ii f + t t * THE + | PHILOSOPHIGftL LIBRARY j ! OF ! t PROFESSOR GEORGE S, MORRIS, | i * .}» Professor in the university, ^ + * * 1870-1889. «j. i * -4» Presctitcd to thc University of Michigan. 4» 4» * + 4- G H Das Protistenreich. Eine populäre Uebersicht über das y57277— Formengebiet der niedersten Lebewesen. Mit einem wissenschaftlichen Anhange: SYSTEM DEI\ PROTISTEN. Ei Hfl CK EL. Mit zahlreichen Holzschnitten. Leipzig. Ernst Günther's Verlag. 1878. Alle Rechte vorbehalten. Jj ür das tiefere Yerständniss unserer heutigen Entwicklungs- lehre und der darauf gegründeten einheitlichen Weltanschauung dürften wenige Zweige der Naturwissenschaft von so fundamen- taler Bedeutung sein, wie die Naturgeschichte der niedersten Lebe- wesen, der sogenannten Protisten. Denn die urwüchsige Ein- fachheit im Körperbau und in den Lebens-Erscheinungen dieser unvollkommnen „Urwesen" öffnet uns erst den wahren "Weg für das Yerständniss der viel entwickelteren und schwierigeren Er- ' scheinungen, welche uns die Anatomie und Physiologie der höheren und vollkommneren Organismen, der echten Thiere und Pflanzen darbietet. Dennoch ist die Bekanntschaft mit den Protisten bisher fast nur auf die gelehrten Fachkreise beschränkt geblieben und erst sehr wenig in weitere Kreise eingedrungen. Das ist auch leicht erklärlich. Denn die grosse Mehrzahl jener einfachsten '<, Lebensformen, die wir im „Protistenreich u zusammenfassen, ist dem unbewaffneten Auge völlig verborgen. Erst durch das Mikroskop können wir sie erkennen, und meistens erst mit Hülfe starker Yergrösserungen ihre Form- Verhältnisse genau erforschen. Aber auch dann ist diese Erforschung noch mit vielen Schwierigkeiten und Hindernissen verknüpft. Denn die allgemeinen Anschau- ungen vom lebendigen Organismus, die gewöhnlichen Begriffe von den Organen und Functionen der Lebewesen, welche wir aus der alltäglichen Anschauung des höheren Thier- und Pflanzen-Lebens uns gebildet haben, passen nur wenig oder gar nicht auf jene niedersten Lebensformen. Ausserdem ist aber auch die gründ- liche wissenschaftliche Forschung der letzteren kaum vierzig Jahre alt; und erst die sehr ausgedehnten und sorgfältigen Untersuch- ungen der letzten zwanzig Jahre haben ihre Kenntniss auf eine solche Höhe gebracht, dass wir gegenwärtig wenigstens eine be- Haeckel, Das Protistenreich. \ — 2 — friedigende Vorstellung von der Eigentümlichkeit und eine klare Einsicht in die Bedeutung des Protisten-Reiehes gewonnen haben. "Wenn wir nun hier den Versuch wagen, in allgemein-ver- ständlicher Form eine kurze Uebersicht über das ganze grosse Protistenreich zu geben, und seine hohe Bedeutung für die Ent- wicklungslehre dem Verständniss der gebildeten Kreise näher zu bringen, so sind wir uns der grossen damit verknüpften Schwierig- keiten wohl bewusst. "Wir glauben aber denselben am besten zu begegnen, wenn wir uns auf die gedrungene Zusammenfassung des Wichtigsten beschränken, und die Bekanntschaft mit dem höchst mannigfaltigen 'und interessanten Detail dieses unendlich reichen Forschungs-Gebietes dem Studium der Special- Werke über- antworten. Zunächst wird sicher für unsere moderne Entwick- lungslehre und weiterhin auch für unsere damit verknüpfte moni- stische Weltauffassung schon viel gewonnen sein, wenn eine allgemeine Anschauung von dem weiten Umfang des mikrosko- pischen Lebensreiches, von der Einfachheit und elementaren Be- deutung des „kleinsten Lebens" sich einen Platz im Bewusstsein unserer gebildeten Kreise erobert hat. Die niedersten Lebewesen, die wir hier als Protisten, d.h. „Erstlinge" oder „Urwesen" zusammenfassen, werden in weiteren Kreisen auch heute noch sehr oft mit den unpassenden Namen Infusorien oder Infusionsthierchen (im weiteren Sinne !) bezeichnet. In den systematischen Lehrbüchern der Naturge- schichte werden sie meistens als Urthiere (oder „Protozoa") aufgeführt. Die beste deutsche Bezeichnung für die ganze grosse Gruppe wäre vielleicht: Z eil inge oder Zellwesen; denn es würde dadurch die wesentlichste Eigenthümlichkeit ihrer Organisation, die autonome Selbständigkeit und permanente Individualität ihres einfachen Zellen-Leibes in präcisester Weise ausgedrückt. Obgleich Viele von der Existenz der meisten mikroskopischen Protisten keine Ahnung haben, so kommt dennoch jeder Mensch unendlich oft mit ihnen in Berührung. Jeder hat beim Wasser- trinken, beim Essen von Früchten, Austern und anderen rohen Speisen schon Tausende und Millionen von lebenden Protisten verschluckt, ohne sich dessen bewusst geworden zu sein. Denn obgleich diese merkwürdigen Geschöpfe von dem unbewaffneten Auge des Menschen zum grössten Theile gar nicht erkannt oder höchstens als ganz kleine Pünktchen wahrgenommen werden, sind sie dennoch in zahllosen, höchst mannigfaltigen und interessanten Formen allenthalben über unseren Erdball verbreitet. Unsere Mikroskope weisen uns dieselben überall im süssen und salzigen Wasser nach. Alle Bäche und Flüsse, alle Teiche und Seen, alle Tümpel und Gräben enthalten solche TJrthierchen, oft in unglaub- licher Masse. Man kann keinen Stein, keine Pflanze aus dem Wasser heben, ohne in dem daran haftenden schleimigen Ueberzug wenigstens einzelne Infusorien zu finden. Ebenso ist das Meer überall von ihnen belebt. Der weiche Schlamm, der den Meeres- grund bedeckt, besteht zum grossen Theil aus dergleichen Proto- zoen. Der feine schlammige Ueberzug, der bei ruhigem Wetter den klaren Meeresspiegel überzieht, ist aus Milliarden schwimmen- der Infusorien zusammengesetzt. Aber auch der Staub unserer Strassen, der Sand unserer Dachrinnen, die Humus-Erde unserer Felder und Wälder, enthält Millionen kleinster Infusorien-Keime, sowie eingetrocknete, aber noch lebensfähige Körper derselben. Wir brauchen bloss diesen Staub und Sand in einem Glase mit etwas Wasser zu übergiessen und diesen Aufguss einige Zeit in der Sonne stehen zu lassen, um durch unser Mikroskop Massen von beweglichen Infusorien wahrzunehmen; theils haben sie sich in kürzester Zeit aus jenen Keimen entwickelt, theils sind sie unter dem belebenden Einflüsse des Wassers aus ihrem Trocken- schlafe zu neuem Leben erwacht. Ist es ja doch gerade diese Er- scheinung, die zu der Benennung: Infusoria oder Infusions- thierchen, d. h. „Aufgussthierchen" Veranlassung gab. Es sind jetzt kaum zweihundert Jahre verflossen, seitdem die mikroskopischen Infusorien durch den holländischen Naturforscher Anton van Leeuwenhoek zuerst in einem Topfe voll stehen- den Kegenwassers entdeckt wurden. Die Holländer haben die zweihundertjährige Jubelfeier dieser Entdeckung, die damals das grösste Aufsehen erregte, vor wenigen Jahren (1875) feierlichst begangen; und sie thaten Eecht daran. Denn die wissenschaft- liche Tragweite derselben ist in der That unermesslich , und je mehr wir mit unseren vervollkommneten Mikroskopen in die tief- sten Geheimnisse des Lebens eindringen, desto mehr werden wir uns ihrer Bedeutung bewusst. Unsere ganze Anschauung vom Wesen des Lebens und l* — 4 — von der Entwicklung der organischen Gestalten ist durch die genauere Erkenntniss dieser Urthierchen oder Infusionsthierchen unendlich erweitert und gefördert worden. Anatomie und Phy- siologie, Entwicklungsgeschichte und Systematik verdanken ihr die wichtigsten Aufschlüsse. Selbst für die Geologie haben sie eine ausserordentliche Bedeutung erlangt. Denn diese kleinsten Lebens- formen haben keinen geringeren Einfluss auf die Bildung der mächtigsten Gebirgsmassen und auf die ganze Gestaltung unserer Erdrinde ausgeübt, als alle die zahlreichen grossen Thiere und Pflanzen, die unsern Planeten seit Millionen von Jahren belebt haben. Die mikroskopischen Kalkschalen und Kieselgehäuse, welche sich die meisten Urthiere bilden, bleiben nach dem Tode ihrer Bewohner unverändert übrig. Sie häufen sich auf dem Grunde der Gewässer massenhaft an, bilden hier mächtige Schlammschichten und werden im Laufe der Jahrtausende zu festem Gesteine ver- dichtet. So sind z. B. die Kreide-Gebirge von England und von der Insel Bügen, sowie die über der Kreideformation abgelagerten eocänen Tertiärschichten zum grössten Theile, oft fast ausschliess- lich, aus den zierlichen Kalkschalen der Polythalamien zusammen- gesetzt. Andere Gesteine, wie z. B. die tertiären Felsmassen von Barbados und von den Mkobaren-Inseln, zeigen sich zum grössten Theile aus den reizenden Kieselpanzern der Radiolarien gebildet. Viele von den Gesteinen, welche solchen Urthierchen ihre Entstehung verdanken, hefern ein vorzügliches Baumaterial; und manche unserer [grössten Städte sind vorzugsweise aus der- gleichen Steinen erbaut, so z. B. Wien und Paris. Die berühmten Tiefsee-Forschungen der neuesten Zeit, zu denen die erste Legung des atlantischen Telegraphen-Kabels den Anstoss gab, haben jene felsbildende Macht des kleinsten Lebens in das hellste licht gestellt. Sie haben uns gezeigt, wie noch heute in den tiefsten Abgründen des Meeres unaufhörlich kreideartiges Gestein aus feinstem Meeresschlamm entsteht, und wie dieser Schlamm fast ausschliesslich aus den Kalkschalen und Kieselpanzern un- glaublicher Massen von Urthierchen gebildet wird. Tor Allem sind es hier die unvergleichlichen Entdeckungen der bewunderungs- würdigen britischen Oh all eng er- Expedition, welche uns mit einer Fülle neuer und überraschender Anschauungen über die„Mikro- — 5 — geologie", über das reiche, räthselvolle, mikroskopische Leben der Tiefsee-Thäler bereichert haben. Wie nun die eifrigen Forschungen des letzten halben Jahr- hunderts unsere Kenntniss vom Leben und Weben der Urthiere, von ihrer Gestaltung und Entwickelung ungemein gefördert haben, so haben sie auch unsere Ansichten von ihrer Stellung in der Natur und von ihrer systematischen Gruppirung sehr wesentlich verändert. Das System der organischen Formen ist ja immer mehr oder weniger der Ausdruck der Anschauungen, welche wir .von ihrer natürlichen Yerwandtschaft besitzen, und so zeigen uns denn auch die grossen Veränderungen, welche das System der Urthiere im Yerlauf der letzten Jahrzehnte erlitten hat, am klarsten den gewaltigen Umschwung unserer bezüglichenY orstellungen. Nachdem vor neunzig Jahren (1786) Otto Friedrich Müller den ersten umfassenden Entwurf eines Systems der Infusionsthierchen ge- geben hatte, erschien vor vierzig Jahren das grosse Prachtwerk des berühmten (1876 verstorbenen) Naturforschers Ehrenberg: „Die Infusionsthierchen als vollkommene Organismen. Ein Blick in das tiefere organische Leben der Natur." Das war im Jahre 1838, in demselben für die Naturwissenschaft Epoche machenden Jahre, in welchem der geniale Botaniker Schieiden in Jena zuerst den Grund zu der höchst fruchtbaren Zellen-Theorie legte. In der That ein merkwürdiger Zufall; eine seltsame Ironie des Schick- sals. Denn Ehrenberg war in seinem grossen Hauptwerke vor Allem bemüht, das ihm eigene „Princip überall gleich voll- endeter Entwicklung" zur Geltung zu bringen. Er suchte bei den Infusorien eine eben so vollkommene Organisation nach- zuweisen, wie bei den höheren Thieren und beim Menschen. Er glaubte überall Nerven und Muskeln, Darm und Blutgefässe, männliche und weibliche Organe unterscheiden zu können. Gerade dieses Prinzip war grundfalsch; vielmehr sind die Infusorien höchst einfache Organismen; die meisten haben nur die Bedeutung und den Werth einer einzigen einfachen Zelle; und ihr wahres Yerständniss wird uns erst durch die Zellentheorie gegeben. Der alte Name „ Infusionsthierchen " wird heute nur noch auf einen kleinen Theil der mikroskopischen Wesen angewendet, welche Ehrenberg in seinem grossen Werke als solche beschrieb. Nur die Wimperthierchen oder Oiliaten und die Borstenthierchen — 6 — oder A ein et en, oft auch die Geisseischwärmer oder Flagellaten werden heute noch in wissenschaftlichen Werken „Infusorien" genannt ; die formenreichen Kieselzellen oder Diatomeen werden dagegen meist von den Botanikern zu den Algen gerechnet. Die Räderthierchen {Rotatoria), die für E h r e n b e r g gerade den Typus der Infus oria bildeten, sind Würmer, also Thiere von viel höherer Organisation. Dagegen bilden die Amoeben und ihre Verwandten heute eine besondere wichtige Protisten-Classe , die wir Lappen- thierchen oder Lob osa nennen. Neben diesen aber hat die fort- geschrittene mikroskopische Forschung uns andere Classen von Ur- thierchen kennen gelehrt, die viel zahlreichere, merkwürdigere und mannigfaltigere Formen enthalten, als jene älteren Infusions- thierchen: vor allen die wunderbare Classe der Wurzelfüssler oder Rhizopoden; die Sonnenthierchen oder Heliozoen, die kalkschaligen Thalamophoren und kieselschaligen Radiolarien. Diesen schliessen sich eng die sonderbaren Schleimpilze oder My- xomyceten an, welche die Botaniker früher zu den echten Pilzen (Fungi) stellten. Aber auch die Stellung dieser letzteren im Pflanzenreiche ist ganz zweifelhaft geworden und es bestehen gewichtige Gründe dafür, sie aus letzterem in das Protistenreich zu versetzen. Als eine besondere, interessante, wenn auch nur sehr kleine Protisten-Classe dürfen wir die Catallacten betrachten. Endlich finden wir unten auf der tiefsten Stufe jener höchst ein- fachen, wunderbaren Wesen, mit denen das organische Leben in denkbar einfachster Gestalt beginnt, die Moneren. Schon beim ersten Blick auf die wunderbare Formenwelt, welche uns hier das Mikroskop entschleiert, wird sich jedem Un- befangenen zunächst die Frage aufdrängen: „Sind denn diese sogenannten Urthiere oder Infusionsthiere wirkliche, echte Thiere und warum werden sie von den Naturforschern in das Thierreich gestellt?" Diese Frage ist vollständig berechtigt; sie gehört zu jenen schwierigen Grundfragen der allgemeinen Biologie, deren Lösung durch unsere fortschreitende Kenntniss eher erschwert als erleichert wird. Wenn wir nämlich althergebrachter Maassen die ganze organische Natur in die beiden grossen Hälften : Thier- reich und Pflanzenreich eintheilen, und wenn wir damit glauben den natürlichen Gegensatz zwischen zwei völlig getrennten Haupt- gebieten auszusprechen, so ist diese Unterscheidung zwar durch die __ 7 — festgewurzelte- Anschauung und den Sprachgebrauch von Jahr- ' tausenden geheiligt; aber logisch begründbar und wirklich natur- gemäss ist sie nicht. Vielmehr lehren uns gerade unsere Urthierchen das Gregentheil. Je genauer wir deren Formen und Lebenserschei- nungen studirt haben, je vollständiger uns ihre ganze Entwicklungs- geschichte bekannt geworden ist, desto klarer hat sich herausgestellt, dass sie eine ununterbrochene Yerbindungsbriicke zwischen den tiefsten Stufen des Thierreichs und des Pflanzenreichs herstellen. So leicht und sicher wir die höheren und vollkommneren Stufen der beiden grossen Reiche von einander unterscheiden können, so schwer, ja so unmöglich wird diese Trennung auf den niedrigsten und unvollkommensten Stufen. Denn hier sind beide Reiche durch eine zusammenhängende Kette von einfachen Uebergangs- formen untrennbar verbunden. Die Erkenntniss dieser wichtigen Thatsache, welche heute unzweifelhaft festgestellt ist, hat zu den lebhaftesten Streitigkeiten über die Grenze zwischen Thierreich und Pflanzenreich Yeranlassung gegeben. Sie hat zugleich die abweichendsten Anschauungen über das Wesen der zweifelhaften Infusorien hervorgerufen, die mitten zwischen den beiden grossen Reichen der organischen Natur ein neutrales Grenzgebiet für sich in Anspruch nehmen. Während nämlich viele Infusorien von den Zoologen für Thiere, von den Botanikern dagegen für Pflanzen erklärt, und demnach von Beiden annectirt wurden, hatten Andere gerade das entgegengesetzte Schicksal: sie wurden von Beiden verschmäht; bei einer dritten Gruppe von Infusorien schien sogar nur die An- nahme übrig zu bleiben, dass sie abwechselnd als Thiere und Pflanzen lebten. Der daraus entspringende Streit über ihre wahre Natur scheint am einfachsten dadurch entschieden zu werden, dass man den Begriff von Thier und Pflanze scharf umschreibt, und diese unzweideutige Begriffsbestimmung auf jene zweifelhaften Mittelwesen anwendet. Aber diese gesuchte Begriffsbestimmung selbst ist ein unlösbares Problem; je mehr Mühe man darauf ver- wendet hat, desto klarer hat sich herausgestellt , dass es überhaupt auf einer falschen Fragestellung beruht, und dass die Begriffe von Thier und Pflanze nicht in der Natur begründet sind. Um nun den so entstandenen Schwierigkeiten zu entgehen, und um zu einer vernünftigen Classification der organischen Wesen — 8 — zu gelangen, ist schliesslich nur ein Ausweg übrig geblieben: nämlich die Aufstellung eines dritten, selbständigen Reiches von' elementaren Organismen: Das ist unser Eeich der Protisten oder Zellinge, das Eeich der neutralen Urwesen, Wir fassen demnach die ganze organische Natur, die Gesammtheit aller lebenden Wesen unsers Erdballs, als ein grosses einheitliches Ganze auf; und dieses umfassende Uniyersalreich theilen wir in drei Reiche: das Thier- reich einerseits, das Pflanzenreich andrerseits, mitten zwischen Beiden das neutrale Reich der Protisten. Um nun die Aufstellung unseres Protistenreiches zu recht- fertigen, wollen wir einen flüchtigen Blick auf die verschiedenen Character-Seiten des Thier- und Pflanzenreichs werfen. Es wird sich dabei von selbst ergeben , dass unsere Protisten weder dem einen, noch dem anderen vollständig entsprechen. Yerweilen wir zunächst einen Augenblick bei der äusseren Gesammterscheinung. So characteristisch uns da einerseits das höhere Thier mit der Gliederung seines Leibes und seiner Gliedmaassen , anderseits die höhere Pflanze mit ihrem Stengel und ihren Blättern entgegentritt, so wenig reicht diese äussere Gliederung hin, um die niederen Formen beider Reiche zu unterscheiden. Yiele unzweifelhafte Thiere, wie z. B. die Korallen, die Schwämme, ahmen so voll- kommen die Gestalt echter Pflanzen nach, dass man sie früher allgemein für solche gehalten hat. Umgekehrt giebt es viele un- zweifelhafte Pflanzen, wie z. B. viele Orchideen und andere Schma- rotzer, welche die Gestalt echter Thiere nachahmen. Und was sollen wir nun vollends zu den unendlich mannigfaltigen Figuren unserer Protisten sagen? Da treffen wir allein schon in der einen Classe der kieselschaligen Radiolarien alle möglichen Grundformen verkörpert an, die überhaupt in der Natur vorkommen können; und in welcher zierlichen und wundervollen Ausführung! Da finden wir in einem einzigen Tropfen Meerwasser nebeneinander Kugeln, Kreuze, Körbchen, Schrauben, Sterne, Schachfiguren, Hörner, Hauben, Helme, u. s, w.; kurz eine Fülle der mannig- faltigsten und merkwürdigsten Gestalten. Gewiss wird Jedermann, der diese Formen zum ersten Male sieht, sie für Kunstproducte halten, oder vielleicht für abgelöste Theile von grösseren Organis- men. Und doch sind es vollkommen entwickelte und selbständige — 9 — Lebewesen! Aber Niemand wird geneigt sein, sie für echte Thiere oder echte Pflanzen zu erMären. Ebenso wenig können wir aus der äusseren Körperform der meisten anderen Protisten einen sicheren Schluss auf ihre wahre Natur ziehen. Sehr Tiele be- wahren zeitlebens die einfache Kugelgestalt. Andere zeigen be- ständig die einfache Form eines Cylinders, einer Scheibe, eines Kegels, einer Pyramide u. s, w. Noch Andere endüch haben überhaupt gar keine bestimmte Gestalt, so namentlich die Moneren und die Amoeben. Der ganze Körper dieser höchst einfachen Urwesen besteht aus einem lebenden mikroskopischen Schleimklümpchen, das in unablässigem Wechsel seine Gestalt beständig ändert: daher der passende Name „ Aenderling u , den k e n diesen Amoeben beilegte. Doch verlassen wir die äussere Körperform! Denn dass diese ganz unzureichend ist, um den Unterschied zwischen Thier und Pflanze zu begründen, das ist längst allgemein anerkannt. Fragen wir uns lieber, was denn eigentlich in der naiven An- schauung des täglichen Lebens diese Unterscheidung begründet, und was dieselbe seit Jahrtausenden in der Sprache und im Begriffsleben der Menschheit gerechtfertigt hat. Unzweifel- haft sind es die Lebenserscheinungen der Empfindung und Bewegung, welche uns hier zunächst entgegentreten. Em- pfindung und Bewegung sind es, welche in der allgemeinen An- schauung das Thier gegenüber der Pflanze auszeichnen, und aus denen wir auf ein „Seelenleben" des Thieres schliessen, ein Seelenleben, das wir der Pflanze absprechen. Wie verschieden auch die psychologischen Vorstellungen sind, und wie weit auch die Ansichten über das eigentliche Wesen der Seele aus einander gehen, darüber sind wir doch Alle einig, dass mindestens den höheren Thieren eine Art Seelenleben zukommt. Denn die Haus- thiere, die wir täglich um uns sehen, bewegen sich zweifellos ebenso willkürlich, wie wir selbst. Sie empfinden die Eindrücke der Lust und Unlust, der Freude und des Schmerzes zweifellos ähnlich, wie wir selbst. Auch lehrt uns ja sofort jede anatomisch-physio- logische Untersuchung, dass das Nervensystem, das Organ dieser Seelenthätigkeiten, bei den höheren Wirbelthieren im Wesentlichen eine ähnliche Einrichtung besitzt, wie bei uns selbst. Von diesen augenfälligen Seelenthätigkeiten der höheren Thiele ausgehend, schliessen nun die Zoologen, dass dieselben auch allen -- 10 — anderen Thieren zukommen, und demgemäss werden seit alter Zeit Empfindung und willkürliche Bewegung als charakteristische Eigenschaften des Thieres betrachtet. Schon Linne sagt: „Die Pflanzen leben, die Thiere leben und empfinden." Und doch ist gerade diese, allgemein angenommene Unterscheidung völlig un- haltbar. Wir brauchen nur an den gewöhnlichen Badeschwamm zu denken, um uns davon zu überzeugen. Dieser Badeschwamm, mit dem sich der Kulturmensch täglich zu waschen pflegt, ist das todte Skelet, das innere Gerüst eines unzweifelhaften Thieres. Im Leben stellt dieses Thier einen fleischigen, schwarzen, formlosen Klumpen dar, der unbeweglich auf dem Meeresboden festgewachsen ist. Aehnliche Seegewächse aus der Klasse der Schwämme oder Spongien sitzen massenhaft auf dem Boden aller Meere, hunderte von verschiedenen Arten. Die meisten zeigen keine Spur von Bewegung und Empfindung; sie galten daher auch früher allge- mein für Pflanzen. Erst die genauesten Untersuchungen über ihre Entwickelungsgeschichte haben uns in den letzten Jahren darüber belehrt, dass wir sie als echte, unzweifelhafte Thiere be- trachten müssen. Aehnliche echte Thiere, welche in vollkommen reifem und ausgebildetem Zustande der Empfindung und Bewegung entbehren, kennen wir jetzt in Menge. Die meisten leben festgewachsen auf dem tiefen Grunde des Meeres. Sie gehören sehr verschiedenen Classen an: Würmern, Ascidien, Mollusken u. s. w. Viele von ihnen werden auf italienischen Fischmärkten unter den Namen „Seefrüchte" (Frutti di mare) feil geboten, und sowohl der Fischer, der sie verkauft, wie der Fremde, der sie mit Appetit verspeist, hält sie für die Früchte von Seegewächsen. Sogar unter den höheren Thierklassen, z. B. unter den Schnecken und Krebsen, giebt es einzelne Arten, die in vollkommen reifem Zustande einen formlosen runden Klumpen, ohne jede Spur von Bewegung und von Empfindung, darstellen. In diesen Fällen ist es die schmarotzende Lebensweise, durch welche das Thier seine „Seele" verloren hat. Das gilt z. B. von der berühmten Wunder- schnecke (Entoconcka mirabilis) und von dem merkwürdigen Säckchenkrebse (Sacculina). Erstere lebt als Parasit im Innern von Seegurken oder Holothurien ; letzterer sitzt schmarotzend auf andern Krebsen fest. Beide Thiere haben die Gestalt eines ein- _ 11 - fachen länglichen, runden Schlauches ; und dieser Schlauch enthält nichts weiter als Eier. Keine Spur von einem Kopfe und von Sinnesorganen; keine Spur von Fühlhörnern und Beinen; keine Spur von Empfindung und willkürlicher Bewegung. Gewiss würde kein Mensch in diesen beiden seelenlosen Eierschläuchen wahre Thiere vermuthen, und doch stellt die Entwicklungsgeschichte unzweifelhaft fest, dass das eine eine Schnecke und das andere ein Krebs ist. Als Gegenstück zu diesen „seelenlosen Thioren" treffen wir auf der anderen Seite „seelenvolle Pflanzen", die uns noch mehr überraschen. Wir betreten einen tropischen Urwald und wollen uns ein zierlich gefiedertes Mimosenblatt abpflücken. Aber kaum berühren wir den zarten Zweig der schamhaften Sinn- pflanze (Mimosa pudica) , so klappen alle Blätter ihre zierlichen Pieder-Reihen zusammen und die Blattstiele sinken wie gelähmt herab. Ja manche dieser akazienartigen Bäume sind so reizbar, so empfindlich, dass schon die Erschütterung des Bodens durch den Tritt des herannahenden Wanderers hinreicht, sämmtliche Blätter zum Schliessen zu bringen. Nicht minder empfindlich sind neben vielen Anderen die durch Darwin berühmt gewor- denen „insektenfressenden Pflanzen". Sobald eine unvorsichtige Fliege sich auf das Blatt einer „Fliegenfalle" (Dionaea) setzt, klappt das reizbare Blatt zusammen, und die mörderische Pflanze verzehrt das erfasste Insect mit offenbarem Wohlbehagen. Wollten wir diesen hochorganisirten Pflanzen eine Seele absprechen, so müssten wir sie ganz ebenso auch bei den empfindlichen, aber festge- wachsenen, pflanzenähnlichen Korallen leugnen; denn diese geben keine anderen Aeusserungen ihres Seelenlebens. Aber nicht allein solche hohe Empfindlichkeit, solche lebhafte Beweglichkeit einzelner Korpertheile treffen wir vielfach bei echten Pflanzen an. Kein, auch selbständige, freie Ortsbewegung, auch die Willensthätigkeit, auf die wir aus der scheinbar willkürlichen Bewegung schliessen, findet sich bei unzweifelhaften Pflanzen vor. Yiele Algen, z. B. viele von unsern einheimischen grünen Wasser- fäden oder Conferven, schwimmen in ihrer Jugend frei und lebhaft im Wasser umher. Die jungen Pflänzchen bewegen sich dabei, ebenso wie viele junge Thiere, durch zarte, haarförmige, schwingende Fäden, Geissein oder Wimpern. Bei dieser Schwimmbewegung - 12 — äussern sie eben so viel Lebhaftigkeit, eben so viel Ausdauer, eben so viel scheinbaren Willen, wie die ganz ähnlichen, flimmern- den Jugendformen vieler Thiere, z. B. die Gastrala. Auf den "Wiener Botaniker Unger, der zuerst vor 35 Jahren (im Jahre 1843) diese frei beweglichen Jugendformen von Algen entdeckte, machten dieselben einen so tiefen Eindruck, dass er seine bezüg- liche Mittheilung betitelte: „Die Pflanze im Momente der Thier- werdung." Schon aus diesen wenigen Thatsachen, die wir noch durch Aufzählung vieler ähnlicher Erscheinungen beträchtlich vermehren könnten, geht unzweifelhaft hervor, dass die höheren Seelenthätig- keiten der bewussten Empfindung und der willkürlichen Bewegung weder allen Thieren eigenthümlich sind, noch allen Pflanzen fehlen. Sie können daher nicht mehr in der üblichen Weise zur Unter- scheidung von Thier- und Pflanzenreich benutzt werden; und ebenso wenig sind sie von systematischer Bedeutung für unser Protistenreich. Für die Beurtheilung dieses letzteren ist es gleich- gültig, ob sich die Protisten sehr lebhaft bewegen und sehr fein empfinden, wie die meisten Wimper-Infusorien; oder ob sie nur stumpfe Empfindung und träge Bewegung besitzen, wie die meisten Wurzelfüssler. Yiele Protisten treten uns in zwei abwechselnden und ganz verschiedenen Zuständen entgegen: einem unbeweglichen und unempfindlichen Buhezustande, in welchem sie uns als Pflanzen erscheinen; und einem frei beweglichen und sehr empfindlichen Zustande, in welchem sie Thieren gleichen. Wir dürfen von diesen merkwürdigen Urwesen geradezu sagen: sie sind abwechselnd Thier und Pflanze. Und so sind sie auch wirklich früher be- urtheüt worden. So sind z. B. von manchen Plagellaten und Myxomyceten die vegetativen Ruhezustände als Pflanzen, die animalen Bewegungszustände als Thiere beschrieben worden, und erst viel später wurde entdeckt, dass Beide nur verschiedene Lebens-Zustände eines und desselben Protisten sind. Wollen wir nun aber vom Standpunkte der vergleichenden Psychologie zu einem Schlüsse über das Seelenleben aller dieser Geschöpfe kommen, so kann dieser Schluss nur lauten: „Alle lebenden Wesen sind beseelt, die Pflanzen so gut wie die Thiere, und die Protisten so gut wie die Pflanzen." Innere Bewegungs-Erscheinungen, die scheinbar ohne äussere Ursachen — 13 — entstehen und auf Ortsveränderungen kleinster Theile beruhen, insbesondere Protoplasma-Störungen, sind allen Organismen ge- meinsam, und insofern ist jedes lebende Wesen beseelt, jedes ist zugleich reizbar, im gewissen Sinne empfindlich. Stufenweise erhebt sich die Seelenthätigkeit, von den unscheinbarsten und niedrigsten Anfängen ausgehend, zu immer höheren und voll- kommneren Leistungen. Während die niedrigsten Thiere sich in dieser Beziehung nicht von den meisten Pflanzen und Protisten unterscheiden, steigt das Seelenleben der höheren Thiere, jdas Wollen und Empfinden, Vorstellen und Denken, zu einer ähn- lichen Stufe wie beim Menschen empor. Gleich der Seelenthätigkeit haben sich auch alle anderen Eigen- schaften, durch welche man Thiere und Pflanzen hat unterscheiden wollen, als unzureichende Merkmale erwiesen. Unzweifelhaft der wichtigste Unterschied zwischen Beiden beruht auf den entgegen- gesetzten physiologisch-chemischen Verhältnissen ihrer Ernährung. Der gesammte Stoffwechsel in beiden Reichen, im Grossen und Ganzen betrachtet, ist grundverschieden. Die Pflanzen allein besitzen das Vermögen, aus den einfachen chemischen Verbin- dungen der leblosen anorganischen Natur, aus Wasser, Kohlen- säure und Ammoniak, jene verwickelten und höchst zusammen- gesetzten, eiweissartigen Kohlenstoff -Verbindungen herzustellen, welche als die wahren Träger aller eigentlichen Lebens-Erschein- ungen gelten, vor allen das Protoplasma oder den Bildungs- stoff („Plasson"). Das können die Thiere nicht. Sie nehmen die Eiweisskörper, die sie beständig verbrauchen und zersetzen, direct oder indirect aus dem Pflanzenreich auf. Zur Aufnahme und Ver- dauung ihrer Nahrung bedürfen sie einer Magenhöhle und einer Mundöffnung; und das sind die am meisten characteristischen Organe des Thierkörpers , welche dem Pflanzenorganismus stets fehlen. Mit diesem fundamentalen Gegensatze in der Ernährung hängen auch noch andere wichtige Unterschiede beider Eeiche zusammen. Die Pflanzen athmen für gewöhnlich Kohlensäure ein und hauchen Sauerstoff aus ; die Thiere gerade umgekehrt. Die meisten Pflanzen bilden massenhaft jenen eigentümlichen grünen Farbstoff, das Chlorophyll oder Blattgrün, dem unsere Erde den grünen Schmuck ihrer Vegetationsdecke verdankt. Die meisten Thiere hingegen _ 14 _ bilden kein Chlorophyll. Ebenso erzeugen die meisten Pflanzen Massen von Stärkemehl (Amylum) und von Cellulose; von jener wichtigen stickstofflosen Verbindung, welche die Grundlage des Holzes bildet. Die meisten Thiere produciren kein Amylum und keine Cellulose. Und so könnten wir noch eine ganze Anzahl anderer chemischer Verbindungen anführen, welche den Gegensatz im Stoffwechsel des Thier- und Pflanzenreichs bezeichnen. Unzweifelhaft ist dieser Gegensatz von der grössten Bedeu- tung. Denn auf ihm beruht das beständige Gleichgewicht in der Oekonomie der organischen Natur. Was das eine der beiden grossen Lebensreiche ausgiebt, das nimmt das andere wieder ein. "Was das eine als unbrauchbar ausscheidet, das verzehrt das an- dere. Aber so bedeutungsvoll auch diese Wechselwirkung jeden- falls ist, so wenig ist der damit verknüpfte Gegensatz durchgreifend und zu einer beständigen Grenzmarke geeignet. Denn zahlreiche Ausnahmen finden sich in jeglicher Beziehung. Als solche wichtige Ausnahmen sind vor allen die zahlreichen Schmarotzerpflanzen zu nennen: z. B. viele Orchideen, Oroban- chen, Lathraeen u. s. w. Diese Parasiten, deren nahe Verwandt- schaft zu echten hochentwickelten Pflanzen feststeht, haben durch Anpassung an schmarotzende Lebensweise ihren Stoffwechsel gänzlich geändert. Statt gleich anderen Pflanzen mühsam Eiweiss- körper zu produciren, finden sie es bequemer, gleich den Thieren diese wichtigsten Lebenstoffe aus anderen Pflanzen aufzunehmen. Damit ändert sich aber ihre gesammte Ernährung. Sie bilden kein Blattgrün mehr, sie athmen Sauerstoff ein und Kohlensäure aus ; sie bilden Verbindungen , die sonst nur im Thierkörper er- zeugt werden. Umgekehrt finden wir nun wieder im Thierreiche merkwür- dige Schmarotzer, welche gleichfalls durch Anpassung an para- sitische Lebensweise ihre ganze Ernährung völlig geändert haben. Ausser den schon angeführten Wunderschnecken und Säckchen- krebsen sind da besonders jene Würmer (Bandwürmer, Kratz- würmer u. s. w.) hervorzuheben, welche im Innern anderer Thiere leben und deren Säfte durch ihre Haut aufsaugen. Mund und Magen sind dadurch überflüssig geworden und im Laufe der Jahrtausende allmählich verloren gegangen. Die näch- sten Verwandten dieser darmlosen Parasiten besitzen einen wohl — 15 — entwickelten Mund und Darmkanal. Aber auch andere echte Thiere bieten in ihrem Stoffwechsel beträchtliche Abweichungen dar, und einige produciren Verbindungen, die sonst nur die Pflanzen erzeugen. So bilden sich z. B. die Ascidien einen Mantel aus Cellulose ; die grünen Süsswasserpolypen und einige grüne Würmer erzeugen in ihrer Haut echtes Blattgrün oder Chlorophyll u. s. w. Angesichts dieser zahlreichen Ausnahmen kann uns denn auch der Stoffwechsel unserer Protisten keinen Aufschluss über ihre wahre Natur geben. Wenn viele von ihnen Chlorophyll, Cellulose und Stärkemehl . erzeugen , so beweist das ebensowenig für ihre Pflanzen-Natur, als die Bildung von Kalkschalen bei vielen An- deren für ihre Thier-Natur Zeugniss ablegt. Vielmehr sprechen auch die Verhältnisse der Ernährung und des Stoffwechsels, im Grossen und Ganzen betrachtet, für die neutrale Natur der Protisten. Allerdings wissen wir von den physiologisch-chemi- schen Vorgängen ihres Stoffwechsels im Ganzen noch sehr wenig. Aber dies Wenige reicht doch hin, um uns auch hierin ganz eigen- tümliche Verhältnisse erkennen zu lassen. So nehmen z. B. die formlosen Amoeben und die formenreichen Wurzelfüssler zwar ihre Nahrung ähnlich den Thieren auf, aber ohne Mund und Magen. An jeder Stelle der nackten Körperoberfläche können die Nahrungsbissen in's Innere dringen. Auch die thierähnlich- sten Protisten, die Wimperthierchen, besitzen keinen wahren Darm, keinen wahren Mund und Magen. Dieser fehlt vielmehr allen Protisten. Wir sehen also, dass keine der verschiedenen Lebenserschei- nungen genügt, um uns über das Verhältniss der Protisten zu den Thieren und Pflanzen vollkommen aufzuklären. Da nun auch die äussere Gestaltung uns darüber keinerlei Aufschluss giebt, so bleiben uns nur noch diejenigen Verhältnisse übrig, welche uns das Mikroskop im feineren Bau und in der Entwick- lungsgeschichte enthüllt. Ohne die genaueste Kenntniss dieser Verhältnisse können wir uns ja überhaupt kein vollständiges Bild von der Natur der Organismen machen. Alles nun, was wir bis- her davon erkannt haben, findet seinen umfassendsten Ausdruck in der berühmten Zellentheorie, die seit 40 Jahren das wich- tigste Fundament aller biologischen Forschungen geworden ist. — 16 — Bekanntlich lehrt uns diese Zellentheorie, dass alle die tausend- fach verschiedenen Formbestandtheile, die wir im Körper sämmt- licher Thiere und Pflanzen mittelst des Mikroskopes unterscheiden, lediglich verschiedene Abarten und Umbildungen eines einzigen Grundorganes, eines einzigen ursprünglichen Form-Elementes sind. Dieses Form-Element ist die Zelle, ein kleines, für das blosse Auge meist unsichtbares Körperchen, welches bis zu einem gewissen Grade ein selbständiges Leben führt. So unendlich mannigfaltig die Form der Zelle auch ist, so ist sie doch immer aus zwei verschiedenen Bestandteilen zusammengesetzt: aus einem Stück- chen weicher, eiweissartiger Substanz, dem Bildungsstoff oder Protoplasma, und aus einem festeren, davon umschlossenen Körperchen, dem Kern oder Nucleus. Die ursprüngliche Selb- ständigkeit der Zelle ist so vollkommen, dass man sie mit Recht als den Elementar-Organismus, als das Individuum erster Ordnung bezeichnet hat. Da die Zellen jede organische Form bilden, können wir sie auch die „Bildnerinnen" oder Piastiden nennen. Der ganze Körper der meisten Thiere und Pflanzen ist aus Milliarden solcher Zellen zusammengesetzt ; und was dieses Thier, was diese Pflanze leistet, das ist in Wahrheit die Leistung ihrer zahllosen Zellen. Auch unser eigener menschlicher Leib besteht aus Milliarden derartiger Zellen, und alle unsere Lebens- verrichtungen sind das höchst verwickelte Resultat aus der Thätig- keit dieser mikroskopischen Wesen. Jedes Härchen besteht aus^ vielen Millionen Zellen. Ein kleinstes Blutströpfchen von einem Oubik-Millimeter Rauminhalt umschliesst schon fünf Millionen Blutzellen. Für die richtige Auffassung der Zellentheorie, von der das ganze Verständniss des Lebens abhängt, ist Nichts lehrreicher, als der oft angewendete Yergleich des vielzelligen Organismus mit einem wohlorganisirten menschlichen Staate. Die Existenz jeder geordneten staatlichen Organisation, gleichviel ob wir Monarchie oder Republik betrachten, beruht bekanntlich darauf, dass die ein- zelnen Staatsbürger einen Theil ihrer persönlichen Freiheit auf- geben, sich den Gesetzen des Staats unterwerfen und in die Arbeit des Lebens theilen. Ebenso gemessen auch die Zellen in jedem vielzelligen Organismus zwar bis zu einem gewissen Grade ihr selbständiges Leben; aber sie sind doch zugleich den Gesetzen — 17 — des Ganzen untergeordnet und durch die Arbeitstheilung von ein- ander abhängig. Wir können diesen politischen Vergleich auch noch weiter ausdehnen, indem wir den Pflanzen-Organismus als eine Zellen-Republik, den Thier-Organismus dagegen als eine Zellen-Monarchie betrachten* Denn die Pflanzenzellen sind durchweg selbständiger, gleichartiger, unabhängiger von einander und vom Ganzen. Die Thierzellen hingegen sind in Folge der vorgeschrittenen Arbeitstheilung ungleichartiger, mehr von ein- ander abhängig und zugleich in Folge der stärkeren Centralisation der „Staatsidee" in höherem Maasse unterworfen. Nun lehrt uns aber ferner die Entwickelungsgeschichte, dass jedes Thier und jede Pflanze im Beginne der individuellen Existenz eine einzige einfache Zelle ist. Das Ei, aus dem sich jedes Thier wie jede Pflanze entwickelt , ist weiter nichts als eine Zelle. Das ist eine der bedeutungsvollsten Thatsachen. Denn das ganze Pro- blem der individuellen Entwickelung löst sich demnach in die Frage auf: "Wie kann der vielzellige Organismus mit allen seinen verschiedenen Organen aus einer einzigen Zelle entstehen? Und die Antwort hierauf lautet höchst einfach: Durch wiederholte Theilung entsteht aus der einfachen Zelle eine Zeil-Gemeinde oder Association, eine Gesellschaft von zahlreichen gleichartigen Zellen; diese werden durch Arbeitstheilung ungleichartig und ordnen sich nach den Gesetzen der Yererbung und Anpassung zu einer centralisirten Einheit. Wie verhalten sich nun unsere kleinen Protisten zu diesen höchst wichtigen Thatsachen und zu der darauf gegründeten Zel- lentheorie? Ist auch ihr winziger Leib aus vielen und ungleich- artig entwickelten Zellen zusammengesetzt? Findet sich auch in ihrem Organismus jene Arbeitstheilung der associirten Zellen, durch welche die verschiedenen Gewebe und Organe entstehen? Das Mikroskop antwortet uns: Nein! Vielmehr ist bei den meisten Protisten der ganze Körper zeitlebens nur eine einzige Zelle. Aber auch bei jenen Protisten, welche in entwickeltem Zustande vielzellig sind, finden wir niemals wahre Gewebe und Organe, niemals jene eigenthümliche Arbeitstheilung und Anordnung der Zellen, welche den wahren Thierkörper und den wahren Pflanzen- körper auszeichnet. Denn hier beherrscht immer die Gesammt- form des Körpers die ganze Anordnung und Bildung der Zellen y Haeckel, Das Protist enreich 2 — 18 — ihre Verbindung zu den Geweben und Organen, aus denen er zusammengesetzt ist. Bei den vielzelligen Protisten hingegen be- wahren die gesellig verbunden Zellen stets mehr oder weniger ihre Selbständigkeit; sie bilden immer nur sehr lockere Gesell- schaften, sociale Verbände ohne Arbeitstheilung , die nicht als centralisirte Staaten anerkannt werden können. Wenn wir vorher den einzelnen Organismus des Thieres wie der Pflanze einem wohlorganisirten Culturstaate verglichen, so können wir dagegen die lockeren Zellenhaufen der vielzelligen Protisten höchstens mit den rohen Horden der uncultivirten Naturvölker vergleichen. Die meisten Protisten bringen es aber, wie gesagt, nicht einmal zur Bildung solcher Zellen -Horden, zu dieser niedersten Stufe der Association; sie ziehen es vor, als Einsiedler für sich zu leben und ihre volle Selbständigkeit in jeder Beziehung zu bewahren. Die meisten Protisten bleiben zeitlebens einfache, isolirte Zellen, sie leben als Zellen-Einsiedler. "Wenn man die hohe Bedeutung der Protisten für die moni- stische Entwicklungslehre richtig verstehen will, wenn man sich von der selbständigen Stellung des Protistenreichs zwischen dem Thierreiche einerseits und dem Pflanzenreiche anderseits überzeugen will, so muss man vor Allem den autonomen, unabhängigen Zellen-Charakter ihres Organismus gehörig würdigen. Bei allen einzelligen Protisten, die ihr ganzes Leben als „Zellen- Einsiedler" zubringen, versteht sich das von selbst. Aber auch bei den vielzelligen Protisten, bei den „Zellenhorden" finden wir immer die Individualität der locker verbundenen Zellen gewahrt und vermissen jene Abhängigkeit derselben von einander und vom Ganzen, welche wir in dem wohlorganisirten Zellenstaate des Thier- und Pflanzenorganismus antreffen. In dieser Auffassung des Protisten -Organismus liegt nach unserer Ansicht der Schwerpunkt seines Verständnisses. Es wird daher zunächst erforderlich sein, den Begriff der organischen Zelle überhaupt festzustellen. Dieser Begriff hat seit der Be- gründung der Zellentheorie mancherlei Wandlungen erfahren. Gegenwärtig nimmt man fast allgemein an, dass zum Begriff der Zelle zwei verschiedene Bestandtheile gehören. Erstens: der eigent- licheZellenleib, ein lebendiges Stückchen von weichem, eiweissarti- — 19 — gen Bildungsstoff oder Protoplasma; und zweitens ein davon umschlossener Zellkern oder Nucleus; ein kleinerer, meist festerer Körper , der ebenfalls aus einer eiweissartigen, aber vom Protoplasma etwas verschiedenen Materie besteht. Als dritter Hauptbestandteil kommt dazu bei vielen Zellen noch eine äussere Umhüllungshaut oder Schale, die Zell haut oder Membran. Die meisten Pflanzenzellen sind von einer solchen Kapsel oder Membran umschlossen: Schlauchzellen. Hingegen sind die meisten Thierzellen hautlos und nackt: Urz eilen. Die meisten Protisten zeichnen sich durch die Bildung ganz eigenthümlicher Kapseln oder Schalen aus, welche ihrem Zellenleibe eine sehr characteristische und mannigfaltige Gestalt geben. Wenn wir nun zunächst unter unsern Protisten diejenige Gattung aufsuchen, welche uns auf der Höhe ihrer Entwickelung die einfachste Form eines solchen einzelligen Organismus, gewisser- massen das Ideal der Zelle, darstellt, so treten uns vor allen Andern die berühmten Arno eben entgegen. (Fig. 1). Weit verbreitet in unsern süssen und salzigen Gewässern, sind dieselben wegen ihrer höchst einfachen Bildung und ihrer bedeutsamen Be- ziehungen zu anderen Zellen von ganz besonderer Wichtigkeit. Die Amoeben sind nackte Zellen ohne Hülle und ohne bestimmte Form. Ihr weicher Körper, der nur einen ein- fachen Zellkern enthält, bewegt sich langsam kriechend im Wasser umher. Dies geschieht dadurch, dass eine wechselnde Anzahl von veränder- Figtl# Eine gewöhnliche Amoebe liehen, lappenförmigen oder fingerför- (Amoebavulgaris) in zwei ™- ^ n\ i. «i. i v i • ou -ii aufeinander folgenden Zuständen migen Fortsätzen aus beliebigen Stellen der Bewegung dargestellt; in A der Oberfläche vorgestreckt und wieder sind mehrere kurze, in B mehrere eingezogen werden. So ändern die ^f^l'S^e^ j^^l kriechenden Amoeben immerfort ihre t o p l a s m a der nackten Zelle liegt unbestimmte Gestalt. Kommen sie zu- ^£$^££££1 fällig mit kleinen Körperchen in Beruh- Körperchen (i). rung, diezur Nahrung dienen können, so drücken sie dieselben mittelst der Bewegungen ihrer Fortsätze an einer beliebigen Stelle ihrer 2* - 20 — Körper-Oberfläche in diesen hinein. Auch kleinste Wassertröpfchen werden so verschluckt. Die einzellige Amoebe kann also essen und trinken, ohne dass sie Mund und Magen besässe. Nachdem die Amoebe durch fortdauerndes Wachsthum eine gewisse Grösse erreicht hat, zerfällt ihr einfacher Zellenleib durch Theilung in zwei Zellen. Zuerst theilt sich dabei der Kern, darauf das Proto- plasma. Auf dieselbe Weise vermehren sich auch die Zellen, die unsern eigenen Körper zusammensetzen, und von denen viele beständig verbraucht und durch neue Zellen ersetzt werden. Die grösste Aehnlichkeit mit den Amoeben haben die farblosen Blutzellen, die milliardenweise in unserem Blute kreisen. Auch diese bewegen sich nach Amoeben-Art, indem sie ihre unbestimmte Form ändern. Auch diese können fremde Körperchen in ihr In- neres aufnehmen; wir können sie unter dem Mikioskop z. B. mit Carminkörnchen füt- tern, mit denen sie Fig. 2. Fressende, Amoeben ähnliche, farblose *j P h jn knr/pr Zftit an- Blut z eilen aus dem Blute einer nackten See- S1CÜ m KUIZeV Leit m ~ Schnecke (Thetis leporina). Die Blutzellen füllen. (Fig. 2). führen in der Blutflüssigkeit lebhafte Bewegungen, y on besonderer Wich- gleich echten Amoeben aus; und gleich Letzteren ° B Des0Merer w 1CÜ verzehren sie feste Farbstoffkörnchen. tigkeitfür die Entwicke- lungsgeschichte ist die interessante Thatsache, dass auch die Eier der Thiere in ihrer frühesten Jugend nackte, formlose Zellen sind, welche Amoeben zum Verwechseln ähnlich sehen und gleich diesen langsame, un- bestimmte Bewegungen ausführen, wobei sie ihre Form beliebig verändern (Fig. 3). Bei den Schwämmen oder Spongien unternehmen diese amoebenähnlichen Eizellen, langsam fortkriechend, oft weite Wanderungen durch den Körper des Schwammes und sind daher früher als „parasitische Amoeben" beschrieben worden, welche als fremde Ein- dringlinge im Schwammkörper schmarotzend leben sollten (Fig. 4). Es giebt auch Amoeben, welche ihren nackten Zellenleib theilweise mit einer schützenden Schale umgeben, und diese bilden die Gruppe der Arcellinen oder Thekolobosen. Bald schwitzen diese gepanzerten Amoeben eine schleimige Masse aus, welche - 21 — Fig. 3. Jugendliche Eizellen verschiedener Thiere, amoebenähnliche nackte Zellen, welche unter langsamer Form Veränderung , gleich echten Amoeben, Be- wegungen ausführen. In dem dunkeln feinkörnigen Protoplasma liegt ein heller, bläschenförmiger Kern, und in diesem ein dunkles Kernkör perchen. — A 1—4. Eizelle eines Kalkschwammes (Leucon) in vier verschiedenen, auf einander folgenden Bewegungs-Zuständen. — B 1—8. Eizelle eines Schmarotzerkrebses (Chondracanthus) in acht verschiedenen, auf einander folgenden Bewegungs- Zuständen. - C 1— 5. Eizellen der Katze, in verschiedenen Bewegungs-Zuständen. — D. Junge Eizelle der Forelle. — E. Junge Eizelle des Huhnes. — F. Junge Eizelle des Menschen. Alle diese amoebenähnlichen Eizellen befinden sich noch in der ersten Jugend; später nehmen sie sehr verschiedene Beschaffenheit an. 22 Fig. 5. Difflugia (oblonga), eine gepan- zerte Amoebe , wel- che ihre länglich-eiför- mige Schale (a) aus feinsten Sandkörnchen zusammenklebt. Aus der einfachen Mündung des Gehäuses (oder der in- crustirten Zellmembran) tritt der vordere Theil des weichen Zellenleibes (b) mit seinen wechseln- den Lappenfüsschen vor (c). Im hinteren Theile ist ein heller kugeliger Kern mit zahlreichen Kernkörperchen sicht- bar (d). Fig. 4. Amoebenähn- liche Eizelle eines Kalkschwammes (Olyn- thus) , weite Strecken im Körper des', Letzte- ren fortkriechend. 1-—C Fig. 6. Quadrula (symmetrica). Eine gepanzerte Amoebe, deren Schale aus quadratischen Plätt- chen zierlich zusammengesetzt ist. Oben liegt ein kugeliger Zellkern (n) im Protoplasma, unten treten mehrere Lappenfüsschen vor(l). Fig. 7. Monocy- stis (agilis), eine schmarotzende Gre- garine aus der Lei- beshöhle des Regen- wurmes. Der langge- streckte, wurmförmig sich bewegende Kör- • per ist eine einfache Zelle mit fester Haut (a), Protoplasma (b) und Kern (c). — 23 — sofort erhärtet und mit Sandkörnchen und anderen fremden Kör- perchen zu einer festen Kruste zusammenbackt (Difflugia, Fig. 5). Bald wird die ganze Masse der erhärteten Hülle blos von aus- geschwitzter organischer Substanz gebildet, und diese zeigt oft eine sehr zierliche Structur, indem sie aus sechseckigen oder viereckigen Täfelchen zusammengesetzt erscheint (Arcella, Quadrula, Fig. 6). Alle diese amoebenartigen Wesen, die echten, nackten Amoeben und die gepanzerten zierlichen Arcellinen, können wir als besondere Classe unter dem Namen Lappinge oder Lappenfüssler (Lobosa) zusammenfassen, weil der auszeichnende Oharacter dieser einzelligen Urthiere die Bildung lappenförmiger Wechselfüsschen ist. An sie schliessen sich aber ganz eng die sonderbaren Wesen an, welche die besondere Gruppe der Gregarinen bilden. Alle Gregarinen leben als Schmarotzer oder Parasiten im Innern anderer Thiere und sind gewissen niederen Würmern so ähnlich, dass man sie früher selbst als Eingeweide-Würmer beschrieben hat; auch stimmen die wurmförmigen Bewegungen ihres kriechenden Körpers ganz mit denjenigen gewisser Würmer überein. Trotzdem ist ihr ganzer, ziemlich grosser, oft mehrere Millimeter langer Körper nichts Anderes, als eine einfache Zelle. Der trübe, mit feinen Körnchen erfüllte Protoplasma-Leib (b) umschliesst einen Zellkern (c) und ist von einer festen, homogenen, structurlosen Hülle umgeben (a). Die flüssige Nahrung schwitzt aus den umgebenden Säften des bewohnten Thieres durch diese Hülle oder Zellmembran hindurch und dringt so in die Gregarine ein. Man kann die Gregarinen als Amoeben betrachten, welche in das Innere von anderen Thieren eingedrungen sind, sich hier an parasitische Lebensweise gewöhnt und durch Anpassung mit einer schützenden Hülle umgeben haben. Eine ganz andere Bewegungsform, als die langsam kriechen- den Amoeben und Gregarinen, zeigen uns die schwimmenden Plagellaten, die G ei ssler oder Geisseischwärmer. Diese in- teressanten Protisten haben bis auf den heutigen Tag unter einem ganz eigenthümlichen Schicksal zu leiden. Wenn sie nämlich das Glück haben, grün gefärbt zu sein, werden sie von vielen Naturforschern unbedenklich als echte Pflanzen betrachtet. Wenn sie dagegen unglücklicherweise eine gelbe oder braune Farbe tragen, so werden sie für echte Thiere erklärt; gewiss ein schlagendes Beispiel von der Willkür der üblichen Classification. Zahlreiche 24 — Formen dieser Geissler, die auch oft mit dem vieldeutigen Kamen der Monaden belegt werden, bevölkern das Süsswasser, wie das Meer, oft in unglaublichen Massen. Wenn im Frühjahr zuweilen plötzlich unsere Teiche sich mit einer grünen Schleimdecke über- ziehen, so beruht das gewöhnlich auf der Entstehung zahlloser grüner Euglenen, Ebenso ist die seltener auftretende blutrothe Färbung der Gewässer, die zur Sage vom Blutregen, sowie zu vielen abergläubischen Vorstellungen und Hexen-Processen Ver- anlassung gegeben hat, durch Milliarden rother Euglenen bedingt. Durch verwandte rothe Protococcus-Formen wird auch der rothe Schnee gebildet, der die Eisberge sowohl in den Polarmeeren, wie auf un- seren Alpenhöhen bisweilen in weiter Ausdehnung blutroth färbt. Fig. 8. Phacus (longi- cauda). Ein Geisselschwär- mer mit einer langen schwin- genden Geissei am vorderen, einem fadenförmigen An- hang am hinteren Ende; hinter ersterem ein rother Augenfleck. Fig. 9. Peridinium (tri- pns). Ein Wimpergeissler, dessen dreihörnige Kiesel- schale aus zwei Hälften zusammengesetzt ist. Diese Protococcen und Euglenen sind Einsiedler -Zellen, während andere Flagellaten sich zu kleinen Gesellschafken zu- sammenthun. Sie schwimmen im Wasser umher mittelst eines feinen fadenförmigen Fortsatzes, der wie eine Geissei oder Peitsche hin und her geschwungen wird (Mg. 8). Manche setzen sich auch fest auf dünnen Stielen. Ausser der Geissei, ihrem Haupt-Be- wegungsorgan, besitzen manche Geisseischwärmer noch einen Kranz von feinen Wimpern mitten um den Zellenleib; diese 25 heissen Wimpergeissler (Pcridinia, Fig. 9). Von letzteren bilden sich viele eine Kieselschale, die aus zwei ungleichen Hälften besteht ; die grössere Hälfte trägt zwei lange Hörner, die kleinere ein Hörn; zwischen beiden Hälften tritt der Wimperkranz und die Geissei hervor. Durch die Schwingungen der Geissei werden kleine Nahrungskörnchen dem Zellenleibe der Flagellaten zuge- geführt und an deren Basis durch eine Art Zellenmund aufge- nommen. Ihre Yermehrung geschieht meistens durch einfache Theilung. "Bei vielen finden wir abwechselnd einen frei beweg- lichen und einen Ruhezustand. Während des letzteren kapseln sie sich ein und zerfallen innerhalb der Hülle in vier oder acht Zellen. Diese treten später aus der Kapsel aus und schwimmen frei umher. Nahe Verwandte dieser ein- zelligen Flagellaten sind auch die grünen sogenannten Kugelthier- chen oder Volvocinen (Fig. 10); grüne Gallertkügelchen, welche die Grösse eines Stecknadelknopfes er- reichen. In jedem Kügelchen sind zahlreiche grüne einzellige Flagel- laten zu einer Gesellschaft ver- einigt; und durch die gemein- samen Schwingungen ihrer Geissein wird die ganze Kugel umherbe- wegt. Im Innern der Gallert- kugeln entstehen neue Tochter- kugeln. Ausserdem vermehren sich die Volvocinen aber auch ge- schlechtlich , wie durch Cohns' sorgfältige Untersuchungen dargethan worden ist; ihre Befruch- tung geschieht in ähnlicher Weise wie bei vielen Algen; sie schliessen sich dadurch schon enger an das Pflanzenreich an. Eine sehr eigenthümliche Protistengruppe, die man auch noch zu den Flagellaten rechnet, sind die grossen blasenförmigen Noctiluken oder Meerleuchten. (Fig. 11). Sie bedecken oft die Meeresoberfläche in unglaublichen Massen, strahlen im Dunkeln ein helles Licht aus und spielen eine Hauptrolle bei dem wundervollen Phänomen des Meerleuchtens. Die gewöhnlichen Fig. 10. Ein Kugelthierchen (Vol- vox globator). Die netzförmige Zeichnung an der Oberfläche der (xallertkugel entsteht dadurch, dass die kleinen grünen, in den Knoten- punkten des Netzes befindlichen Geisselzellen sich durch feine Fort- sätze unter einander verbinden. Im Innern der Kugel sind* 6 Tochter- kugeln (junge Colonien) sichtbar. — 26 - Noctiluken sind colossale rundliche Zellen, welche f / 2 — 1 Milli- meter Durchmesser erreichen und die Gestalt einer Pfirsiche be- sitzen (Fig. 11). Der Hohlraum der blasenförmigen Zelle ist mit wässeriger Flüssigkeit erfüllt, in welcher sich verästelte Strom- fäden (g) des Protoplasma bewegen, ausgehend von der Wand- schicht des letztern, welche innen an der Zellhaut anliegt. Der Kern ist eiförmig (b). An einer Stelle ist die Zellhaut von einer Oeffnung, einem Zellmund (Cystostoma), durchbrochen, und hier wird Nahrung direct in das Innere aufgenommen. Hier befindet sich auch neben der zarten Geissei ein grosser peitschenförmiger quergestreifter Anhang (a), sowie ein zahnförmiger Fortsatz (d). Die Fortpflanzung erfolgt theils durch einfache Theilung, theils durch eine eigenthümliche Form der Sporenbildung. Fig. 11. Eine Meerleuchte (Noctiluca miliaris). 1. Die ganze Geissel- zelle von oben, 2. Im optischen Barchschnitt: a Peitschenförmiger Anhang, b Kern, c Furche der Oberfläche, d zahnförmiger Fortsatz, daneben die zarte Geissei ; e, f grössere Protoplasma-Ansammlung um den Kern herum ; g, g ver- zweigte Stromfäden des Protoplasma. Neuerdings ist eine Noctiluken-Form entdeckt worden, welche zum Verwechseln einer kleinen schirmförmigen Meduse ähnlich ist, und gleich einer solchen sich durch Zusammenklappen des zarten concaven Schirmes schwimmend bewegt (Leptodlscus medusoides). Während über die einzellige Natur der Geisseischwärmer und der Amoeben heutzutage kein Zweifel mehr besteht, so ist diese dagegen bis vor Kurzem streitig gewesen bei denjenigen Protisten, die man heute vielfach als Infusionsthierchen im engeren Sinne bezeichnet. Dazu gehören die "beiden Klassen der Wimper- 27 thierchen oder Ciliaten (Fig. 12—15) und der Starrthierchen oder Acineten (Fig. 16, 17). Massenhaft bevölkern sie alle stehenden und fliessenden Gewässer und sind auch in allen In- fusionen zu finden. Fig. 12. Ein Trompetentier- chen (S t e n t o r polymorphus). Oben ist der grosse, den Mund umgebende Wimperkranz siebt- bar, links darunter der lange, rosenkranzförmige Kern. Rechts neben dem Stentor sind zwei kleine, bewimperte Zellen sicht- bar, die aus dem Innern desselben ausgeschwärmt sind , entweder Junge oder Parasiten (Acineten- Schwärmer). Fig. 13. Ein Maiglocken- Thierchen (Vorticella microstoma). |Der ein- zellige Leib ist auf einem dünnen Stiele befestigt , der sich korkzieher- artig zusammenziehen kann, a Wim- perkranz um den Mund ; v con- tractile Blase ; n Zellkern; k, p, zwei Knospen, die sich ablösen. Besonders die Ciliaten, die Wimperlinge oder Wim- perthierchen, erscheinen in einer Fülle von niedlichen Formen; und durch die Anmuth ihrer lebhaften Bewegungen fesseln sie uns stundenlang an das Mikroskop. Nur ein- — 28 zelne Ciliaten sind schon mit blossem Auge sichtbar, so z. B. das grosse Trompetentierchen (Stentor, Mg. 12); die meisten sind erst durch das Mikroskop erkennbar. Zahlreiche kurze Wimper- häröhen sind über den Körper zerstreut und werden willkürlich schlagend bewegt. Wie die Geissein der Magellaten, so sind auch diese Wimpern der Ciliaten directe Portsätze vom Protoplasma des einzelligen Körpers. Die meisten Wimperthierchen bewegen sich frei schwimmend oder laufend mittelst dieser Wimpern umher. Es giebt aber auch festsitzende Ciliaten, wozu die niedlichen Yor- ticellen (Fig: 13) und Freia (Fig. 14) gehören. Fig. 14. Ein Lappenthierchen. (F r e i a e 1 e g an s). Der einzellige Körper ist in eine ovale, auf Wasser- pflanzen (unten) befestigte Hülle eingeschlossen, aus deren Oeffnung der Vordertheil der Zelle mit der Mundöffnung und zwei grossen Wimperlappen vortritt. Fig. 15. Ein Reusenthierchen (Prorodon teres). a Mund- Öffnung (mit fischreusenähn- lichem Schlundtrichter), b Con- tractile Blase, c Verschluckte Nahrungsballen, d Zellkern (mit Kernkörperchen). Bei diesen Ciliaten dient der durch die Wimpern erzeugte Strudel dazu, frisches Wasser und Nahrung der Zelle zuzuführen. Das Protoplasma des Ciliaten-Körpers ist in eine festere Rin- denschicht (Exoplasma) und eine weichere Markschicht (Endo- - 29 - plasma), gesondert. In der ersteren befindet sich eine beständige Oeffrmng, eine Art Zellenmund (Cytostovna) , durch welchen sowohl feste Bissen als Wassertropfen verschluckt und in die weichere Markmasse hineingedrückt werden. Bisweilen ist diese MundöfFnung zu einem besonderen gefalteten Schlundtrichter er- weitert, so z. B. bei dem Fischreusen -Thierchen (Fig. 15 a). In dem weichen Protoplasma des Inneren ballt sich die verschluckte Nahrung in Bissen (Fig. 15c), welche allmählig verdaut und auf- gelöst werden; Ehrenberg beschrieb diese Nahrungsballen als besondere Magensäcke und benannte deshalb die Ciliaten „Viel- magenthierchen" (Polygastrica). Unsere magenlosen Wimperthier- chen können also essen und trinken, obwohl sie einfache Zellen sind. Was aber noch mehr überrascht, das ist die Munterkeit und die offenbare Willkür ihrer Bewegungen, der zarte und seelen- volle Character ihrer Empfindungen. Gerade wegen dieser Eigen- schaften werden sie gewöhnlich als echte Thiere betrachtet. Dass sie das nicht sind, geht aus ihrem feineren Bau und ihrer Ent- wicklung deutlich hervor. Zeitlebens umschliesst ihr einfacher Zellenleib nur einen einzigen Kern. Bald ist dieser Nucleus rundlich (Fig. 15 d), bald wurstförmig (Fig. 13 n), bald langgestreckt, stabförmig oder rosenkranzförmig (Fig. 12). Die Ciliaten sind also wirklich einzellig, wie zuerst der um die Kenntniss der Protisten hochverdiente Zoologe Siebold dargethan hat. Die Vermehrung der Ciliaten geschieht durch einfache Theilung; und wie bei jeder gewöhnlichen Zellentheilung zerfällt zuerst der Kern, und darauf das Protoplasma in zwei gleiche Hälften. Aber auch Fortpflanzung durch Knospenbildung ist bei vielen Ciliaten zu finden, so z. B. bei den Vorticellen (Fig. 13). Ausserdem scheinen sich Viele durch Sporen zu vermehren, d. h. durch junge Zellen, welche sich im Inneren der Mutterzelle bilden und wobei der Kern be- theiligt ist (Fig. 12). Das Interessanteste an den Wimperthierchen , und diejenige Eigenschaft, durch welche sie alle anderen Protisten übertreffen, ist der hohe Grad von Empfindlichkeit und von Willens- Energie, den sie bei ihren lebhaften Bewegungen kundgeben. Wer lange und eingehend Ciliaten beobachtet hat, kann nicht zwei- feln, dass sie eine Seele so gut wie die höheren Thiere besitzen. Denn die Seelenthätigkeiten der Empfindung und der will- — 30 — kürlichen Bewegung üben sie eben so aus, wie die höheren Thiere ; und an diesen Thätigkeiten allein ist ja die Seele zu erkennen. Da nun der ganze Leib der Ciliaten bloss eine einfache Zelle ist, so gewinnen sie die höchste Bedeutung für die Theorie von der Zellseele, für die Annahme, dass jede organische Zelle ihre eigene individuelle „Seele" besitzt — oder vielmehr, richtiger aus- gedrückt: dass Seelenleben eine Thätigkeit aller Zellen ist. Fig. 16. Eine Acineta, auf einem kurzen Stiele (unten) befestigt p Saug- röhren der Zelle, v Contractile Blasen im Protoplasma, e eine Spore. n Zellkern. An die formenreiche Klasse der Wimperthierchen schliesst sich die kleine Gruppe der nahe verwandten Starrthierchen oder Acineten an (Fig. 16, 17). Im Gegensatze zu ersteren zeigen diese letzteren nur sehr wenig Beweglichkeit; sie sitzen meistens zeitlebens auf einem Stiele fest. Statt der Wimperhärchen treten aus ihrem starren, von einer Hülle umschlossenen Zellenkörper zahlreiche feine, oft büschelförmig gruppirte Fortsätze hervor (Fig. 16p). Dies sind sehr feine Saugröhrchen, die am Ende mit einem Saugknöpfchen versehen sind. Wenn ein schwimmendes Wim- perthierchen unvorsichtig in die Nähe einer solchen Acinete geräth, wird sie von den steif ausgestreckten Saugröhren der letzteren festgehalten und ausgesaugt (Fig. 17). Das Protoplasma des ge- fangenen Ciliaten (a) wandert langsam durch die Saugröliren (f) — 31 — in das Innere der Aeinete hinein. Dass auch sie nur eine ein- fache Zelle ist, beweist ihr Zellkern (n); im Protoplasma sind, wie bei den Ciliaten, oft eine oder mehrere „contractile Blasen u oder Vacuolen sichtbar, wassererfüllte kugelige Hohlräume, die sich langsam zusammenziehen und wieder ausdehnen (Fig. 16v Fig. 17x). Fig. 17. Eine Acineta, welche mit ihren Saugröhren (f) ein Wimperthier- chen (Euchelys a) ergriffen hat und dasselbe aussaugt, x, v Contractile Blasen. n Zellkern. Die anhaltende Beobachtung der Acineten gewährt ebenso wie diejenige der Ciliaten das höchste Interesse. An diesen In- fusionsthierchen zeigt uns die organische Zelle deutlich, wie weit sie es in ihrem idealen Streben nach thierischer Vollkommen- heit für sich allein bringen kann. Wir können sagen: Die Wim- perthierchen sind der gelungenste Versuch der einzelnen Zelle, sich zu einem wirklichen Thiere zu entwickeln. Aber zu einem echten Thiere gehören ja mindestens zwei Keimblätter, deren jedes aus zahlreichen Zellen zusammengesetzt ist. Also können wir doch die Ciliaten und Acineten nicht als wirkliche Thiere gelten lassen. Unter allen Protistenklassen die formenreichste und in geo- logischer Beziehung die wichtigste ist die wunderbare Klasse der Wurzelfüssler oder Ehizopoden. Ausser mehreren kleineren Gruppen gehören dahin die kalkschaligen Thalamophoren und die kieselschaligen Kadiolarien. Beide Abtheilungen sind in zahllosen, höchst phantastisch geformten Arten in allen Meeren verbreitet. — 32 — Die Thalamophoren leben zum grössten Theile kriechend auf dem Grunde des Meeres, besonders auf Seetang; die Eadiolarien hin- gegen schwimmen in dichtgedrängten Schaaren an der glatten Oberfläche des Meeres oder schweben in verschiedenen Tiefen desselben. Die bekanntesten und geologisch wichtigsten Rhizopoden sind die Thalamophoren, Kammerlinge oder Kammerthierchen; ausgezeichnet durch eine feste, meistens kalkige Schale, in welche sich diese Urthierchen, wie die Schnecke in ihr Haus, zurück- ziehen können. Bald enthält diese Kalkschale nur eine einzige Kammer (E inkammeri-ge , Monothalamia, Monostegia) ; bald mehrere, durch Thüren mit einander verbundene Kammern (Vielkamme- rige , Polythalamia, Polystegia). Solche zierlich geformte, oft einem Schneckenhaus ähnliche Kalkschalen haben sich seit vielen Mil- lionen Jahren in ungeheuren Massen auf dem Meeresboden ange- häuft und an der Gebirgsbildung unserer Erde den wichtigsten Antheil genommen. Schon die ältesten, aus dem Meere ab- gesetzten Flötzgesteine , die laurentischen, cambrischen und silu- rischen Schichten, enthalten dergleichen Polythalamien-Schalen und sind wahrscheinlich zum grossen Theile aus ihnen gebildet. Das älteste von Allen ist das berühmte Eozoon canadense aus den unteren laurentischen Schichten, dessen Polythalamien-Natur mit Unrecht in Zweifel gezogen wurde. Die mächtigste Entwicke- lung erreichen diese Rhizopoden jedoch erst viel später, während der Kreide-Periode und der älteren Tertiär-Periode. Jedes kleinste Körnchen unserer weissen Schreibkreide lässt uns unter dem Mi- kroskope zahlreiche solcher zierlichen Kalkschalen erkennen. Der Grobkalk von Paris, aus dem viele Paläste dieser Weltstadt erbaut sind, besteht ebenfalls zum grössten Theile aus solchen Kam- merschalen. Ein Kubikcentimeter des Kalkes aus den Steinbrüchen von Gentilly enthält ungefähr 20,000, ein Kubikmeter demnach gegen 20 Millionen Schalen. Die grössten Polythalamien aber lebten während der ältesten Tertiärzeit, während der Eocaen-Periode. Unter ihnen sind die Riesen des Protisten-Reiches, die gigantischen Nummuliten (Fig. 18), deren scheibenförmige Kalkschalen die Grösse eines Zweithalerstückes erreichen. Der von ihnen erzeugte Nummuliten-Kalk, aus dem unter Anderen die egyptischen Pyra- miden gebaut sind, bildet die ungeheuren Gebirgsmassen des Nummulitensystems. Dies ist eins der gewaltigsten Gebirgssysteme — 33 - unserer Erde, das von Spanien und Marokko bis nach Indien und China hinüberreicht, und an der Bildung der Pyrenäen und Alpen, des Libanon und Kaukasus, des Altai und Ifimalaya den bedeu- tendsten Antheil nimmt. Fig. 18. Nummulites (reticulatus). a, b, c in natürlicher Grösse; d, e, f schwach vergrössert. Die linsenförmige Scheibe ist in a vom Rande aus gesehen, in b und e von der Fläche, c und d im Längsschnitt (Dickenschnitt). In welchen ungeheuren Massen die Polythalamien auch ge- genwärtig noch unsere Meere bevölkern, geht daraus hervor, dass z. B. der Sand der Mittelmeerküsten an vielen Stellen zur grösseren Hälfte aus den Schalen lebender Polythalamien- Arten besteht. Schon einer ihrer ersten Beobachter, Bianchi, zählte Haeckel, Das Protistenreich. 3 ••• •! •• _ 34 — im Jahre 1739 in einem einzigen Esslöffel Seesand von Bimini 6000 Individuen; und. derjenige Naturforscher, dem wir die ge- nauesten Untersuchungen über ihre Naturgeschichte verdanken, der berühmte Anatom Max Schultze, berechnete ihre Menge in einem Esslöffel Seesand von Gaeta auf mehr als Hunderttausend. Der weiche lebendige Körper der Kammerthierchen , welcher diese wunderbaren Schalen- und Panzer-Bildungen erzeugt, ist stets von höchst einfacher Bildung: ein Stück formloses Proto- plasma, das zahlreiche Zellenkerne einschliesst Ton der Ober- fläche des weichen Protoplasma-Leibes strahlen hunderte, oft tau- sende von äusserst feinen Fäden aus. Diese Schleimfädchen, die den Namen Scheinfüsschen oder Pseudopodien fuhren, sind sehr empfindlich und beweglich. Sie können sich verästeln, mit einander verschmelzen, Netze bilden und wieder in die gemein- same Centralmasse des Körpers zurückgezogen werden. Durch die Zusammenziehungen dieser Fäden bewirken die Wurzelfüssler ihre »kriechende oder schwimmende Ortsbewegung. Wenn ein anderes Protist, z. B. ein "Wimperthierchen oder eine Bacillarie, in den Bereich dieser Fäden gelangt, so wird es von ihnen er- fasst, umschlungen und in das Innere des Protoplasmakörpers hin- eingezogen, wo es einer höchst einfachen Verdauung unterliegt. "Wie bei den Amoeben kann jede Stelle der Körperoberfläche der- gestalt die Aufgabe eines Mundes und Magens übernehmen. Auch die Yermehrung der Wurzelfüssler ist höchst einfach. Der weiche Protoplasma-Leib des Kammerthierchens zerfällt in zahlreiche kleine Stückchen. Jedes Stückchen erhält einen Zellkern, bildet also eine echte Zelle, und diese nackte Zelle schwitzt alsbald wieder eine Kalkschale aus. Die vielgestaltige Schale des Acyttarien-Körpers besteht meistens aus kohlensaurem Kalk, seltener aus einer erhärteten organischen Substanz, die mit Sandkörnchen u. dergl. verkittet ist. Bald be- sitzt die Schale nur eine grössere Mündung, ist aber übrigens undurchlöchert (Imper/oratä) ; bald ist die Schale überall von sehr zahlreichen kleinen Löchern durchbrochen (Forafninifera). Mit Bezug auf die Schalenform unterscheidet man bei den zwei Haupt- gruppen: Einkammerige und Vielkammerige. Die Einkamme- rigen (Monothalamia) sind verhältnissmässig wenig fonnenreich. Einer ihrer bekanntesten, häufigsten und grössten Vertreter ist die — 35 — Gromia (Fig. 19). Sie besitzt eine eiförmige Schale, mit dunkel- braunem Protoplasma erfüllt, und erreicht die Grösse eines Steck- nadelknopfes. Die Netze der Scheinfiisschen , welche davon aus- strahlen, kann man schon mit blossem Auge deutlich erkennen. Fig. 19. Gromia (oviformis). Die Hauptmasse des eiförmigen einzelligen Körpers ist von einer biegsamen Schale eingeschlossen. Durch die Oeffnung derselben tritt (unten) fliessendes Protoplasma heraus, welches die ganze Schäle umhüllt und von dem nach allen Richtungen bewegliche Fäden ausstrahlen. Die Yielkammerigen (Polythalamia) bilden die Haupt- masse der Acyttarien. Die einzelnen Kammern, welche ihre Schale zusammensetzen, sind durch unvollständige Scheidewände getrennt, oft sehr zahlreich. Meistens sind dieselben mehr oder weniger in Spiralen geordnet. So entstehen Gehäuse, welche die grösste Aehnlichkeit mit denjenigen gewisser Mollusken, namentlich Ce- phalopoden, besitzen (Fig. 20). Daher wurden diese Khizopoden 3* — 36 — von ihren ersten Entdeckern wirklich für echte, mikroskopische Cephalopoden gehalten und auch später noch ihre Organisation als solche beschrieben. Erst yor 40 Jahren lernte man, zuerst durch Duj ardin, ihre wahre Natur kennen, und überzeugte sich, dass ganz ahn* lieh geformte Schalen das eine Mal, von einem höchst vollkommen organisirten Weichthiere (Nautilus), das andere Mal von einem höchst einfach gebauten "Wurzelfüssler ( Polystomella) gebildet werden. Fig. 20. Polystomella (ve- nusta), ein Polythalam , dessen Kammern in einer Spirale auf- gerollt sind, ganz ähnlich wie bei Nautilus. Aus den feinen Löchern der Schale treten über- all bewegliche fadenförmige Scheinfüsschen hervor. Fig. 21. Alveolina (Quoyi). Mehrere Reihen von Kammern laufen in einer Spirale neben ein- ander hin. Die durchschnittenen Wände der Kammern sind weiss gezeichnet; die Verbin- dungsöffnungen mit den darüber liegenden schwarz. Bei manchen Polythalamien laufen mehrere Spiralen neben einander im Gehäuse hin, indem innerhalb der Kammern sich wieder parallele Scheidewände bilden (Kg. 21). Bei den grossen Orbi- tuliten und Nummuliten liegen solche Kammerreihen sogar in mehreren Stockwerken übereinander. Die Kammerreihen sind hier bald in zusammenhängenden Spirallinien, wie bei den Nummu- liten (Kg. 18) geordnet, bald in concentrischen Ringen, wie bei dem gigantischen Gycloclypeus (Mg. 22). Die Gehäuse dieser letzteren sind runde Scheiben, welche sich am besten mit einem Paläste vergleichen lassen, dessen Umfassungsmauern nach dem Plane eines römischen Amphi- theaters gebaut sind. — 37 Fig. 22. Cycloclypeus, ein colossales Polythalam von 3 Centimeter Durch- messer, in grossen Tiefen des Sunda-Meeres lebend. Man sieht die eine Hälfte der in der Mitte durchschnittenen Schale," von der links noch ein Stück der oberen Schicht abgeschnitten ist, um in die Kammern hineinzublicken. Fig. 23. Parkeria, ein colossales Polythalam von 3 Centimeter Durchmesser. Man sieht blos ein Stück der eiförmigen Schale, so durchschnitten, dass man nach allen Richtungen hin die Zusammensetzung des Gehäuses aus zahllosen kleinen Kammern erkennen kann. — 38 — Mehrere Stockwerke liegen übereinander, in jedem eine centrale Hauptkammer, umgeben von vielen ringförmigen Corridoren, und jeder Corridor durch viele Scheidewände in Kammern getheilt; alle diese zahlreichen Stockwerke, Corri- dore und Kammern stehen durch Thüren mit einander in Yerbindung und kleine Fenster in der äusseren Schalen- fläche vermitteln die Yerbindung mit der Aussenwelt, indem sie die feinen Schwimmfüsschen durchtreten lassen. Zu den grössten und am meisten zusammengesetzten Poly- thalamien gehören die Parkerien, deren Gehäuse grösstenteils aus Sandkörnchen zusammengesetzt sind (Fig. 23). Während die grosse Mehrzahl der Thalamophoren auf dem Meeresboden kriechend lebt, giebt es auch einige Arten, die an der Oberfläche des Meeres schwimmen, und zwar oft in grossen Massen, mit Eadiolarien gemischt. Dahin gehören auch die merkwürdigen Pulvinulinen , Globigerinen und Hastigerinen , letztere durch ihre sehr langen borstenförmigen Kalkstacheln ausgezeichnet (Kg. 24). Wenn schon bei diesen merkwürdigen Polythalamien die formbildende Kunst des formlosen Protoplasma unsere höchste Bewunderung erregt, so wird dieselbe noch gesteigert, wenn wir die nahe verwandten Eadiolarien, die „Gitterthiere" oder Strahlinge betrachten. Bei diesen höchst interessanten Wurzel- füsslern treffen wir die grösste Mannigfaltigkeit von zierlichen und sonderbaren Formen an, die überhaupt in der organischen Welt zu finden ist. Ja, alle möglichen Grundformen, welche man nur in einem promorphologischen Systeme aufstellen kann, finden sich hier wirklich verkörpert vor. Das Material aber, aus welchem das formlose Protoplasma hier die unendlich mannigfaltigen Skelettheile bildet, ist nicht Kalkerde, wie bei den Polythalamien, sondern Kieselerde. Der weiche lebendige Leib der Eadiolarien ist übrigens etwas höher organisirt, als derjenige der Polythalamien. Denn im Innern des formlosen weichen Protoplasma-Körpers findet sich hier eine besondere Kapsel, welche von einer festen Membran umschlossen ist, die Centralkapsel (Fig. 25). In dieser bilden sich Massen von kleinen Zellen, welche eine bewegliche Geissei erhalten, später die Kapsel durch- brechen und ausschwärmen. — 39 — Fig. 24. Hastigerina Murray i. Ein Polythalam , dessen Kaltschalen überall mit haarfeinen, sehr langen Kallcstacheln bewaffnet ist. — 40 — Da ,der ganze Inhalt der Centralkapsel zur Bildung dieser Keime , welche gleich Magellaten umherschwimmen und sich dann zu Eadiolarien entwickeln, verwendet wird, so kann man die Centralkapsel auch als Sporenbehälter (Spo ran gi um) der Ea- diolarien betrachten. Fig. 25. Hejiosphaera (inermis). Ein Badiolar, dessen kugelige Gitter- schale aus sechseckigen Maschen zusammengesetzt ist. Im Innern schwebt eine kugelige Centralkapsel, welche einen dunkeln Kern einschliesst, umgeben von kleinen gelben Zellen. Zahlreiche fadenförmige Scheinftisschen strahlen allent- halben aus, halten sich an der Gitterschale fest und treten durch deren Löcher aus. Sie ist umschlossen von einer Schicht Protoplasma, von welchem nach allen Richtungen zahllose, äusserst feine Schein- füsschen ausstrahlen. Diese verhalten sich im Uebrigen ebenso wie bei den Polythalamien. — 41 — Gewöhnlich finden sieh im Protoplasma der Radiolarien ausser- halb der Centralkapsel noch zahlreiche gelbe Zellen von unbekannter Bedeutung ; sie enthalten Stärkemehl. Ausserdem bilden sich bei einigen Radiolarien rings um die Centralkapsel grosse helle Wasser-Blasen aus (Vacuolen), welche von einer sehr dünnen Gallerte umschlossen siüd, so namentlich bei den erbsengrossen Thalassicollen (Fig. 26). Fig. 26. Thalassicolla (pelagica). Ein grosses nacktes Radiolar (ohne Schale). Die innere kugelige Centralkapsel ist von einem Mantel grosser Wasserblasen umgeben. An der Oberfläche strahlen tausende von feinen Schleimfäden aus. Es giebt auch zusammengesetzte Radiolarien (Polycyttarien). Diese bil- den grössere Gallertklumpen von cylin- drischer oder kugeliger Form, von 1 bis 3 Centimeter Durchmesser. Die Gallerte besteht grösstentheils aus sol- chen Wasserblasen, und in der Ober- fläche sind ältere, im Innern dagegen jüngere Centralkapseln vertheilt (Fig. 27; s. folg. S.). Jede der letzteren ist oft von einer gegitterten Kieselschale um- schlossen (Fig. 28). Fig. 28. Eine einzelne Kie- selschale (stachelige Gitter- kugel) von Collosphaera (spinosa). - 42 - Bei sehr vielen Eadiolarien ist die Kieselschale eine Gitter- kugel (Fig. 25, 28, 29, 31); oft gehen lange, regelmässig vertheilte Stacheln davon ab (Kg. 29). Bei den Ommatiden (Fig. 30, 31) finden wir mehrere solcher Gitterkugeln concentrisch in einander geschachtelt und durch radiale Stäbe verbunden, ganz ähnlich dem bekannten zierlichen Spielzeug, das die Chinesen aus Elfenbein anfertigen. Fig. 27. Collosphaera (Huxleyi).- Ein zusammengesetztes Radiolar mit vielen Centralkapseln ; die inneren kleineren ohne, die äusseren grösseren mit Kieselschale. Zwischen den ausstrahlenden Fäden sind zahlreiche kleine gelbe Zellen zerstreut. Im Centrum der Colonie ist eine grosse Wasserblase sichtbar umgeben von einem Protoplasma-Netz. Es giebt solche Gitterkugeln, die aus zwanzig im Cen- trum in einander gestemmten Stacheln zusammengesetzt sind; verästelte Querfortsätze der Stacheln, die in gleichem Abstände vom Centrum abgehen, setzen die Gitterschale zusammen {Dora- taspisy Fig. 32). Deü letzteren nahe verwandt sind die merkwürdigen Acanthometren (Fig. 33), ebenfalls mit 20 Stacheln, die nach einem bestimmten mathematischen Gesetze regelmässig vertheilt sind. 43 Fig. 29. Heliosphaera (actinota) . Von der Gitterkugel strahlen zwischen den Pseudopodien zahlreiche Kieselstacheln aus ; im Innern der Schale die Centralkapsel. Fig. 30. Actinomma (asteracanthion). Die Kieselschale besteht aus drei concentrischen Gitterkugeln, welche durch sechs radiale Stäbe mit einander verbunden sind. Die äusseren Enden der letzteren bilden starke dreikantige Stacheln, und dazwischen stehen auf der Oberfläche zahlreiche, sehr feine borstenförmige Kieselstacheln. 44 Fig. 31. Haliomma (Wyvillei). Die Kieselschale besteht aus zwei concen- trischen Gitter kugeln, die durch zahlreiche radiale Stacheln verbunden sind. Zwischen beiden Schalen findet sich die Membran der Centralkapsel , so dass die eine innerhalb, die andere ausserhalb der letzteren liegt. Fig. 32. Dorataspis (bipennis). Die Kieselschale wird durch die gabel- förmigen Querfortsätze von zwanzig, regelmässig vertheilten Stacheln zusammen- — 45 - Fig. 33. Xiphacantha (Murrayana). Eine Acanthometra, deren 20 Stacheln kreuzförmige Querfortsätze tragen. Die Stacheln bilden 5 parallele Zonen von je 4 Stacheln, die gleichweit von einander abstehen. Bei noch andern Eadiolarien ist die centrale Gitterkugel von einem lockern Kiesel-Schwammwerke umhüllt und mächtige dreikantige Stacheln mit spiralig gedrehten Kanten ragen daraus hervor (Spongosphaera, Fig. 34). Eine andere, äusserst formenreiche Gruppe von Eadiolarien, die Cyrtiden oder Helm-Radiolarien , bilden Kieselschalen von der Form eines Helmes (Fig. 35), einer Haube oder eines Körbchens, mit siebförmig durchlöcherter Wand (Podocyrüs, Fig. 36). Noch Andere gleichen einem Ordensstern (Astromma, Fig. 37), einer Sanduhr (Diploconus, Fig. 38), einem dreiseitigen Prisma (Pm- ntatium, Fig. 39) u. s. w. In der grossen Abtheilung der Acanthometren wird das Skelet stets aus zwanzig Kieselstacheln gebildet, welche im Centrum in einander gestemmt und nach einem sehr merk- — 46 — würdigen mathematischen Gesetze vertheilt sind; dies entdeckte zuerst der grosse Johannes Müller, dem wir überhaupt die ersten genaueren Kenntnisse der Radiolarien verdanken. Welche Bedeutung diese höchst mannigfaltigen, zierlichen und seltsamen Formen besitzen; wie das formlose Protoplasma der Eadiolarien dazu kommt, sie zu bilden, — davon haben wir heute noch keine Ahnung. Fig. 34. Spongosphaera (streptacantha). Neun dreikantige Stacheln ragen aus der kugeligen Centralkapsel hervor, welche von kieseligem Schwammgeflecht umhüllt ist und eine centrale Gitterschale einschliesst. Neben den Thalamophoren und Radiolarien wird noch eine grosse Anzahl von andern Protisten zur Klasse der Wurzelfüssler gerechnet. Tiele davon leben auch im süssen Wasser. Eines der häufigsten ist das niedliche sogenannte „Sonnenthierchen", welches vor nun hundert Jahren (1776) vom Pastor Eichhorn in Danzig entdeckt und als „lebendiger Stern" beschrieben wurde (Actinosphaerivm fflchhornii, Kg. 40)* — 47 Fig. 36. Podocyrtis (Schom- burgki). Die helmförmige Gitter- schale stellt auf drei Füsschen und trägt auf dem Gipfel einen Stachel ; das Gitterwerk der drei Abtheilun- gen ist sehr verschieden. Fig. 35. Dictyophimus (Chal- lengeri). Helmförmige Gitterschale mit drei Füsschen und Gipfel- stachel. Fig. 37. Astromma (Aristotelis). Die schwammige Kieselschale hat die Form eines Ordenskreuzes, — 48 Fig. 38. Diploconus (fas- ces). Die Kieselschale gleicht einer Sanduhr, in deren Axe ein starker, an beiden Enden zugespitzter Stab steht. Fig. 39. Acanthod'esmia (pris- matium). Neun Kieselstäbe sind so verbunden, dass sie die Kanten eines dreiseitigen Prisma bilden. Im Cen- trum schwebt eine kugelige Central- kapsel, von gelben Zellen umgeben. Fig. 40. Das vielzellige grosse Sonnen- thierchen (Actinosphaerium Eich- hornii). Die innere dunkle Markmasse (c) enthält viele Zellkerne und einige Nahrungsbissen (d). Von der hellen, schau- migen Rindenschicht (b), welche eben einen neuen Nahrungsbissen (a) aufnimmt, strah- len zahlreiche Scheinfüsschen (e) aus. Fig. 4L Das einzellige kleine Sonnenthierchen (A c t i n o - phrys sol). Im Innern der strahlenden Protoplasma-Ku- gel liegt nur ein Zellkern (n). Eine contractile Blase tritt an der Oberfläche des Proto- plasma vor (v). — 49 — Es ist ein weiches, mit blossem Auge deutlich sicht- bares, weiches ScHeimkügelchen , von der Grösse eines kleinen Stecknadelknopfes, oft in Menge auf dem schlammigen Boden unserer Teiche und Gräben zu finden. In der Mitte des schleimigen und blasigen Protoplasma-Kügelchens liegen meh- rere Zellkerne. Yon der Oberfläche strahlen zahlreiche empfind- liche und bewegliche Fäden oder Pseudopodien aus. Durch diese wird, wie bei den übrigen Wurzelfüsslern, die Nahrung aufgenommen. Die Yermehrung ist erst kürzlich entdeckt worden. Das Sonnenthierchen zieht dabei seine Fäden ein, umgiebt seinen kugeligen Körper mit einer Gallerthülle und zerfällt in viele einzelne Kugeln. Jede von diesen enthält einen Kern und schwitzt eine Kieselhülle aus , und jede dieser kieselschaligen Zellen wird später zu eioem neuen Sonnenthierchen. Man kann dieselben aber auch künstlich vermehren. Man kann sie in mehrere Stücke zer- schneiden und aus jedem Stückchen wird alsbald wieder ein selb- ständiges Wesen. Dasselbe gilt auch von vielen andern Protisten. Während das grosse Sonnenthierchen oder Strahlenkügelchen (Actinosphaerium) einen nackten Rhizopoden darstellt, der viele Zellkerne enthält, also aus vielen vereinigten Zellen zusammen- gesetzt ist, zeigt uns dagegen ein anderer, sehr häufiger Süss- wasserbewohner, das kleineSonnenthierchen (Actinophris sol) den Organismus der Wurzelfüssler in seiner allereinfachsten Gestalt (Fig. 41), nämlich als eine nackte einfache Zelle mit einem einzigen Kern; von der Oberfläche desselben strahlen viele feine Fäden aus, und indem das Protoplasma an gewissen Stellen Wasser aufnimmt und wieder abgiebt, bildet es „contractile Blasen oder Yacuolen." Eine der merkwürdigsten Protistenklassen, die ebenfalls oft zu den Wurzelfüsslern gerechnet wird, sind die so genann- ten Schleimpilze oder Myxomyceten, von Anderen auch Pilzthiere oder Mycetozoen genannt. Schon dieser doppelte Name bezeichnet ihre zweifelhafte Protisten-Natur. Sie leben in zahlreichen verschiedenen Arten an feuchten Orten, im abgefallenen Laube der Wälder, zwischen Moos, auf faulendem Holze und dergl. Früher galten sie allgemein für Pflanzen, und zwar für Pilze, weil ihr reifer Fruchtkörper täuschend dem blasenförmigen Frucht- körper der Gastromyceten oder Blasenpilze ähnlich ist (Fig. 43B). H a e c k e 1 , Bas Protistenreich . 4 - 50 - Dieser Fruchtkörper bildet kugelige oder länglich runde, oft auf einem Stiel festsitzende Blasen, meist von der Grösse eines Steck- nadelknopfes oder eines Hanfkorns, bisweilen aber auch von meh- reren Zoll Durchmesser. Die derbe äussere Hülle der Fruchtblasen umschliesst ein feines Mehl, das aus Tausenden von mikroskopi- schen Zellen besteht. Dies sind die Fortpflanzungszellen oder Sporen. Fig. 42. Keimung einer Myxomycete (Physarum album). 1. Eine Keimzelle oder Spore, 2. Aus der dunkeln Hülle der Spore tritt die nackte Zelle hervor (3). Diese verwandelt sich in eine Geisseizelle (4, 5) und darauf in eine Amoebe (6, 7). Mehrere Amoeben fliessen zusammen (8, 9, 10, 11) und bilden so ein Plasmodium (12). Während aber bei den Blasenpüzen , wie bei allen anderen eckten Pilzen, sich aus diesen Sporen die characteristisohen Pilz- fäden oder Hyphen, lange dünne Fadenschläuche entwickeln, entstehen daraus bei den Myxomyceten ganz andere Keime. Aus der festen Zellmembran einer jeden Spore schlüjpft nämlich, sobald diese ins Wasser gelangt, eine nackte, lebhaft be- wegliche Zelle aus, (Kg. 42, 1 — 3). Anfangs schwimmt diese Zelle mittelst eines langen Geisselfadens, den sie peitschenförmig nach Art der Geisseischwärmer hin und her schwingt, frei im Wasser umher (Fig. 42, 4, 5). Später sinkt sie zu Boden und nimmt die Form einer Amoebe an (Fig. 42, 6, 7). Ganz gleich einer echten Amoebe kriecht sie umher, indem sie veränderliche Fortsätze aus- streckt und wieder einzieht. Auch nimmt sie nach Art der Amoe- ben ihre Nahrung auf. Viele solcher amoeboiden Zellen können nun späterhin zu- sammenfliessen und mit einander verwachsen (Fig. 42, 8~r~ll). Da- — 51 — durch entstehen grosse Protoplasma -Netze mit vielen Kernen (Syncytien, Kg. 42, 12). Indem ihre Kerne sich auflösen, werden sie zu kernlosen Plasmodien (Pig. 43A). Solche grosse Plas- modien, oft ganz colossale Protoplasma-Netze, kriechen gleich einem riesigen Khizopoden langsam umher und ändern beständig ihre unbestimmte Gestalt. Fig. 43. Myxomyceten. A. Ein grösseres Plasmodium (von Didymium leucopus). B. Eine reife Frucht (von Arcyria incarnata). C. Dieselbe, nachdem die Wand (p) geplatzt und das Haarfaden- Geflecht (Capillitium, cp) hervorgetreten ist. Zu den grössten Plasmodien gehören die glänzend gelben (oft mehrere Puss grossen) Protoplasma-Geflechte yon Aetha- Mum, welche die Lohbeete der Gerbereien durchziehen und unter dem Namen „Lohblüthe" allen Gerbern bekannt sind. Haben die Plasmodien durch Wachsthum und Nahrungsaufnahme eine gewisse Grösse erreicht, so ziehen sie sich auf einen kugeli- gen, birnförmigen oder kuchenförmigen Haufen zusammen, um- geben sich mit einer Hülle upd das ganze Protopjasma zerfällt in — 52 — zahllose kleine Sporen, zwischen welchen sich meistens (jedoch nicht immer) ein Geflecht von äusserst feinen Haarfäden aus- breitet (Capillitium, Fig. 43 cp). "Wenn diese Fruchtkörper (Fig. 43B) ganz reif sind, platzt die äussere Hülle (Fig. 430) ; das Capillitium wird vorgetrieben und das feine Sporen-Pulver zerstreut. Obgleich nun diese blasenförmigen Fruchtkörper mit ihrem Sporenpulver und Capillitium die grösste Aehnlichkeit mit den- jenigen von gewissen echten Pilzen besitzen, haben sie doch mit diesen letzteren keine Spur von Verwandtschaft, wie ihre gänzlich verschiedene Entwickelung zeigt. Will man überhaupt die Myxo- myceten in nähere Beziehung zu irgend einer anderen Organismen- Gruppe bringen, so bleiben nur die Ehizopoden übrig. In der That gleichen die kriechenden netzförmigen Plasmodien der Myxömyceten so sehr gewissen nackten Wurzelfüsslern (LieberMhnia) , dass man sie gar nicht unterscheiden kann. Es giebt kein passenderes Object, um sich die merkwürdigen Strömungen in dem kriechenden nackten Protoplasma unmittelbar vor Atigeti zu führen, als die Plasmodien der gemeinen Löhblüthe, die im Frühjahr auf den Lohbeeten der Gerbereien sehr leicht zu haben ist und die Lohe in Form, von gelben, rahmähnlichen Sshleim- netzen durchzieht. Bringt man ein wenig von diesem gelben Proto- plasma in einer feuchten Kammer auf ein Glasplättchen , so ist letzteres schon nach 10 — 20 Stunden von einem feinen Faden-Netz übersponnen, in dessen Fäden man unter dem Mikroskope die lebhafte Protoplasma-Strömung prächtig verfolgen kann. Im Anschluss an die Myxomyceten müssen wir hier auch auf die echten Pilze (Fungi) einen Blick werfen, mit welchen man die ersteren früher irrthümlich vereinigt hat. Die echten Pilze, welche in so zahlreichen, ansehnlichen und mannigfaltigen Formen in unsern Wäldern und Feldern, auf Pflanzen- und Thierkörpern schmarotzend leben, werden oft auch als Schwämme bezeichnet. Sie haben aber mit den echten Schwämmen oder Spongien gar nichts zu thun; denn diese letzteren, wozu der gewöhnliche Bade- schwamm gehört, und welche sämmtlich — mit einziger Aus- nahme des Süsswasser-Schwammes, Spongüla, — im Meere leben, sind echte Thiere und besitzen ein Darmrohr mit Mundöflhung u. s. w. Die Pilzö dagegen bilden eine gänzlich verschiedene und sehr eigenthümliche Classe von niederen Organismen. Zwar — 53 — gelten sie heute noch allgemein als echte Pflanzen. Allein in den wichtigsten anatomischen und physiologischen Beziehungen weichen sie so sehr von allen übrigen Pflanzen ab, dass es wohl richtiger ist, sie als eine selbständige Classe von Protisten zu betrachten. Ernährung tind Stoffwechel der Pilze ist thierisch, nicht pflanzlich. Sie bilden kein Protoplasma, kein Chlorophyll, kein Stärkemehl, keine Cellulose, wie die echten Pflanzen. Viel- mehr bedürfen sie, wie die Thiere, zu ihrer Existenz und Ernäh- rung vorgebildetes Protoplasma, welches sie aus dem Körper anderer Organismen, lebender oder todter Thiere, Pflanzen und Protisten, entnehmen. Die Portpflanzung der Pilze ist meistens ungeschlechtlich, und auch da, wo sie geschlechtlich erscheint, ganz eigenthümlich. Das Form-Element, aus dem sich der Körper aller Pilze aufbaut, ist nicht eine echte, kernhaltige Zelle, wie bei allen Thieren und Pflanzen, sondern eine fadenförmige, kernlose Cytode, die soge- nannte Hyphe oder der „Pilzfaden." Durch seitliche Sprossuhg und fortgesetzte Theilung in einer Axe, bilden sie verzweigte ge- gliederte Fäden, und zahllose solche Pilzfäden, in langen Ketten an einander gereiht, sich verästelnd und netzartig verbindend, setzen alle Organe der Pilze zusammen. Der bekannte gestielte „Hut" oder Schirm unserer grossen Hutpilze, z. B. vom Cham- pignon (Fig. 44) ist blos der Fruchtkörper, welcher sich zur Zeit der Eeife aus einem unscheinbaren Fadengeflechte entwickelt, dem Mycelium (Fig. 44, 1 m) ; die strahligen, blattförmigen Rippen, welche sich an der Unterseite des regenschirmähnlichen Hutes bilden, sind von der Fruchthaut (Hymenium) überzogen, in welcher sich ungeschlechtlich die Fortpflanzungs-Cytoden („Sporen") bilden. Je genauer man die eigentümliche Anatomie und Keimungsge- schichte der Pilze verfolgt, je unbefangener man sie vergleicht, desto mehr überzeugt man sich, dass diese merkwürdigen Organis- men keine echten Pflanzen sind, sondern eine ganz selbständige Classe von neutralen Protisten darstellen. Dasselbe gilt von der formenreichen Classe der Kiesel- zellen (Diatomeae oder Bacillariae), die auch gewöhnlich zu den Pflanzen gerechnet werden. Diese zierlichen kleinen Orga- nismen bevölkern in ungeheurem Massen die süssen und salzigen Gewässer unseres Erdballs. In grossen Mengen angehäuft, bilden — 54 — sie gewöhnlich einen gelben oder gelbbraunen Schleim, der Steine, Wasserpflanzen u. s. w. überzieht. Bald sind die Diatomeen ein- zeln lebende* Einsiedlerzellen , bald Colonien oder Gesellschaften (Coenobien), welche aus vielen gleichartigen, locker verbundenen Zellen zusammengesetzt erscheinen. * Fig. 44. Ein Champignon, aus der Ordnung der Hutpilze (Hymeno- mycetes). A. Das Fadengeflecht (Mycelium), aus verästelten und netz- förmig verbundenen Reihen von Pilzfäden (Hyphen) gebildet (m). Aus dem Mycelium sprossen solide birnförmige Fruchtkörper hervor (I), in welchen sich ein ringförmiger Luftraum bildet (II, III, 1). Unterhalb sondert sich der Stiel (IY, st), oberhalb der Schirm des Hutes (h), von welchem die Hymenium- Rippen in den Luftraum hineinwachsen (V, 1); der untere Boden des Luftraums platzt später und hängt als Schleier (Velum) vom Rande des Hutes herab. Yiele Diatomeen sitzen fest; die meisten aber bewegen sich in ganz eigenthümlicher Weise, langsam schwimmend oder fort* 55 rutschend, im Wasser umher. Die Organe dieser Ortsbewegung sind noch gänzlich unbekannt, vielleicht feinste "Wimperreihen. Das Characteristische an dem Zellenkörper der Diatomeen ist die eigentümliche Kiesel- schale, in welcher ihr Zellenleib einge- schlossen ist. Diese Schale ist aus zwei Hälf- ten zusammengesetzt, welche sich zu ein- ander genau so verhalten, wie eine Schach" tel zu ihrem Deckel (Fig. 45). Die kern- haltige Zelle, welche in dieser Schachtel lebt, theilt sich in zwei Hälften, und jede Hälfte bildet sich zu ihrem Schachteldeckel eine neue Schach- tel. Dieser Process wiederholt sich mehrfach, wo- bei natürlich jede folgende Generation kleiner wird. Schliesslich aber entsteht eine Gene- ration, welche beide Schalenhälften abwirft, wieder bis zur Grösse der ersten, grössten Generation heranwächst, und sich nun mit einer neuen Kieselschachtel erster Grösse um- giebt. Wegen der unendlich mannigfaltigen und zierlichen Gestalt dieser Kieselschale, so- wie wegen ihrer äusserst feinen Sculptur, sind die Diatomeen sehr beliebte Unterhaltungs- Objecte für mikroskopischen Formgenuss. Wenn sich die Kieselschalen der todten Dia- tomeen massenhaft auf dem Grunde der Ge- wässer ansammeln und zu Stein verkitten, kön- nen sie ganze Gebirgsschichten zusammensetzen, so z. B. den Polirschiefer, das Bergmehl u. s. w. Fig. 45. Eine Dia- tomee oder Bacil- larie (Surirella dentata). Die Schach - telzelle ist vom Bande gesehen, so dass man sieht, wie die beiden SchalenMappen (s u. d) übereinander grei- fen, gleich einer Schachtel (s) und ihrem Deckel (d). In der Mitte der Kern (n) . p Protoplasma. Während die meisten, bisher von uns betrachteten Protisten- Gruppen grosse und formenreiche Classen darstellen, giebt es nun noch eine Anzahl von kleineren , isolirten , bisweilen nur durch eine oder wenige Formen repräsentirten Protisten, deren Ein- reihung in das System sehr schwierig ist. Dies gilt z. B. von den sonderbaren Labyrinthuleen, Gesellschaften von locker verbundenen, einfachen, spindelförmigen, gelben Zellen, die in einer eigenthümlichen Fadenbahn umherrutschen. Eine andere Gruppe, — 56 — interessant wegen ihrer Mittelstellung zwischen verschiedenen Pro- tisten-Classen , bilden die Catallacten, durch die Gattungen Synura and Magosphaera repräsentirt. Sie bilden schwimmende Gallertkugeln, zusammengesetzt aus einer Anzahl birnförmiger gleichartiger Zellen, welche mit ihren spitzen inneren Enden im Centrum der Gallertkugel vereinigt sind. Später lösen sich diese Zeil-Gesellschaften oder Coenobien auf. Die einzelnen isolirten Zellen schwimmen noch eine Zeit lang selbständig umher und können jetzt mit Ciliaten verwechselt werden. Dann aber sinken sie auf den Meeresboden nieder und verwandeln sich in Amoeben- ähnliche Zellen. Gleich echten Amoeben kriechen diese umher, Fig. 46. Magosphaera (planula), eine schwimmende Flimmerkugel von der norwegischen Küste. A von der Oberfläche, B im Durchschnitt. fressen, wachsen und kapseln sich schliesslich ein; der Zellen- körper zieht sich kugelig zusammen und umgiebt sich mit einer Gallerthülle. Innerhalb derselben theilt sich die Zelle später wieder- holt, in 2, 4, 8, 16, 32 Zellen u. s. w. Diese werden birnförmig, erhalten bewegliche Wimpern und verbinden sich wieder zu einer Plimmerkugel. Nun dreht sich die Kugel rotirend um ihren Mittel- punkt, sprengt ihre Hülle und schwimmt wieder frei in der Form umher, von welcher wir ausgegangen sind (Kg. 46). Das In- teresse dieser merkwürdigen Protisten liegt also weniger in be- sonderen Eigenthümlichkeiten, als vielmehr in der neutralen Mittel- _ 57 — Stellung, welche sie zwischen Amoeben, Infusorien und Yolvocinen einnehmen, und wodurch sie diese verschiedenen Protisten-Classen verknüpfen. Wir nennen sie daher „Mittlinge oder Vermittler" (Catallactd). Werfen wir einen vergleichenden Rückblick auf alle bisher betrachteten Protisten-Classen, so sehen wir, dass darin die orga- nische Zelle bald ganz selbständig auftritt, und als Einsiedler- Zelle (Monocyta) den ganzen Organismus repräsentirt, bald mit ihresgleichen sich zu lockeren Gesellschaften verbindet und ein- fache Z e 1 1 e n - G e m e i n d e n oder Zellen-Horden ( Coenobia) darstellt. Nun ist aber hiermit keineswegs die tiefste Stufe der Organisation erschöpft, welche uns die organische Welt darbietet. Vielmehr treffen wir noch unterhalb dieser einzelligen Protisten jene niedrigste und unvollkommenste Classe von Organismen an, die wir als Moneren bezeichnen. (Fig. 47, 48). Fig 47. Protamoeba (primitiva) , ein Moner mit läppen förmigen Pseudo- podien, gleich einer Amoebe. a kriechend, b in Theilung begriffen, c in zwei Hälften getheilt. Da wir diese in dem nachstehenden Anhange (S. 68—85) zum Gegenstande einer besonderen Besprechung machen werden, wollen wir hier nur ganz kurz die wichtigsten Punkte hervorheben, welche den Moneren ihre hohe Bedeutung für die Entwickelungslehre verleihen. Die Moneren sind wahre „Organismen ohne Organe". Ihr ganzer lebendiger Leib besteht in völlig entwickeltem Zustande nur aus einem ganz einfachen Protoplasma-Stückchen, welchem selbst der Kern, der Character der echten Zelle, noch fehlt. Be- züglich ihrer Bewegungen gleichen diese denkbar einfachsten Or- ganismen bald den Amoeben (Fig. 47), bald den Wurzelfüsslern — 58 - Fig. 48. Protomyxa aurantiaca, ein Moner mit wuraelf örmig verästelten fadenartigen Pseudopodien, gleich einem Bhizopoden. Fig. 49. Bathybius (Haeckelii). Ein Plasmodium ans den Tiefen des Oceans. Öie verästelten Plasson-Ströme, durch deren Verbindung das Netz entsteht, ändern sich beständig. — 59 — (Kg. 48), bald den Geisseischwärmern. (Mg. 50). Sie vermehren sich in einfachster Weise durch Theilung. Yon der grössten theoretischen Bedeutung sind sie für die dunkle Frage von der ersten Entstehung des Lebens auf unserer Erde. Denn nur Mo- neren können im Beginn des organischen Lebens auf unserm Planeten durch Urzeugung entstanden sein ; nur Moneren können die ältesten Stammältern aller übrigen Organismen sein. Gerade in dieser Beziehung sind die Moneren des Tiefseegrundes, und vor Allen der berühmte Bathybius (Kg. 49) vom höchsten In- teresse. Fig. 50. Zitterlinge (B acter ia), sehr stark vergrössert. 1. Sarcine, eine einfachste Cytode, im menschlichen Magen schmarotzend, welche sich durch kreuz- förmige Theilung vermehrt. 2. Bacillus, gerade Stäbchen. 3. Vibrio, kork- zieherartig gewundene Stäbchen. 4. Spirillum, eben solche Spiralstäbchen, die aber an beiden Enden eine äusserst feine, schwingende Greissei tragen. Eine sehr wichtige und interessante Monerengruppe bilden die Zitterlinge (Vibriones oder Bacteria, Mg, 50). Obgleich diese winzigen Körperchen, die zu den allerkleinsten Organismen gehören, meistens von den Botanikern zu den Pflanzen gerechnet und als „Spaltpilze (Schüomycetes) u den echten Pilzen an- gereiht werden, geschieht das doch ohne jeden genügenden Grund. Mindestens haben diejenigen Zoologen, welche sie als einfachste Thiere betrachten, ebensoviel Recht dazu. Die Bacterien sind eben echte Protisten , und zwar kleinste Moneren , deren höchst einfache Organisation und ganz neutraler Character sie weder dem Thierreich, noch dem Pflanzenreich anzuschließen gestattet, — 60 — Die Bacterien sind meistens stabförmige Körperchen, die sich lebhaft im Wasser bewegen. Als Organ der Bewegung ist bei einigen grösseren Formen eine äusserst feine, schwingende Geissei erkannt, die an beiden Enden des Stäbchens vortritt, so bei Spirillum (Fig. 50, 4). Wahrscheinlich ist eine solche auch bei den kleineren Vibrionen vorhanden und nur wegen ihrer ausser- ordentlichen Zartheit nicht wahrzunehmen. Die Bewegung der Bacterien ist meistens sehr lebhaft, zitternd oder wimmelnd, viele sind korkzieherartig gedreht und schrauben sich im Wasser fort (Fig. 50, 3). In einem einzigen Wassertröpfchen können Millionen solcher kleinsten Organismen vereinigt sein. Irgend welche Or- ganisations -Verhältnisse, namentlich ein Zellkern, sind an den- selben nicht nachzuweisen; sie sind daher auch nicht wirkliche Zellen, sondern kernlose Cytoden, gleich den anderen Moneren. Ihre Fortpflanzung geschieht in einfachster Weise durch Theilung. Oft zerfällt jedes Stäbchen in eine grosse Anzahl hinter einander gelegener Stückchen. Die grosse Bedeutung der Bacterien besteht darin, dass sie die Zersetzung und Fäulniss der organischen Flüssigkeiten bewirken, in welchen sie sich aufhalten. Sie ernähren sich von den organischen Substanzen (namentlich eiweissartigen Körpern), die in solchen Flüssigkeiten aufgelöst sind. Wahrscheinlich sind sie die Ursache vieler der wichtigsten, ansteckenden und epidemischen Krankheiten. So ist es neuerdings namentlich vom Milzbrand und den Blattern festgestellt , dass nur die Bacterien , die im Blute der milzbrand- kranken und blatternkranken Thiere leben, die Uebertragung dieser tödtlichen Krankheiten bewirken. TJeberblickt man unbefangen prüfend und vergleichend die Masse von verschiedenartigen Urwesen, die wir in unserem Protistenreiche vereinigt haben, so scheint die Selbständigkeit dieses letzteren keines weiteren Beweises zu bedürfen. Denn es existirt noch heute eine ungeheuere Menge von formenreichen, mikroskopischen Wesen, die wir ohne willkürlichen Zwang weder zum Thierreich noch zum Pflanzenreich rechnen können. Aber das natürliche Verhältniss dieser beiden grossen Lebensreiche zu jenem neutralen, zwischen Beiden mitten innö stehenden Protistenreiche wird noch vielfacher Durchforschung und Klärung _ 61 — bedürfen. Insbesondere wird die Bntwickelungsgeschichte der Protisten noch viel genauer und umfassender zu erforschen sein. Denn vor allen die Entwickelungsgeschichte wird hier, wie überall, der „wahre üchtträger"für das Yerständniss der biologischen Erscheinungen sein. Uebrigens scheint gegen das Thierreich hin eine feste und klare Abgrenzung des Protistenreichs schon jetzt sicher gewonnen zu sein. Denn bei allen echten Thieren entwickelt sich der Leib aus zwei ursprünglichen Zellenschichten, die unter dem Namen der Keimblätter bekannt sind. Fig. 51. Gastrula (Darmlarve) eines Kalkschwammes , Olynthus. A von der Oberfläche. B im Längsschnitt, e äusseres Keimblatt (Hautblatt oder Exoderm). i Inneres Keimblatt (Darmblatt oder Entoderm). o Urmund. g Urdarmhöhle. Aus dem äusseren . oder animalen (Exoderma oder Haut- blatt, Fig. 51 e) entstehen die Organe der Empfindung und Bewegung; aus dem innern oder vegetativen Keimblatte (Entoderma oder Darmblatt, Fig. 51 i) die Organe der Er- nährung. Das letztere umschliesst eine ernährende Höhle, die erste Anlage des Magens, oder den Urdarm (g), und dieser öffnet sich nach aussen durch eine einfache Mundöfftmng, den Urmund (o). Die bedeutungsvolle Keimform, welche uns den Thierleib dergestalt, blos aus zwei Keimblättern gebildet, vor Augen führt, ist die Gastrula (Darmlarve oder Becherkeim). 62 — Fig. 52— 57. Gastrula von sechs verscl^öfleften Thieren. Fig. 52 (B) Wurm (Sagitta). Fig. 53 (C) Seestem (Unister). Fig, 54 (D) Krebs (Nanp|ros). Fig. 55 (E) Schnecke (kymnaems). F% $ö (A) Pflanzenthier (täKetro- 'tfWmty %► 57 (*) ^^b4|t^ier (AmpMoÄits). — Ueberall betyiifcfc e Hautblatt (Äodewn), i Darmblatt (Entoderm), d ürdarm, o Urmnnd. Fig. 58. Gast rata eines Säugethieres (Kaninchen), e Hautblatt (Exo- derm). i Darmblatt (Entoderm). d eine centrale Entoderm-Zelle, welche die enge UrdannhÖhle ausfüllt, o eine Entoderm-Zelle , welche die Urmundöffnung verstopft. Ebenso wie beim Kaninchen verhält sich wahrscheinlich auch die Gastrula beim Menschen. — 63 — __ Diese Gastrula ist das wahre Thier in einfachster Form. Denn bei allen echten Thieren fängt die Entwickelung des Eies zur verschiedenartigen Thierform mit der gleichartigen Bildung dieser Gastrula an. Die niedersten Pflanzenthiere , die Physe- marien (Fig. 56) wie die Schwämme (Fig. 51), die niedrigsten Würmer (Fig. 52), ebenso die Sternthiere (Fig. 53), die Glieder- thiere (Fig. 54) ebenso wie die Weichthiere (Fig. 55), ja sogar die niedrigsten Wirbelthiere (Fig. 57), durchlaufen in frühester Jugend diese Gastrula-Keimform; die anderen Thiere bilden zweiblättrige Keimformen, die nur als abgeänderte Gastrula-Keime betrachtet werden können ; so auch die Säugethiere, mit Inbegriff des Menschen (Fig. 58); überall baut sich der echte Thierleib ursprünglich aus zweiKeimblättern auf. Hingegen erhebt sich kein einziges Protist zur Production von Keimblättern und zur Bildung einer Gastrula. Weniger klar und scharf lässt sich unser Protistenreich gegen das Pflanzenreich hin abgrenzen. Doch dürften auch hier die "Verhältnisse der individuellen Entwickelung und des feineren Baues die Handhabe liefern, mit deren Hülfe wir die Grenzlinie ziehen können. Auch bei den echten Pflanzen ordnen sich die Zellen, welche den Körper zunächst aufbauen, in bestimmter Weise zu Zellenreihen oder Zellenschichten; und die charakteri- stische einfachste Pflanzenform der Art bildet den sogenannten Thallus oder das „Zellenlager". Bei den niederen Pflanzen bleibt der Thaihis als solcher zeitlebens bestehen, bei den höheren sondert oder differenzirt er sich in Stengel und Blätter. Auch vermehren sich alle echten Pflanzen auf geschlechtlichem Wege, während dies bei den Protisten nicht der Fall ist. Eine absolute Grenze freilich zwischen den drei organischen Eeichen können und wollen wir nicht feststellen. Denn auch die echten Pflanzen, wie die echten Thiere, durchlaufen in ihrer frühe- sten Entwickelung, als einzelliges Ei, als einfacher Zellenhaufen u. s. w. niedere Formzustände, welche gewissen Protisten gleichen. Nach unserem biogenetischen Grundgesetze müssen wir daraus den Schluss ziehen, dass sämmtliche Organismen, Thiere, Proti- sten und Pflanzen, von höchst einfachen einzelligen Organismen abstammen; und wenn wir diese ältesten Stammformen heute _ 64 — lebend vor uns hätten, würden wir sie jedenfalls für neutrale Protisten erklären. Eine gute negative Charakteristik der Protisten, gegenüber den echten Thieren und den echten Pflanzen, lässt sich darauf gründen, dass sie weder eine Gastrula mit zwei Keimblättern bilden, wie die ersteren, noch einen Thallus oder ein Prothallium, wie die letzteren. Damit in Zusammenhang steht der Umstand, dass die Protisten niemals wirkliche (aus vielen Zellen zusammen- gesetzte) Gewebe und Organe bilden, wie alle echten Thiere und Pflanzen. Auch ist es sicher von grosser Bedeutung, dass die grosse Mehrzahl aller Protisten sich ausschliesslich auf unge- schlechtlichem Wege fortpflanzt (durch Theilung, Knospenbil- dung, Sporenbildung). Aber selbst bei den wenigen Protisten, welche sich bereits zur geschlechtlichen Zeugung in einfachster Form erheben, geht der Gegensatz zwischen männlichen und weib- lichen Theilen niemals so weit, wie es bei allen echten Thieren und Pflanzen der Fall ist. Sie repräsentiren in jeder Beziehung jene niedere älteste Bildungsstufe, welche jedenfalls der Ent- wickelung echter Thiere und echter Pflanzen vorausgegangen sein muss. Diese Betrachtungen fähren uns auf denjenigen Weg, auf welchem allein eigentlich das Yerhältniss der drei organischen Reiche zu einander entscheidend aufgeklärt werden kann, auf den Weg der Stammesgeschichte oder Phylogenie. Wenn wir ganz genau wüssten, wie sich das organische Leben auf unserem Erdball von Anfang an entwickelt hat, wie die Thiere, Protisten und Pflanzen ursprünglich entstanden sind, dann würden wir auch das Verhältniss der drei Reiche zu einander klar und unzwei- deutig beurtheilen können. Aber der sichere Weg der unmittel- baren Erfahrung bleibt uns für die Erkenntniss dieses wichtigen Verhältnisses auf ewig verschlossen. Kein lebendes Wesen und keine Schöpfungsurkunde kann uns erzählen, wie jener älteste Entwickelungsgang des organischen Lebens vor vielen Millionen von Jahren begonnen und wie er sich weiterhin zunächst gestaltet hat. Tausende von Arten und Gattungen, Millionen von Genera- tionen sind in's Grab gesunken, ohne uns sichtbare Spuren ihrer Existenz hinterlassen zu haben. Und gerade die wichtigsten von Allen, die ältesten und einfachsten Formen, konnten wegen des — 65 — Mangels harter Körpertheile keine Versteinerungen zurück- lassen. Aber wenn uns auch der streng empirische "Weg der Er- kenntniss in dieser hochwichtigen Ursprungsfrage unwiderruflich verschlossen ist, so bleibt uns doch hier, wie überall, zur Aus- füllung unserer Erkenntnisslücken der "Weg der wissenschaftlichen Hypothese offen. Wenn diese historische Hypothese sich in umfassender Weise auf die bisher erkannten wissenschaftlichen Thatsachen stützt, so ist sie in der Naturgeschichte der Lebewesen ebenso berechtigt, wie in der Geologie, in der Archaeologie, der Oulturgeschichte und anderen historischen Wissenschaften. Und wie uns die allgemein anerkannten geologischen Hypothesen dazu geführt haben, eine befriedigende Einsicht in den Entwickelungs- gang unsers Erdballs zu gewinnen, so werden auch die phyloge- netischen Hypothesen, die wir auf die von Darwin reformirte Descendenz-Theorie gründen, Licht über den Entwickelungsgang des organischen Lebens auf der Erde verbreiten. Wir können hier nicht auf eine Beleuchtung und Begründung aller der verschiedenen phylogenetischen Hypothesen eingehen, welche über diesen Entwickelungsgang aufgestellt worden sind. Nur auf diejenige Vorstellung wollen wir schliesslich noch einen flüchtigen Blick werfen, welche heuzutage am meisten innere Wahrscheinlichkeit für sich hat. Danach müssen wir annehmen, dass das Leben auf unserem Planeten mit der selbständigen Ent- stehung der allereinfachsten Protisten aus anorganischen Ver- bindungen begonnen hat. Diese ältesten Lebewesen der Erde werden den heute noch existirenden Moneren ähnlich gewesen sein: einfachste lebende Protoplasma-Stückchen ohne jegliche Organ- bildung. Daraus werden sich zunächst durch Sonderung eines Darmes im Inneren einzellige Protisten gebildet haben, und zwar höchst einfache, formlose und indifferente Zellen, gleich den Arno eben. Indem einige von diesen einzelligen Protisten, von geselligen Neigungen getrieben, sich daran gewöhnten, in kleinen Gesellschaften vereinigt zu leben, werden die ersten vielzelligen Organismen entstanden sein, und zwar zunächst auch nur wieder einfache Zellenhorden, lockere Gesellschaften von gleichartigen Zellen. Nun ist es wohl wahrscheinlich, dass diese ältesten und ein- Haeckel, Das Protistenreich. 5 — 66 — fachsten Entwickelungsvorgänge des organischen Lebens sich an zahlreichen verschiedenen Stellen des jugendlichen Erdballs gleich- zeitig und unabhängig von einander wiederholt haben. So können also verschiedene und vielleicht zahlreiche Formen von Protisten unabhängig voneinander entstanden sein; zuerst einzellige, später vielzellige. Durch den allgemeinen Kampf um's Dasein, der auch unter diesen Protisten frühzeitig sich geltend machte, werden die- selben allmählich zu höherer Sonderung und Vervollkommnung angetrieben worden sein. Als wichtigster Torgang ist da siehe 1 die gegensätzliche Sonderung von thierischen und pflanzlichen Lebens-Processen hervorzuheben. Die einen Protisten begannen mehr an thierische, die andere an pflanzliche Lebensweise sich an- zupassen, und mit der Lebensweise in Wechselwirkung entstand die charakteristische Körperform. Eine dritte, conservative Gruppe von Protisten behielt den ursprünglichen neutralen Character bei. Indem jene Anpassungen sich im Laufe der Zeit durch Vererbung befestigten, bildeten, sich neben einander die drei grossen organi- schen Reiche aus. Mit. Beziehung auf den Stoffwechsel und die Ernährujig würden wir freilich sagen können, dass diese ältesten Bewohner unseres Planeten Pflanzen waren, — richtiger: Protisten mit pflanzlichem Stoffwechsel; Protisten, welche gleich echten Pflanzen aus Wasser, Kohlensäure und Ammoniak die wichtigste „Lebens-Basis" ? das Plasson, zusammensetzten, und dieses Plasson sonderte sich später in Protoplasma und Nucleus. Die ältesten Thiere hingegen — oder richtiger: die ältesten Protisten mit thierischem Stoffwechsel, waren Parasiten, schma- rotzende Protisten, welche es bequemer fanden, sich das von an- deren Protisten gebildete Protoplasma anzueignen, als selbst solches zu bilden. Da eben ursprünglich viele Protisten-Stämme sich un- abhängig von einander entwickelt; haben können, von verschie- denen autogonen Moneren abstammend, so können auch diese Anpassungen sich mehrmals (polyphyletisch) wiederholt haben. Aber auch wenn wir diese vielstämmige (polyphyletische) Hypothese verwerfen und wenn wir mehr zu der einstämmigen (monophyletischen) Annahme hinneigen, dass der Ursprung aller lebenden Wesen auf eine einzige gemeinsame Stammform zurück- geführt werden muss, auch dann werden wir doch im Ganzen — 67 — wieder zu ähnlichen Vorstellungen über das Verhältnis der drei Keiche gelangen. Auch in diesem Falle werden wir annehmen müssen, dass jene älteste ursprüngliche Stammform eine einfachste Cytode, ein Moner war, und dass sich aus den Nachkommen jenes Moners zunächst einfache Zellen entwickelten. Diese Zellen werden sich wieder in thierische und pflanzliche gesondert haben, und so wird sich nach einer Eichtung hin das Thierreich, nach einer anderen das Pflanzenreich ausgebildet haben, zwei ge- waltigen, weit verzweigten Stämmen vergleichbar. Aber aus der gemeinsamen Wurzel, in der diese beiden grossen Stämme zu- sammenhängen, haben sich ausserdem noch zahlreiche niedere und indifferente Wurzelschössliiige selbständig entwickelt; und diese bilden zusammen unser Reich der Protisten. Gleichviel ob wir dieser einstämmigen oder jener vielstäm- migen Hypothese den "Vorzug geben, so bleibt jedenfalls so viel sicher, dass Thierreich und Pflanzenreich nur in ihren vollkomm- neren Formen sich schroff gegenüber stehen, in ihren niederen Formen dagegen durch das Protistenreich untrennbar zusammen- hängen. Die wissenschaftliche Begründung dieser wichtigen An- schauung ist uns erst durch die grossartigen Fortschritte der letzten vierzig Jahre möglich geworden. Aber mit dem Genius des Pro- pheten hat schon vor siebzig Jahren einer unserer tiefblickendsten Naturphilosophen, Deutschlands genialster Dichter, dieselbe An- schauung ahnungsvoll ausgesprochen. In Jena schrieb Göthe 1806 den merkwürdigen Satz nieder: „Wenn man Pflanzen und Thiere in ihrem unvollkommensten Zustande betrachtet, so sind sie kaum zu unterscheiden. So viel aber können wir sagen, dass die aus einer kaum zu sondernden Verwandtschaft als Pflanzen und Thiere nach und nach hervortretenden Geschöpfe nach zwei entgegenge- setzten Seiten sich vervollkommnen, so dass die. Pflanze sich zu- letzt im Baume dauernd und starr, das Tbier im Menschen zur höchsten Beweglichkeit und Freiheit sich verherrlicht." 5"* — 68 — Bathybius und die Moneren. „Der vielbesprochene Bathybius existirt nicht ; seine Annahme beruhte auf Täuschungen. So werden auch die übrigen Moneren nicht existiren; auch diese angeblichen Urorganismen werden das Erzeugniss irrthümlicher Beobachtungen sein. Mithin ist einer der wichtigsten Grundpfeiler der modernen Entwickelungslehre gefallen; und so werden auch ihre übrigen Stützpfeiler auf Täu- schungen und Irrthum gegründet sein. Der ganze Darwinismus ist ein grosses Luftschloss, die Selectionstheorie eine Seifenblase, und die Abstammungslehre ist überhaupt nicht wahr." So ungefähr ist der Gedankengang zahlreicher Artikel, denen wir seit einem Jahre in den verschiedensten Zeitschriften begeg- nen. Einzig und allein auf die angebliche Mchtexistenz des Bathybius gestützt, behauptet man kurzweg, dass es überhaupt keine Moneren gebe, und dass damit die ganze Entwickelungs- lehre den schwersten Stoss erhalten habe. Am liebsten wird diese Behauptung natürlich von den Gegnern der Entwickelungslehre vorgetragen und in den mannigfaltigsten Tonarten variirt. Der Clerus triumphirt bereits über den völligen Untergang der Des- cendenztheorie. Aber selbst bei vielen Anhängern derEntwieke- lungstheorie gilt die Mchtexistenz des Bathybius als ausgemacht und es wird daraus eine Eeihe von Schlussfolgerungen gezogen, die als mehr oder minder gewichtige Einwürfe gegen hervorragende Hauptpunkte des Darwinismus Bedenken erregen. Diese Umstände, sowie die Unklarheit, in welcher sich der grösste Theil des dafür interessirten Publicums über den eigentlichen Thatbestand befindet, bestimmt uns, hier die Moneren-Frage mit besonderer Bücksicht auf den Bathybius zu erörtern. Ich selbst erscheine zu dieser Erörterung insofern besonders berechtigt, ja sogar verpflichtet, als ich das zweifelhafte Glück geniesse, bei dem „berüchtigten Ur- schleim der Meerestiefen u Gevatter gestanden zu haben. Als mein Freund Thomas Huxley 1868 ihm bei der Taufe den Namen Bathybius Haeckelii beilegte, konnte er freilich nicHt ahnen, dass der arme Täufling, einem Icarus gleich, in kürzester Zeit zu einer biologischen Celebrität werden, die Sonnenhöhe irdi- scher Berühmtheit erlangen und noch vor Ablauf seines ersten Decenniums in den dunkeln Hades der Mythologie hinabstürzen - 69 - Verde! Sehen wir denn zu, ob er wirklich todt ist, ob er über- haupt nicht existirt hat. Und wenn wir wirklich seine bloss mytho- logische Schein-Existenz zugeben müssten, sehen wir weiter zu, was daraus für die Moneren folgt! I. Zur Geschichte der Moneren. Im Frühling des Jahres 1864 beobachtete ich im Mittelmeere bei Villafranca unweit Nizza schwimmende, winzige Schleimkügel- chen von ungefähr einem Millimeter oder einer halben Linie Durchmesser, die mein höchstes Interesse erregten. Yorsichtig unter das Mikroskop gebracht, erschien nämlich jedes dieser Kügelchen wie ein kleiner Stern, dessen Mitte aus einem viel kleineren structurlosen Kügelchen bestand, während von der Ober- fläche ringsum mehrere Tausend äusserst feine Fäden ausstrahlten. Die genaue Untersuchung bei starker Yergrösserung lehrte, dass der ganze Körper des sternförmigen Wesens aus einfacher eiweiss- artiger Zellsubstanz, aus Sarcode oder Protoplasma bestehe, und dass die Fäden, welche allenthalben von der Oberfläche ausstrahl- ten, keine beständigen Organe seien, sondern ihre Zahl, Grösse und Gestalt beständig änderten. Sie erwiesen sich als ebenso wech- selnde und unbeständige Fortsätze des centralen Protoplasma-Körpers, wie die längst bekannten „Scheinfüsschen oder Pseudopodien", welche die einzigen Organe der Wurzelfüssler oder Ehizopoden * darstellen. Während aber bei diesen Letzteren Zellkerne im Protoplasma zerstreut sind und ihr Körper somit den Formwerth von einer oder mehreren Zellen besitzt, ist das bei jenen in Nizza beobachteten Protoplasma-Kügelchen nicht der Fall. Im Uebrigen war kein Unterschied hier und dort zu finden bezüglich der Be- wegungsform der fliessenden Schleimfäden und der Art und Weise, in welcher dieselben als Tastorgane zum Empfinden, als Contractions- organe zum Kriechen, und als Ernährungsorgane zur Nahrungs- aufnahme benutzt wurden. Um die Naturgeschichte des kleinen Protaplasmakügelchens von Nizza, das ich auf das Genaueste unter- suchte, zu vervollständigen, fehlte es nur noch an der Beobachtung seiner Fortpflanzung. Auch diese glückte schliesslich. Nach einiger Zeit zerfiel das kleine Wesen durch einfache Theilung in zwei Hälften , von denen jede ihr eignes Leben in derselben Weise — 70 - weiterführte, wie das erstere. Ich hatte somit den vollständigen Lebenscyclus eines denkbar einfachsten Organismus erkannt, und nannte denselben in Anerkennung seiner fundamentalen Bedeu- tung Protogenes primordialis y den „Erstgebornen der Urzeit". Seine genaue Beschreibung gab ich im XV. Bande der Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie (S. 360, Taf. XXYL, Fig. 1, 2). Schon im folgenden Jahre wurden zwei verschiedene , dem Protogenes sehr ähnliche, höchst einfache Organismen von dem ausgezeichneten Mikroskopiker Cienkowski beschrieben. Im ersten Bande des Archivs für mikroskopische Anatomie (S. 203, Taf. XII. — XIV.) veröffentlichte derselbe sehr interessante „Bei- träge zur Kenntniss der Monaden." Unter den verschiedenen Protisten, die Cienkowski hier unter dem alten, vieldeutigen und daher sehr unsicheren Begriffe der „Monaden* 4 zusammen- fasst, befinden sich zwei mikroskopische Bewohner des süssen Wassers, welche in der vollkommen einfachen und structurlosen Beschaffenheit ihres kernlosen, strahlenden Protoplasma-Körpers dem Protogenes gleichen, die Gattungen Protomonas (Monas amyli) und Vampyrella (letztere mit drei verschiedenen Arten). Sie unterscheiden sich aber von dem ersteren durch die Art und "Weise ihrer Fortpflanzung. Während der Protogenes, nachdem er durch Wachsthum ein gewisses Grössenmaass erreicht hat, dieses nicht weiter überschreitet, sondern ohne Weiteres in zwei Stücke zerfällt, ziehen Protomonas und Vampyrella ihre Strahlen ein und gehen in einen Euhestand über, in welchem sich die kleine Pro- toplasmakugel einkapselt ocLer encystirt, mit einer Hülle („Cyste") umgiebt. Innerhalb dieser kleinen Hülle zerfällt die Protomonas in sehr zahlreiche Kügelchen, die Vampyrella in vier Stücke (Tetrasporen). Alle diese Theilstücke werden später frei und ent- wickeln sich durch einfaches Wachsthum zu der reifen Form. Inzwischen hatte ich selbst eine vierte ähnliche Gattung von höchst einfachen Organismen im süssen Wasser bei Jena beob- achtet, welche einer gewöhnlichen Amoebe ganz gleich sich ver- hält, aber von dieser letzteren durch den Mangel eines Zellkerns und einer contractilen Blase sich unterscheidet. Ich nannte sie daher Protamoeba primitiva. Während bei den drei ersterwähnten Schleimkügelchen (Protogenes, Protomonas, Vampyrella) überall zahlreiche Fäden aus der Oberfläche des centralen Protoplasma- — 71 — Körpers ausstrahlen, sehen wir statt deren bei Protamoeba — ganz wie bei der gewöhnlichen Amoeba — wenige kurze, fingerförmige Fortsätze sich ausstrecken, welche ihre Gestalt beständig ändern; sie werden eingezogen und an einer andern Stelle wieder vorgestreckt. Hat die Protamoeba durch Nahrungsaufnahme (die ebenfalls wie bei Amoeba -erfolgt) eine gewisse Grösse erreicht , so zerfällt sie durch Theilung in zwei Hälften. Ich machte die erste Mittheilung darüber in meiner „generellen Morphologie" (Bd. I. S. 133). Später habe ich von Protamoeba primitiva Abbildungen gegeben, welche u. A. in die „Natürliche Schöpfungsgeschichte" (VI. Aufl. S. 167) und in die „Anthropogenie" (HI. Aufl. S. 414) aufgenommen sind. Gestützt auf diese Beobachtungen, die späterhin durch die Untersuchungen anderer Forscher, wie durch meine eigenen noch beträchtlich, erweitert wurden, gründete ich 1866 in der „Gene- rellen Morphologie" für alle diese Organismen von einfachster Beschaffenheit eine besondere Classe unter dem Namen der Mo- neren, d. h. der „Einfachen". Im ersten Bande (S. 135) sagte ich damals: „Um diese einfachsten und unvollkommensten aller Organis- men, bei denen wir weder mit dem Mikroskop, noch mit den chemischen Reagentien irgend eine Differenzirung des homogenen Plasmakörpers nachzuweisen vermögen, von allen übrigen, aus ungleichartigen Theilen zusammengesetzten Organismen bestimmt zu unterscheiden, wollen wir sie ein für allemal mit dem Namen der „Einfachen" oder „Moneren" belegen. Gewiss dürfen wir auf diese höchst interessanten, bisher aber fast ganz vernachlässigten Organismen besonders die Aufmerksamkeit hinlenken und auf ihre äusserst einfache Formbeschaffenheit bei völliger Ausübung aller wesentlichen Lebensfunctionen das grösste Gewicht legen, wenn es gilt, das Leben zu erklären, es aus der fälschlich sogenann- ten „todten Materie" abzuleiten, und die übertriebene Kluft zwischen Organismen und Anorganen auszugleichen. Indem bei diesen homogenen belebten Naturkörpern von differenten Formbe- standtheilen , von „Organen", noch keine Spur zu entdecken ist, vielmehr ,alle Moleküle der structurlosen Kohlenstoffverbindung, des lebendigen Eiweisses, in gleichem Maasse fähig erscheinen, sämmtliche Lebensfunctionen zu vollziehen, liefern sie klar den Beweis , dass der Begriff des Organismus nur dynamisch oder — 72 — physiologisch aus den Lebensbewegungen, nicht aber statisch oder morphologisch aus der Zusammensetzung des Körpers aus „Orga- nen" abgeleitet werden kann." In den folgenden Jahren wurde der Kreis unserer Erfahrungen über diese wunderbaren „Organismen ohne Organe" wesentlich er- weitert. Auf meiner Reise nach den canarischen Inseln (1866 und 1867) richtete ich natürlich meine ganze Aufmerksamkeit auf dieselben und war denn auch so glücklich, noch mehrere neue Moneren-Formen zu entdecken. Auf den weissen Kalkschalen, eines merkwürdigen Cephalopoden (Spirula Peronii), die zu Tausenden an den Küsten der canarischen Inseln angetrieben zu finden sind, bemerkte ich zuweilen zahlreiche rothe Pünktchen, welche sich unter der Lupe als zierliche Sternchen und bei starker Yergrösserung als orangerothe Protoplasma-Scheiben oder -Kugeln zu erkennen gaben, von deren Umfange zahlreiche baumförmig verästelte Fäden ausstrahlten. Die genauere Untersuchung zeigte, dass auch diese (verhältnissmassig colossalen) Protoplasma-Körper kernlos und structurlos waren und sich in ähnlicher Weise wie Protomonas fortpflanzten, nämlich dadurch, dass der kugelig zu- sammengezogene und eingekapselte Körper in zahlreiche kleine Stücke zerfiel. Ich nannte diese interessante neue Moneren-Gat- tung Protomyxa aurantiaca und habe sie zuerst auf Taf. I. der „Natürl. Schöpfungsgeschichte" abgebildet. Eine ähnliche statt- liche Monerenform entdeckte ich sodann in demselben Jahre (1867) im Schlamme des Hafenbeckens von Puerto del Arrecife, der Hafenstadt der canarischen Insel Lanzarote, und bezeichnete sie als Myxastrum radiam. Sie ist dadurch ausgezeichnet, dass die Theilstücke oder Sporen, in welche der kugelige Körper bei der Fortpflanzung zerfällt, sich radial gegen den Mittelpunkt der Kugel ordnen und spindelförmige Kieselhüllen ausschwitzen, aus denen später das junge Moner ausschlüpft. Gestützt auf alle diese Beobachtungen, veröffentlichte ich 1868 in der „Jenaischen Zeitschrift für Naturwissenschaft" eine ausführ- liche Monographie der Moneren. (Bd. IY, S. 64, Taf. II. und III). Hier sind alle eigenen und fremden Beobachtungen ausführlich zusammengestellt und erläutert. Es ergaben sich damals sieben verschiedene Gattungen von Moneren. Durch spätere Beobach- tungen ist die Zahl der Arten auf 16 gesteigert worden, worüber - 73 — ich in den „Nachträgen zur Monographie der Moneren" berichtet habe (Jenaische Zeitschr. für Naturw. 1877. Bd. VI. S. 23). Die Unterschiede aller dieser Moneren beruhen nur darauf, dass die weiche, schleimige Körpennasse in verschiedener Form sich aus- breitet und bewegt, und dass die ungeschlechtliche Fortpflanzung (durch Theilung, Sporenbildung u. s. w.) auf verschiedene Weise geschieht. II. Zur Geschichte des Bathybius. Das hohe Interesse, das die Moneren in morphologischer sowohl, als physiologischer Beziehung darbieten, wurde noch ge- steigert, als 1868 der erste Zoologe Englands, der berühmte Thomas Huxley, eine neue, ganz eigenartige Moneren -Gattung unter dem Namen Bathybius Haeckelii beschrieb (Journal of microscop. science,Yol. YIII, N". S. p. 1, PL IV). Abweichend von den übrigen Moneren sollte dieser Bathybius eigentümlich geformte mikroskopische Kalkkörperchen einschliessen : Cocco- sphaerenundCoccolithen (DiscolithenundCyatholiten); die formlosen Protoplasma-Klumpen desselben aber, von sehr ver- schiedener Grösse , sollten in ungeheuren Massen die tiefsten Ab- gründe des Meeres bedecken, unterhalb 5000 Fuss bis zu 25000 Fuss hinab. Mit diesem formlosen Ur-Organismus einfachster Art, der zu Milliarden vereinigt den Meeresboden mit einer lebendigen Schleimdecke überzieht, schien ein neues Licht auf eine der schwierigsten und dunkelsten Fragen der Schöpfungsgeschichte zu fallen, auf die Frage von der Urzeugung, von der ersten Entstehung des Lebens auf unserer Erde. Mit dem Bathybius schien der berüchtigte „Urschleim" gefanden zu sein, von dem Oken vor einem halben Jahrhundert prophetisch behauptet hatte, dass alles Organische aus ihm hervorgegangen , und dass er im Verfolge <\er Planeten-Entwickelung aus anorganischer Materie im Meeresgrunde entstanden sei. Der Tiefseeschlamm, welcher die Bathy biu s- Massen enthält, wurde zuers tbei Gelegenheit der grossartigen Tiefgrund-Untersuchun- gen entdeckt, die seit dem Jahrel857 behufs Legung des transatlan- tischen Telegraphen-Kabels angestellt wurden. Man fand schon damals das „atlantische Telegraphen-Plateau", jene mächtige Tiefsee- Ebene, welche sich in einer durchschnittlichen Tiefe von 12,000 _ 74 — Fuss von Irland bis Neufundland erstreckt, allenthalben mit einem eigentümlichen, grauen, äusserst feinpulverigen Schlamme bedeckt: Derselbe zeichnete sich durch zähe, klebrige Beschaffen- heit aus und zeigte bei mikroskopischer Untersuchung Massen von kleinen kalkschaligen Ehizopoden, insbesondere G-lobigerinen, und ferner, als Hauptbestandteile, die sehr kleinen, als Coccolithen bezeichneten Ealkkörperchen. Aber erst elf Jahre später, als Huxley 1868 mittelst eines sehr scharfen Mikroskopes eine erneute genaue Untersuchung desselben Schlammes, auch in chemischer Beziehung, vornahm, entdeckteer darin die nackten, freien, formlosen Protoplasma-Klumpen, welche neben den genannten Theilen die Hauptmasse des Schlammes bilden. „Diese Klumpen sind von allen Grössen, von Stücken, die mit blossem Auge sichtbar sind bis zu äusserst kleinen Partikelchen. Wenn man sie der mikro- skopischen Analyse unterwirft, zeigen sie — eingebettet in eine durchsichtige, farblose und strukturlose Matrix — Körnchen, Coccolithen und zufällig hineingerathene fremde Körper." Lebender Bathybius wurde zuerst 1868 von Sir Wyville Thomson und Professor William Carpenter, zwei ebenso erfajirenen als scharfsichtigen Zoologen, während ihrer nordatlan- tischen Tiefsee-Expedition auf dem Kriegsschiffe „Porcupine" be- obachtet. Sie berichten über den frisch heraufgeholten lebendigen Tiefsee-Schlamm: „Dieser Schlamm war wirklich lebendig; er häufte sich in Klumpen zusammen, als ob Eiweiss beigemischt wäre; und unter dem Mikroskope erwies sich die klebrige Masse als lebende Sarcode. u (Annais and magaz. of nat. hist. 1869, Vol. IY, p. 151). Ferner sagt Sir Wyville Thomson in seinem höchst interessanten Werke über die Meeres- tiefen (The depths of the Sea II. Edit. 1874. p. 410): „In diesem Schlamm (Globigerinen- Schlamm aus 2,435 Faden oder ca. 14,600 Fuss Tiefe, aus der Bay von Biscaya), wie in den meisten anderen Schlamm-Proben aus dem atlantischen Ocean-Bett, war eine be- trächtliche Quantität einer weichen, gallertigen, organischen Materie nachweisbar, genug, um dem Schlamme eine gewisse Klebrigkeit zu geben. Wenn der Schlamm mit schwachem Weingeist ge- schüttelt wurde, fielen feine Flocken nieder, wie von geronnenem Schleime; und wenn ein wenig von demjenigen Schlamme, an welchem die klebrige Beschaffenheit am deutlichsten hervortritt, — 75 — in einem Tropfen Seewasser tinter das Mikroskop gebracht wird, können wir gewöhnlich nach einiger Zeit ein unregelmässiges Netzwerk von eiweissartiger Materie sehen, unterscheidbar durch seine bestimmten Umrisse und nicht mit Wasser mischbar. Man kann sehen, wie dieses Netzwerk seine Form allmählig ändert und die eingeschlossenen Körnchen und fremden Körper ihre relative Lage darin verändern* Die Gallert-Substanz ist daher eines gewissen Grades von Bewegung fähig, und es kann kein Zweifel sein, dass sie die Erscheinungen einer sehr einfachen Lebensform zeigt." So wörtlich Sir Wyville Thomson (a. a. 0. S. 411). Meine eigenen Untersuchungen des Bathybius- Schlammes betrafen, ebenso wie diejenigen von Huxley , nur todtes, in "Wein- geist conservirtes Material. Das Fläschchen, in welchem ich den- selben von den Far-Oer-Inseln zugesandt erhielt, trug die Aufschrift „Dredged of Professor Thomson und Dr. Carpenter with the Steamer Porcupine on 2435 fathoms. 22. July 1869. Lat. 47° 38". Long. 1 2°4"." Es war also dieser Bathybius- Schlamm derselbe, an welchem die genannten Forscher ihre Beobachtungen über amoeboide Bewegungen angestellt hatten. Die Resultate meiner Untersuchung habe ich ausführlich in meinen „Beiträgen zur Plastiden-Theorie" mitgetheilt (2. Bathybius und das freie Protoplasma der Meerestiefen, Jen. Zeitschr. für Naturw. 1870. Bd. V. S. 499. Taf. XYII.) Die 80 Figuren, welche ich daselbst (auf Taf. XVII) von den verschiedenen formlosen Protoplasma- Stücken des Bathybius und den geformten Kalkkörperchen , die er einschliesst, gegeben habe, sind bei sehr starker Vergrösserung mit Hülfe der Camera lucida ganz genau gezeichnet. Einige dieser Figuren sind auch in den Aufsatz über „das Leben in den grössten Meerestiefen" übergegangen, welchen ich 1870 in Virchow-Holzen- dorff's Sammlung publicirt habe. (Nir. 110). - Indem ich diesen, in starkem Alkohol sehr gut conservirten Bathybius-Schlamm mit Hülfe der neuesten Methoden möglichst genau untersuchte, und namentlich die vortheilhafte (von Huxley früher nicht angewandte) Methode der Färbung mit Carmin und Jod übte, suchte ich vor Allem die Quantität und Qualität der formlosen Protoplasma-Stücke näher zu bestimmen, die überall in Masse zwischen den geformten Kalktheilchen sich vorfanden. _ 76 — Diese eiweissartigen , durch Carmin roth gefärbten Stücke waren sehr gleichmässig durch den ganzen Schlamm verbreitet und schienen in den meisten untersuchten Proben mindestens ein Zehntel bis ein Fünftel des gesammten Yolums zu betragen, in manchen Präparaten selbst die grössere Hälfte. Dieselben Massen, welche durch Carmin sich mehr oder minder intensiv roth färbten? nahmen durch Jod — und ebenso durch Salpetersäure — eine gelbe Färbung an und zeigten auch im Yerhalten gegen andere chemische Eeagentien ganz dieselben Eigenschaften, wie das ge- wöhnliche Protoplasma der Thier- und Pflanzenzellen. Die Form der meisten Stückchen war unregelmässig, rundlich oder mit stumpfen Fortsätzen, einer Amoebe ähnlich; andere Stückchen bildeten unregelmässige, kleine und grössere Sarcode-Netze, ähn- lich denen der Myxomyceten. Ob die kleinen geformten Kalktheilchen, die Coccolithen und Coccosphären, welche in so grossen Massen im Bathybius-Schlanime vorkommen, — und zwar ebenso wohl zwischen den Protoplasma- Stückchen, als innerhalb derselben, von ihnen umschlossen, — wirklich zu ihnen gehören, oder nicht, diese Frage musste ich um so mehr offen lassen, als ich schon vorher ganz ähnliche Kalk- körperchen in dem Körper mehrerer pelagischen, an der Ober- fläche des canarischen Meeres schwimmenden Radiolarien gefunden hatte {„Myxolracchia von Lanzerote"). Diese sonderbaren Kalk- körperchen, welche bald die Gestalt einer einfachen, concentrisch geschichteten Scheibe, bald eines Hemdknöpfchens, bald einer aus vielen Scheibchen zusammengesetzten Kugel u. s. w. hatten, konnten ebensowohl Ausscheidungen der Bathybius-Sarcode sein, als fremde Körper, die zufällig (oder bei der Nahrungsaufnahme) in das Pro- toplasma hinein gelangt waren. In neuester Zeit hat sich die grössere Wahrscheinlichkeit zu Gunsten der letzteren Annahme herausgestellt und die meisten Biologen nehmen jetzt an, dass alle diese Körperchen mikroskopische Kalk- Algen seien, ver- kalkte einzellige Pflanzen. Durch diese Untersuchungen, die von mehreren anderen For- schern bestätigt wurden, schien festgestellt, dass auf dem Boden des nordatlantischen Oceans, und zwar in Tiefen zwischen 5000 und 25000 Fuss, ein feinpulveriger Schlamm sich findet, welcher u, A. grosse Mengen einer eigenthümlichen , noch kaum indivi- - 77 - dualisirten Moneren-Art enthält. Der Fehler, den wir nun be- gingen, bestand darin, dass wir die Eesultate dieser nordatlan- tischen Tiefsee-Untersuchungen allzurasch generalisirten und überall den Boden des tiefen Oceans mit ähnlichen Moneren bedeckt zu sehen erwarteten. Diese Erwartung wurde vollständig getäuscht. Die sehr genaue und umfassende Untersuchung der grossartigen C hall enger -Expedition, welche in 3^2 Jahren die Erde um- kreiste und in den Tiefen der verschiedenen Oceane sorgfältig nach dem Bathybius suchte, hat ihn nirgends wiedergefunden und erzielte nur negative Eesultate. Wir haben keinen Grund, in die Sorgfalt und Genauigkeit der ausgezeichneten Naturforscher der bewunderungswürdigen Challenger-Expedition irgend einen Zweifel zu setzen, um so weniger, als ja der vorzügliche Director der- selben, Sir Wyville Thomson selbst zuerst die Bewegungen am lebenden Bathybius wahrgenommen hatte. Wir müssen also wohl annehmen, dass an den vom Challenger untersuchten Stellen des tiefen Meeresbodens die Bathybius-Moneren wirklich fehlten. Folgt aber daraus, dass alle jene früheren Beobachtungen und Schlüsse unrichtig waren? Wie es sehr häufig in solchen Fällen zu gehen pflegt, so ging auch jetzt plötzlich die einseitig übertriebene Ansicht in das entgegengesetzte Extrem über. Vorher hatte man gehofft, überall im Schlamme des tiefen Meeresbodens die Protoplasma-Klumpen des Bathybius in Masse zu finden; jetzt wollte man sie mit einem Male nirgends mehr anerkennen. Insbesondere glaubte man sich zu der Annahme berechtigt, der früher in Weingeist unter- suchte Bathybius-Schlamm sei weiter nichts, als ein feiner Gyps- niederschlag, wie er überall bei der Mischung von Weingeist mit Seewasser entsteht. Diese Ansicht wurde zuerst von einigen Natur- forschern der Challenger-Expedition ausgesprochen und daraufhin widerrief Professor Huxley — wie mir scheint, zu frühzeitig — seine frühere Ansicht vom Bathybius. In der „Nature" (vom 19. Aug. 1875) und im „Quarterly Journal of microscop. science" (1875, Yol. XV. p. 392) sagt derselbe wörtlich: „Pro- fessor Wyville Thomson theilt mir mit, dass die besten Be- mühungen der Challenger-Forscher , lebenden Bathybius zu ent- decken, fehlschlugen, und dass ernstlich vermuthet wird, das Ding, dem ich diesen Namen gab, sei wenig mehr als schwefelsaurer — 78 — Kalk, in flockigem Zustande aus dem Seewasser durch den starken Alkohol niedergeschlagen, in welchem der Tiefseeschlamm aufbe- wahrt wurde. Das Sonderbare ist aber, dass dieser unorganische Niederschlag kaum von einem Eiweissniederschlag zu unterscheiden ist, und er gleicht, vielleicht noch mehr, dem keimführenden Häutchen an der Oberfläche fauliger Aufgüsse, das sich unregelmässig, aber sehr stark, mit Carmin färbt, Stücke von bestimmtem Umriss bildet und in jeder Weise sich wie ein orga- nisches Ding verhält. Professor Thomson spricht sehr vorsichtig und sieht das Schicksal des Bathybius noch nicht als ganz entschieden an. Aber da ich haupt- sächlich für den eventuellen Irrthum verantwortlich bin, diese merkwürdige Substanz in die Eeihe der lebenden Wesen eingeführt zu haben, so glaube ich richtiger zu verfahren, wenn ich seiner oben mitgetheilten Ansicht grösseres Gewicht beilege, als er selbst." Dies sind die Worte des Professor Hu xley, welche so grosses Aufsehen erregten, und nach weit verbreiteter Ansicht dem armen Bathybius den Todesstoss versetzt haben. Je mehr aber hier die eigentlichen Eltern des Bathybius sich geneigt zeigen ? ihr Kind als hoffnungslos aufzugeben, desto mehr fühle ich mich als Tauf- pathe verpflichtet, seine Eechte zu wahren und womöglich sein erlöschendes Lebensfünkchen wieder zur Geltung zu bringen. Und da finde ich denn glücklicherweise einen werthvollen Bundesge- nossen in einem vielgereisten deutschen Naturforscher, der erst in neuerer Zeit wieder lebenden Bathybius, und zwar an der Küste von Grönland, beobachtet hat. Der bekannte Nordpol- fahrer Dr. Emil Bessels aus Heidelberg, der von dem Schiff- bruche der Polaris glücklich zurückkehrte, macht bei Gelegen- heit seiner Beschreibung der Haeckelina gigantea (eines colossalen Rhizopoden, der vielleicht mit der früher von Sand a hl beschriebenen Astrorhiza identisch ist) folgende wichtige Ab- gaben: „Während der letzten amerikanischen Nordpol-Expedition fand ich in 92 Felden Tiefe in dpm Smith-Sunde grosse Massen von freiem undifferenzirtem homogenem Protoplasma, welches auch keine Spur der wohlbekannten Coecolifiien enthielt. Wegep seiner wahrhaft spartanischen Einfachheit nannte ich diesen Organismus,, den ich lebend beobachten konnte, Protobathybius. ^Derselbe wird in dem Reisewerk der Expedition abgebildet und beschrieben — 79 — werden. Ich will hier nur erwähnen, dass diese Massen aus reinem Protoplasma bestanden, dem nur zufällig Kalktheil- chen beigemischt waren, aus welchen der Seeboden gebildet ist. Sie stellten äusserst klebrige, maschenartige Gebilde dar, die prächtige amoeboide Bewegungen ausführten, Carminpartikelchen sowie andere Fremdkörper auf- nahmen und lebhafte Körnchenströmung zeigten. (Je- naische Zeitschr. f. Naturw. 1875. Bd. IX., S. 277. Vgl. auch: Annual Keport of the Secret. of the navy for 1873). An einem anderen Orte, in den von Packard publicirten „Life histories of animals" (New-York, 1876 p. 3) ist eine Abbil- dung der Protoplasma-Netze des Protobathybius von Dr. Bessels publicirt. Hiernach möchte ich annehmen, dass derselbe von unserm echten Bathybius nicht verschieden ist. Der Unter- schied, dass letzterer gewöhnlich viele geformte Kalkkörperchen (Coccolithen etc.) umschliesst, der erstere dagegen nicht, verliert seine Bedeutuug durch die immer wachsende Wahrscheinlichkeit, dass diese Kalkkörperchen einzellige, als Nahrung aufgenommene Kalkalgen sind. III. Zur Kritik des Bathybius. Nachdem wir jetzt die historischen Angaben über den Bathybius zusammengetragen und die wichtigsten wörtlich an- geführt haben, wenden wir uns zur Kritik desselben. Yersuchen wir, aus einer unpartheiischen Würdigung jener Angaben uns ein selbständiges unbefangenes Urtheil über den vielverschrieenen und jetzt fast aufgegebenen Urschleim der grössten Meeres- tiefen zu bilden! Bezüglich des todten Bathybius, des in Weingeist con- servirten Tiefseeschlammes aus dem nord-atlantischen Ocean, sind alle Beobachter, die denselben genau untersucht haben, einig, dass derselbe mehr oder minder ansehnliche Mengen von geronnenem Protoplasma enthält, welches im morphologischen und chenüsch- physikali&chen Verhalten die grösste Aehnlichkeit mit gewissen Moneren besitzt. Die Besultate, welche Huxley an seinem „Porcupine" -Material erhielt, und die ich selbst bestätigen und ergänzen konnte, sind von allen anderen Beobachtern, die den- selben Schlamm untersuchten, als richtig anerkannt worden. — 80 — Bezüglich des lebenden Bathybius liegen positive Angaben über die characteristischen rhizopodenartigen Bewegungen desselben von drei bewährten Beobachtern vor, von SirWyville Thomson, Professor William Carpenter und Dr. Emil B esseis. Alle drei stellten diese Beobachtungen an Tief- seeschlamm aus dem nord-atlantischen Ocean an. Dagegen lieferten die Bemühungen der Challenger-Forscher , in verschie- denen Meeren .jene älteren Beobachtungen über Bewegungs-Er- scheinungen zu wiederholen und zu bestätigen, nur negative Resultate. Was folgt nun aus allen diesen Angaben, denen wir sämmt- lich dieselbe Glaubwürdigkeit zuerkennen müssen, und die sich doch theilweise zu widersprechen scheinen? Angenommen, dass alle diese Angaben richtig sind, so folgt daraus einfach Weiter garnichts, als dass der Bathybius-Schlamm eine beschränkte geographische Verbreitung besitzt, und dass es eine vor- eilige Verallgemeinerung war, alle tiefen Meeres- Abgründe mit dem- selben zu bevölkern. Daraus aber, dass die Challenger-Expedition den lebenden Bathybius nicht wiederfinden konnte, ist doch wahr- lich nicht zu folgern, dass die an anderen Orten angestellten Beobachtungen der Porcupine-Expedition über lebenden Bathy- bius unrichtig waren! Oder sollen wir daraus, dass die Challenger- Expedition den merkwürdigen „Radiolarien-Schlamm" nur auf einen verhältnissmässig engen Verbreitungsbezirk des pacifischen Oceans beschränkt fand, und sonst nirgends wiederfinden konnte, den Schluss ziehen, dass derselbe überhaupt nicht existire? Wir wissen, dass die allermeisten Organismen-Arten einen beschränkten Verbreitungs-Bezirk haben. Warum soll denn nicht auch die Ver- breitung des Bathybius beschränkt sein? Ich bekenne daher, nicht zu begreifen, wie Huxley seine Ansicht über den Bathybius so rasch und so vollständig ändern konnte. Noch viel weniger freilich begreife ich die Art und Weise, wie auf der deutschen Naturforscher -Vorsammlung in Ham- burg (im September 1876) der Bathybius öffentlich zu Grabe ge- tragen werden konnte. Ich finde darüber in der Berliner National- zeitung folgende merkwürdige Mittheilung (datirt Hamburg 21. Sep- tember), betreffend einen von Professor Möbius aus Kiel gehal- tenen trefflichen Vortrag über die marine Fauna und die Chal- — 81 — lenger-Expedition: „Ueber diese Ebenen — Tiefsee -Ebenen von 3700 bis 4000 Meter Tiefe — sollte sich der geheimnissvolle Ur- schleim, der Bathybius ausbreiten, den der berühmte Huxley zu Ehren seines genialen Freundes in Jena Bathybius Haeckelii genannt hat. Leider aber passirte der Naturforschung ein böses Missgeschick. Der Bathybius, der so gut zu den modernen An- schauungen von dem Beginne des organischen Lebens passte, erwies sich als ein Kunstproduct, als Niederschlag von im Meere gelöstem Gyps, in Folge des den Proben zugesetzten Alkohols. Ueberall wo man die frischen Proben an Bord untersuchte, war keine Spur von ihm zu entdecken. Es machte einen geradezu erschütternden Eindruck auf die Zuhörer, als Herr Möbius den Bathybius nach einem so einfachen Recepte vor ihren Augen in einem mit Meerwasser gefüllten Glase durch Alkohol-Zusatz er- scheinen liess!" In der That eine merkwürdige Logik! Weil Weingeist in Seewasser einen Gyps-Niederschlag erzeugt, deshalb ist der in Weingeist conservirte Bathybius-Schlamm nur ein Gyps-Nieder- schlag! Und diese Beweisführung machte auf alle Mitglieder einer deutschen Naturforscher-Versammlung „einen geradezu erschütternden Eindruck !" Dass starker Weingeist in See- wasser einen dünnen flockigen Gyps-Niederschlag erzeugt, weiss Jeder, der Seethiere in Weingeist gesammelt hat. Ebenso weiss aber auch Jeder, der den Bathybius-Schlamm der Porcupine-Ex- pedition gleich Huxley and mir genau untersucht hat, dass die darin massenhaft enthaltenen moneren-artigen Eiweisskörper wirk- lich aus einem eiweissartigen Körper und nicht aus Gyps bestehen. Sie färben sich in Carmin roth, in Salpetersäure und in Jod gelb, werden durch concentrirte Schwefelsäure zerstört und geben alle übrigen Reactionen des Protoplasma, was be- kanntlich beim Gyps nicht der Fall ist. Wenn man gewisse Kreide- Arten oder kreidigen Mergel fein pulverisirt, so erhält man ein feinkörniges, weisses Mehl, welches zum Verwechseln dem merkwürdigen „Radiolarien-Schlamm u ähn- lich ist, den die Challenger- Expedition in einem beschränkten Bezirke des Pacifischen Oceans (und nur hier!) in einer Tiefe von 12,000—26,000 Fuss Tiefe gefunden hat. Dieser „Radiolarien- Ooze", den ich eben jetzt untersuche, besteht fast ausschliesslich Haeckel, Das Protisteureich. ' (J — 82 — aus den zierlichsten und mannigfaltigst geformten Kieselschalen von zahllosen Eadiolarien. Mit blossem Auge aber ist dieser getrocknete Schlamm — ein wundervolles, mikroskopisches Radio- larien-Museum — nicht zu unterscheiden von jenem pulverisirten Kreide-Mergel, der nicht eine einzige Radiolarien-Schale enthält. Ich schlage nun vor, auf einer nächsten deutschen Naturforscher- Yersammlung den experimentellen Beweis zu führen, dass jene colossalen und höchst merkwürdigen, vom ChaLlenger entdeckten Radiolarien -Lager in, den Tiefen des Pacifischen Oceans nicht existiren. „Das Recept ist höchst einfach." Man zerstösst in einem Mörser vor den Augen der versammelten Naturforscher einen von jenen Kreide-Mergeln, die keine Radiolarien enthalten. Das so erhaltene weisse Pulver enthält kein einziges Radiolar — also auch der paciiische (blos aus Radiolarien bestehende) Tiefsee-Schlamm nicht — denn beide sind mit blossem Auge nicht zu unterscheideil. Quod erat demonstrandum ! Wir sind überzeugt , das schlagende Experiment wird auf alle Zuschauer „einen geradezu erschüttern- den Eindruck machen" — und der Radiolarien- Schlamm existirt nicht mehr! 4. Zur Kritik der Moneren. Wir glauben in Vorstehendem gezeigt zu haben, dass die „Nicht-Existenz des Bathybius nicht erwiesen" ist. Vielmehr bleibt es sehr wahrscheinlich, dass die Beobachtungen von Wyville Thomson, Carpenter und Emil Bessels über die Bewegungen des lebenden Bathybius richtig sind. Wir wollen nun aber einmal das Gegentheil annehmen und wollen zugeben, dass Bathybius kein Moner und überhaupt kein Organismus sei. Folgt daraus, — wie jetzt sehr oft gefolgert wird, +-~ dass auch die Moneren überhaupt nicht existiren? Oder dürfen wir daraus, dass die bekannte Riesen-Seeschlange der Fabel nicht existirt, den Schluss ziehen, dass es überhaupt keine Seeschlangen giebt? Bekanntlich giebt es deren eine Menge, die Familie der lebendig gebärenden, sehr giftigen Hydrophiden (Hydrophis, Platurus, Aepysurus etc.), welche meistens im indischen Ocean und Sunda-Archipel leben, aber keine beträchtliche Grösse erreichen. Es würde unnütz sein , hier nochmals darauf hinzuweisen, — 83 — dass meine eigenen, viele Jahre speciell auf diesen Gegenstand gerichteten und möglichst sorgfältigen Untersuchungen die Existenz von mehr als einem Dutzehd verschiedener Moneren-Arten theils im Süsswasser, theils im Meere nachgewiesen haben. Um so mehr will ich aber hervorheben, dass diese Beobachtungen seitdem von einer Anzahl bewährter Forscher wiederholt und bestätigt worden sind. Einige von diesen Moneren scheinen sogar im süssen Wasser sehr verbreitet zu sein, so namentlich die Gattungen Protamoeba und Yampyrella. P. agilis und V. spirogyrae kommen in Jena fast jeden Sommer gelegentlich zur Beobachtung. P. primüiva und V. vorax sind von mehreren verschiedenen Beob- achtern in sehr entlegenen Gegenden gesehen worden. Andere neue Moneren-Formen sind erst ganz neuerdings von Cienkowski und Oskar Grimm beobachtet. Wenn erst die allgemeine Auf- merksamkeit der Mikroskopiker sich mehr diesen höchst einfachen Organismen zuwendet, steht zu erwarten, dass unsere Kenntniss derselben sich noch beträchtlich erweitern, und vertiefen wird. Ganz abgesehen also davon, ob Bathybius ein echtes Moner ist oder nicht, kennen wir jetzt bereits mit Sicherheit eine Anzahl echter Moneren, deren fundamentale Bedeutung von ersteren ganz unabhängig ist. Wir wissen, dass noch heute eine Anzahl von niedrigsten Lebensformen in den Gewässern unseres Planeten existiren, welche nicht nur die einfachsten unter allen wirklich beobachteten Organismen, sondern überhaupt die denkbar ein- fachsten lebendenden Wesen sind. Ihr ganzer Körper besteht in vollkommen entwickeltem und fortpflanzungsfähigem Zustande aus nichts weiter als aus einem strukturlosen Protoplasma-KIümp- chen, dessen wechselnde, formveränderliche Fortsätze alle Lebens- thätigkeiten gleichzeitig besorgen, Bewegung und Empfindung, Stoffwechsel und Ernährung, Wachsthum und Fortpflanzung. Morphologisch betrachtet ist der Körper eines solchen Moners so einfach wie derjenige irgend eines anorganischen Krystalles. Ver- schiedene Theilchen sind darin überhaupt nicht zu unterscheiden; vielmehr ist jedes Theilchen dem andern gleichwerthig. Diese wichtigen Thatsachen und die daraus sich ergebenden weitreichen- den Folgerungen gelten für alle Moneren ohne Ausnahme — mit oder ohne Bathybius; — und es ist daher für die Theorie ganz gleichgültig, ob der Bathybius existirt oder nicht. - 84 — "Wenn wir diese Moneren als „absolut einfache Organismen" bezeichnen, so ist damit nur ihre morphologische Einfach- heit, der Mangel jeder Zusammensetzung aus verschiedenen Organen, ausgesprochen. In chemisch -physikalischer Beziehung können dieselben noch sehr zusammengesetzt sein; ja wir werden ihnen sogar auf alle Fälle eine sehr verwickelte Molecular- Structur zuschreiben müssen, wie allen eiweissartigen Körpern überhaupt. Yiele betrachten den schleimartigen Eiweisskörper, der Moneren als eine einzige chemische Eiweissverbindung, Andere als ein Gemenge von mehreren solcher Yerbindungen, noch Andere als eine Emulsion oder ein feinstes Gemenge von eiweiss- artigen und fettartigen Theilchen. Diese Frage ist für unsere Auffassung und für die allgemeine biologische Bedeutung der Moneren von untergeordneter Bedeutung. Denn auf alle Fälle — mag diese oder jene Ansicht richtig sein — bleiben die Mo- neren in anatomischer Hinsicht vollkommen einfach: Organismen ohne Organe. Sie beweisen unwiderleglich, dass das Leben nicht an eine bestimmte anatomische Zusammensetzung des lebendigen Körpers, nicht an ein Zusammenwirken verschiedener Organe, sondern an eine gewisse chemisch-physikalische Beschaffen- heit der formlosen Materie gebunden ist, an die eiweissartige Substanz, welche wir Sarcode oder Protoplasma nennen, eine stickstoffhaltige Kohlenstoffverbindung in fest- flüssigem Aggregatzustande. Das Leben ist also nicht Folge der Organisation, sondern umgekehrt. Das formlose Protoplasma bildet die or- ganisirten Formen. Da ich die ausserordentlich hohe Bedeutung, welche die Moneren in dieser Beziehung, wie in vielen andern Beziehungen besitzen, bereits in den früher angeführten Schriften ausführlich erörtert habe, kann ich hier einfach darauf verweisen. Nur die fundamentale Bedeutung, welche die Moneren für die hochwichtige Frage von der Urzeugung behaupten, sei hier nochmals ausdrücklich hervorgehoben. Die ältesten Orga- nismen, welche durch Urzeugung aus anorganischer Materie entstanden, konnten nur Moneren sein. Gerade diese allgemeine Bedeutung der Moneren für die Lösung der grössten biologischen Eäthsel ist es, Welche sie zu einem besonderen Steine des Anstosses und Aergernisses für die — 85 — Gegner der Entwickelungslehre macht. Natürlich benutzen die Letzteren jede Gelegenheit, ihre Existenz zu bestreiten, ähnlich wie es auch mit dem berühmten Eozoon canadense geschah, jener vielbestrittenen ältesten Yersteinerung der laurentischen Formation. Die erfahrensten und urtheilsfähigsten Kenner der Rhizopoden-Classe , an ihrer Spitze Professor Carpenter in London und der verstorbene berühmte Anatom Max Schultze in Bonn, haben übereinstimmend die feste Ueberzeugung gewon- nen, dass das echte nordamerikanische Eozoon (aus den laurenti- schen Schichten in Canada) ein wirklicher Rhizopode und zwar ein demPolytrema nächstverwandtes Polythalamiumist. Ich selbst habe mich viele Jahre hindurch ganz speciell mit dem Studium der Rhizopoden beschäftigt. Ich habe die zahlreichen, schönen Eozoon-Präparate vonCarpenter und von Max Schultze selbst genau untersucht und hege danach nicht den mindesten Zweifel mehr, dass dasselbe wirklich ein echtes Polythalainium und kein Mineral ist. Aber gerade wegen der ausserordentlichen principiellen Be- deutung des Eozoon, weil dadurch die Zeitdauer der organischen Erdgeschichte um viele Millionen Jahre hinauf gerückt, die uralte silurische Formation als verhältnissmässig junge erkannt und so der Entwickelungslehre ein grosser Dienst geleistet wird, gerade deshalb fahren die Gegner der letzteren fort, unbeirrt zu behaupten, dass das Eozoon kein organischer Best, sondern ein Mineral sei. Wie aber die hohe Bedeutung des Eozoon durch diese fruchtlosen Angriffe unkundiger Gegner erst recht in ihr volles Licht gesetzt worden ist, so gilt dasselbe auch von den Moneren — mit oder ohne Bathybius! Die echten Moneren bleiben ein fester Grundstein der Entwickelungslehre ! -^6n95pkiüd), einem Balkengeflecht oder einer Schale besteht; diese ist meistens aus Kieselerde gebildet, von äusserst mannigfalti- gen und zierlichen Formen. Die Ernährung der Eadiolarien geschieht wie bei den Acyttarien durch die Pseudopodien. Die Fortpflanzung erfolgt ungeschlechtlich, selten durch Theilung, meistens durch Sporenbildung. Die Sporen, welche innerhalb der Centralkapsel entstehen und aus dieser ausschwärmen, sind mit Geissein ver- sehene Schwärmsporen. Alle Eadiolarien leben im Meere und schweben theils an der Oberfläche, theils in verschiedenen Tiefen. Erste Ordnung der Eadiolarien: Pancollae (haeckel). Gallert-Strahlinge. Fig. 26. Eadiolarien ohne Skelet, oder mit einem Skelet, welches bloss aus zerstreuten soliden Nadeln zusammengesetzt ist. Gattungen: Thalassicolla (nucleata). Collozoum (inerme). Tha- lassosphaera (bifurca). Sphaerozoum (punctatum). Zweite Ordnung der Eadiolarien: * Panacanthae (haeckel). Stachel-Strahlinge. Fig. 32, 33. Skelet besteht aus radialen soliden Stacheln, welche im Mittel- punkt der Central-Kapsel in einander gestemmt, locker verbunden oder verwachsen sind. (Acanthometrida s. a.) Gattungen: Acanthometra (Mülleri). Dorataspis (bipennis). Dritte Ordnung der Eadiolarien: Pansoleniae (haeckel). Eöhren-Strahlinge. Skelet besteht aus einzelnen hohlen Eöhren, welche bald locker zerstreut, bald in radialer oder concentrischer Anordnung verbunden sind. — 103 — Gattungen: Aulacantha (scolymantha). Aulosphaera (trigon- opa). Coelodendrum (gracillimum). Vierte Ordnung der Radiolarien: Plegmideae (haeckel). Sehwamm-Strahlinge. Fig. 34. Skelet besteht aus einem lockeren oder dichteren Ge- flecht von feinen Kieselstäbchen , welche ohne bestimmte An- ordnung (schwammähnlich) verbunden sind. (Wachsthum viel- seitig). Gattungen: Acanthodesmia (vinculata). Spongurus (cylindri- cus). Spongodiscus (mediterraneus). Spong- asteriscus (quadricornis). Fünfte Ordnung der Radiolarien: Sphaerideae (HAECKEL). Kugel-Strahlinge. Fig. 25, 29, 30. Skelet besteht aus einer einzigen Gitterkugel oder aus mehreren concentrischen Gitterkugeln, welche durch radiale Stäbe ver- bunden sind. (Wachsthum radial). Gattungen: Ethmosphaera (siphonophora). Collosphaera (Huxleyi). Cladococcus (cervicornis). Haliomma (castanea). Actinomma (drymodes). Sechste Ordnung der Radiolarien: Discideae (haeckel). Scheiben-Strahlinge. Fig. 37. > Skelet scheibenförmig, aus zwei parallelen Siebplatten zusam- mengesetzt, zwischen welchen durch Kreuzung von concentrischen und radialen Gitterstäben zahlreiche kleine Kammern gebildet werden. (Wachsthum concentrisch). Gattungen: .Trematodiscus (sorites). Euchitonia (Mülleri). Coccodiscus (Darwinii). Astromma (Aristo- telis). _ 104 — Siebente Ordnung der Radiolarien: Cyrtideae (haeckel). Kegel-Strahlinge. Kg. 35, 36. Skelet eine Gitterschale, welche durch eine Hauptaxe mit zwei verschiedenen Polen charakterisirt ist. Grundform daher kegelförmig. Durch ringförmige Einschnürungen ist die Schale oft in mehrere, hinter oder neben einander liegende Kammern abgetheilt. (Wachsthum unipolar). Gattungen: Cyrtocalpis (amphora). Petalospyris (arachnoides). Eucecryphalus (Gegenbauri). Eucyrtidium (la- gena). Botryocampe (hexathalamia). -e^^^e^- Bruck von Hüthel & Herrinann in Leipzig, Kosmos. Zeitschrift für einheitliche Wetacliaii auf H der Entwicünslelre in Verbindung mit Charles Darwii\ und Ernst Haeckel sowie einer Reihe hervorragender Forscher auf den Gebieten des Darwinismus herausgegeben von Prof. Dr. Otto Caspar! Prof. Dr. Gustav Jäger (Heidelberg) ! (Stuttgart) Dr. Ernst Krause (CARTJS STERNE) (Berlin.) In monatlichen Heften zum vierteljährlichen Preise von 6 Mark. LEIPZIG. Ernst Günther's Verlag. (Karl Alberts.) ©PROSPECT. © ür die Naturkunde, welche, gegenüber den sogenannten hu- ^3iG manitären Wissenschaften, noch bis vor Kurzem nur ein ge- ^ duldetes Dasein, ein der grossen Menge fast verborgenes Leben geführt hat, brach mit dem reformatorischen Auftreten der Schule, die sich unter dem Banner Darwin's schaart, ein neuer Tag an, sofern erst jetzt jene harmonische Gliederung der Theile des Kosmos, welche Humboldt und so viele Denker vergangener Zeiten geahnt und bewundert haben, ihrem ursächlichen Zu- sammenhange nach verständlich wurde. Unerschütterlich hat sich seitdem die Ueberzeugung befestigt, dass man auch in der Natur das Seiende nur als ein Gewordenes auffassen dürfe, um zu einer einheit- lichen, widerspruchslosen Weltanschauung zu gelangen. Der folgenschwerste und bedeutungsvollste Akt dieser Uebertragung der das ganze Universum beherrschenden Naturgesetze auf die Ent- wicklungserscheinungen des Lebens bestand darin, dass, wie einst Kö- per nikus die Erde aus ihrem Mittelpunktstraume herausriss, so jetzt der Mensch selbst, der bisher über der Natur zu stehen schien, ohne von seiner Höhe herabgezogen zu werden, als zugehöriger Theil des Ganzen, mitten in die Natur hineinversetzt und seiner Ausnahmestellung enthoben wurde. Damit zog die neue einheitliche Weltanschauung sogleich auch alle jene humanitären Wissenschaften in ihre Kreise, und es begann eine nie erhörte Wechselwirkung zwischen den subjectiven und objectiven Wissenschaften. Das Ergebniss dieser allseitigen Begegnung ist eine fortgesetzte, ermuthigende Festigung des in den Abstammungs- und Entwicklungs- lehren gegebenen Einheitsprinzips gewesen, aber die Literatur, welche dieses Contakt - Verhältniss erzeugte, ist nicht nur in ihrem selbst- ständigen Theile kaum mehr übersehbar, sondern sie zersplittert sich auch in die zahllosen Fachblätter aller in Mitgenuss gezogenen Wissen- schaften, ja selbst in die Tageszeitungen hinein. So erhebt sich immer mächtiger bei allen, welche diese Zielgemeinsamkeit für ein befruch- tendes und wesentliches Moment der fortschreitenden geistigen Ent- wicklung halten, das Bedürfniss nach Sammlung und Concentration. J _ ■ V Diesem offenbaren Bedürfnisse kann nur eine Zeitschrift dienen, welche in einer allen Interessenten verständlichen Form das Zerstreute sammelt, und auf demselben Gebiete, auf welchem das Bündniss der Wissenschaften zu Stande kam, zugleich ein Forum für den Ver- kehr und Austausch derselben eröffnet, zum Zwecke einer gegen- seitigen Unterstützung und Förderung. Allen diesen Bedürfnissen will unsere Zeitschrift Rechnung tragen und zwar theils durch Original- Arbeiten, theils durch Referate aus sämmtlichen einschlägigen Gebieten, und dabei die Aufgabe im Auge behalten, bisher noch Un- verbundenes mit einander in Berührung zu bringen, die überall noch vorhandenen Lücken aufzudecken, nicht zu vertuschen, sondern zu ihrer Ausfüllung anzuspornen, Mittel und Wege dazu anzuzeigen, Wider- sprüche und Gegensätze auf ihre wahre Natur zurückzuführen und dem hemmenden, verwirrenden und entwicklungsschädlichen Dog- matismus überall soweit entgegenzutreten, als mit dem Recht des Einzelnen auf eine freie Ueberzeugung vereinbar ist. Mit dieser Zeitschrift wenden wir uns jedoch nicht blos an die gelehrte Welt. Der Darwinismus hat nicht nur einen Bund aller Wissenschaften, sondern auch einen in dieser Ausdehnung vorher noch nie dagewesenen Verkehr zwischen den schaffenden Fachgelehrten und dem Aufklärung erwartenden gebildeten Publikum zu Wege gebracht. Die Aufgabe, diesen Bund zu hegen und zu pflegen, wird die Zeit- schrift dadurch zu erfüllen suchen, dass sie alle Fragen in allgemein verständlicher Sprache behandelt, um zugleich durch fassliche Dar- stellung das Interesse des Laien zu fesseln. Im' Vertrauen auf die Unterstützung der hervorragendsten Fach- männer haben sich die Vorgenannten zur Uebernahme der Redactions- geschäfte entschlossen. Dieselben wenden sieh nun an Alle, die für den geistigen Fortschritt der Menschheit eintreten, mit der Aufforderung, sich, sei es als Leser und Förderer, sei es als Mitarbeiter, unseren Bestrebungen anzuschliessen. Der erste Band (April—September 1877) dieser von vielen Seiten so freudig begrüssten Zeitschrift enthielt u. A. folgende grössere Beiträge: Die Philosophie im Bunde mit der Naturforschung von 0. Caspar!. Physiologische Briefe von Prof. Dr. Gustav Jäger. Die Urkunden der Stammesgeschichte von Prof. Dr. Ernst Haeekel. Die Schöpfungsgeschichte vor 200 Jahren von Carus Sterne. Bedeutung und Aufgaben der Völkerkunde von Fr. V. Hellwald. Die moderne Anthropologie von Gustav Jäger. Darwin's neuestes Werk. Von Dr. Hermann Müller. Gedanken über Vererbungswesen und Vererbungserscheinungen von Dr. Ludw. Overzier. Die Organanfänge I. IL von Prof. Dr. G. Jäger. Ueber den Ursprung der Blumen von Dr. H. Müller. Ueber den Artbegriff im Pflanzenreich von Dr. W« 0. Focke. Lamarck u^d Darwin von Dr. Arn. Lang. Die neuesten Ausgaben des Bomans von der Urweisheit des Menschengeschlechts v. Carus Sterne Die auf den Ackerbau bezüglichen Sprüche und Lieder der Ebräer von Dr, M. Schnitze. Ueber die nothwendigc Umbildung der Nebular-Hypothese von Dr. Carl du Prel. Die Farbe der Vogel-Eier von W. v. Beichenau. An der untern Grenze des pflanzlichen Geschlechtslebens von Dr. Arnold Dodel-Port. Die Anschauungen des Thomas von Aquin von Prof. Dr. S. Günther. Ueber Philosophie der Darwinschen Lehre von Dr. 0. Caspari. Bathybius und die Moneren von Ernst Haeckel. Zähmung der Alten durch die Jungen von Carns Sterne. Der sprachlose Urmensch von Fr. Y. Hellwald. Entstehungsgeschichte der Kochkunst von Prof. Dr. Fritz Schnitze Biographische Skizze eines kleinen Kindes von Ch. Darwin. Kritisches über Urzeugung von Prof. W. Preyer. Beobachtungen an brasilianischen Schmetterlingen I. von Dr. Fritz Müller. Ueber Farbenpracht und Grösse der Alpenblumen von Dr. Dodel-Port. Ueber die Zusammensetzung des deutschen Volkes von Dr. C. Melius. Zur Entwicklung des Farbensinnes von Dr. H. Magnus und Dr. E. Krause. Einiges über Farben und Farbensinn von Prof. Dr. G. Jäger. Der Ursprung der Iphis-Dichtung und einige damit verwandte morpho- gene tische Fragen von Dr. Ernst Krause, etc. etc. etc. Ferner: Kleine Mittheilungen und Journalschau; — Abtheilungen für Literatur und Kritik; — offene Briefe und Antworten etc. etc. Der soeben abgeschlossene zweite Band (October 1877 — März 1878) um- fasst u. A. : Ueber Zweckmässigkeit in der Natur von Dr. B. Vetter. Das Variiren der Grösse gefärbter Blüthenhüllen und seine Wirkung auf die Naturzüchtung der Blumen von Dr. H. Müller. Organ -Anfänge III von Prof. Dr. G. Jäsrer. Beobachtungen an brasilianischen Schmetterlingen. IT. in. Von Dr. Fr. Müller. Ueber die Sprache des Urmenschen von Dr. D. P. Weinland. Ueber das Verhältniss der griechischen Naturphilosophie zur modernen Naturwissenschaft von Prof. Dr. Fr. Schnitze. Ein auf die Umwandlungs-Theorie anwendbares mathematisches Gesetz von Prof. Dr. J. Delboeuf. Ein Wendepunkt in der Urgeschichte des Menschengeschlechts von John H. Becker. Ueber deu Leb ensbegriff von Prof. Dr. W. Preyer. Ueber den Ursprung des Sprachlauts von Dr Alex. Maurer. Die organischen Anpassungsm echanisnien in ihren Beziehungen zur Heil- kunde von Dr. H. Kühne. Das Auftreten der vorweltlichen Wirbelthiere in Nordamerika nach den Arbeiten von Marsh, Cope und Leidy. Europa'» vorgeschichtliche Zeit von Fr. t. Hellwald. Die H errachaft des Oeremoniells. I. IL III Von Herbert Spencer. Zum Sprach Ursprung. Von Prof Dr. 0. Jäger und Dr. Fr. Müller. Zum Gapitel Urzeugung. Von B. €arneri. Die Seuchenfestigkeit. Eine Ergänzung der Seuchenlehre. Von Prof. Dr. G Jager. Ferner: Kleine Mittheilungen und Journalschau; - Abtheilungen für Literatur und Kritik; - offene Briefe und Antworten etc. etc. Druck von Hüthel