FT ge rer rn Er MAR TEen \ \ a aa { 4 & Pr #4 - N \ F 2 ar N N \ ” \ $ Fr} & u Hr = uN = $ er PR Te Eu ’ * 93 24 Wins y vr z % x Pa 7 ee Ari 14 I F \ “a a4 \ rs 2.9 | > r a = Gı Un u; VER ibson- Inv {I} ‚R N: om ALr Abhandlungen herausgegeben vom Naturwissenschaftlichen Verein zu BREMEN. XV. Band. Beiträge zur nordwestdeutschen Volks- und Landeskunde. Mit einem Porträt und drei Tafeln. (Der XVL Band erschien im September 1900.) LIBRARY NEW YOR! BOTANICAL GARDE! BREMEN. G. A. v. Halem’s Verlagsbuchhandlung. 1901, Inhalt. Erstes Heft. Ausgegeben im März 1895. Wilhelm Olbers: Nachrichten über die Familie Olbers W. ©. Focke: Weitere Nachrichten über die Familie Olbers . Franz Buchenau: Die Lune-Plate im August 1875 . H. A. Schumacher: Mechanikus Treviranus . L. Häpke: Der Entdecker der Sonnenflecke L. Häpke: Gezeichnete Lachse . } W. ©. Focke: Einige Stammwörter reis. en ; = W. O0. Focke: Untergegangene Ortschaften an der deutschen Nordsee- küste . a Franz Buchenau: Westerstede Der alte Wilhadibrunnen Zweites Heft. Ausgegeben im September 1897. Franz Buchenau: Kritische Studien zur Flora von Ostfriesland Jost Fitschen: Einige Beiträge zur Flora der Unterelbe . Franz Buchenau: Aus dem städtischen Museum für Natur-, Völker- u. Handelskunde. Geschichte der botanischen Sammlungen Franz Buchenau: Vom höchsten Punkte zwischen Unterelbe und Unterweser Fr. Heincke: Zum Clara von ‘e Fr. Wienken, Dior des Grossherzoglichen Naturhistorischen Museums zu Oldenburg. WNaehtras SS. 190). Kr. N Rudolf Bielefeld: Georg Boyung Saat Dann anne ( en Porträt) A.Kohlenberg: Ein Winter im schwimmenden Lande von Waakhusen Franz Buchenau: Die Wingst DR aha Heinrich Kurth: Über Grundwasserbewegungen im Drurchen elelonen Ba Tatee Fundald) „2 Wer. Drittes Heft. Ausgegeben im April 1901. Jul. A. Grober: Östfriesisches Pastorenleben um die Mitte des 18. Jahr- hunderts 2 N DR TO EN W. 0. Focke: Der Drachenstein bei Donnern Jos. Scholz: Der Holunder 191 199 € 205 Die Eröffnung des Städtischen Museums zu Bremen am 15. Januar 1896 Aug. Jordan: Die Fauna der miocänen Thone von Hassendorf. „ . Hans Höppner: Die Bienenfauna der Dünen und Weserabhänge zwischen Uesen und Baden . Franz Buchenau: Botanische Miscellen Über die Herstellung von Naturschutzgebieten in Deutsehlacel : C. A. Weber: Über die Erhaltung von Mooren und Heiden Nord- Deutschlands im Naturzustande, sowie über die Wiederherstellung von Naturwäldern (mit Abbildung Tafel III). L. Häpke: Das Meteor vom 16. Dezember 1900. 3 3 Franz Buchenau: Über zwei Gräser der ostfriesischen Tngeiz : Franz Buchenau: Die Flora der Maulwurfshaufen . L. Häpke: Nachtrag zu den Bernsteinfunden . R L. Häpke: Die Erdölwerke in der Lüneburger Heide. AI. Seite 212 224 231 256 257 263 280 285 297 307 oil Vorwort. Seit einigen Jahrzehnten erscheinen im nordwestdeutschen Küstengebiete verschiedene von Vereinen herausgegebene Zeit- schriften, welche die Bestimmung haben, die auf die Heimat be- züglichen geschichtlichen und naturwissenschaftlichen Arbeiten zu sammeln. Es finden sich aber, ausser in den Vereinsschriften, auch in den Tagesblättern hin und wieder Aufsätze, welche lehrreiche Beiträge zur Landeskunde bringen, sodass deren Erhaltung und dauernde Zugänglichkeit wünschenswert erscheint, Sie passen ge- wöhnlich aus einem oder dem anderen Grunde nicht in die fach- wissenschaftlichen Zeitschriften hinein; in vielen Fällen sind die in ihnen niedergelegten Beobachtungen in allgemeine Schilderungen der Natur, der Menschen oder persönlicher Erlebnisse eingestreut. Unter diesen Umständen wurde schon wiederholt auf das Bedürfnis hingewiesen, in irgend einer Weise für die Sammlung derartiger beachtenswerter landeskundlicher Aufsätze Fürsorge zu treffen. Die Aussicht, im April d. J. die deutschen Geographen in Bremen versammelt zu sehen, gab eine neue Anregung, den lange gsehegten Plan zur Ausführung zu bringen. Der im Kreise des Vorstandes des Naturwissenschaftlichen Vereins gemachte Vorschlag, eine mit den „Abhandlungen“ des Vereins verbundene landes- kundliche Zeitschrift herauszugeben, fand Ende 1894 vielseitigen Anklang. Es wurde beschlossen, das erste Heft des neuen Sammel- werkes dem deutschen Geographentage zu widmen, obgleich man sich sagen musste, dass die Kürze der Zeit es nicht gestatten werde, tüchtige neue Arbeiten für diesen Zweck fertig zu stellen. Es blieb nichts übrig, als sich zunächst an einige bewährte Mit- arbeiter der „Abhandlungen“ zu wenden, von denen man voraus- setzen durfte, dass sie in der Lage sein würden, ältere teils un- gedruckte, teils bereits in Tagesblättern veröffentlichte Beiträge zur Verfügung zu stellen. Auf solche Weise ist das vorliegende IV Heft zu Stande gekommen. Der 1., 2., 7. und 8. Aufsatz erscheinen - in diesen Blättern zum ersten Mal, die übrigen sind wenig ver- änderte Wiederabdrucke. Für die späteren Hefte der Beiträge zur nordwestdeutschen Volks- und Landeskunde hoffen wir einen wesentlich weiteren Kreis von Mitarbeitern zu gewinnen. Es ist beabsichtigt, auch dieser Sammlung von Aufsätzen einen vorwiegend wissenschaftlichen Cha- rakter zu bewahren, sodass z. B. Schilderungen einzelner Gegenden sich nur dann zur Aufnahme eignen werden, wenn die Verfasser darin bezwecken, ein tieferes Verständnis für die örtlichen Eigen- tümlichkeiten oder die örtlichen Bedingungen des organischen oder des menschlichen Lebens zu erschliessen. Daneben wird sich Raum für manche die Landeskunde fördernde Arbeiten finden, welche sich ihrem Inhalte nach nicht für die fachwissenschaftlichen Zeitschriften eignen, zumal da diese genötigt sind, höhere Ansprüche an eine vollständige Durcharbeitung des Stoffes zu machen, während die landeskundigen Beiträge andrerseits mehr Wert auf die für weitere Kreise lesbare Form legen werden. Die deutschen Geographen heissen wir hecde in unserer Stadt willkommen und bitten sie, diese Blätter als eine bescheidene Gabe des Naturwissenschaftlichen Vereins freundlich entgegennehmen zu wollen. Die kleine Schrift macht zunächst nur Anspruch darauf, in ihrer Weise Zeugnis abzulegen von dem Walten des Genius loci. Bremen, im März 1895. Namens des Vorstandes des Naturwissenschaftlichen Vereins: Das Redaktions-Comie. I. Nachrichten über die Familie Olbers. Von Wilhelm Olbers. (Geschrieben 1779.) Folgende Geschlechtsnachrichten, die freilich grösstentheils nur in Bemerkung der Geburts- und Sterbetage bestehen, aber als Familiennachrichten immer wichtig bleiben, sind fast alle aus eigenhändigen Aufzeichnungen, die einem alten Kalender von 1552 beigezeichnet waren, genommen. Der älteste Stammvater, dessen in diesem Kalender Erwäh- nung geschieht, ist Christian Olbers, Bürgermeister und Brauer zu Celle im Herzogtum Lüneburg, von dem doch nichts weiter als der Tag von seinem und seiner Frauen Tod bemerkt ist. Beide starben zu Wahrenholtz, wo ihr Sohn Ludolph Olbers die Prediger- stelle erhalten hatte. Sie starb 1554, den 17. Februar um 6 Uhr morgens zuerst, und nach etwa fünftehalb Jahren 1558, den 15. September um 5 Uhr morgens folgte ihr ihr Mann. Ludolph Olbers, ihr Sohn, wurde zu Celle geboren, sein Geburtsjahr ist so wenig wie sein Sterbejahr aufzufinden, und von seiner Jugend nur so viel, dass er zu Wittenberg Theologie studirte, und welches mit Recht daraus folgt, ein Bekenner und Anhänger der damals vor dreissig Jahren angefangenen Refor- mation war. Es ist möglich, dass er noch das Glück hatte, wo nicht selbst Luthern, der 1546 starb, doch Melanchthon, Bugen- hagen und andere muthige Helfer von Luthern zu kennen und von ihnen unterrichtet zu werden, obgleich er eben nicht ein Schüler“) des Melanchthon gewesen zu sein scheint. Vielleicht nicht lange, nachdem er die Akademie verlassen, wurde er 1552 zum Pastorat zu Wahrenholtz, Inspektion Gifhorn, vocirt und am 23. März von dem Superintendenten Hinrich Sanders zu Gifhorn eingeführt. Wie er hier zwei Jahr gewesen war, verheiratete er sich kurz nach dem Tode seiner Mutter noch in demselben Jahre 1554 mit Elisabeth Hovermannen, einer Tochter Christian Hovermanns, weiland Predigers zu Witzendorf, die ihm den 7. Oktober in seiner eignen Kirche von Herrn Pastor Joh. Brauns zu Oesingen angetraut wurde. —— *) Zu diesem Urtheil bringt mich das Zeugnis eines Visitationsprotokolls #»von 1581, worin es von ihm heisst: „Er sei examinirt nnd in allen Stücken —_ der augsburgischen Confession rein befunden worden.“ > 1 cd u A = Von dieser seiner Ehegattin hatte er das Vergnügen, im folgenden 1555. Jahre einen Sohn, der den Namen Otto erhielt, zu bekommen, und im folgenden 1556. Jahre, den 27. Juli, seinen zweiten Sohn, der am selben Tage nachmittags getauft und vom Herzog von Lüneburg, Franziscus Otto, der nebst einem gewissen Edelmann Georg von Badendorf (wie der Name zu heissen scheint) Pathe zu ihm war, den Namen Franziscus Otto erhielt. Es ist ungewiss, was dieser Sohn in der Folge geworden, vielleicht hat er die Kaufmannschaft erwählt. Ich baue indessen nur auf einem sehr schwachen Grund, weil er in Hamburg in dem Hause eines gewissen Heinrich Binders in seinem 33. Jahre noch vor dem Tode seines Vaters, 1589 den 4. Februar, starb. Die übrigen Kinder werde ich unten anführen. Wie Ludolph sieben Jahre die Predigerstelle zu Wahrenholtz bekleidet hatte, so liess er sich ein Jahr nach dem Tode seines Vaters durch die Einladung der Kirchenjuraten zu Drochtersen im Lande Keding, Melchior von Korfe (?), Johann Pardam und Barthold von Brummer bewegen, 1559 den 19. Oktober eine Probe- predigt daselbst zu halten. Diese fand solchen Beifall, dass er gleich darauf gewählt und ihm überdem noch aus den Kirchen- mitteln eine Zulage von 80 Mark lübisch jährlich zugestanden wurde. Er verwaltete diesen Dienst 30 Jahre bis 1589, als seine Kräfte anfingen, wie es aus der Länge der Zeit von 52 bis 89, also 38 Jahre, die er im Amt gestanden, zu erhellen scheint, wegen Alters abzunehmen, und er einen Amtsgehülfen bekam. Wie lange er noch nachher gelebt und wie boch er überhaupt sein Alter gebracht, ist unmöglich, da weder sein Geburts- noch Sterbe- jahr bekannt ist, anzugeben,. und dieses bemerkt der Herr General- superintendent Pratje (in dem Leben Joh. Georg Olbers) er. habe noch im Jahre 1603, also 14 Jahre, nachdem er einen Adjunktus bekommen, gelebt. Nimmt man an, dass er um diese Zeit ge- storben, und dass er gegen 30 Jahre gewesen, wie er ins Amt ge- kommen, so würde er doch über 80 Jahr alt geworden sein und hätte dabei die Freude gehabt, seinen Sohn Christian, dessen mir bekannte Lebensumstände ich gleich anführen werde, schon in Be- dienung, verheiratet und beerbt zu sehen. Ohne die oben bemerkten Söhne Otto und Franz Otto hatte er noch sechs Kinder, drei Söhne nämlich und drei Töchter. Diese waren: Anna, sie wurde 1559 den 11. Juni geboren. Helwigia, sie wurde zu Drochtersen den 11. Januar 1563 geboren, verstarb aber schon 1564 den 4. März. Elisabeth wurde ihm den 12. Mai 1570 geboren. Johann,. er wurde den 29. November 1557 geboren. Christian, der nicht mit seinem jüngeren Bruder muss verwechselt werden, wurde den 17. Februar 1561 geboren, verstarb aber den 26. Januar, welches Jahr weiss ich nicht. Christian derjenige, dessen ich eben gedachte und der zu- gleich die Stelle des dritten bekannten Stammvaters einnimmt, wurde zu Drochtersen den 2. September 1566 geboren, und war el der jüngste Sohn, obwohl nicht das jüngste Kind seines Vaters; seine Schwester Elisabeth war 4 Jahre jünger. Von seinen Jugend- und Universitätsjahren bis auf sein 27. Jahr ist nichts Aufge- zeichnetes vorhanden. In diesem aber, im Jahre 1593, den 23. Januar, wurde er als Pastor nach Kedingbruch, Amt Neuhaus, berufen und daselbst von Mag. Matth. Ratsitsig, Pastor zu Gewers- dorf, ordinirt. In eben diesem Jahre noch, am 23. Dezember, _ verheiratete er sich mit einem adlichen Fräulein Maria von Cappeln, einer Tochter, wie es scheint, von Heinrich von Cappeln, der 1623, den 10. März, und Elisabeth von Brunk, die 1621 den 16. Sep- tember starb. Das Jahr seiner Heirath ist in folgendem Chrono- stikon beschrieben: ALtera LVX feLIX Matthael festa seCVta OLbero InleCIt VInCLA petlta thorl. Der zweite Tag nach St. Matthäus Feste, Der schlang um Olbers frohe Hand Der Fesseln allerglücklichste, das beste, Das längst gewünschte Eheband. *) Wie lange er zu Kedingbruch gestanden, ist ungewiss, so viel ist ausser Zweifel, dass es nach kurzer Zeit war, wie er nach Kadenbergen versetzt wurde, wo er dann bis an sein Ende, das - ziemlich frühe, 1616 den 16. April, im 50. Jahre seines Alters er- folgte, blieb. Er hinterliess seine Witwe, deren Eltern beiderseits noch damals lebten, mit drei Kindern, wovon das älteste eine Tochter, Elisabeth, geboren 1594 den 8. September, war; von den beiden übrigen, die Söhne waren, war der älteste: Hinrich, der so von seinem Grossvater, Hinrich von Cappeln, scheint ge- nannt worden; er ward den 8. Januar 1598 geboren. Der jüngste endlich war Ludolph, von dem ich gleich mehreres erzählen werde. Elf Jahre nachher folgte die Mutter ihrem Ehegatten, 1627 den 18. September, nachdem sie noch die Betrübnis gehabt, ihre Mutter und ihren Vater zu betrauern, aber auch noch das Ver- gnügen, ihren Sohn als Prediger und glücklich verheirathet zu sehen. Ich komme jetzt zu dem vierten Stammvater, der, wie sein Grossvater, der damals noch lebte, den Namen Lu dolph führte und 1603 den 3. September, unter dem Zeichen der Venus geboren *) Ich will ein andres Chronographikon hier beifügen. Die Veranlassung war folgende: Es war durch einen starken Orkan von Westen her nicht nur das Eis in der Weser und Elbe aufgegangen, sondern diese Flüsse schwollen auch dadurch auf einmal so an, dass alle Marschgegenden zwischen der Weser und Elbe überströmt wurden. Das Jahr 1625 dieser Ueberschwemmungen drückt er in folgenden Versen aus: TertIa post Matthlae ferlas VIX orta fVIt LVX VnDa fVrlIt, tegIt arVa, sVperfIt aqVarlVs agrıls. Kaum zum dritten Mal nach Matthäus heiligem Feste Ging die Sonne düster am neugebornen Tag auf, Als die schäumenden Wellen die Saaten wütend bedeckten Und der Wassergott trotzig auf die Felder einherzog, 1* — el wurde. Weil mir seine Jugendjahre unbekannt sind, nicht minder sein Unterricht, den er genossen, welche Akademie er bezogen und endlich, womit er sich zuerst nach deren Verlassung beschäf- tigte, so fange ich gleich mit seiner Beförderung an. Lange konnte er unmöglich die Universität verlassen haben, weil er erst 22 Jahr war, wie er vom Herzog von Lüneburg, damaligem Dompropst in Bremen, zum Vikariat in Oberndorf berufen wurde. Er reiste des- wegen nach Celle, wo er den 17. März 1626 über den ihm vorigen Tags vom Superintendenten Mag. Joh. Wezelius aufgegebenen Text Tit. 3, 4—7 in hoher Gegenwart des Herzogs Friedrich von Lüne- burg seine Probepredigt mit Beifall hielt. Gleich nach der Predigt wurde er examinirt und desselben Tages auch noch ordinirt. Am folgenden 6. April, als am Gründonnerstage, legte er darauf wirklich seine Antrittspredigt zu Oberndorf ab und erhielt das Vikariat daselbst. Er bekam hierdurch gleich anfangs eine sehr gefährliche Stelle, weil die Pest, die in diesen Jahren Deutschland verheerte, damals vielleicht um das Jahr 1627 in diesen Gegenden und zu Oberndorf wüthete. Selbst der Prediger dieser Pfarre, Hermann Gotzenius, wurde von ihr im folgenden Jahre dem Anscheine nach weggerafit, wodurch er zwar zum Prediger befördert wurde, aber durch Erhaltung dieser Stelle nun auch zugleich der Gefahr, die er sonst mit seinem Kollegen bei Pestbesuchen teilte, allein aus- gesetzt. Er blieb indessen stets von der Pest befreit, und wie ich mich erinnere, aus Erzählungen gehört zu haben, durch das leichte Präservativ, dass er sich eines Rockes von geglänztem Leinen, den er jedes Mal, so oft er vom Pestbesuche zu Hause kam, in freie Luft hing, bediente. Einstmal soll, wie ich in den Nachrichten seines Enkels finde, die Pest wie ein blauer Dunst durch sein Haus gefahren sein, keiner aber von demselben be- schädigt worden ausser der Magd, die eine giftige Beule am Fuss erhielt, aber doch auch wieder genas. Es hat diese letztere Nachricht vielleicht das Gepräge der Denkungsart damaliger Zeiten, allein weil ich mir bei diesem Zusammentrag- zum Gesetz gemacht habe, alles, auch das Kleinste nicht vorbeizulassen, so glaubte ich sowohl dieses wie auch fol- gendes anführen zu müssen, obgleich ich eben nicht behaupten will, dass dieses es war, was ihm für die Pest sicherte. Ausser obiger Vorsicht mit seinem Kleide that er zugleich ein Gelübde: „Wenn ihn Gott für die Pest bewahren würde, so sollten alle seine Söhne, die er bekommen würde, sich den Wissen- schaften widmen und Theologie studiren.“*) Der Erfolg, der in- dessen oft betrügt, oft auch ein blosses Ungefähr für ihn ange- sehen wird, entspricht diesem Gelübde ziemlich”*); fast alle seine *) An diesem letzten Zusatze zweifle ich, weil noch zwei Söhne, Christian und Ludolph, bei Lebzeiten ihres Vaters Jura studirten. Auch ist diese ganze Nachricht nur von seinem Enkel Caspar, nicht aus meinem Kalender. ##) Nicht ganz vollkommen entspricht er, indem ebenfalls einer von seinen Söhnen, Nikolaus, obgleich er Theologie studirt hatte, es nicht weiter an Söhne ausser zwei Theologen haben ihr Glück nicht machen können; ich werde unten bei seinen Kindern anführen, was ein jeder Sohn für eine Lebensart erwählt hat. In demselben Jahre, wie er Vikarius zu Oberndorf wurde, verheiratete er noch bei Lebzeiten seiner Mutter sich auch schon den 24. Oktober mit Adelheide Pepers, die mit ihm von gleichem Alter war und womit er eine sehr an Kindern reiche Ehe führte. Seine Umstände scheinen, da sein Vaterland durch Pest und durch den grausamen dreissigjährigen Krieg verwüstet wurde, nicht eben anfänglich die besten gewesen zu sein. Folgendes, was er mit eigner Hand bemerkt, hat mich auf diese Vermuthung gebracht, und giebt zugleich einen kleinen Zug von seinem Charakter, der Muth und Menschengefühl in sich fasste: dass Menschen da sind, sich glücklich, nicht bei allgemeinem Unglück sich noch unglück- licher zu machen, und edel genug, Unwillen zu empfinden, wenn ihm da hart begegnet wird, wo er hülfreiche Nachsicht erzeigt hätte und wo er Güte des Herzens nach seiner Denkungsart er- wartet, das strengste Recht, das oft für Unrecht und Grausamkeit geht, drohen sieht. „Anno 1627, den 14. November. „Hat heute Diedrich Scharpe von der Osten auf Paroll Stuves- _ hausen einen Mann mit Namen Peter Kalten zu mir geschickt und anmelden lassen, dafern ich ihm die 4 Thaler, die ich ihm schuldig wäre, nicht alsobald würde geben, wollte er mir vier oder fünf kaiserliche Soldaten ins Haus legen, welches ich zum Gedächtnis seiner tyrannischen Unbescheidenheit annotiren wollen.“ Die Grausamkeit hierbei fällt gleich in die Augen. Bei einem blutenden Religionskrieg wegen einer kleinen Summe*) feindliche Soldaten in das Haus des Predigers, der an dem Orte für das Haupt der Ketzerei gehalten wird, auf Exekution legen wollen, und das wohl noch dazu von einem Religionsverwandten! — Das kälteste Blut würde dabei nicht seinen langsamen Gang fortschleichen können. Von seiner vermuthlichen Liebe zur künstlichen Dichtkunst, die damals mehr wie bei uns jetzt galt, und die beiden von ihm noch übrig gebliebenen Chronographika habe ich oben schon ange- führt, die ebendaher auch nach dem damaligen Geschmacke müssen beurtheilt werden. Ebenso wollte ich es dem damaligen Genius beilegen, wofern es nicht zu voreilig ist, von einigen halben That- sachen auf die Denkungsart zu schliessen: wenn er etwas von dem Einflusse der Gestirne auf die Geburtsstunde, eine Meinung, die mit dem Alterthume grau geworden und von fast undenklichen Zeiten als Schulmeister bringen konnte. Inzwischen konnte ungeachtet dessen das Gelübde seine völlige Wirkung haben, es folgt nicht daraus, dass alle dieses Studium glücklich machen sollte. *) Die Summe bleibt gegen ein solches Verfahren doch immer noch zu klein, wenn man sie auch nach damaligen Zeiten auf unser Geld berechnen wollte. Sie kann höchstens nach unserm Gelde nicht mehr wie 32 Reichsthaler gelten, da in dem dreissigjährigen Krieg, und dies dazu wohl nicht gleich im Anfange, ein Reichsthaler so viel wie jetzt 8 Reichsthaler bei uns werth war. BEN die Menschen beschäftigt, gehalten hat. Diese wenigen Thatsachen, um dieses zu bemerken, schränken sich aber nur blos darauf ein, dass er sorgfältig bei jedem seiner Kinder die Konstellation und die Stunde ihrer Geburt bemerkte. Nachdem Ludolph die Predigerstelle zu Oberndorf 31 Jahre bekleidet hatte, so starb er in seinem 54. Jahre 1657 den 7. August und wurde den 14. desselben Monats in seinem Pfarrdorfe begraben. Seine Kinder, worunter neun Söhne und zwei Mädchen, sind folgende. Ich werde sie nach ihrem Alter anführen und die Schick- sale der Söhne wegen obiger Anekdoten, so viel sie mir bekannt sind, hinzufügen: Der älteste war Christian, der zwei Jahre nach seines Vaters Verheiratung, 1628 den 3. Februar, Morgens zwischen 1 und 2 Uhr, unter dem Zeichen fk der Zwillinge geboren wurde. Was für eine Lebensart er ergriffen hat, scheint nur dadurch etwas zweifelhaft zu werden, weil ihn der Herr Generalsuperintendent Pratje zum Vikarius zu Wremen im Lande Wursten macht und lässt ihn 1654 sterben. Indessen ist es wohl ganz sicher, dass hier ein Irrthum vorgegangen und vielleicht nur Namen verwechselt sind, da zwei von Ludolphs Söhnen wirklich Prediger geworden, obgleich ich von keinem weiss, der zu Wremen gestanden hat. Christian verwaltete,*) nachdem er erst Jura studiert hatte, hernach aber das Militär er- griff, endlich eine Einnehmerstelle.e Wo er aber Einnehmer war, bin ich wieder ungewiss, Caspar macht ihn zum Einnehmer in Oberndorf; sein Bruder Ludolph, den er auch dahin setzt, war wirklich daselbst Einnehmer; von jenem finde ich hingegen, dass ihm seine Tochter Ilse Catherine und die hernach an L. Hellwege 1695 den 4. März verheiratet wurde, im Jahre 1671 den 6. De- cember”*) zu Kirchosten geboren wurde. Weil dieses, und dass sein Bruder die Einnehmerstelle zu Oberndorf hatte, ausser Zweifel ist, so sollte man auf die Vermutung geraten, er hätte sich zu Kirchosten aufgehalten. 2. Der zweite, Heinrich, der 1629 unter dem Zeichen der x Wage geboren wurde, legte sich auf die Theologie und bezog deswegen die Universität Wittenberg, wo er aber im 24. Jahre seines Alters als Studiosus verblich. 3. Eine Tochter, Maria, sie wurde 1631 unter dem Zeichen der #4 Zwillinge geboren. 4. Ludolph wurde geboren 1634 den 3. März unter dem Zeichen $ der Jungfrau. Er studirte Jura, nahm aber hernach Kriegesdienste an und wurde zuletzt, wie auch das nicht glücken wollte, Einnehmer in Oberndorf. In seinem 34. Jahre verheiratete er sich mit Beke von Hadelen, einer Tochter Bartholds von Hadelen und Anna Vastert, Hermann Vasterts Tochter. Er hatte aus dieser *) Sowohl nach meinem Kalender, als nach einer zurückgelassenen kurzen Nachricht von Caspar Olbers. **) Er war also nicht, wie der Herr Generalsuperintendent will, 1654 gestorben, Be Ehe vier Söhne und drei Töchter, wovon ein Sohn und eine Tochter vor der Mutter, die 1676 den 5. Februar verblich, starben; von den übrigen habe ich nur vier auffinden können, vielleicht hiess der fünfte Peter. Diese waren: Ludolph, der Seedienste nahm und 1690 auf einem Orlogschiff starb. Barthold, der 1673 geboren wurde. Beke, sie wurde geboren 1666 den 14. Oktober. Alheid Maria, sie wurde geboren 1675 den 17. April und starb den 28. Februar 1681. 5. Heino, er wurde 1635, den 29. November unter dem Zeichen des $° Schützen geboren. Dieser legte sich auf die Theologie und folgte seinem Vater zu Oberndorf in der Predigerstelle nach. *) Die einzigste Nachricht, die ich noch von ihm weiss, ist, dass ihm 1657, den 3. März zwei Töchter geboren wurden, die aber den 4. und 5. desselben Monats wieder starben. 6. Johann, der 1637, den 19. August unter dem Zeichen des $E' Schützen geboren wurde, verstarb noch bei Lebzeiten seines Vaters 1650. 7. Es würde nun nach der Ordnung Thomas folgen, allein ich werde nachher die ihn angehenden Nachrichten, weil er wieder ein Stammvater ist, besonders beizubringen Gelegenheit haben. 8. Nicolas wurde im Jahre 1642, den 8. April zwischen 1 und -2 Uhr Mittags, als der Mond im FE‘ Schützen war, geboren. Er legte sich auf die Theologie, hatte aber das Unglück, in zwei Ver- suchen nach einander zu predigen, stecken zu bleiben. Nach diesem Vorfall sah er sich genötigt, wie er allen Anspruch, je eine Pre- digerstelle zu verwalten, aufgeben musste, mit einer Schulmeister- stelle zur Osten zufrieden zu sein. 9. Im Jahre 1644, den 17. Oktober wurde Anna, wie die Sonnein der & Jungfrau und der Mond in der 7%; Wage war, geboren. 10. Franz Otto, er wurde 1647 den 4. Juni des Nachmittags zwischen 2 und 3 Uhr, wie der Mond in der $& Jungfrau war, ge- boren. So viel ich weiss, wurde er ein Landmann zu Oberndorf und starb daselbst 1676. 11. Ich komme jetzt zu dem jüngsten seiner Söhne, dessen Schicksale so ausserordentlich sind, dass sie auch für einen eben nicht dichterischen Kopf einen ergiebigen Stoff für einen Roman abgeben könnten. Ich will die vornehmsten kurz hersetzen. Sein Name. war Barthold und wurde 1649 den 25. September Mittags unter dem Zeichen +; Wage geboren. Von Jugend auf besass er einen grossen Trieb zur Schifffahrt und seiner Neigung wurde .mehr nachgegeben, wie vielleicht, wenn sein Vater noch gelebt, den er in seinem 8. Jahre zu verlieren das Unglück hatte. Ohne sich also an der Abmahnung seiner Mutter zu kehren, begab er sich in seinem 16. Jahre, um Schiffsdienste zu nehmen, nach Hamburg, *) Nach Caspars Nachrichten; er könnte es vielleicht sein, den der Herr Generalsuperintendent Pratje, statt ihn seinem Vater zu Oberndorf, den er auch falsch nach Gewersdorf setzt, folgen zu lassen, nach Wremen im Lande Wursten setzt und ihn daselbst zum Vikarius macht. Ze wovon er auch viele Jahre auf dortigen Schiffen, die Spanien und Levante besuchten, fuhr, in welcher Zeit er einmal das Unglück hatte, von den Algierern in die Sklaverei geschleppt zu werden. Wie er dies Fahren müde ward, begab er sich nach Oberndorf zu- rück und legte sich selbst ein eigenes Schiff zu, worauf er Korn und andere Waren nach Hamburg verfuhr. Aber hier hatte er das Unglück, dass das Schiff, das voll beladen war und nahe unter dem Deiche lag, des Nachts, man weiss nicht, durch welchen Unfall, so plötzlich untersank, dass der darauf befindliche Schiffsknecht sich kaum retten konnte. Dies Unglück brachte ihn so weit zurück, dass er wiederum Schiffsdienste zu Hamburg suchte und traf es in so weit glücklich, wie Steuermann einige Jahre fahren zu können. Allein auch hier verfolgte ihn sein widriges Glück; drei Mal wurde das Schiff, worauf er sich befand, von französischen Kapern zu Dünkirchen aufgebracht. Nach seiner letzten - Befreiung aus der französischen Gefangenschaft begab er sich wieder nach seinem Geburtsort, heirathete daselbst und legte sich ein Fährschiff nach Hamburg zu. Allein Unglück begleitete jedes Unternehmen; er verlor dieses Schiff auch in einem Sturm auf der Elbe gegen Frey- burg über und rettete nebst den Passagiers kaum das Leben. Nicht lange nachher wartete seiner schon ein neuer Unfall; das Haus seines Nachbars gerieth in Flammen, sie ergriffen das seinige und raubten ihm alles. Diese beiden kurz auf einander folgenden Schläge hatten eine solche Wirkung auf das Gehirn dieses un- glücklichen Mannes, der in seinem Leben so manche Anfeindung des Schicksals erlitten hatte, dass eine düstere Melancholie es einnahm und ihm seinen Verstand endlich ganz raubte, der einzige Schlag, der ihn vom Schicksale vielleicht noch konnte versetzt werden. Unter allen Söhnen Ludolphs waren vielleicht also nur zwei, die einigermassen ihr Glück machten, Heino und Thomas: von dem letzteren, der mir ohnedem viel wichtiger ist, da er wie Stamm- vater zu betrachten ist, als alle übrigen, werde ich jetzt das wenige, was ich von ihm habe, hersetzen. Er wurde 1693, den 21. Dezember am St. Thomä-Tag ge- boren, und weil er an demselben Tage getauft wurde, bekam-er dieses Tages Namen. Als Jüngling begab er sich nach Stade auf Schulen, wo er bis in sein 20. Jahr verblieb. Ehe er aber diesen Ort verliess, betraf ihn das Unglück in dem grossen Brande, der 1659 in Stade ausbrach, alles das Seinige, wie er eben aufs Land gereist war,- zu verlieren. Kurz darauf bezog er die Universität Wittenberg, wo er sich zwei Jahre bis 1661 aufhielt. Sieben Jahre nachher *) hatte er das Glück, zum Prediger zur Oese von dem *) Dieses würde also 1669 gewesen sein; in des Herrn Generalsuperin- tendenten Lebensbeschreibung ist die hier angegebene Zahl 1699 notwendig ein Druckfehler; er würde sonst in seinem 60. Jahre erst Prediger geworden sein. Hingegen ist sein Sterbejahr 1715 ein Jahr zu spät gesetzt. Ze. ‘ Patron dieser Pfarre erwählt und am Bartholomäus - Tage intro- ducirt zu werden. Er verwaltete dieses Amt 41 Jahre, bis er die Freude hatte, seinen Sohn Caspar adjungirt zu sehen und starb 4 Jahre nachher in seinem 75. Jahre den 4. November 1714.*) Von seinem unsträflichen Wandel und seiner Liebe und . Achtung bei seiner Gemeinde mag folgendes ziemlich naive Zeugnis des damaligen Patrons der Pfarre, Herr Obrister Melchior von Issendorfi dienen, der bei dessen Absterben sagte: „Er wünschte, dass er bei seinem Absterben möchte Herrn Thomas beim Zipfel seines Mantels gefasst haben, so wäre er gewiss versichert, in den Himmel zu kommen.“ Er war verheiratet gewesen mit Susanna Catharina Viseurs, der Tochter eines Predigers aus dem Lande Hadelen,**) mit der er sieben Kinder, fünf Söhne und zwei Töchter erzeugte. Von allen diesen ausser Caspar, auf den ich gleich kommen werde, weiss ich nichts als die blossen Namen. Diese sind: Anton, ***) Johann, Christian und Thomas, welche drei letzteren unbeerbt ge- storben sind. Die beiden Töchter waren Anna Catharina und Anna Elisabeth. Caspar Olbers, der fünfte Sohn von Thomas, ob er der ‚älteste oder der jüngste war, kann ich nicht sagen, wurde auf St. Pauli Bekehrung, den 25. Januar 1678 geboren. In seinem 21. Jahre begab er sich nach der Universität Rostock, wo er sich drei Jahre bis 1701 auf die Theologie legte. Ich rücke wegen Mangel an Nachrichten bis auf das 1710. oder sein 32. Jahr fort, in welchem er seinem \ater adjungirt wurde, und wie dieser vier Jahre nachher starb, erhielt er dessen Bedienung. In dem näm- lichen Jahre verheirathete er sich mit der Tochter eines würdigen Offiziers, Adelheid Elisabeth Granern, deren Vater, Johann Caspar Granern, Kapitänleutnant bei der königlich - dänischen Garde zu Pferde in Kopenhagen war, mit welcher er vier Kinder erzeugte. Nachdem er die ihm anvertraute Predigerstelle, in deren Führung er gegen das Ende seines Lebens Joh. Friedr. Krumhard zum Amtsgehülfen bekam, 45 Jahre verwaltet hatte, starb er, nachdem er alle seine Kinder versorgt sah, im seinem 81. Jahre 1759 im Ausgang des April- Monats. Diese seine Kinder waren zwei Söhne und zwei Töchter, davon die älteste Margareta Catharina den 8. April 1718 geboren wurde. Sie wurde zum ersten Mal dem Herrn Pastor Schnering zum Bruch verheiratet, und wie dieser starb, verband sie sich zum zweiten Mal, nachdem sie sich einige Zeit bei ihrer Schwester in Hamburg aufgehalten hatte, mit dem Probste Bätzendorf zu Flögeln. *, Er wurde 74 Jahr, 10 Monat, 14 Tage alt. **, Wie ihr Enkel Arend Friedrich meint. ##*, Anton war der Vater von zum wenigstens zwei Söhnen, von denen ich aber nur so viel weiss, dass der eine das Schusterhandwerk zu Kuste trieb; der andere aber soll sich in schwedische Dienste (vielleicht Seedienste) begeben _ haben, ob er jetzt 1779 noch lebt, ist ungewiss. Die zweite Tochter Elisabeth Anna, die jüngste von allen Kindern, wurde 1721, den 25. August geboren und in der Folge mit einem angesehenen Kaufmann und Lakenhändler in Hamburg, Namens Glashof, verbunden, dem sie zwei Töchter gebar, davon die älteste an den Herrn Matthäi, der nach dem Ableben ihrer beiderseitigen Eltern die schwiegerväterliche Handlung erbte und fortsetzte, verheiratet wurde. Arend Friedrich wurde 1720 den 1. März geboren. Anfänglich erwählte er das Militär und machte den ganzen brabantischen Krieg mit. Hierauf hatte er im 30. Jahre, 1750 den 22. Dezember, das Glück, eine angesehene Hausstelle im Lande Wursten, sonst Cammerairs Hof genannt, zu beheiraten und überliess sich dem Landleben. Mit dieser seiner Gattin, eine geborene Schwenkern, der Tochter des weiland Amtsvogt Schwenkern zu Burhave im Butja- dinger Land, erzeugte er einen Sohn und drei Töchter. Caspar Georg, geboren 1753, den 14. Februar. Adelheid Elisabeth, geboren 1755 den 14. Januar, verheiratet an Johann Hinrich Hey in Spick-Kirchspiel Maria Margarete Magdalena, geboren 1758, den 6. Mai. Anna Friederika, geboren den 15. Juni 1759. Johann Georg, der älteste von allen diesen Kindern des Caspar Olbers, wurde 1716 den 7. September geboren, Mit seinem Unterricht beschäftigte zuerst sein Vater sich selbst, bis er glaubte, dass er nunmehr mit Nutzen eine von den grossen Stadtschulen beziehen könnte. Es wurde die stadische erwählt, in welcher da- mals M. Andr. Conr. Werner als Rektor und Joh. Kobbe als Con- rektor mit vielem Beifall lehrten. Im 19. Jahre schickte ihn sein Vater, ungeachtet er selbst lieber Göttingen besucht hätte, nach Rostock aus alter Prädilektion, die wir für Oerter zu haben pflegen, wo wir unsere Jugend nützlich zugebracht haben. Er hörte hier Burzmann, Engelken und Arpinus, und schon im ersten Jahre seines akademischen Lebens wagte er es, mit vielem Beifall eine kleine Schrift: de profana gentilium circumcisione, worin er dem Generalsuperintendenten Backmeister Glück zum neuen Jahr wünschte, herauszugeben. Wie er nachher hier noch ein halbes Jahr sich aufgehalten hatte, ging er auf ein halbes Jahr nach Hause, um in dieser Zeit seine Collegia zu repetiren und wurde darauf auch seines Wunsches gewährt, Göttingen auch besuchen zu dürfen, wo er sich ein ganzes Jahr unter Anführung von Feuerlin, Oporin, Hollmann und Jakobi auf die philosophischen, mathematischen und theologischen Wissenschaften legte. Wie er hiermit sein akade- misches Leben endigte, übernahm er bei dem Superintendenten Lodemann in Walsrode die Stelle eines Hauslehrers. Vier Jahre nachher wurde er zum Examen in Stade zuge- lassen und weil damals es sich traf, dass der bisherige Subrektor an der Domschule in Bremen, Jakob Dieckmann, das Pastorat zu - A Mittelnkirchen im alten Lande erhielt, so wurde er sogleich dazu ersehen, diese Stelle wiederum einzunehmen.*) Er trat sie 1742, den 6. April mit einer Rede: de soliditate et perspicuitate in do- cente virtutibus an. Dieses Subrektorat verwaltete er fünf Jahre, bis er die erledigte Predigerstelle in Arbergen unweit Bremen erhielt. Er wurde den 5. September in Stade ordinirt und den 12. von dem Consistorialrath und Superintendent in Bremen, Herrn Klee, introducirt. In demselben Jahre hatte er das Glück, den 31. Oktober sich mit einer würdigen Gattin, Anna Maria Vogten, der Tochter des weiland wohlverdienten Predigers Johann Vogt am königlichen Dom**) zu verbinden. Wie im Jahre 1759 der Pastor Hinrich Clemens Köncke am Dom zu Bremen starb, so wünschte er dessen Nachfolger zu werden, obgleich er schon eine andre Vokation nach Hamburg ausgeschlagen hatte. Sein Wunsch wurde ihm gewährt. Er trat sein Amt 1760, den 14. Mai mit einer Rede über Johann. XVII, 17—19 an, darin er die Fürbitte Jesu für seine Apostel als einen kräftigen Trost für diejenigen, die ihr Lehramt mit Furcht und Blödigkeit antreten, vorstellt. Bis 1772. verwaltete er mit vieler Treue dieses Amt, wie ein -grassirendes Faulfieber ihn so heftig anfiel, dass er acht Tage nachher schon, obgleich er noch am 3. Sonntage des Advents ge- predigt hatte, den 20. Dezember am Sonnabend starb. *) Es waren verschiedene Subjekte zu dieser Stelle in Vorschlag, allein der Herr Generalsuperintendent Backmeister bat sich aus, man möchte mit der Ernennung so lange warten, bis man des jungen Olbers sein Examen ge- hört hätte. Das Examen fand solchen Beifall, dass die Herren des Consistorii während desselben kleine Zettelchen wechselten, worin er vorläufig zum Sub- rektor bestimmt wurde. **) Joh. Vogt ward zu Beverstädt 1695 den 5. August, wo sein Vater die Stelle eines Propstes bekleidete, geboren. Er genoss den ersten Unterricht von geschiekten Hauslehrern, hernach hielt er sich ein Jahr in Bremen auf, um sich daselbst auf den beiden sich befindlichen Gymnasiis eine Akademie beziehen, geschickt zu machen. Worauf er denn auch 1713 sich nach Wittenberg begab und daselbst Wernsdorff, Chladni, Janum und andere mehr drei Jahr hörte. Nach vollbrachten akademischen Jahren begab er sich nach Hamburg, um die Stelle eines Hauslehrers bei dem Herrn von Schlass, hannöverscher Resident, zu übernehmen, welche er aber nur zwei Jahre bekleidete, indem er zum Pre- diger in Horneburg 1720 erwählt und am 3. Ostertage eingeführt wurde. Von hier wurde er 1733 nach Bremen an den Dom berufen, wo er 32 Jahre diese Stelle bekleidete. Obgleich er zwei Mal verheiratet war und acht Kinder von der ersten Gattin gehabt, so sah er doch nur von zwei Töchtern Nachkommen, und noch vor seinem Tode betrauerte er alle seine Kinder bis auf die oben erwähnte Tochter Anna Maria. Er selbst starb 1765 den 28. August, im 70. Jahre seines Alters. Die vornehmsten seiner gelehrten Schriften, wodurch er sich auswärtig bekannt gemacht, sind, so viel mir einfallen, folgende: 1. Seine Haereseologia, 2. sein Catalogus libr. rariorum, 3. seine Abhandlung de fistula eucharistica und 4, seine Monumenta inedita bremensia, 2 Teile. Christian Olbers, Brauer und Bürger- meister zu Celle, gest. zu Wahren- dorf15. Septb.1558, verh.mitKunigunde gest. zu Wahren- dorf 17. Febr. 1554. Ludolph Olbers, geb. | - zu Celle, gest. nach 1589, war 1552 bis 1559 Pastor Wahrendorf, 1559 an zu Droch- tersen, verh. 1554 |7. Christian,2.Septb. Stammbaum der 1. Otto, geb. 1555. 2. Franz Otto, geb. 27. Juli 1556, gest. zu Hamburg 4.Febr. 1589. 3. Johann, geb. 1557. 4. Anna, geb. 1559. 5 Christian,17.Fehr. ° 1561 — 2%. Jan. 1566. 6. Helwiga, 11. Jan. 1563 — 4. Mai 1564. (1. Elisabeth, n Septb. 1594. Familie Olbers. (1. Christian, geb. (1. Ludolph, gest.auff1. Johann Georg, 1628, lebte 1671| einem Kriegsschiffe verh.zu Kirchosten. | 1690. 2. Hinrich, geb.1629, | 2. Berthold,eh.1673. gest. ca. 1653. 3. Beke. 3. Maria, geb. 1631.|4. Adelheid Maria, 4. Ludolph,geb.1634, 1 1675—1681. Einnehmer 2.Obern-) Zwei andere Söhne dorf,verh.mit Beke| und eine Tochter. von Hadelen. L . Heino, geb. 29. (Zwillingstöchter, Novb. 1635, Pastors geb. 1657, nach1—2 zu Oberndorf. Tagen gest. 6. Johann, 19. Aug. (1. Anton, hatte 2 1637 — 1650. Söhne. geb. 8.| 7. Thomas, geb. 21. 2. Johann ) Kin- Da ae) a ||eh | derlos Novb. 1714, seit\ 4 Thomas ) gest. 7. Septb. 1716— 22. Dezb. 1772, von 1747—1X60 Pastor zuArbergen,1760— 1772 Dompastor zu Bremen, verh. mit Anna Maria Vogt, geb. 19. April 1728, gest. um 1798. Margarethe, geb. 2. 8. Apr. 1718, verh. mit a.PastorSchnering zu Bruch, b. Propst Baetzen- dorf zu Flögeln. 3. Arend Friedrich, geb. 1. März 1720, mit Elisabeth 1566 — 16. Apr. 2. Hinrich, geb. 8. 1616, Pastor zu| Jan. 1598. Kedingbruch, später‘ 3. Ludolph, 3. Septb. zuCadenberge,verh. ı 1605—7. Aug. 1654, mit Maria von| Pastor zu "Obern- Cappeln, gest. 18.| dorf,verh.24.Oktob. 1669 Pastor zuOese, |D. Caspar, 25. Jan. Landwirt im Lande verh. mit Susanna | 1678 — 29. April) Wursten, verh. mit Catharina Viseur. | 1760, war 1710—\ einer Tochter des 8. Nicolaus, geb. 8 1758 PastorzuOese, | Amtsvogts Schwen- } Apr. 1642, Schul- starb zu Bruch,| ker zu Burhave, % $) lährer zu "Osten verh. mit Adelheid | hatte einen Sohn, Septb. 1627. | 1626 mit Adelheid 8, Elisabeth, geb.12.1 Peper, geb. 1603. |9. Anna, geb. 1644. L Mai 1570. 10. Franz Otto, 1647 — 1676, Landwirt, (?) zu Oberndorf. Elisabeth Granern. 6. Anna Katharina. 7. Anna Elisabeth. N. B. Reihenfolge dieser Kinder nicht 11. Barthold, geb. bekannt, 25. Septb. 1649. U Seemann. Caspar Georg, geb. 14. Febr. 1753, und drei Töchter. 4. Elisabeth Anna, geb. 25. Apr. 1721, verh. mit Kaufmann Glashofi.Hamburg, hatte 2 ‚Töchter, vondeneneineeinen Kaufm. Matthaei in Hamburg heiratete. — 13 — Zusatz. Dieser Stammbaum ist im wesentlichen auf Grund der obigen Familiennachrichten zusammengestellt worden. Es dürfte von Interesse sein, im Anschlusse daran auch eine Uebersicht über die wichtigsten Glieder der Familie Vogt, welcher die Mutter des Astronomen Olbers entstammte, folgen zu lassen. Stammbaum der Familie Vogt. 1. Anna Maria Vogt, ( ec al zu 1, 16 Kinder, siehe 1. Johannes Vogt verh, mit Johann umstehend Re 1695 Sog Georg Olbers, Dom- : . Aug. Aug. 1764, Dom-) „PrEtr. Een Bremen 2. Sophie Christine (Anna Maria Doro- Da : Vogt, verh. mit| thea Schulenburg, verh. mit Anna Do- Nicol: Sakrsil b. 28. Juli ralhes Ganlinchoif icolaus Schu en geb. 28. Ju i 1755, > burg, Pastor verh. 1777 mit Dr. ; Horneburg, gest.! jur. Joh. Caspar Johannes Vogt, 1762. l Theodor Olbers. Pastor zu Be- verstedt, verh. 1. Johann Christoph ‚1. Johann Caspar mitAnnaMarg. Vogt, 1. Aug. 1727| August Vogt, geb. Marschalck. 3 — 5.Mai 1798,Dom- 1764,Amtmann ; die 2. Wolbrand Vogt,| pastor zu Bremen, . Zwillingschwester: 2. Febr. 1698 — 11.| verh. mit Sophia Catharina Hedwig Apr. 1774, Dom-) Catharina Magda-| Sophia Vogt, verh. pastor zu Bremen,) lena Cruse, gest.| mit dem Kämmerer verh. mit Annal| 16. Oct. 1771. Flebbe zuHannover. Catharina Cruse,|2. David Heinrich gest. 15. Apr. 1768.| Vogt, geb. 7. Apr. 1732, gest. 1781, Amtmann zu Hitz- acker. Es scheint, als ob Olbers bei Niederschrift seiner Familien- nachrichten die kurzen Aufzeichnungen seines Vaters über seine Vorfahren nicht gekannt habe. Einige Einzelheiten aus dessen Notizen verdienen der Vollständigkeit halber angeführt zu werden. Die Kirchjuraten zu Drochtersen im Jahre 1559 (s. oben S. 2) werden von ihm Melchior Korff, Johann Pardam (Bertram?) Brummer und Barthold Brummer genannt. Gelegentlich der Pest wird be- richtet, in der Gemeinde Oberndorf seien 1627 kaum sechs Ehe- paare bei einander geblieben. Ferner wird erwähnt, dass noch (Mitte des 18. Jahrhunderts) Nachkommen der Söhne von Ludolph Olbers lebten, aber „in geringen und kümmerlichen Umständen“. (Wi O0. F.) 2. Weitere Nachrichten über die Familie Olbers. Von W. ©. Focke. Der Verfasser der vorstehenden Mitteilung, der spätere berühmte Arzt und Astronom Olbers, schliesst seine Arbeit mit einem Auszuge aus der Lebensbeschreibung seines Vaters, welche von dem bekannten Superintendenten Pratje verfasst ist. Da die- selbe gedruckt vorliegt, genügt an dieser Stelle der einfache Hin- weis: J. H. Pratje, Nachweis von Johann Georg Olbers Leben und Schriften, in J. G. Olbers, Betrachtungen über die letzten Dinge, Band I. nach der Vorrede, ohne Seitenzahlen. — 1773. In dieser Schrift von Pratje sind auch die Namen der sämt- lichen 16 Kinder des Pastoren Johann Georg Olbers mit den Ge- burtstagen und, so weit sie nicht mehr am Leben waren, den Sterbetagen aufgeführt. Von einigem Interesse ist es, die Lebens- schicksale der Kinder, also der Geschwister des Astronomen, kurz zusammenzustellen. Kinder des Pastoren Johann Georg Olbers. = früh gestorben. 3. Margarethe Sophie Elisabeth, geboren 23. März 1751, ge- storben 1797, verheiratet 26. September 1769 mit Conrad Heinrich Andreas Hepke, Amtsschreiber, später Amtmann in Syke. Von den sechs Töchtern war eine mit einem Kaufmann Claepius, eine andere mit dem Landsyndikus Domeyer, eine dritte mit dem Ge- richtsverwalter Rohdenburg verheiratet. Ein Sohn, Theodor Hepke, war Kaufmann in London. 4. Johann. Caspar Theodor Olbers, geboren zu Arbergen 9. Mai 1792, gestorben zu Nienburg 26. Dezember 1815. Er war Dr. jur., anfangs Advokat in Bremen, dann 1791—1802 hannöver- scher Intendant daselbst, von 1803 an Amtmann in Nienburg. Er verheiratete sich 1777 mit Anna Maria Dorothea Schulenburg, ge- boren 28. Juli 1755. Von den sieben Kindern aus dieser Ehe starben vier in zarter Jugend; nur eine Tochter, Heloise Theo- baldine, verheiratete sich, und zwar mit dem Kaufmanne und Aelter- manne Diedrich Kulenkamp in Bremen. — 15 — 5. Friedrich Georg Olbers, 12. März 1754 — 2. Februar 1794, seit 1786 Pastor in Bramstedt” (Rgbz. Stade), war verheiratet mit Christine D. F. Gudewill (gestorben 1854). Von den zwei Töchtern heiratete Marie den Oberappellationsrat Brandis in Aurich, später in Celle, Sophie den Geheimen Finanzrat Dommes in Hannover. | früh gestorben. 8. Heinrich Wilhelm Matthias Olbers, geboren zu Arbergen 11. Oktober 1758, gestorben zu Bremen 2, März 1840, Dr. med., praktischer Arzt und berühmter Astronom zu Bremen, Verfasser der vorstehenden Familiennachrichten. Am 15. Juni 1785 heiratete er Dorothea Elisabeth Koehne (24. Dezember 1767 — 20. Mai 1786) und nach deren frühem Tode Anna Lürssen (17. Dezember . 1765 — 23. Januar 1820). Die aus erster Ehe stammende Tochter Henriette Marie Dorothea (6. Mai 1786 — 8. Oktober 1818) heiratete den Dr. jur. Christian Focke; der einzige Sohn, Georg Heinrich (11. August 1790 — 26. Mai 1861), wurde Senator in Bremen. Er blieb unverehelicht, der letzte norddeutsche Träger des Familiennamens Olbers. 9. Thomas Christian Ludolph, geboren 1. Oktober 1759, starb in Ostindien 5. Oktober 1784. w früh verstorben. 12. Anna Dorothea, 12. Oktober 1763 — 4. April 1834, war verheiratet mit dem Amtmann Meyer zu Ülötze, später Landes- Oekonomierat zu Hannover, Aus dieser Ehe stammt eine zahlreiche Nachkommenschaft. 13. Catharina Elisabeth Maria, geboren 25. Januar 1765, war verheiratet mit dem Öberdeichgräfen G. Martens zu Osterholz. Eine Tochter Doris, gestorben 25. April 1853, war verheiratet mit dem Geheimen Finanzrat Horn in Berlin. 14. Antoinette Hedwig, geboren 20. Juni 1766, gestorben 1825, heiratete den Pastoren Johann Heinrich Daniel Gudewill zu Theding- hausen. Die Ehe blieb kinderlos oder es waren wenigstens keine überlebenden Nachkommen vorhanden. 15. früh gestorben. 16. Heinrich Conrad, geboren 6. Februar 1770, Marine- Leutnant in holländischen Diensten, gestorben zu Bremen im Hause seines Bruders des Arztes 30. Januar 1803. Unter diesen 16 Kindern waren drei Söhne, welche sich ver- ehelichten und somit den Namen Ölbers hätten fortpflanzen können. Unter ihren Kindern erreichte aber nur ein einziger Sohn das Mannesalter, nämlich der Senator G. H. Olbers, mit dem, da er unverehelicht blieb, der Mannesstamm des ÖOlbersschen Ge- schlechts erlosch. In allen andern Linien scheinen ebenfalls die männlichen Nachkommen, welche den Namen erhalten konnten, aus- gestorben zu sein. Dagegen blüht die Familie Olbers noch in Schweden, insbesondere in Gotenburg. — 8 Der schwedische Zweig der Olbers leitet seinen Ursprung von einem sagenhaften Bischof Olbers in Bremen her, der zwölf Söhne gehabt haben soll. Einer dieser Söhne, Andreas Olbers, wanderte nach Schweden aus und lebte unter Carl XI. als Hofjuwelier in Stockholm, verliess das Land jedoch wieder unter Carl XII. Genauer bekannt sind zwei Söhne dieses Andreas Olbers, die in Schweden blieben. Daniel Andreas Olbers, 1689 in Stockholm geboren, war Makler in Gotenburg, verheiratete sich mit einer Holländerin und starb 1731. Er hatte acht Kinder, von denen zwei Söhne und zwei Töchter sich verehelichten. Die Söhne wurden beide Schiffskapitäne; der ältere, Johann Peter, starb 1774 während einer Reise auf St. Helena, der jüngere, Livinius, 1801 zu Högard in Schweden. — Von einem zweiten Sohne, Johann Andreas, des oben genannten Juweliers Andreas Olbers stammte Erik Olbers, geboren 1725, der 1751 unter dem Namen Oldenskjöldt geadelt wurde. Dieser adlige Familienzweig ist aber ausgestorben. Um 1850 haben die Goten- burger Olbers das Familienwappen von Senator Olbers in Bremen angenommen. Es entnält einen Baum (Oelbaum). Auf die bekannten Vorfahren des Astronomen Olbers lassen sich die schwedischen Glieder der Familie nicht unmittelbar zurück- führen. Es ist niemand bekannt, der mit einiger Wahrscheinlichkeit für den Vater des Andreas Olbers gehalten werden könnte. Die Kinder wurden häufig nach ihren Grossvätern genannt; von den Vornamen der ältesten Glieder des schwedischen Stammes, Andreas, Daniel, Nicolaus und Johann, sind nur die beiden letzten unter den Bremischen Olbers nachweisbar. Einen Sprössling der schwedischen Olbers, einen Agrikultur- chemiker, lernte ich vor einigen Jahren zufällig. kennen, als er die Bremer Moor-Versuchsstation besuchte. 3. Die Lune-Plate im August 1875. (Aus der Weser-Zeitung vom 29. und 31. August 1875.) Von Franz Buchenau. Die Untersuchung einer Insel hat für den Geographen wie für den Naturforscher immer einen ganz besonderen Reiz. Die Abgeschlossenheit des Gebietes, die bestimmte, individuelle Form desselben, seine gleichsam persönlichen Schicksale fesseln unwill- kürlich das Interesse des Forschers, und auch der Laie kann sich diesem Reize nicht entziehen. Wenn sich dies bei allen Inseln, namentlich den eigentlich sogenannten oceanischen, zeigt, deren Studium in Beziehung auf geognostischen Aufbau, sowie auf Flora und Fauna den Naturwissenschaften neue Aufschlüsse und höchst überraschende Impulse gegeben hat, so wiederholt es sich im Kleinen bei den winzigen Inselchen, welche unsere deutsche Nord- seeküste umsäumen. Ob sie, wie Helgoland, aus einem trotzig über die Fluten sich erhebenden Felsen bestehen, ob sie gleich dem fast vergessenen Arngast im Jadebusen, kleine Reste alten Geestbodens sind, deren völlige Zertrümmerung nur noch einer kurzen Zeit bedürfen wird, ob sie — gleich den ostfriesischen Inseln — aus südostwärts wandernden Dünen bestehen, in deren Schutze nur spärliche Anschlickungen sich zu halten vermögen, bis auch sie einstmals von dem wandernden Sande begraben werden, ob sie endlich völlig söhlige Platten alten aus Schlick gebildeten Marsch- bodens darstellen, wie es von den oberahnschen Feldern im Jadebusen und den Halligen gilt, — immer wird ihnen nicht nur der Naturforscher, der Schiffer und der Küstenwächter, sondern auch jeder, der sich für die Geschichte unserer Küsten interessiert, ja jeder Laie, der sie einmal, und sei es auch nur als Jäger oder Badegast, betreten hat, ein ganz besonderes Interesse entgegen bringen. Ein solches Interesse war es denn auch, welches schon lange unsere Blicke auf den mit dem Namen „Lune-Plate“ be- zeichneten Fleck auf den Karten der Unterweser hinlenkte, und uns einen Besuch desselben wünschen liess, Die unterste der ziemlich zahlreichen Inseln im Flussbette der Unterweser, ist sie am stärksten XV, März 1895, ? weg > den Einflüssen von Ebbe und Flut, sowie dem Salzgehalte des Wassers ausgesetzt; sie ist zugleich die grösste und versprach also auch in dieser Beziehung eine grössere Mannigfaltigkeit der Verhältnisse. — Ein Besuch derselben ist aber nicht so einfach zu bewerkstelligen, wie es wohl auf den ersten Blick erscheinen möchte. Auf der linken Weserseite streckt sich zwar jetzt der Schienenweg bis zu dem der Lune-Plate gegenüberliegenden oldenburgischen Zukunftshafen Nordenhamm; aber das Uebersetzen von dort über die breite und tiefe Stromrinne der Weser ist nicht eben leicht; besonders schwierig aber würde von dieser Seite her das Landen auf dem Schlickboden des Vorlandes sein. So bleibt denn nur der Weg von der rechten Weserseite her übrig, für welchen die Eisen- bahnstationen Geestemünde oder Loxstedt den Ausgangspunkt zu bilden haben. Von jener führt eine treffliche, mit wesentlicher Beihülfe des Besitzers der Lune-Plate erbaute Chaussee, von dieser ein etwas näherer, aber nicht so bequemer Weg nach Ueterlande. Dieses Dorf liegt bereits in dem Lande Wührden, bekanntlich dem- jenigen Distrikte, in welchem das Herzogtum Oldenburg bedeutend auf das rechte Weserufer hinübergreift. Auf beiden Wegen über- schreiten wir den kleinen Nebenfluss der Weser, die Lune, vor deren Mündung die Plate, das Ziel unseres heutigen Ausfluges,*) liegt, und nach der sie genannt ist. Von Ueterlande führt dann eine Fähre, wenn die Tide günstig ist — denn zur Zeit der Ebbe ruht des Schlickes wegen für mehrere Stunden alle Schifffahrt — in wenigen Minuten nach einer Schlenge,**) welche die Landungs- stelle der Lune-Plate bildet. Der Anblick, welchen die Lune-Plate vom Deiche bei Ueter- lande aus bietet, ist für den Freund niederdeutscher Gegenden. nieht uninteressant. Eine weite, fast söhlige grüne Fläche : dehnt sich vor dem Blicke aus. Da man höher steht, als die Deiche der Plate sind, so übersieht man auch die eingedeichten Ländereien, welche grösstenteils durch das bunte Weidevieh sehr belebt sind. Rechts und links bilden die Gehöfte der Hirtenhäuser Ruhepunkte für die Augen; nach rechts hin schweift dann das Auge über weite, schwarzgrüne Rohrfelder, ferner über die trüben Fluten der Weser und verweilt zuletzt mit Wohlgefallen auf dem aus der Ferne her- überscheinenden Mastenwalde von Geestemünde und Bremerhaven; links erblickt man gerade jenseits des Stromes die roten Häuser von Nordenhamm; das für die Eisenbahnverwaltung angekaufte Haus hebt sich besonders hervor, und die Dämme für die Hafen- *) Der emailen Besitzer war der jetzt (1894) schon nicht mehr unter den Lebenden weilende Herr Diedrich von der Hellen auf Gut Wellen, welcher uns (Herrn Dr. L. Häpke und mich) selbst auf die Lune-Plate führte. **) Neuerdings sind sowohl von der Lune-Plate als von Ueterlande aus lange Landungsbrücken in den Strom hinausgebaut worden, so dass jetzt die Fähre zwischen beiden zu jeder Zeit benutzt werden kann. — Die Lune-Plate selbst ist jetzt von einem hohen Winterdeiche umgeben, nachdem einmal eine Sturmflut- über den Sommerdeich hinweggegangen war und viel weidendes Vieh ertränkt hatte. (Red.) : = 19 = änlagen schneiden scharf über dem Wasser ab. Im Mittelgrunde wälzt der breite Strom seine von Schiffen belebten Gewässer; über ihm bebt sich jenseits der mächtige, das Land schützende Deich, noch überragt von dem Strohgiebel manches behaglichen Wohn- . hauses und des ihn besclattenden Busches, d. i. vorzugsweise stattlicher Eschen und Weiden. —- Am wenigsten erfreulich ist der Vordergrund des Bildes. Träge und kaum bewegt ist das muddige Wasser des tast toten Weserarus, welcher die Insel vom Festlande trennt; darüber bei niedrigem Wasser ein bıeites Band blanken Scehiickes und dann erst der grüne Uferstreifen. Zur Zeit unseres Besuches war derselbe überragt durch ein breites Band leuchtend hellgelber Blumen, deren Bestimmung uns lange zweifelhaft blieb. Sollten es dichte Büsche des schwarzen Senfes sein, der in den Küstengegenden Ostfrieslands so häufig ist? Die Fähre ist zw langsam für unsere Ungeduld; aber kaum hat sie die Mitte des trägen Weserarms erreicht, so löst sich das Rätsel. Wir haben wahre Riesenexemplare der Sumpfaschenpflanze (Senecio paluster) vor uns, einer in unseren Mooren und an Rändern träger Ge- wässer nicht seltenen Pflanze. Aber was wollen unsere binnen- ländischen Zwerge gegen die hier in Ueppigkeit entwickelten Exem- plare sagen! Bis zur Höhe von einem Meter schiesst der mastige hoble Stengel auf; das gelbgrüne Laub tritt ganz zurück gegen die Ueberfülle gelber Köpfe, welche im Juni schon zum Teil ihre weisse Samenwolle ausstreuen. Die’Lune-Plate gehört eigentlich zu einem Komplexe von vier Inseln, welche die Namen: grosse und kleine Lune-Plate, Eide- warder-Plate und Einswardersand-Plate führen. Die beiden Lune- Platen und die Eidewarder-Plate sind jetzt nur noch durch breite Gräben getrennt; zwischen der Einswarder-Plate und der grossen Eune-Plate zieht sich ein schmaler schlammiger Weserarm hin. Die Eidewarder-Plate liegt am Westrande, die Einswarder-Plate dagegen am Nordende der Lune-Plate, welche letztere an Grösse bei weitem überwiegt. Die ganze Inselgruppe erstreckt sich im Wesentlichen von Ost nach West, jedoch ist die Westspitze etwas nach Süden, die Ostspitze stark hornförmig nach Norden gebogen. Die Eidewardener- und die Einwarder-Plate gehören dem olden- burger Staate, dagegen hat die Lune-Plate das Glück (wenn man dies von einer Landfläche sagen darf), nur einem Besitzer anzuge- hören, welcher, ausgestattet mit grosser Intelligenz und Energie, bedeutende Kapitalien aufwendete, um das Grundstück zu verbessern und höhere Erträge zu erzielen. Die Lune-Plate ist durchaus von fettem Weserschlick zu- sammengesetzt. Bis zu Ende der zwanziger Jahre bildete sie eine deichlose, allen Hochfluten preisgegebene Aussendeichsländerei. Nach glaubwürdigen Mitteilungen ist es kaum hundert Jahre her, dass der erste Anfang der Plate sich über den Spiegel der Weser erhob. Im Jahre 1825 aber liess der Vater des jetzigen Besitzers eine rechtwinklige Fläche von etwa 380 Morgen des höchstgelegenen Landes eindeichen. Hiermit war nun die Basis für eine regel- 2* ae mässige Weidewirtschaft gewonnen. Das eingedeichte Land war den Sommerfluten entzogen; auf hohen Wurten erhoben sich bald, den Deich noch bedeutend überragend, zwei Hirtenhäuser, welche auch im Winter bewohnt werden können. Eine wahrhaft gross- artige Melioration wurde aber in den Jahren 1873 und 1874 von dem jetzigen Besitzer durchgeführt. Er liess 500 Hektar (2000 Morgen) eindeichen, wozu ein Deich von fast 12 Kilometer Länge herge- stellt werden musste; das früher eingedeichte Land bildet die Basis dieses neuen Gebietes, und der alte Deich verwandelte sich grössten- teils in einen Schlafdeich. Zwei Sommer waren zur Durchführung dieser bedeutenden Arbeit und zur Ausbesserung des von den Winterfluten wieder Zerstörten nötig, und die letztere Arbeit dauert noch jetzt fort. Die Gewinnung des Deichmaterials geschieht auf sehr zweckmässige Weise aus dem Körper der Plate selbst. Vor dem „Fusse“ des abgesteckten Deiches werden aus dem Aussen- deichslande „Pütte“ von rechteckiger oder quadratischer Form und etwa 30 Meter Seitenlänge ungefähr ein Meter tief ausgeschachtet und das gewonnene Material zur Aufschüttung des Deichkörpers weggekarrt. Die einzelnen „Pütte“ sind von einander durch schmale Landzungen, sogenannte „Speckdämme“, getrennt; diese Landzungen werden dicht vor dem Fusse des Deiches abgestochen und hier stehen also die benachbarten Pütte mit einander in Verbindung. Auf diese Weise bilden die Pütte kleine Teiche, welche nach der Stromseite hin abgeschlossen sind, unter einander und mit dem Strome aber durch einen schmalen, dem Fusse des Deiches ent- lang laufenden Graben in Verbindung stehen. Zur Ebbezeit laufen sie regelmässig trocken; bei Flut aber dringt langsam und all- mählich das trübe Wasser des Stromes in sie ein und lagert während des Stillstandes zur Hochwasserzeit den befruchtenden Schlick ab. Bald begrünt sich nun der wunde Boden. Zuerst siedelt sich in ungeheuren Massen und ausserordentlicher Ueppig- keit der blasenziehende Hahnenfuss (Ranunculus sceleratus) an; ihm folgen bald der grosse Wegebreit (Plantago major) und die breitblättrige Melde (Atriplex latifolium). Die im Jahre 1873 aus- geschachteten „Pütte“ besassen im Sommer 1875 bereits eine dichte Vegetationsdecke, bestehend aus den oben erwähnten Gewächsen, zu denen sich im zweiten Jahre noch die Sumpfaschenpflanze (Senecio paluster, häufig auch Cineraria palustris genannt), die Meerstrandsaster (Aster Tripolium), der geknickte Fuchsschwanz (Alopecurus. geniculatus) und. mehrere Binsenarten (Heleocharis palustris, Seirpus Tabernaemontani und maritimus) gesellen. Jetzt ist die Zeit für die eigentliche „Aufschlickung“ gekommen. Jeder Halm, jedes Blatt bildet einen Schlickfänger und bricht die Kraft des abrieselnden Wassers. Je unruhiger das Wetter, desto stärker ist (namentlich im Winter) der Schlickfall; in einzelnen Wintern soll derselbe in günstigen Lagen bis zu 24 Centimeter betragen, und nach 15—20 Jahren ist die ganze Fläche wieder in eine fette Marschwiese von der Höhe des übrigen Aussendeichslandes ver- wandelt. e So besteht jetzt die Lune-Plate aus etwa 500 Hektaren ein- gedeichter Fläche und 250 Hektaren nutzbaren Aussendeichlandes. Alle die zahlreichen schlängeligen Wasserläufe oder „Balgen“, welche sich auf den Landkarten eingetragen finden: die Trompeten. balge, die Lunebalge, die grosse und kleine Balge, die Wulsdorfer Balge, und wie sie alle heissen mochten, sind abgedeicht; statt ihrer führen vier wirkliche Siele und zahlreiche kleine Klappdurch- lässe das Himmelwasser und etwa eingedrungenes Flutwasser aus dem Lande ab. Der Deich hat eine Höhe von fast zwei Meter über dem „Maifelde“; er schützt also nur gegen die Sommer- und niedrigeren Winterfluten. Die höheren Winterfluten von dem Lande abzuhalten, ist nicht beabsichtigt und würde auch nicht zweckmässig sein, da dieselben immer wieder befruchtenden Schlick mitbringen und ablagern. Die Bewirtschaftung dieser weiten, das Auge durch die frisch- grüne Farbe erfreuenden Fläche ist nun folgende: Von dem einge- deichten Lande werden etwa zwei Drittel als Weideland benutzt; das letzte Drittel bleibt zur Maht liegen. Es weiden gegen 1200 Stück Vieh auf der Plate und das Bild, welches diese zahl- reichen bunten Tiere (meistens Jungvieh und Mastvieh, aber auch einige Pferde und die Milchkühe der Hirten und der nächsten An- wohner) gewähren, ist ein sehr belebtes. Breite Gräben trennen die einzelnen Weidestücke von einander und schliessen auch das Vieh von dem Deiche aus; auf und an dem letzeren weiden nur einzelne Schafe. Mit der Weidewirtschaft und der Maht wechselt man im dritten Jahre ab, und man würde gern die erstere noch ausdehnen, denn „durch dat Maien ward dat Land slechter“, wie unser Führer richtig bemerkte. Das Aussendeichsland wird als besonders geschätztes Heuland verpachtet. Die Marschwiesen werden hauptsäclich von mehreren Schwingelarten (Festuca elatior und arundinacea), Rispengras (Poa pratensis), dem nahrhaften Ray- grase (Lolium perenne), der Rasenschmiele (Aera caespitosa), der Wiesentrespe (Bromus racemosus), der Quecke (Triticum repens) und dem Hörnek (Juncus Gerardi) zusammengesetzt; an frucht- baren Stellen finden sich das Bandgras (Phalaris arundinacea) und das Reith (Phragmites communis); je länger aber das Land be- weidet wird, desto mehr breitet sich der Stolz der Fettweiden: die bescheidene Wiesengerste (Hordeum secalinum) aus, ein niedriges, freudig-grün gefärbtes Gras, dessen grüne, von bräunlichen Grannen umsäumte Aehre sich auf zartem Stengel im Winde wiegt. Dieses Gras verträgt von allen Arten das unausgesetzte Beweiden am besten; es ersetzt überdies durch dichten Wuchs und ausserordent- liche Nahrhaftigkeit das, was der einzelnen Pflanze an Masse ab- geht. Es überzieht mit einem dichten Teppiche die alten Marsch- weiden, welche von den richtigen Marschbauern fast heilig gehalten werden; kein Butjadinger würde sich entschliessen, eine solche „Fettweide“ als Mähland zu benutzen oder gar umzubrechen. — Den oben genannten Gräsern mischen sich im Rasenteppiche der Lune-Plate noch einige Gewächse, wie Bärenklaue, Löwenzahn —_ 2 — ‚(Leontodon autumnalis), ein paar Hahnenfuss- und Kleearten, krauser Ampfer und die bekannten Disteln der Weiden bei. Die Salzvegetation ist nur im Aussendeichslande und auch da nur an einzelnen Stellen, namentlich am Westrande in grösserer Ausdehnung vorhanden. Als echte Salzpflanzen sind nur das Mileh- kraut (Glaux maritima), der Erdbeerklee (Trifolium fragiferum), das abstehende Süssgras (Atropis distans), der Meerstrandswege- rich (Plantago maritima), der Meerstrandsdreizack — richtiger Sechszack — (Triglochin maritima) und die Meerstrandsaster (Aster Tripolium) zu bezeichnen, denen sich als salzliebend das Gänse- fingerkraut (Potentilla anserina), das „englische Gras“ (Armeria vulgaris), mehrere Formen des weissen Fioringrases (Agrostis alba), der grosse Wegebreit (Plantago major) und mehrere der schon oben genannten Halbgräser anschliessen. Auch auf der Lune-Plate tritt uns aber die Thatsache in ganz frappanter Weise entgegen, wie rasch nach der Eindeichung sich die Salzvegetation verliert; fast keine der genannten salzliebenden Pflanzen war innerhalb der im Jahre 1873 gezogenen und erst 1874 vollendeten Deiche mehr zu finden; nur so genügsame Pflanzen wie das Gänsefingerkraut, das Reith, der Hörnek und die Binse (Scirpus maritimus) weisen noch auf den Salzgehalt des Bodens hin. Der Seewermuth, von dem uns erzählt worden war, dass er auf der Insel vorkäme, wächst schwerlich dort. Er wurde von uns nicht gesehen, und die auf der Insel wohnenden Leute wussten uns auch keinen Standort desselben zu bezeichnen, sondern errählten nur von einzelnen angetriebenen Pflanzen. Ueberhaupt fehlen von den charakteristischen Pflanzen unserer offenen Meeresküste und der vor ihr gelagerten Inseln hier ‚bereits eine ganze Reihe, so namentlich der der Flut weit ent- gegeneilende seltsam geformte Krückfuss (Salicornia), die zarte Chenopodina, die rotblühenden Lepigeonum-Arten, die schöne Statice mit ihren an das indische Heliotrop erinnernden Blütenständen, mehrere Salzgräser und die in dem Schlick der Watten wurzelnden echten Seegräser. Eine eigentümliche Vegetationsform hat die Lune-Plate mit den anderen Inseln der Unterweser gemein: die weit ausgedehnten Rohrfelder. Sie scheinen überall den jüngsten Anwuchs zuerst in Besitz zu nehmen und zu befestigen. An der Westseite, wo die Rinne des Fahrwassers nahe an dem Wiesenlande liegt, fehlen sie; nach Süden und ganz besonders nach Norden hin erstrecken sie sich aber in sehr grosser Ausdehnung Weithin schweift von der Nordspitze des Deiches der Blick über die schwarzgrüne, immeı bewegte Schilffläche; aber nur dem Auge ist es gestattet, sie zu überfliegen; dem Fusse ist das Eindringen sehr bald gewehrt. Er sinkt tief in den weichen Schlick des Bodens ein. Rines umeeben ‚den Eindringenden die runden Halme und die scharfkantigen Blätter und schlagen noch über seinem Haupte zusammen, ihm jede Um- schau und leicht auch jede Orientierung nach den Himmelsgegenden raubend. Diese Dschungles Norddeutschlands sind ebenso wenig ein Aufenthaltsort für den Menschen, als die noch grossartigeren und _— 2.3 — ‚gefährlicheren des Südens. Nur im Winter, wenn der Boden durch ‚das Eis gefestigt ist, beleben sie sich mit Scharen fleissiger Menschen. Dann ist die Zeit der Ernte des Schilfes; mit kräftigen Sicheln ‚wird es geschnitten und auf einzelnen erhöhten Warfen, den „Schobenbargen“ aufgehäuft, um von dort zu entlegener Zeit ab- geholt zu werden. Noch jetzt zeigen mehrere solche Warfe in dem bereits eingedeichten Lande an, dass vor nicht gar langer Zeit dort noch das Reith seine Herrschaft behauptete. Die Schilffelder ‚bilden aber für die Besitzer der Strominseln wahre Goldquellen, indem sie von Jahr zu Jahr dem Strome weiter entgegendringen und hinter sich gefestigtes Land zurücklassen, welches nun von den besseren Weidepflanzen eingenommen wird. Für die Lune-Plate allein beträgt der jährliche Zuwachs zwischen 2 und 4 Hektar. — Aber nicht allein hierauf beruht der steigende Wert der Plate. Einer weit grösseren Zukunft geht sie noch entgegen, sobald der tote östliche Arm der Weser, welcher sie jetzt noch vom Lande trennt, vollständig zugeschlammt und dann eine feste Ver- bindung mit dem Lande hergestellt sein wird. Dann wird die Lune-Plate allerdings ihre Individualität verloren haben, aber für die Benutzung wird sie damit einen sehr viel höheren Wert erlangen. : Das Tierleben der Lune-Plate ist ausserordentlich ärmlich. Ausser dem vom Menschen dorthin gebrachten Vieh leben an Säuge- tieren wohl nur die Spitzmaus und eine Art Feldmaus — und diese auch nur sehr selten — auf derselben. Aber noch mehr überrascht die Armut an Vögeln. Nur die gewöhnlichen Weide- vögel, wie namentlich der Kibitz, die Wiesenschnarre, der Kampf- hahn, einige Arten Regenpfeifer und mehrere Arten Strandläufer sind vorhanden; die eigentlichen Seevögel nisten nicht auf der Insel und finden sich auch nur ganz einzeln zur Ebbezeit bei ihr ein, um auf ihren Schlickgründen zu fischen. Ehe der Verkehr mit Dampfschiffen auf der Unterweser bedeutend war, nisteten Gänse ‚und Schwäne in den grossen Rohrfeldern. Doch es ist Zeit, an die Rückkehr zu denken. Das Aussehen von Himmel und Wasser hat sich seit dem Eintritte der Ebbe wesentlich verändert. Mit Hochwasser ist eine schwere, graue Regenwolke heraufgekommen, welche schon lange drohend über der Unterweser stand. Die vor Anker liegenden Schiffe haben sich, dem Ebbestrome folgend, bereits stromabwärts gerichtet. Schon suchen zahlreiche Vögel die freiwerdenden Schlickbänke . nach Aesung ab. Sie mahnen uns, an die Rückfahrt zu denken, wenn wir nicht für eine halbe Tide vom Lande abgeschnitten sein wollen. Wir eilen der Fähre zu. Schon liegt das Fährboot an der äussersten Spitze der Schlenge. Das Fahrwasser ist durch junge Eichbäume bezeichnet, welche als „Buschbaken“ eingesteckt sind. Noch im vorigen Winter standen sie frisch im Walde, und es macht einen melancholischen Eindruck, dass sie hier, ernährt durch das brackische Wasser, ihre Blätter entfaltet haben und so einen Versuch machen, ihr Leben über der trüben Flut zu fristen, Schreiend eilen die =. — Krähen, welche sie — das traurige Bild erhöhend — zu ihrem Ruhesitze erwählt haben, bei unserer Annäherung davon; bald aber ist der „feste Wall“ wieder erreicht und nach Ueberschreitung des Deiches breitet sich vor uns wieder die freudig-grüne Marsch aus. So scheiden wir von der Lune-Plate, einem für den Natur- forscher und den Nationalökonomen gleich interessanten Flecken Erde. Schön und anziehend für den Touristen ist sie gewiss nicht; aber auch auf ihr verleugnen sich die grossartigen Eindrücke nicht, welche die Natur mit den einfachsten Elementen, mit weithin ge- streckten Flächen, Wasser und Himmel, hervorbringt. 4. Mechanikus Treviranus. Von H. A. Schumacher. (Aus den Bremer Nachrichten vom 17. und 18. Dezember 1888.) Bei der Enge reichsstädtischer Verhältnisse bietet nur in Ausnahmefällen die Geschichte bremischer Familien mehr als Lokal- interesse. Das gilt von den ältesten Perioden wie von der jüngsten Vergangenheit. Niemals bestand in Bremen ein langlebiges Patriziat oder eine immer sich erneuende Ratsverwandtschaft, oder ein durch Geld oder Geist bedeutender Bürgerzuzug; es war eben Bremen bis in unser Jahrhundert hinein arm, klein, vereinsamt, ja von fremden Mächten eingeschnürt. Aus solcher Gebundenheit er- klärt es sich, dass einige wenige aus den Rhein- oder den Nieder- landen übergesiedelte Familien für die Hebung der Stadtbevölkerung grössere Wichtigkeit erlangt haben, als bei ihrem gelehrten Wesen vermutet werden möchte. Die Pastoren- und Doktoreneinwanderung ist eine für Bremen charakteristische Erscheinung. Zu den aus der Fremde gekommenen Pastorenfamilien gehörte auch die Treviranussche, welche bis nach Heidelberg und Speier zurück zu verfolgen ist, aber nicht etwa bis nach Trier. Ihre zweite bremische Generation, die drei Söhne des ersten an der Weser geborenen Treviranus, gaben den Gelehrtenstand auf und widmeten sich der Kaufmannschaft. Unter ihnen flösst nur der älteste ein besonderes Interesse ein: Jacob Treviranus, der 1806 als Notar und Dispacheur in dürftiger Wohnung geendet und seinen Nachkommen nichts hinterlassen hat, als „einen braven und würdigen Namen“. Von den elf Kindern dieses Mannes sind sechs nicht zu voller Reife gelangt; die jüngste Tochter Lotte (} 1857) lebt noch heute bei älteren Bremerinnen als hochbegabte und aufopferungs- volle Lehrerin in dankbarer Erinnerung, während aus den vier herangewachsenen Söhnen tüchtige Männer geworden sind. Zwei stehen in den Annalen der Naturwissenschaften rühmlich verzeichnet, nämlich Gottfried Reinhold, der Arzt und Biologe (7 1837), dessen Bildnis auf der Bremer Museums-Medaille von 1844 sich zeigt und dessen Biographie von Georg Barkhausen nnd Wilhelm Focke ge- schrieben ist, sodann Ludolf Christian, der Botaniker (7 1864), seit 1812 von Bremen abwesend, dessen von Franz Buchenau und Karl von Martius herrührende Nekrologe durch eine wertvolle Selbstbiographie unterstützt werden. Dann folgt ein Schiffskapitän Jacob (7 schon 1824); derselbe erscheint ehrenvoll in Schumachers Be ne Geschichte der Orinokofahrt; der jüngste und auch zuletzt ge- storbene Sohn des Dispacheurs, Georg (} 1869), war bislang so sehr vergessen, dass selbst Wilhelm Friederichs bei der Nachfor- schung zuerst irre ging. Jetzt hat dieser in bremischer Genealogie gutbewanderte Leutnant a. D. der historischen Gesellschaft einen Treviranus-Stammbaum überreicht, der um so dankenswerter ist, als die gesamte Familie in Bremen vor dem Aussterben steht; von jenem Vater der elf Kinder giebt es seit 1869 überhaupt keine Nachkommen mehr. Der jüngste Sohn desselben, nach seinem Ur- grossvater, einem bekannten Pastor der bremischen Neustadtskirche, Ludwig Georg geheissen, geboren am Jakobikirchhof zu Bremen, März 7., 1790, gestorben am Grossenplatz zu Brünn November 7, 1869, hatte kein überaus ereignisvolles Leben, jedoch bietet sein Wirken manche für die jüngste Geschichte der Technik und für ‚bremische Verhältnisse charakteristische Züge. Der Kinderzeit, in welcher die Wechselfälle des bremischen Handelsgeschäfts am Vaterhause traurig sich zeigten, folgte nach dem Tode der Eltern ein längeres Obdach beim gutsituierten ältesten Bruder, der den eifrigen, verwaisten, aber doch mit der Gelehrten- bildung seiner Vaterstadt ausgestatteten Jüngling unter Beihülfe von Wilhelm Olbers zum Mechanikus auszubilden beschloss und deshalb 1808 nach München sandte als Lehrling des schon be- rühmten mathematisch- mechanischen Instituts, das der in Bremen wegen seiner englischen Reisen wohlbekannte Georg von Reichen- bach mit Liebherr und Utzschneider vor einigen Jahren begründet hatte In dieser hochstehenden Werkstätte und in dem gleich darauf (1809) von Reichenbach mit Utzschneider und mit Frauenhofer zu ‚Benedikt-Beuern errichteten optischen Institut lernte der junge Bremer. alle Feinheiten der mathematischen Technik, namentlich für optische Instrumente. Es schien, als werde er diesen sich ganz. widmen, allein die Hoffnung, der Geschäftsteilnehmer jenes von Reichenbach zu werden, zerschlug sich 1812 bei den Unter- redungen, die dieser mit dem bayrischen „Salinenrat“ in Paris hatte. Treviranus kehrte nach Bremen zurück und schiffte Char- freitag 1814 in Emden sich ein, um England zu besuchen und zwar besonders Wilhelm Herschel, den königlichen Astronomen zu Slough bei Windsor. Am 5. Juni schrieb er von dort: „Jch habe in Herschel einen freundschaftlichen Mann gefunden und bei ihm ziemlich guten Verdienst, sodass ich vor der Hand zufrieden bin. Meine Beschäftigungen sind teleskopische, wobei aber, da Herschel in den Hauptsachen sehr geheimnisvoll ist und sie selber anfertigt, nicht sehr yiel zu lernen: ist. Kost und Logis habe ich ausser dem Hause bei unserem Dorfschulmeister genommen, bei. dem ich ‚mich ziemlich wohl befinde.“ Der Bremer Bruder setzt hinzu: „Es freut mich, dass der gute Junge nicht vergeblich nach England gegangen ist; ich halte ihn für den Glücklichsten von uns allen; er,hat einen Beruf, für den er gemacht ist, eine Kunst, bei der kein unerreichbares Ideal schlaflose Nächte, Beuel und hat ruhigen und genügsamen Sinn.“ . A Hersehels Geheimthuerei machte ein längeres Verbleiben bei ihm unthunlich; Treviranus trat bei dem grossen Londoner In- strumentengeschäft von William Berge ein und lernte nun auch in den bedeutendsten Etablissements des Themsegebiets technische ‚Aufgaben von mehr als mathematischem Interesse kennen; so studierte er praktisch die Stahlfabrikation, da die bisherigen Her- stellungesmethoden der mittleren Federhärte nicht genügten. Nach Bremen zurückgekehrt, legte Treviranus seinen Wohl- thätern, dem Bruder Reinhold und dessem Freunde Olbers, mehrere mechanische Konstruktionen vor, namentlich einen selbst erfundenen zierlichen Kreisteilungs-Apparat, alles aber nur in Zeichnungen mit ‚erläuterndem Text, da die Mittel für Modelle fehlten. In Bremen begannen: damals, gleich nach den Anregungen des Philadelphiers Justus Erich Bollmann aus Hoya, verschiedene Vor- arbeiten für die Erbauung eines ersten Weserdampfschiffs. Friedrich Schröder, der Unternehmer, überreichte seine bahnbrechende Ein- gabe am 23. Mai 1816 und erhielt das Bremer Privileg Juni 18. desselben, das oldenburgische März 9. und das hannoversche April 8. des folgenden Jahres. Schon zwei Tage nach dem letztgenannten Privileg wurde in Vegesack das erste in Deutschland auf dentsche Kosten von deutschen Technikern fertiggestellte Dampfschiff vom Stapel gelassen. Für dasselbe hatte Treviranus’mit Johann Lange und Zacharias Spilker einen guten Teil des Jahres 1816 in Eng- land und Schottland verbracht; er hatte bei Bulton, Watt & Co. zu Soho (Birmingham), einer von Bollmann empfohlenen Maschinen- fabrik, den jüngeren James Watt kennen gelernt, dann die von ‚dort bezogene Maschine glücklich in Vegesack eingerichtet, auch im Februar und Mai 1817 das Dampffahren in der Bremer Presse verteidigt und zwar durch „Beiträge zur Geschichte der Dampf- schiffe“ und durch „Berichtigungen der über die Dampfschiffsgefahr herrschenden Meinungen“. Letztgenannter Artikel erschien am 1. Mai 1817; am #. erfolgte die erste Fahrt des Dampfers „Weser“ und am 20. die Eröffnung der regelmässigen Touren von Bremen bis Brake. Jenes hannoversche Privileeium bezog sich auch auf die Ober- weser und Aller; deshalb befuhr Treviranus vom 21. Juli bis 25. August 1817 an Bord eines oberländischen Bocks nebst Hinter- hang die Weser bis nach Münden hin und zurück, um die Fluss- verhältnisse möglichst festzustellen. Dabei benutzte er für die Messung der Strömungsgeschwindigkeit etc. einen vom Hamburger Wasserbaudirektor Reinhard Woltmann konstruierten hydrome- trischen Flügel, welcher schon dem Baukondukteur Wilhelm Schwarz (1803—1806) zu Münden bei ähnlichen Ermittelungen auf der Werra und der Weser als brauchbar erschienen war. Bald darauf begann der Bau eines Oberweser - Dampfschiffes und Treviranus machte wegen der Maschine desselben seine dritte Reise nach England, von der er erst April 1818 zurückkehrte. Im September lief in Vegesack das zweite Dampfschifft vom Stapel, der „Herzog von Cambridge“; seine Fahrten konnte es jedoch erst im folgenden Jahre beginnen. Die erste geschah unter 2 der Leitung von Treviranus, der über die wenig erfreulichen Er- gebnisse mehrere inhaltreiche Abhandlungen verfasste. Folgendes ist ein Auszug aus dem einfachen Treviranusschen Maschinenjournal, der das Speziell-Technische weglässt. „Abfahrt von Bremen Dienstag, März 9. 1819, 8,20 Uhr früh; Ankunft in Dreye 10,10, hannoversche Zollabfertigung. Abfahrt 1,20, Ankunft in Ritzenberge 6,40 und Abfahrt am 10. 6,30, Ankunft in Hoya 2 Uhr. Von Bremen bis Hoya gebraucht 14 Stunden 40 Minuten, durchschnittlich gegen den Strom gemacht 2,5 Meilen. Ankunft in Drakenburg 8,10. Abfahrt am 11. 5,45, zu Nienburg 8,45—55. . Durchs erste Joch der Brücke am linken Ufer mit der Maschine gegangen; den Liebenauer Stein 12,45 mit gutem Wind und mit der Maschine glücklich passirt; dann Cabelars gebraucht, In Schlüsselburg, preussischer Grenzzollstätte, Ankunft 7 Uhr. Am 12. März von Schlüsselburg bis Minden, dabei die Strecke zwischen Windheim und Stintenecke sehr schwer passirt und Cabe- lars gebraucht, zwei Radschaufeln auf einer Schlenge verbogen. Am 13. 6 Uhr Abfahrt von Minden; grosse respectable Gesellschaft mit nach Hausberge genommen. Ankunft in Hausberge 4,30, beim rothen Hof unterhalb Rehme 6,45. Sonntag, den 14., geht das Schiff durchs Wasser 4°/ı Meile im Pohl ohne Segel, den Wind von der Seite Zum Passiren der Vlothoer Gosse 22 Mann ge- braucht, Abends 6,30 in Rinteln, wo 12 Mann zum ziehen engagirt, am 15. in Kohlenstädt °/« Last Kohlen eingenommen. In Rombeck, hessische Zollstätte, um 6 Uhr in Hameln. Am 16. Abfahrt von da 6,30, die Schleuse passirt 9,20, in Grohnde 4 Pferde in Arbeit bekommen, in Hayer machte die Maschine nur 26 Hube, das Schiff zieht durchs Wasser ohne Pferde und ohne Segel 3°/a Meilen im Strome und liefert Wasser, Abends in Rühle.e Am 17. bei der‘ Dölmer Gasse und Teufelsmühle die Cabelars wirksam befunden, als Räder und Pferde das Schiff nicht vorwärts treiben. Forst ist ®/a des Weges von Bremen nach der Schiffsrechnung. In Holz- minden, braunschweiger Zollstätte, war auf der Steinbreite nur eben Wasser genug; schwerer Wind aus Nordwest. Abfahrt von Holzminden am 18. mit 4 Pferden in Arbeit; der Plattenbrink wird nur mit Mühe passirt; beim Listringer Ueberfall geht das Schiff mit Maschine und Segel wieder nur 3°/ı Meile durchs Wasser; beim Korveyer Ohr mit Segel und Maschine stille gestanden; in Höxter 11,25; oberhalb Wehrden machte die Maschine wieder nur 26 Hube, wir überwinden jedoch den Strom ohne Segel; Beverungen, preussischer Zoll, Lauenförde, hannoverscher Zoll, in Carlshafen 5,40 Abends angekommen. Am 19. bei der Abfahrt 4 Pferde in Arbeit, bei Lippoldsberg ist die Maschine nur ebenso stark wie der Strom, dann geht das Schiff 3!/s Meilen durchs Wasser; zu Giesselwerder, hessische Zollstätte, 8 Pferde in Arbeit, zu Edels- heim Pferde gefüttert, 6,15 in Vekerhagen. Am 20. 6 Pferde zum Passiren des Facker Kopfes, am Steinern Wehr 4 Pferde in Arbeit; Mittags 11 Uhr in Münden, bei der Schlachte die Cabelars ange- wandt. Auf der Reise 97 Sack = 92 Balgen Kohlen verbraucht, _— 15 — die Maschine ist 112 °/, Stunden in Arbeit gewesen. Rückfahrt vom 24. bis 27. März 1819, Netto gefahren 30,18 Stunden; ver- braucht 5 Sack englische und 18 Sack deutsche Kohle, sowie 1!/a Reep Buchenholz.* Nach diesen Aufzeichnungen war eine Dampffahrt auf der ganz verwilderten Oberweser offenbar verfrüht; es wurde daher das zweite Weserdampfschiff sofort in die Unterweserfahrt einge- stellt, für welche zunächst keine neuen Mechanikusarbeiten erfor- derlich waren, so dass Treviranus einer anderen bereits während des letzten englischen Aufenthalts ihm angetragenen Aufgabe unge- stört sich widmen konnte. | Senator Johann Gildemeister, der durch holländische und englische Erfahrungen mit höherer, moderner Bildung ausgerüstete bremische Kaufmann, herzlicher Freund und wissenschaftlicher Mit- arbeiter von Bürgermeister Heineken und von Dr. Olbers, trug sich seit Anfang dieses Jahrhunderts mit dem Plane, das alte, als reichs- städtische Rarität berühmte bremische Wasserrad, dessen Inspektor und Interessent er zugleich war, durch eine neue, mit Dampf- maschinen versehene Anlage zu ersetzen. Dafür hatte auch der mittlerweile wieder nach Amerika zurückgekehrte Bollmann sich lebhaft interessiert, und Gildemeister veranlasste es endlich, dass Treviranus während seines dritten Aufenthalts in England, Novem- ber 24. 1817, von seiten des Brand- und Convoye-Herrn Simon Hermann Nonnen beauftragt wurde, das Projekt einer städtisch:n Wasserkunst für Bremen auszuarbeiten; so schrieb jener denn von Soho (Birmingham) aus über die verschiedenen anwendbaren Dampf- maschinen, über die Verbindung des Pumpwerks mit einem Mahl- werk und über manches Technische. mehr, namentlich auch hin- sichtlich der Kostenfrage. Nach seiner Rückkehr zur Vaterstadt überreichte er dann eine ausführliche Denkschrift, welche das bremische Wasserwerk auf der Altenwall-Bastion beim dortigen Bären erbaut sehen wollte. Sofort brachte Gildemeister eine Vor- stellung von Wasserrads - Interessenten zustande, in welcher der Rat um Verbesserung und Erweiterung der bisherigen mangelhaften altstädtischen Wassereinrichtungen angegangen wurde. Diese Ein- gabe, vom Dezember 1. 1818, endete mit den Worten: „Schliesslich bemerken wir, dass wir es als wünschenswerth betrachten, wenn in dieser Sache die jetzige Anwesenheit unseres Landsmanns, des geschickten Mechanicus Herrn G. Treviranus, benutzt werden möchte, dessen bekanntlich mit den besten Erfolgen gekrönte Erfahrungen in dergleichen Anlagen uns von hohem Werthe sein könnten.“ Am 4. Januar 1819 begann eine „Deputation für die neue Wasserkunst“ ihre Beratungen, denen Treviranus beiwohnte; diese hatten, als das Dampfschiff „Herzog von Cambridge“ seine so unerquickliche einzige Oberweserfahrt machte, eine neue Wendung erhalten, indem statt der Altenwalls-Bastion der Zwinger nebst Kolk als Bauplatz vorgeschlagen war, sodass erst mit Maurermeistern wie Lühring, Averdiek, Bollmann verhandelt werden musste. Am 17. Mai wurde die Ortsfrage, welche den Fortgang der Sache ausserordentlich ver- — 30 — zögerte, von. Treviranus behandelt, welcher einen Monat später er- klärte, dass er für die Leitung der Anlage ein Jalıresfixum von 1000 Thalern zu verlangen habe, ausschliesslich der Reisekosten nach und von England; solange keine solche Vereinbarung getiofien sei, müsse er die vier gelieferten Risse als sein Privateıgentum betrachten, sodass keine Kopiernahme gestattet sei. Zur Ortsfrage kam schnell als zweite Schwierigkeit die Geldfrage. Treviranus widmete sich daher wieder seinen rein mechanischen Arbeiten, unter denen die Verbesserung des Woltmannschen Hydrantenflügels obenan stand. „Viele Tage und Nächte hat mich dies Instrument beschäftigt, das bekanntlich dazu dient, die Geschwindigkeit auf verschiedenen Punkten des Querprofils eines fliessenden Wassers zu ermitteln, um danach und nach dem Flächenraum des Profils den Schluss auf die vorhandene Wasserkraft zu machen, bei den schiffbaren Flüssen gewöhnlich behufs zweckmässiger Regulirung, bei kleineren Gewässern gewöhnlich für industrielle Zwecke. Ich begann die Verbesserungen 1820 und machte meine Proben zuerst im Bremer Torfcanal; der Schlussversuch erfolgte am 28. Novem- ber 1821, im zweiten Joch der Weserbrücke, von der Theerhotseite gerechnet.“ Das Wasserkunst-Projekt kam auch später nur langsam weiter, trotz erneuten Beschlusses von Rat und Bürgerschaft, trotz wieder- holter Eingabe von Wasserrad-Interessenten; das von dem Wasser- baudirektor Blohm herzustellende neue Nivellement erforderte eben viel Zeit. Anfang 1823 verlangte Treviranus seine Risse zurück; er war nach Breslau gegangen, wo sein Bruder, ein Botaniker, seit ı816 wirkte und hatte durch dessen Hülfe, sowie durch die Vermittlung von Olbers und dem befreundeten Heinrich W. Brandes die Anstellung an einer grösseren Maschinenfabrik erlangt. Der „Mechanikus“ arbeitete in Schlesien mit Eifer für Runkelrüben- Destillation, deren Apparate damals, in der Zeit des ersten Auf- schwungs der deutschen Zuckerindustrie, ganz ausserordentliche Konstruktionsfortschritte machten; von diesen praktischen Leistungen sind nur einzelne öffentlich beschrieben worden, und zwar erst nach Jahren in den Abhandlungen des Vereins zur Beförderung des Gewerbefleisses in Preussen. Als Januar 1823 Dr. med. Treviranus, der Bruder, die für die Bremer Wasserkunst gelieferten Risse zurückforderte, erhielt er. zur Antwort, die Sache sei noch immer im Gange, es könne daher die Rückgabe erst später geschehen. Sie ist 1830 erfolgt, als man in Bremen die Hydra der lokalen Schwierigkeiten in dieser Sache, wie in manchen anderen, nicht mehr bewältigen konnte. Einige Jahre später kam der enttäuschte Mechanikus zum letzten- mal nach der Heimat; es war Februar 1837 beim Tode des teuren Mannes, der so väterlich für ihn gesorgt hatte. Als Treviranus seinem Bruder das Geleit nach dem Heerden- thors-Friedhof gab, war er schon sieben Jahre im Dienste des fürstlichen Hauses Salm - Reifferscheid - Krautscheid und zwar auf dem’ grossen Eisenhüttenwerke zu Blansko, dem schön im felsigen re Zwittawa- Thale belegenen mährischen Bergwerksorte bei Brünn. Mit der Berufung auf diesen Fabrikinspekturposten, die ihn 1830 in Breslau traf, kurz bevor sein Bruder nach Bonn übersiedelte, hatte seine dritte Lebensperiode bereits begonnen. Die angeborene Liebe für Bremen war 1832 aufgegeben durch förmliche Verzichte aufs Bürgerrecht, dem Agitieren auf den verschiedensten Gebieten der Mechanik und Maschinenkunde war durch Dienstvertrag vom 10. Mai 1855 feste Anstellung als wohlbesoldeter Ingenieur eines einzig und erfolgreich arbeitenden Industrie-Unternehmens gefolgt. Der Sohn des Bremer Dispacheurs fühlte sich 1831—1851 bei seiner anstrengenden, immer neue Aufgaben stellenden Maschinen- arbeit überaus glücklich, wenn auch bisweilen (z. B. 1831) an Rück- kehr nach München gedacht wurde. Trotz mancher Eigenärtigkeiten wurde Treviranus in Blansko von vielen gern gesehen. Das Wald- thal der Zwittawa ward zur zweiten Heimat; die dritte bildete Brünn, als der Sechszigjährige in den Ruhestand "trat. Dieser letzte Lebensabschnitt war keineswegs eine Zeit des Ausruhens. Von 1851 än beschrieb und zeichnete Treviranus un- ermüdlich seine reichen technischen Erfahrungen; ein Aufsatz folgte dem andern, einige derselben sind auch veröffentlicht, z. B. in Dinglers „Polytechnischem Journal“ und in Försters „Allgemeiner Bauzeitung“. Der alte Herr beschäftigte sich mit den verschie- densten Fragen. Er besprach die Konstruktion der Endstücke eylindrischer Dampfkessel „nach den seit etwa 15 Jahren ange- wandten Grundsätzen, welche in der Praxis stets als gut sich be- währten und deren theoretische Richtigkeit nächstens nachgewiesen werden soll.“ Er betrieb die Vereinfachung der Einrichtung und des Gebrauchs des stationären Barometers, „durch eine verkürzte Scala und ein correspondierendes Verhältnis des Rohrquerschnitts zum Gefässquerschnitt“; auch die schwierige Füllung und Reinigung von Barometerröhren. Er behandelte die Härtung des Stahls und des halbierten Gusseisens (d. h. nicht graues Gusseisen und auch nicht weisses Roheisen) bei verschiedenen Graden im Wasser und in Metallbändern. Sogar mit Ballistik befasste er sich: „Bis vor kurzem, hauptsächlich beim Bau der grösseren, durch die Kraft des Dampfes und des Wassers bewegten Maschinen thätig, be- schäftigte ich mich doch nebenbei immer mit Ballistik, weil schon seit jungen Jahren dieser Zweig der Mechanik für mich eine Lieb- haberei geworden ist, etwa wie bei Andern die Lust fürs Scheiben- schiessen.“ Ganz besonders wurde aber der hydrometrische Flügel von Woltmann immer wieder vorgenommen; denn den Greis quälte der Gedanke, dass doch vielleicht die Unvollkommenheit dieses In- strumentes die Entwicklung der Weserdampfschifffahrt in einer entscheidungsreichen Zeit beeinträchtigt haben möge; 1858 und 59 sass er Tage lang an den Mühl- und Hammergräben bei Brünn und bei Blansko, zu Obrowitz, Zazowitz, Klepaczow etc. und machte immer neue Versuche mit seinem verbesserten Wasserflügel, dem auch seine letzte grössere Publikation galt, die 1861 erschienen und, gleich den meisten früheren, mit feingezeichneten Tafeln aus- a gestattet ist. Derartige seltsame Experimente, ein verschlossenes Junggesellenwirtschaften und ein eigensinniges Weiterleben in den Ideen der Bremer Blütezeit liessen Treviranus in Brünn mehr und mehr als Sonderling erscheinen; aber man vergass doch nicht, dass er es gewesen, der dort vor. Jahren zuerst der staunenden Menge „eine in Feuer arbeitende Dampfmaschine“ vorgeführt habe. Die letzte Beziehung zu Bremen besteht charakteristischer Weise in dem vom 4. Mai 1855 datierenden Gesuch um formelle Auswanderungserlaubnis, ein in der Oesterreichischen Monarchie nach neueren Gesetzen zum Erwerb der Unterthanenschaft unum- gängliches Erfordernis. Persönliche Bande gab es nicht mehr. Als der Bonner Professor am 6b. Mai 1864 in Poppelsdorf verstarb, erschien der letztüberlebende Bruder nicht zum Begräbnis; als dieser fünf Jahre später nach dem Brünner Friedhofe hinausgetragen wurde, folgte nur ein ganz kleiner Kreis alter Freunde und eine Deputation der Angestellten der Blanskoer Werke. So erklärt es sich, dass der jüngste der vier Brüder Treviranus, trotz der tüchtigen Leistungen seiner besten Jahre, in Bremen der- gestalt vergessen worden ist, dass nur eingehende Nachforschungen das gebührliche Andenken wieder beleben konnten. Dem Gedächtnis des immer eifrig arbeitenden, bürgerlich anspruchslosen Mannes seien auch diese gelegentlichen Zeilen gewidmet. | 5. Der Entdecker der Sonnenflecke. Von Dr. L. Häpke. Im Beginn des 17. Jahrhunderts lebte in Osteel, einem kleinen abgelegenen Dorfe Ostfrieslands, der Pastor Fabricius, der mit den ersten Astronomen seiner Zeit, Kepler und Tycho Brahe, in persönlichem und wissenschaftlichem Verkehr stand. Er hatte auch das Glück, einen Sohn zu besitzen, welcher unter seiner Anleitung in dem jugendlichen Alter von 23 Jahren die Sonnenflecke entdeckte. Es war dies eine der glänzendsten Entdeckungen in der Sternkunde, um deren Priorität Männer wie Galilei, Scheiner und Harriot vor Mit- und Nachwelt sich vergeblich bemühten, eine Entdeckung, die - Hevel, Cassini und Schröter zu neuen Forschungen begeisterte und in unseren Tagen von Secchi, Janssen, Wolf, Lockyer und vielen anderen erweitert und vervollkommnet wurde. Ein neben der Kirche zu Osteel befindlicher Grabstein meldet, dass Fabricius durch Mör- derhand umgekommen ist. Die Inschrift des zersprungenen und verwitterten Steines lautet: „Anno 1617, den 7. May is de würdige und wolgeleerde Heer David Fabricius, Pastor und Astronomus tho Osteel, von eenen geheten Frerik Hoyeriammerlyken vermoordet, in’t Jaer 53 sines Bılderz».“ Dieser merkwürdige Mann war kaum mehr als der Sage nach bekannt, bis Professor Apelt in Jena denselben 1852 in seiner „Reformation der Sternkunde“ würdigte und an das Licht zog. Der Grund lag darin, dass Fabricius’ Briefwechsel mit Kepler samt den Werken dieses grössten deutschen Astronomen sich in Russ- land, auf der Sternwarte zu Pulkowa, befindet. Aus dem dürftigen und sehr zerstreuten Material lässt sich das folgende Lebensbild des ostfriesischen Astronomen zusammenstellen. David Fabricius wurde am 9. März 1564 zu Esens in Ostfriesland in demselben Jahre geboren, in dem auch Galilei das Licht der Welt erblickte. Was sein Vater war, und welche Schule er besuchte, ist unbekannt. In der Mathematik und Astronomie wurde er von Lampadius, dem braunschweigischen Pfarrer und Reformator unterrichtet. Im Jahre 1583 finden wir ihn als Student der Universität Helmstedt imma- trikuliert. Schon im Alter von 20 Jahren erhielt der junge Theologe die Patronatspfarre in Resterhafe bei Norden, worauf er sich bald nachher mit der Witwe Jans verheiratete Am 3. August 1596 (alten Stils) entdeckte er im Sternbilde des Walfisches einen Stern, XV, März 1895. 5 a dessen Helligkeit bald auffällig zunahm. Es war die erste Beob- achtung eines veränderlichen Sterns, damals eine wunderbare Er- scheinung — res mira, weshalb der Stern Mira ceti genannt wurde. Fabricius trat hierüber mit dem berühmten Tycho Brahe in Korre- spondenz, besuchte denselben in Wandsbeck im Mai 1598 und stellte für ihn Beobachtungen und Rechnungen an. Nachdem Tycho kai- serlicher Astronom in Prag geworden war, besuchte er ihn zum zweiten Male. Die Reise dauerte vom 1. Mai bis 2. Juli 1601, wozu er von dem Grafen von Ostfriesland, seinem Landesherrn, hundert Thaler Reisegeld erhielt, da er für diesen auch Aufträge an den damals in Prag sich aufhaltenden Kaiserhof auszurichten hatte. Sein Tagebuch, das noch in der Bibliothek zu Aurich auf- bewahrt wird, enthält für den Tag der Abreise die Notiz: „In nomine Dei nah Prag getogen, Gott helpe mit Lave (dass er ihn lobe) mi wedder tho Huss.“ Seine Frau setzte unterdess die von ihm begonnenen Witterungsbeobachtungen in Osteel fort. Mit Kepler, der nach Tychos Tode dessen Nachfolger in Prag wurde, trat Fabricius nun in Briefwechsel, welcher bis zum Jahre 1609 dauerte und vierzig Briefe umfasste. Derselbe wurde in lateinischer Sprache geführt und bezieht sich auf astronomische und meteorolo- gische Dinge, wobei sein grosses mathematisches Talent glänzend hervortritt. Wir bewundern in diesen Briefen den Landprediger von Osteel, der darin Gedanken ausspricht und Fragen anregt, die teilweise auch heute noch der Beantwortung harren; z. B. woher stammt die Wärme der Sonne? woher die Veränderlichkeit des Lichts der Fixsterne? welches ist die Natur des Blitzes? — Manche dieser Briefe sind lange Abhandlungen, deren Inhalt sich auf die Bahn des Planeten Mars bezieht. Kepler erklärte Fabrieius nach Tychos Tode für den grössten beobachtenden Astronomen, „der nahe daran war, ihm in der Entdeckung der wahren Bahn des Planeten Mars zuvorzukommen.“ Zu dem Freundeskreise, mit dem Fabricius in wissenschaft- lichem Briefwechsel stand, gehörte ausser Kepler und Tycho noch Joost Bürgi, Mästlin, Simon Marius, Tengnagel u. a. Fabricius fertigte seine astronomischen Instrumente nach Tychonischem Muster selbst an und machte die Beobachtungen unter den schwierigsten Umständen, indem er von Krankheiten und Unglücksfällen in seiner zahlreichen Familie, von Blattern, Pest und Kriegswirren in seiner Gemeinde heimgesucht wurde. Länger als ein Jahr musste er von der Stätte seiner Wirksamkeit flüchten, weil die Truppen der Generalstaaten, die Ostfriesland überschwemmten und die Einwohner brandschatzten, das Pfarrhaus besetzt hielten. Mehrere seiner Schriften sind verloren gegangen, was namentlich von der ersten Karte von Ostfriesland, welche 1589 erschien und noch zwei weitere Auflagen erlebte, am meisten zu bedauern ist. Vor einigen Jahren jedoch gelang es Herrn C. Tannen, noch eine kleinere Schrift des Fabrieius „über Island und Grönland“ auf der Stadtbibliothek zu Bremen in einem Sammelbande mit „Till Eulenspiegel“ zusammen- gebunden, aufzufinden. Bei seinem Landesherrn stand er in hohem ee Ansehen; mehrfach musste er vor demselben predigen, auch vollzog er die Trauung der fürstlichen Tochter Agnes. 1603 wurde ihm durch den Grafen Kniphausen die Pfarre zu Osteel übertragen, ein Dorf, welches in weiter baumloser Ebene der Marsch zwischen Emden und Norden liegt. In den astrologischen Irrtümern seiner Zeit befangen, suchte Fabricius den Einfluss der Himmelskörper, be- sonders der Sonne und Planeten auf irdische Erscheinungen nach- zuweisen. Nach dem Stande der Planeten stellte er vornehmen Personen das Horoskop, um sein geringes Pfarreinkommen zu ver- bessern. Beklagt sich doch auch Kepler, ein Genius, wie ihn Deutschland vielleicht nur einml besessen, dass er zu gleichem „nichtswürdigem Thun verdammt sei, um nicht zu betteln.“ Die auf mehr als zwanzigjährigen Beobachtungen beruhenden astrono- mischen Tafeln des Osteeler Pastoren sind verloren gegangen, von denen er schreibt, dass sie „magno temporis sumtu et labore inaestimabili“ angefertigt seien. Fabricius soll sich den Hass eines Bauern seiner Gemeinde, Frerik Hoyer, dadurch zugezogen haben, dass er denselben auf der Kanzel in derber Weise eines Gänse- diebstahls bezichtigtee Als der Pastor eines Abends aus dem Hause trat, wurde er mit einem beim Torfstechen gebrauchten Spaten meuchlings erschlagen. Kann man sich ein traurigeres Ende als das des hochbegabten Mannes denken, von dem Kepler rühmt, er sei ein sagacissimum-ingenium? In dem jetzigen Pfarr- hause zu Östeel zeigt man noch eine Reliquie von Fabricius, von der man.erzählt, es sei das Spatenblatt, womit Frerik Hoyer ihn erschlug. Bei meinem Besuche daselbst fand ich, dass die angebliche Mordwaffe aus einer Kupferplatte besteht, welche die gepunzte Inschrift trägt: „1612. David Fabricius, Pastor tho Osteel.“ Diese Platte hat höchst wahrscheinlich als primitive Camera obscura ge- dient, wie sie zur Betrachtung der Sonnenfinsternisse und Sonnen- flecke notwendig war. Fabricius’ ältester Sohn, Johann, besuchte die lateinische Schule zu‘ Braunschweig und bezog 1605, im Alter von achtzehn Jahren, die Universität Helmstedt, die er im folgenden Jahre mit Wittenberg vertauschte, um Medizin zu studieren. Voa gleicher Begabung wie sein Vater, ging er jedoch bald zur Astronomie über und trat auch mit Kepler in Briefwechsel. Nachdem er seine Studien auf der Universität Leiden zum Abschluss gebracht hatte, kehrte er Ende Februar 1610 ins Vaterhaus zu ück und brachte ein Fernrohr (Perspicillus batavus) mit, welches Instrument bekanntlich kurz zuvor in Holland erfunden worden war. Um den Rand der Sonnenscheibe auf etwaige Unebenheiten zu untersuchen, richtete er im Hause seines Vaters zu Osteel das Teleskop auf die Sonne, wobei sich ein schwärzlicher Fleck von beträchtlicher Ausdehnung zeigte. Anfangs glaubend, dass vorbeiziehende Wolken den Fleck verursachten, wiederholte er die Wahrnehmung wohl zehnmal und rief dann den Vater herbei. Zur Schonung der Augen liessen beide das Sonnenbild durch eine runde Oeffnung in ein dunkles Zimmer fallen, um es dann mittelst des Fernrohrs zu besichtigen. 9%# erden So verging der erste Tag, und unter grosser Aufregung von Vater und Sohn auch die Nacht. Am folgenden Morgen war der Fleck zur_ grossen Freude des Johann wiederum sichtbar; nur hatte er seine Stellung ein wenig verändert. Wolken konnten es also nicht sein. Nach drei trüben Tagen war der Fleck von Ost nach West in einiger Schiefe fortgerückt; aber am Sonnenrande war ein kleinerer sichtbar, der dem grossen folgte, und bald kam noch ein dritter hinzu. Nach und nach verschwand der grössere am entgegenge- setzten Rande und man sah, dass die anderen den gleichen Weg einschlugen. Zehn Tage später fing der grössere Fleck wiederum an, am östlichen Rande zu erscheinen, und es folgten ihm auch die übrigen. Daraus leitete Johann die Umwälzung oder Achsen- drehung der Sonne ab, die er durch fortgesetzte Beobachtungen über allen Zweifel erhob. Die Entdeckung ist nicht als eine zu- fällige anzusehen, da der Vater bereits zwei Jahre zuvor über einen schwarzen Fleck auf der Sonne gegen Kepler seine Meinung ge- äussert hatte. Ueber die Beobachtung der Sonnenflecke gab Johann Fa- bricius im Juni 1611 zu Wittenberg eine circa 4) Seiten lange lateinische Abhandlung in quarto heraus, die er dem Grafen Enno von Ostfriesland widmete. Diese Schrift ist sehr selten; erst nach langem Bemühen an verschiedenen Orten habe ich sie auf der königlichen Bibliothek zu Hannover in einem Sammelbande aufge- funden, der im Besitze des berühmten Leibnitz gewesen ist. Nach dem Erscheinen der Schrift schwebt über dem Leben des Sohnes, der schon einige Jahre nachher gestorben sein muss, vollständiges Dunkel. Im Oktober des Jahres 1616 richtete Kepler an den Vater das folgende herzliche Beileidschreiben, welches zugleich ein ge- wichtiges Zeugnis über die dem Johann Fabricius zukommende: Priorität der Entdeckung der Sonnenflecke enthält. „Nachdem ich Dein Prognostikon auf das Jahr 1618 gelesen, das mir des Jo- hannes frühen Tod meldete, füge ich ein öffentliches Bekenntniss meines Schmerzes bei, weil ich fühle, dass Du eines braven Sohnes und ich meines Lieblings beraubt bin Indessen ist uns sein Buch über die Sonnenflecke erhalten, das ihn mehr ehrt als jede Lobrede und Grabschrift, und für seinen späteren Ruhm Gewähr, unserem gemeinsamen Schmerz aber eine Linderung bietet.“ Auf die Ehre dieser Entdeckung machten noch drei andere Bewerber Anspruch: Der Jesuit Christoph Scheiner, Professor zu Ingolstadt, will die Sonnenflecke im März 1611 zuerst gesehen haben. Als er aber die Entdeckung seinem geistlichen Vorgesetzten mitteilte, riet ihm dieser, „seine Augen mehr auszuputzen und seine Gläser zu reinigen, als sich durch die Veröffentlichung ‚seiner ver- meintlichen Entdeckung zu blamieren, da nichts davon im Aristoteles stehe.“ Die Schrift Scheiners’, die derselbe nun unter dem Namen „Apelles“ herausgab, erschien erst 1612. Galilei will die Sonnen- flecke schon im Oktober 1610 gesehen haben, aber erst im April 1611 zeigte er dieselben seinen Freunden. Das älteste Schriftstück Galileis, der mit Scheiner in einem heftigen BEA geriet, BR HRS nn datiert vom 5. April 1612. Auch der Engländer Harriot beob- achtete die Sonnenflecke später als Johann Fabricius, der vor allen anderen seine Entdeckung zuerst veröffentlichte, weshalb ihm die Ehre allein gebührt. Erst in unserem Jahrhundert wurde eine regelmässige Periode der Ab- und Zunahme der Sonnerflecke festgestellt, die sich in nahezu 11'/, Jahren vollzieht. Bald darauf fand man, dass die Schwankungen der Magnetnadel, sowie die Häufigkeit der Nord- liehter von dieser Periode abhängig sind. In der meteorologischen Zeitschrift wurde durch Professor von Bezold nachgewiesen, dass das Maximum der Sonnenflecke mit der geringeren Häufigkeit ver- heerender Blitzschläge und Hagelschauer zusammenfällt, während in den Jahren des Minimums diese Lufterscheinungen häufiger auf- treten. Obgleich der weitere Einfluss der Sonnenflecke auf die Temperatur und das Wetter der Erde wegen der ausserordentlich verwickelten Vorgänge noch nicht aufgefunden ist, so hat sich doch schon die Abhängigkeit der Kornpreise und die regelmässige Wie- derkehr der Handelskrisen mit der Thätigkeit auf der Sonnenober- fläche in eine gewisse Beziehung bringen lassen. Die Probleme der Sonnenphysik sind daher nicht nur von höchstem Interesse für die Wissenschaft, sondern auch von der weitgreifendsten Bedeutung für das praktische Leben, Fabricius hat durch Beobachtung der Sonnenflecke ein neues glanzvolles Thor eröffnet, durch welches in unserer Zeit die vorzüglich ausgestatteten Sonnenwarten zu Pots- dam, Rom und Meudon bei Paris immer weitere Einblicke in den Bau und die Thätigkeit unseres Centralkörpers gewinnen. Während Oberlehrer Dr. Bunte im Jahrbuch der ostfriesischen Gesellschaft für Kunst und Altertümer den Briefwechsel des Fa- brieius mit Kepler allgemein zugänglich machte, hat kürzlich Herr Dr. Berthold in Ronsdorf eine Studie über den Magister Johann Fabricius mit Unterstützung der Preussischen Akademie der Wissen- schaften herausgegeben. Derselbe hat in mehr als siebenzig Biblio- theken und Archiven Umfragen und Nachforschungen nach Schriften oder Urkunden über Fabricius Vater und Sohn angestellt und da- mit die spärliche Kunde über den letzteren zum Abschluss gebracht. Vielleicht bringt ein glücklicher Zufall noch einmal von den ver- schollenen Karten oder Schriften des Vaters einiges an das Tages- licht, um das Dunkel, das noch über mancherlei Lebensereignisse beider Männer schwebt, aufzuhellen. Bereits 1660 hat der Astronom Riccioli, der die erste Mond- karte herausgab, dem Pfarrer von Osteel in Anerkennung seiner Verdienste um die Himmelskunde ein Denkmal „dauernder als Erz“ gesetzt, indem er einem grossen Ringgebirge des Mondes mit 3000 Meter hohen Bergspitzen den Namen „Fabricius“ beilegte. Die Naturforschende Gesellschaft zu Emden hat es jüngst unter- nommen, die Ehrenpflicht Ostfrieslands zu erfüllen und die oben erwähnte, nahezu verfallene Grabstätte des seltenen Mannes mit einem würdigen Denkmal zu schmücken, wozu das Jubiläum der 75jährigen Sfiftung der Gesellschaft die erste Anregung gab. Das a von derselben niedergesetzte Komitee hat die Mittel durch einen Aufruf beschafft, der inner- und ausserhalb Ostfrieslands freund- lichen Wiederhall fand. Das Denkmal wird auf der Grabstätte neben dem Chor der Kirche zu Osteel nach einem künstlerisch ausgeführten Entwurf des Bildhauers O. Rassau in Dresden errichtet werden. Es wird aus. festem, feinkörnigem Sandstein ausgeführt und ohne die zuführenden Stufen eine Höhe von 3,70 Meter er- reichen. Auf einem Sockel, der die Widmung und Inschriften enthalten soll, erhebt sich eine sitzende weibliche Figur, die Astro- nomie, die, den Blick zum Himmel gewandt, im linken Arm eine Tafel mit dem Sonnenbilde hält, während die rechte Hand auf die Scheibe dieses Bildes zeigt. Vorstehender Artikel, der zuerst im Feuilleton der Weser- Zeitung vom 24. Juni 1894 erschien, ist ein kurzer Auszug aus meiner Abhandlung „Fabricius und die Entdeckung. der Sonnen- flecke“, die 1888 im X. Bande der Schriften des Naturwissen- schaftlichen Vereins zu Bremen abgedruckt ist. Ausser dem auf der Sternwarte zu Pulkowa befindlichen latei- nischen Briefwechsel des Fabricius mit Kepler ist das oben erwähnte, auf der landschaftlichen Bibliothek in Aurich aufbewahrte Tagebuch des Fabricius „Calendarium Historicum“ eine Hauptquelle für das Lebensbild desselben. Aus diesem hat Dr. Olbers bereits 1833 die wichtigsten Notizen über Beobachtungen der Himmelskörper und Witterungserscheinungen ausgezogen. welche dann Schumacher 1851 aus dem Nachlass von Olbers im XXXI. Bande der Astrono- mischen Nachrichten veröffentlichte. 6. Gezeichnete Lachse. Von Dr. L. Häpke. Im März 1872 erhielten die Professoren Virchow zu Berlin und Hensen zu Kiel vom Vorstande des Deutschen Fischerei- Vereins den Auftrag, die zu Hameln künstlich erbrüteten Lachse behufs Feststellung der Wiederkehr in den Fluss ihrer Geburt mit einem Zeichen zu versehen. Die einjährigen Fischchen, welche sich damals in dem Hauptbassin der städtischen Brutanstalt zu Schlickers- brunnen bei Hameln aufhielten, hatten der Mehrzahl nach die Länge von 7 cm; einzelne waren fast doppelt so gross, andere aber waren unter dem Durchschnitt zurückgeblieben. Nach einigen Versuchen, die mit dem Abschneiden von Teilen verschiedener Flossen ange- stellt worden waren, fand man heraus, dass die gänzliche Entfernung der Fettflosse das zweckmässigste Verfahren war, die Tiere auch im erwachsenen Zustande unverkennbar und in die Augen fallend zu identifizieren. Die jungen Lachse ertrugen das Abscheeren der Fettflosse gut und zeigten sich munter wie zuvor. Nun wurden am 23. und 24. März von den genannten Herren 550 Lachse durch Entfernen der Fettflosse gezeichnet, und am nächsten Tage noch 450 durch den Fischmeister Schieber, worauf im ganzen eintausend Fische der Weser übergeben wurden.“) Die kleine Fettllosse, wo- durch sich besonders die Salmoniden auszeichnen, enthält keine sensible Nerven, wächst nach dem Abscheeren nicht wieder und hat keine bekannte Funktion, sodass der Fischkörper durch ihre Entferung wohl kaum eine Beeinträchtigung erfährt. Die anderen Flossen, namentlich die Rücken- und Schwanzflosse zeigen bei frisch gefangenen Lachsen leicht Zerreissungen und Defekte, oder sind auch bei Nachstellungen durch Delphine und Seehunde der Be- schädigung ausgesetzt. Eine Verletzung der Fettflosse ist dagegen fast niemals beobachtet; man weiss nur, dass sie in der Brunstzeit schön rot wird. Dieses Verfahren, die jungen Lachse durch Ab- schneiden der Fettflosse zu zeichnen, soll zuerst Andrew Young geübt haben, und in der schottischen Brutanstalt zu Stormontfield hatte man bereits viele Jahre zuvor die regelmässige Wiederkehr der in gleicher Weise mit diesem Merkzeichen versehenen Lachse beobachtet. Jahr für Jahr wartete man nun vergebens auf die Rückkehr der 1872 gezeichneten Lachse, bis die Sache allmählich in Ver- *#), Bericht der Professoren Virchow und Hensen vom 15. und 16. April im 8. Cirkular des Deutschen Fischerei-Vereins vom Jahre 1872. SAN gessenheit geriet. Der von Virchow in dem erwähnten Bericht dringend befürwortete Vorschlag, für den Fang der gezeichneten Fische Prämien auszusetzen, blieb leider gänzlich unbeachtet. Virchow wünschte für die beiden ersten Lachse eine Prämie von 150 Mark, für jeden weiteren Fisch eine solche von 1,5 Mark, ausserdem, für den dreissigsten 90 Mark und fügte noch hinzu, es stehe kaum zu erwarten, dass von den tausend Lachsen mehr als dreissig wiederkehren würden. Endlich kam aber nach fast zwölf Jahren, am 20. Februar 1884 dem Amtsfischer Klevenhusen in Bremen ein solcher Fisch ins Garn und zwar auf dem dicht ober- halb der Stadt betriebenen Lachsfang am Osterdeich. Von dem Fange benachrichtigt, hatte ich die Freude das prächtige Exemplar von nahezu 30 Pfund Gewicht in der Fischhandlung des genannten Herrn an der Börsenpassage ausgestellt zu sehen. Die Fettilosse, deren Länge bei diesem, reichlich ein Meter langen Tiere 6 cm hätte betragen müssen, fehlte gänzlich. Beim Befühlen der gut vernarbten Schnittfläche, die nun vertieft erschien, bemerkte man an der schwartenartig verdickten Umgebung, dass hier vor Zeiten ein schwerer Eingriff stattgefunden hatte. Das silberglänzende, schwarz gefleckte und ausserordentlich fette Tier liess an dem schon in der Entwicklung begriffenen Hacken des Unterkiefers das männliche Geschlecht erkennen. Dasselbe musste im März 1872 als einjähriges Fischehen gezeichnet, demnach 13 Jahr alt sein; ein Alter, welches mit den mir zuvor gemachten Angaben der Fischer, dass dieses Tier etwa 12 Jahre alt sei, einigermassen stimmte. Diesem ersten Exemplare eines gezeichneten Weserlachses, des bis dahin schwersten beim Fange des Jahres 1884, folgte bald ein zweites. Durch die von mir der Weserzeitung über diesen Lachs gemachte Mitteilung, die dann auch in die Lokalblätter überging, . wurde der Fischer Leymann aufmerksam und lud mich 8 Tage später zur Besichtigung eines von ihm gefangenen ähnlichen Exem- plares ein. Dieser Fisch war 1,2 m lang, wog 30,5 Pfund und hatte an Stelle der Fettflosse eine Vertiefung, in welche man be- quem den Zeigefinger legen konnte. Die Scheere hatte beim Ab- schneiden zweimal zugefasst, sodass man in der Mitte der Ver- tiefung die etwas vorstehenden vernarbten Reste der Flossenstrahlen fühlen konnte. Leymann bemerkte, dass er bereits zwei derartige Exemplare, die etwas kleiner waren, Anfang Februar gefangen, aber ohne Kenntnis der Bedeutung dieser Defekte eine weitere Anzeige unterlassen habe. Beide von mir untersuchten Fische hatten demnach ein Alter von 13 Jahren erreicht. Als Durch- schnittsresultat vieler Nachfragen und Vergleiche hat sich für die Weser ergeben, dass die jungen Lachse am Ende des ersten Jahres eine Länge von 5 bis 13 cm haben. Im zweiten Jahre wandern sie ins Meer, und man hat nach dem Ende des vierten Jahres, wo sie im folgenden Sommer als Jakobslachse zuerst im Flusse wieder erscheinen, ein Gewicht von vier bis sechs Pfund konstatiert, welches nach dem fünften Jahre auf acht bis zehn Pfund steigt. Von dem fünften Jahre an werden die Lachse laichfähig, und es ST nimmt nach dieser Zeit mit ihrer Gefrässigkeit im Meere das Ge- wicht ungleich stärker zu. In Holland wird die Anzahl der durch Abscheren der Fett- flosse gezeichneten und wieder gefangenen Lachse „geknipte zalmen zonder vetvin“ in dem amtlichen Bericht an den Marineminister: „Verslag van den Staat der Nederlandsche Zeevisscherijen“ all- jährlich mitgeteilt. Es betrug die Anzahl der auf dem Fischmarkt zu Kralingsche Veer angebrachten Lachse: 1888 68048, davon waren 45 gezeichnete Lachse. 1889 56144, * ERDO 1890 34555, E SMEEIS Wo, wann und von wem diese Lachse gezeichnet. wurden, ist in dem Bericht nicht weiter angegeben. Die Anhänglichkeit der Lachse an ihre Geburtsstätte, die man auch sonst in England, Schottland, Frankreich, Norwegen etc. häufig genug konstatiert hat, ist nach obigem auch für die Weser erwiesen, und diese Thatsache sollte zu weiterem energischen Vor- gehen mit der künstlichen Fischzucht, besonders des Lachses er- muntern. Ob aber viele der in den letzten Jahren zahlreich in die Weser ausgesetzten Junglachse (von 1889 bis 1894 jährlich circa 11/. Millionen Stück) lebenskräftig waren, ist für mich immer eine grosse Frage geblieben. Entgegen dem Lobe der guten alten Zeit war der Lachsfang in der Weser vor den Wehren zu Hameln, wo er im ganzen Fluss- gebiet doch am ergiebigsten war, nur gering, hob sich aber sofort nach dem Beginn der künstlichen Ausbrütung. Aus dem mir vor- liegenden reichen Material mögen nur folgende kurze Notizen dies erhärten. Nach der Angabe des Kämmerers Kruse war der Lachs- fang in Hameln um 1713 zu 344 Thalern jährlich verpachtet. Es wurden in diesem Jahre 245 Lachse mit einem Gewicht von 2020 Pfund gefangen, wofür man 796 Thaler erzielte. Jeder Fisch wog durchschnittlich 8,25 Pfund und kostete das Pfund etwa 118 Pfennig. Anfang der 50er Jahre dieses Jahrhunderts er- beutete man in Bremen in einem ganzen Jahre sogar nur zwei Lachse. Fischmeister Schieber wies in den Cirkularen des Deutschen Fischerei-Vereins vom Jahre 1872, Seite 195 nach, dass bis zum Jahre 1862 zu Hameln jährlich nur 400 bis 500 Lachse gefangen wurden. Nachdem aber 1858 mit dem Einsetzen von 80000 jungen Lachsen begonnen war, hob sich der Fang 1862 auf 2600 Stück, 1863 auf 4000 und 1864 auf 5000 Stück, fielen dann aber in den drei folgenden auf 1500, 1100 und 900 Stück, weil von 1861 bis 1863 keine jungen Fische eingesetzt waren. 1874 wurden bei Hameln 7400 Lachse gefangen, und wenn in den fol- genden Jahren diese Erträgnisse erheblich schwankten und wieder abnahmen, so ist besonders zu berücksichtigen, dass unterhalb Hameln bis Bremen und Elsfleth sich weitere Lachsfänge mit Er- folg etabliert haben. Nach einer Unterredung, die ich kürzlich mit Herrn Professor Dr. Weigelt, Generalsekretär des Deutschen Fischerei -Vereins „ ” Ber 1 hatte, beabsichtigte derselbe ‘Versuche mit einer verbesserten Methode” der Lachszeichnung zu machen und zwar auf galvano- ‚kaustischem Wege. Nach ‘dem Schliessen des elektrischen Stroms wird ein glühend gewordener Stempel mit dem Zeichen V (1895) auf die Schuppen in der Nähe des Schwanzes gedrückt, wodurch man die einjährigen Fischehen dauernd zu zeichnen hofft. Beim Aufhören des Drucks springt das Tierchen wieder in die bereit stehende Wanne, woraus es nur auf wenige Augenblicke entnommen wird. War der erste Eingriff erfolgreich, so könnte man einem später gefangenen, so gezeichneten Lachse leicht noch ein I, Il etc. anhängen. Der bekannte Fischzüchter Herr Ahrens in Cleysingen bei Ellrich hat sich erboten, derartige Versuche anzustellen. 7. Einige Stammwörter niederdeutscher Ortsnamen. Von W. O. Focke. Vor etwa 30 Jahren habe ich mich ziemlich eingehend mit dem Studium der norddeutschen Ortsnamen beschäftigt. Neuerdings veranlassten mich Untersuchungen über die ursprüngliche natürliche Beschaffenheit unserer Heimatgegend, mir noch einmal die Orts- namen der nachbarlichen Landstriche anzusehen. In manchen Fällen vermögen sie uns Aufschlüsse über den ehemaligen Zustand einer bestimmten Gegend zu geben. Die deutschen Ortsnamen sind, mit vereinzelten Ausnahmen, ursprünglich keine eigentlichen Eigennamen. In vielen Fällen geben sie gleichsam eine kurze Beschreibung, durch welche die Oertlich- keit, die man meinte, den Umwohnern kenntlich gemacht wurde. Naturgemäss bezeichnete man eine neue Wohnstätte häufig nach dem Namen des ersten oder des bekanntesten Ansiedlers. Manche heutige Ortsnamen tragen noch die sprachlichen Spuren ihrer Entstehung aus beschreibenden Benennungen an sich. Zu diesen Spuren ist zunächst die häufig vorkommende Dativform zu rechnen. Wir sprechen in Bremen von der Langenstrasse und der Obernstrasse auch dann in der Dativform, wenn wir sie im Nominativ gebrauchen, wir sagen also „die Langenstrasse“ und „die Obernstrasse“ statt des sprachlich richtigen „Langestrasse“ und „Obere Strasse“. Genau so verhält es sich mit den Ortsnamen, die, wenn sie die Eigenschaft wirklicher Eigennamen annehmen, sehr häufig die Dativform beibehalten. Uebrigens ist das in älteren Urkunden übliche dativische Schluss-e in Wörtern wie Horne, Dorpe, Holte, in neuerer Zeit ausgefallen. — Ein zweites für den Erklärer oft sehr wertvolles Merkmal der Entstehungsweise von Namen ist die im Volksmunde gebräuchliche Verwendung des Artikels vor denselben. Auf den Landkarten suchen wir bei den Namen die zugehörigen Artikel vergebens, doch würde es wünschenswert sein, dieselben möglichst in allen Fällen zu kennen. Auf den folgenden Blättern beabsichtige ich, eine Zusammen- stellung von solchen Stammwörtern, die öfter in unsern topogra- phischen Namen (Ortschaften, Gewässer, Anhöhen, Waldungen u. s. w.) wiederkehren, zu geben. Diejenigen Ausdrücke, die sich auf die natürliche Beschaffenheit des Landes beziehen, werde ich möglichst vollständig, d. h. so. weit meine Kenntnisse reichen, aufführen. Selbst die allbekannten Wörter müssen erwähnt. werden, um ihr N Et Vorkommen in hiesiger Gegend festzustellen. Unter den Ausdrücken, welche sich auf den Anbau, auf menschliche Angelegenheiten und menschliche Thätigkeit beziehen, werde ich nur die wichtigsten und bemerkenswertesten hervorheben. Vielleicht findet sich später Gelegenheit, das Verzeichnis zu vervollständigen, insbesondere auch Personennamen, welche in Ortsnamen aufgenommen sind, anzuführen. Die friesischen Ortsnamen sind .von den sächsischen nicht unerheblich verschieden. Auch auf sächsischem (kleinchaukischem) Gebiete treten im Westen der Weser nach Norden zu friesische, nach Süden zu westfälische (brukterische) Wortformen und Aus- drücke auf, die weiter ostwärts verschwinden. Selbstverständlich hat sich im Laufe der Zeit die Sprache verändert; die Wanderungen der Stämme, unter anderm auch fränkische und holländische An- siedelungen, "haben mutmasslich manche sonst hier ungebräuchliche Bezeichnungen in die Ortsnamen eingeführt. Für eine weitere Bearbeitung der topographischen Benennungen würden ausser der örtlichen Landeskunde sprachwissenschaftliche und geschichtliche Fachkenntnisse erforderlich sein, die mir nicht zu Gebote stehen. Vielleicht enthält jedoch die folgende Wort- sammlung einigen für ernstere Studien verwendbaren Stoff. Manche Ausdrücke, die dem Hochdeutschen fremdartig klingen, sind in unserm Plattdeutsch, wenigstens in einzelnen Gegenden, ganz ge- wöhnliche Appellativa, z. B. Aue (für Bach), Meer (für Landsee), Gat, Siel, Hamm, Loog, Aesch, Angel, Trenndel u. s. w.; ebenso sind Adjectiva wie sied, leeg, douf, stur, minne, lütje u. s. w. all- gemein gebräuchlich. In Petermanns Geographischen Mitteilungen von 1861 ist von Krause ein Aufsatz über niederdeutsche geographische Namen veröffentlicht worden. Bei einer etwaigen späteren Fortsetzung - meiner Untersuchungen über die Ortsnamen werde ich auf die Krausesche Arbeit näher eingehen, bemerke hier jedoch vorläufig, dass das folgende Verzeichnis ganz unabhängig von derselben gewonnen ist. Es scheint mir zweckmässig, gegenwärtig zunächst die Wörter nach ihrer Bedeutung gruppenweise zusammenzustellen; eine Unter- scheidung derjenigen Ausdrücke, welche als Grundwörter auftreten, von denjenigen, welche als Bestimmungswörter dienen, dürfte ent- behrlich sein. Nach späterer Vervollständigung der Wortsammlung wird ein alphabetisches Verzeichnis angebracht sein. Es versteht sich von selbst, dass sich in der folgenden Zusammenstellung Wiederholungen nicht vermeiden lassen, wenn man an dem Plane festhält, sinnverwandte Wörter neben einander aufzuführen. ı. Allgemeine Gliederung des Landes, Höhen- und Bodenverschiedenheiten. Lieth (Dat.:.lede), Anhöhe; in den Küstengegenden: die Geest oder Diluvialterrasse ; oft in der Form: hohe Lieth — hohe Geest; Brede Lieth, Brillit = breiter Höhenrücken. Im Binnen- u Sala se lande bezeichnet Lieth einen steilen Abhang, ähnlich wie Klint. Mit Lieth nicht zu verwechseln sind die Ableitungen von Lede oder Lete, welches einen Wasserlauf bedeutet, so wie von leeg — niedrig. Geest, die bekannte Benennung für das höhere Land, die Dilu- vialterrasse, im Gegensatz zu Marsch und Moor. "Das Wort scheint auf sächsischem Boden erst im Mittelalter gebräuchlich geworden zu sein. In den friesischen Gegenden. findet sich die Form: Gast, jede natürliche oder künstliche Anhöhe in der Marsch, fast immer zu Ansiedelungen benutzt. Hardt, Haart, in unserer Gegend, besonders in der (diminutiven ?) Form: Harrel, (Gharrel), Garrel, waldige Anhöhe, waldiges höheres Land. Barg (Dat. Plur.: Bargen), das hochdeutsche Berg, bedeutet im niedersächsischen Tieflande jede Anhöhe oder Bodenschwellung, ferner Dünen oder Dünenketten.*) Im Stadlande an der Unterweser werden die Baulichkeiten zur Aufbewahrung (Bergung) der Futter- und Getreidevorräte „Berge“ genannt. . Wall (Dat.: Walle), ansteigendes Land, Anhöhe. In Nordfries- land: faste Wall = Festland, im Gegensatz zu den Inseln. Egge, eine kammartige Hügelkette, ein beiderseits steil abfal- lender Höhenzug;; auch eine Grenze. Kliff (Dat.: Klewe, Cleve), Steilufer, steiler fast senkrechter Abhang; bei Helgoland auch unterseeische Klippe. Dasselbe - Wort (eliff) in England. Glind, Klint, ein gewölbter Abhang, Gelände, eine steile Anhöhe, nicht so schroff wie ein Kliff. Im Dänischen entspricht Klint dem niedersächsischen Kliff. Steen, Stein. Siehe auch unter Anbau. Hadu, Haupt, Landvorsprung in die See; in Niedersachsen wohl nur in dem Namen: Hadeln. Höft ist die Spitze eines in das Wasser vorspringenden Bauwerks, besonders eines Dammes, doch wird das Wort auch für eine vorspringende Höhe gebraucht; Hövede ist — Quelle. Land, Land, vorzüglich offenes Acker- und Wiesenland.. Bant, Band, Land. Einige Namen hängen wohl nur indirekt mit diesem Stammworte zusammen. An den Volksstamm der Tubanten erinnern mutmasslich nicht nur Twenthe und Deventer auf holländischem, -sondern auch Bentheim auf deutschem Boden. Bund, Bünde, bebautes Land; vielleicht andere Form von Bant. . Zu vergleichen das dänische Bonde = Bauer. *) Anm. Der Plattdeutsche ist freigebig mit dem Worte Berg; er pflegt z. B., wenn er sich‘ von einer Krankheit erholt, leicht zu sagen, er fühle sich „einen ganzen Berg“ besser. Kr meint damit, was wir im Schrift- deutschen als wesentlich oder erheblich bezeichnen würden. ann Wang, vank, vorzüglich wohl eine offene (waldlose), fruchtbare Hügellehne oder vielleicht offenes Weideland; das Wanger- land („Wanga“) an der Nordseeküste ist waldlos und fruchtbar, aber völligeben. In der Rheinpfalz wohnten die Vangionen in der offenen Rheinebene, die Charuden auf der waldigen Hardt. Brink, in den alten Geestdörfern ein freier öffentlicher Platz, der für Versammlungen, als Spielplatz der Kinder u. s. w. dient. In weiterem Sinne wohl trockenes unbewaldetes Gemeindeland. Börde; im früheren Erzbistum Bremen sind die Börden die ehemaligen Gerichtssprengel, deren Grenzen zwar nicht immer genau, aber doch im grossen und ganzen mit den Kirch- spielgrenzen zusammenfielen. In Nordfriesland: Harde; in Schweden hat „harader“ eine entsprechende Bedeutung. In andern Gegenden Deutschlands, auch schon südlich von Bremen, scheint Börde in diesem Sinne unbekannt zu sein; wo es vorkommt, bedeutet es meistens die Feldmark oder das alte fruchtbare Ackerland. Vermutlich abzuleiten von: Behörde = Zubehör, wird daher meistens in Verbindung mit Ortsnamen gebraucht. Mitunter anscheinend gleich- bedeutend mit Mark, doch ist eigentlich die Börde das dem Dorfe zunächst gelegene Ackerland, während die Mark das zugehörige entferntere Heide-, Bruch- und Waldland umfasst. Mark, Feldmark, Gemarkung, besonders das halb wilde, als Weide und zur Holzgewinnung benutzte Aussenland der Dörfer und Gaue, daher auch die Bedeutung: Grenze; z. B. die Marka = Grenzbach. Esch (das), Feld, Ackerland. Nur im Westen der Weser, nament- lich im Ammerlande und in der Friesischen Wedde gebräuchlich. Damit hängt wohl das Wort Escher — Spaten zusammen. Hoorn, Horn (das), friesisch Hörne, Herne (die), Winkel, Ecke, Vorsprung. Nese, Nesse, vorspringendes Land (Nase). Oord, Ort, Spitze, Winkel; auch Ort, Dorf. Geren, Keil, spitzes keilförmiges Grundstück. Angel (der), Stachel, Spitze; in Ortsnamen anscheinend: Winkel (angulus). — Gleich den Sachsen wird auch das Volk der Angeln nach seiner Hauptwaffe benannt sein. Winkel, entlegenes Thal, Seitenthal, einsame Gegend, Ecke. Huk, Ecke, entlegene Stelle (im Ortsnamen). Bram, Brem, Rand, Saum (engl. brim), Waldrand. — Als Pflanze: Besenginster. Tange, Vorsprung höheren sandigen Landes in die Moor- oder Marsch-Niederungen. Dung, Donk, auch wohl Tung, eine Anhöhe in der Marsch. Vielleicht von Tunge = Zunge; doch kommt das Wort in andern Gegenden in der Bedeutung: Keller, Höhle, vor. Marren, Marne (die), ein etwas höherer, meist sandiger Land- streifen (ehemaliges Riff) in den Küstenmarschen. Marionis des Ptolemaeus. es T Ale Grund (die), ein verhältnismässig tiefes Thal, meist mit steilen Lehnen. Delle, Dell, Dal, ein Thal, besonders auch Dünenthal. Thuile (Thüle) erinnert an die schweizerische Form Tülen, die von Thal abgeleitet wird. Glopp, Dünenthal auf den Inseln. Siek, eine Thalsenkung, Thalniederung. Slopp, Lücke oder Durchbruch in einer Dünenkette. Schaar, Scharte, Lücke, besonders eine durch Thore verschliess- bare Deichlücke. Öfen, auf Helgoland eine Höhlung im Felsen; im Schwemmlande ? Helle, eine Niederung, vielleicht auch eine Ausbuchtung an einem Wasserlaufe. Von „hellen“ sich neigen, abdachen, senken (vergl. das Wort Helling, Helgen). Die umgekehrte Bedeutung hat das englische hill — Hügel, oft auch das friesische hel. — Helweg wird gewöhnlich als Totenweg ge- deutet; das Dorf Hellwege, östlich von Bremen, liegt indessen an der Ansatzstelle eines schmalen Sandrückens, der sich zwischen zwei Niederungen hinzieht. ‘Vermutlich ist dieser Rücken der Hellweg genannt. Werder, Ward, Worth, eine Flussinsel oder Halbinsel, von Flüssen oder Flussarmen umspültes Land. Holm, Insel; ist dänisch und schwedisch, in Deutschland selten, z. B. Upholm auf Borkum. Sand, sandige Insel im Unterlauf der Flüsse; Sandboden. Pläte, schlammige Insel oder Bank. Die Bodenbeschaffenheit der Sande und Platen wechselt oft im Laufe der Zeit, während der übliche Namen erhalten bleibt. Ooge, Insel an der Küste. Groden, Aussendeichsland oder auch neu eingedeichtes Land im Ebbe- und Flutgebiete. Von groien (englisch: grow), wachsen. Groden — terra, „quae extra aggerem dignoseitur augmentari.“ Marsch, Masch, das lehmige Alluvialland an der Küste und den grossen Flüssen. Slick, Schlick, feiner kalkhaltiger Schlamm ‚an den Fluss- mündungen und der Küste. Wees, Wesen, Oker, okeriger Schlamm, okeriger Quellgrund. Dümmer, Grassumpf, schwimmende Wiesen. Ursprünglich wohl ein überwachsenes „taubes“ Meer (d. h. Bandse2), also: „Dovemeer“. Oder von dumpf? Dobben, schwimmendes Grasland, schlammiges,. mit Graswuchs bedecktes Gewässer. Fledder, Fladder, schwankendes, schwimmendes Grasland. Bult (Plur.: Bulten), Haufen, Erdhaufen, insbesondere Höcker mit grobem Grase (Carex), höckeriges Sumpfland. Hullen,, gleichbedeutend mit Bulten, für höckeriges Sumpfland (mit Groffwisk, d. h. Carex stricta, oder mit Aöra caespitosa bestanden). Vie, sumpfiges Wiesenland. zu AR Fenn, Venn (Friesisch und holländisch), Moor, besonders Wiesen- moor. Davon: Fehn, eine regelrecht angelegte Ansiedelung im Moore, Moor- kolonie, Fehnkolonie. Ein holländischer, auf deutschem Boden nur in den Emsgegenden gebräuchlicher Ausdruck. Moor, Moor, Torfland.. — Fast gleichlautend: Moder, Moer, Mutter. Dose, hellfarbiger Moostorf. Dwä, Dwo. Thon. Klei, fetter Lehm, Thon. Lehm, Lehm. Sand, Sand. Kladde, Schlamm, Schmutz. . Hor, Schmutz. Scharn, Koth, Dünger. Adel, Dünger, Jauche. 2. Richtungen und Entfernungen; allgemeine Eigenschaftswörter. Nord, Noord, (in Zusammensetzungen Norder und Norden) Nord. Ebenso Süd, Ost, West. recht, rechts. wers, links, z. B. Wersebe und Rechtebe in Osterstade, Werschen- rege bei Scharmbeck, vermutlich auch die Veerse, der links- seitige Quellbach der Wumme. — Die friesischen Ausdrücke: ferre und winstere für rechts und links scheinen im deutschen ÖOrtnamen nicht vorzukommen (vielleicht Vinsebeck bei Steinheim i. Westf.?). lecht, licht, links, das englische left. vor, vor; achter, hinter; af, abseits; bi, bei. up, oben, ober; bezeichnet höher gelegene Orte. bäwen, oben; nedden, unten. äewer, über, jenseits. ut, aus, aussen, ausserhalb; buten, aussen, ausserhalb. Midde, Middel, Mitte, Mittel. dwas, quer. tuschen, zwischen. hoog, hoch; sied, leeg, niedrig; deep, tief. lang, lang; breed (Dat. breden), breit; wied, weit. platt, platt; daher wohl Plettenberg. kort, kurz; smäl, schmal; fehr, fern, nicht zu verwechseln mit veer, vier. meckel, gross; minn, klein. groot, gross; lütt, lütje, klein. stur, stark, gross. r00d, rot; geel, gelb; grön, grün; witt, weiss; swart, schwarz. scheef, schief. doof (Dat.: dove), taub, geringhaltig. quick, lebendig. AO koold, cold, kalt. schier, klar, durchsichtig, hell; z. B. in Schierenbeck, Scharmbeck. fuul, schmutzig, unrein, faul; auch träge (von Wasserläufen). wild, wüst, öde, menschenler. Auch tot ist wohl in ähn- lichem Sinne zu verstehen. ald, old oold, alt. frisch, fresch, fries, neu; z. B. Freschluneberg, Freissen- büttel, „Vresekenstotele“, Friesoyte. — Frischwäter ist an unserer Küste Süsswasser im Gegensatze zu Seewasser; in dieser Bedeutung scheint frisch in deutschen Ortsnamen nicht vorzukommen (wohl in englischen). nige, niwe, nie, neu, in mittelalterlichen Namen; nee in neuen Namen. 3. Gewässer. Wäter, Wasser. Spring, Spreng, Quelle, Hövede, Haupt, Quelle, entsprechend dem lateinischen caput fluminis. Quellen sollen in heidnischer Zeit vielfach Kultusstätten gewesen sein; später wurden Kirchen gern an Quellen erbaut, ob in Anknüpfung an die alte Heiligkeit des Ortes, ob in der Absicht, Wasser für die Taufe in der Nähe zu haben, mag dahingestellt bleiben. Born, Quellbach. Sood (Dat.: Sode), Brunnen. Welle, Quelle, Brunnen; nordfriesisch: Walle. Wedel, quellige Thalniederung. Brook, eigentlich Bruchwald, sumpfiger Wald, scheint aber auch, wie im Englischen, den stillen Waldbach zu bezeichnen. Beeke, Beek (die), Bach. In Ortsnamen zuweilen auch „der“ Beek. Aue, Ohe, grösserer Bach in einem Wiesenthal. Aa, friesisch Ebbe, Ehe, Ee, fliessendes Gewässer. Riede, ein träger Wasserlauf. Alpe, "Alb, Elbe, Fluss, Bach; schwedisch: EIf. Else, Ilse, Elze, "Bach, vorzüglich ein schnellströmenider (eiliger?); "vielleicht sprachlich verwandt mit EIf. Strom, Fluss oder Flussarm. Vliet, 'Fliet, Fleth, fliessendes Gewässer, Bach; Fleth meist Zuggraben. Liene, Leine, (Lune), ein Flusslauf; Lohne bedeutet offenbar etwas anderes und die Formen Lune und Lüne scheinen zum Teil zu Lohne zu gehören. Otter, Oder, Fluss, Bach. Rohr, Röhr, (von rögen — rühren), ein fliessendes Wasser, Bach. Rien, Rhien, Rönne (von: rinnen), Wasserlauf. Gete (von: geten — — giessen), Gose, Wasserlauf. Bewer (von: bevern? — zittern), fliessendes Wasser; ob als Bach- name auch von Bewer, Bieber ? 4 no Streek (von: striken — streichen, fliessen), ein kleiner Flussarm, '» auch ein Bach. Noch jetzt allgemein als Appellativum ge- bräuchlich. Drebber (von: drieven — treiben, langsam fliessen), ebenfalls ein Flussarm, Bach. Balge, Flussrinne, Arm eines grösseren Flusses, tiefe Rinne zwischen Sandbänken an der Küste. Priele, Wattenflüsschen. Sloot, ein Rinnsal, eigentlich eine Röhre, daher ein Gewässer, durch welches Ebbe- und Flutstrom ziehen. Rhiensloot ist der Graben zwischen der Aussenberme des Deiches und dem Groden, d. h. dem Wiesenlande; ist wohl von Reen, Rain, Grenze, und von Slat (fries.), Graben abzuleiten, bedeutet also Grenzgraben. Lede, Leide, Lete, eine Leitung, ein Künstlicher, aber auch ein natürlicher Wasserlauf (z. B. der Fluss Leda, der Bach Lethe). Löse scheint dieselbe Bedeutung zu haben; Wäterlöse früher in Bremen der Abfluss der städtischen Abwasser. Twill, Tweel, Zweig, Gabelung, besonders von fliessenden Ge- wässern und deren Thälern. Twist, Wasserscheide, und zwar eine natürliche; vgl. Siedwendige. Munde, munt, Mündung. Zuweilen zu „um“ abgeschliffen. Vörde, Furt. Oever, Ufer; z. B. Oeversberg bei St. Magnus, Thedenevere, jetzt Tenever — zum Ufer. Nicht zu verwechseln mit äwer, aewer, über, jenseits. Städ, Gestade, Ufer. Das Wort ist aus der jetzigen Verkehrs- sprache verschwunden, war aber offenbar einstmals üblich; ein: friesisches sted für Gestade ist nachweisbar. Vgl. die. Orts- und Landesnamen Stade, Warstade, Stadland, Osterstade, Stedingen, wahrscheinlich auch Stotel (Städeloh — Uferhain). Riep, Küste, Gestade; vielleicht auch Hügelabhang. Wettern, (Weteringe), künstlicher Zuggraben. Tja, (fries., von tia = ziehen), Zuggraben. Fleth, Zuggraben; nach Westfalen zu auch: Bach. Piepe, Röhre; auch ein Graben, der durch ein Wasserrohr ge- spiest wird. Sied, Siel, Siedje (diminutiv), Siel, Ausflussthor für einen Was- serlauf. Davon: Sieldeep, Sieldiep, Sieltief, der durch das Vorland (Groden, Heller) vom Siel zum Hauptstrome oder zum Meere führende schiffbare Graben oder Flusslauf. _ Siedwendige, Siedwenje, eine Sielwendung, d. h. ein Scheide- damm zwischen zwei Sielsystemen, eine künstliche Wasser- scheide in der Marsch. Graft (die), Graben um ein Haus oder Gehöft. Kolk (der), Strudelloch,. ein durch Stromschnellen oder unterhalb der Aufstauungen entstandenes tiefes Wasserloch in einem Flusslaufe; auch gleichbedeutend mit Bräke. ehe: 2 Bräke, ein durch Deichbruch hervorgebrachter tiefer Teich (Wasserloch). Meer (Plur.: Meere, Meerten), Landsee, auch ein ganz winziger, so dass man hunderte von Meeren aufzählen könnte. —- Im Westen der Weser, besonders an der Küste, allgemein ge- bräuchlich; im Osten der Weser einzig und allein das „Stein- huder Meer.“ Haff, Heff (friesisch), die hohe See, das Meer. See (die), 1. Landsee; im Osten der Weser der übliche Ausdruck; 2. das Meer, die Nordsee; in den friesischen Küstengegenden westlich der Weser ausschliesslich in diesem Sinne gebräuch- lich. In den sächsischen Landstrichen wird das Meer als „solte See“ unterschieden. | Solt, Sal, Salz; weist in Ortsbezeichnungen entweder auf das Meer oder auf salzhaltige Quellen hin, manchmal auf solche mit sehr geringem Salzgehalte. Die Form Sal ist friesisch. Die Endung sal (als Grundwort) ist siedel. Hall, eine ältere Form für Salz; in hiesiger Gegend auch an Steilen, wo kaum ein Salzgehalt nachweisbar ist. Eine Be- deutung, welche unserer Halle (Saal) entspricht, ist in den meisten Fällen unwahrscheinlich. Pohl, Pfuhl, kleines sumpfiges Wasserloch. Läke, ein stehendes Gewässer, Tümpel. Slatt, Schlatt, ein flacher Heidetümpel; friesisch: ein Marsch- graben. Kuhle, Grube; auch wohl ein grubenartiges natürliches Wasserloch. Asc, Asch, Has, eine wasserreiche Gegend; weist in Zusammen- setzungen auf Wasser hin. — Ask (in späterer Zeit: Aesche) bezeichnet auch eine Art von Schiffen, doch passt diese Be- deutung nur für wenige Ortsnamen hiesiger Gegend. Das Wort Ascomannen (Wikinger) wird als Schiffsmänner gedeutet, könnte aber auch Wassermänner heissen. — Nach den Er- zählungen der Römer (Plinius, Vellejus) benutzten die Ger- manen vielfach ausgehöhlte Baumstämme (Einbäume) als Schiffe; mehrere solche primitive Fahrzeuge sind bei Aus- hebung des Freihafens zu Bremen aufgefunden worden. Nach Plinius fassten diese Einbäume bis 30 Mann. Vielleicht sind unter Aeschen ursprünglich solche Einbäume zu verstehen; heutzutage ist Aesch eine Schachtel. swojen, schwimmen. wag, wak. Ein Stammwort, als Substantiv mit der Bedeutung: Wasser, Woge, als Adjektiv: nass, und als Verbum: schwanken, wackeln. Scheint ursprünglich das bewegte Wasser zu be- zeichnen. Von diesem Stammworte ist auch Wapel (vielleicht wag-pohl) abzuleiten; das Wort bedeutet friesisch: Sumpf. 4. Pflanzenwuchs, Anbau. Wold, Wohld, Wald, Holz (ganz wie das englische wood); be- zieht sich auf Hochwald, besonders solchen aus reinen oder 4* &emischten Buchenbeständen. Im mittelalterlichen Latein: 'silva. Die Form Wald in: Walsede (Waltsati), Walsrode, Rodewald u. a. m. Holt, Gehölz, Wald, Holz. Busch, Gehölz, Wald. Das italienische: bosco. Wede, Wedde, Wehe (im 10. Jahrhundert noch: widu), Wald, Hain, Waldgegend. In Ortsnamen manchmal in wege, weihe, wee "umgewandelt. Das dänische skov, Wald ist westlich der Elbe nicht sicher nach- weisbar, vielleicht in Scohorst. Wied, Weidengebüsch, Weidendickicht. Loh, Hain, Gehölz, besonders ein lichtes Heidegehölz aus Eichen, "Birken und Kiefern. Im mittelalterlichen Latein: lucus. In den Heidegegenden begegnet man sehr häufig Ortsnamen mit loh, auch wohl mit wede, aber nicht mit wold. — Mit Loh hängt vielleicht auch Lohne, Lune zusammen. Laue, Lave, wohl dialektische Form von Loh, vgl. Aue und Ohe. — Das hochdeutsche au wird plattdeutsch gewöhnlich zu 0, seltener zu u. Haag (Dat.: Hagen, Hein), Buschwald. Brook, Bruch, sumpfiger, meist grasreicher Eichen- und Erlen- wald, allmählich oft in Grasland umgewandelt. Stüh, Stubben, Stuken, Baumstumpf, in Ortsnamen ein nach dem Fällen der Bäume durch Stockausschlag entstandener Niederwald. Lind, Lint (in Ortsnamen auch der Genit®: Lins) findet sich häufig in Verbindung mit Waldnamen, sodass man das Wort als Linde deuten würde, wenn dieser Baum überhaupt in den niederdeutschen Waldungen heimisch wäre Es liegt nahe,‘ an das dänische „Lund“, Wald zu denken, doch ist Lind meistens das Bestimmungswort . in zusammengesetzten Orts- namen, selten das Grundwort. — Vielleicht hat Lind die Be- deutung: Band, Streifen, Saum, Waldrand. — Man hat Lind als Lindwurm, Schlange "gedeutet, Lindhorst also als Schlan- genhorst. Sollte nieht Lindwurm ursprünglich langer band- artiger.Wurm bedeuten ? Elm, Alm, erinnert an das englische elm = Ulme, doch kommt diese Baumart in den niedersächsischen Wäldern ebenso wenig vor wie Linde. Elm findet sich oft in Verbindung mit Wald- bezeichnungen; es ist verkürzt aus Allmend, Gemeinde, deutet somit auf ehemalige Gemeindewaldungen. Vahr, Fahr, oft als Varel(der), Varrel (wohl Vareloh), eben- falls meistens mit Waldbezeichnungen. Bei Bremen eine im 12. Jahrhundert gegründete Ansiedelung: „die Vahr“, welche in der Flussmarsch, aber in der Nähe eines verhältnismässig hohen Feldes, genannt „die alte Vahr“, liegt. Hier ist kein ehemaliger Wald anzunehmen. — Vahr bezieht sich vermut- lich auf Versammlungsorte oder Gerichtsstätten, für die vor- zugsweise geschützte Waldplätze gewählt wurden. Vgl. Tagfahrt. RD. Knick, Hecke, Gebüsch. Horst, Wohnsitz oder Ansiedelung im Walde, seltener im Sumpfe. Rüten, Rade, Rode, Rodung, gelichtetes Waldland; Rade scheint die ältere Form, Rüten holländisch oder friesisch zu sein. Brand, häufig in Waldgegenden, bezieht sich entweder auf ehe- malige Meilerstätten oder auf stattgehabte Waldbrände. Hoop, Haufen, gewöhnlich kleine, im Felde liegende Gehölze be- zeichnend. Sunder, gewöhnlich von Waldungen gebraucht, bezeichnet ent- weder räumlich gesonderte oder aus grossem Besitze aus- gesonderte Holzungen. Trenndel, Trent, Abschnitt, abgetrenntes Stück, besonders von Waldungen. In der gewöhnlichen plattdeutschen Umgangs- sprache ist Trenndel ein Schnitt Brot. hammen, hauen, schlagen, schneiden (vgl. das hochdeutsche Hammer, Hammel, Hämling). Daher die Worte mit hamel, hämel (vielleicht hameloh?) und z. T. mit hamm, welche sich auf geschlagenen Wald beziehen. In der Marsch be- deutet Hamm ein durch Gräben umgrenztes „abgeschnittenes“ Stück Land, entsprechend dem in andern Gegenden üblichen „schlag“. Auch ein durch Gräben begrenzter Weg wird Hamm oder Hemm genannt. Dele, Diele, Brett; in Verbindung mit Brücke gebraucht. Timmer, Bauholz. Spriet, Gabelstange. Staven, Staken, Stange, Balken. Boom, Baum. Tar, Ter, Baum; in Ortsnamen auch der Dat.: Dorn. Eeke, Eek, Eiche. In Ortsnamen auch Eike in mutmasslich gleicher Bedeutung, besonders im Lüneburgischen. Ecker, Eichel. Booke, Böke, Buche. — In Ortsnamen viel häufiger als die Eiche, die wohl zu verbreitet war, um als Kennzeichen dienen zu können. Elier, Erle. Barke, Birke. In älteren Ortsnamen kaum vorkommend. Fure, Fuhre, Kiefer. In älteren Ortsnamen nicht vorkommend. Hesse, Espe, Zitterpappel. Esche, Eske, Esche, in Ortsnamen zweifelhaft, vgl. Esch = Feld und Asc, Aesch = Schiff, Schachtel. Appel, Apfel. — Der Wildapfel, zur Blütezeit der prächtigste einheimische Baum, konnte immerhin die Aufmerksamkeit erregen. Hulse, Hülse, Stechpalme (Ilex). Ibe, wahrscheinlich Eibe, Taxus. Wichel, Wilge, Weide. Mäpel, Ahorn und Quitsche, Vogelbeerbaum, kommen in Orts- namen kaum vor. = ler Heester, junger Baum (Eiche oder Buche), besonders zum Pflanzen, (französisch: hetre = Buche). Hese soll sumpfiges Buschland bezeichnen, vgl. indessen „Asc“ und „Hesse“. Heide, Heide, in alten Ortsnamen selten. — Heidloge ein von Busch oder Wald umgebener Heidefleck. 2 Bräm, Ginster (Sarothamnus). Post, "Gagel (Myrica). Wisch, Wiese. Wese, Vese, Wiese. Die älteste Erwähnung von Wiese in einem deutschen Ortsnamen findet sich in dem campus Idistavisus. Statt IDISTAVISUS wird ILISIAVISUS zu lesen sein. Ilisia- visus bedeutet die Ilsewiese (von dem Bache und Dorfe Ilse); das Schlachtfeld war das Ilsewieser, jetzt Ilveser Feld. Meede (friesisch), Wiese Mähland; englisch: meadow. Fenn, Moorwiese, s. oben. Gras, Gras; Hau, Heu. Blome, Blume. Reet, hohes schilfartiges Gras. Reith, Reid, Schilfrohr (Phragmites). Feld, Feld, baumloses Acker- und Wiesenland. Kamp, ein umgrenztes, vorzüglich durch Wall und Hecke (Knick) umzäuntes Feld. Land, Land. Boland, Anbauland, Ackerland. Friesisch: Teel- land, auch einfach: Teel, Ackerland. Esch, Bünde, s. oben S. 46 und 45. Koorn, Roggen, Roggen. Weten, Weizen. Gassen, Gerste. Häwer, Hafer. Stiekel, Distel. Rose, Rose, wohl kaum in wirklich alten Namen; in der Ver- bindung Rosengarten Bestattungsplätze andeutend. 5. Tiere. Ross, Hors, Pferd. Ehu, Pferd. Scheint in einigen Ortsnamen zu stecken, vielleicht selbst in der Form ei. Peerd, Pferd. — Hingst, Hengst. — Maar, Mähre, Stute, Pferd. — Page, Pferd. Ko (Plur.: Käue), Kuh. — Kalf, Kalb. — Beest, Rind. Bulle, Stier. — Osse, Ochs. Schäp, Schaf. Swien, Schwein. Eber, Eber. Säege, Sau. Hund, Hund. Katte, Katze. Vgl. unten am Schlusse: Kattrepel. Goos, Gans. — Aänte, Ente. — Duwe, Taube. Otter, Fischotter, ist ebenso wie 4 Bewer, Bieber, in Ortsnamen zweifelhaft, vgl. oben S. 49. ey Wulf, Wolf. Voss, Fuchs. Bär, Bär. In Ortsnamen leicht mit Born zu verwechseln. Häse, Hase. Uhle, Eule Rook, Rabe. Kreie, Krähe. Heister, Elster. Häw k, Habicht. Iprump, Rohrdommel. Snäke, Schlange. Pogg e, Frosch. Padde, Kröte oder Frosch; jetzt friesisch: Pudde — = Kröte, niedersächsisch: Ueze. Fisk, Fisch, Fisch. Imm e 5 Biene. Ile, Egel, Blutegel. 6. Vorgeschichtliche Mythologie, alte politische Zustände und Begebenheiten. Der Mittwoch, wednesday der Engländer, ist der Wodanstag. Die Tage Dingsdag, Donnersdag und Fredag haben plattdeutsch wie hochdeutsch noch ihre alten Namen beibehalten. In Ortsnamen finden sich nun dieselben Bezeichnungen: Ding, Wodan, Donner und Frede; oft liegen mehrere Orte mit solchen Be- nennungen gruppenweise bei einander. Ding, seltener Thien, Dien, steht in vielen Fällen in naher Beziehung zu einem Ring- walle. Der Name Wodan, der auch Gwodan heisst, scheint unmit- telbar überzugehen in God, insbesondere wird die Genitivform Wodens in Godens oder Godes umgewandelt. — Das Vorkommen von „Gerda“ in einzelnen topographischen Namen wäre möglich ; von einer Ostergöttin, die man früher in den Osterholz u. s. w. zu finden meinte, kann aber keine Rede sein. — Von Irmin ist in den Ortsnamen des Tieflandes nichts zu finden; Irmenseul bei Al- feld ist der nächste Ort, der an Irmin erinnert. Bullern heisst poltern; die Bullerberge und Bulderberge sollen Wodansberge sein. Bullerbeck ist dagegen wohl nur ein plätschernder Bach. Ob in Asendorf eine Erinnerung an die altgermanischen Asen steckt, mag dahingestellt bleiben; die Nähe des Heiligen- berges bei dem Hoyaschen Dorfe dieses Namens könnte als ein Grund angeführt werden, der die mythologische Bedeutung des Namens glaublicher macht. Die Form Osen in topographischen Namen kommt mehrfach vor. — Hillig, heilig, kommt namentlich im Lorgo, in einer Reihe von Ortsnamen vor. Frede, meistens in nachbarlicher Verbindung mit Ding oder Wodan. Spätmittelalterlich in der Bedeutung: Friede, z. B. Fredeborg. Duur, Duder, Tie in Ortsnamen deuten auf Versammlungsplätze. Rechter, Richter. So in Rechterfeld, welches schon in der Vita St. Willeh, genannt wird, und dem benachbarten Bonrechtern (d. h. oberhalb der Richter) bei Wildeshausen, Rechtern bei Barnstorf. Der „Richtstuhl“ die mittelalterliche Gerichts- stätte des Hollerlandes bei Bremen. Be winnen, siegen. An Siege über die Römer erinnern mutmasslich noch das Winnfeld bei Detmold und Winzlar am Steinhuder Meere. Die Wingst (Winngast) könnte ihren Namen von dem sagenhaften Siege der überelbischen Sachsen über die alten Landeseinwohner erhalten haben. Ob das Seelenfeld in der Nähe des Schlachtfeldes auf. dem Ilveser Felde eine Beziehung zu dem blutigen Kampfe hat, verdient wohl nähere Prüfung. Unter den nordwestdeutschen altgermanischen Völkerschaften des 1. und 2. Jahrhunderts nach Christi Geburt haben nur die Friesen ihren Namen unverändert beibehalten. Die mächtigen Stämme der Chauken und Cherusker haben keine deutlichen Spuren in Ortsnamen hinterlassen; man hat indessen vermutet, dass in Quakenbrück eine Erinnerung an die Chauken zu finden sei. Die Ampsivarier stehen wohl in Beziehung zu Emsbüren; von den Tubanten, die vorzugsweise auf niederländischem Boden an- sässig waren, scheinen, wie oben S. 45 erwähnt, mehrere Namen entlehnt zu sein. Bekannt sind die Angrivarier, die mittelalter- lichen Engern, an die viele Ortsnamen erinnern. Bei Schilderung der Schlacht am Steinhuder Meere erwähnt Tacitus einen Wall an der Grenze zwischen Angrivariern und Cheruskern, so dass Angri- varier auch auf dem rechten Weserufer gewohnt haben müssten. Das ist sehr unwahrscheinlich. Noch jetzt sind Reste alter Wälle in jener Gegend vorhanden, und zwar an der Grenze des Grin- dergaus (Grindirigo), der zum Chaukenlande gehört haben wird. Aus den unbekannten Grinderern könnten die Römer wohl Angri- varier gemacht haben. Die Namen Arkeburg und Arkenberg hängen vielleicht mit dem lateinischen arx zusammen. An beiden Orten scheinen römische Lager oder Castelle vorhanden gewesen zu sein. Ferner Arkenstedt bei Quakenbrück und Arkel an der. Vechte. Eine einzige slavische Namensform findet sich im Flussgebiete der Weser, nämlich Bomlitz, d. i. kleine Böhme; die Bomlitz ist ein Zufluss der Böhme. 7. Anbau, künstliche Anlagen und menschliche Einrichtungen; Scherznamen. Hus (der alte Dat. Plur. sächsisch: husun, friesisch: husum), Haus. Die friesischen Ortsnamen auf sum sind wohl meistens aus husum verkürzt. Gegen Ende des Mittelalters, als das friesische Selbstgefühl am höchsten entwickelt war, suchten die Friesen vielfach ihren Eigennamen volltönende Endungen zu geben; die Namen der Männer endigten auf o, die der Frauen auf a, die der Ortschaften auf um. Hem, Heim, in Ortsnamen ähnlich wie Hus gebraucht, ist oft zu um abgeschliffen. Vgl. übrigens S. 53: hemmen. Hoff (Dat. Sing.: Häve, Dat. Plur.: Höven, Höfen), Hof, Hof- nn stätte, Heimstätte. In den friesischen Gegenden bezeichnet Hoff den Kirchhof, die Umgebung der Kirche; die Dativform häve ist daher gleichbedeutend mit: kerken, kirchen. Mit einem Hafen oder mit dem Worte Haff = Meer hat dies friesische häve nichts zu thun. Gart (Dat.: Garten), Zaun, umfriedigtes Land; scheint eher mit gadir und Gatter als mit Gere — Keil zusammenzuhängen. Tuun, Thun, Zaun. sitten, sitzen, daher die Ableitung: sater, saten, Sassen, Bewohner. Allgemein gebraucht in Zu- sammensetzungen mit der Bezeichnung des Wohnsitzes. Sede, Sethe, Sitz, Wohnsitz. Vielleicht gehört auch Zetel (siedel) hierher. Ebenso die Endung sal. Bur (Dat. Plur.: Büren), Bauer, Baustelle, Anbaustelle. Das bereits oben S. 45 erwähnte Bunde, bünden scheint gleichbedeutend, aber in einem andern Zeitalter oder bei einem andern Volks- stamme gebräuchlich gewesen zu sein. Borstel, Bostel, Anbaustelle, stattliche Niederlassung, vorzüglich zwischen der mittleren Weser und der Unterelbe gebräuchlich. Büttel, Bau, bezeichnet meistens Nebendörfer und spätere An- siedelungen. Bo (Plur.: Boän), Häuschen, Arbeiterwohnung; eine Bezeichnung aus neuerer Zeit. Bilt, Bild, ältere Form für Bauwerk. Kathe, Hütte, kleine Wohnung. Staven, Stef, Stube, Hütte. Stede, "Stäe (plattd. ), Stathe (fries.), Stätte, Anbaustelle, be- siedeltes Grundstück, Ortschaft. Stelle, Ansiedelung, Anbaustelle. Wiek, Ortschaft, Wohnstätte. Bleck, Pleck, Stätte, Anbaustätte, Dorfstätte, der freie Raum in der Umgebung eines Hauses, auch geradezu Dorf (Flecken). Dorp (Plur.: Dorpen, Dörpen), Dorf. Die Endung trup in Dorfnamen kommt in den Küstengegenden nicht vor und wird besonders nach Westfalen zu häufiger. Loog (das), Dorf; in Ostfriesland noch ein gewöhnliches Gebrauchs- wort. In der dativischen Form Loge (Loy) auch auf säch- sischem Boden, aber in Niedersachsen nur am linken Weser- ufer. Heidloge (die), s. oben S. 54, findet sich auch am rechten Flussufer. In Westfalen, seltener in andern Gegenden, die Form lage. Borg, Burg, oft auch von einem gewöhnlichen Hause gebraucht. Steen, Sten, deutet in Ortschaften oft auf Steindenkmäler, mega- lithische Bauwerke, hin; in der Marsch auf steinerne Häuser oder Kirchen. Erwe, Erbe, Erbsitz, Herd (Dat.: Herde; auch die Endung erde ist wohl dasselbe), Herd ; ob immer ein einfacher häuslicher Herd? oder vielleicht ein Schmiedeherd oder eine Eisenschmelze? iu Smede, Schmede, Schmiede — Es ist zu vermuten, dass sich in Ortsnamen öfter Erinnerungen an alte Eisenwerkstätten und Schmelzöfen finden. Man könnte bei Ofen und Herd an dergleichen denken. Quern, Mühle. Mäehle, Mole, Möhle, Mühle. Gräpen, Topf; davon Gröper, Töpfer. Krug, Wirtshaus; Kröger, Wirt. Liti, Liden, Leute, Dienstleute. Volk, Volk. — Thiot, Deut, Diet, Volk; weist vielleicht auf Versammlungsorte. Greve, Graf; Päpe, Pfaff, Geistlicher; Kloster, Kloster. Diese Benennungen deuten in Ortsnamen meistens den Besitz an. Einige Orte, die neben Klöstern entstanden sind, werden im Volksmunde noch immer mit der Beifügung des Wortes Klo- ster genannt, z. B. Kloster Zeven, Kloster Lilienthal, Kloster Heiligenrode, obgleich dieser Zusatz zur Unterscheidung gar nicht erforderlich ist, weil in weitem Umkreise keine gleich- namigen damit zu verwechselnden Orte vorhanden sind. Burke, Kerke (meist Dat.: kerken), Kirche; Kappel, Karkspill, Kaspel, Kirchspiel. Toren, Turm. Ding (Dat. Plur.: Dingen), Dingstätte. Go, Gau. Aus der wangerländischen Gokerken bei Jever ist Hohenkirchen geworden. — Börde s. oben 8. 46. Mal, bezeichneter Ort, Versammlungsstelle; fries.: Stal. Sneide, Schede, Grenze. In gleichem Sinne werden auch Mark und Egge gebraucht. Weg, Weg. Schon im frühen Mittelalter werden der Hesseweg und der Volkweg genannt. — Wege in Ortsnamen stammt offenbar in manchen Fällen von Wede. Lohne, vielleicht ursprünglich ein Holzdamm, Knüppeldamm (von Loh — Gehölz), dann enger Weg, Gasse; englisch: lane. — Ob die Ortsnamen davon abzuleiten sind, bleibt zweifelhaft. Helmer, ein mit Gräbe. eingefasster, auf die Geest zuführender Marschweg; hängt wohl mit dem Worte „hellen“ abdachen, zusammen. Specken (die), eigentlich ein Knüppeldamm, aber in einigen Ge- genden gleichbedeutend mit Helmer, namentlich im Lande Wursten; auch in der Elbmarsch und sonst üblich. Sträte, Strasse; mittelalterlich, wohl aus dem Lateinischen entlehnt. Brugge, Brücke. Damm, Deich, Damm. Diek, Deich, Damm zum Schutze gegen Hochwasser. Bedeutet auch einen gegrabenen Teich, selten einen Wasserlauf. Vgl. das englische „dig“ graben. delven, graben. gräben, graben; ebenso das Nennwort: Gräben. Grüppe, ist ein kleiner Graben; vgl. auch Gräpen, Topf. OR. Tegel, in Ortsnamen oft Tekel, Ziegel. Aus dem Lateinischen, schon im frühen Mittelalter gebraucht. Wurt, Worth, Wurp, Warp, künstliche Anhöhe zum Zweck der Erbauung von Häusern und Dörfern in den der Ueberschwem- mung ausgesetzten Gegenden. Ein trockner erhöhter Platz für das Vieh in nassem Weidelande heisst Schelf. — Die Form Worth nähert sich sehr den von Ward, Werder abge- leiteten Wortformen. Kamp, Feld s. oben S. 54; Hamm ein von Gräben umgebenes Grundstück (ein , ‚Schlag“), s. oben S. 53; davon Hammerk, Hamrich, die aus solchen Grundstücken bestehende Feld- mark. Block hat die nämliche Bedeutung wie Hamm, ist in hiesiger Gegend wenig gebräuchlich, wohl aber in Holland. Bei Bremen indessen Blockland, Blockdiek. Polder, durch Eindeichung gewonnenes Land, in Holland und Ost- friesland; sonst Groden. Landwehr, ein mittelalterlicher Verteidigungsgraben. Var und Elm s. oben S. Poötische oder fantastische Wortbildungen wird man, abge- sehen von Klosternamen und dergleichen Kulturprodukten, in Niedersachsen und Friesland kaum antreffen. Scherzhafte, spöttische und neckische Benennungen, gleichsam Spitznamen, die schliesslich hafteten, finden sich öfter. Zum Schlusse einige Beispiele: Klippkanne, Deckelkanne. Vegesack, scherzhaft ein den Sack, d. h. die Tasche, leerendes Wirtshaus. Der Name findet sich auch westlich von Oldenburg unweit Edewecht. Altona und Oevelgönne, beide Namen sind sehr häufig; sie be- zeichnen Häuser oder Gehöfte oder Orte, die andern bereits bestehenden zum Trotz begründet sind. Statt des rein platt- ‚deutschen Oevelgönne findet sich auch Uebelgönne und Miss- gunst. Klitzenburg ist offenbar eine verächtliche Benennung für eine Gegend, in der eine ärmliche Bevölkerung haust; vielleicht bedeutet es einen Ort, wo die Leute auf Borg leben, wo sie den Verkäufer anschreiben „klitzen“ lassen. Kattrepel, wohl ein abgelegener ausserhalb des Dorfes befindlicher Ort, an dem sich die Katzen herumtreiben. Eine nicht seltene Bezeichnung. — Einst erklärte die Schulgelehrsamkeit das Wort durch: Catti repulsi. 8. Untergegangene Ortschaften an der deutschen Nordseeküste. Von W. ©. Focke. Sturmfluten haben während des ganzen Mittelalters an der deutschen und niederländischen Nordseeküste von Zeit zu Zeit furchtbare Verheerungen angerichtet. Nordfriesland, die schles- wigische Westküste, ist dem unmittelbaren Anpralle der West- stürme am stärksten ausgesetzt. Niedrige alte Marschländereien lagen hier, teilweise halb geschützt, hinter Geest- und Düneninseln. An der Aussenküste so wie längs des Unterlaufes der Flüsse und Wasserrinnen konnten sich die alten Marschen durch Aufschlickung erhöhen, während die mehr binnenwärts gelegenen Niederungen unverändert blieben. Man muss annehmen, dass die ganze südliche Nordseeküste von einer langsamen allgemeinen Bodensenkung be- troffen worden ist, durch welche die alten, von weiterem Wachstum ausgeschlossenen Marschen den Angriffen des Meeres, aus welchem sie einst hervorgegangen waren, preisgegeben wurden. Die Fluten brachen hinter den verhältnismässig hohen Aussenmarschen, den Geest- und Düneninseln herein, rissen den leichten Boden der niedrigen alten Marschen weg und bildeten ein allmählich sich aus- dehnendes Wattenmeer. Innerhalb desselben fand dann im Laufe der Zeit eine Art von Aufrollung des Landes statt: der weiter aussen weggerissene Boden wurde ostwärts der Küste zugeführt, sodass hier ein Anwachs stattfand, durch den auch einige erhalten gebliebene hohe Marschinselfetzen mit dem Festlande verbunden wurden. Auf die nach Norden gerichtete südliche Nordseeküste wirkten die Weststürme etwas weniger heftig ein. Eine in kleine Inseln zerrissene Dünenkette war hier schon zur Römerzeit der Festlands- küste vorgelagert. Das niedrigste und lockerste Land der ost- und westfriesischen Küste hatte sich in den weiten verschlammten ehemaligen Flussmündungen gebildet. In diese Stellen brach im Mittelalter das Meer ein und wühlte die Busen der Zuyder See, des Dollart und der Jade aus. Auch hier weisen die engeren Mündungen darauf hin, dass die Aussenmarschen höher und wider- standsfähiger waren, als das niedrige, in beträchtlicherem Umfange zerstörte Binnenland. Ausser den grösseren Busen, die gleichsam Anhängsel des Rheins, der Ems und der Weser bilden, entstanden Be auch ähnliche kleine Buchten an Flüsschen und Bächen ; dahin ge- hören die Lauwers, die Leybucht und der Harlebusen. Alle diese während des Mittelalters eingerissenen Meerbusen und Buchten haben sich während der letzten Jahrhunderte wesentlich verkleinert; der Harlebusen ist sogar vollständig ausgefüllt. Zuverlässige Anzeichen einer noch während der Neuzeit fort- dauernden allgemeinen Bodensenkung lassen sich schwerlich nach- weisen. Von grosser Wichtigkeit für die Sicherung unserer Küsten ist die straffere staatliche Ordnung gewesen, welche seit dem Ende des Mittelalters überall zur Herrschalt gelangt ist. Eine einheitliche Leitung des Deichwesens und zielbewusste Massregeln für den Küstenschutz haben dahin geführt, die Landverluste wesentlich zu vermindern, und an ‚geeigneten Stellen bedeutende Gewinne an neuen Ländereien zu ermöglichen. Die Nachrichten über die Veränderungen, welche unsere Küste im Mittelalter erlitten hat, sind unvollständig, unzuverlässig und zum Teil fantastisch ausgeschmückt. Zahlreiche Ortschaften wurden zerstört und entweder an derselben Stelle wieder aufgebaut, oder an einen geschützteren Platz verlegt, oder vollständig preis- gegeben. Die Bebauung der Marschen schritt bald vor, bald ging sie zurück; was in einem Jahrhundert verloren wurde, ward im andern wiedergewonnen und umgekehrt. Das folgende Verzeichnis untergegangener Inseln und zer- störter Ortschaften ist aus Chronisten-Nachrichten zusammengestellt, macht jedoch auf Vollständigkeit”) keinen Anspruch. Die Glaub- würdigkeit der einzelnen Angaben lässt sich schwer, in den meisten Fällen gar nicht, prüfen. Trotz aller Ungenauigkeiten im einzelnen dürfte aber doch schon die trockene Aufzählung der Namen und Daten ein Bild von den Kämpfen der Küstenbewohner gegen die furchtbaren Angriffe der Sturmfluten geben. Ausser den Ortschaften, welche unmittelbar durch Wasser zerstört wurden, sind auch solche erwähnt, welche durch Flugsand verschüttet sind. Das Verzeichnis erstreckt sich auf den Küstenstrich von der Lauwers bis zum Lister Tief. Verzeichnis untergegangener Ortschaften und Inseln an der deutschen Nordseeküste. Ahme s. Overahme, - Akenbull, Kirchdorf auf Nordstrand, 1554 oder 1362 unterge- gangen. Aldessen, Aldesum s. Oldessum. Aligwerfen, Dorf in Osterstade an der Weser, Zeit der Zerstörung oder Aufgabe unbekannt, vermutlich im 16. Jahrhundert. *) In meinen Notizen finde ich z. B. als zerstörte Ortschaften an unserer Küste aufgeführt: Adenbull, Grossscheidens, die Insel Kornsand (Corensand), Lepstädt, Overhusen und Rinzeln, vermag jedoch augenblicklich nichts Ge- naueres darüber anzugeben. — 91 — Alver, Kirchdorf auf Nordstrand, um 1216 untergegangen. Arngast, Ortschaft, angeblich Kirchdorf, in der Jade 1510 unter- gegangen. Eine kleine unbedeichte Insel dieses Namens ist noch erhalten. Astek, Dorf im Reiderland, westlich der Ehe, gegen Ende des 13. Jahrhunderts im Dollart untergegangen. Balum, Kirchdorf auf Nordstrand, 1354 (1362) zerstört; ein Teil des Landes wurde wieder eingedeicht und es entstand ein neues Balum im Kirchspiel Buphever. Dies ging 1634 unter. Bant, rustringisches Kirchdorf, 1511 grossenteils zerstört. Teil- weise erhalten. Bant, Insel bei Borkum, im 16. Jahrhundert noch bewohnt, jetzt verschwunden. Bargsum, Dorf im Kirchspiel List auf Sylt, durch Sand verschüttet im 14. Jahrhundert. Barnekenmoor, Kirchdorf in Everschop (Eiderstedt), soll Ende des 13. Jahrhunderts gewonnen, 1310 zerstört und 1463 wiedergewonnen sein; verlor 1491 seine Kirche. Bartholomäikirche in Lundbullharde, 1216 oder 1300 unter- gegangen. Beda, reiderländisches Dorf zwischen Ems und Ehe, im Dollart Ende des 13. Jahrhunderts untergegangen. (Beerta, Dorf und Kloster im Reiderland westwärts der Ehe, Ende des 13. Jahrhunderts im Dollart untergegangen, jetzt wieder Kirchdorf.) Berum, Dorf im Reiderlande zwischen Ems und Ehe, Ende des 13. Jahrhunderts im Dollart untergegangen. Bettewehr, Dorf in Ostfriesland, 1605 landeinwärts versetzt, 1720. | nebst 394 Grasen Landes auch hier aufgegeben. Bilt, Biltum oder Belt, Kirchdorf auf Nordstrand, das der Belt- ' ringharde den Namen gegeben haben soll, im 14. Jahrhundert untergegangen. Blidsum, Dorf im ehemaligen Kirchspiel List auf Sylt, durch Sandflug im 14. Jahrhundert verschüttet. (Blyham, Dorf im Reiderland, östlich der Ehe. Ende des drei- zehnten Jahrhunderts im Dollart untergegangen, später neu begründet.) Bojenbull, Dorf in Lundbullharde, soll 1300 untergegangen sein. Bopsee und Boptee s. Bupsee und Buptee. Bordum, Kirchdorf in Rustringen, 1511 in der Jade untergegangen. Bosch, Busse, kleine Düneninsel westlich von Rottumeroog, ehe- mals bewoknt, im Laufe des 18. Jahrhunderts völlig zerstört, jetzt eine Sandbank. Briddewarden, Ortschaft in Rustringen, bei welcher der Schlicker Siel angelegt wurde, in der Jade untergegangen. Brunock, Kirchdorf auf Nordstrand, Anfang des 14. Jahrhunderts zerstört, aber wieder eingedeicht, verlor ‚1615 seine Kirche und ging 1634 völlig unter. Buphever, Kirchdorf auf Nordstrand, 1634 untergegangen, die Ruinen der Kirche bald darauf abgebrochen. Bupsee und Buptee, angeblich zwei verschiedene Kirchdörfer auf Nordstrand, beide 1634 zerstört; die Kirchen wurden 1637 abgebrochen. Busse s. Bosch. Buttel, Büttei, Dorf in Osterstade, soll im 16. Jahrhundert zerstört und aufgegeben sein, doch blieb ein Teil der Feld- mark erhalten. : Buyse, kleine Insel, südwestlich von Norderney, wahrscheinlich nie bewohnt. War im 17. Jahrhundert noch vorhanden, jetzt eine Sandbank. Catharinen-Kapelle oder Karstinenkarke, Kirche auf Nordstrand, im 14. Jahrhundert untergegangen. Crennesse, Dorf in Osterstade, 1516 untergegangen. (Dagebull, nordfriesisches Kirchdorf, im 14. Jahrhundert zerstört, später als Hallige wieder bebaut, seit 1727 mit dem Fest- lande verbunden.) (Dangast, kleine Ortschaft in Rustringen an der Jade, soll 1511 seine Kirche verloren haben.) Donell, Ortschaft im Reiderland zwischen Ehe und Tja, Ende des 13. Jahrhunderts untergegangen. Dowens, Dorf in Rustringen, 1511 in der Jade untergegangen, ein Teil seiner Ländereien ward indes 1551 wieder bedeicht; war angeblich Kirchdorf. Drenwert, Dorf in Ostfriesland, soll 1530 untergegangen sein. Dürelehn, Dorf im Reiderland zwischen Ehe und Ems, Ende des 13. Jahrhunderts im Dollart untergegangen. Eesbull, Esbull, Kirchdorf auf Nordstrand, 1634 untergegangen, die Kirche bald nachher abgebrochen. Eidum'‘, Kirchdorf auf Sylt, soll 1300 (vgl. Wendingstedt) die erste Kirche verloren haben, die jedoch schon 1305 weiter östlich wieder aufgebaut wurde. Im 15. Jahrhundert unter- gegangen, doch blieb die Kirche bis 1637 stehen, in welchem Jahre sie nach Westerland versetzt wurde. Esbull s. Eesbull. Evensbull, Kirchdorf auf Nordstrand, 1634 untergegangen, die Kirche 1638 abgebrochen. Ewelsweer, Dorf im Reiderland, westwärts der Ehe, Ende des 13. Jahrhunderts im Dollart untergegangen. Exterhaus, zwei Dörfer im Reiderland, eins, Alt-Exterhaus, lag westlich, das andere östlich der Ehe, beide sind Ende des 13. Jahrhunderts im Dollart untergegangen. | Falum, Dorf auf Nordstrand, im 14. Jahrhundert untergegangen. Teile davon sind die Halligen Nordfall und Südfall. (Faretoft, Kirchdorf in Böckingharde in Nordfriesland, im 13. Jahrhundert zerstört, dann als Hallige wieder bebaut, seit, 1688 mit dem Festlande verbunden.) A Fedderbull, Altfedderbull, Kirchdorf in Horsbullharde in Nordfriesland, ging um Mitte des 16. Jahrhunderts verloren. Landeinwärts entstand ein neues Fedderbull. Fedderingmenn, Kirchdorf im Südwesten vom Nordstrand, im 14. Jahrhundert zerstört. Fedderhayens, Kirchdorf im Nordosten vom Nordstrand, im 14. Jahrhundert zerstört. Finsternwolde s. Ostfinsterwold. Flerdebull, Flerdesbull, Kirchdorf auf Nordstrand, im 14. Jahrhundert untergegangen. | Fletum, reiderländisches Dorf, im 15. Jahrhundert im Dollart untergegangen. Folkersweer, ostfriesisches Dorf, Ende des 15. Jahrhunderts untergegangen. Gaikebull, Kirchdorf auf Nordstrand, 1634 untergegangen, die Kirche wurde 1641 abgebrochen. (Galmsbull, nordfriesisches Dorf, verschiedentlich zerstört, wurde 1794 landtfest.) Geerdsweer, Kirchdorf in Ostfriesland unweit Emden, 1699 auf- gegeben. Die Kirche wurde nach Wybelsum versetzt. Gotmorsboll, Gormsbull, Kirchdorf auf Nordstrand, im 14. Jahrhundert untergegangen. Goldhorn, reiderländisches Dorf, westwärts der Ehe, Ende des 13. Jahrhunderts im Dollart untergegangen, ein neues Ge- höft Goldhorn existiert noch jetzt. Grode, nordfriesische Hallige, verlor seine Kirche 1354, zum zweiten Male 1634, dann wurde 1725 die Kirche ostwärts verlegt. Gundermorflot, wahrscheinlich identisch mit Overmarschshlot. und Overmoorflot (Gundermarschshlot), Kirchdorf auf Nord- strand, ging 1300 oder im Laufe des 14. Jahrhunderts unter. Habelde, nordfriesisches Kirchdorf (Wiedrichsharde), hat im 14. Jahrhundert die Kirche verloren. Die kleine noch be- wohnte Hallige Habel ist ein Rest der Feldmark. Haikeweer, reiderländisches Dorf zwischen Tja und Ehe, Ende des 13. Jahrhunderts im Dollart untergegangen. Halgeniss, nordstrandisches Kirchdorf, im 14. Jahrhundert untergegangen. Ham, ostfriesisches Dorf, Zeit des Unterganges unbekannt. Hamm, Kirchdorf auf Nordstrand, 1634 untergegangen, die Kirche ist bald nachher abgebrochen. Harkeborg, reiderländische Ortschaft, Ende des 13. Jahrhunderts im Dollart untergegangen. Havermonniken s. Höven. Heffsand, Heffezand, kleine Insel südlich von Bosch und west- südwestlich von Rottum gelegen, im 17. Jahrhundert all- mählich verschwunden. Hem, nordfriesisches Kirchdorf in Sondergössharde, 1354 unter- gegangen. ehem Hermenswold, reiderländisches Dorf, westlich von der Ehe, Ende des 13. Jahrhunderts im Dollart untergegangen. Hersbull, Kirchdorf auf Nordstrand (im Südwesten der Insel), 1634 untergegangen, die Kirche bald nachher abgebrochen. Heverdamm, Kirchdorf auf Nordstrand, 1354 untergegangen, doch wurde ein Teil der Feldmark wieder eingedeicht. Hingsteness, Kirchdorf auf. Nordstrand, verlor 1354 seine Kirche; ein Teil des Landes besteht noch als kleine, zwischen Oland und Appeiland gelegene Hallige fort. War Ende des 17. Jahr- hunderts noch bewohnt. Hoge, Hooge, Kirchdorf auf Nordstrand; die Kirche ging 1354 unter, das Land wurde aus dem Deichverband ausgeschlossen, aber zum Teil als Hallige wieder bebaut. Weiter östlich wurde eine neue Kirche aufgeführt im Jahre 1637. Hokelsum, reiderländisches Dorf im Westen der Ehe, Ende des 13. Jahrhunderts im Dollart untergegangen. Hommingenham, reiderländische Ortschaft im Osten der Ehe, Ende des 13. Jahrhunderts im Dollart untergegangen. Horst, um Mitte des 16. Jahrhunderts eine kleine bewohnte Hallige zwischen Appelland und Habel. Höven, rustringisches Kloster bei Arngast, ohne Zweifel identisch mit St. Johannis-Kloster Havermönniken, welche 1511 in der Jade unterging. Howingagast, reiderländisches Dorf zwischen Tja und Ehe, Ende des 13. Jahrhunderts im Dollart untergegangen. Jadeleh, Jadelehn, sagenhafte rustringische Ortschaft, 1218 in der Jade untergegangen. Die oldenburgischen Chronisten, welche den Zweck verfolgten, die frühere Herrschaft der Oldenburger Grafen über das Rüstringerland nachzuweisen, verlegten dahin die Residenz und die Begräbnisstätte der Vorfahren des Oldenburger Herrscherstammes. Sie setzten auch ein dem heiligen Vitus geweihtes Benediktinerkloster nach Jadeleh; so weit es sich um Thatsachen handelt, beruhen die Angaben über dieses fabelhafte Kloster auf Verwechselung mit Heslingen, wo ein dem heiligen Vitus geweihtes Nonnen- kloster bestand. Jansum, reiderländisches Dorf an der Emsmündung, Ende des 13. Jahrhunderts im Dollart untergegangen. Ilgroff, Ilegroft, Kirchdorf auf Nordstrand, zuerst 1300 oder 1354 zerstört, 'aber wieder aufgebaut, dann 1634 abermals untergegangen. Die Kirche wurde 1638 abgebrochen. St. Johannis in Lundbullharde, 1216 oder 1300 untergegangen. Johanniskloster s. Höven. Jordum, angeblich ein ehemaliges nordfriesisches Dorf, früh unter- gegangen; darnach wurde benannt: Jordsand, im 17. Jahrhundert eine Hallige östlich von Sylt, ehemals bewohnt. Ivenboll, Kirchdorf auf Nordstrand, im 14. Jahrhundert unter- gegangen. XV. März 1895, 5) Ivenfleth, Kirchdorf auf Everschop (Eiderstedt), im 14. Jahr- hundert untergegangen. Kappeldebeerde, reiderländische Ortschaft zwischen Tja und Ehe, Ende des 13. Jahrhunderts im Dollart untergegangen. Ob von Beerta verschieden ? Karstinenkarke s. Catharinenkapelle. Königsbull, Kirchdorf auf Nordstrand, 1634 untergegangen, die Kirche wurde 1639 abgebrochen. Königskapelle, Kirchdorf auf Everschop (Eiderstedt), um 1300 untergegangen. (Langeness, Kirchdorf auf Nordstrand, verlor im 14. Jahrhundert die Kirche; das Land blieb teilweise als Hallige erhalten und wurde wieder bebaut; erhielt 1663 eine Kapelle, die 1725 weiter nach Osten verlegt wurde.) (Langeoog, Düneninsel an der Küste des Harlinger Landes; die Kirche wurde durch die Flut von 1717 zerstört, aber wieder aufgebaut.) Langsumtoft, Dorf in Böckingharde, im 14. Jahrhundert unter- gegangen. Liede, reiderländisches Dorf zwischen Ehe und Ems, Ende des 13. Jahrhunderts im Dollart untergegangen. Lieth, Kirchdorf auf Nordstrand, 1634 untergegangen, die Kirche bald darauf abgebrochen. List, Listum, Alt-List, Kirchdorf auf Sylt, im 14. Jahrhundert - durch Sandflug verschüttet. Das neue jetzige Dörfehen List liegt östlicher. Loga, Logum, ostfriesisches Dorf, 1538 oder 1591 zerstört. Ludgerskirch, reiderländisches Kirchdorf zwischen Ehe und Ems, Ende des 13. Jahrhunderts im Dollart untergegangen. Lundenberg, Kirchspiel auf Nordstrand, im 13. oder 14. Jahr-: hundert von der Insel losgerissen, später aber an Fiderstedt wieder angedeicht. 1634 arg verwüstet, die Wiederbedeichung gelang mit Aufgabe der Kirche und eines Teils des Landes 1643. Gehört jetzt kirchlich zu Simonsberg. St. Mariäkirche in Lundbullharde, 1216 oder 1300 untergegangen. Markhusen, reiderländisches Dorf zwischen Tja und Ehe, im 14. Jahrhundert im Dollart untergegangen. Meerhusen, reiderländisches Dorf zwischen Tja und Ehe, Ende des 13. oder im 14. Jahrhundert im Dollart untergegangen. Mellum, ehemalige Insel in der Wesermündung, soll im 9. Jahr- hundert ein festes Schloss besessen haben, welches angeblich 1066, wahrscheinlich aber, falls es überhaupt vorhanden war, schon früher durch Fluten zerstört wurde. Die Insel soll 1086 ziemlich vollständig verschwunden sein, doch scheint es nach Karten aus dem 17. Jahrhundert, als ob selbst damals noch ein unbedeutender Rest vorhanden gewesen sei. Jetzt eine Sandbank mit Leuchtturm. — Fundamente, welche nord- — 61 — westlich vom Leuchtturme aufgefunden wurden, hat man für Reste des Schlosses gehalten. Milde, Kirchdorf in Sondergössharde in Nordfriesland, etwa im 14. Jahrhundert untergegangen. Minseroog, ehemalige Insel ostsüdöstlich von Wangeroog, auf deren Vorhandensein jedoch nur aus dem Namen der jetzigen Sandbank „Minsener olde Oog“ geschlossen werden kann. Modum und\ zwei reiderländische Dörfer in Osten der Ehe, Ende Moge un! des 13. oder im 14. Jahrhundert im Dollart unter- gegangen. Nesse, reiderländisches Dorf an der Ems, der früheren Insel Nesserland bei Emden gegenüber, Ende des 13. Jahrhunderts im Dollart untergegangen. Nibolum, Dorf auf Sylt, nach Zerstörung von Altrantum von dessen Bewohnern erbaut, zum Kirchspiel Neurantum ge- hörig, ward aber schon um 1680 durch Sandflug verschüttet. Nieland, eine im 14. Jahrhundert von Nordstrand losgerissene, jetzt verschwundene Hallige. Nigelande, Dorf in OÖsterstade bei Rechtenfleth, wahrscheinlich im 16. Jahrhundert untergegangen, (nicht zu verwechseln mit ; dem jetzigen viel nördlicheren Neuenlande.) Nigendamm, Kirchdorf auf Nordstrand, Anfang des 14. Jahr- hunderts untergegangen. Nordermarsch s. Nordmarsch. Norderoog, kleine Hallige, im 14. Jahrhundert von Nordstrand abgerissen, war früher bewohnt, seit der Flut von 1825 aber nicht mehr. Norderwisch, Kirchdorf auf Nordstrand, Anfang des 14. Jahr- hunderts untergegangen. Nordmarsch, Nordermarsch, nordfriesische Hallige in der Wiedrichsharde, im 14. Jahrhundert von Nordstrand abge- rissen, die zerstörte Kirche wurde wieder aufgebaut, musste 1732 östlicher verlegt und schliesslich nach den 1825 und 1839 erlittenen Zerstörungen im Jahre 1840 abgebrochen werden. Nordstrandischmoor, kleine nordfriesische Hallige, 1634 aus den Trümmern von Nordstrand entstanden, erhielt 1656 eine eigene Kirche, die aber 1825 zerstört und nicht wieder er- baut wurde. Ockeholm, nordfriesisches Kirchdorf, früher zu Nordstrand ge- hörig, im 14. Jahrhundert zerstört und nebst der Kirche weiter östlich verlegt. Ist seit 1550 mit dem Festlande ver- bunden, verlor aber durch die Flut von 1634 nochmals seine Kirche. Öckewehr, reiderländisches Dorf im Westen der Ehe, Ende des 13. oder im 14. Jahrhundert im Dollart untergegangen. Odmershusen, Kirchdorf in der Böckingharde in Nordfriesland, 1354 untergegangen. 5* —- 68 — (Öffenbull, Kirchdorf in Eiderstedt, Ende des 13. Jahrhunderts durch Eindeichung entstanden, aber schon 1300 oder bald darauf in der Hever untergegangen. Es gab ein Wester- und ein Oster-Offenbull. Seit 1470 und 1529 wieder- gewonnen.) Oldebrügge, rustringisches Kirchaorf oder Flecken, 1511 in der Jade untergegangen. Oldesum, Aldessen, rustringisches Kirchdorf, 1218 überflutet und wahrscheinlich grösstenteils zerstört, die Kirche ging aber erst 1428 unter. Osterbeerde, reiderländisches Dorf östlich der Ehe, Ende des 13. oder im 14. Jahrhundert untergegangen. Osteroffenbull s. Offenbull. Osterreide, reiderländisches Dorf östlich der Ehemündung, im 15. Jahrhundert im Dollart untergegangen. Osterwinsum, ostfriesisches Dorf, westlich von Kirchborgen, in der Ems untergegangen. Osterwold, Kirchdorf auf Nordstrand, 1634 untergegangen, die Kirche 1638 abgebrochen. Ostfinsterwold, reiderländisches Dorf zwischen Tja und Ehe, im Dollart untergegangen. Otzum, harlingisches Kirchdorf unweit Spiekeroog. Zeit des Unter- ganges unbekannt, doch sollen die Trümmer der Kirche noch im 16. Jahrhundert kenntlich gewesen sein. Överahme, rustringisches Kirchdorf, 1511 in der Jade unterge- sangen, später ein Teil der Ländereien wieder bedeicht, wo- rauf das jetzige Overahme steht. Es ist nicht mit den ober- ahnischen Feldern zu verwechseln. Overmarschschlot s. Gundermorslot. Padeleck, nordfriesisches Kirchdorf, im 14. Jahrhundert von Nord- strand abgerissen, aber grösstenteils an Eiderstedt wieder angeschlossen, litt 1634 sehr, die Kirche wurde 1666 abge- brochen. Palmar, Kloster im Reiderlande zwischen Tja und Ehe, im 14. Jahrhundert im Dollart untergegangen. Peterswolde, reiderländisches Dorf östlich der Ehe, Ende des 13. oder im 14. Jahrhundert im Dollart untergegangen. Rantum, Dorf auf Sylt mit der Westerseekirche, wurde um 1412 durch Sandflug zerstört. Es wurde nun weiter nach Osten verlegt und eine neue Kirche erbaut. Diese musste 1757 abgebrochen werden, weiter östlich führte man aber- mals eine neue Kirche auf. 1792—94 ward das Dorf selbst ganz verschüttet, nur wenige Einwohner bauten sich nochmals weiter östlich an, 1801 ward die Kirche abgebrochen. 1825 hatte das untergehende Dorf noch 13 Häuser, 1858 aber nur noch 5. (Rechtenfleth, Dorf in Osterstade, musste 1703 durch au des Deiches 23 seiner Häuser aufgeben.) ee Redimetmann, Kirchdorf auf Nordstrand, im 14. Jahrhundert untergegangen. Reiderwold, reiderländisches Dorf zwischen Tja und Ehe, Ende des 13. oder im 14. Jahrhundert im Dollart untergegangen. (Richelsbull, Ricksbull, nordfriesisches Dorf in Horsbullharde, 1615 arg verwüstet, die Kirche zerstört. Rodekerke, Kirchdorf in Lundbullharde, soll 1216 oder 1300 untergegangen sein. Rörbeck, Kirchdorf auf Nordstrand, 1634 untergegangen, die Kirche wurde 1638 abgebrochen. Rungholt, Städtchen auf Nordstrand, 1300 (oder nach andern 1354) untergegangen. Sanddorp, reiderländisches Dorf, westlich von der Ehe, Ende des 13. oder im 14. Jahrhundert im Dollart untergegangen. (Sandstedt, Kirchdorf in Osterstade, welches 1419 seine Kirche landeinwärts verlegen musste.) Schwenskapelle, Kirchdorf auf Nordstrand, Anfang des 14. Jahr- hunderts untergegangen. Seediek, rustringisches Kirchdorf, 1511 in der Jade untergegangen, doch ward ein Teil des Landes wiedergewonnen und bebaut. (Simonsberg, Kirchdorf auf Nordstrand, wurde im 14. Jahrhundert von Nordstrand abgerissen, aber an Eiderstedt wieder ange- deicht, verlor 1543 viel Land und musste 1545 die ausge- deichte Kirche versetzen. Der Neubau hatte infolge der Flut von 1634 das nämlicke Schicksal, die jetzige Kirche stammt von 1654.) Sivertsfleth, Kirchdorf in Eiderstedt, um 1300 untergegangen. Sivertskapelle s. Schwenskapelle. Soltdorp, } reiderländische Ortschaften, alle drei im Westen Soxum, » der Ehe, Ende des 13. oder im 14. Jahrhundert Soxumerwold, } untergegangen. Spikeboll oder Spinkebull, nordfriesisches Kirchdorf (in Böckingharde), im 14. Jahrhundert untergegangen. Stedum, Kirchdorf auf Sylt, Mitte des 14. Jahrhunderts unter- gegangen. Stintebull, Kirchdorf auf Nordstrand, im 14. Jahrhundert zer- stört, aber wiedergewonnen, 1634 abermals untergegangen. Die Kirche bald nachher abgebrochen. Stosterhaus, reiderländisches Dorf zwischen Tja und Ehe, Ende des 13. oder im 14. Jahrhundert untergegangen. Süderhever, Kirchdorf auf Utholm, soll 1204 untergegangen sein. Süd ermarsch, \ nordstrandische Kirchdörfer, im 14. Jahrhundert Süderwisch, f untergegangen. Swoeg, reiderländisches Dorf, im 15. Jahrhundert im Dollart untergegangen. Thorum, Torum, reiderländisches Städtchen östlich der Ehe, Anfang des 16. Janrhunderts (1511?) im Dollart untergegangen. Torpeern, reiderländisches Dorf zwischen Tja und Ehe, Ende des 13. oder im 14. Jahrhundert untergegangen. 2 Trindermarsch, Kirchdorf auf Nordstrand, anfangs des 14. Jahr- hunderts durch Eindeichung der Gemarkungen untergegangener Orte, namentlich von Utermarschschlot gewonnen, 1522 mit Nordstrand verbunden, durch viele Fluten arg mitgenommen, erlitt 1634 so schwere Beschädigungen, dass trotz der 1635 für kurze Zeit gelungenen Wiederbedeichung das Land nur bis 1637 zu halten war. Die Kirche ward 1651 abgebrochen. Tysweer, reiderländisches Dorf westlich der Ehe, im 15. Jahr- hundert im Dollart untergegangen Uitenbeerde, reiderländisches Dorf östlich der Ehe, Ende des 13. oder im 14. Jahrhundert im Dollart untergegangen. Uiterpogum, reiderländisches Dorf, östlich der Ehe und unweit der Ems, im 15. Jahrhundert im Dollart untergegangen. Ulvesbull, Kirchdorf auf Nordstrand, wurde im 13. Jahrhundert losgerissen, aber zum Teil an Everschop wieder angedeicht, Unkenbüll, Kirchdorf in Nordergössharde, im 14. Jahrhundert zerstört. Utermarschschlot, Utermorschlot, Utermorslot, Kirchdorf auf Nordstrand, um 1300 untergegangen. S. Trindermarsch. Vendall, nordfriesisches Kirchdorf in Böckingharde, im 14. Jahr- hundert untergegangen. Vitikloster s. Jadeleh. Volksbull, Kirchdorf auf Nordstrand, 1634 untergegangen, die Kirche 1639 abgebrochen. Waddens, butjadinger Kirchdorf an der Wesermündung, verlor durch die Flut von 1686 seine Kirche, die landeinwärts nach Brüddewarden versetzt wurde. Walthusum, nordstrandisches Kirchdorf, im 14. Jahrhundert unter- gegangen, doch wurde ein Teil des Landes wieder bedeicht. dessen Rest erst 1634 verloren ging. Wangeroog, wangerländische Düneninsel, soll schon früh den ersten Kirchturm verloren haben, war um 1574 kaum be- wohnt, erhielt 1589 einen neuen Kirchturm. Während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine viel besuchte Bade- insel. Litt 1855 so sehr, dass der grössere Teil der damals ziemlich zahlreichen Einwohner nach dem Festlande (Kolonie Neu-Wangeroog bei Varel) versetzt wurde. Die Kirche wurde ‘“ unbrauchbar; in der Nacht vom 19. zum 20. Dezember 1862 wurden wieder einige Häuser weggerissen, darunter die als Kirche benutzte Vogtei. Der Kirchturm ist durch die Bremer mittels kostspieliger Schutzwerke als Schifffahrtszeichen er- halten worden, steht aber jetzt einsam auf dem flachen, allen Fluten ausgesetzten Westende der Insel; auf den Dünen im Osten ist ein neues Dorf erbaut worden. Wardum, Wardyn, ehemaliges Dorf auf Sylt, soll durch Sand- flug verschüttet sein. Wartinghausen, nordfriesisches Kirchdorf in Sondergössharde, im 14. Jahrhundert untergegangen. Sr N ee Wendingstedt, Wennigstedt, Städtchen auf Sylt mit einem Hafen, 1300 untergegangen. Die von dem gleichen Schick- sale betroffene Eidumkirche scheint dazu gehört zu haben. Das jetzige Neu-Wennigstedt liegt viel weiter östlich. Westeel, grosses Dorf im Brokmerlande, 1573 untergegangen. Westeroffenbull s. Offenbull. Westerreide, reiderländisches Dorf an der Ems, westlich von der Ehemündung, Ende des 13. Jahrhunderts im Dollart unter- gegangen. — Jetzt existiert ein einzelnes Haus Reyde. Westerseekirche s. Rantum. Westerwold, Kirchdorf auf Nordstrand, verlor schon früher, namentlich 1570, viel Land, 1634 untergegangen, die Kirche ward 1641 abgebrochen. Wiemehr, Wymeer, reiderländisches Dorf östlich der Ehe, Ende des 13. oder im 14. Jahrhundert im Dollart untergegangen, aber früh wieder neu gebaut. Winnelham, reiderländisches Dorf ;zwischen Tja und Ehe, Ende des 13. oder im 14. Jahrhundert untergegangen. Wilgum, reiderländisches Dorf östlich der Ehe, im 15. Jahr- hundert im Dollart untergegangen. Winham s. Wynham. Wippenbull, Wuppenbull, nordfriesisches Kirchdorf in Hors- bullharde, im 14. Jahrhundert (später als Fedderbull) unter- gegangen. Wittenbull, Dorf in Eiderstedt, soll um 1300 untergegangen sein. Wold, nordstrandisches Kirchdorf, im 14. Jahrhundert zerstört; vermutlich wurden später Osterwold und Westerwold an dessen Stelle errichtet. Wuppenbull s. Wippenbull. Wurdeleh, rustringisches Kirchdorf, 1218 in der Jade unter- gegangen. Wymeer s. Wiemehr. Wynham, reiderländisches Dorf westlich der Ehe, Ende des 15. oder im 14. Jahrhundert untergegangen. 9. Westerstede. Aus der Weser-Zeitung vom 8. Juni 1888. (Mit kleinen Aenderungen und Zusätzen.) Von Franz Buchenau. Westerstede! — Wie oft hatte ich den leicht zu erkennenden Kirchturm dieses Fleckens erblickt, wenn ich auf der Strecke Oldenburg-Leer dahinrollte, um mich behufs Anstellung wissen- schaftlicher Studien oder zur Erholung nach der Ueberarbeitung des Jahres nach Borkum, Juist oder Norderney zu begeben. Wie schien er mich schon vor etwa zehn Jahren winkend zu begrüssen, als ich unter freundschaftlicher Führung die beiden schlammigen Moorteiche, Bullenmeere genannt, in der Nähe von Neuenburg und Bockhorn besuchte und dort den Turm mit Ueberraschung in nicht zu grosser Ferne über Moor, Haide und Busch hin erblickte! Westerstede (plattdeutsch Westerstär) erschien mir aus den ver- schiedensten Gesichtspunkten eines Besuches wert. Wie manchmal hatte das Auge des Naturforschers mit Interesse auf dem betreffen- den Blatte der trefflichen oldenburgischen Generalstabskarte geruht, die mannichfachen Wasserläufe der Gegend verfolgt und die zahl- reichen Holzungen —- „Büsche“ in der Sprache der Ammerländer — abzugrenzen versucht. Dem Botaniker ist überdies jene Gegend des Ammerlandes durch das Vorkommen mehrerer besonders seltenen Pflanzen wichtig. Der Freund altdeutscher Forschung wird in Godensholt und Thorsholt, d. h. Wodans-Gehölz und Thors- Wald, die Spuren altgermanischer Götterverehrung erblicken und darüber nachsinnen, ob eine solche vielleicht auch in dem Namen Ocholt aufzufinden ist. Auf jüngeren historischen Boden führen uns die Reste des Gutes Fikensolt und des Schlosses Burgforde. Dem Nationalökonomen endlich wird der Ort lieb sein, welcher zuerst von allen deutschen Städten es durch eigene Thatkraft er- möglichte, durch eine schmalspurige Sekundärbahn mit dem grossen deutschen Eisenbahnnetze in Verbindung zu treten, nachdem ihm die Hauptbahn versagt worden war. Dem Freunde der Natur ver- spricht das Ländchen manch’ freundlichen Blick auf Gehölze, Wiesen und stattliche Bauernhöfe. Daher dürfte ein Ausflug nach Wester- stede wohl lohnen. Einer der letzten Tage des Mai wird für den- selben auserwählt. Freundliche Führung gebildeter Männer ist zu- gesagt, und wir dürfen auf mannigfache Anregung hoffen. Auf Bahnhof Ocholt verlassen wir den Oldenburg-Leerer Zug. Schon der Bahnhof liegt in charakteristischem Busch; kaum ist das Gerassel des abfahrenden Zuges verklungen, als uns von allen Seiten Nachtigallenschlag begrüsst, Schon steht auf der Rückseite a des Gebäudes der Zug der Sekundärbahn bereit. Er besteht aus Lokomotive, welche ihren Kohlen- und Wasservorrat selbst birgt, und also zu gleicher Zeit Tender ist, einem Güter- und zugleich Gepäckwagen und einem Personenwaggon. Der letztere enthält einen Postraum; ferner ist eine kleine Abteilung als Koupee zweiter Klasse abgeschnitten; der grösste Teil aber bildet einen omnibus- artigen Raum (dritter Klasse) mit zwei längslaufenden Sitzbänken. Das Lösen der erforderlichen neuen Billets, die Besorgung des Gepäckes, das Einehmen der Plätze geht in grosser Gemütsruhe vor sich, und der Zug setzt sich in Bewegung. Diese Sekundär- bahn mit einem Schienenabstande von 75 cm gegen 143,5 cm der normalspurigen Bahnen wurde von der Gemeinde Westerstede in den Jahren 1875—76 erbaut und am 1. September 1876 dem Be- triebe übergeben. Den Betrieb führt die grossherzogliche Eisen- bahndirektion. Unzählig waren die Schwierigkeiten und Vorurteile, welche sich gegen das Werk erhoben, und es bedurfte vier langer Jahre, um dieselben zu beseitigen. Der Kostenanschlag betrug 225000 Mark; indessen wurde die ganze Anlage infolge günstiger Preiskonjunkturen und namentlich billigen Landerwerbes für 194400 Mark hergestellt. Von der im Sommer 1875 gebildeten Aktiengesellschaft wurden die Gelder in der Weise beschafft, dass die Gemeinde Westerstede 30000 Mark a fonds perdu hergab, dass sodann 45000 Mark Prioritäten (nach Deckung der Betriebs- kosten mit 5°/, zu verzinsen) ausgegeben wurden; diesen folgten 60600 Mark Obligationen mit staatlicher Zinsgarantie von 4Y/a °/o und endlich 588)0 Mark Stammaktien, grösstenteils von Einge- sessenen des Ortes Westerstede übernommen. Die Länge der Bahnstrecke Ocholt -Westerstede beträgt 7 km; der Wagenpark besteht aus zwei Lokomotiven, drei Personenwagen und sechs Güterwagen. Der Bau und Betrieb sind so sparsam eingerichtet, dass es bereits zweimal möglich gewesen ist, auch den Inhabern der Stammaktien eine kleine Dividende zu gewähren. Die Bahn liegt für eine längere Strecke auf dem Körper eines Landweges, welcher den erforderlichen Landstreifen hergeben konnte, später ist sie durch Gehölze, Wiesen und Felder geschnitten und liegt entweder im Niveau des Landes oder auf einem niedrigen Damme; Kiefernhecken begrenzen sie und schützen sie gegen un- gebetene Besuche von weidendem Vieh. Bahnwärter und Schlag- bäume giebt es nicht; an den Wegübergängen sind Tafeln aufge- stellt mit der Warnung: „Vorsicht. Der Zug kündigt sein Nahen durch Läuten an.“ Die Fahrzeit beträgt 17 bis 20 Minuten, je nachdem auf der einzigen Zwischenstation — Südholz — ein kürzerer oder längerer Aufenthalt genommen wird. Die Bahn läuft zuletzt in die nach Süden gerichtete Hauptstrasse des Ortes Wester- stede ein und endigt, nachdem sie vor einigen Häusern hergeführt ist, vor einem Gasthofe. Einen Bahnhof giebt es nicht. Der Be- sitzer dieses Gasthofes hat einen Raum als Verwaltungsbureau her- gegeben, zwei Zimmer zu Warteräumen hergerichtet und leistet noch einen jährlichen Zuschuss von 300 Mark zum Betriebe. Der N MAR Betrieb genügt dem Verkehr vollständig; es gehen täglich in jeder Richtung vier Züge; selbst bei Veranlassung von aussergewöhnlich gesteigertem Verkehr (wie bei Kriegervereins- oder Sängerfesten) ist es möglich gewesen, durch Belegung der Güterwagen mit Bänken und Einlegung zahlreicher Extrazüge allen Ansprüchen zu genügen. Der Bahnbetrieb hat eine merkliche Steigerung des Verkehrs zur Folge gehabt, und selbst seine früheren Gegner wünschen den klappernden Omnibus nicht wieder zurück, welcher früher täglich zweimal den Verkehr mit Zwischenahn und dadurch mit der grossen Welt unterhielt. Der Bahnzug führt durch echt ammerländische Gegenden. Eichen- und Kiefernstangenwälder, dazwischen kürzere Strecken von Kiefernhochwald oder bruchigem Erlenwald, dieser freilich eine Mückenplage von seltener Stärke und Hartnäckigkeit bergend. Wo der Wald sich öffnet, ruht der Blick mit Wohlgefallen auf grünen Wiesen- und Roggen- oder goldgelb leuchtenden Rübsenfeldern; stattliche Bauernhöfe lassen auf Behagen und Wohlhabenheit schliessen, und in der That ist Armut in der Gemeinde nur wenig bekannt. Der Ort Westerstede selbst, ein Flecken von 1200 bis 1300 Einwohnern, liegt inmitten eines Esch (Ackerlandes), der aber ringsum von freundlichen Gehölzen und Busch umgeben ist. Haide, Moor und armes Sandland bleiben entfernt; das Moor beginnt in den meisten Richtungen in reichlich einer Wegstunde Entfernung, freilich nahe genug, dass der entsetzliche Moorrauch die meisten schönen Frühlingstage verpesten kann. — Der Flecken besitzt meist kleine freundliche Häuser, vielfach in der charakteristischen Form der kleinen Bürgerhäuser unserer Landstädte, bei welcher der Giebel der Strasse zugewendet, oben aber abgeschrägt ist. Die, Kirche ist ein stattliches Gebäude; der an der Westseite stehende Turm hat am Grunde der Spitze vier kleine schlanke Seitentürmehen. Der achtseitige Turmhelm war früher spitzer und entsprach so im Umriss der Form der Seitentürmchen; bei irgend einer Reparatur hat aber die Sparsamkeit gesiegt, und die Spitze ist bemerklich verkürzt worden. Immerhin gewähren aber Turm und Kirche einen eindrucksvollen Anblick. Die Glocken hängen nach oldenburgisch- ostfriesischer Art in einem niedrigen, neben der Kirche stehenden Turme. Die Aussicht von dem Turme aus soll, namentlich nach dem Zwischenahner See hin, sehr fesselnd sein; mir blieb sie durch den hässlichen Schleier des Moorrauches versagt. Auf dem ansehnlichen Marktplatze münden die drei Chausseen, welche sich in Westerstede vereinigen. Er ist von so vielen Gast- höfen umgeben, dass man deren Bestehen kaum begreift. Ueberaus angenehm ist eine Durchstreifung der umliegenden Holzungen unter freundlicher, orts- und sachkundiger Führung. Die Gehölze sind zum grossen Teile Bauernbesitz, zum kleineren Herrschaftswald, alle aber in erfreulichem Zustand. Lenzesgrün und Vogelsang — braucht es da noch grosser Dinge, dich zu preisen, Frühlingswald? — Der Waldboden ist im ganzen Ammer- a lande mit Gesträuchen von Bickbeeren und Kronsbeeren bedeckt, welche oft zwischen einander wachsen, und von denen die letzteren durch ihr tiefgrünes Laub und die rosig- weissen Blütenglöckchen das Auge entzücken. Zu ihnen finden sich die Einbeere, das kleine Wintergrün (Pirola minor), die krautige Himbeere (Rubus saxatilis), der starre schwarzgrüne Schachtelhalm (Equisetum hiemale), die Goldnessel, der Siebenstern und manche andere Waldblume ein. Die grösste Freude des Botanikers wird aber durch den schwedischen Hartriegel, Cornus suecica, gebildet, einen kleinen, kaum spannen- hohen Zwergstrauch, der an Waldrändern mit moorigem Untergrunde vom Ammerlande an bis hin nach Jever verbreitet ist. Der Stengel ist mit mehreren Paaren freudig-grüner, breit eiförmiger Blätter besetzt; er erhält oben einen fast bouquetartigen Abschluss durch vier gekreuzte, fast schneeweisse Deckblätter, welche die dichtge- drängten braunroten Blüten in wirksamer Weise umgeben und für das Auge hervorheben. Die Pflanze ist übrigens ebenso schön zur Blütezeit wie zur Fruchtzeit auffallend durch ihre korallenroten Früchte. Sie findet sich im Gebiete der deutschen Flora ausser im Ammerlande noch in Ostfriesland, im Herzogtum Bremen, in Holstein und an einer Stelle in Pommern. Man hat die Verbreitung dieser Pflanze früher vielfach in direkte Verbindung mit dem Trans- norte der erratischen Blöcke durch das Eis gebracht; indessen ist das nicht begründet. Lebende Pflanzen fanden sich wohl sicher nicht auf dem Schuttmaterial, welches durch das Eis transportiert wurde und Früchte oder Samen, welche etwa mit demselben aus dem Norden gekommen waren, fanden auf den Gletscher-Ablager- ungen keine geeignete Unterlage zür Ansiedelung ihrer Keim- pflanzen. Die Pflanze liebt vielmehr einen humosen, mit Gebüsch bestandenen Boden. Die Einwanderung, welche allerdings aus der skandinavischen Heimat her stattfand, erfolgte vielmehr erst später und durch andere Transportmittel, namentlich wohl durch Vögel. — Noch zwei andere seltene Pflanzen enthält die Flora von Wester- stede, beide westeuropäischen Ursprunges: Hypericum Elodes, das Sumpf-Johanniskraut, und Isnardia palustris; doch nur die erstge- nannte gelang es uns, und zwar im nicht blühenden Zustande, auf- zufinden. Der Standort der anderen ist verloren gegangen und muss erst wieder aufgefunden werden; waren doch die älteren Botaniker meist nicht geneigt, darüber genauere Mitteilungen zu machen und die Standorte durch Beschreibung oder Standortskarten zu sichern; oft betrachten sie vielmehr die aufgefundenen Stand- orte als ihr Geheimnis, und so ist die Kenntnis vieler derselben mit ihnen in das Grab gewandert. Eine Stelle von grösserem historischen Interesse ist der Platz der alten Burg Burgforde, etwa 2 km nördlich von Westerstede. Burgforde war eine oldenburgische Festung, welche eine Heerstrasse von Oldenburg nach Ostfriesland deckte. Nahe an einer Beke ge- legen und auf dieser Seite durch bruchige Wiesen gesichert, war das feste Haus Burgforde noch überdies durch Wälle und doppelte Gräben geschützt. Es wurde im Jahre 1266 von dem Grafen Johann XI. a als Schutzwehre des Ammerlandes gegen Ostfriesland angelegt. Hier wohnten nach einander mehrere oldenburgische Grafen, unter andern von 1292 bis 1334 Graf Christian V., der nachher die Grafschaft Delmenhorst erhielt und von 1484 bis 1499 Graf Adolf, welcher 1500 im Kampfe gegen die Dithmarschen fiel. Nach dem Verfalle von Burgforde wurde in Apen eine stärkere Burg erbaut. 1745 wurde das im Jahre 1515 erbaute Steinhaus (plattdeutsch „Stins“) abgebrochen und die Stätte dann mit zugehörigem Land- besitze unter dem Namen Wittenheim dem Etatsrate Alerich von Wilken, Amtmann zu Apen und Westerstede, als Erbmannlehen verliehen. Nach dessen Enkels Tode — 1773 — fielen sie aber der höchsten Lehnsherrschaft anheim. Der Burgplatz ist jetzt in freundliche Anlagen verwandelt, aus denen sich mächtige Bäume — darunter eine leider bereits abgestorbene zahme Kastanie (Castanea vesca) von seltener Grösse — erheben. Eine Anzahl srosser erratischer Blöcke, die letzten Reste des einst so festen Gebäudes, sind als Tische und Stükle auf dem Burgplatze gruppiert, und so bildet die frühere Stätte von Kampf und Waffengeklirr jetzt einen friedlichen Ausflugspunkt für die Bewohner von Westerstede. Eines Besuches wert ist auch das altadelige freie Allodialgut Fikensolt, besonders wegen seiner wundervollen vierreihigen Linden- allee. Freilich ist die nach ihm benannte Adelsfamilie längst aus- gestorben und das Gut von Familie zu Familie — wir nennen die Besitzer von Bardeleben, von Issendorp, von Riegelmann und Etats- rat Schröder — gegangen und befindet sich jetzt im Besitze eines Landmanns. Es gewährt aber den höchst behaglichen Eindruck eines wohlhabenden Ammerländer Bauernhofes, wie er wirklich noch „im Schutze seiner Eichen“ {und Linden) lang hingestreckt liegt. Die unfern von Westerstede beginnenden Moore sind gewiss. in noch höherem Grade als die bei Bremen gelegenen vortrefflich geeignet zur Anzucht immergrüner Gewächse, namentlich Rhodo- dendren und Coniferen, und es sind mit der Anpflanzung derselben vielversprechende Anfänge gemacht. Bei den erleichterten Ver- bindungen (von der benachbarten Station Apen an steht auch der Wasserweg zur Verfügung) und der immer zunehmenden Liebhaberei für diese Gewächse, eröffnet sich hierdurch der Gegend noch eine ausgiebige Erwerbsquelle. Jetzt bildet der Ammerländer „Busch”, welcher in Massen zu den Uferbauten an der Jade und Weser geliefert wird, eine wichtige Einnahme der Grundbesitzer. Sehr befriedigt schied ich am Abend von Westerstede. Wer Sinn hat für die Schönheiten unserer norddeutschen Gegenden, wer sich erfreuen kann an ruhigem aber behaglichem und dabei tüchtigem Menschenleben, der wird einen Austlug in diesen Teil des Ammer- landes nicht bereuen. Derjenige aber, welcher wünscht, nach dem Bescheidenen noch landschaftliche Schönheit höheren Stiles zu ge- niessen, kann sich leicht so einrichten, dass er am Nachmittage des Ausflugstages noch die „Perle des Ammerlandes“, den Zwischen- ahner See, besucht. Anhangsweise führe ich aus den „Fünf neuen schönen Liedern“ von Wilhelm Geiler, welche „zur Feier der Eröffnung der Wester- steder schmalspurigen Eisenbahn am 1. September 1876“ heraus- gegeben wurden, zwei plattdeutsche Gedichte an, welche einen in seiner Weise durchaus berechtigten Lokal-Patriotismus zeigen. Mien Ammerland. Melodie: Auf, auf, Ihr Brüder, und seid stark! Ick hang’ an Di mien Läbenlang Mien leewet Ammerland; — Ick will Di bringen mien Gesang, — Woll plattdütsch is mien Leederklang, Doch tro mien Hart un Hand. Dien Volk dat is van’t ächte Slag, Van olen dütschen Sinn; Und wenn de Franzmann us mal grollt, Denn staht Dien Jungs as Ekenholt Un lat’t öm nich herin. Dien plattdütsch Deerns flecht up är'n Kopp Dat moje golden Haar, Stäkt Blomen baben in den Topp, Darünner sitt kien falschen Swopp, 't is all noch ächte Waar. Wi hebbt hier starke Ekenböm Un Dannen slank un lang; Darbi de Wischen vuller Blöm, Un Morgens weckt us ut de Dröm De helle Vögelsang. Us’ Holt geiht in de wiede Welt To’n Möhlbo, Schipp un Brög, Un up dat Markt in Leer dar tellt Us’ Höltjers männig Dahler Geld De se bringt mit torög. Un bi dat Holt hebbt wi uck Törf Dat Winters wi nich freert, Un Sömmers, wenn de Heide bleiht, Denn summt de Immen vuller Freid, De Hönnig us bescheert. Hier wasst de Rogg, hier wasst de Weet, Hier wasst van jede Frucht, Hier wasst, wat man Gemüse heet, Darto smeckt rökert Schinken söt Von use Swienetucht. - 18 — Un Bookweet hal't hier ut dat Moer 'Woll männig lüttje Mann; Un schellt de Stadtslüer up den Rook, Denkt he bi sick: „Ji sünd nich klook, Ick help mi as ick kann.“ Un denn dat Beer van usen Hopp Füllt männig Fatt un Glas; Ja, wat man to bedenken is, Dat bo’t wie säker und gewiss, Sülfst to us’ Hemd dat Flas. Kam’t hier is her, beseht us’ Land Un’t Twüschenahner Meer; Per Isenbahn na Twüschenahn Na Ochholt un up smalle Bahn Uck is na Westerstär. Wi willt Jo spiesen hier mit Lust Ut use Pott un Pann; De Ammerländer meent et god, Sien Schosteen rookt vür lütt un grot, Gastfree vör Jedermann. Ick hang’ an Di mien Läbenlang Mien leewet Ammerland! Ick will Di bringen mien Gesang, — Woll plattdütsch is mien Leederklang,, Doch tro mien Hart un Hand. Der erste Spatenstich zum Bahndamm. 1876 März 16. Melodie: Studio auf einer Reis’, Juchheidi, Juchheida! Enigkeit maakt grot un stark, Schafft to Dage männig Wark; Enigkeit in Westerstär Lett uns bo’n nu sekundär. Hett us fragt woll männig Mann: „Kummt d’r wirklich denn wat van?“ — Ja, kiekt her, seht Spahr un Kahr, Wat wi willt, dat bringt wi klar! War de Isenbahn nich geiht, -Nich de Lokomotive feit, Kann kien Läben frisch gedeihn, Handel un Gewerbe bleihn. Drum mien leewet Westerstär, Du schast blieben hoch in Ehr! Helpst di sülfst! dat is dien Stolt! Wies’ de Welt et in Ochholt! — 19 — Helpst di sülfst und bliffst gesund! — Nu,-mien Spahr, fahr in de Grund, Smiet den ersten Spahrvull up To den Bahndamm hoch herrup! — Hört, wo’t Wark nu wieder geiht, Wat all längst is prophezeit: Piept in Ellenserdamm mien Floit, Piept s’bold int Süden uck in Friesoyth’. — Nu, Schachtmeister, trärt heran! Jungs! nu griept dat Wark is an! Disse Stund maakt mi Plaseer, Vivat! vivat Westerstär! — I0. Der alte Wilhadibrunnen. I. (Aus der „Bremer Morgenpost“ vom 14. November 1864.) Dem Wasser unseres Wilhadibrunnens schrieb man ehemals wunderthätige Wirkungen zu. Der gelehrte Philippus Caesar be- richtete darüber im Jahre 1642: „Vor der Wilhadikirche, und zwar zwischen ihr und dem Dom, befindet sich an der Strasse ein tiefer Brunnen, der von dem heiligen Willehad angelegt ist und daher auch noch St. Willehad’s Sood oder Pfütz genannt wird. Von diesem glauben Viele und haben sich durch Erfahrungen davon überzeugt, dass mittelst des Genusses seines Wassers Fieber und andere Krankheiten auf wunderbare Weise geheilt werden. Dieser Glaube ist durch die Volksrede sehr verbreitet. Ich selbst habe Jemanden gekannt, der durch einen reichlichen Schluck jenes Wassers von einem sehr heftigen, anhaltenden, hitzigen Fieber plötzlich genas.“ W.O.F. II. Das Wasser des jetzt beseitigten Wilhadibrunnens galt noch im 19, Jahrhundert als das beste in Bremen, obgleich sich 1860 herausstellte, dass es aus der unmittelbaren Nachbarschaft eines. grossen alten Friedhofes geschöpft wurde. Es war schwerlich ein irgend wesentlicher Unterschied zwischen den verschiedenen frei auf dem hohen Dünenrücken gelegenen Brunnen (Domshaide, Wil- hadi, Domshof) vorhanden, aber bei der besonderen Schätzung des Wilhadiwassers wirkte vielleicht unbewusst der alte Wunderruhm des Heiligen fort. Aus Willehads Leben werden freilich nur wenige Wunder berichtet, aber siebenzig Jahre nach seinem Tode begannen die durch seine Gebeine bewirkten wunderbaren Krankenheilungen. Aehnliches geschah gleichzeitig durch die Gebeine des h. Alexander in dem benachbarten Wildeshausen. W. 0. Focke. Kritische Studien zur Fiora von Ostfriesland. Von Franz Buchenaun. Abkürzungen: M. Chlor. Hann. — G. F. W. Meyer, Chloris Hannoverana, Göttingen, 1836, 40%; VIII u. 744 Seiten. (Die Nachträge auf p. 685—688 sind besonders reich an Angaben über Ostfriesland), L. B. = Lantzius-Beninga, Beiträge zur Kenntnis der Flora Ostfrieslands, Göttingen, 1849, 40, 55 Seiten. W. = Aug. W. Wessel, Flora Ostfrieslands, 4. Aufl., Aurich, 1888, 8°, XVIII und 266 Seiten. Einleitung. Ostfriesland, die am meisten nach Nordwesten vorgeschobene Provinz von Deutschland, ist in botanischer Beziehung wohl zweifellos die ärmste Landschaft unseres Vaterlandes. Alle Umstände, welche bedingen, dass der ganze deutsche Nordwesten pflanzenarm ist, wirkten für Ostfriesland in verdoppeltem Masse. Die letzte Eiszeit, welche dem deutschen Nordosten eine mannigfaitige Bodennivellierung und frucht- . bareren Boden brachte, blieb dem Lande zwischen dem Jadebusen und dem Dollart fern, und während ihrer Dauer war dieser Landstrich der verarmenden Wirkung der Wellen, des Regens und des Windes preis- gegeben. Die Zuwanderung von Pflanzen aus dem Osten und Süd- osten von Europa war durch die Abgelegenheit des Landes und den Mangel eines grösseren Stromsystemes ungemein erschwert. Daher wurde Ostfriesland nur von den Pflanzen der atlantischen Association, von den häufigeren Küstenpflanzen und den allgemeiner verbreiteten mitteleuropäischen Gewächsen besiedelt. Infolge des kühlfeuchten Klimas und der Kalkarmut des Bodens bedeckten sich weite Strecken mit mächtigen Hochmooren. An den Säumen des Landes lagerten sich ausgedehnte, fruchtbare, aber sehr pflanzenarme Marschen ab. Öde Heide überzog den grössten Teil der nur schwach gewellten Geest, und nur an wenigen Stellen konnte sich Wald ansiedeln bezw. behaupten. — So war und ist die Flora der drei Hauptboden- ‘ formationen: Geest, Marsch und Moor, sehr eigentümlich, aber arm und monoton. — Eine Ausnahme machen nur die Inseln, deren Pflanzenbedeekungdurch die engeZusammendrängung der verschiedenen Florenelemente und durch reichliche Beimischung atlantischer Küsten- pflanzen eine überraschende Mannigfaltigkeit zeigt. März 1897. Abh. XV, 6 82 Diesen Verhältnissen entspricht denn auch die wissenschaftliche Bearbeitung der Flora. Sie wurde überdies noch durch die Ab- gelegenheit des Landes und seine Abgeschlossenheit sehr verzögert. Es ist ein starkes Stück, wenn G. F. W. Meyer in der Vorrede der Flora hannoverana excursoria, 1849, p. XXI den Ausspruch von Lantzius, dass die Kenntnis der Flora von Ostfriesland vernachlässigt sei, als unbegründet zurückweist, und sich dabei u. A. auı Plinius, auf Aufsätze in den Ostfriesischen Mannigfaltigkeiten, auf J. C. Freese „Ostfriesland und Harlingerland“* und auf Fr. Arends in Beziehung auf Landeskultur vortreffliches, aber nur ganz wenige botanische Angaben enthaltendes Werk über Ostfriesland beruft! Nur die Inseln wurden seit etwa 1869, namentlich von Bremen aus, eifrig und planmässig durchsucht, und ihre Pflanzendecke in zahlreichen Aufsätzen in den Abhandlungen des naturwissenschaftlichen Vereins zu Bremen geschildert. Diese Beobachtungen und die Gründung eines eigenen ÜÖentralherbariums der Inseln haben dann zur Heraus- gabe meiner „Flora der ostfriesischen Inseln“ geführt, in deren dritter Auflage (Leipzig, W. Engelmann, 1896) nicht nur die Gefässpflanzen, sondern auch die Moose und Flechten behandelt sind. Anders das ostfriesische Festland. In den Schriften des Hofrats G. F. W. Meyer (Chloris hannoverana, 1836, 4°; Flora hannoverana excursoria, 1849, 8°) finden sich nur höchst ungenügende und über- dies unzuverlässige Angaben. Eine sehr tüchtige Studie dagegen sind die „Beiträge zur Kenntnis der Flora Ostfriesland’s“ von Skato Lantzius-Beninga; Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht, 1849, 40, 55 Seiten. Lantzius, selbst ein Ostfriese von Geburt und in dem Lande aufgewachsen, hatte mit Unterstützung des Universitäts- Curatoriums zu Göttingen den Sommer 1847 auf die botanische Durchforschung des Landes verwenden können. Die Schrift legt durch ihre Angaben und ihre kritischen Bemerkungen Zeugnis ab von dem grossen Scharfblicke des Verfassers. Weniger fruchtbar wurde die langjährige Thätigkeit des Gymnasiallehrers August Wessel in Aurich, obwohl dessen „Flora Ostfrieslands“ (Leer, W. Deichmann) vier Auflagen (1858*, 1869, 1879, 1888) erfuhr. Als ich zu Pfingsten 1896 mehrere Tage lang mit dem ehrwürdigen alten Herrn, welcher leider durch Krankheit schon fast ganz an das Haus gefesselt war, persönlich verkehrte, konnten wir einen Hauptgrund davon feststellen. Wessel hatte versäumt, seine Bestimmungen durch Niederlegung von Exemplaren in ein grösseres Herbarium (etwa ein ostfriesisches Provinzialherbarium), seine Stand- orte durch Karten zu sichern.“”) Seit Jahrzehnten von der neueren botanischen Literatur und von grossen Herbarien abgeschnitten, war er überdies in betreff der Kenntnis und Benennung der Formen ganz auf dem Standpunkte der 2. Auflage von Koch’s Synopsis und einer *, Diese Auflage erschien in Aurich bei C. O. Seyde. **) Die wenigen Pflanzen, welche Wessel noch besass, übergab er mir fast alle für das Centralherbarium der nordwestdeutschen Flora im Besitze des städtischen Museums zu Bremen, wofür ich ihm auch an dieser Stelle herzlichen Dank sage. 83 älteren Auflage von Garcke’s Flora stehen geblieben. Wessel’s Buch sollte nicht etwa nur ein Hülfsmittel für den Unterricht, sondern zugleich eine wissenschaftliche Arbeit zur Kenntnis von Ostfriesland sein und wird in der ganzen Provinz als solche betrachtet. Eine Kritik der „Flora Ostfrieslands“ liegt dem Zwecke dieses Aufsatzes ganz fern. Ich gehe daher fast nirgends auf den Text, die Diagnosen und die nach Garcke’schem Muster ausgearbeitete Bestimmungstabelle der Gattungen näher ein. Ich lasse auch die Frage bei Seite, ob es richtig und zweckmässig war, zahlreiche Topfpflanzen, wie Citrone, Apfelsine, Myrte, Gazanie, Passionsblume, Rosmarin, ohne jede Druckauszeichnung in der Reihe der wild- wachsenden Gewächse aufzuzählen, Topfpflanzen, welche auch keinen- falls zu den auf dem Nebentitel genannten „in Gärten und Feldern häufiger gebauten“ Gefässpflanzen gehören. Ich will hier vielmehr nur einige Punkte bezeichnen, welche die Benutzung der Angaben des Buches sehr erschweren und daher bei einer Neubearbeitung durchaus der Verbesserung bedürfen. Zunächst sind die eingeschleppten Pflanzen (wie z. B. Poterium Sanguisorba, Centaurea caleitrapa) häufig nicht als solche bezeichnet. Wenn dies schon bisher überaus wünschenswert war, so wird es in der Zukunft infolge des enorm gesteigerten Verkehrs und der _ dadurch vermehrten Verschleppung von Pflanzen ganz notwendig. Immer nötiger wird mit Beziehung auf die Gewächse einer Gegend eine strenge Fremdenpolizei. Alle verschleppten Pflanzen sind zu notieren und im Auge zu behalten. Aber man sollte nicht mehr mit ihnen die Florenwerke belasten, sie vielmehr nur erwähnen, wenn sie sich dauernd ansiedeln und ihnen nur dann eine Stelle in der Reihe der „einheimischen“ Gewächse geben, wenn sie sich (wie 2. B. Matricaria suaveolens Buchenau vielerwärts in Deutschland) ganz regelmässig erhalten und vermehren. Gerade für Ostfriesland, wo viele, sonst in Deutschland häufige Pflanzen (z. B. Alopecurus pratensis) in einzelnen Gegenden nur verschleppt vorkommen, sind genaue Angaben in dieser Beziehung besonders wünschenswert. Ein weiterer Übelstand an dem Wessel’schen Buche ist die unklare Bezeichnung der Standorte. Was ich meine, will ich an ein paar Beispielen klar machen. pag. 190, „Chenopodium maritimum .. Auf salzhaltigen Wiesen entlang der ganzen Küste und auf den Inseln Langeoog, Spiekeroog“. Was soll hier die Nennung der zwei Inseln bei einer Pflanze, welche auf allen Inseln gemein ist? Oder ähnlich pag. 223, „Juncus supinus . . . In torfigen Sümpfen, häufig. Grossefehn, Borkum“, oder endlich pag. 98 „Linum catharticum . . . Auf feuchtem Boden; hier und da. Holtland, Norden, Borkum, Varel“. Auch diese Pflanze ist über die ganze Inselreihe verbreitet und kommt überdies keineswegs vorzugsweise auf feuchtem Boden vor. Solche Fälle liessen sich noch ausserordentlich häufen. Der Benutzende weiss nie, ob die genannten Standorte nur beispielsweise genannt sind, oder ob sie die einzigen dem Verfasser aus Ostfriesland bekannten sind. Ich habe dies bei der Abfassung meiner „Flora der nordwestdeutschen Tiefebene“ sehr häufig schmerzlich empfunden. 6* 84 Auch die Bezeichnung der Fundorte (z. B. „Erodium ceicutarium. Auf Schutt, an Wegen“) bedarf vielfach genauer Revision, und die Bezugnahme auf die Bodenformationen (Geest, Vorgeest, Dünen, Marsch, Moor) wäre an nicht wenigen Stellen hinzuzufügen. Es war überdies kein glücklicher Griff, dass Wessel in die 4. Auflage auch die Pflanzen des „preussischen Jadegebietes und der dasselbe zunächst begrenzenden Teile des Oldenburger Landes“ auf- nahm (ganz abgesehen davon, dass er dafür einen wenig zuverlässigen Gewährsmann in dem früheren Lehrer R. Woltmann zu Wilhelms- haven hatte). Ostfriesland bildet einen politisch seit langer Zeit gut, geographisch wenigstens genügend abgeschlossenen Bezirk. Wollte Wessel denselben naturgemäss abrunden, dann musste er die Umgegend von Aschendorf und Papenburg im Süden, von Apen, Augustfehn und Westerstede im Südosten, sowie das ganze Jeverland hinzuziehen. Aber nur Varel und die von Ostfriesland getrennt liegende Umgebung von Wilhelmshaven einzuziehen, musste notwendig ein verzerrtes Bild liefern. Es ist übrigens hervorzuheben, dass auch die Arbeit von Lantzius in einer Beziehung zu Zweifeln Veranlassung giebt. Lantzius setzt nämlich in nicht wenigen (etwa 125) Fällen seinen Fundorts- und Standortsangaben ein (M) hinzu. Dies ist eine Bezugnahme auf Meyers Chloris Hannoverana (vergl. L. B. p. 4). In etwa 145 weiteren Fällen fügt Lantzius dem „M“ noch die von Meyer genannten Standorte hinzu. Wenn nun auch meistens dieses „M“ eine Bestätigung ausdrücken soll (L. B. p. 4... . „diejenigen Pflanzen, welehe der Herr Hofrat Meyer ebenfalls schon gefunden hat, habe ich durch ein in Klammern beigefügtes M bezeichnet“), so hat es doch in andern Fällen offenbar eine ablehnende Bedeutung, wie man vielfach . in Florenwerken eine Angabe aufführt, aber durch Beisetzung des Autors die Verantwortlichkeit für dieselbe ablehnt. In vielen der 145 Fälle des zweiten Verfahrens liegt eine beredte Kritik der ganz. ungenügenden Angaben von Meyer, z. B. p. 40: Menyanthes trifoliata. „In Sümpfen überall, namentlich in den Meeden (M. Borkum)“. Eine direkte Ablehnung wird nur in wenigen Fällen ausgesprochen, so bei: Nasturtium anceps Rehb. (M auf Norderney. _ Von mir nicht gesehen); Trifoium hybridum (Nach M. bei lümden, Pewsum, Marienhafe, auf Norderney; von mir nicht gesehen). Carex extensa. „Im Moore bei Aurich (von mir nicht gesehen)“. Ich vermute aber, dass sie auch in ma chen anderen Fällen gemeint ist, so z. B. bei Örambe maritima L., Hypericum elodes L., Potentilla argentea L., Saxifraga Hirculus L., Centaurea Calecitrapa L., Chondrilla juncea L., Monotropa: Hypopitys L., Utricularia intermedia Hayne, Anagallis tenella L., Fotamogeton Hornemanni Meyer, Eriophorum latifolium Hoppe, Carex Davalliana Sm., ©. chordorrhiza Ehrh., ©. mierostachya Ehrh. Diese stumme Kritik ist jedoch für den, welcher sich eingehend mit der Sache beschäftigt, beredt genug. Lantzius, der junge Privat- docent, hatte freilich alle Ursache, mit seiner. Kritik gegen den in Göttingen und namentlich in Hannover so einflussreichen Hofrat 85 Meyer zurückzuhalten und selbst das Wenige, was er aussprach {z. B. in der Anmerkung auf pag. 31) genügte, um seine akademische Laufbahn zu durchkreuzen.”) Um dieses unerfreuliche Moment der Unsicherheit aus den Angaben von Lantzius möglichst zu entfernen, habe ich mir diejenigen Pflanzen, bei welchen Zweifel auftauchten, aus den Herbarien von Meyer und Lantzius, welche jetzt Bestandteile des Universitäts- herbariums zu Göttingen bilden, kommen lassen. Dabei stellte sich heraus, dass das Herbarium von Lantzius ein sehr wohlgeordnetes ist. Nicht das Gleiche kann aber von der Meyer’schen Sammlung gesagt werden. Sie ist sehr lückenhaft; bei manchen Pflanzen liegen gar keine Etiketten; auf den Etiketten fehlen meist die Namen der Sammler (soweit sie nicht von den betreffenden Männern selbst auf- geschrieben sind). So wenig ich nun auch geneigt sein würde, dem Herbarium eines Mannes von der notorischen Unzuverlässigkeit eines Meyer volle Beweiskraft zuzuschreiben, so verstärkt doch dieser Zustand des Herbariums die ohnehin vorhandenen Bedenken gegen seine Angaben noch sehr. Meyer hatte an vielen Orten des deutschen Nordwestens Correspondenten, darunter manche sehr zuverlässige und tüchtige, wie z. B. Jürgens in Jever und Mertens in Bremen. -Ihre Angaben bilden die Goldkörner in der massenhaften Spreu, welche die Blätter der Chloris füllt. Leider aber hat Meyer bei den einzelnen Angaben niemals seine Quelle für die einzelne Angabe genannt, so dass der Benutzer nicht imstande ist, die fremden Mit- teilungen von den eigenen Beobachtungen (?) des Verfassers zu trennen. Meyer sagt in seiner breitspurigen und schwülstigen Aus- drucksweise (Vorrede zur Chloris, p. VII): „Noch liegst mir die Erfüllung der angenehmen Pflicht ob, den Gönnern, Freunden und Correspondenten, welche die in den nach- folgenden Blättern enthaltene Arbeit durch Hülfsleistungen auf meinen Reisen, durch Mitteilungen von Standörtern, getrockneten Pflanzen, auch ihnen beigefügte Beobachtungen mit so viel Güte und reger Teilnahme gestützt und gefördert haben, meinen Dank abzustatten. Indem ich diesen hiermit auf das Wärmste ausspreche, bemerke ich, dass ihre Namen, unter öffentlicher Anerkennung ihres Verdienstes durch spezielle Aufführung in der Vorrede zur Flora des König- reichs Hannover, als Beförderer der Landeskunde in die Annalen der Entwicklungsgeschichte unseres Landes eingetragen worden sind.“ Da aber diese Flora (vergl. ihren ausführlichen Plan in der Flora hannoverana excursoria p. XXV—XXXVI) infolge der mass- losen Verschwendung, welche Meyer mit dem Gelde des Landes trieb, bald ins Stocken kam, so ist auch die „Eintragung in die Annalen der Entwickiungsgeschichte unseres Landes“ niemals erfolgt. Für Ostfriesland handelt es sich nun ganz besonders um eine Reihe von auffälligen Angaben seltener Pflanzen im Hochmoore bei Aurich, z. B. Anagallis tenella, Carex chordorrhiza, Davalliana, extensa, | *) Vergl. dazu auch die Kritik der Lantzius’schen Schrift durch Meyer in der Vorrede der Flora hannoverana excursoria, 1849, p. XVIII-XXIL. 86 microstachya, Hypericum elodes. Ich weiss sowohl von Wessel als. von Lantzius-Beninga (dessen Zuhörer ich im Jahre 1850 und 1851 war, und dem ich seit jener Zeit die herzlichste Dankbarkeit bewahre), dass sie eifrig, aber stets vergeblich nach jenen Pflanzen gesucht. haben. Nun ergiebt das Meyer’sche Herbarium, dass alle jene Pflanzen (soweit sie vorhanden sind) im Sommer 1822 gesammelt sein sollen. In diesem Jahre war Meyer (vergl. Chloris, p. 145 bei Crambe) auf Norderney und musste dahin natürlich bei den damaligen Post- verbindungen über Aurich reisen. Die vorliegenden Etiketten jener Pflanzen sind in Papier und Schrift ganz gleichmässig; sie sind nach dem Urteil schriftverständiger Herren von Meyer geschrieben, aber offenbar zu einer anderen Zeit, als die mir gleichfalls vorliegenden Etiketten der im Jahre 1822 gesammelten Viola tricolor und canina von Norderney. Es ist im höchsten Grade auffällig, dass bei einem vorübergehenden Aufenthalte in Aurich auf dem überaus öden und monotonen Hochmoore“) eine solche Anzahl seltener Pflanzen gefunden worden sein sollte, von denen dann später keine wieder entdeckt werden konnte.**) Man wird vielmehr zu der äusserst betrübenden Annahme gedrängt, dass jene Etiketten später gleichzeitig geschrieben und zu Pflanzen von anderer Abstammung gelegt worden sind, um die falschen Angaben der Chloris zu stützen. Das Gewissen würde: *”) Für die ausserhalb der nordwestdeutschen Tiefebene wohnenden. Leser wird es nicht überflüssig sein, zu bemerken, dass unsere Hochmoore ausserordentlich gleichmässig und pflanzenarm sind. Reicher ist die Flora. dagegen in den Mooren, welche kleine Mulden der Geest ausfüllen (z. B. das Lesumer Moor bei Bremen) und vielfach auch in denjenigen, welche den Fuss der Geest umsäumen, also auf der Grenze von Geest und Marsch liegen. ”*) Von einem in Aurich wohnenden Botaniker geführt konnte Meyer auch nicht werden, weil damals in Aurich kein Botaniker lebte, der diese: seltenen Pflanzen gekannt hätte. J. H. Tannen, der Verfasser der botanischen Aufsätze in den „Ostfriesischen Mannigfaltigkeiten, war bereits 1816 gestorben. Über sein Leben teilt mir sein Urenkel, Herr Rechtsanwalt Tannen zu Aurich, Folgendes mit: Der Verfasser der botanischen Mitteilungen ist Johann Heinrich Tannen, der, im Jahre 1755 geboren ist und zwar auf dem Schlosse Marienhausen. bei Jever, wo sein Vater Amtmann und Deichhauptmann von Rüstringerland war. Er studierte von 1772 ab in Jena und wurde später Amtsassessor in Aurich und nachher Rat bei der Preussisch-Ostfriesischen Krieges- und Domänenkammer daselbst. Er starb, nachdem er seinen Abschied genommen hatte, ebenfalls in Aurich am 6. Oktober 1816. Er hat grosse Liebhaberei für die Naturwissenschaften gehabt und besass auch eine für damalige Zeiten erhebliche Bibliothek. Als Kammerassessor schrieb er die Aufsätze in den „Ostfriesischen. Mannigfaltiskeiten“, welche von 1784 an in Aurich erschienen und 1795 als. „Neue Ostfriesische Mannigfaltigkeiten“ fortgesetzt wurden. Seine Teilnahme. für Naturwissenschaften geht auch aus seinen Briefen hervor. Es liegt mir: einer aus dem Jahre 1798 vor, wo J. H. Tannen als Vertreter der Ostfriesischen Ritterschaft zur Huldigungsfeier nach Berlin geschickt war (beim Regierungs- antritt von Friedrich Wilhelm III... Er benutzte damals die Gelegenheit, die berühmte Beirnis’sche Sammlung in Helmstädt und das Naturalkabinet in Braunschweig zu besuchen. Er beschäftigte sich auch mit Astronomie, und ich habe ein sehr gutes Glas von J. Ramsden in London noch von ihm in Besitz. 87 sich gegen die Möglichkeit eines solchen Verfahrens sträuben, wenn nicht leider die Geschichte der Wissenschaft mehrere solche Fälle zu verzeichnen hätte! In neuerer Zeit hat der Lehrer, Herr Friedrich Sundermann in Norden, einige Beobachtungen über ostfriesische Pflanzen mit- geteilt (vergl. meine Flora der nordwestdeutschen Tiefebene und in derselben namentlich das Literatur-Verzeichnis auf p. 532). Endlich veröffentlichte der Lehrer, Herr R. Bielefeld auf Norderney vor Kurzem in Bd. XIII, p. 353—374 dieser Abhandlungen einen sehr beachtenswerten „Beitrag zur Flora Ostfrieslands“, welcher in zwei Abschnitten a) den Forstort Oldehave, b) die natürlichen Wiesen oder „Meeden“ schildert. Mein nachfolgender Aufsatz ist namentlich der Aufklärung oder Beseitigung der vielen zweifelhaften Angaben gewidmet. Er bezieht sich fast ausschliesslich auf das Festland, da ja die Pflanzen der ostfriesischen Inseln erst kürzlich in der dritten Auflage meiner „Flora der ostfriesischen Inseln“ (Leipzig, W. Engelmann, 1896) behandelt sind. Als Grundlage dienen mir die auf vielen Streif- touren durch Ostfriesland (namentlich durch die Umgegend von Esens, Norden, Emden, Aurich und die Küstengegenden) gewonnenen - Ansehauungen und langjähriges Studium der Literatur. Bei der Ausarbeitung dieser Abhandlung bin ich mehrseitig unterstützt worden. Vor Allem habe ich zu danken den Herren Professor Dr. Peter und Assistent Dr. M. v. Minden in Göttingen für die Übersendung von Pflanzen des dortigen Universitätsherbariums, Herrn Forstmeister Richnow in Aurich und Herrn Oberförster Ginsberg zu Friedeburg für erbetene Angaben über die ostfriesischen Forsten, Herrn Gymnasial- lehrer a. D. Aug. Wessel in Aurich (s. oben) für mündliche und schriftliche Mitteilungen, Entwerfung einiger Standortskarten und schenkweise Überlassung trockener Pflanzen. Die Herren Oberlehrer W. Dunkmann und Dr. Georg Knoche führten mich in der Pfingst- woche 1896 auf mehreren Excursionen in der Umgegend von Aurich und sandten mir im Herbst 1896 ihre Sommerbeobachtungen zu. Einzelne Beobachtungen oder Aufklärungen verdanke ich den Herren Dr. W. O. Focke hierselbst, Apotheker L. Hermann in Emden, Apotheker R. Rassau zu Aurich und Lehrer R. Bielefeld in Norderney. Allen genannten Herren meinen herzlichen Dauk zu sagen, ist mir eine angenehme Pflicht.*) — Provinzialfloren haben noch heute ihre grosse Bedeutung, doch müssen sie namentlich folgende Bedingungen erfüllen: 1) Genaue Schilderung der lokalen Formen. 2) Sorgfältige Bezeichnung der eingeschleppten und Ausscheidung der nur ganz vorübergehend aufgetretenen Pflanzen. 3) Grosse Sorgfalt in den Diagnosen; Wahl gleichmässiger und morphologisch richtiger Ausdrücke für die Pflanzenorgane und event. zweckmässiger Abkürzungen für die wichtigsten Teile der Pflanzen. *) Manche Anfragen und Bitten um Auskunft oder um Belegexemplare blieben freilich auch ohne Erfolg. 88 4) Sorgfältige Bezugnahme auf die Bodenformation und genaue Angabe der Eigentümlichkeit der Standorte. Möchte die von Herrn Fr. Sundermann in Norden in Aussicht gestellte Neu-Bearbeitung der Flora Ostfrieslands nach diesen Richtungen recht Erfreuliches darbieten! Bremen, den 30. November 1886. Aufzählung der zu besprechenden Pflanzen nach der Reihenfolge in meiner „Flora der nordwestdeutschen Tiefebene“. Aspidium Phegopteris Baumg. (Phegopteris polypodioides Fee) war Lantzius noch nicht aus Ostfriesland bekannt. W., p. 253, führt es an von Sandhorst und Ochsenmoor bei Aurich. An der erstgenannten Stelle wächst es besonders an dem Waldwege, welcher direkt auf die Försterei zuführt. 4A. Thelypteris Sw. Giebt L. B., p. 51, nur vom Frauen- moor bei Timmel an; Wessel fügt noch hinzu: bei Schirum in der Nähe der Chaussee. Sollte die Pflanze in den ostfriesischen Mooren nicht viel weiter verbreitet sein? A. montanum Ascherson. Nach mündlicher Mitteilung und Standortskarte von Wessel in Sandhorst bei Aurich, ganz in der Nähe von Asp. Phegopteris. Botrychium ternatum Thunberg. W., p. 254, führt diese Pflanze nach der ersten Auflage meiner „Flora der ostfriesischen Inseln“ für Norderney auf. Die beigefügte Diagnose passt aber durchaus nicht zu der Pflanze und ist zweifellos aus Garcke’s Flora entnommen, wo sie aber richtig für 3. ramosum Ascherson (DB. rutaceum Willdenow) gegeben ist. Equisetum silvaticum L. L. B., p. 51, sagt über diese Pflanze: Im Gehölze Stiekelkamp selten. W., p. 250, fügt noch hinzu: „Aurich, Barkeler Busch“. Ich selbst fand die Pflanze am 31. Mai 1396 im südlichen Teile des Ihlower Gehölzes. E. variegatum Schleicher wurde im August 1896 durch Dr. med. Joh. Dreier auch auf Westland Borkum in einem kleinen Dünenthale nördlich von Upholm, jedoch nur spärlich, gefunden. Fehlt Zquwisetum hiemale L. in Ostfriesland gänzlich? Abies pectinata DC., die Edeltanne, wird in Ostfriesland vielfach zum Nachpflanzen in lückenhaft gewordene oder gelichtete Bestände verwendet und gedeiht meistens, selbst auf reinem Sandboden ganz gut, trägt auch nach den Mitteilungen des Herrn Forstmeisters Richnow in Aurich in einzelnen Fällen reife Früchte. Ein paar ältere reine Bestände sind nach den Mitteilungen desselben Herrn im Walde des Grafen Inn- und Knyphausen zu Lütetsburg bei Norden vorhanden. Von der Edeltanne beschreibt Kottmeier (wohl der frühere Oberförster von Friedeburg) in Wittmack’s Gartenzeitung, 1882, ], 89 p. 406 ff.*) zwei Gruppen mit hängenden Asten (also Trauertannen, Ab. pectinata, forma pendula) aus der Oberförsterei Friedeburg. H. Conwentz (Beobachtungen über seltene Waldbäume in West- preussen, 1895, p. 161), eitiert ihre Beschreibung in folgender Weise: „Die Bäume waren damals etwa 20jährig und zeigten einen gesunden, kräftigen Wuchs; ihre Höhe erreichte 15 m, im Durchschnitt 10—11 m. Die Hauptäste hingen lang herunter, und die obersten schlossen die Krone kuppelförmig nach oben ab.“ Diese Schilderung musste natürlich mein besonderes Interesse erregen. Ich wandte mich daher an Herrn Oberförster Ginsberg zu Friedeburg, welcher mir unterm 22. November 1896 gütigst mitteilte, dass Edeltannen in seinem Revier hauptsächlich in den Jahren 1860—75 zum Ausfüllen von Lücken, sowie zum Unterbauen von raumen Eichenbeständen gepflanzt worden seien. Die von Kottmeier beschriebenen Tannen befänden sich im Forstorte Hopels. Herr Ginsberg fügt dann hinzu: „Die beiden als „Trauertannen“ be- zeichneten kleinen Horste sind vielleicht 30jährige Tannen, welche augenscheinlich zur Ausfüllung von Lücken in jetzt etwa 60 jährigen Kiefernbeständen gepflanzt sind. Die Kiefern haben später starke Kronen gebildet und daher die Tannen allmählich stark unterdrückt. - Darunter hat das Höhenwachstum gestockt, die vorhandenen Aste haben nach einzelnen Lichtlücken hin gestrebt und sind auf diese Weise zwar verhältnismässig lang, aber auch sehr dünn geblieben, so dass eine hängende Form entstanden ist, die der der Fichte sehr gleicht. Diese Erscheinung kommt bei der Tanne wohl häufiger vor; ich gebe aber zu, dass die beiden in Rede stehenden Horste früher einen etwas überraschenden Anblick geboten haben mögen. Das Aussehen ist nämlich jetzt schon sehr verändert: nachdem die um- gebenden Kiefern entfernt und der ganze Bestand in Schirmschlag gestellt war, so dass die Tannen nun genügendes Licht haben, entwickelten sich die neuen Höhentriebe ganz normal. Sogar an einzelnen der herunter geneigten Aste, soweit dieselben starke neue Triebe zeigen, stehen die letzteren ganz vorschriftsmässig nach oben gerichtet. Es liegt also nicht die geringste Veranlassung vor, eine besondere Trauerform der Tanne anzunehmen.“ Kiefer, Pinus silwestris L. Die ältesten Kieferbestände in den ostfriesischen Waldungen werden von den beiden Herren Oberförstern auf etwa 80—85 Jahre geschätzt. Altere Bestände sind nicht vor- handen gewesen. Es ist demnach anzunehmen, dass der forstmässige Anbau der Kiefer in Ostfriesland erst gegen Anfang des neunzehnten Jahrhunderts begonnen wurde. Wahrscheinlich wurde Kiefernsaat von auswärts bezogen und die jungen Pflanzen auf Saatkämpen herangezogen. Taxus baccata L. Die beiden Oberförster zu Aurich und Friedeburg erwiederten auf meine Anfrage, dass ihnen weder vom jetzigen noch vom früheren Vorkommen (etwa in Formen von Stubben) der Eibe in Ostfriesland etwas bekannt sei. *) Ich kenne diese Stelle nur aus dem sogleich zu erwähnenden Citate von Conwentz. — Die Öberförsterei heisst Friedeburg, nicht Friedeberg. 90 Juniperus communis L. Die Frage, ob der Wachholder wirklich wild (z. B. auf Heiden) in Ostfriesland (oder nur angepflanzt in Gärten, Hecken u. s. w.) vorkommt, erregt besonderes Interesse. Eventuell wäre die Grenze seiner Verbreitung durch eine Karte fest- zulegen. Nach brieflicher Mitteilung von A. Wessel stehen im Tannenkampe bei Meerhusen unweit Aurich viele grosse Wachholder. Sparganium. Es darf den Pflanzenfreunden von Ostfriesland besonders empfohlen werden, zu beachten, ob unter den als Sp. ramosum. bezeichneten Pflanzen die drei jetzt unterschiedenen Formen ver- borgen sind: a) S. erectum L. Perigonbl. oben wenig verbreitert. Frucht gross, ungestielt, verkehrt pyramidenförmig, kurz-geschnabelt, gefurcht. b) S. neglectum Beeby. Perigonbl. oben beträchtlich verbreitert. Frucht deutlich gestielt, länglich-elliptisch, langgeschnabelt, an den Seiten nicht gefurcht. ec) S. microcarpum (Celakovsky. Perigonbl. schmal, oben an- sehnlich verbreitert. Frucht keilförmig, schmal-verkehrt pyramidal, oben oval und ziemlich langgeschnabelt. Potamogeton marina L. L. B. p. 45: „Gräben der Küste nicht häufig, Jemgum, Norderney“. W. p. 211: „In Gräben an der Küste und auf den Inseln“. Nachdem ich diese Pflanze im Juli 1896 in den ostholsteinischen Seen lebend beobachten konnte, darf ich die Überzeugung aussprechen, dass sie in ganz Ostfriesland (einschliesslich der Inseln) fehlt, ja dass sie in ganz Nordwestdeutschland wohl nur im Dümmer vor- kommt. Sie bewohnt flache Stellen am Ufer von Landseen. Die | Pflanze ist sehr zart gebaut, selten über 20—30 cm lang, mit stark verzweigter unterirdischer Kriechachse und daher kleine infra- aquatische Wiesenflecke bildend; Stengel dichtästig, Blütenstände langgestielt, unterbrochen, mit grossen Zwischenräumen; Früchte verkehrt ei-kugelförmig, aussen abgerundet, sehr viel kleiner als bei P. pectinata. P. pectinata L. dagegen ist weit kräftiger; die einzelnen Stengel weit weniger genähert, deutlich Autend und oft 1—3 m lang, (meist aus viel grösseren Tiefen aufsteigend) locker ästig, aber doch mit ihren Blättern oft dichte straffe Bündel bildend. Aehren lang gestielt, unterbrochen. Früchte fast halbkreisrund (mit gerader oder schwach-gebogener Innenseite), im reifen, trockenen Zustande gekielt und weit grösser als diejenigen von P. marina. In der freien Natur wird man wohl niemals über die richtige Bestimmung einer hierhergehörigen Pflanze in Unsicherheit bleiben, während Herbariumsexemplare zarterer Formen von P. pectinata, namentlich, wenn die Früchte erst halbreif sind, leicht fälschlich für P. marina gehalten werden können. Im Lantzius’schen Herbar findet sich nur P. pectinata aus Ostfriesland. P. nitens Weber. L. B. p. 45: „Gräben der Meeden nicht häufig, z. B. beim Neuenfehn“; danach auch bei W. p. 210. Von Bielefeld nicht gefunden. Exemplare sind im Herbar Lantzius nicht Sl vorhanden. Bei der Unsicherheit, welche lange in der Abgrenzung dieser Art herrschte, ist ihre Aufsuchung sehr wünschenswert. P. plantaginea Du Croz. (P. Hornemanni G. F. W. Meyer, Chl. Hann., 1836, p. 521). Seitdem Meyer 1836 Marienhafe in Ostfriesland als Fundort für diese seltene Pflanze angegeben hat, ist diese Angabe unzählige Male wiederholt worden, ohne dass irgend Jemand die Pflanze wieder gefunden habe. Die genaueste Unter- suchung der Umgegend von Marienhafe auf sie wäre sehr wünschens- wert. (Die Pflanze fehlt in Meyer’s Herbarium). Das zweite an- gebliche Vorkommen dieser Art im nordwestlichen Deutschland: „Varel, an der Oldenburger Chaussee rechts im Graben, am Ende desselben zwischen der Brücke und der Schäferei; Otto Böckeler“ ist höchst zweifelhaft, da die (sehr ungenügenden!) Exemplare des Böckeler’schen Herbariums wohl zu P. natans oder polygonifolia gehören. Für die seltenen Arten P. compressa und acutifolia wären die einzelnen Fundorte genau festzulegen. Im Lantzius’schen Herbar fehlt die letztgenannte Art, im Herb. Meyer jede hierher gehörige Art aus Ostfriesland. Ruppia und Zannichellia. Die Ansicht der Botaniker geht immer stärker dahin, in beiden Gattungen nur noch je eine Art anzuerkennen. 2 Elisma natans Buchenau. In den Gräben um Papenburg eine der allergemeinsten Pflanzen und auch wohl in Ostfriesland häufiger, als es nach den Angaben von L. B., p. 45, und W., p. 208, er- scheinen möchte. Setaria. Warum steht wohl diese Gattung bei W. so weit entfernt von dem nahe verwandten Panicum? Oryza clandestina Alex. Braun. Von Fr. Koernicke für das Flussufer bei Leer nachgewiesen (vergl. Fr. Buchenau, „Flora der nordwestdeutschen Tiefebene“, 1894, p. 64) ist gewiss in Ostfriesland weiter verbreitet. Hierochlo& odorata Wahlenberg, ist vermutlich auf dem ost- friesischen Festlande weit häufiger, als nach dem einen von W., p. 245, angegebenen Standorte erscheinen möchte. Anthoxanthum Puelü Lecoq et Lamotte scheint bis jetzt Ost- friesland nicht erreicht zu haben. Alopecurus pratensis L. Das spärliche Vorkommen dieses im übrigen Deutschland so allgemein verbreiteten Grases ist eine für Ostfriesland höchst charakteristische Thatsache. Auf den Inseln kommt es nur auf angesäeten Grasplätzen und Kunstwiesen vor. In den Hochmooren fehlt es; ebenso, wie es scheint, an den meisten Stellen der ostfriesischen Geest. Bei Aurich z. B. kommt es nur an einer einzigen kleinen Stelle (im südlichen Chausseegraben an der Chaussee nach Emden, diesseits des Lüttjen-Holzes) vor, wohin es offenbar verschleppt ist. Wessel sagt: „Auf Wiesen, hie und da, nicht häufig. Aurich, Friedeburg, Borkum, Norderney“. Das ist wenig glücklich ausgedrückt. — Bielefeld, p. 368, führt die Pflanze für die Flora der Meeden nicht auf. — Es bleibt eine lohnende Aufgabe, ihre Verbreitung über die verschiedenen nm für Ostfriesland festzustellen. 92 A. fulvus Smith. Sollte diese, von geniculatus deutlich ver- schiedene Form in Ostfriesland wirklich völlig fehlen? Calamagrostis Halleriana DC. „Auf dem Hochmoor nicht selten, z. B. beim Warsingsfehn“ L. B., p. 49. Die von Lantzius bei Warsingsfehn gesammelte, im Herb. Gött. aufbewahrte Pflanze ist eine zarte Form von (©. Epigeos, eine Bestimmung, in welcher Herr Dr. Torges zu Weimar, der Monograph der Gattung Calamagrostis, ganz mit mir übereinstimmt. Meyer (Fl. hann. excurs. p. 635) zieht ©. Halleriana als Varietät zu C. lanceolata. Wessel übergeht die Lantzius’sche Angabe ganz mit Stillschweigen. Milium efusum L. Nach L. B., p. 49, im Gehölze Hopels nieht häufig. W., p. 240, sagt unter Ignorierung dieser Angabe: Bollinghausen, Popens bei Aurich. Ich sah das Gras weder im Forstorte Egels, noch im Ihlower Walde; doch war es zur Zeit meines Besuches (Ende Mai) vielleicht noch nicht genügend entwickelt. Bielefeld führt es für Oldehafe nicht an. Aera discolor Weihe. L. B.,, p. 49: „Auf der Heide an feuchten Stellen nicht häufig, z. B. bei Wittmund“. W., p. 243, sagt nur: „auf Torfboden“ und führt sie (Meyer, Chloris, p. 639 folgend) als var. von Aeruwosa L. auf, womit ich mich durchaus nicht einverstanden erklären kann. Ich empfehle dieses interessante Gras ganz besonderer Beachtung. Es liebt anmoorige Wiesen und locker begrasten Torfboden. Arrhenatherum elatius Mertens et Koch. Dieses schöne Gras gehört der ostfriesischen Flora wohl ursprünglich nicht an. Lantzius führt es noch nicht auf. Wessel, p. 243 sagt: „bei Emden am Deiche zur Schleuse; bei Aurich am Kanal. Vareler Hafen“. Alle diese Standorte weisen auf Verschleppung oder direkte Aussaat hin. Avena jlavescens L. Wessel, p. 242: „Am Deiche nach Nesser- land bei Emden“ nach brieflicher Mitteilung auch sonst bei Emden und am Jade-Ems-Kanale. Es kann sich dabei nur um Verschleppung, vielleicht um direkte Aussaat handeln, da dieses schöne Gras erst in der Nähe der Hügellandschaften als wirklicher Bestandteil der Flora auftritt. Melica. L. B. führt p. 49 an: „No. 661. M. nutans L. Im Gehölze Egels“. Wessel wiederholte diese Angabe, hat aber, wie er mir mitteilte, die Pflanze niemals selbst gefunden. Ebenso haben Bielefeld und ich sie vergebens gesucht. Im Herbarium zu Göttingen befindet sich ein von Lantzius gesammeltes, überreifes, aber zweifellos zu M. nutans gehöriges Exemplar. Daher ist es nicht richtig, wenn ich in der „Flora der nordwestdeutschen Tiefebene“, p. 80, die Lantzius’sche Angabe zu M. uniflora zog. Die alljährliche Durch- streifung des Forstortes Egels nach M. nutans bleibt sehr wünschenswert. Briza media L. Jetzt bei Aurich an mehreren Stellen der Ufer und Deiche des Jade-Ems-Kanales in Menge angesiedelt. Catabrosa aquatica Palisot. Die Angabe in der „Flora der nordwestdeutschen Tiefebene“, p. 84: „Für das Festland von Ost- friesland noch nicht nachgewiesen“ ist nicht zutreffend; vielmehr führen sowohl M. Chl., p. 688, L. B., p. 50, als W., p. 246, sie auf, 93 freilich unter den jetzt nicht mehr üblichen Namen: G/yceria airoides Reichenbach und Glyceria aquatica Presl. Ich selbst fand die Pflanze am 31. Mai 1896 in den Gräben am Südrande des Ihlower Holzes in Menge an. Atropis. Dass W., p. 246, den Queller oder Ändel, A. maritima Grisebach (@lyceria maritima Mertens et Koch) zu einer Varietät der A. distans Grisebach (Glyceria distans Wahlenberg) machen will, ist mir nicht verständlich. Festuca loliacea Hudson. Der scharfblickende Lantzius fand diese Pflanze (bekanntlich den Bastard Festuca elatior X Lolium perenne) bei Jemgum (p. 50). Wessel erwähnt sie nicht, doch kommt sie gewiss auf den Wiesen hie und da vor. „Bromus asper Murr. In Gehölzen, unter Gestrüpp bei Aurich“, L. B., p. 50 (und ebenso bei W., p. 248). Es dürfte dies einer der wenigen Fälle sein, in welchen eine irrtümliche Bestimmung von L. B. vorliegt. Dromus asper kommt überhaupt im nordwestlichen Deutschland nur ganz vereinzelt vor und erreicht Ostfriesland wohl sicher nicht. Er fehlt denn auch im Herbarium Lantzius. Niemand hat seit 1847 Br. asper in Ostfriesland gefunden. Was Wessel mit diesem Namen bezeichnet, ist nach den mir mitgeteilten Exemplaren zweifellos Br. erectus Hudson, der durchaus nicht selten als Wander- pflanze auftritt. Er hat sich am Deich des Jade-Ems-Kanals nahe bei der Stadt Aurich unfern des Hafens an einer Stelle in Menge angesiedelt und wird sich dort wohl auch halten. B. commutatus Schrader ß. salinus L. B., p. 50: „Bei Midlum im Rheiderlande Mit diesem Namen belege ich vorläufig eine äusserst interessante Pflanze, welche in mancher Beziehung zwischen B. commutatus Schrader und BD. patulus Mert. et Koch die Mitte hält, wenn sie sich freilich auch wohl in anderer Hinsicht nahe zum ersteren hinneigt. Sie unterscheidet sich von B. commutatus durch eine einfachere, wenigblütigere Rispe, welche stets fast ganz aufrecht nur sehr wenig einseitig geneigt ist; durch etwas schmalere Blüten und lanzettförmige (längere, schmälere) Ahrchen, deren Blütchen bei der Fruchtreife etwas entfernt stehen; durch den Standort auf salzigen Wiesen. Dieselbe Form besitze ich ausser von dem oben angeführten Standort noch von Salzwiesen des Werrathales bei Allendorf im Hessischen. Sie ist sehr der weiteren Beobachtung zu empfehlen“. Die Pflanze fehlt im Herbarium Lantzius und wird wohl unaufgeklärt bleiben, bis ihre Wieder-Auffindung gelingt. BD. patulus fehlt im deutschen Nordwesten; B. commutatus wird jetzt wohl allgemein als eine Form von B. racemosus L. angesehen. Seirpus paweiflorus Lightfoot. Die Nennung von Norderney (W., p. 226) für das Vorkommen dieser Art ist irreleitend, da sie auf allen Inseln (ebenso wie auf dem Festlande) häufig ist. Eriophorum latifolium L. Meyer, Chloris Hann., p. 596: „Fürstentum Ostfriesland: auf Langeroog“, ist wohl eine rein aus der Luft gegriffene Angabe. In Meyer’s Herbarium fehlt die Pflanze. L. B., p. 47: „Hin und wieder auf feuchten Stellen der Heide nicht häufig, häufig auf feuchten Flächen der Meeden, in den Wolden, 94 beim grossen Meer“. _Eingelegt hat Lantzius die Pflanze vom Ihlower Fehn. Bielefeld hat sie nicht gesehen. Mir scheint, dass sie weit seltener ist, als nach den Worten von Lantzius anzunehmen ist, und dass jeder Standort durch eine Standortskarte festgelegt werden sollte. Trichophorum alpinum Persoon*) (Eriophorum alpinum L.) L. B., p. 47: „Auf einem schmalen, zwischen höherer Heide liegenden Meedenstrich bei Friedeburg“. Von dieser merkwürdigen Pflanze hat Lantzius im Jahre 1847 reichliches Material gesammelt. Dass der Standort in den abgelaufenen 50 Jahren noch nieht wieder auf- gesucht und dann kartographisch festgelegt wurde, ist kaum zu begreifen. Ich füge hier die Notiz an, dass in Meyer’s Herbarium zwei schöne Exemplare liegen mit der Etikette von Professor Mertens in Bremen: „Schicke ich blos, weil ich diese Pflanze in unseren Torf- mooren im Juni d. J. (1796) entdeckte. Vielleicht haben Sie kein so gutes Exemplar“. Ich vermute, dass Mertens diese schöne Pflanze in dem früher so pflanzenreichen, jetzt leider sehr verkleinerten und verarmten Lesumer Moor bei Bremen gefunden hatte. Im 19. Jahr- hundert wurde sie, so viel ich weiss, in der Umgegend von Bremen nicht wieder gefunden. Carex Davalliana Smith. M. Chlor. Hann.. p. 575: Im Hoch- moore bei Aurich. Danach von L. B., p. 47: auf dem Moore bei Aurich (M) und W., p. 228, ohne kritische Berzerkung. Im Herb. Meyer liegt ein grösserer Vorrat von Exemplaren mit der Etikette: Hochmoor bei Aurich (1822). Die Erdreste zwischen den Wurzeln rühren aber nicht von Moorboden, sondern von einem sumpfigen Sandboden her. Es würde immerhin nicht unmöglich sein, dass die Pflanze auf einem feuchten Sandrücken gewachsen wäre, wie sie das Hochmoor einzeln durchziehen. Wessel hat die Pflanze trotz eifriger Beachtung nicht gefunden. ©. chordorrhiza Ehrhart. M. Chlor. Hann., p. 575: „Im Hoch- moor bei Aurich, rechts vom Kanal“. Danach L. B., p. 47, W,, p. 228. Von Lantzius und Wessel nicht gesehen. Im Herb. Meyer mehrere Exemplare mit der Etikette: Hochmoor bei Aurich, rechts vom Kanal; nicht viel. (Papier und Schrift der Etikette ganz mit denen von Carexw Davalliana, extensa und Anagallis tenella überein- stimmend). Die Angabe hat übrigens etwas mehr innere Wahr- scheinlichkeit als diejenige für ©. Davalliana. ©. microstachya Ehrhart. M. Chlor. Hann., p. 583: „Bei Aurich“. Danach L. B., p. 48: „Auf sumpfigen Stellen bei Aurich (M)“; ebenso bei Wessel, p. 228. Im Herb. Meyer von Aurich nicht vor- handen. Von Lantzius und Wessel nicht gefunden. Die Angabe ist umsomehr ‘zu streichen, als ©. microstachya Ehrhart überhaupt eine sehr zweifelhafte „Art“ ist und zwar entweder eine verkümmerte ‘ Form von C. canescens oder eine Hybride zwischen ihr und einer anderen, nicht sicher festzustellenden Art (vielleicht ©. dioeca?). *) Diese Pflanze kann, wie E. Palla kürzlich von Neuem betont hat, unmöglich in der Gattung Zriophorum bleiben. Übrigens muss auch die Gattung Scirpus in mehrere Gattungen zerlegt werden. 95 ©. muricata. L. B., p. 48: Gehölze bei Aurich, Eschen. W., p. 228: Eschen bei "Aurich, Borkum. Durch die Güte des Herrn Wessel erhielt ich im Mai 1896 zwei hierhergehörige Exemplare, 1873 am Speisegraben an der Allee nach Sandhorst (also auch nahe bei Aurich) gesammelt. Die Pflanze steht zwar noch in Blüte und ist überdies stark verschimmelt; doch aber hege ich nach dem Baue des Stengels, der Blätter und des Blütenstandes, sowie nach der Grösse der Fruchtschläuche nicht den mindesten Zweifel, dass wir es hier mit Carex contigua Hoppe zu thun haben, welche besonders in der Marsch des deutschen Nordwestens häufig ist. Ähnlich mangelhaft, aber wohl auch zweifellos dahin gehörig, ist das einzige von Lantzius „an der grossen Allee bei Eschen“ gesammelte Exemplar. C. elongata L. Meine Bemerkung in der Flora der nordwest- deutschen Tiefebene, 1894, p. 119, dass diese Pflanze für Ostfries- land noch nicht angegeben sei, wird dadurch hinfällig, dass Wessel sie in der 4. Auflage, p. 228, sie von „Eikebusch nahe bei der Ehe (Aurich)“ aufführt. Ich kann die Richtigkeit der Bestimmung nach gütigst mitgeteilten Exemplaren bestätigen. C. paradoxa Willd. L. B, p. 48: „Sumpfige Stellen im Stiekelkamp“. Die schöne Pflanze fehlt leider im Herb. Lantzius. Die Angabe hat aber viel innere Wahrscheinlichkeit für sich. Fest- legung des Standortes wäre sehr wünschenswert. C. digitata L. L. B., p. 48: „Im Wäldchen beim Schlosse Gödens“. Fehlt im Herb. Lantzius. Diese erst in Mitteldeutschland verbreitete Pflanze kann bei Gödens wohl nur mit Pflanzmaterial eingeschleppt sein. C. pallescens L. Wird von L. B., p. 48, nicht, von W., p. 233, vom Eikebusch bei Aurich angeführt. Ich fand sie auch im Lüttje Holz, in Egels und im Ihlower Holze. „C. distans L. Stickelkamp, 1880, A. Wessel“. Exemplare, welche ich mit dieser Etikette von Herrn A. Wessel erhielt, gehören zu C. remota L. Es wird ein besonderes Interesse haben, die Pflanze an den angegebenen Standorten (L. B., p. 48: in den Heseler Kämpen, W., p. 232: Dorf Egels) wieder aufzusuchen. Bei Egels suchte ich sie am 29. Mai 1896 vergebens; doch war ich natürlich zu kurz dort, um ihr Nichtvorkommen behaupten zu können. C. silvatica Hudson. Herr Wessel übergab mir Exemplare dieser Art, welche er 1880 bei Holte im Overledingerlande sammelte. Er hat aber auffälliger Weise diesen Standort der in Ostfriesland so sehr seltenen Pflanze in die 1888 erschienene vierte Auflage seines Buches nicht aufgenommen, sondern wiederholt dort, p. 232, nur die Lantzius’sche Angabe: im Wäldehen bei Schloss Gödens. ©. hirta L. Auf die interressante var. hirtiformis Persoon (mit kahlen Laubbl. und Scheiden und spärlich behaarten Frucht- schläuchen) bleibt auch in Ostfriesland besonders zu achten. Ich sammelte sie am 24. Mai 1896 auf Fettweiden bei Misselwarden im Lande Wursten. ©. Hornschuchiana Hoppe. L. B. 48: „Auf feuchten Stellen der Heide und in deren Nähe auf den Meeden sehr häufig“. Im 96 Herb. Lantzius von vier verschiedenen Punkten. Auffallend ist, dass R. Bielefeld sie in den Meeden bei Oldehave nicht gefunden hat. Bei dem häufigen Vorkommen der Pflanze werden auch gewiss Bastarde mit Car. flava var. Oederi (wie ich sie bei Edewecht unweit Zwischenahn mehrfach sammelte) zu finden sein. Meyer, Chloris, p. 587, giebt C. fulva Goodenough (©. Hornschuchiana Hoppe) von Norderney an, wo sie aber neuerdings nie wiedergefunden wurde; in Meyer’s Herbarium fehlt sie von dort. ©. evtensa Goodenough. Meyer, Chloris Hann., p. 587. „Kreis Meppen: im Bourtanger Moor bei Haaren. Fürstentum Ostfriesland: im Hochmoore bei Aurich“. Diese überall (z. B. noch in der neuesten, 17. Auflage von Garcke’s Flora) wiederholten Angaben (Lantzius sagt p. 48: von mir nicht gesehen) sind um so mehr zu streichen, als C. extensa überhaupt keine Moorpflanze ist. Sie findet sich in grosser Menge auf den höheren Teilen der Wattweiden der Inseln und in den benachbarten Dünenthälern. Im Herb. Meyer liegen zwei Exemplare von ächter ©. extensa und daneben zwei Etiketten. Auf der einen steht von einer kräftigen Handschrift: Car. extensa Smith, auf der andern von Meyer’s Hand: „Ist unstreitig C. extensa! NB. Demnächst mehr zu holen“ und gleichfalls von ihm, aber offenbar zu einer andern Zeit geschrieben (vergl. Car. chordorrhiza, C. Davalliana und Anagallis tenella): „Von Aurich nach Dorum, den Weg durch’s Moor rechts gelassen; August 1822“. Das Ganze macht den Eindruck, als sei eine Verschiebung oder Verwechselung eingetreten. Arum maculatum L. Bei den beiden Standorten: Pewsum und Wäldchen bei Schloss Gödens (W. p. 213) kann es sich natürlich nur um absichtlich angepflanzte oder höchstens mit Busch versehleppte Exemplare handeln. Lemna gibba L., vom ostfriesischen Festlande noch gar nieht bekannt (Wessel, p. 212, giebt nur Borkum und Norderney nach meiner „Flora der ostfriesischen Inseln“ an), wurde von mir am 4. Juni 1896 zu Westerende bei Aurich gefunden, ist aber gewiss viel weiter v rbreitett Die Pflanze verrät sich dadurch, dass sie viel früher und lebhafter gelbrot wird, als L. minor. Juncus. — Sollte J. Tenageja Ehrh. in Ostfriesland wirklich fehlen ? J. efusus L. wird von R. Bielefeld, p. 370, für die Meeden bei Oldehave nicht angegeben. Es ist das aber wohl sicher nur ein Versehen. »J. alpinus Villars ..... Auf dem Wiesengrunde der Inseln. Spiekeroog“ W., p. 223. Ich habe bereits im Jahre 1883 nach- gewiesen, dass der richtige Name dieser Pflanze J. anceps Laharpe var. atricapillus Fr. Buchenau ist. Ihre Standorte sind aber mit „Wiesengrund“ (weleher Ausdruck übrigens von Lantzius, p. 46, herrührt) nur sehr unzutreffend bezeichnet. Sie bewohnt vielmehr ganz überwiegend die Dünenthäler und geht nur auf die angrenzenden höheren Teile der Wiesen und Weiden hinaus. Was soll aber ausser- dem die Nennung von Spiekerooge bei einer Pflanze, welche notorisch über alle Inseln verbreitet ist? 97 J. supinus Mönch. W., p. 223: „In torfigen Sümpfen; häufig. Grossefehn, Borkum“. Auch hier ist die Bezeichnung des Standortes nieht genügend. Warum wird aber ferner bei einer auf dem Fest- lande so gemeinen Pflanze noch der Standort „Grossefehn“ genannt? Luzula campestris DC. Die schöne und im ganzen so seltene var. congesta Fr. Buchenau (der Name congesta wird häufig, aber fälschlich, für Formen der sehr häufigen var. multiflora verwendet) ist eine Charakterpflanze feuchterer Heideplätze. In Ostfriesland an solchen Stellen (z. B. zwischen Aurich und Egels) nicht selten. Orchis incarnatus L. Dünenthäler von Borkum und Norderney (und wohi auch der anderen Inseln) nicht selten. Nach Otto von Seemen (briefl. Mitteilung) auch ©. incarnatus X latifolius in der Kiebitzdelle auf Borkum mehrfach. Die lange verkannte Art wird von L. B., p. 46, für „die höheren Teile der Meeden, z. B. bei Timmel“ angegeben, wurde aber von Bielefeld auf den Meeden bei Oldehafe nicht gefunden. Alnus incana DC. — Wenn Wessel, p. 205, über das Vorkommen dieser Art nur sagt: „Seltener als A. glutinosa“, so bedarf dies einer besonderen Erläuterung. Aln. glutinosa ist eine unserer wenigen wirklich einheimischen Baumarten, Aln. incana dagegen wird nur ‚hier und da von Forstleuten an Waldrändern und Wegen angepflanzt. Einige Büsche dieser Art fand ich am 31. Mai 1896 am Südrande des Ihlower Holzes bei Aurich (nach briefl. Mitteilung von Wessel bei Aurich an Wegen und Waldrändern auch sonst nicht selten). Carpinus Betulus L. Nach gütigen Mitteilungen der beiden Herren Oberförster findet sich die Hainbuche als Waldbaum einzeln in den Forstorten Ihlow, Egels, im Thiergarten bei Aurich und im Schutzbezirke Hopels auf dem Kloster-Distrikt 82. Quercus sessiliflora Smith. Die Traubeneiche fehlt (auch nach den Mitteilungen der beiden Oberförstereien) gänzlich. Rumex domesticus L. L. B., p. 44: An Ackerrändern auf dem Iheringsfehn, selten (ähnlich bei Wessel, p. 195). Fehlt im Herbarium Lantzius. Man vergleiche, was ich über diese nordeuropäische Pflanze in der „Flora der nordwestdeutschen Tiefebene“, p. 185, gesagt habe. Dr. Prahl, welcher die Pflanze in Schleswig öfters beobachtete, macht mich übrigens darauf aufmerksam, dass ich ihren Wuchs zu hoch angegeben habe, sie sei meist unter 50 em, selten über 60 cm hoch. Parietaria offieinalis L. Nach F. Sundermann in Norden und Ekel bei Norden an mehreren Stellen in Hecken und Gärten vielfach angesiedelt. (In Ekel war früher ein fürstlich ostfriesisches Lust- haus mit Gärten und Okonomie-Gebäuden). Polygonum mite Schrank. — L. B. p. 44. „Hier und da in Gräben, Sümpfen u. s. w., z. B. in Timmel“. Diese von P. Hydropiper gut verschiedene Art zeigt sich in ihrem Auftreten so launenhaft, dass jedes Auftreten derselben durch Exemplare und Standortskarte gesichert werden sollte. Sie liest im Herbarium Lantzius von Timmel vor. März 1897. Abh. XV, 7 98 Arenaria serpyllifoia L, Cerastium arvense L. Beide bei Lantzius fehlend, von Wessel p. 96, 98, als „nicht häufig“ und „selten“ angegeben. Dies bildet einen merkwürdigen Zug in der Flora Ostfrieslands, ebenso wie das völlige Fehlen von Dianthus deltoides L. Auf den Inseln ist Arenaria häufig, Cerastium dagegen kommt nur an einer Stelle als Ruderalpflanze vor. Silene Armeria L. L. B., p. 33: „Auf dürren sandigen Stellen bei Osteregels, sehr selten.“ Danach von W. in der ersten Auflage aufgeführt, später aber als „Aus Mitteldeutschland‘“ bezeichnet. Ich stimme der Bemerkung von Meyer in der Vorrede zur „Flora exeurs. hannov.‘“, p. XIX, durchaus zu, dass es sich bei diesem Vorkommen gewiss nur um eine verschleppte Gartenpflanze gehandelt hat. Silene inflata Smith. Einzeln verschleppt, z. B. an den Böschungen des Ems-Jade-Kanales bei Aurich. Die Angabe bei W., p. 93 „Hier und da in Gärten, jedoch selten‘ ist einigermasseu auffallend. Als Zierpflanze wird Silene inflata doch wohl niemals gezogen; als Ruderalpflanze dagegen tritt sie wohl auf Grasplätzen, aber kaum jemals auf Gartenbeeten auf. S. conica L. Norddeich, W., p. 93, war ein vorübergehendes Auftreten der Pflanze (1889) an der Innenseite des Deiches in der Westermarsch. Castalia alba Woodville et Wood, Nymphaea lutea L. Zu beachten bleibt für Ostfriesland, ob die weisse Seerose das Aussen- deichsland der grösseren Flüsse (Ems, Leda) ebenso meidet wie an der Weser und Elbe. Ceratophyllum submersum L., (von L. B. und W. nicht erwähnt) kommt sicher in den Gewässern der Küste mehrfach vor. Ich fand es bei Neuharlingersiel. Ubrigens wird diese Pflanze wohl natur- gemässer als Varietät von ©. demersum betrachtet. Bei der Seltenheit von Fruchtbildung bitte ich um Notierung jedes Falles derselben und Einsendung von Beleg-Exemplaren. Batrachium. Die Bearbeitung dieser Gattung bei Wessel ist sehr wenig befriedigend (als Lantzius seine Arbeit schrieb, waren die Arten und Formen derselben noch nicht geklärt). Ich darf mit Beziehung auf sie auf meine „Flora der nordwestdeutschen Tiefebene“, pag. 230—234 verweisen. Von den dort aufgezählten Arten sind folgende für das Festland von Ostfriesland nachgewiesen: B. hederaceum, aquatile, Petweri, trichophyllum, Baudotü, divaricatum. B. hololeucum (frühblühend!) wäre vielleicht noch an flachen Heidetümpeln aufzufinden. B. Baudotii ist eine kräftige, Brackwasser liebende Pflanze, fast stets mit Schwimmbl. versehen, besonders leicht kenntlich an der verlängerten, -eikegelförmigen, mit schwachen Haaren besetzten Blüten- achse und den sehr zahlreichen Früchtehen. — BD. trichophyllum bewohnt die Marschgräben von Butjadingen bis in die Niederlande; es ist in allen Teilen kleiner als B. Baudotü, bildet wohl niemals Schwimmblätter, hat eine eiförmige, mit starken Borsten besetzte Blütenachse und weniger zahlreiche Früchtehen. — Mittelformen (Bastarde?). zwischen den z. T. so nahe verwandten Arten werden gewiss nicht fehlen. Übrigens wäre gerade Ostfriesland mit seinen 3) zahlreiehen bequem zugänglichen Gräben eine treffliche Gegend zur Anstellung von Kulturversuchen mit diesen Pflanzen. Papaver Rhoeas L. Meyer, Chloris, p. 116: „Bei Norden, Esens“. L. B., p. 31: „Norden, Esens unter der Saat (Meyer)“. W., p. 80: „Unter der Saat, selten. Leer, Esens“. Es kann sich nur um verschleppte Exemplare handeln, denn die Klatschrose kommt nordwestlich von Verden nicht mehr als regelmässiger Ansiedler vor. „Fumaria parviflora Lam. „Norderney, Baltrum“, W., p. 81, ist sicher zu streichen. F. Vaillantii Loiseleur. L. B., p. 31: „In Stiekelkamp selten“ (von W. in allen vier Auflagen weggelassen). Das Exemplar im Göttinger Herbar trägt die Etikette: „In Frisiae orient. sylvula Stiekel- kamp, 1. S. Lantzius-Beninga“. Es ist richtig bestimmt. Die Pflanze ist demnach von Neuem aufzusuchen, um die Frage zu entscheiden, ob sie jene Stelle dauernd bewohnt. Warum Wessel (l. e.) bei Fumaria von „Früchtehen“ statt von Früchten spricht, ist mir nicht verständlich. Crambe maritima L. Meyer, Chloris Hann., p. 145: „Noch zu Anfang dieses Jahrhunderts war die Pflanze auf der Insel Norderney - nieht gar selten. Während des häufigen Besuchs des dortigen See- bades hat sie sehr abgenommen. Im Jahre 1822 konnte ich keine Exemplare derselben dort auffinden. Späterhin sind wieder ein paar kümmerliche Exemplare gefunden worden“ Fehlt im Herb. Meyer. Cardamine silvatica L. Ob die bei Aurich vorkommende Pflanze zur var. silvatica Link oder (was wahrscheinlicher ist) zur var. multicaulis Hoppe gehört, bleibt noch zu entscheiden. Sedum. L. B., p. 36, führt auf: „196. S. maximum Suter. Auf Feldrainen, unter Gestrüpp, auf der Heseler Gaste, selten. 197. S. purpurascens Koch. Auf sandigen Erdwällen bei Aurich.“ W., p. 129, dagegen hat nur: „S. purpurascens Koch. Auf sandigem Boden, an Erdwällen. Bei Aurich“. — Was Wessel veranlasst hat, die andere bestimmte Angabe von L. B. zu ignorieren, ist mir nicht ersichtlich. — Sollte $. boloniense Loiseleur in Ostfriesland ganz fehlen, oder ist es nur wegen seiner Ähnlichkeit mit S. acre übersehen? — Die Angabe von W., p. 130, dass S. refleeum L. aus Süddeutschland stamme, ist unbegründet. Es kommt vielmehr schon in der Gegend von Bremen hie und da wild vor. Sawifraga Hirculus L. Meyer, Chloris Hann., p. 104: „Im nordwestlichen Teile des Hochmoores bei Aurich“. L. B., p. 36: „Auf dem Moor bei Aurich, selten (M)“. Von W. in der ersten Auflage, p. 101, noch mit diesem Standorte aufgeführt, später ohne Bemerkung weggelassen. — Im Göttinger Herbarium nicht von Aurich vorhanden. Die Angabe ist daher sehr zweifelhaft, obwohl die (im Laufe des 19. Jahrhunderts in Deutschland viel seltener gewordene) Pflanze wohl für Ostfriesland zu erwarten gewesen wäre, Chrysosplenvum alternifolium L. „Auf feuchten Plätzen im Forst- orte Hopels; Förster Bohnens jun.!“ L. B., p. 36. Diese Angabe ist von Wessel in allen vier Auflagen ohne weitere Bemerkung Tr 100. weggelassen; sie ist aber doch, da sie das einzige Vorkommen von Chrysosplenium in Ostfriesland betrifft, sehr beachtenswert (auffallender Weise fehlt bei W. auch für Sanicula der Fundort Hopels). Pirus silvestris Miller, der Wildapfel, Holzapfel, fehlt nach den Mitteilungen der beiden Oberförstereien in den ostfriesischen Gehölzen völlig, was bei dem geringen Umfange der Wälder und ihrer isolierten Lage leicht zu erklären ist. — L. B., p. 35, führt „P. Malus L. Einzeln auf der Geest, z. B. auf der Strakholter Gaste“ an. Es wird neuer Nachforschungen bedürfen, ob es sich dabei um den Holz- apfel (P. silvestris) oder um verwilderte Exemplare des kultivierten Apfels (P. Malus L.) handelt, welche einzeln in der Nähe der Ort- schaften aufteten. Das Letztere ist das Wahrscheinlichere. Potentilla procumbens Sibthorp. In Ostfriesland auf sandigem Moore und anmooriger Geest häufig, nieht in der Marsch. — Schon L. B., p. 34, hebt das zahlreiche Vorkommen der Bastarde mit P. Tormentilla hervor, welche er für Übergänge zwischen beiden Arten erklärt. P. reptans L. ist merkwürdiger Weise aus Ostfriesland noch nicht bekannt und scheint dort durch P. procumbens vertreten zu werden. — Auf den Inseln nur ganz einzeln und offenbar eingeschleppt. P. argentea L. Meyer, Chloris Hann., p. 42: „Die Spielart a villosa (Pot. impolita Wahlenberg) auf der Insel Norderney“. — Von Niemand sonst gefunden. Fehlt im Herb. Meyer. Agrimonia. — L. B., p. 35, und Wessel, p. 119, geben nur Agr. odorata Miller für Ostfriesland an; das völlige Fehlen von A. Eupatoria L. würde sehr charakteristisch sein. Sanguisorba offieinalis L. und minor Scopoh. L. B. führt beide Pflanzen nicht auf. W., p. 120, 121, sagt von der ersteren: „Auf nassen Wiesen, zerstreut. Overledinger Land, Leer“ und von S. minor: „Aurich am Ems-Jade-Kanal; Leer.“ Bei den beiden letzten Angaben kann es sich wohl nur um verschleppte Exemplare handeln. S. offieinalis kann recht wohl autochthon in Ostfriesland vorkommen. Es wäre aber wichtig, Näheres über ihre Ausbreitung zu erfahren. Rubus. Unsere Kenntnis der ostfriesischen Brombeeren beschränkt sich auf ganz wenige Daten. R. caesius L. kommt auf den bewachsenen Dünen von Borkum und dem westlichen Teile von Juist massenhaft, auf Norderney nur auf den südöstlichen Dünen häufiger vor, sonst auf den Inseln als Ruderalpflanze. Auf dem Festlande ist sie in einzelnen Gegenden (L. B., p. 34: überall) an Weg- nnd Ackerrändern häufig. R. Idaeus L., die Himbeere, von L. B. nicht erwähnt, ist nach Wessel, p. 117: („Eikebusch, Egels, Lütetsburg“) in Gehölzen und Gebüschen häufig; Bielefeld: „in Oldehave gemein“. R. saxatilis L. Oldehafe L. B.; (Bielefeld: „an dem West- und Nordwestrande des Gehölzes in dem Laubholzbestande, zuweilen ganze Flächen überziehend“). Das ist so ziemlich Alles, was wir von den Rubus-Formen Ostfrieslands wissen. Herr Dr. W. O. Focke hat niemals Gelegenheit gehabt, sie an Ort und Stelle genauer zu studieren. Es wäre aber sehr wünschenswert, dass diese Pflanzen in guten Exemplaren 101 (Blütenzweige, Stücke des Schösslings und Bemerkungen über die Richtung des letzteren) gesammelt und ihm zur Bestimmung ein- geschickt würden. Prunus avium L. — L. B., p. 34, führt die Vogelkirsche als „in Gehölzen“ vorkommend an. Sollte sich das bestätigen? Nach meiner Ansicht kommt sie im nordwestlichen Deutschland nicht wild vor. — Herr Oberföster Ginsberg zu Friedeburg bestätigt mir auch, dass er sie in seinem Reviere nicht beobachtet habe. Genista germanica L. Für Ostfriesland noch nicht nachgewiesen. Auf buschigen Heiden auch im übrigen nordwestlichen Deutschland ziemlich selten. Anthyllis Vulneraria L. Der Wundklee wird seit einigen Jahren immer häufiger als Futterpflanze angebaut und tritt daher auch öfter auf Ackern, an Eisenbahndämmen, Graben- und Kanal- ufern und ähnlichen Stellen als Adventivpflanze auf. Trifolium agrarium L. Einzeln am Ems-Jade-Kanal bei Aurich (A. Wessel, brieflich). Die Pflanze taucht öfters einmal an solchen neuen Lokalitäten auf. Vieia. — Es bleibt besonders zu beachten, ob die Verbreitung der beiden kleinblütigen Arten: V. tetrasperma und hirsuta in Ost- friesland dem Vorkommen in unsern Gegenden entspricht, wo V. hirsuta die Geest bewohnt, während die lehmliebende V. tetrasperma der Marsch angehört. Ervum Lens L. Von Meyer, Chloris Hann., p. 154, als um Norden verwildert angegeben und danach von L. B. mit Nummer aufgeführt, ist natürlich zu streichen. Die Linse wird in unserm Nordwesten nur selten gebaut und gedeiht nicht besonders gut. Lathyrus paluster L. Sollte diese Pflanze in Ostfriesland ganz fehlen? Sie kommt bereits bei Papenburg (im Weidengebüsch an der Chaussee zum Siele) vor. Mercurialis perennis L. W., p. 198: „An Wegen; selten. Oberledingerland,”) Rastede“. Diese Angaben sind unzutreffend. Die Pflanze wächst niemals an Wegen, sondern ist eine specifische Walapflanze. In Overledingen fehlt aber Wald fast gänzlich, und deshalb dürfte auch M. perennis nicht vorhanden sein; Rastede endlich gehört nicht zum Gebiete der „Flora von Ostfriesland“, selbst nicht nach der durch Wessel beliebten Hinzuziehung der Umgegend von Wilhelmshaven und Varel. Callitriche autummalis L. Meyer, Chloris Hann., p. 110, nennt „Norden“; L. B., p. 35: „Heseler Kämpe, Norden (M.)“ als Fundort dieser Pflanze. Wessel erwähnt sie nicht und trifft damit wohl das Richtige, da diese Art westlich der Weser kaum vorzukommen scheint. Alle anderen Formen zieht L. B. mit Entschiedenheit zu ©. verna, worin ihm heute wohl Niemand mehr folgen dürfte. W. führt p. 125 €. vernalis Kützing und stagnalis Seopoli als „in Gräben überall“ vorkommend an. Wahrscheinlich lässt sich aber die *) Wessel schreibt beständig Oberledingen. Dies ist aber irrig, da dieser Name nicht etwa (in hochdeutscher Bildung) einen Gegensatz gegen ein (nicht vorhandenes) Niederledingen bildet, sondern over (plattdeutsch für jenseits) de Leda bedeutet. 102 Verbreitung wohl noch besser charakterisieren. — Da auch die dritte Art: ©. hamulata Kützing in Ostfriesland vorkommen dürfte, so lasse ich ihre Diagnose hier folgen: Stgl. und Laubbl. zart, ersterer meist langgestreckt. Laubbl. entweder alle linealisch oder die oberen umgekehrt-eiförmig oder spatelförmig mit lang-keiliger Basis, die untergetauchten ausgerandet. Pollen kugelig. Narben sehr lang, hakig-zurückgekrümmt, frühzeitig abfallend. Frucht ansehnlich, ziemlich genau kreisförmig, auf dem Rücken der Fruchtbl. nur sehr wenig gewölbt, mit sehr flacher Längsfurche; Kanten mit kurzen, aber scharfen, fast rechtwinkligen Kielen. Fr. beim Austrocknen dunkelgrün oder selbst schwärzlich werdend. — In Gewässern, nicht auf feuchter Erde. Acer Pseudoplatanus L. L. B. führt überhaupt keine Art von Ahorn auf. Wessel, p. 101, nennt und beschreibt zwar Ac. Pseudo- platanus (nebst platanoides, campestre und Negundo), unterlässt aber die Angabe über sein Vorkommen. Mir erschien dieser Baum im Ihlower Gehölz bei Aurich als mindestens völlig eingebürgert. Ebenso kommt er nach Herrn Oberförster Ginsberg zu Friedeburg auf dem Klosterlande bei Hopels vor. Sollte Acer campestre in Ostfriesland nicht unter Verhältnissen vor- kommen, dass man ihn als einheimisch betrachten müsste? An den Wald- rändern haben die beiden Herren Oberförster ihn nicht beobachtet; aber er ist doch wohl in Hecken und auf Knicks zu erwarten. Rhamnus cathartica L. L. B., p. 34, sagt: „In Hecken und Gehölzen zerstreut durch das ganze Gebiet“. — Wessel dagegen er- wähnt diesen Strauch überhaupt nicht. Die beiden Herren Ober- förster (zu Aurich und Friedeburg) haben ihn in ihren Revieren nicht bemerkt; ebenso fand R. Bielefeld ihn im und am Gehölz Oldehafe nicht. Er sei daher besonderer Beachtung empfohlen. In: der Weser-Gegend kommt er besonders in den Flussmarschen vor. L. Hupe nennt (Programm, 1878, p. 18) den Kreuzdorn für das Emsland „überall in Hecken und Gebüschen häufig“. Wenn dies zutreffend ist, so wird er auch gewiss in Ostfriesland nicht fehlen! Hypericum. Sollte H. quadrangulum L. in Ostfriesland wirklich völlig fehlen ? H. Elodes L. Meyer, Chloris Hann., p. 91: „Bei Veenhusen, im Hochmoore bei Aurich.“ L. B., p. 33: „Im Hochmoore bei Veenhusen, Aurich, selten (M.)“. Wessel sagt in der 3. Aufl., p. 83: „Seit mehreren Jahren nicht mehr gefunden“ und lässt die Pflanze dann in der 4. Auflage weg. Das Vorkommen in angestochenem Hochmoore ist aber an sich nicht unwahrscheinlich. Von Lantzius gesammelte Exemplare liegen nicht vor; ebenso fehlt die Pflanze in Meyer’s Herbarium. H. humifusum L. „An feuchten Orten“ (W., p. 101) bezeichnet die Fundorte dieser Pflanze nicht recht zutreffend. Viola. Dadurch, dass Lantzius, p. 32, die Viola arenaria DC., silvestris Lam., canina L. und Schultzü Billot als getrennte Arten aufführt, (während er in der darauf folgenden Bemerkung sie entschieden für Formen einer Art erklärt) sind in die Literatur sehr 103 zahlreiche Angaben über das Vorkommen dieser Veilchenarten in Ostfriesland übergegangen (so auch in Wessel, p. 90), welche man in der Natur nicht bewährt findet. Nach meinen Wahrnehmungen kommen in Ostfriesland nur zwei Veilchen dieser Gruppe vor: a) V. canina L. mit länglich- eiförmigen bis lanzettlichen Laub- blättern und kleineren Blüten — auf den Dünen der Inseln und auf Sandflächen und Heiden, z. B. auf dem wüsten Sandterrain „alte Schäferei“ zwischen Egels und dem Eikebusch. b) V. Riviniana Reichenbach mit nierenförmigen bis rundlich-ei- förmigen Laubblättern und grossen Blüten -- in Hecken und Gehölzen. Lantzius hat in seinem Herbarium nur die beiden Namen: V. canina L. und silvestris Reichenbach verwendet. Mit seinen Be- stimmungen bin ich fast durchweg einverstanden, nur muss die letztgenannte Art: V. Riviniana Reichenbach genannt werden. — V. arenaria DC. und V. Schultz Billoet kommen in Ostfriesland nicht vor; aber auch die ächte V. sölvatica L. (feuchte Stellen im Inneren grösser Wälder liebend!) wurde in Ostfriesland noch nicht gefunden. — In Meyer’s Hebarium fanden sich nur Viola canina und Zricolor von Norderney. Epilobium. — Die Arten mit erhabenen Linien am Stengel sind noch besonders zu beachten. Isnardia palustris L. W., p. 124: „Overledingerland“. Nähere Fixierung durch eine Standortskarte wäre sehr wünschenswert. Myriophyllum alterniflorum DC. W., p. 125, führt, meiner Flora der ostfriesischen Inseln folgend, nur Borkum als Standort an; bei L. B. fehlt sie. Das Fehlen dieser westeuropäischen Pflanze auf dem Festlande von Ostfriesland würde aber sehr auffallend sein. Apium graveolens L. L. B., p. 36: „Einzeln auch bei Timmel“. Von diesem Standorte im Herb. Lantzius nicht vorhanden. Bupleurum tenwissimum L. Meyer, Chloris Hann., p. 233: Am Seestrande oberhalb Emden (danach L. B., p. 36 und W., p. 135). Die Pflanze fehlt in Meyer’s Herbarium. Bei einiger Aufmerksamkeit dürfte sie wohl im Aussendeichsland mehrfach aufzufinden sein. Oenanthe Lachenali Gmelin. Vom ostfriesischen Festlande noch nicht angegeben. Sollte die Pflanze in den Röhrichten der Brackwasser wirklich fehlen ? Heracleum Sphondylium L. W., p. 137, „Baltrum“ ist gewiss nur ein Schreibfehler für Borkum. Die Pflanze wurde noch niemals auf Baltrum gefunden, ist aber aueh von Borkum so gut wie ver- schwunlen. — Wessel machte mich brieflich darauf aufmerksam, dass die Bärenklaue im nördlichen Teile von Ostfriesland nur sehr zerstreut vorkomme; häufig sei sie im Overledinger Lande, namentlich bei Collinghorst. Zu achten wird auf die Verbreitung über die verschiedenen Bodenformationen sein. Chaerophyllum bulbosum L. W., p. 138: „Einzeln in Gärten, an Hecken, bei Aurich“. Nur einmal ein verschlepptes Exemplar in einem Garten (Wessel, brieflich). Wird die Kerbelrübe ab und zu in Ostfriesland gebaut? An der Weser ist sie auf die Fluss- marsch beschränkt. 104 Anagallis tenella L. Meyer, Chloris Hann., p. 344: Im Hoch- moore bei Aurich. Danach L. B., p. 42: „Im Moore bei Aurich selten (M)“ und ähnlich Wessel in den drei ersten Auflagen; in der vierten dagegen ohne weitere Bemerkung weg gelassen. — Im Herbarium G. F. W. Meyer liegen Exemplare dieser Pflanze mit der Angabe: „Im Hochmoore bei Aurich rechts des grossen Kanales, 250 Schritt“. Papier und Schrift der Etiketten stimmen mit denjenigen von Carex Davalliana und chordorrhiza überein. Die zwischen den Wurzeln befindlichen Erdreste deuten auf einen feucht-sandigen, etwas humosen, aber nieht moorigen Erdboden hin. Primula elatior Jacquin. W., p. 187: „Aus Oberdeutschland“. Sollte diese, bereits im Oldenburgischen so häufige Pflanze in Ost- friesland wirklich fehlen? P. acaulis Jaequin. L. B., p. 42: „Bei Aurich in Wilhelminen- holz, hinter Conrings Garten, an Erdwällen unter Gestrüpp; in Stiekelkamp“. Danach ähnlich bei Wessel, der aber von der 2. Auf- lage an das Gehölz bei Aurich Herrenholz nennt. Meyer (Fl. Hann. excurs., p. XIX) möchte dieses Vorkommen auf Ansiedelung von Gartenflüchtlingen zurückführen. Nachdem aber die Pflanze (zuerst bei Jever durch Gottlieb Bentfeld) als zweifellos wild an mehreren Stellen des nordwestdeutschen Flachlandes (vergl. darüber meine Flora der nordwestdeutschen Tiefebene, p. 392) nachgewiesen worden ist, hat ihr Vorkommen in Ostfriesland eine ganz andere Bedeutung gewonnen. Samolus Valerandi L. W., p. 188: „An der Küste und auf den Inseln; nicht häufig“. Fundorte an der Küste sind mir noch nicht bekannt geworden. Es wäre sehr wünschenswert, dieselben event. genau zu konstatieren. Erythraea pulchella Fries. W., p. 167: „Auf den Dünen sämtlicher Inseln“. Diese Standortsbezeichnung ist irrtümlich. Die zierliche Pflanze wächst niemals auf den Dünen, entfaltet vielmehr ihre roten Sterne im Rasenteppich der Wattweiden und mageren Wiesen. Er. Centaurium L. Am Deiche des Ems-Jade-Kanales bei Aurich (W. Dunkmann). Cuscuta europaeca L. L. B., p. 40: „Selten bei Aurich“. Von W. in der ersten Auflage, p. 171, aufgeführt, in den folgenden aber nicht erwähnt. Die Pflanze verdient doch wohl weitere Aufmerksamkeit. Im Herbarium Lantzius fehlt sie. Mentha Pulegium L. Sollte diese Pflanze an der Unter-Ems ganz fehlen? Thymus Serpyllum L. Ostfriesland dürfte wohl die einzige deutsche Provinz sein, in weleher der Quendel eine Seltenheit ist, und für welche die Verbreitung dieser Pflanze zum Gegenstande einer besonderen Erörterung gemacht werden muss. — Meyer weiss hiervon freilieh nichts. L. B., p. 41, führt als Fundort nur an: Hesel im Amte Stickhausen. Wessel sagt dann, p. 181: „Nur im südlichen Teile Ostfrieslands: Hesel, Papenburg“. Bei Papenburg 105 tritt aber der Quendel nur an einer ganz beschränkten Stelle des Völlener Wehrdeiches (also einem durch menschliche Arbeit her- gestellten Platze) auf und wird erst südlich von der Stadt häufig. So scheint also Hesel nach immer der einzige sicher konstatierte Fundort des Quendels in Ostfriesland zu sein. In den achtziger Jahren hat er sich, verschleppt, an den Böschungen des Jade-Ems- Kanales bei Aurich eingefunden, wie einige von Wessel mir gütigst mitgeteilte Exemplare beweisen. — In der Marsch und auf dem Moore fehlt der Quendel; es wäre doch aber merkwürdig, wenn er auch auf der Geest und Vorgeest, abgesehen von jener einzigen Stelle nicht vorkommen sollte! Stachys ambiguus Smith. L. B., p. 42: „Auf der Timmeler Gaste sehr selten“. (Danach W., p. 182). Fehlt im Herbarium Lantzius. Die längst als Bastard von S. paluster und silwatieus erkannte Form dürfte wohl nur in einem Exemplare aufgetreten und mit dessen Absterben (Wegnahme?) verschwunden sein. Sie sei aber der besonderen Beachtung der ostfriesischen Pflanzenfreunde empfohlen. Ballota nigra L. W., p. 183: „Auf Schutt, an Hecken; nicht häufig. Heseler Vorwerk“. Dies ist offenbar nur eine irrtümliche Zusammenziehung von L. B.’s Angabe, p. 42: „Auf Schutt, in Hecken u. Ss. w. überall. In einer wunderschönen gedrungenen Form, welche im Habitus des Stengels und der Blätter Marrubium nigrum nicht unähnlich ist, z. B. beim Heseler Vorwerk“. — Nach dem, was ich gesehen habe, ist die Bemerkung von L. B. in betreff der Häufigkeit des Vorkommens richtig. Lamium maculatum L. Das gänzliche Fehlen dieser schönen Art ist ein charakteristischer Zug der Fiora von Ostfriesland. Ajuga pyramidalis L. Wurde von Lantzius-Beninga im Sommer 1847 aufgefunden. Er sagt auf p. 42 über sie: „im Forstorte Egels nicht selten. Abänderung mit roten Blumen und Deckblättern ebendaselbst“. Danach führt Meyer sie (Fl. hann. excurs., p. 437) ohne Nennung des Finders „im Holze bei Aurich“ auf und erwähnt zugleich die „Aj. repenti X pyramidalis, (sic!) Deckblätter so lang als die Blüten; Kronen doppelt so lang als bei der Stammart“, ohne aber besonders hervorzuheben, wo diese Kreuzungsform gefunden wurde. Ich sah zuerst ein Exemplar der A. pyramidalis, welches Herr R. Bielefeld während seiner Seminarzeit in Aurich fand und im Garten zur Blüte brachte. Dann lagen mir vier Lantzius’sche Exemplare aus dem Göttinger Herbarium vor. Endlich sammelte ich selbst am 30. Mai 1896 die Pflanze an Ort und Stelle unter gütiger Führung der Herren Oberlehrer W. Dunkmann und Gymn.-Lehrer Dr. Georg Knoche. Wir fanden die Pflanze in ganz wenigen Exemplaren am Rande der Kiefernbestände, namentlich an der den Forst durch- schneidenden Chaussee. Da auch Herr Bielefeld nur ein Exemplar fand, so muss die Pflanze seit 1847 sehr viel seltener geworden sein (vielleicht durch das Heranwachsen der Kiefern?). 106 Unfern des Thränenhügels fand ich auf einem Waldweg eine Pflanze, welche ich für A. pyramidalis X reptans halten muss. Sie besitzt (noch?) keine Ausläufer, den schlankeren Wuchs von 4. reptans und zeigt die Hauptmerkmale von A. pyramidalis (Grösse der grundständigen Laubbl., starke Behaarung) in schwächerem Masse, als die anderen Pflanzen. Die Deckblätter überragen die Blüten bedeutend. Die Blütenstände beginnen erst weit über der Mitte der schlanken Pflanze (bei ächter Aj. pyramidalis viel tiefer). Das Vorkommen der Art an diesem isolierten und so sehr beschränkten Standorte ist sehr auffallend, da sie im ganzen übrigen nordwestlichen Deutschland fehlt. Unwillkürlich drängt sich die Vermutung auf, dass sie mit Kiefernsamen eingeschleppt wurde, dass sie jetzt aber wieder nahe am Verschwinden ist. (Vergl. das oben über den forstmässigen Anbau der Kiefer in Ostfriesland Gesagte). In meiner „Flora der nordwestdeutschen Tiefebene* ist sie infolge eines beklagenswerten Versehens ausgelassen. Scrophularia vernalis L. W., p. 174: „An feuchten, schattigen Orten, Zäunen. Hier und da, selten. Aurich, Kloster Oestringen bei Jever“. Es handelt sich dabei nur um einzelne, verschleppte Exemplare (was auch Wessel brieflich bestätigt). Digitalis purpurea L. Rotblühende und weissblühende Exem- plare 1896 auf einer Waldbrandfläche im Eikebusch, zusammen mit Seutellaria galericulata, Epilobium angustifolium und hirsutum, Orchis maculatus und latifolius (W. Dunkmann). Veronica Anagallis L. L. B., p. 40: „Gräben, Sümpfe der Meeden“. W., p. 176: „In Gräben und Sümpfen häufig“. Nach R. Bielefeld in den Meeden bei Oldehafe spärlich. Erst nach Abschluss meiner „Flora der nordwestdeutschen Tiefebene“ ist mir klar geworden, dass diese Art in zwei verschiedene: ° Rassen gegliedert ist, welche wohl verdienen, als Arten aufgeführt zu werden. Sie wurden von Bernhardi und Uechtritz klar erkannt. Indem ich ihretwegen besonders auf Fiek, Flora von Schlesien, 1881, verweise, bemerke ich noch, dass die von mir a. a. O., p. 445, als Varietät erwähnte V. anagalloides Gussone eine südeuropäische Art von zarter Statur ist, welche den deutschen Nordwesten nicht erreicht. Ich gebe im Nachstehenden eine Übersicht der Merkmale der drei bei uns vorkommenden Arten dieser Gruppe. 1. Stgl. fast vierkantig. Mittlere und obere Laubbl. mit herz- föormigem Grunde halbstengelumfassend. a) V. Anagallis L. — 0,10—1,00 m hoch. Meist kahl, seltener drüsig. Stgl. hohl. Laubbl. breit-eiförmig bis eilanzettlich, meist spitzlich, entfernt-kleingesägt oder fast ganzrandig, unterste und die der Seitentriebe kurzgestielt. Kr. mittelgross, bläulich-lila. Fr.std. gedrungen, (Fr.stle. schlank, spitzwinklig-abstehend, an der Spitze meist aufwärts gebogen). Fr. eiförmig-rundlich bis rundlich, spitz ausgerandet, so lang oder kaum so lang als die schmal-länglichen K.zipfel. b) V. agquatica Bernhardi. — 0,10—1,00 m hoch. Meist drüsig, seltener kahl, einzeln mit unten kurz-zottigem Stgl. Stgl. hohl. 107 Laubbl. alle ungestielt, eiförmig-länglich bis lanzettlich, spitz, ganz- randig oder klein-gesägt. Kr. klein, blassrötlich. Fr.std. zuletzt sehr locker, (Fr.stle. derber, ziemlich gerade oder an der Spitze etwas aufsteigend, fast wagerecht abstehend). Fr. rundlich-elliptisch, meist länger als die eiförmig-länglichen K.ziptel. 2. Stgl. fast stielrund. Laubbl. sämtlich kurzgestielt. DE Reccabunga EN... ..:.. V. Anagallis und aquatica liegen in den Zentralherbarien der Bremer und der nordwestdeutschen Floren von folgenden Orten vor: a) V. Anagallis L. Bremer Flora. Rechtes Weserufer: Ufer der Wümme bei Fiseherhude; Lesumer Moor. Linkes Weserufer: Lemwerder. Nordwestdeutsche Flora. vacat. b) V. aquatica Bernhardi. Bremer Flora. Rechtes Weserufer: Wümme-Niederung zwischen Sagehorn und Fischerhude; Borgfeld; Gröpelinger Deich; Walle (die var. dasypoda Uechtritz mit unten zottigem Stgl.); Oslebshausen; Mittelsbüren. Linkes Weserufer: Leeste. Nordwestdeutsche Flora. Östlich der Weser; Neustadt am Rübenberge; Neuhaus a. d. Oste (sehr zarte Form, welche ich früher für anagalloides Gussone hielt); Misselwarden im Lande Wursten. Westlich der Weser: Minssen im Wangerland; Jever; Lintel bei Norden (Apotheker Hardtung); Borkum. — Auch die Lantzius’schen Exemplare von Oldehafe und Stiekelkamp gehören hierher. Wie man sieht, ist dieses Material noch ganz ungenügend, um die Verbreitung beider Formen in unsern Gegenden zu beurteilen; indessen ist doch offenbar die V. aguatica im deutschen Nordwesten viel häufiger als die ächte V. Anagallis. Alectorolophus. — Für beide Arten nennt W., p. 178, als Standort nur „Inseln“, fügt dann aber hinzu: „Beide Arten wachsen häufig auf höher gelegenen, schlechten Wiesen; sie werden vom Vieh nicht gefressen und sind daher ein lästiges Unkraut“. Besonders lästig werden aber die beiden Hahnenkamm-Arten durch ihr Schmarotzen auf besseren Wiesenpflanzen. Beide Arten sind in Ostfriesland nicht selten, A. major mehr auf feuchteren, fruchtbaren Wiesen, A. minor (im ganzen seltener) mehr auf trockneren Stellen und den an die Heiden angrenzenden Wiesen. Vergl. L. B., p. 41 u. Bielefeld, p. 372. Euphrasia.. Auf Grund von Wettsteins neuer Bearbeitung dieser Gattung habe ich das gesamte nordwestdeutsche Material der Gruppe E. ofjieinalis durchgemustert und dabei konstatiert, dass wir nur die zwei Formen besitzen, welche ich bereits früher in der „Flora von Bremen“ aufgeführt habe. Sie sind folgendermassen zu benennen und zu charakterisieren. 1) E. strieta Host. — ©; 5—50 em. Grasgrün. Stengel auf- recht, unverzweigt oder unten wenig ästig, rot angelaufen, mit kurzen, drüsenlosen, rückwärts angedrückten Haaren dicht bedeckt. Laub- blätter kahl (selten etwas behaart), länger als die Stengelglieder, 108 die unteren stumpf, die oberen spitz; die mittlere Fläche nicht ganz doppelt so lang als breit, jederseits mit 3—5 spitzen oder sogar begrannten Zähnen. Deckblätter eiförmig, am Grunde keilig, lang zugespitzt, jederseits mit 3—7 spitzen oder begrannten Zähnen. Kelch kahl, zur Fruchtreife nicht vergrössert. Krone 5—7 mm lang, meist blass-violett, mit bläulichen Linien und auf der Unterlippe mit einem gelben Flecke gezeichnet. Frucht kürzer als die Kelch- zähne, schwach ausgerandet, am Rande langgewimpert. — Häufig auf Weiden, Wiesen, Grasplätzen, Rainen, Dünen und kultiviertem Moore; auch über die Inseln allgemein verbreitet. 2) E. gracilis Fries. — ©; 3—25 em. Dunkel grasgrün. Stengel aufrecht, unverzweigt oder aus der Mitte wenig verzweigt, bräunlich angelaufen, kahl oder mit kurzen, drüsenlosen, grauen, rückwärts angedrückten Haaren locker bedeckt. Laubblätter kahl, kürzer als die Stengelglieder, die unteren stumpf, die oberen spitz, die mittlere Fläche nicht ganz doppelt so lang als breit, jederseits mit 3—4 spitzen, aber nicht begrannten Zähnen. Deckblätter drei- eckig-eiförmig, mit breiter Basis, spitz, jederseits mit 3—5 spitzen (selten kurzbegrannten) Zähnen. Kelch kahl, zur Fruchtzeit etwas erweitert. Krone 3—6 mm lang, weisslich oder violett, mit bläulichen Linien und auf der Unterlippe mit einem gelben Flecke gezeichnet. Frucht so lang oder länger als der Kelch, ausgerandet, am Rande gewimpert. — Trockene Heiden und Moore; auf den Inseln selten. Utrieularia. — Die Utricularia von Borkum blühte im Jahre 1896 reichlich und wurde bei dieser Gelegenheit von den Herren Dr. med. Joh. Dreier, O. v. Seemen und Ferd. Wirtgen als U. meglecta Lehmann (nicht vulgaris L.) bestimmt. Ich benutze die Gelegenheit, um folgende von mir neu entworfene Beschreibung der Krone beider Arten mitzuteilen, welche, wie ich glaube, klarer und leichter verständlich ist, als die bisher gewöhnlich in den Büchern gegebene: U. vulgaris L. Oberlippe rundlich-eiförmig, an der Spitze undeutlich dreilappig. Gaumenteil der Unterlippe hochgewölbt, fast von der Höhe der Oberlippe, durch eine Längsfurche stark zwei- lappig ausgerandet; die Lappen fast eine scharfe Kante bildend; Ränder der Unterlippe zurückgeschlagen. U. neglecta L. Oberlippe eiförmig oder länglieh-eiförmig, an der Spitze eingedrückt. Gaumenteil der Unterlippe flacher gewölbt, kaum halb so hoch reichend als die Oberlippe; Längsfurche schwach, die Lappen abgerundet; Ränder der Unterlippe flach. Leider sind die Kronen beider Arten im getrockneten Zustande gewöhnlich nicht mehr von einander zu unterscheiden. Sie müssen, um unterscheidbar zu bleiben, entweder in Spiritus aufbewahrt, oder mit besonderer Vorsicht von der Seite her gepresst werden. — Bei der Bestimmung von Herbariumsexemplaren ist daher noch auf Folgendes zu achten. U. neglecta hat längere Blütenstiele als U. vulgaris; sie ist gewöhnlich zarter und besitzt meist kleinere Schläuche und kürzere Blütenstengel als jene. . Im frischen Zustande sind Laub, Blütenstengel, Blütenstiele und Kelche grün oder schwach 109 bräunlich (bei U. vulgaris gewöhnlich dunkelbraun überlaufen). — Die Farbe der Krone von U. neglecta wird verschieden angegeben. U. intermedia Hayne. Meyer, Chloris Hann., p. 339: „Im Hochmoore bei Aurich“. L. B., p. 42: „In moorigen Sümpfen selten; Aurich, Friedeburg (M)“. Diese Angabe von Lantzius ist, wie man Jeicht sieht, ungenau; denn Meyer erwähnt die (von Aurich fern liegende!) Friedeburg gar nicht. — Die Pflanze fehlt sowohl im Herb. Lantzius als im Herb. Meyer. Ihr Vorkommen in Ostfriesland ist aber sehr wahrscheinlich, und ist sie daher — sie kriecht auf feuchten Schlamme umher — besonderer Beachtung zu empfehlen. Galium uliginosum L. Gräben an der Tannenhausener Chaussee bei Aurich (W. Dunkmann). Sambucus nigra L. var. laciniata Miller. Der schlitzblätterige Hollunder ist geradezu eine Charakterpflanze von Ostfriesland, welche in einzelnen Gemeinden allein (unter Ausschluss der sonst vorwaltenden Form mit unzerschlitzten Blättehen) auftritt. Schon bei Papenburg, unmittelbar jenseits der Südgrenze von Ostfriesland, wird die schlitz- blätterige Form selten. Valeriana dioeca L. W., p. 143: „Auf sumpfigen Wiesen. Bei Aurich auf einer Wiese an der Ehe, nahe der Emdener Chaussee“. Brieflich nennt Wessel noch Wingoldsbur. Sollte die Pflanze nicht weiter verbreitet sein? Pulicaria vulgaris Gärtner. L. B., p. 38: „Hesel im Amte Stiekhausen“. Die Pflanze ist von Wessel in der erster und zweiten Auflage, p. 200 u. 114, mit dieser Standortsangabe aufgeführt, in den folgenden aber ohne Bemerkung übergangen. Sollte die Pflanze aber wirklich in Ostfriesland ganz fehlen? Sıe wäre ausser bei Hesel an den Aussendeichsländereien der unteren Ems aufzusuchen. Wenn W. aber in der 3. und. 4. Auflage Pul. dysenterica Gärtner nach meiner „Flora der ostfriesichen Inseln“ für Borkum angiebt, so handelte es sich dabei (vergl. 1. Auflage, p. 82, 3. Auflage, p. 175) nur um einzelne verschleppte Exemplare. In diesem Falle aber wurde Wessel vom Glücke begünstigt, indem ein grösserer Bestand der Pflanze wirklich im August 1896 auf Ostland Borkum von den Herren Dr. Joh. Dreier aus Bremen, Major a. D. O. v. Seemen aus Berlin und Apotheker F. Wirtgen aus Bonn aufgefunden wurde. Senecio. — Gruppe des S. Jacobaea. L. B. sagt über diese Pflanzen auf p. 38: „284. S. agquaticus Hudson. In den Meeden äusserst häufig. 285. 8. Jacobaea L. Trockene, grasige Orte der Geest, sehr selten; bei Stiekelkamp“.*) Dem gegenüber bilden die Angaben von W., p. 154: „8. Jacobaea. Auf feuchtem Boden, häufig. Auf Borkum und Juist findet sich eine Spielart ohne Strahlblüte. S. agquaticus Hudson. Auf feuchten Wiesen. Seltener als vorige. Moorwiese bei Jever. Borkum, Norderney“ ; einen Rückschritt. Ich habe mich davon überzeugt, dass S. aquaticus durch ganz Ostfriesland auf feuchten Wiesen und an Gewässern *) Ist Stiekelkamp oder Stickelkamp zu schreiben? Fr. B. 110 häufig ist. — Die Verbreitung von S. Jacobaea und erucifolius (schwerlich fehlend!) bleibt noch festzustellen. Carduus erispus X nutans (C. multiflorus Gaudin). L. B., p. 38: „Bei Nüttermoor an einem Erdwalle“. Wessel in der 3. u. 4. Auf- lage, p. 156: „Ist einige Male bei Nüttermoor. und im Overledinger- lande gefunden worden“. Die Pflanze fehlt im Herbarium Lantzius. Sie tritt nicht eben selten zwischen den Stammarten auf. — Bei dem (völligen?) Fehlen von Carduus nutans in Ostfriesland ist ihr Vorkommen in jener Provinz sehr beachtenswert. Cirsium anglicum DC. Die Pflanze blieb Lantzius unbekannt. Sie tritt zuerst in der 3. Auflage von Wessel’s Flora, 1876, p. 129, als „CO. pannonicum Gaudin“ auf. Daselbst (und gleichlautend in der 4. Auflage) ist gesagt: „Zwischen Esklum und Ihrhove bei der Thedinga-Klostermühle, Katharinenfeld bei Aurich. Wahrscheinlich durch fremdes Saatkorn aus Ungarn eingeführt; 1876 zuerst be- obachtet, hat sich seitdem sehr vermehrt“. Die im vorletzten Satze ausgesprochene Vermutung ist nun freilich hinfällig. Auch die ostiriesische Pflanze (ich verdanke ein Exemplar derselben der Güte des Herrn Wessel) gehört zu ©. anglicum und ist sicher bei uns einheimisch. Sie findet sich in Ostfriesland ferner noch in der Meede zwischen Barstede und Forlitz (R. Bielefeld, p. 373); dann bei Bokel unweit Papenburg nahe jenseits der Südgrenze von Ost- friesland, und im Oldenburgischen östlich von Apen (W. O. Focke, 1896), bei Canarienbusch unweit Jever und hinter Bertram’s Ziegelei bei Edewecht unweit Zwischenahn. Mit den beiden letztgenannten Lokalitäten erreicht sie in Deutschland ihre Ostgrenze und ist über- haupt nur noch von einer feuchten Wiese bei Hüls unweit Krefeld bekannt. In den Niederlanden, Belgien und England ist sie weiter . verbreitet. ©. anglicum ist unzweifelhaft eine der schönsten Pflanzen der deutschen Flora. Der zarte silbern-graugrüne Farbenton der ganzen Ptlanze, die schöne Form und Haltung ihrer Laubblätter und die tief purpurrote Farbe der Blüten bilden bei jedem Exemplare ein prächtiges Ensemble. Leider bleibt von dieser Schönheit beim Trocknen sehr wenig übrig. ©. lanceolatum Scopoli. — Ich habe in der „Flora der ost- friesischen Inseln“ (1. und 2. Auflage, p. 87, 3. Auflage, p. 181) darauf hingewiesen, dass in den Dünen der Inseln Formen der var. nemorale Reichenbach (mit weniger tief fiederspaltigen, unterseits weisswolligen Laubblättern) und Mittelformen zur Hauptform vor- kommen. Inzwischen hat P. Graebner Beobachtungen über diese Pflanzen mitgeteilt (Verhandlungen des Botanischen Verein der Mark Brandenburg, 1895, XXXVI, p. LXIH bis LXV), welche ihn zu der Überzeugung geführt haben, dass Cirsium lanceolatum Scopoli und C. silvaticum Tausch, 1829, (C. nemorale Reichenbach, 1830) zwei wohl verschiedene Arten seien. In einer Hauung (dem sog. Lister- hagen) bei Bodendorf unweit Neuhaldensleben fand Herr Bureau- vorsteher Maass beide Formen durcheinander wachsend.. Herr Graebner charakterisiert sie folgendermassen: 111 Ü©. lanceolatum. C. silvaticum Ende Aug. noch in voller Ende August schon fast Blütezeit Blüt vollständig vertrocknet, mit we reifen Fr. Höhe bis 1,30 m bis 3,35 m Äste bogig aufrecht-abstehend angedrückt-aufrecht kraus, die einzelnen Ab- schnitte schräg sich dach- flach, unterseits weissfilzig Laubblätter |Jieselig deckend, unterseits behaart grün Köpfe länglich rundlich Seen 5 weicher, an der Spitze zu- seh bauchig, dunkelkastanien-|bedeutend kleiner, schmal, Früchte braun länglich, silbergrau. Um diese Frage für den deutschen Nordwesten zu beantworten, habe ich mich während des Sommers 1896 bemüht, das spärliche Material unserer Herbarien zu vermehren, so dass mir jetzt Formen von folgenden Standorten vorliegen: a) Ostfriesische Inseln: . Borkum, am Deich; Juli 1880; Fr. B. . Juist, Dünenthäler der Bill; Juli 1880; Fr. B. . Borkum, Dünenthäler in der Nähe der Coupierung; Juli 1880; Fr. B. . Wangerooge, Dünen; Juli 1893; E. Lemmermann. . Dünen von Borkum; Sept. 1896; Dr. med. Joh. Dreier. b) aus dem übrigen Nordwestdeutschland. Bremen; ca. 1810; G. R. Treviranus: . Bremen; Aug. 1835; gesammelt von? . Wiesen, Oslebshausen bei Bremen; 3. August 1862; W. O. Focke. . Eschenhausen bei Bassum; Aug. 1878; C. Beckmann. 10. Bremen; zwischen Langwedel und Eyssel; August 1896; Fr. B. 11. Bremen; am Holz- und Fabrikhafen; Sept. 1896; Fr. B. 12. Bremen; Kamern bei Gruppenbüren; Sept. 1896; Fr. B. 13. Varel a. d. Jade; Weiden beim Hafen; Sept. 1896; Fr. Müller. 14. Lüneburg; Sept. 1896; M. Stümcke. 15. Norden; August 1891; Apoth. L. Hardtung. 16. Timmel, Ostfriesland; 1847; Lantzius-Beninga. Dieses Material ergiebt nun Folgendes: Die Blütezeit erstreckt sich bei uns über den ganzen September hinaus bis in den Oktober. Die Höhe der Exemplare schwankt zwischen 50 und 100 cm, erreicht selten 130 cm, aber niemals die für uns ganz abnorm erscheinende Höhe von 3,35 m, welche Graebner für C. silvatieum angiebt. Die Zweige sind steilaufrecht. Die Laub- blätter sind bei den kleineren Exemplaren ziemlich flach und schwach e EISIUC OwEr voomn 112 bestachelt; je grösser aber die Pflanzen sind, desto länger und desto stärker bestachelt sind auch die Blattzipfel, und desto stärker stehen dieselben abwechselnd nach oben und unten ab. In der Behaarung der Unterseite finden sich alle Mittelstufen von einem kaum sicht- baren Haarüberzuge bis zu dichtem weissem Filz. (Den stärksten Filz zeigen die flachen und schwach-bestachelten Blätter der Exemplare No. 5 aus den Dünen von Borkum). Die Köpfe sind im entwickelten Zustande bei allen Exemplaren länglich, die Hüllblätter laufen in stechende Spitzen aus. — Die Früchte sind bei allen unsern Exemplaren gleichgebaut, nämlich etwa 3,6 bis + mm lang und länglich geformt; ebenso sind sie bei allen silbergrau gefärbt (unter der Lupe gelblich- weiss mit zahlreichen grauen Längsstrichen). Hiernach können bei uns beide Formen nicht unterschieden werden. Die Exemplare aus den Dünen von Borkum stellen nahezu typisches ©. silvaticum dar; die anderen Exemplare entfernen sich in einzelnen Merkmalen mehr oder weniger von ihm; keins aber entspricht dem Bilde, wie es Graebner von typischem (©. lanceolatum entwirft. Centaurea Calcitrapa L. Meyer, Chloris Hann., p. 451: „Zwischen dem Akkummer- und Nessmer-Siel*. Danach von L. B. auf p. 39, unter No. 296 aufgeführt und von Wessel durch alle vier Auflagen beibehalten. Fr. Sundermann (Ostfries. Monatsblatt, 1878, VI, p. 23) sagt von ihr: Kommt hin und wieder vor: am Burggraben, Lütsburg, Nesse, Nessmergrode, Nessmersiel, Bursträk. Danach scheint die Pflanze öfters eingeschleppt worden zu sein. Jedenfalls kann es sich, da sie einjährig ist und in unseren Breiten niemals Früchte reift, dabei nur um vorübergehende Einschleppungen handeln, und es sollte die Pflanze endlich aus der Reihe der einheimischen Gewächse gestrichen werden. Es ist mir übrigens nicht gelungen, ostfriesische Exemplare zu Gesicht zu bekommen. Im Herbarium Meyer fehlt sie. ©. Jacea L. Bei dieser Pflanze ist auf die Verbreitung über die verschiedenen Bodenformationen besonders zu achten. Im Moore fehlt sie; ebenso ist sie aber auch bei Aurich sehr selten und tritt dort nur eingeschleppt auf den Deichen am Jade-Ems-Kanal auf. Auch ausserhalb Ostfrieslands tritt sie öfters als Adventiv- oder Ruderalpflanze auf. Chondrilla junces L. Meyer, Chloris Hann., p. 429: „Die Spielart a setosa (Ch. acanthophylia Reichenbach, flora exeurs., p. 271) vorzüglich am Harzrande und in der Nähe der Küsten ..... bei Norden“. Danach L. B.: „Auf troekenem Sandboden, bei Norden (M)“; ähnlich W., p. 159. Fehlt im Herbarium Meyer. — Diese vielfach als Ruderalpflanze vorübergehend auftretende Art wurde nicht wiedergefunden und sollte endlich aus den ostfriesischen Pflanzenlisten verschwinden. Crepis paludosa Mönch wird von W., p. 160, als selten be- zeichnet. Sollte das zutreffen? Einige Beiträge zur Flora der Unterelbe. Von Jost Fitschen in Magdeburg. Da ich in den nächsten Jahren voraussichtlich wenig oder gar keine Gelegenheit haben werde, mich mit der Flora der unteren Elbmarschen zu beschäftigen, so gebe ich nachfolgend ein Verzeichnis von Standörtern etwas seltnerer Pflanzen, die mir in den letzten Jahren aus diesem Gebiete bekannt geworden sind. Ich mache nur diejenigen Pflanzen namhaft, welche in der von Herrn Professor Dr. Buchenau herausgegebenen und für jeden Botaniker dieses Gebietes unentbehrlichen „Flora der nordwestdeutschen Tiefebene“ für die Unterelbe nicht angegeben sind. Meine Beobachtungen erstrecken sich besonders auf die Ostemarsch, den grössten Teil des Landes Hadeln und das Hamburgische Amt Ritzebüttel. Die durch Fettdruck der Namen hervorgehobenen Gewächse fehlen in der erwähnten Flora von Professor Buchenau, einige derselben dürften auch wohl noch in andern Gegenden aufzufinden sein. Die nur sporadisch auftretenden Pflanzen sind mit einem Stern bezeichnet. Ruppia maritima L. Cuxhaven; in der Nähe des Hafens, in Gesellschaft von R. rostellata. Der erste Entdecker dieser bisher für Nordwestdeutschland nicht angegebenen Pflanze ist meines Wissens Herr Timm aus Hamburg; ich weiss aber nicht, ob er sie von dem- selben Standorte sah. Ihr Vorkommen ist übrigens durch die An- lage des neuen Hafens ziemlich gefährdet. Potamogeton acutifolia Link. In Moorgräben bei Cadenberge und in der Aue zwischen Neuhaus und dem Bahnhofe. Findet sich namentlich an der ersten Stelle in grosser Menge, kommt aber selten zur Blüte. Gewiss vielfach mit P. compressa verwechselt. P. lucens L. var. acuminata Schumacher. Sehr ausgeprägt in der Aue bei Kehdingbruch. Alopecurus agrestis L. Im ganzen Gebiete häufig. Festuca rubra L. var. arenaria Osbeck. An sandigen Stellen bei Cuxhaven häufig, kommt aber ziemlich weit an der Elbe hinauf vor; findet sich auch noch bei Neuhaus an der Oste. * Lolium italicum Alex. Braun. In der Marienhörne und in der Nähe des Kirchhofs bei Neuhaus angesäet. Agropyrum repens Palisot var. glaucum Döll. Marienhörne bei Neuhaus. A, repens var. Vaillantianum Wulfen. Mit voriger zusammen. Carewn remota X paniculata (C. Bönninghausiana Weihe). In der Nähe des Forsthauses Dobrock, hinter dem Pavillon; Haddorf bei Stade. An erstgenanntem Standorte wächst auch eine Schatten- form von (. echinata mit langem, schlaffem Halme, bleichen Ährchen und Brakteen, welche die Ahren weit überragen. April 1897. Abh. XV, 8 114 C. stricta Goodenough var. gracilis Wimmer. Im Moor bei Basbeck (Wilshusen). C. Oederi Ehrhart var. elata F. Schultz (= var. elatior Zahn). Auf anmoorigen Wiesen zwischen Cadenberge und Dobrock. Stengel bis 36 cm hoch, gekrümmt. Laubblätter gekielt. Fruchtschläuche kugelig, plötzlich in den ziemlich kurzen, geraden Schnabel ver- schmälert. Es kann diese Pflanze bei oberflächlicher Beobachtung ziemlich leicht mit C. lepidocarpa verwechselt werden, besonders da sie dieser an Grösse gleichkommt; sie unterscheidet sich aber doch durch die angegebenen Merkmale deutlich von ihr. Zu wünschen wäre, dass der (©. fava-Gruppe eine etwas grössere Aufmerksamkeit gewidmet würde, als es bisher geschehen ist. Sorgfältige Unter- suchungen dürften gewiss noch interessante Thatsachen zu Tage fördern, so kommen auch sicher noch einige Bastarde bei uns vor; z. B. Carcv flava X lepidocarpa, C. lepidocarpa > Oederi, u. a. Ich möchte noch gleich hierbei bemerken, dass ich im Jahre 1888 an der Westseite des Gr. Brackens bei Harsefeld eine Carex fand, welche mit Herbarexemplaren der C. Hlava aus Süddeutschland in der Länge und Richtung des Schnabels sowie in der Breite der Laubblätter so auffallend übereinstimmt, dass ich auch nicht einen Augenblick im Zweifel bin, eine echte ©. jlava vor mir zu haben. Die Angabe, dass diese Pflanze im Nordwesten Deutschlands nicht vorkommt, ist also hinfällig. ©. Kochiana DC. An Gräben zwischen Neuhaus und Caden- berge hier und da. Juncus lampocarpus Ehrhart var. repens Nolte. Bei Cuxhaven im feuchten Sande kriechend. Allium vinedle L.. Am Ostedeiche bei Neuhaus an einer beschränkten Stelle. Salix viminalis L. var. tenuifolia. Am Wege von Neuhaus nach Belum angepflanzt. S. Caprea X viminalis. Mit voriger zusammen. h S. Caprea X cinerea. Neuhaus; wahrscheinlich angepflanzt, wird auf der Geest gewiss weiter verbreitet sein. Polygonum danubiale Kerner. An der Oste bei Schwarzen- hütten (Wilshusen). * Silene dichotoma Ehrh. Auf Gemüseäckern bei Geversdorf; am neuen Hafen bei Cuxhaven. Ranunculus Flammula L. var. radicans Nolte. Auf feuchtem, sandigem Boden bei Cuxhaven nicht selten. R. arvensis L. Durch das ganze Gebiet, sehr vereinzelt. Batrachium Baudoti van den Bosch. In den Marschen nicht selten. Ich fand diese Pflanze an denselben Standorten bald mit Schwimmblättern, bald ohne diese entwickelt. Die Form ohne Schwimmblätter ist von Marsson als var. marinum aufgestellt worden, was aber kaum gerechtfertigt erscheint, da dieselbe Pflanze unter Umständen ihre Schwimmblätter verliert und so die Varietät darstellt. * Lepidium campestre Rob. Brown. Früher auf Ackern bei Geversdorf; jetzt wohl verschwunden. 115 *]L. sativum L. 1895 am Bahnhofe bei Neuhaus. * Brassica incana Döll. Bahndamm bei Cuxhaven, in mehreren Exemplaren. Erysimum orientale L. Bahnhof bei Neuhaus. * Reseda lutes L. Bahnhof bei Neuhaus, 1896. Sedum purpureum Link. An der Chaussee zwischen Neuhaus und Cadenberge nicht selten; Geversdorf. Medicago lupulina L. var. Willdenowiü Bönninghausen. Bei Cuxhaven nicht selten, auch sonst zerstreut. Euphorbia Esula L. Am Strande bei Cuxhaven hinter Kugelbaake. * Malva moschata L. Zwischen Neuhaus und Cadenberge am Kanal, häufig. Mit roten und weissen Blüten. Epilobium adnatum Grisebach. An der ganzen Unterelbe zerstreut. Pimpinella Saxifraga L. var. hircina Leers. Am Strande bei Döse. Bupleurum tenuissimum L. Sehr vereinzelt am Strande bei Cuxhaven. Lysimachia vulgaris L. var. guestphalica Weihe. Das von Reichenbach für diese Pflanze angegebeneMerkmal: „foliis peduneulisque axillaribus ternis, quaternis, rarius tantum oppositis“ trifft bei den von mir aufgefundenen Exemplaren in auffallender Weise zu. Die Blütenstände sind sehr reich entwickelt und stehen dicht gedrängt, so dass dadurch die Pflanze ein ganz fremdartiges Aussehen bekommt. Ich zählte an einem mittelgrossen Exemplare nicht weniger als 425 Blüten. Ob auch das andere Merkmal „calyeibus capsula longioribus* zutrifft, konnte ich leider nicht feststellen, da die Pflanzen zur Zeit des Einsammelns noch keine reifen Früchte trugen. An Gräben zwischen Neuhaus und Cadenberge, in der Nähe der Fähre bei Neuhaus, sowie einige Exemplare am Neuhauser Kanal (Uhlenkamp). Veronica aquatica Bernh. var. glandulosa Cel. In der Marsch ziemlich zerstreut, z. B. Geversdorf, Neuhaus, Otterndorf u. s. w. Überall nur die drüsige Varietät. V. agrestis L. var. calycida Fries. Auf Gemüsebeeten bei Geversdorf und Neuhaus. * Plantago media L. An einer Stelle am Kanal zwischen Neuhaus und Cadenberge, wohl nur ausgesäet. “ P. arenaria Waldstein und Kitaibel. Am Bahnhofe bei Neuhaus. Galium Aparine L. var. Vaillantii DC. Dingwörden bei Neuhaus. G@. Aparine L. var. spurium L. Bei Sprenge am Kanal. *“Imula Helenium L. In einem Graben bei Dingwörden unweit Neuhaus. *Centaurea solstitialis L. Massenhaft am Bahndamme bei Cuxhaven. * Cichorvum Intybus L. Vereinzelt bei Cuxhaven. * Pieris hieracioides L. Einige Exemplare am Bahndamm bei Cuxhaven. * Helminthia echioides Gärtner. Kommt zusammen mit Centaurea solstitialis am Bahndamm bei Cuxhaven vor und ist fast ebenso häufig wie diese. Aus dem städtischen Museum für Natur-, Völker- und Handelskunde. Geschichte der botanischen Sammlungen. Von Franz Buchenau. Unter wesentlich derselben Überschrift wie die vorstehende habe ich im 9. Bande dieser Abhandlungen (1885, p. 215—256) die Entstehungsgeschichte der botanischen Sammlungen des städtischen Museums zu Bremen mitgeteilt und ihre Entwickelung bis zum Ende des Jahres 1882 geschildert. Schon vorher (Abh. 1883, VIH, p- 535 und 536) machte ich Mitteilung über das Zentralherbarium der nordwestdeutschen Flora und wies etwas später (Abh. 1887, X, p. 241—245) auf die Sammlung der Standortskarten hin. Ich beabsichtige jetzt in vollem Einverständnisse mit den. Assistenten an den botanischen Sammlungen, Herrn Reallehrer C. Messer und Lehrer E. Lemmermann, diese Mitteilungen bis zum Schlusse des Jahres 1896, also für vierzehn Jahre, fortzuführen. Für die Geschichte aller Zweige der botanischen Sammlungen ist ein Ereignis von durchschlagender Bedeutung geworden: die Umwandlung der „städtischen Sammlungen für Naturgeschichte und Ethnographie“ in das städtische Museum für Natur-, Völker- und Handelskunde und der dadurch bedingte Umzug aus den oberen Sälen des Domsanbaues in das schöne neue Gebäude am Bahnhofsplatze. Einige wenige Daten werden die Hauptmomente der Geschichte der botanischen Sammlungen in das Gedächtnis zurückführen: 1865. Begründung einer botanischen Sammlung durch die Gesellschaft Museum. 1872. Entfernung der Naturaliensammlung und des dazu ge- hörigen Teiles der Bibliothek aus dem Museumsgebäude. 1876. Übergabe dieses Teiles der Bücher an die Stadtbibliothek, der Sammlungen an die Stadt Bremen. Ihre Aufstellung als „städtische Sammlungen für Naturgeschichte und Ethnographie“ in den oberen Sälen des Domsanbaues. ul 1. Oktober 1876. Anstellung des Herrn ©. Messer als botanischer Assistent. 1878. Herstellung zweier Bodenkammern im Domsanbau als botanische Arbeitszimmer. 1. Juli 1880. Eröffnung der botanischen Gallerie für das Publikum. Sommer 1890. Nordwestdeutsche Industrie- Ausstellung mit ihrer ethnographisch und naturwissenschaftlich so sehr interessanten Handels-Abteilung. 1891, Nov. 3., 18. und 20. Beschlussfassung von Senat und Bürgerschaft über die Erbauung eines Museums für Natur-, Völker- und Handelskunde. 1893, Okt. 1. Übernahme des bisher vom naturwissenschaftlichen Vereine gezahlten Gehaltes des botanischen (und des halben Gehaltes des entomologischen) Assistenten auf das Budget des städtischen Museums. 1894, 1895. Umzug der Sammlungen aus dem Domsanbau in das neue Gebäude am Bahnhof. 15. Jan. 1896. Eröffnung des städtischen Museums in diesem Gebäude. 1. April 1896. Anstellung des bereits um die Kryptogamen- Sammlung hochverdienten Herrn E. Lemmermann als zweiter bo- tanischer Assistent. In dem städtischen Museum sind nun die Grundgedanken der neuen Aufstellung: Anschaulichkeit und Schönheit, verbunden mit Wissenschaftlichkeit, auch auf die botanischen Sammlungen aus- gedehnt worden. Die streng-wissenschaftlichen Teile (also namentlich die Herbarien) sind den Augen des Publikums entzogen und werden den Fachleuten zur Verfügung gehalten. Zwei genügend grosse und würdig ausgestattete Arbeitszimmer geben die Möglichkeit ihrer Benutzung und dienen zugleich zum Bearbeiten der neu einlaufenden botanischen Objekte. — Die botanische Schausammlung befindet sich jetzt im dritten Stockwerke des Museums-Gebäudes, wo sie die Südecke des Saales (zwischen der prähistorischen Sammlung und dem Handelsmuseum) einnimmt. Der heutige erfreuliche Zustand beruht grossenteils auf der Thätigkeit des „botanischen Assistenten“, Herrn Reallehrer C. Messer, welcher am 1. Oktober 1896 auf eine zwanzigjährige Arbeit zurück- blicken konnte. Er wurde jahrelang in aufopfernder Weise unter- stützt von Herrn Lehrer E. Lemmermann (namentlich in der Durch- arbeitung der Kryptogamensammlung). Ferner leisteten sehr dankens- werte Hülfe die Herren Hutfabrikant Eugen Boveroux (Aufstellung der Schausammlung), Dr. Georg Bitter (desgl., Einrichtung der Adventiv-Sammlung, Bestimmung schwieriger Formen), Primaner Fritz und Anton Wilde, Cornelius Osten, Dr. H. Klebahn, Fräulein Am, Hallmann, Dr. F. Dannemann, Dr. Gottsche in Altona, Prof. Dr. Luerssen in Königsberg, Dr. Sonder in Lübeck, Apotheker Jul. Herbst, Dr. Joh. Dreier, Dr. W. O. Focke. 118 Seit dem 1. April 1896 ist nun in Herrn E. Lemmermann ein zweiter botanischer Assistent (gleichfalls im Nebenamte und vorzugsweise für die kryptogamische Abteilung) angestellt worden. Die Umwandlung mindestens einer dieser Stellen in ein Hauptamt bleibt dringend zu wünschen. ; In den mechanischen Arbeiten leisten regelmässig zwei Waisen- knaben Hülfe, welche uns von dem Vorsteher freundlichst zur Verfügung gestellt werden, und denen wir nach der Verfassung des Waisenhauses durch einen Beitrag in ihr Sparkassenbuch danken dürfen. I. Das allgemeine Herbarium. Das allgemeine Herbarium wurde in wesentlich derselben Weise wie früher fortgeführt. In den letzten Jahren sind wir aber zu einer etwas grösseren Breite der Pappschalen übergegangen, damit die Gurten nicht so leicht in die Pakete selbst einschneiden können. (Ich bemerke bei dieser Gelegenheit, dass es bei uns Vorschrift ist, nach dem jedesmaligen Gebrauche eines Paketes die Pappschalen umgekehrt — die früher äussern Seiten nach innen! — aufzulegen, wo möglich um so der schädlichen allzustarken Rundung der Pappen entgegen zu wirken). — Die Malse sind also jetzt folgende: a) halbe Bogen (Spannblätter) 28:45,5 cm b) ganze Bogen (Spezies-Umschläge) 59:45,5 cm ce) blaue Bogen (Gattungsbogen) 59:46 cm d) Pappsehalen 31:47 cm. Die entsprechenden Malse für das Kryptogamen-Herbarium sind unverändert geblieben, nämlich: a) weisse Bogen 33 ::42,5 cm b) blaue Bogen 36,5:45 cm c) Pappschalen 37,5:24 cm. Zwei Momente sind aus der Geschichte des Herbariums während der abgelaufenen vierzehn Jahre besonders hervorzuheben. Zunächst die Vereinigung des Herbariums des am 1. Januar 1887 hier ver- storbenen Dr. phil. Heinrich Koch, welche auch dem Zentralherbarium der nordwestdeutschen Flora besonders zu gute kam. Sodann aber besonders die Gründung des Kryptogamen-Herbars durch die Thätigkeit des Herrn Messer und die hingebende, völlig freiwillige Mitarbeit des Herrn E. Lemmermann. Das Kryptogamen-Herbar ist aus den Materialien der Becher’schen, Buchenau’schen und Koch’schen Herbarien, sowie aus einzelnen käuflichen Sammlungen zusammengewachsen; es bedarf aber noch sehr der Ergänzung. Es umfasst zur Zeit ca. 92 Pakete, nämlich 30 Pakete Laub- moose, 4 Pakete Lebermoose, 9 Pakete Algen, 3 Pakete Characeen, 27 Pakete Flechten und 19 Pakete Pilze. Dazu kommen ferner noch folgende, gesondert aufbewahrte Sammlungen: '1) Westfalens Lebermoose von Dr. H. Müller in Lippstadt (Lief. 1—7). 2) Rabenhorst, Algen Sachsens (Dek. 1—110). 3) 2 Algen Mitteleuropas (Dek. 1—100); es fehlen an dieser Sammlung Dek. 111—259. 119 Am reichhaltigsten ist wohl die Flechtensammlung der nord- westdeutschen Tiefebene, für welche Herr H. Sandstede zu Zwischenahn für das gesamte Material geliefert hat. Auch die Characeen sind ziemlich gut vertreten. Dagegen sind in den Algen- und Pilz- herbarien noch manche Lücken auszufüllen. Die Algensammlung enthält eine ganze Reihe wichtiger Originalexemplare von Alex. Braun, Nägeli und De Bary, auch einige wenige von Mertens, Roth und Treviranus gesammelte Arten. In der Pilzsammlung finden sich viele von H. Koch gesammelte Spezies. Die Moossammlung ist durch Beiträge der Herrn W. O. Focke und C. Beckmann wesentlich vervollständigt worden. Ersterem ist die Anlage des Bremer und nordwestdeutschen Moosherbars, letzterem die besondere Ver- vollständigung der Torfmoose zu verdanken. Das allgemeine Herbarium der Gefässpflanzen füllte im November 1896: 482 Pakete (gegen 282 im Jahre 1883). Die frühere Art der Aufstellung des Herbariums: zusammen mit den Früchten, Rinden, Hölzern in grossen verglasten Schränken (die Früchte u. s. w. in der Höhe des bequemen Sehens, die Herbariumspakete oben und unten, diese Pakete aber verdeckt durch hinter die Glasscheiven befestigte Bilder) ist aufgegeben worden. Es ist nämlich garnicht zu vermeiden, dass durch Früchte, Rinden und ähnliche Sammlungsgegenstände Insektenlarven eingeschleppt werden, deren Nachkommen dann mit besonderer Vorliebe auf die Herbariums- pflanzen übergehen und dieselben zerstören. Daher werden jetzt die Pflanzenpakete in besonderen gut verschlossenen Schränken auf- bewahrt. — In dem neuen Lokale ist ein besonderes kleines Kabinet für den Schwefelkohlenstoffkasten hergestellt, durch welchen das Herbarium in beständiger Folge behufs Tötung der Insekten und ihrer Larven hindurchwandert. Dank diesem Schwefelkohlenstoff- kasten ist der Erhaltungszustand unserer Herbarien im allgemeinen ein vortrefflicher. Dem allgemeinen Herbarium sind alle mir von meinen botanischen Freunden übersandten oder sonst erreichbaren Pflanzen-Abbildungen, ferner eine grosse Menge von Diagnosen und Beschreibungen, sowie kleine Abhandlungen über einzelne Arten eingeordnet worden, welche alle beim Gebrauche des Herbariums höchst willkommen sind. In dieser Beziehung sind mit besonderem Danke die Beiträge von Herrn Prof. Ign. Urban in Berlin zu nennen, welcher uns in den letzten Jahren Probeabdrücke der in der „Flora Brasiliensis“ veröffentlichten Tafeln (oder sogar die Originalzeichnungen dieser Tafeln) als Geschenk übersandt hat. Wir bitten, dass sein Beispiel vielfache Nachfolge finden möge. II. Das Zentralherbarium der Bremer Flora. Das Zentralherbarium der Bremer Flora enthält die Materialien für meine „Flora von Bremen und Oldenburg“ (4. Auflage, 1894). Es wird in jedem Herbste um die Funde des Sommers vermehrt und umfasst jetzt 41 Pakete. 120 Die Zellenpflanzen der Bremer Flora sind zur Zeit mit Aus- nahme der Moose (9 Pakete) noch nicht aus dem nordwestdeutschen Herbarium absondert. Als Anhang zu dem Bremer Herbarium wurde in den Jahren 1893—94 eine Sammlung der Adventivpflanzen unserer Gegend begründet. Der enorm steigende Verkehr, der starke Viehtransport und die Notwendigkeit der Verarbeitung von auswärtigem Getreide haben nämlich die Zahl der Adventivpflanzen (welche oft nur für ein einziges Jahr auftreten!) so sehr vermehrt, dass es fernerhin nicht mehr angängig ist, sie in die Lokalherbarien und in die Floren aufzunehmen. Sie bilden an beiden Stellen nur einen schweren Ballast. Ihre notwendige Überwachung macht aber doch ihre Auf- bewahrung und Verzeichnung wünschenswert, ja notwendig. — Unsere Sammlung hat das Material geliefert zu dem wichtigen Aufsatze von G. Bitter: „Beiträge zur Adventivflora Bremens“ (Abh. Nat. Ver. Brem., 1895, XII, p. 269— 292). III. Das Zentralherbarium der nordwestdeutschen Flora. Diesem Teile der botanischen Sammlung ist besonders eine grössere Bereicherung von Pflanzen aus dem Jeverlande durch die Einverleibung des Herbariums von Dr. Heinrich Koch (s. oben) zu- gewachsen. Im Übrigen ist es trotz aller Bemühungen nur sehr langsam gewachsen und ist noch weit von annähernder Vollständigkeit entfernt. — Trotzdem hat es aber als wichtige Stütze für die Aus- arbeitung meiner „Flora der nordwestdeutschen Tiefebene“ gedient. — Es umfasste im Herbste 1896 22 Pakete Phanerogamen und Gefäss- kryptogamen, 15 Pakete Flechten und 6 Pakete Laubmoose. Eine Absonderung der nordwestdeutschen Pilze, Lebermoose etc. ist für, später in Aussicht genommen. In das nordwestdeutsche Herbarium sind viele Abbildungen deutscher Pflanzen, sowie zahlreiche von mir gesammelte morphologische Beobachtungen, Citate und kritische Bemerkungen eingeordnet. Einen wertvollen Teil dieser Sammlung bilden die Standorts- karten für das nordwestliche Deutschland (einschliesslich der Um- gegend von Bremen und der ostfriesischen Inseln). Ich teilte über sie bereits früher (diese Abhandlungen, 1887, X, p. 241—-245) Näheres mit und zählte die ersten 45 auf. Sie sind mit Eifer und in derselben Weise (Karten oder Skizzen nach sehr verschiedenem Massstabe und in sehr verschiedener Ausführung, welche aber in jedem Falle die Wiederauffindung der betr. Pflanze ermöglichen) fortgeführt worden und bilden jetzt ein Folio-Paket. Zwei Verzeichnisse (nach Lokalitäten und nach Pflanzennamen) erleichtern ihre Benutzung sehr. — Im Anhange zu dieser Arbeit sind No. 46—108 dieser Karten aufgezählt. IV. Das Zentralherbarium der ostfriesischen Inseln. Diese Sammlung enthält jetzt in grosser Vollständigkeit die Belege für die Angaben der dritten Auflage meiner „Flora der ostfriesischen Inseln“ und zwar der Siphonogamen und Pteridophyten. 121 Die aus den niederen Kryptogamen vorhandenen Materialien sind mit Ausnahme der Laubmoose und Flechten in das allgemeine Kryptogamenherbar eingeordnet. Das Zentralherbarium der ostfriesischen Inseln umfasste im November 1896 10 Pakete. Um dasselbe haben sich durch Beiträge besonders verdient gemacht die Herren Dr. med. Joh. Dreier, Lehrer E. Lemmermann, Dr. W. O. Focke zu Bremen, Apotheker F. Wirtgen zu Bonn, Bankbeamter Aug. Bosse zu Oldenburg (jetzt in Berlin), Lehrer Otto Leege auf Juist, Rittmeister a. D. Otto von Seemen zu Berlin, Apotheker G. Capelle zu Springe. V. Original-Herbarium der zweiten deutschen Nordpol-Expedition. Diese Sammlung (2 Pakete) hat naturgemäss keine Vermehrung erfahren. Sie ist aber mehrfach von wissenschaftlichen Forschern benutzt worden. VI. Das morphologische Herbarium. = Das morphologische Herbarium hat durch die Publikation von O. Penzig, Pflanzenmissbildungen (2 Bände; Genua 1890 u. 1894), einem bewundernswerten Denkmale deutschen Fleisses und deutscher Ausdauer, ein ganz neues Interesse gewonnen. Es enthält natürlich ebenso normale Bildungen von Interesse, wie Bildungsabweichungen und wird durch zahlreiche Stücke der Schausammlung (z. B. Fas- eiationen, Einschlüsse in Holz u. s. w.) ergänzt. Naturgemäss finden nur diejenigen Stücke, welche gepresst werden können, Auf- nahme in dieses Herbarium. Es umfasst jetzt 3 Pakete. VII. Reliquiae Rutenbergianae Madagascarienses. Die wenigen aus dem Nachlasse des im Jahre 1878 auf Madagaskar ermordeten Dr. Christian Rutenberg geretteten Pflanzen haben Veranlassung gegeben zur Bearbeitung der sieben*) botanischen Aufsätze: Reliquiae Rutenbergianae im 7. bis 10. Bande dieser Ab- handlungen (1880—89). Nach Beendigung dieser Arbeiten beab- sichtigten wir die Rutenberg’schen Pflanzen in das allgemeine Her- barium einzuordnen und haben dies auch bereits mit den Papilionaceen gethan; dann aber überwog doch die Ansicht, dass es wohl zweck- mässiger sei, die Rutenberg’schen Pflanzen zunächst noch für einige Jahre oder Jahrzehnte getrennt zu halten. Sie füllen 4 Pakete. Die Herausgabe der Reliquiae Rutenbergianae wurde für Herrn Lüder Rutenberg, den Vater des Ermordeten, die Veranlassung, am 8. Februar 1886 die „Christian Rutenbergstiftung des natur- wissenschaftlichen Vereins“ mit einem Kapitale von 50 000 Mark zu begründen. *, Der 8, Aufsatz (in der Reihenfolge der zweite) ist zoologischen Inhaltes. 122 VIII... Die Handschriften-Sammlung. Eine hübsche Ergänzung zu dem allgemeinen Herbarium bildet die Sammlung von Handschriften der Botaniker, welche ich dem naturwissenschaftlichen Vereine am 27. Dezember 1880 (aus Veran- lassung von dessen 300. Versammlung) schenkte. Ganz abgesehen von dem menschlichen und persönlichen Interesse, welches sie gewährt, leistet sie auch oft in kritischen Fällen, wenn es darauf ankommt zu ermitteln, wer die Etikette einer bestimmten Pflanze geschrieben hat, wichtige Dienste. Auch diese Sammlung ist von Herrn Messer mit grosser Pünktliehkeit weiter geführt worden. IX. Sammlung von Früchten, Samen, Hölzern, Rinden und anderen Präparaten. Schausammlung. Für diese Sammlung, welche dem Publikum zugänglich ist, musste in erster Linie im Auge behalten werden, dass sie nicht für den Unterricht in einem wissenschaftlichen Institut (einer Universität oder polytechnischen Schule), sondern für das allgemeine Publikum einer Mittelstadt und speziell einer Handelsstadt bestimmt ist. Auch in diesem Zweige gilt es daher, durch zweckmässige Präparation, genaue und oft ausführliche Etikettierung und thunlichst schöne Aufstellung zunächst das Interesse des Publikums zu gewinnen, dadurch zum genaueren Ansehen, ja zum Studium der ausgestellten Objekte anzureizen und auf diesem Wege dem Studium der Botanik Freunde zu erwerben. So ist es auch (um nur beispielsweise einen Punkt zu erwähnen) für uns von Wichtigkeit, dass die öfters von Schiffskapitänen oder anderen gebildeten Laien aus den Tropen mit- gebrachten oder übersandten botanischen Objekte an leicht auffindbarer Stelle vorhanden und gut etikettiert sind. Uber die hauptsächlichsten Objekte und ihre Aufstellung sei kurz Folgendes bemerkt. Frei im Saale haben Aufstellung gefunden: ein grosser Kiefern- stubben aus dem Moore am Ems-Jade-Kanal, ein ähnlicher Eiben- stubben aus dem erst kürzlich entdeckten früheren Eibenbestande im Steller Moore bei Hannover, der Stamm einer Korkeiche und der Stamm einer Eiche vom Bremer Walle, welche nach dem An- schütten mit Erde fortgelebt und aus dem Stammholze eine armdicke Wurzel getrieben hatte. — Die Aufmerksamkeit der Besucher wird wohl zuerst auf die an vier Säulen angebrachten Glasrahmen gelenkt werden. Je zwei Spiegelglasscheiben sind durch einen staubdichten Metallrand unter sich und zugleich drehbar mit einer der gusseisernen Säulen (Stützen des Daches) verbunden. Im ganzen sind 160 solcher Rahmen vor- handen. Jeder derselben bietet für transparente Gegenstände natürlich nur ein Feld dar; da aber die ausgestellten Pflanzen, (bezw. Abbildungen) auf undurchsichtiges Papier aufgeheftet, (bezw. gedruckt sind), so ist jeder Rahmen nach zwei Seiten hin nutzbar. Die Dimensionen der Rahmen sind 94:58 cm, die nutzbare Glasfläche etwa 92:54 cm. Demnach stellen die 160 Rahmen mit ihren zwei Seiten eine Gesamt- 123 fläche von ca. 155 qm dar. — In 160 Flächen sind die sämtlichen höheren Pflanzen der Bremer Flora und von den niederen die mit freiem Auge erkennbaren ausgestellt, so dass dadurch jeder Schüler in der Lage ist, die gesammelten Pflanzen unserer Umgegend zu bestimmen. Daran reihen sich die grösseren Algen der deutschen Meere (18 Flächen), Farne aus Jamaica (9 Fl.) und aus Hawaii 33 Fl.). Wir finden ferner die prächtigen Zeichnungen von Baum- gruppen aus der weiteren Umgegend unserer Stadt (6 Fl.), welche der verstorbene Herr Georg Schad: dem naturwissenschaftlichen Vereine vermachte und einige Photographien schöner Baumgruppen. Die zarten und lehrreichen Herpell’schen Präparate der Hutpilze nehmen 3 Flächen ein; 42 Flächen bieten Abbildungen schöner tropischer Orchidaceen aus dem Prachtwerk Reichenbachia dar, welches unser Bremer Landsmann, Herr Friedrich Sander zu St. Albans in England . (der ausgezeichnete Orchidaceen-Züchter) herausgegeben hat; an sie reihen sich 38 Flächen, welche auf farbigen Foliotafeln die Abbildungen australischer Waldbäume darbieten. In den Pultschränken sind zu beachten: eine wissenschaftlich geordnete Fruchtsammlung und die sehr reichhaltige Flechtensammlung der zweiten deutschen Nordpol-Expedition. Erstere wird dem streb- samen jungen Kaufmann gewiss viele sehr wertvolle Aufschlüsse über die in der Handelsausstellung vorhandenen Produkte gewähren. Sie ist aus meiner Privatsammlung hervorgegangen, welche ich dem naturwissenschaftlichen Vereine schenkte. Die Schauschränke enthalten sehr verschiedenartige, aber fesselnde Gegenstände. Die einheimischen Nutzhölzer sind vertreten und ebenso die ausländischen. Ferner sind zu nennen: zahlreiche Modelle von Pilzen (in starker Vergrösserung), von Blüten-Entwicke- lungen, von Keimungen, von Blütenbau und Sporenbildungen. Die Dodel-Port’schen und ein Teil der Kny’schen Wandtafeln bedecken die Hinterwände mehrerer Schränke. Hier sei auch das merkwürdige Präparat über den Wuchs des Sandgrases (Ammophila arenaria) der Beachtung empfohlen, welches zur Veranschaulichung meines Vortrages über die ostfriesischen Inseln auf dem 11. deutschen Geographentage (Bremen, April 1895) auf den Achimer Sandbergen ausgegraben, und von Herrn Messer sehr anschaulich aufgestellt wurde. Zahlreich sind die Präparate morphologischer Art: Stämme und Wurzeln, Stacheln und Dornen, Pilze, Spitzenbaum, Blütenscheide der Sackpalme, Bambusgesträuch u. s. w. Nicht weniger aber sind Bildungsabweichungen: Verbänderungen, Einschlüsse in Holzstämme, Zwillingsbildungen, Alraunen, Hexenbesen und dergleichen vertreten. So ist der Anblick der ganzen Sammlung wohl ein etwas bunter, aber gewiss nicht uninteressanter. X. Handbibliothek. In den botanischen Arbeitszimmern ist die noch immer äusserst bescheidene Handbibliothek aufgestellt. Sie enthält von Zeitschriften nur das botanische Zentralblatt, Engler’s Jahrbücher und die Hedwigia, von Gesellschaftsschriften die Abhandlungen des naturwissenschaftlichen 124 Vereines zu Bremen (Geschenk des Vereines) und die Schriften des Brandenburgischen botanischen Vereins. Die meisten Bücher werden auch jetzt noch von der Stadtbilbliothek hergeliehen. — Sehr nützlich ist aber auch meine eigene dort aufgestellte Sammlung von deutschen Floren, von systematischen Werken und Monographien. Diese Sammlung umfasst 119 deutsche Floren- und Pflanzenverzeichnisse, 409 Monographien (davon 16 in Folio, 89 in Quart, 304 in Oktav), 189 Arbeiten allgemeiner oder geographischer Natur (35 in Quart, 154 in Oktav). Die deutschen Floren sind alphabetisch nach den Namen der betr. Städte oder Gebiete geordnet, die Monographien sind numeriert und alphabetisch nach dem Namen der Pflanzengruppen, die anderen - Abhandlungen numeriert und alphabetisch nach den Namen der Verfasser geordnet. Endlich sind 300 Arbeiten über Kryptogamen besonders katalogisiert. — Diese Schriften sind natürlich für die Arbeiten in den Sammlungen sehr willkommen. Sehr zahlreiche Abbildungen, Beschreibungen und kleine Mono- graphien sind — wie bereits vorstehend bemerkt — von mir in die Herbarien eingeordnet worden. Übersicht der wichtigsten‘) Bereicherungen der botanischen Sammlungen. G. bedeutet Geschenk (dabei ist an dieser Stelle nicht unter- schieden, ob die betreffenden Gegenstände direkt den Sammlungen oder, wie es meistens der Fall war, zunächst dem naturwissen- schaftlichen Vereine geschenkt wurden), S. Anschaffung aus dem Fond des Museums, N. V. Anschaffung durch den naturwissen- schaftlichen Verein. 1883/84. G. Laubmoos-Herbar der nordwestdeutschen Flora von Herrn Dr. W.. ©. Focke. N. V. 517 Spezies Pflanzen aus Zentral-Madagaskar ges. von M. Hildebrandt. G. 100 Spezies Jamaica-Farne von Herrn Konsul ©. Ebbeke. G. 20 Spezies Laub- und Lebermoose aus Norwegen von Herrn Dr. med. F. Kiaer in Christiania. G. 92 Spezies deutsche und Alpen-Pflanzen von Buchenau S. Baenitz, Herbarium americanum XII. S. Baenitz, Herbarium europaeum Lfg. 46 u. 47. S. Ducommun, Flora insubrica, 120 Spezies. 1884/85. G. 35 Spezies Kaukasuspflanzen ges. von Brotherus. G. Eine Kollektion Torfmoose und 23 Spezies Caröces von Herrn Apotheker C. Beckmann zu Bassum. *) Die beständigen kleinen Beiträge de: dem Museum nahestehenden Herren sind hier natürlich nicht aufgezählt. 125 G. 25 Spezies Phanerogamen der Flora von Nassau von Fr. Buchenau. N.V. 55 Spezies Farne aus Madagaskar ges. von M. Hildebrandt. G. 165 Spezies Phanerogamen und eine grössere Anzahl Laub- moose der Bremer und nordwestd. Flora von Herrn Dr. W. O. Focke. G. 34 Spezies Phanerogamen aus der Gegend von Zwischenahn von Herrn H. Sandstede. S. 547 Spezies der Flora mewicana ges. von Dr. J. G. Schaffner, in Kommission von Hofapotheker A. Vigener in Biebrich. 1885/86. G. 70 Spezies Phanerogamen aus England ges. von Arthur Bennett von Prof. Buchenau. S. Baenitz, Herbarium americanum XIII. G. 80 Spezies Pflanzen der ostfries., der nordwestd. und der Bremer Flora von Prof. Buchenau. G. 30 Pflanzen der Bremer Flora von Herrn Dr. W. O. Focke. G. 22 Laub- und Lebermoose der Hawaiischen Inseln von Prof. Buchenau. G. 70 Flechten der nordwestdeutschen Tiefebene von Herrn H. Sandstede. : N. V. Eine Sammlung Hawaiischer Farne. G. 42 seltenere Pflanzen der Schweiz, ges. von Jäggi, von Prof. Buchenau. S. Baenitz, Herbarium europaeum, Lfg. 50 u. 51. N. V. 617 Pflanzen aus Russland von E. Regel. 1886/87. G. 84 Pflanzen von Sieilien von Herrn Dr. W. O. Focke. S. 1046 Pflanzen aus Tibet ete. ges. von Schlagintweit. G. 42 Spezies grönländische Pflanzen von Prof. Buchenau. S. Baenitz, Herbarium europaeum, Lfg. 52, 53 u. 54. G. 55 Spezies Pflanzen der nordfriesischen Inseln von Prot. Buchenau. G. 32 Pflanzen für das nordwestdeutsche Herbar von Herrn Oberappellationsgerichtsrat Dr. Nöldeke in Celle. G. 59 Schweizer Pflanzen ges. von Jäggi und Bertram. G. 50 Pflanzen der Bremer und nordwestdeutschen Flora von Herrn Dr. W. O. Focke. G. 26 Pflanzen der Bremer und friesischen Inselflora von Prof. Buchenau. 1887/88. G. 1050 Spezies Plantae Portoricenses ges. von P. Sintenis von den Herren Prof. Dr. Urban und Konsul Krug in Berlin. N. V. Herbarium von Dr. H. Koch. G. 65 Phanerogamen für’s nordwestd. Herbar von Dr. Nöldeke in Celle. N. V. 336 Spezies der Flora Indiae occ. exs. von Eggers. G. 350 Spezies nordamerikanische Pflanzen von Prof. Buchenau. 126 G. 30 Laubmoose der nordwestd. Flora von Dr. W. O. Focke. G. 25 Spezies Pflanzen der nordwestd. Flora von Herrn Apotheker Möllmann in Quakenbrück. S. Herbarium europaeum Lfg. 55 u. 56. 1888/89. S. u. N. V. 350 Spezies der Flora Indiae oceid. exs. ges. von Baron v. Eggers. G. 450 Spezies Plantae Portoricenses ges. von P. Sintenis, von den Herren Prof. Urban und Konsul Krug. G. 95 Spezies fürs Bremer nordwestd. Herbar von Herrn Dr. W. 0. Focke. N. V. 253 Pflanzen der Flora von Argentinien und Urugay ges. von (C. Osten. G. Eine Anzahl Pflanzen der Flora von Argentinien von Herrn Dr. G. Hieronymus in Breslau. S. Baenitz, Herbarium europaeum Lfg. 57, 58 u. 59. G. 27 Spezies Pflanzen für das allgemeine und nordwestd. Herbar. G. 292 Flechten des nordwestdeutschen Tieflandes von Herrn H. Sandstede in Zwischenahn. 1889/90. G. 53 Flechten der nordwestd. Tiefebene von Herrn H. Sandstede. G. 25 Pflanzen der Flora Englands von Herrn Dr. W. O. Focke. S. Baenitz, Herbarium europaeum, Lfg. 60 u. 61. G. 100 Spezies südwestafrikanische Pflanzen ges. u. gesch. von Herrn Aug. Lüderitz. G. 20 seltenere Pflanzen der schlesischen Flora von Herrn A. Callier in Militsch. G. 10 kritische Pflanzen für das Herbarium gener. von Herrn C. Beckmann. 1890/91. N. V. 100 Spezies sibirische Pflanzen ges. von Karo. G. 65 Spezies Plantae africanae von Herrn Prof. Schinz in Zürich. | G. 60 Spezies Pflanzen der Bremer Flora von Herrn Dr. W. 0. Focke. G. 83 turkestan., 27 sibir., 42 brasil. und 29 japan. Pflanzen von Prof. Buchenau. N. V. 161 Spezies aus Südrussland und Kaukasien ges. von K. Schumann. G. 24. neuseeländische Farne von Prof. Buchenau. G. Eine Anzahl Rostpilze von Herrn Dr. Klebahn. G. 200. Spezies Plantae Portoricenses ges. von P. Sintenis von Herrn Prof. Dr. Urban und Konsul Krug in Berlin. S. Baenitz, Herbarium europaeum Lfg. 62—65. 1891/92. N. V. 20 Spezies australische Farne. N. V. 40 Spezies Pflanzen der Flora von Kissingen ges. von Oberappellationsgerichtsrat Dr. Nöldeke. 127 G. 50 Pflanzen der Bremer und nordwestd. Flora von Herrn Dr. W. O. Focke. G. 33 Spezies der nordwestd. Flora von Herrn J. Fitschen in Geversdorf a. d. Oste. G. 231 Spezies Phanerogamen und Kryptogamen der nord- westdeutschen Flora von Herrn Prof. Dr. Oltmanns in Rostock. G. 106 Pflanzen der Flora silesiaca ges. von A. Callier von Prof. Buchenau. S. Baenitz, Herbarium europaeum Lfg. 66—69. 1892/93. N. V. 300 Pflanzen der Flora silesiaca ges. von A. Callier. G. 44 Pflanzen der Bremer und 48 Pflanzen der nordwestd. Flora von Herrn Dr. W. O. Focke. G. :120 Flechten der nordwestdeutschen Flora von Herrn H. Sandstede in Zwischenahn. G. 42 Phanerogamen der Schweiz von Herrn Dr. Christ in Basel. G. 25 Pflanzen der Inselflora von Herrn G. Bitter. G. 44 Pflanzen für das Bremer-, das Insel- und das allgemeine Herbar von Prof. Buchenau. S. Baenitz, Herbarium europaeum Lfg. 70—74. G. 24 Pflanzen der Flora Dahurica von Herrn Dr. W.O. Focke. G. 22 Phanerogamen und 62 Kryptogamen der nordwestd. Flora von Herrn C. T. Timm in Hamburg. 1893/94. G. 68 Pflanzen von Wangeroog und Spiekeroog von Prof. Buchenau. G. 63 Pflanzen aus Kiew ges. von Schmalhausen von Herrn Dr. W. ©. Focke. G. 150 Pflanzen der Inselflora von Herrn E. Lemmermann. G. 50 Ruderalpflanzen von Herrn F. Wilde. N. V. Gallier, Flora silesiaca exsiccata. Ed. 1893. G. 25 Spezies Pilze von Herrn Dr. H. Klebahn. G. 10 Pflanzen aus Kamerun von Herrn Prof. Dr. Urban. S. Baenitz, Flora europaea Lig. 75—80. 1894/95. G. 144 Pflanzen für das allgemeine Herbar aus der Sammlung von Dr. Prahl von Prof. Buchenau. G. 200 Pflanzen fürs allgemeine Herbar von Herrn Dr. W. 0. Focke. G. 125 Pfianzen der Bremer Flora von Herrn Boveroux. G. 340 Pflanzen aus Nordamerika von Prof. Buchenau. G. 12 seltene australische Pflanzen von Prof. Buchenau. G. 15 Pflanzen aus Schottland von Herrn Dr. W. O. Focke. G. 50 Pflanzen der bayrischen Flora von Herrn stud. rer. nat. G. Bitter. S. Baenitz, Herbarium europaeum Lfg 81—87. G. 30 Pflanzen aus Ostpreussen von Prof. Buchenau. 128 G. 63 Phanerogamen und Gefässkryptogamen aus Australien und 45 Pflanzen der Adventivflora von Herrn Dr. W. O. Focke. G. Eine grössere Anzahl nordwestdeutsche Pflanzen von Herrn Pharmaceuten Jul. Herbst. G. Schmidt, Dr. Rob., 10 Lieferungen Kryptogamen (Jena, 1884—88) von Herrn stud. med. J. A. Grober. G. 250 Pflanzen der Flora von Newfoundland ges. von Robinson & Schrenk von Prof. Buchenau. 1895/96. N. V. 25 Spezies seltene neuseeländische Pflanzen. G. 30 australische Pflanzen von Prof. Buchenau. G. 56 Spezies der deutschen und nordwestdeutschen Flora von Herrn Dr. W. O. Focke. G. 120 Küstenpflanzen von Herrn stud. rer. nat. G. Bitter. G. 25 Alpenpflanzen von Prof. Buchenau. G. 50 Alpenpflanzen von Herrn G. Bitter, stud. rer. nat. G. 101 Pflanzen von den Cascaden Mountains (Washington) leg. O0. D. Allen von Prof. Buchenau. G. 60 Pflanzen der Flora von Oberbayern von Herrn stud. rer. nat. Fr. Wilde. N. V. Callier, Flora silesiaca exsicc. Ed. 1895. G. 175 Pflanzen aus Uruguay von Herrn Corn. Osten in Mercedes. N. V. 65 Equisetaceen der rheinischen Flora. 1896/97. G. 130 Pflanzen aus Afrika ges. von Schlechter von Prof. Buchenau. N. V. A. Kneucker, Carices exsiccatae Lfg. 1 u. 2. G. 10 Pflanzen der Bremer Flora von Herrn Corn. Osten. G. 59 Pflanzen aus Kamerun von Herrn Prof. D. Engler und Herrn Prof. Dr. Urban. N. V. 600 Pflanzen aus Kansas ges. von J. B. Norton 1895. G. 50 Pflanzen von Laguna de Terminos ges. von Kapitän Dierks von Herrn A. Bosse in Berlin. G. 52 Pflanzen der nordwestdeutschen, der Bremer und der Inselflora von Herrn Dr. W. O. Focke. S. Baenitz, Herbarium europaeum Lfg. 95—101. N. V. A. Callier, 451 Arten aus der Krim. G. 160 Spezies nordamerikanischer Gräser, bestimmt von Prof. F. L. Seribner, von Prof. Buchenau. 129 Anhang. Zweites Verzeichnis der Standortskarten für die nordwestdeutsche Flora. (Vergleiche diese Abhandlungen, 1887, X, p. 241—245. . | Wahlenbergia hederacea Pflanzen Lokalität | . Süsswasserradiolarien Stelle bei Delmenhorst . Bupleurum tenwissimum Torilis nodosa Dangast . \Linnaea borealis Lyeopodium amnotinum Varel . |Cornus suecica Grabhorner Busch Scheuchzeria palustris bei Varel . Ophioglossum vulgatum Hasbruch . | Wahlenbergia hederacea Bockhorn Luzula mazxima Varel (im Busch) 53. |Cornus swecica Hastrup bei Westerstede 54. Hypericum Elodes do. 55. Linnaea borealis Ottersberg nach Quelkhorn zu 56. |Desmidiaceen Moor bei Stelle 57. Juncus tenuis Stickgras bei Delmenhorst 58. Drosera longifolia Öttersberg 59. | Wahlenbergia hederacea|Neuhaus a. d.Oste 60. | Epipactis palustris Delmenhorst 61. | Rosa pomifera Lübberstedt 62. Ulev europaeus Etzhorn bei Lycopodium Selago Oldenburg i. Gr. 63. Goodyera repens Neuenburg 64. Helianthemum guttatum etc. Norderney 65. |Botrychium rutaceum do. 66. Scutellaria minor Fredeholz bei Vegesack 67. \Serratula tinctoria_ete. Stenum April 1897. Beobachter = E S< J. H. Niemeyer 1887 1888 Dr. F. Müller do. 1888 do. 1888 do. 1888 do. 1888 do. 1888 Apotheker . C. Struve 1888 do. 1888 W. Behrens [1888 H. Klebahn 1888 W. 0. Focke [1888 W. Behrens 11888 W. H. Ruge |1888 H. Katenkamp 1883 Fr. Buchenau 1888 W. Küchler [1889 A. Bosse 1891 do. 1891 do. 11891 R. Kohlmann 11891 H. Klebahn ‚1891 Abh. XV, 9 17T. 78. (ek 80. 81. 82. 83. 84. 85. 86. 87. 88. 89. 9%. 91. 22. 93. Pflanzen 130 . |\Lyeopodium annotinum . |Elatine Alsinastrum . Aristolochia Clematitis . |Melilotus ofjicinalis Medicago sativa Med. falcata > sativa . Scandix pecten Veneris Lamium intermedium . |Lycopodium complanatum . \Silaus pratensis . \Lathyrus maritimus Eryngium maritimum Lyeopodium Selago Cephalanthera X yphophyllum Pirola umbellata Anemone ranunculoides Gratiola offieinalis Isnardia palustris Lathraea squamaria Lathraea sguamaria Geranium pratense Vacceinium intermedium Linnaea borealis Drosera longifolia Epipaectis latifolia ete. Linnaea borealis Lycopodium Selago Scutellaria minor Scutellaria minor Circaea alpina Hepatica triloba Cornus suecica Lathraea. sguamaria Melampyrum nemorosum Polygonum Bistorta Athyrium filia femina Polystichum Filiv mas Polystichum spinulosum Isnardia palustris Lokalität Beoachter E E | Schierbrook H. Klebahn [1891 Hastedt b. Bremen do. 1891 do. E. Lemmermann!1892 Norderney Dr. Kuegler 1892 Vareler Hafen Fr. Müller 1892 Varel do. 1892 Verden do. 1892 Werder b. Bremen Fr. Wilde 1892 Wangerooge E. Lemmermann|1893 Fischerhof bei Ulzen H. Lekve 1893 Ulzen do. 1893 Jakobsberg bei Bremen Fr. Wilde 1893 Sottrum J. Fitschen 11894 Zwischen Ofen u. H. Röben und Oldenburg i. Gr. G. Stalling [1894 do. A. Bosse 1894 Werder b. Bremen Fr. Wilde 1894 . Neustadt a. Rbg.| A. Redeker 11894 Zwischen Westerstede und Heessel K. Wilshusen 1894 Öfen bei Oldenburg i. Gr. G. Heinen 11894 Sudwalde Förster bei Bassum Rehmenklau 11894 Hahn i. Oldenbrg.| M. v. Minden 11893 Brest J. Fitschen |1894 Adendorf M. Stümeke [1894 Varrel b. Bremen) K. Pfankuch 1895 Norderney G. Capelle 11893 Sottrum Fr. Buchenau 11895 131 9% E S Pflanzen Lokalität Beobachter E E < 94. Oryza clandestina Scirpus Tabernaemontani Utricularis intermedia Sanguisorba offieinalis Timmersloh Spergula Morrisoniü bei Bremen W. 0. Focke [11895 95. ‚Anthoceros laevis Stenum Nostoc commune bei Delmenhorst E. Lemmermann 1895 96. Verschiedene Uredineen do. H. Klebahn 11894 97. |Verschiedene Pflanzen Memmertsand b. d. Insel Juist O. Leege 1888 98. Taraxacum officinale \Zwischen Bassum var. palustre, u. Twistringen H. Iburg 1896 99. |Phegopterispolypodioides Polystichum montanum| Sandhorst etc. bei Aurich A. Wessel 11896 100. Ajuga pyramidalis etc. | Egels b. Aurich do. 1896 101. Ophioglossum vulgatum | Tiergarten bei Lüneburg M. Stümcke 11896 102. Eguisetum hiemale Elmeloh | bei Delmenhorst H. Katenkamp |1896 103. |Malawis paludosa Sagina nodosa var. pubescens etc. Oldenbüttel H. Höppner ‚1896 104. |Ledum palustre Klein Villah Scheuchzera palustrisetc. bei Stade do. 1896 105. Botrychium Lunaria Österholz- Agrimonia odorata etc. Scharmbeck do. 1896 106. |Pirola rotundifolia etc.) Oldenbüttel do. 1896 107. |Oryza clandestina Fischerhude W. O0. Focke 11896 108. |Phegopterispolypodioides Polystichum montanum Sandhorst Osmunda regalis bei Aurich A. Wessel [1894 109. |Aster Tripolium Spergularia salına Atropis distans Sceirpus maritimus Scirp. Tabernaemontami Hippuris vulgaris Oberneuland Atriplex hastatum bei Bremen W. 0. Focke |1896 110. | Astragalus glyeyphyllus Stade H. Höppner 1896 111. Corydalis solida Ranuneulus arvensis do. do. 1896 115. 17: Pflanzen | . Thlaspi alpestre . ‚Olaytonia perfoliata Fritillaria Meleagris Lilium bulbiferum Ornithogalum nutans u. umbellatum . ‚Drosera anglica X rotundifolia Lycopodium Selago u. complanatum .|L. complanatum var. Chamaecyparissus u. var. anceps Scorzonera humilis Carex flava X Hornschuchiana Lathyrus paluster Anthyllis Vulneraria Agrimonia odorata Sanguisorba minor 132 Lokalität | Beobachter Agathenburg bei Stade H. Höppner Stade do. Freissenbüttel do. do. do. Hülseberg bei Scharmbeck do. Oldenbüttel do. Jahr der Anfert 1896 1896 1896 1896 1896 1896 Vom höchsten Punkte zwischen ÜUnterelbe und Unterweser, Aus der Weser-Zeitung vom 2. September 18837. Mit kleinen Abänderungen. Von Franz Buchenau. Der Bericht, welchen die „Weser-Zeitung“ im Laufe des letzten Sommers über. den alten Rosenstock bei Ober-Haverbeck brachte, klang an mein Ohr wie eine Mahnung an eine abzutragende Schuld. Trotz zahlreicher Streiftouren kreuz und quer durch unser Flach- land hatte ich es nie erreicht, den höchsten Punkt unserer „Zentral- heide“, den Wilseder Berg, zu besuchen, an dessen Abhang ausser dem gleichnamigen Orte auch die durch den alten Rosenstock bekannt gewordenen Orte Nieder- und Ober-Haverbeck liegen. So wurden denn zwei Ferientage zu diesem Ausfluge gewählt, ein landeskundiger Freund aus Rotenburg, ein naturwissenschaftlich forschender Kollege aus Bremen schlossen sich an, und es konnte auf die kleine Tour, wenn sie auch nur durch bescheidene Landschaften führte, das Dichterwort angewendet werden: Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht, Auf die Fluren verstreut; schöner ein froh Gesicht, Das den grossen Gedanken Deiner Schöpfung noch einmal denkt. In Tostedt, dem besten Ausgangspunkte für den Besuch des Wilseder Berges, nahm eine leichte Halbehaise uns auf, welche ausser dem Kutscher noch fünf Personen fasste; zwei kräftige Braune zogen an, und rasch ging es durch ein grösstenteils angebautes und teilweise bewaldetes Gelände auf einer neuchaussierten Wegstrecke in südöstlicher Richtung nach dem ansehnlichen Dorfe Welle (7 km). Hier wird die uralte Harburg-Hannoversche Heerstrasse erreicht, welche eine fast südliche Richtung bis Soltau verfolgt (Tostedt-Soltau etwa 38 km). Die Gegend wird nun überwiegend heidig und moorig; die Chaussee durchschneidet das grosse Wintermoor; sie ist nach bewährter alter Sitte mit abwechselnd gestellten Birken und Vogel- beeren eingefasst, welche kräftiges Gedeihen zeigen, während die an die neue Wegstrecke gepflanzten Bergahorne hier in der windigen Gegend nicht recht gedeihen wollen und ihre grossen Blattflächen vielfach vom Winde zerrissen sind. Im Osten sind fortwährend die mächtigen Dünen von Hanstedt sichtbar, kahle, gelblich-weisse Sand- berge, den weissen Dünen unserer ostfriesischen Inseln vergleichbar, aber vielfach bewachsen mit Sonnengold (Helichrysum arenarium), der goldgelben Strohblume des deutschen Ostens. — Neun Kilometer südlich von Welle wird das Bett der Wümme (oder Wumme) gekreuzt. 134 Mit Erstaunen erblicken wir es vollständig trocken und werden dahin -belehrt, dass die bei Wulfsberg unfern des Wilseder Berges entsprungene Wümme im Sommer meist nach kurzem Laufe wieder im Sande versiegt, während sie im Winter eine solche Wasserfülle besitzt, dass oft der Brückendurchlass unter der Chaussee für sie nicht genügt, und ihre Gewässer die letztere überschwemmen. Un- mittelbar darauf wird Barrel erreicht, nur aus einem Hofe und einem Wirtshause bestehend, für uns aber wichtig, weil hier die alte Heerstrasse verlassen und östliche Richtung eingeschlagen werden muss. Nieder-Haverbeck ist nun etwa noch 4, Ober-Haverbeck 5 km entfernt; der Sandweg führt meist über Heide oder durch lichten Kiefernwald; an seinen Rändern sind grosse Immenbestände auf- gestellt, aber die Bienen müssen jetzt gefüttert werden, da der leb- ‚hafte Wind sie am Ausfliegen hindert und die Heideblüte in diesem ‚Jahre verspätet einsetzt. Endlich ist mit starker Ansteigung Ober- ‚Haverbeck erreicht, ein aus vier Höfen bestehendes Dorf, welches etwa 90 Meter über dem Meeresspiegel liegen mag. Beide Orte ‚liegen im Schutze schöner Fichten und Eichen, unter welchen letzteren die näher bei Bremen nicht eben häufige Traubeneiche (Steineiche) mit ungestielten Früchten und gestielten, fast lederartigen Blättern, vorwaltet, — es ist die „Fiereke* unseres Volkes, weil sie beim Ausschlagen im Frühjahre gegen ihre Schwester, die Stieleiche, um ‚mehrere Wochen feiert, d. i. später kommt. Mit Freude beschauen wir die behäbigen, breit hingestreckten, echt niedersächsischen Höfe. Bald aber lenkt wieder der Baumschlag in ihrer Umgebung die Aufmerksamkeit auf sich. Vom Hage des nächsten Hofes leuchten uns die dunkeln lorbeerartigen Blätter baumartiger Stechpalmen (Hülsen) entgegen. Weiter und weiter locken die prächtigen Vegetationsbilder, welche sie zusammen mit pyramidenförmigen Wachholdern und den hochstämmigen Waldbäumen darbieten. Das schönste Bild aber gewährt eine Gruppe auf dem Bokelmann’schen Hofe. Eine prächtige, etwa 15 m hohe „Fiereke* von 3,20-m Stammumfang trägt ihre schön gebaute Krone auf einem geraden Stamm. Um sie herum gruppieren sich zwanzig baumförmige Hülsen bis zu 54 cm Stammumfang. So wird ein Dom gebildet, welcher eine geräumige Laube in sich birgt und nur einen durch Steinpfeiler begrenzten Eingang hat. Einzelne Hollunder flechten sich zwischen die Zweige der Stechpalmen; jede Lücke nahe über dem Erdboden wird von Adlerfarn mit seinen vielteiligen Wedeln ausgefüllt, — das ‘Ganze gewährt nicht allein ein lauschiges Plätzchen, sondern zugleich eins der ansprechendsten Bilder echt deutscher Vegetation. Weiterhin lehnen sich die baumartigen Hülsen an hochragende pyramidenförmige Tannen an, indem sie sich mit denselben zu einem eigenartigen Gesamtbilde vereinigen. Ober-Haverbeck liegt im Schutze eines „Bannwaldes“, welcher im Wesentlichen aus Buchen und Tannen zusammengesetzt ist und in seinem dichten Schlusse keinen Platz für Hülsen gewährt; sie lieben eben nur Gebüsche, Waldränder und siedeln sich gerne im Schutze der lichten, weitverzweigten Eiche an; im Buchenwalde 135 verkümmert die Hülse zu niederem Gestrüpp und verschwindet zuletzt ganz. In der ungefähren Höhe beider Dörfer zieht sich um den Wilseder Berg eine Reihe von kleinen und grösseren Quellen herum. Sicher verdanken dieselben ihre Entstehung der Auflagerung des dürren Geschiebesandes, aus welchem die höheren Teile des Berges bestehen, auf eine tiefere, undurchlässige Schicht des Diluviums. In dieser Region, wenig höher als Alt-Haverbeck, und kaum zehn Minuten von diesem Orte entfernt, wächst nun auch der alte Rosenstock. Am Rande eines kleinen Kichen- und Erlengebüsches erhebt er sich aus einer quelligen Nische. Ein starker Wachholderbuseh trägt und festigt ihn durch seine zähen, dicht über der Erde gebogenen Stämme. Durch die genauen Untersuchungen von Bürgermeister Freuden- thal sind wir darüber belehrt worden, dass in ihm eigentlich zwei Rosenbüsche durch einander geflochten sind, ein älterer, abgestorbener, dessen fast knollenförmige Grundachse sich kaum 50 cm über den Boden erhebt und den enormen Umfang von 83 bis 84 cm hat und ein jüngerer, dessen Grundachse unter der Erde liegt, dessen kräftige Stämme und Triebe aber über das Geflecht der toten Stämme hinaus sich nach kurzem wagerechten Wachstum freudig dem Lichte zu- - wenden. — Die erwähnte knollenförmige Grundachse ist gespalten und bereits stark angewittert. Die Zerspaltung ist wohl infolge der ungewöhnlichen Schwere der Krone eingetreten; im Volke aber hat sich bereits darüber eine Sage gebildet. Der Rosenstock sei, sagen die Leute, früher über hundert Fuss hoch gewesen und dann von einem Blitze auseinandergerissen worden. Solche Gerede be- dürfen freilich keiner Widerlegung; eine grössere Höhe als jetzt, etwa 3 bis 4 m, kann der Rosenstock niemals gehabt haben. — Von der Grundachse des noch lebenden Busches gehen 10 stärkere Stämme, teils in horizontaler Richtung, teils sofort senkrecht aufstrebend, aus. Ich mass solche von 28, 18 und 17 cm Umfang, die von 42 und 47 cm, welche der frühere Correspondent der Weser-Zeitung erwähnt, konnte ich nicht finden oder doch nicht erreichen, denn es hält un- gemein schwer, in dem Gewirre der massenhaften jungen mit krummen Haken besetzten Schösslinge zu hantieren, ohne einen allzugrossen Tribut an Haut und Kleidern abzutragen. Die dickeren Stämme besitzen ein ungemein festes Holz. Sie streben, durchflochten mit Wachholder, Faulbaum (Frangula Alnus) und Himbeeren in die Höhe und bilden mit diesen zusammen eine Krone von etwa 40 Schritt Umfang. Zur Blütezeit, wenn dieselbe mit Tausenden duftender Rosen bedeckt ist, muss das Ganze einen entzückenden Anblick gewähren. Dass der Gesamt-Eindruck ein viel grossartigerer ist als der des tausendjährigen Rosenstockes zu Hildesheim, können wir nach eigener Anschauung versichern. Uber die Grundachse dieses letzteren vermögen wir freilich nichts auszusagen, da sie von Erde bedeckt ist. Von den Stämmen über der Erde kann sich aber keiner mit den kräftigsten Stämmen der Haverbeeker Rose messen. Hoffen wir, dass auch der Hildesheimer Stock sich nach der ihm vor vier Jahren gewordenen besonderen Pflege bald wieder so weit erholt, dass er 136 auch an Verzweigung und Blütenfülle mit der Rose von Haverbeck wetteifern kann. Und nun zum Gipfel des Wilseder Berges, der sich schon von weither durch das Balkengerüst der Landesvermessung bemerklich gemacht hat, der aber von hier nur noch eine gute halbe Stunde entfernt ist! Der Wilseder Berg ist eine sanft ansteigende, weithin gedehnte Heidehöhe mit zahlreichen kleinen, aber unregelmässig gerichteten Mulden, die zu gering sind, als dass sich Wasser- ansammlungen in ihnen bilden könnten. Die ganze Höhe wird von unfruchtbarem Sande gebildet, der nur reich ist an Steinbrocken aller Art, vom kleinen Feuersteinsplitter an bis zum mächtigen Steinblock. An vieler Stellen hat die Oberfläche durch die massenhaft umher- gestreuten und hervorragenden Blöcke ein geradezu warziges Ansehen. Hörer wir, was Herr Dr. W. O. Focke (im vierten Bande der Ab- handlungen unseres naturwissenschaftlichen Vereins) über seinen Aufbau sagt: „Der höchste der Heidehügel, der Wilseder Berg, zeigt am Süd- und Westabhange zwei deutlich verschiedene Regionen. Der obere, verhältnismässig steil ansteigende Teil der Anhöhe ist öde und nur mit Heide und Wachholderbüschen bewachsen. Darunter zieht sich aber, an manchen Stellen eine deutliche Terrasse bildend, ein Wald- und Kulturgürtel hin, in dem mehrere kleine Dörfer liegen und an dessen oberer Grenze die Wümme entspringt. Dieser Wald- gürtel ist nach unten wie nach oben von ödem Heidelande begrenzt; ausserdem wird er unten noch von Flugsand und Dünen umlagert, die an dem Fusse des Hügels hinauflecken. Die Quellen und das Vorkommen von Buchen und Hülsen und begleitenden Gewächsen deuten auf einen lehmigen und mergeligen Untergrund hin, während die Trockenheit des Bodens, der lichte Stand und gedrungene Wuchs | der Bäume, die Sparsamıkeit des Unterholzes und manche andere Eigentümlichkeiten der Vegetation sofort erkennen lassen, dass man sich uicht auf diluvialem Blocklehm befindet. Die massenhaft umher- liegenden mächtigen Felsblöcke und die aus licht stehenden Steineichen und zerstreuten Wachholderpyramiden gebildeten Haine verleihen den sanft geneigten Abhängen dieses Landstriches ein ganz eigentümliches Gepräge, so dass man an dürre Kalkberge des Südens erinnert wird. Die Gebirgsart, welche diese ungewöhnlichen Vegetationsverhältnisse zu bedingen scheint, fand ich bei dem Dorfe Einem bis zu 5 m Tiefe aufgeschlossen; es ist ein hellgelblicher, sandiger, feine Glimmer- blättchen führender Mergel, der in seinen oberen Schichten entkalkt und ziemlich durchlässig ist, überkleidet von einer sehr steinigen, nur etwa 1 m mächtigen, der äusseren Bildung des Bodens folgenden Diluvialdecke.“ So weit dieser beste Kenner unserer Gegend. Die Vegetation auf dem Sande der höheren Teile des Wilseder Berges ist überaus ärmlich. Es giebt grosse Flächen, auf denen, so weit das forschende Auge einzelne Pflanzen zu unterscheiden vermag, überhaupt nur eine Art von Blütenpflanzen zu erkennen ist, die ge- wöhnliche Besenheide (Calluna); um den Fuss ihrer Stämme herum wuchern einige Erdflechten (namentlich die Korallenflechte und das 137 sog. Renntiermoos) — das ist auf vielen tausend Quadratmetern die einzige Vegetation. Nur mit grosser Aufmerksamkeit gelingt es uns, die Zahl der Blütenpflanzen auf fast ein Dutzend zu erhöhen. Es sind der Wachholder (in einzelnen Büschen zerstreut), die Dopheide (in den Mulden und an etwas feuchteren Stellen zu ihrer Schwester sich gesellend), die Heidecker, das Stein-Labkraut, der Löwenzahn, das kleine Habichtskraut, das Katzenpfötchen, Borstengras, Schaf- schwingel, eine Heidesegge, zwischen denen hier und da der gemeine Bärlapp umherkriecht. Einzelne aus den Kulturen angeflogene Kiefern vollenden die Vegetation, welche erst in der quelligen Region — hier aber auch ganz plötzlich — an Reichtum zunimmt. Auf dem Gipfel stehen ein paar alte, aber kaum 5 m hohe Rottannen, zerzaust und durch den Wind einseitig gewendet, echte Wettertannen, stumme Zeugen für die Unwirtlichkeit dieser Höhe. Der Weg durch das Heidekraut ist nicht ganz unbeschwerlich, aber wir erreichen den Gipfel nach einer guten halben Stunde. Vor uns breitet sich eine weite Landschaft aus. Freilich ist der Blick in die Ferne nicht frei. Von den vier Hauptwetterformen des Sommers: milder, klarer Sommertag, lebhafter Nordwestwind bei trüber Luft, Irückende Hitze und strömender Regen bleibt uns die erste versagt, und so nehmen wir mit der zweiten fürlieb. Gerade diese etwas neblige Ferne passt vortrefflich zu dem eintönigen schwermütigen Charakter der Landschaft, welche sich zu unseren Füssen ausbreitet. In alten Zeiten müssen hier die Heidesträucher und der Wachholder fast ausschliesslich die Vegetation gebildet haben; jetzt; sind weite Strecken von der Regierung in Kiefernwald gelegt, dessen dunkles Grün von dem Braun der Heide sich stark abhebt. Felder mit Ackerfrüchten nehmen nur einen kleineren Raum ein, obwohl sie sich an der Leeseite des Berges, von Wilsede aus, bis nahe unter den Gipfel vorschieben. Altere Holzungen begrenzen hie und da den Horizont. Im ganzen gewährt die Landschaft den Eindruck des ungemein Sleichförmigen und Öden, wozu allerdings die häsige Luft das ihrige beiträgt. Menschliche Wohnungen sind nur ganz wenige — fast nur altersgraue Strohdächer — zu erkennen. Nur der einzige, aus 12 km Entfernung herüberwinkende spitzige Kirchturm von Schneverdingen zeigt an, dass die Gegend dem Christentum gewonnen ist. Die Türme von Hamburg, welche dem von hier aus gespiegelten Sonnenstrahle erreichbar sind, liegen für uns in märchenhafter Ferne. (Die Türme von Bremen sind der Erdkrümmung wegen nicht sichtbar.) Am Abhange des Berges schlägt die hohe Heide in dem lebhaften Winde Wellen wie ein Roggenfeld zur Zeit der Blüte. Eine Herde von schwarzgrauen Heidschnucken zieht, von dem Schäfer geleitet, langsam über einen Abhang dahin; jetzt verschwindet sie hinter einem Rücken, und nun ist ausser uns kein fühlendes Wesen auf dem weiten Runde mehr zu erblicken. — Die grossartige Einsamkeit der Landschaft wirkt so bestimmend auf das Gemüt des Beschauers ein, dass nach einigen ausgetauschten Bemerkungen über die Flora und über einzelne in der Ferne sichtbare Gegenstände kaum noch ein Wort zwischen den Reisegefährten gewechselt wird. 138 Der Wilseder Berg bildet einen wichtigen Dreieckspunkt (einen Punkt erster Ordnung) für die Landesvermessung. - Auf seinem Gipfel steht eine Sandsteinsäule mit der Inschrift: Königl. Hannoversche Landesvermessung, 1828; ihre Deckplatte hat bereits stark durch den Zahn der Zeit, vielleicht auch durch Frevel gelitten; sie erinnert uns an die Thätigkeit von Gauss und unserem Eberhard Klüver. Daneben ist für die jetzige neue Vermessung ein Granitpfeiler mit einem Kreuz und den einfachen Inschriften A und T(rigonometrischer) P(unkt) eingelassen. Uber diesem Pfeiler erhebt sich das pyramidale Balkengerüst, von welchem aus an hellen Sommertagen der leuchtende -Sonnenstrahl immer und immer wieder in die Ferne geschiekt wird. Das leicht zu ersteigende Gerüst gewährt natürlich eine besonders gute Übersicht der Landschaft. Die Messingschraube, welche oben in die kleine Tischplatte eingelassen ist, dient zur Aufnahme des spiegelnden Heliostaten. Sie erinnert uns an eins der bewunderns- werten Werke des menschlichen Geistes, an die genaue Ausmessung der Erdoberfläche, wie sie für unser Vaterland jetzt mit allen Hülfs- mitteln der Neuzeit durch den Generalstab der Armee ausgeführt wird. Der Wilseder Berg liegt unter 53° 10' nördlicher Breite und unter 90 56' östlicher Länge von Greenwich; sein Gipfel erhebt sich 171 m über den Meeresspiegel, während der Weyher Berg, die höchste Höhe in der Nähe von Bremen, nur etwa 60 m hoch ist. Wir nehmen als Andenken an diese Heidefläche einen Strauss weissblühender Dopheide mit, welche uns von dem Nordabhange entgegenleuchtet und scheiden von dem Wilseder Berg mit der Er- innerung an ein Naturbild, wie es in unserem dichtbebauten Vater- lande sonst wohl kaum mehr angeschaut werden kann. Für künftige Besucher möchten wir noch Folgendes bemerken. . Sehr rüstige Fussgänger werden die Strecke Tostedt-Barrl (17 km) und zurück und von Barrl über Oberhaverbeck nach dem Wilseder Berge und zurück (etwa 12 km), im Ganzen also 46 km an einem Tage zurücklegen können; noch etwa 3 km länger ist der Weg Soltau-Barrel, Wilseder Berg, Barrel-Tostedt, welcher aber den zwei- maligen Weg für die Strecke Barrel-Tostedt erspart. Der Fussgänger wird daher am besten zwei Tage für den Ausflug nehmen, wird in Barrel oder Nieder-Haverbeck übernachten und dann auch Zeit und Kraft behalten, um die mächtigen Hanstedter Dünen zu besuchen. Wer aber einen Wagen zur Verfügung hat (den er im Röver’schen oder Bostelmann’schen Gasthofe zu Tostedt recht gut bekommen kann), der kann von Bremen mit dem ersten Zuge abreisen, behält volle Musse zur Besichtigung von Haverbeck, sowie zur Besteigung des Wilseder Berges und kehrt Abends mit dem letzten Zuge hierher zurück. Möge mancher Naturfreund im nächsten Sommer dieser An- regung eingedenk sein! ey Zum Gedächtnis von C. Fr. Wiepken, Direktor des Grossherzoglichen Naturhistorischen Museums in Oldenburg. Vorbemerkung. Gleich nach dem Tode des Ehrenmitgliedes unseres naturwissenschaftlichen Vereins ©. Fr. Wiepken wandte ich mich an den nächsten Freund des Verstorbenen, Herrn Oberlandes- tierarzt Dr. Ed. Greve zu Oldenburg mit der Bitte um Übersendung einer Lebensskizze Wiepken’s. Ich erhielt darauf den Abdruck des von Herrn. Professor Dr. Fr. Heincke im naturwissenschaftlichen “ Vereine zu.Oldenburg am 13. März gehaltenen Vortrages (Oldenburger Generalanzeiger vom 16. und 17. März), mit der Erlaubnis, denselben für unsere Abhandlungen zu benutzen. — Ich gebe diesen Vortrag, ‚um die Frische der Darstellung zu bewahren im Wesentlichen ungeändert, nur mit einigen Zusätzen versehen, im Nachfolgenden wieder. — Herr Dr. Greve war mir auch bei der Liste der wissen- schaftlichen Arbeiten von Wiepken behilflich. Beiden Herren spreche ich meinen herzlichen Dank für ihre neubewiesene Freundlichkeit aus. Fr. Buchenau. Mit Carl Friedrich Wiepken, dem am 29. Januar 1897 ver- storbenen Direktor des Grossherzoglichen Naturhistorischen Museums, ist ein Mann heimgegangen, der sich um die naturwissenschaftliche Er- forschung des Herzogtums Oldenburg, insbesondere um die Erforschung der einheimischen Tierwelt grosse und bleibende Verdienste erworben hat, dem Oldenburg in erster Linie die wissenschaftliche Begründung und den stattlichen Ausbau des Naturhistorischen Museums verdankt. Nicht nur die Pietät gebietet uns, das Andenken an einen Mann zu bewahren und hochzuhalten, der in edlem Streben und in nie ermüdender, selbstloser Arbeit ein schönes Ziel mit Festigkeit ver- folgt und erreicht hat, auch die Wissenschaft verlangt, dass seine Verdienste auch nach seinem Tode eine besondere Würdigung und Anerkennung erfahren. Wiepken war kein Gelehrter. Ihm fehlte die geschulte akademische Bildung. Aus dem Volksschullehrerstande hervorgegangen, wurde er das, was wir einen Autodidakten nennen, mit den Vorzügen und Schwächen eines solchen. Aber er war ein geborener Naturbeobachter und Naturforscher. Leidenschaftliche 140 Liebe zur Natur, insbesondere zur Tierwelt, ein scharfer Blick, eine sichere glückliche Hand als Jäger und der starke Trieb, Natur- objekte und Kenntnisse gleichzeitig zu sammeln und systematisch zu ordnen, nicht zuletzt endlich die schöne Fähigkeit, Lebendiges zu schauen und zu verstehen und die strenge, oft peinliche Gewissen- haftigkeit, genau und wahr zu beobachten, — diese nicht allzu häufig vereinigten Eigenschaften sind es gewesen, die das, war er erforscht und gearbeitet, und was er in seinen Schriften und seinem Museum hinterlassen hat, für die Wissenschaft dauernd wertvoll machen. Wiepken wurde geboren am 28. Dezember 1815 als Sohn eines Volksschullehrers zu Esenshamm. Der Vater wurde später nach Östernburg versetzt, wo Wiepken das Gymnasium bis Tertia besuchte und dann auf das Seminar ging. Mit 19 Jahren warde er Hülfs- lehrer, zuerst eine kurze Zeit in Büren bei Wildeshausen, daun als Gehülfe seines Vaters in Osternburg. Vom Knabenalter an zeigte er eine leidenschaftliche Liebe zur Natur, namentlich zur Vogelwelt, und früh wurde er ein passionierter Jäger. Er sammelte mit ausser- ordentlichem Eifer Tiere aller Art, stopfte aus und schuf sich in dem väterlichen Hause zu Osternburg ein kleines Museum. Oft und mit Vorliebe erzählte er im Alter, wie man ihn wegen seiner unnützen und zum Teil auch kostspieligen Liebhabereien gescholten nnd ver- spottet habe. Heutzutage, wo naturwissenschaftliche Kenntnisse und Interesse für sie weit über die Kreise der Gebildeten hinaus so allgemein verbreitet sind, verstehen wir es kaum, dass der junge Wiepken mit seinen Neigungen damals und noch viele Jahre nachher in weitem Kreise vereinsamt dastand und ihm in seinem Streben unzählige Hindernisse und Schwierigkeiten begegneten. Aber vor 60 Jahren gab es noch keine populäre Naturwissenschaft, am aller- wenigsten in unserem abgelegenen kleinen Lande, wo ausserdem eine Universität als wissenschaftlicher Mittelpunkt fehlte und so jede selbständige Forschung doppelt erschwert wurde. Nur auf dem Gebiet der Botanik arbeiteten Trentepohl und später Hagena an der Erforschung der einheimischen Flora. In der Zoologie gab es keinen nur irgendwie beachtenswerten Sammler oder Forscher im Lande und in den Kreisen der Volksschullehrer, Forstbeamten etc. schlummerte das Interesse für Naturbeachtung noch vollkommen. Wenn es jetzt so ganz anders geworden ist, so liegt auch darin ein grosses Ver- dienst unseres Wiepken. Während seines langen Lebens hat er beständig und mit Erfolg dahin gestrebt, überall im Herzogtum bei denen, die schon durch Beruf und Beschäftigung darauf hingewiesen waren, wirkliches lebendiges und thätiges Interesse an der Natur- kunde, namentlich an der heimischen Tierwelt zu wecken und zu verbreiten. Zahlreiche Männer in allen Teilen des Landes haben mit ihm in Briefwechsel gestanden, ihm über interessante Erscheinungen und Funde berichtet und als eifrig angeregte Sammler viele wertvolle Gegenstände dem Museum zugesandt. Auch durch unmittelbaren Unterricht hat er eine grössere Anzahl junger Leute in die heimatliche Naturkunde eingeführt, so dass er mit Recht von seinen Schülern sprechen konnte. 141 Ein glücklicher Umstand fügte es, dass der junge Wiepken schon sehr früh in die glückliche Lage kam, eine ganz seinen Neigungen und Fähigkeiten entsprechende Thätigkeit zu finden und sogleich in die Stellung zu gelangen, der er sein ganzes Leben widmen sollte. Im Jahre 1836 wurde von dem Grossherzoge Paul Friedrich August die Naturaliensammlung des Physikus Dr. Opper- mann in Delmenhorst angekauft. Sie bestand aus einer kleinen Zahl oldenburgischer Vögel, einigen Säugetieren, kleinen Sammlungen von Schmetterlingen und anderen Insekten. Mit Hinzufügung einer. Konehkyliensammlung und einer kleinen noch von dem berühmten Geologen Werner selbst zusammengestellten Mineraliensammlung, die sich im Schlosse vorfanden, sowie einer im Marstall aufgestellten, von dem 1830 verstorbenen Obertierarzt Dr. A. Greve herrührerden Schädelsammlung bildeten jene Sammlungen den Grundstock des Grossherzoglichen Naturhistorischen Museums. Das erste Heim derselben war die erste Etage des Hauses No. 8 der Huntestrasse. Am 1. Mai 1837 wurden der damalige Oberkammerherr Herr von Rennenkampf zum Vorstand des Museums und Wiepken zu seinem Kustos ernannt. v. Rennenkampf war auf Wiepken durch folgenden kleinen Vorfall aufmerksam geworden. Der General Wardenburg besass einen zahmen aber frei umherlaufenden Storch, den der junge Wiepken in seinem Jagd- und Forschereifer eines Tages ohne ihn zu kennen, auf der Osternburg totschoss. Dabei kam heraus, dass es in Oldenburg einen jungen Mann gab, der mit Leib und Seele für die Natur schwärmte, der selbst sammelte und ausstopfte und — o Wunder! sogar schon ein kleines Museum besass. Und noch mehr — einen jungen Mann, der die zu vergebende Stelle als Kustos ohne jedes Besinnen begeistert annahm, obwohl sie ihm in materieller Beziehung zunächst viel weniger bot, als die Stellung eines Volksschullehrers. Wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir annehmen, dass der Oberkammerherr von Rennenkampf der eigentliche Begründer des naturhistorischen Museums gewesen ist. v. Rennenkampf war nahe bekannt und befreundet mit Alexander von Humboldt, mit dem er sich Jange Jahre in Paris aufhielt. Seine aktuelle Wirksamkeit für das Museum war allerdings in so fern eine beschränkte, als er sich nur für Mineralogie und Geologie interessierte. Nach dieser Richtung hin sorgte er aber in ausgiebigster Weise für die Vermehrung der Sammlungen, indem auf seine Veranlassung die seltensten und kostbarsten Mineralien angekauft wurden, oft sehr zum Verdruss seines Kustos, der unablässig bemüht war, auch die zoologischen und botanischen Sammlungen zu vermehren. Wiepken drang aber erst dann mit diesem Streben durch, als es ihm Anfang der 40er Jahre gelang, einen ganz besonders glücklichen Griff zu thun, von dem er stets mit grosser Befriedigung erzählte. In der Weserzeitung wurde eine Sammlung hochnordischer Vogeleier aus dem Nachlasse des Justitiars Grabe in Kiel für 30 Thaler angeboten. Auf dringenden Rat von Wiepken wurde diese Sammlung angekauft. Beim Aus- packen der Eier entdeckte Wiepken zu seiner freudigsten Über- raschung, dass sich unter ihnen ein Bi des ausgestorbenen nordischen 142 flügellosen Alken (Älca impennis) befand, von dem damals nur 4 Exemplare in Museen vorhanden waren. Der grosse Wert dieser: Erwerbung geht daraus hervor, dass vor einigen Jahren in London für ein solches Ei nicht weniger als 15 000 Mk. bezahlt worden sind. Das Vertrauen in die Geschicklichkeit und den Eifer des jungen Kustos wuchs beim Grossherzoge und seinem Oberkammer- herrn hierdurch und durch andere schöne Funde und Erwerbungen- bedeutend. Da damals ziemlich erhebliche Mittel für das Museum. flüssig gemacht wurden, so gelang. es bald, dasselbe in erfolgreichster Weise auszubauen und zu vermehren. Auch die Grossherzogin. Cäcilie interessierte sich lebhaft für das Museum. Nachdem bereits eine zweite Etage im Hause No. 9 eingerichtet war, genügten bald auch diese Räume nicht mehr und 1845 siedelte das Museum in das frühere von Berg’sche Haus am Stau über (jetzt das Schäfersche). Hier waren genügende Räume vorhanden und Wiepken erhielt auch eine Dienstwohnung mit einem prachtvollen grossen Garten. Von diesem Zeitpunkt an datiert die eigentliche wissenschaftliche Thätigkeit Wiepkens. Die oldenburgische Tier- und Pflanzenwelt wurde jetzt als Lokalsammlung aus der allgemeinen ausgeschieden. Ihre Er- weiterung und Vervollständigung im besonderen durch gründliche Erforschung des Herzogtums nach allen Richtungen hin war von nun an das vornehmste Streben Wiepkens. Er widmete sich dieser besonderen Aufgabe mit um so grösserem Eifer, als seit dem Tode des Grossherzogs Paul‘ Friedrich August dem Museum nur eine jährliche Summe von vierhundert Thalern zu Gebot stand, von der sehr oft für Neuanschaffungen nichts übrig blieb. Trotzdem vermehrten sich die Sammlungen stetig durch den nie erlahmenden Eifer ihres Kustos, der es mit seltenem Geschick verstand, dem Museum durch seine persönlichen Verbindungen zahlreiche Gönner und Freunde zu er- werben, die ihm wertvolle Geschenke aller Art sandten. Wiepken machte selbst zahlreiche Reisen, nicht nur im Herzogtum und in dessen nächster Umgebung, sondern auch in das übrige Deutschland und knüpfte mit hervorragenden Zoologen, namentlich in Berlin, persönliche und dauernde Beziehungen an. Seit 1853 war er Mitglied der allgemeinen deutschen ornithologischen Gesellschaft in Berlin, und zwar eins ihrer ersten bald nach ihrer Begründung. Die vor- nehmsten Ornithologen Deutschlands, wie Homeyer, Cabanis, Blasius, von Tschusi-Schmighofen, Altum, Heine u. a. zählte er zu seinen Korrespondenten und Freunden. 1862 wurde der Schlosshauptmann und spätere Oberkammer- herr v. Alten Vorstand des Museums. Erst unter ihm gelangte der schon lange gehegte Plan Wiepkens einer systematischen faunistischen Durchforschung des Herzogtums zur vollen Durchführung. Es ist bekannt, mit welchem Eifer und welchem Erfolge Herr v. Alten selbst in der Erforschung des Oldenburger Landes thätig war, insbesondere auf dem Gebiet der prähistorischen Altertumskunde. Acht Jahre hindurch hat Wiepken ihn auf seinen Exkursionen begleitet und mit ihm gearbeitet, wobei er zugleich die beste Gelegenheit zu faunistischen Forschungen hatte, die v. Alten nach jeder Richtung 143 hin begünstigte und unterstützte. Einen andern thätigen und höchst befähigten Mitarbeiter fand Wiepken in seinem Freunde, dem jetzigen Vorsitzenden des Naturwissenschaftlichen Vereins, Dr. Ed. Greve, der namentlich die Reptilien, Amphibien und Fische des Herzogtums bearbeitete, während Wiepken seine Hauptthätigkeit auf dem Gebiete der Ornithologie und später der Coleopterologie oder Käferkunde entfaltete. Das äusserlich sichtbare Ergebnis dieser im höchsten Grade verdienstliehen Forschungen ist die in ihrer Art lange Zeit einzig dastehende Sammlung der im Herzogtum Oldenburg beobachteten Vögel, sowie die umfangreiche Sammlung oldenburgischer Käfer. Die erstere steht bei den berufenen Ornithologen in besonderem Ansehen, weil sie eine Lokalsammlung im besten Sinne des Wortes ist, denn sie enthält nicht nur alle hier beobachteten Vogelarten in vorzüglicher Präparierung, sondern hat dadurch einen besonderen wissenschaftlichen Wert, dass sie auch die verschiedenen Jugend- zustände und die lokalen Abarten in sorgfältig gesammelten Exemplaren aufweist. Eine solche mit Verständnis und mit wissenschaftlichem Bewusstsein geschaffene Sammlung ist allein schon eine wissen- schaftliche Leistung von hoher Bedeutung und zwar in ganz modernem Sinne. Seit dem Auftreten Darwins und seiner exakten Begründung der Descendenz- oder Abstammungslehre wendet die Wissenschaft den Abänderungen der Tier- und Pflanzenarten im Naturzustande, dem Studium ihrer Rassen und Varietäten und dem Zusammenhange der Formbildungen mit den örtlichen Lebensbedingungen eine besondere Aufmerksamkeit zu. Die gewissenhafte und genaue Erforschung der lokalen Floren und Faunen kleiner und kleinster Gebiete wird damit zu einer wissenschaftlichen Notwendigkeit, wenn anders wir die Entstehung und Umbildung der Arten richtig erkennen wollen. Um dies zu leisten, werden in Zukunft noch mehr als bisher solche Forscher und Arbeiter nötig sein, die ausserhalb der grossen Zentren der Wissenschaft in allen Teilen unseres Vaterlandes die lokale Pflanzen- und Tierwelt erforschen. Insbesondere wird es für die kleineren Museen eine wissenschaftlich weit wichtigere Aufgabe sein, die heimische Tierwelt und Pflanzenwelt ihrer Umgebung nach festen Prineipien zu sammeln und zu vereinigen, als, nach bisherigem Gebrauch, nur eine bunt zusammengewürfelte, höchstens als Schau- sammlung verwertbare und naturgemäss immer höchst lückenhafte Reihe von Naturobjekten aller möglichen Länder zu beherbergen. Es ist das grosse Verdienst Wiepkens und zeugt für seinen wahrhaft wissenschaftlichen Sinn, dass er diese Bedeutung der Lokalfaunen und Lokalmuseen als eine der ersten in Deutschland erkannt und in dem Museum ans rechte Licht gestellt hat. Freilich im Sinne der Descendenztheorie oder speziell des Darwinismus hat er dies nicht gethan. Im Gegenteil, er war ein überzeugter Gegner der neuen Lehre, wie überhaupt der meisten neueren Theorien auf dem Gebiet der organischen Naturwissenschaften. Zum Teil erklärt sich dies aus dem Mangel mancher anatomischer und entwicklungsgeschichtlicher 144 Kenntnisse, die niemand von ihm verlangen konnte und wohl auch nicht wollte, zum Teil aus dem Widerstreben, sich noch in gereifteren Jahren den Glauben seiner Jugend rauben zu lassen, dass alles Leben und alle lebendigen Formen, für deren Erfassung er eine so lebhafte Begabung hatte, nach unveränderlichen festen Gesetzen er- schaffen seien und erhalten würden. Diesen Glauben — so meint er — zerstöre der Darwinismus. Darin war er freilich im Irrtum, aber dieser Irrtum war begreiflich und verzeihlich, wenn man seinen Bildungsgang kannte und sich klar machte, wie er in seiner natur- wissenschaftlichen Arbeit lange Zeit allein auf sich selbst angewiesen war. Ich habe in den mehr als 17 Jahren, wo ich Wiepken meinen Freund nennen konnte, sehr oft mit ihm über die neueren wissen- schaftlichen Theorien gesprochen, insbesondere auf dem Gebiet, für das er volles Verständnis besass, dem der Abänderung der Arten, dem eigentlichen Fundament des Darwinismus. Je eifriger ich die neue Lehre verteidigte, und je eifriger er sie bekämpfte, um so mehr merkte ich, dass gerade er zu jener Generation scharfer und gewissen- hafter Beobachter des Kleinen in der Natur gehört, zu der Darwin selbst als Vornehmster zu zählen ist, und die die wahren Grund- lagen des Darwinismus gelegt haben. Mit welchem Eifer und mit welcher hohen und sympathischen Bewunderung las er das bekannte Reisewerk Darwins, das ich ihm einst brachte! In den siebenziger Jahren hatten die Sammlungen des Museums einen solchen Umfang erreicht, namentlich die Lokalsammlungen, dass das alte Gebäude am Stau nicht mehr ausreichte. Es wurde das neue schöne Museum am äusseren Damm neben der Bibliothek er- baut und 1879 bezogen. Wiepken, seit 1867 Inspektor, wurde gleich- zeitig zum Direktor des Museums ernannt und hat als solcher noch 16 Jahre lang mit grossem Erfolge die naturwissenschaftlichen Samm- ° lungen desselben verwaltet und vermehrt. Sein lebhafter Wunsch, auch die grossen Räume des neuen Museums noch voll zu sehen, ist nahezu erfüllt, da zahlreiche Gönner desselben, darunter mehrere Schüler Wiepkens, hervorragende und wertvolle Geschenke machten. Auch eifrige Arbeiter auf dem Gebiet der Naturkunde der Heimat unterstützten ihn bei der Vermehrung der Lokalsammlungen, nament- lich dann, als die Last der Jahre ihm selbst das Sammeln und Be- obachten im Freien nicht mehr gestattete.e Ich nenne hier unter anderen die Herren Huntemann und Dr. med. Röben. Eine grosse Freude, die Erfüllung eines langgehegten Wunsches, erlebte Wiepken im Jahre 1883, als im Juni die allgemeine deutsche ornithologische Gesellschaft zu Berlin ihre 8. Jahresversammlung in Oldenburg abhielt, wo er ja als eines ihrer ältesten und treuesten Mitglieder schon ein halbes Jahrhundert lang die Ornithologie emsig und erfolgreich gepflegt hatte. Ich*) nahm selbst an der Versammlung teil und glaube, dass diese schönen Tage, gekrönt durch ein vom Grossherzog gegebenes Festmahl unter den alten Eichen des Hasbruchs, zu den glücklichsten im Leben unseres Wiepken gehörten. *) Fr. Heincke. 145 Am 1. Mai 1887 konnte Wiepken noch in voller Gesundheit . und Rüstigkeit das 50jährige Jubiläum als Direktor des Museums begehen, geehrt und gefeiert von seinem hochverehrten Fürsten und dessen Hause, von seinen Freunden und von der Wissenschaft. Die naturwissenschaftlichen Vereine zu Hamburg und Bremen und unser eigener Verein ernannten ihn zu ihrem Ehrenmitgliede, der letztere in Erfüllung einer besonderen Ehrenpflicht, denn Wiepken ist in erster Linie die Gründung unseres Vereins zu danken. Inzwischen war der jetzige Museums-Direktor und Nachfolger Wiepkens, Dr. Martin, zu seinem Assistenten ernannt worden. Wiepken selbst konnte nun seine ganze noch verfügbare Kraft auf die Vogelsammlung und die neu zu ordnende Käfersammlung konzentrieren. Als er endlich 1895 in den Ruhestand trat, hat er noch ein volles Jahr rastlos, soweit seine leider durch viele und schwere Leiden des Alters geschwächten Kräfte gestatteten, im Museum gearbeitet. Dadurch ist auch noch sein letzter Wunsch erfüllt worden, nämlich die Neuordnung und Aufstellung der wertvollen Käfersammlung zu vollenden. Nur wenige Monate hat er die Vollendung dieser seiner letzten Arbeit überlebt. Als er das Zimmer nicht mehr verlassen unl sein geliebtes Museum nicht mehr besuchen konnte, war auch seine Lebenskraft gebrochen; er war bereit zu sterben, nachdem er sein Lebenswerk vollendet hatte. Es war ein gutes und würdiges Werk! Wiepken geizte nicht nach äusseren Urteilen und Ehrungen. Doch sind sie ihm in reichlichem Masse zu teil geworden, namentlich von seinem hohen Herrn, dem Grossherzog! Er verlieh ihm zu seinem 50jährigen Jubiläum das Ehrenkreuz I. Klasse mit der Krone und bei seiner Pensionierung die goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft. Auch liess er durch Bernhard Winter sein Porträt malen und befahl die Aufhängung desselben im Museum, wo auch das Bildnis Herrn v. Altens und die Büste des Herrn v. Rennenkampf Platz gefunden haben. Wiepken besass auch das Altenburgische Ernestinische Ritterkreuz Il. Klasse. Das eigenste, bedeutendste Werk Wiepkens ist das Naturhistorische Museum, insbesondere die zoologischen Lokalsammlungen desselben. Daneben sind aber auch seine Schriften beachtenswert und als Beiträge zur Fauna Deutschlands von bleibendem Wert. Diese Schriften behandeln vorzugsweise die Vogel- und Käferfauna des Herzogtums, daneben aber auch Gegen- stände aus verschiedenen anderen Gebieten. Wiepken war seit dem 13. Juni 1841 mit Antoinette, geb. Hoffmann, in glücklicher Ehe verheiratet. Ihn überlebte seine Wittwe mit vier Kindern und sieben Enkeln. Ich schliesse meine Mitteilungen über unsern vortrefflichen Wiepken mit einem Wunsche, den er selbst am Schlusse der hand- schriftlichen Beiträge zur Geschichte des Grossherzoglichen Museums in Oldenburg, das er 58 Jahre verwaltet hatte, im März 1895 bei seiner Pensionierung niederschrieb. Er lautet: „Möge das Museum auch ferner wachsen und gedeihen!“ Ich füge dazu noch einen andern Wunsch. Möchten dem Olden- burger Lande noch mehr solehe Männer erstehen wie Wiepken einer Mai 1897. Abh. XV, 10 146 war, die so viel thätige Liebe zu ihrer engeren Heimat haben, so lebendigen Sinn für die Natur, so viel Fähigkeit, im Kleinen und Kleinsten zu beobachten und zu sammeln, so viel Liebe zur Wahrheit! Dann wird auch in diesem Laude das erreicht werden können, woran noch so viel fehlt und noch so viel zu arbeiten ist: die Ausbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse und Anschauungen in den weitesten Volkskreisen und die Erforschung der Eigentümlichkeiten in der Natur der engeren Heimat. Aus Tausenden von kleinen Steinen wird das Gebäude der Wissenschaft errichtet; soll es gut und be- wohnbar sein, so muss jeder einzelne, auch der kleinste Baustein fest gebildet und gefügt werden von kundiger und gewissenhafter Hand. Verzeichnis der Schriften von C. Fr. Wiepken. C. F. Wiepken und E. Greve: Systematisches Verzeichnis der Wirbeltiere im Herzogtum Oldenburg; Oldenburg, 1876, Schulze’sche Buchhandlung, klein 8°, IV und 143 Seiten. Dieselben: Systematisches Verzeichnis der Wirbeltiere des Herzogtums Oldenburg. analytisch bearbeitet; Oldenburg, 1878, Schulze’sche Buchhandlung, klein 8°, VII und 282 Seiten. (In beiden Büchern sind die Säugetiere und Vögel von Wiepken, die Reptilien, Amphibien und Fische von Greve bearbeitet). Die Bearbeitung der Säugetiere und Vögel in diesen beiden Büchern ist die wichtigste litterarische Arbeit von Wiepken. Das erste Buch enthält nur die systematische Aufzählung der im Herzogtum gefundenen Arten mit wichtigen Angaben über die Standorte, die Häufigkeit und bei den Vögeln über die Brut- und Zugzeiten. Es verzeichnet mit Einschluss der domestizierten und ausgestorbenen Arten 46 Spezies von Säugetieren und 248 Vögelarten. Das zweite Buch ist wesentlich bestimmt, den im Herzogtum beobachtenden und sammelnden Naturfreunden die genaue Bestimmung der Arten nach der analytischen Methode zu ermöglichen. Ein Nachtrag zu den Wirbeltieren Oldenburgs, herausgegeben von Dr. Greve, ist unter der Presse. Kurzer Bericht über eine ornithologische Exkursion am Jade- busen. In: Naumannia*), 1854, IV, p. 352—357. Ein brütendes Männchen von Callipepla californica, daselbst, 1857, VII, p. 264—266. Notizen über den Herbst- und Frühlingszug der Zugvögel in Oldenburg, daselbst, 1857, VII, p. 324—326. Über Säugetiere der Vorzeit, die ausgestorben und von denen Reste im Herzogtum Oldenburg gefunden, oder deren Nachkommen noch existieren. Im Bericht über die Thätigkeit des Oldenburger Landesvereins für Altertumskunde, IV. Heft, Oldenburg, 1883, p. 127—135, Tafel A (Hundeschädel darstellend). W. berichtet hier *) Diese Citatate aus der Naumannia sind dem Royal Catalogue of scientific papers entnommen, welcher aber für den Buchstaben W (Wiepken) erst bis 1873 reicht. ErB. 147 über die Funde von Resten des Höhlenbären (Ursus spelaeus) und des Mammuts (Hlephas primigenius), des Urochsen (Bos primigenius), des Bison (Bos Bison), des Elentieres (Cervus alces), sowie prähistorischer Rinder-, Pferde-, Schweine- und Hunderassen und des Bibers, die meistens von Wiepken selbst oder doch während seiner Thätigkeit am Museum im Herzogtum ausgegraben sind. Notizen über Blitzröhren und deren Entstehung. In: Abh. Nat. Ver. Brem., 1873, III, p. 435—439 (mit 5 Figuren). Eine tollkühne Singdrossel, daselbst, 1882, VIII, p. 104. Notizen über die Meteoriten des Grossherzoglichen Museums, daselbst, 1883, VIII, p. 524—531. Beobachtung einer Ringelnatter, T’ropidonotus natrix L., beim Eierlegen, daselbst, 1891, XII, p. 162, 163 (mit Abbildung). Systematisches Verzeichnis der bis jetzt im Herzogtum Olden- burg gefundenen Käferarten, daselbst, 1882, VII, p. 39—103. (Nachtrag daselbst, 1886, IX, p. 339—354; zweiter Nachtrag, daselbst, 1894, XIII, p. 59— 70; dritter Nachtrag, 1897, XIV, p. 235— 240). Das Ergebnis eines 50jährigen Sammelns, zuletzt mit Unter- stützung von Dr. Röben in Augustfehn. Die vier Verzeichnisse geben eine systematische Aufzählung von mehr als 1800 im Herzogtum -aufgefundenen Käferarten. Sie bilden einen wichtigen Beitrag zur Käferfauna Deutschlands. 10* Georg Boyung Scato Lantzius-Beninga. Von Rudolf Bielefeld, Norderney. (Mit Portrait.) G. B. Seato Lantzius-Beninga entstammte der alten ostfriesischen Familie der Lantzius-Beningas, aus welcher verschiedene aus- gezeichnete Männer hervorgegangen sind. Auf der ostfriesichen Geest, drei Stunden südlich vom hübschen Landstädtehen Aurich, liegt das idyllische, von prächtigen Laubwaldungen umkränzte Landgut Stiekelkamp, das in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts von Lantzius-Beningas Vater, dem Oberförster G. B. S. Lantzius- Beninga, bewirtschaftet wurde und noch jetzt im Besitze der Lantzius- Beningaschen Familie sich befindet. Hier wurde Georg Boyung Scato Lantzius-Beninga am 12. August 1815 geboren. Das Söhnlein war in seiner frühesten Jugend ausserordentlich zart und von allen Geschwistern so recht das Sorgenkind der liebenden Eltern. Sie liessen dem zarten Bürschehen die sorgfältigste Pflege und Wartung angedeihen und mit sichtlichem Erfolge. Dennoch aber lernte der nur langsam sich entwickelnde Knabe erst im siebenten Jahre das Gehen. Damit war nun auch die erste und sorgenreichste Phase seiner körperlichen Entwickelung überschritten, und jetzt hielt. es den trotz des schwächlichen Leibes doch geistig geweckten Knaben nicht mehr zwischen den Wänden des elterlichen Hauses. Hinaus musste der kleine Bursche, hinaus in den von herrlichen Buchen und Tannen umrauschten Garten, hinaus in das prächtige Wäldchen, das die väterliche Besitzung in unsern Tagen noch so lieblich umgiebt! Die Eltern wünschten sehr, ihrem nur kleinen und zart gebauten Sohne möglichst lange im eigenen Heim ihre Fürsorge widmen zu können; so wurde ihm denn ein tüchtiger lebens- froher Hauslehrer beigegeben, der ihm die ersten Anfangsgründe menschlichen Wissens vermittelte. In der Freizeit zog man durch Wald und Busch, um hier dem Gesange der Waldvöglein zu lauschen, für den sich der kleine Scato — das war sein Rufname — so sehr interessierte. Oder man durchstreifte, mit Schmetterlingsnetz und Botanisierbüchse bewaffnet, die südlich von Stiekelkamp gelegene Heseler Gaste, sowie die gegen Westen sich ausdehnenden Heide- flächen, um die lustig umherschwirrenden Schmetterlinge zu erbeuten, etwa eine sich sonnende Kreuzotter zu überraschen oder die lieblichen 149 Kinder Floras mit heimzubringen. Die gefangenen Schmetterlinge wurden zu Hause unter der kundigen Leitung des Lehrers auf- gespannt und nach und nach zu einer kleinen hübschen Sammlung vereinigt; ebenso machte man mit der Anlegung eines Herbariums einen versprechenden und aufmunternden Anfang. Alles das bereitete dem mit offenem Blick begabten Schüler ausserordentliche Freude und weckte schon in der allerersten Zeit des geistigen Werdens seinen Sinn für das spätere Studium der Naturwissenschaften. Durch planmässig betriebene körperliche Übungen, die zugleich den Willen stählten, sowie durch die vielen, oft anstrengenden Aus- flüge in Wald, Wiese und Heide war der schwächliche Knabe endlich im 12. Jahre soweit gekräftigt, dass man ihn nach hinreichender geistiger Vorbildung nun getrost aufs Gymnasium zu schicken wagen konnte. Im Jahre 1827 zog er dann, von den Wünschen der ihn so zärtlich liebenden Eltern begleitet, nach dem Städtchen Norden, um Schüler des dortigen Gymnasiums zu werden. Von hier ging er später nach Aurich zum dortigen Ulrichs-Gymnasium. Was die Natur anfangs in der Entwicklung des aufstrebenden Knaben gleichsam versäumt hatte, holte sie jetzt verhältnismässig rasch nach. An beiden Schulen bereitete der Unterricht dem lernbegierigen und unverdorbenen Landkinde viele Freude, weshalb Lantzius denn auch grossen Fleiss entwickelte, wodurch er sich die Liebe und Zuneigung seiner Lehrer erwarb. Daneben aber war dem jungen ÖOstfriesen jedes gleisnerische Strebertum fremd, das in niedriger Bethätigung eines angeborenen oder erworbenen Knechtessinnes seine egoistischen Zwecke verfolgt. Seine offene und freimütige Geradheit wurden ihm nicht nur nicht verübelt, sondern brachten ihm sowohl die Freundschaft seiner Mitschüler, als auch die Achtung des Lehrerkollegiums ein. Von Aurich aus machte er häufig allein oder in Gesellschaft von Freunden botanische Exkursionen nach dem nahegelegenen Eikebusch oder nach dem prächtigen Egelser Walde. Indem er sich so auf mannigfache Weise eine solide geistige Basis fürs spätere Studium erwarb, suchte er auch durch Leibesübungen und die oft unternommenen botanischen Spaziergänge seine physische Entwicklung fördersam zu unterstützen; trotzdem aber blieb er nur von etwas auffallend kleiner Statur. Nach dem Abgange vom Auricher Ulrichs-Gymnasium machte er sich auf den Weg nach der Residenzstadt seines hannoverschen Vaterlandes, wo er das Polytechnikum bezog. Hier befleissigte er sich mit Eifer seiner wissenschaftlichen Studien, wobei freilich auch die deutsche Jugendfröhlichkeit zu ihrem Rechte kam. Bald darauf machte er in der Heimat die Lehrzeit eines Apothekers durch und wurde dann selbst ein Jahr lang Apothekergehilfe im Dorfe Timmel, das in der Nähe seines Elternhauses liegt. Nach dem ländlichen Stillleben im weltverlorenen Bauerndorf trieb es den reg- samen Jüngling wieder hinaus ins frisch pulsierende Leben der akademischen Hochschule. Er reiste nun (1840) nach Berlin, um sich an der dortigen Universität ganz seinem Lieblingsstudium, den Naturwissenschaften, zu widmen. Naclı dem zweiten Semester aber 159 vertauschte er 1841 die Berliner Hochschule mit der Georgia Augusta in Göttingen, wo er nur botanischen Studien oblag. Insbesondere wandte er sich der Untersuchung der Kryptogamen, und unter diesen wiederum ganz speziell der Laubmoose zu. Die Frucht dieser ernsten Arbeit war seine Inaugural-Dissertation, auf Grund deren er hier Ostern 1844 zum Doktor promovierte; sie betitelt sich: „De evolutione sporidiorum in capsulis muscorum“. (Gött. 1844. 4.). Zwei Jahre darauf (1846) habilitierte er sich hier als Privatdozent der philosophischen Fakultät. — Die erste von Lantzius veröffentlichte Arbeit, durch welche wissenschaftliche Kreise auf ihn aufmerksam gemacht wurden, waren seine „Beiträge zur Kenntniss der Flora Ostfrieslands“; (Göttingen, bei Vandenhoeck und Ruprecht, 1849.) Im Auftrage des Universitätskuratoriums bereiste Lantzius im Frühling und Sommer 1847 die ostfriesische Halbinsel und teilweise auch die ihr vorgelagerte Inselreihe zwecks floristischer Forschungen. Die Resultate dieser planmässig vorgenommenen Untersuchungen wurden darauf in jenen Beiträgen niedergelegt, die ursprünglich nur als Forschungs- bericht für das Königl. Hannoversche Ministerium des Innern ab- gefasst waren, aber nun auf dessen Wunsch im Format der Meyer’schen „Chloris Hannoverana“ (Göttingen, beiVandenhoeck und Ruprecht, 1836) gedruckt und der Öffentlichkeit übergeben wurden. Spätere, von anderen Botanikern angesteilte Beobachtungen haben die ausser- ordentliche Sachkenntnis, Zuverlässigkeit und Sorgfalt dieses ost- friesischen Gelehrten aufs gründlichste dargethan. *) Auf seinen Streifereien kehrte er oft bei lieben Freunden ein, und wo er Interesse für Botanik bemerkte, sprach er gerne über die Ergebnisse der in der umliegenden Gegend vorgenommenen Exkursion. So suchte er namentlich gerne auch das traute Heim des ihm befreundeten Lehrers H. J. Sundermann in Hesel auf, eines bekannten Pestalozzianers, der ein für damalige Zeit ausserordentlich umfangreiches Wissen besass und Jahrzehnte lang: der Führer der ostfriesischen Lehrerschaft war. Soweit es dem vielbeschäftigten Sundermann die Zeit gestattete, begleitete er Lantzius auf seinen Streifzügen in die Umgegend von Hesel. Nach der Rück- kehr wurde dann in der Lehrerwohnung zu Hesel oder im väterlichen Heim zu Stiekelkamp, das nur eine Stunde entfernt lag, das Gefundene sorgfältig untersucht, verzeichnet und eingelegt. Auch wurde ein Verzeichnis von seltenen Pflanzen der Heseler Gegend aufgestellt, das — von Lantzius selbst geschrieben — mir noch im Original vor- liegt. Mit seinem Freunde Sundermann besprach er auch mehrfach die Herausgabe einer Flora Ostfrieslands, welcher Plan jedoch leider nicht zur Ausführung gelangte, da Lantzius in späteren Jahren sehr beschäftigt war und so durch andere Arbeiten von der weiteren botanischen Durchforschung seines ostfriesischen Heimatlandes *), Vergl. C. Nöldeke: Flora der ostfriesischen Inseln, im III. Band dieser Abhandlungen und Fr. Buchenau: Kritische Studien zur Flora von Ostfriesland, in diesem Hefte p. 82 ff. 151 völlig abgezogen wurde. Das auf seiner Forschungsreise durch Ost- friesland im Jahre 1847 angelegte Herbarium, welches sämtliche Belegexemplare für seine Angaben enthält, befindet sich in den Sammlungen der Georgia Augusta in Göttingen. Späterhin schrieb er noch die Angaben über die Flora von Norderney für das von Dr. Riefkohl im Jahre 1861 herausgegebene Werkehen „Die Insel Norderney“; doch ist das Verzeichnis von unbekannter aber völlig unberufener Hand „überarbeitet“ und durch geradezu unrichtige Angaben vermehrt worden, wodurch es wesentlich an Wert eingebüsst hat. Durch seine von grosser Sachkenntnis zeugenden Forschungen wurde der junge eifrige Gelehrte bald bekannt. So ernannte ihn die naturforschende Gesellschaft in Emden (Ostfriesland) am 21. Februar 1850 zu ihrem korrespondierenden Ehrenmitgliede, als welches er der noch jetzt bestehenden Vereinigung bis zu seinem Tode angehörte. Eine noch weit grössere Ehrung aber wurde Lantzius zu Teil, als ihm am 15. Mai 1855 das Diplom der „Kaiserlichen Leopoldinisch-Karolinischen Akademie der Naturforscher“ überreicht wurde, die damals gerade unter dem Präsidium Nees von Esenbecks in hoher Blüte stand; sie hat es nie zu bereuen gehabt, Lantzius durch Überreichung des Diploms in die Reihe ihrer Mitglieder und Mitarbeiter aufgenommen za haben. In Göttingen wurde er im Jahre 1850 Assistent am Universitätsherbarium; ja, am 27. September 1852 wurde er von der philosophischen Fakultät der Georgia Augusta zu ihrem Assessor ernannt. Im zweiten Teil des 22. Bandes der von der Leopoldina heraus- gegebenen „Nova acta“ hat Lantzius die Ergebnisse seiner Unter- suchungen über die Mooskapsel veröffentlicht unter dem Titel: „Beitäge zur Kenntnis des innern Baues der ausgewachsenen Mooskapsel etc.“ In dieser Abhandlung zeigt der Forscher so recht die ihm eigene tiefe Einsicht in sein Gebiet und die ausser- ordentlich genaue Untersuchung der ihm vorliegenden Objekte, wie denn überhaupt seine genaue Bekanntschaft mit den Kryptogamen oftmals bei seinen Hörern Staunen und Verwunderung hervorgerufen hat. Die diesem Werkchen beigegebenen 11 Steindrucktafeln mit 41 Ab- bildungen sind wahre Kunstwerke, die sämtlich vom Verfasser selbst nach der Natur gezeichnet sind. In den unter dem Text gegebenen kritischen Anmerkungen weist er den Herren Bruch und Schimper in ihrer „Bryologia Europaea“ häufige Oberflächlichkeiten, oftmals Irrtümer und Unrichtigkeiten nach, im Gegensatz zu den von ihm gefundenen Resultaten, sowie auf Grund der Forschungsergebnisse des ebenso scharf blickenden als scharfsinnigen Robert, Brown. Trotzdem Jahrzehnte seit der Veröffentlichung jener Beiträge ver- flossen sind, besitzen dieselben dank der Sorgfalt ihres Verfassers auch heute noch ungeschmälerten wissenschaftlichen Wert. In dem letzten Jahrzehnt seines Lebens arbeitete der rastlos thätige Mann an einem Werke, welches leider nur in seinem ersten Teile vollendet werden sollte. Es führt den Titel: „Die unterscheidenden Merk- male der deutschen Pflanzenfamilien und -Geschlechter. 152 Erste Abteilung. Göttingen 1866. Verlag von Adalbert Rente.“ Wie alle gediegenen wissenschaftlichen Arbeiten, so hatte auch dieses Werk seine Geschichte. Schon seit einer Reihe von Jahren liess Lantzius auf den Wunsch seiner Schüler die von ihm ausgearbeiteten und zum Unterricht sich trefflich eignenden Tabellen über die nord- und mitteldeutschen Pflanzenfamilien und Gattungen lithographiert erscheinen. Diese Tabellen wurden umgearbeitet, wesentlich vermehrt und mit erläuternden Abbildungen sämtlicher Familien- und Geschlechts- kennzeichen versehen. So entstand das Werk, das sich durch Be- schränkung auf das Wissenswürdigste und Weglassung alles unnützen und überflüssigen Beiwerks auszeichnet. Die Abbildungen, schön und getreu, sind sämtlich vom Verfasser auf Stein gezeichnet und zwar fast immer nach der Natur. Die den Text bildenden Tabellen zeigen eine rühmenswerte Schärfe und Kürze des Ausdrucks. Durch seine Forschungen war Lantzius mehrfach zu neuen und von den althergebrachten abweichenden Anschauungen gelangt; jedoch suchte er seinen Stolz keineswegs in neuen Benennungen wie verschiedene andere Botaniker. So hat er nur (aus im Vorwort erläuterten Gründen) ein einziges neues Genus (Hchinanthriscus) auf- gestellt. Wie bei der Sachkenntnis des Verfassers nicht anders zu erwarten war, stand das Werk durchaus auf der Höhe der damaligen Zeit, sowohl hinsichtlich der Übersichtlichkeit in den Tabellen, der verständlichen, alle nutzlose Terminologie vermeidenden Ausdrucks- weise, als auch durch die wirklich musterhaften, klaren und sehr instruktiven Abbildungen. Von vielen Seiten wurde er infolgedessen aufgemuntert, nun auch bald den zweiten Teil folgen zu lassen. Leider war ihm das nicht mehr vergönnt; der unerbittliche Tod setzte seinem Wirken ein jähes Ziel. — Wie als Schriftsteller, so war er auch als akademischer Lehrer ein Mann von grosser Begabung und treuem Fleisse.. Seine Vor- lesungen waren ebenso besucht wie diejenigen der beiden andern an der Göttinger Universität wirkenden Botaniker (Prof. Grisebach und Bartling). Fast sämtliche Pharmaceuten, welche in dem Viertel- jahrhundert zwischen 1845 und 1870 aus dem Königreich resp. der Provinz Hannover hervorgingen, haben zu seinen Füssen gesessen. Und nicht bloss ihre Aufmerksamkeit, nein, auch ihr Herz mussten sie ihm schenken, sobald sie näher mit ihm in Verkehr traten. Und wie anregend und interessant waren seine Exkursionen, welche er mit seinen Studenten in die prächtige und mit reicher Flora ausgestattete Umgegend von Göttingen unternahm! Verschiedene ältere Herren erzählten mir leuchtenden Auges von den herrlichen Stunden, welche sie auf botanischen Spaziergängen an der Seite ihres hochverehrten Lehrers, an dem sie mit so grosser Liebe hingen, verlebt hatten.”) Aber er war ja auch nicht bloss ihr Lehrer, sondern *”) Auch ich gedenke mit herzlicher Dankbarkeit des akademischen Unterrichtes, welchen ich in den Jahren 1850 und 51 bei Lantzius genoss, und der warmen Teilnahme, welche er mir von da an stets bewies. Fr. Buchenau. 153 auch ihr treuer Freund und Berater! Wie leid that es ihm, wenn einer das Examen vergeblich versuchte! Mit der liebenswürdigsten Sorgfalt und wahrer väterlicher Treue überwachte er diejenigen Examinanden, welche während des deutsch-französischen Krieges ihre Prüfung abzulegen hatten, um zu den Fahnen einberufen zu werden. Sie bestanden auch sämtlich. Er besass eben nicht bloss eine tief wissenschaftliche, sondern auch wahre Herzensbildung, welche einen seiner hervorragendsten Charakterzüge bildete. Als Ostfriese war er ein Mann von unerschütterlicher Aufrichtigkeit und der diesem Stamme eigenen germanischen, oft auch derben Geradheit, die ihn auch zuweilen zu unvorsichtiger, unüberlegter Offenheit hinriss. Wie mancherorts, so fanden sich auch hier lieblose, geschwätzige Weiterträger nur zu leicht, was wiederum zur Folge hatte, dass ihm seine Fachgenossen an der Georgia Augusta das Leben keineswegs verschönerten. Ganz besonders war der vom hannoverschen Hofe so sehr begünstigte Hofrat Professor Dr. G. F. W. Meyer, welcher allerdings nicht sehr lange an der Göttinger Hochschule mit ihm zusammen wirkte, sein mächtiger und einfluss- reicher Gegner. Der Anfang des Haders lässt sich nicht mehr entwirren; aber schon in den ersten Jahren von Lantzius akademischer Lehrthätigkeit war das Verhältnis zwischen beiden nichts weniger als freundschaftlich. Das zeigt sich schon in nicht misszuverstehender Deutlichkeit in den Ausserungen, welche Hofrat G. F. W. Meyer im Vorwort (Seite XIV—XVIl) seiner „Flora Hanoverana excursoria“ (Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht, 1849) über die im selben Jahre herausgekommenen Lantzius’schen „Beiträge zur Flora Ostfrieslands“ macht, wo er allerdings ausspricht, dass in den „Beiträgen“ doch ‚„eindringliche Sachkenntnis und ein, was in unserer Zeit mehr sagen will, redliches Streben nach Wahrheit unverkennbar“ sei. Gerade diese letzten Worte nehmen sich im Munde des Hofrats Meyer höchst sonderbar aus, ist es doch eine nur zu bekannte Thatsache, dass gerade die von Meyer in seiner „Plora Hanoverana“ gemachten Standortsangaben etc. sich oft als durchaus unzuverlässig erwiesen haben. Hofrat Meyer ist deshalb in der botanischen Kritik schon gerichtet”), während die Floristen der Zuverlässigkeit der Lantzius’schen Angaben einstimmig ihre rückhalt- lose Anerkennung zollen. Wegen jener höchst unerquicklichen Verhältnisse kam es auch, dass Lantzius trotz seiner auch von gegnerischer Seite anerkannten Tüchtigkeit von seinen Fachgenossen, den Professoren Dr. Grisebach und Dr. Bartling, nirgends empfohlen wurde und Zeit seines Lebens an der Georgia Augusta verblieb. Man dachte deshalb auch während der ganzen Regierungszeit Königs Georg V. gar nicht daran, ihm die Professur zu verleihen. Seine Schüler verwandten sich für ihn — ohne dass er als makelloser Ehrenmann es irgendwie angeregt hätte — beim Göttinger Universitäts- kuratorium, dass man ihn zum Professor befördern möge, allein *) Vergl. auch Prof. Dr. Buchenau, Flora der nordwestdeutschen Tief- ebene (Leipzig, Engelmann. 1894) Vorwort, Seite IX und dessen: Kritische Studien zur Flora von Ostfriesland, in diesem Hefte p. 82 ft. 154 mit recht sonderbarem Erfolge. In No. 12 des IV. Jahrgangs der „pharmaceutischen Wochenschrift‘ (Speyer) vom 25. März 1871 lesen wir in einem kurzen Nachruf beim Tode Lantzius-Beningas: „Offenbar wirkte auf seine wissenschaftliche Thätigkeit ausser seiner ausgedehnten Lehrthätigkeit der Umstand lähmend ein, dass es ihm unter dem Scepter Ernst Augusts und Georgs V. seligen Angedenkens von Seiten des Ministeriums und Universitäts- kuratoriums an Aufmunterung stets gefehlt hat. Trotzdem weit- aus die Mehrzahl der Studierenden, welche Botanik hörten, seine Vorlesungen besuchten, konnte man sich höheren Orts nicht ent- schliessen, ihn zum ausserordentlichen Professor zu machen, und so hat er denn nahezu ein Vierteljahrhundert als Privatdocent und Assistent am Universitätsherbarium, sowie später Assessor der philosophischen Fakultät an hiesiger Universität zugebracht. Für diese auffallende Ignorierung von Leistungen lag, wie dies der Charakter des Welfentums und seiner Ministerien von vornherein ahnen lässt, der Grund in der politischen und nationalen Gesinnung des Verewigten, aus welcher der durch und durch ehrenhafte Mann zu keiner Zeit ein Hehl gemacht hat. Das ihm angethane Unrecht war derart, dass selbst unter dem Regimente von Borries die Schüler des Verewigten nicht unterlassen konnten, die Ernennung desselben zum ausserordentlichen Professor vom Universitätskuratorium zu erbitten, was freilich für den zu Ernennenden nur die Folge hatte, dass ihm ein Teil seines Gehaltes, soweit dasselbe nicht fixiert war, entzogen wurde. Dass der Verstorbene die Annexion mit Freude begrüsste, so zwar, dass er unter die Kategorie der von dem für die Universität Göttingen im preussischen Herrenhause sitzenden herzogl. Sachsen-Meiningenschen Staatsrat in partibus Zachariä als „Jubelpreussen“ Bezeichneten gehörte, ist wohl kaum zu erwähnen nötig. Das Ministerium Mühler hat das Verdienst, dem langjährigen Unrecht wider Lantzius-Beninga ein Ende gemacht zu haben, indem es ihn zuerst zum Mitgliede der pharmaceutischen Prüfungskommission und dann zum ausserordentlichen Professor ernannte, als welcher er freilich nur kaum noch dreiviertel Jahre an hiesiger Hochschule gewirkt hat.“ — Gegen Ende Januar des Jahres 1871 erkrankte er an einem bösartigen Abscess in der Achselhöhle, der leider sein Lebensende herbeiführen sollte. Nach sechswöchentlichem schmerzensreichem Krankenlager starb er am 6. März 1571. An seinem Sarge stand seine tief betrübte Witwe und sechs Kinder (vier Söhne und zwei Töchter), denen er ein allzeit sorgender Gatte und Vater gewesen war. Wurde ihm sein Leben als akademischer Lehrer durch ungerechte Zurücksetzung vergällt, so war sein Familienleben ein desto glück- licheres. Seine ihn treu liebende Gattin, sowie seine braven Kinder wussten im Hause jegliche Wolke, die in des Lebens aufreibendem Kampfe seine Stirne zu bedecken drohte, zu verscheuchen. Der älteste seiner Söhne ging zur See und wurde Schiffsoffizier; der zweite widmete sich den Handelswissenschaften und lebt jetzt als Kaufmann in Melbourne; ein dritter studierte in Boston, promovierte 155 dort und wurde Arzt in Massachusetts, wo er leider schon 1894 seinem Vater im Tode folgte. Der jüngste der Söhne studierte an deutschen Hochschulen, wurde nach seiner Promotion zuerst leitender Arzt einer Nervenheilanstalt, liess sich aber später als praktischer Arzt in Eltville a. Rhein nieder, wo er noch jetzt in grossem Segen wirkt. — Mit Seato Lantzius-Beninga ist ein Leben voller Arbeit und voll des unverwüstlichsten Idealismus dahingegangen, eine scharf ausgeprägte Individualität mit echt deutschen Eigenschaften, ein hochbegabter Mann der Wissenschaft, der unter günstigen Verhältnissen derselben noch weit grössere Dienste hätte leisten können. Aber die seinen Leistungen entsprechende Stellung war ihm durch Hindernisse, welche ihm von missliebigen Persönlichkeiten in den Weg gelest wurden, ja leider schmerzlich versagt. Verschiedene seiner Zeit- genossen haben sich arg an diesem Manne versündigt. Möge darum die Nachweit dieses traurigen Unrechts eingedenk bleiben und ihm nun in der Ahnentafel des Geistes die Stelle einräumen, die ihm mit Recht gebührt! Wir Ostfriesen werden ihn immer mit berechtigtem Stolze zu den Unserigen zählen, war er doch ein Mann, der auch als Zierde der Wissenschaft seine friesischen Eigenschaften nie ver- leugnet, der auch seinem geliebten Heimatlande stets die alte Treue bewahrt hat. Darum Ehre seinem Andenken! „Wohl dem, der seiner Väter nicht vergisst, der froh von ihren Thaten, ihrer Grösse den Hörer unterhält und, still sich freuend, ans Ende dieser schönen Reihe sich geschlossen sieht!“ Aus dem Gaue Mosdi. Von Franz Buchenau. (Zuerst veröffentlicht in der Weser-Zeitung vom 17. Juli 1889.) Die Eisenbahn Bremen-Hamburg hat den Bewohnern beider Hansestädte das Innere der grossen Zentralheide aufgeschlossen, welche den Landrücken zwischen Elbe und Weser bildet. Nach Rotenburg (richtiger Rothenburg) an der Wümme zu gelangen, erforderte früher eine kleine Reise. Von den zwischengelegenen Orten: Ottersberg, Tostedt u. s. w. bewahrte der Reisende nur eine sehr unbestimmte, im schlaftrunkenen Zustande vom Fenster der Post oder der Schnell- droschke aus gewonnene Vorstellung. Jetzt liegen alle diese Orte im Bereiche eines „Ausfluges* und können leicht zu Ausgangspunkten sehr ansprechender und belehrender Tagesfahrten gemacht werden. Vor zwei Jahren (am Sedantage 1887) führte ich die Leser dieser Zeitung von Tostedt aus nach Süden auf den höchsten Punkt zwischen Unterweser und Unterelbe, den Wilseder Berg;*) heute möchte ich sie bitten, mir von Tostedt aus nach Norden zu folgen; der Litberg und der Törenwald sind die Zielpunkte unserer Wanderung. Tostedt liegt etwa 25 Minuten von der Bahnstation entfernt. Die Verbindung dahin wird jetzt noch durch Gasthofwagen unter- halten, aber schon denkt der strebsame Ort daran, sie durch eine Schienenverbindung mit Pferdebahnbetrieb abzukürzen, bezw. regel- mässig zu gestalten. Auch eine Sommerfrische für die Grossstädter ist bereits hergerichtet und sogar schon mit Schwimmbassin versehen und mit einer Baumanlage umpflanzt, der wir im Interesse der Sommergäste treffliches Gedeihen wünschen. Wir erhielten einen offenen mit zwei kräftigen Grauschimmeln bespannten Wagen in dem stattlichen Bostelmann’schen Wirtshause. In dieser Gegend, in welcher die Bezeichnung Bostel (Baustelle) in Ortsnamen vorkommt, ist auch der Familienname Bostelmann sehr häufig. Ein Justus Bostelmann (kürzlich verstorben) war Jahre hindurch hochgeachteter Reichstags- und Landtagsabgeordneter für den Bezirk Harburg; zahlreiche der schönen Roggen-, Hafer- oder Buchweizenfluren, an welchen unsere Fahrt vorbeiführte, gehörten nach den Erklärungen unseres Kutschers, verschiedenen „Bostel- männern“. ") Vergleiche oben, pag. 135—138. 157 Unsere Fahrt ging nach Norden in das Herz des Gaues „Mosdi“ hinein. Dieser Gau entspricht im Ganzen und Grossen dem Gebiete des Flusses Este. Die Este, ein überwiegend nordwärts gerichteter Fluss, entspringt wie die Wümme, die Seve, die Luhe, die Oertze und die Böhme im Gebiete der höchsten Erhebung der Zentralheide, also in der näheren oder weiteren Umgebung des Wilseder Berges; Wümme, Oertze und Böhme nach Westen, bezw. Süden gerichtet, streben der Weser, beziehungsweise Aller zu, wogegen die anderen genannten Flüsschen, mit vorzugsweise nördlicher Richtung, dem Elbgebiete angehören.“) Der Elbe, bezw. Hamburg, sind denn auch die Verkehrsinteressen des Estethales zugewendet, während das an der Wümme gelegene Rotenburg vorzugsweise nach Bremen schaut. Der lokale Mittelpunkt des Estethales ist das nahe oberhalb der Mündung der Este gelegene Buxtehude; sein hochragender Kirchturm wird von fast allen Höhen des Gaues Mosdi aus erblickt; wenn er selbst verdeckt ist, verraten doch noch die Rauchwolken, welche den hohen Schornsteinen der Winter’schen Papierfabrik in Altkloster, einem Dorfe, eine Viertelwegstunde südlich von Buxtehude, entsteigen, die Lage der Stadt. Etwa eine Meile unterhalb Buxtehude, bei Kranz, mündet die Este in die Elbe. { Auf trefflicher, von schönen Birken eingefasster Chaussee fahren wir längere Zeit in nördlicher Richtung, das Estethal zu unserer Rechten, dahin. Der Gau Mosdi ist hier gut angebaut; die Heide tritt bereits sehr zurück. Während südlich (und östlich) von Tostedt besonders im Gebiete des Wilseder Berges noch manche kaum über- sehbare Heideflächen vorhanden sind, überwiegt hier bereits Kultur- land. Auf trockneren Höhen, namentlich des rechten Esteufers, liegen noch Heidestrecken von beträchtlicher Ausdehnung, bei geringer Senkung des Bodens in Moore übergehend, welche sich jetzt im Vorsommer dem Auge weithin durch die weissen Haarbüsche des Wollgrases verraten und die Luft auf grosse Entfernungen hin mit dem kräftigen würzigen Dufte des Sumpfporstes erfüllen. Der Gesamtanblick des Landes verrät aber schon auf den ersten Blick den Eindruck menschlichen Fleisses. Längst sind die stattlichen Heidehöfe zu Dörfern aneinandergerückt; noch wird der einzelne Hof von einem aus erratischen Blöcken aufgebauten Walle umgeben; das weithin gestreckte Haus liegt im Schutze seiner Eichen; neben ihm erheben sich Scheunen und andere Wirtschaftsgebäude, hier und da auch einige Schweineställe oder ein überdachtes Balkengerüst zur Aufhäufung der als Streu herbeigefahrenen Heide bestimmt. Die Schafställe, Fachwerkbauten, mit Füllungen aus Flechtwerk, stehen meistens draussen vor dem Orte, auf Heiden oder Angern. Der Weg führt durch Dohren und den Ochtmannsbruch nach dem ansehnlichen Kirchdorfe Hollenstedt mit weithin sichtbarem schwarz-beschindeltem Kirchturm. Der Ochtmannsbruch, mit einer Strauchvegetation von Erlen, Weiden und Porst — der Duft des *, Die Oste entspringt erst in der Nähe von Tostedt in dem Raume zwischen Este und Wümme, welcher durch die starke Krümmung der letzteren nach Westen frei wird. 158 » letztern ist bei der warmen Sommerwitterung fast betäubend — liefert uns mehrere seltene Orchidaceen und Riedgräser für das seit etwa zehn Jahren in Bremen vorhandene Zentralherbarium der nord- westdeutschen Flora. Von den meisten Wiesen des Estegebietes, westlich bis Beckedorf und Sauensiek, grüssen die schönen, blass- rosenroten Ahren des drehwurzeligen Knöterich (Polygonum Bistorta). In Hollenstedt besuchten wir die Kirche, einen alten Bau aus Feldsteinen, jetzt längst durch Backsteinpfeiler gestützt. Das Innere zeigt ein ungewöhnlich flaches Tonnengewölbe, ist im Ganzen zwar ziemlich nüchtern, die Altarempore aber ist von reichen in Holz geschnitzten Zweigen und Blattfiguren umrankt. Zwischen Hollenstedt und Bötersheim kam früher die Fluss- perlenmuschel vor und lieferte ab und zu gute Perlen; jetzt ist sie — nach Ansicht unseres Gewährsmannes durch Wiesenanlagen — ausgerottet. (Uber dieses merkwürdige Tier der Heidebäche hat Friedrich Borcherding im neunten Bande der Abhandlungen unseres naturwissenschaftlichen Vereins einen sehr beachtenswerten Aufsatz veröffentlicht.) Hinter -Hollenstedt senkt sich die Fahrstrasse in das Thal der Este hinab. Hier erreichen wir Moisburg (offenbar verkürzt aus Mosdiburg), einen alten Hauptort des Gaues Mosdi, entstanden aus einem wichtigen Passe, welcher hier von altersher über das Thal der Este führte. Moisburg, ein kleiner Ort von etwa 500 Einwohnern, war in hannoverscher Zeit ein Amtssitz und zwar einer der ansehn- lichsten, was bei der Schönheit der meisten dieser Sitze viel sagen will. Jetzt ist das Amt in eine Domäne verwandelt, deren stattliche Gebäude zwischen den umgebenden Eichen von weither zu erkennen sind. Die politische Grenze des Fürstentums Lüneburg und des‘ Herzostums Bremen (jetzt Regierungsbezirk Lüneburg und Regierungs- bezirk Stade) läuft mitten durch den Gau Mosdi. Hier bei Moisburg läuft sie für eine längere Strecke unmittelbar am Ufer der Este entlang, so dass denn auch Moisburg dicht an der Grenze (jedoch noch im Regierungsbezirk Lüneburg) liegt. Zwischen Lüneburg und Stade hat sich hier eine in ihren Folgen recht erfreuliche Rivalität in Beziehung auf Landeskultur, Bau der Landstrassen ete. heraus- gebildet, bei welcher Lüneburg augenblicklich den Vorrang erlangt zu haben scheint. Von Moisburg wendeten wir uns auf einem gut fahrbaren Land- wege der Goldbecker Mühle und sodann den Dörfern Goldbeck und Beckedorf zu. Die Goldbecker Mühle, idyllisch am Rande eines ansehnlichen Mühlenteiches und inmitten eines kleinen Gehölzes gelegen, ist der Sitz eines alte” Volksglaubens. Hier wird „siet unvördenklichen Tieden“ (wie der Besitzer versicherte) ein heil- kräftiges Mittel gegen die Tollwut zubereitet. Eine Zigeunerfamilie, erzählt die Sage, kam eines Abends mit einem kranken Kinde nach Goldbeck und bat um Herbergung. Aber die Goldbecker wiesen sie von Thür zu Thür hartherzig ab. In der Goldbecker Mühle (eine Viertelstunde östlich vom Dorfe gelegen) aber fanden sie mitleidige 1198) Aufnahme, Futter für ihren Gaul, Nahrung für die Menschen und Pflege für das kranke Kind. Als sie nach eintägiger Rast sich zur Abreise rüsteten, sprach die Eldermutter der Familie zu dem Müller: „Ihr wisst nicht, welch unschätzbares Kräutlein auf eurem Grund- stück wächst, gut gegen Leiden des Leibes und des Geistes, ganz apart aber gegen die Wasserscheu. Zum Danke für Eure Mildigkeit werde ich Euch wissend machen, damit Ihr als Wohlthäter weit und breit bekannt werdet und manch schönes Stück Geld verdienen könnt.“ Und so geschah es. — In der Johannisnacht wird in der Mühle gebuttert, und dieser Butter werden (nach dem Volksglauben sieben verschiedene) zerriebene Kräuter beigemischt, wobei die heil- kräftigen Sprüche gemurmelt werden. Diese Sprüche werden bei jedem Besitzwechsel dem neuen Besitzer mitgeteilt. Der jetzige Besitzer der Mühle, Herr Fittschen, zeigte uns bereitwilligst die Kräuter; es sind Ackergauchheil (Anagallis arvensis) und Garten- raute (Ruta graveolens). Von ihnen ist Raute eine jetzt ziemlich selten in Bauerngärten kultivierte Gewürzpflanze, während Gauchheil (Gauch — Kuckuck, Geck, Wahnsinniger) das Unkräutlein, welches uns Städtern so bescheiden erscheint, in der Volksmedizin eine sehr bedeutende Rolle spielt. Von weit und breit kommen seit alter Zeit die von tollwütigen Hunden Gebissenen, um das heilkräftige Mittel zu gebrauchen, nämlich auf Schwarzbrod gestrichen zu ver- zehren. Der Unbemittelte aus Hannoverland zahlte vier Schillinge hannoversches Kassengeld (etwa 25 Pfennige); doch durfte nicht gewechselt oder herausgegeben werden, wenn das Mittel nicht seine Kraft verlieren sollte. In früherer Zeit, als der Verbrauch ein weit grösserer war und die Butter im gewöhnlichen Handbutterfasse bereitet wurde, mussten die Bewohner von Goldbeck Milch zur Mühle liefern und in der Johannisnacht buttern helfen. Jetzt hat der Verbrauch in Deutschland (in Folge unserer trefflichen Gesetz- gebung gegen die Hundswut) zwar sehr abgenommen, aber die Butter wird dafür vielfach verschickt; „na Holland, dat geiht nu good, aber mit den Russen, damit kann ick mi nich plagen“, sagte der Müller (er war von Russland aus mehrere Male um Kosten und Honorar geprellt worden). Mit einigem Zögern (weil auf die ab- schlägige Antwort gefasst) fragten wir, ob wir wohl eine Probe der Butter sehen könnten, obwohl ja bald neue gemacht würde; aber der Müller entgegnete: „De Bottern, de kann woll tein Jahre olt weern“. Die herbeigeholte Probe wies denn auch durch ihr Aus- sehen und ihren Geruch entschieden auf ein ehrwürdiges Alter hin und machte den Eindruck, dass es der Furcht vor einem der schreck- liehsten Leiden bedürfe, um sie geniessbar zu machen. Der feste Volksglaube wird übrigens von manchen Ärzten der Umgegend zur Beruhigung ihrer Patienten benutzt; denn nachdem sie die Bisswunden tollwütiger Hunde nach den Anforderungen der heutigen Wissenschaft behandelt haben, schicken sie die Leute zur Goldbeeker Mühle. Bei dem ausserordentlichen Einfluss, welchen die Seelenstimmung des Gebissenen auf den Ausbruch, beziehungsweise den Verlauf des Leidens hat, ist dies Verfahren gewiss nicht zu missbilligen. 160 Nach einer einstündigeu Mittagsrast in Beckedorf wurde die Fahrt, nunmehr in südlicher Richtung, fortgesetzt. Hier tritt nun die Heide wieder mehr hervor. Unfern des kleinen Dorfes Sauensiek erhebt sich aus der Heide ein senkrechter, wenig über ein Meter hoher „Opferstein“, eine nicht ganz regelmässige oben abgeschrägte Säule oder Platte aus Granit, in auffälliger Weise an den freilich unvergleichlich viel grossartigeren Malstein im Chattengau, bei Maden unweit Kassel erinnernd. — Nach kurzer Zeit verlassen wir den Wagen, um den Litberg zu besteigen, eine Heidehöhe, welche schon in der Gauss’schen Gradmessung einen wichtigen Dreieckspunkt bildete und auch jetzt wieder eines jener für den Besucher so hoch- willkommenen Balkengerüste der Vermessung durch den Generalstab (im Anschlusse an die europäische Gradmessung) trägt. Die Höhe des Litberg über der Nordsee wird jetzt zu 201 Fuss angegeben, auf der hannoverschen (Pape’schen) Generalstabskarte ist 224 Fuss eingetragen, während die Höhe von Brillit bei Kuhstedt mit 152’, der Falkenberg bei Fallingbostel mit 516‘ und der Wilseder Berg mit 585' bezeichnet ist. Die Aussicht von der Plattform des Vermessungsgerüstes aus ist umfassend und mannigfaltigs, wenn auch bei weitem nicht so grossartig, wie diejenige vom Wilseder Berge aus. Im Nordosten tritt nun auch das hohe Kirchendach von Buxtehude deutlich hervor. Rechts davon sind jenseits der Elbe die Höhen von Blankenese zu verfolgen, und die an ihrem Abhange liegenden Villen der reichen Hamburger heben sich durch ihre helle Farbe von dem dunkeln Hintergrunde ab. Die Thürme von Hamburg sind durch die etwas unsichtige Luft verhüllt. Die weite Fläche unter uns ist vielfach sehr deutlich wellig; das meistens schön angebaute Elbethal ist im Osten auf eine lange Strecke zu überschauen. Im Südosten ragt der’ Kirchturm von Tostedt über eine den Ort selbst verdeckende Boden- welle hervor; dann folgt das „grosse Moor“, der Törenwald und die Gehölze bei Schloss Sittensen; im Westen endlich wird das angebaute Land wieder vielfach von Moor- und Heideflächen unterbrochen. Das Ganze gewährt ein -fesselndes Bild davon, wie der Mensch bemüht ist, auch einer armen Gegend seinen Lebensunterhalt abzuringen. Westlich vom Litberge liegt das ausgedehnte Trentseemoor. Hier hauste im 14. Jahrhundert auf einer Burg inmitten des jetzt von Moor überwucherten Tannensees einer der ärgsten Raubritter, Hinrich von Borg, genannt „de iserne Hinnerk“, von dessen Schelmen- streichen das Volk noch jetzt erzählt. Vor einigen Jahren wurden die Grundmauern seines festen Hauses aufgegraben und bei dieser Gelegenheit ein im Moor versenkter Kahn aufgefunden, welchen der Altertumsverein zu Stade erworben hat. Eine kurze weitere Fahrt brachte uns nach dem aus wenigen Häusern bestehenden Weiler Ramshausen am Eingange des Tören- waldes, welcher das Endziel unseres Ausfluges bilden sollte. Der Törenwald, in einer Grösse von 1700 Morgen*) ist vollständig durch *) Etwa 420 ha; der Bürgerpark bei Bremen ist 78, der Bürgerwald 62 ha gross. 161 einen Erdwall mit daraufstehendem Zaun aus Holzgeflecht eingegattert; nur wenige verschliessbare (und für gewöhlich natürlich verschlossene) Thore gewähren Eintritt. Der Wald gehörte früher zu Schloss Sittensen, ging aber in den siebziger Jahren in den Besitz der Klosterkammer zu Hannover über. Er besteht aus Nadelholz-, Laub- holz- und gemischten Beständen und enthält manchen schönen Stamm, welcher jetzt, nachdem die Klosterkammer im Interesse der Wald- kultur grosse Aufwendungen für Wegverbesserung gemacht hat, höher zu verwerten ist als früher möglich war. Botanisch scheint er wenig Interessantes zu enthalten, desto mehr aber ist er wegen seines heichtums an Schwarz- und Rotwild zu beachten. — Wir durchquerten den Wald unter der freundlichen Führung des an der Ramshauser Pforte wohnenden Försters. Derselbe führte uns unter mancherlei belehrenden Bemerkungen über den Törenwald zu der kleinen Hütte, bei welcher die Wildschweine „gekörnt‘“ werden. Hoch wallte mein altes Jägerblut auf, als ich ganz unerwartet unter den überhängenden Zweigen einer Fichte ein Wildschwein sich auf seine knochigen Beine erheben sah. Bald aber sollte sich die Scene ganz anders beleben! Kaum knarrte die Thüre der Hütte, als von allen Seiten Schweine aus dem Tannendickicht hervortraten und sich auf dem kleinen freien Raum vor der Hütte sammelten. Mit einer Blechschaufel wurde der Inhalt eines grossen Armkorbes — grosse Bohnen und Mais gemischt — auf dem Platze ausgestreut, und nun begann ein gieriges Fressen. Das Schmatzen der Tiere und das Krachen der zerbissenen Körner bildete ein eigentümliches Konzert, nur zuweilen unterbrochen von dem Schnappen nach einem allzu gefrässigen Nachbarn, welchem dann stets ein Aufquieken des Gebissenen folgte. Unbekümmert um die Gegenwart von fünf Menschen, ja nicht einmal erschreckt durch den nankinggelben Staubrock eines unserer Begleiter, bewegten sich hier 14 erwachsene Schweine, nämlich drei grosse Keiler und elf Bachen mit mehr als 20 Frisch- lingen auf einem engen Raume, dicht vor uns, ein sehr interessantes Schauspiel. Auch die Frischlinge sprachen der Körnernahrung be- reits eifrig zu, obwohl sie sich, wie das wohlentwickelte Gesäuge der Bachen bewies, noch nicht von der ersten, von der Natur gebotenen, Nahrung entwöhnt hatten. Sie besassen noch die in früheren Zeiten gewiss während des ganzen Lebens des Wildschweines dauernde Längsstreifung, während die alten Tiere ein unregelmässiges Schwarz- grau gemengt mit Schwarzbraun zeigen. Der gesamte Bestand an Schweinen ist ungefähr doppelt so gross, als der vor uns versammelte. Es befinden sich darunter ein paar noch ältere Keiler, welche im verwundeten Zustande wahrhaft schreckliche Feinde darstellen würden. Die Tiere warden täglich mit Körnern gefüttert, da die Erdmast an Schnecken, Regenwürmern, Wurzeln und Pilzen, welche der Wald darbietet, ihnen nicht genügt; die ganze Umgebung der Hütte war derartig zerwühlt, dass die oberflächlichen Wurzeln fast überall völlig frei lagen. Gern hätte unser freundlicher Führer uns noch einen Teil des schönen Hirschbestandes (gegen 40 Stück) des Waldes gezeigt, aber dies wäre erst gegen Sonnenuntergang möglich gewesen, Mai 1897. Abh. XV, 11 162 und der noch vor uns liegende weite Weg gemahnte zum Aufbruch. So verliessen wir denn, von dem Förster bis zum Ausgange geleitet, den Törenwald durch das nach der kleinen Ortschaft Kalbe zu gerichtete Thor. Der Weg führte dann meist durch Moorwiesen oder buschige Vorgeest. Das rote Dach von Burg Sittensen blickte unfern der Strasse aus dem umgebenden Parke hervor. Wie sehr weckte es die Erinnerung an die Unbeständigkeit menschlichen Reiehtums! Wie war es peinlich, als vor etwa 12 Jahren der ganze Hausrat einer altaristokratischen Familie an die Liebhaber von Altertümern und Merkwürdigkeiten verhökert wurde! — Jetzt ist Burg Sittensen mit dem ganzen Landbesitze in das Eigentum der Klosterkammer zu Hannover übergegangen, und ein Herr von Mandelsloh bewirt- schaftet das Gut (selbstverständlich ohne die Waldungen) als Pächter. Der Weg führt nun auf mehrere Kilometer Länge über die horizontale Fläche des ‚Grossen Moores“ und erreicht in Wistedt die rasch ansteigende Geest und bald auch die durch Napoleon er- baute Hamburg-Bremer Chaussee, an welcher Tostedt immer einen wichtigen Haltepunkt bildete. Beachtenswert scheint es mir zu sein, dass in manchen Orten des Gaues Mosdi sich noch Reste einer eigentümlichen alten Frauen- tracht erhalten haben. Zwar Schnitt und Farbe der Kleider sind die bei uns im Norden allgemein üblichen, die Farben düster, das Mieder dunkelblau und der Rock schwarz, oder auch umgekehrt. Der Kopf ist bei Feldarbeit bedeckt von einem fast eylindrischen Strohhute, dessen Boden mit schwarzen Bändern verziert ist; auf den Schultern aber wird ein quer überlaufender buntfarbiger Wulst aus lockeren Wollfasern getragen; es wäre von Wichtigkeit, dessen Verbreitung durch die Dörfer zu verfolgen. Mögen viele Leser dieser Zeilen die Schönheiten unserer nordwestdeutschen Ebene aufsuchen! Sie werden sich an denselben herzlich erfreuen und zugleich befriedigt werden durch die einfachen aber glücklichen Verhältnisse, in welchen die meisten Bewohner unserer Heiden und Moore leben. Ein Winter im schwimmenden Lande von Waakhausen.) Von A. Kohlenberg (Worpswede). Über das schwimmende Land von Waakhausen ist zwar schon so viel geschrieben worden (das Treffendste wohl von J. G. Kohl in seinen „nordwestdeutschen Skizzen“), dass man es sich füglich ersparen könnte, darüber noch Worte zu verlieren; jedoch der Um- -stand, dass es trotz alledem noch immer Gelehrte giebt, die über dieses, dem Fernerstehenden ja allerdings recht seltsam und unerklärlich scheinende Phänomen zweifelnd den Kopf schütteln oder sich ein recht unklares Bild von den Verhältnissen machen, veranlasst mich, eine ausführliche Darstellung des schwimmenden Landes zu ver- öffentlichen. Ich wählte die Erzählungsform, um ein lebensvolleres Bild von Land und Leuten zu zeichnen, als dies in einer gelehrten Abhandlung möglich ist. Aus diesem Grunde drängte ich hier auch Thatsachen zusammen, die zwar nicht in derselben Reihenfolge, aber doch thatsächlich so geschehen sind, wie ich sie hier geschildert habe. Dies glaubte ich meinen Mitteilungen voraufschicken zu müssen, um etwaige mir hinterher zu machende Vorwürfe, als habe ich die Thatsachen irrtümlich entstellt, im voraus zu entkräften. — Wer im Hochsommer durch das schwimmende Land von Waak- hausen wandert, der hat gewiss keine Ahnung davon, auf was für einem — wenn auch nur zeitweilig — gefährlichen Boden er sich befindet. Dann verrät diese Gegend nichts von jenen Schrecken, die hier Herbst und Winter mit sich bringen, vielmehr erfreut sie den Wanderer durch ihre friedliche Stille, durch ihre herrlichen Birkenalleen mit den leuchtenden weissen Stämmen, die mit dem duftenden grünen Laube an zarten, herabhängenden Zweigen aussehen *) Bemerkung der Redaktion. Unter diesem Titel erschien in den Bremer Nachrichten vom 17. und 24. Januar 1897 ein Aufsatz, welcher in lebendiger Weise die Zustände des so merkwürdigen schwimmenden Landes zu Waakhausen schildert, Der Redaktion dieser Abhandlungen erschien es wünschenswert, denselben, wenn auch in etwas veränderter Form, auch ihrem Leserkreise zugänglich zu machen. Der Herr Verfasser ging auf ihre Wünsche bereitwillig ein, und. so erscheint der Aufsatz hier mit einigen Streichungen und Zusätzen, jedoch unter Wahrung der frischen erzählenden Form, 1% 164 wie „verwunschene Prinzessinnen“. Dichte Waldstreifen wechseln mit üppigen, blumigen Wiesen ab, auf denen Schafe und Kühe weiden,, und hier und dort erheben sich lange, mit Stroh gedeckte Bauern- häuser auf hohen Wurten aus Sand zum Schutz gegen die winter- lichen Fluten, jetzt aber beschattet von den mächtigen Laubkronen uralter Eichen. Jenseits der langen Häuserreihe des Dorfes dehnen sich meilenweit die grünen Wiesen der Hammeniederung aus, durch deren Mitte sich der Fluss langsam und träge, wie eine gewaltige Riesenschlange, hinwindet. So nimmt sich das schwimmende Land von Waakhausen im Sommer aus. Nun aber komm im November, Dezember oder in einem der anderen Wintermonate hierher, und du wirst staunen über die Veränderung, die mit dieser Gegend vor sich gegangen ist. Die grünen Wiesen sind verschwunden, und an ihrer Stelle erblickst du eine weite Wasserfläche, aus der nur die Bauernhäuser, der schwim- mende Wald und hier und da ebenfalls schwimmende Streifen grünen Kornlandes hervorblicken. . Der grösste Teil des Grund und Bodens von Waakhausen schwimmt, ausgenommen die Wiesen und die auf den Wurten liegenden Häuser, obgleich auch diese letzteren den Eindruck machen, als seien es lauter schwimmende Archen. Die Gegend, in welcher dieses merkwürdige Land liegt, führt. auf den Karten den Namen Teufelsmoor, eine Benennung, womit man allgemein jenes grosse Moorgebiet des Regierungsbezirks Stade be- zeichnet, welches sich wie ein grosses Dreieck nordöstlich von Bremen ausbreitet, und zwar nimmt das schwimmende Land von Waakhausen den südwestlichen Teil desselben ein, begrenzt im Westen und Süden durch die Hamme und das St. Jürgensland. Einen ähnlichen Anblick, wie oben geschildert, gewährt das schwimmende Land alle Jahre, jedoch treten jene Erscheinungen am kräftigsten auf, wenn Sturm und Hochfluten, wie sie hier etwa alle fünf oder zehn Jahre eintreten, sich damit verbinden. Eine solche Sturmflut war es nun auch, die ich im folgenden zu schildern ver- suchen will. Es war im Monat Dezember des Jahres 1876. Ich war kurz vorher als Lehrer nach W. versetzt worden, und so war es ganz natürlich, dass diese seltsamen Naturwunder auf mich einen lebhaften Eindruck machten, zumal ich aus einer Gebirgsgegend stamme und mit Wasser und Moor wenig vertraut war. Das erste, was ich auf Anraten der Bauern des Ortes gelernt hatte, war das Fahren in den kleinen kiellosen Langböten, ähnlich den Kanoes der Indianer, hier zu Lande mit dem eigentümlichen Namen Seelenverkäufer benannt, und es war mir auch gelungen, noch vor dem Eintreten der Herbstflut es in dieser Kunst so weit zu bringen, dass ich bei stillem Wasser zur Not von einem Hause zum andern kommen konnte. Mit den eintretenden Stürmen und Regengüssen des Oktober begann die Weser, und in Folge dessen auch das Wasser der ihr zufliessenden Flüsse, als Hamme und Wümme, zu steigen. Letztere 165 traten über ihre Ufer, und so waren in wenigen Tagen die grünen Wiesen Waakhausens von dem schwarzbraunen Moorwasser bedeckt. Als ich eines Morgens erwachte, stand das Schulhaus mitten in einem 'See, nur der Wald, welcher das Haus von zwei Seiten umgab, stand noch auf dem Trockenen, und obgleich das Wasser zusehends wuchs, blieb der Boden desselben doch davon ‚unbedeckt. Das war also das sonderbare Rätsel des schwimmenden Landes. Rasch kleidete ich mich an, löste das Boot von der Kette und fuhr hinüber, um das Naturwunder in nächster Nähe zu beschauen. Nachdem ich zuvor den Waldboden mit meinem Ruder auf seine Festigkeit geprüft hatte, sprang ich aus dem Schiff und band dasselbe an einer vorspringenden Baumwurzel fest. Der ganze Wald schwamm mit all seinen Büschen und Bäumen auf dem Wasser, das konnte ich deutlich wahrnehmen, wenn ich mit dem Fusse fest auftrat; denn dann zitterte und bebte weithin die Fläche, und das Wasser rings umher schlug Wellen. Es war nicht anders: durch den Druck des Wassers hatte sich die obere, etwa einen Meter dieke Moorschicht von dem ' Untergrunde abgetrennt und trieb vermöge ihrer organischen Beschaffenheit auf dem Wasser. - Wie es möglich war, dass Eichbäume von solch kolossalem Umfange schwimmen konnten, dass sollte ich erst einige Tage später erfahren, als ich an einigen umgestürzten Bäumen die riesigen Wurzelballen betrachtete, deren Umfang zum Teil zwölf bis fünfzehn Meter betrug. Nachdem ich meine Untersuchungen etwa eine Viertelstunde fortgesetzt hatte, kehrte ich zu meinem Schiffe zurück, denn die Zeit des Schulanfanges nahte. Die Kinder kamen heute alle in Kähnen zur Schule, denn andere Verkehrsmittel gab es nicht, da alle Wege und Stege unter Wasser standen. Mit grosser Gewandtheit wussten sie ihre kleinen Schiffe durch die Fluten zu steuern. Das nasse Element schien ihnen zu behagen; denn sie befanden sich alle mehr oder weniger in einer fröhlichen Stimmung. Auch meine, durch den Anblick dieser seltsamen Natur und des stetig steigenden Wassers etwas gesunkene Stimmung begann sich wieder zn heben beim An- blick all dieser fröhliehen Kindergesichter. Als der Nachmittagsunterricht beendigt war, stand das Wasser bereits oben am Hauswalle.. Wenn es so weiter wuchs, war in der kommenden Nacht eine Überflutung des Schulhauses zu erwarten. Eine nette Aussicht! Wie mir dabei zu Mute war, kann nur derjenige fühlen, welcher sich in ähnlicher Lage befunden hat. Ich entschloss mich daher, die Nacht nicht allein im Schul- hause zu bleiben, sondern einen mir befreundeten Nachbar aufzusuchen, dessen Haus höher lag. Um meine Kleider und Bücher vor der Feuchtigkeit zu schützen, trug ich dieselben auf den Boden. Als- dann bestieg ich meinen Kahn, um zum Nachbar hinüber zu fahren. Dort herrschte grosse Aufregung. 166 Das Vieh hatte man aus den Ställen — die sich bekanntlich im niedersächsischen Bauernhause zu beiden Seiten der grossen Hausdiele befinden — herausgeholt und auf die Diele gebunden, während man damit beschäftigt war den Fussboden der ersteren dureh starke Bohlen und darunter gelegte Balken künstlich zu er- höhen. Man nennt das hier zu Lande aufblocken. Diese Arbeit nahm eine geraume Zeit in Anspruch. Als man damit fertig war, wurde das Vieh wieder in die Ställe geführt. Dann lud mich der Bauer freundlich ein auf einem Stuhle am runden Feuerherde Platz zu nehmen. Dieser Herd befand sich nach alter Sitte im oberen Teile der grossen Hausdiele, in dem sogenannten Flett. Ein helles Torffeuer brannte auf demselben, und über dem Feuer hing am schwarz- berussten Haken der Kaffeekessel. Auch die übrigen Familienglieder kamen nun herbei und nahmen, nachdem sie mich freundlich begrüsst hatten, am warmen Feuerherde Platz: die Hausfrau, zwei Söhne im Alter von sechzehn bis achtzehn Jahren und eine Tochter von etwa zwanzig Jahren. Die Dunkelheit war inzwischen völlig hereingebrochen. Ein ziemlich heftiger Südwest hatte sich erhoben, und man konnte im Hause deutlich das Brausen und Plätschern der Wellen hören, die an der hohen Warft brandeten. Der Bauer hatte sich eine kurze Pfeife angezündet und fing nun an von den Freuden und Leiden des schwimmenden Landes zu erzählen. „Wo gefallt Sei dat denn hier, Herr Lehrer?“ richtete er nach einiger Zeit die Frage an mich. Ich erwiderte, dass mir die Menschen schon gefielen, dass da- gegen das Wasser mir durchaus nicht sympathisch sei. „Na,“ meinte er, „dat werd mit der Tied bäter (besser). De Minsch gewöhnt sik an all’s, ok an dat Water. Wenn Sei man erst mal einen Winter hier dörmakt (durchgemacht) hevt, denn mögt Sei goar nich mehr weg.“ „Wir wollen es hoffen,“ entgegnete ich lächelnd. Unter diesen und ähnlichen Gesprächen war der Abend immer weiter vorgerückt. Der Wind hatte an Heftigkeit noch zugenommen, und der Bauer horchte von Zeit zu Zeit auf das Brausen desselben. „Wenn de Wind düsse Nacht so in’n Gang blivt (bleibt), denn drivt (treibt) da noch veel Land weg,“ sagte er. Dann erzählte er mir, wie vor längeren Jahren einem Manne in Weyermoor, einem nahe bei Waakhausen gelegenen Dorfe, einst bei einer solchen Sturmflut ein grosses Stück Land mit allen darauf befindlichen Bäumen fortgetrieben wäre. Es lässt sich denken, dass solche Erzählungen nicht gerade dazu angethan waren, meine Stimmung zu erhöhen. Dieses seltsame Land kam mir immer unheimlicher vor, und ich gedachte im stillen mit Wehmut meiner schönen Heimat, deren Bewohner das Wasser nicht zu fürchten brauchen. Jetzt allein nach dem einsam und niedrig gelegenen Schulhause zurückzukehren, schien mir mehr als waghalsig zu sein. Es kam 167 mir daher sehr willkommen, als der Bauer mich einlud, bei ihm vorläufig zu bleiben, da unter den obwaltenden Verhältnissen an ein Sehulehalten doch nicht zu denken sei. Am liebsten wäre ich wach geblieben und hätte diese un- heimliche, dunkle und stürmische Nacht am traulichen Herdfeuer verplaudert; denn nach all den wunderbaren Eindrücken, die ich heute empfangen hatte, war an Schlaf doch wohl kaum zu denken. Als aber die freundliche Hausfrau mir in einem Alkoven der guten Stube mein Bett anwies, und auch die übrigen Familienglieder ihre Absicht, zur Ruhe zu gehen, kund gaben, musste ich wohl oder übel meine Ruhestätte aufsuchen. Lange noch lag ich wachend im Bett und horchte auf das Brausen des Windes und das Branden der Wogen am Hauswarf. Erst gegen Mitternacht schlief ich ein. Als ich am anderen Morgen erwachte, schienen die Bewohner des Hauses in grosser Aufregung zu sein, denn ich hörte ein ge- schäftiges Hin- und Herrennen und dann und wann ruiende Stimmen. Ich sprang daher rasch aus dem Bette und kleidete mich an. Als ich auf die Diele trat, teilte mir die Hausfrau mit, dass sick ein beträchtliches Stück Busch, wohl etwa anderthalb Morgen gross, von dem übrigen Lande losgelöst habe und bereits etwa fünf- hundert Meter fortgetrieben sei. Die Knechte waren ausgeschickt, um die Nachbarn zu Hülfe zu rufen, während der Bauer mit seinen Söhnen dem Flüchtling in Böten nachgeeilt war, um die auf dem Lande befindlichen Bäume zu fällen, damit sie dem Winde keinen Widerstand mehr darböten. Bald kamen mehrere Nachbarn mit ihren grossen Schiffen herbei. Nachdem die Bäume auf der Insel umgehauen waren, ging man daran die stehengebliebenen Baumstümpfe mit langen Seilen an den Schiffen zu befestigen. Als dies geschehen war, wurde der Versuch gemacht, die Insel mittelst der Schiffe vorwärts zu ziehen. Nach mehrstündiger saurer Arbeit gelang es das schwimmende Land wieder an seinen Platz zurückzubringen. Um ein abermaliges Forttreiben desselben zu verhüten, be- festigte man es mit langen Tauen an starken Pfählen, welche man auf dem Warf eingerammt hatte. Den Tag über stieg das Wasser zwar langsam, aber stetig. Als wir am Abend wieder am Feuerherd versammelt waren — draussen heulte und tobte der Sturm, als ob er alles vom Erdboden hinwegfegen wollte, und dabei war es so finster, dass man keine Hand vor den Augen sehen konnte — da hörten wir draussen laute Hülferufe. Sogleich sprang der Bauer von seinem Sitze um zu sehen, was vorgefallen sei. Jedoch kehrte er bald wieder mit der Nachricht zurück, dass er nichts weiter vernommen habe; wahrscheinlich seien es Schmuggler gewesen, die dies schlimme Wetter gern zu ihrem gefährlichen Handel benützten. Es geschehe aber meist sehr viel Unglück dabei. Fast kein Winter gehe dahin, dass nicht mehrere Personen dabei ums Leben kämen. 168 Das Wasser hatte inzwischen das Haus erreicht. Der Vorsicht halber befahl der Bauer seinen Knechten, die grossen Schiffe hinter demselben zu befestigen, wo Wind und Wellen sie nicht fassen konnten; die kleineren dagegen, auch das meinige, wurden auf die Diele ge- zogen. Da es noch früh am Abend war, so verbrachten wir noch einige Zeit rauchend und plaudernd am Herdfeuer. Eine Stunde mochte etwa verflossen sein, da gewahrten wir plötzlich, wie sich etwas die grosse Hausdiele heraufbewegte. Anfangs sah es aus, wie eine Schlange, so wand es sich hin und her, wurde dann aber zusehends breiter, bis es fast die ganze Diele einnahm. Es war Wasser. Wie mir bei diesem Anblick zu Mute war, lässt sich kaum sagen. Ich kam mir vor, wie ein Schiffer, dessen Fahrzeug ein Leck bekommen hat. Vorderhand war allerdings die Gefahr für uns noch nicht so gross, zumal die Wohn- und Schlafzimmer des Hauses reichlich einen Fuss höher lagen, als die Diele. Wir begaben uns daher auch bald zur Ruhe; nur die Knechte und die beiden Söhne blieben auf, um Wache zu halten. Aus dem Schlaf wurde jedoch bei mir begreiflicher Weise noch weniger wie die Nacht zuvor. Bereits früh am Morgen erhob ich mich. Ich blickte aus dem Fenster, um zu sehen, wie es mit Wasser stände. Welch ein seltsamer Anblick bot sich mir da! Der Wind hatte sich zwar gelegt, der Wald aber, welcher rings das Haus umgab, trieb hoch oben auf dem Wasser. Mehrere der mächtigen Eichen und Tannen waren vom Sturme umgerissen worden, und die riesigen Wurzelballen ragten hoch aus dem Wasser hervor. Die ganze Hausdiele war samt dem Flett fast einen halben Fuss hoch vom Wasser überschwemmt; nur der Feuerherd ragte noch daraus hervor und nahm sich mit seinem hellen Torffeuer, dessen Flammen sich in dem Wasser spiegelten, seltsam genug aus. ; Eines der grossen Schiffe hatte man ins Haus gezogen und in die Nähe des Herdes gestellt, zwischen demselben und den Thüren dagegen waren lange Bretter gelegt. Auf dem Herd dampfte bereits der Morgenkaffee, und die Hausfrau war damit beschäftigt, den Tisch in der Wohnstube zu decken. Als wir beim Frühstück sassen, kam plötzlich einer der Knechte herein und meldete, dass das Wasser fiele. Neugierig sprangen wir alle von unseren Sitzen und eilten an die Thür. Wirklich konnten wir deutlich das Ablaufen des Wassers wahrnehmen. „Da mot wat (muss was) passiert wesen (sein),“ sagte der Bauer, zog seine langen Wasserstiefel an und ging vor die Hausthür. Nach kurzer Zeit kam er wieder herein mit der Nachricht, dass wahrscheinlich der Blocklander Deich gebrochen sei; denn man könne deutlich das Brausen des Wassers vernehmen. „Den einen sien Unglück is den annern sien Glück,“ meinte er, „dei Diekbruch will uns woll einige Dage Luft verschaffen, wenn aber dat Blocklander Feld vull is, will dat Water woll wedder (wieder) kamen.“ 169 Das Wasser fiel anfangs so schnell, dass die Knechte Mühe hatten, das grosse Schiff wieder aus dem Hause hinaus zu bringen. Nach dem Frühstück forderte mich mein Gastgeber auf, mit ihm eine Fahrt durch das Dorf zu machen, um zu sehen, wie es den Nachbarn und einigen Verwandten ginge. Gegen zehn Uhr vormittags fuhren wir mit dem grossen Boote ab. Unser erster Besuch galt dem Schulhause. Ich war neugierig, wie es dort wohl aussehen mochte. Es war schwer, zu ihm zu gelangen. Der hoch emporgetriebene Wald verdeckte es fast ganz. Viele Bäume waren kreuz und quer über den Weg geworfen, und ihre Aste und Wurzeln bildeten ein fast undurchdringliches Ganze. Nur mit vieler Mühe vermochten wir das Schiff hindurchzusteuern. Das Haus selbst stand noch bis an die Fenster im Wasser. Die Zimmer waren sämtlich überschwemmt, und Tische und Stühle schwammen in dem Wasser umher. Wie froh war ich jetzt, dass ich noch zu rechter Zeit geflüchtet war! Auch die Wände des Hauses hatten unter dem Andrang der Wellen sehr gelitten, und das Strohdach war vom Sturme zur Hälfte weggerissen. Wir fuhren dann weiter durch das Dorf, aber überall dasselbe Bild, dieselben Verwüstungen. Hier tief im Wasser liegende Häuser, dort hoch emporgetriebener Wald und umgestürzte Bäume; dazwischen grünes, schwimmendes Kornland; ein seltsamer Anblick für mein an solche Zustände nicht gewöhntes Auge. Auf einer Wiese, über die wir fuhren, stand das Wasser fünf- zehn Fuss hoch. Ziemlich am Ende des Dorfes wohnte ein Schwager des Bauern; zu dem ging unsere Fahrt nun. Als wir dort ankamen, stand das Wasser im Hause noch etwa einen Fuss hoch, obgleich es bereits fast einen Fuss gefallen war; daher waren wir genötigt, mit unserem Schiffe direkt in das Haus hinein zu fahren, dessen grosse Eingangs- thür ja Raum genug dazu bot. Auch hier stand das Vieh hoch aufgeblockt und war somit trotz des hohen Wasserstandes auf dem Trockenen geblieben. Die Knechte waren eben damit beschäftigt, dasselbe zu füttern. In kleinen Booten fuhren sie vor dem Stalle entlang und warfen das Heu auf vorgelegte Bretter, welche die Stelle der Krippen vertraten. Die Familie hatte sich in einem Schiffe, welches in der Nähe des überschwemmten Feuerherdes stand, wohnlich eingerichtet, und die Hausfrau kochte gerade auf einem improvisierten Herde das Mittagessen. Die Leute waren sehr erfreut über unsern Besuch, noch mehr aber über das endliche Fallen des Wassers. Gegen Mittag fuhren wir dann wieder nach Hause. Wenige Tage nach dem Deichbruch begann das Wasser wieder zu steigen und erreichte fast die frühere Höhe wieder, jedoch glücklicherweise nur auf wenige Tage. Alsdann machte sich ein langsames Fallen bemerkbar. Nach etwa vierzehn Tagen konnte ich 170 wieder in das Schulhaus einziehen. Aber auch jetzt war der Wasser- stand noch immer recht beträchtlich, so dass man ohne Schiff im Dorfe nicht verkehren konnte. Diesem Zustande machte jedoch der Winter bald ein zZ indem er uns eine schöne, feste Brücke baute. Eines Morgens war das Wasser mit einer spiegelglatten Eis- fläche bedeckt; jedoch war dieselbe noch nicht so stark, um darauf gehen zu können. Nur mit vieler Mühe konnte ich mir einen Weg für mein Schiff bahnen, um zum Nachbar zu kommen, bei dem ich zu Mittag speiste. Die Schulkinder blieben natürlicherweise heute aus; aber schon am folgenden Tage erschienen sie bereits vollzählig. Auf Schlitten und Schlittschuhen kamen sie herbei, zum Teil von ihren Vätern oder deren Knechten begleitet; denn das Passieren des Eises erforderte noch immer eine gewisse Vorsicht, welche Kinder, wenn sie sich allein überlassen sind, leicht ausser acht lassen. Nach einigen Tagen war das Eis bereits so stark, dass auch der Unerfahrene sich ohne jede Gefahr hinauf wagen konnte, dennoch aber riet mir mein Nachbar, es nicht ohne Eispicke zu betreten, ein guter Rat, den zu schätzen ich später oft genug Gelegenheit gehabt habe. Das Schlittschuhlaufen ist in der Gegend von Waakhausen eine allgemein verbreitete Kunst; fast jedermann versteht sich darauf, vom alten Mütterchen bis zum vierjährigen Kinde. Die Eisbahn bot neben ihrer Grösse und spiegelglatten Fläche noch manches Anziehende dar. Stundenweit konnte man zwischen den Gehöften und schwimmenden Wäldern dahingleiten. Ganz be- sonders war es der Wald, welcher das Auge durch seine malerischen _ Gruppen und Scenen erfreute. Die umgestürzten Bäume, welche mit ihrem Geäst hoch emporstarrten und zwischen deren Zweigen und riesigem Wurzelwerk phantastische Eiszacken hingen, schauten gespenstisch aus; dann wieder bildeten die zarten Birkenstämme mit ibrer schneeweissen Rinde gegenüber den knorrigen, bemoosten Eichen und dem undurchdringlichen Erlengebüsch einen eigentümlichen Kontrast; dazwischen lagen die gewaltigen, mit Stroh gedeckten Bauernhäuser auf hoher Wurt, und hier und dort zogen sich grüne Streifen schwimmenden Kornlandes hin, uns gleichsam die vom Eise bedeckten Wiesen ersetzend. Ganz besonders reizend erschien die Landschaft gegen Abend, wenn die Sonne unterging und sie mit, ihren dunkelroten Strahlen übergoss. Es ist leicht erklärlich, dass in einer Gegend, wo Wasser und Eis vorherrschen, dieselben auch so viel als möglich von den Be- wohnern als Verkehrsmittel ausgenutzt werden. Aus diesem Grunde stehen denn auch Wasser- und Eissport hier zu Lande in grosser Blüte. Was anderwärts zu Wagen und zu Pferde abgemacht wird, geschieht hier mittelst der Schiffe und Schlittschuhe. Bei günstigen Wasser- und Eisverhältnissen entwickelt sich dann zwischen den einzelnen Orten und besonders zwischen Bremen und Waakhausen bezw. Worpswede ein lebhafter Verkehr. 1201 So hegte auch ich eines Tages den Wunsch, eine Schlittschuh- fahrt nach Bremen zu machen. Da mir aber die Bahn unbekannt war, so bat ich den Nachbar, mich zu begleiten. Leider war es an dem Morgen etwas nebelig. Wir warteten daher auf die Mittags- sonne, die, wie der Bauer meinte, den lästigen Nebel bald vertreiben würde, aber derselbe ward nur noch dichter. Da mein Begleiter den Weg genau kannte und ausserdem bei dem hohen Wasserstande keine Waaken — offene Stellen im Eise, die von unterirdischen Quellen herrühren sollen — zu fürchten waren, so traten wir gleich nach Mittag die Reise an. Der Nebel war inzwischen so dicht geworden, dass wir, fünfzig Schritte vom Hause entfernt, nichts mehr von demselben wahrnehmen konnten. Wir griffen tüchtig aus, um möglichst vor Dunkelwerden wieder zu Hause sein zu können. Alle Augenblicke flogen die dunklen Umrisse eines Bauerngehöftes an uns vorüber. So mochten wir etwa eine Stunde gelaufen sein. Nach der Zeit und Geschwindig- keit unseres Laufes zu urteilen, mussten wir das St. Jürgensland längst hinter uns haben, trotzdem aber hatten wir die Wümme und den Blocklander Deich noch nicht passiert. Das kam uns sonderbar vor, und der Bauer gab mehrmals seiner Befürchtung Ausdruck, dass “ er glaube, wir hätten uns verirrt, oder, wie er sich in seiner Sprache ausdrückte, wir seien „verbiestert“. Wir versuchten deshalb ein Haus anzutreffen, um dort über die Örtlichkeit Erkundigungen einzuziehen. Wirklich tauchte auch bald ein Gehöft vor uns auf. Wir liefen näher hinzu, doch — wer beschreibt unser Erstaunen, als wir in demselben dasjenige meines Begleiters erkannten. Unter Lachen und Verwundern schnallten wir unsere Schlitt- schuhe ab und gingen ins Haus, denn an eine Fortsetzung der Reise war heute doch nicht mehr zu denken. Beim Kaffee erzählte mir dann später der Bauer von ähnlichen Irrfahrten im Nebel, die hier fast jeden Winter vorkommen sollen. Wie ich auch noch sonst von zahlreichen anderen Personen erfahren habe, ist es eine ausgemachte, aber ebenso merkwürdige Thatsache, dass auf dem Eise im Nebel verirrte Personen sehr oft wieder zu dem Ausgangspunkte zurückgelangen. Diese merkwürdige Erscheinung ist schwer zu erklären. Wahrscheinlich beruht sie auf einer unbewussten kleinen aber stetigen und immer nach derselben Seite (links oder rechts) erfolgenden Ablenkung von der geraden Richtung, welche jeder rasch sich bewegende Mensch erfährt, wenn ferne Orientierungspunkte margeln. Ob diese Ablenkung mit dem Kreislauf des Blutes zusammenhängt? Den langen Winter hindurch führen die Bauern des schwimmenden Landes ein recht behagliches Leben. Wenn sie nicht gerade mit Wasser und Eis zu kämpfen haben — denn auch dieses kann be- sonders abgelegenen Höfen, wenn sie nicht genügend durch Wald geschützt sind, recht gefährlich werden, indem es sich oft zu ge- waltigen Haufen zusammenschiebt und Scheunen und Wohnhäuser unter seiner Last erdrückt — so liegen sie im wahrsten Sinne des 172 Wortes auf der Bärenhaut, essen, trinken, rauchen und machen sich gegenseitig Besuche. Die Gastfreundschaft ist hier zu Lande sehr gross. Fast kein Tag ging vorüber, dass ich nicht von diesem oder jenem Bauern zu Gaste geladen wurde. So verging mir der Winter im schwimmenden Lande, der mir anfänglich in so grausigem Lichte erschienen war, in der angenehmsten Weise. Das Eis hielt sich bis Mitte Februar, und so hatte ich noch oft Gelegenheit, die gesunde Kunst des Schlittschuhlaufens zu üben. Jedoch wurde auch dieses mit der Zeit gefährlich, denn mit dem fallenden Wasser kamen grosse Risse in das Eis, von den Bewohnern „Spannjen“ genannt, weil sie durch Spannung der Eisdecke entstehen. Mit welcher Gewalt sich die Spannjen oft bilden, davon kann sich nur der einen vollkommenen Begriff machen, welcher es gesehen hat. Mit donnerartigem Gekrache läuft ein solcher Riss blitzschnell oft meilenweit über die Eisfläche, und dabei fliegen die Eisschollen meterhoch empor. Kommt eine Spannje auf ihrem Wege an einen Deich oder Hauswall, so geschieht es nicht selten, dass auch diese einen Riss bekommen, so gewaltig ist die Naturkraft, die jene hervorruft. Oft erweitern sich die Spannjen so sehr, dass sie dem ahnungs- losen Schlittschuhläufer fast ebenso gefährlich werden, als die oben erwähnten Waaken. Die Eingeborenen gehen daher im Winter nie ohne die bekannte Eispicke aus. Dieselbe besteht aus einer drei bis vier Fuss langen Stange mit eiserner Spitze und Haken. Sie dient sowohl zur Prüfung des Eises, als auch als Rettungsmittel bei etwaigen Rein- fällen und ist als solches von nicht zu unterschätzendem Werte. Mit dem fallenden Wasser senkte sich das schwimmende Land wieder auf den alten Grund hinab, und gewann somit die Gegend ihr natürliches Aussehen wieder. Auch das Eis begann allmählich zu schmelzen, und selbst die letzten Klumpen, die sich unter den Wurzelballen der umgestürzten Bäume verborgen hatten, mussten endlich den warmen Strahlen der Frühlingssonne weichen. Die Saaten, die ohne das Schwimmen des Erdreichs dem ge- wissen Untergange anheimgefallen wären, grünten und sprossten frisch empor. Auf den Wiesen und Weiden öffneten bereits die ersten Dotterblumen ihre Kelche. Der Wald begann sich mit singenden und zwitschernden Vögeln zu beleben, und die Luft war erfüllt von dem köstlichen Dufte der jungen, aufbrechenden Birkenknospen. Die prächtigen Wiesenpfade und Birkenalleen aber luden ein zu Spaziergängen; und all das bunte Leben und Weben der Natur liessen mich bald die Schrecknisse des schwimmenden Landes vergessen, wenn mich nicht hier und dort auf Wegen und Wiesen liegen ge- bliebene Erdschollen, welche das Wasser dorthin geschwemmt hatte, daran erinnert hätten. » Das sind wohl im wesentlichen die Thatsachen, die ich dem Leser mitzuteilen für nötig hielt. Es erübrigt nun noch festzustellen, 173 was von den früher über Waakhausen gemachten Mitteilungen richtig ist, und was etwa auf falscher Vorstellung beruht. Gleich von vorn herein möchte ich da feststellen, dass es eine ganz verkehrte Annahme ist, das Moor von Waakhausen sei ein ganz eigenartiges, in seiner Zusammensetzung zum Schwimmen be- sonders disponiertes Moor. Dies ist keineswegs der Fall; denn der Boden Waakhausens besteht in der Hauptsache aus ganz denselben Bestandteilen wie alle andern Moore Norddeutschlands. Mag auch der vor dem Dorfe bis zum Hammeflusse sich ausdehnende Wiesen- grund grösstenteils aus den Resten eines ehemaligen Überwassermoores bestehen, so ist er doch im Laufe der Jahrhunderte von dem ein- dringenden Weserwasser mit einer mehrere Zoll dicken Schliekschicht bedeckt, so dass er nicht mehr schwimmen kann, wenigstens nicht mehr bei diesem örtlichen, verhältnismässig nur geringem Wasser- druck. In der Nähe des Dorfes geht das Wiesenmoor allmählich in Hochmoor über, das sich im Durchschnitt etwa zwei bis drei Meter über dem aus Dünensand bestehenden Untergrund erhebt. Dieses Hochmoor ist es nun vornehmlich, welches schwimmt. Es ist meines Erachtens ein Irrtum, wenn einige Schriftsteller das Bedürfnis zeigen, für dieses dem Fremden ja recht sonderbar, dem - Einheimischen aber gar nicht so unnatürlich scheinende Phänomen ganz merkwürdige Ursachen aufzufinden. Mir persönlich erscheint der Vorgang so einfach und naturgemäss, dass ich zu behaupten wage: alle Moore können und würden schwimmen (vorausgesetzt, dass sie nicht mit besonderen Bestandteilen als Schlamm, Rasen- eisen etc. vermischt sind), wenn nur das nötige Wasser dazu vor- handen wäre. Man mache doch nur einmal die Probe und löse von irgend einem Hochmoore eine Scholle los und werfe sie ins Wasser, und man wird die Erfahrung machen, dass sie schwimmt, gerade so wie ein Bündel Heu, Stroh oder Heide im Wasser schwimmen wird. Zwar sind die untersten Moorschichten in der Regel schon so sehr zersetzt, dass sie ihres nunmehr weit grösseren spezifischen Gewichtes wegen nicht mehr schwimmen können; die oberen, noch wenig zer- setzten Schichten dagegen haben ein weit geringeres spezifisches Gewicht als das Wasser, und schwimmen daher, ganz besonders, wenn Bäume und Büsche, deren Wurzelwerk sich gleichfalls nur in dieser oberen Schicht verzweigt, darauf wachsen und somit derselben einen gewissen Zusammenhang verleihen. Aus demselben Grunde erklärt sich auch wohl das leichtere Loslösen der oberen Schicht von der schwereren unteren. Einen Umstand aber möchte ich bei dieser Gelegenheit noch anführen, den ich bislang noch bei keinem Schriftsteller, der über Waakhausen geschrieben hat, erwähnt gefunden habe; das ist das Eis. Bekanntlich gefriert der vom Wasser stets vollgesogene obere Teil des Moorbodens sehr leicht und tief ein; das an und für sich schon geringe spezifische Gewicht des Bodens wird dadurch noch kleiner, so dass er bei eintretender Flut leicht gehoben wird. Ist die obere Schicht aber erst einmal von der unteren losgelöst, so geschieht dies im kommenden Jahre um so leichter, als ein Zu- 174 sammenwachsen der einmal von einander getrennten Schichten natur- gemäss nicht stattfindet. Dass das Eis thatsächlich auf das Schwimmen des Landes von Einfluss ist, zeigt der Umstand, dass oft nach an- haltendem Froste, bei dem das Land nicht überschwemmt war, Wiesenstreeken hochtreiben, die sonst niemals schwimmen. Endlich sei noch bemerkt, dass nicht nur das Moor von Waak- hausen und Weyermoor schwimmt, sondern auch der zum grössten Teile aus reinem Hochmoore bestehende Boden von Worpedahl, Nord- wede und Worpheim. Man glaubt allgemein, dass mit der Vollendung der Weser- korrektion das schwimmende Land von Waakhausen aufhören werde als solches zu existieren; jedoch lässt sich jetzt kaum schon ein endgültiges Urteil darüber fällen; da wir seit der Weserkorrektion noch keine eigentlichen Sturmfluten, wie sie die Jahre 1876 und 1880/81 gebracht, gehabt haben. Allerdings läuft jetzt das Weser- wasser leichter zum Meere; aber es ist nicht zu leugnen, dass andererseits Sturmfluten mit weit grösserer Schnelligkeit in die Mündungen der Flüsse dringen und die angrenzenden Tiefländer überschwemmen. Aber wenn wir auch annehmen wollten, dass vielleicht so hohe Wasserstände, wie sie die oben genannten Jahre gebracht haben, nie wieder möglich wären, so wird ein Schwimmen des Moores von Waakhausen im geringen Umfange doch fast jeden Winter stattfinden, wie man das schon jetzt mit Bestimmtheit konstatieren kann. Wenn aber einst nach Jahrhunderten das ganze Teufelsmoor teils durch die Hand der Menschen, teils durch das Walten der Natur in Wiesenland verwandelt sein wird, dann wird auch das schwimmende Land von Waakhausen nur noch in Sagen und Ge- schichten oder in den Büchern der Wissenschaft existieren, und keine Hochflut wird es mehr zum Schwimmen bringen, es sei denn, dass auch hier so gewaltige Naturereignisse einträten, wie sie einst bei der Entstehung der grossen Meerbusen an unserer Nordseeküste, des Jadebusens, des Dollart oder des Zuyder Meeres sich vollzogen. Schlussbemerkung. Zur Frage des auf dem Wasser schwimmenden Moores ist besonders noch der sehr interessante Aufsatz von Friedr. Müller zu vergleichen: Der Moordeich und das Aussendeichsmoor an der Jade bei Sehestedt (diese Abhandlungen, 1889, XI, p. 235 —244). Fr. Bucehenau. ® ® i Die Winest. Von Franz Buchenau. (Bereits abgedruckt in der Weser-Zeitung vom 6. und 7. Juli 1894.) Unter den bewaldeten Höhenzügen der Geest zwischen den Unterläufen der Weser und Elbe erfreut sich — wenn wir von der in der menschenarmen Heide gelegenen Lieth bei Fallingbostel, dem „Paradiese der Heide“, absehen — keiner bei den Umwohnern einer gleich grossen Beliebtheit als die Wingst. Keiner springt aber auch so weit in ausgedehnte flache Moor- und Marschdistrikte vor, als eben die Wingst, welche für die Bewohner der Lande Keh- dingen und Hadeln und speziell für diejenigen des Kreises Neuhaus an der Oste den wichtigsten Ausflugs- und Erholungspunkt bildet. - Der Anblick hochragender Stämme und geschlossener Baumkronen, das Dämmerlicht des Waldes und die balsamische Luft desselben erquicken am besten den ermüdeten Bewohner der Ebene. Die Lüneburger Heide erreicht in dem zwischen Soltau, Roten- burg und Lüneburg gelegenen Gebiete, welches Dr. W. O. Focke sehr passend die „Zentralheide* genannt hat, ihre höchste Erhebung, welche in dem Wilseder Berge auf 171 m ansteigt. Von ihr aus fliessen die Bäche und Flüsse: Rodau, Wiedau, Veerse, Fintau, Wümme, Oste, Este, Seve, Aue, L.ühe, Gerdau, Oertze und Böhme strahlenförmig nach allen Seiten ab. Nach Nordwesten hin senkt sich die Hohe Geest allmählich. An der Hamburg-Bremer Eisenbahn liegen die Stationen Buchholz, Tostedt, Lauenbrück, Scheessel, Rotenburg noch 67, 57, 33, 30 und 21 m hoch. Dieses Geestland wird durch die zuerst nach Nordwesten, dann rein nach Norden fliessende Oste, in deren Thal ausgebreitete Moore liegen, in zwei nahezu gleich breite Hälften geteilt. Beide Teile sind zum letzten Male miteinander bei Bremervörde verbunden, wo sie dieht an den Fluss herantreten. Hier, bei Bremervörde, überschreitet denn auch die alte von Bremen her kommende Landstrasse den Fluss Oste und teilt sich unmittelbar auf dem rechten Ufer des Flusses in die nördliche Strasse (nach Stade) und die südliche (nach Harburg). Bremervörde ist daher gewiss eine uralte Ansiedelung. Im Mittel- alter wird der Ort allgemein Vorde (lateinisch Vorda) genannt. Dr. W. O. Focke hat es in seiner noch lange nicht genug beachteten Arbeit: „Die ältesten Ortsnamen des deutschen Nordseeküstenlandes‘*) sehr wahrscheinlich gemacht, dass das Tulifurdum des Ptolemäus (zweites Jahrhundert nach Christi Geburt) unser heutiges Bremer- *) Diese Abhandlungen, 1886, IX, p. 265— 274. 176 vörde ist. Dagegen ist es sicher doppelt falsch, wenn Guthe in seinem trefflichen Buche: Die Lande Braunschweig und Hannover, den im „Leben des heiligen Willehad‘“ genannten Ort: Midlistan- fadar-uurde durch „mittelste Wasserfurt“ übersetzt und auf Bremer- vörde deutet (ein Fehler, welcher auch in die Festschrift zur 50 jährigen Jubelfeier des Provinzial-Landwirtschaftsvereins zu Bremer- vörde übergegangen ist). Fadar-uurde kann unmöglich Wasserfurt bedeuten, sondern entspricht wohl unserm heutigen Fedderwarden (was wieder dem hochdeutschen Peterswerder analog sein dürfte). Überdies sprachen unsere wortkargen Vorfahren wohl von einer Furt (Vorde), aber gewiss nicht von „Wasserfurten“, da „Landfurten“ und „Luftfurten* Unmöglichkeiten sind. Midlistan-fadar-uurde wird also als Mittel-Fedderwarden aufzufassen sein, wie wir noch heute ein Gross- und ein Klein-Fedderwarden haben. Midlistan-fadar- uurde wird von den neueren Herausgebern der „Vita Willehadi“, offenbar richtiger auf Misselwarden im Lande Wursten gedeutet; Bremervörde kann aber für diesen durch ein Wunder des heiligen Willehad verewigten Ort auch deshalb nicht in Betracht kommen, weil in der Vita Willehadi kein anderer, soweit entfernt von der Weser nach der Elbe zu liegender Ort vorkommt. — Bremervörde war im Mittelalter eine wichtige Festung und längere Zeit unter den evangelischen Erzbischöfen der Sitz der Regierung des Herzogtums Bremen, bis dieselbe von den Schweden nach der im Jahre 1648 erfolgten Besitzergreifung der Herzogtümer Bremen und Verden von dort nach Stade verlegt wurde. Noch im siebenjährigen Kriege bildete Bremervörde einen militärisch-wichtigen Knotenpunkt. Von hier an wird die Oste schiffbar, und der Einfluss von Ebbe und Flut macht sich bis zur Brücke von Bremervörde bemerklich. Die erwähnte östliche Hälfte der Geest fällt in der Linie Harburg, Bnxtehude, Horneburg, Stade, Himmelpforten steil nach der Marsch des Alten Landes hin ab; die schluchten- und hügel- reiche Randlandschaft macht ganz den Eindruck, als sei sie zur zweiten Eiszeit von der Endmoräne des grossen Gletschers, welcher Nordost- deutschland bedecekte, gebildet worden. Anders die westliche Hälfte. Sie wird an ihrem Nordrande durch die tief nach Süden eingreifende Marsch- und Moorlandschaft des Hadeler Sietlandes in zwei Zungen geteilt. Die westliche dringt mit dem schmalen Rücken von Neuen- walde, Midlum, Berensch und Ahrensch bis nach Duhnen in der unmittelbaren Nachbarschaft der Kugelbaake bei Cuxhaven vor. Hier (bei Berensch und Ahrensch) ist eine der wenigen Stellen den deutschen Küste, wo die Heide (die Abdachung des Wehrberges) unmittelbar an den Meeresstrand angrenzt, wo der Heidestrauch und die ihn begleitenden Pflanzen von dem Gischt der Meereswogen. getroffen werden, ohne dass sich eine Strandvegetation ausgebildet hat. Etwas weiter nach Norden, bei Duhnen, liegt ein schmaler, aber pflanzenreicher Dünenstrich zwischen der Geest und dem Meere. Nur noch an einer einzigen Stelle der deutschen Nordsee-Festlands- küste: in dem Vorgebirge von Dangast, tritt die Hohe Geest unmittelbar an das Meer heran und stürzt steil zu der Küste hinab. I Auch hier ist oben auf der Geest nichts mehr von dem Ein- fluss der See auf die Vegetation zu merken; aber der Fuss des Ab- sturzes ist doch von einer schmalen Strandwiese eingenommen, welche unsere charakteristischen Salz- und Küstenpflanzen aufweist. Auch auf Sylt grenzt an ein paar Stellen die Heide unmittelbar an die See, stürzt aber hier in einem steilen, im Abbruch liegenden „Kliff“ zum Seestrande hinab. R Die zweite (östliche) Zunge der Geest endlich dringt von Orel bei Bremervörde direkt nördlich zwischen die Oste und das Land Hadeln hinein vor und endet eben in der Wingst. Nur an wenigen Stellen ist dieser Gestrücken über eine Meile breit; seine mittlere Höhe beträgt 20—30 m. Zweimal wird er von Niederungen durch- brochen, zuerst von dem Thale der Mehe, welche nach Osten hin zur Oste abfliesst, dann durch das Thal der nach Westen zum Balksee fliessenden Bäche; so zerfällt er naturgemäss in drei Höhen: in die Geestflläche von Ebersdorf und Alfstedt, in die Umgegend von Lamstedt, welche in den Westerbergen (35 m) ihren höchsten Punkt erreicht, und in die Wingst. Diese ganze Geestzunge ist von Diluvialgebilden, d. i. den Ab- lagerungen der Eiszeit, überlagert. Wahrscheinlich bedeckte aber nur die erste Vergletscherung das Land; von der zweiten, welche ganz Nordostdeutschland unter sich begrub, wurde es nicht mehr erreicht. — Gerade an der Stelle (bei Werstede und Westersode), wo die Lamstedter Geest sich der Wingst am meisten nähert, tritt auf der Lamstedter Geest die Kreideformation aus der Tiefe beinahe zu Tage, und zwar ist es das Gebirgsglied der weissen Kreide mit ihren grossen charakteristischen Feuersteinknollen, welches hier er- schlossen ist. Auf sie ist ein grosser technischer Betrieb, die Cementfabrik von Hemmoor, begründet. In einem grossen viel- stufigen Tagebau wird das Material für den Betrieb gewonnen und in kräftigen Mühlen gemahlen. Hemmoor beschäftigte bereits um das Jahr 1888 gegen 700 Arbeiter und produzierte 300000 Fass Cement; jetzt soll der Betrieb oft auf mehr als 1000 Fass pro Tag ansteigen. — Ein Nebenprodukt: die mannichfach geformten, aussen weissen, auf dem Bruche schwarzen Feuersteinknollen gewähren der ganzen Umgegend das Material zum Aufbau höchst charakteristischer Grotten, Gartennischen und Mauern. Grosse Mengen von ihnen finden auch bei Wasserbauten Verwendung. Die Wingst bildet einen in südnördlicher Richtung gestreckten Höhenzug von etwa 5 km Länge bei 3—4 km Breite. Sie hat nicht die Form einer einfachen, gleichmässig gewölbten Bodenanschwellung, sondern besitzt eine Anzahl Erhebungen, sog. Berge, deren höchster, der Silberberg, zu 32 m ansteigt. Am Ostrande, nahe über der Unterelbe-Eisenbahn, liegen nördlich der Fahlenberg, weiter südlich der Hasenberg. Auf dem Fahlenberge stand früher eine Station des optischen Telegraphen; jetzt erhebt sich dort ein von dem Besitzer der benachbarten Wassermühle, Herrn Thumann, erbauter Turm, welcher nach einer am Fusse des Hügels liegenden Gartenwirtschaft die stolze Bezeichnung: „Zum deutschen Olymp“ führt. Von Juli 1897. Abh, XV, 12 178 ihm hat man einen herrlichen Überblick über die Wingst selbst, die Lande Kehdingen und Hadeln, über die Elbe hin bis ins Holsteinische; bei Abend sieht man die elektrischen Lichter von den Arbeitsstätten am westlichen Ausgange des Nord-Ostseekanals bei Brunsbüttel herüberleuchten. — Vom Hasenberge aus (der in geringer Entfernung von der Försterei Dobrock am Waldrande liegt) ist der Blick weniger umfassend, aber doch immerhin sehr lohnend. Von hieraus erblickt man einen Teil des Kehdingenschen, namentlich das untere Ostethal mit Oberndorf und Neuhaus, dann nach Süden hin die Westerberge, die Cementfabrik Hemmoor, Basbeck und bei klarem Wetter die Türme von Stade. Weiter im Westen, innerhalb der königlichen Forst, liegen auf der Wingst: der Margarethenberg, der schon er- wähnte Silberberg, der grosse und kleine Buschberg, der Kreien- und der Ahnensberg. Der Silberberg bildete bei der Triangulierung durch den Generalstab einen wichtigen Dreieckspunkt. Auf ihm erhob sich Jahre lang ein mächtiges, den Wald überragendes Holzgerüst, dem Naturfreunde einen hochwillkommenen Standpunkt zur Übersicht der Gegend darbietend. Leider ist es inzwischen morsch geworden und daher jetzt weggeräumt. Von dem früher viel besuchten Silber- berge aus hat man deshalb jetzt nur noch eine sehr beschränkte Aussicht einer Waldschneuse entlang nach Westnordwesten hin. Genau nach derselben Richtung hin, aber bedeutend freier, ist die Aussicht von dem nur um eine Waldparcele nördlicher gelegenen Margarethenberge. Weithin schweift von hier der Blick über das Bülkauer und Hadeler Sietland, das Hadeler Moor und die Marsch bis nach Cuxhaven, und in das Holsteinische. Hier sind die Kirch- türme von Otterndorf, Altenbruch, Osterbruch, Bülkau, Ihlienworth und Lüdingworth sichtbar, und bei hellem Wetter erscheint über der Marsch in der Ferne die ebene Fläche der Nordsee. — Am Ab- hange des Ahnensberges nimmt in den „Sieben Quellen“ eine Beke ihren Ursprung und fliesst hinab bei den Höfen Ellerbruch und der königlichen Revierförsterei hin zu dem nahegelegenen Balksee; vom Forsthaus Dobrock aus bildet der Weg zur Försterei (von etwa einer Stunde Länge) einen besonders schönen Spaziergang, grossen- teils durch prachtvollen alten Buchenwald. Der Boden der Wingst wird überall von dem Blocklehm und Blecksande der Eiszeit gebildet; nirgends tritt die in Hemmoor er- schlossene Kreideformation zu Tage. Der Hügelzug wird grössten- teils von einem zusammenhängenden Waldreviere bedeckt, von welehem 50 ha (im Norden gelegen) in den Händen verschiedener Privatleute, 335 ha (vorzugsweise im Osten) im gräflich Bremer’schen Besitze sind, die grössere Hälfte (508 ha) aber dem Staate (oder, wie leider mehr und mehr üblich geworden ist, zu sagen, dem Fiskus) gehört. Das gräflich Bremer’sche Forsthaus gehört zu dem kleinen Dorfe Dobrock, und dieser Name wird denn auch ganz allgemein von den Bewohnern der Gegend für den Wald selbst und zuletzt auch für die ihn tragende Anhöhe angewendet. — Der Wald ist meistens ein prächtiger Buchenbestand mit dichtestem .Schlusse und tiefem Schatten; doch fehlen auch lichtere Partien, Stangenhölzer mit zahl- 179 reichen Eichen, nicht; ärmere sandige Strecken sind forstmässig mit Kiefern bestanden. Ziemlich weit im Norden steht, als Einzel- baum von einem kleinen freien Raume und Sitzplätzen umgeben, eine prächtige Edeltanne, stattlich die niedere Forst überragend und von weither sichtbar. Schüsse hallten bei unserem Besuche im Mai am hellen Tage durch die Stille des Waldes; aber nicht dem spärlich vorhandenen Rehwilde galten sie; vielmehr es waren Sprengschüsse, durch welche die zahlreich über den Waldboden verstreuten erratischen Blöcke zertrümmert wurden. Prächtige rote Granite überwiegen; dunkle Syenite sind selten. Die Steine verfallen damit der „Barbarei des Chausseebaues“, wie Leopold von Buch, der grösste Geolog Deutsch- lands, in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts, sich aus- zudrücken pflegte. Aber zu einer wirklichen Barbarei hat diese Anwendung des Bohrmeissels und des Sprengpulvers geführt — zur Zerstörung der meisten Hünengräber. Noch vor 30 Jahren waren sieben derselben, unmittelbar neben einander in einem einzigen Forstorte belegen, vorhanden; jetzt sind nur noch zwei erhalten, das eine, völlig intakte, aus drei Trag- und einem Decksteine be- stehend, das andere auch bereits durch Zerstörung eines Tragsteins „angegriffen, so dass der Deckstein herabgesunken ist. Endlich — leider fast zu spät — hat die Forstverwaltung dem barbarischen Vorgehen Einhalt gethan. Aber die mächtigen Steindenkmäler, hier im stillen Walde gelegen, machen noch jetzt einen ernsten Eindruck auf das Gemüt des Beschauers — indessen einen milderen Eindruck, als die zahlreichen Hünengräber in der schwarzbraunen Heideöde der nordfriesischen Insel Amrum! Ausser den Steinblöcken gewährt der Waldboden nur sehr wenig Nebennutzung. Beerensträucher giebt es bei dem vorwiegenden dichten Waldschlusse nur wenige. Auffallend ist die Armut der Wingst an selteneren Pflanzen. Kaum einmal kamen wir auf dem 5. km langen Marsche durch den Wald in die Versuchung, die Sammelmappen zu öffnen. Wie anders ist dies in den südlich be- nachbarten Westerbergen und den Waldungen bei Lamstedt und Nordahn! Da wachsen unsere lieblichsten Waldpflanzen in Menge, von selteneren Sachen: die zierliche Einbeere, die stengellose Primel, ferner der sonst im deutschen Nordwesten garnicht vorkommende Bärenlauch und die aus dem Norden stammende Cornus suecica, von der jedes Pflänzchen für sich malerisch ist, mag es jetzt im Mai die braunroten Blüthen auf den weissen Deckblättern zeigen oder im August die korallenroten glänzenden Früchte tragen. Und draussen auf der Heide wachsen Serratula tinetoria, Anthericus ramosus, Genista germanica, Thesium ebracteatum, Botrychium Lunaria, jede einzelne eine Freude für den Botaniker — und selbst die bescheidenen Riedgräser sind durch mehrere seltene Arten (Carex ericetorum und pauciflora) vertreten. Reicher als das Waldinnere des Dobrock sind allerdings seine Ränder. Erwähnen möchte ich wenigstens die Einbeere (Paris quadrifolia), welche von dem eifrigen und kenntnisreichen Apotheker, 122 180 W. H. Ruge aus Neuhaus an der Oste bei der Wassermühle unfern des „deutschen Olymp“ gefunden worden ist. Seine Angabe ist dann von Dr. Eilker in den Beiträgen zur Flora von Geestemünde leider in „Neuhaus an der Oste“ verwandelt worden, während doch diese spezifische Waldpflanze niemals in der Marsch bei Neuhaus gewachsen sein kann. Vor allem zu erwähnen ist aber die reizende kleine Glockenblume: Wahlenbergia hederacea, welche früher aus dem ganzen deutschen Nordwesten nur aus der Umgegend von Varel bekannt war, welche aber vor wenigen Jahren von dem ge- nannten Herrn Ruge auf dem moorigen Lande westlich von der Wingst aufgefunden wurde. Bemerkenswert ist, dass das Kreide- lager von Hemmoor fast gar keinen Einfluss auf die Flora des über- lagernden Diluviums ausgeübt hat; es liegt wohl zu tief, um dem Boden einen grösseren Gehalt an Kalk, diesem wichtigen Pflanzen- nährstoffe, zu gewähren. Ausserdem liegt die Wingst aber auch zu fern ab von den kräuterreicheren Gebieten Mitteldeutschlands, um von den wandernden Pflanzen (deren Wanderrichtung vorzugsweise von Südosten nach Nordwesten geht), erreicht zu werden. Ist doch selbst die Flora des so viel grossartigeren Rüdersdorfer Kalklagers bei Berlin sehr arm an Kalkpflanzen. Aber nicht nur köstliche stärkende Waldluft besitzt die Wingst, sondern auch einen früher weit und breit bekannten Gesundbrunnen, den Johannisbrunnen, dessen Ruhm jedoch vor dem Lichte der Wissenschaft erblichen ist. Von ihm meldet zuerst Diltherr in seinen Christlichen Feld- und Gartenbetrachtungen (Nürnberg, 1651): „Wer sollte sich nicht wundern über den Wunderbrunnen, so auf der Wingst im Stifte Bremen im vorigen Jahre entsprungen, in welchem durch Gottes Hülfe und Gnade nicht allein allerlei Kranke, sondern vom Satan Besessene sind genesen*. Und Roth berichtet in seiner 1718 erschienenen Beschreibung der Herzogtümer, dass in der Johannisnacht an der Quelle eine Predigt gehalten werde; nämlich nur oder doch vorzüglich in der Johannisnacht hatte das Wasser seine heilende Kraft, darum sammelten sich in dieser Nacht grosse Massen von Menschen, selbst aus weiter Ferne, um den Brunnen, tranken das Wasser oder nahmen es in Krügen für Haus- kranke mit. — Im Hannoverschen Magazin vom 2. Mai 1791 ver- öffentlicht Dr. Bieker in Bremen eine kurze Beschreibung und eine Art von chemischer Untersuchung. Noch 1792 wurden für zwei bis drei Quartier seines Wassers vier leichte Pfennige erhoben, was in jenem Jahre 163 Reichsthaler 27 sh. Ertrag lieferte, wogegen die Ausgaben allerdings 182 Reichsthaler 22 sh. betrugen. Seit 1810 ist der Brunnen mehr und mehr in Verfall geraten, und jetzt ist er ganz versiegt, und nur noch ein viereckiges Loch mit einigen vermoderten Bretterresten zeigen seine Lage am Abhange des Silberberges, an. — Wem fiele bei dieser Erzählung nicht sogleich der noch berühmtere Gesundbrunnen bei Zwischenahn ein, der auch nach einer langen Zeit des Ruhmes und trotz aller religiösen Weihen in den Orkus der Vergessenheit hinabsank. Sie transit gloria fontis! 181 Der Dobrock ist seit langer Zeit an schönen Sommertagen ein Lieblingsziel der Umwohner aus dem Hadelnschen und Keh- dingenschen. Unmittelbar an seinem Fusse liegen eine ganze Reihe von Ortschaften, welche das Kirchspiel Cadenberge bilden. Die Eisenbahn Harburg-Cuxhaven, deren Station Höftgrube unfern des Försterhauses Dobrock, der Wassermühle und des „deutschen Olymp“ liegt, erleichtert seinen Besuch auch für Fernerwohnende. Am 2. Pfingstfeiertage schwärmt der ganze Wald von Besuchern. In Folge des zunehmenden Besuches ist jetzt der Wirtschaftsbetrieb auf Dobrock von der Forstverwaltung getrennt worden. 1576 Eintrittskarten zu dem Wirtschafts- und Musikplatze waren am dies- maligen sonnendurchglänzten zweiten Feiertage gelöst worden, und Hunderte von Personen hatten ausserdem den „deutschen Olymp“ besucht, oder sich im Walde gelagert. Der Platz bei der Försterei ist wirklich ein lauschiges, herrliches Fleckchen Erde. Domartig schliessen hier die Kronen der mächtigen Waldriesen zusammen, einen weiten Raum in einen kühlen Festsaal verwandelnd. Aus dem dämmerigen Lichte versenkt sich der Blick nach drei Seiten hin in das Waldesdunkel, während er nach der vierten über einen blumenumkränzten Teich hinaus in die weite, ‚sonnige Landschaft schweift. Ein grosser von Holz gebauter Fest- saal gewährt Schutz bei ungünstigem Wetter und Raum zur Be- friedigung der tanzlustigen Jugend. Auch Sommerfrischler haben sich bereits eingefunden, welche in der Försterei, dem Wirtschaftsgebäude und der zwischen der Wassermühle und dem „deutschen Olymp“ hüsch gelegenen Garten- wirtschaft „zum Waldschlösschen“ bescheidenes aber gutes Unter- kommen finden. So wird der Dobrock mehr und mehr zu einem Park, zu einer Erholungsstätte für weite Kreise seiner Umgebung. Der Sturm vom 12. Februar 1894, welcher weiter südlich, in den Waldungen von Harburg, Buchholz und Lüneburg so furchtbare Verwüstungen angerichtet hatte, ist gnädig an ihm vorübergegangen. Möge er noch lange grünen und gedeihen und den Umwohnern ein Stück deutscher Waldpoesie gewähren ! (Aus dem bakteriologischen Institut zu Bremen.) Über Grundwasserbewegungen im bremischen Gebiet. Von Heinrieh Kurth. (Hierzu Taf. I, II). Über Grundwasserbewegungen im bremischen Gebiet und auch in der weiteren Umgebung desselben ist bisher meines Wissens in Zeitschriften nichts bekannt gegeben. Gemäss dem Bau der Erdschichten kommen bei solehen Uuter- suchungen für das bremische Gebiet, welches zweifellos ein auf Diluvialboden lagerndes Alluvialland darstellt, zwei Möglichkeiten in Betracht, nämlich die Ermittelung etwaiger besonderer dem Diluvium eigentümlicher Grundwasserverhältnisse in grösserer Tiefe und ferner die Feststellung der oberflächlich, im eigentlichen Alluvium und in den oberen, in dieser Hinsicht von ihm nicht zu trennenden diluvialen Schichten sich vollziehenden Veränderungen. In ersterer Hinsicht besteht zur Zeit keine Möglichkeit, Untersuchungen anzustellen, denn : Brunnen von grosser Tiefe — 100 m und mehr — wie sie an anderen Orten Nordwestdeutschlands in Betrieb sind, fehlen hier; sämtliche in solehe Tiefe hinabgeführte Bohrlöcher sind bald nach der Bohrung wieder aufgegeben, da stets ein mehr oder minder salziges Wasser an- getroffen wurde, welches dem beabsichtigten Zweck des Brunnenbaus nicht dienen konnte. Von diesen Bohrungen sind zu nennen: 1) die Bohrung in der Stendorfer Feldmark;*) 2) die Bohrung zu Hemelingen, 220 m tief; dieselbe ergab dreiprozentige Salzsoole;””) 3) die Bohrung im Winter 1896/97 auf dem Schlachthof zu Bremen, 142,7 m tief. Immerhin haben diese drei Tiefbohrungen doch festgestellt, dass die in den nordöstlich Bremens gelegenen Teilen der norddeutschen Tiefebene mehrfach festgestellten Grundwasserströme, welche ein salzarmes, zum Hausgebrauch taugliches Wasser unter erheblichem Druck, wie es scheint in der Richtung zum Meere hin, führen, *) Diese Zeitschrift 1895, Band XIII, S. 329. W.O.Focke, Geognostische Notizen. 1. Eine Tiefbohrung auf der Geest. **) Diese Zeitschrift 1882, Band VII, S. 296. W. 0. Focke, Geognostische Beobachtungen bei Stade und Hemelingen. 183 nieht zu entdecken waren. Solche artesische Tiefbrunnen sind er- bohrt bei Hamburg,*) wo aus 195 m Tiefe, angeblich aus dem unteren Diluvialsand, ein mässig eisenhaltiges (etwa 1 mgm im Liter) Wasser in einer täglichen Menge von 3000 cbm bis zu 10 m über Terrain emporsteigt, ferner an der Ostseeküste bei Lübeck, wo nach persönlichen Angaben mehrerer Brunnenbesitzer in etwa 100 m Tiefe hart am Meeresstrand in dem Seebade Niendorf ein eisenfreies Wasser empordtingt. Die Feststellung, dass in grösserer Tiefe auf bremischem Gebiet durchweg stark salzhaltiges Wasser sich findet, ist für die vorliegende Frage wichtig. Sie steht in Übereinstimmung mit dem an zahlreichen Brunnenbohrungen beobachteten Ansteigen des Salzgehalts mit zu- nehmender Tiefe. Dieses ist für die Tiefe von 10 bis 40 m unter Bremer Null festgestellt. Die weitere Thatsache, dass an einigen Stellen des Gebiets, insbesondere im Blockland bei Capelle, am Lehesterdeich und am linken Weserufer im Neuenlande schon in 10 bis 20 m Tiefe ein ganz ungewöhnlich hoher Salzgehalt — 600 bis 800 mgm Chlor im Liter — sich findet, der auch an der Erdoberfläche sich durch das Auftreten von Salzpflanzen (Aster tripolium bei Stuhr?) bemerkbar zu machen scheint, lässt die Möglichkeit immerhin offen, dass hier ein Auftrieb des Grundwassers aus grosser Tiefe sich noch einmal wird nachweisen lassen. Im gegenwärtigen Augenblicke stellen indess die auf diesem Wege zum bremischen Grundwasser etwa hinzutretenden Wassermengen jedenfalls nur eine geringe, rechnerisch nicht zu verwertende Menge dar. Es darf vielmehr angenommen werden, dass die am bremischen Grundwasser zu peobachtenden Veränderungen in der Hauptsache nur zu den ober- flächlich, in dem alluvialen und im oberen diluvialen Teil der Erd- schichten sich vollziehenden Wasserbewegungen in Beziehung stehen. Von den weiteren Kräften und Widerständen, welche hierbei in Betracht kommen, sind zu nennen: 1) das Hinzutreten der täglichen Niederschläge ; 2) der Zufluss vom Bett der Weser und ihrer Nebenflüsse und die wechselnden Wasserstände in denselben; 3) der etwaige Zufluss vom Grundwasser der umgebenden Geesthügel; 4) die grössere oder geringere Durchlässigkeit der hierbei in Frage kommenden Erdschichten. Aus sämtlichen, von anderer Seite sowohl wie im bakteri- ologischen Institut angestellten Beobachtungen ergiebt sich, dass als einzige ernstlich in Betracht zu ziehende Kraft der Wasserzufluss der Weser und, in viel geringerem Grade, der Wümme und Ochtum anzusehen ist. Insbesondere die durch den Wechsel von Hoch- und Niedrigwasser in der Weser bedingten Grundwasserschwankungen sind so erheblich, dass dabei die unter anderen Umständen vielleicht feststellbaren Wirkungen von Regengüssen und Zuflüssen von den *) Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten, Band 22, 8. 98. Dunbar, Zur Frage über die Natur und Behandlung eisenhaltigen Grund- wassers,. 184 Geesthügeln her verdeckt werden. Durch den Weserstrom wird das bremische Grundwasser völlig unter den Einfluss der im gebirgigen Quellgebiet desselben, im Harz, im Wesergebirge und in Thüringen sich vollziehenden Niederschläge gestellt. Von den hieraus ent- springenden Schwankungen des Wasserstandes können die durch Niederschläge in der Nähe Bremens etwa bedingten Sonder- schwankungen um so weniger als wesentlich getrennt werden, da Menge und Zeit der Niederschläge bei der verhältnismässig geringen Entfernung des Quellgebiets dort wie hier annähernd gleich sind. Die Schwankungen im Wasserstand der Weser werden bekanntlich durch die Messungen einer grösseren Zahl von Pegeln an der Stadt Bremen seit vielen Jahren von Seiten der Baubehörde festgestellt. Diese Aufzeichnungen finden eine wertvolle Ergänzung durch die zahlreichen Pegelbeobachtungen im oberen Teile des Flusslaufs. Die Abhängigkeit der Wasserstände an der Stadt von den Niederschlägen im oberen Flusslauf habe ich für die Zeit von Juni 1893 bis August 1894 in Gestalt einer Kurve dargelegt.*) Danach tritt im allgemeinen 6 bis 8 Tage nach reichlichen Nieder- schlägen im Gebirge die Wassersteigung an der Stadt Bremen ein, im Winter wegen der verminderten Aufnahmefähigkeit des Erdbodens und wegen der geringeren Verdunstung viel umfangreicher und häufiger als im Sommer. Uber die Lage der oberflächlichen Erdschichten im bremischen Gebiet habe ich bereits im Jahre 1895 in meiner Arbeit „Uber die gesundheitliche Beurteilung der Brunnenwässer im bremischen Staatsgebiet“ (Zeitschrift für Hygiene und Infektions- krankheiten, Bd. 19, S. 9 ff.) unter Beifügung einer, auch in dieser Abhandlung wiedergegebenen Tafel (I) der Erdschichten eine Dar- | stellung gegeben, welche sich in erster Linie auf das Ergebnis zahlreicher von mir ermittelter Grabungen und Bohrungen stützte, daneben aber auch ganz wesentlich durch gewisse Thatsachen be- einflusst war, welche aus der schon seit mehreren Jahren im Jahrbuch für bremische Statistik niedergelegten Beobachtung der stadt- bremischen Grundwasserpegel zu entnehmen sind. Diese Pegel lassen sich in zwei Gruppen trennen, nämlich solche, welche jeden Wasser- anstieg und Abfall der Weser binnen 1 bis zwei Tagen und in erheblichem Umfange mitmachen und solche, welche nur den Anstieg, und zwar langsam und oft nur andeutungsweise, anzeigen. Es handelt sich um dreizehn über das Stadtgebiet verteilte Pegel. Von diesen liegen auf einer Bodenoberfläche von erheblich (6 bis 8 m etwa) über Bremer Null die Pegel Hauptschule, Kaiserstrasse, Stephani- kirchhof No. 4; auf mittlerer Stadthöhe, nämlich 3 bis 5 m über Null, die Pegel Nordstrasse, Schmidtstrasse, Uthbremerstrasse, ferner die beiden neustädtischen Pegel Westerstrasse und Neustadtswall. Bezüglich letzterer beider steht durch besondere, in ihrer nächsten *, H. Kurth, Die Thätigkeit der Filteranlage des Wasserwerks zu Bremen von Juni 1893 bis August 1894, mit besonderer Berücksichtigung der Hochwasserzeiten. Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamt, Bd. XI, S. 427 ff. Taf. XVII. 135 Nähe ausgeführte Grabungen fest, dass sie unter die 1 bis 2 m dicke Thonschicht*) reichen, — desgleichen von dem Pegel Lessingstrasse und Schlachthof, während es bei dem Pegel Bürgerpark ohne Weiteres ersichtlich ist, da ja dort die Thonschicht oberflächlich zu Tage liegt. Das Verhalten des Wasserstandes der unter die Thonschicht reichenden Pegel habe ich in der genannten Arbeit folgendermassen geschildert: „Auf der der Arbeit beigegebenen Tafel III ist als Beispiel „der Pegel Lessingstrasse angeführt. Dieser machte, bei einem „durehschnittlichen Stand von — 0,25 m (auf den durchschnittlichen „Weserstand von —1,00 m bezogen) in der Zeit von Dezember 1893 „bis August 1894 jede Schwankung der Weser bis zu solchen von „20 em Unterschied sicher, meist schon nach 24 Stunden, mit und „erreichte im Winter mit +0,80 den höchsten, im Juni mit —0,70 „den tiefsten Stand. Beobachtungen dieser Art sind sowohl am „rechten wie am linken Weserufer zu machen. Sie deuten sämtlich „auf lebhafte unter der Thonschicht vor sich gehende Wasser- „bewegungen bezw. Druckschwankungen hin. Zur Verstärkung dieser „Bewegungen trägt sicherlich die niedrige Lage der 2 bis 4 km von den „Flussufern entfernten Gebietsteile und ferner die besonders grosse „Durchlässigkeit der Sandschichten unterhalb der Thonschicht bei. - „Den Grundwasserstand oberhalb der Thonschicht im Bereich „der höheren Dünenerhebungen zeigt z. B. der Pegel Hauptschule „unzweifelhaft an. Derselbe liegt nahezu auf dem höchsten Punkte „der Stadt und jenes Dünenzuges überhaupt, inmitten der dort „’bis8 m messenden Sandschicht, 200 m vom Weserufer entfernt. „Er ist allen erhältlichen Angaben nach von tieferen Grundwasser „durch die Thonschicht getrennt. Sein durehschnittlicher Stand lag „seit Dezember 1893 auf etwa +1,10 m, den niedrigsten erreichte „er am 21. Januar mit +0,36, den höchsten am 7. April mit +1,28. „Die zwischen diesen beiden Höhen liegenden Schwankungen voll- „zogen sich im allgemeinen langsam. Aber auch bei diesem Pegel „konnte fast eine jede Schwankung, insbesondere ein jeder Anstieg „auf einen 3 bis 4 Tage vorher vorangegangenen Anstieg des Weser- „wassers bezogen werden, um so deutlicher, je niedriger der Pegel „beim Anstieg des Flusswassers gestanden hatte. Beträchtliche „Wassersteigungen im Fluss blieben z. B. im Februar und März fast „ohne Einfluss, während die von einem obendrein viel tieferen „Wasserstand der Weser ausgehenden Anstiege im letzten Drittel „des Januar und August Erhebungen des derzeit niedrigen Grund- „wasserstandes von 14 em und mehr innerhalb sechs Tagen hervor- „riefen, Bewegungen, wie sie durch die derzeitigen Niederschläge „überhaupt nicht oder doch nicht in so kurzer Frist hätten erzeugt „werden können. Auch ein unmittelbares Zuströmen des Weser- „wassers vom Ufer und zwar oberhalb der Thonschicht her konnte „danach nicht mehr angenommen werden. „Sprechen nun alle diese Thatsachen dafür, dass die Thonschicht, „dem von unten her wirkenden Drucke nachgebend, einen Teil des *) Schon damals konnte ich es als höchst wahrscheinlich bezeichnen, dass diese Thonschicht sich ununterbrochen über das Bremer Gebiet hinzieht, 186 „tieferen Grundwassers durchtreten lässt, so habe ich mich davon „auch noch in anderer Weise überzeugt. Zur Zeit des Hochwassers „im März 1894 befand sich der Grundwasserspiegel auf der „Wisch“ „beim bakteriologischen Institut (nahe der Krankenanstalt) noch „nicht oberhalb der dort fast zu Tage liegenden gelben Thonschicht, „musste aber nach dem benachbarten Pegeistand i in der Lessingstrasse „in ähnlicher Höhe zu vermuten sein. Eine wenige Centimeter „unter die Oberfläche der Thonschicht hinabgeführte Grube füllte „sich nun in der That sehr schnell mit Wasser und zwar trat dieses „aus dem Thon unter solchem Druck hervor, dass die kleine Grube „durch Ausschöpfen nur mühsam leer gehalten werden konnte.“ Dieses alles gab also die Überzeugung, dass die genannte Thonschicht ebenso für diese Vereins massgebend ist, wie sie auch zur Entstehung und zum Bestehen von zwei über, bezw. unter ihr befindlichen, der chemischen Zusammensetzung nach wesentlich unterschiedlichen Grundwasserärten den Anlass giebt. (Unter der Thonschicht findet sich ein mehr oder weniger stark eisen- haltiges Wasser von meist reichlichem Ammoniakgehalt, aber frei von Salpeter- säure, über derselben ein eisenfreies, Salpetersäure reichlich, Ammoniak nur zur Zeit von Hochwasser der Weser enthaltendes Grundwasser. Das Auf- treten von Ammoniak erklärte ich als eine Folge des Durchtritts des tieferen ammoniakreichen Grundwassers durch die Thonschicht. Das Ammoniak geht unverändert durch den Thon und wird oberhalb desselben allmählich zu Salpetersäure umgewandelt, das Eisen aber wird als Oxydulverbindung; in der Thonschicht zurückgehalten.) Auf weiten Strecken des Gebiets, so insbesondere im Block- lande, auf dem Werder, im Neuenlande und in der Niederung bei Strohm liegt diese Thonschicht frei zu Tage. Es erübrigte der Nachweis, dass sie auch unter dem Dünensande, welcher an den höheren Stellen, insbesondere hart am rechten Weserufer in der ganzen Ausdehnung des Gebiets lagert, überall vorhanden ist. (Nur in der Nähe des Flusses selbst, wo frühere Hochwässer die Ufer umgestalteten, und an manchen mehrfach umgearbeiteten Stellen des bebauten Stadtgebiets würde sie nicht regelmässig anzutreffen sein.) Der Plan, mittelst der Beobachtung der Pegel einen Rückschluss auf die Lage der Thonschicht zu machen, beruht auf folgender Erwägung. Soweit beobachtet, liegt die Thonschicht überall in der Höhe des mittleren Wasserstandes. An den Flussufern sitzen fast überall die gleichfalls fast undurchlässigen Deiche oder steinernen Uferböschungen auf ihr auf. Bei jeder Wassersteigung im Strom, welche dieses mittlere Mass überschreitet, entsteht demnach ein Überdruck, welcher nun, da er oberhalb der Thonschicht nur in der Stromrichtung sich ausgleichen kann, auf das unter der Thonschicht befindliche Grundwasser einwirkt. Unter der Thonschicht lagert überall, soweit bekannt, eine grobkörnige, sehr durchlässige Kiesschicht (von durchschnittlich 1 bis 10 mm Korngrösse), über ihr hier und da am rechten Weserufer in Gestalt der Dünen und deren Abflachung eine feinkörnige (0,1 bis 1,0 mm Korngrösse), viel weniger durch- lässige Sandschicht. Durch die Anwesenheit der durchlässigen Kiesschicht ist die Gelegenheit zur weiten unterirdischen Fort- pflanzung des Druckes gegeben. Sobald nun festgestellt werden kann’ 187 dass alle Pegel, sofern sie nur unter die Thonschicht reichen, auch die Wasserschwankungen des Stromes lebhaft mitmachen, ist auch der Beweis für die Einheitlichkeit und der Zusammenhang der Thon- schicht gegeben; denn wenn in derselben schon nahe dem Fluss erhebliche Lücken oder durch Bruch entstandene Verwerfungen vor- handen wären, würde an solchen Stellen der Druck alsbald den Ausgleich suchen und die grossen Schwankungen würden überhaupt nicht entstehen. — In dieser Hinsicht schien nun eine Ergänzung der vorhandenen Pegelbeobachtungen erforderlich, insbesondere für diejenigen Pegel, welche die Druckschwankungen nicht mitmachen. Von diesen ist nur zum Teil unzweifelhaft bekannt, dass sie oberhalb der Thonschicht endigen. Aber auch bei diesen letzteren war nirgends der Nachweis geführt, dass unmittelbar daneben, aber unter der Thonschicht, die lebhafte Grundwasser- bewegung vorhanden ist. Und umgekehrt war bei denjenigen Pegeln, welche zweifellos unter der Thonschicht endigen und die lebhaften Schwankungen anzeigen, nirgends etwas von der Grundwasserbewegung über der Thonschicht an derselben Stelle bekannt. Dieser Nachweis von dem gleichzeitigen Vorhandensein jener beiden verschiedenen Grundwasserbewegungen an ein und derselben _ Stelle hat nun mit aller wünschenswerten Deutlichkeit im Garten der Krankenanstalt beim bakteriologischen Institut erbracht werden können. Hier sind in einem Abstande von 30 em auf dem noch völlig urwüchsigen Boden und bei einer Oberflächenhöhe von + 1,05 m die beiden Pegelarten eingebracht. Bei dem Bau des unter die Thonsehieht reichenden, 4!1/, m tiefen wurden folgende Erd- schichten ausgehoben: Von +1,04 bis — 1,20 der feine, gleichmässig dicke Dünensand, von — 1,20 bis — 1.40 kalkfreier Thon, von — 1,40 bis — 1,50 Torf, von — 1,50 bis — 2,50 wieder kalkfreier Thon und darunter der grobkörnige (0,3 bis 1,0 mm) einzeln bis 15 mm dicke Stücke enthaltende Kies. Diese letztere Schicht ist bei der auf einer 100 m entfernt gelegenen Stelle ausgeführten Bohrung des Maschinen- brunnens der Krankenanstalt bis zur Tiefe von is) m hin verfolgt. Sie reicht gemäss allen bisher bekannt gewordenen Bohrungen bis etwa 12 bis 16 m unter Br. Null und sitzt auf der oberen Schichte des Dilu- viums auf. Der zweite, oberflächliche Pegel ist bis zur Tiefe von —0,20 in den Dünensand eingelassen, reicht also nur 1!/, m tief in die Erde. Die Pegelröhren sind 10 em weit, der Schwimmer besteht aus einer luftgefüllten Blechdose mit darauf stehendem 3 m, bezw. 1 m langen Holzstab. Die Oberflächenhöhe ist durch das gütige Entgegenkommen der Strassenbauverwaltung bestimmt. Die Ablesungen erfolgen täglich morgens 9 Uhr. Das von Dezember 1895 bis Mai 1896 an beiden Pegeln er- haltene Ergebnis (siehe Tafel II) stimmt vollkommen mit dem überein, was seinerzeit von mir für die zwei Arten der Stadtpegel mitgeteilt ist. Insbesondere tritt auch hier bei dem oberflächlichen Pegel die Erscheinung zu Tage, dass nur die starken Steigungen der Weser sich bemerklich machen, während ein schneller Abfall im Strom sich garnicht oder doch nur undeutlich aufzeichnet. Das ist 188 auch im Hinblick auf die verschiedenen Druckverhältnisse leicht begreiflich. Während bei Eintritt von Hochwasser in der Weser eine Wassersäule von 3 m und mehr von unten her in lockerem Boden auf die Thonschicht einwirkt, besteht im umgekehrten Falle immer nur ein oberer Druck von höchstens 11/, m in einem weniger porösen, das Wasser durch kapillare Kraft festhaltenden Erdreich. — Der Zeitunterschied, welcher zwischen dem Anstieg des Weser- wassers und dem der beiden Pegel liegt, beträgt für den tiefen, unter die Thonschicht reichenden, 24 bis 36 Stunden und zwar gleichermassen für den Beginn des Anstiegs wie für die Erreichung der grössten Höhe. Hingegen scheint der Abfall jedesmal annähernd gleichzeitig mit dem des Weserwassers einzutreten. Der oberflächliche Pegel stieg in den Fällen, wo dies überhaupt deutlich wurde (Ende Januar und Anfang März 1896), 1 bis 2 Tage später als der tiefe an. Der Abfall des Weserwassers zeichnet sich hier überhaupt nicht ab. Durch die Beobachtung dieses Doppelpegels wurde nun weiterhin die Bestätigung einer anderen Vermutung erhalten, welche aus dem Verhalten der anderen, lebhafte Grundwasserschwankungen anzeigen- den Stadtpegel schon hatte entnommen werden dürfen, nämlich dass gelegentlich bei starkem Hochwasser das tiefe Grundwasser er- heblich über den Stand des oberflächlichen und gelegentlich auch über die Bodenoberfläche emporgedrängt wird. Der erstere Fall ist mehrmals, so oft der Weserpegel die Höhe von +0,50 überschritt, eingetreten, der letztere bis jetzt zweimal, im März vorigen und dieses Jahres, bei Wasserständen der Weser von mehr als +1,50. Beidemal erhob sich das Wasser in der 45 cm über den Erdboden reichenden Pegelröhre bis zu 25 cm über den Erdboden. Es war also vorübergehend ein artesischer Brunnen entstanden. Das tiefe Grundwasser stand 80 cm über dem oberflächlichen! Dieser Fall ist praktisch nicht ohne Bedeutung. Er mahnt die Besitzer von Brunnen, welche eine ähnliche Lage haben, zur besonderen Vorsicht. Aus einem derartigen, zumeist unterirdisch abgedeckten Brunnen können bei Hochwasser zunächst unbemerkt er- hebliche Wassermengen in die Umgebung treten und Schaden stiften. Die Verlängerung solcher Brunnenrohre über die Erdoberfläche würde diesem Ereignis gegenüber jedesmal die sicherste Abhilfe sein. Wenn wir nun noch die Gesamtgrösse der Schwankung bei denjenigen Stadtpegeln rechts der Weser, welche die Weser- schwankungen regelmässig mitmachen, in Betracht ziehen, unter Vergleich mit der Entfernung derselben vom Weserufer, so erhalten wir das ganz unzweifelhafte Ergebnis, dass die Schwankungs- grösse mit der zunehmenden Entfernung vom Weserufer stetig geringer wird und am Pegel des Oberflächenwassers bei der Ent- wässerungsanstalt im Blocklande, welcher gleichermassen die Weser- schwankung mitmacht, den geringsten Wert erreicht. Im Jahre 1893 z. B. betrug gemäss der Tafel des Jahrbuchs für bremische Statistik *) *) Jahrgang; 1893, S. 10. Bremen, G. A. von Halem. 1894. 189 die Gesamtgrösse der Weserschwankung 467 em, (Abstand vom Weserufer) die der Pegel Lessingstrasse (ca. 400 m) 220 cm, Schlachthof (ca. 1500 m) 90 cm, Bürgerpark (ea. 2200 m) 70 em, Blockland (ca. 5000 m) 74 cm, der der Weser noch näher als der Pegel Lessingstrasse gelegene Pegel Westerstrasse 17 (linkes Weserufer) zeigte 305 em, der etwa im selben Abstand wie der Pegel Lessingstrasse gleichfalls am linken Ufer gelegene Pegel Neustadtswall 225 cm Schwankung. Dort, wo das Bremer Gebiet beinahe seine tiefste Abflachung erreicht hat, im Bürgerpark, ist also kein Unterschied mehr von der Schwankung vorhanden, welche die offenen Gewässer des nur wenige Centimeter tiefer liegenden Blocklandes betrifft. Nach alledem darf wohl behauptet werden, dass am rechten Weserufer das Blockland den endgültigen Ausgleich der jeweiligen Wassersteigungen der Weser vermittelt. Dazu ist dort die Gelegenheit sehr günstig. Bei den zahlreichen natürlichen und künstlichen Wasserläufen desselben ist überall die obere Thonschicht völlig durchschnitten. Der Untergrund der Gräben besteht aus der 2 bis 3 m starken Torf- schieht, unter welcher, soweit die dort zahlreich vorgenommenen - Bohrungen beweisen, nur eine ganz dünne zweite Thonschicht ruht oder auch sofort der durchlässige Kies angetroffen wird. Das Ergebnis aller dieser Ausführungen ist also, dass bei jedem Hochwasser der Weser am rechten Ufer unzweifelhaft, und wohl ebenso auch am linken Ufer im ganzen Bereich des be- bauten Stadtgrundes eine beträchtliche Bewegung des Grundwassers unter der Thonschicht in der Richtung nach Nordost, bezw. Südwest stattfindet und in Gestalt des Ansteigens des Oberflächenwassers im Blockland und in der Niederung bei Strohm ihren Abschluss findet. Dieses ist nun nicht so zu verstehen, als ob ein Teil des Weser- wassers unter der Stadt hindurch wirklich bis zum Blocklande hin- flösse. Zu solcher Ausdehnung gelangt die Bewegung sicher nicht. Die wirkliche Wasserwanderung wird sich wahrscheinlich nur auf die Zurückdrängung des unter der Thonschicht stets vorhandenen Grundwassers für eine gewisse Strecke beschränken. Die Ermittelung dieser Grösse unterliegt z. Z. noch weiteren Versuchen. en « Zur Biographie von $x F. Wiepken. (Vergl. oben p. 146, 147.) Aus dem inzwischen erschienenen Bande des „Royal Catalogue of scientifie papers“ (für den Zeitraum 1873—1883) entnehme ich noch die Titel folgender Aufsätze: „Zur Vogelfauna der Insel Wangerooge“, Journ. für Ornithologie, 1877, AXV, p. 426—431 „Eine hr thologasch interessante Insel bei Vegesack“, daselbst, 1878, XXVI, p. 132. v ee Gäste aus der Vogelwelt“, in jünster Zeit im Herzogt. Oldenburg beobachtet, daselbst, 1878, 6.470 p- 132—133. Fr. Buchenau. Druckfehler. Seite 86 Zeile 4 von unten lies Beireis statt Beirnis. Seite 115, Vor Erysimum orientale setze einen *. Ostfriesisches Pastorenleben um die Mitte des 18. Jahrhunderts.) Von Dr. Jul. A. Grober. Es war eine merkwürdige Zeit um 1750. Ein Jahrhundert war seit dem westfälischen Frieden vergangen, aber diese drei Menschenalter hatten nicht ausgereicht die Schäden der furchtbaren 30 Jahre wieder zu heilen; eben begann man sich lebendiger zu -rühren. Deutschland war ein Nichts, hatte keine Stimme im Rate der Völker, seine Kultur war geteilt in norddeutsche und so und so viele süddeutsche, nur eins gab es, das ein gemeinsames Band genannt werden kann: die Sprache und Litteratur. Und diese scheint nur dazu da zu sein, uns in ihrem Spiegel jene Zeit noch trost- loser auszumalen. Es ist offenbar der Beginn neuen Aufschwunges, einzelne rege Geister heben sich aus der Menge der Litteraten her- vor: Lessing’s Erscheinen bereitet sich vor. Es ist ein in der Kulturgeschichte ungemein interessanter Zeitabschnitt: die alte Kunst des vorigen Jahrhunderts, die alten Anschauungen im Kampf mit den Neueren, mit den Schweizern, wit Klopstock, mit den Litteraten der Bremer Beiträge. Aber nicht ganz Deutschland nahm Anteil an diesem Kampfe: bedenkt man die Langsamkeit der Verkehrs- mittel, die Abgeschlossenheit einzelner Landschaften von dem Haupt- wege der Bildung, so lässt sich leichtlich einsehen, dass es neben der neuen Zeit noch Überbleibsel einer alten gab. Einer dieser abgeschlossenen Landstriche ist nun bis in unser Jahrhundert hinein von jeher Ostfriesland gewesen, es hat stets so ungefähr 50 Jahre, wie man so sagt, „hinter der Kultur“ zurückgestanden. Das können wir an einem Beispiel aus des Verfassers Familiengeschichte ohne Mühe nachweisen, Von 1744—1750 liess Rabener, der vielgelesene Satiriker des vorigen Jahrhunderts seine uns heute etwas steif und langweilig vorkommenden Satiren in den Bremer Beiträgen und Schwabe’s Blatt erscheinen. In Ostfriesland aber begannen littera- *, Mit Rücksicht auf die grosse Bedeutung, welche jenen Pastoren für die Förderung der allgemeinen Bildung und der Naturwissenschaften insbesondere zukommt, ist den nachstehenden Ausführungen gerne Raum gewährt worden. Die Redaktion, Januar 1900. Abh. XV, 13 192 riche Kreise erst gegen das Ende des Jahrhunderts daran Geschmack zu finden, wie eine eigenhändige Notiz des Besitzers eines Bandes der gesammelten Satiren bestätigt. Mitten in die Zeit dieses Zwiespaltes, von dem aber in Ost- friesland noch wenig zu bemerken war, versetzen uns 13 Briefe eines ostfriesischen Pastoren an seinen Bruder, der demselben Stande angehörte, die dem Verfasser unter alten Familienpapieren in die Hände gefallen sind. Sie stammen aus den Jahren 1757—1764 und sind ungemein interessant, weil sie in ihrer liebenswürdigen Vertraulichkeit, die dennoch durch die gewohnte Würde des geist- lichen Standes etwas beschränkt wird, uns einen genauen Blick in die Zustände des kleinen Ackerfürstentums gestatten, das eben erst (1744) in preussische Hände gekommen war. Eingesperrt in die Verhältnisse des engen Dorfes, kärglich besoldet, ebenso sehr Land- mann als Seelenhirte, mussten diese Leute, trotz der hohen und guten Bildung, die sich einzelne auf den Universitäten angeeignet hatten, doch versauern und verbauern und wenn sie nicht ihren Idealismus ganz verloren, so wird wohl ihr fester und wohlgegründeter Glaube die Ursache gewesen sein. Der Verfasser der Briefe, Paul Johann Christoph Andreae ist nach dem „Lebenslauff“, den er seinen Nachfahren in eigenhändiger Niederschrift hinterlassen hat, 1717 den 22. April geboren. Er stammte aus einer sogen. Pastorenfamilie und war stolz darauf, von seinem Urvater Jacob Andreae, dem württembergischen Reformator, an nur „Diener am Worte Gottes“ zu Vorfahren zu haben. Sein Vater hatte nach einem ereignisreichen Leben, in dem er viel in der Welt herumgekommen war, als Praeceptor am Franke’schen Waisenhause zu Halle einen Ruf nach Ostfriesland als Pastor an- senommen, sich mit einer Ostfriesin verheiratet und war zu jener Zeit Pfarrer zu Dunum. Er starb als Pfarrer zu Eggelingen im Amte Wittmund. Von seiner Mutter Seite stammte er aus dem alten Bremer Ratsgeschlecht von Aschen, dessen einer Vertreter, sein Onkel Wilhelm von Aschen, zusammen mit dem damaligen Generalsuperintendenten von Ostfriesland, Coldewey, Gevatter bei der Taufe des Paul Johann Christoph war, die drei Tage nach der Geburt stattfand. Von da ab lassen wir am besten den Herrn Ehr- würden selbst reden: „Anno 1732 den 23. April brachte mich mein Vater, der mich bis daher selbst informiret hatte nach Jever in die Schulen; da ich bei dem Herrn Conrector Johann Bernhard Lingius in secunda introdueiret wurde. Anno 1733 den 6. October aber kam ich bei dem Herrn Rector Wesselius Eilers in primam und zog anno 1737 den 26. April nach Jena, studirete anfangs Jura, mutirete aber im Herbst desselben Jahres und erwählete Theologiam. Anno 1739 um Ostern zog ich nach Halle, kam 1740 den 26. Sep- tember wieder in mein Vatterland, wurde den 12. April zu Aurich examiniret, erhielt licentiam concionandi illimitatam und blieb bei meinen Eltern bis zum 28. Dec. 1741, da ich nach Minde bei Herrn Lüderns Scheer gezogen, dessen 5 Töchter zu informiren.“ Man ersieht daraus, der Lebens- und Studiengang damaliger Theo- 193 logen hat viel Ähnlichkeit mit dem der heutigen. Nur scheint man studiosus sanctae theologiae oft ganz hübsch über die Stränge ge- schlagen zu haben, wie uns sein Stammbuch, das er in Jena geführt hat, des mehreren berichtet. Da ist er abeconterfeit in langem ziegelrotem Rock, den Dreispitz höflich in der linken, während er mit der rechten einen langen Stossdegen, damaliger Studenten Waffe, gar gefährlich schwenkt. Vom poculiren und vom caressiren wird auch unterschiedliche Male ganz frei von der Leber weg ge- sprochen. Vom Examen ist erst ganz spät die Rede, und zwar wurde es nicht auf der Hochschule, sondern vor dem Konsistorium in Aurich bestanden. Die vita fährt fort: „Anno 1742 den 2. Sep- tember Domini 15 post trinitatem hielt ich zu Middels eine Gast- predigt, die Gemeinde wollte mich erwählen, weil aber ihr Pastor Bierhausen für das mahl noch blieb, wurde "nichts aus der Sache. Anno 1742 den 25. November predigte zu Holtdorp, wurde den 26. ejusdem einhellig erwählet, und den 7. December in der Kirche zu Aurich ordiniret, und den 9. December introduciret, blieb da- selbst bis den 12. August 1744 und wurde den 31. ejusdem von Herrn Pastor Cohlmeyer mit meiner ersten Frau copuliret, zog den 4. November ce. a. nach Osterlingen und wurde ein Jahr nachher, - den 24. November in die Catechismusschule zu Aurich als erster praeceptor berufen.“ Seine Frau war eine Tochter einer alten friesischen Familie, in der zu selbst jener Zeit noch die uralte Sitte fortblühte, dem Sohn den Vornamen des Vaters als zweiten Namen zu geben, sodass von einem Familiennamen keine Rede sein kann: hiess der Vater Harm, so hiess der Sohn Hajo Harms und ‚dessen Tochter Elsike Hajen; eine Sitte, die das Aufstellen eines Stammbaumes unglaublich erschwert, ja fast unmöglich macht. Auch in Aurich war seines Bleibens nicht lange; im Jahre 1747 wurde er wieder Pfarrer, und zwar zu Wiesens, wo er genau 20 Jahre geblieben ist und, wie er selbst schreibt, „wiewohl bei vielen mangel- haften Umständen, dennoch mehrenteils vergnügt daselbst gelebet“ hat. Während dieser zwei Jahrzehnte hat man ihn verschiedene Male nach anderen Orten berufen wollen, jedoch ist immer niehts daraus geworden, manchmal durch eigene Schuld, teils auf Ver- anlassung eines hochpreisslichen Consistoriums. Als er 1747 nach Wiesens kam, hatte seine Frau ihm zwei Kinder geboren, diesen folgten dort noch 6, sodass er am Ende seines Lebens sich von einer grossen Kinder- und Enkelschar umringt sah. Von Wiesens sind nun auch die 13 erwähnten Briefe geschrieben, regelmässig mit der pomphaften französischen Adresse: An ministre de la parole tres digne P. ©. Andreae a Nortmohr, regelmässig auf der Rückseite fünfmal gesiegelt”) und mit der unweigerlichen Ordnung jener Zeit *, Das Wappen der Familie Andreae hat im schwarzen Schild oben im Schildhaupt einen silbernen wachsenden Mond, darunter eine silberne einfach gebundene halbe Lilie und davon seitwärts zwei 5strahlige silberne Sterne. Die Helmzier besteht aus zwei schwarz und silber je 5mal gestreiften Flügeln, zwischen ihnen die Lilie des Schildes wiederholt. 18* 194 bis auf den millimeter genau an derselben Stelle geknickt, was löblich gegen heutige Briefschreiberei absticht. Die ersten Briefe handeln denn auch besonders von seinen Wünschen wegen einer Versetzung nach einer besser besoldeten Pfarrstelle. Sein Bruder ist älter als er, hat eine reichere Frau geheiratet und fühlt sich in Nortmohr sehr wohl und glücklich. Nun geht das Streben des jüngeren dahin, möglichst in die Nähe des Bruders zu kommen, zumal auch noch die betagte Mutter bei dem älteren wohnt. Gleichzeitig ist ihm nun von zwei verschiedenen Seiten ein Ruf zugekommen, sein Bruder soll ihm raten, was wohl das passendere für seine Familie und für ihn sein möchte, und „wollte ich mich mit Dir gerne darüber besprechen und ob Du nicht die Gemeine in Deiner Nachbarschaft sondiren, oder schicklich. sondiren lassen könntest, wie sie in Absicht meiner gesinnt sei.“ Im allgemeinen nennt man letzteres Agitieren und man sieht, auch dazumalen gings nicht ohne das ins Amt. Auch wegen seiner zu strengen Orthodoxie soll der Bruder die Leute beruhigen, er wolle es nicht so schlimm machen; doch trotz aller Bemühungen ist es dem biederen Pfarrer nicht gelungen, von seiner mageren Pfründe los zu kommen. Er weiss sich aber damit zu trösten, es möge „dieses der Ort wohl noch nicht sein, den der Herr für mich be- stimmt hat, alleine es scheint, dass die Ostfriesen keinen Mann mit. vielen Kindern haben wollen, der dabei nicht im Ruf steht, dass er reich sei.“ Ein Hauptpunkt der Briefe ist auch immer die Gesundheit der Angehörigen. Da wird hin und her gemeldet, dass der eine Fieber oder einen Ausschlag, vielleicht gar die Blattern gehabt habe, dies und jenes Mittel wird empfohlen oder beigelegt und schliesslich wird das allgemeine Wohlsein der Gnade Gottes anvertraut... Dies ist wohl zu begreifen, wenn man bedenkt, wie wenig Arzte damals praktizierten und dass sie sich stets nur niederliessen in den Städten. Da musste der Pfarrer und namentlich die Frau Pfarrerin oft doktern und Krankenpflegerin spielen, und häufig wird sie wie ein rettender Engel in den Bauernhäusern Ostfrieslands begrüsst worden sein, wenn die Familien an den Pocken, die damals sehr häufig waren, darniederlagen. Aber die liebevolle Gefährtin seines Lebens wurde Paul Johann Christoph nach kaum 20Ojähriger Ehe entrissen; in seiner Lebens- beschreibung schildert er mit rührender Einfachheit ihre letzten Tage, wie sie mit festem Gottvertranen und grosser Standhaftigkeit die furcehtbarsten Schmerzen erduldet habe und am Ende einen seligen Tod erlitten. Ihr Nekrolog, in dem er ihre guten Eigenschaften, vor allem ihre grosse Haushaltungskunst rühmt, giebt ein hübsches Bild einer protestantischen Pfarrfrau, wie sie einfach, fröhlich mit Singen und Beten, allzeit vergnügt mit dem, was Gott bescheert, inmitten einer grossen Kinderschar diese gesund an Leib und Seele aufzieht. Der trauernde Gatte nimmt in einem seiner Briefe die Krankheit der Frau seines Bruders zum Anlass, diesem den Zustand seines Herzens darzulegen, wie er sich einsam fühle, sein Haus leer sei, 195 wie er ein „einsamer Vogel auf dem Dache“ sei, wie ihm öfters dünke, er sei ganz alleine auf der Welt, trotzdem sechs Kinder im Hause und eine Gemeine im Gotteshaus sei. Er schreibt eine ergreifende Epistel, und seine Trauer ist echt, das er- sieht der Leser aus den rührenden Worten. Daran kann uns auch nieht irre machen, dass bereits im nächsten Briefe davon die Rede ist, eine neue Frau für den Witwer zu suchen. Aber er verlangt‘ gar viel, wie es denn oft geschieht, das die zweite mit mehr Über- legung gewählt wird und grössere Rücksichten dabei genommen werden. Vor allem will er eine gute Kinderfreundin, eben seine kleine Schar ist auch der Grund, weshalb er schon so bald nach einer neuen Lebensgefährtin verlangt. Natürlich wünscht er auch hierbei des Bruders Rat und Hilfe, und fragt auch sonst im Lande an bei guten Bekannten und Freunden: alle Mädchen älteren Jahr- ganges von 35—40, die in der Nachbarschaft, ja in Ostfriesland zu finden sind, werden durchgehechelt und auf ihre guten oder schlechten Eigenschaften hin besprochen. Dabei wird denn auch einer alten Jugendliebe gedacht, aber der freiende Witwer erhält ein zierlich gebundenes Körbchen; allerdings nicht so zart, wie wir es heutzu- tage gewohnt sind, sondern ganz derb und offen. Der abgewiesene - Freier mag selbst erzählen: „Es war am 9. März 1763, als ich nach Bangstede reisete und zuvörderst mich mit dem Herrn Pastor Meyer unterredete, welcher mir die Jungfer als das allerbeste Gemüt von der Welt abmalete, auch versicherte, dass sie Geld habe und glaubte, weil sie noch nie keinen Versuch gehabt, sie würde es wohl thun. Ob mir nun gleich ihre Jugend — sie ist noch nicht 34 Jahr — einiges Bedenken machte, so liessen wir uns doch alle beide melden. Wir wurden angenommen, ich sahe sie, alles gefiel mir wohl; ich that selbst an die Mama, und darauf an die Jungfer meinen Antrag. Die Mama nahm die Proposition sehr freundlich und mit Dank an und bezeugte, wie sie nichts dabei zu erinnern, so die ganze Sache ihrer Tochter wohl überlasse; diese errötete und wurde sehr alterirt, bezeugte auch gleich, dass sie wohl schwerlich resoloiren könne, da sie nicht recht gesund sei und daher zu heiraten sich nicht entschliessen möge. Wenn nun dieses der wahre Grund ist, so stehe selber gerne ab, weil mir und meinen Kindern nichts geholfen ist.“ Die Verlobungsgelüste erhielten durch diesen Korb jedoch keine Abkühlung, eine von den schon vorher gemusterten Töchtern des Landes erhielt den Preis zuerkannt und er erzählt mit viel Behagen wie er mit einem seiner Freunde nach Jever gefahren ist und dort der Form halber, trotzdem schon alles abgemacht, selbst um seine Braut geworben habe. Johanna Rebecca Mehler, die Tochter eines fürstlichen Advokaten (die Familie war in Aurich sehr angesehen) hatte nach dem Tode ihres Vaters eine Stellung als Gesellschaftsdame bei der Frau Drostin von Wolframsdorf und später bei der Frau von Lindern in Jever angenommen. Nach der officiellen Verlobung gestattete denn auch die Sitte der Zeit einen Besuch der Braut im Hause des Bräutigams, aber nur in Begleitung ihrer drei Schwestern. Drei Monate nachher fand die Hochzeit statt; 196 | | erst hatte der Bräutigam seinen Bruder gebeten, das Paar in seinem Hause zu copuliren; als er aber kam, seine Braut zu holen, ver- langte die Familie von Lindern, dass die liebgewordene Freundin des Hauses auch bei ihnen getraut würde. In aller Eile wurde die Hochzeit insceniert und zwar vormittags: „Um 10 Uhr erschienen die invitirten Personen — der Herr von Lindern stund bei mir selbst. Die Copulation wurde hierauf von dem Herrn Consistorialrath und Superintendenten Meene mit grosser Beredsamkeit verrichtet, und darauf erstlich mit Kaffee und hernach mit weissem und rotem Wein und allerlei Confeet tractiret, wonächst die fremden Herren um 12 Uhr nach Hause gingen, .wie aber an einer wohl servirten Tafel zu Mittag speisten. Des folgenden Tages sind wir des Abends unter wiederholtem Schiessen der hiesigen Einwohner allhier glück- lich angekommen.“ Das Jahr 1763 war ein Regenjahr wie man es selten in Ost- friesland erlebt hatte. Das Vieh verlor sehr an Fleisch und Milch, da wegen der Kälte nichts wachsen wollte. Auf der Geest stand der Roggen so dünn wie nicht seit Menschengedenken. Man konnte im. Juli weder Heu noch Feuerung bekommen. Dann heisst es: „lieh habe vom 22. bis 30. Juli durch 26 Menschen Heu aus dem Wasser fischen und trocken machen lassen und es ist ausser 3 oder 4 Fuder, die verloren gegangen sind, noch ziemlich wohl zusammen- gebracht worden. Ich habe aber noch nicht eine Handvoll davon zu Hause bekommen können, da der Weideweg impassabe! gewesen und da er nur einigermassen brauchbar gemachet, hat der heilige Gott in der letzten Nacht eine solche abermalige Überschwemmung kommen lassen, dass ich nicht weiss, ob ich etwas erhalten werde: und besorge, dass das Heu wieder auf dem Wasser herumtreibe. . Torf haben wir nicht soviel, dass ich ein Essen kochen kann und niemand kann aufs Moor kommen. Jedoch habe ich 12 Fuder Roggen in ein paar Tagen eingeerntet. Giebt der gute Gott den Segen, dass ich den übrigen Roggen und das Sommergetreide so schön ein- ernten mag, so kann solches bei dem Mangel des Heus dem armen Vieh trefflich zu Statten kommen. Ist es immer möglich, so füttern wir diesen Winter ein paar Euter (Kühe) oder auch nur ein paar Kälber. Ich habe 9 Stück Vieh und nur 6—7 Fuder Heu.“ Diese traurigen Verhältnisse, die Missgunst seiner Bauern, über die er sich beklagt, dass sie ihm nicht hatten helfen wollen, Heu einfahren, bestimmten ihn, auf einen neuen Ruf, den ihm der Frei- herr von Wedel zukommen liess, nämlich nach Dornum zu gehen und dort die zweite Pfarrstelle anzunehmen, mehr zu achten und sich mehr darum zu bemühen. Er forderte als Zugabe zu den Einkünften der Pfründe 150 Groschen jährlich und die Anwart- schaft auf das erste Pfarrlehen, vielleicht wollte er sich auch mit 50 Groschen und einem fetten Schwein in natura begnügen. Vor- sichtig, lehrhaft und in den Bahnen etwas altväterlicher Logik wandelnd, legte er sich die rationes dubitandi et decidendi neben einander und schrieb sich ein kleines memorandum zurecht; fein säuberlich alles erwägend, kommt er zu folgendem Schluss: „Aus 197 diesem allem erhellet, dass die Annahme dieses Berufs nicht zu meiner avantage gereichen könne, mithin für mich nicht acceptabel sey.“ ä Unter diesen Rationes nimmt natürlich ein Punkt einen Haupt- platz ein, das ist das Geld und das Einkommen in den verschiedenen Pfarren. Darüber geben uns einige Notizen wertvollen und inter- essanten Aufschluss: In Dornum war das Einkommen gegen 400 Reichsthaler, zu Wiesens nur 300, doch getraute sich der Pfarrer zu, „in einigen Jahren, wenn Gott den Ackerbau und die Viehzucht gesegnet hat“, es auch hier wohl auf 400 Reichsthaler zu bringen, Diese Zahlen beziehen sich auf das Jahr 1764 und 400 Reichsthaler waren nach heutiger Rechnung damals etwa 1400 Mk. wert, also nicht gerade viel Gehalt für einen Landgeistlichen, der Brod und Speise für eine grosse Familie zu besorgen hatte. Genauere Aus- kunft giebt uns eine Abrechnung des vorhergehenden Jahres. „Anno 176°/, sind die Auffkünfte zu Wiesens in altem Gelde gewesen Thaler Stüber 4 Tonnen 2 Scheffel verkauften en a 50 5 Gesaet 3 Tonnen a 15 Thaler . : A ee) — Bevzehr 2 Nonnen 1urScheftel". . 2... . 27 U Verzehrt 7 Tonnen a 13 Thaler. . A| — Buehweitzen 4 Tonnen 2 Scheffel a 7 Thaler 20 8 Elibes de Ronnen 4 Scheitel a 5 Thaler . » . . 37 5 Landheuren . . N be 5) — 33 Bund Flachs & 12 stüber a RB aah 6 Accidentia . U RE 27 — Zinsen von den 1000 Thalern“ A ENOHÖERe BE N) 3 415 4 Im Jahre 1757 ergeben die Einnahmen zu Wiesens aber nur 335 Reichsthaler, in einem anderen Kirchdorf ebenfalls im selben Jahre 330, sodass man etwa als Durchschnittszahl 350 Thaler an- nehmen kann. Das ist nach unserm Gelde weniger als ein Fabrik- arbeiter heute verdient, und man begreift, dass oft der Hunger Küchenmeister gewesen und manchmal die Brodsuppe arg knapp geworden ist. Und doch sind aus diesen evangelischen Landpfarren die Dichter der Glanzperiode der deutschen Litteratur hervorgegangen; dass beweist doch, dass der Boden gut und reinlich gepflegt war, und dass die Armut dem Idealismus auch damals nicht Feind gewesen ist. Unser Pfarrer, dessen Leben wir begleitet haben, entschloss sich nun schliesslich doch, trotz des ablehnenden Ergebnisses seiner rationes, im Jahre 1767 nach Dornum zu gehen, und erhielt 1771 dort die erste Pfarrstelle, in der er bis an sein Lebensende geblieben ist. Er hatte die Freude, alle seine acht Kinder gesund heran- wachsen zu sehen, zwei seiner Söhne waren in Holland glänzend verheiratet, er sah eine grosse Schar von Enkeln heranwachsen, Er starb voll Gottvertrauens am 8. Juni 1783 und wurde neben seiner ihm auch vorangegangenen zweiten Frau bestattet. 198 Es ist ein höchst einfaches und wenig bedeutendes Leben, das hier vor uns aufgerollt ist, aber gerade diese kleinen Kreise bürger- lichen Lebens gewähren uns einen tiefen Einblick in das Getriebe ihrer Zeit. Könige und Staatsmänner bleiben sich gleich durch die Jahrhunderte, aber das Meer unter diesen Felsen kräuselt sich von jedem Windhauch anders. So wie dies Leben mussten viele tausende verlaufen; auf ihren Leichensteinen erhob sich der Unterbau der neuen gewaltigen Zeit. Der Drachenstein bei Donnern.” Von W. O0. Focke. Unter den Denkmälern, welche die heidnische Vorzeit in unsern Gegenden hinterlassen hat, sind einige zu einer gewissen Berühmtheit gelangt, andere dagegen fast ganz unbekannt geblieben. Zu den wenig beachteten Resten der Vergangenheit gehört auch ein unscheinbarer, aber doch sehr merkwürdiger Stein, der Drachenstein bei Donnern unweit Bremerhaven. H. Krause bespricht denselben in Wolfs Zeitschrift für deutsche Mythologie, Bd. 2 (1855) S. 293 bis 295. Er schildert ihn nicht aus eigener Anschauung, sondern nach einer von dem Geometer W. Meyer herrührenden Beschreibung, welche in der „Weser-Zeitung‘“ vom 5. Juni 1853 stehen soll. Dies Citat dürfte unrichtig sein; das Original des Meyerschen Aufsatzes, den Krause (ob vollständig?) nachdruckt, konnte noch nicht wieder aufgefunden werden. Eine frühere gedruckte Nachricht über jenen Stein scheint nicht vorhanden zu sein. In dem Kösterschen Buche: „Altertümer, Geschichten und Sagen der Herzogtümer Bremen und Verden“ (1856) wird der Drachenstein S. 39 erwähnt und S. 218 bis 225 ausführlicher besprochen. Insbesondere wird dort auch die Streitfrage erörtert, ob die Schlange auf dem Drachenstein ein Kunstprodukt oder eine Versteinerung sei. Es mag hier deshalb von vornherein bemerkt werden, dass eine solche Frage von natur- wissenschaftlicher Seite, die doch allein als urteilsfähig in solchen Angelegenheiten gelten darf, überhaupt nicht hätte aufgeworfen werden können. Mit einer Versteinerung hat die fragliche Schlangen- figur nicht die entfernteste Ähnlichkeit. Auf Anregung des Herrn Senator Holtermann in Stade hat der Schreiber dieser Zeilen den Stein im Oktober 1887 aufgesucht und kann daher über denselben folgendes berichten. Der Stein ist in der Umgegend unter den Namen Drachen- stein („Dräkensteen“) bekannt und so ist er auch von dem Geometer Meyer genannt worden. Ein Gewährsmann Krauses hielt dagegen die Bezeichnung Schlangenstein (‚„Snäkensteen“) für richtig, welche ebenfalls vorkommen mag, aber doch nicht die gewöhnliche zu sein *) Bremer Nachr. v. 1. Novbr. 1887. — Zeitschr. Hist. Ver. Nieder- sachsen 1393, S. 323—333. 200 scheint. Der Drachenstein liegt etwa 3 km von der Mitte des lang- gestreckten Dorfes Donnern entfernt, nahe an dem grossen Wege nach Wedel, und zwar in der Gegend, wo derselbe mit einer scharfen Biegung nach Norden die Niederung überschreitet, in welcher die Quellen eines kleinen Baches, der Rohr, fliessen. Er befindet sich nicht auf einer Höhe, sondern auf einer sehr sanft geneigten Heide- fläche, an einer Stelle, die von Natur in keiner Weise ausgezeichnet ist. Er ragt auch nicht über das Erdreich hervor, sondern seine obere Kante liegt etwa in gleicher Höhe mit dem Heideboden; ursprünglich befand sich der Stein somit fast ganz in der Erde und er ist nur durch Aufgrabungen sichtbar geworden. Er liegt jetzt ziemlich frei in einer künstlichen Grube; ein enges, stollenartiges Loch scheint erst neuerdings unter seiner unteren Fläche durch- geführt zu sein. Er gehört zu den in hiesiger Gegend so verbreiteten Blöcken krystallinischen Gesteins, und zwar besteht er, nach kleinen frischen Absplitterungen zu urteilen, aus einem glimmerarmen, weissen Feld- spat enthaltenden Granit. Seine obere Fläche ist ziemlich eben und sanft geneigt; während deren obere Kante, wie gesagt, ungefähr bis zur Höhe des Heidebodens heraufragt, liegt die untere um mehrere Decimeter tiefer. Die obere Fläche ist zwar unregelmässig begrenzt, aber doch nahezu quadratisch, mit Seiten von etwa 180 cm oder etwas mehr Tänge. Die Dicke des Steins beträgt, so weit sie sich messen lässt, an verschiedenen Stellen etwa 40 bis 70 cm. Seine Masse kanu auf 1!/, bis 2 Kubikmeter, sein Gewicht auf 4 bis 5 Tonnen geschätzt werden. Auf der oberen Fläche zeigt sich nun längs der oberen Kante jene schlangenartige Figur, von welcher der Stein seinen Namen erhalten hat. Sie ist etwas über die Fläche erhaben, muss also durch Abmeisselung der umgebenden Steinpartien hervorgebracht sein. Das Schwanzende der Schlange ist dünn und verliert sich in den Rauhigkeiten des Steins, zwischen denen der erste Anfang nicht mit voller Sicherheit zu erkennen ist. Weiterhin wird die Figur aber deutlicher und breiter, sie zieht sich in vielen unregelmässigen Windungen (Meyer zählt deren 23) zu einer Kante hin, an welcher sich in stumpfem Winkel eine kleine, im wesentlichen auch noch nach oben gerichtete Fläche an die Hauptfläche anschliesst. Der Schlangenkörper setzt sich in beträchtlicher Breite auf diese kleine Fläche fort, hört dann aber ohne deutlichen Kopf an der scharfen Kante auf, durch welche jene kleine Fläche nach aussen zu begrenzt und von der eigentlichen Seitenfläche des Steins geschieden wird. Die Länge der Schlange beträgt, gradlinig von einem Ende zum andern gemessen, etwa 160 cm, mit den Windungen aber über 3 m. Die Breite beträgt am Schwanzende kaum 1 cm, in der Mitte etwa 5 cm, am Kopfende 7—12 cm. Sie ist an dieser Stelle, namentlich auf der kleinen Fläche, 1/, cm oder mehr über die umgebenden Partien des Steins erhaben. Es scheint, als ob der Leib der Schlange, wenigstens an dem mittleren Teile, geschuppt gewesen sei. Eine solche geschuppte 201 Oberfläche zeigen aber auch andere Partien der oberen Fläche des Stein. Es mag sein, dass zum Teil die Verwitterung des Feld- spats jene Rauhigkeiten hervorgebracht hat, aber die durch die gleiche Ursache erzeugten Unebenheiten der Granitblöcke haben sonst ein mehr grubiges Ansehen. Vermutlich ist die obere Fläche des Steins zum Teil künstlich geebnet und sind die schuppenartigen Rauhigkeiten durch Meisselschläge bewirkt worden. In der Nähe der Schlange wird die Oberfläche wieder etwas geglättet worden sein, während die Schuppung des Körpers der Schlange absichtlich erzeugt sein mag. Der Stein hat nach dieser Annahme eine mehrfache Bearbeitung erfahren, dagegen scheint er nicht durch Menschenhand vom Platze gerückt zu sein. Er liegt noch da, wo ihn das Eis der Gletscher- zeit zurückgelassen hat, denn der umgebende Boden scheint nirgends aufgewühlt zu sein. Dagegen fragt sich, ob nicht ein Bruchstück, auf welchem sich der Schlangenkopf befunden hat, abhanden ge- kommen ist. In dem oben erwähnten Berichte des Geometers Meyer heisst es: „An der Stelle, wo sie (d. h. die Schlange) die obere Fläche des Steins verlässt, etwa zwei Fuss vom Kopfe abwärts, zeigt sich eine sehr breite und flache Partie, wie von einer Quetschung ‚herrührend.“ Diese breite und flache Partie ist an der beschriebenen Stelie noch vorhanden, aber die Schlangenfigur setzt sich nicht mehr zwei Fuss über dieselbe hinaus fort, sondern hört bald nachher an einer scharfen Kante plötzlich auf. Wenn hier noch ein Kopf wäre, so könnte sich derselbe nur auf der senkrechten Seitenfläche befinden, was doch wohl von Meyer besonders erwähnt wäre. Es müsste dieser Kopf ferner, etwa infolge ungünstiger Beleuchtung, der Auf- merksamkeit des Schreibers dieser Zeilen völlig entgangen sein. Der obige Vergleich mit einer Quetschung rührt daher, dass Meyer die Figur für eine Versteinerung hielt. Man hat die Frage aufgeworfen (Wiedemaun bei Köster a. a. O. S. 224), weshalb die Figur der Schlange nicht mehr in der Mitte des Steins angebracht sei. Sie würde dann aber tiefer gelegen haben als der umgebende Boden, ein Umstand, der wohl die Ver- anlassung sein konnte, den obersten Teil des Steins zur Ausarbeitung der Figur zu benutzen. Beim Suchen nach Altertümern hat man unter dem Drachenstein einen etwa ll em langen Bronzecelt ge- funden, der in den Städtischen Sammlungen für Naturgeschichte zu Bremen aufbewahrt wird. Es entsteht nun die Frage, was denn dieser Drachenstein einst bedeutet hat. Die alten Steindenkmäler unserer Gegend zeigen mit- unter Rinnen oder parallele Striche oder Löcher oder vielleicht ein- fache geometrische Abzeichen, aber keine Figuren von Tieren oder wirklichen Gegenständen. Der Drachenstein scheint in unserer Gegend das einzige Beispiel einer solchen Darstellung zu sein. Der Name erinnert an den zwischen Bremen und Oldenburg gelegenen Fuchsstein (Vosssteen), der aber gegenwärtig keine Figur trägt. Die näheren Umgebungen des Drachensteins sind in keiner Weise ausgezeichnet; nur ist erwähnenswert, dass ein einsamer 202 runder Grabhügel bei ihm liegt. Einen anderen solchen Hügel sieht man oben auf dem Geestrücken, einige hundert Schritte entfernt. Von mittelalterlichen Anschauungen ausgehend, könnte man sich vorstellen, der nahe Grabhügel sei das Familiengrab eines Adels- geschlechtes, also vielleicht etwaiger Herren von Drachenstein, ge- wesen, und der davor liegende mit der Schlange bezeichnete Stein habe diesen Besitz angedeutet. Für die vorchristliche Zeit, welcher der Grabhügel jedenfalls angehört, lassen sich derartige Gebräuche jedoch schwerlich nachweisen. Es wäre indessen möglich, dass der Stein zu dem Grabhügel in einer anderen Beziehung stände, wenn nämlich die Schlange nicht eine Art von Wappen, sondern ein Sinnbild darstellte. Herr Pro- fessor Hugo Meyer, der treffliche Kenner der germanischen Mytho- logie, erklärt in freundlicher Beantwortung einer Anfrage eine solche Bedeutung für keineswegs unwahrscheinlich. Die Schlange war unsern Vorfahren ein Symbol der Seele, und es bestand vielfach der Gebrauch, Symbole von gleicher Bedeutung auf Gräbern anzubringen. Man will selbst auf alten Sargdeckeln Schlangenbilder erkannt haben. Die Nachbarschaft des Drachensteins bietet keinen Anhalt für anderweitige Vermutungen über seine Bedeutung. Der Orts- name Donnern (älteste bekannte Namensform 1185: Thonrede) er- innert an den Gott Donar, mit welchem sich die Schlange allenfalls in Beziehung setzen liesse. Man sollte indessen denken, dass man für das Heiligtum eines Gottes einen etwas mehr bemerkenswerten Platz und einen mehr frei liegenden Stein gewählt haben würde. Da ferner weder die Ableitung des Ortsnamens sicher ist, noch ein genauerer Zusammenhang zwischen Stein und Dorf nachgewiesen werden kann, so würden alle Vermutungen über eine Verbindung des Steins mit dem alten Donnergotte ziemlich haltlos dastehen. Der Gedanke, dass die Schlange die Seele darstellen soll und dass der Drachenstein somit ein Sinnbild der Unsterblichkeit trägt, berührt uns heutzutage zwar fremdartig, hat aber doch etwas unge- mein Anziehendes. Er rechtfertigt den Wunsch, dass dies Denkmal des Glaubens unserer Vorfahren sorgfältig geschützt und erhalten werden möge. Sollte aber auch die Bedeutung eine andere sein, so werden wir es doch als unsere Pflicht erkennen, die spärlichen Reste ursprünglicher altgermanischer Kunst, welche bis auf unsere Zeit gekommen sind, für unsere Nachkommen in sichere Obhut zu nehmen. Der Holunder. Eine pflanzen- und volksgeschichtliche Schilderung von Jos. Scholz ın Marienwerder. Ein altes Sprichwort sagt: „vor Holunder solle man die mütze abnehmen und vor wachholder die knie beugen.“ (Simrock, Sprichw. S. 258). Wie gewaltig haben sich die Zeiten seitdem geändert! Das ungeheure Ansehen, dessen sich unser Holunder bei unseren Altvordern erfreute, reicht bis in das graue Altertum, wo die Bäume noch ihre Driaden und die Haine ihre Schutzgötter hatten. Bei Preussen, Russen und Letten war Puskaitis ein Wald- und Bauern- gott, der im Holunder wohnte, weshalb er das heilige Holz hiess und nicht umgehauen werden durfte”) Wenn unsere heidnischen Vorfahren dem Holunder, dieser gesunkenen Grösse, eine solche Verehrung zollten, so muss dies seine besonderen Gründe gehabt haben. Thatsächlich spielte er bei ihnen als Heil- und Nutzpflanze eine bedeutende Rolle, die später im Mittelalter ihren Höhepunkt erreichte und vor- oder nachher von keiner anderen Arzeneipflanze, etwa den Wachholder ausgenommen, übertroffen wurde. Der Holunder (Sambucus nigra L.), auch Alhorn, Elhorn, Holler, Holder, Flieder, Hitschel, im Braunschweigischen allgemein Kreileken genannt, hiess im Althochdeutschen holunter oder holenter,””) im Mittelhochdeutschen holar, holander, holunter, holder. Die erste Silbe (hol) spielt zweifellos auf die hohle Markröhre der jungen Zweige hin, während die Bedeutung der letzten Silbe immer noch nicht ganz klar ist. Soviel steht fest, dass „holund“ bereits bei Ulphilas eine Höhle bedeutete. „Wir Teutschen heissens ein holder oder hohler, auch wohl holunder, weil er innwendig mit einem schwammechten Mark ausgefüllet, gar leicht hohl gemacht werden kann.“ anm. weissh. lustg. 718 (Grimmes Wörterbuch 8. 1737). Der niederdeutsche Name Flieder stammt nach Moeller ab von Fleder (schwedisch flaeder, holländisch vlier), was soviel bedeutet wie „flattern“, wegen der flatternden Blütensträusse des Baumes. Nicht unwahrscheinlich klingt die von mancher Seite””*) ausgesprochene *) Nock, Deutsche Mythologie. **) In den Monseeischen Glossen: holantar. **) 7. B. Krünitz: Encyclopädie (Berlin 1781) S. 258. 204 Vermutung, dass auch dieses Wort auf die hohle Beschaffenheit der - jungen Zweige hinweisen soll, indem unter „Fleth oder Flieth* eine Röhre, ein Kanal verstanden wird. Das Verbreitungsgebiet des Holunders erstreckt sich über ganz Europa mit Ausnahme der nördlichsten Teile von Skandinavien und Russland bis nach China und Japan. In der baltischen Flora wächst er nur an höchstens 3 Orten an sehr geschützten Stellen.*) Jedenfalls verdankt er seine grosse Verbreitung in erster Reihe seiner dereinstigen Kultur, der er sich in früherer Zeit erfreute. Man mass ihr eine solche Bedeutung bei, dass noch in der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts eine Abhandlung Neuenhahns über „die nutzbare Fortpflanzung des Hollunderbaums“* erschien.”*) Als Ziergewächs zieht man ihn noch jetzt in mancherlei Abarten: mit feingeschlitzten und weiss- und gelbgefleckten Blätter, mit weissen Beeren oder monströs verbänderten Ästen. Je nach dem Farbstoft- gehalte des Saftes der Beeren unterscheidet man in Braunschweig „Blutkeileken oder Waterkeileken“.*”*) Die hervorragendste Bedeutung besass unser alter Holunder in der Volksmedizin. Seine Früchte sind bereits von Hippokrates verordnet worden. Im Mittelalter wurden Wurzel, Rinde, Holz, Blüten und Früchte dieses hochgepriesenen Baumes auf die verschieden- artigste und — nach unseren jetzigen Begriffen von der Heilkunde — zum Teil in der lächerlichsten Weise von den weitesten Kreisen der Bevölkerung benutzt. Nach und nach sank sein Ansehen, und bereits im Anfange des vorigen Jahrhunderts wurde von hervor- ragenden Ärzten geklagt, dass seine Anwendung bedenklich in Ver- gessenheit zu geraten beginne. In der Pharmacopoea germanica werden die Holunderblüten (/lores Sambuci) zwar noch als offizinell. und als Bestandteile der species lawantes aufgeführt, allein dies ist auch alles, was von der gerühmten Heilwirkung gegenwärtig. zuge- standen wird. Vielleicht ist die Zeit nicht mehr fern, wo auch dieser Rest aus den Arzneibüchern verschwinden wird, waren doch nach dem Handwörterbuche der Pharmacognosie des Pflanzenreichs von G. C. Wittstein (Breslau 1882) vor wenigen Jahren, abgesehen von den Blüten, noch die Rinde, Blätter und Beeren im Gebrauche. Als schweisstreibendes Mittel haben sich in der Bevölkerung, namentlich bei den Landleuten die Blüten einen hervorragenden Platz unter den Hausmitteln zu behaupten gewusst. Der Duft, den die im Mai zur Entwickelung gelangenden schirmförmigen Blütenstände ausströmen, ist angenehm und lockt zahlreiche Insekten herbei, die sich entweder am Blütenstaube oder . Honig gütlich thun. Dagegen verbreitet ein Aufguss von getrockneten *) Nach Dr. Joh. Klinge (brieflich): „An der Nordseeküste erweist sich der gepflanzte Hollunder übrigens als sehr widerstandsfähig; er gedeiht auf den kleinen Sandinseln und ist der einzige Strauch, der sich auf der Düne von Helgoland findet.“ W. O..Focke. **) 20, Teil der Ökonom,-physik. Abhandl. Leipzig 1763, No. 8, S. 706. ”=**) Petzold: Volkstümliche Pflanzennamen aus dem nördlichen Teile von Braunschweig. D. Bot. Monatssch. 1890, S. 118. 205 Blumen einen widerlichen Duft. Er rührt jedenfalls von einem in den Blüten enthaltenen ätherischen Öle her. Es ist zum Teile krystallisierbar und noch nieht genau untersucht.*) Vormals wurde dieses Öl gewonnen und erfreute sich als sogenanntes „goldenes Öl“ insbesondere bei Wasser- und Gelbsucht eines hohen Ansehens. Man wandte es ferner als Brechmittel, gegen das kalte Fieber, Gicht, Hüftweh und gegen erhaltene Zauber- und Liebestränke innerlich an, äusserlich dagegen bei Ohrenschmerzen, Seitenstechen, Krämpfen, Lähmungen, Quetschungen, geschwollenen Mandeln, Bienenstichen und Brand- oder Frostschäden. Die frischen Blüten enthalten ausser diesem Öle nach Eliasson Gerbstofl, Schleim, Harz und Eiweiss. Sie müssen um schnelle Heilwirkung auszuüben, bei trockenem, heiterem Wetter gesammelt und rasch getrocknet werden. Die Apotheker sehen darauf, dass die Drogue nicht braun oder schwärzlich verfärbt ist. Einige Apotheken halten die frisch gepflückten und sofort eingesalzenen Blumen feil. Die Slovaken trinken Thee von Holunderblüten gegen Rheumatismus und Katarrhe.””) Als Mittel bei Geschwulsten und Quetschungen legte man früher den Kranken Kräuterkissen von Holderblumen auf. Die irischen oder getrockneten Blüten in Milch gekocht, sollten ferner ein ausgezeichnetes Mittel gegen die Rose abgeben, wenn es morgens warm getrunken wurde. Eine besondere Heilkraft wollte das aber- gläubische Volk dem Absude beimessen, wenn hierzu die Milch von einer rotscheckigen Kuh genommen und der Thee bei abnehmendem Monde getrunken wurde. Der Mond spielte bekanntlich nicht allein in der „guten alten Zeit‘ eine grosse Rolle in unserem Volksleben, sondern er hat sie sich bis auf die heutige Zeit in manchen Be- völkerungskreisen bewahrt. Inwieweit diese Annahme auf Aberglauben beruht oder sich wissenschaftlich begründen lässt, will ich hier nicht erörtern, indess ausdrücklich hervorheben, dass der Einfluss des Mondes auf das Pflanzenleben nach verschiedenen Erfahrungen der Neuzeit einer thatsächlichen Begründung nicht zu entbehren scheint.”**) Dass die frischen Blütendolden in Bierkuchenteig gebacken oder mit Butter gebraten verspeist wurden, wird vielleicht ein Kopfschütteln und Befremden erregen. Allein in einigen Gegenden Süddeutschlands ist ein solches Gericht noch heutzutage als ‚„‚Holder- kuchle‘ bekannt. Die frischen Blätter lieferten einen Thee, der mit Honig ver- süsst Hals- und Atmungsbeschwerden vertrieb. Frisch und zer- quetscht auf erkrankte Körperteile aufgelegt, heilten sie Hautkrank- *) Flückiger: Pharmacognosie. II. Aufl. (Breslau 1881) **) Holuby: „Der Holler in der Volksmedizin und im Zauberglauben der Slovaken in Nord-Ungarn“. D. Bot. M. 1883, S. 68/70 und 86/87. ”**) So ist z. B. die selbst unter den Gärtnern weit verbreitete Ansicht auf ihren wahren Wert eingehend zu prüfen, wonach der Keimprozess rascher von statten geht, wenn die Aussaat bei zunehmen!em Monde vorgenommen wird. 206 heiten und Geschwülste und erwiesen sich bei Verletzungen als schmerzlinderndes Mittel. Die Slovaken waschen nach Holuby mit einem Aufguss der frischen Blätter bösartige Wunden und legen die frischen Blätter (podzemny bez) auf eiternde Wunden. Die jungen, im Frühjahre der Wurzel zahlreich entspriessenden Schösslinge kochte man mit Spinat zu einem Mus. Man gab es bei Gallen- oder Leberleiden, wie behauptet wurde, mit vorzüglichem Erfolge. Jedenfalls wirkte es als mildes Abführmittel. Grösserer Beliebtheit erfreuten sich die Rinde und das zarte, von der grauen Oberhaut befreite Gewebe der jungen, bereits ver- holzten Triebe. In der Rinde ist nach älteren chemischen Unter- suchungen ein eisenbläuender Gerbstoff — und nach Kraemer eine eigentümliche flüchtige Säure enthalten, die er Viburnumsäure nennt, die wohl aber weiter nichts als Baldriansäure ist. Falls diese Ver- mutung zutrifft, würde die häufig beobachtete Erscheinung eine ungekünstelte Lösung finden, dass die Katzen ihre Krallen mit Vor- liebe an der rissigen Borke des Holunderbaumes wetzen, da die Katzen den Baldrianduft ungemein lieben. Neuerdings hat de Sanctis in der Rinde Coniin entdeckt, das ebenso wie die Baldriansäure in dem Arzeneischatze der neueren Schule Aufnahme gefunden hat. Die unseren Vorfahren bekannte Heilwirkung der Rinde erhält mithin eine überraschende wissenschaftliche Bestätigung. Auch bei Anwendung dieses Mittels wurde auf die Mond- phasen geachtet. „Es kömmt bei den gesetzen auf die zeichen an und auf den mond, wie beim holunder, schneidet man diesen im abgänden mond, kocht ihn und trinkt ihn dararb, so wirkt er nitsig (d.h. als Abführmittel — nach unten hin), schneidet man ihn im wachsen- . den mond, treibt er obsig (d. h. als Brechmittel — nach oben hin).“) Im allgemeinen war bei der kindlichen Auffassung von der Wirkung und dem geheimnisvollen Walten der Naturkräfte der Glaube verbreitet, dass die Rinde aufwärts geschabt auch „über sich“ (obsig) wirken, also Brechen, andernfalls aber. ,„Stuhlgang‘“ herbeiführen müsse. Dieser Aberglaube herrscht hier und dort noch jetzt, z. B. in England und Schottland, und man glaubt, durch das verschieden- artige Schälen der Rinde des Pulverbaumes (Frangula Alnus L.) und des Gottesgnadenkrautes (Gratiola offieinalis L.) die je nach den Umständen beabsichtigte Wirkung hierdurch hervorzurufen. Dieses Kraut führt daher auch die drastischen Namen ‚Kopfoben- Kopfunten“. Zu der Rinde griff man hauptsächlich in den Fällen, wo es darauf ankam schlechte Säfte aus dem Körper durch den Urin aus- zuscheiden. Die gleiche Kraft schrieben die alten Arzte dem schwammigen Marke zu. Übrigens gingen sie bei der Anwendung des Rindensaftes sehr vorsichtig damit zu Werke, weil ihnen seine scharfe Wirkung genau bekannt war. Zweifellos ist sie in erster *) J. Gotthelf. Schuldenb. 14 (vergl. Grimme, Wörterbuch, S. 1762). 207 Reihe dem nicht unerheblichen Gehalte von Coniin und Baldrian- säure beizumessen. Die Arzte beschränkten die Gabe daher auf „eine halbe Eier- schale“, um bedenklichen Vergiftungserscheinungen vorzubeugen. Zur Verschleierung des bitteren Geschmacks wurde der Rinden- aufguss mit Wein oder Honig vermischt. Ähnliche Anzeichen von Vergiftungen treten selbst bei unvor- sichtigem Gebrauche des Fliederthees ein, wenn derselbe zu stark ist. So stellten sich bei einem meiner Bekannten heftiges Fieber, Beängstigungen und Ohnmachtsanfälle ein, die dann glücklicherweise einem wohlthätigen Schweisse wichen. Neben der Rinde kam die Wurzel des Holunders zu gebührender Geltung. Es darf dies nicht überraschen, weil ja bei den meisten Arzeneikräutern die heilkräftigen Stoffe in dem Wurzelstocke auf- gespeichert sind. Sehon die Ärzte des Altertums empfahlen die Abkochung der Wurzel in Essig oder Wein gegen den Biss giftiger Schlangen und im Mittelalter bereitete man aus einer ähnlichen, mit Wasser ver- dünnten Mischung ein Zahnwasser. Es wurde ihm nachgerühmt, dass es die Mundhöhle desinfiziere und die Zahnschmerzen stille oder mindestens lindere. Neuerdings empfiehlt man den Wurzelsaft gegen die Wasser- sucht.”) Die verbreitetste und allgemeinste Verwendung sowohl als Heil- wie als Genussmittel fanden die im Herbste reifenden, etwas süsslich schmeckenden schwarzen, seltener grünen oder weissen Beeren. Sie enthalten nach Scheele Apfelsäure, Zucker und Gummi, nach Enz ausserdem Essig- und Baldriansäure, eisengrünende Gerb- säure, Weinsteinsäure, Bitterstoft, ätherisches Ol, Wachs und Harz. Die unreifen Beeren und die Blumenknospen kamen, wie Kapern eingemacht, auf den Tisch. Die frischen, reifen Beeren gaben eine vortrefflich schmeckende Suppe ab, die auf dem Speise- zettel bei Arm und Reich im Herbste nicht fehlen durfte und mir aus meiner Jugendzeit her sehr wohl bekannt ist. Hitschel- oder Holundersuppe wird nämlieh noch jetzt z. B. in Schlesien und Schleswig-Holstein gegessen. Die Zubereitung ist sehr einfach. Der ausgepresste, durchgeseihte Saft wird mit Zucker, etwas Gewürz. und Citronensaft gekocht. Man kocht auch die Beere selbst mit gerösteter Semmel und einigen Citronenschalen, schlägt den Saft durch ein Sieb und kocht ihn dann nochmals mit Zucker, Korinthen und Gewürznelken auf. Diese Fruchtsuppe ist ebenso wohlschmeckend als gesund und hält mit allen anderen heimischen Fruchtsuppen jeden Vergleich aus. Aus den frischen Beeren kann ferner, ebenso wie von Pflaumen, ein Mus bereitet werden, das als Zukost zum Brote genossen wurde. Etwas Holundermus unter Pflaumenmus gethan, erhöht dessen Haltbar- keit. Es wäre zu wünschen, dass dort, wo die Herstellung des Pflaumen- muses, oder der Pflaumenkreide (nach westpreussischem Sprach- *, Wittstein. Handwörterbuch. Breslau 1582. Mai 1900. Abh. XV, 14 208 gebrauche), im grossen betrieben wird, dieses Mittel erprobt wird. Sogar anstatt Stiefelwichse kann man das Holundermus gebrauchen. Es ist indess mehr als uizslidh, ob sich seine fabrikmässige Ver- arbeitung lohnt. Natürlich fanden die aus den Beeren hergestellten Präparate in der Heilkunde die umfangreichste Verwendung. . Das Mus heilte als Pflaster aufgelegt, Brandwunden, Geschwülste, Gicht und die Rose, mit Wasser verdünnt beseitigte es Verstopfungen und Magen- beschwerden; nach Holuby benutzen es die Slovaken sogar bei Asthma.”) Die in der Sonne gedörrten und mit den Blumen zu- sammeugekochten Beeren lieferten ein vorzügliches schweisstreibendes, bei Fieber nnd Seuchen vielfach angewandtes Mittel. \Wenn man 2 Esslöffel getrockneter Beeren auf einen Schoppen Rheinwein nahm und beides einen: Tag an einem warmen Orte stehen liess, so erhielt man ‘einen Extrakt, der sich bei Gicht, Wasser- und Gelbsucht bewährte. Der Beerensaft wurde auch mit Weisswein vermengt und der Gährung ausgesetzt. Ein Weinglas des abgegohrenen und geklärten Weines beförderte, nach der Mahl- zeit genossen, die Verdauung und war namentlich den Magenleidenden gut bekömmlich. Wie das Gute leider noch jetzt gemissbraucht wird, so war dies auch damals der Fall. Die Anwendung des Holunderbeerensaftes nahm immer grösseren Umfang an, bis er schliesslich gegen alle möglichen Gebrechen helfen sollte. Es würde zu weit führen, die lange Reihe von Krankheiten oder die zahlreichen Rezepte aufzu- führen. Die Enttäuschung konnte selbstverständlich nicht ausbleiben — und damit kam das Arzeneimittel, wie dies bei zu hoch ge- spannten Erwartungen meistens zu geschehen pflegt, in Verruf und schliesslich in Vergessenheit. Dem gleichen Schicksale verfiel das aus den Samenkörnern gewonnene Öl. Die gestossenen Kerne verordnete bereits Plinius bei Wassersucht. Nach Holuby ist dieses Öl bei den Slovaken beliebt, um den Stuhlgang zu befördern. Zu grosse Gaben ver- ursachen indess heftigen Durchfall. Man ‚giebt das Öl auch bei angesammelten Darmgasen dem Rindvieh ein.““) Eine derartige allgemeine Nutzanwendung unseres Holunders begeisterte Lohenstein zu dem damals gerechtfertigten Ausspruche; „Es möchten alle Länder der Welt ihre Arzneikräuter rühmen, wie sie wollten, so reichte doch keiner hierinnen den an alten Zäunen und Gräben wachsenden Holderbaum das Wasser.‘ Das alte Holz des Holunders wurde früher viel mehr begehrt als jetzt, wo man höchstens Griffe zu verschiedenen Werkzeugen daraus verfertigt. Ehemals wurden aus ihm Schilde hergestellt, weil sich das Holz durch grosse, mit bedeutender Blastizität ver- bundene- Leichtigkeit auszeichnet und es sich nach Hieb und Stich leicht wieder schliesst.*) *) Holuby: Der Holler in der Volksmedizin etc. D. B. M. 188. **) Holuby: Der Holder. D. B. M. 1883. —),P]mius> Bist matz ib. SQyple 209 Die jungen, bereits verholzten Zweige sind von den Knaben stark begehrt, die sich nach Entfernung des schwammigen Markes Knallbüchsen und aus dem Marke ‚„Stehaufmännchen“ machen. Bei der grossen Verehrung, der dem Holunder von allen Be- völkerungsschichten entgegengebracht wurde, darf es nicht Wunder nehmen, dass er mit dem ganzen Volksleben aufs innigste verwoben war, eine geradezu abergläubische Scheu empfindlichen Gemütern einflösste und in Sage und Dichtung verherrlicht wurde. Die Be- zeichnung „Holderstock“ war für „Liebster, Liebste‘ gegen Ende des 15. Jahrhunderts volkstümlich, indem man den Schmeichelnamen auf die erste Silbe hold bezog,*) ebenso die Benennung ‚Holder- - sprossen“ für Sommerfleck. Ein uraltes Kinderlied lautete: \ „Ringel, Ringel, Reihe, Sind der Kinder dreie, Sitzen auf dem Holderbusch, Schreien alle husch, husch, husch.‘ Unter den neunerlei Kräutern, die in der geheimnisvollen Johannisnacht gepflückt und unters Kopfkissen gelegt wurden, durfte Holunderblüte nicht fehlen; die aus solchen Blumen gewundenen Kränze besassen angeblich heilwirkende Kräfte und wurden deshalb sorgsam aufbewahrt. Schnitt man aus dem Holunder einen Splitter unter der Rinde aus, stocherte damit das Zahnfleisch eines schmerzenden Zahnes bis es blutete, spündete den Splitter wieder an den vorigen Ort und liess ihn verwachsen, so sollte das Zahnweh gebannt werden.””) Vertrauensvoll flüchteten Fieberkranke oder an Kopfschmerzen Leidende unter den Schatten des Baumes um Heilung oder Linderung zu erlangen. Manche alte Chronik meldet von wunderbaren, auf diese Weise erzielten Heilungen. Dass in solchen Fällen von keiner unmittelbaren, von dem Holunder ausgegangenen Heilwirkung die Rede sein kann, ist zweifellos. Jedenfalls greifen diese Erscheinungen in das rätselhafte Gebiet des Hypnotismus hinüber, dem die meisten sogenannten Wunder und die Auswüchse des Hexenglaubens im Mittelalter eutsprungen sein mögen. Ein besonderes Ansehen genossen die als ‚„UÜberpflanzen“ auf Linden oder alten Weiden wachsenden Holdersträucher, wie sie hin und wieder in Dörfern anzutreffen sind. Diesen ungewöhnlichen Standort verdanken derartige Pflanzen den Vögeln, die sich von Beerenfrüchten nähern und die Samen mit dem Kothe auf der rissigen Rinde alter Bäume absetzen. Die Vermehrung des Holunders geschieht gegenwärtig hauptsächlich durch das leichtbeschwingte Völkehen der Vögel, die im Herbste den überreichen Fruchtsegen plündern. Früher pflanzten ihn seine zahlreichen Verehrer mit Vor- *) Grimme: Wörterbuch, 8. 1738. **) Pisanski: „Von einigen Überbleibseln des Heidentums u. Pabsttums‘ in den Wöchentl, Koenigsbergischen Frag- und Anzeigungsnachrichten Jahrg. 1751. No. 22, 5 6. 14" 210 liebe auf Friedhöfen an, wo man ihn, namentlich auf dem Lande - ziemlich häufig vorfindet. Holunderbüsche ragen Um ihre Gruft empor. (Hölty). Dieser weitverbreiteten Sitte schreibe ich wohl mit Recht die von Holuby erwähnte Scheu der Slovaken zu, den Holunderbaum in den Hausgärtchen anzupflanzen; sie meinen nämlich, dass er in der Nähe von Wohnungen Unheil bringen solle. Vielleicht hängt dieser Aberglaube auch mit der in einigen Gegenden“) verbreiteten Sage zusammen, wonach sich Judas an einem Holunderbaum erhängt. habe. Deshalb trägt ein auf alten Stämmen schmarotzender Pilz auch den Namen Judasohr (Ewidia auricula Judae Fr.) Eines Holderstockes bedienen sich die Wisser oder Wahrsager bei den Slovaken zur Ermittelung von Dieben, und einen Holderstab legt ein vom Liebhaber verlassenes Mädchen, um ihn wieder an sich zu fesseln, aufs Feuer und bestreut ihn unter Hersagung einer Be- schwörungsformel mit Salz.””) Schreiner und Totengräber in ver- schiedenen Teilen Deutschlands benutzten den Holderstab, um damit für die letzte Ruhestätte Mass zu nehmen. Neben dem Leichen- wagen aber schritt der Kutscher, statt der Peitsche einen Holder- stock in der Hand führend. Damit sollte wohl symbolisch darauf hingedeutet werden, dass das irdische Glück ebenso zerbrechlich sei wie der spröde Stab. Die Frage nach den Ursachen, die das An- sehen des Holunders so gewaltig beeinträchtigt haben, ist unschwer zu beantworten. Der Umschwung begann in die Zeit zu fallen, wo von Reisenden die Kunde von heilkräftigen Kräutern fremder Weltteile zu uns drang. Vielfach sind diese Berichte übertrieben worden, wie dies ja bei vielen Arzeneimitteln der Gegenwart leider zu geschehen pflegt. Umabweisbare Pflicht der Arzeneiwissenschaft ist es unbestritten solche Nachrichten auf ihren Wert zu prüfen und den ausländischen Heilkräutern ein aufmerksames Augenmerk zu schenken. Unser Arzneischatz ist dadurch um manche hoch- wichtige Erwerbung — ich erinnere nur an das Chinin — bereichert worden. Der gewaltigen Aufgabe, die Unzahl all der auftauchenden Medizinalpflanzen auf die angepriesene Wirkung zu untersuchen, konnte die Arzeneiwissenschaft innerhalb der verhältnismässig kurzen Zeit, seitdem sie aus ihren Kinderschuheu getreten ist, beim besten Willen nicht gewachsen sein. Die angeregten Versuche wurden mit Feuereifer fortgesetzt, einer jagte den anderen und die Reihe der Versuche steigerte sich ins Endlose, als die Chemie in der inneren Heilkunde, wie im Volksleben überhaupt, ungeahnte Erfolge errang. Dass hierdurch unsere Heilkräuter in den Hintergrund gedrängt wurden, ist bedauerlich, allein im menschlichen Wesen begründet. Das Sprichwort, der Prophet gilt in seinem Vaterlande am wenigsten, trifft im vorliegendem Falle mehr als irgendwo anders zu. Wenn sich in neuester Zeit ein kleiner Umsehwung zu gunsten unserer *) Aber nach Holuby nicht bei den Slovaken. **) Holuby a. a. O 211 heimischen Pflanzenwelt vollzieht, so ist dies nur mit Dank und Freude zu begrüssen. Auf dem so vorsichtig beschrittenen Wege muss indess etwas kräftiger vorgeschritten werden. Dann wird sich für manche Arzeneipflanze der Nachweis erbringen lassen, dass sich deren Anwendung durch unsere Vorfahren wissenschaftlich begründen lässt. Die chemische Analyse der Holunderrinde z. B. hat dies zum Teil bestätigt und wird dem alten Wohlthäter der Menschheit hoffentlich wieder zu Ehren verhelfen. Ein wehmütiges Gefühl bemächtigt sich meiner stets, wenn ich im Herbste den mit ihren Früchten schwer beladenen Holunder- bäumen- und Sträuchern begegne, die einst eine so grosse Rolle in unserem Volksleben zu spielen berufen waren. Welches National- vermögen, der Baum nur als Nutzpflanze betrachtet, liegt in Gegenden brach, wo er massenhaft verbreitet ist, wie in den Weichselgegenden! Möge es der Nachwelt vergönnt sein ein leider zu tief eingewurzeltes Vorurteil zum Nutzen der Volkswirtschaft und Heile der leidenden Menschheit zu besiegen. Die Eröffnung des städtischen Museums am Mittwoch, 15. Januar 1896. Das städtische Museum zu Bremen, oder wie es offiziell heisst, das Museum für Natur-, Völker- und Handelskunde, hat sich in seiner jetzigen Form als eine Bildungsstätte ersten Ranges er- wiesen. Es erscheint uns daher zweckmässig, die bei seiner Er- öffnung gehaltenen Reden in unseren Abhandlungen mitzuteilen. Sie enthalten wichtige Angaben über die Vorgeschichte des Institutes und zugleich — in der Rede des Herrn Direktors — Winke über die Ziele, welche bei der Organisation und Aufstellung massgebend gewesen sind, und welche auch jetzt noch verfolgt werden. Die Eröffnung fand am Mittwoch, 15. Januar 1896, in dem mit ' Flaggen dekorierten Saale des dritten Stock werkes statt, welcher damals ganz zum Magazinraum bestimmt war, jetzt (1900) aber infolge des raschen Anwachsens der Sammlungen bereits zur Hälfte für die Auf- stellung der minerologischen Abteilung hat herangezogen werden müssen. Auf Einladung der Behörden hatte sich dort eine erlesene: Gesellschaft von etwa 300 Personen zusammengefunden. Wir teilen die gehaltenen Ansprachen — nach gütiger Fest- stellung der Herren Redner — im Wortlaute mit. Herr Senator Dr. Herm. Gröning. Er wandte sich an den Herrn Senatspräsidenten, Bürgermeister Dr. Pauli, und sagte etwa Folgendes: „Herr Präsident! Nachdem im Jahre 1890 die grosse Ge- werbe- und Handelsausstellung stattgefunden hatte, traten patriotische Männer zu einem Verein unter dem Vorsitz des um unser Gemein- wesen hochverdienten Herrn Christoph Papendieck zusammen, um die Handelsausstellung unserm Bremen zu erhalten und für diese und die städtischen Sammlungen für Naturwissenschaften und Ethnographie ein gemeinschaftliches Museum zu Stande zu bringen. Diese Bestrebungen sind von dem glücklichsten Erfolge begleitet gewesen, bereits im April 1891 waren die Herren in der Lage, dank dem Entgegenkommen der Aussteller, sowie einer grossartigen Gabe der Sparkasse im Belaufe von 237000 Mark und fernerer Beiträge gemeinnütziger Mitbürger in Höhe von zusammen etwa 163000 Mark dem Staate die Sammlungen als Geschenk mit diesen Gaben unter der Bedingung anzubieten, dass die Handelsausstellung mit den be- stehenden städtischen Sammlungen verbunden und alles zusammen der einheitlichen Leitung einer Behörde unterstellt und so ein Museum 213 für Naturwissenschaft, Völker- und Handelskunde errichtet werde, und unter der ferneren Bedingung, dass der Staat den Neubau des Museums übernehme, dazu den Platz beim Bahnhof bewillige und den Rest der auf 800000 Mark veranschlagten Kosten, also 400000 Mark samt Kosten der Ausstattung übernehme. Eine fernere Bedingung war, dass zu gewissen Tagesstunden der Besuch des Museums für das Publikum frei sein solle. Der Senat glaubte auf diese Bedingungen um so eher eingehen zu können, als der Bau eines Museums für die Sammlungen für die Naturwissenschaften und Ethnographie unter allen Umständen erforderlich geworden sein würde. Und so richtete er am 3. November 1891 an die Bürger- schaft den Antrag, die Annahme der Bedingungen zu genehmigen, unter Vorlage eines Projekts für den Neubau auf diesem Platze am Bahnhofe, welches ausgearbeit war vom Bauinspektor Flügel auf Grund des Programms, das er unter den Auspizien der Behörde in Gemeinschaft mit Direktor Dr. Schauinsland zu Stande gebracht hat. Die Bürgerschaft erklärte am 18. November 1891 ihre Zu- stimmung, beide hohen Körperschaften unter Bezeugung ihres Dankes an die hochherzigen Geber. Demgemäss wurde die Baudeputation mit der Ausführung des Programms beauftragt. Herr Präsident! Der Bau ist nunmehr vollendet und die Bau- deputation beehrt sich jetzt, das in Erfüllung des ihr gegebenen Auftrages von Herrn Bauinspektor Flügel, unter der bewährten Oberleitung des Herrn Oberbaudirektor Franzius, unter fortwährender Fühlung und Mitwirkung der Behörden und ihres Direktors Schau- insland vollende Bauwerk zu übergeben, damit es die bestimmungs- mässige Benutzung findet. Möge es den gestellten hohen Anforderungen genügen, sich im Gebrauch bewähren! Möge es der Vaterstadt zur Zierde und Ehre gereichen! Unserem Bremen aber möge es nie an gleich gemeinnützig gesinnten Mitbürgern fehlen, wie es die hoch- herzigen Stifter und Begründer des Museums waren.“ (Bravo!) - Herr Senator Dr. Barkhausen als Vorsitzer der Behörde für das Museum: „Hochgeehrter Herr Präsident! Als Vorsitzer der Be- hörde für das städtische Museum für Natur-, Völker- und Handels- kunde habe ich die Ehre, am heutigen Tage die städtischen Samm- lungen in ihrer neuen Aufstellung in den schönen Räumen, die ihnen nunmehr überwiesen sind, zu übergeben. An solchem Tage geziemt es sich wohl, in der Kürze einen Rückblick zu werfen auf die Entstehungsgeschichte dieser Sammlungen. Die Gesellschaft Museum, welche gegen Ende des vorigen und zu Anfang dieses Jahrhunderts den Mittelpunkt des geistigen Lebens in unserer Stadt bildete, hatte sich insbesondere auch die Pflege der Naturwissen- schaften zu ihrer Aufgabe gestellt. Neben der Abhaltung von Vor- lesungen und der Beschaffung einer Bibliothek suchte sie ihre Ziele namentlich auch durch Anschaffung naturwissenschaftlicher Gegen- stände zu erreichen. So entstanden die Anfänge unserer Sammlungen. Auch als im Laufe der Zeit die Gesellschaft Museum ihre Bedeutung für die Wissenschaft mehr und mehr verlor und den Charakter einer geselligen Vereinigung annahm, blieb ihre Fürsorge zunächst in 214 anerkennenswertester Weise den naturwissenschaftlichen Sammlungen ferner noch zugewandt. Dank der Thätigkeit ausgezeichneter Ge- lehrter, von denen hier vor allem die Herren Dr. G. Hartlaub und Dr. ©. Finsch genannt zu werden verdienen, erlangte namentlich die Vogelsammlung eine hervorragende Bedeutung. So konnte man bereits um die Mitte des Jahrhunderts von den Sammlungen mit Recht sagen, dass sie, obwohl noch in privaten Händen, doch schon gewissermassen als ein Gemeingut der Stadt von ihr gehütet würden, und dass sie dazu beitrügen, dem Namen Bremens als einer Pflege- stätte echt wissenschaftlicher Bestrebungen Ehre zu machen. Zu Anfang der siebziger Jahre ergab sich für die Gesellschaft Museum die Notwendigkeit, eine Umgestaltung ihrer Organisation vorzunehmen. Mit der Veränderung der Organisation ging ein Umbau ihres Hauses Hand in Hand, welcher ein Verbleiben der Sammlungen in den bis- herigen Räumen zur Unmöglichkeit machte. Gleichzeitig plante die Domgemeinde einen monumentalen Neubau an der Domshaide. Die Gesellschaft Museum liess sich in diesem Bau zur Aufstellung ihrer Sammlungen Lokalitäten mit einem Flächeninhalt von 10 000 Quadrat- ‘ fuss unkündbar gegen Entgelt einräumen. Noch während der Saalbau des Doms in der Ausführung begriffen war, wandte sich die Gesell- schaft an den Staat mit dem Anerbieten, ihm die Sammlung als Geschenk zu freiem Eigentum zu übertragen, um sie der Stadt Bremen dauernd zu erhalten und der Benutzung des Publikums in erhöhtem Masse zugänglich zu machen. Vor jetzt 20 Jahren, am 1. November 1875, kam der bezügliche Vertrag mit dem Museum zu Stande, welcher dann alsbald die Genehmigung von Senat und Bürgerschaft fand. Ihre Rechte auf Einräumung von Lokalitäten im Saalbau übertrug danach die Gesellschaft ebenfalls auf den Staat. . Allseitig ging man damals von der Ansicht aus, dass die städtischen Sammlungen, wie nun der Name lautete, in den ihnen neu über- wiesenen Räumen eine lange Reihe von Jahren ein ausreichendes Unterkommen haben würden. Die Summe, welche der Staat jährlich hergab, war zwar hinreichend, um ihren Fortbestand dauernd zu sichern, aber keineswegs danach angethan, um ein rasches Wachstum hervorzurufen. Wenn trotzdem die Sammlungen sich von Jahr zu Jahr rasch vermehrten, wenn neue Abteilungen hinzukamen, an die man früher noch nicht gedacht hatte, so verdanken sie dies neben der Vortreff- lichkeit ihrer Direktoren, als welche nacheinander die Herren Doktoren Finsch, Ludwig, Spengel und Schauinsland thätig waren, der Liberalität Privater, welche ihr Interesse den Sammlungen zuwandten und das- selbe durch Geschenke bethätigten. In erster Linie verdient hier mit Ehren der Naturwissenschaftliche Verein genannt zu werden, der unter der Leitung seines hochverdienten Präsidenten, des Herrn Professor Buchenau, unermüdlich für die Sammlungen thätig war. Als der Naturwissenschaftliche Verein im November 1889 sein 25jähriges Bestehen feierte, konnte ich in meiner Eigenschaft als Senatsinspektor der Sammlungen mit lebhaftem Danke aus der Hand des Herrn Vorsitzers ein Kapital in Empfang nehmen, welches den ersten Baustein bilden sollte für ein neues naturwissenschaft- “oh liches Museum, weil schon damals längst die Ueberzeugung Geltung gewonnen hatte, die bisherigen Räume seien zu klein. Wie sehr ich selbst auch diese Ueberzeugung hegte, so wagte ich doch damals nicht zu hoffen, dass der Traum eines Neubaus so bald sich ver- wirklichen würde. Da kam die Gewerbe- und Industrieausstellung des Jahres 1890 heran und brachte uns neben vielem anderen Schönen als Glanzpunkt (das darf wohl ohne Uebertreibung gesagt werden) eine Handelsausstellung, welche das Interesse aller in höchstem Maasse erweckte. Diese Ausstellung lieferte einmal ein vortreffliehes Bild von der Bedeutung des bremischen Handels, zu- gleich aber auch einen glänzenden Beweis von der Liberalität unserer Kaufmannschaft, welche die Aussellung so ungemein reich ausge- stattet hatte. Insbesondere hatte sich die Handeskammer auf das rühmlichste hervorgethan. Aus ihrem Kreise wurde Herr G. Pagen- stecher zum: Vorsitzer der Handelsausstellung berufen und erwarb sich als solcher grosse Verdienste. Allgemein regte sich der Wunsch, die herrlichen Gegenstände der Handelsausstellung über die Dauer der Ausstellung hinaus unserer Stadt für immer zu erhalten. Der Präsident der Gesamtausstellung des Jahres 1890, Herr Chr. Papen- dieck, war es, der auch hier den richtigen Weg fand, um die Er- - füllung des Wunsches zu erreichen. Dieses ausgezeichneten Mannes, dessen reger Geist und helle Schaffensfreude so vieles hat hervor- rufen helfen, auf das wir jetzt schon mit Freude und Stolz sehen, und von dem wir Grösseres für die Zukunft erwarten, geziemt es heute vor allem zu gedenken. Ihm ist es nicht beschieden gewesen, die Vollendung des Werkes zu sehen, zu dem er den Grundstein gelegt hatte. Allzu früh hat der Tod seinem Wirken ein Ziel ge- setzt. Die Verwirklichung des Projekts des Handelsmuseums ist die letzte grössere schöpferische That seines Lebens gewesen. Indem es ihm gelang, eine sehr namhafte Summe von der Sparkasse und von Privaten zusammenzubringen und dem Staate für den Bau des Museums zur Verfügung zu stellen, wurde für den Staat die Möglich- keit geschaffen, ohne unverhältnismässige Opfer die Ausführung des Baues in die Hand zu nehmen, in dem nun fortan die Städtischen Sammlungen mit der Handelsausstellung vereint ihr Unterkommen finden sollten. In hochherziger Weise überwiesen die meisten Aus- steller der Handelsausstellung die Ausstellungsobjekte dauernd dem Museum. Nachdem im Frühjahr 1892 mit dem Neubau begonnen war, konnten bereits im Herbst 1893 die Gegenstände der Handels- ausstellung, welche bis dahin im Bürgerpark verblieben waren, zum Museum übergeführt werden. Seit Herbst 1894 schloss sich hieran der allmähliche Umzug der Städtischen Sammlungen aus dem Saalbau des Künstlervereins. Dem Herrn Direktor Dr. Schauinsland und seinen Mitarbeitern war die schwierige und mühselige Arbeit zuge- fallen, aus den verschiedenen Bestandteilen, die im Museum vereinigt wurden, ein neues Ganzes schöpferisch zu bilden. Um dieses Ziel zu erreichen, bedurfte es aber in erheblichem Masse der Neuan- schaffungen. Der Staat gab auch hierfür einen namhaften Zuschuss; daneben aber musste aufs Neue an die Freigebigkeit Privater appelliert 216 werden, die sich auch jetzt wiederum glänzend bewährte. Die Be- hörde für das Museum hegt die Hoffnung, verehrte Anwesende, dass das, was hier geschaffen wurde, bei dem bevorstehenden Rundgange Ihren Beifall finden wird. Vorher aber ist es ihr ein Bedürfniss, allen denjenigen, die zu dem Zustandekommen des Werkes mit ge- holfen haben, ihren Dank auszusprechen. Dank der Bauverwaltung und ihren Beamten, die uns die schönen Räume geschaffen haben; Dank allen, die durch Gewährung von Geldmitteln den Bau des Museums ermöglicht haben; Dank allen, die dazu beigetragen haben, dass die alten Städtischen Sammlungen und die Gegenstände der Handelsausstellung von 1890 in neuem Glanze und zu einem Ganzen verwoben, in diesem Hause haben neu erstehen können. Lassen Sie mich mit einem Wunsche schliessen: Das Museum bedarf, wenn es gedeihen soll, der Unterstützung der Männer der Wissenschaft, welche dieselbe den früheren naturwissenschaftlichen Sammlungen in so reichem Masse gewährt haben. Möge diese Unterstützung ihm erhalten bleiben! Das Museum bedarf der Zuneigung der gesamten bremischen Bevölkerung; hoffen wir, dass es unter die Zahl ihrer Lieblingskinder aufgenommen werde! Das Museum bedarf der Hülfe seitens der Söhne Bremens in fernen Landen, die mit Liebe der alten Vaterstadt gedenken. Vor allem aber bedarf es zu seinem Gedeihen der ferneren Entwicklung und des Wachstums Bremens in seiner Stellung zum Weltverkehr. Möge das Museum eine Ruhmes- halle des Bremischen Handels werden!“ (Lebhafte Zustimmung.) Herr Bürgermeister Dr. Pauli: „Im Namen der Stadt Bremen nehme ich das Museum hiermit entgegen; und im Namen der Stadt Bremen sage ich allen denen, die sich um die Schaffung desselben verdient gemacht haben, den besten Dank. Ich danke vor allem denen, die durch opferwillige Gaben die Gründung desselben über- haupt ermöglicht haben; sodann dem Architekten, den Baumeistern, Handwerkern und Arbeitern, die alle zu ihrem Teil den Bau ge- schaffen haben; dann aber insdesondere denen, durch deren patriotischen Sinn diesen schönen Räumen ihr wertwoller Inhalt verliehen ist. Von diesen freilich sind schon ganze Geschlechter ins Grab gestiegen. Denn bis weit in das vorige Jahrhundert zurück reichen die ersten Anfänge dieser Sammlungen, denen dann von Geschlecht zu Geschlecht neue Beisteuern gefolgt sind. Unter diesen zahlreichen Gebern will auch ich des Naturwissenschaftlichen Vereins noch besonders gedenken. Endlich hat dann die bremische Kaufmannschaft mit dem ihr eigenen Sinne der Liberalität und des Patriotismus das Werk gekrönt durch die Hinzufügung der Handelsausstellung, für die sie so überaus be- deutende Mittel aufgewandt hat. Bremen und seine Bürger werden, dessen bin ich gewiss, alle diese mannigfachen Beweise selbstloser Hingabe an das Wohl des Ganzen in dankbarem Gedächtnisse be- wahren. Die Sammlungen haben aber auch noch die überaus wert- volle Eigenschaft, dass sie nicht fertig sind und eigentlich niemals fertig sein werden. Dadurch werden sie, indem sie schon jetzt mit dem Vorhandenen ein Mittel reicher Belehrung sind, so gleichzeitig ein dauerndes Förderungsmittel für die edelste Bürgertugend, die 2 Opferfreudigkeit für das Gemeinwesen. Der Naturwissenschaft, der Völkerkunde und dem Handel ist das Museum gewidmet: der Natur- wissenschaft, die von der Anschauung der Natur in allen ihren Erscheinungen bis zum Kleinsten hinab sich, zusammenfassend und ‚ vergleichend, emporhebt zu den höchsten Problemen des forschenden Menschengeistes; der Völkerkunde, die sich in gleicher Weise in die Geschichte des Menschengeschlechtes vertieft und es verfolgt in . seinem Werden von den Anfängen roher Naturvölker durch die weiteren Stufen fortschreitender Entwickelung; dem Handel, dessen Aufgabe es ist, das, was die Natur erzeugt, und was der menschliche Geist aus ihren Erzeugnissen geschaffen, zum Austausche zu bringen unter den Völkern der Erde. So sehen wir, dass den anscheinend so verschiedenartigen Teilen dieser Sammlungen das verbindende Glied, der verbindende Gedanke nicht fehlt. Es ist daher eine schöne Aufgabe, die Ihnen, mein verehrter Herr Direktor Schauinsland, erwächst, wenn es Ihres Amtes sein wird, die Gesamtheit dieser Schätze im Geiste ihrer Stifter zu verwalten und zu mehren. Vertrauensvoll hat die Stadt diese Aufgabe in Ihre Hände gelegt, gewiss, dass Sie, wie bisher bei der Ordnung des Gesammelten, so nunmehr bei dessen Verwaltung und Mehrung mit gleichem Eifer, - mit gleichem Talente und mit gleichem Erfolge Ihres mühevollen, aber anregenden und dankbaren Amtes walten werden. So möge denn Gottes Segen auf diesem Werke ruhen, zur Zierde unserer Stadt, zur Belehrung und Fördernng ihrer Bewohner und als bleibendes Denkmal patriotischen Bürgersinnes!* (Aliseitige Zu- stimmung.) Nunmehr nahm das Wort Herr Direktor Dr. Schauinsland: Hochansehnliche Versammlung! Heute, da wir an einem gewissen Abschluss eines Werkes stehen, welches sich hoffentlich würdig deu übrigen Bildungsanstalten Bremens an die Seite stellen wird, gestatten Sie es auch mir zu- nächst, meinen innigsten Dank dem hohen Senat und der Bürger- schaft gegenüber zum Ausdruck zu bringen, deren weiser Fürsorge . und hochherzigen Beschlüssen es ja vor allem zu danken ist, dass überhaupt der Grundstein zu diesem Bau gelegt werden konnte. Nieht minder danke ich im Besonderen der hohen Behörde unseres Museums nicht allein für ihre thatkräftige Unterstützung, sondern auch für das gütige Vertrauen, welches sie unserer Arbeit entgegengebracht hat, und das jene Freiheit des Handelns und jene Arbeitsfreudigkeit, ieh möchte fast sagen, jenen Enthusiasmus er- zeugte, der für das Gelingen jedes Unternehmens stets von der grössten Bedeutung ist. Auf das wärmste danke ich aber auch meinen treuen Mitarbeitern und lieben Freunden, den Beamten des Museums, welche alle ihre Pflicht erfüllt und den einzelnen ihnen unterstelllen Abteilungen ihre sachverständige Sorgfalt gewidmet haben. Zu Dank verpflichtet bin ich aber auch jenen Herren, welche ausserhalb des Museums stehend nur im Interesse der guten Sache ihre Arbeitskraft hergeliehen und durch dieses Zusammenwirken zum Gelingen des Ganzen beigetragen haben. 218 Ist denn nun aber überhaupt auch etwas geleistet worden? Bei der Beantwortung dieser Frage und bei der Beurteilung des Museums bitte ich in Betracht ziehen zu wollen, dass wir mit verhältnismässig geringen Mitteln, mit sehr wenigen Arbeitskräften und in relativ sehr kurzer Zeit unsere Aufgaben zu erfüllen hatten, sodass noch mancherlei der zukünftigen Arbeit zu vollenden übrig - bleibt, was heute gleichsam nur erst angedeudet ist. Es handelte sich bei der Einrichtung unseres Museums nicht etwa nur um einen gewöhnlichen Umzug aus einem Gebäude in das andere, sondern sie war fast gleichbedeutend — wenigstens bezüglich jener dem Publikum vorgeführten Schausammlung — einer völligen Neuschaffung. Eine nicht geringe Schwierigkeit bereiteten dabei auch jene Objekte, welche wir aus der alten Handelsausstellung im Bürgerpark übernahmen; waren sie doch durch ihr jahrelanges, offenes Lagern so unansehnlich geworden, dass ihre völlige Wiederherstellung sich bisweilen als unmöglich, zum mindesten aber als sehr schwierig erwies. Schliesslich erübrigt es noch, auf ein anderes Moment hinzu- weisen. In unserem Museum hatten wir die verschiedenartigsten Disziplinen unterzubringen, die in anderen Städten auf eine ganze Reihe von Instituten verteilt zu sein pflegen. Wir beherbergen die Zoologie, vergleichende Anatomie, Prähistorik und Anthropologie, Botanik, Mineralogie und Geologie, Ethnographie, Handelsausstellung und Probensammlung; Modellsammlungen, welche am besten Bremens Wagemut aber auch die Opfer, gebracht für seine Stellung als Welthandelsplatz, ad oculos demonstrieren können, und endlich eine kleine Fischereiausstellung mit einem sich daran anschliessenden Aquarium. Lag in dieser vielseitigen Gestaltung eine nicht zu unterschätzende Schwierigkeit, so entstand andrerseits bei uns aber . vielleicht auch grade ein Vorzug daraus, denn es konnte der Ver- such gemacht werden, von einer Stelle aus alle diese Sammlungen nach einem einheitlichen Prinzip aufzustellen, gleichsam zu einem Ganzen zu verweben. Fragt man uns nun nach dem Zweck des Museums, so ehe ich denselben zumeist in der Erreichung von folgenden Zielen: In unserm Institut soll in erster Linie eine Förderung der Wissen- schaft angestrebt werden durch die Ansammlung von reichem Material für wissenschaftliche Arbeiten sowie durch die Aufbewahrung von Beweisstücken und Dokumenten aus dem Buche der Natur, deren wissenschaftliche Verwertung dann nicht allein Bremen, sondern auch Deutschland im allgemeinen zu gute kommt. Die andere nicht minder wichtige Aufgabe ist aber vor allem die öffentliche Belehrung. Die Erwägung, dass in Bremen, wo wir keine Universität besitzen, es sich nicht darum handeln kann, dem akademischen Unterricht zu Hülfe zu kommen und durch die Sammlungen Gebiete zu lehren, die reserviert bleiben müssen der Spezialforschung, sondern dass wir in der Hauptsache nur mit dem gebildeten Laien zu rechnen haben, hat den ganzen Aufstellungs- plan beeinflusst. Aber auch die Erkenntnis war massgebend dabei, dass von nicht wenigen unser bisherigen wissenschaftlichen Museen 219 der Durchschnittsbesucher verhältnismässig geringen Nutzen hat, da er in ihnen meistens nur staunt, ohne zu begreifen und aus Mangel an eigener Vorbildung durch das ihm darin Gebotene nicht genügend belehrt wird. Wir sind daher von dem bis dahin üblichen Schema abgewichen und bezweckten nach Absonderung des allein für den Forscher wichtigen Materials den Laien zunächst nur zu interessieren und ihn dann zur selbständigen Belehrung und Studium an den ausgestellten Gegenständen anzuregen. Unter Beibehaltung des wissenschattlichen Ernstes wird dieses Ziel durch eine auch dem Auge gefällige Aufstellung zu erreichen versucht und durch eine Anordnung, die es auch dem Nichtfachmann ermöglicht, in Gebiete einzudringen, welche ihm bis dahin ferner lagen. So wird z. B. eine Erläuterung der ethnographischen Gegenstände durch Karten, Photographien, grössere Gemälde, Bauwerke und plastische Darstellungen aus dem Völkerleben angestrebt. Bei den naturwissen- schaftlichen Sammlungen kommen anatomische Präparate, Modelle, Abbildungen, Wandtafeln, mikroskopische Präparate dem Verständnis des Laien zu Hülfe und Terrarien und Aquarien ergänzen das tote Anschauungsmaterial. Die heimische Flora ist derartig aufgestellt, dass es auch dem jüngsten Schüler ermöglicht wird, jeden Augenblick sich mit derselben bekannt zu machen, und welche der Beispiele es -noch sonst sein mögen. Dem jungen Kaufmann im besonderen soll durch die gewählte Aufstellung der Ethnographie und der Handels- produkte — die zwar von einander gesondert aber doch nicht völlig getrennt wurden — die Möglichkeit geboten werden, sich zunächst von den Kulturmitteln eines Landes (oder Volkes), für das er sich vielleicht interessiert, ein Bild zu machen, um dann an einer anderen Stelle des Gebäudes sich auch über seine Produktions- fähigkeit zu informieren. In der erst während der letzten Monate ganz neu geschaffenen „systematischen Probensammlung* soll er dann die Handelsartikel ohne Rücksicht auf ihre geographische Herkunft möglichst reichhaltig neben einander sehen, um sie mit einander vergleichen und bei einigen auch ihre genetische Ent- wickelung vom Rohprodukt bis zur fertigen Handelsware verfolgen zu können. Später findet sich dann wohl noch Gelegenheit, die Sammlungen im Museum näher zu demonstrieren und durch kurze, allgemein verständliche Vorträge zu erläutern. Bis dahin noch nicht ausgetretene Pfade zu beschreiten, hat sicher etwas Verlockendes und verleiht der Arbeit eine grössere Befriedigung; jedöch ist das Gefühl der Verantwortung dem Gelingen gegenüber dabei auch ein stärkeres. Erst die Zukunft wird es lehren, ob der eingeschlagene Weg der richtige war, und ob nach uns ihn auch andere wählen werden. Lassen Sie mich uun noch der Gruppen, welche Sie im Museum finden werden, mit einigen Worten gedenken. Ich bitte dieselben nicht etwa nur als Dekorations-Beiwerk betrachten zu wollen! Im Gegenteil, wir haben uns bemüht, einen Grad von wisseuschaftlicher Genauigkeit bis in Einzelheiten hinein bei ihnen zu erreichen, wie es mit unseren Hülfsmitteln überhaupt nur zu 220 erreichen möglich war, und ich bin begierig zu erfahren, ob es uns z. B. durch die Gruppen zur Völkerkunde gelingen wird, auch dem grossen Publikum ein Wissengebiet näher zu rücken, dem es bis dahin immer noch ziemlich fremd und kühl gegenüberstand. Die Aufstellung unserer heimischen Tierwelt in ihrer natürlichen Um- gebung oder vielmehr in einer möglichst naturgetreuen Nachbildung derselben zu .„Lebensgemeinschaften“ miteinander vereint beabsichtigt zwar zunächst unsere Jugend zur eigenen sinnigen Betrachtung der Natur anzuregen und die daraus entspringende Liebe zu ihr zu erwirken, vielleicht ist sie aber auch dem reiferen Menschen nicht ganz nutzlos. In unseren Tagen, in denen an die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit des Einzelnen so hohe Anforderungen gestellt werden, weiss man wohl, wie nichts mehr erfrischt und den erlahmten Kräften wieder neue Rlastizität verleiht, als der Aufenthalt in der freien Natur; aber nicht alle ahnen, wie kaum etwas geeigneter ist, sich vor dem Versinken in eine gewöhnliche Lebensanschauung zu bewahren, als mit offenen Augen das Leben und Weben in der Natur zu belauschen, welch’ hohen Genuss es gewährt, ihr stilles Walten zu betrachten, die Verkettung von Ursache und Wirkung in ihr zu verfolgen, wie Göthe sagt „Gott-Natur“ aufzusuchen. Auch heute noch immer vollführt Mutter Erde an ihren Kindern, die hingeweht von den Stürmen des Lebens, verwundet sind im Kampfe ums Dasein dasselbe Wunder wie an ihrem Sohne Antäos in fabelhafter Vorzeit; auch heute noch strömt Kraft und Mut aus ihrer Umarmung in die Seele des Besiegten. Nur ein unscheinbarer Wegweiser in dieses Gebiet der Natur sollen unsere Charakterbilder der heimischen Tierwelt sein; weist dieser aber auch nur einigen den richtigen Pfad, wird unter Tausenden dann auch nur bei einem der Funken des Interesses entfacht zur Flamme der Begeisterung . für eigene, ernste, wissenschaftliche Forschung, hat er dann nicht seine Aufgabe erfüllt? Wohl nur für wenige, die unserm Gebiet bis dahin ferner standen, wird es nötig sein, daran zu erinnern, dass das, was Sie in zahlreichen Schränken des Museums aufgereiht sehen, nicht etwa bereits der Inhalt der Wisseuschaft an sich ist. Die grössten Schätze an ethnographischen Gegenständen wären dann ja auch weiter nichts wie Kuriositätensammlungen und die tausenden von aufgespeicherten Tierbälgen böten so schliesslich nicht viel mehr Interesse als die Liebhaberei der Philatelisten. Nein, das was Sie sehen, ist nur das Rüstzeug der Wissenschaft! Alle die mannig- faltigen Gegenstände z. B. hervorgegangen aus der bildenden Hand der verschiedenartigsten Völkerschaften des Erdkreises, rohen und gebildeten, hoch und niedrig stehenden, sind ja in der That auch nur das Produkt geistiger Thätigkeit. Aufgabe ist es, aus ihnen erst die Psyche des Menschen zu’ erkennen, auf induktivem Wege eine naturwissenschaftliche Psychologie zu schaffen, den „Völker- gedanken“ zu finden; oder aus dem Studium des keinem Volke fehlenden Kulturbesitzes die geistige Entwickelung, die Geschichte und geographische Verbreitung der Menschheit klarzulegen, und was 22] sonst noch für Ziele einer jungen aufstrebenden Wissenschaft vor- schweben, über die eine künftige Generation offenbar mit grösserem Verständnis urteilen wird als die jetzige. — Alle die bewunderungs- werten Formen des Tier- und Pflanzenreichs, der Mineralien und Versteinerungen, sie sind ja nur das Handwerkszeug, mit dessen Hülfe in stiller, mühsamer, von Jüngern anderer Disziplinen nicht selten spöttisch belächelter Arbeit die Bausteine geschaffen werden zur Weiterführung des Tempels der Erkenntnis. Aus ihnen bauen sich, um nur Einiges zu berühren, auch die vergleichende Anatomie, Entwieklungsgeschichte und Physiologie auf, die Grundlagen unter anderem jeder ärztlichen Wissenschaft. Durch sie wird ein Einblick gestattet in die Verwandschaftsverhältnisse der Lebewesen, sie lehren die alle Organismen gleichmässig beherrschenden Kräfte, kurzum aus ihnen werden die Gesetze erschlossen, welche den Lauf der Natur bestimmen — Wie stolz das Wort von der Allmacht der Naturwissenschaft auch klingen mag, es ist deswegen doch nicht weniger wahr! Nicht allein, dass uns ihre Errungenschaften auf jedem Gebiet des materiellen Kulturfortschrittes täglich klar vor Augen treten, sie beleuchtet auch das geistige Leben, ja sie beginnt selbst in Wissenschaften einzudringen, die ihr scheinbar ganz ferne stehen. "Niemand kann sich heute — bewusst oder unbewusst — ihrem Einfluss entziehen, es sei denn er lade den berechtigten Vorwurf einer nicht lückenlosen Bildung auf sich. Durch den jeweiligen Stand der Naturerkenntnis wird die gesamte Weltan- schauung des Zeitalters beherrscht! Es giebt nun Stimmen, die da meinen, dass dieser Einfluss auch auf das öffentliche Leben, namentlich in den letzten Decennien seit den Lehren Darwins und den daraus gezogenen Konsequenzen ein nicht ungefährlicher sei, und dass die entstandene Welle geistiger Erregung leicht auch manch teures Gut des menschliehen Gemütes mit sich wegreisen könne. Ich glaube mit nichten! Viel grösser war die Erschütterung, als Kopermmikus den Mikrokosmos entthronte, als er die Erde aus dem Mittelpunkt des Weltalls vertrieb und ihr den bescheidenen Platz anwies, der diesem winzigen Staubkorn im Gewimmel der Welten gebührte. Damals, noch immer befangen von dem Dunstkreis mittelalterlicher Anschauungen, glaubte man in der That, dass die ganze moralische Weltordnung gefährdet sei durch die Zertrümmerung so vieler bis dahin heilig gehaltener Axiome. Kenner des 16. Jahrhunderts bezeugen, dass wirklich die Bewegung, welche in jener Zeit die Gemüter ergriff, nicht ganz unähnlich war den heutigen Besorgnissen. — Und ist denn Newtons Entdeckung, dass dieselbe Kraft, welche den Apfel vom Baume fallen lässt, auch den Gestirnen ihre Bahnen weist, etwa von geringerer Bedeutung gewesen als die Lehre Darwins? Der britische Denker hat uns die Eintwicklungsgesetze der organischen Welt gelehrt, und nur eine einfache Forderung des gesunden Verstandes war es, den Menschen selbst nicht ausserhalb dieser Gesetze zu stellen. Ist nun die Welt nicht an den Entdeckungen eines Kopernikus und Newton zu 222 Grunde gegangen, so wird sie auch nicht an dem Lehrgebäude Darwins scheitern. Im Gegenteil geläuterte und abgeklärte An- schauungen werden auch dieser Epoche des Sturmes und Dranges folgen. Es ist natürlich, dass bei weltbewegten Ideen die Geister aufeinanderplatzen, und dass die Wogen der Erregung hoch auf- brandend nicht selten die ihnen gesteckten Grenzen überschreiten. Aber auf diese hohe Sturmflut wird wahrscheinlich zunächst wieder eine Nippebbe folgen, bis allmählich die enstandene Welle im ruhigen Fluss wieder dahingleitet und endlich sieh ganz verliert. Ist die Naturwissenschaft sich ihrer grossen Macht mit Recht bewusst, so ist es aber um so mehr ihre Pflicht, sich derselben nur mit weiser Umsicht zu bedienen. Ich denke dabei hauptsächlich an die zu weitgehende Verallgemeinerung wissenschaftlicher Spekulationen. Es ist eine eigentümliche Erscheinung, dass der Laie aus einem Wissensgebiet, welches er selbst nicht beherrscht und welches ihm vielleicht nur durch eine platte, scheinbar volkstümliche litterarische Darstellung zugänglich ist, sich mit Vorliebe das aneignet, was ihm am meisten paradox klingt, und dass er das am schönsten findet, was er garnicht recht versteht. So wird ihm häufig zu Gift, was klaren Geistern heilkräftige Arznei ist. Selbst auf politischem Gebiet haben wir ja das Schauspiel, dass Theorien mit Schlag- wörtern, die dem Darwinismus scheinbar entlehnt sind, verteidigt werden, während ein auch nur etwas tieferes Eindringen zeigen würde, dass gerade genau das Gegenteil aus dieser Lehre zu folgern ist. Ein Zug unserer Zeit (und ein durch das riesige Anwachsen an Arbeitsmaterial sicher auch wohl berechtigter) ist der Hang sich zu spezialisieren. Der Arbeiter aber sowohl wie der Gelehrte, der ohne nach rechts oder links zu sehen, sich einzig und allein nur auf sein Spezialgebiet beschränkt, kommt leicht dahin, einseitig. zu werden. So giebt es in der That auch Forscher, welche sich aus den Erträgen des von ihnen kultivierten Feldes ein Gebäude ihrer Anschauungen bilden und dasselbe vielleicht noch mit den schönen bunten Fenstern ihrer Theorien ausschmücken. Allein durch diese gemalten Scheiben beschauen sie dann die Welt und ver- langen, dass jene nun auch allen Menschen so gefärbt erscheint. Sie wundern sich und sind verstimmt, wenn das nicht der Fall ist, während doch nur die Schuld an ihnen liegt, und doch nur ihr eigner Blick getrübt wurde, den sie schon so lange nicht mehr an der Betrachtung des Natur-Ganzen erquickten. Auch der Laie hat sich davor wohl zu hüten, ohne dabei in das Gegenteil, jenes Scheinwissen, zu verfallen, das stets nur Ober- flächliehkeit des Urteils erzeugt; dem aber wollen grade wir durch unsere Arbeit entgegenwirken! Möge der sinnige Beobachter auch in unserem Museum einen Platz finden, um seine Kenntnisse nach verschiedenen Richtungen der Naturwissenschaften hin zu vermehren, und möge er dann noch einen Schritt weiter gehen und in seinen Mussestunden versuchen, das Gelernte auch weiter geistig in sich zu verarbeiten. Jedes tiefere, allseitige Eindringen in die Kenntnis der Natur erzeugt aber jene gesunde Weltanschauung, welche gleich 223 weit entfernt ist von dem Köhlerglauben der Unwissenheit und der Anmassung jener Himmelsstürmer, welche mit geistreichen Phrasen das Rätsel der Welt gelöst zu haben glauben; sie aber ist das beste Heilmittel jener melancholischen Fauststimmung gegenüber, die wohl Niemanden erspart bleibt, der redlich nach der hinter dem Vorhang der Erscheinungen thronenden Wahrheit strebt, und die ihn, dessen nach den Sternen strebendem Gedankenflug nichts un- ertveichbar erschien, beschleicht, wenn er mit Enttäuschung wahr- nimmt, wie unendlich enge die ihm gesteckten unüberschreitbaren Grenzen doch sind. Sie ist es, die ihm zeigen wird: dass unsere Pflicht Arbeit ist, unsere Hoffnung Erkenntnis, unsere Ge- nugthuung Finden eines Körnchens Wahrheit! Zur Erringung dieses köstlichen Kleinods möge auch unser Institut sein bescheidenes Scherflein beitragen! Nach dieser mit lebhaftem Beifalle aufgenommenen Rede trat die Versammlung einen Rundgang durch das neue Institut unter Fükrung des Herrn Direktors und der übrigen arbeitenden Herren an. Nach Beendigung desselben vereinte ein Frühstück in dem in der Zwischenzeit mit Buffets und Tischen versehenen Magazinsaale die Gesellschaft von Neuem. Ueberall äusserte sich dabei die Ueber- raschung und Befriedigung über das soeben Gesehene, von dessen Reiehtum und Schönheit bis dahin nur die Allerwenigsten eine Ahnung gehabt hatten. Herr Bürgermeister Dr. Pauli gab diesen allgemeinen Gefühlen in einem Trinkspruch auf Herrn Direktor Dr. Schauinsland herzlichen Ausdruck. — Der Senat verlieh dem- selben in seiner auf die Eröffnung folgenden Sitzung den Titel „Professor“. Januar 1901. Abh. EV 15 Die Fauna der miocänen Thone von Hassendorf. Von Aug. Jordan. (Aus der paläontologisch-geologischen Abteilung des Städtischen Museums in Bremen.) 3 km von der Eisenbahnstation Sottrum liegen an der Chaussee Sottrum-Rotenburg (Bremen-Hamburg) zwei Ziegeleien, in denen der dort anstehende miocäne Thon verarbeitet wird. Im Juli 1899 erhielt ich den Auftrag, die in den Thonen der Ziegelei von Behrens & Co. vorkommenden organischen Reste für das Städt. Mus. zu sammeln.*”) In 14 Tagestouren gelang es mir durch Ab- suchen, Zerbrechen des Thones; Schlämmen und Ankauf der von den Arbeitern gefundenen Sachen grosses Material zusammenzubringen. Es ist jedoch nicht möglich, dass in der kurzen Zeit von mir schon sämtliche dort vorkommende Spezies aufgefunden sein können. Im Verzeichnis fehlen darum auch noch eine Anzahl Gastropoden, die, nach Analogie aequivalenter Ablagerungen, bei Hassendorf vorkommen. werden. Ein vollständigeres Verzeichnis hoffe ich demnächst in einer grösseren Arbeit über „Die Gliederung des Miocäns in der Provinz Hannover“ bringen zu können. Profil. Nach Schätzung. Genaue Messungen konnten leider nicht vor- genommen werden. 1. Diluvium. 2 bis 3 m sogen. Blocklehm mit vielen ziemlich grossen Feuersteinknollen und nordischen Geschieben. 2. Miocaen. 2 bis 3 m blauschwarzer Thon, in dem bisher ausser Haifischzähnen und Pleurotoma cataphracta nur verdrückte Petrefakten aufgefunden wurden. 3. Miocaen. 2 m geschichteter Thon, der im frischen und feuchten Zustande schwarz, im trockenen aber grau erscheint. Die Sehichtungsflächen sind uneben, etwas wellig und fettglänzend. Die Bruchfläche ist dunkelbraun. *) Dem Nat. Ver. Bremen bin ich für die Bewilligung eines Beitrages von 50 Mk. zu den Kosten der Untersuchung zu grossem Dank verpflichtet. 225 Diesen Thonen, die am besten zugänglich waren, sind die meisten Stücke entnommen. Die Gastropoden und Lamellibranchiaten haben, so lange sie frisch und feucht sind, eine schöne rotbraune Farbe. An der Luft verlieren sie ihre Schönheit jedoch bald. Sie unter- scheiden sich dann von den Sachen aus Woltrup bei Bersenbrück nur dadurch, dass sie etwas dunkler bleiben. Im Sehlämmrückstande finden sich viele kleine Nadeln von Schwefelkies. Auch viele Bivalven und besonders Spiralis valvatina besitzen einen Kern von Schwefelkies. 4. Miocaen. 3 bis 4 m tiefschwarzer, nach unten immer sandiger werdender Thon. Diese Ablagerung war nur wenig zugänglich. Die Fauna scheint ärmer zu sein. Nur Limopsis aurita und Isocardia cor fanden sich häufiger als in 3. 5. 1/, m gelbbrauner eisenschüssiger Sand mit vielen Konkretionen, aber ohne organische Reste. 6. Braunkohle von torfartiger Beschaffenheit. Literatur -Verzeichnis. Hoernes, M.: Die fossilen Mollusken des Tertiär-Beckens von Wien. Hoernes u. Auinger: Pleurotoma, eine Lieferung. Beyrich: Die Conchylien des norddeutschen Tertiärgebirges. Zeitschr. aede co. Ges. 'v. VI. VII. v. Koenen: Das Miocän Norddeutschlands und seine Molluskenfauna. Schriften d. Ges. z. Bef. d. Naturw. z. Marburg. Bd. X. Neues ‘ Jahrb. f. Min. u. Geol. 2. Beilageband. Lehmann: Die Lamellibranchiaten von Dingden. Verh. d. nat. Ver. f. Rheinl. u. Westf. 1892 u. 1893. Probst: Fossile Fische aus der Molasse von Baltringen. Württem- bergische Jahreshefte f. Nat. 33. 34. 35. Koken: Tertiäre Otolithen. Zeitschr. d. d. g. Ges. 36. 40. 43. Goldfuss: Petrefakta Germaniae. Sowerby: Mineral Conchyliologie. Zittel: Paläozoologie. Paläontographica. Zeitschr. d. d. geol. Gesellsch. Einige mir zweifelhafte Spezies wurden gütigst von Herrn Prof. v. Koenen bestimmt. 15* 226 | Verzeichnis der bei Hassendorf gefundenen organischen Reste. eoneupwmwn naupwunH Foraminifera. . Textularia carinata d’Orb. . Nodosaria? cannaeformis Reuss. Coelenterata. . Flabellum eristatum M. Edw. . Ceratotrochus duodecimco- status Gf. Echinodermata. . Stacheln und Bruchstückehen von Cidaris. Bryozoa. . Lunulites sp. Nur Bruch- stücke. Lamellibranchiata. . Avicula sp. . Limopsis aurita Broc. anomala Eich. lamellata Lehm. Nucula sp. Leda Westendorpiü Nyst. curvirostris Lehm. . Cardita chamaeformis Gf. . Astarte concentrica Gf. . Lucina sp. . Cardium papillosum Poli. . Isocardia cor L. . Venus multilamellosa Nyst. . C'ytherea Sp. . Tellina fallav Beyr. . Syndosmya sp. . Solecurtus Sp. . Thracia sp. . Corbula gibba Oliv. Gastropoda. . Dentalium mutabile Dod. entale L. . Trochusmillegranus Phil.var. . Solarium obtusum Bronn. var. Scalaria Ertborni v.Koenen. Vilandti Mörch. sp. . Turritella subangulata Broe. . Vermetus sp. . Natica plicatella Bronn. — Josephinia Risso var. helicina Broe. Alderi Forb. . Pyramidella plicosa Bronn. . Turbonilla pygmaea Grat. costellata Grat. — plicatula Broe. subumbilicata Grat. Cerithium Genei Mich. . Triforis Fritschi v. Koenen. . Aporrhais alata Eich. . Cassis Dewalquei v. Koenen. . Tritonium Hosiusi v. Koenen. . Nassa Bocholtensis Beyr. baccata Bast. — 8 p- . Fusus attenuatus Phil. — festivus Beyr. sexcostatus Beyr. . Turbinella labellum Bors. . Murex spinicosta Bronn. Nysti v. Koenen var. . Tiphys fistulosus Broe. . Mitra serobieulata Broe. . Voluta (Scapha) Bolli Koch. . Cancellaria subangulosa Wood. . Terebra acuminata Bors. Hörnesi Beyr. . Pleurotoma turricula Broe. coronata &H. Duchastelü Nyst. incerta Bell. rotata Broc. — var. complanata v. Koenen. — (Surcula) Steinvorthi Semp. — (Drillia) erispata Jan. — Hosiusi v. Koenen. — Selenkae v.Koenen. — obeliscus D. Moul. ' 227 50. Pleurotoma (Clavatula) semi- 3. Owyrhina hastalis Ag. marginata Lam. 4. Lamma contortidens Ag. 5l. — (Pseudotoma) Bodei 5. — cuspidata Ag. v. Koenen. 6. — retieulata Probst. 92. — (Borsonia) uniplicata 7. Carcharodon megalodon Ag. Nyst. 8. Scoliodon Kraussi Probst. 53. — (Dolichotoma) cata- 9. Raja comica Probst. phracta Sol. 10. — ornata Ag. var. ee u a 11. Otolithus (Merlangus) 55. — (Clathurella) Talea CR Semp. 12. — (Gadus) venustus 56. — (Homotoma) anceps Koken. Dear u _— — eieganı Dokan, Bl; ; ee . . 7 — tenmus Koken. Re En aaa 15. — (Ophididarum) diffor- 58. Conus antediluvianus Brug. 6 a Koken. 59. — Dujardini Desh. In Be 60. Ringieula auriculata Men. N ee) = debili 61. Bulla (Atys) utrieulus Broc. 18. X N ANTENNEN 62. — (Üylichna) sp. 19 i ei darum)frequens i Pteropoda. on J 1 1. Spirialis valvatina Reuss. 20. — (Trigla) sp. Cephalopoda. 21. ? Alligator Darwini Ludw. 1. Spirulirostra Hoernesi Zwei Zähne, der Abbildung Y is r in Palaeontographica, Suppl. III, ertenrata. Ä . . a ee Lief. 4, Taf.I, Fig. 13d gleichend. Zu sp. Ausser den im Verzeichnis aufgeführten 110 Spezies wurden noch ein Dutzend andere gefunden, die aber vorläufig nicht bestimmt werden konnten, da bei den Lamellibranchiaten das Schloss nicht sichtbar und bei den Gastropoden der Erhaltungszustand nicht tadellos ist. Die noch unbestimmten Otolithen scheinen bisher nieht beschriebenen Spezies. anzugehören. | Von Foraminiferen fanden sich ausser den obigen beiden Spezies nur 40 schlecht erhaltene Exemplare. Unter den Gastropoden dominiert die le Pleurotoma. Besonders häufig sind: Pleurotoma cataphracta, rotata, Duchastelis, turricula, Bodei, pannus, incerta und obeliscus. Daneben kommen noch häufig vor: Conus antediluvianus, Fusus attenuatus, Terebra Hoernesi, Nassa Bocholtensis, Pyramidella plicosa, Oylichna sp., Leda Westendorpü, Leda curvirostris, Limopsis aurit« und Isocardia cor. Unter den Otolithen sind vorherrschend: @adus elegans, G@adus venustus und Beryeidarum debilis. 228 Ziemlich häufig kommen bei Hassendorf die an anderen Punkten Nordwestdeutschlands sowohl im Mittel- als Obermiocän verhältnis- mässig seltenen Cerithium Genei und Triforis Fritschi vor. Es scheint dagegen das in jenen Ablagerungen ungemein häufige Cerithium spina Partsch. gänzlich zu fehlen. Ebenso fehlt die für das Ober- miocän so charakteristische Nodosaria bacıllum Defr. Auffallend ist auch, dass die sonst in allen aequivalenten Ablagerungen Nordwestdeutschlands vorkommenden Gattungen Colum- bella, Xenophora, Adeorbis, Rissoa und Graphularia bei Hassendorf von mir noch nicht aufgefunden sind. Die in No. 3 des Profiles häufig vorkommenden Spezies Natica plicatella Bronn., Pleurotoma Bodei v. Koenen (Nachfolgerin von intorta Br.) und Pleurotoma Steinvorthi Semp. habe ich nur im Obermiocän gefunden. Natica finden sich in meiner Privatsammlung aus dem Unter- miocän etwa 1000 und aus dem Mittelmiocän etwa 500 Exemplare. Darunter ist aber keine einzige Natica plicatella. Pleurotoma incerta Bell. kommt zuerst im Mittelmiocän vor. Sie gehört dort aber zu den seltenen Spezies. Im Obermiocän findet sie sich dagegen an allen von mir untersuchten Punkten häufig. Die Ablagerung 3 des Profiles rechne ich darum auf Grund der von mir durch Ausschachtungen und Bohrungen für Nordwestdeutschland festgestellten Schichtenfolge, sowie der mit grosser Sorgfalt vorgenommenen Unter- suchung (Schlämmen) des ausgeschachteten Materiales zum Obermiocän. Allerdings sind meine Untersuchungen noch nicht beendet. Ziemlich bedeutende Sand-, Thon- und thonigsandige Haufen aus allen drei Abteilungen des Miocäns müssen noch verarbeitet werden. Es ist darum immerhin möglich — wenn auch nicht wahrscheinlich —, dass die von mir angenommene Gliederung des Miocäns etwas modifiziert werden muss. Die für die Gliederung des Miocaens im Westen der Mess wichtigsten Spezies sind nach den bisherigen Ergebnissen meiner Untersuchungen: ss — sehr selten, s— selten, m = mässig, h—= häufig, hh —= sehr häufig. Unterm, | Mittelm. | Oberm. Patella compressiuscula K. Adeorbis carinata Ph. Trochus Tournoueri v. Koenen Sigaretus clathratus Recl. Ficula retieulata Lam. Nassa Facki v. Koenen Mitra Borsoni Bell. Pleurotoma intorta. Broc. Tornatella tornatilis L. Scaphander lignarius L. Leimatula subauriculata M. nun 2EBuuBbu 229 Pinna sp. Arca didyma Broc. — latesulcata Nyst. Astarte concentrica Gf. typ. — var. oder sp. nov. Card dium Dingense Lehm. — subturgidum d’Orb. Sawicava arctica L. — intermedia Lehm. Mactra triangula Ren. Pectunculus pülosus? Sphenotrochus Sp. Lunulites Sp. . Asterias Sp. Oyeloseris Sp. Graphularia sp. Hyalea perovalis v. Koenen Creseis Sp. Adeorbis sp. — praecedens v. Koenen — sp. Margarita sp. Solarium obtusum Br. Natica Beneckei v. Koenen Rissoa Partschi Hörn. — laevigata v. Koenen Cerithium spina Partsch Triforis Fritschi v. Koenen Erato laevis Don. Tritonium Hosiusi v. Koenen Phos decussatus v. Koenen Pleurotoma incerta Bell. — crispata Jan. — pannus Bast. Borsonia uniplicata Nyst. Mangelia Kochi v. Koenen Stephanophyllia Nysti M. Ed. Cadulus subfusiformis Sars. Natica plicatella Bronn. Fusus Sismondai Mich. Rapana granifera Mich. Mitra scrobieulata Broc. Pleurotoma Steinvorthi Semp. — Corneti v. Koenen — DBodei v. Koenen Nodosaria bacillum Def. Unterm. Ser serler fd a eo Bi Mittelm. {0 7} un 2BuBEBuBnrnunuBuunBBu 2BEPEe. Ss Oberm. ss 230 Ausser Foraminiferen, Otolithen und noch nicht bestimmten anderen Sachen wurden von mir westlich der Weser 230 Spezies gefunden. Davon kommen vor im Untermiocän 137, im Mittel- miocän 141, im Obermiocän 114. Es fanden sich nur im Unter- miocän 62, im Mittelmiocän 43, im Obermioeän 21. Die Anzahl der in allen drei Abteilungen vorkommenden Spezies beträgt 55. Das Untermiocän ist durch seine Fauna scharf vom Mittel- miocän getrennt. Die Trennungslinie zwischen Mittel- und Ober- miocän lässt: sich dagegen nicht so leicht auffinden, da die meisten der im Mittelmiocän vorkommenden Spezies sich auch im Ober- miocän finden. Es treten jedoch in den Thonablagerungen plötzlich eine Anzahl neuer Spezies auf, die mich dazu veranlassten, die bedeutenden Thon und thonigsandigen Ablagerungen zu trennen und so auch für das Miocän Nordwestdeutschlands die Dreiteilung durch- zuführen. Die Bienenfauna der Dünen und Weserabhänge zwischen Uesen und Baden. Von Hans Höppner in Freissenbüttel. Etwa 18 km südlich von Bremen am rechten Weserufer liegt der Fleeken Achim. Verfolgt man die Landstrasse von Achim nach Verden, so kommt man zunächst nach dem Dorfe Uesen. Hier zweigt sich rechts die Chaussee nach Tedinghausen ab. Während uns die Achimer Chaussee mitten durch eine sandige Dünenlandschaft mit nur dürftigem Pflanzenwuchs führt, gelangen wir auf der Tedinghauser Chaussee an eine Örtlichkeit, die in mancher Hinsicht -zu den interessantesten unseres Nordwestens zu zählen ist. Vor uns erblicken wir die Weser, und am jenseitigen Ufer die Tedinghauser Marsch. Wenden wir uns nun zur linken Hand, so werden wir durch ein landschaftlich prächtiges Bild überrascht. Hier fällt nämlich die Geest plötzlich steil zum Weserthale ab und bildet so die Abhänge, welche unter dem Namen „Abhänge von Uesen“ und „Badener Berge“ bekannt sind. Von Uesen ab dehnen sie sich bis Baden etwa 1,8 km weit aus, nur von einem schmalen Streifen Wiesenland von der Weser getrennt. Während der Kamm der Ab- hänge noch sandig ist, sind die Abhänge selbst mehr lehmig-sandig. Nicht überall sind die Boden- und Vegetationsverhältnisse in diesem kleinen Gebiete dieselben. Da aber der Boden und die Flora einer Gegend für ihren Reichtum an Bienen von grosser Bedeutung sind, erscheint es angebracht, hierüber einige Bemerkungen voraus- zuschicken. Betrachten wir zunächst die Weserabhänge von Uesen bis Baden. Sie zeigen nicht überall denselben Charakter. Es lassen sich drei resp. vier (wenn man den Landstreifen vom Fusse der Abhänge bis zur Weser als besonderen Teil auffasst) Teile unter- scheiden. Der erste Teil reicht von der Tedinghauser Chaussee bis zur „Hünenburg“ (Abhänge von Uesen), der zweite von da bis zum „Bloeksberg“, den dritten Teil bildet der „Blocksberg“ selbst. Die Abhänge von Uesen sind nicht in Kultur genommen, abgesehen von einer kleiner Ecke an der Tedinghauser Chaussee. Sie sind reichlich mit Gebüsch bewachsen, das vorzugsweise aus Prunus spinosa L., Rosa sp. und Crataegus besteht; seltener sind Rubus-Arten. Die Flora ist hier überhaupt reich und mannigfaltig, reich besonders auch an Arten, welche von Bienen viel besucht werden: im Frühlinge 232 Tussilago farfara L., Veronica chamaedrys L., Taraxacum officinale Web. u. a., weiterhin Hieracium pilosella L., Stelleria holostea L., Anthriscus silvestris Hoftm., Conium maculatum L., Senecio jacobaea L., Cichorium intybus L., Lathyrus silvester L., Echium vulgare L., Lotus corniculatus L., Thymus serpyllum L. u. a. Eigentümlich sind diesem Teile Campanula persicifolia L., C. patula L. und Scabiosa columbaria L. Dagegen fehlen Salix-Arten gänzlich. Nur am Wege, der zur Hünenburg hinauf führt, stehen einige Salix purpurea L.- Büsche. Doch bezeichnet diese Stelle schon den Anfang der Badener Berge. Vor den Abhängen dehnt sich bis zur Weser ein breiter Streifen Grasland aus, der als Viehweide benutzt wird. Die Badener Berge reichen von der „Hünenburg“ bis zum „Blocksberge“. Die Abhänge der „Hünenburg“ sind nicht kultiviert. Wenn sie auch im allgemeinen dieselbe Beschaffenheit zeigen, wie die Abhänge von Uesen, so fallen sie doch auf durch ihren mehr sandigen Boden (besonders am Fusse!) und durch die abweichende Flora. Senecio jacobaea L. tritt massenhaft auf. Am Fusse haben sich Artkemisia campestris L. und Convolvulus arvensis L. in grosser Menge angesiedelt, dagegen verschwinden Campanula persicifolia L., C. patula L. und Scabiosa columbaria L. Diese Stelle bildet gleich- sam einen Übergang von den Abhängen bei Uesen zu den eigentlichen Badener Bergen. Vor der Hünenburg dehnt sich eine Weide aus. An der Ost- Seite ist sie mit einer Hecke eingefriedigt. Von dieser Stelle an sind die Badener Berge teilweise kultiviert. Sie sind teils mit Obst- bäumen bepflanzt, teils mit Gras bewachsen, das regelmässig gemäht wird. Beide Teile, von denen der erste die obere und der letzte die untere Hälfte der Abhänge einnimmt, werden von einem breiten Wege getrennt. An der linken Seite begrenzt eine Hecke den Weg. Der untere Teil ist reich an solchen Blumen, welche viel von Bienen besucht werden. Im Frühling färbt Taraxacum officinale Web. den ganzen Abhang gelb. Daneben finden wir Glechoma hederacea L., Lotus corniculatus L., Hieracium pilosella L., Trifolium pratense L., Veronica chamaedrys L. u. a. Im Sommer sind die Abhänge massenhaft mit Thymus serpyllum L. und Sedum Arten (8. boloniense L. S. refleaum L. u. a.) bedeckt. Nicht selten sind auch Zathyrus silvester L., Pastinaca sativa L., Crepis virens Vill., Cichorium intybus L., Jasione montana L., Senecio jacobaea L., Achillea mülle- folium L., Lathyrus pratensis L., Trifolium arvense L., Trifolium medium L. und Tanacetum vulgare L. (die letzten sieben Arten besonders zwischen dem Pegel und dem Blocksberg). Echium vulgare L. und Centaurea jacea L. kommen nur zerstreut vor. Der schmale Streifen Landes an der Weser vor den Abhängen ist fast ganz mit Gebüsch bewachsen. welches zum grössten Teile aus Weiden gebildet wird. Im Frühlinge ist hier der Boden mit Ficaria ranunculoides Mch. und (stellenweise) @lechoma hederacea L. dicht bedeckt, und die Weiden stehen in voller Blüte. Aber auch 233 im Sommer entwickelt sich hier ein reiches Pflanzenleben. Vor- herrschend sind dann Papilionaceen (Melilotus macrorrhizus Pers., Lathyrus silvester L., Lathyrus pratensis L., Vicia eracca L., Trifolium repens L. u. a.). Dazwischen sieht man Carduus crispus L., Lysimachia vulgaris L. (selten), Conium maculatum L., Symphytum offieinale L., Aspargus offieinalis L. (selten), Veronica longifolia L. (ziemlich häufig), u. a. Am Ende der Badener Berge befindet sich eine Stelle, die besonderer Erwähnung bedarf. Es ist dies der sog. „Blocksberg“. Während die Abhänge von Uesen bis etwa zum Blocksberg ungefähr von W. nach O. laufen, biegen sie beim Blocksberg ungefähr recht- winklieh nach N. um. Im obereren Teile bilden sie hier eine senk- rechte, mehrere Meter hohe Wand, welche aus hartem mit Sand vermengtem Lehme besteht. Der rechte Teil des Abhanges vor der Wand wird von einem kleinen Schneebeerengebüsch eingenommen. Der übrige Teil ist löcker bewachsen mit Gräsern (bes. Bromus). Im Frühlinge blühen hier Veronica-Arten, Stellaria media Cir., Draba verna L., Ficaria ranuncoloides Mch., Salixz u. a.; im Sommer sSenecio jacobaea L., Hieracium murorum L., Cichorium intybus L., Achilles millefolium L., Convolvulus arvensis L. u. a. und am Fusse des Abhanges Lotus corniculatus L., Trifolium arvense L., Melilotus albus Dsr. und Mellotus macrorrhizus Pers. Oben am Abhange, dicht vor der Wand stehen in wenigen Exemplaren Ballota nigra L. und Solanum dulcamara L. Einer kurzen Betrachtung müssen wir auch noch die Dünen unterwerfen. Wir berücksichtigen hier nur den Teil, welcher seinen Anfang vor Uesen nimmt und sich zu beiden Seiten der Chaussee bis Baden hinzieht. Nur an wenigen Stellen werden hier die Dünen von Acker- und Gartenland unterbrochen. Es ist reiner Sandboden, der im Frühlinge nur spärlich mit Blumen geschmückt ist (Draba verna L., Teesdalia nudicaulis R. Br., Hieracium pilosella L.). Im Sommer ist der Blumenschmuck etwas reicher. Jasione montana L., Thymus serpyllum L. und Trifolium arvense L. sind dann die Hauptnahrungsquellen der Bienen. Nicht so häufig tritt Hypochoeris radicata L. auf. An den Rainen in der Nähe der Ackerfelder und an der Chaussee begegnet man in kleinen Rudeln Campanula rotundifolia L., Knautia arvensis Coult. und Achüllea millefolium L. Ganze Flächen sind aber auch fast gänzlich von Pflanzen entblösst; nur dürre Gräser (besonders Ammophila arenaria Link, Festuca ovina L., Festuca rubra L., Weingärtneria canescens Bernh.) fristen in dem Flugsande ihr Dasein. b Wie nun die Flora, so zeigt auch die Bienenfauna des be- sprochenen Gebiets in den einzelnen Teilen gewisse Unterschiede. Besonders auffallend ist dieser Unterschied zwischen den Dünen und den Abhängen. Ich will nur einige charakteristische Beispiele hervorheben. Im ersten Frühlinge fliegt an den Abhängen Anthrena avipes Pz. zu Tausenden. Nie habe ich eine Biene — abgesehen von der Honigbiene — in so ungeheuren Mengen schwärmen sehen, 234 wie Anthrena flavipes Pz. im April 1900 an den Abhängen bei Uesen. Die ganzen Abhänge — besonders an den kurzrasigen und vom Pflanzenwuchs entblössten Stellen — wimmelten von dieser Art. Das Summen der Tierchen ist so deutlich wahrnehmbar, dass man es wohl mit dem Summen der Honigbienen in einem Bienenstande vergleichen kann. Oben in den Dünen wird man vergeblich nach Anthrena flavipes Pz. suchen. Die Ursachen liegen klar auf der Hand. Anthrena flavipes Pz. nistet gern in lehmigem Boden. Lehmiger Boden ist aber auch schon im ersten Frühlinge reich mit Blumen geschmückt (Draba verna L., Teesdalia nudicaulis R. Br., Veronica sp., Stellaria, Tussilago farfara L. u.a.) Die Biene findet hier also angenehme Nistplätze und gute Weide, während ihr der dürre, sandige Boden der Dünen nicht behagt, der zudem auch der Nährpflanzen entbehrt. Dazu kommt noch die geschützte, sonnige Lage der Abhänge. Wo der Wirt fehlt, werden wir auch den Scehmarotzer vermissen. Somit fehlt in den Dünen auch die Nomada fucata Pz., die an den Abhängen häufig an den Nistplätzen der Anthrena flavipes Pz. und auf Blumen im April-Mai (1. Generation) und wieder im Juli und August (2. Generation) angetroffen wird. Anthrena proxima K. ist von Mitte Mai bis in den Juli hinein an den Abhängen und in der Nähe des Ueser Fährhauses häufig auf Anthriscus silvestris Hoffm., Conium maculatum L. und Crepis virens Vill. (3, Badener Berge). In den Dünen fehlen diese Pflanzen und auch ihr Besucher wird hier nicht gefunden. Dem Fehlen der Anthrena hattorfiana Fbr. und ihres Schmarotzers der Nomada armata H. S. in den Dünen müssen andere Ursachen zugrunde liegen. Beide besuchen an den Abhängen bei Uesen Scabeiosa columbaria L. und Knautia arvensis Coult. Kautia arvensis Coult. hat sich aber auch am Rande der Chaussee und auf einem Acker eben vor Baden angesiedelt. Anthrena hattorfiana Fbr. und Nomada armata H. S. könnten somit am Rande der Dünen vor Baden wohl vorkommen, da es ihnen nicht an der nötigen Nahrung fehlen würde. Beobachtet habe ich sie hier noch nicht. Vielleicht behagt der Anthrene der dürre Sandboden nicht als Nistplatz. Eucera diffieilis Duf. Per. besucht im Juni und Juli besonders Lathyrus silvester L., sowohl an den Abhängen bei Uesen als auch an den Badener Bergen. Wenn sie auch nicht von dieser Pflanze abhängig ist, so besucht sie diese hier doch mit Vorliebe. Diese Pflanze fehlt aber den Dünen, wie denn auch die übrigen Futter- pflanzen dieser Art (Trifolkum pratense L., Trifolium medium L., Lotus corniculatus L., Lathyrus pratensis L., Vieia cracca L.) in den Dünen nicht die Bedingungen für ihr Gedeihen und Fortkommen finden. Eucera diffieilis (Duf.) Per. würde somitin den Dünen die nötige Nahrung nicht finden, und dadurch wird auch das gänzliche Fehlen dieser Langhornbiene in den Dünen erklärt. Dazu kommt noch, dass auch der Boden zur Anlage des Nestes nicht geeignet ist. Nie sah ich Zucera difpieilis (Duf.) Per. in losem Sande bauen. Während die Gattung Osmia an den Abhängen mit sechs Arten vertreten ist, fällt uns an den Dünen der gänzliche Mangel 235 an Osmien auf. Es fehlt ihnen hier an Nistgelegenheit (alte Pfähle mit Bohrgängen von Käfern und Käferlarven, dürre Pflanzen — Rubus und Rosa — Stengel, Lehmwände u. dergl.). Aber sie würden auch — mit Ausnahme von ÖOsmia leaiana K. — ihre Lieblingspflanzen (@lechoma, Lotus, Vicia, Lamium album u. a.) vermissen. Wenig zahlreich sind auch die Bombus-Arten in den Dünen vertreten. Ich beobachtete nur Bombus derhamellus K. und Bombus lucorum L. 2 bei Uesen auf Jasione. Es mag immerhin möglich sein, dass einzelne $ anderer Arten ihre Ausflüge bis in die Dünen ausdehnen. Im Vergleich zu den Abhängen kann man mit gutem Rechte von den Dünen sagen, sie sind arm an Hummeln. Charakteristisch für die Abhänge sind noch folgende Arten: Anthrena cineraria L., Anthrena cingulata Fbr., Anthrena extricata Sm., Anthrena labialis K., Anthrena denticulata K., Anthrena ovina Kle., Anthrena praecow Scop., A. thoracica Fbr., A. trimmerana K., . A. varians K., Colletes pieistigma Thms., ©. fodiens Ltr. (?), Melitta leporina Pz., Macropis labiata Pz., Podalirius parietinus Fbr., P. acervorum Fbr., P. retusus L., P. vulpinus Pz., Eriades nigri- cornis Nyl., E. truncorum L., Anthidium manicatum L., A. strigatum Pz., Stelis aterrima Pz., St. breviuscula ‘Nyl., St. phaeoptera K., Stelis ornatuala Nyl. (?), Coeliowys elongata Lep. var. acuminata Nyl., C. mandibularis Nyl., ©. rufescens Lep., ©. aurolimbata Foerst., Epeoloides coecutiens Fbr., Nomada bifida Thoms., N. berealis Zett., N. flavoguttata K., N. fucata Pz., N. wanthosticata K., N. alternata K., N. mutabilis Mor., N. ruficornis L., N. sewfasciata Pz., N. succincta Pz. (2), N. cinnabarina Mor., N. dallatorreana Schmiedk., Melecta luctuosa Scp., M. armata Pz. Wie nun die Abhänge, so beherbergen auch die Dünen ihre * besonderen Arten, welche den Abhängen fehlen. Bezeichnend für die Dünen sind folgende Arten: Prosopis variegata Fbr., Anthrena argentata Gm, A. nigriceps K., Colletes cunicularia L. und Colletes manrginata Gm., (beide Arten fehlen an den Abhängen bei Uesen, treten aber am sandigen Fusse der Hünenburg wieder auf, wenn auch nicht in der Häufigkeit, wie in den Dünen), Panurgus calcaratus Scop. (?), Epeolus produetus Thoms. Einige Arten, wie Podalirius bimaculatus Pz., Panurgus banksianus K., Coeliowys conoidea Ilg. u. a. finden wir zwar auch an den Abhängen (bes. bei der Hünenburg), doch nicht in so grosser Anzahl wie in den Dünen. Aus dem Vorigen ergiebt sich — was die Zahl der Arten anbetrifft — dass die Bienenfauna der Abhänge eine reichere ist, wie die der Dünen. An den Abhängen hat sich eine reiche und eigen- tümliche Flora entwickelt. Wo aber die Flora reich und mannig- faltig ist, ist es auch die Bienenfauna. Dazu kommt noch die geschützte Lage und der lehmig-sandige Boden. Alle Bedingungen sind hier vorhanden, die nötig sind, damit sich ein reiches Bienen- leben entwickeln kann. Der Boden bietet ihnen gute Gelegenheit zum Nisten, das @ebüsch ist ihnen eine Zufluchtsstätte bei schlechtem 236 Wetter und die zahl- und remralsher Blumen bieten vielen Bienen Nahrung für sich und ihre Brut. Aber auch die Bienenfauna der „Badener Berge“ zeigt Unterschiede von der der Uesener Abhänge. Die Ursachen liegen auch hier hauptsächtlich in der Bodenbeschaffenheit und Flora. Wie die Flora hier abweicht von der der Abhänge bei Uesen, so auch die Bienenfauna. Der Boden zeigt stellenweise mehr sandige Beschaffenheit, so besonders bei der Hünenburg. Wir finden hier denn auch wieder Tiere der Dünen, so Megachile maritima K. und ihren Schmarotzer Coeliowys conoidea Illg., Megachile argentata Fbr., Anthrena albierus K., Panurgus banksianus K., Nomada similis Mor., Colletes cunicularia L. und C. marginata Sm. u. a. — Auffallend ist es, an den Badener Bergen auch Anthrena bremensis Alfk. anzutreffen. In den Dünen fing ich sie Ende Juli 1900 in ziemlich grosser Anzahl. Die 2 legen in den losen Sandboden der Dünen ihre Nester an und besuchen mit Vorliebe Thymus serpyllum L. und Jasione montana L. An den Badener Bergen tummelt sich diese Art im Ufergebüsch herum und besucht hier ausschliesslich Veronica longifolia L. (29. 7. 1900). Mit Knautia arvensis Coult. und Scabiosa columbaria L. ver- schwinden auch die typischen Besucher dieser Pflanzen Anthrena hattorfiana Fbr. und ihr Schmarotzer Nomada armata H. S. Ebenso habe ich Nomada cinnabarina Mor. und N. dallatorreana Schmiedk. — beide im Juni selten an den Abhängen bei Uesen — hier nie beobachtet. Als neues Tier tritt Macropis labiata Pz. und der sehr seltene Schmarotzer dieser Art Epeoloides coecutiens Fbr. auf. Macropis: labiata Pz. besucht mit Vorliebe Lysimachia vulgaris L., und diese Pflanze finden wir hier, wenn auch nicht häufig, im Ufergebüsch. Woher Epeoloides coecutiens Fbr. hier die Nahrung nimmt, kann ich mit völliger Sicherheit nieht angeben. In der Gegend von Freissen- büttel sah ich die Art saugend auf Lythrum salicaria L. An den Badener Bergen sah ich diese Pflanze nicht. Von Epeoloides coecutiens Fbr. fing ich in der Nähe des Pegels 1 2 auf Trifohum arvense L. und 1 2 auf Trifolium repens L. Ob sie nun die Blüten dieser Pflanzen nur als Ruheplätze benutzten oder daran sogen, konnte ich nicht entscheiden. Häufiger als an den Uesener Abhängen sind hier auch die Prosopis-Arten. Die Umbelliferen am Fusse der Badener Berge und weiterhin in der Nähe des Pegels Achilles millefolium L. bieten ihnen gute Weide. Besonders häufig sind Prosopis hyalinata Sm. und Prosopis brevicornis Nyl., während Prosopis variegata Fhr. hier — wie überhaupt an den ganzen Abhängen von Uesen bis zum Blocksberg — nicht angetroffen wird. Das einzige von mir erbeutete 2 der Prosopis genalis Thoms. stammt auch von den Badener Bergen u. z. wurde es in der Nähe der Hünenburg auf Jasione montana L. gefangen. 237 Unter den Frühlings- Anthrenen scheinen einige diesem Teile der Abhänge eigen zu sein. Dahin gehören Anthrena extricata Sm. und A. ovina Klg. Beide besuchen mit Vorliebe Saliw. Weiden bilden aber am Fusse der Badener Berge den Hauptbestandteil des Ufergebüsches, während sie an den Abhängen bei Uesen fehlen. Auch Anithrena labialis K., die gern Trifolium pratense L. besucht, erbeutete ich nur an dieser Stelle in wenigen Exemplaren. Von den Blattschneidern (Megachile) sind Megachile ericetorum Lep., M. maritima K. und M. argentata F. an den Badener Bergen nicht selten, dagegen scheinen sie den Abhängen bei Uesen zu fehlen. Hier finden wir Arten häufiger, die in morschen Pfählen bauen, wie M. versicolor Sm. und M. centuncularis L. Von der seltenen Megachille analis Nyl. fing ich nur ein 2 an den Badener Rus auf Lotus corniculatus L. Auch von den übrigen Bauchsammlern wurden einige nur an den Badener Bergen beobachtet. Dahin gehören Osmia leaiana K., Osmia aurulenta Pz., Anthidium manicatum L. und Anthidium sirigatum Ltr. Während wir an den Abhängen bei Uesen fast nur dem Podalirius bimaculatus Pz. begegnen, ist diese Gattung an den _ Badener Bergen mit vier Arten vertreten. Im ersten Frühlinge fliegt Podalirius acervorum L. (besonders gern an @lechoma hederacea L.). Ende Mai und im Juni kommen dazu Podalirius retusus L. und Podalirius parietinus F. Im letzten Drittel des Juni erscheint Podalirius vulpinus Pz., der am Blocksberge Ballota nigra L. besucht. An den Abhängen der Hünenburg ist Podalirius bimaculatus Pz. im Juli häufig. Während er aber in den Dünen T’hymus serpyllum L. und Jasione montana L. mit Vorliebe besucht, trifft man 2 und hier häufig auf Echium vulgare L. an. Im Verhältnis zu den Abhängen bei Uesen sind die Badener Berge reich an Hummeln zu nennen. An den Abhängen bei Uesen sieht man sowohl im Frühlinge wie auch im Sommer nur hin und wieder eine Hummel fliegen, während sie an den Badener Bergen einen Hauptbestandteil der Bienenfauna bilden. Die Badener Berge bieten ihnen eben mehr Nahrung. Trifolium pratense L., Tr. medium L., Tr. repens L., Vicia cracca, Lamium album L. u. a. werden besonders gern von Hummeln besucht. Die Pflanzen bedecken an den Badener Bergen grössere Flächen oder sind doch ziemlich häufig, während sie an den Abhängen teilweise ganz fehlen oder doch nur vereinzelt vorkommen. Mit ihren Wirten erscheinen auch einige Schmarotzerbienen, welche den Badener Bergen eigentümlich sind. Dahin gehören Melecta armata Pz., M. luctuosa Scop. und Coeliowys aurolimbata Foerst. Die erste Art ist von April bis Juni besonders an den Nistplätzen des Podalirius acervorum L. am Blocksberg häufig anzu- treffen. Melecta luctuosa Scop. scheint sehr selten zu sein. Es wurde nur ein 2 in der Nähe des Pegels auf Trifolium pratense L. erbeutet. Collioays aurolimbata Foerst. habe ich nur beim Blocksberge beobachtet 238 u. z.an der Lehmwandan den Nistlöchern von Megachile ericetorum Lep. und auf Senecio jacobaea L., Meliotus albus Desr. und M. macrorrhizus Pers. Die Art fliegt etwa Mitte Juli. Die Flugzeit dieser Art scheint keine so ausgedehnte zu sein wie z. B. bei Coeliowys quadri- dentata L. Wenigstens ist sie mir im Jahre 1900 in der letzten Woche des Juli nicht mehr vorgekommen, trotzdem ich besonders darauf geachtet habe. Einer kurzen Erwähnung bedarf noch der sog. „Blocksberg“. Alles, was wir unter den Hymenopteren gewohnt sind an den Lehm- wänden nnserer Dorfscheunen zu finden, tritt uns hier wieder entgegen. Die ganze Lehmwand am Blocksberge sieht aus wie ein Sieb. Die vielen Löcher sind die Eingänge zu den Nestanlagen der zahlreichen Hymenopteren, welche hier bauen. Unter den Bienen treffen wir besonders Bauchsammler (Megachile ericetorum Lep., Osmia caerules- cens L., Osmia rufa L., Osmia adunca Pz., Colletes pieistigma Ths. (?), Colletes daviesana S., Eriades truncorum L., Anthidium manicatum L.) und Arten des Genus Podalirius (Podalirius acervorum L., Podalrius parietinus F. und P. vulpinus Pz.) mit ihren Schmarotzern (Coeliowys aurolimbata Foerst., Coel. rufescens Lep., Stelis aterrima Pz., St. breviuscula Nyl.) an. Doch auch der Abhang vor der Lehmwand ist reich von Bienen bewohnt. So nisten hier Anthrena parvula K., A. flavipes Pz., Halictus sp., Eucera diffeilis (Duf.) Per. So zeigt uns auch die Bienenfauna der Dünen und Weser- abhänge zwischen Uesen und Baden, wie die Apiden vornehmlich vom Boden und der dadurch (wesentlich) bedingten Flora abhängig sind. Je mannigfaltiger die Bodenbeschaffenheit und Flora, desto reichhaltiger und mannigfaltiger die Bienenfauna. Und Boden so- wohl wie Flora sind hier sehr abwechslungsreich, (reiner Sand- Düne-, Lehmboden, lehmig-sandiger Boden, fester Lehm). Die Bienenfauna der Dünen und Weserabhänge zwischen Uesen und Baden ist darum eine für unsern Nordwesten verhältnismässig reiche zu nennen, sowohl was die Zahl der Arten als die der Individuen anbetrifft, kommen hier doch rund ?2/, der bis jetzt in Nordwest- deutschland beobachteten Arten vor. In dem folgenden Verzeichnisse sind die Arten aufgeführt, welche ich auf einer Reihe von Ausflügen — Juli 1898/99, April bis August 1900 — in dem genannten Gebiete beobachtet habe (mit Ausnahme von Halictus 6 notatulus und Podalirius parietinus). Einige Arten aus den Gattungen Sphecodes, Anthrena (A. nana- Gruppe) und Halictus (H.-minutus-Gruppe) habe ich nicht mit auf- genommen, da die Bestimmung derselben keine völlig sichere ist. Dem Verzeichnis ist das System zugrunde gelegt, welches H. Friese in seinen „Bienen Europas“ Teil I, pag. 7”—9 giebt. Herzlichen Dank schulde ich dem Naturw. Verein in Bremen, der es mir durch einen Beitrag zu den Unkosten ermöglichte, die Achimer Gegend öfter zu besuchen. 239 Verzeichnis der Arten. A. Solitäre Apiden. Unterfamilie Sphecodinae. Genus Sphecodes Ltr. Sphecodes gibbus L. Am 6. 6.00 an den Abhängen bei Uesen mehrere 2 auf Hieracium pilosella L. Sphecodes subquadratus Sm. Am 24. 7. 00 ein Jg’ an den Badener Bergen. Sphecodes similis Wesm. Mehrfach an den Abhängen bei Uesen (6. 6. 00, 2) und an den Badener Bergen in der Nähe der Hünenburg (24. 6. 00 und 1. 7. 00, 2). Sphecodes ephippius L. Am 24. 5. 00 ein 2 in der Nähe der Hünenburg. Unterfamilie Prosopinae. Genus Prosopis F. Prosopis variegata Fabr. Selten. Am 12. 7. 00 ein Pärchen in den Dünen bei Uesen auf Jasione montana L. in Copula. 29. 7. 00 zwei 2 und ein g' auf Jasione montana L. an derselben Stelle. Bei dem g' vom 29. 7. ist das erste Hinterleibssegment fast ganz rot gefärbt; die gelben Makeln an der Basis des Schildchens fehlen. Das 9‘, welches ich mit einem 2 zusammen am 12. 7. 00 bei Uesen fing, hat einen ganz schwarz gefärbten Hinterleib. Ich nenne die Varietät Prosopis variegata F. var. obscura m. Ausser von Uesen besitze ich diese Varietät noch von Freissenbüttel, Hülseberg und Linteln. Auch an diesen Örtlichkeiten besucht Prosopis variegata F. ausschliesslich Jasione montana L. Prosopis dilatata K. Von Ende Juni bis- Anfang August zer- streut in den Dünen auf Jasione montana L., an den Abhängen von Uesen bis Baden auf Rubus, Senecio jacobaea L., Achillea mille- folium L. und Jasione montana L. — 24. 6.00 am Blocksberg (2.4). in Paarung. 1. 7. 00 an den Abhängen bei Uesen. 29. 7. 00 in den Dünen bei Uesen (2). 7. 7. 99 und 19. 7. 99 zwischen dem Pegel und dem Blocksberg ziemlich häufig. Prosopis nigrita F. Selten. 11. 7. 99, 24. 6.00 und 12.7. 00 einige 2 auf Achilles millefolium L. an den Badener Bergen zwischen dem Pegel und dem Blocksberg. Prosopis communis Nyl. Selten. 8. 7. 99 und 24. 7. 00 je ein 2 an den Badener Bergen auf Rubus. Frosopis genalis Thoms. Ein 2 am 12. 7. 00 in der Nähe der Hünenburg auf Jasione montana L. Prosopis brevicornis Nyl. Zerstreut. Am Fusse der Badener Berge zwischen der Hünenburg und dem Pegel vom 24. 6. 00 (J) bis 24. 7. 00 einzeln auf Crepis virens Vill., Senecio jacobaea L. Februar 1901. XV, 16 240 und Achillea millefolium L. 24. 7. 00 ein 2 bei Uesen auf Jasione montana L. Prosopis hyalinata Sm. Nicht selten. 6. 7. 99 2 und g' beim Blocksberg mehrfach in Paarung auf Senecio jacobaea L. 24. 6. 00 und 24. 7. 00 am Fusse der Badener Berge am Rande des Ufer- gebüsches 23° auf Crepis und Conium maculatum L., bei Uesen einzeln auf Senecio jacobaea I. _ Prosopis confusa Nyl. Ziemlich selten. 24. 6. 00 und 1. 7. 00 einige d an den Badener Bergen auf Achillea millefolium L. Prosopis pietipis Nyl. Selten. 1 2 am 24. 6. 00 am Fusse der Badener Berge auf Crepis virens Vill. Prosopis bipunctatus F. Selten. Ein g' am 24. 7. 00in den Dünen bei Uesen auf Jasione montana L. Genus Colletes Ltr. Colletes fodiens Ltr. Im Juli häufig bei Uesen am Anfange der Abhänge und an den Badener Bergen (besonders zwischen dem Pegel und dem Blocksberge) auf Tanacetum vulgare L., Achillea millefolium L. und Senecio jacobaea L., kommt nicht in den Dünen vor. Colletes pieistigma Thoms. Von dieser seltenen Art erbeutete ich ein S am 5. 7. 99 an den Badener Bergen in der Nähe des Blocksberges auf Achillea millefolium L. Sie scheint zwischen Elbe und Weser verbreitet aber überall sehr selten zu sein. Ich besitze die Art ausser von den Badener Bergen noch von Freissenbüttel, Stade (Sanders Anlagen) und Flinten bei Bodenteich. Colletes marginata Sm. Im Juli sehr häufig in den Dünen bei Uesen auf Thymus serpyllum L., Trifolium arvense L., und Jasione montana L.; seltener an den Badener Bergen in der Nähe der Hünenburg. Als Schmarotzer dieser Art beobachtete ich eine kleine Form des Epeolus produetus Ths. Colletes daviesana Sm. Im Juli in den Dünen zwischen Uesen und Baden auf Jasione montana L. (11. 7. 99); an den Badener Bergen auf Achillea millefolium L., Tanacetum vulgare L., Senecio jacobaea L. und Jasione montana L. (12. 7. 00 2 Z‘). Nistplätze an Scheunenwänden in Uesen. Colletes cunicularia L. Im ersten Frühlinge an den Badener Bergen häufig auf Salix. (20. 4. 00; am 29. 4. 00 die g' schon stark abgeflogen.) Nistplätze dieser Art entdeckte ich am Fusse der Hünenburg und in den Dünen zwischen Baden und Uesen. Die 3‘ überwiegen bei weitem an Zahl. Unterfamilie Anthreninae. Genus Halietus Ltr. Halictus leucozonius Schrk. Nicht selten in den Dünen und an den Abhängen. Die 2 vom Mai an auf Hieracium pilosella L. (Uesen, Hünenburg), Jasione montana L., Crepis virens Vill., Carduus erispus L. und Scabiosa columbaria L. Halictus 6 notatulus Nyl. Mir ist diese Art bei Uesen und Baden nicht vorgekommen. Ich erhielt ein g' von Herrn Lehrer 241 J. D. Alfken in Bremen, gefangen am 13. 8. 92 bei Achim auf Calluna vulgaris Sal. — H. 6 notatulus Nyl. wird sich höchst- wahrscheinlich auch noch von Uesen nachweisen lassen. Bei Freissenbüttel besuchen die 2 gern Brassica oler., Br. rapa, Veronica chamaedr. und (einzeln) Crataegus und Salix. Die Pflanzen sind auch zwischen Uesen und Baden nicht selten. Halictus calceatus Scop. Häufig bei Uesen und Baden an den Abhängen. 20.4. 00 Uesener Abhänge, Tussilago farfara L, Draba verna L. 20. 4. 00, 24. 5. 00 und 24. 6. 00 Badener Berge auf Salix, Taraxacum offieinale Web. u. a. 24. 6. und 29. 7. 00 Uesen. Überall nur 2. (Die 9 erscheinen später im August und September). Halictus villosulus K. Die 2 häufig in den Dünen bei Uesen, an den Uesener Abhängen und an den Badener Bergen in der Nähe der Hünenburg vom Mai (24. 5. 00) bis Juli (1. 7. 00) auf Hieracium pilosella L., Ranunculus bulbosus L., R. repens L., Taraxacum offieinale Web. und Jasione montana L. Am 799 ein 3’ bei der Hünenburg auf Jasione montana L. Halictus minutus Schrk. Am 20. 4. 00 zwei 2 an den Badener Bergen auf Ranunculus ficaria L. Halictus nitidiusculus K. Am 20. 4. 00 einige 2 an den Badener Bergen in der Nähe der Hünenburg auf Teesdalea nudi- caulis R. Br. Am 8. 7. 99 ein d' beim Blocksberg am Boden fliegend. Halietus minutissimus K. Am 1. 7. 00 ein 2 bei Uesen auf Jasione montana L. Halictus tumulorum L. Häufig vom April ab (2) an den Abhängen bei Uesen und an den Badener Bergen auf Jasione montana L., Lotus corniculatus L., Stellaria media Cir., Trifolium pratense L., Senecio jacobaea L., Taraxacum offieinale Web,., Hieracium pilosella L. und Thymus serpyllum L. Am 24. 7. 00 ein g' an den Badener Bergen auf Thymus serpyllum L. Halictus morio F. Sehr häufig vom April ab an den Abhängen bei Uesen und an den Badener Bergen (besonders in der Nähe des Blocksberges) auf Stellaria media Cir., Ranuneulus ficaria L., Teesdalea nudicaulis R. Br., Draba verna L., Taraxacum offieinale Web., Bellis perennis L., Hieracium pilosella L., Veronica chamae- drys L. und Salix. Die g' beobachtete ich vom 24. 6. 00 ab an denselben Stellen, besonders auf Compositen. Halietus leucopus K. Am 29. 7. 00 ein J bei Uesen auf Hypochoeris radicata L. Genus Anthrena F. Anthrena cineraria L. Am 29. 4. 00 ein 2 und d' zwischen der Hünenburg und dem Pegel;auf Salix. Anthrena thoracica F, Selten in der Nähe der Hünenburg. Diese Art tritt in zwei Generationen auf. Von der Frühlings- generation beobachtete ich am 29. 4. 00 ein g' auf Taraxacum ' 16* 242 offieinale Web. Die Sommergeneration besucht Jasione montana L. (Zwei 2 am 24. 7. 00 auf der Hünenburs). Anthrena nitida Fourer. Im Frühlinge häufig an den Badener Bergen, seltener an den Abhängen bei Uesen. 20. 4. 00 3' zwischen der Hünenburg und dem Blocksberg häufig auf Salix und besonders auf Taraxacum officinale Web., 2 einzeln. 29. 4. 00 2 J' an den Abhängen zwischen Uesen und Baden auf Taraxacum offieinale Web. 24. 5. 00 einige abgeflogene 2 in der Nähe der Hünenburg auf Hieracium pilosella L. Anthrena ovina Klg. Im Frühlinge eine der häufigsten Arten an den Badener Bergen. 2 und J' besuchen fast ausschliesslich Salix. Ein g' beobachtete ich auf Ranuneulus ficaria L. 20.4. 00 g' an den Badener Bergen auf Salix. 29. 4. 00 2 und dJ (letztere schon abgeflogen) daselbst auf Salix. Diese Art fehlt den Abhängen bei Uesen. Anthrena albicans Müll. Im April und Mai überall — mit Ausnahme der Dünen nicht selten auf Salix, Taraxacum officinale Web., Ranuneulus ficaraia L., Bellis perennis L., Ranuneulus repens L., Stellaria media Cir., Cerastium arvense L., Hieracium pilosella L. u. a. Anthrena tibialis K. Am 29. 4. 00 einige J' an den Badener Bergen in der Nähe der Hünenburg auf Taraxacum offieinale Web. Ein JS der 2. Generation am 24. 7. 00 an den Badener Bergen in der Nähe der Hünenburg auf Thymus serpyllum L. Anthrena nigro-aenea K. Am 20. 4. 00 am Fusse der Hünen- burg ein 9’ auf Salix purpurea L. Anthrena trimmerana K. Selten. 29. 4. 00 einige 2 an den Badener Bergen auf Taraxacum officinale Web., ein J' auf Salix. Anthrena apicata Sm. Selten. Im Frühlinge an den Badener Bergen einzeln auf Salix. — Am 20. 4. 00 beobachtete ich die J dieser Art an der Chaussee zwischen Baden und Uesen beim „Brauttanze“. Um 2 Uhr nachmittags hatte ich meine Excursion nach den Badener Bergen beendet und wollte auf der Chaussee zurück nach Achim gehen. In den Dünen hatte ich noch Gelegenheit, Colletes eunieularia L. beim Nestbau zu beobachten. Als ich dann die Landstrasse weiter entlang ging, bemerkte ich, wie eine Anzahl Anthrena-9' — manchmal einzeln, manchmal zu mehreren — am Stamme der Bäume, welche zu be iden Seiten der Chaussee stehen suchend emporflogen und in der Krone verschwanden. Dieser „Brauttanz‘“ der Anthrena-g' wiederholte sich noch mehrfach bis dicht vor Uesen. Ich untersuchte nun die Sounanaatiz der Baumstämme nach Anthrena 2, konnte aber kein einziges entdecken. Mit dem „Brauttanze“ der Anthrena g' hat es kurz folgende Bewandtnis. Die 2 der Anthrenen setzen sich mit gespreitzten - Beinen an die von der Sonne beschienene Seite der Baumstämme und erwarten hier die J. Diese kommen zu mehreren angeflogen und suchen den Stamm von unten bis oben ab. Erblicken sie ein 2, 243 so stürzen sie sich darauf, und das stärkste J' verdrängt in den meisten Fällen die schwächeren 3’, umklammert das 2 und fliegt mit ihm davon in die Krone, um es zu begatten. Dieses Werben der S' wurde von Friese*”) und Alfken““) bei Anthrena clarkella K., von mir””*) auch bei Anthrena lapponica Zett. beobachtet. Die J', die an der Chaussee zwischen Uesen und Baden ihre Tänze aufführten, gehören zu Anthrena apicata Sm. Anthrena fulvago Chr. Sehr selten. Mit Anthrena humilis Imh. zusammen auf Hieracium pilosella L. in der Nähe der Hünen- Bas 04752.00 ein 2,5. :6..00 zwei 2, 1.7. 00’ ein 2). Anthrena humilis Imh. Häufiger als vorige Art. Vom 24. 5. 00 bis Ende Juni in den Dünen und an den Abhängen von Uesen bis Baden auf Hieracium pilosella L. Als Schmarotzer dieser Erdbiene konnte ich an den Abhängen bei Uesen Nomada ferruginata K. feststellen. Anthrena praeeox Scop. Von Uesen bis Baden an den Abhängen im April nicht selten auf Salix (2 S'), Ranunculus ficaria L., Stellaria media Cir. und Taraxacum offieinale Web. Anthrena varians K. Ein 2 am 29. 4. 00 an den Badener Bergen in der Nähe des Pegels auf Taraxacum offieinale Web. Anthrena albicrus K. Erscheint in zwei Generationen. Die Frühlingsgeneration fliegt von April bis Anfang Juni; die ersten 2 der Sommergeneration erbeutete ich am 24. 6. 00 (vollkommen frische Exemplare). Die erste Generation besucht an den Badener Bergen Salix (2 9‘), Ranunculus ficariaL., Taraxacum offieinale Web., Stellaria media Cir. und Hieracium pilosella L., die 2. Generation Jasione montana L., Lotus cornieulatus L., Knautia arvensis Coult. und Thymus serpyllum L. Nistplätze der 2. Generation entdeckte ich auf der Hünenburg und an den Badener Bergen in der Nähe des Blocksberges Die Nester sind an beiden Stellen mitten im sandigen Fahrwege angelegt. Anthrena parvula K. An den Abhängen von Uesen bis zum Blocksberg im April häufig auf Salix, Tussilago farfara L., Bellis perennis L., Ranuneulus ficaria L., Stellaria media C., Geranium molle L., Veronica hederifolia L., Teesdalea nudicaulis R. Br., Draba verna L. u. a. Anthrena hattorfana F. Einzeln im Juli an den Abhängen bei Uesen auf Knautia arvensis Coult. und Scabiosa columbaria L. Von den 2 wurde nur die Stammform, von den d' nur die var. haemorrhoidalis K. beobachtet. Anthrena eingulata F. An den Abhängen bei Uesen und an den Badener Bergen im Mai und Juni nicht selten auf Veronica chamaedrys L. und Stellaria holostea L. (einzeln). (24. 5. 00 bis *) Entom. Nachr. 1885, pag. 81. **) Verhdl. d. Ges. Deutsch. Naturf. u. Aerzte, Bremen 1890. ***) T]l.-Zeitschr. f. Ent. Bd. 4, No. 24, pag. 374. 244 24. 6. 00). Den seltenen Schmarotzer dieser Art, Nomada guttulata Schenck, habe ich vergeblich gesucht. Anthrena extricata Sm. Im April an den Badener Bergen eine der häufigsten Arten. 2 und dJ‘ besuchen anfangs Salix und Ranuneulus ficaria L., später auch Taraxacum offiecinale Web. Anthrena Jlavipes Pz. Häufigste Art an den Abhängen bei Uesen und an den Badener Bergen. Zu Tausenden schwärmen die g' an warmen Frühlingstagen (20. 4. 00) an den Abhängen bei Uesen und am Blocksberge, wo sich die Nistplätze befinden. Anthrena flavipes Pz. erscheint in zwei Generationen; die erste fliegt im April und Mai auf Salix, Taraxacum officinale Web., Ranuneulus ficaria L., Draba verna L., Stellaria media Cir., Tussilago farfara L., Prunus spinosa L. und Glechoma hederacea L.; die zweite besucht im Juli Senecio jacobaea L., Cichorium intybus L., Trifolium pratense L., Melilotus albus Desr., Mel. macrorrhizus Pers., Jasione montana L. und Echium vulgare L. Anthrena labialis K. Am 24. 5. 00 und 5. 6. O0 je ein Q an den Badener Bergen in der Nähe des Pegels auf Trifolium pratense L. Anthrena argentata Sm. Am 24. 7. 00 in den Dünen bei - Uesen (Brachfeld in der Nähe der Tedinghauser Chaussee) mehrere 2 auf Thymus serpyllum L. Anthrena proxima K. Von Mitte Mai bis Mitte Juli nicht selten. Auf den Weiden beim Uesener Fährhaus im Mai und Juni häufig auf Anthriscus silvestris Hoffm. An Abhängen bei Uesen seltener auf Conium maculatum L. An den Badener Bergen häufig auf Conium maculatum L., Crepis virens Vill. und Pastinaca sativa L. (auf diesen beiden Pflanzen nur J'). Die letzten stark abgeflogenen 2 wurden am 12. 7. 00 auf Conium maeculatum L. in der Nähe des Pegels gefangen. Anthrena propingua Schenck. Einzeln im April (29. 4. 00) am Fusse der Hünenburg auf Salix purpurea L. Eine zweite Generation fliegt im Juli auf Senecio jacobaea L. (29. 7. 00 Hünen- burg) und Thymus serpyllum L. (29. 7. 00, in den Dünen bei Uesen). Anthrena zanthura K. Am 24. 6. 00 mehrere 2 an den Badener Bergen in der Nähe des Pegels auf Trifolium pratense L. Mehrere 2 sind mit Stylops (Strepsiptera) behaftet. — 12. 7. 00 ein 2 an derselben Stelle auf Lutus corniculatus L. Anthrena afzeliella K. Am 5. 6. 00 und 24. 6. O0 an den Badener Bergen einige JS’ auf Trifolium pratense L. Ein J ist stylopisiert. _ Anthrena denticulata K. Am 29. 7. 00 einige 2 an den Badener Bergen in der Nähe der Hünenburg auf Senecio jacobaea L. Anthrena nigricps K. Diese seltene Art habe ich nur in den Dünen um Uesen beobachtet (zu beiden Seiten der Chaussee von Achim nach Uesen und auf einem Brachacker beim Uesener Gasthaus). Hier ist sie gerade nicht selten, doch tritt sie nicht in der Häufigkeit auf, wie die ihr nahe verwandte Anthrena bremensis 245 Alfk. 11. 7. 99 die 2 häufig auf einem Brachacker beim Uesener Gasthaus auf Jasione montana L., 19. 7. 99 und 29. 7. 00 nicht selten in den Dünen zwischen Uesen und Achim auf Jasione montana L. und Thymus serpyllum L., die J' sehr selten. Anthrena bremensis Alfk. Diese Art konnte ich am 24. und 29. 7. 00 eingehend beobachten. Sie war an den beiden Tagen an manchen Stellen in den Dünen bei Uesen geradezu sehr häufig. Besonders am 29. 7. 00 habe ich sie in Mengen erbeutet. Wie Anthrena nigriceps K. nistet diese Art an kurzrasigen Stellen in den Dünen, und solche Nistplätze sind die ergiebigsten Fangstellen. Am 24. 7. 00 hatte ich die 2 schon ip Mehrzahl erbeutet, die JS konnte ich nicht entdecken. Da gelang es mir am 29. 7. 00 einen Nistptatz ausfindig zu machen. Hier konnte ich in noch nicht 15 Minuten ca. 40 J' erbeuten. — 2 und Jg‘ besuchen hier Jasione montana L. und Thymus serpyllum L. Im Ufergebüsch am Fusse der Badener Berge beobachtete ich am 29. 7. 00 2 und d' nicht selten auf Veronica longifolia L. Unterfamilie Panurginae. Genus Dufourea Lep. Dufourea vulgaris Schenck. Am 24. und 29. 7. 00 einige -2 bei Uesen auf Hypochoeris radicata L. Dufourea halietula Nyl. Im Juli 1900 auf der Hünenburg nicht selten auf Jasione montana L. (3! 2 12.7. 00 bis 29. 7. 00). Genus Panurgus Ltr. Panurgus banksianus K. Im Juli bei der Hünenburg auf Jasione montana L. und Hypochoeris radicata L. Panurgus calcaratus Scop. Bedeutend häufiger als vorige Art. Im Juli in den Dünen bei Uesen und bei der Hünenburg auf Hypochoeris radicata L., einzeln auf Jasione montana L. Genus Dasypoda Ltr. Dasypoda plumipes Pz. Einzeln im Juli zwischen Achim und Uesen auf Leontodon autumnalis L., an den Abhängen bei Uesen auf Knautia arvensis Coult. und an den Badener Bergen auf Crepis virens Vill. Die 2 sind bedeutend seltener als die J. Unterfamilie Melittinae. Genus Melitta K. Melitta haemorrhoidalis For. Am 24. 7. 00 ein 2 bei der Hünenburg auf Campanula rotundifolia L.; am 29. 7. 00 ein JS’ am Rande eines Ackers in den Dünen bei Uesen auf derselben Pflanze. Melitta leporina Pz. Von Ende Juni (24. 6. 00 2) ab nicht selten in der Nähe der Hünenburg auf Senecio jacobaea L., Trifolium pratense L. und Tr. medium L. Genus Macropis Pz. Macropis labiata Pz. Selten. Am 24.77.00 einige 2 und J' an den Badener Bergen in der Nähe des Pegels im Ufergebüsch auf Lysimachia vulgaris L. 246 Unterfamilie Megillinae. Genus Eucera Ltr. Eucera diffieilis (Duf.) Per. Von Ende Mai (24. 5. 00 2 9) bis Ende Juli (24. 7. 00 stark abgeflogene 2) an den Abhängen bei Uesen und an den Badener Bergen bis zum Blocksberge nicht selten auf Lathyrus silvester L. (ist hier Lieblingsblume dieser Art), Lathyrus pratensis L., Trifolium pratense L., Trifolium medium L. Vieia eracca L. und Lotus eornieulatus L. (2 in der Nähe des Blocksberges). Nistpläsze am Blocksberge und an den Abhängen bei Uesen. Genus Podalirius Ltr. Podalirius bimaculatus Pz. Im Juli häufig in den Dünen bei Uesen auf Thymus serpyllum L. und Jasione montana L., an den Badener Bergen auf Echium vulgare L. (bei der Hünenburg), Trifolium pratense L., Trifolium arvense L., Senecio jacobaea L. (einzeln) und Thymus serpyllum L. Podalirius vulpinus Panz. Selten. Am 1.7.00 einige d' am Blocksberge auf Baılota nigra L. Ein 3‘ beobachtete ich am 1. 7. 00 in einer Neströhre in der Lehmwand am Blocksberge, wie es sich den Pelz bürstete, die Vorderbeine durch die Kiefern zog (sich putzte!) und sich so auf den ersten Ausflug vorbereitete. Podalirius retusus L. Am 24. 6. 00 ein ganz abgeflogenes g' an den Badener Bergen in der Nähe des Pegels auf Trifolium pratense L. Podalirius acervorum L. Vom 20. 4. 00 (2 d) bis 6. 6. 00 (2 stark abgeflogen) an den Badener Bergen nicht selten an den Nistplätzen am Blocksberg (in der Lehmwand) und auf Stellaria media Cir., Glechoma hederacea L., Trifolium pratense L., Lotus corniculatus L. (in der Nähe des Pegels) und Lamium album L. — Am 6. 7. 99 untersuchte ich mehrere am Blocksberge in der Lehm- wand angelegte Nester dieser Art. Die meisten Zellen enthielten Nymphen, von denen einige schon anfingen sich zu färben. Die Art überwintert jedenfalls, wie schon Friese vermutet,*) als vollständig entwickeltes Insekt. Var. niger Friese. Ebenso häufig wie die Stammform. Podalirius parietinus Fabr. Neben den P. acervorum L.-Nestern fand ich am 5. 7. 99 mehrere Nestanlagen, die wahrscheinlich von Podalirius parietinus F. herrühren. Die Zellen enthielten nur Larven. Die Nestanlagen zeigten die charakteristische Gestalt, wie Friese sie in den „Bienen Europas“ Teil III pag. 14 von Podalirius parietinus F. beschreibt. Im Freien fliegend habe ich die Art nicht angetroffen. Sie kann aber leicht übersehen sein, da ich im Juni 1900 gerade den Blocksberg beim Sammeln wenig berücksichtigt habe. *) Die Bienen Europas. Teil III. pag. 16. 247 Unterfamilie Megachilinae. Genus Eriades Spin. Eriades truncorum L. Häufig von Ende Juni ab an den Ab- hängen zwischen Uesen und Baden auf Hieracium murorum L,, (Blocksberg), Senecio jacobaea L., Achillea millefolium L., Tanacetum vulgare L. und Crepis virens Vill. Besonders häufig am Blocks- berge mit dem Schmarotzer Stelis breviuscula Nyl. zusammen auf Senecio jacobaea L. Eriades nigricornis Nyl. Ziemlich häufig Ende Juni und im Juli an der Tedinghauser Chaussee auf Malva silvestris L. und Ballota nigra L. (einzeln), an den Abhängen zwischen Uesen und Baden auf Knautia arvensis Coult., Scabiosa columbaria L., Ciehorium intybns L., Campanula rotundifolia L., Campanula patula L. und Campanula persicifolia L. Eriadis campanularum K. Von Mitte Juni ab an Scheunen- wänden in Uesen mit dem Schmarotzer Stelis minima Schek. zu- sammen. Auch an den Badener Bergen beim Blocksberg auf Campanula rotundifolia L. Erıades florisomnis L. Am 24. 5. 00 2 und g' an den Ab- hängen bei Uesen auf Ranunculus repens L., Ranunculus acer L. und Ranunculus bulbosus L. Genus Osmia Ltr. Osmia rufa L. Häufig von April bis Juni beim Blocksberg auf Glechoma hederacea L., Stellaria media Cir., Taraxacum offieinale Web., Bellis perennis L. und Lotus cornieulatus L. Häufig auch an der Lehmwand am Blocksberge, wo sich die Nester befinden. — Die Art benutzt die alten Neströhren anderer Bienen, um darin ihre Nester anzulegen. Solche Nester zeigten am 5. Juli 1899 einge- sponnene Larven, die sich bis zum Oktober 1899 zum vollständigen Insekte entwickelten. Diese Osmia überwintert somit als Imago, im Gegensatz zu O. parvula Duf. et Per. und O. leucomelaena K., die als Larven überwintern. Der Cocon der Osmia rufa L. ist auch wesentlich verschieden von dem der genannten Osmien. Der Cocon der letzteren ist ziemlich hyalin, der der Osmia rufa L. dagegen bräunlich und undurchsichtig. Am oberen Ende trägt er ein kleines Zäpfchen und hat so mehr Aehnlichkeit mit einem Stelis-Cocon. Osmia eoerulescens L. Von Ende Mai (24. 5. 00) bis Mitte Juli (19. 7. 99) in Uesen auf Lamium album L., an den Badener Bergen in der Nähe des Blocksberges auf Glechoma hederacea L. und Lotus cornieulatus L. Osmia leaiana K. (0. solskyi Mor.). Am 6.6.00 ein £ an den Badener Bergen in der Nähe des Pegels auf Lotus corniculatus L. Osmia leucomelaena K. (claviventris Ths.). Einzeln im Juni und Juli zwischen der Hünenburg und dem Blocksberge auf Lotus cornieulatus L., Vieia eracea L. (24. 6. 00 bei der Hünenburg, ? J') und Trifolium medium L. Osmia parvula Duf. et Perr. Selten. Am 24. 6. 00 je ein d' an den Abhängen bei Uesen und am Fusse der Hünenburg auf 248 Lotus cornieulatus L., am 24. 7.00 ein J' in der Nähe des Blocks- berges auf derselben Pflanze. ÖOsmia adunca Ltr. Von Ende Juni ab nicht selten an den Badener Bergen (zwischen dem Pegel und dem Blocksberge und bei der Hünenburg) und an den Abhängen bei Uesen auf Echium vulgare L. 1899 war diese Art sehr häufig, 1900 bedeutend seltener. Sie nistet in der Lehmwand am Blocksberge. Osmia aurulenta Pz. Sehr selten. Am 6.6.00 ein 2 an den Badener Bergen in der Nähe des Pegels auf Lotus corniculatus L. Genus Megachile Ltr. Megachile argentata F. In den Dünen bei Uesen im Juli nicht selten auf Jasione montana L. (11. 7.99) und Thymus serpyllum L. (24. 7. 00, 2 3‘); an den Badener Bergen auf Lotus corniculatus L. Megachale centuneularis L. Am 6. 7. 99 an den Abhängen bei Uesen einige J' in einem alten Pfahle, in dessen Risse sie Schutz gesucht hatten gegen das Regenwetter. 24. 6. 00 ein g’ am Fusse der Hünenburg auf Vieia eracca L. 12. 7. 00 ein 2 an den Ab- hängen bei Uesen auf Knautia arvensis Coult. Megachile versicolor Sm. Am 24.7.00 ein 2 an den Abhängen bei Uesen auf Scabiosa columbaria L. Megachile circumcincta K. Am 24. 6. 00 ein 2 an den Badener Bergen auf Lotus cornieulatus L. Megachile analis Nyl. Sehr selten. Am 7.7.99 ein 2 an den Badener Bergen in der Nähe des Blocksberges auf Lotus cornieulatus L. (Häufiger auf der Scharmbeck-Vegesacker Geest.) Megachile maritima K. Im Juli nieht selten in den Dünen bei Uesen und zwischen der Hünenburg und der Chaussee auf Thymus serpyllum L. und Jasione montana L., an den Badener Bergen auf Thymus serpyllum L., Lotus corniculatus L. und Carduus erispus L. Die Nistplätze dieser Art entdeckte ich am 7. 7.99 auf der Hünen- burg. Die Nester werden im Sande angelegt und zwar fand ich nie mehr als zwei Zellen in einer Röhre (auch bei Freissenbüttel). Als Sehmarotzer beobachtete ich Coelioxys conoidea Ill. Megachile willughbiella K. Am 19. 7. 99 ein S' an den Badener Bergen. Megachile ericetorum Lep. Im Juli an den Badener Bergen nicht selten auf Lotus cornieulatus L., Echium vulgare L. (einzeln in der Nähe des Blocksberges), Melilotus maerorrhizus Pers. und Melilotus albus Desr. Auch an der Lehmwand am Blocksberge, wo die Art nistet. Als Schmarotzer beobachtete ich Coelioxys aurolimbata Foerst. Genus Trachusa Pz. Trachusa serratulae Pz. Von Ende Juni ab an den Abhängen bei Uesen und besonders häufig an den Badener Bergen bei der Hünenburg auf Lathyrus silvester L., Lotus cornieulatus L. und Vieia eracea L. 249 Genus Anthidium F. Anthidium manicatum L. In der Nähe des Blocksberges von Ende Juni (24. 6. 00) ab nicht selten auf Ballota nigra L., Vieia cıacea L., Lotus cornieulatus L. und Echium vulgare L. Nistet in der Lehmwand am Blocksberge. Anthidium strigatum Ltr. Im Juli selten zwischen dem Pegel und dem Blocksberge auf Lotus corniculatus L. B. Sociale Apiden. Unterfamilie Bombinae. Genus Bombus Ltr. Bombus hortorum L. Häufig, besonders an den Badener Bergen auf Salix (2), Lamium album L., Glechoma hederacea L. (2), Trifoiium pratense L., Trifolium repens L. (2), Vicia eracca L. (2 2), Trifolium medium L. (2 ‘5.7. 00), Lathyrus silvester L. Lathr. pratensis L., Melilotus macrorrhizus Pers., Mel. albus Desr., Lotus eornieulatus L. (2 2), Taraxacum offieinale Web. u. a. Var. nigrieans Schmiedekn. Mit der Stammform zusammen, doch bedeutend seltener. Bombus ruderatus F. Seltener als Bombus hortorum L. 2 auf Glechoma hederacea L., Lamium album L. u. a., ® besonders auf Trifoliam pratense L. und Trif. medium L. Bombus hypnorum L. Am 6. 7. 99 erbeutete ich am Blocks- berg einen $, der auf Ballota nigra L. und Solanum dulcamara L. flog. Bombus derhamellus K. Häufig an den Badener Bergen; die 2 im Frühlinge besonders auf Salix, Glechoma hederacea L. und Lamium album L., im Juni und Juli mit den ® auf Trifolium pratense L., Lotus cornieulatus L., Vieia eracca L., u. a. 12.7.00 einige $ in den Dünen bei Uesen auf Jasione montana L. Bombus silvarum L. An den Badener Bergen (besonders zwischen dem Pegel und dem Blocksberge) häufig auf Lamium album L. (2 häufig), Vieia eracca L., Glechoma hederacea L. (2), Trifolium pratense L. (2 3), Trifolium medium L. (3), Lathyrus silvester L. (2), Carduus crispus L. ($) u. a. Bombus arenicola Thoms. Selten. Am 24. 5.00 an den Badener Bergen ein 2 auf Lamium album L. Am 5., 6. u. 7. 7. 99 mehrere © in der Nähe des Pegels auf Trifolium repens L., Trifolium pratense L., Vicia eracca und Echium vulgare L. Bombus agrorum F. Nicht häufig. Am 29. 4. 00 ein 2 an den Badener Bergen auf Salix. Am 24. 6. 00 und 1. 7. 00 mehrere @ an den Badener Bergen auf Trifolium pratense L., Vicia eracca L. und Carduus crispus L. Bombus muscorum F, Selten. Am 20. 4. 00 an den Badener Bergen ein 2 auf Salix; am 24. 5. 00 ebenda ein 2 und mehrere 3 auf Trifolium pratense L. 250 Bombus lapidarius L. Nächst Bombus hortorum L. die häufigste Art an den Badener Bergen; einzeln auch an den Abhängen bei Uesen. Die 2 dieser Art besuchen besonders Lotus eornieulatus L. Bombus soroensis F. (?) Ein 2 der var. proteus Gerst. glaube ich am 24. 6. 00 an den Badener Bergen in der Nähe des Pegels gesehen zu haben. Leider entwischte es mir. Bombus terrester L. Nicht selten an den Abhängen von Uesen bis Baden. Bombus lucorum L. Zerstreut in den Dünen bei Uesen (12.7. 00 2 auf Jasione montana L.) und an den Abhängen von Uesen bis Baden. C. Parasitäre Apiden. Unterfamilie Psithyrinae. Genus Psithyrus Lep. Psithyrus rupestris F. Häufigste Art an den Badener Bergen. Die ?£ im Juni und Juli auf Knautia arvensis Coult. (Hünenburg), Carduus crispus L., Trifolium pratense L., Vicia cracca L. und Lotus corniculotus L. Die Formen mit rein schwarzer Thorax- behaarung sind selten. Die meisten Exemplare zeigen am Protharax eine ganze oder unterbrochene gelbe Binde Ein 2 zeigt Spuren heller Haare im Schildchen. Psithyrus rupestris F. schmarotzt bei Bombus lapidarius L. und B. silvarum L. Psithyrus campestris Pz. Ein £ am 24. 7.00 an den Badener . Bergen auf Carduus crispus L. Psithyrus barbutellus K. Die ? einzeln Ende Juni und im Juli an den Abhängen von Uesen bis Baden auf Scabiosa colum- baria L., Knautia arvensis Coult., Carduus crispus L., Trifolium pratense L. und Lotus corniculatus L. Am 24. 7. 00 ein J' in der Nähe des Pegels auf Carduus crispus L — Ein 2 zeigt auf dem ersten Segmente eine undeutliche, gelbe Binde. Psithyrus vestalis Fourer. Überall an den Badener Bergen nicht selten von Mai bis Juli auf Taraxacum officinale Web., Crepis virens Vill, Carduus erispus L. u. a. (2). Psithyrus vestalis Fourer. schmarotzt bei Bombus terrestris L. Unterfamilie Stelinae. Genus Stelis Panz. Stelis aterrima Pz. Im Juni (S', 24. 6. 00) und Juli (d' 12.7. 00, 2 bis 24. 7. 00) an den Abhängen von Uesen bis zum Blocks- berge nicht selten auf Cichorium intybus L, Senecio jacobaea L. (diese beiden Pflanzen werden hier besonders gern von Stelis aterrima Pz., besucht), Thymus serpyllum L., Knautia arvensis Coult., 251 Seabiosa columbaria L., Crepis virens Vill., Hieraeium murorum L., (Bloeksberg), Convolvulus arvensis L. und Centaurea jacea L. (in der Nähe der Hünenburg.) — Am häufigsten traf ich diese Art am Blocksberg. Hier schmarotzt sie bei Osmia adunca Ltr. und Anthidium manicatum L. Stelis breviuscula Nyl. Ende Juni und im Juli am Blocks- berge ziemlich selten auf Senecio jacobaea L. Schmarotzt bei Eriades truneorum L. Stelis phaeoptera K. Am 22.7. 99 ein Q' in der Nähe des Blocksberges auf Senecio jacobaea L. Stelis minima Schenck. Ende Juni und im Juli an einer Seheunenwand in Uesen. Wie bei Freissenbüttel ist diese Art auch hier Sechmarotzer von Eriades campanularum L. Stelis ornatula Klg. Ich glaube ein Exemplar dieser seltenen Art, welehe ich bei Freissenbüttel mehrfach fing, am 24. 6. 00 am Blocksberge gesehen zu haben. Leider entwischte es mir. Das Vorkommen dieser Art an den Abhängen lässt sich aber mit ziem- licher Sicherheit annehmen, da der Wirt (Osmia leucomlaena K.) -mehrfach erbeutet wurde. Unterfamilie Coelioxinae. Genus Coelioxys Ltr. Coelioxys aurolimbata Foerst. Ich fand diese in Deutschland seltene Art zuerst am 12. 7. 1899 am Blocksberge auf Senecio jacobaea L., und zwar nur S. Am 12. 7. 00 war sie am Blocks- berge garnicht selten. Die g' besuchten mit Vorliebe Senecio jacobaea L., seltener Hieracium murorum L.; die meisten 2 fing ich an der Lehmwand an den Nistlöchern der Megachile ericetorum Lep., deren Schmarotzer Coelioxys aurolimbata Foerst. hier ist. Die 2 besuchten Senecio jacobaea L., Melilotus albus Desr. und Melilotus maerorrhizus Pers. Coelioays rufescens Lep. Im Juli häufig zwischen dem Pegel und dem Blocksberge. Am häufigsten beobachtete ich sie am Blocks- berge in der ersten Hälfte des Juli 1899 und 1900. Einzeln auch an einer Scheunenwand in Uesen. 2 und g' besuchen Senecio jacobaea L. (mit C. aurolimbata Foerst. zusammen), Melilotus albus Desr., Melilotus maerorrhizus Pers., Lotus cornieulatus L., Viecia eracca L., Trifolium pratense L., Hieracium murorum L. und Echium vulgare L. Var. hebescens Nyl., im Juli 1899 am Blocks- berge ebenso häufig wie die Stammform, im Juli 1900 bedeutend seltener. Coeliownys conoiden Klg. Nicht häufig. Ende Juni (J') und im Juli bei Uesen in den Dünen und an den Abhängen in der Nähe der Hünenburg auf Thymus serpyllum L. und Jasione montana L. 252 Coelioxys conoidea Klg. schmarotzt hier bei Megachile mari- tima K. Ich sah im Juli 1899 die 2 bei der Hünenburg mehrfach an den Nistplätzen dieses Blattschneiders. Coeliozys quadridentata L. Selten. Am 5. 7. 00 ein 2 bei der Hünenburg auf Lotus cernieulatus L. Ooelioays truncata nov. sp. 2. Länge 11 mm. Ahnlich Coelioxys quadridentata L., aber gut; unterschieden ll... Dorsalsesm. 6 davon durch das anders gebildete 6. Ventral- Ä segment. Dasselbe ist etwas länger wie Se Ventralsegm. 6. das 6. Dorsalsegment, nach dem Ende nur wenig verschmälert, verhältnismässig breiter als bei C. quaridentata L., das Ende mit einem kleinen rechteckigen Anhängsel versehen, wie aus der beigefügten Abbildung ersichtlich. Ich nenne diese neue Art Coelioxys truncata m. Das einzige 2 wurde am 22. Juli 1898 an den Badener Bergen auf Lotus cornieulatus L. gefangen. In den Jahren 1899 und 1900 habe ich eifrig nach dieser Art gesucht, aber weder die dazu gehörenden 3‘, noch weitere 2 entdeckt. Coelioxys elongata Lep. var. acuminata Nyl. Sehr selten. Am 24. 6. 00 ein S', am 12. 7. 00 ein Jg’ auf Melilotus macrorrhizus Pers. im Ufergebüsch am Fusse der Badener Berge in der Nähe des Pegels. Ooeliowys mandibularis Nyl. Sehr selten. Am 12. 7. 00 ein 2 an den Abhängen bei Uesen auf Thymus serpyllum L. Unterfamilie Nomadinae. Genus Melecta Ltr. Melecta armata Panz. Vom April bis Juni (6. 6. 00) häufig am Blocksberge an den Nistlöchern von Podalirius acervorum L., dessen Schmarotzer sie ist. Seltener sah ich diese Art Blumen (Taraxacum officinale Web. und Glechoma hederacea L.) besuchen. Melecta luctuosa Scop. Sehr selten. Am 6. 6. 00 ein 2 an den Badener Bergen in der Nähe des Pegels auf Trifolum pratense L. Bei Freissenbüttel schmarotzt diese Art bei Podalirius retusus L. Dies dürfte auch für die Badener Berge zutreffen, da Podalirius retusus L. an derselben Stelle fliegt, wo Melecta luetuosa Scop. gefangen wurde. Genus Epeolus Ltr. Epeolus variegatus Linn. Am 11.7. 99 einige 2 und 3 bei der Hünenburg auf Jasione montana L. Epeolus productus Thoms. Am 11. 7. 99 auf einem sandigen Brachacker an der Chaussee von Uesen nach Baden, gegenüber dem Uesener Gasthaus in Menge auf Jasione montana L. und einzeln auf Trifolium arvense L. Am 24. 7. 00 einzeln in den Dünen zwischen Uesen und Achim auf Thymus serpyllum L. Hier Schmarotzer von Colletes marginata Sm. 253 Genus Epeoloides Gir. Epeoloides coecutiens Fabr. Sehr selten. Am 19. 7. 99 ein © an den Badener Bergen in der Nähe des Pegels auf Trifolium arvense L. (?). Am 24. 7. 00 nicht weit von derselben Stelle in der Nähe der Hütte ein ? auf Trifolium repens L. Im Ufergebüsch befindet sich hier eine kleine Stelle, welche mit Lysimachia vulgaris L. bewachsen ist. Hier fand ich den Wirt dieser Art, Macropis labiata Pz., welcher wahrscheinlich in den nahen Abhängen seine Nester anlegt. Genus Nomada F. Nomada succinecta Pz.. Von Ende April (d' 29. 4. 00) bis Anfang Juni (6. 6. 00) häufig an den Abhängen bei Uesen und an den Badener Bergen auf Salix, Taraxacum officinale Web., Tussilago farfara L., Crataegus, Hieracium pilosella L. und Trifolium minus Relhan. Schmarotzer von Anthrena extricata Sm. und A. nitida K. (?) (Abh. b. Uesen.) Nomada linela Panz. Zerstreut an den Badener Bergen, seltener an den Abhängen bei Uesen, am 29. 4. 00 auf Salix, - Bellis perennis L. und Taraxaeum offieinale Web. Die g' sind be- deutend häufiger als die 2. Ich fing nur ein 2 der Stammform am 29. 4. 00 auf Salix am Fusse der Badener Berge. Var. subeornuta K. Am 29. 4. 00 einige g' an den Badener Bergen auf Taraxacum offieinale Web. Am 6. 6. 00 ein 2 an den Abhängen bei Uesen auf Hieracium pilosella L. Var. cornigera K. (schmiedeknechti (Mocs.) Schmiedk.). Sehr selten. Ein 2 am 24. 7.00 in den Dünen bei Uesen auf Thymus serpyllum L. — Ich fing die 2 dieser Varietät auch an mehreren Stellen bei Freissenbüttel (immer an rein sandigen, dürren Stellen), g' sind mir nicht vorgekommen. Nomada alternata K. Seltener als die beiden vorhergehenden Arten. Am 29. 4. 00 die g' (darunter einige mit gelb geflecktem Schildehen) an den Abhängen bei Uesen und an den Badener Bergen auf Tussilago farfara L., Taraxacum offieinale Web., Salix und Prunus spinosa L., ein 2 auf Salixv. Am 24. 5. 00 je ein 2 an den Badener Bergen und an den Abhängen bei Uesen am Boden fliegend. 6. 6. 00 ein 2 bei Uesen am Boden fliegend. Nomada solidaginis Pe. Am 8. 7. 00 ein d' in den Dünen bei Uesen auf Jasione montana L. Nomada roberjeotiana P.. Am 12.7.00 ein 2 an den Badener Bergen zwischen dem Pegel und dem Blocksberge auf Jasione mon- tana L. Nomada fucata Pz. Häufigste Art an den Abhängen bei Uesen und an den Badener Bergen. Erscheint wie ihr Wirt Anthrena flavipes Pz. in zwei Generationen. Die erste Generation fliegt im April und Mai, 2 und dg' besuchen Bellis perennis L., Salix, 254 Stellaria media Cir.. Draba verna L., Taraxaeum offieinale Web. und Ranunculus ficaria L. Die zweite Generation fliest im Juli (besonders häufig am Blocksberge) und besucht Senecio jacobaea L., Melilotus albus Desr. und Melilotus macrorrhizus Pers. Nomada jacobaeae Panz. Nicht häufig. Im Juli bei der Hünen- burg auf Jasione montana L. und Senecio jacobaea L. Nomada sexfasciata Pz. Sehr selten. Am 6. 6. 00 sah ich ein 2 an den Uesener Abhängen über dem Boden suchend umher- fliegen. Schmarotzer von Eucera diffieilis (Duf.) Per. Nomada wanthosticta K. Selten. Am 20. 4. 00 am Fusse der Badener Berge auf Salix ein J. Schmarotzer von Anthrena praecox Scop. und A.apicata Sm. Nomada ruficornis L. Am 20. und 29. 4. 00 nicht selten an den Abhängen bei Uesen und an den Badener Bergen auf Draba verna L., Salix, Tussilago farfara L., Stellaria media Cir. und Prunus spinosa L. Var. flava Pz. An denselben Stellen nicht selten. Nomada bifida Thoms. Am 29. 4. 00 ein S' an den Abhängen bei Uesen auf Prunus spinosa L. Nomada borealis Zett. Am 29. 4. 00 zwei 2 am Fusse der Badener Berge auf Salix. Nomada flavoguttata K. Selten. Am 6. 6. 00 ein Jg’ an den Abhängen bei Uesen auf Veronica chamaedrys L. Nomada dallatorreana Schmiedkn.*) Von dieser seltenen Art fing ich am 24. 5. 00 drei 2 und zwei Jg’ an den Abhängen bei Uesen, am 6. 6. 00 drei weitere 2 an derselben Stelle, eins davon auf Hieracium pilosella L. — Bei dem einen g' zeigt das Schildchen . zwei rote weit von einander getrennte Makeln. Nomada fuseicornis Nyl. Nicht häufig. Im Juli in den Dünen um Uesen und bei der Hünenburg auf Jasione montana L. und Hypochoeris radieata L. Schmarotzer des Panurgus calcaratus Scop. Nomada similis Mor. Sehr selten. Am 22. 7. 1898 einige 2 zwischen der Hünenburg und der Chaussee auf Jasione montana L. Scehmarotzt bei Panurgus banksianus K. Nomado armata H. $S. Selten. Im Juli 1899 suchte ich an den Abhängen bei Uesen vergeblich nach dieser Art. Ich vermutete sie hier, weil ihr Wirt, Anthrena hattorfiana F. hier gar nicht selten ist. Im Juni 1900, als Knautia arvensis Coult. und Scabiosa colum- baria L. an den Abhängen noch nicht aufgeblüht waren (6. 6. 00), erbeutete ich hier drei d. Am 24. 6. 00 fing ich noch ein J' auf Knautia arvensis Coult., am 1. 7. 00 ein 9’ auf Scabiosa columbaria L., Q2 beobachtete ich nicht. Nomada armata H. S. erscheint nach Schmiedeknecht „in Thüringen gewöhnlich Anfang Juli“, somit etwa vier Wochen später als an den Abhängen bei Uesen. *) Nomada dallatorreana Schmiedkn. ist un Art und nicht identisch mit Nomada olympica Schmiedkn. 259 Nomada mutabilis Mor. Sehr selten. Am 24. 6. 00 ein 2 an den Abhängen bei Uesen auf Hieracium pilosella L. — Bei Freissenbüttel schmarotzt die Art bei Anthrena chrysopyga Schenck. Diese Erdbiene sah ich an den Abhängen nicht. Nomada ferruginata K. Am 24. 5. 00 und 6. 6. 00 je ein 2 an den Abhängen bei Uesen auf Hieracium pilosella L. Schmarotzer von Anthrena humilis Imh. Nomada cinnabarina Mor. Sehr selten. Am 6. 6. 00 drei 2 an den Abhängen bei Uesen, ein 2 auf Ranunculus repens L. Ein weiteres $ erbeutete ich am 24. 6. 00 an derselben Stelle. Alle vier 2 gehören der Stammform an. Februar 1901. XV, art Botanische Miscellen. Von Franz Buchenau. ik Abnorme Zerteilung der Kronblätter. Am 1. Juni 1873 fand ich auf einem Kornfelde zu Oberneuland bei Bremen ein Exemplar von Papaver Argemone (zwischen sehr vielen, völlig normalen), welches mir durch die tief vierteiligen Kron- blätter einer geöffneten Blüte sehr auffiel. Jedes Kronblatt war auf V Figur 1. Figur 2. sehr regelmässige Weise in vier linealische Zipfel geteilt. Der Umriss des ganzen Kronblattes war breit rhombisch, so dass die beiden äussersten Linien am Grunde einen Winkel von 90° und mehr bildeten. Der mittlere Einschnitt ging nicht ganz so tief hinunter als die beiden seitlichen. Die vier Kronblätter dieser einen Blüte waren ganz gleich gebaut, während auffälliger Weise die Kronblätter aller Knospen derselben Pflanze normalen Umriss zeigten. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass die fragliche Blüte zum Ausgangspunkte einer schlitzblätterigen Rasse hätte werden können, wenn ein intelligenter Gärtner die in ihrem Fruchtknoten gebildeten Samen in Pflege genommen hätte. Von den obigen Figuren stellt die erste ein Kronblatt der abnormen Blüte, die zweite ein normales Kronblatt von einer be- nachbarten Pflanze dar. I. Stockwerkbildung. Rückschreitende Metamorphose. In dem feuchten Gehölze von Wollah auf der Lesumer Geest bei Bremen beobachtete ich am 7. April 1863 ein durch Etagen- bildung am Blütenstande höchst auffallendes Exemplar von Primula elatior. Der erste diesjährige Blütenstengel trug zwei Blütenstände über einander. Der untere Blütenstand stand in der Höhe der nor- malen Dolden der sekundären Stengel; er bestand aus vier Blüten. Zwischen ihnen entsprang der Stiel der oberen Dolde (des zweiten Stockwerkes), welcher so entwickelt war, dass er seine sieben Blüten völlig über den unteren Blütenkreis hinaushob. — Die Bildungs- abweichung stellte also eine sichtliche Annäherung an die Stock- werkbildung dar, wie sie bei einigen Primeln aus den Hochgebirgen Asiens normal ist. Der Blütenstengel war aber noch dadurch ausgezeichnet, dass die Deckblätter der Blüten der unteren Etage teilweise abnorme Bildung zeigten. Dasjenige der untersten Blüte war völlig wie ein kleines Laubblatt gebaut; die der beiden folgenden Blüten stellten Mittelbildungen dar. Erst dasjenige der vierten Blüte war ein eiförmiges Deckblatt mit lang vorgezogener pfriemenförmiger Spitze. Über die Herstellung von Naturschutzgebieten in Deutschland. Vorbemerkung. Im Mai 1900 ersuchte Sr. Excellenz, der preussische Herr Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten, Freiherr von Hammerstein, den Vorstand unseres Vereines um ein Gutachten be- treffend der von dem Landtags- Abgeordneten Wetekamp angeregten Erhaltung von Naturdenkmälern. Der Vorstand glaubte im Interesse der Sache diesem Ersuchen freudig entsprechen zu sollen und be- auftragte den Vorsitzenden mit der Abfassung eines Berichtes. Das _ Schreiben ist dann unterm 15. Juni nach Berlin abgegangen. — Bei der Wichtigkeit der Sache und dem allgemeinen Interesse, welches der Gegenstand auch im Kreise unserer Mitglieder erwecken wird, teilen wir die betreffenden Schriftstücke hierunter mit. Gleich- zeitig wurde auch unser Vorstandsmitglied, Herr Dr. C. Weber, Botaniker der Moor-Versuchsstation, von dem Herrn Minister zur Erstattung eines Gutachtens aufgefordert. Herr Dr. Weber hat die Güte gehabt, uns auch den wesentlichen Inhalt seiner Arbeit, welche naturgemäss mehr auf die technische Seite der Frage eingeht, zur Verfügung zu stellen. Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten. Geschäfts-Nr. I. A 755 Berlin, den 14. Mai 1900. ID, 21187) IIl. 5259 An den Vorstand des naturwissenschaftlichen Vereins z. H. des Herrn Prof. Dr. Buchenau Hochwohlgeboren zu Bremen. Eine Anregung des Abgeordneten, Oberlehrer Wetekamp, über dessen Gedanken der geehrte Vorstand aus der Anlage sich ge- fälligsst unterrichten wolle, hat den beteiligten staatlichen Behörden Veranlassung zur Erörterung der Frage gegeben, durch welche Massnahmen die durch die fortschreitende wirtschaftliche Nutzung 258 der Erdoberfläche in ihrem Bestande gefährdeten, besonders charakteristischen Erscheinungen auf dem Gebiete der Tier- und Pflanzenwelt sowie in der natürlichen Oberflächengestalt der Erde der Nachwelt erhalten werden können. Derartige „Naturdenkmäler“ sind unter anderem auch die Moore und Heiden, deren natürliches Gepräge durch die sich immer weiter ausdehnende Bodenkultur ganz verloren zu gehen droht. Es kann in Frage kommen, typische Repräsentanten dieser eigentümlichen Boden- und Vegetationsform der Kultivierung völlig zu entziehen und durch geeignete Massregeln zu verhüten, dass sie unter den Einflüssen der Kultivierung ihrer nächsten Umgebung allmählich den ursprünglichen Charakter verlieren. Die beregten Probleme dürften nicht ausserhalb der Bahnen liegen, die die Forscherthätigkeit hervorragender Mitglieder des naturwissenschaftlichen Vereins seit langer Zeit verfolgt. Eine Aeusserung des geehrten Vorstandes über die ihm zweckmässig er- scheinenden staatlichen Massnahmen würde mir daher von grossem Wert sein. Ich bemerke noch, dass ich den Botaniker der Moor-Versuchs- Station, Herrn Dr. Weber, beauftragt habe, in derselben Angelegen- heit ein Gutachten zu erstatten. Hammerstein. Anlage 1. Rede des Abgeordneten Oberlehrer Wetekamp im preussischen Abgeordnetenhause am 30. März 1898. Meine Herren! Ich weiss, dass es bei der dritten Lesung nichi gern gesehen wird, wenn noch Reden gehalten werden, aber ich ' denke, dass die Herren mir einige Nachsicht gewähren, wenn ich Ihnen sage, dass die Sache, welche ich vorzubringen gedenke, bereits dreimal zurückgestellt ist im Hinblick auf die beschränkte Zeit, und dass ich ausserdem in dem Wunsch, den ich vorzubringen habe, übereinstimme mit Mitgliedern der sämtlichen Parteien dieses Hohen Hauses. Meine Herren! In dem Etat der Unterrichtsverwaltung sind eine ganze Anzahl Posten eingesetzt für Erhaltung botanischer Gärten, die uns die Flora des Auslandes vorführen, für Museen, welche die Naturprodukte aller Länder und Zonen dem Studium zugänglich machen sollen. Es sind ferner Mittel eingesetzt, um die Denkmäler der Kunst und Entwickelungsgeschichte der Menschheit uns zu erhalten. Aber eins fehlt uns noch: es fehlen uns Ein- richtungen und Mittel, um die Denkmäler der Entwickelungs- geschichte der Natur uns zu erhalten, und doch ist hier in der That eine grosse Gefahr vorhanden, die Gefahr, dass wir mit Riesen- schritten einem Zustande entgegengehen, den ein bedeutender Natur- forscher mit folgenden Worten charakterisierte: Der zivilisierte Teil der Menschheit wird alsbald mit Schaudern die Monotonie gewahr werden, welche sie nicht nur 259 bedroht, sondern bei welcher sie schon jetzt angelangt ist. Roggen, Weizen, Hafer, Gerste, der Abwechselung zu Liebe auch umgekehrt: Gerste, Hafer, Weizen, Roggen — sehen Sie, das wäre die Flora der Zukunft. Und das Tierreich? Haushühner, Truthühner, Tauben, Gänse, Enten, dann Rind, Pferd, Esel — die übrigen als Reliquien in den Museen ausgestopft. Meine Herren! Diese Schilderung mag manchem vielleicht etwas übertrieben scheinen, und doch wird jeder, der wie ich in jedem Jahre eine Exkursion in unserem Vaterlande behufs geographisch- naturwissenschaftlicher Studien macht, merken, wie sehr die Natur bei uns im Schwinden begriffen ist, durch die vom volkswirtschaft- lichen Standpunkt aus durchaus wünschenswerten Meliorationen. Aber die Ausdehnung der Bodenkultur bedarf doch, glaube ich, einer gewissen Einschränkung. Wir dürfen sie nicht soweit kommen lassen, dass die Natur vollständig vernichtet wird. Es handelt sich nicht allein um die Pflanzendecke; denn mit dem Schwinden der Pflanzendecke ist zugleich auch ein Schwinden der Tierwelt ver- bunden. Wie rasch ein solches Schwinden stattfinden kann, haben uns die Verhältnisse auf Neuseeland gezeigt, wo durch die Kultur die sehr üppige einheimische Flora bereits vollständig verdrängt _ worden ist, und bezüglich der Tierwelt brauche ich bloss an einzelne grosse Tiere zu erinnern: der Auerochse ist bei uns vollständig verschwunden, das Wisent wird nur an einigen Stellen gehütet. Ich will auf diese Frage des Schwindens der Tierwelt nicht näher eingehen; ich will nur noch als Beispiel erwähnen, dass wir, abgesehen von einem Punkte an der Rhone, in Deutschland nur den einzigen Ort in Europa haben, wo der früher fast über ganz Europa verbreitete Biber noch vorhanden ist, das ist an der Elbe; aber auch da ist ein starkes Schwinden zu bemerken. So waren z. B. nach den Untersuchungen von Dr. Friedrich im Jahre 1890 an der mittleren Elbe noch 126 Baue mit 200 Bibern, während 1893 nur noch 108 Baue mit 160 Bibern vorhanden waren. Also wenn nicht bald etwas geschieht, wird dieses interessante Tier vom deutschen Boden vollständig verschwinden. Wie gesagt, ich will auf die Frage im einzelnen nicht ein- gehen: die Herren, die sich dafür interessieren, verweise ich auf einen Artikel in der vorzüglichen naturwissenschaftlichtechnischen Zeitschrift „Prometheus“, in der Professor Sajö eine ausgezeichnete Abhandlung gerade über das Aussterben der Tiere veröffentlicht hat. Es kommt also darauf an, einen Teil unseres Vaterlandes in der ursprünglichen, naturwüchsigen Form zu erhalten, und da handelt es sich nicht allein um die Erhaltung der Pflanzenwelt und der Tierwelt, sondern auch im geographischen und geologischen Interesse um die Erhaltung gewisser Teile der Erdoberfläche im natürlichen Zustande, und wenn nicht unwiederbringliche Verluste, besonders auch für die Wissenschaft, eintreten sollen, wird es nötig sein, recht bald in der angegebenen Richtung vorzugehen. Einzelnes ist ja schon in dieser Beziehung geschehen. Das Jagdschutzgesetz, das Fischereischutzgesetz u. s. w. gehen alle in derselben Richtung. 260 Man sieht, dass, wenn nicht künstlicher Schutz eintritt, es nicht möglich sein wird, unsere Tierwelt zu erhalten. Auch das Gesetz, dass uns im vorigen Jahre vorlag, über den Schutz des Elehwildes bewegt sich in derselben Richtung. Ferner erinnere ich an den Antrag des Herrn Grafen v. Tschirschky-Renard, dessen vorgestern mit so warmen Worten vom Herrn Kollegen Kelch gedacht wurde, einen Antrag, der zwar nicht zur Annahme kam, dessen Grundgedanke aber von allen Parteien sehr freundlich aufgenommen wurde. Aber alle diese Mittel sind doch nur klein und unzureichend. Wenn etwas wirklich Gutes geschaffen werden soll, so wird nichts übrig bleiben, als gewisse Gebiete unseres Vaterlandes zu reservieren, ich möchte den Ausdruck gebrauchen: in „Staatsparks“ umzuwandeln, allerdings nicht in Parks in dem Sinne, wie wir sie jetzt haben, das heisst einer künstlichen Nachahmung der Natur durch gärtnerische Anlagen, sondern um Gebiete, deren Hauptcharakteristikum ist, dass sie unantastbar sind. Dadurch ist es möglich, solche Gebiete, welche noch im natürlichen Zustande sind, in diesem Zustande zu erhalten, oder auch in anderen Fällen den Naturzustand einigermassen wieder herzustellen. Und zwar handelt es sich hier nicht allein um Wald- gebiete, sondern auch um andere Bodenformen, wie Moore, Heiden u. Ss. w. Diese Gebiete sollen einmal dazu dienen, gewisse Boden- und Landschaftstypen zu erhalten, andererseits der Flora und Fauna Zufluchtsorte zu gewähren, in denen sie sich halten können. Der- artige Gebiete haben wir bei uns in Deutschland noch nicht, dagegen ist uns darin Nordamerika, das uns sonst mit seinem Materialismus so gern als abschreckendes Beispiel hingestellt wird, in ausserordentlich nachahmungswerter Weise vorangegangen. Ich erinnere daran, dass von den 5 „National Parks“, wie man sie dort nennt, der grösste, . der Yellowstonepark, ungefähr die Grösse der Hälfte von Westfalen hat, der Yosemitepark ungefähr die Grösse von Braunschweig und der dritte, der Sequoiapark, der zur Erhaltung der Mammutbäume dient, ungefähr die Grösse des Hamburger Staatsgebiets hat. Alle diese 3 grössten von den 5 Nationalparks haben zusammen eine Grösse wie das Königreich Sachsen. Nun ist ja bei uns nicht daran zu denken, dass wir derartige grosse Gebiete reservieren können, aber ich glaube, einige Quadratkilometer werden wir doch an ver- schiedenen Stellen des Landes reservieren können, und das wird um so leichter sein, als alle die Gebiete, auf die es hier ankommt, ja zu den weniger ertragreichen gehören; denn das ertragreiche Gebiet ist ja schon durchaus in Kultur genommen. Ich will nicht, wie es der Herr Graf von Tschirsky-Renard gethau hat, einen bestimmten Antrax stellen, weil ich glaube, dass es wichtig ist, die Frage erst gründlich vorher zu erörtern. Ich möchte daher nur die Bitte an die Staatsregierung richten, die Frage der Schaffung solcher unantastbaren Gebiete zu erwägen und vielleicht in Verbindung mit den Vertretern der Domänen und Forstverwaltung, unter deren Ressort ja materiell diese Frage fällt, eine Kommission von Fachleuten: Geographen, Geologen, Biologen einzusetzen, die eingehend die Frage erörtert. Auf Grund der eingehenden Studien 261 einer solehen Kommission könnte dann vielleicht dem Landtage eine Vorlage gemacht werden, von der ich hoffe, dass sie allgemeine Zustimmung finden wird. Ich zweifle nicht, dass wir dann einmal das erfreuliche Schauspiel haben, dass sämtliche Parteien des Hauses einer Vorlage der Regierung zustimmen. Naturwissenschaftlicher Verein. Bremen, 15. Juni 1900. An Seine Excellenz den Staatsminister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten Herrn Freiherrn von Hammerstein Berlin. Ew. Excellenz sprechen wir für die hochgeneigte Zuschrift vom Geschäfts-Nr. 14. Mai d J. unsern ergebensten Dank aus, da uns I. A. 735 dieselbe Gelegenheit giebt, zu dem von dem Landtags- 16 1 Sul Abgeordneten Wetekamp angeregten Gegenstande | III. 5259 Stellung zu nehmen. Wir glauben unseren Anschauungen in folgender Gliederung am besten Ausdruck geben zu können: ; 1. Dem Grundgedanken, die für unser Vaterland charakteristi- schen „Naturdenkmäler“ in genügend grossen und zweckmässig be- grenzten Proben und Bezirken zu erhalten und der Nachwelt zu überliefern, stimmen wir auf das Wärmste zu. Ihre Erhaltung wird für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung gleich wichtig sein, während durch ihr Verschwinden die Oberfläche des Landes mehr und mehr veröden würde. 2. Die fraglichen Objekte sind thunlichst in das Eigentum des Staates zu bringen. Die Regierung muss ferner durch Gesetz er- mächtigt werden, auch solche im Privatbesitz bleibende Objekte vor Zerstörung oder tiefgreifenden Veränderungen zu schützen. 3. Ihre Beaufsichtigsung und Verwaltung ist am zweckmässigsten den Forstbehörden, unter Oberleitung einer eigenen Ministerial- Kommission, zu übertragen. Diese Kommission ist aus Verwaltungs- Beamten und Männern der Wissenschaft zusammenzusetzen. 4. Aus dem speziellen Gebiete, dessen Durchforschung unser Verein sich zur Aufgabe gestellt hat, nennen wir beispielsweise folgende Objekte, deren Erhaltung dringend wünschenswert erscheint: a) Kleine, abgeschlossene Hochmoore (Stücke grosser Moore verlieren durch die Entwässerung und Kultivierung des umgebenden Moores unabwendlich ihren Charakter). b) Proben von Heideflächen mit Sand- oder Lehmboden (Calluna- Heiden) und der Steinheiden (Aretostaphylos-Heiden). Solche Flächen sind namentlich in der Umgebung und an den Abhängen so hervor- ragenden Punkte, wie der 171 m hohe Wilseder Berg oder der Falkenberg bei Fallingbostel sind, zu wählen. c) Proben der altdeutschen Wälder. Wir nennen beispiels- weise die Lieth bei Fallingbostel (das „Paradies der Heide*) und den Kern des Bremer Waldes bei Axstedt (4,2 ha gross, Nr. 104b 262 der Forstkarten), in welchem allein im ganzen deutschen Nordwesten die Flatterulme sich erhalten hat. — Wir bemerken hierbei, dass durch die erhabene Initiative Sr. Königlichen Hoheit des jüngst ver- storbenen Grossherzogs von Oldenburg bereits einige Waldstrecken im Häsbruch, sowie bei Varel (der vom Volke sogen. Neuenburger Urwald) in soleher Weise geschützt werden. Aber dieses hoch zu schätzende persönliche Vorgehen verlangt Garantie der Dauer durch Gesetz und Verordnung. d) Steilufer der Flüsse. Sie sind fast überall Plätze besonders reichen Tier- und Pflanzenlebens.. Proben von ihnen sind vor der Terrassierung und Begrasung durch die Wasserbaubehörden sowie vor der Zerstörung durch Gartenanlagen und Villen zu schützen. e) Proben der ausserordentlich pflanzenreichen Dünenthäler der ostfriesischen Inseln. Als besonders schöne und charakteristische nennen wir: das grosse Thal der Bill auf Juist und die Melkhören auf Langeoog. f) Geeignete Landseen und Bachstrecken. g) Hünengräber, Opfersteine und verwandte Steindenkmäler (dieselben unterstehen im Oldenburgischen bereits den Forstbehörden). h) Altdeutsche Ringwälle und Landwehren. Zu weiterer Auskunft erklären wir uns jederzeit gerne bereit. Endlich bemerken wir noch, dass Herr Dr. C. Weber, der Botaniker der Moor-Versuchsstation und Vorstandsmitglied unseres Vereines, zwar sachlich mit unserer Auffassung einverstanden ist, dass er aber einen besonderen Bericht auf dem regelmässigen Instanzenwege erstatten wird. Hochachtungsvoll der Vorstand des Naturwissenschaftlichen Vereins. Vorsitzender: Schriftführer: Buchenau. Herst. Über die Erhaltung von Mooren und Heiden Norddeutschlands im Naturzustande, sowie über die Wiederherstellung von Naturwäldern. Von Dr. C. A. Weber. Mit Abbildung. Einer Anregung folgend, die vor einiger Zeit im preussischen Abgeordnetenhause gegeben wurde, hat das preussische Landwirt- schaftsministerium von einer Reihe von Naturforschern und natur- wissenschaftlichen Vereinen Gutachten darüber eingefordert, in welcher “Weise Tiere und Pflanzen sowie physiognomisch interessante Vegetationen, deren Bestehen durch die wachsende Ausdehnung der Städte, die vernichtende Wirkung der Industrie, das sich beständig verengende Netz der Eisenbahnen, die Kanalisierung der Ströme und die land- und forstwirtschaftlichen Meliorationen bedroht ist, kommenden Geschlechtern stellenweise erhalten bleiben können. Auch an mich ist die Aufforderung ergangen, mich in einem Gutachten namentlich über die Massnahmen zur Erhaltung norddeutscher Moore und Heiden oder ähnlicher landschaftlicher Bildungen in ihrem Naturzustande zu äussern. Auf Wunsch der Redaktion dieser Schriften teile ich hier das Gutachten mit unwesentlichen, meist formalen Anderungen und einigen geringfügigen Erweiterungen mit. Ganz neu ist nur die beigegebene Abbildung und ihre Erläuterung in dem Anhange. I Es handelt sich beı den Moor- und Heidelandschaften im wesentlichen um Gruppen von Pflanzenvereinen, und es ist für den Zweck ihrer Erhaltung besonders darauf aufmerksam zu machen, dass die meisten natürlichen Pflanzenvereine, zumal des Tieflandes, auch ohne menschliches Zuthun von selbst an demselben Orte eine Umwandlung erfahren. So verwandeln sich die Wasserpflanzenvereine dadurch, das sie mit ihren vertorfenden Resten das Gewässer, in dem sie leben, ausfüllen, im Laufe der Zeit in Sumpfpflanzenvereine, diese wieder, indem sie die Ausfüllung des Gewässers vollenden, in einen Bruchwald, und der Bruchwald dadurch, dass er den Boden endlich soweit über das fruchtbare Grundwasser erhöht, dass die 264 Bäume nicht mehr ausreichend ernährt werden, in ein Torfmoosmoor. Der offene See mit seiner eigentümlichen Vegetation, der Sumpf und der Bruchwald, sie alle sind Phasen einer Entwicklung, die mit dem Moosmoore endet, wenn das Klima und die örtlichen Wasser- standsverhältnisse unverändert bleiben. Die einzelnen Phasen können nach den besonderen örtlichen Verhältnissen oft recht lange Zeiten andauern, erreichen aber doch, wenn die Natur frei und unbegrenzt schaltet, an einem gegebenen Orte einmal ihr Ende. Sie können nur durch Eingriffe des Menschen auf unbegrenzte Zeit daselbst fixiert werden, oder man kann durch solche Eingriffe auch wohl ältere Phasen regenerieren. Dies ist neuerdings z. B. bei Mölln, in der Um- gebung Berlins und an anderen Orten geschehen, indem man aus Thal- kesseln, die bereits in die Phase der Hochmoorbildung eingetreten waren, das Moor teilweise oder ganz entfernte, um durch Wieder- herstellung des ehemaligen Sees die Landschaft zu verschönen.*) Dennoch können derartige Eingriffe durch geschickte Auswahl der Moorlandschaft, die dem gewünschten Zwecke dienen soll, ver- mieden werden. Um dies darzulegen, wird es zweckmässig sein, das Bild einer typischen Moorlandschaft, d. h. einer solehen, die sämtliche Phasen nebeneinander erkennen lässt, in einigen grossen Umrissen zu zeichnen. Auf einer gewissen Entwicklungsstufe einer solchen Land- schaft erblicken wir in der Mitte des Bildes, das sich vor unseren Blicken entrollt, einen See. Nähern wir uns von der Mitte her seinem Ufer, so begegnen uns erst vereinzelt, dann immer zahlreicher Seerosen und flutende Laichkräuter. Näher dem Ufer tauchen grosse, inselartige Horden von Schilfrohr, Simsen und Rohrkoben auf, und zuletzt treffen wir ein weites Rohrfeld, das landeinwärts, in Schwingrasen und dann in Bruchwald oder auch unmittelbar in letztern übergeht. Dem Walde, der zunächst hauptsächlich aus Erlen besteht, mischen sich in den höheren Teilen des Geländes Eichen, Föhren, Fichten, Hainbuchen, Haseln nebst anderen Bäumen und Sträuchern bei. Stellenweise aber bemerken wir näher den Rändern des mineralischen Höhenbodens, dass der Wald im Rück- gange begriffen ist, die Bäume hier und da kränkeln und absterben. Zwischen ihnen erscheinen massenweise die Polster verschiedener Moose; Wollgräser und gewisse Seggenarten drängen sich in Menge dazwischen, und wenige Schritte weiter betreten wir einen zusammen- hangenden, leicht gewölbten und schwammig-sumpfigen Torfmoos- hügel, der die Reste des Waldes unter sich begraben hat: wir sind aus dem Gebiete der Niederungsmoorbildung in das der Hochmoor- bildung gelangt. Jenseits der letztern, auf dem trockenen Hange des Mineralbodens, und jenseits eines schmalen, niederungsmoorartigen, *), Es ist vielleicht nicht überflüssig darauf aufmerksam zu machen, dass die erste oder die beiden ersten Phasen bei vielen unserer Moore fehlen und auch die dritte recht häufig nur in ihren späteren Stadien vorhanden ist. Vergl. meinen Vortrag „Über die Moore“ etc. im Jahresbericht der Männer vom Morgenstern, Heimatbund an Elb- und Wesermündung. Heft 3, 1900. 265 nassen Saumes, der dort das Hochmoor umrahmt, beginnt der Wald der Höhen, je nach den Bodenverhältnissen entweder überwiegend Nadel- oder überwiegend Laubwald. Alle Moorbildungen, die wir in diesen Landschaften antreffen, sind nun in einer gewissen Bewegung begriffen. Das Hochmoor ist zwar stationär, aber breitet sich immer weiter an seinen Rändern aus, wobei einerseits der Wald der Höhen, andrerseits der Bruch- wald schwindet. Letzterer rückt aber beständig weiter gegen den Schwingrasen oder das Röhricht vor, und diese selbst wieder schieben sich immer weiter in den See hinein. Ist der See nur klein, so wird seine offene Wasserfläche bald völlig von ihnen bedeckt, und das endliche Schicksal der ganzen Landschaft ist die gleichförmige Bedeckung durch das Hochmoor. Je grösser und tiefer aber der See ist, um so ferner rückt die Zeit, in der dieser Abschluss erreicht wird. Will man daher eine derartige Moorlandschaft auf Jahrhunderte hinaus so erhalten, dass alle ihre Entwicklungsphasen mit den ent- sprechenden Moorbildungen dem Beschauer entgegentreten, so ist es geboten, sie an einem grössern und tiefern See zu wählen. Wepn ich nun aber eine bestimmte Landschaft zur dauernden - Erhaltung nennen soll, so befinde ich mich in einiger Verlegenheit, weil es in unserm Lande wohl kaum eine giebt, in die nicht irgendwie der Mensch störend eingegriffen hätte. Es ist in erster Linie der Bruchwald, der unter diesem Eingriffe gelitten hat, indem man ihn niederlegte, um Wiesen und Weiden für die Haustiere zu schaffen. Freilich waren auch in dem ehemaligen Bruchwalde diesen entsprechende Grasfluren wenigstens vorübergehend auf Blössen vor- handen, die durch Windbruch oder Hochflut geschaffen waren, und wo das Wild, das in der fernen Urzeit in grossen Scharen vor- handen war, seine Asungs- und Lagerplätze gewählt hatte. Aber sie spielten doch in jener Zeit im ganzen nur eine höchst unter- geordnete Rolle. Durch die Entwässerungsanlagen, mit denen man das Moorgebiet versah, wurde gewöhnlich auch die ursprüngliche : Vegetation des Hochmoores vernichtet, und es selber, wenn es nicht allzu ausgedehnt war, in Weide verwandelt oder, bevor dies geschah, zur Torfgewinnung abgegraben. Indessen lehrt die Erfahrung, dass sich nirgends leichter als auf dem in Rede stehenden Teile des Moorgebietes der natürliche Zustand wieder herstellen liesse. Denn überall, wo man aufhört, auf dem Moorboden die Wiesen zu mähen und die Gräben auszu- räumen, stellt sich früher oder später von selbst wieder Gebüsch der Erlen ein und wächst gemäss der raschen Entwickelung dieser Holzart in wenigen Jahrzehnten zu einem geschlossenen Bruchwalde heran, und auch die Wiederentstehung des Hochmoores ist nach einer gewissen Zeit sicher. Man brauchte also eine, in der an- gegebenen Weise verstümmelte Moorlandschaft nicht für den be- absichtigten Zweck zu verwerfen, wofern sie sonst nur den An- forderungen genügt. Die Wiederherstellung des ursprünglichen Zu- standes liesse sich aber am leichtesten in den grossen königlichen 266 Forsten des masurischen Seengebietes oder eines andren Abschnittes des an Seen reichen baltischen Höhenzuges, der sich von der Ucker- mark durch Pommern und Preussen zieht, erreichen. Es findet sich dort eine so grosse Zahl von solchen Moorlandschaften, bei denen die jetzigen Verhältnisse von dem reinen Naturzustande nur unbe- deutend abweichen, dass es nicht nötig erscheint, sie einzeln auf- zuzählen. Nur als Prototyp möchte ich den Grimnitzsee mit seiner Umgebung in der Königlichen Oberförsterei Glambeck nennen. Bei der endgiltigen Auswahl ist besonders darauf Rücksicht zu nehmen, dass die Wasserverhältnisse des ganzen Moorgebietes durch Meliorationsarbeiten, die in benachbarten Gebieten ausgeführt werden, nicht in Mitleidenschaft gezogen werden können, oder es müsste durch geeignete Vorkehrungen dafür gesorgt werden, dass der all- gemeine Grundwasserstand des Naturschutzgebietes in seiner Höhe erhalten bliebe. Es ist dies eine der wichtigsten Anforderungen: sie muss unbedingt erfüllt sein, wenn die Moorbildungen nicht in empfind- lichster Weise gestört oder gar gänzlich unterbrochen werden sollen. Eine derartige, mehrere Quadratkilometer umfassende Land- schaft der Kultur zu entziehen, würde dem in Rede stehenden Zwecke am meisten entsprechen. Aber es dürfte sich auch dazu empfehlen, hier und da Moorbezirke, die nur einzelne der charakteristischen Züge des Gesamtbildes darstellen, ebenfalls in ihrem natürlichen Zustande zu erhalten. Beispielsweise würde es von Wert sein, einen passend gelegenen Teil des prächtigen alten, fast als urwüchsig zu bezeichnenden Erlen- hochwaldes, der sich in der Königlichen Oberförsterei Nemonien an der Worgel und Szubbel ausbreitet, von den Schlagen und der Durchforstung auszuschliessen. Von kleineren Hochmooren, die ganz _ in fiskalischen Forsten liegen, hier und da die Kultur abzuhalten dürfte nicht schwer halten, ohne dadurch grosse pekuniäre Verluste für die Forstkasse besorgen zu müssen. Derartige Hochmoore finden sich beispielsweise in den Königlichen Oberförstereien Roten- burg, Grunewald, Glambeck, Rotemühl, bei Czersk, Insterburg u. a. O. In der Königl. Oberförsterei Medingen sind mir beginnende Hochmoor- bildungen bekannt, die vorläufig nur wenige Are umfassen, aber wenn man sie sich ungehemmt entwickeln lassen wollte, ungemein lehrreich zu werden versprechen, und es wäre als besonders verdienst- voll zu begrüssen, wenn man sie nicht der regelrechten Forstwirtschaft zu Liebe stören wollte. Aber auch einzelne grössere Hochmoore würden zweckmässig, so weit sie noch intakt sind, von der Kultivierung auszuschliessen sein, zumal als sie manche merkwürdige Erscheinungen zeigen, die wir auf kleineren Hochmooren vergeblich suchen. Als geeignet für diesen Zweck würde sich zunächst das Bredszuller Moor in der Königlichen Oberförsterei Ibenhorst darbieten. Das Gebiet dieser Oberförsterei enthält überdies noch schöne Erlenbestände und zeigt in dem Delta des Skirwiethstromes, z. B. auf dem Helenenwerder, ein solches Bild urwüchsiger Sumpf- und Ufervegetation, wie man es schwerlich charakteristischer, urwüchsiger irgendwo in Nord- 267 deutschland finden wird. Dieses ganze, vielleicht passend zu er- weiternde und abzurundende Areal als Naturschutzbezirk zu er- klären, würde sich schon mit Rücksicht auf den hier vorhandenen Elehbestand empfehlen. Einen andern erhaltenswerten Hochmoor-Typus bietet das Zehlauer Moosbruch in der Königlichen Oberförsterei Gauleden dar, nämlich ein mit Krüppelföhren in ähnlicher Weise wie die „Filze“ des Böhmerwaldes und der Alpen ganz bedecktes Moosmoor. Weitaus schwieriger wird es sein, in Nordwest-Deutschland ein geeignetes grosses Hochmoor in seinem ursprünglichen Zustande auf die Dauer zu erhalten; und doch wäre das wegen der von den bisher genannten so stark abweichenden Vegetation im hohen Masse zu wünschen. Als am meisten geeignetes Object empfiehlt sich das Ahlenmoor in der Königlichen Oberförsterei Bederkesa mit seinen überaus merkwürdigen Uferbildungen am Dahlemer. (Siehe die Ab- bildung Taf. III.) Vielleicht ist zu hoffen, dass sich beim konsequenten Fernhalten von Kulturmassregeln die wenigen Kraniche, die auf diesem Moore noch leben, erhalten lassen. Nach ihnen führt dieses Moor bei den Umwohnenden den Namen Kroonenmoor; vermutlich waren die Kraniche hier früher reichlicher vorhanden.“) Einige auf dem Ahlenmoore fehlende oder bereits vernichtete Pflanzen, die ehemals in Nordwestdeutschland häufig und allgemein verbreitet waren, jetzt aber dem raschen Untergange verfallen sind, wie die Scheuchzerie (Scheuchzeria palustris), die fadenwurzelige und die Schlammsegge (Carex chordorrhiza, C. limosa) u. a. m. könnten nebst manchen anderen Hochmoorpflanzen unbeschadet der Urwüchsig- keit des Moores an geeigneten, von sachkundiger Seite auszuwählenden Stellen desselben angepflanzt werden. Ich bin überhaupt der Ansicht, dass man in die Naturschutzgebiete soviel als möglich alle diejenigen Pflanzen (wie die der Erhaltung werten Tiere) hineinretten sollte, deren vollständige Vernichtung durch die Kultur zu befürchten ist. Als Beispiel eines Gebirgshochmoores, das der Erhaltung wert wäre, würde das Hochmoor am Ursprunge der Ecker in der König- liehen Oberförsterei Torfhaus am Brocken zu nennen sein. Es ver- dient schon wegen seines Bestandes der Zwerg- oder Polarbirke (Betula nana) nach Kräften geschützt zu werden. Auch im Riesengebirge finden sich Hochmoore, die mir aber nicht aus eigener Anschauung bekannt sind. Wie mir mitgeteilt ist, sind viele derselben bereits durch Entwässerung und Aufforstung in den letzten Jahren vernichtet worden. Die Massregel, durch welche alle diese Hochmoore im Natur- zustande erhalten werden können, besteht einfach in der Vermeidung *), Die Bezeichnung Ahlenmoor ist sehr jungen Ursprungs, erst durch die Aufnahme der betreffenden Messtischkartenblätter veranlasst. Es wäre doch auch eine der Beachtung werte Sache, die alten niedersächsischen Örts- und Flurnamen bei diesen Aufnahmen sorgfältiger, als es bisher geschehen ist, zu erhalten und vor allem die sinnlosen, ohne das geringste Verständnis der niedersächsischen Mundart aus- geführten Übertragungen in das Hochdeutsche zu vermeiden. 268 jeder Entwässerung und jeder Torfgräberei. Denn sobald das auf- fallende Regenwasser von der Bodenoberfläche eines Hochmoores durch derartige Einrichtungen rasch abgeleitet wird, geht das Torfmoos nach dem Ausmasse der Ableitung entweder ganz zu Grunde oder führt nur ein kümmerliches Dasein, und manche anderen Hochmoorpflanzen verschwinden ebenfalls. Im nordwest- deutschen Tieflande haben bereits alle noch vorhandenen Torfmoos- bestände unter dem Einflusse der Entwässerung des grössern Teiles der Moore, auf denen sie vorkommen, stark gelitten, und ihr völliger Untergang, der sich unter den jetzigen Verhältnissen nach meinen Beobachtungen dieser Bestände mit Sicherheit in längstens etwa 20 Jahren voraussagen lässt, wird nur dann verhindert werden können, wenn die bereits überall auf ihnen eingerichteten Ent- wässerungseinrichtungen nebst denen eines nicht zu eng zu be- messenden Umkreises unwirksam gemacht werden. Dabei wird man, sofern es sich um sehr grosse Hochmoore handelt, nur dafür Sorge zu tragen haben, dass benachbarte Ländereien nicht von dem Hochmoore her stärker versumpft werden, als gegenwärtig der Fall ist. Dagegen wird es sich für den beabsichtigten Zweck empfehlen, wenigstens streckenweise einen Teil des angrenzenden Waldes, z. B. am Rande des Zehlauer Moosbruches preiszugeben, um die Wirkung des Moosmoores auf diesen zu zeigen. Schonungsbedürftig sind auf den in Vorschlag gebrachten Hoch- mooren, besonders die Teiche oder Seen und die, auf dem Hoch- moore ihren Ursprung nehmenden Bäche, die Rüllen (littauisch: Upit und Szoge). Leider sind auf den nordwestdeutschen Hochmooren die grössten der so überaus merkwürdigen Seen in den letzten Jahrzehnten durch Ablassung vollständig beseitigt, und auch von den Rüllen mit ihrer eigenartigen Vegetation finden sich hier nur’ noch ganz dürftige, auf das äusserste gefährdete Reste; die meisten sind durch künstliche Vertiefung und Begradung des Bachlaufes zerstört. — Es lässt sich leider nicht in Abrede stellen, dass Forscher, welche sich mit den zahlreichen Fragen beschäftigen, die besonders die Hochmoore stellen, sich schon jetzt in dem nordwest- - deutschen Tieflande, einem der moorreichsten Länder der Erde, ver- geblich um deren Lösung bemühen. In wenigen Jahren wird dies überhaupt auf deutschem Boden nicht mehr möglich sein bei der Hast, mit der man bemüht ist, die letzte Spur der Natur auf diesen interessanten Bildungen der Nützlichkeit zu opfern! Speziellere Vorschläge über die Art und Weise, wie dieses oder jenes Hoch- oder Niederungsmoor in seinem natürlichen Zu- stande zu erhalten wäre, würden nur auf Grund einer erneuten und eingehenden Untersuchung möglich sein, wobei die besonderen Daseinsbedingungen einer jeden Moorformation sorgfältig ins Auge zu fassen wären. Den bisher erwähnten Moorformen und Moorlandschaften ist die eigentümliche Wald- und Sumpflandschaft der grossen Fluss- niederungen anzureihen, von der sich in Norddeutschland nur äusserst spärliche Reste leidlich im Naturzustande erhalten haben, seitdem 269 die Ströme grösstenteils gerade gelegt oder mit Deichen eingeschlossen worden sind. Ausgedehnte und ungemein charakteristische Bruch- stücke einer Landschaft dieser Art finden sich an der Memel in der Umgebung von Tilsit. Sie zeigen noch jetzt in drastischer Weise den Zustand, den unsere Flussmarschen vor der Besiedelung und Urbar- machung durch den Menschen besassen, und lassen die gewaltige Kulturarbeit ahnen, die in den entsprechenden Gebieten an der Weichsel, Oder, Elbe und Weser geleistet werden musste, um sie dern Ackerbau und der Viehzucht dienstbar zu machen. Auch in den Königlichen Oberförstereien an der mittlern Elbe finden sich erhaltungswerte, ziemlich ausgedehnte Auwaldbestände, wie man die den Flussthälern eigenen, sumpfigen Wälder nennt; hier sind be- kanntlich an einer Stelle auch noch die letzten bei uns lebenden Reste des Bibers vorhanden. Es sei mir gestattet, bei dieser Gelegenheit darauf aufmerksam zu machen, wie wertvoll es wäre, wenn man den ursprünglichen Zustand der Pflanzendecke auch der Salzwassersümpfe, zumal der Seemarsch irgendwo hegen wollte. Ein geeigneter Platz dazu wäre die seit einigen Jahrzehnten vor der Elbmündung entstandene kleine Insel Trieschen. Sie bietet zugleich Dünen- und Marschbildung. Es würde keine Beeinträchtigung des Naturzustandes bedeuten, wenn man die Düne durch Anflanzung von Helmgras da, wo es nötig ist, befestigen, oder wenn man Massregeln zum Schutze der Insel gegen die Fluten treffen wollte. Es wäre nur nötig, dieses, wie es scheint, sonst wenig wertvolle Stück Land der Besiedelung gänzlich zu ent- ziehen. Es dürfte zur Erreichung des in Rede stehenden Zweckes auch nicht zur Weide verpachtet werden, da durch alle weidenden Tiere, wie ich mich auf Trieschen selber überzeugt habe, das ursprüng- liche Gepräge der Vegetation überaus rasch vernichtet wird. Binnen- ländische Salzmoore sind in den verschiedensten Teilen Norddeutschlands vorhanden. Ich nenne nur als besonders ausgedehnt und charakteristisch das zwischen Zerrenthin und Koblenz in Vorpommern, an der Grenze der Uckermark liegende. Il. Bevor ich von der Auswahl und den Massregeln spreche, durch die eine Heide in ihrem Bestande erhalten werden kann, erscheint es, wie bei den Mooren, zweckmässig, auf die Entstehungsursache auch dieser Pflanzenformation einen kurzen Blick zu werfen. Ich bemerke dabei, dass man unter Heide in Nordwestdeutsch- land ein mit niedrigen Heidesträuchern aus der Familie der Ericaceen überzogenes Gelände versteht, während die Nordostdeutschen jeden Wald mit diesem Worte bezeichnen, die Süddeutschen aber eine wilde, ungepflegte und extensiv genützte staudenreiche Grasflur. Ich fasse hier das Wort Heide in dem Sinne der Bewohner Nordwest- deutschlands auf. Die Erieaceenheide wird hauptsächlich von der gemeinen oder 270 Besenheide (Calluna vulgaris) gebildet, besonders an etwas feuchten Stellen*) auch von der Edel- oder Dobheide (Erica Tetralix). Sie ist es, um die sich die zarteste Poesie einer Annette von Droste-Hülshoff, eines Allmers, eines Th. Storm und vieler anderer niedersächsischer Diehter schlingt; sie ist es, die seit dem fernen Grauen der Zeit, wo zuerst sich deutsche Siedlerscharen von Norden kommend hier niederliessen, von der Sage mit ihrem geheimnisvollen Zauber um- sponnen ist; sie, die uns mit dem Bilde der niedersächsischen Land- schaft so innig verbunden erscheint, dass wir uns diese ohne sie kaum zu denken wagen, und mit einem gewissen Gefühle des Be- dauerns sehen wir sie rasch vor der siegreich vordringenden inten- sivern Kultur zurückweichen. Dennoch steht es fest, dass die Heide nicht immer in unserm Lande vorhanden gewesen ist; denn die sie bildenden Pflanzen sind, soviel wir wissen, erst in einem verhältnismässig späten Abschnitte der postglaeialen Zeit eingewandert. Damals war das Land noch weithin bewaldet, und die genügsame, aber lichtbedürftige Heide konnte sich nur auf einem von Natur armen, durch die auslaugende Wirkung des atmosphärischen Wassers noch stärker und tiefer hinab verarmten Boden entwickeln, wo der Wald aus Nahrungsmangel stark zurückgegangen war. Ein solcher Boden fand sieh zu jener Zeit aber höchst wahrscheinlich nur an ganz beschränkten Stellen, wie auf alten, festgewordenen Binnendünen, hier und da auf armem Thalsande und auf den höchsten Kuppen der diluvialen Grandhügel. In der Folge wurde ein grosser Teil der auf den Höhen befind- lichen und wesentlich aus Föhren bestehenden Wälder der damaligen Zeit durch die sich ansiedelnde Ackerbau treibende Bevölkerung mit Hilfe des Feuers niedergelegt und der Boden zu Ackerland gemacht. Bei der primitiven Wirtschaftsweise jener Zeit und bei dem Raub- bau, den man meistens auf den Hochäckern trieb, erschöpfte sich die Ackerkrume des ärmern Bodens rasch; er wurde verlassen und die Heide breitete sich auf ihm aus. Die gleichzeitig mit der Heide auflaufenden Holzgewächse aber wurden dadurch beständig wieder zerstört, dass man diese Flächen nunmehr als Weide oder zum Plaggenhieb benutzte; denn weidendes Vieh verwüstet den jungen Waldwuchs in der Heide ebenso wie der Plaggenhieb überaus rasch und sicher. In der Folge aber trat unter der Heide Ortsteinbildung auf, wodurch die Wiederansiedlung des Waldes in erhöhtem Masse erschwert wurde Auf diese Weise sind ausgedehnte Heiden wahrscheinlich schon sehr lange vor der Zeit der römischen Kriegszüge in Nordwest- deutschland entstanden. Die Berichte der Römer von den unge- heuren Wäldern, der Unwirtlichkeit und dem niedrigen Kultur- zustande des damaligen Germaniens sind, wie man mehr und mehr *) Im westlichen Holstein, in der Umgegend von Warendorf und an anderen Stellen des nördlichen und westlichen Westfalens fand ich Erica tetralix oft in ansehnlicher Menge und hoch an den Gehängen der Geschiebe- sandhügel emporsteigend, was wohl mit der grössern Feuchtigkeit der Luft in den genannten Landschaften zusammenhängt. 271 erkennt, stark übertrieben — vielleicht hier und da absichtlich, um die Misserfolge zu bemänteln, die die Legionen gegenüber dem tapfern und kernigen Bauernvolke zu verzeichnen hatten. Jedenfalls dürfen wir uns, wie es scheint, den Nordwesten Deutschlands damals kaum schwächer bevölkert denken, als er jetzt nach Abzug der Städte ist, und zum Weiden der grossen Viehherden, die den Reichtum der Bevölkerung jener Zeit ausmachten, müssen vor dem Abernten der Feldfrüchte ausser den Dreeschen und Brachschlägen hauptsächlich die Heiden benutzt sein, da man die spärlich vorhandenen Natur- wiesen zur Gewinnung des Winterfutters brauchte. Heideplaggen waren es auch höchst wahrscheinlich, die man zur Einstreu benutzte, und mit denen man die Gemüsekeller und die unterirdischen Winter- wohnungen vor der Kälte schützte.“) In der Heide legte man oft die Friedhöfe an, und mit Heidesoden bedeckte man da die Ruhe- stätte der Toten.**) Seit dieser Zeit hat die Vegetationsdecke mancher Örtlich- keiten mit dem Schieksale der Bevölkerung und mit den wirt- senaftlichen Verhältnissen dieser gewechselt. Oft sind strecken- weise Wälder auf altem Heideboden erwachsen und wieder ver- schwunden, um erneutem Heidewuchse Platz zu machen. Es ist nicht unmöglich, dass selbst der Begriff Heide, nachdem _ diese Bezeichnung an bestimmten Ortlichkeiten haften geblieben war, mit der Vegetation dieser Ortlichkeiten wechselte, und bei den Leuten, die zu einer gewissen Zeit aus Nordwestdeutschland nach dem Osten auswanderten, in einer Bedeutung erhalten geblieben ist, die der. Zeit ihrer Auswanderung entsprach. Seit dem Beginn der Neuzeit und bis zur Mitte des 19. Jahr- hunderts sind durch die Aufteilung der alten, allerdings durch plan- lose Wirtschaft oft schon sehr verwüsteten Markenwälder und durch ihre Niederlegung zur Gewinnung von Schafweide und Plaggenstreu, wozu nicht selten vorübergehend hohe Holzpreise oder das Geld- bedürfnis der Besitzer den ersten Anstoss gaben, viele Heiden in Nordwestdeutschland neu entstanden. Seitdem aber die Schafzucht nicht mehr wie früher lohnt und die grossen Herden abgeschafft sind, seitdem man die Heiden immer seltener zur Streugewinnung benutzt, je mehr die Anwendung künstlicher Düngemittel und der Anbau stiekstoffsammelnder Gründüngerpflanzen die Stroherzeugung fördert, um so mehr haben weite Strecken der Heide in Hannover, *), Taeiti Germ. XVI. Eben weil sie mit Heideplaggen bedeckt waren, konnten sie in der Heide der Aufmerksamkeit der Feinde entgehen. Wären sie mit Dung im heutigen Sinne des Wortes bedeckt gewesen, so hätten sie im Gegenteil sofort die Aufmerksamkeit auf sich ziehen müssen, schon wegen der ganz abweichenden Vegetation, die dieser erzeugt. **) Taciti Germ. XVII. Der treffliche Erhaltungszustand der Urnen mancher Urnenfriedhöfe Nordwestdeutschlands beweist, dass seit der Zeit ihrer Beisetzung beständig Heide über ihnen gewachsen ist. Baum- und Strauchwuchs oder eine Vegetation tiefwurzelnder Stauden hätte die Urnen und ihren Inhalt durch das Eindringen der Wurzeln stark beschädigt oder völlig zerstört. Wir haben Grund zu der Annahme, dass letzteres in anderen Fällen geschehen ist. Februar 1901. XV, 15 272 Westfalen, Oldenburg und Holstein wieder von selbst ihr früheres und für die älteren Zeitgenossen typisches Aussehen verloren. Es hat sich nämlich Anflug von Birken, Aspen und besonders von Föhren auf ihnen eingestellt, der nunmehr ungestört zu waldartigen Beständen heranwächst, hier rascher dort langsamer, je nachdem die Bodenbeschaffenheit und die Gelegenheit zu Anflug die Wald- bildung begünstigt. Oft sind diese von Natur aufwachsenden Bestände in der ersten Generation nur dürftig und genügen den Anforderungen des geschulten Forstmannes in keiner Weise. Aber je länger sie den Boden be- schatten, um so mehr wirken sie auf die Verwitterung des Ortsteins und die physikalische Verbesserung der Bodenkrume ein, um so stärker reichern sie diese wieder mit den verlorenen, in die Tiefe versunkenen und noch mehr durch das häufige Abplaggen aus ihr weggeführten Nährstoffen an, und um so freudiger gedeihen die folgenden Generationen. Je kräftiger diese aber werden, um so tiefer senken sie ihre Wurzeln in die minder erschöpften unteren Bodenschichten und führen somit in erhöhter Potenz den oberen Schichten wieder Nahrung zu. Besonders lebhaft geht diese spontane Regeneration des Waldes da vor sich, wo ein Grundwasserstrom infolge der Geländebeschaffenheit der Oberfläche des Bodens näher tritt, so dass ihn die Föhrenwurzeln erreichen können, wie auf den meilenweiten Abdachungen der Lüneburger Heide gegen das Allerthal. Es ergiebt sich aus diesem, vor den Augen der Zeitgenossen stattfindenden Vegetationswechsel, dass man eine beliebige Heide nicht ohne weiteres auf dem Mineralboden durch einfaches Aus- schliessen von irgend welchen kulturellen Nutzungen in ihrem Bestande zu erhalten vermag. Dies wäre nur da möglich, wo der Boden bis zu grösserer Tiefe durch den Plaggenhieb und durch die Auslaugung so vollständig verarmt ist, dass er nie wieder ohne künstliche Hilfe Wald oder Waldgebüsch zu tragen vermag, oder wo der Wald — wohlgemerkt im botanischen, nicht im forstmännischen Sinne — durch andere z. B. klimatische Faktoren andauernd und gänzlich fern gehalten wird. Ob es aber derartige Mineralböden oder Örtlich- keiten in dem Heidegebiete Norddeutschlands wirklich in grösserer Ausdehnung giebt, ist eine noch sehr strittige Frage, die sich jeden- falls nicht durch die Beobachtung einiger Jahrzehnte entscheiden lässt.*) Soll daher ein grösseres Heideareal in seiner jetzigen Beschaffenheit erhalten bleiben, so wird man zu dem Zwecke in irgend einer Weise dafür sorgen müssen, das Aufkommen des Waldes in ihm zu *) Dass die Heide nichtsdestoweniger als eine primäre (durch mensch- lichen Einfluss aber seit langer Zeit stark in ihrem Areale erweiterte) Pflanzenformation zu gelten hat, habe ich bereits früher ausgesprochen. (Uber die Zusammensetzung des natürlichen Graslandes in Westholstein etc. Schriften d. Naturw. Ver. für Schleswig-Holstein 1892, Bd. IX, S. 213 und 214), und diese Auffassung hat sich mir seitdem bei häufigen Reisen und Wanderungen durch die Heiden Schleswig-Holsteins, Hannovers, Oldenburgs und Westfalens befestigt, ohne dass ich allerdings einen durchaus zwingenden Beweis für sie zu erbringen vermag. 273 verhindern. Am einfachsten geschieht dies durch Verpachtung als Schafweide, unter Ausschluss sonstiger kultureller Massnahmen. Die Schnuckenherde gehört ja auch zu der lebenden Staffage einer Heide, und ein zu starkes Abweiden ist unter den jetzigen Ver- hältnissen kaum zu befürchten, könnte aber eintretenden Falles leicht verhindert werden. Das Wacholdergebüsch, das man sich gewöhnt hat, als ein charakteristisches Zeichen vieler Heiden anzu- sehen, müsste selbstverständlich besonders geschont werden. An geeigneten Gebieten, namentlich an solchen, auf denen wegen der Bodenbeschaffenheit und Lage das Aufkommen des Waldes erschwert ist, und wo sich die verschiedenen Formen (Facies) der Heide zeigen, fehlt es in den Königlichen Oberförstereien der Lüne- burger Heide, zumal in denen von Walsrode, Wardböhmen, Munster und Miele nicht. Es würde sich namentlich empfehlen ein Areal zu wählen, wo ausserdem Hünengräber oder megalithische Denkmäler, Urnenfriedhöfe, Joduttensteine, alte Landwehren, Ringwälle, Hoch- äcker oder uralte Strassenzüge, wie die lübsche Trade in Westholstein, der Ossenweg in Schleswig u. dergl. erhalten sind, die teilweise an die ehemalige grössere Kultur in diesem Gebiete erinnern. Derartige Dinge sind auch zu innig mit dem Stimmungsbilde der Heide in “unserer Vorstellung verknüpft, als dass wir auf sie verzichten möchten, und Sage wie Dichtung haben sie mit demselben Bande umwoben. | Wenn der Mond steigt auf und mit bleichem Schein Erhellt den granitnen Hünenstein: — — Das ist die Zeit, dann musst Du gehn Ganz einsam über die Heide. — — Was nie du vernahmst durch Menscheumund, Uraltes Geheimnis, es wird dir kund. — — (Aus Allmers: Heidenacht.) Auch Blockbestreuungen und Moränenwälle, die in dem Heide- gebiete etwa noch vorhanden sind, müssen unversehrt bleiben, zumal der gesteigerte Verbrauch an Steinen mit diesen geologisch so interessanten Bildungen rasch aufräumt. Eine besondere Form der Heide ist die, welche auf den, durch menschlichen Einfluss entwässerten Hochmooren vorkommt. Sobald nämlich auf einem von seiner natürlichen Torfmoosdecke noch über- zogenen Hochmoore die Entwässerung durch Anlegung von Gräben und Grüppen oder durch ausgedehnte Torfgräberei eingeleitet ist, stirbt, wie erwähnt wurde, das Torfmoos samt anderen charakteristischen Hochmoorpflanzen in kurzer Zeit ab, und statt seiner dehnt sich die eigentümliche Gesellschaft von Heidepflanzen, die bis dahin nur spärlich und kümmerlich auf den Bülten des Moores gedieh, rasch über das ganze Gelände aus, wobei sie einige wenige Hochmoor- pflanzen in ihren Verein aufnimmt; das Moosmoor verwandelt sich in ein Heidemoor. Diesen Zustand der Vegetation zeigen gegenwärtig die meisten Hochmoore Norddeutschlands. Auch der grösste Teil des fiskalischen 18* 274 Abschnittes des bereits erwähnten Ahlenmoores ist infolge der Ent- wässerung seit mehreren Jahren mit Heide bewachsen. Will man auch diese Art Heiden irgendwo konservieren, so wird man meist nicht nötig haben, durch Schafweide den Baumwuchs von ihr fern zu halten. Denn, obwohl er sich hier und da in Gestalt von Föhren. Birken, Grauweiden und Aspen einstellen wird, so wird er doch unter gewöhnlichen Umständen in dem gegenwärtigen geologischen Zeitalter auf grösseren Hochmooren schwerlich so stark um sich greifen, dass der jetzige Charakter des Heidemoores dadurch völlig verwischt wird. Eher ist eine Regeneration des Moosmoores zu erwarten, sobald man die Entwässerungseinrichtungen verfallen lässt. Es wäre also geboten, dafür zu sorgen, dass letzteres nicht geschieht. II. Auf Grund der vorstehenden Darlegungen würden sich für die Erhaltung des natürlichen Zustandes der verschiedenen Moor- und Heideformen an dazu geeigneten Stellen etwa die folgenden Mass- nahmen nach meinem Dafürhalten empfehlen: $ 1. Bei den verschiedenen Moorformen ist jede Anderung des Grundwasserstandes zu verhindern oder erforderlichen Falles eine angemessene Höhe des Grundwasserstandes wieder herzustellen. Etwa vorhandene Entwässerungseinrichtungen sind demgemäss entweder zu beseitigen oder unwirksam zu machen. Das Graben von Torf hat in 200—500 m Entfernung von der Grenze des zu schützenden Gebietes, zumal bei Hochmooren, gänzlich zu unterbleiben. Bei allen Landesmeliorationen, bei Anlage von Kanälen, Thongruben oder dergl., die in der Nähe der zu schützenden Bezirke vorgenommen werden, ist darauf Bedacht zu nehmen, dass diese, zumal ihr Grund- wasserstand, nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. 2. Auf der Heideschutzfläche ist nötigenfalls das Aufkommen von Wald durch schwaches Behüten mit Schafen zu verhindern, zerstreutes Wacholdergebüsch aber zu schonen. 3. Alle sonstigen menschlichen Eingriffe sind von den zu schützenden Flächen fern zu halten. Das Graben nach Lehm, Thon, Mergel, das Fortschaffen von Steinen, das Schürfen nach Kieselguhr, Braunkohlen, Petroleum, Steinsalz und anderen Fossilien ist für die Zukunft durch geeignete gesetzliche Massregeln innerhalb der Schutz- gebiete und in einem angemessenen Umkreise zu verhindern oder wenigstens an erschwerende Bedingungen zu knüpfen, wofern jenes nicht möglich sein sollte. Nötigenfalls möge vor der Auswahl der Fläche ein Gutachten der geologischen Landesanstalt zu Berlin über sie herbeigeführt werden. An den Heideflächen dürften Eisenbahnen wegen der Feuersgefahr nur in angemessenen Abständen und unter Anbringung von Laubwald-Schutzstreifen vorbeigeführt werden, ebenso sollten Fabrikanlagen nur in angemessenen Abständen erlaubt, und sofern ihnen schädliche Gase oder widerliche Gerüche entströmen, sollten sie gänzlich verboten werden. Sogar die Anlage von Wohn- 275 stätten müsste bis auf einen gewissen Abstand verboten oder er- schwert werden. 4. Gewässer, die in das Landes-Schutzgebiet treten oder es durchströmen, müssen durch entsprechende Vorschriften vor allen Ver- unreinigungen streng geschützt werden. Insbesondere dürfen sie niemals zur Aufnahme der Abwässer von Fabriken, Bergwerken oder von städtischen Kloaken dienen. 5. Im Falle, dass sich die Schutzbezirke als Schlupfwinkel für Raubtiere und Ungeziefer, als Verbreitungsherde von Pflanzenkrank- heiten oder Unkräutern u. dergl. erweisen, oder dass sie versumpfend auf die weitere Umgebung wirken sollten, ist unter Herbeiziehung von sachverständigen Naturforschern von Fall zu Fall zu entscheiden, in welcher Art und wie weit Eingriffe stattzufinden haben. In gleicher Weise mag darüber entschieden werden, ob und welche Massregeln zur Erhaltung einzelner Tier- und Pflanzenarten, die durch die natürlichen Veränderungen in den Schutzgebieten bedroht sind, zu ergreifen sind. 6. Damit derartige z. T. voraussichtlich nicht ganz zu ver- meidende Eingriffe nicht allzu störend auf den ganzen Bezirk wirken, ist es nötig, diesem eine möglichst grosse Fläche einzu- räumen. Für die in Aussicht genommenen Moor- und Heideland- schaften sind wenigstens einige Quadratkilometer erforderlich. 7. Die Schutzbezirke müssen ihrem ganzen Umfange nach in den Besitz des Staates übergehen und unter den Schutz eines ins Einzelne gehenden Gesetzes gestellt werden. Für ihre Bewachung sind Beamte anzustellen, die am besten dem Forstpersonal ent- nommen und der Forstbehörde unterstellt werden (die Insel Trieschen bleibt aber am besten derselben Behörde unterstellt, die sie jetzt verwaltet). Der Zugang zu den Schutzbezirken dürfte nur unter Voraussetzungen, die jede ernstliche Störung und die Gefährdung der gehegten Tiere und Pflanzen, zumal durch Sammler, vollständig ausschliessen, gestattet werden, braucht aber nicht grundsätzlich er- schwert zu werden.”) Bei der Anlage von Wegen und Brücken in den Bezirken müsste allerdings nicht das Verkehrsbedürfnis, sondern in erster Linie der Umstand massgebend sein, dass dadurch das Walten der Natur möglichst wenig gehemmt wird. Eisenbahnen und Heer- strassen dürfen auf keinen Fall durch das Gebiet hindurch geleitet werden. 8. Der gegenwärtige Zustand der betreffenden Bezirke und seine künftigen Veränderungen sind, letztere wenigstens von Zeit zu Zeit, durch sachverständige Naturforscher festzustellen. IV. Es sei mir vergönnt, im Interesse der Sache noch auf einige Punkte hinzuweisen, die zwar ausserhalb der mir besonders auf- *, Den für den Tauschverkehr oder den Naturalienhandel arbeitenden Massensammlern müsste allerdings das Betreten der Naturschutzbezirke bei schwerer Strafe ganz verboten werden. 276 getragenen Begutachtung liegen, aber doch wieder in einem gewissen Zusammenhange mit ihr stehen. Es würde unter Hinblick auf die Wetekamp’sche Anregung schon recht wertvoll sein, wenn die Königlichen Oberförstereien angewiesen würden, in den verschiedenen Revieren mehrere einzelne Bäume oder Gruppen solcher dauernd stehen zu lassen, nicht etwa blos kuriose Bildungen oder museumswürdige Raritäten, denn „die lebendigen Monumente der Väter, die stattlichen Bäume, sie haben eine weitere Bedeutung, als nur eine Quelle des Geldeinkommens zu sein“ (Burckhardt). Die jetzige Generation unserer Bevölkerung hat nur äusserst selten Gelegenheit zu erfahren, wie hoch und wie alt eine Buche, eine Föhre, eine Fichte u. s. w. unter günstigen Ver- hältnissen bei uns zu werden vermag. Auch das Unterholz könnte vielfach schonender behandelt werden, und beachtenswerte oder seltene Arten durch Schutz vor Freistellung oder durch Fernhaltung ver- dämmenden ÖOberholzes z. B von Buchen und Fichten, erhalten bleiben. In dieser Hinsicht mache ich besonders aufmerksam auf die letzten im nordwestdeutschen Tieflande anscheinend wilden Eiben, die sich in dem Krelinger Bruche der Königlichen Oberförsterei Walsrode finden. Sie waren vor einiger Zeit durch die Freistellung beim Abtreiben der Fläche in ihrem Dasein ernstlich gefährdet. Der betreffende Ort könnte auch als eigentümliche Form eines Moor- waldes vielleicht für den dauernden Schutz in Betracht gezogen werden. Ein anderes Unterholz, das für den deutschen Nordwesten und für Schleswig-Holstein überaus charakteristisch ist, ist der Hülsen (Ilex aquifolium). Dieser Baum, der mit seinen glänzenden, immer- grünen, oft lorbeerartigen Blättern und seinen scharlachroten Beeren eine der schönsten Zierden unserer Wälder darstellt, ist der jetzigen Generation fast nur noch als Strauch bekannt. In den Staatsforsten wird er geradezu als Unkraut betrachtet und als solches behandelt. Es wäre erwünscht, auch diesem Baume an angemessenen Stellen Schutz angedeihen zu lassen. Unter Buchen und Fichten siecht er dahin und führt ein kümmerliches Strauchdasein. Sein eigentlicher Standort ist unter lichten, hohen Eichen. Zuletzt‘ bitte ich, unter den Bäumen, die als wilde Pflanzen in Nordwestdeutschland und in Schleswig-Holstein nahezu ausge- rottet sind, auch der Linde (Tilia parvifolia), der Flatterrüster (Ulmus effusa), des Spitzahorns (Acer platanoides) und der Elsbeere (Pirus torminalis) zu gedenken und ihnen nicht den Schutz versagen zu wollen, wo sie noch vorhanden sein sollten. Die Linde ist in mehreren Revieren der Königlichen Oberförsterei Medingen (und da- zwischenliegenden Privatwäldern) in wenigen, aus altem Stock- ausschlag meist strauchartigen Exemplaren, zweifellos wild, noch vorhanden. Es ist dies, soweit ich erkundet habe, gegenwärtig der westlichste Punkt ihres spontanen Vorkommens in Nordwestdeutsch- land. Linde, Flatterrüster und Spitzahorn dürften sich noch stellen- weise in der Königlichen Oberförsterei Barlohe vorfinden, wenigstens kommen sie in Bundenhölzern der dortigen Gegend vor. Der deutsche Wald, wie er sich nach dem Schlusse der Eis- UT zeit in Norddeutschland entwickelt hatte, wie er im Tieflande wahr- scheinlich noch während der ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung die Marken schied und dadurch das Urteil der Römer beeinflusst haben mag *), wie er noch im spätern Mittelalter unsere Gebirge weit- hin zierte und auch heute noch der Sage und Dichtung vorschwebt, war, bevor er durch den beständig fortschreitenden menschlichen Einfluss verwüstet und durch die wesentlich nur auf das Nützliche zielende Forstkunst der Neuzeit einseitig wieder aufgerichtet wurde, in seinen schönsten Teilen auf allen besseren Bodenarten ein Misch- wald. Sein Oberholz bestand aus himmelanstrebenden, mächtigen Eichen, Buchen, Föhren und Fichten, sein Unterholz, das nur unter geschlossenen Horsten von Buchen oder Fichten fehlte, aus hoch aufragenden Sträuchern und Bäumen, die sich bald in buntem Ge- misch dicht zusammendrängten, bald in wechselnden Gruppen an- mutig verteilten: hier das frische Grün der Hainbuchen, der Birken, Haseln und Linden oder des Spitzahorns, Massholders und Weiss- dorns, dort das glänzende Laub der Hülsen und da wieder die dunklen cypressenförmigen Säulen des Wacholders und die ernsten Pyramiden der Eibe. Hier spürten einst die Markgenossen, im Rauschen der hehren Wipfel erschauernd, die Nähe des höchsten Gottes, hier flossen - die heiligen Quellen, in die beim Frühlingserwachen die Kinder ihre Blumenspende warfen. — Längst ist ihr Murmeln verstummt, denn die nüchterne Gegenwart hat sie zu Fischteichen aufgestaut, und die anmutig geschlängelten, buschgesäumten Bäche, denen sie den Ursprung gaben, durchschneiden jetzt in schnurgeraden, durch Kropfweiden markierten Linien die Landschaft. Die weihevolle Er- - habenheit des Waldes, sie ist geschwunden, und das reiche Tier- leben, das sich vordem in ihm entfaltete, es ist mit den Reihen- und Reinkulturen der Forstwirtschaft verödet und teilweise ver- stammt! — Wohl empfinden wir wohlthuend und dankbar die Zeugen menschlicher Herrschaft in einer so leicht erdrückend wirkenden, unbändigen Wildnis, und das bebaute Gefilde mit seinen freund- lichen Ackern, seinen lieblichen Wiesen, seinen von Herden belebten grünen Weiden, seinen wohlgepflegten Obstgärten, den eingedeichten Strömen, den zerstreuten Gehöften, mit allen den zahlreichen und fühlbaren Bemühungen, die Welt wohnlich zu machen, wird uns stets um so mehr anheimeln, je mehr wir die kulturfremde Wildnis kennen gelernt haben. Aber es ist vielleicht ein uraltes arisches Erbteil, dass uns die jungfräuliche Natur doch mit einer gewissen Heiligkeit umgeben, als „der Gottheit lebendiges Kleid“ erscheint, das uns um so mehr entweiht dünkt, je deutlicher wir das Sklaven- joch spüren, durch das sie in den Dienst der menschlichen Sorge gezwängt ist. Selbst die Schöpfungen der Landschaftsgärtnerei zeigen, obwohl sie die einzelnen Motive der freien Natur entlehnen, doch. nicht diese selbst, sondern verraten uns überall die Auswahl und die Komposition nach subjektivem Ermessen, die Fesselung der *) Taciti Germ. V. 278 Natur in einer von diesem bestimmten Form. Nirgends aber sind jene Spuren auffallender und störender als in den Kunstforsten, weil wir nur allzu gern im Walde die unberührte Natur suchen. Wir wissen wohl die rastlose Arbeit, die aufopfernde Mühe und die That- kraft zu schätzen, durch welche meilenweite, baum- und strauchlose Heiden und öde Thalsandgefilde unseres Landes wieder aufgeforstet sind. Wir wissen auch, dass der allergrösste Teil dieser Forsten dauernd im Dienste der Volkswirtschaft und der materiellen Wohl- fahrt unseres Volkes stehen muss, und dass dadurch ihre Gestalt bedingt ist. Aber um so lebhafter regt sich der Wunsch, doch hier und da auch wieder den Wald erstanden zu sehen, in dem die Natur ungehemmt waltet, über den sie die ganze Fülle ihrer Reize un- beschränkt durch irgend welche Nützlichkeitsrücksichten ausgiessen darf, jenen herrlichen Wald, der den Wanderer den verworrenen Lärm ‚und Streit der Welt da draussen vergessen lässt, der ihm Frieden in das Herz rauscht und jedes nicht ganz verrohete Gemüt andächtig stimmt. Wert wäre es, solche Wälder durch unser ganzes Vaterland an passenden Orten in alter Pracht wieder erstehen zu lassen, damit sie einst fernen Geschlechtern lebendige Denkmäler, wahre Natur- denkmäler der Zeit sein mögen, in der unser Volk gleich ihnen sein Haupt von neuem zu den ewigen Sternen erhoben hat. Ein solcher Wald, der uns die tiefe Poesie unserer heimatlichen Natur wieder ahnen liesse, in der Umgebung unserer idealen Moor- landschaft erstanden, würde erst deren Bild vervollständigen und abschliessen. Freilich wäre er nicht in entfernt so kurzer Zeit zu schaffen. Aber, unter geeigneten Bodenverhältnissen würde ihn die Natur bei konsequenter Fernhaltung störender menschlicher Eingriffe und bei liebevoller, vorsichtig fördernder Nachhilfe von sachkundiger Seite im Laufe der Zeit wieder hervorbringen. Demgemäss wäre es dringend zu empfehlen, die der Kultur zu entziehenden Moore und Moorlandschaften mit einem breiten Saume zu umgeben, der ebenfalls der Kultur zu entziehen wäre und der Naturwaldbildung überlassen bliebe. Auch die Heidelandschaft würde ebenso sehr aus ästhetischen, wie aus den oben angedeuteten Zweckmässigkeitsgründen mit einem entsprechenden, mässig breiten Waldsaume zu umgeben sein, und es würde den Charakter der Heide nicht beeinträchtigen, voraus- gesetzt, dass ihre Fläche einige Quadratkilometer umfasst, wenn man innerhalb ihrer in weiter Zerstreuung kleine Urwaldinseln, zumal in den Thälern, den Schluchten und an etwa vorhandenen Teichen oder auf moorigen Gründen erwachsen liesse. Eine solehe Landschaft, die Heide, Wald, Moor, Sumpf und Wasser gleichzeitig umschliesst, würde am meisten zu der Erhaltung für die Nachwelt geeignet sein. Sie würde sich am ehesten in der Lüneburger Heide schaffen lassen und dort wegen der centralen Lage am passendsten ihren Ort finden. ; Bremen, Botanisches Laboratorium der Moor-Versuchs-Station. 31. Mai 1900. Anhang, zugleich Erklärung der Abbildung Tafel III. Das aus jüngrem Hochmoortorf (Sphagnumtorf) be- stehende Ostufer des Dahlemer genannten Sees im Süd- westen des Ahlenmoores unweit von Bederkesa. Die Brandung hat in dem ausgekehlten, steilen, 1,5—1,8 m hohen, sepiabraunen Torfufer weite, am Eingang 0,75—1,0 m hohe, nach innen niedriger werdende, bis 10 m und darüber lange, ge- wundene, zuweilen miteinander in Verbindung stehende Höhlen aus- gewaschen. Die Decke der Höhlen bricht infolge der fortgesetzten Erosion nach einiger Zeit ein; die sich dann ergebenden isolierten Torfpfeiler werden schliesslich durch die Kraft der Wellen und der von ihnen dagegengeschleuderten Eis- und Torfschollen abgebrochen. Da die abgebrochenen Pfeiler schwimmen, zumal, wenn das in ihnen enthaltene Wasser gefroren ist, so werden sie von der Brandung beständig gegen das Ufer geworfen, dieses immer weiter zerstörend, und selbst dadurch in kurzer Zeit völlig zerrieben. Man sieht vorne in dem Bilde aus dem Wasser einige Torfklippen ragen, die nach dem Abbrechen von Torfpfeilern stehen geblieben sind. — Der Wasserspiegel des Sees unterliegt starken, über einen Meter be- tragenden Schwankungen. Die Aufnahme des Bildes erfolgte durch den Verfasser am 31. August 1899 bei niedrigem Wasserstande. — Der Hang des Hochmoores ist mit langen, schmäleren und breiteren, mit dem Ufer parallel laufenden tiefen Spalten durchzogen. Er ist sehr dicht mit hoher Calluna vulgaris bestanden. Dazwischen wächst Myrica gale, Erica tetralix, hier und da auch Molinia coerulea, Hieracium umbellatum, Potentilla silvestris und Pteridium aquilinum. Das niedrige Gebüsch zur Rechten der weiter zurückstehenden Person besteht aus Populus tremula. Rechts im Vordergrunde des Bildes Salix einerea und Molinia coerulea. Das steile Moostorfufer mit seinen Auskehlungen und Höhlen setzt sich mit geringen Unterbrechungen auch auf das Nord- und das Westufer des Sees fort, soweit wie er in das Hochmoor einge- brochen ist, im ganzen etwa auf einer 3 km langen Strecke. Genau dieselbe Uferbildung war bis vor kurzem am Ostufer des Meckel- sees, im Kreise Rendsburg, vorhanden, wo ein im Osten an den See grenzendes Hochmoor abgebrochen wurde. Seitdem der Spiegel dieses Sees dadurch beträchtlich gesenkt ist, dass er von dem Kaiser- Wilhelm-Kanale durchschnitten worden ist, hat das alte Steilufer, infolge von Verwitterung, grösstenteils seine Eigentümlichkeiten völlig eingebüsst. Das Meteor vom 16. Dezember 1900. Von Prof. Dr. Höpke. Die im November mit grosser Spannung erwartete Wiederkehr des Sternschnuppenschwarmes der Leoniden trat nicht ein, was zur Vermutung Anlass gab, dass der Schwarm durch Störungen seitens der grossen Planeten aus seiner bisherigen Bahn abgelenkt worden sei. Dagegen wurde im nordwestlichen Deutschland, in Dänemark und einem Teil von Holland am 16. Dezember ein prachtvolles Meteor beobachtet, das in einem grossen Umkreise die Aufmerk- samkeit der Bewohner auf sich zog. Da es gerade Sonntag Nach- mittag war, wurde die Erscheinung von zahlreichen Personen wahr- genommen, die sich bei dem milden Dezember-Wetter auf einem Spaziergange befanden. Nach den Aufzeichnungen der Metereologischen Station im Freihafen zu Bremen fand das Aufleuchten der Feuer- kugel um 4 Uhr 42 Minuten nachmittags M. E. Z. statt, während das Barometer 769 mm und das Thermometer + 8° C. zeigte. Aus einer Höhe von etwa 45° plötzlich aufleuchtend, durch- zog das Meteor in westlicher Richtung eine gegen den Horizont etwas geneigte Bahn und erlosch 15 bis 200 über demselben, indem es’ zerplatzte. Der Himmel war hier in Bremen bis auf einige nahe dem Horizont stehende Cirrostratus- Wolken, die von der unter- gegangenen Sonne rötlich angehaucht waren, wolkenlos. Von diesem blauen Hintergrunde hob sich das prächtige Feuerwerk scharf ab, das allerdings durch die erst beginnende Dämmerung etwas beein- trächtigt wurde. Da die Sterne noch nicht sichtbar waren, so liessen sich keine zur Bahnbestimmung geeignete Positionsangaben machen. Das Meteor erschien anfangs als Sternschnuppe, vergrösserte sich rasch, scheinbar bis zu einer doppelten Faust oder einem Kinds- kopf und liess einer Rakete gleich einen feurigen Schweif hinter sich. Nach der Explosion der gelblich weissen Kugel wurde die durchlaufene Bahn als ein heller Liehtstreifen sichtbar, der zuerst gerade war, bald aber sich zur Schlangenlinie umbildete und all- mählich Ziekzackform annahm. Einigen Beobachtern erschien das wolkige Gebilde als ein riesiges Fragezeichen, anderen einem Kork- zieher ähnlich. Es waren dies die feinzerteilten Verbrennungs- produkte, die noch 10—15 Minuten das Licht der bereits unter- gegangenen Sonne reflektierten und einen bläulich weissen Glanz hervorbrachten. Während die untere Partie nicht mehr von den Sonnenstrahlen erreicht wurde und daher matt und verschwommen 281 erschien, nahm der obere Teil eine unregelmässige Gestalt an. Die seltsamen Verschlingungen zerflossen in gelblich weissen Dunst, den der Wind in verschiedene wagerechte Streifen teilte und endlich ganz verwehte. Die von einigen Zeugen wahrgenommene grünliche Färbung der Leuchtkugel dürfte sich als Komplementärfarbe zu den roten Abendwolken erklären lassen. Über dieses Meteor, das ich auf einem Spaziergange am Doventhorsdeich, nahe der neuen Michaeliskirche beobachtete, erhielt ich verschiedene mündliche und schriftliche Mitteilungen, die in der Sitzung des Naturwissenschaftlichen Vereins vom 28. Dezember v. J. durch die Herren Direktor Schauinsland, F. Borcherding, A. Frevert und Dr. Weber ergänzt wurden. Schauinsland hatte von der Schwach- hauser Chaussee aus fünf Minuten zuvor eine Sternschnuppe wahr- senommen und verfolgte nun die merkwürdige Feuerkugel mit um so grösserer Aufmerksamkeit. Sonderbarer Weise wird diese zwei- fache Erscheinung nur noch von drei anderen Orten erwähnt und zwar aus Dänemark und Holstein. Herr Otto Bischoff aus Vegesack sah die Feuerkugel von der Schönebecker Wassermühle aus und bemerkte in seiner Zuschrift, der eine Skizze beigegeben war: „Es hatte den Anschein, als ob das Meteor gar nicht auf die Erde niederging, sondern als ob es in der Atmosphäre aufgerieben sei.“ Herr Borcherding hatte die Feuerkugel auf Borchshöhe, nördlich von Vegesack gesehen und auch eine Zeichnung davon entworfen. Herr Frevert sandte fünf Skizzen von den verschiedenen Phasen nach ihrer Zeitfolge ein und bemerkte dazu: „Der silberne, grünlich blaue Glanz nahm allmählich eine gelbliche, zuletzt eine stumpfe Ockerfarbe an,“ — weil der Reflex der Strahlen von der tiefer sinkenden Sonne aufhörte.e Von Herrn Lehrer A. Kohlenberg in Worpswede erhielt Herr Professor Buchenau ebentalls vier Skizzen, welche die Bahn des Meteors um 4 Uhr 45, 4 Uhr 451/,, 4 Uhr 50 und 4 Uhr 55 Minuten darstellten. Aus den zahlreichen Zeitungsberichten vom 17. Dezember an, die sich bis Mitte Januar fortsetzten, geht hervor, welche ungewöhn- liche Aufmerksamkeit das Phänomen erregt hatte. Aus Osterholz- Tenever berichteten die Bremer Nachrichten, dass sich die Feuerkugel anfangs langsam und schraubenförmig *) bewegte, dann aber plötzlich fast senkrecht .niederschoss.. In Hannover sah man nach dem Hannoverschen Courier „ein ungewöhnlich grosses Meteor scheinbar in der Nähe des Benther Berges,“ also in nordwestl. Richtung nieder- gehen, das gelblich weisse Dämpfe hinterliess und lange Zeit das Interesse der Zuschauer erregte. Ähnliche Notizen brachten die Tagesblätter aus Oldenburg, Bremerhaven,. Geestemünde, Wilhelms- haven, Hamburg, Osnabrück ete. Die mir zugegangenen Mitteilungen stellte ich in einem Artikel der Weserzeitung vom 9. Januar zu- sammen und besprach auf Grund der weiter unten noch zu er- *) Diese sonst nicht erwähnte drehende Bewegung unsers Meteors, ist bei anderen Boliden mehrfach wahrgenommen sowie auch aus der modernen Ballistik bekannt. 282 wähnenden Schallphänomene den Hemmungspunkt, wo die Explosion erfolgt sein konnte. Von Herrn Dr. Felix Körber, Astronom der Urania in Berlin, erhielt ich dann noch ein reiches Material zugesandt, von dem ich hier nur einiges Charakteristische anführe. Aus Westheim an der Diemel zwischen Paderborn und Kassel teilte Graf Hermann Stollberg das Erscheinen des Meteors von einem der südöstlichsten Punkte mit. Herr Bernhard Althaus, Pfarrer der Marienkirche zu Bremen, berichtete der Papenburger Zeitung seine interessanten Beobachtungen. Letzteres Blatt brachte noch eine ganze Reihe ähnlicher Beschreibungen aus dem Emsgebiete, wo man besonders die Detonation gehört hatte. Im „Dithmarscher Boten“ schreibt ein Augenzeuge, der am Wührdener Hafen wohnte: „Das Meteor ging nur etwa hundert Meter von meinem Stande in den Schlick.“ Da der Abstand mindestens 40 Meilen betrug, so kann man von dieser Täuschung auf die ungemeine Helligkeit der Erscheinung schliessen. Ferner befand sich unter der Sendung des Dr. Körber ein Manuscript mit 73 Berichten, die Herr Torvald Köhl, Direktor der Privatsternwarte Odder in Jütland gesammelt hatte. Diese bezogen sich hauptsächlich auf die Inseln Seeland, Laaland, Möen und Fünen. Allein auf Seeland hatten 26 Beobachter das Phänomen beschrieben, davon fünf in Kopenhagen, vier in Kallundborg, andere in Helsingör, Roskilde, Vordingborg, Nästved ete. Ferner waren aus Hamburg (fünf), Altona, Schleswig, Husum, Kosel bei Eckernförde, Wismar,.*) Etelsen bei Achim (durch Graf Reventlow), Minden, Leer und Amsterdam Berichte eingegangen. Minden berichtet: „Wegen des klaren Himmels war es fast tageshell, und doch vermehrte die Erscheinung noch die Helligkeit.“ Von Leer aus gesehen erschien das Meteor am östlichen Himmel über . Loga und bewegte sich fast senkrecht zur Erde. Dr. Herm. Klein hatte mitgeteilt, dass in Köln die Feuerkugel, die man auch in Nippes sah, in nordöstlicher Richtung erschien. Im dritten Hefte der Zeitschrift Gäa von 1901 berichtete Herr Köhl über das Meteor und erläuterte den Aufsatz durch verschiedene Abbildungen. In Nästved waren der Zeitfolge nach sieben Phasen gezeichnet, auf der Insel Möen und in Hamburg je zwei, und von vier seeländischen Orten war je eine Zeichnung mitgeteilt. An anderen Stationen wie z. B. auf Jütland war der Himmel mit Wolken bedeckt, so dass nur auf den dänischen Inseln das Meteor gesehen werden konnte. Durch Herrn Notar Vollgraff im Haag erhielt ich die Zeitung „Drent’sche en Asser Courant“ vom 18. Dezember sowie einen Auszug aus der „Nederlandsche Tijdschrift voor Meteorologie.“ Im ersteren Blatte befinden sich Zuschriften aus Assen, Leeuwarden, Gieten, Borkuloo, Veendam und Valtermond, wo man das Meteor in östlicher Richtung um 4 Uhr 30 Minuten holländischer Zeit von der Grösse einer Kaffeekanne gesehen hatte. In der genannten Zeitschrift stellte Herr Chr. Nell über den Feuerball vom 16. Dezember 60 eingelaufene Mitteilungen zusammen, die sich auf 42 Orte *) Man will dort das Meteor im Sternbilde des Schützen gesehen haben. 283 verteilen. In der Provinz Overijssel erschien das Meteor fast vom Zenith ausgehend, an anderen Orten näher dem Horizonte. Der srünliche. Schimmer in dem gelb und bläulich weissen Licht der Feuerkugel wird auch hier als Komplementärfarbe der schönen roten Dämmerungswolken erklärt. Das sausende oder pfeifende Geräusch, das „ähnlich einer Flucht zahlreicher Vögel“ beim Fall des Meteors an einigen Orten Hollands wahrgenommen wurde, beruht offenbar auf Täuschung und ist wohl durch unwillkürliche Ideen- association veranlasst, indem man z. B. beim Aufsteigen einer Rakete gewohnt ist, auch ein entsprechendes Geräusch zu hören. Im übriger war der ganze Verlauf der Erscheinung in den Niederlanden mit dem oben beschriebenen im Einklang. Schallwahrnehmungen. Herr Köhl findet in seinem Aufsatz der „Gäa“ es sonderbar, dass in Deutschland nur ein einziges Beispiel von einem Schall- phänomen bekannt geworden ist und bringt nun den Bericht, den Herr Oberpostassistent Leich aus Delmenhorst an die Hamburger Seewarte sandte, der auch in die Weserzeitung und andere Blätter 'überging. Herr Leich befand sich in Hude, wo er die prächtige Erscheinung genau verfolgen konnte und folgendermassen beschrieb: „Das Meteor erschien 4 Uhr 41' 30'' in 60° Höhe und westlicher Richtung und fiel schräg herab, indem es einen weiss leuchtenden Streifen hinterliess, der noch 4 Uhr 52' zu sehen war. Etwa 15° über dem Horizonte platzte die Feuerkugel, wobei die Detonation um 4 Uhr 46' 26° M. E. Z. mit dumpfem doppelten Knall deutlich vernehmbar war.“ Nach dem vorliegenden Material ist die Explosion aber noch an folgenden weiter westlich liegenden Orten gehört worden. 1. Von der StadtOldenburg berichteten die „Oldenb. Nachrichten“ von einem donnerartigen Getöse. 2. Aus Lingen, Haselüne und Borken wurde der „Emszeitung“ geschrieben, dass ein 3—4 Minuten (?) lang anhaltendes Rollen, ähnlich dem Donner eines Gewitters wahrgenommen wurde. Dasselbe berichtete man aus Westrhauderfehn und Ramsloh. 3. In Papenburg erschien das Meteor in südlicher Richtung und war von der Grösse einer kleineu Kegelkugel. Mehrere Herren hörten einen dumpfen Donner, der aber erst 31/, Minuten nach dem Zerplatzen erfolgte. 4. Aus Meppen schrieb Professor Wenker, der das Phänomen selbst beobachtete und die Explosion und den Knall um 4 Uhr 42,5 Minuten registrierte, dass die Lichterscheinung und Detonation vielfach auch in den Häusern der Stadt wahrgenommen wurden. 5. In Valthermond bei Veendam sah man das Meteor in öst- licher Richtung und hörte nach der Explosion einen donnerartigen Knall. Mit Herrn Dr. Körber übereinstimmend möchte ich nach diesen Angaben den Hemmungspunkt der Feuerkugel in die Gegend von Sögel, nördlich von Haselüne und Meppen verlegen, während die 284 niederländische Zeitschrift dafür die südwestlich gelegenen Orte Nordhorn und Neuhaus annimmt. Bruchstücke dürften sich jedoch dort nicht auffinden lassen, da die Kugel nach allen Berichten durch die Explosion in kosmischen Staub oder Gase verwandelt wurde. Derartige Fremdlinge bestehen meistens aus Silikatgesteinen mit eingesprengtem Schwefel- und Nickeleisen und sind von einer Gas- hülle umgeben, die sich durch den Widerstand der Luft entzündet, über weite Länder aufleuchtet und meist mit einer Explosion endigst. Der Astronom von Konkoly ist sogar so glücklich gewesen die Existenz glühender Gase durch die hellen Linien im Spektroskop nachzuweisen; selbst die Natriumlinie fehlte dem betr. Meteore nicht. (ef. Wilhelm Meyer, Weltgebäude 1898, p. 246). Die Feuerkugel vom 16. Dezemoer muss sich in bedeutender Grösse und Höhe mit planetarischer Geschwindigkeit von: Nordost nach Südwest bewegt haben. Es liegen jetzt schriftliche Zeugnisse von Orten vor, die sich von Helsingör und Kopenhagen über die Elbherzogtümer und das nordwestliche Deutschland bis Köln und Amsterdam erstrecken und gegen 700 Kilometer von einander entfernt sind. Hoffentlich gelingt es nun auf diesen Grundlagen die kosmischen Bahnverhältnisse des Eindringlings festzustellen. Die hier in Bremen sichtbar gewesenen grösseren Meteore verteilen sich auf folgende Zeiten: 1. Das Meteor vom 4. März 1863 erschien abends gegen 7 Uhr und wurde von Professor Heis in Münster in einer besonderen Broschüre beschrieben. Es bewegte sich von Nordost nach Südwest, wurde im nordwestlichen Deutschland, in Holland, Belgien und England beobachtet und explodierte über dem west- lichen Brabant. 2. Unter dem grossartigen Sternschnuppenschwarm, der am 27. Nov. 1885 zwischen 6 und 3 Uhr in ganz Europa und dem westlichen Asien sichtbar war, erglänzten auch einige Boliden. 3. Das Meteor vom 15. Oktober 1889 erschien abends 6 Uhr 49 Min. und wurde im grössten Teile Deutschlands und Oesterreichs von Rostock bis Wien wahrgenommen. 4. Die Leuchtkugel vom ersten Weihnachtstage 1897 war in Holstein, Hamburg, Bremen, Oldenburg und dem nördlichen Hannover sichtbar und zersprang abends 10 Uhr zwischen Ritter- hude und Scharmbeck, nördlich von Bremen. Über zwei Gräser der ostfriesischen Inseln. Von Franz A Koeleria. Aufden Binnendünen der meisten ostfriesischen Inseln kommt eine Form von Koeleria vor, welche ich in meiner Flora der ostfriesischen Inseln (3. und 4. Aufl., p. 60) mit dem Namen Ä. glauca bezeichnet habe. Sie ist auf Borkum, Juist, Norderney und Wangeroog häufig, fehlt anscheinend auf Langeoog ganz und kommt auf den beiden westlich und östlich von Langeoog liegenden Inseln Baltrum und Spiekeroog nur spärlich und an einzelnen Stellen vor. Ascherson und Graebner haben nun in der Synopsis der mittel- europäischen Flora, 1900, II, p. 356 ff. darauf hingewiesen, dass diese Pflanze identisch sei mit: K. albescens DC., Catal. hti. monspel., 1813, p. 117. (K. arenaria Dumort., Agrost. Belg., 1823, p. 115.) Ich glaube, dass sie darin Recht haben, wenn auch das einzige Exemplar von Ä. albescens aus dem Westen von Frankreich, welches mir vorliegt, (Schultz, herb. norm. Nr. 385) einen wesentlich anderen Wuchs zeigt, als unsere Inselpflanze (vergl. darüber später). Die übrige Behandlung und Kinordnung unserer Pflanze bei Ascherson und Graebner kann ich aber nicht für glücklich und zutreffend halten. — Zur Begründung dieser Ansicht gebe ich eine Übersicht über ihre Gliederung dieser Formen. Gesamtart: K. cristata. a. Deckspelze zugespitzt. 1. Grundachse ausläufertreibend oder doch Pflanze locker- rasenförmig. 2. Art. K. albescens DC. Rasse: B. cimbrica Asch. et Gr. 2. Grundachse kurz, Pflanze dieht-rasenförmig. 3. Art. K. cristata Persoon. Unterart A.: K. ciliata Kerner. „ B.: K. gracilis Persoon. 4. Art. K. splendens Presl. Unterart B.: K. eusplendens Asch. et Gr. b. Deckspelzen stumpflich (vergl. K. albescens B. cimbrica). 286 5. Art. K. glauca DC. Andert ab: A. Grundachse dünn, am Grunde der Stengel nicht zwiebel- artig verdickt. I. Grundachse kriechend, ausläufertreibend. II. Grundachse dichtrasenbildend. B. Stengel am Grunde durch die Scheiden zwiebelartig verdickt (intermedia Ahlquist von der Insel Oeland). Durch zwei Merkmale trennen also Ascherson und Graebner die K. albescens von den (hauptsächlich in Betracht kommenden) Arten: K. cristata und glauca: Deckspelze zugespitzt (gemeinsam mit ceristata) und: Grundachse ausläufertreibend oder doch Pflanze locker rasenförmig (kehrt bei einer Varietät von glauca wieder). Unsere Inselpflanze hat nun keineswegs zugespitzte Deckspelzen. An dem reichen Materiale des Centralherbariums der Flora der ost- friesischen Inseln (im Besitze unseres Bremer Museums) sind die Deckspelzen meistens spitz (nicht zugespitzt, wie bei der echten eristata). Einige Norderneyer Exemplare haben aber stumpfliche Deckspelzen, genau so wie die Pflanze von Röm, auf welche Ascherson und Graebner die Rasse cimbriea begründet haben. — Die Inselpflanze schliesst sich im Baue der Spelze viel näher an glauca als an cristata an. Ausserdem aber auch in der Grösse der Ahrchen. Hierin liegt ein grosser, bisher aber noch nicht beachteter Unterschied von eristata und glauca; die Ahrehen von cristata sind 6 bis 8, die von glauca aber nur 4 bis 45 mm lang. Da auch die Breite entsprechend verschieden ist, so ergiebt dies für die Flächenansicht natürlich einen ganz beträchtlichen Unterschied. Auch hierin stimmt unsere deutsche Inselpflanze ganz mit K. glauca überein. (Die betreffende Angabe von Ascherson und Graebner für albescens kann ich nicht bestätigen). Ferner ist unsere K. albescens dichtrasig. Sie treibt keine Ausläufer, wovon ich mich im Sommer 1890 auf Juist von neuem überzeugt habe. Dagegen besitzt sie, wie die meisten echten Dünen- pflanzen, die Fähigkeit, nach eingetretener Versandung des Standortes, ihre Achsenglieder zu strecken und dadurch die Blattrosetten über die neue Oberfläche des Bodens zu erheben. Hatte der Standort der Pflanze eine annähernd oder völlig horizontale Oberfläche, so nehmen diese gestreckten Glieder natürlich senkrechte Richtung an. Bei schräger Abdaehung der Oberfläche aber (Dünenabhänge!) entwickeln sie sich schräg oder vielleicht gar horizontal. Von wirkliehen Aus- läufern aber bleiben sie sehr verschieden. Auf ein von mir in der Inselflora hervorgehobenes Unter- scheidungsmerkmal gehen Ascherson und Graebner nicht näher ein — das ist die Behaarung der Blattfläche. Bei K. eristata ist die Blatt- fläche auf der Oberseite (ebenso wie die Aussenseite der Blattscheide und die Unterseite der Blattfläche) mit langen Haaren besetzt; bei K. glauca aber sind die Blattrippen mit ganz kurzen, dichten Härchen besetzt (also ein ähnlicher Unterschied, wie er sich bei Agropyrum repens 287 und junceum findet). Nur das oder die untersten zur Blütezeit bereits abgestorbenen Blätter des Jahrestriebes sind bei K. glauca gleichfalls aussen kurz-zottigbehaart. Auch in dieser Beziehung verhält sich unsere Inselpflanze wie die binnenländische glauca. Charakteristisch sind bei ihr noch 3 bis 4 Wimpern jederseits neben dem Blatthäutchen, welche (Wimpern) aber meist frühzeitig absterben. Folgendes sind also die Hauptmerkmale unserer Inselpflanze: Diehtrasiger, gedrungener Wuchs. Hechtgraue Farbe. Höhe des Stengels mit dem Blütenstande meist 10 bis 20 em (von 5 bis 30 cm schwankend). Laubblätter meist grundständig, mit stark hervor- tretender, strohgelber Scheide und 3 bis 6 cm langer, starrer, 1,5 bis 2 mm breiter, aber eng zusammengerollter, meist bogig gekrümmter Fläche; 1stengelständiges Laubblatt mit grüner, oft etwas aufgeblasener Scheide und kurzer, 1 bis 2 cm langer, gerader Fläche. Blatthäutchen zerrissen, jederseits neben seinem Rande mehrere lange Wimpern; Blattfläche oberseits auf den Nerven mit zahlreichen kurzen Härchen besetzt. Blütenstand eng zusammengezogen, meist ununterbrochen, meist gegen 4 (2 bis 6, selten 8) em lang. Ahrchen zwei- bis drei- blütig, 4 bis 4,5 mm lang. Deckspelze spitz oder stumpflich. Die binnenländische glauca (sie fehlt in der nordwestdeutschen Tiefebene, wie ich mich durch die Einordnung der Nöldekeschen Koelerien in das Herbarium des Bremer Museums überzeugt habe) unterscheidet sich durch höheren Wuchs, oft 40 bis 50 em hoch, längere und weniger eingerollte Blätter, oft 10 em lang, von denen zwei oder drei stengelständig sind, 4 bis 8 cm langen und lockereren Blütenstand. Deckspelzen stets stumpflich. Färbung der Pflanze weniger stark grau. Blütenstand weisslich- oder auch gelblichgrün (natürlich vor dem Absterben). Hiernach glaube ich allerdings, dass es zweckmässig ist, der Inselpflanze einen besonderen Artnamen zu geben. Sie ist sicher die K. arenaria Dumortier (1823), von der mir ein in den Dünen bei Nieuport von A. Martins gesammeltes Exemplar vorliegt. Ob ihr aber auch der ältere Name albescens DC. (1813) zukommt, muss ich nur auf die Autorität von Ascherson und Graebner hin annehmen. Die einzige so benannte Pflanze, welche mir vorliegt, Schultz, herb. normale, Nr. 385, aus sandigen Kiefernwäldern von Arlac bei Bordeaux hat durchaus nicht den .charakteristischen Wuchs unserer Dünen- pflanze. Sie ist hochwüchsig, mit langen, kaum gekrümmten Blättern, von denen die zwei stengelständigen meist nicht eingerollt sind. Der Blütenstand ist verlängert und locker; die Deckspelzen sind stumpflich. Ich vermag diese Pflanze nicht von K. glauca zu unterscheiden. Lepturus. Als ich im August v. J. (1900) einige Tage auf Baltrum ver- weilte, fand ich am äussersten Südrande der Wattwiese die auf unsern Inseln ziemlich seltene schlanke Form, welche J. Lange mit dem Namen Lepturus filiformis Trinius var. strietus bezeichnet und auf Taf. 3004 der Flora danica (1883, Lieferung 51) abgebildet hat. März 1901. XV, 19, 288 } : Sie wächst auf dem sandig-schlickigen feuchten Boden in dem Rasen und zwischen den ziemlich dichten Beständen von Suaeda und Sali- ‘ cornia. Bei der Zartheit ihrer Stengel und Blätter ist sie leicht zu ' übersehen. Nur wenn im Juni und Juli die weissen Staubbeutel : aus den Blüten heraushängen, macht sie sich leichter kenntlich und dann wieder im August. Zu dieser Zeit zerfällt die reife Ähre dieht unterhalb der Insertionsstellen der Blüten in ihre einzelnen Stücke; die Abgliederungsflächen bilden dann weisse Kreise, welche zwischen dem . umgebenden Grün sehr stark hervortreten. — Diese Form ist meist 10 bis 20, in einzelnen Fällen 30 em hoch. Ihre Stengel sind schlank, in den Gelenken knickig gebogen, sonst aber ebenso wie die Ähren gerade; auch die Laubblätter sind zart und dabei meist von den Seiten her eingerollt. Die Farbe der Pflanze ist bleichgrün, jedoch sind die oberen Stengelglieder meist violett überlaufen.. Die Ver- zweigung ist spärlich. Ganz unverzweigte Exemplare sind nicht selten; an verzweigten Exemplaren entspringen die (1 bis 5, seltener 6) Zweige meist nicht unmittelbar über dem Wurzelhalse, sondern erst aus den höhern Blattachseln.*) Das ausserordentlich verschiedene Aussehen dieser Pflanze von der auf dem oberen, trockenen, sandigen Teile der Wattwiesen unserer Inseln stellenweise so ausserordentlich häufigen Form, welche Lange var. subcurvatus””) genannt hat,***) zog von Neuem meine Auf- merksamkeit auf sich. Diese häufige Form hat nämlich dickere Stengel und Ähren. Die Stengelinternodien sind kurz, die Farbe , ist bleichgrün, ohne oder mit sehr geringem violetten Anlauf. Niedrige unverzweigte oder schwach verzweigte Exemplare bleiben gerade. Kräftige Pflanzen aber sind vom Grunde an dicht buschig verzweigt und ihre Ähren nebst den obersten Stengelgliedern dann mehr oder’ weniger stark gekrümmt. In Betreff der Benennung dieser beiden Formen herrscht in der botanischen Literatur grosse Unsicherheit. Ist die derbe Form der L. incurvatus Trin., die schlanke der L. Aliformis Trin., und bilden beide Formen eine oder zwei Species? Folgende Blicke auf die botanische Literatur werden darüber einige Aufklärung, wenn auch . nicht volle Sicherheit bringen. Das Genus Lepturus wurde 1810 von Rob. Brown im Prodr. flor. Nov. Hollandiae, I, p. 207 auf die „ARottboella repens Forster“ *) Lange und Prahl sagen im Gegenteil: Stengel vom Grunde an verzweigt; doch bildet Lange auf Taf. 3004 der Flora danica zwischen zwei so gebauten Exemplaren auch eine am Grunde unverzweiste und erst von ‘der sechsten Blattachsel an spärlich verzweigte Pflanze ab. Auch in dieser Beziehung variirt Lepturus offenbar nach der Beschaffenheit des Erdbodens und dem dichteren oder lockeren Schlusse der umgebenden Gewächse. **) J. Lange, haandbog, 3. Aufl, 1864, p. 49 (Nach dem Citat von P. Prahl, kritische Flora von Schleswig-Holstein, 1890, II, p. 268 schon in der 2., 1856—59 erschienenen Auflage, p. 44). =) Ein wenig charakteristisches Exemplar dieser Varietät wurde. bereits 1792 im 6. Bande der Flora danica (Fascic. 16) auf Taf. 983 abgebildet. 289 begründet. C. B. Trinius zog 1820 (Fundamenta Agrostographiae, p. 123) ausser anderen Arten in dies Genus hinein die uns hier besonders interessierenden „Arten“: Rottboella incurvata L. fil. und R. filiformis Roth. Rottboella incurvata war 1781 von C. Linne fil. im m Supplementum plantarum, p. 114 in folgender Weise publiziert worden: R. spieä tereti subulatä, glumä calyeina appressä, bipartitä. Aegilops incurvata re veg. ed. 13 ‚) p. 762. Habitat in Europae maritimis. ©. Die Pflanze selbst war schon den älteren Botanikern wohl- bekannt. So bildet z. B. Barrelier sie in seinen 1714 erschienenen Icones in Fig. 117 recht kenntlich ab, und Scheuchzer behandelt (Agrostographia, 1719, p. 42 bis 44) zwei Formen (Arten?) derselben und giebt auf Taf. II, Fig. 1, A, 13 einen Teil der Ähre in cha- rakteristischer Weise wieder. Linne, der Vater, beschrieb die Aegzslops incurvata”*) 1762 in der 2. Auflage der Speeies plantarum, II, p. 1490 und sagt: Habitat in Angliae, Hispaniae, Italiae paludibus maritimis. Dreizehn Jahre nach dem Erscheinen des Supplementum plan- -tarum beschrieb A. W. Roth zu Vegesack (Observationes botanicae, in P. Usteri, Annalen der Botanik, 1794, X, p. 38 bis 40) die Rott- boella jnliformis, deren Samen er von Schreber ohne Angabe der Abstammung erhalten hatte. Roth giebt folgende Diagnose: R. filiformis spieä filiformi, tereti-subcompressä, subulatä, glumä calyeinä adpressä, bipartitä. Aus der längeren Beschreibung hebe ich die schlanken, geraden, niederliegenden, rotgefärbten, in den Knoten geknickten Stengel und die schlanken, geraden oder sehr wenig gekrümmten Ähren hervor. Roth fügt der Beschreibung dann noch Folgendes bei: Observ. I. Differt a Rottboelld incurvatd, ceui respondet @ramen loliaceum maritimum, scorpioides Scheuchz. Agrost. p. 42, Tab. II, Fig. 1. A. 13, et cui simillima: 1. Culmo tenuiori, magis purpureo. 2. Foliis saturatioribus, triplo brevioribus et angustioribus, magis acuminatis, canaliculatis; nee laete viridibus, planis, supra magis striatis et scabris. 3. Ligulä fere triplo longiore; nec brevissimä, vix lineam quadrantem aequantem, retusä. 4. Spieä duplo angustiore. *) Diese 13. Auflage des Systema vegetabilium erschien nach Richter, Codex Linneanus im Jahre 1774. — Das Genus Rottbölla wurde von Linne in der 1779 erschienenen Dissertation: Nova graminum genera, p. 22 bis 24, Taf. I begründet; sie ist angehängt dem im Jahre 1790 erschienenen Bande X. der Amoenitates academicae. *) Ob die Aegilops incurva der ersten Auflage der Species plantarum, 1753, II, p. 1051: Habitat in Oriente; Tournefort, dieselbe Pflanze ist? In der zweiten Auflage ist das Citat nach Tournefort weggelassen. 19* 290 5. Flosculis magis approximatis et fero sibi eontiguis, mi- noribus. 6. Glumis duplo minoribus et obtusioribus; nec lanceolato- acuminatis. Nach dem, was ich oben über die Variabilität unseres Lepturus gesagt habe, kommen von diesen sechs Punkten für die Unter- scheidung des L. ‚Aliformis von incurvatus wohl besonders in Betracht: die längere Ligula, die kleineren Blüten und die kleinen stumpferen Hüllspelzen. Auch die in der zweiten Observatio von Roth gegebene Bemerkung, dass die Pflanze im Treibhause überwintert habe, ist beachtenswert. Seit 1794 führt nun diese „Art“, Aliformis, in den Büchern eine unsichere, schemenhafte Existenz, und es ist einigermassen be- schämend, dass wir auch heute, nach 107 Jahren, noch nicht definitiv über sie urteilen können. Ich führe einige charakteristische Stellen aus der Literatur an. C. Linne, Syst. veget.; ed. XVI. (C. Sprengel), 1825, I, p. 299. Rottboellia incurvata L. R. spieä tereti subulatä incurvatä, valvä calyeinsa 2 partit& 3 nervi, foliis planis glabris. Eur. media (Ophiurus Beauv.) R. filiformis Roth. R. spieä teretiusculo-compressä subulatä erectä, valvä calycind obtusä 2 partitä, foliis canaliculatis, radice perenni. Eur. austr. (R. erecta Sav.) H. G. L. Reichenbach, Flora germanica exeursoria, 1830 —32. p- 16, Nr. 61, L. Aliformis Trin. spicä tereti subulatä sub-. compressä erectä, bracteä bivalvi, ligulä subnullä*.) Rottb. filiformis Willd. Enum. R. erecta Sav. Giorn. Pis. IV, fig. 5, 6. Lept. strigosus Dum. Am nördlichen Seestrande, in Belgien. Dumort. Lej. Court., Insel Norderney. Mai, Juni, ©. i 62. L. eylindrieus Trin. Triest ete. 63. L. incurvatus Trin. spieä tereti subulatä ineurvatä, braeteä bivalvi, foliis planis. — R. ineurvata L. Host gr. I, 23. Fl. dan. 938. Engl. Bot. 760. Fl. graec. 91. Aegilops incurv. L. sp. Agrostis Scop. Am südl. Littorale in Istrien, am nördlichen bei Kattwyck in Holland und auf der Insel Zeeland, Holstein: auf fettem Thon- boden am deutschen Meere, auf der Insel Amrum und Beens- hallig, Nolte. Mai Juni, ©. H. 6. L. Reichenbach, Deutschlands Flora, 1846, VI., Tal 108 p. 21, No. 222. L. incurvatus Trin. Ähre stielrund, später *) Dies ist falsch. Nach Roth’s Angabe hat L. incurvatus ein kurzes, abgestutztes Blatthäutchen (was auch der Natur entspricht), L. filiformis aber ein langes vorgezogenes Blatthäutchen. 291 gekrümmt. Deckspelzen um ein Dritteil länger als die Bte.”) Im Seesande, Mai, Jnni. In Holland z. B. bei Kattwyck, Rehb., auf der Insel Zeeland; in Holstein; auf der Insel Amrum und Beneschallig (sic!) Nolte; auf fettem Thonboden am bal- en Meere: Priwall bei Travemünde, Häcker; Triest.... enua. No. 223. L. Ailiformis Trin. Ähre stielrund, pfriemlich, etwas zusammengedrückt, aufrecht oder wenig gekrümmt, Spelze wenig länger als die Bte.”) Zarter als voriger, bis 8 Zoll hoch. Am Meeresstrande im Sande, Belgien, Varel, Holstein, Monfaleone, Istrien. E. 6. Steudel, Synopsis plantarum glumacearum, 1855, I, p. 357. 1. L. incurvatus Trin. Culmis caespitosis subcompressis nitidis genieulatis basi procumbentibus ramosis; vaginis tumi- diuseulis glabris; ligulä brevissimä truncatä; foliis linearibus acutis (1—2'' longis, 1/,—1‘'") vel subconvolutis; spieä tereti (subulata) incurvä; calyce biglumi unifloro; floseulo mutico, ©. Eur. or. oce. Afr. bor. 2. L. jliformis Trin. Culmis simplieibus vel ramaosis 1,—1 pedalibus, foliis angustis canalieulatis glabris obtusis; spicä tereti-subulatä subecompressä, erectä; calyce bivalvi uni- floro; floseulo mutico. 9). Eur. austr. Am deutlichsten zeigt sich die Verwirrung in den zahlreichen Auflagen der bekannten Garcke’schen Flora. In der ersten Auflage (1849) wird L. filiformis Trin. aufgeführt mit dem Fundorte: Sandige Orte am Meere bei Varel, an der Ostsee in Holstein. In der zweiten Auflage (1851) ist hinzugefügt: häufig auf der Insel Amrum und auf Beenshallig. In der dritten (1854) dagegen heisst es: L. filiformis Trin. Ähre stielrund, ein wenig zusammengedrückt, aufrecht oder etwas gebogen; Balg zweiklappig, so lang oder kaum ein wenig länger als die Blüte. ©. Sandige Orte am Meere bei Varel, häufig auf der Insel Amrum und auf Beenshallig, wenn die Pflanze wirklich hierher gehört. Mai. Wahrscheinlich von der folgenden nicht specifisch verschieden. L. incurvatus Trin. Ähre stielrund, im trockenen Zustande einwärts gekrümmt; Balg zweiklappig, um den dritten Teil länger als die Blüte. ©. Sandige Orte am Meere, z. B. bei der Pötnitzer Ziegelei unweit Dassow, bei Fleimsdorf unweit Wismar, Holstein und wahrscheinlich weiter verbreitet. *, Hier zuerst finde ich das von der Länge der Spelzen hergenommene Kennzeichen. Es fehlt noch sowohl in Kunth, Enum. plantarum, 1833, 1, B 462 als in Kochs Synopsis 1. Aufl,, 1857. Da aber Röper, zur Flora ecklenburgs, II, p. 233, schon im Jahre 1844 dagegen polemisiert, so, muss es schon vor diesem Jahre, also auch vor Reiehenbachs Kupferwerk behauptet worden sein. Wegen seiner Unbrauchbarkeit stimme ich ganz mit Röper überein. 292 Dies bleibt in den folgenden Auflagen ungeändert, nur kommt in der fünften Auflage (1860) Sylt hinzu. In der neunten Auflage (1869) wird Amrum unter den Fundorten von incurvatus. angeführt, bei filiformis dagegen durch Schleswig bei Getting ersetzt. In der 16. Auflage (1890) aber nimmt Garcke, meinem in der Flora der ostfriesischen Inseln (1881). gegebenen Beispiele folgend die Artbezeichnung: L. incurvatus Trin. an und charakterisiert die Pflanze wie folgt: Halm aufrecht oder aufsteigend; Ähre stielrund, aufrecht *) oder mehr weniger gekrümmt; Hüllspelzen 2, um den dritten Teil länger als die Blüte. © . .... Ändert ab: b) longipaleaceus Arndt**) (L. filiformis Trin.) Hüllspelzen so lang oder kaum ein wenig länger als die Blüte; so an denselben Orten. — Sehr auffällig ist auch die Verspätung, mit welcher Lepturus aus Deutschland bekannt wurde. Für Dänemark und England war diese Pflanze bereits im achtzehnten Jahrhundert nachgewiesen (s. das oben angeführte Citat der Flora danica 1792, Linne, Spec. plantarum, ed. II, 1762 und J. Edw. Smith, English botany, 1800, Xl, Tab. 760: „Found on the sea coast and in salt marshes in several parts of the kingdom“.) In Belgien wurde sie von Lejeune vor dem Jahre 1830 gefunden (vergl. Reichenbach, Flora germ. excursoria), fehlt aber sonderbarer Weise in Lejeune et Courtois, Compendium florae belgicae, 1828—36. Auffallend ist ferner, dass Mertens und Koch in Röhling, Deutschlands Flora, I, p. 724 noch 1823 für L.. ineurvatus (den filiformis haben sie nicht) als Fundort nur angeben: „An den See- küsten des adriatischen Meeres.“ Mertens, welcher nachweislich wiederholt wochenlang auf Norderney war, muss also die Pflanze . dort übersehen haben. — Auch in G. F. W. Meyer’s Chloris hannoverana, 1836, fehlt Lepturus***), ein neuer Beweis — wenn ein soleher noch‘ erforderlich sein sollte — von der Oberflächlichkeit, mit der dieses Buch zusammengeschrieben wurde. 1826 veröffentlichte E. Fr. Nolte in den Novitiae florae holsatieae p. 14 das Vorkommen von „Rottboella incurvata L. fi.“ auf Amrum (wo die Pflanze in der That massenhaft vorkommt) :und der (jetzt weggerissenen) Beenshallig; er stellt zugleich die Identität mit der dänischen Pflanze fest. Norderney wird zuerst (ohne Angabe des Finders) als Fundort des „L. filiformis“ erwähnt in Reichenbach’s Flora germanica excursoria, 1830—-32, p. 16. Es folgen in Trentepohl, Oldenburgischer Flora von 1839 als Fundorte: Varel (Böckeler)f) ») Soll natürlich heissen: gerade. **) Wo diese Bezeichnung zuerst veröffentlicht wurde, habe ich nicht ermitteln können. ***) Geradezu unglaublich aber ist es, dass derselbe Schriftsteller 1849 in der Flora hannoverana excursoria nur Varel (Old.) und „jenseits der Nord- grenze unseres Gebietes auf der schlesischen Insel Amrum und auf Beens- hallig“ zu nennen weiss! y) Böckeler lebte seit 1827 in Varel (vergl. Abh. Nat. Ver. Brem,, 1900, XVI, p. 463-466.) Von Varel besitzen wir die var. strietus. 293 und Wangeroog (Ballenstedt) — dann 1844 in i) Röper, zur Flora Mecklenburgs, p. 292°) der Priwall bei Travemünde (nach Häcker.) In der ersten Auflage von Koch’s Synopsis Florae germanicae (1837) sind nur aufgeführt: für L. incurvatus: „Triest und auf der Insel Veglia,“ und für L. filiformis: „Istrien.“ Erst in der zweiten Auflage von 1844 kommt für filiformis noch hinzu: „Varel in Oldenburg, an der Ostsee in Holstein.“ Um die Mitte des Jahrhunderts mehren sich dann rasch die Fundstellen in Holstein und Schleswig, und es kommen diejenigen an der mecklenburgischen Küste hinzu. Zuletzt dehnt Marsson (Flora von Neuvorpommern, Rügen und Usedom, 1869) das Ver- breitungsgebiet bis Rügen aus. Es würde für diese Arbeit keinen Zweck haben, die Publikation dieser Angaben weiter durch die Literatur zu verfolgen. Nur einige Worte über die ostfriesischen Inseln möchte ich noch sagen. Für Wangeroog (und offenbar auch für Spiekeroog) geben Koch und Brennecke den „L. filiformis* 1844 an (vergl. Abh. Nat. Ver. Brem., 1888, X, p. 69, 70). Seitdem die Aufmerksamkeit -von Mitgliedern des naturwissenschaftlichen Vereins zu Bremen sich planmässig den ostfriesischen Inseln zuwandte (vergl. Abh. Nat. Ver. Brem., 1870, II, p. 212) wurde die Pflanze rasch für alle diese Inseln, sowie für Rottum nachgewiesen.*”) Ebenso für Texel und Schiermonnikoog von Fr. Holkema, den Plantengroei der Nederlandsche Noordzee-Eilanden, 1870, p. 141. — In Garcke’s Flora werden auffälliger Weise die ostfriesischen Inseln selbst in den neuesten Auflagen gar nicht erwähnt, obwohl sie doch ein Hauptverbreitungsgebiet der Pflanze in Deutschland darstellen. — Versuchen wir nun an der Hand der Natur aus den vielen Zweifeln über die Lepturus-Formen heraus zu kommen. Die Unter- suchung der Materialien des Bremer Herbariums ergab mir folgendes: 1. Alle an den Ufern der Nordsee und Ostsee und den an- grenzenden Meeresteilen vorkommenden Pflanzen gehören zu einer Art, und zwar zu dem schon den Vor-Linne’schen Schriftstellern be- kannten L. incurvatus Trinius (Rottbölla ineurvata L. fil.). Sie alle besitzen die charakteristische kurze, abgestutzte Ligula. | Sie dürfen also fernerhin nicht mehr L. jiliformis Trin. genannt werden, wie es viele Schriftsteller und namentlich auch J. Lange *) Zu beachten sind die dortigen eingehenden Bemerkungen über die Gruppe der Rottbölleen, p. 287—294. Dann folgen bei Röper auf p. 292—294 der Ausdruck der Hoffnung, dass L. incurvatus noch in Mecklenburg aufgefunden werde und längere zweifelnde Bemerkungen über die Verschiedenheit von L. incurvatus und filiformis. Sie sind offenbar dadurch angeregt, dass Reichenbach an der oben citierten Stelle beide getrennt aufführt. **) Auch hier die bekannten Zweifel über den zu wählenden Species- namen. Vergl. z. B. ©. Nöldeke in Abh., 1872, III, p. 192. 294 in der Flora danica*) und ihm folgend P. Prahl in der Kritischen Flora von Schleswig-Holstein, 1888, 1890 und 1900 gethan haben. 2. Unser L. incurvatus tritt in zwei auffallend verschiedenen, aber durch Übergänge mit einander verbundenen Varietäten auf. Die weit häufigere der lichten, trockenen Standorte ist robuster gebaut, mit kürzeren dickeren Stengelgliedern““) und dickeren, an kräftigen Pflanzen in charakteristischer Weise nach innen gekrümmten Ähren. Diese Form wurde von Lange: var. subincurvus genannt. Da aber diese Bezeichnung zusammen mit dem Artnamen „ineur- vatus“ direkten Unsinn ergeben würde, so nenne ich sie var. typicus, — Die zweite, weit seltenere***) Varietät wächst im dichteren Schlusse der fruchtbaren Küstenwiesen. Ihre Stengel sind zart, langgliedrig, meist rot überlaufen, in den Knoten geknickt, sonst aber gerade, die Ahren dünn und gerade. Diese Varietät muss den Namen var. strietus behalten, welchen J. Lange ihr, Haandbog, 3. Aufl. 1864, p. 49 gegeben, und unter welchem er sie in der Flora danica, 1883, faseic. 51, Tab. 3004 abgebildet hat. (Vergl. auch die beachtens- werten Bemerkungen in P. Prahl’s kritischer Flora der Provinz Schleswig-Holstein, 1890, II, p. 268.) 3. Lepturus incurvatus Trin. var. typieus Fr. Buchenau kommt auch an den südeuropäischen Küsten vor. Ob auch die Varietät strictus dort vorhanden ist, vermag ich nicht zu sagen. 4. In Südeuropa und in Egypten kommt noch eine andere Lepturus-Art vor, welche zunächst durch ihre dünnen, gewöhnlich sehr verlängerten und gewiss niederliegenden Stengel auffällt. Sie wird als L. Aliformis Trin. (Rottboella filiformis Roth) bezeichnet, stimmt aber nicht in allem mit Roth’s Diagnose überein. Namentlich stimmen nicht die „glumae duplo minores, obtusiores.*“ Arcangeli . sowie Grenier und Godron schreiben ihr ferner ein kurz abge- stutztes Blatthäutehen zu. Ich finde das an dem Materiale des Bremer Herbariums bestätigt, obwohl die absolute Länge dieses Organes etwas variiert. In keinem Falle aber entspricht es der „Ligula ovata, obtusa, dentata, candida, semilineam fere longa“ der Roth’schen Diagnose. Ich vermute also, dass diese süddeutsche Art gar nieht identisch ist mit der Roth’schen Pflanze. — Roth giebt an, dass er seine R. jıliformis im Kalthause überwintert habe, und Kunth bezeichnet daher die Pflanze als perennierend. Alle von mir vergliechenen Schriftsteller (Grenier et Godron, Arcangeli, Parlatore und der sehr genaue Boissier) bezeichnen aber ihren „L. Aliformis“ (also die zweite südeuropäische Art) als einjährig. *) Auch im Nomenclator florae danicae (in 4°), 1887, p.130, spricht J. Lange seine Ansicht aus, dass L. incurvatus eine südliche Form sei, und dass unsere dänisch-deutsche Pflanze daher L. filiformis genannt werden müsse. Diese Ansicht würde Lange bei Vergleichung der oben citierten Stelle in Linne Spec. plantarum ed. II und der Originalbeschreibung von Roth gewiss nicht aufrecht erhalten haben. **, Ob auch mit breiteren Blättern? **, Offenbar meint J. Edw. Smith dieselbe Form, wenn er sagt R. fili- on appears to me our Rottbölla incurvata, drawn up weak among other grasses, as it occurs sometimes in Norfolk (Engl. Flora, I. p. 176.) 235 Boissier hebt (Flora orientalis, 1881, V, p. 684) noch folgenden Unterschied hervor: L. incurvatus: antheris minutis ovato-oblongis. L. filiformis: antheris majuseulis linearibus. ‚Ich wage einem solchen Beobachter gegenüber nicht, dieses Merkmal als unzutreffend zu bezeichnen. Ich muss aber doch hervorheben, dass unsere beiden Formen (var. typicus und strictus) im Bau der Staubbeutel ganz übereinstimmen. Die Antheren sind im Knospenzustande linealisch und von dem durchscheinenden Pollen gelblich gefärbt. Beim Aufblühen verlängern sich die Filamente ungemein, die Antheren springen in zwei Längsrissen auf, und der Pollen fällt heraus. Nun schrumpfen die (jetzt weiss gefärbten) Staubbeutel zu einer kurz-rechteckigen, oben und unten je zwei- hörnigen Gestalt zusammen, wie sie ähnlich (wenn auch noch etwas zu lang) in Reichenbachs Fig. 222 dargestellt ist. Diese heraus- hängenden Antheren lenken besonders die Aufmerksamkeit des Wanderers auf sich. — Einige Antheren, welche ich in noch ge- schlossenen Blüten der zweiten südeuropäischen Art, des L. Alıiformis aut., auffand, zeigten ganz denselben linealischen Umriss wie die- jenigen unserer deutschen Küstenpflanze. (Diese Form stellt auch die Taf. 3004 der Flora danica richtig dar.) Auch ein von Prahl hervorgehobenes Merkmal verdient weitere Beachtung. Bei den Pflanzen der Nord- und Ostseeküste ragt nämlich der Stengel (als Stiel der endständigen Ähre) eine Strecke weit unbehüllt aus der obersten Blattscheide heraus. Bei den süd- europäischen Pflanzen (und zwar bei beiden Arten!) reicht aber meistens die oberste Blattscheide bis zum Grunde der Ähre hinauf. Natürlich ist dabei der Entwickelungszustand der Pflanze (Blüte oder Fruchtreife!) ganz besonders zu beachten. Möchte diese interessante Pflanzen-Gattung bald zum Gegen- stande einer eigenen Monographie gemacht werden! Die meisten ihrer Arten sind in einem botanischen Garten gewiss leicht zu ziehen, und die Anwendung des Mikroskopes verspricht auch hier eine gute Ausbeute! Nachschrift. Während das Vorstehende bereits in der Druckerei war, hatte ich — am 9. März 1901 — Gelegenheit, die Originalpflanzen der Rottboella filiformis im Roth’schen Herbarium anzusehen, welches sich im Grossherzoglichen Museum zu Oldenburg befindet. Ich bemerke zunächst, dass die dänisch-deutsch - englische Pflanze im Roth’schen Herbarium fehlt. Roth besass von R. incurvata nur ein paar im eigenen Garten (das Jahr ist nicht angegeben) gezogene Pflanzen. Erst spät erhielt er einige von Dr. Michael Rohde im Jahre 1807 (also dreizehn Jahre nach der Publikation von „R. filiformis“ in Usteri’s Annalen) an der ligurischen Küste gesam- melte Exemplare. — Von R. jiliformis besass Roth die im Sommer 1793 aus Schreber’schen Samen erzogenen und im September 1793 296 eingelegten Proben und erhielt später ein kleines Exemplar aus der mediterranen Flora von einem ungenannten Sammler. Der Vorrat der, wie eben erwähnt, im September 1793 ein- gelegten Original-Exemplare der Rottbölla jıliformis besteht aus einigen : wurzellosen Stengeln von 30—40 cm Länge. Sie sind sehr dünn, knickig-aufsteigend, aber mit graden Gliedern. Sie machen: den Eindruck, als seien sie in Gartenerde „schlackerig“ aufgewachsen. Die Ligula ist etwas länger als bei R. incurvata, dann aber doch quer abgeschnitten. Die Laubblätter sind meistens flach, seltener eingerollt, 3—4 cm lang und 1 mm breit. Die Blüten sind wesentlich kleiner als bei incurvata, die Hüllspelzen länger als die Internodien (flosculi fere sibi contigui der Beschreibung) und dazu zwar spitz, aber nicht so stark zugespitzt als bei R. incurvata. Ich bemerke dazu, dass die relative Länge der Hüllspelzen und der Internodien bei diesen Pflanzen sehr schwankend ist. Auch bei echtem Lepturus ineurvatus findet man die Hüllspelzen bald kürzer, bald länger als die Internodien; ja sogar an den von Roth cultivierten Pflanzen sind sie länger als die Internodien. Auch nach diesem Befunde bleibt also die definitive Abgrenzung beider Arten von einem eingehenden monographischen Studium ab- . hängig. Die Flora der Maulwurfshaufen. Von Franz Buchenau. Vorwort. Der nachfolgende Aufsatz ist bereits im 19. Bande der Zeitschrift: Landwirtschaftliche Versuchsstationen (Mai 1876; pag. 176—185) veröffentlicht worden. Ich gab ihn dorthin als ein Zeichen der herzlichen Verehrung und Freundschaft zu dem Herausgeber, Herrn Geh. Hofrat Professor Dr. Fr. Nobbe zu Tharandt. Herr Professor Nobbe ist bekanntlich ein Sohn unserer Stadt und Ehrenmitglied unseres naturwissenschaftlichen Vereins. Er hät sich neben seiner ausgebreiteten Lehrthätigkeit die grössten Verdienste um die Lehre von der Pflanzen-Ernährung und um das Aufblühen der landwirt- schaftlichen Versuchsstationen mit ihrer vielseitigen segensreichen Thätigkeit erworben. Der Aufsatz erregte über alle Erwartung hinaus Interesse in wissenschaftlichen Kreisen. Verschiedene Berichterstatter wiesen in eingehenden Referaten auf ihn hin, und manche verwandten Beob- achtungen wurden in Hinweisung auf ihn veröffentlicht. Vielfach sprach man aber mir gegenüber das Bedauern aus, dass er in einer zwar wissenschaftlich hochstehenden, aber naturgemäss doch in natur- wissenschaftlichen Kreisen wenig verbreiteten Zeitschrift publiziert worden sei. An den Ausdruck dieses Bedauerns knüpfte sich öfters der Wunsch, dass die Arbeit noch einmal und zwar in einer rein naturwissenschaftlichen Zeitschrift abgedruckt werden möchte. Da auch die Redaktion dieser Abhandlung diesen Wunsch teilte, so holte ich die Erlaubnis dazu von Herrn Geh. Rat Nobbe ein, welcher sie denn auch bereitwilligst gewährte. Ich lasse daher den Aufsatz zunächst unverändert (nur mit ganz unbedeutenden stilistischen Feilungen und Änderungen in der Nomenelatur der genannten Pflanzen) folgen. Zusätze und verwandte neuere Beobachtungen füge ich dann in Anhängen bei, auf welche ich im Texte durch Nummern hinweise. Die kleine Unbequemlichkeit, welche die Vereinigung dieser Anhänge am Schlusse mit sich führt, wird — wie ich meine — dadurch weitaus aufgewogen, dass der ursprüngliche Text des Aufsatzes auf diese Weise rein hervortritt. 298 Dass die Maulwurfshaufen!) vielfach eine von ihrer näheren Umgebung abweichende Flora besitzen und in dem Kampfe der Gewächse um den Standort und das Licht zuweilen eine nicht unbedeutende Rolle spielen, ist eine Thatsache, welche ich seit einigen Jahren in verschiedenen Gegenden Deutschlands und unter ver- schiedenen Verhältnissen verfolgt habe. Auf sie aufmerksam zu machen, ist der Zweck dieser Zeilen; vielleicht, dass durch diese Mitteilung noch manche andere interessante Beobachtung angeregt wird. Die Thatsache?) trat mir zuerst recht prägnant entgegen, als ich im Mai 1872 mit den Herren Professor B. Borggreve und Gartenmeister Zabel in Hannov. Münden eine Exeursion durch den Mündener Stadtwald nach dem Hühnerfelde machte. Wir passierten damals eine Strecke, welche früher schönen Buchenhochwald getragen hatte. Dieser Wald war vor einer Reihe von Jahren abgetrieben und die Fläche dann fortgesetzt zum Weidegang für das den Bürgern der Stadt gehörige Vieh benutzt worden. So hatte der Zahn der Tiere immer wieder. den neuen Nachwuchs des Laubholzes zerstört, und die Fläche (deren Substrat bunter Sandstein ist) war schliesslich der Verheidung anheimgefallen. In diesem Heidegestrüpp fanden sich einzelne älterere Maulwurfshaufen*), und charakteristisch genug standen auf jedem derselben ein oder auch wohl ein paar junger kräftig emporwachsender Birken-, Kiefern- oder Espen-Bäumchen, während die überall zwischen der Heide stehenden Exemplare dieser Baumarten ein krüppeliges Wachstum zeigten und nicht ir die Höhe gelangen konnten. Es ist klar, dass unter diesen Verhältnissen, falls sie ungestört geblieben wären, die Maulwurfshaufen Ausgangs- stätten für die Ansiedelung eines neuen Waldes gebildet haben würden, der mit der Zeit wieder die Heide verdrängt hätte; die massenhaft . aus anfliegenden Samen aufkeimenden jungen Pflanzen fanden eben nur auf den Maulwurfshaufen Licht und Raum genug, um empor- zuwachsen und sich auszubreiten, wozu freilich selbstverständlich auch das Aufhören des Weideganges erforderlich war.?) Eine Beobachtung anderer Art machte ich wenige Tage darauf auf einer Excursion nach den interessanten Kalkterrains von Wiers- hausen (gleichfalls bei Hannov. Münden) unter Führung des Herrn Gartenmeister Zabel. Auf den trockenen Kalkwiesen oberhalb Wiershausen fand ich einzelne Maulwurfshaufen ganz bedeckt mit Rasen von Veronica chamaedrys, deren blaue Blüten weit in die Ferne leuchteten, während diese Pflanze in der umgebenden Rasenfläche doch immer nur einzeln vorkam und erst an den buschigen Rändern der Wiese häufiger auftrat.) — Durch diese Wahrnehmung wurde ich sogleich _daran erinnert, dass ich im Sommer 1869 auf den Ameisenhaufen, welche sich auf der sandigen Weide der Nordsee-Insel Borkum finden, stets eine von der Umgebung abweichende Flora *) Das Vorkommen von Maulwürfen in Heideterrains ist jedenfalls sehr ungewöhnlich und deutet auf einen grösseren Reichtum des Bodens und die Anwesenheit einer reicheren Insektenfauna hin. Den dürren Heiden Norddeutschlands fehlen die Maulwürfe ebenso wie den meisten Mooren, da sie in dem insektenarmen Boden keine Nahrung finden würden. 299 gefunden hatte. Hierdurch aufmerksam gemacht, verfolgte ich die Sache in den nächsten Jahren näher und teile nun im folgenden einiges aus diesen Beobachtungen mit. Ich schieke voraus, dass dieselben nicht überall leicht anzustellen sind. Der Gärtner, der Landwirt erklärt, wenn auch nicht den Maulwürfen, so doch den Maulwurfshaufen einen erbitterten Krieg; er tritt sie ein oder wirft sie, schon um der fruchtbaren Erde willen, welche sie enthalten, auseinander. So ist man für Beobachtungen auf Bergwiesen und Weiden (Triesche) und dergl. beschränkt, auf denen man das ver- schiedene Alter der Maulwurfshaufen ziemlich genau nach der auf ihnen stehenden Vegetation beurteilen kann. Grasige Hutefläche an der Rasenallee bei Kassel am Lindenberg unterhalb der elf Buchen; schwach lehmiger Sandboden (29. Juli 1872). — Zahlreiche Maulwurfshaufen, zuerst besiedelt von Cerastium triviale, Trifolium repens, Achillew millefolium, Hieracium Pilosella, Hypochaeris glabra, Euphrasia offieinalis; an feuchteren Stellen auch Sagina procumbens, Juncus lampocarpus und supinus. Im zweiten Jahre standen auf ihnen: Cerastium triviale, Trifolium repens, Thymus serpyllum, Festuca rubra und Cynosurus eristatus. Später (vielleicht vom dritten Jahre an) nehmen dichtgewölbte Polster von TAymus den “ grössten Raum auf ihnen ein. Erst, wenn der Erdhaufen nahezu ganz eingesunken ist, überzieht ihn der Rasenteppich. Der Rasen besteht namentlich aus Festuca ovina, Agrostis vulgaris, Cynosurus und Nardus; eingestreut sind: Ranunculus acer, Trifolium pratense, T. ıliforme, Lotus corniculatus, L. uliginosus, Bellis, Antennaria dioeca, Leontodon autumnalis, Calluna, Gentiana campestris, Erythraea Centaurium, Prunella vulgaris, Seirpus setaceus, Anthovanthum (kümmerlich), Aera caryophyllea, Lolium perenne. — Weiter am Bergabhange hinauf, auf der Hutefläche, die zur „Christbuche“* und zu den „elf Buchen“ führt, werden Cirsium acaule, palustre und lanceolatum, Carlina acaulıs und Leontodon autumnalis häufig. Hier sind es vorzugsweise diese Compositen samt Stellaria graminea, welche die Maulwurfshaufen zuerst besiedeln. In den folgenden Jahren entwickeln sich auch hier meistens dichte Polster von T’hymus. Bergweide auf der Höhe des Habichtswaldes bei Kassel, zwischen dem Herkules und dem Ahnethale (10. August 1872). Zahlreiche Maulwurfs- und Ameisenhaufen; viele zerstreute Basaltblöcke mit einer dünnen Erdschicht überzogen. Auf jenen Haufen wachsen: Ranunculus acer (einzeln), Helianthemum vulgare (einz.), Trifolium repens (einz.), T. pratense (einz.), Lotus corniculatus (einz.), Cerastium triviale, Stellaria graminea, Pimpinella sawifraga (einz.), @alium verum, Achillea millefolium, Campanula rotundifolia (einz.), Thymus serpyllum (sehr vielfach), Veronica offieinalis (einzeln), Festuca rubra, Agrostis vulgaris (einzeln); sonst notierte ich als Componenten der Rasenfläche: Lychnis flos cuculi, Sagina procumbens, Linum catharticum, Trifolium fliforme, Potentilla Tormentilla, Alchimilla vulgaris, Galium uligi- nosum, Chrysanthemum Leucanthemum, Cirsium palustre, ©. acaule, Leontodon autummalis, Hieracium Pilosella, Myosotis palustris, Euphrasia offieinalis, Veronica Chamaedrys, Plantago lanceolata, Juncus acuti- 300 florus, J. effusus, forma compacta, J. Leersü, Carex leporina, Briza, Cynosurus, Anthoxanthum, Aera caespitosa. Wilhelmshöhe bei Kassel, feuchte, aber wenig fruchtbare Weidefläche an beiden Seiten der Drusel unterhalb des Schmidt- schen Pensionshauses (am Waldrande in der Nähe der Löwenburg; am 4. Juli 1872). Der Rasen enthält sehr viel Ranunculus flammula, Galium uliginosum, Juncus effusus, J. glaucus, J. acutiflorus, seltener J. lampocarpus; auf den zahlreichen Ameisen- oder Maulwurfshaufen dagegen steht eine dichte Vegetation von Cerastium triviale, Trifolium repens und Thymus serpyllum. Werder bei Bremen (eine Flussmarschweide; Septbr. 1874). Die Maulwurfshaufen werden zuerst unter Ausschluss aller Gräser eingenommen von Ranunculus repens, Potentilla reptans, Achillea Millefolium, Taraxacum, Leontodon autumnalis, Rumex Acetosella. — Die Erde von Maulwurfshaufen spielt bekanntlich bei Gärtnern eine grosse Rolle. Sie gilt für besonders mürbe und fruchtbar. Dies ist ja auch begreiflich genug, hat man doch den Maulwurf den ersten Drainer und Untergrundpflüger genannt. Er zerstört die an dem Platze stehende Vegetation vermittelst Zerreissens der Wurzeln, lockert die Erde auf und macht sie so der Luft, dem wichtigsten Verwitterungsfactor und dem grossen Reservoir des befruchtenden Ammoniak, zugänglich; auch der Dünger, welchen er infolge seiner Gefrässigkeit in Menge liefert, mag, wenigstens bei den wirklichen Bauen, von Bedeutung sein. Jeder Maulwurfshaufen wird also für die Ansiedelung der Gewächse zunächst einen frischen, wunden Boden, dann aber für längere Zeit hinaus einen im Vergleich zur Umgebung warmen, trocknen und fruchtbaren Standort liefern. Als frischer Boden liefert der Maulwurfshaufen den anfliegenden, also vom Winde getragenen oder auch von Tieren verschleppten Samen einen willkommenen Landungsplatz. Nach dieser Seite hin . gewährt er also ähnliche Erscheinungen, wie Holzschläge, Erdrutsche und verwandte Lokalitäten, deren Verhältnisse ja unter dem Einflusse Darwin’scher Anregungen in den letzten Jahren vielfach studiert worden sind.d5) Einen dahin einschlagenden neuen Fall vermag ich aus unsrer nächsten Nähe anzuführen. Auf dem Werder, der bereits erwähnten Flussmarschwiese dicht bei unserer Stadt, sah ich wieder- ‚holt im Vorsommer eine vollständig geschlossene, rabattenähnliche Einfassung der Wege durch Bellis perennis, welche zur Blütezeit einen reizenden Anblick gewährte. Weitere Beobachtung zeigte, dass diese Einfassung nicht immer gerade den Rand des diesjährigen : Weges bildete, sondern oft 0,25—1 m weiter von ihm entfernt, - aber mit ihm parallel verlief. Diese Bänder von Bellis bezeichnen die vorjährigen Geleise schwer beladener Heuwagen. Die schmal- spurigen Räder dieser Wagen schneiden, wenn sie den härteren Weg verlassen, tief in den Boden hinein und zerstören daselbst die Gras- narbe; auf dem so frei gewordenen Boden keimen die Samen von Bellis massenhaft, und so entsteht im nächsten Jahre der dichte Streifen dieser lieblichen Pflanze. Aber schon in diesem Sommer 301 dringen die Ausläufer der rasenbildenden Gräser von den Seiten her in das Einfassungsband ein, unterbrechen dasselbe und verdrängen die Bellis bald von vielen Stellen, so dass ihre regelmässige Anordnung verschwindet. — Im April sind die vorjährigen Wagengeleise, welche sieh dicht am Wege hinziehen, von einem dichten Schleier der zarten Blüten von Draba verna eingehüllt. Diese Pflanze findet sich auf den lehmigen Stellen des Werders nur einzeln; da vermag sie gegen die rasenbildenden Gewächse nicht aufzukommen; viel häufiger ist sie an den troekensandigen Stellen; nirgends aber steht sie auch nur entfernt so massenhaft, als da, wo der Weg oder vorjährige Wagengeleise das sandige Terrain überschreiten. — An anderen Stellen beobachtete ich statt des Hungerblümchens das Hirtentäsch- chen (Capsella bursa pastoris) in ähnlicher überraschender Massen- haftigkeit und streng linealischer Anordnung; seine Blütezeit fällt aber selbstverständlich bedeutend später, als die der Draba verna. — Im Juni 1874 fand ich ebendaselbst die vorjährigen auf den Wegen selbst verlaufenden Fahrgeleise dicht bedeckt mit Massen von Capsella : in üppigster Fructifieation; die eigentliche Fläche des Weges besass nur einzelne Exemplare dieser Pflanze, während sie mit den gelb- : grünen Pflanzen der Poa annua bedeckt und nur der schmale Fuss- - pfad wirklich vegetationsleer geblieben war. Eine andere und gewiss nicht uninteressante Ursache des Absterbens der Vegetation auf einer bestimmten Stelle (die aber nicht frischen oder wunden Boden liefert), lernte ich im Sommer 1874 auf dem Riesengebirge kennen. Dort fielen mir auf den Gebirgswiesen (z. B. auf der weissen Wiese, den Abhängen über dem kleinen Teiche) runde Stellen auf, welche keine andere Vegetation als diehte Massen von Polygonum bistorta besassen. Diese Pflanze ist auf den Wiesen der Krummholzregion nicht selten, steht auch namentlich häufig zwischen den Krummholzpflanzen, und ist ein regelmässiger Bestandteil der eben erwähnten Gebirgswiesen. Nirgends aber sah ich sie in so dichten Massen, wie auf jenen runden Stellen. Eine nähere Untersuchung ergab nun folgendes. — Die Bergwiesen werden im. Laufe des August gemäht. Das gewonnene Heu wird um einen senkrechten Pfahl angehäuft, mit Grassoden bedeckt und diese mit Steinen beschwert. Der so gebildete schoberförmige : Haufen bleibt stehen, bis im Winter gute Schneebahn vorhanden. ist, und wird dann, wenn das Heu im Thale anfängt spärlich zu werden — oft erst im Frühlinge — auf Schlitten zu Thale geführt. Das Aufbauen der niedrigen Schober erfolgt stets an’ derselben Stelle, da wo einmal der Pfahl und die zur Beschwerung nötigen ‚Steine vorhanden sind. An diesen Stellen sterben nun die andern Pflanzen (wie Veratrum album, Juncus filiformis, Pedicularis sudetica, Mulgedium alpinum, Bartsia u. s. w.) ab; sie vermögen den Druck und die Abschliessung von Luft und Licht nicht zu ertragen. Den in der Tiefe des Bodens wachsenden Rhizomen von Polygonum bistorta schaden aber diese Factoren nicht. Im Gegenteil scheint sie an solchen Stellen nur um so üppiger zu gedeihen, und so nimmt die Pflanze diese Plätze bald ganz ausschliesslich ein.®) 302 Eine noch grössere Bedeutung haben aber die Maulwurfshaufen für Jahre hinaus, da sie warme und trockene (drainirte) Standorte _ bilden. In dieser Richtung schliessen sich ihnen die Ameisenhaufen und die dünnen Erdschichten, welche zerstreut liegende Granit- und Basaltblöcke überziehen, an. Die aus Holz, Rinde u. s. w. zusammen- getragenen Haufen der Waldameisen sind hier nicht gemeint; sie sind vegetationsleer. Anders aber verhalten sich die Haufen der Rasenameisen, wie ich sie namentlich auf den sandigen Wiesen und Weiden der ostfriesischen Inseln beobachten konnte. In meinem Aufsatze: „Weitere Beiträge zur Flora der ostfriesischen Inseln“ (Abh. Nat. Ver. Brem., 1875, IV., p. 217—277), habe ich bereits pag. 273 auf die Schädlichkeit dieser von Lasius (Formica) flava (L.) D. erzeugten Haufen hingewiesen.’) Unmerklich hebt sich durch die unterirdische Arbeit dieser kleinen Tiere der Boden und wölbt sich allmälig mehr und mehr zu einem, nicht selten 1 m und darüber im Durchmesser haltenden Haufen. Die Stauden, welche an der betreffenden Stelle standen und dem Weidevieh ein reich- licheres Futter gewährten, sterben ab, und an ihre Stelle treten überwiegend einjährige Pflanzen mit kümmerlicher Laubbildung oder solche Stauden, welche einen warmen und trockenen Boden lieben. Die Kräuter sind fast sämtlich Frühlingspflanzen; sie keimen im Herbste, blühen im Frühjahre und sterben bei beginnender Sommer- hitze ab. Es spiegelt sich hierin die Wirkung des hochgewölbten, von zahlreichen Röhren durchzogenen und infolge davon warmen und trockenen Bodens ab. Die auf den Ameisenhaufen wachsenden Pflanzen sind zunächst (notiert August 1873 und Mai 1874): Cochlearia danica, Draba verna, Cerastium triviale, Sagina procumbens, S. maritima, Trifolium repens, Linum catharticum, Armeria vulgaris, . Plantago Coronopus, Agrostis alba, Festuca rubra. Später und mehr vereinzelt finden sich dann ein: Potentilla anserina, Thrincia hirta, Odontites rubra, ganz einzeln Krythraea littoralis und erst, wenn der Haufen wieder einsinkt (was aber nur vereinzelt geschieht, da ein Haufen gewöhnlich lange Jahre hindurch bewohnt wird), die andern Pflanzen der Wiese oder Weide. Von den genannten Pflanzen wachsen Cochlearia danica, Draba verna, Cerastium triviale, Sagina procumbens, Armeria vulgaris, Plantago Coronopus, Festuca rubra und Thrineia hirta auch häufig auf trockenen Erdwällen und niedrigen Vordünen, verraten also auch dadurch ihre Vorliebe für trockenen, warmen Boden. | Dass solche an und für sich nicht sehr hohe Erdhaufen doch auf die von ihnen getragene Vegetation eine treibende Kraft ausüben,®) zeigt eine nicht uninteressante phänologische Beobachtung, welche ich am 15. April 1873 auf einer Fahrt von Bremen nach der Station Burg-Lesum machte. Auf den feuchten Weiden an beiden Seiten der Eisenbahn zwischen Gröpelingen und Burg sah man überall, wo alte Maulwurfshaufen waren, das Gras auf diesen sehr schön frisch und grün, während ringsum der Rasen noch tot dalag, oder doch erst ganz wenige grüne Spitzen zeigte. Offenbar hatten die Maul- wurfshaufen vermöge ihrer grösseren Wärme und Troekenheit 303 (vielleicht auch wegen der stärkeren Düngung?) treibend auf die auf ihnen stehenden Pflanzen gewirkt. Wie in dem erwähnten Falle der Ameisenhaufen Cruciferen, Caryophyllaceen und andere, warmen Boden liebende Pflanzen die über- wiegenden Elemente der Flora darstellen, so sind es auf den Maul- wurfshaufen namentlich Labiaten, (z. B. Thymus), Umbelliferen (Pimpinella) und gleichfalls Caryophyllaceen (Dianthus deltoideus), welche sich vielfach einfinden. Viele von ihnen zeigen starken Duft, und es ist oft wirklich so, als ob uns ein Stück der Medi- terranflora durch diese kleinen Hügel nahe gerückt wäre. — Für dieses Verhalten führe ich zum Schlusse noch einige wenige Bei- spiele an: Gebirgswiese am Abhange des Habichtsspieles bei Wilhelms- höhe; 17. Juli 1872. Bereits gemähte diehte Rasenfläche mit zahlreichen kleinen Erdhaufen, welche grösstenteils mit geschlossenen Polstern von Thymus Serpyllum bedeckt sind; dazwischen aber auch einzelne mit nahezu ebenso dichten Polstern von Prunella vulgaris. Grasige Hutefläche am Fusse des Kuhberges (Habichtswald bei Kassel (30. Juli 1872). Lehmig-sandiger Boden mit zahlreichen umherliegenden, meist dünn mit Erde überdeckten Felsblöcken und einzelnen Maulwurfshaufen. Der Rasen besteht aus: Cerastium triviale, Trifolium repens, T. pratense, Achilles millefolium, Bellis perennis, Leontodon autumnalis, Prunella vulgaris, Plantago lanceolata, Cynosurus cristatus, Festuca ovina, Poa pratensis, Agrostis vulgaris; einzeln finden sich: Galium silvestre, Holcus lanatus, Lolium perenne; ziemlich selten sind: Stellaria graminea, Lotus corniculatus, Potentilla Tormentilla, Galium verum, Euphrasia offieinalis, Plantago major, Poa annua, Anthoxanthum odoratum. Auf den Erdhaufen dagegen finden sich zuerst ein: Ranunculus acer, Hypericum humifusun, Sagina procumbens, Trifolium repens, Achillea millefolium, Leontodon autumnalis, Plantago lanceolata, Agrostis vulgaris, Poa annua; sodann; Stellaria graminea, Hieracium Pilosella, Campanula rotundifolia, Euphrasia offieinalis, Rumex Acetosella; später überwiegen auf den Haufen: Pimpinella sawifraga, Galium verum, Antennaria dioeca, Callıma vulgaris, Thymus serpyllum, Festuca rubra. Die eigentlichen Charakterpflanzen sind Gnaphalium, Calluna und Thymus, und zwar sind diese so verteilt, dass mehr am Waldrande und auf besserm Boden Thymus alle Haufen einnimmt, während an den trockneren und überdies sandigeren Abdachungen nach Wilhelmshöhe zu Calluna und Antennaria an seine Stelle treten. Trockene Bulten (ob von Maulwürfen herrührend, vermag ich nicht zu sagen) auf dem lehmigen Boden bei der Ziegelei von Hambergen (Flor. Brem.; 22. August 1874). Ringsum gewöhnlicher kurzer Rasen, auf den Bulten (Haufen) dagegen: Cerastium triviale, Hypericum humifusum, Trifolium repens, Leontodon autumnalis, Hiera- cium Auricula, Jasione montana, Euphrasia offieinalis, Thymus serpyllum, Prunella vulgaris, Plantago lamceolata, Festuca rubra. April 1901. XV, 20 304 Nachträge aus dem Jahre 1900. Vorbemerkung: Die Nummern weisen auf die gleichen Nummern im vorstehenden Texte hin. 1) Einen wahrhaft riesigen Maulwurfshaufen beobachtete ich - am 9. Juni 1897 auf einer Marschwiese bei Seefeld am Jadebusen. Er besass 1,30 m Durchmesser bei 35 em Höhe. Da er wahr- scheinlich erst im Frühlinge desselben Jahres aufgeworfen worden war, so war seine Oberfläche fast noch unbesiedelt. Nur einige Keimpflanzen von Sonchus, Nasturtium und Atriples latifohum waren in der lockeren Masse aufgegangen, alle von unmittelbar benachbarten Pflanzen stammend. Ausserdem trieben einige Queckenausläufer ihre Laubtriebe nach oben. 2) In der trefflichen Ökologischen Pflanzengeographie von Eug. Warming, 1896, ist ein eigenes Kapitel, das 17., pag. 88—92, der „Thätigkeit der Tiere und der Pflanzen im Boden“ gewidmet. Ich führe aus demselben eine besonders charakteristische Stelle an: pag. 90... „Schatten, Schutz vor dem Winde und feuchte Luft befördern das reiche Tierleben des Bodens; Schatten und Schutz vor dem Winde sind daher auch für die Vegetation mittelbar von Bedeutung. Wenn ein Waldboden der Sonne ausgesetzt wird und der Wind das Laub wegfegt, so verschwinden die Regenwürmer; der Boden wird trocken und hart, die Vegetation gehemmt. In saurem Boden, in Sümpfen, auf Heiden und Dünen fehlen die - Regenwürmer. Von ihrer Anwesenheit oder ihrem Fehlen hängt das Vorkommen von Humus- oder Rohhumusboden in unseren Wäldern und Heiden ab, wie P. E. Müller nachgewiesen hat. Selbst auf den Wuchs der Rhizompflanzen in den Wäldern - wirken sie ein; ihr Auftreten oder ihr Mangel ruft eine Reihe Variationen in der Art des Bodens hervor, denen eine Reihe Variationen in der Pflanzendecke entsprechen.“ Es folgen dann Erörterungen über die Bedeutung der Sand- würmer (Arenicola) für die Watten unserer Küste, über die Maul- würfe und die Pilze (Pilzmycelien, Mykorhizen und Bakterien!) im Boden. 3) Hätte der Weidegang auf dieser Fläche fortgedauert, so wären andere Verhältnisse eingetreten. Bei regelmässigem und starkem Weidegange kommt überhaupt kein Laubholz auf. Findet die Beweidung aber nur seltener und flüchtiger statt, so bilden sich dichte halbkugelige Büsche mit verbissenen und dicht verflochtenen Zweigen. Erst wenn ein soleher Busch so gross geworden ist, dass das Vieh die Mitte nicht mehr erreichen kann, schiessen ein oder zwei Stämme schlank in die Höhe. Noch lange lässt ein auf diese Weise gebildeter Wald seine Entstehung an den Gewirren dürrer Zweige erkennen, welehe die Basen seiner Bäume umgeben. — Auf sehr feuchtem Boden bilden sich unter diesen Umständen die be- kannten Erlenbrüche. Die einzelnen Erlen stehen auf Stelzwurzeln. Indem das Vieh den Boden zwischen den Bäumen wegtritt, entstehen 305 die von den Erlenwurzeln geschützten Bulten, auf welchen so manche interessante Farne und andere Stauden eine willkommene Zufluchts- stätte finden. *) Eine ergänzende, in gewissem Sinne aber entgegengesetzte Beobachtung teilt mir Herr Prof. Dr. P. Magnus in Berlin mit. Auf der Pfaueninsel bei Potsdam werden die Maulwürfe fast immer von den Eulen vernichtet. Infolge davon sind die Engerlinge dort an vielen Stellen eine arge Plage. Wo sie an trockenen sandigen Stellen den Rasen stark geschädigt haben, da wachsen im Frühjahre Tausende und Tausende von Exemplaren von Mwyosotis hispida so diehtgedrängt bei einander, dass die Flächen mit blaugrauem Schimmer in die Ferne leuchten und sich aus dem umgebenden grünen Rasen stark abheben. In letzterem fehlt Myosotis fast ganz oder findet sich doch nur an den Rändern in grösserer Menge. An jenen Stellen sind mit dem Mäuseöhrehen nur noch vergesellschaftet: Cerastium semidecandrum und Holosteum wmbellatum. — Ist der stark mit Engerlingen durchseuchte Boden aber etwas mehr kiesig und feucht, so siedeln sich auf ihm vorzugsweise Polygonum dumetorum und Onothera biennis an; die ausgebreiteten Rosetten der letzteren bedecken stellenweise den Boden fast ausschliesslich. 5) In Waldgebirgen, wo Köhlerei betrieben wird, kann man eine sehr bestimmte Meilerflora erkennen. Bei Hahnenklee im Oberharz beobachtete ich im Juli 1893 auf den Meilern im ersten Jahre nach dem Kohlenbrande stets Senecio sülvaticus (besonders massenhaft), Taraxacum officmale (spärlich), Epilobium angusti- folium, Urtica dioeca, Senecio viscosus (einzeln), Rumex Acetosella, Veronica ofjieinalis, Atriplex latifolium (auch diese drei nur einzeln), Agrostis vulgaris und Teuerium Scorodonia (beide nicht selten schon im ersten Jahre blühend). Im Nachsommer zeigten sich zahlreiche Keimpflanzen von Königskerze und rotem Fingerhut. Im zweiten Jahre boten die Meilerflächen einen ganz anderen Anblick. Von den erstgenannten Pflanzen waren nun in Menge nur noch blühend vorhanden Agrostis, Teucerium, Rumex, Veronica, Atriplex; ferner massenhaft Digitalis purpurea, Verbascum Thapsus und in geringerer Menge Himbeeren, Salix Caprea, Luzula nemorosa, Aera flexuosa und caespitosa. — Einige hübsche, aber in weitern Kreisen wohl kaum bekannt gewordene Beobachtungen über „Pflanzenansiedelungen auf Neubruch“ (nämlich auf Eisenbahn-Dämmen, Einschnitten und Ausschachtungen am Deister) teilte Ad. Andr6e im 34.—37. Jahres- berichte der naturhistorischen Gesellschaft zu Hannover, 1888, mit. 6) Noch eine ähnliche Beobachtung aus späterer Zeit (1895) möge hier Platz finden. Zwischen den Stationen Steinen, Seeven-Schwyz und Brunnen im Kanton Schwyz liegen ausgedehnte sumpfige Wiesen, deren Vegetation besonders durch die kräftigen Stauden von Phrag- mites, Ulmaria palustris, Lysimachia vulgaris und Epüobium hirsutum charakterisiert ist. In diesen sumpfigen Strecken sieht man ganz regelmässig einzelne runde Beete, deren Vegetation ganz aus- schliesslich aus der Ulmaria palustris Moench (Spiraea Ulmaria L.) 20* 306 besteht. Geht man der Sache nach, so ergiebt sich folgendes. Im Herbst wird das ganze Gestäude geschnitten. Das gewonnene Heu wird um Pfähle aufgehäuft, welche in den Boden eingetrieben und Jahr für Jahr zu demselben Zwecke benutzt werden. Erst nach eingetretenem Frostwetter fahren die Besitzer das Heu ab (und verwenden es als Streu). Die drei anderen oben genannten auf- fälligen Pflanzen vermögen den Druck des Heues nicht zu ertragen. Da sie Ausläufer bilden, wenden sie sich vermittelst derselben von den für sie ungastlichen Stellen weg. Nur die Ulmaria mit ihren fast knollenförmigen Grundachsen halten die Ungebür aus. Sie vermehren sich sehr stark und behaupten das Feld fast allein, so dass auf den runden Flächen nahezu reine Bestände entstehen. ”) In meiner Flora der ostfriesischen Inseln; 4. Auflage; Leipzig 1901, ist die Flora der Wiesen und Weiden auf pag. $—10 besonders behandelt. 8) Auf eine einigermassen verwandte Erscheinung wies ich in einem kleinen Aufsatze hin unter dem Titel: Die düngende Wirkung des aus den Baumkronen niederträufelnden Wassers (Berichte der deutschen botanischen Gesellschaft, 1883, I, pag. 108, 109). Es wäre wohl zweckmässig gewesen, besonders hervorzuheben, dass die Erscheinung der früheren und kräftigeren Entwickelung der Vegetation unter Solitärbäumen sich ganz besonders stark dann zeigt, wenn der betreffende Baum der Ruheplatz grosser Schwärme von Vögeln (namentlich Staaren) ist. Die von mir im Jahre 1883 beschriebene Erscheinung hat mit solcher Düngung durch die Vögel nichts gemein. — Mein Aufsatz hat mehrere Erörterungen und Erweiterungen veranlasst, von denen ich folgende nenne: E. F. v. Homeyer, Ber. der deutschen bot. Ges., 1883, I, pag. 471. D. Brandis, Growth of grass and underwood under the shelter of trees, in: Indian forester, 1884 (?), X, pag. 1—3 (Sonderabdr.). Nachtrag zu den Bernsteinfunden. Prof. Dr. Häpke. Im IV. Bande der Abhandlungen des Naturwissenschaftlichen Vereins zu Bremen, der 1875 erschien, habe ich über den „Bernstein im nordwestlichen Deutschland“ berichtet und neben dem Vorkommen die Eigenschaften und Geschichte dieses edlen Fossils in unserer - Gegend erörtert. In dem Aufsatz sind 79 Fundorte nachgewiesen, deren geographische Verbreitung auf einer lithographierten Karte meist mit Angabe der Meereshöhen dargestellt ist. Da bei Abfassung der Arbeit unser wie das Hamburger Museum im Umbau begriffen und die Sammlungen nicht zugänglich waren, so konnten aus ersterem nur zwei Bernsteinstücke unter Nr. 9 und 73 nach dem Gedächtniss erwähnt werden. Eine im März 1901 vorgenommene Durchsicht ergab, dass im neuen städtischen Museum 15 Fundorte des Bernsteins vertreten waren. Das grösste und schönste Stück der Sammlung wurde 1862 beim Bau des Leuchtturms auf dem hohen Wege ge- funden und vom Bürgermeister Duckwitz dem Museum geschenkt. Es ist von Faustgrösse, durchscheinend gelblich rot und wiegt 223 Gramm. Ein etwas kleineres Stück stammt aus Obora, nördlich von Brünn in Mähren, einem bekannten Fundort für Bernstein ähnliche Massen, die man Retinasphalt oder Retinit genannt hat. Es ist in schaligen Streifen abgesondert, die von Gangart unterbrochen sind, und hat eine gelbgrau glänzende Farbe. Aus einer Mergel- grube in Holstein sodann stammt ein 170 Gramm schweres Stück, das von Herrn Petersen geschenkt ist. Eine Anzahl Stücke weist als Fundort auf Ostpreussen hin, andere auf Pommern und Branden- burg, leider ohne genauere Angaben. Verschiedene andere Vorkomm- nisse der Sammlung sind bearbeitet und haben als Perlen oder zu sonstigem Schmuck gedient, wozu auch eine kleine Dose aus Bern- stein gehört, deren Deckel einen Durchmesser von 3,5 cm hat. Eins der neueren Stücke, das am 26. August 1896 von Herrn A. Eichhorn geschenkt wurde, stammt aus Kottbus. Der Bernstein unseres Nordwestens ist auffällig arm an Ein- schlüssen, besonders wohl deshalb, weil er meist undurchsichtig oder nur wenig durchscheinend ist. Schon an der äusseren Beschaffenheit 308 der Rinde lässt sich erkennen, ob ein Stück Land- oder Seebernstein ist; der erstere ist rauh und verwittert, mit Gangart untermischt und im Innern oft rissig, der letztere ist von den Meereswogen umhergeworfen, abgerundet und meist glatt und glänzend poliert. Am ergiebigsten erweisen sich in unserem Nordwesten die ost- friesischen Inseln, die schon Plinius als Glessarien, d. h. Bernstein- inseln, erwähnt, ferner die Watten und Ufer der Busen und weiten Flussmündungen. Der Landbernstein wird meistens in den Thon- lagern der Ziegeleien und in Mergelgruben, sowie bei Anlage von Brunnen, Wasserzügen und Kanälen gefunden. Herrn Kunstdrechsler C. Schwally hier werden seit Jahren derartige Funde aus Ostfriesland, Oldenburg und der Unterwesergegend angeboten, die im Durchschnitt alljährlich etwa ein Kilogramm betragen. Das grösste von genanntem Herrn erworbene Stück wog 3,125 Kilogramm. Es war prächtig geflammt, von stroh- und grüngelber Farbe und wurde anfangs der siebziger Jahre von Fischern auf Langlütjensand gefunden und unter Nr. 10 des genannten Verzeichnisses beschrieben. Neben solchen kostbaren Seltenheiten kommen jedoch auch Angebote von wertlosem Kopal und Harz vor. Alle diese Bernsteinfunde rühren von sekundären Lagerstätten her, da die harzreichen Bernsteinfichten im Samlande und am Strande der Ostsee zur Tertiärzeit ihre eigentliche Heimat hatten. Das den Bäumen entquollene Harz’ wurde dort zusammengespült und in späteren geologischen Perioden teilweise wieder ausgewaschen und verschwemmt, was sich bis zur Bildung des heutigen Alluviums noch oft wiederholt hat. Häufig sind die Bernsteinstücke noch von Trümmern fossilen Holzes und zerriebenen Braunkohlenbrocken umgeben. Für die bereits bekannten Fundstätten sind folgende Nachträge zu bemerken: Im Jahre 1879 wurden auf Spiekeroog zahlreiche grosse Bernsteinstücke gefunden, die ein Händler aus Esens in den Zeitungen zum Verkauf ausbot. Auf der Landzunge Flinthörn des benachbarten Langeoog fand Herr Professor Schauinsland im Juli 1899 ein schönes Stück Bernstein. Von den in den letzten Jahren neu aufgeschlossenen Thonlagern am Weiher Berge sind mir in Worpswede einige grössere Funde zu Gesicht gekommen. An neuen Fundorten sind nur folgende hinzugekommen: 1. Zwischen Friedeburg und Aurich fand man im Jahre 1885 beim Ausgraben des Kanals, der Wilhelmshaven mit Emden ver- bindet, ein ca. 1,25 kg schweres Stück Bernstein von braunroter Farbe, das wie ein Geschiebe abgerundet war und von Herrn Schwally erworben wurde. 2. In der „langen Bucht“ bei Oslebshausen fand ein Arbeiter im Herbst 1883 ein vierkantiges Stück gelbweissen, knochenfarbigen Bernsteins. | 3. In Barchel bei Bremervörde fand sich nach einer Notiz des Hannoverschen Couriers vom 17. Februar 1884 in einer Mergel- kuhle eine Menge kleiner Stücke von Erbsen- und Bohnengrösse; 309 nur eins erreichte die Grösse eines Hühnereis. Der jetzt verstorbene Dr. Könke, Direktor der Ackerbauschule, bestätigt brieflich diesen ‘ Fund, mit dem Zusatz, dass er schon früher gemacht sei. 4. In Grüppenbühren traf der Landmann Wübbenhorst:beim Graben eines Brunnens in 11 Meter Tiefe vor längeren Jahren ein ' Stück Bernstein von 5,3 em Länge und 3 cm Breite und Dicke, das nach Angabe des jetzigen Herrn Direktor Huntemann in Wildes- hausen, dem ich die Mitteilung verdanke, vom Sohne noch auf- bewahrt wird. 5. Beim Dorfe Blexen, Bremerhaven gegenüber, hat Herr Dr. Bohls in Lehe eine ziemlich ergiebige Fundstelle festgestellt, über die in den Verhandlungen der Berliner Gesellschaft für Anthro- pologie 1901 etc. auf Seite 428 etwa folgendes berichtet wird: Der Boden besteht hier aus Schlick, der zur Ebbezeit in einer 1—2 m hohen Stufe abbricht. Das darüber liegende Ufer steigt in einer sanften Böschung an und wird von der Flut stellenweise in einer 30—50 m breiten Zone überschwemmt. Zwischen den von der Flut herbei- geführten Trümmern von Holzstücken, Seetang, Schilf und anderem vegetabilischen Detritus findet man den Bernstein, meistens nur bis Erbsengrösse. Das grösste Stück, das ein Gastwirt in Blexen neben anderen von Wallnussgrösse aufbewahrte, mochte schätzungsweise 200 Gramm wiegen. Ein kleineres Stück eines anderen Besitzers wog fast 47 Gramm. Hinsichtlich seiner Beschaffenheit war der Bernstein von verschiedener Art: vollständig durchsichtig, milchig und wolkig, hell- und dunkelgelb. Die Gesamtsumme der nachgewiesenen Fundörter des Bernsteins im Nordwesten beläuft sich demnach auf 79+5==84. Bei weiterem Nachforschen, zu der mir jedoch die Zeit fehlt, dürfte sich diese Zahl leicht noch erheblich steigern. Trotzdem sind die Funde des fossilen Harzes in unserem Nordwesten gegen die Erträge im Samlande winzig und fast verschwindend. Betrug doch der „Strandsegen“ bei Palmniken in einer stürmischen Nacht des Jahres 1862 nicht weniger als 2000 kg. Nach der mir vorliegenden Denkschrift an das preussische Abgeordnetenhaus vom 7. Februar 1899 herrscht in der Provinz Ostpreussen für die Zueignung des Bernsteins das Recht der Landesgewalt oder das Regal. Dieses begreift allen Bernstein, ob er an der See, am Strande oder im Binnenlande gefunden wird. Der Finder des Bernsteins selbst auf dem eigenen Grundstücke hat ihn der Kammer in Königsberg abzuliefern, wofür er den zehnten Teil vom Werte als Belohnung erhält. Von 1862—1890 betrieb die Königsberger Firma Stantien & Becker die Gewinnung des Bernsteins durch Baggern, Taucher und durch sogenannte Strandnutzung, wofür bedeutende Pachtbeträge zu bezahlen waren. Am ergiebigsten erwies sich der Tiefbau, der seit 1874 in Palmniken betrieben wurde und nach Erschöpfung des dortigen Grubenfeldes nach der Gemarkung Hubniken verlegt wurde. Die Pacht für einen Morgen Land betrug 52500 Mark, während die jährliche Minimalpacht auf 677 600 Mark festgesetzt war. Allein im Durchschnitt der fünf Jahre 1892—1896 310° ergab die durch Tiefbau geförderte Menge Rohbernstein jährlich 497810 kg. Die fiskalischen Einnahmen aus der Bernstein- gewinnung im Regierungsbezirk Königsberg beliefen. sich in den zwei Jahren vom 1. April 1896 bis dahin 1898 auf 1424242 Mark. Am 1. Juli 1399 übernahm der preussische Staat das Geschäfts- unternehmen samt den Bernsteinlagern der Firma Stantien & Becker zu 9750000 Mark. Die Firma leistete dabei die Garantie auf die Dauer von fünf Jahren, dass der Staat jährlich einen Reingewinn von 900000 Mark erzielt. Die Erdölwerke in der Lüneburger Heide.” Von Prof. Dr. Häpke. Unweit der Eilenriede und des Zoologischen Gartens der Stadt Hannover entspringt der kleine Fluss Wietze, der sich meist durch Bruch und Heide schlängelt und nach 45 Kilometer langem Lauf unterhalb Winsen in die Aller ergiesst. Nahe der Mündung liegen am linken Ufer dieses Gewässers im Schatten herrlicher Eichen die Dörfer Wietze und Steinforde. Südwestlich von ersterem Dorfe befinden sich die sogenannten Theerkuhlen des Hofbesitzers Wallmann, aus denen seit 240 Jahren durch Auswaschen des bituminösen Sandes mit heissem Wasser Erdöl gewonnen wurde, das man als Wagen- schmiere benutzte. Grössere Flächen und Schollen des sandigen Bodens sind hier mit einer Asphaltdecke bedeckt, die den Rückstand des an der Luft oxydierten Erdöls bildet und die Sandkörner verkittet. Eine 1859 unternommene Bohrung der damaligen hannoverschen Regierung wurde schon bei 36 m Tiefe eingestellt, lieferte jedoch durch Auspumpen jährlich etwa 20—25 Centner Erdöl. Als im Jahre 1873 die Chaussee nach Celle gebaut wurde, fanden sich auch bei Steinförde ölreiche Sande, die eine Ausbeutung lohnten und später eine russische Gesellschaft in Reval veranlassten, hier eine Tiefbohrung vorzunehmen. Das Abteufen des 473 m tiefen Bohrlochs ergab das überraschende Resultat, dass sich keine Spur von Erdöl fand, dagegen wurde ein 300 m mächtiges Lager von reinem Steinsalz erschlossen, dessen Liegendes aus Salzthon, Keupermergel und buntem Sandstein bestand. Nun trat eine mehrjährige Pause ein, die durch die Misserfolge und Verluste in Ölheim herbeigeführt wurde, bis gegen Ende der achtziger Jahre Herr L. Poock aus Hannover die Bohrversuche energisch wieder aufnahm. ”) Unter diesem Titel erschien im Feuilleton der Weserzeitung am 1. November 1900 ein Aufsatz, den ich hier in erweiterter und verbesserter Form mitteille.. Wiederholte Besuche in Wietze und Steinförde, deren erster bereits Ostern 1863 von Celle aus stattfand, haben mich veranlasst, auf diese geologisch so merkwürdige Gegend der Heide, die nun auch in nationalökonomischer Hinsicht von grosser Bedeutung zu werden verspricht, in Vorträgen und populären Aufsätzen aufmerksam zu machen. 312 Nach den durch rühmliche Ausdauer erzielten Erfolgen erwarb die holländische Aktiengesellschaft „Maatschappij tot Exploitatie van Oliebronnen“ das Unternehmen Poock’s, das er als technischer Leiter fortführte. Angesichts der lohnenden Produktion waren bald neue Gesellschaften hinzugetreten und hatten von den Hofbesitzern Berechtigungsgebitte zum Bohren erworben wie die Hannover- Westfälischen Erdölwerke der Herren Rheinhold und Schrader, die : Berliner Handelsgesellschaft und Keyser und Lauenstein in Hannover. Die jüngste Gesellschaft wurde erst im September des vorigen Jahres in das Handelsregister unter der Firma „Hamburg-6©eller Olwerke“ eingetragen, indem Franz Schmidt in Celle mit den Grundbesitzern Meinheit, Heinrichs, Helmers ete. in Wietze einen Bohrvertrag ab- geschlossen hatte. Ausserdem haben noch einzelne Unternehmer Bohrungen in der Nähe der Dörfer Jeversen und Hornbostel unternommen. Bei einem erneuten Besuch, den ich im Frühjahr 1897 unter- nahm, waren bereits gegen 80 Bohrlöcher niedergebracht, die grösstenteils der holländischen Gesellschaft gehörten. Zwei dieser Brunnen, Nr. 5 und 7, aus denen bei einer Tiefe von ca. 60 m das Ol anfangs frei fliessend austrat, waren die ertragreichsten, und einer derselben liefert noch heute nach mehr als zehnjährigem Betriebe mittelst Pumpen wöchentlich etwa 21 Fass Ol. Ein anderer Brunnen, Nr. 59, gab am ersten Tage 120 Barrel, ging dann aber auf 20 Barrel in der täglichen Ausbeute zurück. Mehrere Bohrlöcher lagen so nahe bei einander, dass drei bis vier der ein- gesetzten Pumpen von einer einzigen Lokomobile getrieben werden konnten. Die Pumpen sind auch heute noch sämtlich für den Dampfbetrieb eingerichtet, arbeiten Tag und Nacht und heben das Erdöl in eiserne Tanks. Das Produkt ist mit mehr oder weniger Wasser von starkem Salzgehalt vermischt, das sich unten in den Behältern absetzt und dort abgelassen wird. Aus den Tanks füllte man das Ol in die bekannten blauen Fässer, die ursprünglich zum Transport des pennsylvanischen Petroleums gedient hatten. Jedes Fass Erdöl, dessen Bruttogewicht durchschnittlich 205 kg beträgt, wurde mit 28 Mk. bezahlt, wovon eine Abgabe von 3 Mk. an den Grundbesitzer zu entrichten war. Im Jahre 1893 betrug die monat- liche Ausbeute der holländischen Gesellschaft durchschnittlich 513 Barrel, die also einen jährlichen Ertrag von 6156 Barrel Erdöl ergaben zu einem Werte von rund 170000 Mk. Die Produktion des Jahres 1899 überstieg diejenige des Vorjahres nur um 678 Barrel, aber in den ersten drei Monaten des Jahres 1900 wurden bereits 8970 Fass produziert. Ueber die Wietzer Olindustrie gab Dr. O. Lang in der Festschrift, die im Herbst 1897 zur Feier des hundertjährigen Bestehens der Naturhistorischen Gesellschaft zu Hannover erschien, auf Grund von Bohrregistern, Lageplänen und Profilskizzen weitere Auskunft. Trotz eifrigen Bemühens führte das dargebotene Material bei Vergleichung der Bohrprofile nicht zu klaren Ergebnissen, teils weil die Bohrungen nicht tief genug geführt wurden, teils auch wegen Zurückhaltung der Unternehmer, die von dem Bekanntwerden 313 ihrer Bohrregister Nachteile befürchteten. Wegen der vielen Ab- weichungen in der Schichtenfolge schliesst Lang auf gestörte Lagerung und vermutet: hier ein Schollengebirge, das von Gebirgsspalten durch- setzt ist und manigfache Verwerfungen und Verschiebungen erfahren hat. Das Öl finde sich hier an sekundärer Lagerstätte und würde aus Gesteinen gewonnen, die jünger als der Keuper seien. Sein eigentlicher Ursprung sei in weit tieferen Schichten zu suchen. Ohne wissenschaftliche Theorien sei das Auffinden von ergiebigen Bohrlöchern bei vorsichtigem Umhertasten doch meist nur einem glücklichen Zufall zu danken. Bei meiner letzten Anwesenheit in Wietze, Ende September 1900, hatte sich ein grosser Aufschwung vollzogen, indem ein neues Ölfeld aufgefunden, und eine Anzahl ergiebiger Brunnen erbohrt worden war. Nähert man sich auf der Chaussee von Schwarmstedt her dem Dorfe und biegt um die letzte Waldesecke, so wird man inmitten der Lüneburger Heide durch den Anblick zahlreicher hoher Bohrtürme überrascht. Eine ältere Gruppe taucht auf, die sich von den Theergruben in nordöstlicher Richtung bis zum Dorfe erstreckt, von denen aber die meisten Ölbrunnen jetzt erschöpft sind. Da- gegen erheben sich auf der anderen Seite des Dorfes mächtige Bohrgerüste neuester Konstruktion. An mehreren Stellen sind Berge von leeren Barreln aufgestapelt, um den Olsegen aufzunehmen. Der intensive Geruch nach einem Gemisch von Benzin und Petroleum, sowie die irisierenden Flächen auf dem Wasserspiegel_ der Wietze lassen keinen Zweifel mehr an dem Aufblühen der Ölproduktion aufkommen. Bis vor anderthalb Jahren suchte man das Mineralöl auf dem linken Ufer in der Streichungslinie von Südwest nach Nord- ost bis zur Dorfstrasse, wo die Bohrlöcher am zahlreichsten neben der letzteren auftreten. Zwei Drittel derselben waren fündig und lohnten die Ausbeute, während Bohrungen ausserhalb dieser Linie selbst bis zur Tiefe von 359 m nicht einmal Ölspuren enthielten. Ein Bohrversuch, den Direktor Kayser dann aber in Fortsetzung dieser nordöstlichen Richtung am rechten Ufer, hart neben dem Flusse unternahm, erschürfte bei 140 m Tiefe eine freifliessende Ölquelle, die täglich über hundert Barrel lieferte und damit Wochen lang anhielt. Nach dem späteren Einsetzen einer Dampfpumpe fördert sie wohl heute noch ein gleiches Quantum. Nun säumten auch die anderen Gesellschaften nicht, auf den Wiesen zu beiden Seiten sich Bohrgerechtsame zu sichern oder die bereits erworbenen in Angriff zu nehmen. Von den hier gebohrten 21 Brunnen, dessen tiefster 203 m misst, sind alle bis auf einen fündig geworden, wenn auch bei meinem Besuch noch nicht alle im Betriebe waren. Auffällig ist dabei, dass dieses vergeblich abgeteufte Bohrloch eine gleiche Tiefe. wie der nur wenige Meter entfernte ergiebige Brunnen besitzt. Schon im Januar des vorigen Jahres betrug der Gesamt- versand an Mineralöl von Wietze 80 Doppelladungen, während die ‘ Tagesproduktion zur Zeit meiner Anwesenheit Ende September 1900 sich auf 5—600 Barrel belaufen haben dürfte. Die cylindrischen Tanks auf dem neuen Bohrterrain haben ungleich grösseren Raum- 314 inhalt als die früheren; es ist sogar von einer Gesellschaft ein eiserner Behälter erbaut, der 15000 Barrel aufnehmen kann. Das Erdöl verlässt in ununterbrochenem Strahle schäumend die Pumpe, was auf gasförmige Kohlenwasserstoffe hinweist, die vielleicht aufgefangen und als „Naturgas“ zu Licht- und Heizzwecken benutzt werden können. Das Ol ist weit dünnflüssiger als das frühere, da es aus tieferen Horizonten stammt. Wegen seines grossen Kohlenstofigehalts hat es ein hohes specifisches Gewicht und eine dunkelbraune, fast schwarze Farbe. An gutem Brennöl (Kaiseröl) enthält es nur 6—7 pCt., dagegen etwa 70 pCt. des weit wertvolleren Schmieröls, das durch Destillation in verschiedenen Graden der Reinheit und Flüssigkeit daraus hergestellt werden kann. Paraffin und Benzin sind dagegen nur in geringer Menge im Rohprodukt enthalten. Verglichen mit den Vorkommnissen von Pennsylvanien und Baku, die ausser der Versorgung mit Leucht- und Brennstoffen bislang den Markt für Maschinenöle fast allein beherrschen, zeigt das Wietzer Ol grosse Verschiedenheiten. Ob durch chemische Pro- zessse das letztere mit den russischen und amerikanischen Schmier- ölen in Wettbewerb treten kann, darüber fehlen mir noch die in Aussicht gestellten Analysen, sowie weitere fachmännische Angaben. Das deutsche Produkt zum Schmieren der Wagenachsen für Eisen- bahn- und Bergwerksbetrieb geniesst einen Schutzzoll und kostet ca. 20—25 Mk. per 100 kg, während der Preis der russischen Maschinenöle sich zwischen 30 und 60 Mk. für den verzollten Doppelcentner bewegt und die amerikanischen Cylinderöle über 100 Mk. sogar noch hinausgehen. Das in Wietze gewonnene Erdöl gelangte bisher mittelst Fuhr- werk nach den Bahnhöfen von Celle und Schwarmstedt, die an den von Hannover ausgehenden Eisenbahnen nach Harburg- Hamburg und Soltau liegen und 15—17 Kilometer entfernt sind. Von dort führen es die Züge der Raffinerie des Dr. Lepenau in Salzbergen und einer solchen in Peine zu. Da diese Anstalten die so vielfach vermehrte Produktion schwerlich bewältigen konnten, so musste sich der Rohstoff mehr und mehr anhäufen. Daher erklärt es sich, dass die holländische Gesellschaft auf ihrem Areal ca. 33000 Fass Erdöl lagerte, die wegen der Leckage durch Witterungseinflüsse sowie wegen Feuersgefahr mit einer dieken Erdschicht bedeckt sind. Auch die übrigen Gesellschaften versandten durch Fuhren nur wenig Öl, und so dürften nach ungefährer Schätzung dort gegen 60—65 000 Fässer zu der Zeit auf Verwendung geharrt baben. Eine Abhilfe dieses unnatürlichen Aufstauens, das sich täglich vergrösserte, kann nur in einiger Zeit beschafft werden; zunächst durch den Bau der längst projektirten Eisenbahn von Celle nach Verden, die über Wietze führt, wo ein Bahnhof erbaut werden soll. Das preussische Ministerium verfügte bereits am 20. Juli 1897 den Bau der Allerthalbahn, und zwar der Teil- strecke von Cellenach Schwarmstedt, die hier allein in Betracht kommt. Widrige Einflüsse mancherlei Art haben es dahin gebracht, dass diese 32 Kilometer lange Strecke bis heute zwar wiederholt ver- messen, aber erst anfangs April d. J. in Angriff genommen wurde. 315 Eine weitere und jedenfalls gründlichere Abhülfe würde indes durch eine Raffinerie erfolgen, welche das gewonnene Rohöl an Ort und Stelle verarbeitete. Die Gründung einer Raffineriegesellschaft ist nun vor einigen Monaten glücklich zum Abschluss gebracht, und es sollen die zur Inbetriebsetzung geplanten Anlagen derart gefördert werden, dass die neue Raffinerie schon im Laufe dieses Jahres eröffnet werden kann. Neben den Neubauten ist auch der Ankauf einiger bereits bestehenden Raffinerien ins Auge gefasst worden. Die Gründung erfolgte durch mehrere fachmännische Häuser, von denen folgende Firmen betheiligt sind: Mineralölwerke Albrecht & Co. in Hamburg, Baku und Batum, Import-Aktiengesellschaft für Maschinenöl in- Hamburg, Antwerpen, Rouen und Marseille in Gemeinschaft mit den Hannover-Westfälischen Erdölwerken und der oben genannten holländischen Gesellschaft. Da auch die Produkte einiger anderer Wietzer Unternehmungen auf eine Reihe von Jahren angekauft sind, so verfügt die neue Raffinerie fast über das gesamte Wietzer Erdöl. Zufolge der amtlichen Statistik des deutschen Reichs wurden im Jahre 1899 rund 8972000 Doppelcentner raffinirtes Petroleum zu einem Werte von 72,8 Millionen Mark eingeführt; ausserdem an Schmierölen 1066 240 Doppelcentner für 17595000 Mk. Einen - solchen Betrag von mehr als 90 Millionen Mark haben wir Deutsche für Mineralöle alljährlich an das Ausland zu entrichten. Wenn von dieser kolossalen Einfuhr das Kilo nur um einen Pfennig teurer wird, so erhöht sich die ins Ausland gehende Summe gleich um zehn Millionen Mark. In nationalökonomischer und patriotischer Hinsicht ist es daher dringend zu wünschen, dass die Schätze gehoben werden, die in unserem Boden schlummern, um wenigstens einen Teil dieser Summe dem Vaterlande zu erhalten, die industrie- arme Lüneburger Heide zu beleben und den Arbeitskräften Verdienst zu schaffen. In Wietze und der weiterhin zu erwähnenden Umgegend wird im harten Gestein mit der Diamantkrone und Wasserspülung gebohrt. Andere Bohrerfolge sind dort mit dem Freifallapparat und der Rutsch- scheere nach canadischer Methode erzielt. Die Profile der älteren Bohrlöcher, die bei einem Durchmesser von circa 28 Centimeter im Durchschnitt bis 100 Meter Tiefe hinabreichen, zeigen nach dem Durchteufen des Diluviums verschieden gefärbte Thone und Schichten von Kalkstein und Keuper, unter denen oft Schwefelkiesknollen auftreten. Das harte Gestein wird in den Bohrregistern kurzweg als „Felsen“ bezeichnet, so verschieden es auch zusammengesetzt sein mag. Bei den neuen Bohrungen am rechten Ufer ist eine harte Deckschicht von Keupermergel (?) zu durchsinken, unter der ebenfalls Thonablagerungen vorkommen. Hier sind die Bohrlöcher 170 bis 203 Meter tief, die trotz des nahen Flusses fast sämtlich wasserfreies Erdöl liefern. Wo ein geringer Wassergehalt in einem einzelnen Loche noch mit dem Ol auftritt, enthält es neben einigen Pro- zenten Kochsalz 3—4 pCt. Chlormagnesium. In Pennsylvanien, wo der Gebirgsbau regelmässig und leicht erkennbar verläuft, beträgt die mittlere Tiefe der Bohrlöcher 5—600 Meter, die stellenweise 316 sogar bis über 1000 Meter hinabreichtt. Die von Südwest nach Nordost sich bis zur Wietze hinziehende Streichungslinie der älteren ölführenden Schichten scheint am rechten Ufer eine östliche Ab- lenkung erfahren zu haben. Die Erdspalte, aus der das Öl aus dem tiefen Innern hervordringt, hat vermutlich auch den Lauf der Wietze beeinflusst, die mit schwachem Gefälle eine weite Strecke fast parallel der Aller läuft, ehe sie sich in letztere ergiesst. Wenn der Charakter der dortigen Formationen noch viele dunkle Punkte bietet, so ist das in Bezug auf die Entstehung und Lagerstätten des Erdöls noch weit mehr der Fall, insbesondere in Verbindung mit dem Vorkommen des nahen mächtigen Salzstocks. Sicher werden demnächst zu beiden Seiten des Ölterrains am rechten Ufer weitere Bohrungen unternommen werden, sobald nur eine Abfuhr des jetzigen Lagerbestandes in Aussicht steht. Hier wäre nun eine Tiefbohrung sehr erwünscht, die bis etwa 2000 m geführt, den Bau der Schichten wissenschaftlich aufklären und über den Ursprungsort des Öls, das man jetzt an sekundärer Lagerstätte ausbeutet, weiteren Aufschluss geben könnte. Eine solche Tiefbohrung liess die preussische Regierung bereits 1892/93 durch den jetzt verstorbenen Bergrat Köbrich ausführen, der zu Paruschowitz in Oberschlesien in 399 Tagen mittelst Diamantbohrung 2003 m tief eindrang. Die Kosten dieses bislang tiefsten Bohrlochs der Erde, das täglich mehr als fünf Meter fortschritt, betrugen 75225 Mark. Durch den Nachweis des oben erwähnten 300 m mächtigen Steinsalzlagers angeregt, haben englische und deutsche Gesellschaften nach den wertvollen Kalisalzen geschürft. Eine Anzahl bis 400 m tiefer Bohrlöcher ist in den benachbarten Feldmarken von Steinförde und Oldau abgeteuft, und das Vorkommen von Gips und Anhydrit neben Sylvin und Carnallit festgestellt. Ob indessen diese Lager bauwürdig sind, darüber fehlt jede Auskunft, da alle Bohrversuche mit grösster Diskretion behandelt wur den; es dürfte sich aber schon in Kürze aufklären. Ein weiteres Aufblühen der Ölindustrie in der mais Heide und womöglich auch der Kali- und Salzgewinnung wäre sehr zu wünschen, da diese hier bislang nicht sonderlich beachteten Mineralschätze so nahe der schiffbaren Aller und gleichsam vor den Thoren Bremens liegen. Nachtrag. Eine neue Verwendung des Wietzer Erdöls ist gegen Ende . des vorigen Jahres auf der Bremer Gasanstalt versucht worden. Durch starkes Erhitzen des rohen Ols oder seiner Destillations- Rückstände bildet sich ein schweres Gas von grosser Leuchtkraft, das zum (Carburieren des vielfach benutzten Wassergases dient. Zufolge gütiger Mitteilung der Herren Direktor Salzenberg und Dr. Schütte wurden 8750 kg des Wietzer Öls bezogen, das nach einigen Änderungen der für Thüringer Braunkohlen-Öle eingerichteten Apparate sich beim Carburieren gut bewährte. 317 Das weit westlich von der Streichungslinie hart am Dorfwege hinter dem Postgebäude angesetzte Bohrloch der „Hamburg-Celler Ölwerke“ wurde anfangs Oktober 1900 fündig und lieferte täglich 150 Barrel Ol. Bei einer Nachbohrung, die nach einiger Zeit sich notwendig machte, zerbrach leider die Schlammbüchse in der Tiefe, womit die Ölgewinnung einstweilen erlosch, Der vorliegende Geschäftsbericht der „Celle-Wietzer Aktien- gesellschaft für Erdölgewinnung,“ die mit einem Kapital von einer Million Mark am 8. März 1900 gegründet wurde, umfasst die Zeit vom Tage der Gründung bis zum Ende des genannten Jahres. Die Förderung des Erdöls, die zeitweilig durch 4 bis 6 in Betrieb befind- liche Pumpen bewirkt wurde, ist fast gleichmässig geblieben. In rund 250 Arbeitstagen wurden 29600 Barrel, oder durchschnittlich 118 Barrel pro Tag gefördert; dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass die Förderung möglichst eingeschränkt wurde, da die Produktion den Versand wesentlich überstieg. Für die. nächsten Jahre hofft man auf eine jährliche Förderung bis zu 60000 Barrel. Der Reingewinn belief sich auf 272301 Mk., von dem 146 751 Mk. auf die verschiedenen Conti abgeschrieben, 10°, Dividende — 100000 Mk, verteilt und 15000 Mk. Tantieme an Vorstand und - Aufsichtsrat bezahlt wurden. Für Erdöl hat diese Gesellschaft im ganzen 339273 Mark vereinnahmt. Bei dieser raschen Entwickelung der Erdölindustrie von Wietze kann man sich des Gedankens nicht erwehren, dass der feuergefähr- liche Körper auch Gefahren mit sich bringt. Fielen doch die grossen Petroleum-Tankanlagen der Bremen Trading Co. zu Harburg an der Elbe am 31. Mai 1895 einem Blitzschlage zum Opfer, und die letzten Naphta-Brände in Baku verursachten noch grössere Feuersbrünste. Ein mit Mineralöl gefüllter Tank ist ein vorzüglicher Konduktor der irdischen Elektrieität, der mit Blitzableitern sorgfältig geschützt werden muss. Was zweckmässige Schutzvorrichtungen an Erdöltanks gegen Blitzschläge und Brände betrifft, hat Herr Dr. Richard Kissling, Chemiker der Bremer Petroleum-Raffinerie, in Dinglers polytechnischem Journal 1896 vortrefflich zusammengestellt. Max Nössler’s Buchdruckerei, Bremen. 2 ehe Ik RN ara. Iran 34 yhiri | Sl DR WU OL 6 8 £ 9 © 1A [3 [4 2 oO wog 08 [224 Sg [ III re gRISssmmwuabunT qUISSSOHWuUayoH "uobunıyoglanz 420 osswugabug uauagebaebun ‘0 0 m ip Im yoıs ueyaxag y-—m USgWISYongL AUT (1042) YUamıasso 4 "yosAumT —WoT—bungyonyyoayy urT op nv pusoymuun Ysop4oNT you Isompns won Bunzyouy dep up "I = ? 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