem engern Ende eintreten, so geht das Füllen‘ sehr langsam vor sich, und kann, selbst wenn der Druck einer Quecksilbersäule von 700—800 M. M. zu Hülfe genommen wird, Stunden und selbst Tage erfordern. Ist endlich die Höhlung bis zu einer Weite, wo die Capillarwirkung ver- nachlässigt werden darf, gefüllt, so zeigt die mikroskopische Untersuchung, welche zur Controle immer angewendet werden muss, dass sich im feinen Theile der Röhre mittlerweile Luftbläschen ausgeschieden haben, welche dieselbe unbrauch- bar machen. Diese Luftausscheidung tritt auch in soeben frisch gezogenen Röhren ein und zwar um so eher, je enger sie sind. Zuweilen entwickelten sich diese Luftbläschen erst nach dem Einkitten, und wir überzeugten uns nachträglich durch die mikroskopische Untersuchung hievon, nachdem sich herausgestellt hatte, dass die Capillarwirkung einen weit grössern Druck aushielt, als man erwarten konnte. Es stellte sich also die Nothwendigkeit heraus, die feinen Röhr- chen nicht bloss vor, sondern auch nach dem Versuche mikroskopisch zu prüfen. In Folge dieser Uebelstände -blieben die meisten der angestellten Versuche, und insbesondere alle diejenigen er- folglos, welche mit Röhrchen von nur 0,001-+0,002 M. M. im Durchmesser angestellt wurden. Diese letztern hielten einen Druck von 3—4 Atmosphären Tage lang aus. Als Grund davon -liessen sich zwar in den meisten Fällen; 376 wenigstens theilweise, die Unterbrechungen in der Flüssig- keit, die nachträglich ‘beobachtet wurden, ansehen. Allein sie waren doch nicht immer vorhanden, und in diesem Falle blieb die Ursache des colossalen Widerstandes unaufgeklärt. Die Versuche ergeben also, dass Röhren, deren Durch- messer nicht unter 0,003 M.M. sinkt, rücksichtlich der Ca- pillarkraft sich dem gewöhnlichen Gesetze fügen. Ob sich feinere Capillarröhren, wie aus den soeben erwähnten That- sachen hervorzugehen scheint, anders verhalten und ob in den- selben mit Abnahme des Durchmessers die Capillarkraft in steigender Progression zunehme, bleibt experimentell. vor- ‘erst noch unentschieden. Die Frage, ob sich die Capillarröhre wie eine Pumpe verhalte und ob unter dem Meniscus die Flüssigkeit nur so hoch steige, als es der äussere Luftdruck verlangt, konnte auf zwei Wegen entschieden werden. - ‚Entweder musste bei gewöhnlichem Luftdrucke der grösste Theil der Wassersäule ‚durch Quecksilber ersetzt, oder es mussten die Versuche bei vermindertem Luftdrucke (unter der Luftpumpe) angestellt werden. Anfänglich wurde der erste Weg versucht, aber der bedeutenden Schwierigkeiten wegen bald verlassen. Eine mit einem beweglichen Gelenk versehene Röhre, welche horizontal gelegt und aufgerichtet werden konnte, ‚enthielt etwa 26 Zoll Quecksilber und über demselben Wasser; auf das obere Ende wurde eine fein ausgezogene Capillarréhre von weniger als 0,003 M.M. Weite eingekittet. War die weite Röhre über dem Quecksilber bis in ihr capillares Hide mit Wasser gefüllt, so wurde die Quecksilbersäule allmählich ‘in senkrechte Lage gebracht und somit das unter dem capil- laren Meniscus befindliche Gewicht auf mehr als eine Atmo- sphäre gesteifert. 3 Die schwer zu überwindende Aufgabe bestand ‚darin. den Raum über dem Quecksilber bis zum capillaren Me- niscus mit Wasser zu füllen ohne die ‚geringste, Unterbrech- STT ung durch Luft. Aber wenn auch diess gelang, so wurden doch immer, wie die Untersuchung mit starken Lupen zeigte, in dem feinen Capillarréhrenende einige Luftbläschen aus- geschieden, und in: Folge dessen trat ein Zerreissen der Wassersäule und ein Sinken des Quecksilbers ein. Es ist überflüssig, auf die Methode näher einzutreten, da die Ver- suche ein Resultat nicht ergaben. Das Zerreissen der Wasser- - säule unter dem Capillarröhrchen mochte ebenso wohl durch die Luftausscheidung veranlasst werden, als man darin eine Analogie mit dem Vorgange in einer Wasserpumpe finden konnte. i j Es wurde daher der andere Weg betreten, welcher durch Anwendung der Luftpumpe die Capillarröhren auf eine mässige Länge reduzirte und den Versuch somit sehr vereinfachte. Es war die Frage, ob bei dem verminderten Luftdrucke die Flüssigkeit in der Capillarréhre ebenso hoch steige als beim Druck einer vollen Atmosphäre, oder ob sie wie in einer Pumpe nur eine dem Auftriebe entspre- chende: Höhe erreiche. Die ersten Versuche wurden mit concentrirter Schwefelsäure: angestellt; wegen der grossen Unbeweglichkeit der Flüssigkeitssäule ergaben sie zunächst keine deutlichen Resultate, . Günstiger erwies sich das Wasser. In einer Capillar- röhre, deren Weite zwischen 0,22 und 0,18 M: M. variürte und deren dünneres Ende nach oben gerichtet war, stieg das Wasser bei gewöhnlichein Luftdruck bis zu einer Höhe von 160 M.M. Beim Auspumpen der Luft sank das Baro- meter der Luftpumpe rasch auf 4, 5—5M.M. und während es die letzten 20 M.M. zurücklegte, sank auch die Flüssig- keit in der Capillarréhre von 160 auf 60 M.M. Es wurde nun zu wiederholten Malen etwas Luft zugelassen und hierauf wieder ausgepumpt. Die Flüssigkeitssäule in der Capillar- röhre stieg jedesmal bis zur ursprünglichen Höhe und sank beim Auspumpen wieder auf das bezeichnete, dem Barometer- 378 stande- annähernd entsprechende Niveau. Die! Lange der capillaren Wassersäule betrug z. B. bei einer Quecksilber- höhe von 8—9 M.M. 110—120 M.M. und nahm in der Folge, während allmählich Luft von aussen eindrang, in nahezu entsprechendem Verhältnisse zu. Diese Thatsachen, welche unverkennbar auf einen un- mittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang zwischen Steig- höhe und Luftdruck hindeuteten, schienen die Vermuthung zu bestätigen, dass unter dem concaven Meniscus der Ca- pillarröhre die Flüssigkeit auf gleiche Weise sich erhebe wie unter dem Kolben der Pumpe. Allein fortgesetzte Ver- suche mit Capillarröhren von verschiedener Weite, bei ver- schiedener Temperatur, mit verschiedenen Flüssigkeiten und mit verschiedenen Modificationen der Einrichtung bewiesen die Unrichtigkeit dieser Erklärung. Sie zeigten zwar alle, dass bei Flüssigkeiten, die der Verdunstung fähig sind, mit der Zu- und Abnahme des Luftdruckes die Steighöhe in der Capillarröhre wechselt, dass diese Höhe aber nicht die nämliche ist, wie der Luftdruck, wenn derselbe in eine Flüssigkeitssäule übertragen wird. De Was die Methode der Operation betrifft, so wurden die Versuche in folgender Art ausgeführt. Eine Glasröhre von c. 350 M.M. Länge und 15 M. M. Weite, welche unten mit einem Ansatz versehen war, vermittelst dessen sie unmittelbar auf den Teller der Luftpumpe auf- gesteckt werden konnte, diente als Recipient. In diese Röhre wurde ein Reagensgläschen mit etwas destillirtem Wasser, in welches die zu prüfenden Capillarröhren ge- taucht ponien eingelassen und je:nach Bedürfniss auf ver- schiedene Höhen eingestellt, was vermöge der schwachen Reibung, die durch zwei aufgekittete Korklamellen hervor- gerufen wurde, leicht zu bewerkstelligen war. Die Reci- pientenröhre konnte oben durch einen Kautschukpfropfen hermetisch verschlossen werden, und eine Stricknadel, welche 379 sich in demselben auf und ab bewegen liess, diente zur Befestigung der Capillarröhrchen bei jenen Versuchen, wo dieselben erst nach dem Auspumpen der Luft in das Wasser eingetaucht wurden. Wo diess nicht der Fall, wurden die Röhrchen einfach durch eine federnde Korklamelle gesteckt. Dadurch wurden sie in beliebiger Höhe und ungefähr in der Mitte des Recipienten festgehalten, somit vor der Be- rührung mit: dessen Wandung und vor dem Einfliessen con- densirter Wasserdämpfe während der Dauer des Versuches möglichst. geschützt. | Bezüglich der weitern Vorsichtsmassregeln bemerke ich noch, dass zu jedem Versuch die Capillarröhren frisch an- gefertigt wurden. Wenn dieselben nur einige Tage alt sind, so werden sie wegen der an ihrer Oberfläche verdichteten Luftschichte .unbrauchbar, indem bei vermindertem Luft- drucke diese Luft sich ablöst und kleine Blasen bildet, die die Wassersäule unterbrechen. Alte Oapillarröhren können nur dadurch brauchbar gemacht werden, dass man längere Zeit luftfreies Wasser durchzieht oder dass man sie mit Alkohol und Aether reinigt. Frisch gezogene Röhren be- dürfen dieser Reinigungsmittel nicht. — Eine andere wichtige Regel besteht darin, dass man zu den Versuchen nur frisch ausgekochtes Wasser verwendet, weil sonst ebenfalls beim Entleeren der Luftpumpe sich Luftbläschen in der capillaren Wassersäule ausscheiden und das Gelingen vereiteln. — Eine Capillarréhre, in welcher mehrere Glasbläschen das Wasser unterbrechen, wird, besonders wenn sie sehr eng ist, am besten entfernt und durch eine frische "ersetzt. Ehe die Versuche und deren Ergebnisse näher dar- gelegt werden, dürfte es zweckmässig sein, die möglichen Ursachen, welche Auf das Sinken der Flüssigkeit in der Capillarröhre beim Auspumpen‘ “der Luft Einfluss haben könnten, zu prüfen, weil von dem Resultat dieser Prüfung 380 die später mitzutheilenden Versuche wesentlich bedingt wurden. Das Nächstliegende ist die Annahme, es möchte der Rückschlag der aus der Capillarröhre langsamer ausströ- menden Luft das Niveau der Flüssigkeit in derselben herab- drücken. Da nämlich beim Auspumpen die Luft aus dem Recipienten schneller abfliesst als aus der Capillarréhre, so muss die vermehrte Spannung in der letztern einen ent- sprechenden Druck ausüben. Doch lässt schon a priori die Berücksichtigung der wirkenden Kraft und der in Bewegung zu setzenden Masse nur einen sehr geringen Effekt erwar- ten; und die experimentellen Thats:chen beweisen, dass der- selbe ganz vernachlässigt werden kann. In einem bestimmten Falle z. B. betrug die Steighöhe des Wassers in der Capillarröhre 151 M.M.; das leere Ende .der letztern ragte noch um 116 M.M. vor; die Tem- peratur war 6°C. Beim Auspumpen blieb das Niveau in der Capillarröhre unbeweglich, bis der Barometerstand unter 8 M.M. zurückgieng. Wurde in den bis auf 20 M.M. Ba- rometerstand ausgepumpten Recipienten plötzlich Luft ein- gelassen, so stieg jenes ebenso plötzlich um 1 M.M. und sank dann langsam (in 1—92 Minuten) auf ‚seinen frühern Stand. Wurde darauf die Verbindung zwischen dem luft- erfüllten Recipienten und dem entleerten Hohlraum der Luft- pumpe durch Drehen des Hahns plötzlich hergestellt, so fiel das Niveau in der Capillarröhre rasch um etwa %4 MM., um dann wieder langsam auf die ursprünglichen 151 M.M. "sich zu erheben. Soeben wurde erwähnt, dass das Niveau sich nicht regte, bis das Barometer unter 8 M.M. hinabgieng; dann sank es aber auch bei langsamem Pumpen fortwährend. Wenn nun die Spannungsdifferenzen zwischen der Capillarröhre und dem Recipienten, welche bei einer plötzlichen Aender- ung des Barometerstandes von 20 auf 760 M.M, oder von 381 160 auf etwa 50 M.M. eintreten, bloss die Erhebung und Senkung des Niveau’s um 1 und 3/4 M.M. bedingen, so ist es ganz gewiss, dass das langsame Sinken des Barometers um 1 und 2 M.M. nur eine unendlich kleine, für den Be- obachter gänzlich unbemerkbare Verschiebung zur Folge hat. Dass die Ursache des Sinkens nicht im Rückstoss der ausströmenden Luft zu suchen sei, geht ferner auch aus denjenigen Versuchen hervor, bei welchen die, Capillarröhre erst nach vorhergegangenem Auspumpen und nach längerem Verweilen in dem verdünnten Raume des Recipienten ein- getaucht wurde. Das Wasser stieg in diesem Falle nur bis zu jener Höhe, bei welcher es sonst nach dem Sinken ‚stehen blieb, und erreichte erst nach dem Einlassen von Luft das dem Durchmesser der Capillarröhre entsprechende Niveau, welches beispielsweise um 30, 50 oder 100 MM. höher lag. Bei abermaligem Auspumpen sank es genau auf jene ursprüngliche Steighöhe zurück und nicht unter dieselbe; die ausströmende Luft hatte also keinen sichtbaren Effekt. Man könnte ferner, wenn man das Steigen in Capillar- röhren mit Laplace von dem Moleculardruck der ober- flächlichen Flüssigkeitsschichten ableitet, die Vermuthung hegen, dass eine Modification der die Flüssigkeit bedecken- den Gase diesen Moleculardruck veränderte.: Obgleich diess schon desswegen unwahrscheinlich ist, weil in der Theorie von Laplace die berührenden Gase keine Berücksichtigung finden, so musste doch die Möglichkeit ins Auge gefasst werden. Denn es ist sicher, dass bei unsern Versuchen das Wasser im Reeipienten an atmosphärische Luft, die viel Wasserdampf enthält, das Wasser in der Capillarröhre dagegen bloss an Wasserdampf grenzt. Folgende. Thatsache beweist aber, dass der Contakt verschiedener Gase keinen Einfluss auf die Steighöhe bei der Capillarröhre hat. Diese letztere bleibt die nämliche, wenn man das Wasser, in welchem die Capillarröhre steht, mit einer Oelschicht be- 31 382 deckt, wenn man also den Einfluss der Gase auf der einen Seite ganz eliminirt. Es bleibt jetzt nur noch eine äussere Ursache übrig, welche das Sinken der Flüssigkeit in der. Capillarréhre be- wirken kann, nämlich die Spannung der durch die Ver- dunstung gebildeten Dämpfe. Wenn dieselbe zur Erklärung der Erscheinungen nicht ausreichen sollte, so müssten noch innere Ursachen aufgesucht werden. Unter der Luftpumpe findet sowohl an der Oberfläche des Wassers im Reagensglischen als am Meniscus der Capillarréhre eine lebhafte Verdunstung statt. Die am erstern Ort gebildeten Dämpfe vertheilen sich sogleich in dem Recipienten, während die hier gebildeten langsamer aus der engen Capillarröhre entweichen und daher einen grössern Druck ausüben. Diese Differenz in der Spannkraft der Dämpfe wird zwar nur gering sein; bei einer Tempe- ratur von 10°C. kann sie im höchsten Grad einer Queck- silbersäule von 9 M.M. gleich kommen. Man möchte nun aus dem vorhin erwähnten geringen Effekt, den eine sehr grosse Differenz des Luftdruckes zur Folge hat, den Schluss ziehen, dass ein so unbedeutender Unterschied in der Dampf- spannung ebenfalls zu vernachlässigen sei. Diess wäre je- doch unrichtig; es können die beiden Fälle überhaupt nicht mit einander verglichen werden, da die Differenz des Luft- druckes nur einmal und momentan, die Differenz der Dampf- spannung dagegen dauernd wirkt. Beiläufig mag hier bemerkt werden, dass die Verdunst- ung des Wassers in den Capillarröhren sehr lebhaft ist. Sie ist selbst, wie die später mitzutheilenden Versuche zeigen werden, viel lebhafter, als an einer ebenen Wasserober- fläche von gleicher Grösse. Dagegen kommt es in den Capillarröhren unter der Luftpumpe nie zum Kochen, selbst dann nicht, wenn in dem Reagensgläschen in Folge der b s 383 lebhaften Verdunstung Eisbildung ‚an der ‘Oberfläche und heftiges Aufwallen unter derselben eintritt. Um nun zu ermitteln, welchen Antheil die Spannkraft ` der entwickelten Dämpfe an dem Sinken des capillaren Ni- veaus unter der Luftpumpe habe, stellten wir verschiedene Versuche an. Vor Allem aus waren einerseits bei gleicher Verdunstung Capillarröhren mit leeren Enden von ungleicher _ Länge und Weite, anderseits bei gleicher Beschaffenheit der Capillarröhren Flüssigkeiten mit ungleich lebhafter Ver- dunstung zu vergleichen. Aus einem engen und langen Röhrenende, das sich über dem capillaren Meniscus befindet, muss der Dampf langsamer abfliessen als aus einem weiten und kurzen Ende. Dort muss er demnach ceteris paribus eine grössere Spahn- kraft erreichen und das Niveau der Flüssigkeit tiefer hinab- drücken als hier. Diess wird ohne Ausnahme durch die Thatsachen bestätigt. Besonders interessant sind die Ver- suche, bei welchen die nämliche Capillarröhre ein ungleich langes Ende über dem Meniscus hatte. Ich theile einige derselben mit. | 1) Weite der Capillarröhre 0,212 M.M. Temperatur 4°C. Die Luftpumpe*wurde bis auf 3,5 M.M. Barometer- stand entleert und dann die Capillarröhre eingetaucht. Das Wasser stieg 98 M.M. hoch; nach dem Einlassen von Luft auf 141 M.M. Auspumpen auf einen Barometerstand von 3,5 M.M. hatte wieder ein Sinken auf 98 M.M. zur Folge. Differenz 43 M.M. Die Capillarröhre über der Wasser- oberfläche des Reagensgläschens war 251 M.M. lang und das leere Ende über dem Niveau hatte bei dem Drucke einer Atmosphäre eine Länge von 110 M.M., bei dem Ba- . rometerstand von 3,5 M.M. eine Länge von 208 M.M. Die Capillarröhre wurde dann um 108 M.M. verkürzt, so dass das leere Ende über dem Meniscus bloss 2 M.M. lang war. Beim Auspumpen auf einen Barometerstand von 31* 384 3,5 M.M. sank das Niveau in 15 Minuten bloss um 14/2 M.M. i i 9) Weite der Capillarröhre 0,215 M.M. Temperatur 15°C. Beobachtete Steighöhe beim Druck einer Atmo- sphäre 136 M.M. Rasches Auspumpen auf einen Barometer- stand von 4 M.M. machte auf 32 M.M. fallen; Differenz 104 M.M. Das leere Ende über dem capillaren Niveau war ungefähr 100 M.M. lang. Die Capillarröhre abgebrochen, so dass die 127 M.M. lange Wassersäule in derselben bis ans Ende reichte. Lang- sames und rasches Pumpen liess dieselbe während 5 Mi- nuten ganz unbeweglich. 3) Weite der Capillarröhre 0,194 M.M. Temperatur 15°C. Beobachtete Steighöhe bei einer Atmosphäre 150 MM. Die Capillarréhre abgebrochen, so dass die 149 M.M. lange Wassersäule bis oben reichte. Ausgepumpt bis auf einen Ba- rometerstand von 6 M.M.; das Niveau der Capillarröhre rührte sich nicht. Während längern Pumpens erniedrigte es sich äusserst langsam, so dass es nach 15 Minuten 3 M.M. unter dem obern Rand sich befand. Dann fieng es an rasch zu sinken bis auf 110 M.M. Hohe; ein zweites Mal auf 89 M.M. Höhe. Differenz von der normalen Steig- höhe 40 und 61 M.M.; Barometerstand 6 M.M. Die Capillarröhre wurde noch einmal etwas verkürzt, 'so dass die 145 M.M. lange Wassersäule bis ans Ende reichte. Die Entleerung der Luftpumpe auf einen Baro- meterstand von 5—6 M.M. bewirkte zuerst keine Veränder- ung. Dieser Barometerstand wurde durch unterbrochenes Pumpen während 20 Minuten unterhalten. Das Niveau sank während dieser Zeit um 5 M.M., und zwar anfänglich in etwa 6 Minuten, zuletzt in etwa 3 Minuten um je 1 M.M. Dann beobachtete man ein langsames Niedergehen, das imihet schneller wurde, bis die Wasserhöhe in der Capillar- 385 röhre bloss noch 10 M.M. betrug. Differenz von der nor- malen Steighöhe 140 M.M. Von der Röhre wurde abermals ein kurzes Stück ab- gebrochen. Diè bis zur Spitze reichende Wassersäule hatte eine Länge von 138 M.M. Die Luftpumpe wurde auf einen Barometerstand von 4,5 M.M. entleert und durch periodi- sches Pumpen auf diesem Stande erhalten, so dass nach 8 bis 10 Kolbenzügen Ruhe von 3 bis 4 Minuten eintrat. Nach jedesmaligem Pumpen und der darauf folgenden Ruhe- zeit sank das Niveau um 1 M.M., so dass es nach 30 bis 35 Minuten 9 M.M. tiefer stand als anfänglich. Sodann trat bei abermaligem Pumpen erst langsames, dann immer schnelleres Sinken ein, so dass das Niveau auf O (d. h. auf gleicher Höhe mit dem Wasser in dem Reagensgläschen) stand. Differenz gegenüber der normalen Steighöhe 150 M.M. Nachdem etwas Luft eingelassen worden und das Wasser auf eine Höhe von 106 M.M. gestiegen war, gieng es bei abermaligem Pumpen wieder auf Null herunter, 4) Weite, der Capillarröhre 0,198 M.M. Temperatur 6°C. Beobachtete Steighöhe bei 1 Atmosphäre 151 M.M.; leeres Ende über dem capillaren Niveau 116 M.M. Steig- höhe bei 8 M.M. Barometerhöhe 23 M.M.; Differenz 128 M.M.; © leeres Ende über dem capillaren Niveau 244 M.M. Capillarröhre so abgebrochen, dass die 149 M.M. hohe Wassersäule bis ans obere Ende reichte. Ausgepumpt und der Barometerstand fortwährend auf 4 bis 5 M.M. erhalten. Das Niveau erniedrigte sich ‚äusserst langsam; es bedurfte ‘/4 Stunden, um 5 M.M. abwärts zurückzulegen. Erst jetzt fieng es an langsam, dann immer rascher zu sinken. Es wäre überflüssig, noch andere Versuche anzuführen. Bei allen zeigte sich die nämliche Erscheinung, © dass in einer Capillarröhre, in welcher das Wasser bis zum obern Rand hinaufreichte, beim Entleeren der Luftpumpe anfangs gar keine Veränderung, dann aber ein so langsames Sinken 386 eintrat, dass in 6 bis 25 Minuten kaum der erste Millimeter zurückgelegt wurde. Diese für das Auge nicht unmittelbar wahrnehmbare Bewegung dauert nach Umständen längere _ oder kürzere Zeit an; sie wird zunächst dadurch bedingt, x dass zeitweisė eine grössere Menge Wasser verdunstet, als durch die Capillarität ersetzt werden kann. Das Steigen in den engen Capillarröhren geht nämlich im untern Theil ausserordentlich schnell, zu oberst aber sehr langsam vor sich. Dabei ist jedoch zu bemerken, dass wenn in einem Zeitmoment durch raschere Verdunstung das capillare Niveau sich etwas gesenkt hat, es diese Stellung behält, wenn auch nachher die Verdunstung wieder abnimmt und der Baro- meterstand unter der Luftpumpe steigt. Dieses Factum ge- hört einer ganzen Kategorie von capillaren Erscheinungen an, welche dadurch charakterisirt ist, dass das Niveau der Flüssigkeit ein gewisses Beharrungsvermögen besitzt und dass zur Aenderung desselben die Umstände, die sonst einen andern naheliegenden Stand bedingen, nicht ausreichen, sondern dass dafür ein grösserer oder kleinerer Kraft- überschuss erforderlich ist. Das dem Auge sichtbare Sinken in der abgebrochenen Capillarröhre tritt je nach den Umständen früher oder später ein. Bei einer Temperatur von 15°C, genügte dafür schon ein leeres Röhrenende, das 15 mal länger war als sein Durchmesser (Versuch 3). Bei einer Temperatur von 6°C. musste es 25 mal so lang sein (Versuch 4). Dieses Sinken beginnt ferner um so früher, je mehr die Wasser- säule der normalen Länge gleichkommt. Beim dritten Ver- such hatte nach mehrmaligem Abbrechen der Capillarrohre die Wassersäule 8 Procent weniger als die normale Länge. Das leere Ende musste 45 mal so lang werden als sein Durchmesser, um das sichtbare Sinken zu veranlassen, während bei normaler Länge der Wassersäule die 15 malige Länge dazu genügt hatte. 387 Die andere Frage war die, wie sich Flüssigkeiten mit ungleich lebhafter Verdunstung unter der Luftpumpe ver- halten. Die Versuche gaben die Antwort, dass nicht ver- dunstende Flüssigkeiten (concentrirte Schwefelsäure, fette Oele) in den Capillarröhren unbeweglich bleiben, und dass die übrigen um so schneller und tiefer sinken, je energi- scher die Verdampfung eintritt. Wenn man mit der näm- lichen Flüssigkeit, nämlich mit destillirtem Wasser operirt, so beobachtet man, unter übrigens gleichen Umständen, ein um so bedeutenderes Fallen des Niveau, je höher die Temperatur und je tiefer der Barometerstand ist. Diess er- giebt sich aus einer Menge von Thatsachen. Doch lassen sich die einzelnen Factoren nicht genau in Ziffern angeben, da es schwer ist, ganz gleiche Bedingungen herzustellen. Es mögen hier einige Beispiele folgen, welche wenig- stens im Allgemeinen einen Begriff von den Erscheinungen geben. Tempera- Barometer. Steighöhe. Steighöhe Differenz. Weite der beil Atmosph. Capillarröhre. 141 0,212 0,212 0,241 0,241 0,162 0,233 0,625 0.625 0,550 0,550 0,400 0,400 0,400 0,400 0,190 0,190 mW CO Ore bb Se) v oUo ON EN 388 Es machen diese Angaben, wie schon gesagt, keinen Anspruch darauf, genau vergleichbare Ziffern zu geben, da die Steighöhe noch von einigen Factoren abhängt, die in der Tabelle durch keine Zahlenwerthe angegeben werden konnten. Es gehört hieher ausser der Länge und Weite des leeren Capillarréhrenendes noch der Umstand, ob lang- langsames oder rasches Pumpen vorausgieng und ob in dem Gasgemenge, welches den Barometerstand bedingt, mehr oder weniger Wasserdampf enthalten ist. Diese Punkte werden später erörtert werden. | Was den Einfluss des Barometerstandes betrifft, so ist es bekannt, dass die Verdunstung des Wassers mit Abnahme des Luftdruckes zunimmt; die Verhältnisse der Progression sind nicht ermittelt. Aus einigen Versuchen, die wir zu anderm Zwecke anstellten, ergab sich, dass die Verdunstungs- mengen bei sehr niedrigen Barometerständen ungemein rasch zunehmen. Bei 8°C. war die Verdunstung äusserst lang- sam, solange das Barometer über 6 bis 7 M.M. stand, so- dass während längerer Zeit eine Erniedrigung der Wasser- säule in einer unten geschlossenen Capillarröhre nicht be- merkbar wurde. Als das Barometer auf 1 bis 1,5 M.M. gesunken war, so verdunsteten in einer Röhre von 0,120 M.M. Durchmesser 7 M.M. während 5 Minuten. Uebefeinstimmend mit der soeben erwähnten Thatsache, beobachteten wir bei allen Versuchen, dass das Sinken des Niveau’s in den Capillarröhren erst bei einem sehr niedrigen Barometerstand beginnt. Pumpt man z. B. auf 10 M.M. Quecksilberhöhe aus, und erhält man diese Verdünnung während längerer Zeit, so bleibt die capillare Wassersäule vollkommen eg Die Verdunstung ist so gering, dass sie ein Sinken derselben nicht zur Folge hat. Wird die Luftpumpe dagegen stärker entleert, so tritt ein be- stimmter Grad der Verdünnung ein, = welchem die Er- 389 niedrigung sichtbar. wird! Einige Beispiele mögen diess an- schaulich machen. Barometerst.b. Temperatur. Durchmesser| Leeres Steighöhe. Beginn d. Sink. der Röhre. | Röhrenende. 12 MM. 150445 0,215 "lang normal 150 0,199 | 6 MM. |N-7MM. 15,5° | 0,190 | 5 M.M. |N—10M.M. 8° 0,172 lang normal Be = 0,233 lang normal 6,5951] »ib0/162 13 M.M. | normal — 6° 0,198 5 M.M. |N— 7M.M. zn 0,183 lang normal | 4,5 4° 0.241 lang normal In der leizten Columne ist die Steighöhe angegeben, bei welcher das Sinken anfängt. Bei. längerem leeren Röhrenende ist es die normale Höhe (N). In den abge- brochenen Röhren mit kurzem leeren Ende ist. sie geringer (N—7 M.M. etc.). Je mehr von der normalen ‚Steighöhe mangelt, um so grösser muss die Kraft sein, welche das Sinken hervorbringt, um so höher also die Temperatur oder um so niedriger der. Barometerstand. — In dem ersten Beispiel war bei 13 M.M. Quecksilberhöhe die Wassersäule der Capillarröhre noch ganz’ unverändert. Ein schwacher Kolbenzug, der das Barometer auf 12 M.M. erniedrigte, be- wirkte ein ziemlich rasches Sinken um 4—6 M.M. So wie das Barometer wieder auf 13 M.M. hinaufgieng, nahm auch das capillare Niveau seinen ursprünglichen Stand wieder ein. Diess Experiment wurde mit dem nämlichen Erfolg mehrmals wiederholt. Wenn man die Capillarröhre erst nach Entleerung der Luftpumpe eintaucht, so erhält man den soeben erwähnten entsprechende Resultate. Hat nämlich die Verdünnung der Luft einen gewissen Grad nicht erreicht, so „steigt nach 390 dem Eintauchen das Wasser in der Capillarröhre auf die nämliche Höhe wie bei dem Druck einer ganzen Atmo- sphäre. Eine Röhre von 0,198 M.M. Durchmesser wurde bei einem Barometerstand von 6,5 M.M. und einer Tem- peratur von 6°C. in Wasser gebracht. Das Niveau stieg 151 M.M. hoch; bei einer Atmosphäre gieng es nicht höher. Es behauptete auch diesen Stand, als während längerer Zeit bei langsamem Pumpen das Barometer auf 6,5 M.M. er- halten blieb. Dagegen sank es, als durch Erwärmen. des Recipienten mittelst der Hand die Temperatur etwas erhöht wurde. Eintauchen bei 5 M.M. Barometerhöhe bewirkte bloss eine Steighöhe von etwas über 100 M.M. Der Einfluss der Wärme giebt sich bei allen Versuchen deutlich kund, indem unter übrigens gleichen Verhältnissen bei höherer Temperatur das Sinken des Niveaus theils früher beginnt, theils einen tiefern Grad erreicht. Auch bei ge- wöhnlichem Luftdruck hat die Wärme auf die Steighöhe in den Gapillarröhren Einfluss , wiewohl er lange nicht so in die Augen springt wie bei den Versuchen unter der Luft- pumpe. Doch kann man bei drei leicht herzustellenden Temperaturgraden nämlich bei Null, bei 15—20° und in der Nähe des Siedepunktes deutliche Verschiedenheiten be- obachten. Der Zusammenhang zwischen Verdunstung und Steig- höhe zeigt sich auch sehr auffallend, wenn man andere Flüssigkeiten mit Wasser vergleicht. Bei Alcohol und Aether beginnt das Sinken des capillaren Niveaus bei einem höhern Barometerstand und bei einem niedrigeren Temperaturgrad. Alcohol von 96—97 Grad stieg bei 5°C. und. bei dem Druck einer Atmosphäre in einer Röhre von 0,105 M.M. Durchmesser auf 107 M.M. Das leere Ende über diesem Niveau war 173 M.M. lang. Als bei langsamem Pumpen das Barometer auf 16 M.M. hinabgieng, so fieng das Niveau an rasch zu sinken, und hatte noch eine Höhe von 12 M.M. 391 (Differenz 95 M.M.) bei 9 M.M. Barometerhöhe, also bei einem Druck und einer Temperatur, bei welcher eine Wasser- säule noch unbeweglich ist. In einer andern Röhre von 0,112 M.M. Weite stieg der Alcohol bei einer Temperatur von 6,4°C. auf 100M.M. Das leere Ende über diesem Stand hatte eine Länge von 100 M.M. Bei langsamem Pumpen begann das Sinken, als der Barometerstand auf 20 M.M. sich erniedrigt hatte, und als derselbe bei 8,5 M.M. angelangt: war, so stand der Alcohol bloss noch 11 M.M. hoch in der Capillarröhre. Als das Pumpen eingestellt wurde, so stieg das Niveau mit dem Barometer, und erreichte seine normale Höhe, sobald der Barometerstand 20 M.M. betrug. er Die nämliche Capillarröhre wurde, nachdem sie ent- leert und wieder in den Recipienten gebracht worden war, erst eingetaucht, nachdem die Luftpumpe evacuirt und der ‘Barometerstand während einiger Zeit auf 8—9 M.M. er- halten worden war. Das Niveau stieg langsam auf 12 M.M. Der Barometerstand wurde dann auf 8, 6 und 4 M.M. er- niedrigt und längere Zeit auf diesem Stande erhalten; das capillare Niveau gieng nicht unter 11 M.M. — Die gleiche Röhre wurde noch einmal entleert und dann erst einge- taucht, nachdem bis auf einen Barometerstand von 4 M.M. ausgepumpt worden war. Das Niveau erhob sich jetzt all- “mählich auf 11 M.M. Aether stieg bei 9,5°C. und dem Druck einer Atmo- sphäre in einer Röhre von 0,217 M.M. Durchmesser auf 47 M.M. Das leere Ende über diesem Niveau war über 100 M.M. lang. Bei sehr langsamem Pumpen fieng das Sinken schon an, als der Barometerstand noch 270 M.M. betrug. — Das Herabdrücken des capillaren Niveau’s durch die Spannkraft der Aetherdämpfe kann man auch bei ge- wöhnlichem Luftdrucke beobachten, wenn man eine Capillar- rghre das eine Mal mit offenem, das andere Mal mit bei- 393 nahe oder gänzlich geschlossenem Ende zu den Versuchen anwendet. Eine Capillarröhre von 0,177 M.M. Durchmesser wurde bei 16° C. in eine ziemlich feine (doch noch offene) Spitze ausgezogen und in Aether gestellt; die Steighöhe war 53 M.M. Dann wurde die Spitze abgebrochen; das Niveau stand jetzt 55 M.M. hoch. Diess wurde mit dem gleichen Erfolge wiederholt. Eine andere Röhre, in gleicher Weise behandelt, zeigte die Steighöhen 43 und 45 M.M. — In einer Capillarréhre, in welcher bei offenem Ende das Niveau 50 M.M. hoch stand, sank dasselbe, nachdem das Ende mit Wachs verklebt worden, auf 47 M.M. ‚Alle bis jetzt erwähnten Thatsachen beweisen, dass die Steighöhe in den Capillarröhren bei vermindertem Luft- drucke desswegen sich erniedrigt, weil die Verdunstung leb- hafter wird. Es bleibt aber noch zweifelhaft, ob es die Spannkraft der Dämpfe allein sei, welche das capillare Niveau herunterdrückt, oder ob vielleicht innere Ursachen mitwirken. Um diess zu ermitteln, wurde eine Reihe fernerer Beobachtungen angestellt, welche in einer folgenden Mit- theilung dargelegt werden sollen. 26. Die systematische Behandlung der Hieracien rücksichtlich des Umfanges der Species. (Vorgetragen den 21. April 1866.) Ich habe in meiner Mittheilung vom 10. März die systematische Behandlung der Gattung Hieracium erortert, insoferne es die Unterscheidung von Haupt- und Zwischen- formen betrifft. Eine andere Frage ist die, wie weit der Begriff der Art gefasst werden soll? Welche Hauptformen und welche Zwischenformen als Species getrennt, welche als als Varietäten in eine Species vereinigt werden müssen. Hieracium Pilosella, H. Hoppeanum, H. Pe- leterianum, H. Pseudopilosella sind Hauptformen, keine derselben kann als Zwischenform irgend welcher anderer Formen angesehen werden. Sollen wir sie als ebenso viele Arten, oder als Varietäten Einer Art aufführen? Sollen wir Hieracium murorum und H. vulgatum, um anderer verwandter Formen nicht zu erwähnen, spezifisch trennen oder vereinigen? Sind Hieracium Auricula und H. glaciale, H. amplexicaule und H. pulmonarioides, H. boreale und H. sabaudum als Species oder als Va- rietäten zu betrachten? Dass die Zwischenformen nicht als Varietäten den Hauptformen untergeordnet werden dürfen, sondern dass sie denselben coordinirt werden müssen, habe ich in meiner frühern Mittheilung nachgewiesen. Allein nun frägt es sich ferner, wie sie mit Rücksicht auf ihr gegenseitiges Verhältniss zu behandeln seien, und zwar in doppelter Beziehung: 1) Zwischen 2 Hauptformen giebt es mehrere Zwischen- formen; sollen dieselben als eine oder als mehrere Arten aufgeführt werden? Hieracium albidum und H. prenan- 32* 394 thoides sind durch eine Reihe wenig bekannter Zwischen- formen verbunden. Ist die ganze Reihe ‚als eine Species zu behandeln oder in mehrere zu trennen? Wie ist es mit den Zwischenformen von H. murorum und H. alpinum, H. murorum und H. villosum, H. Pilosella und H. prae- altum etc. zu halten? Die Sesion haben diese Zwischen- glieder bald als eine, bald als zwei und drei Arten auf- gezählt. 2) Zwischen zwei Hauptformen, die als Arten Ary werden, aber einander sehr nahe stehen, und einer dritten en giebt es Zwischenformen; sollen dieselben spezifisch getrennt oder vereinigt werden? Die Zwischenform von H, Auricula und H. aurantiacum ist derjenigen von H. glaciale und H. aurantiacum sehr ähnlich. Die Zwischenform von H. Pilösella und H. pratense steht derjenigen von H. Pilosella und H. aurantiacum habi- tuell und in den Merkmalen sehr nahe, Sind dieselben als zwei Arten, oder als zwei Varietäten Einer Art aufzu- führen? Stellen wir uns zur Beantwortung aller dieser Fragen auf einen ganz voraussetzungslosen Standpunkt, so werden wir sagen, dass über den Werth einer Form nur die Con- stanz entscheidet. In dieser Forderung müssen, sowie es sich um die Praxis handelt, Alie übereinstimmen, zu welcher Theorie sie sich auch bekennen mögen. Einer Form, die durch eine längere Reihe von Generationen sich constant erhält, wird immer auch ein grösserer systematischer Werth beigelegt werden. Man spricht zwar häufig auch von wesentlichen und unwesentlichen Merkmalen. Species seien diejenigen Formen, welche sich durch wesentliche, Varietäten, die sich nur durch unwesentliche Merkmale unterscheiden. Es ist diess ein überkommener Ausspruch, der ziemlich gedankenlos wiederholt wird. Was ist eine systematisch wesentliche a un oeael Te 395 Eigenschaft anders als eine solche, die sich durch die Con- stanz bewährt? Wir können von keiner morphologisch oder physiologisch noch so wichtigen Erscheinung zum voraus behaupten, dass sie auch in systematischer Beziehung wesent- lich sein müsse. Vielleicht gehört sie bloss einer unbedeu- tenden Varietät, vielleicht selbst einer individuellen Modifica- tion an. Das nämliche Merkmal ist bei einer Pflanze wesentlich und bei einer nahe verwandten andern Pflanze erweist es sich als unwesentlich, was wir aber nur daraus erkennen, dass es bei jener constant, bei dieser variabel ist. Der Begriff der Constanz ist im Prinzip ganz scharf. Er wird durch die Zahl der Generationen oder überhaupt durch die Zeit bestimmt, während welcher unter verschiedenen äussern Bedingungen eine Eigenschaft unverändert bleibt. Aber wie klar auch die Definition sei, eben so schwierig ist die Anwendung; ebenso unklar und verworren der Sprach- gebrauch. In der That, wenn von einem constanten Merk- mal gesprochen wird, so wissen wir sehr oft nicht, welche Bedeutung wir diesem Worte beilegen sollen. Der Ausdruck Constanz wird nicht bloss dann ge- braucht, wenn- eine Eigenschaft während einer Reihe von Jahren sich nicht verändert. Er hat noch eine andere Be- deutung. Der Systematiker nennt ein Merkmal beständig, wenn es bei allen Individuen, die er gesehen hat, das gleiche ist. Eine südamerikanische oder neuholländische Pflanzenform, welche in den 50 Exemplaren, die in den europäischen Herbarien liegen, keine Abweichungen zeigt, heisst constant. Wir haben also eine doppelte Constanz, eine zeitliche und eine räumliche. Jene ist unserer Beobachtung nur in sehr seltenen Fällen unmittelbar zugänglich. Wenn von ‚ Beständigkeit gesprochen wird, so ist es in der Regel die räumliche, welche man eigentlich meint. Beide Begriffe stehen in einer gewissen Beziehung zu 396 einander. Wenn ein Merkmal durch eine Reihe von Ge- nerationen constant bleibt, so muss es auch in allen den- jenigen Individuen das nämliche sein, welche von dem ein- zigen oder den mehreren unter cinander gleichen Individuen der ersten Generation herstammen. Die zeitliche Constanz hat also immer die räumliche zur Folge. Die letztere ist die abgeleitete. Frägt es sich, in wiefern man aus ihr auf jene zurückschliessen könne, so ist dabei besonders zweierlei zu berücksichtigen. Nur wenn ein Merkmal in allen Individuen einer Pflanzen- form vorhanden ist, so dürfen wir annehmen, dass es auch in den friihern Generationen schon existirt habe. Ware es in einem Theil der Individuen so, in einem andern anders beschaffen, so wüssten wir nicht, wie viel Zeit es braucht, um die eine Modification in die andere überzuführen, und ob vielleicht dieser Wechsel selbst von einer Generation zur nächst fulgenden eintritt. Es ist daher immer gewagt, von einer beschränkten Zahl von Pflanzen auf die Beständigkeit einer Form zu schliessen. Ferner dürfen wir von einem Merkmal, das in allen Individuen einer Pflanzenform sich findet, nur dann auf eine nothwendige Constanz in der Generationenfolge schliessen, wenn dasselbe nicht durch die äussern Einflüsse bedingt wird. Eine Pflanze, die auf einer sterilen sandigen Haide schmächtige wenigblüthige Exemplare bildet, wird natürlich, solange sie auf dieser Localität bleibt, durch alle Genera- tionen beständig sein. Aber es ist diess nicht die wahre Constanz; denn auf einem fruchtbaren Boden verändert sie sich. So verhält es sich mit den gedrungenen und stengel- losen Formen der nivalen Region und mit vielen andern Beispielen. Wir werden also von der räumlichen auf die zeitliche Constanz mit voller Berechtigung nur dann schliessen, wenn eine Eigenschaft oder ein Complex von Eigenschaften in Le % a! 397 allen Individuen und auf den verschiedenartigsten Standorten unverändert auftritt. Aus dem Gesagten geht hervor, dass wir für die Be- urtheilung des systematischen Werthes einer Pflanzenform im Allgemeinen zwei Kriterien haben. Entweder wird die zeitliche Constanz, um die es sich allein handelt. auf direktem Wege geprüft, oder man zieht auf indirektem Wege aus der räumlichen Constanz einen Schluss auf dieselbe Die Mittel dazu sind die Kulturversuche und die Beobachtungen in der freien Natur. Es ist selbstverständ- lich, dass nur die erstern einen absolut sichern Beweis zu geben vermögen, vorausgesetzt, dass sie überhaupt in der Weise, wie es nothwendig ist, ausgeführt werden könnten. Da diess aber, wie die Berücksichtigung der thatsächlichen Verhältnisse ergiebt, unmöglich ist, so werden wir vorzugs- weise auf die Beobachtung der Vorkommensverhältnisse an- gewiesen. | Es giebt wohl kaum einen Grundsatz, der häufiger ausgesprochen wird und allgemeinere Anerkennung findet, als der, dass die Constanz der Formen durch Kulturversuche geprüft und erprobt werden müsse. Allein es kann nicht in Abrede gestellt werden, dass über denselben nicht immer die nöthige Klarheit herrsche und dass er nicht stets mit gehöriger Kritik angewendet werde. Man findet so häufig bei einer neuen oder zweifelhaften Art die Angabe, es habe dieselbe sich so und so viele Jahre im Garten unverändert erhalten, woraus geschlossen wird, dass es eine „gute Species“ sei. Auch die Hieraciologen haben sich nicht selten dieses Arguments bedient. So sagt z. B. Fries, „er habe die sehr ähnlichen Hieracium amplexicaule und H. pul- monarioides in einer Kultur von 30 und mehr Jahren gut begrenzt erfunden“, oder „er betrachte H. fragile Jordan, obgleich kaum durch ein gutes Merkmal kenntlich, für eine besondere Art, weil sie in 10jahriger Kultur ihren 398 eigenthümlichen Habitus behalten habe“, etc. Ebenso be- merkt F. Schultz: „Ich halte Hieracium Peleterianum Merat. für eine gute Art; ich habe sie seit 10 Jahren neben H. Pilosella in Kultur und diese beiden Pflanzen haben hier alle ihre Merkmale behalten“. Bei solchen Angaben ist mit Rücksicht auf die herr- schenden Ansichten über die Vererbung der Merkmale zu bedauern, dass nicht gesagt wird, ob die Pflanze als Stock aus der Wildniss in den Garten versetzt oder aus Samen erzogen wurde, ferner ob eine wiederholte Aussaat statt- gefunden hat oder nicht, endlich aus welcher Gegend und von welcher Localität die Pflanze herstammte. Je nachdem mit Rücksicht auf diese Punkte es sich so oder anders ver- hält, muss eine mehrjährige Kultur, eine ziemlich verschie- dene Bedeutung erhalten. Möglicherweise hat man am Ende der Versuchsperiode noch den nämlichen Pflanzenstock, der aus der Wildniss geholt wurde. Meistens kultivirt man die zweite Generation der wilden Pflanze, diese als erste Ge- neration gesetzt. Man könnte nach 10jähriger Kultur aber auch die sechste Generation erreichen, wenn wir für jede zwei Jahre ansetzen; und nur in diesem Falle könnte das höchste Maass der Veränderungen eintreten, welches für eine 10jahrige Kultur überhaupt möglich ist. In dieser letztern Weise ist aber in dem nämlichen Garten bis jetzt gewiss nie ein Hieracium kultivirt worden. — Stammt die Pflanze aus der Nähe, sodass möglicher Weise die klimati- schen und die Bodenverhältnisse der natürlichen Localität fast identisch sind mit denen des Gartens, in welchem die Kulturversuche angestellt werden, so ist kaum eine Aussicht auf eine Veränderung vorhanden. Kommt sie dagegen von einem Standort mit sehr verschiedenen äussern Ver hältnissen, so lassen sich bedeutendere Umwandlungen erwarten. Fragen wir uns nun aber, welche Veränderungen eine 10- oder selbst eine 40jährige Kultur an einer Pflanzenform 399 überhaupt hervorbringen könne, so ergiebt Theorie und Praxis in voller Uebereinstimmung, dass dieselbe im Allge- meinen nichts anderes vermag, als die frühern Localitäts- merkmale wegzunehmen und an deren Stelle die Localitäts- merkmale des Gartens zu setzen. Sie kann nur die un- mittelbar von den äussern Verhältnissen © herrührenden Eigenthümlichkeiten modifiziren, insofern nämlich der Garten andere äussere Verhältnisse darbietet. Sie wird aber die constanten Merkmale nicht ändern, selbst wenn dieselben nur eine wenig abweichende Varietät charakterisiren. | Wenn die Kultur in der von manchen Systematikern beanspruchten Weise über den spezifischen Werth entschei- den könnte, so müssten wir alle constanten Varietäten zu Arten erheben. Die Racen der ein- und zweijährigen Kultur- pflanzen und die Varietäten, deren Samen in den jährlichen Katalogen der botanischen und Handelsgärten angeboten werden, wären eben so viele Species. In der Gattung Hie- racium wären die Abänderungen mit röhrigen Blüthen, die man mit Recht als leichte kaum nennenswerthe Varie- täten betrachtet, gute Arten, denn nach Bernhardi (Ueber den Begriff der Pflanzenart pag. 16) erhalten sie sich bei der Aussaat unverändert. Ich bin überzeugt, dass wenig- stens 10 Varietäten von Hieracium Pilosella in der Kultur constant bleiben, wenn man sie vor hybrider Be- fruchtung schützt; und was die übrigen Hieracien betrifft, so dürfte sich eine grosse Zahl der Arten von Jordan, welche die Systematiker nicht einmal als Varietäten unter- scheiden mögen, in den Gärten als beständig erweisen. Meine Ueberzeugung von der Constanz der Hieracien- Varietäten ‚schöpfe ich aus den Vorkommensverhältnissen. Die Natur hat eine Menge von Kulturversuchen angestellt und zwar mit viel eingreifenderen Mitteln bezüglich der äussern Einflüsse und der Zeitdauer, als wir es zu thun vermögen. Wir können ihre Kulturresultate auf den Loca- 400 litäten studiren. Ich verweise auf die Mittheilung vom 18. November 1865, wo ich weitläufig hierüber gesprochen habe. Dort habe ich angegeben, dass Hieracium Pilo- sella Hoppeanum (H. piloselliforme) seit der Eiszeit, also Hunderttausende von Jahren, in der Nähe von München unter H. Pilosella wächst, ohne in letzteres übergegangen zu sein. Ebenso finden wir häufig andere Varietäten von H. Pilosella auf der namlichen Localität beisammen, und eben dasselbe gilt für die Varietäten der übrigen Hiera- cium-Arten. Wir wissen zwar in keinem einzelnen Falle, wie lange sie schon in Gesellschaft leben. Aber aus der Art und Woise der Verbreitung überhaupt, sowie aus der grossen Individuenzahl und der Häufigkeit des gemeinsamen Vorkommens müssen wir schliessen, dass dieses gemeinsame Vorkommen im Allgemeinen gedauert hat, seitdem die Pflanzen zu ihrer jetzigen Verbreitung gekommen sind, d. h. jedenfalls lange vor der historischen Zeit. Von diesem Ge- sichtspunkte aus mangelt jede rationelle Berechtigung einem Verfahren, welches zwei Pfanzenformen, die seit Jahrtausen- den auf der gleichen Localität gut begrenzt geblieben sind, in den Garten pflanzt und nach einer weitern Probezeit von 10 oder 20 Jahren für speciesfähig erklärt. Die Kultur der Hieracien, ebenso wie diejenige aller übrigen Pfianzen, kann uns demnach keinen Aufschluss geben über die Frage, ob Species oder Varietät, ebenso wenig, ob Hauptform’ oder Zwischenform, oft selbst nicht, ob reine oder hybride Form. Sie zeigt uns bei richtiger Anwendung höchstens, ob ein Merkmal unmittelbar durch die äussern Verhältnisse bedingt ist oder nicht. Bleibt aber der aus der Wildniss in den Garten gepflanzte Stock unver- ändert, so kann es die Constanz des ersten besten Apfel- baumes sein, der in seiner Sorte sich ebenfalls nicht ändert. Bleibt eine Pflanze durch mehrere Generationen beständig, nn en ARI a ur 401 so wissen wir noch nicht, ob es die Constanz der Bastarde ist, welche nach Gärtner bis in die zehnte Generation dauern kann, oder die seculare Constanz der Mittelformen, Varietäten und Arten. Es ist möglich, dass bei der Kultur nicht bloss die Localitätsmerkmale sich ändern, sondern dass einmal auch andere Veränderungen eintreten, wie sie in der Wildniss ebenfalls nicht fehlen. Meistens sind es morphologische und physiologische Umbildungen, die uns über das Wesen der Pflanzen wichtige Aufschlüsse geben, aber kaum je über den Werth der systematischen Formen belehren. Nach verschie- denen Angaben sollen zwar bei andern Pflanzen und bei Hieracien auch Varietäten, die ich nach den Vorkommens- verhältnissen als constant betrachten muss, im Garten um- gewandelt worden sein, was mir unglaublich erscheint. Es würde mich zu weit; führen, wenn ich auf einzelne Beispiele eintreten wollte. Ich erlaube mir jedoch auf drei allgemeine Ursachen der Täuschung hinzuweisen, für die ich als Belege bestimmte Fälle anführen könnte. Die eine liegt in Verwechslungen des Namens oder der Aufschrift, die bei verschiedenen Gelegenheiten eintreten können, beim Versenden der Samen, beim Empfang der- selben und beim Aussäen, beim Verpflanzen, bei verschie- denen Gartenarbeiten. Alle derartigen Irrthümer können von dem Experimentator durch gehörige Controle vermieden werden, mit Ausnahme desjenigen, der allenfalls von dem, der die Samen liefert, begangen wird. Die andere Ursache der Täuschung liegt in der That- sache, dass in den botanischen Gärten die Pflanzen nicht selten einander verdrängen. Diess ist um so eher der Fall, da man immer die nächst verwandten Formen, die in der Regel wegen sehr ähnlicher Existenzbedingungen am wenig- 402 sten sich vertragen, unmittelbar neben einander pflanzt = Wenn man diesen Process mit Aufmerksamkeit verfolgt, so wird man sehen, wie in einem Satze einige Pflanzen einer andern Species oder Varietät, welche durch Samen oder durch Ausläufer dahin gelangt sind, aufgelien, wie sie sich vermehren und zuletzt die ursprüngliche Pflanze vollständig verdrängen. Sind die beiden Arten oder Varietäten einander sehr ähnlich, so kann man bei oberflächlicher Betrachtung leicht die Ansicht gewinnen, es habs die eine sich in die andere verwandelt. In unserm Garten kann ich z. B. Hie- racium aurantiacum nicht neben H. pratense oder H. glomeratum kultiviren; die letzteren setzen sich immer auf dem Platze des erstern fest. Ebenso wird H. Pilosella Hoppeanum durch H. Pilosella vulgare verdrängt. Die dritte Ursache der Täuschung und zugleich die ge- fährlichste, weil sie keine Controle erlaubt und daher nicht vermieden werden kann, beruht in der Kreuzung einer Form mit irgend einer andern. Wenn das Ergebniss des Kultur- versuchs einen Schluss auf die Variabilität gestatten soll, so muss selbstverständlich vorausgesetzt werden, dass die zur Aussaat benutzten Samen "durch Selbstbefruchtung oder Inzucht erzeugt wurden. Würde man Samen von A, die durch Kreuzung mit B entstanden sind, verwenden, so käme man über die Veränderlichkeit von A zu einem unrichtigen Resultat. In den botanischen Gärten und in der Wildniss mangelt die Gelegenheit zu hybrider Befruchtung mit verwandten Arten oder Varietäten fast niemals. 3esonders leicht aber entstehen Irrthümer, wenn es sich um das Verhalten eines Bastards handelt. Derselbe 1) Es wäre aus verschiedenen Gründen zu empfehlen, die Varie- täten einer Art, sowie verwandte Arten nicht neben einander zu pflanzen, sondern wenigstens durch eine ganz verschiedene Art oder selbst durch eine verschiedene Gattung zu trennen. 403 wird eher durch den Blüthenstaub einer Stammart als durch den eigenen befruchtet. Die Samen; die von wildwachsenden oder kultivirten Hybriden gesammelt werden, geben dess- wegen nicht selten Formen, die zu einer der beiden elter- lichen Arten zurückkehren. Daher rühren mehrere Angaben, welche gewisse Bastarde als Varietäten anderer Arten er- klärten. Auch bei nahe verwandten reinen Formen ist grosse Vorsicht nöthig, weil es solche giebt, die sich durch andere Arten und Varietäten leichter bestäuben lassen als durch den eigenen Pollen (Mittheilung vom 18. Nov. 1865). Fasse ich die. Ergebnisse zusammen, welche aus den sichern und von der Kritik unanfechtbaren Kulturversuchen an Hieracien hervorgehen, so beschränken sie sich darauf, dass die Pflanzen in Folge reichlicherer Nahrung grösser und mastiger werden und dass in Folge dessen auch der Farbenton des Laubes sich etwas verändert, indem das Glauke intensiver und freudiger grün wird. Die Pflanze kann dadurch ein fremdartiges Aussehen erhalten; sié kann ‚selbst in einzelnen Fällen fast unkenntlich werden. Aber die eigentliche Varietät bleibt beständig. Im Garten bilden sich überhaupt keine andern Formen, als wie sie auch in der freien Natur an bumusreichen, nicht zu trockenen und zu sonnigen Orten gefunden werden. Weder die Behaarung noch die Verzweigungsform, noch die Gestalt der Blätter, Blüthenhüllen und Hüllschuppen, noch die Farbe der Blüthen erfährt im Garten eine wesentliche Veränderung ?). Die Ergebnisse der Kultur sind daher für die. Beur- theilung des systematischen Werthes einer constanten Form, 2) Damit will ich nicht etwa behaupten, dass alle kultivirten Hieracien-Formen auch wildwachsend gefunden werden. Es ist möglich, dass einzelne derselben in den Gärten entstanden sind, allein es dürfte diess wohl immer die Folge von Kreuzungen ge- wesen sein. 404 für die Frage, ob sie eine Varietät oder Species sei, durch- aus irrelevant und wir sind in dieser Beziehung lediglich auf die Verhältnisse des Vorkommens und auf die An- oder Abwesenheit der Zwischenformen, sowie anf die Natur dieser Zwischenformen angewiesen. Dennoch ist die Kultur nicht etwa zu vernachlässigen. Sie sollte im Gegentheil viel häufiger, zugleich aber auch mit mehr Umsicht und Kritik angewendet werden, als es meistens geschieht. Wenn sie auch nichts anderes ergiebt, als was man meistens aus den Vorkommensverhältnissen schliessen kann, so dient sie doch als eine werthvolle Be- stätigung dafür. Sie kann uns bei richtigem Verfahren immer zeigen, wie weit die unmittelbaren Einflüsse der Aussenwelt reichen, was an der Pflanze constant und variabel ist. Die Kulturversuche geben in dieser Beziehung oft über- raschende Resultate. Als Beweis möge folgendes Beispiel dienen. Ranunculus pyrenaeus Lin. hat meistens schmale Blätter und einen nackten einblüthigen Stengel. Man findet aber auch Exemplare mit breitern Blättern und mit be- blättertem mehrblüthigem Stengel. Man hat die letztern als besondere Art (R. plantagineus All.) oder wenigstens als eigenthümliche Varietät (R. pyrenaeus plantagineus) betrachtet. Das Vorkommen zeigt, dass es nichts anderes als üppige, einem fruchtbaren und etwas feuchtern Boden entsprungene Pflanzen sind und die Kultur bestätigt diess. In der reichen Alpenpflanzensammlung des Herrn Bank- administrators Sendtner dahier befindet sich ein Stock, ‚der vor zwei Jahren als die gewöhnliche Form von R, py- renaeus in den Topf gepflanzt und nach dieser kurzen Zeit in den schönsten R. plantagineus sich umgewandelt hat. Wir dürfen also diese Form bloss als Standorts- modification betrachten; und es muss die Diagnose von 405 R. pyrenaeus so gefasst werden, dass auch diese Modifica- tion in ihr enthalten ist. Das soeben erwähnte Beispiel, in Uebereinstimmung mit vielen andern, beweist uns ferner, dass zur Umwand- lung der Standortsmerkmale nicht etwa die Fortpflanzung durch Samen erfordert wird, sondern dass sie sich an dem nämlichen Pflanzenstock vollzieht. Wenn es sich also bloss darum handelt, an einer Pfanzenform die constanten Eigen- schaften von den Standortsmerkmalen zu unterscheiden, so genügt es, die Pflanze durch Versetzen der Stöcke unter andere äussere Verhältnisse zu bringen. Es hat dieses Ver- fahren selbst einen Vorzug vor der Aussaat von Samen. Von den letztern ist man nie sicher, ob sie durch Inzucht oder durch Kreuzung entstanden sind. Das Resultat, welches man mit Sämlingen erhält, ist daher mit Rücksicht auf die vorliegende Frage immer etwas zweifelhaft, während man beim Verpflanzen der Stöcke auf eine andere Localität sicher ist, dass die eintretenden Veränderungen als Wirkungen der äussern Agentien zu erklären sind’). 3) A. Kerner will verschiedene Pflanzenformen durch die ver- änderten äussern Einflüsse in einander übergeführt haben; nach diesen Versuchen müsste die unmittelbare Einwirkung der Boden- beschaffenheit sehr bedeutend sein. Da diess mit so vielen sichern Thatsachen im Widerspruch steht, so wären weitere von verschie- denen Beobachtern angestellte Versuche äusserst erwünscht. Wenn Kerner angiebt, er habe die beiden Alpenrosen in einander über- geführt, so lässt sich diess schwer mit der Thatsache vereinigen, dass Rh. ferrugineum allein auf dem schweizerischen Jura und auf manchen Kalkbergen der Alpen vorkommt, wo es gewiss schon Jahrtausende lebt, ohne in die Kalkform übergegangen zu sein. Ebenso bleibt es im Münchner botanischen Garten auf Kalkunterlage immer unverändert. Ich verdanke der freundlichen Zuvorkommenheit des Hrn. Prof. Kerner die Ansicht von einigen umgewandelten Pflanzen. Sehr 406 Die Verwandtschaft der Formen innerhalb einer Gattung zeigt eine unendliche Abstufung von der leichtesten Varietät bis zur abweichendsten Species. Doch können wir zur bessern Uebersicht folgende 5 Kategorieen unterscheiden: 1) Formen, die sich gegenseitig nicht befruchten können. Agamische Verwandtschaft. 2) Formen, die sich befruchten, aber bloss unbestän- dige Bastardformen geben. Bastardirungsverwandtschaft. 3) Gut umgrenzte Formen, zwischen denen constante, aber relativ seltenere Zwischenformen sich befinden: Ueber- gangs- oder Blendlingsverwandtschaft. 4) Schlecht umgrenzte Formen mit zahlreichen und manigfaltigen constanten Zwischenformen. Grenzlose Ver- wandtschaft. 5) Formengewirre, in dem sich bestimmte Formen bemerkenswerth ist Dianthus alpinus Lin. und Aster alpinus Lin. Von ersterer Pflanze wurde die eine Hälfte der Stöcke in kalkreiche Erde, die andere Hälfte in eine kalklose Unterlage (Lehm, feinzerhacktes Sphagnum und gepochter Thonglimmerschiefer) ver- setzt. Jene blieb unverändert, diese verwandelte sich während 3 Jahren in D. deltoides Lin. Die Schieferform des Aster alpi- nus, die sich durch grössere Kahlheit und dunklere Blüthenfarbe auszeichnet, wurde in den botanischen Garten zwischen Schiefer- felsen gepflanzt und gieng nach zweijahriger Kultur in Aster Amellus Lin. über. Auch diese Umwandlungen scheinen mir in einem schwer zu lösenden Widerspruch mit den Vorkommensverhältnissen zu stehen, so dass ich vermuthe, es sei noch irgend ein wichtiger Punkt, be- treffend das Vorkommen, oder die Kultur unaufgeklärt. Wenn sich aber auch durch fernere Beobachtungen der Uebergang der Formen in dem erwähnten Umfange bestätigen sollte, so würde an den Ge- setzen der Constanz im Allgemeinen doch nichts geändert. Es gäbe nach wie vor constante Varietäten und Arten; es müssten. bloss einige Formen, denen man bisher die Constanz der Species zuge- schrieben hat, als Standortsmodificationen betrachtet werden. 407 nicht deutlich herausheben und unterscheiden lassen. Form- lose oder chaotische Verwandtschaft. Was zuerst die agamische Verwandtschaft be- trifft, so ist dieselbe, unter übrigens gleichen Verhältnissen, immer geringer als die Bastardirungsverwandtschaft, und sie muss als das Merkmal bester Artverschiedenheit betrachtet werden. Eine Species, die mit einer andern keine Bastarde zu erzeugen vermag, steht derselben stets ferner, als einer dritten, mit der sie sich hybrid befruchtet.’ Bei Gattungen mit vollkommen natürlichen Sectionen kann es der Fall sein, dass die Arten einer Section unter sich in Bastardir- ungsverwandtschaft stehen, während die Sectionen bloss agamisch mit einander verwandt sind. — Gentiana lutea, G. punctata, G. purpurea, G. pannonica bastardiren sich gegenseitig, nicht aber mit andern Species. Die Pri- ınula-Arten der Section Primulastrum (mit Klappen im Schlunde der Blumenkrone) bilden Bastarde unter "sich, ebenso diejenigen der Section Auricula (ohne solche Klappen); aber die Species der einen Section gehen mit denen der andern weder auf natürlichem noch auf künst- lichem Wege hybride Befruchtung ein. Es liesse sich noch eine grosse Menge von Beispielen anführen, wo die sich ` bastardirenden Arten einer Gattung auch in den systemati- schen Merkmalen eine nähere Verwandtschaft unter einander beurkunden als mit andern Arten, mit’ denen sie in keine geschlechtlichen Beziehungen zu treten vermögen. Wir können daher in zweifelhaften Fällen aus dem Vorhandensein der hybriden Befruchtung auf eine systematische Annäherung schliessen. Ich habe in dieser Beziehung schon in einer frühern Mittheilung bemerkt, dass die in verschiedene Sectionen gestellten, aber sich bastardirenden Saxifraga mutata und S. aizoides eine grössere Affinität zu einander haben ‘als zu den’ Arten ihrer eigenen Sectionen. Die Regel, dass sich bastardirende Arten näher ver- 33 408 wandt ‚seien als agamische, gilt nur innerhalb der Gattung oder auch bei nahe stehenden Gattungen. Wir dürfen in dieser. Beziehung nicht Pflanzen, die verschiedenen natür- lichen Ordnungen angehören, mit einander vergleichen. Wenn Pyrus Malus Lin, undP. communis Lin., Nigella sativa Lin. und N. damascena Lin., Anagallis arvensis Lin. und A: coerulea Schreb., Primula elatior Jacq und P. officinalis Jacq. sich nicht mit einander befruchten lassen, so: wäre der Schluss nicht erlaubt, dass sie syste- matisch einander ferner stehen als Triticum vulgare Vill, und Aegilops ovata Lin., Nigritella angustifolia Rich. und Gymnadenia conopsea R. Br., Cirsium ar- vense Scop. und C. oleraceum. Scop, Dianthus Car- thusianorum Lin. und D. superbus Lin., welche Bastarde bilden. . Denn es ist wahrscheinlich, dass die Bastardirungs- verwandtschaft in verschiedenen Regionen des Pflanzenreiches eine ungleiche Bedeutung hat, wofür sich mehrere Erklär- ungsgründe angeben liessen. Unter den Arten einer Gattung, die sich nicht mit einander befruchten, stuft sich die Affinität selbstverständ- lich manigfaltig ab. Gewisse Stufen lassen sich durch das Vorhandensein oder den Mangel einer vermittelten Ba- stardirungsverwandtschaft bestimmen. A, B, C, D, E seine 5 Species eines Genus, welche folgende drei Bastard- verbindungen (A+B), (B+C) und (C+D), sonst aber keine eingehen. Zwischen A und C, B und D, A und D besteht eine vermittelte, nicht aber eine direkte Bastardirungs- affinitä. A und C sind durch B, mit dem sie beide sich befruchten, B und D sind durch C, A und D bloss durch Vermittelung zweier Arten, nämlich durch B und C. ver- wandt. Beschränken wir uns auf die Affinitätsgrade von A, so steht dasselbe am nächsten der Art B, etwas ferner der Art C, noch ferner der Art D und am. fernsten der Art E. 409 Analoge Beispiele geben uns die Gattungen Dianthus, Cirsium, Salix. Die Arten, welche sich gegenseitig bastardiren, haben ebenfalls eine sehr ungleiche Verwandtschaft zu einander. | Bei künstlichen Versuchen lässt sich die Abstufung derselben durch das Verhalten der hybriden Produkte sehr genau fest- stellen. Bei wildwachsenden Pflanzen können wir im Allge- meinen drei Stufen unterscheiden, welche durch die grössere oder geringere Unfruchtbarkeit der ursprünglichen Bastarde bedingt werden. Sie geben sich in den drei Arten des Vor- kommens zu erkennen, welche ich in meiner Mittheilung vom 16. Febr. (Ueber die Zwischenformen im Pflanzen- reiche $. 6, A, B und C) unterschieden habe. Die geringste Verwandtschaft besteht dann, wenn zwi- schen zwei Arten nur die ursprüngliche (die Mitte haltende) Bastardform vorkommt. Ein mittlerer Verwandtschaftsgrad dagegen ist vorhanden, wenn ausser dem ursprünglichen Bastard noch Formen sich finden, welche einer oder beiden Stammarten sich nähern und wenn diese zurückkehrenden Formen in geringerer Individuenzahl auftreten als die ur- sprüngliche hybride Form. Die grösste Verwandtschaft end- lich ergiebt sich in dem Falle, dass die den Stammarten sich nähernden Formen den ursprünglichen Bastard an In- dividuenzahl übertreffen. — Berücksichtigen wir die Ge- sammtzahl der hybriden Pdanzen zwischen zwei Arten, so ist sie im ersten Fall am geringsten (weist äusserst spär- lich), im zweiten bedeutender (aber immer noch ziemlich gering), im dritten weitaus am grössten. — Cirsium (lan- ceolatum + palustre) und C. (acaule + lanceolatum) sind Beispiele für den ersten, C. (arvense + oleraceum) und G. (heterophyllum + spinosissimum) für den zweiten, CG. (bulbosum + oleraceum), C. (oleraceum + rivulare) und C. (acaule + oleraceum) für den dritten: Fall. 33* “410 Die Uebergangs- oder Blendlingsverwandtschaft ist dann gegeben, wenn zwischen zwei gut. umgrenzten Hauptformen. constante Zwischenformen sich befinden; man könnte die letztern im Nothfall von hybrider Befruchtung ableiten und als constant gewordene, mit voller Fruchtbarkeit” begabte Bastarde. betrachten. Desswegen ist der Name: Blendlings- verwandtschaft nicht unpassend, ‚obgleich ich die eben ange- gebene Entstehungsweise für durchaus unwahrscheinlich halte. Diese Zwischenformen bleiben sowohl, wenn’ sie allein sind, als auch, was gewöhnlich der Fall ist, wenn sie in Gemein- schaft mit einer oder mit beiden Hauptformen leben, durch eine unbegrenzte Generationenreihe unverändert.” Dadurch unterscheiden sie sich von den Hybriden, welche mit der Zeit aussterben, oder’ in Folge der Kreuzung mit den Stamm- arten zu diesen zurückkehren. Auch sind jene constanten Zwischenformen in viel grésserer Individuenzahl vorhanden als die Hybriden. , Die ‚Uebergangsverwandtschaft ist unter übrigens ähn- lichen Verhältnissen immer grösser als die Bastardirungs- verwandtschaft. Denn die grössere Fruchtbarkeit und das’ zahlreichere Vorkommen der intermediären Formen sind die Folge der innigern Affinität. Unter den Cirsien-Bastarden hat derjenige von C. bulbosum und C, acaule (nämlich C. medium) am ehesten Anspruch ‘darauf, als constante Form. erklärt zu werden, und. wir müssen- den beiden ge- nannten Arten auch die grösste Verwandtschaft vindiziren. Namentlich ist dieselbe grösser als die Beziehung von C.. acaule: zu C. oleraceum, und von C. bulbosum zu C. oleraceum, obgleich diese Vereinigungen den höchsten Bastardirungsverwandtschaftsgrad darstellen. Es iist nicht zu verkennen, dass. es auch unter der Uebergangsverwandtschaft. wieder verschiedene Abstufungen giebt; ich habe drei Arten des ‚Vorkommens unterschieden (Mittheilung yom 16. Febr. §. 7, A, B, ©). Nowe 'bin ich 411 zwar nicht ‘gewiss, ob :dieselben auch drei Verwandtschatts- graden entsprechen; aber’ sicher kann man zwei Grade unter- scheiden. Zwei Arten; die durch eine ununterbrochene Reihe von constanten Zwischenformen verbunden sind, stehen ein- ander näher als zwei andere, zwischen denen nur eine oder ‘zwei: isolirte constante Zwischenformen, gleichsam wie Inseln zwischen -zwei Continenten, auftreten. Im letztern Falle hat man wegen der Bastarde, welche die Zwischenformen und die Hauptarten verbinden; zwar ebenfalls eine ununterbro- chene Uebergangsreihe. Aber die Glieder derselben sind durch eine sehr ungleiche Individuenzahl reprasentirt, wäh- rend die Glieder in der continuirlichen Reihe der constanten Zwischenformen alle gleichwerthig und ziemlich gleich zahl- reich sind. Wir werden also überhaupt zwei Arten einer Gattung für um so näher verwandt erklären, je mehr die constanten Zwischenformen sich zu einer allmählichen und vollständigen Uebergangsreihe schliessen, für um so weniger verwandt, je mehr diese Reihe unterbrochen und ltickenhaft ist. Dess- wegen schätze ich die Verwandtschaft von Hieracium Pilosella zu H. glaciale für grösser als diejenige von HH. Pilosella zu den Arten H. Auricula, H. praealtum, H. pratense und H. aurantiacum. © Desswegen halte ich ferner. dafür, dass Hieracium murorum von H. glaucum | weiter ‘entfernt sei als von Hieracium villosum und von H. alpinum. : Die grenzlose Verwandtschaft stimmt mit der Uebergangsverwandtschaft darin überein, dass bei beiden die Hauptformen durch constante Zwischenformen verknüpft sind, welche bald continuirliche, bald unterbrochene Reihen ‚darstellen. Der Unterschied besteht darin, dass bei der Uebergangs- oder Blendlingsverwandtschaft die Hauptformen überall da, wo sie ohne‘ die Zwischenformen vorkommen, scharf begrenzt sind und sich annähernd innerhalb der 412 gleichen Grenzen bewegen. Bei der grenzlosen Verwandt- schaft dagegen haben die Hauptformen auf verschiedenen Standorten und in verschiedenen Gegenden eine ungleiche Umgrenzung; ihr Formenkreis ist daher unbestimmt. Neben diesem Hauptunterschied scheinen noch andere, wenn auch in weniger auffallender Weise, vorzukommen. Bei der Uebergangs- oder Blendlingsverwandtschaft ist die Ge- sammtindividuenzahl der Zwischenformen entschieden viel geringer als die der Hauptformen, und die Verbreitung der Zwischenformen ist an diejenige der beiden Hauptformen gebunden, wesswegen man jene allenfalls aus diesen durch _hybride Befruchtung ableiten könnte. Bei der grenzlosen Verwandtschaft dagegen übertreffen die Zwischenformen oft die Hauptformen an Menge der Individuen und halten sich auch nicht an deren Verbreitungsbezirke. Die Ermittelung beider Verhältnisse giebt hier indess keine sichern und festen Resultate, weil die Hauptformen unbestimmt umschrieben sind. Je nachdem man sie so oder anders fasst, verändern sich auch die Ergebnisse betreffend die Mengen und Ver- breitungsverhältnisse. Unter den Hieracien stehen H. Pilosella, H. Hop- peanum Schult., H. Peleterianum Merat. und andere Formen in grenzloser Verwandtschaft zu einander. Ebenso H. glaciale Lach. und H. breviscapum Koch (non DC.), ferner H. praealtum Vill. und H. florentinum Al., ferner H. amplexicaule Lin. und H. pulmonarioides Vill., ferner H. glaucum All. und H. bupleuroides Gmel., ferner H. murorum Lin. und H. vulgatum Fr. u. 8. w. Während bei der Uebergangs- oder Blendlingsverwandt- schaft die Formen gut und deutlich begrenzt bei der grenz- losen Verwandtschaft schlecht und undeutlich begrenzt sind, so erkennt man bei der formlosen oder chaotischen Verwandtschaft eigentlich gar keine bestimmten Formen mehr. Wir können uns dieses . dreifache Verhalten durch 1 415 folgendes Bild anschaulich machen. Im ersten Falle stellen die Formen Continente oder grössere Inseln dar, welche durch Landengen oder durch Reihen von kleinern Inseln verbunden sind. Im zweiten Falle'sind es Berge, die sich aus dem festen Lande erheben und am Fusse allmählich in die Ebene oder in andere Bergriicken auslaufen ‚ also keine _ > bestimmte Begrenzung haben. Im dritten Falle stellt das Formengewirre eine Ebene ohne Erhebungen oder bloss mit niedrigen kaum erkennbaren Erhehungen dar, je nachdem die Individuen unter sich alle sehr ähnlich sind oder er- heblich von einander abweichen. Beispiele für die formlose oder chaotische Verwandt- schaft geben ‚uns alle Species oder Varietäten ; innerhalb derer sich keine deutlichen Varietäten unterscheiden lassen. Wir werden jedenfalls die Verwandtschaft ihrer Individuen für näher und inniger erklären als die der vorhergehenden Grade. Desswegen dürfen wir aber nicht etwa glauben, dass die Constanz ganz mangle. Allerdings ist eine räumliche Constanz nicht vorhanden, indem alle Merkmale von einem Individuum zum andern varüren; aber eine gewisse zeitliche Constanz ist gleichwohl möglich, das heisst eine nothwendige Vererbung gewisser Eigenschaften durch eine kleinere oder grössere Zahl von Generationen, insofern nicht Kreuzung dazwischen tritt. Ueber die Verwandtschaftsgrade sind noch zwei Be- merkungen von allgemeiner Wichtigkeit beizufügen, 1) dass sie nicht scharf geschieden sind, sondern allmählich in ein- ander übergehen, und 2) dass die nämlichen zwei Pflanzen- formen hier in dem einen und dort in einem andern Ver- wandtschaftsgrad auftreten. Was das Erstere betrifft, so bleiben wir oft: im Zweifel, ob wir zwei Pflanzenformen dem- einen oder andern Verwandtschaftsgrad zuschreiben sollen. ‘Cirsium medium All. und C. Heerianum Nag. sind fast mit dem gleichen Recht als constante Zwischenformen (oder 2 pf 414 Blendlinge) und als Bastarde zu betrachten. Die Beziehung von Hieracium.murorum Lin. und. H, vulgatum Fr. darf fast ebenso wohl als Uebergangs- und. als, grenzlose Verwandtschaft bezeichnet werden, Was den zweiten Punkt betrifft,, so kann derselbe als fast ausnahmslose Regel gelten. Die Arten, welche sich bastardiren können, treten immer auf gewissen Standorten und selbst in ganzen Gegenden ohne Bastarde auf... Die ; Hauptarten , welche durch constante: Zwischenformen ver- bunden sind, entbehren derselben gleichfalls. stellen- weise. Mit Hieracium Pilosella ‚und .;H... Auricula | kommt ziemlich selten die constante Mittelform vor, eben- | falls selten der Bastard ; häufiger findet man, wenigstens in | Süddeutschland und der Schweiz, die beiden ' Arten ohne | alle: intermediären Formen. Die Formen, |; welchen im -All- ! | gemeinen. eine unbestimmte Begrenzung zugeschrieben. wer- | den muss, treten stellenweise ziemlich gut umgrenzt anf, | x wobei. die verbindenden : Zwischenformen bald den Charakter | der Constanz, bald auch den der Hybridität zeigen können, | So verhält es. sich mit Hieracium Pilosella, .H. Hop- | peanum und H. Peleterianum: Bei der Beurtheilung des Verwandtschaftsgrades: müssen die Vorkommensyerhiltnisse genau ins Auge gefasst werden, indem von denselben sehr häufig die Bedeutung der An- „wesenheit oder des Mangels von Zwischenformen abhängt. Zwei ‚Formen A und B. können drei verschiedene. Arten. des Vorkommens zeigen: 1) A.und B wachsen auf dem nämlichen Standort neben -und durch einander; Synöcisches Vorkommen. Pl 2).Die Wohnorte von A, und B stossen unmittelbar an- einander; wo A aufhört, da fängt Ban. ‚Prosöcisches Vorkommen. 3) Die Wohnorte von A und B berühren _ sich nicht; Sf’ ER «| 415 sie sind mehr oder weniger entfernt. von einander. Teldci- sches Vorkommen. | Die Ursachen dieser. verschiedenen Vorkommensarten sind nicht in den Verwandtschaftsgraden ' zu suchen. Denn ob zwei Pflanzen synécisch. oder :prosöeisch wohnen, ‚hängt davon ab, ob sie im Kampfe ‚um das Dasein einander zu verdrängen vermögen oder nicht (vgl. die Mittheilung über die; Bedingungen. des : Vorkommens vom 15. Dec. 1865); und das telöcische Vorkommen ist Folge davon, dass eine Form in einer Gegend ganz ausgegangen oder nie dahin gelangt ist. «d „Das, synöcische Vorkommen beweist uns immer, dass die sich duldenden Pflanzenformen entweder ungleiche Exi- stenzbedingungen haben, oder dass sie den vorhandenen Verhältnissen gleich gut angepasst sind. Im Allgemeinen können wir wohl sagen, dass zwei Pflanzenarten um. so eher synécisch ‚auftreten, je weiter sie verwandtschaftlich von einander entfernt sind. Arten’ verschiedener Gattungen hast oder verschiedener Sectionen der gleichen Gattung schliessen wa Sich schwerlich aus, Es ist mir kein Beispiel bekannt, wo v— « ‚eine, Amir den: Pildselloiden...eine solche von Archiera- ‚ cium aus der synöcischen Gemeinschaft verdrängte. .. Auch -#,nahe verwandte Arten und Varietäten derselben ‚Species “7/,wohnen nicht selten auf dem gleichen Standorte. beisammen. Das. synöcische Vorkommen ist. für die Beurtheilung der verwandtschaftlichen Verhältnisse am vortheilhaftesten, denn es zwingt so zu sagen die in Frage stehenden’ Formen mit ihrer Farbe herauszuriicken. Wenn zwischen zwei Arten constante oder hybride Zwischenformen existiren, so werden wir sie sicher am ehesten da finden, wo beide durch ein- ander auf der gleichen 'Localität wachsen. Das prosöcische Vorkommen®) ist die Folge dävon, FIGA LA _ 4) Es handelt sich hier selbstverständlich bloss von constanten Formen. Die Standortsmodificationen sind alle in gewissem Sinne y 416 dass eine Pflanzenform unter gewissen Verhältnissen die andere zu verdrängen vermag, während sie selber unter etwas veränderten Umständen von jener verdrängt wird. Die 'Wohnplätze der beiden Pflanzen grenzen daher unmittelbar an einander; und an der Grenze selbst beobachten wir eine ganz schmale Zone, oft nur von wenigen Schritten Breite, wo die beiden Formen gemengt stehen. Bald sind es die chemischen, bald die physikalischen Eigenschaften des Bodens, welche diese Erscheinungen bedingen. Bei den Hieracien ist es vorzugsweise ‘der "Wechsel von kalkhaltiger und kalk- armer Unterlage, welcher das prosöcische Vorkommen be- dingt. H. villosum; H. piliferum und H. glaucum hören mit dem Kalk auf, indess unmittelbar daselbst H. alpinum, H. glanduliferum und H. albidum mit dem Schiefer beginnen. Dagegen vermag H. Pilosella Hop- peanum die verwandte Form H. Pilosella vulgare von fruchtbaren, mit hohem Rasen bewachsenen Standorten zu verdrängen, während letzteres auf mehr trockenen und magern Stellen das stärkere ist. Daher bilden die fetten Alpenwaiden zuweilen gleichsam Inseln, die mit H. Pilosella Hoppeanum bewachsen und ringsum von H. Pilosella vulgare umgeben sind. Das prosöcische Vorkommen ist für das Vorhandensein der Bastard- und Zwischenformen immer sehr ungünstig. | Während die intermediären Formen von Hieracium Pilo- | sella Hoppeanum und H. Pilosella vulgare bei synöci- | schem Vorkommen häufig sind, finden wir sie bei prosöcischer prosécisch, indem mit dem Wechsel der/Localität auch die Pflanzen- form sich ‘ändert. Die Standortsvarietäten zeichnen sich aber da- durch aus, dass sie den äussern Verhältnissen genau folgen und die nämlichen Abstufungen zeigen wie sie, was bei dem prosöcischen Vorkommen der constanten Formen nicht der Fall ist. u 417 Verbreitung bloss spärlich auf der schmalen Grenze, oder sie mangeln auch wohl gänzlich. Zwei Formen, welche nur prosécisch auftreten’, gewähren daher fast immer den An- schein, als ob sie einem entfernteren Verwandtschaftsgrad angehörten, als es in Wirklichkeit der Fall ist. Wenn H. murorum mit den meisten andern Arten von Archiera- cium durch Zwischenformen verbunden ist, so mag seine allgemeine Verbreitung auf ‚allen Bodenarten und sein synöeisches Vorkommen mit allen andern Arten wesentlich dabei betheiligt sein. Wenn H. villosum und H. glau- cum mit H. alpinum und H. albidum nicht einmal Ba- starde bilden, so viel mir wenigstens bekannt ist, so setze ich diess hauptsächlich auf Rechnung des prosöcischen Vor- kommens. Noch viel ungünstiger fiir die Beurtheilung der Ver- wandtschaftsverhältnisse: ist das telöcische Vorkommen, indem hier die intermediären Formen meist gänzlich mangeln. Daher werden telöeische Varietäten von nächster Verwandt- schaft oft als Arten unterschieden, wie z. B. die den Cen- tralalpen angehörenden Papaver aurantiacum Lois. und Anemone sulfurea Lin. von Papaver alpinum Lin. (albiflorum) und Anemone alpina Lin. (alba), welche letztere in den nördlichen Alpen wachsen. Bei den Hieracien ist es nicht selten, dass die Ver- breitungsbezirke geschieden sind, und dass somit ein synöci- sches oder prosöcisches Vorkommen ausgeschlossen ist. Es fehlen dann auch die intermediären Formen, so zwischen den Bewohnern der Alpen und der Ebene, des mittlern und des nördlichen Europas, der Alpen und .der Pyrenäen. Wie schon früher bemerkt wurde, sind die alpinen Formen z: B. H. aurantiacum und H. glaciale weder durch constante noch durch hybride Mittelformen mit H. echoides, H. praealtum, H. cymosum etc. verbunden, was sicher bloss ihrem telöcischen Vorkommen zuzuschreiben ist. 418 Kehren wir nun zu der Frage zurück, welche’ Formen als Species getrennt und welche. als Varietäten- vereinigt werden, müssen... Darüber soll die Constanz . entscheiden, aber ‚nieht etwa so, dass-wir, wie es irrthiimlicher Weise ‚so häufig geschehen ist, die constanten’ Formen als Species, die nicht constanten. als ‚Varietäten in Anspruch nehmen. Denn die künstlichen‘ Kulturversuche und ‘besonders «die Kulturresultate, welche wir auf den Standorten beobachten können, zeigen uns, dass auch geringe varietätliche Abänder- ungen eine grosse, Constanz haben, und dass die Zeiträume, welche unserer Kritik zu Gebote. stehen, lange nieht aus- reichen, um die Grenzen für die Constanz der Varietäten ‚und Arten: zu bestimmen. Wollten wir die Formen, welche unter verschiedenen äussern Verhältnissen durch eine Reihe von 10 oder 20: Generationen beständig: bleiben, als Species ‚begrüssen, so. müssten! wir in der Gattung Hieracium, wie ich bereits bemerkt habe, die Jordan’schen Arten adop- tiren; d. h. wir müssten die Varietäten mancher Autoren in ein halbes oder ein ganzes Dutzend Arten spalten; wir müssten. Formen, die man ‚bloss an einem etwas yerschie- denen Habitus erkennt, aber. nicht mehr durch bestimmte Merkmale charakterisiren kann, spezifisch trennen. Wenn damit die Frage entschieden, oder wenn nur irgend etwas Erhebliches erreicht würde, so liesse sich keine ernstliche ` prineipielle Einwendung gegen ein solches Verfahren «machen. Allein das Schlimme: an der Sache ist, dass durch eme solche -Zersplitterung der Arten und Vermehrung der Spe- ciesnamen gar nichts gewonnen wird. Denn wenn das jetzige Hieracium boreale und das jetzige H. vulgatum jedes in etwa 20 Species aufgelöst wird, so müssen diese 20 Species doch wieder in eine natürliche Gruppe zusammen- geordnet werden, welche der jetzigen Art entspricht, und wir haben das gleiche Problem nur unter einem andern Namen-zu lösen. ‚Statt H. boreale und H. vulgatum zu 419 | umgrenzen, müssen wir dann die Gruppen von H. boreale und H. vulgatum umgrenzen. Die Verschiedenheit von Art und Varietät kann also nicht, als Gegensatz von Constanz und Variabilität 'schlecht- hin ‚aufgefasst werden. Einen solchen Gegensatz giebt es überhaupt streng genommen: nicht. Die Constanz ist ein relativer Begiff; es giebt eine allmihliche Abstufung von derjenigen, welche bloss bis auf den Enkel reicht, bis zu derjenigen, welche Millionen von Jahren andauert. Wir werden zwar immer yon constanten und variabeln Merk- malen sprechen; aber diese Begriffe haben als relative eine verschiedene Bedeutung je nach ihrer Anwendung. Es giebt constante und variable Eigenschaften der Klasse, der Ord- nung, der Gattung, der Art und der Varietät. Ein variabler Charakter der Ordnung kann für die Gattungen vollkommen constant sein; ein variables Merkmal der Art kann in den Varietäten eine grosse Beständigkeit zeigen. So sind die Breite und Stumpfheit der Involucralschuppen, die Länge und’ Starke der Ausläufer bei Hieracium Pilosella unbe- ständig; aber bei H: Pilosella Hoppeanum und H. Pilo- sella vulgare bleiben sie durch Zeiträume, welche weit über die historische Zeit hinausgehen, unverändert. Der Begriff der Species muss also in: einem bestimm- ten Grad der Constanz liegen. Die verschiedenen Grade derselben können wir aber auf keinem andern Wege als durch die Verwandtschaftsgrade, wie ich sie oben erörtert habe, feststellen. Es ist nun die Frage, welches Maass der Verwandtschaft theoretisch und praktisch sich am besten für die Begriffsbestimmung der Species eigne, welches am besten die natürlichen Verhältnisse und die Anforderungen’ der‘ Wissenschaft befriedige. Man’ hat schon’ verschiedene Verwandtschaftsgrade als die Grenzen fiir spezifische Unter: scheidung in Anwendung bringen wollen. Die wichtigsten sind folgende: 420 1) Formen, deren Bastarde befruchtungsfähigen Pollen hervorbringen, gehören der nämlichen Art an. 2) Formen, deren Bastarde keimfähige Samen erzeugen, sind nicht spezifisch verschieden. 3):Formen, deren Bastarde eine vollkommene Frucht- barkeit besitzen oder nach mehreren Generationen erreichen, so dass sie für die Daner unserer Versuche vollkommen constant werden, sind als Varietäten derselben Species zu betrachten. | 4) Formen, die in der Natur durch beständige (nicht hybride) Uebergangsformen verbunden sind, gehören- als Varietäten zur gleichen Art; 5) Formen, die während einer Kultur von mehreren oder vielen. Jahren sich unbeständig erweisen, und in ein- ander übergehen ‚gehören zur gleichen Art, während*con- stant bleibende spezifisch zu trennen sind. Dass die beiden ersten Regeln für die Bestimmung der Species unbrauchbar sind, ist schon wiederholt ausgespro- chen worden. Sie würden uns nöthigen, den Mandelbaum und den Pfirsichbaum, Aegilops ovata und Triticum vul- gare spezifisch zu vereinigen und die Arten mancher Gatt- ungen (Cirsium, Dianthus) oder Gattungssectionen in eine einzige zusammen zu ziehen. Während uns die zwei ersten Regeln allzu umfang- reiche Arten geben, verursacht. die Durchführung der ug Regel eine unheilvolle, nicht endigende Zersplitterung. Unter den Hieracien müssten z: B., wie oben erwähnt wurde, die Varietäten mit röhrigen Blüthen zu Arten erhoben werden, und unter den Kulturpflanzen wären die Racen, denen man durch. künstliche Zuchtwabl nach 10 bis 20 Generationen einige Constanz verliehen hat, von denjenigen peanae spezifisch zu trennen, aus denen sie vor nicht langer Zeit entstanden sind. Zwischen diesen Extremen halten die dritte und vierte 421 Regel gewissermassen die Mitte. Eigentlich sind sie eine und dieselbe; sie unterscheiden sich. nur dadurch von ein- ander, dass die eine ihr Criterium in Kulturversuchen, die andere in Beobachtungen in der freien Natur findet. Ein mit vollkommener „Fruchtbarkeit. und unveränderter Be- schaffenheit sich fortpflanzender Bastard wäre im -Grunde nichts anderes als eine constante Zwischenform; und von manchen der Zwischenformen. bleibt es, wie.ich früher ge- zeigt habe, zweifelhaft, ob sie durch hybride Befruchtung oder auf anderem Wege (durch Transmutation) entstanden sind (Mittheilung vom 16. Febr.). Wollten wir diese Regel für die Bestimmung. der Species anwenden, wollten wir also Formen, die in Uebergangs- oder Blendlingsverwandtschaft zu einander stehen, spezifisch vereinigen, so würde aus allen Piloselloiden eine einzige grosse Art werden, und alle oder jedenfalls die meisten ein- heimischen Arten von Archieracium namentlich z. B. H. alpinum, H. villosum, H. glanduliferum, H. mu- rorum, H. prenanthoides, H. albidum müssten in eine einzige noch umfangreichere Species zusammen ‚geschmiedet werden. Kein Botaniker dürfte an dergleichen denken. Wir können daher, wenigstens für die Gattung Hiera-/ © cium, die Species nicht so bestimmen, dass sie alle die Formen umfasse, welche durch constante (nicht hybride) Uebergangsformen verbunden sind. Wir müssen zu. ihrer Umgrenzung auf den nächstfolgenden Verwandtschaftsgrad zurückgehen, und sie folgender -Maassen definiren : Zur nämlichen Artgehören alle Formen, die bloss unbestimmt umschrieben sind und sich nicht deutlich von einander abgrenzen. Spezifische Geltung. kommt dagegen denjenigen constanten Formen zu, welche, wenn auch stellenweise durch beständige (micht hybride) Uebergänge zusammenhängend, doch im Allgemeinen scharf begrenzt sind. Formen, die in 422 grenzloser Affinität zu einander stehen, müssen somit specifisch vereinigt, Formen, zwischen denen Uebergangs- oder Blend- lingsverwandtschaft herrscht, ‚spezifisch getrennt werden. Fasse ich den Speciesbegriff in der’ soeben formulirten Weise, so muss ich Hieracium Pilosella, H. Hoppea- num Schult., H. Peleterianum Merat., H. velutinum Hegetschw. ‚H. Pseudopilosella Ten. in eine Art ver- einigen, ebenso H. florentinum All. mit H. praealtum Vill., ferner H. bupleuroides Gmel. mit H. glaucum All, ferner H. vulgatum Fries’ mit H. murorum Lin. Dagegen liessen sich andere Verschmelzungen, wie sie auch schon vorgeschlagen wurden, nicht mit der Definition in Uebereinstimmung bringen ;' man könnte nicht Hieracium pratense mit H. praealtum, H. cymosum mit H. prae- altum, H. villosum mit H. alpinum, H. pallidum (H. Schmidtii) mit H. murorum spezifisch verbinden. Die Anwendung dieses Speciesbegriffes ist nur für die synöcischen und ‘prosöcischen Formen in allen: Fällen mög- lich, denn bei ihnen muss sich das Vorhandensein oder der Mangel einer bestimmten Begrenzung sicher zeigen. Telöcische Formen haben in der Regel die Neigung zu schärferer Ab- grenzung; für sie muss dessnahen die Analogie entscheiden. Das campestre Hieracium pratense, das alpine H. auran- tiacum und das nordische H. Blyttianum sind telöcische Formen; aus dem Mangel än Zwischenformen und aus der deutlichen Begrenzung lässt sich desswegen noch kein unan- fechtbarer Schluss auf spezifische Verschiedenheit ziehen. Noch weniger sind die gleichen Gründe bei Papaver alpi- num albiflorum der nördlichen Alpen und P. a. flavi- florum (P. aurantiacum) der Centralalpen, sowie bei so vielen andern telöcischen‘ und desswegen gut geschiedenen Varietäten, zur Begründung besonderer Arten entscheidend. Die Anwendung des vorgeschlagenen Speciesbegriffes gewährt zwei Vortheile. Sie giebt einmal gut umschriebene, 493 natürliche Arten, welche durch die Beobachtung geprüft und festgestellt werden können. Sie giebt ferner Arten‘, welche mit den Linneischen und denen der strengern systematischen Schule übereinstimmen, welche somit am meisten dem historisch Gegebenen sich anschliessen. | Die vorgeschlagene Definition wird aber nicht bloss durch die genannten Vortheile empfohlen; sie wird geradezu aufgezwungen, weil es eine andere, die zu enger umgrenzten Arten führte, überhaupt nicht giebt. Ich habe bereits ge- zeigt, dass das Unterscheiden‘ der Species nach der soge- nannten Beständigkeit auf Unklarheit und Mangel an Kritik beruht. Wenn man aber H. Hoppeanum Schult. von H. Pilosella oder H. florentinum All. von H. praealtum ‚auf irgend eine der gebräuchlichen Artdefinitionen hin spe- zifisch trennen wollte, so würde man sich bloss das Zeug- niss ausstellen, dass man die genannten Formen nicht hin- reichend kennt. Man verlässt sich jedoch weit mehr auf den subjektiven Takt als auf die strenge Anwendung eines _ Begriffes, und rechtfertigt die Trennungen und Vereinigungen mit dem Bewusstsein künstlerischer Begabung. Aber die Botanik soll nicht eine Kunst, sondern eine Wissenschaft sein, und’ auch von diesem Gesichtspunkte aus ist es uner- lässlich, die allem übrigbleibende Definition anzunehmen und deren Anwendung zu versuchen. Die soeben besprochenen Principien für die Unterscheidung der Arten gelten nur für die Hauptformen, d. h. für die: jenigen, die nicht als Zwischenformen anderer in dem früher definirten Sinne angesehen werden können. Was die Zwischenformen betrifft, so habe ich bereits dargelegt, in welcher Weise dieselben nach meiner Ansicht zu behandeln sind, dass sie nämlich nicht als coordinirte Grössen in fort: laufender Nummer mit den H auptarten aufgezählt, sondern als Zwischenarten mit besonderer Bezifferung eingereiht werden sollen.. Es sind aber noch die beiden eingangs gé 34 424 stellten Fragen zu entscheiden, ob die Zwischenformen zwischen. zwei Hauptarten immer nur als eine einzige Zwischenart oder zuweilen auch als mehrere aufzuführen seien, ferner ob sie immer getrennt bleiben, oder zuweilen mit andern Zwischenarten vereinigt werden sollen. Es giebt mehrere Fälle, wo die Zwischenformen zwischen zwei Hauptarten jetzt als zwei oder drej und mehr beson- dere Arten aufgezählt werden. Dafür besteht eine doppelte Veranlassung. Zwischen zwei sehr unähnlichen Arten A und B kann es zwei ziemlich verschiedene Formen geben, von denen die eine sich A, die andere sich B nähert, oder auch drei, nämlich eine Mittelform und. zwei seitliche, zu A und B hinneigende. Ferner kann es zwischen zwei Arten A und B, von denen die eine in zwei Varietäten als As und At vorkommt, zwei ungleiche Mittelformen geben, eine, die zwischen As und É, und eine zweite, die zwischen At und B sich bewegt. Nach meiner Ansicht sollen im einen und im andern Fall die Zwischenformen in eine einzige Zwi- schenart vereinigt, innerhalb derselben aber als Varietäten unterschieden werden. ‚ Anderseits wurden in mehreren Fällen sehr ähnliche Zwischenarten vereinigt. A und B seien zwei nah verwandte Species; zwischen denselben und der Art C bestehen Mittel- formen, die ich der Kürze halber AC und BC nennen will. Da schon .A und B einander ähnlich Sind, so müssen es AC und BC noch viel mehr sein, und man begreift, dass sie spezifisch vereinigt worden sind. Allein eine solche Ver- einigung scheint mir naturwidrig, und daher zu vermeiden, solange eine Trennung überhaupt möglich ist. Nachdem ich die systematische Behandlung der Species weitläufiger erörtert habe, kann ich über diejenige der Varie- täten kurz hinweggehen. Wie die Formen, welche die Gattung zusammensetzen, sich in Haupt- und Zwischenarten gliedern, so können wir auch die Formen, die als die 425 nächsten Unterabtheilungen der Species erscheinen und in grenzloser Verwandtschaft sich befinden, in zwei Kategorieen bringen. Die einen sind als selbständig nnd originell zu be- trachten; sie können nicht als Zwischenformen anderer auf- gefasst, nicht etwa aus hybrider Befruchtung abgeleitet werden. Dieselben müssen als Hauptvarietäten, die andern als Zwischenvärietäten aufgezählt werden. Dabei ist. wohl selbstverständlich, dass wir als Varietät nicht jede Abweichung, sondern nur eine durch hinreichende Merkmale charakterisirte und vollkommen constante Form betrachten dürfen. Ich habe die Verhältnisse der Constanz und der Ver- wandtschaft nach den durch den Versuch und die Beobacht- ung gewonnenen Thatsachen dargestellt und daraus den Begriff für die Species und die Varietät_ abgeleitet. Die Constanz und die Verwandtschaft zeigt eine unendliche Ab- stufung. Dem entsprechend treffen wir hie und da auf einen Fall, wo man mit gleichem Rechte eine Form noch als Varietät oder schon als Species ansehen kann. Dieses Ergebniss entscheidet auch über die allgemeine theoretische Frage, ob die Arten absolut oder relativ ver- schieden, ob sie vollkommen unveränderlich oder in langen Zeitabschnitten einer Umwandlung fähig, ob sie als solche erschaffen oder durch Transmutation entstanden seien. Es giebt vielleicht keine Pflanzengattung, deren Studium ‘in dieser Beziehung so instruktiv ist, als Hieracium. Dess- wegen erlaube ich mir noch einige Andeutungen, wie das Formengewirre in diesem Genus durch die Transmutation erklärt werden kann. Von dem Process der Transmutation müssen wir uns folgende Vorstellung machen. Eine Pflanzenform fängt an zu variiren. Es bilden sich Abänderungen nach verschie- denen, z. B. nach drei Richtungen hin. Die Pflanzen, welche sich am weitesten von der ursprünglichen Form entfernt à 34* 426 haben, sind mit derselben und unter sich durch alle mög- ‚lichen Zwischengebilde verbunden. Alle stellen zusammen eine chaotische und ungegliederte Masse,. eine Form mit er- weiterten Grenzen dar. Dieser Process der Variation und Divergenz oder der Grenzerweiterung kann ohne Ende fort- dauern, wobei er aber bald lebhafter, bald träger von statten geht, oder er kann periodisch auf längere oder kürzere Zeit zu scheinbarer Ruhe kommen. Sobald die Grenzerweiterung und mit ihr die Divergenz eine gewisse Hohe erreicht hat, und die Organisations- und Functionsverhältnisse der abweichendsten Formen bis auf einen gewissen Grad der Verschiedenheit sich ausgebildet haben, so beginnt der Kampf um die Existenz, wobei die eine Form unter den einen, die andere unter andern äussern Verhält- nissen als die besser angepasste und somit als die stärkere erscheipt. Dabei ist begreiflich, dass die extremen Formen sichere Aussicht haben, da oder dort die besten Anpassungen zu sein, dass dagegen die Mittelformen früher oder. später vollständig verdrängt werden. Ich habe angenommen, dass die Abänderungen der ursprünglichen Form nach drei Richt- ungen erfolgten. In diesem Falle giebt es jedenfalls drei extreme überlebende Formen. Die ursprüngliche Form kann entweder in der Mitte liegen, dann wird sie als Zwischen- form verdrängt; oder sie bildet zu den drei extremen Formen ein viertes Extrem und bleibt dann wie sie erhalten. Wenn die Extreme wenig verschieden sind, so werden die Zwischen- glieder gleichzeitig unterdrückt. Liegen sie aber weit aus- einander, so kann eine Mittelform oder es können zwei oder drei Zwischenformen meist mit ziemlich gleichen Abständen noch längere Zeit erhalten bleiben. Sowie in dem frühern Formenchaos das Verdrängen einzelner Glieder und ganzer Gruppen beginnt, so treten die überlebenden Gruppen deutlicher hervor. Ihre Gestaltung ist anfänglich unbestimmt und verschwommen; mit der fort- 497 schreitenden Verdrängung der intermediären und abweichen- den Gebilde werden sie nach und nach schärfer umgrenzt. Die chaotische Verwandtschaft geht in die grenzlose, diese in die Uebergangsverwandtschaft über. Zuletzt werden auch die noch. übrig gebliebenen constanten Zwischenformen ver- drängt; es bleiben nur die extremen. oder Hauptformen übrig, welche aber wegen ihrer nahen Abstammungsverwandt- schaft noch Bastarde zu bilden vermögen. Dieses Vermögen geht mit der Zeit, sowie die Formen noch mehr divergiren und durch eine lange Vererbung grössere Constanz gewonnen haben, ebenfalls verloren. Die Uebergangsverwandtschaft der Arten hat sich zur Bastardirungsverwandtschaft, diese zur bastardlosen Verwandtschaft erweitert. Die ursprünglich eng umgrenzte Pflanzenform dehnt sich also zur chaotischen Formenmasse aus und indem die Er- weiterung und Divergenz fortdaueit, scheiden sich durch Verdrängung der übrigen Glieder einzelne -Gruppen immer schärfer zu Varietäten, dann zu nahverwandten Arten, end- lich zu entferntstehenden Arten aus. Dieser Process kann in jedem Theil und zu jeder Zeit wieder beginnen und eine neue Spaltung herbeiführen. In der Gattung Hieracien finden wir alle Stadien dieses Entwickelungsprocesses; und die Gegner der Trans- mutation behaupten mit Unrecht, dass in der Gegenwart von einer Umwandlung nichts zu bemerken sei. Der Glet- scher ist doch ein Strom, wenn man auch von dem Strömen nichts sieht. Die Transmutationsbewegung ist jedenfalls so langsam, dass sie unter Umständen selbst in Jahrtausenden wenig ausgiebt. Zu den erst chaotisch erweiterten Formen gehört Hieracium Pilosella vulgare, soweit es die Behaarung und die Färbung auf der untern Seite der Randblüthen be- trifft. Man hat innerhalb dieser Form mehrere Varietäten unterschieden; man hat eine derselben (H. velutinum Heg.) 428 selbst zum Rang der Species erhoben. Das Vorkommen recht- fertigt diess nicht. Eine Gliederung in dem Chaos hat, wenig- stens soweit meine Beobachtungen reichen, noch ‚nicht statt- gefunden, und zur Unterscheidung von wirklichen Varietäten ist daher kein Grund vorhanden. Zu den Formenkreisen, in denen die einzelnen Gruppen sich erst undeutlich herausheben und noch nicht bestimmt umgrenzt sind, ist Hieracium Pilosella zu rechnen, in dem Sinne, wie es von Fries genommen wird. H. Hop- peanum Schult., H. Peleterianum Merat., H. Pseudo- pilosella Ten. sind durch Verdrängung‘ der Zwischenformen noch nicht soweit isolirt, um als Arten erklärt werden zu - dürfen. Formen, die durch Verdrängung der abweichenden nächst verwandten Gebilde mit scharfer and bestimmter Umgrenzung auftreten, zwischen denen aber noch isolirte Zwischenformen vorhanden sind, finden wir z.B. in H. Auri- cula, H. aurantiacum, H. Pilosella etc., oder in H. murorum, H. villosum, H. glaucum. Dagegen bleibt es von H. Auricula und H. glaciale oder von H. mu- rorum und H. vulgatum fast zweifelhaft, ob wir sie den vorhergehenden oder diesem Stadium einreihen sollen. Als Arten, zwischen denen keine constanten Zwischen- formen mehr bestehen, die aber wohl noch Bastarde bilden können, dürfen wir wahrscheinlich H. alpinum und H. vil- losum, H. alpinum und H. glaucum, H. murorum und H. umbellatum etc. nennen. Dagegen haben sich. die Sectionen Pilosella (Piloselloiden), Archieracium und Stenotheca (H. staticifolium) soweit von einander ent- fernt, dass die hybride Befruchtung zwischen ihnen unmög- lich geworden ist. 4 27. Ueber die Versuche, betreffend die Capillar- wirkungen bei vermindertem Luftdrucke. (Vorgetragen den 21. April 1866.) Die in meiner Mittheilung vom 10. März erwähnten Thatsachen stellen den Zusammenhang zwischen der Ver- dunstung und der Steighöhe bei vermindertem Luftdrucke ausser Zweifel. Sie geben aber doch der Vermuthung Raum, dass die beobachteten Niveauveränderungen nicht einzig und allein durch Dampfspannung bewirkt werden, sondern zum Theil durch innere Ursachen bedingt sein möchten. Denn selbst die Versuche mit den oben abgebrochenen Röhren be- weisen zunächst nur, dass ohne die Mitwirkung der Dämpfe ein augenfälliges Sinken des Niveau’s nicht erfolgt. Das Bestreben zu sinken könnte aber nichtsdestoweniger vorhan- den sein, etwa ähnlich wie in den nämlichen Röhren bei Temperaturen unter Null das Bestreben zu gefrieren. Wie beim Gefrieren eine starke mechanische Erschütterung, ein elektrischer Schlag u. dgl., so könnte in unserem Falle der Druck der Dämpfe den erforderlichen Anstoss geben; er würde die Bewegung einleiten und sodann die andern mo- torischen Kräfte in ihrer Wirkung unterstützen. Diese Mög- lichkeiten veranlassten uns, die Spannungen; welche die Dämpfe in Capillarröhren erreichen, durch direkte Messung zu ermitteln. und hierauf zu untersuchen, ob die beobachte- ten Niveauveränderungen damit übereinstimmen. Zu diesem Behufe wurde zunächst ein Apparat con- struirt, wie er in Fig.2 in 42 natürlicher Grösse dargestellt ist. Derselbe besteht aus einer etwa zolllangen Spindel S, welche seitlich mit dem heberförmig gebogenen Manometer 430 M communicirt und nach unten und oben in die Capillar- rohren A und B iibergeht. Diese letzteren waren anfanglich die ausgezogenen Enden der Spindel und daher zunächst der Ansatzstelle ziemlich stark kegelförmig. Später, als eine ' möglichst gleichmissige Weite wünschenswerth ` erschien, wurden dieselben abgebrochen und dafür Stücke längerer Röhren von annähernd ‘cylindrischer Form eingekittet. Die obere Röhre (B) diente bei den Versuchen zur Ableitung der Dämpfe, die untere tauchte in ein Reagensgläschen mit Wasser oder wurde auch, wie es in der Figur dargestellt ist, ganz oder theilweise mit Wasser gefüllt und dann unten verschlossen. Als Verschlussmittel bewährte sich dicker Gummischleim, welcher durch wiederholtes Eintauchen in geröstetes Stärkemehl oder pulverisirtes Gummi rasch zum Trocknen gebracht wurde, am besten. Mit andern Mitteln, wie Wachs oder Stearin, desgleichen beim Zuschmelzen war es nicht möglich; den Eintritt oder die Ausscheidung von Luft vollständig zu verhindern. Die Manometerröhre, welche ebenfalls hermetisch in die Spindel eingekittet war, hatte eine Weite von c. 2 M.M.; sie war bis auf ungefähr halbe Höhe mit fettem Oel gefüllt und gestattete einen Spielraum von 112 M.M. für die zu beobachtenden Niveaudifferenzen. Diese letzteren sind offenbar das Maass für die in der Spindel vorhandenen Spannungen. a Kin anderer Apparat (Fig. 3), an welchem in gleicher Weise zwei Manometer (I und II) angebracht waren, diente zur Bestimmung der Spannungen an zwei verschiedenen Punkten der Abzugsröhre. B‘ wurden zu diesem’ Zwecke möglichst gleich gewählt, es waren die symmetrischen Hälften einer längern Röhre. Die Röhre A wurde wie im vorhergehenden Falle in ein Re- agensgläschen mit Wasser getaucht oder nach dem Füllen mit Wasser unten verschlossen. Die durch Verdunstung gebildeten Dämpfe gelangten also durch die Röhre A in die Die beiden Röhrenstücke B und 431 untere Spindel, von da durch die»Abzugsréhre B in die obere und endlich er eine gleiche Röhre B^ in den Re- cipienten 1). Da die Ausgleichung der Sybian zwischen den Manometerspindeln und dem Recipienten durch Capillar- röhren von so geringem Durchmesser, wie wir sie in An- wendung brachten, äusserst langsam Gioi so musste beim Gebrauche der Apparate sowohl das Auspumpen als das Wiedereinlassen von Luft behutsam geschehen. Der Rück- stoss ist hier wegen der Spindelerweiterungen so bedeutend, dass ‘schon ein kurzer Kolbenzug das Oel in den Mindi metern sofort zum Ausfliessen bringt und das Niveau in der Capillarröhre, sofern letztere unten offen ist, bis zum untern Ende zurückdrängt. Es bedurfte oft einer vollen ‘halben Stunde, um den Barometerstand bis auf 8 oder 10 M.M., wo der Rückstoss schwächer wird, herunterzubringen, TN rend diess’ sonst durch drei Kolbenzüge erreicht wird. Die Beobachtungen, welche mit Hülfe dieser Apparate angestellt wurden, gaben indess zunächst nur über die Span- nungen Aufschluss, welche in den spindelförmigen Erweiter- ungen und in den damit verbundenen Manometern vorhanden waren, d. h. sie gaben die Ordinaten für zwei Punkte der im Uebrigen unbekannten Spannungscurve. Wie die Span- nungen im Innern der Röhre, wo die strömenden Dämpfe in lebhafter Bewegung begriffen sind und beträchtliche Reibungswiderstände zu überwinden haben, von unten nach 1) Die beschriebenen Manometerapparate wurden in den Reci- pienten gebracht, dessen ich in der letzten Mittheilung erwähnte und mit dem alle unsere. Versuche angestellt wurden. Er ist in Fig. 1 abgebildet. R ist das Reagensgläschen, in welchem sich diess- mal Oel (0) über dem Wasser (a) befindet; die Capillarröhre (ce), die unten ins Wasser taucht, ist oben an der den Suutpohuk prop on duronnonendun Stricknadel befestigt. 432 oben abnehmen und welche Höhe sie demzufolge über dem Wasserniveau erreichen müssen, — das liess sich aus den beobachteten Manometerständen nicht unmittelbar erschliessen, : sondern musste durch besondere Untersuchungen ermittelt werden. Es mag daher eine kurze Erörterung der Span- nungsverhältnisse, wie sie beim Strömen der Gase durch Capillarröhren,, in welchen grössere Erweiterungen vorkom- men, eintreten müssen, der Mittheilüng unserer Beobacht- ungen vorausgehen. | Wenn ein Gas unter einem beliebigen, aber constanten Drucke H in einer Röhrenleitung strömt, so nimmt es in Jedem Querschnitt eine constante mittlere Geschwindigkeit an, welche jedoch in der Richtung des Stromes im umge- kehrten Verhiltniss zu dem allmählich kleiner werdenden Drucke sich steigert und überdiess mit der Weite der Röhre varüirt. In eylindrischen Röhren nimmt diese Geschwindig- keit continuirlich zu, weil die Lufttheilchen mit abnehmen- dem Drucke sich weiter von einander entfernen; in nicht- cylindrischen ist sie überdiess der Grösse des Querschnittes umgekehrt proportional. In dieser letztern Beziehung ver- halten sich also die Gase ganz wie die Flüssigkeiten. Uebri- gens ist an und für sich klar, dass diess nicht anders sein kann. Auch mit Rücksicht auf die Spannungen bestehen vor- aussichtlich mancherlei Analogieen. Denken wir uns z. B., der stromerhaltende Druck werde auf einen grossen luft- führenden Behälter ausgeübt, mit welchem die Röhrenleitung in Verbindung | steht, so ist einleuchtend, dass die Luft- theilchen, ähnlich wie unter gleichen Verhältnissen die Flüssigkeitstheilchen, beim Eintritt in die Röhre, wo sie aus dem Zustande der Ruhe in den der Bewegung über- gehen, an Spannkraft verlieren, was sie an lebendiger Kraft gewinnen. Die dem Drucke entsprechende Spannung H im Behälter sinkt also am Anfang der Röhre auf eine geringere 433 Höhe H—h herunter, wenn nämlich h die Kraftgrösse be- zeichnet, welche hiebei in Bewegung umgesetzt wird. Je rascher-die Bewegung, um so grösser ist natürlich der Ver- lust an Spannkraft, da die Kraftsumme, welche die Ström- ungsgeschwindigkeit und die Spannung zusammengenommen repräsentiren, nach dem Princip der Erhaltung der Kraft . dieselbe bleibt. Diese Kraftsumme oder Gesammtkraft nimmt nun aber nothwendig von Querschnitt zu Querschnitt ab, weil in Folge der Widerstände, welche die Röhrenwandungen darbieten, auf jede Längeneinheit ein Theil des vorhandenen Kraftvorrathes geopfert, d. h. von den Lufttheilchen auf die Wandungen übertragen wird. Es ist ferner einleuchtend, dass diese Abnahme in grössern Erweiterungen, welche in die Röhrenleitung eingeschaltet sind, sich durch eine ent- sprechende Verminderung der Spannungen kundgeben muss. Denn sind diese Erweiterungen, wie diess bei unsern Ap- paraten der Fall ist, so gross, dass man die Luft in den- selben ohne merklichen Fehler als ruhend betrachten kann, so wird die Bewegungsgeschwindigkeit hier offenbar wieder ganz in Spannkraft umgesetzt. Die Manometer geben daher eine ‚Spannung an, welche diejenige der Röhrenmündung um eine der Strömungsgeschwindigkeit entsprechende Höhe | übertrifft und folglich der Gesammtkraft, womit die strömen- den Lufttheilchen vermöge ihrer Spannung und Bewegung ausgestattet ‚sind, gleichkommt. | | Die Kraft betreffend, welche die Luftströmung zunächst der in den Recipienten mündenden Ausflussöffnung noch be- sitzt, so lässt sich dieselbe auf theoretischem Wege nicht ohne Weiteres bestimmen. Es wäre diess nur dann möglich, wenn der Beharrungszustand, den wir in der Röhre vor- aussetzen, auch mit Rücksicht auf den Recipienten vorhanden wäre, was natürlich nicht der Fall. Die Luftströmung leistet, _ nachdem sie die Röhre verlassen, noch eine gewisse Arbeit, indem. sie die im Wege stehenden. Lufttheilchen vor sich 434 her schiebt und comprimirt. Die Kraftsumme, welche sie repräsentirt, ist daher nothwendig grösser als die Spannung im Recipienten, und da sie voraussichtlich mit der Strömungs- geschwindigkeit zu- und abnimmt, so muss sie in jedem gegebenen Falle aus den Beobachtungen erschlossen werden. Zur richtigen Deutung der Beobachtungen, die sich bei unsern Versuchen nur auf die durch die Spannungen ge- gebenen Kraftsummen in den beiden spindelförmigen Er- weiterungen (Fig. 3) beziehen konnten, bleibt nun aber zu ermitteln übrig, wie diese Kraftsummen innerhalb der Röhre sich ändern, d.h. nach welchem Gesetz sie gegen die Münd- ung hin abnehmen. Um diese Frage, welche bis jetzt bloss für weite Röhren gestellt worden war, zu beantworten, wurden durch besondere Versuche mittelst eines Aspirators die Luftmengen bestimmt, welche bei constantem Drucke durch Capillarröhren von gleichem Durchmesser und ver- schiedener Länge hindurchströmen. Die Versuche ergaben übereinstimmend, dass diese Luftmengen der Röhrenlänge umgekehrt proportional sind oder, was dasselbe ist, dass die Ausflusszeiten für die nämliche Luftmenge sich verhalten wie die Röhrenlängen. Bei einer Röhre von 350 M.M. Länge, welche in der Mitte 0,15 und an den Enden 0,18 M.M. Durchmesser hatte, sank z. B. das Niveau des Aspirators in 142 Stunden um 10 M.M., bei einem zweiten Versuch, nachdem die Röhre in der Mitte ‘abgebrochen (also in zwei symmetrische Hälften getheilt) war, in 3/4 Stunden ebenfalls genau um 10 M.M. Die Strömungsgeschwindigkeit war also doppelt so gross. Zu demselben Ergebniss führten auch die Versuche, Sn he mit Röhren bis zu 0,35 M.M. Weite und sehr ver- schiedener Länge angestellt wurden. Die Vergleichung der Ausflussmengen, welche dieselbe Röhre unter verschiedenen Druckhöhen, sowie verschiedene Röhren bei gleicher Druck- höhe lieferten , stellte überdiess heraus, dass die Strom- 435 geschwindigkeit dem Drucke genau proportional und dem Quadrate des Durchmessers wenigstens annähernd propor- tional ist. Die Ausflussmengen verhalten sich nämlich unter übrigens gleichen Umständen nahezu wie die vierten Potenzen der Durchmesser. Folgende Ziffern mögen hiefür als Belege dienen. Minute. M.M. zen der Mittlerer Durchmesser der Röhre in Länge der RöhreinM.M. Druckhöhe in M.M. Wasser. Ausfluss- menge in Cub. Cent. per Verhältniss der 4. Poten- Durchmesser. Verhältniss der Ausfluss- mengen Ne) 5 © =) © Bi ma do — on m 10 230 6 175 300 . 0,926 785 | 69,5 | 4,166 104 | 695:| 0,91 Oo © © Dim OO oO PB OO pi Das Strömen der Luft durch capillare Röhren geschieht - hienach: in den wesentlichsten Punkten nach denselben Ge- setzen wie das Strömen der Flüssigkeiten 2). Wie bei diesen, so nehmen auch hier die Widerstände, welche die strömen- den Theilchen zu überwinden haben, von Querschnitt zu Querschnitt ab, wie die Ordinaten einer geraden Linie. In derselben Weise erfolgt daher nothwendig auch die Abnahme der Kräfte, welche die Strömung unterhalten, und wo diese 2) In weiten Röhren verhalten sich nach den Versuchen von Girard die Ausflussmengen direkt wie die Druckhöhen und umge- kehrt wie dieQuadrate derRöhrenlängen. (Vgl. Wüllner, Lehrb. der Experimentalphysik p. 352.) Der Einfluss der Röhrenlänge ist also je nach, der Weite der Röhre verschieden. Dagegen scheint die Dichtigkeit der Gase, d. h. das spezifische Gewicht derselben, die Strömungsgeschwindigkeit in weiten wie in engen Röhren nicht zu modificiren. Wenigstens strömt das Wasserstoffgas durch Capillar- röhren mit derselben Geschwindigkeit, wie die atmosphärische Luft. 436 Kräfte, wie in den spindelförmigen Erweiterungen unserer Apparate sich als Spannung kundgeben, die Abnahme der entsprechenden Manometerstände. Die absolute Grösse der Differenzen, welche auf eine bestimmte Länge einer gegebenen Röhre fallen, mag hiebei je nach der Geschwindigkeit, mit welcher die Lufttheilchen sich in der Röhre bewegen, grösser oder kleiner ausfallen, die Veränderung der Gesammtkraft also bald rascher und bald langsamer erfolgen: es gilt unter allen Umständen dasselbe Gesetz. | Zum Ueberfluss mögen hier noch einige Versuche Er- wähnung finden, welche wir nachträglich anstellten, um die Richtigkeit dieses aus den Ausflussmengen abgeleiteten Ge- setzes in direkter Weise zu bestätigen. Die Versuche wurden mittelst eines Apparates, welcher dem in Fig. 3 dargestellten in der Construction ähnlich, dabei aber mit drei Manometern versehen war, ausgeführt und ergaben bei verschiedenen Barometerständen die in folgender Tabelle zusammen- gestellten, sämmtlich in Millimetern ausgedrückten Span- nungswerthe. Das strömende Gas war bis auf 10 M.M. Barometerstand Luft oder doch vorwiegend Luft, bei tiefern Barometerständen - dagegen ausschliesslich Wasserdampf. Temperatur = 16° Ç, | "Man: II. | Man. Ta 101 . 50,5 | 99 50 : 98 49 s 1 97 48,5 c. 250 MM. 90 49 95 64 85 90 437 Hiezu ist zu bemerken, dass die drei Abzugsröhren je 112 M.M, lang und fast genau cylindrisch waren. Bei einer derselben variirte der Durchmesser nur zwischen 0,142 und 0,144 M.M., bei den beiden andern zwischen 0,140 und 0,145 M.M. Die Luftmengen, welche unter gleichem Drucke und bei gleicher Temperatur durch diese Röhren hindurch strömten, waren bis auf die unvermeidlichen Fehler einander gleich. — Die genauesten Messungen der Manometerstände beziehen sich auf die Strömung bei gewöhnlichem Luftdrucke, weil hier Beharrungszustände eintreten, welche stundenlang andauern, während unter der Luftpumpe kleinere Schwank- ungen und somit auch Abweichungen vom Beharrungszustand nicht: zu vermeiden sind. Berücksichtigt man diess, so dürften obige Ziffern einen genügenden Beweis dafür liefern, dass die Spannungsdifferenzen zwischen je zwei Manometern einander gleich sind, dass somit die Spannungen (welche hier die Gesammtkraft repräsentiren) gegen die Mündung hin abnehmen, wie die Ordinaten einer geraden Linie. Man hat also, um die Abnahme der Gesammtkraft in der Capillarröhre graphisch darzustellen, nur nöthig, die Spannungen an zwei Stellen, wo die Bewegungsgeschwindig- keit gleich Null ist, zu messen, die entsprechenden Röhren- längen als Abscissen und die gemessenen Grössen als Or- dinaten auf eine beliebige Axe aufzutragen: die gerade Linie, welche die Endpunkte der ey verbindet, ist alsdann die Kraftlinie. Wie sich die Gesammtkraft, welche die Luftströmung in einem bestimmten Punkte repräsentirt, auf die Beweg- ungsgeschwindigkeit und die Spannung vertheilt, ist für unsern Zweck gleichgültig, weil der Rückstoss, TR die Ver- dunstung der capillaren Wassersäule hervorruft, unter allen Umständen durch die Gesammtkraft des Wasserdampfes, 438 nicht bloss durch seine Spannkraft, bedingt wird 8), Denn es ist einleuchtend, dass auch die Kraft, welche an der Ober- fläche, des Wassers thätig ist, um die verdunstenden Theil- chen desselben nach oben zu treiben, nach der entgegen- gesetzten Richtung hin eine äquivalente Wirkung hervor- bringt und folglich den durch die Spannung bedingten Rückstoss verstärkt. Die Maassbestimmung der Spannungen an zwei ver- schiedenen Punkten wurde nun mit Hülfe des Apparates Fig. 3 unter denselben Bedingungen, d. h. bei gleichen Ba- rometerstanden und Temperaturen, wie die früher bespro- chenen Versuche über das Sinken des capillaren Wasser- niveaus, möglichst sorgfältig ausgeführt. Die beiden: Abzugs- röhren B und B^ waren symmetrische Hälften einer längern Röhre; sie hatten eine Länge von je 113 M.M. und eine mittlere Weite von 0,17 M.M. und erwiesen sich bei der Prüfung mittelst des Aspirators als vollkommen gleich. 3) Das Verhältniss der Bewegungsgeschwindigkeit zur Spannung lässt sich annähernd aus den Daten über die Ausflussmengen bei ge- gebenen Druckhöhen berechnen. Bei den Versuchen mit dem ig erwähnten Apparat mit 3 Manometern strémte z. B. unter einem Drucke von 136 M.M. Wasser durch die 3X112—336 M.M: lange und 0,143 M.M. weite Röhre eine Luftmenge von 50 Cub. Cent. ın 61/2 Stunden, woraus ‘sich eine mittlere Geschwindigkeit von 131 M.M. per Sekunde ergiebt. Unter denselben Verhältnissen strömt die Luft durch eine feine Oeffnung, wenn die Spannung vollständig in Bewegung umgesetzt wird, mit einer Geschwindigkeit, welche sich nach der bekannten Formel v = A/3gh_ bestimmen lässt. In unserem Falle erhält man, da 136 M.M. Wasser = 10 M.M. Quecksilber uy 0,76.1359 (— /O77—076 4. 1 —45,1 Met. ir } RE AA EMS ee N y 2 . 9,808 0,001293 V 0,77 8 78 vi Die Strömungsgeschwindigkeit in der Capillarröhre verhält sich also zu derjenigen, welche die volle Spannung repräsentirt, wie 131 : 45100 = 1:3844. 439 Durch jede derselben strömten bei einer Druckhöhe von 300 M.M. Wasser 86— 86,5 Cub. Cent. Luft per Stunde. Die Wasserröhre A war von ungefähr gleicher Weite und bis auf einige Millimeter mit Wasser gefüllt. Nach dem vorsichtigen Auspumpen der Luft, welche aus den Mano- meterspindeln nur langsam entweichen konnte, wurde der Barometerstand längere Zeit auf dem erreichbaren Minimum von ungefähr 1 M.M. erhalten, bis die Spannung in den Manometern eine constante Höhe erreicht hatte. Die ge- ringern Spannungen wurden gewöhnlich beim Stehenlassen, wobei der Barometerstand sich allmählich veränderte, zur Controle aber auch bei fortgesetztem langsamem Pumpen, wodurch derselbe constant erhalten wurde, beobachtet und nahezu übereinstimmend gefunden. In folgender Uebersicht sind einige der hiebei beobachteten Zahlenverhältnisse zu- sammengestellt, Lingenmaasse in Millimetern, Temperatur = 850. Abnahme der Span- Barometer. Manometer I.|Manometer II. nung auf 100 MM. Röhrenlänge. 58 25 54 23 42 29 38 30 31 27 19 21 10 17 26 8 16 | ER Ho So” >» Die graphische Darstellung dieser Spannungsverhältnisse (Fig. 4, Röhrenlängen und Manometerhöhen in 3a nat. Grösse) zeigt uns zunächst, dass die Gesammtkraft am Ende der Röhre mit den Manometerständen ab- und zunimmt 35 Page unavailable because it was uncut within original volume DARWIN’S LIBRARY PROJECT Page unavailable because it was uncut within original volume DARWIN’S LIBRARY PROJECT Page unavailable because it was uncut within original volume DARWIN’S LIBRARY PROJECT Page unavailable because it was uncut within original volume DARWIN’S LIBRARY PROJECT Page unavailable because it was uncut within original volume DARWIN’S LIBRARY PROJECT Page unavailable because it was uncut within original volume DARWIN’S LIBRARY PROJECT 446 ist, als in den Abzugsröhren B und B^- ‚Wären. die, Röhren gleich weit, so würde: sich hieraus ergeben, dass die Niveau- differenzen der capillaren Wassersäule nicht einmal jene Höhe erreichen, welche nach Maassgabe der Manometer- stände sich erwarten liesse, In Wirklichkeit besteht jedoch diese Gleicheit der Röhren- durchmesser nicht. - Die Wasseröhre A hat nach Messungen an 10 ungefähr gleich weit von einander abstehenden Punkten eine mittlere Weite von 0,283 M.M., die Abzugsröhre B (und ebenso B^) eine mittlere Weite von 0,216 M.M. erstere strömten unter dem Drucke von 69,5 M.M. Wasser 2,7 Cub.-Cent. Luft per Minute, durch letztere nur 0,91 Cub.-Cent., also dreimal weniger. Wollen wir also die Röhre A in Gedanken durch eine andere gleichwerthige ersetzen, welche mit Riicksicht auf die Neigung der Spannungslinie mit B übereinstimmt, so muss dieselbe die Weite vonB und eine Länge yon !s AB haben. Dem entsprechend müssen die in bestimmten Punkten von A beobachteten Spannungen (Niveaudifferenzen) auf der eingebildeten Ersatzröhre in Us des Abstandes vom untern Manometer aufgetragen werden. Diess ist in unserer Figur durch punctirte Linien angedeutet. Man sieht jetzt, dass die Niveaudifferenze 'sächlich etwas grösser geneigt, als die nach der Abzugsröhren. Zu demselben Ergebniss führten auch mehrere andere — Beobachtungseihen. Indess ist zu bemerken, dass die näm- liche Röhre zuweilen “ auch das entgegengesetzte Verhalten zeigte und dass überhaupt die Wiederholung der Mes- Sungen nach dem Einlassen von Luft und Wiederauspumpen immer etwas abweichende Zahlenverhältnisse ergab. Die 447 graphische Darstellung der Kraftlinie beweist uns dem- nach, dass die am Meniscus wirksame Gesammtkraft (leben- ' dige und Spannkraft) der Dämpfe in manchen Fällen nicht ausreicht, um den Stand des Niveau’s zu erklären, dass in andern Fällen im Gegentheil das letztere höher steht, als es durch jene Kraft gefordert wird. Das Nämliche lässt sich noch auf einem andern Wege darthun.. Bei einzelnen unserer Versuche sank das Niveau so tief, dass dazu die volle Spannkraft der Wasserdämpfe nicht ausreichte. Ich stelle hier einige solcher Fälle zusammen Temperatur nach C u Mit oy ph ig il > | ot) Spannkraft der Dämpfe, 137 159 173 | 96,5 80 | 96,5 Niveaudifferenz 138 174 197 128 82 105 Röhrenweite 0,184 | 0,161 | 0,147 | 0,198, 0,250 | 0,162 Die Spannkraft der Wasserdämpfe ist in Millimetern Wasserhöhe ausgedrückt. Die Niveaudifferenz giebt die He- rabdrückung der capillaren Wassersäule unter die normale Steighöhe an; sie beträgt hier durchgehends mehr als jene Spannkraft, Aus den früher angestellten Versuchen wissen wir, dass die am Meniscus wirklich vorhandene Gesammtkraft kaum über °/a der vollen. Spannkraft bei der gegebenen Temperatur beträgt. Bei vielen andern Versuchen, z. Th. mittelst der gleichen Röhren, wo der nämliche tiefe Barometerstand, also auch eine gleich lebhafte Verdunstung erzielt wurde, war die Herab- drückung des Niveau’s weniger als *j4 der ‚vollen Dampf- spannung. Ob das Eine oder Andere eintrete, hängt wesent- lich von dem langsamern oder raschern Pumpen ab, indem das rasche Pumpen immer einen tiefern Stand herbeiführt. Man möchte nun vermuthen, dass dasselbe eine grössere Spannung der Dämpfe verursache. Diess ist aber nicht der Fall. Die Verdunstungsmenge in der Zeiteinheit bei gleicher Temperatur hängt von dem Barometerstand ab. Nun dauern, wenn in Folge langsamen Pumpens das Niveau langsam sinkt, bis zur Erreichung seines tiefsten Standes die niederen Barometerstände länger an; die Dampfspannung kann grösser werden, und jedenfalls, was wesentlich ist, drücken die höhern Spannungen länger auf den Meniscus. Man sollte also mit Rücksicht auf die Verdunstung gerade das Gegentheil von dem erwarten, was wirklich eintritt. Es kann auch noch 448 beigefügt werden, dass wenn durch langsames Pumpen der tiefste Barometerstand und ein verhältnissmässig hoher des Niveau’s herbeigeitihrt wurde, dann rasches Pumpen, welches den Barometerstand nicht mehr zu erniedrigen vermag, auch das Niveau unverändert lässt. | Die beobachteten Thatsachen zeigen also, dass das capillare Niveau in Folge der Verdunstung bald tiefer bald weniger tief sinkt, als es durch die Spannkraft der. Dämpfe an seiner Oberfläche erklärt werden kann. Es beweist diess, dass ausser dieser Spannkraft noch andere Ursachen mit- wirken. Da es keine äusseren Factoren mehr. giebt, die auf | die Bewegung Einfluss haben könnten, so müssen sie in der — capillaren Wassersäule selbst gesucht werden. Die eine Hälfte der Erscheinungen, wo die Veränderung des Niveaus hinter der Grösse zurückbleibt, welche durch die Dampf- spannung bedingt wird, liesse sich durch die geringe Be- weglichkeit der Wassersäule in einer Capillarröhre erklären. Es. giebt eine ganze Reihe von Thatsachen, welche dieses Beharrungsvermögen darthun, wie schon in der letzten Mit- theilung angedeutet wurde. Diess zeigt sich namentlich sehr augenfällig beim Stehenlassen. War z. B. das Niveau bei einem Barometerstande von 1 M.M. auf Null, so bleibt es oft längere Zeit oder fällt sogar in Folge der Verdunstung noch tiefer, obschon das Barometer allmählich auf 2—3 M.M. hinaufgeht und die beiden Manometer auf ?/s oder -7/2 ihrer ursprünglichen Höhe herabsinken. Das Steigen beginnt erst, wenn die Capillaranziehung ein beträchtliches Uebergewicht erlangt hat, und nicht selten tritt in einem höhern Niveau abermals eine Pause ein. Die andere Hälfte der Erscheinungen aber, wo nämlich die Veränderungen des capillaren Niveaus grösser sind, als sie die äussern Ursachen verlangen, wo bei den vorhin er- örterten Beobachtungen die Herabdrückung über die durch die Dampfspannung bedingte. Grösse hinausgeht, verlangt offenbar eine andere Erklärung. Es muss dafür entweder eine Modification der capillaren Kräfte oder überhaupt eine innere Ursache angenommen werden, welche die Wirkungen der Dampfspannung vermehrt. - en Sitzungsberichte der k. b Akad. d. W 1866. 1,7. $. Minsinger’s lith. Anst. v. P. Haustetter in München. 8 Stee Fig. 4. Man. Il Man. I Mari . Man. I Niv. Sitzungsberichte der k b Akad d.W 1866. L, 4.