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Johann Michael Sailers ſaͤmmtliche Werke, Aumter Anleitung des Verfaſſers
herausgegeben
von
Yofepb Wi dem er,
Domkapitular des Bisthums Baſel und Chorherrn zu Beromünſter.
Schriften für Erbauung. Predigten, gehalten bei verſchiedenen Anlaͤſſen.
Zweiter Band.
Zweite, revidirte und fehr vermehrte Ausgabe.
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Fuͤnfunddreißigſter Theil.
Mit allergnädigften Privilegien der k. k. öſterreichiſchen Staaten; der Königreiche: Bayern, Has nover, Würtemberg, Dänemark; des Großherzogthums Baden; des Kurfürſtenthums Heſſenz des Großherzogthums Heſſen; des Herzogthums Naſſau; der Großherzogthümer: Mecklenburg⸗ Schwerin, Mecklenburg ⸗Strelitz; der Herzogthümer: Oldendurg, Anhalt⸗Deſſau, Anhalt Bern⸗ burg, Anhalt⸗Cöthen; der Fürſtenthümer: Schwarzburg⸗Rudolſtadt, Schwarzburg⸗Sonders⸗ Haufen, Hohenzollern ⸗ Hechingen, Hohenzollern » Sigmaringen, Reuß ⸗Greiz, Lippe» Detmold, Lippe Schaumburg, Waldeck Pyrmont; der freien Städte: Frankfurt, Lübeck, Bremen, Ham⸗ burg; ſo wie der freien Republik Schweiz ergangenen Verboten gegen den Nachdruck und den Verkauf der Nachdrücke.
Sulz bach, in der J. E. v. Seidel ſchen Buchhandlung, 1 4 1. |
redigten bei
verſchiedenen Anläſſen
gehalten
von
Johann Michael Sailer.
5
Zweiter Band, . enthält f jetzt bloß geſammelte, einzeln ſchon gedruckte Predigten.
—
Zweite, vermehrte, auch mit Ungedrudtem bereicherte Ausgabe.
Mit allergnädigſten Privilegien der k. k. öſterreichiſchen Staaten; der Königreiche: Bayern, Ha⸗ nover, Würtemberg, Dänemark; des Großherzogthums Baden; des Kurfürſtenthums Heſſen; des Großherzogthums Heſſen; des Herzogthums Naſſan; der Großherzogthümer: Mecklenburg⸗ Schwerin, Mecklenburg ⸗Strelitz; der Herzogthümer: Oldenburg, Anhalt⸗Deſſau, Anhalt⸗Bern⸗ burg, Auhalt⸗Cöthen; der Fürſtenthümer: Schwarzburg⸗Rudolſtadt, Schwarzburg⸗Sonders⸗ haufen, Hohenzollern Hechingen, Hohenzollern » Sigmaringen, Reuß Greiz, Lippe ⸗ Detmold, Lippe Schaumburg, Waldeck⸗ Pyrmont; der freien Städte: Frankfurt, Lübeck, Bremen, Ham⸗ burg; ſo wie der freien Republik Schweiz ergangenen Verboten gegen den Nachdruck und den Verkauf der Nachdrücke.
| Sulzbach, in der J. E. v. Seidel ſchen Buchhandlung, 1841.
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* Von der Firmung. Predigt, gehalten 1789. II. Von der Firmung. Predigt, gehalten 1789.
Wie ſi ch gute Kinder gegen ihre Engel verhalten ſollen. Anrede an Knaben, gehalten 1789. .
IV. Vom verlornen und 10 ba Sohne. 9
am vierten Jaſtenſonntage 1790. 1 0 ; V. Von einem neuen Herzen und einem neuen Geiſte. Predigt am Neujahrstage. x ; x
Predigten an Gedächtnißtagen einer großen, a
lich überſtandenen Noth.
VI. Wie man den Jahrtag einer überſtandenen Noth feiern ſolle. Predigt am erſten Gedächtnißtage der AR Waſſernoth im Jahre 1785. 1
VII. Vom Waſſer. Predigt am Gedächtnißtage der über⸗ ſtandenen Waſſernoth im Jahre 1788. „ e
VIH. Vom Gebete und vom Nachdenken über die WVohlthätig⸗ keit der Leiden. Predigt, gehalten 1789, am Gedächt⸗ nißtage der überſtandenen Waſſernoth des Jahres 1784.
IX. Von zwei wohlthätigen Lehrmeiſtern des Gebetes. Predigt am Jahrtage der überſtandenen Bafrenelh, 1790.
TOTEN einiger verkürzter oder unausgeführter
Predigten. X. Wie man noch auf Erden lebend — ſchon im Himmel
wohnen könne. Fragment einer Rede, gehalten am
Sonntage nach dem Feſte der Auffahrt Jeſu, 1788.
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XI. Was man aus der Auferſtehung Jeſu lernen, und was uns an die unſe re erinnern könne. Fragment einer Predigt, gehalten am Oſterſonntage 1786. 7
XII. Warum der gute Chriſt ſo gerne bei dem öffentlichen Gottesdienſte in feiner Pfarrkirche erſcheine? Fragment einer Predigt, gehalten am Kirchweihfeſte zu Amerbach,
1788. . 5 „ “ . * 8 * * XIII. Als Georg Schußmann hingerichtet war. Eine Rede an das Volk, gehalten am 14. Mai 1790. 5
Predigten an einigen Sonntagen.
XIV. Von dem Wiederkommen unſers Herrn. Predigt am letzten Sonntage nach Pfingſten, 179029.
XV. Von dem Wiederkommen unſers Herrn. Predigt am erſten Adventſonntage, 1799. 8 x 5 1
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XVI. Johannes im Kerker. Homilie, gehalten am zweiten
Adventſonntage, 1790. 4 F 5 2 1 XVII. Die wahre Größe Ae des Täufers. Predigt am dritten Adventſonntage, 179119. 8
XVIII. Thu' Gutes, und ſey dabei — geringe in deinem Auge. Homilie, gehalten am XVI. Sonntage nach Pfinsften, 1791. „ %%’ NN
XIX. Lerne aus Allem, was für dich lehrreich iſt. Homilie, gehalten am XVIII. Sonntage nach Pfingſten, 1790.
XX. ueber de ſchönſte und lieblichſte Gleichnißrede unſers Herrn. Homilie, gehalten an einem Sonntage im Sep⸗ tember 170. 5 A n n
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XXI. Hamilie über Luk. XIX, 1—10., gehalten am XVIII. Sonn: tage nach Pfingſten, 1791. %% SW
XXII. Homilie über die Gleichnißrede vom Hochzeitmahle, 8
gehalten am XIX. Sonntage nach Pfingſten, 1791.
XXIII. Die Verklärung unſers Herrn. Homilie, gehalten am zweiten Faſtenſenntage 1792. ; „
Predigten an einigen Feſttagen unſers Herrn.
XXIV. Die Gnade Gottes in Jeſus Chriſtus. Predigt am
Gedächtnißtage der Geburt unſers Herrn, 1790. *
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XXV. Sey großmüthig im Suchen. Predigt am Feſttage der Erſcheinung ünſers Herrn, 1791. e eee e XXVI. Jeſus Chriſtus, unſere Freude. Predigt am Oſter⸗ feſte 1791. 48 D . 5 4 2 XXVII. Von dem Glauben an Gott Vater, Sohn und hei: ligen Geiſt. Predigt an dem hohen Feſttage der Drei⸗ einigkeit, 1791. 0 * .- * * . 1 2
Predigten an einigen Feſttagen der Heiligen.
XXVIII. ueber den reinen, ſtillen Sinn der Mutter Jeſu. Predigt, gehalten am 8. Dezember 17909.
XXIX. Von der wahren Gottſeligkeit. Predigt am Gedächt⸗ | nißtage des heiligen Joſeph, 179 9. XXX. Die Geſchichte der heiligen Petrus und Paulus — ein Evangelium für uns. Predigt am Gedächtnißtage dieſer Heiligen, 1790. * . * 2 * 2 2 0 XXXI. Von dem Andenken an die Apoſtel unſers Herrn.
Predigt am Gedächtnißtage der heiligen Simon und Judas, 1791. . 0 A 5
XXXII. Von dem höchſten Gute des Menſchen, oder von dem Allerköſtlichſten. Predigt am Gedächtnißtage der heiligen Margaretha, 17990.
XXXIII. Von der Freundſchaft unter Chriſten. Predigt am
Gedächtnißtage des heiligen Magnus, 1790. 1
XXXIV. Die Kinder unſere Lehrmeiſter, und wir die ihrigen. Predigt am Gedächtnißtage des heiligen Vitus, 1790.
Predigten an andern Gedaͤchtnißtagen und bei be⸗ ſondern Anläffen.
XXXV. Von dem Andenken an unſere entſchlafenen Brüder
und Schweſtern. Predigt, gehalten am 2. November ID, so a N
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XXXVI. Ueber die Neigung der Menſchen, an Dinge zu den⸗ ken, die recht alt und dauerhaft ſind. Predigt an einem Gedächtnißtage, der das hundertſtemal wieder kam, am „ 3 a RE EEE
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XXXVII. Von einer großen Wohlthat und einer großen
Dankbarkeit. Predigt bei einer Primizfeier am 28. Aug.
1791. a = a “ 0 0 = * 2 8
XXXVIII. Gott iſt die Liebe, und fordert von uns nur Treue. Eine chriſtliche Anrede an die Kloſterfrauen zu Kirch⸗ berg, gehalten am 11. September 1719.
XXXIX. ueber die letzte und ernſthafteſte Begebenheit des
Menſchen auf dieſer Erde. Predigt, gehalten am 25, März 1792, 0 7 . * a = —
XL. Die vornehmſten Selbſtbetrüge der Menſchen in Prüfung ihrer ſelbſt. Predigt am Palmſonntage 1792.
XLI. Vermächtniß des ſeligen Pfarrers Engelbert Echerer an feine liebe Pfarrgemeinde.
XLII. Gott ſpricht zu uns auch durch Begebenheiten. Eine
Rede, gehalten bei dem unvermutheten Tode zweier akademiſcher Zöglinge am 24. März 17917119.
XLIII. Noch ein Wort am Grabe der Unglücklichen.
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1, bon der Firmung.
gn, gehalten in der Stiftskirche zu Dillingen, in Gegenwart unſers Biſchofs und e Clemens Wenzeslaus ic. 1789.
Laſſet die Kleinen zu Mir kommen, und wehret es ihnen nicht denn für ſolche iſt das Reich Gottes. Mark. X, 14.
Mir iſt heute, als wenn ſich der ruͤhrendſte Auftritt, den die evangeliſche Geſchichte erzaͤhlet, unter uns erneuerte.
Wie Jeſus ehemals, nach Erzaͤhlung des heiligen Markus (X, 13 — 16.), als Ihm die Mütter ihre Kin⸗ der brachten, und einige ſeiner Juͤnger ihrem Meiſter eine vermeinte Plage erſparen wollten, und die Muͤtter und die Kinder zuruͤcktrieben, das Wort der Liebe aus ſeinem Munde hoͤren ließ:
„Laſſet ſie, laſſet die Kleinen zu Mir „kommen, und wehret es ihnen nicht, „denn ſolcher iſt das Reich Gottes, und „Ich ſage euch, wer das Reich Gottes „nicht annimmt wie ein Kind, der kemmt „nicht in daſſelbe.“
Wie Jeſus nach dieſen Worten die Kleinen freund⸗ lich anfaßte, und zaͤrtlich umarmte, und göttlich - liebevoll ſegnete: ſo ladet heut unſer Biſchof die Kleinen ſeines Ehriſtenvolkes in dieſem feinen Kirchenſprengel zu ſich: „Laſſet die Kleinen zu mir kommen,“ und nimmt ſie vaͤterlich auf, und ſegnet ſie, und ſtärket fü ſie — zu allem Guten.
J. M. v. Sailers ſämmtl. Schriften. XXXV. Bd. 1
Er beweiſet ſich auch dadurch als den Hirten feines Volkes, daß er ſich in dem heranwachſenden Geſchlechte, in den Kindern ein Denkmal ſeiner Guͤte ſtiften will.
Er will die Kleinen ſelbſt zu Jeſu fuͤhren, will ihnen die Haͤnde auflegen, und den Geiſt der Staͤrke in ihr Herz legen — will ihnen die heilige Firmung er⸗ theilen. Dazu ſollte ich ſie vorbereiten.
Ich folge dieſem Winke, der mir Gebot ſeyn muß, nicht ohne Gefuͤhl meiner Schwaͤche; aber ich vertraue eben auf den Gott der Staͤrke, deſſen Ehre es iſt, das Schwache ſtark und das Unmuͤndige beredt zu machen. Dieß Vertrauen verſcheucht alle Furcht, und Gehor⸗ ſam iſt auch dießmal beſſer als Opfer. |
Ich werde mich zuerſt an euch, meine lieben Kin⸗ der, die die Firmung empfangen werden, und dann an das Volk, und zuletzt an Den wenden, an Den wir uns immer wenden muͤſſen, wenn uns ſoll geholfen wer⸗ den! b
| I.
Ihr wollet die Firmung empfangen. Was iſt denn das: die Firmung empfangen? Das Wort, Firmung, iſt von der lateiniſchen Kirchenſprache, Confirmatio, in unſre deutſche Chriſtenlehrbuͤcher uͤbergegangen und heißt zu deutſch: Staͤrkung. Ihr wollet alfo ſtark werden? Aber nicht etwa am Leibe, ſondern ſtark an der Kraft zum Guten. Ihr wollet geſtaͤrket werden in der Er⸗ kenntniß des Wahren, das Jeſus gelehrt, in der Liebe des Guten, das Er uns geboten und verheißen hat. Ihr wollet Staͤrkung empfangen: von Wem, liebe Kinder? Von dem, der allein zureichende Staͤrke zum Guten geben kann, vom heiligen Geiſte, der den Verſtand erleuch⸗ ten — ſtaͤrken kann, daß er die großen Wahrheiten im⸗ mer beſſer verſtehe, der den Willen ſtaͤrken kann, daß er ſie immer mehr liebgewinne, immer muthiger bekenne, im⸗ mer williger in Ausuͤbung bringe; vom heiligen Geiſte, der uns ſtark machen kann im Glauben, daß er nicht wanke; der uns ſtark machen kann in der Hoffnung, daß ſie nicht ermuͤde; der uns ſtark machen kann in der
et Liebe, daß ſie nicht erkalte; vom heiligen Geiſte, der einſt am Pfingſttage uͤber die Juͤnger Jeſu in Geſtalt feuriger Zungen herab gekommen iſt, und ſie geſtaͤrket hat, daß ſie nichts als Gott und ſeinen Willen — das Heil der Menſchen lieb hatten, und nichts wer fuͤrchte⸗ ten — keinen Tod, keine Hoͤlle.
Wodurch wollet ihr den heiligen Geiſt, und mit Ihm Staͤrke zu allem Guten erhalten?
„Durch die Haͤndeauflegung eures Biſchofes, der euch lieb hat wie ein Vater, und euch das Beſte, was Gott geben kann, den heiligen Geiſt, von Ihm erflehen und erhalten wird.“
Ich will die Handlungen und Gebete, die bei der Firmung vorkommen, in eure Sprache uͤberſetzen und euch erklaͤren, damit ihr ſie mit mehr Freude und Er⸗ bauung empfangen koͤnnet.
Zuerſt ſpricht euer Biſchof den ſchoͤnen, großen Wunſch und den bedeutenden Segen uͤber euch aus:
„Der heilige Geiſt komme uͤber euch, und „die Kraft des Hoͤchſten bewahre euch vor „Suͤnden!“
Gott! laß kein Wort von dieſem Segen unerfuͤllt auf die Erde fallen — denn, meine lieben Kinder, wenn euch die Kraft des Hoͤchſten nicht vor Suͤnden bewahret, wer ſoll euch bewahren? Vergeſſet dieſen ſchoͤnen Segen in eurem Leben nie — bleibt immer gut und rein, daß ihr die Freude der beſſern Menſchen, und der Stolz der En⸗ gel werdet! |
Nach dieſem bedeutenden Segen ſtreckt euer Bifchof ſeine Haͤnde gegen euch aus, als wollte er den heiligen Geiſt in eure Seele legen, und ſpricht das vortreffliche Gebet, das Gott nicht unerhoͤrt laſſen kann:
„Allmaͤchtiger, ewig lebendiger Gott, Du „haſt dieſe deine Diener im Waſſer und „im heiligen Geiſte neu geſchaffen; Du „haſt ihnen Nachlaß aller ihrer Suͤnden „angedeihen laſſen: fo gieß nun aus über „ſie deinen heiligen Geiſt, den Troͤſter
1 *
„vom Himmel, mit ſeinen ſieben Gusen „Amen.
„den Geiſt der Weisheit und des Verſtan⸗ „des! Amen.
„den Geiſt des Rathes und der Stärte! „Amen.
„den Geiſt der Wisent ARE und Frömmig⸗ „keit! Amen.
„Erfuͤlle ſie mit dem Geiſte deiner Furcht, „und bezeichne ſie mit dem Kreuze Chriſti, „in's ewige Leben, durch Jeſum Chriſtum, „deinen Sohn, unſern Herrn! Amen.“
So betet euer Biſchof fuͤr euch, und Jeſus Chriſtus, | der gefagt hat: „Was ihr den Vater in meinem Namen N werdet, das wird Er euch ge⸗ ben;“ der geſagt hat: „Ich bin bei euch bis an's Ende der Welt,“ wird zu dieſem ſeinem Worte ftelj und das feurige Gebet, das eurem Hirten aus Mun und Seele dringen wird — in Erfuͤllung bringen.
Nach dieſem ruͤhrenden Gebete tritt euer Biſchof zu einem jeden aus euch, und bezeichnet einem jeden die Stirne mit dem Zeichen des Kreuzes, und ſalbet ſie mit Olivenoͤl und Balſam, und ſpricht dabei:
„Ich bezeichne dich mit dem Zeichen des „Kreuzes, und ſtaͤrke dich mit der Salbung „des Heils, im Namen des Vaters und des „Sohnes und des heiligen Geiſtes.“
Wozu das Zeichen des Kreuzes auf eurer Stirne? Dazu, daß es nun alle Welt wiſſen folle: Ihr ſeyd Freunde Jeſu, des Gekreuzigten. Es ſoll euch gleichſam auf der Stirne geſchrieben ſtehen, daß ihr Jeſu Chriſto, dem Gekreuzigten, zugehoͤret. Ihr ſol⸗ let euch Jeſu und ſeines Kreuzes nicht ſchaͤmen. So, wie die Menſchen eure Stirne anſehen, ſo ſollen ſie es euch anſehen, daß ihr Jeſum und ſeine heilige Lehre und ſeinen Tod verkuͤndet. Man ſoll es euch an eurem gan⸗ zen Wandel anſehen, daß euch Chriſtus mit feinem Blute
EHE 5 BR theuer erkauft. Wie man die Soldaten an ihrer Uni: form, ſo ſoll man euch an dem lebendigen Glauben, daß Jeſus euer Herr ſey, erkennen.
Wozu die Salbung mit Oele? Dazu, daß es nun Jedermann wiſſe: Ihr ſeyd von nun an zum Streite gegen alles Boͤſe, gegen alles Unrecht gleichſam eingeweihet und tuͤchtig gemacht. Wie ehemals die Kaͤmpfer ſi ſich mit Oele einrieben, um zum Kampfe geſchickter zu werden, ſo ſollen die Geiſter der Chriſten von innen aus mit der Kraft des Hoͤchſten gleichſam geoͤlet und zum Kampfe gegen die Sünde und alle Feinde des Reiches Jeſu geſtaͤrket ſeyn.
Noch koͤnnet ihr, meine lieben Kinder, freilich nicht recht begreifen, was das heiße: ſtreiten gegen die Suͤnde; aber ihr werdet es, leider! bald beſſer verſte⸗ hen; es werden in euch bald zweierlei Geſetze erwachen; eines: Thu', was Gott befiehlt; das andere: Thu', was deine Sinnlichkeit begehrt. Und dieſe Ge⸗ ſetze werden mit einander ſtreiten, und ihr werdet Stärke noͤthig haben; ihr werdet ſtreiten muͤſſen, um das Geſetz Gottes zu vollbringen, und das Geſetz der Sinn⸗ lichkeit zu verachten.
Auf dieſes Streiten werdet ihr heute eingeweihet. Deßwegen hat man die Ertheilung der Firmung auf das ſiebente Jahr des Alters verleget, weil die Kinder erſt um dieſe Zeit anfangen, das Gute vom Boͤſen zu unter⸗ ſcheiden, und einer hoͤhern Kraft noͤthig haben, um das Gute ſtandhaft zu lieben, und das Boͤſe ſtandhaft zu meiden.
Wozu die Salbung mit dem Balſam? Da⸗ zu, daß ihr von nun an euer Tugendbeiſpiel unter den übrigen Menſchen ſollet wirken laſſen; dazu, daß ſich der Wohlgeruch eures chriſt⸗ lichen Wandels weit umher verbreiten ſollte, wie der uns verſchloſſene Balſam im Zimmer — uͤberall Wohlgeruch verbreitet, daß jeder, der hineintritt, den Wohlgeruch wahrnimmt und ſagen muß: Da iſt Balſam. |
Ihr ſollet von nun an ein Vorbild der Erwachſenen ſeyn — alle Augen ſollen ſich an eurem Wohlverhalten
„
weiden; alle Zungen ſollen von euren ſchoͤnen Hand⸗ lungen erzaͤhlen; alle Herzen ſollen ſich eurer Tugend freuen. Ihr ſollet ein Wohl geruch in der Gemeinde Gottes — zum ewigen Leber, ſeyn.
Wie bei der Taufe das Waſſer, das den Leib ab⸗ wäfcht, zu verſtehen giebt, daß der heilige Geiſt den Geiſt des Menſchen reinige: ſo giebt bei der Firmung die Salbung mit Oele und Balſam zu verſtehen, daß der heilige Geiſt eure Herzen zum Guten ſtaͤrke, und zum Beiſpiele eurer Mitmenſchen einweihe. Die Salbung ſagt aͤußerlich, was der Geiſt Gottes innerlich wirkt.
Nach dieſer heiligen Handlung giebt euch euer Biſchof einen ſanften Schlag auf die Wange, mit dem Worte:
Der Friede ſey mit dir! Gerade, als wenn er ſagte: Der heutige Tag ſey euch unvergeßlich: nie ſollet ihr der Hand vergeſſen koͤnnen, die euch aufgelegt worden, nie der Gabe, die euch zu Theil geworden, nie der großen Pflicht, zu ſtreiten gegen alles Boͤſe, die euch uͤbertragen worden, nie der ſichtbaren Zeichen, wodurch ihr zu Streitern Jeſu Chriſti ſeyd eingeweihet worden, nie des heil i⸗ gen Geiſtes, ohne deſſen innere Salbung keine Tugend, kein Chriſtenthum, kein Friede, keine Seligkeit!
Seyd Kinder des Friedens, zanket nicht, klaget nicht, murret nicht, laͤſtert nicht, denn der Geiſt, der in euch iſt, iſt ein Geiſt der Liebe, und der Einigkeit, und des Friedens!
Nach der Salbung eines jeden verrichtet euer Biſchof ſein zweites Gebet fuͤr euch Alle, das ſo ruͤhrend, wie das erſte, — und ſo wahr, als das Evangelium ſelbſt iſt:
„Gott, Du gabſt deinen Apoſteln den hei⸗ „ligen Geiſt, und durch ſie und ihre Nach⸗ „folger den übrigen Glaubigen: ſieh gnäͤ⸗ „dig auf uns, deine geringe Diener, her⸗ „ab, und laß es in Gnaden geſchehen, daß „die Herzen derjenigen, deren Stirnen „wir geſalbet, und mit dem Zeichen des
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„Kreuzes bezeichnet haben, von dem naͤm⸗ „lichen heiligen Geiſte, als Tempel ſeiner „Herrlichkeit, bewohnet, und durch dieſe „Einwohnung vollkommen gemacht wer⸗ „den durch Jeſum Chriſtum, unſern Herrn.“ Wohnungen des heiligen Geiſtes ſollet ihr werden, meine theuren Kinder, das heißt, wie euer Vater in eurem Hauſe als das Haupt der Familie gebeut, ordnet, regieret: fo. fol in eurem Herzen nicht Muthwille, nicht Leidens ſchaft, nicht Leichtſinn, ſondern der Geiſt Gottes, Gottes heiliger Wille gebieten, ordnen, regieren!
Nach dieſem Gebete giebt euch der Biſchof einen Denkſpruch aus den Pfalmen mit nach Hauſe: „Sieh, fo wird gefegnet, wer immer den „Herrn fuͤrchtet!“ | Fuͤrchtet alfo immer den Herrn, meine lieben Kinder, daß der Geiſt Gottes immer bei euch bleibe!
Endlich entläßt er euch mit dem ſchoͤnen Segen:
„Der Herr aus Sion ſegne euch, damit ihr „die Guter Jeruſalems ſehet euer Leben⸗ „lang, und ewiges Leben habet. Amen.
Dieß find die Handlungen, die Gebete eures Biſcho⸗ fes bei der Firmung. h R
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Damit nun an euch, meine lieben Kinder, die Ab⸗ ſicht der Firmung vollkommener erreichet werde, ſo ver⸗ einiget eure Wuͤnſche, eure Gebete mit den Wuͤnſchen und Gebeten der Kirche Gottes, betet von ganzem Herzen:
„Vater, ſende uns den Geiſt deines Sohnes, damit wir deine guten Kinder werden und bleiben!“
„Sieh, wir bringen unfere Herzen Dir zum Opfer dar, nimm fie hin, und weihe fie Dir zum Eigem thum ein!“
„Reinige unſer Inneres, damit Seh Geiſt eine wuͤrdige Wohnung in uns finde; und laß feine Gegen⸗ wart in uns wirkſam ſeyn, damit unſer Inneres im⸗ mer reiner, immer deines Geiſtes wuͤrdiger werde!“
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„Starke in uns, was ſchwach iſt, und befeſtige in uns, was wankend iſt, damit wir Maͤnner in allem Gu⸗ ten, und Helden in der Vollkommenheit werden!“ „Lehre unſre Haͤnde ſtreiten, damit ſie ſiegen — und ſchenke uns Muth zu leiden, damit wir nicht unter⸗ liegen!“
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Von den Kindern wende ich mich zu ihren Eltern und Firmungspathen, und kann mich nicht erwehren, ein Wort zu ſagen, das wenigſtens zu ſeiner Zeit geredet — bei aller Unannehmlichkeit, das Verdienſt der Wahr⸗ f heit und Zweckmaͤßigkeit hat.
Naͤmlich: Wenn eure Kinder nun das zweitemal Chris ſto, dem Sohne Gottes feierlich zugeführet werden, ehemals bei der Taufe, heute bei der Firmung; wenn eure Kinder das zweitemal zur Ehre Gottes, des Vaters, feierlich beſtimmet, geopfert, wenn die Kinder das zweitemal zu Wohnungen des heiligen Gei⸗ ſtes feierlich werden eingeweihet und geſalbet ſeyn: ſo wird es wohl eure theuerſte Pflicht ſeyn, liebe Eltern und Kinderfuͤhrer, zu wachen, daß dieſe eure Kinder, die ihr dem Herrn geheiliget habet, daß das Heiligthum Got⸗ tes — eure Kinder weder von euch, noch von andern, wieder wie vom Opferaltar, im Angeſichte des Vaters, heruntergenommen, wieder wie aus den Armen Jeſu ge⸗ riſſen, wieder dem heiligen Geiſte entfuͤhret werden — durch Worte, die ihre Scham kraͤnken, durch Beiſpiele, die ihrer Unſchuld Fallſtricke legen, durch Handlungen, die ihren Sinn fuͤr die Religion beleidigen. a
Sehet — eure Kinder ſind nun Gottes, einmal, weil Er ihr Schoͤpfer iſt, und ihr nur Stellvertreter Got⸗ tes in Erziehung derſelben ſeyd; hernach, weil ſie in der Taufe durch euren Willen, und in der Firmung durch ihren Willen ihrem Gotte find wie zum Eigenthume über geben worden.
Eure Kinder ſind Gottes:
Habet Ehrfurcht vor ihnen... und betruͤbet den Geiſt Gottes nicht, der in ihnen iſt! 1
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Habet Ehrfurcht vor ihnen — und laſſet ſie nur Gutes an euch ſehen, damit ſie an ihren naͤchſten Verwandten nicht Aergerniß nehmen muͤſſen!
Habet Ehrfurcht vor ihnen, und ſeyd von nun an aus zweien Gruͤnden gut, nuͤchtern, zuͤchtig, ein⸗ gezogen, wachſam — um euret⸗ und um eurer Kin⸗ der willen!
Habet Ehrfurcht vor ihnen, damit ſie an eurem Wandel ein lebendiges Evangelium, an eurem Reden und Schweigen, Thun und Leiden, ein lebendiges Chriſtenthum ſtets vor ihren Sinnen haben!
Habet Ehrfurcht vor ihnen, damit Jeſus einſt nicht eure Kinder, die ihr Ihm ſelbſt zugefuͤhrt habt, von euch zuruͤckfordern muß — und ſagen: Wie habt ihr mein Liebſtes entweiht?
Habet Ehrfurcht vor ihnen, damit die Kinder der Stab in eurem Alter, und die Freude in euren Kummerſtunden, und der Segen in euren Noͤthen wer⸗ den — und ein edler Nachlaß für die Zukunft, wofür euch noch die ſpaͤteſten Jahrhunderte ſegnen werden!
III.
Zum Schluſſe ſey es mir gegoͤnnet, mich an Dich zu wenden, unſichtbarer Vater der Menſchen, und mit Hirt und Heerde aus Einer Seele zu bitten:
Sieh herab mit Blicken voll Gnade und Erbarmung auf uns, und laß Dir unſer Flehen gefallen:
Erhalte Du Dir die lieben Kinder, daß ſie Un⸗ ſchuld und Frommſeyn und dein heiliges Wohlgefallen mit in die ſpaͤtern Jahre hinuͤber nehmen!
Staͤrke und leite Du die Eltern und alles Volk, daß es fuͤr andere Voͤlker ein Beiſpiel der Eintracht und Liebe, und des Gehorſams und der Zufrie⸗ denheit werde!
Erhalte und ſtaͤrke Du noch lange die Hand, durch deren Auflegung den Kindern wird Heil werden, — ers halte ſie noch lange, dieſe wohlthätige Hand, daß fie noch lange zur Luft des Himmels und zur Freude der Erde uns alle und viele andere Menſchen ſegnen kann! Amen.
II. | nF t
Predigt,
gehalten in der Stiftskirche zu Ellwang, in Gegenwart unſers Biſchofs und Churfürſten Clemens Wenzeslaus Ic. 1789.
Liebe Brüder, werdet ſtark in dem Herrn und in feiner allmäch⸗ tigen Kraft. Epbef. VI, 10.
So unverdient als unerwartet war mir der Auf trag, den mir geſtern unſer Biſchof gemacht, hier in die⸗ ſem Tempel, zu einer heiligen Handlung, die er verrich⸗ ten wird, gleichſam die Vorrede und Einleitung zu machen.
Mein Dank ſey Gehorſam, fo wie es meine Pflicht iſt, den Wink meiner Obrigkeit als ein Gebot desjenigen zu verehren, der die Hirten geſetzet hat, ſeine Hiende zu weiden.
In dieſer Geſinnung ſtaͤrkte mich die Stelle aus Pau-
lus: Liebe Bruͤder, werdet ſtark in dem Herrn und in ſeiner allmaͤchtigen Kraft. Im Vertrauen auf dieſe allmaͤchtige Kraft vergeſſe ich meiner Schwachheit, und es ſagt mir mein Herz: Ich kann Alles, was ich ſoll, in dem, ver an kart macht.
Im Vertrauen auf dieſe allmächtige Kraft verſuche ich es, meine Zuhoͤrer auf das Lehrreiche und Wohlthaͤ⸗ tige der bevorſtehenden Feierlichkeit, der heiligen Pane | lung aufmerkſam zu machen —
Aufmerkſam zu machen die Menge Volks, deren Lernbegierde ich nicht ohne alle Nahrung laſſen koͤnnte, ohne mich ſelbſt zu verabſcheuen —
Aufmerkſam zu machen die lieben Kinder, die be⸗ ſtimmt ſind, aus den Haͤnden ihres Hirten und Vaters die heilige Firmung zu empfangen.
— 11 *
Im Vertrauen auf dieſe allmächtige Kraft ſage ich:
„Die heilige Handlung, die unſer Biſchof
heute verrichtet, iſt ſehr lehrreich und ſehr
wohlthätig; lehrreich für, uns Alle, für
die Erwachſenen; wohlthätig für die Kim
der, die die heilige Firmung empfangen.“
Gott der Stärke, beweis es jetzt an mir und an meinen Zuhoͤrern, daß Du es biſt — der Gott der Staͤrke, und daß keiner ſtaͤrker iſt als Du — und Nie⸗ mand ohne Dich!
1
Die Firmung, die den Kindern ertheilet wird, iſt ſehr lehrreich fuͤr die Erwachſenen.
Denn ſie erinnert uns an zwei Wahrheiten, deren Erkenntniß fuͤr uns aͤußerſt wichtig iſt:
„Wir Alle, groß und klein, beduͤrfen einer Staͤr⸗ kung, um gut zu werden, gut zu bleiben, und recht zu thun.“
Und: „Dieſe Stärkung kommt von Gott.“
A.
Alle Menſchen, groß und klein, alle haben wir Staͤr⸗ kung noͤthig, um gut zu werden, gut zu bleiben, und Gutes zu thun. Denn wir ſind Menſchen, ſchwach von Natur: alſo beduͤrfen wir Huͤlfe, um ſtark zu werden.
1. Wer Menſch iſt, bedarf einer Staͤrkung, denn er muß feinen fünf Sinnen widerſtreben, um gut zu werden und recht zu thun. Wenn das Gewiſſen noch fo laut ruft: Sey mäßig, ſanftmuͤthig, arbeit ſam u. ſ. f.: fo uͤberſchreien die fünf Sinne gar oft das Gewiſſen: Sey es nicht, denn mäßig, ſanftmuͤthig, arbeitſam ſeyn — iſt unangenehm, bitter, laͤſtig. Und die fuͤnf Siune ſind unſere Hausfreunde, ſind mit uns aufgewachſen, ſind es gewohnt zu herrſchen, thun
uns fo manchen Gefallen, und es iſt fo. ſchwer, ihnen zu widerſtehen, und es muß ihnen doch widerſtanden ſeyn, um gut zu werden, gut zu bleiben und recht zu thun. Wir brauchen alſo Stärfung dazu, daß uns die fuͤnf Sinne nicht Meiſter werden. .
2. Wer Menſch iſt, bedarf einer Staͤrkung, denn er muß den Reizungen zum Unrecht, den Beiſpielen von außen widerſtehen, um gut zu werden, gut zu bleiben, und recht zu thun. Es ſind uͤberall, in allen Laͤndern, Städten, Dörfern, Licht und Finſterniß, Weizen und Unkraut, Gutes und Boͤſes vertheilt. Wer in der Welt nicht Boͤſes ſehen, hoͤren will, der muß aus der Welt gehen. Wo Menſchen, da Beiſpiele des Guten und Boͤſen. Es muͤſſen Aergerniſſe kommen, ſagt Chri⸗ ſtus, und, wo der Menſchenſohn guten Samen fäet, da kommt der Feind, und ſuͤet giftige Pflanzen auf den Acker. Es kann, ſo lange Menſchen Menſchen ſind, hier auf dieſer Erde nie an Beiſpielen des Unrechtes fehlen, und die Beiſpiele reizen, und die Nachahmung des blendenden Unrechtes iſt ſo ſuͤße, und Beiſpielen zu wi⸗ derſtehen ſo ſchwer, und doch muß den Beiſpielen des Unrechtes widerſtanden ſeyn, um recht zu thun. Wir brauchen alſo Stärfung dazu, daß uns die Beiſpiele, die Lockungen von außen nicht Meiſter werden.
3. Wer Menſch iſt, bedarf einer Stärkung. Denn wir haben in uns einen Zunder des Boͤſen, der leicht Feuer fängt, und uns gewaltſam zur Sünde treibt. Wir haben allerlei Neigungen in uns, die mit den fünf Sinnen und den Beiſpielen von außen gemeinſame Sache machen, und gegen Vernunft und Gewiſſen mit vereinig⸗ ten Kraͤften zu Felde ziehen. Dieſer einheimiſche Feind, die Neigung, die ſo leicht Gewohnheit, und ſo bald ei⸗ ſerne Gewohnheit wird, weiß unſern Verſtand ſo kuͤnſt⸗ lich zu hintergehen; weiß das Boͤſe ſo leicht in die Geſtalt des Guten zu kleiden; weiß das Gewiſſen ſo ſanft ſchlafen zu legen; weiß die Verſuchungen zum Unrecht ſo beredtſam, bald als feine Lebensart, bald als erlaubte Vergnuͤgungen zu empfehlen; weiß den Zaun der natuͤrlichen Schamhaftigkeit ſo unvermerkt nieder⸗
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zureißen, daß nach dem erſten Schritte zum Verderben auch der hundertſte ſo leicht und ſo bald gethan iſt. Und dieſer Neigung, der ſo ſchwer zu widerſtehen iſt, muß doch widerſtanden ſeyn, um gut zu werden, gut zu bleis ben, und recht zu thun. Wir haben alſo Staͤrkung noͤthig, dazu, daß uns unſre Neigungen nicht Meiſter werden.
4. Wer Menſch iſt, bedarf einer Stärkung, denn das Menſchenherz iſt ein veraͤnderlich Ding. Was uns jetzt, in der Stunde, wohlgefaͤllt, daruͤber haben wir in der zweiten Stunde einen Ekel. Unſre beſten Vorſaͤtze, unſre heiligſten Entſchließungen, die wir in der Morgen⸗ ſtunde gefaßt haben, ſind in der Mittagsſtunde vereitelt — als wenn ſie nie waͤren gefaßt worden. Wir ſind der Petrus, der ſeinen Herrn, fuͤr den er kurz zuvor ſter⸗ ben wollte, auf die Frage einer Magd verlaͤugnete; wir find das Moosrohr, das jeder Wind hin und her bes weget; wir ſind das Kind, das bald Ja, bald Nein ſagt, und jetzt wieder gutheißt, was es kurz zuvor ver- worfen hat. Und dieß unbeftändige Herz muß Treue, muß Standhaftigkeit, muß ewige Liebe des Gu— ten gelernet haben, um gut zu ſeyn, gut zu bleiben, und recht zu thun. Wir haben alſo Staͤrkung noͤthig, dazu, daß uns unſer unbeſtändig Herz nicht Meiſter werde.
5. Endlich geht, nach dem Ausdrucke des warnenden Petrus, unſer Feind umher, wie ein bruͤllender Loͤwe, und ſucht uns zu verſchlingen. Wir haben alſo Staͤr⸗ kung noͤthig, dazu, daß uns unſer Feind nicht Meiſter werde. 7
. \ B.
Und dieſe Stärkung kommt von Gott.
Der uns unſer Daſeyn gegeben, der giebt uns auch das Vermögen, gut zu ſeyn. Und, wie ohne ihn kein Weſen iſt, ſo iſt ohne ihn auch kein Weſen gut. Wie ſich kein Menſch ruͤhmen kann: Ich bin von mir ſelbſt, ſo kann ſich auch kein Menſch ruͤhmen, daß er aus eigener Kraft gut ſey.
Gott gab uns unſer Daſeyn: Er giebt uns auch Stärfe zum Gutſeyn.
— 14 —
Wir haben davon in der Natur ein ſchoͤnes Bild,
und in der Schrift ein ſchoͤnes Zeugniß. Ein Bild in der Natur:
Der Landmann legt das Samenkorn in das Feld: die Erde nimmt es in ihren Schooß: das Korn hat die Kraft, Keime zu treiben und Fruͤchte zu bringen. Aber, wenn die Sonne ihren erwaͤrmenden Strahl, wenn der Himmel ſeinen wohlthaͤtigen Regen nicht herunterſendete, ſo wuͤrden Landmann, Pflug, Erdreich, Samenkorn, Egge — alles umſonſt ſeyn — es koͤnnte keine Ernte werden, und die Sichel haͤtte gute Ruhe. Gott muß das Gedeihen geben.
Ein Bild, daß alle unfre Vorſaͤtze nichts huͤlfen, wenn uns Gott nicht Staͤrkung gaͤbe. Er giebt das Gedeihen der Tugend — wie dem Samenkorn in der Erde.
Ein Zeugniß in der Schrift; |
Ohne mich, ſagt Chriſtus, koͤnnet ihr nichts thun. Wie die Zweige des Rebſtockes keine Fruͤchte bringen, wenn ſie nicht am Rebſtocke bleiben: fo koͤnnet auch ihr nicht Frucht brin⸗ gen, wenn ihr nicht in mir bleibet. Ich bin der Weinſtock, ihr die Reben.
Wie ſinnlich! So nothwendig es zum Wachs⸗ thum iſt, daß der Zweig den Saft aus dem Stamme, und der Stamm den Saft aus der Wurzel, und die Wurzel den Saft aus der Erde zieht: ſo nothwendig iſt dem Menſchen die Kraft Gottes, die Gnade Chriſti, die Starke des Himmels — um gut zu werden und zu bleiben. 1 |
Daher kam es, daß alle gute Menſchen zu allen Zeiten zu Gott um Tugend beteten, wie um's taͤgliche Brod.
„Zukomme uns dein Reich: Gieb uns heut unſer taglich Brod.“
Daher kam es, daß alle gute, weiſe Menſchen alles Gute, das ſie gethan, Gott zugeſchrieben, wie das Gute, das in der Natur ohne ſie geſchehen.
1
„Nicht ich, ſondern die dle Gottes mit BE ar
Daher kam es, daß alle gute, weiſe Menſchen es für eine Thorheit oder für eine Frucht des Stolzes ges halten haben, wenn ſchwache Sterbliche aus eigener Vernunft ſich eine Weisheit, aus eigener Kraft ſi 0 eine Tugend baumeiſtern wollten.
7
An dieſe zwei Wahrheiten erinnert uns die heilige Firmung. Denn, wenn ſich die Menſchen ſelbſt ſtark zu allem Guten, und kraͤftig zur Tugend machen koͤnn⸗ ten, ſo wuͤrden ſie nicht noͤthig haben, Gott um dieſe Staͤrke zu bitten; ſo wuͤrden die Pfarrgemeinden ihre Kin⸗ der hier nicht verſammelt, und der Haͤndeauflegung ihres Hirten dargebracht haben.
Die heutige Feierlichkeit iſt alſo ein oͤffentliches Zeug⸗ niß, daß wir unſre Schwaͤche demuͤthig anerkennen, bei einem Staͤrkern Huͤlfe ſuchen, und dieſe Huͤlfe bei der Allmacht zu finden hoffen.
Sie verkuͤndet laut, was euch das Wort, Aicha,
ſagt: Wir haben — Staͤrkung noͤthig, um gut und fromm zu werden, und dieſe Staͤrke giebt uns der Herr.
II.
Die heilige Firmung iſt ſehr wohltbäng fuͤr die Kin⸗ der und Alle, die ſie empfangen.
Ihr wiſſet, meine lieben Kinder, und habt es gewiß ſchon oft geleſen, und ich hab' es bei mancherlei Anlaͤſſen erzaͤhlet, und muß es hier wieder in das Andenken brin⸗ gen, daß Jeſus Chriſtus, als Er auf Erden war, voll Erbarmung und Milde im Lande umhergegangen, und die guten Kinder, die Er hie und da angetroffen, guͤtig um ſich her verſammelt, und zaͤrtlich angeblicket, und liebe voll geſegnet, und ihnen freundlich ſeine Haͤnde auf⸗
ö
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geleget, und ſie zu allem Guten, deſſen ihr Alter n war, maͤchtig geſtaͤrket hat.
Nun aber der liebende Jeſus, der Er auf Eiden war, iſt Er jetzt im Himmel noch, Er iſt noch der treue Kinderfreund, der Er auf Erden war.
Und weil Er nicht mehr ſichtbar unter Menſchen wan⸗ delt, ſo hat Er die ſchoͤne Anſtalt getroffen, daß einige aus ſeinen Juͤngern ſeine Stelle vertreten, und in ſei⸗ nem Namen die lieben Kinder ſegnen, ſtaͤrken, und mit Kraft zu aller Tugend ſalben ſollten.
Einer aus dieſen Juͤngern, die die Stelle geſu ver⸗ treten, iſt denn auch, meine lieben Kinder, unſer Biſchof! Er kam unter Andern auch dazu in dieſes Land, daß ihr ſeines Segens theilhaftig werden ſolltet. Er konnte nicht zu feinem gewöhnlichen Wohnſitz zuruͤckehren, ohne euch ſeine Haͤnde aufgeleget, und ſich in eurem Herzen ein Denkmal ſeiner Guͤte errichtet zu haben.
Wenn ihr alſo, meine Theuren, die heilige Firmung aus ſeinen Haͤnden empfanget, ſo erinnert euch an die Worte Jeſu: Ich bin bei euch bis an's Ende der Welt, und glaubet feſt daran, daß Jeſus Chriſtus euch durch die Haͤnde ſeines Dieners, ſeines Stellver⸗ treters ſegnet, ſtaͤrket, heiliget. Und euer Glaube wird Wahrheit ſeyn. Denn ſehet, Jeſus Chriſtus kann euch ſeinen heiligen Geiſt, der euch ſtark zu allem Guten macht, ertheilen; Ihm iſt gegeben alle Gewalt im Him⸗ mel und auf Erden, und Er hat ehemals den naͤmlichen heiligen Geiſt auf ſeine Apoſtel herabgeſendet, und durch dieſe ſeinen Glaubigen ertheilet. Was Er ehemals konnte, das kann Er noch — denn ſeine Hand iſt nicht ab⸗ gekürzt, und feiner Erbarm ungen iſt überall kein Ende. Und was Er kann, das will Er auch — Er will gern gute, fromme Kinder haben, wie Er alle Menſchen fromm und gut und ſelig haben will, denn deßwegen gieng Er in den Tod, und neigte ſein Haupt am Kreuze, um den Menſchen die Vaterliebe ihres Got⸗ tes zu offenbaren, und die Suͤnder fromm und heilig z machen.
Das
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— 12 —
Das ſey alſo euer Gedanke bei der heiligen Firmung: Jeſus Chriſtus, der die Kinder ſo lieb hat, der einſt ſelbſt auf Erden ein gutes Kind war — der noch im Himmel unſer nicht vergeſſen kann — Jeſus Chriſtus, der Tod und Suͤnde zu ſeinen Fuͤßen hat, mit dem heiligen Geiſte tauft — Jeſus Chriſtus, der unſicht⸗ bare Hirt iſt es, der durch dieſen ſichtbaren Hirten uns Kinder ſegnet, uns Kinder ſalbet, uns Kindern den hei⸗ ligen Geiſt ertheilet.
Damit aber die heilige Firmung an euch nicht nur wohlthaͤtig ſey, ſondern auch bleibe, ſo muͤſſet ihr der Haͤndeauflegung nie wieder vergeſſen — muͤſſet auch nach empfangener Firmung oft zu euch ſagen: „Nun bin ich geſtaͤrkt zu allem Guten: ich will es nun auch bes weiſen, daß ich ſtark bin zu allem Guten; will gehorſam ſeyn, wie es Jeſus auch war. Ich bin geſalbet zu aller Froͤmmigkeit: ich will nun auch beweiſen, daß ich's bin; meine Reden und Handlungen ſollen nun mehr von dem männlichen, und weniger von dem Kindesalter an ſich haben; mein Betragen ſoll wie eine koͤſtliche Salbe in der Gemeinde ſeyn, und an meinem Wohlverhalten ſol⸗ len ſich Eltern und Freunde, Menſchen und Engel ers freuen. Ich bin zur Standhaftigkeit im Gut⸗ und Frommſeyn oͤffentlich eingeweihet worden: ich will es nun auch beweiſen, daß ich's bin; ich will ſtandhaft ſeyn im Aufmerken — wenn ich etwas Gutes hoͤren kann; ſtandhaft im Vollbringen — wenn ich Gelegenheit habe, etwas Gutes zu thun. Ich bin zu einem muthi⸗ gen Bekenner Jeſu Chriſti und ſeines heiligen Evan⸗ geliums oͤffentlich ernannt und ermannet worden: ich will es nun auch beweiſen, daß ich's bin; will mich des Evangeliums nicht ſchaͤmen, wenn ich einſt werde erwachſen ſeyn und in Geſellſchaften kommen, wo es Unehre iſt, daran zu glauben.“ —
Und ſo wird die heilige Firmung an euch, meine lie⸗ ben Kinder, erſt recht wohlthaͤtig ſeyn!
Damit aber wir Erwachſene nicht wieder zerſtoͤren, was die Gnade Gottes an den Kindern bauen wird, ſo wollen wir uns das ſchreckliche Wehe, das Jeſus
J. M. v. Sailers ſämmtl. Schriften. XXXV. Bd. 2
„
Chriſtus über diejenigen ausgeſprochen, die der Kinder⸗ unſchuld zur Falle werden, nicht aus dem Andenken
ruͤcken laſſen:
Wehe dem Menſchen, durch den aergerniß kommt!
Wer immer einen aus dieſen Kleinen, die an mich glauben, ärgert, dem wäre es beſſer, daß ihm ein Muͤhlſtein an den Hals gehenkt, und er in die Tiefe des. Meeres verſenkt wuͤrde! Matth. XVIII. 6. 2.
Dieß iſt ein Wort aus dem Munde Jeſu. Er hat. es ausgeſprochen, und Er iſt nicht ſchuld daran, daß es ſo ſchrecklich iſt.
Man kann eben aus dieſem Worte abnehmen, wie theuer unſerm Herrn die Kinderunſchuld muß geweſen ſeyn.
Und, o mein Herr, wenn Du nichts als dieſes Wort ausgeſprochen haͤtteſt: ich wuͤrde dich als meinen Lehrer vor aller Welt bekennen, und mich nie ſchaͤmen, dein Schuͤler zu ſeyn!
Was hat die Welt Reines, Schoͤnes, wenn es die Unſchuld eines Kindes nicht iſt? 2
Und dieſe Unſchuld ſollt' uns Allen heilig ſeyn! Wenn wir unſertwegen nicht wachſam wären, fo ſollten wir es um der lieben Kinder willen ſeyn. — Denn ſie ſind ein ſchoͤnes Eigenthum unſers Herrn, und ich moͤchte der Boͤſewicht nicht ſeyn, der N Herrn 15 beſtes Eigenthum entfremdete.
Kinder, ihr gehoͤrt unſerm Herrn zu — ihr ſeyd fein: ihr ſollet auch fein bleiben ewig! &
Um dieſe Gnade bat ich heute fruͤh, und um eine andere werde ich immer bitten: |
Daß der unſichtbare Hirt Jeſus uns um fern ſichtbaren — lange erhalte! Amen.
— ——-„—
III.
Wir ſich gute Kinder gegen ihre Engel verhalten ſollen.
Anrede an Knaben, gehalten am Engelfeſte in dem n Coetus zu Dillingen, 1789
Verachtet doch Keinen aus dieſen Kleinen, denn Ich füge euch: ihre Engel ſehen allezeit das Angeſicht des Vaters, der im Him⸗ mel iſt. Matth. XVIII, 10.
Was Jeſus einſt von den Kindern, die um Ihn waren, ſagte, das darf ich auch von den Kleinen ſagen, die mich hoͤren:
„Verachtet doch Keinen aus dieſen Klei⸗ nen, denn ich ſage euch: ihre Engel fehen allezeit das Angeſicht des Vaters, der im Himmel iſt.“ |
Verachtet doch Keinen aus dieſen Kleinen — Eine wichtige Lehre fuͤr die Erwachſenen!
Aber, ich will heute dieſer vergeſſen, um nur an die Kleinen zu denken, und knuͤpfe eine andere Lehre an jene unſers Herrn: „Verachtet euch ſelbſt nicht, ihr Kleinen, denn eure Engel ſehen das Ai geſicht des Vaters, der im Himmel iſt.
Betraget euch, wie es eurem Adel ziemet!
Betraget euch gegen eure Engel, wie ihr ſollet!
Wie ſollet ihr denn? 1. oft und dankbar daran denken, daß ſie eure Engel ſind — | 2. wandeln wie vor ihren Augen — -
— 2 —
3. gehorchen ihren leiſen Regungen zum Guten — 4. folgen ihren Beiſpielen.
Das ſollet ihr.
Und, wenn ihr euch gegen eure Engel ſo betragen werdet, wie ihr ſollet: o, ich moͤchte euch lieber Engel nennen, als Menſchen: ſo gut, ſo rein, ſo liebenswuͤrdig muͤſſet ihr werden!
Kinder, folget der Lehre eures Freundes: ſie iſt Wahrheit, und wird euch von einem Herzen geſagt, das euch lie bet: laſſet euch von der Wahrheit, laſſet euch von der Lie be gewinnen!
I.
Die guten Kinder denken oft und dankbar daran, daß die Engel — ihre Engel find, denken daran, daß ſie ſind
a) ihre unſichtbaren Aufſeher und Zeugen.
Die Alten lehrten: Waͤhle dir einen edlen Mann, und denke immer an ihn, und du wirſt gut bleiben!
Den Geiſt dieſer Regel, die ſo tief aus unſerer Na⸗ tur herausgeholt iſt, befolgte der guͤtige Schoͤpfer zum Beſten der Menſchen, ehe ſie Menſchen lehren konnten: Er gab uns Engel, Edle ſeines Hauſes, an die wir denken, und denen wir gleich werden koͤnnen und ſollen.
Dieſe Engel ſehen ohne Zweifel, wo kein Menſchen⸗ auge hinreicht. Sie koͤnnen alſo auch da noch Aufſeher uͤber euch, meine Kinder, ſeyn, wo die Aufſicht der El⸗ tern nimmer Platz hat. Sie koͤnnen Zeugen eurer Handlungen ſeyn, die ihr vor Menſchenaugen forgfältig verberget.
Und, was ſie ſeyn koͤnnen, das ſind ſie: unſicht⸗ bare Aufſeher und Zeugen. Denn ſie ſind dienſt⸗ bare Geiſter zum Beſten der Menſchen. Hebr. I, 14.
Denket alſo oft daran: Unſere Engel fehen uns, ſie ſehen, was wir thun, und koͤnnen bezeugen, was ſie geſehen haben: Die ſer Knabe da hat dieſes, jener Knabe dort hat das gethan.
Und wenn du, ſchwacher Knabe, ſuͤndigen willſt und zu dir ſprichſt: Hier bin ich allein, hier ſieht mich kein Menſchenauge, hier kann ich meiner Luſt ungeſehen dienen, ſo begegne dir der Blick deines Engels, und mit ihm die freundliche Stimme: Suͤndige nicht, denn du biſt nicht ohne Zeugen: ein reis. nes Auge ſieht dich, betruͤb es nicht: und wenn du das meine nicht ſcheueſt: Gottes allerrein⸗ ſtes Auge ſieht dich, ſuͤndige nicht: du ſuͤndig eſt nie ohne Zeugen. f
Die guten Knaben denken oft daran, daß ihre Engel — ihre Engel ſind, denken daran, daß ſie ſind
b) ihre unſichtbaren Freunde, die an Allem, was ſie angeht, den zaͤrtlichſten, thaͤtigſten Antheil nehmen.
Daß ſie Antheil nehmen, hat uns Jeſus Chriſtus, der die Engel wohl am Beſten kennet, nach den Erzaͤh⸗ lungen vom verlornen und wiedergefundenen Schafe und Groſchenſtuͤcke zu verſtehen gegeben, die Er mit den un⸗ vergeßlichen Worten beſchloſſen: So groß, ſage ich euch, wird die Freude vor den Engeln Gottes ſeyn über Einen Suͤnder, der Bu ße thut. Luk. XV, 1— 10.
Und, wenn ſie an der Buße Autheil nehmen, ſo wer⸗ den ſie wohl an dem ganzen Verhalten des Menſchen Antheil nehmen.
Was Jeſus zu verſtehen gab, das laßt uns die Natur guter Geiſter vermuthen. 38
Die guten Engel lieben uns wahrhaft, weil wir Ebenbilder ihres Gottes ſind, und lieben uns ohne Ei⸗ gennutz, weil ſie gut ſind.
Die guten Engel lieben euch, meine Kinder, wahr⸗ haft: darum nehmen ſie Antheil an Allem, was euch angeht.
Sie lieben euch ohne Eigennutz: darum nehmen ſie den zaͤrtlichſten Antheil.
Sie lieben euch — als ihre ſchwaͤchern, huͤlfsbeduͤrf⸗ tigen Freunde: darum nehmen ſie thaͤtigen Antheil.
— 22 —
Sie nehmen den Antheil der Freude, ſo lange ihr fromm ſeyd, den Antheil des Mitleids, wenn ihr ſuͤndiget, den Antheil der Freude, wenn ihr wieder fromm werdet.
Und eben dieß Antheilnehmen der Engel an Allem, was euch angeht, iſt Antrieb fuͤr euch, gut zu blei⸗ ben oder gut zu werden, und auch erfreuend iſt es, denken zu koͤnnen: Ich habe an meinem Engel einen Freund, der meiner nicht vergißt! ö
So vergeſſet denn auch ihrer nie — nie eurer unſichtbaren Freunde! |
Die guten Knaben denken oft daran, daß ihre Engel — ihre Engel ſind, denken daran, daß ſie ſind
c) ihre unſichtbaren Lehrer, Warner, Er⸗ munterer, Schuͤtzer. f
Ich kann mir keinen treuen Hofmeiſter eines adeligen Knaben denken, der ihn nicht vor Suͤnde vorſichtig warnte, zum Wohlverhalten maͤchtig ſpornte, in nuͤtzlichen Kenntniſſen fleißig unterwieſe, und in Ge fa h⸗ ren treu ſchuͤtzte und rettete. Da nun nach dem Aus⸗ ſpruche Jeſu die Kinder ihre Engel haben (Matth. XVIII, 10.), da die Engel nach einer andern Lehre Jeſu Ans theil nehmen an den Angelegenheiten der Menſchen uk. XIV, 1—10.), da die Engel ausdruͤcklich beſtim⸗ met ſind zum Dienſte derer, die gerettet werden ſollen (Hebr. I, 14.); da ſie wohl kein anders Geſchaͤft haben koͤnnen, als den Willen des himmliſchen Vaters zu voll⸗ bringen (Matth. V, 10.), und dieſer Wille offenbar das Wohl der Menſchen zum Zwecke hat: ſo koͤnnen wir uns keinen wuͤrdigern Begriff von der Beſtimmung der Engel machen, als den, daß ſie die unſichtbaren Lehrer, Warner, Ermunterer, Schuͤtzer, BWohlthäter der Menſchen, und beſonders der Kinder find Deßwegen werden ſie auch Schutzengel, Schutz⸗ geiſt er genannt. | |
Dem Freunde, der uns durch einen Wink feines Auges, dem ältern Bruder, der uns durch ein Deuten ſeines Fingers, dem Lehrer, der uns durch ein Wort
„ (U Er
feines Mundes zur rechten Zeit an unfre Pflicht erinnert, danken wir: euren unſichtbaren Freunden, die euch war⸗ nen und ermuntern, ſchuͤtzen und leiten — euren Engeln ſolltet ihr, lieben Kinder, nicht danken?
Wenn ich aber ſage, daß ihr, meine lieben Kinder, oft und dankbar an eure Engel denken ſollet: ſo will ich dadurch ſchon gar nicht geſagt haben, daß ihr eures Gottes vergeſſen ſollet. Ich will vielmehr das Gegen⸗
theil ſagen: Denket oft an eure Engel, damit
ihr oͤfters an euren Gott denket. Denn die Engel haben ſich ja nicht ſelbſt gemacht, ſind auch Ge⸗ ſchoͤpfe Gottes, wie wir; find Boten Gottes; ſind Diener Gottes, ſind da, um uns zu Gott zu leiten. Wer alſo oft an die guten Engel denkt, und weiß, an wen er denkt, der denket eben darum an Gott, welcher der Schoͤpfer, der Herr, der Sender der Engel iſt. Engel iſt griechiſcher Herkunft, heißt ein Ge⸗ ſandter, ein Bote, und eure Engel ſind nichts als Boten, Geſandte Gottes zu eurem Beſten. Nun werdet ihr nicht wohl an die Boten Gottes denken koͤnnen, ohne auch an den zu denken, deſſen Boten ſie ſind. Wenigſtens werdet ihr wohl thun, wenn eure Gedanken
nicht bei den Boten des Herrn ſtehen bleiben, ſondern zu
Ihm ſelbſt aufſteigen, dem Herrn, der nicht nur gut iſt, wie eure Engel, ſondern allſehend — die Allwiſſen⸗ heit ſelbſt; nicht nur maͤchtig, wie eure Engel, ſondern die Allmacht ſelbſt. Auch gebuͤhrt alle Ehre — im
Grunde nur dem Herrn, und die Ehre, die feinen.
Geſandten, ſeinen Boten erwieſen wird, wird ihnen um ihres Herrn willen erwieſen.
Die guten Engel ſind nur Werkzeuge, durch die Gott den Menſchen Gutes thut; bleibt alſo nicht bei den Werk⸗ zeugen ſtehen, ſondern ehret die Hand, die das Werk⸗ zeug zu eurem Beſten lenket. Denket vielmehr recht oft an eure Engel, um noch oͤfter an Gott zu denken: denket an eure Engel, und machet den Gedanken an ſie zur Leiter, um zu eurem Schoͤpfer e ſo wie ſie die Werk⸗
A
zeuge ſind, durch die Gott wohlthut — den Menſchen.
II.
Die guten Kinder wandeln mit Achtung, mit Ehr⸗ furcht wie vor den Augen der Engel.
Der Gedanke an ihre Engel iſt kein mäßiger, kein kraftloſer Gedanke. Die guten Kinder denken an ihre Engel, um vor ihren Augen zu wandeln.
Sie erlauben ſich keine Begierde, keinen Gedan⸗ ken, ohne ſich bei jedem Schimmer des Unrechts gefragt zu haben: Iſt dieſer Gedanke, dieſe Begierde
des Engels würdig, der mein Inneres fieht? Sie erlauben ſich keine Handlung, keine Ge⸗ berde, ohne ſich bei irgend einem Schatten von Suͤnde gefragt zu haben: Iſt dieſe Handlung, dieſe Ge⸗ berde des Engels wuͤrdig, der mich ſieht?
Sie wandeln mit Ehrfurcht vor ihren Engeln. Ver⸗ richtet doch der treue Diener des Fuͤrſten alle ſeine Amts⸗ geſchäfte, wie in Gegenwart des Fuͤrſten, auch wenn ihn das Fuͤrſtenauge nicht ſehen kann. Um wie vielmehr werden gute Kinder, wie in Gegenwart ihrer Engel wandeln — da ſie dieſer Gegenwart doch nicht entfliehen koͤnnen.
Die guten Kinder lernen fleißig unter den Au⸗ gen ihrer Eltern, arbeiten munter unter den Augen ihrer Eltern, wandeln zuͤchtig unter den Augen ihrer Eltern: ſollten ſie unter den Augen ihrer Engel, die ſehen, wo die Eltern nicht ſehen, nicht auch ſo flei⸗ ßig lernen, ſo munter arbeiten, ſo zuͤchtig wandeln, als wenn fie das Auge der Eltern immer ſaͤhe?
Gottes Engel ſieht mich: dieſer Glaube ver⸗ ftärft die Scham vor dem Boͤſen, und verzaͤunt die Uns ſchuld auch da noch, wo der Zaun der lterufunht + dahin iſt.
Gottes Engel ſieht mich: dieſer Glaube fürs dert die Andacht bei Gebeten, und vorzüglich in dem öffentlichen Gottesdienſte; ſtimmt das Herz ſchnell zur Anbetung des Allgegenwaͤrtigen, den Engel anbeten, und vor dem alle Himmelsfuͤrſten — wie nichts ſind; beuget
— 25 —
das Knie, faltet die Haͤnde ehrerbietiger, und gibt der Geberde einen Wiederſchein der innern Demuth, den die Heuchelei nicht nachmachen kann, und der den ſinnlichern Nachbar — zahm macht, und wenigſtens einen Augenblick in ſich hineinjagt.
Gottes Engel ſieht mich: dieſer Glaube ſalbet und ordnet das Betragen der guten Kinder auch außer der Zeit des oͤffentlichen Gottesdienſtes, daß es den Er⸗ wachſenen beſchaͤmt, erbaut, an ſeine Pflicht erinnert, und zu feinem Gott zuruͤckfuͤhrt.
Gottes Engel ſieht mich: dieſer Glaube macht die Kinder zu einem wuͤrdigen Schauſpiele Gottes und ihrer Engel und der guten Menſchen, die Zeugen der kindlichen Unſchuld ſeyn koͤnnen. Die Engel Gottes freuen ſich meiner: mit dieſem ſtaͤrkenden Bewußtſeyn legt ſich der gute Knabe zu Bette, und ſteht mit demſel⸗ ben auf; mit dieſem ſtaͤrkenden Bewußtſeyn geht er zur Arbeit und zu Tiſche, in die Schule und auf den Erho⸗ lungsplatz, in die Kirche und in die Huͤtte ſeines armen Mitſchuͤlers. Er wandelt ſtets wie vor dem Auge ſeines Engels — und wird dadurch taglich liebenswuͤrdiger, ſeinem Engel täglich ähnlicher, und wie ich im Eingange ſagte, mehr ein Engel, wie ihn auch die beſſern Men⸗ ſchen ſeines Kreiſes nennen, als ein Menſch.
III.
Die guten Kinder gehorſamen den leiſeſten Regungen ihrer Engel zum Guten, um ihres Beifalles und ihrer Freundſchaft immer noch wuͤrdiger zu werden, puͤnktlich ⸗ genau und kindlich⸗ zart.
Es gibt mancherlei Bewegungen, Antriebe zum Guten in uns: das kann keine Vernunft läugnen.
Einige dieſer Antriebe kommen ohne Zweifel von den Engeln: daran kann ich ſchon gar nicht zweifeln. Denn die Engel koͤnnen uns zum Guten anregen, weil ſie Gott naͤher ſind, als wir jetzt ſind; die Engel wollen uns gewiß auch zum Guten anregen, weil ſie alle Kin⸗ der Gottes lieb haben, und keine hoͤhere Freude kennen,
als Gutes zu fördern; die Engel dürfen uns gewiß auch zum Guten anregen; weil Gutes thun jedem guten Geiſte in des beſten Gottes Reiche unverwehrt ſeyn muß; die Engel ſollen uns auch zum Guten anregen, weil ſie, ihrer Beſtimmung nach, Diener Gottes zum Beſten der Menſchen ſind.
Was nun die guten Engel koͤnnen, was ſie wol⸗ len, was fie dürfen, und was fie follen, das wer⸗ den fie auch gewiß thun.
Uebrigens, meine Kinder, wollen wir nie daruͤber kluͤgeln, ob dieſe oder jene Regung zum Guten, die wir in uns wahrnehmen, unmittelbar von Menſchen, oder von unſerm Gewiſſen, oder von den Engeln, oder un⸗ mittelbar von Gott komme — wir wollen uns nie dar⸗ uͤber den Kopf zerbrechen, beſonders aus dem Grunde, weil alles Gute, (und Regung zum Guten iſt auch gut), doch von Gott kommt, ſo oder anders, in gerader Linie oder ſeitwaͤrts, oder wie immer. Was uns zum Guten treibt, iſt gut, und was gut iſt, das kommt von Gott, und was von Gott kommt, das wollen wir mit Achtung und Dank und Folgſamkeit des Geiſtes annehmen: das iſt eine Lehre, die uns nicht verfuͤhren kann, und dieſe Lehre be⸗ folgen, kann nie gereuen, und ſie nicht befolgen, muß früh oder ſpaͤt — gereuen.
Die guten Kinder folgen den leiſeſten Regungen zum Guten: dieß iſt der Adel und die Zierde ihres Geſchlech⸗ tes — denn dadurch ſind ſie gute Kinder, daß ſie allen Regungen zum Guten folgen. Wir, Erwachſene, haben unſer Herz gewoͤhnlich ſchon zu ſehr abgehaͤrtet, als daß es ſanftere Bewegungen zum Guten noch fuͤhlen koͤnnte; haben den Sinn fuͤr alles Gute ſchon zu ſehr ſtumpf werden laſſen, als daß wir noch Luſt hätten, den ſtillen Regungen zum Guten, wenn wir ſie auch ſpuͤrten,
zu folgen: aber euch, meine Lieben, euch iſt es noch gege
ben, die leiſeſten Antriebe zum Guten zu fuͤhlen und denſelben zu folgen. Laſſet euch dieſen ſchoͤnen Vorzug eures zarten Alters nicht rauben, behaltet dieſe Zaͤrt⸗ lichkeit des Sinnes fuͤr alles Gute auch noch ferner bei,
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auch wenn eure Glieder erſtarken, auch wenn ihr über die Grenze des zarten Alters hinaus ſeyn werdet.
Folget den Bewegungen zum Guten, und betruͤbet eure Engel nicht durch Ungehorſam! Und, wenn ihr ungluͤcklich genug ſeyn ſolltet, einer Regung zum Guten, die ihr fuͤhlet, und die ihr ſelbſt fuͤr Gabe und Stimme Gottes halten muͤſſet, mit Ueberlegung zu widerſtehen: ſo ſtrafet euren Ungehorſam auf der Stelle ſelbſt, und wartet nicht, bis ihr geſtraft werdet; richtet euch ſelbſt, damit ihr nicht gerichtet werdet; demuͤthiget euch vor dem Herrn, bekennet euren Fehler, bittet Gott um Verzeihung, faſſet Muth, gelobet neuen, ſtrengern Gehorſam — thut Buße, und ſoͤhnet euch durch Buße mit eurem Gewiſſen und eurem Freunde, dem Engel Gottes — wieder aus!
IV.
Die guten Kinder ahmen den ſchoͤnen Bei— ſpielen der Engel fleißig nach. Der Gute ahmet dem Beſſern nach: alſo gute Kinder guten Engeln.
Ich finde an den Engeln viel Nachahmungswuͤrdiges fuͤr uns, und auch fuͤr euch, meine lieben Kinder!
Ihr koͤnnet und ſollet ihnen nachahmen
Erſtens: im ſteten oder wenigſtens treuen Aufblicke zu Gott.
Eure Engel, ſagt Chriſtus, ſehen allezeit das Angeſicht eures Vaters.
Wie nun eure Engel immer Gottes Angeſicht ſehen, immer auf Ihn hinſehen, ſeine Ehre, ſeine Freude, ſeinen Willen, ſeinen Beifall uͤber alles Andere ſchaͤ⸗ tzen, Ihn fuͤr das beſte, hoͤchſte Weſen halten; ſo ſollet auch ihr recht oft zu Gott aufblicken, an Ihn denken, ſeine Ehre, ſeine Freude, ſeinen Willen, ſeinen Beifall uͤber alles Andere ſchaͤtzen. Wie dein Blick auf Gott hin, ſo biſt du, lieber Knabe, und wie unſer Blick auf Gott, fo find wir alle! — An was wir am oͤfteſten den⸗ ken, das iſt unſer Gott. Und was wir mehr als alles Andere ſchaͤtzen und lieben, an das denken wir am oͤfte⸗
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ſten. Gott alſo, der wahre, lebendige Gott, der Schoͤ⸗ pfer aller Engel und Menſchen, ſey euer Gott: Ihn zu kennen, Ihn zu ehren, Ihn zu loben, ſey euer Bemuͤ⸗ hen: an Ihn zu denken, eure Luſt: nach Ihm zu fragen, euer Tagwerk: Ihn zu verkuͤnden, zu preiſen, euer Be⸗ ruf, euer liebſtes Geſchaͤft!
Ihr koͤnnet und ſollet euren Engeln nachahmen
Zweitens: in treuer Vollbringung * e r⸗
kannten Willen Gottes.
Dein Wille geſchehe auf Erden, e Himmel, ſo lehrte uns Jeſus beten, und ich glaube, Er wollte mit dieſer Lehre ſo viel ſagen: Liebe Men⸗ ſchen, betet, daß ihr auf Erden den Willen mei⸗ nes Vaters ſo freudig, ſo genau, ſo ſtandhaft vollbringet, wie ihn die guten Engel im Him⸗ mel freudig, genau, ſtandhaft vollbringen. Ich glaube, Er wollte auch dieß damit ſagen: Liebe Kinder, feht, eure Engel thun nur, was euer Vater will, und thun Alles, was Er will, und thun es froh und ſchnell und genau: wie nun eure Engel keine hoͤhere Freude haben, als den Willen Gottes kennen zu lernen, zu ver⸗ ehren, zu vollbringen: ſo ſoll auch dieß eure hoͤchſte Freude ſeyn, zu fragen, was Gott wolle, und zu thun, was ihr fuͤr Gottes Wil⸗ len erkennet.
Lernet alſo, liebe Kinder, von euren Engeln nicht bloß nach Gottes Willen fragen, ſondern lernet auch, und lernet vorzuͤglich, den erkannten Willen auch thun — Das Thun iſt Hauptſache, lernet die Hauptſache — lernet das Allerbeſte von euren Freunden.
Ihr koͤnnet und ſollet euren Engeln nachahmen
Drittens: in der Sorge fuͤr fremde Unſchuld und Tugend.
Wie eure Engel fuͤr eure unſchuld ſorgen, wachen, ſo ſollet ihr für fremde forgen, wachen.
Es kann ein Knabe des andern Engel ſeyn; es kann aber auch ein Knabe des andern Satan werden.
*
— 29 —
Wenn ein Knabe den andern etwas Boͤſes lehret, oder gar mit ihm treibet, der iſt des andern Verfuͤhrer, der iſt des andern Satan.
Wer aber vor andern Knaben nur zuͤchtig redet, und ſich keine Geberde, keinen Blick, keine Handlung er⸗ laubet, die die Schamhaftigkeit beleidigen koͤnnte, wer nichts redet, nichts thut, als was fromme Eltern ſehen duͤrften, ohne daruͤber traurig zu werden — der iſt durch ſein Beiſpiel des andern — Engel. Wer durch ſichtbaren Fleiß im Lernen, durch ſtille, feine Sitte, durch hurtigen, frohen Gehorſam, durch erbauende Geberde in der Kirche, durch Ehrerbietung gegen El⸗ tern, Lehrer ꝛc., durch Aufmerkſamkeit beim Unter⸗ richt, durch ſtetes Zunehmen an Weisheit und Froͤm⸗ migkeit, wie an Jahren — das Beiſpiel des guten Kna⸗ ben, das einſt Jeſus war, wieder erneuet, der iſt ein Engel, ein Schutzengel ſeiner Mitſchuͤler.
Ich ſage nur noch: Liebe Knaben, einer ſey des andern — Engel — — keiner werde des andern — Satan.
Beweiſet es beſonders in den Herbſtferien, daß ihr gut ſeyd!
Denket gerne an eure Eusel, wandelt vor ihnen, gehorſamet ihren leiſeſten Bewegungen zum Guten, folget ihrem Beiſpiele, machet dem Himmel dieſe Freude, zu
ſehen, daß ihr gute Knaben ſeyd! Und jetzt noch ein Wort des Dankes und des Ver⸗ trauens an eure Engel!
Ihr lieben Engel! ich danke euch dafuͤr, daß ihr dieſe Knaben bisher geleitet habt. Seyd auch ferner die Waͤchter ihrer Unſchuld, die Freude ihrer Schamhaf⸗ tigkeit, die Pfleger ihrer Triebe zum Guten — und lehret, und warnet, und bewahret ſie, wo unſre Stimme nicht lehren, unſre Liebe nicht warnen, unſer Auge nicht aufſehen, unſre Wachſamkeit nicht wachen kann!
vom verlornen und wiedergefundenen Sohne. Eine Erzählung Jeſu, Ihm nacherzaͤhlt.
| P re dei n aun in der akademiſchen Kirche zu Dillingen, am vierten Faſtenſonntage 1790.
Kann man wohl von dem Beſten zu gut denken? —— —
Wie es einem Liebhaber der Gemälde mit einem Meiſter⸗ ſtuͤcke, fo geht es uns mit den Erzählungen Jeſu. Je oͤfter, je laͤnger, je genauer er das Gemaͤlde betrach⸗ tet, deſto mehr Schoͤnheit und Wahrheit findet er an Zeichnung und Farbe, an Licht und Schatten, im Ganzen und in jedem Zuge zu bewundern. ö So ging es mir, als ich vor neun Tagen, in der Meſſe, die bekannte Erzählung Jeſu von dem verlor⸗ nen Sohne wieder las. Ich hatte ſie ſchon oft geleſen und betrachtet, und allemal viel Ruͤhrendes darin gefun⸗ den. Aber dießmal drang ſie mir ſo tief in das Herz, und brachte ſo viel Licht und ſo viel Feuer mit ſich, daß es mir war, als haͤtte ich nie recht verſtanden und nie recht empfunden, was Großes darin liege. Ich konnte auch denſelben ganzen Tag des Nachdenkens uͤber dieſe Erzählung nicht los werden, und faßte ſogleich den Ent⸗ ſchluß, am Sonntage, an dem die Reihe zu predigen an mich kommen wuͤrde, dieſe Erzaͤhlung Jeſu, unſerm Lehrer nachzuerzaͤhlen, weil ich hoffen konnte, daß ſie auf meine Zuhoͤrer keinen ſchwachen Eindruck machen wuͤrde, da ſie auf mich einen ſo ſtarken gemacht hat. Auch fand ich den Vorſatz der Zeit angemeſſen. Denn, dachte ich, ſieh! dieſe Zeit ſollte vorzuͤglich die Geſinnun⸗ gen der Buße in uns erwecken, ſollte uns zur Reinigung unſers Herzens ermuntern, damit wir das kommende Oſter⸗
®
feft nicht mehr im Sauerteige alter Suͤnden, fon dern, wie Paulus fagt, im Suͤßteige der Wahrheit und Gerechtigkeit — der Unſchuld und Guͤte feiern koͤnnten. Nun aber, was ſollte uns mehr zur Beſſerung, zur Reinigung unſers Herzens antreiben, als die Erbar- mungen des Vaters, von dem wir uns entfernet haben, und die Seligkeiten, die auf uns warten, wenn wir wieder zu Ihm zuruͤckkehren, und all das Elend, das wir außer der Gemeinſchaft mit Ihm zu erfahren haben. Doch, ich will meinen Zuhoͤrern das Vergnuͤgen nim⸗ mer laͤnger entziehen, die Erzaͤhlung Jeſu zu hoͤren, und ſelbſt daruͤber nachzudenken, und wuͤnſche nur, daß Jeſus Chriſtus jetzt keine Gedanken in unſrer Seele aufkommen laſſen moͤchte, als die ſeine Erzaͤhlung in uns wecken wird. |
.
I.
Es war ein Mann, der hatte zwei Soͤhne. Dem Juͤngern ward's zu enge im Hauſe ſeines Vaters; er wollte in die weite große Welt hinaus, forderte ſein Erbgut, bekam es, packte es zuſammen, und reiſete in ein fernes Land.
Er iſt fort, fern von ſeinem Vater und von ſeinem älteften Bruder, ſich und feinem Herzen uͤberlaſſen.
E 8 8
Ich bedaure den Juͤngling — er wußte doch nicht, was er that, kannte ſich und die Welt nicht. O, es werden Tage, Tage kommen, wo er ſeinen Schritt aus dem Hauſe ſeines Vaters — beweinen wird, und zu ſich ſprechen: Ich war ein Thor!
Dieſe Entfernung des juͤngern Sohnes von ſeinem Vater lehret uns recht anſchaulich,
„wie die Menſchen boͤſe geworden, wie die „Suͤnde in die Welt gekommen ſey.“
Der juͤngere Sohn lebte im Hauſe ſeines Vaters ſorgenlos, wie die Unſchuld, genoß die Freude, ſich von ſeinem Vater geliebt zu ſehen, durfte nur begehren, was er vom Vater haben wollte, und empfing es —
— 32 —
konnte nie uͤber Mangel klagen. Aber ſieh! der Gluͤck⸗ liche konnte die Fuͤlle ſeines Gluͤckes nicht ertragen, er⸗
traͤumte ſich allerlei Seligkeiten, die er außer dem Auge des Vaters wiirde genießen koͤnnen, ſchnitzelte ſich ſelbſt ein Bild von Freiheit, das ihn bezauberte, konnte dem Reize, ſein eigener Fuͤhrer und Vormund und Herr zu ſeyn, nicht laͤnger widerſtehen, forderte ſein Erbgut, nahm's, und ging in ein fremdes Land —
Wie der Menſch aus Gotteshand kam, war er gut, |
lebte in Gemeinſchaft mit feinem Schöpfer, im Lande
der Seligkeit, Ein Geift mit feinem Gott, hatte den fes
ligſten Umgang mit Ihm — ein Sohn im Haufe feis nes Vaters. Aber ſieh! der Menſch konnte die Fuͤlle ſei⸗
nes Gluͤckes nicht ertragen, ertraͤumte ſich, oder vielmehr ließ ſich ein falſches Wohlſeyn außer dem Umgange mit
ſeinem Gott vortraͤumen, verliebte ſich in dieſen Traum, achtete nicht mehr ſeines Vaters und deſſen Willens — wollte ſein eigener Fuͤhrer ſeyn, griff nach der ver⸗ botenen Frucht, ſuͤndigte — war ohne Gott in der Welt — und außer dem Lande der Seligkeit.
So ward der Menſch boͤſe.
So werden die Menſchen noch heut zu Tage boͤſe 5
— boͤſer.
Sie laſſen ſich taͤuſchen von einem Scheine des Gluͤ⸗ ckes, außer dem Umgange mit ihrem Gott, laufen der ſinnlichen Luſt, oder dem blendenden Reichthum, oder der leeren, taͤuſchenden Ehre, oder einem andern Gluͤcks⸗ bilde nach, vergeſſen ihres Gottes immer mehr und mehr, achten nicht mehr ſeines Willens, und leben nach dem Triebe ihrer Leidenſchaft, fern von Gott, fern vom Frie⸗ den in ſich.
H
Die Geſchichte des juͤngern Sohnes in der Fremde |
iſt mit zwei Worten aus dem Munde Jeſu — fehr traurig, aber ſehr wahr beſchrieben:
Er verſchleuderte fein Vermoͤgen durch
ſeine ausſchweifende Lebensart. 215 *
*
Ich
Sum 33 —
Ich will hier nicht beruͤhren, daß dieſe Geſchichte des jüuuͤngern Sohnes — die Geſchichte vieler Juͤnglinge iſt, die frühzeitig ihr vaͤterliches Haus verlaſſen; denn die Schilderung dieſer Wahrheit wuͤrde mir nur die Zeit nehmen, eine andere zu beleuchten, die noch tiefer ein⸗ greift, und unſrer ganzen Betrachtung werth iſt.
Naͤmlich dieſe:
Der Ungluͤckliche verſchleuderte alle ſeine Habe; weil er ſich nichts verſagen konnte, und die rege Luſt immer neue Opfer forderte. Es ſtrafte ihn kein Blick ſeines Vaters; es warnte ihn kein Wort ſeines aͤltern Bruders; er ſtand nur unter dem eiſernen Scepter ſeiner Begierde. All ſein Erbgut ward dazu verwendet, ihr zu dienen.
Das heißt mit andern Worten:
Alle Kräfte, die der Menſch in feinem jetzigen Zu⸗ ſtande hat, ſind ein Erbgut, eine Gabe, von der Hand des Schoͤpfers. Wer dieſe Kraͤfte nach dem Willen ſei⸗ nes Schoͤpfers anwendet, der fündiget nicht, und ers hält fein Erbgut. Wer aber ſeines Schoͤpfers vergißt, feine Kräfte zu Dienerinnen feiner Luft machet, der ſuͤn⸗ diget und zerftört durch Sünde — fein Erbgut. Alle Suͤnde beſteht darin, daß wir die Kraͤfte, die uns von Gott zur Erfüllung feiner heiligen Abſichten — gegeben ſind, in Unordnung gerathen laſſen, und zur Befriedigung unſrer ungeordneten Neigung anwenden. ;
Der Wille folte nur Luft haben an der Quelle alles Guten, und an dem Willen dieſer unerſchoͤpflichen Liebe — und er hat ſeine Luſt an einem Geſchoͤpfe, oder an einem ſelbſtgemachten Gluͤcke — und das iſt Suͤnde, das Herz hingeben — der Luſt an Dingen, (die von der Quelle alles Guten wegfuͤhren), und dieſe Luſt gebietend werden laſſen.
Der Verſtand ſollte nach Gott fragen, ſollte fra⸗ gen: was des Vaters Wille ſey — und er fraget nur nach dem, was den Sinnen angenehm ſey, was die ungebändigte Luft fordere — und das iſt Sünde — den Verſtand der gebietenden Luſt hingeben — als Werk— zeug, das Gebot derſelben zu erfuͤllen.
J. M. v. Sailers ſämmtl. Schriften. XXXV. Bd. 3
Die Glieder des Leibes follten nur nach der Vor⸗ ſchrift des Verſtandes, der nach Gott fragte, und nach dem Befehl des Willens, der an Gott ſeine Luſt haͤtte, gebrauchet werden — und ſie werden dazu gebraucht, dem Verſtande unlautere Bilder, und dem Willen un⸗ edle Gegenſtaͤnde zuzufuͤhren, oder Verſtand und Wil⸗ len, durch Vollfuͤhrung der gebietenden Luſt noch mehr zu beflecken und zu verderben. Und das iſt Suͤnde — den Leib zum Sklaven der ungeordneten Luſt machen. Das iſt Suͤnde, oder beſtimmter:
Das iſt der Zuſtand der Sünde — Es wird alle Habe, außer dem Hauſe des Va⸗ ters, verſchleudert, alle Menſchenkräfte wer den zum Unrechtthun gemißbraucht, und durch Unrechtthun zerſtoͤrt.
Die Verzehrung des Erbgutes außer dem Hauſe des Vaters iſt ein ſchoͤnes Sinnbild von dem Suͤndenzuſtande eines Menſchen, der alle Gaben Gottes, alle Kraͤfte zu Suͤnden mißbraucht, und durch dieſen Mißbrauch zerſtoͤrt.
Man kann von jedem Suͤnder ſagen: Er verſchleu⸗ dert feine Habe durch Unrechtthun.
So kommt durch die Suͤnde das Elend in die Welt.
| III.
Da er Alles verſchwelget hatte, entſtand in demſel⸗ ben Lande eine große Hungersnoth, und er fing an, auch Mangel und Hunger zu leiden. Um nun nicht zu erhun⸗ gern, mußte er bei einem Buͤrger deſſelben Landes Dienſt nehmen — und der mit vielem Gelde aus dem Hauſe ſeines Vaters ausgegangen war, mußte es jetzt noch als eine Gnade anſehen, daß ihn ſein neuer Herr auf einen Mayerhof ſchickte, um da die Schweine zu huͤten. Und haͤtte er doch als Huͤter der Schweine Brod genug gehabt, er wuͤrde dafuͤr gedanket haben. Aber, er hatte es nicht nur nicht beſſer, als ſeine Schweine, es ging ihm noch weit fchlimmer — Die Schweine konnten ſich an Baumfruͤchten ſatt freſſen; ihm ward dieß Gluͤck nicht gegoͤnnet. Er wuͤnſchte oft: Wenn ich mich nur mit der
— 5
Koft der Schweine ſättigen ee und Niemand gab fie ihm — ** 6 **
Guter Juͤngling, ich koͤnnte weinen, wenn dir mit fremden Thraͤnen koͤnnte geholfen werden. Nun iſſeſt du die bittere Frucht der Suͤnde, und fuͤhleſt dein Elend. Elend warſt du zwar ſchon vorher, elend in dem Au⸗ genblicke, wo du die Liebe gegen den Vater in dir ſchwach werden ließeſt — elend, wo du den Gedanken ertragen konnteſt: Ich will ihn verlaſſen, meinen Vater — elend, wo dir dein Erbgut lieber zu werden anfing, als dein Vater — elend, wo du dich ohne ihn fuͤr recht gluͤcklich hielteſt — elend, wo du frei zu ſeyn glaubteſt.
Aber, was du laͤngſt warſt, das empfindeſt du jetzt erſt — du fuͤhleſt dich elend. Und ich ſage dir: Jetzt kann dir erſt geholfen werden, weil du dein Elend empfindeſt. Ich ſage dir: Jetzt biſt du wirk⸗ lich ſchon weniger elend, da du dein Elend erken⸗ neſt, als du damals warſt, wo du dich fuͤr frei und glücklich hielteft. Denn ſieh! wer feine Feſſeln für Feſ⸗ feln hält, der wird ſuchen, derſelben los zu werden; aber wer ſeine Feſſeln fuͤr Zeichen der Ehre, fuͤr Beweiſe ſeiner Freiheit haͤlt, der wird ſich ihrer freuen, won viel: leicht in feiner Gefangenſchaft ſterben.
Das iſt nun des Menſchen Loos, daß ihn die
frohen Tage blind, und die bittern Tage wieder fehend . machen.
Das iſt des Menſchen Lo os daß ihn gewöhnlich die Noth weiſe machen muß, weil fie ihm fein Elend fuͤhlbar machet.
O Gott, ſonſt bat ich oft: „Laß es allen Men ſchen gut gehen — — — aber jetzt bin ich in Ver⸗ ſuchung zu bitten: Herr, laß ſie, die Dich mißken⸗ nen, die Frucht ihrer Suͤnde koſten, damit ſie ihr Elend fuͤhlen, und wieder nach Dir fragen, wie der juͤngere Sohn in der Ferne.
IV,
Da, führt Jeſus fort, da ging er in ſich, kam wie⸗ der zu ſich, und ſprach: Wie viele Tagloͤhner haben Ue⸗ berfluß an Brod im Hauſe meines Vaters, und ich, der Sohn, muß hier vor Hunger ſterben. Ich will es vers ſuchen, will aufſtehen, will zuruͤck zu meinem Vater ge⸗ hen, will zu ihm ſagen: Sieh, Vater! ich habe mich verſuͤndiget — gegen den Himmel und gegen dich! Ich bin's nicht mehr werth, dein Sohn zu heißen, laß mich nur unter deinen Tagloͤhnern eine Stelle finden.
1 9 12
Wohlan, Juͤngling, ich wuͤnſche dir Gluͤck zu dieſer Geſinnung: fie iſt der Morgenſtern deines Heils! Du biſt auf dem Wege, wieder gut zu werden — Du ken⸗ neſt dich und deinen Vater — deine Thorheit und feine Güte: nun wird dir bald geholfen werden.
So muß es in dem Gemuͤthe des Menſchen zugehen, wenn er wieder zu Gott kommen ſoll. Er muß zuerſt zu ſich kommen, ſeine Suͤnde erkennenz er muß feine Bloͤße, fein Elend fühlen, ſich de muͤthi⸗ gen vor Gott und den Menſchen: Ich bin's nicht werth, dein Sohn zu heißen; er muß einen Ent⸗ ſchluß faſſen, zu ſeinem Vater zuruͤckzugehen: Ich will aufſtehen, und zu meinem Vater gehenz er muß ſeine erkannte Suͤnde bekennen: Ich habe gefünbiget; er muß wieder ein Bertrauen zu Gott in ſich empfinden: Ich will zu Ihm ſagen: Vater! er muß die Erbarmungen ſeines Gottes in Demuth und Glauben umfaſſen, und bitten um Gnade: Laß mich nur unter deinen Tagloͤhnern eine Stelle fin⸗ den; er muß von Schmerzen und vom Vertrauen, von Demuth und vom Vertrauen, von Gefuͤhl ſei⸗ nes Elendes und vom Vertrauen — getrieben werden zum Bekenntniß ſeiner Suͤnden, und zum Gebete, und zur Wiederkehr zu ſeinem Gott. Ä
So fangen die Menfchen an — wieder gut zu wer⸗ den. Getrieben von der allmaͤchtigen Noth, gehen ſie in ſich hinein, und von da zu Gott zuruͤck. Sie muͤſſen
— 37 13
beſſer werden wollen, und dom ganzen Herzen wol⸗ len — und nicht nur wollen, fie muͤſſen, was fle wol⸗ len, auch werden.
V.
„und er ſtand auf, und ging zu ſeinem Vater zuruck.“ —
* « 53
Alſo nicht nur aufſtehen wollen, nicht nur zum Vater zuruͤckgehen wollen, ſondern wirklich aufſtehen, wirklich zuruͤckgehen, das iſt Hauptſache. Das Wollen moͤchte uns Allen auch nicht fehlen, aber das Vollbrin⸗ gen, das finden wir nicht in uns, und ſind zu bequem, zu traͤge, es bei Dem zu ſuchen, der es allein geben kann. Und doch nicht das Wollen, nur das Vollbringen macht uns wieder gut — Doch vielleicht ſchafft uns die guͤtige Aufnahme des zuruͤckkehrenden Sohnes neuen Muth, neuen Eifer, ohne den ſich keine rechte Buße ri laßt.
VI.
Als er noch ferne war, erblickte ihn ſein Vater, und die Erbarmungen regten ſich in ſeinem Innern, und er lief ſeinem Sohne entgegen, und fiel ihm um den Hals, und kuͤßte ihn. — In den erſten Augenblicken erſtummte der Sohn, konnte kein Wort finden — nach und nach erhob er ſein beſchaͤmtes Auge, und blickte zum Vater, der ihn an ſein Herz geſchloſſen hielt, hinauf, und ſprach, ganz durchdrungen von Scham und Liebe, von Reu' und Dank: Vater, ich habe geſuͤndiget, wider den Himmel und wider dich, ich bin nicht mehr werth,
dein Sohn zu heißen.
Der Vater ſprach zu ſeinen Kuechten: „Bringet das beſte Kleid hervor, und ziehet es ihm an, gebt ihm ei⸗ nen Ring — an ſeine Hand, und Schuhe — an ſeine Fuͤße; fuͤhret das Maſtkalb her und ſchlachtet es, und wir wollen ein Freudenmahl halten. Denn dieſer mein
Sohn war todt, und iſt nun wieder lebendig, war ver⸗ loren, und iſt nun wieder gefunden.“ =
* *
et
Wo iſt ein Vater, der ſich zu ſagen getraute: Dies ſer Vater hat nicht nach dem ganzen Maße der Vater⸗ liebe gehandelt!
Wo ein Sohn, der ſich, in einem ähnlichen Falle, einen liebevollern Empfang wuͤnſchen koͤnnte! | er Der Vater dachte nicht an den Undank oder den Leichtſinn des Sohnes, dachte nicht an die Schmer⸗ zen, die ihm das Fortreiſen oder Außenbleiben des Leichtſinnigen verurſachet — dachte nicht an das ſchaͤnd⸗ lich durchgebrachte Erbgut, ließ nur fein Vaterherz res den und handeln, und was kann das Herz eines Va⸗ ters anders, als verzeihen, ſegnen, er freuen, gluͤck⸗
lich machen?
Nun aber darf ich wohl im Geiſte Jeſu fragen: Wenn ein Vater dieſer Erde, der doch auch boͤſe ſeyn kann, und mit vielen Suͤnden und Leidenſchaften zu kaͤm⸗ pfen hat, ſo gut ſeyn kann, und im zuruͤckkommenden Sohne nur den Sohn ſehen kann, und alle Vergehun⸗ gen verzeihen kann — wenn er das ſchoͤnſte Kleid aus dem Behaͤltniſſe hervorzieht, um den Neugefundenen zu kleiden, und das einzige Maſtkalb ſchlachten laͤßt, um ein Freudenmahl zu halten, und ſich mehr freuet beim Wieder⸗ kommen ſeines Sohnes, als bei der Geburt deſſelben: wie unvergleichbar zaͤrtlicher muß die Erbarmung des himmliſchen Vaters, der ganz Liebe iſt, gegen einen ver⸗ irrten Suͤnder, wie unvergleichbar großmuͤthiger muß die Aufnahme eines geruͤhrten Suͤnders, wie unvergleich⸗ bar vollkommener muß der Nachlaß aller Suͤnden, wie unvergleichbar groͤßer muß die Segnung und Erqui⸗ ckung und Umarmung und Beſeligung des reue⸗ vollen Suͤnders ſeyn?
Wenn ein Menſch ſo gut ſeyn kann, wie gut muß die Guͤte ſelbſt ſeyn?
Wahrhaftig, nur der Sohn des Vaters konnte die Erbarmungen des Vaters ſo lebhaft ſchildern: Ich ver⸗ ſichere euch, im Himmel iſt eben ſo eine Freude uͤber einen Suͤnder, der ſich beſſert — mehr als uͤber neun und neunzig Gerechte, die kei⸗ ner Beſſerung beduͤrfen.
— 39 —
So werden die Menſchen wieder gut. Die Barm— herzigkeit Gottes ſieht ihren Verirrungen langmuͤthig zu, und hat Mitleiden mit ihren Verblendungen, und rufet ſie durch Mangel zu ſich, und leget ihnen, milde bevor⸗ kommend, Vertrauen zu ſich in's Herz, und wecket den Gedanken, wieder zu ihr zuruͤckzukehren, und pfleget ihn vaͤterlich, und treibt die Elenden zu ſich, und eilet ih⸗ nen ſelbſt entgegen, und umarmet fie und kuͤſſet fie und kleidet ſie mit dem ſchoͤnen Gewande der Unſchuld, und zieret ſie mit dem Zeichen der Freundſchaft, und ſpeiſet ſie mit dem Brode des ewigen Lebens, und ſalbet ſie mit dem Geiſte des Friedens und der Liebe — und die Engel jauchzen drein, und preiſen einmuͤthig die Erbar⸗ mungen der Liebe, und faſſen die Thraͤnen des gebeſſer⸗ ten Suͤnders wie Perlen auf, und zeichnen den Namen des wiederkehrenden Sohnes in das Buch der Lebendigen.
Faſſet Muth, wer immer ein Suͤnder iſt! Ich faſſe Muth, und wer immer ein Suͤnder iſt, und wer iſt kei⸗ ner? — — — Ich faſſe Muth, und wer immer ein Suͤnder iſt — er faſſe auch Muth!
Es iſt doch kein Heil in der Suͤnde, oder wer Heil darin gefunden hat, der ſage es: es iſt doch kein Heil in der Suͤnde, und der Vater kommt uns ſelbſt mit ſeiner Erbarmung entgegen —
O, wir wollen ſeinem Herzen heute noch die Freude machen, uns die Suͤnden alle vergeben zu koͤnnen! — Es ſehe Jeder nur in ſein Herz, und erforſche da ſeine Thorheiten, ſeine Suͤnden, und das Elend, das dar⸗ aus entſtanden iſt.
Und, wenn Jeder feine Blöße, feine Thorheit, ſeine Suͤnde fuͤhlet, ſo wollen wir die Suͤnde nicht mehr vor dem Herrn verbergen, wollen uns nicht mehr fuͤr fromm oder weiſe halten, wollen unſere Suͤnden alle bekennen, vor uns und Ihm und dem Freunde unſers Herzens bekennen, wollen angezogen von der Freundlichkeit Gottes — zu Ihm zuruͤckkehren, und bedeckt mit Scham, ausſprechen, was wir empfinden: Ich bin's nicht werth,
— 0 —
dein Kind gu ſeyn, und uns hingeben feinen Erbat⸗ mungen, und ſie wirken laſſen in uns, daß die Engel ein Freudenfeſt uͤber uns anſtellen, und zu einander ſagen:
Dieſe Gemeinde war todt — und iſt nun wieder lebendig, war verloren, und iſt nun wieder gefunden; —— —
oder wenn dieſe Hoffnung zu kuͤhn it — — — daß die Engel ſagen koͤnnen:
Zwanzig aus dieſer Gemeinde — oder wenigſt fünfzehn aus dieſer Gemeinde — oder wenigſt zehn aus dieſer Gemeinde — oder wenigſt fun fe aus dieſer Gemeinde — oder wenigſt Einer aus dieſer Gemeinde — — war todt — und iſt wieder lebendig — war verloren - — und iſt wieder gefunden.
O, Engel Gottes — Einer! Amen.
v 7 Von einem neuen Herzen und einem neuen Geiſte.
—
Predigt, gehalten in der Pfarrkirche zu Göggingen, am Neujahrstage.
Und ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geiſt geben. Esch, XXXIV, 26.
Und machet euch ein neues Herz und einen neuen Geiſt Ezech. XXXVIII, 31.
Wir ı ſind da, um ein dreifaches Feſt zu feiern: das Neujahrsfeſt — als Menſchen; das Feſt des Namens Jeſu — als Chriſten; das Feſt einer erſten Meſſe — als katholiſche Chriſten.
Als Menſchen muß uns der Gedanke: Nun wie⸗ der ein Jahr vorbei, nun wieder ein anderes angefangen, wichtig ſeyn.
Als Chriſten kann uns wohl nichts erfreulicher ſeyn, als der Reichthum von Gnade und Barmherzigkeit, den uns der Name Jeſus verkuͤndet. ä
Als katholiſche Chriſten haben wir der göttlichen Vor⸗ ſehung zu danken, daß ſie uns einen neuen Prieſter ge⸗ ſchenket, der beſtimmt iſt, Segen und Freude des Chri⸗ ſtenvolkes zu werden; der einſt das Stuͤck Feld, das ihm auf dem großen Acker Gottes wird angewieſen werden, fleißig umackern, und mit gutem Samen beſaͤen, und mit dem Schweiße ſeines Angeſichtes fruchtbar machen, und dem er mit ſeinem glaubigen Gebete Wachsthum und Gedeihen erflehen wird — einen Prieſter, der uͤberall, wo er hinkommen wird, in allen redlichen Gemuͤthern den Wunſch erwecken wird: Vater der Ernte, ſende mehrere Arbeiter in deine Ernte, die ſind, wie dieſer da! RT
1
Wir ſtehen am Eingange des neuen Jahres. Wo iſt der Menſch, der dieß erwaͤget, und kalt bleibt? Ein Tag giebt dem andern die Hand, eine Nacht der andern, eine Woche der andern, ein Monat dem andern; die Sonne geht auf und nieder, Jahre ſchwinden, Jahre kommen, und wenn ſie voruͤber ſind, magſt du ſie nim⸗ mer zuruͤckrufen. Unzaͤhlbar viele ſind in dieſem Jahre geboren worden: von allen vorhergegangenen Neujahrs⸗ tagen ſahen ſie keinen. Unzaͤhlbar viele ſind in dieſem Jahre geſtorben: ſie erlebten dieſen Neujahrstag nimmer.
Wir leben noch, und haben nach vielen vorange⸗ gangenen Neujahrstagen auch dieſen noch erlebet. Dank Dir, Vater, daß Du uns auch dieſes Jahr den Odem, und mit ihm unzaͤhlig Gutes dargereicht hakı Wie kann ich Dir's vergelten?
Der Name Jeſus iſt unans e bedeu⸗ tend. Wohl uns, daß wir ihn noch ausſprechen koͤn⸗ nen, daß uns die Zunge dieſes Jahr nicht erſtarret iſt! Wohl uns, daß unſer Herz noch ſchlagen kann fuͤr den, der Jeſus Chriſtus iſt und heißt! Wohl uns, daß wir Ihm noch danken koͤnnen für alle er die uns durch Ihn geworden iſt!
Ein wuͤrdiger Prieſter if ein großes Ge⸗ ſchenk für die Kirche. Wohl uns, daß wir uns heute dieſes Geſchenkes freuen koͤnnen, noch gluͤckwuͤnſchen koͤn⸗ nen der katholiſchen Gemeinde, die einſt an dieſem Prie⸗ ſter einen herzlichen Freund, einen zaͤrtlichen Vater, einen treuen Hirten bekommen wird! Wie koͤnnen wir Dir, Du, der die Liebe und Guͤte biſt, genug danken fuͤr dieſe Gnaden alle?
Ich, meine Theuren, weiß für mich, meine Dank⸗ | barkeit dem lieben Gott nicht beſſer zu bezeugen, als wenn ich mich um das beſtrebe, was Ihm an mir das Wohlgefaͤlligſte ſeyn muß! Ich kenne auch fuͤr euch kei⸗ nen beſſern Beweis eurer Dankbarkeit, als das redliche Streben, das und ſo zu werden was und wie euch Gott haben will.
Was iſt aber das, meine Lieben, was Gott an uns das Wohlgefaͤlligſte iſt? b
Br 45 das
Er hat es ſelbſt deutlich geſagt:
Machet euch ein neues Herz und einen neuen Geiſt. 8
Das iſt's, das iſt's, was uns gottgefaͤllig macht, ein
neues Herz, ein neuer Geiſt. Um ein neues Herz,
um einen neuen Geiſt wollen wir Ihn bitten: Er giebt
dieſe Gabe gern denen, die Ihn darum bitten — —
Und ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geiſt geben.
Wir wollen aber nicht nur darum bitten; wir wollen auch thun, was wir koͤnnen, um ein neues Herz, einen neuen Sinn zu bekommen; wir wollen uns keine Auf⸗ merkſamkeit auf uns ſelbſt, keine Selbſtverlaͤugnung, keine Verachtung des Vergaͤnglichen zu ſchwer ſeyn laſſen, um einen neuen Geiſt zu bekommen. Deßwegen heißt es ja: Machet euch, machet euch ein neues Herz.
Um alſo die Abſicht der heutigen Feier erreichen zu helfen, werde ich
„Vom neuen Herzen und neuen Sinn“ reden, was mir mein Herz — o daß es neu waͤre! auf die Zunge legen wird.
Ich wuͤnſche jetzt meinen Zuhoͤrern und allen Men⸗ ſchen ein neues Herz, einen neuen Sinn. Dieß iſt mein Neujahrswunſch, nicht etwa nur Neujahrs⸗ wunſch, er iſt Wunſch meines Herzens, er iſt der vertrauteſte Wunſch meines Herzens: Einen neuen Sinn wuͤnſch ich heute, und will's Gott, nicht nur heute, immer alle Tage meines Lebens wuͤnſche ich ihn mir und allen Menſchen.
Und was ich Allen wuͤnſche, das ſollte heute allen Menſchen, die mich hoͤren, recht klar, recht wuͤnſchens⸗
werth — und mehr wuͤnſchenswerth als alle andere Guͤ⸗ ter werden.
Zu dem Ende werde ich, meine Theuren, zu ae sig Was es heiße: „Ein neues Herz, einen neuen Sinn bekommen.
.
Daß uns ſinnlichen Menſchen ein neues
Herz, ein neuer Sinn unentbehrlich ſey,
um fromm und gluͤckſelig zu werden.
3. Daß ein neues Herz, ein neuer Sinn einem Geiſtlichen, einem Seelſorger zur rechten Führung feines Amtes unentbehrlich ſey.“
1 - * *
Was es beiße: ein neues Herz, einen neuen Sinn
bekommen.
Ich Winch mir und allen Menſchen ein neues Herz,
einen neuen Sinn, was ſagt dieſer Wunſch? Im Innern muß die Beſſerung des Menſchen an⸗ fangen, vom Innern herausarbeiten, im Innern zuneh⸗
men, im Innern vollkommen werden und ſich im Aeu⸗
ßern offenbaren. Das Herz, der Sinn, die Neigung,
der ganze Menſchenverſtand und Wille, der ganze Men⸗ ſchengeiſt muß neu, muß umgeſchaffen werden: der Menſch
muß ganz anders werden als vorher, anders denken, an⸗
ders wuͤnſchen, anders lieben und haſſen, anders reden,
anders handeln, anders leiden als vorher — muß neu
werden.
Das iſt Aufang unſers Heils, daß wir das verab⸗ ſcheuen, was wir lieb hatten; das beweinen, woran wir Freude hatten; das umarmen, woruͤber wir Ekel hatten; dem nacheilen, wovon wir zuruͤckflohen; das von ganzem Herzen wuͤnſchen, was wir von ganzem Herzen verach⸗ teten. “)
Das heißt einen neuen Sinn, ein neues Herz bekom⸗ men, wenn wir an dem Willen Gottes, der uns vorher eine Laſt, eine Folter oder wenigſtens unangenehm war, nun unſre ganze Freude haben; wenn wir die Suͤnde,
*) Hoc nempe est salvationis nostrae printipium, cum incipi-
mus respuere, quod diligebamus, dolere, unde laetabamur,
amplecti, quod timebamus, sequi, quod fugiebamts, optare,
quod contemnebamus. | 8. Bernard. in quibusd. Sentent.
—
„„
die vorher unſre Freundin, unſer Himmel war, jetzt als unſre Feindin haſſen, als unſre Hoͤlle verabſcheuen.
Das heißt einen neuen Sinn, ein neues Herz bekom⸗ men, wenn nicht mehr unſre Sinnlichkeit, ſondern Gott, Gottes Wille, Gottes Geiſt in uns herrſcht.
Das heißt ein neues Herz, einen neuen Sinn bekom⸗ men, wenn der Geiſt Jeſu Chriſti, der ſeine erſten Juͤn⸗ ger gut, weiſe, froh, liebevoll, geduldig, demuͤthig, kraͤftig, thaͤtig, und willig zu allem Guten machte, auch uns gut, weiſe, froh, liebevoll, geduldig, demuͤthig, kraͤftig, thaͤtig und willig zu allem Guten machet.
Das heißt ein neues Herz, einen neuen Sinn bekom⸗ men, wenn der ganze Kreis unſrer Gedanken, Begierden, Neigungen, Handlungen zerriſſen, und ein neuer Kreis von Gedanken, Begierden, Neigungen, Handlungen nach dem Willen Gottes — in uns angeleget wird.
Das heißt ein neues Herz, einen neuen Sinn bekom⸗ men, wenn ein neues Licht, von Gott angezuͤndet — in uns leuchtet, ein neues Feuer, von Gott angefachet — in uns brennet, eine neue Kraft, von Gott geſchenkt — in uns wirket und regieret.
Das heißt ein neues Herz, einen neuen Sinn bekom⸗ men, wenn wir als Soͤhne, als Kinder Gottes, gezeu⸗ get von ſeinem Geiſte, gebildet nach ſeinem Ebenbilde Jeſus Chriſtus, das, was ewig, himm⸗ liſch, unſterblich, goͤttlich iſt, uͤber Alles lieb haben, uͤber Alles fchägen, und keinen andern Beruf kennen, als den Vater des Lichtes durch Erfüllung feiner Gebote zu ver⸗ herrlichen, den Sohn, der uns mit ſeinem Blute erkau⸗ fet, durch Nachahmung feiner Güte zu preiſen, den heis ligen Geiſt, der uns neu belebet, durch die Fruͤchte des Geiſtes, durch Liebe, Maͤßigkeit, Nuͤchternheit, Keuſchheit, Sanftmuth ꝛc. zu offenbaren.
Das heißt ein neues Herz, einen neuen Sinn bekom⸗
men, wenn wir durchaus neugeſinnt und durch⸗ aus neuthätig werden. Ich will es um feiner Wich⸗
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tigkeit, und um die alte Wahrheit unter allerlei Geſtalt zu zeigen, mit andern Worten ſagen:
Wenn wir neugeſinnt, neuthaͤtig werden, fo ſehen wir die Dinge ganz anders als vorher an, ſie zei⸗ gen ſich uns in ihrer wahren Geſtalt. Die ſinnlichen Menſchen glauben z. B.: Es ſey nichts Beſſers, als viel Geld im Kaſten, ſchoͤne Kleider am Leibe haben, gut eſſen, gut trinken, überall wohl gelitten und geehret ſeyn. Sobald nun die Menſchen neugeſinnt werden, ſo halten ſie Geld, Ehre, ſchoͤne Kleider, gut eſſen und trinken, alle irdiſche Dinge fuͤr das, was ſie ſind; ſie begreifen, daß es gar nichts nuͤtze, bei Menſchen viel zu gelten, wenn man bei Gott in Ungnade ſteht; daß uns die Verachtung, die wir von Andern auszuſtehen haben, gar nichts ſchade, wenn wir bei Gott wohl daran ſind; daß das uns nicht beſſer und nicht ſchlechter mache, wir moͤgen einen zwilchenen Kit⸗ tel oder ſeidene Kleider tragen; daß wir im Sterbebette daruͤber keinen beſondern Troſt empfinden werden, wenn wir Zeit unſeres Lebens koͤſtlich gegeſſen und getrunken haben; daß uns der Gedanke daran den Todesſchweiß nicht abtrocknen werde von der erſterbenden Stirne; daß das Geld den Menſchen keinen Werth, und der Mangel am Gelde ihm keinen Unwerth beilegen koͤnne. Und nicht nur denken die Neugeſinnten ſo — es iſt ihr ganzer Sinn ſo beſchaffen — ihr Gedanke iſt ihr Sinn, und ihr Sinn — ihr Wandel.
Wenn die Menſchen neugeſinnt, neuthaͤtig werden, ſo ſehen ſie ſich um beſſere Schaͤtze um, die ewig dauern. Ihr Gedanke, ihr Sinn und ihr Wandel ſagt eines, naͤmlich: „Das Geld, die Lobſpruͤche der Menſchen, die Ehrenſtellen, die ſchoͤnen Kleider, Speiſe und Trank — nimmſt du doch nicht mit in die Ewigkeit. Aber das gute Gewiſſen, das Leben des Geiſtes, das Gutſeyn, das Einsſeyn mit Gott, die neue Geſinnung geht mit dir durch das Thal des Todes, und tritt mit dir zum Rich⸗ terſtuhle, nicht zum Richterſtuhle — denn der reine Freund Jeſu iſt vom Tode ſchon durchgedrungen zum Leben, —
ſondern begleitet dich dorthin, wo Jeſus mit feinen Freun⸗ den ſeine Herrlichkeit theilet. Das Almoſen, das du mit neuem Herzen gegeben, das heiße Gebet, das du mit neuem Sinn fuͤr deinen Feind entrichtet, der Biſſen Brod, den du, mit neuer Liebe beſeelet, vom Munde weg erſparteſt, um ihn mit dem Hungrigen zu theilen, das Beiſpiel des untadelhaften Wandels, das du deinen Kindern und Hausgenoſſen mit neuem Eifer gegeben, das Unrecht, das du mit neuer Geduld ſtillſchweigend uͤbertragen — alles Gute, das du mit neuer Luft ge⸗ than, alles Boͤſe, das du mit neuem Muth unterlaſſen, alle edle Handlungen und großmuͤthige Aufopferungen, Fruͤchte des neuen Sinnes, gehen mit dir in die Ewigkeit hinuͤber, um da deine Freude vollkommen zu machen.
Das heißt neugeſinnt und neuthaͤtig werden, wenn der Zornmuͤthige geduldig, ſanft, gelaſſen wird, wie das Lamm Gottes, das ſich zur Schlachtbank ſchwei⸗ gend fuͤhren ließ; wenn der Traͤge, Kalte nun eifrig zu allem Guten, und freudig im Rechtthun wird, wie ein Engel Gottes geſendet zum Heil der Menſchen; wenn der Unzuͤchtige nun alle unlautere Vorſtellungen, Begier⸗ den, Thaten verabfcheut, und das Gebot Gottes: Sey rein, ſich werther und wichtiger ſeyn laͤßt, als alle Re⸗ gungen zur Suͤnde, und als alle Vergnuͤgungen in der Sünde, wie ein wuͤrdiger Kämpfer Chriſti; wenn der Ungerechte allen Schaden, den er angerichtet, gerne vierfach verguͤten moͤchte, und das Seine freiwillig hin⸗ gibt, ſtatt das Fremde gewaltſam an ſich zu ziehen, wie der gebeſſerte Zachaͤus, u. ſ. f.
Das heißt neugeſinnt und neuthaͤtig werden, wenn man an den Lehren, Beiſpielen, Verheißungen Jeſu Chriſti eine neugeborne, lebendige Freude hat; bei allen Anlaͤſſen zu Ihm mit glaubiger Seele aufblicket, Ihm alle ſeine Anliegen mit Vertrauen klaget, in allen Noͤthen Huͤlfe von Ihm erwartet, Ihn durch chriſtlichen Wandel uͤberall zu verherrlichen trachtet, das ſchaͤtzet, was Er geſchaͤtzet, das verabſcheuet, was Er verachtet, das thut, was Er gethan, en leidet und ſchweiget, wie Er litt und ſchwieg.
Das heißt ein neues Herz bekommen, wenn man ſich gegen den himmliſchen Vater durchaus fo beträgt, wie ein gutes Kind gegen ſeinen guten Vater, ſtill, ge⸗ horſam, voll Vertrauens, froh, arbeitſam nach dem Willen des Vaters — ſich ſo betraͤgt gegen alle Mitmenſchen, wie ſich ein guter Bruder gegen feine Bruͤ⸗ der beträgt, dienſtfertig, voll inniger Zuneigung, aufrichtig, mitleidig, ohne Falſch und Neid.
Das heißt neugeſinnt und neuthätig werden, wenn man nicht mehr ſuchet, was ſein iſt, jeden hoͤher achtet als ſich ſelbſt, lieber hoͤret als redet, lieber ſchwei⸗ get als klaget, lieber giebt als empfaͤngt, mehr in den Himmel hinauf als auf die Erde herab blicket, mehr auf Gott vertraut als auf Menſchen, der Tugend und Pflicht allein, und ſich gar nicht mehr lebet.
Das heißt neugeſinnt und neuthätig 5 wenn wir Gott allein regieren laſſen in uns und in Allem, was außer uns geſchieht, uns ganz nach dem Willen Gottes richten, und nie den Willen Gottes nach uns umdrehen.
Das heißt neugeſinnt und neuthätig werden, wenn das Herz betet, nicht nur der Mund; das Herz Almoſen reichet, nicht nur die Hand; das Herz dem Gottes dienſte beiwohnet, nicht etwa nur der Koͤrper; das Herz alle boͤſe Begierden verabſcheuet, nicht etwa nur die Thaten; das Herz mit Gott Umgang hat, nicht etwa nur die Lippe u. ſ. f.
Das heißt neugeſinnt und neuthätig werden, wenn man überall, bei allen Anläffen in der Kirche wie zu Hauſe, bei der Meſſe wie hinter dem Pfluge, in der Gebetſtunde wie bei Tiſche, in Geſellſchaft wie in der Einſamkeit — — die Gedanken und Begierden, die ge⸗ heimen Regungen des Herzens und aͤußern Handlungen, nach der Lehre und dem Beiſpiele Jeſu, unterſtuͤtzt von ſeinem Geiſte, ordnen und beherrſchen lernt, und nicht muͤde wird, an denſelben zu beſſern, bis ſie ſich endlich vor Menſchen und Engeln und dem Blicke Gottes duͤr⸗ fen ſehen laſſen.
2. Ohne
| 2 5 ’ Ohne dieſe Umſchaffung des Herzens, ohne dieſe Er⸗ neuerung des Sinnes iſt es dem ſinnlichen Menſchen unmoͤglich, wahrhaft fromm und gluͤckſelig zu werden.
Wenn das Herz neu iſt, der Sinn neu iſt, neuge⸗ boren aus Gott: dann iſt Alles gut und recht am Menſchen.
Wenn das Herz nicht neu, der Sinn nicht neu iſt, nicht neugeboren aus Gott: ſo iſt alles Uebrige, es mag an ſich noch fo gut ſeyn, ganz unzulänglich, den Mens ſchen wahrhaft froh und gluͤcklich zu machen.
Es giebt viele Chriſten, die fleißig in die Kirche ge⸗
hen, beten, faſten, Almoſen geben, ſich auch von einigen groben Ausſchweifungen enthalten, zu denen ſie eben keine beſondere Verſuchungen haben. Aber, bei all ihrem Beten, Faſten, Almoſengeben iſt ihr Herz voll Neid und Mißgunſt, eitel, nach Ehre ſtre⸗ bend, oft unzufrieden mit Gott und ſich, und den Men⸗ ſchen und der ganzen Natur.
Das Herz, das Herz iſt ungebeſſert, und wenn das Herz noch nicht gebeſſert iſt, ſo iſt alles Beten, alles Faſten, alles Almoſengeben, ſo gut es immer ſeyn mag, dennoch noch keine chriſtliche Tugend. Es fehlt noch das Nothwendigſte, der chriſtliche Sinn.
„Setzt doch Niemand ein Stuͤck neuen Tuches auf ein altes Kleid: denn das aufgeflickte Stuͤck würde nur am Kleide einen groͤ⸗ ßern Riß machen.“
Dieß Wort Jeſu iſt ſo vielbedeutend, und, weil er ſich nicht ſchaͤmte, fein Gleichniß vom zerriſſenen Ges wande und den Flickarbeiten herzuholen: ſo ſey es mir auch erlaubt, dieß Gleichniß anzuwenden.
Wenn Jemand ein zerriſſen Kleid hat, und einen neuen Lappen darauf ſetzen laßt, und es eine Weile am Leibe traͤgt, ſo bekommt es gar bald einen noch groͤßern Riß als vorher; denn das neue Tuch iſt ſtaͤrker, feſter als
J. M. v. Sailers ſämmtl. Schriften. XX XV. Bd. 4
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das alte, kann ſich alfo an dem alten Zeuge nicht mehr feſt halten, reißt ſich gewaltſam los, nimmt Vieles von dem alten Tuch mit, und macht hiemit in das Kleid ei⸗ nen groͤßern Riß, als es vor dem Aufflicken des neuen Zeuges hatte.
Dieß iſt die Geſchichte vieler frommen Uebungen un⸗ ter den Chriſten. Das Herz iſt nicht gebeſſert, indeß verrichten ſie taͤglich ihre beſtimmte Zahl von Gebeten, gehen zur Meſſe, hoͤren die Predigt, geben Almoſen, faſten auch, und halten ſich fuͤr fromm. Und, weil ſie ſich fuͤr fromm halten, ſo denken ſie nicht daran, ihr Herz zu beſſern. Und, weil ſie nicht daran denken, das Herz zu beſſern: ſo wird das Herz immer noch ſchlim⸗ mer; Stolz, Eigenliebe, Schadenfreude, Haͤrte gegen den Naͤchſten nehmen zu, und werden gebietender. Das heißt, das Kleid bekommt einen groͤßern Riß, weil auf dem ungebeſſerten Grunde des Herzens einige aͤußerliche Ans dachten aufgeflickt werden, das Herz aber ungebeſſert bleibt.
So, und noch ſchlimmer, gieng es ehemals vielen unter den Juden. — Sie beteten im Tempel und an den Ecken der Gaſſen, gaben Almoſen, faſteten, hielten ſtrenge auf's Geſetz. Indeß machten ſie ſich nichts dar⸗ aus, Jeſum zu laͤſtern, alles Gute an Ihm zu tadeln und zu verdammen, ſuchten nur ihre Ehre, fraßen die Haͤuſer der Wittwen, und hielten ſich deßungeacht fuͤr fromm. Aber ſie waren nicht fromm, nicht gluͤckſelig, denn ihr Herz war voll von Hochmuth, Ehrbegierde, Neid, Eigenſinn u. ſ. f.
Und auf dieſen alten, v verdorbenen Grund flickten ſie ihre phariſaͤiſche Scheinheiligkeit auf. Da gab es denn einen großen Riß, ſo daß Jeſus Chriſtus ſagen durfte: „Hurer und Ehebrecher werden eher in das Reich Got⸗ tes eingehen, als dieſe Heuchler,“ die für das, was ſie ſind, nicht wollten gehalten ſeyn, ſich Vieles auf das Flickwerk ihrer aͤußern Tugendlappen zu gut hielten, und keiner Beſſerung zu beduͤrfen glaubten. Deßwegen nannte ſie unſer Herr abgeweißte Graͤber — weil ſie den boͤſen, ſchwarzen Grund ihres Herzens mit den glaͤnzenden Far⸗ ben der aͤußern Andacht uͤbertuͤnchet hatten.
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Verſteht mich recht, meine Theuren! ihr muͤſſet deß⸗ halb das Aeußere nicht außer Acht laſſen. Auch das | Aeußere kann gut ſeyn, und iſt wirklich gut, wenn es aus einem guten Herzen kommt, wenn es nicht aufge⸗ heftet iſt, wenn es aus einem gebeſſerten Grunde hervor⸗ kommt. Das Gebet iſt gut, wenn das Herz empfindet, was der Mund ausſpricht. Das Faſten iſt gut, wenn das Herz gut iſt, wenn es die Abſicht hat, nur Gott zu gefallen. Das Almofengeben iſt gut, wenn das Herz gut iſt, wenn es die Linke nicht wiſſen laͤßt, was die Rechte thut. Das Kirchengehen iſt gut, wenn das Herz gut iſt, wenn ſich das Herz zu Gott erhebet, nicht bloß die Haͤnde.
Und eben dadurch, daß ohne Theilnahme des Her⸗ zens keine aͤußerliche Andachtsuͤbung gut ſeyn kann, daß ohne Beſſerung des Herzens, ohne Erneuerung des Sin⸗ nes keine Andachtsuͤbung ganz gut ſeyn kann, eben da⸗ durch lernen wir's erſt recht begreifen, wie nothwendig die Umſchaffung des Herzens ſey, um fromm und gluͤck⸗ ſelig zu werden.
Was daͤchtet ihr von dem Eigenthuͤmer eines Gar⸗ tens, der abgeſtandene Baͤume in ſeinem Garten duldete, und ihnen zur Herbſtzeit papierene oder gemalte Aepfel an die Aeſte aufheftete, um die Vorbeigehenden glauben zu machen, ſeine Baͤume waͤren gute, fruchtbare Baͤume? Was daͤchtet ihr erſt, wenn der Eigenthuͤmer es im Ernſte glaubte, und euch muͤhſam beweiſen ſollte: Dieſe ſeine Baͤume ſeyen gute, fruchtbare Baͤume?
Ihr koͤnntet ihn fuͤr nichts Anders anſehen, als fuͤr einen Thoren.
Dieſer Thor iſt jeder, welcher die Außern Andachts⸗ uͤbungen mitmacht, ohne ſich um ein neues Herz zu be⸗ kuͤmmern, und ſich deßhalb fuͤr fromm haͤlt, weil er die äußern Uebungen der Frömmigkeit mitmachet. — Nein, meine Theuren, es laͤßt fi 0 das Wort Jeſu nicht falſch machen:
„Wie der Baum, ſo die Frucht.“ 4*
Der Baum muß zuerſt geſund, gut werden: dann werden es auch die Fruͤchte ſeyn.
Der Baum iſt dein Herz, die Fruͤchte deine Gedan⸗ ken, Begierden, Handlungen, Andachtsuͤbungen.
Vom Herzen, ſagt unſer Lehrmeiſter, vom Her⸗ zen kommt das, was durch den Mund ausgeht, und dieß befleckt den Menſchen, vom Herzen kommen alle boͤſen Gedanken, Todtſchlaͤge, unreine Werke, Diebſtaͤhle, falſche Zeugniſſe, Gottes⸗ läſterungen. Dieß, dieß befleckt den Menſchen.
Wie das Herz, ſo der Menſch. Ein neuer Menſch, ein neues Herz.
Aus einer kothigen Quelle ſchoͤpft man kein reines Waſſer, und ein unreines, Gott nicht ergebenes Herz ver⸗ giftet alle Handlungen des Menſchen. Ein neues Herz, ein neuer Sinn, ein neuer Geiſt iſt alſo Hauptſache bei aller Tugend, und ohne dieſes neue Herz, ohne dieſen neuen Sinn, ohne den neuen Geiſt, giebt es nirgends einen gottgefaͤlligen Wandel, durchaus keine rechte Froͤmmigkeit, kein lebendiges Chriſtenthum, keine wahre Seligkeit.
3.
Wenn aber jeder eines neuen Herzens, eines neuen Sinnes bedarf, um fromm und gluͤckſelig zu werden: um wie viel mehr der Geiſtliche, der Seelſorger?
Ein Geiſtlicher ohne ein neues Herz, ohne neuen Sinn iſt ein Gemeinbrunnen ohne Waſſer. Aus ſeiner Quelle ſoll die ganze Gemeinde trinken, und dieſe Quelle iſt leer, ohne Waſſer. Wer an mich glaubt, aus deſſen Leibe werden ganze Ströme des lebens digen Waſſers hervorquellen. Wehe dem Lande, wo die, welche Stroͤme des lebendigen Waſſers ſeyn ſollten, ausgetrocknet, oder zu giftigen Suͤmpfen geworden ſind!
Ein Geiſtlicher ohne ein neues Herz, ohne neuen Sinn iſt eine Lampe ohne Oel und Flamme. Was nuͤtzt die Lampe im Hauſe, wenn fie nicht brennt und |
Licht verbreitet, damit Alle ſehen, die im Haufe find, Ihr ſeyd das Licht der Welt. Wehe uns, wenn die Lichter ausgebrannt ſind, und Stußerniffe anf den Leuchtern ſitzen!
Ein Geiſtlicher ohne ein neues Herz, ohne neuen
Sinn iſt ein Salz ohne Kraft, Schaͤrfe, Leben. Ihr ſeyd das Salz der Erde. Das Salz ſoll die Speiſe ſchmackhaft machen, ſoll das Fleiſch vor Faͤulniß bewahren. Wenn nun aber das Salz keine Schaͤrfe hat, womit wird man es ſcharf machen? Wenn der Geiſtliche, der alles Aergerniß aus der Gemeinde verbannen ſoll, der alle Faͤulniß in den geſunden Gliedern verhuͤten fol, dieſe Bewahrungskraft vor Verweſung nicht beſitzt, wer mag fie ihm geben ? Der Geiſtliche ohne ein neues Herz und neuen Sinn iſt ein Suͤemann ohne Samen, ſoll neuen Sinn ers wecken in ſeinen Zuhoͤrern, und hat ſelbſt keinen, ſoll goͤttliche Wahrheit an's Herz der Seinen legen, und hat ſelbſt keine empfundene, durch und durch gefuͤhlte, lebendige Wahrheit in ſich. Mit dem Himmelreich iſt es, wie mit einem Samen. Wehe dem Acker, der keinen Säes mann hat, oder einen ſolchen, der die Haͤnde muͤßig im Schooße haͤlt, und zu bequem zur Arbeit iſt!
Der Geiſtliche ſoll ſein Volk mit Wort und Beiſpiel zur Liebe Gottes uͤber Alles ermuntern: wenn er nun kein neues Herz, keinen neuen Sinn, keine allbeherrſchende Liebe Gottes im Herzen hat, wie wird er die Flamme in ſeinen Pflegeſoͤhnen entzuͤnden, davon er keinen Fun⸗ ken in ſich hat? Seine Predigt wird nicht viel mehr zu bedeuten haben, als das Klingklang einer Schelle, und das Getoͤſe eines ſchallenden Erzes.
Er ſoll im Beichtſtuhle den Suͤnder zum Vertrauen auf Jeſum Chriſtum, zur Buße, zur Sinnesaͤnderung, zur Liebe Gottes und des Naͤchſten erwecken: wie wird er aber einem Kalten das Herz warm machen, wenn das feine eiskalt iſt?
Er fol in der Kinderlehre neuen, gotigefälligen Kin⸗ derſinn in das Herz der Kleinen hineinlegen: wie wird er aber das, da er ſelbſt dieſen Sinn nicht hat?
zer,
Er fol am Altare für feine Gemeinde, für die ganze
Kirche, für alle Menſchen mit herzlichem Glauben und
gottbeſiegendem Zutrauen fuͤrbitten: wie wird er das ohne den neuen Geiſt der Liebe, der fremdes Elend fuͤr eigenes hält, und alle Laſten tragen hilft, oder wegheben kann? Er ſoll den Sterbenden bis an den Rand der Ewig⸗ keit begleiten, ſoll in ihm den todverachtenden Glauben an die Auferſtehung rege und feſt machen, ſoll ihn aus⸗ ruͤſten mit ausharrendem Muth, ſoll ihm die Schrecken des Todes in Reize zum Heimgange in das rechte Va⸗ terland verwandeln: wie kann er das, wenn ſein Herz ſelbſt noch an der Gegenwart haftet, wenn er ſelbſt noch keinen Sinn für das himmliſche Vaterland hat 2 | Er fol das lebendige Chriſtenthum mit Wort, Bei⸗ ſpiel und Kraft predigen: er ſoll Allen, die ihn kennen, ein Vorbild der Geduld, der Sanftmuth, der Nachgiebig⸗ keit, ein Vorbild der Selbſtverlaͤugnung und Ausdauer, ein Vorbild des Glaubens und der Liebe, ein Vorbild des untadelhaften Wandels werden: wenn er aber ſein Herz noch nicht gereiniget hat von Neid und Zankſucht, von Hochmuth und Eigenliebe, von Bitterkeit und Ueberdruß, wenn er den Sauerteig der herrſchenden Leidenſchaft, die alle Gedanken, Begierden, Handlungen, Geberden vergifr tet, noch im Herzen traͤgt, wenn er ſelbſt noch uͤberall den alten, ungebeſſerten Menſchen hervorblicken läßt, wenn er keine Spur ſehen laͤßt, daß er Jeſum Chriſtum ange⸗ zogen, wie wird er dieſen Jeſum Chriſtum mit Wort und Wandel predigen? 5 Wi. Er ſoll Rathgeber der Rathsbeduͤrftigen auf dem Wege des Heils werden; er ſoll die Kunſt lehren, die Sinnlichkeit durch Vernunft, und die Vernunft durch das hoͤhere Chriſtenthum in Ordnung zu bringen; ſoll die Spra⸗ che des heiligen Geiſtes von der Sprache der Einbildung, er ſoll die Regungen der Gnade von den Spielwerken der verfinſterten und in Lichtengelsgeſtalt gekleideten Vernunft unterſcheiden lehren: wie wird er aber das, wenn er ſelbſt noch ein Sklave der Sinnlichkeit, den goͤttlichen Frieden eines guten Gewiſſens noch nie verkoſtet hat, und ſich mehr von dem Schein als der Wahrheit, mehr
PT
von der ſinnlichen Luft als dem Triebe des heiligen Gets ſtes leiten laͤßt? Wahrhaftig, ohne neues Herz, ohne neuen Sinn laͤßt ſich kein Chriſtenthum, kein gottgefaͤllig Prieſterthum denken!
Und, o wie ſelten biſt du, neues Herz, neuer Sinn, neuer Geiſt, auch unter denen, die der Farbe und dem Zuſchnitte nach, zum Chore der Geiſtlichen ge⸗
oͤren! | Wie beſchaͤmt blicke ich von dem Bilde eines guten, wuͤrdigen Geiſtlichen auf mich zuruͤck und in mich hinein!
Was kann ich aber jetzt in dieſer Stunde, als bitten, bitten: Vater, ſende neuen Geiſt, ſende deinen heiligen Geiſt herab auf mich, ſende ihn herab auf Alle, die ſich . Ehriften, auf Alle, die ſich Prieſter nennen, ſende ihn
auf alle Menſchen herab, gieb uns ein neues Herz, einen neuen Sinn, wie Du es verheißen haft.
Sende den Geiſt deiner heiligen Apoſtel, Petrus und Paulus, herab.
So unzufrieden ich aber mit mir ſeyn muß, wenn ich denke, was ich bin, und was ich ſeyn ſoll, ſo er⸗ freuend iſt für mein Herz der Gedanke an den,) der heute dem Herrn ſein erſtes Opfer am Altare darbringt.
Er iſt ein Freund des Gebetes. Und dem, der darum bittet, giebt der Vater ja gerne ſeinen guten Geiſt.
Er iſt ein Freund der Selbſtverlaͤugnung. — Und dem, der ſeiner vergeſſen kann, um Gott anzuhaͤn⸗ gen, zu dem kommen der Vater und der Sohn, und ſchlagen Herberge bei ihm auf. |
Er iſt ein Freund der Arbeit, er wuchert mit ſeinem Talente — und dem, der da hat, und das braucht, was er hat, dem wird immer mehr gegeben.
Er hat eine Freude an Allem, was gut, edel, wahr und gottgefaͤllig if. — Und wer eine Freude an Allem hat, was von Gott kommt und zu Gott fuͤhrt, der wird in der Erkenntniß und Liebe Gottes immer wachſen, immer ſtaͤrker werden an Geiſt und Kraft.
) Capiſtran Weber, ein würdiger, des allgemeinen Zu: trauens würdiger Kaplan im Algaäu.
.
Er iſt ein Freund der Einſamkeit, des ſtil⸗ len Nachdenkens, des redlichen Selbſterfor⸗ ſchens. — Und wer gerne mit ſich, mit Gott und der Wahrheit uingeht, zu dem kommt die Weisheit und bleibt gerne bei ihm.
Er iſt ein Freund 980 Leſens uns Betrach⸗ tens in den heiligen und andern guten Schriften — und wer ſucht, der findet. 5
Er hat ein Herz ohne Neid und Fal ſch, iſt bruͤderlich geſinnt gegen Jedermann, und ſucht nicht ſeine Ehre, ſondern freuet ſich an der Wahrheit. — Und wo Friede und Freude iſt, da iſt der heilige Geiſt ſelbſt — oder kommt naͤchſtens nach.
Ich will nicht fortfahren, noch Mehreres, RN meis ner Ueberzeugung, von Ihnen zu fagen, mein Theurer! Ich will abbrechen, um Ihnen die Marter der Wahrheit und Demuth verkuͤndenden Schamroͤthe zu erſparen. — So viel mußte ich aber ſagen, um die Urfache anzuge⸗ ben, warum ich, im Eingange, der Kirche Gluͤck gewuͤn⸗ ſchet habe, daß ſie an Ihnen einen wuͤrdigen Geiſtlichen empfaͤngt.
So viel mußte ich jagen, um dem Drange meines Herzens genug zu thun. Denn nicht nur hab' ich Sie geliebet als einen der beſſern Schuͤler an unſrer Aka⸗ demie, ich hatte Achtung gegen Sie, eine Hochach⸗ tung, die ich Ihrem edlen, ungezwungenen, beſcheidenen Betragen ſchuldig zu ſeyn glaubte.
So fahren Sie denn fort, (dieß Wort der Liebe koͤn⸗ nen Sie meinem Herzen nicht verargen,) ſo fahren Sie denn fort, zur Vollkommenheit eines Prieſters immer maͤch⸗ tiger empor zu ſtreben — keinen Tag vorbeigehen zu laſſen, daß Sie ſich nicht am Abende dem Ziele naͤher gekommen fuͤhlen — immer an Reinigung des Herzens zu arbeiten, bis Chriſtus, das heißt, die reinſte Liebe Got⸗ tes und der Menſchen in Ihnen gebildet iſt — im Eifer zum Gebet und zur Selbſtverlaͤugnung immer neue Vor⸗ ſchritte zu thun, daß Sie das Vorbild aller Tugend, das Muſter aller Weisheit, das Beiſpiel alles Guten werden!
Und, wenn Sie am Altare Gottes ſtehen, fo fürs bitten Sie fuͤr uns Alle, daß wir neuen Geiſtes, neuen Herzens werden; ſo ſagen Sie: Jeſus Chriſtus, deſſen Tod ich feiere, und deſſen Leben ich verkuͤnde, deſſen Opfer ich erneue, ich laſſe Dich nicht, bis Du mir und allen Anweſenden einen neuen Sinn, ein neues Herz giebſt: ich laſſe Dich nicht, bis Du alle Gemuͤther derer, die Dich hier anbeten, weich macheſt und aufloͤſeſt zu Thränen der Reue über alle Suͤnden und Fehltritte, die wir dieſes vergangene Jahr begangen haben, bis Du alle Seelen weich macheſt zur gluͤhenden Empfindung des Dankes fuͤr alle die unzaͤhligen Wohlthaten, die uns in dieſem Jahre aus der immer gebenden Hand dei⸗ nes Vaters zugefloſſen ſind; bis Du alle Herzen neu macheſt, daß wir von nun an allen Gelegenheiten zur Suͤnde herzhaft aus dem Wege gehen, daß wir von nun an jeder feine Lieblingsleidenſchaft heldenmuͤthig bekaͤm⸗ pfen, daß wir von nun an in Geduld und Liebe, in Glauben und Vertrauen, in Arbeitſamkeit und Maͤßigkeit, fuͤr Himmel und Ewigkeit reichlich ausſaͤen: ich laſſe Dich nicht, bis Du den heutigen Tag zum Feſttag meiner lieben Eltern jenſeits des Grabes im Schooße Abrahams werden laͤſſeſt: ich laſſe Dich nicht, bis Du alle meine Wohlthaͤter, weß Standes und Namens ſie immer ſind, beſonders die betagte Wohlthaͤterin, die jetzt die Stelle der Eltern an mir vertritt, und den wuͤrdigen Seelſorger des Ortes mit deinem Segen kroͤneſt: ich laſſe Dich nicht, bis Du meinen Geſchwiſtern und Verwandten die Em⸗ pfindungen des lebendigen Glaubens und der thaͤtigen Liebe in ihr Herz legeſt — — ich laſſe Dich nicht, bis Du Dich desjenigen erbarmeſt, der heute von deinem, vor Jahrtauſenden gemachten, Verſprechen, uns ein neues Herz und einen neuen Geiſt zu geben, und von unſrer Pflicht, nach einem neuen Geiſte zu ringen, geprediget hat, und (darf ich es hoffen 2) nicht umſonſt geprediget hat. Amen.
predigten)
Gedächtnißtagen einer großen, glücklich überſtandenen Roth. AN,
VI.
Wie man den Jahrtag einer überſtandenen not, feiern ſolle.
Predigt, N am erſten Gedächtnißtage der großen Waſſernoth, gehalten in der Pfarrkirche zu en im Jahre 1785.
Trübſal gibt Verſtand. Das Andenken an eine große uͤberſtandene Noth iſt fuͤr
Jeden, der Theil daran genommen, und Errettung ge⸗ funden hat, erfreuend und lehrreich; und je groͤßer die
Noth, je drohender die Gefahr, je anhaltender die Angft, je wundervoller die Errettung, deſto erfreuender und lehr⸗ reicher muß auch das Andenken daran ſeyn.
Es kann alſo auch fuͤr uns die Erinnerung an die vor einem Jahre eingebrochene große Waſſernoth nicht anders als erfreuend und lehrreich ſeyn. Und ſo ſeyd ihr denn auch eurem treuen Hirten Dank ſchuldig, daß er ſich zu eurem Beſten auch in dieſer Hinſicht ſo thaͤtig
*) Der würdige Pfarrer zu Friſtingen, Carl Engelbert
Echerer, hat den Errettungstag ſeiner Gemeinde aus der |
Waſſerfluth, die im Jahre 1784 überall fo große Verwüſtun⸗ gen angerichtet, zu einem ewigen Feiertage gemacht. Dieß iſt der Anlaß nachſtehender Predigten.
} \ verwendet hat, um dieſes Andenken feierlich, und den Tag der Noth und der Errettung daraus auf ewige Zeiten unvergeßlich zu machen.
Ja, meine Theuren! es iſt Gottes Wille, daß wir den Jahrtag der Noth zu einem Feſttage der Freude, des Dankes, der allgemeinen Erbauung machen. Und ich glaube, es iſt wohl auch Gottes Wille, daß ſich die Em⸗ pfindungen meines Herzens heut vor euch ausgießen; weil ich hoffen kann, daß die Geſchichte der Waſſerfluth, die ich erzählen’ werde, einen beſonders ſtarken Eindruck auf euch machen werde.
Laßt uns alſo, um meinet- und um euretwillen, z u⸗ ruͤckſehen auf das, was wir vor einem Jahre um dieſe Zeit ausgeſtanden; laßt uns aufblicken zu dem, der jeden- Waffertropfen und das ganze Menſchengeſchlecht, jede Huͤtte und das ganze große Weltgebaͤude unter ſei⸗ ner Aufſicht hat; laßt uns hineinſehen in unſer Herz, ob die Tage der Truͤbſal an uns heilſam geworden ſeyen! ꝛc.
Mein Herz draͤnget mich, es eilet zur Hauptſache!
a 74 4 u Zuerſt: einen Blick zuruͤck auf die uͤberſtandene Non Waſſernoth.
Wenn ich euch werde erzaͤhlet haben, was mir vor einem Jahre, um dieſe Zeit begegnet iſt, da werdet ihr begreifen, wie ſehr ich an eurem Leiden Theil nehmen koͤnne.
Vor einem Jahre war Ingolſtadt noch mein Wohn⸗ ort; denn das werdet ihr ſchon an meiner Ausſprache wahrgenommen haben, daß ich kein geborner Landesmann der lieben Schwaben bin. Ingolſtadt war vor einem Jahre noch mein Wohnort, wo auch die Donau vorbei⸗ fließt, wie hier in der Nachbarſchaft. Zwoͤlf Tage, ehe die Waſſerfluth kam, war ich, Geſchaͤfte halber, in Augs⸗ burg, und weil mein Freund Winklhofer, damals Pfarr⸗ prediger bei St. Moriz zu Ingolſtadt, krank wurde, er⸗ ſuchte er mich durch einen Brief, daß ich, am naͤchſten Sonntage, ſtatt ſeiner predigen moͤchte. Ich fuhr alſo
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am Tage vor dem ſogenannten Faſtnachtsſonntage von Augsburg nach Ingolſtadt. Unterwegs, da ich bemerkte, daß der Schnee ſo tief war, daß die Pferde und Bauers⸗ leute nur muͤhſam fortkommen konnten; wie ich ſo nach⸗ dachte, was das fuͤr ein Jammer werden muͤßte, wenn der Schnee und das Eis ſchnell aufthauten — da ward mein Auge naß vor Wehmuth fuͤr meine nahen und fer⸗ nen Bruͤder — und ich faltete in dem Wagen die Haͤnde zu Gott: Er ſollte Vater ſeyn. Am Sonntage darauf predigte ich von den Ergoͤtzungen, und ſagte unter andern meinen lieben Zuhörern: „Seyd froͤhlich, aber ſparet einen Heller auf den Tag der Noth fuͤr euch und eure Bruͤder; vielleicht bricht in wenigen Tagen allgemeiner Jammer ein.“ — Dieß ging einigen meiner Zuhoͤrer tief zu Herzen, ſo viel ich bemerken konnte, beſonders da meine Warnung ein⸗ getroffen war. Indeß hatten die gewoͤhnlichen Luſtbar⸗ keiten ihren alten Gang. Acht Tage darauf, am erſten Faſtenſonntage, ſollte ich wieder predigen, und hatte mich, die Woche über, bereitet auf eine Predigt vom ch riſt⸗ lichen Faſten.
Eine Viertelſtunde vor der Predigt ging ich aus dem Hauſe, nach der Pfarrkirche, wo die Predigt ſollte ge⸗ halten werden, und ſieh! da war das Waſſer ſchon in der Stadt, war ſchon bei der Hauptwache; die Hälfte der Stadt ſtand im Waſſer. Mir vergingen alle Sinne, und ich wußte nicht, wie mir war. Da zog ein Pferd einen Strick nach, und am Strick hing ein Stuͤck Horn⸗ vieh, das bis an den Hals unter Waſſer war, und kam halbtodt an's Trockene; da fliegen die Bewohner des Hauſes durch die Fenſter in das Schiff, um ihr Leben zu retten. Alles jammerte, betete, arbeitete in banger Erwartung, was noch geſchehen werde. Jetzt ſollte ich die Predigt anfangen, und ich ſtand ſchon, das Chorkleid am Leibe, in der Sakriſtei, und wußte noch nicht, was ich predigen ſollte; denn, dachte ich — von der Faſten darfſt du nicht predigen; es haben die Leute ſo nichts zu eſſen. Auf einmal ſiel's mir ein: Predige von dem, was wir bei außerordentlichen Noͤthen denken,
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empfinden, thun ſollten. Und ſo trat ich auf die Kanzel. Meine Zuhoͤrer ſahen mir's wohl an, wie mir zu Herzen ſeyn mußte, da ich vor Mitleiden kaum den Mund oͤffnen konnte: ich ſagte alſo, was mir zu Sinn kam, a
daß man zu Gott aufſchauen folle;
daß man zu Ihm mit Vertrauen um Huͤlfe bitten folle; -
daß man die Kirche verlaffen ſolle, um den Elenden beizufpringen;
daß man mit Rath und That, und Geld und Mitleid helfen ſolle, wo man helfen kann;
daß man Niemand richten, Niemand die Schuld beilegen ſolle.
Und ſo ging ich wieder von der Kanzel herunter, und ſah mit zerriſſenem Herzen dem Schauſpiele des Jammers zu, weil ich vor Menge der Arbeiter nichts zu arbeiten hatte.
| Außer der Stadt, meine Theuren, wie ihr werdet in
den offentlichen Blaͤttern geleſen haben, war der Jammer noch groͤßer; die kleinen Haͤuſer ſtanden im Waſſer, daß nur das Dach hervorragte. Und was das Traurigſte war, man konnte den Huͤlferufenden nicht zu Huͤlfe kom⸗ men. Die Schiffer wagten's, konnten aber nicht durch⸗ dringen durch Eis und Fluth. Endlich weckte der gute Gott eine mitleidige Perſon auf — die nur zwanzig Gulden im Vorrath hatte. Geh', ſagte ihr das Mitleid, ſende dieſe zwanzig Gulden zum Buͤrgermeiſter, er ſolle ſie den Fiſchern verſprechen, wenn ſie's wagten, den Hun⸗ grigen Brod, Bier und Branntewein zu bringen. Ich ſandte das Geld dem Buͤrgermeiſter, und der edle, mit⸗ leidvolle Mann gab von ſeinem noch darauf, und die Fiſcher gingen, und kamen gluͤcklich zu den Doͤrfern, und machten die mitgebrachten Nahrungsmittel an den Ruder⸗ ſpitzen feſt, und reichten ſie den Elenden hinauf — da waren die guten Leute ſo froh, und benetzten das Brod mit Thraͤnen, und aßen es.
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Aber, was erzaͤhlt uns der Prediger, werden meine
Zuhoͤrer denken, auswaͤrtiges Elend, unſer Jammer lg
ja ſelbſt auf das Hoͤchſte.
Eben das (wollte ich noch ſagen, hoͤrt mir nur r mit Geduld zu), eben das erfuͤllte jeden Menſchen, der ein Herz im Leib hatte, mit ſo großem Mitleide, daß alle Tage von allen Seiten neue Nachrichten eintrafen, wie allgewaltig die Waſſernoth überall Verwuͤſtung anrichtete.
Es war ein herzzerſchneidender Gedanke: So viele
hunderttauſend Menſchen in Bayern, Shwas ben, Oeſterreich, Sachſen, im ganzen Deutſch⸗ land und außer Deutſchland ſind bedrängt, und ſeufzen zu Gott.
Unter andern ward uns denn auch von Friſtingen erzaͤhlt, wie am 26ſten Hornung um halb zwoͤlf Uhr zu Nachts das Waſſer wie der Dieb einbrach, und faſt ganze acht Tage Alles ungangbar machte.
O, M. Th. Z., wie kann ich mich der Thränen ent⸗ halten, wenn ich denke, vor einem Jahre um dieſe Zeit ſtandeſt du als Prediger zu Ingolſtadt, und ſpracheſt den Leuten Vertrauen ein zu dem, der das Waſſer in die Haͤuſer hereingetrieben — und heut nach einem Jahre
ſteheſt du hier in Friſtingen auf der Kanzel, und munterſt
deine Zuhoͤrer zur Dankbarkeit auf gegen den, der das Waſſer ſo gluͤcklich aus ihren Haͤuſern geſchafft!
Wie leichter iſt mir's heut um's Herz, ſo viel, ſo .
ſtark ich immer auch empfinde, als vor einem Jahre! — Wie leichter iſt es daran denken, daß das Waſſer da
war, als ſehen, wie es anſchwillt, wie es ſteigt, und Menſchen und Vieh den Untergang drohet. O, ich kann
mich ſo recht in eure Lage hineindenken — wie es euch
zu Herzen geweſen ſeyn muß, da ihr, von der nacheilen⸗ den Fluth gedraͤngt, mit Weib und Kindern, und Knech⸗ ten und Maͤgden unter die Daͤcher eurer Wohnungen hinaufziehen mußtet, und da vor Froſt erſtarret — nichts
zu eſſen, nichts zu trinken hattet; wie es euch zu Herzen geweſen ſeyn muß, da ihr zwei Tage umſonſt hinaus⸗
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ſahet, ob nicht die Fluth ſinke, ob nicht irgend ein Engel mit einem Schiffe und Brod und Trank daherkomme; wie es euch zu Herzen geweſen ſeyn muß, als ihr an euer Vieh dachtet, das indeß eine Beute der Fluthen ge⸗ worden, und dann wieder eure Kinder anblicktet, die Froſt und Hunger aufzuzehren drohten; wie euch zu Herzen geweſen ſeyn muß, da ihr am dritten Tage die Schiffe von ferne kommen ſahet — die die wohlthaͤtigen Nach⸗ barn (Gott vergelte es ihnen und ihren Kindern ewig⸗ lich!) unter Anleitung des thaͤtigen Hofraths Contamin, euch zugeſchickt, und euch dadurch an's Trockene bringen ließen; wie euch zu Herzen geweſen ſeyn muß, da ihr nach Holzheim, Weiſſingen und Epensburg gefuͤhrt — dem nahen Tod entriſſen, und von den menſchenfreund⸗ lichen Nachbarn mit warmer Speiſe wieder erquicket wur⸗ det! Ich kann mich ſo in die Lage hineindenken, wie dir — du wuͤrdiger Seelſorger und mein Freund in Jeſu Chriſto, zu Herzen war, da du die Noth deiner Gemeinde ſaheſt, und den Fluthen nicht gebieten konnteſt, ihre Haͤu⸗ ſer und ihr Vieh unberuͤhrt zu laſſen; wie du gebetet haben wirſt mit heißen Thraͤnen, mit kindlichem Vertrauen zum Himmel: 8 „Ach, Vater! laß keines von meiner Gemeinde zu Grunde gehen! Erhalt' die Leiber Aller, deren un⸗ ſterbliche Seelen Du mir anvertrauet haſt! Gebeut der Fluth, daß fie Keinem am Leibe ſchade!“
Und dieß Gebet ward erhoͤrt — — mit wie vieler Freude werdet ihr nach verlaufenem Waſſer einander an⸗ geblickt haben, daß ihr wieder geſund einander ſahet, und keines von Allen fehlte!! O, ja von ganzem Herzen kann ich mich in eure Lage hineindenken, wie es euch zu Herzen geweſen ſeyn muß, da ihr das erſtemal wieder den Fuß auf die trockene Muttererde ſetzen konntet, die Thuͤrſchwelle eures Hauſes wieder betreten konntet, die Stube und Kuͤche und Kammer reinigen konntet; wieder in eurem Hauſe arbeiten, eſſen, ſchlafen, beten konntet; wie es euch zu Herzen geweſen ſeyn muß, da ihr ſo wehemuͤthig die Hoͤhe betrachtet habt, die das Waſſer an
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euren Haͤuſern erreicht, und deren Spuren ich bei mer
nem Durchreiſen vor etlichen Monaten noch bemerkt habe; wie es euch zu Herzen geweſen ſeyn muß, da ihr das erſtemal wieder in der Pfarrkirche zuſammengekommen, und einmuͤthig mit Freuden - und Kummerthraͤnen dem lieben Gott gedanket habt, daß ihr das Leben gerettet und noch dazu eine Hochſchwangere ihr Kind unter dem Dache waͤhrend der Ueberſchwemmung glücklich geboren, welche beide, Mutter und Kind, noch dieſe Stunde le⸗ ben; wie es euch zu Herzen geweſen ſeyn muß, als ihr die fehlenden Stuͤcke Vieh zuſammengerechnet und gefun⸗
den habt, daß die Gemeinde in Allem dreihundert achtund⸗
ſechzig Stuͤcke verloren hatte; wie euch zu Herzen ge⸗ weſen ſeyn muß, da ihr von der Mildthaͤtigkeit unſers guten Fuͤrſten fuͤnfhundert Gulden zum Beſten der Ge⸗
meinde erhalten, nebſt der Erlaubniß, im Hochſtifte eine
Collekte zu machen!
Glaubet mir's, meine Zuhoͤrer! es kann mir nicht fremde ſeyn, wie vom erſten Augenblick an, da das Waf- ſer anlief, bis auf den Zeitpunkt, wo ihr wieder in euren Haͤuſern frei aus- und eingehen konntet, in eurem Inner⸗
ſten Schrecken auf Schrecken, Angſt auf Angſt, Furcht
auf Furcht, ſammt etwas Hoffnung und Dank und Freude werden gefolget ſeyn, und woran ich euch nicht erinnern kann, daran wird euch euer Herz am beſten erinnern koͤnnen. — Die Folgen dieſer Ueberſchwemmung werdet ihr noch lange nicht vergeſſen koͤnnen, wenn ihr auch wolltet. — —
Wozu aber hab' ich dieß trautige Andenken in euch zu erneuern geſucht? Waͤre es nicht beſſer geweſen, wenn
ich lieber davon geſchwiegen, als euch eine Wunde auf⸗
geriffen hätte, die noch nicht geheilet it? — Hab' ich
etwa Freude daran, daß am Jahrtage eurer Leiden neue
Thraͤnen von eurem Auge herunterfließen? — Wie koͤnnte ich das? — Es ſoll Alles, auch dieſes ſoll zu eurem Beſten ſeyn .. Ruhet nur ein wenig aus Ich f
will euch meine Abſicht gleich Mahr erklaͤren. Zweitens:
r ͤnn . -u a
Zweitens: wozu das Andenken an die uͤberſtandene Waſſernoth?
A.
Das Erſte, das euch beim Andenken an die uͤberſtan⸗ dene Waſſernoth zu Sinne kommen ſoll, iſt dieß:
„Es regieret alfo ein Gott im Himmel, durch den Alles geſchieht, was geſchieht. Er, der die Welt erſchaffen, hat vor einem Jahre dem Schnee und dem Eiſe befoh⸗ len: Werdet zu Waſſer, und uͤberſchwem⸗ met mir das Land, und bleibt ſo lange ſtehen in Friſtingen, und verſchlinget ſo viel Stuͤck Vieh, und ruͤhret keinen Men⸗ ſchen, nicht die Gebaͤrende, nicht Ven ling an!“
Und ſieh! Waſſer und Eis thauten auf, und kamen daher, und ſchwollen an, und ſtan⸗ den hoch in Häuſern, und verſchlangen die be⸗ ſtimmte Zahl von Vieh, und toͤdteten kein Menſchenleben.
Laßt uns niederfallen vor dem Allmaͤchtigen, dem Eis und Schnee und Fluth gehorcht! Laßt uns anbeten den Liebevollen, der unſer Leben nicht hingab den Fluthen! Laßt uns zittern vor dem Allerhoͤchſten, der winkt, und es geſchieht, der gebeut, und es ſteht da! Laßt uns dan⸗ ken und lobſingen dem guͤtigen Vater, der uns die Groͤße der Gefahr empfinden, aber in der Gefahr nicht umkom⸗ men ließ!
Wer das Waſſer bis uͤber die halbe Mauer aufſtei⸗ gen ließ, der haͤtte es auch bis an das Dach, der haͤtte es bis an die Spitze des Daches koͤnnen ſteigen laſſen; und wenn das geſchehen waͤre, wo waͤren wir? Ver⸗ ſchlungen von der Waſſerfluth, fortgeriſſen mit Truͤmmern und Vieh, und weiß aur in welchen Abgruͤnden begra⸗ ben waͤren wir!
Alſo nochmal, und ewig ſey's Dir gedankt, Vater der Menſchen, daß wir noch leben! Das Leben iſt dein J, M. v. Sailers ſaͤmmtl. Schriften. XXXV. Bd. 5
1
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hunderttauſendfaches Geſchenk, weil a es fo wunder; | voll uns gegeben, und ſo wundervoll erhalten haſt! |
B.
Aber, wie follen wir dem Guͤtigen unfere Dankbarkeit erweiſen? Dieß iſt das Zweite, was uns beim Andenken an die gluͤcklich uͤberſtandene Waſſer⸗ noth zu Sinn kommen ſoll.
Dadurch, daß wir Ihm unſer ganzes Leben — als ein wohlgefaͤllig Opfer weihen. Thun, was Gott will, das iſt der beſte Dank, den wir ſeiner Liebe bringen koͤnnen. Das iſt nicht der rechte Dank, wenn wir etwa mit dem Munde ſagen: „Herr, ich danke Dir,“ und mit Herz und That ſeinen Willen gering achten, ſein Gebot muthwillig uͤbertreten, mit Herz und 1 ſagen: „Herr, ich danke Dir nicht!“
Ihr wiſſet, daß Gott den gerechten Noah und ſeine Familie in einem großen Schiffkaſten vor der Suͤndfluth bewahret. Wenn nun Noah nach der Suͤndfluth die nämlichen Sünden begangen hätte, die Gott an dem uͤbrigen Menſchengeſchlechte gezuͤchtiget, waͤre dieß ein rechter Beweis ſeiner Dankbarkeit gegen ſeinen Erretter geweſen?
Ihr wiſſet, daß Gott den Lot aus Sodoma heraus. ziehen hieß, damit er nicht mit den Buͤrgern dieſer Stadt vom Feuers und Schwefelregen verzehret würde. Wenn nun Lot, nach Einaͤſcherung der Stadt Sodoma, die nämliche Suͤnde begangen haͤtte, die Gott an den Ein⸗ wohnern derſelben beſtraft hatte: waͤre dieſes ein rechter Beweis ſeiner Dankbarkeit gegen ſeinen Erretter geweſen?
Die Suͤnde meiden, koſte es, was es wolle, die Suͤnde meiden, die uns die liebſte iſt, die Suͤnde meiden, wozu wir am meiſten geneigt ſind, ſehet da die rechte Dankbarkeit Der Schoͤpfer gab euch die Glieder eures Leibes, Ihn damit zu verherrlichen; Er erhielt auch dieſe Glie⸗ der, daß ſie die Fluth nicht verſchlingen konnte: wollet ihr nun dieſe Glieder nehmen, und zu en der Suͤnde machen? |
Vielmehr fol euch das Andenken an die Waſſernoth in allen euren Verſuchungen, wie ein Schutzgeiſt, beiſtehen, daß ihr den Fuß nicht mehr aufhebet, die Wege der Suͤnde zu wandeln, die Haͤnde nicht mehr ausſtrecket, ſie mit Unrecht zu beflecken.
O Juͤngling, wenn es dir heiß wird in der Stunde der Verſuchung, und dir ſo vorkommt, als koͤnnteſt du unmoͤglich ohne Suͤnde leben, denke einen Augenblick zu⸗ ruͤck, wie dir da war, als die Wafferfluth allgemeinen Schrecken umher verbreitete, und wie dir einſt ſeyn wird, wenn der Herr kommt, nicht im Waſſergerichte, ſondern im Weltgerichte, zu ſcheiden die Schafe von den Boͤcken, zu ſondern den Weizen von dem Unkraut, ſelig zu ſpre⸗ chen, was des Seligſprechens werth iſt, zu verdammen, was ſich durch Erbarmung nicht beſſern ließ!
Sieh! wie die Waſſerfluth kam in der Mitternachts⸗ ſtunde, wie ein Dieb, unvermerkt: ſo wird der Sohn des Menſchen kommen zur Stunde, wo ihr's nicht glaubet, wie ein Dieb, und belohnen den treuen Knecht, der wach⸗ ſam blieb und ſeinen Willen that, und das Urtheil der Strafe ausſprechen uͤber den, der den Willen ſeines Herrn wußte und nicht that.
„Wie kann ich alſo Boͤſes thun im Angeſichte deß, der der Fluth winkt, und ſie kommt, der ſelbſt kom⸗ men wird in der ungeglaubten Stunde, und kom⸗ men wird, um das Gute vom Boͤſen zu ſcheiden?“
So wollen wir denken, wenn wir wieder zum Boͤſen ge⸗ reizt werden.
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„Was das Waſſer mit fortſchwemmen kann, oder was Diebe ſtehlen, was Motten freſſen, oder Flammen verzehren konnen, das iſt nicht werth, daß ein Menſch ſein Herz daran hänge.“ Das iſt das Dritte, was uns beim Andenken an die große Waſſernoth beifallen ſoll.
Alles, was irdiſch iſt, das iſt zu niedrig fuͤr einen unſterblichen Geiſt. Alles, was irdiſch iſt, iſt vergaͤng⸗ lich, und das Vergaͤngliche iſt nicht werth, der Schatz eines unvergaͤnglichen Geiſtes zu heißen.
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Iſt es denn nicht ein trauriger Anblick, zu ſehen, wie Menſchen fuͤr die Ewigkeit erſchaffen, ihr Herz an das Geld oder andere irdiſche Guͤter, womit ſich weder Gewiſſensruhe, noch irgend eine andere wahre Freude,
noch weniger eine ewige Freude kaufen laͤßt, hinhaͤngen; zu ſehen, wie die Leute (nach den Sitten der Stadt zu
reden, denn in Doͤrfern wird doch dieſer Satan noch nicht ſo viel Feld gewonnen haben?) ihrer innern Wuͤrde vergeſſen, wetteifern, einander an Kleidung, Farbe zu
uͤbertreffen, und ſich ſelbſt das Urtheil ſprechen, daß ſie
nichts Beſſers kennen? Ich ſage es noch einmal: Was das Waſſer
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wegſchwemmen kann, daran folk fih unſer
Herz nicht heften. D.
„Der vor einem Jahre die Waſſerfluth
uͤber uns kommen ließ, der kann ſie auch die⸗ ſes Jahr wieder kommen laſſen“: dieß iſt der vierte Gedanke, den uns das Andenken an die uͤberſtandene Waſſernoth an's Herz legen kann.
Gott! Eis und Schnee ſteht Dir auch dieſes Jahr zu Gebote, wie vor einem Jahre; Du biſt in dieſem Jahre der Herr aller Dinge, wie im vorigen; deinen
Wink verehret in dieſem Jahre die Natur, wie im vori⸗ gen; wie Du in vergangenen Zeiten den Suͤnder zuͤch⸗
tigen, und den Frommen durch Truͤbſal bewaͤhren konnteſt, ſo kannſt Du es auch in dieſen Zeiten.
Ja, Vater! Du kannſt väterlih zuͤchtigen, heut wie geſtern, in dieſem wie in dem vorigen Jahre. O, wenn wir dieß recht zu Herzen faßten, wie ſchnell muͤßte in uns ein kindlicher Schauer vor deiner Gerech⸗
tigkeit, und das noch kindlichere Zutrauen zu deiner Vater⸗
liebe rege werden!
Liebe Eltern! ich beſchwoͤre euch im Namen des
Herrn, nehmet eure Kinder, und zeiget ihnen an euren Haͤuſern die Spuren der Waſſerfluth — und ſaget ihnen: „Sieh, mein Kind! ſo hoch ſtieg im Jahre tauſend ſieben⸗
hundert vierundachtzig das Waſſer. Wenn uns der Herr
nicht guaͤdig geweſen waͤre, ſo waͤreſt du, mein Kind, und
deine Eltern nimmermehr! Gott iſt es, mein Kind, der dem Waſſer Befehl ertheilet, ſo hoch zu ſteigen, und nicht weiter. Dieſer Gott, mein Kind, iſt das maͤchtigſte We⸗ ſen! Ihm muß ſogar Waſſer und alle Welt gehorchen. Dieſen Gott, mein Kind, verehre als deinen hoͤchſten Herrn! Er ſey dir das Liebſte aus allem Lieben! Er hat dir das Leben durch deine Eltern geſchenket; Er hat dir dein Leben in der großen Noth erhalten. Dieſes Gottes Gebot uͤbertreten, ſey dir das größte Uebel aus allen Ue⸗ beln; Ihm undankbar ſeyn, ſey der ſchrecklichſte Undank. Er kann zuͤchtigen, wie kein anderer. Wen er aber ſchuͤtzet, der iſt geſchuͤtzet vor Waſſer, vor Feinden, und Allem, was uns ſchaden kann.“
Wenn die Waſſerfluth die Furcht Gottes der Friſtin⸗ ger Gemeinde tief in's Herz eingruͤbe, tief eingruͤbe den Kleinen und Großen, den Juͤnglingen und Jungfrauen, wie gefeguet wäre an euch und eurer Nachkommenſchaft die e
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Endlich: einen Blick in unſer Herz hinein.
Sind wir durch dieſe Truͤbſal, durch dieſe Waſſer⸗ noth beſſer geworden? Dieß iſt eine ſtrenge Frage, die uns das Andenken an das vergangene Elend an uns thun heißt.
Chriſten, Bruͤder, Schweſtern! vergeſſet einige Augen⸗ blicke alles Aeußerliche, und ſchauet in eure Herzen hin⸗ ein, und fraget euch vor Gott: „Bin ich ſeit der letzten Waſſernoth beſſer geworden? Bin ich fleißiger bei meiner Arbeit, als vorher? Bin ich demuͤthiger, ſtiller, gott vertrauender, zuͤchtiger, als vorher? Bin ich maͤßiger im Eſſen und Trinken, als vorher? Bin ich im Gebete eifriger, im Reden behut⸗ ſamer, als vorher? Bin ich ſanftmuͤthiger, liebes voller, dienſtfertiger, freundlicher, mitleidi— ger, nachbarlicher, neidloſer, als vorher?
Denket doch oft daran, wie ſich damals kein Gram, Verdruß, Argwohn in eurem Junern regte, als ihr das
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erſtemal einander wieder geſehen hattet; wie ihr Freude hattet, daß Alle mit dem Leben davon gekommen waren; denket, wie viele Vorſaͤtze ihr gemacht hattet, in Zukunft euer Leben zu beſſern, wie viele Geluͤbde ihr gethan — — — Und nun, wo ſind dieſe Vorſaͤtze, dieſe Geluͤbde? — — Vergeſſen find fie, unerfuͤllt geblieben find ſie — alle? Ihr werdet es am beſten wiſſen, ob alle heilige Entſchließungen fruchtlos geweſen ſeyen. Ich kann
es nicht glauben, einige ſind gewiß dankbarer gegen
den Schöpfer, liebreicher gegen ihren Naͤchſten, der muͤthiger und geduldiger geworden. Und die uͤb⸗ rigen wollen es auch werden. Es ſteht in ihren Ange⸗ ſichtern geſchrieben: Wir wollen Alle beſſer werden.
Schoͤpfer Himmels und der Erde, wir rufen Dich
zum Zeugen unſerer neuen Entſchließungen an: Wir
wollen Alle beſſer werden, zum Zeugen aller Ge⸗ ſinnungen, die Du in uns erneuert haſt — in dieſer heiligen Stunde.
Mit ganzem Herzen danken wir Dir, Vater der Menſchen, daß Du uns mit deinem wundervollen All machtsarm aus der großen Noth errettet haſt! Wir dan⸗ ken Dir auch fuͤr alles Widrige, das uns begegnet, weil Du es ſo gut mit uns gemeinet, und zu rechter Zeit deine Huͤlfe zu uns geſendet haſt.
Wir erkennen deine Oberherrſchaft im Himmel und auf Erden... Du biſt's, dem alle Fluͤſſe und Meere gehorchen. Was geſchieht, geſchieht durch Dich — ohne
Dich waͤre kein Tropfen Waſſer auf Erden. Du erhaͤltſt,
leiteſt und regiereſt alle Dinge.
Wir empfehlen deiner Vaterliebe alle wohlthaͤtige und mitleidige Seelen, die uns mit Schiff und Brod und Geld und Koſt in der Noth zu Huͤlfe gekommen ſind. Laß ſie erfahren, daß Du unendlich reicher biſt im Ver⸗ gelten, als ſie im Geben ſeyn koͤnnen; ſegne ihre Korn⸗ felder und ihre Wieſen mit deinem allmaͤchtigen Segen!
Wir geloben Dir auf's Neue, unſer ganzes Le⸗
ben deinem Dienſte zu weihen. So wollen wir die
Tage unſers Lebens zubringen, daß Jedermann, der auf unſern Wandel Acht hat, ſagen muß: „Dieſe Gemeinde
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iſt ſeit der letzten Waſſernoth unfträfliher in allem ihrem Thun, mitleidiger, freundlicher,
froͤmmer, chriſtlicher, gottgefälliger geworden.“
So wollen wir uns in Zukunft betragen, daß wir fuͤr Engel und Menſchen ein lieblich Schauſpiel werden, ein Schauſpiel der Unſchuld und Gottesfurcht, der Scham⸗ haftigkeit und Ehrbarkeit, der Naͤchſtenliebe und Sanft⸗ muth, der Maͤßigkeit und Geduld. J
So, daß, wenn Jeſus Chriſtus heut zu uns kaͤme, uns heimzuholen zu ſeinem Vater, Er uns bereit faͤnde, und wir wuͤrdig waͤren, die freundliche Stimme zu hoͤren: Kommet, ihr Geliebten, in das Reich meines Vaters, wo euch keine Krankheit, keine Armuth, keine Verleumdung, keine Bangigkeit, keine Waſſerfluth und keine Suͤnde mehr wird anruͤhren koͤnnen!
I)
VII. Dom Ws n
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gehalten in der Pfarrkirche zu Friſtingen, am Gedaͤchtnißtage der überſtandenen Waſſernoth, im 9 1788.
Alles Waſſer — — lobe den Herrn; denn Er ſprach, und es ward,
Er gebot, und es ſtand da. Viet rk Alles Waſſer lobe den Herrn: denn Er ſprach, und es ward; Er gebot, und es ſtand da. Dieſe Worte find aus dem Buche der Pſalmen — Pſalmen find Lieder, Geſaͤnge ..
Der Verfaſſer dieſes hundert acht und vierzigſten Pſalmes ladet die ganze Natur zum Lobe Gottes ein, unter Andern auch das Waſſer: Alles Waſſer lobe den Herrn.
Warum ladet er denn aber auch das Waſſer zum
Lobe Gottes ein? Er ſprach, und es ward; Er gebot, und es ſtand da.
Wie kann denn aber das Waſſer, ein unvernuͤnftiges Geſchoͤpf, den Schoͤpfer loben?
Dadurch, daß es uns vernuͤnftigen Geſchoͤpfen Ge⸗
legenheit giebt, den Schoͤpfer zu erkennen und zu loben.
Das Waſſer ſelbſt hat keinen Verſtand, keinen Willen,
keine Zunge, kann alſo ſeinen Schoͤpfer nicht erkennen, nicht lieben, nicht loben. — Aber wir ſollten durch die Betrachtung des Waſſers zur Erkenntniß, zur Liebe, zum Lobe des Schoͤpfers ermuntert werden.
Das Waſſer iſt ein Geſchoͤpf, das kein guter Menſch aufmerkſam betrachten kann, ohne zur Dankbarkeit gegen den Herrn aller Dinge angetrieben zu werden. Denn das Waſſer iſt eine Wohlthat fuͤr Alle.
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Das Waffer iſt für den Chriſten von einer beſon⸗ dern Seite lehrreich, weil es in ihm allerlei heilſame Be⸗ trachtungen erwecken kann.
Das Waſſer hat ſich beſonders bei dir, du liebe Friſtinger Gemeinde, unvergeßlich gemacht.
Alſo: eine Predigt vom Waſſer.
1. Was ein Menſch dabei denken kann.
2. Was ein Chriſt dabei denken ſoll.
3. Was ihr, meine lieben Zuhörer, heute dabei dem ken koͤnnet und ſollet. |
O, Du Geiſt Gottes, Ka} Dn bei der Schöpfung über dem Waſſer ſchwebteſt . Komm Du herab in
mein Herz und in die Herzen meiner Zuhoͤrer, und mache uns fruchtbar zu allen che Werken!
Das Waſſer, eine Wohlthat für alle Menſchen.
1. Das Waſſer in Fluͤſſen, Seen, Brunnen, Baͤchen ꝛc. iſt eine große Wohlthat des Schoͤpfers.
Die Fluͤſſe durchſtreichen die Erde, und vertheilen ſich, daß Menſch und Vieh genug zu trinken haben; dieſer Fluß geht durch dieſes Land, jener durch ein anderes — in unſerer Nachbarſchaft fließt die Donau vorbei. Gott ſprach zur Donau: Nimm du dieſen Weg, und ſie nahm ihn. Das erinnert an Gott. Jeder Waſſertropfen iſt ſeine Gabe.
Bei heißer Sommerarbeit, wenn der Schweiß von eurer Stirne troͤpfelt: wie angenehm iſt euch der Anblick des Knaben, der euch friſches Waſſer von der Quelle bringt? Was waͤre da alles Gold auf Erden, wenn uns das Waſſer mangelte, und wir vor Durſt verſchmach⸗ ten muͤßten?
Der fromme David fuͤhlte die große Wohlthat, daß das Waſſer ſeine Grenzen und ſeine Wege habe:
Das Waſſer ſtand hoch uͤber Bergen: Da floh's vor deinem Schelten,
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Und zitterte vor deiner Donnerſtimme.
Die Berge heben ſich, die Thaͤler ſinken.
Geſetzt haſt Du ein Ziel den Wellen,
Das ſie nicht uͤberſchreiten.
Du laͤſſeſt Quellen rinnen in den Thaͤlern:
Sie fließen zwiſchen Bergen hin,
Und traͤnken alles Thier des Feldes,
Und loͤſchen allem Wild den Durſt,
Die Voͤgel uͤber ihnen, ſingen aus dem Gezweig hervor. Pſalm X.
Wie ſchoͤn und anſchaulich geſagt! Als wenn David uͤberall dabei geweſen waͤre, wo die Fluͤſſe in Thaͤlern durchlaufen, und Hornvieh, und das Wild im Wald, und die Voͤgel ſich die Gelegenheit zu Nutze machen, und daraus trinken.
In hitzigen Krankheiten — oder auf Reiſen, oder ſonſt, wenn ihr Durſt habet, wie erquickt euch ein fri⸗ ſcher Trunk Waſſer? Habt ihr nie geleſen, wie Agar mit ihrem Kinde in der Wuͤſte bald verſchmachtet waͤre.
Aus Waſſer werden alle übrigen Getraͤnke bereitet — ſind aber theuer und gewoͤhnlich nicht ſo geſund: das Waſſer iſt der wohlfeilſte und geſundeſte Trank.
Wie ſind wir ſo ganz andere Leute, wenn wir uns in der Fruͤhe mit kaltem Waſſer gewaſchen haben!
Das Waſſer treibt auch unſere Muͤhlen, darin das Korn gemahlen wird, daraus man hernach das liebe Brod backet.
2. Das Waſſer, das im Regen auf die Erde fällt, iſt eine große Wohlthat des Schoͤpfers.
Alle Menſchen, wenn fie zuſammenhuͤlfen, koͤnnten kein Troͤpflein Regen herunterzwingen, wenn Gott es nicht herunterſendete; und kein Troͤpflein Regen aufhal⸗ ten, wenn's Gott nicht aufhielte. O der Regen, was fuͤr eine Gnade Gottes!
Der Regen macht euer Feld we ich, daß ihr's be⸗ arbeiten und beſaͤen koͤnnet.
Der Regen macht, daß eure Saat im Felde waͤchst.
Be.
Ohne Regen könnte kein Kraut, kein Gartengewaͤchs, keine Blume, keine Pflanze fortkommen.
Ohne Regen gaͤb's kein Brod, kein Obſt, keine Traube, kein Graͤslein, keine Viehweide.
Das hat der heilige David gar lebendig empfunden und beſchrieben:
Die Berge waͤſſerſt Du aus deiner Höhe,
Du ſchaffeſt Frucht, die fättiget das Land.
Du laͤſſeſt Gras dem Viehe wachſen,
Und Kraͤuter, die den Menſchen eee
Und Speiſe aus der Erde,
Und Wein, der froͤhlich macht des Menſchen Herz, Und Oel, das ſein Geſicht erheitert,
Und Brod, das ſtaͤrket ſeine Kraft. Pfalm CIV;
Wie faßlich! Wie ihr einen Blumenſtock begießet,
ſo begießet, waͤſſert Gott die ganze Erde, daß ſie frucht⸗ bar wird.
Und Pſalm LXVI:
Du ſucheſt heim die Erde, währe fie, Bereicherſt fie gar ſehr!
Voll Waſſer iſt das Bruͤnnlein Gottes, Du laͤſſeſt das Getreid gedeihen,
Weil Du die Erde wohl bereiteſt;
Du traͤnkeſt ihre Furchen,
Du feuchteſt das Gepfluͤgte,
Erquickeſt es mit Regenguß,
Du kroͤnſt das Jahr mit deinen Guͤtern, Dein Fußtritt triefet uͤberall vom Segen: Es werden fett die Auen in der Wuͤſte, Die Huͤgel huͤpfen auf vor Freude.
Die Anger ſind voll Schafe,
Und Kornfrucht huͤllt die Thaͤler ein, Und Alles jauchzet, Alles ſingt.
Gerade, als wenn Gott auf unſern Feldern umher⸗
gienge, und wo Er hintraͤte, Segen und Gedeihen zu⸗ ruͤckbliebe.
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Die Wohlthat des Regens fühlt man am beiten beim
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Ausbleiben deſſelben — wenn der Boden verdorrt, wenn das Vieh auf dem Feld um Regen bruͤllet, und der Wurm im Graſe nach Regen ſchmachtet, und die Blumen und
die Baͤume nach dem Regen een da eilt der Mane zum Gebete
Das Waſſer im Regen reiniget und erfriſchet die
Luft. Denket daran, wie es euch fo ſchwer wird, wenn
Donnerwetter daherkommen.... Ihr meinet, ihr koͤnnet
euch ſelbſt nicht ertragen: es iſt euch, wie ihr ſaget, als wenn Himmel und Erde auf euch laͤgen: da kommt auf einmal ein Regen, der ſchlaͤgt die Duͤnſte nieder, reiniget die Luft — erfrifchet die ganze Natur. — — Da athmen wir wie neugeboren.
3. Das Waſſer im Schnee, im i Thau iſt eine Wohlthat des Schoͤpfers.
Der Schnee iſt gleichſam das Winterkleid für die Saat, die Baͤume und alle Gewaͤchſe, und ſchuͤtzet ſie
vor year Wie wir im Winter doppelte Kleider anzie⸗
hen, ſo iſt der Schnee ein Doppelgewand der Erde. Wahrhaftig, das Waſſer, eine Wohlthat fuͤr alle
Menſchen! Jeder Tropfen, den wir trinken, der vom
Himmel faͤllt, der in Fluͤſſen vorbeifließt, den wir aus unſern Brunnen ſchoͤpfen, ruft uns zu: Der Herr hat mich zum Beſten der Menſchen geſchaffen.
Das Waffer, ein Lehrbild für alle Chriſten. 1. Das Waſſer iſt in der allgemeinen Suͤndfluth,
die das Suͤndergeſchlecht vertilgte, ein rechtes Lehrbild von der Gerechtigkeit, der Heiligkeit Gottes,
die die Suͤnde ſtrafet, und das Suͤndergeſchlecht von der
Erde vertilget. f
Als zu Zeiten des Patriarchen Noah die Menſchen nach Gott nichts mehr fragten, als ſie des frommen Mannes nur ſpotteten, als alles Fleiſch verdorben war, ſieh! da brachen auf alle Waſſerbehaͤlter droben, und alle
— 77 *
Waſſerbehaͤltet, alle Brunnquellen in der Erde, und es entſtand eine allgemeine Ueberſchwemmung, und waͤhrte vierzig Tage, und toͤdtete Menſchen und Thiere, die aus; genommen, welche in der Arche gerettet wurden. Es mußte die Erde gereiniget werden von Sünden, wegges ſchafft aller Wuſt; deßwegen heißt dieſe Fluth — die Suͤndfluth, weil ſie wegen der Suͤnde kam, und die Suͤnder wegſchwemmte. Da ſehet ihr den gerechten, den heiligen, allmaͤchtigen Gott, da ſehet ihr, wie das Waſſer ſeine Zuchtruthe werden mußte. Die Suͤndfluth ein Denk⸗ mal der Gerechtigkeit Gottes, der weiſen, heiligen, ge⸗ rechten Guͤte Gottes! |
2. Das Waſſer iſt im Regenbogen ein rechtes Denkbild von dem Bunde, den Gott mit dem Menſchen⸗ geſchlechte gemacht, die Erde nicht mehr mit ſo einem Waſſergerichte heimzuſuchen. |
Als Noah Gott, feinem Erhalter, einen Altar ers bauet hatte, und Ihm Dankopfer brachte, ſagte der gute Gott: Ich will den Menſchen nicht mehr zuͤchti⸗ gen wie heute, und machte einen ordentlichen Vertrag mit den Menſchen, daß Er die Erde mit keiner ſolchen Ueberſchwemmung mehr heimſuchen werde. — „Der Bo— gen in der Wolke ſoll das Zeichen des Bundes zwiſchen mir und euch ſeyn“ — ein Denkmal der Guͤte Gottes!
Dieſer Bogen iſt, wie die Gelehrten dafuͤr halten, und uns Ungelehrten erzaͤhlen, eine Sammlung von Waſſer⸗ tropfen in den Wolken, die als ſo viele Spiegel die Sonnenſtrahlen auffaſſen, und euch die ſchoͤnen Farben ſehen laſſen ... So oft ihr alſo in Zukunft einen Regenbogen ſehen koͤnnet, nehmt eure Kinder und Freunde mit euch, und betrachtet dieſes Bundeszeichen, und freuet euch der Guͤte Gottes — und ſprechet: Wir dienen einem gu⸗ ten Gott: mit Freude wollen wir Ihm dienen!
3. Das Waſſer iſt im Regen, der über die Gu⸗ ten und Boͤſen herunterfaͤllt, ein Bild der allgemeinen Liebe Gottes gegen alle Menſchen, der wir nachahmen, und Feinde wie Freunde von Herzen lieben ſollen.
„
Beim Regen ſoll uns einfallen die ſchoͤne Lehre Jeſu:
Seyd vollkommen, wie euer Vater im Himmel, der regnen läßt über Gute und Boͤſe —
Da ſollet ihr zu euch ſagen: |
Weil nun Gott regnen läßt über die Aecker meines Feindes — wie uͤber meinen Acker; weil Er gut iſt gegen uns beide, ſo will auch ich gut gegen ihn
ſeyn. Wenn der Herr gnaͤdig iſt, ſollen die Knechte gegen einander nicht ſtrenge ſeyn.
4. Das Waſſer iſt in der Taufe ein ſichtbares f
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Zeichen des unſichtbaren Beines, der uns reiniget von
der Suͤnde. Wie das Waſſer abwaͤſchet die Flecken des Leibes, fo der heilige Geiſt bei der Taufe die Flecken der Seele...
Alſo bedeutet das Waſſer kraͤftig, was der Geiſt Gottes
inwendig wirket.
Wie die Arche acht Menſchen rettete, ſo rettet, nach der Lehre Petri, die Taufe die Auserwaͤhlten aus dem
Menſchengeſchlechte vom Verderben.
5. Das Waſſer erinnert uns auch an die Beloh⸗
nung der Barmherzigkeit: Wenn ihr einem aus mei⸗ nen Mindeſten, in meinem Namen, einen Trunk friſches Waſſer reichet, ſo wird es euch nicht unvergolten bleiben.
Das Waſſer, | ein beſonders Denkzeichen für die liebe Friſtinger Gemeinde.
Die Waſſerfluth 1784, das Waſſer, iſt für euch:
1. Ein Denkzeichen der Noth, die ihr uͤberſtanden.
Es war eine große Noth: es ging euch an das Leben — N
Es war eine Noth, davon eure Kindeskinder noch er⸗
zaͤhlen werden — Und nach uͤberſtandener Noth iſt das Andenken ſuͤße.
— PETE 79 1
2. Ein Denkzeichen der Allmacht Gottes, die ihr Anfangs in Furcht und Zittern erfahren, und am Ende mit Dank angebetet habt. Denn Gott war es, der den Waſſern befahl: Tretet aus, uͤberſchwemmet die⸗ ſes Dorf — und bringt Schrecken unter die Leute, daß ſie nach mir fragen. Er war's, der den Waſſern be⸗ fahl: Tretet ab, zieht euch zuruͤck: denn ich habe die Thraͤnengebete meiner Kinder erhoͤrt.
3. Ein Denkzeichen der Gedanken und Empfin⸗ dungen, die ihr durch ein Dankfeſt erneuern und ver⸗ ewigen wolltet.
Dieſe Gedanken und Empfindungen ſollet ihr beſon⸗ ders heute, am Gedaͤchtnißtage eures Jammers, erneuern, und mit vielen ganz neuen vermehren.
Ich will es euch kurz ſagen, welche Gedanken und Empfindungen euch heute beleben ſollten.
Erſtens: Das Gefuͤhl des Dankes. Gott war's, der uns errettet: Ihm ſey Dank! — — — Die Dank⸗ begierde verſammelt euch hier, hat diesen Feſttag ange⸗ ordnet, Betſtunden feſtgeſetzt —
Die Dankbegierde macht euch heute ſo aufmerkſam in der Predigt, und ſo andachtsvoll beim Genuſſe des Abendmahls.
Zweitens: Der Gedanke, der euer Innerſtes ſcharf pruͤfet:
Hab' ich mich im Ernſte gebeſſert, wie ich mir's vor⸗ nahm ?
Bin ich ſeit dieſen Jahren ſchlimmer oder beſſer geworden?
Denk ich oͤfter an Gott, als vorher?
Kann ich mich im Gebete leichter verſammeln, als vorher?
Kann ich meine Verſuchungen leichter uͤberwinden, als vorher? |
Liebe ich Gott mehr, als vorher, den Naͤchſten mehr, als vorher 2
Iſt meine Kinderzucht gottgefälliger, mein Haus⸗ weſen ordentlicher?
Drittens: Das Gefühl des eigenen eg | thes und das Befenntniß: f
„Herr! ich bin ein undankbares Geſchoͤpf . weil ſtens nicht ſo dankbar, wie ich haͤtte ſeyn ſollen.“
Verberget euch vor euch ſelbſt nicht: faget es geräte heraus, wie es iſt.
Viertens: Die Empfindung der Reue:
„Ich bin nicht werth, meine Augen zu Dir zu er⸗ heben.“ „Ich haͤtte es wohl verdient, daß Du, guter Gott, deine vaͤterliche Zuchtruthe wieder ergriffen — mich wieder mit deinem Gerichte heimgeſucht haͤtteſt. Ich bin noch ſo irdiſch, wie vorher, noch ſo traͤge im Guten, wie vorher.“
Fuͤnftens: Der lebendige Vorſatz: |
„Ich will dankbar ſeyn — l will die Suͤnde meiden, die fuͤr mich die reizendſte iſt; will das Leiden ertragen, das mir das ſchwerſte iſt; will die Gelegenheit meiden, die mir die gefährlichite
geworden — — — Lege jeder feinen Vorſatz auf den Altar.
Letztens: Ein Gebet aus dem Grunde der Seele:
„Herr! hilf mir meinen ſchwachen Vorſatz erfuͤllen. Denn ohne deine Huͤlfe iſt alle Aae nur ein Beweis meiner e 174
Vom
VIII.
vom Gebete und vom Nachdenken über die Wohlthätigkeit der Leiden.
P aa. gehalten in der Pfarrkirche zu Friſtingen im Jahre 1789, am
Gedaͤchtnißtage der überftandenen Waſſernoth des Jahres 1784.
Wie die nichts haben, und Alles beſitzen. 2 Kor. VI.
„Bis hieher und nicht weiter“,
ſprach in dieſem Jahre 1789 Gott zu der Fluth — und das Waſſer wagte es nicht, höher anzuſchwellen.
Wir wollen unſern Gott loben, daß Er uns dieſes Jahr vor Waſſernoth bewahret!
Wir wollen unſerm Gott danken, daß Er uns im Jahre 1784 aus der großen Waſſernoth errettet hat!
Wir wollen unſern Gott bitten, daß Er uns in Zukunft vor dieſen und aͤhnlichen Noͤthen bewahren oder daraus erretten wolle!
Aber nicht nur loben, danken, anflehen wollen wir unſern Gott, wir wollen auch nachdenken — — und nachdenken uͤber die Wohlthaten, die uns durch Leiden werden, und nachdenken uͤber die Wohlthat, daß wir in Leiden und durch Leiden die zeitlichen Guͤter rich⸗ tig kennen, maͤßig verlangen, wohl gebrauchen, und mu⸗ thig entbehren lernen.
Vom Erſtern werde ich ſehr We vom Zweiten etwas mehr ſagen. |
J. M. v. Saiters ſaͤmmtl. Schriften. XXXV. Bd. 6
= 82 2
1 * Laßt uns Gott loben, Gott danken, Gott bitten!
Denn Er iſt der Schoͤpfer aller Dinge: ohne Ihn kein
Himmel und keine Erde, kein Thier und kein Menſch, kein
Stern und keine Pflanze, kein Licht und keine Luft, kein
Waſſer und kein Feuer. Er ſprach's und es ward. Laßt uns Gott loben, Gott danken, Gott bitten. Denn Er iſt der Herr aller Dinge. Wider ſeinen ge⸗ bietenden Willen faͤllt keine Schneeflocke auf Erden, bil⸗ det ſich kein Eis im Waſſer, thaut kein Eis auf; Er hat die Wafferbäche in feiner Hand, und leitet fie. Laßt uns Gott loben, Gott danken, Gott bitten! Denn er iſt der Vater der Menſchen, ſorgt in der Regierung der Welt ſonderlich fuͤr ſeine Menſchen,
kennt alle Welttheile, und in jedem Welttheile alle
Volker, und in jedem Volke alle Staͤdte und Doͤrfer, und in jeder Stadt und jedem Dorfe alle einzelne Be⸗ wohner derſelben; kennt euch und mich; und ſorgt für jeden wie fir Alle, und für Alle wie für jeden.
Ihm, als Schöpfer, Herrn und Vater der Menfchen, gebührt alle Lobpreiſung! Ihm beugen ſich alle Kniee! Ihm falten ſich alle Haͤnde! zu Ihm erheben ſich alle Herzen! auf Ihn ſchauen alle Augen!
Ihm gebuͤhret aller Dank: Er giebt Gutes, und
ſchafft auch aus Boͤſem Gutes; Er wendet Gefahr ab, und ſchuͤtzet in Gefahren; Er bewahret uns wie ſeinen Augapfel, und liebet uns wie ſeine Kinder.
Ihm gebuͤhret alles Bitten, alles Vertrauen. Er wird auch in Zukunft unſer Vater ſeyn, auch in Zukunft das Körnlein bewahren in der Erde, und ſegnen, daß es Brod bringe fuͤr uns, auch in Zukunft Fruͤh⸗ und Spätregen zu rechter Zeit ſenden, auch in Zukunft unſer Schutz und unſere Huͤlfe ſeyn.
Voll von dieſem Lobpreiſen und Danken und Bitten war das Herz und der Mund aller wahren Gottes verehrer
zu allen Zeiten. Sie empfanden und ſagten, was einen
aus ihnen ſang: Ihn loben Sonne und Mond, und alle Sterne und Lichter ſeiner Burg; Ihn
1
5 —
loben aller Himmel Himmel, und alles Waſ⸗ ſer droben! — — Ihn lobe Alles auf der Erde, und was im Meere lebt, und alle Tiefen lo⸗ ben Ihn! Ihn lobe Feuer, Schnee und Eis und des Sturmwindes Hauch, der feinen Wil⸗ len thut.
Ihn loben Berg' und alle Huͤgel, und Frucht⸗ baͤume und alle Cedern, und alles Wild und zahmes Thier, und alle Wuͤrmer, und was in Luͤften fleugt. Pf. CXLVIII.
Zu den Empfindungen des Lobes, Dankes, Bittens werden wir noch mehr ermuntert, wenn wir unſere Ohn⸗ macht betrachten, daß wir nicht im Stande waͤren, ohne Gottes allmaͤchtige Huͤlfe Brod zu ſchaffen, oder die anſchwellende Fluth abzutreiben, oder auch nur einen Finger unſerer Hand zu bewegen. |
Mit dieſen Empfindungen, die in uns nie kalt wer⸗ den, wenigſtens nie ſterben ſollten, wollen wir nun auch verbinden 9
a
Das Nachdenken uͤber eine große Wohlthat aus den Leiden dieſes Lebens, in Abſicht ei die . 5 lichen Guͤter.
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Sie lehren uns:
Erſtens richtig kennen, was die zeitlichen Guͤter ſeyen. Die Leiden uͤberzeugen uns 1), daß die zeitlichen Güter zeitlich find, nur eine Zeit dauern, vergaͤng⸗
lich ſind, alſo nicht werth, daß wir unſer Herz Baron hängen.
Geſundheit iſt ein zeitlich Gut: das a wir nie beſſer ein, als in kranken Tagen. Wann das Gut dahin iſt, dann braucht es keines Beweiſes mehr, daß es hinfällig geweſen. Wenn irgend etwas zerbrochen iſt, dann kann man nimmer zweifeln, daß es zerbrechlich geweſen iſt.
6 *
—
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Ehre, Beliebtſeyn bei Menſchen, gelobt werden, viel gelten bei ſeines Gleichen iſt ein zeitlich Gut: das ſehen wir nie beſſer ein, als in den Tagen des oͤffent⸗ lichen Tadels. Wenn die Menfchen Boͤſes von uns ſagen, dann iſt's ſehr begreiflich, daß es um Menſchen⸗ lob kein dauerhaftes, feſtes Ding ſey. Wenn der Wind in die Blätter am Baume ſauſet, und Aeſte bricht: fo koͤnnen wir nicht mehr zweifeln, daß es um die Stille etwas Vergaͤngliches ſey. Wenn der Eisſtoß die Bruͤcke mit ſich fortreißt, ſo traut ſich Niemand zu ſagen: Die Bruͤcke iſt unzerſtoͤrlich. Denn unſere Augen ſehen die Truͤmmer davon mit dem Strome fortſchwimmen. So
mit allen zeitlichen Guͤtern: wenn wir ſie verloren haben,
dann fuͤhlen wir's, daß ſie zeitliche Guͤter geweſen.
Die Leiden uͤberzeugen uns 2), daß die zeitlichen Güter unſer Herz nicht fättigen koͤnnen, alſo nicht werth ſind, daß wir unſer Herz daran haͤngen.
Salomo hatte zeitliche Guͤter, ſo viel wir kaum den⸗ ken koͤnnen; hatte Pallaͤſte und Gaͤrten, hatte Gold und Silber, hatte prächtige Tafeln und Kleider, hatte Wiſ⸗ ſenſchaft und Ehre, hatte Alles, was ſeine fuͤnf Sinne begehren konnten, und dennoch mußte eben dieſer Salo⸗ mo ausrufen: Alles iſt eitel, Alles unzulaͤnglich, das Herz des Menſchen zu befriedigen.
Wenn nun die zeitlichen Freuden, die ſich ein Koͤnig, und ein ſolcher Koͤnig ſchaffen kann, das Herz des Menſchen nicht befriedigen koͤnnen, wie moͤgen wir glauben, daß die zeitlichen Guͤter, die wir geringe Men⸗ ſchen uns ſchaffen koͤnnen, unſer Herz werden ſaͤttigen koͤnnen?
Aber das glauben wir doch, ſo lange wir im Ge⸗ nuſſe der ſinnlichen Freude ſind; es muß uns der Genuß verbittert werden, damit wir's empfinden, daß die Freu⸗ den dieſer Erde zu klein ſeyen — fuͤr unſer Herz. Kin⸗ der, die ſich nicht ſo leicht von der Muttermilch entwoͤh⸗ nen laſſen, werden durch Wermuth entwoͤhnt. So iſt in die zeitliche Guͤter Wermuth, Bitterkeit geleget, damit wir durch Erfahrung moͤchten kennen lernen, Rap fie unſer Herz nicht ſaͤttigen koͤnnen.
A:
Die Leiden überzeugen uns 3), daß die zeitlichen Guͤter den Mangel an gutem Gewiſſen, an innerer Ruhe, an frohem Muthe nicht erſetzen koͤnnen.
Wer das Geld lieb hat, waͤhnt, was fuͤr ein groß Gut er am Gelde habe: aber, wenn ihn die Suͤnden, die er begangen, aͤngſtigen; wenn er zittert vor dem nahen Tode: ſo mag er ſich mit allem Gelde die Ge— wiſſensruhe nicht kaufen, und mit Geld beſtechen läßt ſich der Tod auch nicht, und den Schrecken vor ihm kann kein Reichthum mildern.
Die Leiden uͤberzeugen uns alſo 4), daß die keillchen Guͤter nicht die rechten Guͤter des Menſchen ſind. Denn ſie machen es uns fuͤhlbar, daß ſie zeitlich ſind; das Herz des Menſchen nicht fättigen, und Gewiſſens⸗ ruhe und frohen Muth nicht geben koͤnnen.
Die Leiden uͤberzeugen uns 5), daß die zeitlichen Guͤter dennoch Geſchenke Gottes ſind. Denn wir koͤnnten ſie uns mit all unſern Arbeiten, Sorgen nicht erwerben, wenn Gott ſeinen allmaͤchtigen Segen nicht dazu gäbe, wie wir es am beſten beim Verluſte derſel⸗ ben wahrnehmen, indem wir mit all unſern Arbeiten, Sor⸗
gen dem Verluſt nicht wehren konnten. i
Sie lehren uns: Zweitens die zeitlichen Güter mäßig verlangen, und nur auf erlaubten Wegen ſuchen.
Die meiſten Menſchen laufen ſich muͤde, um etwas Vermoͤgen, Ehre, Anſehen, Macht, Wohlſeyn zu erobern; ſie ſtehen mit dieſen Gedanken auf, und legen ſich mit dieſen Gedanken zu Bette; ſie gehen mit dieſen Gedanken zur Arbeit und zur Ruhe, zu dem Tiſche und in die Kirche. Einer will es dem Andern bevorthun; Einer will beſſer eſſen, trinken, ſich beſſer kleiden, als der Andere.
Das heißt: Die Begierde nach zeitlichen Guͤtern iſt bei den meiſten unmäßig, und bei vielen wird, wie Paulus ſagt, die Begierde nach Reichthum eine Wur⸗ zel der Suͤnden, ein Fallſtrick des Gewiſſens.
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Was ſoll nun die Menſchen von dieſer Thorheit zu⸗ ruͤckbringen? Das Wort Gottes. Allein, man laͤſſet ja ſelbſt das Wort Gottes — Wort Gottes ſeyn, und thut, was den Sinnen angenehm iſt. Und ſelbſt das Wort Gottes lernt man gar oft erſt in den Leiden recht verſtehen. Paulus mag ſich heiſer ſchreien: Wir ſollen zufrieden ſeyn, wenn wir Decke und Koſt 3 Aber, wer iſt damit zufrieden ?
Nichts, nichts kann unſere Begierde nach zeitlichen Guͤ⸗ tern fo ſehr mäßigen, als Leiden, Schmerzen, Trübfale.
Wenn wir in Einer Nacht verlieren, was wir fo viele Jahre geſammelt haben: dann mag es uns ein⸗ fallen: „Sieh, wozu all dieſes Dichten und Trachten nach zeitlichen Gütern: was der Roſt freſſen kann, was die Flamme verzehren kann, was der Dieb rauben kann, das iſt ein ſchlechter Schatz fuͤr dich.“
Wenn es dem ungerechten Beſitzer immer wohl gienge: ſo wuͤrde er ſelten daran denken, daß er Unrecht gethan: aber, wenn Armuth oder Schande oder ein anderes Elend uͤber ihn kommt, da fragt er nach dem Herrn, wagt es nicht mehr, ſeine Haͤnde auszuſtrecken nach dem unrechten Gut. Er fuͤrchtet die Zuchtruthe Gottes.
Eben daraus, daß die zeitlichen Guͤter zeitlich ſind,
machen wir in der Stunde des Leidens den Schluß, daß ſie nur maͤßig verlangt werden ſollen. Eben daraus, daß ſie nicht die rechten Guͤter des Menſchen ſind, machen wir den Schluß, daß wir ſie nicht zum Nachtheile der rechten Guͤter des Menſchen begehren oder ſuchen duͤrfen.
Da faͤllt uns ein, was Jeſus ec Suchet zu⸗ erſt das Reich Gottes.
Die Leiden lehren uns die zeitlichen Guͤter:
Drittens wohl gebrauchen, wie wir al ge⸗ brauchen ſollten.
„Wie ſollten wir denn die zeitlichen Sine gebrau⸗ chen?“
* 1
Brauchet die Welt, als wenn ihr ſie nicht brauchtet, { fagt der Apoftel; und ich möchte ſagen: Brauchet die zeitlichen Guͤter, als wenn he fie nicht brauchtet.
O, wenn ich dieſe Lehre mir und euch recht klar und wichtig machen koͤnnte! ;
Es iſt offenbar, daß die Menſchen die zeitlichen Guͤ⸗ ter nicht ſo gebrauchen, wie ſie ſollten. Denn, wenn die Menſchen die zeitlichen Guͤter ſo gebrauchten, ſo wuͤrde es keine Feindſchaften, keine Prozeſſe, keine Kriege wegen der zeitlichen Guͤter geben. Es haͤngt aber unſer Herz daran, wie man im Spruͤchworte ſagt, darum blu⸗ tet es, wenn man uns irgend ein Gut nimmt, oder ein gehofftes nicht zukommen laͤßt.
Es iſt offenbar, daß die Menſchen die zeitlichen Guͤ⸗ ter ſo brauchen ſollten, als wenn ſie ſie nicht gebrauch⸗ ten. Denn wir ſind ja nicht da, um zu eſſen und um zu trinken, um Geld zu ſammeln und dann zu ſterben.
Es iſt offenbar, daß, wenn die Menſchen die irdi⸗ ſchen Güter fo gebrauchten, als wenn fie ſie nicht ges brauchten: ſo wuͤrde weniger Elend und mehr Freude auf Erden ſeyn.
Der Reiſende, der bald daheim ſeyn moͤchte, und ſeines Zweckes nie vergißt, haͤlt ſich unterwegs nur ſo lange auf, als er's zur Erholung noͤthig hat. Er ver⸗ weilet nicht bei Blumen — er reiſet. So ſollten wir die irdiſchen Guͤter nicht betrachten als unſer Paradies, ſondern uns nur ſo lange dabei aufhalten, als wir's noͤthig haben, um Kraͤfte zu e fernern Reiſe zu ſammeln.
Die zeitlichen Güter bramchen,, als wenn wir fie nicht brauchten, heißt ſie brauchen, aber ohne ſich darein zu verlieben; brauchen, aber ohne ſich darauf etwas einzubilden; brauchen, aber ohne gleichſam den Him⸗ mel darin zu ſuchen; brauchen, aber ohne das Beſſere, das Ewige zu verſaͤumen; brauchen, aber ohne zu ver⸗ geſſen, daß fie zeitlich und niedrig und unkraͤftig find, unſer Herz zu befriedigen.
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So brauchten die Frommen aller Zeiten das, was man zeitlich Gut nennt. Sie aßen und tranken auch — ſie kleideten ſich auch, ſie arbeiteten auch, um Brod zu gewinnen. — Aber ihr Herz war nicht an Speiſe und Trank und Kleidung und Arbeit geheftet: ſie kannten etwas Beſſeres, und ſuchten es, und freuten ſich in Hoffnung des Beſſern. i
Dieſen Gebrauch lernen wir in Leiden — wenn wir die irdiſchen Guͤter entweder nicht in dem Maaße erlan⸗ gen, in dem wir ſie ſuchen, oder die erlangten verlieren, oder in denſelben nicht den Troſt finden, den wir darin geſucht, oder um ihretwillen viel Bitteres zu leiden ha⸗ ben: dann erwachen wir aus dem Schlaf, und fuͤhlen, daß zeitlich zeitlich iſt, und achten gering, was ſo geringe iſt, und brauchen das Brauchbare nur, als wenn wir's nicht gebrauchten.
Und das iſt rechtes Chriſtenthum: Vergaͤngliches nur zur Nothdurft brauchen, das Uebrige gerne entbehren, und dafuͤr das Unvergaͤngliche uͤber Alles lieb haben.
Erhebet eure Augen dorthin, wo Chriſtus iſt: da ſind beſſere, ewige Schaͤtze fuͤr euch hinterlegt. Deßhalb wird uns auch ſo manches zeitliche Gut entzogen, damit wir uns um ein bleibendes, ewiges umſehen ſollten. Sie, die Leiden, lehren uns endlich den Verluſt zeit⸗ licher Guͤter geduldig tragen, und nach beſſern Guͤtern mit neuen Kraͤften ſtreben. Sie lehren uns mit Paulus, nichts haben und Alles beſitzen.
Nichts, was die Anhaͤnglichkeit an die zeitlichen Güter, Alles, was das Streben nach den himmliſchen betrifft.
Die Noth, die Noth, der Mangel macht gute Men⸗ ſchen. Die Noth lehret das Vergaͤngliche entbehren, und das Unvergängliche fuhen.
Unfähig, im Irdiſchen Ruhe zu finden, ſuchen wir ſie im Himmliſchen; uͤberzeugt von dem Nichts, das an zeitlichen Guͤtern fruͤh oder ſpaͤt doch ſichtbar wird, uͤber⸗ zeugt von dem Allerfreuenden, das dem un vergaͤng⸗ lichen Gut eigen iſt, lernen wir jenes fuͤr nichts, und dieſes fuͤr Alles, fuͤr Hauptſache achten.
Liebe Freunde! wir nehmen doch nichts von allem dem Zeitlichen mit aus der Welt, haben auch nichts her⸗ eingebracht: was wollen wir unſere Seele daran binden? Es verlaͤßt uns doch alles Zeitliche: was wollen wir uns ſo feſt daran klammern? |
= » =
Wenn meine Zuhörer meiner Predigt nicht glauben, fo werden fie jener Predigt gewiß glauben, die die Leis den ihnen einſt halten werden, und das iſt eben ein neuer Beweis von der Wahrheit deſſen, was ich ſage, naͤmlich: daß durch das Wort eines Menſchen nicht ge⸗ lehret, wenigſtens nicht nachdruckſam genug gelehret werden kann, was die Leiden lehren konnen.
von zwei wohlthätigen Lehrmeiſtern des Gebetes.
Predigt,
gehalten in der Pfarrkirche zu Friſtingen, am Jahrtage der ehe Waſſernoth, ge
Herr, wo Tribſal if, da ſuchet man Di | N r MR ” Eſalas XXVI, 16. 1
Allerliebſte, wenn uns unſer Herz nicht tadelt, ſo haben wir Zuver⸗ ſicht zu Gott, und um was wir immer bitten, das werden wir von Ihm erhalten, weil wir ſeine Gebote erfüllen und
\ thun, was Ihm gefällig iſt. | 1 300. III, 21. 22. 5
Wer uns beten lehret, der iſt unſer Wohlthaͤter, und wer uns mit Zuverſicht, mit Freimuͤthigkeit beten leh⸗ ret, iſt unſer großer Wohlthaͤter.
Die Menſchen koͤnnen Menſchen beten lehren: aber ihre Lehre dringt nicht allemal tief genug, und die Worte vergehen wie Rauch in der Luft.
Was uns nun die Menſchen ſelten recht lehren koͤn⸗ nen, das lehren uns die Leiden: ſie lehren uns beten. Wo Truͤbſal, da ſucht man Gott.
Was Menſchen uns ſelten recht lehren koͤnnen, das lehret uns ein rein Gewiſſen: es lehret uns freimuͤthig beten. Wenn uns unſer Herz nicht tabelt, ſo haben wir Zuverſicht zu Gott.
Daß Truͤbſal uns beten lehret, das habt ihr, meine Theuren, vor ſechs Jahren in den Tagen der Truͤbſale erfahren, in denen ihr zum Herrn um Huͤlfe nicht ge⸗ rufen, ſondern geſchrieen, um Gnade nicht gebeten, je dern geweinet habt. 2
Daß ein rein Gewiſſen Freimuͤthigkeit und Zur verſicht zum Beten fchaffet, davon koͤnnen euch eure Kin⸗ der überzeugen, die, wenn fie ſich eines Ungehorſams
„
bewußt find, euch nicht mehr ſo kuͤhn und freudig an⸗ blicken, nicht mehr ſo zuverſichtlich um Brod bitten, wie in den Stunden ihres Wohlverhaltens.
Ob ihr aber gleich nicht daran zweifeln koͤnnet, daß Leiden und ein rein Gewiſſen wohlthätige Lehrmei⸗ ſter des Gebetes ſeyen, ſo iſt es doch nicht einer⸗ lei: an einer Wahrheit nicht zweifeln, und: nach einer Wahrheit leben. N
Und gerade das Letzte: nach der Wahrheit leben, iſt Hauptſache: außer dieſem iſt kein Heil.
Es kann alſo keine uͤberfluͤßige Arbeit ſeyn, euch an Wahrheiten, die einen ſo großen Einfluß auf unſern Wandel haben koͤnnen, recht oft zu erinnern, in der Erkenntniß derſelben zu ſtaͤrken, und zur Anwendung derſelben zu ermuntern.
| I. | Truͤbſal, ein wohlthaͤtiger Lehrmeiſter des Gebetes.
Das Wort: die Noth lehrt beten, iſt ein wahres Wort. |
Alles, was uns hindern kann, nach Gott zu fragen, das fallt weg — in den Tagen der Noth.
1. Gar viele Menſchen hindert ein natuͤrlicher, aber ſchrecklicher Leichtſinn — nach Gott zu fragen. Sie ſtehen auf, gehen zu Bette, eſſen, trinken, kennen keine Sorge, reden, was ſie wollen, thun, was ſie wollen, den⸗ ken nicht an ſich, an die Zukunft, an Gott. Beſonders iſt dieſer Leichtſinn der Jugend eigen.
Geſund, lebhaft, voll Kraft, jagen die jungen Leute allerlei Freuden nach, deren Hefe (Bodenſatz) ſie nicht kennen, laſſen ſich von einem Traum in den andern ein⸗ wiegen, lachen, ſpringen, und ſagen zum Ernſt: Wir kennen dich nicht, und zum Nachdenken: Du biſt nicht unſers Gleichen.
Nun von dieſem Leichtſinn, oder vielmehr vom Tan- el ſchrecket uns die Noth auf.
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„Was nuͤtzt mich meine Jugend, wenn ich jetzt ſterben muß? was nuͤtzt mir alle Welt, wenn ich krank | daliegen muß?“
So lehrt uns die Noth denken, und, weil doch nur Einer helfen kann, ſo lehrt ſie uns auch — ele Huͤlfe ſuchen bei dem, der uns erretten kann.
Die Erfahrung: ich bin elend, und die Empfin⸗ f dung: ich kann mir nicht helfen, treiben mich zum Nachdenken, und das Nachdenken zum Gebete.
Die Noth bringt mich vom Leichtſinn zuruͤck zu mir ſelbſt, und, weil ich mir nicht helfen kann, zum Gebete. Wie das Kind zur Mutter um Huͤlfe ſchreit, wo es der Huͤlfe bedarf, ſo ſchreien die Menſchen zu Bu wo f e der Huͤlfe beduͤrfen.
2. Nicht wenige Menſchen hindert eine ſonderbare Art von Tiefſinn, der aus aͤngſtlicher Sorge fuͤr den Erwerb zeitlicher Guͤter entſteht — an Gott zu denken. Nahrungsſorgen nehmen die ganze Seele gefangen.
Vertieft in die Angelegenheit, Brod zu ſchaffen, Geld zu ſammeln — findet ſie nicht Zeit und nicht Kraft und nicht Luſt, an Gott zu denken. Begraben in den Ab⸗ grund irdiſcher Beduͤrfniſſe, mag ſich ihr Auge nicht auf⸗ heben zum Himmel.
Und, wenn auch ein Gedanke an Gott die Seele beruͤhrt, ſo erſticken ihn gleich wieder — die Dornen der Brodſorgen.
Und, wenn auch in Predigten oder bei auen An⸗ laͤſſen ein Wort Gottes in eine ſolche Seele kommt, fo iſt es, wie Chriſtus lehrt (Matth. XIII.), als wenn du, lieber Ackersmann, deinen Kornſamen in ein Feld fäeteft, das ganz mit Dornen uͤberwachſen waͤre. Die Dornen ließen den Kornſamen entweder nicht aufkeimen oder er⸗ ſtickten ihn — deine Ausſaat waͤre unnuͤtz. 5
Wer alſo nur immer daran denkt: wo werde ich Brod hernehmen, wie werde ich mich und die Meinigen kleiden? der iſt nach dem Winke Jeſu (Matth. VI, 31. 32.) ein Heide, ſucht nicht Gottes Reich, kann nicht von Herzen beten, und wenn er auch das Wort aus⸗ ſpricht: Vater, dein Name werde geheiliget, fo
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denkt feine Seele an ihr Einziges: Wo werde ich Brod hernehmen? und weiß nichts um das, was der Mund aus alter Gewohnheit, ohne Bewußtſeyn, aus⸗ ſprechen gelernt hat.
Was kann nun einen Menſchen, der wie das Thier nur immer auf die Erde ſieht und nur Nahrung ſuchet, aufrichten, daß er aufwaͤrts ſchaue und an Gott denke? Die Noth, das heißt, die durch Noth bewirkte Ueber⸗ zeugung, daß uns, ohne Segen des Himmels, alle Menfchenforgen kein Brod aus der Erde ziehen koͤnnen; die Noth, das heißt, die durch Noth bewirkte Ueber⸗ zeugung, daß es fuͤr uns, ohne Gottes Huͤlfe, gar keine Huͤlfe geben koͤnne; die Noth, das heißt, die durch Noth bewirkte lebendige Ueberzeugung, daß weder meine Hand, noch eine andere Menſchenhand, eine dringende Todesgefahr weglenken kann, ſie noͤthiget uns, eine Hand in den Wolken zu ſuchen, die uns aus der Noth reißet — ſie lehret uns beten: Vater, hilf, wir gehen unter, wie die Juͤnger Jeſu ſchrieen: Herr, rette uns, wir gehen zu Grunde! Matth. VIII, 25. So lange die Fahrt auf der See dieſes Lebens nach Wunſch ſanft und gluͤcklich iſt, denken wir ſelten an die unſicht⸗ bare Allmacht, die Waſſer und Winde und Schiff und Schiffer geſchaffen hat; aber, wenn die Fluthen in das Schifflein hereinſchlagen, und jede Welle den Tod zu bringen droht, dann ſchreien wir zur Allmacht: Rette uns! Die Noth lehrt beten. Daher das Spruͤchwort: Wer nicht beten kann, der gehe auf die See, und er lernt es gewiß, das heißt fuͤr uns, die wir das Meer nie geſehen: Wer nicht beten kann, uͤber den muß noch eine Angſtſtunde kommen, damit er's lerne; den muß eine Waſſerfluth beten lehren.
3. Gar viele Menſchen hindert das Vertrauen auf eigene Kraft, auf erworbenes Anſehen, auf errunge⸗ nes Vermoͤgen, auf eigene Einſichten — Hoch⸗ muth hindert uns gar oft — nach Gott zu fragen.
Wer ſich ſelbſt weiſe und klug genug duͤnkt, der fragt keinen Weiſern um Rath; denn darin beſteht eben ſein Hochmuth, daß er ſich fuͤr weiſer und kluͤger haͤlt, als andere.
Wer ſich ſelbſt für ſtark genug hält, alle Steine auf dem Wege zu feinem Gluͤcke — wegzuräumen, der fragt nach keinem Staͤrkern, der ihm zu Huͤlfe komme; denn darin beſteht eben ſein Hochmuth, daß er ſich fuͤr ſtaͤrker als andere hält, und fremde Kraft verachtet.
Wie ſollte nun der Hochmuͤthige Gott um Rath fragen, da er ſich, nach ſeiner Meinung, ſelbſt am Beſten rathen kann? Wie ſollte er bei Gott Schutz ſuchen, da er ſich durch fein Geld genug ſchuͤtzen zu koͤnnen glaubt? Wie ſollte er ſich nach Gottes Wohlgefallen umſehen, da er ſein Vertrauen auf ſeine maͤchtigen Freunde ſetzt, und ſich durch die Huͤlfe dieſer geſichert hält? ö
Der Hochmuͤthige fraget nicht nach Gott; er mag uͤbrigens auf ſein Geld, oder auf ſeinen Kopf, oder auf ſein Anſehen, oder auf ſeine Geſundheit ſtolz ſeyn. Wenn er aber in Um ſtaͤn de geräth, wo ihm ſein Kopf nicht rathen, ſein Freund nicht beiſtehen, feine Geſundheit nichts nuͤtzen kann; wenn er weder in ſich, noch in dem Kreiſe um ſich her, weder in der Naͤhe, noch in der Ferne ein Nettungsmittel fin⸗ det; wenn die ganze Erde zu ihm ſpricht: Ich kann dir nicht helfen; dann wird er genoͤthiget, feine Thor⸗ heit anzuerkennen, ſeine Schwachheit zu fuͤhlen, ſeine Bloͤße wahrzunehmen, und zum Himmel aufzuſchreien: Himmel, hilf du, weil die Erde keine Huͤlfe für mich hat.
Die Noth lehrt ihn beten.
4. Einige mag auch Unwiſſenheit, ſo wie Andere der Unglaube hindern, nach Gott zu fragen. N
Es gibt hie und da, auch in unſerm, wie man es nennet, gebildeten Deutſchland, einzelne, rohe Men⸗ ſchen, die kaum etwas mehr von Gott wiſſen, als das Pferd auf der Weide, oder der Hund an der Kette. Und auch dieſe Menſchen werden nicht leichter zu einiger Erkenntniß Gottes gebracht, als wenn ſie vom Hunger und Durſt, das heißt, von der Noth getrieben, bei einem wohlthaͤtigen Menſchen Brod ſuchen, der ſie dann, mit leichter Muͤhe an der Gabe, die er ihnen eiche den allgemeinen Brodvater kennen lehret.
u. 0 —
Die Noth lehret beten: Gib uns heute unſer tägliches Brod. |
Es ſoll auch unter Chriſten einige geben, die ſich zu weiſe duͤnken, als daß ſie an das Evangelium glauben ſollten, davon, Gott Lob, meine Zuhoͤrer keine Kunde haben, und ich alſo das Recht, zu ſchweigen.
Nur gilt es auch von dieſen, wie von allen, die zu leichtſinnig, oder zu vertieft in Sorgen dieſes Lebens, oder zu eitel, oder zu unwiſſend ſind — als daß ſie nach Gott fragen ſollten — von Allen, die Gott nicht kennen und am Gebet keine Luſt haben, gilt es: Noth, Druck, Elend, Demuͤthigung, Bitterkeit, Trubſal, Krankheit, Armuth kann fie beten lehren. a
O, wie ganz anders denkt der Juͤnger Jeſu von den Leiden, als der ſinnliche Menſch! Dieſer glaubt, daß es, weiß Gott wie gut, mit dem Menſchengeſchlechte ſtuͤnde, wenn die zeitlichen Leiden nicht ſo zahlreich in der Welt waͤren. Jener ſieht ſie als ſcharfe, aber nothwendige Reinigungsmittel des Menſchengeſchlech⸗ tes, als unangenehme, aber wohlthaͤtige Zuchtmeiſter gan, deren die Welt nicht entbehren kann. Die Noth iſt ihm ein wohlthaͤtiger Lehrer, der diejenigen in die Zucht nimmt, und wieder zu Gott fuͤhret, die in den Tagen des Wohllebens ſich von ihm entfernt, und den Weg des Verderbens betreten haben.
Die Noth — ein Lehrer, der mit Nachdruck ſpricht, weil man ihm kaum aus der Schule laufen kann, ohne beſſer — oder noch elender zu werden.
Die Noth — ein Lehrer, weil ſie zum Nachdenken nöthiget, weil ſie deutet auf die Quelle des Guten, die man verlaſſen, und durch die Diſtel am Wege aufmerk⸗ ſam macht auf den geraden Weg, den man verlaſſen,
und den Abweg, den man betreten hat. |
Die Noth — ein Lehrer, weil fie keinen Ausweg offen laßt, außer den, nach Gott zu fragen.
Die Noth — ein Lehrer des Gebetes. Wann betete David heißer, als im Angſtgedraͤnge? Wann betete der irrgegangene Sohs herzlicher: Vater, ich
PER 96 —
habe geſuͤndiget, als in den Tagen der Noth e . Die Noth lehret uns beten.
Denket alfo, meine Theuren, auch heute zuruͤck auf die Tage des Jammers, die euch vor ſechs Jahren beten gelehrt haben! Denket zuruͤck, damit ihr auch heute mit größerm Vertrauen beten, mit mehr Inbrunſt eure Geluͤbde erneuern, und von ganzer Seele danken koͤnnet Dem, der euch aus großen Waſſern errettet hat! Denket in den Stunden der Freude zuruͤck auf die Tage des Jammers, damit ihr nicht ſo leicht eures Erretters und eurer heiligen Entſchließungen vergeſſet, damit ihr deſto leichter den Verſuchungen zur Sünde widerſtehet, und der Tugend treu bleibet!
II.
Nachdem ich von dem erſten Lehrmeiſter des Gebetes ſo Vieles geſagt habe, ſo werde ich jetzt von dem zwei⸗ ten nur noch das Noͤthige anfuͤhren.
Ein rein Gewiſſen lehrt uns mit Zuverſicht und Freimuͤthigkeit beten.
Ich bete mit Zuverſicht, wenn mich mein Herz draͤngt zu beten, und gleichſam ſchon vor dem Gebete die Antwort in meinem Herzen wiederhallet: Dein Ge bet ift gehört. Ich bete mit Zuverſicht, wenn ich mein Anliegen Gott, als dem Freunde meines Herzens, ohne Einleitung und Umwege klage, und nicht zweifeln kann, daß mein allmaͤchtiger Freund Huͤlfe ſenden werde. Ich bete mit Zuverſicht, wenn ich vor Gott ſtehe, wie das gute Kind vor dem guten Vater, der demſelben das Brod darreichet, eh' es das Wort: gib, Vater, Brod, ausgeſprochen hat. Ich bete mit Zu verſicht, wenn ich in Namen Jeſu vor Gott erſcheine, und getroſt ſagen kann: Jeſus ſendet mich zu dir, ich bete nach ſeiner Anweiſung, hilf mir, daß dein Name verherrlichet werde, und daß das Wort Jeſu nicht umſonſt ſey. Ich bete mit Freimuͤthigkeit,
| wenn
-
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wenn ich mich in Allem, was mich druͤckt, an den Vater unſers Herrn Jeſu Chriſti wende, und uͤberall nur mein Herz und meine Noth vor Ihm reden laſſe, und all meine Hoffnung unbekuͤmmert in ſeinen Schooß niederlege. Ich bete mit Freimuͤthigkeit, wenn ich den Allmaͤchtigen fuͤr mich und meine Freunde, fuͤr mich und meine Gegner, um Weisheit und um Frommſeyn, um Brod und Dede — — Morgens und Abends, Mittags und Mitternachts, ſo oft mich ein Be⸗ duͤrfniß treibt und das Vertrauen auf den Allmaͤchtigen ſich reget, ohne Furcht und Wortgepraͤnge, gerade zu und mit ganzer Seele anflehe.
Mit dieſer Zuverſicht und Freimuͤthigkeit kann nur ein rein Gewiſſen beten. Denn nur der, welcher ſeinem Herzen das Lie bſte verſagen gelernt, um feinem Gott zu gefallen; nur der, welchem kein Opfer zu koͤſtlich, keine Selbſtverlaͤugnung zu peinlich, keine Arbeit zu muͤhſam, keine Enthaltſamkeit zu bitter geweſen iſt, um den Willen ſeines Herrn zu erfuͤllen; nur der, welchem ſein redlich gefragtes Gewiſſen keinen Vorwurf machen kann; nur der, welcher ſein Innerſtes, ſeine ge⸗ heimſten Abſichten, ſeine verborgenſten Begierden, ſeine liebſten Gedanken vor Gott und allen reinen Geiſtern darf ſehen laſſen, ohne daruͤber zu erroͤthen, nur der kann vor Gott, ohne Scheu und Furcht, mit Zuverſicht hin⸗ treten und ſagen: Vater, hilf, denn dein Wille war mein Wille! Hilf, denn Du kannſt das Gebet deines Kindes nicht verſchmaͤhen.
Alle Suͤnde zeugt ihrer Natur nach Mißtrauen auf Gott, und erreget Furcht vor Ihm; das fehen wir an der Geſchichte Adams und unſrer Mutter Eva. Vor der Suͤnde wußten ſie um keine Scham, um keine Furcht, aber nach der Sünde ver bargen fie ſich beide vor dem Herrn. Alle Sünde richtet eine Scheides wand auf zwiſchen Gott und den Menſchen — der ver⸗ traute Umgang iſt dahin. „Du haſt das Gebot deines Herrn uͤbertreten, haſt Strafe verdient, biſt ſeiner Liebe mit Undank begegnet, biſt nicht werth, ſein Angeſicht zu ſchauen.“ So ſpricht das Gewiſſen, und Scham,
J. M. v. Sailers ſämmtl. Schriften. XXX V. Bd. 2
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Beben vor dem Gerichte, Ahnung der Strafe treten an die Stelle des Vertrauens. Wenn nun aber die Suͤnde eine Scheidewand zwiſchen Gott und den Menſchen auf⸗ richtet, fo muß der Gehorſam gegen alle Befehle des Herrn dieſe Scheidewand niederreißen, und Zuverſ icht in's Herz legen.
Ein rein Gewiſſen lehrt uns mit Zuverſicht
beten.
Nebſt der angefuͤhrten Urſache kenne ich noch eine andere, die ich nicht verſchweigen darf.
Nur der Reine, der ſich keine Muͤhe zu groß wer⸗ den läßt, um nur kein Unrecht zu thun, lernt die Güte und Weisheit Gottes recht kennen. Nur er lernt theils aus dem Frieden, den ihm ein rein Gewiſſen ge⸗ waͤhret, theils durch die wundervollen Leitungen der Vorſehung, denen er ſich kindlich anvertraut, theils aus dem vertrauten Umgange mit Gott, dazu ihn fein reines Herz fähig gemacht, die Liebenswuͤrdig⸗ keit Gottes recht kennen, und er weiß aus Erfahrung, wie freundlich der Herr ſey, daß Er am Geben Luft habe, daß Er Freude habe, mit edlen Men ſchen umzugehen, daß Er dem reinen Wüllen keine Bitte unerfuͤllet laſſen konne. f
Wir lernen Gott kennen, wie die Menſchen — aus Umgang.
Nur der Freund kennet den Freund, nur der Freund | feines Gottes kennet feinen Gott.
Und, wer den Herrn kennet, der betet mit Zuver⸗ ſicht und Freimuͤthigkeit zum Herrn, denn Er iſt die Liebe.
Die Liebe kennen und mit Zuverſicht beten, iſt Eins.
Nur ein rein Gewiſſen lehrt uns mit Zu⸗ verſicht beten. Wer war reiner, als Jeſus, der ſagen durfte: Wer kann mich einer Suͤnde beſchul⸗ digen? Und wer hat jemals mit mehr Zu verſicht gebetet, als Jeſus, der ſagen durfte: Vater, ich danke Dir, daß Du mich erhoͤrt haſt; zwar wußte ich wohl, daß Du mich allezeit erhoͤreſt.“ Joh. XI, 41, 42.
Wie dein Gewiſſen, ſo dein Gebet; iſt jenes rein, ſo hat dieſes Zuverſi icht.
Nur ein rein Gewiſſen lehret uns mit 31 verſicht beten. Paulus, der wußte, was beten heiße, und aus Erfahrung wußte, was es heiße, mit Zuverſicht beten, erklaͤret dieſes Geheimniß, warum nur reine Seelen mit Zuverſicht beten koͤnnen: Wo ein rein Gewiſ⸗ ſen, da iſt der Geiſt Gottes, denn der Reine iſt ein Tempel, und in dieſem Tempel wohnt der heilige Geiſt. Und dieſer heilige Geiſt lehrt uns mit Zuver⸗ ſicht beten, bittet ſelbſt mit unausſprechlichen Seufzern für uns.
Nun verſtehe ich recht, warum ein rein Gewiſſen mit Zuverſicht beten lehre. Es iſt ein höherer Lehrmei⸗ ſter da, den Jeſus den Seinen verheißen und auch ge⸗ fendet hat. Und, wo dieſer höhere Lehrmeiſter, da Zuverſicht, da Freimuͤthigkeit zu beten. Er bittet ſelbſt in uns; und wenn Er in uns bittet, wie koͤnnten wir an der Erhoͤrung zweifeln?
O, liebe Freunde, laßt uns Gott um eine reine Seele bitten, laßt uns der Suͤnde nach Vermoͤgen aus dem Wege gehen, laßt uns Tag und Nacht an Rei⸗ nigung unſers Herzens arbeiten! Dann werden wir mit Zuverſicht beten koͤnnen. Und, wenn wir dieß koͤnnen, ſo ſind wir reich genug. 165
Zwar begreife ich es nicht, wie der heilige Geiſt in einer reinen Seele wohnen koͤnne. Aber, ich muß es nicht begreifen: genug, daß Er darin wohnet, wie Jeſus und Paulus ausdruͤcklich lehren. Ich ſoll es nicht be⸗ greifen, ich ſoll nur rein ſeyn, damit die Wahrheit und Liebe, das iſt, damit der Geiſt Gottes in mir Herberge nehmen, und in mir bleiben koͤnne.
Darnach wollen wir alſo ſtreben, rein, rein von aller Suͤnde zu werden und zu bleiben, und immer reiner und immer noch reiner zu werden, das ſey unſer Wunſch, unſer Gebet, unſer Bemuͤhen, und wir werden nicht nur in den Tagen der Noth beten, wir werden mit Zuver⸗ ſicht beten lernen; und, wenn wir dieß koͤnnen — ich ſage es noch einmal: ſo ſind wir reich genug, ſtark 2 *
genug, weiſe genug — Und Alles, was ss und geben kann, iſt unfer.
O, was iſt es Großes um einen Menſchen, den Gott beten gelehret? Er fuͤhlet ſeine Duͤrftigkeit, und bittet um Fuͤlle, und hat ſie. Was iſt es aber Elen⸗ des um einen Menſchen, der noch nicht beten gelernet? Er iſt elend, und fuͤhlt es nicht, und ſucht das Beſſere nicht — und wird immer elender!
O Gott, lehre Du mich beten, daß ich meine Schwach⸗ heit erkenne, und bei Dir Staͤrke ſuche, und bei Dir finde, und ſtark durch Dich — von Suͤnde und Furcht und Elend frei werde — und gut und ruhig und weiſe und ſelig, wie Du! Amen.
— 101 —
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einiger verkürzter oder unausgeführter Predigten.
X. Wie man noch auf Erden lebend — ſchon im Him- 5 mel wohnen könne.
Fragment einer Rede,
gehalten am Sonntage nach dem Feſte der Auffahrt Jeſu, in i der Pfarrkirche zu Demingen, 1788.
Unſer Wandel iſt ſchon im Himmel. Phil. III, 20,
Noch ſehen wir dem Heilande nach, wie Er gen Him⸗ mel aufgefahren iſt.
Ich zweifle nicht, daß viele in dem Feuer der Em⸗ pfindung gewuͤnſcht haͤtten, mit Ihm dieſe ſchoͤne Reiſe machen zu koͤnnen—
Allein, ſchon die Engel des Herrn gaben ſeinen Juͤn⸗ gern, die Zeugen ſeiner Himmelfahrt waren, und gewiß auch gerne die Reiſe mit Ihm gemacht haͤtten, einen Wink, der ſie ſtaͤrken und tröften konnte: Er wird wiederkommen — und Paulus, auch ein Bote Jeſu, legte ſeinen Mitchriſten eine Wahrheit an das Herz, die dem Wunſche, bei Jeſus zu ſeyn, eine wohlthätige Rich⸗ tung geben konnte: Unſer Wandel iſt ſchon im Himmel, das heißt fuͤr uns: Liebe Chriſten! noch iſt's euch nicht gegoͤnnt, die Himmelfahrt Jeſu mitzumachen.. aber wohnen im Himmel (freilich ſehr unvollkommen.) koͤnnt ihr doch, wenn ihr gleich noch auf Erden ſeyd.
Das ſey denn auch un fre Lehre und unſer Troſt —
Unſer Wandel ſey im Himmel
— 10 —
Ich ſage geradezu: 8
Unſer Wandel ſey jetzt ſchon im Himmel. Wie kann man denn aber im Himmel wohnen? Und wie kann man es in jedem Stande, an 1
Orte?
I.
Wie man auf Erden lebend — im Himmel wohnen koͤnne.
1.
Wer jetzt, da er noch auf Erden iſt, im Himmel woh⸗
nen will, dem iſt der Himmel ſein liebſter Gedanke.
Menſch! du biſt nicht, wo dein Koͤrper iſt, du biſt, wo dein Gedanke iſt.
Man ſagt von Leuten, die bloß mit dem Koͤrper in der Kirche ſind, mit ihren Gedanken aber in der ganzen, weiten Welt umherirren, daß ſie nicht in der Kirche ſind. Und man ſagt recht: ſo kann man alſo auch ſagen, daß der, welcher oft und gerne, am oͤfteſten und am liebſten an den Himmel denkt, nicht mehr hen, Erden wohne, fondern im Himmel.
Was heißt denn aber an den Himmel denken?
Daran denken, daß es ein beſſeres Land gebe, wo Gott ſich ſeinen Freunden offenbaret in voller Freude und Herrlichkeit; wo der Va⸗ ter in Mitte ſeiner Kinder Freude hat, und Freude um ſich her verbreitet... wo Jeſus Chriſtus, deſſen Auffahrt wir vor acht Tagen
4
gefeiert haben, mit feinen Juͤngern in rein⸗ J
ſter Freude lebt... wo der Wohnungen fo viele
ſind, daß alle Frommen Platz haben, wo keine Thraͤne mehr geweinet wird u. ſ. f.
An den Himmel denken heißt, denken an das ewige
Leben, an das, was Jeſus uns verheißen, was Jeſus von uns fordert, damit wir des verheißenen Gutes fähig und wuͤrdig werden.
\ — 103 —
An den Himmel denken heißt, denken an die Ewig⸗ keit der lauterſten Freuden .. an die Unſterblichkeit unſers Geiſtes ... heißt denken, daß man nicht den Men⸗ ſchen zu Grabe trägt, ſondern feinen Leib, und daß es jenſeits des Grabes eine Allvergeltung gebe, eine Ernte des Guten fuͤr Gute.
Menſch! wie dein Gedanke, ſo du!
Der Reiche denkt an ſeinen Reichthum — iſt irdiſch wie fein Geld ... Der beſſere Mann denkt an feinen Gott und ſeinen Himmel, und wird himmliſch, wie der Inhalt ſeiner Gedanken.
Aber nicht bloß denken an den Himmel mußt du, er muß dein lie bſter Gedanke ſeyn.
An was wir am liebſten denken, daran denken wir
am öfteften und am leichteſten.
2.
Wer jetzt, da er auf Erden iſt, im Himmel wohnet, dem iſt der Himmel ſein herzlicher Wunſch. Wo dein Schatz, da dein Herz.
Wo dein Wunſch, da biſt du.
Was heißt denn aber ſich den Himmel wuͤnſchen?
Wuͤnſchen, daß wir Gott immer mehr erkennen, Ihn immer mehr lieben, und einſt ganz Eines mit Ihm werden, und bei Ihm volle Freude haben —
1 Wuͤnſchen, daß die Menſchen das Vergaͤngliche nicht ſo lieb haben möchten. —
Die Menſchen haben mancherlei thoͤrichte Wünſche. Wie beſchaͤmt müßten wir werden, wenn unfere Wuͤnſche alle bekannt wuͤrden? Die Wenigſten wuͤnſchen ſich das Beſte.
Ich ſage, den. 5 Denn fie ſagen wohl: Ich moͤchte in den Himmel kommen — aber laſſen es bei'm Worte bewenden; machen es nicht, wie der Landmann, der ſich eine reiche Ernte wuͤnſchet, wuͤnſchen, und wuͤnſchen es nicht.
So nicht, wer jetzt ſchon — im Himmel wohnt. Er wuͤnſcht von ganzem Herzen, was gut iſt, und thut,
4
A
was er kann, und verſaget ſich, was er ſich verſagen | muß, um ganz gut und ber beiten Freude me zu werden. 5 * ö Wer jetzt, da er auf Erden iſt, im Himmel wohnt, der iſt geſinnet, wie die himmliſchen Geiſter — thut den Willen Gottes auf Erden, wie die Geiſter im Himmel. Dieß iſt ſein Gebet: „ Dein Wille geſchehe Ser Br wie im Himmel. Dieß iſt fen Sinn: Lieben den Einen Vater im Himmel; Lieben ſeine Mitmenſchen als Kinder Eines Vaters. er | Dieß ift fein Thun: Er arbeitet für den Himmel, thut, was gut iſt, was Gott gefällt, Die Engel und alle Heiligen, und Jeſus felbft, und der Vater im Himmel ſind ſein Muſter. Seyd vollkommen, wie euer Vater im Himmel.
4.
Wer jetzt im Himmel wohnet, dem iſt der n ſein beſter Troſt im Leiden.
Er ſieht die Seligkeit der Heiligen als eine Folge ihrer muthig erduldeten Leiden an, und nimmt von dem Vorſchmack ihrer Freuden Kraft, einzutreten in die Fuß⸗ ſtapfen der Leidenden.
Er ſieht die Freuden der Zukunft als eine ſuͤße Frucht an, die hervorwaͤchst an den Zweigen der Ge⸗ duld, welche in die Ewigkeit hinuͤberreichen.
Wer alſo auf Erden lebend — im Himmel wohnet, deſſen Denken, deſſen Wuͤnſchen, deſſen Thun und Lei⸗ den — iſt himmliſch, gottgefaͤllig, nach dem Vorbilde des Beſten.
II.
Daß jeder aus uns, in jedem Stande, zu jeder Zeit, an jedem Orte — ſchon jetzt im Himmel wohnen koͤnne.
Jeder aus uns, an jedem Orte, in jedem Stande, kann im Himmel wohnen. Denn wir koͤnnen, von guten Menſchen geleitet, und von dem hei⸗ ligen Geiſte erleuchtet und geftärfet, überall an das Als lerbeſte denken, das Aller beſte wuͤnſchen, das Als lerbeſte lieben, und nach dem Allerbeſten ſtreben: das heißt, im Himmel wohnen.
1. Das kannſt du, lieber Ackermann, hinter dem Pfluge ... wie der König auf feinem Throne. Denn du ackerſt die Erde Gottes, kannſt alſo an Ihn den⸗ ken, kannſt denken: Der mir jetzt ſaure Arbeit auferlegt, der wird mir einſt dafür Ruhe goͤn⸗ nen; kannſt denken: Der feinen Freunden auf Erden ſo viel Gutes thut, wird ihnen einſt wohl keine Freude vorenthalten konnen u. ſ. f.
2. Das kannſt du, lieber Landmann, beim Ausſtreuen des Samens auf dein Feld, wie bei der Ernte, kannſt denken: Wie jetzt der Samen in die Erde ge⸗ ſenkt wird, ſo muß einſt der Leib des Men⸗ ſchen in die Erde geſenkt werden. Und wie die Frucht am Erntetag in die Scheune ge⸗ tragen wird, ſo ſteht der Leib des Gerechten in Herrlichkeit auf — und kommt auch in das Haus des Vaters.
3. Das kann der Greis mit hundert Jahren —
wie der Knabe mit zehn. | Der erfiere kann denken: Der Vater hat mid hier ſchon lange leben laſſen, Er wird mich bald heimholen.
Der zweite: Die Engel im Himmel haben die Unſchuld lieb, und: wo Unſchuld, da Himmel.
4. Das kann die Magd bei der Feldarbeit, wie die Wittwe beim Spinnrade. Der gute Gedanke und der
— 106 —
edle Wunſch und der ſtille, reine Sinn findet uͤberall leicht den Weg in den Himmel, oder iſt ſelbſt der Himmel.
5. Das kannſt du, der du leſen kannſt, wie du, der du nicht leſen kannſt. Der erſte kann in dem ſchoͤnen Leſe- und Gebetbuͤchlein, das ihm fein Pfarrer ausge⸗ theilt, leſen, der zweite am Himmel und auf Erw den und in ſich: daß wir eine m guten Herz dienen.
6. Das kann der Hirt 5 dem Felde, wie 3 Handwerksmann in ſeiner Arbeitsſtube. Gott iſt überall, laßt ſich überall ſuchen, und überall finden.
2. Das kannſt dn zu jeder Jahreszeit — im Fruͤhlinge wie im Herbſte, im Winter wie im Sommer, denn die Natur traͤgt zu allen Jahreszeiten neue Spuren der Vorſehung, die ſich wahrnehmen laſſen.
8. Das kannſt du, o Menſch, in der Stunde der Verſuchung; denn der Himmel iſt Alles werth, wie in der Stunde der Andacht, denn Gott iſt dir uͤberall nahe. |
9. Das kannſt du in der Stunde des Leidens, wie in der Stunde der Freude; denn die ewige Freude iſt doch eines zeitlichen Leidens wohl werth, und ki Freuden find Unterpfänder ewiger.
10. Das kannſt du bei einer hellen Sternennacht, wie im Sonnenſcheine ... kannſt denken: Die Ge⸗ rechten werden im Hauſe meines Vaters leuch⸗ ten wie die Sonnen.
11. Das kannſt du bei jeder Gelegenheit, z. B. die Henne mit ihren Jungen kann dir ein Bild ſeyn von der geſchaͤftigen Liebe Jeſu, wie er ſeine Bruͤder ie gerne möchte ficher und glücklich fehen.
Ich habe geſagt: Jeder in jedem Stande, zu jeder Zeit, an jedem Orte ... kann im Himmel wohnen.
Denn es gibt mancherlei Irrthuͤmer, die viele Men⸗ ſchen hintergehen. 77
Einige glauben: nur die Geiſtlichen koͤnnen jetzt ſchon im Himmel wohnen — Jeder Menſch kann es... wer denken, wuͤnſchen, handeln, an Gott
1
und Unſterblichkeit glauben kann, der kann im Himmel wohnen ... wie jeder eſſen kann, ſo kann jeder im Him⸗ mel wohnen.
Andere meinen: nur in der Kirche kann man wie im Himmel feyn... Man kann's und ſoll's überall, denn wo deine Gedanken an Gott, da Er, und wo Er, da ſein Himmel.
Wieder andere meinen: ſie hätten die Haͤnde voll Arbeit, das Herz voll Sorgen... koͤnnten nicht an's Himmliſche denken. Was das Erſte betrifft, ſo hab ich nicht geſagt, daß du mit der Hand im Him⸗ mel wohnen ſollteſt — ſondern mit dem Herzen, mit den Gedanken. Mit der Hand ſollſt du ar⸗ beiten.
Was die Sorgen betrifft, ſo habt ihr gerade deß⸗ wegen ſo viele Sorgen, weil ihr ſo ſelten im Himmel wohnet... Ihr wollt Alles allein thun, und Gott nichts uͤberlaſſen. Thut, was ihr koͤnnet, und laſ⸗ fet Gott für das ſorgen, was ihr nicht thun koͤnnet. Laſſet die Hand arbeiten, was fie kann, und den Geiſt bei Gott wohnen, fo gut er kann!
Noch andere ſagen kuͤhn: die Menſchen, die ſo gerne an den Himmel denken, taugen nicht für die Erde, ſeyen träge, unarbeitſame Leute.
Allein ich denke: Wenn ſchon die meiſten Menſchen die Zunge mißbrauchen, ſo iſt ſie doch ein nuͤtzlich Glied. So auch, wenn ſchon einige auch den Gedanken an den Himmel mißbrauchen, ſo iſt weder der Himmel, noch der weiſe Gedanke daran ſchuld. Jeſus Chriſtus haßte den Muͤßiggang, und wohnte mit ſeinem Geiſte mehr im Himmel, als auf Erden. Was wollen wir mehr?
* 1 1
Zwar, M. Th., iſt dieß Wohnen im Himmel ſehr unvollkommen, und nicht ſo leicht, wie manche glauben koͤnnten. Es iſt ſehr ſchwer: denn es koſtet viele, viele Selbſtverlaͤugnung, bis wir es gelernet haben, unſern Geiſt, der ſo gern in den ſichtbaren Guͤtern dieſer
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Erde umherirret, zu den unſichtbaren, himmliſchen Guͤtern emporzuheben. Es iſt ſehr unvollkommen, denn bald ſinkt der Geiſt wieder zur Erde nieder. Es iſt auch jetzt noch nicht die Zeit des Schauens, ſondern des Glau⸗ bens; nicht die Zeit des vollen Genuſſes, ſondern die Zeit der Arbeit; nicht die Zeit des Beſitzes, ſondern die Zeit der Hoffn ung; nicht die Zeit der ungemiſchten Seligkeit, ſondern die Zeit der Aare und des Kampfes und der Geduld.
Das Beſte, was man lehren, rathen, und worin man ſich uͤben kann, iſt wohl dieſes: Brauche die Welt, als wenn du ſie nicht ge⸗ brauchteſt. Arbeite auf Erden, ohne den Sinn für das Himmliſche zu verlieren. Verrichte das Tagewerk dieſes Lebens, ohne dem Strahl aus beffern Welten dein Herz zu verſchließen.
4
Was man aus der Auferſtehung Jeſu lernen, und was uns an die unſere erinnern könne.
Fragment einer Predigt, gehalten am Oſterſonntage in der Stadtpfarrkirche zu Wemding, 1786. |
Ihr ſuchet Jeſum, den Gekreuzigten: Er iſt auferſtanden, und nicht hier.
Unter die merkwuͤrdigſten Tage des Jahres gehören für uns Chriſten ohne Zweifel die drei vergangenen und der heutige. | Der hohe Donnerstag war für uns ein Tag des Dankes und der Wehmuth; wir feierten die zaͤrtliche Liebe Jeſu bei ſeinem Abſchiedsmahle, und ſeinen heißen Todeskampf in Gethſemane.
Der heilige Freitag — ein Tag des Leidens; wir ſtanden mit Maria neben dem Kreuze des geliebten Got⸗ tes, und ſahen Ihn ſein Haupt neigen und ſterben, und ſchrien: Wahrhaftig, dieſer iſt Gottesſohn!
Der heilige Sabbath — ein Tag der Stille, ein Feiertag — der Ruhe, die der unverweslichen Leiche im Felſengrabe ward.
Aber, nun ſind die Thraͤnen vom Auge gewiſchet, die Stille iſt in Jubel verwandelt. Die Morgenſonne brachte uns, wie einſt der Engel den Frauen, auch dieſes Jahr die Botſchaft: Jeſus lebet.
Ihr ſuchet Jeſum den Gekreuzigten: Er iſt auferſtanden, und nicht hier.
O, gewiß ein Tag der Freude, — denn Er iſt auf⸗ erſtanden! Ein Tag der Freude — wenn wir an
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ſeine Auferſtehung nur auch von ganzem Herzen glau⸗ ben koͤnnten, glauben wie die Freunde Jeſu, als ſie aufſchrien voll Entzuͤckung: Brannte nicht unſer Herz, als Er auf dem Wege mit uns redete, und uns die Schriften aufſchloß; glauben wie die Juͤnger, als Jeſus in ihrer Mitte ſtand, und ſie Ihn eſſen und trinken ſahen, und ſein Fleiſch und ſeine Beine anfuͤhlten; glauben wie Thomas, als er ſeine Hand in die Seite des Neulebenden legte; glauben wie Johan⸗ nes, als er am Geſtade rief: Der Herr iſt's; glau⸗ ben wie Paulus, als er die Stimme des Verherr⸗ lichten vom Himmel hoͤrte: Ich bin Jeſus, den du verfolgeſt; glauben wie Petrus, der im Namen des Ewiglebenden den Lahmgebornen geſund machte; glauben wie die ganze chriſtliche Kirche bis auf dieſe Stunde in ihrem ſchoͤnen Bekenntniſſe ſaget: Ich glaube an Jeſum Chriſtum — der von den Todten aufer⸗ ſt anden iſt.
O, was koͤnnten wir lernen aus der Auferſtehungs⸗ geſchichte Jeſu, wenn wir daran glaubten? Wie leicht koͤnnten wir an das Gelernte erinnert werden, wenn wir nur wollten?
Was hat die Auferſtehung Jeſu Belehrendes für uns 2
Was hat die Natur Erinnerndes an das Gelernte?
Jeſus! Du lebeſt — beweiſe es an mir und ben
die mich hoͤren.
Laßt uns im Buche des Evangeliums leſen, damit wir lernen; laßt uns im Buche der Natur leſen, da⸗ mit wir das Gelernte nicht vergeſſen!
I. Was aus der Auferſtehung Jeſu zu lernen ſey. Erſte Wahrheit.
Wenn Jeſus Chriſtus von den Todten auf⸗ erſtanden iſt, ſo iſt Er Gottes Sohn, und ſeine
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Lehren Gottes Worte, ſeine Gebote Gottes Gebote, ſeine Verheißungen Gottes Verhei⸗ ungen. Denn Er hat ſelbſt die hartglaubigen Schrift⸗ gelehrten, die ein entſcheidendes Zeichen forderten, daß Er es wäre, und kein Anderer, auf dem ihre Hoffnungen ruhen ſollten, auf ſeine Auferſtehung als ein entſcheidendes Zeichen angewieſen. Matth. XVI. O des boͤſen ehebrecheriſchen Geſchlechtes! Es ſucht Zeichen, und es wird ihm kein Zeichen gegeben werden, als das Zeichen Jonas, des Propheten.
Auch iſt ſeine Auferſtehung ein Wunder der All⸗ macht, das alle andere, die Er gewirket, neu glaub⸗ wuͤrdig macht; ſie iſt eine Erfuͤllung einer Weiſſagung, die alle ſeine uͤbrigen Lehren neu glaubwuͤrdig macht, und vor Allen die Hauptlehre: Daß Er von Gott gekom⸗ men, daß Er als Gottes Sohn von Gott ge⸗ kommen ſey, daß Er Gottes Wort rede, daß Er Gottes Thaten thue.
—
Zweite Wahrheit.
Wenn Jeſus von den Todten auferſtanden iſt, fo kann unſer Glaube an Ihn nie zu feſt; unfer Vertrauen auf Ihn nie zu groß; unfre Liebe zu Ihm nie zu lebendig ſeyn. Denn der auferſtandene Jeſus iſt eben durch ſeine Auferſtehung als Gottes Sohn, als unſer Erretter und unſer Herr kraͤftig erwieſen worden. |
Nun kann der Glaube an den Sohn Gottes, das Vertrauen auf unſern Erretter, die Liebe zu unſerm Herrn, der uns mit ſeinem Blute erkauft, offenbar nie zu groß ſeyn.
Wer ſoll dem nicht glauben, den der Vater ſo glaubwuͤrdig gemacht? Wer ſoll auf den nicht ver⸗ trauen, der ſagen kann: Kinder, fuͤrchtet euch nicht, ich habe die Welt uͤber wunden, und mir iſt Ge: walt gegeben im Himmel und auf Erden? Wer ſoll den nicht lieben, der fuͤr uns ſtarb, und uns in feinen Wundmalen eingeſchrieben trägt ?
„
Dritte Wahrheit.
Wenn Jeſus Chriſtus von den Todten auf⸗ erſtanden iſt, fo werden auch wir auferfiehen: dafuͤr haben wir einleuchtende Gruͤnde:
Wir werden auferſtehen; denn unfe Auferſtehung iſt ſo gut eine Lehre aus ſeinem Munde, wie die ſeine. Und ſeine Lehre iſt Gottes Wort. Der ſagte: Ich werde auferſtehen, ſagte auch: Ihr werdet auferſtehen. Entweder iſt nichts wahr, oder Alles wahr, was Er lehret.
Wir werden auferſtehen; denn der auferſtanden iſt, hat Kraft, uns Alle aufzuwecken; der den Lazarus er⸗ weckte, wird auch uns erwecken — Er hat die Probe ſchon abgelegt, daß Er Todte erwecken kann.
f Wir werden auferſtehen; denn ſeine Auferſtehung iſt ein Unterpfand der unſrigen. er it das Haupt — zieht die Glieder nach.
Vierte Wahrheit.
Wenn Jeſus Chriſtus auferſtanden iſt: ſo iſt nicht nur unſre Auferſtehung gewiß, ſon⸗ dern auch die Art unſerer Auferſtehung.
„Je Chriſtusaͤhnlicher unſer Leben, deſto Chri⸗ ſtusahnlicher unſre Auferſtehung.“
Wenn wir leiden und gehorfamen und lieben wie Jeſus, ſo werden wir auch auferſtehen wie Jeſus; durch Adam bekamen wir einen ſchwachen, thieriſchen Leib: durch Chriſtus werden wir einen kraftvollen, himmliſchen, unverweslichen bekommen. |
Welch eine Ermunterung zur Tugend: Auferſtehen werd' ich gewiß — und auferſtehen herrlich wie Chriſtus, wenn ich lebe wie Er.
Fünfte Wahrheit.
Wenn Jeſus Chriſtus von den Todten . erſtanden iſt: ſo kann uns, wenn wir nur ernſt⸗ lich wollen, keine Verſuchung zu mächtig, kein Leiden zu druͤckend, keine Arbeit zu ermuͤdend,
keine
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keine Krankheit zu ſchmerzend, kein Tugend⸗ kampf zu heiß, kein Tod zu bitter ſeyn.
Keine Verſuchung zu maͤchtig; denn der den Tod überwunden, der hilft mir auch das Fleiſch uͤberwinden.
Kein Tugendkampf zu heiß; denn die zukuͤnftige Herrlichkeit iſt aller Selbſtverlaͤugnung wohl werth.
Keine Arbeit zu ermuͤdend; denn Arbeit iſt ja nur Ausſaat der Ruhe und Freude.
Keine Krankheit zu ſchmerzend; denn fein Beifpiel lehret, daß jede Beule vergolten, jeder Schmerz tauſend⸗ fach verguͤtet werde.
Kein Tod zu bitter; denn auf den Kreuztod folgte die herrlichſte Auferſtehung.
Es lebet ja unſer Jeſus, und dieſer Jeſus hilft uns kämpfen, leiden, arbeiten, ſiegen — ſendet uns ſeinen Geiſt, durch den wir neugeſchaffen werden.
Unſer ganzes Leben kann und ſoll ein Tod der Suͤnde, und ein Leben des Geiſtes werden.
Wenn Jeſus auferſtanden iſt, ſo lebet Er, und wenn Jeſus lebet, ſo haben wir einen Helfer, dem keine Noth zu groß und keine Sünde zu kraͤftig werden kann.
Sechste Wahrheit.
Wenn Jeſus Chriſtus auferſtanden iſt, fo wird Er auch wieder kommen zur Vollendung deſſen, was Er verheißen hat. Denn, der zu dem Worte: Jeſus wird wieder aufleben, ſteht, der
ſteht auch zu dem Worte: Jeſus wird wieder kommen.
Laßt uns rein werden, rein wie Er iſt, damit wir an ſein Wiederkommen glauben, ſein Wiederkommen hof⸗ fen, und deſſelben froh werden koͤnnen!
Dieſe Wahrheiten koͤnnen wir aus der Auferſtehung Jeſu lernen — ſie ſind nothwendige Folgen derſelben.
O Glaube an die Auferſtehung Jeſu, wie wichtig biſt du mir, nachdem du mir ſo viel giebſt, was mir keine Menſchenweisheit geben kann; nachdem du mich J. M. v. Sailers ſämmtl. Schriften. XXXV. Bd. 8
— 13 — lehreſt, was mich feine Vernunft lehren kann, nach dem du mich ſtarkeſt, wo mich keine Vernunft kw kann!
II.
Was kann uns aber an das, was wir aus der Auf⸗ erſtehung Jeſu Chriſti gelernt haben, erinnern?
Das Gelernte, das uns zunaͤchſt angeht, waͤre wohl dieſes: „Iſt Er auferſtanden, ſo werden auch wir auferſtehen.“ Nun habt ihr in der Natur, in dieſem 1 Buche, recht viele Denkzettel, die euch an eure Aufer⸗ ſtehung erinnern koͤnnen: ich will euch einige nennen.
Erſter Denkzettel. Der Sonnenaufgang.
Die Sonne, die am Morgen ſo herrlich aufſteht, iſt die naͤmliche, die geſtern Abends hinabſank, und ſich fuͤr unſer Auge — wie in's Grab legte
So hat unſer Leben einen Abend, den Tod, und einen großen Morgen, die Auferſtehung.
Weinet ihr bei'm Untergange der Sonne — daß ſie nun weg iſt? Nein, ſie kommt ja wieder! Was weinen wir aber denn bei'm Grabe unſerer Freunde? Sie kom⸗ men auch wieder herauf.
Zweiter Denkzettel. 4 Die Sommer⸗ und Winterſaat.
Im Fruͤhlinge bei der Sommerſaat, und im Herbſte bei der Winterkornſaat nehmet ihr chere und leget ſie in die Erde.
Iſt der Same gut, ſo hat man eine . gute Ernte zu bekommen. Das Koͤrnlein muß aber zu⸗ erſt in der Erde verweſen, ehe die Ernte kommen kann.
So ein Samenkoͤrnlein iſt unſer Leib; der Tod, die Begraͤbniß, das Hineinlegen deſſelben in die Erde iſt die Aus ſaat. Nun forget, daß eure Glieder unbefleckt von
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; — 115 — Suͤnden und unentweiht — in die Grabftätte kommen. Der Leib muß verweſen im Grabe, ehe die Ernte kommt.
Dritter Denkzettel. Wieſen und Bäume.
Wenn ihr eure Baͤume und Gaͤrten und Wieſen im Herbſte anſahet, wie war Alles ſo verdorrt, ſo gelb, ſo erſtorben — ein Blatt fiel nach dem andern vom Baume, daß er daſtand nackt und ohne Zierde — und jetzt ſehet ihr gar nichts als Schnee.
Aber, wartet nur noch eine Weile — — laßt den Schnee ſchmelzen vor dem heißern Strahl der Sonne und laue Winde wehen: wie bald werden ſich Wieſen und Baͤume und Gaͤrten und die liebe Mutter Erde kleiden mit Gras und Bluͤthe und Blumen!
So iſt euer Sterben und Begrabenwerden und euer Liegen im Grabe — wie der Herbſt und Winter, euer Auferſtehen — der Fruͤhling. Der Tod ſtreift euch ab wie ein Laub. Ihr Alte ſeyd froͤhlich, euer Herbſt iſt da! — Ihr Junge vergeſſet nicht, daß euer Herbſt nicht ausbleibe! — Es kommt aber fuͤr uns Alle der Fruͤhling des Wiederlebens. |
Vierter Denkzettel. Ernte der Sommer- und Winterſaat.
So kommt ſie dennoch die Ernte, wenn ſie gleich ver⸗ weilt: fo wird auch die Auferſtehung nicht ausbleiben — wenn ſie gleich lange nicht kommt.
Das Korn mußte in der Erde liegen, ſonſt waͤre es nicht auferſtanden: die Leiche verweſet, damit ein lebens iger Leib hervorgehe.
In Saͤcken ward das Korn unter bangen Sorgen auf das Feld getragen, auf Waͤgen unter Jubel wird es heimgefuͤhrt. Es fehlt nicht an weinenden Augen bei Begraͤbniſſen, aber der Jubel wird groß werden, wenn die Schnitter, die Engel kommen — und den Weizen in die Scheune Gottes fuͤhren.
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a
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Fünfter Denkzettel. Der Biſſen Brod im Munde.
Liebes Brod, du warſt im Winter unter der Erde, wardſt in der Mühle hart zerrieben, wardſt im Back⸗ ofen durch Hitze geboren — und giengſt aus dem Ofen ſo ſchoͤn hervor, und biſt jetzt ſo ſchmackhaft. So wird einſt der natuͤrliche Leib ſchoͤner noch, in einen geiſti⸗ gen verwandelt, und herrlicher noch aus dem Schutte der Dinge hervorgehen, als das Brod aus dem Backofen.
Jeder Biſſen Brod im Munde iſt mir ein Bild der Auferſtehung.
Sechster Denkzettel. Eine Leiche in's Grab geſenkt.
Jetzt ſteht der Todtengraͤber mit der Schaufel vor dem Grabe, um die Erde auf die Leiche zu werfen. Einſt wird der Engel Gottes rufen: Steht auf!
Verzeiht, daß ich am Oſtertage von Leichen rede. — Es iſt erſt heute fruͤhe das Zeichen gegeben worden, daß Jemand geſtorben ſey. Der Chriſt denkt nie lieber an ſeinen Tod, als am Oſtertage — denn da liegt der Ge⸗ danke an ſeine Auferſtehung nicht ferne.
Siebenter Denkzettel. Kirchhof — Gottesacker.
Schoͤn iſt dieſer Name; wie der Bauer ſeinen Acker hat, wo er Korn ſaͤet und einſchneidet: ſo hat Gott auch ſeinen Acker, wo die Leiber ſeiner Kinder verweſen und auf den Erntetag reifen.
Ich bin unlaͤngſt auch auf einem Kirchhofe geweſen, und habe allerlei Kreuze, kleine und große, geſehen. Da dachte ich: ſchoͤn ſteht dieß Zeichen auf Graͤbern. Iſt doch der, welcher am Kreuze fuͤr uns ſtarb, der nauͤm⸗ liche, der uns einſt vom Tode erwecken wird!
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Achter Denkzettel. Schlafen und Erwachen.
Der Schlaf iſt wie der Tod, und das Erwachen wie eine Auferſtehung.
Am Abend Alles ſo traͤge, ſo todt am Menſchen, am Morgen Alles ſo heiter, ſo kraͤftig, ſo neulebendig.
Auch heißt der Tod nicht umſonſt ein Schlaf, denn es folgt ein Erwachen auf ihn.
Letzter Denkzettel.
Auf den letzten Tag in der Woche folgt der Sonn tag — — und Sonntag iſt ein Feſttag der Auferſtehung. Auf den geſtrigen Sabbath» Ruhetag (Charſamstag in unſerer Sprache) folgte der Oſterſonntag.
Dieß iſt heute der beſte Denkzettel fuͤr uns — denn, wie koͤnnen wir des heutigen Tages vergeſſen? Und wie koͤnnen wir an ihn denken, ohne an die Auferſtehung Jeſu — und dann auch an die unſere zu denken?
Liebe Freunde, laſſet dieſe Denkzettel — Denk⸗ zettel ſeyn. Denket oft daran: Jeſus ſtarb — ich werde auch ſterben. Jeſus ſtand von den Tod⸗ ten auf, ich werde einſt auch auferſtehen.
Laſſet uns ſo leben, Bruͤder, Schweſtern, daß wir froh ſterben, und zum Tode ſprechen koͤnnen: Ich fürchte dich nicht, du liebe Ausſaat! denn es kommt der Erntetag gewiß.
REN: N 5 Warum der gute Chriſt ſo gerne bei dem öffentlichen Gottesdienſte in feiner Pfarrkirche erſcheine?
Fragment einer Predigt, gehalten am Klrchweſfeſte zu Amerbach, 1788.
*
Heut iſt dieſem Hauſe Heil widerfahren, darum, db auch er ein | Sohn Abrahams if.
Zachäus iſt es werth, daß wir uns mit ihm unterhal⸗ ten. Er ſehnte ſich ſehr, Jeſum zu ſehen, und Rieg, um Ihn zu ſehen, auf einen Baum: das macht uns ſchon ein gutes Vorurtheil fuͤr ihn; das moͤchten wir | wohl auch an feiner Stelle gethan haben. Er nimmt Ihn freundlich in ſein Haus auf: das moͤchten wir etwa auch noch gethan haben. | Aber, daß er ein ganz anderer, ein ganz neuer Menſch ward, das iſt Hauptſache — das nur iſt Hauptſache, und das wuͤrden wir vielleicht an ſeiner Stelle nicht geworden ſeyn.
Wie er war, ſo redete er: Wenn ich Jemanden betrogen habe, fo gebe ich's vierfach zuruͤck. |
Das heißt: ſich die Gegenwart Jeſu zu Nutze mas chen. Darin war Heil. a
Das heißt ein Sohn Abrahams ſeyn. Jedes an⸗ dere wuͤrde ihm nicht viel genuͤtzet haben — z. B. Jeſum ſehen, Jeſum bewirthen . .
Das ſollen wir von ihm lernen.
Dazu das Evangelium; dazu Kirchenz dazu Kirchweihfeier; dazu Gottes dienſt.
Ich will heut bei dem Letzten ſtehen bleiben, r mei⸗ nen Zuhoͤrern klar zu machen ſuchen:
„Warum der gute Chriſt ſo gerne zu dem
oͤffentlichen Gottesdienſte, in ſeine Pfarr⸗ kirche, gehe.“ f
j — 119 —
L Was Gottesdienſt ſey.
Was er nicht ſe y.
Gott dienen heißt etwas Anders, als einem Men⸗ ſchen dienen: die Menſchen beduͤrfen allerlei Huͤl fe, einer bedarf des andern, die Kinder der Eltern, die Armen der Reichen, die Reichen der Armen, die Unwiſ⸗ ſenden der Verſtaͤndigen: Gott bedarf Keines, Er reicht vielmehr ſelbſt Allen das Leben, das Seyn, den Odem dar; Er heißt deßhalb der Sel bſtge nuͤgſame, Er iſt ſich ſelbſt, allein, genug, Er bedarf keiner Gabe, und die Menſchen konnten Ihm keine geben — Er iſt der Ewigſelige in ſich.
Gott dienen heißt etwas Anders, als einem Fuͤrſten dienen. Ein Fuͤrſt hat ſeine Diener, die ihm berich⸗
ten, was im Lande vorgeht, die dem Volke kundthun,
was er ihm kundthun will. Gott ſieht alle Dinge ſelbſt, wie ſie ſind, bedarf keines Berichtes, und kann ſelbſt alle Dinge ausrichten, die Er will — bedarf keines ſolchen fremden Helfers, indem Alles, was außer Ihm
iſt, von Ihm das Seyn hat.
Gott dienen heißt etwas Anders, als einem Men⸗ ſchen, einem Fuͤrſten aufwarten. Wenn der Fuͤrſt da⸗ her kommt, entbloͤßen ſeine Diener das Haupt, neigen ſich vor ihm, und thun, als wenn ihnen viel daran ge⸗
legen waͤre, ſeinen Willen zu wiſſen und zu vollbringen.
Man wartet dem Fuͤrſten auf, damit das Volk einen ſinnlichen Begriff von deſſen Groͤße bekomme, und gar oft, damit der Fuͤrſt in der Einbildung von ſeiner Groͤße unterhalten werde. Der Fuͤrſt kann aber ſeinen Dienern, ſeinen Aufwaͤrtern nicht in's Herz hineinſehen, kann nicht wohl wiſſen, ob es bloß aͤußerliche Ehrerbietung ſey, was er an ihnen wahrnimmt, oder ob das Herz auch daran Theil nehme. So nicht Gott, Er ſieht allen Men⸗ ſchen in's Herz, und weiß genau, ob die Menſchen Ihn wirklich verehren, anbeten, oder nur die Larve der An⸗ betung tragen. Er bedarf gar keiner Aufwartung, denn ſeine Hohheit iſt die Einzige. Er iſt durch ſich
— —¼
ſelbſt, was Er iſt, der Allerhoͤchſte. Er wird alle maͤch⸗ tiger, wenn Ihn die Menſchen verehren, und nicht ſchwaͤcher, wenn fie Ihn vergeſſen. Er hat kraͤftigere Mittel, das Menſchengeſchlecht feine Größe (beſonders durch Wohlthaten) fühlen zu laſſen — bedarf auch dazu der Aufwartung nicht. a
Was er fe.
Gott dienen heißt alfo in dem rechten Sinne des Wortes, Gott als den Herrn aller Dinge und Vater der Menſchen anerkennen, Ihn als ſolchen verehren und lieben, auf Ihn mit ganzer Seele vertrauen, und ſeinen Willen in Allem, was Er ordnet und fuͤget, beſtehlt und verbeut, mit Achtung gegen Ihn, vollziehen. 5
Gott dienen heißt an Ihn glauben, auf Ihn hof⸗ fen, Ihn von ganzem Herzen lieben.
Gott dienen heißt an Gott und an ſeinen Eigenſchaf⸗ ten und an ſeinem Willen lebendige Freude haben.
Gott dienen heißt, allen Eigenduͤnkel den erkann⸗ ten Rathſchluͤſſen Gottes, allen Eigenwillen dem erkannten Willen Gottes vollkommen unterwerfen.
Gott dienen heißt, ein lebendiges Bild ſeiner Guͤte und Barmherzigkeit und Gerechtigkeit unter den Men⸗ | ſchen ſeyn.
Gott dienen heißt, ſeinen Willen thun — wie ihn die Engel thun. |
Dieß iſt der rechte Begriff vom Gottesdienſte.
Das iſt der Gottesdienſt in uns, der Gottesdienſt des Frommen, und in ihm: was iſt aber der äußere, Öffentliche Gottesdienſt?
Wenn wir z. B. hier in dieſer Kirche zuſammenkom⸗ men, und den Glauben an Gott, der in unſern See⸗ len lebt, die Hoffnung auf Gott, die in unſern See⸗ len lebt, die Liebe zu Gott, die in unſern Seelen lebt, durch Worte, Geberden, Stellungen, Handlungen ein⸗ ander zu verſtehen geben; wenn wir ausſprechen mit dem Munde, was wir von Gott denken und empfin⸗ den, wenn wir die Wuͤnſche unſers Herzens Gott im
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einſtimmenden Gebete vortragen; wenn wir, Ein Herz, Eine Seele, all unſre Kraͤfte zur Lobpreiſung Gottes und zur Erfuͤllung ſeines Willens hingeben, opfern; wenn wir dem Diener Gottes, der uns den Willen Gottes kundthut, aufmerkſam, belehrſam zuhoͤren; wenn wir durch Niederknieen, Händefalten, Nies derſchlagen der Augen, Stillſchweigen zu ver⸗ ſtehen geben, daß wir fühlen unſre Abhangigkeit von Gott; wenn wir durch Anſchlagen an die Bruſt, und Ausſprechen der Worte: Herr, ſey mir armen Sünder gnädig! und durch Thraͤnen der Reue, die das Auge befeuchten, und alle uͤbrigen Zeichen eines zerknirſchten, zerſchlagenen Herzens einander zu ver⸗ ſtehen geben, daß wir die Groͤße unſerer Suͤnden und unſers Elen des empfinden, und von Gott Nachlaß und Erloͤſung erwarten; kurz, wenn wir den innern Gottesdienſt durch Worte, Geberden, Stellungen, Hands lungen offenbaren; wenn der innerliche Gottesdienſt ſich wirklich aͤußert, fo nennen wir's aͤußerlichen Gottesdienſt.
Wie Zachaͤus im Glauben an die Kraft db Lehre Jeſu und im Vertrauen auf die Erbarmung ſeines Got— tes, in feinem Innern alle feine Ungerechtigkeiten, vor Gott bekannte, verabſcheute, die Gnade Gottes in feinem Innern mit ganzer Seele umfaßte, und in⸗ wendig aus einem Knecht der Suͤnde ein Sohn Abra⸗ hams ward; wie er den großen Vorſatz faßte, vierfach zurückzuſtellen, was er etwa Andern durch Betrug ent⸗ wendet hätte, und die Hälfte ſeines rechtmaͤßigen Ver⸗ moͤgens den Armen zu geben — das war rechter innerlicher Gottesdienſt, Gott ſichtbar.
Wie er aber ſeine Geſinnungen offenbarte, wie er's ſagte: Ich gebe die Hälfte meiner Güter den Ars
men, — — wie er feine Güter wirklich austheilte, das war aͤußerer Gottesdienſt.
' Daraus erhellet denn auch, daß ohne va innern Gottesdienſt der aͤußere gerade fo viel ſey, als der Leib ohne Seele — gerade ſo viel, als eine Maſchine —
— 122 —
Daraus erhellet, daß der rechte Gottesdienſt innerlich und aͤußerlich ſey, und, wie der ganze Menſch, aus Leib und Seele beſtehe. |
Daraus erhellet denn auch, daß es noch kein Gottes⸗ dienſt ſey, wenn man in der Kirche it — — Denn die Stühle, Wände, die Leuchter, die Orgel find Tag und Nacht in der Kirche, aber man kann nicht von ih⸗ nen ſagen, daß ſie Gottesdienſt halten, weil ſie e nichts von Gott denken, empfinden konnen.
Daraus erhellet denn auch, daß Gott durch 3 Dienſt nichts gewinnt, wir aber durch ihn gewinnen.
Daraus erhellet denn auch, daß es kein rechter Got⸗ tesdienſt ſey, dem oͤffentlichen Gottesdienſte aus Zwang beiwohnen; weil der rechte Gottesdienſt aus dem Herzen kommt, was wir aber aus Zwang thun, nicht aus dem Herzen kommt.
Daraus erhellet auch, daß dem Gottesdienſte bei⸗ wohnen, um Menſchen zu ſehen und geſehen zu werden — kein rechter Gottesdienſt ſey. Denn Gott ſieht auf das Herz, und ein ſolches Herz, das bloß der Neugierde und Eitelkeit dient, kann Gott nicht gefallen.
II. Warum der gute Chriſt ſo gerne zum Gottesdienfie gehe ? Weil er feinen Gott uͤber Alles liebt. Weil er ſeinen Nächſten von Herzen liebt. Weil er ſich ſelbſt nicht haſſen kann, ſich ſelbſt lieben muß.
Weil er feinen Gott über Alles liebt.
Es iſt dieſes die Natur der Liebe, daß ſie ſich nicht einſchließen laͤßt im Innern: ſie bricht uͤberall durch. Die Liebe iſt wie ein Feuer, das du nicht mit Schloß und Riegel verſchließen kannſt: es bricht durch Schloß und Riegel, und breitet ſich aus.
Wer ſeinen Gott uͤber Alles liebt, der ſagt es gerne mit Worten und Geberden, daß er Ihn uͤber Alles liebe,
und geht gerne an den Ort, wo er mit feinen Mitchri⸗ ſten ſein Herz kann laut ſagen laſſen, daß es Gott liebe — zum öffentlichen Gottesdienſte.
Wer ſeinen Gott uͤber Alles liebt, der hoͤrt gerne von Ihm reden, geht alſo gerne an einen Ort, wo von Ihm ein dazu beſtellter Lehrer aus geruͤhrtem Herzen ſpricht — zum oͤffentlichen Gottesdienſte. ;
Wer feinen Gott über Alles Tiebet, der klagt Ihm gerne ſeine Anliegen, geht gerne an den Ort, wo er mit feinen Mitchriſten die gemeinſamen Anliegen in einem gemeinſamen Gebete dem Einen Vater der Menſchen vor⸗ tragen kann — zum oͤffentlichen Gottesdienſte.
Wer ſeinen Gott uͤber Alles liebt, der freut ſich, wenn der Name Gottes genannt, ſeine Wohlthaten er⸗ zählet, feine Verheißungen verfündet, feine Liebens⸗ wuͤrdigkeit gepriefen wird — geht alſo gerne an den Ort, wo Gottes Name öffentlich ausgeſprochen, feine Wohlthaten erzaͤhlet, ſeine Verheißungen verkuͤndet, ſeine Liebenswuͤrdigkeit geprieſen wird — zum öffentlichen Gottesdienſte. |
Wer feinen Gott uͤber Alles liebet, der freut ſich, wenn ſeine Liebe gegen Gott neue Nahrung findet, geht alſo gerne an den Ort, wo ſeine Gedanken an Gott ge⸗ wecket, ſeine Freude an Gott geſtaͤrket, ſein Gehorſam gegen Gott ermuntert wird — zum öffentlichen Gottesdienſte.
Wer feinen Gott uͤber Alles liebet, der freut ſich, viele Menſchen zu finden, die Ihn auch lieb haben, geht alſo gerne an den Ort, wo ſich die Freunde ſeines Got⸗ tes verſammeln — zum öffentlichen Gottesdienſte.
„Aber ich behalte meine Liebe zu Gott im Herzen.“
Das heißt: ich erlaube es der Flamme nicht, daß ſie
brenne — daß fie ſich ſichtbar mache. Freund, keine
Liebe, oder fie zeigt ſich! Das heißt: der Baum trägt
Fruͤchte, aber kein Menſchenauge bekommt ſie zu ſehen.
Weil er feinen Naͤchſten von Herzen liebt.
Er geht zum öffentlichen Gottesdienſte, um feinen Naͤchſten zu erbauen.
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Er weiß aus Erfahrung, daß es keine reinere Freude auf Erden gibt, als eins mit ſich und mit ſeinem Gott zu ſeyn. Dieſe Freude goͤnnt er nun auch ſei⸗ nen Mitchriſten, moͤchte es gerne haben, daß auch ſie ſchmecken, inne werden moͤchten, wie ſuͤß der Herr ſey; wuͤnſcht nichts ſo ſehr, als daß auch ſie mit Freude an Gott denken und mit Luſt ſeinen Willen thun moͤchten — geht alſo gerne an den Ort, wo er durch ſeinen Eifer im Gebete die Traͤgen zum Mitbeten ermuntern, durch ſeine gluͤhende Andacht die Kalten zur Mitandacht er⸗ waͤrmen, durch ſeine Achtſamkeit auf das Wort Gottes die Unachtſamen zum Mitanhoͤren deſſelben, durch ſeine durchſcheinende Freude an Gott die Traurigen, die ohne Gott in der Welt ſind, zur Mitfreude an Gott, wecken kann.
Er weiß aus Erfahrung, wie groß die Kraͤfte des Beiſpieles auf das Herz des Menſchen, und wie ſehr die Menſchen eines guten Beiſpiels beduͤrftig ſind. Er hat ſeine Mitmenſchen zu lieb, als daß er ihnen das gute Beiſpiel in Beſuchung des oͤffentlichen Gottesdienſtes ent⸗ ziehen ſollte.
Er denkt bei ſich: weil ich den Naͤchſten lieb habe, ſo theile ich mein Brod mit ihm, wenn er keines hat, oder meinen Mantel, wenn er keinen hat. Wenn nun die Liebe Zeitliches gibt dem, der Zeitliches bedarf, ſoll die Liebe nicht auch Antrieb zum Ewigen dem ver⸗ ſchaffen, der eines ſolchen Antriebes noͤthig hat?
Und was treibt mehr zu ewigen, unſichtbaren Guͤtern, als der Anblick ſolcher Menſchen, die des Irdiſchen ver⸗ geſſen, ſich in der Abſicht verſammelt haben, um die Be⸗ gierde nach dem Himmliſchen in ſich zu erwecken und zu beleben?
Dieſer Grund hat eine bewegende Kraft — auch fuͤr den Froͤmmſten, der vielleicht keines Antriebes zum Guten bedarf. |
„Meinetwegen, ſey's, daß du, um erbaut zu werden, nicht zum öffentlichen Gottesdienſte gehen duͤrfteſt, weil du ſchon erbaut biſt: fo beduͤrfen's doch Andere, daß du dazu geheſt. Dein Beiſpiel kann vielleicht mehr Eindruck machen, als die Predigt. Alſo wuͤrdeſt du hart ſeyu,
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wenn du die Wohlthat deines Beiſpieles den Schwachen entzoͤgeſt.“ 0
Auch fuͤr den Gelehrteſten, der vielleicht keines Unterrichtes bedarf. Aber ſeines Beiſpiels beduͤrfen Andere.
Auch fuͤr Vornehme, und beſonders vornehme, ange—
ſe hene Perſonen — ihres Beiſpieles bedürfen die Niedern.
O Naͤchſtenliebe, was vermagſt du nicht? Du
lehreſt verachten alle Unbequemlichkeit, wenn es auf Er⸗
bauung ankommt, verachten alle Beſchwerniß, wenn es um das Heil des Menſchen zu thun iſt.
Giieng doch auch Jeſus in den Tempel: und Petrus und Johannes giengen noch nach dem Pfingſtfeſte — in den Tempel zu beten. Biſt du denn froͤmmer, weiſer als
Jeſus? biſt du vom Geiſte Gottes mehr angewehet, als
Petrus und Johannes?
Er geht zum oͤffentlichen Gottesdienſte, weil er ſich ſelbſt nicht haſſen kann, ſich ſelbſt lieben muß.
Es geht mit der Tugend, wie mit der Geſundheit
des Leibes. Wenn du zu lange Hunger leideſt, ſo wirſt du ſo ſchwach, daß du dich kaum mehr ertragen, kaum mehr bewegen kannſt. Da nimmſt du denn Brod und
Speiſe zu dir, und ſieh, nach und nach erholeſt du dich
wieder, und deine Kräfte find neu. Denn die Ge⸗ ſundheit bedarf einer Nahrung, und Speiſe naͤhret. Unter den vielen Sorgen, Arbeiten, Zerſtreuun⸗
gen wird der Gedanke an Gott, der treue Blick zu Ihm und mit ihm alle Tugend matt, — — ohnmaͤchtig. Es iſt uns manchmal, als wenn wir kein Herz im Leibe, und keinen Gott zum Vater hätten, fo kalt, fo öde, fo kraftlos iſt unſer Streben nach dem Guten. Da ſchallt die Glocke, und ruft uns zum Gottesdienſte; wir gehen mehr aus Gewohnheit als aus Andachtstrieben, noch kalt
und ohne Empfindung wie das Kirchenpflaſter, das wir betreten. Aber ſieh! wenn wir ſehen die Andacht unſers Nachbars, wenn wir hoͤren die Stimmen der Kinder, deren Lallen Gott nicht verſchmaͤhen kann, wenn das Evan⸗
geliuÜm aus dem Munde des Predigers unſer Ohr
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beruͤhrt, wenn das ganze uͤbrige Volk vor dem Herrn niederkniet — — — da wachet auf der Gedanke an Gott, wir ſchaͤmen uns, allein kalt und gefuͤhllos zu ſeyn — Empfindung kommt in's Herz und Thraͤne in's Aug, und der lebendige Vorſatz: Ich will beſſer, beſſer ers den, in die Seele.
Der gute Menſch, der gute Chriſt muͤßte ſich alſo ſelbſt haſſen, wenn er fuͤr die ſterbende Flamme der Andacht kein Oel ſuchen moͤchte, wenn er die Gelegen⸗ heit, aus einem traͤgen, kalten, unempfindlichen Menſchen thaͤtig, warm, gefuͤhlvoll fuͤr Gott, Tugend, een zu werden, ungebraucht voruͤber ließe.
Der gute Chriſt geht zum Gottesdienſte, weil er ſich nicht haſſen kann. — Er geht in die Kirche — weil er
zu Tiſche geht — um feine Geiftesfchwäche zu ergänzen. Nicht, als wenn der Menſch nicht auch außer der Kirche Nahrung für feine Tugend finden koͤnnte. —
Denn Alles in und außer der Kirche, Alles kann uns
an Gott erinnern und zu Gott führen; der Gedanke fin⸗
det uͤberall den Weg zu Gott, in und außer der Kirche; den leiſeſten Seufzer hoͤrt Gott in und außer der Kirche; uͤberall ſinden wir Spuren, Fußſtapfen Gottes in und außer der Kirche.
Nur ſo viel will ich ſagen: der gute Chriſt findet in dem oͤffentlichen Gottesdienſte ſo viel Nahrungsmittel ſei⸗ ner Andacht, daß er aus lauter Eigennutz davon Ge⸗ brauch machen muͤßte, wenn ihn nichts Anders dazu be⸗ wegen ſollte.
Da tritt aber ein trüber Gedanke in meine Seele, den ich, um der Wahrheit willen, nicht verſchweigen darf.
Wenn der gute Chriſt den Öffentlichen Gottesdienſt
fleißig und gerne beſuchet, um da ſeine Andacht zu naͤh⸗
ren, ſo muß es wohl eine große Pflicht fuͤr alle Hirten
der Kirche, Seelſorger und alle Gehuͤlfen an der Seel⸗ ſorge ſeyn, den oͤffentlichen Gottesdienſt theils ſo zweck⸗
mäßig zu ordnen, theils mit ſolcher Würde und ſolchem Eifer zu halten, daß die Heerde geſunde Weide finden koͤnne. Wehe uns, wenn wir ſelbſt auch nur zum Theile Schuld daran waͤren, daß unſre Kirchen ſo leer ſtuͤnden!!
e
III.
orum der gute Chriſt ſo gerne und d fg in ſeine 5 Pfarrkirche, zum Gottesdienſte gehe?
Er findet da erg Erinnerungen an ſeinen Gott.
Denn ſehet, meine Theuren, hier ſind die meiſten aus euch getauft worden — hier werden eure Kin⸗ der getauft und der Kirche Gottes einverleibet — hier wird euch von eurem ordentlichen Seelſorger, dem eure Seelen auf ſeine Seele hin anvertraut worden, oder von ſeinen Amtsgehuͤlfen, in ſeinem Namen, an den Sonn⸗ und Feſttagen das Wort Gottes an die Menſchen ver⸗ kuͤndet — hier werden die Brautpaare eingeſegnet, und geloben vor dem Angeſichte Gottes einander ewige Treue
— hier werden eure Kinder, euer Beſtes, mit der Milch
des Evangeliums geſtaͤrket — hier opfert euer Seelſor⸗
ger ſeine Fuͤrbitte und das Blut des neuen Bundes fuͤr
euch — als feine Kinder — hier geht jährlich am Oſterfeſte die ganze Gemeinde zum Tiſche des Herrn — von hier aus werden eure Kranken mit dem Leibe Jeſu geſtaͤrket, und mit dem Oele geſalbet — von hier aus werden eure Todten begraben u. ſ. w.
Wie erinnernd iſt dieß Alles; wie einladend
der bloße Name: Mutterkirche, fuͤr Kinder, die ſich im
Schoße ihrer Mutter wohl befinden. Aber die Mutter
iſt nicht eiferſuͤchtig, verbietet euch nicht die Beſuche
fremder Kirchen — will nur nicht hintangeſetzet ſeyn,
will von euch nur, um euretwillen, um eures Beſten willen, beſuchet werden. — — —
—
— 13 —
XIII. Als Georg an hingerichtet war
Eine Rede an das Volk, gehalten auf der Richtſtätte außer Dillingen, am 14. Mai 1790.
Mer fündiget, iſt ein Knecht der Sünde. ö Jeſus Chriſtus.
Auf einer ſolchen Kanzel, wie dieſe da iſt, habe ich noch nie geprediget, und mit groͤßerer Empfindung habe ich noch nie ein Wort ausgeſprochen, als dieſes, das ich jetzt, gedrungen von einem ſchrecklichen Schauſpiele, bei dem ich mehr als Zuſchauer geweſen bin, Wee. N chen muß.
Seht, was es iſt, ein Menſch ſeyn!
So tief, ſo tief kann der Menſch fallen, daß die Obrigkeit kein Mittel mehr weiß, der allgemeinen Un⸗ ordnung und Zuͤgelloſigkeit vorzukommen, als durch die ſchreckliche Veranſtaltung, daß ein Menfh — von Men⸗ ſchen — zum Beiſpiele fuͤr Menſchen — gewaltſam durch Schwertſchlag oder noch grauenvollere been aus der Welt geſchaffet werde.
Laßt uns den Menſchen bedauern in dite leblosen Rumpfe, und in dem Haupte, das nun dem Rumpfe, auf dem es noch vor wenigen Augenblicken geſtanden, in den Schooß gelegt iſt —
Ihr habt das Blut ſpritzen ſehen — es iſt ein Men⸗ ſchenblut: wer konnte es ſehen, ohne vom Schauer ergriffen zu werden? Ihr habt das blanke Schwert geſehen: eine Menſchenhand mußte es gegen einen Menſchen führen, um der heiligen Gerechtigkeit ein Ge⸗ nuͤge zu thun. er
Laßt
12
— 129 =
Laßt uns trauern: es war ein Menſch, den man hingerichtet hat, gebaut aus Fleiſch und Blut, wie wir, ein Adamsſohn, wie wir —
Laſſet den Eindruck, den der Anblick einer ſolchen
Leiche auf uns machen muß, recht tief ſich eingraben in euer Inwendiges. Es ſteht wie mit einem Gottesfinger auf der entſeelten Stirne geſchrieben: Ein Menſch wie ihr!
Faſſet ſie, dieſe Schrift, recht in's Auge, und laſſet
euch dieſes Gotteswort heilig ſeyn: Ein Menſch wie
ich — und vielleicht: Ein beſſerer, als viele aus uns! 2.
Aber nicht nur die Menſchheit bedauern, nicht nur uns ſelbſt fuͤhlen in dieſem Menſchen, auch den Finger Gottes in dieſer ſchreckvollen Begebenheit erkennen —
wollen wir.
Es iſt ein weiſer Gott, der den een Mens ſchen durch den zeitlichen Tod zum wahren, ewigen Leben zu bringen wußte; es iſt ein guͤtiger Gott, der den
verirrten Menſchen durch die Fruͤchte ſeiner Suͤnde zuerſt
zu ihm ſelbſt — und von da aus zu ſich zuruͤckgebracht; es iſt ein barmherziger Gott, der an dem vergan⸗ genen Mittwoche Abends, zwiſchen fuͤnf und ſechs Uhr, das Herz des Suͤnders geruͤhrt, daß er aus einem hart⸗ näckigen vierjährigen Laͤugner ein reuevoller, demuͤthiger, von Scham und Schmerz durchdrungener, ſtandhafter Be⸗ kenner ſeiner Verbrechen ward, daß er die Gerechtigkeit Gottes in dem Ausſpruche der Obrigkeit verehrte, daß er den Stab kuͤßte, der uͤber ihn gebrochen ward.
Laßt uns dankbar preiſen die allmaͤchtige Gnade Jeſu Chriſti, die das Herz aufweichen, in Reue auf⸗
loͤſen, zur Liebe der Tugend erwärmen, mit Zuverſicht
erfüllen — die das Herz umaͤndern, und fo ſtandhaft aus Glauben an eine ewige, weiſe, gerechte, allmaͤchtige Liebe, ſo ſtandhaft in Erduldung der verdienten Strafe machen konnte, als es vorher unbewegbar und hartſinnig im Laͤugnen der Verbrechen war.
J. M. v. Sailers ſämmtl. Schriften. XXXV. Bd. 9
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Laßt uns die allweiſe Regierung Gottes ame beten, die den Miffethäter durch das Thraͤnengebet und die Beredtſamkeit ſeines Weibes, (denn dieſem Ausguſſe des geruͤhrten Herzens konnte er nicht widerſtehen,) er⸗ ſchuͤtterte, daß er dem Triebe des Gewiſſens folgte, und die Erbarmungen Gottes vertrauends und demuths voll umfaßte, ſtatt auf ſeine vorgegebene Unſchuld noch laͤn⸗ ger zu trotzen.
O, ich kann mit ſo vieler Ruhe des Geiſtes an den Enthaupteten denken — er wird nun ſchon das Wort Jeſu, das dieſer Suͤnderfreund einſt auch zu einem Miſſe⸗ thaͤter ſprach, heute noch wirſt du bei mir im Pa⸗ radieſe ſeyn, aus dem Munde dieſes treuen Suͤnder⸗ freundes gehoͤret, und die Wahrheit erfahren haben: daß die Barmherzigkeit keinen verfößt, der mit zerſchlagenem Herzen zu ihr kommt.
Zwar iſt es um die Bekehrungen in den letzten Stunden eine aͤußerſt zweideutige Sache. Allein, ich habe auch dießmal gelernet, daß ſich die Erbarmungen Gottes durch kein Urtheil der menſchlichen Vernunft ein⸗ ſchraͤnken laſſen, und ſo wenig an ein Zeitmaaß als an einen Ort gebunden ſind. Ich habe auch dießmal geler⸗ net, daß der Wind wehet, wo er will.
Wir waren Alle ſeinetwegen beſorget, ob er nicht in der Hartuaͤckigkeit verharren, und durch dieſe Verhar⸗ rung in der Sünde fein Ende noch ſchauervoller machen wuͤrde. Aber der Himmel hat uns dieſe Laſt vom Her⸗ zen genommen; hat uns ſeinen Tod noch zum Exempel der Buße gemacht; hat durch das Muſter der Stand⸗ haftigkeit in verdienten Leiden, das ſein Todesgang uns gegeben, (und das jedem unglaubbar ſeyn muß, der nicht ein ſo unmittelbarer Zeuge ſeiner Geſinnungen ſeyn konnte, wie ſein Gewiſſensfreund,) das Aergerniß ſeiner ſtraf⸗ wuͤrdigen Halsſtaͤrrigkeit im Leben getilget; hat uns an ihm einen öffentlichen Bekenner und einen Prediger ges ſchenket, deſſen Worte gewiß mehr Eindruck werden ge⸗ macht haben, als unſre gewöhnlichen Predigten. 4
Laßt uns den Vater preiſen, der dem verlornen | Sohne Reue in das Herz, und Bekenntniß in den
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Mund, und Bußthraͤnen in das Auge, und Muth, die Folgen ſeiner Suͤnde ſtandhaft zu tragen, in ſeine Seele geleget.
Es iſt eine unſichtbare Erbarmung, die die Menſchen zu ſich leitet — Ihr ſey Lob und Ehre in Ewigkeit! | 3.
So angenehm dieſe Dankempfindung immer iſt, und fo ruhig ich, wegen der Schickſale des Hingerichte⸗ ten in dem beſſern Lande, ſeyn kann: ſo liegt mir doch noch etwas am Herzen, das ich ſagen muß, und nicht ohne Furcht vor mir ſelbſt ſagen kann; naͤmlich: jede Leidenſchaft, jede ſuͤndhafte Neigung, weß Na⸗ mens ſie immer ſeyn mag, kann jeden, der ihr nicht widerſteht, in den elendeſten Zuſt and ver⸗ ſetzen, kann ihn mit ſich fortſchleppen, und auf eine Richtſtaͤtte liefern, wie dieſe da iſt. Wer Menſch iſt, zittere vor ſich ſelbſt!
Denn ſieh! ſobald der Neid, der in dir iſt, oder ſein Vater, der Hochmuth, oder die Wolluſt, oder die Arbeitſcheu, oder die Spielſucht, oder die Herrſch⸗ und Rachbegierde — kurz, ſobald die Leidenſchaft, die in dir iſt, herrſchend wird, (und wie bald, wie leicht kann ſie herrſchend werden?) ſobald ſie herrſchend wird: dann biſt du ihr Knecht, und ſie macht mit dir und aus dir, was ſie will, macht dich blind und taub gegen deine Pflicht und dein wahres Gluͤck, und es muß nur an Umſtaͤnden fehlen, ſonſt macht ſie dich zum öffentlichen Verbrecher, und es muß nur ein Zufall, (ein Zufall fuͤr uns, eine geheime Leitung auf Seite Gottes —) ein Zufall muß es ſeyn, der dich rettet, ſonſt bringt ſie dich auf den Richtplatz, und die Menſchen koͤnnen nichts N thun, als dich aus der Welt ſchaffen.
Das iſt ein Abgrund, den die Ungieichen in der Stunde der Leidenſchaft nicht ſehen, und in den ſie eben deßwegen, weil ſie ihn nicht ſehen, deſto gewiſſer hinun⸗ terſtuͤrzen. Sobald wir den erſten Schritt außer dem aun der e thun: ſo wiſſen wir nicht mehr, wo
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wir uberall eintreten, da ob wir dem Verderben nicht in den offenen Schlund hineinrennen werden. |
Dieß war der erſte Theil der Lebensgeſchichte des Hingerichteten.
Er entfernte ſich nach und nach von der Arbeits⸗ liebe, und zuvor von ſeinem Gott immer mehr, achtete der Gewiſſensbiſſe und der geheimſten War⸗ nungen immer weniger, ward immer kuͤhner und kuͤhner im Unrechtthun, machte Gemeinſchaft mit Boͤſen und Boͤ⸗ ſern, als er war, und hoͤrte nicht auf Boͤſes zu thun, bis er der Gerechtigkeit in die Haͤnde ſiel.
Und was an Einem Menſchen geſchehen, das kaun an jedem Andern geſchehen.
Wer ein Menſch iſt, kann ſuͤndigen, und wer ſuͤn⸗ diget, kann ein oͤffentlicher Verbrecher werden, und wer einmal ein oͤffentlicher Verbrecher iſt, der iſt der Gerech⸗ tigkeit heimgefallen, und es iſt oft noch ſein groͤßtes Un⸗ gluͤck, wenn er ihrem Strafarm entlaͤuft. Alſo, wer Menſch iſt, zittre vor ſich ſelbſt, und ſehe in ſein Herz hinein, denn er traͤgt einen Scharfrichter in ſich, wie er eine Hoͤlle in ſich hat, — widerſtehe den ungeordneten Neigungen, ſo lange ſie noch geringe, ſchwach ſind, da⸗ mit fie nicht größer, ftärfer werden, als er iſt, und ihn in's Verderben mit fortziehen.
4.
Und dieſe Folge der herrſchenden Suͤnde, daß ſie den Suͤnder der Gerechtigkeit in die Hände liefert, und das Todesurtheil uͤber ihn ausſpricht, dieſe gewiß ſchreckliche Folge iſt noch die geringſte aller uͤbrigen Folgen, die un⸗ ſichtbare und nothwendige Folgen des zaumloſen Suͤnde⸗ lebens, und ungleich furchtbarer ſind. Denn ſieh! die Todesſtrafe betrifft ja doch nur den Leib, und ſchafft | uͤberdieß dem Geiſte Gelegenheit, ſich zu Gott zu er⸗ heben, ſich an ſeine Erbarmungen anzuſchmiegen, und noch umgewandt zu Ihm, und noch froh, und noch zum Theile der beſſern Freude wuͤrdig zu werden.
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und das iſt der zweite Theil der Lebens⸗ geſchichte des Hingerichteten, der von der ſechsten Stunde der letzten Mittwoche Nachmittags, bis auf die eilfte Stunde des heutigen Tages, alſo ein und vierzig Stunden, gewaͤhret hat. ö In dieſem kurzen Zeitraume hat fein Geiſt an Glau⸗ ben, an Vertrauen, an Liebe, an Starke zu allem Guten — fo ſehr zugenommen, daß ich nie ohne Thräs nen an dieſe ſeligen Stunden meines Lebens, in denen ich Zeuge ſeiner Entſchloſſenheit ſeyn konnte, denken werde. Es war nicht Todes furcht, die ihn zahm machte. Es war Glaube an Jeſus, der die Todesfurcht beſiegte, und ihn ſtaͤrker machte, als der Tod und ſein Schrecken iſt. Alſo war die Suͤnde die Mutter ſeines Elendes, und das Elend ward eine Quelle des Gluͤckes fuͤr ihn. Er dankte auch recht oft unter Thraͤnen dem guͤtigen Gott, daß Er ihm Bahn gemacht, zu Ihm zu kommen, und konnte geſtern ohne Heuchelei mehr als fuͤnfmal ſagen:
Ich bin nun fo getroſt, ob meinem Korper gleich nichts als der Tod bevorſteht, daß, wenn man mir das Leben ſchenkte, ich Ans ſtand nahme, ob ich von der Gnade auch Gebrauch machen wollte.
Da nun die Todesſtrafe ſo wohlthaͤtige Folgen fuͤr den Suͤnder haben kann, ſo wird es bald offenbar ſeyn, daß ſie unter den uͤbrigen Folgen der Verbrechen noch die geringſte ſey.
Denn indeß, da dieſer Mann peinlich hingerichtet ward, und dieſe Pein ſich zur Bruͤcke machen konnte, zu ſeinem Gott zu kommen, — — — gehen vielleicht groͤßere Verbrecher, im Seidengewande, unangefochten auf Gottes Erdboden umher, und achten kein Gebot, und fuͤrchten keinen Gott, und glauben an keine Ewigkeit, und gehen mit verſchloſſenem, hartem, verſtocktem Sinn gegen alles Gute umher — und genießen noch obendrein Ehre oder Wolluſt, oder beides nach- Fuͤlle — und ſpie⸗ len am Rande des Verderbens — und ſehen nicht, daß fie am Rande ſpielen.
O, dieſer elende Zuſtand iſt — recht elend, und dieſe
Folge iſt die ſchrecklichſte aus allen.
Lernet alſo, m. Th., aus den ſichtbaren Folgen der Suͤnde auf die unſichtbaren ſchließen, lernet die Suͤnde
verabſcheuen, da ſie eine Quelle des en Elendes
iſt oder werden kann.
5. Und wenn die Suͤnde ſo großen Jammer anrichtet,
—
wenn ſie die erſte und groͤßte Feindin des Menſchen⸗
geſchlechtes iſt, ſo laſſet ſie weder in euch, noch in dem
Kreiſe, worin ihr lebet, Wurzel faſſen.
O ihr, von Gott geſetzt, das Gute zu foͤrdern, Haus vaͤter, Hausmuͤtter, Obrigkeiten, Lehrer — und beſonders ihr Hausväter, Hausmuͤtter, wachet vor eurer Thür, daß das Verderben bei euch, oder euren Kindern, oder euren Hausgenoſſen nicht Einkehr nehme —
Wachet vor eurer Thuͤr, denn jede Suͤnde wird ſobald gebietend, und jede gebietende Suͤnde geht mit einer Todesſtrafe ſchwanger — oder mit noch etwas
Aergerm, und es kommt nur auf Umftände an, daß das
aͤußerſte Elend geboren werde!
6. f
Und nun noch einen Blick in den Himmel hinauf: Jeſus Chriſtus laſſe dieſe Vorleſung an mir und meinen Zuhoͤrern geſegnet ſeyn; Jeſus Chri⸗ ſtus erhoͤre unſer Flehen fuͤr den Geiſt, der dieſe blutige Hille da — bewohnte; Jeſus Chriſtus laſſe den Ein druck, den dieſes Schauſpiel auf uns gemacht, nicht mit dem heutigen Tage oder dem morgigen Beitungblejen wies der verſchwinden |
Denn, es war ein Menſch — der buena ward, und Menſchen ſind wir auch!!!
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MD een
an einigen Sonntagen.
1 ä XIV. von dem Wiederkommen unſers Herrn.
reg rg in der Stiftskirche zu Dillingen, am letzten Sonntage an Pfingſten, 1790.
Es werden Himmel und Erde vergehen; aber meine Worte wer: den nicht vergehen. Matth. XXIV, 34.
Als 3 Jeſus einſt aus dem Tempel herausging, und ſeine Juͤnger mit ihren Betrachtungen bei dem ſchoͤnen praͤch⸗ tigen Gebaͤude ſtehen blieben, blickte Jeſus in die Zu⸗ kunft hinein, und ließ ein Wort fallen, das ſeinen Freun⸗ den tief in die Seele ging:
„Sehet ihr dieß Alles? wahrlich ſage Ich euch, es wird kein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerſtoͤrt werden ſollte.“
Dieß Wort machte die Juͤnger aufmerkſam. — Wie ſie denn mit ihrem Meiſter an den Oelberg kamen, und ſich ſo geſetzet hatten, daß ihnen die Stadt und der Tempel in's Auge fielen: da ward der Gedanke an die kuͤnftige Zerſtoͤrung des Tempels in ihnen ſo lebendig, daß ſie ſich nicht erwehren konnten, zu fragen: wann wird wohl dieſer ſchoͤne, große Tempel zerſtoͤrt werden, und wann wird das Ende der Welt kommen?
Die Neugierigen thaten den Mund nicht umſonſt auf, und fragten wahrhaftig nicht um Kleinigkeiten. Jeſus befriedigte dieſe Neugier, ſo gut ſie befriedigt werden konnte und durfte — wollte aber etwas mehr, als ihre Neugier befriedigen — Er warnte fie vor Verfuͤhrungen,
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und gab ihnen ſolche bedeutende Winke von der Zerſtoͤ⸗
rung Jeruſalems, daß ſie genug daran zu denken hatten,
und ſolche bedeutende Winke von dem Ende der Welt, daß nicht nur ſie, ſondern auch wir und alle Menſchen, die davon leſen oder hoͤren, genug daran zu denken haben.
Was Jeſus von der Zerſtoͤrung des Tempels geſagt, geht uns nicht gar ſo nahe an, ob es gleich auf man⸗ cherlei Weiſe ſehr lehrreich auch fuͤr uns iſt und bleibt: aber was Er vom Ende der Welt geſagt, das ift ſo ganz fuͤr uns Alle geſagt, daß wir das Wort unſers
Herrn: „Der's liest, der habe Acht darauf,
der's hoͤrt, der merke es ſich, wohl auf uns anwenden
dürfen. — Das Wichtigſte, was Jeſus bei dieſem
Anlaſſe vom Ende der Welt gelehrt, iſt beilaͤufig dieſes:
J. Er, der Menſchenſohn, der König, wird gewiß wies
derkommen mit großer Kraft und Majeſtaͤt; wird
ſeine Geliebten durch ſeine Herolde aus allen vier
Weltgegenden zuſammenbringen. XXIV, 30. 31.
Alle Voͤlker werden vor dem Throne ſeiner Ma⸗
jeſtaͤt verſammelt werden, und Er wird die Guten
von den Boͤſen ſondern; wird jene in das Reich, das fuͤr ſie von Anbeginn der Welt bereitet war, einfuͤhren, dieſe von ſich weiſen, und ihrem Elende
uͤberlaſſen. — XXV, 31 — 46.
Unmittelbar vor dieſem Wiederkommen Jeſu wird
die Sonne ihr Licht, der Mond ſeinen Glanz, die
Sterne werden ihre Herrlichkeit verlieren, die Kraͤfte
des Himmels erſchuͤttert werden, das Zeichen des
Menſchenſohnes wird am Himmel erſcheinen; und
alle Geſchlechter der Erde werden weheklagen.
XXIV, 29 — 31. |
III. Den Tag, oder die Wiederkunft Jeſu, weiß Nie⸗ mand, auch die Engel im Himmel niche nur allein der Vater. XXIV, 36.
IV. Vor dieſen Tagen wird ein allgemeiner Unglaube und allgemeiner Leichtſinn der Menſchen hergehen, wie es zur Zeit Noahs war. XXIV, 36 — 40.
V. Die Einzige Pflicht, deren Erfuͤllung uns bei aller Unwiſſenheit, wann Jeſus kommen werde, ſchadlos
II
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halten kann, iſt: wachen, und ſich bereithal⸗ ten. — Matth. XXIV, 42 — 51. XXV, 1— 31. VI. Was Jeſus von feiner Wiederkunft, und der Zer: ſtoͤrung Jeruſalems lehrte, iſt ſo gewiß, daß nach ſeinem Ausdrucke Himmel und Erde vergehen, aber ſeine Worte nicht vergehen — in die genaueſte Er⸗ fuͤllung kommen werden. XXIV, 35. * 85 %
Wir wollen heute die erſte dieſer Lehren, mit der alle uͤbrige in Verbindung ſtehen, etwas naͤher betrachten:
| Jeſus wird wiederkommen. |
Es wird, wie ich hoffe, fuͤr Chriſten angenehm und nuͤtzlich ſeyn, an das Wiederkommen ihres Herrn zu denken.
Angenehm und nuͤtzlich iſt es wenigſtens fuͤr alle wahre Juͤnger Jeſu; denn es iſt eine gewiſſe Wahr heit, daß Er wiederkommen werde, und eine ſolche Wahrheit, die, lebendig geglaubt, nicht ohne ſegenvolle Wirkung an uns ſeyn kann.
’ So freuet euch denn mit mir, Singer Jeſu — denn
unſer Herr kommt wieder. Und:
Dieß ſein Wiederkommen iſt gewiß. Und: Der Glaube daran iſt fuͤr uns heilſam.
Du, deſſen Wort Wahrheit iſt, beweiſe es auch an dieſem Worte von deinem Wiederkommen, daß es eine allmächtige Wahrheit ſey, allmaͤchtig, mich und meine Zuhörer zu beſſern, zu troͤſten, zu erfreuen!
| I. N > Es iſt gewiß, daß Jeſus wiederkommen werde. Er wird gewiß wiederkommen, denn | I. Er hat es gefagt, und hat es klar und ber ſtimmt geſagt. Und Er verdient es, daß Ihm auf ſein Wort geglaubt werde. Er hat es klar und beſtimmt geſagt: „Wenn der Menſchenſohn in ae Herrlichkeit kommt, und alle ſeine
Engel mit ihm: dann wird Er auf feinem majeftäti- ſchen Throne ſitzen; vor Ihm werden ſich alle Voͤlker verſammeln, und Er wird ſie von einander ſondern, wie ein Hirt die Schafe von den Böden ſondert, und wird die Schafe zu ſeiner Rechten, und die Boͤcke zu ſeiner Linken ſtellen. Sodann wird der Koͤnig denen zur Rech⸗ ten ſagen: Kommet, ihr Geſegnete meines Vaters, erbet das Reich, das euch bereitet iſt von Anbeginn der Welt. Denn Ich bin hungrig geweſen, und ihr habt mich ge ſpeiſet; Ich bin durſtig geweſen, und ihr habt mich ge⸗ traͤnket; Ich bin ein Gaſt geweſen, und ihr habt mich beherberget; Ich bin nackt geweſen, und ihr habt mich bekleidet; Ich bin krank geweſen, und ihr habt mich be⸗ ſuchet; Ich bin gefangen geweſen, und ihr ſeyd zu mir gekommen. Dann werden Ihm die Gerechten antwor⸗ ten, und ſagen: Herr! wann haben wir dich hungrig geſehen, und beherberget? oder nackt, und haben dich be⸗ kleidet? Wann haben wir dich krank oder gefangen ge⸗ ſehen, und ſind zu dir gekommen? Und der Koͤnig wird ihnen antworten, und ſagen: Wahrlich, ich ſage euch: was ihr Einem unter dieſen meinen geringſten Bruͤdern gethan habt, das habt ihr mir gethan. Dann wird Er auch denen zur Linken ſagen: Gehet hin von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das dem Teufel und ſeinen Engeln bereitet iſt. Ich bin hungrig geweſen, und ihr habt mich nicht geſpeiſet; Ich bin durſtig geweſen, und ihr habt mich nicht getraͤnket; Ich bin ein Gaſt geweſen, und ihr habt mich nicht beherberget; Ich bin nackt geweſen, und ihr habt mich nicht bekleidet; Ich bin krank und gefangen geweſen, und ihr habt mich nicht beſuchet. Da werden ſie Ihm auch antworten, und ſa⸗ gen: Herr! wann haben wir dich hungrig, oder dur⸗ ſtig, oder als einen Gaſt, oder nackt, oder krank, oder gefangen geſehen, und haben dir nicht gedienet? Dann wird Er ihnen antworten, und ſagen: Wahrlich, ich ſage euch: was ihr Einem unter dieſen Geringſten nicht ge⸗ than habt, das habt ihr mir auch nicht gethan. Und ſie werden in die ewige Pein gehen: aber die Gerech⸗ in das ewige Leben.“ — Matth. XXV, 31 — 46.
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Er hat es durch das Gleichniß von dem Braͤu⸗ tigam, der in der Mitternacht gekommen, und die wei- ſen Jungfrauen zum Hochzeitmahle mit ſich genommen, die thoͤrichten aber draußen hat ſtehen laſſen, deutlich zu verſtehen gegeben, daß Er der Braͤutigam ſey, daß Er wiederkommen, daß Er ſeine treuen Freunde gluͤcklich machen, und die Untreuen ihrem Schickſale uͤberlaſſen werde. Matth. XXV, 1— 13.
Er hat es durch das Gleichniß von einem reichen Mann, der in ferne Lande verreiſet, ſeinen Knechten feine Güter anvertrauet, nach langer Zeit zuruͤckgekom⸗ men, ſeine Knechte zur Rechenſchaft gezogen, die Treuen belohnt, die Traͤgen beſtrafet, deutlich zu verſtehen gege— ben, daß Er der reiche Mann ſey, daß Er wieder: kommen, daß Er die Frommen belohnen, daß Er die Böfen ſtrafen werde. Matth. XXV, 14 — 36.
Er hat es durch das Gleichniß vom Weizen und Unkraut nicht bloß deutlich zu verſtehen gegeben, ſondern auch durch Erklaͤrung des Gleichniſſes helle dargelegt, daß Er der Sohn des großen Hausvaters, und die Welt ſein Acker, daß die Guten auf Erden ſein Weizen, ſeine Ausſaat, und die Boͤſen, das Unkraut, die Ausſaat ſeines Feindes, daß das Ende der Welt feine Ernte, und die Engel feine Schnitter feyen, daß Er ſie ausſenden, daß Er durch ſie die Boͤſen ſammeln, und wie das Unkraut, in den Feuerofen werfen, daß Er die Guten wie die Sonnen im Reiche ſeines Vaters werde leuchten laſſen. Matth. XIII, 24 — 43.
Er hat es durch das Gleichniß von dem Netze deutlich zu verſtehen gegeben, daß Er wiederkommen und ſeine Engel die Laſterhaften von den Frommen abſon⸗ dern werden, wie die Fiſcher das Netz in's Meer wers fen, und wenn es mit allerhand Fiſchen angefuͤllt iſt, an das Land ziehen, daraus das, was gut iſt, in Gefaͤße ſammeln, und was nicht taugt, wegwerfen. Matth. XIII, 47 — 51. | |
Er hat es vor den Volksſchaaren, und vor feinen Juͤngern, deutlich geſagt, daß es eine Wiedergeburt der Dinge gebe, daß Er auf dem Stuhle ſeiner Majeſtaͤt
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ſitzen, daß ſeine Juͤnger mit Ihm richten, daß da alle, die ihre Haͤuſer oder Bruͤder, oder Schweſtern, oder ihre Mutter, oder ihr Weib, oder ihre Kinder, oder ihre Ae⸗ cker um ſeinetwillen verlaſſen, das ewige Leben dafuͤr er⸗ halten werden. Matth. XIX, 28 — 30. ;
Er hat es deutlich geſagt, daß der Sohn des Menſchen in der Herrlichkeit ſeines Vaters mit ſeinen Engeln kommen, und einem jeden nach ſeinen Werken vergelten werden. Matth. XVI, 27.28.
Er hat es deutlich geſagt, daß ein Tag des Ge⸗ richtes kommen werde, an dem die Menſchen von je⸗ dem muͤßigen Worte werden Rechenſchaft geben muͤſſen. Matth. XII, 36.
Er hat es deutlich geſagt, daß der Vater dem Sohne alles Gericht uͤbergeben habe; daß die Stunde kommen werde, in der alle, die in Graͤbern ſind, die Stimme des Sohnes Gottes hoͤren, und hervorkommen werden, wer Gutes gethan, zur Seligkeit, wer Boͤſes ge⸗ than, zur Strafe. Joh. V, 26 — 30.
Er hat es geſagt, in ſeiner heiligſten Stunde, ehe Er in den Tod hinging: Ich gehe, euch eine Staͤtte zu bereiten; und wenn Ich werde fortgegangen ſeyn, und euch eine Staͤtte bereitet haben: dann komme Ich wie⸗ der, und nehme euch zu mir, damit auch ihr ſeyd, wo Ich bin. Joh. XIV, 2. 3.
Er hat es endlich auch, vor dem Richterſtuhle der juͤdiſchen Nation, auf die Frage des Hohenprieſters, und beſchworen bei dem lebendigen Gott, bekannt: daß ſie einſt den Menſchenſohn zu der Rechten der Majeſtaͤt ſitzen, und auf den Wolken des Himmels werden kante men ſehen. Matth. XXVI, 64.
Er hat es geſagt, und ' Er verdient es, daß Ihm auf fein Wort ge glaubt werde.
Nachdem ſich der heilige Geiſt ſichtbar auf Ihn nie⸗ dergelaſſen, und die Stimme des Vaters aus der Wolke
Ihn zweimal als den Sohn Gottes erklaͤrt hatte: Die⸗ ſer iſt mein geliebter Sohn, Matth. III, 16— 17. Matth. XXVII., s.; nachdem Johannes, der große vn i
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phet, auf Ihn, als das Lamm Gottes gedeutet; nach⸗ dem Er Kranke geheilt, Blinde ſehen, Stumme reden, Todte wieder leben gemacht; nachdem Er ſich durch Wort, That und Wandel, als den Sohn des lebendigen Gottes erwieſen hatte; nachdem Er oft genug erklaͤret hatte, daß Er nichts aus ſich rede, ſondern nur das, was Ihm der Vater zu reden aufgetragen habe, wovon alle Blätter der evangeliſchen Geſchichte zeugen: fo ver⸗ dient das Wort Jeſu allen Glauben, bloß darum, weil es das Wort Jeſu, weil es das Wort des Vaters Piu | Sefum feinen Sohn ift. Er hat's geſagt: Ich komme wieder —
Alſo kommt Er wieder, und kommt gewiß. a Er wird wiederkommen: denn
II. Er hat es mit der merkwuͤrdigſten Be theurung geſagt: „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht ver⸗ gehen.“ Wer iſt der, der ſo ſprechen darf? Wer kann mit Grunde ſeinen Worten eine groͤßere Feſtigkeit beilegen, als dem Bau des Himmels und der Erde? Der Sohn des Vaters — kann es, darf es. Was iſt doch das fuͤr eine unerhoͤrte Betheurung!
„Ich ſage euch: der Himmel da, den ihr ſehet, wird ſich zuſammenrollen, wie ein Gewand, die Sonne wird ihr Licht verlieren, der Mond ſeinen Glanz, die Sterne ihre Herrlichkeit — und die ganze Erde wird eine andere Geſtalt bekommen; — aber mein Wort wird immer wahr bleiben, wird in Erfuͤllung gehen, wenn Himmel und Erde nicht mehr ſeyn werden. Die große Verwuͤſtung, die den Himmel und die Erde zerſtoͤren wird, wird die Wahrheit meines Wortes nicht zerſtoͤren koͤnnen. Und nicht nur nicht zerſtoͤren: gerade dieſe große Verwuͤſtung, wann die Sonne und der Mond und die Sterne und die Erde aus ihrem Ruhepunkt oder ihrer Laufbahn wer; den ausgehoben werden, gerade dieſe Verwuͤſtung wird das Zeichen ſeyn, daß meine Wiederkunft nahe iſt — daß mein Wort in Erfüllung gehen wird. Dieſe Sonne wird nicht immer leuchten: aber mein Wort ewig. Ich komme wieder.
— MR —
Wer ſeine Lehre ſo betheuert, der hat entweder allen geſunden Verſtand verloren, oder findet eine hoͤlliſche Freude daran zu hintergehen, oder er weiß, was er ſagt, und redet die Wahrheit.
Da nun von dem Weiſeſten das Erſte, und von dem Beſten das Zweite nicht einmal gedacht werden kann: ſo iſt dieſe ſeine Betheurung ein Siegel der Wahrheit: Er kommt wieder.
Er wird wiederkommen — denn wir haben
III. Vier unvergeßliche Unterpfänder von Ihm, daß Er gewiß kommen wer de.
Er hat a. ſeine Auferſtehung von den Todten be⸗ ſtimmt vorhergeſagt, und iſt nach ſeiner beſtimmten Vor⸗ herſagung wirklich von den Todten auferſtanden. An dieſe Auferſtehung glauben wir, und glauben ſo feſt da⸗ ran, daß wir den Unglauben an dieſelbe fuͤr Unvernunft halten wuͤrden. Und dieſe Auferſtehung iſt uns ein Un⸗ terpfand, daß alle ſeine uͤbrigen Weiſſagungen oder Ver⸗ heißungen Wahrheit ſeyen — alſo auch, daß Er nach ſei⸗ ner Verheißung wiederkommen werde. Er ſtand von den Todten auf: alſo kommt Er wieder.
Die Erfuͤllung einer Weiſſagung macht die andere neu glaubwürdig.
Es iſt auch fuͤr uns nicht ſchwerer zu glauben, daß der lebendige Jeſus wiederkommen werde, als es fuͤr die Juͤnger war, daß der Todte wieder auferſtehen werde. Der Auferſtandene buͤrgt fuͤr ſein Wiederkommen.
Er hat verheißen b. ſeinen Juͤngern den heiligen Geiſt zu ſenden, und hat nach ſeiner Verheißung den hei⸗ ligen Geiſt geſendet. An dieſe Geiſtesſendung glauben wir, und glauben ſo feſt daran, daß wir den Unglauben an dieſelbe fuͤr Thorheit anſehen wuͤrden. Und dieſe Geiſtesſendung iſt ein Unterpfand, daß alle ſeine Ver⸗ heißungen wahr ſeyen — alſo auch dieſe, daß Er wie⸗ derkommen werde. Er hat Wort gehalten, hat den heiligen Geiſt geſendet: Er wird alſo auch ferner Wort halten — wird wiederkommen. Der den heiligen Geiſt von dem Himmel geſendet, und der ſein Wiederkommen
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verheißen, wird wohl ſelbſt wiederkommen. Der Gei⸗ ſtesſender bürget für fein Wiederkommen.
Er hat c. die Zerſtoͤrung des Tempels und der Stadt beſtimmt und umſtaͤndlich vorhergeſagt, und ſeine Vorherſagung iſt mit allen den ſchrecklichen Wehen, auf die er gedeutet, erfuͤllt worden. Es blieb kein Stein auf dem andern. An dieſer Zerſtoͤrung koͤnnen wir nicht einmal zweifeln. Und dieſe Zerſtoͤrung iſt ein Un⸗ terpfand, daß ſeine Weiſſagungen wahr ſeyen — alſo ein Unterpfand, daß Er wiederkommen werde, und ein Unterpfand von einer beſondern Bedeutungskraft; indem die Zerſtoͤrung Jeruſalems eine der ſchrecklichſten unter allen Weltbegebenheiten iſt, und alſo ein rechtes Bild von
dem Ende der Welt. Er wird wiederkommen.
Er hat d. das heilige Abendmahl eingeſetzt, das ſo lange zum Andenken ſeines Todes ſollte gehalten wers den, bis daß Er wiederkomme, ſagt Paulus, — bis daß Er ſelbſt wiederkomme. Nun wird in der ganzen chriſt— lichen Kirche das heilige Abendmahl gehalten. Es iſt alſo dieſe Einſetzung Jeſu — und die Fortdauer derſelben
ein Unterpfand, daß Er wiederkommen werde. Er wird wiederkommen; denn
IV. Seine Engel verſichern es, feine Apo⸗ ſtel verkuͤnden es, und die ganze chriſtliche Kirche glaubt es, — und glaubt es bis auf dieſe Stunde. Engel haben es verſichert. Apoſtelg. J, 10. 12. „Maͤnner, Galilaͤer, was ſchaut ihr Ihm in den Him⸗ mel nach? Dieſer Jeſus, der von euch in den Himmel aufgenommen ward, wird ſo wiederkommen, wie ihr Ihn habt in den Himmel gehen ſehen.“ — Er wird wieder— kommen, wie Er aufgefahren iſt. Die Apoſtel verkuͤndeten es; Paulus verkuͤndet es: a. Auf dem Areopagus zu Athen vor den ſtoiſchen,
und epikureiſchen Weltweifen: „Nun fo will Gott die
Zeiten der Unwiſſenheit uͤberſehen, und fordert jetzt alle Menſchen aller Orten zur Buße auf. Denn Er hat ei⸗
nen Tag feſtgeſetzt, an welchem Er uͤber die ganze Welt
— * —
ein gerechtes Gericht halten wird durch einen Mann, den Er dazu beſtimmt, und jedermann glaubwuͤrdig dargeſtellt, indem Er Ihn von ben» Zobten erweckt hat.“ “ren XVII, 30. 31.
b. Im erſten Briefe an die Theſſalonicher: | f
„Wann der Erzengel mit Poſaunenſchall das Zeichen zum Aufbruch wird gegeben haben, dann wird der Herr ſelbſt vom Himmel herunter kommen — — was aber die Zeit dieſer Ankunft betrifft, ſo iſt es nicht noͤthig, daß ich euch hieruͤber ſchreibe. Denn ich habe es euch muͤnd⸗ lich beſtimmt geſagt: Der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht.“ IV, 15. Vz 12.
c. Im naͤmlichen Briefe: 8
„Er ſelbſt, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch, damit ihr ganz, mit Geiſt, Seele und Leib auf die Zukunft unſers Herrn Jeſus Chriſtus unbefleckt erhalten werdet.“ V, 25. a
d. Im zweiten Briefe an die Theſſalonicher, in dem es von Jeſu Chriſto heißt, daß Er den Boͤſewicht mit dem Hauche ſeines Mundes toͤdten, und durch ſeine Majeſtaͤtvolle Ankunft abthun wird. II, 4 — 10.
e. Im Briefe an die Philipper:
„Wir wandeln ſchon im Himmel, woher wir unſern Retter, den Herrn Jeſum Chriſtum, erwarten, der unſern niedern Leib verwandeln, und ſeinem herrlichen Leibe aͤhnlich machen wird, durch ſeine Kraft, durch welche Er ſich Alles unterworfen hat.“ III, 20. 21.
f. Im erſten Briefe an die Corinther:
„Ich danke meinem Gott — — daß ihr durch Ihn in allen guten Gaben reich geworden — — — ſo, daß ihr ohne an einer Gabe Mangel zu haben, der Offenba⸗ rung unſers Herrn Jeſu Chriſti froh entgegenſehen koͤn⸗ net: der euch bis an's Ende ſtandhaft erhalten wird, daß ihr auf den Tag der Ankunft unſers Herrn Jeſus Chriſtus unſtraͤflich ſeyd. I, 4. 8.
g. „Eines jeden Werk wird an den Tag kommen. Denn der Tag des Herrn wird es aufdecken, eine Feuer⸗ probe wird es offenbaren; das Feuer wird beweiſen, wie eines jeden Werk beſchaffen ſey.“ III, 13. %
a? „ur⸗
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h. „Urtheilet doch nicht vor der Zeit, bis daß der Herr komme, der das, was in den Finſterniſſen verborgen iſt, erleuchten, und die geheimſten Anſchlaͤge des menſch⸗ lichen Herzens offenbaren wird. IV, 3.
i. „Ich habe beſchloſſen — — — dieſen dem Satan zur leiblichen Strafe zu uͤbergeben, damit ſeine Seele gerettet werde an dem Tage unſers Herrn Jeſu Ehrifti, V, 5. k. „Wie alle Kinder Adams ſterben, ſo werden alle durch Chriſtus wieder lebendig. Jeder in ſeiner Ordnung: der Erſtling Chriſtus, dann ſeine Glaͤubigen, wenn Er wiederkommt, darnach das Ende. XV, 22. 23.
1. Im zweiten Briefe an die Corinther:
„Denn wir muͤſſen Alle vor dem Richterſtuhl Jeſu Chriſti offenbar werden, damit ein jeder Gutes, oder Boͤſes empfange, nachdem er in dieſem Leben gehandelt hat.“ V, 10.
m. Im erſten Briefe an Timotheus:
Ich gebiete dir vor Gott, der Alles belebet, und vor Jeſus Chriſtus, der unter Pilatus fein edles Bekennt⸗ niß abgeleget, daß du dieſe Gebote ohne Tadel beobach— teſt, bis auf die Erſcheinung unſers Herrn Jeſus Chriſtus, die zu ſeiner Zeit, der Selige und Allmaͤchtige, der Koͤnig der Koͤnige, und der Herr der Herren offenbaren wird.“ VI, 13. 14. 15.
n. Im zweiten Briefe an Timotheus:
„Ich weiß gar wohl, auf wen ich vertrauet Kühe, und ich bin gewiß, daß er mächtig iſt, meine Hinterlage auf jenen Tag zu bewahren.“ I, 12.
o. „Ich bezeuge es vor Gott und Jeſus Chriſtus, der die Lebendigen und die Todten richten wird bei ſei⸗ ner Ankunft, und in ſeinem Reiche.“ IV, 1.
p. „Uebrigens iſt mir die Krone der Gerechtigkeit hinterleget, die mir der Herr, als gerechter Richter an 2 Tage geben wird — nicht nur aber mir, ſondern
allen denen, die feine Erſcheinung lieb haben. IV, 38. 4. „Der Herr laſſe ihn Barmherzigkeit finden an jenem Tage.“ I, 18.
J. M. v. Sailers ſämmtl. Schriften. xxxv. Bd. 10
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r. Im Briefe an Titus: 8
„Die Gnade Gottes iſt allen Menschen erscht Dieſe nimmt uns in die Zucht, damit wir die Gottloſig⸗ keit und weltlichen Luͤſte verleugnen, und maͤßig, gerecht
und gottſelig in der jetzigen Welt leben; da wir indeß die ſelige Hoffnung in uns haben, und erwarten die herrliche Ankunft des großen Gottes, und unſers Heilandes Jeſu Chriſti, der ſich fuͤr uns geopfert, damit Er uns von aller Suͤnde erloͤſete, und ſich ein angenehm Volk reinigte, das voll Eifers zu guten Werken waͤre.“ II, ee
s, Im Briefe an die Hebraͤer:
„So laſſet denn die Zuverſicht nicht verloren gehen, der eine große Belohnung bereitet iſt. Denn Geduld iſt euch nothwendig, damit ihr den Willen Gottes erfuͤllen, und dadurch der Verheißung theilhaftig werden moͤget. Es iſt noch eine kurze Zeit: ſo kommt der, der kommen ſoll, und wird nicht ſaͤumen.“ X, 35 — 37.
t. Auf die Wiederkunft Jeſu deutet Paulus im Briefe an die Roͤmer:
„Mit deinem harten, unbußfertigen Herzen haͤufeſt du dir ſelbſt Strafen zuſammen — auf jenen Tag des Zorns, an dem ſich Gott als gerechter Richter offenba⸗ Boy und jedem nach feinen Werken vergelten wird.“
II. 5. 6. u. Auf die Wiederkunft Jeſu eh 9 im an,
lichen Briefe:
„Wenn wir Kinder ſind, ſo find wir auch Erben, Erben Gottes, Miterben Chriſti — wenn wir anders mitleiden, damit wir auch mitverherrlichet werden. Denn ich glaube, daß die Leiden dieſer Zeit nicht in Vergleich kommen duͤrfen mit der kuͤnftigen Herrlichkeit, die in uns wird offenbar werden. Sieht doch die ganze Schoͤ⸗ pfung dieſer Verherrlichung der Kinder Gottes pee 1 VIII, 12 — 20.
x. Auf die Wiederkunft Jeſu deutet Paulus im nän⸗ lichen Briefe: 1
„Dazu ſtarb Chriſtus und ſtand wieder auf von bei Todten, damit Er über die Todten und Lebendigen herrſche. Warum richteſt du nun deinen Bruder, oder warum ver⸗
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achteſt du ihn? Wir werden doch Alle vor den Richter. ſtuhl Chriſti zu ſtehen kommen.“ XIV, 9, 10.
PF. Auf dieſe Wiederkunft Jeſu deutet Paulus im Briefe an die Galater:
„Irret nicht: Gott laͤßt nicht mit ſich ſpotten. Was jeder fäet, das wird er auch ernten — — thut alſo Gutes, und werdet nicht muͤde. Denn zu feiner Zeit wer den wir ernten — aber nur, wenn wir nicht müde wer den.“ VI, 2—9.
. Auf dieſe ragen Jeſu deutet Paulus im Briefe an die Epheſer:
„ dDienet willig wie dem HeErrn, und nicht den Menſchen. Denn ihr wiſſet, daß einem jeden das Gute, das er thun wird, von dem Herrn wird vergolten werden, er ſey ein Knecht, oder ein Freier.“ VI, 8.
aa, Auf die Wiederkunft Jeſu weiſet Paulus im Briefe an die Koloſſer:
„Wenn Chriſtus erſcheinen wird, dann werdet auch ihr mit Ihm in der Herrlichkeit erſcheinen.“ III, 4.
bb. „Ihr wiſſet ja, daß ihr das Erbe vom Herrn zur Vergeltung erhalten werdet. Darum, ſo dienet dem Herrn Chriſtus. Wer Unrecht thut, dem wird's vergol— ten, und es iſt kein Anſehen der Perſon vor Gott.“ III, 24. 25.
Petrus lehret von der Wiederkunft, was nur ein Geſandter Jeſu lehren kann: Inm erſten Briefe:
„Hochgeprieſen ſey Gott, der Vater unſers Herrn Jeſu Chriſti, der uns nach ſeiner großen Erbarmung durch die Auferſtehung Jeſu Chriſti zur Hoffnung des Lebens neu gezeuget hat, zur Erwartung eines unvergaͤng⸗ lichen, unbefleckten Erbgutes, das uns im Himmel aufbe⸗ halten iſt; uns, die Gottes Kraft durch den Glauben aufbewahret zur Errettung, die ſich am Ende der Tage offenbaren wird, worauf ihr euch bei allen den mannig⸗ faltigen Truͤbſalen, die ihr noch kurze Zeit auszuſtehen habet, innigſt freuet. Denn alsdann wird euer erprobter Glaube koͤſtlicher, als ein im Feuer bewaͤhrtes Gold ers funden werden, zu euer * und Herrlichkeit, wann 10 *
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Jeſus Chriſtus erſcheinen wird. Er, den ihr nicht geſe⸗ hen, und doch liebet, an den ihr, ohne Ihn jetzt zu ers blicken, glaubet, in dem ihr euch mit unausſprechlicher und herrlicher Freude freuen werdet, wenn ihr eures Glau⸗ bens Ziel, die Errettung euerer Seelen erreichen werden 4 J, 3 — 9.
„Auf das Geheimniß dieſer Rettung (durch den wie⸗ derkommenden Jeſus) haben die Propheten nach der Deu⸗ tung des heiligen Geiſtes, die in ihnen wohnte, fleißig geforſchet; in dieß Geheimniß geluͤſtete auch die Engi hineinzuſchauen.“ I, 10 - 12.
„Ebendeßwegen umguͤrtet eure Lenden, ſeyd wach⸗ ſam und nuͤchtern, und hoffet mit ganzer Seele auf die Gnade, die euch auf die Erſcheinung Jeſu Chriſti hin angeboten iſt.“ J, 13.
„„Sie (die fich nicht mit euch von dem Suͤndenleben bekehret haben) werden Rechenſchaft geben muͤſſen dem, der bereit iſt, zu richten die Lebendigen und die Todten.“ IV, 5. 6. b
„Allerliebste, laſſet euch das Feuer der Verfolgung nicht befremden; freuet euch vielmehr, daß ihr an den Leiden Chriſti Antheil habet! Denn das iſt ein Pfand, daß ihr euch einſt an der Offenbarung ſeiner Herrliche keit werdet zu freuen haben.“ IV, 12. 13.
„Eure Aelteſten ermahne ich als Mitaͤlteſter, und als Zeuge der Leiden Chriſti, und als Mitgenoſſe feiner kuͤnf⸗ tigen Herrlichkeit, die ſich in der Zukunft offenbaren wird; weidet die euch anvertraute Herde Gottes, und verwal⸗ tet euer Aufſeheramt nicht aus Zwang, ſondern willig, nicht aus Lohnſucht, ſondern aus herzlicher Zuneigung, nicht als Beherrſcher der Gemeinden, ſondern als ihre Vorbilder: thut ihr das, ſo werdet ihr die unverwelkliche
Ehrenkrone erhalten, wann der Fuͤrſt aller Hirten er⸗ ſcheinen wird.“ V, 1 - 5. 1
Petrus lehret das Wiederkommen Jeſu in ſeinem zweiten Briefe: i
„Sie werden ſagen: wo bleibt denn ſeine verhelten Wiederkunft? Seit dem Tode der Vaͤter bleibt Alles, wie es von Anfang der Creatur geweſen iſt. Aber aus
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Muthwillen wollen ſie nicht wiſſen, daß, ſo wie ehemals Himmel und Erde durch Gottes Machtwort aus dem alles umgebenden Waſſer hevorgerufen — und nachher die Erde vom Waſſer uͤberſchwemmt und verderbt worden, eben fo auch die jetzige Welt durch daſſelbe göttliche Machtwort erhalten, und auf den Tag des Gerichtes und Unterganges, der Zerſtoͤrung durch's Feuer aufge⸗ ſpart werde. Vergeſſet beſonders das nicht, Geliebte, daß Ein Tag bei dem Herrn wie Ein Jahrtauſend, und Ein Jahrtauſend, wie Ein Tag iſt. Der Herr verzoͤgert die Erfuͤllung ſeiner Zuſage nicht, wie Einige waͤhnen, ſondern Er iſt ſo voll Langmuth gegen uns, daß Er nicht will, daß Jemand verloren gehe, ſondern daß ſich Jedermann zur Buße kehre. Aber er wird gewiß kom⸗ men, der Tag des Herrn — wie ein Dieb in der Nacht, ſo unvermuthet wird er kommen, der Tag, an welchem die Himmel mit furchtbarem Getoͤſe zuſammenſtuͤrzen, die Weltkoͤrper im Feuer zerſchmelzen, und die Erde, mit dem, was darauf iſt, verbrennen werden. Da nun das Alles bevorſteht, mit welchem Eifer ſollt ihr euch eines heiligen und gottſeligen Wandels befleißigen, voll Erwar— tung und Sehnſucht nach dieſem Gottestage, der Himmel und Erde im Feuer ſchmelzen wird; denn wir haben nach ſeiner Zuſage einen neuen Himmel und eine neue Erde zu hoffen, wo Rechtſchaffenheit ihren Wohnſitz haben wird. Bei dieſer Erwartung, Geliebte, beeifert euch — um eueres eigenen Beſten willen — daß ihr un⸗ befleckt und tadellos von Ihm erfunden werdet; und wendet das langmuͤthige Warten des Herrn zu euerer Rettung an — was auch unſer lieber Bruder Paulus nach der ihm verliehenen Weisheit euch eingeſchaͤrft hat, ſo wie er das uͤberhaupt in allen ſeinen Briefen thut.“ III, 4 — 16.
Die ganze chriſtliche Kirche glaubt das Wiederkommen Jeſu, und bekennt ihren Glauben bis Br dieſe Stunde:
Von dannen Er kommen wird zu richten die Lebendigen und die Todten.
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Dieß Bekenntniß, das wahrhaftig apoſtoliſch heißen kann, weil es den Geiſt der Lehre Jeſu und ſeiner Geſandten athmet, lernen eure Kinder in den Schulen; dieß Bekenntniß ſprechen euere Prieſter am Altare; dieß Bekenntniß legen die Gemeinden in ihren oͤffentlichen Ge⸗ beten ab; dieß Bekenntniß wiederholen die meiſten von euch täglich in ihren Dankgebeten nach Tiſche; dieß naͤmliche Bekenntniß kommt auch in dem nichnifchen und in allen fpätern Glaubensbefenntniffen I vor:
Wir glauben — — — daß Er wiederkommen werde, zu richten, die Lebendigen und die Todten. .
Er kommt gewiß. Denn Er hat es geſagt, und Er verdient es, daß Ihm auf ſein Wort geglaubt werde; — Er hat es mit der merkwuͤrdigſten Betheurung geſagt; Er hat uns mehrere unvergeßliche Unterpfaͤnder ſeines Wiederkommens zuruͤckgelaſſen; ſeine Engel, ſeine Apo⸗ ſtel, ſeine Kirche haben ſein Wiederkommen verkündet, geglaubt.
. x
Es ift für uns wichtig, den Glauben an das Wie⸗ derkommen Jeſu in uns zu erwecken und zu ſtaͤrken.
Denn der Glaube an das Wiederkommen Jeſu kann
1. die Frommen vor Traͤgheit bewahren, läßt fie nicht fo leicht ſchläfrig werden.
Sie wiſſen ja die Stunde nicht, die Jeſum wieder⸗ bringt. Es bleibt ihnen alſo, wenn ſie weiſe ſeyn wol⸗ len, nichts uͤbrig, als ſich zu jeder Stunde gefaßt halten.
„Laſſet euere Lenden umguͤrtet ſeyn, und euere Lich⸗ ter brennen. Seyd gleich den Menſchen, die auf ihren Herrn warten, wann er von der Hochzeit aufbrechen werde — bereit, ſobald er kommt und anklopft, ihm die ) Leſer die nicht bloß Erbauung ſuchen, können darüber das
Corpus deeisionum dogmatic. Ecclesiae Catholicae — nach⸗ ſchlagen. | A
4 1
„ 1
Thuͤr zu oͤffnen! — Selig die Knechte, die der Herr bei ſeinem Kommen wachend findet! Wahrlich, Ich ſage euch: er wird ſich ſelbſt umſchuͤrzen, ſie zu Tiſche ſetzen, nnd um ſie hergehen, und ihnen am Tiſch dienen! Und wenn er um die zweite, oder die dritte Nachtwache kommt, und findet es fo: ſelig find dieſe Knechte.“ — Luk. XII, 35 — 39. Ein Knecht, der auf ſeinen Herrn wartet, legt ſich nicht zu Bette — er wachet, um ſeinem Herrn auf den erſten Ruf das Thor zu öffnen. Er laͤßt das Licht brennen, damit der Herr nicht erſt warten muͤſſe, bis eines angezuͤndet werde. Er behaͤlt ſeinen Arbeitsrock am Leibe, damit er den Herrn überzeugen koͤnne: er ſey ein treuer Knecht, der den Willen ſeines Herrn mehr als Bequemlichkeit, Schlaf und Eigenwille ſchaͤtze. Dieſer treue, wachende, ſtets ruͤſtige Knecht iſt der Chriſt, den der Glaube an das Wiederkommen ſeines Herrn nicht ſchlummern laͤßt. Stets brennt in ſeinem Innern das Licht, das Jeſus vom Himmel gebracht, und ſein Geiſt in den Herzen der Menſchen angezuͤndet. Er rechnet nicht, wann der Herr kommen werde, ſondern er wartet auf den Herrn; er ſchreibt dem Herrn keine Geſetze vor, wann er kommen ſolle, ſondern er wachet, bis der Herr komme; er zweifelt nicht an dem Kommen feines Herrn, aus dem Grunde, weil er bisher noch nicht gekommen iſt, ſondern er traut der Verheißung, daß er kommen werde, und erfuͤllet die Pflicht des Knechtes, — ſich auf die Ankunft des Herrn bereit zu halten. Glaube an die Verheißung des Herrn, und ſey treu, bis Er komme: | Das ift das Evangelium für die Knechte Chriſti — und daran laſſen fie kein Jota ändern; fie glauben, was der Herr verhieß, und wachen, wie's der Herr gebot. Der Maus an das Wiederkommen e kann 2. die Beier von ihrem Leichtſinn zurückbringen helfen. f Schrecklich iſt der Leichtſinn der Menſchen. Sie ge⸗ hen ohne Gedanken wie das Vieh — dahin, und ſehen
— A
nicht, was da kommen werde. Sie effen und trinken, ohne an den Tag zu denken, den der Vater allein weiß. „Wie die Menſchen, ſagt Chriſtus, in den Tagen Noah aßen und tranken, zur Ehe gaben, und zur Ehe nahmen, bis an den Tag, an dem Noah in die Arche ging, und nicht zu ſich kamen, bis die Fluth einbrach, und Alle mit ſich nahm: ſo wird es bei der Ankunft des Menſchen⸗ ſohnes ſeyn.“ Matth. XXIV, 36 — 40. |
Wann der Menfchenfohn kommen werde, wiſſen wir nicht, m. Th., weil es Gott allein weiß, und ſollen es nicht wiſſen, weil wachen und beten unſre Sache, Tage wiſſen und ordnen Gottes Sache iſt. Daß aber der Leichtſinn der Menſchen groß iſt, das wiſſen wir, und was das Ende des Leichtſinns ſeyn werde, das hat uns Chriſtus klar genug vorhergeſagt. „Wenn der boͤſe Knecht in ſeinem Herzen denkt: der Herr kommt noch nicht ſo bald, und faͤngt an ſeine Mitknechte zu ſchlagen, und mit den Schlemmern zu eſſen und zu trinken: ſo wird der Herr aufbrechen am Tage, an dem es der Knecht nicht erwartet, und zur Stunde, die er nicht weiß, und wird ihn in Stuͤcke zerhauen, und ihm ſeinen Lohn bei den Treuloſen anweiſen, wo Heulen und Zaͤhneknirſchen ſeyn wird.“ Matth. XXIV, 48 — 51.
Dieß iſt das Loos des Leichtſinns. Der Herr kommt, und belohnt die Treue ſeiner wahren Freunde, und ſtraft die Untreue ſeiner falſchen Freunde. Und dieſer Strafe wird der Leichtſinn nicht entgehen, denn der Herr iſt und kommt — und kennt die Seinen; und kennt, die ſich ſein nennen, ohne es zu ſeyn — vergilt jedem nach ſeinen Werken. |
Diefer Strafe wird der Leichtfinn nicht entgehen; denn ſo wie der Morgen anbricht, du magſt wachen oder ſchlafen, ſo bricht auch der Tag des Gerichtes heran, du magſt dich darauf bereiten oder nicht.
Der Leichtſinn kann der Strafe nicht entgehen; denn er kann den heiligen unwandelbaren Rathſchluß Gottes nicht aͤndern, kann die Gerechtigkeit des Richters nicht beſtechen, kann der allſehenden Allwiſſenheit nicht entflie⸗
hen, kann das ewige Geſetz, Heil den Guten, Trüb- fal den Boͤſen, nicht aufheben.
Laßt uns, m. Th., wenn uns die Liebe des Vaters nicht ruͤhren kann, von der Gerechtigkeit des Vergelters wenigſtens erſchuͤttert werden, daß wir uns beſinnen, und Muth faſſen, von dem Wege abzutreten, deſſen Ende Jammer iſt — und abzutreten, ehe das Ende kommt! Laßt uns hinausblicken auf den Tag des Menſchen⸗ ſohnes, laßt uns aufſehen zu dem heiligen gerechten Rich⸗ ter der Menſchen, damit wir nuͤchtern werden, und zu uns zuruͤckkommen, ehe die Nacht kommt, in der Niemand mehr wirken kann!
Der Glaube an das Wiederkommen Jeſu kann | 0
3. die Schwachen un verfuͤhrbar von vie len falſchen Propheten machen.
a. Von einigen falſchen Propheten redet ſchon — Petrus:
„es werden in den letzten Tagen Spoͤtter kommen, die ihre Luͤſte zu ihrem einzigen Geſetze machen, und hoͤh⸗ niſch fragen werden: wo bleibt denn ſeine verheißene Wiederkunft? Seit dem Tode der Vaͤter geht Alles den alten Gang.“ — Dieſe falſchen Propheten koͤnnen aber den, der an die Wiederkunft glaubt, nicht irre machen, denn er findet die ſchoͤnſte, genugthuendſte Antwort bei Petrus: II. B. III. K. 5 — 5.
„Der Herr verzoͤgert die Erfüllung feiner Zuſage nicht, wie einige waͤhnen, ſondern Er iſt ſo voll Lang⸗ muth gegen uns, weil Er nicht will, daß Jemand ite ren gehe, ſondern ſich Alle beſſern.“ V. 9.
b. Andere Propheten gehen gerade mit dem Geſuch ihres Herzens heraus: Laſſet uns eſſen und trinken — denn nach dem Tode iſt nichts mehr!
Die erſtern falſchen Propheten machen ſich noch groß mit dem Scheine der Vernunft, und koͤnnen vor lauter Vernunft nicht mehr an die Wahrheit glauben.
Aber die zweiten geben ihrem ſinnlichen Unglauben \ nicht einmal mehr den Schein der Vernunft, wollen bloß Thier ſeyn, und moͤchten gern der Vernunft, in ſo weit
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fie den Genuß mit ihren ernſthaften Vorſtellungen ſtort, ganz los ſeyn. — „Laſſet uns eſſen und mie denn nach dem Tode iſt nichts mehr.“
Wie ſicher iſt doch der goͤttliche Glaube an Chriſtus vor dieſer Lehre, die nur die wilden Luͤſte ausſchaͤumen koͤnnen! Er glaubt an das ewige Leben, das bei dem Vater war, und in Menſchengeſtalt erſchien, und alles Heilige belohnen, und alles Gute ewig erfreuen wird. Wo dieſer goͤttliche Glaube iſt, da kann die Sinn⸗ lichkeit kein falſcher Prophet ſeyn, denn ſie gehorcht der Vernunft, und die Vernunft der Wahrheit, das iſt, dem heiligen Geiſte.
Wo dieſer goͤttliche Glaube herrſcht, da kann die Vernunft kein falſcher Prophet ſeyn, denn ſie folgt dem Lichte, bei dem keine Finſterniß iſt. |
Gott! ſchenke uns diefen göttlichen Glauben, denn du kannſt ihn allein ſchenken, und deßwegen heißt er recht eigentlich goͤttlicher Glaube. Gib uns dieſe himmliſche Kraft, die allein die Welt uͤberwindet, und durch Liebe wirkt, und durch Liebe heilig, und durch Heiligkeit ſelig macht, und in Seligkeit — Wee ſchafft.
Der Glaube an das Wiederkommen Jeſu, kann
4. die Kleinmuͤthigen, die eines frommen Herzens ſind, ermuntern, daß fie großmuͤthig werden, die Beklemmten, daß ſie in ihres Got⸗ tes Reiche freier athmen.
Denn ſieh! ſo ſpricht der Geiſt der Wahrheit dem Glaubenden an fein Herz: „Chriſtus iſt dein Erretter, und dieſer Erretter blieb nicht im Grabe — lebte wieder auf, und lebet noch, und wird ewig leben, und lebet fuͤr dich, und wird wiederkommen, und die Suͤnde und den Tod und das Elend und die Finſterniß toͤdten, ſo wie der Fußtritt des Menſchen einen Wurm. Und dieſer Erretter Chriſtus wird die Guten von den Boͤſen ſondern, wird die Thraͤne an ſeinem Freunde trocknen, und zugleich die Quelle der Thraͤnen zernichten, daß nie eine Thraͤne wieder wird geboren werden. Und dieſer
— 155 —
Erretter Chriſtus wird das Joch, das auf dir liegt, zertruͤmmern, und alle Laſten, die dich niederbeugen, auf ewig von dir wegheben, und alles Sehnen nach Freude
ws Frieden erfuͤllen.
Und dieſer Erretter Chriſtus wird dir die
ie Wahrheit ſelbſt in ihrem Lichte zu ſchauen, und
die lauterſte Guͤte ſelbſt in ihrer Liebe zu genießen ge⸗ ben. Und dieſes Schauen, und dieſes Genießen wird ſo heilig ſeyn wie Gott, und ſo ewig wie Gott, Amen.
So ermuntert, ſo erleuchtet der Geiſt der Wahrheit durch den Glauben an das Wiederkommen unſers Herrn.
Freunde! werden wir zu dieſem Troſte ſagen koͤn⸗ nen: ich mag dich nicht?
Lieber wollen wir anbeten, und ſchweigen— nicht ſchweigen, danken wollen wir, und in das Lied er Heiligen einfallen:
Ja! komm Herr Jeſus!
.
Liebe Mitchriſten! da die Lehre von der zweiten Ankunft unſers Herrn eine Lehre unſers heiligen, apoſtoliſchen Glaubens iſt, und da wir uns nicht zu feſt an das Unſichtbare anhalten koͤnnen, um nicht von dem Sichtbaren aus unſerm Standpunkte hinaus geworfen zu werden: ſo mag euch die Muͤhe des Her⸗ ausgebers, der die Beweisgruͤnde dieſer Lehre geſammelt und zuſammengeſtellt hat, nicht mißfallen. Gott gebe, daß die Wahrheit dieſer Lehre ſich ſo hell an unſerm Wandel offenbare, als klar ſie in unſern heiligen Buͤ⸗ chern enthalten iſt!
„
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XV. Nie 1 e
von dem Wiederkommen unſers Herrn. Predigt, | +
gehalten in ber Stiftskirche zu Dillingen, am erſten Advent: fonntage unſers Herrn, 1790.
Es werden Himmel und Erde vergehen: aber meine Worte werden nicht vergehen. Matth. XXIV, 35.
Die wider Vermuthen fortdauernde Unpäßlichkeit des ordentlichen Stiftspredigers gibt mir den ſchoͤnen Beruf, auch an dieſem Sonntage hier ſeine Stelle zu vertreten. Ich will es mit aller Treue thun, und mit neuem Eifer von der alten Wahrheit reden, indem wir heute ein neues Kirchenjahr anfangen, und alſo unſre Empfindungen fuͤr das Chriſtenthum neues Leben bekommen, und von dem herannahenden Gedaͤchtnißtage der Geburt unſers zo. einen neuen Schwung nehmen follten.
Die alte Wahrheit, von der ich mit neuem &ie reden werde, ift:
„Das Wiederkommen unſers Herrn.“
In der erſten Predigt ſagte ich nur: Er kommt ge⸗ wiß — wieder, und glauben, daß Er gewiß wiederkomme, iſt uns nuͤtzlich; bewahrt den Frommen vor Traͤgheit, fuͤhrt den Leichtſinnigen vom Leichtſinn zuruͤck, bewahrt den Schwa⸗ chen vor Verfuͤhrung, und ſtaͤrket den Kleinmuͤthigen.
In dieſer zweiten Predigt werde ich die Vortheile dieſes Glaubens noch von einer andern Seite zeigen.
„Wer an das Wiederkommen Jeſu feſt glauben kann, dem werden dadurch die wichtigſten Lehren unſers aller⸗
heiligſten Glaubens glaubwuͤrdiger — und die vor⸗ nehmſten Pflichten der evangeliſchen Sittenlehre theurer, n
Dias heißt: das Wiederkommen Jeſu, feſt geglaubt, wird eine Stuͤtze unſrer uͤbrigen Religion, und ein neuer Mme zur Erfuͤllung der vornehmſten Pflichten.
J.
Das Wiederkommen Jeſu, feſt geglaubt, macht uns die wichtigſten Wahrheiten unſers allerheiligſten Glaubens glaubwuͤrdiger.
1.
Wenn ich an das zweite Kommen Jeſu glaube, ſo wird mir ſein erſtes Kommen nur noch glaubwuͤrdiger.
Denn, wenn ich feſt glaube, daß Jeſus mit allen ſeinen Engeln in der Herrlichkeit des Vaters wiederkom⸗ men werde, um die Boͤſen von den Guten zu ſcheiden, um jenen wie dieſen nach ihren Werken zu vergelten: ſo wird es mir weit leichter, zu glauben, daß Er aus dem Schooße des Vaters hervorgegangen, im Leibe einer hei- ligen Iſraelitin Fleiſch angenommen, und in Menſchen⸗ geſtalt unter Menſchen gewandelt. Er ſollte uns zuerſt lehren, wie ein Menſch dem himmliſchen Vater geh or— ſamen, wie ein Menſch denken, wuͤnſchen, handeln, lei⸗ den, leben, ſterben ſolle: ehe er in voller Herrlichkeit kommen wuͤrde, um an ſich zu beweiſen, wie der Vater den Gehorſam belohne, und zu welcher Groͤße der Menſch beſtimmt ſey. Er ſollte zuerſt unbekannt, oder nur einigen Hirten und Weiſen aus Orient, und wenigen Frommen bekannt, in die Welt eintreten: ehe Er bei ſei⸗ ner zweiten Wiederkunft, Allen bekannt und Allen fichts bar, wie die Sonne am Himmel erſcheinen wuͤrde. Er ſollte zuerſt wie ein unmuͤndiges Menſchenkind, in einer Krippe, arm und huͤlflos daliegen: ehe Er als verherr— lichter Gottesſohn auf Wolken wiederkommend, das ganze
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Menſchengeſchlecht vor ſich verſammeln, und die groß Scheidung zwiſchen Guten und Boͤſen vornehmen wuͤrde Es ſollte ſich zuerſt die Goͤttlichkeit des Wortes hinten dem Schleier der menſchlichen Natur verbergen: ehe fie fid in ihrer vollen Herrlichkeit vor aller Welt offenbaren würde. Es ſollten Ihm zuerſt die Engel das Geburts, lied ſingen: ehe ſie mit Ihm kommen, und die Voll endung beſingen wuͤrden. Es ſollte zuerſt das Genf korn in die Erde geſaͤet werden: ehe ein großer Baun daraus werden, und die Voͤlker der Erde unter ſeinen Schatten ſich lagern wuͤrden. Wahrhaftig, wer einſt mit Allgewalt und Majeſtaͤt wiederkommen ſollte, der durfte zuerſt in Niedrigkeit und im Gewande eines geringen Menſchen erſcheinen.
Wahrhaftig, was immer die heiligen Schriften von der Empfaͤngniß und Geburt Jeſu fagen, das wird mir glaubwuͤrdiger, wenn ich von der Finſterniß der Krippe hinausſehe — bis zum Sonnenglanz der Wiederkunft.
Es iſt ein ſchoͤner Zuſammenhang zwiſchen dem — Gliede, und dem letzten Gliede dieſer Kette. |
Wahrhaftig, Der ſollte vom heiligen Geiſte em⸗ pfangen werden, der beſtimmt war, das Unreine zu hei⸗ ligen, und die reinen Geiſter von den unreinen zu ſon⸗ dern, und die reinen mit den reinſten Freuden des 1
ligen Geiſtes zu traͤnken.
Jeſus Chriſtus! ich glaube an deine erſte An⸗ kunft nur noch lebhafter, weil ich an deine e glaube.
2.
Wenn ich an das Wiederkommen Jeſu glaube, ſo wird mir fein ſtiller, heiliger Wandel, feine goͤttlichen Wunder, ſein geiſtvolles Predigen, ſein beiſpielreiches Leiden, ſein verdienſtvolles Sterben immer nur noch glaubwuͤr diger. Wir Menſchen glauben deſto leich⸗ ter, je mehr Zuſammenhang wir zwiſchen den vornehm ſten Lehren ſehen, an die wir glauben. Nun iſt die
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iederkunft Jeſu gleichſam ein Schlußſtein des ganzen baͤudes, der die übrigen Wahrheiten zuſammenhäͤlt. bi Chriſtus einſt alle Menſchen richten fol: fo begreife ich wohl, daß Er der Allerheiligſte ſeyn mußte, 16 in Ihm kein Falſch, kein Betrug erfunden werden fte. Ich begreife, daß der kuͤnftige Richter der gan⸗ Welt auch in ſeinem Leben auf Erden — Wahr⸗ 1 Tugend, Gerechtigkeit uͤber Alles lieben mußte, um alles Boͤſe ſtrafen, und alles Gute belohnen zu koͤnnen. Ich verwundere mich nicht mehr, daß Jeſus auf Erden o viele Kranke geheilet, fo viele Blinde ſehend, fo viele Todte lebendig gemacht: wenn ich feſt glaube, daß Er einſt bei ſeiner Wiederkunft alle Todte auferwecken, alle Fromme von allem Elende erloͤſen, alle reine Geiſter mit dem Lichte des ewigen Lebens erleuchten werde. Ich begreife es wohl, daß Er einſt mit goͤttlicher Weisheit gelehret, was die Menſchen lieben, haſſen ſol⸗ len: wenn ich feſt daran glaube, daß Er einſt mit goͤtt— licher Gerechtigkeit die Menſchen nach feiner Lehre rich, ten werde. Ich begreife es wohl, daß Er unter Alle er⸗ niedriget werden mußte — erniedriget bis zum Tode am Kreuze zwiſchen zwei Miſſethaͤtern: wenn ich feſt daran glaube, daß Er erhoͤhet über alle Geiſter — in Majeftät des Vaters wiederkommen und alle Menſchen richten werde. Ich aͤrgere mich nicht mehr an der Schmach des Kreu⸗ zes: wenn ich daran denke, daß der Gekreuzigte uͤber Alle herrſchen und uͤber Alle das entſcheidende Urtheil ee werde. |
3.
Wenn ich an das Wiederkommen Jeſu glaube: ſo iſt mir ſeine Auferſtehung aus dem Grabe neu glaub⸗ würdig. Denn wie ſollte der im Grabe bleiben, der beſtimmt war, allen Graͤbern ihre Todten zu rauben, und den Staub wieder zu beleben? Wie ſollte der im Grabe bleiben, auf deſſen allmaͤchtige Stimme alle Todte auf⸗ leben werden? Er lebet, um aufzuwecken; Er wecket auf, um zu richten; Er richtet, um alle Fromme von deu Boͤſen geſondert — in ihre Herrlichkeit einzufuͤhren.
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4. / 49 Wenn ich an das Wiederkommen Jeſu glaube: ſo iſt mir feine Himmelfahrt neu glaubwürdig. Denn, der wiederkommen fol, mußte doch heimgehenz der uns in die Wohnungen ſeines Vaters einfuͤhren ſoll, mußte ſie doch zubereiten; der mit uns ſeine Herr⸗ lichkeit theilen ſoll, mußte ſie doch ſelbſt in Beſitz nehmen. a 5. f . Wenn ich an das Wiederkommen Jeſu glaube: ſo iſt mir die Sendung des heiligen Geiſtes neu glaub⸗ wuͤrdig. Denn, wenn Er wiederkommen ſoll, um die Heiligen zu ſammeln, ſo mußte Er doch den heiligen Geiſt ſenden, um die Suͤnder heilig zu machen? So macht mir der Glaube an das Wiederkommen Jeſu — die uͤbrige Geſchichte Jeſu — die wichtigſten Stuͤcke unſers heiligen Glaubens neu glaubwuͤrdig. |
II.
Das Wiederkommen Jeſu, feſt geglaubt — macht uns die vornehmſten Pflichten der evangeliſchen Sittenlehre theurer.
A.
Unter den allgemeinſten Pflichten iſt eine der vor⸗ nehmſten jene, die Johannes, den der Herr lieb hatte, eben aus dem Wiederkommen unſers Herrn ableitet.
Allerliebſte! nun find wir Kinder Gottes, und es iſt noch nicht offen bar, was wir ſeyn werden. Aber, das wiſſen wir, wenn Er erſcheinen wird, dann werden wir Ihm gleich ſeyn: weil wir Ihn ſehen werden wie Er iſt. Jeder, der dieſe Hoffnung auf Ihn hat, reiniget ſich, wie su Er rein if. 1 Joh. III, 2—4. 4
Und: „Kindlein, bleibet in Ihm, damit wir
„bei ſeiner Erſcheinung Vertrauen auf I
— 101 —
„Ihn haben, und von Ihm bei feiner Ans „kunft nicht zu Schanden gemacht werden.“ Joh. II, 28. Unſre allgemeinſte und vornehmſte Pflicht iſt alſo dieſe:
| 8 Sey rein, wie Jeſus, damit du bei ſeinem Wie⸗ derkommen wuͤrdig biſt, vor Ihm zu beſtehen, und an
Ihm Freude zu haben.
Sey rein, wie Jeſus, das heißt: Meide nicht nur die Unzucht, oder andere große Suͤnden, ſondern ruhe nicht, bis du auch von geringern Sünden, und von Allem, was dich beflecket, von geheimer Eitelkeit, von verborgenem Eigennutz frei werdeſt.
Sey rein, wie Jeſus, der den Willen ſeines Va⸗ ters in Allem vollbrachte — den keine Suͤnde beruͤhrte.
Sey rein, wie Jeſus, ſo voll Liebe gegen Gott und deinen Naͤchſten, wie Er; ſo mild und ſanft im Lei⸗ den, wie Er; ſo unverdroſſen zum Gebete, und ſo uner⸗ muͤdet im Wohlthun, wie Er.
Sey rein, wie Jeſus — der nichts verlanget, als ſeinem Vater zu gefallen, und nichts geredet, als, was ſeinem Vater gefaͤllig war, und nichts gethan, als was ſein Vater Ihm aufgetragen hatte. Sey rein, wie Jeſus, der ſagen durfte: wer kann mich einer Suͤnde beſchuldigen?
Sey rein, wie Jeſus — — Doch was rede ich von dieſer Reinigkeit? Wer trachtet auch nur darnach? Wer ſieht auch nur auf dieſes Vorbild? Wie tief iſt das Chriſtenthum geſunken! Die Meiſten unter uns haben wahrſcheinlich noch mit Verſuchungen zu ſchweren Suͤn⸗ den zu kaͤmpfen, und kennen ihr hohes Ziel — rein zu ſeyn, wie Jeſus, noch nicht.
Und ich muß auch hier ſagen, was ein vortrefflicher Prediger anderswo ſagte: Wann werde ich die Freude erleben, daß ich von der Vollkommenheit eines Chris ſten reden darf? — Unſere Chriſten haben immer noch mit ihren ſieben Todfünden zu ſtreiten: wie ſollten fie die Stimme verſtehen: ſey rein, wie Jeſus?
J. M. v. Sailers ſämmtl. Schriften. XXXV. Bd. 11
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Und doch ſollen wir Alle rein ſeyn, wie Jeſus.
Es iſt der Wille Gottes; es iſt die Lehre Jeſu; es iſt das Ziel der Schoͤpfung; es iſt die Abſicht des Chriſten⸗ thums. Und nur die, welche ſich bemuͤhet haben, rein zu ſeyn, wie Jeſus, werden mit beſonderer Zuverſicht bei der Erſcheinung Jeſu zu Ihm aufſehen duͤrfen, werden ſein Angeſicht ertragen koͤnnen, werden die Ehre genießen, ſeine Freunde genannt zu werden, werden die Stimme hören: Kommet und nehmet meine Herrlichkeit in Beft itz, weil es euer erſtes Geſchaͤft war, meiner Heiligkeit nach zuahmen: ſeyd ſelig wie Ich, weil ihr rein ſeyd, wie Ich. So pruͤfe ſich denn ein Jeder, und frage ſich: Wenn Chriſtus jetzt wiederkaͤme, koͤnnte ich meine verborgenſten
Gedanken, meine geheimſten Wuͤnſche, oder auch nur mein Handlungen alle — vor ſeinen Augen ſehen laſſen, ohne zu erroͤthen? Jeſus hat Augen, wie Feuerflammen — durchſchaut uns bis in's Innerſte: wie koͤnnte ich vor Ihm beſtehen? — Und, wenn ich mich, wie ich bin, nicht dürfte ſehen laſſen, wie kann ich es wagen, ſo zu bleiben, wie ich bin? Rein ſeyn — wie Er — ſoll ich, und ich bin es noch nicht, und Er kommt gewiß; und wenn ich nicht rein bin, wie Er — wehe mir! und wie ſollte ich's wer⸗ den, wenn ich nicht jetzt anfange, alles Unreine in mir zu erforſchen — wie vor ſeinen Augen, alles Unreine zu verabſcheuen, und alle Entſchließungen zu faſſen, ohne die ich nicht rein werden kann? 5
b.
Unter den beſondern Pflichten iſt die Liebe des Nächſten offenbar eine der vornehmſten. Und auf dieſe Pflicht macht uns Jeſus ſelbſt aufmerkſam, da Er das Gericht, das Er halten wird, ſo beſchreibet: 5
„Alsdann wird der Koͤnig denen, die zu ſeiner Rech⸗ # „ten find, ſagen: Kommet, ihr Geſegnete meines Vaters, „und nehmet das Reich, das euch von Anbeginn der „Welt bereitet iſt, in Beſitz. Denn Ich war hungrig, „und ihr habt mich geſpeiſet; durſtig, und ihr habt mich „getraͤnket; fremde, und ihr habt mich beherberget; nackt,
*
mund ihr habt mich bekleidet; krank, und ihr habt mich „beſucht; gefangen, und ihr ſeyd zu mir gekommen. Alsdann werden die Gerechten ſagen: Herr, wann haben
„wir dich hungrig, oder durſtig, oder fremd, oder nackt,
„oder krank, oder gefangen geſehen, und haben dich ge⸗ „ſpeiſet, getraͤnket, beherberget, bekleidet, beſucht; und der „Koͤnig wird ihnen antworten: Wahrlich ſage Ich euch,
„Alles, was ihr einem aus meinen geringſten Bruͤdern „gethan, das habet ihr mir gethan.“ Matth. XXV, 34 — 46.
Ob uns alſo gleich alles Gute, das wir gethan, Troſt und Zuverſicht auf den Tag des Herrn verſchaffen kann;
obgleich alles Gute ſeine Belohnung und alles Boͤſe ſeine
Beſtrafung finden wird: fo iſt es doch vorzuͤglich die Naͤchſtenliebe, oder das zweite Gebot, das dem erſten gleich iſt, deſſen Erfuͤllung der Richter belohnen, deſſen Uebertretung Er beſtrafen wird.
Wenn wir alſo feſt an die Wiederkunft Jeſu glaub⸗ ten, ſo haͤtten wir einen neuen Antrieb, wohlthaͤtig, mit⸗
leidig, dienſtfertig, barmherzig zu ſeyn. Denn ſehet! Alles,
was wir den Armen thun, im Glauben auf das Wort
Jeſu hin, das haben wir Ihm gethan — und Er
wird es als Richter belohnen, wie wenn wir es Ihm
gethan haͤtten. Wenn ich, im Blicke auf Jeſus hin, Hungrige ſpeiſe,
Durſtige traͤnke, Nackte kleide, Waiſen beherberge, Kranke
erquicke: ſo iſt's, als wenn ich Jeſum geſpeiſet, getraͤn⸗
ket, gekleidet, beherberget, erquicket haͤtte — und Jeſus
belohnt es, als wenn es Ihm geſchehen waͤre. Liebſt du alſo Jeſum: ſo ſpeiſe Ihn, wenn Er vor
deine Thuͤre kommt — und kleide Ihn, wenn Er um eine Decke bittet — denn Er iſt's, den du in dem Hungrigen ehreſt; Er iſt's, den du in dem Nackten ehreſt, wenn du
Speiſe und Decke mit ihm theileſt. Aber auch, Er iſt
5 u. ſ. f.
es, den du in dem Hungrigen und Nackten ver ſchmaͤ⸗
heit, wenn du Speiſe und Decke für dich behäͤltſt. Er wird auch einſt deine Haͤrte an dir beſtrafen:
„Ich war hungrig, und du haft mich nicht geſpeiſet.“
11
— 164 —
Laßt uns alſo guͤtig ſehn, wie es Jeſus au war, laßt uns Ihn in den Duͤrftigen ehren. 5
Und gleich heute: Noch ehe ihr das Amen aus dem Munde des Predigers hoͤret, muß ſich Jeder einen Armen herausſuchen, den er um Chriſtus willen heute noch erquicken will.
Heute noch: denn ihr habt geſtern erſt einen Bürger zu Grabe begleitet, und fo wird man auch uns zu Grabe tragen. Und wenn der Menſch im Sarge liegt, da kann er die Hungrigen nicht mehr ſpeiſen — Chriſtum nicht mehr in ihnen verehren. Wir wollen alſo das Wohlthun nicht fparen — bis wir im Sarge liegen. 5
Wir wollen recht oft an die Wiederkunft Jeſu den⸗ ken, und rein zu werden ſtreben, wie Jeſus rein war, und wohlthun wie Er! Amen.
XVI. Johannes im Kerken
Homilie über Matth. XI, 2— 10.
gehalten am zweiten Adventſonntage in der e zu Dillingen, 1790. a
Es hat zu allen Zeiten Leute gegeben, die gerne gefra⸗ get, andere, die gerne geantwortet haben. Aber unter
allen Fragenden kenne ich wohl keinen groͤßern Mann,
als Johannes, und unter allen Antwortenden keinen goͤttlichern Lehrer, als Jeſus.
Woruͤber Johannes fragte, und was Jeſus auf deſſen
h Frage antwortete, und was Er bei Anlaß dieſer Frage
1 und Antwort nachher zum Volke ſagte, das iſt im ı1ten
Hauptſt. Matth. 2 — 10, und auch Luk. VII. angezeigt,
und euch vor dieſer Predigt vorgeleſen worden.
Davon will ich nun zu meiner und eurer Freude reden, nach Art der Vaͤter, die nicht, (wie wir gewoͤhn⸗ lich,) uͤber einzelne Schriftſtellen geprediget, ſondern uͤber
ganze Stuͤcke der evangeliſchen Geſchichte Homilien gehalten, das iſt, kurze Erklaͤrungen gegeben haben.
* * *
„Johannes lag in Banden.“
Er war, nach Jeſus, der beſte, weiſeſte, größte Mann in Judaͤa und außer Judaͤa, und der lag in Banden. Aber dieſe Bande machten ihm keine Unehre: er trug ſie um der Wahrheit willen, ſie ehrten ihn mehr — als den aaodes ſeine Krone, und wenn ſie tauſendmal reicher geweſen wäre, als fie war. Er fügte die Wahrheit aus
4 Mitleid gegen ſeinen Fuͤrſten: Du darfſt deines
9 Bruders Weib nicht en — und dieſe Wahrheit
a DR
zog ihm die Ungnade des Suͤnders zu — und noch mehr der Suͤnderin. Die Ehebrecherin konnte die gerechte Frei⸗ muͤthigkeit des Propheten nicht ertragen — und ließ ihn in Bande werfen. i Er gieng in den Kerker und zitterte nicht. Das iſt ein rechtes Beiſpiel fuͤr uns Prediger: Wir müffen goͤttliche Wahrheit verkuͤnden, auch wenn ſie uns finſtere Geſichter, und etwas mehr, als finſtere Geſichter, zuziehen ſollte. 5 Das iſt auch ein Lehrſtuͤck fuͤr alle Menſchen: Feſſeln tragen iſt keine Schande fuͤr den, der ſie traͤgt — wenn er ſie nur nicht verdient hat. Propheten liegen in Ban⸗ den — und Straßenraͤuber. Jene, weil ſie Gutes, dieſe, weil ſie Boͤſes gethan. Fuͤrchte dich alſo nicht, lieber Freund, ſo lange du Gutes thuſt! Zittre nicht, ſo lange du die Wahrheit aus Liebe fuͤr deine Bruͤder ſagſt! Denn ſieh! man kann ein Johannes ſeyn — und Bande tragen; leiden — und der edelſte Mann ſeyn. Wer Gutes thut — dem kann nichts Boͤſes ſchaden.
* RR *
„Als Johannes im Kerker von den Wunder⸗ thaten Jeſu hoͤrte, ließ er zwei ſeiner Juͤn⸗ ger zu Jeſus gehen, und Ihn fragen, ob Er der Erwartete ſey oder nicht.“ |
Den Mann kennet man aus feiner Frage. Wie deine Frage, ſo biſt du. Ein Thor haͤtte Jeſum fragen laſſen, ob es morgen regnen werde oder nicht: der Weiſe fragt ihn um die erſte Angelegenheit der Nation, der Welt: ob Jeſus der Erwartete, der goͤttliche Koͤnig, das Heil der Voͤlker ſey, oder nicht. Wie beſchaͤmend fuͤr uns! wie Wenige fragen nach Gott, nach Jeſus, nach dem Reiche Jeſu, nach dem wahren, ewigen Heil. Es iſt nicht zu tadeln, daß wir gern Zeitungen leſen, und darauf begierig ſeyen, wie es in Frankreich, in Brabant, in Luͤttich, und mit dem Tuͤrkenkrieg — gehen werde. Denn es ſind Menſchen, um deren Wohl es zu thun iſt, und wir ſind auch Menſchen. Aber das waͤre zu tadeln, wenn wir bei dem raſtloſen Eifer, Dinge zu
„
- wiſſen, die noch nicht entſchieden find, und deren Erfenuts niß mit unſerm zeitlichen und ewigen Wohlſeyn in keiner unmittelbaren Verbindung ſteht, nicht Luſt und nicht Zeit funden, an uns ſelbſt die wichtigſten Fragen über die een Gegenſtaͤnde zu thun; z. B.
1
„Iſt Jeſus Chriſtus auch mein Heil? Kenne ich ſeine goͤttliche Lehre? 2 Achte ich fein heiliges Beiſpiel ? * Glaube ich an ſeine Macht? Folge ich ſeinem Wandel nach?
Das waͤre zu tadeln, wenn wir zu traͤge waͤren, bei Männern, denen wir Erkenntniß und Liebe zutrauen duͤr⸗ | fen, Nachfrage zu halten:
Wer iſt Chriſtus
Was ſoll ich glauben? Was darf ich hoffen? Was muß ich thun?
Johannes ſendet ſeine Juͤnger an Jeſus, und fragt; find wir weiſer als Johannes und feine Freunde, daß wir für uns und Andere keiner Nachfrage beduͤrfen? — Lernet fragen — damit ihr die Wahrheit kennen lernet.
* b * **
| Jeſus horchte aufwerkſam auf das, was ihn die Juͤn⸗ ger des Johannes fragten, ließ ſich aber durch ihre noch ſo wichtige Frage nicht hindern in dem Geſchaͤfte, Gutes zu thun. Er heilte in ihrer Gegenwart (kuk. VII, 21.) allerlei Kranke, gab den Blinden das Ger ſicht ꝛc., und hatte kurz zuvor einen todten Juͤngling, der zu Grabe getragen wurde, von den Todten erwecket.
Da nun die Juͤnger Johannis voll Verwunderung ſahen, wie Jeſus die Kranken heilte: gab ihnen Jeſus x auf ihre Frage die unvergeßliche Antwort:
5 „Gehet, und berichtet dem Johannes, was ihr geſehen und gehoͤret: Blinde ſehen, Lahme gehen, Ausſaͤtzige werden rein, Taube
— 163 —
hören, Todte leben wieder, den Armen wird die frohe Botſchaft verkuͤndet, und ſelig iſt, der ſich an mir nicht aͤrgert.“
Jeſus antwortet durch Handlungen, die mehr a ſagen, als viele Worte nicht haͤtten ſagen koͤnnen.
„Berichtet, was ihr geſehen, und gehoͤre.!“
Er lebte und handelte nicht in einem geheimen Win⸗ kel, oder unter vier Augen — Er durfte ſich auf Ohr en⸗ und Augenzeugen berufen. Er bedarf keiner Worte: die Thaten reden fuͤr Ihn. Die Blinden, die Er ſehen, die Lahmen, die Er gehen, die Todten, die Er leben, die Ausſaͤtzigen, die Er rein gemacht, ſind die rechten Zeugen, was Jeſus ſey.
Jeſus laͤßt die Wunderthaten für ſich reden.
Es iſt, als wenn Er geſagt haͤtte: Ihr fraget mich, wer Ich ſey? fraget nicht mich, fraget die Gichtbruͤchi⸗ gen, denen Ich die Kraft zu gehen in ihre Knoͤchel und Fußſohlen geleget, daß ſie ſpringen koͤnnen; fraget nicht mich, fraget die Blindgeweſenen, denen Ich das Auge er⸗ öffnet, daß fie die Sonne ſehen koͤnnen, die fie vorher nicht ſehen konnten; fraget nicht mich, fraget den Juͤng⸗ ling zu Naim, den Ich, ehe ſie ihn in's Grab legten, lebendig gemacht, daß er aus der Bahre hervorgieng, und das Herz ſeiner weinenden Mutter mit dem ſchoͤnen Gruß, Mutter! ich lebe wieder, erfreuen konnte; fraget nicht mich, fraget die unzaͤhligen Armen, denen Ich die frohe Botſchaft gebracht, daß fie Kinder meines Vaters — jetzt reich an edlem Sinn und guten Werken, und einſt Mitregenten im himmliſchen Koͤnigreiche ſeyn werden. — Dieſe ſollen es euch ſagen, was Ich ſey. |
Und Johannes hat dieſe Antwort gewiß verſtanden. Er wußte, daß keiner eine Gabe von Oben nehmen kann, als die ihm gegeben iſt. Er kannte den Sohn Gottes — an den goͤttlichen Handlungen. Und dieſe Art zu ant⸗ worten ſoll auch uns die liebſte ſeyn. Auch wir ſollen durch Thaten ſagen, was wir ſeyen. N
Zwar Wunderthaten konnen und dürfen wir eben nicht — für uns reden laſſen: aber einen ſtillen, beſchei⸗ denen, frommen, ganz chriſtlichen Lebenswandel — den
ſollen wir es ſagen laſſen, was wir ſeyen. Wie Chriſtus
auf die Frage, ob Er der Erwartete, der Chriſtus ſey, durch Thaten geantwortet: ſo ſollen wir auf die Frage, ob wir Chriſten ſeyen, durch Thaten antworten. Unſre Demuth ſage es der Welt, daß wir an Jeſum glauben, der ſich erniedrigte unter Alle; unſre Geduld in truͤben Stunden ſage es der Welt, daß wir an Jeſum glauben, der ſich wie ein Lamm ſchweigend
zur Schlachtbank fuͤhren ließ; unſer Gehorſam gegen
den Willen des himmliſchen Vaters ſage es der Welt,
daß wir an Jeſum glauben, der betete: Vater, nicht
mein Wille, ſondern der Deine! Auf die Frage: biſt du ein Chriſt? ſoll nicht bloß
unſer Mund — ſondern unſer Wandel antworten. Ihr
ſollet antworten koͤnnen, wie Jeſus: fraget nicht mich, ob ich ein Chriſt ſey, fraget die Hungrigen, die ich erquicket; fraget die Armen, die ich auf den Winter mit Holz verſehen, fraget die Leicht ſinnigen, die ich in Zucht und unter Aufſicht genommen u. ſ. w.
Aber das Wort: Selig, der ſich an mir nicht ärgern wird — — ſcheint raͤthſelhaft zu ſeyn. Denn,
wer ſollte ſich an Jeſus aͤrgern? — Und doch iſt es ein Wort aus dem Munde der Wahrheit: Selig, der
fich an mir nicht ärgern wird. Und die Erfahrung hat es genug beſtaͤtiget — beſtaͤtiget es noch dieſe Stunde.
Es iſt ſogar ein Kennzeichen, daß Jeſus der Erwartete ſey — das allgemeine Aergerniß, das man an Ihm ge⸗ nommen hat.
Geaͤrgert haben ſich an Ihm 1) die Pharifäer. Weil er z. B. am Sabbath Gutes that, nannten ſie ihn
einen Sabbathſchaͤnder.
*
Geaͤrgert haben ſich an Ihm 2) die Sadduzäer.
Weil Er die Auferſtehung lehrte, hielten ſie ihn fuͤr einen
Schwaͤrmer — denn ſie glaubten an keinen Geiſt, und an kein ewiges Leben.
Geaͤrgert haben ſich an Ihm 3) die Hofleute des Herodes. Weil Er die reinſte Tugend lehrte, die ſie fuͤr einen Traum hielten, ſo hielten ſie Ihn fuͤr einen Träumer,
Geaͤrgert haben ſich an Ihm 4) Viele aus dem Volk. Weil Ihn die Hohenprieſter und die Gelehrten zum Tode verdammt hatten: ſo ſahen die Augen des Volkes an Ihm einen todeswuͤrdigen Verbrecher.
Geaͤrgert hat ſich an Ihm 5) ſein Fre und Petrus, der ihn dreimal verlaͤugnet.
Und noch dieſe Stunde aͤrgern ſich 6) viele Chri⸗ ſten an Ihm — ſeine Lehre iſt nicht nach ihrem Sinn.
Wenn Jeſus ſagt: Wer ein fremdes Weib mit einem luͤſternen Blicke anſieht, hat im Herzen fhon die Ehe mit ihr gebrochen: fo ärgern ſich viele Chriſten an Ihm, und halten dieſe Lehre fuͤr ſchwaͤr⸗ meriſch. Und ſie iſt doch die lauterſte Wahrheit: denn wer die Feuersbrunſt verhindern will, muß doch wohl den Funken zertreten.
Wenn Jeſus ſagt: Wachet, denn ihr wiffet nicht den Tag, noch die Stunde — ſo aͤrgern ſich viele Chriſten an Ihm — und ſprechen: es iſt nicht ſo ſtrenge gemeint, laßt uns guter Dinge ſeyn, Er kommt nicht — oder noch nicht.
Wenn Jeſus ſagt: Wer mir nachfolgen will, der verläugne ſich ſelbſt, und nehme fein Kreuz auf ſich, und folge mir nach: ſo aͤrgern ſich viele Chriſten an Ihm, und legen die Verlaͤugnung ſeiner ſelbſt fuͤr eine bloße kloͤſterliche Tugend aus, und begreifen nicht, daß die Selbſtverlaͤugnung fuͤr die Tugend das 52 was das tägliche Brod für das koͤrperliche Leben. |
Selig, der ſich an mir nicht ärgern wird.
* 4 0
Als die Juͤnger des Johannes fortgegangen waren, redete Jeſus zum Volke, und dieſe Rede iſt eben ſo merk⸗ wuͤrdig, wie die Antwort an die Juͤnger Johannis.
„Was wolltet ihr denn in der Wüſte ſehen? Ein Moosrohr, das der Wind hin und her treibt?
Oder einen Mann in prächtigen weichen Kleidern? Aber die ſich praͤchtig und weichlich kleiden, findet man an Hofen der Koͤnige. Oder einen Propheten? Ja wirklich kann Ich euch ſagen: er iſt mehr, als ein Prophet, denn eben die⸗ ſer iſt's, von dem geſchrieben ſteht: Sieh! ich ſende meinen Boten vor deinem Angeſichte her, der dir deinen Weg bahnen ſoll.“
Johannes iſt 1) kein Moos rohr, das ſich von jedem Winde hin und her bewegen laͤßt, d. h. kein unbe⸗ ſtaͤndiger Menſch. Was er in der Wuͤſte gelehret hat, das lehret er in dem Kerker noch — ſendet ſeine Freunde zu Jeſu. Was er an den Kleinen ſtrafte, das ſtraft er auch an den Großen. Er fuͤrchtet keine Ungnade des Hofes, daß er ſich etwa neigte vor dem Fuͤrſten, und ſtille ſchwieg zu ſeinen Laſterthaten. Er ſtehet unbeweg⸗ lich da, wie eine Eiche, achtet nicht Lob und Tadel, thut und lehret nur — was recht iſt.
Jiohannes iſt 2) kein Weichling — ein Kleid von Kameelhaar deckt ihn, und eine geringe Koſt naͤhret ihn. Er wird, um des Brodes willen, nicht untreu an der Wahrheit. Eine Decke und eine Nahrung — zur Noth⸗ durft, mehr verlangt er nicht, und dieſe findet er überall — auch in der Wuͤſte.
Inm Vorbeigehen ſey es mir erlaubt zu fagen: die Zeiten haben ſich geaͤndert. Ehemals waren die Leute, die ſich prächtig und weichlich kleideten, nur an den Hoͤ⸗ fen der Koͤnige: jetzt ſind ſie faſt uͤberall zu finden. Und wenn die praͤchtigen Kleider ein Zeichen der Fuͤrſtenhaͤuſer wären: fo gäbe es in jeder Stadt beinahe fo viele Fürs ſtenhaͤuſer — als Haͤuſer, die nicht vom geringſten Poͤbel bewohnet werden.
Johannes iſt 3) mehr als ein Prophet, indem er nicht auf den zukuͤnftigen Meſſias hin — weiſſaget, ſondern auf den ſchon Gekommenen deutet: Sehet, das Lamm Gottes — Er iſt der Bote, der vor dem
Meſſias zunaͤchſt vorhergeht, um Ihm Weg zu machen. — Und Weg bahnt er durch Bußepredigen.
O, daß auch in unſern Tagen ſolche Boten aufftän- den, die unſerm Herrn Weg bahneten!
Es giebt ſo viele falſche, in ihrer Stiche heit eingeſchlafene Chriſten, die mit etwas Andacht, oder Berufseifer zufrieden, ſich um die Aenderung ihres Sinnes nicht viel bekuͤmmern: dieſen ſollte irgend ein Johannes mit der Kraft ſeines Geiſtes ſagen: die Axt it ſchon an die Wurzel angeſchlagen — thut Buße, oder der Baum wird umgehauen und in das Feuer geworfen.
Es giebt ſo viele ſchwache Chriſten, die kein rechtes Zutrauen zu Jeſu haben, wie die Juͤnger Johannis. Dieſe ſollten von irgend einem Johannes an Jeſus ange⸗ wieſen werden: „Das iſt das Lamm, das die Suͤn⸗ den der Welt hin wegnimmt.“ — — Ich kehre wies der zu dem Worte Jeſu zuruck: Selig, der ſich an mir nicht ärgert.
Nicht doch, goͤttlicher Lehrer! nicht aͤrgern wollen wir uns an Dir, oder an deiner Lehre. Wir wollen an ſie glauben — als Gotteswort. Wir wollen fie hochachten — als Gotteswort. Wir wollen darauf ſterben, daß Du Gottes Sohn, und dein Wort Gotteswort iſt.
Aber zuvor wollen wir darnach leben, denn das iſt das Schwerſte.
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Die wahre Groͤſse Johannis des Täufers.
4 Pint dg t, gehalten in der Stiftskirche zu Dillingen am dritten Advent⸗ ſeonntage 1791, als Fr. Xaver Bayr feine erſte Meſſe las.
ſchen, als ſo viele Werkzeuge Gottes, der allein gut iſt, und allein gut machen kann, ſollen gut und ſelig wer⸗ den; da es der Wille unſers Herrn Jeſus Chriſtus iſt, daß vorzuͤglich die Geiſtlichen, wie wir ſie nennen, das Licht ſeyn ſollten, von dem die Strahlen auf das Volk ausgiengen; das Salz, das die uͤbrigen Menſchen vor Irrthum und Suͤnde bewahrte; die Hirten, die die Kin⸗ der Gottes ſammelten und bewahrten: ſo ſehe ich jeden Tag, an dem ein neugeweihter Prieſter dem Volke vorge⸗ ſtellet wird, und das erſtemal den Altar betritt, um ſich Gott und dem Heile der Menſchen im Angeſichte der Kirche zu weihen, als einen gemeinſamen Feſttag fuͤr Volk und Geiſtliche an — als einen Feſttag, an dem Volk und Prieſter naͤher aneinander geſchloſſen, an ihre großen Pflichten lebhafter erinnert, zu Erfuͤllung ihres Berufes kraftiger ermuntert, zu heiligen Tntſchliegunden mächtiger getrieben werden ſollten.
Ein ſolcher Feſttag iſt nun auch für dieſe Stadt, und insbeſondere für dieſe Stiftskirche heute wieder aufs gegangen, und ich zweifle nicht, es werden nicht nur die Verwandten, die Freunde, die Mitſchuͤler des Neugeweih⸗ ten, ſondern alle Zuhoͤrer daran Theil nehmen. Dieſes Theilnehmen möchte ich nicht ſchwaͤchen, möchte ihm nur die ſchoͤnſte Richtung geben, deren es fähig iſt, damit der Name unſers Herrn Jeſus Chriſtus
. 2 es der Wille Gottes iſt, daß Menſchen durch Men⸗ ſch
— 173 — an allen Feſttagen vor allen anderen Namen geprieſen und verherrlichet werde.
Dazu giebt mir das Evangelium, das am dritten Adventſonntage dem Volke vorgeleſen wird, nicht nur Anlaß, ſondern auch den lehrreichſten Inhalt. Es wird darin Johannes in ſeiner ganzen Groͤße dargeſtellt, und dieſer Johannes iſt auch noch in unſern Tagen ein rechtes Muſter fuͤr uns Geiſtliche, auch noch in unſern Tagen ein wahrer Lehrer fuͤr das ganze Chriſten volk.
Es wird alſo der Erwartung meiner Zuhoͤrer und meiner Pflicht, der Feier des Tages und dem Geiſte des Evangeliums angemeſſen ſeyn, wenn ich das, was die heilige Geſchichte von Johannes erzaͤhlet, erklaͤre, und zuerſt auf uns Geiſtliche, und dann auch auf das chri liche Volk anwende. *
Was machte Johannes den Taͤufer wahrhaft große Worin iſt er ein Muſter fuͤr uns Geiſtliche? Worin iſt er ein Lehrer für das chriſtliche Volk?
Johannes war groß, weil er ſo geringe war in ſeinen Augen, und ſo treu in ſeinem Zeugniſſe von Jeſus Chriſtus.
Johannes iſt noch in unſern Tagen ein Muſter für uns Geiſtliche; denn er lehret uns geringe von uns ſelbſt denken, lehrt uns uͤberall und muthig, und nur fuͤr die Wahrheit zeugen.
Johannes iſt noch in unſern Tagen ein Lehrer für das chriſtliche Volk; denn er lehrt es Buße thun, und ſich feſt an den anschließen, dem er den Weg unter eb nem Volke bereitet hatte.
* — *
Wen Jeſus ruͤhmte, den dürfen wir auch ruͤhmen. Was Jeſus an ihm ruͤhmte, dem duͤrfen wir nachfolgen. Er ſalbe uns das Auge, zu ſehen, was gut iſt, und die Fuͤße, darnach zu wandeln.
Das iſt Inhalt und Zweck dieſer Predigt. Vieles werde ich von den Pflichten der Geiſtlichen, und nicht Weniges von dem Neugeweihten ſagen. Ich kenne wenige
v2
— 15 —
Menſchen ſo genau wie dieſen. Und wenn ich ſeine Be⸗ ſcheidenheit kraͤnken duͤrfte, ſo wuͤrde ich ausfuͤhrlicher ſa⸗ gen, was ich jetzt nur beruͤhren will: auf wenigen Men⸗ ſchen ruhen ſo viele meiner wuͤrdigſten Hoffnungen, wie auf dieſem. Meine Hoffnungen ſind uͤbrigens ſehr ein— faͤltig. Ich hoffe, er werde, wie Johannes, auf dem Wege zum Heil ausharren, und Vielen, wie Johannes, den Weg zum Heil eben machen. Die Zeit, die ſo man⸗ ches Gute offenbaret, wird auch den Grund dieſer Hoff⸗ nung offenbaren. Beten Sie aber, lieber Mitprieſter Eines Gottes, und Mitpilger auf Einem Wege zu Gott, daß ich ſo wahr rede, wie Johannes, und mein Beiſpiel nie dem wahren Worte meines Mundes widerſpreche. Beten Sie in Ihrem Innerſten, weil es doch nur das Innerſte . das beten kann — beten Sie um alles Gute fuͤr uns Alle: dann wird der heutige Tag — ewig ein Tag der Freude fuͤr mich, und kein Herz meiner Zuhoͤrer un⸗ geruͤhrt bleiben. Dazu verhelfe uns der Gott, der Herzen pruͤfet und ruͤhret, und ſich durch Menſchen und an Men⸗ ſchen offenbaret!
P2
Johannis wahre Größe
Als Johannes durch ſeinen heiligen Wandel, durch fein markdurchdringendes Predigen, durch fein bedeu⸗ tungsvolles Taufen, durch dieſe feierliche Einweihung des Volkes zur Buße, alle Augen in Judaͤa und in den benachbarten Gegenden auf ſich gezogen hatte; als an ihm jeder Fromme einen Engel Gottes zum Heile der Menſchen bewunderte und verehrte, jeder Boͤſe einen Pre⸗ diger der Gerechtigkeit ahnete und fuͤrchtete; als das Volk zu glauben anſieng, er koͤnnte wohl gar der Erwartete, der Meſſias ſelbſt ſeyn; als die Prieſter, die Gelehrten und Aelteſten des Volkes, mehr aus Achtung für ſich, als
aus Achtung fuͤr die Wahrheit, beſorgt waren, es moͤchte eine ihrem Anſehen gefaͤhrliche Gaͤhrung unter dem Volke entſtehen: da fand man es in Jeruſalem für gut, Pries
we ı und Leviten an Johannes abzufenden, mit der Voll
— 176 —
macht, ihn im Namen der Haͤupter der Nation zu fra · gen, fuͤr wen er ſich ſelbſt ausgebe.
Wer biſt du denn? Mit dieſer Frage kamen de Geſandten an Johannes. |
Er hätte offenbar bei Vielen Eingang gefunden, wenn er ſich für den Meſſias ausgegeben haͤtte. Er las auch auf den Geſichtern der Fragenden ganz deutlich, daß ſie ihn fuͤr nichts Geringeres als einen großen Propheten hielten. Er achtete aber nicht auf das, was Einige gerne aus ſeinem Munde vernommen hätten; er ſah nur auf die Wahrheit und auf ſeine Pflicht, und bekannte es un⸗ verhohlen und beſtimmt: Ich bin nicht der Meſſias.
„Wer biſt du denn? etwa Elias?“ Johannes ſah nicht auf die Erwartungen der Menſchen, ſah nur auf die Wahrheit und auf ſeine Pflicht, und bekannte 9 unverhohlen und beſtimmt: „Ich bin nicht Elias.“
Biſt du ein Prophet? Johannes war ein Pro⸗ phet, und haͤtte ſich, nach der ſtrengſten Wahrheit, einen Propheten nennen duͤrfen. Weil er aber die Menſchen mehr auf Jeſum, als auf ſich aufmerkſam machen wollte, weil er immer weniger ſcheinen wollte, als er war: ſo ſagte er mit feſtem, ruhigem Blick: Ich bin nicht ein Prophet.
Die Geſandten wußten nun halb und halb, was er nicht wäre, wußten aber noch gar nicht, was er denn eigentlich wäre Sie fragten alſo weiter: wenn du nicht der Meſſias, nicht der Elias, noch ein Prophet biſt: wofuͤr giebſt du dich denn aus? Johannes, geringe in ſeinen Augen, waͤhlt auch einen geringen, gemeinen Ausdruck, wenn er ſagen muß, was er ſey: Ich bin weiter nichts, als eine Stimme in der Wuͤſte, die da ruft: Bereitet den Weg des Herrn, wie es bei Iſaias zu leſen iſt. 4
So antwortet die Demuth. So redet der Demü⸗ 5 thige. Er redet erſtens nie von ſich, als wenn er reden muß, wenn ihn eine Pflicht auffordert, von ſich zu reden; er predigt Buße, und nicht ſich. Er laͤugnet zwei⸗ tens kuͤhn und ſtandhaft alle Vorzuͤge, die er nicht hat, und die ihm wie immer zugeeignet werden: Ich 19
Ai ni t, 4
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nicht, ich bin's nicht, ich bin's nicht — ich bin nicht das, was ich nach eurer Meinung ſeyn ſoll. Er
t drittens den mildeſten, gemeinſten Ausdruck, der noch mit der Wahrheit beſtehen kann, heraus, wenn er die Vorzüge nennen muß, die er wirklich hat: Ich bin nur eine Stimme, die da ruft, daß man dem Herrn den Weg bahnen ſolle. Er bezeuget die Wahrheit, wenn er von ſich reden muß, ſo beſcheiden, ſo ungekuͤnſtelt, ſo ohne alle Anma⸗ Bung, wie möglich. Indeß die meiſten Menſchen nur ſich fuchen, ihre Ehre ſtets mehr als ihre Pflicht im Auge haben, immer mehr ſcheinen wollen, als ſie wirklich ſind, immer nur ihre Vorzuͤge an das Licht hervorziehen, und fremde ver⸗
unkeln, immer das Gute, das ſie an ſich haben, ver— ö groͤßern, und das Mangelhafte zudecken, immer ihre wahre Geſtalt vor ſich und Andern verbergen — alſo ſich und Andere taͤuſchen — und dieſe fortdauernde Taͤuſchung ihr ganzes Leben ausmacht: tritt ein Mann in Judaͤa auf, und will nicht mehr ſeyn, als er iſt — will weniger ſchei⸗ nen, als er iſt; zeugt von ſich nach der Wahrheit, thut Alles zur Ehre deſſen, der ihn geſendet — und nicht um ſeiner Ehre willen.
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Die Geſandten waren Phariſaͤer, hatten alſo Scharf, ſinn und Argliſt genug, aus der ſchoͤnen Erklaͤrung Jo— hannis eine Anklage gegen ihn herauszufinden: Wenn du, ſagten ſie, weder Chriſtus, noch Elias, noch ein Prophet biſt, mit welchem Rechte taufeſt du denn?
Dieſe Frage gab dem großen Manne Anlaß, ſeine Hochachtung gegen Jeſus zu bezeugen, und zugleich ſeine Demuth zu verſiegeln. „Ich taufe nur mit Waſſer: Er iſt mitten unter euch, den ihr nicht kennet. Er wird nach mir auftreten, und war vor mir — und ich bin's nicht werth, Ihm die Schuhriemen zu loͤſen.“
Jiohannes iſt Zeuge der Wahrheit. „Der Staͤr⸗ kere kommt nach mir — Er wird euch taufen im heiligen
J. M. v. Sailers ſämmtl. Schriften. XXXV. Bd. 12
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Seife und Feuer: Er hat die Wurfſchaufel in ſeiner oo und wird feine Tenne fegen, und den Weizen in feine Scheune fammeln, und die Spreu mit ane Feuer verbrennen.“ Luk. III, 16—18.
Er iſt ein Zeuge der Wahrheit: „Wer die Braut hat, iſt der Braͤutigam; der Freund des Braͤutigams ſteht nur ſo, und horcht auf ihn, und freuet ſich, wenn er ſeine Stimme hoͤret. Dieſe meine Freude iſt nun in Erfuͤllung gegangen. Er muß wachſen, ich abnehmen. Wer von Oben kommt, iſt uͤber Alle. Der von der Erde iſt, der iſt von der Erde, und redet von der Erde. Wer vom Himmel kommt, der iſt uͤber Alle. Er bezeuget, was er geſehen und gehoͤret. Und Niemand giebt ſeinem Zeugniſſe Gehoͤr. Wer aber ſein Zeugniß annimmt, der druͤckt das Siegel darauf, daß Gott wahrhaftig iſt. Wen Gott ſe det, der redet Worte Gottes, denn Gott giebt ihm ſeinen Geiſt ungemeſſen. Der Vater liebt den Sohn, und hat Alles in ſeine Haͤnde niedergelegt. Wer an den Sohn glaubt, hat das ewige Leben. Wer aber an den Sohn nicht glaubt, wird das Leben nicht ſehen, ſondern die Un⸗ gnade Gottes lieget ſchwer auf ihm.“ Joh. III, 29—36.
Er iſt ein Zeuge der Wahrheit, weiſet alle ſeine Juͤnger an Jeſus: „Dieſer iſt das Lamm Gottes, das die Suͤnden der Welt wegnimmt.“ Joh. I, 29.
Er iſt ein Zeuge der Wahrheit, weil er auch dem Fuͤrſten die Wahrheit ſagt, und gerne um ihretwillen in den Tod geht. b
Er iſt ein Zeuge der Wahrheit, d. i. Er 190 ſeine Zeitgenoſſen aufmerkſam auf den großen Abſtand zwiſchen ſich und Jeſus:
Er taufe mit Waſſer: Jeſus mit dem heiligen Geiſte. 2 „ie
Er predige Buße: Jeſus umſchaffe das Herz. 75
Er ſey ein Menſch, ein irdiſcher Menſch, wie + dere: Jeſus komme vom Himmel. a
Er rede nur wie ein Menſch: Jeſus rede als * der vom Himmel gekommen. |
Er deute nur auf das Lamm Gottes: ws fey ds Lamm Gottes ſelbſt. *
— 179 —
Er ſey nur ein Knecht des Herrn: Jeſus ſey der Herr ſelbſt. | Er weiſe den Menſchen an den rechten Lehrer: Jeſus koͤnne erzaͤhlen, was Er im Himmel geſ ehen und gehoͤrt.
Er trete nur vor Jeſus auf: Jeſus ſey vor ihm
geweſen, und ſey gar uͤber Alle.
Er ſey nur der Freund des Bräutigam: Jeſus der Braͤutig am ſelbſt, die Erwartung aller Voͤlker. Er habe nur die Gabe, Wege zu bereiten: Jeſus habe den Geiſt der Gottheit ungemeſſen.
Er ſey vom Vater nur zum Predigen und Taufen berufen: Jeſus ſey der Sohn des Vaters ſelbſt, und habe Alles in der Hand.
* Er muͤſſe klein werden: Jeſus habe das Recht, als
der Größte zu erſcheinen.
Er koͤnne den Menſchen das Leben nicht geben: Wer an Jeſus glaube, habe das ewige Leben.
Er ſey nicht Richter der Menſchen: Jeſus habe die
Wurfſchaufel in der Hand, ſondere Weizen von der Spreu,
die Guten von den Boͤſen.
Das iſt die rechte Groͤße Johannis: Er denkt ſo ge⸗
ringe von ſich, und ſo wuͤrdig von Jeſus; und wie er denket, ſo handelt er; und wie er einmal handelt, ſo handelt er allemal. Was er vor dem Volke bezeuget,
das bezeuget er vor den Geſandten. Was er in der Wuͤſte bezeuget, das bezeuget er im Gefaͤngniß. Wie
er das Volk an Jeſus weiſet, fo weiſet er feine liebſten FJuͤnger an Jeſus. Was er thun ſoll, das thut
er — Wege bereiten, Buße predigen, auf Jeſus deuten,
das iſt fein Beruf und fein Werk. Was er iſt, das
if er ganz — Vorlaͤufer des Herrn. Er bleibt in dem Kreiſe ſeines Berufes, will nie den Herrn ſpielen, aber die Stelle des Knechtes vertritt er vollkommen. Er
ſuchet nichts, als Jeſu — der Wahrheit Freunde zu
gewinnen. Er fuͤrchtet die Gelehrten nicht, die Aelteſten
nicht, das Volk nicht, die Fuͤrſten nicht. Er thut nur Gutes, und fuͤrchtet nichts Schlimmes. Er moͤchte nur
die Berge eben machen, alle Hinderniſſe wegraͤumen, daß 122
RR ne
das Licht des Evangeliums freien Eintritt faͤnde. Er ift groß, weil er abnehmen will, um einem Groͤßern Platz zu machen. Er iſt groß, weil er ſich geringe fuͤhlt vor dem Groͤßten. Er iſt groß, weil er nicht ſchmeichelt, nicht kriechet, nicht trotzet, nicht zanket, ſondern die Wahrheit verkuͤndet, und ſie mit Wandel und Wort verkuͤndet — und es uͤbrigens dem Himmel uͤberlaͤßt, ihr durchzuhelfen. Er iſt groß, weil er die Pflicht und die Wahrheit uͤber Alles liebt. Er iſt groß, weil er auf den Gott, der ihn geſendet hat, von ganzem Herzen vertraut, und nicht mehr thun will, als er ſoll und kann. Er iſt groß, weil er mit Wort und That, von ſich und von Jeſus nach der Wahrheit zeuget. Er iſt groß, weil er ſein Haupt dem Beile hingiebt — um der Gerechtigkeit willen. ö
Dieſer große hm, ift ein rechtes Muſter für uns Geiſtliche.
Denn es ſind und bleiben die ſchwerſten zwei Pflich⸗ ten, deren Erfuͤllung wir an Johannes bewundern, auch fuͤr uns die ſchwerſten zwei Pflichten.
Geringe von ſich denken, und ſtets das Wichtigſte thun; geringe in ſeinen Augen ſeyn, und mit Wort, Wandel, Leiden, Tod fuͤr die Wahrheit zeugen. Geringe in unſern Augen ſollen wir Geiſtliche — d. h. demuͤthig ſollen wir ſeyn.
Denn, wenn Johannes, der ſchon im Mutterleibe geheiliget ward, wenn Johannes, den Jeſus einen Pro⸗
pheten und den groͤßten Propheten nennet, wenn Johan⸗ | nes, dieſer Bote des Herrn, dieſe Morgenroͤthe vor der Sonne, wenn Johannes, der ſo groß war, daß man Urſache haben konnte, ihn fuͤr den Meſſias, fuͤr den Groͤß⸗ ten zu halten, wenn Johannes, der uͤber alles Zeitliche erhaben, nur fuͤr die Wahrheit und Gerechtigkeit lebte und ſtarb, ſo geringe in ſeinen Augen war, daß er ſich nicht werth hielt, unſerm Herrn die Schuhriemen zu loͤſen; wie geringe ſollen wir in unſern Augen ſeyn, wir, die wir mit unſerer ſinnlichen Natur noch ſo harte Kaͤmpfe zu kaͤmpfen, noch ſo heiße Gebete fuͤr unſere Suͤnden zu
rn WEGE
beten haben, ehe wir fir andere Suͤnder zu beten an-
fangen? Geringe ſollen wir in unſern Augen ſeyn, damit das Kreuz Chriſti, das wir mit dem Munde predigen, durch
| unſern eiteln Wandel nicht geläftert werde.
Geringe ſollen wir in unſern Augen ſeyn, damit das Licht, das wir Andern leuchten laſſen, nicht durch unſern Ehrgeiz verdunkelt werde. Geringe ſollen wir in unſern Augen ſeyn, denn wir ſind nur Knechte Jeſu, und nicht der Herr ſeiner Heerde, Ackerleute auf fremdem Grund, nicht Eigen⸗ thuͤmer des Ackers.
Geringe ſollen wir in unſern Augen ſeyn, denn alle gute Gabe kommt von Gott, und wir ſind nur die Ka⸗
naͤle, durch die die Gaben Gottes auf andere Menſchen fließen — wenn wir Alles ſind, was wir ſeyn koͤnnen.
Geringe ſollen wir in unſern Augen ſeyn, denn wir koͤnnen nur pflanzen oder begießen — das Gedeihen aber giebt der Herr.
Geringe ſollen wir in untere Augen ſeyn, denn die
Ehre gebuͤhret dem, in deſſen Namen wir reden, han⸗ deln. Wir ſind nur Werkzeuge, Er iſt der erſte Beweger.
Geringe ſollen wir in unſern Augen ſeyn, denn dem
t Hochmuͤthigen widerfte 0 t der Herr.
Geringe ſollen wir in unſern Augen ſeyn, ſonſt iſt
unſer Lohn dahin — und der Vater hat uns nichts mehr
zu vergelten, wenn wir uns durch die Ehre der Men⸗ ſchen, die wir ſuchen, gleichſam ſelbſt bezahlt machen. Geringe ſollen wir in unſern Augen ſeyn, damit wir
ein tauglich Gefäß werden, den Namen Gottes vor den Großen, Weiſen, Maͤchtigen der Welt, wie vor den
Geringen, Unmuͤndigen und Schwachen zu tragen.
Geringe ſollen wir in unſern Augen ſeyn, damit wir dem Geiſte Gottes, der an reinen, demuͤthigen Seelen ſeine Freude hat, in uns Platz machen, und dem Reiche
des Satans, der ein Vater der Luͤge und des Stolzes 1 10 mächtig entgegen een können.
— 182 —
Demuͤthig ſollen wir ſeyn — und zugleich das Wich
tigſte thun, die goͤttliche Wahrheit durch Wort, That, Leiden, Tod verkuͤnden, wie Johannes.
Die Menſchen an Chriſtus weiſen ſollen wir, wie | Johannes. Buße predigen follen wir, wie Johannes.
Dem Herrn uͤberall den Weg in die Herzen der Men⸗
ſchen bereiten ſollen wir, wie Johannes.
Den Suͤndern ſollen wir in und außer dem Beicht
ſtuhle das Lamm Gottes, das die Suͤnden der Welt hin⸗ wegnimmt, zeigen, damit ſie Muth faſſen, und voll Reue an's Herz ſchlagen, und beſſer und ſelig werden.
Die verirrten Schafe ſollen wir zu dem Hirten Jeſus zuruͤckfuͤhren, damit ſie das ewige Leben durch Ihn finden und behalten.
—
Die Frommen ſollen wir immer noch tiefer in die
Erkenntniß Jeſu Chriſti hineinfuͤhren, damit ſie von der
Liebe immer mehr durchdrungen, taͤglich Gott aͤhnlicher
und Gott gefaͤlliger, und ſeiner beſten Gaben faͤhiger und
wuͤrdiger werden.
Die Leidenden ſollen wir auf ihren Vorgaͤnger Ges
ſus aufmerkſam machen, damit ſie ſich Geduld von ſei⸗
nem Beiſpiele, und Troſt von ſeiner Herrlichkeit holen.
Die Kranken ſollen wir in dem Glauben an Jeſus, der das Leben und die Auferſtehung iſt, ſtaͤrken, damit ſie von der Hoffnung einer ſeligen Ewigkeit belebet, den Tod des Koͤrpers nicht achten.
Die Kinder ſollen wir fruͤhzeitig zu Jeſus fuͤhren, daß Er ſie ſegne, und der Schutzgott ihrer Unſchuld
werde.
Die Juͤnglinge ſollen wir mit Jeſus, dem Freunde
der Jugend, vertraut machen, damit ſie ihm die Bluͤthe ihrer Jahre weihen.
Die Erwachſenen ſollen wir noch naͤher an Jeſus
anſchließen, damit ſie nicht die kurze Luſt der Sinne, und a
den Schimmer des Geldes, und das Nichts der eiteln Ehre mehr lieb gewinnen — als das Heil ihrer unſterb⸗
lichen Seelen, welches nur in Jeſus zu finden iſt.
Die Greiſe ſollen wir feſt gruͤnden im Vertrauen
auf Jeſus, damit ſie nicht ſchlaͤfrig werden, ſondern ſich
— 183 —
U
ſchuͤrzen und gefaßt halten — wie treue Knechte auf die
| Zukunft ihres Herrn.
Den Armen ſollen wir von Jeſus erzählen, damit
ſie ſich Schäße ſammeln, die unſterblich ſind, wie ihr Geiſt,
| und erquickend wie Gott.
Dien Reichen ſollen wir von Jeſus erzählen, damit
N 155 nicht in den Fallſtrick des Geizes eintreten, und nicht
auf das, was vergeht wie die Blume des Graſes, ihr
Vertrauen ſetzen, ſondern reich an guten Werken zu wer⸗
f den ſtreben.
| Von Jeſus follen wir erzählen an den Arbeits⸗
tagen, damit der Gedanke an Ihn die Arbeit zu einer heiligen Handlung — zur Gottes verehrung umſchaffe.
Von Jeſus ſollen wir erzaͤhlen an Sonntagen, damit feine Auferſtehung feſt geglaubet und wuͤrdig ges
feiert — unſere Sinne von der Erde weghebe, und zum Himmel lenke.
Von Jeſus ſollen wir reden an den Feſttagen des Herrn, damit des Herrn an ſeinen Gedaͤchtnißtagen gedacht werde.
Von Jeſus ſollen wir erzählen an den Feſttagen der Heiligen, damit ſein Beiſpiel in den Beiſpielen der Heiligen zur Nachahmung empfohlen, und ſein Name in ſeinen Heiligen verherrlichet werde.
Von Jeſus ſollen wir erzählen, wenn wir die Glaubenslehren erklaren, denn Jeſus iſt der Grund⸗ ſtein des Heils, und einen andern als dieſen kann Niemand legen; Er iſt der Anfaͤnger und Vollender des
Glaubens; Er iſt der Lehrer des Menſchen⸗ geſchlechtes, den wir hoͤren ſollen; Er iſt der Sen⸗ der des heiligen Geiſtes, der von ſeinen Juͤngern nicht weichen wird bis an's Ende der Welt.
g Von Jeſus ſollen wir reden, wenn wir die Sitten⸗ lehren erklaͤren, denn Er iſt das Muſter aller Heilig⸗ keit, der Spiegel aller Vollkommenheit, der Abglanz des
Vaters, und ſein allervollkommenſtes Ebenbild.
Jeſum ſollen wir verkuͤnden, wenn auch die Men⸗ ſchen keine Freude an Ihm haben, wenn ſie ſich falſche
Götter ſchnitzeln wollen.
u A Au
B
Jeſum ſollen wir verkünden, und mit einem heili⸗ gen Wandel ſowohl als mit der Zunge — wenn uns die Menſchen deßhalb auch laͤſtern, oder ſchlagen, oder gar tödten ſollten. Denn für Ihn haben die heiligen Apoſtel ihr Blut auch vergoſſen — und fuͤr Ihn zu leben und zu ſterben iſt jedes Chriſten Pflicht und Ehre: um wie viel N mehr des Geiſtlichen?
Laßt uns das Wichtigſte thun wie Johannes, der a im Dienſte der Wahrheit lebte und ſtarb. *
So lehrreich 1 das heutige Evangelium für Be Geiſtliche. K
Hier kann ich meinen Zuhoͤrern den Grund nennen, worauf ich meine Hoffnungen, die ich oben beruͤhrt habe, baue: | Der neugeweihte Prieſter uͤbte fich ſeit mehrern Jah⸗ ren in wahrer Demuth, und that das Wichtigſte, das er jetzt thun konnte. Ein ſchoͤnes Vorſpiel ſeines kuͤnftigen Berufes. Er wird alſo auch, als Mitarbeiter an der großen Seelenſorge, geringe in ſeinen Augen ſeyn, weil er es bisher geweſen iſt, und das Wichtigste thun, weil er es bisher gethan hat.
Er war geringe in ſeinen Augen — und deßhalb be⸗ lehrſam, glaubte nicht ſchon weiſe zu ſeyn, ſondern es erſt werden zu muͤſſen; geringe in ſeinen Augen — und deßhalb leitſam; geringe in ſeinen Augen, und deßhalb bef cheiden, nicht anmaßend in feinen Aeußerungen; ge⸗ ringe in ſeinen Augen — und deßhalb uͤberlegſam in dem wichtigen Geſchaͤfte ſeiner Standeswahl; geringe in ſeinen Augen — und deßhalb ein Freund des Gebetes, damit ihm gegeben werde, was er noch nicht hat. |
Als ein berühmter, alter Kirchenlehrer über die Bekeh⸗ rungsgeſchichte des Saulus nachdachte, und Saulus betend fand, ſchrie er auf: die Sache iſt gewonnen, Sam lus betet. — Dieß moͤchte ich von jedem Menſchen ſa⸗ gen, der von ganzem Herzen beten kann, und fage es hier oͤffentlich von dieſem jungen Geiſtlichen: die Hann 5 ſache iſt gewonnen, er betet.
Er that aber auch das Wichtigſte, das er bisher thun konnte; war nicht fleißig zum Scheine, kam nicht in die
—
einern 1
— 185 —
Vorleſungen, um da zu ſeyn, kam, um zu hoͤren, nachzu⸗ denken, zu lernen, anzuwenden; ſchwieg, um einſt reden zu können; fragte, um einſt antworten zu koͤnnen; las, um einſt lehren zu koͤnnen; arbeitete in Geheim, um einſt Öffentlich auftreten zu koͤnnen.
Gute Mutter! warum ward es dir nicht ak den erften Antheil der Freude an dem heutigen Feſttag ſichtbar mit uns zu nehmen? Denn unſichtbar wirft du doch wohl Antheil nehmen. Ich denke noch wohl daran, wie du mir einſt, kurz vor deinem Tode, hier nicht weit von dieſer Stiftskirche an einer Gaſſenecke begegneteſt, und voll muͤtterlicher Sorgfalt das Wort zu mir ſprachſt: Was meinen Sie denn, wird mein Sohn von ganzem Herzen geiſtlich? Ich ſagte: Sey ruhig, gute Mutter, er wird's. Du ſtarbſt bald darauf, und ich ſah dich nicht mehr. Heute iſt wenigſtens für uns deine Frage beants wortet. Und wer ſegnet die Mutter nicht, daß ſie nichts halbes leiden mochte, einen Geiſtlichen von ganzem Her⸗ zen haben wollte? Gott hat dein Thraͤnengebet, gutes Weib, erhoͤrt, und deinen Kindern und Verwandten einen Freudentag aufgehen laſſen, den ſi f e ſo wenig — als dich gegen werden.
Dieser große Johannes iſt auch noch in unſern Tagen ein rechter Lehrer für das ganze chriſtliche Volk.
Wie Gott durch Johannes dem Judenvolke nichts Wichtigeres zu ſagen hatte, als:
Thut Buße,
Bereitet dem Herrn ſeinen Weg, Haltet euch an Jeſus Chriſtus:
fr iſt für uns, und fir euch, m. Chr., noch dieſe Stunde, nichts Wichtigeres, das euch Gott durch ſeine Diener an's Herz legen koͤnnte, als dieſes:
55 Thut Buße, Bereitet dem Herrn ſeinen Weg, # Haltet euch an Jeſus Chriſtus.
8 186 ieh.
Und wenn Johannes heute unter uns aufträte, wie er ehemals in Judaͤa aufgetreten war: er wuͤrde auch heute nichts Anders predigen, als: Thut Buße, bei dem Herrn feinen Pfad; er würde auch heute % feinen andern Namen anweiſen, als an Jeſus: di allein taufet im heiligen Geiſte und im Feuer. 5
Er wuͤrde ſagen, was er ehemals ſagte: Bringe wuͤrdige Früchte der Buße. Suͤndigen und beich⸗ ten, beichten und ſuͤndigen iſt keine rechte Buße. Der Sinn muß geändert, das Herz muß umgeſchaffen, die böfe Gewohnheit abgethan, das Aergerniß gut gemacht, die ſuͤndliche Luft den Geboten Gottes unterworfen, der ganze Menſch muß gebeſſert werden, die Geiſtes- und Feuertaufe muß uͤber euch ergangen ſeyn. Er wuͤrde ſagen: Saget nicht, wir haben Abraham zum Vater. Saget nicht: ich bin ein Chriſt, ich bin ein katholiſcher Chriſt, ich bin getauft, ich beſuche den öffentlichen Gottes dienſt fleißig, ich gehe zur Communion ... ich gebe Almoſen; denn dieß Alles und vieles Andere mag noch ſo wahr und gut ſeyn, aber ohne Beſſerung des Herzens, ohne lebendige Liebe Gottes und des Naͤchſten iſt es nicht das rechte ewige Leben, das allein das rechte ewige Leben iſt und bleibt. Saget nicht: ich bin doch nicht ſo boͤſe, wie dieſer, nicht ſo eitel, wie jene — denn was 9 Fleiſch iſt, das iſt Fleiſch, und was aus Geiſt iſt, das iſt Geiſt. Wenn du deinen Gott von ganzem Herzen liebſt, ſeinen Willen mehr als alles Andere achteſt, „ feine Weisheit und Güte mehr als auf alles Andere ver traueſt, dann biſt du wie neugeboren, dann hat der Sei { Gottes die rechte Liebe in dein Herz ausgegoſſen, dann kannſt du mit Zuverſicht ſprechen: Vater! Aber ſieh! wenn du nur auf den chriſtlichen Namen groß thuſt, fo wiſſe: Gott kann ſich auch aus Steinen Kinder erwecken und wenn du nicht lebeſt wie wahre Chriſten, fo nüß dir auch der Chriſtenname nichts. 9
Er wuͤrde ſagen, was er ehemals ſagte: Die A t iſt ſchon an die Wurzel gelegt: jeder Baum der nicht gute Fruͤchte bringt, wird aus gehaß und in das Feuer geworfen werden. Er ſteht
— 187 —
nn der Baum, aber bie Art ift ſchon aufgehoben uͤber ihn. Er ſteht noch, aber ſieh! einige Schlaͤge, und er liegt, und — bald nicht mehr im Walde — im Feuers Das iſt die Geſchichte des Suͤnders. Noch ſteht =: fih noch die Erbarmung Gottes zu Nutze mas kann noch Fruͤchte der Beſſerung bringen: aber ſieh! wenigen Tagen liegt er — hingeſtreckt von dem Tode, ein abgehauener, duͤrrer Baum. Und nun, wenn er dem harten, ungebeſſerten, gegen die Stimme Gottes rſchloſſenen Sinn ſtirbt: fo wird er dann das ganze en des fruchtloſen Baumes haben — wird in das Jeuer geworfen werden.
Er wuͤrde ſagen, was er ehemals ſagte: Wer zwei
oͤ cke hat, der gebe einen dem, der keinen hat. er zwei Speiſen hat, gebe dem eine, der keine at. Fremde Noth ſehen, und den Nothleidenden helfen oͤnnen, und eben darum den Nothleidenden helfen ſol⸗ len, und den Nothleidenden doch nicht helfen — das eget ſich ſchwer auf das Gewiſſen. Giebt es, wuͤrde er Hagen, unter euch keine Nothleidende? und helfen die, welche koͤnnen? Nicht der Nackte wird uns einſt an⸗ klagen, ſondern der zweite Rock, den wir ihm vorenthal⸗ ten haben. Nicht der Hungrige wird uns einſt ans klagen, ſondern die zweite Speiſe, die wir ihm nicht dar⸗ ‚gereichet haben. Möchten wir doch dieſer Anklage bevor⸗ en! Aber wie bevorkommen, wenn wir das Geld mehr lieben als den Naͤchſten, uns mehr lieben als den ‚Nächten ?
Er wuͤrde ſagen, was er ehemals ſagte: Jeſus Chriſtus iſt der Sohn Gottes; wer an Ihn glaubet, hat das ewige Leben; Jeſus Chriſtus hat Alles in ſeiner Hand; Jeſus Chriſtus iſt ‚über Alle. Suchet das Heil da, wo es allein zu fin⸗ den iſt, bei Jeſus. Sehet auf ſeinen Wandel, um zu wandeln wie Er. Horchet auf ſein Wort, um es zu verſtehen, zu bewahren, zu vollbringen. Flehet um ſeine
nade, um wandeln zu koͤnnen, wie Er gewandelt, um
hun zu koͤnnen, was Er gebeut!
— 18 —
Er würde auch jetzt noch ſagen: Ich bin BR | werth, Jeſu die Schuhriemen zu loͤſen. Laßt uns alſo geringe werden in unſern Au wie Johannes war; laßt uns Buße thun, wie 39 nes Buße geprediget; laßt uns den Seelſorgern, die unk Gottes Wort predigen, Ohr und Herz ſchenken, alt wenn Johannes uns zuriefe! Laßt uns dem Herrn der Weg bereiten durch Demuth und Glaube, durch Buß. und Vertrauen, damit wir würdig werden, das Andenken an feine erſte Ankunft mit allen frommen Chriſten au Erden in den kommenden Tagen zu feiern, und feiner zweiten Ankunft getroſt und mit Zuverſicht entgegen 1
ſehen! — —
Ich vergeſſe mich, und alle übrige Anweſende, unt Alles, was ich bisher geſagt habe, um noch etliche Augen blicke nur an dein Herz, Prieſter meines Herrn, zu ie was mir das meine auf die Zunge legt.
Tritt nie zum Altar, als in der Empfindung Abra. hams: Staub und Aſche bin ich, und rede zu meinem Herrn. Sey gering in deinen Augen — be⸗ ſonders am Altare. Steh nie am Altare, ohne dich mil neuer Liebe zu opfern — wie ſich Jeſus opferte — zun Heile der Welt!
Geh nie vom Altare, ohne für alle Menſchen * Fuͤrbitte in das Vaterherz Gottes niedergeleget zu ha⸗ ben — und der Glaube, der dich heute befeelet, 1 nie aus deiner Seele!
Und die Lie be, die dich heute zur Fürbitte Srängt, werde täglich neu.
Und das Lamm Gottes, das du heute dem 2
liſchen Vater darſtelleſt, fuͤr deine und meine, und all Welt Suͤnden, ſey uns allen gnaͤdig, BL meine u deine und aller Welt Sünden hinweg.
und die Aug en, die heute mit 2 auf dic ſehen, und viele andere, die nicht auf dich ſehen, ſollen immer an dir den wuͤrdigen Prieſter erblicken, der nie ſich lebt, ſondern ſeinem Gott, nicht ſich, ſondern ring
— 189 —
Volke zu nuͤtzen ſucht, und nach Johannis Beiſpiel in jedem ehrlichen Auge groß an Lehre und That — und gering in feinem eigenen iſt .
Und, wenn du predigeſt, fo lehre dein Wandel immer das naͤmliche Evangelium, das deine Lippe verkuͤndet. Und wenn du am Krankenbette den Sterbenden troͤ— ſteſt „ſo ſoll der Friede Gottes nicht aus deinem Munde, ſondern aus deinem Herzen ausſtroͤmen, und geradezu ſich in das Herz des Sterbenden ergießen — und wenn du einſt den Kindern das Brod brichſt: ſo ſey es das wahre Himmelbrod, das ſie von dir empfangen. Und, wenn du im Beichtſtuhle das Kranke heileſt, und das Schwache ſtaͤrkeſt, ſo ſey es nicht du, Jeſus ſey k s, der aus dir heilet, ſtaͤrket. Und wenn du ſtrafeſt, o denke, daß du Menſch biſt, und das Donnerwort Gottes werde in deinem Munde nicht wehthuender als es nothwendig if. Und wenn du einſt um der Wahr⸗ heit und Gerechtigkeit willen leideſt: ſo denke, daß Jeſus zuvor gelitten, und es Ehre fuͤr dich ſey, ſein Ehrenkleid zu tragen.
Und ewig nenne dich unſere Kirche mit Freude, und nun geh — opfere Jeſum und dich! Amen.
— 5 run
XVIII 4 Thu' Gutes, und ſey dabei — geringe in deinem Auge.
Homilie über Luk. XIV, 1— 11.
ehalten am XVI. Sonntage nach Pfingſten, in der Pfa geh kirche zu er 1791. .
5 =
Geweiht der rechten Hand, die mir das Bild eines guten, demüthi
gen Mannes zugeſandt, ohne daß es die Linke wußte. 1
Das Evangelium, Alles, was Jeſus that, lehrte, lit, was Er geſchehen ließ, und was mit Ihm geſchah, Alles iſt ein Spiegel fuͤr uns, in den wir fleißig hinepſchau ſollen. 6
Dieſer Spiegel wird uns alle Sonntage fen vorgehalten, und dieſen Spiegel haben alle fromme Haus⸗ väter und Hausmuͤtter in ihrem Haufe, und fehen fleißi hinein, und laſſen ihre Kinder und Hausgenoſſen aud hineinſehen.
Je oͤfter und redlicher wir hineinſchauen, deſto beſſer wiſſen wir, was wir thun, was wir meiden ſollen.
Liebe Mitchriſten! wir koͤnnen Gott nicht genug dan⸗
ken, daß Er uns das Evangelium kennen gelehrt, daß Er uns Pfarrer ſchenket, die es uns verkuͤnden, daß wir ſelbſt darin leſen, und unſern Wandel daran pruͤfen koͤnnen. Wir wollen fleißig darin leſen, und treu dar⸗ nach leben. Denn es iſt goͤttliche Wahrheit darin, die uns ſelig macht, wenn wir ihr baren und ihr unfer ganzes Herz ſchenken. Was ich euch aus Luk. XIV, 1— 11. eben vorgeleſen habe, iſt voll goͤttlicher Wahrheiten, wie Alles, was die heiligen Evangeliſten von Jeſus und ſeinen Freunden er⸗ zaͤhlen. Ich will allen Fleiß anwenden, daß ich date nichts verderbe. f
— 191 —
Es beſtraft Jeſus in den genannten Stellen des Evangeliums eine Blindheit, die allgemein, und eine Thorheit, die eben ſo allgemein iſt. Und lehrt uns: 1. Gutes thun, und Gutes reden, was und wann und wo und wie wir fünnen.
. II. Dabei von ganzem Herzen demuͤthig ſeyn.
Jeſus lehre uns im Inwendigen verſtehen, behalten, lieb haben und befolgen, was ich nur dem Ohre ſagen kann. Sein guter Geiſt mache uns gut, daß wir Gutes thun und reden, mache uns ihm gleich, daß wir guͤtig und demuͤthig werden, wie Er. Er gebe uns das Seyn, dann kommt das Thun — gewiß.
| Erſte Lehre. Thu' Gutes, und rede Gutes, wann, wo und wie du kannſt. Darin ſey dir Jeſus ein Muſter!
| Es iſt eine große Blindheit der meiſten Menſchen, daß ſie das Gute nicht thun, welches ſie thun koͤnnten und ſollten, und das Gute thun moͤchten, welches ſie nicht koͤnnen. Dieſe Blindheit iſt recht allgemein. Wir brau⸗ chen die Gelegenheit nicht, die wir haben — und ſparen das Rechtthun auf eine andere Gelegenheit, und wenn dieſe kommt: ſo thun wir wieder nicht, was wir koͤnnten.
Der Geſunde denket nicht an Gott — und laͤßt ſich von ſeinen Sorgen, Arbeiten, Ergoͤtzungen hinreißen; und der Kranke denkt: wenn ich nur geſund waͤre, alsdann wollte ich arbeiten und Gutes thun. Der Arme denkt: wenn ich Geld hätte, dann wollte ich wohlthun, und der Reiche vergißt ſeine Pflicht. Am Werktage denkt Man⸗ cher: am Sonntage will ich mein Herz zu Gott erheben; und am Sonntage geſchieht es nur ſo halb und halb, oder gar nicht. Der Juͤngling denkt etwa: es iſt noch Zeit, fromm zu werden; und der Greis: wenn ich jung ware, wollte ich Gott dienen. Der Weltliche: wenn ich geiſtlich waͤre, wollte ich das Evangelium predigen; und der Geiſtliche: wenn ich weltlich waͤre, ſo wuͤrde ich das
— a
Pe SEEERSEN,
Gute befördern. Von dieſer Blindheit ſollte uns * Beiſpiel unſers Herrn und ſein Geiſt heilen.
Er thut bei jeder Gelegenheit das Gute, das Er thun kann. Und ſein ganzes Leben war nichts, als Gutes thun, und Widriges leiden, wie es der himmliſche Vater haben wollte. Auch im heutigen Evangelium kommen ein paar Beiſpiele vor. Er geht in das Haus eines Oberſten der Phariſaͤer, zu eſſen: da kommt ein Waſ⸗ ſerſuͤchtiger. Jeſus ergreift dieſe Gelegenheit — und heilt ihn. Er ſagt nicht: Lieber Freund! ich will zuerſt eſſen, und dich etwa nach Tiſche heilen. Nein, weil der Waſſerſuͤchtige vor Tiſch kommt, ſo heilt ihn Jeſus vor Tiſche. Er ſagt auch nicht: Lieber, heute iſt's Sabbath, Feiertag, komm morgen, morgen will ich dich geſund machen. Nein, weil der Waſſerſuͤchtige am Sabbath kommt, heilt ihn Jeſus am Sabbath. Er ſagt auch nicht: Gott helfe dir — Er hilft ſelbſt ... Er troͤſtet nicht mit Worten, da Er in der That helfen kann.
Jeſus thut alſo das Gute, das Er kann, und in der Stunde, in der Er kann, und an dem Menſchen, der Sülfe bedarf.
Dieß war auch der Wille des himmliſchen Vaters: deßwegen ließ der himmliſche Vater den Waſſerſuͤchtigen gerade um dieſe Stunde, gerade am Sabbath, gerade in dieſes Haus, gerade zu Jeſus kommen, damit ihn Jeſus, in dieſer Stunde, am Sabbath, in wee Hauſe heilen ſollte.
So ſollten auch wir, Jeder in ſeinem Stande, in ſei⸗ nen Umſtaͤnden das Gute thun, das wir koͤnnen. Jeder aus uns ſoll jeden Tag, jede Stunde ſich fragen: was kann ich heut, in dieſer Stunde, Gutes thun — und das ſoll er gerne thun. Bin ich krank, ſo habe ich eine ganz beſondere Gelegenheit, mich in den Willen Gottes zu ergeben, — und geduldig zu leiden, und die Herumſtehen⸗ den, die mich beſuchen, durch Geduld zu Gott zu fuͤhren. Das kann ich jetzt, das ſoll ich, das iſt Gottes Wille. Weiß ich einen Hausarmen, der nicht mehr arbeiten, oder durch Arbeit den noͤthigen Unterhalt nicht gewinnen kann, und hab' ich das Vermoͤgen, ihm zu as fo ſoll
ich
“ dieſem Menſchen jetzt in feiner Noth Seifichen. kann, ich ſoll, das ift der Wille des tiamiiſcen in ters. Habe ich Gelegenheit, das Wort Gottes in der Kirche zu hoͤren, oder zu Hauſe zu leſen: ſo ſoll ich's — die Gelegenheit iſt von Gott gegeben. Das kann ich jetzt thun: alſo | oll ich es. Wie ich eſſen ſoll, wenn ich der Speiſe bedarf, und Speiſe vor mir habe: ſo ſoll ich Gutes thun, wann, wo, und wie ich kann.
Der Hausgenoſſe, der Dienſtbote, fol treu, fleißig, willig in ſeinem Dienſte ſeyn. Das kann er, das oll er, dazu iſt er Hausgenoſſe, Dienſtbote. Das Kind ſoll gehorſam ſeyn. Das kann es, das ſoll es, dazu iſt es der väterlichen Gewalt anvertraut.
Die Hausvaͤter ſollen Ordnung im Hauſe handhaben, den Arbeitern den Lohn geben, nicht zu viel Arbeit for⸗ dern, und nichts Boͤſes, das ſie hindern koͤnnen, geſchehen laſſen. Das koͤnnen ſie, das ſollen ſie, dazu ſind ſie von Gott beſtellt.— — — Denken wir nun einen Augen⸗ ſblic wie thoͤricht das Gegentheil ſey.
Wenn der Kranke ſpraͤche: ſobald ich geſund feyn werde, dann will ich geduldig ſeyn; wenn der, welcher ein Vermoͤgen hat zu helfen, zum Hausarmen ſpraͤche: ſobald du nichts mehr bedarfſt, dann will ich dir geben; wenn der Hausgenoſſe, Dienſtbote ſpraͤche: ſobald mein Dienſtjahr zu Ende iſt, dann will ich fleißig, treu, willig =: Arbeit ſeyn; wenn das Kind ſpraͤche: ſobald ich ein ann ſeyn werde, dann werde ich die Pflicht eines Kindes erfüllen; wenn der Hausvater ſpraͤche: dem, der nichts arbeitet, will ich den Lohn geben . f
Waͤre es nicht die groͤßte Thorheit? un dieſe Thor⸗ heit begehen wir Alle, ſo oft wir unſere Pflicht nicht thun — das nicht thun, was wir ſollten.
Jeſus, nicht zufrieden, den Kranken am Leibe geheilt zu een, wollte auch die Phariſaͤer, die am Verſtand, 5 und noch mehr am Herzen krank waren, heilen, weil Er Anlaß dazu hatte. Sie glaubten, es wäre eine kuecht⸗ 8 Arbeit, eine Entheiligung des Feiertages — den Kranken heilen; gerade als wenn man mit Heiligkeit den Feiertag entheiligen, und mit Wohlthun uͤbel⸗ . M. v. Sailers ſämmtl. Schriften. XXXV. Sd. 13
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thun koͤnnte. Von dieſem RR wollte fie Jeſus bes freien: deßwegen ſprach Er: wenn euch ein Och s oder Efel in den Brunnen fällt: zieht ihr fie nicht auch am Feiertage heraus? Das heißt Gutes lehren, das Er lehren konnte und ſollte. *
Es hat Alles ſeine Zeit. Dieſe Wahrheit bat gerade in dieſer Stunde gejagt werden follen, denn ger dieſe Wahrheit macht in dieſer Stunde den rechten druck.. Sie konnten nichts dagegen einwenden, denn es mußte ihnen einfallen: Wenn man einen Eſel aus dem Brunnen ziehen darf, ſo wird man weiß auch einen Menſchen retten duͤrfen.
Es hat Alles ſeine Zeit. Und jedes Gute fo zu feiner Zeit geſagt werden.
Es giebt Eltern, welche den ganzen Tag in ihr Kind hineinpredigen... das taugt aber nichts. Ein Wort zu rechter Zeit, ſagt Salomo, iſt wie ein gold⸗ ner Apfel in einer ſilbernen Schale. — Ein Wort zur rechten Zeit mit Nachdruck vom Vater geſpro⸗ chen, wirkt mehr als hundert zur Unzeit. Das iſt auch die Urſache, warum ich heute euch gerade dieſe Predigt halte, und keine andere, weil heute gerade das Evangelium vom Waſſerſuͤchtigen, und kein anderes vorgeleſen worden.
Zweite Lehre. %
Sey geringe in deinem Auge, erhebe dich nicht ſelbſt. Denn Gott nur kann erhoͤhenz Er erhoͤht den Demuͤthigen gewiß, un
wenn du dich ſelbſt erhoͤhſt, fo wirft du ſicherlich erniedriget. 10
Wie es eine allgemeine Blindheit iſt, Gutes thun wol⸗ len, das man nicht kann: ſo iſt es eine allgemeine Thor⸗ heit der Menſchen, mehr ſeyn oder ſcheinen wollen, als man iſt. Dieſe Thorheit beſtraft Jeſus in dem heutigen Evangelium. Er nahm wahr, wie die Gaͤſte eiferten, einander die erſten Plaͤtze abzulaufen, und brachte dieß Gleichniß vor: „Wenn du von Jemand zu einer Mahl⸗ zeit geladen biſt, ſo nimm nicht ſogleich den vornehmſten
„ a
lag ein; es moͤchte ein Angeſehnerer als du von ihm geladen ſeyn, und der Gaſtgeber moͤchte dir ſagen: Mache dieſem Platz! — und ſo koͤnnteſt du mit Schande bis an l die unterſte Stelle kommen. Sondern wenn du geladen biſt, fo geh' und nimm die letzte Stelle ein. Da kommt wohl eher der Gaſtgeber, und ſpricht zu dir: Freund, ruͤck hinauf — alsdann wird es dir vor den Gaͤſten eine Ehre ſeyn. Denn Jeder, der ſich ſelbſt erhöht, wird erniedri⸗ t — und wer ſich ſelbſt herabſetzt, wird erhoͤhet.“ — Luk. XIV, 3— 12.
Der Sinn des Gleichniſſes iſt tief
Es wird darin erſtens die Natur der Hoffart bes ſchrieben. Wie die Gaͤſte nach den erſten Plaͤtzen bei Tiſche ſtrebten: fo will jeder Hoffaͤrtige uͤberall gern den | erſten Platz haben. Und weil es denn in irgend einem Kreiſe nicht Einen Hoffaͤrtigen giebt, ſondern mehrere, und unter dieſen jeder den erſten Platz haben moͤchte: ſo hindert einer den andern, lauft einer dem andern vor, und das Reich der Hoffaͤrtigen beſteht recht eigent⸗ lich darin, daß einer vor dem andern aus- und ein⸗ gehen, einer vor dem andern niederſitzen und auf⸗ ſtehen, einer vor dem andern in die Schuͤſſel und zum Munde fahren, einer vor dem andern ein Zeichen der Verehrung erhaſchen, einer vor dem 9 8 ge⸗ nannt werden will.
4 Das iſt das Weſen der Hoffart: uͤberall . an ſeyn wollen. Statt daß die Menſchen wetteifer⸗ ten, beſſer zu ſeyn als andere, wetteifern ſie, geehrter zu ſeyn als andere. — Die Hoffart greift Gott in ſein Richteramt ein. Gott kann erhoͤhen: ſie erhebt ſich ſelbſt. Gott erhebet zu rechter Zeit den, der es werth if, in der Höhe zu ſeyn; der Hoffaͤrtige erhebt ſich ſelbſt, und ohne Verdienſt, und will jedesmal noch hoͤher ſtehen. Gott theilt die Plaͤtze aus; der Hoffaͤrtige waͤhlt ſich ſelbſt den erſten, in Gedanken immer, und wenn er kann, auch in der That.
Der Menſch kann nur empfangen, was Gott giebt;
| ſoll dankbar annehmen, was ihm gegeben wird, und 13 *
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tren zur Ehre des großen Gebers gebrauchen, was er empfangen hat. Der Hoffärtige vergißt, daß es Gabe iſt, was er hat, und thut groß damit, als wenn er fie nicht empfangen haͤtte; will für das, was er empfi gen, geehrt, angebetet ſeyn, ſtatt daß er Gott die gäbe; macht ſich breit an der Tafel Gottes, und fest fih oben an, als wenn er der Hausvater waͤre, e ein Gaſt, aus Gnade geladen.
Es wird zweitens in der Gleichnißrede die Strafe der Hoffart beſchrieben. Wie es fuͤr den Gaſt, der ſich ſelbſt an den erſten Platz geſetzt hat, eine Schande iſt, einem andern auf Befehl des Gaſtherrn weichen, und unten anſitzen muͤſſen: ſo wird es Schande ſeyn fuͤr den Hoffaͤrtigen, entweder in dieſem Leben fchon, oder gewiß in einer beſſern Welt, und vor den Augen der beſſern Geiſter, unten an ſitzen muͤſſen — in or Wii erſcheinen.
Wer ſich erhoͤht, wird erntedriget. 5
Der Hoffaͤrtige ſucht etwas, das nicht. dauern kann, bleibt nicht an der Stelle, an die ihn Gott hingeſtellt, ruͤckt aus Eingebung ſeiner Eitelkeit hoͤher hinauf, und will da vom Rauche der Verehrung leben. Allein, wie ihn die Eitelkeit erhoͤht, ſo muß ihn die Wahrheit ernie⸗ drigen. Es kommt ein Tag, der alle Dinge zeigt, wie ſie ſind: alſo auch die Hoffart in ihrer Bloͤße. Im Dunkeln mag einer den andern bereden, daß ſein Kleid eine andere Farbe habe, als es wirklich hat, aber wenn die Sonne aufgeht, da hat jedes Kleid die Farbe, die es hat, und die Beredtſamkeit, die dem Kleide eine andere Farbe angedichtet, muß als Luͤgnerin verſtummen.
Jetzt leben wir noch im Dunkeln, da mag Jeder ſeine Gaben, Arbeiten, Kraͤfte ſo hoch anſetzen, als er will; ſeine Schwächen, Laſter, Thorheiten fo kuͤnſtlich zus decken, als er will; Jeder den Andern fo beredtſam vers achten, als er will; der Thor ſich unter den Weiſen obenan ſetzen; der Suͤnder die Geberde des Gerechten nachmachen; der Knecht ſich der Herrſchaft anmaßen u. ſ. f. Aber im Lande des Lichtes wird Jeder den Platz einnehmen, der
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*
ihm gebuͤhrt, und den ihm die Gerechtigkeit anweiſet; jede Gabe, Arbeit, Kraft, wird ſo viel gelten, als ſie werth iſt; Schwäche wird Schwäche, Laſter Laſter, Thor: heit Thorheit heißen, und alle Larve abgethan werden; der Thor wird unter den Thoren, der Weiſe unter den Weiſen, der Suͤnder unter Suͤndern, der Gerechte unter Gerechten, der Knecht der Suͤnde unter den Knechten der Suͤnde — und Jeder auf feinem Platze zu figen kommen. Wer ſich ſelbſt erhoͤhet hat, wird in ſeiner gan— zen Niedrigkeit erſcheinen; die Hoffart, die klein war, und die groß ſeyn wollte, und die hoͤchſte Gewalt, die allein erhoͤhen kann, an ſich riß, wird mit Schande bedeckt werden, und den Anblick der eigenen Thorheit und Kleinheit nicht ertragen moͤgen.
Und nicht nur im Lande des Lichtes, auch hier ſchon
kommen Tage der Erniedrigung fuͤr die Hoffart. Denn
ſieh! der Nachbar will auch mehr ſcheinen, als er iſt, wie du, will auch hoͤher ſtehen, als er ſteht, wie du, und der
Nachbar deines Nachbars will auch mehr ſcheinen, als
er iſt, hoͤher ſtehen, als er ſteht. Und ſo kommen die
Hoſfͤrtigen in einen Streit mit einander; erniedrigen ein⸗
ander; einer lauert auf die Fehler des andern, einer
bringt an das Licht, was des andern Eitelkeit gern ver⸗ borgen haͤtte; einer dichtet dem andern Thorheiten und
Laſter an, um ihn klein zu machen.
Wenn alſo die Wahrheit den Hoffaͤrtigen nicht hier ſchon erniedriget, ſo erniedriget ihn gewiß die Luͤge; wenn ihn die Gerechtigkeit nicht hier ſchon erniedriget, fo ernie⸗ driget ihn die Ungerechtigkeit.
Und die Wahrheit erniedriget ihn — einſt gewiß, die Gerechtigkeit ſetzt ihn einſt gewiß herab. Denn es iſt ein Geſetz, das keine Leidenſchaft gemacht, und keine
umſtoßen kann: Ehre dem Ehre gebuͤhrt, Schande dem Schande gebuͤhrt! Wo die Wahrheit und die Gerechtig⸗ keit herrſchen: da iſt Alles, was es iſt — die Bloͤße bloß, die Hoffart klein, und die Selbſterhoͤhung nieder.
* Es wird drittens in der Gleichnißrede das Weſen der Demuth beſchrieben: Wenn du geladen biſt, ſo
ſetze dich unten an. -
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Wer demuͤthig iſt, kennt feine Schwächen, Gebrechen, Fehler, und will nicht mehr ſeyn, als er iſt; bleibt gern da, wo ihn Gottes Ordnung hingeſtellt; will ſich nicht ſelbſt erhoͤhen, wartet, bis ihn Gott erhoͤht.
Der Demuͤthige iſt der beſcheidene Gaſt, der ſich lieber unten am Tiſche ſetzet, als oben an. Der Demuͤ⸗ thige ſitzt, wo ſie ihn hinſetzen, mißt ſich nicht mit einem Andern, und zankt nicht mit einem Andern uͤber Vorzug und Gepraͤnge; thut, was er ſoll, und uͤberlaͤßt es der hoͤchſten Gerechtigkeit, Verdienſte zu richten, Pla auszutheilen, zu erhoͤhen, zu erniedrigen.
Der Demuͤthige ſieht die Welt als ein Arbeits ⸗ und Gaſthaus an, in dem der Hausvater Jedem ſeine Ar⸗ beit anweiſet, und am Feierabend jedem treuen Arbeiter Lohn, Speiſe austheilt. Die Meiſten wollen immer eine andere Arbeit thun, als ihnen angewieſen, eine andere Stelle einnehmen, als die ihnen beſtimmt iſt; Andere wol⸗ len den Lohn vor der Arbeit haben, zanken mit andern Arbeitern, laͤſtern den Hausvater, oder moͤchten lieber nicht arbeiten, und den Lohn ſelbſt austheilen, und ſich vor aller Arbeit belohnen. Ganz anders der Demuͤthige. Er arbeitet an ſeinem Tagewerk, ſieht auf ſich, nicht auf Andere, handelt ſtatt zu meiſtern, ſchweigt ſtatt zu rich⸗ ten, lobet nur die Weisheit und Guͤte des Hausvaters, und haͤlt ſich, wenn er alle ſeine Arbeiten vollendet, zu geringe, als daß er auf Lohn Anſpruch machen ſollte, und ſagt am Ende nichts, als: Wir ſind des Herrn Knechte, haben gethan, was wir thun mußten.
Es wird viertens in dieſer Gleichnißrede die Be⸗ lohnung der Demuth beſchrieben.
Wenn der Gaſtgeber kommt, und zu dir ſpricht: Freund, ruͤck' hinauf: ſo wird's dir zur Ehre ſeyn vor ERBEN, die mit dir zu Tiſche ſitzen.
Liebe Freunde, bie ihr unten ſitzet, und die Schlech⸗ tern oben an ſitzen laſſet — der Gaſtherr kommt gewiß; und wenn er kommt, ſo kommt Gerechtigkeit und Wahr⸗ heit mit ihm! Gott belohnt die Demuth auf mancherlei Weiſe, und gerade jene, die am meiſten Gutes thut und
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0 am wenigsten auf Belohnung ſieht, und ſich aller Beloh⸗ N nung unwerth hält, am meiſten. Gott belohnt die Demuth; denn Er iſt die Wahr⸗ heit ſelbſt, und der Demuͤthige liebt die Wahrheit uͤber Alles; will an ſich keinen Fehler fuͤr Tugend, keine Bloͤße 5 fuͤr Reichthum, keine Schwachheit fuͤr Staͤrke anſehen, ſieht ſich am liebſten in der wahrſten Geſtalt, in der er ſich erblicken kann; erröthet über fi ich ſelbſt, erkennet, bekennet feine Gebrechen, will nie mehr ſcheinen, als er iſt, haßt allen Selbſtbetrug, und denkt ſo geringe von ſich, daß ſeine Feinde, die ihn recht gering machen, wenn ſie in ſein Inneres blicken koͤnnten, geſtehen muͤß⸗ ten, ſeine Aufrichtigkeit ſey ſcharfſinniger in Entdeckung ſeiner eigenen Fehler, als ihr Haß nicht ſeyn kann. Gott belohnt die Demuth auf mancherlei Weiſe, denn Er erhoͤht ſie auf mancherlei Weiſe.
Gott erhoͤht den Demuͤthigen dadurch, daß Er ihm Kraft zu allem Guten, und wahre Weisheit gibt, die der Hoffaͤrtige nicht empfangen kann. Denn jener iſt leer von ſich, kann noch empfangen; dieſer voll von Eigenliebe, kann nichts mehr empfangen. Jener kann bitten, weil er feine Armuth empfindet, und wird reich, weil er empfangen kann; dieſer iſt arm, und | hält feine Armuth für Reichthum, und kann nicht bitten,
und nicht empfangen — weil er voll von Dunſt und Trug iſt. Und, wenn Gott dem Demuͤthigen das Vor⸗ nehmſte, das Innere, das Ewige, die wahre Weisheit ſchenkt: ſo duͤrfen wir uns ja nicht verwun⸗ dern, daß er ihm nicht ſelten auch das geringere ſchenkt, Macht im Aeußern, Anſehen im Zeitlichen. Der Alles ſieht, wie es iſt, und Alles nach feinem Werthe ſchaͤtzet, hat Manchen, der die erſte Stelle nicht ſuchte, der erſten Stelle werth gefunden, und zu ihm ges ſagt: Freund, ruͤck' hinauf! Der Kerker iſt wohl der letzte Platz in dieſer Welt, und der Thron der erfte, und ſieh! die Demuth bahnte dem demuͤthigen Sohne Jakobs — eine ebene Bahn vom Kerker zum Throne.
Gott erhoͤht endlich den Demuͤthigen in dem Lande
der nen nach dem Maße der Demuth.
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Wie in einer Wagſchale die eine Schale ſinkt, ſo ſte die andere. — Dieß iſt das rechte Bild der Demuth ihrer Belohnung. Wie hier die Schale der Demuth ſinkt: ſo ſteigt dort die Schale der Erhoͤhung. * Und wir, m. Th., wollen auch demuͤthig ſeyn, damit wir der Erhöhung wuͤrdig werden!
Gutes thun, und dabei demuͤthig ſeyn: das ſey unſer Spruch. Und Du, der Du der Groͤßte im Reiche deines Vaters warf, und in der Geftalt des Geringſten kamſt — mache den Spruch:
Gutes thun, und dabei demuͤthig ſeyn, wahr an uns! Amen.
Wie hier die Demuth, ſo dort die h
13 11
1 XIX. 1 aus Allem, was für dich lehrreich .
Homilie uͤber die Heilungsgeſchichte Matth. IX. 2 zu Warthauſen am a Sonntage 12 en
Wer es vom u. gehöret und geler net hat, der kommt zu mir.
Wenn wir geſtern die Sonne betrachtet haben, ſo be⸗ trachten wir ſie heute wieder. Wir koͤnnen uns an ihr nie ſatt ſehen. Denn ſie iſt die Sonne: ihr Licht ſo wohlthätig und ſegenvoll!
Wenn wir geſtern Brod gegeſſen haben, ſo eſſen wir heute wieder Brod. Wir finden es nicht leicht ekelhaft. Denn es iſt Brod: ſo nahrhaft und ſchmackhaft!
So geht es mir mit dem Leben Jeſu.
Geeſtern dachte ich gern daran, heute rede ich gerne davon. Vor etlichen Augenblicken las ich eine Geſchichte dar⸗ aus vor: jetzt rede ich daruͤber, was mir der Geiſt der uh auf die Zunge legt.
*
Der Kranke laͤßt ſich zu Jeſus tragen. Man brachte einen Schlagfluͤſſigen auf einem Bette zu Jeſus.
Er konnte helfen: darum kamen Elende zu Ihm. Er wollte helfen: darum kamen ſie mit Vertrauen zu
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Ihm. Und die ſelbſt nicht kommen konnten, ließen ni zu Ihm tragen.
Indeß viele Geſunde, Gelehrte, Gluͤckliche nichts von Jeſus wiſſen wollten, kamen Kranke, Unwiſſende, Elende zu Ihm. Die Noth trieb ſie zu Jeſus. Die Noth treibt zu Gott, treibt zu Gottes Sohne. Der Glaube kommt aus dem Drang der Noth. | ;
Wer keiner Huͤlfe bedarf, ſucht keine Hilfe Die Noth lehrt uns beten, glauben, Huͤlfe ſuchen. Haͤtte der Schlagfluͤſſige freien Gebrauch ſeiner Glieder gehabt: vielleicht haͤtte er ſich um Jeſus nicht bekuͤmmert. Aber jetzt da feine Glieder gelaͤhmt find, jetzt ſucht er Huͤlfe, und das Verlangen, geſund zu werden, bringt ihn zu ſeinem Helfer — zu Jeſus.
Daraus koͤnnen wir lernen, wie wir die Noth, und jede Truͤbſal anſehen muͤſſen — ſie iſt da, um uns zu Gott zu bringen, um uns zu Jeſus zu fuͤhren, oder, wenn wir ſchon zu Gott gebracht, zu Jeſus gefuͤhrt find, uns an Gott, an Jeſus noch feſter anzufchließen.
Die Truͤbſal lehrt und noͤthigt uns an Gott zu den⸗ ken, deſſen wir im Gluͤcke ſo leicht und ſo oft vergeſſen.
Und ein Schlagfluß, der uns zu Gott zuruͤckfuͤhret, iſt fuͤr uns wohlthaͤtiger als die volle Geſundheit, die uns von Gott wegfuͤhret.
Jeſus tröſtet den glaͤubigen Kranken.
Als Jeſus ihren Glauben ſah, ſprach er: Sey getroſt, mein Sohn!
Jeſus weiſet kein Vertrauen zuruͤck. Wer zu Ihm kommt und auf Ihn traut, den tröftet Er. Wie ein Vater ſich ſeiner Kinder erbarmet, ſo erbarmet ſich Jeſus des Elenden. |
Er konnte ihn nicht freundlicher aufnehmen, als mit dem Worte: Sey getroſt, mein Kind. Denn Troſt bedurfte der Kranke, und Troſt ward ihm.
Und, weil der Kranke auf Jeſum traute, wie ein Kind auf ſeinen Vater: ſo troͤſtet ihn Jeſus mit dem Vati worte: Sey getroſt, mein Kind!
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Und dieſer Troſt war ein rechter Troſt — denn er war ein Vorbote der Huͤlfe, wie wir ſehen werden. So freundlich iſt Jeſus!
Wer alſo Troſt ſucht, der komme zu Ihm, und komme mit Vertrauen, und er wird Troſt finden. Denn Jeſus kann troͤſten, und will troͤſten.
So laß denn Du, der einſt auf Erden kein Vertrauen bmähte und keinen Troſtbeduͤrftigen ungetroſt von ſich gehen ließ, auch uns das Wort hören:
Kinder, ſeyd getroſt!
Ich bin's, der euch helfen kann und will.
Jeſus vergiebt dem Suͤnder ſeine Suͤnden.
Sey getroſt, mein Kind! deine Suͤnden find dir vergeben. | Das heißt tröften — Sünde verzeihen. Denn gerade feine Suͤnden hatten den Kranken am meiſten geaͤngſti⸗ get; ſie hatten ihm ſeine Krankheit zugezogen. So oft er alſo feine lahmen Glieder anſah, mußte es ihm zu Sinne kommen: Sieh, dieſe Glieder haſt du zur "Sünde mißbraucht, und die Sünde hat dich lahm gemacht. Der Kranke konnte alſo kein troͤſten⸗ deres Wort aus dem Munde Jeſu hoͤren, als dieſes: Deine Suͤnden ſind dir verziehen! O, welcher Friede, welche Freude, welch ſanftes Wohlſeyn muß ſich in ſeinem Herzen ausgegoſſen haben, als er das Wort hörte: Deine Sünden find dir verziehen! Wen ſeine Suͤnden einmal geaͤngſtiget haben, der kann ſich vorſtellen die Freude, die der Kranke wird em⸗ pfunden haben, als ihn Jeſus freundlich anblickte, und das Troſtwort hoͤren ließ: Deine Suͤnden ſin d dir verziehen!
Wie, wenn Jeſus heute in dieſe Kirche kaͤme, und zu denen, die am meiſten von Furcht und Angſt ihrer Suͤnden wegen gequält werden, ſpraͤche: dir. und
dir. und dir... find deine Sünden ver ziehen! |
— 2064 — 1 5 3
was wir nicht hören! lehre uns unfre Sünden v
ſcheuen und meiden, damit wir nimmer Urſache ha
zu zweifeln, daß ſie uns vergeben ſi ſind. | E Und... das wollen wir nie vergeffen: 14 Die Sünde macht lahm — lahm den Geiſt un
den Leib, und Jeſus ann wieder 905 machen, was m
Sünde verdorben.
O, göttlicher Bergeber der Sünde, laß uns 28
Die Schriftgelehrten aͤrgern ſich daran.
Da dachten einige Schriftlehrer: Er Ge. ſus) hat Gott gelaͤſtert.
So gibt es immer Menſchen, die ſich am Suter ärgern, Menſchen, die die heiligſte Handlung für ein Gotteslaͤſterung halten. So gab es ſchon zu Zeiten Jeſu Menſchen, die den Sohn Gottes fuͤr einen Lüfter Gottes anfahen.
Wie iſt es doch möglich, daß Menſchen und Ge lehrte am Guten Aergerniß e das Gute ſo un gut auslegen?
Sie haßten Ihn, darum RE: fie feine Hand lungen fo böfe aus, und fie haften Ihn, weil fü Ihm um die Gunſt des Volkes beneideten, und fie be neideten Ihn, weil fie die Gunſt des Volkes gerne fn ſich allein gehabt haͤtten.
Die Eigenliebe machte ſie eitel, die Eitelkeit aebi der Neid ungerecht, und bie. Ungerechtigkeit hart.
Ein neidiſch Herz — allemal ein falſcher Ausleger — lehrt uns boͤſe denken, wenn wir an unſerm Naͤchſten Gutes ſehen oder von ihm hoͤren. Ein neidiſch Herz — allemal ein ungerechter Richter — lehrt uns verdammen, was wir an unſern Mitmenſchen Lobenswuͤrdiges won nehmen. x
allem Neid: fo wären es auch unſre Gedanken, fo waͤren es auch unſre Urtheile. Sind wir gut: ſind es auch unſre Worte.
eie be deinen Nächſten: fo wirft du von ihm auch gut denken, billig urtheilen. Liebe, wie du ſollſt, und du wirſt urtheilen, wie es recht iſt!
Die Eltern glauben nicht leicht etwas Boͤſes von ihren Kindern, ſind gewiß nicht zu leichtglaͤubig hierin: wei ſie ihre Kinder lieb haben. — So wuͤrden wir auch — 4 ſo leicht Boͤſes von unſerm Naͤchſten glauben, wenn nis ihn lieb hätten.
Die Schriftgelehrten liebten nur f ich; darum fan⸗ den ſie an Jeſus Alles ſo boͤſe: Er hat Gott ge⸗ laͤſtert.
Und das iſt denn der rechte Unterſchied zwiſchen Liebe und Neid, jene leget auch Boͤſes gut aus, dieſer Mutes boͤſe.
Wir wollen die Eigenliebe bekämpfen, um in uns f er Liebe gegen Andere Platz zu machen; denn, wo die Liebe eingeht, da geht der Neid .
*
Jeſus ſieht die Gedanken.
Wer iſt der, der Gedanken ſehen kann? — — — 1 Hier haben wir Urſache niederzufallen und anzubeten. Wir koͤnnen die Gedanken des Andern nur erra⸗ en, Jeſus konnte fie ſehen. Wer iſt der? — — — DO Menſch! bewahre deine Gedanken; denn Jeſus ſieht auch den Gedanken.
DO Menſch! denke aus lauterer Liebe an Jeſus, denn 14 ſieht n den Keim deines Gedankens. 8
Sele lb die Schriftgelehrten durch eine Frage und durch eine That.
. „Was denkt ihr Arges in eurem Herzen? gas iſt leichter, ſagen: Dir werden deine
Sünden gerzlehen, oder ſagen: Steh auf,
und geh'?“ |
Sie, die Schrifthelehrten, waren ſchon in Verlegen⸗
heit; ſie ſollten aber noch mehr beſchaͤmt werden. Wer
die Wahrheit nicht über Alles liebt, wird von der Wahr⸗
— 206 —
heit in Verlegenheit gebracht. Die Wahrheit . nur ihre Feinde.
Damit ihr aber wiſſet, daß des Menſche Sohn Macht habe, Suͤnden auf Erden zu ver geben:
Da wandte Er ſich zum Schlagfluͤßigen und rad
So ſteh auf, nimm dein Bett, und geh i dein Haus. —
Und er ſtand auf und ging heim.
Das heißt 1) ſeine Feinde ſtumm machen.
Sie nannten Ihn einen Gotteslaͤſterer, und Er han delt wie Gott — macht geſund an Seele und Leib.
Daraus lernen wir, wie wir uns bei boͤſer Nac rede verhalten ſollten. Wir follen fie durch G. testhun auf die edelſte Weiſe widerlegen, u um uns zu Nutze machen. Es thut wehe, boͤſe Nach rede ertragen muͤſſen; aber man kann ſich dieß Weh erleichtern — wenn man das angedichtete after durch dat Gegentheil widerleget. Sagt man von dir: du fepfi karg, fo ſey freigebig, und die boͤſe Nachrede wirt erſtummen, oder dir wenigſtens genuͤtzt haben. Sagt mar von dir: du ſeyſt träge, fo ſey arbeitſam, und di böfe Nachrede wird erſtummen, oder dir wenigſtens ge nuͤtzet haben.
Das heißt 2) die Suͤnden vollkommen ver geben, wenn man die Folgen der Suͤnde aufhebet. Die Krankheit war eine Folge der Suͤnde, und die Suͤnde eine Krankheit des Geiſtes: Jeſus macht den Geiſt und den Leib geſund, macht den Schaden wieder gut.
So verzeihen kann nur Gott, und ſein Sohn Jeſus Chriftus. Denn nur Gott, nur Jeſus kann die Folgen der Suͤnde aufheben, kann das Uebel, das die Sin geſtiftet, tilgen, kann allen Schaden wieder gut machen.
Das heißt 3) troͤſten — — — helfen. |
Wer helfen kann, fol nicht mit leeren Worten tr fin — — die Huͤlfe iſt der rechte Troſt. 1
.
Das heißt 4) helfen — — Suͤnde vergeben, und die Krankheit heben. — So Helfen kann nur Gott, nur Er kann Leib und Seele geſund machen. Und was Gott kann, das kann Jeſus, Er iſt der rechte Arzt. Und dieſer rechte Arzt kam nur dazu, um zu heilen, was krank war und iſt.
Das Volk erſtaunte und lobte Gott.
Da dieß das Volk ſah: entſetzten fie ſich, und prieſen Gott, der ſolche Macht dem Men⸗ Nen gegeben.
Wer Gutes ſieht, ſoll Gott dafuͤr preiſen, denn von ot kommt alles Gute.
Das iſt Kennzeichen des Guten — alles Gute Gott reiben, für alles Gute Gott danken — alles Gute betrachten, wie es aus der Quelle kommt, und mit Dank uf die Quelle zuruͤckfuͤhren.
Die ganze Begebenheit iſt alſo, bei aller Kuͤrze recht hrreich — — —
Von dem Kranken lernen wir: zu Jeſu fommen; Von Jeſus lernen wir — — freundlich ſeyn, 5 tröften, helfen, ſegnen, wo wir koͤnnenz Von den Schriftlehrern lernen wir, was wir mei⸗ den ſollen: das Gute boͤſe auslegenz
Von dem Volke lernen wir, was wir thun ſollen: das Gute für gut halten, und Gott da⸗ fuͤr danken.
Lerne aus Allem, was für dich lehrreich iſt. . Das iſt das rechte Gebot für Schüler Jeſu. Und Schüler Au wollen wir doch — Alle ſeyn?
Der Du allein gut biſt — denn wie der Sohn lehrt, enand iſt gut als Du — Du Alleinguter! ſchaffe in uns einen neuen Sinn, daß wir auch gut werden, 1 für gut halten, dem Alleinguten für alles Gute
==: BRD
danken — und nicht muͤde werden, wie Jeſus, Gutes zi
thun, und um des Guten willen uns laͤſtern zu laſſen
Du der. Alleingute — Du die Wahrheit! lehre uns Du
damit wir aus Allem lernen, was fuͤr uns lehrreich iſt —
lernen # Dich kennen, | # Dich anbeten, Dich lieben, | Dir gleich werden — und ſeltg in dir!
Die Suͤnde macht doch nur elend, verbreitet Jam mer und Wehe. *
Die Suͤnde ſtiftet doch nur Unheil: in uns; wi ſehen die Wahrheit nicht mehr; wir lieben das Gut nicht mehr; wir ſehen Irrthum fuͤr Wahrheit an; : lieben das Boͤſe als wenn es das Gute waͤre; wir ſtern und verfolgen das Wahre und Gute; wir tr einen kranken Geiſt in einem kranken Leibe umher und werden immer ſchwaͤcher, thoͤrichter, . un barer. Die Sünde ſtiftet Unheil: in Andern; fi ie 121 ſich an uns, machen das Boͤſe nach, laͤſtern die Wahr heit mit uns, haſſen das Gute mit uns, werden mi uns und durch uns täglich ſchwaͤcher, thoͤrichter, boͤſer unheilbarer.
— — — Gott! ich müßte die Hoffnung verlieren wenn Du nicht noch maͤchtiger waͤreſt, als die Suͤnde
O heilige Allmacht! Du, Du allein kannſt die Sind tödten, und ihr Kind — das Elend. "GE
O, toͤdte die Mutter und ihr Kind! Du wirft es Denn es lebet Jeſu s, — und dieſer meiſtert die Sünde und den Tod und das Elend! Amen.
4 . Me ber die ſchönſte und lieblichſte &leichnifs- 85 1 rede unſers Herrn.
Homilie vor dem Landvolk,
5 gehalten in der Pfarrkirche zu Pfronten im Allgäu, an einem ; * Sonntage im September 1790.
2 |
Der ſich aus Liebe zu den Menſchen in die menſchliche Natur ver:
kleidete, der redete auch aus Liebe zu den Menſchen eine menſchliche Sprache.
Als mir, liebe Landleute, der Freund und Hirte eurer Gemeinde die Ehre zugedacht, ſeine Stelle heute vor euch und an euch zu vertreten: ſo ſchlug ich in Einfalt das Evangelium auf, und dachte bei mir: was das Schoͤnſte und Lieblichſte fuͤr dieſe Zuhoͤrer iſt, das ſoll der Inhalt meiner Rede ſeyn. Und das Schoͤnſte und Lieblichſte fuͤr mich und euch iſt nach meiner Empfindung die Gleichniß⸗ rede, die Jeſus im XIII. Hauptſtuͤck Matth. vom guten Samen und vom Unkraut gehalten hat — und die mir beim Durchblättern des Evangeliums in's Auge fiel. Es muß euch auch freuen, daß Jeſus ſeine ſchoͤnſte und lieblichſte Gleichnißrede vom Samen, vom Acker, von der Ernte genommen.
Ich nenne aber dieſe Gleichnißrede die ſchoͤnſte und lieblichſte fuͤr euch und mich, weil ſie die wichtigſten
Wahrheiten uͤberaus einfältig darleget.
Dieſe Gleichnißrede will ich nun heute mit den Wor⸗ ten Jeſu erzaͤhlen, nach den Worten Jeſu erklaͤren, und mit meinen Worten euch recht lehrreich zu machen ſuchen. Ihr werdet Gott und die Welt, Fromme und Boͤſe, Anfang und Ende, Himmel und Hölle, Engel und Menſchen beſſer kennen lernen. Ja, ich
J. M. v. Sailers ſämmtt. Schriften. XX XV. Bd. 14 g
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glaube, wenn ihr dieſe Gleichnißrede recht verſtuͤndet, un darnach lebtet, ſo wuͤrdet 95 die weiſeſten und wan Menſchen ſepn.
Die ſchoͤnſte und lieblichſte Gleichnißrede, den Jeſus erzaͤhlet.
Ein Saͤemann ſaͤete guten Samen auf feinen Acker.
Da aber die Leute ſchliefen, kam fein Feind, un! ſaͤete Unkraut in Mitte des Weizens, und gieng davon.
Die Saat gieng auf und wurde groß: da ſah man auch das Unkraut.
Da verwunderten ſich die Knechte des Hauſes, un ſagten zu ihrem Herrn: Haſt du denn nicht guten Sa men auf deinen Acker geſuͤet: woher das Unkraut?
Der Hausvater antwortete: der Feind hat's gethan
Die Knechte ſagten darauf: wenn du willſt, ſo wol⸗ len wir das Unkraut ausreißen.
Nein, ſprach der Hausvater, das muͤßt ihr nicht thun ihr möchtet auch den lieben Weizen mit ausreißen. Laſſet beides wachſen bis zur Ernte, und wenn die Ernte da iſt, werde ich den Schnittern ſagen: Sammelt zuerſt das Unkraut, und bindet es in Buͤſchlein zum Verbrennen; dann ſammelt und bringet den Weizen in meine Scheunen.
Dieſe dae von Jeſu ſelbſt erklaͤrt. 0 Matth. XIII.
Der Acker — die Welt. + Der guten Samen fäet — der Sohn des Menſchen. Der gute Samen — die Kinder des Reichs. Der Feind — der Unkraut ſaͤet — der Teufel. Das Unkraut — des Boͤſen Kinder. Bi; Die Ernte — das Ende der Welt. 5 Die Schnitter — die Engel, 7
dieſe werden die Boͤſen in den Feuerofen werfen, und die Gerechten werden wie Sonnen im Reiche meines Vaters glaͤnzen. wir
1
= 211 —
Bas für uns aus dieſer Gleichnißrede zu lernen fey.
Sie lehrt uns erſtens um alles Gute bitten, und für alles Gute danken. 0 ales Gute kommt vom himmliſchen Vater durch ſei⸗ | ten Sohn; fein Sohn Jeſus Chriſtus iſt der Suͤemann 3 guten Samens. Der Vater iſt reich für Alle, die Ihn anrufen. Wenn ihr alſo fromm und gut werden, | 15 euere Kinder und Hausgenoſſen fromm und gut ha⸗ den wollet: fo muͤſſet ihr euch zum Vater im Himmel ö f. Er iſt der Haus vater, Er iſt gut, und will gut haben. Ki net euch vor, es lebte in der Nachbarſchaft ein Ver Mann, der haͤkte einen großen vollen Getreide⸗ kaſten, und waͤre ſo guͤtig, jedem mitzutheilen, was er an Samen beduͤrfte, um fein Feld zu beſaͤen: würden nicht Alle, die kein Samenkorn haͤtten, zu ihm kommen und ihn bitten: Lieber Mann, ſey ſo gut, und gieb mir Getreid, daß ich mein Feld beſaͤen kann? Dieſer reiche, große Herr iſt der Vater im Him⸗ I; Er iſt heilig und gut, und kann und will uns Alle fromm und gut haben. Darum, liebe Zuhörer, wollen dir fleißig zu dieſem lieben Hausvater kommen und bit⸗ ten, und alle Tage bitten: Lieber Vater! ſieh, ich möchte auch recht fromm werden, moͤchte Dir gefällig werden, moͤchte ſanftmuͤthig, geduldig, demuͤthig werden, wie dein Sohn; hilf mir dazu: mein Herz iſt voll Dornen und Unkraut: allerlei boͤſe Gedanken und Begierden ma⸗ chen mich laſterhaft und elend: hilf mir dieſe Dornen ausrotten, und ſaͤe Du guten Samen in mein Herz, daß ich auch ſo fromm werde, wie dein Sohn Jeſus Chriſtus, und ſo gehor⸗ Ben wie beine Engel, und fo zufrieden mit einem Willen, wie alle deine Heilige. 5 So muͤſſet ihr beten, wenn ihr fromm werden wollet! Und ihr, liebe Eltern, wenn ihr gern fromme Kin⸗ er hättet: ſo muͤſſet ihr auch darum bitten, und Gott — 65 bitten, denn Gott iſt reich, und von Ihm kommt 14 *
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alles Gute: Guter Vater! ſieh herab auf me Kinder, und erbarme Dich ihrer: ſie ſind 4 fo ſchwach und unerfahren, leite Du fie anf allen ihren Wegen, daß ſie an den Eltern + Andern nichts Boͤſes ſehen und hören: ſegn Du ſie, daß ſie groß und gut werden, und . und allen frommen Menſchen gefallen: fe Du ihr Hüter bei Tag und Nacht, und bewahr ihre Seele vor Verführung, und ihren Leil vor Krankheiten und Gefahren: ſey Du dei rechte Vater unfrer Kinder, und forge dafür, daß nur guter Samen in Predigten, Kinder lehren, Schulen in ihre Herzen gefäet werde, und daß er aufgehe und Frucht bringe. Si
Und ihr, liebe Hausvaͤter und Hausmuͤtter, went ihr gerne fromme Hausgenoſſen, treue Dienſtboten haber wollet: ſo muͤſſet ihr auch darum bitten, muͤſſet zu dem großen Hausvater gehen, der fuͤr alle ſeine Klebe ſorget, muͤſſet bitten:
Himmliſcher Vater: fieh, 1 wir mit 4 fern Händen nicht alle Arbeit verrichten kon nen: fo muͤſſen wir Knechte, Mägde und Tag werker haben, die uns arbeiten helfen: nun koͤnnen wir ohne Dich unfer eigen Herz nicht in Ordnung halten: wie ſollten wir ohne Dich unſer ganzes Hausweſen regieren fo nen? Du kenneſt aber alle Herzen, und unſre Dienſtboten find doch auch deine Kinder: fieh! ſie muͤſſen ſo hart arbeiten: erbarme Dich ihrer, und bewahre fie vor Sünde: ſaͤe guten Samen in ihr Herz: leite ſie durch deinen gib ten Geiſt, daß ſie fleißig, aufmerkſam, treu, und in Allem Dir gefällig werden. 11
Jeſus iſt der Saͤemann, und ſein Vater der große Hausvater; alſo muͤſſen wir Alle den Vater bitten: daß Er durch feinen Sohn Gutes far 50
So lehrt uns Jeſus Chriſtus ſelbſt beten; denn, w ö ſagen die Worte: Geheiliget werde dein Na zuko mme uns dein Reich, dein Wille 6 cee
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ders, als: Vater! Alles iſt dein, die ganze Welt ift dein, und unſre Herzen ſind auch dein — ſind ein Feld, w iſt und leer ohne deine Huͤlfe: ſaͤe Du durch deinen ohn, unſern Herrn, guten Samen darauf, daß dein dane durch uns geprieſen, dein Wille durch uns voll⸗ he, dein Reich in uns geboren werde. Wie wir zu Gott um alles Gute bitten: ſo ſollen 0 ir Ihm fuͤr alles Gute danken, denn Er iſt es, von dem alle gute Gabe kommt. 0 2 Sind die Juͤnglinge und die Jungfrauen irgend eines eure zuͤchtig, keuſch, arbeitſam: o, dieß iſt eine echte Gabe Gottes, und Jung und Alt ſollen Gott da⸗ für danken; denn züchtig ſeyn und keuſch ſeyn und arbeits 12 m ſeyn kemmt auch von Gott — iſt auch ein Sa⸗ men aus der Hand unſers großen Hausvaters, der die ſchoͤnſten Fruͤchte bringt fuͤr Gegenwart und Zukunft, fuͤr Zeit und Ewigkeit. a Iſt irgend in einem Hauſe Friede, Einigkeit, Liebe: dieß iſt auch eine Gabe Gottes, und alle Einwohner des Dorfes ſollen Gott dafuͤr danken; denn friedſam, einig und ſtille ſeyn — kommt auch von Gott — iſt auch ‚ein Samen aus der Hand unſers Hausvaters, der gute Frucht bringet. Und, wenn ihr und eure Nachbarn treue, eifervolle Geiſtliche habet, die euch alle Sonntage von Gott und ‚feinem Willen in Predigten und Kinderlehren erzählen, und auch bereit waͤren, ihr Leben fuͤr euch zu laſſen: das iſt eine große Gabe Gottes, und ihr koͤnnet Gott nicht genug dafuͤr danken. Denn einen Freund und Vater in der Gemeinde haben kommt auch von Gott, und ein wuͤr⸗ diger Geiſtlicher iſt nicht bloß ein Samen aus Gottes Hand, iſt ſelbſt ein Saͤemann nach der Lehre und dem Beiſpiele Jeſu, der guten Samen auf Gottes Acer fäet. Daß wir an diefem Sonntage, in dieſer Kirche zus ſammenkommen, und ich die ſchoͤne Gleichnißrede Jeſu euch erklaͤren kann, und ihr meinen Worten ſo fleißig aufhorchet, und, was ich ſage, will's Gott! verſtehet, und in's Herz faſſen und bewahren werdet, das iſt auch Gabe Gottes, und ich bin der Gnade nicht werth, die
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mir die Güte Gottes zufließen laͤßt. Denn Gotteswor verkuͤnden und Gotteswort hoͤren, das kommt auch vor Gott, und das Wort Gottes iſt der rechte Samen, bei der Saͤemann Jeſus Chriſtus durch ſeine Diener aus ſtreuet. 4 Und ſo ſollet ihr fuͤr alles Gute danken, ihn möget es an euch, oder an Andern wahrnehmen, ih moͤget es an euren Freunden oder an euren Feinden (doch ihr habet keine Feinde, und ſeyd alle Freunde zu. einander,) wahrnehmen. Alles Gute, es ſey ein guten Gedanke, oder eine fromme Begierde oder eine gute Handlung, oder ein geheimes oder bekanntes Leiden mit Geduld ertragen, oder ein nuͤtzliches Wort zu rechter Zeil geredet, alles, alles Gute kommt von Gott — und in des Dankes werth. 90
Lob und Dank Dir, Du Geber alles Enten! Amen,
Dieſe Gleichnißrede lehret uns Ms ner gegen ah Boͤſe wachen und ſtreiten.
Das Boͤſe kommt vom Teufel: als die Leute ſchlie, fen, kam der Feind und ſaͤete Unkraut.
Alſo wachen ſollen wir, damit unſre Schläfrigkeit dem Feinde nicht guͤnſtige Gelegenheit verſchaffe, Unkraut zu ſaͤen.
Wachen ſollen wir, das heißt: Jeder ſoll zuerſt wachen, daß er nicht ſelbſt zum Unrecht verfuͤhrt werde. Jeder ſoll, um ſich zu bewachen, ſein Herz bewachen, weil ſich kein Menſch ohne Bewachung ſeines Herzens, bewachen kann. Es iſt eine ſchoͤne Lehre: Bewahre dein Auge, aber was nuͤtzte es dir, das Auge zu ber wachen, wenn du dein Herz nicht bewachteſt; und wie kannſt du auch deine aͤußern Sinne bewachen, wenn du das Herz nicht bewachteſt? Bewache dein Herz, und du wirſt rein bleiben! Bewache dein Herz, und du wirſt deine Sinne gar leicht bewachen. Bewache dein Herz, und du wirſt dich beſiegen koͤnnen, und wenn du dich beſiegt haft: fo find alle deine Feinde beſiegt. Denn die Hoͤlle, das Fleiſch und die Welt koͤnnen dich nur durch dich uͤberwinden, koͤnnen dir ohne deinen
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Willen nicht ſchaden. Wenn du alſo dich, deinen Wil⸗ len, dein Herz bewahreſt, wenn du dich uͤberwunden haſt, fo haft du alle deine Feinde uͤberwunden. Bewache zus rſt dein Herz, denn wo das Herz iſt, da iſt dein Schatz, und ſo lange dein Herz Gott uͤber Alles liebet, ſo lange iſt Alles rein in dir. Bewache dein Herz, denn dieß will Gott; Er will von ganzem Herzen geliebt ſeyn, und nichts weiter. Bewache dein Herz, denn alle Kriege eutftehen in dir daraus, daß du in deinem Herzen einen Gedanken, eine Begierde gegen das heilige Geſetz auf⸗ kommen laͤſſeſt.
Jeder ſoll zuerſt fein Herz bewachen, denn das Herz iſt die Brunnquelle, aus dem boͤſe Gedanken, böfe Begierden, boͤſe Handlungen kommen. Aus dem Herzen, ſagt Chriſtus, kommen arge Gedanken: Mord, Ehebruch, Hurerei, Dieberei, falſche Zeugniſſe, Laͤſterung. Matth. XV, 19. Wer die Quelle nicht verſtopft oder zerftört, kann den Ausfluß des Waſſers aus der Quelle nicht hemmen. Wer ſein Herz nicht bewacht, kann ſich vor Suͤnden nicht bewahren.
Wachen ſollen wir, das heißt: Jeder ſoll wachen, daß fein Nächſter nicht irrgefuͤhrt werde. Wenn du dein Herz haſt bewachen lernen, ſo wirſt du auch wiſ⸗ fen, wie du der Wächter deines Nächten ſeyn kannſt. Wenn du z. B. zur Winterszeit mit deinem Bruder reiſen mußt, und im Durchwaten durch Schnee und Eis müde wirſt, und gerne ausruhen und ſchlummern moͤchteſt: ſo treibſt du dich ſelbſt an, und widerſtehſt dem Schlafe — denn ſonſt moͤchteſt du einſchlafen, und von Kaͤlte ge⸗ lahmt — nicht wieder erwachen. Und nicht nur wider⸗ ſtehſt du dem Schlummer, ſondern du weckeſt auch deinen Bruder, und laͤſſeſt ihn nicht zuruͤck, damit er nicht vom Froſt uͤbermannt werde. Wenn du nun fuͤr dein zeit⸗ liches Leben und fuͤr das zeitliche Leben deines Bruders ſo wachſam biſt: ſollteſt du es nicht auch fuͤr das ewige Wohl deines Naͤchſten ſeyn? Sollſt du ihn, auf dem Wege zu Gott, ſchlaͤfrig werden laſſen? Wecke ihn, treib ihn mit Wort und Beiſpiel, bete mit ihm und für ihn — wache, daß er nicht in Verſuchung falle.
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Jeder Menſch, den du vor dem Verderben bewahren kannſt, it dein Naͤchſter, und jeder Naͤchſte iſt dein Br der, und über deines Bruders Wohlſeyn hat dich Gotl zum Waͤchter beſtellt. N
Wachen ſollen wir, das heißt, wachen ſollen besen ders die Eltern, die Seelſorger, die Obrigkeiten daß die Suͤnde nicht herrſchend und durch die Suͤnde der Jammer nicht allgemein verbreitet werde. Wachen ſollen beſonders die Eltern, die Haus vaͤter, die Seel ſorger, die Obrigkeiten, denn das meiſte Boͤſe — in die Welt zur Zeit, da die Men ſchen fhlafen
Zur Zeit, wo die Eltern ihre Kinder außer irn Augen, nach der Luft ihres Herzens, thun laſſen, w ſie wollen; |
zur Zeit, wo Hausvaͤter und Hausmütter ihre Haus, genoſſen ſich ſelbſt überlaffen ;
zur Zeit, wo Eltern, Obrigkeiten, Seelſorger, Auffeher und Lehrer, ihren Eifer erkalten, und dem Verderben freien Eingang in die Herzen der Menſchen offen laſſen.
Wachen ſollen wir, das heißt, darauf ſehen, daß in einer Gemeinde nichts wahrhaft Gutes außer Gewohnhe komme, und nichts wahrhaft Schlimmes zur Gewohnhe⸗ werde, daß keine gute Pflanze ausgerottet, und keine st tige auf unſern Boden gepflanzt werde.
Wachen ſollen wir, das heißt, darauf dringen mit Wort, That, Zucht, Gebet, daß die Tochter ſchamhaft, der Juͤngling zuͤchtig, die Knaben und Mädchen ge⸗ horſam und aufrichtig, die Hausgenoſſen treu und gottes fürchtig werden und bleiben. 4
Wachen ſollen wir, das iſt, beten und ſorgen, daß in unſerm Kreiſe Niemand Unkraut ſaͤe, und wir ſelbſt ein ander nicht zu Satans werden, einander nicht . Boͤſe lehren, oder vom Guten abhalten.
Wachen ſollen wir, das heißt, in uns und Andern ie böfe Neigung, den Keim der Sünde auffommen laſſen.
Da der Weizen aufgewachſen, ſah man auch das Unkraut. 1
2 — 217 — So iſt es auch in eines Menſchen Herzen, ſo in einer Gemeinde. So lange die Suͤnde wie ein Samen im Felde iſt, ſieht man ſie nicht, aber wenn das Unkraut aufgewachſen iſt, da ſieht man es. Darum wachet, daß das Boͤſe nicht entweder wie ein Samenkorn in euer Herz geworfen werde, oder wenigſtens nicht Wurzel faſſe. Ein en koͤnnet ihr leicht zertreten, aber einen Baum, der aus dem Samen erwachſen iſt, koͤnnet ihr mit der Hand nicht mehr ausreißen: es muß die Art oder eine ‚andere Kraft gebraucht werden. Es iſt mit der Sünde, ie mit einem Funken: dieſen koͤnnet ihr zertreten, aber, un ihr ihn zur Flamme werden laſſet, wenn das Haus ſchon im Brande ſteht, da iſt es zu ſpaͤt zu wehren.
Wachen ſollen wir, das heißt, wachen und ſtreiten! Denn wer nur Waͤchter iſt, der mag das Boͤſe wahrneh⸗ men, und ſeine Freunde darauf aufmerkſam machen; aber wer Waͤchter und Streiter iſt, der widerſetzt ſich auch, daß das Boͤſe nicht aufkomme.
Wer recht wachen will, der ſtreitet auch gegen das Boͤſe, und ruft Menſchen und Engel zu Huͤlfe, daß ſie ihm ſtreiten helfen. Streiten ſollen wir gegen das Boͤſe, wie der treue Haushaͤlter den einbrechenden Dieben wi⸗ derſteht, und die ſchlafenden Knechte und Nachbarn vom Schlafe weckt, daß ſie ihm die Geſellſchaft der Diebe abtreiben helfen. Streiten ſollen wir gegen das Boͤſe — den Gedanken in uns keine Begierde, die Begierde keine That, die That keine Gewohnheit werden laſ— ſen. Streiten ſollen wir gegen das Boͤſe — es hindern in Andern, wo wir koͤnnen, ſtrafen, wo wir ſollen. Streiten ſollen wir gegen das Boͤſe — nicht aus Furcht der Menſchen ſchweigen, wo wir reden ſollten; nicht Ja ſagen, wo wir Nein ſagen ſollten; nicht die Ge⸗ legenheit zur Suͤnde offen laſſen, die wir verſchließen ſollten; nicht das unerfahrne ſchwache Alter den Gefahren 8 hingeben, von denen wir es entfernen koͤnnen. Streiten
ſollen wir gegen das Boͤſe — nicht Speiſe, nicht Trank, nicht Ehre, nicht Geld, nicht Bequemlichkeit, nicht Schlaf lieber haben, als Ordnung in unferm Haufe, als Si⸗ cherheit in der Gemeinde. Kurz: wachen ſollen wir
ä
gegen die Suͤnde, wie der fleißigſte Hausvater e daß keine Feuersbrunſt in ſeinem Hauſe entſtehe; ſtreiten ſollen wir gegen die Suͤnde, wie der thaͤtigſte Hausvater daran arbeitet, die Feuersbrunſt zu loͤſchen, wenn fie in ſeinem Hauſe entſtanden iſt. *
Aber bei allem Wachen und Streiten gegen das Boͤſe — — reißet den Weizen nicht aus 1 Duldet, was Gott duldet, und ihr nicht ohne großen EN ber für das Gute daraus . ausrotten koͤnnet. 4
Dieſe Gleichnißrede lehrt uns drittens in Pe eel⸗
den Troſt und in allen Verſuchungen Starke finden. ’
Troſt in Leiden ſchafft uns der Glaube an die Se⸗
ligkeit der Frommen: Die Gerechten werden leuch⸗ ten wie die Sonne im Reiche meines Vaters. Die Gerechten werden nicht immer zu entbehren, zu lei⸗ den, zu kaͤmpfen haben: es kommt fuͤr ſie ein Tag der Freude, des Sieges, des Genuſſes, und dieſer Tag iſt und bleibt ohne Nacht, dauert ſo lange als Gott — ewig.
Ihr, liebe Landleute, muͤſſet ſo hart arbeiten, muͤſ⸗ ſet mit ſchlechter Koſt zufrieden ſeyn, habt obendrein noch mancherlei Leiden auszuſtehen — aber ſeht nur auf den großen Erntetag hinaus: Die Gerechten werden leuchten wie die Sonnen. Und, wenn eure Haͤnde muͤde werden wollen, Gutes zu ſaͤen, ſo blicket auf den Tag der Ernte hinaus, und es wird neue Kraft in eure Seelen kommen.
Die Gerechten werden leuchten wie die Sonne — rein, lichthell. Trachtet nur nach der Gerechtigkeit: der Tag der Ernte kommt für alle Ge
rechte gewiß! Saͤet nur Gutes, und ihr werdet gewiß
nur Gutes ernten — nicht nur Gutes, das hoͤchſte Gut,
das ewige Leben!
Staͤrke in Verſuchungen ſchafft uns der Glaube an
das Schickſal der Gottloſen!
Wer in den W an die große Ernte den h ken kann, der iſt gerettet... Die Boͤſen werden
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in den Gluthofen geworfen. Wenn du ſchon die Hand zur Suͤnde ausſtreckteſt, und daͤchteſt an den Gluth⸗ er in den die Gottloſen geworfen werden: du zoͤgeſt
Hand wieder zuruͤck. Darum, wenn es dir ſchwer wird, die Luſt des Fleiſches zu unterdruͤcken .. fo denke an den Erntetag: Die Gottoſen werden in den Gluthofen geworfen.
Darum, wenn es dir ſchwer wird, das Unrecht zu Ghbeſsen, das dir dein Nachbar angethan, ſo denke an den Erntetag: Die Gottloſen werden in den Gluthofen geworfen.
f Darum, wenn es dir ſchwer wird, das Zornfeuer in dir zu bändigen, fo denke an den Erntetag: Die Gott loſen werden in den Gluthofen geworfen.
Darum, wenn es dir ſchwer wird, dein Herz von dem Gelde loszureißen, ſo denke an den Erntetag: Die Gottloſen werden in den Gluthofen geworfen.
Darum, wenn es dir ſchwer wird, zu leiden, zu tra⸗ gen, Unterthan zu ſeyn, zu ſchweigen, zu arbeiten, ſo denke an den Erntetag: Die Gottloſen werden in den Gluthofen geworfen.
Aber, warum denn ſo oft, und ſo nachdruckſam von dem Gluthofen geſprochen? Darum, weil unſer Lehrer auch oft und nachdruckſam davon geredet, und weil wir, leider! nicht Alle gut genug ſind, uns von der Liebe des Vaters gewinnen zu laſſen. Meide das Boͤſe, dann iſt der Gluthofen nicht fuͤr dich, und wenn wir Alle das Boͤſe von ganzem Herzen mieden: ſo wuͤrde Chriſtus wohl auch von dem Gluthofen geſchwiegen haben, und wir keine Urſache finden, davon zu reden. Uebrigens iſt dem Juͤnger Jeſu jedes Wort aus dem Munde ſeines Herrn theuer.
So viel, oder vielmehr ſo wenig von dieſer Gleich⸗ nißrede!
Dieſe Gleichnißrede muͤſſet ihr, m. Th., nun nicht vergeſſen; muͤſſet fie in euer Herz graben; muͤſſet fie euern Kindern erzählen, erklaͤren, wiedererzaͤhlen, wies
m 239
dererflären, muͤſſet nach biefer Gteismiprede) die Welt anſehen lernen. Muͤſſet? —
Gott gebe, daß ihr's wollet! | Gott gebe, daß ihr's thut! deen e Gott gebe, daß ihr's verſtehet und Sefotgen
was Jeſus lehret! *
So oͤffnet denn euer Herz, daß Jeſus guten Se | men ſaͤen kann; bewahret euer Herz, daß der Satar keinen böfen Samen ausſtreuen kann; wachet und be⸗ tet, daß die Suͤnde nicht maͤchtig werde in euch und euern Gemeinden; bittet den Hausvater um alles Gu und danket Ihm für alles Gute; lehret eure Kinder fruͤhe nicht nur die Haͤnde falten, ſondern auch ihre Her⸗ zen zu Gott erheben; rottet das Unkraut aus, das ihr koͤnnet, und laſſet wachſen, was ihr ohne Beſchaͤdigung des Weizens nicht ausrotten koͤnnet; denket immer an den Saͤemann Jeſus, und an die Schnitter die Engel, und habet Acht, und arbeitet darauf hin, ta. fe euch einſt in die Scheunen Gottes tragen! | -
— XXI.
m . Homilie uͤber Luk. XIX. 110.
gehalten in der Pfarrkirche zum heiligen Magnus in Füſſen, 1 am VRR: Sonntage nach Pfingſten, 1791.
Heute iſt dieſem Haufe Heil widerfahren.
Wir koͤnnen an unſern Herrn Jeſum nicht nur im Her⸗ zen glauben, Ihn nicht nur im Herzen verehren, wie die erſten Chriften; wir dürfen auch in Kirchen zuſammen⸗ kommen und gemeinſchaftlich anbeten, und Niemand ſchließt uns die Thuͤre zu. Wir dürfen oͤffentlich anbeten, oͤffent⸗ lich bekennen: Ich glaube an Gott den Vater, ich glaube an Jeſum Chriſtum, ich glaube an den heiligen Geiſt — und Niemand fordert uns daruͤber zur Verantwortung.
Es waren Zeiten, in denen das Wort, ich bin ein Chriſt, fuͤr ein Verbrechen galt, um deſſen willen vielen frommen Menſchen das Haupt vom Rumpfe geſchlagen, oder auf eine andere grauſame Art das Leben genommen worden. Jetzt haben wir die Freiheit, uͤberall zu beken⸗ nen: ich bin ein Chriſt.
Fuͤr dieſe Gnade, daß wir uns frei zum Evangelium bekennen duͤrfen, zu danken, ſind wir heute in dieſem Tempel zuſammengekommen. Dazu iſt er eingeweihet, daß wir frei anbeten, frei Gottes Wort hoͤren, frei dem oͤffentlichen Gottesdienſte beiwohnen, frei lobprei⸗ ſen duͤrfen.
Dieſe Einweihung feiern wir heute. Um dieſe Feier recht wuͤrdig zu begehen, laͤſſet die Kirche das Evan⸗ gelium vom Zachaͤus vorleſen.
Und von dieſem Evangelium werde ich das ſagen, was ſich auf die Feier der Kirchweihe anwenden laßt.
Es iſt eine große Gnade, daß ich das Evangelium
frei verkuͤnden darf, und daß ihr es ungehindert hören koͤnnet. |
6
Möchten wir dieſe Gnade recht erkennen und dafür dankbar ſeyn! Um dieſe Gnade bete ich, nach dem Its halt des ſchoͤnen Kirchengebetes: „Daß Jeder, der in dieſe Kirche kommt, um das bitte, was ihm gut iſt, un d das erhalte, um was er bittet!“ Ane
*
A. Inhalt des Evangeliums Luk. XIX, 1— 10. Ri
Es wird uns darin das Verhalten Zachaͤus, und das Verhalten Jeſu geſchildert, beides iſt lehrreich. |
Das Verhalten des Zachaͤus. f
N re N | f Zachaͤus hatte eine edle Wißbegierde, wollte Jeſum kennen lernen. Er haͤtte wohl auch, wie vielleicht viele ſeiner Zeitgenoſſen denken koͤnnen: „Ich bin reich, und will mich meines Reich⸗ thums freuen: was frage ich nach dem armen Jeſus? es laͤuft ihm doch nur das duͤrftige Volk nach: die Reichen ſchaͤmen ſich feiner: die Gelehrten, die Pharifäer find auch nicht in ſeinem Gefolge.“ Allein er wollte Jeſum ſelbſt ſehen. Er hat gewiß Vieles gegen Ihn ſagen hoͤren; er wird auch manche Laͤſterungen gegen denſelben mit ſei⸗ nen Ohren gehoͤret haben: Jeſus ſchaͤnde den Tem⸗ pel, entheilige den Sabbath, verachte den Mo⸗ ſes, ſey nicht gut juͤdiſch geſinnt, habe nicht in Schulen gelernt: er haͤtte alſo wohl auch mitlaͤſtern koͤnnen. Allein er wollte Jeſum ſelbſt ſehen und ken⸗ nen lernen. Und weil er vor dem Volke nicht dazu kom⸗ men konnte, Jeſum zu ſehen: ſo ſtieg er auf einen Maul⸗ beerbaum, um Ihn zu ſehen. Dieſe Begierde kam von Gott, und fuͤhrte zu Gott. Dieſe Begierde war nicht eitle Wißbegierde — denn ſie hat ſchoͤne Fruͤchte gebracht. ; Das war alſo recht ſchoͤn an Zachaͤus: Er wollte Jeſum kennen lernen, und ſelbſt ſehen.
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Wo wir ſelbſt ſehen koͤnnen, da wollen wir nicht fremden Geruͤchte glauben; wollen Perſonen, die
von Andern verachtet werden, nicht deßwegen auch ver⸗ | achten, weil fie von Andern verachtet werden; wollen uns das Wort des Juͤngers Philippus an Nathanael empfoh⸗ len ſeyn laſſen: Komm' und ſieh' — wollen feln
* 4 2.
i Zachaͤus machte ſich die Gegenwart ge zu Nutze, und uam, Ihn auf die edelſte, allerbefte Weiſe — gab Ihm ſein Einziges — ſein Herz. Jeſus 4 lie nicht Speiſe und Trank, Jeſus wollte die unſterb⸗ liche Seele des Zoͤllners der Wahrheit gewinnen. Dieſe gab Zachaͤus in die Hände des Erretters. Zachaͤus hatte bisher das Geld geliebt, und mehr geliebt als die Ge⸗ rechtigkeit, und mehr geliebt als die Armen. Aber nun, angezogen von dem allmaͤchtigen Strahle, mit dem ihm Jeſus in die Seele leuchtete, opfert Zachaͤus ſeine Geldliebe dem goͤttlichen Gaſte auf. Die Hälfte mei⸗ ner Guͤter gebe ich den Armen: das Ungerechte erſtatte ich vier faltig.
Das heißt Jeſum bewirthen: Ihm das Herz ſchenken, feinen. beſten Wunſch erfüllen. Dias heißt großmuͤthig ſeyn: das Schwerſte, das Wichtigſte thun, und das Wichtigſte ganz thun.
Alles Uebrige wuͤrde dem Zoͤllner wenig genuͤtzt haben.
Er that, was er konnte und ſollte, riß ſein Herz von der Geldliebe weg.
Wenn er hundert Reiſen nach dem Tempel zu Jeru⸗ ſalem gethan hätte, hätte aber nachher mit ſeinem Herzen dem Gelde gedienet, wie vorher: ſo wuͤrden ihm die hun⸗ dert Reiſen ſo viel als nichts genuͤtzt haben. Wenn er mit ungebeſſertem Herzen Jeſum hundertmal und auf's Praͤchtigſte bewirthet hätte: fo würde ihm dieß Bewirthen fo viel als nichts genügt haben. Aber das nuͤtzte ihm, daß er that, was Jeſus haben wollte.
Wir ſehen auch daraus, daß der, welcher ſich wahr⸗ haft zu Gott bekehrt, ſich nicht karg und angſtlich nur m dem entſchließet, was gerade nothwendig if. Wenn
*
0
Zachaͤus geſagt haͤtte: ich will das ungerechte, Gut Peer geben; fo viel fremde ift, ſo viel gebe ich zuruck: fo wäre es an ſich genug geweſen. Aber die rechte Liebe gegen Gott begnuͤgt ſich nicht mit dem Vorgeſchriebenen; fie thut mehr, als vorgeſchrieben iſt; fie giebt vierfältig. Un fie giebt nicht aus Zwang, ſie giebt — aus Liebe, fie giebt mit willigem Herzen. Was dem ungebefjertei Herzen eine harte Pflicht, ein bitteres Soll iſt: du f ollſt zurüdgeben: das iſt dem gebeſſerten Herzen ei leichte und eine Freudenſache: ich gebe willig — und vierfaͤltig zuruͤck. | * * 4
Das Verhalten Jeſu. 1.
Jeſus ließ ſich die ſchoͤne Wißbegierde d Zachaͤus gefallen, blickte freundlich auf d Maulbeerbaum, lud ſich ſelbſt bei Zachaͤus zu Gaſt, und kehrt bei ihm ein, und achtete de ; Murrens der Leute nicht. So freundlich war Jeſus. u
Waͤre Jeſus muͤrriſch geweſen, wie wir fo oft find: fo hätte ihn die Wißbegierde des Zachäus nicht ge⸗ ruͤhrt — Er waͤre kalt vorbeigegangen. Aber die — konnte nicht muͤrriſch ſeyn. .
Waͤre Jeſus träge geweſen, wie wir fo oft fi 15
ſo haͤtte Er ſich mit der Bekehrung des Zachaͤus nicht zu ſchaffen gemacht — waͤre kalt vorbeigegangen. Ab die Guͤte konnte nicht traͤge ſeyn. Weil Er gut war: ſo war Er freundlich, und weil Er freundlich war: 1 bemerkte Er den Eifer des Zachaͤus mit Wehtgeale, und ging in fein Haus. Hätte Jeſus auf die Ehre vor Menſchen geſehe ſo haͤtte er wohl auch gedacht: das iſt ein Suͤnder: b \ dieſem einzufehren macht mir keine Ehre — wäre k vorbeigegangen. Aber die Guͤte konnte nicht ehrgeizig fe I.
Jeſus war die Güte ſelbſt, war gut, wie ſein im Himmel.
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8 5 |
72 Jeſus that mehr, als Zachäus wollte. Zachäus wollte Jeſum nur von Perſon kennen lernen; Jeſus brachte den rechten Segen in das Haus Zachaͤus, offenbarte feine Gnade an der Seele ſeines Wirthes; gieng nicht aus dem Hauſe, bis Zachaͤus fromm und gut warz wandelte das Herz des Suͤnders, und ſchuf ihn zu einem Sohn Abrahams um — ſuchte, was verloren war, und machte ſelig, was elend war. So barmherzig und ſo allmaͤchtig war Jeſus; barmherzig, daß Er ſich des Suͤnders erbarmte, ihn ſelig machen wollte; allmaͤchtig, daß Er ihn ſelig machen konnte.
Jeſus kann Herzen um andern, und will Herzen umaͤndern.
Jeſus kann und will die Geizigen freigebig, die Harten weich, die Kinder des Verderbens zu Kindern Abrahams machen. Und was Er will, das kann Er.
B.
Anmenbung des Evangeliums auf die Feier der 8 Kirchweihe.
1.
Wenn Zachaͤus ſich ſo viele Muͤhe gab, Jeſum zu ſehen: ſo muͤſſen wir auch das Wort Gottes, das Jeſus in unſern Kirchen durch feine Diener ver kuͤndet, fleißig anhören, da wir Jeſum doch nicht ſehen koͤnnen.
Wenn hundert Kranke einen Menſchen kenneten, der fie geſund machen koͤnnte und wollte — und nicht zu ihm gehen oder ihn nicht zu ſich rufen wollten: was daͤchten wir von ihnen? Und nun Gott kann und will uns durch ſein Wort geſund machen, das Er uns auch in unſern Kirchen verkünden läßt: und wir wollen es nicht hören? Zachaͤus flieg auf den Baum, um Jeſum zu ſehen, und Viele heben keinen Fuß auf, um zur Predigt zu kommen. J. M. v. Sailers ſämmtl. Schriften. XXXV. Bd. 15
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Ich habe in den Herbſtferien vorigen Jahres etwas bemerkt, das mir ſehr mißfallen, und um recht aufrich ig zu ſeyn, will ich es hier oͤffentlich ſagen. Es kommen viele Buͤrger und Buͤrgerinnen dieſer Stadt erſt unter 1 der Predigt in die Kirche; die Kirchenthuͤre geht immer auf und zu — und verräth die, welche zu ſpaͤt kommen. Dieſe Gewohnheit iſt erſtens dem Prediger hoͤchſt une angenehm. Er muß nicht ohne Wehmuth glauben, daß die Speiſe des Leibes bei ſeinen Zuhoͤrern mehr gelte, als die Speiſe des Geiſtes. Denn zu Tiſche 9 men die Geladenen eher zu fruͤhe, als zu ſpaͤt — abe zur Predigt kommen die Geladenen eher zu ſpaͤt als zu frühe Dieſe Gewohnheit iſt zweitens euch ſelbſt nachthei⸗ lig. Die Traͤgen hoͤren das Ganze nicht, und ſtoͤren noch dazu die fleißigen Zuhörer, die es gerne hören moͤchten.
Diefe Gewohnheit entehrt drittens dieſe Stadt. Denn ſie zeuget von einer Geringſchaͤtzung des goͤttlichen Wortes, und wie ein Menſch das Wort Gottes ſchaͤtzt 5 ſo iſt der Menſch. 1
Es iſt zwar die Sache noch lange nicht gethan, wenn ihr zu rechter Zeit in die Predigt kommet, und es iſt die Predigt nicht die einzige Weiſe, das Wort Gottes in die Herzen der Menſchen zu legen. Aber wenn ihr das Kleinere nicht thut, wie werdet ihr das Groͤßere thun? O, wie ſchoͤn iſt's, wenn beim erſten Worte des Predigers ſchon das ganze Volk verſammelt iſt! Das habe ich in Warthauſen geſehen: moͤchte ich es auch 9 Fuͤſſen ſehen koͤnnen!
Liebes Volk, verzeih mir dieſen Wunſch — und 1aß ihn nicht umſonſt ſeyn, denn er will dein Gluͤck! Und; die Bewohner dieſes Stiftes haben mich nicht 3
von dieſer Sache zu reden. Was ich tagte, kam a meinem Herzen. 2. | Wenn Zach aus Jeſum ſo edel % und ihm ſein Herz — das Beſte, was er hatte, hingab: ſo muͤſſen wir Ihn uͤberall und beſo ders auch in den Kirchen beſuchen, unſer Hei Gott W den Altar Koen — oder lieber 0
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. feinen Schooß niederlegen. Gott will von uns geliebt ſeyn; Gott will von ganzem Herzen geliebt ler. Wer Ihn lieb hat, und von ganzem Herzen lieb
der hat den rechten Gottesdienſt. Und wer Ihn icht liebt, oder nicht von ganzem Herzen liebt, der kennt ben rechten Gottesdienſt nicht.
Gott will das Herz, das muͤſſen wir ihm geben: außer dem haben wir keine rechte Tugend, kein rechtes bean, keine rechte Seligkeit. Dieß will Jeſus, und ſpricht als die Weisheit des Vaters zu Jedem aus uns: Sohn, gib mir dein Herz! Es muß unſer Herz zum Dienſte Gottes eingeweihet werden, wenn wir die Kirchweihe wuͤrdig feiern wollen.
Und wenn Jeſus heute unſre Haͤuſer ſichtbar beſuchte, denn unſichtbar iſt er uͤberall in Mitte, wo ſich zwei in ſeinem Namen zu ſeiner Ehre vereinigen: ſo wuͤrde Er von uns fordern, was Er von Zachaͤus gefordert 1 80 das Herz.
Wie Er zu Zachaͤus wird we haben: Wer das Geld mehr liebet, als mich, der kann nicht mein 2 zuͤnger ſeyn: ſo wuͤrde Er ſagen | zum Hochmuͤthigen, Eiteln: wer bie Ehre vor = enfchen, die Eitelkeit mehr liebet als mich, kann mein Mager nicht ſeyn;
zum ſinnlichen Menſchen: wer Speiſe und Trank nd Wolluſt des Fleiſches mehr liebt als mich, kann fein Juͤnger nicht ſeyn;
zum Neidiſchen oder Rachgierigen: wer ſeine N görichren Neigungen mehr liebt als mich, kann mein dae nicht ſeyn.
9 Das Herz will Jeſus: Ihn ſollt ihr mehr als Geld, 8 Sinnenluſt, als Menſchenehre ꝛc. lieben.
und wenn wir etwa noch zoͤgern moͤchten, dieſe Heim⸗ ü ichung Jeſu anzunehmen, und ſeinen Worten zu folgen, 0 denken wir an die Stunde, in der Er als Richter
wiederkommen, und als Richter belohnen — und * u. 15
— 228 —
Richter ſtrafen wird. Dieſe letzte Heimſuchung mag un
ermuntern, uns die fruͤhern zu Nutze zu machen. 1
Es frage ſich Jeder: was verlangt Jeſus von air
— und dazu entſchließe fi f ch Jeder. 5 9 0 *
3. „ 1
Wenn Jeſus, erhoͤhet zur Rechten feine Vaters — gewiß noch diefe Stunde, eben ſ freundlich und barmherzig gegen alle Suͤnd iſt, und fo allmaͤchtig, wie er ſich einſt 4 Erden und gegen Zachaͤus bewieſen hat: f ſollen wir keine Gelegenheit vorbeilaſſe uns ſeine Freundlichkeit und berwbettiale und Macht zu Nutze zu machen. 1
Freundlich und barmherzig ladet uns Sof zur Buße, und moͤchte uns zu Kindern feines Bateı machen — Er geht uns nach, wie Er einſt Zack nachgieng. 5
Durch Prediger, Beichtvater, Freunde, gute Sh ten, Stimme des Gewiſſens, und andere Einfluͤſſe de Geiſtes ſpricht Er zu uns, was Er einſt zu Zachauı ſagte: Ich bin gekommen zu ſuchen und ſelig 5 machen, was verloren iſt.
Und wie Er einſt in des Zachaͤus Haus als Sal und Freund einkehrte, ſo kommt Er auch in dem heilige Abendmahle, als ein goͤttlicher Freund, barmherzi und allmaͤchtig, zu uns, und will uns zum Gute ſtaͤrken, zum goͤttlichen Leben neulebendig machen. 45
So freundlich, ſo barmherzig, ſo allmaͤchtig, wie E einſt half: ſo hoͤrt Er noch jede Bitte, und kann gal und will uns auch, zu unſerm Beſten, helfen. En
Dieſe Freundlichkeit, dieſe Barmherzigkeit, dieſe Ma Jeſu fol uns Muth einflößen, daß wir mit Vertraue zu Ihm hinzutreten, fo oft wir dieſe Kirche betreten
oder ſonſt an Ihn denken. 3
Er iſt der naͤmliche Fe us, ſich immer gleich freundlich und mild wie fein Vater, barmherzig und mäd tig wie dieſer, das ſchoͤnſte Bild des Vaters.
1 5 129 5
Seine Freundlichkeit erſcheine uns am Morgen bei'm ifſtehen, und feine Barmherzigkeit begegne uns am ende beim Niedergehen! Seine Güte erquicke uns bei g — und wenn einſt für uns die Nacht kommt, in Niemand wirken kann, dann erſcheine uns die Freund⸗
hkeit unſers Herrn im hellern Lichte, daß wir, belebt 5 feinem Leben, nicht ſterben — auch wenn wir ſter⸗ ben, und die Umſtehenden an unſerm Tode den ſchoͤnſten eweis von der Freundlichkeit Jeſu ſehen!
* & *
BB Schluſſe muß ich noch eines nachholen, das wir n Zachaͤus lernen und heute vorzuͤglich ausüben ſollen.
Es iſt eine Gewohnheit, daß wir an dem Kirchweih⸗ fefte beffer eſſen und trinken als ſonſt. Nun follen wir auch Jeſum zu Gaſt bitten, und freudig aufnehmen, wie Ihn Zachaͤus aufnahm. Und da wir Ihn perfönlich Bricht bewirthen können: fo wollen wir Ihn in feinen men pewinipeikt
— 230 —
„ | Homilie über die Gleichnißrede vom Hochzeitmable;
gehalten zu Pfronten im Allgäu, am xIx. Sonntage Pie en 1791.
Eine Blinde, die es nur am Auge des Leibes iſt, behielt den Geiſt der voranſtehenden Predigt, die vor einem Jahre gehalt ward, und konnte mir den Inhalt derſelben noch nach eine i Jahre erzählen — mit ſichtbarer Freude an der Wahrhei Ihr Gewiſſensfreund wird ihr auch dieſe Predigt vorleſe
damit ihr auch auf dieſem Wege — ein unerwarteter froh Augenblick bereitet werde. =
Es iſt nun ein Jahr vorbei, ſeitdem ich dieſer Gemeinde das erſtemal das Evangelium verkuͤnden konnte. e Gott, der mir voriges Jahr die Freude gegoͤnnet, an dieſem Orte von Ihm zu reden, ſey dafuͤr gelobt, daß wir einander geſund wieder ſehen. Von Ihm will i wieder reden, und ihr wieder hoͤren — von Ihm nach Anweiſung ſeines Evangeliums. *
Die Gleichnißrede Jeſu vom Hochzeitmahle Math, XXII. Luk. XIV.) malet uns lebhaft 4
Erſtens: die Guͤte Gottes, mit der Er uns All zu ſich ladet; |
Zweitens: das Verhalten der Menſchen gegen Einladung ihres Gottes;
Drittens: die Gerechtigkeit Gottes, mit der die Geladenen behandelt.
Guter Gott! gut, weil Du Gott, und Go weil Du gut biſt! Laß die Einladung deiner Güte au in dieſer Stunde, auch durch mich, an dieſe deine Ki der kommen, und laß ſie nicht umſonſt ſeyn, damit deine Guͤte geben kann, wozu ſie jetzt einladet, und |
wu ee 2
1 dem Beſitze inne werden, was wir jetzt nur glauben, — — — daß Du gut, der Alleingute, Gott biſt, reich für Alle, die Dich anrufen, und felig in Dir ie» eine Quelle der Seligkeit für Alle, die fie in Dir
14 Die Site Gottes, mit der Er uns zu fih ruft. Gott ruft, Gott ladet ein: wer ſollte auf dieſen Ruf nicht aufmerkſam ſeyn? Der Vater ruft: Kinder! horchet alle! Gott ladet ein — Er kann zu keinem Uebel einla⸗ den, denn Er iſt gut. | Gott Iadet ein— Er kann zu keinem geringen Gut j einladen, denn Er iſt das allerbeſte Weſen. N Wenn dich dein beſter Freund einladet, ſo kommſt du gerne. Und nun ladet dich Gott, und du kaͤmeſt nicht? | 8 1 b Gott ruft uns, ladet uns zum allerhoͤchſten Gluck ein. Jeſus ſtellet dieſes Gluͤck vor unter dem Bilde der Freude bei einem Hochzeitmahle. Es iſt die vollkom⸗ menſte Vereinigung der Menſchen mit Gott, mit ihrem hoͤchſten Gut — wozu uns Gott eigentlich einladet. Das hoͤchſte Gut gönnt uns das hoͤchſte Gut — ſich ſelbſt. Wir Alle ſind geſchaffen, und werden eingeladen zur agen Seligkeit. Gott kennen, lieben, und in dieſer Liebe ſelig ſeyn ... das iſt das hoͤchſte Gluͤck, wozu uns Gott eins ladet. Dazu ſollten wir in dieſem Leben vorbereitet und äche gemacht werden. Wie ein Braͤutigam ſeine Braut liebet: ſo liebet uns 6 gott — will unſre hoͤchſte Freude werden. Mit Gott ſollen wir vertrauten Umgang haben, Eines werden — hi r im Glauben, dort im Schauen, hier in Hoffnung, im Genuß, hier in Liebe mit Pein und Dunkel ermiſcht, und dort in Liebe ohne Dunkel und Pein.
.
Dieſe Seligkeit fängt Jeſus hier ſchon in den Seinen an, und vollendet fie dort. Er fängt fie hier ſchon an; Wer mich liebet, der wird mein Wort halten, und mein Vater wird ihn auch lieben, und wir werden zu ihm kommen und Herberge bei ihm nehmen. Joh. XIV, 28, Er vollendet ſie dort: Vater, ich will, daß, wo ich bin, auch die ſeyen, die du mir gegeben haſt — ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hafk Joh. XVII, 22. 24.
Wenn euch ein redlicher Nachbar zu einem tem lichen Mahle einladet: ſo kommet ihr, und freuet euch, einen ſolchen Nachbar zu haben. Und euer Gott, der die Seligkeit ſelbſt iſt, will dieſe Seligkeit mit 9 he len — und ihr kaͤmet nicht?
x 1 „ 3 Gott ruft, ladet uns Alle. |
Er ladet die Kinder zu fih: Laßt die Kleinen zu mir kommen, denn ihrer iſt das Himmelreich.
Er ladet die Juͤnglinge zu ſich: Sohn! gib mir dein Herz. Die Juͤnglinge ſollten Ihm ihre Jugend weihen, Ihn kindlich fuͤrchten, auf Ihn trauen, vor Ihm beten, Ihm — nicht der ſinnlichen Luſt an haͤngen.
Er ladet die Jungfrauen zu ſich: Tochter! gib mir dein Herz! wo dein Schatz, da dein Herz. Die Toͤchter ſollten darauf ſehen, wie ſie dem Herrn ge⸗ fallen, und nicht, wie den Menſchen; ſie ſollten in Zucht und Keuſchheit dem Herrn dienen, und nicht der Wolluſt.
Er ladet die Männer und Weiber zu ſich: Laß ſet euch von aller Befleckung des Fleiſches und des Gei⸗ ſtes reinigen, und in der Furcht Gottes heiligen. II Kor, VII, 1. Der Eheſtand ſey euch keine Decke der Suͤnde, ſondern ein Weg zu Gott. Liebet einander, wie Chr ſtus die Kirche! 2
Gott ladet die Greiſe zu ſich: wandelt wie meon unſtraͤflich vor dem Herrn, und lebet vor Herrn, um im Herrn zu ſterben. Die Greiſe ſollten die
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letzten Tage ihrem Gott opfern, und hereinbringen, was der Leichtſinn in fruͤhern Jahren verfäumt hat.
Gott ladet Alle zu ſich, Reiche, Arme, Sünder, Ge⸗ rechte, Schwache, Starke — denn Er iſt der Einige et, und Vater aller Menſchen.
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F * Gott ladet uns auf mancherlei Weiſe zu ſich. Alles, was uns zu Gott fuͤhrt, iſt eine Einladung von Gott 1 Er ladet uns zu ſich durch Menſchen, die ſeinen 2 Willen kennen und vollbringen, und durch Engel, die ermahnen und warnen, die rathen und helfen, wo die Menſchen nicht ermahnen, warnen, rathen, helfen koͤnnen; durch Freuden, die uns zu verſtehen geben, wie gut der Geber ſelbſt ſeyn muͤſſe, wenn ſchon feine Gaben fo freundlich ſind, und durch Leiden, die uns recht ver⸗ nehmlich zu Herzen reden: wen ich liebe, den zuͤchtige ich; durch das Evangelium, welches als eine Bots ſchaft des Herrn gerade zum Herrn weiſet, und durch die Diener des Herrn, die nach dem Evangelium reden und leben; durch die ſichtbare Welt, die fo viele Spuren der Allmacht und Weisheit in ſich traͤgt, und durch die unſichtbare Welt, davon uns die heiligen Schriften ſo viel Schoͤnes und Großes erzaͤhlen, und unſer Herz fo viel ahnen laſſen; durch die Stimme des Gewiſſens, das im Namen Gottes lehret und richtet, lobt und ſtraft, gebeut und verbeut, und durch den heis ligen Geiſt, der die Frommen in alle Wahrheit im⸗ mer tiefer einleitet; durch dieſes Leben, das fo veraͤn⸗ derlich wie der Wind, und durch den Tod, der ſo ger wiß kommt, als gewiß es iſt, daß wir leben.
* * *
Die
13 Gott ruft uns zu allen Zeiten dieſes Lebens.
Gott wird nie muͤde, ſchlaͤft und ſchlummert nicht, ruft uns am Morgen und am Abend, bei Tag und
— 233 — 1
Nacht, in RR Mittags s und Mitternachtsſtunde, in den Arbeits ⸗ und Erholungsſtunden, an Ruhe⸗ und Arbeits ⸗ tagen. Die Luft iſt immer da, in und außer uns: a. iſt allgegenwärtig, und ruft überall, in uns und aun uns.
O, daß wir dieſen Ruf immer wen und ihm folgten ! 1
Die Sonne leuchtet uns nur bei Tag: aber Gott iſt ein Licht, das uns nie untergeht — wenn wir die Strahlen auffaſſen wollten, und jeder Lichtſtrahl Ost tes iſt ein Ruf Gottes.
Gott iſt wahrhaftig gut; denn Er will uns auch gut durch ſich, und ſelig in ſich haben. Dazu ruft ruft Alle, ruft auf mancherlei Weiſe, . zu allen un Je
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7 9 Das Verhalten der Geladenen,
Einige Menſchen nehmen die Einladung nicht au, und bringen allerlei eitle Ausfluͤchte vor. Luk. N 16 — 24. ;
„Ich habe einen Acker gekauft; muß ihn beſehen. Ich habe fünf Joch Ochſen gekauft; muß fie probiren. Ich habe ein Weib genommen; kann nicht kommen.“
Es gibt Meuſchen, die ihr Herz von den Sorgen und Freuden dieſes Lebens ſo ſehr einnehmen laſſen, daß ſie nicht wohl Zeit finden, an Gott und an ihre un⸗ ſterbliche Seele zu denken. Sie nehmen den Ruf Got⸗ tes an ihre Seele nicht an. Sie lieben das Irdiſche, als wenn ſie ewig da bleiben koͤnnten. Und doch ver⸗ modert einſt ihr Leib, fuͤr den ſie jetzt allein ſorgen. Und doch muͤſſen ſie n die Erde verlaſſen, an die ſie jetzt allein denken.
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* » * 5 755
Andere nehmen die Einladung auch nicht an, un ; hoͤhnen noch darüber, mißhandeln die, welche fie im Na⸗ men Gottes einladen. Matth. XXII, 6.
1
Dieſe find ſinnliche und ſtolze Menschen, dop⸗ | 5 elend, erſtens, weil ſie dem Ruf Gottes nicht fol⸗ gen; zweitens, weil ſie die Diner Gottes, durch die Er ruft, verſpotten. | DO, m. Th. ehret die, die euch Gottes Wort verkuͤn⸗
den! Wer ſie ehret, ehret den Sohn. Wer den Sohn ehret, ehret den Vater. Wer den Vater ehret, den ehret der Vater wieder. Aber ehret ſie vorzuͤglich dadurch, : daß ihr Gottes Wort, das ſie euch verkuͤnden, als Got⸗ tes Wort aufnehmet, bewahret, vollbringet.
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Wieder Andere nehmen die Einladung an, aber ge⸗ ben ſich keine Muͤhe, wuͤrdig zu erſcheinen — haben kein hochzeitlich Kleid.
Es gibt Menſchen, die wollen und nicht wollen, fie machen Vorſaͤtze, aber unterliegen vor der Ausfuͤh⸗ rung, kommen, aber kommen ohne hochzeitlich Gewand. | Das hochzeitlihe Gewand iſt die Liebe gegen Gott, die ſeinen Willen thut. Dieſe ziert die Seele, und macht uns des ewigen Lebens wuͤrdig. Dieſe thut das Gute, das wir ſollen, und leidet das Widrige, das uns begegnet; dieſe will nur Gutes, und hoffet uͤberall das Beſſere, und hält ſich ſtandhaft an das befte Weſen. | Ohne diefe Liebe fehlet uns der rechte Schmuck in den Augen Gottes, und den Mangel dieſes Shmudes
kann kein aͤußerlich Werk erfegen. Wem die Liebe fehlet, dem fehlet das hochzeitliche Gewand. a * * 2.
' Einige nehmen die Einladung an, und erfcheinen wuͤrdig, im hochzeitlichen Gewande.
Dieſe ſind die Lieblinge des Himmels, nehmen das Wort Gottes auf, und laſſen es Fruͤchte bringen; ſind gut, und thun Gutes; thun Gutes — und aus Liebe; wollen — was ſie ſollen, und vollbringen es mit ue; beten — und mit ganzem Herzen; leiden —
— 250 —
und mit Geduld; arbeiten — und denken dabei an Gott; denken an Gott, und halten ihr Herz ohne 4 terlaß zu Ihm; meiden das Boͤſe — und ſtandhaft und ſehen auf zum Himmel, und nehmen von da Kraft, des Himmels wuͤrdig auf Erden zu leben. 4 Das iſt eine kurze und wahre Lebensbeſchreibung Menſchen, an die der Ruf Gottes gelangt. Ein Theil widerſteht der Einladung, und kommt nicht; ein anderen Theil widerſteht der Einladung und den Botſchaftern, nehmen die angebotene Wohlthat nicht an, und laͤſtert noch ihre Wohlthaͤter dazu; ein dritter Theil nimmt die Einladung an, und kommt, aber un wuͤrdig des Herrn, der ihn ruft, und der Freude, wozu er gerufen ward; ein vierter Theil nimmt die Einladung an, kommt — und kommt, wie ihn der Herr haben will, dankbar des Rufes wegen, und faͤhig die Freude zu genießen, wozu er gerufen iſt. Moͤchten wir doch Alle zu daß vierten Theile der Menſchen gehoͤren! | *
Die Gerechtigkeit Gottes.
Gott ſtrafet die, welche die Einladung nicht amt men. Ich kenne euch nicht. Ich ſtand vor eurer Thuͤr und klopfte, und ihr ließet mich nicht hinein: nun erntet ihr, was ihr geſaͤet — Ich kenne euch nicht.
Wer mich vor den Menſchen verläugnet, den werde Ich vor meinem himmliſchen Daten N verlaͤugnen. Y
* 5 * Ä 1
Gott ſtrafet die, welche die Boten, die ſie einluden, noch daruͤber verhoͤhnten. Wer meine Geſandten ver⸗ achtet, der verachtet mich — Ich kenne euch nicht.
Ich ſtreckte den ganzen Tag die Arme gegen euch aus, ihr aber kamet nicht — Ich kenne euch nicht. 4
* Kr! * f 9 Gott ſtrafet die, welche nicht im hochzeitlichen Ge 2 wande erſcheinen. ö
— BE —
. mit ihm in die Anger Binfernif
1% Wer der himmliſchen n nicht fähig iſt, wo
lte er himmliſche Freude finden? Der Gute hat nur
eude am Guten, und wie der Menſch iſt, fo iſt feine
eude: wie ſollte nun der Boͤſe Freude am Allerbe⸗ n haben? Der Reine kann Gott ſchauen: wie ſollte Unreine dieſen Anblick ertragen?
Wer die Liebe nicht hat, kann den Segen der Liebe, g Himmel nicht haben; wie ſollte der Gaſt ohne ges Gewand, Freude genießen, fuͤr die er kei⸗ nen Sinn hat? wie ſollte er auf ſeinem Felde ernten, da er auf ſeinem Felde nicht geſaͤet hat, und keine beſſre Hand ſaͤen ließ? Hinaus mit ihm in die aͤußerſte Fin⸗ ſterniß. Er folgte dem Lichte nicht, das ihm Impeie: darum werfet ihn in die Finſterniß!
* & *
Gott laßt alle die, welche im hochzeitlichen Gewande erſcheinen, zum Hochzeitmahle feines Sohnes zu.
„Kommt, ihr Geſegnete — in das Reich meines Va⸗ ters. Seht! das Almoſen, das ihr in Liebe gegeben, iſt aufgeſchrieben — ſoll euch vergolten werden mit Reichthum. Alles Gebet, das ihr in Liebe verrichtet, iſt aufgeſchrieben — foll euch vergolten werden mit Macht. Alle Arbeit, die ihr in Liebe gethan, iſt aufgeſchrieben — ſoll euch vergolten werden mit Ru he. Alle Leiden, die ihr in Liebe erduldet, ſind aufgeſchrieben — ſollen euch vergolten werden mit Seligkeit. Alle Schmach, die ihr in Liebe gelitten, iſt aufgeſchrieben — ſoll euch ver⸗ golten werden mit Herrlichkeit. Alle Verlaͤugnung eurer ſelbſt, die ihr in Liebe euch ſelbſt geboten, iſt aufgeſchrieben — ſoll euch vergolten werden mit Ge⸗ nuß. Alle Armuth, die ihr in Liebe ausgeſtanden, iſt B aufgeſchrieben — ſoll euch vergolten werden mit Ue⸗ berfluß. Das hoͤchſte Gut belohnet fein Werk —
— 18 —
das Gute am Menſchen.“ O heilige Gerechtigkeit, wie gütig bift du!
— — Aber, wenn biefe Predigt die letzte Eins ladung des Könige zum Hochzeitmahle ſeines Sohnes fuͤr uns waͤre: haͤtten wir Muth genug, in dem Zu⸗ ſtande, in dem wir wirklich ſind, vor dem Könige au erfcheinen ?
Könnten wir hoffen, das Wort des Troftes: K ihr, meine Freunde! aus dem Munde ſeines Soh⸗ nes zu hoͤren? Oder müßten wir etwa fuͤrchten, das Wort des Jammers: Ich kenne euch nicht, aus ſeinem Munde zu A
Und, wenn wir in dem Zuſtande unſers Gemuͤthes, in dem wir uns wirklich befinden, nicht Muth haͤtten zu ſterben: wie haben wir Muth, in demſelben noch Pr ger zu Aden N
— 239 —
4 „ Die Verklärung unfers Herrn. 1 | Matth. XVII, 1—9.
Homilie,
gehe lten in der Pfarrkirche zu Friſtingen am zweiten Faſten⸗ | fonntage 1792. |
Wenn in dir Alles rein ift: So iſt auch Alles helle für dich.
Wir ſind da, um unſerm Gott zu danken, daß Er euch aus einer großen Waſſersnoth erloͤſet. Um unſerm Gott don ganzem Herzen dafuͤr zu danken, duͤrfet ihr nur ſein Wort hören und vollbringen.
Damit ihr Gottes Wort hoͤren koͤnnet, will ic es, unter Gottes Beiſtande, verkuͤnden, und damit ihr's voll a Pe wird Gott fein Gedeihen dazu geben, wie Er auch 0 Samen darreichet. 5
Das Wort Gottes an euch ſey heute die Geſchichte, die Matthaͤus im XVII. Hauptſt. erzaͤhlet, und die in
ens vorgeleſen wird.
Die ganze Geſchichte iſt fuͤr unſer Herz, aber beſon⸗ del ers die himmliſche Stimme, die im beſondern Sinne
5 Wort iſt. Darum will ich euch zuerſt die
ganze Geſchichte erzählen, und dann etwas von dem großen Sinne der himmliſchen Stimme euch recht klar zu machen ſuchen. Hoͤret, damit ihr's vollbringen koͤnnet! Und, damit ihr's hoͤret und vollbringet, dazu leuchte uns auch nur ein Strahl aus dem Antlitze unſers Herrn!
unſrer Kirche allen chriſtlichen Gemeinden am zweiten
— 240 —
Die Geſchchee der Verklärung. | 1
„Jeſus nahm (ſeine vertrauteſten Juͤnger) Pet und Jakobus, und Johannes deſſen Bruder, mit ſich, führte fie auf einen hohen Berg, und ward vor 15 verklaͤret. Sein Angeſicht leuchtete wie die Sonne und ſeine Kleider wurden weiß wie Schnee.“ A
Wie die Sonne leuchte, das koͤnnen wir alle Tage und wie der Schnee glänze, alle Winter ſehen. Eber
heute, da ich zu euch von Dillingen herausgieng, leuch a
mir die Sonne recht mild in's Auge — um mir ein fi nes Bild von der Verklaͤrung unſers Herrn zu geben Wir koͤnnen uns alſo leicht vorſtellen, wie das Angeſi ch Jeſu voll Licht und Glanz muͤſſe geweſen ſeyn. 5 Die Juͤnger hatten bisher ihren Freund noch nie in ſolcher Herrlichkeit erblidet. Und, was fie erſt nich ſehen konnten, das mußte doch noch herrlicher geweſen ſeyn. Die aͤußere Herrlichkeit ſahen ſie, an die inner glaubten fie, und die innere iſt die rechte Herrlichkeit Wenn wir alſo leſen oder hören, daß das Angeſicht Jeſl leuchtete wie die Sonne, und die Kleider glaͤnzten win Schnee: fo muͤſſen wir nicht bei dieſem aͤußern Lichte und Glanze ſtehen bleiben, ſondern daraus lernen, wis helle und rein Jeſus in ſeinem Innern muͤſſe geweſer ſeyn. Das Licht, der Glanz kam von innen heraus Das Licht kam aus dem Geiſte Jeſu, wie die Strahler aus der Sonne: wie goͤttlich muß alſo die Seele Jeſi erleuchtet geweſen ſeyn, nachdem das Angeſicht noch glaͤnzte wie die Sonne, und die Kleider vom Widerſchein des innern Glanzes weiß wurden wie Schnee. So wirt es im Reiche Gottes ſeyn. Chriſtus ſagte es ſelbſt Die Gerechten werden leuchten wie die 952 in ihres Vaters Reich. Nun leuchtet Jeſus wie di Sonne. Es offenbarte ſich alſo in Ihm das Nei Gottes. 1 Wir koͤnnen uns alſo einen ſchwachen Begriff machen wie es im Reiche Gottes zugehen werde. Es wird Innern Licht und Licht im Aeußern, uͤberall Licht u nirgends Finſterniß fon; Wahrheit und Freude und E
— 241 —
Fr Güte und Friede und Seligkeit wird im Innern einer auserwaͤhlten Seele herrſchen, und dieſe innere Herr⸗ lichkeit wird Strahlen von ſich ausſenden, wie die Sonne. Die Seele wird in ſich voll Freude und Liebe ſeyn, und dieſe Freude und Liebe andern Geiſtern mittheilen. Wenn wir am Sterbebette eines Frommen ſtitzen, und wahrnehmen, wie er mit dem Tode ringt, und wie ſich ſthon der Geruch der Verweſung ausbreitet: da kann es uns zu Sinne kommen, wie herrlich und lieblich es doch in der Ewigkeit den frommen Menſchen ergehen werde, nachdem ſie hier mit ſo vielen Leiden zu ſtreiten und am ende noch — die Schmach und Bitterkeit des Todes erfahren muͤſſen! Dieſe Frage kann uns die Verklärung Jeſu loͤſen: Sein Angeſicht leuchtete wie die Sonne: fo werden die Gerechten leuchten: Licht und Reinheit, Friede und Freude wird ihnen werden: die Verklärung Jeſu ift ein Vorſpiel von der Verklaͤrung der Gerechten.
Der Leib des Gerechten mag hier modern, aber er, der Gerechte, wird helle leuchten wie die Sonne; hell und rein wie der Sonnenſtrahl wird es in ſeiner Seele ſeyn, und, wo dieſe innere Helle, dieſe innere Reinigkeit, da wird goͤttlicher Friede und goͤttliche Freude ohne Ende ſeyn. Wenn euch alſo, m. L., das Scheiden eurer Gelieb— ten, oder euer eigenes Scheiden von dieſer ſichtbaren Welt zu ſchwer wird: ſo denket an die Verklaͤrung unſers Herrn, ſaget zu euch: Jeſus leuchtete wie die Sonne: die Gerechten werden leuchten wie Je ſus: ſoll ich mich vor dieſer Herrlichkeit fürchten? Jeſus Chriſtus, Du Sonne aller Gerechtigkeit! mach nur Du mich rein von aller Suͤnde, damit ich nicht in das Land der Finſter⸗ niß verſtoßen werde, ſondern das Reich des Lichtes ererben moͤge: hell und rein ſey meine Seele, damit ich wuͤrdig werde, den goͤttlichen Frieden und die goͤttliche Freude zu verkoſten, womit Gott ſeine Freunde tränfet, und wos . 3 Er ſie in ſein Bild verwandelt.
* 90 *
J. M. o. Sailers ſämmtl. Schriften. X XXV. Bd. 16
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„Und ſiehe! da erſchienen ihnen Moſes und bine, and redeten mit Ihm.“
Wenn Moſes und Elias erſcheinen konnten: fo wie ten ſie leben. Es giebt alſo ein Leben nach dem Tode, und Gott iſt wahrhaftig kein Gott der Todten, ſondern der Lebendigen. Elias, Moſes, Chriſtus reden mit⸗ einander, Chriſtus unter den Propheten, wie die Sonne unter Sternen. So werden einſt die Frommen, die hier an das Beſſere glauben, und um des Beſſern willen das Widrige leiden, die oft ſchweigen muͤſſen, wo ſie das Recht hätten zu reden, — erſcheinen duͤrfen in der Ges ſellſchaft aller himmliſchen Geiſter und aller frommen Menſchen, die aus allen Himmelsſtrichen geſammelt, Ein Herz und Eine Seele — und das Reich Gottes ausma⸗ chen; werden ſehen alle Heilige aus allen Zeiten und Laͤndern; werden von den Gottloſen geſondert, in Mitte aller Freunde Gottes, Gottes Herrlichkeit von Angeſicht zu Angeſicht ſchauen; werden nicht nur Elias und Moſes in einer kurzen Erſcheinung ſehen, ſondern alle, alle reine, edle Geiſter, Menſchen und Engel, ewig, ohne Trennung, in Licht und Seligkeit ſehen und genießen koͤnnen. Da wird Chriſtus recht wie die Sonne leuchten, und alle Gerechte um Ihn her wie die Sterne glaͤnzen.—
Wohl uns, wenn wir einſt in dieſe ſelige Gemein⸗ ſchaft aller Guten aufgenommen, und an der ane, endloſen Verklaͤrung Theil nehmen werden! O, laſſet uns gut werden, das heißt, faͤhig und wuͤrdig, Ein Herz und Eine Seele mit Gott, dem hoͤchſten Gut, und allen Guten zu ſeyn!
4 5
J
FE
b E
„Da ſprach Petrus zu Jeſus: hier iſt gut * willſt du, ſo wollen wir drei Huͤtten bauen, eine fuͤr dich, eine fuͤr Moſes, und eine fuͤr Elias.“ * Daß Petrus beim Anblicke der Herrlichkeit Jeſu gutes Muthes war, das iſt ganz natürlich, und daß er ſagte, was er empfand: hier iſt gut ſeyn, das iſt eben ſo natürlich. Aber, daß er für Moſes, Elias und Chris ſtus Huͤtten auf Erden bauen wollte, da hat er wan
. — 243 —
4
nach eines freudigen Menſchen Herzen geredet, aber auch nach dem Unverſtand eines Unerfahrnen. Denn für die himmliſchen Troͤſtungen laſſen ſich er⸗ ens keine Hütten bauen; fie kommen und gehen, 0 ben ihre Heimath nicht auf Erden, ſind Kinder eines * Landes, und kommen in unſerm Thale nicht fort. d wenig der Menſch den gegenwärtigen Augenblick feſt g 8 ilten kann, daß nicht ein zweiter darauf folge: ſo wenig kann er die himmliſchen Freuden — auf Erden feſthalten, aß fi ſie nicht wieder verſchwinden. Wir muͤſſen Alle ar⸗ beiten, muͤſſen leiden, muͤſſen entbehren, muͤſſen in Zweifel, Druck, Elend bewahrt werden — denn das heißt: ein Menſch ſeyn, und wer es uns anders ſagt, hi geht uns.
Zweitens: für Moſes, Elias, Chriſtus laͤßt ſich auf Erden keine Huͤtte bauen, denn Moſes und Elias haben ihre Laufbahn ſchon vollendet, und koͤnnen jetzt nur in Gott ruhen, wie der herabfallende Stein in ſeinem Ruhe⸗ punkte — der Erde. Sie haben es ſo gut in der Hand Gottes, wie moͤchten ſie anderswo ſich noch eine Huͤtte bauen laſſen? Und, Jeſus mußte erſt noch gefangen ge⸗ m ommen, gegeißelt, verfpottet, gekreuziget werden — mußte noch ſterben, ehe Er ſeine Herrlichkeit in 0 tz nehmen konnte.
Nachdem nun Jeſus leiden mußte, und nur durch Lei⸗ in ſeine Herrlichkeit eingehen konnte; nachdem der Weg, Er dem Jeſus gewandelt, als die koͤnigliche Straße in's ewige Leben von allen feinen Juͤngern angeſehen werden muß: wie wollen wir Suͤnder eine Ausnahme von dieſem Geſetze an uns machen? Wie wollen wir fuͤr die rechte Gluͤckſeligkeit hier ſchon eine Huͤtte bauen, da ſie nur in unſerm rechten Vaterland daheim iſt?
13 Arbeiten, beten, leiden, hoffen — das koͤnnen wir. Wir haben jetzt mehr das Hoffen der Seligkeit, als die Seligkeit ſelbſt. Selig in Hoffnung, fagte Paulus, f er wußte beſſer als wir, was es heiße: ſelig ſeyn. Wir wollen alſo ihm glauben, und keinem Schwäger, der hier
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das Paradies erfinden, und für reine Seligkeiten H tte bauen will. Es iſt wahrhaftig das Land nicht N
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„Da Petrus noch redete, ſieh! da uͤberſchattete fir eine lichte Wolke. Und ſieh! eine Stimme aus den Wo ol ken ſprach: Dieß iſt mein lieber Sohn, an dem ich ein: Wohlgefallen habe: den ſollt ihr hören!‘
Dieſe Stimme kommt von dem himmliſchen Bar ter: laßt uns aufmerken — dieſe Stimme muß Wal N heit verkünden, muß eine wichtige, oder lieber gar dit wichtigſte Wahrheit verkuͤnden. Rede, Vater, deine Kin der hoͤren“n! h
Was verkuͤndet denn aber die Stimme ? Diefen (Jeſus, der Verklaͤrte) iſt mein lieber Sohn, ar dem ich mein Wohlgefallen habe. Alſo . int der Himmel nichts Wichtigers zu ſagen, als von Jeſus Und was ſagt er denn von Jeſus? Jeſus iſt ne lieber Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe! Wer iſt der, von dem der Vater ſpricht: Die ſer iſt mein Sohn, mein Geliebter, das Wohl gefallen meines Herzens? Wie rein, wie goͤttli⸗ rein muß der ſeyn, von dem der Vater ſagte: Diefen iſt mein Sohn? Es moͤgen nun die Menſchen von Jeſus ſagen, was ſie wollen: Ich glaube von Ihm was ſein himmliſcher Vater ſagt: Jeſus iſt dere Sohr des Vaters. Hi
So viel begreife ich doch: wenn ein irdiſcher Vater der zugleich als ein aufrichtiger Mann bekannt waͤre, vit ele Menſchen um ſich hätte, und von einigen fagte: dieſt ſind meine treuen Knechte, und dann von einem einzigen dieſer iſt mein Sohn: ſo wuͤrde ich dieſen Unterſchied, den der Vater ſelbſt angaͤbe, als den rechten Unterſchied gelte . laſſen. Da nun der himmliſche Vater nicht von Moſes, nicht von Elias, ſeinen treuen Knechten, ſondern von Jeſus und nur von Jeſus ſagte: Diefer iſt mein Sohn: ſo werde ich mich in dem, was ich von Jeſus glaube, wo am 1 an den Vater halten, der Stimme Det
T
bote glauben, und mit ihr bekennen: Dief er iſt Jeſus, der Sohn Gottes.
Was ſagt uns die Stimme noch? Ihn höret. Das iſt doch klar: Er iſt der Sohn Gottes, alſo ſollen wir ihn hoͤren. Er verdient es, gehoͤrt zu werden, denn 4 * der Sohn Gottes, und der göttliche Lehrer der Mens f Wen wollen wir hören, wenn wir Ihn nicht hören?
beige, ſchweiget alle Geſchoͤpfe! Rede, Du Sohn Gottes, unſer Lehrer: Dich wollen wir hoͤren! Der Va⸗ er erklaͤrt Dich als unſern Lehrer: Du ſollſt unſer Lehrer fe yn und bleiben. Der Vater weiſet uns an Dich: wir wollen deine Schuͤler ſeyn und bleiben. — Und dieß iſt E Zweck der Verklärung, und zugleich der feierlichſte Zeitpunkt derſelben. Jeſus ſollte als Sohn Gottes, und als Lehrer der Menſchen — von dem Vater ſelbſt durch die Verklaͤrung, und durch die erklaͤrende Stimme bewieſen werden. Allerdings koͤnnen wir in Moſes und den uͤbrigen Propheten manche Wahrheit kennen lernen. Aber der Unterſchied muß ewig bleiben: ſie ſind nicht unſre eigentlichen Lehrer, denn fie nahmen ſelbſt von unſerm Lehrer, und zeugten von Ihm. Auch hat uns der Vater nicht an Moſes, und nicht an Elias — ſondern an Jeſus, feinen Sohn, angewieſen. Zwar ſtanden Mo⸗ N s und Elias bei Ihm, zum Zeugniſſe, daß Jeſus der Zielpunkt des Geſetzes, und der Geiſt der Weiſſagun⸗ gen ſey. Aber wir haben doch nur Einen Lehrer, den nämlich, der die Wahrheit ſelbſt iſt, und den Geiſt der Wahrheit ſenden kann und ſendet. „„Da die Juͤnger dieß hörten, fielen fie auf ihr Anz * und fuͤrchteten ſich ſehr, und Jeſus trat hinzu, und ſprach zu ihnen: ſtehet auf, und fürchtet euch nicht. - Als ſie aber ihre Augen aufhoben, ſahen ſie Niemand als Jeſum allein.“
Sich fuͤrchten iſt menſchlich, die Furcht ber zoͤttlich. Dieß Goͤttliche offenbart ſich an Jeſus recht helle. Es iſt ſein liebſtes Wort: Ich bin's, fuͤrchtet zuch nicht. Er hat nichts Furchtbares fuͤr die Seinen, denn Er iſt die Milde ſelbſt. Aber die Heiligkeit, die den Frommen anzieht, muß ihrer Natur nach den Gottloſen
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zurückſtoßen. Sey fromm, und der ganze Chriſtus wird dir mild erſcheinen! Bleibeſt du aber gottlos, fern von Gott und der Gerechtigkeit, ohne Gott und göttlichen Sinn, ſo wird dir die Liebe ſelbſt, das iſt, Chriſtus furchtbar ſeyn. n
Ein Wort über die himmlische Sue insbefondere
| Die himmliſche Stimme iſt zugleich ein Zeugniß fun Jeſus, und ein Befehl an uns: ein Zeugniß, wer Jeſus ſey, und ein Befehl, was wir thun ſollen. Dem Zeug niſſe ſollen wir glauben, dem Befehl gehoͤrſamen. Das Zeugniß des Vaters, und der Befehl des Du ters an uns iſt dieſer: .
„Jeſus Chriſtus iſt der Sohn eures Walen und cue Lehrer: hoͤrt Ihn alſo. 72
Bei dieſem Zeugniſſe und Befehle iſt es arg 9 fragen: 1) Wie redet denn Jeſus zu uns, da wir Ih nicht perſoͤnlich ſehen, und Ihn perſoͤnlich nicht, hör koͤnnen? 2) Was redet er denn zu uns? 3) Wie muͤſſen wir ihn hören ? 4
Er redet zu uns auf mancherlei Weiſe; durch me ſchen, die fein Wort verkuͤnden; durch die Natur, d fein Werk iſt; durch das Gewiſſen, das feine Sprache in uns iſt; durch ſeinen heiligen Geiſt, den Er den Kindern ſeines Vaters ſendet; durch gute Bücher, Die von Ihm zeugen; durch Beiſpiele guter Menſchen, die Ihm nachahmen; durch Obrigkeiten, die in feinem Namen befehlen; durch Leiden, die von Ihm gerufen — gewaltſam an eurem Herzen anklopfen, damit ihr es au thut, und eurem unſichtbaren Lehrer zuhorchet; durch Waſſerfluth, die Er kommen, und wieder gehen hie 7 u. ſ. f. * Was redet denn aber Jeſus? Vieles, aber in der Vielen immer nur Eines: Liebe Gott über Alles, und den Naͤchſten wie dich. In dieſer Stimme ver⸗ einigen ſich alle Stimmen der Propheten, des Geſetzes Ehrifti, der ee und aller Zeugen der Wahrheit.
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Es iſt z. B. eine Stimme Jeſu: Gott iſt euer Vater, und alle Menſchen ſollen ein lebend Bild des Vaters ſeyn. Wenn Gott unſer Vater iſt, ſo muͤſſen wir Ihn uͤberall, und wenn alle Menſchen nach Gottes Bild geſchaffen ſind, ſo muͤſſen wir ſie wie 1 lieben. Alſo vereiniget ſich dieſe Stimme Jeſu in der: Liebe Gott uͤber e und den Naͤchſten wie dich. Es iſt z. B. eine Stimm Jeſu: Verläugne dich. Wer das Unedle, das ihn reizet, nicht verlaͤugnet, kann das Edle, das ihm winkt, nicht vollbringen — kann Gott nicht uͤber Alles, den Naͤchſten nicht wie ſich lieben. Alſo vereiniget ſich dieſe Stimme Jeſu in der: Liebe Gott uber Alles, und den Naͤchſten wie dich. Es iſt z. B. eine Stimme Jeſu: Sey demuͤthig und ſanftmuͤthig von ganzem Herzen. Wer nicht demuͤthig und ſanftmuͤthig iſt, ſucht feine Ehre, feinen Nutzen — will ſich, nicht Gott verherrlichen, ſich, nicht ſeinen Naͤchſten gluͤcklich machen — kann Gott nicht uͤber Alles, und den Naͤchſten nicht wie ſich lieben. Alſo ver⸗ einiget ſich dieſe Stimme in der: Liebe Gott über Alles, und den Nachſten wie dich. Und ſo laͤßt es ſich von allen Lehren Jeſu zeigen, daß ſie ſich in dem großen Gebote: Liebe Gott uͤber Alles, und den Naͤchſten wie dich, wie die Fluͤſſe im Meere vereinigen. Wie muͤſſet ihr ihn hoͤren? Wer hoͤret, wie er ſoll, der ſammelt ſich in ſich, um die Stimme Gottes nicht zu uͤberhoͤren, merkt auf die Stimme Jeſu, und faßt ſie in ſein Herz, und behaͤlt, und traͤgt ſie wie ſein Leben uberall mit ſich herum; und horcht auf die Stimme Jeſu, beſonders in den Augenblicken, in welchen er von einer andern Stimme zum Unrecht gelocket wird. Um alſo Je⸗ ſum zu hoͤren, ſammelt euch in euch: wie, wenn ein Fremder in eurem Hauſe erzaͤhlen will, die Mutter den Kindern zuruft: ſeyd ſtille; ſo muͤſſet ihr euren Sorgen und allen zerſtreuenden Gedanken Stille gebieten, um Gottes Wort hoͤren zu koͤnnen. Wer ſich immer nur den Brod⸗Nahrungsſorgen oder den Vergnuͤgungen hingibt,
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wer immer bei den Geſchoͤpfen * ſich Troſt * ; nie in ſich zu Haufe ift, der kann die Stimme Gottes in ſich — nicht hoͤren. 1 um Jeſum zu hoͤren, merket auf die Stim 10 Jeſu, faßt fie zu Herzen, behaltet fie, tragen! ſie wie euer Leben mit euch umher! Schenken eure Herzen der Wahrheit, dann werdet ihr ihre Stimme hören; kennen, verſtehen, behalten! Denket bei euren Arbeiten in euren Leiden, denket recht oft an die Lehre Jeſu, und Jeſus wird zu euch reden! Liebet Jeſum, und ihr werde! oft und gerne an Ihn denken, Ihn gerne hoͤren! Wie ihr eure rechte Hand uͤberall mit euch nehmer: fo nehmet die Lehre Jeſu uͤberall mit euch. Eher ſollet ihr der rechten Hand als der Lehre Jeſu vergeſſen. Um Jeſum zu hoͤren, horchet beſonders in den Stunden der Verſuchung zum Un⸗ recht auf feine Stimme. Es laſſen ſich gar oft zweierle : Stimmen in uns hören. Eine fpricht laut: Folge der gereizten Wolluſt — die andere: Die Wolluſt tod tet dich, tödte du fie zuerſt. Eine ſpricht: Sieh dein Nachbar iſt ſo ſtolz, wenn er doch nur elend wuͤrde — die andere: Richte du nicht, damit du nicht gerichtet werdeſt! Liebe den Nachbar wie dich; du haͤtteſt es nicht gerne, daß ſich Andere deines Elendes freuten. Eine ſpricht: Wozu die Luſt der Sinne, als ſie zu genießen? es kann keine Tugend ſeyn, dich ſelbſt zu peinigen — die andere: Wo Unordnung, da iſt Suͤnde, und wo Suͤnde, da Unreinigkeit, und wo Unreinig⸗ keit, da keine Fahigkeit, Gottes Angeſicht zu ſehen. Wenn ſich dieſe zweierlei Stimmen in dir hoͤren laſſen: ſo mußt du der zweiten folgen, um Jeſum zu hoͤrenz denn die zweite Stimme iſt feine Stimme, die erſte iſt di Stimme des Fleiſches, die Sprache der Glieder. . Hoͤret Ihn! Denn Er iſt unſer Lehrer und Got⸗
tes Sohn. Und dieß bezeuget die Stimme des a, — Ihm ſey die Ehre und een Amen.
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55 Predigten
f F an einigen Feſttagen unſers Herrn. 14 XXIV.
Die Gnade Gottes in Jeſus Chriftus, 3 Predigt,
gehalten am Gedächtnißtage der Geburt unſers Herrn, in der 1 Stiftskirche zu Dillingen, 1790.
SOottloſigkeit und die irdiſchen Gelüſte verläugnen, und mäßig, Re: gerecht und gottſelig in der jetzigen Welt leben. . Tit. II, II, 12.
Was ein Bote Gottes vor tauſend fi ebenhundert und neunzig Jahren den frommen Hirten, die außer Beth⸗ lehem bei ihrer Heerde Nachtwache hielten, verkuͤndet hat: das wird heute als an dem erſten Feſttage unſers Herrn dem Chriſtenvolk in allen chriſtlichen Gemeinden, und uns in dieſer Kirche verkuͤndet: Fuͤrchtet euch nicht, denn
| alles Volk Theil nehmen wird; es iſt euch heute in der Stadt Davids der Heiland, der Ge⸗ ſalbte, der Herr geboren. Luk. II.
5 Und waͤren wir ſo gutmuͤthig und unverdorben wie die Hirten: gewiß, wir wuͤrden alle andere Sorgen bei Seite legen, und nach der liebenswürdigen Einfalt der Hirten, nimmer ruhig ſeyn koͤnnen, bis wir an der Freude, die uns Allen verheißen iſt, Antheil genommen — bis wir unſern Heiland gefunden haͤtten. Es wuͤrde der
Es iſt die Gnade Gottes, unſers Heilandes, für alle Menſchen er⸗ ſchienen, die uns in die Zucht nehmen ſollte, damit wir die
ich verfünde euch eine große Freude, daran
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* TEEN BIP TUILENG .
heutige Tag — der erſte Feſttag unfrer Seele feon; wir würden von dem heutigen Tage an, als dem Ge burtstage unſers Heils zählen koͤnnen, wie alle Chriſten von dem Geburtstage Jeſu an ihre Zeitrechnung anfans- gen. Es würde für uns in den noch übrigen Tagen unſers Lebens, und in der Ewigkeit angenehm ſeyn, ſagen zu koͤnnen: im Jahre 1790, an dem Gedaͤchtniß⸗ tage der Geburt Jeſu bin ich ein neues Ge⸗ ſchoͤpf, wie es Paulus haben will, ein Chriſt, ſeines Namens werth geworden: von dieſem Tage an war ich mäßig, nuͤchtern, gottfelig: von die⸗ ſem Tage an durften ſich die wahren Ehrkei meiner nicht ſchaͤmen u. ſ. w.
Wenn dieſe gluͤckliche Veraͤnderung auch nur bei einem Einzigen meiner Zuhoͤrer in ſeinem Herzen vorginge; wenn dieſe Predigt auch nur das ehrliche Verlangen nach dieſer Veränderung in einigen meiner Zuhörer wecken koͤnnte: wie unvergeßlich wuͤrde dieſe Stunde fuͤr uns ſeyn!
Vielleicht ſchenkt mir der Vater aller Freude auch dieſe Freude noch; vielleicht läßt Er dieß mein geringes Bemuͤhen — uͤber mein Hoffen geſegnet ſeyn. Denn das Segnen iſt ſeine, das Bemuͤhen iſt unſre Sache. Um auf die erwuͤnſchte Veränderung in mir, und in mei⸗ nen Zuhoͤrern hinzuarbeiten, will ich den Inhalt und die Abſicht der heutigen Feier nach dem lehrreichen Winke eines beſſern Predigers Tit. II. erklaͤren. 44
I. Es iſt die Gnade Gottes unſers Heitam. des für alle Menſchen erſchienen:
II. Die uns in die Zucht nehmen ſoll, dan wir die Gottloſigkeit und irdiſchen Ge⸗ luͤſte verläugnen, und mäßig, gerecht und gottſelig in der jetzigen Welt leben ſollen.
Die Gnade Gottes iſt fuͤr alle a erſchienen: das ift der Inhalt der Feier. a
Dieſe Gnade Gottes ſoll uns in die Zucht nehmen, damit wir mäßig, gerecht und gott⸗ ſelig leben: das iſt die Abſicht der heutigen Feier. |
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Die Gnade Gottes erſchien in Jeſus Chri⸗ ſtus zum Beſten der Menſchen — damit ſie mäßig, gerecht, gottſelig leben ſollten.
Dieß iſt die Veranderung, die in unſerm Herzen und in unſerm Wandel vorgehen ſollte; dieß iſt die Ver⸗ änderung, nach dem wenigſtens ein Verlangen in uns werden ſollte. Dazu helfe uns Jeſus Chriſtus, unſer : Heiland! Amen,
Die Gnade Gottes erſchien in Jeſus Chriſtus für | alle Menfchen.
Der Vater der Menſchen Iäßt ſich unter Menſchen niemals unbezeugt, beweiſet ſeine Freundlichkeit und Liebe gegen die Menſchen auf mancherlei Weiſe.
Er bezeugt ſeine Freundlichkeit gegen die Menſchen 1) durch die ganze Natur. Er laͤßt die Sonne ſchei⸗ nen, den Mond glaͤnzen und die Sterne leuchten; Er ordnet Tag und Nacht; Er laͤßt ſanfte Winde wehen, und ſtuͤrmiſche toben; Er ſendet Regen, Thau, Schnee, Hagel, Eis; Er thut feine Hand auf, und ſuͤttiget Alles, was hungrig iſt; Er thut Gutes allen Menſchen, um alle Menſchen auf ſich aufmerkſam zu machen. Aus dem Sichtbaren follen wir des Unſichtbaren wahrnehmen. Roͤm. I, 19. Was auf dem trockenen Land und im Meere lebt, jedes Blatt am Baume, und jedes Samenkorn in den finſtern Furchen des Ackers, Gruͤnes und Duͤrres, Obſt und Korn, Luft und Waſſer, Feuer, Erde — — Alles iſt ein Zeuge ſei⸗ ner Guͤte. Es muß ein freundlicher Vater ſeyn, der für feine Kinder fo vaͤterlich forget.
Er bezeugt feine Freundlichkeit gegen die Menfchen 2) durch die Stimme des Gewiſſens, die in uns fpricht, durch das Geſetz, das in unſer Herz geſchrie⸗ ben iſt. Roͤm. II, 14. 15. Es iſt Gott, der in uns ſagt: Das iſt gut, t hu es: das iſt boͤſe, meide es. Es iſt Gott, der in uns ſagt: Liebe den Va⸗ ter der Menſchen uͤber Alles, und deinen Nächſten wie 325 gib Je dem das Seine; laͤſtere
—
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nicht, was du nicht verſteheſt u. ſ. f. Es iſt Gott, der uns antreibt, Gutes zu thun, Böſes zu meiden. Es iſt Gott, der uns ſtrafet, wenn wir Un⸗ recht gethan, der uns belohnet, wenn wir recht gethan. Es iſt Gott, der uns warnet vor der Suͤnde, ſpor⸗ net zur Tugend, und in dem Unrecht nicht Ruhe fin⸗ den laßt. Das Gewiſſen it — Gott in uns. Es muß ein freundlicher Vater ſeyn, der für ſeine Kinder ſo vaͤterlich ſorget. a
Der Vater der Menſchen bezeuget ſeine er - gegen Menſchen 3) durch die Regierung der Me ſchen. Er zuͤchtiget die Menſchen durch Menſchen; Er ſetzt auf den Thron — und ſtoͤßt herunter; Er laßt Hunger, Theurung, Krieg, anſteckende Seuchen, Aufruhr — in die Welt kommen, um die Menſchen, die ſich nicht durch ſeine Guͤte zum Gehorſam gegen ſein heiliges Ge⸗ ſetz gewinnen ließen, durch die ſchrecklichen Folgen ihres Ungehorſams, und durch die Fruͤchte ihrer Thorheit ge⸗ horſam und weiſe zu machen. Wen Er ſtraft, den liebt Er; wen Er durch Ungehorſam ungluͤcklich werden läßt, den will Er durch Strafe gluͤcklich machen. Er reißt den Baum des Gluͤckes ſammt den Wurzeln aus der Erde — wenn wir uns von dem Uebermaße ſeiner Frucht⸗ barkeit zum Undank gegen unſern Wohlthaͤter und zur Unterdruͤckung unſrer Bruͤder verleiten laſſen: damit wir durch Mangel belehret — die Vaterhand ſollten kennen lernen, die wir, vom Ueberfluſſe geblendet, nicht geſehen haben. Er laͤßt uns im Finſtern fallen, damit wir das Licht wieder ſuchen ſollten, nachdem wir es 1 zur Entehrung ſeines Namens gemißbraucht haben. Es muß ein freundlicher Vater ſeyn, der für ſeine Kinder fo vaͤterlich forget.
Der Vater der Menſchen bezeuget ſeine Freundlichkeit gegen die Menſchen 4) durch die vielen Propheten, und alle heilige, große Männer, die Er auf Erden geſen⸗ det, um die irrgegangenen, ihres Heils vergeſſenen Men⸗ ſchen zur Wahrheit und zur Seligkeit zurüctzufüh⸗ . ren. Es kamen Henoch, Noah, Abraham, Joſeph, Moſes, Samuel, Elias, David, Ifaias; Daniel,
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—
und wie ſie alle heißen, die bekannten oder unbekannten Wohlthaͤter des menſchlichen Geſchlechtes, die den Willen Gottes in ſeinem Namen ihren Bruͤdern verkuͤndeten und Belegen, mit heiligem Wandel beſtaͤtigten, und mit ihren
roßmuͤthig ertragenen Leiden verſiegelten. Gott redete,
eißt es im Brief an die Ebraͤer, zu unſern Vaͤtern durch die Propheten auf mancherlei Weiſe. Es muß ein freundlicher Vater geweſen ſeyn, der für feine Kinder fo väterlid forget.
Nachdem nun der Vater die Menſchen durch die ſicht⸗ bare Natur, und durch die göttliche Stimme des Gewiſ— ſens, durch ſeine weiſe Regierung und durch die Prophe⸗ ten, nachdem Er durch Menfchen und Engel, nachdem er auf dieſe und mancherlei andere uns unbekannte Weiſen — ſeine Freundlichkeit gegen die Menſchen geoffenbaret hatte, und in dem Schatze ſeiner Erbarmungen nur noch Eine Perle, und die koͤſtlichſte — und die aller koͤſtlichſte uͤbrig war: da ſprach die Vaterliebe: Nun habe ich noch eine Perle, und die allerkoͤſtlichſte, auch dieſe will ich darangeben, um die Menſchen von meiner Liebe gegen ſie zu uͤberzeugen. — Ich werde mei⸗ nen geliebten Sohn in Menſchengeſtalt auf die Erde ſen⸗ den. Er ſprach's, und das Wort iſt Fleiſch geworden — Hallelujah! und die Gnade Gottes für alle Menſchen in Jeſus Chriſtus erſchienen — Hallelujah!
So hat Gott die Welt geliebet, ſagt Jeſus Chriſtus ſelbſt zu Nikodemus, daß Er feinen Einge⸗ bornen fuͤr ſie dahingegeben; dadurch, ſagt
Is annes der Juͤnger Jeſu, hat ſich die Liebe Got⸗ tes geoffenbaret, daß Er feinen Eingebornen
in die Welt geſchickt, um uns durch Ihn ewi⸗
ges Leben zu verſchaffen. 1 Joh. IV, 9.
Jetzt moͤgen wir den Sinn der Worte verstehen; Die Freundlichkeit, die Gnade Gottes hat ſich in Jeſus Chriſtus geoffenbaret. Die Natur mag immer die Freundlichkeit Gottes verkuͤnden; das Gewiſſen in uns mag immer die Freundlichkeit Gottes bezeugen; die Regierung der Welt mag immer die
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Freundlichkeit Gottes offenbaren; Engel und Deore ten mögen immer wetteifern, die Freundlichkeit Gottes kund zu thun: aber ſo freundlich, ſo liebevoll zeiget ſich der Vater der Menſchen weder in der Natur, noch im Gewiſſen, weder in der Regierung der Welt, noch in der Sendung der Propheten, weder durch Menſchen noch durch Engel, wie Er ſich in der Sendung ſeines s Sohnes offenbaret. 8
Zu unſern Vaͤtern redete Gott ehemals auf mancherlei Weiſe: zu uns aber redete Er in der Fuͤlle der Zeiten in ſeinem Sohne. N (Ebr. I, 1.)
Wohl uns, daß wir an dieſe Offenbarung Gottes glauben koͤnnen!
Er gab das Köͤſtlichſte, ſeinen Sohn, und gab Ihn aus reinſter Liebe — nicht um die Welt zu verdam⸗ men, ſondern um fie ſelig zu machen. Joh. III, 18.
Ein Hausvater, ſagt Chriſtus ſelbſt, hatte einen Wein⸗ berg, den er bepflanzt, wohl bezaͤunet, mit Kelter und Wachthurm verſehen hatte. Der Weinberg ward aß Bauersleute vermiethet. Da die Weinleſe kam, ſchickte Er feine Knechte zu den Arbeitern, die Früchte in Ems pfang zu nehmen. Aber die Arbeiter ſchlugen einen Knecht, toͤdteten den andern, ſteinigten den dritten. Dar⸗ 5 auf ſchickte der Hausvater andere Knechte, mehr als vorher. Denen gieng's wie den erſtern. Endlich ſendet er ſeinen Sohn an die Arbeiter. Fuͤr meinen Sohn, dachte er, werden ſie Ehrfurcht haben.
Der Weinberg iſt — die juͤdiſche Kirche, die Arbei⸗ ter ſind — die Iſraeliten, die Knechte — die Prophe⸗ N ten, der Hausvater — Gott, der Sohn — Jeſus Chri⸗ find. Vaͤterlicher hätte der Vater doch nicht handeln konnen, als daß Er feinen eigenen Sohn in den Weinberg geſandt, um die Arbei⸗ ter auf ſeine Liebe aufmerkſam zu machen | und zu ihrer Pflicht zurückzubringen.
Die Freundlichkeit Gottes iſt uns in Jeſus Chritus ſichtbar geworden. Denn der Vater hat ſeinen Sohn geſendet fuͤr alle Menſchen: Juden und Heiden,
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Kinder und Greife, Gelehrte und Ungelehrte ſollten in ihm Heil finden.
Die Freundlichkeit Gottes iſt uns in Jeſus Chriſtus ſichtbar geworden. Denn der Sohn erſchien in Men⸗ ſchengeſtalt, wurde unſers Gleichen, damit wir Ver⸗ trauen zu Ihm faſſen, Ihn als unſern Bruder, als Fleiſch von unſerm Fleiſch lieben, und uns durch Ihn zu ſeinem Vater ſollten fuͤhren laſſen.
Die Freundlichkeit Gottes iſt uns in Jeſus Chriſtus erſchienen. Denn der Vater hat uns ſeinen Sohn geſen⸗ det, damit Er werden ſollte unſer Lehrer, das Licht in der Finſterniß, der Verkuͤnder deſſen, was Er im Schooße des Vaters geſehen; damit Er werden ſollte unſer Beiſpiel, das Muſter aller Vollkommenheit, goͤtt⸗ lich rein in der Geſtalt eines Suͤnders; damit Er wer⸗ den ſollte das Opfer fuͤr die Suͤnden der Welt — hingegeben, um Tod und Suͤnde und Irrthum aus der Welt zu ſchaffen — das Lamm, das die Suͤnden der Welt hinwegnimmt; damit Er werden ſollte unſer Fuͤr⸗ sprecher bei dem Vater, der nicht noͤthig hätte, zuerſt fuͤr ſeine Suͤnden zu bitten, weil Er ſich keiner ſchuldig gemacht, und der Mitleiden in ſeinen Leiden gelernt; damit Er werden ſollte das Haupt der heiligen Ges meinde; damit Er werden ſollte das Heil der Welt, der Auferwecker aller Todten, der Richter aller Menſchen, und das Leben aller Heiligen.
Wahrhaftig, muͤſſen wir mit Paulus aufrufen: Der uns ſeinen Sohn geſchenkt, der hat uns alles Gute mit Ihm geſchenkt.
Ein Troſt, der Alles in ſich begreift, was Troſt hei⸗ ßen kann.
So troſtvoll aber dieſe Wahrheit, fo ernſthaft iſt die | darangeknuͤpfte:
Die Gnade Gottes ſoll uns in die Zucht nehmen, damit wir die irdiſchen Geluͤſte ver⸗ läugnen, und nuͤchtern, gerecht und gottfelig leben.
Die Gnade Gottes iſt doch nicht dazu erſchienen, daß wir die alten, ungebeſſerten Menſchen bleiben ſollten.
I
— 256 — a Sie iſt offenbar nicht für vernunftloſe Thiere — ſie i für uns erſchienen. Und, wenn wir leben, als wenn fir nicht erſchienen waͤre: wie waͤre ſie denn fuͤr uns er ſchienen? Gott will unſer Gott ſeyn: wie kann Er aber das, wenn wir nicht feine Kinder ſeyn wollen? Wenn in einer Familie der gute Vater beſonder freundlich gegen ſeine Kinder iſt: iſt er es nicht dazu daß die Kinder ſich durch dieſe Freundlichkeit anziehen und zur Liebe, zum Gehorſam, zum Wohlverhalten er. muntern laſſen? Wenn nun der Vater der Menſcht aus Liebe ſeinen Sohn auf Erden geſendet: wie woll ten wir es vor dem Richterſtuhl dieſer Liebe 1
ten, wenn wir gegen dieſe Liebe kalt blieben, und dem Willen dieſes Vaters unerfuͤllt laſſen würden? Die hoͤchſte Liebe, die den Sohn ſendete, konnte Ihn doch nur aus der liebevolleſten Abſicht ſenden. Und dieſ⸗ liebevollſte Abſicht der hoͤchſten Liebe wuͤrde unerreich bleiben muͤſſen, wenn wir ſie uns nicht zu Nutze macher wollten? Was huͤlfe uns der Sonnenſtrahl, wenn wir vor ihm das Auge zuſchloͤßen, die Speiſe, wenn wir fie nicht genoͤßen, die Arznei, wenn wir fie nicht wan . Und was ſollte uns die zaͤrtlichſte Gnade Gottes, was ſollte uns der ganze Chriſtus nuͤtzen, wenn wir uns vo dieſem Lichte der Welt nicht erleuchten und erwärmen laſſen, wenn wir von dieſem lebendigen Himmelb rod nicht genießen, wenn wir dieſe kraftvolle Arznei feinen Lehren nicht einnehmen wollten ?
Was ſollen wir alfo thun, damit wir ſelig werden x
Wir ſollen, antwortet Paulus, wir ſollen uns von der Gnade Gottes in die Zucht nehmen laſſen; wir ſollen alle Gottloſt gkeit und irdiſche Geluͤſte verlaͤug⸗ nen, wir ſollen in dieſer Welt nuͤchtern, gerecht, gottſelig leben. Das ſind die großen Pflichten, die wir in Abſicht auf die Gnade Gottes zu erfüllen haben.
Wir ſollen uns von der Gnade Gottes in Zucht nehmen laſſen, d. h. wir ſollen dem Licht. £ das Jeſus angezündet, mit Vertrauen folgen, wie ein uns muͤndiges Kind, das ſich nicht ſelbſt leiten kann, feinen 1 Erzieher folgt; wir ſollen uns von den Lehren, a eigne
®
.
| ißung en, Beiſpielen, Kräften des göttlichen Ev geliums belehren, troͤſten, ermuntern, treiben laſſen;
ſollen nicht mehr unter der Herrſchaft des Fleiſches, ſondern unter der Regierung des Geiſtes ſtehen; wir lien nicht mehr wie zuchtloſe Heiden der blinden Sinn⸗ lichkeit blind folgen, ſondern als Kinder des Lichtes uns von dem Lichte der Wahrheit leiten, und in der Zucht ſchule des heiligen Geiſtes zum rechten Freiheitsſtande der Kinder Gottes neu ſchaffen laſſen. Wir ſollen alle Gottloſigkeit und irdiſche Geluͤſte verlaͤugnen. So oft ſich in uns ein Ge⸗ danke, eine Begierde wider den Willen des himmliſchen Vaters reget: ſo oft ſollen wir mit unbewegtem Sinn das thun, was der himmliſche Vater will, und das nicht thun, was die ſinnliche Begierde in uns befiehlt — fol len gerade ſo handeln, als wenn ſich die ſuͤndliche Bes gierde gar nicht in uns geregt haͤtte, oder als wenn wir fie gar nicht kenneten. Willſt du, wer du immer bift, durch Chriſtus ſelig werden: ſo mußt du alle deine un⸗ heiligen Begierden verlaͤugnen, wie der Falſche, Untreue ſeinen Freund verlaͤugnet. Er kennt ihn nicht, und handelt, als wenn er ihn nicht kennete. Es mag nun Eitelkeit oder Wolluſt, oder eine andere ſuͤndliche Begierde ſich in dir regen: ſo halt' dich nur an die Gnade Got⸗ tes, die dich zum Kampfe gegen die Suͤnde ſalbt; halt' dich nur an Jeſus Chriſtus, der dich demuͤthig, keuſch und ohne Suͤnde will — und halt' dich ſo feſt an Ihn, als wenn du den Trieb zur Eitelkeit, oder Wolluſt, oder einer andern Suͤnde in dir nicht fuͤhlteſt. Unterd ruͤ⸗ cken mußt du alle Gedanken und Begierden, die ſich ge⸗ gen das heilige Geſetz, das uns der Finger Gottes in die Seele geſchrieben, empoͤren; und der Eifer, alles Un⸗ heilige in dir zu unterdruͤcken, ſoll in dir nicht muͤde werden, bis du frei von den Feſſeln, frei von dem Drucke der Sinnlichkeit — von dieſem Todesleibe erloͤſet biſt. Und, wer dir eine andere Freiheit vorzeiget, als die durch Unterd ruͤckung alles deſſen, was ſich gegen das heilige Geſetz in uns ſträubt, wer⸗ den kann, der taͤuſcht dich, und führt dich in die ſchreck⸗ S3. M. v. Sailers ſämmtl. Schriften. XXX. Bd. 12
— 253 —
lichſte Gefangenſchaft. Wer Suͤnde thut, der iſt * Knecht, und fo lange wir dieſe wahre Knecht ſchaft mit uns ee ſo lange ſind wir wahr: Knechte. 2: Wir follen mäßig, gerecht, gottſelig leben: dar iſt Zweck der Erſcheinung Jeſu, das iſt Abſicht der Gnade Gottes, die ſich in Ihm offenbaret hat. we
Maͤßig follen wir leben, uns nicht nur von 3 verbotenen Lüften enthalten, nicht nur das Laſter der Unzucht, der Fuͤllerei, der Trunkenheit meiden, ſonderr auch in erlaubten Erholungen das Maß halten, dat uns die Vernunft vorſchreibt. .
Gerecht ſollen wir leben, unſer Wandel ſoll es der Menſchen offenbaren, daß Jeſus Chriſtus gerecht iſt und uns gerecht gemacht hat, alles Gute ſollen win an unſerm Naͤchſten thun, und nicht nur, was er nach dem Buchſtaben des firengen Rechtes fordern kann, ſon dern auch, was der freie Geiſt der Liebe dem liebenden, Gemuͤthe eingeben kann. Gerecht ſollen wir leben, eine ſolche Gerechtigkeit in uns beſitzen, und außer uns darthun, die nicht etwa vor Menſchen, ſondern die vor Gott gilt; thun, was recht iſt, und thun, wies recht iſt, und um recht thun zu koͤnnen, gut ſeyn.
Gottſelig ſollen wir leben, uns nicht mehr von den Trieben des Thieres treiben laſſen, ſondern von dem Geiſte, der die Kinder Gottes treibt. Gottſelig ſollen wir leben, nicht in Befriedigung der ſinnlichen Luft, nicht in den ſelbſt⸗ gemachten Vorſtellungen des Verſtandes, ſondern in Gott, der uns erſchaffen, und der Nuhepunkt unſers Herzens ſeyn will, wie er die Quelle alles Guten iſt Ruhe ſuchen. 13 Maͤßig, gerecht, gottſelig ſollen wir leben; die ſinnlichen Kräfte in uns ſollen der Vernunft, die Ver nunft fol dem heiligen Geiſte gehorſamen. Unſer Inner- ſtes ſoll nach Paulus Gottes Tempel, Ihm im Glauben und Liebe geweiht ſeyn: dann wird unſer Aeußeres von dem Innern geordnet, und das Innere von Gott nen belebet, beides dem Evangelium gemaͤß,
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Menſchen würdig Gott gefällig, wahrhaft chr iſt⸗ lich ſeyn.
Welche Veraͤnderung muß in uns noch vorgehen, bis unſer Aeußeres und Inneres dieſem Bilde gleich iſt? Und wenn dieſe Veränderung in den noch übrigen Tagen dieſes Lebens, nimmer in uns vorgienge, wie elend würden wir uns bei dem erſten Erwachen in der Ewig⸗ keit finden? Wie wuͤrden wir vor uns ſelbſt erſchrecken, daß wir den Chriſtennamen durch einen heidniſchen Wan⸗ del entheiliget?
Gott, erſpare uns dieſen Schrecken, und laſſe uns einmal werden, was wir ſchon lange heißen — Chriften!
17 *
XXV. n ER grofsmüthig im Sh 1 Pre vi get, .
gehalten am Feſttage der Erſcheinung unſers Denn in 2 Stiftskirche zu Dillingen, 1791.
Wer ſuchet, der findet. 7 Matth. VII, 8. di:
Dieß wahre Wort iſt gleichſam die Inſchrift auf die lehrreiche Begebenheit, deren Andenken den Chriſten heilig iſt, und deren Inhalt aus der Geſchichte Jeſu am heu⸗ tigen Tage in allen chriſtlichen Kirchen vorgeleſen wird, eine Inſchrift auf das redliche Suchen und fel Finden der Weiſen aus Morgenland.
Wer ſuchet, der findet: fie ſuchten den neugebornen Koͤnig der Juden, und fanden Ihn. Wer ſuchet, der findet. Wenn wir Gott ſuchen, fo finden wir Ihn. Denn: Gott iſt nahe Allen, die ihn an⸗ rufen — Pſ. CXIV, 13. Und die Weisheit läßt ſich finden von denen, die fie ſuchen. Weish. VI, 13.
Wer ſucht, der findet. Wer Jeſum fuchet, findet Ihn; und wer Ihn gefunden, der hat die Wahrheit, den Frieden, die Seligkeit gefunden. Denn Er iſt die Wahrheit und das Leben. Joh. XIV, 6. g
Laßt uns alſo redlich ſuchen, damit wir gluͤcklich finden! Laßt uns ſuchen wie die Weiſen aus Morgenland, damit wir finden wie ſie! Sie ſuchten, das heißt: ſie fiengen großmuͤthig zu ſuchen an, fuhren großmuͤthig zu ſuchen fort, und harrten großmuͤthig im Suchen aus. Laßt uns ſuchen, wie ſie, mit großem Muthe, der ſchnell anfängt, unverzagt fortfährt, und unermuͤdet ausharree!
Wir wollen doch Alle gut, weiſe, ruhig, ſelig werden; 9 wir werden es nicht, weil wir wollen und nicht wolln.
’
— 16 —
i ſuchen und finden nicht, weil unſer Suchen nicht
großmüthig iſt. — Laßt uns ſuchen, wie die e
ner aus Morgenland!
| gap uns großmuͤthig anfangen, wie die Männer aus 1 Morgenland.
Fi Als fie ein befonderes Licht erblickten, das ihnen die Geburt unſers Herrn verkuͤndete, ſo folgten ſie dieſem
Lichte — ſtanden auf, und giengen, wohin ſie das Licht
führte. Sie ſahen und kamen. Wir haben geſehen, und find gekommen, ſagten fie in Jeruſalem ſelbſt.
Sehen und gehen — war Eines. Das nenne ich großs muͤthig angefangen. Sie fragten nicht ihre ſinnliche Neigungen, ob ſie es gut faͤnden, ſo weit zu reiſen; fragten nicht ihre Verwandten, ob ſie eine ſolche Reiſe billigten; fragten nicht die Gelehrten im Lande, ob ſie ihrer wegen dieſer Reiſe nicht etwa öffentlich ſpotten
würden — ſahen und giengen.
Wollen wir nun auch finden, das heißt, Gott recht erkennen und lieben lernen, ſo muͤſſen wir Ihn großmuͤthig
ſuchen — — ſuchen und 9 ehen, wie die Maͤnner aus
Morgenland. Wenn wir ein Licht erblicken, es ſey nun in
unſerm Innern oder außer uns, das uns zu Gott hinweiſet:
ſo muͤſſen wir ſogleich dem Lichte folgen, und nicht zu⸗
vor unſere Neigungen, unſere Verwandten, unſere Zeit⸗
genoſſen fragen, ob ſie es billigen — ſehen und gehen muß auch bei uns Eines ſeyn.
Du liebeſt den Reichthum von ganzem Herzen. Da
geht dir aber ein Licht auf, es wird dir klar, was Jeſus ſagt: „Man kann nicht zugleich dem Reichthum und Gott dienen.“ Dieß Licht iſt der Stern, der
dich zu Gott weiſet. Nun mußt du nicht erſt dein Herz
fragen, ob es wohl ohne herrſchende Geldliebe leben moͤge; nicht deine Vernunft, ob ſie nicht herrſchende Geldliebe und Gottesdienſt miteinander vereinen koͤnne — ſondern dein Herz losreißen von der thoͤrichten Geldliebe — ſehen
und gehen muß Eines ſeyn.
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Du liebeſt die Wolluſt von ganzem Herzen. 8 geht dir aber auf einmal ein Licht auf, es wird dir klar, was Paulus ſagt: „Die ſolches thun, koͤnnen das Himmelreich nicht ererben.“ Dieß Licht iſt der Stern, der dich zu Gott weiſet. Nun mußt du nicht dein Herz fragen, ob es ohne die angewohnten Luͤſte leben moͤge; nicht deine Vernunft, ob ſie nicht Wolluſt und Tugend miteinander ausſoͤhnen koͤnne; ſondern dein Herz losreißen von den verbotenen Luͤſten — ſehen u gehen muß Eines ſeyn. 8
Du liebeſt die Ehre von ganzem Herzen; die Men- ſchen ſollen immer nur von dir reden, dich anbeten, u. ſ. 5 : Da geht dir aber auf einmal ein Licht auf, und es wird dir klar, was Petrus ſagt: Gott widerſetzet ſich den Hochmuͤthigen, und giebt Gnade den Des muͤthigen. Dieß Licht iſt ein Stern, der dich zu Gott hinweiſet. Nun mußt du nicht erſt dein Herz fragen, ob es wohl ohne die Bewegungen der Eitelkeit, des Stol⸗ j zes ꝛc. leben koͤnne; nicht deine Vernunft, ob fie nicht Hoffart und Gottesfurcht miteinander ausgleichen koͤnne — ſondern dein Herz losreißen von dieſer thörichten, einge ⸗ bildeten Groͤße, die nur in dem Munde der Leute benhn und ſich aͤndert wie der Wind. ä 75
Es iſt im Großen mit der Bekehrung der Menſchen zu ihrem Gotte, wie im Kleinen mit dem fruͤhen Auf⸗ ſtehen zu einer beſtimmten Stunde. Wenn du z. B. dir vornimmſt um fuͤnf Uhr aufzuſtehen, und am Morgen, ſtatt aufzuſtehen, deine Sinnlichkeit frageſt, ob es nicht noch fruͤh genug ſey, um ſechs Uhr aufzuſtehen: ſo wirſt du ſicherlich liegen bleiben. Wenn du aber bei dem 1 ſten Erwachen ſogleich aus dem Bette herausſpringſt: dann biſt du ſchon aufgeſtanden. $:
Hätte der verlorne Sohn, ſtatt zu feinem Vater zu⸗ £ ruͤckzukehren, nur immer mit feinem Herzen und mit feinee Vernunft Rath gehalten: ob ihn wohl ſein nr in das Haus einlaffen, ob er ihn nicht zu hart zuͤchtigen werde: ſo waͤre er wohl nicht nach H gegangen. Aber er ſprach zu ſich: Ich will zu amen
— 2653 —
Vater heimgehen, und gieng und kam und fand mehr dane vor ſeinem Vater, als er haͤtte glauben koͤnnen.
Das iſt großmuͤthig angefangen: ſehen und gehen,
4 bei den Männern aus Morgenland; ſprechen und gehe n, wie bei dem verlornen Sohne. * Und gerade da fehlt es bei den meiſten Menſchen. Da iſt der Sitz unſers Elendes. Wir fangen nie recht 13 darum kommen wir nicht weiter; wir ſprechen, ich will, und wollen doch nicht; wir erblicken ein Licht, und folgen ihm nicht. Wir finden nicht, weil wir nicht ſuchen, und wir ſuchen nicht, weil wir nie großmuͤthig an⸗ fangen zu ſuchen.
Laßt uns großmuͤthig fortfahren, wie die Männer: aus Morgenland.
Da fie nach Jeruſalem kamen, war natuͤrlich ihre erſte Frage dieſe, wo der neugeborne König wäre, dem ſie Geſchenke zu bringen haͤtten. Allein gerade dieſe Frage konnte ihnen, gegen all ihre Erwartung, Niemand beant⸗ worten, und der Koͤnig Herodes, und ganz Jeruſalem geriethen in Beſtuͤrzung daruͤber. Es mußte den Frem⸗ den aͤußerſt auffallen, daß, da ſie nun den Zweck ihrer Reiſe erreicht zu haben glaubten, in der Hauptſtadt die Geburt des kuͤnftigen Koͤnigs unbekannt waͤre. Es war nun auf einmal finſter in ihrer Seele. Sie hofften, den neugebornen Koͤnig in Jeruſalem anbeten zu koͤnnen, und ganz Jeruſalem weiß nichts um ihn. Sie ſahen kein Licht mehr am Himmel, und fanden keines bez Men⸗ ſchen, und keines in ſich.
Ign dieſer großen Finſterniß hätten fie gar leicht den Muth koͤnnen ſinken laſſen, und ſelbſt das Licht, das ſie im Morgenlande geſehen, haͤtte ihnen zweifelhaft werden konnen. Allein der naͤmliche Muth, mit dem fle ihr Land verlaſſen, ſtand ihnen auch in Jeruſalem bei. Sie hoff ten wider Hoffen — und baten im Stillen um Licht, und wurden nicht muͤde zu warten. Und wie ſie die Hoffnung
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nicht verließen, ſo kam Hülfe zur rechten Zeit — und gerade vom Hofe, von dem ſie nicht viel Gutes zu 1 warten hatten. 1
Herodes ließ die Prieſter und Schriftweiſen zuſammen rufen, und in den heiligen Schriften nachſuchen, wo nach der Weiſſagung Chriſtus ſollte geboren werden. Die Weiſſagung nannte — Bethlehem als den Ort der Geburt. Der eiferſuͤchtige Fuͤrſt, dem die Nachricht v bon der Geburt ſeines vermeinten Nachfolgers nicht gleich⸗ guͤltig ſeyn konnte, rief nun auch die Fremden in re = zu ſich, und eröffnete ihnen die Entdeckung der Prieſter, und ſprach ihnen Muth ein, ſie ſollten ja fleißig nach⸗ ſuchen, bis fie den neugebornen König gefunden hätten, und ihm dann Nachricht davon geben, damit er auch kom⸗ men, und anbeten koͤnnte. So mußte die Eiferſucht des Fuͤrſten und die Weisheit der Gelehrten dazu helfen, * Fremde finden konnten, was ſie ſuchten.
Wollen wir auch finden, was wir ſuchen — Ben; fo muͤſſen wir großmüthig zu ſuchen fortfahren, wie die Weiſen. Es giebt für Alle, die Gott ſuchen, Zeiten der Finſterniß, der Zweifel, der Verſuchung. Wir können auf die Frage: „Wo iſt unſer Gott?“ manch⸗ mal keine Antwort geben, und keine bekommen. Es . uns, als wenn der Himmel verſchloſſen, oder gar kein | Land des Friedens mehr wäre. Es ift uns, als wenn kein Gott, oder Gott nicht mehr unſer Gott waͤre. In dieſen dunkeln Zeiten ſollten wir nun den Muth nicht ſin⸗ ken laſſen; ſollten vielmehr in Hoffnung und Geduld auf den Anbruch des Tages warten; ſollten nach fremdem Lichte fragen, bis ſich das unſere wieder anzuͤndet; ſollten kaͤmpfen gegen Zweifel und Verſuchung, bis e wieder helle wird in uns, und der Stern wieder fine, den uns eine Wolke verborgen hat. .
Oft ſcheint es uns, wenn wir ſchon lange gegen unſe * Leidenſchaften, gegen Zorn, Eitelkeit u. ſ. w. gekaͤmpfet haben: es ſey unmoͤglich, dieſelben vollends zu beſiegen. Allein, dieſem Scheine ſollten wir nicht trauen, ſollten dem neuen Angriffe der Leidenſchaft mit neuem Eifer
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widerſtehen, ſollten neue Kraft ſuchen, der alten Leiden⸗ ſchaft Widerſtand zu thun, ſollten beten, daß wir nicht von der Verſuchung uͤberraſchet, ſollten wachen, daß wir von ihr nicht uͤberwunden werden. Wer auf halbem Wege ſtehen bleibt, kann nicht zum Ziele kommen. Wer pfluͤget und nicht ſaͤet, kann keine Ernte hoffen. Wenn das Kind nur Buchſtaben kennen lernet, wird es nie leſen lernen. Alſo muͤſſen wir großmuͤthig fortfahren, zu ſuchen, was wir finden moͤchten — Friede, Freude — in Gott.
Laßt uns großmuͤthig ausharren, wie die Maͤnner aus \ Morgenland. |
Sobald fie die Anzeige vom Geburtsorte des Neu- gebornen durch den Mund des Fuͤrſten, der durch den grauſamſten Entſchluß, durch den er nur ſchaden wollte, nuͤtzen mußte, erhalten hatten, ſetzten ſie ihre Reiſe nach Bethlehem fort, und reiſeten unter der Wegweiſung des Lichtes, das ſie im Aufgange geſehen, und das ihnen nun wieder ſchien, unermuͤdet fort, und hielten nicht ſtille, bis das Licht, das ſie leitete, uͤber dem Hauſe zu Bethlehem, darin das Kind war, auch ſtille hielt. Da traten ſie hinein, und fanden das Kind und ſeine Mutter, und ſielen vor ihm nieder, und ſahen es an, und beteten an, und opferten ihre Gaben, und freuten ſich mit einer Freude, die keine Zunge ausſprechen kann.
Sie fanden Jeſum, weil ſie im Suchen großmüthig ausharrten, nicht aufhoͤrten, Ihn zu ſuchen, bis ſie Ihn gefunden hatten.
So ſollten auch wir unſern Gott ſuchen — nicht auf⸗ hoͤren, Ihn zu ſuchen, bis wir Ihn gefunden haben. Gott iſt nicht Schuld daran, wenn wir Ihn nicht finden. Denn Er will von uns Allen gefunden werden, und ſo Viele haben Ihn ſchon gefunden. Er ſtehet — wie vor unſerer Thür, und klopfet an, und wir duͤrfen Ihm nur
die Thuͤr aufſchließen, und eine Wohnung in uns be⸗ reiten.
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Aber wir hoͤren ſeine Stimme nicht, oder folgen ir nicht, oder verlieren den Muth, uns der Hülfe faͤhig n machen, ehe uns geholfen wird.
Es ſcheinet uns oft ein helles Licht: „Du four. deinen Gott von ganzem Herzen lieben.“ Aber wir laſſen uns gleich wieder von den Sorgen dieſes Lebens, von den Beiſpielen Anderer, die Gott nicht kennen, von unſrer eigenen Traͤgheit, von den reizen⸗ den Geſtalten, die uns begegnen, uͤberreden, daß wir uns von dem Licht in unſerm Innern wegwenden, und es keiner Muͤhe werth achten, Gott zu kennen und zu lieben. Wir werden wieder kalt gegen unſere einzige wahre Gluͤckſeligkeit, Gott zu kennen und zu lieben, ehe wir recht warm geworden ſind, derſelben mit ſtandhaftem Muth nachzutrachten. Und in dieſem ſchrecklichen Kalt⸗ ſinn gehen Jahre, und kommen Jahre; und in dieſem ſchrecklichen Kaltſinn ͤberfäaͤllt uns der Tod, und loͤſcht das Licht aus, ehe wir ihm gefolget ſind. Und ſterben muͤſſen, ehe wir Gott gefunden, ſterben muͤſſen, ehe wir Ihm unſer ganzes Herz geweihet haben, ſterben muͤſſen, ehe wir in dem Glauben an Ihn, und in der Liebe zu Ihm wahren Frieden, wahren Troſt gefunden — ſterben muͤſſen, ehe unſer Gewiſſen rein, ehe unſre Begierde lauter, ehe unſere Zuverſicht feſt geworden — ſterben muͤſſen, ehe wir Jeſum Chriſtum gefunden, und Ihm an Gehorſam gegen ſeinen himmliſchen Vater gleich gewor⸗ den — — ſterben muͤſſen, ehe wir das ewige Leben ver⸗ koſtet, ehe wir Jeſum und den, der Ihn geſendet, kennen und lieben gelernet — iſt eine ſchreckliche Sache. |
Laſſen wir doch, m. L., den heutigen Tag nicht vor⸗ beigehen, ehe wir großmuͤthig angefangen haben, ”- zu ſuchen! |
Wir feiern heute die Erſcheinung unfers Serra vor den Heiden. Unſere Voreltern haben an dieſem Tage mit beſonderer Freude ihrem Gott gedanket, daß Er ſie von den Finſterniſſen des Heidenthums zum Lichte des Evangeliums gebracht hat. Dieſes Licht leuchtet auch uns noch. Benuͤtzet es wohl, m. Th., damit es uns
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nicht genommen werde! Erforſchet euer Herz, und duldet darin keinen Gedanken, keine Begierde, die ſich vor dem Lichte des Evangeliums nicht duͤrfte ſehen laſſen. Fanget groß muͤthig an — — Wir leben doch Alle nur eins 1 und es wird Niemand fuͤr uns ungluͤcklich. Und wir finden in dem Laſter, ſo reizend es uns ſcheint, doch keine Seligkeit. Fanget großmuͤthig an, und waget es, unter Gottes allmaͤchtigem Segen, die Ketten zu zer⸗ brechen, die euch an eure Thorheiten feſſeln. Fanget großm uͤthig an, damit uns Jeſus einſt auch erſcheine, und wir an ſeiner Herrlichkeit Freude haben, und zu uns ſagen duͤrfen: „Wir haben Ihn gefunden, weil wir Ihn großmuͤthig nee
bn
— 268 N Jeſus Chriſtus, unfere Freude.
Pre d ig , gehalten zu Warthauſen am Oſterfeſte 1791.
Ihr ſuchet Jeſum, den Gekreuzigten: Er iſt auferſtanden! 1 Marcus XVI, 6. 2 i
Am Oſterſonntage. Jeſus Chriſtus ſoll unſere Freude ſeyn.
Wie es den Juͤngern Jeſu zu Muthe war, als Jeſus am Oſterſonntage neulebendig unter ihnen ſtand; als ſie das Segenswort aus ſeinem Munde gehoͤrt hatten: der Friede ſey mit euch; als ſie ſich von allem Schre⸗ cken und Zweifel erholt, feine Hände und Füße bet a⸗ ſtet, Ihn eſſen geſehen, die Erklaͤrungen der heiligen Schrift aus ſeinem Munde gehoͤret: ſo iſt's ge⸗ ſchrieben, fo mußte Chriſtus leiden, und auf erſtehen; als ſie Ihn fuͤr ihren — vor drei Tagen gekreuzigten, begrabenen und nun erſtandenen — Herrn erkannt hatten: ſo ſollte es uns auch heute zu Muthe ſeyn. Denn, was iſt denn eine Chriſtengemeinde anders, als ein Volk, das darauf getauft iſt, und durch ſeinen Wandel aller Welt glaubwürdig machen fol: daß Ges ſus für uns ſtarb, und wieder neulebendig für uns ward? Die Heiden kennen Jeſum nicht; die Juden glauben an Jeſum nicht; den Weiſen der Zeit iſt Er Thorheit und den Schwachen Aergerniß: was aber Juden und Heiden nicht glauben, was die Weiſen der Zeit laͤſtern, und woran ſich die Unwiſſenden aͤrgern, = glauben die Chriſten: Jeſus farb für uns, und lebt für uns! R
So follte es uns heute, fo follte es une immer u Muthe ſeyn, wie den erſten Juͤngern Jeſu. 15
ai 269 —
Jeſus ſollte unſere Freude ſeyn, und unſere lebendige Freude ſeyn,
und unſere lebendige Freude bleiben.
Das iſt unſer Beruf, das iſt unſere Ehre. Das bekennen wir in unſerm Glaubensbekenntniſſe: Er iſt auferſtanden. Dazu iſt der heutige Gedaͤchtnißtag.
O Du, vor dem Thomas niederftel, und nichts ſagen konnte, aß: Mein Herr, und mein Gott! mache unſere Herzen rein, damit wir glauben wie Thomas, und Freude an dir haben, wie er: darum bitte ich Dich:
Mein Herr, und mein Gott!
Jeſus Chriſtus ſollte unſere Freude ſeyn.
! Ich darf die Gründe dieſer Wahrheit bloß nennen: unſer Verſtand hat genug daran zu denken, und euer Herz zu empfinden.
Jeſus Chriſtus ſollte unſere Freude ſeyn. Denn ſieh! 1. Er ift ung, vom Tode.
Er iſt, nach ſeine m Worte, am dritten Tage * ö 3. Er iſt als der Erſtling aus den Todten aufer⸗ Banden. 4. Er ſtirbt nun nimmermehr. 5. Er iſt das Vorbild unſrer Auferſtehung. f 6. Er iſt nicht nur das Vorbild, Er iſt auch das Unterpfand unſrer Auferſtehung. . Er lebt auch jetzt, in ſeinem himmliſchen Leben, fuͤr uns, und iſt unſer Fuͤrſprecher bei dem Vater.
— 27 —
8. E
Er ſendet den heiligen Geiſt denen, die Ihn dar um bitten, damit ſie rein werden, wie Er. g
9. Er iſt das Haupt ſeiner Kirche, der belebend Geiſt dieſes ſeines Leibes. 10. Er wird wiederkommen, und uns auch aufen wecken, 1 11. 1 Und die Seinen in ſeine Herrlichkeit einführen. 12. 1 8 Und dieſer Herrlichkeit wird kein Ende ſeyn. —
Dieß iſt das rechte Bild von unſerm Herrn, das der Geiſt Gottes ſelbſt entworfen, und durch die heiligen Apoſtel gezeichnet hat. Und wehe dem Menſchen, der Thor genug waͤre, dieſes Bild zu laͤſtern, oder, welches noch thoͤrichter iſt, mit ſeinen Einſichten verbeſſern au wollen! E
Es ſind die Zuͤge dieſes Bildes hier bloß genannt, und es iſt kein Strich aus eigener Erfindung dazu ge⸗ ſetzt. O koͤnnte dieſes Bild ſprechen; oder, moͤchte die Wahrheit dieſes Bild uns lebendig darſtellen, wie wuͤrde unſere Seele ganz Freude werden! Jeſus Chriſtus lebet wieder, und lebet ewig, „ die Seinen mit Ihm. Wer kann dieſes von ganzem Herzen glauben, und ſich nicht von ganzem Herze freuen? Und wer kann dieſes nicht glauben, und * ein wahrer Juͤnger Jeſu ſeyn?
Der Auferſtandene — welch ein Schatz des Loe liegt in dieſer Wahrheit fuͤr uns Alle, die noch nicht geſtorben find, und doch ſterben muͤſſen, und ſter⸗ ben werden — und nun hinter dem Tode noch ein Leben, und ein beſſeres, und ewiges Leben in dem Er ſtandenen, der todt war, und wieder lebet, erblicken!
Der Auferſtandene! welch ein lebender Beweis daß der Tod den Menſchen nicht toͤdtet, ſondern mi
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das Gewand von dem Leben abſtreifet, damit das keben herrlicher, damit es lebendiger werde!
Der Auferſtandene! welch ein Anblick für feine Freunde, die nun recht aus der Anſchauung inne ges worden, daß Jeſus das Leben ſey, unbezwingbar von dem Tode! | Und, da wir dieſen Anblick nicht haben, was bleibt uns anders uͤbrig, als denen zu glauben, die dieſen Anblick hatten, und oͤfters hatten, und bezeugten, was ſie geſehen, und dieß Zeugniß nicht nur mit einem heiligen Wandel beſtätigten, ſondern auch um dieſes Zeugniſſes willen freu⸗ dig in den Tod giengen. ö
Und dieſer Auferſtandene — unſer Fürſprecher, und unſer Erretter, und unſer Auferwecker, und Fuͤhrer
in ſeine Herrlichkeit ohne Ende! Wahrhaftig, Er, Er ſoll unſere Freude ſeyn, denn Er kann unſere Wuͤnſche
befriedigen; Er iſt es wuͤrdig von uns geliebt zu werden; Er kann unſern Geiſt ausfuͤllen; in Ihm finden wir die Quelle der Wahrheit, der Heiligkeit, der Seligkeit!
Jeſus Chriſtus ſoll unſere lebendige Freude ſeyn.
Eine todte Freude iſt keine Freude. Denn ein Tod⸗ ter kann ſich nicht bewegen. Eine lebendige Freude iſt die, die in uns lebet, und uns zum Guten belebet, das iſt, zum Guten treibt und ſtaͤrket.
Jeſus ſoll unſere Freude ſeyn, und dieſe Freude ſoll uns beleben, daß wir Ihm leben. Er iſt fuͤr uns geſtorben, damit wir Ihm leben. Wir leben dem, was wir von ganzem Herzen lieben. Wir leben dem Gelde, wenn wir das Geld von ganzem Herzen lieben. Wir leben der Ehre, wenn wir die Ehre von ganzem Herzen lieben. Wir leben der ſinnlichen Luſt, wenn wir
die ſinnliche Luſt von ganzem Herzen lieben. Wir leben unſerm Herrn Jeſus Chriſtus, wenn wir Ihn von gan⸗ zem Herzen lieben.
Jeſus ſoll unſere Freude ſeyn, und dieſe Freude ſoll uns beleben, daß wir Ihm aus Dankbarkeit leben.
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Haͤtte Jemand die zwei juͤngſt ertrunkenen Juͤnglinge 4 rettet: wie würden fie ihrem Erretter gedankt haben? Und was waͤre ein Erretter aus einer Waſſernoth gegen den, der maͤchtig iſt, uns von aller Suͤnde, von allch Elend, und allem Tode zu erretten? |
Jeſus ſoll unfere Freude ſeyn, und dieſe Freude fü uns beleben, daß wir feine Gebote halten. Denn das heißt Ihn lieben, und Ihn lieben, heißt Ihm leben. Er liebte ſeinen Vater, und bewies ſeine Liebe durch ſeinen Gehorſam. So koͤnnen wir denn unſere Liebe zu dem Sohne Gottes nicht beſſer beweiſen, als wie Er ſeine Liebe gegen den Vater bewieſen — durch Gehorſam.
Jeſus ſollte unſere Freude ſeyn, und dieſe Freude follte uns beleben, daß wir einander lieb haben, wie Er uns lieb hatte. Denn das iſt ſein Gebot. Er ſtarb fuͤr uns Alle, aus Liebe zu uns Allen: ſo ſollen auch wir Alle lieben. Und wie Er Alle geliebt, jo ges bot Er uns, Alle zu lieben.
Kurz: wenn Jeſus unſere Freude iſt, ſo ſollen * den Naͤchſten lieben, wie Er uns geliebet. Denn wer den Naͤchſten liebet, wie Jeſus uns geliebet, der hält fein Gebot; und wer fein Gebot hält, der liebet Ihn, und wer Ihn liebet, der lebet Ihm; und wer Ihm lebet, der kann von ſich ſagen: Jeſus iſt meine lebendige Freude. | — *
1 |
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Jeſus Chriſtus ſollte unfere bleibende Freude ſeyn.
Bleiben ſollte die Freude, das heißt: wir ſollten ein 45 freudigen Umgang mit Ihm unterhalten; u an Ihn denken; Ihm unfere Anliegen klagen; n
Willen thun — wie wenn Er vor uns ſtuͤnde, wie we wir unter vier Augen mit Ihm wandelten.
Bleiben ſollte die Freude, das heißt: wir ſollt dieſen Umgang mit Ihm unterhalten — in unſern Ar beiten, in unſern Leiden, in unſern Erholungen in den finſtern und heitern Augenblicken unſers
Lebens. N 4 5 Unſere
3
Man
9298 r Weisung
„ * —
Unſere bleibende Freude ſollte Jeſus werden, wie Er einſt unſere ewige Freude ſeyn wird. Er wird unſer Ar feyn: in Ihm werden wir des Vaters ewiges Leben recht ſehen und genießen. .. Mit Ihm werden wir Eines ſeyn .. Dann werden wir Ihn ſehen; jetzt koͤnnen wir nur an Ihn glauben.
1 Am Oſtermontage. “ \ Chriſtus iſt leider noch nicht unſere Freude!
Chriſtus ſollte unſere lebendige, bleibende Frew de ſeyn: iſt Er unſere lebendige, bleibende Freude? Die Meiſten muͤſſen ſich's und Ihm bekennen: Er iſt noch nicht unſere lebendige, bleibende Freude.
Chriſtus iſt nicht unſere Freude. Denn wir ſind noch zu ſinnlich, zu irdiſch, um dieſe reine, himm⸗ liſche Freude zu genießen. Man kann nicht zwei Herren dienen: alſo koͤnnen wir auch nicht Freude haben an zwei Herren, fo wenig, als an dem, was zwei Herren gebie— ten. Jeder Menſch hat nur Ein Herz: alſo nur Eine gebietende Freude — und nur Einen Herrn. Es giebt ſo viele Menſchen, die ihren unvergaͤnglichen Willen an vergaͤngliche Guͤter verſchenket haben: Chriſtus kann alſo nicht ihre Freude ſeyn —
Nicht ſeine Lehre: Suchet eure Schaͤtze im Himmel! Nicht ſein Beiſpiel: Meine Speiſe iſt, den Willen meines Vaters zu thun.
Nicht ſein Leiden: Er war gehorſam bis in den Tod.
Nicht ſein Geiſt: Der Geiſt Jeſu iſt Liebe, Friede,
Demuth, Sanftmuth.
Nicht ſeine Perſon: Wer mich nicht mehr liebet, als Vater und Mutter, iſt meiner nicht werth.
RR
CF
) Vielleicht iſt es dem Leſer nicht unangenehm, den Faden der abgebrochenen Betrachtung zu feiner Erbauung hier verlän⸗ gert zu ſehen.
g. M. v. Sailers ſämmtl. Schriften. XXXV. Bd. 18
— 24 —
Nicht ſeine Verheißungen: Selig ſind die Reis nen, denn fie werden Gott anſchauen: wo Ich 9 wird auch mein Diener ſeyn.
Chriſtus iſt nicht unſere lebendige Freude. |
Denn ſonſt müßten unſere Gedanken, unſere Begier⸗ den, unſere Reden ſich am lie bſten, und fo oft, als möglich mit Jeſus beſchaͤftigen. Wo dein Herz, da dein Schatz. Unſer Leben müßte ein zweites Leben Jeſu ſeyn.
Chriſtus iſt nicht unſere bleibende Freude.
1 —
Wenn wir auch hie und da eine Freude an Chriſtus
haben, ſo iſt ſie augenblicklich, und verſchwindet wie der Rauch, oder wird doch bald verdraͤngt — von unſern Arbeiten, von unſern Nahrungsſorgen .. von
unſern Ergoͤtzungen .. von unſern Leidenſchaf⸗
ten .. von den Thorheiten der Welt. . von un⸗
ſern Kuͤnſten und Wiſſenſchaften. Denn die Zei⸗
ten ſind nicht mehr, wo alle Kuͤnſte und Wiſſenſchaften der Einen großen Kunſt und Wiſſenſchaft, Gottes Willen
zu erforſchen und zu vollbringen, wie eine treue Har
der gebietenden Seele zu Gebote ſtunden.
Am Oſterdienſttage.
Wie kann Chriſtus unſere lebendige, bleibende 7
Freude werden?
Schaffet den alten Sauerteig fort, und wer⸗
det ein neuer Teig: dieß iſt die rechte Antwort auf die obenſtehende Frage: Schaffet den alten Sauer⸗
teig fort: dann wird Chriſtus eure lebendige, ee
Freude werden. Der alte Sauerteig iſt die Gewohnheit, zu verlunge
zu denken, zu ſuchen, zu thun, was die Sinne, und un⸗ ſere zerruͤtteten Neigungen haben wollen, und das nicht zu verlangen, nicht zu denken, nicht zu ſuchen, nicht zu thun, was das Geſetz Gottes in uns haben will. Dieſe
u RT RD
= 225 —
Gewohnheit iſt tief gewurzelt in uns, und gleichſam unſere Natur. .
Wer dieſe Gewohnheit beſiegen will, muß erſtens fo ehrlich ſeyn, und ſich's, und Gott, und feinem Gewiſ⸗ ſensfreunde, der ihn zu Gott leiten kann und will und fol, geſtehen, daß er dieſer Gewohnheit dien e, muß bekennen, daß er ein Suͤnder ſey, muß ſich deßhalb von ganzem Herzen demuͤthigen, muß ſich ganz der Scham und Reue uͤberlaſſen.
Wer nicht redlich iſt, es nicht aufrichtig mit ſich ſelbſt und der Wahrheit meinet, wird das Verderben, das den geheimſten Grund ſeines Lebens verwuͤſtet, nicht er⸗ forſchen; wer es nicht erforſchet, kann es nicht kennen; wer es nicht kennet, kann es nicht verabſcheuen; wer es nicht verabſcheuet, kann nicht wuͤnſchen, daß das Beſſere an die Stelle des Schlechtern komme, und ohne dieſes Verlangen, beſſer zu werden, laͤßt ſich kein Anfang des Beſſern denken, keiner hoffen.
Wer dieſe Gewohnheit beſiegen will, muß zweitens Gottes Erbarmung anflehen, daß ihm durch unſern Herrn Jeſus Chriſtus Gnade werde, und daß ihm Kraft gegeben werde, ein anderer Menſch zu werden. Ohne Gnade Gottes iſt ja keine Vergebung der begangenen Suͤnden, und ohne göttliche Kraft kein volles Vermoͤgen, den Reizungen zu neuen Suͤnden ſtandhaften Widerſtand zu thun, und ohne Gebet keine rechte Fahigkeit, die goͤtt⸗ liche Gnade und Kraft zu empfangen.
Wer dieſe Gewohnheit beſiegen will, muß drittens nach -all feinem Vermoͤgen den Bewegungen feiner ſinn⸗ lichen Natur gegen das Gewiſſen widerſtehen. Wi⸗ derſtand iſt unentbehrlich, und gerade das, was der Menſch thun kann, und thun muß. Davon kann ihn keine Gnade losſprechen. Das kann kein Menſch fuͤr ihn thun. Er ſelbſt muß Widerſtand thun — dem Boͤ⸗ ſen, ſonſt kann er nicht gut werden.
Wer dieſe Gewohnheit beſiegen will, muß viertens im aufrichtigen Erforſchen und Bekennen ſeines Suͤnden⸗ * und in dem Gebete um Gnade und Kraft, und
183 *
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im Widerſtande gegen alle Bewegungen der verderbten Neigungen nicht müde werden, bis Chriſtus feine Freude, und er ein neues Geſchoͤpf in Chriſto wird, das vor Gott gilt, und ewig gelten wird, denn nur der Aueh rende kommt zum Ziele.
1 A va
Dieß find die Bedingniſſe, ohne die der alte Sauer: teig (das Leben aus dem Fleiſche) nicht fort⸗ geſchafft, und das neue Weſen, (das Leben aus Gott), das werden ſoll, nicht werden kann.
Wer Muth hat, ſich dieſe Bedingniſſe gefallen 3 laſſen, der komme, und nehme ſein Kreuz auf ſich, und folge in Geſellſchaft aller edlen Freunde Jeſu, Ihm, un⸗ ſerm Vorgaͤnger nach, und es wird uns Licht und Freude werden — und Jeſus ſelbſt wird unſere Freude werden, und dieſe Freude wird immerhin lebendiger werden, und bleiben — und ewig bleiben.
Wer aber nicht Muth hat, ſich dieſe Bedingniſſe ge⸗ fallen zu laſſen, der wird ganz leicht ſo viel Muth fin⸗ den, als dazu gehoͤrt, dieſe Bedingniſſe zuerſt unrecht zu verſtehen, und hernach zu laͤſtern; er wird aber auch noch mehr Muth noͤthig haben, all das Elend uͤber ſich er⸗ gehen zu laſſen, das daraus entſteht, daß man ſo gern ein Chriſt heißen mag, und ſo ungern ein Chriſt ſeyn will, und deßwegen, um mit Ehre vor den Menſchen We} ein Chriſt heißen zu koͤnnen, das große Chriſtenthum ſelbſt klein machet, und ſeinen verderbten Neigungen an⸗ bequemet: da es uns doch gegeben iſt, die verderbten Neigungen der Wahrheit zu unterwerfen, und d 2 Wahrheit über alle ihre Hinderniſſe ſiegen zu a Und dieſe Wahrheit konnte einſt nicht im Grabe behal ten werden: o, daß ſie auch in uns neues Leben 2
pe
und auch in uns über ee Suͤnde und alle Hinderniſſe ſiegte! Amen.
— 277 —
XXVII.
den dem Glauben an Gott Vater, Sohn und it sen Geiſt.
Predigt, onen zu Volmarsrieden, an dem hohen Feſttage der Drei» einigkeit, 1791.
*
„ *
Im Namen des Vaters, und des Sohnes, und des heiligen Geiſtes! Amen.
Ich habe unter den Geſetzen der chriſtlichen Verbindung, die hier zur Erloͤſung der gefangenen Chriſten errichtet wor⸗ den, eines geleſen, das im Grunde ein Geſetz fuͤr alle Chriſten iſt, und mir deßhalb vor allen wohlgefiel. Der Sinn des ſiebenten Geſetzes iſt dieſer: Es ſollen ſich alle Mitglieder in Allem ſo verhalten, daß ſie ſich durch chriſtlichen Wandel vor Jedermann als wahre Verehrer des Vaters, Sohnes und heiligen Geiſtes erweiſen. Das heißt: Man ſoll es ihnen an ihrem Wandel anſehen konnen, daß ie Verehrer, wahre Anbeter Gottes find. Dieß. recht verſtanden und ausgeuͤbt — iſt unſer ganzes Chri⸗ ſtenthum. So geſinnt ſeyn, fo reden, fo handeln, wie es guten Kindern des Vaters, treuen Juͤngern Jeſu, und edlen Zeugen des heiligen Geiſtes, der in ihnen iſt, ziemet; den Glauben durch Liebe, die Vereh— rung Gottes durch Heiligkeit des Lebens beweiſen, das iſt unſer Beruf, das die Lehre und der Sinn des Evans be Wenn alſo die Glieder dieſer Geſellſchaft dieſe
nzige Vorſchrift genau beobachteten: fo wuͤrden ſie ein Muſter aller wahren Chriſten ſeyn.
Vielleicht aber iſt es mit dieſem Geſetze unter euch, wie mit dem unbekannten Gott unter den Athenienſern; vielleicht koͤnnte Paulus auch unter euch ſagen: Was
= :- 278.
ihr unwiſſend verehret, das kunde ih euch an. F
Gott gebe, daß dieſe Beſorgniß ungegründet ſey, und wir Alle den Sinn der ſchoͤnen Vorſchrift recht verſtehen, und
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an uns wahr machen mögen! Mit dieſem Wunſche 2 2
ich an, nach dem Inhalt dieſer Vorſchrift, und na
dem Zwecke des Feſttages von unſerm Gott, dem jeder Tag unſers Lebens als ein Feſttag geweiht ſeyn ſoll, von dem Vater, Sohn und heiligen Geiſt das zu ſa⸗ gen, was uns zum Troſte, zur Beſſerung und zur Stärkung nach unſerm Beduͤrfniſſe dienen kann.
Es giebt fromme Menſchen, die nach dem Zeugniſſe eines guten Gewiſſens nicht recht froh werden koͤnnen, weil zu ſchwere Leiden auf ihnen liegen; dieſen ſaget der heutige Tag: Faſſet Muth, ihr Frommen, ihr habet einen Vater im Himmel, der euch troͤſten kann und will! Es giebt blinde, kuͤhne Suͤnder, die ihres Gottes und Heils vergeſſen, lieben und thun, was ihnen die gebietende Luſt ihres Herzens eingiebt; dieſen ruft der heutige Tag zu: Kehret um, kehret um zu
eurem Gott; denn ihr habt einen Freund im
Himmel, der für euch aus Liebe ſtarb, und wenn
euer Herz durch Liebe nicht kann gewonnen werden: kehret um, denn ihr habt einen Rich⸗ ter im Himmel, der alles Boͤſe ſtrafen wird!
Endlich giebt es auch Menſchen, die zur Buße er⸗ weckt, gern von ihren Suͤnden aufſtehen, und ſich davor bes wahren moͤchten — und zu ſchwach, den Verſuchungen zu
widerſtehen, wieder fallen: dieſen ſagt der heutige Tag:
Vertrauet auf Gott, denn es iſt ein heiliger Geiſt, der euch ſtaͤrken kann, daß ihr nicht mehr a fündiget. Bittet um Ihn, und ſtreitet mit Ihm
— damit ihr ſieget! Dieſen Ruf des heutigen Feſt⸗ tages an eure Seelen moͤchte ich, nach meinem geringen
Vermoͤgen, dolmetſchen, und es nicht ſo faſt mit Worten
beweiſen, als an mir und meinen Zuhoͤrern darthun
koͤnnen, daß der Glaube an Gott den Vater, Sohn un heiligen Geiſt
I. Alle Leidende trösten, ie 4 II. Alle Suͤnder zur Buße erwelchen u
PR, ORDER:
III. Alle Streitende zum fernern Streite 12 ſtaͤrken könne. Um dieſen Segen bitte ich im E Ay Namen des Vaters, Sohnes und Hei Geiſtes, Amen! | Bun J.
Faſſet Muth, ihr Frommen, denn wir haben einen Vater im Himmel, der euch troͤſten kann und will und tröften wird, wenn ihr euer Herz vor ſeinem Troſte nicht ver⸗ ſchließet!
Zwar in den erſten Augenblicken der Leiden werden
wir gewoͤhnlich von dem Schrecken betaͤubt, oder von
dem Schmerzen gebunden, daß wir nicht aufſehen koͤn⸗ nen — zum Vater im Himmel, und Troſt empfangen.
Aber, wenn wir fo recht fühlen, was wir verloren ha⸗
ben, wenn wir weinen koͤnnen, (denn auch weinen koͤn⸗
nen iſt eine Wohlthat) dann wird es uns nach und nach moͤglich, das thraͤnende Auge zu erheben gen Himmel, und wenn wir da recht ſuchen, fo finden wir gewiß eine freundliche Hand, die unſre Thraͤnen trocknet, und Troſt in das kranke Herz leget. Dieſe Hand iſt die allmaͤchtige
Vaterhand, die dieſe Welt gebaut, die uns in dieſen
Schauplatz hereingeführet, und die uns wieder ban
fuͤhren wird.
Wohl uns, wenn wir dieſe Vaterhand f chnelt er⸗ blicken, und kindlich anfaſſen lernen, und uns von ihr ohne Widerſtand leiten laſſen! Dann wird es an Troſt nicht fehlen. Wir haben einen Vater im Himmel, der um unſere Leiden weiß, der alle unſere Leiden aus weiſer Liebe über uns kommen ließ, der fie mit feinem allmaͤchtigen Arm zu unſerm Beſten lenken wird. Wer die Gabe hat, dieſes recht zu glauben, der hat einen Gott des EM und mit Ihm Troſt genug.
1.
Liebe Leidende! wir haben einen Vater, der um unſre Leiden weiß, und vor Grundlegung der Welt da- rum wußte. Er weiß um Alles, alſo auch um unſre
— 280 —
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Leiden. Er kennt die Leiden, ehe ſie kommen: alſo weiß. Er gewiß um fie, wenn fie da find. Er weiß um alle Leiden, alſo auch um die meinen. So ſoll die leidende Seele) zu ihrem Gott ſagen: Vater, du wußteſt 1 Grundlegung der Welt, daß das Schwert des Schmerz das Herz der Mutter Jeſu durchbohren wuͤrde: alſo weißt du auch um das Schwert des Schmerzens, das jetzt meine Seele durchſchneidet! Du wußteſt, wie es Abraham zu Muthe war, als ihm dein pruͤfender Wille verkuͤndet ward: er ſollte Dir ſeinen liebſten Sohn Iſaak opfern: Du weißt alſo auch, wie mir zu Muthe ſeyn muß, da mir das Liebſte entriſſen worden! Du wußteſt, wie es dem Vater Jakob zu Muthe ſeyn mußte, als ihm die falſche Botſchaft gebracht ward, ein wildes Thier haͤtte ſeinen Sohn Joſeph gefreſſen: Du weißt alſo auch, wie es mir zu Muthe ſeyn muß, da mir das einzige Kleinod mei⸗ nes Herzens geraubt worden — und dieſe Botſchaft leider! wahr iſt. Vater, Du wußteſt vor Grundlegung der Welt, daß dein Sohn, der Allerheiligſte, das Kreuz eines Miſſe⸗ thaͤters auf ſeine Schulter nehmen, zur Richtſtatt hinaus tragen, und daran ſterben wuͤrde: alſo kennſt du auch das ſchwere Kreuz, das mir jetzt auf die Schulter gewor⸗ fen worden! Du wußteſt um die finſtere Stunde, da der Sterbende ausrief: Gott, Gott! warum haſt du mich verlaſſen? Du weißt alſo auch um die finſtere Stunden, die mir alle Ausſicht verſchließen, und das nem⸗ liche Gebet: Gott, Gott! du mich verlaſſen? mei⸗ nem Herzen natuͤrlich machen.
Ich leide alſo unter einem allſehenden aug ell Der Blick des Vaters ſieht alle Leiden, ſieht alle Bewer gungen des bedraͤngten Herzens, die keinen Namen haben, ſieht allen Jammer, der auch den Seufzer erſticket, und
*) Hier hatte der Prediger die Mutter im Auge, die den Ver- luſt ihres ertrunkenen einzigen Sohnes, (ſieh die letztern pre. digten dieſes Bandes), noch lebhaft fühlte, und unter dem Volke, das der Predigt zuhörte, dem Ausbruche des Schmer⸗ zens hingegeben — mit rothgeweinten Augen daſtand, wie ein Bild des Leidens. Der Gott des Troſtes tröſte Sie! A
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die Thraͤne nicht fließen laͤßt. Es iſt ſchon etwas Troſt, ein mitleidend Herz kennen, in das man ſein Leiden aus⸗ ſchuͤtten kann: fol es kein Troſt ſeyn, ein Vaterherz wiſ⸗ ſen, dem man ſein Leiden nicht erſt klagen darf, das den Schmerzen ſchon kennt, ehe ihn die Zunge ausſpricht, oder die Thraͤne ankündet? Und dieſes Vaterherz hat * Vater im Himmel.
wu Ä Und diefer Vater, der um alle Leiden weiß, ließ ſie aus
weiſ er Liebe uͤber mich kommen. Dieß Leiden aus Liebe? aus Liebe? Ja, wahrhaftig, Gott iſt die Liebe!
Hier kann man nichts, als glauben, was man nicht ſieht; anbeten, was man nicht verſteht; hoffen, was man noch nicht hat. Der Vater iſt Vater, auch wenn er dem Kinde nicht nach ſeinem Willen thut. Das Kind leidet, aber an die Liebe muß es glauben — denn es ſieht dem Vater nicht in's Herz hinein. Unſer Gott iſt unſer Va⸗ ter, ſagt die Wahrheit Chriſtus: Er iſt alſo auch Vater, wenn wir leiden. Ueberall hat ſeine Liebe (um von
dem unbegreiflichſten Geheimniſſe aller Geheimniſſe recht
menſchlich zu reden), die Hand im Spiele, alſo auch in unſern Leiden. Die Leiden fuͤhlen wir — an die Liebe glauben wir. Vater, hilf uns, daß wir glauben! Ohne
des Vaters Willen regt ſich kein Blatt am Baume, und
kein Wurm im Graſe, und kein Sperling auf dem Dache: und es ſollte ohne des Vaters Willen der bit⸗ terſte Leidenskelch feinen geliebten Kindern gereichet wers den? Nichts geſchieht ohne ſeinen Willen, und unſer Herz ſollte ohne ſeinen Willen leiden?
Aber, wie kann der gute Gott ſeine n Kinder — denn von Frommen rede ich jetzt nur — ſo leiden ſehen, ohne die Leiden zu zernichten? Da kann kein
Menſch antworten — Was iſt, das iſt: Gott iſt die
Liebe, und wir leiden. Da iſt Anbetung am rechten Orte. Er ſieht, wo wir nicht ſehen; Er liebt, wo wir's nicht ahnen; Er ſegnet, wo wir nichts als Schlag
fuͤhlen. Laſſet uns alſo der Liebe nichts als Liebe zu:
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trauen — und die unerforſchliche Liebe im tiefſten eee. gen verehren! a
Engel, die im Lichte wohnen, begreifen nicht den "7 begreiflichen in Allem, was Er thut und fügt: und der Menſch, der jetzt noch im Finſtern tappt, will begreifen wo Engel anbeten? Paulus, der Dinge ſah, die kei Menſchenzunge nennen kann, konnte ſich doch nicht genug verwundern uͤber die Tiefe der Weisheit Gottes, und uͤber die Unerforſchlichkeit ſeiner Wege: und wir, denen die Weisheit des erleuchteten Paulus noch ein tiefes Geheimniß iſt, wollen die Weisheit Gottes und die wundervollen Fuͤhrungen ſeiner himmliſchen Liebe mit dem Einmal» Eind unſrer irdiſchen Begriffe ausrechnen, und das, was kein erſchaffener Verſtand meſſen kann, mit dem kurzen Maßſtabe unſerer Einſichten ausmeſſen? Laßt uns lieber bekennen: Gott iſt kein Menſch, und ſeine Wege ſind nicht die Wege der Menſchen. Doch nicht nur anbeten, auch hoffen koͤnnen und follen wit. Denn
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5. * Der Vater lenkt den Gottliebenden alle Leiden zu ihrem Beſten. Wenn Paulus kein Got. teswort gelehret hätte, als dieſes: fo würde ich ihm ewiz t dankbar ſeyn. Dem Gottliebenden dient Alles zum Beſten. Wie das Geruͤſte dazu dienet, daß das Haus ausgebauet werde, ſo dient in der Regierung Got⸗ tes das Leiden dazu, daß das Haus unſerer e Herrlichkeit ausgebauet werde. s
Das Leiden iſt bitter, aber die Frucht iſt f u Es war bitter für Jeſus, Geißelſtreiche, Dornenftiche, Hammerſchlaͤge leiden, und am Kreuze ausgeſpannt da⸗ hangen muͤſſen; aber die Geißelſtreiche, die Dornenſtiche, die Hammerſchlaͤge, das Dahangen am Kreuze dienten nur dazu, um die Frucht ſeines Leidens ſüßer, ſeine Herr⸗ lichkeit herrlicher, und feinen Sieg glaͤnzender, ſegenvoller zu machen. So mußte der Menſchenſohn leiden und in ſeine Herrlichkeit eingehen, ſagt Er nach ſeiner due
S
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hung felbſ. Wenn nun Jeſus Chriſtus, der Reinſte, der Beſte nur durch ſeine großen Leiden in die Herrlichkeit eingehen konnte; wenn Er in Allem unſer Vorgaͤnger und Muſter iſt: fo koͤnnen wir ja feinem und unſerm Vater nicht genug danken, daß Er uns auf dem koͤniglichen Wege des Leidens, und auf den hinterlaſſenen Fußſtapfen ſeines Sohnes in die nemliche Herrlichkeit einfuͤhret. O, wenn wir das Ende der Leiden ſehen koͤnnten; ſehen koͤnnten, wie die Leiden in der Krone unſerer Seligkeit die koſt⸗ lichſten Steine werden; ſehen koͤnnten, wie die Heiligen Gott mehr fuͤr ihre Leiden, als fuͤr ihre großen Freuden danken; ſehen koͤnnten, daß das Bitterſte gerade das Beſte für uns, das Schwerſte gerade das Wohlthaͤ⸗— tigſte für uns, das Schmerzendfle gerade das Heil⸗ | ſamſte für uns werden muͤſſe; hineinſehen koͤnnten in das Vaterherz Gottes, und in den Abgrund der Abgruͤnde — in das Reich ſeiner Liebe: o wie getroſt wuͤrden wir auf unſere Leiden hinſehen! wie ganz Dank und Lobge⸗ ſang wuͤrde unſer Herz werden und ausrufen: Wahrhaf⸗ tig, wir haben einen Vater im Himmel, der troͤſten kann und troͤſten a, und vollkommen tröſtet!
1 II.
Kehret um, ihr kuͤhnen Sünder, kehret um zu eurem Gott; denn ihr habt einen Freund im Himmel, der aus Liebe fuͤr euch ſtarb, und ei⸗ nen Richter, der jedem nach ſeinen Werken ver⸗ gilt! Es iſt fo viel Geheimniß volles in der Per ſon unſers Herrn, daß es kein menſchlicher Verſtand durchdringen kann; aber auch ſo viel Kraft volles in dem Glauben an Ihn, daß es dem menſchlichen Her⸗ zen ſchwer wird, der lebendigen Kraft dieſes Glaubens zu widerſtehen. „Jeſus Chriſtus der Sohn Gottes, uns ſer Herr, ſtarb aus Liebe zu uns, und wird in Ge⸗ rechtigkeit die Welt richten.“ Wen Liebe noch ruͤh⸗ ren kann, den ruͤhre ſie. Wen keine Liebe mehr ge⸗ Finnen kann, den ergreife Furcht, und erſchuͤttere ihn.
Jeſus ſtarb, und ſtarb aus Wahn und Ren: aus Liebe zu uns.
— 1 —
Jeſus, das Opfer der Liebe.
Es iſt für den ſinnlichen Menſchen viel Unbe greifliches in dem Tode Jeſu; aber, daß Jeſus das Opfe ſeiner Liebe war, und das Opfer ſeiner Liebe zu uns, da lehrt den Chriſten jener Geiſt, der nur Wahrheit le und der allein die Wahrheit offenbaren kann, wie fie if Unſer göttlicher Freund hat ſelbſt den Maßſtab der hoͤchſte Freundſchaft angegeben: Niemand hat größere Els be, als die, daß er fein Leben für feine Freun de daran giebt. Joh. XV, 13. Unſer goͤttlicher Hir hat ſelbſt den Maßſtab der erſten Hirtentreue angegeben Ein guter Hirt läßt ſein Leben fuͤr die Schafe Joh. X, 11. Nach dieſem Maßſtabe der hoͤchſten Freund ſchaft ſtarb unſer Freund für uns; nach dieſem Maßſtah der erſten Hirtentreue ſtarb unſer Hirt für uns: Ich Laffı mein Leben für die Schafe. Joh. X. 15. Dieſe Lieb unſers Freundes erkannten ſeine Jünger, und ließen ſig von ihr zu allem Guten treiben. Daran haben wir wie der Juͤnger der Liebe lehret, die Liebe erkannt daß Er ſein Leben fuͤr uns gelaſſen hat. 1 Joh III, 16. | | Be ;
Diefe Liebe hat Paulus in dem rechten Lichte erblis cket, und uns zu verſtehen gegeben, daß Jeſus unſen Freund war, ehe wir feine Freunde ſeyn konnten „Da wir noch ohnmaͤchtig im Verderben lagen, kam Chri⸗ ſtus und ſtarb fuͤr uns Gottloſe. Nun ſtirbt kaum Je mand um eines Gerechten willen; fuͤr einen Guͤtigen möchte. vielleicht noch Jemand zu ſterben wagen. So hat denn Gott feine Liebe an uns ganz beſonders erwieſen; Der Meſſias ſtarb fuͤr uns, da wir noch Suͤnder wa⸗ ren.“ Roͤm. V, 6— 8. Damit wir aber nicht waͤhnen, Jeſus ſey etwa nur fuͤr die Suͤnder ſeiner Zeit geſtorben, ſo hebt uns Johannes, der an dem Herzen Jeſu lag, den Vorhang, der vor dem Rathſchluſſe der hoͤchſten Gute hängt, noch weiter auf, und ſchreibt an ſeine Freunde: Meine Kinder! ich ſchreibe euch dieſes, damit ihr nicht ſuͤndiget; ſollte aber auch einer fündigen, fo haben wir bei dem Vater einer
Fürbitter, Jeſus Chriſtus, den Gerechten; Er iſt die Verſoͤhnung für unſere Sünden, und hi * nur fuͤr die unſern, Er iſt die Verſoͤhnung für die Suͤnden der ganzen Welt. 1 Joh. II, 1. 2.
# Wenn nun aber Jeſus aus Liebe für uns ſtarb, ſo ſtarb Er nicht, um uns etwa einen Freibrief zu erkaufen, kraft deſſen wir ungeſcheut und ungeſtraft noch ferner der Sünde dienen ſollten. Er ſtarb fuͤr uns, damit wir der Suͤnde ſterben, und Ihm allein le⸗ ben ſollten. Er ſtarb für uns, damit wir die Sünde gleichſam an's Kreuz ſchlagen, und mit Ihm zu einem beſ⸗ fern Leben auferſtehen ſollten. Er ſtarb für uns, damit dir als Freigelaſſene, und als neue Knechte der Gerech⸗ tigkeit nicht mehr der Luſt des Fleiſches, ſondern dem Triebe, des Geiſtes gehorſamen ſollten. Roͤm. VI, 22. II, 6. Deßhalben haben die Apoſtel unſers Herrn nir⸗ gends die Predigt gehalten: Suͤnder, ſuͤndiget unge⸗ ſcheut fort, wie vorher, denn Jeſus ſtarb fuͤr unſere Suͤnden; ſondern: Jeſus ſtarb fuͤr uns, darum thut Buße, und empfanget die Verge⸗ bung eurer Sünden, die euch in feinem Namen angeboten wird, und ſuͤndiget nicht mehr. Oder: Iſt denn das Blut Jeſu nicht gefloſſen, um a uns von aller Sünde rein zu machen? 1 Joh. I, 2.
Wie werden wir aber von der Suͤnde rein werden, wenn wir unſer Herz vor dem einſtrahlenden Lichte ver⸗ ſchließen, und uns von der Suͤnde immer noch unreiner machen laſſen? Wie werden wir im neuen Lichte wan⸗ deln, wenn wir immer, bei allen Einladungen dem Lichte zu folgen, blind den alten Finſterniſſen nachlaufen?
Der du aus Liebe zu uns in den Tod giengeſt, laß uns Du das Uebermaß dieſer deiner Liebe erkennen, zuͤnde Du durch das Feuer deiner Liebe zu uns, die Liebe zu Dir in uns an, damit wir von der Liebe zu Dir gedrun⸗ gen, die eitlen Goͤtzenbilder, denen wir bisher gedienet ben, die Wolluſt, die Ehre, den Geiz von ganzem Herzen verlaſſen, und uns zu dem lebendigen Gott von ganzem Herzen bekehren, Ihn allein anbeten, nach ſeinem
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Willen vor Allem fragen, ſeine Liebe uͤber Alles hock achten, ſeinen Willen ſtandhaft vollbringen, und in Bol bringung feines Willens leben und fterben wie Du!
Sollte aber die Liebe unſers Freundes, die aus fi nem Tode hervorleuchtet, nicht mächtig genug ſeyn, un vom Schlafe zu wecken: fo ſollte uns die Gerechtigfei unſers Richters wenigſtens erſchuͤttern. Zwar iſt die Furch vor dem Tage des Gerichtes noch nicht fie, die Tugen ſelbſt: aber es iſt doch beſſer, auf dem Wege zum Ver derben erſchuͤttert — und einige Augenblicke zur Beſinnun gebracht werden, und ſtille ſtehen, als unaufgehalten fort laufen. Es iſt dem Suͤnder der Zaum, der ihn von de Sünde zuruͤckhaͤlt, doch beſſer, als der no der 9 sur Sünde treibt,
Jeſus, der Richter der Welt.
Es iſt 1) ein Tag feſtgeſetzt, an dem die Welt wir gerichtet werden. Der Vater hat ihn von Ewigkeit fe geſetzt. Apoſtelg. XVII, 31. Dieſer Tag iſt keine . Einbildung eines ſchwachen Kopfes; er iſt im Rathe Got. tes genannt, ehe die Welt war. Wir wiſſen den nicht, wir koͤnnen nicht machen, daß er nicht komme, oder ſpaͤter komme: aber er kommt gewiß. So gewiß unſere Geburtsſtunde da war, ſo gewiß kommt der des Gerichtes. Es iſt 2) der Richter beſtimmt. Der Vater hat dem Sohne alles Gericht uͤberlaſſen. Joh. V, 2: 10 Der einſt in der Geſtalt eines unmündigen Kindes | Bethlehem in der Krippe lag, der wird in der Majeſtaͤt eines Richters wiederkommen; der ohne Suͤnde die Geſtalt des Suͤnders annahm, der wird das Urtheil uͤber die Sünder aussprechen; der am Kreuze hieng, wie ein Vers brecher, ob Er gleich die Gerechtigkeit ſelbſt war, der wird das Loos der Verbrecher und ihrer Richter entſchel den. Jeſus richtet mich, das kann Jeder mit Pa lus von ſich fagen. Es iſt 5) das Geſetz beſtimmt, nach dem die Welt wird gerichtet werden. Der Gerechte ride tet nach der Gerechtigkeit. Das Geſetz des Gerichtes iſt die Gerechtigkeit ſelbſt: Jedem nach feinen Werken: Truͤb⸗
— 282 — ſal und Angft über alle Seelen, die da Boͤſes thun: Ehre und Freude Allen, die da Eutes thun: Was Jeder in der Zeit ſaͤet, das wird er in der Ewigkeit ernten. Roͤm. II, 5— 11. Vor Jeſus Chriſtus gilt kein Anſehen der Perſon. Ob du reich oder arm, Fuͤrſt oder Unterthan, gelehrt oder ungelehrt, mächtig oder ſchwach, geehrt oder verachtet ge⸗ weſen ſeyſt, das aͤndert nichts an der Wage. Aber dar⸗ auf kommt Alles an, ob dein Sinn rein, deine Abſicht edel, dein Werk gut ſey — oder nicht. Es iſt 4) dieſer Tag, dieſer Richter, dieſes Geſetz der Gerechtigkeit fuͤr Alle, Lebendige und Todte, und nicht nur fuͤr alle Menſchen, ondern auch für alle Gedanken, Worte und Handlungen der Menſchen. Es wird jedes muͤßige Wort gerichtet wer⸗ den. Matth. XII, 36. Es wird alles Verborgene an das Licht kommen. 1 Kor. IV, 5. Der geheimſte Rath des Herzens wird offenbar werden. Der Sohn Gottes wird ns Alle, und Alles, was wir gethan, richten. Und dies es ſein Gericht wird 5) fuͤr die Ewigkeit entſcheiden. Der Vater wird an dem Ausſpruche ſeines Sohnes nichts umaͤndern; denn die Wahrheit und Gerechtigkeit des Herrn bleibt ewig. Jeſus wird ſein Urtheil nicht zuruͤcknehmen, denn Er kann das Geſetz der Wahrheit und Gerechtigkeit nicht umſtoßen. Die Heiligen Gottes werden an die⸗ ſem Ausſpruch nichts aͤndern koͤnnen, und nichts andern vollen; werden ſelbſt verdammen, was Jeſus verdammet, verden die Wahrheit und Gerechtigkeit anbeten. Die Sünder werden an dieſem Ausſpruch auch nichts Ans dern konnen; denn es kommt eine Nacht, in der Niemand wirken kann. So lehrt uns unſer Evangelium, welches zwar fuͤr Alle, die Buße thun wollen, eine Botſchaft der Freude, aber auch fuͤr Alle, die in der Suͤnde verharren zollen, eine Botſchaft des Schreckens iſt, wie Petrus vor Kornelius und ſeinen Freunden lehrt: Und Jeſus hat uns geboten, dem Volke zu predigen, und zu bezeugen, daß Er von Gott zum Richter der Lebendigen und Todten verordnet ſey; von Ihm zeugen alle Propheten, daß durch ſeinen Namen Alle, die an Ihn glauben, Vergebung der Sünden empfangen. Apoſtelg. X, 42. 43. |
— ZB: —
Nun, meine Lieben, ich habe kein anders Eva
an euch, als das Jeſus auf Erden gebracht, und
feine Apoſtel verkuͤndet haben! Und nach dieſem Evangı lium — kann es dem Suͤnder, der ein Sünder bleil will, nicht wohl ergehen. Kuͤſſet den Sohn, um wenn ihr an Ihm die Liebe, die Ihn in den Tod hin gab, nicht lieben koͤnnet, fo zittert vor der Gerechtigkeit die Ihn wiederbringen, und durch Ihn Jedem nach ſei nen aten vergelten wird! 4
III. 3 5 1
Vertrauet auf Gott, ihr Streitende, ver trauet auf Gott, denn es iſt ein heiliger Geiſt der euch ſtaͤrken kann, daß ihr nicht mehr ſuͤ | diget! Bittet um Ihn, und ſtreitet mit Ihm damit ihr ſieget! Dieſes Wort der Ermunterung i iſ denen geſagt, die gern von aller Sünde rein werden moͤch ten, dabei aber die Uebermacht ihrer ſinnlichen Luͤſte leb haft fuͤhlen, ſtreiten und fallen, wieder ſtreiten und wie der in Gefahr ſind zu fallen. Es iſt ein heiligen Geiſt, der euch ſtaͤrken kann. Es iſt ein heiligen Geiſt, der die Liebe Gottes in den Herzen der Men ſchen ausgießet, und wo dieſe Liebe lebet, da iſt Kraf und Luſt zum Streiten. Roͤm. V, 5. Wer die Liebe hat der kann nicht nur ſtreiten, er wird auch uͤberwinden denn fie iſt ſtaͤrker als Tod und Hölle. Es iſt ein hei liger Geiſt, der uns zum Guten treibt. Und wer dieſen heiligen Treiber in ſich hat, der iſt ſtaͤrker als das Fleiſe ch, das zur Sünde treibt. Roͤm. VIII, 14. Es iſt ein heil ger Geiſt, der den Kindern Gottes bezeuget, daß Gott ihr Vater, fie feine Kinder, Chriſtus ihr Bruder, und fie feine Miterben find. Roͤm. VIII, 15 — 12. Wer dieß Zeugniß in ſich hat, der kann alle Reize der Vergaͤnglich⸗ keit verachten, kann ſich uͤber ſich ſelbſt erheben, und nur den Willen ſeines Vaters thun. Es iſt ein heiliger Geiſt, der die Schwachheit der Frommen unterſtützet, und U ihnen mit unausſprechlichen Seufzern bittet, und für fie bittet. Roͤm. VIII, 26. 27. Wer dieſen göttlichen‘ Beter in ſich hat, der wird gewiß Erhoͤrung kae md
— 289 —
6 Kraft, die Sinne 10 Vernunft, und dieſe dem Vater alles Lichtes zu unterwerfen. Es iſt ein heiliger Geiſt, der Verehrer unſers Herrn Jeſu Chriſti in die rechte Wahr⸗ . heit einleitet, an die Wahrheit erinnert, und die Suͤnde ſtraft. Joh. XVI, 13. Wer nun dieſen Lehrer, dieſen Erinnerer an die Wahrheit, dieſen Strafer alles Unglau⸗ bens und Ungehorſams in ſich hat, und auf feine Stimme horchet, dem wird es nicht zu ſchwer werden, gegen Luͤ⸗ gen und Thorheit zu ſtreiten. Und dieſen heiligen Geiſt, der die Liebe Gottes in die Herzen der Menſchen aus⸗ gießet, der ſie zu allem Guten treibt, der uns die Wuͤrde, Gottes Kinder zu ſeyn, bezeuget, der unſere Schwachheit ſtuͤtzet, und in uns bittet, der uns lehret, ermuntert, ſtrafet, dieſen heiligen Geiſt giebt der Vater denen, die Ihn darum bitten. Luk. XI, 13. Goͤttliches Evangelium! wie troſtvoll biſt du in deinen Verheißungen! — Was könnten wir anders als verzwei— feln, wenn wir uns ſelbſt aus eigener Kraft heilig machen muͤßten? Kann doch wohl die Natur — die Natur beſie⸗ gen? Wer kannte die Natur beſſer als Paulus, und die⸗ ſer erleuchtete Kenner der menſchlichen Natur beſchreibt den Menſchen ſich ſelbſt gelaſſen, nach dem Leben. Das Gute, das er will, das thut er nicht, und das Boͤſe, das er nicht thun will, das thut er. Das Wol⸗ len liegt ihm an, aber das Vollbringen findet er nicht. Indem er aber thut, was er nicht will, ſo zeugt er gegen ſich, daß das Geſetz gut ſey. Eigentlich thut nicht er das, was er nicht will, fondern die Sünde, die in ihm wohnet. Er hat nach dem inwendigen Menſchen eine Freude an dem Geſetze Gottes, aber er fuͤhlet ein an⸗ deres Geſetz in feinen Gliedern, und dieſes es ſetz ſtrebt gegen das Geſetz des Gemuͤthes, und nimmt ihn gefangen ꝛc. Röm. VII, 15. 24. Wenn wir nur auf das Geſetz der Glieder, und auf die eiſerne Gewohnheit zu fündigen, ſehen: fo müßten wir den Muth zu ſtreiten, und die Hoffnung zu ſiegen verlie⸗ ren. Aber der nemliche erleuchtete Kenner der menſch⸗ lichen Natur beſchreibt gleich darauf einen andern Men⸗ J. M. v. Sailers ſämmtl. Schriften. XXXV. Bd. 19 *
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fchen, den Jeſus frei und neu gemacht. Dieſer neue Menſch dient nicht mehr der Sinnlichkeit, ſonde dem Geiſte; dieſer Geiſt Gottes wohnt in ihm; ve Kraft dieſes Geiſtes toͤdtet er die Luft des Fleiſches; d 5 ſer Geiſt treibt ihn; von dieſem Geiſte belehret, ſpricht =
mit Zuverficht eines Sohnes zu Gott: Vater; von diefen Geiſte bekommt er die Verſicherung, ein Miterbe * zu werden; von dieſem Geiſte erleuchtet, findet er die Leide dieſer Zeit viel zu geringe gegen die Herrlichkeit der kunft; von dieſem Geiſte geſtaͤrkt, iſt er ſelig in der Hoff nung; an dieſem Geiſte hat er einen Helfer, der ihn it allen Schwachheiten unterſtuͤtzet; durch dieſen Geiſt h er die Liebe gegen Gott, und an der Liebe ein Unt pfand ſeiner Seligkeit. Roͤm. VIII, 1— 39.
Faſſet alſo Muth, ihr Alle, Bi ihr im Ernfte fe werden wollet, bittet um den heiligen Geift, und 50 6 tet nach der Kraft, die euch gegeben wird, gegen das Boͤſe, und ihr werdet täglich ſtaͤrker werden, und im Streite ſiegen! Lernet beten und ſtreiten — und der Sieg wird euer ſeyn! Lernet beten und ſtreiten nach be Kraft, die euch ſchon gegeben iſt, und der heilige Gei wird euch ſelbſt immer beſſer beten, kaͤmpfen, ſie gen lehren! Dieß iſt die klare Lehre des heiligen Paulus | die er nicht mit dem Kopfe erfonnen, oder von einem andern Menſchen angenommen, ſondern unmittelbar von feinem Lehrer Jeſus Chriſtus empfangen hat. An Lehre haben ſich alle wahre Chriſten bis auf dieſe Stun Bi gehalten, und fie durch Ausuͤbung wahr befunden. dieſe Lehre wollen wir uns auch halten, und f e, 60 tt gebe, durch Ausübung wahr finden! 5
Und ſo werden wir den Vater, von dem alles Gut t kommt, und den Sohn, d urch den alles Gute kommt, und den heiligen Geiſt, in dem alles Gute kommt, een 4 | fer kennen lernen, und der große Segen des heiligen? A ſtels wird auch an uns erfüllet werden:
Die Gnade unſers Herrn Jeſus Chriſtus, die Liebe Gol . tes (des Vaters) und die Gemeinſchaft des heiligen Ge ſtes ſey mit euch 92 Amen. Ä Re,
— 291 —
predigten
einigen Feſttagen der Heiligen.
XXVIII. leder den reinen, ſtillen Sinn der Mutter Jeſu.
. gehalten im Congregationsſaale Fu Dillingen am 8. December 1790
Maria bewahrte alle diefe Worte wohl, und erwog fie in ihrem Herzen. Lucas II, 19. | (Maria) feine Mutter bewahrte alle diefe Worte in ihrem Herzen. N Lucas II, 51. Maria aber ſprach: Meine Seele erhebt den Herrn! gucas I, 46.
Theure Freunde in unſerm Herrn Jeſus Chriſtus!
Dit} as wollen wir? Wie koͤnnen wir erreichen, was wir wollen? Laßt uns die Abf icht des Tages fragen, damit wir genau wiſſen, was wir wollen! Laßt uns der Abſicht des Tages nachkommen, damit wir errei⸗ chen, was wir wollen!
Das Feſt, das wir heute feiern, erinnert uns an den reinen, ſtillen Sinn der Mutter Jeſu, dieſer Geſegne⸗ ten aus dem Weibergeſchlechte! Sie gefiel Gott, denn ſie war rein und ſtille. Sie war rein — haßte die Suͤnde, und beſonders die Eitelkeit, und Alles, was den
Geiſt des Menſchen beflecket. Sie war ſtille, liebte die Einſamkeit, redete wenig, hatte ihre Freude in ihrem Herzen, ſchrie nicht, zankte nicht, tadelte nicht.
Wie kam Sie denn aber zu dieſem reinen, ſtillen Sinn? Durch Gott — denn alle gute Gabe kommt vom Vater alles Guten.
19 *
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Aber, Gott iſt für alle Menſchen Gott: warum werden nicht alle ſo rein, und ſo ſtille, wie die Mutter Jeſu? Sie ließ die Gabe des Himmels nicht oͤde lie
gen — ſie arbeitete mit Gott, mit ſeiner Gabe.
Und worin beſtand denn dieſe Arbeit? Sie 5 vorzuͤglich im Nachdenken und im Beten. iſt uns alſo ein Beiſpiel des rechten e des rechten Betens. 9
Hoͤret mich — zu euerm Beſten! und nicht nur 995 ren — ſollet ihr: laßt uns hernach uͤber das ain auch nachdenken, laßt uns beten, daß das Gehörte Frucht bringe; laßt uns ſtille und rein werden wie Maria war: das iſt * was wir wollen, was wir werden ſollen. 4
A. Nachdenken.
Ehe ich das Beiſpiel der Mutter Jeſu anfuͤhre, muß ich einem Mißverſtande zuvorkommen. Wenn ich vom Nachdenken rede, ſo rede ich nicht von dem Nachden⸗ ken der Gelehrten, ſondern von einem ſolchen Nach⸗ denken, das auch fuͤr uns Ungelehrte nicht zu hoch, un d nicht zu ſchwer iſt. #
Auch gemeine Leute haben einen Verſtand, koͤnnen nachdenken, ſollen nachdenken. Das Vieh kann nicht nachdenken, aber der Menſch ſoll nachdenken, weil er nachdenken kann, weil er mehr iſt, als das Pferd an ſeinem Wagen. 7
Nachdenken heißt aber: wenn man etwas ſieht, hr, 1 liest, wahrnimmt, erfaͤhrt, empfindet, dabei ſtille halt mit ſeinen Gedanken, und ſich ſelbſt fragen: *
Was iſt das, das du geſehen, gehoͤrt, geleſen, wal hr:
genommen, erfahren, empfunden haft? BE; 7
Warum iſt es ſo und nicht anders? Dre
Wozu ift es da?
Was habe ich daraus zu Innen?
Was wird geſchehen, wenn ich dieſes thue 2.
Iſt dieß gut, ſchoͤn, loͤblich — oder nicht?
Wie iſt mir dabei zu Muthe?
— — 1 ? 1 5 ER, 33
— 205 —
Iſt es gewiß wahr, was ich fuͤr wahr halte? Mn u. ſ. w. Nachdenken heißt: vergleichen, erwägen, be trachten, was wir vergleichen, erwaͤgen, betrachten koͤnnen. Maria hatte ihre Freude daran, uͤber Alles, was ſie ſah, hörte, empfand, nachzudenken. Die Geſchichte giebt zwei ſchoͤne Beweiſe davon, den erſten Luk. II, 8— 19.
Nachdem Maria ihren Sohn geboren hatte, kamen die Hirten, von einem Engel belehret, nach Bethlehem, und freuten ſich das Kind in der Krippe zu finden, und erzählten: „Als fie die Nachtwache hielten, ſey des Herrn Engel über ihnen geſchwebet, ein himmliſcher Lichtglanz habe ſie umſtrahlet, und der Engel zu ihnen geſprochen: Fuͤrchtet euch nicht: ich habe euch eine große Freude zu verkünden; heute Nacht iſt euch der Heiland, der Meſſias geboren worden — in der Stadt Davids: daran koͤnnet ihr ihn erkennen, wenn ihr ein eingewundenes Kind in einer Krippe werdet liegen fehen; darauf habe ſich mit die ſem Engel eine zahlloſe Schaar der himm⸗ liſchen Geiſter vereiniget, Gott gelobet und geſungen: Ehre ſey Gott in den de Frie⸗ de auf Erden! — — —
Wie Maria dieſe Worte aus dem Munde der Hir⸗ ten vernahm, bewahrte ſie, ſagt der Geſchichtſchreiber, alle dieſe Worte in ihrem Herzen, und e r⸗ wog ſie. | Das heißt nachdenken: behalten, BERN was man hört, und vergleichen, erwägen.
Die Andern, die diefe Erzählung auch mit anhoͤr⸗ ten, verwunderten ſich: Maria behielt fie, bewahrte fie, erwog ſie. i
Maria behielt fie — denn wer nicht nachdenkt, vergißt gleich wieder, was er gehoͤrt. Und ein ſolcher Menſch, der nicht nachdenkt, iſt wie ein Geſchirr, das keinen Boden hat. Was du oben hineinſchuͤtteſt, das
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fließt unten heraus. Ein ſolcher Menſch Yan viel 4 behält nichts. Br
Maria bewahrte fie — wie der Geizige ein Goldſtuͤck bewahrt, daß es ihm nicht geſtohlen werde: ſo bewahrte Maria Alles, was fie von den Hirten VE nahm. Das Geburtslied, das die Engel ihrem Kinde geſungen; das Wort: der Heiland iſt euch geber das Wort: Ehre Gott in den Höhen; Wort: Friede auf Erden, legte ſie ſich tief in Herz, grub es durch Nachdenken noch tiefer ein.
Maria erwog ſie — wie der Handelsmann die Koͤrper, die fi ich wägen laſſen, auf die Wage legt, um zu wiſſen, wie ſchwer ſie ſeyen: ſo legte Maria Alles, was ſie von ihrem Kinde hoͤrte, gleichſam auf die Wage, verglich eines mit dem andern, verglich das, was Gabriel ihr ſelbſt geſagt hatte, mit N was die Engel geſun⸗ 1 gen. — |
Einen andern Beweis von ihrem N erzählt der naͤmliche Geſchichtſchreiber. Luk. II, 41 — 51. „Als Jeſus, zwoͤlf Jahre alt, nach Jeruſalem auf das Feſt gegangen, und nach der Abreiſe ſeiner Mutter noch drei Tage im Tempel zu Jeruſalem zuruͤckgeblieben war, und ihn die fromme Mutter nach langem Suchen endlich doch fand, und ihren Schmerzen nicht unterdruͤcken konnte — mit den Worten ihm Luft machte: Sohn, wie konn⸗ teſt du uns dieß Herzeleid anthun? gab Jeſus die tref⸗ fende Antwort: Wiſſet ihr denn nicht, daß ich in der Angelegenheit meines Vaters bleiben mußte? — — Und alle dieſe Worte, ſetzt der Geſchichtſchreiber hinzu, bewahrte ſeine Mutter in ihrem Herzen
O du ſchoͤner, ſtiller Sinn, o du edle Seele, du hate teft keine Freude an dem, was eitle Menſchen dichten, reden, bauen, unternehmen, zerſtoͤren, wieder erbauen, wieder zerſtoͤren! Die Offenbarungen Gottes an dir und deinem Sohne waren deine Luſt. Der Wille des himm⸗ liſchen Vaters war der Schatz deines Herzens. 2 dieſen Schatz dachteſt du, dieſen behielteſt, bewahrteſt du
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Dadurch blieb fie rein, weil fie ſich fo gerne mit dem reinen Willen Gottes unterhielt. Dadurch brachte der Samen des göttlichen Wortes hundertfaͤltige Früchte in ihr, daß ſie ihn in ihr Herz aufnahm, und in ihrem Herzen bewahrte. Das war ihr liebſter Gedanke: was will Gott? Wie kann ich Gott gefaͤllig werden? Und eben deßwegen, weil wir die göttliche Wahrheit,
die wir leſen, hoͤren, nicht in unſerm Herzen bewahren,
eben deßwegen ſind und bleiben wir ſo unrein.
Das Samenkorn faͤllt, wie Chriſtus lehrt, bei uns ſo
oft auf den Weg hin — die Voͤgel des Himmels freſ— ſen es auf. Wir hoͤren nur, was uns geſagt wird, aber
nehmen es nicht zu Herzen, denken nicht daruͤber nach, bewahren es nicht. a
Das Samenkorn faͤllt bei uns ſo oft unter Dornen — die Sorgen, Speiſe zu bekommen, reich zu werden,
erſticken die Sorge, fromm zu werden; wir denken ſelten und nur flüchtig daran, was wir ſeyn ſollten, und
bleiben unreine, befleckte Menſchen. Das Samenkorn faͤllt bei uns ſo oft auf einen Fel⸗
fen — es kann nicht tiefe Wurzel ſchlagen, kann nicht fortkommen — verdorrt wieder: die geringſte Truͤbſal
macht uns mißtrauiſch auf Gott — wir vergeſſen, was wir ſeyn ſollten; wir bewahren das Wort Gottes nicht — bleiben unrein und werden immer unreiner. Aber ſelig, ſelig, ſagt der naͤmliche Chriſtus, ſelig, die das Wort Gottes hören und bewahren. Ich weiß wohl, was einige ) meiner Zuhörer dabei
denken werden: ich kann nicht einmal leſen, ſagt Einer; ich bin immer ſo zerſtreut, ſagt ein Zwei⸗ ter; ich kann nicht nachdenken, wenn ich auch wollte, ſagt ein Dritter. Ich aber ſage euch: ihr koͤnnet, wenn ihr wollet, und beweiſe es:
Du kannſt nicht leſen — aber wenn dir etwas an
dem Pfluge, oder Dreſchflegel, oder an der Windmuͤhle bricht, ſo laͤſſeſt du es wieder ganz machen; du weißt
RR * Es war viel Landvolk unter den Zuhörern dieſer Predigt.
4
— 296 — gleich, wo es fehlet, und wer helfen koͤnne, und wie geholfen werden muͤſſe: warum? weil du mit dieſe Sachen ſchon lange bekannt biſt. Nun ſieh, wenn d auf dich Acht haͤtteſt, ſo oft an dich daͤchteſt, als du den Pflug denkeſt, ſo wuͤrdeſt du auch uͤber dich na ö denken koͤnnen!
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guͤtig und weiſe ſey, weil Er für uns fo vaͤterlich \ * get, daß wir Brod zum Eſſen, Licht zum Sehen, Luft zum Athmen, Waſſer zum Trinken, Feuer zum Emir. men, und Decke zur Kleidung haben. |
Du kannſt nachdenken, wenn du willſt. Und, wenn du auch nicht leſen kannſt, ſo kannſt du dich doch fragen: Iſt es erlaubt, zu ſtehlen, zu luͤgen . 1
Iſt es ſchön, Almoſen geben, ſeinen Feinden ver⸗ zeihen, Jedem geben, was recht iſt?
Iſt mir nicht wohl, wenn ich thue, was recht iſt? a
Iſt mir nicht übel, wenn ich thue, was unrecht iſt?
Du kannſt dich fragen: was will Gott, daß ich thun, laſſen, leiden ſoll? thue, laſſe, leide ich, was ich fol? J Du kannſt nachdenken; kannſt doch mit dem Nach. bar reden vom Kriege, vom Frieden, vom Kaiſer Leopold: alſo koͤnnteſt du wohl auch mit dir ſelbſt reden. 5
Du kannſt, aber du willſt nicht! Eben darum wirſt du ſo neidiſch, ſo muͤrriſch, ſo traͤge, ſo ſinnlich, ſo unrein, weil du nie in dein Herz hineinſchaueſt — und ohne Gedanken dahinlebſt, wie das Thier, das keine Ver⸗ nunft hat.
B. Beten.
Beten heißt, wie ihr eure Kinder unterrichtet, f ein | Herz zu Gott erheben. Aber was ift denn W ſe in Herz zu Gott Waben 6
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— 292 — f Wer beten will, der muß ſich 1) feinen Gott gegen⸗ waͤrtig vorſtellen, gegenwaͤrtiger, als was er Augen fieht, und fo gegenwärtig, als ſich der Menſch lbſt iſt.
Wer beten will, der muß ſich 2) ſeinen Gott gegenwärtig vorſtellen, als einen hoͤchſt guͤtigen, weis ſen, heiligen, gerechten, mädtigen, barmher⸗ zigen Herrn, Schoͤpfer, Vater, Regierer aller Ge iſter.
Dieß iſt die Vorbereitung zum Gebete: wer ſich nun ſeinen Gott gegenwärtig vorftellt, und ſich Ihn, als feis nen höchft weiſen, guͤtigen, gerechten, heiligen, mächtigen Herrn, Schöpfer, Vater und Regierer vorſtellt, und 3) fein Herz vor ihm reden laͤßt, der betet. Wer Ih m die Noth klagt, die ihn oder Andere druͤckt, Ihn um Huͤlfe anflehet, die er oder Andere jetzt noͤthig haben, Ihm danket fuͤr die Wohlthaten, die er oder Andere empfangen, Ihn um Vergebung der Suͤnden, die er oder Andere begangen, anflehet, Ihn lobet, Ihn anbetet, Ihm gehorfamet, Ihm feine Neigung opfert, Ihm vers traut, an Ihn ſich anhält, Ihn um feinen Geiſt bittet, ſich an Ihn ganz ergiebt, und dieß Alles aufrichtig, ohne Falſch, von ganzem Herzen, der betet.
Wie Maria eine Luſt zum Nachdenken hatte, ſo hatte fie eine noch größere zum Beten.
Wer gerne mit ſich umgeht, der ſoll noch lieber mit Gott umgehen, das heißt beten. |
Maria betete gerne. Ihr Gebet, das fie bei dem Beſuche ihrer Baſe aus dem Grund ihres Herzens ſprach, iſt doch eines der ſchoͤnſten Gebete, die je aus dem Her⸗ zen eines Menſchen gefloſſen.
Sie erhebt ihr Herz zu Gott — fie betet. Meine Seele, ſprach ſie, lobpreiſet den Herrn. Gott iſt wahrhaftig groß, weil Er die Heiligkeit und Seligkeit ſelbſt iſt, und alle Welt ſoll Ihn kennen und verehren, und lieben. Das wuͤnſchet Maria, und dieſer Wunſch . Gebet.
Sie hat ihre Freude an Gott, und nur an Gott, ie in Gott nur Gott — fie betet. — Mein Geiſt
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jauchzet in Gott meinem Heile. Gott if die Duel alles Guten. Wer etwas Gutes empfaͤngt, ſoll ſich Quelle freuen, und nicht bei der Wohlthat ſtehen bleib Maria ſchwingt ſich auf zu dieſer Quelle, und freut f
derſelben, und dieſe Freude iſt Gebet. 3
Sie beuget, erniedriget ſich vor Gott — ſinkt von dem, der alles Gute in ſich hat, in ihr Nichts hir — ſie betet. Auf ſeine geringe Magd ſa Gott herunter. Wer ſich vor dem Allerhoͤchſten nicht geringe fühlt, iſt nicht nur geringe, ſondern e a er ſein Elend nicht erkennet. . Maria fuͤhlt ſich unwuͤrdig aller Gnade, die ſie herabſtroͤmt, und ſieht an der Gnade nichts als Gnai und an Gott nichts als Großmuth, und an ſich nich als eine Magd des Herrn. Und dieſer wahre Blick auf Gott und auf fi ſich — iſt Gebet. 1
Auch die Ehre, die ihr die Voͤlker erweiſen werden, weiſet ſie ſchon zum voraus auf Gott zuruͤck, der an ihr große Dinge gethan — ſie betet. Sieh! von nun an werden mich ſelig preiſen alle Geſchlechter, denn Er hat große Dinge an mir gethan, der da mächtig iſt, und deſſen Name heilig iſt. Sie freut ſich nicht, daß ſie ſelig geprieſen, ſondern d Gott durch ſie verherrlichet wird, und dieſe ee iſt Gebet.
Daran, daß ſie zur Mutter des Herrn erwͤhlt wa ſollen die Voͤlker der Erde erkennen, wie maͤchti wie heilig, wie barmherzig Gott ſey; wie Er die Hoffaͤrtigen erniedrige, und die Niedrigen erhebe; wie Er die Satten hungrig, und die Hungrigen fatt werden laſſe; wie Er ſich fer nes Dieners Iſrael annehme, und die Verhei⸗ ßung erfuͤlle, die Abraham gethan war Dieſes wuͤnſchet, deſſen freuet ſich Maria — ſie betet. N Gottes Guͤte und Heiligkeit, Gottes Macht und Barm⸗ herzigkeit, Gottes Willen und Gottes Ehre iſt gleichſat das Meer, in dem Maria lebet — und außer dieſe mag ſie nicht leben. In dieſem Meere ſchwimmen ihre
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jebſten Gedanken, ihre ſchoͤnſten Wuͤnſche. Und wo des ge liebfte Gedanken und ſchoͤnſte Wuͤnſche find, da t der Menſch. Er iſt nicht, wo er lebt, ſondern oo er liebt.
earia betet, denn fie ergiebt ſich an die Erbars nung, die die Gottesfuͤrchtigen von Geſchlecht zu Ge⸗ chlecht ſegnet, ſtuͤtzt ſich auf die Treue, die mehr thut, als was fie verheißen; hält ſich an die heilige Güte, sie den Hochmuth niederdruͤckt, die Demuth hoch erhebt, ie Armuth reich und den Reichthum arm macht.
Maria betet, denn ſie glaubt an Gott, wie wenn ie Ihn ſaͤhe; vertraut auf Gott, wie wenn ſie die Erfuͤllung aller Verheißung ſchon in ſich truͤge; fie liebt Ihn uͤber Alles, als wenn außer Gott und ihrer Seele lichts lebte.
Maria betet, hat vertrauten Umgang mit dem aller⸗ reinften Weſen, und weil fie betet, weil fie vertrauten Umgang mit dem allerreinſten Weſen hat, ſo wird und ſt und bleibt ſie auch rein — — haſſet, was Gott haſ⸗ et — alle Sünde; liebet, was Gott liebet — alles Jute — wird, iſt und bleibt heilig im Umgange mit dem Heiligſten.
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Beſchaͤmt ſtehe ich vor dem Muſter da, und kann nichts — als zweimal wuͤnſchen: Laßt uns nachdenken lernen, meine Theuren! da⸗ mit wir ſtille wie Maria, laßt uns beten lernen, da⸗ mit wir rein werden wie Maria!
Der uns den Wunſch in das Herz legte, mach' ihn zur That! Amen.
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— 300 — 7 s. der wahren Sottfeligheit Predigt, Ri
gehalten am Gedächtnißtage des heiligen Joſeph in der Pl kirche zu age 1792. Far
Die Gottſeligkeit iſt zu allen Dingen nütze; denn fle hat de 2 . heißung dieſes und des zukünftigen Lebens. 1 Timotb. IV, 8.
Wer ein e r Chriſt iſt, der ehret Alles, was t Ehre werth, und mit Jeſus Chriſtus in naher Verbindung iſt. Er verehret den Vater, der Ihn, den Sohn, ge⸗ ſendet, über Alles; er ehret die Engel als Diener Jef Chriſti, und ſeine Werkzeuge zum Heile der Auserwaͤhlten; er ehret die Apoſtel Jeſu Chriſti als ſeine Freunde; en ehret die Mutter Jeſu, weil ſie nach dem Urtheil d Himmels ehrwuͤrdig, weil ſie die Auserwaͤhlte aus dem Weibergeſchlechte iſt; er ehret alle Heilige Gottes, weil er ſie als Reben an dem großen Weinſtocke Jeſus Chriſtus anſieht, oder als Baͤchlein, die aus der Quelle des Guten ausgefloſſen ſind. So ehren wir denn K. den Naͤhr⸗ und Pflegevater unſers Herrn, den heilige Schrift gerecht nennet, und der es auch war, Dieſe Geſinnung, dieſer Eifer, Alles zu ehren, was mit unſerm Herrn Jeſus Chriſtus in naher Verbindung und der Ehre werth iſt, hat in unſrer Kirche einen eigenen Feſttag zum Andenken des heiligen Joſeph eingeſetzet. So untadelig aber dieſer Eifer immer ſeyn mag: ſo wichtig iſt es für uns, die Abſicht deſſelben nicht zu verfehlen. Wir ehren die Heiligen, weil ſie uns Beiſpiele der Gottſeligkeit hinterlaſſen haben; wir ehren die Heiligen dadurch beſonders, daß wir den ſchoͤnen Entſchluß faſſen, in ihre Fußſtapfen einzutreten; wir ehren die Heiligen, um Gott in feinen Werken zu verherrlichen, Und dieſe Verehrung iſt eine wahre ea de
—
wir ehren an den Heiligen das, was fie verehrungswerth macht — die Gottſeligkeit. Dieſe Verehrung iſt chriſtlich; denn ſie iſt im Grunde eine Verehrung Gottes in einen Heiligen, eine Verkuͤndung Jeſu in ſeinen Freunden. Dieſe Verehrung iſt nuͤtzlich; denn die Bei⸗ ſpiele der Gottſeligkeit, recht betrachtet, wecken und ſpornen zur Gottſeligkeit. Dieſe Verehrung iſt der Natur des Menſchen gemäß; indem wir in uns einen Trieb wahrnehmen, das Große, Gute, Edle, das wir von an⸗ dern Menſchen inne werden, zu bewundern, zu verehren, nachzumachen. Um nun nach meinem Vermoͤgen beizu⸗ ragen, daß dieſe wahre, chriſtliche, nuͤtzliche, der Natur 0 a Menſchen angemeſſene Verehrung der Heiligen unter allen ſogenannten Verehrern derſelben befoͤrdert werde, ſo | will ich die Gottſeligkeit, die die Heiligen heilig und ehrwuͤrdig macht, in ihrer ſchoͤnſten Geſtalt vor euch dar⸗ ſtellen, und dann mich und euch ermuntern, darnach zu ſtreben. h
Die Gottſeligkeit ift zu Allem nuͤtze, denn ſie hat die Verheißung dieſes und des zukuͤnf⸗ tigen Lebens. 1 Timoth. IV, 8. Was die Gottſeligkeit ſey, und daß ſie unſers gan⸗ zen Strebens wuͤrdig ſey: dieß moͤchte ich ſo klar und nachdruckſam ſagen koͤnnen, daß wir Alle neue Beiſpiele der Gottſeligkeit fuͤr unſere Zeitgenoſſen und die Nach⸗ welt wuͤrden.
* Ta Die Gottſeligkeit in ihrer wahren und ſchoͤnen Geſtalt.
Geottſelig iſt der, welcher in Gott feine Seligkeit ſuchet. Gottſelig, ſelig in Gott iſt der, welcher keine großere Freude hat, als Gott zu erkennen, Gott zu lieben, Gott zu verehren, Gott aͤhnlich zu werden. Gott⸗ ſelig iſt der, welcher Gott uͤber Alles liebt, und ſeinen d Willen uͤber Alles achtet, und nach allen ſeinen Kraͤften vollbringt, und dadurch faͤhig wird, von Gott die lauterſte
Freude mit Zuverſicht zu erwarten, und in Ihm zu ge⸗ nießen. Gottſelig iſt der, welcher in Allem, was er denkt und redet, ſieht und hoͤrt, will und nicht will, thut
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und leidet, auf den Willen Gottes aufmerkſam, un gegen denſelben gehorſam iſt; der keine wichtiger Frage kennt, als dieſe: was will Gott? und keine andern Beruf, als das, was Gott will, auch zu wollen und, und von ganzem Herzen zu wollen. Gott ſeligkeit iſt der lebendige Glaube an Ihn, und de ſtete Gehorſam gegen Ihn. Gottſeligkeit iſt da⸗ ſtandhafte Auf ſchauen zu Gott, und das treue Voll bringen deſſen, was wir als gottgefaͤllig erkennen. Gott ſeligkeit wohnet in dem Herzen des Menſchen, un hält es rein, und läßt darin keine unorbentlice e gierde aufkommen. er} Wo Gottſeligkeit iſt, da ift kein Geiz, tein f hängen des Herzens an vergaͤngliche Güter. Der Ga zige, oder wer immer nur fuͤr die Guͤter der Erde lebt ſucht ſeine Seligkeit nicht in dem unvergaͤnglichen Gott ſondern in dem vergaͤnglichen Reichthum; nicht in dem Willen Gottes, fondern in der verkehrten Neigung feinee Herzens; will immer reicher werden, aber nie pi er: will immer mehr haben, aber nie, was er hat, beſſen anwenden; dient nicht dem lebendigen Gott Himmels und der Erde, ſondern dem todten Metall; betet ni an das allerhoͤchſte Gut, ſondern treibt Abgoͤtter mit dem, was der Roſt verzehren, der Dieb rauben, das Feuer freſſen kann — iſt nicht gottſelig, ſondern geldſelig. Wo Gottſeligkeit iſt, da iſt kein Hochmuth, kein Anhaͤngen des Herzens an die Ehrenbezeigungen der Menſchen — an den Dunſt der Ehre. Der Hoffaͤrtige ſucht feine Seligkeit nicht in Gott, fondern in dem Lobe der Menſchen; achtet nicht auf den Willen Gottes, ſon⸗ dern auf die verkehrte Neigung ſeines Herzens; will immer mehr ſcheinen, als ſeyn; will immer mehr geehrt werden, als gut ſeyn; dient nicht dem lebendigen Gott, ſondern der thoͤrichten Hochſchaͤtzung feiner ſelbſt; giebt nicht dem allerhoͤchſten Gut die Ehre, ſondern ſich; hat keine Freude, wenn der Name Gottes verherrlicht wird, ſondern der feine — treibt Abgoͤtterei mit ſich, und iſt ein Graͤuel vor Gott und den Menſchen, und eben darum elend un nicht ſelig — weil er nicht gottſelig ſeyn will, da d
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‚außer der Gottſeligkeit keine Seligkeit zu finden iſt — iſt nicht gottſelig, ſondern ruhmſelig.
0 Wo Gottſeligkeit iſt, da iſt keine Unmaͤßigkeit, keine Voͤllerei, keine Unzucht, kein Anhängen des Herzens an die ſinnlichen Luͤſte. Wer dem Bauche dienet, deſſen Gott iſt ſein Bauch — nicht der lebendige Gott; wer ‚feine Seligkeit in den ſinnlichen Vergnuͤgungen fuchet, der ſuchet ſie nicht in Gott, iſt nicht gottſelig. Seine Sinne herrſchen uͤber ihn, er nicht uͤber ſie; der Wille Gottes iſt ihm nichts, das Begehren der Sinne iſt ihm Alles. Er wird nach und nach wie ein Thier, das außer 2 Futter und der koͤrperlichen Luſt keine Seligkeit ge⸗ nießen kann.
Wo Gottſeligkeit iſt, da iſt keine Rachbegier, keine e Geſinnung gegen die Menſchen. Wer ſeinem Naͤchſten wehe thun will, der hat ſeine Seligkeit nicht in Gott, nicht in ſeinem heiligen Geſetze, ſondern in der wilden Begier, zu ſchaden, zu zerſtoͤren — iſt nicht ſelig in Gott, ſondern elend in ſich und ſeiner Wuth — iſt i ein Satan unter Menſchen.
Wo Gottſeligkeit iſt, da iſt kein Verzagen, keine bleibende Furcht vor der Zukunft, kein anhaltendes Beben vor dem Tode. Der Gottſelige iſt getroſt; denn er ſuchet ſeine Seligkeit in Gott, und dieſer ſein Gott iſt ſtaͤrker als der Tod, und als alles Uebel, und kann ihn von allen Uebeln erloͤſen.
Gottſeligkeit! — o du Kind des Himmels, du Segen der Erde, wo finde ich dich? — daß ich dich bei den Kindern und berauſchten Freunden der vergaͤnglichen Luſt, der Ehre, der weltlichen Hoheit nicht finde, iſt mir ſehr einleuchtend. Aber bei den Klugen und Weiſen der Zeit? auch bei dieſen finde ich dich ge⸗ woͤhnlich nicht, auch dieſe kennen groͤßtentheils dich nicht, und ſind vielleicht am unfaͤhigſten, dich zu kennen; denn ſie ſuchen ihre Seligkeit — in Worten, Begriffen — nicht 1 Gott, ſind nicht gottſelg, ſondern 8. elig, wort⸗ lig.
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Sch finde dich nur bei den Kindern Gottes, bei allen denen, die den Herrn fuͤrchten und recht thun, ind Ihm deßhalb angenehm ſind. je
Gottſelig war Abraham, der auf den Ruf Gottes ſein Land verließ, und auf den Ruf Gottes feinen eig
Sohn ſchlachtete — jedesmal nur fragte, was Gott will, und nach dem erkannten Willen Gottes ſogleich that, was Gott wollte — ohne ſeine Neigung zu fragen, ob ihr das Gebot Gottes angenehm waͤre, oder ſeinen Verſtand, ob Gott ſo etwas gebieten koͤnnte. 2
Gottſelig war Joſeph der Aegyptiſche, “) der, von ſeiner Hausfrau zur Suͤnde gereizt — nicht fragt, was ihrem oder ſeinem Herzen angenehm waͤre, was ſchreckliche Folgen ſein Verſtand aus dem erklaͤrten Wider⸗ ſtand gegen die Suͤnderin herleiten koͤnnte, ſondern nm was Gott will, und dieß ſogleich that — floh, u feinen Mantel in den Händen der Wolluſt zuruͤckließ.
Gottſelig war Joſeph, der Pflegevater Gef. Als er die Zeichen der Schwangerſchaft an feiner Ver⸗ lobten wahrnahm, that er nicht, was ihm der Schme haͤtte gebieten koͤnnen, verſtieß ſie nicht öffentlich us Iäfterte fie nicht heimlich — ſondern entſchloß ſich, fie Geheim zu entlaſſen, weil er glaubte, dieſes heimliche En laſſen wäre Gottes Willen gemäß. Er war gerecht, ſagt die Schrift, darum wollte er fie in Geheim entlaſſen.
Gottſelig war Joſeph, der Pflegevater Jeſu, w er immer auf den Willen Gottes aufmerkſam, und gegen denſelben gehorſam war. Belehrt ihn der Engel Gottes: Er ſolle Maria als ſeine Gemahlin zu ſich nehmen; denn die Frucht ihres Leibes ſey von dem heiligen Geiſte — ſo folgt er, ſieht nur auf den Willen Gottes, andert feinen vorigen Entſchluß, und nimmt Maria als ſeine Gemahlin zu ſich — will was Gott will. Belehrt ihn der Engel Gottes:
*) Dieſe zwei Beiſpiele, Abraham und Joſeph, kommen in dief n Predigten öfters vor, und wahrhaftig nicht zu oft, denn ſie ſind wie zwei Leuchtthürme in dem Strom der Zeiten. N
ſolle die Mutter und das Kind nach Aegypten flüchten: ſo ſieht er nur auf den Willen Gottes, ſteht auf, und nimmt das Kind und die Mutter, und flüchtet ſie nach Aegypten — will nur, was Gott will. Belehrt ihn der Engel Gottes: Er ſolle mit dem Kinde und der Mutter in Sfrael zuruͤckkehren: fo fieht er nur auf Gottes Willen, und kehrt mit dem Kinde und der Mutter nach Judaͤa zuruͤck — will nur, was Gott will. Dieß iſt Alles, was uns die heilige Schrift von os ſeph erzaͤhlet. Aber dieß Wenige ſagt uns viel. Es giebt uns ſchon dieß einen guten Begriff von Joſeph, wenn wir denken, die heilige Vorſehung habe ihn zum Pflegevater des Kindes Jeſus, und zum Ver⸗ lobten der Mutter Jeſu auserſehen. Wenn wir nun im Evangelium leſen, daß er den Beinamen gerecht ers halten, einen Beinamen, mit dem die Bibel gewiß nicht verſchwenderiſch umgeht, und den ſie keinem Unwuͤrdigen beilegt; wenn wir ſein ſanftes Betragen gegen ſeine Ver⸗ lobte in den fuͤr ihn ſchrecklichſten Augenblicken, da ihm die Unſchuld ſchuldig erſcheinen mußte, betrachten; wenn wir ſeinen ſtandhaften Sinn fuͤr alle Winke des Him⸗ mels, ſie moͤgen ihm wie immer gegeben werden, in Er⸗ waͤgung ziehen: ſo koͤnnen wir nicht umhin, aus dieſem Wenigen auf das Ganze zu ſchließen, und muͤſſen glau⸗ ben, fein Leben ſey eine anhaltende Uebung der Gott ſeligkeit geweſen. Gottſelig war Maria, denn ihr ganzes Leben fagte das immer, was ſie dem Engel einmal antwortete: Mir geſchehe nach deinem Wort. Und damit ich das vornehmſte Beiſpiel nicht uͤbergehe — Jeſus Chriſtus iſt das vollkommenſte Ebenbild alles Guten, alſo auch der Gottſeligkeit, der Seligkeit in dem Vater, der Ihn geſendet hatte. Jeſus Chriſtus kam auf die Erde, den Willen ſeines Vaters zu erfuͤllen, und ſuchte keine andere Seligkeit auf Erden, als ſeinem Vater ge⸗ horſam zu ſeyn, ſeinem Vater gefaͤllig zu ſeyn. Und nachdem Er nach dem Willen ſeines Vaters gelebt hatte, jo wollte Er auch nach dem Willen feines Vaters fter- ben. Nichts wollen, als was der Vater will, Alles J. M. v. Sailers ſaͤmmtl. Schriften. X XXV. Bd. 20
en
wollen, was der Vater will — und Alles thun, lehren, leiden, was der Vater wollte, das der Sohn thun, lehren, leiden follte — das iſt die Heiligkeit, der Gehorſam, die Vollkommenheit — oder, was Eines iſt, die Gottſelig⸗ keit in ihrer wahren Geſtalt. Und wenn uns dieſe Gott⸗ ſeligkeit durch den Reiz ihrer Schoͤnheit, durch ihren in⸗ nern Werth noch nicht für ſich einnimmt, weil unſre Augen noch zu blöde find, von ihrer Schönheit gerührt zu werben: fo will ich mich und meine Zuhörer auf einem andern Wege für fie einzunehmen ſuchen.
II. * Ermunterung zur Gottſeligkeit. Sie iſt zu Allem nuͤtze, und hat die derben ßung dieſes und des zufünftigen Lebens. 5 Der Gottſelige iſt zwar nicht gottſelig, weil die Gottſeligkeit zu Allem nuͤtze iſt, ſondern eben weil er gott ſelig iſt, ſo ſucht er nicht ſeinen Nutzen, ſondern die Ehre ſeines Gottes, und gerade deſto reiner iſt ſeine Gottſelig⸗ keit, je weniger er ſeinen Nutzen ſucht. Aber, was er nicht ſucht, das findet er gerade dadurch, daß er es nicht ſucht — ſeinen bleibenden Vortheil. Und dieſer bleibende Vortheil ſoll den wecken, der die Gottſeligkeit noch a hat, daß er ſich eines Beſſern beſinne.
Die Gottſeligkeit iſt zu Allem nuͤtze — ſie iſt zu Allem nuͤtze — alſo auch 1. bei unſern taglichen Arbeiten.
Wer an Gott ſeine Freude hat, der denkt an den Ausſpruch: Du ſollſt arbeiten, und in dem Schweiße deines Angeſichtes dein Brod ge winnen, und erkennt in ihm den gnaͤdigen Willen ſei⸗ nes Schoͤpfers, und arbeitet mit Aufblick zu ſeinem Gott, und bittet um Segen zu feinem Gott, und er⸗ wartet das Gedeihen von der Hand ſeines Gottes. Er arbeitet nicht ſo faſt, um Brod zu gewinnen, als um Gott zu gehorfamen, und findet die Seligkeit, die er im
Arbeiten und im Schweiße ſeines Angeſichtes nicht ie kann, in Gott und feinem Willen. *
*
Die Gottſeligkeit iſt zu Allem nuͤtze — alſo auch 2) bei unſern taglichen Erholungen durch Sbpeiſe, Trank, Unterredung, und bei jeder
14 andern unſchuldigen Freude.
̃ 1 Wer an Gott ſeine Freude hat, der ſucht ſie nicht . Speiſe und Trank, glaubt aber: „Daß der Gott, der
r unſer zeitliches Leben ſehr viele Guͤter geſchaffen, fuͤr as ewige Leben des ewiglebenden Geiſtes noch wohl
| etwas Beſſeres aufgefpart habe, und nach fo vielen Gaben die befte Gabe — fich ſelbſt, feinen Kindern nicht
vorenthalten werde.“ Wer an Gott ſeine Freude hat,
entehrt die Gaben Gottes nicht durch Unmaͤßigkeit, und
et ſeinen duͤrftigen Bruder auch miteſſen.
Die Gottſeligkeit iſt zu Allem nuͤtze — alſo auch 3) bei den geringen und großen zwiſchen⸗ einkommenden Leiden, Truͤbſalen.
Wer an Gott ſeine Freude hat, nimmt auch die Truͤbſal aus ſeiner Hand an, erkennt auch an der Zuͤch⸗
tigung ſeinen Vater — den Vater, der aus Liebe zuͤch⸗
tiget, um ſelig zu machen. Wer den Willen Gottes uͤber
Alles achtet, achtet ihn auch in der finſtern Stunde,
achtet ihn auch bei dem Verluſte aller zeitlichen Guͤter,
und ſpricht mit Job:
Der Name des Herrn fey en Der Herr hat's gegeben — Der Herr hat's genommen —
Freunde! laßt uns gottſelig ſeyn, damit wir den Leiden nicht unterliegen, und uns am Ende aller ſinn⸗ lichen Freuden noch eine Seligkeit bleibt, die Seligkeit, an etwas Beſſeres zu glauben, und die Seligkeit, um des
Beſſern willen alles Unangenehme zu leiden.
Die Gottſeligkeit iſt zu Allem nütze — alſo auch 4) bei den maͤchtigen Reizungen zur Suͤnde, denen unſre Tugend ausgeſetzt if. Wer in Gott ſeine Seligkeit ſuchet, der hat immer ein Auge uͤber ſich, das ihn warnet, einen Freund, 20 *
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der ihm Muth einſpricht, eine Allmacht, die ihn rettet, eine Liebe, die ihn zu ſich locket und uͤber ſich erhebt, einen heiligen Geiſt, der ihn heilig macht. Unter den Segnungen dieſes Auges iſt es leicht zu kämpfen; unter dem Beiſtande dieſes Freundes iſt es leicht zu ſiegen; hinter dem Schilde der Allmacht iſt es lei die Pfeile der Sinnlichkeit abzutreiben, und wo die . das Herz erweitert, und der gute Geiſt Muth in Seele leget, da iſt es ſuͤße, zu leiden.
Die Gottſeligkeit iſt zu Allem nütze — alſo PN 4
5) in den wichtigſten Angelegenheiten a Lebens, wo wir uns entſchließen muͤſſen, und nirgen Licht genug ſehen, um uns vernuͤnftig entſchließen koͤnnen. Der Gottſelige haͤlt ſich an den, der ſeinen Juͤngern zu rechter Zeit das rechte Wort in den Mund leget, zur rechten Zeit die rechte Huͤlfe ſendet; hält ſich an den, der nicht nur die Nacht unſrer Zweifel mit ſei⸗ nem Lichte durchblitzen kann, ſondern ſelbſt das Licht ie das alle Menſchen erleuchtet. |
4
Die Gottſeligkeit iſt zu Allem nuͤtze — alſo auch 1 6) in den unvermutheten Todesgefahren.
Unſer Gott ſchlaͤft und ſchlummert nicht, daß Er etwa eine Gefahr nicht ſehe; ſein Arm iſt nicht abgekuͤrzt, daß Er etwa nicht helfen koͤnnte; ſeine Guͤte iſt nicht wetter⸗ wendiſch, daß Er etwa nicht helfen wollte. Er fuͤhrt in die Grube hinein und heraus, und die Seinen finden ewige Seligkeit in Ihm. 4
Die Gottſeligkeit iſt zu Allem nuͤtze — alſo auch di
2) in den legten Augenblicken unſers Be wußtſeyns, wo wir nichts als Tod ſehen, und ihm dann auch in die Arme fallen. Der Gottſelige iſt eigent⸗ lich ſchon in dieſem Schatten von Leben zum wahren, ewigen Leben durchgedrungen, ſtirbt nicht, wenn er auch ſtirbt. Da den ſterbenden Menſchen die ganze ſichtbare Welt verläßt, und er fie verlaſſen muß; da er das Lob der Menſchen, das Gold der Erde, die ſinnliche Luſt und 5 ſelbſt ſeinen Koͤrper der Erde zurücklaſſen e da n
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| kein Freund auf der Reife in das unfichtbare Reich be⸗ gleiten kann; da der ſcheidende Menſchengeiſt nur ſich, und was in ihm iſt — die Gottſeligkeit oder Gottloſig⸗ keit mit ſich nehmen kann; da ihn die Gottloſigkeit über | den Verluſt des Irdiſchen nicht troͤſten, und ihm keine frohe Ausſicht in das Ueberirdiſche ſchaffen kann; da die
Gottſeligkeit fuͤr den, der ſie hat, ſchon ein Vorgenuß der
N ewigen Seligkeit war, und am Sterbebette ihre Natur nicht andern kann; da Gott keinem Geſchoͤpfe naͤher ſeyn kann als dem Gottſeligen; da Gott — ein Vater der Erbarmungen, und ein Gott alles Troſtes iſt, und gewiß in der Stunde des Todes nicht aufhört, ein Vater der Erbarmungen, ein Gott des Troſtes zu ſeyn: ſo iſt es außer Zweifel, daß die Gottſeligkeit — den Tod freund⸗ lich, die Abfahrt friedlich, den Heimgang ſelig macht. Die Gottſeligkeit, nachdem ſie unſre beſte Freundin in dieſem Leben geweſen, wird
8) uns endlich nach dieſem Leben unſere ganze, lauterſte Seligkeit — ohne Kampf und ohne Leiden — — eine Seligkeit, die alles Licht und alle Liebe und alles Wohlſeyn und alles Gute in ſich begreift, und Licht und Liebe und Wohlſeyn und alles Gute ohne Ende.
Die Gottſeligen ſind reines Herzens — ſchauen alſo Gott, und werden erſt in dem Lande der Wahrheit — ganz ſelig in Gott — gottſelig!
— 310 —
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Die Geſchichte der heiligen Petrus und ban j — ein Evangelium für ns! Predigt, 5 .
am Gedaͤchtnißtage dieſer Heiligen, gehalten in der fare * Kirche zu Hafenhofen, 1790. |
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| | — Petrus und Paulus lehrten uns dein Geſetz, o Here, kennen! 1 |
Ich kann nicht anfangen, vor dieſer Gemeinde zu * den, ohne mit Wehmuth und mit Freude daran zu den⸗ ken, wie ich das Recht erhalten, und die Pflicht auf mich genommen habe, an dieſem Tage vor die ſer Gemeinde zu predigen. Euer voriger Pfarrer, deſſen Ge⸗ beine hier in dieſer kuͤhlen Erde ruhen, haͤtte noch gerne mit euch dieſes Feſt gefeiert, und zweifelte gar nicht dar⸗ an, er werde es noch mit euch feiern koͤnnen: denn, er lud mich noch kurz vor feinem Tode ſehr dringend zur Predigt ein, und freute ſich auf dieſen Tag hin — ſicht⸗ bar. Aber, der Vater des Lebens hat ihn in ein beſſeres Land gerufen, und er wird, wie wir hoffen, nun ſchon in eine naͤhere Bekanntſchaft mit denen heiligen Petrus und Paulus gekommen ſeyn. Mit ihm ſtarb nun auch mein Recht, heute an dieſem Orte zu predigen. Aber ſein wuͤrdiger Nachfolger, deſſen Liebe zu mir nicht mehr neu iſt, hat dieſes Recht wieder von den Todten erwecket, und ich ſtehe auf feinen Ruf hier, und ſollte das Ans denken an die heiligen Petrus und Paulus erneuern: da es uns noch nicht gegoͤnnet iſt, in einen naͤhern Um⸗ gang mit ihnen zu treten. . . Und wie Kinder, denen ihre Eltern geſtorben ſind, ehe ſie ſelbe kennen gelernet, doch gerne von ihnen reden hoͤren: ſo wird es auch mei⸗ nen Zuhörern angenehm ſeyn, von den zwei großen Ger ſandten unſers Herrn, Petrus und Paulus, reden zu
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hoͤren, ob wir fie gleich nie perſonlich gekannt haben; angenehm von denen zu hoͤren, die die Vaͤter unſers Glaubens waren, und deren Blut fließen, und deren Le⸗ ben geopfert werden mußte, um den Acker Gottes, die heilige Gemeinde Jeſu, zu bauen, und Juden und Heiden in Eine Kirche zu ſammeln.
5 = Ja, wahrhaftig, mit dankbarer Freude, ihr heiligen
Vaͤt
er und Mitſtifter unſers Glaubens, ihr treuen Boten
unſers Herrn, mit dankbarer Freude erinnern wir uns an eure Arbeiten, Reiſen, Predigten, Sendſchreiben, Lei⸗
den — Sterben! Euer Name iſt ein Wohlgeruch in
allen chriſtlichen Gemeinden; euer Beiſpiel ein Leuchter,
auf den unſre Augen ſehen; eure Geſchichte ein Evan⸗
gelium, an dem ſich unſere Hoffnungen weiden.
Die Geſchichte der heiligen Petrus und Paulus, ein Evangelium, eine Freudenbotſchaft fuͤr uns! Wer ſollte nicht gerne eine Freudenbotſchaft hoͤren,
und eine ſolche, die fuͤr alle Menſchen Freude verkuͤndet?
Es iſt doch Menſch ſeyn, und ein Suͤnder ſeyn, und leiden muͤſſen — — ein Menſch ſeyn, und des Troſtes bedürfen — ſo oft gleichbedeutend. Suͤnder ſind wir Alle: zu leiden haben wir Alle!
Wir ſind Menſchen, alſo der Suͤnde, alſo den Lei⸗
den unterworfen, alſo des Troſtes bedürftig.
Was fuͤr eine troͤſtlichere Botſchaft koͤnnte aber den
Suͤndern gebracht werden, als dieſe: Fuͤrchtet euch nicht: eure Sünde kann euch verziehen, kann
euch zum Segen werden? Was fuͤr eine troͤſtlichere Botſchaft koͤnnte den Lei⸗
denden gebracht werden, als dieſe: Fuͤrchtet euch
nicht: eure Leiden fünnen euch erträglich,
leichter, koͤnnen euch zum Segen werden.
Und dieſe troſtreiche Botſchaft bringet uns die Ge⸗
0 ſchichte der heiligen Petrus und Paulus.
Ich darf ſagen: die Geſchichte dieſer Boten Jeſu
— iſt ein Evangelium für Menſchen, eine Freuden⸗
botſchaft für Sünder, eine Freudenbotſchaft für Leidende.
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er Be
Schoͤpfe Muth, was Menſch iſt — ein Troſt für
Suͤnder, ein Troſt fuͤr Fee ein AR für Br | iſt uns nahe!
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Die Geſchichte der helligen Petrus und Palle 1 — ein Evangelium fir Side! 15
Petrus war ein Sünder .., denn er war ein Menſch, und vertraute noch dazu auf ſeine Tu⸗ gend, und hielt die Hitze ſeines Eifers ſogleich fuͤr wahre Froͤmmigkeit, und wollte fuͤr ſeinen Herrn ſterben, *. ſich zu fragen, wo er den Muth hernaͤhme, und m deſto tiefer fallen, je hoͤher er zu ſtehen glaubte. Sein Freund Jeſus warnte ihn bei Anbruch der Nacht, in der Schwache ſuͤndigte, ſo vorſichtig; ermahnte ihn 2 freundlich zum Beten und Wachen, daß er ja ni in Verſuchung falle; machte ihn aufmerkſam auf die Schwaͤche des Fleiſches, der menſchlichen Natur: das Fleiſch iſt ſo ſchwach; gab ihm ſogar an dem Hah⸗ nengeſchrei ein Wahrzeichen ſeiner Schwaͤche, und Petrus denket nicht mehr an das Wort ſeines Freundes, und betet nicht, und wachet nicht über ſich, und traut ſeinem Herzen, und geht wie mit verbundenen Aus gen, unwiffend, was er wolle oder ſolle, auf einem leichtbedeckten Abgrunde, und verl aͤugnet ſeinen Freund, und verlaͤugnet ihn auf die Frage einer Magd, und ver⸗ laͤugnet ihn unter Fluchen und Schwören, und verlaͤug⸗ net ihn dreimal: Ich kenne ihn nicht, ich kenne ihn nicht, ich kenne ihn nicht — ſchaͤmt ſich ſeines Herrn, für den er ſterben wollte, und kennet Jeſum nicht, mit dem er drei Jahre im Lande umhergezogen war. |
So fündigte Petrus.
Und dieſe Suͤnde, dieſe ſchaͤndliche Untreue an ſeinem Freunde, dieſe dreimalige Verlaͤugnung, ward ihm von feinem Freunde verziehen.
Als Petrus noch redete, noch ſprach an dem Worte: ich kenne ihn nicht, da kraͤhte der Hahn, und Jeſus kehrte ſich um, und ſah den Suͤnder Petrus an. — Die⸗ ſer Blick gieng ihm durch die Seele, und er erinnerte
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ſich an das Wort feines Herrn: Ehe der Hahn kraͤ⸗ het, verlaͤugneſt du mich dreimal, und gieng hin aus, und weinte bittere Thränen — und die Sünde ward ihm verziehen. Luk. XXII, 55 — 62.
Und, damit ja Petrus gar nicht mehr daran zwei⸗ feln konnte, daß ihm ſeine Untreue verziehen waͤre, ſo erſchien ihm nach drei Tagen, am Oſterſonntage ſein Freund Jeſus, der eben aus dem Grabe auferſtanden war, und jagt durch die Strahlen ſeiner Herrlichkeit alle Furcht aus dem bangen Herzen des Juͤngers, ge— rade als wenn Er ſagte: Sieh, Ich lebe wieder, und ſo wahr Ich lebe, ſo gewiß bin Ich dein Freund: wir kennen einander, und du ver⸗ läugneſt mich nicht wieder, und Ich werde dich nie verläugnen können; laß es gut ſeyn, Pe⸗ trus, und weine nicht mehr: wir ſind wieder gute Freunde, und bleiben es ewig! |
Und wenn je noch eine Angſt, der begangenen Uns treue wegen, in dem Herzen des Petrus haͤtte zuruͤckblei⸗ ben koͤnnen, fo hätte fie ihm fein Freund Jeſus bald dar⸗ nach vom Herzen genommen, als er ihn dreimal fragte: Simon, liebſt du mich? liebſt du mich? liebſt du mich?
Man ſollte zwar glauben, und ich glaube es wirk⸗ lich, Jeſus haͤtte ihn durch ſein dreimaliges Fragen an die dreimalige Verlaͤugnung erinnern wollen. Aber das geſchah ja nicht, um ihn zu betruͤben, ſondern um ſeine augenblickliche Angſt, die dadurch entſtehen mußte, in eine ewige Freude zu verwandeln.
Auf die erſte und zweite Frage antwortete Petrus ganz muthig: Herr, du weißt, ich liebe dich! Bei der dritten Frage gieng es ihm zu Herzen, und wird ihm wohl auch zu Sinne gekommen ſeyn: wie ich Ihn dreimal verläugnet, fo fragt Er mich dreimal, ob ich Ihn liebe. Er wußte in dieſer Verlegenheit nichts zu ſagen, als: Herr, du weißt Alles, alſo auch, daß ich dich liebe. Jeſus blickte ihn freundlich an, und machte ihn zum Huͤter ſeiner Heerde — weide meine Lammer, weide meine Schafe, und ſicherte ihm mit dies,
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ſem Blicke, und noch mehr mit Sifer mein 1 ewige Liebe zu. 1
Jeſus Chriſtus, wie haͤtteſt Du doch beten Jung liebevoller verzeihen, und milder, freundlicher begeg⸗ nen koͤnnen? Als er ſuͤndigte, blickteſt Du, deiner eigenen Leiden vergeſſend, den Suͤnder freundlich-beſchuͤ⸗ mend an, und lockteſt ihm Thraͤnen in das Auge, und legteſt Reue in ſein Herz. Nach der Auferſtehung er⸗ ſchienſt Du ihm am erſten Tage deines neuen Lebens, und beſuchteſt ihn, wie ein Freund, wenn er in eine Stadt kommt, ſeine Freunde zuerſt beſucht. Und end⸗ lich vertrauteſt Du ihm dein Liebſtes, deine Heerde, fuͤr die Du dein Leben hingegeben, deine Gemeind deine Kinder an. Er ſoll Vater deiner Juͤnger und Juͤngerinnen ſeyn.
So kannſt du verzeihen, goͤttlicher ei
Und nicht nur verziehen war dem Suͤnder die Sin de; ſie ward ihm auch zum Segen.
Petrus hat durch die Suͤnde gelernt; hat durch die Suͤnde gewonnen. Er hatte vor der Verlaͤugnung Jeſu zwei grobe Fehler an ſich. Er war hitzig, und hielt dieſe Hitze fuͤr wahre Tugend; er vertraute auf feine Kräfte zu viel, und hielt dieſes Vertrauen für einen Beweis ſeiner Treue gegen Jeſus. Nun durch die Ver⸗ laͤugnung ſeines Herrn lernte er ſeine Schwaͤche kennen — mußte ſie fuͤhlen, und das ſchaͤdliche Vertrauen auf ſeine Kraͤfte ward in ein heilſames Mißtrauen verwan⸗ delt. Und weil er ſeine Schwaͤche fuͤhlte, ſo verlor ſich auch ſeine Hitze. Und der hitzige, ruͤſtige Petrus iſt nun ein gelaſſener, beſcheidener, demuͤthiger Juͤnger Jeſu.
Welcher Gewinn, welcher Segen aus der Suͤnde Auch hat ſeine Liebe zu Jeſus, ſein Vertrauen auf Jeſus zugenommen. Vorher liebte er Jeſus als ſeinen Freund, jetzt liebt er ihn als ſeinen großmüthigen Freund, der Suͤnden vergeſſen, verzeihen, verguͤten kann.
8 Vorher hatte er ein ſchwaches Vertrauen auf geſus, und ein großes Vertrauen auf ſich ſelbſt. Jetzt aber
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kun er auf ſich nicht mehr vertrauen, denn die Stimme der Magd, und das Hahnengeſchrei, und ſein Fall ſchweben ihm immer vor dem Sinn. — Da er nun auf ſich nicht mehr vertrauen kann, ſo vertrauet er auf Jeſus, und m auf Ihn von ganzem Herzen.
Und nicht nur Petrus hat durch ſeinen Fall gewon⸗ ie, unzählige Menſchen und Chriften zu allen Zeiten ben durch die Suͤnde Petri gewonnen.
Weil er gefündiget, konnte er Mitleiden mit Sündern haben; weil er Gnade gefunden, konnte er Gnade predigen; weil er Jeſum als den Freund der Sünder an ſich erfahren, konnte er das Vertrauen zu Ihm rege machen; weil er Jeſum als Suͤnden⸗ vergeber uͤber Alles lieben lernte, konnte er uͤberall die Liebe zu Ihm entzünden. Und jetzt, da Petrus ſchon ſeit ſiebzehn Jahrhunderten bei Jeſu, ſeinem Herrn iſt, da er nicht mehr auf Erden wandelt: ſo haben doch ſeine Bußthraͤnen, an die die Suͤnder in Predigten, in Schriften, in muͤndlichen Unterredungen, durch Gemaͤlde erinnert werden, ſchon viele Herzen erweichet, ſchon viele Augen befeuchtet, ſchon viele Haͤnde in Bewegung ge⸗ ſetzet, daß ſie an die Bruſt ſchlugen, ſchon viele Zungen begeiſtert, daß ſie ſchrieen: Herr, ſey mir gnaͤdig!
Und eben heute, da in allen chriſtlichen Gemeinden, in denen der Name Jeſus Chriſtus genannt wird, auch das Andenken an den heiligen Petrus, und vorzüglich das Andenken an ſeinen Fall, und ſeine bittern Thraͤnen, und den gnadenvollen Blick Jeſu erneuert werden kann, und in vielen gewiß auch erneuert wird, eben heute, wer⸗ den die Bußthraͤnen Petri in vielen chriſtlichen Ges meinden, und will's Gott, auch in dieſer Hafenhofer⸗ Gemeinde viele Herzen erweichen, viele Suͤnder bewegen, daß ſie in ſich hineinſchauen, und an ihre Suͤnden den⸗ ken, und zu Jeſus aufblicken, und Gnade ſuchen, wie Petrus, und weinen wie Petrus, und Gnade finden wie Petrus, und nicht mehr ſuͤndigen wie Petrus. Seht, wie die Suͤnde eines Menſchen, dieſem Menſchen, und durch dieſen, vielen andern zum Segen werden kann!
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Alſo iſt ja die Geſchichte Petri für uns Suͤnder eine Freudenbotſchaft, daß alle Suͤnden vergeben wer⸗ den konnen, daß alle Suͤnden dem Suͤnder zum Se gen werden konnen. | 1 .
Saulus war ein Suͤnder. Er verfolgte die Chriſten, die Unſchuldigen, und konnte es nicht leiden, daß der Name Jeſus mehr gelten ſollte, als Moſes, 1 den er eiferte. Er verwuͤſtete die Kirche, gieng in Haͤuſer, und ſchleppte die Chriſten, Maͤnner und 9 in's Gefaͤngniß. Apoſtelg. VIII, 3. 3
Er huͤtete ſehr fleißig die Kleider derjenigen, die “ heiligen Stephanus ſteinigten, und hatte eine e ſeinem Tode. Apoſtelg. VII, 57. 59.
Ja, er ward gluͤhend von Rache und Mordſucht 39 gen die Juͤnger des Herrn, gieng in ſeiner Raſerei zu dem Hohenprieſter, und begehrte Vollmachtsbriefe an die (Synagogen) juͤdiſchen Kirchen in Damaskus, da⸗ mit er alle Chriſten, die er in dieſer Stadt finden wuͤrde, gebunden nach Jeruſalem liefern duͤrfte — er war ſchon auf dem Wege. Apoſtelg. IX, 1 — 3.
Das iſt doch eine Suͤnde — Jeſum haſſen, den er nicht kannte, die Chriſten in's Gefaͤngniß ſchleppen, die keine Verbrechen begangen hatten. Zwar meinte er es mit der juͤdiſchen Kirche ſehr gut, und glaubte viel⸗ leicht, Gott einen Gefallen zu thun, daß er die chriſtliche Kirche ausrotten wollte. *
Allein eben darin beſteht ja die Suͤnde, daß wir uns von unſerm blinden Eifer fuͤr oder wider eine Sache einnehmen laſſen, und haſſen, was wir nicht kennen, und verdammen, was wir nicht verſtehen, und unterdruͤcken, was wir ſollten aufrecht ſtehen laſſen. Das iſt ja eben die Suͤnde, daß wir die Finſterniß mehr lieben, als das Licht, und immer lieber nach unſrer Neigung fortlaufen,
als ſtille ſtehen, und abe iſt es auch recht, was du thuſt? |
Saulus war ein Sünder... Und dieſe Siude ward ihm von Jeſus verziehen. Denn da er ſchon auf
dem Wege nach Damaskus war, umſtrahlet ihn plöglich ein Licht vom Himmel herab; er faͤllt zur Erde, und hoͤrt eine Stimme: Saulus, Saulus, was verfolgſt du mich? Wer biſt du Herr? ſprach er zitternd und voll Angſt. Und Jeſus antwortet vom Himmel herab: Ich bin Jeſus, den du verfolgeſt! Herr, fragt Paulus noch zitternd, und voll Augft, was ſoll ich thun? — geh, er⸗ wiedert Jeſus, in die Stadt, und man wird dir ſagen, was du zu thun habeſt! Und Saulus ſteht vom Boden auf, ſchlaͤgt die Augen auf, und ſieht nichts, und laͤßt ſich an der Hand nach Damaskus fuͤhren, und ſieht drei Tage nichts, und ißt und trinkt drei Tage nichts, und nach drei Tagen kommt der Juͤnger Ananias zu ihm, und legt ihm die Hand auf, und ſagt: Bruder Saulus, der Herr Jeſus, der dir auf dem Wege erſchien, ſchickt mich zu dir, damit du ſehend, und voll vom heiligen Geiſte werden ſolleſt, und auf einmal faͤllt es wie Schup⸗ pen von ſeinen Augen, und Saulus ſieht, und ſteht auf, und laͤßt ſich taufen, und iſt voll vom heiligen Geiſt, und nimmt Speiſe zu ſich, und kommt wieder zu Kräf⸗ ten, und predigt in den Verſammlungen der Juden, Ser ſus ſey der Sohn Gottes, und verkuͤndet die⸗ ſen Namen vor Voͤlkern, Koͤnigen, Juden und Heiden. Apoſtelg. IX, 1— 22.
Seht, ſo kann Jeſus verzeihen — Er offenbart ſich ſeinem Verfolger, und macht ihn zu feinen Juͤnger, und macht ihn zu ſeinen Freund, und macht ihn rein von aller Sünde, und macht ihn zu ſeinen Ge ſandten — und macht ihn zu einen Geſandten vor Heiden und Königen, und macht ihn groß und heilig und ſelig.
Die Suͤnde ward ihm nicht nur verziehen, ſie ward ihm, und durch ihn vielen Andern zum Segen. Denn je hitziger er Jeſum verfolget hatte, je weniger er die Gnade Jeſu konnte verdienet haben, je unwuͤrdiger er ſich ſeiner Erbarmung gemacht hatte: deſto mehr mußte er die unverdiente Gnade, die unausſprechliche Erbars mung Jeſu ſchaͤtzen; je mehr er die Chriſten betruͤbet,
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gedruͤcket hatte, deſto mehr mußte er jetzt darauf dringen, die wirklichen Chriſten zu troͤſten, zu ſtaͤrken, und ihre Zahl mit neuen zu vermehren; je finſterer ſein Sinn, je blinder ſein Eifer war, deſto maͤchtiger konnte er nun in die Finſterniß der Juden mit dem Lichte des Evangeli⸗ ums hineinblitzen, deſto geſchickter ihren Eifer zu Schan⸗ den machen; je mehr er die Macht des Unglaubens aus Erfahrung kennen gelernt, deſto kraͤftiger konnte er gegen die Angriffe deſſelben ſtreiten. 4
Nachdem Jeſus ſich gegen Saulus ſo barmherzig, fo groß muͤthig bezeuget hatte, fo konnte nun Paulus auch mit Andern barmherzig und großmuͤthig umgehen; nachdem Saulus durch Jeſus bei dem Vater im Himmel Gnade gefunden, ſo konnte Paulus nun Juden und Hei⸗ den an Jeſus anweiſen, und durch Jeſus zu feinen 20 ter führen.
Und nicht nur auf dieſe Weiſe ward feine Sünde Vielen zum Segen, ſondern noch auf eine andere, die Paulus wohl ſelbſt am beſten eingeſehen, und auch be⸗ ſchrieben hat.
„Ich war, ſchreibt er an ſeinen Sohn Timotheus, 1 Timoth. I, 13 — 17. ich war vorher ein Laͤſterer, ein Verfolger, ein Beſchimpfer (Jeſu); doch eben, weil mein Unglaube aus Unverſtand herkam, ſo fand ich Gnade bei Gott. Ja, uͤberſchwenglich groß war die Gnade unſers Herrn gegen mich, und brachte Glauben und Liebe zu Ihm in mein Herz. Zuverlaͤſſig, aller Annahme wuͤrdig iſt demnach die Wahrheit: daß Jeſus Chriſtus in die Welt gekommen, um die Suͤnder zu retten, unter denen ich ſelbſt der erſte bin. Aber eben darum hat ſich Jeſus Chriſtus meiner erbarmet, daß Er an mir, dem vornehm⸗ ſten Sünder, ſeine ganze Langmuth zeigen koͤnnte, zum Exempel fuͤr Alle, die kuͤnftig an Ihn glauben würde um ewiges Leben zu empfangen.“
Paulus iſt alſo ein Exempel der erbars fuͤr alle Suͤnder, die nach ihm leben, und von ihm leſen, oder hoͤren werden. Jeſus hat an ihm ein Meiſterſtuͤck ſeiner Gnade auf alle Zeiten hin geliefert, damit alle
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eber Vertrauen zu Jeſus empfangen und fh feiner Gnade uͤberlaſſen moͤchten.
14 „Nachdem Saulus Gnade gefunden — ſo kann, fo werde auch ich Gnade finden“: fo ſollte jeder Suͤnder denken, ſprechen, handeln, der von dieſer
jade Nachricht bekaͤme. Die Erbarmungen Jeſu haben
us einem Feinde des Evangeliums einen Schüler deſſel⸗ 1 en, aus einem Tyrann gegen die Chriſten einen Schutz⸗ engel des Chriſtenthums, aus einem rachgierigen Eiferer fuͤr das Geſetz einen Boten der Gnade, aus einem blins den Läfterer einen Prediger der Wahrheit, aus einem Gefaͤße des lichtloſen Eifers fuͤr Moſes ein Gefaͤß, das den Namen Jeſus vor allen Voͤlkern hintruͤge — — die Erbarmungen Jeſu haben aus dem Werkzeuge des Uns verſtandes und Unglaubens ein Werkzeug der Weisheit und des Glaubens gemacht — damit alle Suͤnder, die von dieſem Beiſpiele der Erbarmung leſen oder hoͤren wuͤrden, auf ihrem Suͤndenpfade ſtill ſtehen, und die ‚Größe der Gnade bewundern, und den für ſich fo wohl⸗ thaͤtigen Schluß machen moͤchten: „Wenn Jeſus Chriſtus Gnade für Saulus hat: fo hat Er auch Gnade fuͤr mich!“
So iſt die Suͤnde des Saulus ihm, und durch ihn Vielen zum Segen geworden, und kann noch Vielen zum Segen werden.
Seine Geſchichte iſt alſo, wie die Gefechte Petri, ein Evangelium für Sünder.
Und wir müßten alle gefunde Vernunft verläugnen, und unſer eigenes Gluͤck haſſen koͤnnen, wenn wir an dieſe Geſchichte glaubten, und nicht daraus lernten, was fuͤr jeden Suͤnder, was fuͤr uns das Lehrreichſte iſt, naͤmlich:
| 1. Petrus und Paulus waren Suͤnder: 2.
4 Petrus und Paulus waren große Suͤnder — einer verlaͤugnete, der andere verfolgte Jeſum Chriſtum.
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8 a g 2 * ? * Petrus und Paulus fanden ungeachtet ihrer großen Suͤnden, ohne alles Verdienſt, Gnade bei Jeſus, und durch Ihn bei ſeinem Vater: | =: u e Und ihre Suͤnde ward ihnen durch die Gnade nicht nur verziehen, ſondern ward ihnen auch zum Segen, 11
nicht nur ihnen, ſondern auch vielen Andern.
5.
15 Wenn nun Petrus und Paulus, die große Suͤnder waren, ungeachtet ihrer großen Suͤnden, ungeachtet ſie kein Verdienſt aufzuweiſen hatten, dennoch Gnade bei Jeſus, und durch Jeſus bei ſeinem Vater gefunden: fo werde auch ich Sünder, auch ich Suͤnderin, bei dem naͤmlichen Jeſus Gnade finden, und durch den een Jeſus Gnade bei ſeinem Vater finden koͤnnen. a | Und werde fie gewiß finden, wenn ich nur auch, wie Petrus meine Suͤnde verabſcheuen, und wie Paulus der Stimme Jeſu folgen, und wie Petrus und Paulus, mich der Gnade Gottes uͤberlaſſen, und ein neuer Menſch werden will, und von ganzem Herzen will.
2 gr Und das ſollte ich nicht wollen?
Die Gefehiche der heiligen Petrus und Paulus, ein Evangelium für Leidende! ah
Petrus hatte viel zu leiden — aber fein Freund Jeſus machte ihm alles Leiden (0 und ihn durch Leiden nur noch ſtaͤr ker.
Als er, begleitet von Johannes, den Lahmgebornen au der ſchoͤnen Tempelpforte zu Jeruſalem, im Vertrauen auf den Namen Jeſus, geſund gemacht hatte, und vor den Juden die eindringende Predigt hielt, daß nicht
Petrus und Johannes, ſondern Jeſus, den ihre Obrigkeit gekreu⸗
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gekreuziget, und Gott vom Tode erwecket, dieſen Lahm⸗ gebornen kraͤftig an Bein und Knoͤcheln, und tuͤchtig zum Gehen gemacht haͤtte: da kamen die Prieſter und Tem⸗ pelobrigkeiten und Sadduzaͤer, und ergrimmten daruͤber, daß von der Auferſtehung Jeſu geredet wurde, und leg⸗ ten Hand an Petrus und Johannes, und warfen ſie in's Gefaͤngniß. Petrus ließ ſich mit Johannes in's Gefaͤng⸗ niß werfen, und verantwortete ſich Tags darauf ſtand⸗ haft und bekannte laut, daß Jeſus dieſen Kranken geheilet, und daß außer Jeſus kein Heil ſey. Die Richter ſchaͤrften es ihnen unter vielen Drohungen ein, daß ſie ja nicht mehr von Jeſus reden ſollten. Aber Petrus und Johannes fuͤrchteten keine Drohung, und ſagten gerade heraus, fie moͤchten doch ſelbſt ur theilen, ob es vor Gott zu verantworten wäre, den Menſchen mehr zu gehorſamen, als Gott, und giengen heim zu den Ihrigen, und erzählten ihnen, was die Hohenpriefter und Aelteſten geſagt, und lobten Gott dafuͤr, und wurden vom heiligen Geiſt neu erfüllet, daß ſie mit noch mehr Zuverſicht von Jeſus reden, und fuͤr Ihn leiden konnten. x
So macht Jeſus dem, der an Ihn glaubt, feine Leis den geringe, und ihn durch Leiden nur noch ftärfer. Apoſtelg. III. IV.
Petrus hatte viel zu leiden, aber ſein Freund Jeſus wußte ihn zu retten, und zu troͤſt en.
Bald darauf, als durch die Predigten und Wunder⸗ thaten der Apoſtel die Zahl der Chriſten ſo ſchnell und ſo maͤchtig anwuchs; als man die Kranken in Tragbet⸗ ten auf die Gaſſen hinſtellte, damit ſie der Schatten Petri, wenn er vorbeigienge, geſund machte; als auch aus benachbarten Staͤdten Kranke herbeigefuͤhret, und geſund wurden: da entbrannten die Hohenprieſter auf's Neue, und noch mehr, und ließen den Petrus und ſeine Mitapoſtel in's öffentliche Gefaͤngniß werfen. Petrus ließ ſich mit ſeinen Mitapoſteln hineinwerfen, und hoffte auf Jeſus, und Jeſus half. In der Nacht kam ein Engel, und öffnete ihnen die Thuͤre, und ſprach: Geht, und tretet
J. M. v. Sailers ſämmtl. Schriften. XXX. Bd. 21
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wieder auf in dem Tempel, und eitldeh die Lehre 90 Lebens! Und ſie giengen, und verkündeten, und wurden vor den Rath gefuͤhret, und gaben vor dem Rathe der Wahrheit das Zeugniß. Die Rathsherren hätten fie g. aus dem Wege geraͤumt. Aber ſie getrauten ſich dem Volke nicht, und mußten ſich damit begnügen, d Apoſtel ſchlagen, und mit dem ſtrengen Auftrage los zi laſſen, daß ſie von Jeſus kein Woͤrtlein mehr reden ſoll⸗ ten. Die Apoſtel ließen ſich ſchlagen, und freuten fi, daß fie gewurdiget worden, um Jeſu willen zu leiden, und lehrten alle Tage im Tempel, und vor den Por — voll Troſtes, und muthiger als jemals. 3
So rettet Jeſus den, der an Ihn glaubt, aus * chen Leiden, und troͤſtet ihn in manchen andern, daß ſich der Leidende freuen kann, und ſich gluͤcklich N um Jeſu willen zu leiden. Apoſtelg. V. |
Petrus hatte viel zu leiden, aber fein Freund Jeſus troͤſtete und rettete ihn. hi;
Herodes, um fein Suͤndenmaß, das bereits voll war, uͤberfließend zu machen, ließ Jakobum hinrichten, und da er ſah, daß die Juden Freude daran hatten, auch Pe⸗ trum gefaͤnglich einziehen. Es bewachten ihn ſechszehn Soldaten, denn Herodes war geſinnet, ihn im Gefaͤng⸗ niſſe bis nach Oſtern aufzubehalten, und alsdann zur Schau des Volkes ausfuͤhren zu laſſen. Indeß betete die Kirche für Petrus ohne Unterlaß zu Gott. Wielt war ſchon die letzte Nacht angebrochen. Petrus ſchlief | zwiſchen zwei Soldaten, an zwei Ketten angeſchloſſen; vor der Thuͤre bewachten die Waͤchter das Gefangniß. Ploͤtzlich ſteht ein Engel Gottes da; ein Glanz erleuchtet das Gefaͤngniß; der Engel ſtoͤßt den Gefangenen an die Seite, weckt ihn, und ſpricht: ſteh auf — (die Feſſeln 2 waren ſchon von ſeinen Haͤnden gefallen) guͤrte dich, und ziehe deine Schuhe an, und wirf dein Oberkleid um dich, und komm mit mir! Petrus geht hinaus, und folgt ihm, ohne zu wiſſen, ob es ein Traum, oder ob | es wirklich fo ſey. Wie fie an der erſten und zweiten Wache vorbeigegangen, kommen ſie zu dem eiſernen There,
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wodurch man in die Stadt geht. Dieß oͤffnet ſich von ſelbſt. — Sie gehen durch, und noch eine Gaſſe weit, und jetzt iſt der Engel nicht mehr bei ihm. Nun kommt Petrus erſt zu ſich, jetzt fühlt er's, und ſpricht's aus in ſeinem Herzen: Ja, nun bin ich gewiß, der Herr hat feinen Engel geſandt, um mich der Gewalt des Her rodes und der Erwartung des juͤdiſchen Volkes zu ent⸗ reißen. Apoſtelg. XII.
| So rettet Jeſus feinen Freund: Ketten, Gefaͤngniſſe, Waͤchter, Soldaten, eiſerne Thore koͤnnen den nicht behalten, den Jeſus retten will: Jeſus iſt maͤchtiger als alle Koͤnige.
Wen Er rettet, der iſt gerettet.
Petrus hatte viel zu leiden — und fein gan⸗ zes übriges Leben war nichts als eine Reihe von Leiden, die er ausſtehen mußte, und von Troͤſtungen, die ſie ihm ertragbar machten: bis er endlich hingerichtet — das Ende des zeitlichen Lebens und ſeiner Leiden erreichte. Petrus hatte Vieles zu leiden: aber ſein Freund Jeſus ſtaͤrkte ihn in allen Leiden, daß er ruhig und froh ſterben konnte, und fuͤhrte ihn durch alle Leiden zu hoͤhern Freuden hin durch.
Was Paulus leiden mußte, das kann ſich ein ge⸗ woͤhnlicher Menſch, wie ich, nicht einmal denken. Es iſt an ihm recht wahr geworden, was Jeſus dem Juͤn⸗ ger Ananias in einem Geſichte von Saulus andeutete: Ich will ihm zeigen, was er um meines Na⸗ mens willen noch ſolle auszuſtehen haben. Apoſtelg. IX, 16.
Jeſus hat es ihm wirklich gezeigt, was ein Juͤnger Jeſu um ſeines Herrn willen leiden muͤſſe.
Und Paulus, der gewiß aus ſeinem Leiden nicht zu viel machte, hat in ſeinem zweiten Briefe XI, 25— 35 an die Korinther ein ſchauerhaftes Gemälde von feinen Truͤbſalen entworfen:
„Ich habe übermäßig viel Schläge ausgeſtan⸗ den; bin oft in Gefangenſchaft, bin oft in der aus 8 Todesgefahr geweſen; habe von
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den Juden fuͤnfmal, die neun und dreißig Hiebe bekommen; bin dreimal mit Ruthen geſchlagen worden; einmal geſteiniget worden; habe dreimal Schiffbruch gelitten, habe vier und zwanzig Stunden im Waſſer zugebracht; habe viele Reiſen gemacht; habe dabei eine Menge Gefahren ausge⸗ ſtanden, Gefahren auf dem Waſſer, Gefahren unter Räubern, Gefahren unter meinen Lands leuten, Gefahren unter Heiden, Gefahren in Staͤdten, Ge⸗ fahren in Wuͤſten, Gefahren auf dem Meere, Gefah⸗ ren unter falſchen Chriſten, habe noch andere un⸗ zählige Muͤhſeligkeiten ausgeſtanden — viele ſchlafloſe Nächte, oft Hunger und Durſt, öfters Faſten, Froſt und Kleidermangel — — — habe nebſt dieſem allem noch täglich die Sorge wegen aller Kirchen auf dem Herzen, leide mit allen Leidenden, bin ſchwach mit allen Schwachen, ward zu Da⸗ maskus in einem Korbe durch eine Oeffnung an der Stadtmauer heruntergelaſſen, um den Race des koͤniglichen Statthalters zu entgehen.“
So viel, und noch ungleich mehr mußte Paulus I 7 den. Und in allen dieſen Leiden konnte Paulus getroſt, muthvoll und froh ſeyn; konnte ſich feiner Truͤbſal rühmen: wir ruͤhmen uns auch der Truͤbſale, weil wir wiſſen, daß Truͤbſal Geduld wirkt, und Geduld bewährten Sinn ſchafft, und bes währter Sinn die Hoffnung ſtaͤrkt, und die Hoffnung nicht zu Schanden werden läßt Roͤm. V, 3. 4. 5. — konnte alle Leiden fuͤr nichts ach⸗ ten gegen die kuͤnftige Herrlichkeit, die den Frommen auf⸗ behalten iſt, Roͤm. VIII, 18. — konnte es glauben, als wenn er's mit Augen fäbe, daß den Gottliebenden Alles, Alles, Alles zum Beſten dienen müſſe, Roͤm. VIII, 23. — konnte in allen Leiden gleichſam tri⸗ umphiren durch Jeſum, der uns geliebet hat, Rom. VIII, 37. — wurde durch Druck groß, und durch Mangel reich, und durch Schwachheit ſtark; konnte ſich fuͤr Jeſum getroſt enthaupten laſſen — und Jeſus nahm ihn zu ſich, und labet ihn mit dem ewigen
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Leben; und alles Leiden wird ihm vergolten mit un⸗ ſterblicher Freude, und jede Truͤbſal mit einer nie wel⸗ Nen Herrlichkeit.
Petrus und Paulus hatten alſo unzaͤhlig viele Leiden ar sgeſtanden; und der Glaube an ihren Freund Je⸗ ſus, und die Liebe zu Ihm hat ihnen alle dieſe Leiden ertraͤglich gemacht; Jeſus hat fie daraus errettet, oder darin getroͤſtet; Jeſus hat ihnen alle Leiden zu ihrem Beſten gewendet; hat ſie endlich aus allen Leiden erloͤſet; wird ſie ihnen ewig mit ewigen Freuden vergelten.
Was nun an Petrus und Paulus wahr geworden, das kann auch an uns wahr werden. Deßwegen ſagte ich, und ſage es wieder:
Die Geſchichte der heiligen Petrus und Paulus iſt eine rechte Freudenbotſchaft fuͤr Leidende.
Eine Botſchaft des Troſtes — eine Botſchaft, daß ein Gott iſt, der uns alle Leiden erträglich mas chen, alle Leiden zum Guten kenken, alle Lei⸗ den vergelten kann; eine Botſchaft, daß ein Jeſus im Himmel lebt, der uns in allen Leiden troͤſten kann, wie Er ſeine Apoſtel Petrus und Paulus troͤſtete; der uns aus allen Gefahren erretten, oder durch alle Gefah⸗ ren hindurch zum beſſern Leben führen kann, wie Er ſeine Apoſtel Petrus und Paulus aus allen Gefahren rettete, oder durch ſie zum beſſern Leben hindurchfuͤhrte; — eine Botſchaft, daß wenn wir an den Vater im Himmel glauben, und Ihn uͤber Alles lieben koͤnnen, uns alle Leiden zum Beſten dienen muͤſſen; eine Bot⸗ ſchaft, daß wir an Jeſus einen maͤchtigen Freund haben koͤnnen, wenn wir nur wollen — einen Freund, der die ganze Natur mit ſeiner Macht traͤgt, der Leben und Tod in ſeiner Hand hat, und gegen den alle Koͤnige der Erde nichts vermoͤgen; — eine Botſchaft, daß wir in jedem Leiden, es ſey Krankheit oder Armuth, oder Druck, oder Angſt, oder Furcht, eines aus beiden durch vertrauensvolles Gebet von Gott erflehen koͤnnen — entweder Errettung aus dem Leiden, oder Kraft, das⸗ ſelbe geduldig zu tragen; eines aus beiden, entweder
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Huͤlfe oder Troſt; — eine Botſchaft, daß wir uns um nichts zu bekuͤmmern haben, als Gott zu lieben, und unſere Pflicht zu erfuͤllen, denn wenn wir Gott lieben und rechtthun, alsdann wird uns keine Gefahr und kein Tod ſchaden koͤnnen; — eine Botfchaft, daß wir durch geringe Leiden zu großen Freuden hindurchdringen koͤn⸗ nen, und daß für alle Fromme — auf eine ſchwuͤle Sommerſtunde ein ewiger Fruͤhling, auf eine kurze Nacht ein ewiger Tag folgen werde — wo die Sonne nimmer untergehen, oder vielmehr, wo keine Sonne mehr ſeyn wird, weil uns leuchten wird — das Licht aller Lichter — Gott, 8 Vater! Amen.
u a
XXXI. von dem Andenken an die au unfers Herrn. Predi 9 t,
2 am Gedächtnißtage der heiligen Simon und Judas zu | ga in Tyrol, 1791.
> FREE,
Liebe Brüder! ihr ſeyd keine Gäfte und Fremdlinge mehr: ihr ſeyd Mitbürger der Heiligen und Hausgenoſſen Gottes; ers bauet auf den Grund der Apoſtel und Propheten; Jeſus Chriſtus iſt der Schlußſtein des ganzen Gebäudes. Epheſ. II, 19—21.
Schöner hätte Paulus den guten Chriſten nicht bes ſchreiben koͤnnen, als er ihn wirklich beſchrieben hat. Epheſ. II, 19 — 21. Die chriſtliche Kirche, ſagt er, iſt ein Haus, auf den Grund der Propheten und auf den Grund der Apoſtel erbauet.
Die ſich aus dem Judenthum zu Gott bekehrten, und an das Evangelium feines Sohnes glaubten, und die ſich aus dem Heidenthum zu Gott bekehrten, und an das naͤmliche Evangelium feines Sohnes glaubten, beide machten Eine Gemeinde, Eine Kirche aus, wohnten in Einem Hauſe, glaubten, lehrten, thaten, was die Prophe⸗ ten ehemals im Dunkeln, und die Apoſtel in der Fuͤlle der Zeiten, und in den Tagen des Lichtes geglaubt, ge⸗ lehrt, gethan hatten. Dieſes große Haus, darin die Neubekehrten aus dem Judenthum, und die Neubekehrten aus dem Heidenthum in bruͤder⸗ licher Eintracht wohnten, beſtand eigentlich aus zwei Hänfern, die durch einen gemeinſamen Schlußſtein in Ein Haus zuſammengefuͤgt wor⸗ den find, und dieſer Schlußſtein iſt Chriſtus. Weil viele Juden an Chriſtus glaubten, und viele Hei⸗ den an den naͤmlichen Chriſtus glaubten: ſo wurden
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dieſe zwei große Haufen durch den Einen Chriſtus + Eine Geſellſchaft vereinigt — Chriſtus iſt der Aae ſtein der Kirche.
In dieſem neuen Gebäude iſt der himmliſche Vater — Hausvater. Die Kirche iſt ein Haus Gottes; Gott iſt dieß Haus geweiht. Und wer in dieſem Hauſe wohnet, der iſt ein Chriſt, und wer nach den Geſetzen des Hauſes lebt, der iſt ein guter Chriſt.
Wir, meine Theuren! wohnen Alle in diesem Haufe, find Chriſten — Gott gebe, daß wir auch nach den Ge ſetzen des Hauſes leben, und gute Chriſten ſeyen!
Wer ein guter Chriſt iſt, der freut ſich des feſten Grundes, auf den das Haus erbaut iſt, d. i. der heiligen Apoſtel, und was er bauet, das bauet er auf dieſen Grund, lebet nach der Lehre und dem Beiſpiele der heiligen Apoſtel.
Ein guter Chriſt iſt alſo ein wahrer Verehrer der heiligen Apoſtel; denkt oft und gerne an die heiligen Apoſtel, und macht ſich dieſes Andenken zu Nutze.
Auf dieſe Weiſe ſind die Gedaͤchtnißtage der hei⸗ ligen Apoſtel in der chriſtlichen Kirche entſtanden. Sie iſt auf dieſen Grund erbauet: warum ſollte ſie ſich dieſes Grundes nicht freuen? Und wenn ſie ſi ich dieſes Grun⸗ des freuen darf: warum ſollten nicht einige Taͤge im Jahr feſtgeſtellt werden, an denen dieſe Freude ganz be⸗ ſonders geweckt und ausgedruͤckt werden dürfte.
Dieſe Freude moͤchte ich auch heute in meinen Zu⸗ hoͤrern wecken und foͤrdern, da wir den Gedaͤchtniß⸗ tag der heiligen Apoſtel Simon und Judas feiern.
Ich wiederhole hier nur, was ich oben ſagte:
Ein guter Chriſt denkt gerne und oft an die heiligen Apoſtel, und: ein guter Chriſt mach ſich dieſes Andenken zu Nutze.
Warum denkt denn aber ein Chriſt ſo oft und ſo gerne an die Apoſtel des Herrn? Und wie kann ihm dieſes Andenken nuͤtzlich werden? Darauf weiß an aun zu antworten, als dieſes:
I. Ein guter Chriſt denkt gerne an die hei⸗
ligen Apoſtel Jeſu Chriſti, weil ſie ihn an
ſeinen Herrn erinnern.
II. Und dieſe Erinnerung kann ihm heilſam
werden, weil ſie ihn im Glauben, in der Hoffnung, in der Liebe ſtaͤrken kann.
Dieß moͤchte ich euch, m. Th., recht klar vor Augen legen! Jeſus ſegne mein Vorhaben, denn Er iſt unſer Herr, und von Ihm rede ich, wenn ich von ſeinen Apoſteln rede!
I. Die Apoſtel Jeſu Chriſti erinnern uns auf eine eigene, | vorzuͤgliche Weiſe an unſern Herrn. |
Um zu beweiſen, daß uns die Apoſtel unſers Herrn an Ihn erinnern, duͤrfte ich nur ſagen: Apoſtel heißen in unſrer Sprache Geſandte; nun iſt es natuͤrlich, daß der Geſandte an feinen Sender erinnert, von dem er die Voll⸗ macht empfangen. Alſo erinnern die Apoſtel an Jeſus, der ſie geſandt hat. Allein, die Apoſtel ſtehen mit Jeſus in einer ganz beſondern Verbindung, und in dieſer ganz beſondern Verbindung muͤſſen ſie angeſehen werden,
damit ſie uns auf eine eigene Weiſe an unſern Herrn erinnern.
Die Apoſtel Jeſu erinnern an Ihn, denn a) ſie lebten mit Ihm. Sie waren feine Schuͤler, Freun⸗ de, Reiſegefaͤhrten, giengen mit Ihm drei Jahre umher, hoͤrten das Wort aus ſeinem Munde, ſahen die Thaten, die Er verrichtet, waren Augenzeugen ſeines Wan⸗ dels auf Erden. Sie waren dabei, als Er die ſchoͤne Predigt auf dem Berge hielt, und den Menſchen den Weg wies, auf dem ſie gut und ſelig werden koͤnnten; waren dabei, als Er die Kranken heilte, die Blinden ſehend, die Tauben hoͤrend, die Stummen redend, die Lahmen gehend, die Todten lebend machte; waren dabei, als Er die Heuchler ſtrafte, und die Suͤnder freundlich aufnahm; waren dabei, als hier ein Weib, das zwoͤlf Jahre am Blutfluſſe gelitten, den Saum ſeines Kleides
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beruͤhrte, und durch Ihn geſund ward, dort ein todes Maͤd⸗
chen auf ſein Wort aufſtand; waren dabei, als Er die
ſchoͤnen Gleichniſſe vom himmliſchen Reiche vortrug, und
als Er ſie auslegte; waren dabei, als Er dort viele
tauſend Menſchen mit wenig Broden ſpeiste, hier die
Kinder an's Herz druͤckte und ſegnete; waren dabei, als
Er ſich mit dem Hirten verglich, der neunundneunzig
Schafe verlaͤßt und dem hundertſten nachlaͤuft, und nicht
aufhoͤrt, zu ſuchen, bis er es gefunden, und triumphirend
auf feinen Schultern in den Schafſtall zuruͤcktraͤgt — und
ſeinen Vater mit einem menſchlichen Vater verglich, der
den verlornen Sohn freundlich umarmt, und ſeine Zuruͤck⸗
kehr mit einem groͤßern Freudenmahl feiert, als er dem
guten Sohne nie gegeben hatte; waren dabei, als Er bei Zachaͤus einkehrte, und ihn zu einem Sohne Gottes um⸗
ſchuf — und als Er die Ehebrecherin von dem Geſetze und ihren Feinden erloͤſete; waren dabei, als Er einen
Blindgebornen ſehend machte, und als Er den todten La⸗
zarus aus dem Grabe hervorgehen hieß; waren dabei,
als Er ſeine Leiden vorausſagte, und als Er in Jeru⸗
ſalem als ein Fuͤrſt des Friedens Einzug hielt; waren dabei, als Er das letzte Abendmahl mit ihnen hielt, und
ihnen die Fuͤße wuſch; waren dabei, als Er die Zer⸗
ſtoͤrung Jeruſalems weiſſagte, und als Er vom Ende der
Welt redete; waren dabei, als Er am Oſterſonntage, vom
Grabe auferſtanden — bei verſchloſſenem Zimmer in ihrer Mitte ſtand, und ihnen ſagte: Der Friede ſey mit euch! — ſahen Ihn, hoͤrten Ihn, beruͤhrten ſeine Wundmale; waren dabei, als Er acht Tage darnach wieder in ihrer Mitte ſtand, und Thomas zitternd ſeine Seite beruͤhrte, und anbetend aufſchrie: Mein Herr und mein Gott! waren dabei, als Er in vierzig Tagen oͤfters mit ihnen vom Reiche Gottes redete, und endlich vor ihren Augen
gen Himmel auffuhr, und Ihn die Wolke ihren Blicken
entzog.
Die Apoſtel Jeſu erinnern an Ihn, denn b) ſie le wi ten durch Ihn. Chriſtus vergaß ihrer nicht — ſon⸗ dern ſendete ihnen ſeinen heiligen Geiſt vom Himmel her⸗ ab; und dieſer Geiſt erleuchtete ſie, daß ſie die Wahrheit
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Seite erkannten, erwärmte fie, daß fie Gott Aber Alles liebten, ftärkte fie, daß fie alles Widrige geduldig litten, belebte ſie, daß ſie Wahres reden, und Gutes thun konnten. Wer ſie ſah, ſah Jeſum; wer ſie hoͤrte, hoͤrte Jeſum — ſie lebten durch Jeſum. Er war bei ihnen, Er fuͤhrte ſie bei der Hand; nicht ſie predigten, Jeſus pre⸗ digte durch ſie, nicht ſie wirkten Wunder, Jeſus durch ſie.
Die Apoſtel Jeſu erinnern an Ihn, denn c) fie leb⸗ ten für Ihn. Seiner Perſon ſuchten fie Anbeter, feinem Evangelium Bekenner, feiner Lehre Gläubige, ſeinem Beiſpiele Nachfolger, ſeiner 11905 tuͤchtige Gefaͤße aufzufinden. Fuͤr Ihn lehrten ſie, fuͤr Ihn litten fie, für Ihn arbeiteten fie — wenn nur Chriſtus verherrlichet wird, ſagte ihr Mund und ihre Ges berde, ihr Wandel und ihr Leiden. Ihre Ehre nicht, die Ehre Jeſu; ihren Nutzen nicht, den Nutzen und die Auf⸗ nahme des Evangeliums — ſuchten ſie. Wenn ſie ver⸗ hoͤhnt, geſchlagen wurden: ſo freuten ſie ſich, daß ſie ge⸗ wuͤrdiget wurden, um des Namens Jeſu willen zu leiden. Hunger, Durſt, Armuth, Bloͤße, Spott, Geißelſtreiche, Kerker, Lebensgefahr und alle Truͤbſal waren ihnen nicht zu viel — fuͤr Jeſus.
Die Apoſtel Jeſu erinnern an Ihn, denn d) ſie gaben ihr Leben fuͤr Ihn. Fuͤr den wir lebten, ſagten ſie, fuͤr den ſterben wir. Der letzte Tropfen Blutes war noch ein Bekenntniß ihres Herrn, und haͤtte der letzte Tropfen Blutes reden koͤnnen, ſo würde er laut gerufen haben: Ich fließe um Jeſu willen. Und, wenn ſie, um nach dem Uebermaße ihrer Liebe zu reden, hundert Leben gehabt haͤtten, ſo wuͤrden ſie alle hundert fuͤr Jeſus freu⸗ dig hingegeben haben. 8 Die Apoſtel Jeſu erinnern an Ihn, denn e) fi ie leben jetzt wieder bei Ihm. Ihre Geiſter konnten nicht enthauptet, oder verbrannt, oder wie immer getoͤdtet werden: ſie flogen zu Jeſus heim; ſie ſind bei dem Herrn. „Ich wuͤnſchte, aufgeloͤst zu werden, um bei dem Herrn zu ſeyn. Dieſer Wunſch iſt jetzt erfüllt: ſie ſind bei ihrem Herrn daheim.
*
— 332 —.
Die Apoſtel Jeſu erinnern an Ihn, denn 90 a werden ewig bei Ihm leben, ewig — wie Jeſus, und ewig bei Jeſus: kein Tod rührt ſie mehr auß keine Trennung ſcheidet ſie mehr.
Die Apoſtel Jeſu erinnern an Ihn; denn g). fie werden mit Ihm die Welt richten. Sie werden einſt bei der Wiederkunft Jeſu Chriſti nicht mehr als das Auskehricht der Welt verachtet und verſtoßen werden, ſon⸗ dern als Richter an der Seite Jeſu erſcheinen, und die Welt mit Recht verdammen, die ſie aus Ungerechtigkeit verdammet hatte; werden die Unſchuld vor aller Welt als Unſchuld erklaͤren, und dieſe Erklaͤrung wird gelten; wer⸗ den die Wahrheit vor aller Welt als Wahrheit erklaͤren, und dieſe Erklaͤrung wird gelten; werden das Laſter vor aller Welt als Laſter erklaͤren, und ieſe Erklaͤrung wird gelten; werden die Sache aller Frommen gluͤcklich hinaus⸗ fuͤhren, recht richten, Gutes vom Boͤſen ſondern, und mit allen Guten die Freude Gottes theilen. O, wie werden da die Hochmuͤthigen erſtaunen, wenn ſie die Demuth erhoͤhet, und auf Richterſtuͤhlen ſitzend erblicken werden! O, wie werden da die harten Reichen erſtummen, wenn fie die Armuth, die Gutes gethan, und Boͤſes gelitten, auf Richterſtühlen ſitzend ſehen werden!
Wenn nun aber die Apoſtel Jeſu mit Ihm, durch Ihn und fuͤr Ihn lebten; wenn ſie fuͤr Ihn ſtarben, und wieder bei Ihm leben; wenn ſie ewig bei Ihm leben, und einſt die Welt mit Ihm richten werden, und wenn der Juͤnger Jeſu an dieſen ſchoͤnen Zuſammenhang zwi⸗ ſchen Jeſus und ſeinen Freunden glaubet: wie waͤre es möglich, daß ihn die Apoſtel feines Herrn nicht an einen Herrn erinnerten?
II. u Und dieſe Erinnerung kann uns heilſam werben —
Kann uns ftärfen im Glauben an unſern Herrn. 4 Mich wenigſtens ſtaͤrket nichts mehr im Glauben Jeſu, als wenn ich denke: Sieh! du haſt Jeſum nicht geſehen, nicht gehoͤrt. Aber dieſe, die heiligen Apoſtel, haben mit
5
Ihm gelebt, haben Ihn geſehen, gehoͤrt, betaſtet, haben mit Ihm gegeſſen und getrunken, haben Ihn auch nach ſeiner Auferſtehung geſehen, gehoͤrt, betaſtet; haben Ihn ge Himmel auffahren ſehen; haben in feinem Namen Wunder gethan; haben ihr Leben für Ihn geopfert: Je⸗ ſus lebt alſo gewiß.
Jeſus lebt, und lebt herrlich zur Rechten des Vaters. Jeſus lebt, denn die Apoſtel haben Ihn geſehen, und haben es bezeuget, daß ſie Ihn geſehen, und ſind ſo gute, fromme Menſchen, daß ſie nicht luͤgen. Jeſus lebt, denn Er hilft und ſegnet. Jeſus lebt, und wahr iſt das Evangelium, und wahr iſt unſre heilige Religion. Jeſus lebt: Johannes, der edle Juͤnger, lag an ſeiner Bruſt — und dieſer Johannes ſah Ihn, und dieſer Johannes bezeugt's, daß Jeſus lebt, und dieſer Jo⸗ hannes luͤget nicht. Jeſus lebt: Paulus ſah Ihn, und dieſer Paulus bezeugt es, daß Jeſus lebt, und dieſer Paulus luͤget nicht. Jeſus lebt: Petrus ſah Ihn, und dieſer Petrus heilte den Lahmgebornen im Namen Jeſu, heilte unzaͤhlige Kranke im Namen Jeſu, und dieſer Petrus bezeugt es, daß Jeſus lebt, und dieſer Petrus luͤget nicht. Jeſus lebt.
Ihr heiligen Apoſtel, wie koͤnnt' ich zweifeln, daß Jeſus lebe, wenn ich an euch denke? Ihr lebtet mit Ihm, lebtet durch Ihn, lebtet fuͤr Ihn, ſtarbet fuͤr Ihn, lebet wirk⸗ lich bei Ihm, werdet ewig bei Ihm leben — und Jeſus ſollte nicht leben? Euer Leben beweiſet ſein Leben, euer Tod beweiſet ſein Leben. Ihr waret ſeine Juͤnger: euer Meiſter lebet. Ihr waret ſeine Geſandten: euer Sender lebet. Ihr waret ſeine Freunde: euer Freund lebet. Ihr werdet regieren mit Ihm: euer Herr lebet. Ihr ſeyd Glieder ſeines Leibes: euer Haupt lebet. Ich glaube: Jeſus lebet.
Dieſe Erinnerung kann uns heilſam werden — Kann uns ſtaͤrken im Vertrauen zu unferm Herrn.
Drei Dinge ſind die wichtigſten für uns, und dieſe drei erwarte ich von Jeſus — wenn ich an die Apoſtel denke.
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Das Erſte: wir find Suͤnder, und das Wichtigſt fuͤr Suͤnder iſt, daß ſie Erbarmung erlangen — diefi erwarte ich von Jeſus, und kann fie mit Zuverſicht er warten, wenn ich an die Apoſtel denke. Denn ich finde unter den Apoſteln zwei große Suͤnder. Einer hat ſeiner Herrn dreimal ſchaͤndlich verlaͤugnet — und der andere ir ſeinen Gliedern, in den Chriſten grauſam verfolgt. Und jener Verraͤther und dieſer Verfolger fanden Gnade bei Gott. Chriſtus blickt fie freundlich an, macht fie von ihren Suͤnden rein, und macht ſie zu Saͤulen der Kirche. Wenn nun Petrus und Paulus Gnade gefunden: ſo kann auch ich Gnade finden. Jeſus hat den Vorhang, der vor dem Vaterherzen Gottes hieng, und den unfre Suͤnden befeſtigt hatten, einmal fuͤr allemal zerriſſen; ich Sünder kann und darf geradezu mich in das Vaterherz Gottes hineinwerfen — und Gott ſtoͤßt mich nicht zuruͤck. Jeſus iſt Mittler zwiſchen Gott und Menſchen, iſt Fuͤr⸗ ſprecher bei dem Vater, iſt maͤchtig und guͤtig, verzeiht und reiniget. Ich hoffe Vergebung der Sünden.
Das Zweite: wir ſind ſchwach, und fuͤr Schwa⸗ che iſt das Wichtigſte: daß ſie Kraft zur Ueberwin⸗ dung der Suͤnden, und zu allem Guten erlangen. Dieſe erwarte ich von Jeſus, und kann ſie mit Zuverfi on erwarten, wenn ich an die Apoſtel denke.
Die Apoſtel waren ehemals ſo ſchwach wie ich fündigten wie ich, waren ehrgeizig, ſtritten um den Vorrang; waren furcht ſam, zitterten, als das Waſſer in's Schifflein ſchlug; waren unbeſtaͤndig, verließen Jeſum in feinen Leiden; waren unwiſſend, verſtanden die Lehre Jeſu nicht. Und dieſe ſchwachen, ehrgeizigen, furchtſamen, unbeſtaͤndigen, unwiſſenden Menſchen wurden durch die Kraft Jeſu, durch ſeinen heiligen Geiſt ga neue Menſchen; wurden ſo kraͤftig zu allem A daß ihnen Sünde und Hölle und Tod nichts mehr abge winnen konnten; wurden ſo voll Glaubens, daß ſie im Namen Jeſu Sünder bekehrten, Kranke heilten; wur⸗ den ſo unerſchuͤttert und furchtlos, daß ſie vor Fuͤrſte 3
und Obrigkeiten das Wort des Herrn verkuͤnde tenz wurden ſo voll Weisheit und reich an Erkenntniß, :
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daß fie bis auf dieſe Stunde die Lehrmeiſter der Welt zu ſeyn verdienten; wurden ſo demuͤthig, daß ſie alle Ehrbezeigungen von ſich wieſen, und nur Jeſum verherr⸗ lichet ofen wollten. Und dieſer Jeſus, der die ſchwa— chen Jünger ſo ſtark machte, lebt noch; kann und will
und wird alſo mich ſtaͤrken, daß ich die Luͤſte des Flei⸗ ſches baͤndigen kann — wenn ich um Gnade flehe, und der Suͤnde nach Kraͤften Widerſtand thue; kann und will und wird auch mich ſtaͤrken, daß ich den Teufel des Gei⸗ zes, oder der Hoffart, oder der Traͤgheit austreiben kann — wenn ich um Gnade flehe, und der Suͤnde nach Kräften Widerſtand thue. Jeſus lebt: alſo darf ich von Ihm Staͤrkung zu allem Guten hoffen, und meine Hoff⸗ nung wird nicht zu Schanden werden.
Das Dritte: wir ſind mehr oder weniger elend, haben viel zu leiden bald am Leibe, bald am Geiſte; und fuͤr Elende iſt das Wichtigſte, daß ſie Troſt, Huͤlfe, Erlöfung erlangen koͤnnen: dieſe erwarte ich von Jeſus,
und kann ſie mit Zuverſicht erwarten, wenn ich an die Apoſtel denke.
Petrus war im Kerker — und ward in der letzten Nacht vor ſeiner Hinrichtung aus dem Kerker erlöſet. Petrus betete zu Jeſus, und Jeſus erloͤſete ihn. Paulus war in mancherlei Lebensgefahren, und er ward aus mancherlei Gefahren erloͤſet. Paulus betete zu Jeſus, und Jeſus erloͤſete ihn.
So haben auch unzaͤhlige andere Menſchen die Huͤlfe Jeſu angefleht und ſie erfahren, wie die Apoſtel und Evangeliſten bezeugen. Jeſus lenket denen, die Ihn lieben, alle Dinge zum Beſten; trocknet Thraͤnen, erleich- tert beklemmte Herzen, erleuchtet die finſtern Gemuͤther, hilft wunderbar.
Kommet alſo alle Beladene zu Jeſus, und klaget Ihm euer Anliegen. Er errettet oder tröftet — gewiß. Er errettet, oder oͤffnet eine troͤſtende Ausſicht auf Errettung, und zu ſeiner Zeit errettet Er doch, loͤſet die Bande des Leibes auf, und nimmt den Leidenden durch einen ſanften Tod zu ſich. Alſo, wer 0 der hoffe. Jeſus iſt's
: — 336 — auf den die Voͤlker hoffen. Hoffe auch du, wer d biſt, wie groß dein Elend iſt — denn die Allm
doch groͤßer als deine Noth! * Dieſe Erinnerung kann uns heilſam werden — 5 Kann uns ſtarken in der Liebe gegen Sort
und den Naͤchſten.
Wenn ich betrachte, wie viel S Arbeit, Leden, Schweiß und Blut die Stiftung der chriſtlichen Kirche gekoſtet habe; wenn ich zuerſt an das Kreuz außer Jeru⸗ ſalem hinſehe, und ſehe, daß Je ſus, der Allerheiligſte, nach vielen Leiden endlich ſterben mußte, und eines ſo grauſamen Todes ſterben mußte; wenn ich denke, daß Jakobus zu Jeruſalem nach vielen Leiden hingerichtet werden mußte; wenn ich denke, daß Petrus und Paulus nach einem Leben voll Muͤhe und Leiden endlich hinge⸗ richtet werden mußten; wenn ich denke, daß die uͤbrigen Apoſtel mit Schmach und Bitterkeit gefättiget, und ende lich hingerichtet werden mußten; wenn ich denke, daß ſo viele fromme Chriſten außer Land gejagt, verfolgt, ge⸗ druͤckt, gemartert — endlich hingerichtet werden mußten, bis das Evangelium die Finſterniß dur ch⸗ dringen, und nach und nach auch zu unſern Vor⸗ eltern durchbrechen konnte: ſo wird mein Herz vom Dank geruͤhrt, und es iſt mir, als wenn Jeſus zu mir ſpraͤche: Sieh! ich vergoß mein Blut für alle Menſchen, und meine Apoſtel gaben ihr Leben daran, damit ihr die Liebe Gottes gegen euch erkennen, und dieſe goͤttliche Liebe mit einer dankbaren Gegenliebe erwiedern, und feinen heiligen Willen über Alles ſchaͤtzen und vollbringen möchtet. Sieh! ſo hat euch der Vater Alle geliebt, und ihr wolltet Ihn nicht lieben? Wie iſt es moͤglich, daß ihr an dieſe Liebe glauben, und ohne Liebe — dahinleben a könnet? So hat euch der Vater geliebt, daß Er ſeinen liebſten Sohn fuͤr euch in den Tod hingab: und ihr wolltet dieſe Vaterliebe
Gottes nicht achten, und euch und die verbotenen Luͤſte,
„ —
ſte, die euch nur noch elender machen können, mehr lieben als das hoͤchſte Gut? Wehe euch, wenn euch das Blut ſeines Sohnes am Tage des Gerichts anklagen muß! So hat euch Alle der Vater geliebt, und ihr wollet einander nicht lieben? Sehet! ihr ſeyd Alle Kinder meines Vaters, Er trägt euch Alle in feinem Vaterherzen; ihr ſeyd Alle durch das Blut feines Sohnes erkauft — der Sohn flarb für euch Alle; ihr ſeyd Alle zu einer ewigen Se⸗ ligkeit beſtimmet — mein Vater will euch Alle ohne Ausnahme gut, ſelig habenz ihr habt Alle Ein Evangelium, das euch verkuͤndet wird; ihr habt Alle Eine Taufe, da durch ihr meiner Kirche beigezählet feyd; ihr habt Alle Ein Brod, von dem ihr eſſet; ihr habt Alle Einen Herrn, dem ihr zugehoͤret; ihr habt Alle Eine Kirche, die euch erzogenz ihr habt Alle Eine hoffnung, Ein ewiges Leben, deſſen ihr euch würdig machen ſollet; ihr habt Alle Einen heiligen Geiſt, dem ihr euer Innerſtes zur Wohnung einräumen und bewahren ſolletz ihr habt Alle Einen Vater, der euch zärtlich liebt; ihr habt Alle Einen Richter, der euer Loos in der Ewigkeit entſcheiden wird. — — — —
Da nun das Blut des Sohnes fuͤr euch Alle ohne Unterſchied floß; da der Vater euch Alle ohne Unter⸗ ſchied fromm und ſelig haben moͤchte; da der heilige Geiſt euch Alle ohne Unterſchied zu allem Guten treiben, und von Tugend zu Tugend leiten möchte; da die Taufe, das Brod des Lebens, das Evangelium, die Kirche und galle Schaͤtze der Gnade für euch Alle ohne Unterſchied beſtimmt find; da wir Alle ohne Unterſchied Einen Rich⸗ ter haben: wie iſt es möglich, daß ihr nicht Alle ohne Unterſchied einander liebet? Wer ſoll ſagen duͤrfen: Ich liebe den, weil er reich iſt, dieſen aber liebe ich nicht, weil er arm iſt: da der Sohn eures Vaters fuͤr Arme und Reiche ohne Unterſchied ſtarb? Ver ſoll ſagen dürfen: Ich liebe den, weil er mir J. M. v. Sailers ſämmtl. Schriften. XXX v. Bd. 22
5 Luk
9 5 = er FE ER PUTETFIR
u I: ee
Gutes gethan, den aber kann ich nicht Lieb | weil er mir Boͤſes gethan: da euer Vater Freunde und Feinde feine Sonne ſcheinen laͤßt? We fol ſagen dürfen: Dieſen liebe ich, weil er from iſt, den aber liebe ich nicht, weil er mir nich fromm zu ſeyn ſcheint: da euer Erloͤſer fuͤr all Sünder geſtorben iſt? Wer ſoll ſagen dürfen: Je liebe dieſen, weil ihn Andere auch liebenz de aber liebe ich nicht, weil ihn Andere auch nich lieben: da der himmliſche Vater Alle, ohne Unterſchie der menſchlichen Neigung oder Abneigung, in ſeinem Vater herzen trägt? Wer ſoll ſagen dürfen: Dieſer ift eh Teufel, jener ein Engel, dieſer ein Fei
Gottes, jener ein Freund Gottes, dieſer ein Kind des Himmels, jener ein Brand der Hölle da wir Alle nur Einen Richter haben, und dieſer Richte ſich das Urtheil uͤber Alle vorbehalten hat? DE
O, m. Th., laßt uns alle Menſchen lieben wenn wir die Apoſtel recht verehren, ihrer a I; Beiſpiele folgen wollen!
Laßt uns Alle lieben — aber von ganzem Herzen
Wer von Herzen liebt, der denkt von Andern fü gut als moͤglich, und wenn er etwas Boͤſes zu jeher oder zu wiſſen glaubt, fo denkt er an feine eig n. Schwachheit, demuͤthiget ſich vor Gott, und bitter Gott daß Er ſich unſer Aller erbarme. 5
Wer von Herzen liebt, will Allen wohl, freut ſich wenn es ſeinem Nachbar wohl ergeht, wird traurig, went es ihm übel ergeht, goͤnnet Allen alles Gute, wünfcher Allen alles Gute, weinet mit den Weinenden, trauer! mit den Traurigen, goͤnnet und wuͤnſchet Gutes feinen Freunden und Feinden, Reichen und Armen, Allen, Allen, Allen. 3
Wer von Herzen liebt, der thut Andern Jo vi Gutes, als er kann — mE
Thut Gutes mit feinem Gelbe, hilft nicht mit e, wo er mit Geld helfen kann, hilft nicht mit einem todten
7
Mit den, wo er en kann, hilft nicht mit Gebet, wo er geben kann- Thut Gutes mit ſeinem Verſtande, raͤth ſo gut er # kann, unterrichtet, wo er kann, troͤſtet, wo er kann —
15 Thut Gutes mit ſeiner Amtsgewalt, ſo viel er kann, belohnet, rettet, warnet —
Thut Gutes durch feine Freunde, fo viel er kann —
Thut Gutes mit ſeiner körperlichen Kraft, ſo viel er kann —
Thut Gutes mit ſeinem Gebet, ſo viel er kann —
Das heißt lieben: wer dieſe heilige Liebe hat, der iſt ein guter, katholiſcher Chriſt. Denn er liebt Alle von ganzem Herzen. Und wer dieſe heilige Liebe hat, der hat auch den rechten Glauben. Und wer den rechten, in Liebe thaͤtigen Glauben hat, der iſt ein guter Chriſt, und iſt und wird ſelig. Dieſe Seligkeit wuͤnſche ich mir und euch Allen, und allen Menſchen. Amen!
22 *
— 340 —
7
3 PER? S Lu > „ar ERTL iu: 3 ee Be ie ”
| 938 XXXII. Von dem höchſten Gute des Menſchen, oder dem Allerköſtlichſten.
Nach Matth. XIII, 44 — 46.
Predigt, gehalten am Gedaͤchtnißtage der heiligen Margaretha, Aislingen, 1790. 8
f N PTERTUENTENTS 9 Gren eee eee
nennen ene
alıkrihläd
fiebe Bürger von Aislingen!
Mein Haus ſteht mitten unter euren Häufern. Weil mich a r mein Beruf nicht unter euch, dem Leibe nach, wohnen läßt: ſo mu 5 ich mich begnügen, daß mein Geiſt recht oft in eurer Mitte ſey. Nehmet jetzt dieſe Blätter, als den Abdruck meines Geiſtes, güti 90 auf, und leſet, was ihr gehört habt! Es iſt das eren was Euch mein Herz gönnet! | .
Es ſind nun ſchon neun Monate vorbei, feitbem ich durch die Guͤte unſers Biſchofs mit den mir ſehr werthen Buͤr⸗ gern und Bewohnern dieſes Marktes in eine nähere Ver- bindung getreten bin, und es iſt heute das erſtemal, daß ich, wo nicht mit mehreren dieſer Gemeinde, doch vor mehreren oͤffentlich zu reden Anlaß habe. Und ich a ſagen: ich freute mich auf dieſen Anlaß, mein Herz vi Zuhörern reden laſſen zu koͤnnen, deren Wohl mir < 3 Menſchen, als Chriſten und Geiſtlichen nahe geht. und nur mein Herz will ich reden laſſen; das heißt, von dem werde ich reden, was mir das Koͤſtlichſte, d das Schatzbarſte, das Wichtigſte iſt, und was allen Me ſchen das Koͤſtlichſte, das Schatz barſte, das ae tigſte ſeyn ſoll.
Der Gedaͤchtnißtag der heiligen Margaretha führte mich auch auf dieß Köftlichfte; denn da fie für Je ſtarb, ſo hat ſie fuͤr das e Alles beopfert . ſie konnte.
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Von dieſem Koͤſtlichſten hat aber Niemand ſchoͤner ge⸗
| redet als Jeſus: „Es iſt mit dem Himmelreiche, ſagt Er,
wie mit einem Schatze, der in einem Acker verborgen lag. Ein Menſch fand ihn, und verbarg ihn; dann geht er, vor Freude daruͤber, und verkauft Alles, was er hat, und kauft denſelben Acker.“
„Es iſt mit dem himmliſchen Reiche, wie mit einem
| Kaufmann, der gute Perlen fucht, und wenn er eine fehr koͤſtliche gefunden, hingeht, und Alles, was er hat, vers kauft, und dieſe Perle ſich anſchafft.“ Matth. XIII, 44-46.
Dieſe Worte Jeſu, oder vielmehr ihr tiefer Sinn ſoll
uns heute, ſoll uns immer beſchaͤftigen, ſoll der Inhalt unſers Denkens und Wuͤnſchens, und nicht bloß der In⸗ halt dieſer Predigt ſeyn. Ich werde meine Zuhoͤrer nicht bitten duͤrfen, daß ſie mir gerne zuhoͤren, denn ich rede ja von dem groͤß⸗ ten Schatze, von dem Koͤſtlichſten fuͤr alle Men⸗ ſchen, von dem hoͤchſten Gut des Menſchen, und rede an dieſem Orte das erftemal!
Jieſus Chriſtus, du goͤnneſt uns das hoͤchſte Gut — lehre es uns kennen, lieben, ſuchen, finden, ge⸗ nießen! 5 5 Es giebt fuͤr uns ein Allerkoͤſtlichſtes, ein hoͤch⸗ ſt es Gut. Das Aller koͤſtlichſte, das Allerbeſte, das hoͤch⸗ fe Gut nenne ich jenes, das mehr werth iſt, als ab
les andere, um deſſen Erwerb wir alles Uebrige hin⸗
geben duͤrfen und ſollen, das vor allem andern geſchaͤtzt, gewuͤnſcht, geſucht werden darf und ſoll.
Das Allerköſtlichſte iſt ein ſolches Gut, an das wir nie zu oft denken, das wir nie zu eifrig ſuchen, das
wir nie zu hoch ſchaͤtzen, dafuͤr wir nie zu viel aufopfern, um deſſen willen wir nie zu viel leiden koͤnnen.
Das Allerkoͤſtlichſte iſt ein ſolches Gut, das uns
keine Motte freſſen, kein Dieb ſtehlen, kein Feuer ver⸗
ſchlingen, kein Waſſer wegſchwemmen, kein Blitzſtrahl toͤd⸗ ten, kein Tod und keine Hoͤlle rauben kann.
»
Das Allerkoͤſtlichſte iſt ein ſolches Gut, das uns jetzt gut und einſt ganz ſelig machen wird, und außer dem uns nichts wahrhaft gut, und nichts wahrhaft ſelig machen kann.
Das Allerkoͤſtlichſte iſt das Aller köſtlichſte, iſt es werth, daß man alle andere Guͤter, Ehre, Ge⸗ ſundheit, ſinnliche Freuden, Reichthum, Macht, Gelehr⸗ ſamkeit, Leben kuͤhn darangaͤbe, um es zu erlangen.
Und ſo ein Allerkoͤſtlichſtes, ein Alke ein hoͤchſtes Gut giebt es fuͤr uns.
Ein Gut iſt groͤßer als das andere: es wird afe ein allergroͤßtes, ein hoͤchſtes geben.
Die Speiſe iſt mehr als die Kleidung, der Leib it mehr als die Speiſe, der Geiſt iſt mehr als der Leib, und Gott iſt mehr als alles Uebrige: es wird alſo ein allergroͤßtes Gut geben. e e Wir Alle ſuchen ein Allerbeſtes, wenn wir es
gleich nicht kennen: es muß alſo ein Allerbeſtes, ein In fies Gut geben.
Gott giebt uns jetzt allerlei Güter: Er wird alſo ein Aller beſtes für uns aufgeſpart haben, wenn wir deſſelben nur fähig und wuͤrdig find,
2.
So gewiß es aber ein allerhoͤchſtes Gut giebt, ſo ges wiß iſt es, daß es für viele Menſchen ein eee Schatz im Acker iſt.
Wie hundert Perſonen auf dem nemlichen Acker ge⸗ hen koͤnnen, und den verborgenen Schatz mit ihren Fuͤßen treten, bis ihn einer entdecket: ſo treten tauſend Men⸗ ſchen ihr wahres Glück mit Fuͤßen, und kennen es nicht. Das hoͤchſte Gut iſt ein verborgenes Gut, ein ver⸗ borgener Schatz im Acker. |
3. 2 a Jeſus Chriſtus kennt dieß Allerkoͤſtlichſte,
und hat es uns bei ſeinem rechten Namen 1 nannt.
— 345 —
Dieß Allerkoͤſtlichſte, das allerhoͤchſte Gut für uns Meu⸗ ' ſchen iſt Gott, in ſofern wir an Ihn glauben, auf Ihn vertrauen, Ihn uͤber Alles lieben, Ihn verehren, ſeinen Willen treu vollbringen, und dadurch ſelig werden. Gott iſt ja an ſich das allerbeſte Weſen, denn beſſer als Gott iſt keiner; er wird alſo auch für uns das aller- beſte Weſen, das allerhoͤchſte Gut ſeyn, wenn wir nur feinen Willen erkennen und vollbringen wollen. Gott erkannt und uͤber Alles geliebt, das iſt das allerhoͤchſte Gut des Menſchen.
Gott kennen und uͤber Alles lie ben, iſt der Himmel auf Erden, und wird einſt der Himmel im Him⸗ mel ſeyn. Gott erkannt und über Alles geliebt — iſt das allerkoͤſtlichſte Gut für den Menſchen; das allerkoͤſt⸗ lichſte Gut fuͤr ſeinen Verſtand, denn er kann nichts Beſſeres erkennen, als das Allerbeſte; das allerkoͤſtlichſte Gut fuͤr ſeinen Willen, denn er kann nichts Beſſeres lie⸗ ben, als das Allerbeſte; das allerkoͤſtlichſte Gut in Abſicht auf all ſeine Wuͤnſche, denn Gott iſt unſterblich, und ſelig und mächtig und unabhängig und weiſe und barm⸗ herzig; kann alſo und will dem Menſchen, der Ihn ſucht, alle Suͤnden verzeihen; alle Gaben, die ihm fehlen, ſchenken; alle Leiden, die ihn druͤcken, in Freude verwan⸗ deln, kann und mig ihn gut und ſelig und unſterblich machen. Gott e und uͤber Alles geliebt — iſt das allerkoͤſtlichſte Gut; denn, wenn Gott fuͤr mich, wer iſt wider mich und Gott iſt fuͤr Alle, die Ihn ſuchen, und reich fuͤr Alle, die Ihn a n⸗ fen Gott erkannt, und uͤber Alles geliebt — if das allerkoͤſtlichſte Gut; denn fein Leben übertrifft alles Leben, ſeine Weisheit uͤbertrifft alle Weisheit, ſeine Guͤte übertrifft alle Güte, feine Macht übertrifft alle Macht, ſeine Heiligkeit übertrifft alle Heiligkeit, feine Seligkeit übertrifft alle Seligkeit. Und nicht nur: übertrifft — ſein Leben iſt die Quelle alles Lebens, ſeine Guͤte die Quelle aller Guͤte, ſeine Macht die Quelle aller Macht,
ſeine Heiligkeit die Quelle aller Heiligkeit, feine eat die Quelle aller Seligkeit.
Gott erkannt und über Alles geliebt — ir das allerkoͤſtlichſte Gut. Denn Er kann allein Friede mas chen in unſerm Inwendigen; Er allein kann uns vollkom⸗ men regieren, kann machen, daß die Sinnlichkeit der Ver⸗ nunft, und die Vernunft Ihm gehorſamet; Er allein kann uns gut und froh und weiſe machen; Er kann uns ſtaͤrken, wenn wir zu ſchwach find, gegen das Unrecht Widerſtand zu thun; Er kann uns Muth und Zuver⸗ ſicht ſchaffen, wenn wir zittern vor dem Tode und der Zukunft; Er kann uns die Sorgen vom Herzen nehmen, wenn ſie uns ſchwer wie Blei auf dem Herzen liegen; Er kann in unſerm Inwendigen wieder Tag machen, wenn nichts als Finſterniß und Nacht darin iſt; Er kann Brod geben dem Leibe, wenn wir hungern, und dem Geiſte, wenn wir ohumaͤchtig zum Guten werden; Er kann die Leiden, die auf unſern Schultern liegen, weg⸗ heben, daß ſie gar nicht mehr darauf liegen; oder min⸗ dern, daß ſie nicht mehr ſo maͤchtig drücken, oder die leidende Seele ſtaͤrken, daß fie die Leiden nicht mehr achtet; Er kann in den Leib, der ſchon halbtodt iſt, neues Leben gießen, und den Geiſt aus dem todten Leibe in ſeine Haͤnde aufnehmen; Er kann vergelten, wo keiner vergilt, belohnen, wo keiner belohnt, und den Tod toͤd⸗ ten, daß unſer Leben ewig lebet!
Gott erkannt und uͤber Alles geliebt — iſt das allerkoͤſtlichſte Gut; denn Ihn kennen und lieben — das kann uns nie gereuen; Ihn kennen und lieben — das kann uns nie elend machen; Ihn kennen und lie⸗ ben — das muß uns immer beſſer und freudiger machen.
Gott erkannt und über Alles geliebt — if das allerkoͤſtlichſte Gut; vergeht nicht wie die ſinnliche Luſt; verfliegt nicht wie die Ehre der Menſchen; ver⸗ welkt nicht wie die Schoͤnheit, und ſtirbt nicht wie die Geſundheit.
Gott erkannt und uͤber Alles gelicht — it das a Gut; denn ohne Gott, und ohne Got⸗
— 8 —
tes Erkenntniß und Liebe iſt keine wahre, keine dauer⸗ hafte, keine lautere Freude, keine feſte Hoffnung, kein bleibender Troſt, keine unerſchuͤtterliche Ruhe, keine rechte Seligkeit.
Gott erkannt und uͤber Alles geliebt — iſt das allerhoͤchſte Gut; deßwegen ſollen wir nach der Lehre Jeſu und ſeinem Beiſpiele zuerſt und immer um dieß al⸗ lerköſtlichſte Gut bitten; bitten, daß Gottes Name geheiliget, das heißt, Gott uͤberall erkannt und geliebet werde; bitten, daß Gottes Reich komme, das heißt, Gott uͤberall erkannt und geliebt werde, Gottes Kraft herrſche, regiere, nicht unſer Eigen⸗ duͤnkel, nicht unſer Eigenwille; daß Gottes Wille ge⸗ ſchehe, das heißt, Gott uͤberall erkannt und uͤber Alles geliebt werde.
Dieß allerhoͤchſte Gut nennt Jeſus bald das ewige Leben. Joh. XVII, 3. Dieß iſt das ewige Leben, daß ſie Dich erkenne; den ewigen, wahren Gott, und den Du geſandt haft; bald das Reich Gottes, Matth. IV, 17. bald das Reich der Him⸗ mel. Matth. XIII.
4.
Jeſus nennt uns nicht nur dieß allerkoͤſtlichſte Gut; Er lehrt uns auch, wie wir darnach ſtreben ſollen. Wir follen nach dem allerhoͤchſten Gut trachten, wie ein Mann, der einen Schatz in einem Acker weiß, und Alles, was er hat, verkauft, um dies ſen Acker zu kaufen, und den Schatz zu erhalten.
Wer Alles, was er hat, verkauft, um den Schatz zu bekommen, der muß den Schatz hoͤher ſchaͤtzen, als Alles, was er um deſſen willen hingiebt: ſonſt waͤre er ein Thor, wenn er das Beſſere verkaufte, um das Schlech- tere einzuhandeln. Und wer den Schatz, den er haben will, wirklich höher ſchaͤtzt als Alles, was er hat, der giebt wirklich Alles hin, was er hat, um das Einzige fuͤr Alles einzuhandeln.
So ſoll unſer Streben nach dem allerhoͤchſten Gut beſchaffen ſeyn.
—
— 346 —
Gott, Gottes Erkenntniß, Gottes Liebe, Got⸗ tes Wille, Gottes Gnade ſoll uns theuer und wich⸗ tig ſeyn; wir ſollen lieber alles Angenehme daran ge⸗ ben, verlieren, aufopfern, entbehren, und lieber alles Unangenehme leiden, alles Muͤhſame ausſtehen, alles Bittere erdulden, als Gottes Willen unerfuͤllt laf⸗ ſen; wir ſollen Alles darangeben, um ihn beſſer zu er⸗ kennen und ihn treuer zu erfuͤllen. Wie der Geizige, der das Geld uͤber Alles lieb hat, Geſundheit, Ehre, Bequemlichkeit, ſelbſt ſeine Gewiſſens ruhe auf⸗ opfert, nur um Geld zu bekommen; wie er Hunger und Durſt, Kaͤlte und Froſt leidet, ſich von ſeinen Mitmen⸗ ſchen verſpotten, von feinem Gewiſſen ta deln und ſtrafen läßt — nur um fein zeitliches Einkommen zu vermehren: ſo wuͤrden wir, wenn wir Gott uͤber Alles liebten, gerne Hunger und Durſt, Kaͤlte und Froſt, und alles Unangenehme leiden, um nur den Willen unſers | Gottes zu erfüllen.
Wie ein Kaufmann, der viele hundert köſtliche Steine hat, gerne alle die koͤſtlichen Steine verkauft, um ein ein⸗ ziges Edelgeſtein, das die andern Alle weit übertrifft, eins zukaufen: ſo verſagt ſich der, welcher ſein hoͤchſtes Gut
darin findet — Gott zu lieben und ſeinen Willen zu thun, alle Vergnuͤgungen, und ſcheut keine Beſchwerniſſe, nur um den Willen ſeines Gottes immer vollkommener zu er⸗ füllen.
Jeſus Chriſtus will uns zu Kaufleuten befferer Art machen.
Viele Menſchen, und ich darf ſagen, die meiſten ger ben das Ewige, das Himmliſche für Zeitliches, Vergaͤngliches, hin; wollen lieber den Menſchen ge⸗ fallen als Gott, wollen lieber Ehre bei den Menſchen, als den Beifall Gottes haben; wollen lieber den fuͤnf Sinnen als dem Willen Gottes gehorſamen; wollen lie ber die Freude eines guten Gewiſſens entbehren, als eine augenblickliche Freude, der wir uns doch nur zu ſchaͤmen haben; wollen lieber auf brechliche Menſchen als auf den unſterblichen Gott trauen; wollen ſich lieber von ihrem
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kurzſichtigen Verſtande als von der hoͤchſten Weisheit leiten laſſen; ſind alſo Kaufleute der ſchlechteſten Art — verſaͤumen das Beſte, das Ewige, das Himmliſche, um ſich mit vergaͤnglichem, geringem, irdiſchem Gut taͤuſchen zu koͤnnen.
Dieſe Thorheit moͤchte Jeſus gern von der Erde ver⸗ bannet wiſſen, moͤchte uns gern zu Kaufleuten beſ— ſerer Art machen: darum lehret Er zwar mit andern Worten, aber doch die nemliche Wahrheit: Sehet, meine lie ben Bruͤder, das iſt die allerkoͤſtlichſte Perle, den Willen meines Vaters wiſſen und thun, das Wort Gottes hören und erfuͤllen — — — Dieß iſt der Schatz des Menſchen; wer dieſen Schatz hat, der iſt gut und froh und weiſe und glücklich; und wer ihn nicht hat, der iſt böfe und elend und thoͤricht: für dieſen Schatz muͤſ— ſet ihr alles Andere darangeben! Selig, wer den Frieden liebt, und lieber einen zeitlichen Vortheil entbehren will, als den Frieden und die Eintracht ſtoͤren — denn das iſt der Wille meines Vaters! Selig, wer eines reinen Her⸗ zens iſt, und lieber wenig mit Billigung ſei⸗ nes Gewiſſens, als viel mit Unrecht haben will — denn das iſt der Wille meines Vaters! Selig, wer arbeitet und betet, und mit Dank⸗ barkeit genießt, was ihm der Himmel ſchenkt, und mit den Armen theilet, was er genießt — denn dieß iſt der Wille meines Vaters! Se⸗— lig, wer von Herzen demuͤthig iſt, und in al⸗ lem Guten, das er hat, und das Andere haben, Gott die Ehre giebt — denn das iſt der Wille meines Vaters! Selig, wer ſich, um der Suͤnde zu widerſtehen, das Liebſte verſagen, und, wenn ihn fein Auge aͤrgert, das Ang enehmſte nicht fehen, und wenn ihn feine Hand aͤrgert, das Angenehmſte nicht thun will — denn dieß iſt der Wille meines Vaters! Selig, wer nicht fündiget, und wenn er gefündiget, zum Vater der Erbarmungen mit Vertrauen zuruͤckkehrt,
und ſich in feine väterliche Arme wf denn dieß iſt der Wille meines Vaters! Selig, wer das Himmliſche, das Un vergaͤngliche dem Zeit, lichen vorziehet, und dieſe Welt gebrauchet, als wenn er ſie nicht gebrauchte — denn dieß iſt der Wille meines Vaters! Selig, wer in Allem, was bitter, widrig iſt, den Willen mei⸗ nes Vates erkennet und betet: Vater, dein Wille geſchehe, nicht der meine! Selig, wer um das Allerbeſte alles Uebrige darangiebt, ſelbſt fein Leben haſſet, ſich ſelbſt verlaugnet, ſein Kreuz auf ſich nimmt, und mir nachfol⸗ get — denn dieß iſt der Wille meines Vaters! Wir ſollten das Geringere hingeben, um des Beſſern faͤhig und wuͤrdig zu werden: das iſt vi
Jeſu. | 5. .
Was Jeſus lehrte, das hat Er auch gethan. Pe Wille feines Vaters war Ihm das Allerkoͤſtlichſte, war Ihm der Schatz im Acker; war Ihm die koͤſtlichſte Perle;
um dieſen Willen zu erfuͤllen, opferte Er ſein Leben am Kreuz.
Und weil Er ſich unter Alle erniedrigte, weil Er ſich ganz opferte, um den Willen ſeines Vaters zu erfuͤllen, ſo erhoͤhte Ihn ſein Vater uͤber Alle. Der himmliſche Vater erkannt und geliebt — war ſein allerhoͤchſtes Gut.
Was Jeſus lehrte, hat laͤngſt vorher Abraham erfüllt: Iſaak war dem Vater Abraham ſein Liebſtes — aber nicht lieber als der Wille Gottes. Weil ihm ſein Gott be⸗ fahl, er ſollte ſeinen Sohn opfern, ſo gieng er hin und opferte ſeinen Sohn — der Wille Gottes war ſein hoͤch ſtes Gut.
Und ſo war allen Blutzeugen Jeſu, die um del Wahrheit und der Tugend willen, in den Tod giengen, der Wille Gottes ihr hoͤchſtes Gut. Denn was heißt ein Maͤrtyrer ſeyn? es heißt: den Willen Gottes mehr lieben, als ſein Leben, heißt, lieber ſterben, als die See Wahr⸗ heit verlaͤugnen.
m.
ish 6.
So ſoll denn auch uns Gott, Gottes Erkenntniß, s Liebe, Gottes Gnade, Gottes Wille — unf er allerhoͤchſtes Gut ſeyn.
Gott ſoll unſer höchſtes Gut ſeyn: iſt Er es aber auch?
Das kann Jeder leicht erkennen; er darf ſich nur ehr⸗ lich fragen, an was er am oͤfteſten denke, an was er am liebſten denke, wo ſein Herz ſey. Denn da, ſagt Chriſtus, wo unſer Herz iſt, da iſt unſer Schatz.
Gott ſoll unſer hoͤchſtes Gut ſeyn — Gott ſoll euer hoͤchſtes Gut ſeyn, ihr lieben Eltern! an Ihn ſollt ihr zu⸗ erſt denken bei'm Aufſtehen, denn Er hat euch durch den Schlaf erquicket, und die Nacht uͤber behuͤtet; an Ihn ſollt ihr denken bei eurer Arbeit, denn Er giebt das Gedeihen: ſonſt nuͤtzt alles Pfluͤgen und Saͤen und Eggen — nichts; an Ihn ſollt ihr denken am Tiſche, wenn ihr Brod und Speiſe zu euch nehmet, denn Er giebt das Brod und ſeg⸗ net die Speiſe; Ihm ſollt ihr eure Kinder erziehen, nichts ſollt ihr an euren Kindern dulden, was Gott mißfaͤllt; euren beſten Freund, Gott, ſollen eure Kinder als den erſten Hausfreund fruͤh kennen lernen; Ihm ſollt ihr eure Hausgenoſſen zufuͤhren, ſollet keinen Tag vorbeigehen laſ— ſen, an dem ihr nicht mit eurem ganzen Hauſe oͤffentlich betet; an Ihn ſollt ihr denken bei'm Schlafengehen, denn Er iſt unſer Huͤter bei Tag und Nacht!
Gott ſoll euer hoͤchſtes Gut ſeyn, liebe Kinder! wie ihr eure lieben Eltern lieber habt, als alle andere Menſchen, ſo ſollt ihr den unſichtbaren Vater, der eure Eltern und euch durch ſie auf dieſe Erde hieher geſetzt
hat, lieber haben als eure Eltern; denn Er hat ja euren’
Eltern das liebende Herz gegeben; Er erhaͤlt euch ge⸗ ſund und munter; Er giebt euch ſeine Engel zu euren Huͤ⸗ tern; Er iſt euer Vater; Ihn ſollt ihr in euren Eltern verehren, Ihm in euren Eltern gehorſamen; zu Ihm ſollt ihr euer unſchuldiges Herz erheben; Ihm ſollen ſich eure zarten Haͤnde falten; von Ihm gerne erzaͤhlen hoͤren; Er iſt auch der Vater Jeſu, der ein ſo guter Knabe war.
*
— 350 —
Gott ſoll unſer Aller — hoͤchſtes Gut ſeyn; Ihn ſollen vertrauen die Reichen, denn Er kann ſie troͤſten wenn kein Geld mehr troͤſten kann, und von Ihm komm doch auch das zeitliche Vermoͤgen; auf Ihn ſollen vertrauen, die Armen, denn Er iſt der Vater der Armen, und kam ſeine Kinder, die nach Kraft arbeiten, und zu Ihm un Brod ſchreien, nicht erhungern laſſen; auf Ihn ſollen ver trauen die Alten und Jungen, denn Er giebt den Odem und nimmt ihn; Ihn ſollen die Erſtlinge des Drei alters und die Greiſenhaare lobpreiſen —
Gott ſey unſer allerhoͤchſtes Gut — Er werbe es — den Suͤndern, und bleibe es — feinen liebſten Kin. dern, den Frommen!
Gott ſey unſer hoͤchſtes Gut — jetzt im Glauben und einſt im Schauen!
O hoͤchſtes Gut werde und ſey und bleibe ewig — unſer allerhoͤchſtes Gut!
Dieß iſt hier mein erſter Wunſch, und wird auch en mein letzter ſeyn —
Oder noch beſſer mit einem beſſern Manne:
Wahrheit — Gott! mach' uns eins mit > — in ewiger Liebe!
11 en
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12 u eil. von der Freundſchaft unter Chriften, Neige,
| halten am Gedächtnißtage des heiligen Magnus in dem berühmten Benediktinerſtifte zu Füſſen im Allgäu, 1790.
Alle die Gläubigen waren Ein Herz und Eine Seele. Apoſtg. IV, 323.
Es war in dieſer Gegend vor vielen Jahrhunderten ein großer Mann; ihm war das Heil, das rechte Wohlſeyn unſterblicher Seelen lieber als Speiſe und Trank und Ehre und Geld und Wolluſt, lieber als alle Guͤter dieſes Lebens und als das Leben ſelbſt; von ſeinem Munde ertoͤnte in dieſen Gegenden der Name Jeſus, in dem allein Heil iſt; er lehrte dieſe Thaͤler und Berge, wiederhallen — das Evangelium, das die erſten Freunde Jeſu auf Erden verbreitet hatten; er lehrte eure Vor⸗ eltern den himmliſchen Vater kennen, und welchen Er geſandt hatte; er war das Werkzeug, das die heilige Vorſicht brauchte, um die Waͤlder auszuhauen und die Gemuͤther zu bilden, wilde Thiere zu vertreiben und mil; dere Sitten unter den Menſchen einzuführen; er war der Vater vieler Kinder, die nach ſeinem Beiſpiele die frohe Botſchaft von unſerm Herrn Jeſus Chriſtus verkuͤndet, und die goͤttliche Wahrheit nach dem Geiſte ihres Leh— rers mit heiligem Wandel beſtaͤtiget haben — und dieſer Mann hieß Magnus oder Magnoaldus, und dieſer Mann baute ſich hier eine Huͤtte, und dieſer Mann ward hier, wo ſein Eifer am geſchaͤftigſten war, und ſein Wirkungskreis ausgieng, auch begraben, und dieſes Man⸗ nes Andenken blieb bis auf dieſe Stunde hier und anders⸗ wo im Segen, und dieſes Mannes Andenken zu feiern, ſind wir da.
| Guter, frommer, heiliger Mann! mit wahrer Ver⸗ ehrung denke ich an den reinen Eifer, der dich beſeelte,
— 352 —
und an deine Arbeiten und Reiſen und Predigten, und wuͤnſche unſern Tagen Maͤnner wie du, die das Gute ſo redlich lieben, und ſo thaͤtig foͤrdern! So wenig wir von dir wiſſen, ſo wiſſen wir doch genug, um uns von deinem Beispiele zuerſt beſchaͤmen und dann zu allem Guten erwärmen zu laſſen. So wenig wir von dir wiſſen, ſo wiſſen wir doch genug, um dein Andenken wuͤrdig zu feiern — wenn wir dich nur in der Geſell⸗ ſchaft des heiligen Columbanus und Gallus denken. Du hatteſt Einen Beruf, Einen Zweck, Einen Geiſt mit ihnen. Columbanus erzog ſich ſeinen Freund Gallus, und Gallus ſeinen Freund Magnus. In dieſer Geſell⸗ ſchaft betrachte ich dich auch am liebſten, denn da er⸗ weitert ſich mein Herz, und ich wünſche auch ſo gut zu ſeyn, wie du warſt, und auch ſolche Freunde zu haben, wie du hatteſt.
Es erſcheint mir in dieſer Betrachtung das ganze Chriſtenthum ſchoͤn und lieblich und groß; ich begreife, daß die Freundſchaft unter wahren, des Namens wuͤrdi⸗ gen Chriſten dem Chriſtenthum weſentlich ſey; ich ſehe, was fuͤr ein großer Segen in die Welt kommen muͤßte, wenn die rechte Freundſchaft unter Chriſten in die Welt kaͤme; ich erkenne, daß die rechte Freundſchaft unter Chri⸗ ſten gerade ſo ſelten ſey, als das wahre, im reinen Sinn und im heiligen Wandel lebende Chriſtenthum.
Dieß ſey denn auch der Inhalt dieſer Rede; denn wie ſollte ich von einem andern Gegenſtande reden koͤnnen, als der mir jetzt — als der fchönfte und iii und auch als der nuͤtzlichſte erſcheint?
Die Freundſchaft unter Chriſten iſt dem Shriftenthum wefentlid.
Die Freundſchaft unter Chriften iſt ein unbeſ chreib⸗ a lich großer Segen fuͤr die Menſchen.
Die Freundſchaft unter Chriſten iſt ſo ſelten, als das lebendige Chriſtenthum unter Chriſten.
Goͤnnet mir, liebe Zuhoͤrer, ein freundlich Ohr, da
ich von der Freundſchaft unter Ehriſten zur Ehre der Wai
Wahrheit und des heiligen Magnus rede, der ein chriſt⸗ licher Freund war, und chriſtliche Freunde hatte.
And Du, zaͤrtlichſter Freund der Menſchen, Jeſus Chriſtus, der Du kamſt, die große Scheidewand zwiſchen Menſchen und Menſchen, die die Suͤnde aufgefuͤhrt, durch deinen heiligen Geiſt niederzureißen, tilge, was die Menſchen trennet — den irdiſchen Sinn, und ſende, was ſie vereiniget — die himmliſche Liebe; vereinige Du, was uneins iſt, und ſammle, was zerſtreuet iſt; knuͤpfe Du im heiligen Bande des Friedens zuſammen, was die unheilige Zwietracht theilee! Denn, was Dein Geiſt nicht einiget, das wird entweder gar nicht eins, oder nicht eins zum Guten, oder ſein Einsſeyn hat keinen Beſtand. Stelle Du den goͤttlichen Frieden zuerſt in uns her, damit wir Frieden mit Andern haben! Mache Du einen Jeden aus uns beſſer, damit Jeder aus uns wuͤrdig werde, aller Guten Freund zu ſeyn! Mache Du einen Jeden aus uns zu einem lebendigen Evangelium, damit das Chriſtenthum nicht bloß in unſerm Bekennt⸗ niſſe, oder in unſern heiligen Buͤchern, ſondern in unſerm Herzen und unſerm Wandel lebe, und die Zahl der wahren Freunde nicht es ſey, als die Zahl der Chriſten!
en | \ Daß die Freundſchaft unter Chriſten dem Chriſten⸗ thum weſentlich ſey.
Die Freundſchaft unter Chriſten iſt eine Gemein⸗ ſchaft, die nur die Tugend unter Tugendhaften ſtiften kann, iſt die wahre, ewige Einigkeit des Sinnes, die Jeſus unter den Seinen erzeuget; iſt die Liebe, die unſer Lehrer zum Kennzeichen ſeiner Jüngerſchaft gemacht.
Alle Chriſten, die das Maß ihres Namens ausfüllen, ſind Freunde Jeſu, und Freunde untereinander; Freunde Jeſu, den ſie lieben, weil Er ſie zuvor geliebt, und mit ſeinem Blute ſich erkauft; Freunde unters
J. M. v. Sailers ſämmtl. Schriften. X XXV. Bd. 23
— 354 — {A einander, weil ſie durch Ihn von Einem Verderben errettet, und zu Einer Seligkeit neu geſchaffen ſind.
Alle Freunde Jeſu — alle wahre Chriſten ſind Freunde untereinander; denn ſie haben Einen Glauben. Der Vater, an den Einer glaubt, iſt der naͤmliche, an den Alle glauben; der Grund, um deſſen willen Einer glaubt, iſt der Grund, um deſſen willen Alle glauben — das Licht, das Einen erleuchtet, erleuchtet Alle. Joh. I, 9.)
Alle Freunde Jeſu — alle wahre Chriſten ſind Freunde untereinander; denn ſie haben Eine Hoff⸗ nung. Was Einer wuͤnſcht und erwartet, das wuͤn⸗ ſchen und erwarten Alle — ewiges Leben; der Herr, auf den Einer vertraut, iſt der naͤmliche, auf den Alle vertrauen — unſer Herr Jeſus Chriſtus; um was Einer bittet, um das bitten Alle — Alle, Alle bitten, daß der Name ihres Gottes durch alle Menſchen ver⸗ herrlichet, daß das Reich ihres Gottes in allen Menſchen gegründet, daß der Wille ihres Gottes von allen Mens ſchen ſtandhaft vollbracht werde; der Grund, um deſſen willen Einer Gutes wuͤnſchet, hoffet, erwartet, iſt der Grund, um deſſen willen Alle Gutes wuͤnſchen, hoffen, erwarten — die grenzenloſe Guͤte und Treue und Macht Gottes, die ſich in Jeſus Chriſtus geoffenbaret hat.
Alle Freunde Jeſu — alle wahre Chriſten ſind Freunde untereinander; denn ſie haben Alle Eine Liebe. Was Einer liebt, lieben Alle — Gott, und
Gottes vollkommenſtes Ebenbild in Jeſus Chriſtus; Gott und Gottes unvollkommenes Ebenbild in allen Menſchen; Gott und Gottes erneutes Eben⸗ bild — in ſich und allen Chriſten; den Maßſtab der Liebe, den Einer hat, den haben Alle: „Dieß iſt mein Gebot, daß ihr einander liebet, wie Ich euch geliebet habe“ (Joh. XV, 12.); die Quelle der Liebe in Einem iſt auch die Quelle der Liebe in Allen — der heilige Geiſt, durch den ſich die Liebe in die Her⸗ zen aller Chriſten ergießt. (Roͤm. V, 5.) BR
Alle Freunde Jeſu — alle wahre Chriſten ſind Freunde untereinander; denn, wie ſie Einen
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Glauben, Eine een Eine Liebe haben: ſo haben ſie Alle Einerlei Troſt in Drangſalen, Einerlei Ge⸗ duld in truͤben Tagen. Der Gott des Troſtes, der Einen troͤſtet und zur Geduld ſtaͤrket, troͤſtet und ſtaͤrket Alle; das Beiſpiel ihres Vorgaͤngers Jeſus, das Einem Muth einſpricht, legt Allen Muth in's Herz; die un⸗ verwelkliche Krone, die Einem hinterlegt iſt, iſt Allen hinterlegt. i
Die Freunde Jeſu — alle wahre Christen find Freunde untereinander; denn, wie fie Einen Glau⸗ ben, Eine Hoffnung, Eine Liebe haben: ſo haben ſie auch Einerlei Streit gegen Einerlei Feinde — gegen Augen⸗ luſt und Fleiſchesluſt und Hoffart des Lebens (1 Joh. II, 16.), und Einerlei Kraft, uͤber alle Feinde zu ſiegen — den weltuͤberwindenden Glauben. (1 Joh. V, 4. 5.)
Die Freunde Jeſu — alle wahre Chriſten ſind Freunde untereinander; denn wie ſie Einen Glau⸗ ben, Eine Hoffnung, Eine Liebe haben, ſo haben ſie eben darum Einen Sinn; was Einer hochſchaͤtzet, das
hochſchaͤtzen Alle — das Unvergaͤngliche, Himmliſche;
was Einer verabſcheut, das verabſcheuen Alle — die Suͤnde und alles Unrecht; was Einer empfiehlt, das empfehlen Alle — den Willen Gottes erforſchen, hochachten und vollbringen; was Einer uͤbet, das üben Alle — Liebe in Allem; was Einer thut, das thun Alle — Gutes von ganzem Herzen, Jeder an ſeiner Stelle und mit ſeiner Kraft.
Dieſe Freundſchaft wollte Jeſus unter Menſchen ſtiften; dieſe Freundſchaft iſt Geiſt und Zweck des Chri⸗ ſtenthums: Kinder Eines Vaters, Genoſſen Eines Rei⸗ ches, Glieder Eines Leibes, neugeboren durch Einen Geiſt, gewaſchen durch Eine Taufe, neugeſtaͤrkt von Einem Himmelbrode, Bekenner Eines Evangeliums, Erben Einer Seligkeit — d. h. Freunde ſollten ſie ſeyn.
Um dieſe Freundſchaft unter ſeinen Juͤngern bat Jeſus zu ſeinem Vater in ſeinem letzten Gebete, ehe Er in den Tod gieng: Ich bitte nicht nur fuͤr ſie, ich bitte fuͤr Alle, die durch ihr Wort an mich glauben
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— 355 —
werden: laß fie Alle Eines feyn untereinander; laß ſie Eines mit uns ſeyn, wie wir Eines ſind. Joh. XVII, 20. 21.)
Zu dieſer lautern, heiligen Freundschaft ermahnte | Paulus feine Mitchriften: |
Ich, der ich um des Herrn willen in Ketten bin, 1 bitte euch: „Wandelt nach der Wuͤrde eures Be⸗ rufes in aller Demuth und Sanftmuth; traget einander in Geduld und Liebe; habet Acht, daß die Eintracht des Geiſtes durch das Band des Friedens in euch Allen erhalten werde; ihr ſeyd Alle Ein Leib; in euch Allen wohnt Ein Geiſt; ihr ſeyd Alle zu Einer Hoffnung berufenz es iſt fuͤr uns Alle
Ein Herr, | 3 Ein Glaube, e Eine Taufe,
Ein Gott und Vater Aller,
der herrſcht uͤber Alle, der wirkt durch Alle, „ der wohnt in Allen.“ Epheſ. IV, 1 — 6.)
Heilige Freundſchaft! wo du biſt, da iſt keine Bitter⸗ keit, kein Zorn, kein Geſchrei, keine Laͤſterung, keine Schadenfreude. (Epheſ. IV, 31. 32.) Wo du biſt, da iſt die Liebe — und mit ihr Friede und Freude und Se⸗ ligkeit. Wo du biſt, da iſt Ein Sinn, wie Ein Vater für Alle, und Ein Herr über Alle, Ein Geiſt in Allen. 4
Zu dieſer lautern, heiligen Freundſchaft ermunterte der Freund Jeſu, Johannes, ſeine Mitchriſten: 1
„Was wir geſehen und gehoͤrt haben, ma⸗ chen wir euch kund, damit ihr mit uns Gemein⸗ ſchaft habet, und wir Alle Gemeinſchaft haben mit dem Vater und feinem Sohne“ (1 Joh. I, 3. d. h. Ich verkuͤnde euch, was ich geſehen und gehoͤrt habe, damit ihr des Vaters und ſeines Sohnes und unſre Freunde werdet —
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Diͤeſe lautere, heilige Freundſchaft war in den erſten Zeiten, als das Chriſtenthum auf Erden gegruͤndet wurde, unter den Chriſten ſo einheimiſch wie das Chriſtenthum — ja, ein Chriſt ſeyn, und Ein Herz und Eine Seele mit allen Chriſten ſeyn — war Eine und dieſelbe Sache. Die heilige Geſchichte beſchreibet dieſen gluͤck⸗ lichen Zuſtand ſehr ſchoͤn:
Die Menge der Gläubigen, heißt es, war Ein Herz und Eine Seele. Und Keiner nannte das, was er beſaß, ſein Eigenthum, ſondern ſie hatten Alles miteinander gemein — — — und es war kein Armer unter ihnen. (Apoſtg. IV, 52 — 34.)
Wie Alle Einen Chriſtus und Ein Evangelium hatten: ſo hatten Alle Einen Sinn. Weil Keiner ſeine Ehre, ſondern nur die Ehre Jeſu ſuchte: ſo konnte kein Neid die Eintracht ſtoͤren; weil Keiner ſeinen Vortheil, ſondern das Wohl Aller, die Ausbreitung der Wahrheit und Tugend, ſuchte: ſo konnte kein Eigennutz, kein Mein und Dein — den Frieden ſtoͤren; weil Keiner ſeine Luſt in Anhaͤufung zeitlicher Guͤter ſuchte, weil Keiner einen andern Gewinn kannte, als Jeſu neue Freunde zuzufuͤh⸗ ren, weil Keiner aß, als um zu leben, und Keiner lebte, als um recht wohlzuthun: ſo waren Nahrungsmittel ge⸗ nug da für Alle — und es war kein Armer unter ihnen.
Das Band dieſer lautern Freundſchaft knuͤpfte auch noch in ſpaͤtern Jahrhunderten die wahren, des Namens wuͤrdigen Chriſten zuſammen; und wo immer der nie ſchlummernde Geiſt Gottes irgend einen großen Mann aufweckte, und ihn mit dem heiligen Sinn des Evange⸗ liums ſalbte: da blieb dieſer Mann nie allein; es fehlte ihm nicht lange an Juͤngern, Brüdern, Gehuͤlfen, Freun⸗ den, die, durch ſein Beiſpiel geſtaͤrkt, und durch ſeinen Blick ermuntert, in ſeiner Geſellſchaft mit gemeinſamem Eifer auf dem Acker der Erde Gutes ausſaͤeten, und Boͤſes ausrotteten. So fand, um ein Beiſpiel anzufuͤhren, das dem Zwecke der heutigen Feier angemeſſen iſt, Co⸗ lumbanus einen Gallus, und Gallus einen Magnus,
— e
und Jeder aus dieſen dreien mehrere Juͤnger und Freunde, die Ein Herz und Einen Sinn mit ihren Lehrern und Vorbildern hatten, das Evangelium mehr durch That als Wort verkuͤndeten, und mit der lebendigen, himmliſchen Wahrheit in die Finſterniß ihrer Zeiten hineinleuchteten. Es muß die Quelle einen Ausfluß, und jeder Heilige einen Freund, dem er von ſeinem Geiſt mittheilet, und einen Mitarbeiter haben, der ihm das Erdreich durch⸗ ackern hilft. Was Columbanus in Italien, Britannien und Gallien mit ſeinen Zoͤglingen wirkte, das wirkten Gallus und Magnus in unſerm lieben Deutſchland mit den ihrigen. Die Kraft ihrer Lehren und ihrer Beiſpiele, und ihrer Gebete und ihrer Arbeiten wirkte immer wei⸗ ter und weiter, wie der Sauerteig, der nach und nach den ganzen Teig durchſaͤuert. Die Kraft des heiligen Geiſtes floß von Columbanus auf Gallus und von die⸗ ſem auf Magnus, und von dieſen dreien auf unzaͤhlige Menſchen. Sie ſtifteten Schulen der Weisheit und Pflanzſtaͤtten der Heiligkeit — das waren die Kloͤ⸗ ſter in ihrem Urſprunge .. Wenn man die Lehre Jeſu in lebendigen Muſtern ſehen wollte: ſo konnte man ſie
in den Kloͤſtern ſehen. Es iſt uns von einem glaub⸗
wuͤrdigen Geſchichtſchreiber des heiligen Columbanus eine glaubwuͤrdige Schilderung, was die Kloͤſter damals waren,
hinterlaſſen worden, und ich kann mich nicht erwehren, die ſchaͤne Stelle, die ich nicht ohne Rührung meines
Herzens geleſen habe, in unſrer Sprache hier anzufuͤhren;
ſie beweiſet nicht nur, weſſen Geiſtes Kinder die drei
angefuͤhrten Männer, Columbanus, Gallus und Magnus,
geweſen, ſondern auch vorzuͤglich, daß die wahren Eher A ſten Freunde untereinander feyen. |
„In allen Orten,“ ſagt die Gefchichte, ) „durch die . er (Columbanus) auf feinen Reifen gieng, predigte er das Evangelium. Es hatten die Menſchen Geſchmack an einer Lehre, die ihnen nicht ſowohl durch die Beredt⸗ ſamkeit des Mundes, als die ſiegende Kraft des Beiftts
*) Acta Sanctorum Ord. S. Benedicti: saeculum sccundum : edidit Mabillon Venetiis MDCCXXIL p. 7.
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an das Herz gelegt wurde. Es war zwiſchen ihm und ſeinen Freunden der einzige Wettſtreit, wer den Andern an Demuth übertraͤfe. Wie die Irdiſchgeſinnten um Vor⸗
rang und Weltehre ſtreiten, fo wetteiferten fie, einander an Demuth bevorzukommen. Es kam ihnen nie aus dem
Sinne, was Jeſus lehrte: Wer ſich erniedriget,
wird erhoͤhet; und was Iſaias: Zu wem ſoll ich herniederſehen, als zu dem, der eines demuͤ⸗
thigen und ruhigen Sinnes iſt, und mein Wort in Ehrfurcht zu Herzen faßt? So fromm und ſo
liebevoll gegen einander waren ſie Alle, als wenn ſie nur
Ein Herz und Einen Willen haͤtten. Wer ſie ſah, dem war es, als wenn er die Beſcheidenheit und Nuͤchternheit, die Sanftmuth und Milde ſelbſt geſehen haͤtte. Traͤgheit und Zwietracht haßten ſie von Herzen; die leiſeſte Regung des Stolzes zuͤchtigten ſie mit aͤußerſter Schaͤrfe; Neid und Zorn fanden nicht Herberge unter ihnen. Ueberall offen⸗ barte ſich nichts als Geduld, Liebe, Gelindigkeit — und es war, als wenn eine milde Gottheit in ihrer Mitte wandelte. Wenn Einer einen Fehler begieng: ſo bedienten ſich die Uebrigen ihres Rechtes, den Fehlenden bruͤderlich zu ſtrafen. Alles war unter Allen gemein; und wenn
ſich Einer ein Eigenthum anmaßte, fo ward er von den Uebrigen ſo lange abgeſondert, bis er ſich der beſſern
Geſellſchaft faͤhig und wuͤrdig gemacht hatte. Man hoͤrte
keine Widerrede, kein hartes Wort, und man konnte ſich
aus dem Anblicke ihres Wandels den Begriff von einem
Engelleben bilden. So reich an Gnade war der hei⸗
lige Mann, daß er in allen Haͤuſern, die er beſuchte, alle
Gemuͤther zur lautern Gottesverehrung begeiſterte.“ — —
Ein Gemälde, an dem man ſich nicht ſatt ſehen
kann! Wahrhaftig, wer eine Schule laͤſtern kann, die ſolche Männer bildet; wer einen Baum, der ſolche Früchte bringet, verachten kann: er muß — — — doch
ich wollte ja nur ſagen, daß alle wahre Chriſten einen
Sinn für Liebe, fuͤr Freundſchaft haben, der groß
und lieblich iſt, und dem Chriſtenthum Ehre macht. Und
dieſe Liebe, dieſe Freundſchaft duldet Alles — auch die
KLaͤſterung.
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Aber, es kann Ein wahrer Ehriſt nicht alle wahre Chriſten kennen; kann noch weniger Allen heiten wie kann er denn Aller Freund ſeyn?
Ein Stuͤck Magnet kann auch nicht alles Eiſen in HE Welt anziehen; aber, ſobald ſich das Eiſen dem Magnete nähert, fo zieht er an. — So hat der Chriſt Einen freundlichen Sinn gegen alle wahre Chriſten; wenn ſich ihm ein wahrer Chriſt naͤhert, ſo aͤußert ſich der geheim Zug der Herzen gegeneinander: fie find Freunde. — Und dieſe Freundſchaft, die dem Chriſtenthum weich, ift, wie wohlthätig müßte fie ſeyn? |
II. Daß die Freundſchaft unter Chriſten ein großer Segen für die Menſchen ſey.
Denken wir uns zuerſt nur drei Menſchen — als 5 wahre Chriſten, und eben darum als wahre Freunde: wie ſegenvoll muͤßte dieſe Freundſchaft fuͤr ſie ſeyn? Sie beten miteinander nach dem Sinne Jeſu, und er⸗ halten nach ſeiner Verheißung, um was ſie in dieſem lautern Sinne bitten: Wenn eurer Zwei auf Erden in irgend einer Sache gemeinſchaftlich bitten: ſo wird es ihnen von meinem Vater, der in den Himmeln iſt, gegeben werdenz denn, wo Zwei oder Drei in meinem Namen verfammelt ſind, da bin ich mitten unter ihnen. (Matth. XVIII, 19. 20.) Das Gebet eines Suͤnders, der Buße thut, durchdringt die Wolken: was wird erſt das glaͤubige Gebet von Dreien ausrichten koͤnnen, die Freunde Jeſu, und Freunde untereinander ſind, und nach dem Sinne Jeſu gemeinſchaftlich beten, die zu dem himmliſchen Vater mit kuͤhner Zuverſicht geradezu ſagen: Sieh, Vater! dein Sohn hieß uns in ſeinem Namen um Aus⸗ breitung feines Reiches zu Dir bitten — und fagte uns Erhoͤrung zu: wir kommen nun auf ſein Wort zu Dir, und bitten zu Dir mit Ei⸗ nem Herzen, und bitten um Ausbreitung ſeines Reiches, und trauen es Dir zu, daß Du uns
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erhören werdeſt; erhöre uns alſo um deiner Güte und um deines Sohnes willen, und laß den Namen deines Sohnes vor den Ungläu- bigen nicht geläftert werden. Wie ſelig, wer fo beten kann! Und ſo beten die Chriſten.
Sie tröften, ſtaͤrken, belehren, ermahnen, warnen, tragen einander. Das Licht, das Bei⸗ ſpiel des Einen iſt ein Licht und ein Beiſpiel fuͤr die uͤbri⸗ gen Zwei. Was zwei Augen nicht ſehen, das ſehen viere, und was viere nicht ſehen, das ſehen ſechſe. Ein Jeder iſt Lehrer und Schuͤler der uͤbrigen, und der Staͤrkere iſt es nur zum Beſten der Schwaͤchern. Walafried ) er⸗ zaͤhlt eine Begebenheit von dem heiligen Magnus, die hieher gehoͤrt. „Als Gallus die Tochter des Koͤnigs Sieg⸗ bert geheilt hatte, ſo entſchloß er ſich, alle Geſchenke, die er vom Koͤnige erhalten hatte, unter die Armen auszu⸗ theilen. Da ſagte Magnus zu ihm: Lieber Vater, hier unter den Geſchenken iſt ein Gefäß von Silber, koͤſtlich gearbeitet: wenn du es fuͤr gut findeſt, ſo will ich es zuruͤckbehalten, und ein Opfergeſchirr zum Kirchendienſte daraus machen laſſen. Nein, lieber Sohn! antwortete Gallus, laß das Silbergeſchirr nur den Armen zu Gute kommen. Denn mein Lehrer Columbanus hat auch nur in einem Gefaͤße von Erz das heilige Opfer entrichtet.“ So bildet Gallus ſeinen Schuͤler Magnus nach dem Geiſte ſeines Lehrers Columbanus, oder vielmehr nach dem Geiſte des Evangeliums. Das nenne ich Freund⸗ ſchaft unter Chriſten. Das Beſſere iſt das Beſſere, und muß es unter Freunden bleiben. Barmherzigkeit iſt beſſer als Opfer, Barmherzigkeit will ich, und keine Opfer. So lehrt der Geiſt der Wahrheit durch Oſeas, und durch Jeſus. (Matth. XII, 7.) Freunde ſchmeicheln nicht, ſagen die Wahrheit einander mit liebe⸗ voller Freimuͤthigkeit, ſagen ihr Ja und Nein ohne Um⸗ wege: und der Freund hoͤret die runde Wahrheit gern, und folget ihr.
9 J. C. P- 487.
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Sie arbeiten, leiden, ſtreiten miteinander — zur Ehre der Tugend, und erleichtern einander die Arbeit, verſuͤßen einander die Bitterkeit der Leiden, und ae einander zum Siege.
Sie ſind Einer des Andern Stuͤtze in Allem, er ein Menſch den andern unterſtuͤtzen kann. Und wenn die flehenden Haͤnde irgend eines Moſes, eines treuen Dieners Gottes, zu ſinken anfangen: ſo iſt gleich ſein Bruder, ſein Freund Aaron da, und ſtuͤtzet ſie ihm, bs der Sieg errungen iſt. 0 5
Das kann die Freundſchaft unter Menſchen; ſie ſtuͤtzet die ſinkenden Haͤnde, daß ſie nicht ermuͤden, bis das Gute vollbracht iſt; ſie ſtuͤtzet den ſchaffenden Muth, daß er nicht ohnmaͤchtig werde, bis das Werk vollendet iſt. Das kann die Freundſchaft unter Dreien! |
„O daß ich nur Einen Freund hätte, habe ich ſchon manchen fleißigen Seelſorger ſeufzen hoͤren, nur 100 der mir meine Arbeiten erleichterte, der mir meine ga den genießen, und meine Leiden tragen huͤlfe!“
„Ich habe Geld und Geſundheit, aber keinen grand, ſagt ein Anderer.
„Die Menſchen ſind ſo falſch, ſo eigennuͤtzig, b zur Freundſchaft ſo untuͤchtig,“ ſagt ein Dritter. 5
Sie moͤgen alle Drei Recht haben, aber mit Klagen iſt nichts ausgerichtet. Es muß, wenn geholfen werden ſoll, Jeder die Schuld in ſich ſuchen, nicht in Andern: dann wird er Freunde bekommen. Es muß Jeder zue rſt dem Neide, dem Eigennutz, dem Eigenſinn, dem unfreund⸗ lichen Weſen in ſich widerſtehen; zuerſt ſich von Allem, was unlauter iſt, zu reinigen ſuchen; zuerſt ſich der Freundſchaft faͤhig, wuͤrdig machen, dann wird er Freunde finden, und mit der Freundſchaft großen Segen. 3
Denken wir uns hernach ein ganzes Haus, deſſen Bewohner alle wahre Chriſten und Freunde untereinander ſind — Ein Herz und Eine Seele. Die Eltern und die Kinder und die Hausgenoſſen haben nur Eine Sorge, den Willen des himmliſchen Vaters immer heller zu
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erkennen, und immer treuer zu befolgen; haben nur Einen Beruf, Jeſum durch einen untadeligen Wandel zu ver⸗ herrlichen. Die Eltern befehlen, weil es Gottes Wille iſt, daß fie befehlen; die Kinder gehorfamen, weil es Gottes Wille iſt, daß ſie gehorſamen; die Hausgenoſſen dienen dem Herrn und der Frau des Hauſes, weil es Gottes Wille iſt, daß ſie denſelben dienen. Die Eltern lieben und ehren in ihren Kindern ihre juͤngern Mit⸗ chriſten, ihre Mitanbeter Jeſu; ehren und lieben in ihren Hausgenoſſen ihre Mitkinder Eines Vaters, und ihre Mit⸗ erben Eines Reiches. Die Hausgenoſſen ſehen und ver⸗ ehren in ihrer Herrſchaft — den Herrn Jeſum Chri⸗ ſtum, und gehorſamen Ihm. Die Kinder fehen und vers ehren in ihren Eltern den Vater Jeſu und den Vater aller Geiſter und ihren Vater. Die Eltern ſuchen das Wohl ihrer Kinder und ihrer Hausgenoſſen, und Kinder und Hausgenoſſen kennen keinen andern Streit, als ihren Eltern und ihrer Herrſchaft Freude zu machen. Leidet Ein Glied des Hauſes: ſo leiden alle mit; freuet ſich Eines: ſo freuen ſich alle mit; fehlet Eines: ſo bitten alle uͤbrige um Gnade zu Jeſu, und haben Mitleid mit ihrem Bruder, und helfen bruͤderlich zuſammen, den Feh⸗ lenden zu beſſern. Die Staͤrkern leiten die Schwaͤchern, und die Schwächern laſſen ſich von den Staͤrkern leiten. In einem ſolchen Hauſe iſt kein Zwiſt — und keine Eifer⸗ ſucht; keine Untreue — und kein arger Wahn; 1 kein Hochmuth — und kein Neid.
Ein ſolches Haus iſt ein Haus Gottes: Gott geht da aus und ein; ein Haus des Friedens: kein bitteres Wort wird darin gehört, und kein ſcheeler Blick geſehen. Jeſus hat einen Altar in dieſem Hauſe, auf dem ſich Ihm täglich alle Herzen opfern, oder vielmehr ſein hei⸗ liger Geiſt wohnt in allen Herzen, und macht ſie gut und froh — und zu Einem Tempel Gottes.
Welcher Segen in einem ſolchen Hauſe! Alle beten miteinander und fuͤr einander; Alle arbeiten aus Einer Abſicht — Gott zu gefallen; Alle eſſen ihr Brod mit Dank gegen ihren Vater im Himmel; Alle er bauen
einander durch reinen Wandel; Alle gehen, Jeder Pr feinem Wege, nach Einem Ziele; es fuͤrchtet Keiner den Tod, weil Alle das ewige Leben in ſich haben; es fuͤrchtet Keiner die Hoͤlle und den Satan, weil Alle an Einen Staͤrkern glauben, der Hoͤlle und Satan mel. ſtern kann —
Ein ſolches Haus iſt wie die Kirche Gottes, an und ohne Runzel, und unerſchuͤtterlich wie ein Fels.
Ein ſolches Haus iſt eine Vorkammer des Paradie⸗ fg — — — O, daß es mehrere ſolche Haͤuſer gaͤbe! Ich will jetzt die Wunde noch nicht berühren, die Frage noch nicht thun, warum es in chriſtlichen Ländern fo wenige wahrhaft chriſtliche Häufer gebe, warum in den Haͤuſern, die man chriſtlich nennt, ſo wenig Freund⸗ ſchaft zu finden ſey: genug, es waͤre mehr Himmel auf Erden, wenn das wahre Chriſtenthum und mit ihm wahre Freundſchaft auf Erden — allgemeiner wäre.
Denken wir uns jetzt eine groͤßere Geſellſchaft von zwanzig, dreißig, fuͤnfzig Perſonen, die alle wahre Chri⸗ ſten und Freunde untereinander waͤren, und z. B. in Einem Stifte, Kloſter, beiſammen wohnten, wie ſegen⸗ voll müßte dieſe Freundſchaft für fie ſehn?
Alle Bruͤder, und den ſie Vorſteher nennen, Ein Vater Aller. Ein Wink regieret Alle, oder vielmehr, weil Alle der Geiſt des Evangeliums regieret: ſo beduͤrfen ſie ſelten eines Winkes, der ſie leitet. Alle ſind ein leben⸗ diges Evangelium, demuͤthig und ſanftmuͤthig wie Jeſus, geduldig und ſchweigend wie Er. Alle tragen das Kreuz der Selbſtverlaͤugnung ihrem Herrn mit ſtandhaftem Muthe nach, und freuen ſich der Ehre, in ſeine Fußſtapfen zu treten. Alle ſind die lebendige Regel, zu deren Befolgung ſie ſich verpflichtet haben, und, wenn Jemand (denn auch wahre Chriſten ſind noch Menſchen) von einer Schwachheit überraſcht wird: ſo helfen ihm ſeine Freunde gelinde wieder auf, und denken daran, daß ſie auch ſchwach ſind, und ſehen zu, daß ſie nicht auch fallen. Und, wenn ein Leiden uͤber Einen kommt: ſo ſinnen alle Uebrige darauf, dem
Leidenden Troſt und Huͤlfe zu fchaffen, und es in einer ſolchen Geſellſchaft recht wie am menſchlichen Leibe: Wenn Ein Theil leidet, leiden alle. Eine ſolche Geſell⸗ ſchaft hat auch noch von einer andern Seite eine ſchoͤne Aehnlichkeit mit dem menſchlichen Leibe. Das Auge ſieht, das Ohr hoͤrt, der Fuß wandelt, die Hand ſchaffet, jedes Glied arbeitet an ſeiner Stelle, und das Haupt regieret alle uͤbrige Glieder. So in einer Verſamm⸗ lung wahrer Chriſten: Jeder arbeitet an ſeiner Stelle, und arbeitet nach dem Willen des unſichtbaren Hauptes Jeſu, und nach dem Willen des ſichtbaren Vorſtehers, der an Milde und Weisheit ein ſichtbares Bild des un⸗ ſichtbaren Jeſus iſt.
Wo biſt du heilige Gemeinde, fleckenlos wie das Lamm Gottes, und ſelig wie eine Geſellſchaft der Engel! Und, wenn du auch in dieſer vollkommenen Reinheit auf Erden nirgends zu finden waͤreſt: ſo kommt mir doch ſchon das ehrliche Ringen darnach ehrwuͤrdig vor.
Oder, was ſollen wir an einem Menſchen ehren, als das Streben nach dem Beſſern? Deßhalb eine Lebens- weiſe verdammen, weil nicht Alle, die ſie gewaͤhlet haben, das Maß ihres Berufes erfuͤllen, hieße doch wohl den Stab brechen uͤber alle Stände, alle Berufsarten, alle Lebensweiſen der Menſchen — über das ganze menſchliche Geſchlecht.
Es iſt nicht ſchoͤn, hart ſeyn, und wer Andere age richtet, weil ſie unvollkommen ſind, weil ſie Split⸗ ter in ihren Augen haben, und zugleich den Balken von Unvollkommenheit in ſich duldet, und gelaſſen mit ſich fortſchleppet: der traͤgt weiter nichts, als eine parteiiſche Eigenliebe zur Schau, und ſetzt ſich ſelbſt in die Klaſſe der Phariſäer, die Andern große Laſten auflegten, fie aber ſelbſt mit keinem Finger beruͤhrten.
Alſo nicht hart richten das Unvollkommene an An⸗ dern, ſondern ſtreben nach dem Vollkommenen wollen wir. Dadurch beweiſen wir, daß uns rein er Eifer treibet; dadurch werden wir zuerſt ſelbſt beſſer und tuͤchtig, Andere durch unſer Beſſeres auf ihr Schlechteres
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N zu machen; dadurch werden wir der * Freundſchaft unter Chriſten fähig; dadurch werden wi durch die Fruͤchte unſers Wandels darthun, wie ſegen voll die Freundſchaft unter Chriſten ſey, und man wirt keiner Predigt mehr beduͤrfen, die den Segen der drang ſchaft nur mit Worten beweiſen kann. * IM, *
Daß es um die Freundſchaft unter Christen ſo eine | ſeltene Sache ſey. 1 So wohlthätig und fo felten!
Die Freundſchaft unter Chriſten iſt fo ſelten, weil das lebendige, Sinn und Wandel verbeſſernde Chr iſten⸗ thum ſo ſelten iſt. ab: Die Ungelehrten bleiben gar oft bei dem äußerlichen Bekenntniſſe, die Gelehrten bei ihren Begriffen ſtehen. Das Volk wird von Nahrungsſorgen gepeiniget, und lauft dem Scheine nach; die Gelehrten verlieben ſich in ſich zuerſt, hernach in ihre Begriffe, und endlich ſtreiten ſie fuͤr ſich und ihre Begriffe, und laſſen indeß ihr Herz dem Neide, dem Hochmuth und andern Leidenſchaften uͤber, und ſtiften noch dazu viel Aerger unter dem Volk. 8 Volk bleibt an dem bloß aͤußerlichen Gottesdienſte haͤngen, und kann ſich nicht recht zur Anbetung im Geiſte und in Wahrheit durcharbeiten; die Gelehrten kleben an ihren Buͤchern, und ihr innerer und aͤußerer Gottesdienſt wird am Ende gar oft der zaͤnkiſche Aab, von dem Pau lus lehrt, daß er toͤdte. ai
Die Freundſchaft unter Chriſten ift ſo felten, w auch die gewöhnlichen Chriſten ſich mehr lieben als Je⸗ ſum, ihren Herrn; ſich mehr lieben als ihre Diicheißeng ihren Vortheil, ihre Ehre, ihr Wohlſeyn mehr ſuchen, als die Ehre, den Vortheil, das Wohlſeyn Anderer.
Es giebt ſo wenig Freunde auch unter Chriſten, weil auch die Chriſten nicht thun, was ſie glauben, ni nachahmen, was fie anbeten, nicht in Erfüllut bringen, was ſie geloben. Es giebt unter den Chri
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ſo viele Namenschriſten, die dem Bauche dienen, und nur leben, um zu eſſen und zu trinken: wie ſollten dieſe wahre Freunde ſeyn koͤnnen, da die Freundſchaft kein . keine Keller- und Küchenangelegenheit iſt? Es giebt unter den Chriſten fo viele Namenschriſten, die den verbotenen Wolluͤſten dienen: wie ſollten dieſe wahre Freunde ſeyn koͤnnen, da die wahre Freund⸗ ſchaft keine ſinnliche Wolluſt iſt, und mit Fleiſch und Blut nichts zu thun hat?
Es giebt unter den Chriſten ſo viele Namenschriſten, die dem Gelde leben, und ſich von der Begierde, reich zu werden, fortreißen laſſen: wie ſollten dieſe Freunde ſeyn koͤnnen, da die Freundſchaft kein Kapital und kein Zins, kein Geld und keine Geldesquelle iſt?
Es giebt unter den Chriſten jo viele Namenschriſten,
die der eitlen Ehre dienen, und Alle, die in ihrem Kreiſe mehr ſind als ſie, neiden, druͤcken, laͤſtern: wie ſollten nun dieſe Freunde ſeyn koͤnnen, da die Freund⸗ ſchaft kein Weihrauch fuͤr ihre Eitelkeit, kein feiles Hand⸗ werk der Schmeichelei iſt? Es giebt unter den Chriſten fo viele Namenschriſten, die entweder nur bei der aͤußerlichen Andacht ſtehen bleiben, ohne ihr Herz von der innern beſſern zu laſſen, oder gar unglaͤubig an den großen Wahrheiten von Gott, Chriſtus, Tugend, Unſterblichkeit, ſich von den fuͤnf Sinnen und ihrer Eigenliebe meiſtern laſſen: wie ſollten nun jene oder dieſe Freunde ſeyn koͤnnen, da die Freund⸗ ſchaft fuͤr jene kein Bildwerk aͤußerlicher Andacht, und fuͤr dieſe keine geſchmuͤckte Vertheidigung des Unglau⸗ bens iſt?
Es giebt unter den Chriſten fo wenige, die einen lau⸗ tern Sinn fuͤr das Reich Gottes, fuͤr das Evange⸗ lium unſers Herrn, für die Heiligkeit des Wan⸗ dels, fuͤr Demuth und Sanftmuth, fuͤr Friede und Eintracht, fuͤr Glaube und Liebe haben: es muß alſo nothwendig — auch unter Chriſten um die wahre Freundſchaft eine ſeltene Sache ſeyn.
So herrſcht auch unter den gewoͤhnlichen Chriſten auf | einer Seite fo viel offenbarer Eigennutz, Eigenduͤnkel,
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Zankgeiſt, Ungerechtigkeit, und auf der andern fo viel Vorliebe für Pracht, Putz, Taͤndelei ꝛc., daf eine ſo heilige Pflanze, wie die Freundſchaft, unter dieſer wilden Zweigen der zerruͤtteten Sinnlichkeit und der zer ruͤtteten Vernunft unmoͤglich aufwachſen und gedeihen kann
Wer alſo im Ernſte einen wahren Freund ſuchet der muß zuvor ſein Herz von allem ungoͤttlichen Weſer reinigen, und von demſelben rein erhalten, wie die erſter Chriſten, und unter den ſpaͤtern die beſſern ſich rein un unbefleckt von der Welt bewahrt haben; der muß ein wahrer Chriſt werden, das heißt, ein ſolcher, deſſen Glan: be — Gehorſam, deſſen Hoffnung — Geduld, d fen Liebe — ein Wetteifer in allem Guten geworden iſt; ein folcher, der nicht nur feinem Verſtande dem hoͤch⸗ ſten Verſtande, ſondern auch fein Herz der hoͤchſten Liebe unterwuͤrfig gemacht; ein ſolcher, der an Jeſus glaubet, wie Paulus, und Gott fein Liebſtes ſchlachtet, wie Abra- ham; der auf Jeſum vertraut, wie Petrus, und vor Gott im heiligen Verlangen wandelt, wie Daniel; der Jeſum liebet, wie Johannes, und ſich allen, auch den reizendſten Verſuchungen zum Unrecht widerſetzet, wie Joſeph — ein ſolcher, der es fähig und werth iſt, Ein Herz und Eine Seele zu werden mit guten, frommen, heiligen, edlen Seelen, die ihre Pilgerreife entweder ſchon vollendet haben, oder auf dieſer Erde noch fortſetzen; ein ſolcher, der durch Wort, Beiſpiel, Predigt, Geduld, Glauben, Gebet, Ermahnung, Warnung — in ſeinem Kreiſe wien was einſt Magnus in dieſem Lande, Amen!
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XXXIV. Die
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5 XXXIV. | Die Kinder unfere Lehrmeiſter, und wir die ihrigen. Per e d i 3 gehalten in der Pfarrkirche zu Glött, am Gedächtnißtage des
. heiligen s 1790.
Laſſet die Kleinen zu mir kommen, und wehret es ihnen nicht, = denn ſolcher iſt das Himmelreich! Luk. XVIII, 16.
Wir feiern heute das Andenken eines Knaben, der, wie man erzaͤhlt, im zwoͤlften Jahre ſeines Alters ſich fuͤr den Herrn Jeſus Chriſtus martern ließ. Es iſt ſchoͤn, Jeſum lieb haben, ſchoͤn fuͤr Ihn leben, recht ſchoͤn 17 Ä Ihn ſterben. —
Es macht dieß beſonders * 45 alter Ehre, weil ein ſo maͤnnlicher Sinn, nach der gemeinen Rech⸗ nung, die zarten Jahre eines Knaben weit überſteiget. Und es iſt wahrhaft beſchaͤmend fuͤr uns Erwachſene, ſolche Beiſpiele der Tugend — an Knaben zu bewun⸗ dern. Aber den Knaben, der fuͤr Jeſum ſtarb, haben wir doch nicht geſehen — und ſehen ihn wirklich nicht: darum wirkt auch ſein Beiſpiel auf uns ſchwaͤcher. Und eben darum will ich heute Beiſpiele vorfuͤhren, die wir ſehen koͤnnen. Beiſpiele ſind fuͤr uns alle unſchuldigen Kinder, wie wir ſie immer zu ſehen bekommen. Von dieſen koͤnnen wir lernen. Und nicht nur dieß: wir koͤn⸗ nen ihnen auch Gutes thun — uns ſo betragen, daß ſie auch von uns lernen koͤnnen. Davon will ich in die⸗ ſer Stunde reden:
„Wir können von den Kindern lernen, und ſie ſollen von uns lernen koͤnnen.“ I. Was ſollen wir von ihnen lernen?
II. Was ſollen ſie von uns lernen koͤnnen? J. M. v. Sailers ſämmtl. Schriften. XXXV. Bd. 24
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eb ‚370 —
Die Kinder ſind fuͤr uns ein Spiegel: in dieſen fe len wir ſchauen.
Wir ſollten ein Spiegel fuͤr die Kinder ſeyn, in - fie nur Gutes ſehen koͤnnen.
Jeſus Chriſtus! Du hatteſt einſt die Kinder fo lieb, weil du ſie tuͤchtiger fuͤr dein Reich gefunden, als die uͤbrigen Menſchen. Auch deine Engel haben die Kinde x lieb, und rechnen es ſich zur Ehre, ihre Schußgeifter ; 1 ſeyn. Solcher iſt das Reich der Himmel, ſagteſt Du, und druͤckteſt ſie an dein Herz. — Auch deine Freun⸗ de, die bei dir ſind, alle Heiligen Gottes haben Freude an der Unſchuld der Kinder. Du wirſt alſo mit deinen Engeln und Freunden gewiß auch Freude daran haben . daß ich am Gedaͤchtnißtage eines frommen Knaben, von Kindern — deinen Lieblingen rede. Segne Du mein Vorhaben, daß ich von einer heiligen Sache nicht unhei⸗ lig rede — und daß wir Alle, groß und klein, durch dieſen einfältigen Vortrag gebeſſert werden!
Die Kinder ein Spiegel fuͤr uns.
Die Kinder, fo lange fie ſich in ihrer natuͤrlichen Un ſchuld und Einfalt erhalten, ſind, ohne daß ſie es wiſſen
oder wollen, unſere Lehrmeiſter. Bi |
Sie lehren uns erſtens: wie froh und ruhig die Menſchen leben koͤnnten, wenn ſie ſich von ihren wilden Leidenſchaften nicht ſo ſchrecklich martern ließen. Bald iſt es das elende Geld, das uns unruhig macht, und die Begierde reich zu werden; bald die aͤngſtliche Frage: wo werden wir Brod hernehmen? bald die ſinnliche Luſt, die den Leib mit Speiſe beſchwert, ihn geil und krank macht; bald das Verlangen, uns geehrt zu ſehen; bald der Neid und der Kummer darüber, daß es unſerm Nachbar gut gehe. Während ſich nun die Erwachſenen mit ſo mancherlei thörichten Hoffnungen, Wünf chen, Furchten peinigen: ſieh! da ſpringen die Kinder * los umher, haben eine Freude an der Sonne und den Blumen, an den Vögeln und am Wafferb am Regentropfen und am Regenbogen, 4 |
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ſtigen ſich nicht um Gold oder Ehre, und neiden ihre Freunde nicht, und ſuchen nicht mehr zu ſeyn, als ſie
ſind. Da ſollten wir nun zu den Kindern in die Schule gehen, und die unzaͤhligen Gedanken und Be⸗
| gierden, die uns vom fruͤhen Morgen bis zum ſpaͤten
Abend plagen, verachten lernen.
AJIgn dieſe Schule fuͤhrte auch Jeſus ſeine Jünger. Sie haͤtten gerne gewußt, wer unter ihnen wohl der
Vornehmere im Reiche Gottes ſeyn wuͤrde. Da nahm
Jeſus einen Knaben, ſtellte ihn in die Mitte ſeiner Jün⸗
ger, und ſagte: Wenn ihr euch nicht bekehret,
und werdet wie die Kleinen: fo koͤnnet ihr
nicht in das Himmelreich eingehen! Wer ſich erniedriget wie dieſer Kleine, der wird der ae 1 dem Br Gottes ſeyn. Matth. n
Liebe Eltern! wenn euch ein eitler Gedanke nicht aus dem Sinne will, ſo ſehet eure noch unſchuldigen Kinder an, und denket an den Knaben, den Jeſus in der Mitte ſeiner Junger aufſtellte — als ſagte er: Lernet nicht von mir, ſondern von dieſem Knaben; er iſt unſchuldig, und weiß es nicht, daß er's iſt! Dieſer iſt noch klein, und will nicht größer ſeyn als er iſt, und rechnet nicht darauf, wie groß er als Mann ſeyn werde. Was haben wir von all den thoͤrichten Gedanken, daß wir froͤmmer, beſſer, verſtaͤndiger, reicher ſind, als die und die? Was haben wir doch von den thoͤrichten Begierden, daß ſich die Augen der Menſchen auf uns heften, und die Zun⸗
gen der Menſchen von uns reden ſollen? Seht die Kin⸗
der an, ſie ſind ſchoͤn, und wiſſen es nicht, daß ſie es
ſind, und wollen deßhalb nicht gelobt ſeyç;n. — — — Werdet klein wie die Kleinen — in euren Gedanken,
und Gott wird euch groß machen. Werdet klein wie die
Kleinen, und verachtet die thörichten Einbildungen von euch ſelbſt, und Gott wird euch in ſein Reich aufnehmen,
und mit Ehren kroͤnen. Werdet wie die Kinder, ruft uns auch Paulus zu, aber n am Verſtande,
24 *
— 552 —Kd—
fehr an Untüchtigkeit zur 1 Bosheite, 1 Kor. XIV, 20. e
Die unſchuldigen Kinder wiſen nichts darum, wie die erwachſenen Menſchen einander uͤbervortheilen, betrugen, verleumden, läftern, durch Spottreden wehe thun, durch verachtende Blicke niederſchlagen, durch Schmeicheleien hintergehen, und dieß Alles aus Eigennutz. Werdet wie die Kinder — an Bosheit. Die Kinder wiſſen nichts darum, wie die Erwachſenen Has der und Zwietracht zwiſchen Eltern und Kindern, Mann und Weib, Nachbar und Nachbar, Pfarrer und Pfarrgenoſſen, Obrigkeit und Unterthan anrichten. Wer⸗ det wie die Kinder — an Bosheit! Die Kinder wiſſen nichts darum, wie man Wochenlang Haß und, Gram im Herzen behalten, das freundlichſte Geſicht machen, und dabei das Schlimmſte wünſchen, ſchoͤne Worte reden, und zugleich die, welche man lobt, im Innern verachten koͤnne. Werdet wie die Kinder — an enen Die Kinder wiſſen nichts darum, wie die Erwachſeng ſchadenfroh ſeyn koͤnnen — wenn ihrem Bruder das Vieh erkranket, oder der Hagel die Ernte zerſtoͤret. 10 Kinder wiſſen nichts darum, wie man ſich mit Trun 1 uͤberladen und berauſchen koͤnne. Die Kinder 97 nichts darum, wie man gegebenes Wort nicht halten und untreu werden koͤnne. Werdet Kinder an Bosheit! *
Die Kinder lehren uns zweitens mit Vertrauen um alles Gute bitten, und mit Dank alles Gute anneh⸗ men. Wenn das Kind hungert, und es ſchon reden kann, und von ſeinen Eltern wohlgezogen iſt, ſo ſagt es: Bas ter, Mutter, gieb mir Brod! und nimmt das Brod nicht, ohne zu danken: Dank dir, Vater, Mutter, für das Brod! Und dieß Bitten und Danken geht den Kindern von Herzen. Die Kinder haben ſchon ſo viel gelernet, daß ſie ſich das Brod nicht ſelbſt geben konnen, und doch Brod haben muͤſſen, und alſo darum bitten und danken muͤſſen. Ein ſolches Kind, wie es um Brod bittet, und um das Brod danket, iſt
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ein rechter Spiegel für uns Erwachſene, in den wir nicht zu oft ſchauen koͤnnen. Was den Kindern die Eltern ſind, das iſt uns und den Kindern Gott — und noch
mehr. Oder koͤnnte der Vater ſeinem Kinde ein einziges
Stuͤck Brod reichen, wenn Gott das Brod nicht hätte wachſen laſſen? Es regnet heute und geſtern ſehr ſtark. Wenn Gott drei Jahre nun nicht regnen ließe, wie ehe⸗ mals in den Tagen Elias: da würde das Brod theuer
werden; da wuͤrden wir verſtehen lernen, daß Pfluͤgen
und Saͤen nichts helfe, wenn Gott fein Gedeihen nicht
gaͤbe; da wuͤrden wir um das taͤgliche Brod bitten und dafuͤr danken lernen; da wuͤrden wir vor und nach Tiſche mit mehr Inbrunſt beten, als es ſonſt geſchieht; da wür⸗ den wir von den Kindern bitten lernen, Vater, gieb uns Brod! Darum, l. Z., wenn ihr keine Luſt habt, an Gott zu denken, wenn ihr — ohne Gedanken auf der Erde umhergehet, wie das Vieh: ſo ſehet die Kinder an, wie ſie um alles Gute bitten und dafuͤr danken, und ler⸗ net an Gott glauben, wie die Kinder an ihre Eltern glauben! Das wollte Jeſus, darum lehrt er uns zu Gott beten: Vater! das ganze Vaterunſer ſagt nicht
mehr und weniger als: Verhaltet euch gegen Gott,
wie gute Kinder gegen ihre Eltern; und die ganze Kunſt zu beten, beſteht darin, daß wir wenigſtens mit ſo viel Glauben und Vertrauen vor Gott erſcheinen, wie die guten Kinder vor ihren Eltern. Das wollte Jeſus: darum lehrt Er uns um den heiligen Geiſt bitten,
wie die Kinder um Brod bitten. Wir ſind noch in der
Pfingſtfeier begriffen, und ihr werdet fo viel gelernet has ben, daß wir ohne den heiligen Geiſt das Wahre nicht recht erkennen, und das Gute nicht recht lieben koͤnnen. Wie unſer Leib ohne die Luft, die wir ein- und ausath⸗
men, nicht leben kann, ſo kann auch unſre Seele ohne
den heiligen Geiſt nicht heilig leben. Und nun ſagt Chri⸗ ſtus, wenn ihr um dieſen heiligen Geiſt bittet, wie die Kinder um ein Brod, oder um einen Fiſch, oder um ein Ei, ſo wird euch Gott den heiligen Geiſt gewiß geben. Luk. XI, 11— 13. Und wenn wir Ihn nicht darum bit ten, wie ein Kind um ein Stuͤck Brod, ſo werden wir
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ihn nicht erhalten, wie Chriſtus ſagt: Wer das Reich Gottes nicht nimmt wie ein Knabe, der kommt nicht hinein. Luk. XVIII, 16. 17. we 5
Drittens: nicht nur die Kinder, die ſchon reden koͤn⸗
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nen, werden und von ber heiligen Schrift zu Lehrmeiſtern .
aufgeſtellt; wir ſollten auch von den unmuͤndigen Si gen lernen. Wie ſich, ſagt Petrus, die Neugebornen der Muttermilch ſehnen: ſo ſollen ſich die Chriſten nach d geſunden Milch des Evangeliums ſehnen. Sehnet e
wie die neugebornen Kinder nach der *
ſtaͤrkenden gefunden Milch (damit ihr dadur
wach ſet und ſtark werdet)! 1 Petr. II, 2. ES ſollte uns nichts Lieberes ſeyn, als von Gott, von Jeſus = Chriſtus, von dem ewigen Leben recht viel Schönes zu hoͤren, o oder im Evangelium ſelbſt nachzuleſen. Denn ſo i
wenig die Kinder ohne leibliche Nahrung leben koͤnnen,
ſo wenig koͤnnen wir ohne geiſtliche Nahrungsmittel fromm werden oder bleiben. In ſo ferne der Saͤugling von ſeiner Mutter ſo zaͤrtlich geliebt, und ſo ſorgſam gepflegt
wird, iſt er dem Iſaias ein Vorbild, wie die Men⸗
ſchen von der mütterlichen Vorſehung geliebt werden.
Kann auch eine Mutter ihres Kindes vergeſ⸗
ſen, ſpricht der Herr durch den Propheten, daß ſie
ſich nicht erbarmte über die Frucht ihres Lei
bes? Und wenn ſie ihres Kindes vergeſſen könnte: ſo werde Ich doch deiner nicht ver⸗
geſſen! XLIX, 18. Guter Gott, wie gut biſt du! der Säugling an der Bruſt der Mutter iſt ein Zeuge
von deiner Guͤte! Und die muͤtterliche Zaͤrtlichkeit, die
er erfaͤhrt, und die ſo groß iſt — iſt doch nichts gegen die deine! Laſſet uns Gott loben, denn Er hat ſich in dem Munde der Saͤuglinge eine feſte Burg ſeines
Lobes bereitet. — — Aber nicht nur lernen ſollten wir von den Kindern: ſie follten auch von uns lernen konnen.
Die Erwachſenen ein Spiegel fuͤr die Kinder. 7
Wenn ich ſage: die Kinder ſollen von uns lernen koͤnnen, ſo verſtehe ich nicht bloß die Eltern; nicht bloß die erwachſenen Brüder und Schweſtern der
— 325 —
is; nicht bloß Knechte und Mägde, Haus⸗ noſſen; nicht bloß Nachbarn und Einwohner des naͤmlichen Dorfes, oder der naͤmlichen Stadt; alle, alle Menſchen, die irgend ein Kind ſehen, und neben demſelben leben, haben große Pflichten — demſelben ein Spiegel alles Guten zu werden. Wenn ich in einen neuen Welttheil komme, ſo habe ich Pflicht gegen die Kinder dieſes Welttheils, denn ich bin ein Menſch, und die Kinder ſind Menſchenkinder. Niemand hat dieſe Pflicht der Erwachſenen gegen die Kleinen beſſer gefühlt, und nachdruckſamer eingeſchaͤrft, als Jeſus: Wer einen fol chen Knaben in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf, und wer einen der Kleinen, die an mich glauben, ärgert, dem waͤre es beſ⸗ fer, daß ihm ein Muͤhlſtein an feinen Hals gehängt, und er in die Tiefe des Meeres ver⸗ ſenket würde. So lehrte Jeſus, als Er einen Kna⸗ ben in Mitte ſeiner Juͤnger aufgeſtellt hatte: Was wir Kindern Gutes thun, das haben wir dem Herrn ſelbſt gethan. Seht, wie Er ſich der Kinder annimmt! Er rechnet alles das, was wir den Kindern Gutes thun, ſo hoch an, als wenn wir es Ihm perſoͤn⸗ lich gethan hätten. Er hält alles Aergerniß, das wir den Kleinen geben, für ein größeres Uebel, als die größte Strafe, mit der die groͤßten Verbrecher gezuͤchtiget werden. Denket, was waͤre das fuͤr eine ſchreckliche Todesart: in die Tiefe des Fluſſes verſenkt, durch die Schwere des Muͤhlſteins darin begraben werden! Und doch ſagt Chriſtus, waͤre es uns beſſer, in die Tiefe des Meeres verſenkt und darin begraben werden — als ein Kind aͤrgern. Denket, meine Lieben, an dieſen Muͤhlſtein — ſo oft ihr um Kinder ſeyd, und aͤrgert den Liebling Jeſu nicht! — Und wenn ihr euern eigenen Schaden nicht achtet: ſo erbarmet euch der Kinder — ſie koͤnnen das Boͤſe noch nicht von dem Guten unterſcheiden! Dar⸗ um ſo ſorget ihr, daß ſie nichts als Gutes an euch ſehen! Erbarmet euch der Kinder — ſie nehmen Al⸗ les, was ſie ſehen, ſo begierig auf, und behalten es ſo lauge! Darum fo ſorget, daß ihr nur gute Eindruͤcke
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auf ſie machet! Erbarmet euch der Kinder — von dem, was ſie an euch ſehen, von euch hoͤren, h — 1 groͤßtentheils ihr kuͤnftiges Leben, Tugend, Laſter, G ® Ungluͤck ab — und auch noch ihr Schickſal im andern Leben. Darum ſorget, daß ihr nicht Urſache an ihrem Verderbeu werdet. Erbarmet euch der Kinder — ihr ſollet ihre Engel ſeyn: werdet wenigſtens keine Satane! Und damit ihr nicht etwa aus Unvorſichtigkeit die Kinder E verderbet: fo will ich es euch kuͤrzlich ſagen, worin *
euch beſonders in Acht nehmet ſollet.
A. Redet und thut nie etwas, was die Scham haftigkeit nur von ferne beleidigen koͤnnte. Aber vor Kindern nehmt euch fie benmal mehr in Acht! Denn ſehet, die Schamhaf⸗ tigkeit iſt der Zaun vor dem Laſter! Weh dem, der dieſen Zaun niederreißet! Ein Blick, ein Wort kann die Kinder verfuͤhren. Denkt auch nicht etwa: die Kin⸗ der verſtehen's noch nicht. Denn erſtens, was ſie jetzt noch nicht verſtehen, das behalten ſie im Gedaͤchtniſſe, und werden es bald errathen. Der Eindruck bleibt, und | wenn fie älter werden, fo kann ſie der fruͤhere Eindruck verfuͤhren. Zweitens: dieſe Kinder koͤnnen an ihrem Leibe das Laſter treiben, ehe fi ſie wiſſen, was ſie thun — | und wenn fie es nach einiger Zeit verſtehen, dann find fie. ſchon fo daran ‚gewöhnt, daß fie es ſchwerlich mehr meiden werden. Drittens: ftellen ſich die Kinder oft unwiſſend, damit die Eltern und Hausgenoſſen freier vor ihnen reden, und alſo die Neugierde der Kinder befriedi⸗ gen. Alles wiſſen wollen, und Alles nachmachen — das heißt ein Kind ſeyn. 1
B. Redet von euerm Nächſten utew böſe — aber vor Kindern nehmt euch ſiebenmal mehr in Acht! Es graben ſich die Abneigungen der Eltern gegen gewiſſe Leute in das unſchuldige Herz der Kinder. Und es iſt ſchrecklich, daß man an Kindern wahrnehmen kann, wen die Eltern lieben und haſſen. Die beißende Rede des Vaters, der verachtende Ton der Mutter, mit dem von dem Naͤchſten geredet wird, fuͤllt
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die Kinder mit Verachtung gegen den Nächften an — ehe ihn die Kinder von Perſon auch nur geſehen. Deß⸗ wegen iſt es in vielen frommen Haushaltungen ein Geſetz, von dem Naͤchſten nichts als Gutes, oder was Mitleid weckt, zu reden.
C. Redet niemals anders als mit Ehrer⸗ bietung von der Obrigkeit, Geiſtlichkeit — aber vor Kindern nehmt euch ſiebenmal mehr in Acht! Denn die Kinder glauben: ihr hättet Recht, lernen alſo die Obrigkeit und Geiſtlichkeit geringe ſchaͤtzen, ehe fie fie kennen. Und daraus entſteht ein großer Schaden. Wenn in einem Lande Obrigkeit und Geiſtlichkeit verachtet ſind: da hat es mit Ruhe, Ord⸗ nung, Tugend und Gluͤckſeligkeit ein Ende.
D. Redet nie leichtfertig und nie kalt von Gott, von Chriſtus — aber vor Kindern nehmt euch ſiebenmal mehr in Acht! Lehrt vielmehr eure Kinder mehr durch Beiſpiel als Wort, die Haͤnde zu Gott falten, und ihr unſchuldiges Herz zu Gott er⸗ heben; ſtellet ihnen fruͤh das Beiſpiel des jungen Jeſus vor, damit ſie auch an Gnade und Weisheit zunehmen wie Er.
E. Selbſt eure ſtummen Beheben und Stellungen bewahret vor Kindern gewiſſen⸗ hafter als ſonſt! Denn auch dieſe koͤnnen die Kin⸗ der verführen, und werden, wie die Worte und Hands lungen, gar oft die erſten Moͤrder der Unſchuld.
Wenn ihr euch an dieſe Lehren chriſtlich ſtrenge hal tet: ſo werden die Kinder eurer Gemeinde lauter edle Pflanzen im Garten Gottes — zur Luſt der Engel und zur Freude der Menſchen werden — gleich dem Knaben, deſſen Andenken wir heute feiern. Die Kinder des Gras fen, wie die Kinder ſeiner Unterthanen werden aufbluͤhen zum Segen der Welt, und Vaͤter und Muͤtter, und Freunde und Nachbarn, und noch die Nachwelt Freude daran haben: darum bitte ich Gott! Amen.
* 4 *
— 33 —
Ein Ge bet für die jungen Grafen zu Gloͤtt. * | N
—
Lieber Vater im Himmel! von Dir kommt an Gute, und Du haft auch die Kinder lieb! Sie
unſere Haͤnde erheben ſich zu Dir; erhebe Du aud unſere Herzen, damit wir Dich recht kennen und lieben lernen! Erhalte uns unſere lieben Eltern und ihren erſten Freund, der uns ſo oft von Dir erzaͤhlet, und lege ihm immer die rechte Wahrheit
in das Herz, daß er ſie uns auch mittheile, und dein Name auch durch uns verherrlichet werde! Amen. e
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— 329 —
—
Predigten > 1
in i i 10 andern Gedächtnißtagen und bei beſondern Anläffen:
XXXV. bon dem Andenken an unſere entſchlafenen Brüder nun und Schweſtern. ö D red i get,
ghaten in der Morlihe zu Dürlauingen, am 2 2. November 17
+
Die Liebe ſtirbt nicht!
Die beſſern Chriſten denken gerne an ihre verſtorbe⸗ nen Mitchriſten, oder mit andern Worten: ſie woh⸗ nen gerne unter den Todten, und unterhalten ſich mit ihnen, als wenn ſie noch auf Erden lebten.
Es iſt dieß ein Vorzug des Menſchen, daß ſein Geiſt uͤber Tod und Verweſung hinausſehen, und da noch Lebendige finden kann, wo die f innlichen Augen nichts als Tod ſehen.
Es iſt uns auch natuͤrlich, daß Menſchen ihre Mit⸗ uchen, Chriſten ihre Mitchriſten nicht zugleich aus dem Auge und aus dem Andenken verlieren.
Es iſt uns aber der Gedanke an unſre entſchlafenen Freunde nicht nur natuͤrlich; der Gedanke an unſere Mitchriſten, die uns vorausgegangen, iſt auch ein nuͤtz⸗ licher, und des Chriſten wuͤrdiger Gedanke. Sie, m. Th., haben ſich heute verſammelt, um ſich in dem Andenken an ihre verſtorbenen Mitchriſten zu ſtaͤrken, zu troͤſten, zu erbauen!
*
— 3830 —
Gott, der die Wahrheit und Guͤte ſelbſt iſt, von dem alle wahren Gedanken und alle guten Abſichten kom men, laſſe die Abſicht meiner Zuhörer durch dieſe Predigt nicht gehindert, laſſe ſie vielmehr befoͤrdert werden! E
Ich will von eben dieſem Andenken an unſere verſtorbenen Mitchriſten reden, will ſagen: wie es beſchaffen ſeyn müſſe, damit es uns nutz lich werde. N
1.
Damit dir das Andenken an deine verſtorbenen Mit chriſten nuͤtzlich werde, ſo denke an den W und lerne mit ihm vertraut werden.
„Auch ich muß ſterben.“ Dieſes Geſetz ligt uns Allen nahe; dieſem Geſetze iſt Alles unterworfen, was ein Menſch und ein Suͤnder iſt, an dieſes Geſetz werden wir genoͤthiget zu denken, wenn wir Km an un⸗ ſere verſtorbenen Mitchriſten erinnern. 5.
Fuͤr alle Menſchen, die vor uns lebten, und fie viele von denen, die mit uns lebten, iſt der letzte Auen, blick dieſes Lebens ſchon gekommen: er wird alſo auch für dich und mich und jeden aus uns kommen. Ob er heute oder morgen, ob er ſo oder anders komme, das wiſſen wir nicht: aber, daß er komme — das iſt gewiß, und ſo gewiß, daß wir nicht daran zweifeln koͤnnen. 5
Man graͤbt Graͤber aus fuͤr unſere Eltern, Verwand⸗ ten, Freunde, und fuͤllt ſie wieder ein: es wird die Stunde wohl auch kommen, wo hie oder dort, will's Gott, fuͤr dich und mich ein Grab wird ausgegrabe und meine und deine Leiche darein gelegt und die ale Erde darauf geworfen werden. Ä
Die Stühle dieſer Kirche waren vor dreißig ah } mit andern Menſchen beſetzt; nun ſitzet ihr darauf: und es werden dieſe eure Stühle auch wieder leer wer⸗ den, und wieder Andere darauf zu ſitzen kommen. Die Sonne geht auf, die Sonne geht unter; Menſchen wer⸗ den geboren, Menſchen ſterben: die Reihe wird auch an
uns kommen — in dieſem, wie fie in jenem an und kam. Wie wir in dieſes Leben, Jeder zu ſeiner Stunde eingetreten ſind: ſo werden wir aus demſelben austreten, Jeder zu ſeiner Stunde. | „Auch ich werde ſterben.“ Daran muß ich den⸗ ken, wenn ich an meine verſtorbenen Mitchriſten denke. Und dieſer Gedanke kann mir nuͤtzlich werden. Denn wenn ich den Tod recht in's Auge faßte, wenn ich den Tod zur rechten Stunde in's Auge faßte: wie waͤre es moͤglich, mein Gluͤck in der Ehre, in dem Urtheile der Menſchen von mir, zu ſuchen, da der Tod mich und meine Anklaͤger und Richter, meine Lobredner und Tad⸗ ler — die Menſchen uͤber kurz oder lang hinwegnehmen wird?
Wie waͤre es moͤglich, die Menſchen zu fuͤrchten, und aus Menſchenfurcht unrecht zu thun, da der Tod mich und die gefuͤrchteten Menſchen, um deren willen ich Unrecht thue, hinwegnehmen wird?
Wie waͤre es moͤglich, in den Freuden der Sinne des Fleiſches, meine Seligkeit ſuchen, da der Tod die Sinne und den ganzen Leib der Verweſung uͤbergeben wird?
Wie waͤre es moͤglich, meinen Bruder geringe zu
ſchaͤtzen, oder gar zu verachten, da der Tod ohne allen Unterſchied des Standes, des Alters, uns einſt in die gemeinſame Erde legen wird? Wie waͤre es moͤglich, die vergaͤnglichen Guͤter der Erde uͤber Alles zu lieben, da mich der Tod von allen vergänglichen Gütern hinwegtragen, und kein Geld, kein vergaͤngliches nat die bittere Stunde wird verſuͤßen können?
Wie waͤre es möglich fuͤr etwas anderes mehr zu en, als fuͤr das gute Gewiſſen, da das gute Ge— wiſſen im Tode nicht zuruͤckbleibt unter den Truͤmmern des Leibes, ſondern den Tod uͤberlebt, nachdem es das blaſſe Angeſicht deſſelben mir freundlich gemacht hat?
„So viele meiner Mitchriſten ſind nun ſchon geſtorben — ich muß auch ſterben! Wohl
* 382 —
mir, wenn ich vom Tode Weisheit lerne, ehe er kommt!“ So denke ich, und dieſer Geben kaun mir n werden. Mag 2. N .
Damit dir das Andenken an deine verſtorbenen Mit⸗ chriſten nuͤtzlich werde: ſo denke an deinen Gott
der kein Gott der Todten, ſondern der ben
gen iſt, und lerne mit Ihm vertraut werden. * N 10 Auch die, welche wir todt nennen, leben noch;
denn ſterben heißt nur das grobe Gewand, den Leib ab⸗ legen. Sie haben aufgehoͤrt, ſichtbar zu ſeyn — aber nicht aufgehoͤrt, lebendig zu ſeyn. 0
Sie leben noch, weil ſie Gott lebendig erhält Br Gott erhält fie, weil er Gott if. Gott, ſagt Chri⸗ ſtus, iſt kein Gott der Todten, ſondern der Lebendigen. O, Wort des Troſtes! unſere verſtor⸗ benen Mitmenſchen leben noch — ſind ohne ein fuͤr uns ſichtbares Leben, aber nicht ohne alles Leben. Denn Gott iſt ein Gott der Lebendigen, duldet nichts Todtes in ſeinem Reiche, laͤſſet keinen Menſchengeiſt zu nichts werden. 1
Gott iſt ein Gott der Lebendigen. Abra⸗ ham, Iſaak, Jakob, die ehemals lebten, leben noch, aber in einem Lande, das wir nicht ſehen. Gott iſt ein Gott der Lebendigen. Petrus, Paulus, Maria, die ehemals lebten, leben noch, aber in einem Lande, das wir nicht ſehen. Wenn das Auge bricht, wenn die Stimme “ ſtummt, wenn das Herz nimmer ſchlaͤgt, wenn der ſteht, wenn der Odem ausbleibt, wenn der Leib todt i ſo laͤßt Gott den Geiſt nicht ſterben — Gott haͤlt — daß er den letzten Odemzug und den letzten Pulsſchlag, und die letzte Bewegung des Herzens und das letzte Le⸗ bensfuͤnklein, das ſich im Leibe regt — uͤberlebe.
Gott iſt ein Gott der Lebendigen. Die Ger ſter, die die Menſchenleiber beſeelt haben, hoͤren | auf, Werke des lebendigen Gottes zu ſeyn, und Er hört: nicht auf, ihr Gott, ihr Erhalter zu ſeyn. Sie leben,
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weil Gott lebt. Er ſprach einſt: Es werden leben⸗ de Geiſter, Ebenbilder meiner Guͤte! Und ſie
wurden, und hoͤren nicht auf zu ſeyn, denn das Wort, Es werde, gilt in alle Ewigkeiten, und kein Tod kann es unkraͤftig machen.
Wenn uns alſo der Tod, das Grab, und die Ver⸗ weſung ſchrecken, ſo kann Gott, der das Leben ſelbſt iſt, Gott, der kein Gott der Todten, des Grabes, der Verweſung, ſondern ein Gott des Lebens iſt, unſere Freude ſeyn.
Und daß unſer Gott ein Gott der Lebendi⸗ gen ſey, dieß lehrte nicht etwa ein truͤglicher Menſch, dieß lehrte uns Jeſus Chriſtus, der erwieſene Sohn deſ⸗ ſen, der ein Gott der Lebendigen iſt, und lehrte es nicht nur durch ſeine Worte; lehrte es auch durch die Aufer⸗ weckung mehrerer Todten, die Er nur als ein Vorſpiel der allgemeinen Auferweckung der Todten anſah, lehrte es durch ſeine Auferſtehung; lehrte es durch ſeine Apo⸗ ſtel; lehrte es durch alle Bekenner ſeines Namens, durch die ganze chriſtliche Kirche, die von den erſten Zeiten bis auf dieſe Stunde glaubte und bekannte: Ich glaube an eine Auferſtehung des Fleiſches und an ein ewiges Leben!
„Es iſt ein Gott, und dieſer Gott ſtirbt nicht, und dieſer unſterbliche Gott erhält die Menſchen⸗ geiſter, daß ſie auch nicht ſterben, daß ſie ewig leben, wie Er!“
Nun werde ich mich über die Kuͤr ze dieſes Le⸗
bens nimmer beklagen, denn unſer unſterblicher Gott ſchafft nach dieſem kurzen ein ewiges, een Leben. Nun werde ich mich nicht mehr auf Menf chen ver laſſen, die weder ſich felbft noch mir ein unſterbliches Leben ſchaffen koͤnnen, ſondern auf den Gott der Lebens digen, der lebet und belebet, und ewig lebet und ewig belebet.
Nun will ich nichts anders mehr ſuchen, als die ſem Gott zu gefallen, nichts anders fuͤrchten, als dieſem
— 8 —
Gott zu mißfallen. Denn iſt der Gott der bebendigen fuͤr mich, ſo kann mir kein Tod ſchaden, und kein Ge⸗ N ſchoͤpf, das ohne Ihn nicht iſt noch ſeyn kann.
So denke ich, und dieſer Gedanke kaun mir nützüc E werden. | ä 5:
Damit dir das Andenken an deine verſtorbenen Mi- : chriſten nüßlich werde, fo denke an ein Wieder ſehen aller Frommen, die wir ſchon gekannt, und an ein Bekanntwerden mit denen, die wir | auf Erden nicht gekannt haben. | |
„Wir werden einander wiederſehen, und wieerfehen | in einem beſſern Lande.“ |
Wenn ein Vater auf etliche Monate verreifet, und von feinem Weibe und feinen Kindern Abſchied nimmt: ſo weiß er ſich und denen, die er lieb hat, nichts Tröſt⸗ f licheres zu ſagen, als: Wir werden, giebt's Gott, nach drei Monaten einander wiederſehen. Und bei dieſem Troſte wird es dem Reiſenden und den Zu⸗ ruͤckgebliebenen leichter, die Schmerzen der Trennung zu tragen. So iſt es mit dem Sterben. Wenn ein From⸗ mer ſtirbt, ſo thut er eine Reiſe in die Ewigkeit, in ein beſſeres Land. Die Zuruͤckbleibenden und der Ster⸗ bende haben nun den Troſt: wir werden uns wie⸗ derſehen, und dieſer Troſt trocknet manche Thraͤne denen, die noch leben, und erleichtert dem Sterbenden den Abſchied. Er kann denken: „Liebe Kinder, wir nehmen nicht Abſchied auf immer, wir ſehen uns wieder und dann keine 3 mehr!“
Darum, m. Th., wollen wir leg recht fr omm ſeyn, damit wir einſt unſere frommen Freunde, die vor uns geſtorben ſind, wiederſehen, und wenn ein Gele ſtirbt, fo wollen wir uns damit troͤſten: „Er iſt nicht verloren; Er iſt nur unſichtbar geworben ich ſehe ihn wieder!“ 15
Es giebt ein Wiederſehen. Das tro tet die Mutter, der ihr einziges Kind wahinſimbt das troͤſtet den Ma f dem
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dem ſein treues Weib von der Seite wegſtirbt; das troͤſtet den Waiſen, der ſeine Eltern verloren, noch ehe er ſie recht gekannt hat.
Es giebt ein Wiederſehen und nicht nur ein Wieder⸗ ſehen. Wir werden in dem beſſern Lande unzaͤhlige neue Bekanntſchaften machen mit frommen, edlen Menſchen, die unter allerlei Himmelsſtrichen zu allerlei Zeiten ge⸗ lebt, und den Herrn gefürchtet und recht gethan haben, und Ihm angenehm geworden ſind. Wir werden die edlen Seelen, Abel, Henoch, Noah, Abraham, Jo⸗ ſeph, Moſes, David, Elias, Daniel und unzaͤh⸗ lige andere kennen lernen. |
Darum wiederhole ich meine Bitte an mich und mei⸗ ne lieben Zuhoͤrer: „Laſſet uns fromm ſeyn, und den Herrn fuͤrchten und recht thun, damit wir im andern Leben der Geſellſchaft aller rei⸗ nen Geiſter wuͤrdig werden!“
So denke ich, und dieſer Gedanke kann mir nützlich
werden. 4. 7
Damit dir das Andenken an deine verſtorbenen Mit: gchriſten nuͤtzlich werde: fo denke an die Reini⸗
gung, deren deine verſtorbenen Mitchriſten viel-
leicht noch beduͤrfen, um ganz rein und ihrem
Gott ganz angenehm zu werden, und empfiehl
ſie mit glaubenvoller Fuͤrbitte dem, der das Un⸗
reine rein machen kann, und uͤbe dich auf dieſe Weiſe in der Liebe, die das Geſetz erfüllt.
Es waͤre eine Kaͤlte, die an Grauſamkeit grenzte, zu ſagen: Alle Menſchen mußt du lieben, aber deine verſtorbenen Mitchriſten darfſt du nicht mehr lieben. Wer koͤnnte ein Menſch und ſo grau⸗ ſam ſeyn?
Es waͤre eine Thorheit, die an Unſinn grenzte, zu ſa⸗ gen: Lieben darfſt du deine verſtorbenen Mit⸗ chriſten wohl, aber fuͤr ſie bitten darfſt du nicht! Wer moͤchte ein Menſch und ſo thoͤricht ſeyn?
J. M. v. Sailers ſämmtl. Schriften. X XXV. Bd. 25
=
Denn, warum nicht bitten für fie? Helfen kan du doch ſelbſt nicht; weil du das Unreine nicht rein ei chen kannſt. Was aber Du nicht kannſt, das kann Gott. Gott kann helfen, denn Er kann das Unreine rein machen; und Gott will helfen, denn Er liebet feine Kinder. Und der Gott, der helfen kann und hel⸗ fen will, iſt der gütige Gott, der kein glaͤubiges Fleh n verſchmaͤhen kann — und ich ſoll nicht bitten fuͤr meine frommen Mitchriſten, daß ſie ganz rein und ſelig ver⸗ den?
dein, mein Gott, fo lange Du Gott biſt, und ich bitten kann: fo lange bitte ich — und bitte, wie ı ch mein Vertrauen zu Dir bitten lehret: Reinige an den Frommen, was noch nicht ganz rein ib damit fie ganz rein — und deiner ganz wuͤr⸗ dig werden! 14
Oder, wie wir taͤglich beten: „Laß Allen, 1 ie Chriſto ruhen, Erquickung und Licht und Frie⸗ de werden, durch Jeſum Chriſtum, un ſeiß Herrn!“ A
So lehrt mich mein Vertrauen zu Gott beten. Denn der Gott, auf den ich traue, iſt ein Gott der Le bendigen — ſie moͤgen in dieſem Leibe noch wallen oder nicht. So lehrt mich meine Liebe zu den Menſchen beten. Denn die Liebe fragt nicht: iſt der Menſch, den du liebeſt, noch auf Erden oder nicht? Die Liebe ken t keinen Tod und bittet für Alle, die der Hulfe beduͤrftig und noch faͤhig ſind. 1
* ”
Noch muß ich am Schluffe dieſer Predigt meine Zus hoͤrer vor zwei ſehr gewöhnlichen Fehlern warnen.
Erſtens: wenn du Glauben und Liebe genug hät teſt, um die Menſchenſeelen, die jenſeits des Grabe noch einer Reinigung bedürfen, der Guͤte Gottes zu em pfehlen: ſo waͤre es ein unnatuͤrlicher Kaltſinn gege n dein eigenes Beſte, wenn du das große Werk deiner eigenen en darüber wee Lieber, N
r ee ee
zuerſt, was an dir unrein iſt: dann komme und bitte fuͤr Andere, daß ſie auch rein werden!
Zweitens: wenn du Liebe genug haſt, um fuͤr Andere, die nicht mehr auf Erden leben, zu bitten, ſo habe auch Vorſicht genug, um dich nicht ſelbſt auf frem⸗ de Fuͤrbitte zu verlaſſen! Du biſt ein Suͤnder: darum fo thue du ſelbſt Buße! Was du nur thun kannſt und thun mußt, das kann Niemand fuͤr dich thun. So wie kein Anderer fuͤr dich eſſen, trinken und ſchlafen kann, ſo kann auch kein Anderer fuͤr dich Buße thun!
5
25°
= 88
D Ueber die Neigung der Menſchen, an Dinge A denken, die recht alt und dauerhaft ſind.
Per e d i get, gehalten in der Pfarrkirche zu Schwenningen, an einem Gedacht nißtage, der das hundertſtemal wieder kam, am 4. Gals 8
1790.0 4
Jetzt ſind es volle hundert Jahre, daß dieſe Verſamm lung hier entſtanden iſt. Es iſt uns natürlich, nach einer gewiffen Anzahl von Jahren gleichſam einen Abſchnitt und Stillſtand zu machen. Dieß thun die Menſchen gern und mit beſondern Feierlichkeiten bei hundert, weil es eine recht große Zahl iſt, und man dann wieder vol Vorne zu zählen anfängt. So iſt euch der heutige 5 beſonders feierlich, weil er euch an den Urſprung erinnert, den eure Verſammlung vor hundert Jahren genommen hat. Es ſchweben euch die unzähligen Wohlthaten vor, die Gottes Hand in den vergangenen hundert Jahren uͤbe dieſe Gemeinde ausgegoſſen, und ihr ſehet in die dunkle Zukunft hinaus, und denket, wie es wohl nach bun
Jahren in dieſer Gemeinde ausſehen werde.
Ihr wiſſet doch wohl, m. Th., wie die beſſeren Men ſchen ihre merkwuͤrdigſten Tage feiern: ſie feiern ſie m Dank, mit Bitte, mit heiligen Entſchließungen mit guten Handlungen. Sie danken Gott fuͤr das Gute, das Er an ihnen gethan; fie bitten Gott, Ei moͤge noch ferner Gutes an ihnen thun; ſie faſſen aller lei ſchoͤne Entſchließungen, ſich ſeiner Guͤte 1 machen; ſie thun, was ſie koͤnnen, um Ihm zu gefalle len
) Es ward zugleich das Andenken an den heiligen utrich a u das Andenken an den Urſprung einer beſondern Verbindin der Chriſten untereinander zur heiligen Nachſtenliebe gefeiert.
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So feiert der beſſere Mann z. B. ſeinen Geburts⸗ tag. Er danket ſeinem Gott, daß Er ihn in dieſes Erdenleben eingefuͤhrt; er bittet ſeinen Gott, Er moͤchte alle ſeine Schritte leiten; er gelobet ſeinem Gott, beſ— ſer werden zu wollen; er bezeichnet endlich den Tag mit Thaten, die unſterblich ſind wie ſein Geiſt.
So feiert ihr heute zugleich das Andenken an den hei⸗ ligen Ulrich, der um den augsburgiſchen Kirchenſpren⸗ gel ſo große, bleibende Verdienſte hat. Und wie koͤnnet ihr es denn beſſer feiern, als wenn ihr Gott danket fuͤr all das Gute, das Er durch Ulrich geſtiftet; Gott bittet, Er moͤchte den Geiſt Ulrichs, oder vielmehr den heiligen Geiſt in den Seelſorgern der augsburgiſchen Kirche und in allen chriſtlichen Gemeinden wirkſam werden laſſen; Gott in euren Haͤuſern verherrlichet durch einen Eifer, mit dem Petrus, Paulus, und alle ihre wahren Nach⸗ folger die Lehre Jeſu verkuͤndet und beſtaͤtiget haben?
Wenn Ulrich, in ſeinen Kirchenbeſuchen, zu einer Ge⸗ meinde kam, ſo ließ er die aͤlteſten, kluͤgſten, aufrichtig⸗ ſten Maͤnner zuſammenrufen. Dieſe wurden gewiſſenhaft gefragt, was in der Gemeinde zu verbeſſern, weg⸗ zur aͤumen und einzupflanzen waͤre. Darauf hielt der Biſchof mit feinen Vertrauten Rath, wie die vorge: ſchlagenen Einrichtungen könnten in's Werk geſetzet wer: den. Das Allerſchwerſte nahm Ulrich ſelbſt uͤber ſich, das Geringere legte er auf die Schultern ſeiner Geiſt⸗ lichen. Was nun Ulrich in ſeinem Kirchenſprengel, das thue jeder Hausvater in ſeinem Hauſe, und er hat den Gedaͤchtniß tag des heiligen Ulrich wuͤrdig gefeiert. Er gehe mit ſich, als dem Aelteſten, dem Kluͤgſten, dem Rechtſchaffenſten im Haufe (denn das ſoll er ſeyn,) zu Rathe, und frage ſich: was iſt in meinem Hauſe zu verbeſſern, und wie kann ich es verbeſſern? — und laſſe keinen Schlaf in ſein Auge kommen, bis er das Werk der Verbeſſerung muthig angegriffen, und in den Gang gebracht hat.
Aber, wie ſollte man die Feierlichkeit, die ihr eine hundertjaͤhrige nennet, begehen?
= 390 —
Ihr denket gerne an Dinge, die ihr Alter und th Dauer durch eine Reihe von Jahren bewieſen haben: das iſt natuͤrlich. Ihr muͤſſet aber nie mit dem . ringern fuͤrlieb nehmen: das ift vernünftig. en | 4
die älter und dauerhafter find, als eure Fr und deren Betrachtung wuͤrdiger iſt als jede andere, da iſt chr i ſt lich. RN Hoͤret mich, indem ich eurer Neigung, an Dinge z denken, die recht alt und dauerhaft ua ‚fo gerne die beſte Richtung geben moͤchte! 1
I. | 4
Wenn ich an etwas denken will, das recht alt un 0 dauerhaft iſt, ſo denke ich an Gott, der ewig we r . und iſt und ſeyn wird.
Was iſt ein Tag gegen ein Jahrhundert, was Jahrhundert gegen tauſendmal tauſend Jahre, und die gegen eine Dauer ohne Anfang und Ende? und dieſ Dauer hat Gott. An dieſe Dauer glaubte der heilig Saͤnger: „Gott, deine Jahre reichen von Ewigkeit z | „Ewigkeit! Du gruͤndeteſt einft dieſe Erde, und deine r „Haͤnde Werke ſind die Himmel! ! Sie ſtuͤrzen ein, Du i „bleibſt! Sie werden alt, wie ein Gewand, Du wirf „ſie wie eine Decke veraͤndern, und ſie werden veraͤnder „werden: Du aber bleibſt ebenderſelbe und deine Lahr „enden nie!“ Pf. CI, 25 — 28. 1
Gott war immer, iſt und wird immer ſeyn. Das iſt ſein Vorzug vor Allem, was nicht Er iſt. E die Erde und der Himmel waren, war Gott, denn Ex war immer. Da die Erde und der Himmel gefchaffe fen 1 wurden, war Gott; denn Er hat ſie geſchaffen. So 4 lange die Erde und der Himmel ſeyn wird, iſt Gott 5 denn Er erhält ſie. — Und dieſe Erde wird vergehe und dieſer Himmel vergehen, und Gott wird ah ſe und ewig ſeyn!
Alles Vergaͤngliche iſt vergaͤnglich: Gott iſt unver * gaͤnglich! — Alle Bauernguͤter z. B. haben jetzt
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Beſitzer: aber haben fi ſie dieſe Beſitzer immer gehabt, und werden ſie ſie immer haben? — Nein, vor denen, die ſie jetzt bauen, baueten Andere und ſtarben, und die jetzt bauen, werden auch ſterben, und es werden Andere kom— men und auch ſterben! Wie mit Bauernguͤtern, ſo iſt es mit Kaiſerthronen. Joſeph ſaß auf dem deutſchen Kais ſerthrone, und mußte ſterben, und vor ihm ſaßen Viele auch darauf, und ſtarben auch; und der nach ihm kommt, wenn er ſiebenzig Jahre regierte, wird dennoch auch ſter— ben, und den Thron leer machen muͤſſen.
Wie mit den Bauernguͤtern, ſo mit Biſchofsinfuln. Der Biſchof zu Eichſtaͤdt trug ſie einige Jahre, endlich ſtarb er wie die, welche ſie vor ihm getragen, auch ge⸗ ſtorben ſind. Und der ſie nach ihm bekommt, wird ſein Haupt auch in die Erde muͤſſen einſcharren, und da alles Sichtbare ſich wandelt, altert, ſtirbt, die Inful einem An⸗ dern laſſen muͤſſen.
Da nun Menſchen auftreten und abtreten, und an⸗ dern Menſchen Platz machen; da Graͤſer gemaͤht werden, und wieder andere nachwachſen; da Thiere ſterben und andere nachkommen; da die Kleider an unſerm Leibe alt werden, und neue an ihre Stelle kommen; da ſich Him⸗ mel und Erde wandeln werden: ſo bleibt doch bei allen dieſen Abaͤnderungen Einer immer — und immer der⸗ ſelbe; — Gott iſt immer — und immer Gott, immer mächtig ohne Ohnmacht, immer liebevoll ohne Kälte, im⸗ mer weiſe ohne Unverſtand, immer helleſehend ohne Un⸗ wiſſenheit, immer heilig ohne Fehl, immer barmherzig ohne Grenze!
Und wie Er immer derſelbe war und iſt, ſo wird Er auch immer derſelbe ſeyn und bleiben.
Wenn wir nun Alle den Trieb haben, das Alte, das Dauerhafte zu bewundern, ſo muͤſſen wir dieſem Triebe zufolge — nicht bei einer Brüderſchaft ſtehen blei⸗ ben, die hundert Jahre alt iſt, ſondern mit unſerm Geiſte aufſteigen zu Gott, vor dem hunderttauſend Jahre ein Tag find, der nicht etwa hundert Jahre alt iſt, ſon⸗ dern immer war und iſt und ſeyn wird.
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Deßwegen heißt es in unſern Kirchengebeten: eb a ger Gott! das heißt: Gott, der Du immer derſelbe warſt und biſt und ſeyn wirſt! Ewig iſt deine Güte; immer warſt und bift und wirft Du der Allerbeſte, di Quelle alles Guten ſeyn! Darum will ich auf dic, und auf Dich allein, und auf Dich von ganzem Herzen — und auf Dich immer vertrauen!
Ewig iſt deine Macht; immer warſt und biſt und wirft Du ſeyn der alles Vermoͤg ende, die Quelle — Kraft! Darum will ich deinen Namen kindlich fuͤrchter und lieber allen Menſchen als Dir mißfallen, weil die Menſchen nur den Leib toͤdten, Du aber Leib und elt verderben kannſt! ER:
Ewig ift deine Heiligkeit; immer warſt und bin Du und wirſt Du ſeyn der Allerhekligſte, die Quelle aller Tugend und Froͤmmigkeit! Immer liebteſt und lie 5 beſt und wirft Du lieben alle Gerechtigkeit, Barm⸗ herzigkeit, Guͤte, Heiligkeit; immer haßteſt und und haſſeſt und wirſt Du haſſen alle Suͤnde und alles Unrecht! Darum will ich auch alles Gute lieben, alle Suͤnde haſſen, und nie mit dem, was ich bisher Gutes gethan, zufrieden ſeyn, ſondern immer zu dem Allerhei⸗ ligſten aufſehen und Ihm aͤhnlicher zu werden ſuchen. 4 *
Emig iſt deine Weisheit; immer warſt und biſt und wirſt Du ſeyn der Allerweiſeſte, die Quelle aller Weisheit! Darum will ich bei Dir Weisheit ſuchen, Dich um Weisheit bitten, um Erkenntniß deiner und dei⸗ nes Sohnes, den Du geſendeſt haſt, bitten, und dic trauen auf meine Einſichten.
Gott iſt immer derſelbe. Dieß iſt ſo wahl 4 daß, als Moſes Gott fragte, was er den Sfraeliten ante worten muͤßte, wenn ſie fragten, was Gott, der ihn ſendete, für einen Namen hätte, Gott zu Mos ſprach: Ich bin, der iſt.
So ſage zu den Kindern Iſrael: der iſt, hat mich zu euch geſendet. Der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Iſaaks, der Gott
*
— 9 er
Jakobs hat mich zu euch geſendet: dieß iſt mein Name ewig. 2 Moſ. III, 14. 15.
Gott bedarf zwar keines Namens — weil Er der Einzige iſt. Wir beduͤrfen der Namen, damit man uns unterſcheiden kann; unter Menſchen und fuͤr Menſchen heißt einer Petrus, der andere Paulus, damit der Menſch Petrus — nicht mit dem Menſchen Paulus — von Men⸗ ſchen verwechſelt werde. So nicht Gott: Er iſt der Ein⸗ zige, und kann mit keinem andern Gott verwechſelt wer⸗ den, weil kein anderer Gott iſt als Er.
Indeß, weil die Menſchen doch gerne nach Namen fragen, ſo hat ſich Gott, um mit Menſchen menſchlich zu handeln, auch einen Namen gegeben, der uns an ſein Weſen, an ſein ewiges Seyn erinnert. Ich bin der, welcher iſt, das heißt: Ich bin der Unveraͤnderliche, im⸗ mer derſelbe: das Seyn iſt mein Name: alles Uebrige muß werden: Ich bin und bin immer: alles Uebrige koͤnnte nicht ſeyn oder anders ſeyn: Ich bin und bin noth⸗ wendig, was Ich bin — das iſt mein Name.
II.
Wenn ich an etwas recht Altes und Dauerhaftes denken will, ſo denke ich an unſre heilige Religion: ſie iſt ſo alt, als dieſe Welt, und war immer in der Welt, und wird dauern — ewig.
Denn was iſt der Inhalt unſerer Religion? Es iſt dieſer: an Gott glauben, daß Er iſt, und
Ihn von ganzem Herzen lieben, weil Er Gott iſt, und um ſeinetwillen den Naͤchſten wie uns ſelbſt. f
Das iſt unſere Religion, das iſt der Inhalt des Ge⸗ ſetzes und der Propheten, wie Jeſus lehrte.
Nun an den Gott, an den wir glauben, glaubte Abel ſchon, da er Ihm opferte, und liebte Ihn mehr als alles Andere, da er Ihm das Beſte, das er hatte, und ſich ſelbſt opferte.
An den Gott, an den wir glauben, glaubte Noah ſchon, und liebte Ihn uͤber Alles, da er nach dem Willen
dieſes feines’ Gottes lebte, und ſtets wie vor feinem - gefichte wandelte. | *
An den Gott, an den wir glauben, glaubte auch Abraham ſchon, und liebte Ihn uͤber Alles, und bes zeugte dieſe Liebe durch den Gehorſam, da er auf den Berg gieng, und ſeinen einzigen Sohn ſchlachten wollte.
An den Gott, an den wir glauben, glaubte Joſerh ſchon, und liebte Ihn uͤber Alles, indem er die Liebkoſun gen eines Weibes verachtet, und lieber im Kerker ſchmac . ten als ſeines Gottes Gebot uͤbertreten wollte. 4 An den Gott, an den wir glauben, glaubte auch Da vid, und liebte Ihn über Alles, (die Zeit ſeiner Suͤnd und Thorheiten abgerechnet), indem er ſich wuͤrdig mac m ein Mann nach Gottes Herzen zu heißen. En
An den Gott, an den wir glauben, glaubte auch 0 Iſaias, Daniel und unzaͤhlige Andere, und liebte Ihn uͤber Alles, indem ſie Muth hatten, fuͤr die Wahr⸗ N heit und den Willen ihres Gottes zu leiden, und wohl 4 auch, wenn's ihr Gott gewollt haͤtte, zu ſterben. 1
An den Gott, an den wir glauben, glaubte auch Za⸗ charias und Eliſabeth, Joſeph und Maria, Si⸗ meon und Anna, Petrus und Paulus, Stepha⸗ nus und Jakobus, und unzählige Andere, und lieb⸗ ten Ihn uͤber Alles, wie es das, was uns die Geſchichte von ihnen aufbehaͤlt, ihre Leiden und ihre Ae beweiſen.
Zwar hat Jeſus Chriſtus der Sohn Gottes — neues Licht in die Welt gebracht; hat das, was Er im Schooße ſeines Vaters geſehen, ſeinen Freunden erzaͤhlet; hat Hoffnungen gewecket; hat neue Offenbarunge mitgetheilet; hat neue Beiſpiele hinterlaſſ ſen; hat neue Anſtalten und Einrichtungen getroffen; hat neue Thaten gethan; hat neue Kraͤfte verheißen und ge⸗ geben; hat ſich eine neue, unbefleckte Gemeinde mit je nem Blute erkauft.
Aber alle dieſe Lichter, Hoffnungen, Thaten, Ofen barungen, Anftalten, Beifpiele, Gebote, Kräfte — ge da hinaus, daß wir unferm Gott, unſerm Vater, d Jeſum Chriſtum ſeinen Sohn, im heiligen Geiſte näher
gebracht werden; dahin aus, daß unſer Glaube an Gott und unſere Liebe zu Ihm und unſere Liebe gegen einan⸗ der vollkommener, goͤttlicher, aus Gott neugeboren werden. Und dieſe unſre Religion, die ſo alt iſt, als die Welt, dieſe Religion wird ewig dauern wie Gott; nur wird der Glaube Schauen, und die Liebe Seligkeit werden.
So lange Gott Gott iſt, und Er ift ewig derſelbe, und ſo lange unſre Geiſter leben werden, — und ſie wer⸗ den ewig leben: ſo lange wird Gott der Gegenſtand un⸗ frer Erkenntniß und Liebe bleiben, das heißt: ewig bleibt die Hauptſache unſrer heiligſten Religion.
Wenn wir nun den Trieb haben, das, was alt und dauerhaft iſt, zu bewundern: ſo muͤſſen wir mit unſrer Bewunderung nicht bei einer hundertjaͤhrigen Bruͤderſchaft ſtehen bleiben, ſondern mit unſerm Geiſt zuruͤckgehen auf das Alter unſerer Religion, das dem Alter der Welt gleich iſt, und betrachten ihre endloſe Dauer — ihre Unſterblichkeit.
O heilige Religion, wie miß kennen, entweihen, ſchaͤnden, laͤſtern dich die Menſchen, und nicht nur dich, um en auch fich!
D heilige Religion! Glaube und Liebe 5 biſt du, ſonſt Nichts.
Heilig biſt du mir, heilig dein Glaube, denn er be⸗ weist ſich lebendig durch Liebe; heilig deine Liebe, denn ſie zieret und verherrlichet den Glauben.
Heilig biſt du mir! ſey es mir immer mehr — — oder beſſer: Gott, der Du biſt, und erkannt und geliebt ſeyn willſt von uns Allen, erhoͤre das Flehen meines Her— zens, und erleuchte Du die Menſchen, daß ſie Dich und den Sohn erkennen! Entzuͤnde Du in den Menſchen das heilige Feuer der Liebe zu Dir, ſonſt wird doch im⸗ mer der Kaͤlte und der Suͤnde immer mehr! Entzuͤnde Du das Feuer, das der Sohn anzufachen auf Erden
) Bloß um der nie ruhenden Mißdeutung zu ſteuern, erinnere ich, daß in dem Glauben, und in der Liebe die Hoffnung ſchon miteingeſchloſſen iſt.
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Seyd dankbar in Allem, denn das if 95 Wille Gottes in Chriſto an euch!
Dankbar wollen wir ſeyn, meine Lieben, l wollen dankbar ſeyn, weil es Gottes Wille iſt, und wol⸗ len dankbar ſeyn, weil es Gottes Wille iſt, bi uns Jeſus n
0 1 PR: — 1 hi
Ein wuͤrdiger Geiftlicher iſt eine große Wohlthat Got⸗ tes, und iſt eben darum unſrer großen Dankbarkeit würdig. Um dieſe Wahrheit, von der mein Herz jetzt durch⸗ drungen iſt, in das eure hineinzulegen, will ich nach nl nem Vermoͤgen zeigen,
I. daß ein wuͤrdiger Geiſtlicher eine große wont Gottes ſey;
II. wie wir unſere Dankbarkeit fuͤr dieſe Bat ‚bezeugen koͤnnen und ſollen; x
III. wie insbeſondere ein wuͤrdiger Geiſtlicher fir
das, was er iſt, feine Dankbarkeit beweifen er und folle.
Der Vater aller Geifter, zu deſſen Ehre wir cee ſind; den wir nicht wuͤrdig verehren koͤnnen, wenn wir nicht ſeinen Willen thun; der durch Jeſus, ſeinen Sohn, durch die Apoſtel Jeſu Chriſti, durch die chriſtliche Kirche, durch wuͤrdige Geiſtliche, durch alle gute Menſchen ſei⸗ nen Namen auf Erden verherrlichet, und ſeinen Willen verkuͤndet — laſſe auch in dieſer Stunde ſeinen Namen verherrlicht, ſeinen Willen verkündet, ſeine Ehre befoͤr g dert werden! Kein Zuhoͤrer, er ſey aus Neugier oder reiner Liebe der Wahrheit in dieſe Kirche hereingekom⸗ men, keiner gehe ungeruͤhrt, ungebeſſert hinaus: darum bittet dich, Vater aller Geiſter, der neue Prieſter deines Rant, und alles Volk ſpreche: Amen u
Ein würdiger Geiſlcher iR.cine große Wehlhel i
Wer fuͤr ſich ſelbſt nach dem Geiſte und nicht nach den fuͤnf Sinnen lebt, und Andere mit Wort, That, Kraft
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nach dem Geiſte und nicht nach den fuͤnf Sinnen leben lehrt, und alſo an den Menſchen die Stelle Jeſu vertritt, deſſen Lehre, deſſen Beiſpiel, deſſen Kraft verkuͤndet, der iſt ein wuͤrdiger Geiſtlicher; ein Geiſtlicher, weil er nach der Beſtimmung des unſterblichen Geiſtes lebt; ein wuͤrdiger, weil er das große Maß ſeines Namens ausfuͤllt.
Ein folder Geiſtlicher iſt 1) eine große Wohlthat fuͤr das Volk, das an ihm einen Mit⸗ arbeiter an ſeiner Seligkeit erhalten wird.
Es giebt in dem chriſtlichen Volke ſo viele Kinder, die Gott nicht kennen; dieſe wollen einen Freund haben, der ſie den himmliſchen Vater kennen lehrt, und vor den Gefahren dieſes Lebens bewahrt, und vor den Dornen der Suͤnde vorbeifuͤhrt. Dieſer Freund iſt ein wuͤrdiger Geiſtlicher, der den Kleinen das Brod bricht, und ſie zu Jeſus fuͤhret, und durch Jeſus zum Vater. Ein wuͤrdi⸗ ger Geiſtlicher iſt wie Jeſus, nimmt die Kinder liebreich auf, alſo eine Wohlthat fuͤr das Volk.
Es giebt in dem chriſtlichen Volke viele geaͤngſtigte Seelen. Sie moͤchten ihrer Suͤnden gerne los und recht fromm und dann auch ruhig werden, und haben keine Hand, die die Bande der Sünde zerfchlägt, und Balſam in die Wunden legt, und Ruhe in das Herz. Dieſe Hand iſt fuͤr ſie ein wuͤrdiger Geiſtlicher, der ſie zur Erkenntniß und Bekenntniß der Suͤnden bringt, gegen die Sünde ſtrei⸗ ten und die Suͤnde beſiegen, und in den Erbarmungen Gottes und in der Kraft des heiligen Geiſtes Vergebung ihrer Suͤnden und ewiges Leben finden lehrt und finden hilft. Ein würdiger Geiſtlicher nimmt die Suͤnder, wie Jeſus, liebreich auf — iſt alſo eine große Wohlthat fuͤr das Volk.
Es giebt in dem chriſtlichen Volke Einige, die blind und ohne Angſt in ihrer Suͤnde fortleben, und an Gott, an die Ewigkeit, an das Gericht nicht einmal denken. Dieſe Ungluͤcklichen haben eine ſtarke Stimme, die ſie von ihrem Todesſchlaf aufweckt, noͤthiger als das taͤgliche Brod. Eine Stimme, die laut ausruft: Gott iſt Richter der Men⸗ ſchen: wer ſich von feiner Barmherzigkeit nicht beſſern laͤßt,
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fällt feiner Gerechtigkeit in die Hände. Eine Stimme, die laut ausruft: Wehe dem Geizigen, der in der Sünde ſtirbt! Er dient nur dem todten Geld — kann alſo Gottes, des Lebendigen, Angeſicht, nicht ſchauen. Eine Stimme, die laut ausruft: Wehe dem Wolluͤſtigen, der in der Suͤnde ſtirbt! Er dient der Fleiſchesluſt — kann alſo das reinſte Weſen, Gott, nicht ſchauen. Eine Stimme, die laut aus⸗ ruft: Wehe dem Hochmuͤthigen, der in der Suͤnde ſtirbt! Er dient nur dem falſchen Goͤtzen der Ehre — kann alſo den wahren Gott nicht ſchauen. Dieſe Gottesſtimme iſt ein wuͤrdiger Geiſtlicher, der ſich nicht ſcheut, den Maͤch⸗ tigen, den Reichen, den Heuchlern, den Ruchloſen die unan⸗ genehmſte Wahrheit zu verkuͤnden, wie ſie Jeſus lehrte * iſt alſo eine Wohlthat fuͤr das Volk. Es giebt in dem chriſtlichen Volke Zweifelnde, die Rath, Unwiſſende, die Licht, Verirrte, die Wegwei⸗ fung, Sorgloſe, die Erſchuͤtterung, Leichtſinnige, die Warnung, Frevler, die Beſtrafung, Kranke, die Troſt, Sterbende, die Stärfung bedürfen. Ein wuͤrdiger Geiſt⸗ licher iſt ein Werkzeug, durch das Gott Rath, Licht, War⸗ nung, Beſtrafung, Troſt, Staͤrkung in der Gemeinde were den läßt — alſo eine Wohlthat für das Volk. 5 Ein wuͤrdiger Geiſtlicher iſt 2) eine große Wohlthat für feine würdigen Mitgeiſtlichen. Die Geiſtlichen haben den fchönen Beruf der Engel — dem Boͤſen zu wehren; muͤſſen wachen und ſtreiten, daß die wilden Thiere, die Leidenſchaften, den Garten Gote⸗ tes — das Geſchlecht der Menſchen nicht noch mehr ver⸗ wuͤſten. Es muß alſo den wuͤrdigen Geiſtlichen ein neuer Mitwaͤchter, ein neuer Mitſtreiter, der ſich zu ihnen mit friſchem Muthe und neuen Kräften geſellt, willkommen vi wie den Kriegern, die das Feuer der Schlacht ſchon lange ausgehalten haben, eine neue Mannſchaft, die ſie 27 willkommen iſt. O ihr lieben Bruͤder und Freunde! laßt uns Eines Sinnes und Herzens ſeyn — laßt uns, Glied 2 an Glied, feſt aneinander halten, damit uns das „ ben nicht uͤbermanne, und freien Eingang in die Heerde Gottes finde! Laßt uns nicht muͤde werden, den Undank 5 der Welt zu . um die Welt — die, welche ſich n retten
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retten laſſen — ſelig zu machen! Laßt uns den Muth nicht verlieren! denn Jeſus Chriſtus ſorgt vaͤterlich fuͤr ſeine Kirche und bereitet uns im Stillen — manche Huͤlfe — in neuen, wuͤrdigen Geiſtlichen zu. Seht hier einen neuen Mitarbeiter, der die Laſt des Tages nicht ſcheuen, und mit ſeinen Schultern untertreten wird, um ſi e euch zu erleichtern! ’ Ein würdiger Geiſtlicher iſt 3) eine große Wohlthat fuͤr ſeine Verwandte und Freunde. Ein wuͤrdiger Geiſtlicher iſt ein Segen fuͤr Viele, wie ein Strom, aus dem Völker trinken, aber zunaͤchſt ergießt ſich das Brünnlein Gottes, die Quelle des Stroms, fuͤr die, die ihm am naͤchſten ſtehen. Dieſe ſind die Verwandten und Freunde. — — Die Mutter, die da gebaͤren ſoll, hat viele Wehen, aber, ſagt unſer heiliges Evangelium, aber wenn das Kindlein geboren iſt, ſo freut ſich die Mutter, und denkt nicht mehr an die uͤberſtandene Angſt, und alle Wehen ſind vergeſſen. Dieſe Mutterfreude wird heute der Mutter meines Freundes auf eine ganz vorzuͤgliche Weiſe — denn, wie mußte dir, fromme Mutter zu Herzen gewe⸗ ſen ſeyn, als vor acht Jahren deinen noch lebenden neun Kindern der Vater wegſtarb? Du ſtandeſt unter ihnen, mit Thraͤnen uͤberronnen, und ſahſt nicht, wie du ſie ernaͤhren koͤnnteſt! Der, den du heute am Altare ſiehſt, war der aͤl⸗ teſte aus den neun Waiſen ... das war ein Abgrund von Angſt, und du hatteſt dieſe acht Jahre oft in dieſem Ab⸗ grunde geſchmachtet. Du trauteſt dir kaum zu wuͤnſchen, was heut geſchieht! Du konnteſt nichts, als beten, arbeiten, hoffen, weinen und ſparſam ſeyn — und ſieh, Gott ſah auf deine Thraͤne herunter, und Er trat bei deinen Kindern an die Stelle ihres verſtorbenen Vaters, weckte wohlthaͤtige Herzen auf, die die Laſt der Erziehung mit dir theilten, und es hat bis auf dieſe Stunde keines deiner Kinder Noth gelitten! Ein benachbartes Stift, ein frommer Biſchof, ein anderer wohlthaͤtiger Edelmann, ein edler Mann, den ich meinen Herzensfreund nennen darf, und viele Gegenwaͤr⸗ tige, die ich nicht nennen kann, weil ich ſie nicht kenne, und nicht nennen duͤrfte, um ihre Beſcheidenheit nicht zu kraͤnken, halfen zuſammen, um dir die Wittwentrauer und J. M. v. Sailers ſämmtl. Schriften. XX XV. Bd. 26
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Mutterforge zu mildern. Und damit die Freigebigkeit guter Menſchen ſicherer gereizt würde, kleidete der Vater der Men: ſchen deine Kinder mit der ſchoͤnen Farbe der Unſchuld und belohnte den Wohlthaͤtern ihre Gaben mit dem beſten Danke, mit dem Wohlverhalten deiner Kinder. So freue dich denn, du gute Mutter, und ſchaͤme dich der Freudenthränen nicht, und danke Gott für den Segen, den du heute erlebt! O,
lich macht! Denn haͤtteſt du bei dem Abſterben dene ; Mannes Gold gehabt, fo viel diefe große Stadt nicht faſſen kann — haͤtteſt aber deinen Kindern die Gottesfurcht nicht in das Herz gelegt, ſo wuͤrde ſie das Geld nur elend gemacht, und wir wuͤrden heute kein Feſt des Dankes zu feiern haben. Und die Ehre vor Menſchen iſt es auch nicht, was die Kinder gluͤcklich macht. Denn hätteft du die Ehre aller Fuͤrſten und Großen der Erd 1 haͤtteſt aber deine Kinder nicht in der heiligen Gottesfurcht erzogen, ſo wuͤrde ſie der Glanz der Ehre nur noch elender gemacht haben. Und Ueberfluß an Speiſe und Trank und Luſt der Sinne iſt es auch nicht, was die Kinder gluͤcklich macht. Denn haͤtteſt du den Ueber⸗ fluß und die Luſt aller Welt, haͤtteſt aber deine Kinder nicht in der heiligen Gottesfurcht erzogen: fo würde fie der Ueber fluß und die Luſt der Sinne nur recht elend gemacht hab ir | Wenn Gott eine Familie ſegnen will, fo erhält er in ihr die heilige Furcht ſeines Namens, und ſie iſt mit dem beſter ˖ Segen geſegnet ... Freuet euch mit eurer Mutter, ihr Kin⸗ der alle! Denn ihr ſeht nun an eurem aͤlteſten Bruder; daß, wer Gott zum Vater hat, reich genug, und daß, wer auf Ihn vertraut, ſelig iſt. So haltet euch denn an Gott, wie euer aͤlteſter Bruder, und vertrauet auf Gott allein, und bewahrt das Heiligthum der Unſchuld noch ferner, und vollendet die Freude eurer Mutter! Noch mehr: euer Bru⸗ der iſt, nach allem Anſchein, von der Vorſehung beſtimmt, nicht bloß euer Beiſpiel — er iſt beſtimmt, auch euer Wohl⸗ thäter zu ſeyn. Bittet Gott, daß er ihn auf dem betrete⸗ nen Wege feſthalte, zum Heile Vieler und zu eurem. zeit lichen und ewigen Wohlſeyn ... Zwar fehlen dem heut gen Feſttage zwei Bruͤder — das Waſſer raubte ſie votes 3
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Jahr der heutigen Freude — — Nicht das Waſſer — Va⸗ ter! deine Weisheit nahm ſie zu ſich, wie die, welche vor dem Vater geſtorben ſind, damit du ſie dir ſelbſt in einer beſſern Welt erziehen koͤnnteſt, und der Mutter eine Laſt abgenommen wuͤrde — und in dieſer beſſern Welt freuen ſie ſich gewiß mit uns, zwar unſichtbar, aber doch leben⸗ dig, und in Gottes Hand nicht ungluͤcklich! Sie freuen “fi gewiß! Denn alle gute Geiſter, alle heilige Engel
freuen ſich Gottes, und alles Guten, davon ſie Erkennt⸗ niß haben... Doch ich eile von dieſem Gegenſtande hin⸗ weg, um nicht in den Kelch der Freuden gegen Abſi . etwas Bitterkeit zu mengen. b
Alſo: Ein wuͤrdiger Geiſtlicher Eine große Wohlthat.
| II, Wie wir unfere Dankbarkeit dafür beweiſen koͤnnen.
1) Um dankbar zu ſeyn, ehre, liebes Volk, Gott in deinen Geiſtlichen!
Denn nur Gott iſt es, der wuͤrdige Geiſtliche bilden kann; Gott iſt es, der Menſchen durch Menſchen leitet; Gott iſt es, der ſeinen Willen durch Menſchen verkuͤndet und durch Menſchen vollbringet; Gott iſt es, der durch Werkzeuge wirkt und auch in ſeinen Werkzeugen geehrt ſeyn will. f | Ehre Gott in deinen Geiftlichen, denn nachdem die Chriſten ſogar in ihren Feinden Gottes Ebenbild noch ehren ſollen: um wie vielmehr ſollen ſie Gottes Ebenbild in denen verehren, die ihnen im Namen Gottes wohlthun!
Ehre Gott in deinen Geiſtlichen, denn ſie find Dies ner Gottes zu deinem Heile!
Ehre Gott in deinen Geiſtlichen, denn die Wahrheit, die ſie verkuͤnden, iſt Gottes Gabe, das Evangelium, das ſie nach dem Beiſpiele der Apoſtel predigen, iſt ein Evangelium Gottes!
Ehre Gott in deinen Geiſtlichen, denn der Gottes⸗ dienſt kann nicht beſtehen in einem Volke, das die Prie⸗ * Gottes 100 ehrt!
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Ehre Gott in den Geiſtlichen, denn die Verachtung der Geiſtlichen befoͤrdert die Verachtung des Chriſten⸗ thums, und die Verachtung des Chriſtenthums macht die Sitten der Menſchen noch ausgelaſſener und zuchtloſer, und die vermehrte Zuchtloſigkeit bringt noch mehr Jam⸗ mer in die Welt!
Ehre Gott in den Geiſtlichen, denn du ehreſt dich wenn du das Gute ehreſt, und du verachteſt dich ſelbſt, wenn du die Ehre dem entziehſt, dem Ehre gebuͤhret!
Zwar find nicht alle Geiſtliche, was fie ſeyn ſollten. Aber wenn du den Mann in ſeinem Amte nicht mehr ehren kannſt, ſo ehre das Amt in dem Manne; ehre ſeine ſchoͤne Beſtimmung in ihm; ehre deine heilige Religion in ihm, zu deren Verkuͤndung er beſtimmt iſt; ehre Gott in ihm, der ihn zur Verantwortung ziehen wird; ehre ihn um der beſſern Geiſtlichen willen, auf Die unverdiente Verachtung zuruͤckfallen muß, wenn die Verachtung immer allgemeiner wird!
2) Um dank bar zu feyn, empfange das Wort der Wahrheit aus dem Munde der Geiſtlichen als Gottes Wort und bewahre es, und laß es Frucht bringen — als Gottes Wort.
Das heißt fuͤr die große Gabe eines wuͤrdigen Sei lichen dankbar ſeyn — den Willen deſſen, der uns einen wuͤrdigen Geiſtlichen geſchenkt, mit Freude thun. |
Wenn alſo der Priefter dem Trägen zuruft: arbeite, denn wer nicht arbeitet, ſoll auch nicht eſſen: ſo ſoll der Traͤge dieß Wort aus dem Prieſtermunde anhören, in ſein Herz graben, und Frucht bringen laſſen, ſoll auf dieß Wort hin arbeiten, als wenn er es aus dem Munde Jeſu Chriſti hoͤrte — denn es iſt wahres Wort Gottes.
Wenn der Prieſter dem ungerechten, zuruft: gieb zurück, was nicht dein iſt: ſo ſoll der Ungerechte dieß Wort aus dem Prieſtermunde anhören, in fein Herz graben, und Frucht bringen laſſen — auf dieß Wort hin das fremde Gut zurückgeben, als wenn er das Wort aus dem Munde Chriſti hörte — denn es iſt wahres Wort Gottes.
—
Wenn der Prieſter dem Liebloſen zuruft: Gieb dem, der von dir begehrt, ſey ein Sachwalter des Armen, und tröſte die Wittwe: ſo ſoll er dieß Wort aus dem Prieſter⸗ munde anhören, in fein Herz graben, und Frucht
bringen laſſen, ſoll auf dieß Wort hin geben, ret⸗ ten, tröften, als wenn er es aus Chriſti Mund hörte — denn es iſt wahres Wort Gottes. |
3) Um dankbar zu feyn, ſieh auf das Bei ſpiel des wuͤrdigen Geiſtlichen, and mache es nach!
Das Licht ſtellt man auf den Leuchter, damit die im Hauſe ſind, ſehen; Gott ſtellt wuͤrdige Geiſtliche in der Gemeinde auf, damit, die im Hauſe Gottes ſind, das Gute an ihnen ſehen und nachmachen. „Laſſet euer Licht leuchten unter den Menſchen, damit ſie eure Werke ſehen, und den Vater preiſen, der im Himmel iſt!“ So wie der Prieſter die Pflicht hat, Gutes zu thun, um ſeiner Lehre Eingang und Nachdruck zu verſchaffen: ſo hat das Volk die Pflicht, dem Guten, das der Prieſter thut, Aug und Herz zu oͤffnen und ſich von demſelben zur Nachahmung reizen zu laſſen. Wenn der Fuͤhrer der Heerde auf dem Wege des Heils vorangeht: ſo muß die Heerde in ſeine Fußſtapfen treten, um zum Ziele zu kommen. Aber ach! das
Nachfolgen iſt fuͤr das Volk gerade ſo ſchwer, wie fuͤr die Führer das Vorangehen .. wie leicht und ſchnell ſehen die Augen das Boͤſe, das Schwache an dem Vorangehenden, und wie ſelten, und wie träge blicken fie auf das Gute?
4) Um dankbar zu ſeyn, erleichtere deinen Geiſtlichen ihr ſchweres Amt durch Vertrauen und Fuͤrbitte.
Durch Vertrauen: denn ohne Vertrauen wird in aller Welt nichts Gutes ausgerichtet. Die Eltern koͤnnen die Kinder nicht zum Guten erziehen, wenn die Kinder nicht auf ihre Eltern vertrauen; die Lehrer koͤnnen ihre Lehrlinge nicht fortbilden, wenn die Lehrlinge nicht auf ihre Lehrer vertrauen: wie ſollen wir Geiſtliche eure Wun⸗ den heilen, wenn ihr ſie uns nicht aufdecket, und wie werdet ihr ſie uns aufdecken, wenn es euch an Vertrauen fehlet, daß wir Luft und Kraft haben, fie zu heilen?
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Durch Fuͤrbitte: was koͤnnen wir, ſchwache Men⸗ ſchen, ohne Gott? Betet alſo fuͤr uns zu Ihm! Unſer Pflanzen nuͤtzet nichts — unſer Begießen nuͤtzet nichts, | wenn Gott das Gedeihen nicht giebt, und dieß Gedeihen giebt nur Er. Wie follten wir Gottes Wort aussprechen, wenn Er es nicht auf die Zunge leget? Wie ſollten wir das Auge zu Thraͤnen aufſchließen, wenn Er das Herz nicht er⸗ weicht? Wie ſollten wir Eintracht in den Familien, Friede in den bürgerlichen Geſellſchaften, Ruhe von Außen, Sicher⸗ heit von Innen erhalten, wenn Gott, der ein Gott der Ordnung iſt, Eintracht, Friede, Ruhe, Sicherheit nicht auf⸗ rechthaͤlt? Wie ſollten wir die heilige Religion, und ihre Schweſter, die Gerechtigkeit, feſthalten, daß ſie nicht von unſern Thorheiten verdraͤngt werden, wenn Gottes Erbar⸗ mung fie nicht feſthaͤlt? Wie ſollten wir den größten Feind aller Gluͤckſeligkeit, den jeder Menſch in ſich hat, die Eigen⸗ liebe in uns und in andern Menſchen unterdruͤcken und über⸗ winden koͤnnen, wenn Gott nicht — die Liebe zu Ihm in uns und Andern entzuͤndet? Was hilft das Schreien aller Pre⸗ diger, wenu der Geiſt Gottes nicht das Herz ruͤhret, indem der Schall an das Ohr anſchlaͤgt? Wenn nun aber die Geiſtlichen in Beſſerung der Menſchen nichts vermoͤgen, ſo lange das Volk nicht auf ſie vertraut und Gott ihre Be⸗ muͤhungen nicht ſegnet: ſo oͤffnet euer Herz der wage und e zu Gott, daß er ſie an wi, fräftig mache! |
III.
Wie der wuͤrdige Geiſtliche ſeine Dankbarkeit baengen koͤnne und ſolle. h
Er ſtrebet ſtets alles Gute zu thun, das er kann, und um es zu koͤnnen, ſo ſucht er immer zu ae 6 in der Demuth, in dem Vertrauen auf Gott, 4 | in der lautern Liebe zu den Men ſchen — wie die heiligen Apoſtel, und alle wuͤrdige Geiſtliche und unter dieſen Auguſtinus, deſſen Feſttag heute die Kirche feiert, in Demuth, im Vertrauen und in Liebe Gu⸗ tes gethan haben.
.
und das iſt es eigentlich, was ich mir und den jun⸗
‚en Geiſtlichen, deren Bildung mir zum Theile anvertraut
i täglich nahe lege; und das iſt es eigentlich, wovon
ich mit dir, lieber Freund, am öfteften geredet habe!
Und das iſt es eigentlich, worin du dich vor Vielen
ausgezeichnet, und was dich meinem Herzen fo theuer ges macht hat.
Und das iſt es eigentlich, was ich dir auch heute noch⸗ mal in die Seele legen moͤchte, und womit ich den Un⸗ terricht, den ich dir gegeben habe, oͤffentlich beſchließe, (denn von nun an ſind die Verhaͤltniſſe des Lehrers und Hoͤrers zwiſchen uns aufgehoben).
Gott gab dir einen Verſtand, der helle, und ein Herz, das des Guten empfaͤnglich iſt. Jener Verſtand und dieſes Herz haben durch Erziehung, Armuth, Leiden, Er⸗ fahrung, Fleiß, Nachdenken, Freunde und Gottes allbe⸗ herrſchenden Geiſt eine ſchoͤne Richtung zum Guten ge⸗ nommen. Du haſt auch ſchon in mehreren Pfarrgemein⸗ den Probepredigten gehalten, nicht ohne Rührung deines Herzens und deiner Zuhoͤrer. Du wirſt, wie ich hoffe, im⸗ mer mehr Gutes ſtiften, und ſelbſt immer beſſer werden. Aber ſieh! wie koͤnnteſt du immer beſſer werden und Gu⸗ tes ſtiften ohne Demuth? Von Gott kommt alles Gute: und zu Gott muß alles Gute zuruͤckfuͤhren; wie koͤnnteſt du nun immer Gutes aus der Quelle nehmen, wenn du nicht deine Duͤrftigkeit anerkenneteſt — ohne Demuth? Wie koͤnnteſt du alles Gute auf die Quelle zuruͤckfuͤhren, wenn du nicht dieſe Quelle allein verherr⸗ lichteſt — ohne Demuth? Dieſe Demuth, die bisher deine Zierde war, ſey nun deine liebſte Tugend! Wirf du immer den Schleier der Beſcheidenheit auf deine Gas ben: Gott wird ihn zu ſeiner Zeit wegheben — wenn es Ihm gefaͤllt. Du wirſt es — denn ich kenne dich, oder beſſer: Gott iſt mit dir!
Wie könnteſt du immer beſſer werden und Gutes ſtiften ohne Vertrauen auf das allerbeſte und allerguͤ⸗ tigſte Weſen? Voll Mißtrauen auf dich, wo faͤndeſt du Kraft, außer in der Allmacht? Vertraue alſo und ver traue mit ganzer Seele auf den, der dich bisher geleitet!
= 6
Es wacht ein Vaterauge über dich: ſieh du ſtets au
dieſes Auge hin, und vergiß nie, Alles, was du thuſt, wie vor dieſem Auge zu thun. Dieſes Vertrauen, das bisher dein Führer war, ſey es auch in Zukunft — halte dich an den Allmächtigen. Du wirſt es — denn ich kenne dich, oder beſſer: Gott wird immer mit dir ſeyn 5
Wie koͤnnteſt du endlich immer beſſer werden, und immer mehr Gutes ſtiften — ohne die lautere Liebe gegen die Menſchen? Wie Jeſus ſtarb fuͤr die Men⸗ ſchen, weil Er fie lieb hatte: fo mußt du auch bereit ſeyn, Speiſe, Trank, Bequemlichkeit und ſelbſt dein Leben zu opfern zum Beſten der Menſchen. Was kann dich aber zu dieſer Aufopferung bereit machen als die heilige Liebe? Dieſe Liebe, die uns Jeſus lehrte, und die bleiben wird, wenn Glaube und Wiſſenſchaft aufhören werden, dieſe Liebe, die auch die loben, welche ſie nicht haben, ſey die 1 aller deiner Arbeiten. Fahre fort, alle Eigenliebe in dir männlich zu bekaͤmpfen, um der heiligen Liebe des Näch⸗ ſten immer mehr Platz zu machen! Du wirſt es — ich kenne dich, oder beſſer: Gott, die Liebe, wird die 4 lieben lehren! 1
Und nun gehe hin an den Altar, und opfere dich den h himmliſchen Vater, und vergiß nicht zu bitten, für die ganze Welt, für die chriſtliche Kirche, fuͤr unſer deutſches Vaterland, für dieſe Stadt, fuͤr deine Verwandte und Freunde, und für uns Alle, und bitte um das, Worin ich im Eingange gebeten habe: m
Daß kein Einziger ungeruͤhrt aus der vrt - we ir fein Einziger! i
11
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XXXVIII. Gott iſt die Liebe, und fordert von uns nur Treue.
Eine chriſtliche Anrede an die Roftebanm zu Kirchberg,
gehalten am 11. September 1791.
Ich will nicht mit Buchſtaben bezahlen: Gott, der einzige Ver- gelter, der ungebeten giebt, und über Hoffen belohnt, ſoll auch dieſe Schuld abtragen. Nur Anlaß wollte ich geben, daß das Leſen die Eindrücke wieder erneuerte, die die Wahrheit auf die Hörenden gemacht hat.
Selig ſind, die das Wort Gottes hören und bewahren.
a Luk. XI, 28. Gott iſt die Liebe. 1 309. IV, 16. 0
Ich ſollte Ihnen, l. Z., etwas ſagen, das ihnen zu Her⸗ zen gienge, und in ihren Herzen bliebe, und werth waͤre, ihr ewiges Augenmerk zu ſeyn, und ewig in ihren Herzen zu bleiben; etwas, das ſie leicht verſtehen, und leicht be⸗ halten koͤnnten, aber an dem ſie in alle Ewigkeit genug zu thun haͤtten. Dieß erwarten Sie — und das ſollen Sie nicht umſonſt erwarten. Da Sie mich das erſtemal hoͤren, und Gott weiß, ob ich zu einer andern Zeit vor Ihnen nochmal werde reden koͤnnen; indem meine Woh⸗ nung zu weit von der Ihrigen abſteht, als daß wir uns oͤfters miteinander unterhalten koͤnnten ... Da unſere Schickſale in der Hand Gottes liegen, und dieſe Hand vor unſerm Auge verſchloſſen iſt ... da unter Vielem, was wichtig, würdig, kraͤftig it — uns zu belehren, zu troͤſten, zu ſtaͤrken — doch nur Eines das Wichtigſte, Wuͤr⸗ digſte, Kraͤftigſte iſt, Eines, das uns vor allem an⸗ dern belehren, troͤſten und ſtaͤrken kann: ſo werde ich von dieſem Wichtigſten, Wuͤrdigſten, Kraͤftigſten — das Rothige,
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und dieſes ſo kurz und ſo klar ſagen, als es mir ie gegeben iſt.
Nach dieſem Wichtigſten, Wuͤrdigſten, ENTE tigften fragen wir —
Dieſes Wichtigſte, Wurdigſte, Kräftige (u chen wir —
Dieſes Wichtigſte, Wuͤrdigſte, Kräftigſte ſol⸗ len wir heute — wenigſtens nicht verkennen lernen, kb es, will's Gott, beſſer kennen lernen. | Die bedeutendſte Frage aus allen möglichen Bragen
für alle Menſchen iſt dieſe: a Was iſt Gott fuͤr mich, und, Was fordert Gott von mir?
Die rechte Antwort auf dieſe bedeutendſte Frage in
nach unſrer heiligen Religion dieſe: | Gott ift die Liebe Und fordert von uns nur Treue. i
Gott gebe, daß dieſe Antwort mir und allen meinen Zuhoͤrern in ihrer rechten Wahrheit und Klarheit erſcheine — denn in ihr liegt die Summe und der Kern des ganzen chriſtlichen Glaubens, und des ganzen chriſtlichen Lebens. oe
Ich wuͤnſchte — nicht mir, ſondern der Wahrheit in ihrem Herzen ein ewig Denkmal — ein ewig Andenken zu ſtiften. Gott laſſe dieſen Wunſch erfuͤllet werden — zur Ehre ſeines Namens! *
L Gott ift die Liebe.
Die erhabenſte Vorſtellung von Gott, die in den Schriften des alten Bundes vorkommt, iſt jene: Ich bin, der Ich bin — immer Derſelbe, Ewige, Unabhaͤngige, in ſich allein Allgenugſame. Aber die lieblichſte Vorſtel⸗ lung kam aus dem Herzen Jeſu: Gott iſt der Allein⸗ 2 gute — und der Alleingute iſt unſer Vater — iſt, wie es Johannes ausdruͤckt, die Liebe ſelbſt. Unſer
Gott iſt die Liebe ſelbſt; lieben mag der Vater fein 2 lieben mag die Mutter ihre Tochter; lieben mag der Freund feinen Freund ... aber unſer Gott liebt uns nicht nur — Er iſt die Liebe ſelbſt. Eine Mutter, ſagt dieſe Liebe von ſich, kann ihres Saͤuglings nicht ver⸗ geſſen, und wenn die Mutter ihres Kindes vergeſſen koͤnnte: ſo kann ich deiner nicht vergeſſen.
Gott iſt die Liebe — aber eine heilige: Er haßt alles Boͤſe, und liebt alles Gute, will Alle fromm und heilig haben.
Gott iſt die Liebe — aber eine gerechte: Er zuͤch⸗ tiget den Boͤſen, um ihn fromm zu machen.
Gott iſt die Liebe — aber eine weiſe: Er fuͤhrt auf tauſend Wegen zu Einem Ziele.
Gott iſt die Liebe — aber eine allmaͤchtige: Er will, und es iſt.
Gott iſt die Liebe — aber eine hoͤchſt lautere, durchaus uneigennuͤtzige: Er will uns heilig haben, um uns ſelig zu machen. Er will uns ſich an Guͤte aͤhnlich haben, um mit uns ſeine Seligkeit theilen zu koͤnnen.
Gott iſt die Liebe — aber eine allerfreuende: Er ſchließt kein Geſchoͤpf, das der Liebe faͤhig iſt, von ſeiner Liebe aus.
O du Liebe! daß dich doch alle Chriſten kenneten und liebten!
O du heilige Liebe! daß doch alle Menſchen vor dir in Heiligkeit wandelten!
O du gerechte Liebe! daß ſich doch alle Suͤnder durch deine Gerichte erſchuͤttern ließen, und im Ver⸗ trauen zu dir naheten!
O du weiſe Liebe! daß doch Alle — bei dir Weis⸗ heit ſuchten!
O du allmächtige Liebe! daß ſich doch Alle dir aus vertrauten, auf dich ſtuͤtzten!
O du uneigennuͤtzige Liebe! daß doch alle Herzen bir enen, dir allein dieneten, uneigennuͤtzig wie du!
— 412 —
O dn allerfreuende Liebe! daß doch Alle fähig wi
in dir Freude zu finden, und gut genug, ſe unt
dir zu ſuchen. 6 Gott iſt die Liebe — das hödhfte Gut — n
und fuͤr uns. N 5 Gott iſt die Liebe — laßt uns dieſe dena. a
heit yes im 15 Lichte anſehen! oe
© eo, ne Gott iſt die Liebe, und weil Gott die Liebe if, fo hat Gott den Menſchen geſchaffen, da der Menſch nicht war. Gott wollte ein Gefäß haben, darein Er feine vor⸗ nehmſten Gaben — und ſich ſelbſt legen konnte — dazu ſchuf Er den Menſchen. 4 5 Er wollte etwas haben, das Er ſelig in und durch ſich machen koͤnnte — dazu ſchuf Er den Menſchen. 4 5 Er ſchuf ihn nur aus Liebe. Hätte die Liebe den Menſchen nicht geſchaffen: fo wäre er nicht. Hätte iht die Liebe nicht geſchaffen: ſo waͤre der Liebling Got
tes nicht. N a 5
Gott iſt die Liebe, und weil Gott die Liebe 1 fi hat Er den Menſchen gut, und nach ſeinem Bild: geſchaffen. | Der Menſch — Ebenbild Gottes!
O Liebe, was thateſt du! heilig, wie Gott, weiße, 7 wie Gott, mächtig, wie Gott, unſterblich, wie Gott, In wie Gott, ſollte der Menſch ſeyn — Gott gleich — tes Sohn * ae
Nicht auf Erden triechen wie das Thier, für 16 in Gott leben — erhaben über alle Thiere, über alles Ge: ſchaffene, uͤber ſich — ſollte der Menſch ſeyn.
N * 4 Br *
Gott iſt die Liebe, 0 weil Gott die eiebe in:
war Er barmherzig gegen den Menſchen, der tau
— 413 —
Ihm entfernet, und langmuͤthig — iſt noch barmherzig, noch langmuͤthig, und will noch nicht den Tod des Suͤn⸗ ders, ſondern daß er lebe, und ſelig werde.
© 6 *
Gott iſt die Liebe, und weil Gott die Liebe iſt: ſo ſandte Er ſeinen Eingebornen auf die Erde, damit wir durch Ihn wieder gut und ſelig werden ſollten.
So hat Gott die Welt geliebet, daß Er ſei⸗ nen Sohn fuͤr uns dahingegeben. Joh. III, 16. An Ihm ſollten wir lernen, wie guͤtig der Vater ſey. An Ihm ſollten wir lernen, wie wir Gottes Eben⸗ bild ſeyn koͤnnen. Er ſollte unſer Lehrer ſeyn — Ihn ſollten wir hoͤren. Er ſollte unſer Beiſpiel ſeyn, in ſeine Fußſtapfen ſollten wir treten.
Er ſtarb fuͤr uns: durch ſeine een ſollten wir geſund werden.
Er ſollte den Tod, die Welt, und den Satan zuerſt uͤberwinden, damit wir, durch Ihn e auch obſiegen koͤnnten. 5
> 9 42 Gott iſt die Liebe, und weil Gott die Liebe iſt, ſo giebt Er den heiligen Geiſt denen, die Ihn darum bitten, und ſich dieſer Gabe faͤhig machen.
Gott iſt die Sonne: davon fließen Strahlen aus in alle offene Seelen. Was kann die Sonne anders, als Licht aus⸗ ſenden, Gott anders, als Liebe und Seligkeit mittheilen?
* 2 *
Gott iſt die Liebe, und weil Gott die Liebe iſt, ſo zieht
Er die Menſchen durch Leiden zu ſich, und reiniget ſie
— zuͤchtiget Fromme und Boͤſe, um dieſe gut, und jene beſſer, beide ſelig zu machen.
| Die Engel im Himmel konnten die Freude nicht er⸗
tragen — haben geſuͤndiget. — Die erſten Menſchen im
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Paradieſe konnten die Freude nicht ertragen — 1 i fündiget. — Wie follten wir Freude ertragen? O G ich danke dir fuͤr alle Leiden — du willſt mich vun e den — der Freude wuͤrdig machen.
*. * *
Gott iſt die eiebe, und weil Gott die Liebe it, o hört Er unfre Gebete zu unſerm Beſten. ri
Wir haben einen Schluͤſſel zum Herzen Gottes bete du: Er giebt.
Wir haben die theuere Verſicherung: um was ihr it meinem Namen bitten werdet, das will Ich ai geben.
* 22 * 11 7
Gott iſt die Liebe, und weil Gott die Liebe it, 0 lenkt Er denen, die Ihn lieben, Alles zu ihrem Biken Die Liebe regieret. N
Oft wird's dunkel — aber die Liebe macht Licht. O wird's bitter — aber die Liebe macht's ſuͤße. Gott fi fiüet im Regiment, und Gott iſt die Liebe.
9 x
Gott iſt die Liebe, und weil Gott die Liebe iſt, fo giebt t Er Allen, die des ewigen Lebens faͤhig ſind, das ewig Leben. Die Liebe macht ſelig.
Nach wenig ſchwuͤlen Tagen W Er uns zu in die ewige Ruhe —
Er lebt ewig: wir auch — Er lebt ewig ſelig: wir auch —
3 g
N 9 *
II.
Gott fordert von uns nur Treue. 5 4 Was heißt treu ſeyn? und in welchem Sinn be. | dert Gott nur das Treuſeyn? 14
Alles Gute, das wir erkennen, und das wir 950% 1 achten, lieben, thun ſollen, iſt Gottes Wort, und auf das
— 115 —
Wort Gottes fleißig aufmerken, daſſelbe genau bewahren, und ſtandhaft vollbringen — heißt treu ſeyn.
Wenn dir dein Gewiſſen ſagt: Sey demuͤthig, ſanft⸗ muͤthig, vertrau auf Gott, vergiß das erlittene Unrecht, gieb dem Armen, gehorfame deiner Obrigkeit: fo iſt dieß — Gottes Wort. Denn Gott iſt's, der dich durch das Gewiſſen belehrt.
Wenn du im Evangelium, oder in einem andern geiſt⸗ vollen Buche lieſeſt: liebe Gott uͤber Alles; liebe den Naͤch⸗ ſten wie dich; lebe dem, der fuͤr dich ſtarb; widerſteh dem Zorne; meide Alles, was dich befleckt; ſuche zuerſt das Reich Gottes; bete ohne Unterlaß; bete, faſte, gieb Almo⸗ ſen, aber nicht, um dafuͤr von Menſchen gelobt zu werden: fo iſt dieß Alles — Gottes Wort. Denn Gott iſt es, der dich durch die heiligen Schriften belehrt.
Wenn dir dein Gewiſſensfreund ſagt: wo Eigenſinn, da iſt Gottes Geiſt nicht; wer ſich uͤberwindet, hat den ſtaͤrkſten Feind bekaͤmpfet u. ſ. f.: fo iſt dieß — Gottes Wort. Denn Gott iſt es, der dich durch deinen Freund belehrt.
Wenn uns der Geiſt der Wahrheit im Innerſten der Seele einſpricht: halte die Zunge zuruͤck, um das Geſetz der Liebe nicht zu uͤbertreten, und den Geiſt der Wahr⸗ heit nicht zu betruͤben; haͤnge dein Herz nicht an das Vergaͤngliche, halt dich an das Heil der Welt: ſo iſt dieß — Gottes Wort! Denn Gott iſt es, der heilige Geiſt iſt es, der dich belehrt.
Wenn uns Gott durch die Obrigkeit Gutes vor⸗ ſchreibt: fo iſt es — Gottes Wort. Denn Gott hat die Obrigkeit geſetzt, um ſeine Stelle zu vertreten.
Wenn wir nun fleißig aufmerken, daß wir Gottes Wort in und außer uns hoͤren; wenn wir dieß Gottes- wort feſt im Herzen behalten, daß wir's nicht wieder vergeſſen; wenn wir nicht muͤde werden, es zu vollbrin⸗ gen: ſo haben wir den Willen Gottes ehen Und dieß heißt treu ſeyn.
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Treu iſt * Knecht gegen 3 RR wenn Pr fleißig aufmerkt, daß er den Ruf feines Herrn nicht uͤberhoͤrt; wenn er an das denkt, was ihm der Herr befiehlt; wenn er den Befehl vollbringt. Treu iſt die Tochter — wenn ſie auf alle Winke der Mutter A hat, und ſie befolgt. Treu ſind wir gegen Gott, wir ſein Wort hoͤren, bewahren, thun.
Und dieß fordert Gott — deßwegen redet Er a |
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Dieß hat Chriſtus deutlich gelehrt in dem Gleichniſe
von den Talenten: ſey treu im Kleinen. DE
Dieß allein fordert Gott. Er wäre nicht heile f wenn Er die Treue nicht forderte. Er wäre nicht ge⸗
recht, wenn Er etwas anders forderte, oder mehr, als wi 5
leiſten koͤnnten — mehr als Treue forderte.
Nur durch Treue ſind alle Heilige heilig, und 4
Heilige ſelig geworden.
Nur durch Treue koͤnnen wir fromm, heilig, ſelig
werden. 0 5 a
So werden wir denn auch treu ſeyn — das ſoll ſich
jeder fagen... Gott fordert von dir nur Treue „ Sey treu — das heißt: | 10
Horche auf Gottes Wort — Meide die Zerſtreuung —
Sorge, daß es in dir ſtille werde! Bei einem gre „ ßen Getoͤſe hoͤrt man eine leiſe Stimme nicht: und wan
ſtreuung hingeben: ſo hören wir die Stimme Gottes nic 14 Jeſus ſteht vor der Thuͤre — und wir laſſen Ihn nicht hinein.
Horch auf Gottes Wort — wie ein frommes Kind auf das Mutterwort. Frage dich, was will Gott, und
hoͤre, was Er ſpricht. A Sey treu — das heißt: Bewahre Gottes Wort; bewahre es, wie der Geizige das Geld — 5
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Es giebt Diebe, die uns das Wort Gottes fehten — bewahre es. % die
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4 | 4 * ya 881
— 412 —
Die Sorgen fehlen ed; Eitelkeit und horfe ſtehlen es;
Fleiſch und Blut ſtehlen es uns aus dem Hetzen.
Lerne es erwaͤgen, feſthalten, bewahren — es iſt ein Schatz: bewahre ihn. Sey treu, das heißt: vollbringe Gottes Wort.
Werde nicht muͤde im Vollbringen, denn das Thun iſt Hauptſache. |
Das Kleid macht nicht den Mann, das Wiſſen nicht den Frommen, das Hoͤren nicht den Thaͤter.
Vollbringe — und um es zu koͤnnen, ſo bete. Vollbringe — und um es zu koͤnnen, ſo ſey treu im Kleinen.
Vollbringe — und um es zu Heu: fieh ı nur vor⸗ warts, wie der Wanderer, und greif, wie Paulus, mit beiden Haͤnden nur nach dem, was vor dir iſt.
Vollbringe — und um es zu koͤnnen, blicke hinaus auf die kommende Herrlichkeit, und hole von derſelben Kraft, ihrer wuͤrdig zu werden.
2 4 *
Gott ift die Liebe, und: Gott fordert nur Treue —
Gott iſt die Liebe: das ſtaͤrke dich zum Treuſeyn. Gott fordert Treue: je treuer, deſto mehr wirſt du die Liebe erkennen. Gott iſt die Liebe: das troͤſte dich im Leiden. Gott fordert Treue: das ſtaͤrke dich in der Verſuchung. Suͤndige nicht: denn Gott fordert Treue. Wenn du geſuͤndiget haſt, verzage nicht: denn Gott iſt die Liebe. Sey nicht traͤge im Guten: denn Gott for⸗ dert Treue.
Sey treu in dieſem Leben, und du wirſt in dem an⸗ dern erſt recht erkennen, daß Gott die Liebe iſt, und daß es nichts Beſſeres fuͤr uns gebe, als
| | „der Liebe treu ſeyn.“
J. M. b. Saiters ſaͤmmmtl. Schriften. XXXV. Bd. 27
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XXXIX. 1 Ueber die letzte und ernſthafteſte Begebenheit des Mlenſchen auf dieſer Erde.
ens gehalten in der akademiſchen Kirche zu Dillingen am ey iin | | 7
K Lehre mich meine Tage zählen! a Pſalm i 5. A
Unter allen befondern Verbindungen der Chriten, ihre Andacht gemeinſchaftlich zu wecken und zu naͤhren, kenne ich keine, die dem Scheine nach unnöthigen, und, nach der Wahrheit, nuͤtzlicher iſt, als die Ver⸗ bindung zur gemeinſamen chriſtlichen Betrachtung des Todes. Unnoͤthig ſcheint fie; denn wozu eine oͤffent⸗ liche Verbindung, alle Monate den Tod zn ande
und alſo die Betrachtung des Todes ſich uns uberall ſo gewaltſam aufdringt, daß ſich kaum ein EN, der⸗ ſelben erwehren kann. Nuͤtzlich iſt ſie; denn der Leic 5 ſinn des Menfchen iſt fo groß, fein Herz ſo feſt an die Gegenwart angeklammert, daß man einem Sterblichen a gen muß: Freund, vergiß nicht, daß du ſterb⸗ lich biſt, und den Todkranken noch an feine Pflicht er⸗ innern: Beſtelle dein Haus, denn ſieh! du mußt ſterben. BE} A 1
Ueberzeugt von der Nutzbarkeit dieſer öffentlichen er weckung zur Betrachtung des Todes, werde ich alſo heute, an dem vornehmſten Gedaͤchtnißtage dieſer Ver⸗
bindung wohl auch „von dem Tode“ reden müſſen.
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N + { En *
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Zwar hätte ich gerne von einer angenehmern Bege⸗ benheit geredet — von der freudigen Botſchaft, die der Engel des Herrn einſt an die Mutter unſers Herrn ger bracht: aber gerade der Monat März 1792 hat ſich durch ein Sterben, das ganz Europa erſchuͤttert, und noch durch einige Leichen, die hier begraben worden, unſerm Herzen fo unvergeßlich gemacht, daß ich mich nicht uͤber— winden kann, die ſo nahe liegende Betrachtung uͤber die letzte, ernſthafteſte Angelegenheit des Menſchen zu unter⸗ laſſen. Das Beiſpiel, das uns die Auserwaͤhlte aus dem Weibergeſchlechte hinterlaſſen, und deſſen Nachah⸗ mung fuͤr die wahren Verehrer dieſer heiligen, reinen Seele die Hauptſache ihrer Verehrung ausmacht, wird vielleicht doch in dieſer Todesbetrachtung eine natürliche Stelle finden.
Wenn wir über eine wichtige Sache nachdenken, fo fragen wir zuerſt, ob, und was uns die fünf Sinne von dieſer Sache fuͤr einen Bericht erſtatten; hernach, was uns etwa die geſunde Vernunft des Menſchen davon lehre, und endlich, ob, und was und das göttliche Evangelium — Chriſtus, unſer Lehrer, davon offenbare.
Der Tod iſt nach dem Bericht der fuͤnf Sinne, eine ſehr ernfthafte Sache; nach dem Urtheile der geſun⸗ den Vernunft eine fuͤr jeden Menſchen hoͤchſt wichtige Sache; nach dem Evangelium eine fuͤr den ungebeſſerten Suͤnder ſchreckvolle, und fuͤr den geprüften Frommen freudenvolle Begebenheit.
Das ſey der Inhalt unſers chriſtlichen Nachdenkens.
Der Tod, nach dem Bericht der fünf Sinne, eine aͤußerſt ernſthafte Begebenheit.
Sehr ernſthaft — denn er nimmt Alles, und gibt, ſo weit die Sinne reichen, nichts. Huͤlflos und ſchwach iſt der Menſch beim Eintritt in dieſes ſichtbare Leben;
aber bei dem Austritt iſt er nicht nur bloß ſchwach und 5 27 *
\ 5 *
— 2 — 1
huͤlflos — alles ſichtbare Leben iſt ganz dahin, wie das Wort, das ausgeſprochen, und ſchon verhallet iſt. ie Hütte, die die Seele bisher bewohnet, Fällt ien und keine Menſchenhand kann das Zuſammenfallen h dern. Der Neugeborne kuͤndet ſein Kommen mit Up nen an, aber der Sterbende kann nicht mehr wein und ſein eigentlicher Abſchied iſt ganz ſtumm und ohne Laut. Das Auge kann ſich nicht mehr aufthun, 1 t mehr ſehen, was es vorher mit Wohlgefallen 90 Weib, Kinder, Freunde. Die ganze ſichtbare Welt, u 1 die leuchtende Sonne ſelbſt ift finſter für das todte Auge — e und es geht demſelben kein Morgenroth mehr auf, und kein Abendſtern. Die Hand, die ſich ſonſt nach den Willen des Menſchen bewegte, und den Geliebten Per nete, und dem Dürftigen das Brod zum Genfer beten 18⸗ reichte, und den Irrenden auf die rechte Straße wies - und fuͤr die Wittwen und Waiſen Bittſchriften gane tigte, und dem Koͤrper Nahrung zufuͤhrte, und ſich dem Herzen zum Himmel erhob — liegt kalt wie ein Stein, und unbeweglich auf dem Bette da, und war et, bis fie in den Sarg gelegt wird, und in das Grab, Die Zunge, die die Freuden und Leiden des eigenen Her⸗ zens dolmetſchen, und Leidenden Troſt einſprechen, u Rathbeduͤrftigen rathen konnte — kann ſich ſelbſt nic mehr regen — der Sprecher iſt ſtumm, von den Gaube des Todes gefeſſelt. Und wie das Auge, und wie * Hand, und wie die Zunge, ſo ſind das Ohr, und Geruch, und der Geſchmack des Menſchen uubtaüchhe Werkzeuge für die Sterbenden, nuͤtzen ihnen gerade fo wenig, als die Gliedmaſſen unſrer Vorfahren, die vor tauſend und mehrern Jahren in der Erde zu Moder * worden. Der Odemzug, der ſonſt das Herz erfrifchte, iſt nun zur Arbeit geworden, und die Umſtehenden we 5 ten mit banger Seele auf den legten Hauch⸗ Das Her; dieß Wunder der Natur, das von dem erſten Augenblicke | des Lebens bis auf den letzten fortſchlug, hat nun ein N Kraft verloren, und ſchlaͤgt nun nicht mehr. Der freunde liche Zuſpruch des frommen Prieſters iſt zu Ende, und auf das Wort: er hat's e 1855 die Sen 4
» —
glocke, dieſe Zeugin der alten Wahrheit, den Mitbuͤrgern des Geſtorbenen die Nachricht, daß ein Menſch, wie ſie, geſtorben ſey. Die Freunde entfernen ſich aus dem Sterbgemach, und wollen ſich nicht troͤſten laſſen; nur die kalten eigennuͤtzigen Erben, und die Heiligen, die glauben, wo ſie nicht ſehen, bedürfen keines Troſtes. Der Leichnam wird in zuſammengeſchlagene Bretter, die man einen Sarg nennt, und nach acht und vierzig oder mehrern Stunden in den Schooß der Erde gelegt, aus dem er genommen ward. Die rothgeweinten Augen ſehen der Huͤlle ihres Freundes in's Grab nach, und das Volk betet: er ruhe im Frieden! Amen.
Das iſt der Bericht, den uns die Sinne von dem Sterben abſtatten, und wenn dieſe Begebenheit nicht ernſthaft iſt: ſo iſt es keine unter der Sonne.
Aber ſie wird nur noch ernſthafter, wenn die geſunde Vernunft zu dieſem wahren Bericht ihre wahre Betrach⸗ 2 hinzuſetzt.
Der Tod — nach dem Urteile der Vernunft eine für Jeden hoͤchſt wichtige Begebenheit.
Denn 1) dieſe ernſthafte Begebenheit wird auch an Jedem aus uns erneuert werden. Wie ſo viele vor dir geſtorben ſind, und nach dir ſterben werden, ſo mußt auch du ſterben, ſagt Jedem ſeine geſunde Vernunft. Der Tod wird nicht immer vor dir vorbeigehen, wird auch dich zu den Uebrigen legen; iſt recht unparteliſch, mäht nieder — ohne Anſehen der Perſon. Kein Alter, kein Stand, keine Wuͤrde kann ſich ſeiner Alles beherr⸗ ſchenden Gewalt entziehen. Was Menſch iſt, muß ſter⸗ ben. Was geboren iſt, muß ſterben. Das iſt das Ge⸗ ſetz, das uns geſchrieben iſt.
Und dieſe ernfthafte Begebenheit wird 2) nach allem Anſchein, fruͤher als es du, oder deine Freunde erwar⸗
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ten, an dir erneuert werden. So fruͤh, heißt es am oͤfteſten am Sterbebette, ſo fruͤh haͤtten wir's doch nicht gedacht. Der Wunſch, lange zu leben, bethoͤrt uns, daß wir hoffen, noch laͤnger zu leben, weil wir es wuͤnſchen. Es kommt der Tod fuͤr viele Menſchen wie ein Dieb in der Nacht. Der Tod fragt nicht: haft du deine Ge fhäfte in Ordnung gebracht, iſt dein Gewiſſen a find deine Entwürfe, dich und die Deinen gluͤcklich zu machen, ausgefuͤhrt, iſt dein Leben noch dem Staate,
oder deiner Familie nuͤtzlich? Er toͤdtet — — Menſchen nehmen Ruͤckſichten, der Tod — keine; er iſt ein treuer Bote des Allmaͤchtigen, thut puͤnktlich, wih ihm geboten iſt.
kaͤhme der Tod Ruͤckſichten: ach! man ſollte glau⸗ ben, er haͤtte gewiß bei dem Tode unſers Kaiſers Ruͤck⸗ ſicht genommen. Er trug drei Kronen auf dem Haupte, war als Kaiſer der Mittelpunkt der Regierung des deut⸗ ſchen Reiches, war als Koͤnig der Regent ſo großer Staaten, war als Haupt des oͤſterreichiſchen Hauſes der Herr fo vieler Länder, war als Vater — die Hoffnung ſo vieler Kinder, war als Beſitzer eines ſo großen Ver⸗ moͤgens der Segen ſo vieler Menſchen, war als der Erſte unter Millionen Menſchen das Augenmerk von Europa. Und ſieh! der Tod ſieht nicht auf die drei Kronen, und nicht auf die Reichsverfaſſung Deutſchlands, und nicht auf die zwei Koͤnigreiche, und nicht auf die Erbſtaaten, und nicht auf die große Familie, und nicht auf das zeitliche Vermoͤgen, und nicht auf die Millionen Men⸗ ſchen, und nicht auf den Welttheil Europa — legt den Leopold ohne ſeine drei Kronen — in das Grab, legt ihn in das Grab, ohne ihm auch nur eine Zeit zu lau ſen, ſich recht zu beſinnen.
O Menſchen! wachet auf, und lernet am Grabe Leo⸗ polds, was es heiße ein Menſch ſeyn! Wie ein Enge des Schreckens durchflog die Trauerbotſchaft von feine Tode die Welt. Daß es doch kein ae n geweſen ſey!
*
Dieſe eruſthafte Begebenheit ift 5) das einzige Ende eines einzigen, irdiſchen Lebens, ſagt die geſunde Ver⸗ nunft. Das heißt, du ſtirbſt nur einmal, wie du hier nur einmal lebeſt. Wenn dein hieſiges Leben einmal beſchloſſen iſt, ſo iſt es fuͤr immer beſchloſſen. Wenn ein Briefſchreiber ſeinen Brief ſchlecht geſchrieben, ſo kann er ihn zerreißen, und einen beſſern ſchreiben. Wenn ein reicher Mann ſich ſein Haus ſchlecht gebauet, ſo kann er's wieder einreißen, und ſprechen: kommet Freunde, wir wollen uns ein neues, beſſeres Haus bauen. Aber wenn du dieſes Leben hier vollendet, und thoͤricht gelebet haſt: ſo kannſt du nicht wieder von vorne anfangen, kannſt nicht ſagen: nun will ich meine Lauf⸗ bahn wieder von Neuem anfangen, will ver⸗ nuͤnftiger leben, als das erſte Mal. Wenn der letzte Augenblick deines Lebens geſchlagen hat, fo kannſt du die abgelaufene Sanduhr nicht wieder umſtellen, und ſagen: nun will ich noch fo lange leben, bis die Sand⸗ koͤrner nochmal durchgelaufen ſind. Du muß fort — fort — den Weg alles Fleiſches wandeln, wie deine Vaͤter. Ein irdiſches Leben, und Ein Tod — das macht die ernſthafte Begebenheit noch ernſthafter.
Der Tod kann 4) wie dich deine Vernunft, wenn ſie geſund iſt, verſichern kann, nur deinen Leib toͤdten, aber nicht dein Gewiſſen, und nicht deinen Gott, der dich nach deinem Gewiſſen richten wird. Und dieſes Ge⸗ wiſſen geht, wie es iſt, mit dir in die Ewigkeit hin⸗ uͤber, und dein Gott bleibt ſich gleich, heilig, wie Er iſt, kann das Boͤſe nicht lieben; bleibt ſich gleich, all wiſſend, wie Er iſt, kann deine Suͤnden nicht ſehen; bleibt ſich gleich, wahrhaftig, wie Er iſt, kann dem Gewiſſen nicht unrecht geben; bleibt ſich gleich, ges recht, wie Er iſt, kann das unbereute, ungebeſſerte Laſter nicht ungeſtraft laſſen. Und dieſes Gewiſſen laͤßt ſich am Sterbebette von deinen Leidenſchaften nicht mehr ſo leicht uͤberſchreien, wie im Laufe des Lebens — es laßt ſich ſein Recht nicht mehr fo leicht kraͤnken, wie in den Tagen der Geſundheit; es ſpricht laut: wer ſuͤn⸗
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diget, iſt ein Knecht der Suͤnde — und wer a ein Knecht der Suͤnde lebet, wird als ein Knecht der Suͤnde ſterben, und wer als a Knecht der Suͤnde ſtirbt, wird als ein Knecht der Suͤnde geſtraft werden. Es gibt in unſern Tagen allerlei rieſenhafte Sünder, die des Todes ſpot⸗ ten, und ganz gelaſſen — fortſuͤndigen, und genießen, was ſie genießen koͤnnen, ſo lange es waͤhret, und dieſe ihre Thorheit Weisheit nennen. Aber, was iſt das für eine elende Weisheit, die vor dem Angeſichte des Todes nicht beſtehen mag! O lieber Mitſterblicher, du magſt des Todes wohl ſpotten, ſo lange er deine Schwelle nicht betritt. Aber, wenn er dich in ſeine kalten Arme nimmt, dann wird dir die Luſt zu ſpotten vergangen ſeyn. Es wird dir die Decke, die jetzt vor deinem Auge hängt, wegfallen, und du wirſt, obgleich zu ſpaͤt, einſe⸗ hen lernen, daß es der hoͤchſte Unſinn eines Sterb⸗ lichen ſey, ſo leben, als wenn er nicht ſterben muͤßte. Wozu haſt du denn auch die Vernunft, als um ihr zu folgen, und was kann dich denn deine Ver⸗ uunft lehren, wenn fie dich nicht einmal von dem Tau mel, in dem du nach deinen Lüften fortwandelſt, aufe ſchrecken kann? Wie wirft du es vor dem Richterſtuhl 1 deiner Vernunft verantworten koͤnnen, wenn ſie dich an⸗ klagt, daß du Muth hatteſt, in einem Zuſtande zu leben, in welchem Du nicht Muth haft zu fterben. — — — Ich bin unvermerkt in das Gebiet des ae, hinüber⸗ gekommen. =
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Der Tod iſt nach der Lehre unfers Herrn 13 fuͤr die Gottloſen, freudenvoll fuͤr den ee 77 Frommen. |
Der nämliche Jeſus, der lehret, daß wir von jedem unnuͤtzen Worte am Tage des Gerichtes muͤſſen Rechen⸗ ſchaft geben, der naͤmliche Jeſus lehret auch, daß kein Trunk age aus Liebe gereicht, werde wü e dean ben. Matth. X „ 42. i *
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Der naͤmliche Jeſus, der lehret, daß die Gottloſen in die Außerfte Finſterniß werden geworfen wer⸗ den; der naͤmliche Jeſus lehret auch, daß die Frommen im Hauſe Gottes bei dem Hochzeitmahle ſeines Sohnes zu ewigen Freuden werden zugelaſſen werden. Matth. XXII, 1 — 14.
Der naͤmliche Jeſus, der dem Geizigen die Thuͤre des Paradieſes zuſchloß: du Narr, dieſe Nacht wird man deine Seele von dir fordern, weſſen wird wohl ſeyn, was du bereitet haſt? (Luk. XII, 20.); der naͤmliche Jeſus verſichert ſeinen Mitgekreuzigten, daß Er ihn heute noch in das Paradies einführen werde. Luk. XXIII, 43.
Der naͤmliche Jeſus, der den wolluͤſtigen, unbarmher⸗ zigen Reichen gleich nach dem Tode in der Qual ſchmach⸗ ten läßt; der nämliche Jeſus verſichert, daß die Engel die Seele des frommen Lazarus gleich nach dem Tode in den Schooß Abrahams bringen. Luk. XVI, 19 — 31.
Der naͤmliche Jeſus, der den Reinen die Anſchau⸗ ung Gottes, den Barmherzigen die Erbarmung Got⸗ tes, und den um der Gerechtigkeit willen Unterdruͤckten das Himmelreich verheißet, Matth. V, 7 — 10.; der naͤm⸗ liche Jeſus verſichert, daß die Heuchler, die um des Men⸗ ſchenlobes willen gebetet, gefaſtet, Almoſen gegeben, ihren Lohn auf immer verloren haben. Matth. VI, 1 — 16.
Der naͤmliche Jeſus, der von einem breiten Wege zum Verderben, und von einem ſchmalen Wege zum ewi⸗ gen Leben, von einem weiten Thor und von einem engen redet, der naͤmliche Jeſus verſichert auch, daß Er in ſei⸗ ner Herrlichkeit wiederkommen, und Jedem nach ſeinen Werken vergelten werde. Matth. XVI, 22.
Der naͤmliche Jeſus, der die Gottloſen wie das Un⸗ kraut dem Feuerofen uͤberlaͤßt, der naͤmliche Jeſus laͤſſet die Frommen wie den Weizen Gottes in die Scheunen ſeines Vaters tragen. Matth. XIII, 42. 43.
Der naͤmliche Jeſus, der ſeine treuen Knechte nach ihrem Wohlverhalten belohnen wird: komm, du frommer
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und treuer Knecht, du biſt uͤber wenig treu geweſen, ich werde dich uͤber Vieles ſetzen: geh ein in die Freude dei⸗ nes Herrn; der naͤmliche Jeſus wird den unnuͤtzen Knecht, der mit ſeinem Talent nicht gewuchert, dem Barbet uͤberlaſſen. Matth. XXV, 1 — 30. —* *
Nach dieſer offenbaren Lehre unſers Herrn wird alſo det Fromme, der von ganzem Herzen fromm iſt, an dem rei einen Freund finden, der ihn in das Land der Belohnung uͤberfuͤhret, der Ungebeſſerte aber einen Diener der Me Gerechtigkeit, der ihn den Händen des Richters übergibt. 4
Nach diefer offenbaren Lehre unſers Herrn wird alſo der Fromme, der von ganzem Herzen fromm iſt, im An⸗ blicke des Todes getroſt bleiben koͤnnen, und die Verſicherung in ſeinem Herzen tragen: nun werde ich bald bei Jeſu ſeyn, bald daheim ſeyn, bald aus dieſer Lehm- Hütte in das Himmelhaus, von Gott gebaut, verſetzet werden — der Gottloſe aber das ſchreckliche Gericht in ſeiner Seele ſchon vor dem Tode aushalten muͤſſen: ich habe vierzig, fünfzig, 5 ſechzig, ſiebenzig Jahre gelebet, und bin nie recht mit mei⸗ nem Schoͤpfer bekannt geworden; habe Ihm nie fuͤr feine | Liebe gedankt; habe nie feinen Willen treu er fuͤllet; habe Jeſum Chriſtum, der fuͤr mich ſtarb, nie recht ken⸗ nen gelernt; nie die Liebe zu Ihm Platz in meiner Seele nehmen laſſen; habe die geheimen Einſpruͤche des göttlichen Geiſtes unzaͤhligemale undankbar zuruͤckgeſtoßen — werde nun erſt in der Ewigkeit den Vater, der mich fo zaͤrtlich liebte, den Sohn, der fuͤr mich in den Tod ging, den hei⸗ 2 ligen Geiſt, der mich fo gern fromm und felig gemacht haͤtte, kennen lernen: wie werde ich Suͤnder vor der Heiligkeit beſtehen?
Dieſe Hoͤlle von Gedanken wird der Gottloſe (ao hier, ehe er den Leib verläßt, in ſich fühlen, und würde, wenn ihn die Liebe nicht nach ihren unerforſchlichen Wegen i von der Verzweiflung rettete, ohne Hoffnung wie der Ver⸗ raͤther Jeſu ſterben. — — Laßt mich, m. Th., den Blick von dieſem traurigen Gemaͤlde wegwenden, und lieber dem ſeligen Sterben des Frommen beiwohnen!
Sein Glaube an Jeſus Chriſtus gewinnt deſto mehr Kraft, je mehr ſein Leib abnimmt. Sein Leben war eine treue Nachahmung des Allerheiligſten; und wie die Mutter unſers Herrn keine andere Freude hatte, als nach dem großen Sinn ihrer Antwort, die ſie dem Engel gab, mir geſchehe nach deinem Wort, zu leben: ſo war auch fein Leben nichts als eine Erfüllung des göttlichen Wil⸗ lens. Was kann nun auf dieſes heilige Leben anders erfolgen, als ein f eliges Sterben?
„Jeſus Chriſtus — dieß iſt die ſelige Gemuͤthsver⸗ faſſung des Frommen — Jeſus Chriſtus konnte am Kreuze noch getroſt ſprechen: Vater, in deine Haͤnde empfehle ich meinen Geiſt; ſtarb wirklich; ward begraben; ſtand wieder auf; fuhr gen Himmel auf; nahm Beſitz von ſei⸗ ner Herrlichkeit; lebt auch fuͤr mich; kennt mich, wie ſeine ganze Heerde; bereitet mir, wie allen den Seinen, eine Wohnung im Haufe feines Vaters; gab mir hier ſchon — ewiges Leben, die Erkenntniß ſeiner, und ſeines Vaters; hat im Leiden Mitleiden gelernet; weiß um die bange Stunde, die mir bevorſteht; kennt die ganze Bitterkeit des Sterbens; hat das Gebet meines glauben den Herzens in allen Noͤthen erhoͤret; kann nicht ferne von mir ſeyn, wenn ich Ihn gleich nicht ſehe; kennt den Wunſch meiner Seele, wenn ihn gleich meine Zunge nicht mehr wird ausſprechen koͤnnen; hat einſt Todte erwecket; wird auch dieſen Staub, der mich noch umgibt, wieder lebendig machen; wird meinen Geiſt gar nicht ſterben laſ⸗ fen; wird ihn bei dem letzten Odemzug aus den Truͤm⸗ mern des zerruͤtteten Leibes herausfuͤhren; wird ihn zu ſich in das rechte Vaterland fuͤhren; wird ihn ganz rein und ſelig machen, wie Er if. — — An dieſen Jeſus glaube ich, und im Glauben an dieſen Jeſus fuͤrchte ich ſelbſt den Tod nicht: Komm, Freund Tod! und bringe mir die Botſchaft: Jeſus rufet dich — ſieh! Jeſus! ich komme, behalte mich in deiner Hand.“
So ſtirbt der Chriſt.
O goͤttliches Chriſtenthum! wer möchte nicht als ein Chriſt ſterben? Aber um als Chriſt zu ſterben, mußt du
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allererſt aufhören, als ein Thor zu leben, mußt anfan⸗ gen, als ein Chriſt zu leben. ER is. Gott! lehre Du mich meine Tage zahlen, dar nit ich leben lerne, ehe ich ſterbe! Lehre Du mich chr i lic le. ben, damit ich wuͤrdig werde ſelig zu ſterben! — = . Und eine Verbindung der Chriſten, die dieſen f nen Zweck hat, uns zunaͤchſt zum heiligen Leben zu e muntern, und dadurch zum ſeligen Sterben vorzub reit 8 waͤre unnoͤthig? waͤre nicht nuͤtzlich? Laßt uns dem ige was wir haben, ſchaͤtzen, was gut iſt, und vor? laßt uns das Unſichtbare mit Freude anfaſſen I damit wir das Sichtbare ohne Schmerzen Bee.
1 XI. Die vornehmſten Selbſtbetrüge der Men- ſchen in Prüfung ihrer ſelbſt.
Predigt,
gehalten in der akademiſchen Kirche zu Dillingen, am Palm⸗ Sonntage 1792.
Es prüfe ſich aber der Menſch, und alsdann eſſe er von dieſem Brode, und trinke von dieſem Kelche.
Wenn wir uns ſelbſt richten würden, ſo würden wir ja nicht gerich⸗ tet werden. 5 1 Kor. XI, 28. 31.
Ohne eine Vorrede zu machen, will ich nur ſagen, daß ich die Stelle eines meiner Mitlehrer heute zu vertreten habe. Sein Eifer ſpreche aus mir, und die Zeit mache mich beredt, und Gottes Wahrheit ruͤhre eure Herzen, und zuerſt das meine. Und wahrhaftig, ſchon die Zeit ſoll auch den Unberedten beredtſam machen. Wir bereiten uns, das Oſterfeſt zu begehen, und ein Theil meiner Zuhoͤrer kam erſt dieſen Vormittag von dem Tiſche des Herrn zuruͤck, und ein Theil wird am naͤchſten Donnerstage hinzugehen. Wie koͤnnte mir hier das Wort Paulus nicht zu Sinn kommen: „Ein Jeder aber pruͤfe ſich ſelbſt, und ſo eſſe er von die⸗ ſem Brode, und trinke von dieſem Kelche.“ Und: „Wenn wir uns ſelbſt richten wuͤrden, ſo wuͤr⸗ den wir ja nicht gerichtet werden.“
Wir ſollten nach dieſer Lehre Paulus, prüfen, rich⸗ ten, und zwar uns ſelbſt prüfen, uns ſelbſt richten, um wuͤrdig bei dem Mahle des Herrn zu erſcheinen. Dieſes Selbſtpruͤfen, dieſes Selbſtrichten iſt ſo wichtig, als ſchrecklich, was in dem naͤmlichen Sendſchreiben des naͤmlichen Apoſtels von der Unterlaſſung dieſes Selbſt⸗ pruͤfens gelehret wird: „Wer unwuͤrdig ißt und trinkt, der ißt und trinkt ſich das Gericht hin⸗
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ein, denn er unterſcheidet nicht den Leib “ Herrn.”
Ich wuͤnſchte von ganzem Herzen, daß wir uns nig ts als Segen und ewiges Leben in der Dftercom „ munion und in jeder hineinaͤßen. Aber wie kann 1. was ich Allen wuͤnſche, von Allen hoffen? Die meiſten Chriſten gehen ohne Pruͤfung zum Mahle des Herrn Einige ſcheinen die Oſterbeicht, die ein aufrichtiges Selb prüfen und Selbſtrichten ſeyn follte, als eine bloße Cere monie anzuſehen, oder als einen Frohndienſt, den ſie d x fatholifchen Kirche leiſten muͤſſen, und gehen ohne alle Pruͤfung zum Abendmahle hin. Andere gehen zwar in dieſer Angelegenheit mit mehrerem Ernſte zu Werke, abe 4 dieſer Ernſt dauert nicht uͤber die Oſterwoche, und ſind — nach Oſtern, leider! bald wieder die alten Ein, 2 der. Wir kennen uns nicht, und wollen uns nicht ken⸗ nen; noch mehr, wir betruͤgen uns ſelbſt, und betrug en uns in der allerwichtigſten Angelegenheit. Wir betruͤgen uns ſelbſt — in der Selbſtpruͤfung. Unſer Selbſt⸗ pruͤfen iſt Selbſtbetrug, das Selbſtrichten unſrer Sung 1 eine neue Suͤnde. Wir ſchaͤmen uns, uns von Ande betrogen zu ſehen, und laſſen uns, ohne uͤber uns zu r. roͤthen, von uns ſelbſt betruͤgen. So viele Suͤnder, viele Selbſtbetruͤger, und was noch mehr iſt, die mei den Selbſtpruͤfer — Selbſtbetruͤger. 71
Dieſe Selbſtbetruͤge, weil ſi e mit ſo viel Jamm er verbunden ſind, gehen mir zu Herzen, und ich wuͤnſchte meinen Zuhoͤrern, die ſich ſelbſt hintergehen, die Augen oͤffnen zu koͤnnen, beſonders in der Woche, in welcher ie ſich zur Oſterbeicht vorbereiten. Ich moͤchte die Selbſt⸗ f betruͤge, die ſie in Erforſchung ihres Gewiſſens, in We 7 ſchaͤtzung ihrer Buße, und der Hoffnung ſelig zu werden, begehen, aufdecken, und dadurch ihnen die Gewiſſens⸗ erforſchung — das Selbſtpruͤfen, das Selbſtrichten er⸗ leichtern, damit ſie ihre Suͤnden richtiger erkennen, auf- richtiger bekennen, ernſtlicher bereuen, und ſtandhafter vers | beſſern möchten.
Wir betrugen uns ſelbſt.
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Diu Licht alles Lichtes, nimm Du einen Strahl aus dir, und ſende ihn in unſer Herz, damit wir erkennen, was wir ſind, und werden, was wir ſeyn ſollen; damit wir uns ſelbſt richten, und einſt vor dem Gerichte der Gerechtigkeit beſtehen moͤgen!
Wir betruͤgen uns ſelbſt, wenn wir uͤber unſre Laſter und Tugenden, uͤber unſre Buße und Beſ⸗ ſerung, uͤber unſre Hoffnung, ſelig zu werden, ur⸗ theilen. Lauter Selbſtbetruͤge in den wichtigſten An⸗ gelegenheiten!
Selbſtbetruͤge in Abſicht auf unſre Laſter und an.
Die Eigenliebe hintergeht uns, daß wir wirkliche Suͤnden gar nicht ſehen; daß wir das, was wirklich Suͤnde iſt, fuͤr keine Suͤnde halten; daß wir das, was große Suͤnde iſt, fuͤr eine geringe Suͤnde halten; daß wir ſogar fuͤr Tugend halten, was doch Suͤnde iſt.
Wir ſehen 1) aus Eigenliebe viele Suͤnden in uns gar nicht. Wir ſehen nur fluͤchtig in unſer Herz, und nur parteiiſch. Da verſteckt ſich denn vor unſerm fluͤch⸗ tigen, parteiiſchen Blicke der Neid, daß wir ihn nicht ſehen, die Schadenfreude an fremdem Elend, daß wir ſie gar nicht ſehen, und tauſend andere Thorhei⸗ ten, daß wir ſie gar nicht ſehen. Wie ein Blinder die ſchwarzen Flecken an ſeinem Kleide nicht ſehen kann, weil er blind iſt: ſo ſehen wir in unſerm Herzen die ſchwarzen, boͤſen Neigungen nicht, weil uns die Eigen⸗ liebe blind gemacht. Wie die ſchwache Mutter die Feh⸗ ler ihres Kindes, die es taͤglich vor ihren Augen begeht, nicht ſieht, weil ſie die Mutter iſt, und ſie die Mutter⸗ liebe fo blind gemacht hat: fo ſehen wir unfre täglichen Fehler nicht, weil wir uns mehr lieben, als eine Mutter ihr Kind, und uns dieſe Eigenliebe blind gemacht hat. Die Eigenliebe macht uns blind, daß wir viele Suͤnden gar nicht ſehen.
Wir halten 2) aus Eigenliebe fuͤr gar keine Suͤnde, was eine Suͤnde iſt. Es giebt z. B. Menſchen, die vom
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erften Erwachen bis zum Einſchlafen an a denken, als wie ſie andern Leuten gefallen, fir a 5 „ geſchickte, freundliche Menſchen konnen gehalten we u Indeſſen, weil fie noch nie ein Haus ihres Nachbars angezuͤndet, kein ungerechtes Gut an ſich geriſſen, fi zur Noth noch von groben Ausſchweifungen bewahre haben: ſo halten ſie ſich fuͤr fromm und gut. Und d — das heilige Evangelium, nicht ich, das . Evangelium verurtheilt ſie als Suͤnder, und ihr eig Mund verdammet ſie. Denn ſie beten ja ſelbſt taͤgli 1 Vater, geheiliget werde dein Name, und ſie l deln fo, als wenn nur ihr Name ſollte angebetet werde Ihre Handlungen widerlegen ihre Gebete. Das Geb. iſt nur auf den Lippen, und die Suͤnde kommt aus . 5 Herzen. Die Eitelkeit iſt die Suͤnde ihres Herzens, und die Eitelkeit, die in ihrem Herzen lebet, vergiftet fo ge: wiß ihr Herz, als ein Gift, in die Speiſe gelegt, die Speiſe vergiftet, oder ein Sauerteig das Mehl durch⸗ ſaͤuert. Jeſus Chriſtus ſuchte nur ſeinem himmliſchen Vater zu gefallen, und Er verdammt ſogar das Faften, das Beten, das Almoſengeben, wenn es um des Menſchen⸗ lobes geſchaͤhe: wie werden wir nun vor feinem Angefichtt unſre Eitelkeit, und die Eigenliebe, die ſie rechtfertiget, et rechtfertigen koͤnnen? Die Eigenliebe blendet uns, d wir nicht fuͤr Suͤnde halten, was wirkliche Suͤnde iſt.
Wir halten 3) aus Eigenliebe fuͤr eine kl eine Suͤnde, was eine große Suͤnde iſt, und es iſt wahr: je größer der Sünder, deſto weniger 1 aus der Suͤnde. Denn weil ihm die Suͤnde ſo nakih lich geworden iſt, wie das Athemholen, ſo glaubt er auch daß die größte Sünde nicht viel mehr Sünde ſey, als das Athemholen. gi
Dieſer Selbſtbetrug iſt beſonders den Dienern i Fleiſchesluſt eigen. Nicht nur glauben ſie, wir bree machen das Laſter ſchwaͤrzer als es iſt, ſondern felk Jeſus Chriſtus hätte die Sache übertrieben, wenn 1 lehrt: Wer ein Weib aus Luͤſternheit des He zens anſieht, hat die Ehe mit ihr ſchoͤn gebro⸗
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chen. Sie begreifen nicht, daß es einen Ehebruch der Begierde gebe, der dem Ehebruch des Fleiſches vorangehe; ihre Einbildungskraft iſt von unreinen Bildern ſo ganz durch und durch verdorben, daß ſie an nichts anders, als an Wolluſt denken koͤnnen. Und dieſen ihren elenden Zuſtand halten ſie fuͤr keinen Abgrund des Verderbens, ſondern fuͤr eine Schwachheit des Menſchen, ohne die kein Menſch lebe, und die die goͤttliche Gerechtigkeit mehr nachſehen, als ſtrafen werde. Allein, m. Th., ich und kein Menſch haben die Gebote Gottes gemacht: ſie ſind Gottes Gebote, Gottes heiliger Wille, und ewig wie Er!. Und wer dieſe Gebote nicht haͤlt, der iſt ein Sünder, und wer es zur Natur werden laͤſſet, ſie zu uͤbertreten, der iſt ein großer Suͤnder. Und wenn wir elend genug ſeyn ſollten, dem Evangelium nicht mehr glauben zu wollen: ſo glauben wir doch wenigſtens un⸗ ſerm Gewiſſen. O, wenn wir dieſes unſer Gewiſ⸗ ſen in ruhigen Stunden unparteiiſch fragen, oder wenn es in den Tagen der Noth aufwachet, und laut ſpricht: da wird die thieriſche Luſt, der wir uns blind uͤberlaſſen, und dadurch unſre hohe Abkunft ſchaͤnden, als ein tiefer Verfall des Menſchen, nach dem Ausſpruche unf ers eigenen Gewiſſens, anerkannt werden; unſer eigen Gewiſſen wird mit Paulus Ein Urtheil fällen: die Solches thun, koͤnnen das Himmelreich nicht ererben. Nein, es iſt keine geringe Suͤnde, die uns in die Geſellſchaft der Thiere herabſetzet, die uns unfaͤhig macht, an Gott Freude zu haben, die uns an der Un⸗ ſterblichkeit unſers Geiſtes zweifeln lehret, die uns unem⸗ pfindlich gegen das Gute macht, und am Ende allen Sinn fuͤr die unſichtbaren, ewigen Guͤter in uns ertoͤdtet. Die Eigenliebe macht uns immer thieriſcher, und das Thier findet es natuͤrlich, thieriſch zu leben, und gebraucht den halberloſchenen Funken der Vernunft dazu, entweder Suͤnde, Gewiſſen, Unſterblichkeit zu laͤugnen, oder wenig⸗ ſtens aus dem tiefen Verfall der Natur eine kleine Schwach⸗ heit zu machen. Wir halten 4) aus Eigenliebe für wahre Tugend, was entweder ein Laſter, oder eine Folge des Laſters iſt. J. M. v. Sailers ſämmtl. Schriften. XXXV. Bd. 28
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Wir glauben manchmal, fuͤr das evasgellun zn ie und find nur eifrig für unfre Ehre. Es iſt im Grunde | Ehrgeiz, was wir für Religionseifer halten. . | glauben für Gott und die Wahrheit zu fechten, und es iſt irgend ein Menſch, der uns im Lichte ſteht, den wir haſſen, und deſſen Haß aus uns ſpricht. Es iſt im 1 274 Mangel an Nachſtenlie be, was wir fuͤr Gottesliebe halten, und wir zerſchlagen eine Tafel des asche der andern.
Wer das Geld mehr liebt, als ſeinen Gott, kann von Ei Eigenliebe geblendet, das, was im Grunde Geldgeiz iſt, fuͤr chriſtliche Sparſamkeit, fuͤr kiuge Vorſicht auf die Tage des Alters hinaus, halten, oder gar fuͤr ein Werk, einen Trieb der Menſchenliebe, die nach dem Tode ni mofen geben will. Wer dem öffentlichen Gottesdienſte nur beiwohnet, um entweder die Augen der juͤngern Wel zu beſchaͤftigen, oder in den Erzaͤhlungen der alten Welt gerecht geſprochen zu werden, kann, von Eigenliebe ge⸗ blendet, das, was im Grunde Eitelkeit, oder noch 4 etwas Schlimmers iſt, für Andacht halten. Die Eigen⸗ liebe blendet uns, daß wir dem Laſter, und den Folgen 4 deſſelben die Larve der Tugend anheften, und uns in dem Anblicke dieſer Larve wohlgefallen, und vor den Vorwuͤr⸗ fen des Gewiſſens zu retten ſuchen. Ä 1
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Selbſtbetruͤge in Abſicht auf Buße.
Wie wir uns in Hinſicht auf Tugend und Sünde betrugen, fo betrügen wir uns auch in Abſicht auf Buß e.
Die rechte Buße befteht darin, daß wir unfer ganzes Herz von dem, was wir gegen die Ordnung und d Gebot des Herrn geliebet haben, losgeriſſen, und zu dem Herrn ſelbſt hingewendet haben, und in dieſer neuen Richtung des Herzens Gutes thun und Boͤſes meiden.
Die rechte Buße beſteht in der wahren Bekehrung des Herzens von der Suͤnde zu Gott, und die wahre Bekehrung des Herzens beſteht darin, daß wir Gott von 1 ganzem Herzen ARTEN nicht zu lieben waͤhnen, ſon⸗
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dern wirklich lieben. Wer fündiget, der ſagt in der That: dieß Gut ift mir lieber als Gott, als ſein Wille, als ſeine Gnade. Wer ſich bekehret, der ſagt in der That: nun iſt mir Gott, Gottes Wille, Gottes Gnade lieber als alles Andere. Und dieß muß nicht bloß der Mund ſagen: das Herz muß es empfinden, der ganze Sinn des Menſchen muß es bezeugen, der Wandel muß es beweiſen. Wer nun nach der Oſterbeicht, wie vor dieſer, ſein Herz theilt zwiſchen Gott und dem Mammon, zwiſchen Gott und der Wolluſt, zwiſchen Gott und dem Hochmuth — zwiſchen dem Einen wahren Gott, und den falſchen Goͤt⸗ tern: der hat ja ſein Herz noch nicht von dem Goͤtzen des Geldes, oder der Wolluſt, oder der Ehre weggeriſſen, dient ja noch der alten Suͤnde — — da iſt keine rechte Buße.
Wer alſo glaubt, er haͤtte Buße gethan, weil er feine Sünden dem Prieſter er zaͤhlet, und die Losſpre⸗ chung von ihm erſchlichen, oder feiner Thorheit auf etliche Augenblicke muͤde geworden iſt; und nun nach dem Suͤnden⸗ bekenntniſſe oder nach einem kurzen Stillſtande des ſuͤnde⸗ vollen Wandels, wieder den alten Pfad betritt, die ge⸗ gebenen Aergerniſſe nicht abthut, dem Reize zur Suͤnde ſelbſt wieder in die Haͤnde laͤuft: der hintergeht ſich ſelbſt. Und es iſt dieſer Selbſtbetrug ſo gewiß, als z. B. wenn er ſeinem Freunde hundert Gulden ſchuldig waͤre, und ohne dieſe hundert Gulden bezahlt zu haben, in ſein Tagebuch ſchriebe: ich bin fie nicht mehr ſchuldig; und nun glaubte, der Schuld los zu ſeyn. O Lieber, bis die Schuld getilgt oder geſchenkt iſt, ſo lange biſt du ein Schuldner; und bis ſich dein Herz von der Suͤnde ganz weggewendet, und zu Gott hingewendet hat, ſo lange biſt du ein Suͤnder.
Ein anderer Selbſtbetrug in Hinſicht auf die Buße iſt durch mißverſtandenes Chriſtenthum in die Welt ein⸗ gefuͤhret worden. Es glauben viele bequeme Suͤnder, die ſich Chriſten nennen, der Buße enthoben zu ſeyn, weil Jeſus Chriſtus unſre Suͤnden trug, und am Kreuze fuͤr uns ſtarb. Allein der * ſtarb ja nicht, daß wir
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unheilig bleiben ſollten, ſondern der Heilige ſtarb, dank | wir der Suͤnde auch fterben, und, wie Er vom Grabe, ſo wir von der Suͤnde auferſtehen ſollten. Der Suͤnde ; fterben heißt Buße thun. Wer alſo noch der Sünde lebet, deſſen Buße iſt keine wahre. Und wer eine falſche Buße fuͤr eine wahre haͤlt, der beträgt ſich ſelbſt. 5
O, meine Theuren! Chriſtus iſt nicht nur für uns ä geſtorben, Er will auch in uns leben; das heißt: ſeine Liebe, ſein Gehorſam, ſeine Demuth, ſeine Ge⸗ duld, fein Vertrauen, fein heiliger Geiſt ſollte in uns leben. Wer noch nicht geſinnet iſt wie Jeſus, der hat noch nicht wahre Buße gethan. Nun nimmt die Eigenliebe, die die Muͤhe der Selbſtverlaͤugnung ſcheut, die Verdienſte Jeſu mit befleckten Haͤnden, und legt ſie als Deckmantel auf die herrſchende Suͤnde, und nennt dieß kuͤnſtliche Zudecken — Buße. Es ſollte aber die Suͤnde, nach dem Evangelium, durch den Tod Jeſu nicht im Herzen zugedeckt, ſondern aus dem Herzen ge⸗ ſchaf ft, nicht verſteckt, ſondern beſiegt werden. Das Blut Chriſti ſoll uns, wie die heiligen Apoſtel lehren, von Suͤnden reinigen, nicht uns in den Suͤnden lies gen laſſen. Chriſtus ſollte ein Opfer für die Sünde, aber kein Diener der Suͤnde werden. Nun muͤßte er aber ein Diener der Suͤnde werden, wenn ſein Tod das große Werk, die Reinigung von allen Suͤnden, hindern 4 duͤrfte, und ſeine Juͤnger unrein blieben, weil die reine Liebe — ihr Freund fuͤr ſie geſtorben iſt. Es kann uns kein Glaube an unſern Herrn ſelig machen, wenn er uns nicht heilig machet, und es kann uns kein Glaube heilig machen, wenn er uns nicht von unſern Suͤnden reiniget, 1 und es kann uns kein Glaube von Suͤnden reinigen, 4 wenn er unſer Herz nicht von der Suͤnde weg, und zu 4 Gott — hinwendet, wenn er nicht nach und nach den ganzen Sinn des Menſchen umaͤndert. Und dieß heißt eigentlich Buße thun. Wen nun ſeine Eigenliebe, dieſe Mutter der falſchen Weisheit und aller wahren Thor⸗ heit, eine andere Buße als dieſe fuͤr die wahre „ anſehen lehret: den betruͤget ſie.
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50 Selbſtbetruͤge in Abſicht auf unſre Seligkeit.
Wie wir uns in Abſicht auf unſre Buße betrügen: ſo fuͤrchte ich, moͤchten ſich Viele auch in Abſicht auf ihre Seligkeit betruͤgen.
Gott iſt Zeuge: ich moͤchte keinem einzigen Menſchen einen falſchen Schrecken einjagen, und lieber betruͤbt wer⸗ den, als betruͤben, um zu betruͤben. Vielmehr moͤchte ich mich und meine Freunde zwiſchen falſchem Troſte, und zwiſchen falſchem Schrecken — in Mitte hindurchfuͤhren.
Es ſind zwei ausdruͤckliche Lehren des Evangeliums, die uns hier auf dem Mittelwege erhalten koͤnnen, und wir Lehrer duͤrfen nicht ſtrenger als das Evangelium, und nicht milder lehren.
Auf einer Seite weiſet uns das Evangelium auf die grenzenloſe Barmherzigkeit Gottes:
„Gott iſt unſer Vater, und unſer Vater will, daß alle Menſchen ſelig werden.“
Auf der andern Seite weiſet uns das Evangelium auf die Heiligkeit Gottes:
„Kein Unreiner kann den Reinſten ſchauen.
Was Jeder ſaͤet, das wird er auch ernten.“
Wenn du alſo, o Menſch, Suͤnden auf Suͤnden haͤu⸗ feſt, und kuͤhn und getroſt auf die Erbarmungen Gottes hin ſuͤndigeſt: ſieh, ſo hintergeheſt du dich ſelbſt! Denn um nicht zu ſuͤndigen, haͤtteſt du dich an die Hei⸗ ligkeit Gottes hinhalten ſollen — und um in der Suͤnde nicht zu verzweifeln, mit feſtem Blicke auf die Erbarmungen Gottes hinſehen. Du aber ſuͤndigeſt, weil Gott barmherzig iſt, und hoffeſt doch ſelig zu wer⸗ den, obſchon Gott heilig iſt. Nach der Suͤnde, um nicht muthlos zu werden, um Buße zu thun, haͤtteſt du die Erbarmungen Gottes muthig anfaſſen ſollen. Aber du ſtuͤtzteſt dich vor der Suͤnde auf die Erbarmungen Gottes, um neuen Muth zur Suͤnde zu empfangen. Das heißt: recht boͤſe ſeyn, weil Gott gut iſt; das heißt: ſich in der wichtigſten Sache ſelbſt hintergehen.
Wenn Chriſtus den Erbarmungen ſeines Vaters keine Grenze ſetzet, ſo duͤrfen wir Suͤnder den Erbarmungen
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Gottes auch keine Grenze ſetzen. Und wehe denen, die die grenzenloſe Guͤte begrenzen wollten! Wenn 1 Chriſtus von einem ſchmalen Wege, der zum Leben f ret, und von einer engen Pforte redet, durch die n in's ewige Leben muͤhſam durchdringen muß: fo dürfen wir auch den ſchmalen Weg nicht breit, und die enge Pforte nicht weit machen. Und wehe dem, der den Weg zum Leben breit macht, da ihn Jeſus für ſchmal erklaͤret 1 1 a
Alles iſt, was es iſt, und es kann ſich Keiner rei lügen, wenn er arm iſt, und Keiner heilig, wenn e Suͤnder iſt, und Keiner ſelig, wenn ihn die Suͤnde * | felig macht. Weg alfo mit den Taͤuſchungen der Eigen⸗ liebe! wir wollen uns nicht mit falf chen Hoffnungen hintergehen, damit gegruͤndete Hoffnungen in uns 985% 2 werden koͤnnen. Wir wollen uns nicht felbft in das Buc der Heiligen eintragen; wir wollen uns ſcharf prüfen unſere Suͤnden aufrichtig beichten, nach vollkommener Beſſerung muthig trachten, und uns an die Erbarmun⸗ gen Gottes feſt anhalten, damit uns die Gerechtig⸗ keit gerecht, die Heiligkeit heilig, die Wente keit ſelig, Gott — gut mache. id
Der Sünder kann das Reich Gottes nicht beben 5 aber wer Gottes Kind iſt, der ererbet Gottes Reich. Und wer recht thut, der iſt aus Gott geboren — Got⸗ tes Kind. Wer anders lehrt, der legt dem Suͤnder ſanfte Ruhekiſſen unter, und wiegt ihn in den Schlummer der Sicherheit ein, und ſchlaͤft ſelbſt mit ein, und ſchlaͤft den ſtarken Schlaf der Sicherheit, und es wird ſchrecklich ſeyn, wenn ihn und ſeine Eingewiegten die Wahrheit, die Wahrheit, die Wahrheit aus dem Schlummer weckt; ſchrecklich, wenn fie ſich reich an Tugend traͤum⸗ ten, und arm an Tugend — mit leeren Haͤnden in der Ewigkeit erwachen. Wir, meine Theuren, wollen in der } Zeit noch erwachen und gut werden, und recht thun, ehe die Nacht kommt, in der Niemand wirken kann! Wer aber ſchon erwachet iſt, ſchon gut iſt, ſchon recht thut, den möchte ich nicht aͤngſtig machen. Der Gute freue 4 fih, und danke Gott, daß er's iſt, und ſehe, daß er's 4
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bleibe. Aber der kuͤhne Sünder, der werde aͤngſtig, der werde traurig, damit er auch gut werde, ſich auch freuen koͤnne.
Ich wiederhole es noch einmal: kein Frommer ſoll aͤugſtig werden — denn ich weiß es: es gibt Fromme,
die ſich aus Angſt hintergehen, aber ganz auf eine andere Weiſez fie ſehen Suͤnden, wo keine find; fehen Gefahren, wo keine ſind; zittern, wo ſie nicht zu zittern Urſache haben. Alſo: nicht aͤngſtig ſollen die Frommen
werden, nur wachſam ſollen ſie bleiben. Aber aͤngſtig ſollen die Suͤnder werden, damit ſie auch nach Gott fra⸗ gen, und freudig werden koͤnnen. Eine Reue, deren ſie nie gereuen kann, eine Traurigkeit, die von Gott kommt und zu Gott fuͤhret, ſoll ſie uͤbermannen, daß ſie zuerſt klug, hernach gut, und endlich freudig werden. Das iſt der Zweck dieſer Predigt: Niemand ſoll ſich ſelbſt betruͤgen — am allerwenigſten in Sachen von erſter Wichtigkeit:
Darum warnte ich euch vor Selbſtbetruͤgen.
Keiner ſoll den andern betruͤgen:
Darum durfte ich euch keinen falſchen Troſt laſen und keinen falſchen Schrecken einjagen.
Pruͤfet euch alſo — und dann eſſet von dieſem Brode; richtet euch ſelbſt, und dann eſſet von dieſem Brode. Pruͤfet — aber betruͤget euch nicht ſelbſt!
— 440 —
XLI. berge des ligen Pfarrers Engelbert eher | an ae liebe Pfarrgemeinde. 1 3
N 1 ö Das 5 deen les e Gerechten iſt unfterblich, wie er it. 4 ae Andenken des Gerechten iſt geſegnet, und wirkt auch, wo
nicht mehr iſt. ach Pſalm CXI, 2. und Eeecl. a, or f
Tg gard e i . nn: Ben n 0 ; 1 4 ir a y
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1191 N ; bi debe Seifinger Gemeinde!
Die Lehre n, die du, an dem letzten Gedächtnißtage der üben a ſtandenen Waſſersnoth aus dem Munde des Predigers gehört, haſt du als ein Vermächtniß deines unvergeßlichen Pin angeſehen. Und dieß Anſehen ift Wahrheit. 1
Es haben auch einige Zuhörer den Wunſch geäußert, dieß Vermächtniß öfters leſen zu können. Dazu wird es gedruckt.
Lies es öfters und thue darnach — denn es iſt das Vermächtniß deines Pfarrers, der dich liebte bis in den Tod.
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Wie kann ich an dieſem Gedächtnißtage der uͤberſtande⸗ nen Noth den Mund vor euch aufthun, und von dem ſchweigen, der dieſe Waſſersnoth mit euch bruͤderlich ausgeſtanden, ſie euch nach ſeinen Kraͤften vaͤterlich er⸗ leichtert, und nach uͤberſtandener Waſſersnoth dieſen Gedaͤchtnißtag fuͤr euch und eure Nachkommen, zum Lobe Gottes und zu eurer Erbauung feſtgeſetzt hat, und nun nach allen uͤberſtandenen Noͤthen — als ein treuer Knecht in die Ruhe ſeines Herrn eingegangen iſt, und ſeine verwaiste Heerde ſeinem liebſten Bruder zu man 1 uͤberlaſſen hat?
/ \ — 441 —
Wie koͤnnte ich heute dor euch reden, ohne von eurem Freunde zu reden, deſſen Leben ihr ſo gerne mit Daran⸗ gabe vieler Jahre von dem eurigen gekauft und gefriſtet hattet; deſſen Geneſung ihr mit fo vielen Thraͤnen erflehen wolltet — und ach! nicht erflehen konntet; um den ihr bei der Begraͤbniß ſeiner Leiche ſo einſtimmig, ſo von ganzem Herzen getrauert hattet, daß kein Auge trocken blieb, und es auf jeder Stirn zu leſen war: heute trägt man unſern Vater zu Grabe?
Wie koͤnnte ich dieſen Anlaß, den Inhalt ſeiner Leh⸗ ren, ſeiner Ermahnungen, ſeiner Warnungen, ſeiner Ge⸗ bete und Thraͤnen — in eure Herzen noch tiefer einzu⸗
graben, ungenuͤtzt vorbeilaſſen, da ich weiß, daß er ganz fuͤr euch lebte; daß euer Heil ihm weit mehr am Her⸗ zen lag, als ſeine Geſundheit; daß er Tage und Naͤchte für euch wachte, betete, arbeitete; daß er alle ſeine Schafe
kannte, liebte, und bereit war, fuͤr jedes derſelben ſein Leben zu opfern? Wahrhaftig, ich muͤßte gegen mein ganzes Herz reden, wenn ich nicht von ihm reden ſollte!
So wie mich aber mein Herz drängt, heute von ihm zu reden, ſo legen mir ein paar Worte aus unſern hei⸗ ligen Schriften das, was ich ſagen ſoll, auf die Zunge.
Der Gerechte wird im ewigen Andenken ſeyn — und:
Das Andenken des Gerechten iſt im Segen.
Das Andenken eines gerechten Mannes ſoll nicht aus⸗ ſterben, ſoll immer geſegnet ſeyn; das Andenken des Ger rechten, um den du weineſt, o du theuerſtes Volk! (und er war dir mehr,) dieß ſein Andenken ſoll wenigſtens in ſeiner Gemeinde nie ausſterben, ſoll wenigſtens in dieſer Gemeinde ewig wirkſam zu allem Guten ſeyn, und um unſterblich und ſtets wirkſam zu ſeyn, in Aller Herzen noch tiefere Wurzeln faſſen. Dazu moͤchte ich mitarbeiten, dazu wird gewiß auch Jeſus Chriſtus ſeinen Segen geben.
Der Herr kann nicht eiferſuͤchtig werden, wenn das Andenken an einen ſeiner treuen Diener zur Ehre des Herrn
u
erneuet wird — denn es wird doch nur der Herr u ſeinem Diener geehrt: Ihm, dem Herrn, ſey | und Ehre ewig! Amen. BR
Der Gerechte wird im ewigen | feyn: und das Andenken im Segen bleiben. Das Andenken des letzt verſtorbenen Pfarrers ſoll 4
I. in diefer Gemeinde unfterblich ſeyn; denn fein Berdienft um diefe Gemeinde ift groß. ! Sein Andenken foll 24 II. ſtets fruchtbar, ſtets wirtſan zu allen e Gn.
nach ſeiner Lehre, iſt der beſte Dank, den ihr d Verdienſte eures Lehrers bringen koͤnnet.
Ich werde von dem erſten ſehr wenig ſagen, veil es, ohne meiner Worte zu Heesen durch nah ke noch deutlich genug ſpricht. 2
Ich werde von dem zweiten ſehr Vieles laben, |
uns das Wichtigſte, das e 3 nie au Ela zu lebhaft werden kann.
Gott gebe, daß ich mit der ee epres ger Pfarrers fpreche, und ihr mit feiner ee noeh
* 2 5
Sein Andenken ſoll unſterblich ſeyn in ale 4 Gemeinde. 5 Denn er hat
10 das große Amt der Saen lt der ho ter Gewiſſenhaftigkeit unter euch verwaltet. ee
Wenn je ein Seelſorger mit Paulus ſagen konnt 5 . Wer leidet unter euch, daß ich nicht mitleide?
— ue —
Wer wird zur Suͤnde verſuchet, daß es mich nicht ängſtiget, 2 Kor. XI, 29.: fo konnte er's. Wenn je ein Seelſorger mit Paulus ſagen konnte: Ich ſuche nicht das Eure, ſondern euch, 2 Kor. XII, 14.: fo konnte er's.
| Wenn je ein Seelſorger darauf drang, die Vorſchrift Paulus: Ermahne die betagten Männer — wie Väter, die betagten Weiber — wie Muͤtter, die jungen Chriſten — wie Bruͤder und Schweſtern, in aller Keuſchheit, 1 Timoth. V, 1—2., ſtrenge zu erfuͤllen: fo erfuͤllte er fie nach ihrem ganzen Umfange.
Wenn je ein Seelſorger mit Paulus ſagen konnte: Ihr wiffet, daß ich von dem erſten Tage mei⸗ nes Hierſeyns dem Herrn gedienet, in Demuth und unter vielen Thränen; daß ich euch nichts Nützliches verhalten habe; daß ich euch den ganzen Rath Gottes verkuͤndet habez daß ich euch die Bekehrung zu Gott, und den Glauben an unſern Herrn Jeſum Ch riſtum nach allem Vermoͤgen geprediget habe — Apſtg. XX, 12. 38.: ſo konnte er's.
Wenn je ein Seelſorger ſich in den Geiſt der vielbe⸗ faſſenden Lehre hineingearbeitet: Verkuͤnde die Wahr⸗ heit, dringe uͤberall damit ein, du magſt will⸗ kommen oder unwillkommen ſeyn, weiſe zurecht, beſtrafe, ermahne mit aller Langmuth, 2 Timoth. IV, 1. 2. 3.: ſo war er's, der, ſtatt es kluͤglich auszu⸗ rechnen, ob ſeine Ermahnungen ihm kein finſteres Geſicht zuziehen würden, überall gerade mit dem Evangelium ans gieng, und ſich am Ende dann troͤſtete: daß er ein ſchlechter Diener Chriſti wäre, wenn er uͤberall nur den Menſchen zu gefallen ſuchte.
i Wenn je ein Seelſorger nach dem Beiſpiele Paulus, den Kindern — Milch und leichte Nahrung, dem Starken ſtaͤrkere Speiſe darreichte: fo war er's.
f Wenn je ein Seelſorger, nach dem Sinne dieſes ſchoͤ— nen Namens, fuͤr alle ihm anvertraute Seelen ſorgte,
— 444 —
und nicht muͤde ward, die Schlafenden anne * und die Machenden zu ſtaͤrken, die Trägen zu f ne und die Eifervollen im Guten zu befeſtigen, die Suͤnd
zu troͤſten, und die Frevler zu ſtrafen, und nach dem 2 t drucke und Beiſpiele unſers Herrn alle ſeine Kinder gerne unter ſeinen Fluͤgeln, wie die Henne die 7 H verſammelt hatte: fo war er's, der ſich durch dieſe et Geſchaͤftigkeit bei manchem Spoͤtter laͤcherlich, aber b allen Gottesverehrern verehrungswuͤrdig machte. *
Wenn je ein Seelſorger die Grenzen feines Eif er über den Buchſtaben der Gewohnheit und der bife lichen Verordnungen ausdehnte, und uͤberall mehr t wollte, als gerade geboten war: ſo war ers, ganz — ſeinem Berufe hingab. 0
Wenn er in dieſer feiner Sorgfalt und Treue für ı ue Seelenheil allen ſeinen Gewiſſensfreunden, auch den ſtrer ſten Genuͤge that: ſich konnte er nie, nie genug thun.
Dieſer ſeiner Treue, ſeiner Sorgfalt, in foferne fi fih in feinen Arbeiten, in feinen Krankenbeſuchen Chriſtenlehren, Predigten, Schulbeſuchen 4 beim oͤffentlichen Gottesdienſte zeigte, waret Alle Zeugen, wie der Gegenſtand derſelben. — 1
Aber ſeine innere Treue, ſeine Seelenangſt um e 0 jede Seele — wußten nur Gott, und zum Theil feine Ge: wiſſensfreunde. Gewiß, gewiß hat ihm dieſe Seelenam recht viele Jahre von ſeinem Leben gefreſſen — und wer ihn kannte, mußte ſagen: Er war ein Märtyrer feiner Pflicht. 10
Zwar hatten ſeine Freunde nichts unterlaſſen, um von der Gewiſſensangſt zu erloͤſen, oder 1 ih die Leiden derſelben zu erleichtern. Und wer haͤtte nie gewuͤnſcht, daß er, bei dem guten, lautern Sinn ein ie | Gerechten, auch die Gewiſſensruhe des Gerechten genoſſt haͤtte. Allein es gehoͤrt dieß unter die geheimnißvollen | Führungen Gottes, daß feine Lieblinge durch die peinlich,
ſten Leiden gelaͤutert werden muͤſſen; und wer kennt e 4
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heinlicheres Leiden, als gut ſeyn, und ſich davon nicht überzeugen koͤnnen, und, bei aller Gewiſſenhaftigkeit, den jeden des guten Gewiſſens entbehren muͤſſen?
Wir muͤſſen auch hier anbeten, wie uͤberall, und noͤgen zu unſerer Beruhigung nur dieſes denken: im Grunde iſt dieſe Gewiſſensangſt doch ein geltender Beweis von der Gewiſſenstreue, die kein Tuͤpflein des Geſetzes uner⸗ fuͤllt laſſen moͤchte. Und eben dieſe Gewiſſenstreue, die den Herrn fürchtet und recht thut, machte ihn dem Herrn recht angenehm, und ward in der Hand Gottes das Mit⸗ tel, ihn von den geheimſten Flecken der Eigenliebe zu rei⸗ nigen. — So ward ſeine große Plage ſein großer Segen. Von dieſer Gewiſſenstreue zeugten alle ſeine Arbeiten, ſeine Reden, ſeine Wuͤnſche, ſelbſt ſein Gang und ſeine Geberden.
O! er hätte fo gerne alle Suͤnden verhindert, hätte ſo gerne alle Menſchen, die in ſeinem Pfarrbezirke und außer demſelben lebten, unſerm Heilande zugefuͤhrt; haͤtte ſo gerne alle Aergerniſſe in der Welt abgethan; waͤre ſo gerne allen Menſchen Alles geworden, um Alle ſelig zu machen! Gewiß, (ich ſage dieß mit vollem Bewußt⸗ ſeyn, daß ich Wahrheit ſage,) gewiß ſind viele fromme Menſchen nicht ſo aͤngſtlich wegen ihrer gewiſſen Suͤnden, als er es wegen ſeiner gewiſſen Tugenden war. Selbſt ſeine Erholungen und ſeine Spaziergaͤnge nach Dillingen — waren nicht Erholungen fuͤr ihn, ſondern neue Anſtrengun⸗ gen ſeiner Kraͤfte zu eurem Beſten. Er gieng nur, ſeine Gewiſſensfreunde zu fragen, wie er ſeine Pflicht gegen euch auf's Allervollkommenſte erfuͤllen koͤnnte. Und wenn ihm ein Grabſtein geſetzt wuͤrde: ſo ſollte man nichts als dieß Wort darauf ſchreiben —
„Komm, du treuer Knecht, „In die Freude deines Herrn! Denn treu war er:
Freudig ſey er jetzt!
—
= Di
vielleicht unbekannten, aber großen Beweis feiner Hirten treue gegeben, von deſſen Fruͤchten ihr eſſet, da er nicht mehr unter euch iſt — und von deſſen Fruͤchten ihr N gebe es) lange eſſen ſollet. 9 Als er das Ende ſeiner Tage nahe Kander oder e fille, ließ er einen ſeiner Freunde, mit dem ich allerinnigſt vertraut bin, und von dem ich, als der guͤltigſte Zeuge ſei⸗ ner Geſinnung, reden kann, zu ſich kommen, und fagte zu ihm: einen Dienft thun Sie mir noch; dann ſterbe ich gerne; N ich wuͤnſchte meiner Gemeinde, nach meinem Tode, einen 5 Mann, der auf dem Grund, den ich gelegt, baute, und deſſen Geſinnungen mit den meinen ganz eines waͤren: dieſer Mann 5 iſt nach meiner Ueberzeugung, mein Bruder Simpert, ; der in jedem Sinne mein Bruder ift, und auch einige Jahre mein Amtsgehuͤlfe war; gehen Sie nun zum Spitalpfleger und ſagen: ich danke ihm ſterbend noch fuͤr alles Gute, das er mir gethan, und bitte mir die letzte Wohlthat aus, daß er meinen Bruder zu meinem Nachfolger ernen⸗ nen moͤchte: dafuͤr ſoll ihn Gott ſegnen!
Der Freund gieng weinend zum Spitalpfleger, und 1 trug das Bitten des Sterbenden vor. Der Spitalpfleger antwortete: er wuͤnſchte von ganzem Herzen, daß der Pfar⸗ rer dießmal noch ſeiner Heerde moͤchte geſchenkt, und recht lange gelaſſen werden: ſollte ſie ihn aber verlieren, ſo wolle er, ſo viel an ihm ſey, beweiſen, daß der heilige Wunſch eines Sterbenden auch ihm heilig ſey; ſein Sinn waͤre, ohne dieſe Fuͤrbitte, ſchon fuͤr den Bruder des Pfarrers geweſen, und es ſeyen auch ſchon einige Abgeordnete von der Gemeinde der Bitte ihres Pfarrers zuvorgekommen.
Daß eine ſolche Antwort ohne Ruͤhrung des Herzens nicht gegeben, und gehoͤrt werden kann, bedarf wohl kei⸗ ner Erinnerung.
*
Der genannte Freund gieng dann auch zum Statt⸗ halter unſers Biſchofs, der an der guten Sache den erſten Antheil nahm, und ſie mit ſeinem Anſehen zu unter⸗
ſtuͤtzen verſprach.
PPP
— 44 —
Als nun der Sterbende die frohe Nachricht erhielt, daß er keine Fehlbitte gethan, ſo dankte er zuerſt Jeſus Chriſtus, als dem oberſten Hirten ſeiner Gemeinde, daß Er ihn mit dieſem ſeltenen Troſt, den Nachfolger in ſei⸗ nem Hirtenamt zu kennen — aus der Welt gehen laſſe; und ließ darauf noch an demſelben Tag in zwei Briefen, die mit der Hand des Sterbenden unterzeichnet ſind, der Statthalterſchaft und dem Spitalpflegamte von gan⸗ zem Herzen danken.
Sehet, m. L., nicht nur durch ſich, durch ſeine Perſon ward euch der ſelige Pfarrer zum Segen; er ward es auch durch ſeinen Nachfolger!
Wer edel iſt, iſt es auch in den Tagen ſeiner Lei⸗ den, vergißt ſein eigen Leiden, und ſorgt fuͤr die Seinen. —
Er, der Vater ſeiner Gemeinde, konnte ihr keinen beſſern Nachfolger wuͤnſchen, als den erſten Freund ſeines Herzens und ſeiner Gemeinde — ſeinen Bruder. Wer recht liebt, der liebt — bis in den Tod. Unſterblich war ſeine Liebe gegen euch: unſterblich ſey auch ſein Anden⸗ den unter euch!
II.
Sein Andenken ſoll fruchtbar, wirkſam zu allem Gu⸗ ten in dieſer Gemeinde, ſoll im Segen ſeyn.
Ihr ſollet gern und oft an ihn denken, damit euch ſeine Lehren, ſeine Ermahnungen, ſeine Bitten, ſeine Warnungen recht oft zu Sinne kommen, und mit dieſen ſeinen Lehren, Ermahnungen, Warnungen, Bitten — neue Luſt und neuer Muth, Wehen nachzukommen, in
euer Herz gelegt werde.
Ihr moͤchtet ihm doch Alle dankbar ſeyn? Nun, fo thut, was er euch gelehrt. Das iſt der beſte Dank; dadurch ehret ihr ſein Andenken, wenn ihr thut, was er euch lehrte. Wie ehret der Sohn das Andenken ſei⸗
— 446 —
| 118 Vaters? Dadurch, daß er den Ermahnungen, die
ihm fein ſterbender Vater gegeben, treu nachkommt. -
Alsdann ſagen die Leute: Dieſer Sohn ehret Be
nen Vater noch in der Grube. So muͤſſet ihr auch eurem Seelſorger noch Ehre machen, da er nicht = unter euch ift.
So erinnert euch denn recht oft an das, was er euch
bei allen Anlaͤſſen vorzüglich eingefhärft hat, und laſſet kein Wort, das aus ſeinem Munde gieng, und deſſen ihr
euch noch erinnert, unerfuͤllt!
A.
Der ganzen Gemeinde ſchaͤrfte er vor Allem ein:
Vertrauen auf Gott, Vertrauen auf Jeſus
Chriſtus, den Sohn des Vaters, und: Gottes⸗
furcht, Gottesliebe, Gottſeligkeit.
ai Vertrauen auf Gott: „Von dem Vater kommt alle gute Gabe.“
„Der Vater weiß um Alles, was wir bedürfen, ehe wir bitten.“
„So liebt uns der Vater, daß Er den Sohn fr
uns gab.“
„Der Vater giebt den guten Geiſt denen, die Ihn |
darum bitten.“
Vertrauen auf Jeſus Chriſtus: „Er iſt das Licht der Welt: auf Ihn ſchauet!“ „Er iſt die Wahrheit: Ihn hoͤret!“ ee „Er ift ohne Falſch und ohne Suͤnde: Ihm Fetzen nach!“
„In ſeinem Namen iſt Heil, und außer feine Na⸗ men iſt kein Heil: auf Ihn vertrauet!“
„Er iſt das Lamm, das die Suͤnden der Welt hin⸗ | wegnimmt: von Ihm erwartet Gnade und ewi⸗
ges Leben!“ „Er
— 449 —
7257 liebte uns, und gab ſich fuͤr uns in den Tod: Ihm danket!“
„Er gieng voraus, um fuͤr uns eine Staͤtte zu berei⸗ n ten, Er iſt das Haupt der Gemeinde: Ihn liebet!“
| „Er herrſcht zur Rechten feines Vaters: feine Ehre verkuͤndet!“
„Er wird wiederkommen! Ihn erwartet!“
Gottesfurcht: „Fuͤrchtet nicht die Menſchen, die nur den Leib tödten koͤnnen: fuͤrchtet Gott, der Leib und Seele verderben kann!“ | „Euer Auge ſehe auf Gott, wie treue Knechte auf ihren Herrn, und treue Maͤgde auf ihre Frauen. Fuͤrchtet den Herrn, denn das iſt Verſtand, und haltet ſeine Ge⸗ bote, denn das iſt Weisheit!“
Gottes Liebe und Gottſeligkeit:
„Liebe Gott von ganzem Herzen, und ve Naͤchſten wie dich.“
„Gott iſt die Liebe, alſo aller Liebe wert, 1
„Wer die Gebote Jeſu kennt, und ſie hält, der liebt Ihn.“
„Wer Gottes Willen thut, findet in Gott feine Seligkeit.“
„Die Gottſeligkeit iſt zu Allem nuͤtze: wenn Gott für uns, wer wider uns? Gottes Name werde verherr⸗ lichet, Gottes Wille vollbracht, Gottes Reich komme!“
Der ganzen Gemeinde ſchaͤrfte er ein —
Fleißiges, herzliches Erſcheinen bei dem Pfarr⸗ ⸗Gottes⸗ dienſte. |
„Wie ſeyd ihr Eine Gemeinde, wenn nicht ein jeder für Alle, und Alle für einen mit Einer Seele zu Einem Gott bitten?“
„Zu wem ſoll ich reden, wenn ihr mich nicht hoͤret e⸗ J. M. v. Sailers ſämmtl. Schriften. XXXV. Bd. 29
— 450 —
„Wenn ich Pflicht habe, fuͤr euer Heil zu leben und ſterben: wie koͤnnet ihr 7 80 dem wage eures Hirten Ae ‘
Noth entziehen 2“
Der ganzen Gemeinde ſtellte er nichts nachdruckſamer |
!
vor, als: Eintracht, Friede, Liebe.
Woll ihr ihm alfo dankbar fen, fo halter flanbhaft
auf Eintracht, Friede, Liebe!
„Ein Dorf iſt wie ein Leib des Menſchen. Jedes
Glied ſoll den uͤbrigen Gliedern dienen; keines ſoll das Andere druͤcken. Das Auge fol f ehen, das Ohr hoͤren,
die Hand arbeiten: ſo ſoll in einer Dorfgemeinde jeder ſeine Pflicht thun, und die uͤbrigen Glieder Oi Pflicht
ungejtört thun laſſen.“
„O! wenn in einer Gemeinde der Friede herrſcht;
wenn kein Ohrenblaͤſer, kein Laͤſterer, kein Verlaͤumder darin iſt: ſo iſt's, als wenn Gott in ſo einem Dorfe aus⸗ und eingienge; die Engel Gottes haben Freude an
den Inwohnern des Dorfes: Alles iſt ſtille, ruhig, zufrie⸗
den. Aber wenn ein Luͤgenmaul Zwietracht ſaͤet; wenn
einer des Andern Fehler ausforſcht, bekannt macht, ver⸗
groͤßert; wenn man in Zuſammenkuͤnften von nichts, als von den Fehlern ſeiner Nebenmenſchen reden kann: da
iſt's, als wenn die guten Engel uͤber ein ſolches Dorf
weinten; der Segen Gottes geht fort, und Satan baut ſich eine Hätte darin. — Wo Zwietracht einkehrt, da fol gen Mißtrauen, Argwohn, Unordnung, Gram — und Elend — einander auf dem Fuße nach.“ |
„Und wenn wir am Tage des Gerichtes wegen 1
jedes muͤßigen Wortes werden Rechenſchaft geben muͤſ⸗ ſen: wie werden wir die Reden verantworten koͤnnen,
wodurch die Ehre unſrer Mitmenſchen gekraͤnkt, und Un⸗ 1
ruhe geſtiftet worden?“ Vergeſſet alſo das Wort eures Pfarrers nie: wo Friede und Einigkeit, da iſt der Him⸗ mel, und wo der Himmel iſt, da it Gott — denn Gott iſt die Liebe!
Was er dem ganzen Dorfe, das empfahl er jeder Haushaltung — Friede, Eintracht, Liebe.
3 5 c ee —
b.
Den Hausvaͤtern und Hausmuͤttern ſchaͤrfte er beſon⸗ ders die Aufſicht uͤber ihre Kinder und Haus⸗ genoſſen ein.
„Gott wird ihre Seelen von euren Haͤnden fordern — wenn ſie aus eurer Schuld verloren gehen.“
„Ihr ſorget fuͤr euer Vieh, warum nicht fuͤr eure Kinder und Hausgenoſſen?“
| „Chriſtus ſtarb für eure Kinder, und eure Haus: genoſſen, — und ihr laſſet ſie jetzt der Suͤnde, und dem Verderben uͤber?“
„Wer nicht für die Seinen ſorgt, iſt ein Heide“ — „Wer gut iſt, iſt es in feinem Kreiſe.“ |
„Wie feyd ihr Väter des Hauſes, wenn ihr für das Wohl des Hauſes nicht wachet? Wie koͤnnet ihr eure Kinder zum Guten erziehen, wenn ihr ihnen das Gute nicht vormachet? Wie ſchnell muß ſich die Suͤnde in eurem Hauſe verbreiten, wenn ihr nicht wie eine Mauer dagegenſteht, und ihr den Ligen verriegelt?“
C.
Den juͤngern, noch unverehelichten Gliedern legte er Zucht, Schamhaftigkeit, Unſchuld, Ehrbarkeit, Sittfamfeit, Eingezogenheit, Keuſchheit, ſtets an's Herz.
Auf dieſen Theil ſeiner Gemeinde war fein erſtes Augenmerk gerichtet. Er wußte, wie leicht Juͤnglinge, und Maͤdchen ihrem Heilande aus den Armen geriſſen, und dem Verderben geopfert werden.
Wie oft und wie nachdruckſam hat er euch gebeten, dem erſten Reize zum Unrecht zu widerſtehen, ohne Unterlaß zu beten, die Sinne wohl zu bewachen, böfe Geſellſchaft und Gelegenheit zu meiden — um ja nicht in das Netz der Unzucht zu fallen? 8 29 24
— 452 —
Vergeſſet ſeine Worte nie: „Un ſchuld euer größter Schatz; „Reinigkeit eure ſchoͤnſte Zierde;
„Sungfräulide Schamhaftigkeit vor der
Suͤnde eure Vormauer gegen alles Unrecht.“
d. Den Kindern, den Unmuͤndigen, empfahl er
Gehorſam, Gehorſam, Gehorſam — — ohne Unterlaß;
Gottesfurcht, Gottesfurcht, Gottesfuncht — — ohne Unterlaß.
Und haͤtte er euch, meine lieben Kinder, etwas Au-
ders empfohlen, ſo waͤre er nicht euer rechter Freund ge⸗ weſen! Wer den Kindern etwas Wichtigeres zu ſagen hat, als dieſes: fuͤrchtet den Herrn, und ſeyd ge⸗ horſam — lernet ſtille ſeyn, fragen, hören: der hat ſicherlich die rechte Weisheit nicht. Er verderbt mehr an Kindern, als er wieder gut machen kann, und wird ein Jugendfeind, wenn ihn gleich die meiſten fuͤr einen Jugendfreund halten ſollten.
E.
Was ich erſt nicht nennen kann, was er einem jeden
aus euch in dem Beichtſtuhle, was er vielen aus
euch an dem Krankenbette, was er manchem in ge⸗ heimen Unterredungen geſagt, — — das Denk⸗ wort, das Troſtwort, das ein jeder aus ſeinem Munde empfangen, das laſſe ſich ein jeder heilig ſeyn! Seine geheimen Arbeiten fuͤr euer Herz wird erſt der Tag des Herrn offenbaren: ſehet zu, daß dieſer Tag auch eure
dankbare Treue, mit der ihr die geheimen Arbei⸗ ten eures Vaters an euren Herzen fruchtbar werden ließet, offenbare — 1. kein Undankbarer moͤge erfun⸗
den weiden
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— 453 —ͤ—
5 1 Beſonders zeigte ſich ſein Eifer an die ſem Feſttage. Ihr feiert dieſen Feſttag heute das erſtemal ohne
ihn: o! feiert ihn mit der naͤmlichen Inbrunſt, als wenn euer Hirt und Freund noch in dieſer Kirche da waͤre, den Beichtenden noch ſein Ohr liehe, den Communicanten den Leib unſers Herrn darreichte, am Altare noch mit gluͤhender Andacht fuͤr euch betete. Und er betet gewiß, ob ihr ihn gleich nicht ſehet, fuͤr euch; — denn er iſt, wie wir nicht zweifeln koͤnnen, bei dem Herrn, und — eurer vergeſſen bei dem Herrn, das kann er nicht. Und wenn ihr ſeiner, in dieſer Kirche, in der ihr ſo oft ſeine Stimme gehoͤrt, ſein Antlitz geſehen, vergeſſen koͤnn⸗ tet: ſo ſollet ihr doch an Ihn denken, beim Austritt aus dieſer Kirche, wenn ihr bei ſeinem Grabe vorbei⸗ gehet, denn er ließ ſich an dieſem Orte, zunaͤchſt an der Kirchenthuͤr — aus der einzigen Abſicht begraben, daß ihr fo zu ſagen, genöthiget würdet, an ihn zu denken, und ſeiner Lehre nachzuleben.
— = *
Gleich heute alſo wollen wir das Andenken an ſeine Lehren recht wirkſam an uns ſeyn laſſen; wollen die Abſicht des Feſttages, den er eingeſetzt, zu erreichen ſuchen; wollen Gott danken fuͤr die gnadenvolle Erret⸗ tung aus der großen Waſſersnoth; wollen es nicht beim kalten Danke bewenden laſſen, ſondern uns, Gott zum Lobe, ganz, und ohne Ruͤckbehalt hingeben; wollen ſcharf unſer Inneres durchſuchen, und in dem Geiſte der Buße, nach dem Zwecke der Faſtenzeit, alle Suͤnde, die wir in uns wahrnehmen, als Suͤnde erkennen, als Suͤnde be⸗ kennen, als Suͤnde verabſcheuen, und bei der Quelle alles Guten Huͤlfe gegen die Suͤnde ſuchen; wollen nicht mit uns zufrieden ſeyn, bis es Gott iſt; wollen nicht aus Gewohnheit, ſondern mit neuem Glauben, mit neuem Vertrauen, und mit neuer Liebe an die Bruſt ſchla⸗ gen: Herr! ſey gnaͤdig uns armen Suͤndern. Amen!
7 * 1 1
— 483 exe
Grabfdrige |
| Hier ruht 1 7 1
Karl Engelbert Echerer, Pfarrer in Friſtingen, 10 geb. 7. Nov. 1759. geſt. 3. Jän. 1791.
Wo meine Pfarrgemein'
Zur großen Himmelfahrt
Die Todten aufbewahrt: |
Hier ruh' auch mein Gebein! 1
Ich lebte nur für fie allein, ö
D'rum ſoll auch ihres Hirten Leich⸗
In ihrer Mitte ſeyn. 14 1 Sie denkt denn im Voruͤbergeh'n an mich,
Und ich, nimmt mich der Herr zu ſich, 3
Vergeſſe ihrer ewig nie 3
Und bete noch im ſchoͤnen Himmelreich N
Mit Engelluſt für fie! 5
san
XIII. cf ppricht zu uns auch mn Begehren. |
eine Rebe, .
gehalten in der akademiſchen Kirche zu Dillingen am 24. Mirz
1791, und veranlaffet durch den unvermutheten Tod der zwei
jungen und hoffnungsvollen Freiherren Karl v. Volm ar ıc. und Johann Nepomuck v. Oſterberg ꝛc.
*
Gott redet auf mancherlei Weiſe zu uns: wohl dem, der Gottes Worte hört und bewahrt!
Es iſt heute gerade der achte Tag, und es war auch gerade um dieſe Stunde, als die erſte Nachricht hieher gebracht, und unter uns verbreitet ward von einer ſchauer⸗ vollen Begebenheit, die ſo viele Herzen erſchuͤttert, ſo viele Augen mit Thraͤnen benetzet, ſo viele Urtheile und Geſpraͤche veranlaſſet hat — und noch manches Herz erſchuͤttern, noch manches Urtheil und Geſpraͤch, und Gott gebe! uͤberall recht viel Gutes veranlaſſen wird.
Begebenheiten ſolcher Art haben dieß eigen, daß ihre Nachricht ſich ſchnell, wie ein laufend Feuer, verbreitet, und ihr Inhalt wie Blitz trifft; daß man ſie zuerſt nicht glauben will, und hernach glauben muß; daß ſich der erſte Schrecken in einen ſtummen Schmerzen, und der ſtumme Schmerz in eine allgemeine Wehklage verwandelt; daß eine Weile in unſern kleinern und groͤßern Geſell⸗ ſchaften von keiner andern, als von der neueſten, und wenn ich ſo ſagen darf, regierenden Begebenheit geredet wird; daß durch die ungewoͤhnlichen Geſtalten derſelben viele Gedankenloſe zum Nachdenken, und viele Nachden⸗ kende zu ſchoͤnen Entſchließungen gebracht werden: indeß andere ſich von Begebenheiten ſo wenig als von Men⸗ ſchen, oder von ihrem eigenen Gewiſſen belehren laſſen;
— 450 —
daß ſich nach und nach auch der tiefſte Eindruck, den eine ſolche Begebenheit gemacht, immer mehr verliert; daß endlich auch das Andenken an dieſe Begebenheit durch andere neu auftretende Begebenheiten aus dem Sinn der
Meiſten verdraͤnget, und gleichſam verſchoben wird.
Dieß iſt die Geſchichte des Eindruckes, den unver⸗
muthete und bedeutende Begebenheiten auf uns machen, und den auch dieſe Begebenheit, die in dieſem Kreiſe noch
die herrſchende iſt, zum Theile ſchon auf uns gemacht
hat. Sie hat uns erſchuͤttert; der Unglaube an ſie war von kurzer Dauer, und mußte der Gewißheit weichen; der erſte Schrecken iſt vorbei, und das Herzeleid, dem der Schrecken Platz gemacht, waͤhrt noch; es iſt acht Tage ſchon von dieſer Begebenheit fleißig genug geredet, und uͤber ſie geurtheilt worden: nun iſt es einmal Zeit, daß wir ſie von ihrer belehrenden Seite betrachten;
r
daß wir den Eindruck, den ſie auf uns gemacht, durch
Benuͤtzung deſſelben ſicher n, und den ſchrecklichen Augen⸗
blick, der ſo ſchoͤne, theure Hoffnungen getoͤdtet hat, auf eine wuͤrdige Weiſe unter uns verewigen.
Lernet weiſe ſeyn!
ſpricht auch dieſe Begebenheit zu uns, und o! daß wir dieſe Sprache in unſer Herz aufnähmen, und darin recht viel Gutes wirken ließen — denn ſie iſt Gottesſprache.
Auch dieſe Begebenheit iſt eine Bibel, iſt ein unge⸗ kanntes, aber wahres Wort Gottes, und bringt Got⸗ tes Wort an die Menſchen. Sie lehrt Wahrheit, und lehrt ſie im Namen Gottes; denn es faͤllt kein Haar vom Haupte des Menſchen ohne Wiſſen des himmliſchen Vaters, und Er ſpricht zu uns durch Thaten, wie durch Worte.
Dieſe Begebenheit iſt lehrreich — lehrreich fuͤr uns Alle, fuͤr Maͤnner und Juͤnglinge, Lehrer und Schuͤler, Verwandte und Auswaͤrtige; insbeſondere lehr⸗ reich fuͤr das junge Alter — und um das Treffendſte nicht zu verſchweigen, recht lehrreich fuͤr ſtudirende Juͤnglinge.
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Gott, der Du auf mancherlei Weiſe zu uns redeſt: laß deine allmaͤchtige Liebe die wichtigſten Wahrheiten, die deine Weisheit durch dieſe Begebenheit lehrt, durch mich — das unmuͤndigſte Werkzeug — ausſprechen, da⸗ mit dein Name immer mehr verherrlichet werde! Oeffne auch allen denen, die mich hoͤren, den Sinn, daß ſie dein Wort hoͤren, verſtehen, bewahren, in ſich und außer ſich bleibende Frucht bringen laſſen! Amen.
| Fe Dieſe Begebenheit iſt lehrreich fuͤr uns Alle. Denn ſie verkuͤndet uns Allen die Vergaͤnglichkeit des Bergänglichen mit beſonderm Nachdruck. S3 wei bluͤhende, adelige Juͤnglinge ), beide in voller Kraft und Geſundheit, einer die groͤßte Hoffnung ſeiner Eltern, der andere die einzige ſeiner Mutter, beide die Stammhalter ihrer Familien, beide aus eurem Mittel, akademiſche Juͤnglinge! eure Mitſchuͤler, beide von euch
„) Von beiden iſt es nur zu früh wahr geworden, was der junge Freiherr von Oſterberg in ſeinem Katechismus ſchrieb: „Ich bin ein fallend Laub, Der Tod geht mir zur Seite — Vielleicht — “ Vielleicht berührte ſein gutes, deugſames, edles Herz eine Vorahnung ſeines Todes, als er dieſe Zeile ſchrieb. Auf einem andern Blatte zeichnete er ſich den Vers auf: Est maris et vitae cursus metuendus et anceps.
Das Waſſer und das Leben hat viele Gefahren.
Eben ſo rührt mich, was der Freiherr v. Volmar in ſei⸗ nem Tagebuch unter dem letzten Datum aufzeichnete: „Unſer Leben fließt dahin, wie ein Regenbach; vergeht wie ein kurzer Schlaf; verblüht wie eine Blume, die am Abend verdorrt.“ „Herr! lehre uns unſere Tage zählen, damit
wir weiſe werden.“ i Salomo. Moſes.
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gekannt und geliebt, Mitbewohner eines benachbarten Er. 0 ziehungshauſes und Tiſchgenoſſen vieler von euch, auf⸗ gewachſen mit und unter euch — wurden zu einer Zeit, in der wir Alle, und ſie ſelbſt eher an Alles, als an einen ſolchen Abſchied denken konnten, gerade nachdem ſie ſich von den Umarmungen — ach! den letzten Umar⸗ mungen ihrer Verwandten losgemacht hatten, um ihre Studien hier wieder fortzuſetzen; da ihr euch darauf ge⸗ freuet habt, ſie endlich wieder hier zu ſehen, von den Wellen des benachbarten Fluſſes begraben — und ſind noch bis dieſe Stunde nicht, auch nicht einmal mehr a 5 Todte, zum Vorſchein gekommen. |
Sie gingen aus dem Konvikte zu ihren lieben El⸗ tern heim, und ſahen das Konvikt, ihre Studirzimmer, ihre Mitſchuͤler, ihre Lehrer, ihre Aufſeher und Freunde — nicht mehr. Sie verließen am ſechszehnten dieſes Monats ihre Verwandten, und fuhren nach vollbrachten Ferien außer Dillingen vorbei — ach, waͤren ſie doch nicht vorbeigefahren!! — doch die Wuͤnſche kommen zu ſpaͤt — ſie fuhren vorbei, und kamen nicht mehr zu uns;
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Hieher gehört auch, was er ſich S. 37 ſeines Tagebuches aus dem echriſtlichen Jahrbüchlein eines chriſtlichen Dich⸗ ters aufſchrieb:
Den Himmel und die Ewigkeit Laß mich im Geiſt umfaſſen,
Und was mich nicht im Tode freut, O Gott! von Herzen haſſen.
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Gute Jünglinge! was ift doch der Menſch, daß er ſein 0 Schickſal zeichnen kann, ohne zu wiſſen, daß es ſein Schickſal iſt! Ich weiß nichts darüber zu ſagen, als was mich mein Herz wünſchen und unſre heilige Religion glauben lehret: |
Sanft, ſanft ruhe eu’r Gebein, Wo es immer ruht! Wohlgethan muß Alles ſeyn, Was der Vater thut. 4
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giengen mit einem Jäger 2 auf einen Entenfall — ſuch⸗ ten nach vielen Erholungen noch eine zwar unnoͤthige, doch aber an ſich unſchuldige Freude — und fanden ihr Grab — ſind ausgeſtrichen aus dem Regiſter der Leben⸗ digen — die Laufbahn ihres Lebens ſcheiterte, ehe ſie kaum angefangen, ſammt dem Schifflein, auf dem ſie ſich befan⸗ den, an einer Bruͤcke, und keine Wuͤnſche, keine Gebete, keine Thraͤnen koͤnnen ſie wieder in dieſes Leben zuruͤck⸗ rufen. Der Riegel des Todes, und eine eiſerne Scheide⸗ wand ſcheidet ſie von uns. Wir ſtehen noch dieſſeits, und ſehen ihnen nach, und weinen um ſie, und ſchauen auf, und leſen an dem Thor der Ewigkeit, durch das ſchon ſo viele Tauſend und Tauſend Menſchen hindurch gewan⸗ dert, und durch das Alles noch hindurch wandern wird, was Menſch iſt — leſen an dem Thor der Ewigkeit die Aufſchrift:
„Alles, Alles, Alles iſt eitel, außer Gott lieben — und ſeinen Willen thun!“
Heute ſeyn, — und morgen nicht mehr — das heißt Menſch ſeyn! All', all' unſre Ausſichten und Hoffnungen — die nicht uͤber das Grab hinausreichen, unſre Geſundheit, unſre koͤrperlichen Kraͤfte, unſer ganzes ſichtbares Leben haͤngt an einem ſchwachen Faden, der auf den Wink des Allmaͤchtigen bricht — und keine menſch⸗ liche Kraft kann ihn wieder ank nuͤpfen.
Nein, alle Menſchen moͤgen luͤgen, oder ſich und An⸗ dere taͤuſchen — aber die blaſſe Todesgeſtalt, der Tod luͤget nicht und taͤuſchet nicht, iſt ein heiliger Prophet,
*) Der auch mitertrunken iſt. Er hieß Maurus Boſer, war von Elchlingen gebürtig, 26 Jahre alt. Die ihn kannten, geben ihm das Zeugniß, daß er fromm, fleißig, treu geweſen iſt. Gott tröſte ſeine liebe Mutter und ſeine ſieben Brüder und ſeine drei Schweſtern, die um ihn weinen! Was Menſch iſt und leidet, das hat unſer Mitleiden. Der Tod macht kei⸗ nen Unterſchied zwiſchen Menſch und Menſch: die mitleidende Liebe auch nicht.
Sanft ruh' auch ſein Gebein! Denn er war Menſch wie wir.
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iſt ein freimuͤthiger Prediger mit ſeinem alten, jo wahren als unangenehmen, ſehr unhoͤflichen aber heilſamen Texte: Eitelkeit der Eitelkeiten ꝛc., ſchont des Fuͤrſten und des Tagloͤhners, des Reichen und des Bett⸗ lers, des Gelehrten und des Unwiſſenden nicht — ver⸗ kuͤndet uns Allen — das Nichts der vergänglichen | Güter. en „Du biſt Staub — und wirft zu Staube werden.“ 5
„Was die Waſſerwelle verſchlingen kann, 1 iſt nicht das rechte Leben des Menſchen: Gott lieben, und ſeinen Willen thun, dieß iſt das rechte Leben des Menſchen: dieſes Leben uͤber⸗ lebet Wellenſtoß und Grab und n ; und ift ewig, wie Gott.“ |
Diefe Begebenheit iſt lehrreich fuͤr Alle; ſie ſpricht uns Allen ein unwiderſprechliches Entweder: Oder in's Herz.
Entweder halt' dich in einem jeden Augen⸗ blicke deines Lebens, fo viel du es ſeyn kan uſt, auf den letzten gefaßt; Oder du bekenneſt eben durch deinen Leichtſinn, der für das Wide tigſte, wie für das Unwichtigſte unbeſorgt ſeyn kann: „Ich bin ein Thor.“
Entweder ſey weiſe — mache dich auf den Tod gefaßt, oder dein Leben iſt ein Zeuge dei⸗ ner Thorheit! |
Denn, da wir Alle unter dem Drucke der Elemente leben; da uns die Luft und das Feuer, die Erde und das Waſſer, und alle Kräfte der Natur in jedem Augenblicke übermächtig werden: da jeder Augen⸗ blick der letzte dieſes Lebens ſeyn kann; da der letzte Augenblick der letzte iſt; da dieſes Leben zum folgenden ſich wie die Ausſaat zur Ernte verhaͤlt, und alſo dieſes Leben für das Loos des zukuͤnftigen entſcheidend iſt: fo laͤßt ſich wohl keine größere Thorheit denken, als gedan⸗ kenlos — dahinleben, ohne ſich aft das Ende dieſes f Lebens gefaßt zu halten.
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Unſre beweinten Juͤnglinge ſtarben in einem Alter, das noch gar nichts mit dem Tode zu thun haben will, und in einer Stund e, in der ſie nur an Freude dach⸗ ten, und an einem Orte, an dem ſie alles Andere, nur den Tod nicht, erwarteten, und auf eine Art, die unter die uͤberraſchenden Todesarten gehoͤrt.
O! koͤnnten ſie uns, ſtatt meiner, ein Wort ſagen: vielleicht faͤnden ſie keines, das ſie nachdruckſamer aus⸗ ſpraͤchen, als das Sinn reiche Wort unſers Herrn:
Darum ſeyd auch ihr bereit, denn des Men⸗ ſchen Sohn kommt zu einer Stunde, Ye ihr's nicht meinet. Luk. XII, 40.
Sehet zu, wachet und betet, denn ihr wiſſet nicht, wenn es Zeit iſt. Mark. XIII, 33.
Was ich aber euch ſage, das fase ich Allen: wachet! Mark. XIII, 37. j
Denn obgleich dieſe Worte, in dem Munde Jeſu, auf feine letzte, herrliche Ankunft hinausweiſen: fo bezie⸗ hen fie ſich doch, als Ermunterungsworte zur Wachſam⸗ keit, auf das Leben, und beſonders auch auf die letzte Stunde des Chriſten — indem das Wachen, das Be reitſeyn offenbar in den Kreis dieſes Lebens gehoͤrt. f
Wage es nicht, in einer Gemuͤthsverfaſ⸗ fung zu leben, in der du nicht Muth haäͤtteſt zu ſterben!
Dip‘ die bichtigfte Angelegenheit, das unſterbliche Heil deiner unſterblichen Seele heute noch in Ordnung, denn du weißt nicht, ob du den Morgen noch erlebeſt!
Das ſagt dieſe Begebenheit uns Allen.
Dieſe Begebenheit iſt lehrreich fuͤr uns Alle; ſie lehrt uns nicht nur die Brechlichkeit zeitlicher Hoffnungen, nicht nur die Thorheit derer kennen, die in der Ungewiß⸗ heit ihrer Todesſtunde, derſelben unvorbereitet entgegen leben; ſie lehrt uns noch eine große Pflicht: „Richte nicht, ſondern bete an,“ nicht ſo faſt kennen, als ausuͤben.
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Da uns nur die Begebenheit, und etwa einige 3 Umſtände derſelben klar ſind; da wir nur die traurige Hauptſache wiſſen: Sie find nicht mehr — und nichts weiter; da wir den Zuſammenhang der Dinge unter einander nicht einſehen konnen; da wir nur die Frucht ſehen, aber weder die Wurzeln, noch die erſten Keime des Baums; da Gott allein die Zuͤgel der Ereigniſſe 1 in ſeinen Haͤnden hat, und wir nicht mit Ihm im Regi⸗ mente ſitzen; da wir nur Kinder Gottes, aber nicht ſeine geheimen Raͤthe ſind; da wir nur glauben koͤnnen, und nach aller Vernunft auch muͤſſen, daß bei Allem, was geſchieht, liebevolle Abſichten zu Grunde liegen, aber wie dieſe Abſichten in Erfüllung gehen, nicht begreifen koͤnnen; da wir keinem Menfchen in das Herz fehen, und weder das Maß der Unbedachtſamkeit, noch die Sittlich⸗ keit derſelben berechnen koͤnnen; da wir uͤberhaupt kein Talent und kein Recht haben, Gott in die Wage zu fal⸗ len; da kein Knecht ſeinen Mitknecht richten kann: ſo duͤrfen wir, Knechte des Herrn, Ihn, den Herrn, der alle Dinge lenket, nicht fragen: Herr, warum ge⸗ ſchah dieſes? ſo duͤrfen wir, als Mitknechte, weder die beweinten Juͤnglinge, noch einen andern richten — duͤr⸗ fen nicht ſagen: Die oder jene ſind ſchuld daran, koͤnnen nichts als anbeten, und das Richten dem überlaffen, der gerecht richtet; duͤrfen nur bitten: Ex⸗ barmer! ſey ihnen gnaͤdig! Vater und Lehrer der Menſchen! lehre uns ſtille ſeyn! |
Schweigen ift dem Scheine nach die leich⸗ teſte, wenn wir aber die Anmaßung unſrer Vernunft, und die Schwatzhaftigkeit unſrer Eigenliebe betrachten, eine der ſchwerſten Pflichten des Menſchen.
Schweigen heißt hier, ſeine Unfaͤhigkeit zu urthei⸗ len, anerkennen. Da wir nun uͤber Alles zu urtheilen gewohnt ſind: wie werden wir uns in einem einzelnen Falle fuͤr unfaͤhig zu urtheilen halten koͤnnen?
Schweigen heißt hier, eine Vorempfindung von der Thorheit des Urtheiles haben, und dieſe Thorheit eben darum nicht begehen. Da wir es aber fuͤr Weisheit halten, uͤberall zu entſcheiden: wie ſollten wir der ſchweigen⸗
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den Weisheit vor der buntſchwaͤtzigen Thorheit den Vor⸗ zug geben koͤnnen? Darum iſt es für uns fo ſhwer, zu ſchweigen.
Die Gewohnheit, über Alles, was in unſerm Kreife, und auch außer demſelben geſchieht, zu urtheilen, iſt mit uns aufgewachſen, und uns wie zur Natur geworden: wie ſollten wir nun dieſe Gewohnheit, die bisher unſre Meiſterin war, jetzt auf einmal meiſtern Ahnen; d. h. ſchweigen?
Unſre Eigenliebe hat ſich bei dieſer e uͤber Alles zu urtheilen, ſehr wohl befunden; ſie war es auch eigentlich, die urtheilte, nicht der Verſtand: wie ſollten wir nun dieſe unruhige, uͤberall auf ihren Vortheil lau⸗ ernde Eigenliebe, die unſre ganze Urtheilskraft in Pacht genommen, in einem Falle, wo ſich ſo Vieles denken laͤſ⸗ ſet, verlaͤugnen koͤnnen? Darum iſt es fuͤr uns ſo ſchwer, zu ſchweigen?
Schweigen heißt hier anbetenz heißt dem geheim⸗ nißvollen Rathſchluſſe der allſehenden Weisheit ſeinen kurzſichtigen Verſtand unterwerfen; heißt — aus der Be⸗ gebenheit nur lernen wollen, und die verborgenen Urſachen derfelben der Offenbarung des Tages, der alle Heimlichkeiten an das Licht bringen wird, uͤberlaſſen. Da nun die Menſchen, beſonders wenn ſie im Nachden⸗ ken geuͤbter ſind als andere, ſich lieber in ihrem Wiſſen gefallen, als ihr Nichtwiſſen bekennen wollen; — da ſie lieber ihre unbaͤndige Luſt, zu urtheilen, befriedigen, als verlaͤugnen wollen; da fie lieber ihre eigene Weisheit zur Schau tragen, als die hoͤchſte anbeten wollen; da ſie mit ihren Urtheilen, die leider! recht eigentliche Vorur⸗ -theile find, lieber dem Tage des Herrn vorgreifen, als auf ihn warten wollen: ſo iſt den Denkenden das Schwei⸗ gen, das Nichturtheilen gar oft ſchwerer, als denen, die ſich aus dem Denken kein eigen Feſt zu machen ge⸗ lernt haben. Allein das Schwerſte iſt doch Pflicht. Denn wir ſind dieſes Nichtrichten unſers Naͤchſten dem hoͤchſten Verſtande ſchuldig, mit dem jeder an⸗ dere Verſtand durch Rechtrichten, wo er kann, und durch Nichtrichten, wo er nicht richten kann, eins ſeyn
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fol; wir find dieſes Nichtrichten unferminähe ften ſchuldig, denn er iſt unſer Mitknecht, und wir find a
nicht fein Herr, und nur feinem Herrn ſteht und fällt er;
wir find dieſes Nichtrichten dem Frieden unſers Her⸗ 5
zens, und der Ruhe unſers Gewiſſens ſchuldig, denn jener Friede und dieſe Ruhe werden durch das unzeitige Richten Anderer, das ihrer Natur nach kriegeriſch und ruheſtoͤrend iſt, gewaltſam aus der Seele gejaget. Alſo
nochmal: Laßt uns ſchweigen, ö nichtrichten, anbeten! II.
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Dieſe Begebenheit iſt beſonders lehrreich für das |
jüngere Alter.
Wenn wir aber kein Recht haben, die Verftorbenen
zu richten, ſo haben wir doch Pflicht — die Lebenden zu warnen: und dieſe — ſich warnen zu laſſen. Ich wiederhole es nochmal: Ich lege den Ertrunkenen keine Schuld bei; über Schuld und Unſchuld des Herzens richte Der, welcher in das Herz ſieht! Aber, was einmal geſchehen iſt, und, auch ohne Schuld eines Menſchen, geſchehen iſt, das warnet durch ſich ſelbſt Jeden, der ſich warnen laßt. Was geſchehen iſt, kann nicht mehr ungeſchehen gemacht wer⸗
den; aber, was einmal geſchehen iſt, das kann Andern
zur Warnung dienen, daß ihnen nichts Aehnliches be⸗ gegne. Lernen ſollten wir, aber nicht richten —
lernen ſollten wir Alle, aber beſonders das juͤngere Alter.
Dieſe Begebenheit iſt beſonders lehrreich fuͤr das junge Alter, das der Warnung ſo ſehr bedarf, und
ſich ſo ungerne warnen laͤßt, und ſich von dieſer Be⸗ n
gebenheit wider Willen muß warnen laſſen.
Wenn wir Prediger warnen, ſo geht es manchmal 1 nicht ohne Spott ab. Denn die Wahrheit iſt unan⸗
genehm, und der Hoͤrer, den ſie verwundet, raͤcht ſich an ihrem Verkuͤnder — durch Tadel. Aber,
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Aber, wenn die Vorſehung durch ſchreckliche Ereig⸗ niſſe warnet: dann erſtummet mancher ſonſt beredte Mund, und manches Ohr hoͤret, das ſonſt nicht hoͤren mochte.
Das Erſte, was Juͤnglinge aus dieſer Begebenheit ler⸗ nen ſollen, iſt:
„Sey aufmerkſam, und denke, ehe du etwas unternimmſt, was daraus werden koͤnnez lerne überlegt, bedaͤchtlich handeln; es iſt nicht Alles ſicher, was du fuͤr ſicher haͤltſt; geh' nicht blind, und mit verbundenen Augen
umher; brauche deine Vernunft, und ſieh' vor
dich hin; folge nicht dem blinden Triebe der Sinne; ſey ein Menſch, und frage dich: was hernach? Traue der Uebermacht der Natur und der Allgewalt der Elemente nicht. Hoͤr' auf ein Kind zu ſeyn — und überlege! Denn ſieh! wenn du unvorſichtig biſt, und dich etwa der Ge⸗ walt des Waſſers nicht noch zu rechter Zeit entziehſt: das Waſſer ſchont deiner Jugend nicht, und die Welle ſpricht nicht etwa: Es iſt Schade um dieſes bluͤ⸗ hende Geſicht; der gute Junge hat's nicht boͤſe gemeint; er hat's nicht vorgeſehen — die Welle folgt ihrem Geſetze, und legt dich in das Grab.
Wenn du unvorſichtig biſt, und etwa das Licht nicht
| ſorgſam auslöfcheft, oder den Funken nicht zertrittſt: ſieh',
der Funke wird eine Flamme, und die ausbrechende Flamme ſchont deiner Jugend nicht, und dein Haus, und du im
Hauſe kannſt eine Beute der Flamme werden.
Es iſt ein Schickſal unſrer Vernunft, daß wir ſie gebrauchen, wo ſie ſo viel als nichts ausrichten kann, und daß wir ſie nicht gebrauchen, wo ſie helfen koͤnnte. Wir ſpannen z. B. alle Kraft der Vernunft an, um die Abſichten Anderer auszuſpaͤhen, und ihre Laſter nach der Laͤnge und Breite und Tiefe auszumeſſen: und gerade da kann die Vernunft nicht wohl zum Ziele kommen. Warnen vor ſo vielen Gefahren, bewahren vor mancher Gefahr koͤnnte ſie uns: und gerade da gebrauchen ſie viele Menſchen nicht. O du liebe Vernunft! du ſollſt
J. M. v. Sailers ſaͤmmtl. Schriften. XXX. Bd. 30
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ſprechen, wo du nichts weißeſt, und wirſt nicht gefragt, f
wo du ſprechen koͤnnteſt, oder nicht gehoͤrt, wo du ſprichſt.
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Das Zweite, was Juͤnglinge aus dieſer Begeben⸗
heit lernen ſollen, iſt: Sey vorſichtig, beſonders
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bei deinen Erholungen, Ergoͤtzungen, Zerfirem ungen. Denn fieh! gerade, wo man ſich der Freude
werden, oder gar zu Grunde zu gehen. Im Taumel der Freude biſt du das unbehuͤlflichſte Geſchoͤpf; du kannſt die Vernunft nicht fragen, und fie kann dir nicht ante worten; ſie kann den Tumult der Sinne nicht uͤber⸗ ſchreien, und du ihre leiſe Warnung nicht hoͤren. Der Leichtſinnige iſt nie leichtſinniger, als in der Stunde der
Erholung. „Es kann nicht ſchaden; es thut
nichts; es geſchieht mir nichts.“ So denkt der }
Leichtſinnige, und ſieht die Gefahr nicht, wenn fie da tft, und wird ein Opfer ſeines leichten Sinnes. O meine
Theuren! eure Ergoͤtzungen, eure ſogenannten Erholungen ſind euch weit gefaͤhrlicher als eure Arbeiten. Es haben
ſich Wenige zu Tode gearbeitet: aber Viele, wenn ich es ſagen darf, zu Tode erholt. Und das erwaͤhnte Lied des Leichtſinnes: Es thut nichts — ward nicht ſelten der
traurigſte Sterbgeſang. | Am ſchaͤdlichſten werden die Ergoͤtzungen, wenn aus
dem Hange nach Ergoͤtzungen eine Erholungsſucht,
ein Erholungsfieber wird; wenn man von einer Er⸗ holung zur andern uͤberſpringt, und ohne Ergoͤtzungen gar nicht mehr leben kann; wenn das ganze Leben Eine Kette von Ergoͤtzungen wird. Da wer den uns unfre Freuden lauter Fallſtricke, und wenn wir hun⸗ dertmal unverletzt durchgekommen, das hundert⸗
eintemal bleiben wir hangen — und dann iti a
vorbei!
„Zuruͤck, Juͤngling! da iſt Tod — in der Freude. * Das Dritte, was Juͤnglinge aus dieſer Begebenheit lernen koͤnnen, iſt: Weil du dich noch nicht ſelbſt regieren kannſt, ſo laß dich von deinen Eltern,
Lehrern, Vorgeſetzten, Freunden regieren — laß dich leiten.
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Es iſt in uns ein Trieb nach geſetzloſer Frei— heit; Jeder moͤchte recht fruͤh ſein eigener Herr ſeyn; Jeder das Joch ſobald moͤglich abwerfen, und thun, was ihn geluͤſtet. Daher entſteht der ungluͤckliche Muth, alle Ordnung, alle Geſetze fuͤr Pedanterei auszugeben, und ſeine eigene Luſt fuͤr das einzige Geſetz zu erkennen.
Die elendeſte Philoſophie, des Namens und des Mens ſchen unwuͤrdig! Koͤnntet ihr, liebe Juͤnglinge, auf die⸗ ſem Wege gut, weiſe, froh und gluͤcklich werden: ich waͤre der erſte, der euch eurem Eigenſinn uͤberließe, der alle Regeln zur Handhabung der Zucht und Ordnung mit den alten Almanachs in's Feuer wuͤrfe! Aber wer euch — euch ſelbſt uͤberlaͤßt, der uͤberlaͤßt euch eurem gefaͤhr⸗ lichſten Feinde, uͤberlaͤßt euch eurer Unerfahrenheit, eurem geſetzloſen Triebe nach Luſt, eurer Leiden⸗ ſchaft, die ſelbſt blind iſt, und nur eine blinde Fuͤhre⸗ rin ſeyn kann, und allen Folgen der Unordnung. — — Jede Stirne, die der Ordnung trotzt, verkuͤndet Uns ordnung und Elend und Schande. Wozu doch der Unterſchied an Jahren, an Verſtand, an Erfahren⸗ heit, wozu die Verbindung zwiſchen Eltern und Kindern, wozu die Verknuͤpfung zwiſchen Lehrern und Schuͤlern, als dazu, daß das ſchwache, unmuͤndige, ſich ſelbſt zu leiten unfaͤhige Alter unter der Leitung und Vor⸗ mundſchaft des reifern Alters auch reif werde und faͤhig, der Vormund und Leiter des nachwachſenden Alters zu ſeyn? Wozu ſtehen die Juͤnglinge in Mitte zwiſchen
Maͤnnern und Knaben, als daß ſie ſich der Leitung der Männer unterwerfen, und durch dieſe Unterwuͤrfigkeit ſich tuͤchtig und wuͤrdig machen, den heranwachſenden Knaben, die noch unter ihnen ſind, das zu werden, was ihnen die Maͤnner ſo gerne ſeyn moͤchten?
O Jauͤnglinge, laſſet euch leiten, damit ihr einſt auch Andere leiten koͤnnet!
Ehret Gott, der Menſchen durch Menſchen regieret, ehret Ihn in den Menſchen, damit Ihn Andere in euch auch wieder ehren!
Nachdem Jeſus unterthan war: wie wollt ihr die Zucht, deren euer Alter ſo ſehr bedarf, als ein unnuͤtzes Joch abſchuͤtteln?
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Nur der iſt frei, den die Wahrheit frei macht. Nur der iſt frei, den der Sohn frei macht. Die ſinn⸗ liche Luſt kann euch nur gefangen nehmen, aber nicht frei machen. Der Eigenduͤnkel, den ihr Vernunft nen net, kann eure Feſſeln nur feſter ſchmieden, aber ſie nicht zertruͤmmern. Nur der iſt frei, der allen ſeinen Luͤſten gebieten kann, und an eine Macht glaubt, die ihn „
von allem Druck erloͤſet.
Weg alſo mit all den gekuͤnſtelten Träume einer Freiheit, deren Grund Un v nan t, deren Abſicht Zügel- loſigkeit, und deren Ende Jammer iſt!
Es iſt Schwaͤrmerei, dem taͤuſchenden, ſelbſtgemach⸗ ten Bilde der Freiheit nachlaufen, und die freundliche Hand, die in das Land des Friedens weiſet, von ſich ſtoßen.
Das Vierte, was Juͤnglinge aus dieſer Begeben⸗ heit lernen koͤnnen, iſt: Weil du weder durch eigene Klugheit, noch durch Gehorſam gegen alle menſchliche Leitung, allen Gefahren unfehlbar entkommen kannſt: ſo laß, auch aus dieſem Grunde, die fruͤhe Gottes furcht deine erſte Angelegenheit ſeyn.
Denn ſieh! die Gefahren kommen auch fruͤh daher, und wo du nicht, und wo dich dein Freund nicht, und wo dich kein Menſch retten kann, da kann dich dein Gott retten. Und, wenn Er dich nicht aus allen
Noͤthen rettet: fo tröftet dich doch feine Liebe in allen
Noͤthen. Und, wenn Er dich auch dem Tode uͤberlaͤßt: ſo ſchadet dir auch der Tod nicht, und du kannſt mit Zuverſicht vor ſein Angeſicht treten, und den Segen der Gottesfurcht in einem beſſern Lande ernten, wo's keine Waſſergefahren mehr gibt.
Darum ſo halt' dich fruͤh und mit ganzer Seele an Ihn, thu' feinen Willen, ruf? Ihn an, erwarte von Ihm dein Heil, und Er wird dein Gott ſeyn. |
„Fuͤrchte den Herrnz“ das heißt: laß dir feinen
Willen allezeit heilig ſeyn — und fündige nicht vor ſei⸗ nem Angeſichte! „Fuͤrchte den Herrn;“ denn das iſt aller e Anfang! 0 i
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„Fäͤrchte den Herrn;“ denn die Wotzesfurcht ſchafft Rettung oder Troſt in allen Gefahren!
„Fuͤrchte den Herrn;“ denn nur der Herr ben Natur kann dich retten von dem Druck der Natur, oder wenn Er auch den Leib dem Druck der Natur uͤberlaͤßt: ſo kann Er allein deinen Geiſt ſelig machen!
„Fuͤrchte den Herrn“ — und wer dich eine andere Weisheit lehren will, als dieſe, es ſey ein Buch oder ein Menſch, und wenn ein Engel vom Himmel kaͤme, und dir die Gottesfurcht verdaͤchtig machte, glaube ihm nicht. Der Prophet, der dich von der Gottesfurcht abs fuͤhrt, iſt ein falſcher Prophet. Wer dich von Gott wegfuͤhrt, der iſt dein Satan, wenn er ſich auch in Engelslicht kleidete.
III.
Dieſe Begebenheit iſt ganz sander lehrreich fuͤr ſtudirende Juͤnglinge.
Der Tod nahm dieß paar Leichen aus eurem Mittel, meine Lieben! und um den Eindruck zu verſtaͤrken, und nach ſeiner Art recht unparteiiſch zu ſeyn, eine aus den niedern und die andere aus den hoͤhern Schulen. Viel⸗ leicht, weil eure Lehrer nicht allemal gluͤcklich genug ſind, den Weg in euer Herz zu finden, fo ſetzte ſich dießmal der Tod auf's Katheder, und machte das ſchauerliche Experiment an euren Herzen — ob ſie ſich etwa auch gegen ſeine Stimme ſollten verhaͤrten koͤnnen.
Zwar hielt er, der Tod, euch erſt voriges Jahr am 26. Mai 1290 eine ſchreckliche Vorleſung dieſer Art, da er den edlen, unfrer Akademie unvergeßlichen Roger, ſammt ſeinem werthen Freunde Volk, der Akademie und der ganzen Sichtbarkeit entfuͤhret. Mir ſchwebt noch der fuͤrchterliche Zug vor Augen, da zwei Leichen nacheinander zum Stadtthore hinausgetragen und in Ein Grab gelegt worden. Wir ſtanden und ſahen und weinten und ſag⸗ ten zu einander: Nun wird's doch Warnung genug ſeyn fuͤr viele Jahre. Und ſieh! ehe noch ein Jahr herum iſt, ehe wir den 26. Mai 1791 erlebt haben, find uns wieder ein paar Juͤnglinge, die einzigen Soͤhne ihrer
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Familien, und unter dieſen ein Mitſchuͤler des guten Roger,
und deſſen Leichenſaͤnger ») durch die en des Waſ⸗
ſers entriſſen worden.
O heilige Vorſehung! unerforſchlich ſind deine Ge⸗ richte, und ich erkuͤhne mich nicht, den geheimnißvollen
Gang deiner Liebe errathen zu wollen. Aber einen Ge
danken (er ſey dir zur Ehre und dem jungen Alter zum Beſten gedacht!) kann ich nicht unterdruͤcken:
„Iſt etwa die Unachtſamkeit der juͤngern Welt fo groß geworden, daß fie. eines fo ſchrecklichen Exempels
) Baron von Volmar hatte feinen Mitſchüler Roger beſonders lieb, und ſchrieb ſeine Empfindungen über deſſen Tod auf. Da dieſe Empfindungen ein Beweis ſeines Herzens, und die Darſtellungsart derſelben ein Kennzeichen ſeines Verſtandes ſind; und da die Troſtgründe, die er damals für ſich auf⸗
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ſuchte, vielleicht, wegen Aehnlichkeit des Schicksals, Troſtgründe
für Herzen, die an ſeinem Tode den erſten Antheil nehmen mußten, feun können: fo ließ ich diefen poetiſchen Verſuch hier abdrucken.
Empfindungen am Grabhügel meines Freundes Karl Roger. O Grab des edlen Freundes! Roger! theurer Name! Sonſt unſer Stolz, nun unſer Schmerz! | Die Zeit entwölkt vom finftern Grame Die Stirne nur, nicht unſer Herz. Ich traure ſchweigend fort, und habe Recht zu trauren, Dein Herz iſt mir zu nah' verwandt! Ä A Muß doch die Menge dich bedauren, Die dich vom Rufe nur gekannt.
Wenn ſie an deinem Grab, nur weil du kurz gelebet, Des Jünglings Blüthe nur beweint, Und deine Gaben hier mit naſſem Aug' e Beweine ich in dir den Freund,
Den Freund voll Zärtlichkeit, der mit Geſchmack und Sitten N
Ein liebenswürdig Herz verband. Selbſt litt, wenn ſeine Freunde litten, Und, wie ſie ſelbſt, ihr Glück empfand —
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bedarf, um zum Nachdenken gebracht zu werden? Muß⸗ ten etwa vier unſchuldige Opfer fallen, damit die uͤbrigen Juͤnglinge, die in der Ferne und in der Naͤhe davon Nachricht erhalten, aufmerfſam und wachſam gemacht werden?“
Heilige Vorſehung! ich wage es nicht, den Abgrund deiner liebevollen Abſicht ergruͤnden zu wollen: aber ſo viel liegt am Tage: Alles Gute, das dieſe ſchreck⸗
volle Begebenheit in den Herzen der Men⸗
ſchen, und alſo auch in den Herzen der akade⸗ miſchen Juͤnglinge veranlaſſet und wecket, alle heilige Entſchließungen, die ſie faſſen, alle Antriebe zum beſſern Gebrauche der Zeit,
Den Edlen, den ſein Herz, nicht die Geburt, geadelt, Und keine nied're That entehrt, Den ſelbſt die Schmähſucht leiſe nur und ſchüchtern tadelt, Nur bei dem Pöbel, der fie hört — Den haben Welten nicht — wer könnt' ihn mir erſetzen — Den mir dieß frühe Grab entwand. Denn unſern wahren Werth, nach dem uns Weiſe ſchätzen, Macht unſer Herz, nicht unſer Stand.
Wenn Roger um uns war — o welche gold'ne Stunden. O welche Zeit, die ſchnell verſtrich! Nun hält ein dunkles Grab den leichten Scherz gebunden, Der nie von feinen Lippen wich — Das glücklichſte Genie, das flügelſchnell, wie Blitze, Durch jede ſchöne Kenntniß flog, Und Gutes nur mit ſcharfem Witze Von allen Blumen ſog.
Die Mutter weint umſonſt an den Cypreſſen, Um Karl, der ach! ſo viel verſprach! Der Hain, in dem er oft geſeſſen, Seufzt ihre Klagen traurig nach. O Muſe, klag' um ihn, und laß uns mit dir klagen! Die ſchönſte Blüthe welkte ab. Er könnte ſchöne Früchte tragen — Und ihn verſchließt ein Grab!
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die ihnen dadurch gegeben werden, ſind dein Wille und dein Werk. Denn alle gute Gabe kommt von dem Beſten.
Dein Wille und dein Werk iſt die ſchoͤnſte Entſchlie⸗ ßung, die in den Herzen aller ſtudirenden Juͤnglinge wer⸗ den kann. Sie heißt: „Es ſind die Eltern der betrauer⸗ ten Juͤnglinge, und ihre Verwandten, und ihre Lehrer, und ſo viele andere Menſchen, durch den unvermutheten Ausgang dieſer Juͤnglinge aus dieſer Welt, in das groͤßte Herzeleid verſetzt worden. Die Eltern entlaſſen ihre Kin⸗ der, die ſie auf Akademien ſchicken, wohl nie anders, als unter Thraͤnen, Segnungen, Bitten: Sohn! hab' Acht
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Vermeſſen fragt der Menſch nach jedes Zufalls Grunde:
Was unſer Schöpfer will, iſt gut.
Er wählt für unſern Tod die allerbeſte Stunde,
Die an den Stufen ſeines Thrones ruht.
Religion! gen dich will ſich der Schmerz empören,
Der vor ſich hin zur Erde ſchaut:
Wir müſſen doch zuletzt dich hören!
Du rufft uns allzulaut.
Du ſagſt: Karl lebt in einer höhern Sphäre: Wir glauben Dir mit Freudigkeit. Wenn nicht ſein beſſ'rer Theil dem Grab entriſſen wäre, Wo blieb ein Troſt für unſer Leid? Er lebt! — In jene Welt der FRE gehe Setzt er fein Leben fort: Was hier zur Reife nicht gekommen, Das wächst und reifet dort.
Ja, Freund! Ich ſegne deinen Tod, der dich aus Finſter⸗ Und Schlingen lockender Gefahr niſſen Zu einer beſſern Welt entriſſen, Die deiner würdig war. Das reinſte Glück hat dir nun angefangen, Dir ſtehen ſchön're, licht're Tage vor. Dorthin, wo du zum neuen Leben hingegangen, Flieh' auch mein Geiſt empor!
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Karl Volmar.
00 dich; gib dich in keine Gefahr; ſey fromm und lerne fleißig! I Wie muß es alſo den zweien Familien zu Muthe geweſen ſeyn, als ihnen die Nach⸗ richt gebracht worden, daß ihre einzigen Soͤhne — nicht mehr ſind. Es muͤßte ein Satan ſeyn, der mit den traurenden Eltern nicht mitgetrauret haͤtte. In ein aͤhn⸗ liches Herzeleid wuͤrden auch meine Eltern, Verwandte, Lehrer, Wohlthaͤter verſetzt werden, wenn ich in eine aͤhn⸗ liche Lebensgefahr geriethe, oder gar darin umkaͤme. Dieß unausſprechliche Herzeleid will ich nun meinen Eltern, meinen Verwandten, meinen Lehrern, meinen Wohlthaͤtern, und allen Menſchen, die mich lieb haben, erſparen; und um es ihnen zu erſparen, ſo will ich den Zweck meines Hierſeyns und der ganzen Erziehungsanſtalt nie aus dem Auge laſſen; will fleißig die Hoͤrſaͤle meiner Lehrer befus chen, und an meinem Studirpulte die Zeit gewiſſenhaft anwenden; will die Winke meiner Lehrer und Eltern fuͤr Winke Gottes anſehen, und durch maͤnnliches, uͤberlegtes, von Fleiß und Ordnung zeugendes Betragen die Beiſpiele des akademiſchen Leichtſinnes zu Schanden machen. Ich werde dadurch, daß ich in den Hoͤrſaͤlen und am Pulte, und ſonſt uͤberall meinem Beruf treu nachkomme, vielen Lebens- und andern Gefahren entgehen. Es ſoll nie ein Menſchenauge uͤber meine Unbedachtſamkeit oder uͤber meine Nachlaͤſſigkeit weinen. Nie will ich durch Unbeſon⸗ nenheit und die traurigen Folgen derſelben den ungerech⸗ ten Verdacht auf die Akademie und die Lehrer derſelben waͤlzen helfen, als wenn ſie es an Aufſicht und Hand⸗ habung der oͤffentlichen Zucht und Ordnung fehlen ließen. Ich habe meine Lehrer zu lieb, als daß ich dieß ungerechte Urtheil auch nur ſollte veranlaſſen helfen.“
Heilige Vorſehung, wecke, naͤhre, ſegne dieſe Entſchlie⸗ ßung! Und wenn dieſe Entſchließung in allen Studirenden
*) Es iſt noch ein Brief im Volmar'ſchen Schreibpulte, den ihm ſeine werthe Mutter geſchrieben: Er ſollte ja nicht am Abend ausgehen, damit er nicht falle, da die Wege, wegen des vielen Eifes, ſo ſchlüpfrig ſeyen u.
J. M. v. Sailers ſämmtl. Schriften. XXXV. Bd. 31
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diefe Stunde geboren würde, oder neues Leben bekaͤme,
und ſich lebendig bewieſe: ſo wuͤrde ſelbſt das Schreck⸗ lichſte — der Tod, wahres Leben fuͤr unſre Univerſitaͤt ſeyn.
Es werde! Und damit es werde, und damit unſer Schmerz endlich die edelſte Wendung nehme, ſo laßt uns beten:
„Vater! die Donau iſt auch ein Gottesacker—— — wir wiſſen zwar die Ruheſtaͤtte der Ertrunkenen nicht,
aber wo fie immer it — laß fie fanft im Frieden ruhen! Sie haben erſt noch kurz in dieſer Kirche ge⸗ betet; nun bitten wir fuͤr ſie: Laß fle ſauft im Frie⸗ den ruhen!
Sende auch der leidenden Mutter“), die mit ihrem Sohne ihre ganze Freude auf Erden verloren hat, Ara, daß fie dem Schmerzen nicht unterliege!
Staͤrke auch die Eltern *) des zweiten Ertrunkenen, und laß ſie deinen Segen in ihren noch uͤbrigen Kindern gedoppelt fuͤhlen, nachdem ſie ihren einzigen Sohn ver⸗ loren haben!
Und, wenn unſre Juͤnglinge an den Ufern der Donau luſtwandeln, ſo ſey Du ihr Schutzgott, und wehre dem
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Jammer, daß durch die Gewalt des Waſſers nie eine
fünfte 97825 werde!
*) Eine Hand, die nicht ſchmeicheln kann, ſchrieb mir das unver⸗
dächtige Zeugniß, daß die betrübte Mutter ſich in ihren gro⸗ ßen Leiden faſſen könnte, und an der Religion Troſt, und in der Ergebung an den göttlichen Willen Ruhe gefunden hat.
+) Eine ähnliche Nachricht erhielt ich auch von der Oſterbergiſchen Familie. Sie konnte nach den erſten Aufünen des Schmer⸗ zens mit Job beten: Der Herr hat Ihn gegeben: Der Herr hat Ihn genommen: Der Name des Herrn ſey e
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Er ſey's! Amen.
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noch ein Wort am Grabe der Unglücklichen zu .
Voreriunerung.
Es haben ſich nicht leicht ſo viele Umſtände vereiniget, das Herz des Menſchen zur Empfindung zu ſtimmen, als die dieſe Predigt vorbereiteten.
Sechs und zwanzig Tage nach der erſten Schreckensnach⸗
richt, da die leidige Hoffnung, nur noch am Grabe der früh⸗ verblühten Jünglinge weinen zu können, immer mehr verſchwand, und die Furcht, ihre Leichen möchten vielleicht, wegen des Gel⸗ des und der Uhren ꝛc., die fie bei ſich trugen, habfüchtigen Elenden in die Hände gefallen ſeyn u. ſ. w., ſchon bald übers wog, kam Abends ein Bote von Schwenningen nach Dillingen: „Die Donau habe die Leichen des züngern Freiherrn und des Jägers ausgeworfen,“ und um Mitternacht ein zweiter Bote: „Auch die dritte Leiche ſey gefunden.“ |
Morgens darauf, lange vor Sonnenaufgang, ſah man ſchon die Straße nach Schwenningen mit Studirenden aller Klaſſen ꝛc. bedeckt. Der ganze Himmel hieng voll trüber Regen⸗ wolken. Die Luft war matt und ſchwül. Es war ſo was Dumpfes und Schwermüthiges, wie vor einem Gewitter.
Die drei Särge ſtanden in einer kleinen Feldkapelle außer Schwenningen. Wer da den Tod recht in's Auge faſſen, und an ſeine eigene Sterblichkeit und die Brechlichkeit aller Dinge auf Erden recht erinnert ſeyn wollte, konnte da einen vor vie⸗ len ſchönblühenden Jüngling bald in voller, grauenerregender Verweſung ſehen. Das Grab für Volmar und Oſterberg war in der Pfarrkirche aufgeworfen, für den Jäger nächſt der Kirche.
Von der Kapelle zur ee gieng der Leichenzug. 31 *
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Wohl ein ſchauerlicher Anblick! Drei ſchwarze Sarge, mit zwei Erſt⸗ und Einziggebornen, und einem treuen Diener, alle in der vollen Blüthe des Lebens, getragen von Jünglin⸗ gen mit geſenktem Haupt, von denen Lebhaftigkeit und Leicht⸗ ſinn gewichen zu ſeyn ſchien, um der Trauer und dem Nach⸗
denken Platz zu machen, und die durch das vielfache Band der
Studien, des gleichen Alters, des täglichen Umgangs, der Liebe und Freundſchaft, mit ihnen verknüpft waren — begleitet von ihren Lehrern ꝛc. und einer ganzen Gemeinde! Und dann
das laute Gebet und der alte Kirchengeſang, und der dumpfe Trauerhall der Glocken — —
Es war traurig! — Und als die 50 Särge eingeſenkt
wurden in Ein weites tiefes Grab, und acht Männer ſchwere Steine und Erdſchollen darauf hinunter ſchaufelten unter einem fürchterlichen Gekrach', das durch den Wiederhall vom hohen Kirchengewölbe verſtärkt — das arme Herz traf und erſchütterte wie Wetterſchlag, und immer dumpfer donnerte — und mit unter Chorgeſang und Geläut fortſchallten: da konnten wohl wenige Augen den eingeſenkten Leichen trocken nachſehen, und der Menſch, er ſey da geweſen, wer er wolle, mußte gedrun⸗ gen von ſeiner Natur, ei Grab am BR zum Pimeel
aufſehen.
Mit dem letzten Schaufelſchlag war nun das Getöſe zu jener ſchauerlichen Stille herabgeſunken, die den Schmerz ein⸗ und die Trauer noch kräftiger ausdrückt, als lautes Klagen und Jammergeſchrei —
Dieſe Stille unterbrach der Prediger, und ſagte, was ihn der Blick auf das unten neben der Kanzel aufgeworfene Grab, und die naſſen Augen ſeiner Zuhörer ſagen ließen. Einiges davon ſchrieb eine freundliche Hand nach der Pre- digt auf, und theilt es dem Leſer mit, ſo wie ſie es nach⸗ geſchrieben.
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Herr! laſſe fie im Frieden ruhen!
Der Tod macht keine Vorrede — ſo auch ich heute nicht | — — ich gehe gerade auf die Sache.
Gott! gieb, daß ich der Empfindung nicht unterliege.
K. An Volmars und Oſterbergs Grabe.
Ihr lieben Juͤnglinge, deren Moder gerade jetzt in dieſes Grab gelegt wird!
Euer Hintritt hat uns Thraͤnen genug gekoſtet: wir haͤtten es damals nicht geglaubt, daß wir erſt nach 22 Tagen an eurem Grabe wuͤrden weinen koͤnnen!
Es war faſt einen Monat das Waſſer euer Grab: jetzt ward es die Erde... Was iſt es doch um uns Menſchen! Es muß uns jetzt noch eine Art des Troſtes ſeyn, daß wir eure Leichen gefunden — da wir euch verloren! Und dieſer Troſt ward bei mir erſt dieſe Nacht in der zwoͤlften Stunde vollendet.
Ich habe euren Leichen ſchon am 24. Maͤrz, vor allen euren Mitſchuͤlern, Ruhe gewuͤnſcht: ich wuͤnſche ſie nochmal hier, wo ſie endlich ruhen — denn damals wußten wir's noch nicht! — — Mit Mühe wende ich mich von euch — — — und trockne mein Auge, und erhebe es zum Himmel, und ſpreche: Allmaͤchtiger! dein Wille geſchehe! —
Es war auch dieß Gottes Wille, daß wir hier am Grabe verſammelt — — nochmal dem Tod' in's Auge ſehen ſollten, um nuͤchtern zu werden.
Ich will nicht wiederholen, was ich in der akademi⸗ ſchen Kirche ſagte. Es wiederholt ſich ſelbſt! a
Es iſt ein Geſetz, das kein Menſch aͤndern kann: Wer durch Mutterleib in dieſe Welt kommt,
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muß durch den Tod in eine andere fortgeſchafft 1
werden.
Wir ſi ind noch hier, und die andere Welt wartet auch ſchon auf uns: Laßt uns, Allerliebſte, nie vergeſſen, daß wir nicht hier ſind, um da zu bleiben!
Wir muͤſſen Alle fort: ſehe ein jeder zu, daß
ſein Austritt aus dieſer Welt fuͤr ihn lieblich werde, und troſtvoll fuͤr — ſeine Freunde.
Es weiß doch Keiner, wie bald und unperſehens die Reihe ihn treffen werde: richtet euch Alle, daß doch wenigſtens nach den heiligſten Andachtsſtunden, eines jeden Herz rein genug ſey, um dieſe Reiſe alle Augenblick an⸗ zutreten. 8
Laßt euch warnen, fo lange es Zeit iſt bei dieſen Juͤnglingen, um deren Grab ihr ſtehet, iſt es
nun zu ſpaͤt. Liebe Freunde... es iſt einem jeden aus
uns ein Maaß geſetzt, das wir auch durch Ungehorſam nicht uͤberſchreiten koͤnnen! Laßt euch warnen, ſo lange es Zeit iſt! Auch
eure Geſundheit iſt brechlich. Auch ihr habt kein Vor⸗ |
recht, keinen Freiheitsbrief gegen den Tod aufzuweiſen. Seht hier zwei Juͤnglinge, zwei Freiherren in Einem Grabe — und vergeßt doch nie, daß es fuͤr den Tod keinen Freiherrnſtand gebe, daß Alles, was Menſch iſt, der Juͤngling wie der Greis, ſeinem eiſernen Scepter un⸗ terworfen ſey! Die wir hier begraben, ſollen in dem Grabe — eure Lehrmeiſter ſeyn!
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Es kommen nun bald die Blumen aus der Erde her⸗
vor .. brecht fie ab, ihr juͤngern Schüler, und leget ſie auf dieſen Grabhuͤgel, und ſprechet:
„So ift mein Leben... bald verbluͤhet, wie
die Blume!“ Und weil ein Grab auch eine Grabſchrift haben muß, ſo ſollte man darauf hinſchreiben — — ich will hiemit
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1 ſchon gar nicht ſagen, daß dieſe zwei Jünglinge ihre Eltern nicht geehrt haben: „Ehre Vater und Mutter, damit du lange lebeſt Auf Erden!“
2. Am Grabe des Jägers.
Es iſt mir lieb, daß mir noch Anlaß wird, von dir, guter Maurus, ein Wort zu reden.
Ich ſchwieg von d hier kann ich nicht mehr ſchweigen.
In einer Hinſicht fandest du noch mehr Mitleiden, als die zwei Freiherren. Nicht als wenn ſie an deinem Tode ſchuld geweſen — ſondern weil du von ihnen zur Jagd und zum Tode mitgenommen warſt.
Es ruͤhrte mich, was von dir in Dillingen erzählt ward. — — Dieſe deine Treue iſt aller Ehre werth.
Auch war es eine Fuͤgung, daß du in der Geſell⸗ ſchaft ſollteſt begraben werden, in welcher du — ſtarbſt.
Man haͤtte dich auch mit ihnen — in Ein Grab legen ſollen, weil ihr miteinander geſtorben ſeyd — und der Tod bewieſen hat, daß er keinen Unterſchied kenne.
Gott gebe dir mit ihnen — Eine Ruhe!
5. An die Schwenninger Gemeinde,
Sowohl die Herrſchaft des Ortes, als der wuͤrdige Seelſorger, und die ganze Gemeinde hat nun ſeit 27 Ta⸗ gen genug gelitten — — Es iſt immer unangenehm fuͤr die Bewohner eines Ortes, der das Theater des Todes wird, — bei ſolchen Auftritten zuſchauen muͤſſen, und nicht helfen koͤnnen.
Gott vergelte Ihnen Allen, (ich ſage dieß als Lehrer und im Namen Aller, deren Herz dieſe traurige Begeben⸗ hei noch näher angeht,) die Theilnahme an unfern Leis
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den, und bewahre alle Eltern vor einem ähnlichen Herzes leid, und alle ihre Angehörigen vor einem ähnlichen Schickſale! Noch ein Wort von den Pflichten bei dergeichen traurigen Vorfaͤllen: 1. Fuͤr die Verſtorbenen koͤnnen wir nichts, als: beten fuͤr die Seelen, begraben die Leiber.
2. Fuͤr die Mitlebenden nichts, als: mitleiden, warnen, bewahren.
3. Fuͤr uns ſelbſt nichts, als: lernen ſorgen fuͤr unſer zeitliches PER und (weil hier am Ende doch alle Sorgfalt zu kurz kommt) um ſo mehr — ſorgen lernen fuͤr unſer ewiges Leben!
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Und nun noch einmal! „ Ruhet ſanft in dieſer Grabſtaͤtte, liebe Juͤnglinge!
Der ſie euch doch finden ließ, wird — wir hoffen's getroſt! — auch euren Geiſt zu ſich genommen haben, wird ihn rein und froh, und gut und ſelig machen!
Herr! laſſe ſie ruhen im Frieden!
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