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AUTHOR:

SPINOZA , BENEDICTUS DE

TITLE:

ABHANDLUNG ÜBER DIE VERBESSERRUNG...

PLACE:

HEIDELBERG

DA TE :

1888

COLUMBIA UNIVERSITY LIBRARIES PRESERVATION DEPARTMENT

BIBLIOGR APHIC MTPROFOrm TAWnFT

Original Material as Filmed - Existing Bibliographie Record

193Sp4 J4

Kirolir.ann, Juliuo Hermann von, IMP.^l^BAf tr.

lipinoza, Benedictus de.rTract. de intoll ectus esmen

ciatione Ger. Kirchmann.; , ••Abhandlung über die verbesserunf^ des ver»

Standes und über den ne^^. 1BÖ8.

Master Negative #

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Philosophische Bibliothek

oder

Sammlung

der

Hauptwerke der Philosophie

alter und neuer Zeit.

Unter Mitwirkung namhafter Gelehrten

herausgegeben, beziehungsweise übersetzt, erläutert und mit Lebensbeschreibungen versehen

von

H. ?• KirehmaBB*

Vierundvierzigster Band.

Splnoza's Abhandlung: über die Yerbesserung des Verstandes und dessen politische Abhandlung.

2. Auflage.

Benedict ¥Ofl Spinoza's

Abhandlung

über die

Verbesserung des Verstandes

und

Über den Weg, auf den er am besten zur wahren Erkenntnis der Dinge geführt wird,

und desselben

Politische Abhandlung,

in welcher

dargelegt wird, wie die Verfassung sowohl bei einem monar- chischen wie bei einem aristokratischen Regiment beschaffen sein müsse, damit sie nicht in Tyrannei ausarte, sondern der Friede und die Freiheit der Bürger unverletzt erhalten

bleibe.

Übersetzt und erläutert

von

J. H. T. Eirehmann.

Zweite Auflage

durchgesehen von Q. Giesserow.

Heidelberg 1888.

Verlag von Georg Weiss.

Heidelberg 1888.

Verlag von Georg Weiss.

Vorwort des Übersetzers.

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Rücksichtlich des der Übersetzung zu Grunde liegen- den Textes wird auf das Bezug genommen ^ was in den Vorworten zur Ethik, zur theologisch-politischen Abhand- lung und zur Bearbeitung der Prinzipien des Descartes (B. 1 V. XXXV. u. XLL) gesagt worden ist.

Die erste, hier folgende Abhandlung über die Ver- besserung des Verstandes gehört nächst der Ethik zu den schwer-verständlichsten Schriften Sp.s. Teils des- halb, teils weil diese Abhandlung manche Aufklärung über den Gang der philosophischen Entwickelung Sp.s bietet und weil sie ebenso wie der Anhang metaphysi- scher Gedanken zum Verständnis der Ethik viel beiträgt, haben die Erläuterungen, welche in einem besondern Heft unmittelbar nachfolgen werden, umfassender gehalten wer- den müssen, als es sonst im Plane der philosophischen Bibliothek gelegen haben würde.

Diese Abhandlung gehört jedenfalls zu den frühesten Arbeiten Sp.s und lässt man sich für die Frage der Zeit- folge seiner Werke lediglich durch deren inneren Gehalt bestimmen, so würde Unterzeichneter sie so ordnen, dass die Bearbeitung der Prinzipien von Descartes mit dem Anhange metaphysischer Gedanken den Anfang macht. Dieser ist dann unsere Abhandlung gefolgt, wofür die viel reichere und schärfere Entwickelung meh- rerer Begriffe spricht, die sich hier im Vergleich zu dort findet. Wenn Oldenburg in seinem Briefe vom 3. April 1663 Sp. fragt, „ob er die Abhandlung zustande ge- „bracht, worin er vom Urbeginn der Dinge u. s. w.

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Vorwort des Übersetzers.

Vorwort des Übersetzers.

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„spreche**, so ist dies kein Beweis für die frühere Ent- stehung unserer Abhandlung, da einmal es zweifelhaft bleibt, ob Oldenburg mit diesen Worten unsere Abhand- lung gemeint hat, und weil er nur von einer zu voll- endenden Abhandlung spricht, was sehr wohl von der blossen Absicht verstanden werden kann, mit der sich Sp. allerdings schon lange getragen haben mag.

Erst nach unserer Abhandlung hat Sp. dann die umfassende Bearbeitung seiner Philosophie begonnen, auf die er in dieser Abhandlung und in den Anmerkungen derselben wiederholt als eine erst vorzunehmende Arbeit hinweist. Als diese erste Bearbeitung der Philo- sophie [oder als einen Entwurf dazu möchte Unterzeich- neter die Abhandlung über Gott und den Men- schen ansehen, die um 1860 in einer holländischen Uebersetzung als Manuskript aufgefunden und in B. XVIII der philosophischen Bibliothek in einer deutschen Ueber- setzung geliefert worden ist. Unmittelbar nach diesem Entwurf oder dieser Skizze wird Sp. dann seine Ethik, als das auch in der Form vollendete System seiner Philo- sophie, begonnen und wahrscheinlich ohne Unterbrechung bis zu Ende ausgearbeitet haben; was natürlich nicht aus- Bchliesst, dass er an diesem seinem Hauptwerke bis zu seinem Tode fortwährend gefeilt und gebessert haben mag. Erst nachdem Sp. mit dieser Arbeit im wesentlichen fertig war, wird er an seine theologisch - politische Ab- handlung gegangen sein, welche der Ethik als eines fertigen Werkes mehrfach erwähnt und sein letztes Werk bildet, dann die ebenfalls unvollendet gebliebene poli- tische Abhandlung, in welcher die Ethik und die theologisch - politische Abhandlung als fertige Werke ge- nannt werden, und welche deutlich erkennen lässt, dass Sp. in seinen späten Jahren sich dem Studium der Ge- schichte und Politik, d. h. der Wirklichkeit in höherem Masse, wie früher, zugewendet hat.

Diese Reihenfolge der Schriften des Sp. stimmt aller- dings mehrfach nicht mit den bisherigen Annahmen der Gelehrten, welche insbesondere die neuerlich aufgefun- dene Abhandlung über Gott für sein frühstes, noch vor seinem 24. Jahre geschriebenes Werk erklären (man vergl. Avenarius: Die Phasen des Spinozischen Pantheismus 1868. S. 162); indess sind die lediglich aus dem Inhalt

der Schrift dafür entnommenen Gründe leicht zu wider- legen und aus diesem Inhalt eher das Gegenteil zu folgern, wie die in einem besondern Band nachfolgenden Erläute- rungen Nr. 28, 31, 36 am Schluss, 43, 71, 77, 81, 86, 94 und 96 ergeben werden. Ueberhaupt scheint es bedenk- lich, drei so bestimmt geschiedene Phasen in der Ent- wickelung Sp.s anzunehmen, wie Avenarius in der er- wähnten Schrift thut Diese Unterschiede sind nicht in der Schärfe vorhanden, wie er behauptet, und die her- vorgehobenen Gegensätze finden sich in den früheren Schriften Sp.s ebenso, wie in seinem vollendetsten Werke, der Ethik (man vergleiche z. B. Erl. 43 zu dieser Ab- handlung); sie gehören vielmehr zu den Inkonsequenzen und Widersprüchen, in die Sp.s Grundgedanke einer de- duktiven Entwickelung der Philosophie aus dem Gottes- begriffe ihn unvermeidlich verwickeln musste und welche sich deshalb in allen seinen Schriften wiederfinden. Dabei ist es mehr zufällig, wenn Sp. den Accent bald auf die Natur, bald auf Gott, bald auf die Substanz legt, da die Identität dieser Begriffe schon in seinen frühesten Schriften von ihm ausgesprochen wird; selbst in bezug auf die Kausalität zwischen den Attributen kann Sp. auch in der Ethik sich nicht konsequent erhalten; insbesondere leitet er die bildlichen Vorstellungen auch da von Zuständen des Körpers als Ursache ab und umgekehrt ist die Iden- tität aller Attribute neben ihrer gegenseitigen Kausalität auch schon in dem Anhange der metaphysischen Gedanken, in unserer Abhandlung und in der über Gott mehrfach und zum Teil sehr bestimmt ausgesprochen. Sp. hatte jedenfalls seine von Descartes abweichenden Grund- gedanken schon zur Zeit, als er die Prinzipien desselben bearbeitete, erreicht und der Unterschied seiner spätem gegen die früheren Schriften trifft nicht diese Grund- gedanken, sondern nur ihre vollständigere Entwickelung und bestimmtere Darstellung.

Sollte diese Ansicht richtig sein, so verliert die Frage nach der zeitlichen Reihe der Schriften Sp.s überhaupt an Bedeutung; sie hat dann mehr ein Interesse für den Litterarhistoriker und Biographen, als für die Philosophie an sich; nur der Ueberfluss an Zeit und Gelehrsamkeit kann dahin führen, dergleichen Fragen mit einer pein- lichen Gewissenhaftigkeit zu erörtern.

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Vorwort des Übersetzers.

Vorwort des Übersetzers.

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Was nun unsere Abhandlung selbst anlangt, so ist, wie der gleichlautende Titel und die äussere Anlage zeigt, Sp. dazu durch desDescartes Beispiel und Abhandlung über die Methode veranlasst worden. Die Abfassung der- selben fällt jedenfalls in die Periode, wo die Schriften des Descartes ihn noch viel beschäftigten , und so mag es gekommen sein, dass Sp. ebenso wie Descartes seine schriftstellerische Thätigkeit mit einer Abhandlung über die Methode beginnen zu müssen meinte. Indess hätte das Beispiel von Descartes ihn eher davon abhalten sollen, denn das, was Descartes über seine Methode darin sagt, wird auf wenigen Seiten abgemacht und alles andere ist vielmehr eine pikante Schilderung seiner per- sönlichen Entwickelungen und Schicksale und eine Er- zählung, wonach er seine wichtigen Entdeckungen in der Geometrie und Naturphilosophie viel mehr durch die in- duktive als die deduktive Methode gewonnen hat.

Sp.s ernster und strenger Geist nahm jedoch die Auf- gabe ernster und so empfangen wir in unserer Abhand- lung den Versuch zu einer wirklichen philosophischen Methodenlehre. Indess muss, so interessant dieser Ver- such auch ist, er doch für verunglückt angesehen werden. Nicht nur, dass Sp. kaum über den Anfang hinaus ge- kommen ist und dann, trotz allen guten Willens, wie L. Meyer, sein Freund, versichert, nicht hat weiter kom- men können, so ergiebt auch der Inhalt wie die Form und Ordnung, dass wir es nur mit einem Versuche und mit der Darstellung noch unklarer Gedanken zu thun

haben.

Nach einer sehr bedenklichen Einleitung, wo, wie

Descartes eine Schilderung seiner Zweifel, so Sp. eine Schilderung seiner Versuche, das höchste Gut zu er- reichen, zum besten giebt und dabei die Philosophie zu einem blossen Mittel für die Glückseligkeit des Menschen herabdrückt, beginnt der erste Teil mit einer Ent Wicke- lung der Begriffe der eingebildeten, falschen und zweifelhaften Vorstellungen, während der Begriff der wahren Vorstellung nur nebenbei berührt wird. Dieser Teil bildet wohl drei Viertel dessen, was von der Abhandlung vorhanden ist; der Rest beschäftigt sich mit dem Begriff der Definition und mit einem Anhang über die Eigenschaften des menschlichen Verstandes; hier bricht

die Abhandlung plötzlich ab und ist auch später von Sp. nicht fortgesetzt worden. Hin und wieder finden sich noch Anmerkungen, die, nach Meyers Versicherung, später von Sp. zugefügt sind. Wahrscheinlich sind sie während der Ausarbeitung der Abhandlung über Gott und den Menschen beigefügt worden, da Sp. diese letztere Abhandlung als seine Philosophie oder den Entwurf dazu ansah und diese Anmerkungen wiederholt auf diese Philosophie, als ein bald zu erwartendes Werk, verweisen. Der Inhalt dieser Anmerkungen ist übrigens unbedeutend und von den Grundgedanken, die in der Abhandlung herrschen, keines- wegs abweichend, was ebenfalls darauf hinweist, dass sie bald nach der Abfassung der Schrift selbst zugesetzt sind. Schon dieser Inhalt sowie die Ordnung dessen, was wir von unserer Abhandlung besitzen, zeigt also, dass Sp. sich selbst über die Anordnung wenig klar gewesen ist und noch weniger über das Ganze der Aufgabe, welche er sich hier vorgesetzt hatte. Allerdings hatte Sp. damals, ähnlich wie Descartes bei seiner Abhandlung über die Methode, schon die Grundgedanken seines eigenen Systems gewon- nen und sich wohl auch über die dabei befolgte Methode einige Rechenschaft gegeben ; allein im ganzen konnte er hier noch nicht zur Klarheit gelangt sein, sonst hätte er sicherlich mit der Schilderung des Verstandes als des In- strumentes, oder mit dem Fundamentalbegriffe der Wahr- heit und der deduktiven Methode begonnen, anstatt mit den eingebildeten, falschen und zweifelhaften Vorstellungen den Anfang zu machen, die vor Erkenntnis des Verstandes und Feststellung der wahren Vorstellung kaum genügend dargelegt werden konnten.

Die sonst in dem Werke vorkommenden Unklarheiten, Mängel und Widersprüche werden in den Erläuterungen zu den betreffenden Stellen dargelegt. Sie zeigen deutlich, dass wir es in dieser Schrift nur mit einem ersten Ent- würfe zu thun haben, den Sp. sicherlich einer nochmaligen Ueberarbeitung unterzogen haben würde, wenn er nicht die Lust an der Fortsetzung der Arbeit verloren gehabt hätte. Denn es ist wohl nur eine gut gemeinte Entschul- digung seines Freundes L. Meyer, wenn dieser die NichtVollendung auf die Schwierigkeit der Aufgabe und die Menge der dazu nötigen Kenntnisse schiebt. Wenn Jemand, wie hier Sp., statt in der Beschreibung der Methode

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Vorwort des Übersetzers.

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Was nun unsere Abhandlung selbst anlangt, so ist, wie der gleichlautende Titel und die äussere Anlage zeigt, Sp. dazu durch desDescartes Beispiel und Abhandlung über die Methode veranlasst worden. Die Abfassung der- selben fällt jedenfalls in die Periode, wo die Schriften des Descartes ihn noch viel beschäftigten, und so mag es gekommen sein, dass Sp. ebenso wie Descartes seine schriftstellerische Thätigkeit mit einer Abhandlung über die Methode beginnen zu müssen meinte. Indess hätte das Beispiel von Descartes ihn eher davon abhalten sollen, denn das, was Descartes über seine Methode darin sagt, wird auf wenigen Seiten abgemacht und alles andere ist vielmehr eine pikante Schilderung seiner per- sönlichen Entwickelungen und Schicksale und eine Er- zählung, wonach er seine wichtigen Entdeckungen in der Geometrie und Naturphilosophie viel mehr durch die in- duktive als die deduktive Methode gewonnen hat.

Sp.s ernster und strenger Geist nahm jedoch die Auf- gabe ernster und so empfangen wir in unserer Abhand- lung den Versuch zu einer wirklichen philosophischen Methodenlehre. Indess muss, so interessant dieser Ver- such auch ist, er doch für verunglückt angesehen werden. Nicht nur, dass Sp. kaum über den Anfang hinaus ge- kommen ist und dann, trotz allen guten Willens, wie L. Meyer, sein Freund, versichert, nicht hat weiter kom- men können, so ergiebt auch der Inhalt wie die Form und Ordnung, dass wir es nur mit einem Versuche und mit der Darstellung noch unklarer Gedanken zu thun

haben.

Nach einer sehr bedenklichen Einleitung, wo, wie Descartes eine Schilderung seiner Zweifel, so Sp. eine Schilderung seiner Versuche, das höchste Gut zu er- reichen, zum besten giebt und dabei die Philosophie zu einem blossen Mittel für die Glückseligkeit des Menschen herabdrückt, beginnt der erste Teil mit einer Entwicke- lung der Begriffe der eingebildeten, falschen und zweifelhaften Vorstellungen, während der Begriff der wahren Vorstellung nur nebenbei berührt wird. Dieser Teil bildet wohl drei Viertel dessen, was von der Abhandlung vorhanden ist; der Rest beschäftigt sich mit dem Begriff der Definition und mit einem Anhang über die Eigenschaften des menschlichen Verstandes; hier bricht

die Abhandlung plötzlich ab und ist auch später von Sp. nicht fortgesetzt worden. Hin und wieder finden sich noch Anmerkungen, die, nach Meyers Versicherung, später von Sp. zugefügt sind. Wahrscheinlich sind sie während der Ausarbeitung der Abhandlung über Gott und den Menschen beigefügt worden, da Sp. diese letztere Abhandlung als seine Philosophie oder den Entwurf dazu ansah und diese Anmerkungen wiederholt auf diese Philosophie, als ein bald zu erwartendes Werk, verweisen. Der Inhalt dieser Anmerkungen ist übrigens unbedeutend und von den Grundgedanken, die in der Abhandlung herrschen, keines- wegs abweichend, was ebenfalls darauf hinweist, dass sie bald nach der Abfassung der Schrift selbst zugesetzt sind. Schon dieser Inhalt sowie die Ordnung dessen, was wir von unserer Abhandlung besitzen, zeigt also, dass Sp. sich selbst über die Anordnung wenig klar gewesen ist und noch weniger über das Ganze der Aufgabe, welche er sich hier vorgesetzt hatte. Allerdings hatte Sp. damals, ähnlich wie Descartes bei seiner Abhandlung über die Methode, schon die Grundgedanken seines eigenen Systems gewon- nen und sich wohl auch über die dabei befolgte Methode einige Rechenschaft gegeben ; allein im ganzen konnte er hier noch nicht zur Klarheit gelangt sein, sonst hätte er sicherlich mit der Schilderung des Verstandes als des In- strumentes, oder mit dem Fundamentalbegriffe der Wahr- heit und der deduktiven Methode begonnen, anstatt mit den eingebildeten, falschen und zweifelhaften Vorstellungen den Anfang zu machen, die vor Erkenntnis des Verstandes und Feststellung der wahren Vorstellung kaum genügend dargelegt werden konnten.

Die sonst in dem Werke vorkommenden Unklarheiten, Mängel und Widersprüche werden in den Erläuterungen zu den betreffenden Stellen dargelegt. Sie zeigen deutlich, dass wir es in dieser Schrift nur mit einem ersten Ent- würfe zu thun haben, den Sp. sicherlich einer nochmaligen Ueberarbeitung unterzogen haben würde, wenn er nicht die Lust an der Fortsetzung der Arbeit verloren gehabt hätte. Denn es ist wohl nur eine gut gemeinte Entschul- digung seines Freundes L. Meyer, wenn dieser die NichtVollendung auf die Schwierigkeit der Aufgabe und die Menge der dazu nötigen Kenntnisse schiebt. Wenn Jemand, wie hier Sp., statt in der Beschreibung der Methode

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fortzufahren , das mittelst dieser Methode zu schaflfende Werk selbst ausarbeitet und in seiner Ethik m einer Voll- endung bietet, wie sie überhaupt bei dieser Methode mög- lich ist, so können diese Gründe seines Freundes offenbar nicht die wahren sein. Vielmehr hat es zunächst wohl dem Sp., und mit Recht, als das Wichtigere geschienen, das Werk selbst, zu dessen Beginn ihm diese Abhandlung wohl den ersten ernsten Anlass gegeben hatte, in Angriff zu nehmen, als seine Zeit und Kraft mit der Beschreibung der Methode, wie ein solches Werk zu schaffen, zu ver- schwenden. Sodann, und dies mag wohl der Hauptgrund gewesen sein, fand Sp., dass er bei der weiteren Darstel- lung seiner deduktiven Methode, welche er unter der Ver- besserung des Verstandes versteht, in Schwierigkeiten geriet . welche er nicht erwartet hatte. Es wurde hier wirklich für Sp. leichter, das Werk selbst, als die Dar- stellung der Methode zu vollenden; denn in dem Werke selbst verhüllten sich die Mängel dieser Methode unter dem Reichtum der konkreten Gegenstände, insbesondere der Gottesvorstellung und des sittlichen und rehgioscn Lebensinhaltes; das Neue, zu dem die deduktive Methode fortschreiten musste und was sie aus sich selbst nicnt zu gewinnen vermochte, konnte deshalb hier unvermerkt, und wahrscheinlich auch im guten Glauben von Sp. aus dem Reichtum jener bereits vorhandenen und geläufigen kon- kreten Begriffe entlehnt, in die deduktiven Ableitungen eingeschoben und so ein reicher Inhalt für das System gewonnen werden, trotzdem dass es äusserlich sich ganz in das strenge deduktive Verfahren der Geometrie kleidete. Allein viel schwerer stellte sich die Aufgabe, dieses deduktive Verfahren für sich zum Gegenstande einer wissenschaftlichen Darstellung zu machen. Hier waren diese Erschleichungen und unvermerkten Ergänzungen aus dem Vorrat der Erfahrung nicht anwendbar; hier musste einfach und trocken gezeigt werden', wie aus einem Be- griffe ohne fremde Zuthat etwas Neues deduktiv abgeleitet werden könne, und hier musste sich also sehr bald die auch von Kant gemachte Erfahrung aufdrängen , dass solche deduktive Methode zwar zu mancherlei analyti- schen Urteilen den Weg zeigt, aber dass sie niemals zu synthetischen, nicht schon in dem Begriff enthaltenen Urteilen gelangen kann. Allerdings hat bei Sp. diese

Erfahrung nicht die Klarheit wie bei Kant erreicht; Sp« hält an dieser Methode mit Zähigkeit und Ueberzeugung fest; allein trotzdem ist er genötigt, die Hauptsache, wie aus dem Wesen eines Dinges der reiche und weitere In- halt desselben und seiner Zustände und Wirkungen abzu- leiten ist, und wie die Erkenntnis des Wesens vor Er- kenntnis der einzelnen Eigenschaften zu gewinnen ist, in dieser Abhandlung fortwährend zu verschieben und den Leser mit Nebensächlichem zu beschäftigen; ja, zuletzt bei Erforschung des Wesens des Verstandes muss Sp. sein vorher aufgestelltes Prinzip geradezu verletzen, wonach man das Wesen eines Dinges nicht aus seinen Eigenschaften, sondern umgekehrt diese aus jenen ableiten solle. Man sehe Erl. 115. Diese Schwierigkeiten mussten sich ver- mehren, je näher Sp. auf diese Methode einging und ihr Verfahren im einzelnen anschaulich machen wollte und je mehr er sich der unvermeidlichen Beantwortung jener Hauptfragen näherte. Wenngleich Sp. diese Schwierigkeiten mehr gefühlt als sich klar gemacht haben wird, so sind sie doch wohl die wahren Ursachen gewesen, weshalb er diese Darstellung der Methode hat liegen lassen und sich der Ausarbeitung des Systems selbst zugewendet hat, trotz- dem, dass diese Aufgabe an sich als die schwerere gegen die Entwickelung der Methode erscheint.

Dazu kommt noch, dass dergleichen Methodenlehren sich überhaupt für den Fortschritt der Wissenschaft ganz nutzlos erweisen. Sowohl Descartes wie Sp. haben sich an dieser Methodenlehre nur versucht, nachdem sie die wichtigsten Gedanken ihrer Systeme bereits gewonnen hatten, und ebenso sagt Kant, dass dieWissenschaften selbst schon sehr weit vorgerückt sein müssen, ehe das Nach- denken sich der Methode, wie sie zu gewinnen, zuwenden könne. In der Philosophie des Wissens können aller- dings die Fundamentalgesetze der Erkenntnis, die Gesetze und die verschiedenen Richtungen des Denkens, die Natur der Begriffe, der Definitionen, der Beweise, das Wesen des Systems u. s. w. dargelegt werden; allein diese Wissen- schaft ist, wenn sie sich in der Wahrheit erhalten will, ebenso auf die Beobachtung des zeitlich verlaufenden Wissens innerhalb der einzelnen menschlichen Seele an- gewiesen, wie die Wissenschaft des Seienden nur aus der Beobachtung des einzelnen Seienden sich bilden

Spinoza'* Abh. üb. Verbesser, d. Verstandes. 2

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kann. Dagegen ist die Darstellung der deduktiven Methode, wenn sie nicht TaschenJ^pielerkunststücke treiben will, sehr schnell mit ihren Lehren zu Ende, weil aus dem Inhalt eines Begriflfes auf keine redliche Weise etwas Neues her- auagepresst werden kann. Aber auch mit der blossen Beobachtung des einzelnen Seienden ist es für den Fort- schritt der Wissenschaften nicht abgemacht. Wenn der wesentliche Inhalt einer Wissenschaft nur aus den Gesetzen ihres Gebietes und deren Beweisen besteht, und wenn ihre Begriffe nur Wert und Wahrheit haben, soweit sie sich als brauchbare Glieder zu Gesetzen darstellen (B. I. 77), so erhellt, dass aller Fortschritt der Wissenschaften neben der Beobachtung zugleich auf einer glücklichen Konzep- tion der Begriffe zu einem neuen Gesetze beruht. Erst wenn diese Konzeption aus dem Wirrwarr und der Masse der einzelnen Beobachtungen wie ein hellleuchtender Strahl herausbricht, sinkt der Nebel, der über diesem Chaos ge- legen, das Unwesentliche fällt ab und das Zugehörige ordnet sich leicht unter die Einfachheit des neuen Gesetzes und seiner Begriffe. Diese Konzeption des wissenschaft- lichen Forschers ist aber so wenig wie die des Dichters und Künstlers zu erzwingen oder durch Innehaltung von Methoden und Regeln absichtlich zu erreichen. Sie ist die unverhoffte Gabe des Augenblicks, der plötzliche Durch- bruch eines Gedankens, dessen Entstehung nicht weiter zu verfolgen ist und die eigentümliche Bevorzugung des wissenschaftlichen und künstlerischen Genies (B. I 25; Ph. d. W. 402. Aesthethik II. 279). Hier liegt noch ein weites Feld für die Philosophie des ünbewussten. Ein regelrechtes mit voller Absichtlichkeit angestelltes Verfahren zur Ge- winnung dieser Konzeptionen ist hier mehr störend als nützend und deshalb sind dergleichen Methodenlehren, um die Wahrheit zu suchen und die Erkenntnis zu erweitem, wie sie hier Desc. und Sp. versucht haben, für diesen Zweck ein nutzloses Unternehmen; es können nur hohle und unbestimmte Regeln dabei herauskommen, wie auch die von beiden Männern gebotenen Vorschriften bestätigen. Deshalb haben beide wohl gethan; und zwar der Eine, dass er Memoiren daraus gemacht und der Andere, dass er die Arbeit unvollendet hat liegen lassen.

Was die zweite hier aufgenommene Schrift Sp.s, seine politische Abhandlung anlangt, so ist sie so-

wohl nach der Versicherung seines Freundes L. Meyer, als nach den darin vorkommenden Bezugnahmen auf die früheren Werke Sp.s, als sein letztes Werk anzusehen, an welchem er vielleicht bis zu seiner Krankheit ge- arbeitet haben mag und an dessen Vollendung er nur durch den Tod gehindert worden ist. Der Leser kann daher mit einem gewissen Recht erwarten, hier dem reifsten Werke Sp.s zu begegnen. In einer Hinsicht wird dies auch richtig sein; dieses Werk zeigt, dass Sp. in seinen späten Jahren sich viel mit Geschichte und Be- obachtung der wirklichen sittlichen Welt beschäftigt hat. Er hat damit wenigstens stillschweigend anerkannt, dass nicht alle Wahrheit anf dem deduktiven Wege gewonnen werden könne; im übrigen aber steht diese Schrift an philosophischem Inhalt und wissenschaftlicher Vollendung der Ethik erheblich nach, was sich zum Teil daraus er- klärt, dass die Genialität Sp.s weniger in der Beobachtung und Induktion als in der Konzeption von Prinzipien und deren deduktiver Entwickelung lag und dass Sp. niclt zur Revision der Schrift gekommen sein wird, da ihn der Tod schon an der Vollendung des ersten Entwurfes ge- hindert hat.

Die Schrift zerfällt in zwei sehr ungleiche Teile. Die ersten fünf Kapitel bewegen sich in allgemeinen, der Philosophie angehörigen Untersuchungen über die Begriffe von Recht und Staat; hier ist Sp. noch ganz in seinem Elemente. Vom sechsten Kapitel ab geht aber die Schrift zu einer Darstellung der einzelnen Staatsverfassungen und Regierungsformen über, wo die deduktive Methode ihren Dienst zum grössten Teil versagte und Sp. zu künst- lichen Kombinationen greifen musste. Bei diesen hielt er sich bald mehr an das geschichtlich Vorgekommene, bald mehr an eine kluge Berechnung der in der menschlichen Natur einander bekämpfenden Mächte und Leidenschaften und hier verwickelt er sich viel in Einzelheiten, die weder in die Philosophie noch in eine Abhandlung von so beschränktem Umfange gehören, als Sp. sich vorgesetzt hatte.

Hiernach haben auch die Erläuterungen und die Kritik dieser Abhandlung, welche in einem besonderen Hefte nachfolgen werden, für diese beiden Teile verschieden aus- fallen müssen. Bei dem ersten und philosophischen Ab-

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schnitt kam es vorzüglicli darauf an, die eigentlichen Ge- danken Sp.'s klar zu legen, welche bei dieser, nur erst als ein Konzept zu betrachtenden Schrift, nicht immer deutlich hervortreten, und den inneren Zusammenhang des Inhaltes mit der Ethik und der theologisch-politischen Abhandlung darzulegen, in welchen ein Teil der hier behandelten Fragen ebenfalls und oft wörtlich gleich- lautend sich findet. Wenn hierbei die eine Schrifc zur Erklärung der anderen benutzt werden konnte, so ergab sich doch auch das interessante Resultat, dass Sp. in dieser seiner letzten Schrift schon in manchen Punkten über jene Werke hinausgegangen ist und der Wirklich- keit sich näher hält. Auch erhellt daraus, dass Sp. inner- halb der Rechtsphilosophie durchaus nicht so abhängig von Hobbes dasteht, wie es meistenteils und auch von Kuno Fischer behauptet worden ist. Sp. ist teils radikaler, teils gemässigter wie Hobbes und dabei doch konsequenter wie dieser. Bei Sp. geht der wahre Begriff des Sittlichen und des Rechts, welcher auf der Achtung vor dem Gebot im Gegensatz zur Lust beruht (B. XI. 53), ganz unter; Sp. kennt selbst in seiner Ethik nur den Trieb der Selbsterhaltung als das Prinzip alles menschlichen Handelns und wenn er zwischen Vernunft und Leidenschaft unterscheidet, so gilt ihm doch die Vernunft nicht als ein selbständiges Prinzip des Handelns, wie der neueren Philosophie seit Kant, sondern sie ist ihm nur die kluge Leiterin des Selbsterhaltungstriebes. Sogar die von der Vernunft ge- botene Liebe des Nächsten ist bei Sp. nur ein Mittel für den eigenen Nutzen und wird nur in diesem Sinne auf- gefasst und gerechtfertiget. Nachdem Sp. so das sittliche Motiv völlig beseitigt hat, ist es ihm leicht, das Recht ganz mit der Macht zu identifizieren; aber diese Identität bahnte ihm auch wieder den Weg, gewisse Grundrechte für den Einzelnen der Staatsallmacht zu entziehen, die Staats- gewalt selbst mannichfachen Schranken zu unterwerfen und ein klug berechnetes Gleichgewicht zwischen den Leiden- schaften herzustellen ; denn diese Leidenschaften sind nach Sp. unvertilgbar und das einzige Motiv aller praktischen Thätigkeit. Hobbes behält dagegen den gewöhnlichen Begriff des Rechtes bei, wonach es, als sittliches Element, den Gegensatz zur Macht und Lust bildet; denn wenn er

auch im Beginn das Recht mit der Macht identifiziert, so hält er doch diesen Standpunkt nicht fest, sondern geht sehr bald auf den wahren Begriff des Rechtes über, was er zunächst aus dem Vertrage entstehen lässt, aber dann innerhalb des Staates nur von dem Gebote der Staats- gewalt, insbesondere des Fürsten, ableitet. Damit wird ihm jede Beschränkung dieses Willens durch besondere Staatsformen unmöglich und das absolute Königtum wird ebenso folgerecht sein Staatsideal, wie für Sp. die beschränkte Aristokratie. Sp. selbst sagt in seinem SOsten Briefe: „Was die Politik betrifft, so besteht der ünter- „schied zwischen mir und Hobbes darin, dass ich das „natürliche Recht stets unangetastet erhalte und dass ich „den Grundsatz aufstelle, dass der höchsten Staatsgewalt „nicht mehr Recht über die ünterthanen zusteht, als nach „Maassgabe der Gewalt, worin sie über den ünterthanen „steht, was im Naturzustande stets stattfindet. ** Diese Worte bezeichnen das System Sp.'s richtig ; aber der Un- terschied gegen Hobbes ist darin ungenügend angegeben. Der wesentliche Punkt ist vielmehr, dass Hobbes den Be- griff des Rechts, als eines sittlichen Motivs, beibehalten hat, während dieser bei Sp. ganz beseitigt ist. Deshalb kann Hobbes gleich konsequent dem Fürsten mehr Recht beilegen, als er Macht hat, was Sp. bei seinem Prinzip nicht kann.

Für die realistische Auffassung der sittlichen Welt, wie sie in B. XI. der philosophischen Biblioth. dargestellt worden, ist das Studium beider Schriftsteller von grossem Interesse; Beide fühlen die Mängel und das Flache der zu ihrer Zeit geltenden Systeme ; Beide thun einen bedeuten- den Schritt in Auffindung der Wahrheit vorwärts; aber Beide halten sich nur an einzelne wahre Elemente, mit Verabsäumung anderer und deshalb sind beide an der vollen Erkenntnis der sittlichen Welt gehindert und ver- mögen mit ihren einseitigen Elementen auch nur einen Staat zu konstruieren, welcher, wenn die Probe damit ge- macht werden könnte, sich viel mangelhafter als alle zu ihrer Zeit wirklich vorhandenen und von ihnen getadelten Staatsformen herausstellen würde.

Was nun den zweiten, oben erwähnten Teil unserer Abhandlung anlangt, so ist man erst in der neuesten Zeit, nach vielen bittern Erfahrungen, zu der Erkenntnis ge-

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Vorwort des Übersetzers.

langt, dass die EDtwickelun^ eines wirklichen Staates ebenso ein durch feste Kräfte und Gesetze geregelter geschichtlicher Vorgang ist, wie das Wachsen eines Baumes und die körperliche und geistige Entwickelung eines einzelnen Menschen. Bei diesem Staatsbau bleibt zwar die Vernunft des Menschen als eines der mitwirkenden Elemente keinesweges ausgeschlossen, aber sie ist doch nur eines dieser Elemente und vor allem ist es auch da nicht die Vernunft eines Einzelnen, sondern die der Gesamtheit des Volkes, wie sie in der öffentlichen Meinung sich allmählich befestigt und offenbart. Der Einzelne tritt dabei mehr nur als der geschickte Dol- metscher und nicht als Begründer des Gedankens auf. Diese Ansicht, welche jetzt so ziemlich als die all- gemeine, von allen grössern politischen Parteien ebenso wie von der Wissenschaft anerkannte gelten kann, ergiebt von selbst, dass es nicht die Aufgabe eines Einzelnen sein kann, Staats- und Gesellschafts-Ideale überhaupt oder für seine Zeit zu entwerfen. Damit sind alle der- gleichen Versuche, welche schon mit P lato begonnen und auch nach Sp. sich fortgesetzt haben, gerichtet. Jeder Staat ist ein so überaus kunstvolles Gebäude, bei dem die Menge und die Verwickelung der wirkenden Kräfte 80 gross ist und bei dem das Verhältnis und die Stärke dieser Kräfte so fortwährend wechselt, dass es dem Ein- zelnen, selbst mit der reichsten Menschenkenntnis und Erfahrung unmöglich ist, diese Elemente, ihre Kraft und Dauer zu übersehen, zu berechnen und ein haltbares Ge- bäude damit zu errichten. Dazu kommt, dass selbst die Frage, was angenehm und nützlich ist, den verschiedensten Urteilen, je nach der Empfänglichkeit der Einzelnen und der Völker, unterliegt. Deshalb lassen alle Kultur-Völker gegenwärtig die Reformen in Staat und Gesetzen von einer grossen Zahl gemeinsam beratender und beschliessen- der Männer ausgehen, in welchen die zahlreichen In- teressen und Wünsche der einzelnen Klassen ihre Ver- treter finden, und selbst von solchen Versammlungen wird die Reform nur allmählich und in einzelnen überseh- baren Fragen vorgenommen. Auch die durch Revolu- tionen entstandenen neuen Verfassungen machen hiervon keine Ausnahme; der Bruch mit der Vergangenheit ist bei denselben nur scheinbar; das, was von diesen Ver-

Vorwort des Übersetzers.

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fassungen die Zeit der Aufregung überdauert, kann leicht als das nachgewiesen werden, was sich schon lange unter der Decke der alten Formen vorbereitet und entwickelt hat und was in der Revolution nur die Hülse gesprengt hat; keineswegs aber kann es als etwas Nagelneues und durch die Klugheit und Berechnung eines Einzelnen Er- dachtes geltend gemacht werden.

Von diesem Standpunkte aus konnte es bei der Kri- tik dieses zweiten Teiles nicht darauf ankommen, mit dem Verfasser sich in einen ausführlichen Streit über die Güte und Zweckmässigkeit seiner Vorschläge einzulassen. Die hierher gehörenden Vorschläge Sp.'s sind auch, ab- gesehen von solcher Kritik, schon durch die Fortschritte der Völker innerhalb der zwei Jahrhunderte erledigt, welche zwischen der Abfassung der Abhandlung und der Gegenwart liegen. Es konnte also nur darauf ankommen, die oft undeutlich ausgesprochenen Gedanken Sp.'s klar zu legen; die Folgerichtigkeit derselben aus dem voran- gestellten Prinzip zu prüfen und bei den einzelnen Punkten die Quellen und Beispiele aus der Geschichte nachzuweisen, aus denen Sp. seine Vorschläge geschöpft hat. So auf- gefasst, hat auch dieser zweite Teil sein Interesse; er giebt Aufschlüsse über die Fortbildung der Grundgedanken, von denen dieser grosse Denker ausgegangen war, und er zeigt thatsächlich, wie wenig die deduktive Methode zu leisten vermag, wenn sie an die Gestaltung der Wirk- lichkeit herantritt, wo es sich nicht mehr um ein isoliertes Prinzip handelt, sondern wo die Betrachtung es mit der Kollision und dem Kampf einer grossen Anzahl gleich- berechtigter Prinzipien zu thun bekommt, deren Aus- gleichung aus ihnen selbst zu entnehmen, sich als ver- geblich erweist.

Indem Sp. in dieser seiner letzten Arbeit der Be- obachtung der wirklichen Welt näher getreten ist, steht er in seinen Resultaten schon höher als sein unmittelbarer Vorgänger Hobbes, und aus demselben Grunde ersteigt dann der 12 Jahre nach Sp.s Tode geborene Montes- quieu in seinem 1748 erschienenen „Geist der Gesetze** eine noch höhere Stufe als Sp. ; indem Montesquieu noch mehr mit dem Studium der Geschichte beginnt und mit richtigem Takt sich enthält, einen fertigen Verfassungs- entwurf für alle Zeiten aufzustellen.

XXIV

Vorwort des Übersetzers.

Mit diesen beiden hier gelieferten Abhandlungen sind die Schriften des Sp., seine nicht hierher gehörende he- bräische Grammatik und Abhandlung über den Regen- bogen ausgenommen, abgeschlossen; es bleibt nur noch die Übersetzung und Erläuterung seiner Briefe zu liefern, um die Freunde der phil. Bibliothek in den vollständigen Besitz der philosophischen Werke Sp/s zu setzen. Diese Briefe sollen noch im Herbst dieses Jahres erscheinen.

Berlin, im Juli 1871.

Y. Kirchmann.

Abhandlung

über die

Verbesserung des Verstandes.

Vorwort zur zweiten Auflage.

Vorwort an den Leser,

Die zweite Auflage ist einer eingehenden, berich- tigenden Durchsicht unterzogen worden.

Man erlaubt sich an dieser Stelle auf die in gleichem Verlage erschienene lateinische Ausgabe der Werke Spi- nozas, besorgt von Hugo Ginsberg, hinzuweisen, deren IV. Band die Schriften dieses Bändchens enthält.

Die in dem Text eingeklammerten Ziflfern beziehen sich auf die in einem besonderen Heft erschienenen Erläu- terungen.

Die Anmerkungen in diesem Bande sind sämtlich von Spinoza.

l'iese Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes n. 8. w., welche hier der Leser unvollendet erhält, hat der Verfasser schon vor vielen Jahren geschrieben. Er hatte immer in Absicht, sie zu beenden. Allein andere Arbeiten hielten ihn davon ab, und endlich nahm ihn der Tod hinweg; so konnte er die Abhandlung nicht zu dem gewünschten Abschluss bringen. Sie enthält indes viel Ausgezeichnetes und Nützliches, was dem, der die Wahr- heit aufrichtig sucht, unzweifelhaft nicht geringen Nutzen bringen kann; deshalb habe ich sie dem Leser nicht vor- enthalten mögen. Die mancherlei Dunkelheiten, Härten und Unebenheiten, welche die Schrift hie und da enthält, möge der Leser mit den Umständen entschuldigen; dass er diese nicht vergesse, darum möchte ich ihn hier ge- beten haben. Meinen Gruss zum Schluss. ^)

m

Die Ziele der Menschen.

Abhandlung

über die

Verbesserung des Verstandes,

und

Über den Weg, auf den er am besten zur wahren Erkenntnis der Dinge geführt wird.^)

Nachdem mich die Erfahrung belehrt hat, dass Alles, was das gewöhnliche Leben häufig bietet, eitel und nichtig ist, und ich gesehen, dass Alles, was ich und vor dem ich mich fürchtete, Gutes oder Schlimmes nur so weit in sich enthält, als das Gemüt davon bewegt wird, so beschloss ich endlich, zu erforschen, ob es ein wahres Gut giebt, was mitteilbar ist und von dem allein, mit Beiseitesetzung alles Anderen, der Geist erregt werden kann; ja, ob es Etwas giebt, durch dessen Auffindung und Erlangung eine stete und höchste Heiterkeit für immer gewonnen werden kann. Ich sage: „so beschloss ich endlich"; denn auf den ersten Blick schien es unklug , das Sichere für das Unsichere aufzugeben. Ich sah nämlich ein, dass ich jene Vorteile , welche die Ehre und der Reichtum ge- währen, zu verfolgen aufgeben müsse, wenn ich ernstlich mich um etwas Anderes und Neues bemühen wollte. Sollte also das höchste Glück in jenen Dingen enthalten sein, so sah ich, dass ich dessen entbehren müsste; sollte es aber nicht darin enthalten sein, ich aber doch mich nur um sie bemühen, so würde ich auch dann des höchsten Glückes entbehren. ^)

Ich überlegte also, ob ich wohl eine neue Lebens- einrichtung erfiissen oder wenigstens Gewissheit in Betreff ihrer erlangen könne, ohne dass ich die Ordnung und ge- wöhnliche Weise meines Lebens änderte, was ich zwar mehrmals, aber vergeblich, versucht hatte.

Das, was im Leben am meisten angetroffen wird und was die Menschen, nach ihrem Benehmen zu schliessen, als das höchste Gut schätzen, lässt sich auf Dreierlei zurückführen, nämlich auf Reichtum, Ehre und Sin- nen lust.*) Durch diese drei Dinge wird der Geist so zerstreut, dass er über kein anderes Gut nachdenken kann. Was die Sinnenlust anlangt, so wird der Geist da- von so, als wenn er in einem Gute ausruhte, erfasst; er wird dadurch völlig gehemmt, an etwas anderes zu denken; aber nach deren Genuss folgt die höchste Traurigkeit, die den Geist, wenn auch nicht lähmt, doch stört und abstumpft. 6) Auch durch die Jagd nach Ehre und Reich- tum wird die Seele viel zerstreut; namentlich wenn sie um ihrer selbst willen gesucht werden*; und dann als das höchste Gut gelten. Noch mehr wird der Mensch durch Ehren zerstreut, da sie als ein Gut an sich ange- sehen werden und als das höchste Ziel gelten, nach dem alle streben. Auch tritt hier nicht, wie bei der Sinnen- lust, die Reue ein, vielmehr steigt die Freude mit dem zunehmenden Besitz und dies reizt zur steten Vermehrung von beiden. Werden aber unsere Hoffnungen einmal ge- täuscht, so entsteht die höchste Traurigkeit. Endlich ist die Ehre vorzüglich deshalb hinderlich, weil man, um sie zu erlangen , notwendig sein Leben nach dem Sinne der Menschen einrichten und das fliehen muss, was die Men- schen gemeinhin fliehen und das aufsuchen, was sie ge- meinhin suchen. ^)

Als ich so sah, dass dies alles mich hinderte, für

*) Ich hätte dies breiter und bestimmter darlegen können, wenn ich bei dem Reichtume unterschieden hätte, ob er um seiner selbst willen erstrebt wird, oder um der Ehre willen, oder um der Sinnenlust willen, oder um der Gesundheit willen und um die Wissenschaften und Kunst zu erweitern. Ich verspare dies jedoch für den dazu ge- eigneten Ort, da diese genaue Untersuchung hier nicht hergehört

^ Zweifel, was zu than sei.

eine neue Lebenseinriclitung mich zu bemühen, ja, dem so entgegengesetzt war, dass ich notwendig entweder das Eine oder das Andere aufgeben musate, so hatte ich zu überlegen, was wohl das Beste für mich sein würde. Ich schien nämlich ein sicheres Gut für ein unsicheres auf- geben zu wollen. Nach einigem Nachdenken entdeckte ich indes zunächst, dass, wenn ich unter Aufgebung dieser Dinge für meine neue Lebenseinrichtung mich rüstete, ich nur ein Gut aufgab, was seiner Natur nach unsicher war, wie aus dem Obigen erhellt und zwar für ein anderes Gut, das zwar auch unsicher war, aber nicht seiner Natur selbst nach (denn ich suchte ein beständiges Gut), sondern nur unsicher in bezug auf seine Erlangung. Durch fort- gesetztes Nachdenken gelangte ich indes zur Einsicht, dass ich dann, wenn ich es nur ganz zu tiberlegen ver- möchte, vielmehr sichere üebel für ein sicheres Gut auf- gebe. Ich sah mich nämlich selbst in höchster Gefahr befangen und genötigt, nach einem selbst unsichern Hülfs- mittel aus allen Kräften zu suchen; ich glich einem an einer tötlichen Krankheit Leidenden, der seinen sicheren Tod voraussieht, wenn nicht Hülfe angewendet wird und der deshalb eine unsichere Hülfe mit allen Kräften auf- sucht, weil seine ganze Hoffnung darauf beruht. Denn alles das, welchem die Menge nachjagt, trägt nicht allein nichts zur Erhaltung unseres Wesens bei, sondern ist vielmehr ein Hindernis und oft die Ursache des Untergangs derjenigen, welche dergleichen besitzen,*) aber immer die Ursache des Untergangs derjenigen, welche von der- gleichen besessen werden. '')

In vielen Fällen haben Einzelne um ihres Reichtums willen Verfolgungen bis zum Tode erlitten; Andere haben in der Erwerbung von Reichtümern sich so vielen Ge- fahren ausgesetzt, dass sie endlich ihre Thorheit mit dem Leben gebüsst haben. Ebenso zahlreich sind die Bei- spiele, dass die, welche nach Ehren strebten oder sie ver- teidigten, elend umgekommen sind und unzählig sind end- lich die Fälle, wo Ausschweifungen in sinnlicher Lust einen frühzeitigen Tod herbeigeführt haben. Diese Uebel scheinen daher gekommen, dass alles Glück oder Unglück nur in der Beschaffenheit des Gegenstandes liegt, dem

*) Dies ist noch genauer darzulegen.

Das höchste Gut. 5

""*?. "?.\P^^^ ?°ux"i^* . ^«®°° '''^^«° dessen, was man nicht liebt, entsteht kein Streit, betrübt man sich nicht wenn es untergeht, ärgert man sich nicht, wenn ein An- derer es hat und dessentwegen entsteht keine Furcht und kein Hass, mit einem Wort, keine Gemütsbewegung: wäh- rend dies alles für Dinge eintritt, die man liebt und die vergänglich sind; dazu gehören aber alle die oben ffe- nannten. Dagegen erfüllt die Liebe zu einem ewigen und iiiiendlichen Gegenstand die Seele mit Frohsinn, und solche Liebe ist frei von aller Traurigkeit; deshalb ist sie höchst begehrenswert und mit allen Kräften zu erstreben. Indes habe ich nicht ohne Grund oben die Worte beigefüffl- „wofern ich nur ganz es zu tiberlegen vermöchte". Denn trotz dem, dass ich dies alles in meiner Seele klar er- kannte, konnte ich doch deshalb mich nicht ganz von dem Geize, von der Sinnenlust und von der Ruhmsucht be- freien. ^)

Nur so viel bemerkte ich, dass meine Seele, so lan^e sie in solchen Gedanken sich hielt, jene Dinge verab- scheute und ernstlich sich der neuen Lebenseinrichtung zuwendete. Dies war mir ein grosser Trost, da ich sah dass diese Uebel nicht der Art waren, um jedem Heil- mittel zu trotzen. Allerdings waren anfangs solche Zu- stände nur von kurzer Dauer und selten; allein mit der steigenden Erkenntnis des wahren Gutes wurden sie häu- figer und länger; namentlich als ich eingesehen hatte, dass der Erwerb von Gold oder Sinnenlust oder Ruhm nur so lange schädlich ist, als sie um ihrer selbst willen und nicht als blosse Mittel ftir anderes gesucht werden. Strebt man nach ihnen nur als Mittel, so findet ein Masshalten statt und sie schaden nicht, sondern helfen viel zu dem Ziele, für das man sie sucht, wie ich an seiner Stelle dar- legen werde. ^)

Hier will ich nur kurz sagen, was ich unter dem wahren Gut verstehe und was zugleich das höchste Gut ist. Um dies recht einzusehen, halte man fest, dass das Gute und Schlechte nur beziehungsweise ausgesagt wird. Deshalb kann derselbe Gegenstand je nach Unterschied der Beziehung gut und schlecht genannt werden, und ebenso vollkommen und unvollkommen, ^b) Nichts, an sich, in seiner Natur betrachtet, kann vollkommen oder unvollkommen genannt werden; insbesondere wenn man

6

Der Weg zum höchsten Gut.

erkannt hat, dass alles, was geschieht, nach einer ewigen Ordnung und festen Naturgesetzen geschieht. Allein der Mensch in seiner Schwäche kann mit seinen Gedanken diese Ordnung nicht erfassen und deshalb erdenkt er sich einstweilen eine andere menschliche Natur, die viel fester ist als die seine. Da er nun nichts sieht, was der Er- langung einer solchen entgegentreten könnte, so treibt es ihn zur Aufsuchung von Mitteln, die ihm zu einer solchen Vollkommenheit verhelfen und jedes anscheinend dazu ge- eignete Mittel gilt ihm für ein wahres Gut; als höchstes Gut aber die Erlangung und der Genuss einer solchen Natur für sich und womöglich auch für die anderen. Wie diese Natur beschaffen, werde ich an seinem Orte nach- weisen; sie ist nämlich*) die Erkenntnis der Einheit, in der die Seele sich mit der ganzen Natur ^^) befindet. Dies ist also das Ziel, nach dem ich strebe; ich will eine solche Natur erwerben; d. h. es gehört zu meinem eigenen Glück, zu suchen, dass viele andere auch so, wie ich denken und dass deren Wissen und Begehren mit meinem Wissen und Begehren übereinstimme. n) Um dies herbeizuführen,**) muss man von der Natur so viel einsehen, als nötig ist, um einen solchen Zustand zu erlangen und dann eine solche Gesellschaft bilden, wie erforderlich ist, damit mög- lichst viele möglichst leicht und sicher dahin gelangen. Ferner hat man sich der Moralphilosophie und der Lehre von der Erziehung der Knaben zu befleissigen und weil die Gesundheit wesentlich zur Erreichung dieses Zieles beiträgt, damit die ganze Arzneiwissenschaft zu verbinden. Auch die Mechanik darf nicht übergangen werden, weil vieles Schwere durch die Kunst leicht gemacht wird und man viel Zeit und Anstrengung im Leben sich dadurch ersparen kann. 12) Vor allem aber ist ein Weg zur Ver- besserung des Verstandes aufzusuchen, auf dem er, so viel im Anfang es angeht, gereinigt wird, damit er die Dinge ohne Irrtum sicher und so gut als möglich erkenne.

*) Dies wird an seinem Orte ausführlicher erklärt

werden.

**) Ich bemerke , dass es mir hier nur darauf an- kommt, die zu meinem Zwecke nötigen Wissenschaften aufzuzählen, ohne dass ich mich um ihre Reihenfolge kümmere.

Lebensregeln für die Zwischenzeiten. 7

Man kann hieraus entnehmen, dass ich alle Wissenschaften nach einem Ziele*) und Endzweck hinleiten will näm- lich um, wie gesagt, znr höchsten menschlichen Voll- kommenheit zu gelangen. Deshalb ist alles, was in den Wissenschaften dieses Ziel nicht fördert, als unnütz zu verwerfen, d. h. um es mit einem Worte zu saffen, alle ^."f/® ^?°^^""F° "°^ Gedanken sind auf dieses Ziel zu ric!iten.i3) Indes muss man leben, während man sorfft dieses Ziel zu erreichen und sich müht, den Verstand in die rechte Bahn zu leiten ; deshalb muss ich vor allem diejenigen Regeln für das Leben vorausschicken, welche ich als gute annehme; nämlich die folgenden : i4)

^ ^1,^^* ?«. sprechen, dass die Menge es fassen kann lind alle Arbeiten zu verrichten, die uns an der Erreichung des Zieles nicht hindern. Denn wenn man der Fassunffs- kraft der Menge möglichst sich fügt, so kann man viel Vorteil davon haben; auch macht man damit die Menschen geneigt, dass sie die Wahrheit gern hören mögen G 1 ?^ ^^J^ Vergnügen insoweit nachzugehen, als es ohne Schaden für die Gesundheit zulässig ist.

3) Endlich sich so viel an Geld und anderen Dingen zu erwerben , als zur Erhaltung des Lebens und der Ge- sundheit sowie zur Befolgung der Sitten des Landes er- forderlich ist, soweit diese nicht unserem Ziele entgegen-

Nach Peststellung dessen, rüste ich mich zunächst zu dem, was vor allem zu thun ist, nämlich zur Verbesserunff des Verstandes, damit er geschickt werde, die Dinge so

?^ m TT°°®? ' ^^*® ®^ ^"^ Erreichung meines Zieles nötiff 18t. ^ö) Um dies zu bewirken, verlangt die natürliche Ord- nung dass ich alle Arten der Erkenntnis durchgehe, mit- tels deren ich bisher etwas als unzweifelhaft behauptet Oder verneint habe , damit ich dann die beste Art aus- wähle und mit der Erkenntnis meiner Kräfte und Natur, die ich vervollkommnen will, beginne.

Wenn ich genau acht gebe, können diese Erkenntnis- arten auf vier Hauptarten zurückgeführt werden.

L Es giebt ein Wissen, was man durch Hören oder

*) Es besteht für die Wissenschaften ein Ziel, auf das flie alle hm zu führen sind.

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8

Die vier Wissensarten.

vermittelst eines sogenannten körperlichen Zeichens er- langt. ^^)

il Es giebt ein Wissen, was man aus einer unbe- stimmten Erfahrung erlangt, d. h. aus einer nicht durch den Verstand bestimmten Erfahrung und die nur so heisst, weil es sich zufällig so macht und weil kein anderer Fall vorliegt, der ihr entgegensteht, so dass sie uns deshalb

als zuverlässig gilt.^'^) , „t j r.

in. Es giebt ein Wissen, wo das Wesen des Gegen- standes aus einem anderen Gegenstand geschlossen wird, aber dies nicht vollkommen entsprechend geschieht. Dies ist der Fall*j wenn man von einer Wirkung auf die Ur- sache schliesst, oder von einem Allgemeinbegriflfe die stete Verbindung einer Eigenschaft ableitet.

IV. Es giebt endlich ein Wissen, wo der Gegenstand nur durch sein Wesen oder durch die Erkenntnis seiner nächsten Ursache gewusst wird.i^)

Dies alles will ich durch Beispiele erläutern. Nur vom Hören weiss ich meinen Geburtstag und wer meine Eltern gewesen und ähnliches, worüber ich nie gezweifelt habe. 20) Durch unbestimmte Erfahrung weiss ich, dass ich sterben werde; ich behaupte dies, weil ich andere mir gleiche Wesen habe sterben sehen, obgleich nicht alle den- selben Zeitraum hindurch gelebt haben, noch an derselben Krankheit gestorben sind. Auch weiss ich aus einer solchen schwankenden Erfahrung, dass Oel ein für den Unterhalt der Flamme passendes Nährmittel ist; dass das Wasser geeignet ist, die Flamme zu verlöschen, dass der Hund ein bellendes Tier ist und dass der Mensch em ver-

*; Wenn dies geschieht, weiss man von der Ursache nicht mehr, als man in der Wirkung betrachtet. Es er- hellt dies klar daraus, dass die Ursache in solchem Falle nur in den allgemeinsten Ausdrücken erklärt wird, näm- lich so : ^Folglich giebt es Etwas" oder „folglich giebt es ein Vermögen** u. s. w.; oder daraus, dass die Ursaclie verneinend bezeichnet wird, wie: „Folglich ist Dies oder Jenes nicht.** Im zweiten Falle wird der Ursache wegen der Wirkung Etwas beigelegt, was mau klar einsieht, wie ich an einem Beispiele zeigen werde; indes betrifft dies nur Eigenschaften, aber nicht das eigentümliche Wesen des Gegenstandes. «

Beispiele zu den vier Wissensarten. 9

nünftiges Geschöpf ist und so weiss ich beinah alles, was zum Leben nötig ist. 21) Vermittelst eines anderen Gegen- standes schliesst man in dieser Weise: 22) Nachdem man klar erkannt hat, dass man einen solchen Körper empfindet und keinen anderen, so folgert man daraus klar, dass die Seele mit dem Körper vereint*) ist, welche Vereinung die Ursache dieser Empfindung ist, allein**) wie diese Empfin- dung und Vereinung beschaffen ist, kann man daraus nicht vollständig erkennen. Ebenso folgert man, wenn man die Natur des Sehens erkannt und die Eigenschaft, wonach ein Gegenstand in der Ferne kleiner als in der Nähe erscheint, bemerkt hat, dass die Sonne grösser ist, als sie erscheint und anderes Aehnliche. 23) Endlich wird Etwas nur durch sein Wesen gewusst, 2^) wenn ich dar- aus, dass ich Etwas erkannt habe, weiss, was es heisst, etwas zu erkennen, oder, wenn ich aus der Erkenntnis des Wesens der Seele weiss, dass sie mit dem Körper vereint ist. Vermöge desselben Wissens weiss man, dass 2 und 3 zusammen 5 sind und dass, wenn zwei Linien einer dritten parallel sind, sie es auch untereinander sind ; u. s. w. Doch ist es nur Weniges, was ich bis jetzt durch solches Wissen habe erkennen können.

Damit man dies alles noch besser verstehe, benutze

*) Aus diesem Beispiel ist das eben Gesagte klar zu ersehen. Denn von dieser Vereinung kennen wir nur diese Empfindung selbst, also nur die Wirkung, aus der wir die Ursache, von der wir nichts einsehen, folgern.

**) Ein solcher Schluss ist trotz seiner Gewissheit, doch nur mit grosser Vorsicht als zuverlässig zu nehmen. Sonst gerät man sofort in Irrtümer; denn wenn man die Dinge so abstrakt und nicht nach ihrem wahren Wesen auffasst, wird man sofort durch die Einbildungskraft ver- wirrt und das, was an sich Eines ist, stellen sich dann die Menschen bildlich als vielfach vor. Sie geben den Begriffen, die sie abstrakt, gesondert und verworren auf- fassen, Namen und benutzen diese Namen zur Bezeich- nung von anderen, ihnen bekannten Dingen. Daher kommt es, dass sie sich diese Dinge ebenso in der Einbildungs- kraft vorstellen, wie sie es mit denen gewöhnt sind, denen sie zuerst diesen Namen gegeben haben.

Spinoza'ß Abb. üb. Verbesser. d. Verstandes. 3

10 Die Mittel zur Erreichung der besten Wissensart.

ich ein einziges Beispiel, nämlich folgendes: Es sind drei Zahlen gegeben; man sucht eine vierte, die sich zur dritten verhält, wie die zweite zur ersten. Hier pflegen die Kauf- leute zu sagen, dass sie wissen, wie es zu machen sei, um diese vierte Zahl zu finden; sie haben nämlich jenes Verfahren noch nicht vergessen, das sie nur so und ohne Beweis von ihrem Lehrern vernommen haben. 2^) Andere bilden dagegen aus der Probe mit einfachen Zahlen einen allgemeinen Grundsatz; wenn nämlich, wie bei den Zahlen 2, 4, 3, 6, die vierte Zahl selbstverständlich ist und sie finden, dass, wenn man die zweite mit der dritten multi- pliziert und das Produkt mit der ersten dividiert, als Quotient die 6 sich ergiebt und sie mithin sehen, dass so dieselbe Zahl erlangt werde, von der sie auch ohnedem wussten, dass sie die betrefifende Proportionalzahl sei, so schliessen sie, dass dieses Verfahren für die Auffindung der vierten Proportionalzahl überhaupt das richtige sei. 26) Dagegen wissen die Mathematiker kraft des Beweises bei Euklid Lehrs. 19 Buch 7, welche Zahlen einander proportional sind; sie wissen es nämlich aus der Natur der Proportion und ihrer Eigentümlichkeit, dass das Produkt der ersten mit der vierten Zahl gleich ist dem Produkt der zweiten mit der dritten Zahl. 27) Dennoch sehen sie aber die ent- sprechende Proportionalität der gegebenen Zahlen nicht und wenn sie sie sehen, so geschieht es nicht vermöge jenes Lehrsatzes, sondern in anschaulicher Weise, ohne dass eine Rechnung aufgestellt wird.^s)

Um aus diesen Arten des Wissens die beste zu wählen, muss ich die notwendigen Mittel für Erreichung meines Zweckes kurz aufzählen; sie sind:

I. Unsere Natur, die wir vervollkommnen wollen, genau zu kennen und zugleich so viel von der Natur der Dinge, als nötig ist.

U. Daraus haben wir die Unterschiede, die Ueber- einstimmung und die Gegensätze der Dinge richtig abzuleiten.

III. Dass wir richtig erkennen, was die Dinge erleiden können, und was nicht.

IV. Dass dies mit der menschlichen Natur verglichen werde. Daraus wird sich leicht ergeben, zu welcher Voll- kommenheit der Mensch gelangen könne.

Prüfung der vier Wissens-Arten.

11

Nach diesen Erwägungen haben wir zu sehen, welche Art des Wissens wir zu erwählen haben. 29)

Was nun die erste Art anlangt, so ist es selbstver- ständlich, dass man durch Hörensagen, abgesehen von der Unsicherheit in solchen Fällen, das Wesen der Gegen- stände nicht erfassen kann, wie mein Beispiel ergiebt. Da, wie sich später ergeben wird, das Dasein einer ein- zelnen Sache nur gewusst wird, wenn ihr Wesen erkannt ist, so ergiebt sich klar, dass alle solche Gewissheit, die man vom Hören hat, nicht zur Erkenntnis gehört. Von dem blossen Hören kann Niemand bestimmt werden, wenn nicht die eigene Einsicht vorausgegangen ist.

Auch von der zweiten Art des Wissens*) kann nicht gesagt werden, dass sie den Begriff jener Proportion, die gesucht wird, besitze. Dieses Wissen ist an sich sehr unsicher und ohne Ziel, und Niemand wird auf diese Art etwas mehr, als blos die Accidenzen von den natürlichen Dingen erfassen, die ohne vorgängige Erkenntnis ihres Wesens nie klar erkannt werden können. Deshalb ist auch diese Art des Wissens auszuschliessen. -

Von der dritten Art ist gewissermassen zu sagen, dass man dabei den Begriff der Sache habe und auch ohne Gefahr eines Irrtums schliesse; dennoch ist sie an sich kein Mittel für die Erlangung unserer Vollkommenheit.

Nur die vierte Art umfasst vom Gegenstande das ihm entsprechende Wesen, und zwar ohne Gefahr eines Irrtums; deshalb ist von ihr am meisten Gebrauch zu machen. Wie aber zu verfahren ist, um eine unbekannte Sache mit dieser Art des Wissens einzusehen, und wie dies am einfachsten zu erlangen ist, dies auseinanderzu- setzen soll meine Sorge sein.^i) Nachdem wir nämlich ermittelt haben, welches Wissen uns not thut, ist der Weg und das Verfahren darzulegen, mittelst welchem die zu erkennenden Gegenstände mittelst dieses Wissens er- kannt werden können. Zu dem Ende ist zunächst zu be- denken, dass hier keine Untersuchung ohne Ende ver-

*) Hier werde ich etwas ausführlicher über die Er- fahrung handeln und das Verfahren der Empiriker und der neueren Philosophie prüfen, ^o)

8*

12 Das Verfahren zur Gewinnung des besten Wissens.

langt wird; denn für Auffindung des besten Verfahrens zur Erforschung der Wahrheit bedarf es nicht wieder eines andern Verfahrens, um dieses Verfahren zu finden, und um dieses zweite Verfahren zu finden, bedarf es keines dritten und es geht nicht so ohne Ende fort; denn auf diesem Wege würde man nie zur Erkenntnis der Wahrheit, ja überhaupt zu keiner Erkenntnis gelangen. 32) Es verhält sich vielmehr, wie mit den körperlichen In- strumenten, bei denen man dieselben Gründe geltend machen könnte. Denn um das Eisen zu schmieden, be- darf man eines Hammers und um einen Hammer zu haben, muss er gemacht werden; dazu sind aber ein anderer Hammer und andere Instrumente nötig, und für deren Erlangung sind wieder andere Instrumente nötig, und so fort ohne Ende. In dieser Weise würde man vergeblich zu beweisen suchen, dass die Menschen keine Macht haben, das Eisen zu schmieden. Vielmehr haben die Menschen im Anfange mit ihren angeborenen In- strumenten nur das Leichteste mühsam und unvollkommen zustande bringen können ; demnächst machten sie Schwereres mit weniger Mühe und besser ; so gelangten sie allmählich von den einfachsten Arbeiten zu den Instrumenten, und von diesen zu anderen Werken und Instrumenten, und damit endlich dahin, dass sie so Vieles und Schweres mit leichter Mühe vollbringen. Ebenso macht auch der Ver- stand durch seine angeborene Kraft*) sich günstige In- strumente, durch welche er neue Kraft zu neuen geistigen Werken**) erlangt, und aus diesen Werken erlangt er neue Instrumente oder Macht, weiter zu forschen ; in dieser Art schreitet er allmählich fort, bis er den Gipfel der Weisheit erreicht. Dass der Verstand sich so verhalte, ist leicht einzusehen, wenn man nur weiss, wie das Ver- fahren zur Erforschung der Wahrheit ist und welches jene angeborenen Instrumente sind, deren er allein bedarf,

*) Unter der angeborenen Kraft verstehe ich das, was in uns von äussern Ursachen nicht bewirkt wird, und was ich später in meiner Philosophie erklären werde.

**) Ich nenne es hier: Werke, und werde in meiner Philosophie erklären, was sie sind.

Das Wissen vom Wissen.

13

um daraus andere Instrumente für den weitern Fortschritt zu bereiten. Um dies darzulegen, gehe ich so vor-

Die wahre Vorstellung*, (denn wir haben eine wahre Vorstellung) ist von ihrem Vorgestellten unterschieden; denn der Kreis ist nicht die Vorstellung des Kreises' letztere ist nicht etwas, was einen Umring und einen Mittelpunkt hat, wie der Kreis und ebenso ist die Vor- stellung des Körpers nicht der Körper selbst. Ist hier- nach die Vorstellung von ihrem Gegenstande verschieden, so wird sie auch selbst etwas Erkennbares sein; d. h. die Vorstellung nach ihrem seienden Inhalte kann der Gegenstand eines andern nur gewussten Inhaltes sein und auch dieser letztere mit seinem gewussten Inhalte wird an sich betrachtet etwas Seiendes und Erkennbares sein, und so fort ohne Ende. 33) So ist z. B. Peter ein Seien' des; die wahre Vorstellung des Peter enthält das gewusste Wesen des Peter und ist an sich etwas beiendes, was von Peter selbst ganz verschieden ist Da sonach die Vorstellung des Peter etwas Wirkliches ^t, was sein besonderes Sein hat, so ist sie auch etwas Wissbares, d. h. sie ist der Gegenstand einer andern Vor- stellung, welche in sich Alles das in der Wissensform haben wird, was die Vorstellung des Peter als seiende an sich hat. Ebenso hat die Vorstellung von der Vor- stellung des Peter wiederum ihr Sein, was wieder den Gegenstand für eine andere Vorstellung abgeben kann und so fort ohne Ende. Jeder kann selbst die Erfahrung davon machen, wenn er bemerkt, dass er weiss, was Peter ist und auch weiss, dass er weiss und auch weiss, dass er weiss, er wisse; u. s. w. Daraus erhellt, dass zu dem Wissen des Wesens des Peter es nicht nötig ist, auch die Vorstellung des Peter zu wissen und noch weniger die Vorstellung von der Vorstellung des Peter; deshalb kann ich ebenso sagen, dass zu meinem Wissen das Wissen von meinem Wissen nicht nötig ist und noch weniger das Wissen von dem Wissen meines Wissens;

*; Ich bemerke, dass ich hier nicht bloss das eben Gesagte darlegen, sondern auch zeigen will, dass ich bis hierher richtig vorgegangen bin, sowie zugleich manches andere Wissenswerte.

14

Die Wahrheit bedarf keines Kennzeichens.

es ist dies so wenig erforderlich, als zum Wissen des Wesens des Dreiecks, das Wissen des Wesens des Kreises*) nötig ist. Allein bei diesen Vorstellungen verhält es sich umgekehrt; denn um zu wissen, was ich weiss, muss ich notwendig vorher wissen. 3^) Hieraus erhellt, dass die Gewissheit nur der gewusste Inhalt selbst ist; d. h. die Weise in der man den seienden Inhalt empfindet, ist die Gewissheit selbst. Daraus erhellt wiederum, dass es zur Gewissheit der Wahrheit keines andern Zeichens bedarf, als die wahre Vorstellung zu haben ; denn es ist, wie ge- zeigt, nicht nötig, dass man wisse, man wisse von seinem Wissen. Hieraus erhellt wiederum, dass nur Derjenige wissen kann, was die höchste Gewissheit ist, welcher die entsprechende Vorstellung oder den g e w u s s t e n Inhalt eines Gegenstandes hat : denn die Gewissheit und der ge- wusste Inhalt sind dasselbe.

Wenn somit die Wahrheit keines Kennzeichens be- darf, sondern der Besitz des gewussten Inhaltes der Dinge, oder was dasselbe ist, der Besitz der Vorstellungen ge- nügt, um allen Zweifel zu heben, so erhellt, dass es nicht das rechte Verfahren ist, wenn man nach dem Erwerb der Vorstellungen demnächst nach einem Kennzeichen tür ihre Wahrheit sucht; sondern das richtige Verfahren ist eben das, dass man die Wahrheit selbst oder den Inhalt der Dinge in der Wissensform oder die Vorstellungen (was Alles dasselbe bezeichnet) in gehöriger Weise auf- sucht.**) 36)

Allerdings muss das Verfahren auch über das Schliessen und die Einsicht sich verbreiten ; 3?) d. h. das Verfahren ist nicht das Schliessen selbst, um dadurch die Ursachen der Dinge einzusehen, noch weniger ist es schon diese

*) Ich bemerke, dass ich hier nicht ermittle, wie das erst gewusste Wesen uns angeboren ist. Dies gehört zur Erforschung der Natur, wo dies ausführlicher erklärt und zugleich gezeigt wird, dass es neben der Vorstellung kein besonderes Bejahen oder Verneinen und auch keinen Willen giebt.35)

**) Was ein Suchen innerhalb der Seele ist, wird in meiner Philosophie erklärt.

Die deduktire Methode.

15

Einsicht der Ursachen der Dinge; vielmehr besteht das Verfahren nur in dem Wissen, was eine wahre Vor- stellung ist, indem er sie von andern Vorstellungen unter- scheidet, und ihre Natur ermittelt, um dadurch die Kraft unseres Verstandes kennen zu lernen und unsern Geist so im Zaume zu halten, dass er nach dieser Regel Alles erkenne, was überhaupt erkennbar ist. Dies Verfahren lehrt zugleich als Hilfsmittel gewisse Regeln und sorgt, dass der Geist sich nicht durch Unnützes erschöpfe. Hieraus ist abzunehmen, dass das Verfahren nur in einer rückschauenden Erkenntnis oder in einer Vorstellung von einer Vorstellung besteht und da eine Vorstellung von einer Vorstellung nicht eher möglich ist, als bis eine Vorstellung gegeben ist, so kann auch das Verfahren nicht eher beginnen, als bis eine Vorstellung gegeben ist. 38) Sonach wird dasjenige das richtige Verfahren sein, was zeigt, wie die Seele nach dem Richtmass der gegebenen wahren Vorstellung zu leiten ist. Da ferner das Verhältnis zwischen zwei Vorstellungen dasselbe ist, wie zwischen den seienden Gegenständen dieser Vor- stelluDgen, so folgt, dass die zurückschauende Erkennt- nis der Vorstellung von einem aller vollkommensten Wesen vorzüglicher ist, als die zuröckschauende Erkenntnis anderer Vorstellungen; d. h. jenes Verfahren wird das vollkommenste sein, welches zeigt, wie die Seele nach dem Richtmasse der gegebenen Vorstellung eines voll- kommensten Wesens zu leiten ist. 39)

Hieraus ergiebt sich leicht, wie die Seele durch das Wissen von Mehrerem zugleich neue Instrumente gewinnt, durch welche sie in ihrem Wissen leichter fortschreiten kann. Denn vor Allem muss, wie aus dem Obigen er- hellt, in uns eine wahre Vorstellung, als eingeborenes Instrument, bestehen, ^o) mit deren Erkenntnis zugleich der Unterschied zwischen einer solchen Vorstellung und allen andern erkannt ist. Hierin besteht der eine Teil des Verfahrens und da es von Natur klar ist, dass die Seele sich um so besser kennt, je mehr sie von der Natural) kennt, so wird dieser Teil der Methode um so vollkom- mener sein, je mehr die Seele erkennt und dann vielleicht am vollkommensten, wenn die Seele sich zur Erkenntnis des vollkommensten Wesens hinwendet oder zurückbeugt. ^2)

16 Vorstellung u. ihr Gegenstand stimmen im Inhalte überein.

Ferner erkennt die Seele um so besser ihre Kräfte und die Ordnung der Natur, je mehr sie weiss, und je besser sie ihre Kräfte erkennt, desto leichter kann sie sich selbst leiten und sich Regeln geben , und je besser sie die Ord- nung der Natur erkennt, desto leicliter kann sie sich von Unnützem fern halten und darin besteht, wie erwähnt, das ganze Verfahren. Man nehme hinzu, dass die Vor- stellung sich in ihrem gewussten Inhalt ebenso verhält, wie ihr Gegenstand sich seinem wirklichen Inhalte nach verhält. Gäbe es daher in der Natur Etwas, was mit andern Dingen in keiner Verbindung stände, so würde dessen gewusster Inhalt, welcher durchaus mit dem seien- den Inhalte des Gegenstandes übereinstimmen müsste, mit andern Vorstellungen ebenfalls*) in keiner Verbindung stehen, d. h. man würde rücksichtlich ihrer nichts folgern können; und wenn umgekehrt das, was mit Anderem in Verbindung steht, wozu Alles, was in der Natur besteht, gehört, erkannt wird, so wird auch der gewusste Inhalt der Natur in derselben Verbindung mit einander stehen und damit werden die Instrumente für den weitern Fort- schritt sich vermehren. *3)

Dies war es, was ich beweisen wollte. Ferner er- giebt sich aus dem letzten erwähnten Satz , nämlich dass jede Vorstellung mit dem wirklichen Wesen ihres Gegen- standes übereinstimmen muss, weiter, dass, so wie unsere Seele nur ein Beispiel der Natur darstellt, sie auch alle ihre Vorstellungen von derjenigen Vorstellung ableiten muss, welche den Ursprung und die Quelle der ganzen Natur darstellt; so dass diese Vorstellung auch ihrerseits die Quelle für alle andern ist.

Es fällt hier vielleicht auf, dass, nachdem ich gesagt, das gute Verfahren sei das, welches zeigt, wie die Seele nach dem Richtmass der gegebenen wahren Vorstellung zu leiten sei, ich dies durch Begründung zu beweisen suche; denn daraus scheine zu folgen, dass dieser Satz nicht durch sich selbst klar sei. Man könnte deshalb fragen, ob ich meine Begründungen in rechter Weise gebe? Solle dies geschehen, so müsste ich von einem ge-

*j In Verbindung mit Anderem stehen, ist von An- derem hervorgebracht werden, oder Anderes hervorbringen.

Weshalb hier eine Begründung gegeben wird. X7

gebenen Begriffe ausgehen und da dieses Ausgehen von einem gegebenen Begriffe der Begründung bedürfe so müsste ich auch diese Begründung wieder rechtfertigen und dann letztere wiederum und so fort ohne Ende. Hierauf antworte ich, dass, wenn Jemand zufällig in Auf- suchung der Wahrheit so vorgegangen wäre, nämlich so, dass er nach dem Richtmass der wahren Vorstellung neue Vorstellungen in richtiger Ordnung erworben hätte, so würde er nie an der Wahrheit*; seiner Vorstellungen gezweifelt haben; denn die Wahrheit offenbart sich selbst, wie ich gesagt und Alles würde ihm von selbst zugeflossen sein. Allein dies geschieht niemals oder nur selten; deshalb habe ich annehmen müssen, dass wir das, was uns durch Zutall nicht gewährt wird, durch überlegten Entschluss erreichen und dass zugleich dabei erhelle, wie wir zum Beweis der Wahrheit und der richtigen Begründung keiner weitern Instrumente als der Wahrheit selbst und der richtigen Begründung bedürfen. Denn die richtige Be- gründung habe ich durch richtiges Begründen bewiesen und will versuchen, dies noch weiter zu beweisen.**) Dazu kommt, dass auf die3e Weise die Menschen sich auch an inneres Nachdenken gewöhnen. Wenn aber bei Erforschung der Natur selten die Untersuchung in dieser Ordnung geschieht, so liegt es an Vorurteilen, deren Ur- sachen ich später in meiner Philosophie darlegen werde. Auch gehören dazu, wie ich später zeigen werde, erheb- liche und scharfe Unterscheidungen, welche viele Mühe machen. Auch kommt es von den menschlichen Zuständen, die, wie gezeigt, sehr veränderlich sind; andere Ur- sachen, die noch vorhanden sind, lasse ich unerörtert. *5) Wenn ich vielleicht gefragt werde, warum ich nicht selbst sofort die Wahrheiten der Natur auf diese Weise dargelegt habe (da die Wahrheit sich selbst offenbare), so erwidere ich und erinnere, dass man einzelne Sätze, wegen Ihres anscheinenden Widersinnes, nicht sofort als falsch verwerfen möge; man bedenke vielmehr zunächst die Ord- nung, in der ich sie beweise und es wird sich dann er- geben, dass ich die Wahrheit getroffen habe; deshalb nabe ich dies vorausgeschickt.

*) Wie auch ich hier nicht an der Wahrheit des hier gesagten zweifele.

18

Die Skeptiker.

Sollten demnächst Skeptiker über die erste Wahrheit selbst und über Alles, was ich nach Anleitung derselben ableite, noch Zweifel behalten, so sprechen sie entweder gegen ihre Überzeugung, oder ich muss einräumen, dass es Menschen giebt, die von Natur oder durch Vorurteile, d. b. durch äussere Anlässe mit Blindheit des Geistes geschlagen sind. Solche Leute wissen von sich selbst nichts und wenn sie Etwas behaupten oder bezweifeln, so wissen sie nicht, ob sie behaupten oder zweifeln; sie sagen, dass sie nichts wissen und selbst diese Sätze wissen sie wie sie sagen, nicht und auch dies behaupten sie nicht unbedingt, weil sie das Eingeständnis scheuen, dass sie bestehen, wenn sie sagen, dass sie nichts wissen; des- halb müssen sie zuletzt schweigen, damit sie nicht doch Etwas zugeben, was nach Wahrheit schmeckt. Auch kann mit solchen Leuten über die Wissenschaft nicht gesprochen werden. Denn in Bezug auf das zum Leben und zum Verkehr Notwendige hat sie nur die Not gezwungen, an- zunehmen, dass sie bestehen und ihren Nutzen verfolgen und mit Eidschwur Vieles behaupten und verneinen. Wenn ihnen etwas bewiesen wird, so wissen sie nicht, ob die Beweisführung richtig oder mangelhaft sei ; wenn sie bestreiten, zugeben oder widersprechen wissen sie nicht, dass sie bestreiten, zugeben oder widersprechen und man muss sie deshalb für Automaten halten, die des Verstandes ganz entbehren. ^6)

Ich fasse hier das, was ich beabsichtige, kurz zu- sammen. Wir haben bis hierher zunächst das Ziel ge- funden, auf das wir alle unsere Gedanken richten wollen.*^) Wir haben zweitens ermittelt, welches die beste Vor- stellung ist, mit deren Hilfe wir zu unserer Vollkommen- heit gelangen können. ^8) Wir haben drittens den ersten Weg kennen gelernt, auf dem die Seele sich erhalten muss, um richtig anzufangen; er besteht darin, dass sie nach der Anleitung irgend einer gegebenen wahren Vor- stellung fortfährt, mit Innehaltung bestimmter Regeln zu forschen. *9) Dass dies richtig geschehe, soll das folgende Verfahren sichern: Zuerst ist die wahre Vorstellung von allen übrigen Vorstellungen zu unterscheiden und die Seele von letztern abzuhalten. Zweitens sind Regeln zu geben, dass die unbekannten Dinge nach solchem Richt-

Unterscheidung d. wahren Vorstellungen von den anderen, 19

mass erkannt werden. Drittens ist eine Ordnung ein- zuhalten, damit man sich nicht durch Unnützes ermüde. Nachdem wir dieses Verfahren ermittelt haben, haben wir viertens erkannt, dass dieses Verfahren am voll- kommensten sein werde, wenn wir die Vorstellung des voll- kommensten Wesens erlangt haben werden. Deshalb musste gleich im Beginn bemerkt werden, dass wir so schnell als möglich zur Erkenntnis eines solchen Wesens ge- langen müssen.^)

Ich beginne hiernach mit dem ersten Teile des Verfahrens, welcher, wie gesagt, darin besteht, dass man die wahre Vorstellung unterscheidet und von den übrigen trennt und die Seele hindert, die falschen, die erdichteten und die zweifelhaften Vorstellungen mit den wahren zu vermengen. Ich will dies hier ausführlich darlegen und die Leser in der Betrachtung eines so notwendigen Gegen- standes festhalten, weil es Viele giebt, die selbst über das Wahre zweifeln, weil sie den Unterschied nicht be- achten, der zwischen einer wahren Vorstellung und anderen besteht; solche gleichen deshalb Menschen, die im Wachen ihr Wach-sein nicht bezweifeln, allein die, nachdem sie einmal im Traume, wie es vorkommt, sich gewiss für wachend gehalten und dies sich nachher als ein Irrtum ergeben hatte, nunmehr auch über ihr Wachen zweifel- haft geworden sind, weil sie niemals zwischen Träumen und Wachen unterschieden haben. Ich erinnere vorweg, dass ich hier das Wesen jeder Vorstellung und zwar durch ihre nächste Ursache nicht darlegen will, da dies zur Philosophie gehört, si) sondern ich will nur das zum Verfahren Gehörige darlegen, also nur das, um was es sich bei erdichteten, falschen - und zweifelhaften Vorstellungen handelt und wie man sich von diesen freimachen kann. Meine erste Untersuchung richtet sich sonach auf die er- dichteten Vorstellungen.

Da jedwede Vorstellung ihren Gegenstand entweder als daseiend nimmt, oder blos nach seinem Wesen ^2) und die naeisten Erdichtungen das Dasein der Dinge betreffen, so will ich zunächst über diese sprechen ; wo nämlich nur das Dasein erdichtet ist, aber die Sache, um deren er- dichtete Thätigkeit es sich handelt, gekannt ist oder als gekannt genommen wird. So bilde ich mir z. B. ein, dass Peter, den ich kenne, nach Hause geht, dass er mich be-

20

Die erdichtete Vorstellung.

sucht, und Aehnliches. *) Ich frage nun, was enthält diese Vorstellung? Ich sehe, dass sie nur Mögliches ent- hält, aber weder Notwendiges noch Unmögliches. Ich nenne eine Sache unmöglich, deren Natur für ihr Dasein einen Widerspruch enthält; und notwendig, deren Natur für ihr Nicht-Dasein einen Widerspruch enthält; möglich, deren Dasein nach ihrer Natur keinen Widerspruch weder für ihr Dasein noch für ihr Nicht-Dasein enthält, sondern bei welcher die Notwendigkeit oder Unmöglichkeit ihres Daseins von Ursachen abhängt, die wir nicht kennen, während wir ihr Dasein erdichten. Wäre uns daher die von äussern Ursachen bedingte Notwendigkeit oder Un- möglichkeit derselben bekannt, so hätten wir auch da- rüber uns nichts erdichten können. Daraus folgt, dass, wenn es einen Gott oder ein allwissendes Wesen giebt, wir durchaus nichts erdichten oder voraussetzen können. Denn was uns selbst anlangt, so kann ich, nachdem ich erkannt, dass ich bestehe,**) nicht mehr mir einbilden, dass ich bestehe oder nicht bestehe;^) auch einen Ele- phanten , der durch ein Nadelöhr geht, kann ich mir nicht einbilden. Ebenso kann ich, nachdem ich***) die Natur Gottes erkannt habe, nicht mehr mir einbilden, dass er bestehe oder nicht bestehe; dasselbe gilt von der Chi- märe, deren Natur das Nicht -Dasein einschliesst. Hier- aus erhellt, was ich gesagt habe, nämlich dass das hier

*) Man sehe ferner das nach, was ich über solche Hypothesen bemerken werde, die man klar einsieht; die Erdichtung besteht dabei nur darin , das man behauptet, dergleichen bestehe in den himmlischen Körpern. ^3)

**) Weil die Sache, sobald sie nur verstanden ist, sich selbst offenbart; man braucht deshalb hier nur ein Beispiel, aber keine Beweisführung. Dasselbe gilt für den Widerspruch, wo man nur zu untersuchen braucht, um ihn als falsch erscheinen zu lassen. Dies wird sich gleich ergeben, wenn ich von den das Wesen betreffenden Er- dichtungen handeln werde.

***) Ich bemerke, dass, wenn Viele sagen, dass sie an Gottes Dasein zweifeln, sie es dann nur mit einem Worte zu thun liaben oder sich Etwas selbst erdichten, was sie Gott nennen. Dies stimmt aber nicht mit der Natur Gottes, wie ich später an seiner Stelle zeigen werde.

Die erdichtete Vorstellung. oi

erwähnte Einbilden bei ewigen*) Wahrheiten nicht statt- nnaet. ^^)

Ehe ich jedoch weiter gehe, will ich kurz bemerken, dass der Unterschied, der zwischen dem Wesen der einen Sache und dem Wesen der andern besteht, auch zwischen der Wirklichkeit und dem Dasein der einen Sache und der Wirklichkeit und dem Dasein der andern besteht. Wollen wir also z. B. das Dasein von Adam nur durch das allgemeine Dasein erfassen, so wäre es dasselbe, als wenn wir zur Erfassung seines Wesens auf die Natur des Wesens überhaupt acht haben, um dadurch zuletzt zu bestimmen, dass Adam ein Wesen ist. Je allgemeiner also das Dasein vorgestellt wird, um so verworrener wird es vorgestellt und um so leichter kann es einer Sache beliebig zugesprochen werden ; während, wenn das Dasein mehr besondert vorgestellt wird, es um so klarer einee- sehen und um so schwerer einer anderen, als der eigent- liehen Sache, mit Nichtbeachtung der Ordnung der Natur, zugeteilt wird; was der Beachtung wert ist.sß)

Ich habe nun das in Betracht zu nehmen, was man insgemein erdichtet nennt, obgleich man deutlich weiss, dass die Sache sich nicht so verhalte, wie man sie er- dichtet Wenn ich z B. auch weiss, dass die Erde rund 18t so hindert mich doch nichts, einem Andern zu sagen, die Erde sei eine Halbkugel und wie eine halbe Pomeranze auf einem Teller; oder die Sonne bewege sich um die Erde und dergleichen mehr. Betrachtet man diese Fälle näher, so wird man finden, dass alles mit dem bereits Gesagten zusammenhängt; sofern man nur bedenkt, dass wir mit- unter uns haben irren können und jetzt diese Irrtümer als solche erkannt haben ; ferner, dass man sich einbilden ooer^^enigstens denken kann, dass andere Menschen in

*) Ich werde auch gleich darlegen, dass keine Ein- bildung bei ewigen Wahrheiten statt hat. Unter einer ewigen Wahrheit verstehe ich eine solche, die, wenn sie oejahend ist, niemals verneinend werden kann. So ist es aie erste und ewige Wahrheit, dass Gott besteht ; dagegen ist es keine ewige Wahrheit, dass Adam denkt. Dass die uiimare nicht bestehf, ist eine ewige Wahrheit; aber dass Adam nicht denkt, ist keine.

22 Wie die erdichtete Vorstellung entstellt.

demselben Irrtume sich befinden oder, wie wir selbst früher, hineingeraten können. Ich sage, dies kann man sich einbilden, so lange man keine Unmöglichkeit bemerkt Wenn ich also Jemand sage, die Erde sei nicht rund u. s. w., so rufe ich nur den Irrtum m das Gedächtnis zurück, den ich vielleicht selbst gehabt, oder in den ich geraten konnte und bilde mir dann ein oder denke, dass der, welchem ich es sage, in diesem Irrtum ist oder liin- eingeraten könne. Ich bilde, wie gesagt, dies mir em, so lange ich keine Unmöglichkeit und keine Notwendig- keit bemerke; denn hätte ich eine solche bemerkt, so hatte ich mir nichts einbilden können und ich hätte nur sagen können, dass ich etwas gethan hätte. ^t)

Ich habe noch das zu erwähnen, was bei diesen Unter- suchungen vorkommt und was mitunter auch bei dem Un- möglichen vorkommt; z. B. wenn man sagt: Man nehme an, dass diese jetzt brennende Kerze nicht brenne, oder dass sie in irgend einem eingebildeten Orte brenne, oder da, wo es keine Körper giebt. Dergleichen wird manch- mal angenommen, obgleich das letztere ofifenbar unmöglich ist. Wenn nun dies geschieht, so ist in Wahrheit keine Einbildung vorhanden. Denn erstens habe ich nur etwas in das Gedächtnis zurückgerufen,*) nämhch eine nicht brennende Kerze (oder ich habe mir sie ohne Flamme vorgestellt) und das, was ich von dieser Kerze denke, das sehe ich von ihr ein, so lange ich auf die Flamme nicht

*) Wenn ich später über die Einbildungen in Betreff des Wesentlichen sprechen werde, so wird sich klar er- geben, dass die Einbildung niemals etwas neues bewirkt oder der Seele bietet, sondern dass dabei nur das in dem Kopfe oder in der Einbildung Vorhandene m das Ge- dächtnis zurückgerufen wird und dass die Seele auf alles verworren gleichzeitig acht hat. So ruft man z. B. eine Rede und einen Baum in das Gedächtnis zurück und wenn die Seele zerstreut und ohne Unterscheidung acht hat, so glaubt man, der Baum rede. Dasselbe gilt von dem Da- lein, namentlich wenn es, wie gesagt, so allgemein als ein Ding vorgestellt wird, weil es dann leicht mit allem, was gleichzeitig in dem Denken auftritt, verbunden wird. Dies ist sehr bemerkenswert.

Die Einbildungen über das Wesen. 23

acht habe. Im zweiten Fall ziehe ich nur meine Gedanken von den umstehenden Körpern ab, damit die Seele sich bloss der Betrachtung der Kerze, für sich allein genommen zuwende und nachher schliesse, die Kerze habe keine Ur- sache für ihre eigene Vernichtung, so dass, wenn keine Körper sie umgaben, diese Kerze und auch die Flamme

r/fintf'' ^l'^^'\ ^^'t ""^ dergleichen ähnliches! Es findet a^so hier keine Einbildung statt, sondern echte und reine Behauptungen. *) 58) ^ ' »onuern ecüte

Ich komme jetzt auf die Einbildungen in Betreff des Wesens der Dinge allein, oder des Wesens in gleichzeitige? Verbindung mit einer gewissen Wirksamkeit oder eines Daseins Hier ist vorzüglich zu bedenken, dass je wenige?

«o .rlfiL""''»!*'^^ ^^f ^''^ mancherlei' wahrnimmt" um 80 grosser ihre Macht zu Einbildungen ist; ie mehi s^

dagegen versteht, desto mehr nimmt diese Macht ab So haben wir z B. oben gesehen, dass, so lange wir denken

ruchT.h?'f 1.'^"^^^^^? ^'°"^°> ^^«« ^'^ denken und' auch nicht denken; so können wir auch, nachdem wir die

eldll'h^'' ^^'^'' f.^"^°* ^^^«°> ^°« keine Mücke un endlich gross vorstellen; und ebensowenig können wir nach Erkenntnis der Natur der Seele**) Ls dnbildli dass sie Viereckig sei, obgleich man dies alles in Worten

aow-*^ Dasselbe gilt von Hypothesen, welche zu Erklärung gewisser Bewegungen aufgestellt werden, welche mit def Erscheinungen der Himmelskörper übereinstimmen, nu?

DeHÄ^M^ '^l'' Anwendung auf die Himmels' Korper nicht die Natur der Himmel folgern, da diese eine

ancrvier ^T ^?^ T ^^^^^^"°^ ^^^««^ Bewegungen auch viele andere Ursachen angenommen werden können.

sein *rlJ^i,*/'?^ oft, dass der Mensch das Wort Seele in Bild s^oh «Ä ^Tfl^^'\ ^°^, ""^^^^^^ ^^° «i°°«ches kiL Pr Ä ^A^' \V^^^' gleichzeitig vorgestellt, so üerM.Li] * *f, die Meinung, dass er sich eine kör- mit dpr If l' ''^''*^"l "?^ ^^°^"^^» i'^dem er den Namen

hofflliUol ^?\ Widerlegung sich nicht tibereilen, was sie ntl ä "%^V*»»^« /erden, wenn sie nur auf die Bei- spiele und auf das folgende genau acht geben.

24 Ob eine Einbildung die andere beschränke.

ausdrücken kann. Je weniger dagegen die Menschen, wie sea&st die Natur kennen, desto leichter können sie vieles sich einbilden, wie z. B. dass die Bäume sprechen, dass die Menschen plötzlich in Stein verwandelt werden oder in Quellen, oder dass Geister im Spiegel erscheinen, oder dass das Nichts zu Etwas werde, oder dass die Götter sich in wilde Tiere oder Menschen verwandeln und Un- zähliges dieser Art mehr. 59)

Man wird vielleicht meinen, dass die Einbildung von der Einbildung, aber nicht von der Einsicht begrenzt werde d. h. wenn ich Etwas mir eingebildet habe und mit einer gewissen Freiheit zugestimmt habe, dass es so in Wirklichkeit bestehe, so bewirke dies, dass ich es später mir nicht anders denken könne. Wenn ich z. B. mir eingebildet habe (um ihre Worte zu gebrauchen), dass die Natur der Körper die und die Beschaflfenheit habe, und mich vermöge meiner Freiheit habe überreden wollen, dass diese Natur wirklich so bestehe, so könne ich dann mir nicht mehr einbilden, dass eine Mücke z. B. unend ich sei- und wenn ich mir das Wesen der Seele eingebildet habe so könne ich sie nicht mehr als viereckig ansehen u ß/w. Allein dies bedarf der Prüfung. eo) Erstens m'üssen sie entweder bestreiten oder zugestehen, dass man Etwas erkennen kann. Gestehen sie es zu, so muss das was sie von der Einbildung sagen , auch von der Erkenntnis gelten; wenn sie es aber bestreiten, so wollen wir die wir wissen, dass wir Etwas wissen, sehen, was sie 'sagen.«) Sie sagen nämlich, dass die Seele zwar em- pfinde und auf viele Arten wahrnehme , aber nicht sich selbst noch die bestehenden Dinge, sondern nur das, was weder an sich, noch irgend wo ist, d. h. dass die Seele durch ihre Macht allein es vermöge Empfindungen oder Vor- stellungen zu erzeugen, ohne ^assjiie Gegenstände datür bestehen. Somit betrachten sie zum Teil die Seele wieGott.^2) Ferner sagen sie, dass wir oder unsere Seele eine solche Freiheit besitzen, dass sie uns oder sich selbst, sogar ihre eigene Freiheit zwinge. Denn wenn sie sich Etwas ein- gebildet und ihm Glauben geschenkt hat, so kann sie dies nicht auf andere Weise denken oder sich einbilden und sie wird durch diese Einbildung sogar genötigt, es nur so zu denken, dass es der ersten Einbildung nicht wider- spricht. Ebenso werden sie auch den ünsmn, welchen

Die Einbildung ist leicht zu erkennen.

25

ich hier angebe, durch ihre Einbildung zuzulassen ge- zwungen; indess werde ich zu dessen Widerlegung mich mit keinen Beweisen abmühen.*) 63) Ich lasse sie vielmehr in ihrem Unsinn und sorge nur, dass ich aus den mit ihnen gewechselten Worten etwas Wahres für unseren Gegenstand gewinne, nämlich : Wenn die Seele auf einen eingebildeten und seiner Natur nach falschen Gegenstand Acht giebt, um ihn zu erwägen, zu erkennen und das daraus Folgende in guter Ordnung daraus abzuleiten, so wird sie sehr leicht klarlegen, dass er falsch ist.64) Igt dagegen die eingebildete Sache ihrer Natur nach wahr, so kann die Seele, wenn sie darauf achtet, um sie zu er- kennen und die Folgen daraus in guter Ordnung abzu- leiten, getrost ohne Unterbrechung damit fortfahren ;65) da wir gesehen haben , dass der Verstand vermag, bei einer falschen Einbildung, sobald sie vorgebracht wird, sogleich deren Verkehrtheit und anderen daraus abgeleiteten Un- sinn darzulegen.

Deshalb ist keineswegs zu fürchten, dass man sich Etwas einbilde, wenn man nur die Sache klar und deut- lich erkennt ; denn wenn man etwa sagt, dass die Menschen plötzlich in wilde Tiere verwandelt werden, so wird dies nur ganz allgemein ausgesagt und kein Begriff davon geboten, d. h. keine Vorstellung oder Verbindung zwischen Subjekt und Prädikat innerhalb der Seele; denn geschähe dies, so würde die Seele zugleich das Mittel und die Ursachen einsehen, wodurch und weshalb so Etwas geschehen ist^^) Ferner wird auch nicht auf die Natur des Subjekts und

*) Obgleich ich dies offenbar aus der Erfahrung folgere, so sagt doch vielleicht Jemand, es sei nichts, weil der Beweis ausbleibe; deshalb soll er diesen Beweis, wenn er will, so erhalten: Da in der Natur es nichts geben kann, was ihren Gesetzen widerspricht, vielmehr Alles nach ihren festen Gesetzen geschieht und bestimmte Wirkungen nach festen Gesetzen in unzerreissbarer Verkettung daraus hervorgehen, so folgt, dass die Seele, wenn sie sich einen Gegenstand wirklich vorstellt, fortfährt, in ihrem Wissen dieselben Wirkungen zu bilden. Man sehe weiter unten die Stelle, wo ich von den falschen Vorstellungen spreche.

Spinoza' 8 Abb. üb. Verbesser, d. Verstandes. 4

26

Folgerungen in Betreff der Einbildungen.

Die falsche Vorstellung.

27

Prädikats Acht gegeben. Ferner wird, wenn nur die erste Vorstellung nicht eingebildet ist, und aus ihr alle anderen Vorstellungen abgeleitet werden, allmählich die Ueber- stürzung im Einbilden erlöschen.

Ferner kann eine eingebildete Vorstellung nicht klar und deutlich sein; sie ist vielmehr verworren und man erkennt, dass alle Verworrenheit davon kommt, dass die Seele eine ganze oder aus Vielem zusammengesetzte Sache nur zum Teil kennt und das Bekannte nicht von dem Unbekannten unterscheidet ; überdem denkt sie gleichzeitig und ohne Unterscheidung an das Viele, was in der ein- zelnen Sache enthalten ist. ß^) Hieraus folgt nun erstens, dass, wenn die Vorstellung eine durchaus einfache Sache betrifft, sie nur klar und deutlich sein kann; da eine solche Sache nicht teilweise, sondern entweder ganz oder gar nicht gekannt sein kann.ß«) Es folgt zweitens, dass, wenn eine zusammengesetzte Sache in ihre einfachsten Teile im Denken zerlegt wird und jeder Teil für sich be- trachtet wird, alle Verwirrung erlöschen wird.^^) Es folgt drittens, dass eine Einbildung nicht einfach sein kann, sondern aus einer Verbindung mehrerer verworrener Vorstellungen sich bildet, welche verschiedene in der Wirklichkeit bestehenden Gegenstände und Handlungen betreffen; oder besser gesagt, dass sie aus der Aufmerk- samkeit auf viele Vorstellungen, ohne dass man ihnen zu- stimmt, hervorgeht. *) Denn wäre die Einbildung einfach, so wäre sie klar und deutlich und deshalb auch wahr. Wäre sie aus der Verbindung deutlicher Vorstellungen gebildet, so wäre auch diese Verbindung klar und deutlich und folglich wahr. Wenn man z. B. die Natur des Kreises und des rechtwinklichen Vierecks erkannt hat, so kann man dann beide nicht mehr verbinden und keinen Kreis

*) Die Einbildung an sich ist daher von dem Traume wenig unterschieden ; ausgenommen, dass im Traume sich keine Ursachen bieten, welche dem Wachenden mit Hilfe der Sinne geboten werden ; deshalb kann man bei jenen Einbildungen abnehmen, dass sie zu dieser Zeit nicht von äusserlichen Gegenständen ausgehen. Der Irrtum ist aber, wie gleich sich ergeben wird, ein Träumen im Wachen und ist er sehr offenbar, so nennt man ihn Irrsinn.

viereckig machen, noch die Seele viereckig machen ^o) und Aehnliches. Ich ziehe sonach kurz den Schluss und zeige dass bei der Einbildung nicht zu fürchten ist, dass sie mit wahren Vorstellungen vermengt werde. Denn was die erste zuerst besprochene anlangt, wo nämlich die Vor- stellung klar ist, so haben wir da gefunden, dass, wenn der Gegenstand, welcher klar vorgestellt wird und bei dem auch sein Dasein an sich eine ewige Wahrheit ist, dass da in Bezug auf einen solchen Gegenstand keine Einbildung geschehen kann. Ist aber das Dasein des vor- gestellten Gegenstandes keine ewige Wahrheit, so hat man nur zu sorgen, dass das Dasein der Sache mit ihrem Wesen verglichen und dass zugleich auf die Ordnung der Natur geachtet werde. Was die z w e i t e Art Einbildungen betrifft, so habe ich gesagt, dass sie ein Achtgeben auf mehrere verworrene Vorstellungen sind, denen man aber nicht zustimmt und die sich auf verschiedene wirklich be- stehende Gegenstände und Handlungen beziehen. Hier haben wir ebenfalls gesehen, dass von einem durchaus einfachen Gegenstand keine Einbildung möglich ist, sondern nur eine Erkenntnis ; und dass dies auch für zu- sammengesetzte Dinge gelte; wenn man nur auf die ein- fachen Teile, aus denen sie bestehn. Acht hat. Deshalb kann man auch aus ihnen keine irgend welche Thätig- keiten sich einbilden, die nicht wahr wären ; denn man würde genötigt, zugleich zu erwägen, wie und weshalb dies ge- schähe. 7i) ^

Nachdem wir dies erkannt haben, gehe ich zur Un- tersuchung der falschen Vorstellung, damit wir sehen, wo sie statt hat und wie man sich davor schützen kann, dass man nicht in falsche Vorstellungen gerate. Beides wird nach der Untersuchung der eingebildeten Vorstellung nicht schwer sein. Beide uuterscheiden sich nur dadurch, dass die falsche Vorstellung die Zustimmung voraussetzt, d. h. (wie ich schon bemerkt habe) dass keine Gründe bei ihr, wenn die falsche Vorstellung sich bietet, gegeben sind, aus denen man, wie bei der eingebildeten Vorstellung, abnehmen könnte, dass sie nicht von äusseren Gegen- ständen komme und dass sie deshalb so ziemlich nur ein Träumen bei offenen Augen oder im Wachen sei. ^2) Die falsche Vorstellung bewegt sich also oder (besser gesagt) sie bezieht sich entweder auf das Dasein eines Gegen-

4*

28

Die falsche Vorstellung über das Wesen.

Standes, dessen Wesen gekannt ist, oder auf das Wesen, und zwar in gleicher Weise wie die eingebildete Vor- stellung. Die nun, welche sich auf das Dasein bezieht, wird ebenso berichtiget wie die eingebildete Vorstellung; die aber, welche sich auf das Wesen bezieht, wird ebenso berichtiget, wie die Einbildung ; ^3) denn wenn die Natur des bekannten Gegenstandes das Dasein desselben not- wendig verlangt, so können wir über das Dasein dieses Gegenstandes unmöglich getäuscht werden; ist dagegen das Dasein des Gegenstandes keine ewige Wahrheit, wie sein Wesen, sondern ist die Notwendigkeit oder Unmöglich- keit seines Daseins von äusseren Ursachen abhängig, so hat man Alles ebenso zu nehmen, wie ich bei Gelegen- heit der Einbildung gesagt habe ; denn die Berichtigung geschieht auf gleiche Weise.

Die andere Art der falschen Vorstellungen anlangend, welche sich auf das Wesen oder auch auf Thätigkeiten beziehn, so sind solche Vorstellungen notwendig immer verworren und aus verschiedenen verworrenen Vorstel- lungen der wirklich daseienden Dinge gebildet; z. B. wenn man die Menschen überredet, dass in den Wäldern, in Bildern, in unvernünftigen Tieren u. s. w. Götter gegenwärtig seien, oder dass es Körper gebe, aus deren blossen Ver- bindung das Wissen entstehe, oder dass Gestorbene denken, wandeln, sprechen, oder dass Gott hintergangen werde u. s. w. Dagegen können klare und deutliche Vorstel- lungen niemals falsch sein, denn solche Vorstellungen sind entweder die einfachsten oder aus den einfachsten gebildet, d. h. daraus abgeleitet. Dass aber eine durchaus einfache Vorstellung nicht falsch sein kann, kann Jeder wissen, wenn er nur weiss, was wahr oder Erkenntnis und zugleich was falsch ist.

Denn was die Form des Wahren anlangt, so unter- scheidet sich sicherlich die wahre Vorstellung von der falschen nicht blos durch die äussere Benennung, sondern hauptsächlich durch die innere.'^*) Denn wenn ein Zimmermann sich ein Gebäude ordentlich ausgedacht hat, so ist seine Vorstellung, wenn auch ein solches Gebäude nie bestanden hat und niemals bestehen wird, doch eine wahre und die Vorstellung bleibt dieselbe, mag das Ge- bäude bestehen oder nicht. 7^) Wenn dagegen Jemand sagt, Peter bestehe, ohne zu wissen, ob Peter bestehet

Das Sachliche der wahren Vorstellungen. 29

so ist diese Vorstellung in Bezug auf ihn falsch , oder wenn man lieber will, nicht wahr, wenn auch Peter wirk- lich besteht; denn diese Aussage, dass Peter besteht, ist nur in Bezug auf Den eine wahre, welcher gewiss weiss, dass Peter besteht. 76) Hieraus ergiebt sich, dass in den Vorstellungen etwas Sachliches enthalten ist, durch welches die wahren von den falschen unterschieden werden und ich habe diesem jetzt näher nachzuforschen, 77) damit wir das beste Richtmass für die Wahrheit erlangen (denn ich habe gesagt, dass wir nach dem gegebenen Richtmass der wahren Vorstellung unsere Gedanken bestimmen sollen und dass mein Verfahren eine rückblickende Erkenntnis sei) und die Eigentümlichkeiten des Verstandes erkennen. Auch darf man nicht sagen , dass dieser Unterschied da- raus hervorgehe, dass die wahre Kenntnis eine Kennt- nis der Dinge durch ihre ersten Ursachen sei, worin sie allerdings sich von der falschen Vorstellung sehr unter- scheiden würde, wie ich dies oben bestimmt habe. Denn auch diejenige Vorstellung heisst eine wahre, welche das Wesen eines Prinzips als gewusstes in sich enthält, was keine Ursache hat und durch sich und in sich erkannt wird. Deshalb muss die Form 78) einer wahren Vor- stellung in ihr selbst ohne Beziehung auf andere enthalten sein und sie erkennt ihren Gegenstand nicht als ihre Ursache an, sondern sie muss von der eigenen Macht und Natur des Verstandes abhängen.

Denn wenn man den Fall setzte, dass der Verstand irgend ein neues Wesen erkannt hätte, was nirgends be- standen habe, also in der Weise, wie manche bei Gott die Erkenntnis annehmen, ehe er die Welt geschaffen hatte (wo allerdings seine Vorstellung von keinem Gegen- stande entspringen konnte) und der Verstand leitete aus einer solchen Vorstellung andere in ordentlicher Weise ab, so würden alle diese Vorstellungen wahre sein, ohne dass sie von einem äusseren Gegenstand bestimmt worden wären ; vielmehr würden sie nur von der Macht und Natur des Verstandes bedingt sein. Deshalb muss das, was die Form der wahren Vorstellung bildet, in ihr selbst gesucht werden und aus der Natur des Verstandes abgeleitet wer- den. 79) Um diesem nun nachzugehen, wollen wir eine wahre Vorstellung vor Augen stellen, bei der wir ganz zuverlässig wissen , dass ihr Gegenstand nur von unserer

\

V

30

Beispiel einer wahren Vorstellung,

; :^

Kraft zu denken abhängt und nicht in Wirklichkeit be- steht; denn in einer solchen Vorstellung werden wir, wie aus dem Gesagten erhellt, das Gesuchte ^o) leichter auf- spüren können. So nehme man z. B. behufs Bildung der Vorstellung der Kugel nach Belieben eine Ursache an, z. B. dass ein Halbkreis sich um seinen Mittelpunkt drehe und dass aus dieser Umdrehung die Kugel gleichsam ent- stehe. Diese Vorstellung ist gewiss wahr und wenn wir auch wissen, dass keine Kugel in Wirklichkeit je so ent- standen ist, so bleibt es doch eine wahre Vorstellung und die leichteste Weise, die Vorstellung der Kugel zu bilden. Hier ist nun zu bemerken, dass diese Vorstellung bejaht, dass ein Halbkreis sich dreht; diese Behauptnng würde falsch sein, wenn sie nicht mit der Vorstellung der Kugel oder derjenigen Ursache verbunden wäre, welche eine solche Bewegung bestimmt, oder sie würde unbedingt falsch sein, wenn diese Bejahung für sich allein bestände; denn dann würde die Seele nur die Bewegung des Halbkreises zu bejahen streben, welche in dem Begriffe des Halbkreises nicht enthalten ist und auch nicht aus dem Begriffe einer die Bewegung bestimmenden Ursache entspringt. Deshalb besteht hier das Falsche nur darin, dass von einem Ge- genstande Etwas bejaht wird, was in der von ihm gebil- deten Vorstellung nicht enthalten ist, wie die Bewegung oder die Ruhe des Halbkreises. Daraus folgt, dass die einfachen Vorstellungen nicht unwahr sein können, z. B. die einfache Vorstellung des Halbkreises, der Bewegung, der Grösse u. s. w. Was sie an Bejahung enthalten, ent- spricht ihrem Inhalt und dehnt sich nicht weiter aus. Deshalb kann man ohne Sorge, in Irrtum zu geraten, beliebig einfache Vorstellungen bilden, ^i)

Ich habe daher nur noch die Kraft zu untersuchen, mit der die Seele diese Vorstellungen bilden kann und wie weit diese Kraft sich erstreckt. Nach Feststellung dessen ersieht man leicht die höchste Erkenntnis, zu der man gelangen kann; denn es ist gewiss, dass diese Kraft nicht unendlich ist, da, wenn wir Etwas über einen Gegenstand bejahen, was in der von ihm gebildeten Vor- stellung nicht enthalten ist, dies einen Mangel in unserer Vorstellung anzeigt und angiebt, dass wir gleichsam ver- stümmelte und zerschnittene Gedanken oder Vorstellungen haben. Denn wir haben gesehen, dass die Bewegung

Die Vorstellungen der Einbildungskraft sind abzuhalten. 31

eines Halbkreises falsch ist, wenn sie allein in der Seele ist; aber dass sie wahr ist, wenn sie mit der Vorstellung der Kugel verbunden wird, oder mit der Vorstellung einer Ursache, die eine solche Bewegung veranlasst. Wenn es also zur Natur eines denkenden Wesens selbstverständlich gehört, wahre oder genau entsprechende Vorstellungen zu bilden, so ist sicher, dass unzureichende Vorstellungen nur deshalb in uns entstehen, weil wir ein Teil eines denken- den Wesens sind, von dem nur einzelne Gedanken ganz,

andere aber nur in einzelnen ihrer Teile, unsere Seele bilden. 82)

Noch ist aber ein Umstand zu betrachten, dessen Be- achtung bei den Einbildungen sich nicht verlohnte, bei dem aber hauptsächlich Täuschungen vorkommen ; nämlich wenn einzelnes, was der Einbildungskraft sich bietet, auch im Verstände ist, d. h. wenn es klar und deutlich erfasst ist; denn so lange das Deutliche von dem Verworrenen nicht unterschieden wird, wird die Gewissheit, d. h. die wahre Vorstellung mit dem Undeutlichen vermengt. So hatten z. B. einige Stoiker wohl den Namen der Seele und dass sie unsterblich sei, gehört; aber sie stellten sich dies nur verworren vor ; daneben hatten sie auch die bildliche Vorstellung und zugleich die Erkenntnis, dass die feinsten Körper alle übrigen durchdringen, aber selbst von keinem durchdrungen werden. Indem sie nun dies alles zugleich sich vorstellten, und zwar unter Begleitung der Gewiss- heit des letztern Grundsatzes, waren sie sofort überzeugt, dass jene feinsten Körper die Seele seien und dass sie unteilbar seien u. s. w.

Auch davon befreit man sich jedoch, wenn man sich bestrebt, nach dem Massstabe der gegebenen wahren Vor- stellung alle seine Vorstellungen zu prüfen. Man muss sich, wie ich im Beginne gesagt, vor den Vorstellungen in acht nehmen, die man vom blossen Hören oder durch eine unbestimmte Erfahrung erworben hat. Dazu kommt, dass eine solche Täuschung daher rührt, dass die Gegen- stände zu abstrakt aufgefasst werden; denn es ist selbst- verständlich, dass ich die von ihrem wirklichen Gegen- stande entnommene Vorstellung nicht auf einen andern anwenden kann. Endlich entsteht die Täuschung auch davon, dass man die ersten Elemente der Natur noch nicht kennt; indem man deshalb ohne Ordnung vor-

32

Die Erkenntnis der Katar.

Die zweifelhafte Vorstelluno-.

33

schreitet und die Natur mit abstrakten, wenn auch wahren Sätzen vermeng, wird man selbst verwirrt und man verkehrt die Ordnung der Natur. Dagegen brauchen wir, indem wir so wenig abstrakt als möglich vorschreiten und mit den ersten Elementen, d. h. mit der Quelle und dem Ursprünge der Natur 83) so bald als möglich beginnen, eine solche Täuschung nicht zu be- fürchten.

Was aber die Erkenntnis des Ursprungs der Natur anlangt, so ist durchaus nicht zu befürchten, dass wir sie mit abstrakten Begriffen vermengen; denn wenn Etwas abstrakt vorgestellt wird, wie dies bei allen Universalien geschieht, so wird es immer weiter in dem Verstände aufgefasst, als die dazu gehörenden Einzelnen in Wirklich- keit bestehen können, s*) Auch giebt es in der Natur Vieles, dessen Unterschied so gering ist, dass es dem Verstände beinah entgeht, deshalb kann (bei dessen ab- strakter Auffassung) es leicht kommen, dass dergleichen verwechselt wird. Dagegen kann der Ursprung der Natur, ^^) wie sich nachher zeigen wird, weder abstrakt noch universell aufgefasst werden, noch im Verstände weiter ausgedehnt werden, als er wirklich ist; er hat auch keine Aehnlichkeit mit vergänglichen Dingen, des- halb ist für dessen Vorstellung keine Verwechslung zu befürchten, sobald man nur das Richtmass der Wahrheit hat (wie ich bereits dargelegt habe). Dieses Wesen ist nämlich einzig,*) unendlich, d. h. es ist alles Sein**) und es giebt kein Sein ausser ihm. 8^^)

So viel über die falsche Vorstellung. Es bleibt noch die zweifelhafte Vorstellung zu untersuchen, d. h. die Untersuchung dessen, was uns in Zweifel versetzen kann, und zugleich, wie der Zweifel gehoben werden kann. Ich

*) Dies sind aber keine Attribute Gottes, welche seine Wesenheit darlegen, wie ich in meiner Philosophie zeigen werde.

**) Dies ist schon oben bewiesen worden. Denn wenn ein solches Wesen nicht bestände, so könnte es niemals hervorgebracht werden und folglich vermöchte dann die Seele mehr einzusehen, als die Natur zu leisten, was sich oben als falsch erwiesen hat.

spreche hier von dem wirklichen Zweifel in der Seele und nicht von dem, welchem man wohl manchmal begegnet wo jemand zwar mit Worten sagt, er zweifle, aber in seiner Seele nicht zweifelt; denn die Berichtigung dieses Zweifels gehört nicht zu dem hier behandelten Verfahren, sondern zur Ermittelung des Eigensinns und dessen Besserung. Es kann nun kein Zweifel in der Seele durch die Sache selbst, über die man zweifelt, entstehen, d. h. wenn nur eine einzige Vorstellung in der Seele ist, sei sie wahr oder falsch, so ist dann weder Zweifel noch Gewissheit möglich sondern nur eine gewisse Empfindung. Solche Vorstellung ist nämlich an sich nur eine gewisse Empfin- dung; und der Zweifel wird nur durch eine andere Vor- stellung veranlasst, die nicht so klar und deutlich ist, um aus ihr etwas Gewisses in Betrefi' des Gegenstandes, über den man zweifelt, ableiten zu können; d. h. die Vorstellung, die uns zweifeln macht, ist nicht klar und deutlich. Wenn z. ß. jemand niemals über die Täuschungen der Sinne nachgedacht hat, ob sie durch Erfahrung oder sonstwie ertolgen, so wird er niemals darüber zweifeln, ob die bonne grösser oder kleiner ist, als sie erscheint, und des- halb verwundern sich hin und wieder die Bauern, wenn sie hören, dass die Sonne viel grösser als die Erdkugel sei; vielmehr*) entsteht der Zweifel durch das Nachdenken über die Unzuverlässigkeit der Sinne, und wenn dann jemand nachher die wahre Erkenntnis über die Sinne er- langt hat und weiss, wie durch deren Organe die Gegen- stande sich je nach der Entfernung darstellen, so wird der Zweifel wieder gehoben. 86) Daraus folgt, dass man wahre Vorstellungen nicht deshalb bezweifeln kann, weil vielleicht ein betrügerischer Gott besteht, der uns selbst in dem Gewissesten täuscht; dies wäre nur möglich, so ^nge man keine klare und deutliche Vorstellung hat. Wenn man aber auf die Erkenntnis, welche man über iK ^^!P^"^^ aller Dinge besitzt, achtet und mit der- selben Erkenntnis nichts findet, was uns lehrt, dass Gott ein Betrüger sei, mit welcher Erkenntnis man bei Be- ^chtungjder Natur des Dreiecks findet, dass seine drei

) D. h. er weiss, dass die Sinne ihn manchmal ge- tauscht haben; aber er weiss dies nur verworren, da er nicht weiss, wie die Sinne täuschen.

34 Wie die Zweifel zu beseitigen. Das Gedächtnis.

Winkel zweien rechten gleich sind, wenn man also eine solche Erkenntnis von Gott wie von dem Dreieck hat, so verschwindet dann aller Zweifel. Und auf dieselbe Weise, auf die man zu einer solchen Erkenntnis des Dreiecks gelangen kann, obgleich man nicht sicher weiss, ob nicht irgend ein höchster Betrüger uns täusche, auf dieselbe Weise kann man auch zu einer solchen Erkenntnis Gottes gelangen, obgleich man nicht sicher weiss, dass kein höchster Betrüger besteht; und wenn man nur diese Er- kenntnis erlangt hat, so genügt sie, wie gesagt, um alle Zweifel zu beseitigen , die man über klare und deutliche Vorstellungen haben kann.s?)

Wenn man ferner in der Nachforschung richtig vor- schreitet und das, was zuvor zu ermitteln ist, zuerst er- mittelt, ohne die Verkettung der Dinge zu unterbrechen, und wenn man weiss, wie die Fragen zu stellen sind, ehe man zu deren Lösung sich rüstet, so wird manimmer nur ganz gewisse, d. h. klare und deutliche Vorstellungen haben. Denn der Zweifel ist nur ein Anhalten des Geistes in Betreff einer Bejahung oder Verneinung; er würde be- jahen oder verneinen, wenn nicht Etwas sich zeigte, ohne dessen Kenntnis die Erkenntnis des Gegenstandes unvoll- kommen bleiben muss. Hieraus erhellt, dass der Zweitel immer davon kommt, dass ein Gegenstand nicht in rechter Ordnung untersucht wird.

Dies ist es, was ich in dem ersten Teile über das Verfahren behandeln wollte. Um indes nichts zu über- gehen, was zur Erkenntnis des Verstandes und seiner Kräfte beitragen kann, will ich auch einiges über das Gedächtnis und das Vergessen sagen. Hier ist haupt- sächlich zu beachten, dass das Gedächtnis mit Hülfe des Verstandes gestärkt, aber auch ohne dessen Hülfe ge- stärkt werden kann. Denn den ersten Fall anlangend, so wird eine Sache um so leichter behalten, je mehr sie er- kennbar ist, und umgekehrt wird sie um so leichter ver- gessen, je weniger sie es ist. Wenn ich z. B. jemand eine Anzahl loser Worte sage, so wird er sie viel schwerer behalten , als wenn ich ihm diese Worte in Form einer Erzählung sage. Ohne Hülfe des Verstandes wird das Gedächtnis gestärkt, wenn die Einbildungskraft oder der sogenannte Gemeinsinn von einem einzelnen körperlicheu Gegenstande stark erregt wird. Ich sage „einen einzelnen ,

Was das Gedächtnis ist.

35

denn die Einbildungskraft wird nur von einzelnen Dingen erregt. Wenn z.B. jemand nur eine Liebesgeschichte gelesen hat, so wird er sie sehr gut behalten, so lange er keine andere weiter gelesen haben wird; denn sie be- steht dann in der Einbildungskraft allein; hat er aber mehrere der Art gelesen, so stellt man sich alle vor und vermengt sie leicht. Ich sage auch „ein körperlicher Gegenstand", denn die Einbildungskraft wird nur von körperlichen Dingen erregt. 88) Wenn sonach das Gedacht- ms von dem Verstände und auch ohne ihn gestärkt wird so folgt, dass das Gedächtnis etwas von dem Verstände Verschiedenes sein muss und dass es bei dem Verstände,

'J'^^ betrachtet, weder Gedächtnis noch Vergessen giebt.89) Was ist aber dann das Gedächtnis? Nur die Empfindung von Gehirneindrücken zugleich mit dem Denken an die bestimmte Dauer*) der Empfindung; dies zeigt auch die Erinnerung. Denn dabei denkt die Seele an jene Empfindung aber ohne die ununterbrochene Dauer, und deshalb ist die Vorstellung dieser Empfindung nicht die Dauer dieser Empfindung selbst, d. h. nicht das Ge- dächtnis selbst. 90)

Ob aber die Vorstellungen selbst einer Verderbnis fähig seien, werde ich in der Philosophie untersuchen, bellte dies jemand sehr verkehrt scheinen, so genügt für meinen Zweck, dass er bedenke, wie eine Sache um so leichter behalten wird, je vereinzelter sie ist, wie aus dem eben angeführten Beispiel mit der Komödie er- hellt. 9i) Ferner wird ein Gegenstand um so leichter be-

dächt*niq\^^?^®° ^i? ^^"^"^ unbestimmt, so ist das Ge- auch dl tJ f^^«en Gegenstand mangelhaft, was jedem

veSt l'^'T/°P^^? °»ehr vertrauen zu können, verlangt man oft die Angabe der Zeit und des Ortes, wo Etwas geschehen sei. Allerdings haben auch die Vor- ZäT^ w solche in der Seele ihre Dauer, allein wir

Massf?i h °> ^'^ ^^"^^ "^^ ^^^^^ ^^'^«^ Bewegung als Wf 1 ^f^'FV^^^y was auch mit Hülfe der Einbildungs-

blpihnn^ ^''^'??*' "°^ ^^«^^^^ beobachtet man kein Ver- angehörtr" Vorstellungen, welches dem reinen Verstände

36

Die wahre Vorstellung.

halten, je erkennbarer er ist; deshalb muss ein höchst einzelner und nur durch den Verstand erkennbarer Gegenstand gar nicht aus dem Gedächtnis verloren gehen können. 92)

Somit habe ich den Unterschied zwischen der wahren Vorstellung und den übrigen gezogen und gezeigt, dass die eingebildeten, falschen und anderen Vorstellungen ihren Ursprung in der Einbildungskraft haben, d. h. in gewissen zufälligen (so zu sagen) und losen Empfindungen, die nicht aus der Macht der Seele entstehen, sondern aus äusseren Ursachen , sowie der Körper sowohl im Schlafe wie im Wachen mancherlei Bewegungen empfängt. Man kann hier, wenn es beliebt, unter Einbildungskraft sich alles Beliebige denken, wenn es nur von dem Verstände ver- schieden ist und die Seele dabei in dem Verhältnis eines Leidenden sich befindet; denn es ist hier gleich, was man wählt, nachdem wir erkannt haben, dass die Einbildungs- kraft etwas Unbestimmtes ist, wobei die Seele etwas er- leidet, und nachdem wir auch erkannt haben, wie der Ver- stand sich davon befreien kann. Deshalb darf es niemand wundern, dass ich hier noch keinen Beweis dafür führe, dass es Körper und anderes Notwendige gebe und doch von der Einbildungskraft, von dem Körper und dessen Beschaffenheit spreche. Denn es ist, wie gesagt, gleich, was ich dafür nehme, nachdem ich erkannt habe, dass es etwas Unbestimmtes ist u. s. w.^Sj

Dagegen ist die wahre Vorstellung, wie ich gezeigt, einfach oder aus einfachen gebildet und sie zeigt, wie und weshalb Etwas ist oder geschehen ist und dass ihre Wir- kungen als gewusste in der Seele nach Verhältnis der Wirklichkeit des Gegenstandes selbst vor sich gehen. Dies ist dasselbe, was die Alten sagten, nämlich dass die wahre Wissenschaft von der Ursache zur Wirkung fortschreite; nur haben sie, so viel ich weiss, nirgends, wie ich hier dargelegt, dass die Seele nach festen Gesetzen handelt, gleichsam wie ein geistiger Automat. Dadurch haben wir, so weit es im Beginne möglich ist, die Erkenntnis unseres Verstandes erlangt und zugleich ein solches Richtmass für die wahre Vorstellung, dass wir nicht mehr die Ver- mengung der wahren mit falschen und eingebildeten Vor- stellungen zu fürchten brauchen. Auch ist es nunmehr nicht mehr auffallend, dass man manches einsieht, was in

Auch die Worte führen zu Irrtümern. 37

keiner Weise unter die Einbildungskraft fällt und dass in dieser manches ist, was mit dem Verstand im Gegen- satze steht, und manches, was mit ihm tibereinstimmt ?.^°?,.^um:,^^^®'^ erkannt, dass jene Vorgänge, aus denen die Lmbildungeu entstehen, nach Gesetzen geschehen die von denen des Verstandes ganz verschieden sind 'und dass die Seele bei der Einbildungskraft sich nur in dem Verhältnis eines Leidenden befindet. Daraus ergiebt sich auch, wie leicht diejenigen in grosse Irrtümer geraten können, welche zwischen Einbildungskraft und Verstand nicht genau unterscheiden. Dahin gehört z. B., dass die Ausdehnung in einem Orte sein müsse; dass sie begrenzt sein müsse; dass ihre Teile sich wirklich von einander unterscheiden; dass sie die einzige und erste Grundlage aller Dinge sei und zu einer Zeit mehr Raum einnehme als zu einer andern, und vieles Aehnliche, was alles gegen die Wahrheit streitet, wie ich an seinem Orte zeigen werde. 9*)

uM^ ^*/®u°^^ ^^^ ^^^*® ^^°^" ^^'^ ^er Einbildungskraft bilden, d. h. da wir, je nachdem sie sich ohne Regel nach einem gewissen Zustande des Körpers in dem Gedächtnis verbinden, viele Vorstellungen bilden, so können auch unzweifelhaft die Worte ebenso wie die Einbildungen die Ursache vieler und grosser Irrtümer werden, wenn man sich nicht mehr in acht nimmt. Dazu kommt, dass die Worte willkürlich und nach dem Fassungsvermögen der Menge gebildet sind; sie sind deshalb die Zeichen der Dinge nur so, wie diese in der Einbildung sind, und nicht wie sie in dem Verstände sind. Dies erhellt daraus deut- lich, dass man Dingen, die nur dem Verstände und nicht der Einbildung angehören, oft verneinende Namen gegeben hat, wie: unkörperlich, unendlich u. s. w. und ebenso Vieles, was wahrhaft bejahend ist, nur verneinend aus- drückt und umgekehrt, z. B. ungeschaffen, unabhängig, unendhch, unsterblich u. s. w. Die Gegenteile davon werden nämlich viel leichter vorgestellt; deshalb sind sie den ersten Menschen zunächst aufgestossen und haben die öejahenden Worte in Besitz genommen. So bejahen und ▼erneinen wir vieles, weil die Natur der Worte, aber nicht die Natur der Dinge dies gestattet, und wenn man dies nicht weiss, kann man leicht etwas Falsches für wahr halten, ^s)

38

Zweiter Teil. Die deduktive Methode.

Es handelt sich hier um eine gute Definition.

39

Sl:

1^

Man hat ferner eine andere grosse Ursache der Ver- wirrung zu vermeiden , wegen welcher der Verstand we- niger auf sich reflektiert; sie besteht darin, dass man, indem man zwischen Einbildungskraft und Verständnis nicht unterscheidet, meint, was wir uns leichter einbilden sei auch klarer und dass man das , was man sich ein- bildet, auch zu erkennen glaubt. Dadurch stellt man das voraus, was zurückzustellen ist, die rechte Ordnung des Fortschritts wird verkehrt und nichts wird richtig

^^^^ Um* nun zu dem zweiten Teile dieses Verfah- rens zu gelangen, werde ich zuerst mein Ziel bei diesem Verfahren angeben und dann die Mittel, es zu erreichen.*) Mein Ziel ist also der Besitz von klaren und deutlichen Vorstellungen , d. h. von solchen , die rein aus der beele und nicht aus zufälligen Bewegungen des Körpers gebildet sind. Ferner, alle Vorstellungen auf eine zurückzuführen und deshalb zu versuchen, sie so zu verketten und zu ordnen, dass unsere Seele, so weit es möghch ist, im Wissen das Sein der Natur als Ganzes und nach deren Teilen wiederspiegelt, ^ß) . . i ,

Was das Erste anlangt, so gehört, wie ich schon dargelegt habe, zu unserem letzten Zweck, dass die Dinge entweder durch ihr Wesen allein oder durch ihre nächste Ursache erfasst werden. Wenn nämlich die Sache an sich ist, oder wie man gewöhnlich sagt, die Ursache ihrer ist, so wird sie dann durch ihr Wesen allein eingesehen wer- den müssen; ist die Sache aber nicht an sich, sondern bedarf sie zu ihrem Dasein einer Ursache , so muss sie durch ihre nächste Ursache eingesehen werden; denn die Erkenntnis der Wirkung ist in Wahrheit nur der Erwerb einer vollkommenem Erkenntnis der Ursache. **)»'') Des-

*) Die Hauptregel dieses Teiles ist, wie aus dem ersten Teile sich ergiebt, alle Vorstellungen zu prüfen, die wir, als zu dem reinen Verstände gehörig, m uns an- trefi'en, und sie von den Vorstellungen der Einbildungskraft zu unterscheiden, was aus den Eigentümlichkeiten einer jeden, nämlich der Einbildungskraft und des Verstandes, abzunehmen ist.

**) Hieraus erhellt;, dass wir von der Natur nichts

halb ist es uns niemals gestattet, so lange es sich um die Untersuchung der Erkenntnis der Dinge handelt, aus ab- strakten Vorstellungen Etwas zu folgern, und man hat sich sehr vorzusehen und das, was nur in dem Verstände ist, 98) nicht mit dem, was in den Dingen ist, zu ver- mengen. Die beste Folgerung ist die, welche von einer besondern bejahenden Wesenheit oder von einer wahren und richtigen Definition abgeleitet wird. Denn von den allgemeinen Grundsätzen allein kann der Verstand nicht zu dem Einzelnen herab gelangen ; denn jene Grundsätze erstrecken sich über unendlich Vieles und bestimmen den Verstand zur Betrachtung des einen Einzelnen nicht mehr als des andern. Deshalb ist der rechte Weg der Auffin- dung der, dass man die Gedanken aus einer gegebenen Definition bildet. Dies geht um so besser und leichter. je besser man die Sache definiert hat. Deshalb dreht sich die Angel dieses ganzen zweiten Teiles des Verfahrens nur um die Erkenntnis der Bedingungen einer guten Definition und um die Art und Weise, sie zu gewinnen. Hiernach werde ich zunächst von den Bedingungen der Definition handeln. 99) ^ ^

Wenn die Definition vollkommen sein soll, so muss sie das innerste Wesen der Sache darlegen und sich hüten, statt dessen eine Eigentümlichkeit zu nehmen. Zur Er- läuterung dessen will ich mit Uebergehung gewisser Bei- spiele, damit es nicht scheine, als wollte ich Anderer ioni aufdecken, nur das Beispiel einer abstrakten

öache anführen, bei der es einerlei ist, wie man sie üeüniert, nämlich den Kreis. Lautet die Definition desselben üaliin dass er die Gestalt ist, deren Linien von dem Mittelpunkte nach dem Umringe gleich sind, so sieht jedermann , dass diese Definition das Wesen des Kreises Keinesweges ausdrückt, sondern nur eine Eigentümlich- keit desselben. Und wenn dies auch, wie gesagt, bei den ^iguren und den übrigen Gedanken-Din|en wenig aus- HM? ' n? ™^^^* ®^ ^^^^ ^®^ ^®^ natürlichen und wirk- S '¥^'' '^^} ^"s; die Eigentümlichkeiten einer öache werden nämUch nicht erkannt, so lange ihr Wesen

er£n ^?? können, ohne zugleich unsere Erkenntnis der ersten Ursache oder Gottes zu erweitern.

VI

40 Bedingungen einer guten Definition.

nicht erkannt ist; schickt man also jene voraus, so ver- kehrt man unvermeidlich die Verkettung im Verstände, welche der Verkettung in den Dingen entsprechen soll, und kommt von seinem Ziele gänzlich ab. >'» Um also diesen Fehler zu vermeiden, ist bei der Definition Polgen-

dpa zu beobachten : , r. i.

I Handelt es sich um eine erscha«fene Sache, so muss wie gesagt, die Definition ihre nächste Ursache ent- halten ofr Kreis ist z. B. nach dieser Regel so zu de- fineren- Er ist eine Figur, welche von einer beliebigen LWe beschrieben wird, deren eines Ende fest und to andere beweglich ist. Diese Definition umfasst deutlich die "^«hste^^^sach.-)^ ^.^ ^^^^.^.^^ ^.^^^

eine solche sein, dass alle Eigentümlichkeiten derselben, wenn sie an siJh und ohne Verbindung mit andern be- Traohtet wird, aus ihr gefolgert werden können, wie dies an dieser Definition des Kreises zu sehen ist. Denn man kann daraus deutlich folgern, ^as^ .»»e Linien von dem Mittelpunkte nach dem Umkreise gleich ««a. i»^) Dass dies ein notwendiges Erfordernis der Definition se , ist bei einiger Aufmerksamkeit so offenbar, dass es nicht der Mühe virlohnt. bei dessen Beweis sich aufzuhalten, noch zu zeigen, dass wegen dieses zweiten Erfordernisses jede Definition bejahend sein muss. Ich meme dabei die Be- jahungTm Denken, ohne die Bejahung in Worten zu be- achten ; '«') denn bei der Armut der Sprache kann der Gedanke vielleicht verneinend ausgedrückt werden müssen,

"'^'tVgen tnd'Äfordernisse der Definition einer „nerschaffenen Sache: ^^^^^^uesst, d. h. dass die

Sache keiner anVern neben ihrem Sein zu ihrer Erklärung

*"^"i: Dass, wenn die Definition gegeben ist, kein Platz für die Praee bleibt, ob die Sache ist.«**) . . , '"' III. Da?s sie ii bezng auf die Seele keine Haup- wörter hat, welche in Eigenschaftswörter verwandelt wer- den können , d. h. dass sie durch kerne abstrakten Vor-

^'^nrEuÄÄSS (obgleich dies zu er^h^ nen nicht sehr notwendig ist), dass aus der Definition

Die Ordnung der Vorstellungen,

41

derselben alle ihre Eigentümlichkeiten gefolgert werden können. ^^)

Für den Aufmerksamen werden auch diese Bestim- mungen alle selbstverständlich sein.

Ich habe auch gesagt, dass die beste Folgerung von einer besondern bejahenden Wesenheit entnommen wer- den muss; denn je mehr die Vorstellung in das Einzelne geht, desto bestimmter und folglich desto deutlicher ist sie. Deshalb ist die Erkenntnis der Besonderheiten vor- züglich zu erstreben.

In bezug auf die Ordnung und dass alle unsere Vor- stellungen geordnet und geeint seien, ist erforderlich und von der Vernunft geboten, dass wir so schnell als mög- lich erforschen, ob es ein Wesen giebt und wie es be- schaffen ist, was die Ursache aller Dinge ist, und dessen wissende Wesenheit auch die Ursache aller unserer Vor- stellungen ist, so dass unsere Seele, wie gesagt, die Natur möglichst wiedergiebt; denn dann wird sie deren Wesen- heit und Ordnung und Einheit als gewusste in sich haben, ^o^) Daraus erhellt, dass wir vor allem alle unsere Vorstellungen immer von den natürlichen Gegenständen oder von den wirklichen Wesen ableiten und dabei so viel als möglich nach der Reihe der Ursachen von einem wirk- lichen Wesen zu dem andern fortschreiten, ohne auf die abstrakten und universellen Vorstellungen tiberzugehen und ohne weder etwas Wirkliches aus diesen zu folgern noch sie aus einem Wirklichen zu folgern; denn beides unter- bricht den wahren Fortschritt des Verstandes, ^o^)

Indes verstehe ich hier unter der Reihe der Ursachen und wirklichen Wesen nicht die Reihe der einzelnen ver- gänglichen Dinge, sondern nur die Reihe der festen und ewigen Dinge. Denn die Reihe der einzelnen veränder- lichen Dinge kann von der menschlichen Schwachheit nicht vollständig erfasst werden; teils wegen ihrer jede Zahl übersteigenden Menge, teils wegen der unzähligen in ein und derselben Sache zusammentreffenden Umstände, deren jeder die Ursache für das Dasein oder Nicht-Dasein der Sache sein kann; da das Dasein der Sache keine Ver- knüpfung mit ihrer Wesenheit hat oder, wie gesagt, keine ewige Wahrheit ist. io9) Ueberdem ist es auch nicht nötig, deren Reihe zu kennen, da die Wesenheit der einzelnen veränderlichen Dinge nicht aus deren Reihenfolge oder

Spinoza* 8 Abb. üb. Verbesa«r. d. Veritand«B. 5

tfc

42

Die Erkenntnis der einzelnen Dinge.

Die Kräfte des Verstandes.

43

Ordnung im Dasein entnommen werden kann ; denn diese bietet uns nur äusserliche Benennungen, Beziehungen und höchstens Nebenumstände , welche alle von der innern Wesenheit der Sache weit abliegen. "O) Es ist also nur ihre Wesenheit von den unveränderlichen und ewigen Dingen zu entnehmen und zugleich von den darin, wie in ihren wahren Gesetzbüchern, eingeschriebenen Gesetzen, nach denen alles Einzelne geschieht und sich ordnet. Ja, jene veränderlichen einzelnen Dinge hängen so innig und wesentlich (so zu sagen) von jenen unveränderlichen ab, dass sie ohne letztere weder sein, noch begriflfen werden können. Deshalb werden jene unveränderlichen und ewigen Dinge, trotz ihrer Einzelheit, vermöge ihrer All- gegenwart und weitesten Macht für uns gleichsam die Allgemeinheiten oder die Gattungen der Definitionen der einzelnen veränderlichen Dinge und die nächsten Ursachen

aller Dinge sein."i) , . . ^ ^^ u

Wenn dies sich so verhält, so scheint der Birwerb der Erkenntnis dieser einzelnen Dinge mit grossen Schwierigkeiten verknüpft; denn die gleichzeitige Vor- stellung ihrer Aller übersteigt weit die Kräfte des mensch- lichen Verstandes und die Ordnung, nach der eines aus dem andern zu erkennen ist, kann, wie gesagt, nicht aus der Reihenfolge ihres Daseins und auch nicht aus den ewigen Dingen abgeleitet werden, da sie alle dort von Natur zugleich sind. Deshalb müssen hier andere Hülfa- mittel neben jenen gesucht werden, deren man sich zur Erkenntnis der ewigen Dinge und deren Gesetze bedient. Doch gehört die Erörterung derselben nicht hierher und es bedarf deren auch nicht, bevor man nicht eine ge- nügende Erkenntnis der ewigen Dinge und ihrer untrüg- lichen Gesetze erlangt hat, und die Natur unserer Sinne uns bekannt geworden ist.^^^)

Bevor wir uns zur Erkenntnis der einzelnen Dinge rüsten, wird es Zeit sein, die Hülfsmittel darzulegen, welche alle darauf hinzielen, dass wir verstehen, unsere Sinne zu gebrauchen und Versuche nach festen Regeln ordentlich anzustellen, so weit sie zur Bestimmung des untersuchten Gegenstandes erforderlich sind, damit wir daraus zuletzt folgern, nach welchen ewigen Gesetzen der Natur sie ge- bildet sind und ihre innerste Natur von uns erkannt werde, wie ich an seinem Orte darlegen werde. Hier bestrebe

ich mich, um zu meiner Aufgabe zurückzukehren, nur das zu lehren, was notwendig ist, um zur Erkenntnis der ewigen Dinge zu gelangen und ihre Definitionen nach den oben angegebenen Bedingungen zu bilden.

Ich erinnere zu dem Behufe an das oben Gesagte, nämlich dass, wenn die Seele auf einen Gedanken acht hat, sie ihn erwäge und aus ihm in richtiger Ordnung das ableite, was regelmässig daraus abgeleitet werden kann, und dass sie, wenn er falsch ist, diese Falschheit auf- decke ; ist der Gedanke aber wahr, dann soll sie nur ge- trost ohne alle Unterbrechung fortfahren, die wahren Dinge daraus abzuleiten; dies, sage ich, gehört zu unserer Auf- gabe. Denn wo keine Grundlage ist, da können unsere Gedanken nicht bestimmt werden; wollen wir also den ersten Gegenstand von allem erforschen, so muss eine Grundlage gegeben sein , welche unsere Gedanken dahin leitet. Da mein Verfahren aber die zurückschauende Er- kenntnis selbst ist, so kann die Grundlage, welche unsere Gedanken zu leiten hat, nur die Erkenntnis dessen sein, was die Form der Wahrheit ^^^^ ausmacht, desgleichen die Erkenntnis des Verstandes, seiner Eigenschaften und Kräfte. Haben wir diese Erkenntnis erworben, so haben wir die Grundlage, von wo wir unsere Gedanken fortleiten, und den Weg erlangt, auf dem der Verstand nach seinen Fähigkeiten zur Erkenntnis der ewigen Dinge, mit Rück- sicht nämlich auf seine Kräfte, gelangen kann, ^i*)

Da es nun, wie im ersten Teil gezeigt worden, zur Natur des Denkens gehört, wahre Vorstellungen zu bilden, so habe ich hier zu ermitteln, was unter den Kräften und der Macht des Verstandes zu verstehen ist. Da ein wich- tiger Teil meines Verfahrens darin besteht, die Kräfte und die Natur des Verstandes möglichst zu erkennen, so muss ich dies (nach dem, was ich in dem zweiten Teile gesagt habe) aus der Definition des Denkens und des Ver- standes selbst ableiten. Allein bis jetzt haben wir keine Regeln zur Auffindung der Definitionen gehabt und ebenso wenig kann ich sie lehren ohne Erkenntnis der Natur oder ohne Definition des Verstandes und seiner Macht Hieraus folgt, dass die Definition des Verstandes entweder durch sich selbst klar sein muss, oder dass wir überhaupt nichts erkennen können. Jene Definition ist nun an sich nicht unbedingt klar; allein da die Eigenschaften des Ver-

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Die Eigenschaften des Verstandes.

Die Eigenschaften des Verstandes.

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Standes, wie alles, was man durch den Verstand hat, nur nach Erkenntnis ihrer Natur klar und deutlich aufgefasst werden können, so wird die Definition des Verstandes sich von selbst ergeben, wenn man auf seine klar und deutlich erkannten Eigenschaften acht hat. Ich werde deshalb die Eigenschaften des Verstandes aufzählen, sie erwägen und von den uns eingeborenen*) Werkzeugen zu handeln be- ginnen. 1^^)

Die Eigenschaften des Verstandes, die ich besonders bemerkt habe und klar einsehe, sind:

1) Dass er die Gewissheit einschliesst, d. h. er weiss, dass die Sache sich in Wirklichkeit so verhält, wie sie als gewusst in ihm enthalten ist.^^^)

2) Dass er mancherlei auffasst, sei es, dass er gewisse Vorstellungen selbständig bildet, oder dass er sie aus anderen bildet. So bildet er die Vorstellung der Grösse selbständig, ohne dabei auf andere Vorstellungen zu achten; dagegen können die Vorstellungen der Bewegung nur in Hinblick auf die Vorstellung der Grösse gebildet werden. 11')

3) Die Vorstellungen, welche er ohne andere bildet, drücken die Unendlichkeit aus; dagegen bildet er die endlichen Vorstellungen aus anderen. Wenn der Verstand nämlich die Vorstellung der Grösse durch eine Ursache erhält, so bestimmt er die Grösse so, wie er sie auf- fasst, wenn er sich vorstellt, dass aus der Bewegung einer Ebene ein Körper, aus der Bewegung einer Linie eine Ebene und aus der Bewegung eines Punktes eine Linie entsteht, welche Vorstellungen sämtlich nicht zur Er- kenntnis, sondern nur zur Bestimmung der Grösse dienen. Dies erhellt daraus, dass man sie als aus einer Bewegung entstehend vorstellt, obgleich doch die Vor- stellung der Bewegung nur gefasst werden kann, wenn die Vorstellung der Grösse zuvor erfasst ist; ebenso kann man die Bewegung, welche zur Bildung einer Linie dient, ohne Ende fortsetzen, was man nicht könnte, wenn man nicht schon vorher die Vorstellung einer unendlichen Grösse hätte. 118)

4) Der Verstand bildet die bejahenden Vorstellungen früher als die verneinenden, i^^)

*) Man sehe oben Seite 12.

5) Er fasst die Dinge nicht sowohl nach der Dauer auf, als unter einer gewissen Form der Ewigkeit und nach einer unendlichen Zahl auf; oder vielmehr, er achtet zur Erfassung der Dinge nicht auf ihre Zahl und ihre Dauer ; wenn er aber die Dinge sich in der Einbildungskraft vor> stellt, so fasst er sie nach einer bestimmten Zahl und einer bestimmten Dauer und Grösse auf.^^o)

6) Die Vorstellungen, welche man als klare und deutliche bildet, scheinen so aus der Notwendigkeit unserer Natur zu folgen, dass sie ganz von unserer Macht abzuhängen scheinen ; bei den verworrenen Vorstellungen findet das Gegenteil statt, denn sie bilden sich oft gegen unseren Willen. 121)

7) Die Vorstellung von Dingen, welche der Verstand aus anderen bildet, kann die Seele auf mannigfache Weise bestimmen; um z. B. die Ebene einer Ellipse zu be- stimmen^ stellt sie sich vor, dass ein Stift innerhalb eines Fadens sich um zwei Mittelpunkte bewege, oder sie stellt sich unendlich viele Punkte vor, welche alle dasselbe Verhältnis zu einer gegebenen geraden Linie einhalten, oder sie stellt sich einen schief durchschnittenen Kegel so vor, dass der Winkel der Neigung grösser ist, als der Winkel an der Spitze des Kegels, oder auf noch unzäh- lige andere Weise. 122)

8) Die Vorstellungen sind um so vollkommener, je mehr Vollkommenheit ihres Gegenstandes sie ausdrücken. Wir bewundern den Baumeister, der eine Kapelle aus- gedacht hat nicht so, wie den, welcher einen bedeutenden Tempel ausgedacht hat^^s)

Bei dem Uebrigen, was sich auf das Denken bezieht, wie Liebe, Fröhlichkeit u. s. w. halte ich mich nicht auf, denn für meine jetzige Aufgabe helfen diese nichts, auch können sie ohne Erkenntnis des Verstandes nicht ver- standen werden, denn mit Aufhebung des Vorstellens wird auch dies Alles mit aufgehoben. 124)

Bei den falschen und eingebildeten Vorstellungen ist es nicht ihr bejahender Inhalt (wie ich genügend gezeigt habe), weshalb sie falsch oder eingebildet genannt werden, sondern sie gelten nur aus einem blossen Mangel des Denkens als solche. Deshalb können die falschen und eingebildeten Vorstellungen als solche uns über das Wesen des Denkens nicht belehren, vielmehr muss dies aus den

46 Die Eigenschaften des Verstandes.

eben aufgezählten bejahenden Eigenschaften abgenommen werden, d. h. man muss etwas Gemeinsames aufstellen, aus dem diese Eigenschaften notwendig folgen, oder mit dessen Setzung auch diese notwendig gesetzt werden und mit dessen Aufhebung auch dies Alles aufgehoben wird. 125)

(Das üebrige fehlt) ^26)

Benedict von Spinoza's

Politische Abhandlung

in welcher

dargelegt wird, wie die Verfassung sowohl bei einem monarchischen wie bei einem aristokratischen Eegiment beschaffen sein müsse, damit sie nicht in Tyrannei ausarte, sondern der Friede und die Freiheit der Bürger unverletzt erhalten bleibe.

49

1 Brief te Massers an m Frert,

welcher

dieser politischen Abhandlung als Vorrede passend vorausgehen und sie vertreten kann.

\i

Werter Freund! Dein lieber Brief ist mir gestern überbracht worden. Ich danke Dir herzlich für die Teil- nahme, die Du an mir nimmst. Ich Hesse diese Gelegen- heit u. s. w. nicht vorbeigehen, wäre ich nicht bei einer Arbeit, die ich für nützlicher halte und die, wie ich glaube. Dir mehr gefallen wird ; nämlich bei der Ausarbeitunff einer politischen Abhandlung, die ich auf Deine Veran- lassung vor einiger Zeit begonnen habe. Sechs Kapitel

A * I,. I .^*^°° ®^^^^ ^®^'g- ^as erste enthält eine Art iLmleitung zu dem ganzen Werke; das zweite han- delt vom Naturrecht; das dritte vom Recht der höchsten Staatsgewalt; das vierte von den politischen Geschäften, welche zum Regimente dieser höchsten Staatsgewalt ge- hören; das fünfte von dem letzten und höchsten Ziele aer bürgerlichen Gesellschaft und das sechste von der i!.mrichtung des monarchischen Regiments, damit es nicht in lyrannei ausarte. Jetzt bin ich bei dem siebenten ^apitel, in welchem ich alle Stücke des vorgehenden ^apitels, welche die Verfassung einer gut eingerichteten Monarchie betreffen, der Reihe nach darlege. Dann werde ich zur aristokratischen und demokratischen Regierungs- lorm und zuletzt zu den Gesetzen und zu einigen anderen,

50

auf den Staat bezüglichen Fragen übergehen. Damit ge- hab Dich wohl; u. s. w. .,.,,, ,r e i Hieraus kann man die Absicht des Verfassera ent- nehmen: indes hat Krankheit und der Tod ihn gehindert, das Werk weiter, als bis zum Schluss der Aristokratie zu bringen, wie der Leser selbst finden wird, i)

61

Benedict von Spinoza's

Politische Abhandlung/^

Erstes Kapitel.

§ 1. Die Gemütsbewegungen, von denen wir er- faast werden, betrachten die Philosophen als Fehler, in welche die Menschen durch ihre Schuld geraten; sie pflegen sie deshalb zu belachen, oder zu beweinen, oder zu tadeln, oder (wenn sie sich den Schein der Heiligkeit geben wollen) zu Terfluchen. So meinen sie ein göttliches Werk zu verrichten und den Gipfel der Weisheit dadurch zu erreichen, dass sie eine menschliche Natur, die nirgends besteht, auf alle Weise loben und die wirklich vorhandene zu beschimpfen verstehen.

Denn sie nehmen die Menschen nicht, wie sie sind, sondern wie sie nach ihnen sein sollten; daher kommt es denn, dass sie statt einer Ethik eine Satyre geschrieben haben und dass sie niemals eine Staatsverfassung erdacht haben, von der man hätte Gebrauch machen können, sondern nur eine, die man für eine Chimäre 3) halten musste, und die nur in Utopien oder in jenem goldenen Zeitalter der Dichter, wo sie am wenigsten nötig wäre, eiDgeführt werden könnte. Da so von allen praktischen Wissenschaften die Lehre vom Staat am meisten von der Wirkhchkeit abweicht, so gelten auch die Theoretiker oder rhilosophen als Die, welche am wenigsten zur Leitung des Staats geschickt sind. *) -

§ 2. Umgekehrt gelten die praktischen Staatsmänner lor solche, welche den Menschen mehr nachstellen als für

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Politische Abh. Kap. 1. §. 3. 4.

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Ifis

deren Wohl sorgen; man hält diese Männer mehr für listig, als für weise ; die Erfahrung hat sie nämlich belehrt, dass es Laster geben werde, so lange es Menschen geben wird. Indem sie sich bestreben, der Bosheit der Menschen zuvorzukommen und zwar vermittels der Künste, welche die Erfahrung durch lange üebung gelehrt hat und welche man mehr aus Furcht als in Leitung der Vernunft anzu- wenden pflegt, so erscheinen sie als Gegner der Religion, namentlich in der Meinung der Theologen, welche glauben, dass die oberste Staatsgewalt die öffentlichen Angelegen- heiten nach denselben Regeln der Frömmigkeit betreiben müsse, an die der Einzelne gebunden ist. Unzweifelhaft haben jedoch die Staatsmänner über Politik besser als die Philosophen geschrieben; denn sie hatten die Erfah- rung zur Lehrmeisterin und lehrten deshalb nichts Un-

ausführbares.

§ 3. Ich bin nämlich überzeugt, dass man durch die Erfahrung alle die Staatsformen kennen gelernt hat, welche zum einträchtigen Beisammenleben der Menschen ausgedacht werden können. &) Dasselbe gilt für die Mittel, durch welche die Menge geleitet oder innerhalb gewisser Schranken gehalten werden muss, und ich glaube daher nicht, dass man irgend otwas Ausführbares und der Er- fahrung Entsprechendes in diesem Gebiete erdenken kann, was nicht bereits versucht und bekannt geworden ist. Denn die Menschen sind so beschaffen, dass sie ausser- halb allen gemeinen Rechtes nicht leben können; dieses gemeine Recht und die öffentlichen Angelegenheiten sind aber bereits von den scharfsinnigsten, bald schlauen, bald einsichtigen Männern eingerichtet und behandelt worden, und es ist deshalb kaum glaublich, dass man noch etwas für die bürgerliche Gesellschaft Nützliches erfinden könne, was nicht bereits die Gelegenheit oder der Zufall geboten hat, und was die Menschen bei Betreibung der gemein- samen Geschäfte und in Fürsorge für ihre Sicherheit nicht schon bemerkt haben. ^)

§ 4. Als ich daher mein Denken der Politik zu- wendete, wollte ich keineswegs etwas ganz Neues und Unerhörtes, sondern nur das mit der Wirklichkeit am besten Uebereinstimmende auf eine sichere und unzweifel- hafte Weise darlegen oder aus den Bedingungen der menschlichen Natur ableiten. Um das, was dieser Wissen-

Die Begierden zur Natur d. Menschen. 53

Schaft angehört, mit derselben Unbefangenheit, wie es bei der Mathematik geschieht, zu untersuchen, habe ich mich sorgfaltig gehütet, die Handlungen der Manschen zu belachen oder zu beklagen oder zu verwünschen, sondern nur gestrebt, sie zu verstehen. Ich habe deshalb die menschlichen Gemütszustände, wie die Liebe, den Hass. den Zorn, den Neid, den Ehrgeiz, das Mitleiden u. s. w nicht als Fehler der menschlischen Natur, sondern als Eigenschaften betrachtet, welche ihr ebenso zukommen, wie der Natur der Luft die Hitze, die Kälte, der Sturm der Donner und ähnliches, was, wenn auch lästig, doch notwendig ist und seine festen Ursachen hat, durch die man deren Natur zu erkennen sucht, und in deren Be- rachtuDg der Geist denselben Genuss findet, wie an der Er- kenntnis der Gegenstände, welche die Sinne ergötzen. 7)

Lvu-i? I ^°L° ®® ^®* ^®^^«« "°^ Jch habe es in meiner Mhik als wahr nachgewiesen, dass die Menschen mit Notwendigkeit den Gemütsbewegungen unterworfen und 80 beschaffen sind, d^s sie die Elenden bemitleiden und die Glücklichen beneiden und dass sie mehr zur Rache als zur Barmherzigkeit neigen und dass Jeder wünscht, die Uebrigen sollen nach seinem Sinn leben und das billigen, was er billigt und das verabscheuen, was er ver- abscheut. So geraten sie, da Alle gleich sehr die Ersten sein wollen, in Streit und suchen sich nach Kräften sesen- seitig zu unterdrücken. Wer dabei den Sieg erringt, wird mehr wegen des dem Andern zugefügten Schadens a 8 wegen des für sich erlangten Vorteils gefeiert. Ob- gleich jedermann überzeugt ist, dass dies der Religion zu-

«^ih'Vil^T-^t^^ ^^n"^*' ^*«« j^^^^ ««^°en Nächsten wie sich selbst heben solle, d. h. jeder solle das Recht des Andern wie sein eigenes verteidigen, so habe ich doch Dachgewiesen, dass diese Ueberzeugung gegen die Leiden- schaften wenig vermag. Solche Lehre wirkt in der Stunde wn J^^^l^'. ""^ ^i® Krankheit die Leidenschaften aber- wunden hat nnd der Mensch träge auf seinem Lager liegt;

Ä/°w°.P^**^'\^°«®^°> ^0 ^ie Menschen ?eine Ge- schäfte betreiben ; aber sie wirkt nicht auf dem Markte.

f.Z Hofe, wo sie doch am nötigsten ist. Ich habe ;«? Irf ®^.®'^*' H^ ^i® Vernunft zwar viel zur Hemmung und Mässigung der Leidenschaften vermag; allein der weg, den die Vernunft zeigt, hat sich auch als ein sehr

54 PoUtische Abh. Kap. 1. §. 6. 7. Kap. 2. §. 1.

Steiler ergeben. Wer deshalb meint, die Menge oder die n den G^eschäften befangenen Staatsmänner konnten zu einem Leben bloss nach den Vorschriften der Vernunft Seht werden, der träumt von dem goldenen Zeitalter der Dichter oder von Fabeln. ») . . x j..„„

8 6 Deshalb ist kein Regiment gesichert, dessen Bestand von der Treue jemandes abhängt und wo die Verwäftung nur |ut geführt werden kann wenn Die

welche die^GeschäFte besorgen, >»'* ««^^llit'* T^^^^ö vielmehr muss, wenn das Regiment bestehen soll, es so I newichtrse in, dass die Leiter der Geschäfte, mag die Vernunft oder de Leidenschaft sie bestimmen, nicht zur Untreue oder Schlechtigkeit verführt werden können. Auch "st für die Sicherheit des Staats der Beweggrund ÄÄig, welcher die Menschen zur guten Führung der

elfte bestimmt, wenn fie«« ."«^ ^f f^«^/* w£s Die Freiheit des Geistes oder die Festigkeit des Willens u! eine Pnvattugend; die Tugend des Staats aber .st

Sicherheit.^ ^„^lieh alle Menschen, seien sie Barbaren oder gesittet, überall allmählich in Verbindungen treten und einen bürgerlichen Zustand herstellen, so darf man d"e Umchen und natürlichen Grundlagen der Staatsgewa nicht aus den Beweisen der Vernunft, sondern man mus sie aus der gemeinsamen Natur »"^ de" 2««'^°^^».^,'; Menschen ableiten, was ich in dem folgenden Kapitel zu thun beschlossen habe.'")

Zweites Kapitel. 8 1. Ich habe in meiner theologisch-politischen Ab- handlung das Natur- und bürgerliche Recht behandelt und in meinir Ethik habe ich erklärt, was Sünde was Ver- dienst, was Gerechtigkeit, was Ungerechtigkeit und endlich, was die menschliche Freiheit ist. 'i) Damit indes die Leser dieser Abhandlung nicht nötig haben, das wesen- liche, hierher Gehörige anderwärts aufzusuchen, so wiu ich es hier nochmals erklären und bis zur vollen Gewiss- heit beweisen.

Da» Naturrecht ist die eigene Macht der Natur. 65

§ 2. Jeder natürliche Gegenstand kann zureichend begriffen werden, mag er bestehen oder nicht: deshalb kann man aus der Definition weder den Ursprun? des Daseins der natürlichen Dinge noch deren Fortdauer im ."..T %""•'') Denn ihre geistige Wesenheit ist, nachdem sie da zu sein begonnen haben, dieselbe, als wie vor dem Beginn ihres Daseins. Wenn daher der Ursprung Ihres Daseins ans ihrer Wesenheit nicht folgt, so gilt die! auch für Ihre Fortdauer, und dieselbe Ma!ht, dfren^e zum Beginn ihres Daseins bedürfen, brauchen sie auch für die Fortdauer ihres Daseins. Daraus ergiebt sich dass die Macht, durch welche die natürlkhen Wnge bt- stehen und folglich auch wirken, nur die ewige Macht Gottes sein kann. Denn wäre es eine geschaffene Macht, L r«t- S'* "J?-*"* «'«'».«elbst und folglich auch nicht

dir Jhi v^L ^l?.^^ ^^^^^^"^ ; ''«'"»ehr Würden diese derselben Macht die nöüg war, damit sie geschaffen

harren" J3)*" bedürfen, um in' ihrem Dasein zu be°

§ 3. Daraus, dass die Macht der natürlichen Dinge, ermoge deren sie bestehen und wirken, die eigene Macht Oottes ist, kann man leicht entnehmen, was das Natur- recht ist. Denn da Gott das Recht auf alles hat und das Recht Gottes nur seine Macht ist, soweit sie als unbedingt frei aufgefMst wird, so folgt, das jedes natürliche Ding nach der Natur so viel Recht hat, als es Macht hat zu bestehen und zu wirken ; denn die Macht jeder einzelnen natürlichen Sache , vermöge deren sie besteht und wirkt

' *! r®T x'^^xT^ ***'=''' '^""«S' ^'e durchaus frei ist. '* C..J j «"■ N?*n"echt verstehe ich daher die eigenen Gesetze oder Regeln der Natur, nach denen alles geschieht, ttv^ o^^?? ¥*«'>' <ler Natur. Deshalb |eht das natür iche Rech der ganzen Natur und folglich jedes ijmzelnen so weit wie deren Macht und folglich thut jeder Mensch das, was er nach den Gesetzen seiner Natur thut. nach dem höchsten Rechte der Natur und er hat so vie Kecht gegen die Natur, als seine Macht vermag.

.i„i. ^ r.*?" ^l ^^^^^ ""•* <äer menschlichen Natur Xift" T'"*lr«' ^T •''« Menschen nur nach den Vor- T.rÄ *'*' Vernunft lebten und nach nichts anderem

eSf™r'..*V."'^* .^** ^^'^ menschlichen Geschlecht eigentümliche Naturreeht sieh lediglich nach der Macht

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Politische Abb. Kap. 2. §. 6.

der Vernunft bestimmen. Allein die Menschen werden mehr von den blinden Begierden als von der Vernunft ge- leitet und deshalb muss die natürliche Macht der Menschen oder ihr Recht nicht nach der Vernunft , sondern nach leder Begierde, die sie zum Handeln und zur Erhaltung ihrer selbst treibt, bestimmt werden. Ich erkenne zwar an , dass diese Begierden , die nicht aus der Vernunft entepringen, mehr ein Leiden als ein Handeln der Menschen sind; allein da ich hiervon der Macht oder dem Rechte der ganzen Natur handele, so kann ich hier keinen Unterschied zwischen den Begierden anerkennen, die aus der Vernunft und denen, die aus anderen Ur- sachen in uns erzeugt werden; denn diese, wie jene, sind Wirkungen der Natur und bezeichnen die natürliche Kratt, mit der der Mensch sich in seinem Sein zu erhalten strebt. Denn jeder Mensch, der Weise wie der Thor, ist ein Teil der Natur und alles, was ihn zum Handeln be- stimmt, muss zur Macht der Natur gerechnet werden, so- weit sie durch die Natur dieses oder jenes Menschen aus- cedrückt ist. Denn der Mensch handelt, sowohl wenn er Ion der Vernunft, als wenn er bloss von der Begierde geleitet wird, nur nach den Gesetzen und Regeln der Na- tur, d. h. (nach § 4 dieses Kapitels) nach dem Rechte der

Natur. ^^) j j.

8 6 Allein meistenteils nimmt man an, dass die Thoren die Ordnung der Natur mehr beschädigen als be- folgen und fasst die Menschen in der Natur wie einen St^t im Staate auf. Man behauptet, dass die mensch- liehe Seele aus keinen natürlichen Ursachen hervor- gebracht werde; sondern dass sie von Gott unmittelbar Irschaffen werde und deshalb von allen arideren Dingen 80 unabhängig sei, dass sie eine «I^^^^^^f «.JJ*f]^* ^^^^^^ sich selbst zu bestimmen und die Vernunft nchtig zu ge- brauchen. Allein die Erfahrung lehrt zur Genüge, dass eine gesunde Seele ebensowenig in unserer Gewalt steht wie ein gesunder Körper. Da nun jedes Ding, so viel von ihm abhängt, sich im Sein zu erhalten strebt, so wür- den wir unzweifelhaft, wenn es ebenso in unserer Gewalt läge, nach den Vorschriften der Vernunft zu leben, als von den blinden Begierden geleitet zu werden, alle uns von der Verunft leiten lassen .und unsere Lebensweise danach einrichten; allein dies ist keineswegs der Fall,

Die Vernunft hat keine unbedingte Macht über die Begierde. 57

denn jeder folgt seinen Lüsten. Auch die Theologen be- seitigen diesen Mangel nicht, wenn sie behaupten, dass die Ursache dieser menschlichen Ohnmacht ein Fehler oder eine Sünde sei , f^elche von dem Falle des ersten Elternpaares herrühre. Denn wenn es in der Macht des ewten Menschen gelegen hätte, sowohl zu stehen wie zu fallen und er seines Verstandes mächtig und von unver- letzter Natur gewesen wäre, wie war es da möglich, dass er mit Wissen und Willen doch gefallen ist? Man sagt er sei von dem Teufel verführt worden; aber wer war derjenige, der den Teufel selbst verführt hat? Wer hat dieses vorzüglichste aller vernünftigen Geschöpfe so sinn- los gemacht, dass es grösser als Gott sein wollte? Wollte nicht auch er, der eine gesunde Seele hatte, sein Dasein erhalten, so viel es von ihm abhing? Wie war es ferner möglich, dass der erste Mensch selbst, der seines Ver- standes mächtig und Herr seines Willens war, sich ver- fuhren und täuschen Hess? Denn hatte er die Macht seine Vernunft zu gebrauchen , so konnte er nicht ge-' täuscht werden; denn soweit es von ihm abhing, hatte er notwendig das Bestreben, sein Dasein und seine Seele sich gesund zu erhalten. Nun nimmt man an, dass er diese Macht gehabt habe; folglich hat er auch not^ wendig seine Seele gesund erhalten und hat nicht se- tauscht werden können. So erhellt aus dieser Geschichte seiDst ibre Unwahrheit und man muss anerkennen , dass es nicht in der Macht des ersten Menschen gestanden nat, seine Vernunft richtig zu gebrauchen, sondern dass fsVieT'^ ^^^> ^^^ Leidenschaften unterworfen gewesea

§ 7. Dass nun der Mensch, wie die übrigen Einzel- wesen, sein Dasein, so viel von ihm abhängt, zu erhalten l- V /^"° niemand bestreiten. Wäre hier ein Unter- schied denkbar, so mtisste er davon kommen, dass der Mensch einen freien Willen hätte. Allein je freier man sich den Menschen denkt, desto mehr ist man zur An^ nähme genötigt, dass er sich erhalten und seines Geistes, mächtig sein müsse; wer die Freiheit nicht mit der Zu* lalligkeit verwechselt, wird mir dies leicht zugeben. Den» aie i^reiheit ist eine Kraft oder Vollkommenheit; alles also, was die Schwäche des Menschen darlegt, kann nicht zu seiner Freiheit gehören. Deshalb kann der Mensch

Spinoxa's Abh. üb. Verbesser. d. Verstandes.

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Politische Abh. Kap. 2. § 8.

Dicht deshalb frei genannt werden, weil er nicht zu sein oder seine Vernunft nicht zu gebrauchen vermag; sondern nur deshalb und so weit, als er die Macht hat, zu sein und nach den Gesetzen der menschlichen Natur zu wirken. Je freier mau also die Menschen annimmt, desto weniger darf man sagen , dass sie die Vernunft nicht gebrauchen und das Schlechte statt des Guten wählen können. Des- halb erkennt und wirkt auch Gott, der durchaus frei ist, notwendig; er ist und erkennt und wirkt nach der Notwendigkeit seiner Natur. Denn offenbar handelt Gott mit derselben Freiheit, mit der er besteht; sowie er aber nach der Notwendigkeit seiner Natur besteht, so handelt er auch aus der Notwendigkeit seiner Natur, d. h. er handelt unbedingt frei.i?) , . , ,, ,

§ 8. Ich folgere also, dass es nicht m der Macht jedes Menschen steht, seine Vernunft immer zu gebrauchen und auf dem höchsten Gipfel der menschlichen Freiheit zu stehen; aber dennoch strebt jeder, sein Dasein, so viel er vermag, zu erhalten und deshalb begehrt und thut jeder (weil jeder so viel Recht hat, als er Macht hat), sei er weise oder ein Thor, das, was er begehrt und thut, immer mit dem höchsten Rechte der Natur. Dar- aus ergiebt sich, dass das Naturrecht und die Natur- ordnung, unter der alle Menschen geboren werden und zum grössten Teile leben, nur das verbieten, was niemand begehrt und was niemand vermag, und dass sie weder dem Streite, noch dem Hasse oder dem Zorne und Be- trüge, noch sonst dem, was die Lüste begehren, entgegen sind. Auch ist dies nicht wunderbar; denn die Natur ist nicht mit den Gesetzen der menschlichen Vernunft, die nur auf den wahren Nutzen und die Erhaltung der Men- schen abzwecken, abgeschlossen, sondern umfasat noch unendlich viele andere Gesetze, die sich auf die ewige Ordnung der ganzen Natur, von welcher der Mensch nur ein Teil ist, beziehen, und aus deren Notwendigkeit allein wird jedes Einzelne in sicherer Weise zum Dasein und Handeln bestimmt. Wenn uns daher in der Natur etwas lächerlich oder verkehrt oder schlecht erscheint, so kommt es nur davon, dass wir den Gegenstand nur bloss teil- weise kennen und dass die Ordnung und der Zusammen- hang der ganzen Natur uns zum grössten Teile unbekannt ist, und weil wir verlangen, dass alles nach den Vor-

Die Macht über einen Andern giebt auch das Recht über ihn. 59

Schriften unserer Vernunft geschehen solle, während doch das von der Vernunft für schlecht Erklärte, kein Schlechtes in Beziehung auf die Ordnung und die Ge- setze der ganzen Natur ist, sondern nur in Beziehung auf die Gesetze unserer eigenen Natur, ^s)

§ 9. Ferner ergiebt sich, dass jedweder so lange dem Rechte eines andern unterworfen ist, als er unter dessen Macht sich befindet, und so weit selbständigen Rechtes, als er vermag, jede Gewalt zurückzuschlagen und den ihm zugefügten Schaden nach seiner Ansicht zu rächen und unbedingt nach seinem Belieben zu leben.

§ 10. Jemand hat einen andern in seiner Gewalt, wenn er ihn gebunden festhält oder ihm die Waffen und die Mittel, sich zu verteidigen oder zu entwischen, ge- nommen hat oder ihm Furcht eingeflösst hat, oder ihn durch Wohlthaten sich so verbunden hat, dass er lieber seinen Willen als den eigenen befolgen und lieber nach seiner Absicht als nach der eigenen leben mag. Wer in der ersten und zweiten eben genannten Weise einen an- dern in seiner Gewalt hat, hält nur dessen Körper, nicht dessen Seele fest; aber in der dritten und vierten Weise hat er sich ebenso seine Seele wie seinen Körper unter- worfen, doch nur so lange, als die Furcht oder die Hoff- nung anhält; sind diese verschwunden, so wird jener wie- der sein eigener Herr.i^)

§ 11. Die Urteilskraft kann insoweit unter dem Recht eines andern stehen, als die Seele von einem an- dern getäuscht werden kann. Deshalb ist die Seele nur so weit selbständig, als sie ihre Vernunft recht ge- brauchen kann, und da die menschliche Macht nicht sowohl nach der Körperkraft als nach der Tapferkeit der Seele abzuschätzen ist, so sind diejenigen am meisten selbständig, deren Vernunft am stärksten ist, und die sich am meisten von ihr führen lassen; und ich nenne deshalb einen Menschen nur insoweit frei, als er von der Vernunft geleitet wird; denn nur so weit handelt er aus Ursachen, die aus seiner eigenen Natur zureichend er- kannt werden können, wenngleich er von derselben mit Notwendigkeit zum Handeln bestimmt wird; denn die Freiheit hebt die Notwendigkeit des Handelns nicht auf, sondern setzt sie, wie in § 7 dieses Kapitels gezeiet worden ist.20) ^ » &

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Politische Abh. Kap. 2. § 12-16.

Der Staat und seine Form.

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§ 12. Die* jemand erteilte Zusage, womit in blossen Worten versprochen worden ist, dass dies oder jenes von dem Zusagenden gethan werden solle, was er nach seinem Rechte unterlassen konnte, oder umgekehrt, bleibt so lange gültig, als der Wille des Versprechenden sich nicht ändert. Denn wer die Macht hat, sein Wort zu brechen, hat in Wahrheit sein Recht nicht vergeben, sondern nur Worte gewechselt. Meint er daher, da er nach dem Naturrecht sein eigener Richter ist, mit Recht oder Unrecht (denn irren ist menschlich), dass das Versprechen ihm mehr Schaden als Nutzen bringe, und will er nach seiner An- sicht das Versprechen nicht halten, so kann er dies nach dem Naturrecht. (Nach § 9 dieses Kapitels.) ^^)

§ 13. Wenn zwei sich vereinigen und ihre Kräfte verbinden, so vermögen sie mehr und haben deshalb auch mehr Recht gegen die Natur als jeder allein, und je mehr Menschen in dieser Weise sich verbunden haben, um so mehr werden alle auch mehr Rechte haben. 22)

§ 14. So weit als die Menschen von Zorn, Neid oder von der Leidenschaft des Hasses erfüllt sind, haben sie verschiedene Ziele und sind einander entgegen; sie sind dann um so mehr zu fürchten, je mächtiger und je klüger und verschlagener als die übrigen Geschöpfe sie sind. Da nun die Menschen meistenteils (wie ich in § 5 des vorigen Kapitels gesagt) diesen Leidenschaften von Natur unterworfen sind, so sind von Natur die Menschen ein- ander feind. Denn Der ist mein grösster Feind, den ich am meisten zu fürchten und vor dem ich mich am meisten in acht zu nehmen habe. 23)

§ 15. Da nun (nach § 9 dieses Kapitels) im natür- lichen Zustand jeder sein eigener Herr ist, so lange er sich gegen die Unterdrückung eines andern schützen kann , und einer allein sich nicht gegen alle schützen kann, so folgt, dass, so lange das natürliche Recht des Menschen nach seiner Macht sich bestimmt, es so lange keines ist und mehr in der Meinung als in der Wirklicli- keit besteht, weil es keine Sicherheit für dessen Geltend- machung giebt; denn es ist gewiss, dass jeder um so weniger vermag und folglich um so weniger Rechte hat, als er grössern Grund zur Furcht hat. Dazu kommt, dass ohne gegenseitige Hülfe die Menschen kaum ihr Leben fristen und ihren Verstand bilden können ; und so folgere

ich, dass das dem menschlichen Geschlecht eigentümliche Naturrecht nur da möglich ist, wo die Menschen ein Je- memsames Recht haben und zugleich vermögen, ein Land was sie bewohnen und bebauen können, sich zu verschaff fen, sich zu schützen, alle Gewalt zurückzuschlagen und nach dem gemeinsamen Willen aller zu leben. Denn ie mehr Menschen (nach § 13 dieses Kapitels) sich so ver- einigen, um so mehr haben sie auch Rechte, und wenn die Scholastiker deshalb, weil die Menschen in dem Natur- zustande kaum selbständig sein können, den Menschen dir e^ en aif ^ Geschöpf nennen wollen, so habe ich nichts

V u^ ^^\ ^^ ^^® Menschen ein gemeinsames Recht haben und alle wie von einem Sinn geleitet werden, da hat offenbar (nach § 13 dieses Kapitels) jeder Einzelne derselben um so weniger Rechte, je mehr die üebrigen Ihm überlegen sind, d. h. der Einzelne hat in Wahrheit nur so viel Recht auf die Natur, als das gemeine Recht ihm gestattet. Was übrigens in gemeinsamer üeberein- stimmung ihm befohlen wird, ist er schuldig auszuführen, oder er kann (nach § 4 dieses Kapitels) mit Recht dazu gezwungen werden.

K J ^I' P}^^^^ ^^^^*» was durch die Macht der Menge bestmamt wird, pflegt die Staatsgewalt genannt zu werden und derjenige besitzt sie unbedingt, welcher nach ge- meinsamen Uebereinkommen die Sorge für den Staat hat, also besetze zu geben, auszulegen und aufzuheben, Städte zu befestigen, über Krieg und Frieden zu entscheiden u. 8. w. Koramt diese Sorge einer Versammlung zu. die hIL if i^'*"™A^" Volksmenge besteht, so heisst die Herrschaft eine Demokratie; sind es aber nur einige Anserlesene, Aristokratie, und ist endlich die Sorge ttir den Staat und folglich die Herrschaft bei Einem, io heisst sie Monarchie. 25) '

h.uß }^' ^^^ ^^^ ^^ diesem Kapitel Dargelegten er- neut, dass es im Naturzustande keine Sünde giebt, oder wenn Jemand sündigt, so sündigt er gegen sich und nicht gegen Andere. Denn nach dem Naturrecht braucht Nie- mand dem Andern zu Willen zu leben, wenn er nicht wm; er braucht nur das für gut und schlecht zu halten, was er nach seinem Sinne für gut und schlecht halten *^iii, und es ist nach dem Naturrecht nur das verboten,

ii

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Politische Abb. Kap. 2. § 19. 20.

Der Staat gegenüber der Moral und Religion.

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was Niemand vermag. (Man sehe § 5 und 8 dieses Ka- pitels.) Die Sünde ist aber eine Handlung, welche nicht mit Recht geschehen kann. Wären die Menschen nach der Einrichtung der Natur gehalten, der Vernunft zu folgen, dann würden notwendig Alle von der Vernunft geleitet werden. Denn die Einrichtungen der Natur sind Gottes Einrichtungen (nach § 2, 3 dieses Kapitels), welche Gott mit derselben Freiheit anordnet, mit der er selbst besteht, und die deshalb aus der Notwendigkeit der gött- lichen Natur folgen (man sehe § 7 dieses Kapitels), ewig sind und nicht verletzt werden können. Allein die Men- schen werden hauptsächlich durch die Begierden, ohne die Vernunft , geleitet ; sie stören jedoch dabei nicht die Ordnung der Natur, vielmehr befolgen sie sie notwendig und deshalb ist der unwissende und seines Verstandes nicht Mächtige nach dem Naturrecht ebenso wenig ge- halten, seine Lebensweise verständig einzurichten, wie der Kranke gehalten ist, gesund an Körper zu sein. 26)

§ 19. Eine Sünde ist deshalb nur bei einer Staats- gewalt möglich, wo nach dem gemeinen Rechte des ganzen Staates bestimmt wird, was gut und was schlecht sein soll und wo nur der (nach § 16 dieses Kapitels) recht handelt, welcher nach dem gemeinsamen Beschlüsse und Willen handelt. Denn nur das ist eine Sünde (wie im § 18 gesagt worden), was nicht mit Recht gethan werden kann, oder was das Recht verbietet, und der Gehorsam ist der beständige Wille, das zu thun, was nach dem Recht gut ist und nach dem gemeinsamen Beschlüsse ge- schehen soll.

§ 20. Man pflegt indes auch das Sünde zu nennen, was gegen das Gebot der gesunden Vernunft geschieht, und unter Gehorsam versteht man den beständigen Willen, die Begierden nach dem Gebot der Vernunft zu massigen. Ich würde dem beitreten, wenn die menschliche Freiheit in der Willkür der Begierden und die menschliche Knecht- schaft in der Herrschaft der Vernunft bestände. Allem da die Freiheit des Menschen um so grösser ist, je mehr der Mensch sich von der Vernunft leiten lässt und die Begierden massigen kann, so kann man das vernünftige Leben nur sehr uneigeutlich Gehorsam nennen und ebenso uneigentlich das Sünde, was in Wahrheit die Ohnmacht der Seele, nicht aber eine Willkür gegen sicli

selbst ist, durch welche der Mensch vielmehr ein Knecht^ statt frei genannt werden kann. (Man sehe 8 7 und 11 dieses Kapitels.)«?) » u xx

§ 21. Da indes die Vernunft gebietet, Frömmigkeit zu üben und ruhigen Sinnes und guten Mutes zu sein, und dieses nur im Staate möglich ist und da ferner die Menge, wie es im Staate nötig ist, nicht unter einen Sinn gebracht werden kann, wenn nicht Rechte bestehen, welche den Vorschriften der Vernunft entsprechen, so haben die Menschen, welche im Staate zu leben pflegen, nicht unpassend das Sünde genannt, was gegen das Ge- bot der Vernunft geschieht, weil das Recht des besten Staates (nach § 18 dieses Kapitels) nach den Geboten der Vernunft eingerichtet werden muss. Weshalb ich aber gesagt habe 18 dieses Kapitels), dass der Mensch im Naturzustande nur gegen sich selbst sündige, wenn er sündigt, darüber sehe man § 4 und 5, Kap. 4, wo ge- zeigt wird, in welchem Sinne man sagen kann, dass Der, welcher die Staatsgewalt inne und nach dem Natur- recht erlangt hat, an die Gesetze gebunden sein und sündigen könne.

§ 22. Was die Religion anlangt, so ist ofl'enbar der Mensch um so freier und sich selbst am willfährigsten, je mehr er Gott liebt und von ganzem Herzen verehrt. Achtet man indes nicht auf die Ordnung der Natur, die uns unbekannt ist, sondern nur auf die die Religion be- treffenden Gebote der Vernunft, und bedenkt man, dass diese uns von Gott, als wenn er in uns spräche, offenbart sind, oder dass sie auch den Propheten als Rechte offen- bart worden sind, so gehorcht in menschlicher Redeweise der Mensch Gott so weit, als er ihn von ganzer Seele Hebt, und sündigt umgekehrt, wenn er von der blinden Begierde sich leiten lässt. 28) Indes muss man dabei ein- gedenk bleiben, dass wir so in Gottes Macht sind, wie der Thon in der Hand des Töpfers, der aus demselben Stoffe Gefässe zur Zierde und zur ünzierde macht, und dass deshalb der Mensch zwar gegen die Beschlüsse Gottes handeln kann, so weit sie in unserer oder der Propheten Seele als das Recht eingeschrieben sind, aber nicht gegen den ewigen Ratschluss Gottes, welcher der Natur des Weltalls eingeschrieben ist und sich auf die Ordnung der ganzen Natur bezieht. 29)

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PoUtische Abb. Kap. 3. § 1. 2.

Die Grundlage des Staats.

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§ 23. So wie daher die Sünde und der Gehorsam im strengen Sinne, so ist auch die Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit nur im Staate denkbar. Denn in der Natur giebt es nichts, von dem man mit Recht sagen könnte, es gehöre Diesem und nicht Jenem, vielmehr ge- hört Alles Allen, so weit sie die Macht haben, es sich zu verschaflFen. Aber im Staat, wo das gemeine Recht be- stimmt, was Diesem und was Jenem gehören solle, heisst Der gerecht, welcher den beständigen Willen hat, Jedem das Seine zu geben, und ungerecht Der, welcher dem ent- gegen das Fremde zu dem Seinigen zu machen begehrt.

§ 24. Uebrigens habe ich in meiner Ethik ausein- andergesetzt, dass Lob und Tadel nur Gemütszustände der Freude und Trauer sind, welche die Vorstellung der menschlichen Macht oder Ohnmacht als ihre Ursache be- gleitet. 30)

Drittes Kapitel.

§ 1. Die Verfassung eines jeden Staates heisst bür- gerlich ; der ganze Körper des Staates heisst aber Staats- gemeinde; und die allgemeinen Geschäfte der Staats- gewalt, welche von der Leitung ihres Inhabers abhängen, heissen Gemeinwesen. Ferner heissen die Menschen, so weit sie nach dem bürgerlichen Recht sich aller Vorteile des Staates erfreuen, Bürger und, so weit sie den Ein- richtungen des Staates oder dessen Gesetzen zu gehorchen gehalten sind, Unterthanen; endlich habe ich in §17 des vorigen Kapitels bemerkt, dass es drei Arten des Regimentes giebt; nämlich die Demokratie, die Aristo- kratie und die Monarchie. Ehe ich auf diese einzeln und besonders eingehe, will ich zuvor das allen Verfassungen Gemeinsame behandeln, und zwar vor Allem das höchste Recht der Staatsgemeinde oder der höchsten Staatsgewalt

§ 2. Aus § 15, Kap. 2 erhellt, dass das Recht des Staates oder der höchsten Gewalt nur das natürliche Recht ist, was durch die Macht nicht eines Einzigen, son- dern durch die Macht der gleichsam von einem Willen

geleiteten Masse der Bürger bestimmt wird, d. h. so, wie jeder Einzelne im Naturzustande, so hat der ganze Kör- per und die Seele des Staates so weit Rechte, als seine Macht reicht Deshalb hat jeder Bürger oder Unterthan um so weniger Rechte, je mehr der Staat mächtiger als dieser Einzelne ist 16, Kap. 2), und deshalb besitzt und thut jeder Bürger dem Rechte gemäss nur das, was er durch den gemeinsamen Willen des Staates vertei- digen kann.

§ 3. Wenn ein Staat Jemandem das Recht und folglich die Macht (denn sonst hat er nach § 12, Kap. 2 nur Worte ausgeteilt), nach seinem Sinne zu leben, er- teilt, so begiebt er sich damit seines Rechtes und über- trägt es auf Den, dem er eine solche Macht giebt Hat er nun Zweien oder Mehreren diese Macht gegeben, dass Jeder nach seinem Sinne leben kann, so hat er damit die Staatsgewalt geteilt, und hat er endlich diese Macht an jeden Bürger gegeben, so hat er damit sich selbst zer- stört und ist kein Staat mehr, vielmehr kehrt Alles in den Naturzustand zurück, wie aus dem Obigen sich klar ergiebt Deshalb ist es unmöglich, dass es jedem Bür- ger nach der Staatsverfassung erlaubt sein kann, nach seinem Sinne zu leben und deshalb hört notwendig jenes natürliche Recht, wonach Jeder sein eigener Richter ist, in der bürgerlichen Verfassung auf. Ich sage ausdrück- lieb: nach der Staatsverfassung; denn das natürliche Recht erlischt (wenn man die Sache recht erwägt) in dem Staate nicht; denn der Mensch handelt sowohl im natür- lichen wie in dem bürgerlichen Zustande nach den Ge- setzen seiner Natur und sorgt für seinen Nutzen; ich sage, der Mensch wird in beiden Zuständen durch Hoflf- nung oder Furcht zu dieser oder jener Handlung oder Interlassung bestimmt; aber der Hauptunterschied zwischen beiden Zuständen ist, dass in dem Staate Alle dasselbe fürchten und für Alle dieselbe Sicherheit Ursache und |brund ihres Verhaltens ist, wodurch allerdings das Ver- »mogen eines Jeden, zu urteilen, nicht aufgehoben ist i>enn wenn Jemand beschliesst, allen Geboten des Staates zu folgen, so sorgt er, mag es aus Furcht vor dessen Macht geschehen oder aus Liebe zur Ruhe, in seinem ojnne für seine Sicherheit und seinen Vorteil. 3»)

§ 4. Ferner ist es undenkbar, dass jeder Bürger

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Politische Abh. Kap. 3. § 6. 6.

Schranken der Staatsgewalt.

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befugt sei, die Beschlüsse des Staates und seine Gesetze auszulegen. Wenn jeder dies dürfte, so wäre er damit sein eigener Richter, da jeder seine Handlungen unter dem Schein des Rechts bei allen Geschäften entschuldigen oder verschönern und somit sich das Leben nach seinem Sinne einrichten könnte, was (nach § 3 dieses Kapitels) widersinnig wäre.

§ 5. Jeder Bürger ist also nicht sein Herr, sondern der Staat ist sein Herr; dessen Befehle ist er zu befolgen schuldig, und er hat kein Recht, zu bestimmen, was recht oder unrecht, was fromm oder gottlos ist ; vielmehr muss, da der Wille des Staates als der Wille aller gilt, das was der Staat für recht und gut erklärt, so betrachtet werden, als hätten es alle dafür erklärt. Wenn daher ein Unter- than auch die Beschlüsse des Staates für unrecht hält, so ist er doch gehalten, sie zu befolgen. ^2)

§ 6. Man könnte entgegnen, dass es gegen das Ge- ' bot der Vernunft laufe, sich eines Andern Urteil ganz zu unterwerfen und dass deshalb die bürgerliche Verfassung der Vernunft widerstreite. Es würde daraus folgen, dass die bürgerliche Verfassung eine unvernünftige sei und nur von unvernünftigen Menschen eingerichtet werden könne, aber nicht von solchen, die sich von der Vernunft leiten lassen. Allein die Vernunft fordert nichts gegen die Natur und deshalb kann die gesunde Vernunft nicht gebieten, dass, so lange die Menschen den Leidenschaften unterworfen sind, jeder sein Herr bleibe 15, Kap. 2), d. h. 5, Kap. 1) die Vernunft will, dass dies nicht ge- schehe. Dazu kommt, dass die Vernunft überhaupt lehrt, den Frieden zu suchen, der nicht erlangt werden kanu, wenn das gemeinsame Recht des Staates nicht unverletzt erhalten wird; deshalb wird ein Mensch, je mehr er von der Vernunft geleitet wird, d. h. (nach § 11, Kap. 2) je freier er ist, um so beständiger die Rechte des Staates beachten und die Gebote der höchsten Gewalt, deren Unterthan er ist, erfüllen. Dazu kommt, dass die bürger- liche Verfassung eingerichtet ist, um den Einzelnen die gemeinsame Furcht zu benehmen und das gemeinsame Elend zu beseitigen, und so dasselbe bezweckt, was, wie- wohl vergeblich, ein jeder im Naturzustande, wenn er der Vernunft folgt, erstrebt. 15, Kap. 2.) Wenn deshalb ein vernünftiger Mensch mitunter auf Befehl des Staates

etwas thun muss, was er als unvernünftig erkennt, so wird dieser Schade doch weit durch das Gute aus- geglichen, was er aus der bürgerlichen Verfassung schöpft, und es ist auch ein Gesetz der Vernunft, dass man von zwei Übeln das kleinere wähle. Deshalb handelt niemand gegen die Gebote seiner Vernunft, wenn er das thut, was das Recht des Staates ver- langt. Man wird dies mir noch bereitwilliger zuge- stehen, wenn ich erst dargelegt haben werde, wie weit die Macht des Staates und folglich sein Recht sich er- streckt. ^3)

§ 7. Zunächst ist zu erwägen, dass, so wie im Naturzustande 11, Kap. 2) Derjenige am mächtigsten ist, der der Vernunft folgt, so auch der Staat am mäch- tigsten und selbständigsten sein wird, wenn er auf der Vernunft gegründet und von ihr geleitet wird; denn das Recht des Staates wird durch die Macht der, wie von einem Willen geleiteten Menge bestimmt, und diese Ein- heit der Geister wäre unmöglich, wenn der Staat nicht hauptsächlich das verfolgte, von dem die gesunde Ver- nunft allen Menschen lehrt, dass es nützlich ist. 3*)

§ 8. Zweitens ist zu erwägen, dass die ünterthanen nur insoweit nicht selbständig, sondern dem Staat unter- geben sind, als sie dessen Macht oder Drohungen fürchten, oder als sie den bürgerlichen Zustand lieben. 10, Kap. 2.) Daraus folgt, dass Alles, wozu Niemand durch Lohn oder durch Drohungen bewogen werden kann, nicht zu dem Rechte des Staates gehört. So kann z. B. sich Niemand seiner Urteilskraft begeben; denn durch welchen Lohn oder welche Drohung könnte wohl ein Mensch be- stimmt werden, zu glauben, dass das Ganze kleiner sei als der Teil, oder dass es keinen Gott gebe, oder dass ein Körper, den er als in Grenzen eingeschlossen sieht, ein unendliches Wesen sei, überhaupt, dass er etwas dem zuwider glaube, was er sieht oder denkt? Durch welchen Lohn könnte ebenso Jemand bestimmt werden, Den zu lieben, welchen er hasst, und Den zu hassen, welchen er liebt? Hierher gehört auch Alles, was die menschliche Natur so verabscheut, dass sie es für schlimmer als alles Uebel hält; z. B. dass ein Mensch gegen sich selbst Zeugnis ablege ; dass er sich kreuzige ; dass er seine Eltern töte; dass er dem Tod nicht ausweiche und Ähn-

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68

Politische Abb. Kap. 3. § 9. 10.

liches, wozu Niemand weder durch Lohn, noch durch Drohungen gebracht werden kann. Wollte man dennoch behaupten, der Staat habe das Recht oder die Macht, der- gleichen zu befehlen, so wäre dies ebenso, als wenn man sagte, ein Mensch habe das Recht, wahnsinnig und irr- sinnig zu sein; denn was Anderes als Wahnsinn wäre ein solches Recht, an das Niemand gebunden sein könnte ?35 Indes spreche ich hier nur von dem, was unmöglich zum Recht des Staates gehören kann und vor dem die menschliche Natur einen Abscheu hat. Denn wenn ein Thor oder Wahnsinniger durch keinen Lohn und keine Drohung zur Befolgung der Befehle bestimmt werden kann, und wenn Ein oder der Andere, weil er dieser oder jener Religion zugethan ist, die Rechte des Staats für schlimmer als alle Uebel hält, so werden da- durch die Rechte des Staats nicht umgestürzt, sofern nur die Mehrzahl der Bürger ihnen folgt, und deshalb weil Die, welche weder Etwas fürchten noch hoffen, ihre eigenen Herren sind 10, Kap. 2), sind sie Feinde des Staats 14, Kap. 2), die man mit Recht durch Gewalt im Zaume halten kann.

§ 8. Drittens ist endlich zu erwägen, dass das zu den Rechten des Staates nicht gehört, was die Meisten mit Unwillen von sich weisen. Denn unzweifelhaft treibt die Natur die Menschen aus gemeinsamer Furcht oder aus dem Verlangen, einen gemeinsamen Schaden zu rächen, zur Verbindung, und da das Recht des Staats sich nach der gemeinsamen Macht der Menge bestimmt, so wird offenbar die Macht und das Recht des Staats insoweit verringert, als er selbst den Anlass giebt, dass Mehrere sich gegen ihn verschwören. Denn jeder Staat hat ge- wisse Dinge zu fürchten und so wie jeder Bürger und wie jeder Mensch im Naturzustande, so ist auch der Staat um so weniger selbstständig, je mehr er Ursache zur Furcht hat. 36)

So viel über das Recht der höchsten Staatsgewalten gegen ihre Unterthanen; ehe ich indes deren Rechte gegen Andere untersuche, will ich erst die Frage zu lösen suchen, welche die Religion betrifft.

§ 10. Man kann mir nämlich entgegnen, dass durch den bürgerlichen Zustand und den Gehorsam der Unter- thanen, wie ich ihn, als für den bürgerlichen Zustand

Verhältnis des Staats zur Religion. gg

nötig, dargelegt habe, die Religion aufgehoben werde, nach der wir Gott zu verehren schuldig sind. Indes wird eine nähere Erwägung der Sache ergeben, dass hier kein Grund zu Gewissenszweifeln vorhanden ist. Die Seele, welche der Vernunft dient, ist selbständig und nicht der Staatsgewalt unterthänig. 11, Kap. 2.) Des- halb kann die wahre Erkenntnis und Liebe Gottes keiner Staatsgewalt unterthan sein und ebensowenig die Liebe zu dem Nächsten. 8, Kap. 3.) Bedenkt man nun. dass die Uebung der Liebe vorzüglich darin besteht, dass man den Frieden schützt und die Eintracht erhält, so erfüllt offenbar Der seine Pflicht, welcher Jedem so weit hilft als die Rechte des Staats, d. h. die Eintracht und die Ruhe es gestatten. Was aber den äusserlichen Gottesdienst an- langt, so kann dieser die wahre Erkenntnis Gottes und die aus ihr notwendig folgende Liebe zu ihm weder unter- stützen noch behindern; man darf ihn deshalb nicht für so wichtig nehmen, dass es sich verlohnte, um seinet- willen den Frieden und die öffentliche Ruhe zu stören. Uebrigens ist es gewiss, dass ich nach dem Naturrechtj d. h. 3, Kap. 2) nach Gottes Ratschluss nicht der Vert^eidiger der Religion bin; denn ich habe nicht die Macht, wie vordem die Jünger Christi, de unreinen Geister zu vertreiben und Wunder zu thun; und doch wäre diese Macht notwendig, um die Religion da zu verbreiten, wo sie verboten ist, wenn nicht Zeit und Mühe, wie man sagt, verloren sein und Belästigungen ausserdem entstehen sollen, wovon alle Jahrhunderte die traurigsten Beispiele gesehen haben. Jeder kann vielmehr, wo er auch ist, Gott in wahrer Religion verehren und für sich sorgen, wie es die Pflicht des Privatmannes ist; im üebrigen ist oie Sorge für die Verbreitung der Religion Gott oder der btaatsgewalt, denen allein die Sorge für das gemeine Wesen obliegt, zu tiberlassen. Ich kehre nunmehr zu meiner Aufgabe zurück. 3?)

§ 11. Nachdem ich das Recht der höchsten Staats- gewalt gegen die Bürger und die Pflichten der Unter- thanen erklärt habe, muss ich noch die Rechte der Staats- gewalt gegen andere Staaten betrachten, die sich aus dem gesagten leicht ergeben werden. Denn da das Recht der höchsten Staatsgewalt (nach § 2, Kap. 3) nur das natürliche Recht ist, so folgt, dass zwei Staaten sich zu

I

70

Politische Abh. Kap. 3. § 12—14.

Das Völkerrecht.

71

hM 'i'r

einander wie zwei Menschen im natürlichen Zustande ver- halten, ausgenommen, dass der Staat sich gegen fremde Unterdrückung schützen kann, was der Mensch im natür- lichen Zustande nicht kann, da er täglich von dem Schlafe, oft von Krankheiten oder Seelenleiden und zuletzt vom Alter bedrückt wird und auch sonst manchen anderen Übeln ausgesetzt ist, gegen die der Staat sich schützen kann.

§ 12. Der Staat ist deshalb insoweit sein eigener Herr, 38) als er sich raten und gegen fremde Unterdrückung schützen kann 9. 15, Kap. 2), und insoweit 10. 15, Kap. 2) unselbständig, als er die Macht eines anderen Staates fürchtet oder von ihm an der Ausführung seines Willens gehindert wird, oder soweit er dessen Hilfe zu seiner Erhaltung oder VergrÖsserung bedarf. Denn un- zweifelhaft haben zwei Staaten, die sich gegenseitig Hilfe leisten wollen, mehr Macht und folglich auch mehr Recht als jeder allein 13, Kap. 2).

§ 13. Dies erhellt noch deutlicher, wenn man er- wägt, dass zwei Staaten von Natur Feinde sind; denn die Menschen im Naturzustand sind einander feind 14, Kap. 2); wer also sein natürliches Recht ausserhalb des Staates behält, bleibt ein Feind. Wenn also ein Staat den anderen bekriegen und das Aeusserste gegen ihn in Anwendung bringen will, um ihn sich zu unterwerfen, so steht ihm dies nach dem Naturrecht frei, da zu dem Kriegführen der Wille genügt. Über den Frieden kann aber kein Staat ohne Willen des anderen etwas bestimmen. Deshalb hat jeder einzelne Staat das Recht zum Krieg, dagegen betrifft das Recht des Friedens nicht blos einen, sondern mindestens zwei Staaten, welche deshalb ver- bündete genannt werden.^)

§ 14. Dieses Bündnis besteht so lange als die Ursache, welche dessen Abschluss veranlasst hat, nämlich die Furcht vor Schaden oder die Hoffnung auf einen Vor- teil. Ist aber Eines oder das Andere für den einen Staat fortgefallen , so bleibt er selbständig 10, Kap. 2), und das Band, was die Staaten umschlang, ist von selbst ge- löst. Deshalb hat jeder Staat das volle Recht, das Bünd- nis aufzulösen, wenn es ihm beliebt und man kann ihm keinen Betrug und keine Untreue vorwerfen, wenn er sein

Wort nicht hält, sobald die Ursache zur Furcht oder zur Hoffnung beseitigt ist, weil diese Bedingung für beide Teile gleich war, nämlich dass der erste, welcher der Furcht ledig würde, selbständig sei und nach seinem Belieben sich verhalten könne. Auch würde ausserdem niemand sich für die Zukunft verpflichten, ausgenommen unter Voraussetzung, , dass die gegenwärtigen Umstände flieh nicht ändern. Andern sich diese, so ändert sich auch der Grund des ganzen Zustandes und deshalb behält jeder der verbündeten Staaten das Recht, für sich zu sorgen und deshalb sucht jeder, so viel er kann, sich von der Furcht zu befreien und selbständig zu werden und zu verhindern, dass der andere mächtiger werde. Wenn mithin ein Staat sich über Betrug beklagt, so hat er nicht den anderen Staat der Treulosigkeit, sondern sich selbst der Thorheit anzuklagen, dass er sein Heil einem Anderen anvertraute, der selbständig ist und dem sein eigenes Wohl als höchstes Gesetz gilt.*«)

§ 15. Die Staaten, welche mit einander Frieden ge- schlossen haben, sind berechtigt, die Fragen zu entscheiden, welche über die Bedingungen und Vereinbarungen des Friedens sich erheben, weil sie sich gegenseitig zur Treue verpflichtet haben. Denn die Rechte aus dem Frieden gebühren nicht bloss einem Staate, sondern allen, die ihn geschlossen haben 13 dieses Kapitels). Können sie sich darüber nicht einigen, so kehren sie dadurch in den Kriegszustand zurück, ^i)

§ 16. Je mehr Staaten miteinander Frieden geschlossen haben, um so weniger ist der einzelne von den übrigen zu fürchten, oder um so geringer ist die Macht des ein- zelnen, die anderen mit Krieg zu überziehen; vielmehr ist der einzelne dadurch um so mehr gehalten, die Bedin- gungen des Friedens inne zu halten, d. h. (nach § 13 dieses Kapitels) um so weniger ist er sein eigener Herr, sondern muss sich um so mehr dem gemeinsamen Willen der Verbündeten fügen.

§ 17. Übrigens wird dadurch die Treue, welche die gesunde Vernunft und die Religion lehrt, nicht aufgeho- ben; denn auch die gesunde Vernunft und die Schrift lehren nicht, dass jedes Versprechen gehalten werden müsse. Wenn ich z. B. jemand versprochen habe, das Geld, was er mir heimlich anvertraut, zu verwahren, so

72

Politische Abb. Kap. 4. § 1.

brauche ich Dicht Wort zu halten, wenn ich erfahre, oder zu wissen meine, dass er das mir übergebene Geld ge- stohlen habe; vielmehr handle ich dann richtiger, wenn ich dafür sorge, dass das Geld seinem Eigentümer zu- rückgegeben werde. Ebenso darf die Staatsgewalt ihr Wort nicht halten, wenn, nachdem sie einem anderen Etwas zu leisten versprochen hat, nachher die spätere Zeit oder die Vernunft lehrt, oder zu lehren scheint, dass die Erfüllung dem gemeinsamen Vorteile der Unter- thanen zuwider sei. Da die heilige Schrift sonach nur im allgemeinen lehrt, Wort zu halten, aber die einzelnen Aus- nahmen eines Jeden Urteil tiberlässt, so lehrt sie soweit nichts, was den von mir dargelegten Grundsätzen wider- spricht. *2)

8 18. Um indes nicht zu oft den Faden der Rede unterbrechen und um nicht später ähnlichen Einwürfen entgegentreten zu müssen, so erinnere ich, dass ich dies alles aus der Notwendigkeit der allseitig in Betracht ge- zogenen menschlichen Natur abgeleitet habe, d. h. aus dem gemeinsamen Bestreben aller Menschen, sich zu er- halten. Dieses Bestreben erfüllt jeden Menschen, die törichten, wie die weisen; mögen deshalb die Menschen als durch die Leidenschaften oder durch die Vernunft bestimmt angesehen werden, so ändert dies nichts, da der Beweis, wie gesagt, allgemein gilt.

Viertes Kapitel.

§ 1. Das Recht der höchsten Staatsgewalt, was sich nach ihrer Macht bestimmt, ist im vorgehenden Kapitel behandelt worden und wir haben gesehen, wie es haupt- sächlich darin besteht, dass sie gleichsam die Seele des Staats bildet, welche alle Bürger zu führen hat. Deshalb hat diese Staatsgewalt allein das Recht zu bestimmen, was gut, was schlecht, was gerecht, was ungerecht ist, d. h. was die Einzelnen oder alle zu thun oder zu unter- lassen haben. Deshalb gebührt ihr, wie wir gesehen haben , allein das Recht , Gesetze zu geben und diese in dem einzelnen Fall, wo es sich darum handelt, auszulegen

Rechte der höchsten Staatsgewalt. 73

botenen anzunehmen 12, 13 Kap 3) ' **'* *°«f«-

Staat nur von der Leit^in^ 5!Ü ".lu^" '^'^ ^^^ der höchste Gews^t haben und es fnfi ''''•.*"«''. ^«'"he die höchste Staatsgew:« berät?g/i? üTÄtr ''"' der Einzelnen zu richtpn for„l, j fandlnngen Handlungen RecLn8ch^f^znf^.<>*'^•'^i*^ *''»''' ««'»e Strafe zu belegen und di/Riuf''V?'f Ye^brecher mit Bargen, zu eSeMen ^der ÄS- ^^ ?*«' «J«» welche dies an ihrer SteltevÄten .a^g?" .-'f t"'"' allem berechtigt, alle Mittel für den Kr e«r „nH l '?'" zu verwenden und zu regeln also S«rftl t^ "u *^"edea zu befestigen, das Heef z^bethlilen d?e miH?" •" T**

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Bp-oA rA^Äh ' f"^""" "" «'« eine Chimäre

8 Abb. üb. Verbesser, d. Verstandes. 7

74

Politische Abh. Kap. 4. § 4.

betrachtet werden. Der Staat sündigt also wenn er das thut, oder geschehen lässt, was seinen Untergang ver- anlassen kann und er sündigt dann m deniselben Sinn, wie die Philosophen und Mediziner von der Natur sagen, dass sie sündige. In diesem Sinne kann man sagen dass der Staat sündige, wenn er Etwas gegen das Gebot der Vernunft thut; denn der Staat ist dann am meisten Herr seiner selbst, wenn er nach den Geboten der Ver- nunft handelt 7, Kap. 3); soweit er also f geji di« Vernunft handelt, soweit sündigt er oder handelt unrecht. Es wird dies klarer, wenn man bedenkt, wie bei dem Ausspruch, dass jeder über das, was seines Rechtes ist, nach Belieben verfügen kann, diese Macht nicht bloss durch die Macht des Handelnden, sondern auch durch den entsprechenden Zustand des Leidenden beschrankt wird. Saie ich z. B., dass ich mit diesem Tisch machen kann, was ich will, so meine ich doch wahrhaftig damit nicht dass ich das Recht habe, zu bewirken, dass dieser Tisch Gras verzehre; ebenso meine ich, wenn ich sage, dass die Menschen sich nicht selbst, sondern dem Staate angehören, nicht, dass die Menschen die menschliche Natur verlieren und eine andere annehmen und dass der Staat das Recht habe, zu bewirken, dass die Menschen fliegen, oder was gleicherweise unmöglich ist, dass sie mit Ehrfurcht etwas betrachten, was Lachen oder Ekel erweckt; son- dern dass, unter gewissen Umständen, die Unterthanen gegen den Staat Ehrfurcht und Scheu hegen müssen und dass mit Wegfall dieser Umstände diese Scheu und Ehrfurcht und damit der Staat zugleich hinwegfalle. Damit also der Staat seine Selbständigkeit erhalte , muss er die Bedingungen der Scheu und Ehrfurcht sich er- halten, sonst hört er auf, ein Staat zu sein. So ist es Denen oder Dem, der die Herrschaft hat, ebenso un- möglich, betrunken oder nackt mit öffentlichen Dirnen durch die Strassen zu laufen, den Komödianten zu machen, die von ihm selbst gegebenen Gesetze offen zu übertreten oder zu verachten und dabei die Majestät sich zu bewahren, als es unmöglich ist, zu sein una tugleich nicht zu sein. Das Morden der Unterthanen, das Plündern, das Rauben der Jungfrauen und ähn- liches verkehrt die Scheu in Unwillen und folglich den bürgerlichen Zustand in den Zustand der Feindseligkeit.

Wie weit der Staat an Gesetze gebunden ist. 75

kann? dasaß'S; sVafiJ' d^: ^ ^^^'^ «^^^ -an sagen fehlen könne. VeSteht rnfn'^"''*'" ^^^»"^^° «ei und bürgerliche RechtrwaL nach ^'. "°k' ^'"^ ^'''^' ^^s selbst geltend gern JwerS kZ ^^T'^^^^'"" ^^^^ das, was dieses börgerlilhe Sohf °' u^f "°*^^ ^'^^echt man diese Worte in ihrem ecttenCn^^'^^^ ^'' "^'"t keiner Weise sagen, daL dpr iff! ? "^' '^ ^^nn man in bunden sei odefs^ ni^hrrK^*? ^^" «^^*°« besetze ge- Kegeln und die B:ding ien Ä^^ ''''^ J?«"° ^^« welche der Staat seinftwSpn hL 1??^" "°^ Ehrfurcht, D^cht diese Gesetze des StS T^,^'"" T''^ ^«^^^ffen da letzteres (nach dem voriehUr p" ^^' Naturrecht, ^nrch das Recht des Staat,!!^^^" Paragraphen) nicht des Krieges geschüztwe 'den kann ""' ^^/^^^as Rech ?5 aus demselben GrTnde d-r?n ' ""^^"" ^^^at ist li^inzelne in seinem noHili- u ^l^^ gebunden, wie der

*' I, sich hüten muss sTh Lil *'^^°^' ^««^ werden welche kein Gehorsam' fi ~i ^®"'!' ^" töten; eine Sor?e liehen Natur is^Sk;ren'■"^./''^'■^^*'''^«^ -"S Rechte nur von dem BeSsse Ä 9' »»a^gerhchen braucht dabei auf lieinen SL *^^^*'« *^ «"«^ dieser ""d dass er frei bleibe ZZZn' T ''"^ «'«l" ««'«»st das für gut „„d schlecht zn^K? ""^ ^' ''^»'«='" ••" »ä gut oder schlechterkennt n'''.T.?\'' ^^' «'<"> bloss das Recht, sich zu S;^- **''^"' •"»* « nicht «nd ^uszulegen/soDderueTgJf»' Gesetze ="'/«ben

ve-^eÄ)''"'"'^'-^- - -'- ÄÄiS

•äurch^UrdTe mS tX t' ""r^^S^ -<^ Gesetze, «der einen MensS if *"''* \"^ e'"« Versammlung *enn das GeSwohTihre Wr?f ''**' ^«^'«t^* ^e'de>f Scheidung hierflbeT, ob nämS t,f<^ ^"^'^"«'- »'« Ent-' 'ange oder nicht kommf Jh! ?*? Gemeinwohl dies ver- »w den, Inhaber der Steatttl^nT ^„"'^«^' ««»dem (nach § 3 diesp« Vä^jf f f*tsge«ralt dem Rechte nach zu

Serlichln & fn^'^^'^f 'l*'^ •"«'»>* "«ch dem bür »"einige AMeUllrtJ^^V'^y^"^''^'^''' ^^ J^nvatmann das Recht hat d^O^M" ''°"""*' ^"^ kei" ^■n verbinden sie De?ttrdÄ"ÄS' i^'e

7*

I

fjQ Politische Abb. Kap. 5. § 1. 2.

hat.« Sind 8ie jedoch der Art, ^,»«« «J« J^^J^^rsf die gleich die Kraft ^es Staats erscMte^ h da«^.,d.e gemeinsame Sf et. Jer meisten B^^^«'^^« „^^ „„^ ^^r

SBHle Änfen ^^^£ Äten wie der Einzelne im Naturzustande, um nicht

worden ist.

Fünftes Kapitel.

81 In § 11 des Kap. 2 habe ich gezeigt, dass ein

Menslh dann^m meisten . l^'^^Jf" ^'Llf ,',„7 Wol^ meisten von der Vernunft sieh leiten lasst »»a dass toig «Ph «n J. derieniee Staat am mächtigsten und selbstän- digsten tt weffi i«f die Vernunft gegründet nnd von \ fhf gdeltei Trd. Da nun diejenige Leb---«£,^tn zur möglichsten Erhaltung semer selbst ist , :^e'«oe ^«? Torschriften der Vernunft gemäss emgerjchtet. st so fog^, dass alles das das Beste ist, was der Men ch oder Staa^ ♦hnt insoweit er am meisten selbständig ist. uenn icn ÄuX nfcht, dass alles, was mit Recht geschieht auch " daiÄ sei; einen Ack^r mit Recht bebauen .st nicht -Selbe als hn am besten bebauen ; und ebenso , meine fch ist es nicht dasselbe, sich mit Recht zu schützen, zu ftaltenr^ä urteilen u. s'. w. und alles dies am bestenju thun und deshalb ist es auch nicht dasselbe, mit Recht in einem Staat zu herrschen und zu regieren und dies 'am beXn zu thun. Nachdem ich daher bU jetzt jon^em

Recht eines jeden Staates a".g«■"«"«^!^^*"^f jS , ist es Zeit, über die beste Weise eines jeden Regimente

zu handeln ^) ^^^^ .^^ ,,.,^t ,„,

demWk der bürgerlichen Gesellscha abzunehmen \ es ist dies kein anderer, als der Friede und die Sicher l^eit des Lebens. Deshalb ist dasjenige Regiment das

Die wahren Grundlagen des Staats. 77

Aufstinden, Kriegen P ««»*,! *S^ ^'® Schuld von tretungen n'ichT owöh'l dt ßthÄr n^f^K"'^ ^^''■ der schlechte Znstand der Re^fernnt ^n*'""*w"^°'.. *'« , Mensch wird nicht ffebor«^ 11! ^- i.Pf bürgerliche sind die natürSL^^fiS^—^^^-^iS'-Sibildet. Überdem i

selben herStde8lÄfHL^'''^''^l^"° «'»«'''" die- heit und wer^n dort mehren "/'"l*"^***'« mehr Bos- anderen, so kommt es Tich^rÄ^''^^*"/*"' »'« <>««"

stände nicht besSh«f^ ^'* Ursachen der Anf- erwartPn h.f "^^^J"«' bat, wo man stets den Kries zn

s ,^•st^U"tm"kSrz„t'^'r ^'^'^''•>'' «^"^'^«t«»

wo jeder nach seinem ßtLh °! nT.^ unterschieden, sich"^bewegt ^''^'"° ""' Ö«'^*'" «««es Lebens

gebuSdenhelt u"nd wLf^^tnX^ZfflTlJ'^ ^»- Schuld träfft- «n :^i7^^P®°stigkeit der ünterthanen die

8 i vi Aufstand vorgekommen ist.«) PurcIt'nicJtzu'deTÄ^n'.'^T" ünterthanen^ „ur aus

rrS^ »I? arÄÄ SsSr:

behShe Wille dat,'':r'° ^""^^ K^^J ^''P- 2) ist de",

Einöde als ein St«a/^» Gehorchen lernen, vielmehr eine R >i m genannt werden.

nenn! ^-^"^ ''''' .'''^"' dasjenige Regiment das be8te\

H darunter IlX*;'''." '""^^ •«^«•'' «« ^^' uarunter em Leben, dass nicEFlSloss in dem BIntumlauf

78

Politische Abh. Kap. 6. § 6. 7.

Die Festigkeit des Staats.

und anderen , mit allen Tieren gememsamen ZuständeB besteht, sondern das vor allem nach der Vernunft, al» dM wahren Tugend und dem wahren Leben der Seele,

sich ^f'^f^ bemerke, dass ich unter dem Uegiment, was ich 'zu dem Behuf eingerichtet verlange, das von einer freien Anzahl Menschen errichtete verstehe und nicht das, was gegen diese Menschen durch das Recht des Krieges \ erlanlt worden ist. Eine freie Menschenmenge wird mehr S die Hoffnung als durch die Furcht geleitet; eme 'unterworfene mehr durch Furcht aU durch die Hoffnung; iene strebt das Leben zu verbessern; diese sucht nur ^dem Tode auszuweichen; jene, sage ich strebt sich selbst zu leben, diese ist dem Sieger unterworfen; deshalb nennt man diese hörig und jene frei. Deshalb ist der Zweck S^es Regiments^ was irch das Kriegsrecht erworben wTrd, die Herrschaft und der Besitz von Sklaven, nicht von ünterthanen. Wenn auch zwischen einem Reg™ent, was die Menschen frei errichten und dem durch Krieg «worbenen in bezug auf das beiderseitige Recht im all- gemeinen ken wesentlicher Unterschied besteht so sind doSi "hre Ziele, wie ich gezeigt, und die Mittel durch wdche jedes sich zu erhalten hat, bei ihnen sehr ver-

schieden.«)^.^ Mittel, welche ein Fürst, der nur von der Herrschsucht geleitet ist, anzuwenden hat, um seine Herr- fchaft zu begründen und zu erbalten, hat der scharfsinnige Macchiavel ausführlich dargelegt; in welcher Absicht er es aber gethan, ist nicht recht klar. War sie gut w e man von einem weisen Mann annehmen muss, so wollte er wohl zeigen, wie verkehrt viele handeln, wenn sie die Tyrannen zu beseitigen suchen, ohne die Ursachen, welche den Fürsten zum Tyrannen machen, zu beseitigen; wie sie vielmehr diese Ursachen steigern, je mehr sie dem Fürsten Anlass zur Furcht geben , was dann geschieht wenn die Volksmasse ein warnendes Beispiel an den Fürsten aufstellt und des Fflrstenmordes wie einer guten That sich rühmt. «•) Vielleicht hat er auch zeigen wollen wie sehr ein freies Volk sich hüten muss, sein Wohl nicht einem Menschen unbedingt anzuvertrauen, der, wenn er n cht eitel ist und nicht meint, allen gefallen zu können, Uglich die Nachstellungen fürchten und deshalb eher sich

IZt^mZ^ iT ^•"'' »«?''«'«»«''> als für dasselbe sorgen muss. Ich neige mich mehr zu dieser Ansicht

Sit'e-'drPrlt-f'""''f ".***""' "^* er bekanntlich aa amt^ÄLirJetbenrat..^!^ '^«'^" "^'^'^ '">

Sechstes Kapitel.

j J \ ?* ^'*. Menschen, wie gesagt, mehr durch ihro Leidenschaften als durch die Vernunft sich leiten lassen so folgt, dass das Volk nicht durch die Vernnn rsoS durch eine gemeinsame Leidenschaft naturgemäÄümmt wird wenn es seh vereinigt und in eignem ^ et fuhrt sein will (wie ich in § 9. Kap. 3 dargelegt habe^ sei dies nun eine gemeinschaftliche Hoffnung^odef Furcht oder das gemeinsame Verlangen, einen Sehaden zu rächen Da indes allen Mensehen die Scheu vor der Verernsamu„; einwohnt, weil niemand da die Kraft hat, s7ch zu ver^ teidigen und die notwendigen Bedürfnisse Ses Lebens zu gewinnen so verlangen deshalb die Menschen von N^tur nach dem bürgerlichen Znstand, und die Menschin können ihn auch niemals völlig auflösen, »ä) """"""en ''onnen

§ 2. Deshalb führen die Streitigkeiten und Aufstände die in einem Staate öfters entstehen, niemals zur 1^«^

tZ^^^ ^"'f •"''' '" «''"^^'«» Gemeinschaft^ oft vor^ kommt), sondern nur zu einer Veränderung seiner Form

wenn nämlich nnter der bestehenden Form Te StreitS'

keiten nicht beigelegt werden können, ü^tei^ den zu^J

her '^"."fr^M ^^iT'"' "ötigen Mitteln ve?stehelch dä^ her die Mittel, welche zur Erhaltung seiner Form ohne erhebliche Änderung derselben erforderlieh sind?

.? ^- Ware die menschliche Natur so beschaffen dass 1 die Menschen das Nützlichste am meisten begehrten so l bedurfte es keiner Kunst zur Erhaltung def Eintracht ' und Treue; indes verhält es sich ganz anders mit der menschlichen Natur, und deshalb mim das Sment so eingerichtet werden, dass alle, sowohl die Reifenden - wie die Regierten, mit oder ohne ihren Willen dM thm. ^ was das gemeine Wohl erfordert, d. h. daL alle e^twäe; \

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80

Politische Abh. Kap. 6. § 4. 5.

freiwillig oder mittels Zwangs oder aus Not nach den Vorschriften der Vernunft leben müssen.ss) Dies ge- schieht dann, wenn das Regiment so eingerichtet ist, dass das zu dem gemeinen Wohl Erforderliche nicht von der Treue eines einzigen Menschen abhängt. Denn selbst der Wachsamste schlummert mitunter und niemand ist so festen und reinen Gemütes , dass er nicht manchmal und namentlich da, wo die Seelenstärke am notigsten ist nachgäbe und sich überreden Hesse. Es ist deshalb thöricht, von jemand das zu verlangen, was niemand von sich selbst verlangen kann, d. h. dass er für andere mehr als für sich wache; dass er weder geizig, noch neidisch, noch ehrsüchtig u. s. w.sei; namentlich wenn es jemand betrifft, welcher den Verlockungen aller Leidenschaften tagtäglich ausgesetzt wird.54) , j- es ^

8 4. Dennoch lehrt die Erfahrung, dass die Sorge für den Frieden und die Eintracht die üebertragung aller Gewalt auf einen Menschen verlangt. ^5) Kein Reich hat ohne erhebliche Veränderungen so lange bestanden als das türkische, und umgekehrt ist kein Staat weniger dauerhaft gewesen als die Volksstaaten oder Demokratien, in diesen sind die meisten Aufstände gewesen. Wenn iDdes die Sklaverei, die Barbarei und Vereinsamung den Frieden ausmacht, so gäbe es für die Menschen nichts Schlimmeres als den Frieden. Allerdings kommen unter Eltern und Kindern mehr und bitterere Streitigkeiten vor, als zwischen Herren und Dienern, und doch wäre es tür den Hausstand nicht gut, das Recht des Vaters in das eines Eigentümers umzuwandeln und die Kinder aen Sklaven gleichzustellen. Das Interesse der Sklaverei, nicht aber das des Friedens verlangt deshalb, alle Gewalt aut Einen zu übertragen; der Friede besteht, wie gesagt nicht in dem Nichtsein des Krieges, sondern m der JJ^in- heit und Eintracht der Gemüter.

8 5. Auch irrt man stark, wenn man es tur moglicn hält, dass ein Einziger die höchste Staatsgewalt inne haben könne; denn das Recht bestimmt sich, wie ich Kap. 2 ge- zeigt habe, nur nach der Macht, und die Macht eines Menschen ist der Übernahme einer solchen Last nicht ge- wachsen. Hat daher das Volk sich einen König gewählt, 80 geschieht es, dass dieser sich nach Feldherren oder Räten oder Freunden umsieht, welchen er sein und Aller

Gefahren der Herrschaft eines Einzigen. g^

Wahl anvertraut. Deshalb ist das Regiment, was man für ein absolut monarchisches hält, in Wahrheit und der That nach ein aristokratisches, was aber nicht offen hervortritt sondern im Verborgenen und deshalb um so schlimmer besteht. Dazu kommt, dass wenn der König nocHin Knabe ist oder krank oder altersschwach, fr nur zum Scheine Konig is ; dann besitzen in WahVheit diejenigen die höchste Gewalt, welche die wichtigeren StaatsSffte besorgen oder dem Könige am nächsten steheirw^^^^^^^ ^h nicht erwähnen mag, dass, wenn der Koni J der Wollust ergeben ist, die Leitung aller Angelegenheiten dem Belieben einer oder mehrerer Buhlerinnen oderKupplerinne^

„Ich hatte wohl gehört, dass in Asien ehemals die Frauen

§ 6. Es steht flberdem fest, dass der Staat mehr von seinen Bürgern als von den Feinden gefthrderist da die guten selten 8ind>) Deshalb wird dfr Eine anl dt°Bu'rt.f'"'v St«t^^«.«'alt «bertragen worden f,imer die Burger mehr als die Feinde fürchten , sich deshalb vorsehen und für die ünterthanen nicht sorgen sondern ^nen nachstellen; namentlich Denen, dTsich durch

mäcäg sinr"'"' "^'^ ^'' •^"^'^ •'"'"'" ««•«'»""'»

n,Pl>r^fLu?*^",''T?*' '^*'' die Könige auch ihre Söhne mehr fürchten als Leben; namentlich wenn diese in den

fnnt" rl"! Fnedens und Krieges sich auszeichnen imd von den ünterthanen ihrer Tugenden wegen geliebt wer den Deshalb erziehen die Kön^e ihre Söhne fo, da s der Anlass zur Furcht beseitigt wird. Die Beamten helfen

«n«h-M'f"*'-^'^l'x'^''" Könige und beeifern sich, einen

ungebildeten Nachfolger als König zu bekommet der

d"ch Kunstgriffe geleitet werden kann. ^'''"°'°^"' "«'

_fe 8. Ans alledem erhellt, dass der König um so

so' kltliow'^."^-'^ K"°i "^'^ ^'S' ^«' ünterthfnen um p;nil«u^l '^*' J* beliügongsloser alle Staatsgewalt auf Einen übertragen wird. Es gehört deshalb zu einer gut eT"*;Ä ^^»"archie, dass man die Grundlagen Ist ege, auf die sie erbaut wird; aus diesen soll für den Monarchen die Sicherheit und 'für das Volk der Frieden hervorgehen. Deshalb ist der Monarch dann am selb

Q2 Politische Abb. Kap. 6. § 9 12.

Btändigsteu, wenn er am meisten für die Wohlfahrt seineB Yofkes BO^t. Diese Grundlagen d^ 'P»"««^'«,'*/" ?,f: giments will ich kurz angeben und sie dann der Reibe nach im Einzelnen darlegen. ^3^)

8 9 Es müssen eine oder mehre Städte erbaut und lef^stigt werden,""; deren Einwohner das gleiche Bürgerrecht gmieasen, mdgen sie innerhalb oder, des Ackerbauea legen, ausserhalb der Mauern wohnen; jede ml jedoch eine bestimmte Anzahl Bürger zu •h/e'n «nd zum gemeinsamen Schutz enthalten; vermag eine btadt diese Bedingung nicht zu erfüllen, so muss sie unter anderen Slungen in die Botmässigkeit genommen

w6rdcD ^^^) 1

8 10. Das Heer darf nur aus den Bürgero , keinen ausgenommen, und aus niemand sonst bestehen; jeder ist deshalb verpflichtet, die Waflfen zu führen und keiner kann Bürger werden, der nicht den Kriegsdienst gelernt hat und verspricht, zu bestimmten Zeiten im Jahre an den Übungen teilzunehmen. Wenn dann die Streitbaren aller Stämme 5^^) in Hauptmannschaften und Regimenter verteilt sind, so dürfen nur Die zu Offizieren gewählt werden 57) welche die Kriegskunst erlernt haben. Ferner können die Führer der Hauptmannschaften und Regi- menter wohl auf Lebenszeit bestellt werden, aber der oberste Führer der Miliz eines Stammes darf nur für die Kriegszeit gewählt werden, sein Amt nur ein Jahr lang behauen und es weder länger führen, noch von Neuem dazu gewählt werden. Diese Führer müssen aus den Räten des Königs (von denen in § 15 u. f^ gehandelt werden soll) oder aus den Stellvertretern gewählt werden.

S 11 Alle Einwohner und Anwohner der btadte, also alle * Bürger müssen in Stämme eingeteilt werden, welche besondere Namen und Zeichen erhalten. Alle Kinder dieser Stämme gehören zu den Bürgern und wer- den mit Namen in das Stammverzeichnis ^ eingetragen, wenn sie die Jahre erreicht haben , wo sie die Waffen tragen und den Dienst versehen können; nur die ehr- losen Verbrecher, die Stummen, die Wahnsinnigen, die Dienstboten und Die, welche einen entehrenden Erwerbs- zweig treiben, bleiben ausgeschlossen. n a a

8 12. Das bebaute Land und der ganze Grund und Boden, womöglich auch die Häuser , sollen öffentliches

Der Adel. Der grosse Rat. go

Eigentum sein und dem Inhaber der Staatsgewalt gehören TrlfLf''' r^ 'T" ifl^^lichen Zins dfn B^lern Tn der Stadt und den Landleuten vermietet :58) sonst ist n Friedenszeiten jedermann frei von allen Abgaben Von jenem Zins wird ein Teil für die Befestigunlswerke des Staates und ein anderer zu dem häuslichenTedarf des

Ans dt^^di/ -^^^ es ist nötig, dass während d ^ riedens die Städte sich zu dem Kriege rüsten, und dass

werdt. ""^ ''"'*^'^' Kriegsmaschine! in Stand gesetz?

wählf If Wenn der König aus einem der Stämme ge- wählt ist so gehören nur die Nachkommen des Königs zum Adel; sie müssen sich durch königliche AbzeS

Jchdir ^"^^^ ""^ ^'" ""^^^^" Itämml unter.

o„o I- ^^' A?^f männlichen Anverwandten des Konica aus diesem Adel, welche mit dem regierenden König b!s zum dritten und vierten Grade verwandt sind, dürfen nicht

dt ftir'l:r ''''"^'^J'i ^^^^"^^'^ «ollten:!' geXn diese für illegitim; sie bleiben von allen Ehren aus- geschlossen und gelten nicht als die Erben ihrer Eltern vielmehr fälU deren Vermögen auf den KL'nurS) § 15. Ferner müssen die Räte des Königs die ihm am nächsten stehen und der Würde nach £ Zweiten sind, der Zah nach ihrer mehrere sein und nurlus

Ä^X^'S *r ''''^J °%"^^^^ ^"« J^^^- Stamme dre' vier oder fünf (wenn der Stämme nicht mehr als 600

Ä tbeTnlr'% i'r ^^*^^^*^^ dieser K^^ersÄ vfer oder fiin^^^^^^^^^ Lebenszeit, sondern nur auf drei,

V erte oder fLÄ ?,%^^'' 'l J"^""^ ^^^'^ ^«^ ^^^^te vierte oder fünfte Teil dieser Körperschaft neu eewählt

iSm i^Jr' "^'"l' ''' .^^^^«^ ^^ halteuMraus Ä weS) "^'"^^^'^"^ ^^^ rechtserfahren^r Rat ge-

§ 16. Diese Wahl geschieht von dem Könige- ieder Stemm hat zur bestimmten Zeit, wenn jährlich die ne„en Rate zu wählen sind, eine Liste aller seiner Bürger über 50 Jahr, die um dieses Amt sich bewerben und förmlich

wl'w'S-^"'^'" r^'. ^^^ Könige zu überre'chenraSs welcher dieser nach seinem Ermessen die Auswahl rifft In einem Jahre, wo ein Rechtsverständiger an Stelle ehies solchen eintreten muss, ist dem Könige nur di^L ste der

iilj

84

Politische Abh. Kap. 6. § 17—19.

Bildung des grossen Rats.

Rpchtsverständieen einzureichen. Alle Rite, deren Amta- Sabgekufenlt, können ihr Amt nicht fortführen und dürfen auch in den nächsten fünf Jahren oder noch länger in die Liste der zu Wählenden nicht wieder aufgenommen werden. Der Grund, weshalb in jedem Jahre einer aus iedem Stamme gewählt werden soll, ist, dass diese Kats- versammlung nicht das eine Mal aus unerfahrenen Neu- lingen und das andere Mal aus erfahrenen Alten bestehe, wai der Fall sein würde, wenn alle aut einmal ausschieden und neue nachfolgten. Wird dagegen aus jedem Stamme iährlich einer gewählt, so wird nur der fünfte, vierte oder dritte Teil der Versammlung aus Neulingen be- stehen.«') Sollte der König durch andere Gesehafte oder sonst eine Zeit lang an der Vornahme dieser Wahlen be^ hindert sein, so haben die Räte selbst die Wahl für die Zeit vorzunehmen, bis der König entweder andere wählt oder die von den Bäten Gewählten bestätigt.

S 17 Die hauptsächlichste Aufgabe dieses Kats ist die Verteidigung der Grundgesetze des Reichs und die Unterstützung des Königs mit seinem Gi^aohen, damit dieser wisse, was das allgemeine Wohl verlangt. Deshalb darf der Köuig ohne vorherige Anhörung dieses Kats keine Beschlüsse fassen. Machen sich jedoch , wie dies gewöhnlich der Fall sein wird , in dieser Versammlung nicht bloss eine, sondern mehrere Meinungen geltend trotzdem, dass selbst die Sache zwei- oder dreimal beraten worden ist, so darf deshalb die Sache nicht hingehalten werden, sondern die entgegengesetzten Ansichten amd dem Könige vorzulegen, wie ich in § 25 dieses Kapitels an- geben wer e^^ ^^^ ^^^^ ^.^^^^ Versammlung gehört auch die Bekanntmachung der Anordnungen und Be- schlüsse des Königs und die Besorgung dessen, was zum allgemeinen Besten beschlossen worden, so wie für die ganze Verwaltung des Staats als Stellvertreter des Königs

zu sorgen. )^_^ ^ ]iönnea nur durch diese Ver-

sammlung Zutritt zu dem König erlangen; ihr sind alte Anträge oder Bittschriften zu übergeben , um sie dem Könige einzureichen. Auch die Gesandten fremder Staaten könnln nur durch Vermittlung dieser Versammlung Audienzen bei dem Könige erlangen, und die von auswärts

85

für den König eingehenden Schreiben müssen ihm durch diese Versammlung überreicht werden ; so dassde^S

iZW%^'^ ^'''' ^"^ ^^''^^ '"«' diese Verslmmlunf wie die Sinnesorgane dieser Seele oder wie der Körne! des Staate anzusehen ist, durch welchen die Seele die Lage des Staates wahrnimmt, und durch weche sie daä was sie für das Beste hält, ausführt.«) '

ii»„f^.i-^" ■i"*''' ^'®. Erziehung der Söhne des Königs

legt dieser Versammlung ob und ebenso die Vonnund!

Schaft wenn bei dem Tode des Königs sein Nachfo^r

wÄen" SeTzl"d?"*v'"''"",«*^"- """An wanrena dieser Zeit die Versammlung nicht ohne Koni"-

sei, muss aus dem Adel des Staats ein Ältester gewähfi Sir'f fAu'" König vertritt, bis der rechtSsTge

"SuJg'üitXeÄn*!' ^" " '^''^ ^'-^ ^-*- § 21. Die Anwartschaft zum Mitglied dieser Ver-

Se'oÄt vf'/^'*'''^ 'J' f^^'«'»"^' di^ Grund- gesetze oder die Verfassung des Staates kennen dessen

3 hrten°Xri^?"'Ä "'' ^.^.^'^ Stelle eTnes' Rechte" gelehrten dann einnehmen will, der muss ausserdem auch die Regierungen und die Verhältnisse der Staaten kennen mit denen sein eigener Staat in Verkehr steht. Erst m"t dem fünfzigsten Jahre können die Anwärter, wenn ^e kemes Vergehens überführt sind, in die Liste der 'zu Wählen den aufgenommen werden.«*)

w,tJ.f' Diese Versammlung darf nur in Gegenwart aller Mitglieder beschl.essen; ist eines durch Krfnkheit oder sonst verhindert, so muss es einen andern ans demselben

V rrhtet'^.f "'n'/*^*.' ^•''"■?^»' ^«'''''« dasselbe Am" verrichtet hat, oder der schon in die Wählerliste auf-

f^rr^iK'*^-- 5*' ^'' ^'''"•"'"te d«« verabsäumt und bat deshalb die Versammlung die Beratung eines Gegen-

lth°en'V:;f.'"'f'° müssen ,%o ist er mif einer emffin. W^.^ ^T*^" zu belegen. 6S) Dies gilt indes nur für Angelegenheiten welche das ganze Reich angehen, also

GeseS für^^'''^*'"^ /"' Aufhebung oder^Erlass von ijtesetzen, für den Handel u. s. w. Bei Angelegenheiten

S "" 'T. "^Z' '^•« ''"^"« Stadt odef ättschrS betreten, genügt, dass die Mehrheit von den Mitgliedern der Versammlung anwesend ist.

§ 23. Damit unter den Stämmen in allem die Gleich-

86 Politische Abb. Kap. 6. § 24. 25.

heit und die Ordnung rücksichtlich des Sitzes, ^^ An- träge und Reden eingehalten werde, findet ein W^hsel in dem Vorsitz der Versammlung für die einzelnen Stamme der Reihe nach statt, und welcher in der einen bitzung der erste war, wird in der folgenden der letzte sein. Unter den Mitgliedern aus demselben SUmme hat hierbei der früher Gewählte den Vorrang. . ^ . _„, .

8 24. Diese Versammlung soll wenigstens viermal im Jahre berufen werden, um Rechenschaft über die Staats- verwaltung von den Ministern zu fordern , um von dem Zustand des Reichs Kenntnis zu nehmen und zu sehen, was anzuordnen nötig ist. Denn es scheint unmöglich, dass eine so grosse Anzahl von Bürgern fortwährend dem öffentlichen Dienst obliege; da indes die Staatsgeschäfte in der Zwischenzeit nicht ruhen können , so sind tüntzig oder mehr aus der Versammlung auszuwählen, welche täglich in der Nähe des königlichen Hof lagers sich ver- sammeln und da alltäglich für die Staatsgelder, die Städte, die Befestigungen, die Erziehung der königlichen Söhne und überhaupt für alles, was dem grossen Rat nach dem Obigen obliegt, sorgen ; nur neue Einrichtungen, über welche noch nichts beschlossen ist, sind hiervon aus- genommen. , V

8 25. Ist die Versammlung beisammen, so haben vor der Beratung fünf oder sechs oder mehr Rechts verstan- dige aus den Stämmen , welche für diese Session an der Reihe sind, den König anzugehen, um ihm die Bitt- Schriften oder Briefe zu überreichen, die sie etwa enoptan- gen haben, um ferner über den Zustand des Reichs zu berichten, und um endlich von ihm zu l^ören, welche Gegenstände er dem Rat vorgelegt haben will. 66) Dem- nächst kehren sie in die Versammlung zurück und der Erste der Reihe nach hat die Beratung zu eröffnen. Die Abstimmung darf nicht gleich erfolgen, wenn Einzelnen die Sache von Erheblichkeit erscheint, sondern ist so lange zu verschieben, als die Angelegenheit es gestattet. Wenn die Versammlung sich bis zu diesem Zeitpunkt ge- trennt hat, so können inmittelst die Mitglieder jedes Stam- mes untereinander die Sache beraten und bei wichtigem Fragen ihre Vorgänger oder die Anwärter lö) an- hören. Sollte ein solcher Stamm in der bestimmten t rist nicht einig werden, so bleibt dieser Stamm von der Ab-

Der Rat für die Rechtspflege. 37

Stimmung ausgeschlossen (weil jeder Stamm nur eine Stimme führt) ;67) sonst trägt der Rechts verständige jedes Stammes die Ansicht, welche für die beste erkannt wor! den, in der Versammlung vor, und ebenso thun es die übrigen. Wenn die Majorität nach Anhörung der An- sichten und der Gründe Aller eine nochmalige Erwägung

7li\flJV'''^'^ ^"^'"'^ y?^^ ^^ ^^"° je^er Stamm seine letzte Meinung ausspricht und in Gegenwart der

ganzen Versammlung die Stimmen gesammelt werden. 68)

^ll?w7-''^^° «nter Beiseitelassung jener Anträge, welche nicht wenigstens hundert Stimmen für sich erlang haben, die übrigen Anträge dem Könige von allen Rfchtsve?' hltir°^ '''^^^' der Beratung beigewohnt haben, über- bracht, um aus denselben, nach Einsicht der Gründe für jeden, den auszuwählen, welchen er billigt. 69) Alsdann

aüeTenfr-''^'^^'^^.'" ^'' VersammZg zurück wo fhm Ih-n- JJ'^ a'"'. ^f^^'^^^en Zeit erwarten, um die von zu^e?nÄ%t)"^^^^ "°^ ^^« - - *^- b-^lossen,

v...^ ^^; ^"'' Verwaltung der Justiz ist eine andere Versammlung aus blossen Rechtsverständigen zu bilden 7i) welche die Prozesse zu entscheiden und die Verbrecher

rltf r? ^"^ ^'^^®; ^^*' ^"^^«3 ™«8sen alle ergehenden Erkenntnisse von denen, welche die Stelle des grossen

(W plrSif '-.^^^^^ ''''^'°> ^^ «'« "^^ Beobachtung (1er Form ichkeiten und unparteiisch ergangen sind. Kann

rLT'.^^'^r n' ^f^^ ^^^eisen, dals ein Richter vom 3o? ''''''^ Geschenke bestochen worden, oder dass sonst em genügender Grund für ein Einverständnis mit

n^r /J''^ ''i^'' ®'T S^'"^" ^^^«" «ie selbst bestehe, wIrH fTh^P ^^"^ f'' Verfahrens verletzt worden, so w rd solche Partei m den vorigen Stand wieder eingesetzt.

^•e in T ^' '^'^i ^'' .^^"^t^^" °^^^* eingeführt werden, rrflnL^*7^^^"^u m^°/°^^^^^^*^ nicht%owohI durch Oründe, als durch Torturen zu überführen pflegen; aber auch hier nehme ich kein anderes richterliches Vei^^. S'ver^t^i^! 72)"^^' "^^ ^'' ^''*'° Verwaltung des Staates

§ 27. Diese Richter müssen 'öfiie erhebliche und dabei ungerade Anzahl bilden; nähmlich 61 oder weniff- stens 51; aus jedem Stamme ist nur Einer, aber nich!'

:■§

33 Politische Abh. Kap. 6. § 28—33.

anf Lebenszeit zn wählen; auch »»«' "«J^SSäW-

Teil ausscheiden, und die *»« ?°3«™„^"'"J^*°±^!^^8te ten müssen dafür eintreten. Alle müssen das vierzigste

Jahr erfüllt haben.'») . ße».-

8 28 In dieser Versammlung darf nur m uegen wart aller Richter ein Urteil gesprochen werden. Kann lin Mite ied wegen Krankheit oder sonst längere Zeit n cht äSnf solt'ein Stellvertreter für diese Z^^^^^^^^ Bei der Abstimmung giebt Keiner «e^« stimme offenthc^ ab, sondern durch schwarze oder ^«»«e Steinchen ^

8 29. Das Einkommen der Mitglieder beider Ver- sammlungen besteht ans dem Vermögen der zum Tode vSnrteilten und den Geldstrafen. Ausserdem hat Jeder, weLh in einem bürgerlichen Rechtsstreit unterlegen jst nach Verhältnis der streitigen Summe emen leii ein Zuzahlen welcher beiden Versammlungen zufliesst.«) zuzahlen welcher ^_^^^^ Versammlungen «tehen andere

in jeir Stadt, deren Mitglieder ''««tnicht auf Lebens^ »oit oTwfthlt werden dürfen. Auch hier tritt alljäbriien e^i TeiT neu Tin der aus den einzelnen darin ansässigen Familien gewählt wird; das Weitere brauche ich nicht auszuführen .^ ^^^^^ ^^ g^j^ a

!™ Krif^; erhalten nur Diejenigen einen täglichen Sold, Tel^hrfoU^^rTärelohn; lebten. Die Heermhjer^-; Offiziere haben im Kriege keine andern Vorteile als die dem Feinde abgenommene Beut« zn erwarten.

S 32. Hat ein Fremder die Tochter eines Bürgers geheirate , so werden dessen Kinder Bürger und in die Lste des 'Stammes der Mutter e>ngetragen D'e Kmder fremder Eltern, welche im Lande geboren n°f erzogen

worden sind, 'können für eine ^«^'•»„tmm" kaufJ^' Büreerrecht von den Aufsehern eines Stammes ka"««». SeTJrden dann in die Register dieses Stemmese.n|e- traeen Dem Staate kann es nichts schaden , wenn die iXeher aus Eigennutz einen Fremden selbst um eine «.rinsere Summe in der Liste ihrer Bürger aufnehmen foTlten vidmehr hat man auf Mittel zu sinnen, um die Cl der Bürger zu vermehren und ein Zusammenströmen ^i Menschet zu bewirken.^«) Die m die LUte nicht Eingetragenen haben, wenigstens in Kriegszeiten , ihre Müsse durch Arbeit oder Steuern auszugleichen.

Hofstaat. Unteilbarkeit des Staats. §9

§ 33. Die Gesandten, welche in Friedensupiten ■,„ andere Länder zum Abschiuss oder zur BewahrMj"d s Friedens geschickt werden, dürfen nur aus dem Adel") gewählt werden und ihre Auslagen sind aus der Staatekassi und nicht aus der besonderen Klasse des Könfgs zu deÄ

§ 34. Die Hofleute und Diener des Königs, welche er aus seiner besondern Kasse unterhält, blfSen von allen Staats-Aemtern ausgeschlossen. Ich sage ansdrück" hch: Welche der König aus seiner besondern Ka^e unterhalt« um seine Leibwache nicht darunte? zu be

iTd"« BoJ't"""'''' uT'^ "" •""BO^S"' "«'Stadt, wo oer Hof ist, wechselweise vor den Zimmern des Königs die Wache halten.

§. 35. Krieg darf nur des Friedens wegen eeführt werden; nach Beendigung des Krieges sollen die Waffen niedergelegt werden.'«) Den durch das Kriecsrecht p? oberten Städten und dem bezwungenen Ssfnd d'e Bedingungen so zu stellen, dass die eroberten Stade keiner Besatzung bedürfen; vielmehr mnss dem Gegner durch den Frieden entweder das Recht eingeräumt wer- den , sie für einen bestimmten Preis wieder einzulösen oder (wenn de Furcht wegen der GefährliSt des Ortes mmer m dem Rücken bleiben sollte) man muss

siedlhl.'V " *'''" ^'"^"•'""^ anderwärts übe^ § 36. Der König darf keine Fremde heiraten, son- dern er muss seine Gemahlin aus den Blutsverwandten oder Bürgern wählen. Im letztern Falle können dfeA„° verwandten der Frau kein Staatsamt verwalten «•)

,i<.n LJV-^-® Staatsgewalt ist unteilbar. Hinterlässt also der König mehrere Kinder, so folgt ihm nur der

iÄ.""*^ ^n' ^j^ ^^'^ '"^'' ""te' »ie verteilt" noch ungeteilt an alle oder einige überlassen werden. Noch

ZV"S^-u ^* "'t"^*' !'■"*"> Teil des Reichs einer Tochter als Mitgift zu geben, denn es darf aus keinem Grunde

Ifctt^rrÄ^'* Staatsgewalt durch Erbschaft auf

„,->„ K^l' ^^^}'\ ?^l ^^°'ff "•■"« männliche Nachkom- menschaft, so folgt ihm in der Herrschaft der nächste Blutsverwandte, ausgenommen, wenn dieser eine Aus-

Snnen' wSs^"*"* ^''' """^ " '^'^ "*»" ^^''' »i«»'*

Spinoza 's Abh. üb. Verbeseer. d. Verstandes. g

90

Politische Abb. Kap. 7. § 1.

8 39. Was die Bürger anlangt, so erhellt aus § 5, Kap. 3, dass jeder alle Befehle des Königs und bekannt gemachten Erlasse der grossen Versamralnng (man sehe hierüber § 18. und 19 dieses Kapitels) befolgen muss, selbst wenn er sie für noch so verkehrt hält, und dass er rechtlich dazu genötigt werden kann. Dies sind die Grundlagen des monarchischen Regiments; auf ihnen muss der Bau, wenn er fest sein soll, errichtet werden, wie ich in dem folgenden Kapitel zeigen werde.

8 40. In Bezug auf die Relig'on sind keine Kirchen auf Kosten der Städte zu erbauen und keine Gesetze über Meinungen zu erlassen, so lange diese Meinungen nicht aufrührerischer Natur sind und nicht gegen die Grundlagen des Staats sich richten. Die, welchen die öffentliche Übung ihrer Religion gestattet worden ist, haben sich ihre Kirche, wenn sie wollen, auf ihre Kosten zu erbauen. Der König mag zur Übung der Religion, welcher er zugethan ist, eine besondere Kirche in semer Residenz haben.^s)

Siebentes Kapitel.

§ 1. Nach Darlegung der Grundlagen des monarchi- schen Regiments will ich sie der Reihe nach rechtfertigen, wobei ich zunächst bemerke, wie es praktisch sehr wohl ausführbar ist, dass die Verfassung so fest begründet sein kann, dass selbst der König sie nicht aufzuheben vermag. So verehrten die Perser ihre Könige wie Götter, und doch hatten diese Könige nicht die Macht, die ein- mal getroffenen Einrichtungen aufzuheben, wie sich aus Daniel, Kap. 5 ergiebt. Nirgends wird, so viel ich weiss, der Monarch unbeschränkt und ohne ausdrücklich aufge- stellte Bedingungen erwählt. Dies streitet weder gegen die Vernunft, noch gegen den Gehorsam, den man dem Könige schuldet ; vielmehr sind die Grundlagen des Staats wie für die Ewigkeit geltende Beschlüsse des Königs an- zusehen, so dass selbst seine Minister ihm durchaus ge- horchen, wenn sie die Ausführung von Befehlen verwei- gern, welche er gegen die Grundlagen des Staats erlässt.

Der König kann nur recht handeln. 9^

Ich kann dies durch das Beispiel des Ulysses deutlich er- läutern. Seine Gefährten folgten seinem Befehl als sfe den an den Mastbaum angebundenen und durch den Gesang der Syrenen sinnverwirrten Ulysses zu befreien sich weiger en, obgleich er es unter allerhand DrohuneeS Ihnen befahl; und Ulysses galt als weise, d^s rspä^e? seinen Gefährten dankte, weil sie vielmehr seinen e?8ten Willen befolgt hatten. Nach diesem Beispiel voruS pflegen die Könige auch die Richter anzuweisen die Rechtspflege ohne Ansehen der Personen und selbs des Königs zu üben, wenn er einmal Etwas gegen d^ be stehende Recht gebieten sollte. Denn die^ Könige sind kerne Götter, sondern Menschen, die oft von dIL Ge sänge der Syrenen verwirrt werden, und wenn Alle^ von dem schwankenden Willen eines Einzigen abhinte gäbe es nichte Festes Deshalb muss das monarcSe iLi zTär^IllP^f ^««^tJjen soll, so eingerichtersefn , da^s zwar Alles blos nach der Anweisung des Königs geschieht d. h. dass alles Recht als der ausdrücklich! K des Königs gilt; aber nicht, dass jeder Wille des KöniS

zu beachten sind. Es genügt nicht, zu zeigen was ef schehen soll, sondern was geschehen kan^, damit Ife Menschen sowohl in der Leidenschaft wie bei Tnhiffe? Vernunft die Gesetze achten und bewahren sJfltVJ If^^ das Recht des Staats und die öffentS Freihel nur^nf d.e schwache Hilfe der Gesetze, so Llt den Bürgern nicht nur die Sicherheit von deren Geltung, wie ich 8 3 des vorigen Kapitels gezeigt habe, sonde« es gereilhl ihnen zum Verderben. Denn sicherlich ist kein InstLnd eines Staats elender, als der selbst des besten & wenn er zu schwanken beginnt oder wohl gar mit schlage zusammenbricht und in die Unfreiheit stetTwa^ rn^fJ"**^'"'''.''''""'^- ^' ^8'« dann besser tedte «bÄ!'"'.'^'"' 'V^'' ^T^^ «''»« Schranke Einem ^„nÄ" ' -t'' T'^^^!"^ """^ ^"'e »der nutzlose Bedin giingen für ihre Freiheit sich ausmachten, und damit den

veri! bZt" ""'«-^r.^^S ^o ihrer grausamsten Skia" verei bahnten. Sind dagegen die in dem vorgehenden

8*

92

Politische Abh. Kap. 7. § 3. 4.

I

Kapitel besprochenen Grundlagen des monarchischen Re- ff iments fest, und können sie nicht zerstört werden ohne Empörung des grössern Teiles des bewaffneten Volkes, und folgt aus ihnen Friede und Sicherheit für den König und das Volk, und habe ich diese Grundlagen aus der gemeinsamen Natur abgeleitet, so kann Niemand bestrei- ten dass sie die besten und wahren sind, wie aus § 9, Kap. 3 und § 3, 8 Kap. 6 erhellt. Ich will nun so kurz als möglich darlegen, dass jene Grundlagen von solcher

Beschaffenheit sind. ^ t i. v

8 3. Alle sind einverstanden, dass es den Inhabern der Staatsgewalt obliegt, 8^) den Zustand und die Lage des Landes immer zu kennen, für das allgemeine Wohl zu wachen und das auszuführen, was der Mehrheit der Bürger nützlich ist. Ein Mensch kann aber nicht Alles übersehen , kann nicht immer seine Gedanken darauf ge- richtet haben; oft wird er durch Krankheit, Alter oder andere Ursachen an der Fürsorge für die öffentlichen Angelegenheiten gehindert. Deshalb muss der König Räte zur Seite haben, welche die thatsächlichen Ver- hältnisse kennen, den König mit ihrem Gutachten unter- stützen und ihn vertreten können. Nur so wird es er- reicht, dass die Regierung oder der Staat immer und in demselben Geiste sich erhält.

§ 4. Die menschliche Natur ist indes so beschaffen, dass jeder seinen eigenen Vorteil mit aller Anstrengung verfolgt und diejenigen Einrichtungen für die besten hält, welche der Erhaltung und Vermehrung seiner Interessen dienen, und dass er fremde Angelegenheiten nur so weit schützt, als er damit seine eigenen zu befördern glaubt. Deshalb müssen die Räte aus denen gewählt werden, deren eigenes Besitztum und Nutzen von dem gemeinen Wohle und Frieden Aller abhängt. Wenn deshalb aus jedem Stande oder jeder Klasse oder Bürger einige Räte gewählt werden, so wird dies der Mehrheit der ünter- thanen nützen, weil sie dann in dieser Versammlung die Mehrheit der Stimmen hat. Allerdings wird diese Ver- sammlung, welche sich aus einer sehr grossen Zahl von Bürgern zusammensetzt, auch viele Mitglieder von ge- ringer Bildung enthalten; allein man kann sicher sein, dass Jedermann in den Geschäften, welche er lange mit grossem Eifer betrieben hat, klug und gewandt genug sein wird.

Diese Versammlung ist friedfertig.

Wenn daher nur solche Personen zu Mitgliedern gewählt

?i;^I p1' wl""^^ ^!''' ^\. ^^"?°^ fünfzigsten Lebensjahre ihre Geschäfte ohne Fehler besorgt haben, so sind sie sicherlich zum Rat in Dingen, die sie betreffen, geschickt, namenthch wenn ihnen bei wichtigen Angelegenheiten Zeit zur Überlegung gestattet wird. Überdem verhält es sich in kleinem Versammlungen mit den Mitgliedern ebenso, und gerade da besteht der grösste Teil aus solchen Leuten, weil Jeder gerade hier am meisten nur Dumme zu Genossen zu haben sucht, die von seiner Meinung abhangen, während bei grössern Versammlungen dies nicht stattfindet. 86) ^ ö«*uiuimngen

§ 5. Es steht auch fest, dass Jedermann lieber regieren, als regiert werden will. Niemand gewährt irei willig einem Andern die Herrschaft, wie Sallust in seiner ersten Rede an Cäsar sagt. Deshalb würde ein ganzes Volk sein Recht niemals auf Wenige oder Einen übertragen, wenn es selbst beratschlagen könnte, und wenn aus den Streitigkeiten in grossen Versammlungen nicht leicht Aufstände entständen. Deshalb überträgt ein Volk freiwillig nur das auf den König, was es durchaus nicht selbst in seiner Macht behalten kann, d. h. die Entscheidung der Streitigkeiten und die Ausführung der Beschlüsse. Denn wenn, wie oft vorkommt, ein Köniff nur des Krieges wegen erwählt wird, weil der Krieg von Konigen viel glücklicher geführt werde, so geschieht dies nur aus Unkenntnis, nämlich dessen, dass sie den Krieg nur glücklicher führen, um dann im Frieden Skla- ven zu sein; so weit nämlich es Friede in einem Lande genannt werden kann, wenn diese höchste Staatsgewalt nur des Krieges wegen auf Einen übertragen worden 18t, welcher deshalb seinen Wert und das, was Alle an diesem Einzigen haben, wesentlich nur durch Krieg zei- gen kann, während dagegen das Volks-Regiment den Vorzug hat, dass seine Tugend mehr im Frieden als im iiriege gilt. Mag indes der Grund der Wahl des Königs sein, wecher er wolle, so kann doch, wie gesagt, der iioiiig allem nicht wissen, was dem Lande nützlich ist, vielmehr ist dazu, wie ich im vorigen Paragraphen ge- zeigt, notig, dass er mehrere Bürger als Räte um sich nabe, und da ich nicht annehmen kann, dass bei der Be- ratung durch eine so grosse Zahl von Männern Etwas

94

Politische Abh. Kap. 7. § 6—8.

übersehen werden könnte, so folgt, dasa neben den, dem Könige vorgelegten Anträgen dieser Versammlung nicht wohl noch einer, dem Wohle des Volkes heilsamer, möglich ist. Da nun das Wohl des Volkes das höchste Gesetz oder das oberste Recht des Königs ist, so folgt, dass der König nur berechtigt ist, einen aus den verschiedenen Anträgen der Versammlung auszuwählen, aber nicht gegen den Willen der ganzen Versammlung etwas zu beschlies- sen oder zu entscheiden, s?) (Man sehe § 25, Kap. C.) Müssten dagegen alle in der Versammlung vorgebrachten Anträge dem Könige mitgeteilt werden, so könnte der König leicht kleinere Städte mit wenig Stimmen begün- stigen. Selbst wenn nach den Regeln der Versammlung die verschiedenen Anträge ohne Angabe ihrer Urheber dem Könige tiberbracht werden müssen, würde sich dies doch niemals ganz verheimlichen lassen, und deshalb ist die Anordnung nötig, dass ein Antrag, welcher nicht hundert Stimmen für sich hat, unbeachtet bleibt, und die grössern Städte haben diese Bestimmung mit aller Macht zu verteidigen.

§ 6. Ich könnte hier, wenn ich mich nicht der Kürze befleissigen wollte, die sonstigen grossen Vorteile dieser Versammlung darlegen; ich will indes nur einen von besonderer Bedeutung erwähnen. Es ist, dass Nichts mehr zur Tugend^) antreiben kann, als die Jedem er- öffnete Aussicht, diese höchste Ehre zu erlangen ; da Alle hauptsächlich sich durch die Ehre bestimmen lassen, wie ich in meiner Etliik ausführlich gezeigt habe.

§. 7. Es ist zweifellos, dass den grössern Teil die- ser Versammlung nicht die Neigun«: zum Kriege, sondern die Sorge und die Liebe zum Frieden erfüllen wird ; denn der Krieg erhält sie immer in der Furcht, ihr Vermögen und Freiheit zu verlieren und dazu kommt, dass der Krieg neue Ausgaben fordert, die sie schaffen sollen, und dass ihre eigenen Kinder und Verwandte, die den häus- lichen Geschäften zugewendet sind, genötigt werden, sich für den Krieg vorzubereiten und zu Felde zu ziehen, aus dem sie nur nutzlose Narben nach Hause bringen können, da, wie ich § 30, Kap. 6 gesagt, die Miliz keinen Sold erhält und nach § 11, Kap. 6 nur aus Bürgern und nie- mand weiter gebildet wird. ^9)

§ 8. Auch ein anderer Umstand von grosser Wich-

Vorzüge der höchsten Versammlung. ^

tigkeit wird zu dem Frieden und zur Einigkeit beitragen nämlich dass kein Bürger Grund-Eigentum besitzt. (Man sehe § 12, Kap. 6.) Deshalb droht der Krieg Allen mit gleicher Gefahr, da Alle des Gewinnes wegen Handel treiben oder einander Geld borgen werden, wenn, wie ehemals bei den Atheniensern, als Gesetz gilt, dass Nie- mand sein Geld an Andere als Einheimische auf Zins leihen darf. Dadurch werden sie nur zu solchen Ge- schäften veranlasst, wo sie gegenseitig beteiligt sind oder die alle die gleichen Mittel für ihren günstigen Fortgang erfordern. Deshalb wird die grosse Mehrheit dieser Versammlung über die öffentlichen Angelegenhei- ten und die Unternehmungen des Friedens meist nur einer Ansicht sein; denn Jeder befördert, wie ich in § 4 dieses Kapitels gesagt habe, des Andern Angelegenheiten nur so weit, als er seinen eigenen dadurch zu nützen meint.90)

§ 9. Unzweifelhaft wird es niemals Jemand ein- fallen, eine solche Versammlung zu bestechen. Kann man nur Einen oder den Andern aus einer so grossen Ver- sammlung auf seine Seite ziehen, so ist damit nur wenig erreicht, da, wie erwähnt, nur Anträge, die wenigstens hundert Stimmen für sich haben, beachtet werden dür- fen. 91)

§ 10. Auch die einmal festgestellte Zahl der Mit- glieder dieser Versammlung wird schwerlich auf eine geringere Zahl sich zurückführen lassen, wenn man die menschlichen Leidenschaften betrachtet. Alle werden von Ehrgeiz getrieben und Jeder mit gesundem Körper hofft ein solches Alter zu erreichen. Wenn man deshalb die Zahl Derer berechnet, welche wirklich das 50. oder 60. Jahr erreicht haben, und wenn man die grosse Anzahl der Mitglieder dieser Versammlung berücksichtigt, welche alljährlich gewählt wird, so ergiebt sich, dass kaum ein Waffenfähiger der Aussicht, zu dieser Würde zu gelan- gen, entbehrt. Deshalb werden Alle die Rechte dieser Versammlung nach Kräften verteidigen. Jede Verschlech- terung kann leicht gehindert werden , wenn sie nicht all- mählich eindringt. Da nun leichter und mit weniger Neben- buhlerschaft es geschehen kann, dass aus einem Stamme als aus Wenigen eine geringere Zahl gewählt werde, als dass ein solcher Stamm ganz ausgeschlossen werde, so

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Politische Abb. Kap. 7. § 11. 12.

kann nach § 14, Kap. 6 die Zahl der Mitglieder nur vermindert werden, wenn die Versammlung um den dritten, vierten oder fünften Teil vermindert wird. Eine solche Abänderung ist aber sehr bedeutend und wider- streitet der allgemeinen Gewohnheit. Ebensowenig ist eine Verzögerung oder eine Nachlässigkeit bei der Wahl zu fürchten , da diese von der Versammlung selbst vor- genommen wird. (Man sehe § 16, Kap. Q,)^^)

§ 11. Deshalb wird der König entweder aus Scheu vor dem Volke, oder um sich der Mehrheit des bewaff- neten Volkes zu verpflichten, oder aus Edelmut und im Interesse des gemeinen Nutzens die Anträge, welche die meisten Stimmen für sich haben, d. h. (nach § 5 dieses Kap.), welche der Mehrheit des Reiches am nützlichsten sind, bestätigen und sich bestreben, die ihm vorgelegten abweichenden Anträge möglichst auszugleichen, um sich Alle zu verbinden. Er wird alle seine Kraft hierauf rich- ten, damit das Volk sowohl im Frieden wie im Kriege kennen lerne, was es an seiner einen Person besitze. So wird der König dann am selbständigsten und seine Gewalt die grösste sein, wenn er am meisten auf die allgemeine Wohlfahrt bedacht ist. 93)

§ 12. Denn der König allein kann nicht Alle durch Furcht in Zucht erhalten, vielmehr stützt sich seine Macht, wie gesagt, auf die Zahl und hauptsächlich auf die Tapfer- keit und Treue seiner Soldaten, welche Eigenschaften unter den Menschen immer nur solange vorhalten wer- den, als sie mit dem Bedürfnis, sei es anständig oder gemein, sich verknüpfen. Deshalb pflegen die Könige die Soldaten mehr anzureizen als in Zucht zu halten, und mehr deren Laster, als deren Tugend zu verheimlichen, und sie pflegen, um die Bessern unterdrücken zu können, die Faulen und durch Verschwendung Heruntergekommenen aufzusuchen, hervorzuheben, ihnen durch Geld oder Gunst aufzuhelfen, die Hand zu drücken, den Kuss zu geben und sich um der Herrschaft willen zu Allem zu ernie- drigen. Sollen daher die Bürger vor allen Andern von dem Könige geachtet werden und selbständig bleiben, 80 weit es die btlrgerlichen Zustände oder die Billigkeit erlaubt, so muss die Miliz nur aus den Bürgern bestehen und die Bürger müssen selbst in den Rat gehören. Um- gekehrt werden die Bürger immer die Unterjochten sein,

Die kurzen Wahlperioden der Versammlung.

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und es werden die Grundlagen zu steten Kriegen gelegt sein, sobald sie gestatten, dass Söldner zu Hilfe genom- men werden, deren Löhnung der Krieg ist und deren grösste Macht auf der Uneinigkeit und den Aufständen beruht. ^)

§ 13. Dass die Räte des Königs nicht auf Lebens- zeit, sondern nur auf drei, vier oder höchstens fünf Jahre gewählt werden dürfen, erhellt aus § 10 dieses Kapitels und aus dem schon in § 9 Gesagten. Wenn sie auf Lebenszeit gewählt werden, so kann zunächst der grösste Teil der Bürger sich kaum eine Hofi'nung auf Erlangung dieser Würde machen; es entsteht daraus eine grosse Ungleichheit unter den Bürgern; Neid, stete Aufregung und zuletzt Aufstände sind dann die Folge, was aller- dings herrschsüchtigen Königen ganz recht ist. Ferner werden sich solche lebenslängliche Räte grosse Freiheiten herausnehmen (da die Furcht vor den Nachfolgern weg- gefallen ist), ohne dass der König sich dem entgegen- stellen wird, da sie, je verhasster sie bei den Bürgern sind, um so mehr dem Könige anhängen und ihm zu schmeicheln bereit sein werden. Selbst eine fünQährige Amtsdauer scheint noch zu lang, weil in einem solchen Zeiträume es wohl möglich ist, einen grossen Teil der Versammlung (sei sie auch noch so gross) durch Geld oder Gunst zu bestechen. Deshalb wird die Sicherheit weit grösser sein, wenn jährlich aus jedem Stamme zwei ausscheiden und ebensoviele ihnen nachfolgen (wenn näm- lich jeder Stamm fünf Mitglieder zu senden hat). Nur in dem Jahr, wo der Rechtsverständige des Stammes aus- scheidet, tritt nur ein neuer an dessen Stelle.

§ 14. Kein König kann sich übrigens eine grössere Sicherheit versprechen, als sie der König eines solchen Staates besitzt. Nicht allein dass Derjenige schnell um- kommt, den seine Söldner nicht mehr verteidigen wollen, so droht doch sicherlich den Königen die meiste Gefahr immer von Denen, die ihnen am nächsten stehen. Je ge- ringer daher die Zahl der Räte ist und je mächtiger die einzelnen dann sind, desto mehr droht den Königen Ge- fahr, dass Jene die Herrschaft auf einen Andern über- tragen. Nichts schreckte David mehr, als dass sein Mi- nister Ahitophel die Partei des Absalon ergriff. Dazu kommt, dass wenn alle Gewalt unbeschränkt Einem

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Politische Abb. Kap. 7. § 16. 16.

Die Vorteile der Miliz.

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übertragen worden, sie gerade dann nm so leichter von Einem auf den Andern übertragen werden kann. Zwei gemeine Soldaten unternahmen es, die Herrschaft im rö- mischen Reiche auf einen andern zu tibertragen (Tacitus*^ Gescliichte Buch 1.)^^) und führten es aus. Ich übergehe die Künste und listigen Ränke der Räte, durch die sie sich schützen müssen, um nicht von den Nebenbuhlern verdrängt zu werden ; dies ist bekannt genug und Jeder, der die Geschichte gelesen, weiss, dass den Räten ihre Treue meist zum Verderben gereicht hat und dass sie deshalb, um sich zu erhalten, listig und untreu haben werden müssen. Sind dagegen die Räte mehr, als dass sie zu einem Verbrechen sich verbinden könnten, sind sie sich alle gleich und bleiben sie nur vier Jahre im Amte, so können sie dem Könige niemals furchtbar wer- den, so lange er nicht unternimmt, ihnen die Freiheit zu entziehen und so alle Bürger in gleicher Weise zu ver- letzen. Ant. Perez sagt treffend, dass die Aufstellung einer unbeschränkten Herrschaft für den Fürsten sehr gefährlich, den Unterthanen sehr verhasst und den gött- lichen und menschlichen Einrichtungen zuwider sei, und dass unzählige Beispiele dies belegen. ^ß)

§ 15. Ich habe ausserdem noch andere Grundlagen in dem vorhergehenden Kapitel gelegt, aus denen für die Könige eine grosse Sicherheit ihres Regiments und für die Bürger ein grosser Schutz für Freiheit und Frieden hervorgeht, wie ich an seinem Orte zeigen werde. In- des ist das, was sich auf die höchste Versammlung be- zieht, von dem grössten Gewicht und deshalb war dies vorweg zu behandeln. Das Übrige will ich nun in der angep:ebenen Reihenfolge erörtern.

§ 16. Dass die Bürger um so mächtiger und folg- lich auch um so selbständiger sein werden, je grösser und wohlbefestigter ihre Städte sind, ist unzweifelhaft. Je geschützter ihr Wohnort ist, desto besser können sie ihre Freiheit schützen und desto weniger brauchen sie den äussern und Innern Feind zu fürchten. Auch ist es sicher, dass die Menschen von Natur umsomehr für ihre Sicherheit sorgen, je reicher sie sind. Wenn eine Stadt der Macht eines Andern zu ihrer Erhaltung bedarf, so haben beide nicht gleiche Rechte, und die Stadt ist um- so weniger selbständig, je mehr sie der Macht des Andern

bedarf; denn ich habe in Kap. 2 gezeigt, dass sich da» Recht nur nach der Macht bestimmt.^')

§ 17. Aus demselben Grunde darf, wenn die Bürger selbständig bleiben und ihre Freiheit bewahren wollen^ die Miliz ohne Ausnahme nur aus den Bürgern bestehen. Der bewaffnete Mann ist selbständiger als der wehrlose. (Man sehe § 12 dieses Kap.), und die Bürger überliefern ihr Recht unbedingt Dem, dem sie die Waffen geben und die Wälle der Stadt anvertrauen; sie hängen dann von seinem guten Willen ab. Dazu kommt der Geiz, welcher die meisten Menschen beherrscht; fremde Söldner können nicht ohne grosse Kosten geworben werden und die Bürger können die Auflagen kaum ertragen, welche der Unterhalt der faulen Miliz erfordert, »s)

Dass ferner der Befehlshaber über die ganze Miliz oder grosse Abteilungen derselben höchstens nur auf ein Jahr erwählt werden darf, es sei denn, die Not erfordert es, weiss Jeder, welcher die heilige und pro- fane Geschichte gelesen hat. Nichts lehrt die Vernunft deutlicher, da fürwahr die ganze Kraft des Staats dem anvertraut wird, dem genügende Zeit gestattet ist, um kriegerischen Ruhm zu erwerben und seinen Namen über den des Königs zu heben, wenn er die Anhäng- lichkeit des Heeres durch Nachsicht, Freigebigkeit und die sonstigen Künste sich verschafft, durch welche die Feldherren die Unterwerfung des Andern und die Herr- schaft für sich zu erreichen verstehen. Zu mehrerer Sicherheit des ganzen Staates habe ich noch hinzugefiigt, dass diese militärischen Befehlshaber aus den gegenwär- tigen oder früheren Räten des Königs gewählt werden sollen, also aus Männern des Alters, wo man meist das Alte und Sichere dem Neuen und Gefahrvollen vor- zieht. 99)

§ 18. Ich lasse die Bürger nach Stämmen sich ein- teilen und aus jedem Stamm eine gleiche Zahl Räte er- wählen, damit die grössern Städte eine der Zahl ihrer Bürger entsprechend grössere Zahl von Räten und, wie billig, auch eine grössere Zahl von Stimmen erhalten. Die Macht des Reiches und also auch das Recht be- stimmt sich nach der Zahl der Bürger und es wird kein besseres Mittel zur Erhaltung dieser Gleichheit unter den Bürgern erdacht werden können, da Alle von Natur so

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Politische Abb. Kap. 7. § 19—21.

Die Miliz erhält keinen Sold.

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beschaffen sind, dass Jeder zu seinem Stamme gehören, aber durch die Familie sich unterscheiden will.

§ 19. Im Naturzustande kann kein Gegenstand weniger von dem Einzelnen ergriff'en und seinem Rechte unterworfen werden, als der Grund und Boden und das, was mit ihm so verbunden ist, dass es weder verborgen, noch beliebig fortgeschafft werden kann. Deshalb ist der Grund und Boden, und was ihm in der angegebenen Weise anhängt, vorzugsweise gemeinsames Staatseigentum, d. h. er gehört allen Denen, die gemeinsam die Gewalt haben, ihn sich zu verschaffen, oder Dem, welchem Alle die Gewalt dazu übergeben haben. Deshalb darf der Grund und Boden und sein Zubehör nur so viel bei den Bürgern gelten, als nötig ist, dass sie Fuss darauf fassen und das gemeinsame Recht oder die Freiheit schützen kön- nen. Der sonstige Nutzen, welchen der Staat daraus zu ziehen hat, ist in § 8 dargelegt worden, ^^o)

§ 20. Damit die Bürger einander möglichst gleich bleiben, was für einen Staat vorzüglich nötig ist, sollen nur die Nachkommen des Königs zum Adel gehören. Wenn indes alle Nachkommen des Königs heiraten oder rechtmässige Kinder erzeugen könnten, so möchten sie im Laufe der Zeit an Zahl so zunehmen, dass sie dem Könige und Allen nicht nur zur Last, sondern auch zu einer grossen Gefahr werden könnten; denn müssige Menschen sinnen meist auf Unthaten. Deshalb werden die Könige vorzüglich des Adels wegen zum Kriege verleitet, da ihnen bei einem zahlreichen Adel der Krieg mehr Sicherheit und Ruhe, wie der Friede gewährt. Da dies bekannt ist, so erörtere ich es ebenso wie das, was ich in § 15 bis 27, Kap. 6 gesagt habe, nicht weiter. Das Wichtigste habe ich in diesem Kapitel begründet und das Übrige rechtfertigt sich von selbst.

§ 21. Auch ist allbekannt, dass der Richter so viele sein müssen, dass ihre Mehrheit durch eine Privatperson nicht bestochen werden kann ; ebenso, dass sie ihre Stim- men nicht öffentlich abgeben dürfen und dass ihnen ein Gehalt für ihre Arbeit gebührt. Meistenteils erhalten sie einen jährlichen Gehalt; deshalb betreiben sie jedoch die Prozesse nicht schnell und oft nehmen deshalb die Rechts- streitigkeiten kein Ende. Ferner wird da, wo die kon- fiszierten Güter dem Könige anheimfallen, oft „nicht das

„Recht und die Wahrheit, sondern die Grösse des Ver „mögens beachtet; dann giebt es Verdächtigungen und die „Reichsten werden als Beute gefasst. Solch schweres und „unerträgliches Unrecht wird zwar mit der Kriegsnot ent- „schuldigt; allein es bleibt auch im Frieden.** loi) Dagegen wird die Habgier der Richter, wenn sie nur zwei oder höchstens drei Jahr ihr Amt behalten, durch die Furcht vor ihren Nachfolgern in Zaum gehalten, abgesehen da- von, dass die Richter kein festes Vermögen besitzen kön- nen, sondern ihr Geld ihren Mitbürgern des Gewinnes halber leihen müssen. Dadurch sind sie genötigt, eher auf deren Vorteil als auf deren Nachteil bedacht zu sein, namentlich wenn die Zahl der Richter, wie erwähnt, be- deutend ist. 102)

§ 22. Die Miliz soll keinen Sold erhalten, weil ihr höchster Lohn die Freiheit ist. Im Naturzustande strebt Jeder nur seiner Freiheit wegen, sich möglichst zu ver- teidigen ; er erwartet keinen andern Lohn für seine kriege- rische Tapferkeit, als seine Selbständigkeit. In dem bürger- lichen Zustand sind aber die Bürger insgesamt gleichsam wie ein Mensch im Naturzustand anzusehen, und wenn sie für diesen Zustand zu Felde ziehen, so sorgen und arbeiten sie nur für sich. Dagegen arbeiten die Räte, die Richter, die Beamten u. s. w. mehr für Andere wie für sich, deshalb ist es billig, ihnen einen Lohn für ihre Arbeit zu gewähren. io3) Dazu kommt, dass im Kriege es nichts Ehrenwerteres und keinen stärkern Anreiz zum Siege giebt, als das Bild der Freiheit. Wird dagegen nur ein Teil der Bürger für die Miliz bestimmt, so muss den- selben dann auch ein fester Sold ausgesetzt werden; der König wird sie dann notwendig vor den Übrigen aus- zeichnen (wie ich in § 12 dieses Kap. gezeigt habe), und sie werden zu Menschen, die nur das Kriegshandwerk kennen, die im Frieden wegen zu vieler Müsse durch Schwelgerei verderben und zuletzt, nachdem sie ihr Ver- mögen durchgebracht, nur auf Raub, bürgerlichen Zwist und Krieg denken. Deshalb kann ich behaupten, dass ein monarchisches Regiment dieser Art in Wahrheit der Kriegs- zustand ist, wo nur der Soldatenstand frei ist, alle Übrigen aber sich in Dienstbarkeit befinden.

§ 23. Das, was ich über die Aufnahme der Frem- den unter die Bürger in § 32, Kap. 6 gesagt, wird sich

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Politische Abli. Kap. 7. §^24. 26.

Über den Nachfolger des Königs.

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idurch sich selbst rechtfertigen. Auch wird wohl Niemand es bestreiten, dass die nächsten Anverwandten des Königs nicht in seiner Nähe sich aufhalten dürfen und dass sie nicht die Geschäfte des Krieges, sondern des Friedens treiben dürfen; dies wird ihnen zur Zierde und dem Lande zur Ruhe gereichen. Aber selbst dies hat den türkischen Sultanen nicht genügt; deshalb ist der Gebrauch dort, alle Brüder zu tödten. Man darf sich hierüber nicht wundern; je unbeschränkter die Staatsgewalt auf Einen tibertragen worden ist, desto leichter kann sie auch von Einem auf den Andern übergehen, wie ich in § 14 dieses Kapitels gezeigt habe. Dagegen wird in dem hier von mir aufgestellten monarchischen Regiment, wo es keine Söldner-Miliz giebt, in der von mir beschriebenen Weise unzweifelhaft für das Wohl des Königs gesorgt sein.

§ 24. Auch über das in § 34 und 35, Kap. 6 Ge- sagte kann man wohl nicht bedenklich sein. Dass der König keine Fremde heiraten darf, ist leicht zu zeigen. Einmal sind zwei Staaten, selbst wenn sie ein Bündnis miteinander geschlossen haben, dennoch im Zustande der Feindschaft zueinander (nach § 14, Kap. 3); und da hat man vorzüglich zu sorgen, dass um des Königs häuslicher Angelegenheiten willen kein Krieg entstehe. Nun ent- springen aber die meisten Streitigkeiten und Zwiste aus solchen Heiraten und werden zwischen den Staaten ge- wöhnlich durch Krieg erledigt; deshalb ist es einem Staat gefährlich, eine zu enge Verbindung mit einem anderen einzugehen. Ein trauriges Beispiel davon giebt die heilige Schrift. Nach dem Tode Salomons, welcher eine Tochter des Königs von Ägypten zur Frau genommen hatte, führte dessen Sohn Rehabeam einen höchst unglücklichen Krieg mit Susanus, König von Ägypten, und wurde von ihm unter- jocht. Ebenso wurde die Heirat zwischen Ludwig XIV., König von Frankreich, und der Tochter Philipps IV. der Keim zu einem neuen Krieg, und dergleichen Fälle finden sich noch viele in der Geschichte, ^o*)

§ 25. Die Gestalt des Reichs muss unverändert bleiben, deshalb darf nur Einer und vom nämlichen Geschlechte König sein und die Staatsgewalt darf nicht geteilt werden. Wenn ich gesagt, dass dem Könige sein ältester Sohn oder der nächste Blutsverwandte (wenn keine Söhne da sind) nachfolgen solle, so rechtfertigt sich

dies teils aus § 13, Kap. 6, teils daraus, dass die von dem Volke geschehene Wahl des Königs, so weit als möglich, für ewige Zeiten gelten muss. Sonst muss die höchste Staatsgewalt oft auf das Volk zurückfallen, welches die stärkste und deshalb geföhrlichste Ver- änderung ist. Es ist ein Irrtum, wenn man meint, dass, weil der König Eigentümer des Reichs und sein Recht daran unbeschränkt sei, er es nach seinem Belieben ver- geben und seinen Nachfolger sich wählen könne, und dass das Erbrecht seines Sohnes nur darauf sich stütze. Viel- mehr ist der Wille des Königs nur so lange gültig, als er das Schwert des Reichs führt, da sein Recht an das- selbe lediglich durch seine Macht bestimmt wird. Deshalb kann ein König wohl seine Staatsgewalt aufgeben, aber auf einen Anderen nur mit Gestattung des Volkes oder dessen stärkeren Teiles übertragen. Dies wird deutlicher, wenn man erwägt, dass die Kinder nicht nach dem Natur- recht, sondern nach dem bürgerlichen Recht die Erben ihrer Eltern sind, da alles Eigentum der Bürger nur in der Macht des Staats seinen Grund hat. Deshalb ge- schieht es vermöge derselben Macht oder desselben Rechts, vermöge dessen eine Willenserklärung über das Vermögen gilt, dass eine solche Willenserklärung auch noch nach dem Tode giltig bleibt, so lange der Staat bestehen bleibt. Aus diesem Grunde behält Jeder in dem bürger- lichen Zustande dasjenige Recht, was er bei seinem Leben hat, auch nach seinem Tode, weil er, wie gesagt, über seine Güter nicht vermöge seiner Macht, sondern vermöge der Staatsmacht, die ewig währt, verfügen kann. Bei dem König verhält es sich aber anders; der Wille des Königs ist das bürgerliche Recht selbst und der König ist der Staat selbst. Mit dem Tode des Königs stirbt also auch gleichsam der Staat; der bürgerliche Zustand kehrt wieder zu dem Naturzustand zurück und somit kommt auch die höchste Gewalt an das Volk zurück und dies kann daher mit Recht neue Gesetze geben und die alten aufheben. Hieraus erhellt, dass es bei dem Könige keinen Rechts -Nachfolger giebt, ausser dem, welchen das Volk erwählt, oder den in der Theokratie, wie sie sonst bei den Juden bestand, Gott durch den Propheten er- wählt. Ich könnte dies auch daraus ableiten, dass das Schwert oder Recht des Königs in Wahrheit der Wille

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Politische Abh. Kap. 7. § 26. 27.

des Volkes selbst oder seines stärksten Teiles ist; ebenso daraus, dass vernünftige Menschen niemals ihr Recht so- weit aufgeben, dass sie aufhören, Menschen zu sein und zu dem Vieh werden ; doch brauche ich dies nicht weiter auszuführen. 10^)

§ 26. Übrigens kann Niemand das Recht auf Religionsübung oder Gottesverehrung auf einen Anderen tibertragen; ich habe ausführlich hierüber in den beiden letzten Kapiteln meiner theologisch-politischen Abhandlung gehandelt und brauche es deshalb hier nicht zu wieder- holen. Damit glaube ich die Grundlagen des besten mo- narchischen Regimentes deutlich, wenn auch kurz, darge- legt zu haben. Ihren Zusammenhang oder die innere Übereinstimmung eines solchen Staats wird Jeder leicht bemerken, der sie mit einiger Aufmerksamkeit betrachtet. Ich bemerke nun noch, dass ich hier nur das monarchische Regiment behandle, was ein freies Volk einsetzt, dem allein es deshalb von Nutzen sein kann. Ein Volk, was an andere Formen der Herrschaft gewöhnt ist, kann nicht ohne grosse Gefahr des Unterganges die geltenden Grund- lagen der Herrschaft umstossen und das ganze Staats- regiment verändern. ^^)

§ 27. Vielleicht wird diese Darstellung von denen mit Gelächter aufgenommen, welche die Fehler, die allen Sterblichen anhaften, blos auf das gemeine Volk schieben ; weil nämlich die Menge kein Mass halte; weil sie fürch- terlich sei, wenn sie nicht fürchte; weil sie niedrig sich beuge oder stolz die Herrschaft übe; weil in ihr weder Wahrheit noch Urteil zu finden sei, u. s. w. Allein alle Menschen haben nur eine und gleiche Natur. Man lässt sich aber durch die Macht und die Bildung täuschen ; daher kommt es, dass man, wenn Zwei dasselbe thun, oft sagt, der Eine darf es ungestraft thun, der Andere nicht; nicht weil die Sache, sondern weil die handelnde Person verschieden ist. Den Herrschenden ist der Stolz eigen; die Menschen werden eitel über eine Ernennung auf ein Jahr: wie nun gar die Vornehmen, die Ehre auf Lebenszeit besitzen sollen, ^o?) Aber deren Anmassung wird dabei ausgeschmückt durch Aufwand, Luxus, Ver- schwendung, durch eine gewisse Harmonie von Lastern, durch eine gewisse gelehrte Unwissenheit und eine ge- wisse Zierlichkeit des Schlechten. So kommt es, dass

OffentUchkeit der Staataverhandlungen. 105

Laster, welche einzeln und für sich betrachtet, wo sie am deutlichsten hervortreten, hässlich und widerwärtig erscheinen, von den Unerfahrenen und Unwissenden für ehrbar und anständig gehalten werden. Übrigens hält die Menge nicht Mass; sie schreckt, oder sie fürchtet; denn die Freiheit und die Dienstbarkeit lassen sich nicht ver- binden. Dass die Menge keine Wahrhaftigkeit und kein Urteil hat, kann nicht auffallen, wenn die wichtigsten Staatsgeschäfte geheim betrieben werden, und sie nur aus dem Wenigen, was sich nicht verbergen lässt, eine Ver- mutung schöpfen muss. Denn die Zurückhaltung des Ur- teils ist eine seltene Tugend. Es ist deshalb die höchste Thorheit, zu verlangen, dass Alles geheim geschähe und dabei die Bürger doch nicht schlecht darüber urteilen und es nicht zum Schlechten auslegen sollen. Könnte die Menge sich massigen und ihr Urteil über noch weniff bekannte Dinge zurückhalten oder aus dem wenig Bekannten schon ein richtiges Urteil fällen, so wäre sie würdi^^er zu regieren, als regiert zu werden. Indes ist, wie*ffe- sagt die Natur für Alle die gleiche; Alle werden durch die Herrschaft hoffärtig; Alle sind fürchterlich, wenn sie nicht fürchten, und überall wird die Wahrheit meist von der Feindseligkeit und Bosheit zerstört. Dies gilt nament- lich da, wo nur Einer oder Wenige die Herrschaft besitzen, die bei ihren Erkenntnissen nicht auf das Recht und auf die Wahrheit, sondern nur auf die Grösse des Reichtums achten.

§ 28. Endlich pflegen die Söldner-Milizen, welche an die militärische Zucht gewöhnt sind und Kälte und Mitze und Hunger ertragen können, das bürgerliche Volk zu verachten , weil es zu Eroberungen und zu offenem Kampfe viel weniger geschickt sei. Aber kein Vernünftiger wird behaupten, dass deshalb die Staatsgewalt viel schwächer und unbeständiger sei; vielmehr wird jeder billige Beurteiler der Verhältnisse einräumen, dass dieses Regiment das dauerhafteste ist, gerade weil es nur den eigenen Erwerb zu schützen vermag und nach fremdem tiut nicht verlangen kann und deshalb den Krieg auf alle Weise zu vermeiden und den Frieden möglichst zu er- halten sich bestreben wird.

§ 29. Übrigens räume ich ein, dass die Absichten eines solchen Regiments sich kaum werden verhehlen

Spinoza' 8 Abh. üb. Verbesser, d. Verstandes. g

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Poütische Abh. Kap. 7. § 30.

lassen; allein Jedermann wird auch mit mir anerkennen, dass es besser ist, die rechtlichen Absichten sind dem Gegner bekannt, als die schlechten Geheimnisse der Tyrannen bleiben den Bürgern verborgen. Wer die Reichs- geschäfte geheim zu betreiben vermag, hat es ganz in seiner Gewalt, sowie dem Feinde im Kriege, ebenso auch den Bürgern im Frieden nachzustellen. Dass dies Geheim- halten einem Staate oft nützlich ist, kann man nicht leugnen; aber Niemand kann beweisen, dass ohnedem ein Staat sich nicht erhalten könne. Es ist unmöglich. Jemanden den Staat unbeschränkt anzuvertrauen und zu- gleich die Freiheit zu bewahren und deshalb ist es Thor- heit, einem geringen Nachteil durch ein grosses Übel entgehen zu wollen. Nur die, welche nach der unbe- schränkten Gewalt streben, wissen nichts weiter als ewig zu wiederholen, dass das Staats- Interesse den geheimen Betrieb der Staatsgeschäfte verlange und dergleichen mehr. Je mehr dergleichen Redeusarten sich unter den Mantel des Nutzens verbergen, eine um so schlimmere Knecht- schaft haben sie zur Folge, i^^^^)

§ 30. Obgleich kein Regiment, so viel ich weiss, unter allen hier aufgestellten Bedingungen bestanden hat, so kann ich doch aus der Erfahrung nachweisen, dass diese Form der Monarchie die beste ist; man muss nur zu dem Ende die Ursachen der Erhaltung und des Unter- gangs der nicht barbarischen Staaten untersuchen. Dies würde jedoch den Leser hier sehr ermüden ; nur ein er- wähnenswertes Beispiel kann icli nicht mit Stillschweigen übergehen, nämlich das Arragonische Reich, wo die Unter- thanen eine besondere Anhänglichkeit an ihre Könige ge- habt und die Staatsverfassung in gleicher Beständigkeit sich unverletzt erhalten haben. Sobald die Arragonier das erniedrigende Joch der Mauren abgeschüttelt hatten, beschlossen sie , sich einen König zu wählen ; aber über die Bedingungen dabei waren sie nicht ganz einig und sie beschlossen deshalb, den Rat des Papstes darüber einzu- holen ; dieser benahm sich hierbei wirklich als Statthalter Christi und schalt sie, dass sie von dem Beispiel der Juden sich nicht belehren Hessen und hartnäckig auf einen König bestünden ; wollten sie aber durchaus dabei bleiben, so riete er, den König erst zu wählen, nachdem sie zuvor billige und dem Geist des Volkes entsprechende Ein-

Ein Beispiel aus der Geschichte Arragoniens. 107

richtungen getroffen hätten; namentlich sollten sie einen höchsten Rat einrichten, welcher den Königen, wie die Ephoren bei den Lacedämoniern , gegenüber stehe und das unbeschränkte Recht der Entscheidung in den Strei- tigkeiten habe, welche sich zwischen Volk und König er- höben. Sie folgten diesem Rat, beschlossen die ihnen billig scheinenden Gesetze, und dass deren höchster Aus- leger und folglich oberster Richter nicht der König, son- dern der Rat sein solle, welchen sie die Siebzehn nannten und dessen Vorstand „Gerechtigkeit« hiess. Diese Sieb- zehn mit ihrer „Gerechtigkeit" als Vorstand wurden nicht gewählt, sondern durch das Los auf Lebenszeit bestimmt, und sie hatten das unbeschränkte Recht, alle iirkenntnisse, die gegen irgend einen Bürger von andern Behörden des Staats oder der Kirche oder vom Könige selbst ergangen waren, zu widerrufen oder zu vernichten : jeder Bürger hatte mithin das Recht, selbst den König vor dieses Gericht zu laden. Auch hatten sie ehedem noch das Recht, den König zu wählen und abzusetzen; doch erreichte es nach Ablauf vieler Jahre endlich der Konig Don Pedro, genannt der Dolch, durch Bemüh- "°&®°» /beschenke, Versprechungen und Dienstleistungen aller Art, dass dieses Recht abgeschafft wurde (sobald er dies erreicht hatte, schnitt er sich öffentlich mit einem Dolch die Hand ab, oder brachte sich, was wohl wahr- scheinlicher ist, nur eine Wunde daran bei, indem er sagte, dass die Unterthanen nur auf Kosten des Blutes des Königs denselben wählen dürften) , jedoch mit der Bedingung: „dass sie vormals und jetzt die Waffen ^gegen jede Gewaltmassregel ergreifen könnten, wodurch „Jemand zu ihrem Schaden die Herrschaft in Besitz neh- „men wolle und zwar selbst gegen den König und seinen «türstlichen Nachfolger, wenn er in dieser Weise die „Herrschaft sich verschaffen wolle." Mit dieser Bedin- gung haben sie das frühere Recht nicht sowohl abge- schafft, als verbessert. Denn der König darf, wie ich § 5. und 6, Kap. 4 gezeigt habe, nicht durch das bür- gerliche Recht, sondern nur durch das Kriegsrecht seiner Herrschermacht entsetzt werden, oder die Unterthanen dürfen seine Gewaltmassregeln nur durch gleiche Gewalt verhindern. Ausserdem wurden noch andere Bedingungen verabredet, die für meinen Zweck nicht interessieren.

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Politische Abh. Kap. 7. § 31.

Mit solchen unter Aller Zustimmung getroffenen Einrich- tuDgen blieben sie eine unglaublich lange Zeit ungeschä- digt, und die Könige bewahrten immer gleiche Treue gegen die Unterthanen, wie diese gegen den König. Als aber das Reich an Ferdinand von Castilien, der zuerst den Beinamen des Katholischen erhielt, durch Erbschaft gelangte, wurde diese Freiheit der Arragonier den Casti- liern verhasst, und sie rieten ohne Unterlass Ferdinand, diese Rechte zu beseitigen. Dieser war indes noch nicht an das unbeschränkte Regieren gewöhnt und wagte es nicht, sondern antwortete seinen Ratgebern: „Einmal „habe er das Arragonische Reich unter den ihnen be- „kannten Bedingungen erhalten und er habe geschworen, „diese heilig zu halten; und es sei eines Menschen un- „würdig, das gegebene Wort zu brechen ; sodann habe er „bedacht, wie sicher seine Herrschaft sei, so lange sie „ebenso den Unterthanen wie dem Könige am Herzen „liege, und so lange der König weder die Übermacht „über die Unterthanen, noch diese über den König hätten; „denn sobald ein Teil sich zu dem stärkeren mache, werde „der Schwächere nicht blos die alte Gleichheit wieder zu „gewinnen, sondern im Schmerz der erlittenen Verletzung „noch darüber hinaus zu gehen streben und die Folge werde „der Untergang Eines oder Beider sein." Diese weisen Worte würde ich nicht genug bewundern können, wenn sie von einem König gesprochen worden wären, der ge- wohnt gewesen, Sklaven statt freien Menschen zu gebieten. So behielten die Arragonier auch nach Ferdinand ihre Freiheiten, wenn auch nicht von Rechts wegen, sondern aus Gnade der mächtigern Könige, bis auf Philipp ü., der sie zwar mit mehr Glück, aber mit nicht weniger Grausamkeit als die vereinigten Niederlande unterdrückte. Obgleich Philipp IIL anscheinend Alles in den frühern Stand zurückversetzt hat, so haben die Arragonier, von denen die Meisten den Mächtigen zustimmten (denn es ist Thorheit, gegen die Peitsche von hinten auszuschlagen) und der Rest von Furcht und Schrecken erfüllt war, nur die hohlen Worte und die leeren Formen von der Freiheit behalten. ^^)

§ 31. Mein Ergebnis ist also, dass ein Volk sich

unter einem König eine grosse Freiheit bewahren kann,

.wenn es nur sorgt, dass die Macht des Königs sich blos

Das aristokratische Regiment. ^qq

nach der Macht des Volkes bestimmt und doch den Schutz des Volkes sich erhält. Diese Regel allein hat mir bei Legung der Grundlagen des monarchischen Regiments zur Richtschnur gedient.

Achtes Kapitel.

Das aristokratische Regiment mnss aus einer grossen Anzahl Patrizier bestehen; über seine Vorzüge, und dass es mehr als das monarchische dem unbeschränkten Regiment sich nähert und deshalb zum Schutze der Freiheit besser geeignet ist.

§ 1. So viel über das monarchische Regiment. Ich werde nun angeben, wie ein dauerhaftes aristokrati- sches Regiment 'einzurichten ist. Ich habe dasjenige Re- giment aristokratisch genannt, was nicht ein Einziger, sondern mehrere aus dem Volke Auserwählte inne haben und Letztere werde ich von nun ab Patrizier nennen. "o Ich sage ausdrücklich: „welches einige Auserwählte inne ^naoen. Denn es unterscheidet sich vorzüglich dadurch von dem demokratischen Regiment, dass in dem aristo- Kratiscüen das Regierungsrecht bloss von der Wahl ab- fangt, m dem demokratischen aber hauptsächlich von <lem angeborenen oder durch Glück erlangten Rechte (wie ich an seinem Orte darlegen werde). Wenn daher auch <ias ganze Volk eines Staates unter die Zahl der Patrizier aufgenommen würde, so bliebe doch das Regiment ein aristokratisches, so lange dies nur zu keinem erblichen

«ir J*^^ "^^ "^^^* °^^^ gemeinem Rechte auf Andere upergeht, sondern nur die ausdrücklich Erwählten unter uie mrizier aufgenommen werden, n») Sind deren nur zwei, so wird der Eine sich die Macht vor dem Andern zu verschaffen suchen, und der Staat trennt sich weffen ^er grossen Gewalt Beider leicht in zwei Teile oder in «rei, oder vier oder fünf, wenn drei, vier oder fünf das

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110

Politische Abb. Kap. 8. § 2. 3.

II

Regiment inne haben. Dagegen werden die Teile um 80 schwächer sein, je grösser die Zahl derer ist, welche die Staatsgewalt inne haben. Deshalb gehört zur Festigkeit des aristokratischen Regiments, dass bei der Bestimmung der niedrigsten Zahl der Pa- trizier auf die Grösse des Reiches Rücksicht genommen virerde

§'2. Ich will daher annehmen, dass für ein mittel- grosses Reich hundert Vornehme 1 »2) vorhanden sind, auf welche die Staatsgewalt übertragen ist und denen deshalb das Recht zusteht, sich Patrizier zu Genossen zu erwählen, wenn einer derselben mit Tode abgeht. Sie werden na- türlich auf alle Weise sich bemühen, dass ihre Kinder oder nächsten Verwandten ihnen nachfolgen, und die höchste Staatsgewalt wird dann immer bei denen bleiben, welche als Patrizier zufällig Kinder oder Verwandte haben. Da nun unter hundert Menschen, die nur durch Zufall zu dieser Würde aufsteigen, kaum drei sich finden wer- den, die durch Verstand und Kenntnisse sich auszeichnen» so wird die Staatsgewalt nicht bei hundert, sondern bei zweien oder dreien sein, die durch ihre Geisteskräfte hervorragen, alles leicht an sich ziehen und von denen jeder infolge der menschlichen Leidenschaften sich den Weg zur Monarchie bahnen kann. Deshalb muss bei richtiger Berechnung in einem Lande, dessen Grösse mindestens hundert Vornehme verlangt, die Staatsgewalt auf mindestens 5000 Patrizier übertragen werden. Nur so werden immer hundert in Tugend ausgezeichnete Männer unter ihnen gefunden werden, da ich annehme, dass unter 50, die nach dieser Würde streben und sie erlangen, immer einer sich finden wird, der den Besten gleich steht, abgesehen von anderen, welche der Tugend der Besten nacheifern und deshalb auch würdig sind, zur Regierung zu gelangen.

§3. Die Patrizier pflegen meist Bürger einer Stadt zu sein, welche das Haupt des ganzen Reiches bildet und nach welcher es den Namen führt, wie ehedem das Rö- mische und gegenwärtig das Venetianische und Genuesische. Dagegen hat der holländische Staat seinen Namen von der ganzen Provinz, woraus hervorgeht, dass dessen Bürger grössere Gerechtsame geniessen. Ehe ich nun die Grundlagen, auf denen das aristokratisclie Regiment ruhen

D. aristokr. Regiment ist unbeschränkter wie das der Könige. Hl

soll, angeben kann, habe ich den Unterschied anzugeben der zwischen einer auf einen Einzigen übertragenen und der auf eine ziemlich grosse Versammlung übertragenen Herrschaft besteht und der sehr erheblich ist. Erstens ist die Kraft eines Menschen nicht im stände, die ganze Herrschaft zu führen (wie ich § 5, Kap. 6 gesagt) , aber von einer genügend grossen Versammlung kann man dies ohne grosse Verkehrtheit nicht sagen; denn indem man die Versammlung als hinlänglich gross anerkennt, erkennt man auch an, dass sie zur Führung der Herrschaft nicht unvermögend ist. Der König braucht also jedenfalls Ratgeber; die Versammlung aber keinesweges.ii3) Dann sind zweitens die Könige sterblich, die Versammlungen aber ewig. Deshalb kehrt die Staatsgewalt, wenn sie einmal auf eine hinlänglich grosse Versammlung über- tragen worden ist, niemals an das Volk zurück, was bei dem monarchischen Regiment wohl vorkommt, wie ich in § 25, Kap. 6 gezeigt habe. Drittens ist die Re- gierung des Königs oft durch dessen Jugend oder Krankheit oder zu hohes Alter oder aus andern Ursachen hinfällig, während die Macht einer solchen Versammlung immer nngeändert bleibt. Viertens ist der Wille eines Menschen veränderlich und unbeständig; deshalb gilt in dem monarchischen Staate alles Recht als der aus- drückliche Wille des Königs (wie ich in § 1, Kap. 6 gesagt habe), aber nicht jeder Wille des Königs darf Recht sein; von einer grossen Versammlung kann man aber dies nicht sagen. Denn da eine solche Versammlung (wie gezeigt) keiner Räte bedarf, so muss notwendig alles, was sie ausdrücklich will, auch Recht sein. Hiernach schliesse ich, dass die auf eine genügend grosse Versamm- lung übertragene Herrschaft unbeschränkt ist oder wenigstens der unbeschränkten sehr nahe kommt; denn wenn es eine ganz unbeschränkte Herrschaft überhaupt giebt, so ist es in Wahrheit die, welche das ganze Volk inne hat^i*)

§ 4. Da indes dieses aristokratische Regiment nie- mals (wie ich oben gezeigt), zum Volke zurückkehrt, so findet auch bei demselben keine Beratung des Volkes statt, sondern alle Beschlüsse dieser Versammlung sind ohne Weiteres Gesetz. "S) Deshalb muss dieses Regiment als ein unbeschränktes betrachtet werden, und seine

:

112

Politische Abh. Kap. 8. § 5—7.

Grundlagen müssen sich deshalb nur auf den Willen und die Beschlüsse der Versammlung stützen und nicht auf die Wachsamkeit des Volkes, da dies sowohl bei der Be- ratung wie bei der Stimmgebung fern gehalten wird. Wenn deshalb in der Verwirklichung dies Regiment nicht unbeschränkt ist, so kann es nur daher kommen, dass das Volk von den Herrschern gefürchtet wird und deshalb einige Freiheiten erlangt, die es, wenn nicht durch ausdrückliche Gesetze, doch stillschweigend sich verschafft und erhält.

§ 5. Hieraus erhellt, dass dieses Regiment dann am besten ist, wenn es sich dem unbeschränkten am meisten nähert, d. h. wenn das Volk möglichst wenig zu fürchten ist und nur diejenigen Freiheiten hat, welche nach der Staatsverfassung ihm nicht vorenthalten werden können und welche deshalb nicht sowohl ein Recht des Volkes, als des ganzen Staates sind, welches Staatsrecht die vor- nehme Klasse als das ihrige beansprucht und bewahrt. So wird die Wirklichkeit am meisten mit der Theorie tibereinstimmen, wie der vorgehende Paragraph ergiebt und von selbst klar ist; da unzweifelhaft die Herrschaft um so weniger bei den Patriziern sein wird, je mehr Rechte das Volk beansprucht: wie dergleichen in Nieder- Deutschlaud die Kollegien der Handwerker, die man Gilden nennt, besitzen. i^^)

§ 6. Auch braucht man von der unbeschränkten Übertragung der Staatsgewalt an die Versammlung des- halb nicht zu fürchten, dass diese das Volk in Dienst- barkeit bringen werde, da der Wille einer so grossen Versammlung nicht sowohl von der Willkür, als von der Vernunft bestimmt werden kann. Die Menschen haben durch schlechten Affekt verschiedene Absichten; nur wenn sie das Rechte, oder wenigstens was als Recht er- scheint, erstrebe», können sie gleichsam in einem Geiste handeln. 117)

§ 7. Bei Bestimmung der Grundlagen des aristo- kratischen Regiments muss man deshalb vor allem dar- auf sehen, dass sie nur auf dem Willen und der Macht der höchsten Versammlung ruhen, und dass diese Ver- sammlung möglichst selbständig sei und von dem Volke nichts zu fürchten habe. Um diese auf dem blossen Willen und der Macht der höchsten Versammlung ruhenden

Die Einrichtungen beim aristokr. Regiment. 113

<Jrundlagen zu bestimmen, muss man die Grundlagen des Friedens, welche dem monarchischen Regimente eigen- tümlich sind und dem aristokratischen fremd sind be- trachten. Kann man dem aristokratischen Regiment ebenso kräftige Grundlagen, die zugleich seiner Natur ent- sprechen, unterstellen , und behält man daneben die hier bereits gelegten Grundlagen bei, so wird unzweifelhaft aller Anlass zu Aufständen beseitigt sein und dieses Re- giment mindestens ebenso sicher wie das monarchische sein; ja sicherer und in einem besseren Stande, da es mehr als das monarchische ohne Schaden für Frieden und Freiheit (man sehe § 3 und 6 dieses Kap.) dem unbe- schrankten sich nähert. Je grösser das Recht der höchsten Staatsgewalt ist, desto mehr kommt die Form des Regi- ments mit dem Gebote der Vernunft überein und ist des- halb auch zur Erhaltung des Friedens und der Freiheit mehr geeignet (nach § 5, Kap. 3). Ich werde deshalb das in S y, Kap. 6 Gesagte durchgehen, um das für das aristo- kratische Regiment unpassende zu beseitigen und das Passende aufzufinden, ii«)

§ 8. Dass auch hier es zunächst nötig ist, eine

oder mehrere Städte zu erbauen und zu befestigen, kann

niemand bezweifeln. Vorzugsweise ist die Hauptstadt

eines Landes zu befestigen und dann die Grenzstädte.

Jene muss als das Haupt des ganzen Reichs, als welches

sie das höchste Recht hat, auch an Macht allen andern

überlegen sein. Übrigens brauchen bei einem solchen

Kegiment die Einwohner nicht in Stämme eingeteilt zu werden. ^^^)

§ 9. Was nun die Miliz anlangt, so ist bei diesem Regiment nicht die Gleichheit Aller, sondern nur die bleichheit der Patrizier zu suchen , und da die Gewalt der letztern grösser ist als die des Volkes, so gehört es sicnerlich nicht zu den Grundgesetzen und Rechten dieses itegimentes, dass die Miliz nur aus den Bürgern gebildet werde; vielmehr ist es vor allem nötig, dass niemand zum ratrizier gewählt werde, der nicht die Kriegskunst gut versteht. Dagegen ist es Thorheit, wenn Einige ver- langen, dass die ünterthanen von der Miliz ausgeschlossen

!!m. ^^i^^^- ^'^^^^ ^^^'^t ^er an die ünterthanen ge- zaüite 6old im Lande, während der einer fremden Miliz gezaülte dem Lande verloren geht;i20) sodann würde die

114

Politische Abh. Kap. 8. § 10.

Die Versammlung der Patrizier.

115

wichtigste Kraft des Reichs dadurch geschwächt werdeny da unzweifelhaft Die am tapfersten kämpfen, welche für Haus und Hof kämpfen. Deshalb ist es ebenso irrig, wenn man verlangt, dass die Feldherren, Obersten und Hauptleute nur aus den Patriziern genommen werden sollen. Wie sollen Soldaten tapfer fechten, wenn ihnen alle Hoffnung auf Ruhm und Ehren entzogen ist? Ebenso würde es aber unklug sein und dem höchsten Recht der Patrizier widerstreiten (man sehe § 3, 4, 5 dieses Kap.), wenn man verordnen wollte, dass die Patrizier keine fremde Miliz in Sold nehmen dürften, sofern dies nötig sein sollte, um sich zu schützen, Aufstände zu dämpfen, oder sofern andere Gründe dafür eintreten. Übrigens ist der Feldherr einer Heeresabteilung, sowie der ganzen Miliz, nur für den Krieg und nur aus den Patriziern zu wählen; er behält sein Amt nur auf ein Jahr und nicht länger, darf auch nicht von Neuem gewählt werden. i^i) Diese Bestimmung ist nicht bloss bei dem monarchischen Regiment nötig, sondern hier noch notwendiger; denn obgleich das Regiment, wie ich oben bemerkt, viel leichter von einer einzelnen Person auf eine andere übergehen kann, als von einer freien Versammlung auf einen Ein- zelnen, so kommt es doch oft vor, dass die Patrizier von ihren Führern und zwar zum viel grösseren Schaden des Staats unterjocht werden; da, wenn der Monarch be- seitigt wird, nicht das Regiment, sondern nur der Tyrann gewechselt wird, während bei einem aristokratischen Re- giment dies nicht ohne ümstürzung der Verfassung und der Niedermetzelung der bedeutendsten Männer geschehen kann. Rom hat dazu die schrecklichsten Beispiele gelieferte Übrigens gilt der Grund, weshalb in einem monarchischen Staate die Miliz ohne Sold dienen soll, bei der aristokra- tischen Verfassung nicht; denn wenn die Unterthanen sowohl von Versammlungen wie von Abstimmungen aus- geschlossen sind, so gelten sie nur wie Fremde und können deshalb nicht unter schlechtem Bedingungen, wie diese, zu dem Dienst angehalten werden. Auch besteht hier keine Gefahr, dass die Versammlung sie vor den Übrigen bevorzuge ; vielmehr ist es, damit niemand seine Thaten, wie wohl vorkommt, selbst zu hoch abschätze, geratener,^ dass die Patrizier den Soldaten einen festen Sold aus* setzen.

§ 10. Eben deshalb, weil alle ausser den Patriziern wie Fremde gelten, gestattet es die Sicherheit des ganzen Staates nicht, dass die Ländereien, Häuser und aller Grund und Boden Staatseigentum bleibe und den Einwohnern nur gegen einen jährlichen Zins verpachtet werde. 1*2) Denn Unterthanen, die keinen Anteil an der Staats- gewalt haben, verlassen in schlimmen Zeiten leicht die Städte, wenn sie ihre Besitztümer überall mit sich nehmen können. Deshalb müssen die Ländereien und der Bo- den eines solchen Staates den Unterthanen nicht ver- pachtet, sondern verkauft werden, unter dem Beding, dass sie aus den jährlichen Einkünften einen Bruchteil jährlich dem Staat entrichten, wie dies in Holland ge- schieht.

§ 11. Ich gehe nun zu den Grundlagen über, auf die die höchste Versammlung sich stützen und durch welche sie befestigt werden soll. Die Mitglieder dieser Versammlung müssen in einem Reiche mittlerer Grösse ungefähr 5000 der Zahl nach betragen, wie ich in § 2 dieses Kapitels gezeigt habe; es muss deshalb dafür ge- sorgt werden, dass diese Zahl der herrschenden Klasse nicht geringer werde, vielmehr muss sie mit der Zunahme eines Staates verhältnismässig wachsen. Ferner muss unter den Patriziern die möglichste Gleichheit herrschen; in den Versammlungen muss schnell verhandelt werden, für das gemeine Beste gesorgt werden, endlich muss die Macht der Patrizier oder der Versammlung grösser als die Macht des Volkes sein, aber diesem darf daraus kein Schaden erwachsen.

§ 12. Bei Verfolgung des ersten dieser Ziele macht der Neid die grösste Schwierigkeit. Denn die Menschen smd von Natur, wie gesagt, einander feind und selbst wenn sie durch Gesetze verbunden und in Zaum gehalten werden, behalten sie diese Natur. Daher mag es kom- men, dass die demokratischen Staaten in Aristokratien und diese endlich in Monarchien sich umwandeln. Denn ich bin überzeugt, dass die meisten Aristokratien zuerst Demokratien waren, indem eine gewisse Anzahl Menschen sich neue Wohnsitze suchten und, wenn sie diese gefun- den und eingerichtet hatten, das gleiche Recht an der Staatsgewalt für alle beibehielten, weil niemand gern emem Andern diese Gewalt überträgt. 123) Aber wenn

I

116

Politische Abh. Kap. 8. § 13. 14.

Die Wahl der Patrizier.

117

auch jeder es recht findet, dass das Recht, was dem An- dern gegen ihn zusteht, ihm selbst auch gegen den An- dern zustehe, so hält er es doch für unbillig, dass auch den Fremden, die sich bei ihnen niederlassen, das gleiche Recht an der Staatsgewalt zustehen solle, da sie selbst diese mit Mühe sich gesucht und mit ihrem Blute erwor- ben haben. Auch die Fremden sind damit zufrieden, da sie nicht der Herrschaft, sondern ihrer häuslichen An- gelegenheiten wegen zu ihnen ziehen, und da sie zufrieden sind, wenn sie nur ihre eigenen Geschäfte sicher betreiben können. Allein nach und nach wächst die niedere Volks- klasse durch dieses Zusammenströmen von Fremden, welche allmählich die Sitten dieses Stammes annehmen und zu- letzt nur daran erkennbar sind, dass sie zu keinen Staats- ämtern gelangen können. ^24) Während ihre Anzahl täg- lich zunimmt, nimmt die der Bürger aus vielen Ursachen ab, da Familien oft erlöschen, andere wegen Verbrechen ausgeschlossen werden und viele wegen unzureichenden Vermögens die Staatsgeschäfte vernachlässigen, während die Mächtigern dahin streben, allein zu regieren. So kommt das Regiment allmählich auf Wenige und durch Parteispaltungen zuletzt auf Einen. Ich könnte dem noch manche andere Umstände, welche solchen Staaten verderblich werden, hinzufügen; indes lasse ich dies, da sie bekannt sind, und ich will nun der Reihe nach die Gesetze besprechen, welche zur Erhaltung des aristokra- tischen Regiments dienen sollen.

§ 13. Das erste Gesetz eines solchen Staats muss das sein, welches das Verhältnis der Zahl der Patrizier zu der Volkszahl festsetzt. Das Verhältnis muss (vermöge § 1 dieses Kap.) der Art sein, dass mit dem Wachsen der Volksmenge auch die Zahl der Patrizier sich ver- mehrt. Das Verhältnis muss (nach dem in § 2 dieses Kap. Gesagten) ungefähr wie 1 zu 50 sein, d. h. die Zahl der Patrizier zur Volksmenge darf niemals geringer sein; wohl aber kann (nach § 1 dieses Kap.) ohne Schaden für dieses Regiment die Zahl der Patrizier grösser sein als die Zahl der übrigen Volksklassen; nur in der zu nie- drigen Zahl jener liegt die Gefahr. Wie es einzurichten, dass dies Gesetz innegehalten werde, soll bald dargelegt werden.

§ 14. An manchen Orten werden die Patrizier nur

aus bestimmten Familien gewählt; doch ist es schädlich wenn dies durch ein besonderes Gesetz bestimmt wird! Einmal erlöschen Familien oft; die übrigen können nicht ohne Verletzung ihrer Ehre ausgeschlossen werden und dann widerstreitet es dieser Staatsform, dass die patri- zische Würde erblich sei (nach § 1 dieses Kap.). Die Verfassung würde vielmehr dann jener Demokratie ähneln, die ich in § 12 dieses Kapitels geschildert habe, wo nur eine geringe Zahl von Bürgern die Staatsgewalt inne hat. Dagegen ist es unmöglich und verkehrt, wie ich in § 39 dieses Kapitels zeigen werde, wenn man verhin- dern will, dass die Patrizier nicht ihre Kinder und Ver- wandten wählen sollen, wodurch die Herrschaft bei ge- wissen Familien erhalten bleibe. Vielmehr darf dies nur nicht durch ejn bestimmtes Gesetz vorgeschrieben wer- den und die Übrigen (d. h. die im Lande geboren sind und die Landessprache sprechen und keine Fremde zur Frau genommen haben und ihrer Ehre nicht verlustig erklärt worden und nicht in eines Andern Diensten stehen, noch ihren Lebensunterhalt durch ein knech- tisches Geschäft sich verschaffen, wohin ich auch die Wirte der Wein- und Bierschänken rechne) dürfen nur nicht ausdrücklich ausgeschlossen werden ; dann kann der Staat sich seine Verfassung erhalten und das Verhältnis zwischen Patriziern und dem Volke kann aufrecht erhalten werden.

§. 15. Wenn ferner ein Gesetz die Wahl jüngerer Männer verbietet, so wird die Staatsgewalt niemals in wenigen Familien bleiben, und deshalb muss gesetzlich bestimmt werden, dass erst mit dem 30. Jahre Jemand m die Liste der Wählbaren eingetragen werden dürfe.i25)

§ 16. Es muss drittens festgesetzt werden, dass alle Patrizier an einem bestimmten Orte zu bestimmten Zeiten sich versammeln müssen; und der Ausbleibende, sofern er nicht durch Krankheit oder ein öffentliches Ge- schäft verhindert ist, muss mit einer empfindlichen Geld- strafe belegt werden. Denn sonst würden die Meisten über ihre eigenen Angelegenheiten die öffentlichen ver- nachlässigen. 126)

§ 17. Das Geschäft dieser Versammlung ist, Gesetze zu geben und aufzuheben, sich Patrizier zu Genossen zu erwählen und alle Beamten des Staates zu ernennen. 12?)

118

Politische Abh. Kap. 8. § 18. 19.

Denn der Inhaber des höchsten Rechts, wie es ja diese Versammlung sein soll, kann unmöglich die Macht der Gesetzgebung einem Andern verleihen, ohne sein Recht Aufzugeben und auf Den, dem er diese Macht einräumt, zu übertragen. Wer nur einen Tag die Macht hat, Ge- setze zu geben und aufzuheben, kann die ganze Staats- verfassung verändern. Dagegen kann die laufende Ver- waltung Andern auf bestimmte Zeit nach festgestellten Regeln überlassen werden, wenn jene nur das höchste Recht sich vorbehält. Auch würden, wenn die Reichs- beamten von einem Andern als dieser Versammlung er- nannt würden , die Mitglieder derselben eher Unmündige als Patrizier heissen müssen. ^28^

§ 18. Dieser Versammlung pflegt ein Leiter oder Vorstand gegeben zu werden, entweder auf Lebenszeit, wie in Venedig, oder auf eine bestimmte Frist, wie in Genua; es ist aber unter so vielen Klauseln geschehen, dass deutlich erhellt, welche Gefahr hierbei für den Staat besteht. Auch nähert sich damit unzweifelhaft das Re- giment dem monarchischen, und es ist, so viel man aus der Geschichte dieser Staaten abnehmen kann, nur des- halb geschehen, weil das Land vor Einrichtung dieser Versammlung unter einem Leiter oder Herzog, wie unter einem König, gestanden hatte. Deshalb ist die Wahl eines solchen Vorstandes wohl ein notwendiges Erfordernis eines bestimmten Geschlechts, aber nicht des aristokra- tischen Regiments an sich.^^e^

§ 19. Da indes die höchste Staatsgewalt nur bei der ganzen Versammlung ist und nicht bei jedem ein- zelnen Mitgliede (denn sonst wäre es nur die regellose Zusammenkunft einer Menschenmenge), so müssen alle Patrizier an die Gesetze so gebunden sein, dass sie nur einen Körper darstellen, der durch eine Seele geleitet wird. Nun sind aber die Gesetze an sich ohnmächtig und werden leicht übertreten, wenn Diejenigen sie beschützen sollen, welche sündigen können und allein aus der Strafe eine Warnung sich nehmen und die ihre Genossen des- halb strafen sollen, damit sie ihre eigene Lust durch die Furcht vor gleicher Strafe im Zaume halten; dergleichen wäre sehr verkehrt. Deshalb muss man auf ein Mittel sinnen, welches die Ordnung in dieser höchsten Ver- sammlung und die Verfassung des Reichs unverletzt er-

Die Syndiken.

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hält, ohne die Gleichheit unter den Patriziern, soweit es angeht, aufzuheben.

§ 20. Aus der Ernennung eines Leiters oder Vor- standes, der auch in der Versammlung das Stimmrecht hat muss notwendig eine grosse Ungleichheit in der Versamm- lung entstehen, zumal ihm die zur sichern Verwaltung seines Amtes nötige Gewalt eingeräumt werden muss. Bei sorgsamer Erwägung erscheint deshalb keine Einrichtung für das allgemeine Wohl heilsamer, als dieser höchsten Versammlung eine andere zu unterstellen, die aus einigen Patriziern gebildet wird und deren Amt nur darin besteht zu wachen, dass die Rechte des Staates in Betreff der Ver- sammlungen und der Staatsbeamten unverletzt bleiben. Sie haben deshalb die Macht, jeden schuldigen Staatsbeamten, welcher gegen die Staatsgesetze in Betreff seines Amtes Verstössen hat, vor ihren Richterstuhl zu fordern und nach den Reichsgesetzen zu verurteilen. Diese Patrizier werde ich die Syndiken nennen. 129 b.)

§. 21. Diese Syndiken sind auf Lebenszeit zu wäh- len; denn wenn es nur auf eine bestimmte Zeit geschähe und sie dann später andere Staatsämter übernehmen konnten , würde man die in § 19 dieses Kapitel darge- legte Verkehrtheit begehen. Um indes zu hindern , dass die lange Amtsgewalt sie nicht stolz mache , dürfen nur mrizier, die 60 Jahre und darüber alt sind und Sena- toren gewesen sind (worüber unten das Weitere folgen wird), dazu gewählt werden.

§ 22. Ihre Zahl findet man leicht, wenn man be- denkt, dass diese Syndiken sich zu den Patriziern ver- üalten, wie diese zusammen zu dem Volke, das sie nicht regieren können, wenn ihre Anzahl unverhältnismässig 7 l? J®** Deshalb muss sich die Zahl der Syndiken zur z-ahl der Patrizier verhalten wie die Zahl dieser zur Zahl des Volkes, d. h. (nach § 13 dieses Kap.) wie 1 zu 50.

S 26. Damit ferner diese Versammlung der Syndiken Ihr Amt sicher verwalten kann, ist ihr ein Teil der S 1^30) ^^®^^®^«^° » welcher dann unter ihren Befehlen

1. ^ ^^\ 9^® Syndiken und alle Staatsbeamte erhalten Kernen Gehalt, sondern nur solche Gebühren, dass sie oüne ihren eigenen grösseren Schaden das Reich nicht schlecht verwalten können. Au sich ist es billig, dass

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Politische Abh. Kap. 8. § 25.

Wahl der Syndiken.

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die Beamten des aristokratischen Regiments eine Ent- schädigung für ihre Arbeit erhalten; denn die Mehrheit des Staates ist das gemeine Volle und die Patrizier sorgen für dessen Sicherheit, während dieses sich nicht um den Staat, sondern nur um seine eigenen Angelegenheiten kümmert. Allein Niemand sorgt für einen Andern (wie § 4, Kap. 7 gezeigt worden), wenn er nicht seine eigene Sache damit zu sichern glaubt, und deshalb muss die Sache so eingerichtet werden, dass die Beamten, welche für den Staat sorgen, dann den grössten Vorteil für sich erlangen, wenn sie für das allgemeine Wohl am besten sorgen. § 25. Hiernach sind die Einkünfte der Syndiken, deren Amt, wie gesagt, darin besteht, über die Beobach- tung der Gesetze des Staats zu wachen, dahin zu be- stimmen, dass aus allen Orten des Reichs jeder Familien- vater jährlich eine geringe Geldsumme, nämlich den vierten Teil einer Unze Silber, i3i) den Syndiken ent- richtet, damit sie daraus die Zahl der Einwohner ent- nehmen und prüfen können, welchen Bruchteil die Patri- zier bilden. Ferner muss Jeder, der neu zum Patrizier erwählt worden, den Syndiken eine grössere Summe zah- len, etwa 20 oder 25 Pfund Silber. i32) Ausserdem sollen auch die Geldstrafen, welche die bei den Versammlungen ausgebliebenen Patrizier zu zahlen haben, den Syndiken zufallen. Ferner erhalten sie einen Teil der Güter der verurteilten Staatsbeamten, welche vor ihren Gerichtshof gehören und entweder eine bestimmte Geldsumme als Strafe zu entrichten haben, oder deren Vermögen ein- gezogen wird. Doch erhalten dies nur diejenigen Syn- diken, welche täglich Sitzung halten und welche die Versammlung der Syndiken zu berufen haben, wie in § 28 dieses Kapitels näher angegeben werden wird. Da- mit die Versammlung der Syndiken immer vollzählig bleibe, ist in der zur bestimmten Zeit berufenen höch- sten Versammlung vor Allem dieser Punkt zu unter- suchen. Haben die Syndiken dies verabsäumt, so liegt dann dem Vorstand des Senats (von dem ich bald han- deln werde) ob, die höchste Versammlung daran zu er- innern und von dem Vorstand der Syndiken den Grund des Schweigens zu erfragen und festzustellen, was die Meinung der höchsten Versammlung hierüber ist. Thut auch dieser 133) nichts, so ist die Sache vom Vorsitzen-

den des höchsten Gerichtshofes, oder bei dessen Schwei- gen von jedem beliebigen Patrizier aufzunehmen und der Grund des Schweigens von dem Vorstande der Syn- diken, des Senats und des Gerichtshofes zu erfordern. Damit endlich das Gesetz über Ausschliessung der Jünffern streng eingehalten werde, ist festzusetzen, dass Jeder nachdem er das Alter von dreissig Jahren erreicht hat' sich in die Liste im Beisein der Syndiken eintragen lassen muss, wenn er nicht ausdrücklich von der Regierung aus- geschlossen worden ist. Sie erhalten dann gegen Zah- lung einer Summe von diesem ein Zeichen der erlangten Würde und dürfen dann ein bestimmtes Kleid anlegen was andere nicht tragen dürfen, und woran sie erkannt werden, um von den andern in Ehren gehalten zu werden.i34) Ferner muss bestimmt sein, dass bei den Wahlen kein Patrizier bei schwerer Strafe jemanden nennen darf der in der allgemeinen Liste nicht eingetragen ist. Auch darf niemand ein Amt oder Geschäft, zu dem er erwählt wor- den ist, ablehnen. Damit endlich die Grundlagen des Staats für alle Zeiten unverändertes Recht bleiben ist zu verordnen, dass Jeder, der in der höchsten Versamm- lung ein solches Grundrecht des Staats in Frage stellt z. B. die Verlängerung des Amtes eines Befehlshabers des Heeres, oder die Verminderung der Zahl der Patrizier oder anderes der Art beantragt, der verletzten Majestät schuldig sein und den Tod erleiden soll; seine Güter sollen konfisziert und ein Zeichen seiner Strafe für ewige Zeiten an einem öffentlichen Orte angebracht werden, i^) Was die übrigen Gesetze anlangt, so genügt zu deren bchutz die Bestimmung, dass kein Gesetz aufgehoben oder gegeben werden kann, wenn nicht zuerst die Versammlung der Syndiken und dann die höchste Versammlung mit drei Vierteln oder vier Fünfteln ihrer Mitglieder dem zugestimmt

§ 26. Den Syndiken muss das Recht zustehen, die höchste Versammlung zu berufen und die zu beratenden tregenstände zu bezeichnen; auch ist ihnen der erste Platz m der Versammlung einzuräumen ; doch haben sie kein ötimmrecht. Ehe sie ihren Sitz einnehmen, müssen sie bei dem Heil dieser höchsten Versammlung und der öffent- lichen Freiheit schwören, mit allen Kräften die Rechte aes Vaterlandes unverletzt zu bewahren und für das all-

SpinojBa's Abh. üb. Verbesser, d. Verstandes. JQ

122

Politische Abh. Kap. 8. § 27—29.

Der Senat

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gemeine Beste zu sorgen ; dann haben sie die zu beraten- den Gegenstände durch einen ihnen zugeordneten Schrift- führer zu eröffnen.

§ 27. Damit bei den Beschlüssen und der Wahl der Staatsbeamten allen Patriziern die gleiche Macht bleibe und alles schnell erledigt werde, ist das von den Vene- tianern befolgte Verfahren einzuhalten, wo einige Mit- glieder der Versammlung behufs Wahl der Beamten durch das Los bestimmt werden und diese der Reihe nach Per- sonen dazu vorschlagen; dann giebt jeder Patrizier seine btimme, ob er den Vorgeschlagenen annimmt oder nicht, durch Steinchen ab, damit man nachher nicht wisse, wer für den Einen oder Andern gestimmt habe. Dadurch wird nicht allein die Geltung eines jeden Patriziers bei den Beschlüssen mit den anderen gleich erhalten, son- dern auch der Geschäftsgang beschleunigt. Ebenso

S?"° / .t ?*®^® ^^^^® ^'*" jeder im Interesse voller ötimmtreiheit, welche den Versammlungen vor allem nötig ist, seine Stimme ohne Gefahr, sich verhasst zu machen, abgeben. '

A' f..^^* ^^ ^®° Versammlungen der Syndiken werden die btimmen wie in den übrigen Versammlungen durch Steinchen abgegeben. Das Recht der Syndiken die Rats- versammlungen zu berufen und die Gegenstände der Ver- handlung zu bestimmen, muss ihr Vorsitzender haben. Dieser muss täglich mit zehn oder mehr Syndiken bitzungen abhalten, um die Beschwerden des Volkes gegen öeamte und die geheimen Anklagen zu vernehmen und die Ankläger, wenn es erforderlich ist, festzuhalten, auch die Versammlung vor den regelmässig feststehenden risten zu berufen, wenn eines der Mitglieder Gefahr im Verzuge findet. Diesen Vorsitzenden und Die, welche sich taghell mit ihm versammeln , hat die höchste Ver- sammlung aus den Syndiken zu wählen , aber nicht auf Lebenszeit, sondern nur auf 6 Monat und so, dass sie erst nach 3 oder 4 Jahren wiedergewählt werden dürfen. Diesen sind, wie erwähnt, die konfiszierten Güter und Uie beldstraten oder ein Anteil daran zuzuweisen. Was sonst noch diese Syndiken angeht, werde ich an seinem Orte bemerken.

§ 29. Eine zweite, der höchsten Versammlung unter- geordnete Versammlung ist die, welche ich den Senat

nenne. Sein Amt ist die Besorgung der öffentlichen Ge- schäfte, also die Verkündigung der Gesetze, die gesetz- liche Regelung der Stadtbefestigungen, die Ausfertiffunff der Bestallungen für die Miliz, die Auferlegung von Ab- gaben auf die Unterthanen und deren Verteilung die Antworten an fremde Gesandte und die Bestimmung wohin Gesandte geschickt werden sollen; die Gesandten selbst hat jedoch die höchste Versammlung zu wählen ^^) Denn man muss vorzüglich sorgen, dass die Patrizier Staats -Amter nur von der höchsten Versammlung er- halten können, damit sie sich nicht um die Gunst des Senats bewerben. Ferner gehört alles vor die höchste Versammlung, was den vorhandenen Zustand der Dinge in irgend einer Weise verändert, wie Beschlüsse über Krieg und Frieden. Deshalb bedürfen die Beschlüsse des benats über Krieg und Frieden zu ihrer Gültigkeit der Bestätigung durch die höchste Versammlung, und deshalb mochte ich auch die Ausschreibung neuer Abgaben nicht dem Senat, sondern der höchsten Versammlung zu- weisen. ®

. , . § ^- P^i der Festsetzung der Zahl der Senatoren ist in Betracht zu ziehen, 1) dass alle Patrizier eine gleich grosse Aussicht auf Erlangung der Senatorenwürde er- halten ; 2) dass trotzdem die Senatoren , deren Amtszeit abgelaufen ist, nach nicht zu langer Frist wieder ein- treten können, damit der Senat durch erfahrene und er- prob e Männer geleitet werde, und 3) dass unter den benatoren eine Anzahl durch Weisheit und Tugend be- rühmter Männer sich befinde. Zur Erfüllung dieser Be- dingungen lässt sich gesetzlich nur bestimmen, dass erst mit dem fünfzigsten Jahre ein Patrizier in den Senat ge- wählt werden darf, und dass ungefähr 400 Mitglieder, also ungefähr der zwölfte Teil der Patrizier, auf ein Jahr zu wählen sind und dass sie zwei Jahre nach dessen Ablauf wieder eintreten dürfen. Auf diese Art wird immer ein Zwölftel der Patrizier mit kurzen Unter- Drechungen das Senatoren-Amt bekleiden, und diese Zahl zusammen mit der Zahl der Syndiken wird nicht viel Riemer sein als die Zahl der Patrizier, welche das 50ste Jahr erreicht haben. Dadurch hat jeder Patrizier immer grosse Aussicht, die Senatoren- oder Syndiken- Würde zu erlangen, und trotzdem werden dieselben Patrizier mit

10*

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Politische Abh. Kap. 8. § 31.

Die Einrichtung des Senats.

I!

nur kurzen Unterbrechungen das Senatoren- Amt bekleiden, so dass (nach dem zu § 2 dieses Kap. Gesagten) dem Se- nate niemals die durch Klugheit und Geschicklichkeit aus- gezeichneten Männer fehlen werden. Auch kann ein solches Gesetz nicht verletzt werden, ohne dass nicht viele Patrizier dadurch erbittert würden ; deshalb bedarf es zu seinem Bestände keiner weiteren Fürsorge, als dass jeder Patrizier, wenn er das bestimmte Alter erreicht hat, dies den Syndiken nachweise. Diese nehmen dann seinen Namen in die Liste der Kandidaten zur Senatorenwürde auf und verlesen ihn mit in der höchsten Versammlung. Dann nimmt er mit seinen übrigen Genossen den für diese in der Versammlung bestimmten Platz ein, welcher dem Platze der Senatoren am nächsten ist.

§ 31. Die Bezüge der Senatoren müssen der Art sein, dass sie mehr Vorteil vom Frieden wie vom Kriege haben. Deshalb kann ihnen ein oder zwei Prozent von den aus- und eingeführten Waren bewilligt werden; un- zweifelhaft werden sie dann den Frieden möglichst zu erhalten und den Krieg niemals zu verlängern suchen. Von diesem Zoll sind selbst die Senatoren, im Fall sie Handel treiben sollten, nicht frei; denn eine solche Frei- heit kann ohne grossen Schaden für den Handel nicht bewilligt werden, wie jedermann einsehen wird, i^?) Ferner ist durch Gesetz anzuordnen, dass kein Senator und keiner, der es gewesen ist, ein militärisches Amt ver- walten dürfe und dass kein Feldherr und höherer Offizier, so weit sie nur für die Kriegszeit nach § 9 dieses Kap. eintreten sollen, aus denen genommen werden darf, deren Vater oder Grossvater Senator ist oder aus dem Senat erst seit zwei Jahren ausgeschieden ist. Unzweifelhaft werden die nicht zum Senat gehörenden Patrizier auf diese Bestimmung mit aller Kraft halten und so wird der Senat immer ein grösseres Einkommen von dem Frieden wie von dem Kriege haben, und er wird nur in der höchsten Not des Staates dazu raten, i^s) Man wird mir vielleicht entgegnen, dass, wenn auf diese Weise den Syndiken und Senatoren so bedeutende Bezüge gewährt würden, das aristokratische Regiment den ünterthanen ebenso beschwerlich wie irgend ein monarchisches fallen würde. Indes verlangt die Hofhaltung des Königs grosse Ausgaben, ohne dass sie der Erhaltung des Friedens dienen;

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auch kann der Frieden niemals zu teuer erkauft werden. Dazu kommt, dass das, was in der Monarchie nur Einem oder Wenigen zu gute kommt, hier an Viele gelangt Ferner trägt der König und sein Diener nicht, wie die ünterthanen, zu den Lasten des Reiches bei, während hier dies geschieht, da die Patrizier, welche immer aus den Reichern ausgewählt werden, den grössten Teil der Staatsabgaben entrichten. Endlich entspringen die Lasten des monarchischen Regiments nicht sowohl aus dem Auf- wand für den König, als aus dessen geheimen Ausgaben. Die Abgaben, welche den Bürgern für den Schutz des Friedens und der Freiheit auferlegt werden, lassen sich wenn sie auch gross sind, doch ertragen und werden durch die Vorteile des Friedens erschwinglich. Welches Volk hat je so viele und so schwere Steuern zu zahlen geliabt wie das holländische? Dennoch war es nicht er- schöpft, sondern noch so vermögend, dass alle es um sein Schicksal beneideten. Wenn daher die Lasten des mo- narchischen Regiments des Friedens wegen aufgelegt wür- den, so würden sie den Bürger nicht bedrücken; allein es kommt vielmehr von den geheimen Ausgaben dieses Regiments, dass die ünterthanen dessen Lasten nicht er- tragen können. Denn der Könige Tapferkeit gilt mehr im Kriege als im Frieden , und wer allein regieren will, sucht nach Möglichkeit, dass die ünterthanen arm bleiben, wobei ich nicht das erwähne, was ein kluger Belgier V. H. einst sagte, i39) da es meinem Zweck nichts angeht, welcher nur auf die Darstellung der besten Verfassung für jede Staatsform gerichtet ist

§ 32. Im Senat müssen einige von der höchsten Ver- sammlung gewählte Syndiken sitzen, aber ohne Stimm- recht. Sie sollen nur acht haben, dass die diese Ver- sammlung betreffenden Gesetze gehörig befolgt werden, und sie haben für die Berufung der höchsten Versamm- lung zu sorgen, wenn der Senat etwas bei derselben an- zubringen hat. Denn das Recht, diese Versammlung zu berufen und ihr Gegenstände zur Beschlussfassung vor- zulegen, haben, wie gesagt, nur die Syndiken. Ehe { * ^ solchem Falle die Stimmen gesammelt werden, hat der Vorsitzende des Senats den Sachverhalt und die Meinung des Senats mit den Gründen vorzutragen, und

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Politische Abh. Kap. 8. § 33. 34.

Die Konsuln.

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erst dann sind die Stimmen in der gewöhnlichen Welse einzusammeln.

§ 33. Der ganze Senat hat sich, wie jede grosse Versammlung, nicht täglich, sondern nur zu bestimmten Zeiten zu versammeln. Da indes auch in der Zwischen- zeit Staatsgeschäfte zu erledigen sind, so ist für diese Zwischenzeit ein Ausschuss aus dem Senat zu wählen, der ihn vertritt, den ganzen Senat erforderlichen Falles beruft, dessen Beschlüsse ausführt, die an den Senat und die höchste Versammlung eingehenden Schreiben liest und die Beratungsgegenstände für den Senat feststellt. Damit dies alles und das Verfahren dieses Senates deut- licher aufgefasst werde, will ich das Ganze genauer be- schreiben. 1^)

§ 34. Die, wie gesagt, auf ein Jahr gewählten Se- natoren sind in 4 oder 6 Abteilungen zu teilen, von denen die erste in den 3 oder 2 ersten Monaten des Jahres im Senate an erster Stellie sitzt; dann folgt ihr die zweite und so fort der Reihe nach, so dass jede Abteilung eine gleiche Zeit den ersten Platz im Senate einnimmt, so dass, wer in den ersten Monaten der erste, in den zweiten Monaten der letzte ist. Ausserdem sind für jede Abtei- lung ein Vorsitzender und ein Stellvertreter zu wählen, und der Vorsitzende der ersten Abteilung und bei dessen Abwesenheit sein Stellvertreter hat auch in den ersten Monaten den Vorsitz im Senate; ebenso geschieht es bei den übrigen der Reihe nach. Ferner sind aus der ersten Abteilung durch Los oder Wahl einige Mitglieder zu be- stimmen, die mit dem Vorsitzenden und dem Stellvertreter dieser Abteilung den Senat, wenn er nicht beisammen ist, vertreten, und zwar für dieselbe Zeit, wo diese Ab- teilung den ersten Platz im Senate einnimmt. Nach deren Ablauf sind ebenso Viele aus der zweiten Abtei- lung durch Los oder Wahl zu bestimmen, die mit ihrem Vorsitzenden und Stellvertreter den Platz der ersten Ab- teilung einnehmen und den Senat vertreten; und so fort auch die Übrigen der Reihe nach. Auch ist es nicht nötig, dass deren Wahl, die nach Obigem durch das Los oder durch Abstimmung alle 3 oder 2 Monate erfolgt, und welche Personen ich nun Konsuln nennen werde, von der höchsten Versammlung ausgeht. Denn der Grund in § 29 dieses Kap. gilt hier nicht und noch weniger

der Grund in § 17. Es genügt deshalb, wenn sie von dem Senat und den Syndiken, die anwesend sind, gewählt werden.

§ 35. Ihre Zahl kann ich nicht so genau bestim- men. Doch muss sie so gross sein, dass sie nicht leicht bestochen werden können; denn wenn sie auch allein keinen Beschluss über Staatsangelegenheiten fassen können, so vermögen sie doch die Sitzungen des Senats zu ver- schieben, oder, was schlimmer ist, ihn zu verspotten, in- dem sie nur das Unbedeutende ihm vorlegen und die wichtigern Sachen zurückhalten. Auch würde, wenn ihrer zu wenig wären, die Abwesenheit Eines oder des Andern die Erledigung der Geschäfte verzögern. Es ist deshalb hier, wo die Konsuln gewählt werden, weil die grosse Versammlung nicht täglich den öffentlichen Angelegen- heiten obliegen kann, eine Mitte zu halten und der Mangel der Zahl durch die Kürze der Zelt zu verbessern. Wenn daher nur ungefähr 30 auf diese 2 oder 3 Monate gewählt werden, so sind es dann schon so viel, dass sie für so kurze Zeit nicht leicht bestochen werden können. Des- halb habe ich auch verlangt, dass ihre Nachfolger erst dann gewählt werden sollen, wenn jene abtreten und diese eintreten sollen.

§ 36. Ihnen liegt ferner, wie gesagt, ob, den Senat, auch wenn nur einige Wenige es beantragen, zu berufen, die zu beratenden Gegenstände zu bestimmen, den Senat zu entlassen und seine Beschlüsse über öffentliche An- gelegenheiten zur Ausführung zu bringen. Ich will noch angeben, in welcher Form dies zu geschehen hat, damit die Sachen nicht durch nutzlose Verhandlungen ver- schleppt werden. Die Konsuln müssen nämlich beraten, was dem Senate vorzulegen und was zu thun ist; sind sie hierüber einer Meinung, so rufen sie den Senat zu- sammen, tragen die Sachen der Reihe nach vor, sprechen ihre eigene Ansicht aus und sammeln, ohne auf die An- sichten Anderer zu warten, die Stimmen ein. Bestehen aber unter den Konsuln verschiedene Ansichten, so ist im Senat über die betreffende Frage zunächst diejenige Mei- nung zur Abstimmung zu bringen, welche von der Mehr- heit der Konsuln verteidigt wird. Ist dabei die Anzahl der Zweifelhaften und der Verneinenden die Mehrheit, ^^i) was aus der erwähnten Art der Abstimmung erhellen

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Politische Abb. Kap. 8. §. 37.

Die Richter.

muss, SO ist dann die Ansicht, welche weniger Stimmen *^?\^«" Konsuln gehabt hat, vorzutragen und so dem- nächst die übrigen. Erhält keine die Mehrheit im Senate so ist der Senat auf den folgenden Tag oder auf eine andere kurze Frist zu vertagen, damit die Konsuln in- zwischen überlegen ob sie noch andere, mehr annehmbare Vorschlage auffinden können. Ist dies nicht der Fall oder erhält demnächst keiner die Mehrheit bei dem Senat' flo ist dann jeder Senator einzeln mit seiner Ansicht zu hören, und wenn von diesen keine die Mehrheit erlangt, so ist über jede m der Art abzustimmen, dass nicht bloss die Zahl der Ja und Nein, sondern auch die Stimmen der Zweifelhaften zu zählen sind. Ist die Zahl der Bejahen- den grösser als die einer der beiden andern Parteien, so gut diese Ansicht als angenommen und umgekehrt für abgelehnt, wenn die Zahl der Verneinenden grösser ist als die der Bejahenden oder als die der Zweifelhaften. Ist dagegen die Zahl der Zweifelhaften grösser als eine der beiden anderen, so werden dann die Syndiken hinzu- genommen, damit sie mit dem Senate ihre Stimme ab- geben. Alsdann werden bloss die bejahenden und ver- neinenden Stimmen gezählt und die zweifelhaften nicht beachtet. Ebenso ist es bei den von dem Senat an die höchste Versammlung gebrachten Sachen zu halten. 1^2) So viel über den Senat. ^

^J^ ^^?r ^®° Gerichtshof anlangt, so kann er nicht auf denselben Grundlagen wie der in der Monarchie und m § 26 u. f. des Kap. 6 beschriebene ruhen. Denn es stimmt nicht zu den Grundlagen des aristokratischen Regiments (nach § 14, Kap. 6), dass dabei auf Familien und btamme Rücksicht genommen werde. Auch könnten dann die Richter, welche bloss aus den Patriziern gewählt sind, zwar durch die Furcht vor den ihnen nachfolgen- den Patriziern abgehalten werden, gegen einen derselben ein nachteihges Urteil zu fällen oder die verdiente

S"- ufo^^.T^^^^^ge»; dagegen würden sie gegen die JNicüt-ratrizier sich alles herausnehmen und die Reichen sich immer zur Beute auswählen. Deshalb wird, wie mir bekannt, von Vielen der Rat in Genua gelobt, der nicht aus den Patriziern, sondern aus Fremden gewählt wird. Indes erscheint mir eine solche Einrichtung, allgemein aufgefasst, verkehrt, wo Fremde und nicht die Patrizier

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die Gesetze auslegen sollen; denn was sind die Richter anders, als Gesetzes- Ausleger ? Ich vermute deshalb, dass die Genuesen hierbei mehr die Eigentümlichkeit ihrer Nation, als die Natur ihres aristokratischen Regimentes beachtet haben, und ich habe deshalb für die allgemein gestellte Frage die Mittel aufzusuchen, welche dieser Staatsform am besten entsprechen.

§ 38. Was nun also die Zahl der Richter anlangt, so verlangt diese Staatsform nichts Besonderes; vielmehr muss man hier, wie bei der Monarchie, vor allem nur darauf halten, dass die Anzahl der Richter hinlänglich gross ist, um Bestechungen durch eine Privatperson zu verhindern Ihr Amt ist nur, dafür zu sorgen, dass kein Bürger den andern beschädige; sie haben deshalb die Entscheidung der Streitigkeiten zwischen den Bürgern, seien es Patrizier oder Nicht-Patrizier, und sie haben gegen Verbrecher, selbst aus dem Stande der Patrizier, der Syndiken und Senatoren, wenn sie das gemeine Recht verletzt haben, die btrafen zu vollziehen. Dagegen gehören die Streitig- keiten zwischen einzelnen Städten des Staats vor die höchste Versammlung.

, . , § 39. Auch mit der Amtsdauer verhält es sich in beiden Staatsformen gleich ; ebenso hat in beiden alljähr- lich ein Teil auszuscheiden, und wenn auch nicht Jeder aus einem andern Stamme zu sein braucht, so dürfen doch nicht zwei Blutsverwandte an demselben Spruch teilnehmen. Dies gilt für alle Versammlungen mit Ausnahme der höchsten, wo es genügt, wenn bei den Wahlen gesetzlich vorgesehen ist, dass Niemand einen seiner Anverwandten zu einem Amte vorschlagen , noch über ihn , wenn ein Anderer ihn vorgeschlagen hat, abstimmen dürfe, und dass, wenn ein Beamter durch das Los bestimmt werden soll, nicht zwei Anverwandte das Los aus der Urne nehmen üurten. Dies genügt, wie gesagt, für eine so grosse Rats- versammlung, die überdem keinen besonderen Gehalt be- zieht. Deshalb hat hier der Staat nichts zu fürchten und es wäre verkehrt, durch ein Gesetz alle Verwandte der i-atrizier von der höchsten Versammlung auszuschliessen, wie ich m § 14 dieses Kap. ausgeführt habe. Das Ver- mehrte hierbei liegt zu Tage; denn diese Bestimmung Konnte von den Patriziern selbst nicht getroffen werden, Ohne dass sie damit zugleich ihrer Vorrechte sich ganz

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Politische Abh Kap. 8. § 40. 41.

Die Prokonsuln.

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begäben. Deshalb könnten niclit die Patrizier, sondern nur das übrige Volk die Wächter für eine solche Bestim- mung sein, was mit dem in § 5 und 6 dieses Kapitels Ausgeführten in geradem Widerspruch stehen würde. Das Gesetz, welches die Erhaltung des festen Verhältnisses zwischen der Zahl der Patrizier und des übrigen Volkes anordnet, hat vorzüglich zur Absicht, die Rechte und die Macht der Patrizier zu schützen; sie sollen damit nicht so gering an Zahl werden, dass sie die Menge nicht mehr regieren können.

§ 40. übrigens sind die Richter von der höchsten Versammlung aus den Patriziern, d. h. (nach § 17 dieses Kap.) aus denen, die das Gesetz gegeben haben, zu wählen, und die von ihnen erlassenen Urtel in bürgerlichen und Straf- Sachen sind giltig, wenn die Formen beobachtet und keine Parteilichkeit stattgehabt; hierüber haben ge- setzlich die Syndiken die Prüfung, Entscheidung und Be- stimmung.

§ 41. Die Richter müssen die in § 29, Kap. 6 an- gegebenen Bezüge erhalten, nämlich für jedes in bürger- lichen Rechtssachen erlassene Urteil einen Bruchteil der streitigen Summe, welche der Verlierende zu zahlen hat. Nur in Strafsachen tritt hier der Unterschied ein, dass die konfiszierten Vermögen und die Geldstrafen für geringere Vergehen ihnen allein zufallen; doch dürfen sie nie die Tortur zur Erlangung von Geständnissen anwenden. Dadurch wird genügend vorgesehen sein, dass sie gerecht gegen die Nicht-Patrizier verfahren und die Patrizier nicht aus Furcht zu sehr begünstigen. Denn diese Furcht wird hier schon durch das Geldinteresse, noch dazu unter dem wohlklingenden Titel des Rechts gemässigt; dazu kommt ihre grössere Anzahl und dass sie nicht öflfentlich, sondern geheim mit Steinchen ab- stimmen, so dass, selbst wenn Jemand über seine ver- lorene Sache unwillig ist, er doch es keiner bestimmten Person zur Last legen kann. Ferner wird die Scheu vor den Syndiken sie von ungerechten oder verkehrten Ur- teilen und von Betrügereien abhalten; abgesehen davon, dass unter einer so grossen Anzahl von Richtern immer sich Ein und der Andere findet, welchen die Bösen fürch- ten. Für die Nicht-Patrizier ist dadurch gesorgt, dass sie an die Syndiken Berufung einlegen können, welchen, wie

erwähnt, zusteht, die Rechtspflege zu überwachen, zu untersuchen und darüber Verordnungen zu erlassen. Denn unzweifelhaft werden viele Syndiken sich den Hass der Patrizier zuziehen, dagegen aber der zweiten Volksklasse zugethan sein und deren Zustimmung nach Möglichkeit zu gewinnen suchen. Deshalb werden sie, wenn die Ge- legenheit sich bietet, die ungesetzlichen Erkenntnisse auf- heben, jeden Richter in Aufsicht nehmen und die schlech- ten mit Strafen belegen, da nichts die Gemüter der Menge mehr bewegt. Es schadet dabei nichts, dass solche Fälle nur selten vorkommen werden; vielmehr ist dies sehr nützlich. Denn einmal ist der Staat schlecht beschaffen, wo täglich ein warnendes Beispiel an den Schuldigen vollzogen werden muss (wie ich § 2, Kap. 5 gezeigt habe), und ferner darf das, was am meisten Auf- sehen erregt, nur selten vorkommen.

§ 42. Die in die Städte und Provinzen abzuord- nenden Prokonsuln sind aus dem Senatorenstande zu wählen; 143) da die Senatoren für die Befestigung der Städte, für die Staatseinkünfte, die Miliz u. s. w. zu sorgen haben. Werden sie jedoch in entferntere Gegenden ge- sendet, so können sie den Senat nicht besuchen, und des- halb sind dazu Senatoren nur nach Städten des Landes zu berufen; dagegen sind für die nach entfernteren Ge- genden Abzusendenden solche Patrizier zu wählen, die das Alter für die Senatorenwürde haben. Indes wird danait der Frieden des ganzen Reichs noch nicht genügend gesichert sein, wenn die benachbarten Städte von allem Stimmrecht ausgeschlossen bleiben; sie müssten denn so unbedeutend sein, dass man auf sie keine Rücksicht zu nehmen brauchte, was indes nicht angenommen werden kann. Deshalb sind die benachbarten Städte mit dem Bürgerrechte zu beschenken, und aus jeder sind 20 oder 30 oder 40 Bürger (was sich nach der Grösse der Städte richtet) zu wählen und in die Liste der Patrizier auf- zunehmen ; 3, 4 oder 5 davon aus jeder Stadt sind jähr- lich mit in den Senat zu wählen, und einer davon ist lebenslänglich zum Syndikus zu ernennen. Diese Sena- toren werden mit dem Syndikus als Prokonsuln in die Städte gesandt, wo sie gewählt sind.

§ 43. Übrigens sind in jeder Stadt Richter einzu- setzen, welche aus den Patriziern dieser Städte zu wählen

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Politische Abh. Kap. 8. § 44.

sind. Hierüber brauche ich das Nähere nicht weiter an- zugeben, da es nicht zu den eigentümlichen Grundlagen dieser Staatsform gehört.

§ 44. Die Schriftführer und anderen Beamten der Versammlungen sind, da sie kein Stimmrecht haben, aus der zweiten Volksklasse zu wählen. Da diese Beamten durch ihre tägliche Beschäftigung mit diesen Angelegen- heiten sich die meiste Sachkenntnis erwerben, so er- langt ihre Meinung oft einen zu grossen Einfluss und der Zustand des Reiches wird dann wesentlich von ihrer Leitung abhängig, wie dies sich in Holland zu dessen Verderben gezeigt hat, da ein solcher Zustand den Haas vieler Vornehmen erwecken muss. Unzweifelhaft wird auch ein Senat, dessen Klugheit nicht von den Rat- schlägen der Senatoren, sondern seiner Beamten abhängt, meist nur von trägen Mitgliedern besucht werden, und ein solcher Zustand ist wenig besser als der einer Mo- narchie, wo einige königliche Räte regieren. (Man sehe § 5, 6, und 7, Kap. 6.) Allein ob ein Regiment mehr oder weniger diesen Übeln ausgesetzt ist, hängt von dessen mehr oder weniger guten Verfassung ab. Die Freiheit eines Reichs, die nicht fest begründet ist, kann nur mit Gefahr verteidigt werden; um dieser zu ent- gehen, wählen die Patrizier ehrgeizige Leute aus dem Volke, die, wenn die Sache übel geht, wie Opfertiere abgeschlachtet werden, um den Zorn Derer zu stillen, die der Freiheit nachstellen. Wo dagegen die Grundlagen der Freiheit fest gelegt sind, da wollen die Patrizier den Ruhm, die Freiheit zu schützen, für sich behalten, und da sorgen sie, dass die kluge Leitung der Geschäfte nur von ihren Ratschlägen bestimmt wird. Deshalb habe ich bei Feststellung der Grundlagen dieses Regimentes vorzüglich dies Beides im Auge gehabt, nämlich das Volk sowohl von den Ratsversammlungen, wie von dem Stimmgeben auszuschliessen (man sehe § 3, 4 dieses Kap.); deshalb habe ich die höchste Staatsgewalt auf alle Patrizier, die Amtsgewalt auf die Syndiken und den Senat, und das Recht, den Senat zu berufen, und die zum allgemeinen Wohl gehörenden Angelegenheiten auf die aus dem Senate zu wählenden Konsuln übertragen. Wenn nun noch be- stimmt wird, dass die Schriftführer des Senats und der übrigen Versammlungen nur auf 4 oder 5 Jahre zu wählen

Die Religionsangelegenheiten.

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sind, und wenn jedem ein zweiter Schriftführer für diese Zeit beigeordnet wird, der einen Teil der Arbeit über- nimmt, oder wenn der Senat nicht blos einen, sondern mehrere Schriftführer für die verschiedenen Geschäfts- zweige annimmt, so wird die Macht dieser Beamten nie- mals erheblich werden.

§ 45. Die Verwalter der Staatseinkünfte sind aus dem Volke zu wählen; ihre Rechnungen haben sie nicht blos dem Senate, sondern auch den Syndiken abzulegen. § 46. Was die Religionsangelegenheiten betriflPt, so habe ich mich darüber ausführlich in meiner theologisch- politischen Abhandlung ausgesprochen. Doch ist da Einiges unerwähnt geblieben, was dort nicht hingehörte. Es müssen nämlich alle Patrizier derselben Religion zugethan sein, und zwar der einfachsten und allgemeinsten, wie ich sie in jener Abhandlung beschrieben habe. ^^) Denn man muss vor Allem verhüten, dass nicht Religionssekten unter den Patriziern sich bilden, von denen die eine von Diesem, die andere von Jenem begünstigt wird, und dass sie nicht von Aberglauben befangen werden und nicht dahin streben, den ünterthanen das Recht der freien Ge- dankenäusserung zu entziehen. Indes dürfen, auch wenn diese Freiheit für Jeden besteht, grössere Versammlungen doch nicht gestattet werden. Es kann daher Denen, die einer andern Religion zugethan sind, wohl gestattet werden, Gotteshäuser, so viel sie wollen, zu erbauen; allein diese Gebäude dürfen nur klein sein, sie müssen in einem be- stimmten Masse sich halten und in einiger Entfernung von einander bleiben. Dagegen ist es wichtig, die Gottes- häuser für die Landesreligion gross und prächtig einzu- richten, und bei dem Hauptgottesdienst dürfen nur die Patrizier und Senatoren den Dienst verrichten, so dass nur diese taufen, trauen, weihen und als die alleinigen Priester, Wächter und Ausleger der Landesreligion auf- treten dürfen. Für das Predigen und das Kirchen- Ver- mögen, sowie für die täglichen laufenden Geschäfte kann der Senat die nötigen Beamten aus dem Volke nehmen; ^A fi ®^°^ ^^® Vertreter des Senats und haben diesem über Alles Rechenschaft abzulegen.

k ^ ^'^'. ^^^^ ^^^^ ^^® Grundlagen dieses Regiments, ich füge ihnen noch Einiges hinzu, was zwar nicht so tief greifend, aber doch von grosser Bedeutung ist. Dahin

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Politische Abh. Kap. 8. § 48. 49.

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gehört, dass die Patrizier in einer besonderen Kleidung oder Tracht an der man sie erkennt, einhergehen; sie müssen ferner mit einem besondern Titel begrtisst werden- jeder aus dem Volke hat ihnen Platz zu machen, und hat ein Patrizier durch einen unvermeidlichen Unglücks- fall sein Vermögen verloren, und kann er dies nach- weisen, so soll es ihm aus dem Staatsvermögen ersetzt werden. Hat er dagegen durch Verschwendung, Auf- wand, Spiel, liederliche Weibspersonen u. s. w. sein Ver- mögen verzehrt, oder hat er mehr Schulden gemacht, als er bezahlen kann, so geht er seines Standes verlustig und wird zu allen Würden und Ämtern unfähig; deun wer seine eigenen Angelegenheiten und sich selbst nicht in Ordnung halten kann, vermag noch weniger dem Staate zu helfen,

§ 48. Wo das Gesetz einen Eid vorschreibt, werden Meineide viel mehr vermieden werden, wenn der Eid bei dem Wohl und der Freiheit des Vaterlandes und bei der höchsten Versammlung, als wenn er unter Anrufung Gottes geleistet wird. Denn im letzten Falle setzt der Schwörende nur sein eigenes Wohl aufs Spiel; wer aber die Freiheit und das Wohl des Vaterlandes anruft, der schwört bei dem Gute, was Allen gemein ist und was er nicht abschätzen kann; wer einen solchen Eid falsch schwört, erklärt sich dadurch selbst für einen Feind seines Vaterlandes. ^^)

§ 49. Die auf Staatskosten gegründeten wissen- schaftlichen Anstalten sind weniger für die Entwickelung der Geister als auf die Zucht derselben eingerichtet. In einem freien Staat aber wird dadurch am besten für Kunst und Wissenschaft gesorgt sein, wenn Jedem, der darum nachsucht, öflfentlich zu lehren gestattet wird, und zwar auf seine Kosten und auf Gefahr seines Ansehens. Dies und Ahnliches behalte ich mir jedoch für einen andern Ort vor, da ich hier nur die Grundlagen des aristokra- tischen Regiments behandeln wollte, i*«)

Das aristokratische Kegiment mehrerer Städte. 135

Neuntes Kapitel.

§ 1. Bis hier habe ich dies Regiment nur in der Weise in Betracht genommen, dass es von einer Stadt, welche die Hauptstadt des ganzen Landes ist, seinen Namen hat. Ich habe nun von derjenigen Form desselben zu handeln, wo mehrere Städte das Regiment haben und welche ich der ersten Form vorziehe. Um den Unter- schied und Vorzug zu erkennen, werde ich die Grund- lagen der ersten Form der Reihe nach durchgehen, das, was für diese zweite Form nicht passt, beseitigen und andere Stützen an dessen Stelle setzen. ^^^^

§ 2. Es müssen deshalb die einzelnen Städte, welche das Bürgerrecht besitzen, zwar so gebaut und befestigt sein, dass eine allein ohne die audere sich nicht vertei- digen kann, aber auch von den andern ohne grossen Schaden für den Staat nicht abfallen kann. Auf diese Weise werden die Städte immer vereint bleiben; Städte dagegen, die solche Verfassung haben, dass sie sich weder erhalten, noch den andern Furcht einflösen können, sind nicht selbständig, sondern den andern unterthänig.

§ 3. Dagegen sind die Aufstellungen in § 9 und 10, Kap. 8 aus der allgemeinen Natur des aristokratischen Regiments abgeleitet; dahin gehört auch das Verhältnis zwischen der Zahl der Patrizier zu der Volkszahl, sowie die Bestimmung über ihr Alter und über die Bedingungen ihrer Wählbarkeit ; deshalb kann hierbei kein Unterschied statt haben, gleichviel ob eine oder mehrere Städte die Herrschaft besitzen. Allein anders ist es mit der höch- sten Versammlung. Würde eine bestimmte Stadt für den Zusammentritt dieser Versammlung bezeichnet, so würde diese in Wahrheit die Hauptstadt des Landes sein; es muss deshalb hier eine Reihenfolge der Städte Platz greifen, oder die Versammlung muss sich an einem Ort versammeln, der das Bürgerrecht nicht hat und deshalb allen Städten gleich zugehört. Indes ist dergleichen leichter zu bestimmen als auszuführen; da es sich hier darum handelt, dass viele tausend Menschen ihre Stadt häufig verlassen und bald hier, bald dort sich versammeln sollen.

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Politische Abb. Kap. 9. § 4. 6.

§ 4. Um hier das in dieser Frage Nötige wahr und richtig zu treffen und einen Schluss zu ziehen, wie die Reichsversammlungen ihrer Natur und den Umständen gemäss einzurichten, ist zu beachten, dass jede Stadt desto selbständiger als der einzelne Bürger ist, je mehr sie ihn an Macht übertrifft (nach § 4, Kap. 2); deshalb muss jede Stadt eines solchen Reichs (nach § 2, Kap. 9) inner- nalb ihrer Mauern oder ihres Gebietes so viel Rechte als möglich besitzen. Ferner sind alle diese Städte nicht als blosse Bundesgenossen anzusehen, sondern sie sind so ver- bunden und geeint, dass sie ein Reich bilden. Dabei muss jedoch die einzelne Stadt um so mehr Rechte im Reiche haben, je mächtiger sie in Vergleich zu den anderen ist; denn wer unter Ungleichen die Gleichheit herstellen will, ist ein Thor. Dagegen gelten die einzelnen Bürger mit Recht als gleich, weil die Macht des Einzelnen gegen die Macht des ganzen Reiches verschwindet, während die Macht der einzelnen Stadt einen grossen Teil der Macht des Reiches bildet, der um so grösser ist, je grösser die Stadt selbst ist. Folglich können die Städte nicht alle unter einander gleichgestellt werden, sondern die Rechte einer jeden müssen, wie die Macht derselben, nach ihrer Grösse bemessen werden. Die Bande, welche sie zu einem Staate zusammenhalten, sind nach § 1, Kap. 4 hauptsächlich der Senat und die öffentlichen Gerichte. Ich will mit Wenigem darlegen, wie die Städte durch diese Bande vereint zu halten sind, ohne doch die Selb- ständigkeit der einzelnen mehr als nötig zu schmälern. § 5. Demgemäss müssen in jeder Stadt die Pa- trizier, deren Zahl sich nach der Grösse derselben be- stimmt (§ 3 dieses Kap.), das höchste Recht haben, und ihre Versammlung, welche für ihre einzelne Stadt die höchste ist, hat volle Macht, die Stadt zu befestigen, ihre Mauern zu erweitern, Steuern aufzulegen, Gesetze zu geben und aufzuheben, und Alles ohne Einschränkung zu thun, was sie für die Erhaltung und das Wachstum der Stadt für nötig hält.i48) Dagegen ist für die gemein- samen Reichsangelegenheiten ein Senat nach den im vorigen Kapitel dargelegten Bestimmungen zu bilden. Die- ser Senat unterscheidet sich von jenem nur dadurch, dass dieser auch die zwischen den einzelnen Städten entstehen- den Streitigkeiten zu entscheiden hat, da bei dieser Form

Der Senat in den Städten.

137

des Regiments, wo keine Hauptstadt da ist, dies nicht wie dort von der höchsten Versammlung geschehen kann. (Man sehe § 38, Kap. 8.)

§ 6. Im Übrigen wird bei dieser Art des aristo- kratischen Regiments die höchste Versammlung nur be- rufen, wenn es sich um Veränderungen der Verfassung oder um ein besonders schwieriges Geschäft handelt, das zu erledigen die Senatoren sich nicht getrauen. Dadurch wird die Berufung aller Patrizier nur selten vorkommen; denn das wichtigste Geschäft dieser höchsten Versamm- lung ist nach § 17, Kap. 8 die Gesetzgebung und die Wahl der Beamten, i*^) Indes sollen die Gesetze und die allgemeinen Rechte des Staats, wenn einmal festgesetzt, nicht veränderlich sein. Verlangen indes die Zeit und die Verhältnisse eine Abänderung oder die Herstellung eines neuen Rechtes, so kann die Frage zunächst im Senat verhandelt werden. Ist der Senat darüber einig, so hat er Gesandte in die einzelnen Städte zu senden, welche den Patriziern derselben die Ansicht des Senats aus- einandersetzen, und wenn die Mehrheit der Städte dieser Ansicht beitritt, so gilt der Beschluss, ohnedem aber nicht. Ebenso ist bei der Wahl der Feldherren und der Gesandten für auswärtige Staaten und bei den Beschlüssen über den Beginn eines Krieges oder über die Friedensbe- dingungen zu verfahren. 150) Dagegen ist bei der Wahl der übrigen Beamten, damit (nach § 4 dieses Kap.) jede Stadt möglichst selbständig bleibe und das ihrer Macht entsprechende Recht im Staate erhalte, das nachfolgende Verfahren einzuhalten. Die Senatoren sind nämlich von den Patriziern in jeder Stadt zu wählen, so dass in jeder Stadt die Patrizier in ihrer Versammlung eine bestimmte Zahl von Senatoren aus ihren Genossen wählen, welche Zahl zur Zahl der Patrizier dieser Stadt sich (nach § 30, Kap. 8) wie 1 zu 12 verhält ; dabei bestimmen sie, welche zur ersten, zweiten, dritten u. s. w. Abteilung gehören sollen. Dadurch wird jede Senatsabteilung die angemessene Zahl von Senatoren aus jeder Stadt enthalten. Dagegen smd die Vorsitzenden und Stellvertreter der Abteilungen, deren Zahl geringer als die Zahl der Städte ist, vom oenate aus den gewählten Konsuln durch das Los zu bestimmen; dasselbe Verfahren ist bei der Wahl der Mit- glieder des höchsten Reichsgerichtes zu beobachten, so

Spinoza' 8 Abh. üb. Verbosser. d. Verstandes.

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Politische Abh. Kap. 9. § 7—9.

dass die Patrizier der einzelnen Städte nach der Grösse derselben aus ihren Genossen eine entsprechende Zahl von Richtern wählen. So bleibt Ijede Stadt, so viel als möglich, in der Wahl der Beamten selbständig und jede hat das ihrer Macht entprechende Mass von Recht im Senat, wie bei dem Gericht ; wobei ich annehme, dass der Senat und das Gericht bei den Beschlüssen der Staats- angelegenheiten und Entscheidung der Streitigkeiten so ver- fahren, wie in § 33 und 34, Kap. 8 bestimmt worden ist.

§ 7. Die Obersten und Hauptleute der Miliz sind auch aus den Patriziern zu wählen. So wie es billig ist, dass jede Stadt nach Verhältnis ihrer Grösse eine Anzahl Soldaten für die gemeinsame Sicherheit des Reiches zu stellen hat; ebenso billig ist es, dass aus den Patriziern jeder Stadt, nach Verhältnis der Regimenter, die sie zu unterhalten hat, so viel Hauptleute, Obersten, Fahnen- träger u. s. w. gewählt werden, als zur Ordnung des Teiles der Miliz, welchen sie dem Reiche stellt, gehört.

§ 8. Auch kann der Senat keine Zölle auflegen; vielmehr hat der Senat für die Kosten der Staatsverwaltung nicht die ünterthanen, sondern die einzelnen Städte ein- zuschätzen, so dass jede Stadt nach ihrer Grösse zu diesen Unkosten verhältnismässig beizutragen hat. Zur Be- schaffung dieser Summe können die Patrizier der ein- zelnen Städte deren Einwohner heranziehen, entweder nach Verhältnis von deren Vermögen oder was gerechter ist, durch Auflegung von Zöllen.

§ 9. Wenn auch nicht alle Städte eines solchen Reichs an der See-Küste liegen und die Senatoren nicht blos aus den Seestädten gewählt werden, so können den- selben doch die in § 31, Kap. 8 bezeichneten Bezüge ge- währt werden; zu dem Ende sind die der Verfassung entsprechenden Einrichtungen zu treffen, welche die Städte noch enger mit einander verbinden. Alles Übrige, was in Betreff des Senats, der Gerichte und des ganzen Re- giments in dem Kap. 8 beschrieben worden, ist auch für diese Form des Staats anwendbar. Deshalb bedarf es bei einem Regiment, was von mehreren Städten geführt wird, keiner regelmässigen Berufung der höchsten Ver- sammlung zu bestimmten Zeiten und an bestimmte Orte; vielmehr ist dem Senate und dem Gerichte ihr Sitz in einem Dorfe oder einer Stadt anzuweisen, welche kein

Die Syndiken, die Konsuln, die Richter.

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Stimmrecht hat. Auf das, was die einzelnen Städte be- trifft, werde ich nun zurückkommen.

§ 10. Das Verfahren der höchsten Versammlungen in den einzelneu Städten für die Wahl der Stadt- und Reichsbeamten und für die Entscheidung der Angelegen- heiten ist dasselbe, was § 27 und 36, Kap. 8 angegeben worden ist, da die Verhältnisse hier dieselben wie dort sind. Ferner ist der Rat der Syndiken diesen Versamm- lungen ebenso unterzuordnen, wie der Rat der Syndiken in Kap. 8 zu der Versammlung des ganzen Reiches ge- stellt worden ist. Auch ist sein Amt innerhalb des Ge- bietes jeder Stadt dasselbe, und er bezieht dieselben Vor- teile. Ist die Stadt und folglich die Zahl der Patrizier so klein , dass sie nur eine oder zwei Syndiken bestellen kann und diese daher kein Kollegium bilden, so hat die höchste Versammlung dieser Stadt den Syndiken bei der Rechtsprechung nach Bedarf Richter beizuordnen, oder die Untersuchung ist an den höchsten Rat der Syndiken abzugeben. Jede Stadt hat nämlich aus ihren Syndiken einige Mitglieder an den Sitz des Senats abzuordnen, deren Amt ist, darüber zu wachen, dass die Rechte des Reichs nicht verletzt werden ; sie nehmen an den Sitzungen des Senates Teil, haben aber kein Stimmrecht.

§ 11. Die Konsuln der einzelnen Städte sind von deren Patriziern, welche gleichsam den Senat derselben Stadt bilden, zu wählen. Deren Zahl kann ich nicht be- stimmen; auch ist dies nicht nötig, da die bedeutenden Angelegenheiten jeder Stadt von ihrer höchsten Ver- sammlung und die allgemeinen Reichsangelegenheiten von dem grossen Senat besorgt werden. Bestehen jene Ver- sammlungen der einzelnen Städte nur aus wenig Mit- gliedern, so müssen die Stimmen in der Versammlung Öffentlich abgegeben werden und nicht mittelst Steinchen, wie in den grossen Versammlungen; denn wenn die Stimmen in kleinen Versammlungen heimlich abgegeben werden, so kann ein Listiger leicht merken, wie die Ein- zelnen gestimmt haben und die weniger Aufmerksamen auf viele Weise hintergehen.

§ 12. Ferner sind die Richter jeder Stadt von ihrer höchsten Versammlung zu bestimmen. Die Appellation von deren Entscheidung geht an das höchste Reichsge- richt, ausgenommen, wenn der Angeklagte auf der That

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140

Politische Abh. Kap. 9. § 13. 14.

betroffen worden oder der Schuldner geständig ist. Ich brauche dies nicht weiter auszuführen.

§ 13. Ich habe jetzt nur noch von den abhängigen Städten zu handeln. Diese müssen, wenn sie in einer Provinz oder Gegend des Reiches gegründet sind und ihre Bewohner zu demselben Volksstamm gehören und dessen Sprache sprechen, wie Dörfer gleichsam als Zu- behör der benachbarten Städte angesehen werden und daher unter dem Regiment einer selbständigen Stadt sich befinden. Es hat dies darin seinen Grund, dass die Pa- trizier nicht von der höchsten Reichsversammlung, son- dern der höchsten Versammlung ihrer Stadt gewählt werden und deren Zahl in jeder Stadt nach der Ein- wohnerzahl ihres Gerichtsbezirks sich richtet. (Nach § 5 dieses Kap.) Deshalb muss die Einwohnerschaft einer nicht selbständigen Stadt zum Steuerverbande einer an- deren selbständigen Stadt mit gerechnet werden, und jene müssen von der Leitung dieser abhängig sein, ^^i) Da- gegen sind im Kriege eroberte Städte und die dem Reiche neu hinzugekommenen, wie Reichs-Bundesgenossen anzu- sehen; sie müssen durch Wohlthaten besiegt und ver- pflichtet werden, oder es müssen Kolonien mit dem Bür- gerrecht ausgestattet dahin gesendet und die alte Ein- wohnerschaft wo anders hin geführt oder überhaupt ver- nichtet werden. 152)

§ 14. Dies sind die zu den Grundlagen eines solchen Regiments zu rechnenden Bestimmungen. Sein Zustand ist besser als der, wo eine Stadt das Regiment führt, weil die Patrizier der einzelnen Städte nach der Natur der menschlichen Leidenschaften bestrebt sein werden, ihre Rechte in ihrer Stadt wie im Senate festzuhalten und wo möglich zu vermehren. Sie werden nach ihren Kräften die übrigen Einwohner an sich zu ziehen suchen und die Herrschaft mehr auf Wohlthaten als auf die Furcht stützen, auch ihre eigene Anzahl vermehren. Denn je mehr ihrer sind, desto mehr Senatoren (nach § 16 dieses Kap.) können sie aus ihrer Versammlung wählen und damit desto mehr Recht im Staate gewinnen. Dem steht nicht entgegen, dass, da jede Stadt für sich selbst sorgt und neidisch auf die andern ist, sie häufiger in Zwist geraten und die Zeit mit Streitigkeiten verloren geht. Denn ging zwar Sagunt während der Beratungen

Rechtfertigung dieses Regiments.

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der Römer verloren, so geht wenn nur Wenige Alles nach ihren Leidenschaften bestimmen, die Freiheit und die allgemeine Wohlfahrt verloren. Der Sinn des Menschen kann zwar bei seiner Schwäche nicht sofort Alles durch- schauen ; allein er schärft sich durch Beraten, Hören und Streiten, und wenn alle Mittel versucht werden, wird er das, was er will, treffen, und Alle werden es billigen, wenn auch vorher Niemand daran gedacht hatte. Wenn man mir entgegnet, dass der holländische Staat nicht lange ohne einen Reichsgrafen oder Statthalter an Stelle jenes sich habe erhalten können, so erwidere ich, dass die Holländer zur Erlangung ihrer Freiheit es für genügend erachtet haben, den Reichsgrafen zu beseitigen und den Reichskörper des Hauptes zu berauben, ohne sonst an Umgestaltung des Regiments zu denken ; vielmehr blieben alle Glieder desselben in der frühem Verfassung, sodass die Grafschaft Holland ohne Grafen, wie ein Körper ohne Haupt, und die Staatsgewalt selbst ohne Namen blieb. Es kann deshalb nicht auffallen, wenn die meisten ünter- thanen nicht wussten, bei wem die höchste Staatsgewalt sich befand. Und wäre dies auch nicht der Fall, so war doch die Zahl der wirklichen Inhaber der Staatsgewalt zu klein für die Regierung des Volkes und die Nieder- haltung ihrer mächtigen Gegner. So kam es, dass letztere ihnen ungestraft nachstellen und zuletzt sie beseitigen konnten. Der rasche Umsturz der Verfassung ist deshalb hier nicht davon gekommen, dass man seine Zeit unnütz in Beratungen verschwendet hat, sondern weil die Staats- verfassung missgestaltet und der Regierenden zu wenig waren. ^^^)

§ 15. Diese Form der Aristokratie, wo mehrere Städte das Regiment haben, verdient auch deshalb den Vorzug vor der anderen, weil man nicht, wie bei dieser, dafür zu sorgen braucht, dass nicht die höchste Ver- sammlung einmal plötzlich überfallen und aufgehoben werde, da (nach § 9 dieses Kapitels) keine Zeit und kein Ort für deren Einberufung feststeht. Auch die mächtigen Bürger sind bei diesem Regiment weniger gefährlich, denn da, wo mehrere Städte an der Herrschaft teilnehmen, ist es für Den, der nach der Alleinherrschaft strebt, nicht genug, eine Stadt zu unterwerfen, um damit die Herrschaft in allen anderen gewonnen zu haben. Auch

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Politische Abb. Kap, 10. § 1.

Die Diktatur; ibre Gefabren.

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ist bei diesem Regiment die Freiheit allgemeiner; denn wo eine Stadt allein herrscht, da wird für die anderen nur soweit gesorgt, als es der herrschenden Stadt ge- nehm ist. 1^*)

Zehntes Kapitel.

§ 1. Nachdem ich die Grundlagen des aristokra- tischen Regiments in seinen beiden Formen dargelegt und erläutert habe, fragt es sich noch, ob durch irgend einen verschuldeten Umstand dieses Regiment aufgelöst und in ein anderes umgewandelt werden kann. Der Hauptgrund, weshalb solche Verfassungen sich nicht erhalten haben, ist, wie der scharfsinnige Florentiner in seinen Erörte- rungen zu Livius, Buch 3, Abschn. 1, erwähnt, i^S) dass in jedem Regiment, wie in dem menschlichen Körper, „sich ^täglich Etwas ansammelt, was der Heilung zur rechten „Zeit bedarf"; deshalb, sagt er, muss mitunter Etwas ein- treten, was das Regiment zu den Grundlagen , auf denen es errichtet worden ist, zurückbringt. Geschieht dies nicht zur rechten Zeit, so nehmen die Mängel so zu, dass sie nur mit der Verfassung selbst sich beseitigen lassen. Diese Abhülfe kann, wie er sagt, entweder zufällig ge- schehen oder absichtlich durch gut eingerichtete Gesetze oder durch die Tugend eines ausgezeichneten Mannes. Unzweifelhaft ist dieser Punkt von dem höchsten Gewicht; wo diese Übel nicht vorgesehen sind, da kann das Regi- ment sich nicht durch seine Güte, sondern nur durch sein gutes Glück erhalten, während da, wo das passende Mittel dafür angewendet wird, selbst die Mängel ein Regiment nicht verderben können, sondern nur höhere Gewalt, wie ich gleich deutlicher zeigen werde, i^^) j^\^ nächstes Mittel gegen diese Übel bietet sich , alle fünf Jahre auf einen oder zwei Monate einen höchsten Diktator zu er- nennen, welcher die Führung jedes Senators und Be- amten zu prüfen und darüber zu entscheiden und zu be- stimmen hat, und welcher damit das Regiment auf seinen anfänglichen Zustand zurückführt. Allein bei Beseitigung der Übelstände eines Regiments soll man nur Mittel an- wenden, welche seiner Natur entsprechen und aus seinen Grundlagen selbst sich ableiten; sonst wird man in die

Scylla, geraten wenn man die Charybdis vermeiden will. Allerdings müssen sowohl die Regierenden wie die Re- gierten durch Leibes- und Lebensstrafen in Furcht ge- halten werden, damit sie nicht ungestraft und noch mit Vorteil sündigen können; allein sicherlich befindet sich ein Staat in grosser Gefahr, wenn die guten, wie die schlechten Menschen von dieser Furcht erfüllt sind. Die ünbeschränktheit der diktatorischen Gewalt muss sie aber alle erschrecken, namentlich wenn zu festen Zeiten regel- mässig ein solcher Diktator gewählt wird, denn dann werden alle Ehrgeizigen eifrig nach diesem Amte streben ; gewiss wird während des Friedens nicht auf Tugend, sondern auf Reichtümer gesehen, sodass je anspruchsvoller jemand auftritt, er um so leichter Ehrenposten erlangen wird. Vielleicht haben die Römer deshalb nicht zu be- stimmten Zeiten, sondern nur wenn die Not dazu zwang, einen Diktator ernannt. Trotzdem war die Macht des Diktators, um mit Cicero zu sprechen, den guten Bürgern lästig, denn da dieses Diktator- Amt so un- beschränkt wie das eines Königs ist, so droht dem Staat die grosse Gefahr, dass der Diktator die Verfassung ge- legentlich in eine monarchische, wenn auch nur auf kurze Zeit umwandelt. Ist dagegen keine Frist für die Wahl des Diktators bestimmt, so wird dann für die Zwischen- zeit, von einem Diktator bis zu dem anderen, obgleich dieser Zeitraum so wichtig ist, keine Rücksicht genommen werden, und die Einrichtung kann dann bei dieser Un- bestimmtheit leicht in Vergessenheit geraten. Wenn daher diese diktatorische Gewalt nicht dauernd und fest und so eingerichtet ist, dass sie ohne Verletzung der Verfassung auf eine Person nicht übertragen werden kann, i^^) go wird die Verfassung und das Wohl und der Bestand des Staats immer sehr schwankend bleiben.

§ 2. Wenn dagegen mit Erhaltung der Verfassungs- formen das Schwert des Diktators dauernd geführt und nur von den Schlechten gefürchtet zu werden braucht, ^^) so werden unzweifelhaft (nach § 3, Kap. 6) die Mängel nicht zu einer solchen Stärke anwachsen, dass sie weder gehoben noch gebessert werden können. Um nun diese Bedingungen zu erfüllen, habe ich den Rat der Syndiken der höchsten Versammlung untergeordnet; damit ist jenes diktatorische Schwert ein stets bereites, aber bei keiner

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Politische Abb. Kap. 10. § 3. 4.

natürlichen, sondern einer juristischen Person, deren Mit- glieder zu viele sind, als dass sie die Herrschaft unter sich verteilen (nach § 1 und 2, Kap. 8) oder zu einem Ver- brechen sich verbinden könnten. ^59) d^zu kommt, dass sie andere Staatsämter nicht annehmen dürfen, dass sie der Miliz keinen Sold zahlen, und dass sie in einem solchen Alter stehen, wo man das Gegenwärtige und Sichere dem Neuen und Gefährlichen vorzieht. Deshalb droht dem Reiche von ihnen keine Gefahr; nur den Schlechten können und werden sie Furcht einflössen; denn zur Verübung von Verbrechen sind sie zu schwach, aber deshalb zur Bewältigung der Bosheit um so stärker. Sie können jedem Unternehmen in dessen Beginn sich ent- gegenstellen (weil der Rat ohne Unterlass besteht), und ihre Anzahl ist so gross, dass sie ohne Furcht vor Schaden einen oder den andern Mächtigen anklagen und verurteilen werden, zumal die Stimmen mittels Steinchen abgegeben werden und das Urteil namens des ganzen Rats ausge- sprochen wird.

§ 3. In Rom hatten die Tribunen auch eine dauernde Stellung, aber für die Niederhaltung der Macht eines Scipio waren sie zu schwach; ausserdem mussten sie ihre Anträge auf heilsame Anordnungen bei dem Senat an- bringen, der sie oft dadurch vereitelte, dass er die Gunst des Volkes mehr auf den lenkte, den die Senatoren weniger fürchteten. Dazu kam, dass das Ansehen der Tribunen gegen die Patrizier sich auf die Gunst des Volkes stützte und dass, wenn sie sich auf das Volk beriefen, dies mehr den Schein eines Aufstandes als die Einberufung einer Versammlung annahm. Alle diese Übelstände finden bei der m den beiden vorhergehenden Kapiteln beschriebenen Verfassung nicht statt.

§ j' Indes vermag diese Macht der Syndiken nur die Verfassung zu erhalten und die Gesetzesübertretungen und, dass aus Versündigungen kein Vorteil gewonnen werde, zu verhindern; allein das Syndikat kann das Einschleichen von Übeln nicht hindern, gegen welche das Gesetz unvermögend ist, und in solche geraten die in Mtissiggang lebenden Menschen, und der Untergang des Reiches ist nicht selten davon die Folge. Denn im Frieden legen die Menschen die Furcht ab; aus wilden Barbaren werden sie gesittet und mild, und die Milde führt zur

Luxusverbote.

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Weichlichkeit und Trägheit; Jeder will dann den An- deren nicht in Tugend, sondern in Aufwand und Schwel- gerei überbieten, und so beginnt man die guten alten Sitten zu verlassen und neue anzunehmen, d. h. sich skla- visch zu beugen.

§ 5. Zur Beseitigung dessen hat man es oft mit Luxusverboten versucht; allein vergeblich, da alle Ver- ordnungen, die ohne Schaden eines Anderen verletzt wer- den können, nur dem Spotte dienen. Anstatt die Begierden und die Ausgelassenheit der Menschen zu zähmen, reizen solche Verbote sie nur; „denn man drängt immer nach „dem Verbotenen und verlangt nach dem Versagten." Auch verstehen müssige Menschen immer dergleichen Ge- setze zu umgehen, da sie Dinge treffen, die man durchaus nicht verbieten kann, wie Gastmahle, Spiele, Putz und Ähnliches. Hier ist nur das Übermass schlecht, und dieses bestimmt sich nach dem Vermögen des Einzelnen und kann deshalb durch ein allgemeines Gesetz nicht geregelt werden. ^^^) °

§ 6. Deshalb können diese hier besprochenen Übel aller Friedenszeiten nicht geradezu, sondern nur mittelbar gehemmt werden, indem die Grundlagen des Regiments so gelegt werden, dass die Mehrzahl nicht mit Weisheit zu leben braucht (denn dies ist unmöglich), sondern dass es gentigt, wenn sie nur von solchen Leidenschaften be- herrscht wird, die dem Staate zum Vorteil gereichen. Deshalb muss man vorzüglich dahin streben, die Reichen, wenn nicht sparsam, so doch geizig zu machen. lei) Wenn diese Neigung, welche an sich allgemein und beständig ist, noch durch Ehrgeiz unterstützt wird, so werden un- zweifelhaft die Mehrzahl nur auf Vermehrung ihres Ver- mögens in rechtlicher Weise bedacht sein und aus diesem brunde nach den Würden verlangen und jede Schmach vermeiden. Und geht man auf die Grundlagen beider a ormen des aristokratischen Regiments, wie ich sie in den vorgehenden Kapiteln dargelegt habe, zurück, so erhellt, üass solche hier beschriebene Folgen sich daraus ergeben. Denn m beiden Formen ist die Zahl der Regierenden so gross, dass den meisten Reichen der Zugang dazu und die ii^rlangung der Würden des Reichs offen steht.

§ 7. Wird ausserdem bestimmt (wie ich in §47, Kap. 8 gesagt), dass verschuldete Patrizier aus ihrem Stande aus-

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Politische Abh. Kap, 10. § 8. 9.

gestossen werden und dass die durch Unglück Zurück- gekommenen Ersatz erhalten, so werden unzweifelhaft alle auf Erhaltung ihres Vermögens bedacht sein. Sie werden ferner nicht nach fremden Sitten verlangen und der Sitten ihrer Väter nicht überdrüssig werden, wenn das Gesetz be- stimmt, dass die Patrizier und die Kandidaten zu Ämtern durch eine besondere Tracht sich unterscheiden, wie § 25 und 47, Kap. 8 gesagt worden ist. Auch sonst kann für jedes Regiment nach Beschaffenheit des Landes und des Charakters des Volkes noch manches ausgedacht werden, was vorzüglich dahin führt, dass die ünterthanen ihre Pflichten mehr freiwillig als aus den Zwang des Gesetzes erfüllen.

§ 8. Ein Regiment, was nur auf die Leitung seiner Angehörigen durch die Furcht bedacht ist, wird weniger Mängel haben, als wenn es auf die Tugend rechnet; den- noch ist es besser, die Menschen so zu leiten, dass sie dieser Leitung nicht inne werden, sondern meinen, nach ihrem eigenen Sinne und freien Entschlüsse zu leben; dann werden sie durch die blosse Liebe zur Freiheit, durch den Eifer, ihre Mittel zu vergrössern, und durch die Hoffnung, die Ehrenstellen des Staats zu erlangen, in Ord- nung erhalten. Im Übrigen sind die Bildwerke, die Triumphe und andere Anreize zur Tugend eher das Zeichen von der Knechtschaft als von der Freiheit; denn nur den Knechten, aber nicht den Freien gewährt man eine Be- lohnung für ihre Tugend.i^^) Allerdings werden die Men- schen durch diese Reizmittel wesentlich bestimmt; allein dergleichen wird zwar anfänglich nur grossen Männern gewährt; später aber, bei zunehmender Eifersucht erhalten die Trägen und durch ihre Reichtümer Aufgeblasenen zum grossen Ärger aller rechtlichen Leute diese Aus- zeichnungen. Zuletzt halten sich sogar Die für beleidigt, welche sich der Standbilder und Triumphe ihrer Vorfahren rühmen, wenn sie den Übrigen nicht vorgezogen werden. So viel ist, ohne Anderes zu erwähnen, gewiss, dass wenn einmal die Gleichheit abgelegt ist, auch die allgemeine Freiheit untergeht, und dass sie in keiner Weise erhalten werden kann, wenn einem einzelnen, durch seine Tugenden hervorragenden Manne besondere Ehren von Staatswegen zugesprochen werden.

§ 9. Dies vorausgesetzt, ist zu prüfen, ob ein solches

Bedenken gegen d. Dauer d. aristokr. Regiments. 147

Regiment in selbstverschuldeter Weise zu Grunde gehen kann. Kann nun überhaupt ein Regiment ewig dauern so muss es das sein, dessen Verfassung sich, nachdem sie einmal richtig begründet worden, unverletzt erhält. Denn die Seele des Staats ist das Recht, und bleibt dies ge- schützt, so bleibt auch der Staat unversehrt. Die Rechte können aber nur gelten, wenn di^ Vernunft und die all- gemeinen Triebe der Menschen sie schützen; stützen sie sich dagegen nur auf die Hülfe der Vernunft, so bleiben sie schwach und werden umgestossen. i63) Da ich nun gezeigt habe, dass die Verfassung beider Arten des aristokrati- schen Regiments sowohl mit der Vernunft, als mit den allgemeinen Trieben der Menschen übereiubiimmen, so kann ich behaupten, dass, wenn irgend ein Regiment, sicherlich dieses von ewiger Dauer sein werde, und dass keine in- nere Schuld, sondern höchstens ein unvermeidliches äusser- liches Unglück 164) es zerstören kann.

§ 10. ^ Man kann mir noch einwenden, dass, wenn auch die im Vorgehenden beschriebene Staatsverfassung durch die klare Vernunft und die allgemeinen Neigungen der Menschen geschützt werde, sie doch mitunter ver- nichtet werden könne, weil jeder Trieb von einem an- deren, der stärker und entgegengesetzt ist, überwunden werde und selbst die Furcht vor dem Tode oft von der Begierde nach fremdem Besitz überwunden werde. Die, welche in Schrecken vor dem Feinde fliehen, können durch kein anderes Schreckmittel zurückgehalten werden; viel- mehr stürzen sie sich in Ströme oder rennen in das Feuer, um dem Schwert der Feinde zu entgehen. Wenn daher der Staat auch noch so gut eingerichtet und seine Verfassung bestens geordnet ist, so werden doch alle bei einer grossen Not des Staates, wo sie, wie bekannt, von einem panischen Schrecken erfasst werden, nur das ver- langen, was die gegenwärtige Furcht rät, und weder auf die Zukunft, noch auf die Gesetze Rücksicht nehmen, i^eshalb wenden sie in solchen Fällen sich an einen durch seine Siege berühmten Mann, befreien ihn von den besetzen, verlangen seine Herrschaft (das schlimmste Bei- spiel) und vertrauen den ganzen Staat seiner Treue an. Um war allerdings die Ursache, dass der römische Staat zu Grunde ging; allein auf diesen Einwand antworte ich zunächst, dass in einem wohl eingerichteten Staate ein

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Politische Abh. Kap. 11. § 1.

Schrecken solcher nur bei gegründetem Anlass entsteht; deshalb kann ein solcher Schrecken und die daraus her- vorgehende Verwirrung keinem Umstand zugeschrieben werden, welchen die menschliche Vorsicht hätte vermeiden können. Sodann kann bei der von mir im Vorgehenden beschriebenen Verfassung es nicht vorkommen (nach § 9 und 25, Kap. 8), dass Einer oder der Andere durch den Ruhm seiner Tugend so hervorragt, dass Aller Augen sich auf ihn richten; vielmehr wird er mehrere Nebenbuhler haben, die von andern unterstützt werden. Wenn also auch der Schrecken einige Verwirrung in dem Staate ver- anlasst, so wird doch niemand die Gesetze betrügerisch umgehen und einen Einzelnen gegen die Gesetze zur militärischen Herrschaft erheben können, ohne dass nicht sofort andere Nebenbuhler sich erheben. Ein solcher Streit kann also nur entschieden werden, wenn man zu den feststehenden Satzungen und zu den von allen ge- billigten Gesetzen zurückgreift und die Staatsangelegen- heiten nach dem bestehenden Rechte erledigt. Ich kann daher unbedingt behaupten, dass sowohl ein solches Re- giment einer Stadt, und noch mehr das mehrerer Städte, einen ewigen Bestand haben und durch keinen innern Grund untergehen oder in eine andere Form übergehen werde. ^^)

Elftes Kapitel.

§ 1. Ich komme nun zu dem dritten und gänzlich unbeschränkten Regiment, was ich das demokratische nenne. Sein Unterschied von dem aristokratischen be- steht, wie erwähnt, hauptsächlich darin, dass es bei letz- terem nur von dem Beschluss der höchsten Versammlung und von der freien Wahl abhängt, wer zum Patrizier ge- wählt werden soll; deshalb kann bei diesem Regiment Niemand ein Stimmrecht oder ein Recht zu Aemtern vermöge seiner Abstammung geltend machen oder von Rechts wegen fordern, wie dies bei dem Regiment der Fall ist, was ich jetzt behandeln will; hier können viel- mehr Alle, deren Eltern Bürger sind, oder die in dem Lande geboren sind, oder sich um den Staat verdient ge-

Das Wesen des demokratischen Regiments. 149

macht haben, oder sonst nach den Gesetzen das Bürger- recht erlangt haben, in der höchsten Versammlung mit- stimmen und auf die Staatsämter Anspruch machen, wenn sie nicht ein Verbrechen begangen oder ihre Ehre ver- loren haben.

§ 2. Wenn deshalb nach der Verfassung auch die Ältesten, welche ein gewisses Alter erreicht haben, oder die Erstgeborenen, nach Erreichung eines gewissen Alters, oder Die, welche einen gewissen Betrag an Steuern dem Staate entrichten, das Stimmrecht in der höchsten Versammlung haben und die Staatsangelegenheiten be- sorgen dürfen, sowird ein solches Regiment, selbst wenn dadurch die höchste Versammlung aus weniger Bürgern bestände als bei dem vorbeschriebenen aristokratischen Regiment, dennoch ein demokratisches sein, weil die zur Staatsleitung befruenen Bürger nicht als die Besten von einer höchsten Versammlung gewählt werden, sondern nach dem Gesetze dazu berechtigt sind, fiin solches Regiment, wo nicht die Besten, sondern die zufällig reich Gewordenen oder Erstgeborenen zur Staatsleitung befugt sind, scheint allerdings dem aristokratischen Regiment nachzustehen; indes wird in der Ausübung und infolge der gleichen Lage der Menschen die Sache ziemlich auf Eins hinauskommen; denn den Patriziern werden immer Die als die Bessern gelten, welche reich oder ihre Ver- wandte oder Freunde sind. Wäre es mit den Patriziern so beschaffen, dass sie bei der Wahl ihrer Standesgenos- sen sich von aller Zuneigung freihielten und nur durch die Sorge um das allgemeine Wohl leiten Hessen, so könnte kein anderes Regiment mit dem aristokratischen sich mes- sen. Indes hat die Erfahrung genügend gelehrt, dass die öachen sich umgekehrt verhalten , namentlich in Oligar- 5 »V ^** ^^^ Eigenwille der Patrizier wegen der fehlen- den Mitbewerber am meisten von den Gesetzen sich befreit. Hier halten die Patrizier absichtlich die Besten von der Versammlung fern und suchen nur nach solchen Genos- sen, die, wie sie es verlangen, stimmen. Deshalb ist ein öiaat mit solchem Regiment in einer viel traurigem Lage, ca die Wahl der Patrizier von der unbeschränkten und aurch kein Gesetz gehemmten Willkür Weniger abhängt; üoch ich kehre zu meiner Aufgabe zurück.

§ 3. Aus dem im vorgehenden Paragraphen Gesagten

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Politische Abh. Knp. 11. § 4.

Das Regiment der Frauen.

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erhellt, dass es verschiedene Arten des demokratischen Regimentes geben kann. Indes will ich nur von der- jenigen handeln, bei welcher alle ohne Ausnahme das Stimmrecht in der höchsten Versammlung und die An- wartschaft auf die Staatsämter haben, sofern sie nur dem einheimischen Recht unterthan, selbständig und von recht- schaffenem Lebenswandel sind. Ich sage ausdrücklich: „sofern sie dem einheimischen Recht unterthan sind", um die Fremden auszuschliessen, die unter fremder Herrschaft stehen. Ich habe ferner die Selbständigkeit verlangt, um die Frauen und Knechte auszuschliessen, die in der Ge- walt der Männer oder Herrn sich befinden, und ebenso die Kinder und unmündigen, welche in der Gewalt der Eltern oder Vormünder sich befinden. Ich habe end- lich gesagt: „die von rechtschaffenem Lebenswandel sind", um Die auszuschliessen, welche wegen eines Verbrechens oder eines schändlichen Lebenswandels als ehrlos gelten.^^) § 4. Indes kann man fragen, ob die Frauen in- folge natürlicher Umstände oder nur durch menschliche Einrichtungen unter der Gewalt der Männer stehen ? Wäre nur Letzteres der Fall, so hätten wir keinen vernünftigen Grund, die Frauen von der Regierung auszuschliessen. Fragt man indes die Erfahrung, so scheint ihre Schwäche der Anlass dazu zu sein; denn nirgends haben Männer und Frauen gleichzeitig regiert, vielmehr sieht man, dass überall, wo Männer und Frauen angetroffen werden, die Männer als Regierer und die Frauen als Regierte und beide Geschlechter in dieser Weise einträchtig miteinander leben. Dagegen sollen die Amazonen, welche ehedem, wie man erzählt, geherrscht haben, den Männern den Aufenthalt in ihrem Lande nicht gestattet und nur die weiblichen Kinder aufgezogen, die männlichen aber nach der Geburt getödtet haben. Wären die Frauen von Natur in Festigkeit und Schärfe des Geistes den Männern gleich, so würden sie, da hierauf die Macht der Menschen und das Recht hauptsächlich beruht, auch ebensoviel gelten, und man würde unter so vielen und verschiedenen Völ- kern sicherlich einzelne finden, wo beide Geschlechter eine gleiche Herrschaft führten, und andere, wo die Männer von den Frauen regiert und so erzogen würden, dass sie ihnen an ßilduug nachständen. Allein dies ist nirgends der Fall, und so kann man behaupten, dass die Frauen

von Natur kein gleiches Recht mit den Männern haben, sondern den Männern nachstehen. Deshalb ist eine gleiche Herrschaft beider Geschlechter unmöglich, und noch we- niger eine Herrschaft der Frauen über die Männer, i^?) Betrachtet man ferner die menschlichen Leidenschaften und sieht man, dass die Männer die Frauen meist nur aus Sinnlichkeit lieben und ihren Geist und ihre Weisheit nur soweit schätzen, als ihre Schönheit dabei hilft, und dass die Männer es nicht vertragen, wenn die von ihnen geliebten Frauen andere Männer in irgend einer Weise begünstigen, und nimmt man noch Anderes der Art hinzu, so ergiebt sich leicht, dass eine gleichzeitige Regierung der Männer und Frauen nicht ohne grosse Gefahr für den öffentlichen Frieden möglich ist. Doch genug davon, ^^s)

(Das Übrige fehlt.)

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Georg Weiss Verlag, Heidelberg.

Philosophisclie Monatshefte.

Unter Mitwirkung von Dr. F. Ascherson sowie mehrerer namhaften Fachgelehrten redigiert und herausgegeben ron

Prof. P. Natorp in Marburg (Hessen).

Die Philosophischen Monatshefte werden, ihrem bisherigem Programme getreu, auch ferner keiner Schule und keinem System dienen, vielmehr den verschiedenen Seiten und Rich- tungen der wissenschaftlichen Bewegung auf dem ihnen zuge- hörigen Felde freies Spiel geben. Das Interesse daran, dass die Philosophie deutscher Zunge durch eine möglichst alle in ihr lebenskräftigen Richtungen zum Ausdruck bringende Fachzeltschrift vertreten sei, gilt uns als ein allgemeines, dem das Sonder- interesse einzelner Richtungen sich durchaus unterzuordnen hat. Doch gilt uns nur, was sich wissenschaftlich ausweisen kann, als berechtigte Partei.

Neben der Förderung der systematischen Aufgaben der Phi- losophie, und um ihrer willen, wird die Pflege ihres geschicht- lichen Studiums unser Augenmerk sein. Die Verknüpfung der geschichtlichen mit der systematischen Arbeit gilt uns als Grund- satz, die Lostrennung jeuer von dieser als bedenklicher Abweg.

Endlich möchten wir noch auf das Bündnis der Philosophie mit den Einzel Wissenschaften besonderen Nachdruck legen. Inner- halb der Spezialwissenschalten selbst wird das Bedürfnis, über philosophische Fragen sich Rechenschaft zu geben, wieder stär- ker empfunden. Gerne wollen die Monatshefte sich da allen gediegenen, auf eine regere Wechselbeziehung zwischen Philo- sophie und Wissenschaften gerichteten Bestrebungen als Organ zur Verfugung stellen.

Und so möchten sie in jeder Richtung Verständigung an- bahnen, die Gesammtheit des wissenschaftlichen Interesses der Philosophie vertreten und ihre mannigfachen Bestrebungen in einem Brennpunkt sammeln. Deshalb gilt für sie keine an der Partei als die Partei der Arbeit.

Die Redaction wird von einer bedeutenden Zahl namhafter Gelehrten Deutschlands, Oesterreichs und der nordischen Länder thatkräftig unterstützt. Durch Original-Abhandlungen, Analysen und kürzere Referate Über alle beachtenswerthen Erscheinungen der philos. Litteratur, die von Dr. F. Ascherson besorgte voll- ständige Bibliographie, sowie Auszüge und Mittheilungen aus deut- schen und fremden Zeitschriften sind die Monatshefte bemüht, die Aufgaben der Philosophie zu fördern und vom Fortgange der Arbeit an denselben getreu und vollständig Rechenschaft zu geben.

Die Philos. Monatshefte erscheinen in Bänden zu 10 Heften, in der Regel in Doppelheften, zum Abonnementspreis von 12 M. Einzelne Hefte kosten 2 M., Doppelhefte 4 M.