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s

UNIVERSITY OF CALIFORNIA

SAN FRANaSCO MEDICAL CENTER

LIBRARY

, ALBRECHT VON GRJIFE'8 ARCHIV

FÜR

OPHTHALMOLOGIE,

HERAUSGEGEBEN

VON

PROF. TH. LEBER und Prof. H. SATTLER

IN GÖTTINGEN IN PRAG.

FÜNFUNDDREISSIGSTER BAND

ABTHEILUNG III.

MIT 3 FIGUREN IM TEXT UND 15 TAFELN.

LEIPZIG

VERLAG VON WILHELM ENGELMANN 1889.

Inhalts-Verzeichniss

zu Band XXXV, 3. Abtheilung.

Ausgegeben am 22. October 1889.

Seite

I. Ueber ophthalmoskopische Erscheinungen in der Peri- pherie des Aagengrundes. Von Professor Dr. Hngpo Mftgnus in Breslau. Mit Taf. I und II, Fig. 1— -16

uod 1 Holzschnitt 1 28

II. Wo liegt die vordere Grenze des ophthalmoskopisch sichtbaren Augenhintergrundes? Von Dr. A. Groe« nouw, Assistenzarzt an der Universitäts-Klinik für Augenkranke zu Breslau. Mit 2 Figuren im Text 29—56

III. Pathologisch-anatomische Studien über die Anfänge des Altersstaares. Von Dr. Hugo Magnus, a. ö. Professor der Universität Breslau. Mit Tafel III und IV, Fig. 1—15 57—96

lY. Ein theilweise resorbirter Cysticercus in einer tuber- culösen Neubildung im Innern des Auges. Von Dr. Th. von Sehroeder, älterem Ordinator an der St. Pe- tersburger Augenheilanstalt, nebst pathologisch-ana- tomischem Befunde und drei Tafeln v. Dr. H. West- phalen in Dorpat. Mit Tafel V— VII, Fig. 1—4 97—110 Y. Ueber einen merkwürdigen Fall von Dermoidge- schwulst mit rudimentärer Entwickelung des Auges. Von Dr. A. Wagenmann, Privatdocenten und erstem Assistenten der Univers.-Augenklinik in Göttingen. Mit Tafel VIII und IX, Fig. 1 7 111—146

YI. Zur pathologischen Anatomie und Pathogenese des Scbichtstaars. Von Dr. Otto Schirmer, Privatdocent and zweiter Assistent an der Universitäts- Augen- klinik zu Göttingen. Mit Tafel X— XII .... 147-186

1227

IV Inhalt.

Seite VII. lieber Mikrophthalmus und Cataracta congenita vas- culosa, nebst einigen Bemerkungen über Drüsen der Ghorioidea und Neubildung von Linsenkapsel. Von Dr. med. W. von Grolman, Assistent an der Uni- versit&ts -Augenklinik zu Giessen. Mit Tafel XIII,

Fig. 1—3 ' 187—200

VIII. Ueber Fädchenkeratitis. Von Dr. Ernst Fischer in Dortmund. (Aus der Klinik von Prof. Scheeler in Berlin.) Mit Tafel XIV und XV, Fig. 1—5 . . . 201—216 IX. Zur Aetiologie der Keratitis neuroparalytica. Von

£• von Hippel, cand. med. aus Giessen .... 217—247 X. Fortgesetzter Bericht über die mittelst antiseptischer Wundbehandlung erzielten Erfolge der Staaropera-

tionen. Von Alfred Oraefe •. 248—264

XI. Antwort auf Prof. Dr. Alfred Graefe's Artikel: „Ueber die Einstellung der Augen bei Unterbrechung des binocularen Sehens.'' Von Dr. Edm. Landolt in Paris 265—272 XII. Erwiderung an Herrn Dr. Friedrichson in Dorpat.

Von Dr. Sehmall in Königsberg i. Pr 273—278

XIII. Historische Notiz von W. Krause in Göttingen . . 279

leber ophthalmoskopische Erscheinungen in der Peripherie des Angengrundes.

Von

Professor Dr. Hugo Magnus

in Breslau.

Hierzu Tafel I und II, Figur 1 16 und 1 Holzschnitt

Die Torliegende Arbeit beabsichtigt nicht eine erschöp- fende ophthalmoskopische Beschreibung aller Veränderungen der Peripherie des Augengrundes zu geben, wie wir sie bei den yerschiedensten Erkrankungen des Auges, als bei Entzündung der Netz- und Aderhaut*), bei Glaskörperblu- tungen'), bei Glaukom*) u. a. m. als Theilerscheinung des krankhaften Processes auch in der Augengrundperipherie wiederfinden. Es liegt vielmehr lediglich nur in dem Plan meiner Untersuchung, gewisse Veränderungen der Augen- grundperipherie ophthalmoskopisch erschöpfend zu schil- dern, welche gerade für die vordersten Abschnitte des Hin- tergrundes des Auges eine charakteristische Erscheinung

M Schweigger, Vorlesungen über den Gebrauch des Augen- spiegels. Berlm 1864. p. 89.

^ Zieminski, Apoplexie g^n^rale du corps vitr^ chez les adolescents. Extrait du Recuell d*ophthalmologie 1888. p. 8.

') Fuchs, Chorioiditis bei Glaukom. Bericht über die elfte Versammlung der ophthalmologischen Gesellschaft, Heidelberg 1878. Rostock 1878. p. 65.

▼. OrMfe'i ArchlT fflr Ophthalmologie. XXXY. 3. 1

2 JDr. Hugo Magnus.

bilden. Und zwar sind diese ophthalmoskopischen Erschei- nungen insofern für die Augengnindperipherie charakte- ristisch, weil sie sich in derselben vorfinden, ohne dass die anderen Theile des Augenhintergrundes ophthalmoskopisch sichtbare Zeichen irgend welcher idiopathischen Erkrankung aufzuweisen hätten. Höchstens begegnet man neben ihnen noch ophthalmoskopischen Erscheinungen, wie man sie als Begleiterscheinungen gewisser Refractionsanomalieen, so be- sonders der Myopie, in bestimmten Abschnitten des Hinter- grundes zu sehen gewöhnt ist. Die uns hier beschäftigenden ophthalmoskopischen Veränderungen der Augengnindperi- pherie sind im Allgemeinen entweder durch die Senescenz oder unter dem Einfluss bestimmter Refractionsanomalieen entstanden.

Was nun zunächst die durch Senescenz »bedingten oph- thalmoskopischen Erscheinungen der Hintergrundperipherio anlangt, so sind dieselben, seit Donders^) und Müller*) auf sie aufmerksam gemacht und sie in ihrer pathologisch- anatomischen Bedeutung klargelegt haben, öfters der Ge- genstand eingehender Specialstudien gewesen^) und auch an Beschreibungen ihres ophthalmoskopischen Bildes fehlt es nicht*), wenn gerade auch nach dieser Richtung hin

') Donders, Beiträge zur pathologischen Anatomie des Auges. Archiv für Ophthalmologie, Bd. I, Abth. 2.

^) Heinrich Müller^s gesammelte und hinterlassene Schriften zur Anatomie und Physiologie des Auges. Herausgegeben von Otto Becker. Leipzig 1872. I. Bd.

') Kerschbaumer, üeber Altersveränderungen der Uvea. Ar- chiv für Ophthalmologie, Bd. XXXIY, Abth. 4.

Kuhnt, lieber einige Alters Veränderungen im menschlichen Auge. Bericht über die dreizehnte Yersammlung der ophthalmolo- gischen Gesellschaft, Heidelberg 1881. Rostock 1881.

*) Mauthner, Lehrb. der Ophthalmoskopie. Wien 1868. p. 428. Von Wecker, Die Erkrankungen des Uvealtractus und des Glaskörpers. Graefe und Sämisch, Handbuch der gesammten Augenheilkunde, Bd. IV, Th. 2, p. 609 und p. 639.

Ophthalmoskop. Erschein, in der Peripherie des Augengrundes. 3

unsere Kenntnisse vor der Hand noch fühlbare Lücken auf- zuweisen haben.

Auch die als Begleiterscheinungen der Refractionsano- malieen in der Augengrundperipherie vorkommenden Ver- änderungen sind in erschöpfender Weise nicht geschildert worden. Ihre praktische oder sagen wir lieber ihre prog- nostische Bedeutung ist für das myopische Auge Ton ver- schiedenen Autoren zwar schon nachdrücklichst betont wor- den; so sagt z. B. Schweigger ^): „Ein Punkt von prak- tischer Wichtigkeit ist es femer, in Fällen von hochgradi- ger Myopie die äquatorialen Parthieen der Chorioidea, so- weit sie irgend ophthalmoskopisch zu erreichen sind, genau zu untersuchen, da gerade an dieser Stelle besonders im unteren Abschnitt der Chorioidea sich nicht selten Chorioi- deal Veränderungen vorfinden, welche nach von Graefe für die Befürchtung consecutiver Netzhautablösung von prognosti- scher Wichtigkeit sind." Allein eine ophthalmoskopische erschöpfende Schilderung dieser peripheren Veränderungen bringt die Literatur trotzdem nicht; höchstens begegnen wir hier und da einigen kurzgefassten und mehr casuistisch gehaltenen Hinweisen auf jene Veränderungen des myopischen Auges; so z.B. bei Nordenson*), bei Schleich^). Diese Thatsachen beweisen, dass man die peripheren Veränderun- gen des myopischen Auges zwar schon bemerkt hat, aber zu einer erschöpfenden Kenntniss derselben vor der Hand doch noch nicht gelangt ist.

Auch im hypermetropischen Auge sollen periphere Ver- änderungen der Augengrundperipherie vorkommen*) und

') a. a. 0. p. 84.

') Nordenson, Die Netzhantablösung. Untersuchungen aber deren pathologische Anatomie und Physiologie. Wiesbaden 1887, p. 180 ff. Nr. 3, 4, 9, 40 der Tabelle.

*) Schleich, Klinisch -statistische Beiträge zur Lehre von der Myopie. Mittheil, ans der ophthalmiatrischen Klinik in Tübingen. Tübingen 1882. Heft 3, p. 57.

*) Kerschbaumer a. a. 0. Arch. f. Ophthalm. XXXiy,4, p. 18.

1*

4 Dr. Hugo Magnus.

zwar soll die Entwickelung der sogenannten senilen peri- pheren Augengrundveränderungen gerade durch die Hyper- metropie eine ganz besondere Bevorzugung erfahren.

Wenn meine Arbeit nun auch nicht im Stande sein wird, die peripheren Erscheinungen des Augengrundes, so- wohl die durch die Senescenz als die durch die Refraction erzeugten, nach allen Seiten hin klarzustellen und alle hier in Betracht kommenden Fragen zu beantworten, so wird sie doch jedenfalls die ophthalmoskopischen einschlägigen Er- scheinungen in erschöpfender Weise zu schildern bemüht sein. Die ophthalmoskopischen Beschreibungen, welche auf den nächsten Seiten folgen, stützen sich auf eine Reihe systematischer Untersuchungen der Peripherie des Augen- grundes, welche ich schon seit einiger Zeit an Individuen aus allen Lebensaltem und mit den verschiedensten Refrac- tionszuständen ausgeführt habe. Die Untersuchung erfolgte meist bei künstlicher durch Homatropin hervorgerufener Mydriasis und hauptsächlich im umgekehrten Bild. Von dem in meiner Klinik streng festgehaltenen Brauch, jede Augenspiegeluntersuchung sowohl im aufrechten wie im um- gekehrten Bild auszufuhren, wurde Abstand genommen und nur das umgekehrte Bild benutzt. Die sich als nothwen- dig erweisenden excessiven Drehungen des untersuchten Au- ges, sowie meist auch des Kopfes Hessen die Untersuchung im umgekehrten Bild bequemer erscheinen und deshalb wurde sie für die betreffenden Untersuchungen ausschliess- lich gehandhabt. Es lassen sich z. B. die peripheren Theile der oberen Augengnmdhälfte nur bei starker Rückwärts- biegung des Kopfes genügend überblicken und ist in die- ser Stellung die Untersuchung im aufrechten Bild kaum durchführbar.

Betrachten wir nunmehr zunächst die Hintergrundperipherie im normalen Zu- stand, so bemerken wir zwei sich besonders kenntlich machende ophthalmoskopische Erscheinungen, nämlich:

Ophthalmoskop. Erschein, in der Peripherie des Aagengrundes. 5

1) die hier verlaufenden Chorioideal- und Netzhaut- gefässe und

2) das Corpus ciliare.

Die Chorioidealge fasse erscheinen als grössere pin- selförmige Figuren. Es strömen hier kleinere Gefässäst- cheu von den verschiedensten Seiten zusammen, um sich zu grösseren, dicken Gefässstämmen zu vereinigen. Bisweilen sieht man in der äussersten Peripherie des Hintergrundes eine Reihe dünner miteinander parallel ziehender Reiserchen, welche in einer peripher gelegenen dunklen Zeichnung (oph- thalmoskopischer Ausdruck des Ciliarkörpers vergl. Seite 6) enden. Eine Reihe grösserer Gefässe verlaufen meist kranz- förmig um die Peripherie, also in concentrischer Richtung zu dem Ciliarkörper. Die grossen dicken Stämme, zu denen sich schliesslich alle diesse Gefässe einigen, verlaufen mehr in radiärer Richtung (man vergl. Fig. 3). Man kann den Ver- lauf der beschriebenen Gefässe übrigens sehr genau auf der ausgezeichneten Abbildung Leb er' s*) studii*en. Zu den pa^ thologischen Veränderungen, welche in der Augengrundperi- pherie auftreten, nehmen die Gefässe häufig eine charac- teristische Stellung insofern ein, als sich längs der Gefässe und zwischen ihren einzelnen Verästelungen die Gewebs- veränderungen in ganz besonders characteristischer Weise einrücken (man vergl. Figg. 3, 4, 6, 11). Uebrigens hat bereits Müller*) ein ähnliches Verhalten constatirt, indem er die drüsigen senilen Verdickungen der chorioidealen Glaslamelle in den Zwischenräumen der Gefässe besonders zahlreich angehäuft fand.

An den Netzhautgefässen habe ich wiederholt

^) Leber, Anatomische Untersuchungen über die Blutgefässe des menschüchen Auges. Wien 1865. Tafel II.

*) Heinrich Müller*s gesammelte and hinterlassene Schriften zur Anatomie und Physiologie des Auges. Heraasgegeben von Otto Becker. Leipzijf 1872. I. Bd., p. 242.

Q Dt. Hugo Magnas.

einen eigenthümlichen Verlauf, besonders in ihren peri- phersten Parthieen bemerken können. Während nämlich ein Netzhautgefäss bis an die Peripherie des Hintergrandes den gewöhnlichen Verlauf zeigt, bemerkt man, sobald das 6c- fäss das periphere Gebiet betritt, plötzlich auffallend starke Schlängelungen an demselben. Diese Schlängelungen kön- nen sogar so stark ausgeprägt sein, dass der Verlauf des Gefässes in dieser Parthie lebhaft an die Zähne einer Säge erinnert. In anderen Fällen habe ich diese peri- pheren Schlängelungen mehr in wellenförmigen Linien ver- laufen sehen.

Wenn ich den Ciliarkörper soeben als charakte- ristischen Factor in dem normalen ophthalmoskopischen Bild der Peripherie bezeichnet habe, so soll damit nicht etwa gesagt sein, dass man nun ohne Weiteres in jedem Auge ophthalmoskopische Andeutungen des Ciliarkörpers finden müsse. So liegt die Sache nicht. Vielmehr möchte ich glauben, dass das, was von dem Ciliarkörper überhaupt ophthalmoskopisch sichtbar wird, nur unter gewissen Be- dingungen (vielleicht besonders im myopischen Auge) sich zeige. Das, was ich als Andeutung des Ciliarkörpers auffasse, ist, wie wir sofort erörtern werden, eine bisweilen in der äussersten Peripherie des Spiegelbildes erscheinende graue Zeichnung. Zu berücksichtigen ist bei 4er Spiegeluntersu- chung der Peripherie allerdings, dass durch die erforderlichen excessiven Drehungen des Bulbus leicht Verzerrungen und Beschattungen des Bildes auftreten, welche zu Täuschungen Veranlassung geben können. Doch habe ich in der äus- sersten Peripherie wiederholt eine graue, bisweilen leicht streifige Zeichnung gefunden, welche ich als ophthalmos- kopisches Bild gewisser Abschnitte des Ciliarkörpers an- sehen möchte. Die ophthalmoskopische Untersuchung des Ciliarkörpers erfordert zunächst möglichst ausgiebige Er- weiterung der Pupille und dann starke Drehungen des Bulbus nach den verschiedensten Richtungen. Am leichte-

Ophthalmoskop. Erscheiik in der Peripherie des Augengrundes. 7

steu scheint mir die Untersuchung dann, wenn das betref- fende Individuum den Augapfel stark nach unten dreht. Am schwierigsten gestaltet sich die Untersuchung für die obere Hälfte des Ciliarkörpers; hier muss der Patient den Kopf nach hinten überlegen und dann noch den Bulbus möglichst nach oben drehen. Bei älteren Individuen, deren Pupille sich nicht genügend erweitern lasst und die über- dies auch noch in den Bewegungen des Bulbus eine gewisse Ungelenkigkeit zeigen, gelingt es bisweilen nur schwer oder auch gar nicht den Ciliarkörper zu Gesicht zu bekommen. Der Theil des Ciliarkörpers nun, welcher dem Augen- spiegel zugänglich ist, zeigt sich als ein um die äusserste Peripherie des Augengi-undes verlaufender mehr oder min- der stark gefärbter Pigmentsaum. Die Breite, in welcher dieser Pigmentgürtel in Erscheinung tritt, wird wohl haupt- sächlich durch den Grad der Mydriasis und die Ausgiebig- keit der Bulbusbewegung bedingt. Je tiefer z. B. der Aug- apfel nach unten gedreht werden kann, um so mehr be- kommt man von dem Ciliarkörper zu Gesicht. Die Fär- bung des peripheren Pigmentsaumes wechselt sehr; bald erscheint er in einem hellen Graubraun, bald wieder in sehr dunklem Braunschwarz oder intensivem Schwarz. Er grenzt sich gegen das Roth des anderen Hintergrundes meist recht deutlich ab und zwai- entweder mit einem scharf gezeichneten leicht wellig verlaufenden Rand oder mit einer ausgefrauzten Linie (man vergl. Figg. 5, 6, 9, 14). Man sieht in dem letzteren Fall sehr deutlich schmale schlanke Fortsätze in das Roth des umgebenden Hintergrundes hinein- ragen und zwar in der ganzen Umrandung des Pigment- gürtels. Bisweilen erscheint der Rand auch wie ausgefa- sert; man sieht dann hier und da einzehie Zotten vorsprin- gen. In anderen Fällen bildet der Rand, mit dem der Ci- liarkörper gegen den Augengrund sich absetzt, überhaupt keine continuirlich verlaufende scharfe Linie, sondern an einzelnen Stellen verliert sich die Pigmentirung allmählich.

8 Dr. Hugo Magnus.

man möchte sagen, stufenweise in den Augengrund. Man sieht an solchen Stellen dann verschiedene parallel zum Pigmentrand verlaufende dunkle Linien, zwischen denen verstreut wieder Pigment liegt Man gewinnt den Eindruck» als ob an solchen Stellen der Pigmentgürtel auseinander- gezerrt wäre, so, als ob ein Theil des Pigmentes über die Giliarkörper und Augengrund trennende Grenzlinie hinaus und in den Hintergrund hinein gezogen wäre.

In anderen Fällen ist der Rand des Ciliarkörpers bau- chig gegen den Hintergrund vorgetrieben und hinter dieser Yorwölbung des Randes sieht man nach der Peripherie hin in dem dunkelpigmentirten Ciliarkörper deutlich einen Pig- mentdefect mit durchscheinendem Ghorioidearoth (vergleiche Fig. 2). Man gewinnt auch diesem Bilde gegenüber den Eindruck, als handele es sich um eine gewaltsame Aus- einanderzerrung des Pigmentblattes, welches die innere Fläche des Ciliarkörpers deckt.

Schliesslich muss ich noch eines anderen sehr eigen- artigen Befundes gedenken, von dem es mir, wie auch bei dem soeben geschilderten gleichfalls nicht ganz klar ist, ob wir es mit einer pathologischen Auseinanderzerrung des Giliarkörperpigmentes zu thun haben, oder mit einem nor- malen Verhalten. In dem betreffenden Falle grenzte sich der Ciliarkörper mit deutlichem bogig gewelltem Rand ge- gen den rothen Augengrund ab; dieser arkadenformig ge- staltete Rand war ziemlich intensiv graubraun gefärbt. Nach der Peripherie schloss sich an diesen scharf gezeichneten welligen Rand aber nicht das Pigmentblatt des Ciliarkör- pers, sondern es folgte eine massig breite hellrothe Zone, in welcher zahlreiche parallel verlaufende Chorioidealgefasse sich zeigten. Mit diesen Gefässen parallel zogen hier und da von dem Rand und zwar von den Stellen, in denen je zwei Bogen des Randes aneinanderstiessen, schwache Pig- mcntsäulen nach der Peripherie hin, um in dem Pigment des Ciliarkörpers zu verschwinden. Uebrigens war die zwi-

Ophthalmoskop. Erschein, in der Peripherie des Augengrundes. 9

sehen dem Rand und dem Ciliarkörper eingeschobene nicht pigmentirte intermediäre Zone heller roth, als der übrige Hintergrund. Während an einzelnen Stellen die soeben be- schriebene Zeichnung sehr charakteristisch ausgeprägt war, fand ich an anderen Stellen längs des Ciliarkörperrandes nicht einen concentrisch verlaufenden welligen Saum, sondern regellos angeordnete Pigmenthaufen (vergl. Fig. 1).

Ein dem soeben beschriebenen Bild nahestehendes fand ich in vielen Fällen. Es grenzte hier der Ciliarkörper (a) an eine helle gelblichrothe Zone (6), welche mit einem bogigen Rand (c) gegen den normal gefärbten rothen Augengrund {d) sich abhob. In der entfärbten Zone liefen zahlreiche parallele Chorioidealgefässe nach dem Ciliarkörper hin, wie sich auch bisweilen vereinzelte kleine Pigmentfleckchen hier fanden.

Schematische Darstellang des ophthalmoskopischen Bildes der Angengnmdperipherie.

a. Ciliarkörper.

b. Helle entfärbte Zone mit zahlreichen parallel verlaufenden ChorioidealgefitoBen.

e. Bogenförmiger Rand (Ora serrata). d. Normaler Augengrund.

Sowohl das bunte Bild (Fig. 1), sowie die vorstehende schematische Darstellung, weisen eine sehr bemerkenswertho Aehnlichkeit auf mit den Abbildungen, welche He nie*) giebt

^) Henle, Handb. der systematischen Anatomie des Menschen. II. Band: Eingeweidelehre. Braonschweig 1866. p. 614. Fig. 467, p. 669. Fig. 517.

10 Dr. Hugo Magnus.

von dem vorderen Abschnitt der Chorioidea nach theilwei- scr Entfernung des Pigmentes, üebrigens gelingt es in vie- len Fällen trotz Mydriasis und trotz der ausgiebigsten Be- wegungen des untersuchten Auges nicht, den Ciliarkörper zu erblicken. Im Allgemeinen tritt derselbe bei brünetten Personen viel deutlicher in Erscheinung, als wie bei blonden.

Wenden wir uns nach diesem orientirenden üeberblick über das ophthalmoskopische Bild der normalen Augen- grundperipherie zur Betrachtung derjenigen Veränderungen, deren Untersuchung den Zweck der vorliegenden Arbeit bildet.

Es zeigen die in Rede stehenden Erscheinungen ein sehr buntes Bild sowohl was Farbe, als Form und Grösse anlangt. Der Umfang der Veränderungen schwankt zwischen kleinen circumscripten Heerden und breiten, die ganze Peri- l)herie gürtelförmig umkreisenden Plaques. Auch die Färbe bietet die verschiedensten Nuancen schwankend zwischen schmutzigem Grau und blendendem Weiss. Rechnet man dazu die die Heerde umlagernden PigmcntschoUen, die im Bereich der Veränderungen reichlich auftretenden Gefasse, so erhalten wir ein ophthalmoskopisches Bild, dass durch seine Vielgestaltigkeit sich auszeichnet.

In der an den Rand des Ciliarkörpers anstossenden Zone localisiren sich die in Rede stehenden Veränderungen stets und ziehen, finden sie sich überhaupt in grösserem Maassstabe vor, wie ein mehr oder minder breiter Gürtel um die ganze Peripherie des Hintergrundes conccntrisch zum Ciliarkörper. Donders^) hat schon vor Jahren die- ses topographische Verhalten in einem sehr characteristi- schen Bild zur Darstellung gebracht. Die Veränderungen selbst zeigen sich in Form von einzelnen rundlichen oder ovalen weissen Flecken, welche bald grösseren bald gerin- geren Umfanges sind. Entweder treten nur ganz verein-

^) Doaders, Beiträge ziur pathologischen Anatomie des Auges. Archiv für Ophthalmologie, Bd. I, Abth. 2. Tafel IV, Figur 1.

Ophthalmoskop. Erschein, in der Peripherie des Augengrundes. H

Sehr häufig verschmelzen dieselben miteinander und man begegnet alsdann grossen gürtelförmigen weissen Plaques (Figg. 3) 4); ein solcher Gürtel nun kann einen zusammen- hängenden weissen Streifen bilden, oder aus einer Anzahl grösserer Plaques bestehen, welche aber von einander ge- trennt sind (Fig. 4). Hat man es mit so umfangreichen die ganze Peripherie umkreisenden Plaques zu thun, wie sie Fig. 3 und 4 veranschaulichen, so wird man in der Um- gebung derselben niemals in reichlicherer Anzahl kleinere weisse oder schwarze Fleckchen und Tüpfel vermissen; und zwar treten dieselben mit gesetzmässiger Regelmässigkeit stets an der peripheren, dem Ciliarkörper benachbarten Seite des atrophischen Gürtels auf. ^) Ich habe bei den vielen Untersuchungen, welche ich ausgeführt habe, niemals beobachten können, dass längs dem nach dem Gentrum des Aügengrundes gerichteten Rand des Gürtels sich kleinere Flecke finden, vielmehr localisiren sich dieselben stets zwi- schen Ciliarkörper und dem atrophischen Gürtel. Die weis- sen Stellen, mögen sie nun in der Gestalt kleinerer Flecke auftreten, oder sich zu grösseren flächenhaft ausgedehnten Plaques voreinigen, pflegen sich meist scharf gegen den um- gebenden Untergrund abzusetzen, wie man dies auch auf den meisten beigegebenen Abbildungen beobachten kann. Doch kann man wiederum auch Fälle sehen, in denen die betreffenden Stellen keineswegs sich scharf gegen die Um- gebung abgrenzen, vielmehr unmerklich in dieselbe über- gehen, wie dies z. B. Fig. 4 an verschiedenen Punkten, be- sonders in ihrer rechten Hälfte zeigt. Ich glaube die Be- obachtung gemacht zu haben, dass in solchen Fällen, in welchen die scharfe Begrenzung der Heerde vermisst wird.

^) Es erinnert das ophthalmoskopische Bild in den oben be- schriebenen Fällen lebhaft an jenen Fall, welchen mein früherer Assistent Dr. Jacobsohn (Ein Fall von Retinitis pigmentosa ati- pica. KliniBche Monatsbl&tter für Angenheilkonde 1888, p. 202) be- schrieben und abgebildet hat.

12 Dr. Hugo Magnus.

die Farbe der Flecke selbst nicht rein weiss ist, vielmehr ein schmutziges Gelbroth aufweist; auch sieht man alsdann öfters eine deutliche marmonrte Zeichnung; helle Punkte werden von grauen, spinnengewebeähnlichen Netzen umspon- nen. Es ähnelt dies Bild alsdann der von Liebreich^) gegebenen Schilderung, der in einem Fall fand: „dunklere Kränze, die kleinere hellere Flecken abgrenzten". Ob diese ganz auffallende Differenz in der Färbung der Heerde (man vergl. Figg. 3 und 4) nun bloss dem Umstand zuzuschreiben ist, dass in dem einen Fall der Process weiter fortgeschrit- ten ist, als in dem anderen, oder ob eine Verschiedenheit in der Natur des pathologischen Vorganges selbst den An- lass zu der Farben Verschiedenheit ergiebt, vermag ich auf Grund der ophthalmoskopischen Untersuchung allein nicht zu entscheiden. Uebrigens sieht man unter Umständen auch Heerde, die weder rein weiss, noch schmutzig gelb- roth sind, sondern ein deutliches Grau zur Schau trs^eu und zwar machte es mir in einigen Fällen den Eindruck, als ob es sich um eine beginnende Pigmentmaceration des Pigmentblattes jenes Theiles der Hintergrundperipherie han- dele, welche Henle*) als Orbiculus ciliaris abbildet. In einer grossen Reihe von Fällen ist es zur Entwickelung scharf umrandeter weisser Heerde überhaupt noch nicht gekommen, sondern die ganze Veränderung besteht nur in einer weissgraueu verwachseneu Linie längs des Randes des dunkel pigmeutirten Ciliarkörpers. Uebrigens scheint der Beginn der peripheren Veränderungen auch noch in anderer Weise erfolgen zu können. So habe ich in einem Fall bei einem 16jährigen Myopen längs der Peripherie des Hinter- grundes beider Augen und zwar vornehmlich in der oberen Hälfte dei-selben ein feines Netzwerk weisser Fäden gesehen (Fig. 16), das sich auf einem leicht entfärbten Grund be-

*) Liebreich, Histologiach-ophthalmoskopische Notizen. Archiv für Ophthalmologie, Bd. IV, Abth. 2, p. 290.

«) a. a. 0. p. 612, Fig. 465 und p. 614, Fig. 467.

Ophthalmoskop. Erschein, in der Peripherie des Augengrundes. 13

einem 16 jährigen Myopen längs der Peripherie des Hinter- grundes beider Augen und zwar vornehmlich in der oberen Hälfte derselben ein feines Netzwerk weisser Fäden gesehen (Fig. 16), das sich auf einem leicht entfärbten Grund be- fand und in dessen Maschen graubraunes Pigment lag. Man konnte diesem Bild gegenüber die Vorstellung gewinnen, als habe man es mit einer längs dem Ciliarkörper hinzie- henden, auf einen schmalen Gürtel beschränkten Atrophie von chorioidealen Gefassen zu thun. Ich hebe diese Aehn- lichkeit deshalb ganz besonders hervor, weil der geschil- derte Befund, besonders da er ein.em Frühstadium der beschriebenen Veränderungen angehört, unter Umständen vielleicht für die Entstehungsweise der Heerde selbst einen gewissen Anhaltepunkt zu bieten vermag.

Neben der Farbe und der Form haben wir an den Heerden noch die Anhäufung von Pigment und die Anord- nung der Gefasse zu berücksichtigen.

Was zuvörderst das Auftreten von Pigment auf den Heerden anlangt, so scheint nach meinen Beobachtungen für dasselbe insofern eine gewisse Gesetzmässigkeit zu bestehen, als dasselbe in seiner Hauptmasse stets an dem peripheren Rand der Heerde auftritt. Doch gilt dieses Gesetz vor- nehmlich dann, wenn es sich um grosse gürtelförmige Ver- änderungen handelt, wie sie in Figg. 3 und 4 zur Darstel- lung gekommen sind. Diese Abbildungen zeigen sehr deut- lich, wie einmal längs des peripheren Randes der Heerde sich ein Saum schwarzen Pigmentes hinzieht und wie fer- ner zahlreiche schwarze vereinzelte Fleckchen den peri- pheren Rand der Heerde haufenweise begleiten. Uebrigens finden sich auch auf den Heerden selbst hier und da Pig- mentflecke, doch ist die Hauptansammlung immer längs des peripheren Randes zu suchen. Gar nicht selten finden sich jenseits des peripheren Randes auch grosse unregel- mässig gestaltete Pigmentschollen. Weniger deutlich tritt die soeben erwähnte Gesetzmässigkeit der Pigmentverthei-

14 Dr. Hugo Magnus.

lung dann zu Tage, wenn nicht grössere Heerde vorhanden sind, sondern es sich nur um vereinzelte kleinere weisse Fleckchen handelt. Hier liegt das Pigment an den verschie- densten Rändern des kleinen Fleckes, verdeckt denselben wohl auch zum guten Theil. Doch kann man unter Um- ständen auch an solchen kleineren Flecken noch die ty- pische Anhäufung des Pigmentes am peripheren Rand des Fleckes sehen; ja gar nicht selten findet man von einem kleinen Heerde ausgehend eine längere Pigmentzunge, welche bis zu dem Ciliarkörper hin zu verfolgen ist, den Heerd mit dem Pigmentblatt des Ciliarkörpers also verbindet (man vergL Fig. 7). Während bei dem soeben geschilderten Ver- halten aber immer die Entfärbung des Heerdes den Haupt- character des Bildes ausmachte und das Pigment nur eine nebensächliche Rolle spielte, giebt es auch Fälle, in denen der Entfärbung nur eine untergeordnete Bedeutung zukommt, während die Pigmentanhäufung hauptsächlich in Erschei- nung tritt. Nach meinen Erfahrungen kommen derartige pe- riphere Pigmentflecken hauptsächlich bei jüngeren Personen vor, sodass man wohl daran denken muss, in ihnen Vor- stufen der peripheren Heerde überhaupt zu erblicken. In solchen Fällen findet man in einiger Entfernung vom Ci- liarkörper einen oder eine Reihe von Pigmentflecken; das Pigment bewegt sich hierbei in verschiedenen Färbungen^ vom helleren Braungrau bis tiefen Kohlschwarz. Entweder ist hierbei das Pigment in Form einer grossen Scholle zu- sammengedrängt, oder man sieht verschiedene Fleckchen nebeneinander. Die unmittelbare Umgebung dieser Pig- mentheerde zeigt nun nicht selten eine deutliche Entfär- bung; das Chorioidealroth ist heller wie im Gebiet dea übrigen Hintergrundes. Oft ist auch an den Rändern sol- cher Pigmentflecke hier und da ein intensiver weisser klei- ner Heerd bemerkbar (Figg. 13, 14), oder die Pigmentscholle wird von einem weissen schmalen Saum umrandet und zeigt auch sonst hier und da einzelne kleine weisse Fleckchea

Ophthalmoskop. Erschein, in der Peripherie des Augengrundes. 15

(ein eigenartiges Bild derart bietet Fig. 12 dar). Während bei den Figg. 13, 14 und 15 das Auftreten des Pigmentes wohl durch eine Zerstörung der Zellen des Epithelblattes zu erklären ist, scheint in der Peripherie des Augengrun- des auch physiologisch eine unregelmässige Pigmentverthei- lung vorkommen zu können, wie wir dies für Fig. 12 an- zunehmen geneigt sind, üebrigens dürfen die soeben ge- schilderten pigmentirten Heerde nicht verwechselt werden mit jenen Figuren, welche man als Ausdruck der Intervascu- lärräume der Chorioidea so oft zu sehen Gelegenheit hat.

Was nun die Anordnung der Gefässe es handelt sich hier nur um die Chorioidealgefässe im Bezirke der entfärbten Heerde anlangt, so ist auch hier eine gewisse Gesetzmässigkeit nicht zu verkennen. Die Regelmässigkeit des Gefassverlaufes lässt sich besonders an den grossen weissen Heerden erkennen, indem man hier sieht, wie die Gefässe im Gebiet der Heerde selbst meist eine mehr paral- lele Richtung innehalten, also einen Verlauf zeigen, wie wir ihn auf Seite 9 schematisch dargestellt haben. Sodann glaube ich auch beobachtet zu haben, dass der atrophische Gürtel meist dicht an den grossen Venenstämmen der Peripherie hinläuft. Dass kleinere Heerde sich mit Vorliebe in dem Zwischenraum zwischen zwei Gefässen ansiedeln, hatten wir schon vorhin bemerkt und kann man diese Thatsache auch auf Figg. 6 und 10 bestätigt sehen.

Wir dürfen die Beschreibung der Beschaffenheit der Heerde nicht schliessen, ohne noch mit ein paar Worten die Stellen näher bestimmt zu haben, an welchen dieselben vorkommen.

Eingangs der vorhergehenden Beschreibung haben wir auf Seite 10 allerdings schon bemerkt, dass die Heerde sich in einer Zone vorfinden, welche an den Rand des Ci- liarkörpers angrenzt; doch ist diese Bemerkung etwas zu allgemein gehalten und müssen wir derselben noch einige Erläuterungen anschliessen. Sehr häufig findet man

16 I>r. Hogo Magnus.

handelt es sich nur um Tereinzelte Heerde und nicht um jenen die ganze Peripherie umkreisenden Gürtel dicht am Rand des Giliarkörpers die entfärbten Stellen. Man sieht alsdann, wie zwischen den zottigen Vorsprüngen des Giliarkörpers kleine weisse Flecke oder hellgelbe Parthieen eingebettet sind; oft zeigen diese Flecke auch einen sehr deutlichen von der Färbung des Giliarkörpers sich abhe- benden dunklen Pigmentkranz (man vergl. Fig. 5). Nicht selten findet man auch tiefer im Giliarkörper, mehr weniger weit vom Rande derselben entfernt, hellere Stellen (Fig. 2). In anderen Fällen wieder liegen die Heerde durch einen schmalen Streifen rothen Hintergrundes getrennt in gerin- ger Entfernung vom Giliarkörperrand.

Nachdem wir uns in dem Vorhergehenden über die klinische Erscheinung der für die Hintergrundperipheric characteristischen Veränderungen unterrichtet haben, wäre es nunmehr noch unsere Aufgabe zu untersuchen

die Entstehungsweise der betreffenden Veränderun- gen. Den wichtigsten Punkt, welchen wir hier in erster Linie zu untersuchen hätten, wäre der, festzustellen: wel- chen Einfluss das Alter auf das Auftreten jener Heerde be- sitzt. Im Ganzen habe ich bei meinen Untersuchungen periphere Veränderungen in 80 Fällen gefunden; von die- sen 80 Individuen hatten 49 das vierzigste Lebensjahr be- reits überschritten, während 31 noch nicht die genannte Altersgrenze hinter sich hatten. Wenn wir gerade das vierzigste Lebensjahr als den Beginn der Senescenz ange- nommen haben, so haben wir uns damit ganz gevriss einer Willkürlichkeit schuldig gemacht, aber ohne derartige Eigen- mächtigkeiten wird und kann es bei Bestimmung der Alt und Jung scheidenden Grenze nun einmal doch nicht ab- gehen. Denn jene Grenze ist eben keine absolute, sondern eine rein individuelle und jeder Mittelwerth, welchen wir für dieselbe annehmen, ist mehr oder minder willkürlich durch das Belieben des Untersuchers aufgestellt. Wenn

Ophtlialmoskop. Erschein, in der Peripherie des Augengrandes. 17

wir keinen späteren Termin für den Beginn der Senescenz angenommen haben, so etwa das fünfzigste Lebensjahr, wie es z. B. Förster^) gethan hat, sondern gerade an dem vierzigsten Lebensjahr als Grenzscheide festgehalten haben, so geschah dies im Anschloss an Frau Eerschbaumer'). Rosa Kerschbaumer hat bei der Bearbeitung ihres zu unserer Untersuchung in engster Beziehung stehenden The- mas das vierzigste Jahr als Beginn der Senescenz angenom- men und so sind wir ihr gefolgt, um eventuell eine Paral- lele zwischen ihren und unseren Ergebnissen zu ermöglichen. Von meinen 80 Individuen zeigten, wie schon vorhin bemerkt wurde, 31 vor und 49 nach dem vierzigsten Le- bensjahr characteristische Veränderungen der Augengrund- peripherie, d.h. also für 38,75 ^/^ konnte die Senescenz be- siinmit nicht als Orund jener Veränderungen angesehen werden. Damit ist aber zugleich auch der Nachweis ge- fuhrt, dass man für die übrigen 61 25 ^/q, welche das vier- zigste Lebensjahr bereits überschritten hatten, nicht ohne Weiteres ausschliesslich nur die Senescenz als Ursache der bei ihnen gefundenen peripheren Veränderungen in An- sprach nehmen darf. Denn es liegt ja doch ganz gewiss die Möglichkeit vor, dass, da auch vor Beginn der Senes- cenz schon periphere Hintergrundsveränderungen auftreten können, eine Reihe der von mir untersuchten Individuen ihre Veränderungen schon vor dem vierzigsten Jahr erwor- ben und im Besitz derselben das vierzigste Jahr überschrit- ten hatten. Ja für eine Reihe meiner jenseits des vierzig- sten Jahres stehenden Fälle möchte ich es nicht bloss für möglich, sondern für überaus wahrscheinlich erachten, dass

') Förster, Zur pathologischea Anatomie des Katarakt. Archiv für Ophthalmologie, Bd. I, Abth. 2, p. 187. Förster hat für seine XJntersQchangen sogar das 54. Jahr als Beginn der senilen Yer&n- derongen angenommen.

«) a. a. 0. p. 17.

▼. Graefe's AtcIüt fDr Ophthalmologie. XXXV. S. 2

18 Dr. Hugo Magnos.

sie ihre peripheren Heerde schon lange vor dem vierzig- sten Lebensjahre erworben haben.

Jedenfalls beweisen also meine Zahlen, dass auch im jugendlichen Alter eventuell Factoren gegeben sein können, welche die Entwickelung peripherer Hintergrundsverände- rungen begünstigen.

Es würde sich bei dieser Sachlage nun zunächst die Frage ergeben: ob die im juvenilen und senilen Auge vorkom- menden Veränderungen der Hintergrundsperipherie klinische Unterscheidungsmerkmale darbieten? Die Antwort auf diese Frage kann verneinend und bejahend gegeben werden, je nachdem man nur auf die Beschaffenheit der Veränderun- gen selbst, oder auch auf die Begleiterscheinungen im übri- gen Auge Rücksicht nimmt.

Betrachtet man lediglich nur die klinisch-ophthalmos- kopische Erscheinungsform der Veränderungen, so kann man aus ihr kein sicheres Merkmal dafür gewinnen, ob die be- treffenden Heerde senilen oder anderweitigen Ursprunges sind. Man kann allerdings zugeben, dass bis etwa zum dreissigsten Lebensjahr die Veränderungen meist, wenn auch keineswegs immer, nicht so umfangreich sind, wie die jen- seits des vierzigsten Jahres vorkommenden. Im Allgemei- nen sind die Heerde, welche man bei Leuten vor dem dreissigsten Lebensjahre findet, nicht so umfangreich, wie die älterer Personen; häufig sind die atrophischen Erschei- nungen erst im Werden begriffen, nur durch feine weisse Linien oder durch grössere leicht entfärbte Parthieen an- gedeutet; oft auch treten die Erscheinungen einer Pigment- anhäufung besonders in den Vordergrund der Erscheinung. Allein schon gegen das dreissigste Lebensjahr verlieren die Heerde den Character des Initialstadiums sehr merk- lich und man kann Individuen finden, die im dreissigsten Jahr hochgradig entwickelte atrophische Heerde aufzuwei- sen haben. Wenn also das ophthalmoskopische Bild für die auf seniler, wie für die auf anderweitiger Basis ent-

Ophthalmoskop. Elrechein. in der Peripherie des Augengrundes. 19

standenen peripheren *Heerde genau das nämliche ist, so vermag man im concreten Fall doch aus der Berücksichti- gung des übrigen Verhaltens des Auges gewisse Rückschlüsse auf die Natur der Veränderungen zu gewinnen. Findet man in älteren Augen die Zeichen hochgradiger Rcfrac- tionsanomaUeen, besonders der Myopie, so wird man für die genetische Auffassung etwa vorhandener peripherer Verän- derungen nicht berechtigt sein, lediglich nur auf die Senes- cenz zurückzugreifen, sondern man wird in diesen beglei- tenden Symptomen einen Hinweis auf anderweitige Entste- llungsmöglichkeiten der Heerde erblicken müssen. Ja man wird sogar noch weiter gehen und auch für ältere Augen mit geringeren Refractionsanomalieen die Refractionszuständo für die Entstehung der peripheren Heerde als wirksam an- sehen müssen; oder man wird doch wenigstens die Mög- lichkeit, dass auch hier keine senilen Veränderungen vor- liegen können, einräumen müssen. Denn wir wissen, dass in jüngeren Augen, auch wenn dieselben keine excessiven Refractionsanomalieen aufzuweisen haben, doch unter Um- ständen periphere Heerde sich entwickeln können. Man wird gut thun, die soeben erörterten Verhältnisse bei etwai- gen einschlägigen Untersuchungen, mögen dieselben nun klinischer oder anatomischer Natur sein, festzuhalten, denn nur dann vermag man sich gegen eine Ueberschätzung des Einflusses der Senesceuz auf die Entstehung jener periphe- ren Heerde wirksam zu schützen. Wir können deshalb auch Frau RosaEerschbaumer^) nur vollständig beipflichten, wenn sie bei ihren Untersuchungen der Altersveränderungen der Uvea alle Fälle hochgradiger Refractionsanomalieen prin- cipiell ausgeschlossen hat.

Aber nicht allein die klinischen Erfahrungen bieten uns keine sicheren diagnostischen Unterscheidungsmerkmale der durch die Senescenz und der auf anderweitigem Wege

") a. a. 0. p. 18.

2*

20 ^r- Hugo Magnus.

entstandenen peripheren Heerde, sondern auch die anato- mische Untersuchung ist nicht im Stande, stets beide For- men der Heerde zu trennen. So sagt Kuhnt^): ^die oph- thalmoskopischen Veränderungen der Chorioidea um den Sehnerveneintritt im myopischen Auge können dieselben anatomischen Substrate zeigen, welche die einüache semle Atrophie derselben characterisirte.^ Was nach dem Aus- spruch Kuhnt's für die peripapilläre Zone des Hintei^run- des gUt, wird wohl auch fiir die peripheren Parthieen gel- ten müssen, da ja nadi den Kuhnt'schen Untersuchungen hier wie da die chorioidealen Veränderungen die nämlicdien sind.

Nachdem wir auf den vorstehenden Seiten bemüht ge- wesen sind, den Nachweis zu führen, dass sowohl in juve- nilen, wie senilen Augen characteristische periphere Heerde auftreten und dass des Femeren eine stricte, allgemein gültige diagnostische Scheidung zwischen diesen beiden For- men von peripheren Veränderungen nicht möglich ist, wol- len wir nun untersuchen, welche Factoren im juvenilen Auge für die Entwickelung jener Heerde verantwortlich zu machen sind.

Von den 31 Fällen unter vierzig Jahren entfallen 28 = 90, 32 % auf Myopie und 3 = 9, 96 % auf Hyperme- tropie. Es scheint hiernach also der Myopie für die Ent- wickelung der peripheren Heerde im juvenilen Auge eine ganz besondere Rolle vorbehalten zu sein. Allein man darf nicht übersehen, dass meine Zahlen viel zu klein sind, um eine genügend sichere statistische Basis bieten zu können. Es ist leicht möglich, dass in anderen Untersuchungen sich für die Beziehungen zwischen Myopie und Hypermetropie als Erzeuger jener peripheren Heerde ein anderes Verhält- niss ergiebt, als wie wir es gefunden haben. Dass aber die Myopie in der Erzeugung jener Heerde um Vieles frucht-

*) a. a. 0. p. 61.

Ophthalmoskop. Erschein, in der Peripherie des Augengrundes. 21

barer ist, als wie die Hypermetropie, wenn auch vielleicht nicht in dem colossalen Verhältniss wie 90: 10, das, glaube ich, werden alle anderen Untersucher auch finden. Das geht auch aus der Thatsache hervor, dass von den 80 mei- ner Fälle 57 = 71, 25 «/^ Myopie und nur 23 = 28, 15% Hypermetropie zeigten. Die Vertheilung aller Myopen über die juvenilen und senilen Augen war die gleiche, insofern 35 ^/^j aller Untersuchten Myopen und jünger als vierzig Jahr und 36,25 ®/q Myopen und älter als vierzig Jahr waren. Das Verhältniss zwischen den jungen und alten Hyperme- tropen war ein erheblich anderes, insofern 3,75 ®/o aller Untersuchten Hypermetropen und jünger als vierzig Jahr und 25 % Hypermetropen und älter als vierzig Jahr waren.

Wir wollen nunmehr noch, nachdem wir uns überzeugt haben, dass die Myopie für die Erzeugung peripherer Heerde im juvenilen wie senilen Auge eine grosse Bedeutung be- anspruchen kann, alle beobachteten Fälle von Myopie ge- nauer betrachten. Wir erhalten auf diese Weise vielleicht noch andere für die Beziehungen zwischen Myopie und peripheren Heerde wichtige Anhaltepunkte.

Was zunächst den Grad der Myopie anlangt, so hatten von den 57 mit peripheren Heerden behafteten Myopen 42 eine Myopie, welche mehr wie 3,5 Dioptrien betrug und 15 eine Myopie unter 3,5 Dioptrien. Es hatten demnach 73, 68%, also mehr als Vs ^^^ Myopen, einen höheren Grad dieser Befractionsanbmalie, während die geringeren Grade noch nicht in ^/^ aller Fälle vorhanden waren. Hier- nach scheint es also so, als ob die höhereu Grade unbe- dingt eine grössere Neigung für Erwerbung periphwer Heerde besitzen als die niederen. Diese Annahme findet auch noch in anderen Verhältnissen eine Stütze, so besonders in dem Auftreten und der Gestalt des Staphyloma posticum. Die Beziehung, in welcher die peripheren Heerde und die Sta- phylomabildnng in meinem Material zu einander stehen» zeigt folgende Zusammenstellung:

22 Dr. Hugo Magnus.

VoD 57 Myopen mit peripheren Heerden hatten

49 Staphyloma posticum = 85,96 %

von 57 Myopen mit peripheren Heerden hatten

8 kein Staphylom posticum == 14,03®/«

von 57 Myopen mit peripheren Heerden hatten 22 grosses circuläres Staphyloma posticum . . . = 38,59 ®/o

von 57 Myopen mit peripheren Heerden hatten 27 mittleres oder kleineres Staphyloma posticum = 47,36 ®/o

von 57 Myopen mit peripheren Heerden hatten 18 Staph. post. u. Veränderungen an der Macula = 31,57 ®/o

von 57 Myopen mit peripheren Heerden hatten 2 Staphylom posticum und Sublatio retinae . . = 3,50 ®/o Die vorstehende Tabelle ergiebt also Zweierlei. Erstens zeigt dieselbe, dass das Auftreten der peripheren Heerde besonders in solchen myopischen Augen zu finden ist, welche mit Staphyloma posticum behaftet sind. Und dann zeigt uns die Tabelle noch, dass die Augen mit grossen circulären Staphylomen ganz besonders von peripheren Heerden heim- gesucht zu werden scheinen. Denn wenn wir erwägen, in welchem numerischen Verhältniss die circulären Coni zu den Sicheln stehen, dass die ersteren um Vieles weniger oft ge- funden werden, so muss der Procentsatz von 38,59 <>/o der circulären Coni gegenüber den 47,36 <>/o der Sicheln als ein recht hoher bezeichnet werden. Dass die schweren For- men der Myopie zu dem Auftreten der peripheren Heerde ganz besonders disponiren, geht zum Ueberfluss auch noch aus der Thatsache hervor, dass fast V3 aller zur Beobach- tung gelangenden Fälle Veränderungen an der Macula lu- tea zeigten.

In höchst instructiver Weise kennzeichnen unter Um- ständen auch Anisometropen die Beziehungen, in welchen Myopie und periphere Hintergrundserkrankungen stehen. In vier Fällen habe ich einseitig eine sehr hohe Myopie mit Staphyloma posticum gefunden, während das andere

Ophthalmoskop. Erschein, in der Peripherie des Aagengrundes. 23

Auge iii drei Fällen hypermetropisch und im vierten emme- tropisch war. Zwei dieser Fälle betrafen Individuen von 47 und 56 Jahren, während die beiden anderen bei Per- sonen von 18 und 35 Jahren beobachtet wurden. In allen vier Fällen nun zeigte nur das hochgradig myopische Auge die peripheren Veränderungen in sehr characteristischcr Weise, während das andere Auge keinerlei periphere Ver- änderungen aufzuweisen hatte. Fig. 14 giebt die Abbildung einer Parthie des Hintergrundes bei dem 18jährigen Indi- viduum. Bei dem 35jährigen Mann fanden sich deutliche atrophische Flecken in der Peripherie; die anderen beiden Fälle zeigten ganz enorm breite und glänzend weisse peri- phere Gürtel, ähnelnd unserer Fig. 3.

Derartige Fälle, wie die oben angezogenen vier, lassen jeden Zweifel an den genetischen Beziehungen, in denen die Myopie zu den peripheren Heerden steht, ausgeschlos- sen erscheinen.

Wir möchten die Beziehungen, welche wir zwischen Myopie und peripheren Heerden ermittelt haben, in folgen- den Sätzen zusammenfassen.

1) Das Auftreten der peripheren Heerde steht zuvör- derst zu dem Grade der Myopie in proportionalem Verhält- niss; je höher der Grad der letzteren ist, um so häufiger treten in der Peripherie des Augengrundes Veränderungen auf und um so umfangreicher sind dieselben.

2) Augen mit hinterem Staphylom haben öfter peri- phere Heerde als Augen ohne Staphylom. Und unter den ersteren zeigen Bulbi mit grossen circulären Staphylomen^ die peripheren Veränderungen wieder häufiger, als wie Au- gen mit weniger entwickelten Sicheln.

3) Der Umfang der peripheren Heerde steht in direc- ter Beziehung zu dem Alter des betreffenden Individuums. Der junge Myop zeigt mehr die Anfänge, der ältere Myop (bei beiden die gleichen Refractionsgrade vorausgesetzt) eine

24 ^- Hugo Magnus.

weiter fortgeschrittene Entwickelang der peripheren Er- krankung.

Den ausgeprägtesten Fall bei jugendlichen Myopen hat ein 16jähriger Knabe mit Myopie von 6 Dioptrien darge- boten. Hier zog sich um die ganze Hintergmndsperipherie ein weisslicher Gürtel von mindestens Papillenbreite. Gegen den rothen Hintergrund setzte sich dieser periphere Gürtel mit gebogenen Rändern ab und fanden sich hier verstreut einzelne Flecken schwarzen Pigmentes. In dem Gürtel selbst, dessen Farbe nicht das reine Weiss darbot, wie ich es bei älteren Myopen im analogen Fall stets gesehen habe (man vergl. Fig. 3), vielmehr ein mit Grau gemischtes Weiss zeigte, fanden sich hier und da dunklere Streifen. Gegen die Peri- pherie grenzte der Gürtel an den dunkel pigmentirten Ci- liarkörper.

Ein Vergleich der Figur 3 mit den Figg. 14 und 16 wird das Verhalten der peripheren Heerde bei älteren und jüngeren Myopen in überzeugender Weise characterisiren.

Ueber die Beziehungen der Hypermetropie resp. dar- rüber, ob die peripheren senilen Hintergrundsveränderungen wirklich in einem ätiologischen Abhängigkeitsverhältniss zu der Hypermetropie stehen, wie dies Frau Rosa Kersch- baumer ^) anzunehmen geneigt scheint, vermag ich kein Urtheil zu fällen. Der ausgeprägteste Fall von peripheren Heerden bei einem Hypermetropen (vgl. Fig. 4) fand sich bei Hypermetropie von 3,5 Dioptrien. Von den 23 Hyper- metropen meines Materials hatten nur drei eine Refractions- anomalie von 3,5 Dioptrien, alle anderen eine geringere.

Darf ich nunmehr die Resultate meiner Untersuchun- gen nochmals zusammenfassen, so hätten wir Folgendes ge- funden:

1) Der Ciliarkörper ist tfaeilweise der ophthalmoskopi- schen Untersuchung zugänglich und zeigt sich als ein ganz

*) a. a. 0. p. 17.

Ophtbalmoskop. Erschein., in der Peripherie des Augengrundes. 25

peripher gelegener pigmentirter Gürtel mit strahligem oder zottigem Rand.

2) Der an den Rand des Giliarkörpers anstossendo Hintergnmdsbezirk ist sehr oft auffallend heller gefärbt als der übrige Hintergrund, von dem er sich überdies oft mit bogigem Rand absetzt. In dieser entfärbten peripheren Zone sieht man meist auffallend viele feinere parallel verlaufende Chorioidealgefasse.

3) In der Peripherie des Augengrundes längs des Ran- des des Giliarkörpers finden sich sowohl bei jüngeren, wie bei älteren Individuen eigenartige Erkrankungsheerde bei sonst normalem Augengrund.

4) Die Heerde treten entweder als kleinere resp. mit- telgrosse ovale oder rundliche weisse Flecken oder als ein Netzwerk feiner weisser Linien auf, oder sie verschmelzen zu einem breiten die ganze Hintergrundsperipherie umzie- henden Gürtel.

5) Im Bereich der Heerde findet sich meist Pigment und ist dasselbe bei grösserem Umfang der Heerde mit einer gevrissen Gesetzmässigkeit längs des peripheren Ran- des des Heerdes angehäuft.

6) Für das jugendliche Auge ist in hochgradiger Myopie die Veranlassung für die Entstehung jener Heerde gegeben.

7) Im hochgradig myopischen Auge ist der periphere atrophische Gürtel eine characteristische, mit einer gewissen Gesetzmässigkeit auftretende Erscheinung.

8) Hinteres Staphylom und periphere Augengrundsver- änderungen treten weitaus in den meisten Fällen neben- einander auf (vergL Seite 22).

9) Für ältere Augen, falls sie nicht in hohem oder mittlerem Grade myopisch sind, ist die Senescenz als Ur- sache der peripheren Heerde anzusehen.

10) Inwieweit Hypermetropie auf das Entstehen peri- pherer Heerde von Einfluss ist, vermag ich aus meinem Material nicht zu ermitteln.

Tafeln-Erklärung.

Tafel I.

Figur 1. Rechtes Auge Myopie ^Z^. 35j&hriger Lehrer. Längs des Ci- llarkörperraudes eine entfärbte Zone mit parallel verlaufenden 6e- fässen und bogigem Pigmentsaum. Blick nach Unten.

Figur 2. Rechtes Auge Myopie Vso- 20jähriger Kaufmann. Pigmentblatt des Ciliarkörpers erscheint auseinandergezogen, so dass ein Spalt entsteht. In diesem Spalt weisse Flecke; auch im Pigment selbst weisse Flecke. Blick nach Unten.

Figur 3. Rechtes Äuge Myopie Vs- 47jährige Frau. Blendend weisser Gürtel mit zahlreichen Pigmentflecken und Pigmentsaum am peri- pheren Rand. Am centralen Rand deutlich gezeichnete Chorioideal- gefässe. Zwischen peripherem Rand und Giliarkörper viele weisse und schwarze Fleckchen. Conus circularis posticus. Geringe Glass- körperflocken. Blick nach Unten.

Figur 4. Rechtes Auge Hypermetropie Vn; volle Sehschärfe. 61jährige Frau. Uebriger Augengrund normal. Man sieht weisse Flecke mit Pigmentauflagerung in der linken Hälfte des Bildes. In der rech- ten Bildhälfte gelbliche Entfärbung des Hintergrunds mit graulichen Flecken; gruppirt sich um einen grossen Geftssbaum. In der linken Hälfte des Bildes gegen den Giliarkörper viele schwarze Tüpfelchen. Cataracta incipiens. Blick nach Unten.

Dr. Hugo Magnus, Ophthalmoskopische Erscheinungen etc. 27

Figur 5. Rechtes Auge Myopie V«* 55jährige8 Fr&ulein. Conus posticus circularis. Der Ciliarkörper tritt als breiter dunkelbrauner Gürtel in Erscheinung. In den Rand dieses Gürtels eingelagert sieht mau einen weissen Fleck mit schwarzem Rand und an einer anderen Stelle eine hellere gelbliche Stelle gleichfalls mit schwarzer Umran- dung. Ausserdem finden sich zwei kleinere Flecken in geringer Entfernung yon den Zotten des Ciliarkörpers. Blick nach Unten.

Figur 6. Rechtes Auge Myopie Vis- ^^^ Conus posticus. 29jährige Frau. Der Ciliarkörper als brauner Gürtel sichtbar und dicht an dem Rand desselben zwischen den Zweigen eines Chorioidealgefässes ein blen- dend weisser Fleck. Blick nach Unten.

Figur 7. Linkes Auge Hypermetropie Vs4- SOj&hrige Frau. In einiger Entfernung yom Ciliarkörper ein ovaler weisser Fleck, von dessen peripherem Rand ein schwarzer Pigmentstreifen bis zum Ciliarkör- per hinzieht. An einzelnen Stellen sieht man schwarze Linien, welche grosse Aehnlichkeit mit Netzhautgefässen haben. Blick nach Unten.

Figur 8. Rechtes Auge Myopie Vs4- 37 jähriger Stabsarzt. Geringer Co- nus posticus. Breiter gelbweisser Fleck, der dem Ciliarkörper dicht anliegt und am centralen Rand einen bogigen Pigmentsaum zeigt. Blick nach Unten.

Figur 9. Linkes Auge desselben Individuums wie Figur 8. Kleine weisse Flecke in den Zotten des Ciliarkörperrandes; ein gelblicher ver- schwommener Fleck in einiger Entfernung von dem Ciliarkörper. Blick nach Unten.

Figur 10. Rechtes Auge Hypermetropie Veo- 49jähriger Arbeiter. In der Peripherie des Augengrundes zwei gelbliche nicht ganz scharf um- randete Flecken mit Chorioidealgefässen, aber fast ohne alles Pig- ment. Blick nach Unten.

28 I>r* Hugo Magnus, Ophthmlnwwkopiflche EncheiniiBgeii etc.

Tafel n.

Figor 11. Rechtes Auge Myopie \, 30jihrige Ftso. Im gmnsen Aagen- grund keine Spur einer Chorioiditis, aber lings der Peripherie ein ununterbrochener Gortel kleiner theils rundlicher, theils ovaler weis- ser und schwaner Flecke. Diese Flecke liegen an rielen Stellen zwischen zwei Chorioidealgeftssen. Tom Ciliarkörper nichts sicht- bar. Blick nach Aussen.

Figur 12. Rechtes Auge Hypermetropie ^/^. 46jahriger Landwirth. Gros- ser viereckiger Pigmentfleck mit weissem Saum und weissen einge- sprengten kleinen Flecken. Im weissen Saum Chorioidealgefiksse. Blick nach Unten.

Figur 13. Linkes Auge Myopie */,. 35j&hrige Frau. M&ssiger Conus posti- cns und Glaskörperflocken. In der Peripherie hier und da Anhäu- fungen von Pigmenttapfelchen auf enterbtem Untergrund. Blick nach Aussen.

Figur U. Rechtes Auge Myopie ^U, ISjfthriger Jangling. Linkes Auge ist emmetropisch und ohne jede Yer&nderung in der Peripherie. Am rechten Auge ragen sehr deutlich graubraune Streifen von der &ns- sersten Peripherie her in das Augenspiegelbild hinein. Zwischen den Spitzen des Ciliarkörpers hier und da ein weisser Fleck. In einiger Entfernung von dem Ciliarkörper zahlreiche grössere schwarze Pigmentflecke mit weissen Stellen, meist um Chorioidealgef&sse ge- lagert. Blick nach Unten.

Figur 15. Rechtes Auge; gemischter Astigmatismus mit überwiegender Myopie. 29j&hriger Arbeiter. Ein zackiger unregelm&ssig gestalteter Pigmentfleck mit entfärbter Chorioidea. Blick nach Unten und Aussen.

Figur 16. Linkes Auge Myopie Vn- 16 jähriger junger Mann. Blick nach Oben. Sehr schmale Sichel am macularen Rand der Papille. Ein Netz feiner weisser Linien, zwischen denen hier und da die Cho- rioidea leicht entftrbt ist. Ablagerung von graubraunem Pigment findet sich zwischen und l&ngs den weissen Linien.

Wo liegt die Tordere Grenze

des ophthalnioskopisch sichtbaren Angenhinter-

gmndes?

Von

Dr. A, Groenouw,

Assistenzarzt an der Universitäts-Elinik für Aagenkranke

zu Breslau.

Mit 2 Figuren im Text.

Veranlasst durch Herrn Geheimrath Förster bei Ge- legenheit einer Cysticercus -Extraction trat ich der Frage näher, wie weit man im Stande sei, mit dem Augenspiegel die Netzhaut nach vom hin zu überblicken. Die genaue Eenntniss dieser Thatsache erscheint ausserordentlich wich- tig für die Entfernung eines unter der Netzhaut oder im Glaskörper gelegenen Fremdkörpers z. B. einer Cysticercus- blase oder eines Eisensplitters, da auf diese Weise ein gu- tes Mittel zur genauen Ortsbestimmung des Fremdkörpers und somit zur richtigen Schnittführung behufs Extraction desselben gegeben ist

Die angeregte Frage ist merkwürdiger Weise bisher noch so gut wie gar nicht ventilirt worden, trotzdem über die Theorie der Augenspiegeluntersuchung und die Grösse des ophthalmoskopischen Bildes schon eine umfangreiche Literatur existirt. Die einzige Notiz über diesen Punkt

30 I>r. A. GroenoQW.

stammt von Donders^), welcher an zwei emmetropischen Augen fand, dasB die vordere Grenze des sichtbaren Augen- hintergnindes im horizontalen Meridian innen und aussen sich gleichweit erstreckt, nämlich je 8 mm nach hinten von dem Hornhautrande liegt Donders hat diese Frage aber nur flüchtig gestreift, da er bei seiner Arbeit einen ganz anderen Zweck verfolgte.

Suchen wir uns zunächst klar zu machen, worauf es beruht, dass wir die vorderste Parthie der Netzhaut mit dem Augenspiegel nicht sehen können, so werden wir dies am einfachsten erreichen, wenn wir den Gang desjenigen Strahles betrachten, welcher von dem vordersten eben noch sichtbaren Punkte des Augengrundes herkommt. Diesen Strahl wollen wir als „Grenzstrahl*' bezeichnen. Er hat die Eigenschaft, von einem Punkte der Netzhaut auszugehen, von welchem eben nur dieser einzige Strahl durch Linse, Pupille und Cornea aus dem Auge herausgelangen kann, während von jedem mehr nach hinten gelegenen Netzhaut- punkte mehr als ein Strahl, von jedem weiter vom liegen- den überhaupt kein Strahl mehr aus dem Auge heraus- treten kann.

Es wird offenbar ganz gleichgültig sein, ob wir unter- suchen, wo derjenige Punkt der Netzhaut liegt, von wel- chem eben noch ein Strahl aus dem beobachteten Auge herausgelangon kann, oder welchen Punkt der Netzhaut derjenige Strahl trifft, welcher gerade noch in das beobach- tete Auge hineintreten kann. Mit anderen Worten ausge- drückt wird die Frage: „Welches ist der vorderste Punkt der Netzhaut, welchen man noch sehen kann?'* mit der Frage zusammenfallen: „Welches ist der peripherste Netz- hautpunkt, zu welchem von aussen noch Licht hingelangen kann?"

Tritt nämlich auf einem bestimmten Wege ein Licht-

') Archiv für Ophthalmologie, XXIII, 2, pag. 264.

Wo liegt die vordere Grenze des etc. Augenhin tergrandes? 31

strahl in das Auge hinein, so muss auch umgekehrt auf demselben Wege ein Strahl aus dem Auge heraustreten können. Dieser Satz widerspricht dem Gesetze von der totalen Beflexion durchaus nicht, da es eben unmöglich ist, dass ein aus einem optisch dünneren in ein dichteres Me- dium eintretenden Strahl in letzterem einen so grossen Brechungswinkel bildet, dass er bei umgekehrtem Verlaufe total reflectirt werden müsste.

Wir betrachten also, welches der äusserste Strahl ist, welcher von aussen noch zur Netzhaut gelangen kann, da diese Betrachtungsweise bedeutend einfacher ist, als die umgekehrte. Tritt ein Strahl in der Richtung der opti- schen Achse ins Auge hinein, so trifft er den hinteren Pol der Retina, bildet seine Richtung einen Winkel mit der optischen Achse, so gelangt er zu irgend einem anderen, mehr nach dem Ciliarkörper hin gelegenen Punkte des Au- gengrundes. Dieser Punkt wird um so weiter nach vorn hin rücken, je grösser der Winkel des einfallenden Strah- les mit der optischen Achse ist Doch ist dem Anwachsen dieses Winkels eine bestimmte Grenze gesetzt, da sonst der eintretende Strahl nicht mehr durch die Pupille zur Retina gelangt, sondern von der Iris aufgefangen wird, ohne den Augengrund zu erreichen. Wann tritt dieser Moment ein?

Fig. 1 zeigt einen Horizontalschnitt durch den Bulbus in der optischen Achse ABM. M ist der Mittelpunkt des grössten Kreises ANRLRgN^, in welchem die Sclera von dem Schnitte getroffen wird. NAN^ ist die durchsichtige Cornea, NBN^ ihre Basis, welche auf der optischen Achse AM senkrecht steht. N^Mj ist der Krümmungsradius am Homhautrande, der Mittelpunkt dieser Krümmung braucht jedoch nicht gerade auf der optischen Achse zu liegen.

R^GERg ist die vordere Linsenfläche, deren Krüm- mungsmittelpunkt in M^ liegt, während die Lage des Krümmungsmittelpunktes der hinteren Linsenfläche durch M2 gegeben ist.

32

Dr. A. Groenoaw.

RR^R^Rs stellt die Iris dar.^)

Denken wir uns nun zunächst einmal alle durchsiditi- gen Theile aus dem Auge entfernt, so dass nur das un- durchsichitige Gerüst zurückbleibt. Wir würden dies errei- chen, wenn wir die Hornhaut an ihrer Basis NBN^ durch einen Verticalschnitt abtrügen und Linse nebst Glaskörper

Fig. 1.

aus dem Inneren des Bulbus entfernten, so dass der von der Sclera umschlossene Hohlraum von Luft erfüllt würde,

^) In Fig. 1 ist zwar der Verlauf des Strahles in Cornea and Linse in vierfacher Vergrösserung genaa wiedergegeben, doch ist die Erümmung der Sclera zu klein und die Iris zu weit nach hinten verschoben gezeichnet worden.

Wo liegt die vordere Grenze des etc. AageDhintergrundes? 33

wobei wir natürlicli voraussetzen, dass Iris und Sclera ihre normale Lage und Krümmung beibehalten. Dann ragt die undurchsichtige Sclera von N^ bis R, resp. von N bis R als Ring von etwa 1 mm Breite über die Iris hervor, und wir werden den Augengrund nur bis zu einem Punkte hin über- blicken können, in welchem ihn eine Linie N^R^, d.h. eine Verbindungslinie des Homhautrandes mit dem gegenüber- liegenden Pupillarrande trifft, da wir eben nur in einer geraden Linie, aber nicht um eine Ecke herum sehen kön- nen. Dieser Punkt liegt etwa 6 mm hinter dem Homhaut- falze. Wir werden also selbst unter diesen günstigsten Um- ständen einen nicht ganz 6 mm breiten unmittelbar hinter dem limbus corneae gelegenen Streifen des Augengrundes ophthalmoskopisch nicht wahrnehmen können.

Sobald wir uns aber die brechenden Medien des Au- ges wieder an ihre normale Stelle gesetzt denken, ändern sich die Verhältnisse.

Sei ON^ ein Strahl, welcher am Hornhautrande also durch den periphersten Theil der durchsichtigen Cornea ins Auge eintritt, so wird dieser Strahl durch die brechenden Me- dien des Auges von seiner Bahn abgelenkt werden, zunächst in der Richtung N,G verlaufen, darauf durch die vordere und hintere Linsenfläche noch zweimal gebrochen werden und in der Richtung 6HL schliesslich zu dem Punkte L gelangen. Dieser Punkt L wird dem Homhautfalze um so näher liegen, d. h. der in 0 befindliche Beobachter wird einen um so mehr nach vom gelegenen Punkt des Augen- grundes erblicken, je grösser der ^T^^O^A = a) ist, wel- chen die Verlängerung des Strahles ON^ mit der optischen Achse AOjB bildet

Dieser Winkel darf aber eine bestimmte Grenze nicht überschreiten, da sonst der Strahl ON^, oder richtiger seine durch die Hornhaut gebrochene Fortsetzung N^ G, gar nicht mehr durch die Pupille RiR, zur Retina gelangt, sondern vor der Pupille vorbeigeht, um auf die Iris RRi, auf die

T. Graefe'a Archir für Ophthalmologie. XXXV. 3. 3

34 ^^' ^' Groenoaw.

Sclera RN oder gar auf die entgegengesetzte Honihaut- hälfto AN zu treffen.

Bei Nj wird der Strahl stets unter einem so grossen Winkel in die Hornhaut eintreten müssen, dass er nach seiner Brechung noch in der Richtung N^G in die Pupille hineingelangen kann. Dies ist aber immer möglich, da einerseits aus einem dünneren Medium (Luft) in ein dich- teres (Hornhaut-Kammerwasser) ein Strahl unter jedem be- liebigen Winkel eintreten kann, andererseits der Grösse des Einfallswinkels in N^ nur durch die sehr weit zurück- tretende undurchsichtige Bulbuswand N, R3 eine Grenze ge- steckt ist.

Der gebrochene Strahl muss nun, falls er der Grenz- strahl ist, innerhalb der vorderen Kammer so verlaufen, dass er mit der optischen Achse wiederum einen möglichst grossen Winkel ^^JA = i bildet, ohne jedoch schon durch das Diaphragma RR^ abgefangen zu werden. Man wird zunächst unwillkürlich annehmen, der Strahl müsse dann in der Richtung N^R^, also in einer Verbindungslinie des Homhautrandes mit dem gegenüberliegenden Pupillarrande verlaufen. Doch ist dies gar nicht möglich, da die Linse etwas über die Pupillarebene hervorragt und also ein Strahl» welcher in der Richtung NjR^ verläuft, ehe er noch in R^ angelangt, schon auf die Linse trifft und durch sie gebrochen wird. Der Grenzstrahl wird vielmehr in der von N^ an die vordere Linsenfläche gelegten Tangente N^G verlaufen, da dies derjenige von Nj ausgehende Strahl ist, welcher den grössten Winkel mit der optischen Achse bildet und doch noch die Linse trifft. Der ^N^GM^, welcher gleich dem Einfallswinkel des Strahles N^G gegen die vordere Linsenfläche ist, beträgt also 1 R und der zugehörige Brech- ungswinkel M^GL ist der grösste Winkel, unter welchem ein Strahl gegen das Einfallsloth GM^ geneigt sein darf, um aus der Linse ins Kammerwasser austreten zu können» ohne total reflectirt zu werden.

Wo liegt die vordere Grenze des etc. Augenhintergrundes? 35

Der Strahl GL wird in H beim Austritt aus der hin- teren Linsenääche in den Glaskörper noch einmal eine Brechung von dem Einfallslothe MjH hinweg erleiden, doch ist diese Brechung, da der ^MgHG stets nur klein ist, so gering, dass wir sie vernachlässigen können.

Da der Grenzstrahl NjG die Tangente an die vordere Linsenfläche bildet, so wird er solange von dem Pupillar- rande der Iris nicht erreicht werden, als dieser sich weiter peripher befindet als der Punkt G. Sobald also die halbe Pupillenweite grösser ist als EG, wird das Stück des Au- gengnindes, welches wir ophthalmoskopisch überblicken, durch Erweiterung der Pupille nicht vergrössert werden. Da nun EG einem Pupillendurchmesser (nicht Radius) von etwa 3,5 mm entspricht, so ist die vordere Grenze des sichtbaren Augengrundes verhältnissmässig wenig von der Pupillenweite abhängig. Wenn wir trotzdem bei erweiter- ter Pupille den Augengrund weiter übersehen, als bei enger, so beruht dies vielmehr auf dem durch die Weite der Pu- pille vermehrten Lichteinfall, als darauf, dass bei enger Pu- pille die Iris die Strahlen, welche von dem periphersten Theile des Augengrundes herkommen, nicht in unser Auge gelangen lässt.

Die Grösse des sichtbaren Theiles der Netzhaut hängt also von der Hornhaut und ihrer Krümmung gar nicht ab, von der Weite der Pupille nur insoweit, als letztere nicht gar zu eng sein darf, dagegen fast ausschliesslich von der Lage der vorderen Linsenfläche zum Hornhautrande, so dass wir um so weiter nach vorn hin blicken können, je näher die Linse dem Homhautrande liegt, je enger also die vor- dere Kammer ist. Wir müssten also bei Accommodation des untersuchten Auges, wobei sich die Linse in die vor- dere Kammer hinein stärker vorwölbt, ihr Brechungsindex aber gleich bleibt, ein grösseres Stück des Augengrundes übersehen, wenn hierbei nicht der durch die Enge der Pu- pille verminderte Lichteinfall hinderlich wäre.

36 I>r. A. Groenouw.

Bisher haben wir der Einfachheit halber den Weg be- trachtet, auf welchem ein von aussen in das Auge eintre- tender Strahl zu einem möglichst weit nach vorn gelegenen Punkte des Augengrundes gelangen muss, wobei wir von der Voraussetzung ausgingen, dass dieser Punkt auch der peripherste Netzhautpunkt ist, von welchem umgekehrt noch Licht aus dem Auge herausgelangen kann, doch kann viel- leicht noch ein Beweis dafür verlangt werden.

Nehmen wir irgend einen von dem Punkte L ausge- henden Strahl z. B. LY, welcher die Linse näher ihrem Rande trifft als der Strahl LG, in die Linse hinointritt und in Y zur vorderen Linsenfläche gelaugt, so wird der- selbe mit dem Radius YM^ dieser Fläche, welcher zugleich das Einfallsloth ist, den ^LYM^ bilden. Dieser Winkel ist aber grösser als ^LGM^, wie sich leicht geometrisch zeigen lässt, wenn man bedenkt, dass L ein Punkt ausser- halb des Kreises M^ ist, und L und M^ mit einem Punkte der Peripherie dieses Kreises verbunden werden, wobei der von ihnen eingeschlossene Winkel um so grösser ist, je näher Y an L heranrückt.

-^LGMj stellt den grössten Winkel dar, unter wel- chem ein Strahl noch aus der Linse ins Kanunerwasser heraustreten kann, wird der Einfallswinkel noch grösser, z.B. =LYMi, so kann der Strahl LY nicht mehr aus der Linsensubstanz heraustreten, sondern wird in Y total reflec- tirt, gelangt so zu irgend einem anderen Punkte der vor- deren Linsenfläche, in welchem er nochmals reflectirt wird, und kann so schliesslich wieder in den Glaskörper zurück- gelangen, jedenfalls aber nicht aus der Linse ins Kammer- wasser austreten.

Denken wir uns nun, es ginge von L ein anderer Strahl aus, welcher durch Glaskörper und Linse zur vorderen Fläche der letzteren gelangt, und dieselbe nicht in G, sondern in einem weiter nach R, zu gelegenen Punkte z. B. in X^ trifft, so wird dieser Strahl LX^ mit dem Einfallslothe XjMi

Wo liegt die vordere Grenze des etc. Augenhintergrondes? 37

einen kleineren Winkel als LG M^ bilden, er wird also nicht total reflectirt werden, sondern aus der Linse heraustreten und in der Bichtung X^X, verlaufen. Aber auch dieser Strahl wird nicht in das Auge des Beobachters gelangen, vielmehr auf den undurchsichtigen Theil der Hornhaut resp. Sclera zwischen N^ und Bj treffen.

Von L aus kann also nur ein einziger Strahl LG durch die Linse ins Kammerwasser heraustreten, jeder andero Strahl dagegen wird entweder, wenn er einen Punkt der vorderen Linsenfläche trifft, welcher von G aus weiter nach B^ hin liegt, total reflectirt werden, oder aber, wenn er auf das Stück 6B, der vorderen Linsenfläche trifft, so wird er zwar aus der Linse heraustreten können, jedoch von dem undurchsichtigen Theile der Bulbuswand N^ B3 aufgefangen werden. Die Brechung an der hinteren Linsenfläche haben wir hierbei aus den oben angeführten Gründen vernach- lässigt.

Nehmen wir statt L einen Punkt, welcher noch weiter vom liegt zwischen L und B, so wird der Winkel, welchen ein von ihm ausgehender Strahl an der vorderen Linsen- fläche mit deren Badius bildet, stets grösser sein als der Winkel, welchen ein von L nach demselben Punkte der Linsenvorderfläche gehender Strahl mit demselben Badius bildet, es wird also ein solcher Strahl ebenfalls entweder total reflectirt werden oder auf das undurchsichtige Stück NjB, der Bulbuswand treffen.

Der Punkt L ist also wirklich der peripherste Punkt des Augenhintergrundes, von welchem aus noch Licht aus dem Auge heraus gelangen kann, d. h. welcher mit dem Augenspiegel noch sichtbar ist

Auf Grund dieser theoretischen Betrachtungen ist es möglich, aus dem Neigungswinkel des Strahles ON^ gegen die optische Achse {^ cq = AOjN^) und den sonstigen Krümmungs- und Brechungsverhältnissen des Auges die

38 ^r- A. Groenouw.

Entfernung des Punktes L von dem Hornhautraude N zu berechnen.

Am einfachsten erscheint es, den ^ gj an den Knoten- punkt anzutragen und so die Grösse NL zu bestimmen. Indessen ergiebt diese Methode stets für NL eine etwas zu geringe Länge gegenüber der auf die später zu erwäh- nende Weise direct gemessenen Entfernung der beiden Punkte von einander, da der Knotenpunkt des schematischen Au- ges wahrscheinlich etwas zu weit nach vorn liegt, ein Re- sultat zu dem auch Donders gekommen ist. Die Differenz ist allerdings nicht sehr ins Gewicht fallend und nur we- nig grösser als bei der noch zu besprechenden Methode, doch hat dieses Verfahren ein grosses theoretisches Beden- ken. Bei allen Betrachtungen über die Brechung durch Linsen resp. gekrümmte Flächen gehen wir nämlich von der Voraussetzung aus, dass die einfallenden Strahlen mit der optischen Achse einen kleinen Winkel bilden. In dem vorliegenden Falle ist der fragliche Winkel aber sehr gross, 80 dass man mit Recht erhebliche Bedenken gegen die Gültigkeit der allgemeinen Formeln für Bild- und Object- weite und gegen die Einführung eines Knotenpunktes für mehrere brechende Flächen erheben kann.

Um diesem Einwände zu entgehen, wollen wir die Strecke NL zu berechnen suchen, indem wir den Gang des Grenzstrahles in der oben erörterten Weise der Berechnung zu Grunde legen.

In Fig. 2*) ist ebenso wie in Fig. 1 NN^ die Horn- hautbasis, AM die optische Achse, M der Mittelpunkt der Kugeloberfläche der Sclera, auf welcher L liegt, M^ der lü-ümmungsmittelpunkt der vorderen Linsenfläche EG.

Ist ONj der Grenzstrahl, welcher mit der optischen Achse den -^ N^ Oj A = o bildet und ist Nj Mj der Krüm-

') Fig. 2 ist Bchematisch, die Lage und Grössenverhältnisse der Theile zu einander sind etwas geändert.

Wo liegt die vordere Grenze des etc. Augenhintergrundes? 39

mungsraditts am Homhautrande, dessen Neigungswinkel ge- gen die optische Achse ^AM^^^^^^o ist, so ist ^ON^C = a,, der Einfallswinkel des Strahles N^O gegen die Horn- haut Verläuft dieser Strahl nach der Brechung in der Richtung N^G, so ist ^GNiM3 = |9i der Brechungswinkel

Fig. 2.

und nach dem allgemeinen Brechungsgesetze besteht die Gleichung ^

sin ßi = sin a^

wenn wir unter n^ den Brechungsindex von Hornhaut, Kam-

merwasser und Glaskörper (nach Matthiessen = 1,3350)

verstehen. , ,

-^ ßi = ^ CO o daher

1) sin j3i = sin (co o).

40 ^r. A. Groenoaw.

Der in N^ gebrochene Strahl N^G bildet die Tangente an die vordere Linsenfläche (daher ^N^GM, = 1R) hier wird er nochmals gebrochen und verläuft in der Richtung GL.

Der Brechungswinkel M^GL sei j3, so wird dessen Grösse bestimmt durch die Gleichung

2) sini3 = --^-

wenn wir mit n^ den Brechimgsindex der äussersten Cor- ticalschichten der Linse bezeichnen (nach Matthiessen = 1,3750).

Nur die äussersten Gorticalschichten kommen hier in Betracht, da der gebrochene Strahl, wie man sich an einer genau construirten Zeichnung z. B. Fig. 1 leicht überzeugen kann, in den oberflächlichsten Parthieen der Linse verläuft, ohne die tieferen stärker brechenden Schichten zu berühren, ein Umstand, der die Berechnung ausserordentlich verein- facht, indem wir auf die Linse als einen geschichteten Kör- per keine Rücksicht zu nehmen brauchen, sondern sie für die hier eine Rolle spielende Zone als homogen betrachten können.

Bei den angegebenen Brechungsexponenten ist ^/9 = 760 36' 22".

Um nun das Stück NL zu berechnen, verlängern wir zunächst LG bis G^ und fuhren die aus Fig. 2 ersichtlichen Bezeichnungen ein.

Aus A Gl GM, ergiebt sich

^x = ^i3 ^GiM^G femer aus /^JM^Q

^GiMiG = lR— £ und aus A J^^sN^

woraus durch Eintragen dieser Werthe in die erste Glei- chung schliesslich folgt

3) ^x = ß + ßi + o K

Wo liegt die vordere Grenze des etc. Augenhintergrundes? 41

Bezeichnen wir G^Mi mit v, GM^ als Radius der vor- deren Linsenääche mit q^^ so folgt aus ^G^M^G

Gl Ml : GMi = sin |9 : sin x daher ist . ^

(4) V = pi -^-^ .

^ ^ ^* sm X

Aus /\ GjML ergiebt sich

GiM : LM = sin A : sin X

GiM = GiMi MMi

GiMi = v

MMi = AMi AM

= AE + pi~AM

setzen wir AEj die Tiefe der vorderen Kammer, = g und

AM = LM = (> als Radius der Scleralkrümmung, so ergiebt

sich aus obiger Gleichung schliesslich

. , (v + p (g+pj)sinx

(o) sin X = -^ ^-

Q Aus dem rechtwinkligen Dreieck MBN ergiebt sich

TIN tang.BMN = J^

setzen wir -4BMN = t

BN = b2, als die halbe Homhautbasis

AB = e, als Homhauthöhe, seist BM = p e und

(6) tangr = ^.

In ANML ist

NL* = NM* + ML* 2NM.MLC08NML

= 2R-(A + x + T)

SlUT

daher ist schliesslich

(7)NL=J/

b.* . ., 2h,p

sin*T

_ ££«P C08 (180» - (A + X + t)) . '^ sm T V •'

42 Dr. A. Groenouw.

Von den in diesen 7 Formeln vorkommenden Grössen kann man

-^o>, ^o und hj

auf eine einfache Art und Weise messen, während die Grössen

Pi, Q, e und g einer directeu genauen Messung nicht so leicht zugänglich sind. Ich habe sie daher nach den allgemeinen Durch- schnittszahlen, welche ich zum Theil der „Karte des mensch- lichen Auges" von Flemming entnommen habe, folgender- maassen in Rechnung gesetzt:

Radius der vorderen Linsenfläche bei accom-

modationsloser Linse (>i= 10 mm

Radius der Scleralkrümmung Q = 12 mm

Wirkliche Tiefe der vorderen Kammer .... § =3,7 mm

Homhauthöhe e = 2,5 mm

Mit Hilfe dieser theils direct gemessenen, theils als Durchschnittszahlen angejiommenen Grössen kann man aus den obigen 7 Formeln NL berechnen. Doch ist die Rech- nung, obwohl sie sich in Folge des constanten Werthes verschiedener Grössen sehr vereinfacht, immerhin noch um- ständlich gejmg. Es ist daher vortheilhafter die graphische Methode zu wählen.

Zeichnet man nämlich den Horizontalschnitt eines Bul- bus in zehnfacher Vergrösserung auf, und trägt auf der optischen Achse in der Entfernung AB == 2,5 mm nach hinten von dem Homhautscheitel die Senkrechte BN^ = der halben gemessenen Horahautbasis (h,) nach beiden Sei- ten hin auf, so kann man die Linie N^G sehr leicht con- struiren, indem man das Gomplement des -^AJN =i au KiB in Nj anträgt, den ^i findet man nach den Formeln

sin ßi = sin (co o)

und ^L = o-\-ß^,

Wo liegt die vordere Grenze des etc. Aagenhintergrandes? 43

Auf der Liuie N^G errichtet man dann eine Senkrechte GMi = Q (10 mm), deren freier Endpunkt auf AM liegt. An diese Linie trägt man in 6

^/3 = 76o 36' 22" an, der freie Schenkel treffe den mit ML = M A = q (12mm) um M beschriebenen Kreis in L, so ist NL die gesuchte Grösse, welche man bei der angenommenen Vergrösserung von 1 : 10 sehr bequem noch bis auf -^ mm genau ablesen kann. Da der Messungsfehler etwa 1 mm beträgt, so ist die Construction ausreichend genau.

Wir haben stets die Sehne NL und nicht den Bogen NL bestimmt, da es practisch entschieden einfacher und genauer ist, wenn man diese Sehne mit dem Zirkel resp. durch Visirßn über einen Millimetermaasstab bestimmt, als wenn man durch ein gebogenes Papiermaass den Bogen misst, zumal derselbe gar kein Kreisbogen ist, da das Stück RL (Fig. 1) zwar ein Theil der Kugeloberfläche ist, welche mit ML um M beschrieben wird, RN aber ganz anders ge- krümmt ist, indem der Hornhautfalz etwas einspringt.

Es ist jetzt noch erforderlich, die Methode kenneu zu lernen, durch welche man die in Betracht kommenden Grös- sen, insbesondere ^co und ^o bestimmen kann.

^ CO ist der Winkel, welchen der Grenzstrahl mit der optischen Achse bildet. Um ihn zu messen, untersuchte ich zunächst, unter welchem Winkel zur Gesichtslinie man mit dem Augenspiegel noch rothes Licht vom Augen- grunde erhält. Zu diesem Zwecke benutzte ich das Peri- meter, da es mir darauf ankam, eine Methode anzuwenden, welche unter Umständen jeder Practiker ohne besonders kostspielige Apparate ausüben kann. Die Genauigkeit mid leichte Ausführbarkeit der Messungen am Perimeter liess für die hier in Betracht kommenden Zwecke nichts zu wün- schen übrig, so dass ich diese Methode für alle Winkel- messungen anwandte.

44 Dr. A. Groenouw.

An dem Förster' sehen Perimeter liess ich die Kinn- stütze durch einen untergelegten Holzklotz soweit erhöhen, dass das Auge des Untersuchten sich noch etwas höher befand als die durch den oberen Rand des horizontal ge- stellten Perimeterbogens gelegte Ebene. Für einmalige Mes- sungen genügt es natürlich, die Stütze genügend weit in die Höhe zu schrauben oder, falls dies nicht ausreicht, ir- gend einen Gegenstand von geeigneter Dicke zwischen Kinn und Stütze einzuschalten, um das Auge in die nöthige Höbe zu bringen. Als Fixationszeichen diente das sonst als Prü- fungsobject benutzte weisse Quadrat, welches jedoch an dem verschiebbaren Schlitten nach oben statt wie gewöhnlich nach unten hin gerichtet war, was man am einfachsten mit etwas Klebwachs improvisiren kann. Der benutzte Cioncav- spiegel wurde an einem besonderen Schlitten befestigt, so dass er einerseits um seine verticale Achse drehbar war, andererseits aber noch höher und tiefer gestellt werden konnte. Dies lässt sich ziemlich einfach erreichen, wenn man den Spiegel durch die vertical gestellte Bohrung einer horizontal stehenden Kienmischraube hindurchsteckt und durch Anziehen der Schraube fixirt Es genügt auch voll- ständig, den Spiegel mit der Hand an einer bestimmten Stelle des Perimeterbogens so festzustellen, dass sein Stiel möglichst vertical steht

Besondere Sorgfalt wurde bei allen Messungen darauf verwandt, dass das untersuchte Auge, die centrale Oeffnung des Concavspiegels, durch welche der Beobachter blickt, und das Fixationszeichen sowie die Flamme der dicht am Peri- meter aufgestellten Lampe sich genau in einer Horizontal- ebene befanden.

Stellt man den Spiegel an einer bestimmten Stelle des Perimeterbogens fest und wirft mit ihm Licht iu das be- obachtete Auge, welches fest auf das Fixationszeichen ge- richtet jeder Bewegung desselben folgt, so kann man es durch Verschieben des fixirten Objectes erreichen, dass die

Wo liegt die vordere Grenze des etc. Augenhintergrundea? 45

schmale Sichel des von dem Augeugrunde reflectirten rothen Lichtes, welche man bei stark seitlichem Hineinleuchten in das beobachtete Auge erblickt, gerade verschwindet. Die Entfernung des Spiegels von dem Fixationszeichen in Peri- metergraden giebt dann den Neigungswinkel gegen die Ge- sichtslinie an, unter welchem der Augengrund eben noch sichtbar ist Man kann sich hierbei leicht überzeugen, dass dieser Moment eintritt, sobald sich der undurchsichtige Homhautrand mit dem gegenüberliegenden Pupillarrande scheinbar deckt. Doch ist es eigentlich nicht genau der PnpiUarrand, sondern ein etwas mehr peripherer gelegener Theil der Iris, welcher in Frage kommt, wie wir bereits bei der theoretischen Betrachtung gesehen haben, was frei- lich bei der directen Beobachtung nicht zu entscheiden ist, da die Entfernung zwischen dem Pupillarrande und dem fraglichen Theile der Iris an und für sich schon sehr ge- ring ist, bei dem schrägen Hineinblicken in das Auge aber noch kleiner wird, da sie in sehr erheblicher Verkürzung erscheint Falls die Grenze der Sichtbarkeit des rothen Lichtes nach aussen hin bestimmt werden soll, wobei sich der Spiegel natürlich an der Nasenseite befinden muss, ist es nothwendig, den Kopf etwas nach der Seite des Spie- gels hin zu drehen, damit der Nasenvorsprung nicht hin- derlich ist.

Man erhält auf diese Weise den Winkel zwischen Ge- sichtslinie und Grenzstrahl, doch muss dieser Winkel erst auf den Winkel zwischen optischer Achse und Grenzstrahl zurückgeführt werden, da nur die optische Achse im Auge eine symmetrische Lage hat. Hierzu ist die Kenntniss des Winkels zwischen optischer Achse und Gesichtslinie (^7) erforderlich. Zu seiner Bestimmung benutzte ich eine Me- thode, ähnlich der von Grossmann und Mayerhausen ^), da die ophthalmometrische Messung zwar genauer, aber

^) Archiv für Ophthalmologie, XXIII, 3, Seite 217.

46 Dr. A. Groenoaw.

auch umständlicher ist. Das Princip dieser Methode ist Folgendes.

Befestigt man auf dem Bogen des Perimeters eine kleine Wachskerze, so entwirft dieselbe ein kleines, schar- fes und genügend helles Spiegelbildchen auf der Hornhaut, dessen Verbindungslinie mit der Wachskerze mit dem Krüm- mungsradius der Hornhaut an dem betreffenden Punkte nicht etwa mit dem radius vector der Ellipse zusammen- fällt, da ein Strahl, der nach der Reflexion zur Lichtquelle zurückkehrt, in der Richtung der betreffenden optischen Achse d. h. des Krümmungsradius verläuft.

Verschiebt man das Fixationszeichen am Perimeter so lange, bis das Hornhautbildchen, der Hornhautrand und die Lichtflamme sich in einer geraden Linie befinden, so giebt der Winkel zwischen Fixationszeichen und Flamme den Win- kel zwischen dem Krümmungsradius am Horuhautrande und der Gesichtslinie an.

Benutzt man ein brennendes Stückchen Wachsstock als leuchtendes Object, so kann man sehr gut durch den unteren blauen nicht leuchtenden Theil der Flamme hin- durch Hornhautbildchen und hmbus beobachten. Statt des Wachskerzchens kann man sich auch in derselben Weise wie vorher eines Concavspiegels eines schmalen Planspie- gels bedienen, welcher von einer Lampenflamme ein virtu- elles hinter dem Spiegel gelegenes Bild entwirft, das zur Erzeugung des Homhautbildchens dient Allerdings wird hier die Verbindungslinie des Spiegelbildes auf der Horn- haut mit dem zu seiner Erzeugung benutzten virtuellen Bilde der Lampenflamme in dem Planspiegel nicht immer genau mit der centralen Durchbohrung des Spiegels, durch welche der Beobachter hindurchblickt, zusammenfallen, indessen ist diese Abweichung, falls der Planspiegel nicht zu breit ist, nur gering und fällt practisch wenig ins Gewicht, wie mir dies eine Anzahl vergleichender Messungen nach bei- den Methoden gezeigt hat.

Wo liegt die vordere Grenze des etc. Augenhintergrundes? 47

Auf diese Weise ist der Winkel zwischen Krümmungs- radius am Hornhautrande und Gesichtslinie zu bestimmen. Denkt man sich nun aussen und innen den betreffenden Radius gezogen, so wird die Halbierungslinie des von bei- den eingeschlossenen Winkels auf der Hornhautbasis senk- recht stehen. Diese Senkrechte fällt dann also mit der Hornhautachse und auch ungefähr mit der optischen Achse zusammen, und der Winkel zwischen dieser Halbirungslinie und der Gesichtslinic ist der gesuchte ^ 7. Nennt man den Winkel zwischen Hornhautradius am äusseren Comeal- rande und Gesichtsliuie o^ und den entsprechenden Winkel innen Oj, so ist

0, Oa

wie leicht aus der geometrischen Betrachtung folgt.

Diese Methode, den ^ 7 am Perimeter zu bestimmen, dürfte sich vielleicht für manche Fälle, in denen es mehr auf eine schnell und leicht ausführbare als auf eine sehr genaue Messung ankommt, empfehlen.

Mit Hilfe des ^y lässt sich der gefundene Werth für den Winkel zwischen Grenzstrahl und Gesichtslinie auf die optische Achse reduciren. Wir erhalten so den ^ co in Fig. 1 und 2.

Für die Berechnung ist noch die Kenntniss des Durch- messers der Hornhautbasis erforderlich, welche man mittelst eines MiUimetermaassstabes eventuell unter Zuhilfenahme einer Lupe (Pupillometer) messen kann. Die Tiefe der vor- deren Kammer, der Krümmungsradius der vorderen und hinteren Linsenfläche und der Durchmesser des Bulbus ist bedeutend schwieriger zu finden und ohne besondere In- strumente überhaupt nicht zu messen, ich habe daher diese Grössen nach den allgemeinen Durchschnittszahlen ange- nommen, wie bereits oben erwähnt.

Um genaue Resultate zu erhalten begnügte ich mich in keinem Falle mit nur einer Messung, sondern machte

48 ^' ^' Groenouw.

bei jeder Untersuchung mindestens drei Ablesungen, aus welchen das Mittel gezogen wurde. Bei einiger Uebung stimmen die Resultate der einzelnen Messungen sehr gut mit einander überein, den möglichen Fehler schätze ich auf 2^ Es wäre nicht besonders schwierig, die zu messenden Winkel noch genauer zu bestimmen, jedoch ist die Fest- stellung des Punktes, bei welchem das rothe Licht des Augengrundes noch eben sichtbar ist, nicht mit mathema- tischer Genauigkeit auszufuhren, so dass eine allzugenaue Messung des betreffenden Wiukels vollkommen überflüssig ist Auf Grund der gefundenen Werthe ist nach den ange- gebenen Methoden die Entfernung des periphersten, oph- thalmoskopisch noch sichtbaren Punktes des Augenhinter- grundes vom Homhautrande zu berechnen, doch habe ich zur Prüfung der Richtigkeit der Rechnung diese Grösse auch direct zu bestimmen versucht. Dies ist bei hell pig- mentirten etwas prominenten Augen möglich. Lässt man nämlich, wie das Donders auch gethan hat, ein solches Auge stark nach aussen wenden, und dann das Licht einer aussen und hinten stehenden Lampenflamme auf die Horn- haut fallen, so erscheint nach innen von dem Hornhaut- rande auf der Sclera ein umgekehrtes Bildchen der Flamme. Rückt die Flamme immer weiter nach hinten, so verschwin- det endlich das Bildchen, obwohl noch Licht auf die Horn- haut fällt. Es ist dies der Augenblick, in welchem durch die Pupille kein Licht mehr auf die Netzhaut gelangen kann. Bestimmt man am Perimeter, indem man die Flamme an einem festen Punkte aufstellt und das Fixationszeichen verschiebt, den Punkt, wo das Flammenbildchen gerade noch sichtbar ist, so kann man dessen Entfernung von dem Hom- hautrande direct messen mit Hilfe eines Schiebezirkels mit Nonius und ebenso den Winkel oder richtiger Bogen zwischen Lampe und Fixationszeichen als Einfallswinkel des Grenz- strahles, welchen man natürlich erst auf die optische Achse reduciren muss.

Wo liegt die vordere Grenxe des etc. Aagenhintergrandea? 49

Auf diese Weise ist eine drrecte Messung ausfuhrbar, durch welche eine GontroUe äer berechneten Werthe möglidi wird« nur ist dabei zu beachten, dass die Entfernung des Centrums des Scleralbildchens vom Homhautrande nicht absolut genau 2u messen ist, da das Flammenbildchen in Folge des durch die schräg gestellte also schlitzförmige Pu- pille einüedlenden nur schmalen Lichtkegels sehr wenig hell ist und femer der Homhautrand bei der schlechten Be- leuchtung — die Messung findet im völlig verdunkelten Zimmer statt, in dem nur die zur Erzeugung des Scleral- bildchens benutzte Lampe brennt nicht gerade als ma- tiiematisch genauer Punkt betrachtet werden kann. Auch stören sehr häufig die Lider die Messung etwas, so dass man sie erst weiter auseinanderziehen muss, ebenso zucken die Patienten, sobald man sich dem Auge mit dem Zirkel nähert nicht selten tmwillkürlich zusammen, so dass das eben noch deutliche Scleralbild plötzlich verschwindet. Bei sehr prominenten Bulbis und besonders bei ausgebildetem Ezophthahnus machen sich diese störenden Momente weni- ger geltend, so dass dann die Resultate der Messungen ge- naaer werden, im Allgemeinen dürfte der Messungsfehler Inmi kaum überschreiten.

Die Entfernung des Scleralbildchens vom Homhautr rande auf der äusseren Seite der Sclera ist nur bei stark hervorstehenden Augen zu messen, da für gewöhnlich der Nasenvorsprung den Lichteinfall von der inneren Seite des Auges her sehr beeinträchtigt.

Wir erhalten also einerseits die Grösse NL direct durch Messung, andererseits können wir sie aus den gemessenen Winkeln berechnen resp. construiren. Beide Werthe, der wirklidi beobachtete und der theoretisch berechnete stim- men ziemlich gut mit einander überein, wenn man erwägt, dass der Messungsfehler allein etwa 1 mm beträgt, und dass die Tiefe der vorderen Kammer, der Durchmesser des Bul- boB und der Krümmungsradius der vorderen Liusenfläche

T. Graefe's ArehiT für Ophthal]nolog;le. XXXV. 3. 4

50 I>r. A. Groenouw.

nicht genau bestimmt worden sind. Es muss die in der folgenden Tabelle vorkommende Differenz bis zu 1,3 mm also den Messungsfehlem zugeschoben werden.

Die Tabelle giebt eine Uebersicht über die von mir untersuchten Augen nach ihrer Refraction geordnet, indem an erster Stelle das Auge mit der hochgradigsten Myopie steht, dann schwächere Grade von Kurzsichtigkeit, weiter- hin Emmetropie, Hypermetropie und schliesslich Aphakie folgen. Spalte 4 giebt die Refraction des betreffenden Au- ges nach der ZoUscala, welche zunächst functionell mit Glä- sern geprüft, dann aber auch meist noch mit Hilfe des Re- firactionsbestimmers von Schmidt-Rimplor objectiv fest- gestellt wurde, zum Theil unter Anwendung von Atropin, worüber Colonne 6 genauere Auskunft giebt. Die schein- bare Weite der Pupille ist nur der Vollständigkeit halber in die Tabelle mit aufgenommen worden, da sie, wie wir be- reits wissen, auf das Resultat kaum einen Einfluss ausübt. Aus Colonne 8 ersieht man die bekannte Thatsache, dass ^7 bei Myopen kleiner ist als bei Emmetropen und Hypermetropen.

Spalte 9 12 beziehen sich auf den Fall, dass das Licht von aussen einfällt, das Scleralbildchen resp. die frag- liche Hintergrundsgrenze also innen liegt, während Colonne 13 16 den umgekehrten Fall betreffen. Spalte 9 und 13 mit der Ueberschrift „Lampe" bezeichnen die Stellung der Lampe, bei welcher das Scleralbildchen eben noch sichtbar ist, während „Spiegel" über Colonne 10 und 14 sich auf die Lage des Augenspiegels bezieht, bei welcher noch ro- thes Licht vom Augengrunde zu erhalten ist. Die für den Augenspiegel gefundenen Werthe für -^ a> in Spalte 10 und 14 sind meist etwas grösser als die entsprechenden Grössen ui der Spalte „Lampe". Dieser Umstand findet seine Erklärung darin, dass man mit Hilfe des Augenspie- gels zwar noch unter einem ziemlich grossen Einfallswinkel einen schmalen Streifen rothen Lichtes erkennen kann, dass

Wo liegt die Yordere Grenze des etc. AugenhintergrundeB? 51

aber, falls sich an Stelle des Spiegels eine Lampo befindet» der durch die schräg gestellte Pupille einfallende schmale Lichtkegel nicht mehr genügt, ein deutliches Scleralbild- chen zu entwerfen. Es muss vielmehr durch Verkleinerung des Einfallswinkels das die Pupille passirende Lichtbüschel etwas verbreitert also lichtstärker gemacht werden, um noch ein deutliches Scleralbildchen zu erzeugen. Die Differenz zwischen Spalte 9 und 10 beträgt, ausser in Fall 11, stets nur wenige Grade und ist ausser durch die eben angeführ- ten Verhältnisse zum Theil noch durch die sehr einfache, also nicht absolut genaue Methode der Winkelmessung bedingt.

Aus der Tabelle ergiebt sich fiir die gesuchte Grösse ein Werth von 7,6 9,8 mm, im Durchschnitt 8,5 mm. Die vorkommenden Schwankungen betragen also nur etwa 2 mm.

Zufällig fand ich eine Beobachtung, welche diese That- sache vollständig bestätigt. Laqueur berichtet nämlich im Centralblatt für Augenheilkunde 1888, Seite 291, von einer Scleral wunde, deren vorderes Ende 10 mm vom Horn- hautrande entfernt lag, und welche als schwarzer Streifen, an dessen beiden Enden rundliche weisse Flecke lagen, mit dem Augenspiegel sichtbar war. Die vordere Grenze des sichtbaren Augengrundes lag in diesem Falle also dem Horn- hautrande noch etwas näher als 10 mm, was mit dem von mir gefundenen Durchschnittswerthe von 8,5 mm sehr gut übereinstimmt. Diese Beobachtung beweist zugleich, wie man sich übrigens leicht überzeugen kann, dass es möglich ist, von dem Augengrunde auch bis an die Grenzen seiner Sichtbarkeit ein deutliches Bild und nicht nur einen unbe- stinmiten rothen Lichtreflex zu erhalten.

Da der Hauptfehler bei der theoretischen Berechnung entschieden durch die Annahme einer schematischen Linse gemacht worden ist, die directe Messung des Linsenradius aber ausserordentlich schwierig ist, so suchte ich einen ge- eigneten Fall von Aphakie, um an ihm dieselben Messun- gen anzustellen, da dann der Grenzstrahl nur durch die

52

Dr. Ä. Groenonw.

1.

2.

3.

4.

1 6.

6.

7.

8.

Name und Alter

*■<

Je

11

Be- fraction

Mydriati- cum

0 -d

-^y

mm

1.

l AJ^Il,^:^ T> Off T

r.

«^

8,0

Homa- tropin

11,0

-2,7*

1.

^27,

8,0

Homa- tropin

11,0

-2«

3.

>Emma T. 18 J.

r.

Ml

7,2

Homa- tropin

10,6

+

4.

1.

Mi

8,2

Homa- tropin

10,7

+ 1,9"

5.

August W. 20 J.

1.

M»«/.

7,9

Atropin

11,8

+ 6,20

6.

Martha K. 29 J.

r.

^iö

8,5

Atropin

12,0

+ 2,4»

7.

I.

<

8,0

Atropin

12,0

+

8.

Pauline J. 29 J.

1.

M35

ohne Mydriat.

+ 4,9«

9.

Mane B. 31 J.

r. 1.

«Ä

8,0

Atropin

12,0

+

10.

-^

7,0

Homa- tropin

11,6

+ 6,3»

11.

Willy M. 21 J.

r.

»fo'

8,8

Atropin

12,1

+ 6,4»

Paul St. 16 J.

1.

E

8,0

Atropin

12,0

+

13.

Christiane S. 42 J.

1.

14.

Auguste B. 24 J.

1.

Atropin

+ 5,5»

15.

Eduard B. 37 J.

r.

Apha- kie»)

7,0

ohne Mydriat.

11,4

+

1

«) cf. Seite 54 Absatz 2.

Wo liegt die vordere Grinse des etc. Aagenhintergrondes? 53

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

1 .r

17.

^(0

optiaehei Lamp«

«wen

IT lAcIlM)

Spiegd

Gnnze

ge- mäßen

innen

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Nohnet

mm

^ (0

(zur op Acl Lampe

innen tischen ue)

Spiegel

Grenze

meNon mm

aiuaeii

be-

rechnet

mm

^0

86,7»

8,8

10,1

86«

8,5

9,3

41,3«

92«

8,5

9,0

89«

8,6

9,7

40,5«

89,2«

93«

9,1

9,8

83«

83,2«

11,8

39,3«

90,9«

87,6«

9,2

9,6

83,7«

11,1

38,7«

88,8«

91,5«

8,5

9,4

92,2«

9,4

41,0«

97«

99,8«

7,8

7,4

92,4

90,4«

7,6

8,7

44,4«

97,3«

97,8«

7,6

8,0

98,0

95,8«

8,8

8,7

42,0»

89,1«

89,6«

8,1

9,8

88,4«

9,6

43,4»

94,3»

97«

8,1

9,2

96,3«

9,6

35,5»

95,6»

94,3«

8,5

9,0

96,6«

9,9

34,6»

88,2«

97,4«

9,8

10,5

90,1«

10,0

36,4»

88,5«

92,7«

9,25

9,25

93,5»

9,1

39,6«

9,2

98,8«

96,8*

7,7

8,3

91,8«

9,1

42,8»

89,5«

6,5

6,8

94«

9,4

40«

54 Dr. A. Groenouw.

Hornhaut gebrochen wird, deren optische Constaiiten leicht messbar sind.

Alle Fälle von Aphakie nach Kataraktoperationen er- wiesen sich als unbrauchbar, da die fast ausnahmslos resti- renden geringen Eapselreete jede genaue Messung unmög- lich machten, doch führte mir der Zufall einen Patienten zu, bei welchem in Folge eines Traumas die vollständig klare Linse etwas nach aussen hin verschoben war (Fall 15 der Tabelle), so dass man an der Innenseite neben der Linse vorbei den Hintergrund erkennen konnte. Das Auge war daher in der inneren Pupillenhälfte als aphakisch an- zusehen und das deutlich durchschimmernde Scleralbildchen machte eine genaue Messung möglich, während die Refrac- tion in der äusseren Pupillenhälfte schwach hypermetro- pisch war.

Der gemessene Werth 6,5 mm stimmt mit dem berech- neten von 6,8 mm gut überein. Der Grenzstrahl bildet in diesem Falle die Verbindungslinie des Homhautrandes mit dem gegenüber liegenden Pupillarrande. Nimmt man an, die Linse befinde sich in dem Auge noch an ihrer alten Stelle, so würde der Grenzstrahl allerdings, da die Linse etwas über die Ebene der Iris hervorragt, mit der optischen Achse einen grösseren Winkel bilden als bei Aphakie, doch kann dieser geringe Unterschied vernachlässigt werden- Würde der Grenzstrahl durch die Linse gebrochen, so würde er einen 9,6 mm hinter dem Homhautrande gelegenen Punkt des Augengrundes treffen, wie die Berechnung ergiebt. Bei der vorhandenen Aphakie beträgt die Entfernung aber nur 6,5 mm, die ophthalmoskopische Grenze wird also durch die Linse um etwa 3 mm weit nach hinten hin verschoben.

Die Tabelle zeigt femer noch, dass die Sichtbarkeit des Augeugrundes, wie das bei dem ziemlich symmetrischen Bau des Auges nicht anders zu erwarten ist, nach aussen und innen sich fast gleich weit erstreckt. Allerdings ist die Entfernung nach aussen hin meist etwas grösser, die

Wo liegt die vordere Grenze des etc. Augenbintergrondes? 55

Grenze des Aogenhintergrundes also weiter nach hinten hin gerückt, aber dies ist doch nicht immer der Fall, und vor allen Dingen sind directe Messungen aussen nur selten aus- zuführen, so dass die ControUe für die Richtigkeit der Be- obachtungen fehlt. Auch für die nur schwer zu messende Grenze nach oben und unten werden wir ähnliche Werthe voraussetzen können, zumal sich die überhaupt vorkommen- den Schwankungen innerhalb der sehr engen Grenze von 2 mm halten.

Was den Einfluss der verschiedenen Theile des Auges auf die L^e der ophthalmoskopischen Grenze betrifft, so ist schon erwähnt worden, dass die Tiefe der vorderen Kam- mer der wichtigste Factor ist. Daher erscheint bei Hyper- metropie, bei welcher die vordere Kammer meist enger ist als bei Myopie, die Grenze etwas nach vom hin gerückt, während sie bei Myopie nach hinten hin zurück weicht. Doch gilt dieses Gesetz nur im Allgemeinen, aber durch- aus nicht für jeden einzelnen Fall.

Bei dem einzigen Falle von stärkerer Hypermctropie in der vorliegenden Tabelle (No. 14) beträgt die Entfernung 7,7 mm, bei den höheren Graden von Myopie (M^ und mehr) schwankt sie von 8,5 bis 9,2 mm und beträgt durchschnitt- lich 8,9 mm, während sie in den zwischenlicgenden Fällen ungefähr in der Mitte steht zwischen 7,6 und 9,25 mm, im Durchschnitt 8,4 mm. Fall 11 ist hinsichtlich seiner Re- fraction zweifelhaft, indem es sich um einen nicht genau zu bestimmenden Astigmatismus handelt.

Die vordere Grenze des ophthalmoskopisch sicht- baren Augengrundes liegt also 8,5 mm hinter dem Hornhaütrande, bei Myopen etwas weiter, bei Hy- permetropen etwas weniger weit, wobei der mög- liche Fehler kaum mehr als 1 mm beträgt, bei Apha- kie reducirt sich diese Entfernung auf 6,5 mm. Die- ses Resultat dürfte für alle practischen Bedürfnisse voll- kommen genügen.

56 I>r. A. Groenouw, Wo liegt die vordere Grenze ete.

Auf Grand der bisherigen Betrachtung können wir die Ausdehnung deerjenigen Theiles des AugMgmndes berech- nen, welchen wir mit dem Augen^iegel übersdien könnot Diese Grösse beträgt für den hoonzontalen Meridian 45 mm d. L der sichtbare Theil der Netzhaut erstreckt sich tob dem hinteren Augenpoi nach jeder Seite hin 22,5 mm oder 16 Papillenbreiten weit, wenn wir den Durchmesser der Seh- nervenpapille = 1,4 mm setzen. Da sich dieser Werth in den übrigen Meridianen des Bulbus nur wenig ändert, so können wir ein Stück des Augengmndes übersehen, welches 770mal oder in runder Summe SOOmal so gross ist wie die Papilla optica.

Zum Schlüsse meiner Arbeit ist mir eine angenehme Pflicht, Herrn Geheimrath Förster für die Anregung zu derselben, sowie für seine rege Antheilnahme und Unter* Stützung bei meinen Versuchen meinen ergebensten Dank auszusprechen.

Pathologisch-anatomiBclie Studien über die Anfänge des Altersstaares.

Von

Dr. Hugo Magnus, a. ö. ProfesBor der Universit&t Breslau.

Hierzu Taf. III und IV, Fig. 1 15.

§. 1. lieber die für die vorliegende Arbeit in Anwendung gebrachte Untersuchungstechnik.

Während man die den Altersstaar bedingenden patho- logisch-anatomischen Veränderungen bisher ausschliesslich auf dem Wege der mikroskopischen Untersuchung kennen zu lernen getrachtet hat, rersucht die vorliegende Arbeit es, mit Hülfe einer anderen Untersuchungstecfanik, nämlich der Loupen-Untersuchung, die Anfange des Altersstaares darzulegen. Die Loupen-Untersuchung mit durchfallendem Licht gewährt den ganz ausserordentlichen Vortheil, die zum Altersstaar fuhrenden pathologischen Vorgänge im lebenden Auge Studiren zu können. Und deshalb bildet sie neben der mikroskopischen Untersuchung eine für die Erk^ntniss der Staarent Wickelung nicht allein hochwichtige, sondern, wie ich behaupte, unentbehrliche Untersuchungsmethode. Da aber die Loupe für die Untersuchung der Linse noch auffallend wenig verwerthet worden ist, so dürfte es sich empfehlen, zuvörderst einige Worte über die Technik der Loupen-Untersuchung der Linse vorauszuschicken.

58 ^1^- Hugo Magnus.

In meiner Klinik wird die Loupen- Untersuchung der Linse schon seit längerer Zeit in der Weise geübt, wie sie auch Hirschberg ^) seiner Zeit beschrieben hat. Auch ich setze, wie Hirschberg, hinter den Spiegel ein starkes Convexglas und untersuche die Linse nicht mit auffallen- dem, sondern mit durchfallendem Licht. Und gerade die Verbindung der Loupe mit dem durchfallenden Licht ist es, welche für die Untersuchung der in der Linse sich abspielenden pathologischen Vorgänge von grösster Wich- tigkeit ist. Doch habe ich in letzter Zeit insofern eine Abänderung getroffen, als ich nicht mehr mit einer star- ken, sondern mit zwei schwächeren Linsen untersuche. Ich habe mir zu diesem Behufe einen Spiegel so her- stellen lassen, dass ich zwei Linsen hinter demselben ein- legen kann. Es stellt also ein solcher Spiegel nichts weiter dar, als die Combination eines Spiegels mit der bekannten Doppelloupe. Ausserdem habe ich den Spie- gel so einrichten lassen, dass man, je nachdem man mit stärkerer oder schwächerer Beleuchtung zu untersuchen wünscht, einen Concav- oder einen Planspiegel in das Spie- gelgestell einlegen kann, also eine Einrichtung, wie man sie in vielen Spiegeln z. B. dem Landolt'schen wiederfindet Die Stärke der Vergrösserung, welche ich mittelst Combina- tion verschiedener Convexgläser hauptsächlich benutzt habe, beträgt 6 11, doch lässt sich dieselbe natürlich noch erhöhen, wenn man statt zwei Convexgläser deren drei benutzt, wie sich dies ja leicht ausführen lässt, wenn man sich eine Convex- linse in einem Brillengestell vor das untersuchende Auge legt und dann den Loupenspiegel mit der Doppelloupe ge- braucht. Bei solcher Combination habe ich unter Umstän- den eine zwanzigfache Vergrösserung benutzt. In der Regel verwerthe ich für die Untersuchung der Linse zuvörderst

*) Hirschberg, Ueber neugebildete Homhautgef&sse. Central- blatt f. praktische Augenheilkunde 1886, p. 333 und Klinische Ka- suistik ebendaselbst 1888, p. 361.

PaUiolog.-anatom. Studien über die Anfänge des Altersataares. 59

eine geringere Vergrösserung, wie ich sie durch die Combina- tion von +3*/« ^^^ +* erziele; es ergiebt diese Zusam- menstellung eine etwa sechsfache Vergrösserung. Habe ich mich mit dieser Combination über die etwaigen Verände- rungen der Linse im Allgemeinen unterrichtet, so benutze ich zur specielleren Untersuchung einzelner Theile stärkere Vergrösserungen. Die von mir diesem Aufsatz beigegebe- nen Bilder sind fast alle bei der genannten Vergrösserung gezeichnet.

Die Loupen-Untersuchung der Linse ist, wie dies auch Hirschberg*) sehr richtig betont, eine recht schwierige. Besonders gilt dies von solchen Linsen, in denen eine Ka- tarakt noch in den ersten Entwickelungsstadien begriffen ist Gerade die frühesten Phasen der Staarbildung sind 80 zarter Natur, dass schon eine gewisse Uebung dazu ge- hört, ihrer ansichtig zu werden. Während man bei den deutlicher in Erscheinung tretenden Veränderungen bald die richtige Entfernung, in der man dieselben zu untersuchen hat, findet, fällt es für die feineren Anfangsveränderungen des Staares ungemein schwer, ohne Weiteres zu wissen, wie man auf dieselben einstellen soll. Mit einer überraschenden Klarheit zeigen sich übrigens die feineren Veränderungen, wenn man dieselben in der Weise untersucht, dass der weisse Reflex der Papille den Hintergrund für dieselben bildet. Ich möchte diesen Handgriff ganz besonders ange- legentlichst empfehlen. Sodann ist es rathsam, wie dies auch Hirschberg bemerkt, den Spiegel öfters leichte Drehun- gen machen zu lassen; es treten dadurch Veränderungen deutlich in Erscheinung, welche bei einem anderen Licht- einfall wenig oder gar nicht bemerkbar waren. Uebrigens empfiehlt es sich bei Linsenuntersuchungen den lichtschwachen Planspiegel zu benutzen; der lichtstarke Concavspiegel ist eben wegen seiner Lichtstärke für die Untersuchung fei-

>) Centralblatt für praktische Augenheilkunde 1888, p.

gO ^^' Hugo Magnus.

zxerer Veränderungen lange nicht so geeignet wie der Plan- spiegel

Schliesslich will ich auch nicht unterlassen daxauf auf* merksam zu machen, dass Schleimtröpfchen, fremde Parti- kelchen u. dgL m. auf der Cornea sich finden, welche unter Umständen gewissen Veränderungen in der Linse sehr ähn- lich sehen; man wird sich vor einer Verwechselung mit den genannten Gebilden schützen, wenn man di« Cornea des untersuchten Auges durch Reiben mit dem Lid ab und zu von den auf ihr haftenden Körperchen befreit oder den Patienten im Laufe der Untersuchung öfter mit dem oberen Lid schlagen lässt.

Dürfen wir nun noch, bevor wir zu einer Schildenuig der von uns durch zahlreiche Loupen-Untersuchungen ge* wonnenen Resultate übergehen, kurz darauf hinweisen, was die Loupen-Untersuchung der lebenden Linse überhaupt dem Arzt zu bieten vermag, so müssen wir betonen, dass die Loupen-Untersuchung hauptsächlich für die frühesten Sta- dien der Staarbilduug von Bedeutung ist. Die Loupen* Untersuchung lässt uns die kataraktösen Linseav^änderun- gen schon in sehr frühen Phasen ihrer Entwickelung deut- lich erkennen und ermöglicht uns auch ein Urtheil über ihre pathologische Wesenheit. Wir vermögen mittelst der Loupe die Anfangsstadien der Kataraktbildung früher zu bemerken, als wie wir dies mit den bisher üblichen Un- tersuchungsmethoden in der Lage waren. Die Lou^n- Untersuchung der Linse gewährt also dem Staar gegen- über ganz gewiss eine Erweiterung unseres diagnosti- schen Könnens. Ist der kataraktöse Process erst weiter vorgeschritten, so gewährt die Loupen-Untersuchuug lange nicht mehr die Vortheile, die wir ihr in frühen Perioden der Staarbilduug nachrühmen konnten. Denn diagnostische Vortheile bietet sie in diesen Phasen vor den anderen Un- tersuchungsmethoden nicht mehr und die zu der Linsen- trübung führenden Vorgänge lassen sich bei einigennaassen

Patholog.-anatom. Stadien über die Anftnge des Altenstaares. 61

angesprochener Trübung auch nicht mehr in genügender Weise mit der Loupe durchleuchten. Wir betonen es also nochmals: der Schwerpunkt der Loupen -Untersuchung ka^ taraktöser Linsen liegt vornehmlich in den frühesten Stadien der Staarbildung. In Berücksichtigung dieser Thatsache habe ich für die vorliegende Arbeit nur die Ergebnisse benützt» welche ich mit der Loupe in den frühen und frühesten Phasen der Kataraktentwickelung gewonnen habe. In mei* ner Klinik werden schon seit längerer Zeit systematisch Loupen-Untersuchungen der Linse ausgeführt und aus der grossen Zahl der bisher vorgenommenen Untersuchungen habe ich für die vorliegende Arbeit ausschliesslich nur solche Fälle benützt, welche die An&ngsstadien der Cataracta se* nilis repräsentiren.

§. 2. Der Entwickelungstypus des Altersstaares im Allgemeinen.

Die Loupen^Untersuchungen lassen als Beginn des Al- tersstaares ein System von Lücken und Spalten erkennen. Diese initialen Lücken und Spalten zeigen nicht allein, wie wir bald sehen werden, ganz characteristische, immer in der nämlichen Weise wiederkehrende Formen, sondern sie nehmen ihren Anfang auch immer in bestimmten Gegenden der Linse. Im Allgemeinen lassen sich zwei Haupttypen unterscheiden, in denen sich der Beginn des Altersstaares zeigt; bei dem einen Typus erfolgt das erste Auftreten der Linsentrübungen längs des Linsenäquators und 2war auf zwei zum Linsenäquator parallel verlaufenden Zonen, von denen die eine vor, die andere hinter dem Linsenäqua- tor verläuft und für die ich den Namen „vordere" und „hintere Trübungszone^ vorschlagen möchte. Es sind diese beiden Trübungszonen die von Ammon^) als Geron-

') von Ammon, Zur Lehre von dem Oonsensus morbosus par- timn ex situ Im menschlichen Auge. ▼. 6raefe*8 und v. Walther^s Journal f. Chirurgie u. Augenheilk. Bd. XIII, Heft 1, p. 114—116. von Ammon, Ueber krankhaften Oonsensus der Hornhaut, der

62 ^TC' Hogo Magaus.

toxon lentis beschriebenen Linien, welche auch Schön ^) in neuester Zeit zum Ausgangspunkt seiner Theorie von der Entstehung des Altersstaares gemacht hat Diese bei- den Zonen fassen den Linsenäquator zwischen sich, sodass man unter Umständen den transparenten Linsenäquator von zwei dunklen Linien eingefasst sieht. Erst bei weiter fort- schreitender Staarentwickelung wird der klare, zwischen den Trübungszonen belegene Linsenäquator in die Trübung ein- bezogen. Uebrigens brauchen die fraglichen Zonen keines- wegs immer in allen Thcilen gleich klar gezeichnet zu sein. In den frühesten Phasen der Staarbildung pflegen die Trü- bungszonen sogar meist noch gar nicht deutlich ausgeprägt zu sein. Man bemerkt in diesen Phasen nichts als hier und da vereinzelte Bläschen von birn- oder spindelförmiger Form, welche sich concentrisch zum Linsenäquator anordnen; aber eine wirkliche, ausgesprochene lineare Zeichnung wird durch dieselben in diesem Stadium noch nicht gebildet (Fig. 2). Eine solche entwickelt sich meist erst, wenn die Lücken in grösserer Zahl auftreten (man vergl. Fig. 1 B, 6, 7). Bisweilen vermochte ich allerdings die hintere Trübungszone als eine gräuliche, feinkörnige Linie zu sehen, ohne dass schon deut- liche Lücken auf ihr nachweisbar gewesen wären. Uebri- gens ist die hinter dem Linsenäquator gelegene Erkraxi- kungszone der Loupen- Untersuchung im lebenden Auge

KrystalUinse und ihrer Kapsel oder den Marasmus dieser Organe, von Ammon^s Zeitschrift für die Ophthalmologie , Bd. I, p. 119. Schön, Ueber den Marasmus senilis der Kapsel und Linse im menschlichen Auge. v. Ammon's Zeitschrift fttr die Ophthalmologie, Bd. I, Heft 2, p. 151.

') Schön, Die Accommodations-Ueberanstrengung und deren Folgen. Aetiologie des Glaukoms und der Alterskatarakt. ArchiT für Ophthalmologie, XXXIII, 1. Ueberanstrengung der Accom- modation und deren Folgezustände. Beitrag zur Aetiologie des Glau- koms u. d. Aequatorialkatarakt. Archiv für Augenheilk. Bd. XVII. Die Ursache des grauen Staars. Archiv für Augenheilkunde, Bd. XIX, Heft 1.

Patholog.-anatom. Studien über die Anf&nge des Altersstaares. 63

Yiel zu^nglicher, als die vor dem Aequator gelegene; die letztere wird auch bei ausgiebiger Mydriasis durch die Iris grösstentheils gedeckt und gelangt erst dann zur Kennt- niss des mit der Loupe Untersuchenden, wenn die auf ihr sich gruppirenden Veränderungen eine gewisse Breite erreicht haben. Man sieht dies Yerhältniss in Figur 8 angedeutet. Hier bemerkt man einen Abschnitt der hin- teren Trübungszone, welcher durch einen schmalen weissen Saum Yom Rand der Zeichnung getrennt ist und unmittel- bar aus dem Rand der Zeichnung treten einzelne Gebilde ab Andeutung der auf der vorderen Trübungszone stehen- den Bläschen auf. Aehnlich ist auch Figur 6 beschaffen. Die hintere Trübungszone ist hier als breiter Gürtel be- merkbar, während von den Bläschen der vorderen Trübungs- zone nur die obersten Spitzen über den Rand der Zeich- nung hervorragen.

Uebrigens gewinnt man auch den Eindruck, als ob die hintere Trübungszone in allen Fällen beträchtlich früher zur Entwickelung gelange, als die vordere und als ob ihre Entwickelung auch eine kräftigere und energischere sei. Auch scheint die untere Hälfte der Linse im Allgemeinen früher den Beginn der Staarbildung zu zeigen, als wie die obere; doch ist dies letztere Yerhältniss keineswegs ein so häufiges, dass man es zur Regel erheben dürfte.

Bei dem in Rede stehenden Typus muss es also als Regel gelten, dass die Staarentwickelung vom Linsenäqua- tor — oder, sagen wir genauer von den circumäquatorialen Parthieen ihren Ausgang nimmt und von hier aus all- mählig die übrigen Abschnitte der Linse ergreift. Dieser Entwickelungstypus ist der bei Weitem häufigste. Unter 166 Untersuchungen der frühesten Staarphasen konnte ich den genannten Typus 154 mal, also in 92,77 ^1^ nachweisen. Die Figuren 1 12 bringen diesen Entwickelungsgang des Altersstaares zur Darstellung,

64 ^- Hago Magnus.

Der zweite Typus der Staarbildung, gekennzeichnet durch die Figg. 13 15, zeigt den Kemäquator als die An- fangsstelle der frühesten kataraktösen Erscheinungen. Hier findet man in den betreffenden Fallen, vorausgesetzt, dass man in sehr frühen Phasen der Staarbildung die Untersuchung vornehmen kann, längs des Kemäquators ein System von Spalten und Lücken, während die circumäquatorialen THi- bungszonen noch gar nicht oder nur in geringen Spuren angedeutet sind. Entweder sieht man längs des Kemäqua- tors hier und da eine vereinzelte Kugel und spindelförmige Lücke (Figur 13), oder man sieht eine zahlreiche Menge spindelförmiger Lücken zu einem concentrisch den Kern- äquator umziehenden Bogen zusammentreten (Figur 15). Dabei sind am Linsenäquator entweder gar keine Verände- rungen wahrnehmbar, oder dieselben sind sehr gering, be- stehen nur aus einer vereinzelten, grösseren Lücke auf einer der Trübungszonen (Figur 13) oder aus kleinen, der Trü- bungszone anliegenden oder unregelmässig über die ober- flächlichen Linsenschichten verstreuten kleinen Spindeln (Figur 14). Fehlen aber die Veränderungen des Linsen- äquators ganz oder doch so gut wie ganz, sind sie nur auf ein Minimum beschränkt, so entfällt in solchen Fällen wohl doch die Berechtigung, zwischen den am Kern- und den am Linsenäquator auftretenden Veränderungen engere gene- tische Beziehungen anzunehmen. Das Auftreten der Vei^ änderungen des Kemäquators zu einer Zeit, wo der Lin- senäquator noch ganz oder so gut wie ganz frei ist, spricht dafür, dass die Verändemngen des Kernäquatoi*s unter Um- ständen auch selbstständige sein können, keineswegs immer in directem Abhängigkeitsverhältniss zu den Veränderungen des Linsenäquators zu stehen brauchen. Wir möchten die- sen Punkt deshalb ganz besonders betonen, weil Schön ^)

») Archiv für Augenheilkunde, Bd. XIX, Heft 1, p. 87 Satz 2 und 3.

Patholog.-anatom. Stadien aber die Anfänge des Altersstaares. 65

in neuester Zeit bekanntlich die Kemveränderungen unter allen Verhältnissen als Secundäxerscheinungen der Aequa- torialsclerose aufzufassen geneigt ist. Wenn nun auch Schön im Interesse seiner Staarentwickelungstheorie die unmittel- bare Abhängigkeit der Kern- Yon der Aequatorialsclerose zum Princip erheben muss, so ist dieses Princip doch ent- schieden unrichtig» lässt, wenn auch in seltenen Fällen, Ausnahmen zu. Die 166 Loupen-Untersuchungen, welche ich über die Frühstadien der Cataracta senilis angestellt habe, ergaben nämlich in 12 Fällen, also in 7,22 ^/q, das Auftreten der Kernsclerose zu einer Zeit, wo der Linsenäquator ent- weder noch gar keine oder doch nur sehr geringe Verän- derungen aufwiess, oder aber Veränderungen, die jedenfalls viel weniger weit vorgeschritten, also genetisch wohl auch jünger waren, als die Veränderungen am Linsenäquator.

Wenn wir also den Schön'schen Satz von der princi- piellen Abhängigkeit der Kern- von der Aequatorsclerose als allgemein gültigen Grundsatz nicht gelten lassen können, 80 ist das selbstständige Auftreten der Kern- vor der Aequa- torsclerose doch jedenfalls als der um Vieles seltenere Ty- pus der Staarbildung aufzufassen, denn in 92,77 ^/^ nimmt der Staar von dem Linsenäquator seinen Anfang und nur in 7,22% ist der Beginn der Staarentwickelung zuerst am Kernäquator nachzuweisen.

Uebrigens ist es auch nicht richtig, wenn Schön das Auftreten der Kernsclerose erst nach dem sechzigsten Le- bensjahr zugeben will. Unter den zwölf Individuen, bei denen ich die Kernsclerose unabhängig von Veränderungen des Linsenäquators sich entwickeln sah, hatten acht das sechzigste Lebensjahr noch nicht erreicht, nur vier dasselbe überschritten.

Die Untersuchung mit der Loupe lehrt schliesslich auch, dass die ersten Anfänge des Altersstaares in viel früheren Lebensperioden zu finden sind, als man dies bisher anzu- nehmen geneigt gewesen ist. Bei einer beträchtlichen Menge

T. Graefe's Arehlv für Ophthalmologie. XXXV. 3. 5

66 ^T. Hngo Magnus.

von IndiTiduen, welche in den zwanziger oder dreissiger Lebensjahren standen, vermochte ich die zweifellosen An- fange des Altersstaares nachzuweisen, wie dies auch ein- zelne meiner Figuren darthun. Wir befinden uns bezüglich dieses Punktes in bester Uebereinstimmung mit Schön, welcher ja auch das Auftreten des Altersstaares in yer- hältnissmässig frühen Lebensperioden wiederholt beobach- tet hat.

§. 3. Eingehende Beschreibung der für die Früh- stadien der Cataracta senilis charakteristischen Erscheinungen.

Die Veränderungen, welche sich in den ersten Phasen der Staarbildung in der Linse nachweisen lassen, sind aus- nahmslos Lücken oder Spalten. Die Loupen-Untersuchun- gen der Linse mit durchfallendem Licht, wie ich dieselben stets übe, beweisen aufs klarste, dass die ersten Verände- rungen der beginnenden Cataracta senilis in verschieden geformten Spalten bestehen. Der Umstand, dass wir mit dem durchfallenden Licht die einzelnen Gebilde, welche die Linse bei beginnendem Staar zeigt, von allen Seiten be- leuchten können, befähigt uns, dieselben plastisch, körper- lich zu sehen. Wir vermögen mittels der durchfallenden Beleuchtung auf den einzelnen Gebilden Reflexe wahrzu- nehmen, wie wir sie an Körpern mit rundlicher Oberfläche zu sehen gewöhnt sind; wir sind ferner im Stande, durch den Umfang und die Lage des Schattens, den wir auf und um die einzelnen Gebilde sehen, deren plastische Verhält- nisse genau zu bestimmen. Die Transparenz giebt uns ein Mittel, um über den Inhalt der Gebilde und über die Be- schaffenheit ihrer Oberfläche uns auf das Genaueste zu un- terrichten. Dank dieser verschiedenen Merkmale können wir uns die sichere Ueberzeugung verschaffen, dass wir es im Beginn des Staares mit kugel- oder spindelförmigen, mit transparenter Flüssigkeit gefällten Gebilden zu thun haben, welche in die Linsensubstanz hineingebettet sind.

Patholog.-anatom. Studien Aber die Anf&nge des Altersstaares. 67

Wenn Förster*) und Becker*) seiner Zeit diese Gebilde als Lücken und Spalten zwischen den einzelnen Linsenfa* Bern resp. Linsenschichten aufgefasst haben, so lehrt die Loupen-Untersuchung, wie Recht jene beiden Forscher mit ihrer Ansicht über die Natur der ersten Linsenveränderun- gen bei der Staarbildung gehabt haben. Der Angriff, wel- chen Schön ^) in neuester Zeit gegen diese Auffassung ge- richtet hat, ist sonach TÖUig unbegründet. Die weissen Punkte und Striche, welche Schön im Beginn der Kata- rakt längs der Trübungszonen bemerkt hat, sind ganz ge- wiss vorhanden; aber wenn Schön die Natur dieser Striche und Punkte näher studirt, wenn er ihre pathologisch-ana- tomische Bedeutung eingehender geprüft, sie mit einer be- friedigenden Untersuchungsmethode betrachtet hätte, so würde er sich haben überzeugen können, dass diese Striche in Wirklichkeit keineswegs Striche, sondern wassergefüUte Lücken zwischen den Elementen der Linse sind. Dass mit dieser Erkenntniss von der pathologisch -anatomischen Be- deutung der ersten Linsenveränderungen bei beginnender Katarakt die Schön 'sehe Hypothese der Staarbildung eine ganz erhebliche Erschütterung erfahren muss, ist wohl eigentlich selbstverständlich. Da wir uns aber mit der Schön'schen Hypothese vor der Hand nicht weiter zu be- fassen gedenken, so beschränken wir uns auf den Hinweis, dass der Hauptsatz Schön 's: „der Staar beginnt nicht mit Spalten" unbedingt unrichtig ist. Für die Beurtheilung der

') Förster, Zur pathologischen Anatomie der Katarakt Archiv für Ophthalmologie, Bd. III, Abth. 2.

*) Becker, Zar Anatomie der gesunden und kranken Linse. Unter Mitwirkung von Dr. H. Sch&fer und Dr. Gama da Pinto. Drittes Gapitel, p. 58. Wiesbaden 1883.

■) a. a. 0. Archi? für Augenheükunde, Bd. XIX, Heft 1, p. 87. Der erste Satz Schönes, auf den wir uns bei der obigen Teztstelle beziehen, lautet: ,)Der bisher als Cataracta senilis bezeichnete Pro- cess beginnt stets als Aequatorialkatarakt mit feinen weissen Punk- ten und Strichen, nicht mit Spalten."

5*

68 Dr. Hugo Magnus.

Schön 'sehen Ansichten dürfte diese Thatsache von Wich- tigkeit sein.

Gehen wir nunmehr zu der Betrachtung der für die Friihstadien der Cataracta senilis charakteristischen Erschei- nungen über, so treten uns dieselben im Allgemeinen in folgenden fünf verschiedenen Formen entgegen, als:

1) eigenthümlicbe birnförmige Lücken (Figg. IB» 2, ii, 4, 5, 6, 7: besonders charakteristisch in Figg. IB, 6, 7).

2) grössere spindelförmige Lücken oder Schlau- ch <? (Figg. 6 12). In höchst ausgeprägter Form treten dir^Hc* Gebilde in den Frühstadien des Naphthalinstaares in Erscheinung. ^)

3) kleinere spindelförmige Spalten (Figg. 3, 4, 0, 11).

4) grössere oder kleinere Kugeln (Figg. 1 5, 11).

6) feiner Staub, der sich mit der Loupe in eine Un- zahl feinster Körnchen zerlegen lässt, hier und da aber auch sich als zu kleineren Kügelchen zusammengeballt zeigt (Fig. lA).

Doch finden sich diese fünf verschiedenen Formen nicht in allen Theilen der Linse in gleicher Vertheilung vor, viel-

') Ich bin auf Grund einer grösseren Reihe eigener Beobach- tungen in der Lage, gerade den Naphthalin staar für das Studium der spindelförmigen vom Aequator ausgehenden Schläuche zu em- pfehlen. Nur darf man nicht vergessen, dass die Entwickelung des Naphthalinstaares bei VerfQtterung einer grösseren taglichen Dose sich ungemein rasch vollzieht. Giebt man jungen Thieren grosse Gaben, etwa täglich 3,0 Naphthalin, so gehören nur zwei oder drei Tage dazu, um das erste Auftreten der spindelförmigen circum&qua- torialen Spindeln zu sehen; doch erfolgt die weitere Entwickelung des Staares bei dieser Dose in so rascher Weise, dass man sich sehr beeilen muss, die ferneren Schicksale der Spindeln zu beobachten. Die rasche Entwickelung des Naphthalinstaares ist alsdann der Lou- penuntersung, besonders was die späteren Stadien anlangt, gerade nicht sonderlich förderlich. Bei geringeren täglichen Dosen etwa Vs 1 Gramm erfolgt die Staarbildung viel langsamer.

Patholog.-anatom. Stadien Aber die Anfänge des Altersstaares. 69

mehr beobachten wir in dem Auftreten derselben in gewis- sen Bezirken der Linse ein gesetzmässiges Verhalten.

Die unter 1) aufgeführten birnformigen Lücken kom- men nämlich ausschliesslich nur in den beiden vorhin schon erwähnten, zum Linsenäquator concentrisch verlaufenden Trübungszonen vor. In keinem anderen Theile der Linse vermochte ich auch nur die geringste Andeutung dieser Ge- bilde wiederzufinden. Die vordere und hintere circumäqua- toriale Trübungszone müssen als der ausschliessliche Ent- wickelungsort dieser Spaltform gelten.

Die unter 2) angeführten grösseren spindelfonnigen Lücken oder Spalten sind im Beginn der Staarbildung gleichfalls an die Trübungszonen gebunden. Von diesen gehen sie aus und dringen bei weiterer Fortentwickelung des Staarcs allmählig in die centralen Regionen der Linse vor. Bei Staaren in späteren Stadien sieht man unter Um- ständen allerdings auch grössere spindelförmige Lücken, die keine directe Verbindung mit den Trübungszonen haben; doch gilt dies eben nur für die späteren Staarformen, wäh- rend für die Frühformen der Satz festgehalten werden muss: die grossen spindelförmigen Schläuche gehen immer von einer der Trübungszonen aus.

Die unter 3) genannten kleinen Spindeln finden sich über alle Schichten der Linse verstreut. Zwar sieht man in den Frühstadien auch die kleinen Spindeln in ganz be- sonderer Menge längs der Trübungszonen circumäquatorial angeordnet, doch kann man schon in frühen Entwicke- lungsphasen der Katarakt mehr oder minder zahlreichen Mengen dieser kleinen Spindeln auch in anderen Regionen als gerade unmittelbar längs der Trübungszonen begegnen. In einzelnen Fällen gewinnt man fast den Eindruck, als wenn die Entwickelung der kleinen Spindeln von den cir- comäqaatorialen Zonen ausgehe; es sieht fast so aus, als ob die kleinen Spindeln längs der circumäquatorialen Par- thieen in die Linse einwanderten und sich von hier aus

70 ^^' Hugo Magnus.

weiter yerbreiteten. Uebrigens giebt es Staarformen, bei denen, wenigstens in gewissen Stadien, diese kleinen Spin- deln das klinische Bild vollständig beherrschen.

Die Kugeln kommen verstreut in allen Schichten der Linse vor. Schon Förster^) bemerkte dieselben in spä- teren Stadien der Katarakt in allen Theilen der Cortical- schicht, doch kann man sie auch in den frühesten Phasen der Staarbildung vereinzelt hier und da ohne gesetzmässige Anordnung wiederfinden.

Den Linsenstaub findet man in den Frühstadien längs der Trübungszonen und markiren sich unter Umständen diese Zonen nur durch eine mehr oder minder scharf in Erscheinung tretende aus Linsenstaub bestehende Linie. In späteren Phasen findet man zarte staubförmige Trübungen in allen möglichen Theilen der Linse.

Wir wollen nunmehr in eine specielle Beschreibung der genannten fünf, für den beginnenden Staar typischen Veränderungen eintreten und mit der Betrachtung der durch ihre Form und den Ort ihres Auftretens so scharf charak- terisirten birnförmigen Lücken beginnen.

§. 4. Die birnförmigen Lücken sind als eins der frühesten Symptome des kataraktösen Processes anzusehen. Ich habe dieselben bereits bei Personen gefunden, die im Anfang der zwanziger Lebensjahre standen und im Uebrigen auch nicht die geringste Spur einer Linsenerkrankung, we- der functionell noch objectiv, darboten. Es treten diese Gebilde immer nur, wie ich dies bereits einmal betont habe, auf einer, entweder vor oder hinter dem Linsenäquator ge- legenen, mit ihm parallel verlaufenden Linie auf. Doch vermag man sich von der Gesetzmässigkeit dieses ihres Auf- tretens hauptsächlich dann zu überzeugen, wenn bereits mehrere dieser Gebilde vorhanden sind. Sie pflegen sich alsdann meist zu zweien oder dreien und mehr aneinander

') a. a. 0. Archiv für Ophthalmologie, Bd. III, Abth. 2, p. 193.

Paiholog.-anatom. Stadien Aber die Anfänge des Altersstaares. 71

zu schliessen und zeigen dann sehr deutlich den zum Lin- senäqoator parallelen Verlauf, sowie ihre Anordnung auf einer vor oder hinter dem Aequator gelegenen Linie (man vergL Figg. IB, 6). Finden sich nur erst yereinzelte die- ser Gebilde, so scheinen dieselben regellos längs des Aequa- tors verstreut zu sein und man muss mit der Eigenartig- keit ihres Auftretens durch viele Untersuchungen schon ge- nügend vertraut sein, um auch in diesem Stadium ihre gesetzmässigen Beziehungen zu den vor mid hinter dem Aequator gelegenen Parthieen zu erkennen (man vergleiche Figg. 2, 3). Treten aber die birnförmigen Gebilde in grös- serer Zahl auf, so ist ihre gürtelförmige Anordnung gar nicht mehr zu verkennen. Besonders deutlich tritt dieselbe an der hinteren Linsen wand in Erscheinung (Fig. 6), da, wie schon vorhin bemerkt wurde, die unmittelbar hinter dem Linsenäquator gelegene Zone der Loupe wesentlich zugäng- licher ist, wie die entsprechende vor dem Aequator verlau- fende Zone. Doch kann man auch selbst jetzt noch, wenn schon zahlreiche birnföimige Gebilde vorhanden sind, über ihre gesetzmässige Anordnung hinwegsehen imd glauben, daas sie regellos längs des Aequators gruppirt seien. Die auf der vor dem Linsenäquator verlaufenden Zone sich findenden Lücken ragen nämlich meist nur mit einem Theil über den Pupillarrand der Iris hervor und so kann es den Anschein gewinnen, als ob eine breite Schicht der birnför- migen Gebilde in der Weise längs des Aequators verlaufe, dass grössere birnförmige und kleinere mehr kugelförmige regellos mit einander abwechseln. Die kleineren mehr ku- gelförmigen Gebilde gehören aber bei diesen Bildern der vorderen Trübungszone an und sie erscheinen nur deshalb kleiner und mehr rundlich, weil sie, wie wir soeben bemerkt hatten, nur mit ihrem oberen Theil in das Pupillargebiet hineinragen, während dagegen die auf der hinteren Zone stehenden sich in vollster Ausdehnung dem Untersucher präsentiren.

72 ^^' Hugo Magnus.

Hält man an der soeben gegebenen Erklärung fest, so wird man sich im eventuellen Fall schnell über die An- ordnung der Gebilde orientiren können und wissen, wo man sie zu suchen hat. ^) Was nun die Lücken selbst anlangt, so zeigt schon die von uns gewählte Bezeichnung „birnfor- mige", dass sie unter einer charakteristischen Gestalt auf- treten. Man kann ihre Form in der Weise schildern, dass man sagt: es entwickele sich aus einem dünnen Ende ein dickerer, rundlicher Kopf, eine Form, welche durch den Ausdruck „biniförmig^S wie ich glaube, genügend charakte- risirt wird (Figg. IB, 6, 7 lassen diese Form in typischer Weise erkennen). Bisweilen erscheinen die fraglichen Ge- bilde mehr ei- als birnförmig (Fig. 2). Bei ihrem ersten Auftreten, also in den frühesten Phasen der Staarbildung, erscheinen die genannten Gebilde glashell und machen den Eindruck von mit klarer Flüssigkeit gefüllten Lücken oder Spalten zwischen den Linsenfasern oder Schichten. Uebrigens gewinnt man in späteren Phasen, wie wir gleich hören werden, noch vielmehr die Ueberzeugung, dass die fraglichen Gebilde als Lücken aufzufassen sind. In den Frühstadien sind sie übrigens oft von der umgebenden Linsensubstauz kaum zu unterscheiden und darum schwer zu finden. Oft gelingt es erst nach langem Suchen und besonders nach öfteren Drehungen des Spiegels ihrer an- sichtig zu werden. Im weiteren Verlauf stellt sich eine leichte punktförmige Trübung der Wandung dieser Ge- bilde ein und zwar ist dieselbe meist in der Gegend des dickeren Kopfes viel döutlicher, als in dem dünneren

^) Eine ganz vortreflFliche, wenn auch den VerhältniBsen noch nicht vollkommen gerecht werdende Abbildung finden wir in einer unter Förster's Aufsicht gearbeiteten Dissertation: Gericke, De Cataracta acquisita nonnulla aetiologica et anatomica. Dissertatio Inauguralis. Breslau 1858. Figur Ib und c. Es kommt in der Ge- ricke'schen Abbildung das Verh&ltniss der birnförmigen Gebilde zu der vorderen und hinteren Trübungszone noch nicht zum Aas- druck.

Patholog.-anatom. Studien über die Anfänge des Altersstaares. 73

Stiel. Durch diese Trübung gewinnt natürlich die Sicht- barkeit der Gebilde ungemein und kann man sich jetzt auch ohne Mühe davon überzeugen, dass es sich um wirk- liche, in die Linsensubstanz eingebettete Lücken oder Bla- sen handelt. Man sieht nämlich auf der dem Licht zuge- kehrten Seite einen glänzenden Reflex, der auf Figg. IB und 6 als weisser Saum dargestellt ist. Ein solcher Reflex könnte nicht entstehen, wenn es sich um flächenhafte und nicht um rundliche blasige oder kugelige Gebilde handelte. Je nachdem man mit dem Spiegel Drehungen ausführt und das Licht bald auf diese, bald auf jene Seite des Gebildes fallen lässt, wechselt auch der Ort des Reflexes. AUmählig nimmt die körnige Trübung an Intensität zu und während sie zuerst nur wie ein feiner Schleier über der Wandung des Gebildes lag, zeigt sie sich später in gesättigterer Form, aber noch immer eine kömige Zeichnung verrathend. Wäh- rend man bis jetzt immer noch die einzelnen Gebilde von einander ohne Mühe zu unterscheiden vermochte, scheint schliesslich eine Phase einzutreten, in welcher die Umrisse des einzelnen Gebildes undeutlich werden, bis sie schliess- lich ganz verschwinden und die bis dahin wohl begrenzten einzelnen Gebilde in einem gemeinsamen Trübungsheerd verschwinden (Fig. 9). Je nachdem nun dieser Verschmel- zungsprocess um den ganzen Aequator herum oder nur an einzelnen Stellen erfolgt, sieht man jetzt entweder einen mehr minder breiten Trübungsgürtel hinter und einen vor dem Linsenäquator sich hinziehen, oder man sieht hier und da beschränkt grössere Trübungen. Sehr oft findet man in solchen, durch Verschmelzung mehrerer birnför- miger Gebilde entstandenen Trübungen noch eine Andeu- tung einzelner jener Gebilde (so in Fig. 5 in der unteren linken und in der oberen rechten Hälfte, auch sehr deut- lich in Fig. 15). Recht oft bekommt man auch Bilder zu Gesicht, in denen die Entstehung solcher ausgedehnter, längs des Aequators hinziehender, zusammenhängender, grösserer

74 I^> Hugo Magnus.

TräbuDgen aus jenen bimfönnigen Gebilden sich dadurch yenäth, dass an einer Stelle der Trnbnng noch wohl erhal- tene, scharf nmrissene bimförmige Gebilde Torhanden sind, während dicht neben ihnen plötzlich eine Unterscheidong der einzelnen Lacken anmöglich wird and hier nar die gemeinsame grössere Trübung Torhanden ist Meist pflegt der dem Linsenkem zugewendete Saum dieser grösseren Trübungen einen schmalen Lichtreflex zu tragen, ähnlich wie die einzelnen bimförmigen Gebilde an ihrem kugeligen Kopf einen sehr deutlichen Reflex zeigten. Das weitere Wachsthum der auf solche Weise aus den einzelnen bim* förmigen Gebilden entstandenen, als Gürtel vor und hinter dem Linsenäquator sich hinziehenden Trübungen scheint nun in doppelter Weise erfolgen zu können. Entweder schiebt sich nämlich der ganze Trübungsheerd in seiner Totalität in centraler Richtung weiter Tor, oder der cen- trale Saum der Trübung treibt einzelne spindelförmige Aus- läufer. Diese Ausläufer erscheinen zuerst wie glashelle Strei- fen, welche sich aber durch ihre reflectorischen Erscheinun- gen als rundliche, in die Linse eingebettete Canäle ver- rathen. Dabei kann man häufig diese Canälchen nach dem Ceutrum hin nicht mehr scharf Ton der umgebenden Lin- sensubstanz trennen; sie scheinen vielmehr mit verschwom- menen Grenzen centralwärts zu endigen. Oefters macht es auch den Eindruck, als ob die glashelleu Ausläufer sich vielfach verästelten und so ein Netzwerk von Canälchen bildeten. Doch empfiehlt es sich, solchen verästelten Fi- guren gegenüber mit einer gewissen Vorsicht zu verfahren, da ähnliche Bilder öfters durch über die Hornhaut ziehende Schleimfäden erzeugt werden. Allmählig verlieren die an- fangs durchsichtigen wasserhellen Canälchen ihre Trans- parenz; sie erscheinen in einer körnigen Trübung, die an Intensität zunimmt; doch ist sehr häufig das centrale Ende noch glashell, während nach der Peripherie hin schon eine dunkle Körnung vorhanden ist. Dabei ist das centrale Ende

Patholog.-anatom. Stadien über die Anfänge des Altenstaares. 75

meist spitz zulaufend, sodass diese Gebilde in der beschrie- benen Form nunmehr spindelförmig resp. prismatisch er- scheinen (eine ähnliche Form zeigt Figur 6 in der linken Hälfte). Die körnige Trübung, welche die geschilderten Gebilde in den verschiedenen Phasen ihrer Existenz dar- bieten, möchte ich nicht auf ihren Inhalt beziehen. Ent- stünde die Trübung durch eine Füllung der Canäle mit emer molekularen Substanz, wie dies z. B. Förster^) für gewisse Formen der Canälchen annimmt, so müsste die kör- nige Trübung unbedingt über die Oberfläche der Canäle hin eine gleichmässige sein; das ist nun aber keineswegs der Fall. Man sieht sehr oft, wie eine Seite des prismati- schen Canälchens an einer Stelle eine sehr ausgesprochene Körnung zeigt, während die anderen Seiten noch klar sind oder nur hier und da eine schwache Andeutung einer Kör- nung zeigen. Dieser Umstand spricht dafür, dass, im Be- ginn wenigstens, die Trübung lediglich in den Wänden der Canäle sich localisirt, dass zu dieser Zeit der Inhalt klar ist und die körnige Trübung lediglich in den die Wandung der Canälchen bildenden wandständigen Linsenfasern liegt.

Die Verschmelzung der bimförmigen Gebilde zu grös- seren in die Fläche sich ausbreitenden Trübungen braucht nun aber nicht immer in allen Theilen der beiden peri- äquatorialen Trübungszonen, auf welchen wie erinnerlich die Gebilde sich entwickeln, erfolgen. Oft sieht man an einzel- nen Stellen der beiden Zonen noch sehr scharf die Gebilde selbst, während sie an anderen schon zur Bildung grösse- rer Trübungen sich vereinigt haben.

Bisweilen scheinen aber auch einzelne Gebilde über- haupt keine Verschmelzung mit den Nachbarn einzugehen, vielmehr eine Sonderexistenz zu führen. Die Lücken fangen alsdann an sich allmählig nach dem Centrum der Linse hin

*) Förster, Zur pathalog. Anatomie der Katarakt. Archiv für Ophthalmologie, Bd. III, Abth. 2, p. 190.

76 Dr- Hago Magnus.

vorzuschieben; man sieht nunmehr ein Gebilde, welches die biraförmige Gestalt noch mehr oder weniger deutlich ge- wahii; hat, aber viel grösser ist, als die dasselbe umge- benden anderen analogen Gebilde. Die Wandung desselben ist körnig getrübt und hat es bisweilen den Anschein, als ob die Wände keine glatte Oberfläche besässen, vielmehr mit Ein- und Ausbuchtungen, vielleicht mit Fortsätzen ver- sehen wären. Wenigstens findet man bei Beleuchtung der Wände hier und da dunklere Schatten, während dicht neben diesen Schatten hellere Reflexe liegen. Uebrigens habe ich mich auch bei meinen Studien über die Entwickelung des Naphthalinstaares überzeugen können, dass die im Anfang glatten, vom Aequator ausgehenden spindelförmigen Schläuche in einer Phase ihrer Entwickelung deutliche Fortsätze nach den Seiten hin ausschicken. Die Schläuche erscheinen dann nicht mehr mit glatten Wänden, sondern die letzteren zei- gen ein sägeartiges Aussehen, wobei die einzelnen Säge- zähne eine unregelmässige Form besitzen, bald grösser bald kleiner sind. Die Möglichkeit, dass die Bildung ähnlicher Fortsätze auch beim Menschen stattfinden könne, liegt hier- nach sehr nahe.

Was nun das weitere Schicksal der aus den birnför- migen Lücken hervorgegangenen grösseren Schläuche an- langt, so verliert sich die Birnengestalt sehr bald vollstän- dig und das betreffende Gebilde gewinnt das Aussehen eines Prismas resp. eines spindelförmigen Schlauches. Gegen das centrale Ende spitzt sich ein solcher Schlauch aJlmäh- lig zu (vergl. Fig. 4 des unteren rechten Quadranten) und bleibt dieses centrale Ende meist längere Zeit auffallend hell und verschwommen. Erst allmählig macht sich auch in der centralen Parthie eine scharfe Zeichnung und inten- sive Trübung bemerkbar. Schliesslich bieten die fraglichen Gebilde die Gestalt eines kömig getrübten resp. tief dunk- len Prismas, dessen eine Spitze auf einer Trübungszone, dessen andere Spitze in der Polarebene der Linse liegt.

Fatholog.-anatom. Studien über die Anfänge des Altersstaares. 77

Uebrigens dürften die beschriebenen Gebilde in den oberen Corticalschichten liegen.

Die vorstehende Beschreibung hat also ergeben, dass die birnförmigen Lücken nur in den Frühstadien der Ka- taraktbildung zu beobachten sind. Bei fortschreitender Bntwiokelnng des kataraktösen Processes verschmelzen sie entweder zu grösseren, den linsenäquator vom oder hinten bandfdrmig amsänmenden intensiven Trübiings- Btreifen oder sie wachsen sich zu langen prismatischen Grebflden aus» welche schliesslich mit einer Spitze auf einer der beiden Trübungszonen mit der anderen in der Folarebene liegen.

Wir wollen nicht unterlassen darauf aufmerksam zu machen, dass die von uns soeben beschriebenen birnförmi- gen Lücken eine auffallende Aehnlichkeit haben mit gewis- sen Gebilden, welcher in jüngster Zeit Fuchs ^) gedacht bat Fuchs hat nämlich bei Verletzungen der Linse längs des Aequators ein Netz neben- und übereinander liegender Schlingen beobachtet, welches nach seinen Angaben bisher noch von keinem Beobachter gesehen worden ist Ver- gleicht man diese von Fuchs beschriebenen und durch Skizzen^) zur Darstellung gebrachten Erscheinungen mit unseren birnförmigen Lücken, so wird man eine hervor- ragende Aehnlichkeit beider kaum bestreiten können. Fuchs glaubt, dass die von ihm beschriebenen äquatoriellen Ver- änderungen eine Lijection präformirter Lymphbahnen mit angestauter £mährungsflüssigkeit darstellen könnten. Stel- len wir uns auf den Fuchs 'sehen Standpunkt, so könnten wir auch in den von uns för den Beginn des Altersstaares als typisch beschriebenen Gebilden Stauungslücken sehen und 80 auf die Vermuthung kommen, dass die Cataracta senilis in ihren ersten Anfängen durch Stauungen der Nähr-

*) Fuchs, Ueber traumatische Linsentrübung. Wiener klinische Wochengchrift 1888, Nr. 3 u. 4. Separatabdruck p. 19.

*) Man vergleiche besonders die Figg. 9 und 15 bei Fuch».

78 ^^- Hugo Magnus.

flüssigkeit längs des Linsenäquators bedingt sein könne. Was an dieser Vermuthung Wahres ist, werden wir aber erst dann zu beurtheilen in der Lage sein, wenn unsere Kenntnisse über die Ernährung der Linse geklärtere sein werden, als wie dies bisher der Fall ist.

§. 5. Grössere spindelförmige Lücken oder Schläuche sind im Beginn der Staarentwickelung, wie die im vorigen Paragraphen beschriebenen birnförmigen Lücken, gleichfalls an die beiden Trübungszonen gebunden. Erst in späteren Stadien der Katarakt begegnet man auch in an- deren Abschnitten der Linse grösseren spindelförmigen Ge- bilden, ohne dass dieselben mit den circumäquatoriellen Trübungszonen irgend einen Zusammenhang aufzuweisen hätten.

Betrachten wir nun zuvörderst diejenigen Spindeln*), welche sich auf den beiden Trübungszonen lokalisiren. Un- tersucht man die auf den Trübungszonen sich findenden birnförmigen Lücken, so wird man gar nicht selten zwi- schen denselben plötzlich eine oder mehrere schlanke, spin- delförmige Figuren erblicken (Figg. 4, 6, 7). Im Anfang sind diese Figuren genau so wie die birnförmigen Gebilde was- serhell, um allmählig im Laufe ihrer Weiterentwickelung eine getrübte Oberfläche zu zeigen. Oft findet man meh- rere solcher Spindeln nebeneinander und scheinen sie unter Umständen die birnförmigen Lücken vollständig zu ersetzen, sodass man hauptsächlich nur Spindeln auf den Trübungs- zonen nachweisen kann (Fig. 8). Wie ich schon Seite 68 bemerkt habe, gilt dies Verhalten für den Naphthalinstaar als typisch (Fig. 12).

Die nach dem Centrum gerichtete Spitze der Spin- deln ist schlank und scharf auslaufend, während dagegen

^) Es dürften unsere grösseren spindelförmigen LQcken oder Schläuche identisch sein mit den von Hirschberg (CentralbUtt für praktische Augenheilkunde 1888, p. 361, Figur 1, Nummer 2 und 3) beschriebenen und dargestellten „Rindenkeilen und G&ngen".

Patholog.-anatom. Studien über die Anftnge des Altersstaares. 79

die an die Trübungszone angelagerte Basis breit ist. Bis- weilen findet man die Spindeln auch in yerschiedenen Richtungen gebogen (Fig. 4), sodass sie dann auffallend glashellen Canälen ähneln. Ich glaube solche Gebilde^) zuweilen als einzige Anzeichen des beginnenden Staares auf einer der Trübungszonen gefunden zu haben. Ob diese soeben geschilderten Spindeln etwa lediglich nur zufällig in ihrer Fomi geänderte bimformige Lücken sein mögen, yermag ich nicht zu sagen. Doch wird man durch gewisse Bilder auf diese Yermuthung gebracht. Ich habe nämlich wiederholt Fälle gesehen, in denen scheinbar nur Spindeln auf den Trübungszonen sassen und zwar schon ziemlich grosse; hierbei machte es den Eindruck, als ob diese Spindeln in einer gewissen Entfernung von ihrer Basis eine Verdickung zeigten, die meist körnig getrübt war und von dieser Verdickung nach dem Centrum hin Terjüngte sich nun das Gebilde, sodass die centrale Hälfte einen feinen Canal, die periphere einen grösseren Umfang aufwiess. Man könnte hiemach schon daran denken, dass die Spindeln unter Umständen auch nur die weiteren Ent- wickelungsstadien der bimformigen Lücken seien, doch ver- mag ich, wie schon gesagt, diese Frage im Augenblick noch nicht zu entscheiden.

Unter Umständen findet man auch grössere Spindeln oder Schläuche, welche sehr deutlich eine Verzweigung zei- gen. Man sieht alsdann, wie aus einer längeren schlanken

') Ich möchte an dieser Stelle nochmals wiederholen, was ich bereits vorhin bemerkt habe, dass nämlich glashelle, verzweigte Ca- n&lchen mit einer gewissen Vorsicht betrachtet werden müssen, unter ümst&nden können Secrete der Conjunctiva beim Passiren der Cornea ganz ähnliche Figuren hervorrufen. Doch ist durch Lid- schlag, Berieselung der Cornea und durch die Art und Weise der Einstellung des untersuchenden Auges eine sichere ControUe darüber zu gewinnen, ob man es mit Hornhaut- oder mit Linsengebilden zu thnn habe. Auch Veränderungen des Homhautgewebes selbst, wie z.B. Flecke, können ähnliche Figuren zeigen.

80 ^r- Hugo Magnus.

Spindel plötzlich unter ziemlich spitzem Winkel ein Seiten- ast abgeht. Meist liegt diese Gabelungsstelle der Basis der Spindel, also der Trübungszone « aus welcher die Spindel herauswächst, sehr nahe (man vergl. Fig. 10).

Die geschilderten Spindeln oder Schläuche oder Gänge oder wie man sonst diese Gebilde zu nennen belieben mag, lassen bei der Untersuchung mit durchfallendem Licht sehr deutlich eine walzenförmige Rundung in ihrem ganzen Ver- lauf erkennen, sodass man sich überzeugt, man habe es hier mit wirklichen rundlichen, in die Linsensubstanz ein- gebetteten Hohlräumen zu thun. Ein feiner, längs der nicht beleuchteten Seite der grösseren Spindeln hinlaufender Schat- ten zeigt sogar, dass, besonders in den späteren Stadien, die beschriebenen Gebilde einen nicht unbedeutenden Umfiang besitzen.

Die Spindeln scheinen nun die Neigung zu haben, sich in ziemlich raschem Tempo gegen die centralen Linsen- schichten vorzuschieben. Dieses schnelle Wachsthum kann man an Bildern wie Fig. 7 deutlich bemerken. Man sieht hier, wie auf der hinteren Trübungszone die birnförmigen Lücken noch klein und wenig getrübt sind, während ein- zelne schlanke Spindeln sich schon so mächtig entwickelt haben, dass sie mit ihrem centralen Ende in die Polarebeno hereinreichen. Da nun die birnförmigen Gebilde unter Umständen auch zu ähnlichen Formen, wie die Spindeln in Fig. 7 auswachsen können, so wäre man berechtigt, dio Spindeln der Fig. 7 schliesslich auch für die weiteren Ent- wickelungsphasen der birnförmigen Lücken zu halten. Auf- fallend wäre es dabei nur, dass die Mehrzahl der birnför- migen Lücken in Figur 7 dann noch so winzig und wenig entwickelt und nur einzelne derselben zu so mächtigen Formen ausgewachsen sein sollten. Schliesslich ist es aber keine Frage von principieller Bedeutung, ob die auf den Trübungszonen erwachsenden Spindeln aus den birnförmi- gen Lücken hervorgehen oder von Haus aus selbstständigo

Fatholog.-anatom. Studien über die Anfänge des Altersstaares. 81

Formen sind und so können wir die Entscheidung dieser Frage gestrost als unwesentlich vor der Hand beiseite schieben.

Im Anfang sind die grossen Spindeln vollständig trans- parent, doch verliert sich diese ihre Eigenschaft allmählig. Zuvörderst sieht man eine feine streifige Zeichnung an ihnen auftreten; feine zarte Linien laufen über die einzelnen Spin- deln hin. Besonders wenn die spindelförmigen Schläuche einen grösseren Umfang erreicht haben, vermag man die streifige Zeichnung deutlicher zu erkennen. Ausserdem be- merkt man eine feine kömige Trübung in der Wand der einzelnen Schläuche und schliesslich sieht man grössere wandständige Blasen oder Vorsprünge an den Spindeln. Bei weiterer Entwickelung trübt sich die Wand des Ge- bildes immer mehr, bis man grosse spindelförmige oder prismatische Gebilde von tiefdunklem kömigem Aussehen vor sich hat. Die beleuchtete Seite scheint bei der Unter- suchung dabei häufig noch ein wenig transparent. Schliess- lich schreitet die körnige Trübung der Wandung so weit vor, dass die Spindeln jetzt wie grosse schwarze Balken sich prasentiren. Höchstens sieht man in diesen Spätsta- dien, dass die central gerichtete Spitze der Spindel, welche in der Entwickelung des gesammten Gebildes den jüngsten Theil darstellt, noch theilweise transparent, vielleicht auch weniger scharf gezeichnet ist, wie die peripheren Abschnitte der Spindel.

Nicht selten findet man übrigens auch, dass zwei oder mehr solcher grosser Spindeln sich dicht aneinander lagern und ein schwarzes Band bilden, welches von dem Aequator zu der Polarebene zieht.

Ich möchte nun noch auf ein Verhalten hinweisen, wel- ches ich des Oefteren bei Spindeln beobachtet habe, welche noch zu keiner besonderen Grösse ausgewachsen waren, also noch eine geringere Länge zeigten. Man kann an sol- chen Spindeln resp. Schläuchen bemerken, dass die zwischen ihnen liegende, bis dahin klare Linsensubstanz sich anfängt

y. QrMfe'i Aichiy fOr Ophthalmologie. XXXV. 3. 6

82 ^r. Hugo Magnus.

feinkörnig zu trüben. Diese Trübung der Zwischensubstanz kann soweit gehen, dass man grössere dunkle Parthieen be- merkt, in denen aber die einzelnen Schläuche meist noch wahrzunehmen sind (Fig. 9). Längs der Trübungszone ist die Trübung dabei stets am stärksten, um gegen die cen- tralen Parthieen schwächer zu werden. Ist die zwischen den Schläuchen liegende Substanz noch nicht fetark getrübt, so gewinnt es manchmal den Anschein, als grenzte sich der betreffende Bezirk central mit einer zarten Grenzlinie ge- gen die klare Substanz ab (Fig. 9). Halten wir daran fest» dass in den Spindeln Flüssigkeit sich befindet, welche bei längerem Verweilen Diffusionsrorgänge mit der ihre Wand bildenden Linsensubstanz eingeht, so wird es yerständlich, dass nicht nur die direct die Flüssigkeit umgebenden Fa- sern sich trüben, sondern dass schliesslich auch die zwi- schen zwei Schläuchen liegende Linsensubstanz in die Dif- fussionsTorgänge einbezogen wird und darum die zwischen den Spindeln befindlichen klaren Parthieen schliesslich sich trüben.

Wir hätten nun noch mit einigen Worten jener grös- seren spindelförmigen Schläuche oder Lücken zu gedenken, welche in den verschiedensten Abschnitten der Linse auf- treten, aber niemals zu den circumäquatorialen Trübungs- zonen in genetischen Beziehungen stehen. Den Frühsta- dien gehören dieselben so gut wie niemals an, sondern fin- den sich wesentlich nur bei schon weiter fortgeschrittener Staarbildung. Es pflegen dieselben meist in den tieferen Corticalschichten zu li^en und sich als dicke bauchige Hohlräume zu präsentiren (Fig. 4). Häufig begegnet man ihnen in der Gegend der Pole. Besondere Merkmale bie- ten dieselben nicht dar und auch ihre weiteren Sducksale scheinen von denen der soeben geschilderten spindelförmi- gen Hohlräume nicht wesentlich versdiieden zu sein.

Ausser diesen dickbauchigen Spindeln sieht man auch Gebilde, welche sich durch ihre Schlankheit von diesen

Patholog.-anatom. Studien über die Anfänge des Altersstaares. 83

dickbauchigen Hohlräumen wesentlich unterscheiden. Diese Art der grossen Spindeln unterscheidet sich in der Form von den Eingangs dieses Paragraphen beschriebenen Schläuchen wenig oder gar nicht, ist von ihnen aber dadurch wesent- lich imterschieden, dass sie zu den circumäquatorialen Trü- bungszonen in keinerlei Beziehung steht Man kann übri- gens diesen Gebilden auch bei jenem Staartypus begegnen, der mit Veränderungen' um den Kemäquator beginnt; man sieht alsdann um den Kemäquator unter den anderen für diese Gegend charakteristischen Spaltformen auch einzelne schlanke grössere Spindeln. Dieselben zeigen ab und zu eine Anschwellung und öfters kolbige Verdickungen an dem einen oder anderen Ende. Sie stehen meist in radiärer Richtung (Fig. 15).

§. 6. Kleine spindelförmige Lücken werden» wie wir dies schon auf Seite 69 erwähnt haben, in den Früh- stadien der Kataraktbildung zwar an den verschiedensten Theilen der Linse angetroffen, doch kann man meist als Aus- gangspunkt ihrer Bildung, entsprechend den beiden Haupt- typen der Staarentwickelung überhaupt, auch zwei Gegen- den der Linse in Anspruch nehmen. Entweder treten sie nämlich längs der circumäquatorialen Trübungszoneu auf (Figg. 3 und 4), oder der Ort ihres ersten Auftretens ist der Kemäquator (Figg. 13 15).

Was nun zuvörderst die erste Form dieser kleinen Spindeln anlangt, also diejenigen, welche längs der beiden Trübungszonen, also längs des Linsenäquators ^), sich zu entwickeln scheinen, so sind dies kleine, ovale, schlanke, im Beginn wasserhelle Gebilde. Man muss sich besonders in den Frühstadien hüten, sie mit kleinen, auf der Cornea sitzenden Schleimtröpfchen zu verwechseln. Es ist gar nicht

*) Gericke a. a. 0. Figur Ib hat diese periphere circam&qaa- toriale Anordnung der kleinen Spindebi bereits zur Abbildung ge- bracht.

6*

84 Dr. Hogo Magnus.

zu verkennen, dass diese kleinen zierlichen Gebilde sich längs der Trübungszonen mit besonderer Vorliebe ansammeln; man begegnet gar nicht selten Fällen, in denen längs der circumäquatorialen Trübungszonen sich unzählige derartige Spindelchen vorfinden, die von hier aus in die übrigen Schichten sich zu zerstreuen scheinen. Sie scheinen übri- gens hauptsächlich in den oberen Cortexschichten sich vor- zufinden. Oft beherrschen sie das Bild der Staarentwicke- lung in dem Grade, dass alle anderen Gebilde vor ihnen ganz in den Hintergrund treten und die gesammte circum- äquatoriale Zone mit diesen Spindelchen wie besät erscheint. Von dem Aequator aus dringen sie alsdann gegen die cen- tralen Linsenparthien vor. Oft gewinnt man auch den Eindruck, als ob eine Stelle des Linsenäquators den Aus- gangspunkt der Spindelchen gebildet habe; man sieht alsdann von einer Stelle des Linsenäquators aus einen zahlreichen Schwärm dieser Spindelchen centripetal sich verbreiten, wäh- rend der übrige Aequator noch völlig intact ist Li ganz frühen Fällen (Figg. 3, 14) bemerkt man vereinzelt längs der circumäquatorialen Trübungszonen hier und da ein klei- nes zartes Spindelchen, doch sieht man auch schon in die- sen frühesten Phasen bereits in einiger Entfernung centri- petalwärts vom Linsenäquator vereinzelte dieser zarten Ge- bilde. Die lange Achse dieser Spindelchen steht dabei meist radiär, doch kann dieselbe auch dem Linsenäquator paral- lel gerichtet sein. Figg. 3, 11 zeigen mehr die erstere, Fig. 4 die andere Achsenstellung.

Im Anfang ihres Bestehens sind diese kleinen Spin- delchen ungemein zarte Gebilde und sehr schwer zu finden; allmählig treten sie aber durch leichte Trübung ihrer Wan- dungen schärfer in Erscheinung. Ihre Gontouren sind als- dann schärfer gezeichnet, ihre Grenzlinien dunkler und kräftiger entwickelt. Uebrigens eignen sich die Spindelchen der vorderen Corticalis hauptsächlich für das Studium; die entsprechenden Gebilde der hinteren Cortexschalen treten

Patholog.-anatom. Studien über die Anfl&nge des Altersstaares. 85

meist wegen ihrer Feinheit nicht mehr mit genügender Schärfe in Erscheinung.

Nach Beobachtungen Gericke's sollen des Oefteren mehrere kleine Spindeln zu einer grösseren yerschmelzen können; ohne diesen Verschmelzungsprocess irgendwie in Abrede stellen zu wollen, müssen wir doch bemerken, dass wir einen Beweis für denselben nicht zu erbringen im Stande gewesen sind. Allerdings giebt es ganz gewiss Spindeln von der charakteristischen Form der kleinen, welche aber zwei- bis dreimal grösser sind wie diese. Ob sie nun aber diesen bedeutenderen Umfang nicht durch eigenes Wachs- thum, durch Hinausschieben ihrer Wandung erlangt haben können, denselben vielmehr ausschliesslich nur durch Ver- einigung mehrerer kleinerer Spindeln erlangt haben müssen, dies zu entscheiden bin ich im Augenblick nicht in der Lage.

Wir müssen nun noch eines interessanten Vorganges Er- wähnung thun, welchen wir an diesen kleinen Spindelchen wiederholt zu beobachten Gelegenheit hatten und der in Fol- gendem besteht Man sieht des Oefteren kleine Spindelchen vom Linsenäquator aus sich in radiärer Richtung anordnen und so eine Speiche bilden, welche bis in die Polarebene hineinreicht Es stellen die Spindelchen bei dieser Anord- nung sich mit ihrer langen Achse parallel zum Linsenäqua- tor (Fig. 6). Es unterliegt für mich gar keinem Zweifel, dass die so angeordneten Spindelchen schliesslich entweder mit einander verschmelzen, oder dass sich die zwischen ihnen liegende klare Linsensubstanz allmählig trübt und so schliesslich jene grossen Speichen^) entstehen, welche

*) Die Entstehmig der Speichen kann nach unseren Untersu- chongen in dreifacher Weise erfolgen. Erstens kann eines der anter Nummer 1 beschriebenen bimförmigen Bl&schen nach dem Pol hin sich ausdehnen und zu einer breiten Speiche auswachsen. Zweitens kann eine der unter Kammer 2 beschriebenen grossen Spindeln allm&hlig so an Grösse zanehmen, dass sie den Pol er-

86 ^' Hugo Magnus.

für das Bild des sich entwickelnden Staares so charakte- ristisch sind. Ich habe ganz bestimmt Speichen gesehen, die zwischen Aeguator und Polarebene ausgespannt, also von beträchtlicher Länge waren und als Anzeichen ihrer Entstehung aus kleinen Spindelchen noch ganz deutliche Querstriche aufzuweisen hatten.

Wir hätten nunmehr noch jene kleinen Spindelchen zu betrachten, welche sich mit gesetzmässiger Ordnung längs des Kemäquators entwickeln. Da dieser Typus der Staar- bildung, wie schon erwähnt wurde, überhaupt der bei Wei- tem seltenere ist, so werden wir die um den Kemäquator sich gruppirenden kleinen Spindelchen naturgemäss auch viel seltener zu sehen Gelegenheit haben. Die Figg. 13 15 zeigen den. Entwickelungsgang der längs des Kernäquators auftretenden Staarbildung in typischer Weise; derselbe voll- zieht sich in folgender Weise.

In den frühesten Stadien (Fig. 13) sieht man längs des Kemäquators und zwar nicht in der ganzen Ausdeh- nung desselben, sondern zuvörderst meist nur in einem oder dem anderen Abschnitt desselben einzelne sehr feine kleine Spindelchen. Dieselben sind deutlich als kleine ovale Ge- bilde zu erkennen, deren lange Achse meist schräg von

reicht und drittens können eine Anzahl kleiner Spindeln zur Bil- dung einer Speiche zusammentreten. Das Breitenwachsthum der Speichen erfolgt in der Weise, dass von den ausgewachsenen gros- sen Spindeln resp. birnförmigen Spalten sich zwei oder mehrere neben einander legen und so breite Trübungsheerde bilden. Sind die neben einander gereihten auswachsenden Spindeln nicht gleich lang, so entstehen verschiedene Formen der Trübungsheerde. Man sieht des Oefteren solche auswachsende Lücken verschiedener Grösse nach Art der Orgelpfeifen neben einander aufmarschirt und dann pflegt der durch sie gebildete Trübungsheerd eine dreieckige Form zu besitzen. Mau kann sodann auch beobachten, wie diejenige Spei- chenform, welche durch Aneinanderreihung kleiner Spindeln ent- steht, sich in einem Abschnitt der Linse dicht neben einander wie- derholt vorfindet. Ein Aneinanderlegen dieser Speichen erzeugt dann auch wieder grössere Trübungsheerde.

Patholog.-anatom. Stadien über die Anfänge des Altersstaares. 87

Yom nach hinten gerichtet zu sein scheint. Auffallend oft sieht man in diesen Friihstadien die kleinen Spindelchen paarweise zusammengeordnet und zwar bisweilen in der Art, dass zwei dieser Gebilde an ihrem der Linsenperipherie zugekehrten Ende sich unter einem mehr oder minder spitzen Winkel mit einander verbinden. Es macht den Eindruck, als ob ein derartig yerbundenes Paar wie ein Dachreiter (ein Ausdruck, welchen Schön in sehr treffender Weise für gewisse Trübungen des Linsenäquators gebraucht hat) auf dem Kernäquator ritte. Ausser den soeben geschilderten Veränderungen brauchen keine weiteren Andeutungen von Eataraktbildung vorhanden zu sein; vor allem kann der Linsenäquator dabei völlig frei sein oder doch nur so ge- ringe Erscheinungen darbieten, wie dies Figg. 13 und 14 zeigen. Im weiteren Fortgang der Staarbildung mehren sich die kleinen den Eemäquator umrandenden Spindeln in beträchtlichem Maasse und findet man jetzt an dem be- treffenden Abschnitt des Kemäquators einen feinen grauen Streif, der sich aus zahllosen kleinen Spindelchen zusammen- gesetzt erweist. Die Form der Spindeln selbst hat sich dabei nicht geändert und zeigen dieselben noch genau die- selbe Beschaffenheit, wie wir sie soeben für die frühesten Phasen geschildert haben. Nur vermag ich jetzt, eben we- gen der Menge der Spindelchen, die paarweis zusammen- geordneten Dachreiter und Gruppen nicht mehr zu finden (Fig. 14).

Lidem nun die Spindelbildung fortwährend zuninmit, ist schliesslich der gesammte Eemäquator mit einem Kranz kleiner Spindeln umgeben, wie dies Fig. 15 darthut. Es hat den Anschein, als ob in dieser schon weiter vorge- schrittenen Phase der Staarbildung die kleinen Spindeln etwas grösser geworden wären. Auch sieht man zwischen ihnen hier imd da spindelförmige Gebilde von grösserer Ausdehnung, welche leichte knopfförmige Auftreibungen haben. Auch machen sich in dem den Kernäquator um-

88 I^r. Hugo Magnus.

ziehenden Spindelkranz hier und da Anhäufungen von Kügelchen bemerkbar. Auch dringen derartige Kügelchen sowie auch kleine und grössere Spindelchen nunmehr vom Kemäquator polarwärts vor. Jetzt zeigt übrigens auch der Linsenäquator all' die verschiedenen Veränderungen, die wir als charakteristisch für die Frühstadien der Eatarakt- bildung im Laufe dieser Arbeit geschildert haben, in mehr oder minder ausgedehntem Umfang. In noch späteren Sta- dien kann man den soeben beschriebenen Spindelkranz längs des Kemäquators nicht mehr in seine Einzelnheiten zerle- gen, vielmehr präsentirt er sich jetzt als eine mit der Loupe nicht mehr in ihre Einzelnheiten auflösbare Trübung.

§. 7. Kugeln von grösserem oder kleinerem Umfang finden sich, wie dies früher bereits Förster und in neue- ster Zeit wieder Hirschberg betont haben, in allen Pha- sen der Staarbildung und zwar in allen möglichen Ab- schnitten der Linse. Ich habe sie im Verein mit den in den vorigen Paragraphen geschilderten Spaltformen schon bei Personen in den zwanziger Lebensjahren nachweisen können. Wenn sie auch, wie wir dies soeben bemerkt hat- ten, in allen möglichen Abschnitten der Linse auftreten, so will es mir doch scheinen, als ob sie unter Umständen zu den circumäquatorialen Trübungszonen in näheren Be- ziehungen stünden. Man kann nämlich beobachten, beson- ders in recht frühen Stadien der Staarbildung (Figg. 2 und 3), dass sich eine Reihe von Kugeln längs der hinteren Trübungszone hinzieht, etwa in gleicher Höhe mit den Köpfen der dort stationirten bimformigen Lücken. Es machte mir diese Anordnung, so oft ich sie zu beobachten Gelegenheit hatte, stets den Eindruck, als handele es sich um birnformige Gebilde, deren Köpfe zuvörderst in Erschei- nung traten, während ihr dünnerer peripherer Hals noch nicht bemerkbar war. Ich kann mich in meiner Beobachtung, resp. in der Deutung der betreffenden Kugeln allerdings geirrt haben, was bei der ungemeinen Zartheit, welche die

Patholog.-anatom. Studien über die Anf&nge des Altenstaares. 89

Oebilde gerade im Beginn ihrer Entwickelung meist zeigen, ja leicht möglich ist.

In anderen Fällen macht es wieder den Eindruck, als ob Yon einer gewissen Stelle des Linsenäquators aus eine Einwanderung von Kugeln in die Linsensubstanz erfolgt sei (Fig. 11). Für die in §. 6 beschriebenen kleinen Spindeln konnte ja unter Umständen eine derartige circumäquatoriale Ausgangsstelle auch als wahrscheinlich angenommen werden.

In nicht seltenen Fällen yermag man an den Kugeln eine radiäre Anordnung sehr deutlich zu bemerken. Man sieht alsdann, wie vom Linsenäquator zu den Polen hin eine Reihe yon Kugeln hintereinander aufmarschirt sind; sie folgen sich wie die Perlen eines Rosenkranzes (Fig. 5).

In seiner schon des Oefteren citirten Arbeit^) macht Förster auch darauf aufmerksam, dass unter Umständen bei Beginn des Altersstaares um den Kemäquator ein zar- ter grauer Nebel liege, welcher einzelne Kugeln erkennen lasse. Ich kann diese Beobachtung Förster's nur Yollauf bestätigen, sie sogar noch erweitem, insofern ich Kugeln auch ohne jenen Nebel längs des Kemäquators bemerkt habe. Während in einzelnen Fällen nur wenige Kugeln längs des Kemäquators den beginnenden kataraktösen Pro- cess yerrathen, gesellen sich wieder in anderen Fällen zu den hier stationirten Kugeln noch zahlreiche kleine Spindeln.

Schliesslich will ich übrigens noch bemerken, dass in nicht wenig Fällen nur ganz vereinzelte Kugeln in einer im Uebrigen ganz klaren Linse zu bemerken sind. Ich habe derartige Fälle des Oefteren gesehen, in denen eine einzige Kugel vorhanden war. Meist pflegen sich diese Ein- zelkugeln an bestimmte Abschnitte der Linse nicht zu binden.

Uebrigens möchte ich hier gleich beiläufig darum er- suchen, den Ausdmck „Kugel" nicht pressen zu wollen. Wenn man auch sehr häufig scheinbar kreisrunde Kugeln

') a. a. 0. Archiv fOr AugenheUkunde, Bd. III, Abth. 2, p. 192.

90 X>r. Hago Magnus.

wahrzunehmen Gelegenheit hat, so finden sich doch Ab- weichungen Ton der Kugelgestalt nicht selten. Dies neben- her bemerkt Uebrigens erreichen einzelne Kugeln unter Umständen solche Dimensionen, dass man sie, wie dies Hirschberg angiebt, auch bei seitlicher Beleuchtung schon mit einer guten Loupe zu bemerken yermag.

Im Anfang sind die Kugeln, wie die anderen Spaltfop- men der Staarbildung, wasserhell und klar; allmahlig aber fangen die Umrisse der Kugeln an sich zu trüben und eine feinkörnige Zeichnung zu zeigen. Häufen sich zahlreiche Kugeln an einem Abschnitt der Linse zusanmien (Fig. 11), so beginnt die zwischen den einzelnen Kugeln gelegene klare Linsensubstanz allmahlig eine graue körnige Trübung zu zeigen, in welcher die Umrisse der einzelneu Kugeln dann schliesslich als sehr dunkle Kugelschalen bemerkbar sind. Schliesslich wird diese ganze Parthie dann so intensiv ge- trübt, dass man nur noch mit Mühe die Umrisse der ein- zelnen Kugeln nachweisen kann. Man hat dann einen brei- ten Trübungskeil Yor sich, der von der Peripherie mit brei- ter Basis ausgehend nach der Polarebene hin spitz zugeht und aus einer Anzahl von Kugeln besteht, deren Zwischen- substanz getrübt ist (Fig. 11). Die Trübung der zwischen den Kugeln gelegenen klaren Linsensubstanz scheint in der- selben Weise zu entstehen, wie die Trübung der klaren Linsensubstanz entstand, welche zwischen den langen, von den circumäquatorialen Trübungszonen ausgehenden Spin- deln von uns beschrieben wurde (Seite 81). Jede einzelne Spalte in der Linse scheint eben der Ausgangspunkt einer concentrisch um dieselbe sich ausdehnenden Trübung der umgebenden Linsensubstanz werden zu können. Dieser Vor- gang ist verständlich, wenn wir daran festhalten, dass die in den Spalten angesammelte Flüssigkeit allmahlig einen Diffussionsprocess mit der umgebenden Linsensubstanz ein- geht.

Patholog.-anatom. Stadien über die Anftnge des AltersBtaares. 91

§. 8. Staab findet sich sowohl in den frühen wie in den späteren Stadien der Kataraktbildung in den verschie- densten Abschnitten der Linse. In den frühesten Phasen kann man längs des Linsenäquators (Fig. lA) einen feinen staubartigen Niederschlag bemerken, welcher bisweilen die Trübungszone deutlich markirt. Mit der Loupe lässt sich dieser Linsenstaub in eine Unzahl kleinster Pünktchen auf- lösen, zwischen denen hier und da ein kleines Kügelchen sichtbar wird.

Li den späteren Stadien sieht man, wie wir dies in den vorigen Paragraphen schon wiederholt betont haben, um und zwischen den einzelnen Spaltformen, wofern die- selben schon längere Zeit bestanden haben, staubförmige Trübung.

Hirschberg ^) macht darauf aufmerksam, dass bei be- ginnendem Staar greiser Diabetiker in der hinteren Rinde eine feine Verschleierung vorkomme, die sich in unzählige feinste Punkte zerlegen lasse. Ich kann diese Angabe nur bestätigen und habe eine Andeutung dieser staubförmigen Verschleierung in Fig. 5 in der perinuclearen Schicht des hinteren Cortex zur Darstellung gebracht.

§. 9. Die Veränderungen zwischen den beiden Trübungszonen längs des Linsenäquators selbst

Im Verlauf der vorliegenden Arbeit bin ich wesentlich bemüht gewesen, die Entwickelung der Staarbildung auf der circumäquatorialen Trübungszone, sowie längs des Kern- äquators und das weitere Fortschreiten derselben in cen- traler Richtung zu schildern. Der Schicksale, welche der zwischen den beiden Trübungszonen liegende Linsenäquator dabei erleidet, haben wir aber bisher noch nicht gedacht. Wenn ich nun diesen Punkt noch in den Kreis meiner Be- trachtungen zu ziehen mich anschicke, so muss ich gleich von vornherein bemerken, dass ich leider nicht in der Lage

>) a. a. 0. p. 362.

92 Dr- Hugo MagnoB, Pathologisch-anatomische Stadien etc.

bin, die zwischen den beiden Trübnngszonen sich abspie- lenden Vorgänge mit der Gründlichkeit zu beschreiben, wie dies wünschenswerth wäre. Ich vermag hier nur einige wenige dürftige Bemerkungen zu geben. Ich habe ledig- lich nur finden können, dass der im Anfang yöllig trans- parente von den beiden Gürteln eingefasste Linsenäquator allmählig anfängt sich zu trüben; ich konnte aber in die- ser Trübung nur feine Kömchen bemerken, die ab und zu zu einer grösseren Kugel sich zusammenballen. In späte- ren Phasen bemerkt man ganz deutlich, wie die beiden Trübungsgürtel sich durch mehr oder minder breite Bän- der mit einander verbinden (Schön's Dachreiter). Diese brückenartigen Verbindungsbänder entstehen in der Weise, dass sich zuvörderst eine leichte, zarte, kömige Trübung aus dem peripheren, dem Linsenäquator zugekehrten Ende der bimförmigen Lücken resp. Spindeln entwickelt. Diese bandförmige Trübung nimmt allmählig an Intensität zu, bis man schliesslich eine dunkle, nicht mehr zu durchleuch- tende Verbindungsbrücke zwischen einer bimförmigen Lücke der vorderen und der hinteren Trübungszone vor sich hat

Tafel-Erklärung.

Figur lA. Rechtes Auge, 61j&hrige Frau. Circum&qoatori&ler Staub und Andeutung eimselner spindelförmiger Lücken und Kugeln.

Figur IB. Rechtes Auge, 47j&hrige Frau. Bimförmige Locken auf der hinteren Trübungszone; einzelne der vorderen Trübungszone ange- hörige Lücken stehen unmittelbar auf dem Rand der Figur. Aus- serdem einzelne Kugehi gegen das Centrum der Linse hin, sowie kleine Spindeln und Kugeln circum&quatorial angeordnet

Figur 2. Rechtes Auge, d8j&hrige Frau mit Myopie 6 D. Vereinzelte helle drcumäquatoriale Lücken und Kugeln. Dieselben sind noch glashell, zeigen nur geringe Anftnge einer Trübung und liegen in den peripheren Corticalschichten.

Figur 3.

Rechtes Auge, 22j&hriges Mädchen mit Myopie 6 D. Circnin- &qnatoriale Lücken, Kugeln und kleine Spindeln. Die Kugeln und kleinen Spindeln sind zum Theil gegen das Centrum der Linse wei- ter Torgerückt Die Lücken liegen in den peripheren Cortical- schichten.

Figur 4.

Rechtes Auge, 45j&hrige Frau. Circum&quatoriale Lücken auf den Trübnngszonen. Kleine Spindeln und Kugeln, die zum Theil schon gegen die centralen Linsenparthieen vorgeschoben sind. In den tieferen perinuclearen Schichten grössere spindelförmige Lücken. In der hinteren Corticalis, dem Pol entsprechend, strich- und staub-

94 ^r- Hugo Magnus.

fönnige Trübungen. Im rechten unteren Quadranten der Zeichnung eine LOcke, welche sich gegen die centralen Linsenparthieen schon vorgeschoben hat; ihr peripherer Abschnitt ist schon stark getrabt, ihr centraler zeigt erst den Beginn der Trabung.

Figur 5. Rechtes Auge, 55j&hrige diabetische Frau. Circum&quatoriale Lücken, die körnig getrübt und an einzelnen Stellen bereits zu grösseren schalenförmigen Trübungen verschmolzen sind. Perinu- cleare Kugeln, welche an einzelnen Stellen sich in radiärer An- ordnung gegen den Linsen&quator hin erstrecken. In der hinteren Corticalis staubige Trübungen.

Figur 6. Rechtes Auge, 45jährige Frau. Auf der hinteren Trübungszone ein sehr charakteristisch entwickelter Gürtel von bimförmigen Lücken. Ueber den Rand der Figur ragen ganz vereinzelt hier und da die Spitzen von Lücken, welche auf der vorderen Trübungszone stehen. Der zwischen hinterer und vorderer Trübungszone gelegene, dem Linsenäquator entsprechende Theil zeigt eine feine körnige Trübung. Die birnförmigen Lücken zeigen vereinzelt intensive Trübung. Mui sieht an ihnen sehr deutlich einen hellen Saum, als Andeutung des Lichtreflexes. Ueber dem centralen Ende einzelner birnförmiger Lücken sieht man hier und da eine leicht angedeutete Blase. Zwi- schen den bimförmigen Lücken stehen auf der hinteren Trübungs- zone auch einzelne grössere Spindeln. Ausserdem sieht man drei durch kleine Spindeln gebildete Speichen und eine grössere Speiche, welche entweder durch Auswachsen einer circumäquatorialen Lücke, oder durch Verschmelzung zahlreicher kleiner Spindeln entstanden ist.

Figur 7. Rechtes Auge, 50jährige Frau. Auf der hinteren Trübnngszone ein charakteristischer Gürtel von birnförmigen Lücken. Dazwischen einzelne grosse Spindeln, die zum Theil bis an den Pol der Linse reichen. An einzelnen derselben sieht man die Andeutung einer bläschenartigen Zeichnung.

Figur 8. Rechtes Auge, 45j&hriger Mann. Ein Theil der hinteren Trü- bungszone ist mit schlanken Spindeln besetzt. Die Spitien der auf der vorderen Trübungszone stehenden Lücken ragen über den Rand der Figur hervor. Untere Linsenhälfte.

Patholog.-anatom. Stadien über die Anfänge des Altersstaares. 95

Figur 9. Linkes Ange, 70j&hriger Mann. Ein Theil der hinteren Trü- bongszone der unteren Linsenh&lfte. Rechts sieht man eine Reihe bimförmiger Lücken zu einem Trübungsband verschmolzen. Aus diesem Trübungsheerd treiben einzelne glashelle Keile gegen das Centrum der Linse hervor. Nach links sieht man eine Reihe schlan- ker grosser Spindeln mit Trübung der zwischen ihnen befindlichen Linsensnbstanz.

Figur 10. Rechtes Auge, 36 jähriger Mann. Auf der hinteren Trübungs- zone einzelne grosse Spindeln, welche an ihrer Basis sich theilen, sodann zwei birnförmige Lücken.

Figur 11. Rechtes Auge, 48j&hrige Frau. Von links oben sieht man eine grosse Anzahl kleiner Spindeln in die vordere Corticalis eindringen und sich in derselben polarw&rts verbreiten. In den tieferen Schich- ten derselben Stelle sieht man zahlreiche Kugeln angeh&uft, zwi- schen denen grauer feiner Staub sich zeigt Die Ansammlung der Kugeln geht bis in das Centrum der Linse. Unten rechts auf der hinteren Trübungszone einzelne grosse Spindeln. Hier sieht man auch die Spitzen grosser Spindeln, die auf der nicht sichtbaren vorderen Trübungszone stehen und nur mit ihren Spitzen in das Pnpillargebiet hineinragen.

Figur 12. Innere H&lfte der Linse des rechten Auges eines Kaninchens mit Naphthalinstaar. Zahlreiche grosse Spindeln.

Figur 13, 14, 15

stellen den Typus der Staarentwickelung l&ngs des

Kern&quators dar.

Figur 13. Rechtes Auge, 37 jähriger Mann. Längs des inneren Randes des Kemäquators vereinzelt kleine Spindehi, die paarweise ange- ordnet sind und hier und da Dachreiterform zeigen. Vom äusseren Rand her ragt eine von der hinteren Trübungszone ausgehende lange Spindel in die klare Linsensubstanz hinein.

96 ^- Hugo Magnus, Pathologisch-anatomische Stadien etc.

Figur 14. Rechtes Auge, 54j&hrige Frau. L&ngs des inneren Randes des Kemftquators eine zusammenhängende Reihe kleiner Spindeln. Vom Linsenäquator her dringen einzelne kleine Spindeln vor.

Figur 15. Rechtes Auge, 45j&hrige Frau. Weiter fortgeschrittene Staar- bildung um den Eem&quator. Der Eemäquator wird in seiner gan- zen Ausdehnung von einem Kranz kleiner Spindeln mit dazwischen gestreuten grösseren Spindeln und Kugeln gebildet. Auch gegen die Pole hin dringen Spindeln und Kugeln vor. Längs des Linsen- äquators auf der hinteren Trübungszone bimfdrmige Lücken mit zarter kömiger TrQbung, hier und da Linsenstaub mit kleinen Kugeln.

Ein theilweise resorbirter

Cysticercus in einer tuberculösen Neubildung

im Innern des Auges.

Von

Dr. Th. von Schroeder, älterem Ordinator an der St. Petersburger Augenheilanstalt

nebst pathologisch -anatomischem Befunde und drei Tafeln

von

Dr. H. Westphalen in Dorpat

Hierzu Taf. V VII, Fig. 1 4.

Da die gänzliche oder auch nur theilweise Resorption eines Cysticercus meines Wissens bisher überhaupt noch nicht beobachtet worden ist, so beansprucht nachstehender Fall ein besonderes Interesse, das noch erhöht wird durch die eigenthiimliche und bisher nie beobachtete Goincidcnz eines Cysticercus mit einer höchst wahrscheinlich tubercu- lösen Neubildung im Bulbus.

Ein weiteres Moment von Interesse für diesen Fall bildet der Umstand, dass der Cysticercus im Innern des Auges in Russland bisher nur sehr selten beobachtet wor- den ist Ich habe in der Literatur nur vier derartige Fälle finden können^), von denen der eine in Kiew (Talko und Milliot), der zweite in Moskau (Loshetschnikow), der dritte in V^arschau (Jodko) und der vierte in St. Peters-

^) NageTs Jahresbericht pro 1871, pag. 466.

T. Gnefe'8 ArchiT Ar Ophthalmologie. XXXY. 3. 7

98 Dr. Th. Yon Schroeder.

bürg (Magawly 1860) zur Beobachtung kam. In der St. Petersburger Augenheilanstalt ist naclistehender Fall der zweite diagnostisch sichere in den letzten dreissig Jahren, in welchen gegen 370,000 Kranke das Ambulatorium der Anstalt passirten; das macht 1 auf 185,000 aller Kranken. In der That ein ungemein seltenes Vorkommen, besonders im Vergleich mit Norddeutschland, wo A. von Graefe in Berlin und Alfred Graefe in Halle einen Cysticercus im Bulbus auf 1000, Hirschberg in Berlin sogar einen Cysti- cercus auf 500 Augenkranke zählen.

Trotz der grossen Zahl der in der Literatur bereits veröffentlichten Fälle von Cysticercus im Auge, glaube ich doch in Rücksicht auf den ganz eigenartigen pathologisch- anatomischen Befund den Verlauf der Krankheitserscheinun- gen in unserem Falle nicht mit Stillschweigen übergehen zu dürfen. Er ist in Kürze folgender:

Jahn Akmen, 23. a. n., wird am 5. Juni 1887 in die St. Petersburger Augenheilanstalt aufgenommen. Er ist aus Kurland gebürtig, hat die letzten Jahre in Riga als Hausknecht gelebt und ist erst vor einigen Wochen nach Petersburg über- gesiedelt. Seinen Vater hat Patient in frühester Kindheit an einer ihm unbekannten Krankheit verloren, ebenso einen Bru- der später; seine Mutter und Schwester leben und sind gesund. Mit dreizehn Jahren hat Patient einen Typhus von zweiwöchent- licher Dauer durchgemacht, sonst ist er nie krank gewesen, hat namentlich nicht an den Lungen gelitten, nicht gehustet, keinen Bandwurm gehabt. Die anfangs vom Patienten gemachte Angabe, er habe eine „venerische Krankheit^^ gehabt, wird später wiederholt und entschieden als auf einem Missverständniss be- ruhend zurückgezogen. Seit einigen Jahren ist Patient anämisch.

Im Januar 1887 bemerkte Patient eine allmälig, aber stetig zunehmende Verschlechterung des Sehvermögens des lin- ken Auges, ohne Röthung und Schmerz. Zuerst zeigten sich schwarze Streifen, die sich allmälig zu einem dichten Nebet vor den fixirten Gegenständen gestalteten. Am 20. März stellte sich Patient in der Augenheilanstalt zu Riga beim Director derselben, Herrn Dr. Stavenhagen vor, durch dessen Freund- lichkeit ich kürzlich die folgenden Notizen erhielt. Es fanden

Ein theilweise resorbirter Cysticercus etc. im InDern des Auges. 99

sich in dem äusserlich ganz normalen, völlig reizlosen Auge flockige und diffase Glaskörpertrübangen; der Augenhintergrand war im Ganzen gut sichtbar, die Grenzen der Papille verschleiert, diese selbst geröthet, von verwischter Zeichnung. Je einen Durchmesser nach oben und nach innen von der Papille eine blasenförmige Abhebung der Netzhaut von ziemlich runden Con- touren, ohne Faltungen, in deren Mitte eine weissliche, leicht glänzende Stelle; Tension normal; Visus ^%q unsicher, in der Nähe Jaeger No. 14; GF. nach aussen eingeschränkt Als Patient am 7. April in die Anstalt zu Riga aufgenommen wurde, waren die Glaskörpertrübungen noch dichter, fast membran- artig geworden; die Papille kaum zu sehen. Die Ablösung er- schien noch ein wenig grösser; in der Mitte des grauen Grun- des zieht von oben nach unten ein zapfenförmiges Gebilde von viel hellerer Farbe, wolkig, etwas glänzend, das nach unten in eine Art Kopf endigt. Functionen wie früher, Pupille normal reagirend. Die Diagnose wurde mit grosser Wahrscheinlich- keit auf Cysticercus gestellt, obgleich zu keiner Zeit Bewegun- gen nachweisbar waren. Nach fünf Pilocarpininjectionen keine Klärung der Glaskörpertrübungen; Patient ging auf die vorgeschlagene Enucleation nicht ein und verliess die Anstalt am 22. April.

Bei der Aufnahme in die St. Petersburger Augenheilan- stalt am 5. Juni fand sich folgender Status praesens: Patient ist gracil gebaut, mager, blass; Brustumfang gering (phthisischer Habitus); auf der Haut zahlreiche Flecken, wohl Reste eines früheren Exanthems; die cervicalen, axillaren und cubitalen Lymphdrüsen massig geschwellt, hart; am Penis keine Narbe. Percussion und Auscultation ergaben nichts Abnormes; die Lun- gen ganz normal.

Rechtes Auge: Em. y=il,0; 0. B.j normal.

Linkes Auge: V = , die Projection der Lichtflamme

fehlt im äusseren Theil des GF's, ist unten, oben und innen gut. Tension normal. Schmerz bei Berührung. Starke In- jection des Bulbus, Pupille unregelmässig erweitert, starr; Iris succulent. 0. B.: starke diffuse und flockige Glaskörpertrü- bungen; Papille nicht sichtbar. Auf dem inneren oberen Theil des Augenhintergrundes sieht man eine grauweisse, nicht fluc- tuirende Yorwölbung, deren Gipfel mehr röthlicher scheint; ge- nauere Einzelheiten, namentlich in Bezug auf GefUsse, der Glaskörpertrübungen wegen nicht zu unterscheiden.

\ 1* * ^

100 I>r- Th. von Schroeder.

Da die Resultate der früheren Untersuchung hier nicht be- kannt waren, so konnte bei der ungemein grossen Seltenheit des Cysticercus im Auge der die heftige Iridochorioiditis bedingende Tumor nur als syphilitische oder tuberkulöse Neubildung ange- sprochen werden. Es wurde für erstere entschieden, gestützt auf das Resultat der Allgemeinuntersuchung und die anfäng- liche Anamnese, zum Theil auch deshalb, weil tuberkulöse Neu- bildungen im Auge hier ebenfalls zu den grossen Seltenheiten gehören. Die Behandlung bestand demgemäss, neben Atropin, Compresse echauffante, Antipyrin und Blutegeln, in einer Inunc- tionscur mit Ung. cinereum 4,0 pro die. Dabei beruhigte sich das Auge anfangs, bald aber verschlimmerte sich der Zustand wieder unter Zunahme der Schmerzen, besserte sich dann aber- mals und blieb wechselnd. Nach 20 Inunctionen, am 1. Juli, war im Wesentlichen keine Besserung eingetreten; im Gegen- theil war die Projection der Licbtilamme auch in den übrigen Theilen des GF's geschwunden, so dass y = 0. Die Injection war dieselbe wie früher; der Schmerz wechselnd, bei Berührung nicht stark, aber stets vorhanden. Die starken Glaskörpertrü- bungen liesseii gar keine Einzelheiten am Augenhintergrunde unterscheiden, es schien aber jetzt überall ein grauer Reflex vorhanden zu sein. Tension normal.

Die Erfolglosigkeit der Behandlung musste Zweifel an der Diagnose hervorrufen, obgleich ja die Inunctionscur keineswegs immer im Stande ist, eine gummöse Chorioiditis zu beseitigen; die erneute genaue Aufnahme der Anamnese stellte die ange- nommene Syphilis strikt in Abrede und so blieb nur die Diag- nose eines sogen, primären Tuberkels der Chorioidea übrig, die ihre Stütze in dem phthisischen Habitus des Patienten fand. Unter dieser Diagnose wurde denn auch am 2. Juli die Enu- cleation des linken Bulbus gemacht, mit der nicht länger ge- zögert werden durfte, da auf dem rechten Auge seit einigen Tagen leichte Lichtscheu und Thränenfluss bei sonst normalem Befunde aufgetreten waren. Heilung normal; Patient am 9. Juli entlassen.

Mit guter Prothese versehen bekam Patient bald darauf eine Anstellung als Diener im hiesigen deutschen Alexander- hospital für Männer, wo ich ihn öfter sah. Er erfreute sich der besten Gesundheit, arbeitete stark. Das rechte Auge blieb normal, in der linken Orbita war nichts Abnormes zu bemer- ken, die Prothese wurde gut vertragen.

Ein theilweise resorbirter Cysticercus etc. im Innern des Auges. 101

Am 23. Juli 1688, also ein Jahr nach der Enucleation, erkrankte Patient anter Fieber und starkem Husten und wurde in die Krankenabtheilung des Alexanderhospitals aufgenommen. Bald entwickelten sich die Symptome einer floriden Lungen- phthise mit reichlichen Tuberkelbacillen im Sputym und nach wechselndem Befinden starb Patient schliesslich am 20. Decem- ber 1888. Die Section, welche sich leider auf Brust- und Bauchhöhle beschränkte, bestätigte die Diagnose; im Darm fand sich keine Taenie.

Den enucleirten Bulbus übergab ich Herrn Dr. West- phalen in Dorpat zur Untersuchung, der mir folgenden Be- fund roittheilte:

„Der mir von dem Herrn Dr. Th. von Schroeder zum Zweck einer mikroskopischen Untersuchung übersandte Bulbus wurde längere Zeit hindurch mit Müller'scher Flüssigkeit be- handelt, nach genügendem Auswaschen in Alkohol nachgehärtet, hierauf unter den üblichen Yorbereitungsmethoden in Celloidin eingebettet und auf dem Thoma'schen Mikrotom geschnitten. Die Schnitte wurden mit Alauncarmin und mit Alauncarmin- Hämatoxylin gefärbt und in Xylolcanadabalsam eingeschlossen.

Die mikroskopische Betrachtung der Präparate zeigt bei Anwendung schwächerer Linsensysteme, dass ein Theil des Augeninnem, und zwar der hintere, von einem Tumor einge- nommen wird (Fig. 1). Gleichzeitig erscheint die Netzhaut von der Chorioidea abgehoben, der Art, dass die Retina in der Form eines Kegels mit einer Spitze an dem hinteren Pole des Auges inserirt und mit einer nahezu kreisförmigen Basis unge- fähr in der Aeqnatorialebene des Bulbus mit der Chorioidea in Verbindung tritt, während der Mantel dieses nach vorne hin offenen Retinalkegels von der Chorioidea völlig abgelöst erscheint

In diesem Kegel befindet sich ein annähernd kugelförmi- ger Tumor, dessen vordere Hälfte frei in den Glaskörper hinein- ragt, während die hintere, im Spitzentheil des Kegels befind- liche Hälfte mit der Retina und Chorioidea in Berührung tritt. Diese letztere Haut begrenzt insofern den hinteren Pol des Tumors, als sich hier von Retinalgewebe nichts entdecken lässt, die Retina bloss bis an die nächste Umgebung des Poles heran- reicht, an dem Pole selbst aber anscheinend eine Continuitäts- trennung erlitten hat und hier von der Chorioidea substituirt wird. Diese Gruppirung der verschiedenen Gewebselemente des Auges macht es unmöglich, irgend welche sicheren Schlüsse

102 Dr. Th. von Schroeder.

über den etwaigen Ausgangspunkt des Tumors zu erzielen. Im Allgemeinen gewinnt man den Eindruck, als hätte sich die Neubildung von dem Glaskörper her an die Retina und Cho- rioidea angelehnt.

Was nun die histologischen Details der Geschwulst anbe- trifft, so wäre Folgendes zu bemerken: in der Peripherie baut sich der Tumor vorzugsweise aus Granulationszellen auf, welche an den Stellen, wo die Neubildung an die Retina und Chorioi- dea heranreicht, zahlreiche Uebergänge in ein mehr oder weni- ger zellenreiches, gefässhaltiges Bindegewebe zeigen (Fig.* 2). Centralwärts begrenzt dieses Granulationsgewebe eine etwas heller tingirte Zone, welche zum grössten Theile aus grösseren Zellen gebildet wird, die grössere runde und ovale bläschen- förmige Kerne führen und sich dem Aussehen der sogen, epi- theloiden Zollen nähern. Im Centrum der Neubildung erscheint an Tinctionspräparaten das Gewebe am intensivsten gefärbt und besteht neben einem formlosen Detritus aus zahlreichen, dicht- gedrängten, kleinen runden Zellen, welche im Allgemeinen an das Aussehen der Granulationszellen erinnern, durch ihre un- deutlichen Contouren, ihre stellenweise ungenügende Färbung aber die Erscheinungen eines vielleicht käsigen Zerfalles dar- bieten. Daneben kann auch die Anwesenheit einzelner mehr- kerniger lymphoider Zellen nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Sowohl innerhalb der centralen Abschnitte der Ge- schwulst, als auch namentlich am inneren Rande der epithe- loiden Zellenschicht, also an der Grenze des Zerfalles finden sich noch zahlreiche kernhaltige grosse Riesenzellen, deren mehrere eine ausgesprochene Randstellung der Kerne aufweisen.

Diese Structur des Tumors dürfte in hohem Grade für die Diagnose einer der chronischen Infectionsgeschwülste spre* chen, am ehesten für Tuberkulose, da das histologische Aus- sehen dieser intraocularen Geschwulst im Allgemeinen dem Cha- rakter des sogen, solitären Tuberkels in den verschiedensten Organen entspricht. Eine nach verschiedenen Methoden mit Anilinwasser-Carbol-Borsäurefuchsin vorgenommene Färbung der Schnitte mit entsprechender Entfärbung derselben ergab bezüg- lich des Vorhandenseins von Tuberkelbacillen in dem Tumor völlig negative Resultate. Ich möchte diesem Umstände um so weniger irgend welche Beweiskraft zuerkennen, als das Prä- parat mit Müller'scher Flüssigkeit behandelt war, dieselbe aber bekanntlich eine nachträgliche Färbung der Tuberkelbacillen nur selten gelingen lässt.

Ein theilweise resorbirter Cysticercus etc. im Innern des Auges. 103

Wenngleich auch die histologische Gewebsanordnung in dem Tamor in hohem Grade die Diagnose einer tuberknlösen Neubildung stützt, so begegnen wir jedoch andererseits in der Geschwulst noch weiteren Befunden, die das Bestehen einer anderen Erkrankung mit voller Sicherheit beweisen. Wir ent- decken nämlich in einzelnen Präparaten innerhalb der Zerfalls- region des Tumors die Reste einer mehrfach gefalteten stellen- weise scharf begrenzten helleren und stärker glänzenden Mem- bran, welche eine grosse Aehnlichkeit mit einer Chitinmembran nicht verkennen lässt. Daneben gelingt es auch noch andere Gebilde aufzufinden, welche wir als die Reste eines Parasiten anzusehen genöthigt sind. Es präsentiren sich uns zunächst an einer Stelle des Präparates drei, vielleicht auch vier ovale, in geringer Entfernung von einander belegene, allerdings nicht ganz vollständig erhaltene Körper. Dieselben zeichnen sich durch eine ausgesprochene radiäre Streifung aus und werden begrenzt von einer schärfer hervortretenden doppelt contourir- ten Membran. Durch diese Structur charakterisiren sich diese Körper als die Saugnäpfe einer Taenienart (Fig. 4).

Mehrfach begegnen wir ferner in den wenigen Präparaten, die sich auch durch die Anwesenheit der Saugnäpfe und der Chitinmembran auszeichnen, hellglänzenden Gebilden, die na- mentlich bei Anwendung engerer Diaphragmen besonders scharf hervortreten. Da diese Körper meist in schräger Lage inner- halb der Zerfeülstheile des Tumors eingeschlossen sind, so ge- lingt es erst durch Heben und Senken des Tubus bei Anwen- dung stärkerer Vergrösserungen sich ein Urtheil über die Ge- stalt derselben zu bilden. Dieselben erscheinen dann als läng- liche, leicht gebogene Gebilde, die im Inneren einen feinen Canal einschliessen: sie verjüngen sich gegen das eine Ende hin und laufen gegen das andere in zwei kolbige Verdickungen aus. Was die Grösse dieser Körper anbetrifft, so ergab die Messung eines derselben eine Länge von 0,17 mm. Es dürfte zweifellos sein, dass wir es hier mit den Haken aus dem Ha- kenkranze eines Cysticercus, speciell eines Cysticercus cellu- losae zu thun haben, mit dessen Haken diese Gebilde in Grösse und Form völlig übereinstimmen (Fig. 3).

Da nun durch den Nachweis der Saugnäpfe und Haken die parasitäre Natur des Tumors erwiesen ist, so spricht auch weiter nichts gegen die Annahme, dass sich dieser Cysticercus im Zustande der Resorption seitens seines Wirthes befindet. In diesem Sinne möchte ich anführen, dass wir nur einzelne

104 I>r. Th. von Schroeder.

Theile und zwar anscheinend gerade die resistenteren Theile des Parasiten und nichts Ton einer diese Theile vereinigenden wohlorganisirten Grandsnbstanz entdecken können; wir finden ferner die Erscheinungen einer regressiven Gewebsmetamorphoso in der Form von käsigen Produkten, welche möglicher Weise im Zusammenhange mit der Tuberkulose des Patienten stehen könnten, schliesslich erkennen wir zahlreiche Riesenzellen, die, wie es scheint, im Sinne von Resorptionsvermittlern sich um die verschiedenartigsten Fremdkörper zu gruppiren pflegen. In wie weit die Tuberkulose des Patienten dem Tumor seinen Charakter verliehen hat, lässt sich, da keine Tuberkelbacillen gefunden wurden, nicht mit Sicherheit feststellen.

Bezüglich der übrigen pathologischen Processe, welche sich an dem Auge constatiren lassen, wäre zunächst die Retina zu erwähnen. An den Stellen, wo sich dieselbe von der Chorioi- dea entfernt, erscheinen ihre Elemente gewissermaassen der Länge nach verzogen. In den hierdurch entstandenen Spalt* räumen findet sich eine ziemlich reichliche Ansammlung von rothen Blutkörperchen, grösseren ovalen und runden Zellen mit grösseren meist bläschenförmigen Kernen und mehrkernigen Leukocyten. Letztere Zellen finden sich auch neben grösseren und kleineren hämorrhagischen Herden in wechselnder Anzahl, sowohl innerhalb des Retinalgewebes an verschiedenen Stellen der Membran, als auch als Auflagerung an der Glaskörperfläche derselben, während die gegen die Chorioidea gewandte Fläche der Retina diese Erscheinungen nur zum geringeren Theil dar* bietet.

In ähnlicher Weise erscheinen auch die Iris, die Chorioi- dea und der Ciliarkörper stellenweise infiltrirt mit oft recht reichlichen mehrkernigen lymphoiden Zellen. Daneben erkennt man auch mehrfach in der Chorioidea die Erscheinung einer hyalinen Umwandlung derselben.

Auch im Glaskörper und zum Theil in der vorderen Au- genkammer begegnen wir ähnlichen Vorgängen leicht exsuda» tiver Natur. Wir finden rothe Blutkörperchen, mehr oder we- niger reichliche mehrkemige Leukocyten neben grösseren Zellen mit runden und ovalen bläschenförmigen Kernen und ein Flecht- werk einer feinfädigen, oft hämorrhagisch tingirten Substanz (ver- muthlich Fibrin), welche alle diese Formelemente einschliesst.^^

Werfen wir zunächst noch einen Blick auf den klini- schen Verlauf unseres Falles, so sehen wir, dass er dem

Ein theilweise resorbirter Cysticercas etc. im Innern des Auges. 105

oft geschilderten Bilde des Cysticercus im Bulbus ganz ent- spricht. AUmälig zunehmende Sehstörung, nach einigen Monaten Entzündung unter dem Bilde der Iridochorioiditis, welche zur Entbindung des Parasiten oder zur Enucleation nöthigt. Wir erwähnten schon oben, weshalb trotzdem hier in Petersburg im Juni die Diagnose auf Cysticercus kaum gestellt werden konnte und wir uns schliesslich für die Diagnose Tuberkel der Chorioidea entschieden. Gegen letztere, die durch die spätere Allgemeinerkrankung so glän- zend gerechtfertigt schien, sprachen in der That auch keine Momente des Krankheits Verlaufes, da auch der Tuberkel der Chorioidea zuerst Sehstörung ohne Entzündung und erst bei weiterem Wachsthum Iridochorioiditis hervorruft. Meist soll die letztere allerdings bald auftreten und hohe Grade erreichen; der Zeitpunkt des Eintrittes ist aber kei- neswegs so präcisirt, dass sich darauf eine Differenzialdiag- nose gründen liesse. Es dürfte eine solche im weiter vor- geschrittenen Stadium der Erkrankung in der That schwierig sein. Handelt es sich nun gar um die Frage, ob zu einem ophthalmoskopisch nachgewiesenen Cysticercus im Bulbus die Bildung eines Tuberkels hinzugekonmien oder das durch den Reiz des Cysticercus gebildete Granulationsgewobe tu- berkulös entartet sei, so wird sich diese Frage klinisch wohl gar nicht lösen lassen. Denn ob durch eine solche Gombination die Heftigkeit der Iridochorioiditis zunimmt, ist nicht bekannt und wäre der Grad der Entzündung wohl auch ein zu relativer Begriff, um mit einiger Sicherheit aus demselben Schlüsse ziehen zu wollen; ferner kann die oph- thalmoskopische Untersuchung nach Eintritt der Iridocho- rioiditis und Bildung von Glaskörpertrübungen keinen Auf- schluss geben und endlich hindert die Nothwendigkeit der Enucleation ein Abwarten der später etwa eintretenden stär- keren Zerstörung des Bulbus. Somit müssen wir uns beim Auftreten dieser Frage mit der theoretischen Betrach- tung begnügen, dass höchst wahrscheinlich die Bildung eines

106 I>r. Th. von Schroeder.

Tuberkels oder die tuberkulöse Entartung des Granulations- gewebes in einem mit Cysticercus behafteten und bereits an Iridochorioiditis leidenden Auge den klinischen Verlauf in keiner nachweisbaren Art zu ändern vermag. Auch das allein ist für unseren Fall schon wichtig.

Wenden wir uns jetzt der Betrachtung des patholo- gisch-anatomischen Befundes zu. Die Untersuchung wies zweifellos die Reste eines Cysticercus nach: Chitinmembran, Saugnäpfe und Haken, ganz veratreut in der Tumormasse eingebettet; der übrige Theil des Parasiten muss durch Re- sorption geschwunden sein. Das ist ein einzig-artiger Be- fund, da weder im Auge, noch in einem anderen Theile des Körpers jemals die auch nur theilweisc Resorption eines Cysticercus beobachtet worden ist. Die Section der wegen Cysticercus enucleirten Bulbi hat stets den wohlerhaltenen Parasiten nachgewiesen, eingebettet in eine bindegewebige, bisweilen thcilweise verkalkte oder verknöcherte Kapsel, in welche sich mehr oder weniger kleinzelliges Granulations- gewebe, in den nicht häufigen Fällen von gleichzeitiger eitriger Entzündung eingedickter Eiter fand (A. v. Graefe, S. Wells, Alf. Graefe, Schweigger, Jacobson, Sae- misch, Hirschberg, Poncet, Ihlo, Leber u. a.). Und zwar war auch in den Fällen, wo der Cysticercus sich schon zehn oder gar zwanzig Jahre im Bulbus befand, keine Spur von Resorption nachzuweisen, ebensowenig wie dort, wo heftige Entzündung, PanOphthalmitis bestand. Ausdrück- lich hervorheben muss ich dabei, dass in keinem der unter- suchten Fälle Riesenzellen im Granulationsgewebe nachge- wiesen worden sind.

Die Reste des theilweise resorbirten Cysticercus fan- den sich nun nicht wie gewöhnlich eingeschlossen, sondern eingebettet in einen Tumor, wie er als Bett eines Cysti- cercus bisher auch noch nicht beobachtet worden ist, und auf dessen Natur wir daher etwas näher eingehen- müssen. In seinem Bericht über die pathologisch-anatomische Unter-

Ein theil weise resorbirter Cysticercus etc. im Innern des Auges. 107

sachung sagt Dr. Westphalen oben nach genauer Be- schreibung des Befundes: „Diese Structur des Tumors dürfte in hohem Grade für die Diagnose einer der chronischen Infectionsgeschwülste sprechen, am ehesten für Tuberkulose, da das histologische Aussehen dieser intraocularen Geschwulst im Allgemeinen dem Charakter des sogen, solitären Tuber- kels in den verschiedensten Organen entspricht.^' Er kann dem negativen Resultat der Untersuchung auf Bacillen gar keine Beweiskraft zusprechen, da der Bulbus vor dieser Untersuchung mit MüUer'scher Flüssigkeit behandelt wor- den war und sagt zum Schluss: 9,In wie weit die Tuberku- lose des Patienten dem Tumor seinen Charakter verliehen hat, lässt sich, da keine Tuberkelbacillen gefunden wurden nicht mit Sicherheit feststellen.*' Sehen wir wie weit diese Feststellung, wenn auch nicht mit absoluter Sicher- heit gelingt, da für diese eben strikt der Bacillennachweis gefordert wird, so doch an Wahrscheinlichkeit gewinnt beim Zusammenhalten des pathologischen Befundes mit dem kli- nischen Verlauf.

Entspricht das histologische Aussehen des Tumors dem Charakter des sogen, solitären Tuberkels und können wir in Berücksichtigung des durch Bacillennachweis und See- tion sicher constatirten Allgemeinleidens die übrigen chro- nischen Infectionsgeschwülste oder infectiösen Granulations- geschwülste mit Sicherheit ausschliessen, so stehen wir hier nur vor der Frage, ob wir es in der That mit einer tuber- kulösen Neubildung zu thun haben oder ob der Tumor als ein von der Tuberkulose des Patienten ganz unabhängiges Produkt der entzündlichen Reaction aufzufassen sei, wie dasselbe also auch bei einem nicht tuberkulösen Individuum hätte auftreten können. Gegen das letztere spricht nun zunächst die Thatsache, dass bei den bisher immerhin nicht selten gemachten Sectionen von Bulbi, welche Cysticercen verschieden lange und unter verschieden starken Entzün- dangserscheinungen beherbergten, eine ähnliche Bildung als

108 Dr.-Th. von Schroeder.

Bett des Cysticercus nie gefunden worden ist. Stets fanden sich mehr oder weniger Granulationszellen, nie aber Bie- senzellen, geschweige denn in solcher Anzahl; nie bot das Bett des Cysticercus, wie hier, das Bild des solitären Tu- berkels und ziehen wir nun in Betracht, dass dasselbe in unserem Fall sich von denen in den übrigen Fällen eben durch seinen tuberkulösen Charakter unterscheidet und dass sich unser Patient von den übrigen Patienten durch seine allgemeine Tuberkulose unterscheidet, so werden wir wohl zu dem Schlüsse genöthigt, dass diese jenem den Charakter verliehen habe. Wendet man femer ein, dass, wenn nicht im Auge, so doch an anderen Stellen des Körpers bei sonst gesunden Individuen sich um die verschiedenartigsten Fremd- körper Granulationsgewebe mit Riesenzellen, also ein dem Tuberkel ähnliches Gewebe zu bilden pflege, was mithin auch im Auge vorkommen könnte, so ist dem entgegen zu halten, dass in einem solchen Gewebe die Riesenzellen spär- lich sind und nicht die charakteristische Randstellung der Kerne zeigen, auch wohl dem Fremdkörper angelagert zu sein pflegen. Es kommt dort nicht, wie hier, zur Bildung der eigenthümlichen „Combination von Riesenzellen mit An- häufung von epitheloiden Zellen in knötchenförmigen Her- den'S welche nach Ziegler (Lehrbuch der pathologischen Anatomie 1887, pag. 398) die Diagnose auf Tuberkulose sichern soll In unserem Fall ist dies charakteristische Bild vorhanden und können wir nach dem Gesagten uns also wohl mit grösster Wahrscheinlichkeit, ja fast mit Gewiss- heit, trotz des mangelnden Bacillennachweises für die Diag- nose einer tuberkulösen Neubildung entscheiden, wenn wir das Allgemeinleiden in Betracht ziehen.

Allerdings liesse sich einwenden, dass die Lungentuber- kulose beim Patienten erst l^s Jahre nach Erkrankung des Auges zum Ausbruch gekommen sei. So wenig ich nun beweisen kann, dass der Patient schon zu jener Zeit tuber- kulös gewesen d. h. Tuberkelbacillen in seinem Körper, spe-

Ein theilweise resorbirter Cysticercus etc. im Innern des Auges. 109

ciell wohl in den Lymphdrüsen beherbergt habe, so un- zweifelhaft scheint es mir nach Allem, was wir über die Einwanderung und allmälige Ausbreitung dieser Mikroben wissen. Wird doch auch der Begrifif der sogen, primären Tuberkulose des Auges jetzt nur noch so gefasst, dass man dieselbe als die erste nachweisbare Einwanderung in ein Organ aus den bis dahin allein afficirten Lymphdrüsen an- sieht. Die Länge der Zeit aber von der ersten Invasion der Tuberkelbacillen in den Körper bis zur nachweisbaren Weiterrerbreitung derselben in irgend ein Organ ist uns natürlich nicht bekannt.

Endlich ist noch hervorzuheben, dass der klinische Ver- lauf des Augenleidens, wie wir oben gesehen haben, der Bildung eines Tuberkels im Auge in keiner Weise wider- sprechen würde.

Können wir uns somit beim Zusammenhalten des pa- thologisch-anatomischen Befundes mit dem klinischen Ver- laufe des allgemeioen und localen Leidens fast mit Gewiss- heit für den tuberkulösen Charakter des intraoculären Tu- mors, in welchem der Cysticercus eingebettet lag, entschei- den, so tritt uns jetzt die Frage betreffs der Coincidenz des letzteren mit der tuberkulösen Neubildung entgegen. An ein zufälliges Zusammentreffen ist doch wohl nicht zu denken und werden wir daher als nächstliegenden Causal- zusammenhang annehmen müssen, dass die vom Cysticercus verursachte Beizung und reactive Entzündung, wie gewöhn- lich die Bildung von Granulationsgewebe zu Wege gebracht, letzteres dann aber bald in Folge des bereits latent beste- henden Allgemeinleidens den tuberkulösen Charakter ange- nommen habe. Für diese Annahme möchte ich einen Aus- spruch Leber's heranziehen, der in seinem Aufsätze über „Cysticercusextraction und Cysticercusentzündung" (Archiv für Ophthalmologie, XXXII Bd., 1. Abth., pag. 312) sagt: „Wenn wir also nicht für wahrscheinlich halten, dass die Cysticercen auf ihrer Wanderung Mikroben importiren, so

110 Dr. Th. von Schroeder.

kann dagegen eine andere Möglichkeit, wofür auch sonstige pathologische Thatsachen sprechen, zur Zeit nicht ganz in Abrede gestellt werden, nämlich die, dass die durch das Wachsthum des Parasiten geschädigten Gewebe des Auges einen günstigeren Entwickelungsboden für solche Keime ab- geben, welche erst später durch die Blutcirculation an Ort und Stelle gelangen, aber in dem normalen Organ nicht im Stande gewesen wären sich zu entwickeln/'

Halten wir jetzt endlich die beiden Thatsachen zusam- men, dass die Resorption eines Cysticercus bisher nie beob- achtet worden und dass die Einlagerung eines solchen in eine tuberkulöse Neubildung ebenfialls noch nie beobachtet worden ist, so liegt es wohl nahe, die beiden Thatsachen in einen Causalnexus zu bringen. Zu dem Zwecke möchte ich auf den die tuberkulöse Neubildung auszeichnenden Beichthum an Riesenzellen hinweisen. Wir wissen, dass die Riesenzellen bei der Resorption verschiedenartiger Fremd- körper, nekrotischer Gewebstheile, Knochenstücke etc. eine wichtige Rolle spielen. Neuerdings hat Ssudakewitsch (Virchow's Archiv, Bd. 115, Heft 2, pag. 264) die Resorp- tion elastischer Fasern der Haut bei der sogen. Sart' sehen Krankheit und beim Lupus nachgewiesen; die einzelne elas- tische Faser fand sich tbeilweise umschlossen von einer Rie- senzelle, welche den eingeschlossenen Theil derselben voll- ständig auflöste und zur Resorption brachte. Wenn nun die Riesenzellen eine so energische Thätigkeit entfalten kön- nen, dass sie so feste Gewebselemente, wie die elastische Faser, zur Auflösung und Resorption bringen, so lässt es sich denken, dass denselben bei hinreichender Anzahl auch die feste Chitinmembran des Cysticercus nicht zu wider- stehen vermag. Eine solche ungewöhnlich grosse und da- rum wohl zur theilweisen Resorption des Cysticercus hin- reichende Anzahl von Riesenzellen war in unserem Falle offenbar vorhanden.

17. April 1889.

lieber einen merkwürdigen Fall

Yon Dermoidgeschwulst mit rudimentärer

EntWickelung des Auges.

Von

Dr. A. WagenmanD,

PriTatdocenten und erstem Assistenten der Uniyersit&ts^ Augenklinik

in Göttingen.

Hierzu Tafel VIII und IX, Fig. 1 7.

Bekanntlich gehört das Dermoid der Cornea oder, ge- nauer gesagt, das des Corneoscieralrandes keineswegs zu den grossen Seltenheiten. Der Name „Dermoid'' und die anatomische Natur dieser Gebilde wurde zuerst von Ryba^) aufgestellt, der die in der früheren Literatur als Warzen beschriebenen, bei Menschen und bei Thieren beobachteten Fälle dieser Geschwulstbildung sammelte, durch eigene kli- nische und anatomische Beobachtungen ergänzte und als typische Geschwulstform hinstellte. Er fand, dass diese meist Härchen tragenden Tumoren aus Elementen zusam- mengesetzt waren, die mit dem Gewebe der Cutis überein- stimmten. Seine Befunde wurden durch Virchow*) imd V. Gräfe*) und weiterhin durch zahlreiche andere Autoren

*) Prager Vierteljahresschrift 1853. X. Jahrg. 3. Bd. p. 1. ») Archiv fttr pathologische Anatomie. VI. Bd. 4. Hft. p. 555. •) V. Graefe's Archiv für Ophthalmologie, I, 2, p. 289. II. 2, p. 334. VII, 2, p. 3. X, 1, p. 124. XII, 2, p. 227.

112 Dr. A. Wagenmann.

bestätigt und in klinischer und anatomischer Hinsicht er- weitert.

Die Dermoide sind wohl sämmtlich als congenitale Bil- dungen anzusehen. Sie sind häufig mit anderen Bildungs- fehlern am Auge complicirt, wie z. B. mit Lidcolobom, mit Ectopie der Pupille etc.; sie kommen zusammen vor mit Dermoiden an anderen Körperstellen, wie in der Haut, am Ohr oder auch mit anderen Bildungsfehlern des Körpers, wie Gaumenspalte etc.

Der Natur nach verwandt mit den Dermoiden der Cor- neoscleralgrenze sind die subconjunctivalen Lipodermoide, die ja besonders häufig zwischen den äusseren und oberen geraden Augenmuskeln ihren Sitz haben. Ihr teratoider Cha- rakter ist mehr und mehr nachgewiesen, sodass das Vor- kommen reiner subconjunctivaler Lipome zweifelhaft er- scheint. Es fehlt allerdings bei ihnen die theilweise oder vollständige Umsäumung durch Cutis. Ihr Gehalt an Fett- gewebe ist meist ein grosser. Eine Zusammenstellung der beschriebenen Fälle hat BögeP) gegeben. Ich möchte hier von diesen subconjunctivalen Lipodermoiden absehen und mich auf die Besprechung der Dermoide der Corneoscleral- grenze beschränken.

Ueberblickt man die Zahl der mitgetheilten Fälle von Dermoiden der Cornea, so kann man constatiren, dass wenn auch die bei Weitem grosse Mehrzahl der Tumoren als harmlos zu bezeichnen ist, doch Fälle beobachtet sind, von denen sich dieses nicht sagen lässt, da sie für die Entwicke- lung des Organs von Bedeutung waren. Der Einfluss, den das Dermoid auf die Bulbusentwickelung nehmen kann> hängt wohl von der frühen Zeit der Entstehung und von der Wachsthumsenergie während des fötalen Lebens ab. Man kann so zwei Gruppen unterscheiden, von denen die erstere, die an Zahl die weitaus grössere ist, alle die Fälle

>) Inaagur.- Dissertation, Göttingen, 1886. •- v. Gr&fe*8 Archiv für Ophthalmologie, XXXII, 1, p. 129.

Ueber einen merkwürdigen Fall von Dermoidgeschwulst etc. 113

omfassty bei denen der Bulbus als solcher bei der congeni- talen Anlage intact geblieben und wohl ausgebildet ist, bei denen die Tumoren mehr oder weniger oberflächlich der Cornea und Sclera aufsitzen. Die zweite Gruppe wird ge- bildet von Fällen, bei denen die Bulbusentwickelung durch das Dermoid in verschieden hohem Grade durch congeni- tale Störung gelitten hat.

Die erste Gruppe wird dargestellt durch die bekannte Form der Dermoide, bei der sich ein oder mehrere, meist relativ kleine Tumoren von dem bekannten Aussehen finden, die fast sämmtlich am Sderalbord gelegen imd fast zu glei- chen Theilen auf der Cornea und der Sclera implantirt sind. Am häufigsten sind sie nach unten aussen und aussen anzutreffen, doch kommen sie auch nach oben, nach innen unten etc. vor. Extrauterin vergrössern sie sich bei dem Wachsthum des Bulbus meist langsam ein wenig, erreichen aber ausser vereinzelten Ausnahmen keine für die Function des Auges bedrohliche Grösse, wenn auch das Sehvermö- gen an diesen Augen oft in Folge von unregelmässigem Astigmatismus oder durch andere Umstände herabgesetzt ist Ihre Fortnahme, die nach den bekannten von v. Graefe aufgestellten Regeln zumal jetzt nach Einführung der Anti- sepsis ohne jede Gefahr bewerkstelligt wird, ist meist nur aus kosmetischen Rücksichten geboten mit Ausnahme der Fälle, wo ein rascheres Wachsthum auftritt, oder wo ein Reizzustand der Coi\junctiva durch sie veranlasst ist. Es resultirt eine einfache Homhautnarbe meist ohne Auftreten eines Recidivs. Nur ganz vereinzelte Fälle dieser Gruppe, die ich nachher im Auszuge mittheilen werde, weichen in Bezug auf die Wachsthumsenergie von dem gewöhnlichen Verhalten ab, indem die Tumoren ein progressives Wachs- thum annehmen, sodass die Function des Auges stärker leidet. Mit Ausnahme dieser seltenen Fälle jedoch ist es für die Dermoide dieser ersten Gruppe die Regel, dass sie ein be- schränktes Wachsthum zeigen.

T. Oraefe'B Archiv für Ophthalmologie. XXXV. 3. 8

114 Dr. A. Wagenmann.

In diese Kategorie gehörige Fälle haben beschrieben: Ryba^), der zugleich die in der älteren Literatur zerstreu- ten Fälle sammelte, v. Graefe*), Virchow"), Heyfelder*), Müller*), de Wecker*), Wicherkiewicz^, Oeller*), Fuchs«), Gallenga"), Wedl und Bock"), Bergmei- ster**), Carlo Lainati et Achille Visconti**), Em- mert**), Weber**), van Duyse**), Strawbtidge*'), Vas- saux*®), Labouret*®), Leplat*®), Bögel**), Lanne- longue**), Antokonenko"), Wellenberg").

Es wäre mir ein leichtes, noch einige Fälle, die in den letzten Jahren in der hiesigen Klinik zur Beobachtung kar

>) Prager Vierte^jahresschrift 1853.

«) y. Graefe's Archiv für Ophthalmologie, I, 2, p. 289. 11, 2, p. 334. VII, 2, p. 3. X, 1, p. 214.

') Archiv für pathologische Anatomie, Bd. VI, p. 555.

«) Deutoche EUnik 1858, No. 28.

'^) V. Graefe*B Archiv für Ophthalmologie, II, 2, p. 158.

<) Trait^ complet d*ophth. Bd. I.

^) Centralhlatt für praktische Augenheilkunde 1882, Januar. Dasselbe 1884, p. 19.

*) Archiv für Augenheilkunde, X, 2, p. 181.

•) Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde 1880, p. 131.

»«) Annal. d'ocul. XCIV, p. 215.

u) Pathologische Anatomie p. 404.

1*) Wiener medicinische Presse 1884, Ko. 28.

") Annal. d'ocul. IXXX, LVII, p. 262.

**) Centralhlatt für Schweizer Aerzte 1873.

^^) Inaugur.-Dissertation, Bonn 1876.

^<) Annal. de la Soc. de med. de Gand 1882.

") Americ. Joum. of med. science 1873.

") Archives d'ophth. III, 1883.

»») Thftse de Paris 1885, No. 203.

*<*) Annal. de la Soc. m6d.-chirurg. Li^ge 1888.

*^) Inaugur.-Dissertation, Göttingen 1886, Fall 2. v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie, 1886.

") Bull, et mto. de la Soc. de Chir. VII.

«») Wjestnik Ophth. 1888, No. 1, p. 23.

^) Inaugur.-Dissertation, Königsberg 1889.

Ueber einen merkwürdigen Fall von Dermoldgeschwalst etc. 115

men, zur Vermehrung der Gasuistik beizubringen, doch will ich darauf Terzicbten, da sie nichts neues bringen würden. Kor einen Fall will ich kurz anführen, der wegen der be- stehenden Complicationen Beachtung verdient.

Friederike Bl., 18 Jahre ans Lippoldsberg. L. Ptosis con- genita. Kleines Lidcolobom am oberen Lid anf der Grenze des inneren und mittleren Drittels. £rbsengro8ses, mit Härchen be- setztes Dermoid auf der äusseren Sclerocornealgrenze, halb der Cornea, halb der Sclera angehörend. In der äusseren Hälfte der oberen Uebergangsfalte ein zweites subconjunctivales Dermoid und eine dritte, kleine, lappige Geschwulst in der oberen Ueber- gangsfedte, gerade der Stelle des Lidcoloboms entsprechend.

Strabismus divergens. R. E. S=l.

L. £. S = Finger in 3,5 m gezählt.

Die drei Geschwülstchen werden exstirpirt. Darauf wird eine Ptosisoperation gemacht, der nach einiger Zeit eine £x- temnstenotomie nachgeschickt wird.

Die anatomische Untersuchung der drei Geschwttlstchen bestätigte die Diagnose, indem die Geschwulst der Corneoscle- ralgrenze sich als ein gewöhnliches Dermoid darstellte, und in- dem die beiden anderen kleinen Tumoren sich als subconjuncti- vale Lipodermoide erwiesen. Die Befunde schlössen sich den bekannten Bildern an.

Wie ich oben erwähnte, sind nur vereinzelte Fälle die- ser ersten Ginippe beobachtet, bei denen nach jahrelan- gem Stationärbleiben die Geschwulst einen progressiven Charakter annimmt und eine beträchtliche Grösse erreichen kann,' sodass die Function des Auges stark beeinträchtigt wird.

V. Graefe*) theilt zwei solcher Fälle von progressiven Dermoidgeschwtilsten mit, von denen der zweite jedoch mög- licherweise einer anderen Geschwulstart angehört.

In dem ersten Fall handelte es sich um einen ange- borenen linsengrossen Tumor an der unteren äusseren Scle- rocornealgrenze, der nach einem achtjährigen Stationärblei- ben anfing zu wachsen, bis er nach Verlauf einiger Jahre

*) V. Graefe'a Archiv für Ophthalmologie, XII, 2, p. 227 flf.

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die ganze Cornea bis auf einen schmalen Bezirk einnahm. Die Consistenz war weicher, die Farbe gelber, die Ober- fläche lappig geworden, v. Graefe meint, dass es sich um reichlichere Fettbildung in dem Dermoid handle, die man als lipomatöse Degeneration des Dermoids bezeichnen könne. Der betreffende Name ist besser nicht zu gebrauchen für derartige Wucherungen, da er leicht zu Missverständnissen führen könnte, da ja keine Degeneration vorliegt.

Von dem zweiten Fall, den v. Graefe noch anfuhrt, erscheint es mir sehr zweifelhaft, ob er zu den Dermoiden gehört; ich möchte ihn nicht dazu rechnen, sondern anneh- men, dass es etwas anderes war. Die Geschwulst war nicht angeboren, sondern erst im vierzehnten Lebensjahre hatte sie als gelber Fleck an der äusseren Sclerocomealgrenze eingesetzt. Innerhalb zweier Jahre war ein grosser Theil der äusseren Corneahälfte davon bedeckt, sodass das Seh- vermögen abnahm. Der Tumor wurde abgekappt, wobei der Boden stehen blieb. Nach drei Jahren hatte sich ein Re- cidiv aus den stehengebliebenen Wurzeln entwickelt Ein weiterer kleiner Tumor war an der oberen Coruealgrenze in Erscheinung getreten, sowie ein weiterer an dem bis da- hin gesunden linken Auge und zwar ebenfalls nach oben. Die mikroskopische Untersuchung des anfänglichen Tumors ergab unter einer Epithellage ein mit Fett durchsetztes Fasergewebe. Die nähere Beschreibung giebt v. Graefe nicht. Gegen ein Dermoid spricht das Auftreten im vier- zehnten Lebensjahr, die Multiplicität, das Recidiviren. Die anatomischen Angaben sind zu kurz, als dass man aus ihnen etwas sicheres schliessen könnte. Doch scheinen Drüsen» Haare etc. gefehlt zu haben, sonst hätte sie v. Graefe sicher erwähnt.

Einen anderen hierher gehörenden Fall hat Hildige^) mitgetheilt:

^) Dabl. quat. Joum. of med. science 1868, p. B48.

Ueber einen merkwürdigen Fall von Dermoidgeschwulst etc. 117

Bei einem achtjährigen Kind fand er ein erbsengrosses Dermoid an der Comeoscleralgrenze des rechten Anges. Es kam damals nicht zur Operation. Nach einem Jahre sah er das Mädchen wieder. Das Dermoid war inzwischen beträcht- lich gewachsen, bedeckte schon einen grossen Theil der Pupille und hinderte den Lidschlass. Zndem war ein Strabismus con- vergens aufgetreten. Bei der Abtragung musste ein grosses Stück der Cornea mit fortfallen, doch gelang die Exstirpation ohne Bulbusperforation.

Während nun in der ersten Gruppe der Bulbus nor- mal gebildet ist, und die Geschwülste mehr oder weniger oberflächlich der Cornea und Sclera aufsitzen, kommen wir nun an die zweite Gruppe, die einige Fälle umfasst, bei denen die congenitale Bulbusanlage durch das Dermoid ver- schieden stark gelitten hat.

Als ersten Fall möchte ich hierher rechnen das von Schmidt- Rimpler^; beschriebene Dermoid der Cornea mit Dislocation der Linse, das, wenn es auch an einem Kalbsauge beobachtet wurde, doch hier mit in Frage kommt, da die Verhältnisse denen am Menschen analoge sind.

Auf der 1,9 cm messenden Cornea sass ein Hantstück mit Haaren auf, das am inneren Comealrand begann und den gröss- ten Teil der Cornea bedeckte, aber nicht auf die Sclera über- griff. Die Iris war mit dem Cornealrudiment verwachsen, es bestand keine vordere Kammer. Die Linse ragte durch den Papillarraum in das Dermoid hinein. Die Linse besass dem- entsprechend eine Abschnürung, die Linsenkapsel war verdickt Unter dem Dermoid fanden sich noch Reste von Cornealgewebe.

Schmidt-Rimpler erklärt den Fall so, dass das Horn- blatt an der Stelle statt Epithel Epidermis gebildet habe, und die Kopfplatten mit Ausnahme der innersten Schicht, die in Homhautsubstanz überging, zum Corium geworden sei. Die Linseneinschnürung hält er für eine Hemmungs- bildung; die Linse habe sich vom Hornblatt noch nicht getrennt, als Iris und Ciliarkörper sich zu bilden begannen.

*) V. Graefe's Archiv für Ophthalmologie, XXIII, 4, p. 172.

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Daher habe der nach vom gehende Fortsatz der secundä- ren Äugenblase eine Einschnürung bewirkt.

Beachtenswerth an diesem Fall ist der ausschliessliche Sitz auf der Cornea, der von den Fällen, die ich zur ersten Gruppe rechne, nur in dem Fall Emmert beobachtet ist, da sonst die Dermoide so ziemlich durchweg halb auf der Cornea, halb auf der Sclera gelegen sind. Femer ist das Dermoid so ausgedehnt, dass die Cornea fast ganz von der Geschwulst eingenommen ist. Nur die innersten Schichten wurden von einem Comearudiment gebildet. Eine opera^ tive Entfernung einer solchen Geschwulst wäre ohne Bul- buseröffnung nicht möglich. Sodann ist beachtenswerth das Fehlen der vorderen Kammer und die merkwürdige Diffor- mität der Linse. Ich glaube, dass man beide Befunde in Zusammenhang bringen und auf ein sehr frühzeitiges Auf- treten der fötalen Entwickelungsstörung schieben muss, die zu der Geschwulstanlage und zu dieser Hemmungsbildung geführt hat.

Als zweiten Fall möchte ich hier den Fall anfuhren, der auf der v. Graefe'schen Klinik zur Beobachtung kam, seinerzeit von v. Graefe^) in der medicinischen Gesellschaft zu Berlin demonstrirt, von Leber anatomisch untersucht und von Swanzy*) veröffentlicht worden ist.

Es handelt sich um einen ungewöhnlich grossen, congeni- talen Tumor bei einem achtmonatlichen Kinde, der seit der Geburt um das Doppelte gewachsen war. Der Tumor hatte zwei grössere Abtheilungen; die ganze Cornea war bis auf einen schmalen Saum von einem gewöhnlichen Dermoid einge- nommen, welches durch einen kurzen, dicken Stiel mit einer kirschgrossen, rundlichen Dermoidgeschwnlst zusammenhing, die zur Lidspalte hervorragte. Offenbar war durch den Druck der Lider eine Einschnürung der Geschwulst in der angegebenen Weise bewirkt worden. Die Beweglichkeit des Bulbus war nicht beeinträchtigt Der Tumor war von Cutis bedeckt und trug feine Härchen.

') Berliner KUnische Wochenschrift 1870, No. 9, p. 111. *) Dubl. quaterl. Journ. of med. sclence 1871. May.

Ueber einen merkwürdigen Fall von Dermoidgeschwulst etc. 119

V. Graefe entfernte das Dermoid. Es ging dieses aber nnr mit Eröffnung des Bulbus, wobei Glaskörper ausfloss. Von Linse war nichts zu sehen, wahrscheinlich bestand congenitale Aphakie. Mikroskopisch fand sich die Natur des Tumors als die eines Dermoids: Cutis mit Haaren^ SchweissdrOsen, verein- zelte Papillen, spärliche Haarbalgdrüsen. Die Cornea fehlte als solche, ein Bindegewebe vertrat ihre Stelle. Die Iris war mit der Pseudocomea verschmolzen, das Irisgewebe an einem dicken Pigmentbelag kenntlich. Die vordere Kammer fehlte. Durch die Güte des Herrn Professor Leber standen mir noch Prä- parate der Geschwulst zu Gebote, an denen ich den früheren Befund bestätigen konnte. Swanzy meint, dass die Invagina- tion der Linse ausgeblieben oder nach aussen erfolgt sei, dass daher dies möglicherweise zur Entstehung des Tumors Anlass gegeben habe.

Also auch in diesem Fall haben wir eine Implautation des Dermoids allein auf der Cornea mit rudimentärer Ent- wickelung derselben und eine Entwickelungsstörung des vor- deren Bulbusabschnitts, die sich auf die Iris und die Linse bezieht. Das Irisgewebe ist mit dem Cornealrudiment ver- wachsen, eine vordere Kammer fehlt, von Linse ist nichts zu entdecken.

V. Graefe hob bei der Demonstration des Kindes in der Berliner medicinischen Gesellschaft besonders hervor, dass dieses Dermoid auf der Mitte der Cornea seinen Sitz habe.

Als weiterer Fall ist hier der von Bernheimer^) be- schriebene aufzuführen:

Im August 1885 kam in der Heidelberger Klinik ein sechs- monatliches Mädchen in Beobachtung mit zwei halbkirschgrossen Tumoren am rechten Auge, die sich beinahe berührten und die Lidspalte offen hielten. Von der Cornea war nur oben und unten noch ein kleines Dreieck frei, auch auf die Sclera schien der Tumor ein wenig hinüberzugehen. An der Wurzel des rechten Nasenflügels fand sich ein kleiner Hautwulst Im Februar darauf waren die Tumoren noch gewachsen und in- einander übergegiEuigen, sodass die Cornea ganz bedeckt war.

1) Archiv für Augenheilkunde 1888, p. 171.

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Das Auge wurde enucleirt. Die anatomische Untersacbung er- gab, dass ein totales Homhautstaphylom mit Irisverwachsang bestand. Die ganze Cornea wurde bis auf geringe Reste von dem Dermoid ersetzt Die Descemet'sche Membran war er- halten, mehrflach perforirt und umgerollt. Die Iris, die nur unvollkommen vorhanden war, war mit der Cornea verschmol- zen. Das übrige Auge war bis auf eine Atrophie des Nervus opticus intact.

Bcrnheimer schlicsst sich in der Erklärung der van Duyse'schen Hypothese an, dass die Dermoide durch ab- norme Verwachsungen mit dem Anmion entstünden. Doch genügt ihm diese Hypothese allein nicht, um seinen Fall zu erklären. Denn das totale Staphylom verlangt die An- nahme einer intrauterinen Bulbusruptur. Allerdings glaubt er, den Befund auch ohne Ruptur erklären zu können, näm- lich durch eine fötale Keratitis und Iritis, ausgehend von dem Amnionfusspunkt. Derselbe habe eine Erweichung der Cornea mit nachfolgender Ectasie bedingt, die ohne Rup- tur nach aussen zu Rissen der Descemet'schen Membran gefuhrt habe. Oder aber man könne annehmen, dass eine fötale Keratitis das erste gewesen, und dass die abnorme Verwachsung mit dem Amnion erst herbeigeführt worden sei durch die rauhe Oberfläche der entzündlich veränderten Cornea zu einer Zeit, als noch keine Amnionflüssigkeit vor- handen war.

Noch weit mehr gelitten hatte der Bulbus in einem Fall, den Manfredi^) mitgetheilt hat.

Bei einem sonst gesunden fün^ährigen Mädchen fand sich eine angeborene Deformität des linken Auges. Gleich nach der Geburt bemerkte man in der Mitte der wohlgebildeten Or- bita anstatt des Auges nur ein erbsengrosses Kügelchen, das bei Bewegungen des rechten Auges sich mitbewegte. Die Miss- bildung nahm mit dem Wachsthum des Kindes etwas zu. Der Bulbusstumpf war vom bedeckt von einer weissen Haut, die Härchen trug. In der Mitte war die Geschwulst weich, nach den Seiten hin resistenter.

*) Riv. Clin. V. p. 129. 1869.

üeber einen merkwQrdigen Fall von Dermoidgeschwalst etc. 121

Professor Quaglino stellte die Diagnose auf Lipodermoid mit mangelhafter Bnlbusentwickelnng. Er entschloss sich die Geschwulst abzutragen. Sie wurde mit einer Pincette gefasst und mit einer Scheere abgetrennt. Dabei floss ein Tropfen Glaskörper aus und etwas Pigment

Das abgetragene Stückchen zeigte die histologische Be- schaffenheit des Dermoids. Da das Bulbusrudiment nicht mit entfernt war, so fehlt die anatomische Beschreibung desselben. Aber es steht fest, dass nur ein ganz rudimentärer Bulbus vor- handen war, dass also die fötale Geschwulst die Bnlbusent- wickelnng stark beeinträchtigt hat.

An diese hier im Auszuge mitgetheilten Fälle schliesst sich nun der neue Fall an, den ich im Folgenden genauer beschreiben möchte. Er bildet in Bezug auf die Hochgra- digkeit der Störung iu der Bulbusentwickelung gewisser- massen das Endglied der Reihe der bisher beobachteten Fälle und stellt, soviel ich die Literatur kenne, geradezu ein Unicum dar. Denn es findet sich bei ihm kein abge- schlossener Bulbus, sondern nur in der Mitte des Dermoids eingebettete Bulbusrudimente, die von dem Geschwulstge- webe vollkommen umwachsen imd durchwachsen sind. Nur aus dem Charakter der an der betreffenden Stelle im Der- moid befindlichen Zellgruppen und Gewebselemente kann man mit Sicherheit schliessen, dass man rudimentäre Bul- bustheile vor sich hat, die in dem Dermoid eingeschlossen zum Theil eine atypische Entwicklung genommen haben.

Am nächsten stehen meinen Befunden die Bilder, die man in Bulbusrudimenten bei sogenanntem Anophthalmus beobachtet hat, nur dass bei diesen die Tumorbildung fehlt. So geben z.B. Wedl und Bock*) eine Abbildung von einem rudimentären Bulbus, der sich bei scheinbarer Anophthal- mie fand.

Klinisch wurde der Fall auswärts beobachtet. Das Prä- parat wurde nebst einer Anzahl davon gefertigten Schnitten

^) Pathologische Anatomie des Auges, Wien 1886, p. 425. Tafel XXXII, No. 186.

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von Herrn Dr. Geiss, praktischem Arzt in Gaugrehweiler in der Pfalz zur Untersuchung geschickt und Herrn Prot Leber gütigst zur Verfugung gestellt.

Aus brieflichen Mittheilungen habe ich über die Her- kunft des Tumors Folgendes er&hren. Die Geschwulst hing aus der linken Orbita eines Neugeborenen heraus. Hinten war sie durch einen federkieldicken Stiel in der Tiefe der Orbita implantirt. Dieser Strang wurde durchschnitten und die Orbita des sonst gesunden, wohlgebildeten und jetzt noch lebenden Kindes glich nun vollkommen der nach einer Euucleatio bulbi. Die Höhle war ausgekleidet von einer Schleimhaut, die ganz der Conjunctiva gleicht; ob Muskeln in der Tiefe vorhanden waren, war nicht sicher zu consta- tiren. Die Lider waren normal gebildet, mit Cilien besetzt, die Thränenpunkte an richtiger Stelle.

Von einem Bulbus wurde nichts entdeckt Das Prä- parat wurde in Alkohol gehärtet und durch einen Horizon- talschnitt von vorn nach hinten in zwei nicht ganz gleich- grosse Stücke getheilt. Herr Dr. Geiss legte noch einige Schnitte an dem ihm aufgeschnitten übersandten Tumor an. Dabei fand er an einem dem ersten parallelen Schnitt ein in Bindegewebe eingeschlossenes Knochenstückchen von 6 mm Länge und 4 mm Breite. Der Knochen wurde in Picrinsäure zu entkalken versucht, was nur unvollkommen gelang. Doch wurde die Knochenstructur durch mikrosko- pische Untersuchung festgestellt Femer machte Herr Dr. Geiss einige mikroskopische Schnitte, die er verschiedenen Stellen der Geschwulst entnahm. Als er auf das Bulbus- rudiment stiess, fertigte er keine Schnitte mehr an, sondern übersandte das Präparat Herrn Professor Leber, der es mir zur Untersuchung überliess. Herrn Dr. Geiss möchte ich an dieser Stelle besten Dank sagen für die Erlaubniss, die Geschwulst zur Untersuchung verwerthen zu dürfen.

Ueber einen merkwürdigen Fall von Dermoidgeschwulst etc. 123

Makroskopische Beschreibung: (Taf. VIII, Fig. 1).

Die Geschwulst hat eine eiförmige Gestalt, ist von elasti- scher Gonsistenz, von einer zarten, glatten, mit feinen Härchen besetzten Cutis überzogen. Sie misst in ihrer längsten Ans- dehnnng von rechts nach links 4 cm, in ihrer Dicke 2,3 cm, in ihrer Breite 2,7 cm. Von d^r Hinterfläche geht ein kurzer Stiel ab, der nicht ganz central, sondern etwas excentrisch im- plantirt ist. Er ist ziemlich knapp am Tumor abgetrennt. In der nächsten Umgebung des Stiels finden sich einige kleine polypöse Abschnürungen. Der Stiel ist kreisrund, misst 4 mm im Durchmesser. Er besteht aus drei Schichten, von denen die äusserste Schicht nicht sehr fest, von bindegewebeähnlicher Beschaffenheit ist Nach innen folgt eine schmale, ringförmige Pigmentschicht. Das Centrum, das 27« mm im Durchmesser beträgt, wird von einem festeren Gewebe gebildet. Von der Pigmentschicht aus zieht ein Pigmentstreif quer durch die Mitte.

Der Tumor ist von vom nach hinten durch einen hori- zontalen Schnitt in zwei ungleiche Teile zerlegt. Der Schnitt läuft ungefähr 2 mm von dem Stiel entfernt. Die Orientirung an dem Tumor ist deshalb erschwert, weil sich an dem Prä- parat nicht mehr entscheiden lässt, was oben und was unten war. Der horizontale Durchschnitt ist nicht ganz glatt durch- geführt, sondern man hat im Centrum und im hinteren Theil mehr eine Bruchfläche statt einer glatten Schnittfläche vor sich.

Wie der Querschnitt zeigt, ist der Tumor von einer ca. 1 mm dicken Cutis rings umgrenzt. Die Hauptmasse der Ge- schwulst wird von alveolärem Fettgewebe gebildet, dessen Septa durch verschieden breite Bindegewebszüge gebildet werden; nur nach der einen Seite zu besteht sie aus einem grossen, weichen Fasergewebe, in das nur wenig Fettträubchen eingelagert sind. An dem grösseren Theil der Geschwulst hatte nicht ganz cen- tral das erwähnte Knochenstückchen gesessen. Die Stelle war von Dr. Geiss mit einer Nadel bezeichnet.

In der Gegend des Stiels erkennt man an dem grösseren 'Stück eine kleine 2 mm lange und 1 mm breite, gelblich ge- erbte, in das Fettgewebe eingelagerte Prominenz. Der kleine Höcker liegt in einer Ebene, die von vorn nach hinten gezo- gen die Mitte des Stiels treffen würde, etwa 3Vs mm vom hinteren Kand der Geschwulst entfernt. Die Längsrichtung des Höckers entspricht der Sagittalaxe. Diesem kleinen Höcker entspricht an dem kleineren Stück eine ebensogrosse Delle mit glatter Oberfläche.

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An den oben erwähnten, von vorn nach hinten senkrecht znm Horizontalschnitt angelegten, sagittalen Durchschnitten zeigt sich an dem kleineren Stück das Aussehen des Lipodermoids mit verschieden reichlichem snbcatanen Bindegewebe. £iu an dem grösseren Stück angelegter Sagittalschnitt geht hart an dem Stiel der Geschwulst vorbei, die äusserste Schicht soeben streifend. £r ist nicht ganz senkrecht gefallen, sondern etwas schräg. Vom hat er soeben den kleinen erwähnten Höcker seitlich berührt. An diesem Sagittalschnitt erkennt man Fol- gendes:

Am hinteren £nde ist der Stiel soeben getroflfen: er zeich- net sich durch seine graue Farbe aus und trägt vorn ein Pig- mentpünktchen. Seitlich grenzt an den Stiel Fettgewebe, das auch sein vorderes Ende umgiebt. Nach vorn grenzt an die- sen schmalen Fettgewebsstreif ein Gebilde, das sich durch seine Farbe von dem umhüllenden Fettgewebe differenzirt. Das Ge- bilde stellt sich dar als ein 2 mm breiter Strang, der an dem Horizontalschnitt des Tumors seinen Anfang mit dem erwähn- ten Höcker nimmt, von da in einer Länge von 10 mm schräg nach vom zieht und an einer Stelle eine kleine Einschnürung besitzt. Der Strang ist derber als das ihn einschliessende Fett- gewebe, hat im Allgemeinen eine schiefrige Farbe, die von hellgrauen Fleckchen unterbrochen ist. Der kleine Höcker stellt sich auf dem Durchschnitt dar als eine kleine gelbe Sichel, die sich deutlich von dem übrigen Strang abhebt Das Ganze wird umschlossen von dem Fettgewebe, das alle Buch- tungen an der Seite ausfüllt und von dem Strang selbst nicht scharf abzugrenzen ist, auch sieht man von dem Strang Binde- gewebszüge in das umgebende Fettgewebe ausstrahlen.

Das Stück von dem Tumor, das dieses Gebilde sammt Stiel enthält, wird in Celloidiu eingebettet. Es werden nun zunächst einige Schnitte in frontaler Richtung durch den Stiel angelegt, welche den ganzen Durchschnitt des Stiels enthalten, und weiterhin wird das erwähnte Gebilde in sa- gittale Schnitte zerlegt, die an ihrem hinteren Ende den Stiel mittreffen.

Schon makroskopisch kann man an den Serienschnit- ten Folgendes constatiren:

Ueber einen merkwürdigen Fall von Dermoidgeschwulst etc. 125

Der Stiel tritt nach einigen Schnitten mit dem Strang in innige Verbindung, indem das trennende Fettgewebe sein Ende erreicht. Ganz nach vom beginnt eine im Durchschnitt kreis- förmige, kleine Cyste, die in ihrer grOssten Ausdehnung 1 mm im Durchmesser misst (Tau YIII, Fig. 2). Sie ist in den tie- feren Schnitten nicht mehr vorhanden.

Es zeigt sich femer, dass das in dem Stiel enthaltene Pigment einen flächenhaften Trichter bildet, der nach vorn offen ist und sich nach hinten zuspitzt Er ist umgeben von einem grauen Gewebsstreif. Sein Inneres ist von festem Ge- webe ausgefüllt.

Den schon oben erwähnten kleinen Höcker kann man in den Schnitten successive verfolgen; so weit er reicht, grenzt der Strang an den zuerst angelegten Horizontalschnitt des Tu- mors. Nachdem er sein Ende erreicht hat, ist das Bulbusrudi- ment von diesem Schnitt getrennt und zwar auch hier von Fettgewebe.

Der vordere Theil des Strangs lässt auch mehrfach kleine Pigmentpünktchen und Streifen erkennen, im Uebrigen besteht derselbe aus einem compacten Gewebe, das fleckig aussieht. Nachdem die erwähnte Cyste, die die vorderste Spitze des Stranges bildet, ihr Ende erreicht hat, tritt nach einigen wei- teren Schnitten ein gelbliches, rundes Gebilde von 1^« mm Breite vom au^ das sich scharf von dem umgebenden Gewebe absetzt und durch sein apartes Aussehen sich auszeichnet.

Das Bulbusrudiment stellt also einen von Fettgewebe umgebenen mndlichen Strang mit ausgebuchteter Oberfläche dar» der vorn etwas breiter wird. Seine grösste Länge be- trägt etwa 13 mm, sodass er noch um 1 cm von der Vorder- wand des Dermoids entfernt bleibt. Seine grösste Breite beträgt etwa 7 mm und etwa ebensoviel seine Dicke, sodass das Bulbusrudiment rechts und links noch ca. Vj^ cm von den Seitenwänden des Tumors entfernt bleibt und oben und unten ca. \ cm.

Die mikroskopische Untersuchung bestätigt, dass inmitten eines Dermoids ein Bulbusrudiment einge- schlossen ist, das dem makroskopisch beschriebenen Strang entspricht, der von vorn nach hinten den Tumor durchzieht und in dem erwähnten Stiel sein Ende erreicht.

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Der Tumor ist nach aussen von einer zahlreiche feine Här- chen tragenden Cutis bedeckt, die sich bis auf den Stiel fort- setzt. Dieselbe besitzt eine mehrschichtige Epidermis, deren oberste Lagen verhornte Plattenzellen bilden. Das Gewebe der Cutis selbst ist ein massig festes Bindegewebe mit vie- len elastischen Fasern. Von Drüsen finden sich einmal zahl- reiche, zum Theil sehr grosse Haarbalgdrüsen und sodann ziem- lich viele gut entwickelte Schweissdrüsen, die weit in das sub- cutane Fettgewebe hineinreichen. Die Haut besitzt zahlreiche Papillen. Im subcutanen Gewebe trifft man reichliche Gefässe an. Die grösste Masse der Geschwulst besteht aus einem al- veolären Fettgewebe. Verschieden breite Bänder von Binde- gewebe durchziehen die Geschwulst, zweigen wieder immer fei- ner werdende Bindegewebsbalken ab, die verschieden grosse Al- veolen umsäumen, die ihrerseits von Fettzellen ausgefüllt sind. Der Gehalt an Blutgefässen ist ein verschiedener. In der Nähe des Bulbusrudiments trifft man auffallend zahlreiche Geisse an, die zum Theil ein ansehnliches Kaliber erreichen. Seitlich von dem Bulbusrudiment finden sich an mehreren Stellen zahl- reiche lange Züge quergestreifter Muskelfasern, die ein spärliches interstitielles Bindegewebe besitzen. Die Fasern er- reichen das Bulbusrudiment nicht ganz, sondern enden vorher in dem Bindegewebe.

In dieses Lipomgewebe ist nun das Bulbusrudiment ohne besondere Abgrenzung eingelagert Die Faserzüge, die das Rudiment durchziehen, stehen in innigem Faseraustausch mit den Bindegewebsbalken der Geschwulst Die Fettträubchen grenzen direct an das Rudiment und dringen vielfach ziemlich tief zwischen dessen Elemente ein. Im Grossen und Ganzen wird das Geschwulstgewebe nach dem Rudiment zu reicher an Bindegewebe, das viele Gefässe enthält Eine Abgrenzung ge- gen die Geschwulst ist aber nirgends gegeben, sondern ringsum geht das Geschwulstgewebe direct in das Gewebe des Bulbus- rudimentes über. Es lässt sich von dem das Bulbusrudiment durchziehenden Bindegewebe nicht sagen, ob es dem Bulbus oder der Geschwulst angehört. Einzelne Gefässe der Grenz- schicht zeichnen sich durch ihre weiten Lumina und ihre dicke Adventitia aus.

Dass man wirklich in dem erwähnten Strang ein Bulbus- rudiment vor sich hat, kann man somit nur erschliessen aus dem Auftreten bestimmter Zell- und Gewebsformationen, die nur im Auge vorkommen. Einzelne Gewebselemente haben eine

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atypische Entwickelnng genommen and sind mit Wucherungen anderer Herkunft durcheinander gewachsen. Dadurch sind die topographischen Verhältnisse stark beeinträchtigt und verscho- ben. Doch kann man einen yorderen und hinteren Bulbusab- schnitt unterscheiden, die durch Bindegewebszüge gegeneinander abgeschlossen sind.

Dem vorderen Abschnitt giebt vor allem das Product der Linsenanlage das Gepräge. Femer findet sich hier eine leicht gewölbte Membran, die man möglicherweise für eine rudimentäre Cornea halten darf^ an deren Hinterfläche eine geronnene Eiweissmasse liegt, die vielleicht den Inhalt der ru- dimentären vorderen Kammer darstellt. Ausserdem trifft man hier Gewebselemente an, die man mit Iris und Giliar- muskelkeimen und mit Keimen der äusseren Umhttllungshaut in Zusammenhang bringen muss. Das vorderste Ende dieses Theils nimmt die schon bei der makroskopischen Beschreibung erwähnte, in sich abgeschlossene Cyste ein, die ein Flimmer- epithel trägt und daneben ist in Bindegewebe ein kleiner hyaliner Knorpel eingebettet, der schräg nach hinten und in die Tiefe sich verfolgen lässt (Taf. VUI, Fig. 2).

Der hintere Abschnitt des Bulbusrudiments wird in der Hauptsache gebildet von der rudimentären Retina, die von einem nach hinten sich verjüngenden Pigmenttrich- ter eingeschlossen ist. Nach hinten zu geht das Bulbusrudi- ment in den erwähnten Stiel über, mittelst dessen der Tumor in der Orbita implantirt war. Der Pigmenttrichter wird ein- gehüllt von einer zum Theil äusserst gefässreichen Schicht, die ganz aus glattem Muskelgewebe besteht. Der Vollständig- keit halber sei noch erwähnt, dass nach aussen von dem Trich- ter an einer Stelle ein Stückchen echten Knochens gelegen war.

Sehr interessant ist es nun, die einzelnen rudimentären Gebilde etwas genauer zu betrachten. Ich will mit dem vor- deren Theil beginnen.

Der vordere Bulbusabschnitt wird zum grössten Theil ge- bildet von einem im Charakter mehrfach wechselnden und unre- gelmässig angeordneten Fasergewebe, in das die Linsenrudimente «ingelagert sind. Dieses Fasergewebe, das mit dem Bindege- webe des Lipodermoids in directem Zusammenhang steht, ist offenbar zum Theil aus Keimen gebildet, die der Sclera-, Iris- und Ciliarkörperanlage entsprechen und zum anderen Theil aus Bindegewebe, das durch die Geschwulstbildung ins Bulbusinnere «ingedrungen ist. Der Gehalt an Zellen, die Breite und Ver-

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lauüsrichtung der Fasern, der Gehalt an Geflossen wechselt viel- fach. Neben einem fibrillären, welligen, zellarmen Gewebe mit paralleler oder verschieden orientirter Faserrichtung trifft man breitüAseriges, regelmässig geschichtetes Fasergewebe, das sehr an Sclera]gewebe erinnert. Daneben hat man äusserst zellrei- ches, dem embryonalen Bindegewebe gleichendes Gewebe. Mehr- £Ach sieht man Züge von glattem Muskelgewebe eingelagert, die sich durch ihre stäbchenförmigen Kerne als solches documen- tiren. Auch kleinere und grössere Nervenstämmchen sind hier wiederholt anzutreffen.

Neben gefässarmen Stellen trifft man Parthieen mit einem überaus starken Gehalt an Blutgefässen, deren Gefässscheiden zum Theil stark verdickt sind. Offenbar handelt es sich um rudimentäre Gefässhaut Dieses wird noch dadurch wahrschein- licher gemacht, dass hier einzelne Pigmentstreifen auftreten und dass diese Theile ziemlich peripher gelagert sind.

Höchst merkwürdig ist das Verhalten der Linse. Die Linse bildet kein abgeschlossenes Ganzes, sondern in dem Bin- degewebe finden sich massenhafte kleinere und grössere Zell- nester, deren Zellen der Abkunft nach auf Linsenzellen zu be- ziehen sind. Die Zellen haben zum Theil einen epithelartigen Charakter, zum grösseren Theil aber sind es Zellen, die voll- kommen den bekannten Bläschenzellen gleichen, wie sie zuerst von Wedl beschrieben und von 0. Becker mehrfach abge- bildet sind (Tal VIII, Fig. 3, Taf. K, Fig. 4). Von Linsen- fasem ist nirgends eine Andeutung zu sehen. Die epithelarti- gen Zellen sind zum Theil polygonal, mit einem grossen ovalen Kern versehen, zum Theil aber platt, auf dem Durchschnitt spindelförmig mit verschieden langen, meist kurzen Ausläufern. Die Bläschenzellen kommen in der verschiedensten Grösse vor. Besonders an einer Stelle liegen ganz enorm grosse Gebilde. Die kleinen haben meist eine zarte Zellmembran, die grossen dagegen auffallend dicke doppelt contourirte Membranen, die sich mit Eosin stark roth förben. Diese Hüllen bilden ein förmlich zusammenhängendes Balkenwerk. Der Inhalt dieser grossen Gebilde ist durchweg stark gekörnt In vielen Zellen findet sich ferner eine überaus deutliche Faserung des Inhalts, die mehrfach eine radiäre Anordnung besitzt (Taf. VIII, Fig. 6). Zwischen den Fasern, die sehr an Fibrinf&den erinnern, liegen kleine, dunkle, fettartige Körnchen. Einen Zusammenhang die- ser Fasern mit den Kernen konnte ich nicht constatiren. Die Kerne liegen meist ziemlich central, doch auch mehrfach am

üeber einen merkwürdigen Fall von Dermoidgeschwulst etc. 129

Rand. Merkwürdig ist sodann, dass vielfach der Inhalt der ein alveoläres Gerüst bildenden Membranen fehlt oder nur aus Resten von amorpher Eiweisssubstanz und von fibrinähnlichen Fäden besteht.

An diesen Stellen hatte es wiederholt den Anschein, als ob das vorliegende Bild der mit einer auffallend dicken Membran versehenen Bläschenzellen ganz anders gedeutet werden müsste. Die bisherige Auffassung über die Entste- hungsweise dieser Gebilde ist ja die von Becker^) gege- bene, dass es sich um abnorm grossgewordene Abkömm- linge des Linsenepithels, um hydropische Zellen handele. Hier bekam ich aber mehrfach den Eindruck, als seien die breiten Zellmembranen] grosse, zusammenhängende, platte Zellen und als sei das, was man sonst als hydropischen Zellinhalt annahm, eine zwischen den platten Zellen lie- gende, mit fadigem Fibrin durchsetzte Eiweisssubstanz, die die Zellen auseinander gerückt hätte. Die platten Zellen schienen eine Art alveolären Gerüstes zu bilden, dessen In- halt mit ausserhalb von Zellen liegender Eiweisssubstanz ausgefüllt wäre. Die Entstehung wäre demnach die, dass z?d8chen die vom Linsenepithel stammenden platten Epi- tiielzellen Eiweisssubstanz ausgeschieden würde, die auf- quellend die Zellen auseinander drängten. Wiederholt konnte ich randständige Kerne, die den scheinbaren Zellmembranen anzugehören schienen, constatiren. Auch Herr Prof. Leber hatte früher aus Zupfpräparaten eines Erystallwulstes den Eindruck gewonnen, als beständen die als Bläschenzellen bezeichneten Gebilde aus Eiweissmassen, die zwischen plat- ten vom Linsenepithel herrührenden Zellen eingelagert seien.

Freilich waren mir die Befunde noch nicht beweisend genug, zumal ich zu wenig randständige Kerne antraf, um die obige Erklärungsweise dieser bisher als grosse Zellen aufgefassten Gebilde sicher hinstellen zu können. Doch möchte ich nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, dass neben

^) Zur Anatomie der gesunden u. kranken Linse 1883, p. 70 ff.

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130 ^- A. Wagenmann.

der jetzt wohl aUgemein angenommenen Erklärung auch diese zweite in Frage zu ziehen und bei neuen Untersuchun- gen zu berücksichtigen wäre.

In den peripheren Theilen des Bulbasrudiments hegen diese Zelhiester mehr zerstreut zwischen Bindegewebe einge- schlossen, in den tieferen Schichten jedoch ist neben kleinereu zersprengten Zellgmppen ein ca. 1 nun grosser Hohlraum ge- bildet, der von concentrischen Bindegewebszügen umgeben ist und in dem neben vielen amorphen Eiweissmassen zusammen- hängende Haufen von Bläschenzellen gelegen sind. Gerade an dieser Stelle kommen neben anderen Zellformen ausserordent- lich grosse Gebilde vor, deren Umgrenzungsmembranen ein förm- liches alveoläres Netz bilden. An einer Stelle der Wand die- ses Hohlraumes trifft man eine schmale homogene Membran an, die als ein Stück Linsenkapsel anzusprechen ist. Ihre innere Seite ist von einer regelmässigen Lage von Epithelzellen be- setzt Ein grosser Theil der kleineren Zellgruppen bildet eben- falls abgeschlossene Hohlräume, deren Wand von einer regel- mässigen Epithellage umsäumt ist. Andere ZeUgruppen zeigen keinen Abschluss, sondern liegen direct zwischen den Binde- gewebsfasern. Vielfach bilden diese Gonglomerate von Zellen, die hier auch fast durchweg die Form kleiner Bläschenzellen besitzen, förmliche Dolden. Von einer Seite tritt ein breites Bindegewebsbündel in eine solche Dolde ein, das sich baum- artig in immer feinere Aestchen auflöst, bis schliesslich kleinste Hohlräume entstehen, die von einer Bläschenzelle oder von mehreren ausgefällt werden. Vielfach haben die Zellen auch epithelähnlichen Charakter, und man kann neben einander zahl- reiche Uebergänge finden, die man wohl so deuten muss, dass die epithelartigen Zellen in Bläschenzellen übergehen. Zwischen den Zellen trifft man wiederholt krümliche Eiweissmassen an. Die Wucherung dieser aus ursprüngUchen Linsenkeimen her- vorgegangenen Zellen ist der Masse und der Richtung nach eine ausgedehnte, sodass man in allen Schnitten des vorderen Teils des Bulbusrudiments zahlreiche derartige Zellnester an- trifft.

Des Weiteren ist noch ein Gebilde hier näher zu beschrei- ben, das schon bei der makroskopischen Betrachtung als klei- ner Höcker auffiel. Derselbe wird gebildet von einer nicht sehr dicken geschichteten Membran aus zum Theil sclerosirtem und mit Picrinsäure stark gelb gefärbtem Bindegewebe, in

Ueber einen merkwürdigen Fall von Dermoidgeschwulst etc. 131

dem in regelmässigen Abständen platte Zellen eingelagert sind (Taf. YIII, Fig. 3). Zwischen den Fasern verlaufen einzelne Gefässe. Die Fasern gehen am Rand zum Theil weiter in das Bindegewebe des Lipoms über, zum Theil aber biegen sie um und umgrenzen einen Hohlraum, der ausgefüllt ist mit einer geronnenen Eiweissmasse, in der vereinzelte Zellen sich finden. Hinten ist der Hohlraum nicht vollständig von dem Bindege- webe umgrenzt, sondern offen und grenzt hier direct an das Linsenrudiment. Die Faserzüge biegen dementsprechend wieder nach aussen um und verlieren sich in dem Bindegewebe des Bulbusrudiments. Auf seitlich durchgelegten Schnitten erscheint die Membran dünner und erreicht noch weiter nach der Seite hin schliesslich ihr Ende. Ihre Gestalt ist somit eine nach aussen convexe Scheibe, deren Innenfläche geronnenes Eiweiss anhaftet.

Von Epithel ist weder an der Vorderseite noch an der Hinterfläche etwas sicheres zu erkennen, wenn auch der letz- teren vereinzelte platte Zellen anliegen. Dort, wo der oben- erwähnte Faserzug nach dem Bulbusrudiment zu umbiegt, zweigt sich von ihm eine regelmässige einschichtige Zellenlage ab, welche das geronnene Eiweiss von hinten her eine Strecke weit begrenzt Die Zellen haben ein epitheloides Aussehen und verlieren sich bald (Taf. VIII, Fig. 3 c). Der Prominenz der rudimentären Cornea, die auf dem horizontalen Durchschnitt des ganzen Präparates zum Vorschein kommt, entspricht an dem anderen Theile der Geschwulst eine glatte Delle, in der aber, wie die mikroskopische Untersuchung feststollen konnte, nichts von Epithel zu finden ist. Nur etwas geronnenes Ei- weiss findet sich, das also der convexen Seite der Cornea an- gelegen haben muss. Die Cornea ist im Ganzen 2 mm lang und 1mm breit, sie wird von dem Linsenrudiment nach allen Seiten weit überragt.

Wie schon bei der makroskopischen Beschreibung erwähnt ist, findet sich am vorderen Ende des Bulbusrudiments eine circa 1 mm im Durchmesser betragende Cyste (Taf. VIII, Fig. 2). Dieselbe hat, wie man an der Schnittreihe feststellen kann, an der einen Seite mehrere kleine Ausbuchtungen, die aber bald confluiren. Dieselbe ist umgeben von concentrischen Zügen eines faserigen,, gefässführenden Bindegewebes, das in den innersten Schichten besonders reich an Spindelzellen ist. Diese Cystenwand trägt an der inneren Seite eine regelmäs- sige Lage eines Flimmerepithels. Es sind auffallend hohe,

9*

132 ^- A. Wagenmann.

nicht sehr breite Gylinderzellen, die nach dem Fusspankt einen mnden Kern besitzen. An ihrem inneren Ende tragen die Zellen deutlich ausgebildete Flimmerhaare. Zwischen den Cy- linderzellen liegen an ihren Fusspankten kleine rundliche Zellen. Der Cysteninhalt ist aus den Schnitten grösstentheils heraus- gefallen. Wo er noch vorhanden ist, besteht er aus krfim- liehen Massen und stellenweise aus länglichen, dicht zusammen- gelagerten faserähnlichen Massen ohne Zellfärbung, die wie abgestorbene Zellen sich ausnehmen. Die Cyste ist nach allen Seiten vollkommen abgeschlossen und steht mit keinem anderen Gebilde in Zusammenhang. Dicht neben dem hinteren Rand der Cyste liegt in Bindegewebe eingeschlossen das schmale Knor- pelstttckchen, das schräg nach hinten zieht und im Bindegewebe endet. Auch* nachdem die Cyste ihr Ende erreicht hat, kann man es noch durch eine Anzahl Schnitte hin verfolgen. Seinem Charakter nach gehört der Knorpel zum hyalinen Knorpel. Er enthält zahlreiche Knorpelzellen mit spärlicher Zwischensubstanz.

Yon diesem eben beschriebenen vorderen Abschnitt des Bulbusrudimentes ist durch Bindegewebszflge ein hinterer Ab- schnitt abgetrennt, der in der Hauptsache aus der relativ deut- lich ausgebildeten Retina besteht, die in zahlreiche theils kür- zere, theils längere, stellenweise ganz auffallend lange Falten zusammengelegt ist (Taf. IX, Fig. 4). Umsäumt wird dieser Theil von einem sich nach hinten conisch verjüngenden Pig- menttrichter, der nach vorn offen ist. Nach aussen von die- sem Pigment liegt ein ziemlich breiter Mantel von einem Ge- webe, das ganz den Eindruck von glatten Muskelfasern macht und stellenweise sehr reich an Gefässen ist. Die Abgrenzung nach vom ist keine scharfe, denn an der Seite schickt das Pigmentblatt Fortsätze nach vorn, und auch das Bindege- webe, das den hinteren Abschnitt durchsetzt, steht in direktem Zusammenhang mit dem Gewebe des vorderen Abschnittes und auch die Schicht glatter Muskelfasern endet nach vorn allmäh- lig. Bemerkenswerth ist aber, dass die Linsenzellen sich nicht in den bezeichneten Abschnitt erstrecken und dass andererseits Retinalgewebe nur hinten anzutreffen ist

Das Pigment liegt einem faserigen Bindegewebe auf und ist theilweise ganz darin eingeschlossen. Stellenweise wird das Pigmentblatt gebildet von einer einzelligen Schicht. Meist je- doch finden sich zwei oder mehrfache Schichten übereinander. Auch treibt das Pigmentblatt zahlreiche kleine Fortsätze in das Innere, die kleine Hohlräume umschliessen oder unregel-

Ueber einen merkwardigen Fall von Dermoidgeschwulst etc. 133

massig gestaltete Kämme und Firsten bilden. Es ist an diesen Stellen von einem zellreichen Bindegewebe darchwuchert. Das Pigment liegt in Zellen eingeschlossen. Die Pigmentmolekttle zeigen bei starker Vergrösserung zum TheU eine deutliche Stäbchenform, zum grösseren Theil jedoch sind es kleine Kü- gelchen. Innen grenzt an das Pigmentblatt die deutlich als solche erkennbare rudimentäre, starkgefaltete Retina. Zwischen die Falten ist von Torn und noch mehr von hinten her faseri- ges Bindegewebe hineingewachsen. Doch stossen vielfach die inneren Seiten nebeneinander gelagerter Falten direct aneinan- der. Die Retinastructur ist weit ausgebildet (Taf. YIII, Fig. ö, Taf. IX, Fig. 4).

Vielfach besteht die Retina aus folgenden Schichten: An das Pigmentblatt stösst die rudimentäre Stäbchenschicht. Man erkennt kleine der Limitans externa, die überall sehr deutlich zu erkennen ist, angelagerte kurze stäbchenähnliche Gebilde von zum Theil flaschenförmigem Aussehen. Auf die Limitans externa folgt eine breite Schicht von rundlichen Körnern, auf diese eine schmale granulirte Schicht, darauf wieder eine Kör- nerschicht mit ovalen Kernen und darauf eine breite Schicht radiär gestellter, laugausgezogener Müller'scher Stützfasern.

Meist jedoch fehlen die Stäbchen und die Retina besteht aus einer Limitans, der nach innen eine breite Schicht von theils rundlichen theils länglichen Körnern folgt. Aus ihr nimmt ihren Ursprung die innerste Schicht, die aus radiär ge- stellten, gewucherten Stützfasem besteht. Diese Müller'schen Stützfasern geben ein überaus zierliches Bild, es sind lange, sehr feine parallel verlaufende, innen mit einer Anschwellung endende Fasern. Daneben findet man noch niedere Stufen der Entwickelung. Man erkennt nur noch eine Limitans, der eine einfache Schicht von regelmässigen epitheloiden Zellen aufge- lagert ist. Man kann an einzelnen Stellen die Structur sich ändern und die mehr ausgebildete Retina in die erwähnte ein- fache Zellschicht übergehen sehen.

Von Nervenfasern und von Ganglienzellen erkennt man jedoch nichts. Auch bei Färbungen nach Weigert habe ich nichts von Nervenfasern in der Retina gesehen. Das zwischen den Retinalfalten gelegene Bindegewebe ist reich an Gefässen. In der Retina selbst fanden sich keine Gef^sse. Auffallend ist noch, dass zwischen den Retinalfalten mehrfach kleine Hohl- räume abgeschnürt sind, die von einer durchscheinenden, nur vereinzelte Zellkerne enthaltenden Masse ausgefüllt sind. Bei

134 ^r, A. Wagenmann.

starker Vergrösserung kann man diese durchscheinende Masse in zahlreiche, wellige, feinste Fibrillen auflösen, die an Glas- körperfibrillen erinnern.

Der den Pigmenttrichter umsäumende Mantel besteht aus kurzen, vielfach sich kreuzenden, im Uebrigen aber gleichgerich- teten Fasern mit länglichen Zellkernen. Ich möchte es far glattes Muskelgewebe halten. Der Bau erinnert mehrfach an den Giliarmuskel.

Den Stiel der Geschwulst bildet der conisch sich ver- jüngende Pigmenttrichter, der noch von dem bezeichneten Man- tel aus glatten Muskelfasern umhüllt bleibt. Nach aussen deckt ihn eine zarte Cutis, die sich grösstentheils zurückgezogen hat Dementsprechend sieht man an Querschnitten durch den Stiel Folgendes:

Nur an Schnitten nahe dem Tumor entnommen, umgiebt eine Cutis mit wenig subcutanem Fett den Stiel, weiter ab fehlt sie, da sie sich retrahirt hat Darauf folgt das Gewebe, das ganz dem glatten Muskelgewebe gleicht und hier ausser- ordentlich zahlreiche Gefässe enthält, die in den Tumor hinein- gehen. Da alle Gefilsse, die den Tumor versorgen, hier hin- durchgehen müssen, so ist es begreiflich, dass der Gejfässgehalt des Stiels ein bedeutender ist In dem Gefilsse ist vielfach geronnenes Fibrin zu erkennen. Nach innen folgt eine dünne Schicht von concentrisch gerichteten Bindegewebszügen, denen die ringförmige Pigmentschicht aufgelagert ist, die hier gröss- tentheils aus zwei Lagen Pigmentzellen besteht, aber an ein- zelnen Stellen breitere Pigmentfortsätze in das Innere absen- det, die sich in der Mitte berühren.

Das Centrum wird sonst ausgefüllt von dem von gefitos- führendem Bindegewebe durchzogenen Retinalgewebe, das hier kleine Kreise und Hufeisen bildet. Die Structurverhältnisse sind dieselben. Auch hier sind noch vielfach relativ wohl aus- gebildete Stäbchen zu erkennen. Dem makroskopischen An- sehen nach hätte man den Stiel für den Opticus halten können, doch findet sich in ihm nichts von Nervenfasern, lieber das letzte £nde des Bulbusrudiments kann ich natürlich nichts aus- sagen, es ist in der Orbita zurückgeblieben. Interessant wäre es ja gewesen, auch noch die Orbita untersuchen zu können.

Wie aus dem mitgetheilten anatomischen Befund her- vorgeht, haben wir in diesem Fall ein Dermoid vor uns, das in seinem Inneren einen rudimentär entwickelten Bul-

Ueber einen merkwürdigen Fall von Dermoidgeschwulst etc. 135

bus enthält, der ohne eine Abgrenzung zu besitzen von dem Tumorgewebe umwachsen und durchwachsen ist. Das Rudiment nimmt nahezu die Mitte des Dermoids ein und hat die Gestalt eines langen Stranges mit der Längsrich- tung in der sagittalen Achse. Nach hinten zu verjüngt es sich und ragt hinten» noch von Cutis umgeben, aus der ei- förmigen Geschwulst in Gestalt eines etwa federkieldicken Stiels hervor, mittelst dessen das Dermoid in der Orbita implantirt war. Es stellte also der Tumor sammt dem ein- gekapselten Bulbusstumpf ein abgeschlossenes Ganzes dar, das die Stelle des Bulbus in der Orbita einnahm. Die Or- bita selbst und die Adnexa des Bulbus waren wohl aus- gebildet.

Um das Zustandekommen des vorliegenden Befundes zu erklären, kommen zwei Möglichkeiten in Betracht. Erstens könnte der Bulbus fertig gebildet gewesen und erst hinter- her von dem an einer Stelle entstandenen Tumor zum Schwund gebracht und durchwachsen sein, und zweitens könnte der Tumor, bevor die Bulbusanlage vollendet war, aufgetreten sein. Bei Betrachtung der anatomischen Bilder wird man sich im vorliegenden Fall ohne Weiteres für die zweite Annahme entscheiden. Denn abgesehen davon, dass ein Lipodermoid schwerlich im Stande wäre, eine fertig ge- bildete Bulbuskapsel zu durch wuchern, so wird die Verla- gerung und atypische Wucherung einzelner Gewebselemente und der höchst rudimentäre, nach aussen gar nicht abge- grenzte Aufbau des Organs einzig und allein dadurch zu erklären sein, dass der Bulbus während seiner Anlage durch den Tumor in seiner Entwickelung erheblich gestört wurde, und dass die einzelnen Gewebsanlagen unter den stark ver- änderten Verhältnissen sich auf eigene Art und zum Theil ohne richtige gegenseitige Orientirung entwickelten. Ich erkläre also die Entstehung so, dass die Neubildung sehr frühzeitig eingesetzt und die fötale Bulbusanlage in sich aufgenommen und stark modificirt hat. Der Tumor ist

136 I>r. A. Wagenmann.

dann grösser geworden, und in ihm haben die schon ange- legten Bulbustheile oder die fiir einzelne Theile prädesti- nirten Zellgruppen ihre eigene Entwickelung unter stark veränderten Bedingungen genommen. Der Tumor hat so gewissermassen die Stelle des Bulbus ersetzt. Er wird ver- muthlich anfangs langsam gewachsen sein. Jedenfalls hat er die ordnungsmässige Entwickelung der Adnexa des Bul- bus nicht gehindert. Denn wie aus der Beschreibung her- vorgeht, ist die Orbita wohlgebildet und sind die Lider und der Conjunctivalsack etc. normal entwickelt, sodass nach dem Durchschneiden des kurzen Stiels die Orbita wie nach einer vollzogenen Enucleatio bulbi aussah.

Wie frühzeitig die Neubildung die Bulbusentwickelung gestört hat, lässt sich freilich nicht sicher angeben, doch kann man aus dem Aufbau des Rudiments einige Schlüsse über den Grad der Entwickelung ziehen und daraus wieder Rückschlüsse auf die Zeit machen. Von Bulbustheilen ist vorhanden ein Linsenrudiment, das sich aber nicht als ab- gekapselte Linse darstellt, sondern als eine Wucherung von Zellen, die mit Bestimmtheit auf eine Abkunft von Linsen- zellen bezogen werden müssen. Neben kleinen epitheloiden Zellen finden sich grosse Haufen von Zellen, die ganz den von Wedl zuerst beschriebenen Bläschenaellen gleichen. Von eigentlichen Linsenfasern ist nichts zu sehen. Einer der grösseren Zellhaufen ist am Rand eine Strecke weit von einer homogenen Membran bekleidet.

Aus dem Umstand, dass das Linsenrudiment keine ab- geschlossene Zellwucherung darstellt, kann man wohl schlies- sen, dass die Linsenanlage sehr frühzeitig gestört wurde, bevor noch die Kapsel eine nenuenswerthe Dicke und Wi- derstandsfähigkeit erlangte. Sollte schon eine Linsenkapsel gebildet sein, deren Anfänge nach Kessler in eine sehr frühe Zeit verlegt werden muss, nämlich gleichzeitig mit der Einstülpung und Abschnüruug der Linse, so muss man annehmen, dass das zarte Gebilde durchbrochen wurde und

Ueber einen merkwOrdigen FftU von Dermoidgeschwulst etc. 137

dass die etwa schon gebildeten Linsenfasern zu Grunde ge- gangen sind. Die restirenden Linsenzellen haben dann das Material zu dem jetzt vorhandenen Linsenrudiment abge- geben. Die Wucherungstendenz dieser Zellen ist beachtens- werth. Sie haben theils grössere zusammenhängende Hau- fen gebildet, theils in kleinen Dolden und Nestern das ganze ▼ordere Bnlbusrudiment durchwuchert.

Von dem Stück Linsenkapsel ist es fraglich, ob es von der ersten Anlage der Kapsel übrig geblieben ist Wahr- scheinlicher ist, dass es erst später durch Ausscheidung von den Linsenzellen entstanden ist, da es jetzt als erwiesen anzusehen ist, dass die Kapselsubstanz von den Zellen stammt

Während das Vorhandensein einer Linsenanlage sicher constatirt werden kann, ist dieses fraglich mit der Ciomea. Es findet sich an der einen Seite ein Gebilde, das mög- licherweise dafür zu halten ist Es stellt eine convexe Scheibe dar und ist von dem Linsenrudiment durch eine Eiweissschicht getrennt Für die Auffassung als rudimen- täre Cornea spricht die Gleichförmigkeit des die Scheibe bildenden sclerosirten Bindegewebes, das sich zum Theil mit Picrinsäure stark gelb färbt Die Scheibe setzt sich gegen die Umgebung scharf ab und documentirt sich als etwas besonderes. Am Rand gehen die Fasern in das übrige Bin- degewebe über. Die seitliche Lage der rudimentären Cor- nea muss man durch die abnormen Bindegewebs- und Lin- senwucherung erklären. Allerdings findet sich nirgends ein deutliches Epithel. Doch könnte man annehmen, dass das- selbe bei den abnormen Verhältnissen zu Grunde gegan- gen sei Das ihrer Innenfläche anliegende geronnene Ei- weiss, das vereinzelte Zellen enthält, wird man möglicher^ weise auf eine rudimentäre vordere Kammer beziehen.

Femer ist nachweisbar eine rudimentäre Retina mit einem Pigmentepithel an der Aussenfläche, das für Retinal- pigment anzusprechen ist. Die Retina hat einen verschie- den vollkommenen Grad der Entwickelung erreicht Neben

138 I>r. A. Wagenmann.

Stellen, an denen alle Schichten angelegt sind und denen nur die Nervenfasern und die Ganglienzellen fehlen, kommen ru* dimentäre Entwickelungsstufen vor, wo man nur neben einer Liimitans externa epitheloide Zellen mit grossen Kernen an- trifft. Zwischen beiden Extremen finden sich Uebergänge. Fast durchweg ist die Schichtenbildung jedoch weit vorge- schritten. Die Müller 'sehen Stützfasem sind fast überall gut ausgebildet. Von Opticusfasem ist nirgends etwas zu entdecken.

Von den übrigen Bulbustheilen ist keiner in typischer Ausbildung vorhanden. So fehlt ein typisch angelegter Uvealtractus, Iris, Ciliarkörper, Chorioidea, und es fehlt die Sclera.

Ueber den Opticus kann ich keine vollständige An- gabe machen, da der Durchschnitt durch den Stiel der Ge- schwulst noch innerhalb des Bulbusrudiments gefallen war. Soweit mir das Bulbusrudiment zu Gebote stand, habe ich nichts von Opticusfasem in demselben constatiren können.

Wenn auch die Umhüllungshäute des Auges nicht in ty- pischer Anlage vorhanden sind, so sind doch gewisse Ge- websformationen auf die Anlage derselben zu beziehen, die freilich jetzt in atypischer Weise durcheinander gela- gert sind. Dahin gehören die glatten Muskelfasern, die Pigmentstreifen im vorderen Bulbustheil, femer das gefäss- reiche Bindegewebe und die dem Scleragewebe ähnlichen Faserzüge.

Auch ein Glaskörperraum ist nicht vorhanden. Binde- gewebe, das mit dem Gewebe des Dermoids in Faseraus- tausch steht, trennt den vorderen Bulbusabschnitt mit der Linse von dem hinteren Abschnitt mit der Retina. Ob die kleinen mit feinsten Fibrillen ausgefällten Hohlräume, die sich zwischen den Retinafalten vereinzelt finden, etwas mit Glaskörperanlage zu thun haben, ist sehr fraglich.

Aus vorstehendem Befund kann man ungefähr bestim- men, wie weit die Entwickelung gediehen war. Einerseits

Ueber einen merkwflrdlgen Fall von Dermoidgeschwolst etc. 139

können wir aus dem Vorhandensein des Linsenrudiments der Retina und des Pigmentepithels absolut sicher schlies- sen, dass die Einstülpung des Hornblatts und eine Linsen- anlage stattgehabt hat und dass damit zugleich die secun- däre Augenblase gebildet war. Andererseits können wir aus dem Fehlen eines typisch angelegten Uvealtractus und dem Fehlen der Sdera mit grosser Wahrscheinlichkeit an- nehmen, dass die störende Einwirkung stattgefunden hat, bevor die Umhüllungshäute angelegt waren. Auch schon aus dem Umstand, dass die Bulbustheile von dem Tumor- gewebe durchwachsen, dass die Linsen- und die Retinaan- lage durch Bindegewebe und Fettgewebe getrennt sind, müssen wir auf ein Stadium zurückgreifen, in dem die Bul- bushüllen noch unfertig sind, und in dem die Geschwulst- elemente in die Bulbusanlage eindringen konnten. Am ein- fachsten wäre die Annahme, dass die Elemente durch die Fötalspalte in das Bulbusinnere eingedrungen sind. Wir werden also genöthigt sein, das Auftreten der Entwicke- lungsstörung in eine sehr frühe Zeit zu verlegen. Und zwar möchte ich als ungefähren Zeitpunkt dafür den An- fang des zweiten Monats hinstellen.

Um diese Zeit ist die Augenspalte noch offen, wie Eölliker^) an einem fünf Wochen alten menschlichen Em- bryo feststellen konnte. Die Linsenanlage ist noch weit zurück, denn aus der Zusammenstellung, die KöUiker von den jüngsten Embryonen giebt, kann man entnehmen, dass die Linsenabschnürung erst in der fünften Woche vollendet ist. An den vier Wochen alten Embryonen war die Linse noch durchweg o£fen. Die bis ist um diese Zeit noch nicht gebildet, die Umhüllungshäute sind noch nicht di£ferenzirt. Hätten wir in der beschriebenen convexen Scheibe wirklich eine rudimentäre Cornea vor uns, so würde das mit den angegebenen zeitlichen Verhältnissen auch stimmen, da die

^) Verhandlangen der physik.-medic. Gesellschaft zu Würzbarg. XVII, 1883.

140 I>r. A. Wagenmann.

Anlage der Cornea in die fünfte bis sechste Woche zu ver- legen ist, wie der Befund Kölliker's darthut. An einem fünf bis sechs Wochen alten Embryo fand Eölliker eine deutliche Faserhaut, die an den vierwöchentlichen Embryo- nen noch fehlte.

Ferner würde der Umstand, dass an der rudimentären Cornea unseres Falles die Descemet'sche Membran fehlt, dafür sprechen, dass zwar die erste Anlage der Cornea er- folgt, dass aber die weitere Entwickelung zu einer Zeit ge- stört ist, wo die Descemet'sche Membran noch fehlt. Da von Donders die Descemet'sche Membran erst bei einem zwei- bis dreimonatlichen Embryo constatirt ist, so würde die angenommene Zeit den Befund in unserem Fall erklären.

Sodann spricht für eine frühzeitige Entwickelungsstö- rung noch das Fehlen von Nervenfasern in der rudimen- tären Retina, indem man annehmen muss, dass die Opticus- fasern, die ja von aussen her in die Retina hineinwuchern, die Retina noch nicht erreicht haben. Freilich kann die- ser letzte Punkt für die Zeitbestimmung weniger verworthet werden, da das letzte Ende des Bulbusrudiments und der Orbitalinhalt nicht zur Untersuchung vorliegt.

Es würde also alles dafür sprechen, dass um die an- gegebene Zeit Anfang des zweiten Monats die Ent- wickelungsstörung durch den Tumor stattgefunden hat, in- dem er die Bulbusanlage umwachsen und durchwachsen hat.

Wo die erste Entwickelung der Geschwulst stattgefun- den hat, ist nicht auszumachen. Ich stelle mir vor, dass von einer Stelle aus die Wucherung ausgegangen ist und die ganze fötale Bulbusanlage umfasst hat. Da das Cor- nealepithel fehlt, so könnte man denken, dass die Geschwulst^ bildung von der vorderen Bulbusoberfläche ausgegangen sei und von hier die Bulbusanlage umschlossen habe. Es würde sich dann die Dermoidbildung den anderen Comealdermoi- den anschliessen, nur dass sie sehr frühzeitig aufgetreten und nach hinten vorgedrungen ist.

üeber einen merkwürdigen Fall von DermoidgeschwuUt etc. 141

Es ist ja überhaupt die Frage der Entstehung der Der- moide noch immer dunkel; auch der mitgetheüte Fall yer- mag die Frage nicht zu entscheiden. Zu den früheren Er- klärungen ist in neuerer Zeit noch die Hypothese yan Duy- se's hinzugekommen, der die Entstehung der Dermoide, so- wie auch die der Lidcolobome etc. auf abnorme Verwach- sungen des Amnion mit der Oberfläche des Embryo zurück- fuhrt, eine Hypothese, deren Beweis noch aussteht und gegen die sich manches anführen lässt. Da ich Thatsäch- liches durch meinen Fall nicht vorbringen kann, so will ich mich auf die Frage der Entstehung der Dermoide nicht weiter einlassen. Wir haben es eben mit heterotopen Kei- men der Cutis zu thun, die ihre eigene Entwickelung als Geschwulst nehmen.

Was die histologische Natur des Tumors anlangt, so ist er zu den Dermoiden zu rechnen. Man kann ihn we- gen seines Fettgehalts Lipodermoid nennen. Umkleidet ist er von einer Cutis, die reich an Papillen, an Haaren, Haar- balgdrüsen und Schweissdrüsen ist Beachtenswerth ist das Vorkommen von quergestreiftem Muskelgewebe in dem Tu- mor, das freilich schon früher von Bögel in einem Der- moid der Cornea beschrieben wurde. In diesem Fall könnte man auch annehmen, dass das quergestreifte Muskelgewebe ans versprengten Keimen der Bulbusmusculatur stamme, wenn es auch jetzt mit dem Rudiment selbst nicht in Ver- bindung steht

Weiter ist erwähnenswerth das Vorkommen von ech- tem Knochengewebe in dem Dermoid. Das Knochenstück- chen lag abseits vom Bulbusrudiment in Bindegewebe ein- geschlossen und hatte offenbar mit demselben nichts zu thun. Da die Dermoide zu den teratoiden Geschwülsten gehören, die aus den verschiedensten Gewebselementen zu- sammengesetzt sind, so kann das Vorkommen von Knochen nicht verwundem. Der Befund ist längst bekannt von Der- moiden an anderen Körperstellen, z. B. im Ovarium, wenn

142 ^f* ^' Wagenmann.

er auch in Cornealdermoiden des Auges bisher noch nicht beschrieben ist Dagegen liegt eine Beobachtung y. Grä- fe's ^) yor yon einem eigenthümlichen Tumor im submu- oösen Gewebe der Lidbindehaut des oberen Lids, in der sich ein wahres Enochenstückchen fand. Man wird mög- licherweise diese kleine Geschwulst zu den subconjunctiva- len Dermoiden rechnen müssen, wenn sich auch der Cha- rakter aus der kurzen Mittheilung jetzt nicht sicher bestim- men lässt.

Aehnlich steht es mit dem Vorkommen yon Knorpel in dem Dermoid. Schon Schweigger*) hat in einem Fall einen in Bindegewebe eingeschlossenen Netzknorpel consta- tirt. Die Lage des Knorpels ist aber hier insofern eine besondere, als er innerhalb des Bindegewebes liegt, das dem Bulbusrudiment angehört Es erstreckt sich eine Strecke weit in den Bulbusstumpf hinein. Zudem ist er als hya- liner Knorpel zu bezeichnen.

Ucber die Bedeutung und die Herkunft der mit Flim- merepithel ausgekleideten Cyste, die den yord ersten Theil des Bulbusrudiments einnimmt, lässt sich nichts bestimmtes aussagen. Da sie ganz innerhalb des Stranges, der das Bulbusrudiment darstellt, liegt, so muss man sie wohl mit dem Bulbusrudiment in Zusammenhang bringen. Die an- dere Möglichkeit wäre ja die, dass sie einen Theil des Der- moids bilde. So hat Friedländer*) in einem Oyarialder- moid mit Flimmerepithel ausgekleidete Cysten beschrieben, die er der Abkunft nach yon den Schweissdrüsen ableitet. Es sollte sich dabei um Retentionscysten handeln, deren Wände sich mit Flimmerepithel bekleideten.

Die Lage der Cyste spricht dafür, dass sie zum Bul- bus gehört Die einzige Beobachtung, die yon dem Vor-

*) Klinische Monatsbl&tter für Augenheilkunde 1863, 1, p. 23. ^ V. Graefe'8 Archiv für Ophthalmologie, VIT, p. 6. ») Virchow's Archiv VI, p. 365.

Ueber einen merkwOrdigen Fall von DermoidgeBchwulst etc. 143

kommen yon einer Cyste mit Flimmerepithel im Auge ge- macht ist, ist die von Krakow^). Derselbe fand bei einem angeborenen Homhautstaphylom in der vorderen Kammer eine mit der Iris in Zusammenhang stehende Cyste, deren Innenwand von Flimmerepithel ausgekleidet war. Erükow nimmt in Betreff der Herkunft des Flimmerepithels an, dass die Keime durch das im Fötalleben perforirte Homhaut- geschwür in das Bulbusinnere gelangt seien und dort zu der Entwickelung der Cyste geführt haben. Und zwar stellt er sich vor, dass die Flimmerzellen aus den Respirations- wegen stammen und durch die Amnionflüssigkeit in den Conjunctivalsack gelangt seien.

Leider bin ich nicht in der Lage, in meinem Fall über die Entstehung der Cyste etwas bestimmtes sagen zu kön- nen. Ich muss mich begnügen, den merkwürdigen Befund zu constatiren und die Möglichkeit zuzugeben, dass, wie Krükow annahm, die Flimmerzellen aus der Amnionflüssig- keit in den Conjunctivalsack gelangten und der Bulbus- oberfläche anhafteten, und dass sie von dem Tumor, der die ganze Bulbusanlage umschlossen hat, ebenfalls mit ein- gekapselt wurden, wobei man freilich annehmen müsste, dass die in der Amnionflüssigkeit schwimmenden Zellen noch lebensfähig blieben und im Stande wären, sich auf fremdem Boden zu entwickeln.

Zum Schluss möchte ich darauf hinweisen, dass der mitgetheilte Fall auch von allgemeinen pathologischen Ge- sichtspunkten aus betrachtet ein grosses Interesse besitzt. Denn was wir vor uns haben, ist allgemein gesagt, eine Missbildung des Auges. Die Aetiologie der Missbildungen ist ja noch vielfach dunkel. Für eine Anzahl der Missbil- dungen jedoch weiss man jetzt sicher, dass sie veranlasst ist durch pathologische Vorgänge in der Fötalzeit, die ähn-

*) V. Graefe's Archiv fttr Ophthalmologie, XXI, 2, p. 216.

144 I^r* A. W&genmanD, Ueber Dermoidgeschwalst etc.

lieh sind den pathologischen Processen des extrauterinen Lebens. In unserem Fall war es eine, die Bulbusanlage um- und durchwachsende fötale Geschwulst, die die Ent- Wickelung des Auges gehemmt und modificirt und damit die beschriebene Missbildung erzeugt hat.

Herrn Professor Leber spreche ich für die freundliche Beihülfe meinen wärmsten Dank aus.

Figuren-Erklärung. Tafel vm nnd IX.

Figur 1. Das Lipodermoid in natürlicher Grösse. (Die H&rchen konnten

bei ihrer Feinheit nicht angedeutet werden.) a Geschwulst.

b Stiel der Geschwulst, mittelst dessen dieselbe in der Orbita im- plantirt war.

Figur 2. Uebersichtsbild bei Loupenvergrösserung. Sagittalschnitt, den oberflächlichen Schnitten durch das Bnlbusrudiment entnommen. a Cutis. Ein Stück äusserer Oberfläche des Dermoids. h Fettgewebe des Lipodermoids. c Rudimentäre Cornea, an den ursprünglichen Horizontalschnitt

des Präparats stossend. d Rudimentäre vordere Kammer. e Pigmenttrichter, das Retinalrudiment umfassend und nach hinten

in den Stiel übergehend. f Rudimentäre Retina, soeben getroffen.

g Cyste mit Flimmerepithel, hier die Spitze des Rudiments ein- nehmend. h Hyaliner Knorpel. t Bindegewebe, in das die Nester von Linsenzellen eingelagert sind.

Figur 3. Rudimentäre Cornea (schwache Vergrösserung). a Cornea.

b Rudimentäre vordere Kammer, c Lage von epithelartigen Zellen. d Linsenrudiment in Gestalt von Bläschenzellen. e Fettgewebe des Lipodermoids. f Bindegewebe des Bulbusrudiments.

T. Oraefe'ii Archiv fQr Ophthalmologie. XXXV. 3. 10

146 ^^- A. Wagenmann, üeber Dermoidgeschwulst etc.

Figur 4.

SagittalBchnitt aus den tieferen Schichten des Bulbusrudiments.

(Schwache Yergrösserung.)

a Cutis der Äusseren Oberfl&che des Dermoids.

b Fettgewebe des Lipodermoids, unmittelbar an das Rudiment stossend.

e Linsenrudiment, hier aus einer compacten Masse von Bl&schen- zellen bestehend. Die kleinen Nester, die seitlich davon im Bin- degewebe liegen, sind bei dieser Yergrösserung nicht zu sehen.

d Pigment im vorderen Bulbusabschnitt.

e Retina, stark gefaltet.

f Pigmenttrichter, die Retina umschliessend und sich nach hinten in den Stiel der Geschwult fortsetzend.

g Bindegewebe, die beiden Bulbusabschnitte trennend.

h Glattes Muskelgewebe.

Figur 5. Ein Stackchen aus der rudimentären Retina, stark vergrössert.

Figur 6 und 7. Linsenzellen mit merkwürdigem fädigem Gerüst im Innern.

Zur pathologischen Anatomie und Pathogenese des Schichtstaars.

Von

Dr. Otto Schirmer,

Privatdocent und zweiter AssisteDt an der Universitftts -Augenklinik

zu Göttingen.

Mit Tafel X— XII.

Die Arlt'sche Theorie von der Entstehung des Schicht- staars — Lockerung des Kerns von der Rindensubstanz durch heftige Convulsionen im Kindesalter und dadurch hervorgerufene Trübung der Grenzschicht zwischen beiden wurde vor nunmehr 24 Jahren vollkommen durch die Horner'sche verdrängt, die, von einer geläuterten Erkennt- niss der Entwickelungsgeschichte der Linse ausgehend, an- nahm, dass nur die eben in Entstehung begriffenen, also die jüngsten Fasern von der schädigenden Ursache betrof- fen würden, sich deshalb als trübe Schicht bildeten und nun durch Auflagerung neuer, durchsichtiger Schichten, während der Kern in gewohnter Weise schrumpft, von der Kapsel ab allmählig dem Gentrum zugerückt würden. Seit- dem hat diese Ansicht unbestritten als die allein richtige gegolten, um so mehr, als sie von Leber ^) auch durch eine experimentelle Beobachtung gestützt werden konnte.

*) Kemstaarartige TrQbnng der Linse nach Verletzong ihrer Kapsel etc. v. Graefe's Archiv für Ophthalmologie, XXVI, 1, S. 283 1880.

10*

148 Dr. Otto Schinner.

bis im Yorigeu Jahre Beselin^) den Versuch machte, auf Grund der pathologisch-anatomischen Untersuchung eines Falles von Zonularstaar eine neue Theorie der Pathogenese desselben aufzustellen, welche sich der Becker'schen An- schauung von der Entstehung der senilen Katarakt an- schliesst Jener Autor hatte nämlich in seinem Falle nicht nur eine schmale, continuirliche Spalte zwischen Kern und Gorticalis gefunden, die er für das anatomische Substrat des Schichtstaars hielt, sondern auch eine Alteration des Kerns; derselbe war von einer grossen Menge kleinster Spalten und Lücken durchsetzt, welche, gleichwie die eben erwähnte grössere Spalte, mit einer feinkörnigen Masse ge- füllt waren. Wenn nun auch Beselin es für wahrschein- lich hält, dass diese Lücken im Kern erst postmortal ent- standen sind der grosse concentrische Spalt dagegen ist seiner Annahme nach schon im Leben vorhanden , so glaubt er doch mit Sicherheit aus ihnen eine chemische Alteration des Kerns erschliessen zu können, welche eine abnorme starke Schrumpfung desselben veranlasste. Die äus- seren, neugebildeten Schichten können dem sich retrahiren- den Kern nicht folgen, sondern lösen sich von demselben» CS entsteht eine Spalte zwischen beiden, die oben zuerst erwähnte, und eben diese Spalte soll der pathologisch-ana- tomische Ausdruck des Scbichtstaars sein. Das wesentlich neue an der Beselin' sehen Theorie ist also die Annahme einmal, dass die schädigende Ursache die ganze zur Zeit ihrer Einwirkung fertig gebildete Linse in gleicher Weise betriflfl und zweitens, dass die trübe Schicht nicht unmit- telbar durch das schädliche Moment und nicht gleichzeitig mit dessen Einwirkung gebildet wird, sondern erst durch das Bindeglied einer Kernschrumpfung beliebig lange Zeit später.

') Ein Fall von extrahirtem und mikroskopisch untersuchtem Schichtstaar eines Erwachsenen. Arch. für Augenheilk., Bd. XYIII^ S. 71. 1888.

Zur patholog. Anatomie und Pathogenese des Schichtstaars. 149

Der anatomische Befund Beselin's und damit auch seine Deutung steht im Widerspruch mit den Angaben Deutsch- mann's^), der im Jahre vorher ebenfalls einen Fall von Schichtstaar mikroskopisch untersucht hatte und den Kern unverändert gefunden, dessen Beschreibung demnach als eine Stütze der Hörn er 'sehen Theorie angesehen werden muss und vom Verfasser auch als solche hingestellt wurde. Er wurde dagegen von Lawford^) bestätigt, der Gelegenheit hatte, drei extrahirte Zonularkatarakten zu untersudien und die gleichen Veränderungen im Kern fand, sowie Bruchstücke von Spal- ten, die zwischen Kern und Corticalis gelegen waren. Ob dieser Autor damit auch Beselin's neue Theorie acceptirt, wird nicht gesagt; jedenfalls ist auch Lawford der Ansicht, dass schmale, concentrisch zur Linsenoberfläche zwischen Kern und Corticalis verlaufende Spalten das Wesen des Schichtstaars ausmachen. Ob die Lücken des Kerns post- mortal entstanden sind, wie Beselin will, vermag er nicht zu entscheiden, scheint es aber nicht für unwahrscheinlich zu halten. Um diese Widersprüche klar zu stellen und durch Beibringung neuen Materials eine breitere Basis für die Entscheidung der schwebenden Fragen zu schaffen, möchte ich in Folgendem vier neue Fälle von klinisch dia- gnosticirtem Schichtstaar, darunter zwei doppelte, beschrei- ben, die im Laufe der letzten drei Jahi*e an hiesiger Kli- nik eztrahirt und mir durch die Güte des Herrn Professor Leber zur Untersuchung überlassen wurden. Dem schliesst sich ein weiterer Fall von Schichtstaar an, den ich zufällig bei der Untersuchung eines wegen Schmerzhaftigkeit enu- deirten, secundär glaukomatösen bulbus gefunden habe derselbe hatte wegen eines grossen staphylomatösen Leukoms

^) Pathologisch -anatomische Untersuchung eines menschlichen Schichtstaars. v. Graefe*s Archiv für Ophthalmologie, XXXII, 2, S. 295. 1886.

*) On the pathological Anatomy of lamellar or zonular Cataract. Royal London ophth. Hosp. Rep. Vol. XII, P. II, S. 184. 1888.

150 I>r. Otto Schinner.

der Cornea intra vitam nicht diagnosticirt werden können und schliesslich ein Fall von experimentellem Schicht- staar beim Kaninchen.

Fall 1 (Fig. 1 und 8).

August Br. 10 Jahre alt.

11. September 1886. Beiderseits mittelgrosser ziemlich opaker Schichtstaar; auch einzelne äquatoriale Trabungen finden sich. In anamnesticher Beziehung ist nur notirt, dass Patient erst im Alter von zwei Jahren gehen lernte.

R. Finger in 10—12 Fuss,

L. Finger in 10 Fuss gezählt

Es wurde L. am 13. und R. am 16. September eine Dis- cision gemacht, jedesmal nur ein feiner Ritz in die Kapsel. Da sich die Wunden schlössen, ohne dass auch nur eine Spur von Linsenmasse hervorquoll, wurde am 28. September R. noch- mals die Kapsel in grösserer Ausdehnung discidirt Auch jetzt war der Effect ein sehr geringer. Deshalb erscheint es gerecht- fertigt, entgegen der sonst üblichen Praxis hier ausnahmsweise die Extraction der Katarakt vorzunehmen. Einmal war bei der ziemlich beträchtlichen Grösse der Katarakt und der bei der Discision gezeigten compakten Beschaffenheit der Linse zu erwarten, dass dieselbe ziemlich in toto herauskommen würde, zumal nach vorausgeschickter Kapselextraction nach der För- ster'sehen Methode; und dann war bei der geringen Quel- lungsfähigkeit der Corticalis selbst bei Zurückbleiben von Cor- ticalresten keine erhebliche Gefahr durch Linsenquellung zu besorgen. Die Extraction versprach somit jedenfalls rascher und wohl auch vollkommener zum Ziele zu führen, als die Fortsetzung der Discionsmethode. Es wurde daher am

11. October R. die modificirte Linearextraction gemacht. Es gelingt, die Linse fast vollständig zu entfernen; einige ge- ringe Reste müssen wegen vorgefallenen Glaskörpers im Auge gelassen werden. Normale Heilung. In der Mitte des Golo- boms eine freie, kreisförmige Lücke, die Peripherie noch et- was getrübt Die Sehschärfe betrug am 25. October mit -f- 10 D nur Finger zählen in 18 Fuss, mit -f~ ^^ ^ zählt P. Punkte der Burchardt'schen Probe No. 100 in ca. 20 cm; Patient kann nicht lesen.

Nun wurde am 29. October auch L. die modificirte Linear- extraction gemacht Mittelst der Förster'schen Pincette wird

Zur patholog. Anatomie und Pathogenese des Schichtstaars. 151

ein grosses Stflck Kapsel extrahirt and hierauf die Linse leicht, fast in toto and ohne GlaskOrpenrerlust entbanden. Geringe an der Hinterkapsel zarflckgebliebene Corticalreste resorbiren sich während der völlig normalen Heilung. Am 13. November ist der Augenhintergrund scharf sichtbar. Trotzdem beträgt 8 mit -f- 10 ^ ^^^ ^/eoi B^ ^^ ^^^ jedenfalls eine Amblyopie anzunehmen ist, die auch am anderen Auge die mangelhafte Sehschärfe zum Theil erklärt Seit dieser Zeit hat der Patient nichts wieder von sich hOren lassen.

Die rechte linse ist leider verloren gegangen; die linke, also die nur einmal discidirte, war in Müller'sche Flassigkeit gelegt, wurde gewässert, in Alkohol nachgehärtet und in Cel- loidin eingebettet Ihr äquatorialer Durchmesser beträgt 7 ^/^ mm, der Dickendurchmesser 3^/, mm. Es scheint überall ziemlich gleichmässig viel Corticalis bei der Extraction abgestreift zu sein.

Die mikroskopische Untersuchung wurde hauptsächlich an Schnitten, zum Theil auch an Zupfpräparaten angestellt Die besten Bilder gaben, wie auch Deutschmann hervorhebt, un- gefärbt in Glycerin eingelegte Schnitte. Doch wurde auch hier, wie in den übrigen Fällen die Wirkung von Hämatoxylin, Eosin, Pikrolithionkarmin, Jod, Osmiumsäure und verschiedenen Anilinfarben geprüft, hauptsächlich deshalb, weil in Fall 4 eine eigenthümliche Reaction der Staarschicht auf Hämatoxylin ein- getreten war und ich deshalb glaubte, vielleicht noch ein oder das andere Färbemittel finden zu können, das eine specifische Reaction gäbe. Doch erwies sich diese Hoffnung als falsch, Staarschicht, Kern und Corticalis färbten sich in den drei an- deren Fällen mit allen versuchten Tinctionsmitteln ganz gleich- mässig.

Die getrübte Schicht stellt auf dem Querschnitt ein ova- läres continuirliches Band dar, etwa 0,25 0,30 mm breit, wel- ches makroskopisch und bei Loupenvergrösserung eine völlig scharfe äussere und innere Grenze zeigt (Fig. 1, b) Sein äqua- torialer Durchmesser beträgt 5^/^, der Dickendurchmesser 3 mm. Es stösst vom an den Rand der erhaltenen Linse an, hinten ist es noch durch eine schmale Gorticalschicht von ihm ge- trennt Mikroskopisch zeigt es sich zusammengesetzt aus einer sehr grossen Anzahl kleinster, rundlicher Gebilde (0,008 bis 0,01 mm), die sehr wahrscheinlich als Lücken zwischen den Fasern aufzufassen sind (Figg. 6, 8, b) Es lässt sich nämlich an vielen nachweisen, dass sie entsprechend der Faserrichtung in zwei feine, oft strichförmig verlängerte Spitzen auslaufen,

152 Dr. Otto Schimer.

die nur dem Ansema&derweichen von Fasern entspechen kön- nen; ferner erhielt ich an Zapfpräparaten nie Bilder, welche mit Sicherheit ein Tröpfchen in einer Faser zeigten; ich konnte mich nie bestimmt davon überzeugen, dass es nicht anf oder unter derselben läge. Dagegen sah ich öfters einer Faser seit- lich kleine Gebilde anhaften, welche sich deutlich ausserhalb der Faserhtüle befanden. Kann ich es somit auch nicht mit absoluter Gewissheit aussprechen, dass Tröpfchen innerhalb der Fasern nicht vorkonmien, so ist doch sicher, dass diese nur die sehr grosse Minderzahl bilden können; in der Regel sind sie zwischen die Fasern gelagert. Gefüllt sind diese Lücken ÜEtöt durchweg mit einer bei schwachen Yergrösserungen homo- gen erscheinenden Masse, die sich erst bei Immersion in feinste Körnchen auflöst. Nur wenige und durchweg nur grössere zeigen einen concentrisch geschichteten Inhalt, der übrigens dieselben Farbenreactionen giebt, wie jene feinkörnigen Massen.

Die Linsenfasem in dieser Staarschicht sind im Allgemei- nen erhalten; ihr Verlauf ist ein vielfach gewundener und ge- bogener (Fig. 6), wie zu erwarten war bei so massenhafter Lückenbildung. Zum Theil schon an sehr dünnen Schnitten, besonders deutlich aber an Zupfpräparaten sieht man, dass ihr Aussehen nicht mehr als völlig normal zu bezeichnen ist. Ihre Ränder sind unregelmässig ausgebuchtet, mit feinen Auswüchsen, die zum Theil aber wohl Auflagerungen sind, versehen und mit vielen Zäckchen besetzt; der Inhalt grösstentheils feinkör- nig geronnen. Grössere Myelintropfen konnte ich, wie gesagt, nicht in ihnen nachweisen. Der Eembogen der Linse ist wohl erhalten und lässt sich bis zum Innenrande der Staar- schicht verfolgen. Die Kerne zeigen hier die Degenerations- formen des physiologischen Kemtodes, körnigen Zerfall, wobei die volle Tinctionsfähigkeit für Hämatoxylin und Karmin ge- wahrt ist; doch schien es mir, als ob sich diese Formen hier zahlreicher fänden, als in normalen Linsen. Jedenfalls giebt es auch völlig normale Kerne in der Staarzone.

Die Begrenzung der letzteren nach aussen ist eine recht scharfe. Die Schicht mit den massenhaften kleinen Lücken grenzt unmittelbar, ohne jeden Uebergang, an die Cortikal- schichten an, welche man fast als normal bezeichnen kann, abgesehen von den zu äusserst gelegenen Fasern, die durch mechanische Insulte bei der Entbindung gänzlich verändert und in ihrer Structur zerstört sind. Nur hier und da findet sich eine Gruppe von Tröpfchen, die etwas grösser sind, als wir

Zur patholog. Anatomie und Pathogenese des Schichtstaars. 15 3

sie in der Staarzone gefanden hatten, nur da und dort liegen -einige schmale Spaltsysteme. Doch ist dies Alles recht wenig und man wird sicher nicht fehlgehen, wenn man diese Unre- gelmässigkeiten auf die im Leben beohachteten Trübungen der Gortikalschicht bezieht, zum Theil sind sie vielleicht auch durch 4ie vorhergegangene Discision bedingt, an einzelnen der Spal- ten mag auch die mit der Extraction notwendig verbundene Quetschung Schuld tragen. Alles in Allem aber kann man sa- gen, dass sich die Staarschicht scharf gegen eine verhältniss- mässig normale Gorticalis absetzt. Nicht ganz so ist ihre Orenze gegen den Kern hin (Fig. 8, b), der ebenfalls von vie- len Lücken durchsetzt ist. Makroskopisch erscheint allerdings auch sie absolut scharf, aber unter dem Mikroskop lässt sich -doch ein, wenngleich sehr schneller Uebergang von den Lücken der Staarschicht zu denjenigen des Kerns constatiren. Ich ge- brauche für die letzteren das Wort „Lttcken^^ ohne jeden Vor- behalt, denn es l&sst sich hier überall mit Sicherheit nachwei- sen, dass sie zwischen den Fasern gelegen sind. Die meisten haben zugespitzte Enden, zum Theil sind sie von Fasern durch- zogen, welche die oben beschriebenen Veränderungen zeigen, Zupfpräparate sprechen für diese Anschauung und schliesslich sind die Lücken viel zu gross, als dass man sie sich inner- halb der Fasern gelegen vorstellen könnte. Es beträgt näm- lich ihre Länge 0,04 0,07 mm, die Breite 0,02 0,03 mm; nur spärlich dazwischen verstreut finden sich solche von 0,01 mm Durchmesser, also von der Grösse der in der Staarschicht ge- fundenen. Gefüllt sind alle mit der gleichen feinkörnigen Masse. Im Allgemeinen liegen die grössten Lücken, aber am spärlich- sten gesät zunächst dem Centrum des Kerns; je näher seiner Peripherie, um so kleiner und um so zahlreicher werden sie, bis sie schliesslich in die Staarschicht selbst übergehen.

Zum Schluss sei noch eines Spaltensystems gedacht, wel- ches genau dem hinteren Linsenpol symmetrisch gelagert nach innen von der Staarzone und ihr concentrisch verläuft; es findet sich demnach nur an meridionalen oder nahezu meridionalen Schnitten; je mehr tangential dieselben fallen, um so kleiner wird es und verschwindet bald gänzlich. Die Spalten sind jedenfalls durch die Härtung nicht unbeträchtlich erweitert, denn sie sind fast ganz leer und ich glaube nicht, dass der Inhalt nachträglich herausgefallen ist, da er im Allgemeinen bei Linsen keine grosse Tendenz dazu zeigt; auch in dieser Linse war der Inhalt selbst der grössten Lücken des Kerns

154 I>r. Otto Scbirmer.

stets erhalten. Aber wie dem auch sei, ein schmales Spalten- system mnss an dieser Stelle jedenfalls schon intra vitam vor- handen gewesen sein. Es ist von wohlerhaltenen Fasern durch- zogen, der vorhandene Inhalt ist feinkörnig, wie in den oben beschriebenen Lücken, aber untermischt mit TrOpfchen einer mit Hämatoxylin sich stärker tingirenden Substanz, die weder mit Jod noch mit Osmiumsäure eine charakteristische Beaction giebt Die Grösse «dieser Tröpfchen schwankt von der mini- malsten bis fast zur doppelten Grösse der Linsenkeme. Ich sehe in ihnen nichts weiter als Gerinnungsproducte der Flas- sigkeit, die im Leben diese Spalten füllte. Ihr eigenthümliches Verhalten dem Hämatoxylin gegenüber zeigt eine Annäherung an Fall 4; eine Erklärung für dasselbe vermag ich nicht zu geben.

Der anatomische Befund noch einmal kurz zusammenge- fasst ist also folgender: Entsprechend der makroskopisch als Staar imponirenden Zone findet sich ein ovaläres Band, in wel- chem dicht gedrängt sehr kleine, rundliche Gebilde liegen, die sicher zum grössten Theil, vielleicht alle als Lücken zwischen den Fasern aufzufassen sind. Der Kern ist von einer gerin- geren Zahl grösserer Lücken durchsetzt, die je näher dem Cen- trum um so spärlicher werden. Symmetrisch an dem hinteren Pol gelagert, nach innen von der getrübten Schicht, findet sich ein nicht sehr ausgedehntes System schmaler Spalten. Nach aussen von der Staarzone finden sich nur wenige Lücken und Spalten, die zum Theil auf intra vitam beobachtete Trübungen, zum Theil auf eine vorhergegangene Discision, zum Theil auch auf mechanische Insulte während der Operation zu beziehen sind.

Fall 2 und 3 (Fig, 2, 3, 9, 10).

Auguste M. 14 Jahre alt.

3. Juni 1882. Beiderseits angeblich angeborener Schicht- staar mit Centralkapselstaar.

Beiderseits Finger in 15 Fuss gezählt.

Am gleichen Tage wurden, ohne vorherige Erweiterung der Pupille, R. nach innen unten ein schmales Golobom angelegt.

13. Juni 1882. Normale Heilung. Trotz anscheinend ganz beMedigenden operativen Erfolges ist das Sehvermögen auffal- lend gering, es beträgt nur Finger zählen in 10 Fuss. Dies schlechte Resultat erklärt sich zum Theil durch eine nicht un- beträchtliche Verkleinerung des Linsensystems, wodurch der

Zur patholog. A.natoinie und Pathogenese des Schicbtstaars. 155

Linsenrand in einiger Entfernung vom Homhantrand im Golo- bom zum Vorschein kommt; die übrigen Medien sind klar. Die Fixation ist ansicher, daher die ophthalmoskopische Unter- suchung sehr mühsam, das Bild unklar.

Am 24. Mai 1883 wird Patientin wieder vorgestellt; es ist an dem Tage notirt: beiderseils angeblich angeborener Schicht- staar. R. Colobom nach innen unten.

K 6. Finger zählen in 16 Fuss. Jäger Nr. 6.

L. s. Finger zählen in 5 6 Fuss. Jäger Nr. 17.

Nach Homatropin L. s. Finger zählen in 17 Fuss.

Am 25. Mai 1883 wird L. ein schmales Colobom nach innen unten augelegt Die Heilung verläuft normal.

3. Juni 1883. L. s. Finger zählen in 16—17 Fuss. Jäger Nr. 9.

20. Mai 1889. Die Untersuchung ergiebt jetzt beiderseits einen doppelten Schichtstaar, der durch die Colobome gut sicht- bar ist, während früher nur ein einfacher notirt ist Die in- nere Schicht ist recht klein, aber sehr opak, nicht zu durch- leuchten, die äussere ziemlich gross, ihr Rand hier und da etwas ausgezackt Sie sieht bei focaler Beleuchtung nicht be- sonders dicht aus, bei Betrachtung mit dem Concavspiegel er- hält man jedoch so gut wie kein rothes Licht durch dieselbe. Um diese äussere Schicht liegt eine sehr dünne Lage unge- trübter Fasern. Die Linse ist erheblich geschrumpft, man sieht ihren Rand im Colobom in einiger Entfernung vom Hornhaut- rand verlaufen; die Zonulafasem sind sehr deutlich sichtbar. Am vorderen Pol findet sich beiderseits ein Pyramidalstaar von gelblich-weisser Farbe, dessen Basis auf der äusseren ge- trübten Schicht ruht; seine Spitze prominirt über die Linsen- kapsel. Dieser Befund ist für beide Augen vollkommen der gleiche. Patientin hat nicht auffallend spät gehen gelernt, an Krämpfen will sie nie gelitten haben.

21. Mai 1889. Da die äussere getrübte Schicht so excen- trisch gelegen ist, dass man zumal nach dem günstigen Resul- tat des ersten Falls hoffen darf, die Linse bis auf geringe Cor- Ucalreste entfernen zu können, wird heute R. in Cocainanae- sthesie die Extraction nach innen unten mit Benutzung des alten Coloboms ausgeführt. Nach Vollendung des Schnittes wird der Pyramidalstaar mit der Förster'schen Pincette gefasst; im selben Augenblick macht die Patientin einen heftigen Ruck mit dem Kopf, wodurch der Pyramidalstaar abbricht und nach aussen verschoben wird. Die Kapsel ist indess genügend er-

156 I>r. Otto Schirmer.

öffnet, die Linse tritt auf sanften Druck ohne besondere Schwie- rigkeit aus; das Pupillargebiet scheint rein.

3. Juni 1889. Der Heilungsverlauf war normal. Verschie- dene Staarreste, die, an der hinteren Kapsel gelegen, in den ersten Tagen doch noch zum Vorschein gekommen waren, haben sich grösstentheils resorbirt.

s. mit + 9 D = «/eo, mit + 14 D Jäger Nr. 6.

5. Juni 1889. L. in Chloroformnarkose Extraction nach innen unten, die in ähnlicher Weise verläuft; nur tritt zusam- men mit der Linse eine kleine Glaskörperblase aus, die abge- tragen wird. Der Pyramidalstaar konnte hier mit der Förster- schen Pincette entfernt werden.

18. Juni 1889. Die Heilung war auch auf diesem Auge in normaler Weise von Statten gegangen. Auch hier hatten sich in den ersten Tagen nach der Operation einige zurück- gebliebene Corticalflocken gezeigt, die jetzt fast völlig resorbirt sind. L. mit + 9 Ds = %o» mi^ + 14 D Jäger Nr. 5. Der Augenhintergrund ist beiderseits völlig normal, das Bild noch durch etwas Kapseltrübung verzerrt.

Sofort nach der Extraction war die rechte Linse in Mül- ler'sche Flüssigkeit gelegt; nach 17 Tagen wurde sie heraus- genommen, gewässert und in Alkohol nachgehärtet. Die linke Linse kam sofort in 60 ®/o Alkohol, der binnen vier Tagen bis zu absolutem gesteigert wurde. Beide Linsen wurden in Celloidin eingebettet, mit dem Mikrotom geschnitten und theils gefärbt, theils ungefärbt in Glycerin oder Canadabalsam unter- sucht. Ich beschreibe hier nur die eine der beiden Linsen, da die andere eine bis in alle Einzelheiten genau gleiche Structur zeigt; auf die einzige vorhaudene Differenz werde ich zum Schlusss aufmerksam machen.

Betrachtet man einen ungefärbt in Glycerin gebetteten Schnitt oder den Querschnitt der Linse selbst, so bemerkt man um einen anscheinend klaren Kern eine nach beiden Seiten hin scharf abgesetzte, getrübte Zone von 0,45 mm Breite (Figg. 2 u. 3). Der lange Durchmesser des Ovals, welches diese Schicht bildet, beträgt 3^4 mm, der kurze 2 mm. Es folgt von neuem eine klare Schicht, die am Aequator sehr viel breiter ist als an den beiden Polen und schliesslich unmittelbar am Linsen- rand — jedoch nur an beiden äquatorialen Parthieen deutlich erhalten von neuem eine trübe Zone von 0,25 0,30 mm Breite. Die Länge der ganzen Linse beträgt R. 6, L. 6 mm, die Dicke R 2^'^, L. 2^/4 mm.

Zur patholog. Anatomie und Pathogenese des Schichtstaars. 157

Lege ich jetzt den Schnitt anter das Mikroskop nnd be- trachte ihn zunächst nur mit schwachen Yergrössernngen, so sehe ich sofort, dass beide getrübte Schichten aus einer gros- sen Menge von Lflcken bestehen, dass aber auch der Kern and die Zone zwischen den beiden Staarschichten von einer nicht anbeträchtlichen Menge gleicher Gebilde durchsetzt sind (Fig. 9 und 10). Im Kern zeigen dieselben eine Anordnung zu einer dritten concentrischen Schicht, nahe um das Gentrum der Linse gelegen (Figg. 9 und 10 b); nach vorn stösst sie an den klaffenden Sternstrahl an. Makroskopisch ist sie, wenn man sich erst von ihrer Existenz und Lage überzeugt hat, auch als sehr zarte weissliche Linie sichtbar. Die Lücken aller drei Schichten, sowie der zwei intermediären Zonen liegen höchst wahrscheinlich sämmtlich zwischen den Fasern; doch findet sich auch hier eine Anzahl kleinster, rundlicher Tröpfchen, für welche sich dies nicht unmittelbar mit Sicherheit nachweisen liess (Fig. 7 b), sondern mehr aus der Analogie geschlossen wer- den musste. Es gilt für sie Alles bei Fall 1 gesagte.

Die Grösse dieser Lücken ist beträchtlichen Schwankun- gen unterworfen. Die spärlichen im Centrum des Kerns und die der innersten Schicht sind zwischen 0,008 und 0,018 mm lang und etwa ^j^ so breit. Sie liegen mit Vorliebe perlschnur- f5rmig aneinander gereiht, entsprechend der Längsrichtung der Fasern oder scheinen theilweise zusammengeflossen, ähnlich der Abbildung 5 von Beselin. In der nun folgenden interme- diären Zone haben sie im Allgemeinen gleiche Configuration, finden sich aber nur vereinzelt vor. Die mittlere trübe Schicht, die breiteste der drei, enthält die grössten Lücken bis zu 0,08 mm lang und halb so breit (Fig. 7, a); durchschnittlich sind sie vielleicht 0,03 0,04 mm gross. Hier und da werden sie von kleinen Faserbündeln und einzelnen Fasern durch- schnitten. Letztere sind häufig verbreitert und zeigen einen welligen Contour; stellenweise sind sie mit kleinen Buckeln besetzt, wie wenn feinste Tröpfchen daran hafteten. Kerne konnte ich in ihnen nicht nachweisen; überhaupt in dem gan- zen erhaltenen Theil der Linse fand ich keine. Es sind jedoch nicht die eben erwähnten, grossen Lücken allein, welche der mittleren Zone das getrübte Aussehen verleihen; in viel- leicht noch höherem Grade tragen dazu bei eine grosse Anzahl kleinster Tröpfchen von etwa 0,005 mm Durchmesser, ähnlich den in Fall 1 beschriebenen, welche dort allein die Staarschicht büdeten (Fig. 7, b).

158 Dr. Otto Schirmer.

Es folgt die zweite intermediäre Zone, welche relativ we- nige Yerändeningen enthält, abgesehen von einem grossen, concentrischen Spalt, der sich in beiden Linsen verschieden verhält nnd deshalb einzeln beschrieben werden mnss. An der Linse des linken Auges (Fig. 10, e) verläuft er unmittelbar nach aussen von der mittleren Staarschicht. £r setzt am klaf- fenden vorderen Sternstrahl ein, umfasst die ganze Yorderfläche der Linse, umgreift den Aequator und endet an beiden Seiten etwa in der Mitte zwischen Aequator und hinterem Pol, sodass letzterer frei bleibt. Er hält sich nicht mit absoluter Genauig- keit an dieselbe Schicht, sondern macht beiderseits am Aequa- tor einen kleinen Sprung, dergestalt, dass der Spalt in der hinteren Linsenfläche etwas näher dem Gentrum liegt, als in der vorderen. Seine Breite variirt; wo sie am grössten ist, beträgt sie 0,09 mm; im Allgemeinen überschreitet sie 0,05 mm nicht Sein Inhalt ist der gleiche, wie der der oben beschrie- benen Lacken, jedoch hier und da untermischt mit grösseren, mehr homogenen Tröpfchen, die in jeder Beziehung dieselbe Reaction geben, wie die feinkörnig geronnenen Massen. Etwas anders liegen die Verhältnisse am rechten Auge (Fig. 9, e). Auch hier wird sich vermuthlich, unmittelbar nach aussen von der mittleren Staarschicht ein schmaler, aber circulärer Spalt befunden haben. Man kann dies daraus schliessen, dass die Corticalschichten, jedenfalls durch die mechanischen Momente während der Entbindung, sich hier von den mehr centralen Parthieen losgelöst haben, zum Theil an ihnen verschoben, zum Theil von ihnen entfernt, so dass eine klaffende Lacke entstanden ist Hier und da adhäriren der Grenzschicht noch spärliche Reste kömiger Gerinnungsmassen; an anderen Stellen stehen Stümpfe abgerissener Fasern vor, die wohl ursprünglich den Spalt durchquerten; er scheint sich also auch hier nicht an genau dieselbe Schicht gebunden zu haben. Ueber seine Breite lässt sich natürlich nichts aussagen. Ausser diesen beiden Spalten enthält die Zone nur eine massige Anzahl meist etwas länglicher Lücken, die an Aussehen und Menge denjeni- gen vollkommen gleichen, welche zwischen der innersten und der mittleren Trübungsschicht gefunden wurden.

Dieser Fall bedarf noch einer kurzen Epikrise; es ist die Differenz zwischen dem früheren und dem jetzigen Be- funde zu erklären; damals war ein einfacher Schichtstaar notirt, jetzt fand sich ein doppelter. Ist es möglich, dass

Zar patholog. Anatomie und Pathogenese des Schichtstaars. 159

die äussere Schicht damak übersehen wurde? Schwerlich. Wenn sie auch vielleicht vor der Iridectomie nicht bemerkt wurde, da kein Atropin eingetropft worden ist, so hätte sie doch später im Colobom bemerkt werden müssen und sie wäre sicher notirt, da sich ausdrücklich bemerkt findet, dass die ganze Linse etwas geschrumpft ist. Auch im fol- genden Jahre, als sich Patientin zur Operation ihres an- deren Auges wieder vorstellte, ist nur von der Existenz einer einfachen Staarschicht die Rede. Schliesslich wäre zwei- felsohne eine Iridectomie überhaupt nicht vorgenommen, wenn damals schon die gleichen Verhältnisse wie jetzt vor- gelegen hätten; die äussere getrübte Schicht liegt so excen- trisch und müsste damals noch peripherer gelegen haben, so dass nur eine minimale Besserung des Sehvermögens durch Anlegung eines Coloboms zu erwarten gewesen wäre.

Aus all diesen Gründen kann ich es wohl als sicher hinstellen, dass die äussere Staarschicht sich erst nach der letzten Vorstellung im Jahre 1883 entwickelt hat, also zwi- schen dem achten und vierzehnten Lebensjahre der Patien- tin, vermuthlich bald nach dem achten Jahre, da sich jetzt schon wieder eine Schicht ungetrübter Corticalis aussen an- gelagert findet. Man muss hier, da die Iridectomie wohl Niemand wird anschuldigen wollen, eine Wiederholung der ursächlichen Momente annehmen; etwas bestimmtes liess sich auamnestisch allerdings nicht nachweisen.

Die Adhärenz des P7ramidal8taai:s an der äusseren ge- trübten Schicht wird sich in analoger Weise erklären, wie die Adhärenz der Kapselnarbe an dem getrübten Kern in Leber's FalP) von experimentellem Schichtstaar beim Ka- ninchen. Bei der Bildung der zweiten Staarschicht entstand eine so innige Verbindung zwischen dieser und dem Pyra- midalstaar, dass die neugebildeten Fasern nicht zwischen beide vorzudringen vermochten, sondern ein kreisförmiges

') loco cit.

160 Dr. Otto Scbiraer.

Loch frei Hessen, in welcher die Basis des Pyramidalstaars eingeschlossen ist

Fall 4 (Fig. 4).

Werner Str. 33 Jahre.

9. Oetober 1888. L. Cataracta zonularis mit dem Spiegel nicht zu darchlenchten. Bei erweiterter Papille zeigt sich rings um dieselbe eine schmale Schicht ungetrübter Corticalis, in welcher nur hier und da einige trttbe Speichen in der Form der bekannten Reiterchen sich finden. Die ganze Linse ist massig geschrumpft und abgeflacht

L. Finger zählen in 1 Fnss. Lichtschein und Projection gut RsE = ^1^. Linse voUkommen klar und durchsichtig.

Am 23. Oetober 1888 wurde L. die modificirte Linear- extraction nach oben mit dem Linearmesser gemacht. Nach der Lidectomie wird mit der Förster'schen Pincette ein Kap- selstück extrahirt und hierauf der vorsichtige Versuch gemacht, die Cataract durch sanften Druck zu entfernen. Dieselbe stellt sich allerdings ein, aber hinter ihr eine kleine Olaskörperblase. Deshalb wird die Schlinge eingeführt und mit ihr der Staar ohne weiteren Zwischenfall extrahirt; der Glaskörperprolaps wird abgetragen; die Wundränder legen sich gut aufeinander.

10. November 1888. Die Heilung verlief vollkommen nor- mal; in der Pupille liegen noch zarte Kapselreste.

L. mit + 13 Dsph. C D cyl. A. h. 1 + 2,25 s. = «/jg.

Der Staar wurde unmittelbar nach der Operation von mir möglichst vorsichtig in einem grössten Durchmesser durchschnit- ten. Auf dem Querschnitt findet sich eine massig breite, ge- trübte Zone (Fig. 4, b), concentrisch zur Linsenoberfläche ge- lagert, welche einen anscheinend klaren Kern umschliesst Nach aussen von ihr liegen beiderseits am Aequator Gorticalschich- ten, welche bis auf die oben erwähnten, radiären Speichen vollkommen durchsichtig sind; vorn und hinten sind dieselben bei der Extraction abgestreift, ja auch das getrübte Band weisst an beiden Polen einen grösseren Defect auf. Die Länge der Linse beträgt 7, ihre Dicke 3 mm, der Längsdurchmesser der getrübten Schicht 6 mm. Beide Hälften wurden hierauf in Alkohol von steigender Concentration, bei 60 ^/o angefangen, gehärtet, und die eine Hälfte in Celloidin, die andere in Paraf6n eingebettet.

An ungefärbt in Glycerin eingelegten Schnitten findet man ohne Weiteres das oben erwähnte trübe Band wieder, das,

Zur patholog. Anatomie und Pathogenese des Schichtstaars. 161

abgesehen von den beiden Polen, wo es abgestreift ist, ganz continuirlich ist. Die grösste Breite hat dasselbe am Aequator, sie beträgt hier 0,3 mm. Der vordere und hintere Abschnitt des Ovals ist merklich schmaler, etwa 0,2 mm. Unter dem Mikroskop sieht man, dass die trübe Schicht durch eine grosse Anzahl länglicher Lücken zwischen den Fasern gebildet wird, die mit einer ziemlich grobkörnigen Masse gefüllt sind. Ihre Lage zwischen den Fasern lässt sich zweifellos ersehen aus den spitz zulaufenden Enden und der nicht unbeträchtlichen Grösse (0,08 mm lang und 0,04 mm breit). Am sichersten be- weisen es Stellen, wo der Inhalt dieser Lücken herausgefaUen ist, und man die Gontouren der beiden begrenzenden Fasern und ihre schliessliche Aneinanderlagerung auf das Schönste verfolgen kann. Ausser zu diesen grösseren Häufchen ange- sammelt findet sich in der Staarschicht vertheilt noch eine grössere Menge einzeln oder zu mehreren liegender feinster Kömchen, die mit jenen morphologisch und in ihrem Verhalten zu den verschiedensten Färbemitteln vollkommene Ueberein- stimmung zeigen; ich halte deshalb beide für identisch. Sie sind mindestens zum grössten Theil zwischen den Fa- sern gelegen. Besonders schön tritt dies an Uämatoxylinprä- paraten hervor, wenn die Färbung so modificirt ist, dass die Körnchen intensiv blau tingirt, die Fasern ganz hell geblieben sind.

Die Linsenfasern selbst zeigen in diesem Fall grössere Veränderungen, als in den oben beschriebenen.) Sie sind viel- fach verbreitert, ihr Contour ist wellig oder ausgebuchtet, oft geradezu varicös; stellenweise sind sie vollkommen zerfallen. Kerne oder Kemreste konnte ich in ihnen nicht nachweisen.

Ein sehr auffallendes Bild erhält man, wenn man den Schnitt ein oder zwei Minuten in Hämatoxylin legt und dann kurz in Wasser abspült; auf schwach blau gefärbtem Grunde hebt sich die Staarschicht schon makroskopisch tief dunkelblau ab. Bei stärkerer Vergrösserung sieht man, dass diese Tinc- tion durch die Linsenfasern der Staarzone hervorgerufen wird, während der grobkörnige Inhalt der Lücken bis auf den schwach tingirten Rand fast ungefärbt geblieben ist. Besonders inten- siv blau fand ich diejenigen Stellen, wo sich am ungeßlrbten Präparat eine grössere Menge der oben erwähnten, zerstreuten Körnchen fand und ferner die zunächst die Lücken umgeben- den Fasern. Bei längerer Einwirkung des Hämatoxylins färbte sich auch die grobkörnige Inhaltsmasse der Spindeln selbst

▼. Graefe'B Archiv mr OphthalraoloKie. XXXV. 3. 11

162 Dr. Otto Schirmer.

dunkelblau und sie blieb allein intensiv gefärbt, wenn der Fär- bung eine länger dauernde Entfärbung in höchst verdünnter Essigsäure folgte. Gleiche oder ähnliche Tinction konnte ich mit keinem anderen Farbstoff erzeugen; alle färbten den Staar und die umgebenden Linsenschichten gleichmässig. Es wurden versucht Jod, Osmiumsäure, Pikrinsäure, Eosin, Methylenblau, Methylviolett^ Fuchsin, Gentianaviolett und Nigrosin. Eine Er- klärung für dies eigenthümliche Verhalten vermag ich nicht zu geben, ebensowenig eine Analogie dafür aufzufinden. Nur das, scheint mir, kann man mit Sicherheit daraus schliessen, dass der Inhalt der Fasern und die intercelluläre Flüssigkeit in gleicher Weise chemisch verändert sind. Uebrigens möchte ich noch einmal hervorheben, dass die intensive Färbung der Fasern eine diffuse war, nicht durch feinste, dicht gelagerte Körnchen hervorgerufen, die sich intensiv tingirt hatten. Die- ser Befund war übrigens bei der Celloidin- und Paraffineinbet- tung genau der gleiche.

Der Kern zeigt, wenngleich in geringerem Grade diesel- ben Veränderungen, wie die drei oben beschriebenen Fälle: spärliche, rundliche Lücken, 0,015 0,03 mm lang, die wahr- scheinlich zwischen den Fasern liegen. Die Corticalschichten sind bei den verschiedenen, in frischem Zustande mit ihnen vorgenommenen Manipulationen Extraction und Halbirung der Linse so gequetscht und verändert, dass sich über ihr Aussehen in normalem Zustande nichts Bestimmtes sagen lässt

Es scheint mir aus dem klinischen Befunde und der mikroskopischen Untersuchung zweifellos hervorzugehen, dass wir es auch hier mit einem typischen Fall von Schicht- staar zu thun haben, obschon das einseitige Auftreten des- selben bekanntlich eine grosse Seltenheit ist Doch führt schon Davidson^) in seiner Monographie einen Fall an (F. 6), wo sich bei einem 19jährigen Mädchen R. ein klei- ner Schichtstaar und der Ansatz einer zweiten peripheri- schen Zone fand, während L. die Linse vollkommen intact war; und einen analogen Fall sah ich erst kürzlich in hie- siger Klinik bei einem 30jährigen Mann; der Staar hatte

^) Sophus Davidson: Zur Lehre vom Schichtstaar. Inaug.- Dissert Zürich 18ü5.

Zar patholog. Anatomie und Pathogenese des Schichtstaars. 163

sich in früher Jugend spontan entwickelt. Die Entste* hung des Schichtstaars in Fall 4 kann man, obwohl anam- nestische Anhaltspunkte fehlen, doch mit ziemlicher Sicher- heit in eine ausserge wohnlich späte Zeit verlegen, da der längere Durchmesser 6 mm betrug bei einem Alter des Pa- tienten von 33 Jahren. Uebrigeus hatte auch bei Bese- lin's 40 jährigem Patienten die Staarzone eine Ausdehnung von 5 mm. Da hier schon im fünfzehnten Lebensjahr we- gen Schichtstaars eine Iridectomie gemacht war, giebt uns dies einen ungefähren Anhaltspunkt, wie sehr langsam in späteren Jahren die Auflageruug neuer Corticalschichten und die Schrumpfung des Kerns vor sich geht.

In vorstehender Beschreibung habe ich mehrfach, ge- leitet durch ihr mikroskopisches Aussehen für die Zone dicht gedrängter kleiner Lücken, den Ausdruck „Staarschicht" gebraucht und mich dadurch in Widerspruch mit Beselin^) und Lawford^) gesetzt, die für das anatomische Substrat der Trübung conccntrisch den Kern umgebende Spalten hielten; meine Auffassung bedarf deshalb zunächst der Rechtfertigung. Dreierlei haben wir als einen constan- ten Befund in obigen vier Fällen angetroffen: eine vollkom- men oder fast vollkonmien normale Corticalis, eine makros- kopisch als trüber Ring imponirende concentrisch zur Lin- senoberfläche gelagerte Schicht dicht gedrängter, kleiner Lücken in Fall 2 und 3 zwei solcher Schichten und schliesslich einen von ähnlichen, aber meist giösseren und sparsamer gesäten Lücken durchsetzten Kern, der makros- kopisch scharf gegen das trübe Band abgesetzt erscheint; mikroskopisch dagegen ist eine scharfe Grenze nicht zu constatiren; immerhin ist der Uebergang von den spärlichen Lücken des Kerns zu den zahlreichen des eben erwähnten Bandes ein recht schneller. Weder der Kern noch die Cor- ticalis können eine schichtstaarartige Trübung hervorrufen^

*) loco cit.

U*

164 Dr. Otto Schirmer.

es bleibt also nur die intermediäre Zone übrig. Sehen wir, ob sie den zu stellenden Anforderungen genügt. Sie muss sich erstens in jeder Zonularkatarakt nachweisen las- sen. Sechs Fälle dieser Art sind bisher anatomisch unter- sucht; in den vier obenstehenden habe ich diese Schicht beschrieben; der Deutschmann'sche^) enthält ebenfalls „eine Zone getrübter, kataraktöser Linsenmasse von gerin- ger Breite, zu einem concentrisch den Kern umgebenden Ring geschlossen". Deutsch mann fand in diesem Ring „die Linsenfasem im grossen Ganzen als solche erhalten, ihren Inhalt durch Auftreten von zahlreichen Vacuolen und freien Myelintropfen verändert, stellenweise aber Spalten und Lücken zwischen den Fasern, die mit feinkörnigem, fettglänzenden Detritus und grösseren und kleineren feinen Myelintropf(yi gefüllt waren." Also ein Befund genau dem meinigen entsprechend, nur dass sich Deutschmann mit Bestimmtheit dahin ausspricht, Vacuolen und Tröpfchen auch in den Fasern gefunden zu haben. Nur in Beselin's und Lawford's Beschreibung ist von einem solchen Ring nicht die Rede. Sehen wir uns bei beiden Fig. 1 an, so finden wir, unmittelbar nach innen von den Spalten gela- gert, ein ovaläres, den ganzen Kern umgebendes Band klein- ster Tröpfchen, dass nach aussen scharf abgesetzt ist, nach innen schnell in die Lücken des Kerns übergeht, das also, soweit sich aus einer Uebersichtszeichnung ersehen lässt, vollkommen der oben als Staai' beschriebenen Zone iden- tisch gebaut ist auch die von beiden Autoren angege- bene Grösse der Lücken ist die gleiche. Als etwas beson- deres wird von ihnen diese Schicht nicht beschrieben, wahr- scheinlich weil sie sich unter dem Mikroskop nicht als et- was streng diflferenzirtes hervorhebt. Es ist eben nur die Grenzschicht des Kerns und nur graduell von diesem ver-

') Pathologisch -anatomische Untersuchung eines menschlichen Schichtstaars. v. Graefe^s Archiv für Ophthalmologie, XXXII, 2, S. 295. 1886.

Zur patholog. Anatomie und Pathogenese des Schichtstaars. 165

schieden. Ob sie aber makroskopisch sich nicht als trübes Band hervorhebt, sowohl an ungefärbten Schnitten, wie am Durchschnitt der Linse, wie es in allen von mir untersuch- ten Linsen der Fall war, darüber vermisse ich jede An- deutung.

Ebenso wie dieser Forderung genügt das ovaläre Band der zweiten, dass es sich an der Stelle findet, wo iutra vi- tam die Trübung beobachtet wurde.. Genaue Messungen vor der Extraction anzustellen, ist allerdings leider versäumt worden, aber einigermassen darf man sich wohl auf das Augeumaass verlassen und da möchte ich besonders den beiden Fällen von doppeltem Schichtstaar Beweiskraft zu- sprechen. Vor allem aber darf ich nochmals daran erin- nern, dass diese Zone genau dem an Querschnitten makros- kopisch zu beobachtenden, trüben Band entspricht, welches stets für der Staarschicht entsprechend gehalten wurde (Jaeger^), von Graefe*), Davidson*), und dass seine Breite den Angaben entspricht, die bisher in der Literatur darüber vorhanden sind abgesehen von Beselin und Lawford.

Die Zone muss drittens physikalisch befähigt sein, eine der beobachteten gleiche Trübung hervorzurufen. Da zwei- fellos der Brechungsindex des Lihalts der Lücken und der Fasern ein verschiedener ist, wird au den Seitenrändem aller Lücken totale Reflexion eintreten, und da dieselben in vielfacher Schicht hintereinander liegen, ist diese Zone für Lichtstrahlen unpassirbar oder doch schwer passirbar, man erhält nur wenig oder gar kein rothes Licht aus dem Augenhintergrund, und sie muss ferner im auffallenden Licht weisslich erscheinen. Wir haben hier dieselben phy- sikalischen Verhältnisse, wie bei der Milch oder beim Bier-

') E. Jaeger, Ueber Staar und Staaroperationen. Wien 1854. *) V. Graefe, üeber die lineare Extraction des Linsenstaars. Archiv fQr Ophthalmologie, I, 2, S. 236. 1855. •) loco cit.

166 Df- Otto Schirmer.

schäum, je nachdem man den Vacuolen oder Tröpfchen einen höheren oder geringeren Brechungsindex zuspricht, als den Fasern. Die äussere Grenze dieser Zone ist scharf abgesetzt, wie wir es vom Schichtstaar gewohnt sind; die innere ist dies zwar unter dem Mikroskop nicht, wohl aber makroskopisch. Uebrigens zeigt uns auch die klinische Beobachtung keine Thatsachen, welche eine solche scharfe Abgrenzung nach innen postulireu.

Schliesslich ist noch erforderlich, dass keine anderen anatomischen Veränderungen vorhanden sind, welche eben- falls diesen Bedingungen genügen. Es kommen von solchen überhaupt nur in Betracht die Spaltbildungen, welche Be- selin und Lawford als anatomisches Substrat des Staars angesprochen haben. Bei Beselin allerdings fand sich ein solcher Spalt, concentrisch mit geringen Absätzen den gan- zen Kern umgebend und ungefähr in der Schicht gelagert, wo der Staar beobachtet war; die übrigen acht Fälle je- doch lassen diesen Spalt entweder ganz oder doch als ring- förmiges Gebilde vermissen. Auch Deutschmann, auf den sich Beselin beruft, spricht in erster Linie von Verände- rungen der Linsenfasem selbst; die „mit Detritus gefüllten Lücken und Spalten", die er nennt, sind kleinste, spindlige Räume (ca. 0,01 mm lang) und haben ein sehr ähnliches Aussehen, wie in meinem Fall 1, mit welchem der Deutsch- mann'sehe überhaupt die grösste Aehnlichkeit hat. Ich konnte mich von allen diesen Verhältnissen selbst überzeu- gen, da ein nicht unbeträchtliches Stück jener Linse, gewiss über ein Drittel, noch vorhanden war und von mir unter- sucht werden konnte.

Ebenso fehlen in Lawford's drei Fällen auch nur einigermassen continuirliche, concentrische Spalten. Li der rechten Linse von Fall 1 finden sich nur „hero and there fragments'^ einer solchen und wenn man Fig. 1 ansieht, muss man sagen, dass diese Fragmente recht spärliche sind; ich sehe sie nur an der Vorderseite und am rechten Ae-

Zur patholog. Anatomie und Pathogenese des Schichtstaars. 167

qaator; links am Aequator fehlen sie vollkommen und in der ganzen hinteren Hälfte liegen zwei kleinste Spalten. Von der linken Linse dieses Patienten hatten sich keine befriedigenden Schnitte herstellen lassen, doch waren» so- weit es sich constatiren liess, diese Spalten hier noch we- niger ausgebildet, als rechts. Fall 2 schliesslich, wo die Spaltenbildnng noch relativ die grösste zu sein scheint, enthält in keinem Schnitte eine continuirlich den Kern um- gebende Spalte. Fig. 1 der Tafel II soll dieselbe in so grosser Ausdehnung zeigen, wie sie sich auf wenig Schnit- ten findet und auch hier fehlt sie Hoch auf grössere Strecken. Besonders vermisse ich sie gerade am Aequator, wo man doch klinisch stets eine besonders scharfe und ununter- brochene Grenze des Schichtstaars sieht und wo sich eine Lücke sofort bemerkbar machen müsste.

Von den vier oben beschriebenen Fällen zeigt der erste einen wenig ausgedehnten, durch die Härtung etwas ver- breiterten Spaltraum nur am hinteren Pol, Fall 2 und 3 weisen nur nahe der inneren Staarzone eine schmale, un- vollständige, an Meridionalschnitten etwa ^/j der Circum- ferenz umfassende Spalte auf das Substrat der äusseren getrübten Schicht würde hier ganz fehlen und Fall 4 schliesslich lässt ausgedehntere Spalten gänzlich vermissen. Aber abgesehen davon, dass dieser Vorbedingung nicht ge- nügt wird, sind diese Spalten sehr viel schmaler und ihre Breite schwankt in ausserordentlich viel grösseren Grenzen, als bei allen bisher beschriebenen Zonularkatarakten. Sie beträgt bei Beselin nur 0,016—0,08, bei Lawford in FaU 1 0,0125—0,025, in Fall 2 0,0125—0,0375 gegen Vs bis Vi mm (v. Graefe*), ^e V= 0,36— 0,54 mm (Ry- del*) und Davidsen*), 0,20—0,45 in obigen vier Fällen. Diese Gründe machen es mir unmöglich, Boselin's und

*) loco cit.

«) Rydel, Stationaler Kemstaar oder Schichtetaar. Wiener med. Halle. 1864. S. 70 u. ff.

168 Dr. Otto Schimier.

Lawford's Anschauung als richtig anzuerkennen; ich halte viehnehr daran fest, dass die staarige Trübung durch eine schon makroskopisch, als trüber Ring auf dem Durchschnitt sichtbare, ovaläre Zone dichtgedrängter, kleinster, rundlicher oder spindliger, zum Theil ganz unregelmässig gestalteter Lücken bedingt wird.

Als einen neuen Befund bei Zonularkatarakt hat Be- selin Veränderungen des Kerns beschrieben, zahlreiche kleine Tröpfchen, die er zwischen die Fasern verlegt. Wie schon Lawford, so kann auch ich diese Beobachtung nur in jeder Beziehung bestätigen; in allen von mir untersuch- ten Schichtstaaren fand ich dieselben. Eine genaue Durch- musterung einer grösseren Anzahl Schnitte vom Deutsch- mann'sehen Fall Hess mich aber auch dort dieselben Ver- änderungen finden, wenngleich sehr spärlich. Dieselben bil- den demnach einen constanten Befund bei Schichtstaar; sie sind besonders für die Pathogenese desselben von wesent- licher Bedeutung; wir werden bei Besprechung derselben noch näher auf sie einzugehen haben. Ich halte übrigens diese Lücken im Gegensatz zu Beselin durchaus für prä- formirte Gebilde, nicht für Producte der Alkoholhärtung, die uns nur einen Schluss auf verändertes chemisches Ver- halten des Kerns erlauben. Der Hauptgrund, der Beselin zu dieser Auffassung bewog, nämlich die Intaktheit des Kerns im Deutschmann'schen Falle, wo die Härtung in Müller'scher Flüssigkeit geschehen war, fällt ja jetzt fort Auch die von mir untersuchten Fälle waren zum Theil in Alkohol, zum Theil in Müller'scher Flüssigkeit gehärtet; alle weisen genau die gleichen Veränderungen auf, beson- ders frappant war diese Gleichheit bei den beiden Schicht- staaren desselben Individuums (Fall 2 und 3). Allerdings haftet auch meinen Untersuchungen der Mangel an, nicht Zup^räparate der frischen Kerne mikroskopirt zu haben aber einmal hat Leber ^) diese Lücken in dem frischen

*) loco cit.

Zur patholog. Anatomie uod Pathogenese des Schichtstaars. 169

Kern einer Kaninclienlinse nachgewiesen und zweitens, vor allem, die frisch durchschnittene Linse (Fall 4) oder ge- trocknete Linsen (v. Graefe^) zeigen an gleicher Stelle einen trüben Ring von gleicher Breite, wie ich ihn an den gehärteten Linsen fand. Nun halte ich aber die Lücken des Kerns und der trüben Zone, wie es auch Beselin und Lawford gethan haben, da sie die letzteren überhaupt nicht besonders erwähnen, für identische Gebilde, sowohl in anatomischer wie pathogenetischer Beziehung; waren die einen schon intra vitam gebildet, £0 müssen es auch die anderen sein. Da aber an der Stelle, wo die Lücken am dichtesten und auf Schnitten zu einem ovalen Bande ange- ordnet liegen, im frischen und getrockneten Zustand eine trübe Zone sichtbar ist, müssen hier schon vor der Här- tung Veränderungen vorhanden sein, geeignet, eine solche Trübung hervorzurufen eine Aenderung nur im chemi- schen Verhalten des Kerns kann das jedenfalls nicht thun und da ist doch wohl das nächstliegende, die an den Schnitten gefundeneu Lücken für präexistirende Gebilde zu halten, zumal man sie nach der Härtung sowohl in Mül- ler'scher Flüssigkeit, wie in Alkohol findet. Schliesslich möchte ich noch einmal hervorheben, dass wir uns aus Ab- bildung 1 von Lawford oder Abbildung 8 von mir, die Lücken des gesammten Kerns sammt dessen äusserster, von mir für die Staarschicht gehaltenen Zone fortgedacht, un- möglich das klinische Bild eines Schichtstaars construircn können, wenn wir nicht die unwahrscheinliche und gänz- lich unbewiesene Annahme machen wollen, dass ein mor- phologisch unveränderter Kern nur durch chemische Altera- tion trüb werden kann. Darin dass der Kern durchsichtig aussieht, kann ich keine besondere Schwierigkeit für die Existenz dieser Lücken intra vitam erblicken; dieselbe^ sind eben nicht so zahlreich, um seine Transparenz erheblich vermindern zu können. Der beste Beweis hierfür ist, dass

*) loco cit.

170 Dr. Otto Schirmer.

auch die Kerne der gehärteten Linsen, die also gewiss diese Lücken enthalten, selbst auf dicken Schnitten vollkommen durchsichtig erscheinen, während die Staarschicht auch auf den dünnsten, die ich erhielt 0,015 mm trüb aus- sieht. Häufen sich die Lücken sehr stark im Kern, so wer- den sie auch ihn undurchsichtig machen; wir haben das klinische Bild des Kernstaars, der demnach nur eine weiter entwickelte Form der Zonularkatarakt ist.

Dreierlei macht also den anatomischen Befund bei Schichtstaar aus: Unveränderte Corticalschichten, eine auf Schnitten ovaläre, bandartige Zone zahlloser, kleinster Lük- ken und ein von ähnlichen Lücken durchsetzter Kern; die zwischen Kern und Corticalis gelegenen grossen Spalten sind kein nothwendiger Befund. Im Centrum des Kerns liegen die Lücken am spärlichsten und nehmen näher der Peripherie an Anzahl zu, an Grösse ab, schliesslich in die zu zweit genannte Zone übergehend. Letztere ist also nur graduell von dem Kern verschieden, sie bildet nur seine äusserste Schicht und man thut deshalb wohl besser, beide als eins aufzufassen. Wenn ich trotzdem stets von ihnen als von getrennten Gebilden geredet habe, so geschah dies hauptsächlich, weil sie sich makroskopisch dififerenziren lassen und weil diese äussere Schicht der von Alters her als anatomisches Substrat des Staars aufgefassten Zone ent- spricht. — Keine Staarform ist bisher bekannt, welche ein gleiches Bild bietet; wir haben deshalb das Recht, jede Linse mit diesen Veränderungen als eine Zonularkatarakt anzusehen, auch wenn dieselbe intra vitam nicht diagnosti- cirt war. Ich reihe deshalb hier die Beschreibung eines Falles an, den ich zufällig bei der Untersuchung eines in anderer Beziehung interessanten Auges gefunden habe. Der- selbe ist um so bemerkenswerther, als er zu den seltenen Fällen gehört, wo ein Schichtstaar erst im späteren Leben und durch andere als durch constitutionelle Ursachen ent- standen ist.

Zur patholog. Anatomie nnd Pathogenese des Schichtstaars. 171

Fall 5 (Fig. 5 und 11).

Frl. H. 27 Jahre alt.

Patientin war sehr scrophnlös and hat immer yiel an Au- genentzündnngen gelitten. Im Mai 1881 wurde sie in Hannover an einem sehr haitnäckigen Homhautgeschwar behandelt, das angeblich seit Monaten bestanden hat Ende 1881 neues Horn- hautgeschwür, das zur Bildung eines Staphyloma partiale führte. Sommer 1882 Druckvermehrung, die eine Iridectomie nöthig machte. Trotz derselben trat noch mehrmals Drucksteigerung auf, die aber stets auf Esenn zurückging.

Am 26. Juli 1888 stellte sich Patientin zuerst hier vor. Es fand sich die Hornhaut völlig getrübt und staphylomatös vorgetrieben, vordere Synechie nach aussen, Colobom nach un- ten, Katarakt, Aequatorialstaphylom und erhöhter Tonus. We- gen häufig recidivirender Schmerzen und aus kosmetischen Rück- sichten wurde am 31. Juli 1888 die Enucleation gemacht. Die vordere Synechie, die sich auch bei der anatomischen Unter- suchung fand, ist ein Beweis, dass eine Perforation stattgehabt haben muss. Ich verlege dieselbe in das Jahr 1881, da seit dieser Zeit bei der Patientin ausgedehntere Homhautprocesse nicht wieder aufgetreten sind. Damals aber hat ein tiefes und hartnäckiges Geschwür bestanden, das jedenfalls zur Perfora- tion geführt hat.

Der Bulbus kam in MüUer'sche Flüssigkeit, nach neun Monaten wurde er herausgenommen, gewässert, in Alkohol nach- gehärtet, in Celloidin eingebettet und geschnitten.

Mit Uebergehung aller übrigen pathologischen Veränderun- gen will ich hier nur das Aussehen der Linse, das uns hier ausschliesslich interessirt, schildern. Sie misst 7^/2 mm im äqua- torialen und 2^/2 mm im Dickendurchmosser. Um den vorderen Pol findet sich ein grosser Eapselstaar, dessen Rückseite von einer continuirlichen Epithellage überkleidet ist. Am Linsen- körper lassen sich schon makroskopisch mehrere Zonen unter- scheiden. Zuäusserst unter der Kapsel befindet sich eine völ- lig durchsichtige Lage (Fig. 5, c), es folgt eine, besonders am Aequator ausgebildete, bis zu den Polen nicht sicher zu verfol- gende Schicht, die in geringem Grade trüb erscheint (Fig. 5, d), dann eine vollkommen trübe, scharf begrenzte, ovaläre Zone, genau von dem Aussehen einer Schichtstaartrübung (Fig. 5, b), die einen durchsichtigen Kern einschliesst (Fig. 5, a).

Die mikroskopische Untersuchung lehrt, dass auch die fei-

1 72 Dr. Otto Schinner.

nen Structurverhältnisse, zumal der beiden letztgenannten Schich- ten, den Veränderungen vollkommen entsprechen, die wir oben bei im Leben diagnosticirten Zonularkatarakten kennen gelernt haben. Die trübe oval&re Zone, deren Breite übrigens 0,25 bis 0,30 mm beträgt, besteht aus einer sehr grossen Anzahl sehr kleiner, dicht gedrängter Tröpfchen (Fig. 11, b), genau von dem Aussehen, der Grösse und dem Verhalten zu Farb- stoffen, wie in Fall 1. Nach aussen ist die Begrenzung dieser Schicht auch mikroskopisch eine scharfe, weniger nach innen. Es liegt dies daran, dass der ganze Kern mit einer nicht un- beträchtlichen Anzahl grösserer Lücken übersät ist, die nach der Peripherie zu kleiner und zahlreicher werden (Fig. 11, a). Eine absolut scharfe Grenze, wo die Lücken des Kerns auf- hören und die der Staarschicht anfangen, ist deshalb schwierig zu ziehen; immerhin ist der Uebergang ein so schneller, dass man sich nicht zu wundern braucht, makroskopisch eine scharfe Grenze zu finden. Auch hinsichtlich der Lücken des Kerns gilt das oben gesagte; sie sind denjenigen der anderen vier Fälle so ähnlich, dass ich auf die dort gegebene Beschreibung verweisen kann. Ihre Länge beträgt 0,02 0,03 mm, ihre Breite ist etwa halb so gross. Nur hinsichtlich ihres Inhaltes besteht eine geringe Differenz; sie sind nicht von einer fein- körnig geronnenen Masse ausgefüllt, sondern zeigen einen ho- mogenen Inhalt, in welchem der Wand angelagert sich ein Ge- rinnsel von etwa der halben Grösse des Tröpfchens findet. Es ist dies natürlich kein principieller Unterschied; es handelt sich hier um weniger eiweissreiche Massen, bei welchen sich während der Gerinnung das Eiweiss zu einem Klümpchen zu- sammengezogen und die Flüssigkeit ausgepresst hat.

Nach aussen an diese Staarzone schliesst sich, wie schon erwähnt, eine makroskopisch leicht getrübte Schicht, die beson- ders am Aequator stark ausgebildet ist, nach den Polen zu allmählig verschwindet. Sie besteht aus zerfallenen und zer- fallenden Fasern, welche theils durch einzelne grössere, mit homogener Masse gefüllte Spalte getrennt, theilweise mit Tröpf- chen durchsetzt sind, welche den oben beschriebenen durchaus gleich sehen (Fig. 11, d). Sie enthalten noch eine nicht unbe- trächtliche Menge Kerne, die aber sämmtlich in Degeneration begriffen sind.

Die äusserste Schicht besteht aus noch lebenden Fasern mit normalen Kernen. Ihre Gestalt ist eine ganz unregelmäs- sige, kolbig, spindlig oder auch mehr kuglig (Fig. 11, c), wie

Zur patholog. Anatomie und Pathogenese des Schichtstaars. 173

man sie beim Erystallwalst trifft nnd wie ich sie schon früher auch bei intacter Kapsel gefanden habe^), wenn durch einen ausgedehnten Zerfall des Linsenkörpers der intrakapsuläre Druck herabgesetzt war. Letzterer allein ist es, der den wachsenden Epithelzellen die faserige Gestalt anweist; fällt er fort, so ist ihnen die Möglichkeit gegeben, ihrem Wachsthumsbestreben nach jeder Kichtung hin nachzugeben und sie erstreben zwei- fellos eine kugelige Form. Gleiche Verhältnisse liegen auch hier vor; durch den beträchtlichen Zerfall von Linsenmasse und die Resorption des entstandenen Detritus muss der intra- kapsuläre Druck nicht unerheblich herabgesetzt sein. Direct bewiesen wird dies durch die sehr beträchtliche Abflachung der Linse, sie ist nur 2 ^/^ mm dick.

Es kann nach diesem Befunde nicht zweifelhaft er- scheinen, dass wir auch hier einen Schichtstaar vor uns haben. Die Veränderungen des Kerns, die bandförmige Staarzone, die durchsichtige Corticalis, alles ist vorhanden. Ungewöhnlich ist dagegen die Zweitheilung der nach aus- sen vom Staar gelegenen Corticalschichten in ein Zerfalls- gebiet und eine krystallwulstähnlichc Zone. Dadurch muss auch das klinische Bild dieses Staars ein aussergewöhn- liches gewesen sein. Er wird sich dargestellt haben als ein typischer Schichtstaar, dem rings am Aequator wie eine Kappe eine zartere Trübung aufgesetzt war und erst auf diese folgten die durchsichtigen Corticalschichten. Doch ist dies ja nur eine Complication, die das Wesen des Staai's nicht weiter berührt und die sich aus seiner Entstehungs- geschichte genügend erklärt. Diese Katarakt ist nämlich, wie sich mit grosser Wahrscheinlichkeit darthun lässt durch Processe, die sich im Auge selbst abspielten, erzeugt wor- den und nicht durch Constitutionsanomalieen bedingt. Er- stens haben wir es mit einem einseitigen Schichtstaar zu thun und diese sind, wie ich schon vorhin erwähnte, sehr selten, wenn eine Allgemeinerkrankung zu Grunde liegt;

») Experimentelle Studie über die Forst er' sehe Maturation der Katarakt, v. Graefe's Archiv für Ophthalm., XXXI V, 1, S. 155.

174 Dr. Otto Schirmer.

zweitens aber fällt seine Entstehung in ein ausserordent- lich spätes Alter. Im neunzehnten Lebensjahr der Patien- tin ist noch nichts Yom Staar bemerkt worden auch von einer Sehstörung in ihrer Jugend ist nichts notirt , später hinderte die dichte Hornhauttrübung einen genauen Einblick, erst die letzte Untersuchung unmittelbar vor der Enucleation stellte die Existenz einer Katarakt fest, ohne aber über deren Aussehen etwas Sicheres eruiren zu können. Dies Alles giebt uns die Berechtigung, den Hornhautpro- cessen, vor Allem dem langwierigen Geschwür im Jahre 1881, das schliesslich zur Perforation führte, eine ursäch- liche Bedeutung zuzuschreiben.

Klinisch sind bereits zwei durch intraoculare Processe bedingte Zonularkatarakte beschrieben. Die erste Beobach- tung rührt von v. Graefe^) her. Bei einem erwachsenen Manne, der seit mehreren Jahren an beiderseitiger Iritis litt, die zu unvollständigem Pupillarverschluss gefuhrt hatte, trat nach der Iridectomie im Colobom der Sector eines Schichtstaars zu Tage, der, wie eine genaue Erhebung der Anamnese ergab, zweifellos erst seit einigen Jahren bestand. Der zweite Fall ist von 0. Becker*) beschrieben. Ein neunjähriges Mädchen hatte vor vier Jahren an einer lang- wierigen Keratitis gelitten, die R. nur einen kleinen Hom- hautfleck zurückliess, L. dagegen zur Perforation geführt haben muss, denn es fand sich nach unten aussen „eine grosse, weisse, an der Oberfläche platte, nicht ectatische, undurchsichtige, in der Mitte bläuliche Narbe, in welche die Iris mit dem ganzen Pupillarrand eingewachsen war." Nachdom durch eine Iridectomie ein freier Einblick ermög- licht war, sah man eine staarige Trübung, von der es Becker

^) Notiz aber Schichtstaar. v. Graefe's Archiv für Ophthalmo- logie, II, 1, S. 273. 1856.

') Cataracta capsularis centralis anterior mit Cataracta noclearis. Bericht über die Augenklinik der Wiener Universität 1863—1865. S. 96. Wien 1867.

Zur patholog. Anatomie and Pathogenese des Schichtstaars. 175

unentschieden lässt, ob es ein Schicbtstaar oder ein statio- närer Kernstaar war; es handelte sich jedenfalls um einen trüben Kern, der von durchsichtiger Corticalis umgeben war; am vorderen Pol fand sich ein Pyramidalstaar. Schliesslich hatte ich selbst ganz kürzlich Gelegenheit, bei einem sechsjährigen Knaben, der beiderseits adhärente, cen- trale Leukome nach Blennorrhoea neonatorum zurückbehal- ten hatte, ausser einem Centralkapselstaar eine sehr zarte, peripher gelegene, schichtstaarartige Trübung zu beobach- ten, die in den vor fünf Jahren angelegten Colobomen sehr deutlich sichtbar war, hauptsächlich bei focaler Beleuch- tung, im durchfallenden Licht machte sich nur ihr Rand als schwache, grauliche Linie bemerkbar. Da alle sonst häufig bei Schicbtstaar gefundenen Symptome Rhachitis, Schädel- deformitäten, hereditäre Disposition, Krämpfe bei die- sem Patienten fehlten, glaube ich nicht fehl zu gehen, wenn ich auch hier den Staar auf den Homhautprocess zurück- beziehe. Er zeigt uns, wie laugsam nach der Geburt die Auflagerung neuer Linsenschichten vor sich geht, ebenso war in v. Graefe's, Becker's und meinem Fall 2 und 3, in welchen nachweislich die Trübungsschicht extrauterin entstanden war, die Dicke der ungetrübten Corticalis ausser- ordentlich gering. Dies macht es wahrscheinlich, dass die meisten Zonularkatarakte, welche nicht einen besonders gros- sen Durchmesser haben, intrauterin entstehen.

Diesen drei Fällen reiht sich der eben beschriebene als vierter an und liefert den Beweis, dass trotz der an- deren Aetiologie doch dieselben anatomischen Veränderun- gen hier zu Grunde liegen. Die Wichtigkeit dieser Beobach- tung für die Pathogenese des constitutionellen Schichtstaars ist in die Augen springend. Ehe ich jedoch hierauf eingehe, möchte ich noch kurz einen experimentell am Kaninchen -erzeugten Schicbtstaar beschreiben, der dem von Leber*)

^) Kernstaarartige Trübung der Linse nach Verletzung ihrer Kapsel etc. v. Graefe's Archiv für Ophthalm., XXVI, 1. S. 283. 1880.

176 Dr. Otto Schinner.

beschriebenen vollkommen analog ist und ihn yielleicht in- sofern zu ergänzen vermag, als Leber die anatomischen Veränderungen hauptsächlich makroskopisch und an Zupf- präparaten feststellte, während ich Schnitte der gehärteten Linse untersucht habe.

Experimenteller Schichtstaar beim Kaninchen.

Am 29. Mai 1888 brachte ich, um die Heilung der Kap- selwunde zu Studiren, an beiden Augen eines ausgewachsenen Kaninchens der Linsenkapsel eine lineare Wunde bei, durch Schnitt mit einem Schmalmesser. Am linken Auge vernarbte dieselbe in gewöhnlicher Weise, es bildete sich nur eine schmale, der linearen Wunde entsprechende Linsentrübung, die im Laufe von Monaten durch neu aufgelagerte Linsenschichten allmählig von der Kapselnarbc abgedrängt wurde. Am rechten Auge schon unmittelbar nach der Operation wurde notirt, dass der Schnitt vermuthlich tief in die Corticalis eingedrungen sei bildete sich in wenigen Tagen eine Totalkatarakt, die nicht durchleuchtbar war. Nach Ablauf der ersten Woche wurde das Thier nur etwa monatlich angesehen und hierbei sowohl eine allmählige Auflagerung durchsichtiger Corticalschichten, als eine allmählige Aufhellung des getrübten Kerns beobachtet. Am 26. Juni 1889, dem Tage, an welchem das Thier getödtet wurde, notirte ich folgendes: „Die Distanz zwischen Linsentrü- bung und Kapselnarbc ist noch beträchtlich grösser geworden, der Staar um ebensoviel kleiner. Sein Aussehen gleicht voll- kommen dem eines Schichtstaars; er schwebt graulich trüb, scharf begrenzt inmitten vollkommen durchsichtiger Corticales, durch die man rings klares, rothes Licht bekommt. Auch der Staar selbst ist in geringem Grade durchleuchtbar, mit Aus- nahme eines quer über ihn verlaufenden, stärker getrübten Streifs, dessen Lage genau der Kapselnarbe entspricht.'^ Letz- tere ist nicht, wie in Leber 's FalP) darch einen zapfenför- migen Fortsatz mit dem getrübten Kern verbunden.

Das Auge wurde enucleirt, in S^/, ^/q Salpetersäure und Alkohol gehärtet, in Celloidin eingebettet und senkrecht auf die Kapselnarbe geschnitten.

Die mikroskopische Untersuchung weist ausser der in normaler Weise ausgebildeten Kapselnarbe und der sehr schön

*) loc. cit.

Zur patbolog. Anatomie und Pathogenese des Schieb tstaars. 177

erkennbaren Yerdoppelung der EapseP) Yeränderangen in der Linse nach, welche einem menschlichen Schichtstaar in jeder Beziehung gleichen. Umschlossen von einer 1 l^l^mm brei- ten, normalen Corticalschicht liegt ein schon makroskopisch als zarter Trübnngsstreif sichtbares, 0,20 mm breites, ovaläres Band, welches sich unter dem Mikroskop in eine Anzahl feiner, theils spindliger, theils rundlicher, theils ganz unregelmässig geform- ter Lücken von 0,005 0,015 mm Durchmesser auflöst; sie liegen beträchtlich spärlicher als in den von mir untersuchten menschlichen Schichtstaaren. Ebenso finden sich im Kern nur wenige solche Lücken und nur in seinen periphersten Schich- ten, nicht nahe dem Gentrum. Inhalt und Tinctionsfähigkeit zeigt nichts Bemerkenswerthes. Auch hier habe ich mich ver- geblich bemüht, für alle diese Lücken ein sicheres Urtheil da- rüber zu gewinnen, ob sie zwischen den Fasern oder in den- selben liegen. Während es sich an vielen nach ihrer Form und dem Verlauf der Fasercontouren sicher darthun lässt, dass sie zwischen den Fasern liegen, erhält man bei anderen den Eindruck, dass sie in denselben gelagert sind-, doch konnte ich hier nie die Möglichkeit sicher ausschliessen, dass sie nicht auf oder unter der Faser sich befänden. Anderweitige Verän- derungen an den Fasern des Kerns, wie sie Leber an Zupf- Präparaten in seinem Fall nachwies, konnte ich an den Schnit- ten nicht finden. Ich halte mit Bestimmtheit die Zone jener kleinen Lücken, die sich auch in Leber's Fall fanden, für die Ursache des Staars und mir scheint die Vermuthung Becker's*), dass dieselben auch dort die Hauptfactoren der Kemtrübung waren, viel für sich zu haben.

Es ist jetzt die Aufgabe, auf Grund dieser anatomi- schen Daten nach einer befriedigenden Vorstellung von der Pathogenese des Schichtstaars zu suchen. Zunächst fragt es sich: Ist eine der drei bisher aufgestellten Hypothesen im Stande 9 alle Ergebnisse der objectiven Untersuchung zwanglos zu erklären. Arlt nahm an, dass heftige Con-

') Schirmer, Histologifiche und histochemische Untersuchungen über Kapselnarbe und Kapselkatarakt, v. Graefe's Archiv für Oph- thalmologie. XXXV. 1, S. 231. 1889.

') Zur Anatomie der gesunden und kranken Linse. S. 123. Wiesbaden 1883.

▼. Gnefe'8 Archiv mr Ophthalmologie. XXXV. 3. 12

178 Dr. Otto Schirmer.

vulsionen in der Kindheit eine Lockerung zwischen Kern und Gorticalis herbeiführen und die betroffene Schicht sich secundär trübe. Diese Theorie, wenigstens in der Darstel- lung, die sie durch RydeP) erfahren hat, geht von der unrichtigen Vorstellung aus, dass in den ei*sten Lebensjah- ren die Corticalschichten aus nur weniger gekernten Fasern, zum grössten Theil aus „Zellen und Kernen" bestehen, die sich erst allmälig vom Centrum der Peripherie zu in Fa- sern umwandeln. Bydel sucht durch diese Darstellung den Einwand zu entkräften, dass man beim Erwachsenen nie- mals nach heftigen Erschütterungen Schichtstaar auftreten sieht. Die Consistenz des Kerns und der Gorticalis seien im Kindesalter, so lange letztere noch sehr viele Liusen- zellen enthalte, weit mehr von einander verschieden, als beim Erwachsenen, wo die Rindenschichten aus schon fer- tig gebildeten Linsenfasern beständen. Jetzt wo wir die liTigkeit dieser Anschauung kennen, tritt jener Einwand wieder voll in sein Recht ein, um so mehr, als auch unter der grossen Anzahl von Contusionskatai^akten, die seitdem beschrieben sind, keine sich befindet, soweit mir bekannt, die sich unter der Form eines Schichtstaars dargestellt hätte. Auch dürften jene Convulsionen in der Jugend, selbst wenn es sich um klonische Augenmuskelkrämpfe gehandelt hat, kaum geeignet sein, genügend grosse Erschütterungen der Linse hervorzurufen. Man denke nur an die vielen Patien- ten mit Nystagmus. Allgemeine Körperkrämpfe aber alte- riren die Linse gewiss noch viel weniger. Es macht femer die grösste Schwierigkeit, die Entstehung der doppelten und dreifachen Staare sich nach dieser Theorie vorzustellen. Aber hiervon abgesehen, sie vermag die Daten der anato- mischen Untersuchung nicht zu erklären; die Lücken im Kern, einer der drei constanten Befunde bei Schichtstaar, sind nach ihr durchaus unverständlich und das allein ge- nügt, um sie unhaltbar ei-scheinen zu lassen.

*) loco cit.

Zur patholog. Anatomie und Pathogenese des Schichtstaars. 179

Im Gegensatz hierzu geht Beselin's Hypothese gerade von den Veränderungen im Kern aus. Nach ihm wirken die schädlichen Momente zu einer Zeit, wo letzterer noch die ganze Linse bildet; sie riefen in ihm wahrschein- lich — keine morphologischen Veränderungen, sondern nur eine chemische Alteration hervor, die eine abnorm starke Schrumpfung desselben veranlasst. Die seit jener Zeit neu gebildeten und ihm aufgelagerten Corticalschichten können sich nicht in gleichem Maasse zusammenziehen, es bildeten sich ausgedehnte Spalten zwischen Kern und Rinde und diese Spalten sind das anatomische Substrat der getrübten Schicht. Es entsteht dieselbe also nicht direkt durch das schädliche Agens, sondern erst secundär vom Kern aus. Beselin's Hypothese liegt eine falsche pathologisch-anato- mische Vorstellung zu Grunde; nicht seine grossen, concen- trischen Spalten bedingen die Staaiirübung, sondern wie ich oben darzuthun bemüht war, die ovaläre Zone klein- ster Lücken, die sich in seinem Falle unmittelbar nach innen von der Spalte findet. Hiermit fällt seine Theorie. Solch grosse Spalten, wie Beselin sie abbildet und wie auch Lawford^) und ich sie gefunden haben, können wohl durch Schrumpfung des Kerns hervorgerufen werden, nie- mals aber kann dadurch ein Bild entstehen, wie wir es thatsächlich in der Staarzone vor uns haben, wie es z. B. Abbildung 8 zeigt.

Homer nimmt an, die schädliche Ursache wirke nur auf die zur Zeit äussersten Linsenschichten; sie trübe die in Bildung begriffenen Fasern oder nach Leber ^) die jüngst gebildeten. Mit dem fortschreitenden Wachsthum der Linse lege sich wieder neue durchsichtige Corticalis auf, die ge- trübte Schicht allmählich dem Centrum zudrängend. Wie wir sehen, lässt auch Hörn er die Veränderungen des Kerns, die damals noch nicht bekannt waren, unberücksichtigt^

*) loco cit.

12*

180 Dr. Otto Schirmer.

aber eine geringe Modification seiner Theorie giebt uns auch für diese eine ungezwungene Erklärung. Nehmen wir an, das ursächliche Moment wirke, wie es ja a priori nicht unwahrscheinlich ist, auf die ganze zur Zeit gebildete Linse, stärker auf die jüngeren, weniger resistenten Fasern, die zudem noch am oberflächlichsten, also der schädlichen Ur- sache am nächsten liegen, weniger stark auf die älteren, schon in Schrumpfung begriffenen, so werden wir Verän- derungen in dem ganzen, von der Staartrübung eingeschlos- senen Gebiet finden müssen, spärlicher im Centrum nach der Peripherie an Zahl zunehmend, bis sie schliesslich in den damals jüngsten Schichten, soweit sie noch nicht zu schrumpfen begonnen hatten, in so grosser Menge 4agem, dass sie schon makroskopisch eine intensive Trübung her- vorzurufen vermögen. Die Dicke dieser trüben Schicht wird abhängig sein, einmal von der Intensität der schädlichen Ursachen und zweitens von der Dauer ihrer Einwirkung. Die innere Begrenzung der Staarzone kann deshalb keine absolut scharfe sein und unter dem Mikroskop sehen wir sie auch nicht so. Dass sie dem blossen Auge scharf ab- gesetzt erscheint, steht hiermit nicht in Widerspruch. Schon unter normalen Verhältnissen ist der Uebergang von kern- haltigen Fasern zu kernlosen, also von lebenskräftigen Fa- sern zu alternden ein ziemlich schroffer; wurden damals nur die lebenden erheblich alterirt, die abgestorbenen sehr wenig, so muss die Grenze jetzt eine noch schärfere gewor- den sein, weil wir die gleiche Zone noch durch Schrum- pfung verkleinert vor uns haben; da fehlt zu allmäliger, auch dem blossen Auge sichtbarer Abstufung eben der Raum.

In welcher Weise man sich die histologischen Details bei der Entstehung der Staartrübung vorzustellen hat, da- rüber lässt uns vielleicht Fall 6 eine vergleichsweise Vor- stellung gewinnen. Man findet im Anfangsstadium der trau- matischen Katarakt eine grosse Menge Vacuolen in der

Zur patholog. Anatomie und Pathogenese des ScMchtstaars. 181

Linse, welche nach Becker^) und Schlösser*) innerhalb der Fasern gelegen sind. Für das oben beschriebene späte Stadium 13 Monate nach der Operation hatte ich es wahrscheinlich machen können, dass wenigstens ein gros- ser Theil derselben sich zwischen den Fasern befindet; es drängt sich mir deshalb die Annahme auf, dass mit der Zeit diese Vacuolen aus der Faser heraustreten können und das ist auch a priori nicht unwahrscheinlich. Jeder fest- weiche Körper, der schrumpft, presst die Flüssigkeit aus, wie wir es am schönsten am Blutkuchen sehen, der das Serum auspresst. Auch die Linsenfasern schrumpfen mit zunehmendem Alter; normaler Weise wandert die hierbei abgeschiedene Flüssigkeit nach aussen hin; liegen jedoch irgend welche pathologische Verhältnisse vor, z. B. eine ab- norme Flüssigkeitsmenge oder eine abnorme Vertheilung der vorhandenen Flüssigkeit, so werden leicht Tröpfchen zwischen den Fasern zurückbleiben können. Für diese Auf- fassung spricht auch, dass die Tröpfchen, die ich in Fall 6 beobachtete, beträchtlich kleiner sind als die Vacuolen, die man nach frischen Kapselverletzungen trifft. Einen analo- gen Process stelle ich mir nun auch beim menschlichen Schichtstaar vor, zunächst bei dem durch Processe am bul- bus selbst bedingten, wo ja die Analogie eine grössere ist, dann aber auch beim constitutionellen. Ich halte es auch hier sehr wohl für möglich, dass die Vacuolen ursprünglich in den Fasern gelegen sind und erst später herausgepresst werden. -Doch will ich dies natürlich nur als eine Vermu- thung hinstellen; es ist ja immer noch möglich, dass hier die Tröpfchen sich von Anfang an zwischen den Fasern befinden.

Noch bleibt zu erklären die meist geringere Grösse der mit Schichtstaar behafteten Linsen und die Entstehung

') loc. cit.

*) Experimentelle Studien aber traumatische Katarakt. S. 7. München 1887.

182 Dr. Otto Schinner.

der 80 häufig in den Corticales vorhandenen Reiterchen. Ich führe beides auf eine abnorme Schrumpfung des patho- logisch veränderten Kerns zurück. Den längeren Ausfüh- rungen Beselin's, welche die Existenz dieser pathologi- schen Schrumpfung darthun sollen, schliesse ich mich rück- haltlos an. Die grössere Härte desselben (v. Graefe*), sein abnorm hohes Brechungsvennögen (Zehender, Mathies- sen und Jakobson*) lassen eine physikalische, vielleicht selbst wie Beselin will, eine chemische Alteration mit gros- ser Bestimmtheit vermuthen. Beselin hat zweifellos Recht, wenn er die Entstehung seiner concentrischcn Spalten auf eine solche Schrumpfung zurückfuhrt; auch die von mir in Fall 2 und 3 beobachteten und Lawford's zwischen Kern und Corticalis gelegene Spalten verdanken zweifellos dem gleichen Vorgang ihre Existenz, nur mit der Deutung der- selben, als anatomisches Substrat des Schichtstaars kann ich mich nicht einverstanden erklären. Vielmehr nehme ich an, dass sie klinisch entweder überhaupt nicht sichtbar sind so lange die in ihnen enthaltene Flüssigkeit klar ist oder aber, wenn dieselbe sich trübt, in Gestalt der bekannten Reiterchen wahrgenommen werden. Kleinero Lücken, besonders wenn sie nahe vor dem Staar liegen, wie in Fig. 1 von Lawford, werden häufig von demselben ge- sondert nicht wahrgenommen werden können, sondern mit ihm verschmolzen erscheinen.

Kurz gefasst würde ich mir im Anschliiss an die Hor- n er 'sehe Theorie die Entstehung des Schichtstaars etwa

^) Ueber den Schichtstaar. v. Graefe^s Archiv für Ophthalmo- logie, I, 2. S. 250. 1855.

*) Zehender und Matthiessen: üeber den Brechungscoef- ficienten kataraktöser LinsenBubstanz. Zehender*8 klinische Monats- blätter, Bd. XY, S. 239. Zehender, Mathiessen und Jakob- son, Ueber den Brechungscoefficienten und die chemische Beschaf- fenheit kataraktöser Linsensubstanz. Ibid. S. 311 und Bd. XVII, S. 307.

Zur patholog. Anatomie und Pathogenese des Schichtstaars. 183

folgendcrmassen vorstellen: Irgend eine Schädlichkeit, deren Wesen uns noch unbekannt ist, wahrscheinlich eine Störung in der Ernährung der Linse ruft sowohl in der zur Zeit ihrer Einwirkung schon gebildeten, wie in den während dieser Zeit entstehenden Linsenschichten Veränderungen hervor, sie erzeugt Vacuolen, die vielleicht anfangs in den Fasern liegen und erst später, wenn die Faser schrumpft, herausgepresst werden, vielleicht aber auch von Anfang an zwischen denselben liegen. Nur die jüngsten Linsenschich- ten, welche noch nicht zu schrumpfen begonnen hatten und die erst während der Zeit, wo die schädliche Ursache wirkte, gebildeten, enthalten eine solche Menge Vacuolen, dass sie eine klinisch wahrnehmbare Trübung erzeugen, nur sie bil- den die Staarschicht Die Zahl der im Kern vorhandenen Vacuolen ist im Allgemeinen zu gering, um eine durch den Staar hindurch sichtbare Trübung zu verursachen. Wird sie gross genug, um auch den Kern getrübt erscheinen zu lassen, so haben wir klinisch das Bild des stationären Kern- staars. Derselbe ist also auch pathogenetisch als eine Varie- tät des Schichtstaars zu bezeichnen; klinisch weiss man längst, dass beide Formen in einander übergehen, dass es oft unmöglich ist zu sagen, ob man einen Kernstaar oder einen besonders opaken Schichtstaar vor sich hat, ja viel- leicht sind diese Kemstaare zum grössten Theil eigentlich Schichtstaare, und schliesslich kommen beide unter gleichen ätiologischen Verhältnissen vor, oft findet man bei verschie- denen Gliedern derselben Familie beide Formen. . Aber wenn der Kern auch nicht trüb ist, so hat er doch stets eine Alteration seiner physikalischen Eigenschaften erlitten, die sich unter Anderen in einer etwas schnelleren Schrum- pfung documentirt. Die nach jener Schädigung neu gebil- dete und der getrübten Schicht aufgelagerte Corticalis ist nicht im Stande mit gleicher Schnelligkeit sich zusam- menzuziehen; es entstehen Spalten in ihnen, die klinisch als Reiterchen imponiren. Da ferner die Neubildung von

184 I>r- Otto Schirmer.

FaBern gewiss nicht schneller vor sich geht» als unter nor- malen Verhältnissen, so bedingt die stärkere Schrompfong des Kerns ein geringeres Gesammtvolmnen der Linse.

Zum Schluss sei es mir gestattet, Herrn Prof. Leber für die Ueberlassung des seltenen Materials und für die freundliche Unterstützung, die er mir bei Anfertigung die- ser Arbeit zu Theil werden liess, meinen aufrichtigsten Dank auszusprechen.

Figuren-Erklärung. Tafel X xn.

Figg. 1 5.

Die Linsen von Fall 1—5 in sechsfacher Vergrösserung entwor- fen mit Hülfe des Lange*schen Zeichenapparates, der bei ungefärb- ten Glycerinpr&paraten auch die Trübungsschichten deutlich erken- nen liess.

In allen Figuren bedeutet a den Kern, h die getrübte Schicht, die in Fall 2 und 3 dreifach vorhanden ist und c die Corticalis; femer in Fig. 2 und 3, d die Zone zwischen den beiden klinisch diagnosticirten Staarschichten und e grössere zwischen beiden gele- gene, concentrische Spalte; in Fig. 5 d die in Zerfall begriffene H&lfte der Corticalis, e den Kapselstaar.

Fig. 6. Aus der Staarschicht von Fall 1. Zahlreiche, kleinste Lücken zwischen den wellig verlaufenden Fasern; bei a ist die äussere Orenze der Staarschicht. Winkel, homog. Immersion ^/j^.

Fig. 7. Aus der mittleren Staarschicht (&, in Fig. 2) von Fall 2. Grös- sere, deutlich zwischen den Fasern gelegene Lücken (a) und kleinere Tröpfchen (&), bei welchen sich nicht sicher entscheiden liess, ob sie in oder zwischen den Fasern liegen. Winkel, Obj. 7.

Figg. 8-11. Die Linsen von Fall 1, 2, 3 und 5 in etwa 22--23facher Ver- grösserung, gezeichnet mit Benutzung der Objective 1, 2 und 4 von

186 Dr. Otto Schirmer, Anat. und Pathog. des Schichtstaars.

Winkel. Die Buchstabenbezeichnang ist genau dieselbe, wie in den Fig. 1—5. Fig. 8 ist nicht nach einem genau meridionalen Schnitt gezeichnet, deshalb fehlt hier das kleine Spaltensystem am hin- teren Pol.

In allen diesen vier Figuren sind die s&mmtlichen Lücken im Yerhältniss zur ganzen Linse viel zu gross gezeichnet. Es geschah dies, um auch die kleineren derselben als Kreise wiedergeben zu können, was andernfalls nicht möglich gewesen w&re.

lieber MikropMlialnins und Cataracta congenita yascnlosa,

nebst einigen Bemerkungen über Drüsen der Ghorioidea und Neubildung von Linsenkapsel.

Von

Dr. med. W. von Grolman, Assistent an der Universit&ts- Augenklinik za Giessen.

Hierzu Taf. XIII, Fig. 1—3.

Der im Nachfolgenden näher beschriebene Bulbus stammt aus der Sammlung der hiesigen Universitäts- Augenklinik. Für die gütige Ueberlassung desselben spreche ich Herrn Prof. von Hippel hiermit meinen besten Dank aus.

Das Präparat scheint mir nicht nur in seiner Eigen- schaft als Mikrophthalmus, sondern auch wegen höchst auf- fallender Veränderungen an der Linse ein allgemeineres In- teresse zu verdienen. Ich gebe zunächst die aus der Kran- kengeschichte entnommenen Data:

Die 12jährige Marg. B. wurde im Mai 1879 von den Eltern in die hiesige Poliklinik geführt. Sie hatte ein klei- neres rechtes Ange mit zur Welt gebracht, das von vornherein eine weisslicbe Trübung im PnpiUargebiete zeigte, die noch damals bestand und zuerst am dritten Tag nach der Gebart des Kindes beobachtet wurde. Bei anstrengender Arbeit soll dasselbe zuweilen gethränt haben. Seit einigen Monaten be- reits klagte die Kleine über Schmerzen und andere sympa- thische Erscheinungen am linken Ange. Ein grauer Schimmer schwebte beständig vor demselben.

188 W. Yon Grolman.

Die Untersuchung ergab ein in allen Durchmessern ver- kleinertes rechtes Auge mit klarer normal gewölbter Cornea, deren Grösse der des ganzen Bulbus entspricht. Vordere Kam- mer ziemlich flach. Iris in der Mitte etwas vorgetrieben, ihr Pupillarrand Qberall mit der kataraktösen Linse verwachsen. Lichtschein fehlt; Druckempfindlichkeit des Corpus ciliare. Mo- tilität nicht im Geringsten gestört. L.A. Myopie Vi 4 S=l. Der Bulbus wurde enucleirt und in MQlier'scher Flüssig- keit conservirt Makroskopisch repräsentirt sich derselbe als vollkommen wohlgebildet; abgesehen von der Verkleinerung ist äusserlich keine pathologische Veränderung wahrzunehmen. Sa- gittaldurchmesser: 14,5 mm, Aequatorialdurchmesser: 15,5 mm, Basis der Cornea 7,5 mm. Nach Theilung des Präparates im horizontalen Meridian fällt die anscheinend wohlgebildete Linse, an der sich zunächst keine Dislocation erkennen lässt, durch ihre schneeweisse Farbe auf. Von ihrem hinteren Pol setzt sich bis zur Mitte des Opticuseintritts ein weisser Strang nach hinten fort. Die Netzhaut scheint total abgelöst und trichter- förmig gefaltet

Nach Einbettung des Präparates in Celloidin zerlegte ich den grösseren Theil der unteren Hälfte in eine Reihe von Serienschnitten, die mit Hämatoxylin und Eosin geförbt und in Canadabalsam eingeschlossen wurden.

Die mikroskopische Untersuchung ergab folgenden Befund: Cornea und Sclera zeigen, abgesehen von einer der Grösse des Bulbus entsprechenden Dickenabnahme keine weitere Anomalie; das Gleiche gilt von dem Sehnerven und seiner Scheide, an dem nur die stark entwickelte Centralarterie auffällt

Die Retina ist überall von der Pigmentschicht abgelöst und bildet die bekannte Figur der Windenblüthe. Eine grös- sere Coutinuitätstrennung konnte ich nicht in derselben nach- weisen. Als wohlbegrenztes Band hebt sich die innere Körner- schicht von dem übrigen Gewebe ab. Innerhalb derselben sieht man überaus zahlreiche rundliche Lücken, die bei schwacher Vergrösserung ganz fein granulirt aussehen, während unter Anwendung stärkerer Objective erkannt wird, dass sie meistens einen Gefössquerschnitt enthalten. Die Wandungen dieser Gre- fässe sind grösstentheils stark verdickt und glasig degenerirt. In nicht wenigen der beschriebenen Lücken ist ein Gefässquer- schnitt nur noch mit Mühe nachzuweisen, während in wieder anderen jede Spur eines solchen fehlt Es liegt die Vermu- thung nahe, dass auch diese Stellen einst gefässhaltig waren.

Ueber Mikrophthalxnas und Cataracta coogen. vasculosa. 189

Als gelblich tingirter Streifen schliesst sich an die inneren Kör- ner die Zwischenkörnerschicht an; obschon meist wohlbegrenzt, ist sie doch an manchen Schnitten wiederum kaum nachzuweisen. Die äusseren Kömer bilden nur eine wirre Masse, die ebenfalls zahlreiche Gefässe aufweisst. Von Stäbchen und Zapfen sind nur vereinzelte Rudimente aufzufinden. Die inneren Theile der Netzhaut zeigen durchweg bindegewebige Degeneration. In allen Schichten findet man unregelmässig vertheilt einzelne Pig- menthaufen. An einer Stelle der Retina ist eine dünne La- melle in Form einer enorm grossen Blase abgehoben, die fast bis zur Pigmentschicht heranreicht.

In dem snbretinalon Raum finden sich nur einzelne kör- nige Gerinnungen, und deckt sich auch der Hauptinhalt des Retinaltrichters im Wesentlichen mit diesem Befund. Ausser- dem erkennt man jedoch, dass der bereits oben erwähnte weisse Strang als die persistirende Arteria hyaloidea aufzufassen ist. Sie zeigt eine sehr starke kernreiche Adventitia und ein auf- fallend kleines Lumen. Ehe ich auf ihr merkwürdiges Ver- halten in Bezug auf die Linse eingehe, möchte ich noch den Befund am Uvealblatt erwähnen. Das Stroma der Chorioidea, die der Sclera überall anliegt, zeigt nur geringgradige entzünd- liche Infiltration, der Ciliarkörper erscheint sogar ganz normal. Die Iris ist gleichfalls frei tou jeder Entzündung; das Stroma derselben schlägt sich um den Pupillarrand des Pigmentblattes herum und bildet auf der Oberfläche der Linse eine zweite dünnere Lage, die sich nach innen zu durch einzelne Pigment- zellen noch in der Nähe des Aequators verräth, während sie nach aussen mit einem stumpfen Rand abschliesst.

Die überall der Chorioidea anliegende Pigmentepithel- schicht ist mit zahllosen sogenannten Chorioidealdrusen über- säet. Da Gama Pinto*) hat sie gleichfalls an einem Kanin- chenmikrophthalmus beobachtet und ausführlicher beschrieben. Er spricht sich entschieden für ihre Entstehung durch Dege- neration der Pigmentzellen aus, während Leber'), gegen den sich Pinto an der erwähnten Stelle wendet, sie für eine Cu- ticulabildung der Pigmeutzellen ansieht.

Eine einheitliche Erklärung für die Genese dieser Gebilde scheint mir überaus schwierig zu sein. Morphologisch möchte ich zwei verschiedenen Arten derselben unterscheiden. Gemein- sam war sämmtlichen Drusen meiner Präparate ein theils ein-

«) No. 1, p. 90. «) No. 2, p. 308ff.

190 W. von Grolman.

üeu^her, theils doppelter oder mehrfacher continnirlicher Epi- thelüberzQg nnd die scharfe Abtrennnng von der Basalinembran der Ghorioidea, die stets unversehrt unter ihnen herzog. In einzelnen etwas dickeren Schnitten fand ich die Dmsen in toto vor, so dass ich eine Flächenansicht der mir zugekehrten Halb- kugel gewinnen konnte; dabei fiel mir zuweilen auf, dass der ganze Epithelaberzug von normaler Beschaffenheit war.

Wesentlichere Unterschiede zeigte dagegen der innere Bau der Excrescenzen. Weitaus die meisten enthielten eine fein gekörnte, zuweilen fast homogene Masse. Bei starker Yer- grösserung gelingt es leicht, diese in einzelne Schollen aufzu- lösen, innerhalb welcher ich an absichtlich etwas mit Häma- toxylin überfärbten Präparaten Eernreste in allen Stadien des Zerfalls nachweisen konnte. In Fig. 2 habe ich rechts eine Druse wiedergegeben, deren Zusammensetzung aus degenerirten Zellen mit theilweise noch wohlerhaltenen Kernen mit Leich- tigkeit zu erkennen ist, während in der zur Linken nur ganz vereinzelte Reste von Zellgrenzen und ein einziger Kern zu bemerken ist.

Eine kleine Minderzahl zeigte den bekannten zwiebelartig geschichteten Bau und eine völlig durchsichtige glasige Be- schaffenheit.

Letzteren Fällen gegenüber liegt der Gedanke an eine Entstehung durch Cuticularbildung wohl sehr nahe; dagegen dttrfte es unmöglich sein für die in Fig. 2 wiedergegebenen Befunde diese Annahme festzuhalten. Andererseits scheint mir die zwiebelartige Schichtung nur schwer durch degenerativ zer- fallende Zellen erzeugt werden zu können. Man muss denn gerade annehmen, dass durch den Druck der im Inneren im- mer stärker quellenden Massen eine verschiedene Dichtigkeit der inneren und äusseren Schichten zu Stande kommt, deren ungleiche Brechkraft dem durchfallenden Lichte gegenüber in den concentrischen Ringen sich optisch geltend macht.

Eine Fülle der interessantesten Veränderungen zeigt die Linse und ihre Kapsel. Ich verweise zum leichteren Yer- ständniss der Beschreibung auf die in grösserem Maassstabe beigegebene Abbildung. Die äussere Form schliesst sich zwar ungefähr der der normalen Linse an, zeigt aber im Einzelnen doch beträchtliche Abweichungen. Weniger kommt dabei die Yergrösserung des sagittalen Durchmessers, als die unregelmäs- sige Krümmung der Oberfläche in Betracht. Die vordere Kap- sel zunächst ist stark und höchst ungleichmässig verdickt Sie

lieber Mikrophthalmas und Cataracta congen. vasculosa. 191

reicht nicht ganz bis zum Aequator, wo sie sich zipfelartig einschlägt, nm keine Fortsetzung auf der Hinterfläche der Linse zu finden. An vielen Stellen insbesondere an den Enden finden sich kolbige Hohlräume, die mit meist wohlerhaltenen oder nur wenig gequollenen Epithelzellen ausgefüllt sind. An manchen Schnitten lässt sich jedoch nachweisen, dass die ganze Kapsel aus zwei Blättern besteht, zwischen denen sich überall vereinzelte Epithelzellen finden, die nur an den erwähnten Stellen zu grösseren Agglomeraten angehäuft sind. Ich komme später nochmals auf diesen Befund zurück. Die Hinterfläche der Linse ist mit einer fein fibrillären bindegewebigen Masse überzogen, die in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der vorderen Kapsel steht; sie zeigt sehr ungleiche Dickenverhält- nisse und sendet zipfelartige Fortsätze theils zwischen die be- nachbarten abgelösten Retinafalten, theils nach der Hinterfläche des Corpus ciliare. Nach hinten setzt sie sich unmittelbar in die verdickte Scheide der Hyaloidea fort. Bei ihrem Ueber- gang in diese treten sofort zahlreiche Kerne in ihr auf. An ihrer Innenfläche lässt sich nur hie und da auf kürzere Strecken eine gleichmässig dicke Lamelle abgrenzen, welche möglicher- weise als Rest der eigentlichen Hinterkapsel zu betrachten ist.

Sehen wir uns nun das Innere des so umschriebenen Hohl- raumes etwas näher an, so finden wir als einzige noch in ihrer Abstammung erkennbaren Reste der Linsenfasern jene tropfen- artigen Gebilde, wie sie in jeder Katarakt zu beobachten sind. Sie sehen da, wo sie in grösseren Gruppen auftreten Fettge- webe auffallend ähnlich. Im Allgemeinen unregelmässig ver- theilt, sind sie doch in den hinteren Parthieen der Linse häu- figer als in der Nähe der vorderen Kapsel zu treffen. Bei der in der Figur wiedergegebenen Yergrösserung sind sie ganz durchsichtig und homogen, während man bei Anwendung stär- kerer Objective eine feine Granulirung ihrer peripheren und eine unregelmässige Zeichnung ihrer centralen Theile erkennt (Fig. 3).

Eiugeschlossen sind sie von einem feinfaserigen Gewebe, dessen einzelne krausgewundene Fibrillen in den peripheren Theilen ein dichteres Netzwerk bilden als im Centrum. Im Allgemeinen folgt die Richtung derselben der normaler Lin- senfasern; nur in der Nähe der vorderen Kapsel sind sie mehr parallel zu dieser angeordnet. Hie und da findet man weisse Blutkörperchen in dem Gewebe zerstreut, die sich an einzelnen Stellen sogar zu dichteren Haufen zusammenfinden.

192 W. von Orolman.

Als drittes Element kommen in allen Präparaten zahlreiche Gefässe vor, von denen oft reich verzweigte Theile innerhalb eines Schnittes beobachtet werden. Das grösste derselben geht in genan sagittaler Richtung vom hinteren Pol der Linse ans. Sein Inneres birgt eine grössere Menge rother Blutkörperchen. Meist jedoch zeigen diese Gefösse starke Wandungen und ein unverhältnissmässig kleines Lumen, so dass sie oft nur eine perlschnurartig angeordnete Reihe Blutkörperchen enthalten (Fig. 1 f). Wo sie im Querschnitt getroffen sind, kann man beobachten, dass die umgebenden Fibrillen die Scheide zur Hälfte concentrisch umfassen, um nach der vorderen Seite hin büschelförmig auszustrahlen (g in der Fig.).

Ueber die Genese des Mikrophthalmus hat Hess*) im vorigen Jahre eine Arbeit veröffentlicht, in der er auf Grund seiner Untersuchungen von fünf mikrophthalmischen Bulbis sehr energisch wieder für die ältere Anschauung eintritt, welche diese Anomalie als eine Hemmungsbildung aufge- fiisst wissen will; er steht nur insofern im Gegensatz zu Manz'), als er den primären Grund nicht in einer über- mässigen Gefässentwickelung des durch den Augenblasen- spalt hereinwachsenden Mesoderms, sondern in einer Binde- gewebshypertrophie dieser Theile sieht.

Bei diesem wie den gleich näher zu besprechenden Erklärungsversuchen wird stets ein Zusammenhang des Mi- krophthalmus mit Colobom, sei es der Iris, sei es der Cho- rioidea oder beider vorausgesetzt.

Ganz anders als obige Forscher suchte bekanntlich Deutschmann') die Entstehung eines von ihm beobachteten Mikrophthalmus beim Kaninchen zu erklären. Er fand in der Gegend des Coloboms ausgesprochen entzündliche Ver- änderungen des Gewebes und schliesst daraus, dass „der grösste Theil, wenn nicht alle diese Bulbuscolobome** als Folgen einer solchen in sehr früher Zeit entstandenen in- trauterinen Entzündung anzusehen seien. Ihm hatten sich in rascher Folge Höltzke^), Falchi^) u. A. angeschlossen.

*) No. 3, p. 147 ff. «) No. 4, p. 68. ») No. 5, p. 112.

*) No. 6, p. 153. ») No. 7, p. 213.

lieber Mikrophthalmus und Cataracta congen. vasculosa. 193

So wenig ich leugnen kann, dass es mir sehr gewagt erscheint, wenn Hess an dem Bulbus seines dritten Falles, der neben totaler Netzhautablösung auch ausgedehnte Hom- hautinfiltration und Vascularisation zeigte, alle entzünd« liehen Erscheinungen in Abrede stellt, so sehr stimme ich ihm bei, insofern er der Meinung derer entgegentritt, die mit Deutschmann statt des „vagen Begriffs der Hern- mungsbildung"^ das soeben beschriebene Causalitätsverhält- niss annehmen möchten. Schon allein die häufige Doppel* seitigkeit, sowie das gleichzeitige Auftreten anderer Bil- dungsfehler des ganzen Organismus legten doch die Un- Wahrscheinlichkeit primärer Entzündungen als Ursache des Coloboms und damit des Mikrophthalmus ziemlich nahe. In gleichem Sinne spricht der Umstand, dass bei Cochin- chinahühnem regelmässig ein Colobom des Ciliarkörpers beobachtet wirdJ)

Sind wir aber durch die Deutschmann'sche Entzün- dungstheorie dem Yerständniss dieser merkwürdigen Miss- bildungen auch nur um ein noch so geringes Maass näher gerückt, wie jener Autor zu glauben scheint? Warum ent- steht gerade an jener verhängnissvoUen Stelle im fötalen Bulbus mit Vorliebe eine ganz lokalisirte Entzündung?

Mir scheint diese Thatsache, die sich nicht leugnen lässt, nur dann verständlich zu sein, wenn man annimmt» dass etwa durch eine abnorme Nährmaterialvertheilung die rechtzeitige Rückbildung der in der Spalte eingelagerten Ge- fasse und mesodermalen Gewebsschichten unterbleibt, wo- durch die secundäre Augenblase bei ihrer Tendenz sich zu schliessen einen Widerstand in dem zwischengelagerten Me- sodermtheil findet, der naturgemäss sehr leicht zu einer entzündlichen Beizung und deren Folgen führen wird.

So wenigstens dürften sich die Vorgänge abgespielt haben in den Fällen, wo die Entzündung auf die Gegend

^) No. 8, p. 24 (auch von Hess fttr seine Ansichten jedoch in anderem Sinne verwerthet).

▼. Qraefe'e Archiy für Ophthalmologie. XXXV. 3. 13

194 W. von Grolman.

des Spaltes beschränkt erscheint. Anders steht die Sache dann, wenn eine allgemeine Entzündung der verschiedenen Bulbustheile vorliegt oder überhaupt kein Zusammenhang mit unvollkommener Rückbildung des gefasshaltigen Meso- dermfortsatzes nachzuweisen ist. Ausgedehntere entzünd- liche Vorgänge haben sich in unserem Bulbus zweifellos abgespielt. Es fragt sich nur, ob dieselben bereits wäh- rend der embryonalen Periode oder erst nach der Geburt ihren Anfang genommen. In dem erwähnten Falle FaU chi's lagen ähnliche Verhältnisse vor. Das Auge war we- gen Schmerzhaftigkeit im 29ten Lebensjahre der Trägerin enucleirt worden. Während der Autor seinen Befund zu Gunsten der Entzündungstheorie anwenden will, weist He ss^) diese Ansicht zurück, indem er annimmt, dass jene Verän- derungen post partum entstanden seien.

Was nun meinen Fall betrifft, so halte ich es für ziem- lich schwierig, in dieser Beziehung eine sichere Entschei- dung zu treffen. Auf den ersten Blick scheint zwar die Annahme, dass der Mikrophthalmus entzündlichen Vorgän- gen seinen Ursprung verdanke, ungemein viel für sich zu haben. Während doch, so wird man sich sagen, in den übrigen Fällen die gleichzeitige Anwesenheit eines Golo- boms trotz vorhandener Entzündung die Bedeutung dieser in genetischer Beziehung zweifelhaft macht, fällt dieses Di- lemma hier einfach weg. In der That unterscheidet sich der von mir beschriebene Bulbus von fast allen anatomisch untersuchten Mikrophthalmen durch die Abwesenheit jener Anomalie. Manz^) äussert sich über diesen Punkt am Schlüsse seiner Besprechung der Genese des Mikrophthal- mus folgendermassen: .... Es soll damit nicht gesagt sein, dass der Mikrophthalmus keine andere Ursache haben könne als das Colobom; es können gewiss auch andere Ereignisse daran Schuld sein, die uns bei dem geringen vorliegenden anatomischen Material noch unbekannt sind'S

») No. 1. «) No. 4, p. 134.

lieber Mikrophthalmus und Cataracta congen. vasculosa. 195

und Arlt^) sprach sich noch im Jahre 1885 dahin aus, dass jeder Mikrophthalmus mit Colobom verbunden sei. Sehe ich von den Fällen ab, in denen einzelne Theile des Bulbus ganz fehlten, wie z. B. dem dritten von Hess be* schriebenen, so wüsste ich nur den von dem gleichen Autor angeführten „reinen Mikrophthalmus'S der jeder weiteren Missbildung entbehrte und den von Falchi'), sowie den mei- nigen zur Widerlegung der Arlt' sehen Ansicht anzuführen. Statt des Coloboms finden wir in unserem Bulbus eine persistirende Art. hyaloidea. Eine solche wird neben gleich- zeitigem Colobom von zahlreichen Autoren erwähnt. Ich ver- weise auf die Fälle von HäneP), Hess*) u. A. Becker*) sagt sogar: „Das Persistiren der Art. hyaloidea und minde- stens eines Theils der gefässhaltigen Linsenkapsel ist die Regel.** Nun kann man freilich nicht behaupten, dass eine restirende Glaskörperarterie an sich etwas mit dem verzö- gerten Schluss der Augenspalte zu thun habe. Allein der Umstand, dass sie fast immer bei gleichzeitigem Vor- handensein von Mikrophthalmus und Colobom beobachtet wird, legt doch den Gedanken nahe, dass da, wo das Colo- bom zwar fehlt, aber der Mikrophthalmus vorhanden ist, ähnliche Processe zu ihrer Persistenz gefuhrt haben, als in jenen Fällen von Mikrophthalmus, wo sich die Augenspalte nicht völlig geschlossen hat. Zur Stütze dieser Ansicht sei mir ein Vergleich mit dem ersten Falle von Hess gestattet: Mikrophthalmus ohne Spur einer Entzündung, isolirtes klei- nes Iriscolobom, Arteria hyaloidea. Niemand zweifelt, dass die Ursache aller dieser Missbildungen der verzögerte Schluss der secundären Augenblase war; und doch, wäre die Schlies- sung derselben nur noch wenige Millimeter vorwärts gerückt, so hätten wir nahezu den gleichen Befund wie im vorliegen- den Fall: Mikrophthalmus, Art. hyaloidea, kein Colobom.

^) No. 9 citirt nach dem Referat von Manz in Michels Jahres- bericht 1885, p. 225. «) No. 7. •) No. 10. *) No. 1, FaU 1 und 3. ») No. 11, p. 126.

13*

196 W. von Grolman.

Deshalb glaube ich, darf man auch für diesen einen Zusam-» menhang mit mangelhafter Rückbildung der mesodermalen gefässtragenden Theile nicht ganz zurückweisen. Durch den Kampf der gegen das Mesoderm andrängenden secundären Augenblase könnten die weiteren Störungen, welche ein normal grosses Wachsthum verhinderten, und zu ausgedehn- ten entzündlichen Erscheinungen führten, entstanden sein.

Aus den angeführten Gründen bin ich der Ansicht, dass für unseren Bulbus die Frage, ob ein Entzündungspro- dukt oder eine Hemmungsbildung vorliegt, nicht mit Sicher- heit zu entscheiden ist.

Wenden wir nun unsere Aufmerksamkeit nochmals den Verhältnissen an der Linse zu. Was zunächst das Gefäss- System derselben anbelangt, so scheint es mir nicht zwei- felhaft, dass es als eine directe Fortsetzung der Art. hya- loidea anzusehen ist. Der Bulbus war leider durch den langen Aufenthalt in Alkohol beträchtlich geschrumpft und dabei genau in der Mitte getheilt. So kam es, dass die ursprünglich in dem gleichen positiven Meridian gelegenen Theile sich in einer Bogenlinie aneinander reihten und des- halb keine eigentlichen Horizontalschnitte, sondern lauter Schrägschnitte erzielt wurden. Dies der Grund, warum ich in keinem Präparat eine directe Verbindung des innerhalb des Kapselsacks gelegenen Gefässnetzes mit der Art hya- loidea nachweisen konnte. Dennoch muss man mit absoluter Sicherheit folgern, dass der in der Fig. 1 mit d bezeichnete Gefässstamm seinen Ursprung aus der Hyaloidea nimmt,, und ebenso geht aus der Art der Verzweigung der übrigen intrakapsulären Gefässe ihr Zusammenhang mit d hervor.

Gefässe innerhalb des verletzten Kapselsacks sind mehr- fach beobachtet worden, jedoch wie es scheint nur in Ver- bindung mit gleichzeitiger Knochenbildung. Wenigstens be- gegnete ich keinem andersartigen sicher gestellten Fall in der Literatur. Auch Wedl und Bock^) erwähnen nichts.

») No. 12, S. 170.

lieber Mikrophthalmus uod Cataracta coDgen. vasculosa. 197

hierher gehöriges. Jedenfalls darf ich so viel behaupten, dass alle bisher mitgetheilten Befunde von Vascularisatiou des intracapsulären Gewebes genetisch durchaus verschieden von dem meinigen waren. Stets stammten die Gefasse aus dem benachbarten Corpus ciliare, während hier eine directe abnorme Fortsetzung der embryonalen Glaskörporgefasse in das Innere der Linse stattgefunden hat. Gemeinschaft* lieh dürfte nur Allen die entzündliche Ursache und die voi^ ausgegangene ausgedehnte Verletzung des Kapselsackes sein. Das an die Stelle der hinteren Kapsel getretene Gewebe spreche ich für ein Umwandlungsprodukt des Glaskörpers an. Aehnlicher Herkunft dürfte auch das feinfaserige Netzwerk des Kapselinneren sein. Während es freilich nicht selten, wie dies auch die beigegebene Figur andeutet, durch einen klei- nen Zwischenraum von der Pseudokapsel abgesetzt erscheint, so lässt sich doch wieder an anderen Stellen deutlich er- kennen, wie es direct aus dieser entspringt (siehe Fig. 3). Noch ein paar Worte möchte ich über die Vorände- rungen an der vorderen Kapsel hinzufügen. Wucherungen von Kapselzellen, die aussen und innen von Kapsel begrenzt waren, sind öfters beobachtet worden. Becker^) giebt in seinem Atlas mehrere hierauf bezügliche Abbildungen. Durch genaue Messungen will er festgestellt haben, dass in seinen Fällen die Summe der Dicken der äusseren (sehr starken) und inneren (sehr dünnen) Lamelle stets geuau gleich dem Durchmesser der unversehrten Kapsel in der Nachbarschaft gewesen sei. Er folgert nun, dass es sich nicht um eine Neubildung von Kapsel handeln könne; sondern nur um eine Wucherung der Zellen zwischen den einzelnen Schich- ten der Kapsel, in die sie nach Erosion der innersten La- mellen eingedrungen seien, um sich dort zu verbreiten. Diese Auffassung steht im Einklang mit der Ansicht derer, die die Kapsel als ein Produkt des Mesoderms und nicht als eine Cuticularbildung angesehen wissen wollen.

') No. 11, Abbild. S. 59/60, Text S. 76.

198 W. von Grolman, Ueber MikrophthalmoB etc.

Anders liegen die Verbältnisse in meinem Fall. Schon ein Blick auf die Abbildung genügt, um die Idee einer Spaltung der Kapsel als höchst unwahrscheinlich zurück- weisen zu können. Die stets wechselnde Dicke, die unge- fähre Gleichheit der inneren und äusseren Lamelle, die knopfförmigen Zellenanhäufungen am äquatorialen Ende der Kapsel lassen diesen Gedanken nicht aufkommen. Völlig undenkbar aber ist es, dass die ursprüngliche normale an der Innenseite der Kapsel gelegene Epithelschicht gänzlich verloren ging, während eine von ihr ausgegangene Wuche- rung zwischen die Lamellen der ersteren sich gleichmässig in der ganzen Ausdehnung derselben, meist dazu noch in nur ein- oder zweifacher Lage verbreitet habe. Wir müssen deshalb die vorliegende Veränderung als einen exquisiten Fall von Neubildung der Kapsel durch deren Zellen an- sehen. In der letzten Abtheilung des Archivs für Ophthal- mologie hat Wagenmann ^) ganz analoge Beobachtungen über „Neubildung glashäutiger Substanz" veröffentlicht. Auch er hat eine doppelte Kapsel beobachtet und nimmt nicht nur für sie die gleiche Entstehung an, sondern will auch Bec- ker's Beobachtung so gedeutet wissen, dass an den schein- bar einfachen Stellen sich nur die beiden Lamellen unge- mein dicht aneinander gelegt hätten. Obgleich mir selbst an den ersten Schnitten, die ich untersuchte, die Kapsel- verdoppelung da entging, wo nur vereinzelte Zellen zwischen den beiden Blättern vorhanden waren, so sehe ich doch nicht ein, warum auch nicht der von Becker angenom- mene Modus einer Kapselverdoppelung vorkommen kann, zumal es doch gewiss unwahrscheinlich ist, dass einem so gewiegten Beobachter zwei nur angelegte Lamellen stets als einfache Kapsel imponirt haben sollten.

') No. 13.

Giessen, 20. Juni 1889.

Literaturverzeichniss.

1. Da Gama Pinto, Mikrophthalmus congenitus beim Ka- ninchen. Archiv für Augenheilkunde XIII.

2. Leber, lieber Amyloiddegen. der Conjunct. Archiv für Ophthalmologie XXV, 1.

3. Hess, Zur Pathogenese des Mikrophthalmus. Archiv für Ophthalmologie XXXIV, 3,

4. Manz, Missbildungen des Auges. Graefe-Sämisch Handb. Bd. U.

5. Deutsch mann. Zur pathologischen Anatomie des Iris- und Aderhautcoloboms, als Grundlage eines Erklärungsversuchs der sogen. Hemmungsbildung überhaupt. Klinische Monats- blätter XIX, 101.

6. Höltzke, Mikrophthahnus und Colobom von einem Ka- ninchen. Archiv für Augenheilkunde XII.

7. Falchi, Microftalmo congenito. Annali diOttalmologia XIII.

8. Lieberkühn, Beiträge zur Anatomie des embryon. Auges. Archiv für Anatomie und Physiologie 1879.

9. Arlt, Ueber Mikrophthalmus und Anophthalmus. Anzeiger der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien, citirt nach dem Referat von Manz in Michels Jahrbuch 1885.

10. Hänel, Ein Fall von Arteria hyal. persistens. Persistenz des K ö 11 iker' sehen Mesodermfortsatzes und Iriscolobom. Inaugural-Dissertation München 1886.

11. Becker, Zur Anatomie der gesunden und kranken Linse. Wiesbaden 1883.

12. Wedl und Bock, Textbuch zum Atlas der pathologischen Anatomie des Auges.

13. Wagenmann, Ueber Neubildung glashäutiger Substanz im Auge. Archiv für Ophthalmologie XXXV, 1.

Figuren-Erklärung. Tafel XTTT.

Figur 1. Linse aus einem mikrophthalmischen Bulbus.

, > Blatt der vorderen Kapsel.

Oj Inneres J ^

b Pigmentirte Iriszellen auf der Vorderfl&che der Linsenkapsel.

c B«ste der Linsenfasem.

d Gefässstamm am hinteren Pol der Linse, mit rothen Blutkörper- chen angefüllt (Fortsetzung der Art. hyal.).

f Einfache Reihe rother Blutkörperchen im Innern der Gefässe.

g Gef&ssquerschnitt, um den sich die benachbarten Fibrillen herum- schlingen.

h Ansammlung weisser Blutkörperchen.

% Arteria hyaloidea.

Je Abgelöste Netzhaut.

Figur 2. Zwei Drusen des Pigmentepithels. a Epithelüberzug.

h Degenerirte Epithelzellen mit absterbenden Kernen. e Basalmembran der Chorioidea.

Figur 3. Ein Stück der Pseudokapsel von Flg. 1 mit den angrenzenden TheUen. a Pseudokapsel.

h Feinfaseriges Gewebe im Inneren des Kapselsackes. c Linsenreste (man erkennt in Einzelnen derselben eine periphere

fast homogene und eine mehr centrale Parthie mit unregel-

m&ssiger Gerinnung).

lieber Fädchenkeratitis.

Von

Dr. Ernst Fischer in Dortmund.

(Aus der Klinik von Professor Schoeler in Berlin.)

Mit Taf. XIV und XV, Fig. 1—5.

In der vierzehnten Versammlung der ophthalmologischen Gesellschaft zu Heidelberg (1882) demonstrirte Leber „Fäd- chen" als Product einer eigenthümlichen Form von Keratitis und sagt dazu in einer kurzen in dem Berichte über obige Versammlung niedergelegten Notiz Folgendes:

Ich habe bei einer gewissen Form von Keratitis, die mit Herpes corneae verwandt zu sein scheint, an kleinen Snbstanz- verlusten der Hornhaut weiche Fädchen anhaftend gefunden, die man bei flüchtiger Betrachtung mit gewöhnlichen Schleim- fäden hätte verwechseln können, die aber an der betreffenden Stelle fest implantirt waren, so dass sie sich wohl auf der Homhautoberfläche mit ihrem freien Ende hin und herschieben, aber nicht völlig abwischen Hessen. Hatte man das Fädeben mit einer Pincette abgerissen, so konnte es sich mehrere Male nacheinander regeneriren. Ich habe drei solche Fälle beob- achtet; der letzte wurde durch vorsichtiges Betupfen mit star- ker Carbolsäurelösung zur Heilung gebracht Diese Fädchen haben eine ganz eigentbttmliche Structur: sie bestehen aus einem gedrehten Axenstrang von fibrillärer Beschaffenheit, der von einer mehr lockeren Rindenschicht umgeben ist; beide ent- halten zellige Elemente, auch waren im Inneren Micrococcen eingeschlossen. Die Oberfläche ist zum Theil mit Epithelzellen bedeckt.

202 Dr. Ernst Fischer.

In den „Beiträgen zur pathologischen Anatomie des Auges"*) lieferte Uhthoff eine ausfuhrlichere Beschreibung dieser Fäden mit Abbildung.

Die von ihm gebrauchte Bezeichnung Keratitis bullosa sollte indessen nicht eine Identificirung dieses Processes der Fädchenbildung mit dem klinischen Bilde der Keratitis bul- losa bedeuten, wie es uns Sämisch in dem Handbuche der gesammten Augenheilkunde, Bd. IV, p. 271 entworfen hat, sondern vielmehr darauf hinweisen, dass die Fädchen un- zweifelhaft aus den bullae, den Blasen der Hornhaut, ent- stehen. Nachdem Uhthoff von jener Heidelberger Demon- stration Kenntniss erhalten, identificirte er seine Beobach- tung mit derjenigen Leber's und acceptirte auch für sei- nen Fall die Bezeichnung „Fädchenkeratitis^

Die bis dahin veröffentlichten anatomischen Berichte über Homhautblasen beziehen sich offenbar auf die Kera- titis bullosa (Sämisch). Dahin müssen wir vor allen Din- gen V. Graefe's Fall*) rechnen, dann auch die Fälle von Schweigger und Sämisch^), die Abhandlung von Fuchs ^) „über die Trübung der Hornhaut bei Glaucom", welche auch Leber ^) einer genauen anatomischen Untersuchung unter- zogen hat.

Die Fädchenkeratitis ist eine Erscheinung, welche sich anatomisch von den oben erwähnten Fällen streng sondert und auch klinisch insofern, als sie recht oft ganz gesunde Augen befällt, während die schwappenden grossen verein- zelten Blasen fast nur bei kranken oder degenerirten Bulbi beobachtet wurden.

Vom Standpunkte dos Klinikers aus betrachtet schliesst sich dieselbe vielmehr der Keratitis vesiculosa sive Herpes

') v. Graefe's Archiv far Ophthalmologie XXIX, 3, p. 181. ') V. 6raefe*s Archiv fOr Ophthalmologie II, 1, p. 208. «) Graefe-SÄmisch IV, p. 272.

«) V. Graefe*8 Archiv für Ophthahnologie XXVII, ^, p. 77. *) V. Graefe*s Archiv für Ophthalmologie XXIV, 1, p. 286.

üeber F&dchenkeratitis. 203

corneae an, sei es nun, dass dieser als Begleiter des Her- pes zoster ophthalmicus, Herpes labialis oder nasalis, oder selbstständig an gesunden oder nur leicht katarrhalisch etc. afficirten Augen auftritt

Spiegelnde Bläschen, multipel, gruppenweise angeord- net, bald randständig, bald über die ganze Cornea verbrei- tet, kaum stecknadelkopfgross, so lautet die Beschreibung des Krankheitsbildes bei Keratitis vesiculosa und viel an- ders kann sie auch hier nicht lauten. Auch der Verlauf der Affection, das rasche Vergehen der alten und die stete Wiederkehr der neuen Efflorescenzen, die relative Ohnmacht der localen Therapie, unter deren Einfluss scheinbar der Process in dem einen Falle rasch sein Endo findet, in dem anderen Falle beliebig lange weiter existirt, lassen die Fäd- chenkeratitis in dem Systeme der Homhauterkrankungen ihren Platz zunächst neben der Keratitis vesiculosa ein- nehmen.

Ein durchgreifender Unterschied ist eben nur durch die Fädchen gegeben. Die grosse Mehrzahl der Fälle von Bläschenbildung auf der Hornhaut scheint ja ohne Fädchen- bildung zu verlaufen, und höchstens ist nach dem Platzen der Bläschen die Stelle des Randes noch mit kleinen Epi- thelfetzen bedeckt. An unseren Fällen ist nicht das Epi- thel das wesentliche, dasselbe findet sich im Gegentheil fast immer nur spurenweise, sondern jener typische Strang, den Lob er zuerst demonstrirt, Uhthoff kurz darauf im Archiv gezeichnet hat, eine anatomische Bildung, wie sie bisher in keinem Handbuche bei der eigentlichen vesiculosa beschrie- ben worden ist.

Das Fädchen sitzt auch nicht am Rande der dem ge- platzten Bläschen entsprechenden Stelle, sondern geht viel- mehr aus der Mitte derselben, welche eine kleine Delle zeigt, hervor. Hier haftet es verhältnissmässig recht fest mit seinem dicken Ende und wenn man es mit der Pin- cette losgerissen hat, bekommt man schon bei schwacher

204 Dr. Ernst Fischer.

Vergrösserung ein Bild wie das eines durchgerissenen Hanf- seiles (Tergl. Fig. 2).

Das auf der Hornhaut frei verschiebliche Ende ist stets das dünnere, welches sich oft in eine lose Spirale von einzelnen Fasern aufrollt (vergL Fig. 3).

An der Stelle der geplatzten Vesicula bleibt ein klei- nes Infiltrat der oberflächlichsten Hornhautschichten zurück, welches allmälig seiner Besorption entgegengeht.

Als in den letzten Monaten zufällig zwei Fälle dieser Art in der Prof. Schoeler'schen Klinik zur Beobachtung kamen, hatte Herr Dr. Uhthoff die grosse Güte, mir seine früheren gleichartigen Beobachtungen .zur Verfügung zu stellen, seine eigenen Präparate von in Glycerin aufgehobe- nen Strängen mit den neuen und frischen zu vergleichen und sie mit mir einer genauen Durchsicht zu unterwerfen.

Die von vier verschiedenen Patienten entnommenen zahlreichen Fäden zeigten durchweg ein analoges Verhalten, auf welches ich an der Hand einiger kleinen Zeichnungen, welche die typischsten Bildungen illustriren sollen, jetzt eingehen möchte.

Uhthoff 's damalige Beschreibung^) lautete:

„Es fällt zunächst in die Augen je ein stark lichtbrechen- der vielfach schlangenformig gewundener und auch um seine Längsaxe zusammengedrehter Strang, auf dem einen Ende sich mehr veijüngeud, auf dem anderen an Dicke zunehmend. Diese Stränge haben zum Theil eine Länge von 2 3 mm und sind schon makroskopisch zu erkennen. Bei stärkerer Vergrösserung haben sie an einigen Stellen ein mehr homogenes Aussehen, meistens aber erkennt man eine Zusammensetzung aus feinsten Fasern, welche einen den Axendrehungen des Stranges ent- sprechenden gewundenen Verlauf haben. Zahlreiche kleine Aus- buchtungen und Einschnürungen zeigen die seitlichen Grenzen der Strange.

An dem sich verbreiternden Ende dieser Stränge erkennt man in einzelneu Präparaten eine flächenartige Ausbreitung und Auflösung in dichte Faserzüge von geschlängeltem und

') loc. cit.

Ueber Fädchenkeratitis. 205

sich kreuzendem Verlauf. Zellen and Kerne enthalten diese SträDge nicht. Carmin färbt dieselben nicht, Hämatoxylin in geringem Maasse. Gegen chemische Reagentien (verdünnte Essigsänre) erweist sich dieses Gewebe sehr resistent, jedoch erleidet es eine deutliche Aufquellung.

Die diesen Strängen angrenzenden Theile bestehen über- einstimmend aus einem derben kemarmen Fasergewebe, welches sich membranartig in den verschiedenen Richtungen ausbreitet. Man erkennt, wie dieses zum Theil parallelfaserige Gewebe an vielen Stellen direct mit den Strängen zusammenhängt und direct in sie übergeht. Die Grundsubstanz dieser Theile ist grösstentheils ganz homogen und durchscheinend, zum Theil feinkörnig, zum Theil derbfaserig. An anderen Stellen erkennt man keine Grundsubstanz, sondern zerfallende Zellen und Zell- kerne liegen in grösseren Haufen beisammen.^^

Alle diese Verhältnisse wird man in den beigegebenen Figuren wiederfinden, von denen die erste einen solchen ganz frisch abgenommenen Strang in situ bei ganz schwacher Vergrösserung zeigt. Man erkennt den wie ein Tau zusam- mengedrehten Strang, dessen Windungen in Folge sehr for- cirter Drehung stellenweise sogar einander überlagern.

Mau sieht femer, wie eng der Strang mit dem umlie-- genden flächenhaften Gebilde verbunden ist, durch von ihm seitlich ausstrahlende Fasern. Dieselben laufen theils ein- fach radiär, theils umspinnen sie in zierlichen Windungen den Hauptstrang, um sich dann ebenfalls in der Umgebung zu verlieren. Eine besonders hübsche Spirale bilden diese Fasern am dünnen Ende des Stranges, welches bei starker Vergrösserung in Fig. 3 wiedergegeben ist, während Fig. 2 das dicke Ende zeigt. Das Mittelstück ist nicht bei star- ker Vergrösserung gezeichnet, um keinen zu grossen Raum nöthig zu haben. Denn der Strang in seiner ganzen Aus- dehnung misst reichlich 4 mm und ist wohl der längste unter den mir vorliegenden Präparaten.

Einen kürzeren Strang in seiner ganzen Ausdehnung zeigt Fig. 4, während aus Fig. 5 der Uebergang eines sol- chen in ein mehr flächenhaftes Gebilde von der gleichen

206 I>r. Ernst Fischer.

Structur zu erkennen ist. Aus letzterer Zeichnung kann man auch ungefähr die Dicke der Fasern beurtheilen, welche theils isolirt neben dem Strange liegen, theils an dem auf- gefranzten Rande einzeln sichtbar werden. Daselbst zeigt eine derselben an ihrem freien Ende eine kolbige Anschwel- lung, während eine freiliegende Faser in der Mitte plötz- lich anschwillt.

Bemerkenswerth sind nun besonders die in Figur 2 und 3 sich reichlich findenden Gebilde, welche oft gruppen- weise geordnet und weissen Blutkörperchen an Grösse gleich- kommend bei oberflächlicher Betrachtung an Fetttröpfchen erinnern könnten, verschieden aber meist rundlich geformt, von verschiedener Grösse bis zur Kleinheit von Micrococcen hinab, homogen und stark lichtbrechend, in ihrem eigen- thümlichen Glänze am meisten mit dem Mittelstrange über- einstimmend.

Zunächst aber erhebt sich die Frage: Aus welchem Stoffe bestehen die Stränge?

Da die Bowman'sche Membran elastisch ist und ein- zelne Fetzen derselben sich wohl so drehen und aufrollen könnten, falls sie sich loslösten, da ferner unter diesen Ver- hältnissen ein Auftreten von fibrillärer Zeichnung in der sonst structurlosen Membran recht gut denkbar wäre, so sprach Uhthoff damals die Vermuthung aus, sie könne es sein, welche das Material zu den Fäden abgebe, liess aber gleichzeitig die Möglichkeit offen, dass ein Gerinnungspro- duct auch so aussehen könne, wie es Leber 's Ansicht war.

£s war nur bis dahin nicht bekannt, dass die Horn- haut ein solches Gerinnungsprodukt liefern könne und mau wusste, dass z. B. bei fibiinösen Ausschwitzungen der Con- junctiva solche der comea, dieses gefässarmen Gewebes, nicht vorkamen. Leber lieferte indessen kürzlich den Nach- weis^), dass dieselbe sehr wohl Fibrin enthalten kann, so-

^) Y. Graefe's Archi? fttr Ophthalmologie XXXV, 1, p. 271.

Ueber Fädchenkeratitis. ' 207

gar mitten in ihrem dichtgefägten Gewebe und damit ist auch die Annahme gerechtfertigt, dass in den oberfläch- lichsten Schichten subepithelial etwas Aehnliches vorkom- men kann.

Eine weitere wichtige Stütze dafür ist die frappante Aehnlichkeit unserer Spiralen mit den von Gurschmann') bei Asthma nervosum secundarium, Bronchiolitis exsudativa, gefundenen „äusserst zierlichen schraubenartig gewundenen parallelfaserigen Gebilden'S welche nach ihm Gurschmann- sche Spiralfasem genannt worden sind und einen fast con- stanten Befund bei Asthma nervosum bilden. Dieselben sind zwar im Allgemeinen grösser als unsere Fäden am Auge, kommen aber doch auch in demselben kleinen Maass- stabe vor. Wer Uhthoff's Zeichnung im Archiv für Oph- thalm., XXIX, 3 oder meine Figuren mit denen Gursch- mann's vergleicht, wird von der weitgehenden Aehnlich- keit überrascht sein. Curschmann erklärt nun auch seine Fasern als Gerinnungsproduct, als eine in den Bronchien ausgeschiedene nicht organisch präformirte schleimige Sub- stanz, welcher Ansicht auch Prof. Pel- Amsterdam*) zu- neigt auf Grund seiner mikrochemischen Untersuchungen. Die Fäden schwollen in geringem Maasse auf in verdünn- ter Essig- und Ameisensäure und wurden gelöst in Kali- lauge und Barytwasser. „Die letztere Eigenschaft schien ihm die Gonclusion zu erlauben, dass sie wenigstens zum grössten Theil aus Schleimfäden bestehen.^'

Wie die Windung der Spiralen zu Stande kommt, weiss Gurschmann nicht recht zu erklären und ist auch bei unseren in einem kugeligen Hohlräume entstehenden Gebil- den nicht recht klar. Am einfachsten ist wohl die An- nahme, dass es die Substanz der Fäden selbst ist, welcher vermöge ihrer Elasticität die Eigenschaft innewohnt, solche Formen anzunehmen.

*) Deutsches Archiv für kÜDische Medlcin, Bd. XXXII. «) Zeitechrift für klinische Mediciii, Bd. IX, 1. Heft.

208 I>r. Ernst Fischer.

Eine zweite Frage ist: Woraus besteht die jene Fäden umgebende membranöse Hülle?

Eine Uebereinstimmung der Structur derselben mit irgend einem Gewebe an der vorderen Hälfte des Bulbus besteht nicht. Wohl finden sich Epithelzellen in derselben versprengt, auch weisse Blutkörperchen in etwas grösserer Zahl, doch alles das ist nur accidentoU und das Wesent- liche darin sind nur die Fasern, welche von dem Mittel- strange ausgehend sich verfilzen, dann loser werdend durch structurlose Masse sich verbinden und eben durch ihren innigen Zusammenhang mit dem Strange beweisen, dass auch sie nur aus gerinnender Masse sich gebildet und durch Aufnahme von festeren Theilen aus dem Beeret des Binde- hautsackes dem Mittelstrange seine UmhüUung geschaffen haben.

Endlich aber fragt es sich: Was stellen jene homo- genen glänzenden körnigen Einlagerungen verschiedenster Grösse vor? Auch sie sind wohl nur ein Gerinnungspro- duct, analog den Fasern, zu denen auch Uebergänge vor- kommen, ganz wie sie Leber im Gewebe der Horhaut bei Aspergillusmycosen beschrieben hat.

Gehe ich nun auf die einzelnen Krankheitsfälle näher ein, so muss ich zunächst kurz den von Uhthoff beschrie- benen aus dem Jahre 1882 recapituliren:

1. Eine 44jährige Frau St mit Glaucoma inflammato- rium chronicum wurde auf beiden Augen iridectomirt und der Process damit coupirt. „Am dreizehnten Tage nach der Opera- tion traten unter massigen Schmerzen und Drücken auf dem rechten Auge zwei kleine Trübungen der Hornhaut ein, welche sich im Verlauf von weiteren zwölf Stunden blasenartig steck- nadelkopfgross vorbuckelten/' Am folgenden Tage kam es zum Platzen dieser Bläschen, Fädchen hingen an der Hornhaut herab, einige Stunden später stiessen sich dieselben völlig ab. In den nächsten zehn Tagen wiederholte sich die BläschenbUdung sechs bis achtmal an verschiedenen Stellen der Hornhaut, an ihrer Stelle blieb jedesmal eine kleine circumseripte Trübung zurück

Ueber Fädchenkeratitis. 209

Auf dem linken Aage kam es nnr zur einmaligen Bildung eines Bläschens.

Endresultat: freies Gesichtsfeld, S. beiderseits etwa ^/g.

Seit dem Jahre 1882 ist nun in der Prof. Schoeler- schen Klinik ein besonderes Augenmerk auf solche Falle gerichtet worden. Unter den im Ganzen ca. 36000 seit- dem behandelten Patienten kamen noch fünf weitere zur Beobachtung, so dass sich demnach das Verhältniss auf etwa 1:6000 stellen würde. Es ist also keine häufig vorkom- mende Aflfection.

2. Frau F., 52 Jahre alt, leidet seit drei bis vier Jahren an Tic convulsif. Seit zwei Jahren besteht auch Knebeln in der rechten Wange, aber ohne ausgesprochene Sensibilitätsstö- rung. Sonst gesund, frühere Krankheiten: Rachitis.

Schon seit drei Monaten besteht zeitweise ein Drücken und Stechen am rechten Auge, bald besser, bald wieder schlim- mer, seit acht Tagen besonders stark.

In der ersten Woche der Behandlung traten täglich die charakteristischen klaren wasserhellen spiegelnden Bläschen auf, um nach dem bald eintretenden Platzen eine ganz kleine ge- trübte Delle zu hinterlassen, von welcher der Faden herabhing. Vielfach sah man auch nur noch die kleinen punktförmigen Trübungen ohne die Fäden. Es kamen fünf Tage, an denen gar nichts von Bläschen und Fädchenbildung zu bemerken war. Dann setzte der Process von neuem ein; mit der Eruption der Bläschen kamen die Beschwerden, plötzlich, „als ob etwas ins Auge geflogen sei^', mit dem Platzen der Epitheldecke Hessen dieselben nach. So vergingen drei Wochen unter bald sistiren- der, bald wieder auftretender Bläschenbildung.

Resultat: Heilung.

3. Frl. W., 58 Jahre alt, leidet seit dreizehn Jahren an Arthritis deformans, ist sonst gesund gewesen, auch niemals augenkrank. Seit IV« Jahreif besteht indessen Drücken im linken Auge, wechselnd, oft Tage und Wochen lang nicht, dann von neuem auftretend mit heftigen ^/^ Vi Stunde lang an- dauernden Qualen, welche aUmälig wieder nachlassen.

Seit drei Tagen sind die Beschwerden besonders stark.

Bei der Vorstellung zeigten sich im oberen Abschnitt der Hornhaut Bläschen, dazwischen einzelne Fädchen und im un- teren Abschnitt punktförmige leichte Infiltrate.

T. Gnefe's Archiv fQr Ophthalmologie. XXXV. 8. 14

210 ^' Ernst Fischer.

Vier Wochen lang wurde Patientin poliklinisch behandelt, unter stetem Wechsel von Ruhe und erneutem Auftreten der Efflorescenzen. Endlich entzog sie sich der weiteren Beob- achtung.

4. Wolf, Arbeiter, 24 Jahre alt, früher stets gesund, fühlt seit drei Tagen Beschwerden am Auge. Analoger Verlauf, Ende des Processes nach vier Wochen. Wie in den beiden vorher- gehenden Fällen war auch hier jedes Trauma ausgeschlossen.

Andersartig ist folgender Fall:

5. Premierlieutenant v. X. erhielt im Februar 1888 in der Officierreitstunde von seinem Pferde einen Schlag mit dem Kopf gegen seine linke Augenbraue. Er stürzte vom Pferde und war etwa fünf Minuten lang stark benommen, fühlte sich dann wieder besser und konnte zehn Tage später nach Ver- heilung der klaffenden Wunde seinen Dienst wieder thun. Pa- tient will damals keinen Kneifer, sondern Monocle vor dem rechten Auge getragen haben. Bis Ende März 1889 empfand Patient gar keine Unbequemlichkeiten weder an der verletzten Stirngegend, noch im Lide, noch am Auge. Dann stellte sich Drücken im oberen Augenlide ein, immer stärker und lästiger werdend, sodass er Anfang Mai seinen Arzt consultirte, der aber noch nichts fand. Das Auge belästigte Patienten noch gar nicht. Z^ei Tage später trat aber starke Lichtscheu auf^ sehr starkes Thränen und dabei zuckende Schmerzen im Auge und Lid, zwei bis drei Minuten anhaltend, um meistens nach einer Pause von einer Stunde wiederzukehren. Jetzt consta- tirte der Hausarzt Bläschen auf der Hornhaut und Patient trat in die Klinik von Prof. Scheeler ein.

Etwas oberhalb der linken Augenbraue fand sich eine parallel zu derselben verlaufende 5 cm lange auf dem Knochen verschiebbare Narbe der Haut. Von derselben ging ein schmar 1er derber Strang subcutan durch das obere Lid etwas lateral- wärts von der Mittellinie desselben bis zum Tarsus, in welchem beim Umwenden des Lides entsprechend der Insertion des Nar- benstranges eine deutliche Einsenkung zu erkennen war. Auf der Hornhaut schössen täglich neue Gruppen von Bläschen empor, besonders in der äusseren Hälfte, welche nach ihrem Platzen stets jene charakteristischen Fäden lieferten. Die ver- schiedensten lokalen Mittel, ebenso Chinin, Salicyl, Autifebrin, Antipyrin blieben ohne Erfolg.

Die Sensibilität der Cornea war nicht herabgesetzt, die Tension des Bulbus normal, der Supraorbitalis zeigte eine mäs-

lieber Fädchenkeratitis. 211

sige Empfindlichkeit auf Druck, viel empfindlicher aber war noch der Narbenstrang im Lide selber. Trotz mehrfacher Re- vision wurde an der Einziehung des Lides nichts besonderes bemerkt. Es wurde bei der absoluten Unwirksamkeit aller bis- herigen Therapie ein Eingriff auf den Strang oder den Supra- orbitalis beabsichtigt^ als sich plötzlich spontan das Bild änderte. Statt der täglich auftauchenden Gruppen von 6, 12, 15 neuen Bläschen fanden sich am zwanzigsten Tage lange feine Striche einer neben dem anderen auf dem Epithel der Hornhaut, wie von einem kratzenden Fremdkörper herrührend und nun zeigte sich in der die Einziehungsstelle überziehenden Schleimhaut eine kleine Oeffnung. Die eingeführte Sonde stiess auf einen Fremdkörper und ein breiterer Einschnitt förderte einen Glas- splitter zu Tage, in Form einer dreikantigen Pyramide von etwa 5 mm Höhe und einem gleichseitigen Dreieck von etwa 2 mm Seite als Basis.

Der Process war damit coupirt, einige Tage genügten zum Abklingen der Reizerscheinungen, dann war und blieb das Auge gesund. Beiderseits bestand mittlere Myopie ohne Affectionen des Augengrundes und gute Sehschärfe.

6. Handelsmann L., 56 Jahre alt, besitzt recht erseits ein massig hyperopisches Auge mit guter Sehschärfe, links ein con- genital anomales mit grossem Dermoid am Limbus, alten Cho- rioidealveränderungen und congenitaler Anomalie der Papille. Bisher war das Auge stets schivach, jedoch entzündnngsfrei. Seit vier Tagen hat er das Gefühl eines fremden Körpers im Auge.

Am innern oberen Quadranten der Cornea hängt ein recht langer Faden herab, derselbe, welcher in den Figuren 1 3 wiedergegeben ist. Nach Entfernung des Fadens verschwindet das Gefühl der Reizung. Patient hat sich zum zweiten Male nicht wieder vorgestellt.

üober das ätiologische Moment ist meistens nicht viel zu erfahren. Interessant in dieser Beziehung ist Fall 5.

Wie allgemein zugegeben, steht die Keratitis vesicu- losa, welcher sich unsere Form klinisch wohl am ersten an- reihen liesse, in vielfacher Beziehung zum Trigemiuus. Die Herpesformen, mit denen sie sich so oft combiuirt, beruhen erwiesenermaassen auf Veränderungen des Nerven, sei es im oder am Stamme, sei es im Ganglion, in diesem Falle

212 ^r- Ernst Fischer.

also Ganglion Gasseri. Nichts lag näher als den Schluss zu ziehen, dass auch dann, wenn kein Herpes die Eruption am Auge begleitet, die^vesiculosa durch Alterationen des Trigeminus hervorgebracht sei, zumal in manchen Fällen, z. B. dem von Schmidt^), letztere sich in anderer Weise durch Neuralgieen manifestirt.

Ist nun in unserem Falle 5 ein nervöser Einfluss zu supponiren oder die Bläschenbildung einfach als durch di- recte Insultirung der Cornea hervorgerufen anzusehen?

Letztere Annahme wäre jedenfalls die einfachere, sie ist aber bei genauerer Betrachtung doch nicht so recht haltbar.

Auf Leber's Veranlassung hat Krückow Versuche über die Wirkung öfter wiederholter mechanischer Reizung der Hornhaut und Bindehaut angestellt, aber nur Epithe- lialverluste mit sehr leichten Trübungen etc. beim Kanin- chen erzielt.

Beim Menschen scheint die Sache kaum anders zu lie- gen. Unter seinen 80,000 Patienten sah Prof. Schoeler keinen Fall, wo langdauernde mechanische Reizung der Bul- busoberfläche etwa durch unter der Schleimhaut der Lider eingeheilte Fremdkörper, Kalkconcremente etc. eta eine Art Keratitis vesiculosa (Saemisch) hervorgerufen hätte wie bei dem zuletzt besprochenen Patienten.

Auch in der Literatur existiren meines Wissens der- artige Angaben nicht. Was Prof. Hansen -Grut darüber veröflfentlichte, entspricht, so viel ich dem Referate *) sowie mündlichen Mittheilungen entnehmen konnte, welche Herr Dr. Bjerrum (Kopenhagen) mir zu machen die Güte hatte, der Keratitis bullosa (Saemisch). Auch der von Horst- mann zum Gegenstande eines Vortrages gemachte FalF) entspricht derselben AflFection.

^) Zehender*8 klinische Monatsblätter 1872.

*) Jahresbericht Yirchow-Hirsch 1872.

') Naturforscherversammlung Wiesbaden 1887.

lieber F&dchenkeratitis. 213

Nach Operationen kommt allerdings die Keratitis mit Fädchenbildung vor, wie ühthoff's Fall hier unter No. 1 mit aufgeführt, beweist, doch ist eine operative Eröffnung des Bulbus mit ihren eingreifenden Veränderungen der Cir- culation und Ernährung, mit dem nachfolgenden Druckver- band etc. wohl kaum einer gewöhnlichen Verletzung gleich- zusetzen. Ich komme darauf noch einmal zurück.

Käme die vesiculosa im Anschluss an Verletzungen häufiger vor, dann wäre wohl die natürliche Folge, dass in unseren grossen Industriebezirken, wo dem beschäftigten Augenarzt leichte Verletzungen tagtäglich in grösserer An- zahl zu Gesicht kommen, diese Affection öfter beobachtet würde wie z. B. in Berlin.

Doch auch darüber ist nichts bekannt. Mooren, zu dessen Praxis der rheinisch- westphälische Industriebezirk ein grosses Contingent stellt, erwähnt solche Fälle weder in seinen „ophthalmiatrischen Beobachtungen'^ noch in sei- nen „Fünf Lustren ophthalmologischer Wirksamkeit". In der an Verletzungen reichen Praxis von Dr. May weg in Hagen hatte ich als dessen Assistent ebenfalls keine Gele- genheit, Aehnliches zu beobachten.

Auch das, was man nach chemischen Reizungen des Auges, z.B. nach Einträuflung von Erythrophlein, Ijeobach- tet, ist keine vesiculosa. Vielmehr muss man bei unserem Patienten die zweite Möglichkeit ins Äuge fassen, die Aus- lösung des krankhaften Vorganges auf den Bahnen des Re- flexes. Der Weg für denselben wäre dann folgender: Nervi palpebrales, Nervus frontalis, Ganglion Gasseri, von da zu- rück längs den trophischen Fasern der cornea. Persönlich neige ich mehr dieser letzteren Ansicht zu und glaube, dass der Fremdkörper anfangs höher an indifferenter Stelle lag, dann im Laufe der Zeit sich senkte, bis er im oberen Lide einen Nervenast so empfindlich reizte, dass dieser auf dem angegebenen Wege zu der vermehrten und veränder- ten Flüssigkeits- Ausscheidung unter die oberen Schichten

214 Dr. Ernst Fischer.

der Hornhaut führte» sei es, dass diese direct unter dem Einfluss der trophischen Fasern des Trigeminus oder der Sympathikusfasern zu Stande kam. Als nun der Glassplitter weiterhin die deckende Schleimhaut durchschnitt, hörte der Process der Bläschenhildung sofort auf, um dem Bilde der einfachen Kratzeffecte in Form von langen Strichen abge- schürften Epithels Platz zu machen.

Wie der Glassplitter in die Wunde der Stirn gekom- men ist, da doch Patient bestimmt angiebt, nur ein Mo- nocle vor dem Auge der anderen Seite getragen zu haben, muss wohl dahingestellt bleiben.

Herr Prof. Schoeler hatte die Güte, mir aus seiner Privatpraxis noch zwei Beobachtungen von Fädchenkerati- tis zur Verfügung zu stellen:

Frau Rentier B., auf dem rechten Auge anderwärts ohne Erfolg staaroperirt, litt während der langsam sich vollziehen- den B^ifang der Katarakt des linken Auges Monate hindurch, allerdings auch mit freien Pausen, au typischer Fädchenkera- titis. Die 70jährige decrepide Patientin, ausserdem auch noch mit einem Klappenfehler behaftet, drängte zur Operation, welche auch glücklich verlief^ obwohl vor wie nach die Fäden auf der Hornhaut auftraten. Als Assistent hatte ich selbst Gelegenheit, sie bei und nach der von Prof. Schoeler ausgeführten Opera- tion zu sehen und den wechselnden Verlauf zu beobachten. Die HeihiDg ging trotz der Hornhautaffection ziemlich glatt von Statten, drei Wochen später erlag Patientin plötzlich ihrem Herzleiden.

Eine zweite Patientin leidet ebenfalls an Cataracta pro- gressiva mit grossem harten Kern und zeigt die Fädchenbildung seit dreiviertel Jahren.

In der an Horstmann's oben citirten Vortrag sich anschliessenden Discussion erwähnte Wichicrkewitz das Auftreten von ,JCeratitis vesiculosa" nach Kataraktextraction. Auch in der neuesten Auflage des Schmidt-Rimpler'schen Lehrbuches ist letztere unter den Ursachen derselben auf- geführt. Häufig ist die Bildung von Bläschen nach Staar- operation jedenfalls nicht und ein Theil der beobachteten

lieber F&dchenkeratitis. 215

Fälle erklärt sich wohl so wie die beiden oben angeführten. Vielleicht hatten die zur Operation kommenden Patienten, wenn auch sehr vorübergehend, früher schon an ähnlichen Affectionen gelitten.

Es erübrigt noch, ein paar Worte über die drei Fälle Mauthner's*) von „unter Nerveneinfluss entstehenden Horn- hautentzündungen" zu sagen. Es waren eminent chronische Fälle von multiplen punktförmigen Trübungen der Horn- haut ohne Bläschcnbildung, welche im Uebrigen dem Her- pes corneae analog waren. Ein Fall wurde durch Durch- schneidung des supraorbitalis nach früheren vergeblichen therapeutischen Versuchen prompt geheilt.

Auch in unseren Fällen kommen diese Trübungen fast regelmässig vor.

Mauthner's Fälle stehen also offenbar klinisch der Keratitis vesiculosa recht nahe, wie das auch von der Fäd- chenkeratitis zugegeben werden soll. Indessen ist trotz der mannigfachen Aehnlichkeit der Krankheitsbilder in ihrer Erscheinung und ihrem Verlaufe doch wohl der Process der Fädchen«- und Spiralenbildung durch ein plastisches Exsu- dat als etwas Besonderes anzusehen und möchte ich in Uebereinstimmung mit Leber und jetzt auch Uhthoff den- selben als Fädchenkeratitis bezeichnen.

Herrn Prof. Scheeler und namentlich Herrn Docenten Dr. Uhthoff sage ich für Ueberlassung des Materials, so- wie für ihr gütiges und förderndes Interesse meinen herz- lichsten Dank.

*) Vortrag im Wiener medicinischen DoctorencoUegium 1882.

Erklärung der Zeichnungen

Figur 1.

Fäddien in seiner omgebenden Holle. Fall Lange.

vSchwache Teigrtesening.'

Figur 2. Dickes Ende desselben Stranges.

Figur 3. Dünnes, freies Ende. «^Starke Yergrtsserang.^

Figur 4.

Kleinerer Strang in toto. Fall Wolf.

^Starke Yergrösserung.)

Figur 5. Fl&chenhafte Verbreiterung eines Stranges. Fall Wunsch.

Zur Aetiologie der Keratitis neuroparalytica.

Von

E. von Hippel, cand. med. aus Giessen.

Seitdem man weiss, dass der Durchschneidung des n. trigeminus fast ausnahmslos eine Aflfection der Hornhaut folgt, hat die Frage nach dem letzten Grunde dieser Er- scheinung eine grössere Anzahl von Forschem beschäftigt und ist von ihnen in recht mannigfacher Weise beantwor- tet worden.^)

Magendie*) hat das Verdienst als der erste den Nerv so durchtrennt zu haben, dass die Versuchsthiere am Le- ben blieben, und weitere Beobachtungen an denselben er- möglicht wurden.

Es war nahe liegend, dass er die Störung in dem nor- malen Verhalten der Cornea, die sich in ihren ersten An- fängen sehr bald nach der Operation zeigte, als eine directe, unmittelbare Folge der Unterbrechung in der Leitungsbahn des Nerven auffasste. Die Ernährung der Cornea kann nach seiner Ansicht nur in genügender Weise stattfinden, wenn der trigeminus unverletzt ist. Dieser Annahme, wenn

^) Ich gehe im Folgenden nur auf experimentelle Untersuchun- gen an Thieren ein und muss die Erörterung casuistischer Mitthei- langen über Untersuchungen am Menschen als Über den Rahmen dieser Arbeit hinausgehend unberücksichtigt lassen.

*) Journ. de phys. experim. et path. 1824.

218 E. von Hippel.

auch mit gewissen Modificationen, schloss sich eine grös- sere Anzahl der späteren Experimentatoren an, und so sind die bis heute bekannt gewordenen Meinungen über das Wesen der Keratitis neuroparalytica getheilt in solche, die dem trigeminus eine direct die Ernährung der Cornea be- einflussende Wirkung zuerkennen und andere, die jeden un- mittelbaren Einfluss vollständig ausschliessen wollen.

Schon Magendie selbst hatte einige Bedenken gegen seine Annahme von der alleinigen directen Wirkung der Durchschneidung. Er dachte an die Möglichkeit, dass das Offenstehen des Auges und der längere Contact der Ober- fläche mit der atmosphärischen Luft von wesentlichem Ein- fluss auf das Entstehen der Hornhauterkrankung sein könn- ten; jedoch war diese Annahme für ihn dadurch widerlegt, dass bei facialis- Durchschneidung, wo der Lidschluss un- möglich gemacht wird, keine ähnliche Erkrankung eintritt. Einen Einfluss der verminderten bezw. aufgehobenen Thi-ä- nensecretion glaubte er ausschliessen zu können, weil Ex- stirpation der Thränendrüse reizlos vertragen wurde.

Cl. Bernard') schloss sich in seinen ersten Mitthei- lungen im Wesentlichen Magendie's Ausführungen an. Beide Forscher heben ausserdem hervor, dass die Wirkung der Durchschneidung eine verschiedene sei je nach der Stelle der Nervenbahn, an der sie vorgenommen wird: fällt der Schnitt peripher vom Gangl. Gasseri, so sollen die Symp- tome rasch und intensiv auftreten, bei centraler Lage vom Ganglion langsamer und schwächer sich zeigen, bei Durch- trennung der Nervenbahn im verlängerten Mark vollständig fehlen.

V. Graefe*) sah sich ebenfalls zur Annahme von di- recten (trophischen) Nerveneinflüssen veranlasst. Der Be- ginn und die ganze Erscheinungsweise der Erkrankung leg-

') Bernard, leg. sur la phys. et path. d. syst. nerv. Tome II. 1863.

•) V. Graefe'ß Archiv für Ophthalmologie, I.

Zar Aetiologie der Keratitis neuroparalytica. 219

ten ihm zwar die Vermuthung nahe, es könne sich um eine Austrocknung der Cornea handebi, doch gab er diese An- schauung auf, weil Abtragen der Lider nach seinen Beob- achtungen nicht annähernd den gleichen Erfolg hatte, wie Durchschneidung des trigeminus. So sieht er in der man- gelhaften Befeuchtung höchstens einen Beschleunigungsgrund für das Zustandekommen der Entzündung.

Die erste Anfechtung erfuhr die Theorie von dem direc- ten Nerveneinfluss durch Snellen.^) Er zeigte, dass man durch Vernähen der Lidspalte die Entzündung verzögern, durch Vornähen des Ohres vor das Auge dieselbe in einzel- nen Fällen für mehrere Tage verhindern könne. Damit war der Beweis geliefert, dass äussere Schädlichkeiten bei der Entstehung der Krankheit eine wesentliche Rolle spielen, und Snellen stützte auf diese Erfahrung die Theorie, dass die Keratitis neuroparalytica nichts anderes sei, als eine trau- matische Entzündung, die dadurch entsteht, dass Verletzun- gen, die das Auge treffen, nicht abgewehrt werden, weil das gefühllose Auge sie nicht mehr wahrzunehmen vermag, Verletzungen, die ein normales Auge ganz in der gleichen Weise schädigen würden.

Schiff*) dagegen verlegte das ursächliche Moment wie- der in den Nerven selbst, indem er eine durch die Dürch- schneidung bewirkte Lähmung der Gefassnerven , in Folge davon Erweiterung der Gefässe und Entzündung annahm; dieselbe sollte ohne jede äussere Veranlassung entstehen können; später modificirte er seine Ansicht dahin, dass die neuroparalytische Hyperämie Vorbedingung sei zur Entste- hung der durch äussere Einflüsse angeregten Entzündung. Magendie's und Bernard's Behauptung, dass verschie-

') Snellen, Holl&nd. Beiträge für Natur und Heilkunde 1857 und Yerslag van het Nederlandsch Gasthois voor ooglijders 1863.

^) Lehrbuch der Physiologie des Menschen 1859 und Zeitschrift für rationelle Medicin. 3. Reihe 29. 1867.

220 E- von Hippel.

dene Lage des Schnittes ungleiche Folgen habe, erklärt er für unb^ründet.

Da nach Samuel's^) Ansicht Durchschneidung vaso- motorischer Nerven niemals Entzündung hervorruft, sieht sich dieser Autor auf Grund zahlreicher Versuche an an- deren Körperstellen veranlasst, ein System centripetaler und centrifugaler „trophischer" Nervenfasern anzunehmen, deren Centrum er ins Ganglion Gasseri verlegt und deren Zer- störung das Auge in einen „Zustand verminderter Wider- standsfähigkeit^ bringt der Art, dass geringfügige äussere Schädlichkeiten, die ein normales Auge reizlos vertrage, hier schon die Erkrankung hervorzurufen im Stande wären. Sn ei- len s Schutzmittel sollen nur den einen Entzündung erre- genden Factor fernzuhalten vermögen.

Das waren die Ansichten, als Büttner') die Untersu- chung der ätiologischen Momente wieder aufnahm. Aus- gehend von den unvollkommenen Schutzvorrichtungen Snel- len's fand er in einer vor das Auge genähten Glaskapsel ein Schutzmittel, das in allen Fällen das Entstehen der Entzündung zu hindern vermochte. Diese Entdeckung war von grosser Wichtigkeit; denn nachdem man später noch gelernt hatte, die Kapsel durch ein einfaches Drahtnetz (Pfeifendeckel) zu ersetzen, spitzte sich die Frage nach der Aetiologie der Keratitis nouroparalytica schliesslich dahin zu: Welche Schädlichkeiten sind es, die der Deckel fern- zuhalten vermag?

Nach Büttner sind dies ganz geringfügige Traumen, die für ein normales Auge gar keine Traumen sind, die nur das „in seiner Widerstandsfähigkeit geschwächte Auge" in Ent- zündung zu versetzen vermögen. Der Sensibilitätsstörung er- kennt er gar keine Bedeutung zu, denn die Traumen hält er für so gering, dass sie auch von einem gesunden Auge nicht ge- fühlt und in Folge dessen auch nicht abgewehrt werden würden.

*) Samuel, die trophischen Nerven 1860.

*) Zeitschr. für rationelle Medicin. 3. Reihe No. 15. 1862.

Zar Aetiologie der Keratitis neuropftralytica. 221

Eine herabgesetzte Widerstandsfähigkeit bedingt durch Aufhebung directen Nerveneinflusses, nimmt er an auf Grund zweier Beobachtungen, wo nach der Durchschneidung das Auge gefühllos geworden war, und doch keine Entzündung eintrat. Die Section ergab in diesen Fällen unvollkommene Durchschneidung und Stehenbleiben einiger medialer und nach unten gelegener Fasern. Daraus zieht er den Schluss, dass dies die Fasern seien, deren Durchtrennung das Auge in einen Zustand verminderter Widerstandsfähigkeit setzt, und deren Stehenbleiben das Auftreten der Entzündung ver- hüten kann. Vasomotorische Einflüsse schliesst er aus, weil er sich überzeugt hat, dass das Vornähen der Kapsel nicht nur die Hornhautaffection, sondern auch jede Hyperämie der Conjunctiva und Iris zu verhindern vermag.

Versuche von Abtragung der Lider, wobei sich eben- falls eine heftige Entzündung einstellte, hält Büttner nicht für geeignet, Schlüsse daraus zu ziehen, weil „dadurch zu grosse Störungen in unmittelbarster Nähe des Auges be- wirkt werden".

Meissner*) vervollständigte Büttner's Angaben noch durch eine gleiche Beobachtung, wie die erwähnten beiden Fälle, dann aber noch durch einen, in welchem die Durch- schneidung versucht wurde, das Auge empfindlich blieb, und die Entzündung dennoch genau wie sonst auftrat. Hier zeigte die Section, dass nur die inneren Faserbündel durch- trennt waren. Hierin erblickt Meissner eine neue Stütze für die Annahme, dass diese Fasern die directe Einwirkung auf die Ernährung der Cornea vermitteln, und giebt ihnen ,in engerem Sinne den Namen trophischer Nervenfasern".

Drei dem letzten Falle analoge Beobachtungen fuhrt Schiff in einer späteren Arbeit an und zieht daraus den gleichen Schluss wie Meissner.

Eine ganz eigenthümliche Theorie Winther's*) über-

>) Zeitschr. für rationelle Medicin. 3. Reihe No. 29. 1867. >) Pathologie des Flügelfells. Erlangen 186G.

222 E. von Hippel.

gehe ich, weil sie nichts als eiae gänzlich unbewiesene Hy- pothese ist.

Sinitzin^) theilte Versuche mit, wonach die Erstir- pation des obersten Halsganglion des Sympathicus die Fol- gen der trigeminus^Durchschueidung zu verhindern und im Anfangsstadium befindliche Processe zur Heilung zu brin- gen vermag.

Diese Behauptung wurde aber durch Eckhard') und später durch Senftleben, welche Controlversuche anstell- ten, widerlegt; beide vermochten die Angaben Slnitzin's nicht zu bestätigen. Eckhard tritt übrigens auf Grund ähnlicher Beobachtungen unvollkommener Durchschneidung, wie der Büttner-Meissner'schen, deren Anschauung bei.

Einen neuen Gesichtspunkt brachte Eberth^). Er nimmt eine Verdunstung an herbeigeführt durch Offenstehen des Auges; diese bewirkt aber nicht an und für sich die weiteren Erscheinungen, sondern sie ermöglicht den Mikro- organismen, in die Cornea einzudringen und hier eine Ent- zündungsform anzuregen, die ganz der echten Hornhaut- diphtherie im klinischen sowie im mikroskopischen Verhal- ten gleichen soll.

Eine Dissertation von Kondracki*) bezieht sich auf Experimente v. Gudden's, auf die ich weiter unten zurück komme; im Uebrigen bringt sie nichts Wesentliches.

Merkel*) hat durch anatomische Untersuchungen nach- gewiesen, dass die Vierhügelportion des trigeminus, die durch Meynert bekannt geworden war, beim Kaninchen nicht wie beim Menschen zunächst in die sensible, sondern in die motorische Wurzel übertritt, weiter peripher aber we- nigstens sicher zum Theil diesen Verlauf aufgiebt und auf

1) Centralblatt für die medic. Wissenschaft No. 11. 1871.

«) ibidem. No. 35. 1873.

•) ibidem. No. 32. 1873.

*) Zürich 1872.

^) Untersuchungen aus dem anatom. Institut. Rostock 1874.

Zur Aetiologie der Keratitis nearoparalytica. 223

seusibles Gebiet übergeht. Auf Gruud der Beobachtungen von Büttner, Meissner und Schiff sowie einer eigenen, wo eine nach der Durchschneidung des trigeminus entstan- dene Keratitis sich trotz dauernder Unempfindlichkeit des Auges zurückbildete, hält er diese Fasergruppe für die tro- phische Wurzel des trigeminus.

Senftleben^) hat dann unter Cohnheim's Leitung versucht, neue Gesichtspunkte über das Wesen der Krank- heit zu gewinnen. Sehr wichtig war die von ihm vorge- nommene genaue mikroskopische Untersuchung solcher Horn- häute, an denen die Keratitis zur Entwickelung gekommen war. Er kam dabei zu dem Resultat, dass es sich nicht um eine eigentliche primäre Entzündung handle, sondern um eine einfache Necrose, die ihrerseits erst als Reiz wirke und eine vom Rande der Cornea nach der Necrose zu fort- schreitende entzündliche Infiltration hervorrufe. Des Wei- teren suchte er zu ergründen, ob man genöthigt bez. be- rechtigt ist, trophische Nervenbahnen anzunehmen. Ist die Cornea nach der trigeminus -Durchschneidung wirklich in einem Zustand verminderter Widerstandsfähigkeit, dann müs- sen — so schloss er gleiche auf beide Augen wirkende Reize intensivere Wirkung auf der Seite der Durchschnei- dung haben. Dass ganz geringfügige Reize, wie Staub, Här- chen nicht in Betracht kommen, ergab sich daraus, dass der Pfeifendeckel, der diese Einflüsse unmöglich verhindern kann, sich in allen Fällen als vollkommen hinreichendes Schutzmittel be wählte. Die Versuche ergaben, dass gleiche Reize der verschiedensten Art stets gleiche Wirkungen aui beiden Augen hervorbrachten, sofern nur das unempfind- liche Auge nach Einwirkung des Reizes sofort durch den Deckel geschützt wurde. Auch der Heilungsprocess war auf beiden Seiten ein ganz gleicher. Hiernach kann also nach Senftleben von einer herabgesetzten Widerstands-

*) Virchow's Archiv, 65. Band.

224 E. von Hippel. ,

fähigkeit keine Rede sein. Ferner sprechen direct gegen die Büttner-Meissner'sche Auffassung fünf Fälle, in denen das mediale Faserbündel unverletzt geblieben war, und doch die Entzündung jedesmal eintrat Senftleben hält danach ebenso wie Snellen die Keratitis neuroparalytica für eine rein traumatische, und zwar müssen ganz erhebliche Trau- men einwirken, die der Deckel fern zu halten besonders geeignet ist. Dass die Verdunstung von irgend welcher Be- deutung sei, hält er für ausgeschlossen, weil der Pfeifen- deckel dieselbe nicht verhindern könne.

Auf die mykotische Natur der Entzündung kommt wie- der Balogh^) zurück. Ausser nach trigeminus-Durchschnei- dung sah er Entzündung „mit gerade solchem Verlaufs wenn er den facialis durchschnitt und die Nickhaut an die Nasenhaut festnähte. An dieser Stelle enstand eine Eite- rung und an der Berührungsstelle mit der Hornhaut stiess sich das Epithel ab, und es trat eine eiterige Entzündung auf. Eine „gleiche Entzündung'^ sah er femer, wenn er die Lider abtrug und die Conjunctiva mit der äusseren Haut vernähte, nach einigen Tagen eintreten, wenn die Stich- kanäle eiterten, und das Hornhautepithel an der nächstlie- genden Stelle sich abstiess. Diese beiden Beobachtungen stellt er auf gleiche Stufe mit der Keratitis neuroparalytica und giebt an, dass er in allen drei Fällen bei der mikros- kopischen Untersuchung grosse Mengen von Sphärobacterien gefunden habe. Schluss: Die trigeminus- Durchschneidung macht das Auge gefühllos, dadurch kann leicht ein trauma- tischer Epithel Verlust entstehen, der den Mikroorganismen den Eingang ermöglicht, und diese sind dann die eigent- lichen Erreger der auftretenden Entzündung. Interessant ist noch seine Angabe, dass er durch vorsichtiges Vernähen der Lidspalte die Affection auf die Dauer zu verhindern ver- mochte, was Snellen, wie wir wissen, nicht gelungen war.

') Centralblatt für die medic. Wissenschaft No. 6. 1876.

Zur Aetiologie der Keratitis neoropftralytica. 225

Im Jahre 1876 berührte Claude Bernard ^) die uns beschäftigende Frage noch einmal bei Gelegenheit seiner Untersuchungen über Gefässnerven. Er behauptet^ es han- dele sich nach der Durchschneidung um eine Lähmung der Yasodilatatoren und ein Ueberwiegen der Gefässverengerer (also gerade das Gegentheil der Schifif' sehen Annahme). Den Einfluss äusserer Reize leugnet er, indem er nur an- führt, dass durch Yornähen des Ohres die Entzündungser- scheinungen nicht hätten verhindert werden können, da- gegen Büttner's und Senftleben's Erfahrungen bezüg- lich der Drahtkapsel vollständig unberücksichtigt lässt.

In seiner Dissertation berichtet Decker^) über eine Reihe von Versuchen und die daraus gewonnenen Resultate. Er kommt wieder auf die verminderte Widerstandsfähigkeit der Cornea zurück aus folgenden Gründen: 1) Das Yornä- hen einer Drahtkapsel vermochte das Eintreten der Erkran- kung nicht zu verhüten. 2) Gleiche auf beide Augen ap- plicirte Traumen brachten auf dem unempfindlichen stärkere Effecte hervor. 3) Er beobachtete Fälle unvollkonmiener Durchschneidung, die ähnlich denen von Büttner, Meiss- ner und Schiff waren. 4) Fast unmittelbar nach der Durchschneidung, wo noch kein Trauma eingewirkt haben kann, entstehen auf der Hornhaut kleine vertiefte Stellen, die nach etwa einer Yiertelstunde wieder verschwinden.

Einen der wichtigsten Beiträge zur Kenntniss der Aetio- logie der neuroparaly tischen Keratitis lieferte Feuer ^) in seiner 1876 erschienenen Arbeit. Ihm bewährte sich ebenso wie Senftleben der Pfeifendeckel in allen Fällen als ge- nügender Schutz gegen das Auftreten der Homhautaffection. Gleich jenem Autor fand auch er, dass eine verminderte Widerstandsfähigkeit der Hornhaut nicht vorliege. Gleiche

^) La cbäleur animale 1876.

•) Contribution ä Tätnde de la k^ratite neiiroparal. Genöve 1876. *) Sitzungsberichte der kaiserl. Academie zu Wien. Mathem. naturw. Wasae 74, III. Abth. 1876.

▼. Graefe's Archly für Ophthalmologie. XXXV. 3. 15

226 £. Yon Hippel.

Traumen hatten aof beiden Augen die gleiche Wirkung, beim Menschen wurden Iridectomie und Extraction nach Ablauf des Homhautprocesses reizlos ertragen. Direct ge- gen die trophische Theorie spricht ein Fall, wo trotz Ste- henbleiben der inneren Fasergruppe doch die Entzündung eintrat. Zugleich bewies er, dass die Kaninchen -Cornea ausserordentlich widerstandsfähig gegen Traumen ist, sodass derartige Verletzungen vollständig reizlos ertragen werden, wie sie sich nach seiner Ansicht das Thier auch bei ver- lorener Empfindlichkeit selbst niemals zufügen kann. In- dem er vollends Kaninchen in einer geschlossenen Lade den Kopf feststellte, sodass Traumen auszuschliessen waren, in einem anderen Falle ein Thier direct GVg Stunden lang beobachtete und in beiden Versuchsarten die gewöhnliche Keratitis neuroparalytica auftreten sah, hielt er die Unrich- tigkeit der Traumatheorie für ausgemacht. Endlich sah er noch einen Fall, in welchem die Cornea empfindlich geblie- ben war, das Thier aber in Folge von Zwangsbewegungen stets mit grosser Gewalt mit dem Auge gegen die umge- benden Gegenstände anschlug, ohne eine Entzündung davon zu tragen. Mikroskopische Untersuchungen bestätigten ihm Senftleben's Angabe, dass die primäre Erscheinung eine Necroso (Xerose nennt er sie) sei, die erst secundär die Infiltration vom Rande her bedinge.

Seine Beobachtung, dass Kaninchen, denen der Deckel vorgenäht war, mit demselben an die Wände ihres Behäl- ters oder an andere Thiere anstiessen und sich dadurch die Lider über das Auge streiften, brachte ihn auf die Idee, dass die ganze schützende Wirkung des Deckels nur darauf beruhe, dass die über das Auge in der erwähnten Weise hin und her gestreiften Lider das Auge reinigen, befeuch- ten und also vor Verdunstung schützen. Durch seine Ver- suche sieht er es als thatsächlich bewiesen an, dass nur die Verdunstung als ätiologisches Moment in Betracht komme. Die genannten Ladonversuche sprechen dafür, ferner be-

Zar Aetiologie der Keratitis nenroparalytica. 227

wirkte Abtragung der Lider ebenfalls centrale Eintrocknung und Infiltration vom Rande her. Exstirpation der Nick- haut und weites Auseinandernähen der Lider lieferte ein gleiches, wenn auch langsamer eintretendes Resultat. Yor- nähen des Deckels bei Thieren, die in der Lade sassen, blieb öfters wirkungslos. Vernähung der Lidspalte in der richtigen Weise ausgeführt vermochte die Entzündung mit Sicherheit zu verhindern. Eine in den Anfangsstadien be- findliche Xerose konnte durch Vornähen des Deckels rück- gängig gemacht oder doch wenigstens zum Stillstand ge- bracht werden. Vernähen des Ohrlöfiels ist nur dann wirk- sam, wenn das Tbier durch denselben die Lider bewegen kann. Die von Decker beschriebenen unmittelbar nach der Durchschneidung auftretenden Vertiefungen auf der Hornhaut fasst er als den Beginn der Vertrocknung auf.

Senftleben^) publicirte 1878 eine Entgegnung gegen Feuer, worin er dessen Theorie für unhaltbar erklärt und die eigene durch neue Beweisgründe zu stützen sucht. Das Wesentliche daraus ist Folgendes: Die Traumen, die Feuer durch Kratzen und Schlagen der Hörnhaut anwandte, ge- nügen nach seiner Meinung nicht; Reiben mit einem un- ebenen Holzstücke, was dem Anstossen des Tbieres an den Wänden der Kiste entspräche, ruft stets die Entzündung hervor. Die unmittelbar nach der Durchschneidung sicht- baren Grübchen seien nur bei seitlicher Beleuchtung er- kennbare Schmutz- und Staubtheilchen, die sich leicht weg- wischen Hessen. Laden versuche, wie sie Feuer beschreibt, hat er ebenfalls angestellt und ist zu dem Resultat gekom- men, dass man Thiere darin bis zu vierzehn Tagen mit absolut klarer Hornhaut erhalten kann.

Aus dem Jahre 1882 liegt noch eine dänische Arbeit von B0ckmann über Keratitis nenroparalytica vor, die mir wegen der sprachlichen Schwierigkeiten nur zum allerklein-

') Virchow's Archiv, Band 72.

15*

228 £. von Hippel.

sten Theile zugänglich war. Der Verfasser scheint im We- sentlichen dieselben Resultate erhalten zu haben wie Feuer.

Auf der Naturforscher- Versammlung in Magdeburg(1884) hielt von Gudden^) im Anschluss an Betrachtungen über Decubitus einen Vortrag über die uns beschäftigende Frage. Er leugnet trophische Einflüsse und nimmt als ätiologisches Moment nur äussere Schädlichkeiten und zwar traumatische an. Versuche: 1) Bei neugeborenen Kaninchen Anlegung eines Anchjloblepharon, einige Wochen später Durchschnei- duBg des trigeminus, zehn Tage darauf Spaltung der Lider: vollkommen klare Hornhaut darunter. 2) Der n. opticus wird mit den Ciliarnerven durchschnitten, die Cornea wird unempfindlich, die Lider bleiben empfindlich; es tritt keine Entzündung ein. 3) Durchschneidung des opticus, der Ci- liamerven und palpebralen Aeste des Oculomotorius: keine Entzündung wegen der ptosis des oberen Lides. 4) Isoli- rung eines Thieres in einem glattwandigen Kasten: in sechs Tagen keine Entzündung; das Auge wird aber alle halben Stunden untersucht und gereinigt; sobald dies versäumt wurde, ti*at die Entzündung sofort ein, zeigte aber bei wei- terer Fortsetzung der Pflege keine Fortschritte. 5) Bei fa- cialis-Durchschneidung und Exstirpation der Nickhaut wirkt der retractor bulbi so enorm, dass keine Entzündung ent- stehen kann, weil das Auge fast vollständig von den Lidern bedekt wird. 6) Die unempfindliche Hornhaut ist wahr- scheinlich nicht leichter verwundbar als die andere, es ist aber sehr schwer, vollständig gleiche Reize anzuwenden.

Schiff*) bleibt auch in einer 1886 erschienenen Pu- blication bei seiner Anschauung von den vasomotorischen Einflüssen: Nach der Durchschneidung entsteht eine „neu- roparalytische Hyperämie; diese ist in den ersten neun bis zwölf Tagen constant vorhanden, ihre Entstehung kann auch

'} Bericht der Naturforscher- Versammlong zu Magdeburg 1884. ^) Archives des sciences pbysiques et naturelles 1886.

Zur Aetiologie der Keratitis neuroparalytica. 229

durch kein Schutzmittel verhindert werden. Nach ca. zwölf Tagen tritt sie nur noch periodisch auf, und zwar werden diese Perioden mit der Zeit immer kürzer, bis schliesslich die Hyperämie völlig schwindet. Nur bei Bestehen der- selben sind äussere Schädlichkeiten im Stande ihre Wirk- samkeit geltend zu machen; diese Reize, die sehr klein sein können, regen dann eine entzündliche Hyperämie an, die ganz verschieden ist von der neuroparalytischen, denn wäh- rend jene bei Zunahme der Reize intensiver wird, ist diese vollständig unabhängig davon. Dass die Homhauterkran- kung nach etwa neun bis zwölf Tagen zum Stillstand kommt, und dass in zwei Fällen die Thiere zwölf Tage geschützt waren und dann frei gelassen keine Entzündung davontru- gen, soll die Richtigkeit der Theorie beweisen; die Ver- suchsthiere waren Hunde.

Die im Vorstehenden entwickelten Theorieen lassen sich übersichtlich in folgender Weise zusammenstellen: I. Trophische (im weitesten Sinne) Einflüsse annehmende Theorieen.

a) rein trophische (Magendie, Cl. Bernard, v. Gräfe).

b) vasomotorische (Schiff, Bern ard).

c) trophisch- traumatische (Samuel, Büttner, Meiss- ner, Eckhard, Merkel, Decker).

d) vasomotorisch-traumatische (Schiff).

n. Trophische Einflüsse ausschliessende Theorieen.

a) rein traumatische (Snellen, Senftleben, v. Gudden).

b) mycotische (Eberth, Balogh).

c) xerotische (Feuer, Bpckmann).

Betrachten wir die vorliegende Literatur, so fällt es zunächst auf, dass nicht nur die aus den Versuchsresultaten gezogenen Schlüsse, sondern diese Resultate selbst sehr ver- schiedene, zum Theil geradezu entgegengesetzte sind.

Eine objective Kritik der entwickelten Theorieen auf Grund des vorliegenden Materials ergiebt Folgendes: Die

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rein trophische sowie die rein vasomotorische Theorie muss- ten fallen, sobald es möglich geworden war, durch äussere Schutzmittel das Auftreten der Entzündung zu verhindern. Als widerlegt zu betrachten ist auch die Theorie, welche ausser trophischen Einflüssen Traumen die Erkrankung bb wirken lässt, die für ein gesundes Auge keine Traumen sind; denn wir wissen, dass sehr grobe Insulte reizlos ver- tragen werden, sofern nur danach die nöthigen Schutzmit- tel zur Anwendung kommen. Die Lehre von der „vermin- derten Widerstandsfähigkeit" der Cornea, hervorgerufen durch Zerstörung der medialen (trophischen) Fasern des Nerven, stützt sich auf Fälle unvollkommener Durchschnei- dung von Büttner, Meissner, Schiff, Eckhard, Mer- kel und Decker^), fenier auf Decker's Angabe, dass gleiche Reize stärkere Wirkungen auf dem unempfindlichen Auge hervorrufen. Nicht zu vereinigen ist sie mit Fällen von unvollkommener Durchschneiduug mit umgekehrtem Re- sultat (vgl. oben) von Senft leben und Feuer, sowie mit der Angabe dieser beiden Forscher, sowie v. Gudden's, wonach gleiche Traumen auf beiden Augen stets gleiche Wirkungen erzielten. Die rein traumatische Theorie er- schien durch Feuer widerlegt, dessen Resultate mit ihr nicht in Einklang zu bringen sind; von neuem gestüzt wird sie durch die zweite Publication Senftlebcn's, deren Er- gebnisse der xerotischen Theorie widersprechen, v. Gud- den's Experimente lassen sich ebenso gut für Feuer als für Senft leben verwerthen; denn wenn durch sorgfaltige alle halben Stunden wiederholte Reinigung das Entstehen der Entzündung verhindert wurde, so muss man annehmen, dass die Reinigung jedenfalls eine Ausspülung war, die alle halben Stunden wiederholt hinreichte, das Auge vor Ver- dunstung zu schützen.

^) Decker*8 F&Ue sind in keiner Weise als beweisend anzn- sehen, da es keine reinen F&Ue sind.

Zar Aetiologie der Keratitis nearoparalytica. 231

Die mycotische Theorie ist weder bewiesen noch wi- derlegt.

Die neue vasomotorisch-traumatische Theorie Schiffs steht im Widerspruch mit den Angaben Büttner's, Scuft leben's und Feuer's, dass eine Hyperämie unter dem Deckel fehle, femer mit Bernard's Behauptung, dass die Gefasse verengt seien.

Da unter diesen Umständen neue Experimente zur Be- stätigung der einen oder anderen Theorie jedenfalls wün- schenswerth waren, da namentlich die mycotische Theorie bisher nur durch Gründe gestützt war, die den Anforderun- gen der heutigen bacteriologischen Wissenschaft gegen- über nicht als stichhaltige gelten können, so veranlasste Herr Professor Leber mich, die Frage nochmals experi- mentell in Angriff zu nehmen und auch der etwaigen Ein- wirkung von Mikroorganismen meine Aufmerksamkeit zuzu- wenden. Ich habe nur Kaninchen zu meinen Versuchen benutzt.

Dieselben sollten mir zunächst nur das Entstehen und den Verlauf der Entzündung zeigen. Ich machte die Durch- schneidung so, wie sie Bernard beschreibt: ich schob das Neurotom ziemlich weit nach vom, so dass der Schnitt den vereinigten ersten und zweiten Ast des trigeminus da traf, wo er auf dem Boden der fossa temporalis verläuft; er ist hier von der Dura bedeckt und liegt dem Knochen direct auf. Da die kleine Schneide des Neurotoms bei der Hebel- bewegung, die man ausfuhrt, sobald der Nerv berührt ist, durch Druck und nicht durch Zug wirkt, so ist es leicht verständlich, was Senftleben schon bemerkt, dass man bei dieser Art der Operation verhältnissmässig viele Fälle von unvollkommener Durchschneidung erhält; so ist es auch mir gegangen. Sowie der Schnitt gemacht war, traten die bekannten Erscheinungen, Verengerung der Pupille, Hyper- ämie, leichte Protrusio bulbi und Anästhesie auf. Ausser- dem sah ich in einer Anzahl von Fällen fast unmittelbar

232 £. Ton Hippel.

nach Ansfuhning der Durchechneidung die von Decker und Feuer beschriebenen Vertiefungen und Grübchen auf- treten. Dies Symptom war kein regehnässiges, in einer Reihe von Fällen trat im Moment der Durchschneidung sehr reichliche, aber nicht lange anhaltende Thränensecre- tion ein, hier vermisste ich fast immer die Grübchen. Auf eine Erklärung dieser Erscheinung komme ich weiter unten zurück.

Der Verlauf der Hornhauterkrankung ist so oft be- schrieben worden, dass ich mich einer genauen Schilderung desselben enthalten kann, erwähnen will ich nur, dass die einzelnen Fälle ziemlich erhebliche Schwankungen in der Geschwindigkeit sowie in der Intensität des Processes zeig- ten, und dass den Beginn der Afifection stets ein meist ziemlich genau in der Mitte der Cornea gelegener ovaler Epitheldefect bildete, in dessen Bereich die Hornhaut bald eine matte grauliche Färbung annahm; daran schlössen sich dann die weiteren Erscheinungen. Die Cornea war oft im Verlaufe weniger Tage so trocken, dass ein auf die Mitte aufgelegtes Stückchen Fliesspapier nicht mehr die geringste Feuchtigkeit aufnahm. Eine Perforation der Hornhaut habe ich nicht beobachtet Hypopyon sowie Exsudate im Pupil- largebiet waren kein regelmässiger Befund. Dass der Ge- sichtssinn der Thiere nicht durch die Operation leidet, zeigte der starke Lidreflex, der stets durch Lichteinfall ausgelöst wurde. Was das Verhalten der Pupille betrifft, so liess die Myosis bald nach der Operation wieder allmählich nach und nahm mit der Entwicklung der Homhauterscheinun- gen wieder zu. Verhinderte man die Entzündung, so er- reichte die Pupille ihre normale Grösse wieder; die Reao tion blieb aber auch dann entschieden träger.

Von den Methoden zur Verhütung der Entzündung wandte ich zunächst als die offenbar einfachste und sicherste den Pfeifendeckel an und kann auch nur erklären, dass er sich in allen meinen Fällen als hinlängliches Schutzmittel

Zur Aetiologie der Keratitis neuroparalytica. 233

bewährt hat. Bei diesen Versuchen sowohl wie bei An- wendung anderer Schutzvorrichtungen konnte ich mich über- zeugen, dass wenn die ersten unmittelbar der Durchschnoi- dung folgenden Erscheinungen (Myosis etc.) vorübergegangen waren, au der Conjunctiva keine Hyperämie zu entdecken war. Ich habe Herrn Prof. Leber mehrere solche Thiere gezeigt, und wurde meine Beobachtung von ihm bestätigt. Auf Grund dieser Erfahrung kann ich in eine Erörterung der neuesten Schiff sehen Theorie schlechterdings nicht eintreten.

Die Lehre von der verminderten Widerstandsfähigkeit der CSomea und ihre Begründung suchte ich an der Hand meiner Experimente zu studiren. Den Fällen unvollkom- mener Durchschneidung, die gegen Büttner, Meissner und ihre Anhänger angeführt sind, kann ich fünf hinzu- fugen: zwei, bei denen der Schnitt die medialen Fasern vollständig intact gelassen, zwei, bei denen die Klinge des Neurotoms offenbar schräg gedreht war, sodass der Schnitt eine in der Mitte des Nerven gelegene Längsfissur gemacht hatte und einen, wo überhaupt nur eine Durchschneidung der obersten Fasern zu Stande gekommen war. In allen diesen Fällen bestand Anästhesie, und die Keratitis neuro- paralytica trat in der gewöhnlichen Weise ein. In einem anderen Falle hatte der Schnitt nur die medialen Fasern getroffen, die Entzündung trat ein, es bestand aber auch bei diesem Thiere vollkommene Unempfindlichkeit.

Auf Grund dieser Resultate kann ich der Ansicht, dass der mediale Theil des trigeminus die Fasern führt, deren Durchschneidung zum Zustandekommen der Erkrankung nothwendig ist, nicht beitreten; dieselbe ist mit den Fällen von Senft leben, Feuer und mir einfach unvereinbar. Andererseits muss ich offen eingestehen, dass mir eine be- friedigende Erklärung für die Fälle, in denen trotz vorhan- handener Unempfindlichkeit die Entzündung nicht zur Ent- wickelung kam, nicht zu Gebote steht. Ich kann diesen

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Punkt eben nur als eine n€»di offene Frage bezeichnen, mich anch nicht zn einer so gekünstelten ErUäning der Butt- ner-Meissner'schen Falle Terstehen, wie sie Senftleben und Toner versnchen, nm dieselben ihrer Theorie anzu- passen. Ersterer vermnthet nämlich, dass in den erwähn- ten Fällen das untere Lid seine Empfindlichkeit behalten, das eine Mal aber, wo trotz erhaltener Sensibilität die Ent- zündung aufgetreten war, dass die Empfindlichkeit doch gelitten hätte. Feuer erklärt die ersten Fälle ähnlich, den letzten aber so, dass wohl die Hornhaut empfindlich ge- blieben, die Lader aber anästhetisch geworden wären. Ge- künstelt nenne ich diese Erklärung, weil sie äusserst grobe Ungenauigkeiten in der Beobachtung voraussetzt Direct dag^en sprechen aber vier meiner Versuche, in denen das untere Lid empfindlich geblieben war, und doch jedesmal die Entzündung sich einstellte. Dass eine Tenninderte Wi- derstandsfähigkeit im Sinne der trophisch- traumatischen Theorie vorliegt, ist zum mindesten gänzlich unbewiesen. Die vergleichenden Versuche Senftleben's, Feuer's und V. Gudden*s habe ich nicht wiederholt, muss deshalb auf diese verweisen, aus eigener Erfahrung kann ich nur sagen, dass die Widerstandsfähigkeit der gefühllosen Hornhaut Traumen gegenüber eine ausserordentlich grosse ist. Das Ergebniss von Decker* s vergleichenden Versuchen wird man gut thun mit Vorsicht aufzunehmen, da er unter Anderem dem Pfeifendeckel ja auch keine schützende Wirkung zuer- kennt.

Um den weiteren Gang meiner Versuche zu rechtfer- tigen, muss ich vorausschicken, dass ich bei Beginn der- selben die zweite ArlK'it von Senftleben noch nicht kannte. Meine Experimente waren daher zunächst darauf gerichtet, die Feuer'sche Theorie, die mir als die weitaus wahrschein- lichste erscheinen musste, auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Bekanntlich sieht Feuer die Wirksamkeit des Pfeifendeckeb darin, dass er durch Anstreifen an die Wände des Käfigs

Zar Aetiologie der Keratitis neoroparalytica. 235

und an andere Thiere die Lider über das Auge hinwegzieht und es so reinigt und feucht erhält. So wenig ich die Be- deutung dieses Vorgangs leugnen will, so kann ich doch nicht zugeben, dass dies die einzige Art seiner Wirksam- keit ist. Ich überzeugte mich nämlich in einem meiner ersten Versuche mit dem Deckel, dass es durch die zufäl- lige Art der Befestigung unmöglich gemacht war, selbst durch starken Zug die Lider an dem Deckel über das Auge zu bewegen. Dennoch trat keine Entzündung ein. Wollte man keine Traumen zur Erklärung heranziehen, so lag die Aimahme nahe, dass das Drahtnetz direct Verdunstung verzögernd wirke, was Senft leben für voUständig ausge- schlossen hält. Zwei Versuchsreihen sollten mir diese Frage entscheiden.

Aus massig starkem Draht liess ich mir einen Ring von gleichem Umfang wie der Pfeifendeckel anfertigen, auf den vorn zwei sich rechtwinklig kreuzende halbkreisförmige Drähte aufgelöthet waren. Dieser Drahtbügel, wie ich ihn kurz nennen will, wurde den Versuchsthieren statt des Pfei- fendeckels vorgenäht. In zweierlei Hinsicht musste er die- sem in seiner Wirkung gleich sein: 1) Auch er schützt das Auge vor groben Traumen, denn spitzige Gegenstände waren in dem Kaninchenstall nicht vorhanden. 2) Auch er er- möglicht durch Anstossen an die Wände ein Ueberstreichen der Lider. Mit diesem Drahtbügel habe ich sechs Versuche aogestellt mit folgerndem Resultat: zweimal bewährte er sich als ausreichendes Schutzmittel, die Entzündung blieb aus; viermal trat die Hornhautaffection eiii, zwar langsamer in ihren einzelnen Stadien, sonst aber genau in derselben Weise, als wenn das Auge ungeschützt geblieben wäre. Kann nun der Unterschied in der Wirksamkeit von Pfeifen- deckel und Drahtbügel dadurch bedingt sein, dass ersterer direct die Verdunstung verzögert? Ein einfacher Versuch lässt mich diese Frage bejahen. Ich nahm zwei gleich grosse Uhrschälchen und zog um dieselben einen Wachs-

236 £• von Hippel.

rand ungefähr von dem Umfange des Pfeifendeckels bez. Drahtbügels. Mit einer Pipette wurden gleiche Mengen Al- kohol in beide Schalen gebracht, dann auf den einen Wachs- rand der Deckel, auf den anderen der Bügel festgedrückt, und die Zeit, die der Alkohol zum Verdunsten brauchte, be- obachtet. Genaue Messungen über die Yerdunstungszeit habe ich nicht angestellt, die Methode macht selbstverständ- lich keinen Anspruch auf physikalische Genauigkeit, es liegt aber auf der Hand, dass für unsere Frage auch nur Dif- ferenzen von Belang sein können, die sich schon durch eine so unvollkommene Methode mit Sicherheit nachweisen lassen. In der That war das durch häufig wiederholte Versuche festgestellte Resultat, dass die Verdunstung unter dem Pfei- fendeckel ganz erheblich, etwa zwei bis dreimal langsamer vor sich geht als unter dem Drahtbügel. Für die Verdun- stungstheorie nutzbar gemacht heisst dieses Ergebniss also: Der Deckel schützt das Auge nicht nur dadurch, dass er eine Befeuchtung desselben durch Ueberstreichen der Lider ermöglicht, sondern er wirkt auch direct Verdunstung ver- zögernd.

Die rein traumatische Theorie Senftleben's wurde auch einer eingehenden Prüfung unterzogen. Zunächst muss man sagen, dass die vier Fälle, in denen der Drahtbügel die Entzündung nicht verhindern konnte, mit der Trauma- theorie nicht oder wenigstens nur sehr schwer in Einklang zu bringen sind. Ich wiederholte auch Feuer 's Versuche durch directe Traumen die Entzündung hervorzurufen und kann seine Erfahrungen nur bestätigen. Wenn er aber meint, ein Kaninchen sei selbst nicht im Stande, sich Verletzun- gen zuzufügen, die eine Keratitis im Gefolge haben, so hat er darin wohl schwerlich Recht, es handelt sich aber höchst- wahrscheinlich in solchen Fällen weniger um ein besonders intensives Trauma, als vielmehr um eine Infection, wie sie z. B. durch mehrfaches Reiben mit einem unebenen Holz- stück, was Senftleben vorschlägt, oder durch Anstreifen

Zar Aetiologie der Keratitis neuroparalytica. 237

des Thieres an die Wände seines Behälters sicher herbei- geführt werden kann. Ob wir eine solche Keratitis auf gleiche Stufe mit der neuroparalytischen stellen dürfen, darauf komme ich weiter unten zurück. Wenn Senftleben häufige und grobe Traumen besonders betont und diese durch häufiges Anstossen des Auges an die umgebenden Gegenstände zu Stande kommen lässt, so muss man doch sagen, es ist recht unwahrscheinlich, dass ein Thier, das Toliständig gut sehen kann, das auch in seiner Accommo- dation in keiner Weise beeinträchtigt ist, mit dem sehen- den Auge beständig gegen die Wände seines Käfigs anren- nen soUI

Zur sicheren Entscheidung der Frage genügen diese Betrachtungen natürlich nicht, zumal auch die beiden Fälle, in denen der Drahtbügel genügenden Schutz bot, für die Traumatheorie herangezogen werden könnten.

Von grosser Wichtigkeit mussten deshalb Versuche sein, in denen das Auge keinen directen Schutz bekam, der Kopf des Thieres aber derartig festgestellt wurde, dass Traumen mit voller Sicherheit auszuschliessen waren. Solche Bedin- gungen sind gegeben, wenn man das Thier in eine Lade setzt, die vom einen Ausschnitt für den Kopf hat, der hier durch eine über den Nacken heruntergelassene stellbare Fallthür fest gehalten wird. Feuer und Senftleben haben diese Versuche bereits angestellt und sind zu genau ent- gegengesetzten Resultaten gekommen. Jener sah die Kera- titis neuroparalytica hier fast in allen Fällen zu Stande kommen, in einzelnen wurde sie „hintangehalten oder we- nigstens verzögert", weil das Thier sich sehr unruhig ver- hielt, den Kopf zurückzuziehen suchte; dadurch kam mit der Verschiebung der Gesichtshaut ein tJeberstreichen der Lider und „durch die Anstrengung der gesammten Körper- muskulatur eine synergische Contraction des sphincter pal- pebrarum zu Stande", sicher keine sehr befriedigende Er- klärung, die auch für einen meiner Fälle entschieden nicht

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zu verwenden wäre.^) Senftleben erhielt Thiere in einer solchen Lade bis zu vierzehn Tagen mit vollkommen klarer Hornhaut; die entgegengesetzten Resultate Feuer 's erklärt er so, dass die Thiere jedenfalls neben dem Kopfe die Pfote aus der Oeffnung herausgostreckt und sich mit derselben das Auge verletzt hätten, sicher eine noch weniger befrie- digende Erklärung; denn sie setzt einmal wieder grobe Un- genauigkeit in der Beobachtung voraus, andererseits kann ich versichern, dass wenn die Halsöffnung so weit ist, dass die Thiere noch eme Pfote hiudurchbringen können, sie sich mit unglaublicher Geschicklichkeit durch Zurückziehen des Kopfes aus der unbequemen Lage befreien. Nur wenn die Oeffnung ganz eng ist, kann man sie in der gewünschten Stellung erhalten; ich habe diese Erfahrungen zu meinem Schaden mehrfach machen müssen. Gelungene, vollständig einwandfreie Versuche mit der Lade habe ich drei zu ver- zeichnen, die aber vollständig ausreichen, um Alles, was man an ihnen lernen kann, zu zeigen. Ich lasse kurz die Ver- suchsprotokolle folgen:

No. 1. Schwarzes Kaninchen. 4. VI. 89. Durchschneidung des trigeminus auf der linken Seite. Auftreten der bekannten Erscheinungen. Das Thier wird in die Lade gesetzt. 5. VI. Cornea absolut klar. 6. VI. Cornea wie gestern vollständig klar; gegen Abend wird das Thier, da es ziemlich matt ist, aus der Lade herausgenommen und der Drahtbügcl vorgenäht (einer der vorhin angeführten sechs Versuche). Das Thier wird firei- gelassen. 7. 8. 9. VI. Cornea absolut klar. Der Bügel wird entfernt und das Thier ohne Schutz freigelassen. 10. VI. In- tensive Trübung der Hornhaut, die in den nächsten Tagen mit grosser Schnelligkeit fortschreitet.

No. 2. 24. VI. 89. Bei demselben Kaninchen wird der trigeminus rechts durchschnitten und das Thier abermals in die Lade gesetzt. 25. VI. In der Mitte der Cornea in breiter Ausdehnung eine ausserordentlich intensive Trübung mit Epi- thelverlust. Da die Entzündung eingetreten ist, wird das Thier

^) Fall 1 meiner ersten Versuchsreihe, in welchem das Thier sich ganz ruhig verhielt.

Zur Aetiologie der Keratitis neuroparalytica. 239

herausgenommen und getödtet. Section: beiderseits nahezu voll- ständige Durchschneidung bis auf einige unterste Fasern. Auf beiden Augen war bis zum Tode absolute Unempfindlichkeit constatirt.

No. 3. Grosses gelbes Kaninchen. 22. VI. Durchschnei- dung rechts. Lade. 23. VI. In der Mitte der Cornea ovaler Epitheldefect mit oberflächlicher Eintrocknung dieser Parthie. 24. YI. Ganz intensive, weit ausgedehnte Eintrocknung, Injec- tion der Goi^unctiva etc. Das Thier wird herausgenommen und getödtet Bis zum Tode absolute Anästhesie.

Section: Vollkommene Durchschneidung.

Diese drei Versuche, in denen, wie ich nochmals aus- drücklich hervorhebe, das Auge vollkommen sicher vor Trau- men geschützt war (es war kein anderes Thier in dem Ver- schlage) zeigen zunächst, dass die Resultate eben nicht immer die gleichen sind, dass also die entgegengesetzten Beobachtungen Feuer's und Senftleben's jedenfalls voll- ständig zuverlässige sind. Weiter lehren sie, dass es sehr schwer ist, das Zustandekommen der Entzündung in diesen drei Fällen durch eine und dieselbe Schädlichkeit zu er- klären. Mit voller Sicherheit bewiesen ist durch diese Ver- suche nur das Eine, dass die Keratitis neuroparalytica un- abhängig von jedem Trauma zu Stande kommen kann, und damit ist die rein traumatische Theorie hinfällig. Sehr viel schwieriger ist die Erklärung des ersten Falles, und ehe ich auf dieselbe eingehe, möchte ich noch einige andere Versuche besprechen.

Wenn die Verdunstung die Hornhautaffection herbei- führt, so muss diese ausbleiben oder wenigstens langsamer verlaufen, wenn man das Versuchsthier in eine möglichst feuchte Atmosphäre bringt. Um solche Bedingungen her- zustellen, liess ich mir einen rechteckigen Blechkasten von ca. ^/, m Länge und 30 cm Breite anfertigen, auf welchen oben ein Drahtnetz aufgelöthet war, dessen Maschen gerade so weit waren, dass das Kaninchen nicht hindurch trat, son- dern sich darauf bewegen konnte. Vier Holzwände, von

240 £' von Hippel.

gewöhnlichen Brettern zusammengeschlagen, umgaben das Granze. Der Blechkasten wurde mit Wasser gefüllt und die Oeffidung des Holzverschlages oben mit nassen Tüchern be* deckt, die während der Dauer des Versuches beständig feucht erhalten wurden. In diesen Behälter wurden die Thiere gebracht; auch hier habe ich über drei Versuche zu be- richten.

No. 1. Mittelgrosses graues Kaninchen. 25. VI. Durch* schneidung auf der linken Seite. Völlige Unempfindlichkeit. Das Thier wird in die feuchte Kammer, wie ich den Apparat der KOrze wegen nennen will, hineingesetzt. 26. 27. 28. VI. Hornhaut absolut klar; die Tücher werden weggenommen, das Wasser wird aus dem Kasten entfernt, das Thier darin gelassen. 29. VL In der Mitte der Cornea ein 'schmaler länglicher Epi- theldefect. 30. VL Die Stelle desselben ist oberflächlich ge- trübt 1. VII. Die Trübung hat zugenommen. Da die feuchte Kammer gebraucht wird, wird das Thier in den Stall gebracht. In den folgenden Tagen nimmt der Pfocess langsam zu, in- zwischen kommt das Thier noch einmal in die feuchte Kammer zurück; 2^/2 Wochen nach der Operation hat der Process eine sehr beträchtliche Ausdehnung erlangt.

No. 2. Dasselbe Thier wird am 4. VII. noch rechts ope- rirt und wieder in die feuchte Kammer gebracht. Das Proto- koll wird mit dem folgenden Versuch gemeinsam gegeben.

No. 3. Weisses Kaninchen. Operation 4. VII. Feuchte Kammer. 5. VII. Bei beiden Thieren oberflächliche Trübung der Hornhaut. 6. 7. 8. VII. Die Trübung hat fast gar nicht zugenommen. Die Thiere werden aus der feuchten Kammer entfernt. In den nächsten drei Tagen sehr rasche und inten- sive Entwickelang der Erkrankung.

Wir lernen aus diesen Versuchen, dass in einer feuch- ten, aber jedenfalls nicht mit Wasserdampf gesättigten At- mosphäre die Entzündung einmal ausblieb, zweimal aber wesentlich langsamer als gewöhnlich verlief, namentlich auch, wenn man die rasche Entwickelung nach Entfernung aus der feuchten Luft in Rechnung zieht.

Wenn man diese drei Fälle mit denen der yorigen Versuchsreihe zusammenstellt und versucht, die beobachte-

Zur Aetiologie der Keratitis nearoparalytica. 241

teil Erscheinungen auf ein schädigendes ursächliches Mo- ment zurückzuführen, so ist von vorn herein klar, dass es kein traumatisches sein kann. Will man sie alle auf die Verdunstung zurückführen, so müsste man etwa annehmen, dass graduelle Unterschiede in der Intensität der Verdunst- ung verschiedene Wirkungen zu erzeugen vermöchten der Art, dass Verhältnisse, die Verdunstung in massigem Grade begünstigen, bei einem Auge schon die Erkrankung herbei- führen, bei einem anderen noch nicht dazu ausreichen. So ist das Auge eines Thieres, das ruhig in der Lade sitzt, sicher weniger der Verdunstung ausgesetzt, als wenn das- selbe frei herumspringt, wobei fortwährend Luftströmungen das Auge treffen. Andererseits hemmt zwar die Atmos- phäre der feuchten Kammer die Verdunstung, doch wird .ihre Wirkung zum Theil durch die mögliche Bewegung des Thieres compensirt. Ausserdem kann man sich wohl vor- stellen, dass verschiedene Augen ungleiche Mengen von Be- eret liefern, so dass die Austrocknung einmal leichter mög- lich ist, als in einem anderen Falle. Natürlich ist eine solche Art der Erklärung nur eine hypothetische zu nennen, man wird sie aber doch Angesichts der Thatsache, dass für die grosse Mehrzahl der Fälle die Verdunstung als ätiologisches Moment nachgewiesen ist, zum mindesten als recht wahr- scheinlich bezeichnen müssen.

Nehmen wir nun an, dass in den beiden negativ aus- gefallenen Versuchen mit dem Drahtbügel und in Fall 1 der ersten Versuchsreihe nach Beseitigung des Schutzes, in Fall 2 und 3 der zweiten Versuchsreihe aber bei Fehlen eines directen Schutzes die Affection durch Traumen her- beigeführt wurde, so müssten wir auf die Annahme einer einheitlichen Aetiologie der Keratitis neuroparalytica ver- zichten und uns vorstellen, dass traumatische sowie Ver- dunstung begünstigende Schädlichkeiten, jede für sich allein oder auch beide gemeinsam, die Affection hervorzubringen vermöchten in der Weise, dass entweder zufällig oder durch

▼. Graefe'8 ArcUy für Ophthalmologie. XXXV. 3. 16

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grössere Empfindlichkeit verschiedener Augen für die eine oder die andere Schädlichkeit bald diese bald jene aus- schliesslich oder wenigstens überwiegend zur Wirkung kommt. Es ist sehr schwer, sich eine solche verschiedene Disposi- tion vorzustellen; das traumatische Entstehen ist, wie wir wissen, unwahrscheinlich, bewiesen ist es jedenfalls nicht. Da wir nun das Zustandekommen der Entzündung in allen Fällen durch die Verdunstung und nur ihr Ausbleiben in einigen Fällen nicht mit voller Sicherheit durch den Man- gel dieser Schädlichkeit zu erklären vermögen, so wer- den wir uns nicht entschliessen, bei einem so ausgeprägten Krankheitsbild wie dem der Keratitis neuroparalytica auf die Annahme einer einheitlichen Aetiologie zu verzichten. Wir geben zu, dass für einige Fälle eine voll befriedigende Erklärung noch fehlt. Halten wir uns nur an das, was wir sicher bewiesen haben, so müssen wir sagen: Die Kera- titis neuroparalytica entsteht sehr häufig unter Ausschluss von Traumen allein durch Verdunstung.

Die Befeuchtung des Auges haben wir uns wohl in folgender Weise vorzustellen: Im normalen Zustande liefern Conjunctiva und Thränendrüse beständig Secret. Steht das Auge eine gewisse Zeit offen, so beginnt die Vertrocknung; dieselbe wirkt als geringer Reiz und löst reflectorisch eine etwas verstärkte Secretion sowie einen Lidschluss aus; stär- kere Reize bewirken reflectorisch wesentlich verstärkte Se- cretion. Wird der trigeminus durchschnitten, hört somit die Empfindlichkeit des Auges auf, so besteht die nicht reflectorische Secretion fort, die reflectorische hört auf. Er- stere genügt, das Auge feucht zu erhalten, wenn die Ver- dunstung des gelieferten Secretes auf irgend eine Weise verzögert wird, sie reicht nicht mehr aus, wenn eine solche Verzögerung fehlt. Will man daher nach trigeminus-Durch- schneidung von einer verminderten Widerstandsfähigkeit re- den, so wäre das in unserem Sinne nichts anderes, als ein Wegfall der einen, nämlich der reflectorischen Art der Be-

Zur Aetiologie der Keratitis neuroparalytica. 243

feuchtung. Ganz gleichgültig ist es also auch für unsere Frage, ob der trigeminus wirklich die secemirenden Fasern für die Thränendrüse fuhrt» was mehrfach bestritten wird (Reich), es fehlt eben der Impuls zur reflectorischen Se- cretion. Und wenn gegen die Berechtigung der Verdunst- ungstheorie angeführt ist, dass Exstirpation der Thränen- drüse Yon einem gesunden Auge reizlos ertragen wird, so ist eben unberücksichtigt geblieben, dass das Auge fühlt und bei jedem Reiz, also auch bei beginnender Eintrock* nung reäectorisch alle Mittel, dieselbe zu verhüten, also stärkere Secretion der Schleimhaut, häufigerer Lidschluss und Anstrengung des retractor bulbi zur Anwendung kommen.

Die kleinen Vertiefungen, die unmittelbar nach der Durchschneidung auf der Hornhautoberfläche beobachtet sind, waren mehrfach Gegenstand der Discussion. Ich habe sie in der Mehrzahl meiner Fälle auch gesehen, sie fehlten meistens, wenn bei der Operation sehr starke Thränenab- sonderung eintrat. Zunächst muss ich feststellen, dass diese Vertiefungen nicht, wie Senftleben behauptet, bloss bei seitlicher Beleuchtung zu erkennen sind, ferner dass es sich dabei nicht um eine Ansammlung von Staub und Schmutz handelt, und endlich, dass man sie nicht durch einmaliges Ueberstreicheu mit dem Lide entfernen kann.

Es ist nicht leicht, sich vorzustellen, dass Eintrock- nungserscheinungen so rasch auftreten sollen, namentlich da das Kaninchen normaler Weise verhältnissmässig selten Lid- schläge macht. Man kann sich aber wohl vorstellen, dass die Cornea normaler Weise solche ganz kleine Unebenheiten besitzt, die nur durch die capillare Flüssigkeitsschicht, die das Auge bedeckt, verborgen gehalten werden. Diese Schicht wird erhalten durch ein Gleichgewicht, das zwischen der beständig stattfindenden Secretion und der Absaugung des Secretes durch die Thränenpunkte besteht. Wird nun der trigeminus durchschnitten, so wird das Auge in plötzlich vemnderte Verhältnisse der Befeuchtung versetzt, an die

IG*

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es sich erst anpassen muss; das Gleichgewicht zwischen Se-> cretion und Abfluss wird gestört, die capillare Schicht un- terbrochen, die Unebenheiten kommen zum Vorschein. Da- mit würde auch übereinstimmen, dass diese Vertiefungen wieder verschwinden und nicht gleich den Anfang der eigent- lichen Erkrankung bilden, ferner passte dazu ihr Fehlen bei starker Thränenabsonderung und endlich folgende Be- obachtung: Hat man das Auge nach der Operation durch den Pfeifendeckel geschützt und entfernt diesen am näch- sten Tage, so kann man, wenn mau weiter beobachtet, nach fünf bis 10 Minuten ähnliche Vertiefungen auftreten sehen; dieselben bleiben aus, wenn man die Cornea sofort nach der Entfernung des Deckels permanent berieselt. Jedenfalls sind es nur ganz minimale Unebenheiten der obersten Epi- thelschichten, die man nur vermöge der Spiegelungsverhält- nisse der Hornhaut wahrnehmen kann. Ich enthalte mich daher auf Decker 's Angaben, er hätte auf Querschnitten solcher Stellen nicht nur eine Verschmälerung des Epithels, sondern auch eine solche der ganzen Cornea ohne histolo- gische Veränderungen derselben gefunden, eine Verschmä- lerung, über deren Grösse er sogar Zahlenangaben macht (I)» näher einzugehen.

Unberücksichtigt blieb bisher die Eberth-Balogh- sche Hypothese, dass es sich bei der Keratitis neuropara- lytica um eine mycotische Infection handle der Art, dass geringe durch Traumen oder Eintrocknung entstandene Epi- thelverluste nur den Mikroorganismen das Eindringen er- möglichten. Zunächst kann ich nicht zugeben, dass, wie Eberth meint, die Keratitiß neuroparalytica klinisch auch nur ein ähnliches Bild darbietet, wie die Homhautdiph- therie. In den Anfangsstadien ist von Eiterung keine Rede, die Secretion oft sehr gering. Die zwei Gruppen von Ver- suchsresultaten, die Balogh als Analoga der uns beschäf- tigenden Erkrankung hinstellt (s. oben), haben eine ganz andere Bedeutung. Es ist ohne Weiteres klar, dass es sich

Zur Aetiologie der Keratitis neuroparalytica. 245

dabei um eine directe Infection der Cornea von Seiten ei- ternder Stichkanäle handelt. Für uns bleibt also von sei- nen Angaben nur übrig, dass er auch bei der Keratitis neuroparalytica Sphärobacterien in grossen Mengen gefun- den haben will.

Es war daher zu untersuchen, ob Mikroorganismen wirklich als regelmässiger Befund Torkommen und wenn ja, ob sie als die eigentlichen Erreger der Erkrankung anzu- sehen sind.

Ich habe zur Entscheidung dieser Frage zwölf Augen meiner Yersuchsthiere in yerschieden weit vorgerückten Sta- dien auf Quer- und Flachschnitten sorgfältig mikroskopisch untersucht. Zur Färbung der Schnitte benutzte ich fast ausschliesslich Löffler'sches alkalisches Methylenblau, für einige Schnitte zum Studium des histologischen Verhaltens Ilämatoxylin. An letzteren habe ich dasselbe gesehen, was Senftleben und Feuer genau beschrieben haben: Im vor- deren centralen Theil der Cornea eine Necrose und vom Rande her ausgehend eine dichte Infiltration von Rundzel- len, die hintersten Schichten der Cornea unverändert. Mi- kroorganismen habe ich als constanten Befund nicht nach- weisen können. Es fanden sich in fast allen Hornhäuten zum Theil in sehr grosser Menge kleine rundliche durch Methylenblau gefärbte Körnchen, die bei oberflächlicher Un- tersuchung als Coccen imponiren konnten. Dass es keine waren, ergab sich daraus, dass jede charakteristische An- ordnung zu zweien, in Ketten oder Haufen vollständig fehlte, dass sie zum Theil nicht ganz rund und auch nicht von gleicher Grösse waren. Was für eine Bedeutung diese Körn- chen hatten, habe ich nicht ergründen können. In drei Augen habe ich mit Sicherheit Coccen nachgewiesen. Sie waren aber nur in ganz minimalen Mengen vorhanden, so dass man sie nur auf wenigen Schnitten zu Gesicht bekam. Die kleinen Colonien (1 3 an der Zahl) lagen entweder der Homhautoberfläche an der necrotischen Stelle auf oder

246 E. von Hippel.

befanden sich in den oberflächlichsten Schichten derselben. In einigen Hornhäuten fand ich Bacillen von verschiedener Grösse in erheblichen Mengen; sie befanden sich in dem an den Randparthieen noch vorhandenen Comealepithel und in den hintersten Hornhautschichten in grosser Menge, die membrana Descemet! war hier stellenweise unterbrochen; einzelne Exemplare waren auch in dem Gebiete der Necrose und in den mittleren Hornhautschichten zu sehen. Dann aber habe ich in mehreren Hornhäuten, obgleich ich bis 40 Querschnitte durch einen Heerd genau untersucht habe, keine Spur von Mikroorganismen nachweisen können. Der kli- nische Verlauf sowie das mikroskopische Bild unterschieden sich in diesen Fäljen in keiner Weise von den anderen.

Danach halte ich den Schluss für gerechtfertigt, dass das Auftreten von Mikroorganismen bei der Keratitis neu- roparalytica kein regelmässiges ist und somit kein wesent- licher Factor des Erankheitsbildes sein kann. Handelte es sich nur, wie sehr wahrscheinlich in den Fällen, in denen Senftleben eine traumatische Entzündung zu erzeugen ver- mochte, um eine Infection mit Mikroorganismen, so geht aus dem Voranstehenden hervor, dass solche Fälle höchst wahrscheinlich mit der Keratitis neuroparalytica gar nicht auf eine Stufe gestellt werden dürfen.

Die am Kaninchen gemachten Erfahrungen dürfen jeden- falls nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragen wer- den, da bei diesem die Möglichkeit einer ausreichenden Be- feuchtung entschieden grösser, die Widerstandsfähigkeit ge- gen Traumen weit geringer ist.

Die durch die Arbeit gewonnenen Resultate kann ich zum Schluss in folgender Weise zusammenfassen:

1) Die Annahme von medial gelegenen trophischen Fa- sern im trigeminus ist mit vielen Sectionsresultaten nicht in Einklang zu bringen.

2) Die rein traumatische Theorie ist unhaltbar.

Zur Aetiologie der Keratitis neuroparalytica. 247

3) Durch die Verdunstungstheorie lässt sich das Auf- treten der Entzündung in allen Fällen erklären; das Aus- bleiben derselben in einigen Fällen hängt wahrscheinlich ab von stärkerer Secretion der Augen sowie von Bedingun- gen, welche Verdunstung weniger begünstigten.

4) Eine verminderte Widerstandsfähigkeit gegen Trau- men besteht nicht; nur der Austrocknung ist ein unempfind- liches Auge mehr ausgesetzt, als ein normales.

5) Ein Drahtnetz vermag direct die Verdunstung zu verzögern,

6) Der Drahtbügel konnte meistens das Entstehen der Entzündung nicht verhindern.

7) Eine feuchte Atmosphäre verzögert das Auftreten der Keratitis neuroparalytica.

8) Mikroorganismen sind kein regelmässiger Befund, kön- nen also nicht als ätiologisches Moment betrachtet werden.

Herrn Prof. Leber erlaube ich mir an dieser Stelle für seine vielfache gütige Unterstützung bei der Anfertigung dieser Arbeit meinen ergebensten Dank auszusprechen.

Fortgesetzter Berieht

ftber die mittelst antiseptischer Wnndbehindlimg

erzielten Erfolge der StaaroperationeiL

Von Alfred Graefe.

ly'ui aiiter dem Einflnss der Bakteriologe ToUzogene Umgehütltung der Wundbehaudlong auf dem Gebiete der chirurgischen Ophthalmologie hatten mich bereits in den Jahren 1878 (v. Graefe's Archiv, XXIV, 1) und 1884 (ebenda XXX, 4) veranlasst, meine bezüglichen bei der Extraction gemachten Beobachtungen und Erfahrungen in eingehender Weise zu veröflfentlichen. Wenn ich, an diese früheren Mit- theilungen anknüpfend, jetzt in gleicher Weise fortfisdire, so leitet mich hierbei zunächst das Bestreben, an der Hand der während des inzwischen verflossenen längeren Zeitrau- mes von fünf Jahren weiter gesammelten Erfahrungen zu prüfen, ob und wie weit die von der antiseptischen Wund- behandlung gehegten Erwartungen innerhalb meines Wir- kungskreises sich erfüllt haben. Ich kann derartige um- fassciidore, in Beziehung zueinander gestellte Rechenschafts- berichte nicht für nutzlos halten, denn fniher schon habe ich geltend gemacht, dass Mittheilungen desselben Autors über Resultate, welche er bei verschiedenen von ihm zur Anwendung gebrachten Modalitäten der Wund- behandlung gesammelt hat, für die Beurtheilung des Wer-

Fortgesetzter Bericht über etc. Erfolge der Staarextractionen. 249

thes derselben ceteris paribus eine grössere Bedeutung zu- kommt, als den von verschiedenen Seiten her kommenden, mehr vereinzelt dastehenden Berichterstattungen: sind wir doch nur im ersten Falle, so weit dies überhaupt möglich ist, sicher, alle den Operationserfolg sonst noch beeinflus- senden Momente, die Individualität des Operateurs, die Be- sonderheit der Technik, die localen Verhältnisse, bei Beur- theilung der Wirkung der Wundbehandlung auszuschliesseu. Eine weitere Aufforderung zu den vorliegenden Mittheilun- gen ist für mich der Umstand gewesen, dass die Urtheile der Fachgenossen, über die Bedeutung der neuen Wundbe- handlung bei Augenoperationen sich noch immer nicht ge- einigt haben, vielmehr auch gegenwärtig noch so weit aus- einander gehen, dass von einzelnen Seiten versucht wird, einen fordernden Einfluss derselben auf die Operationsresul- tate überhaupt ganz in Abrede zu stellen. So sieht Stef- fan (v. Graefe's Archiv, XXXV, 2) die befruchtende Ein- wirkung der Bakteriologie auf die Ophthalmologie nur da- rauf beschränkt, dass uns dieselbe eine richtigere Erkennt- niss von der Entstehungsweise einer Reihe von krankhaften Vorgängen eröflhet und mit Beziehpng auf die Operationen, insbesondere die Kataraktextractionen, gelehrt habe, dass die ihnen folgenden eiterigen Processe auf einer Infection mit pathogenen Mikroorganismen beruhe; im Weiteren sucht er indess dai'zulegen, dass diese Erkenntniss nicht nur inner- halb seines eigenen Wirkungskreises, sondern überhaupt eine Beschränkung jener deletären Zufälle zu erzielen nicht im Stande gewesen sei und erklärt jede dahin gerichtete Hoff- nung für eine durchaus illusorische.

Meine Ueberzeugungen stehen nun in geradem Gegen- satz zu den von Steffan vertretenen und bedarf es zur Begründung derselben zunächst einer kurzen recapituliren- den Zusammenstellung der hier wesentlichen Punkte aus meinen früheren Mittheilungen.

250 Alfred Graefe.

1. Reihe. Die von mir zuerst versuchte Form der Antisepsis wurde von Mai 1877 ah in 449 Fällen zur An- wendung gebracht. Sie bestand kurz in Folgendem: Reini- gung der Instrumente in absolutem Alkohol und Abtrock- nung derselben mit Wundwatte; Waschungen der Umgebung des Auges und der conjunctiva mit 2"/o Carbolsäurelösnng, Gebrauch mit derselben Flüssigkeit durchtränkter Watte- bäuschchen zum Auftupfen während und nach der Opera- tion, Verband mittelst mit 4 ^/q Borsäurelösung durchfeuch- teten Lints, englischem Taflfet und Wundwatte mit elasti- scher Flanellbinde. Beim Verbandwechsel Reinigung mit Borsäure. Auf die ersten 114 in dieser Weise behan- delten Fälle bezog sich meine erste Publikation. Nachdem die hier gefundene geringe Verlustziffer 1,59% (es bezieht sich diese immer nur auf die durch suppurative Entzündung verloren gegangenen Fälle), zunächst zu günstigen Erwar- tungen zu berechtigen schien, wurden diese durch die bei den folgenden 335 in gleicher Weise ausgeführten Opera- tionen erlangten Resultate wieder zerstört. Verlustziffer für die Gesammtzahl (445) dieser Reihe: 5,7 %.

2. Reihe. Modification der Behandlung in der Weise, dass während der Operation, des Anlegens und späteren Wechseins des Verbandes Spray mit 2^^ Carbolsäurelösung zur Verwendung kommt. Zahl der so ausgeführten Opera- tionen: 413, Verlustziffer 6,3<>/o.

3. Reihe. Das bisherige Verfahren wird in folgender Weise verilndert: Der Spray fällt weg. Die Instrumente werden kurz vor der Operation eine Minute lang in abso- lutem Alkohol getaucht und bei Beginn derselben durch ein mit 4% Borsäurelösung durchtränktes Wattbäuschchen gezogen. Der Conjunctivalsack wird bei Ectropionirung bei- der Lider mit der gleichen Lösung überspült, mit derselben Flüssigkeit durchfeuchtete Wundwatte dient während der Operation zum Auftupfen und nachher zur Anlegung des Verbandes. Zahl der Operationen 367, Verlustziffer 4,6 ^/q.

Fortgesetzter Bericht über etc. Erfolge der Staarextractionen. 251

4. Reihe. Für die zuletzt gebrauchte Borsäure wird auf Blutwärme temperirte Sublimatlösung 1 : 5000 substi- tuirt. Umschläge mit derselben Lösung eine halbe Stunde vor der Operation. Instillationen sterilisirter Coca'inlösung (3 ^/o); die in absolutem Alkohol gereinigten Instrumente werden unmittelbar vor dem Gebrauch in obige Sublimat- lösung getaucht. Reinigung des Conjunctivalsackes bei Ec- tropionirung beider Lider mittelst derselben Flüssigkeit. Während der ganzen Dauer der Operation und auch nach Vollendung derselben bis zur Anlegung des Verbandes fleissige Irrigation des Operationster- rains mit der temperirten Sublimatlösung in der V. Graefe's Archiv, XXX, 4, pag. 217 näher geschilder- ten Weise. Beim Wechsel des Verbandes dieselbe Flüssig- keit. In dieser Weise wurden bis zu meiner letzten Publi- cation (1884, v. Graefe's Archiv, XXX, 4) 190 Fälle behan- delt. Die Procentzahl 2 der Verluste war eine günstige, es konnte derselben indess mit Hinblick auf die relativ geringe Anzahl der Operationen, an welcher diese Art der Behand- lung geprüft worden war, eine grössere Bedeutung zunächst noch nicht zugesprochen werden. Nun wurden von jenem Termine ab bis zur Gegenwart, d. h. von Anfang No- vember 1884 ab bis Ende Juli 1889, in ganz derselben Weise weitere 884 Extractionen ausgeführt, die Gesammt- zahl der Fälle dieser vierten Kategorie beträgt also 1074, Verlustziflfer 0,93 «/„.!)

Was die unter den hier neu hinzugekommenen 884 Fällen beobachteten acht Verluste anbelangt, so befanden sich unter diesen zwei Männer mit eiterigem Thränensackleiden, welches sich bei der Voruntersuchung der Diagnose entzogen hatte, weiter eine Frau mit Ozaena und eingesunkenem Nasenrücken, endlich ein Mann, der zur Zeit der Operation ohne unser Wissen an einem ausgedehnten Zellgewebsabscess des rechten

^) Einmal wurden in dieser Reihe 448 Augen hintereinander ohne einen Fall von Suppuration operirt.

252 Alfred Graefe.

Oberarms litt. Nur in den übrigen vier Fällen konnten derartige Erankheitszustände als etwaige Infections- quellen nicht nachgewiesen werden.

Die theoretischen Darlegungen, von denen Steffan aus- geht, um, unter gleichzeitigem Hinweis auf die hohe Ver- lustziffer, welche sich bei der von ihm eingeschlagenen Art der antiseptischeu Behandlung ergeben hatte, den Beweis zu führen, dass es unmöglich sei, unser Operationsterrain in strengstem Sinne aseptisch zu machen und so auch während der Heilungsdauer zu erhalten, bieten nichts we- sentlich Neues. An der Richtigkeit dieser durch das Ex- periment hinlänglich bewiesenen Behauptung kann nicht gezweifelt werden. Die anatomische Lage und Beschaffen- heit des Conjunctivaltractus einerseits, die relativ langsame Entwickelung der keimzerstörenden Wirkung der bei un- seren Operationen allein zulässigen Antiseptica andrerseits, lassen in der That die Aussicht auf eine ideale Sterili- sirung unseres Operationsgebietes als illusorisch erscheinen. Wir sind indess zu der Erwartung berechtigt, dass eine solche auch nicht erforderlich ist, um die Ausbildung sep- tischer Entziindungsprocesse zu verhindern oder wenigstens doch sehr erheblich zu beschränken. Denn wie bei allen intoxicatorischen Beeinflussungen des Organismus ist auch hier die qualitative Beschaffenheit der pathogenen Ein- wirkung allein für die weiteren Folgen derselben nicht Aus- schlag gebend, sondern ganz besonders auch die quantitative. W^enn immer schon die Augenoperationen im Allgemeinen viel weniger von septischen Wunderkrankungen gefolgt waren als die chirurgischen, und von diesen wiederum die kleineren in viel geringerem Grade als die grösseren, so befindet sich diese Thatsache in vollem Einklang mit jener gegenwärtig wohl von keiner Seite mehr in Zweifel gezogenen Erkennt- niss. Zugegeben nun, dass wir auf ophthalmologischem Ge- biete die eine Aufgabe der antiseptischen Behandlung, die stoffliche Zerstörung der vorhandenen Infectionskeime, nicht

Fortgesetzter Bericht über etc. Erfolge der Staarextractionen. 253

oder nur in sehr unvollkommener Weise zu erfüllen ver- mögen, 80 sind wir in Lösung der zweiten, der Beseitigung und weiteren Fernhaltung derselben, sicherlich doch viel weniger machtlos. Es gilt dies zunächst und hauptsäch- lich allerdings nur für den Zeitraum des Beginns und der Ausführung der Operation. Diejenige Art der Wundbehand- lung nun, welche jene Aufgabe am ergiebigsten zu erfüllen im Stande ist, ohne sonst eine schädigende Nebenwirkung im Gefolge zu haben, muss jeder anderen vorgezogen wer- den. Die von Steffan eingehaltene besteht wesentlich in Folgendem: Reinigen des Staarmessers und der übrigen In- strumente in kochendem Wasser, nachdem letztere allein in eine Laplace'sche Weinsäure- Sublimatlösung getaucht worden sind. Vor der Operation eine Stunde lang Um- schläge mit derselben Flüssigkeit. Ausspülung des Con- junctivalsackes vor und nach der Operation mittelst Subli- matlösung 1 : 5000, Bestäubung der Wunde mit Jodoform, Verband mittelst in Laplace'sche Lösung getauchten Lints und Verbandwatte. Zum Auftupfen kommen während der Operation beständig in Laplace' scher Lösung (Sublimat 1 : 1000) liegende Schwämme zur Verwendung. Es wurden in der vorstehend geschilderten Weise 104 Extractionen ausgeführt, die Zahl der durch septische Entzündung her- beigeführten Verluste war 6,73 ®/o. Dieser Reihe werden 426 ohne Antisepsis, nur unter „Beobachtung sorgfältigster Reinlichkeit'* behandelte Fälle gegenüber gestellt, bei denen sich eine Verlustziflfer von 6,57 ^/^ ergab. Auf die Gleich- heit dieser Resultate bei beiden von ihm geprüften Moda- litäten der Wundbehandlung, sowie auf die oben bereits erwähnten theoretischen Erörterungen gestützt, begründet der Autor nun sein Urtheil über die Werthlosigkeit der Antisepsis.

Es ist mir von Interesse gewesen, in den Steff an- sehen Angaben nahezu dieselbe Verlustziffer wiederzufinden, welche ich bei den drei ersten Reihen der von mir ver-

254 Alfred Graefe.

suchten Wundbehandlung erhalten hatte, und zwar um so mehr, als die von mir geübte Operationstechuik mit der- jenigen Steffan's im Wesentlichen übereinstimmt und so- mit die sehr erhebliche Differenz meiner in Reihe 4 ange- gebenen Erfolge und der seinigen, primo loco auf Rech- nung der verschiedenen Arten der Wundbehandlung zu setzen sein dürfte. Wenn nun die von uns beiden gefundene Verlust- ziffer von ca. 6^/0 bei Anwendung des in Reihe 4 ange- gebenen Verfahrens auf 0,93 ®/o herabgemindert wurde und dieses Resultat jetzt bereits über fünf Jahre lang bei einer Serie von 1074 Extractionen ein gleichmässiges geblieben ist, so dürfte doch der Schluss gerechtfertigt sein, dass die bei demselben zur Anwendung gelangten Modificationen der Wundbehandlung bei weitem mehr Garantie gegen das Zu- standekommen infectiöser Processe bieten, als meine frü- heren Methoden und auch als die von Steffan benutzte. Der wesentlichste Unterschied zwischen meinen früheren Verfahrungsweisen und der gegenwärtigen dürfte in der An- wendung der fleissigen, fast continuirlichen Inun- dationeu liegen, welche also nicht bloss zu Anfang und bei Schluss der Operation, sondern auch während derselben stattfinden, und sehe ich in jenen das eigentlich wirksame, die besseren Erfolge bestimmende Princip. Dass die eine Aufgabe der Antisepsis, Infectionskeime zu entfernen und fern zu halten, auf diese Art in noch vollkommenerer Weise erfüllt wird, als es durch blosses Auftupfen möglich ist, dass das Princip idealer Reinlichkeit dort somit strenger noch als hier gewahrt wird, liegt auf der Hand; ob jene reich- lichen Inundationen indess auch in anderer Weise noch günstig, d. h. durch directe Zerstörung der pathogenen Ele- mente in strengerem Sinne antiseptisch wirken, ist eine schwerer zu beantwortende Frage. Unter Bezugnahme auf Koch's Angabe, dass eine solche Wirkung mittelst der in Gebrauch gezogenen Sublimatlösung 1 : 5000 erst nach ca. oinhalbstündiger continuirlicher Anwendung sich vollziehe.

Fortgesetzter Bericht über etc. Erfolge der Staarextractionen. 255

müssten unsere Erwartungen nach dieser Seite hin ganz aussichtslos sein, doch kann ich bisher die Yermuthung nicht fallen lassen, dass ein Mittel, welches bei halbstündi- gem Gebrauche eine vollkommene Sterilisirung herbeizu- führen vermag, die pathogene Thätigkeit der in Betracht fallenden Elemente mindestens zu beschränken auch dann im Stande sein möchte, wenn ihm nur eine kürzere Zeit der Einwirkung gestattet ist. Ob die Inundationen mit gleich gutem Effecte etwa mittelst Borsäurelösung oder gar mit einer sterilisirton Kochsalzlösung auszuführen wären, muss ich dahin gestellt sein lassen, bisher habe ich auf Grund meiner Erfahrungen dem Sublimat den Vorzug ge- ben müssen.

Ziehen wir weiter nun die der Operation folgende Pe- riode der Wundbehandlung in Betracht, so sind wir wäh- rend dieser freilich weniger im Stande, durch directe Ein- wirkung continuirlich einer infectiösen Invasion vorzubeu- gen, als während der Operation selbst. Immerhin ist jedoch schon viel gewonnen, wenn es gelingt, die Schnittwunde und das ihr benachbarte Terrain bis zur Anlegung des Verbandes rein zu erhalten. Der späteren Ansiedelung sepsiserregender Keime werden wir wenigstens nach Möglichkeit dadurch entgegentreten, dass wir beim Verbandwechsel streng die früher schon aufge- stellten Vorsichtsmaassregeln einhalten. Eine bei sanftem und massigen Auseiuanderziehen der Lider mit temperirter Sublimatlösung ausgeführte Ausspülung des Conjunctival- sackes mittelst der Undine wird ohne alle Beschwerden ertragen und sogar angenehm empfunden. Die Zeit, nach welcher der Vemarbungsprocess so weit fortgeschritten ist, dass von aussen her andrängende Keime die aneinander liegenden Wundränder nicht mehr zu inficiren vermögen, ist nicht bekannt. Einzelne Beispiele von erst am Ende der ersten oder gar zweiten Woche nach bisher bestem Verlaufe sich einstellenden stürmischen Suppurationen dürf-

256 Alfred Graefe.

ten zwar den Beweis liefern, dass die Gewebe des extra- hirten Auges unter Umständen recht lange Zeit zur Auf- nahme und Weiterentwickelnng pathogener Elemente dis- ponirt bleiben können, doch irren wir wohl kaum in der Annahme, dass der Regel nach schon bald nach der Opera- tion die Bedingungen hierzu wesentlich verringert sind. Finden wir doch schon vierundzwanzig Stunden nach der- selben die Vorderkammer meist ganz oder theilweise wie- der hergestellt. Die schnelle Regeneration des Hornhaut-^ epithels und der durch dasselbe gewährte Schutz gegen septische Infection sind hier gewiss von grosser Bedeutung. Das Hauptgewicht wird bei unserer Antisepsis also immer auf die sorgfaltigste Reinhaltung des Operationsterrains vor und während der Operation zu legen sein: nicht alle Bedingungen für eine normale Wundheilung sind hiermit erfüllt, immerhin jedoch die erste und wichtigste.

Dass wir mit unseren Sublimatinundationen den For- derungen der Antisepsis in idealer Weise nicht zu genügen vermögen, ist bereits zugegeben worden. Auch sie sichern^ in unfehlbarer Weise vor septischen Entzündungen nicht. Abgesehen von den in der Statistik angegebenen durcb solche bedingten Verluste, habe ich auch einige Male ent- schieden drohende Frodromalsjmptome derselben zu beob- achten Gelegenheit gehabt, welche indess bald zurücktraten, wahrscheinlich desshalb, weil die stattgehabte Infection- durch die aufgebotenen Schutzmittel in noch eben genügen- der Weise abgeschwächt worden war. Wenn dies mit den in der Statistik aufgeführten Verlustfdllen also gleichfalls documentirt, dass auf Grund der Unzulänglichkeit unserer Antisepsis gegenwärtig von einer vollkommenen Beseitigung der das extrahirte Auge bedrohenden Hauptgefahr, der Suppuration, noch immer nicht die Rede sein kann, so dürf- ten andererseits jene statistischen Ergebnisse, insbesondere der Umstand, dass meine VerlustziflFer sich bei einer nun- mehr bereits 1074 Extractionen umfassenden Operations-

Fortgesetsier Bericht über etc. Erfolge der Staareztractionen. 257

reihe um mehr als das sechsfache gegen die früher gefun- dene sowie gegen die von Steffan jetzt angegebene redu- cirt zeigt, doch berufen sein, das Vertrauen auf die Anti- sepsis, sofern diese in zweckmässiger Form in Anwendung gebracht wird, zu stützen und das Recht beanspruchen, jenen durchaus absprechenden Urtheilen, wie sie in der Steffan'schen Arbeit zu einem besonders scharfen Aus- druck gelangen, als wohl begründetes Gegenargument ge- genüber gestellt zu werden.

Abgesehen von der so günstigen Beeinflussung der Ex- tractionserfolge lässt sich die fruchtbare Einwirkung der Antisepsis auch auf anderen Gebieten noch nachweisen. Wenn Steffan den Werth derselben durch den Hinweis darauf abzuschwächen versucht, dass es bei den so überaus häufigen Verwundungen der comea „auch ohne Antisepsis kaum je zu einer Infection komme^S so müssen wir zunächst doch an das durch kleine traumatische Epithelialverluste der Hornhaut selbst ohne coexistirende Dakryocystoblennorhoe so vielfach zu Stande kommende ulcus serpens erinnern, dessen Entwickelung durch strenge antiseptische Reinigung sicher zu verhüten ist Auch jener allerdings sehr seltenen, dann indess immer auf das Tiefste deprimireuden, das ärzt- Uche Gewissen schwer belastenden Unglücksfälle, muss ge- dacht werden, wo nach geringfügigen operativen Verletzun- gen der Cornea eiterige Zerstörung des Auges folgte. In früherer Zeit habe ich solche mehrfach nach einfachen Iri- dectomieen (als vorbereitende für Staarextraction, bei Leu- com, bei Glaucom), bei Discisionen, einmal sogar nach punkt- förmiger Paracenthese eines einfachen Hornhautgeschwürs, erleben müssen. Seit consequenter Anwendung der Anti- sepsis bei jedem, auch dem kleinsten operativen Eingriffe, bin ich nicht ein einziges Mal wieder durch ein solches Ereigniss erschreckt worden, und doch ist die Technik in all diesen Fällen gegen die frühere in keiner Weise verändert worden. Wenn einmal auch bei mit

T. Oraefe's Archiv fUr Ophthalmologie. XXXV. 3. 17

258 Alfred Graefe.

möglichster Femhaltung aller septischen Einflüsse correct ausgeführten Operationen suppurative Entzündung dennoch entsteht und ein andermal trotz der Anwesenheit einer Sepsisquelle (z. B. eiterigen Thränensackleidens) selbst nach einem relativ stark verwundenden operativen Eingriffe jene ausbleibt, so sind derartige Einzelfalle zwar ganz berufen, uns vor Augen zu führen, dass beim Zustandekommen in- fectiöser Processe Momente mitspielen, welche „trotz aller Bakteriologie^' heute noch dunkel sind, sie allein können uns indess keineswegs von der Machtlosigkeit der Antisep- sis überzeugen und uns bestimmen, darauf hin die Anwen- dung derselben zu unterlassen.

Eine nicht zu umgehende Frage ist nun die, ob die reichlichen Sublimatirrigationen neben den erprobten heil- samen Effecten nach einer anderen Richtung hin nicht etwa einen schädigenden Einfluss ausüben können. Dass die Wir- kungen derselben, auf die conjunctiva besonders, in der That eine recht erhebliche ist, verräth sich einmal in den gewöhnlich schon beim Anlegen des Verbandes eintreten- den, indess schon nach drei bis acht Stunden abklingen- den, mehr weniger heftigen, brennenden Schmerzempfindun- gen, jedoch viel bestimmter noch in der Absonderung eines reichlichen graugelblichen schleimigen Secrets, welches dem das Auge unmittelbar deckenden Lintläppchen anklebend, beim ersten Verbandwechsel vierundzwanzig Stunden nach der Operation nie vermisst wird, doch schon am nächsten Tage höchstens nur spurweise noch nachzuweisen ist. Bei einer trockenen Wundbehandlung fehlt eine derartige Ab- sonderung bekanntlich und würde, wo sie sich einmal zeigt, mit Recht als ein Symptom beginnender Suppuration zu be- argwöhnen sein. In Erinnerung hieran hat die Wahrneh- mung jener den reichlichen Sublimatirrigationen folgenden Secretion zunächst etwas Beunruhigendes, bis uns fortge- setzte Beobachtung von der vollkommenen Gutartigkeit der- selben überzeugt. Die den Suppurationsprocess einleitende

Fortgesetzter Bericht über etc. Erfolge der Staarex tractionen. 259

Secretion ist von der unsrigen, welche lediglich als eiü Pro- dukt chemischer Sublimatreizung betrachtet werden muss, übrigens schon in ihrem äusseren Gepräge dadurch sehr yerschieden, dass dort beim Auseinanderziehen der Lider Abfluss einer mit Schleim oder Eiter durchsetzten trüben serösen Flüssigkeit aus dem Gonjunctivalsack, daneben meist schon eine früh entwickelte Intumescenz des oberen Lides beobachtet wird. Letzteres ist bei der Sublimatsecretion nur ausnahmsweise, ersteres nie der Fall. Kann nun eine solche, in den dargelegten Erscheinungen sich hinlänglich manifestirende Reizwirkung den Heilungsvorgang der Wunde ungünstig beeinflussen? Jedem Operateur sind die feinen linearen Trübungen bekannt, welche nach Extractionen nicht selten vorzugsweise in dem von dem Schnitt begrenzten Segmente der Hornhaut in Erscheinung treten. Wäre es uns vergönnt, die Beschaffenheit der letzteren schon in den ersten der Operation folgenden Tagen mit der Westien- Zehender'schen binocularen Loupe zu untersuchen, so wür- den wir wahrscheinlich in keinem Falle eine Andeutung jener Trübungen ganz vermissen, lieber das Wesen derselben sind die Untersuchungen bekanntlich noch nicht abgeschlossen (Heidelb. Congr. Sitzungsbericht XXV p. 116). Nun habe ich mich der Erkenntniss nicht verschliessen können, dass diese Trübungen bei meiner Art der Sublimatbehandlung nicht nur häufiger hervortreten, sondern in einzelnen Fällen auch extensiv und intensiv einen höheren Entwickelungsgrad er- reichen, als dies durchschnittlich früher der Fall war. Dann kann es dahin kommen, dass nicht allein der der Wunde angrenzende Theil der Hornhaut, sondern das ganze Ter- rain derselben Sitz jener Trübungen wird. Diese zeigen sich nun, dicht aneinander gedrängt, in grosser Anzahl, erreichen einen grösseren Breitendurchmesser und confluiren an einzelnen Stellen zu keil- und flächenförmigcn Conglo- meraten, so dass das Krankheitsbild dann sehr an das einer avasculosen parenchymatösen Keratitis erinnert. Zwar pflo-

17*

260 Alfred Graefe.

gen die leichteren und selbst mittleren Erkrankungsgrade, ohne eine Spur zu hinterlassen, zurückzugehen, die höheren Entwickelungsformen haben indoss mehrfach zu indelebilen Hornhauttrübungen und zu bleibenden Functionsstörungen geführt. Um einen Anhaltspunkt für die Häufigkeit solcher Vorkommnisse zu gewinnen, habe ich bisher genauere Auf- zeichnungen nur über die in Reihe 4 meiner Statistik mit eingerechneten Patienten der Privatklinik machen können. Die Anzahl derselben beträgt 457. Wenn ich hier als leich- tere Sehstörungen" diejenigen bezeichne, bei denen defintiv S = ^ bis ^, als „mittlere" die, bei denen S = -gV ^^s -j/^, als „schwere" endlich jene, bei welchen das Sehen auf Fin- gerzählen in der Nähe resp. Wahrnehmung der Handbewe- gungen reducirt war, so ist das Resultat meiner statistischen Erhebungen folgendes: Die Procentzahl für die erste Kategorie beträgt 1,3, die für die zweite 2,4, die für die dritte 1,0. Durch zurückbleibende Trübungen der gedachten Art hat- ten im Ganzen mithin mehr weniger gelitten 4,7 ^/q.

Eine Entscheidung darüber nun, ob den Sublimatirri- gationen ein Misserfolge dieser Art begründender Einfluss zugemessen werden muss, wird dadurch erschwert, dass wäh- rend derselben Zeitperiode, in welcher jene bei uns einge- führt wurden, auch das Cocain zur Verwendung gelangte. Die in unserer Klinik gemachten, von Bunge (Zehender's Monatsbl. 1885 p. 402) mitgetheilten Beobachtungen waren m der That ganz geeignet, den Verdacht zu erwecken, dass die Cocain Wirkung in einer causalen Beziehung zu den in Rede stehenden Hornhautaffectionen stehen könne. Wie es kommt, dass dasselbe Coca'inpräparat durchschnittlicli sehr gut vertragen wird, bei einzelnen Individuen iudess (auch ohne dass das Auge noch mit Sublimatlösung in Berührung gekommen wäre) jene Trübung und Lockerung des Comeal- epithels hervorruft, dürfte gegenwärtig noch ebenso uner- klärt sein, als die durchaus analoge Erscheinung idiosyn- crasischer Unverträglichkeit gegen das Atropin. Ich bin

Fortgesetzter Bericht über etc. Erfolge der Staarextractionen. 261

gegenwärtig noch nicht in der lÄge, bestimmter darüber zu urtheilen, ob es die Wirkungen des Cocains, ob die des Sublimats, oder der Combination beider sind, welche die nach der Extraction an sich schon yorhandene Disposition zu der in Rede stehenden Hornhautaffection steigern. Man müsste, um dies zu entscheiden, eine grosse Reihe Yon Ope- rationen das eine Mal mit Ausschluss des Sublimats, das andre Mal ohne Gebrauch des Cocains ausführen. Zu einer Verzichtleistung auf das erstere habe ich mich mit Rück- sicht auf die bei seiner Anwendung erreichten, so überaus günstigen Heilerfolge bisher nicht entschliessen können, eine consequente Beiseitesetzung des letzteren würde erfor- dern, dass Arzt und Kranker auf die durch die Anästhesie gewährte Erleichterung der Operation resigniren. Somit vermag ich vorläufig nur so viel zu sagen, dass das Zu- standekommen der Trübungen einigermaassen wenigstens von gewissen Besonderheiten des Falls begünstigt wird. Re- lativ häufig sah ich sie dort, wo bei der Operation hoch- gradiger CoUaps der Hornhaut mit einer gewissen Runze- lung derselben verbunden erschien. Da unter solchen Um- ständen auch die Entfernung der Staarreste durchschnitt- lich grössere Bemühungen zu erfordern pflegt, so dürfte die hier unvermeidlich stärkere traumatische Reizung mit in Rechnung zu bringen sein. Bei einem dieser Fälle war das eine Auge mit Cocain behandelt worden, das andere, drei Monate lang später zur Operation gelangende indess mit Rücksicht auf die dort zurückgebliebene sehr inten- sive Hornhauttrübung, nicht Ein gleich wigünstiger Aus- gang konnte hierdurch indess auch auf dem zweiten Auge nicht verhindert werden. Bei einer doppelseitigen Extrac- tion heilte das eine Auge mit vollkommener klarer Horn- haut, während die des anderen, bei dem eine Ausspülung der Vorderkammer behufs Entfernung von Staarresten *)

*) Ich habe diese Encheirese seit einiger Zeit ganz bei Seite gelassen.

262 Alfred Graefe.

stattgefunden hatte, in massigem Grade getrübt blieb. Es kommt auch vor, dass alle jene Umstände, welche erfah- rungsgemäss eine Entwickelung der Trübungen begünstigen, vorhanden sind und diese doch, den Erwartungen entgegen, ausbleiben, während sie umgekehrt auch dort, wo jene durch- aus fehlen, gelegentlich einmal zur Beobachtung gelangen* Ich unterlasse weitere diesbezügliche casuistische Mitthei- lungen, weil ich mich bisher nicht in der Lage befinde, aus denselben allgemeine Schlüsse mit principieller Gültigkeit zu ziehen. Weiteren Versuchen und Beobachtungen muss eine Klarlegung der vorgenannten Vorgänge überlassen wer- den. Vielleicht wird sich ein Modus finden lassen, welcher eine gewisse Beschränkung in der Anwendung des Subli- mats und Cocains gestattet, ohne dass durch dieselbe die schützende Wirkung des ersteren im allergeringsten, die anästhesirende des letzteren im wesentlichen Grade beein- trächtigt wird. Hierauf zielen meine gegenwärtigen Be- strebungen.

Die Frage, wie weit die Operationstechnik an sich bei Erforschung der nach der Extraction zu suppurativer Ent- zündung führenden Momente in Betracht kommt, ist, weil ausserhalb des Zweckes dieser Arbeit liegend, in den vor- stehenden Mittheilungen nicht mit berührt worden. Mein eigenes, v. Graefe's Archiv, XXIV, 1, pag. 242 ausfuhrlich dargelegtes Verfahren ist im Laufe der letzten Jahre nur insofern etwas modificirt worden, als ich Punktion und Gon- trapunktion noch näher an den Hornhautrand gerückt habe, so dass dieselben in nur ca. ^4 ^^ Entfernung vom limbus zu liegen kommen. Es werden diese Punkte so gewählt, dass die Lappenhöhe ca. 4 mm beträgt Wenn Steffan die Berechtigung einer in Uebereinstimmung mit einer gros- sen Anzahl der Zeitgenossen vor etwa fünf Jahren von mir gethanen Aeusserung, dass eine fruchtbare Förderung un- serer Operationsresultate gegenwärtig weniger von einem minutiösen Variiren der Technik, als vielmehr von einem

Fortgesetzter Bericht über etc. Erfolge der Staarextractionen. 263

weiteren Cultus der Wundbehandlung zu erwarten sei, ge- radezu in Abrede stellt, so thut er dies in einer Weise, als ob mit jenem Ausspruch die Bedeutung der Technik über- haupt herabgesetzt werden solle. Ein Grund zu einer der- artigen Interpretation dürfte von mir nicht gegeben sein. Zweifelsohne bleibt die zweckmässigste Technik und die geschickteste Ausfuhrung derselben die erste Grundbedin- gung zur Erreichung reiner und bester Erfolge. Es kann die Geltung dieses Satzes auch dadurch nicht erschüttert werden, dass technisch sehr mangelhaft und schlecht ope- rirte Augen zuweilen doch zu einem sehr guten Sehvermö- gen gelangen, während der umgekehrte Fall allerdings viel positiver dafür spricht, dass vorzügliche Technik und opera- tive Virtuosität allein den Erfolg nicht zu garantiren ver- mögen. Nun ist, daran möchte ich erinnern, gewiss doch nicht in Abrede zu stellen, dass während der ganzen mo- dernen Reorganisationsperiode der Extraction die Aufmerk- samkeit der Ophthalmologen ausschliesslich dem technischen Ausbau derselben zugerichtet, von der Art der Wundbe- handlung aber kaum die Rede gewesen ist Dass bei jenen Bestrebungen, denen mau somit den Vorwurf einer gewissen Einseitigkeit nicht ersparen kann, unwesentlichen Dingen mehrfach eine Bedeutung zugelegt wurde, welche sie zu be- anspruchen nicht berechtigt sind, kann gegenwärtig kaum bestritten werden. Wenn es mir beispielsweise, wie manch anderem auch, während einer langen Zeit ausgedehnter ope- rativer Thätigkeit absolut nicht möglich gewesen ist, die Ueberzeugung zu gewinnen, dass die Chancen der Wund- heilung verschiedene wären, je nachdem der Hornhautschnitt in den limbus selbst, oder dicht vor oder hinter den- selben in die Cornea oder sclera verlegt wird, so mussten die hierüber geführten Discussionen in der That leise an den Streit um des Kaisers Bart erinnern. Jene Indifferenz der Ophthalmologen der Wundbehandlung gegenüber über- dauerte sogar noch einige Jahre den Zeitpunkt, in welchem

264 Alfired Gnefe, Fortgesetzter Bericht etc.

Lister durch seine reformatorische That gezeigt hatte, welch' jede Erwartung überflügehide, glänzende Förderung chirur- gischer Bestrebungen einzig und allein durch Umformung der bisherigen Wundbehandlungen möglich geworden war. Dass die Ophthalmologen seither weit weniger Ursache ge- habt hatten, sich gegen septische Wundeiterungen zu weh- ren als die Chirurgen, kann die von ihnen in dieser Frage früher bekundete Lauheit immer doch nur zur Hälfte er- klären und entschuldigen. Wenn wir mit Steffan, der, der antiseptischen Behandlung jeden Werth absprechend, sein Heil immer wieder nur in der weiteren Entwickelung der Technik sucht und in der Vervollkommnung derselben sogar das zuverlässigste, dem Ophthalmologen eigentlich allein gebotene antiseptische Schutzmittel erblickt, auch da- rin übereinstimmen, dass unzweckmässige Technik und man- gelhafte operative Uebung, abgesehen von allen anderen hierdurch bedingten Schädigungen, die Verschleppung und Verbreitung im Conjunctivalsack angesammelter Microben begünstigen können, und dass somit auch die Technik mit Beziehung auf die Antisepsis ihre Bedeutung hat, so kann diese doch immer nur eine untergeordnete sein. Die näch- sten und vornehmsten Aufgaben der antiseptischen Behand- lung, Beseitigung und Femhaltung der pathogenen Orga- nismen, Zerstörung ihrer verderblichen vitalen Qualitäten, haben mit der operativen Technik nichts zu schaffen.

Antwort auf Prof. Dr. Alfred Graefe's Artikel:

,,Ueber die Einstellung der Augen bei Unterbrechung des binocularen Sehens."

Von Dr. Edm. Landolt in Paris.*)

Schon früher einmal hat mir Prof. Alfred Graefe in diesem Archive (XXXIII, 3, p. 179 210, 1887) einen kritischen Artikel gewidmet. Er hatte zwar, wie er selbst angiebt, meine Arbeit, die er angriff, nicht gelesen, obschon dieselbe etwa zwei Jahre vorher in den Archives d'ophthal- mologie (V, p. 402, 1885) erschienen war, und von mir direkt leicht erhältlich gewesen wäre. Ich habe darauf nicht geantwortet.

In der vorletzten Nummer des Archivs für Ophthal- mologie (XXXV, 1, p. 137—146) finde ich von demselben Verfasser einen weiteren Artikel, der mich betrifft Prof. Graefe scheint darin beinahe zu furchten, dass ich seine Arbeiten systematisch ignorire. Dies ist aber durchaus nicht der Fall, und ich bin gerne bereit, dem verehrten Herrn CoUegen die Genugthuung einer erneuerten Bespre- chung seiner im Jahre 1886*) zum ersten Male veröffent- lichten Theorie zu geben.

^) Dieser Artikel sollte in der vorhergehenden Nummer des Archivs erscheinen, das Manuscript traf aber zu sp&t ein.

^ Beitr&ge zur Eenntniss der bei Entwickelang und Hemmung fltrabotischer Ablenkungen wirksamen Einflüsse mit besonderer Be- racksichtigang des Strabismus hyperopicns und der Asthenopia mus- colaris. Archiv für Ophthalmologie XXXII, 2, p. 223—260. 1886.

266 Dr- Edm. Landolt.

Professor Graefe's Theorie ist nun folgende:

Ein vom binocularen Sehen ausgeschlossenes Auge soll, auch ohne Hilfe der Accommodation, sich in die „richtig fixirende** Stellung bringen^), d. h. „inuner genau" auf das vom anderen Auge fixirte Object eingestellt werden, und zwar Dank eines neuen, vom Autor entdeckten, bisher den Forschern entgangenen Factors, des Conver- genzgefühls.*)

In der letzterwähnten Schrift will allerdings der Autor von diesem Ausdrucke abgehen und denselben durch Han- sen Grut's „Nahebewusstsein" ersetzen, indem er glaubt, die Wahl des Ausdruckes sei „irrelevant". Wir können ihm jedoch darin nicht ganz beistimmen. Die zwei Ausdrücke decken sich nicht, wie wir sehen werden; es ist deshalb nicht gleichgiltig, unerheblich oder unwichtig, welchen von beiden man wählt.

Prof. Graefe hat übrigens wohl auch selbst ursprüng- lich dem Worte Convergenzgefühl die ihm zukommende Be- deutung beigelegt, wenn er (XXXII, 2, p. 243) von dem „rein mechanischen Moment" spricht, welches ohne die Ein- flüsse der Fusion und Accommodation die Sehlinie des einen Auges dorthin richtet, wohin die des anderen gerichtet ist, und wenn er fortfährt (XXXII, 2, p. 243):

^) Archiv für Ophthalmologie XXXV, 1, p. 141.

') . . . „Sind wir im Dienste des Sehproblems stets angehaiten, die Sehlinie des einen Auges dahin zu richten, wohin die des anderen eingestellt ist, so wird in Folge langer und beständiger Uebung ein solches Zusammenwirken'' . . . „lassen wir einmal die Einflüsse der Fusion und Accommodation ganz bei Seite'* . . . „schliesslich an sich schon mit einem gewissen, mechanischen Zwange erfolgen, unter dessen Herrschaft die binoculare Einstellung nun auch dann noch zu Stande kommt, wenn die Thätigkeit jener beiden anderen Functionen nicht unmittelbar mitwirkt." A. Graefe im Archiv für Ophthalm. XXXY, 1, p. 138. Yergl. auch A. Graefe im Archiv für Ophthalm. XXXII, 2, p. 223—260. 1886.

Antwort auf Prof. Dr. Alfred Graefe's Artikel. 267

„Ich möchte dafür plaidiren, dasselbe mit dem Aus- drucke des Gonvergenzgefühles zu belegen, weil die- ser nicht allein in prägnanter Weise den Begriff wieder- giebt, den wir mit jenem verbinden, sondern auch an die in gevrisser Beziehung analoge Bedeutung dessen erinnert, was wir mit Accommodationsgefuhl bezeichnen/^

Damit Prof. Graefe's Theorie bei der Besprechung des Schielens nicht übergangen werde, habe ich dieselbe im Berichte des letzten internationalen Ophthalmologen- Gongresses, ^) unter Beifügung meiner Ansicht darüber fol- gender Weise erwähnt:

„Mr. A. Graefe croit qu'un oeil depourvu d'accom- modation et exclu de la yision (p. ex. par un diaphragme) est guide dans sa direction par la Sensation de conver- gence (das Convergenzgefuhl) que Fauteur croit pouvoir assimiler ä la Sensation de l'accommodation.

„Cette opinion nous semble difficile ä soutenir: un oeil peut bien accommodcr seul, mais pour conyerger, il faut necessairement deux yeux. Aussi l'oeil qui fixe ne converge-t-il pas vers Tobjet, il est simplement dirige vers lui.

„L'objet pourrait donc se trouver ä n'importe quel point de la ligne yisuelle de cet oeil et, s'il n'existe ni accommodation ni vision binoculaire, il n*y a rien sur- tout pas de Sensation de convergence qui se communi- quant de Toeil voyant ä Fautre indique ä celui-ci vers quel point entre lui-m^me et l'infini, il doit se porter, s'il doit conyerger au maximum ou se diriger parallele- ment ä Tautre oeiL"

Ich bedaure, dass dieser Passus aus Mangel an Zeit erst in dem gedruckten Berichte erscheinen konnte. Jedoch lag in den damals von mir gesprochenen Worten:

') p. 42.

268 Dr. £dm. Landolt.

„En dehors de la yision binoculaire et de la oonnexite entre raccommodation et la convergence, il n'y a pas de facteurs bien certains capables de renseigner les yeux 8ur la direction qu'ils ont a prendre et süffisante pour les y maintenir** *) jedenfalls die Aufforderung, das neue Moment der richtigen Einstellung des ausgeschlossenen Auges ins Licht zu stellen.

Unser hochverehrter Gegner ist dieser Aufforderung erst nachträglich nachgekommen. Wir folgen ihm nichts- destoweniger gerne, in der Hoffnung ihn doch noch von der Unhaltbarkeit seiner Ansicht zu überzeugen. Wir bitten aber die Fachgenossen ausdrücklich um Verzeihung, wenn wir also genöthigt sind, allbekannte und selbstverständliche Dinge auseinander zu setzen.

Um einen Punkt im Raum richtig zu sehen, ist erfor- derlich die Kenntniss der Richtung und der Entfernung, in welchen er liegt.

Zur Ermittelung der Richtung genügt ein Auge. Es hat sich einfach so zu stellen, dass das Bild des Punktes auf seine Fovea centralis fällt.

Thun dies beide Augen zugleich, so ist nicht nur die Richtung, sondern auch die Entfernung des Punktes, seine Lage im Räume genau bestimmt. Sie entspricht dem Ereu- zungspunkte der Sehlinien.

Diese richtige Stellung der Augen wird bekanntlich leicht erreicht, wo binoculares Sehen besteht, weil die ge- ringste Abweichung von demselben in diesem Falle Doppel- sehen hervorruft.

Es ist denn auch das binoculare Sehen der wichtigste Factor, welcher den beiden Augen gleichzeitig die richtige Stellung anweist.

Wie steht es nun, wenn das binoculare Sehen fehlt? wenn wir z. B. das eine Auge mit einem Schirme verdecken

') P. 42.

Antwort auf Prof. Dr. Alfred Graefe's Artikel. 269

und dem anderen allein einen Punkt zu fixiren geben? Wird sieb das bedeckte Auge auch auf den Fixirpunkt richten?

Dies kann Yorkommen, und zwar insofern, als ein Auge allein im Stande ist, sich nicht nur von der Richtung, son- dern auch Yon der Entfernung des Punktes Rechenschaft zu geben« Dazu hilft dem Auge bekanntlich die Accommo- dation, die es um so mehr anzuspannen hat, je näher der Punkt liegt. Da nun die Accommodationsanstrengung unter normalen Verhältnissen auf beiden Augen dieselbe ist, und da mit einem gegebenen Grade von Accommodation auch ein gegebener Grad von Convergenz verbunden ist, so wun- dern wir uns nicht, wenn miter diesen Umständen sich auch ein, vom binocularen Sehen ausgeschlossenes Auge richtig steUt.

Wir wundem uns zwar auch nicht, wenn diese Ein- stellung nicht absolut genau ist; denn, einmal ist die dem einzelnen Auge durch die Accommodation mitgetheilte Kennt- niss von dcp: Entfemmig des Objectes nur eine mehr an- nähernde.

Der Beweis dafür ist nicht neu: Man bedecke ein Auge und versuche rasch eine in unbekannter Entfernung auf- rechtstehende Spitze mit dem Finger von oben zu treffen, so täuscht man sich gewöhnlich; des binocularen Sehens beraubt, giesst man neben das Glas eta etc. Anderer- seits ist der Zusammenhang zwischen Accommodation und Convergenz bekanntlich auch nur ein sehr relativer.

Fehlt nun aber auch noch die Accommodation, wie dies Professor Graefe voraussetzt, so möchten wir wissen, welches Moment das monoculär fixirende Auge über die Entfernung des Objectes belehren könnte? Und ohne die- selbe ist es nun einmal nicht möglich, dass sich das andere Auge richtig stellt.

Prof. Graefe scheint erst angenommen zu haben, dass das fixirende Auge dem anderen das Gefühl seiner Conver-

270 I>r. Edm. Landolt

genz mittheile. Da dies aber, wie wir dargethan haben, nicht möglich ist, so ist er geneigt, das Wort und damit wohl auch den Begriff des Conyergenzgefühles fallen zu lassen, und dafür Hansen 's Nahebewusstsein anzunehmen. Wie gesagt, sind dies aber zwei verschiedene Dinge.

Hansen Grut ist ein zu guter Beobachter und ein zu logischer Denker, um zu behaupten, dass ein vom bino- cularen Sehacte ausgeschlossenes und der Accommodation baares Auge sich doch richtig einstelle. Folgendes allein kann vorkommen: Sage ich, bei dem erwähnten Experi- mente, dem Untersuchten: „Sehen Sie nach meinem Fin- ger", oder nach einem anderen vorgehaltenen Objecto, so wird sich derselbe wohl vorstellen, dass dasselbe nicht in der Unendlichkeit steht, sondern irgendwo in der Nähe. Dieses Nahebewusstsein mag ihn zum Convergiren anregen, so dass wir beim Abdecken des einen Auges dasselbe we- der divergent noch dem anderen parallel, sondern conver- gent gerichtet finden.

Ja» es mag sogar vorkommen, dass die Convergenz un- gefähr die richtige scheint, namentlich wenn man dieselbe mit einem Millimetermaasse ermittelt, wie dies Professor Graefe unter Anderem zur Controlle des Zusammenhangos zwischen Accommodation und Convergenz thut.*) Dies ist aber nur Zufall, und einigermaassen genaue Experimente beweisen sofort, dass von genauer Einstellung unter diesen Verhältnissen keine Rede ist

Herr Dr. A. E. Fick hat solche Experimente gemacht, und ihre Resultate sind auch so ausgefallen, wie zu erwar- ten stand.

Noch einfacher und schlagender ist folgender Versuch: Dem einen Auge der der Accommodation beraubten Person wird ein farbiges Glas vorgesetzt, und dasselbe mit einem Schirme bedeckt. Irgendwo in dem sonst dunkeln Räume

>) Archiv für Ophthalmologie XXXII, 2, p. 226 und 230. Ein Meterwinkel soll dabei einem halben Millimeter entsprechen.

Antwort auf Prof. Dr. Alfred Graefe's Artikel. 271

wird ein leuchtender Punkt (eine kleine mit mattem Glase bedeckte Oeffnung in dem ein Licht umgebenden Metall- cylinder) aufgestellt; sodann der Schirm rasch vom Auge entfernt.

Ist das verdeckte Auge richtig gestellt, so muss offen- bar der Lichtpunkt im Momente des Abdeckens binocular einfach gesehen werden. Ist dies nicht der Fall, so war eben das Auge irgendwo anders hin gerichtet. Wem die Logik der Deduction nicht genügt, der wird sich so direct überzeugen, dass kein Grund vorliegt, von der bisherigen Ansicht abzugehen, dass es, ausser dem Triebe zum bino- cularen Sehen und allenfalls noch der Accommodation, kei- nen sicheren Führer zur richtigen Stellung der Augen giebt.

Es sei mir gestattet hier eine Bemerkung von weiterem Interesse anzuknüpfen. Genaue Messungen und Beobach- tungen sind auf dem Gebiete der Augenbewegimgen für die Praxis viel wichtiger als man gewöhnlich annimmt. Das Messen mit dem Zollstab, der wie leicht zu beweisen ist, nicht einmal immer angelegt wurde, beraubt gewisse Ar- beiten aus geachteter Feder zum giossen Theil ihres Wer- thes und Strabismusbestimmungen tmd Operationsregeln nach Fractionen von Millimetern können vor keiner Kritik be- stehen. Die genaueste, sicherste und einfachste Bestimmung der gegenseitigen Richtung der Augen beruht bekanntlich auf der Diplopie. Wo kein Doppelsehen besteht, muss der Winkel, den die beiden Sehlinien zusammen bilden, objec- tiv bestimmt werden. Die Methode mit Hilfe des Comeal- reflexes ist ebenfalls bekannt und vor der Hand genau genug.

Man hört oft die Bemerkung, die Strabometrie habe nur ein sehr geringes Interesse, da doch der Grad des Schielens von einem Momente zum anderen wechsele. Wer aber genau beobachtet, der wird finden, dass der Schiel- winkel viel constanter ist, als man sich gewöhnlich vorstellt, und seine scheinbare Veränderlichkeit meistens der unge- nauen Messung zuzuschreiben ist.

272 Dr. Edm. Landolt, Antwort auf Prof. Dr. A. Graefe's Artikel.

Andererseits hat man mich wohl auch gefragt, ob ich etwa die Prätension habe, bis auf Grade genau zu operiren?

Darauf antworte ich, dass, im Gegentheil, die gewissen- hafte Messung mir bewiesen hat, wie weit auch die vor- sichtigste Operation hinter dem gewünschten Effecte zurück- bleibt

Begnügt man sich mit dem Anblick des Patienten, so findet man allerdings meistens, dass der Operirte nicht mehr schielt und ist mit dieser Correction zufrieden. Ein angelegtes Lineal wird auch leicht die gewünschte Stellung der Pupillen angeben. Misst man aber mit dem Perimeter und nimmt womöglich auch das binoculare Sehen zu Hilfe, das in der Mehrzahl der Fälle zu erwecken ist, so macht man an seine Schielcuren ganz andere Ansprüche.

Die Erfahrung hat mich belehrt, dass sogar der Win- kel X zwischen Sehlinie und Pupillaraxe eine hohe prak- tische Bedeutung haben kann, indem er Strabismus vor- täuscht wo keiner besteht und wirkliches Schielen maskirt.

So geringe Schielgrade zu erkennen ist wichtig, um namentlich nach der Operation die Tendenz der Augen- bewegungen zu controliren, einer beginnenden Uebercorrec- tion bei Zeiten zu steuern, eine ungenügende zu ergänzen.

Erwiderung an Herrn Dr. Friedrichson in Dorpat.

Von Dr^ Seh mall in Königsberg in Pr.

Friedrichson sucht in Erwiderung meiner im 34. Bd. dieses Archivs erschienenen Abhandlung durch eine seiner Dissertationsschrift entlehnte Statistik von 26 Fällen all» gemeiner Anämie die Raehlmann'schen Behauptungen zu stützen, dass einmal bei einem grossen Procentsatz der Anämischen eine aus dem Netzhautbefunde zu schliessonde allgemeine hydrämische Plethora^) bestände, andererseits die Genese des Netzhautarterienpulses bei Anämie auf die dabei bestehende allgemeine Hydrämie zurückzufuhren sei.

Um auf die erstere Behauptung einzugehen, so kann ich trotz Fried richson's Deductionen ein geschlängelt

*) S. 189 im 102. Bd. des Yirchow^schen Archivs heisst es: „Die Hyperämieen der Netzhaut sind nun, wenn sie angetroffen werden, von viel grösserem klinischen Interesse, als die oben er- wähnten Anämieen, weil sie eben der Ausdruck sind von habituell gewordenen Veränderungen der (allgemeinen?) Circnlation.*^

S. 194 : ,.Der Augenspiegel liefert also einen interessanten Anf- schluss über die Gircnlationsverhältnisse bei sogen. Anämie.'* Und weiter unten: „Der Befund, welcher eine allgemeine und dauernde BlutüberfüUung in den kleineren Arterien konstatirt, ist gegenüber

den sonst am Körper nachweisbaren Schwächezuständen

geradezu frappant."

▼. Oraefe's Archiv für Ophthalmologie. XXXV. 3. 18

274 Dr. Schmall.

tes und nicht zugleich verbreitertes Arteriensystem nach wie vor nicht als ein hyperämisches ansprechen, weil ich an ein activ hyperämisches Gefässsystem nicht allein die anatomische Präsumption stelle, dass mehr Blut in ihm enthalten ist als gewöhnlich, sondern auch die physiolo- gische, dass mehr Blut in der Zeiteinheit dasselbe passie- ren kann.

Friedrichson wirft mir vor: „In der Arbeit Raehl- mann's ist dort, wo nicht gleichzeitig neben einer Schlän- gelung auch eine Verbreiterung des Calibers der Netzhaut- arterien vorlag, von einer Hyperämie gar nicht die Rede."

Raehlmann spricht es allerdings nicht direct aus, dass er eine abnorme Schlängelung der Netzhautarterien als das zuerst und deshalb oft allein sichtbare Zeichen einer Hyperämie halte; doch heisst es wohl dem nachfol- genden Satze keine Gewalt anthun, wenn man ihn in die- sem Sinne iuterpretirt (S. 189): „Die Verbreiterung der Netzhautarterien, die Zunahme ihres Querschnittes ist schwer zu sehen und nur in hochgradigen Fällen auffallend, da- gegen giebt sich jede einigermassen beträchtliche Längen- ausdehnung durch eine Schlängelung der Gefässstämme zu erkennen. Diese Schlängelung der Gefässstämme, speciell der Arterien, ist also das vornehmste ophthalmoskopisch sichtbare Symptom der Netzhauthyperämie."

Wenn aber eine Arterienschlängelung das zuerst sicht- bare Zeichen einer Netzhauthyperämie ist, dann müsste bei den höheren und höchsten Graden der Netzhauthyperämie, kenntlich auch durch eine excessive Verbreiterung des Ge- fässdurchschnittes, immer eine eklatante Gefässschlängelung vorhanden sein, und eine solche Behauptung wird auch Raehlmann nicht vertreten können. Andererseits würde man gezwungen sein, in jenen sehr häufigen Fällen, in welchen eine starke Schlängelung unzweifelhaft verengter Arterien gefunden wird, immer eine vorangegangene Er- weiterung der Arterien anzunehmen.

Erwiderung an Herrn Dr. Friedrichson in Dorpat. 275

Friedrichson hält es nicht der Müho für werth, auf diese, wie mir scheint, triftigen Einwände, welche ich mit kürzeren Worten wie so eben schon in meiner Arbeit aus- einandergesetzt habe, näher einzugehen.

Es ist das soeben Gesagte nur eine Polemik gegen die Bezeichnung „Hyperämie" für den erwähnten Zustand der Netzhautarterien; im Uebrigen lässt sich ja nichts da* gegen einwenden, dass, da ein geschlängeltes Gefäss, wie Friedrichson sehr richtig bemerkt, mehr Blut enthält als ein gleich dickes, ungeschlängeltes, demnach eine anato- mische, um mich kurz auszudrücken, wenn auch keine phy- siologische allgemeine Plethora in vielen Fällen von Anämie bestehen muss, vorausgesetzt, dass man berechtigt ist, aus einem geschlängelten Netzhautgefdsssystem auf ein eben- solches des ganzen Körpers zu schliessen. So lange man aber in der Lage ist, auch nur durch eine Hypothese die Netzhautarterienschlängelungen auf rein locale Ursachen zurückführen zu können, wird man dieses doch wohl dem so gewagten, allen bisher bekannten klinischen Beobachtun- gen widersprechenden Schlüsse auf eine allgemeine Schlän- gelung dos Gefässsystcms vorziehen müssen.

Eine solche Hypothese wäre z. B. folgende: Bei künst- lich beim Hunde erzeugter Hydrämie steigt nach Naunyn und Falken heim der intracorobralo Druck unabhängig vom Blutdruck, eine Beobachtung, auf welche ich auch am Schlüsse meiner Arbeit hingewiesen habe; es liegt nicht so sehr fern, an eine ähnliche, wenn auch nur während einer vorübergehenden Periode des Erkrankungsprocesses beste- hende, Steigerung des intraoculären Druckes, eine rein lo- cale Erhöhung der peripheren Circulations widerstände in Folge erhöhten Wanddruckes und damit an eine gegebene Disposition für die Bildung von Netzhautarterienschlänge- lungen zu denken.

Was nun die Statistik Friedrichsons anbetrifft, so finden sich unter 26 Patienten mit allgemeiner Anämie,

18*

276 Dr. Schmall.

wenn auch nicht 60—70%, wie bei Raehlmann, so doch 42% Fälle, in welchen eine wirkliche Hyperämie der Netz- haut zu constatiren war. Findet sich hierunter auch kaum ein Fall, in welchen eine solche „exquisite, kolossale" Hyper- ämie, wie sie Raehlmann beschreibt, sichtbar gewesen wäre, so unterstützt diese Statistik immerhin gegenüber meinen Angaben die Raehlmann'schen Behauptungen. Sie ist vielleicht noch werthvoller als Raehlmann 's eigene Statistik, da Friedrichson nichts von localen Erkrankun- gen des Auges angiebt,^) welche diese Hyperämie hätten hervorrufen können.

Auf diese Schwäche der Raehlmann'schen Statistik muss ich auch jetzt wieder hinweisen; spätere unbeeinflusste Untersucher dieses Gegenstandes werden es mir vielleicht nicht, so wie Friedrichson, als Unwissenheit oder Bös- ai'tigkeit auslegen, wenn ich auch einen Fall mit „Hitze und Schwere^' in den Augen aus berechtigtem Misstraueu zu den nichts beweisenden Fällen rechne.

Welche von beiden controversen Ansichten die richtige ist, die Raehlmann'sche oder die meinige, werden spätere Untersuchungen lehren, welche auch ich wieder seiner Zeit aufzunehmen gedenke.

Jedenfalls muss ich mich aber entschieden dagegen verwahren, dass Friedrichson meine bisherigen Resultate als Stütze seiner Behauptungen zu benutzen versucht

Friedrichson und Raehlmann sprechen, wie erste- rer noch S. 218 seiner „Erwiderung etc." ausdrücklich be- tont, nur da von einer Netzhauthyperämie, wo eine Ver- breiterung des Calibers vorliegt, das heisst doch wohl, wo die Gefässe breiter sind als in der Norm.

Es ist daher doch wohl „zum mindesten ein Missver- ständniss" von Seiten Friedrichsons, meinen Befund

') Bedenklich erscheint es allerdings auch an den Friedrich- son* sehen Untersuchungen, dass sie an dem Krankenmaterial einer Augenklinik allein vorgenommen zu sein scheinen.

Erwiderung an Herrn Dr. Friedrichson in Dorpat. 277

einer normalen GefässfüUung bei 20®/o chlorotischer Per- sonen als Hyperämie anzusprechen und damit als »will- kommene Bestätigung seiner Auffassung zu accoptiren".

Neben der bei anämischen Zuständen nach Raehl- mann häufig vorkommenden Netzhauthyperämie will Frie- drichson durch seine Statistik beweisen, dass die Genese des Netzhautarterienpulses auf die leichtere Beweglichkeit der ganzen Blutmasse in Folge Verarmung des Blutes an morphotischen Bestandtheilen zurückzuführen ist. Frie- drichson wirft mir vor, dass ich diese Erklärung auf Grund einer mangelhaften Untersuchungsmethode zurückgewiesen habe.

Ich habe in der That keine Blutkörperchenzählungen nach Messungen angenommen, sondern mich damit begnügt, den Hämoglobingehalt vermittelst des Fl ei seh T sehen Hä- mometers zu bestimmen und aus einem normalen Hämoglo- bingehalt auf eine normale Blutkörperchenzahl zu schliessen. Die wenigen Fälle, in welchen nach Friedrichson trotz normalen Hämoglobingohaltes eine verminderte Blutkörper- chenzahl gefunden wurde, und welche, weil meines Wissens ganz isolirt in der Literatur stehend, auch noch nicht als ganz unzweifelhaft betrachtet werden können, würden zu- dem schon aus dem Grunde meine Schlüsse nicht alteriren, weil in ihnen das, was das Blut an Beweglichkeit in Folge der verminderten Blutkörperchenzahl gewinnt, zum grössten Theil wieder verloren gehen würde durch die vormehrte Belastung des einzelnen Blutkörperchens mit Hämoglobin. Friedrichson selbst misst der Schwere des einzelnen Blut- körperchens, d. h. seinem Hämoglobingehalt, einen sehr wesentlichen Antheil an der grösseren oder geringeren Be- weglichkeit der Blutsäule zu; denn sonst würde er nicht eine Anzahl von Fällen (Fall 10—15 seiner Statistik) er- wähnen, in welchen trotz normaler, ja übernormaler Anzahl der Blutkörperchen, also einer Polycytämie statt einer Hy- drämic, Netzhautarterienpuls beobachtet wurde. Vermisst

278 I>r- Schmall, Erwiderung an Herrn Dr. Friedrichson in Dorpat.

man daher bei einem sehr niedrigen, findet dagegen bei einem sehr hohen Hämoglobingehalt den Netzhautarterien- puls, so kann man den letzteren doch wohl ohne allzu ge- wagte Logik als nicht beruhend auf der grösseren Beweg- lichkeit der Blutsäule erklären.

£s würde mich hier zu weit fuhren, wenn ich noch einmal für die in meiner Arbeit ausführlicher auseinander- gesetzte und begründete Hypothese plädiren wollte, welche den Netzhautarterienpuls durch einen gewissen Umfang und schnellen Ablauf der einzelnen Herzcoutractionen bei einem gewissen herabgesetzten arteriellen Mitteldruck, also herab- gesetzter Wandspannung der Arterien entstehen lässt; ich könnte mich zudem nur wiederholen. Jedenfalls hat diese Hypothese den Vorzug, dass sie den bei den verschiedenen Allgemeinleiden beobachteten Puls zwanglos auf eine ge- meinsame Ursache zurückführt und damit vor trügerischen Hoffnungen über seine differentialdiagnostische Bedeutung bewahrt.

Historische Notiz

von W. Krause in Göttingen.

Auch der Maulwurf hat Zapfen, wie Dr. Costa aus Chile 1881 entdeckt hat. ^) Die Innenglieder sind in üeber- osmiumsäure-Präparaten, welche in Glycerin untersucht wur- den, bis 0,0036 mm breit, während die Stäbchen (Aussen- glieder) nur 0,0015 mm Dicke haben.

Nachschrift. Während der Correctur ist eine vorläu- fige Mittheilung yon Kohl (Zoolog. Anzeiger, Jahrg. XII, No. 312, S. 383 386) erschienen, worin die Zapfen der Maulwurfsretina bestätigt werden. Sie sind stets vorhan- den, oft vereinzelt, oft aber sehr zahlreich (Area centralis W. Kr.?) und die Stäbchen nahezu verdrängend.

*) Vergl. W. Krause, Nachträge zur allgemeinen und mikros- kopischen Anatomie. Hannover 1881. S. 60.

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ALBRECHT VON GRJGFE'S ARCHIV

FÜR

OPHTHALMOLOGIE

HERAUSGEGEBEN

VON

Prof. TH. LEBER und Prof. H. SATTLER

IN GÖTTINGEN IN PRAG.

FÜNFUNDDREISSIGSTER BAND

ABTHEILUNG IV.

MIT 28 FIGUREN IM TEXT UND TAFELN

LEIPZIG

VERLAG VON WILHELM ENGELMANN 1889.

Inhalts -Verzeichniss

zu Band XXXV, 4. Abtheilung.

Ausgegeben am 31. December 1889.

Seite

I. lieber den Farbensinn bei indirectem Sehen. Von Dr. Carl Hess in Prag. (Aus dem physiologischen Institute der deutschen Universität in Prag.) 1—62

II. Ueber die Hypothesen zur Erklärung der peripheren Farbenblindheit. Von Ewald Hering, Professor an der deutschen Universität Prag. Mit 3 Holschnitten. 63—83

III. Ueber die relative Accommodationsbreite. Nach Untersuchungen von F. Halseh und H. Pereies mit- getheilt von Dr. med. Pereies. (Ans dem deutschen physiologischen Institute zu Prag.) Mit 20 Figuren

im Text 84—115

IV. Ueber die von Operationsnarben und vernarbten Iris- vorfiillen ausgehende Glaskörpereiterung. Von Dr. A. Wagenmann, Privatdocenten und erstem Assis- tenten der Universitäts- Augenklinik in Qöttingen.

Hierzu Tafel I bis V, Fig. 1—9 116—248

V. Zur Frage der Schul-Myopie. Zweiter Theil. Von Professor H. Schmidt -Rlmpler in Marburg. Mit

4 Figuren im Text 249—286

VI. Die Anatomie des Oculomotoriuscentrums beim Men- schen. Von Dr. Perlia in Frankfurt a. M. (Aus dem Senkenberg*schen Institut.) Hierzu Taf. VI

bis IX und 1 Holzschnitt 287-304

Nachtrag 306-308

VII. Ein Beitrag zur Kenntniss der Miliartuberculose der Chorioidea. Von Dr. M. Dinkler, Assistenzarzt. (Aus der medicinischen Klinik von Professor Erb in Heidelberg.) Hierzu Tafel X, Fig. I-III . . 309-332

VIII. Noch einmal „Die Convergenzfactoren'^ Von Alfred

Graefe 333—339

(Schluss des Bandes XXXV.)

Teber den Farbensinn bei indirectem Sehen.

Von

Dr. Carl Hess in Prag.

(Aus dem physiologischen Institate der deutschen Universität in Prag.)

Das hervorragende Interesse, welches die Kenntniss der physiologischen Farbenblindheit auf unserer peripheren Netzhaut in rein theoretischer Hinsicht bietet, die Wichtig- keit derselben für das Yerständniss der angeborenen par- tiellen und totalen Farbenblindheit, nicht am Wenigsten aber die fundamentale Bedeutung, welche die Frage für den Kliniker erhält durch ihre Beziehungen zu den verschiede- nen Formen der erworbenen Farbensinnstörungen, sind der Anlass gewesen, dass das Farbenwahrnehmungsvermögen auf den excentrisch gelegenen Netzhauttheilen seit einer Reihe von Jahren zum Gegenstände mannigfacher und ein- gehender Untersuchungen gemacht worden ist. Aber so gross die Zahl der diesbezüglichen Beobachtungen, so gross ist der Unterschied zwischen den Ergebnissen der einzelnen Forscher; und wenn schon betreflfs der elementaren That- sachen eine Einigung nicht erzielt wurde, so konnte diess noch viel weniger der Fall sein in Bezug auf die Deutung derselben von einem einheitlichen Standpunkte aus.

Der Grund dafür liegt, wie die vorliegende Abhand- lung zu zeigen bemüht ist, wohl in erster Linie darin, dass

▼. Graefe's Archiv für Ophthalmologie. XXXV. 4. 1

2 Dr. Carl Hess.

es an genügenden Anhaltspunkten fehlte» wodurch es möglich gewesen wäre, die Ergebnisse verschiedener Forschungen unter einander zu vergleichen; durfte man ja doch vielfach nicht einmal die verschiedenen Beobachtungsreihen eines und desselben Forschers als unmittelbar vergleichbar ansehen.

Erst wenn es gelingt, solche Bedingungen für die Untersuchung zu schaffen, welche, von zufälligen äusseren Umständen möglichst unabhängig, von jedem anderen Be- obachter wieder leicht erfüllt imd den Versuchen zu Grunde gelegt werden können, werden sich die Ergebnisse verschie- dener Forschungen unter einander in Beziehung bringen und strittige Fragen der Lösung entgegenführen lassen.

Solchen Anforderungen sucht die vorliegende Abhand- lung gerecht zu werden.

Durch die grosse Güte des Herrn Professor Hering ist es mir möglich gewesen, die genannte Frage zum gros- sen Theile mit neuen von ihm angegebenen Untersuchungs- methoden und von neuen Gesichtspunkten aus unter seiner Leitung durchzuprüfen. Es sei mir gestattet^ meinem ver- ehrten Lehrer auch an dieser Stelle für die mir erwiesene Freundlichkeit innigen Dank zu sagen.

§1.

Bintheüung der Pigmentftrben nach ihrem Verhalten bei indireotem Sehen.

Von einer grossen Zahl verschiedener, möglichst ge* sättigter farbiger Papiere mit matter Oberfläche werden gleichgrosse Scheiben von 3 cm Durchmesser ausgeschlagen und auf einer grossen, horizontalen, gleichmässig hellen oder dunklen, gleichfalls matten Unterlage, über welcher der Kopf fixirt ist, durch einen Gehilfen von der Peripherie des Gesichtsfeldes gegen den Fixationspunkt des untersuch- ten Auges vorgesdiob^i. Letzteres geschieht entweder mit einer nicht glänzenden Pincette oder besser mittels eines

Ueber den Farbensinn bei indirectem Sehen. 3

langen, steifen, schwarzen Drahtes, der an seinem Elnde eine dünne Metallscheibe von 2,5 cm Durchmesser trägt, auf welche die farbige Scheibe aufgelegt wird. Es empfiehlt sich dabei, die Scheiben durch ein Papier von der gleichen Farbe wie die Unterlage zeitweilig zu verdecken und inmier nur für ganz kurze Zeit durch Wegziehen des Papieres sichtbar zu machen, weil bei längerem Verharren des Bil- des auf derselben Netzhautstelle die Farbe desselben rasch verblasst.

Wenn die Scheiben zuerst an den Grenzen des Ge- sichtsfeldes auftauchen, so erscheinen sie zunächst farblos, und zwar weiss, wenn man auf schwarzer Unterlage be- obachtet, grau bis schwarz, wenn die Unterlage weiss ist. Werden die Scheiben weiter vorgeschoben, so beginnt die übergrosse Mehrzahl der Papiere bläulich oder gelblich zu werden, um bei weiterer Annäherung nur deutlicher blau oder gelb zu erscheinen, ohne dass zunächst der Ton des Blau oder Gelb sich merklich ändert Lässt man vom Gehilfen jede Scheibe nur soweit vorschieben, bis sie eben deutlich gelb oder blau gesehen wurde, und sowohl die gelb als die blau erschienenen Scheiben zusammenlegen, etwaige Scheiben aber, welche, ohne zuvor gelb oder blau geworden zu sein, grünlich oder röthlich wurden, vorerst bei Seite legen, so findet man nachher unter den gelb erschienenen Scheiben alle spectralrothen, orangefarbigen, gelben, grüngelben und einen grossen Theil der für ge- wöhnlich als grün bezeichneten Pigmente; unter den blau erschienenen die bläulichgrünen, blaugrünen, blauen, vio- letten, bläulichrothen und rosarothen Farben.

Es ergiebt sich also, dass unter den genannten Um- ständen alle erwähnten Pigmente, mit Ausnahme von Gelb und Blau, zuerst nicht in demjenigen Farbentone erschei- nen, welchen sie für die mittlere Netzhaut zeigen, und dass an ihnen, mögen sie für die Netzhautmitte sich viel oder wenig dem Roth oder Grün nähern, anfangs keine Spur

1*

4 Dr. Carl Hess.

von Roth oder Grün wahrgenommen wird, auch wenn ihr Gelb oder Blau bereits deutlich sichtbar geworden ist Ver- gleicht man die beiden erwähnten Gruppen mit den Far«- ben auf dem Hering' sehen Farbenzirkel ^), so findet man, dass alle Farben der einen Gruppe in die gelbwerthige, alle Farben der anderen in die blauwerthige Hälfte des Zirkels gehören; dementsprechend kann man die beiden Gruppen als die der gelbwerthigen und die der blauwer- thigeu Farben unterscheiden.

Bei einer zweiten Versuchsreihe mit denselben farbigen Scheiben werden diese wieder in derselben Weise von der Peripherie her dem fixirten Punkte genähert, nicht aber nur bis dahin, wo sie einen deutlich gelben oder blauen Ton annehmen, sondern soweit, bis sie unverkennbar ins Rothe oder Grüne zu spielen beginnen, gleichviel, ob sie dabei schon deutliches Blau oder Gelb zeigen oder nicht. Es sind hierzu sehr verschiedene, durchschnittlich aber viel stärkere Annäherungen an den fixirten Punkt nöthig, als bei der ersten Versuchsreihe. Auch jetzt wird vom Ge- hilfen jede Farbe, sobald sie deutlich ins Grüne oder Rothe zu spielen beginnt, wieder zurückgezogen, und werden

*) Im Her! Dg* sehen Farbenzirkel sind die Farbentöne in der- artiger Anordnung gedacht, dass reines Gelb, GrQn, Blau, Roth je um 90° von einander entfernt liegen. Unter reinem Roth (bezw. Grün) ist dabei jener Farbenton verstanden, welcher für den Be- schauer den üebergang vom letzten noch etwas gelblichen zum ersten schon etwas bl&ulichen Roth (bezw. Grün) bilden würde. Ana- log ist als reines Gelb (bezw. Blau) jenes verstanden, welches für den Beschauer weder merklich ins Grüne noch ins Rothe spielen würde. Ein solcher Zirkel wird also durch die Stelle des reinen Gelb und Blau derart getheilt, dass die eine H&lfte alle grünwerthi- gen , d. h. alle mehr oder minder ins Grüne spielenden oder ganz grünen, die andere H&lfte alle rothwerthigen, d. h. mehr oder min- der ins Rothe spielenden oder ganz rothen Farbentöne enth&lt. In analoger Weise theilen die Orte des reinen Roth und Grün den Zir- kel in eine gelb- und eine blauwerthige Hälfte.

Ueber den FarbensiDn bei indirectem Seben. 5

sämmtliche Scheiben, je nachdem sie ins Rothe oder Grüne gespielt haben, in zwei Gruppen zusammengelegt» und nur diejenigen gelben oder blauen Scheiben bleiben vorkommen- den Falles ausgeschieden, welche bis in die Nähe des Fixationspunktes herangeschoben werden können, ohne dass sie einen deutlichen Stich ins Rothe oder Grüne annehmen.

Bei directer Betrachtung der Scheiben sieht man nun, dass sich in der einen Gruppe sämmtliche grünlichgelben, gelbgrünen, grünen, bläulichgrünen, blaugrünen und grün- blauen, in der anderen sämmtliche röthlichgelben, orange- farbenen, gelblichrothen, rothen, bläulichrothen, violetten, röthlichblauen und rosafarbenen Scheiben iSnden. Im He- ring'sehen Farbenzirkel gehören alle ersteren Farben der grünwerthigen, alle letzteren der rothwerthigen Hälfte an.

Bei den beschriebenen Versuchen konnte der Be- obachter von vornherein nicht wissen, welche Farben vom Gehilfen ins Gesichtsfeld gebracht wurden, und sofern er sein Auge ruhig hielt und die Scheibe, sobald sie deutlich gelb oder blau bezw. röthlich oder grünlich geworden war, wieder zurückgezogen wurde, erfuhr er, insbesondere bei der ersten Versuchsreihe, überhaupt erst nachträglich, welche Farben benutzt worden waren. Bei einer weiteren Versuchsreihe wurde der entgegengesetzte Weg eingeschla- gen: die Scheiben wurden zuerst in die Nähe des fixirten Punktes gebracht, wo sie also in ihrer sogenannten „wirk- lichen'' Farbe erschienen, und wurden dann in centrifugaler Richtung entfernt; dabei wandelten nun die der rothwer- thigen Hälfte des Farbenzirkels angehörigen Farben ihren Ton mehr und mehr nach dem Gelb oder Blau hin (z. B. Spectralroth nach Orange, Goldgelb nach Gelb, Violett nach Blau), wurden also zunehmend gelblicher oder bläu- licher, weiterhin gelb oder blau, und schliesslich farblos. Nur ausnahmsweise fand sich bei der eben herrschenden Beleuchtung ein Roth, welches farblos wurde, ohne mehr oder minder deutlich ins Gelbe oder Blaue gespielt zu

6 Dr. Carl Hess.

haben. Ganz analog verhielten sich alle Farben der grün- werthigen Hälfte des Farbenzirkels, denn sie wandelten ebenfalls ihren Ton nach dem Gelb oder Blau hin (z. B. Arsengrün nach Grüngelb, Schwefelgelb nach Gelb, Grün- blau nach Blau), wurden dann gelb oder blau, und endlich farblos. Vereinzelte grüne Scheiben wurden farblos, ohne zuvor gelb oder blau geworden zu sein.

Bei diesen Versuchen ist selbst für die schönsten, aus- gesprochensten und im gewöhnlichen Leben häufig vorkom- menden Farben, wie z. B. Violett, Spectralroth, Orange, Arsengrün die Wandlung in entschiedenes Blau oder Gelb so eindringlich, dass man immer von Neuem darüber staunt, wie wenig hier das sichere Vorwissen über die sogenannte wirkliche Farbe der Scheibe und das lebhafteste Erinne- rungsbild derselben von Einfluss ist. Benützt man zwei gleiche, z. B. violette Scheiben, legt die eine neben den fixirten Punkt und die andere entsprechend weiter excen- trisch, so kann man (besonders gut bei Benutzung der tem- poralen Netzhauthälfte) die beiden Farben unmittelbar ver- gleichen; und so gut man weiss, dass beide objectiv ganz gleich sind, sieht man doch nur die eine violett, die wenige Zoll weiter liegende aber ganz entschieden als ein schönes Blau. Man erkennt so am Besten, wie wenig unter solchen Umständen Erfahrung und Urteil über die Empfindung vermögen.

Aus den beschriebenen Versuchen, welche bei verschie- dener natürlicher Beleuchtung, bei blauem und bei bedeck- tem Himmel und zu verschiedenen Tageszeiten an demsel- ben Fenster wiederholt wurden, ergab sich also in Betreff der Wandlung des Farbentoues der verschiedenen Farben im Allgemeinen Folgendes: Alle Zwischenfarben zwi- schen dem reinen Gelb und einerseits reinen Roth, andererseits reinen Grün des Farbenzirkels ver- lieren bei zunehmend indirectem Sehen mehr und mehr ihr Roth oder Grün, spielen immer mehr ins

Ueber den Farbensinn bei indirectem Sehen. 7

Gelbe, werden dann gelb, und endlich farblos; alle Zwischenfarben zwischen reinem Blau und einer- seits reinem Roth, andererseits reinem Grün dos Farbenzirkels verlieren ebenfalls mehr und mehr an Roth oder Grün, werden dann blau und endlich auch farblos.

Nur gewisse gelbe und blaue und zuweilen ganz bestimmte rothe oder grüne Scheiben wer- den unter mehr und mehr abnehmender Sättigung schliesslich farblos, ohne ihren Ton geändert zu haben.

Absichtlich ist bei dieser vorläufigen Uebersicht nur auf den Farbenton Rücksicht genommen. Die Aenderungea der Sättigung und Helligkeit erfordern eine besondere Be- sprechung. In dieser Beziehung kann eine und dieselbe Pigmentfarbe sehr verschiedene Wandlungen erfahren. So wird ein sattes Orange auf schwarzem Grunde zureichend indirect gesehen hellgelb, auf weissem Grunde für ganz dieselbe Netzhautstelle schmutzig dunkelgelb. Ein bestimm- tes Grün kann unter im Uebrigen ganz gleichen Bedingun- ' gen des indirecten Sehens auf weissem Grunde dunkelgrau, auf schwarzem hellgrau oder weiss erscheinen, auf einem grauen Grunde von ganz bestimmter Helligkeit aber völlig unsichtbar werden, u. s. f.

§2. Die vier unveränderliohen Farbentöne.

Für jede Bescbafifenheit des Tageslichtes und entspre- chende Stimmung des Auges lässt sich ein gelbes, blaues, rothes und grünes Pigment finden, welches bei indirectem Sehen nur seine Sättigung, nicht aber seinen Ton ändert. Diese vier Farben mögen als die unveränderlichen Farbentöne bezeichnet werden.

Es ist fast immer leicht, unter den mit Chromgelb oder Ultramarin gefärbten Papieren ein gelbes oder blaues

8 Dr. Carl Hess.

zu finden, welches beliebig indirect betrachtet, soweit es überhaupt noch genügend farbig erscheint, denselben Far- benton zeigt, wie beim directen Sehen. Anders verhält es sich mit den grünen und rothen Farben. Alle käuflichen, schön gesättigten rothen und grünen Papiere, die mir zur Verfugung standen, wurden bei entsprechend indirectem Sehen gelb oder blau. Herr Professor Hering hatte jedoch schon früher zu derartigen Versuchen eine grosse Reihe im Tone fein abgestufter rother und grüner Papiere selbst hergestellt, welche ziemlich gesättigt waren. Unter diesen Hess sich immer ein grünes und ein rothes Papier finden, von welchem eine Scheibe nach der Peripherie des Ge- sichtsfeldes verschoben farblos wurde, ohne zuvor gelb oder blau geworden zu sein. Ebenso fand ich wiederholt unter einer Reihe allerdings weniger gesättigter durchgefärbter grüner und rother Papiere (Biumenpapiere) eines, welches das gleiche Verhalten zeigte.

Bei solchen weniger gesättigten Papieren insbesondere kann die chromatische Absorption seitens der macula lutea von merklichem Einflüsse auf den Erfolg des Versuches sein. Eine bei directem Sehen weisse oder graue Scheibe wird öftei*s bläulich, wenn man ihr Netzhautbild aus dem Bereiche der macula herausbringt. Analog kann sich eine grüne oder rothe Scheibe verhalten. Wird eine solche ausserhalb der macula bläulich gesehen, so kann diess sei- nen Grund schon darin .haben, dass ihre blauwirkenden Strahlen jetzt weniger absorbirt werden, als im Bereich der macula. Dabei sind ausser der physikalischen Zusam- mensetzung des farbigen Lichtes verschiedene Nebenumstände von Einfluss, welche weiter unten kurz berührt werden. Hier können wir von alledem absehen, weil es ein einfaches Mittel giebt, die durch den genannten Umstand etwa be- dingten Fehler ganz auszuschliessen. Man braucht nur das Bereich der Macula ganz aus dem Spiele zu lassen und die Scheibe der Stelle des directen Sehens nie näher zu

lieber den Farbensinn bei indirectem Sehen. 9

bringen, als bis auf etwa 6 8 ® Abstand. Hier ist der Far- bensinn im Vergleiche mit demjenigen der centralen Netz- haut nicht merklich herabgesetzt, während die chromatische Absorption durch das Pigment der macula kaum noch in Be- tracht kommt. ^) Bei den im vorigen Paragraphen beschrie- benen Versuchen kam die macula ebenfalls nicht in Betracht, weil dort im Wesentlichen nur die weiter peripher gelege- nen Zonen der Netzhaut massgebend waren und nur mit sehr gesättigten Farben gearbeitet wurde. Wir wollen hin- fort die Stelle der macula als die intramaculare Zone der Netzhaut, alle übrigen Parthieen aber als extramacu- lare Zonen bezeichnen. Bei allen im Folgenden beschrie- benen Versuchen ist das Bereich der macula als ausge- schlossen anzusehen, soweit nicht ausdrücklich das Gegeu- theil angegeben ist.

Wiederholt fand es sich, dass die grüne oder rothe Scheibe, welche bei beliebig indirecter Betrachtung ihren Ton nicht geändert hatte, sondern nur minder gesättigt und schliesslich farblos geworden war, bei der nächsten Untersuchung im indirecten Sehen etwas gelblich oder bläu- lich wurde; es mussten andere Scheiben ausgesucht werden, welche bisweilen bei einer späteren Untersuchung wiederum nicht gleiches Ergebniss zeigten, sodass noch andere Schei- ben ausgesucht oder zu den ersten zurückgegriffen werden musste; immer handelte es sich dabei aber um Farbentöne, welche einander sehr nahe liegen und nur einem ganz engen Bezirke des Farbenkreises angehören. Dieses Alles war nachweisbar von der zufälligen Beschaffenheit des Tages- lichtes und der davon abhängigen chromatischen Stimmung des Auges bedingt. Versuche, welche bei ganz derselben Himmelsbeschaffenheit, zu derselben Tageszeit und an dem

>) Es ergab sich aus Versuchen, auf welche wir sp&ter zurück- kommen werden, dass für mein Auge die chromatische Absorption durch das Maculapigment sich (auf der temporalen Netzhauth&lfte gemessen) etwa 6—7® weit von der Fixationsstelle nachweisen lässt.

10 Dr. Carl Hess.

gleichen Fenster Torgenommen wurden, führten auch stets zu ganz gleichen Ergebnissen.

Für die weitere Untersuchung fallen diese Umstände desshalb nicht ins Gewicht, weil ich mir dabei das unver- änderliche Roth und Grün jedesmal selbst auf der rotiren- den Scheibe mischte. Von den am Prager Institute be- nutzten Farbenkreiseln zur Untersuchung des peripheren Farbensinnes war hierzu insbesondere einer mit horizontal- gehender Scheibe wohl geeignet. Eine grosse Tafel, welche je nach Bedür&iss mit einem weissen, grauen oder schwar- zen Papier belegt werden kann, hat in der Mitte ein kreis- rundes Loch von ca. 1 cm Durchmesser, in welchem sich der rotirende konische Zapfen befindet; auf diesen wird ein entsprechender Hohlkonus mit einer dünnen Metallscheibe von 3 cm. Durchmesser so aufgesetzt, dass dieselbe dicht über der Tafel rotirt, ohne sie zu berühren. In ihrer Mitte trägt die Metallscheibe einen feinen spitzen Dom, welcher die aufgelegten Papierscheibchen central fixirt Diese letz- teren werden mit einem Locheisen von 3 cm. Durchmesser ausgeschlagen, imd nachdem der Mittelpunkt mit einer be- sonderen Centrirungsvorrichtüng ^) durchstochen ist, in einem Radius aufgeschnitten; ihre Ränder decken sich, wenn sie auf die Metallscheibe aufgesetzt sind, genau, sodass sich bei der Rotation kein andersfarbiger Saum zeigt Das Räderwerk des Kreisels wird von einem Gehilfen in Gang gesetzt Für Untersuchung auf schwarzem Grunde ist der Apparat tadellos; bei Benutzung eines helleren Grundes stört der schmale Schatten, welchen die den Grund etwas

') Die GentrimogSTorrichtung besteht aas einem ca. 1 cm hohen Metallcylinder, desBen innere, kreisrunde Oeffhung genau die Grösse der zu durchstechenden Scheibe hat; in diesen werden die Schei- ben eingelegt und mit einer runden, genau gleichgrossen Metall- platte bedeckt, in deren Mitte sich ein feines Loch findet, durch welches die zum Durchstechen der Scheiben benutzte Nadel einge- führt wird.

Ueber den Farbensinii bei indirectem Sehen. H

überragenden Scheiben auf die von der Lichtquelle abge- wandte Seite werfen.

Zur Herstellung des unveränderlichen Grün wurde theils ein mit Schweinfurter Grün gefärbtes Papier benutzt, theils ein solches, welches dena unveränderlichen Grün im Tone näher kam. Auch dieses letztere wurde bei indirec- tem Betrachten wenn auch schwach, so doch deutlich gelb- lich. Einer Scheibe von diesem oder dem ersteren Grün wurde ein Sector Blau zugesetzt und dessen Grösse so lange variirt, bis das weder ins Gelbe noch ins Blaue spielende Grün, in welchem jetzt die rotirende Scheibe erschien, bei zunehmend indirectem Betrachten ohne Aenderung des Tones farblos wurde. Für unsere grünen Papiere betrug die Grösse des blauen Sectors je nach der äusseren Be- leuchtung etc. ca. 60— 70^ resp. 100— 110 ^ In analoger Weise wurde das unveränderliche Roth hergestellt aus einer spectralrothen Scheibe und einem Sector des nämlichen Blau; für unser Both betrug die Grösse des blauen Sectors durchschnittlich 40 50^ Die Herstellung der beiden Far- bentöne im einzelnen Falle ist mit Hilfe einer unten aus- fuhrlicher zu beschreibenden Methode bis zu einem hohen Grade von Genauigkeit möglich; stellt man z. B. das un- veränderliche Grün in der beschriebenen Weise her und wiederholt den Versuch bei ganz gleichbleibenden äusseren Verhältnissen 20 30mal, so findet sich, dass für die Zahl der Grade des blauen Sectors der Unterschied zwischen den einzelnen Beobachtungen selten mehr als beträgt; Genaueres s. u.

Sehr leicht war es, wie gesagt, ein unveränderliches Gelb und Blau zu finden; es war hierzu nicht einmal eine Scheibe von ganz bestimmtem gelben oder blauen Tone nöthig. Einige chromgelbe Scheiben z. B., welche, dicht nebeneinander gehalten, noch einen etwas verschiedenen Ton zeigten, Hessen doch im indirecten Sehen keine deut- liche Aenderung ihres Tones erkennen, sondern erschienen

12 Dr. Carl Hess.

eben lediglich gelb solange, bis sie farblos wurden; selbst wenn eine gelbe oder blaue Scheibe für den Geübten beim Vergleich mit einer daneben liegenden anderen rein gelben oder blauen Scheibe schon einen deutlichen Stich ins Orange bzw. Violett verräth, ist es doch oft schwer oder unmöglich die leichte Wandlung in reineres Gelb wahrzu- nehmen, welche sie bei indirecter Betrachtung erfährt. Roth und Grün erweisen sich in dieser Beziehung viel empfind- licher; sind sie nicht ganz genau gewählt, so tritt ihr schwaches Gelb oder Blau hervor, sobald ihr Bild auf eine Netzhautstelle verschoben wird, auf welcher das Licht der farbigen Scheibe keine rothe oder grüne, wohl aber noch blaue oder gelbe Empfindung zu erzeugen vermag. Ein analoges Deutlicherwerden des rothen oder grünen Stiches, welchen eine vorwiegend gelbe oder blaue Scheibe zeigt, kann auf der excentrischen Netzhautstelle nicht eintreten, weil das Vermögen der Gelb- und Blauempfindung viel lang- samer abnimmt als jenes der Roth- und Grünempfindung.

Der Ton einer jeden der vier unveränderlichen Farben ist ein ganz bestimmter; sie sind für mich dadurch charak- terisirt,. dass das Gelb und Blau keinen deutlichen Stich ins Rothe oder Grüne, das Roth und Grün keinen solchen ins Gelbe oder Blaue zeigen, daher man sie als im Tone reines Gelb, Blau, Roth und Grün bezeichnen kann. Es sind dieselben Farbentöne, welche Hering als die vier farbigen Grundempfindungen oder die vier ürfarben, als Urroth, Urgelb, Urgrün und Urblau be- zeichnet hat.

Somit bietet uns die Verschiedenheit des Far- bensinnes der extramacularen Netzhautzonen ein Mittel zur Bestimmung der vier von Hering als Hauptfarben bezeichneten Farbentöne. Wir brau* eben eben nur jene vier Pigmente aus der ganzen Mannig- faltigkeit derselben herauszusuchen, welche nur ihre Sätti- gung, nicht aber ihren Farbenton ändern, wenn sie aus

lieber den FarbenBinn bei indirectem Sehen. 13

dem (extramacularen) Mitteltheile des Gesichtsfeldes weiter nach der Peripherie oder umgekehrt verschoben werden, und zwar lässt sich diese Bestimmung für das Urgrün und Urroth mit ganz besonderer Genauigkeit machen, während fär Gelb und Blau aus dem oben angegebenen Grunde eine gewisse 9 wenn auch kleine Breite der Verschiedenheit der Bestimmungen besteht.

Es ist diese Methode der Bestimmung der vier Urfar- ben besonders Denjenigen gegenüber zu betonen, welche behauptet haben, die Bestimmung derselben sei lediglich ein Ergebniss subjectiven Ermessens oder, wie man gesagt hat, einer rein subjectiven Analyse. Von einer solchen ist hier nicht die Rede, sondern es handelt sich um ein rein experimentelles Ergebniss, welches ganz unabhängig ist von jeder Theorie. Manche haben behauptet, dass es sich durch die blosse Vergleichung der Farben des Farbenzirkels gar nicht feststellen lasse, wo fiir den Beschauer das reine Roth, Gelb, Grün und Blau liegt, welche Töne also mit diesem Namen zu belegen seien. Ich selbst bin mir zwar in jedem einzelnen Falle ganz klar darüber, ob ich z. B. in einem mir vorgelegten Roth noch einen Stich ins Gelbe oder Blaue sehe oder nicht, und an welcher Stelle eines Farbeiizir- kels für mich z. B. das tonreinste Roth liegt, aber es mögen ja immerhin Andere darin Schwierigkeiten finden; darüber zu streiten wäre überflüssig, weil es eben andere Methoden giebt, um die vier Grundfarben festzustellen, bei welchen das subjective Ermessen gar nicht in Betracht kommt; zu diesen Methoden gehört die beschriebene.

Immer ist streng festzuhalten, dass die Worte Urroth, Urgrün etc. an und für sich nur einen bestimmten Far- benton bezeichnen, nicht aber ein bestimmtes homogenes oder zusammengesetztes Licht, welches unter allen Umstän- den in dem reinen Farbentone erscheinen müsste. Denn es hängt wesentlich mit von der Art der Beleuchtung der übrigen Netzhaut und von der Art des Lichtes ab, welches

14 Dr. Carl Hess.

zuTor die Netzhaut traf, ob ein objectives Licht in jenem Farbentone empfunden wird oder nicht.

§3.

Die vier unveränderlichen Farben bilden zwei complementare Farbenpaare.

Die drei im vorigen Paragraphen beschriebenen farbi- gen Papiere, das spectralrothe, das grüne und das blaue, aus welchen sich das unveränderliche Roth und Grün mischen liess, wurden gleichzeitig auf den Kreisel gebracht und es wurde ihren Sectoren dasjenige Yerhältniss gegeben, bei welchem die rotirende Scheibe, insbesondere auch für die innerste extramaculare Zone ganz farblos erschien. Die Zahlen der Grade, welche hierbei der rothe, grüne und blaue Sector hatte, wollen wir mit R, G, B, bezeichnen. Bei ganz derselben Beleuchtung und unter ganz gleichen Umständen wurde nun auf dem Kreisel aus dem Roth und Blau das unveränderliche Roth gemischt; die Zahlen der Grade, welche hierbei der rothe und der blaue Sector hatte, mögen durch r und br bezeichnet werden. Ferner wurde aus dem Grün und Blau das unveränderliche Grün gemischt; die Zahlen der Grade des grünen und blauen Sectors mö- gen durch g und bg ausgedrückt werden. Nun liess sich durch Rechnung finden, ein wie grosser Sector von Blau nöthig wäre, um das bei der Mischung aller drei Farben zu Weiss nöthige Roth, welches die Sectorenbreite R hatte, zu unveränderlichem Roth zu machen. Der so berechnete blaue Sector heisse Br und der in analoger Weise für den Seetor G berechnete blaue Sector heisse Bg. Wenn nun das unveränderliche Roth und Grün wirklich complementär sind, 00 muss die Summe der beiden berechneten blauen Sectoren Br + Bg =^ ^ ^^^^ <^* ^* gleich dem zur Herstel- lung der fiarblosen Mischung aus den drei Pigmenten nöti- gen blauen Sector. Es zeigte sich bei wiederholten Yer-

lieber den Farbensinn bei indirectem Sehen. 15

suchen, dass dies stets innerhalb der engen Grenzen der unvermeidlichen Fehler der Fall war.

Es wurde beispielsweise bei einer gewissen, für die ver- hältnissmässig kurze Yersuchsdauer constanten Beleuchtung ge- funden, dass zur Herstellung des unveränderlichen Grttn auf dem Kreisel 244^ der grünen Scheibe mit 116^ der blauen Scheibe versetzt werden mussten; also

(1) 2U^ g + 116^ bg = unveränderlich Grün: ferner fand sich für Hoth:

(2) 330*^ r + 30<^ br = unveränderlich Roth; sodann ergab die Mischung von

(3) 214« R + 84,5» Gr + 61,5« B = farbloses Grau;

aus Gleichung (1) berechnet sich der Werth für Bg = 40,l®; aus Gleichung (2) berechnet sich der Werth für Br = 19,4®. Die Summe der beiden, d. h. das gesuchte B = 59,5« weicht um von dem experimentell gefundenen B ab.

Mit einer anderen grünen und rothen Scheibe wurden folgende Zahlen gefunden:

(Versuch von Herrn Prof. Hering angestellt.)

(1) 297« g + 63« bg = unveränderliches Grün.

(2) 325« r + 35« b, = unveränderliches Roth.

(3) 179« R+ 133« G + 48«B = farbloses Grau.

Die Berechnung ergiebt für Br + Bg die Werthe 28,2 + 19,2 = 47,4, was von der experimentell gefundenen Zahl um 0,6« diferirt

Weitere Beispiele folgen, im Zusammenhange mit anderen Beobachtungen, weiter unten; im Allgemeinen betrug bei ge- nau angestellten Untersuchungen die Differenz zwischen dem berechneten und dem gefundenen B selten mehr als 2«; diese Unterschiede aber liegen, wie sich aus den zahlreichen Einzel- versuchen zur Bestimmung der unveränderlichen Farbentöne ergibt (s. u.), innerhalb der unvermeidlichen Fehlergrenzen.

Ebenso wie das auf dem Kreisel hergestellte unver- änderliche Roth und Grün erwiesen sich auch die in § 1 erwähnten unveränderlichen rothen und grünen Scheiben als complementär; wurden sie in einem Radius durchschnit- ten und zusammen auf den Kreisel gesteckt, so ergab die

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Mischung derselben bei passendem Yerhältniss ihrer Secto- ren farbloses Grau.

Um den eingangs aufgestellten Satz für unveränder- liches Gelb und Blau zu prüfen, benutzte ich eine rein gelb und eine rein blau erscheinende Scheibe, welche bei pas- sendem Yerhältniss der Mischung auf dem Kreisel Weiss gaben; diese beiden Farben erwiesen sich denn auch jede fiir sich bei fortschreitend indirecter Betrachtung als un- veränderlich in ihrem Farbentone.

Aus den oben angeführten Gründen müssen ein gelbes und ein blaues Papier, welche bei fortschreitend indirectem Sehen keine deutliche Aenderung ihres Tones erleiden, nicht nothwendig genau complementär sein. Setzt man einem Sector von ultramarinblauem Papier auf dem Kreisel ein möglichst reines Gelb in wachsendem Maasse zu, so schwindet zwar stets das Blau mehr und mehr und schliess- lich ganz, aber es bleibt öfter etwas Roth übrig und färbt das entstandene Weiss oder Grau leicht röthlich. Ver- gleicht man dann das benutzte blaue Papier mit anderen blauen Papieren (deren man ja zu unseren Versuchen mög- lichst viele haben muss), so erkennt man leicht, dass das zu der Mischung benützte Blau einen Stich ins Röthliche hat, der an dem einzeln gesehenen Papiere nicht deutlich hervortritt und beim indirecten Sehen, wie schon erörtert, noch weniger hervortreten kann. Man muss also zuerst ein Gelb und ein Blau suchen, welche nicht nur frei von jedem deutlichen Stich ins Grüne oder Rothe erscheinen, sondern auch eine farblose Mischung geben, und dann erst das Gelb und das Blau auf die Unveränderlichkeit ihres Tones im indirecten Sehen prüfen, während man bei Roth und Grün den umgekehrten Weg einschlagen kann.

Ueber den Farbensinn bei indirectem Sehen. 17

§4. Untersachnng der Speotralfarben.

Bei den in den vorhergegangenen Paragraphen mitge- theilten Versuchen mit Pigmentfarben hat sich der Einfluss der chromatischen Absorption seitens der macula lutea auf den Farbenton des untersuchten Papieres wiederholt in einer die Reinheit des Experimentes störenden Weise geltend ge- macht. Die Untersuchung mit homogenen Farben giebt uns das einfachste Mittel an die Hand, unsere Beobachtungen auch mit Ausschluss dieser Fehlerquellen anzustellen. Homo- gene Lichter können innerhalb des Gebietes der macula im Vergleiche mit dem extramacularen Gebiete durch stärkere Absorption wohl eine Minderung ihrer Intensität, nicht aber eine Aenderung ihrer Qualität erfahren, wie die gemisch- ten Lichter.

Es wurde zunächst davon ausgegangen, sämmtliche Farben des Spectrums auf ihr Verhalten bei indirectem Sehen durchzuprüfen. Zu dem Zwecke wurde von einem Spectralapparate das Ocular entfernt und an den Ort des Spectrums ein Spaltapparat mit feinem, dem CoUimator- spalte parallelen Spalte gebracht. Bei Betrachtung dessel- ben durch ein passendes Ocular mussten die Grenzlinien des Spaltes und die eingestellten Fraunhofer'schen Lmien gleich scharf gesehen werden. Mit Hülfe eines am Colli- matorrohre angebrachten Spiegels wurde nun zunächst die Stellung des Rohres für eine Reihe von Fraunhofer'schen Linien mit Femrohr und Scala bestimmt. Es liess sich dann die Wellenlänge eines beliebig eingestellten Lichtes durch graphische Interpolation mit einer fiir unsere Zwecke hinreichenden Genauigkeit auffinden.

Nach Entfernung des Oculars stellte ein Gehilfe die verschiedenen Farben des Spectrums ein, indem er das CoUimatorrohr mittels Schraube verschob. Das Auge wurde möglichst nahe an den Spalt gebracht und sah nun das in

T. Graefe'B Arohiv fttr Ophthalmologie. XXXV. 4. 2

18 Dr. Carl Hess.

dem Rohre befindliche Diaphragma mit homogenem Lichte erfüllt. Die Breite des CoUimator- und Ocularspaltes konnte durch je eine Micrometerschraube mit gegenläufigen Gewin- den geregelt werden, so dass beide Schneiden eines Spaltes sich symmetrisch gegen die unveränderliche Längsmittel- linie desselben bewegten. Es musste ganz besonders darauf geachtet werden, dass nicht nur das Spectrum genau in die Ebene des Ocularspaltes zu liegen kam, sondern .dass auch Ocular- und CoUimatorspalt genau parallel standen und nicht weiter geöffnet wurden als eben nöthig war, da- mit die zu untersuchende Farbe genügend hell erschien. Ist eine dieser Bedingungen nicht erfüllt, so hat man keine Gewähr, dass der Ocularspalt in allen seinen Punkten mit einem möglichst homogenen Lichte erfüllt ist. Da die Lage des Auges zu dem Spalte bei den Bewegungen, die dasselbe machen muss, damit das Licht auf verschiedene Netzhaut- stellen falle, sich nothwendig ändert, so könnte sich unter diesen Umständen der Farbenton des eingestellten Lichtes aus rein physikalischen Gründen ändern. Der scheinbare Durchmesser der leuchtenden Kieisfläche betrug, auf 25 cm vom Auge projicirt, 2,5 cm. Vor Beginn des Versuchs wurde das beobachtende Auge längere Zeit, mindestens eine vier- tel- bis eine halbe Stunde durch Zubinden vollständig vor Lichteinfall geschützt; während der Beobachtungen war durch ein den ganzen Kopf und den dem Kopfe zugekehr- ten Theil des Spectralapparates umhüllendes schwarzes Tuch dafür gesorgt, dass ausser den homogenen Strahlen keiner- lei Licht^ ins Auge fiel. Zwischen jeder Beobachtung fand eine Pause statt, um das Auge wieder ausruhen zu lassen. Die strenge Objectivität des Versuches war dadurch ge- wahrt, dass der Gehilfe die Angaben des Beobachters no- tirte und die Ablesungen vornahm, ohne dass dieser das Ergebniss erfuhr.

Prüft man in dieser Weise mit möglichst neutral ge- stimmtem (d.h. während längerer Zeit vor Lichteiufall ge-

Ueber den Farbensinn bei indirectem Seben. 19

schütztem) Auge die einzeliieo Farben des Spectrums auf ihr Verhalten bei zunehmend indirectem Betrachten, so fin- det man drei Lichter, und zwar ein Gelb, ein Grün und ein Blau von bestimmter Wellenlänge und bestimmtem Far- bentone, welche dabei (unter allmählicher Abnahme der Sättigung) farblos werden, ohne zwischendurch ihren Ton geändert zu haben. Aus einer grösseren Reihe von Ver- suchen geht hervor, dass die Resultate der einzelnen Be- stimmungen dieser drei Lichter nur innerhalb sehr enger Grenzen von einander abweichen.

Die Bestimmung des unveränderlichen Grün wird da- durch erleichtert, dass an der peripheren Netzhaut das Ver- mögen Grün zu empfinden viel rascher abnimmt, als das der Blau- und Gelbempfindung; es kann also eine geringe Abweichung des grünen Lichtes nach dem Gelb oder Blau, welche in dem direct gesehenen, viel gesättigteren Grün nicht wahrgenommen wurde, mit dem Zurücktreten des Grün gegenüber dem Blau oder Gelb deutlicher hervortreten. Aus einer grösseren Zahl von Versuchen ging hervor, dass für mein Auge nur diejenigen grünen Lichter im Spectrum, deren Wellenlänge sehr nahe 495 i^i^ beträgt, im indirec- ten Sehen keine merkliche Aenderung des Tones erfahren; alle gegen das minder brechbare Ende gelegenen Farben werden dabei mehr oder minder deutlich gelb, alle gegen das brechbarere Ende gelegenen Farben mehr oder minder deutlich blau. Spectralroth und Orange erscheinen relativ dunkel und schmutzig gelb, Gelbgrün und das Grün zwi- schen £ und b weisslich gelb, um so weniger gesättigt, je näher man dem unveränderlichen Grün kommt. Blaugrün erscheint in einem wcisslichen Blau, um so weisslicher, je näher es dem unveränderlichen Grün liegt. Violett in einem dunkleren, satten Blau.

Durch das unveränderliche Grün von der Wellenlänge 495 1^1*^ wird also das Spectrum für mich in eine gelb- und eine blauwerthige Hälfte getheilt; aber in jeder dieser bei-

2*

20 I>r. Carl Hess.

deu Hälften giebt es wiederum nur ein einziges Gelb, resp. Blau Ton bestimmter Wellenlänge, welches auf allen Netz- hauttheilen in ganz gleichem Tone erscheint. Um diese beiden Lichter zu bestimmen, empfiehlt es sich, umgekehrt wie bei der Bestimmung des unveränderlichen Grün, das Bild zuerst auf eine mehr peripher gelegene Netzhautpar- thie fallen und dann gegen die Stelle des directen Sehens wandern zu lassen; es ist so leichter den Farbenton auf den für die gegebenen Yersuchsbedingungen rothgrünblin- den^) Netzhautstellen mit demjenigen im directen Sehen zu vergleichen, als bei dem umgekehrten Verfahren. Ich fand auf diese Weise für das Gelb im Mittel die Wellen- länge 574,5 ^A', für das Blau 471 ßi^. Die Schwankungen zwischen den einzelnen Bestimmungen betrugen, wenn mit den entsprechenden Yorsichtsmaassregeln (völligem Licht- abschlusse genügend lange vor Beginn des Versuches, Schutz vor seitlich einfallendem Lichte während der Beobachtun- gen selbst) vorgegangen wurde, selten mehr als 2 3 a^a«, d. h. es wurde bei der Bestimmung des unveränderlichen Gelb fast ausnahmlos ein Licht von 574 i^ß oder weniger als grünlich, ein Licht von 576 ßt*^ oder mehr als röthlich bezeichnet. Für das Grün lag die übergrosse Mehrzahl der

') Wir werden im Folgenden für diese Ketzhauttheile des Oef- teren den Ausdruck rothgrOnblinde Netihautxone gebrauchen, be- tonen aber ausdrücklich, dass damit keineswegs gesagt sem soll, den betreffenden Stellen gehe überhaupt das Vermögen ab, Roth und Grün zu empfinden. Die durch den Versuch bestimmten Gren- zen der Wahmehmbarkeit fOr rothe und grüne (wie auch für blaue und gelbe) Lichter sind immer nur relative und h&ngen von mannig- fachen äusseren Umst&nden ab. Genauer müsste man daher von Ketzhautparthieen mit schwachem Farbensinne für die betreffenden Farben sprechen, oder von solchen Ketzhautstellen , welche unter den gegebenen äusseren Verhältnissen das Roth und Grün der ge- gebenen Lichter nicht mehr wahrzunehmen im Stande sind; nur in diesem Sinne ist der kürzere Ausdruck ,,rothgrünblinde** oder „gelb- blaublinde*' Netzhautzone jedesmal zu verstehen.

Ueber den Farbensinn bei indirectem Sehen. 21

Bestimmungen zwischen 497 i^ß und 494 a^a«, für das Blau zwischen 472 ßfi und 470 i^ß. Um die Cardinalpunkte bis auf eine Wellenlänge genau angeben zu können, wäre es nöthig, die Beobachtungen in einem noch viel grösseren Umfange anzustellen und auch die Wellenlängen noch ge- nauer, als es durch unsere graphische Interpolation mög* lieh war, zu bestimmen.

Durch das unveränderliche Gelb wird die als gelbwer- thig, durch das unveränderliche Blau die als blauwerthig bezeichnete Hälfte des Spectrums je in eine roth- und eine grünwerthige Strecke getheilt, deren Farben in der oben besprochenen Weise den Ton ändern.

Die genannten drei Cardinalpunkte im Spectrum waren vor einer Heihe von Jahren im Prager Institute für die Augen des Herrn Professor Biedermann nach einer anderen Me- thode annähernd bestimmt worden; hierbei hatte sich ergeben (im Mittel):

für Gelb die Wellenlänge 576 i"A* für Grün 501 ^A*

für Blau 477 i"^

Ich selbst hatte zu Beginn meiner Untersuchungen, ohne Kenntniss von den Biedermann'schen Zahlen zu haben, mit demselben Apparate wie er, aber nicht nach der von ihm be- nutzten Methode, sondern mit Hilfe des indirecten Sehens, eine grössere Reihe von Bestimmungen vorgenommen und war dabei zu nahezu den gleichen Ergebnissen gelangt; ich hatte gefunden: für Gelb die Wellenlänge 577 ^i" für Grün 500—497^/*

für Blau 477— 475/t*A*

Bei dem hierzu benutzten Apparate wurde mittels einer achro- matischen Linse ein reelles Bild des mit dem bezüglichen ho- mogenen Lichte erfüllten Spaltes auf das Objectiv eines klei- nen Fernrohres entworfen; man sah also durch dessen Ocular ein an passender SteUe angebrachtes Diaphragma in einem (je nach der Spaltweite) mehr oder weniger homogenen Lichte leuchten. Vorher ging (da der Apparat eigentlich zur Herstel- lung von Farbengleichnngen diente), das homogene Licht noch durch ein total reflectirendes Prisma, welches nur die Hälfte

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eines jeden Strahlenbündels aufnahm. Bei dieser Anordnung war also eine erhebliche Verminderung der Helligkeit des far- bigen Feldes unvermeidlich und konnte nur durch Yergrösse- rung der Spaltweiten ausgeglichen werden, was wiederum den Nachtheil hatte, dass man eigentlich mit einem schon ziemlich zusammengesetzten Lichte arbeitete; da hierbei das Licht, wel- ches der Spaltmitte entsprach und dessen Wellenlänge an der Scala abgelesen wurde, eine leichte Aenderung des Tones er- fahren konnte und dadurch die Genauigkeit der Bestimmung der betreffenden Wellenlänge beeinträchtigt wurde, so nahmen wir die neuen Versuchsreihen mit dem erstbeschriebenen Appa- rate vor, welcher gestattete, mit ganz schmalem Spalte zu arbeiten. Da ausserdem bei den hiermit angestellten Beobach- tungen durch fortgesetzte Uebung und peinliche Befolgung aller oben erwähnten Vorsichtsmassregeln eine noch grössere Ueber- einstimmung zwischen den einzelnen Versuchen erzielt wurde, so sind wir wohl berechtigt die hierbei gefundenen Zahlen als die richtigeren anzusehen.

Dass das Auge vor Beginn des Versuches längere Zeit vollständig vor Lichteinfall geschützt bleibt, ist für die Bestim- mung der Cardinalpunkte von wesentlicher Bedeutung. Ein nicht ausgeruhtes Auge ist theils durch die jeweilige Färbung des Tageslichtes selbst, theils in Folge des seitlich durch die Sclera einfallenden gelblichroth gefärbten Lichtes stets bis zu einem gewissen Grade für Roth, bezw. auch für Gelb ermüdet. Stellte ich mit einem solchen Auge die Cardinalpunkte ein, so fand ich regelmässig auch bei völligem Abschlüsse seitlich einfallenden Lichtes Werthe, die, verglichen mit den für das neutral gestimmte Auge gefundenen Werthen, mehr oder min- der stark, je nach der herrschenden Beleuchtung, nach dem Roth bezw. Gelb abwichen. So stellte ich bei zahlreichen Bestimmungen mit nicht ausgeruhtem Auge in der Regel für Gelb ein Licht von der Wellenlänge 578—581 f^f^^ für Blau durchweg weniger als blO^^ ein. Diese Angaben können nicht entfernt auf eine solche Genauigkeit Anspruch machen wie die oben mitgetheilten Zahlen; da die Ermüdung der Netzhaut auf der intramacularen Zone sich wesentlich anders gestaltet als auf der extramacularen, so muss ja die Mehrzahl der homo- genen Lichter hier in einem etwas anderen Tone erscheinen als dorten; wenn nun auch der Unterschied für die meisten Lichter nicht so gross ist, dass er die Anwendbarkeit der oben benutzten Methode (Vergleichen des Farbeneindruckes eines und

Ueber den Farbensinn bei indirectem Sehen. 23

desselben Lichtes auf verschiedenen Netzhantstellen) vollständig ausschlösse, so beeinträchtigt er doch wesentlich die Genauig- keit der Bestimmungen.

Hatte ich ein Auge durch längere Zeit vor Lichteinfall geschützt und betrachtete dann die jeweils eingestellten Farben abwechselnd mit dem ausgeruhten und dem nicht ausgeruhten Auge, so fand ich regelmässig, dass ein Gelb, welches für das nicht ausgeruhte Auge einen Stich ins Grünliche hatte, dem aasgeruhten Auge rein gelb erschien oder sogar einen Stich ins Rothe zeigte; das Gleiche fand sich, wenn auch in der Re- gel weniger ausgesprochen, bei dem Blau. Eine Ermüdung des nicht ausgeruhten Auges für Gelb erklärt es endlich auch, dass das von dem neutral gestimmten Auge eingestellte Grün dem ersteren deutlich blaugrün erscheinen kann.

In wie hohem Grade ferner das durch die Sclera ins Auge dringende Licht den Farbenton beeinflusst, in welchem uns gewisse Spectrallichter erscheinen, lässt sich durch den folgenden Versuch zeigen:

Man stellt neben dem Fernrohre des Spectralapparates einen kleinen Spiegel so auf, dass das reflectirte helle Him- melslicht seitlich auf das Auge fällt. Man betrachtet zunächst die eingestellte Farbe, während das Auge durch einen seitlich vorgehaltenen Schirm vor dem gespiegelten Licht geschützt ist; wird dann der Schirm soweit nach vorn verschoben, dass das Licht nur auf die Sclera auffällt, während die Pupille noch beschattet ist, so ändert von den Farben, welche man jeweils eingestellt hatte, ein grosser Theil sehr ausgesprochen den Ton.

Im Spectrum findet man keine rothen Farben, welche im indirecten Sehen den Ton nicht ändern; auch das äus- serste noch hinreichend helle Roth im Spectrum erscheint auf der peripheren Netzhaut schmutzig dunkelgelb. Um mit Spectralfarben ein unveränderliches Roth herzustellen, muss man dem Roth des Spectrum Strahlen von der blau- welligen Endstrecke, z. B. Violett zumischen. Man findet dann unschwer eine zwischen Spectral- und bläulichem Roth gelegene Farbe, welche im indirecten Sehen nur die Sätti- gung, nicht aber den Ton ändert. Dieser Versuch, bei wel- chem es sich nicht mehr um homogenes, sondern um Misch- licht handelt, muss selbstverständlich wieder mit Ausschluss

24 Dt- Carl Hess.

der macularen Netzhautparthie angestellt werden; denn in* nerhalb dieser letzteren erfahrt das betreffende Roth in Folge stärkerer Absorption der blauen Strahlen eine Aen- derung des Tones, derart, dass es sich dem spectralen Roth nähert

Das unveränderliche Roth bildet mit dem imveränder- lichen Grün, das Gelb mit dem Blau complementäre Far- benpaare. An unserem letztbeschriebenen Apparate konnte die eine Hälfte des kreisförmigen Gesichtsfeldes mit dem unveränderlichen Roth resp. Gelb, die andere mit dem un- veränderlichen Grün resp. Blau erfüllt werden. Mischt man nun das eingestellte Roth und Grün, resp. Blau und Gelb, indem man die Grenze der beiden Felder durch ein vor das Objectiv des Femrohres eingeschaltetes Ealkspathprisma be- trachtet, so erscheint bei entsprechendem Mengenverhält- nisse der beiden Farben, welches durch Aenderung der Spaltbreiten geregelt wird, die Mischung farblos; hierbei müssen durch ein passendes rechteckiges Diaphragma die beiden seitlichen, roth und grün, resp. blau und gelb er- scheinenden Theile des Gesichtsfeldes abgeblendet werden, um eine Contrastwirkung an den Grenzen des grauen Fel- des auszuschliessen.

Auch für diese Versuche ist die Beobachtung mit mög- lichst neutral gestimmtem Auge unumgänglich nöthig; war das Auge vorher dem Tageslichte ausgesetzt, so findet man in der Regel, dass das Grau, welches durch die Mischung des Blau und Gelb entsteht, einen leichten Stich ins Röth- liche zeigt. Stellt man durch entsprechende Aenderung der Wellenlänge einer Componente reines Grau her, so fin- det man, dass das geänderte Gelb oder Blau, einzeln be- trachtet, einen leichten Stich ins Grüne zeigt; die Erklärung liegt wieder in der Ermüdung des dem Tageslichte ausge- setzten Auges für Roth. Jede einzelne der zu mischenden gesättigten Farben hat eine so geringe rothe Valenz, dass das Roth der Einzelfarbe für das ermüdete Auge unter der

Ueber den Farbensinn bei indirectem Sehen. 25

Schwelle bleibt Dass es in dem farblosen Gemische deut- licher hervortritt, ist nach der Young'schen Theorie aller- dings schwer yerständlich, nach der Hering'schen Theorie aber von vornherein zu erwarten.

§5.

Das Versohwinden farbiger Felder

auf fiirblosem Grunde von entsprechender HeUigkeit

bei indirectem Sehen.

Da das unveränderliche Roth und Grün schon in ver- hältnissmässig geringem Abstände von der Mitte des Ge- sichtsfeldes farblos werden können, wobei an die Stelle der farbigen Empfindung eine farblose von bestimmter Hellig- keit tritt, da femer dasselbe bei noch grösserem Abstand vom fixirten Punkte für alle Farben gilt, so musste es mög- lich sein, einen farbigen Fleck bei entsprechender Lage im Gesichtsfelde ganz unsichtbar zu machen. Hierzu erschien nur nothwendig, dass erstens dem Grunde, auf welchem der farblos gewordene Fleck zu erscheinen hatte, dieselbe Hel- ligkeit gegeben werde, welche die zu diesem Zwecke be- nutzte farbige Scheibe zeigt, wenn ihr Bild auf eine Netz- hautstelle fällt, an welcher die Farbe nicht mehr wahrge-, nommen wird, und dass zweitens diese Scheibe durch kei- nerlei sichtbare Umrandung sich fiir die Wahrnehmung von dem umgebenden gleichhellen Grunde abgrenze. Beide Forderungen wurden in der folgenden Weise mit Hilfe eines von Herrn Professor Hering angegebenen Apparates erfüllt.

Ein ebener, mit grauem Papier von passender Hellig- keit überspannter Bahmen von 70 cm Länge und 40 cm Breite war (zunächst horizontal) so vor dem Fenster auf^ gestellt, dass er gleichmässig beleuchtet erschien. Bei fixir- tem, vorwärts geneigtem Kopfe blickte das untersuchende Auge zunächst vertikal abwärts durch ein kreisrundes scharf

26 Dr. Carl Hess.

ausgeschlagenes Loch ^) der grauen Fläche auf die horizon- tal rotirende Scheibe eines Farbenkreisels, welche sich genügend weit unterhalb des grauen Rahmens befand, um ausserhalb des Schattens zu sein, welchen die obere graue Fläche warf. Man sah also das Loch der grauen Scheibe in der Farbe, welche auf dem Kreisel hergestellt wurde. Jenachdem ich nun den Blick auf eine andere Stelle der grauen Fläche richtete, sah ich das farbige Loch mit an- deren excentrischcn Netzhautstellen. Wurde jetzt auf dem Kreisel das unveränderliche Roth oder Grün hergestellt, und gab ich der Blickrichtung eine solche Abweichung von der Mittellage, dass das Loch farblos erschien, so unter- schied es sich von der Umgebung nur noch durch seine Helligkeit, es erschien als eine hellere oder dunklere Stelle in der grauen Fläche.

Die Gleichheit in der Helligkeit liess sich aber leicht durch eine passende Neigung der grauen Fläche herbei- führen, indem dieselbe um eine horizontal von rechts nach links annähernd durch den Mittelpunkt des Loches gehende

^) Das Ausschlagen des Loches hat mit ganz besonderer Sorg- falt zu geschehen, da die geringsten Unregelmässigkeiten, Uneben- heiten etc. in der Umrandung des Loches bei indirectem Sehen bei der grossen Empfindlichkeit der peripheren Netzhaut fOr Hellig- keitsunterschiede sich als hellere oder dunklere Stellen in störender Weise geltend machen und es dann unmöglich ist, das Loch resp. den in demselben erscheinenden farbigen oder grauen Fleck ganz zum Verschwinden zu bringen. Wir benutzen zum Ausschlagen be- sonders scharfe gleichm&ssig gearbeitete leicht konische Durch- schlage aus Stahl, welche auf die beim Versuche nach unten gerich- tete Fl&che des Papieres aufgesetzt und durch einen leichten Ham- merschlag durch das Papier getrieben werden. Die Ränder des Loches müssen dann noch in vorsichtiger Weise geglättet werden, bis man an denselben nirgends mehr hellere oder dunklere Stellen wahrnimmt. Die bei unseren Versuchen am meisten in Verwendung gekommenen Löcher hatten einen Durchmesser von 7 oder von 14 mm; nur zu besonderen Zwecken (s. u.) wurden solche von noch grösserem Durchmesser benutzt.

Ueber den Farbensinn bei indirectem Sehen. 27

Axc ein wenig gedreht wurde. Sie bekam hierdurch eine geänderte Neigung zur Richtung des einfallenden Lichtes und änderte damit ihre Helligkeit.

Da die zu unseren Versuchen benutzten farbigen Papiere eine sehr verschiedene Helligkeit gaben, die Abänderung der Helligkeit der grauen Fläche des Rahmens aber durch verän- derte Neigung desselben nur innerhalb gewisser Grenzen mög- lich ist, zumal es aus verschiedenen Gründen geboten erscheint, nicht allzuweit von der Horizontalstellung des Rahmens abzu- gehen, so war es nöthig, mehrere Rahmen zur Verfügung zu haben, welche mit verschieden hellen grauen Papieren Über- spannt waren und leicht miteinander vertauscht werden konn- ten: für die meisten Versuche reichten drei bis vier solcher Rahmen aus. Um eine Vorstellung zu haben, innerhalb wel- cher Grenzen die Helligkeit der grauen Fläche durch Neigungs- änderung variirt werden kann, bestimmte ich dieselbe einmal in Horizontalstellung des Rahmens, dann für eine stark zum einfallenden Lichte hin und für eine vom einfallenden Lichte weg geneigte Stellung. Ich fand so beispielsweise für ein hell- graues Papier in Horizontalstellung die Helligkeit =162*^ Nor- malweiss (s. u.); durch Neigung zum Lichte konnte dieselbe auf 270*^ gesteigert, durch Neigung vom Lichte auf 36*^ herabge- mindert werden; für ein dunkleres Grau von 22® Helligkeit bei Horizontallage waren die Grenzen 56®, resp. weiss; für ein drittes von 115® Weiss in Horizontallage betrugen die Grenzen 210®, resp. 25®; mit diesen drei Rahmen konnten schon die meisten der für unsere Versuche in Betracht kom- menden Helligkeiten ohne allzu grosse Neigung der Fläche er- reicht werden.

Hatte man so die genau entsprechende Helligkeit der grauen Fläche hergestellt, so verschwand das anfangs als grüner oder rother Kreisfleck erschienene Loch bei genü- gend indirectem Sehen so vollständig, dass man im ersten Augenblicke den Eindruck hatte, als wenn sein Bild auf die Stelle des blinden Fleckes gefallen wäre; selbst bei kleinen Bewegungen des Auges in beliebiger Richtung war man nicht im Stande, dasselbe zu sehen, insofern nur da- bei das Bild hinreichend excentrisch auf der Netzhaut blieb, um nicht farbig zu erscheinen. Diese Art des Verschwin-

28 I>r. Carl Hess.

dens ist grundverschieden von derjenigen, welche man be* obachtet, wenn das Bild eines Objects längere Zeit anf die gleiche periphere Netzhantstelle zu liegen kommt; denn wenn ich das Loch mit einem Blatte aus demselben grauen Papier wie die Fläche verdeckte und dasselbe in kleinen Pausen für kurze Zeit rasch wegzog, so blieb das Loch gleichwohl unsichtbar; näherte ich den Blick wiederum dem Loche, so tauchte es auf als ein schwach grünlicher oder röthlicher Fleck, der immer grünlicher oder röthlicher wurde, je mehr sich der Blick dem Loche näherte; dabei erschien das Loch in dem Maasse, als es gesättigter grün wurde, dunkler, und in dem Maasse als es gesättigter roth wurde, heller als der graue Grund. ^)

Eine zweite, etwas umständlichere Art, die Gleichheit der Helligkeit zwischen dem farblos erscheinenden Kreis- fleck und dem umgebenden grauen Grunde zu erzielen, be- stand darin, dass ich dem auf dem Kreisel erzeugten con- stanten Roth oder Grün einen weissen oder schwarzen Sec- tor von entsprechender Breite zufügte, während die graue Fläche immer horizontal blieb; es wurde also nicht die Helligkeit der letzteren, sondern diejenige der Kreiselfarbe passend geregelt.

Bei der bedeutenden Empfindlichkeit der bezüglichen peripheren Netzhautstellen für Helligkeitsunterschiede (s.u.) erfordert diese Art der Herstellung der genau passenden Helligkeit der Farbe ziemlich viel Zeit, wie dies eben bei Herstellung von Kreiselgleichungen fast immer der Fall ist. Ausserdem verliert dabei die Farbe des Loches natürlich um so mehr an Sättigung, je grösser der weisse oder schwarze Sector auf dem Kreisel sein muss. Dafür ver- schwindet aber auch die Farbe des Loches schon auf einer minder excentrischcu Netzhautstelle. Im Allgemeinen arbei-

M Vergl. hierüber: Hillebrand und Hering: Ueber die spe- cifische Helligkeit der Farben. Sitzungsberichte der Wiener Acad. der WisBenschaften, Bd. XCVIII, Abth. 3, Februar 1889.

Ueber den FArbensiiui bei mdirectem Sehen. 29

tete ich nach der ersten Methode, d. L ich erzielte die Gleichheit in der Helligkeit durch entsprechende Neigung der oberen Fläche.

Obgleich diese Methoden im Principe auch für alle übrigen Farben brauchbar sind, da diese ja sämmtlich farb- los werden, wenn sie als kleine farbige Flächen mit hin- reichend peripheren Netzhauttheilen gesehen werden, so ge- stattete doch die beschriebene Vorrichtung die Anwendung der Methode auf die übrigen Farbeu, insofern sie gut ge- sättigt waren, nur bei Beobachtung mit der temporalen Netz- hauthälfte, weil auf derselben der Farbensinn viel rascher abnimmt als auf der nasalen Hälfte. Sattes Blau und Gelb erforderten auch jetzt noch eine so stark excentrische Lage des Bildes auf der Netzhaut, dass die Einstellung auf gleiche Helligkeit zwischen Loch und Umgebung lange nicht mit jener überraschenden Präcisiou möglich war wie bei Benützung des unveränderlichen Roth und Grün oder einer weniger gesättigten Farbe von beliebigem Tone. Ich unter- suchte daher meist gelbe und blaue Papiere von geringerer Sättigung und konnte bei hinreichend starker Ablenkung des Blickes aus der Mittellage hier gleichfalls den farbigen Kreisfleck völlig unsichtbar machen.

Diese Methode der Untersuchung des excentrischen Farbensinnes ist weitaus die beste von allen bisher ange- wendeten, denn mit derselben bestimmt man genau die- jenige Stelle der Netzhaut, wo der Farbensinn soweit ab- genonmien hat, dass die Unterscheidung der bezüglichen Farben von dem farblosen Grunde bei der bezüglichen Grösse des farbigen Fleckes eben aufhört Fast noch we- sentlicher aber ist es, dass die Methode gestattet für den Helligkeitswerth, welchen ein Pigmentlicht hat, sobald es farblos erscheint, ein genaues Maass zu gewinnen. Zu diesem Zwecke mischt man auf der Kreiselscheibe statt der eben benutzten Farbe aus einem 8chwai*zeu und einem weis- sen Sector ein Grau von solcher Helligkeit, dass das Loch

30 Dr. Carl Hess.

und der umgebende graue Grund bei genau derselben Neigung der grauen Fläche und gleicher Stellung des Au* ges wie bei Benützung der farbigen Scheibe wieder ganz gleich hell erscheinen; bestehen die Sectoren aus einem Normalweiss und einem Normalschwarz, welches man für die Helligkeitsbestimmungen überhaupt zu benützen pflegt, so ergiebt sich aus der Grösse der beiden Sectoren der Helligkeitswerth, welchen das betreffende Pigmentlicht für alle die Netzhautstellen hat, auf welchen es farblos erscheint. In den folgenden Paragraphen werden wir sehen, von wel- cher Bedeutung die Bestimmung dieses Helligkeitswerthes ist

Bei unseren Versuchen wurde der weisse Sector aus dem im Prager Institute als Normalweiss gebräuchlichen mattweissen Barytpapier, der schwarze aus schwarzem Tuchpapier herge- stellt, dessen Helligkeit schon früher photometrisch mit der des Barytpapiers verglichen worden war. Seine Helligkeit betrug ziemlich genau ^/^^ der Helligkeit des Barytpapieres.

§6.

Di€ Messung der weissen Valenz der FigmentflBurben

für die eztramaonlare Netshautoone.

Unter weisser Valenz eines farbigen homogenen oder zusammengesetzten Lichtes versteht Hering den Hellig- keitswerth desselben für eine Netzhautstelle, welche das farbige Licht wegen mangelhaften Farbensinnes oder aus anderen Gründen ^) farblos sieht. Diese weisse Valenz lässt sich bestimmen, wenn man einem messbaren weissen Lichte diejenige Helligkeit giebt, bei welcher es für die bezügliche Netzhautstelle dem farbigen Lichte ganz gleich erscheint.

Der partiell Farbenblinde kann bekanntlich rothe und grüne Lichter von bestimmtem Farbentone auch mit der centralen Netzhaut farblos sehen, ebenso der total Farben-

') z. B. starke Herabsetzung der Beleuchtung; vergleiche auch Hillebrand 1. c.

lieber den FarbensinQ bei indirectem Sehen. 31

blinde jedes beliebige farbige Licht. Für partiell Farben- blinde ist also die Messung der weissen Valenz bestimmter rother nnd grüner Lichter mit grosser Genauigkeit möglich, und dasselbe müsstejn Betreff aller farbigen Lichter für einen total Farbenblinden gelten, der normale Unterschieds- empfindlichkeit für Helligkeiten besässe. Ebenso vermag nun auch der Farbentüchtige die weisse Valenz eines rothen oder gi'ünen Lichtes von bestimmtem Farbentone dann zu messen, wenn er die Messung mit derjenigen Netzhautzonc ausfuhrt, für welche diese Lichter farblos erscheinen; und da er mit einer noch mehr peripher gelegenen Netzhaut- zone alle farbigen Lichter von nicht zu grosser Sättigung oder Ausbreitung farblos sieht, so wäre auch hier eine Messung ihrer weissen Valenz insoweit möglich, als dieselbe nicht wegen allzu indirecten Sehens zu ungenau wird.

Die nächste Aufgabe war die Messung der weissen Va- lenz des unveränderlichen Roth und Grün. Diese Farben wurden auf dem Kreisel in der oben erörterten Weise her- gestellt und dabei die im vorigen Paragraphen beschriebene Einrichtung benutzt. Sobald das Loch bei genügend indi- rectem Sehen vollständig unsichtbar wurde, war für die betroffene Netzhautstelle das von der grauen Fläche ausge- sendete Licht gleichwerthig mit dem vom Kreisel ausge- sendeten, auf welchem sich das unveränderliche Roth oder Grün befand. Es galt also nur noch, die Helligkeit des das Loch umgebenden Grau zu messen, was in der ange- gebenen Weise durch Mischung eines weissen und schwar- zen Sectors der oben erwähnten Normalpapiere geschah. Die Summe aus der Zahl der Grade des weissen Sectors und der durch 60 dividirten Zahl der Grade des schwar- zen Sectors diente nun als Maass der weissen Valenz eben- sowohl des das Loch umgebenden Grau als auch des zuvor durch das Loch hindurch gesehenen unveränderlichen Grün oder Roth, welches im indirecten Sehen jenem Grau ganz gleich erschienen war.

32 I>r- C&rl Hess.

Werden die Versuche mit allen bereits angeführten Vorsichtsmaassregeln und bei ganz gleichbleibenden Be- leuchtungsverhältnissen ausgeführt, so zeigen die mehrmals nach einander angestellten Messungen eine ganz unerwartet gi*08se Uebereinstimmung, wie aus den im Folgenden ange- führten Beispielen hervorgeht.

Zunächst muss die Grässe der Fehlerquellen ermittelt wer- den^ innerhalb deren die Herstellung des unveränderlichen Roth und Grün Oberhaupt möglich ist. Zu dem Zwecke wird durch Mischung, z.B. von Spectralroth und Blau, der unveränderliche Farbenton hergestellt; der Gehilfe notirt die Zahl der dazu nöthigen Grade und variirt die Grösse des blauen Sectors, ohne dass der Beobachter erföhrt, in welchem Sinne die Aen- derung geschieht; dieser hat anzugeben, ob ihm das Loch farb- los erscheint (resp. bei gleicher Helligkeit der grauen Fläche ganz verschwindet) oder ob es fdr ihn noch einen Stich ins Gelbe oder Blaue (resp. Orange oder Violett) zeigt; aus einer grösseren Zahl solcher Messungen erhält man dann das Maass für die Genauigkeit, mit welcher sich die unveränderlichen Farbentöne herstellen lassen.

Bei einer Versuchsreihe wurde das unveränderliche Roth gebildet durch Mischung von 298^ Spectralroth und 62® Blau; änderte der Gehilfe die Menge des beigemischten Blau, so zeigte sich als Ergebniss aus 25 Einzelversuchen, dass regel- mässig, wenn der blaue Sector mehr als 63^ betrug, der Kreisfleck leicht blau, wenn der Sector kleiner als 61® war, leicht gelb gesehen wurde. Zwischen diesen beiden Grenzen erschien der Kreisfleck im indirecten Sehen farblos; das unver- änderliche Roth liess sich also hier bis auf genau bestimmen.

Far dieselbe auf dem horizontalen Meridian ca. 20® tem- poral gelegene Netzhautstelle wurde nun das gleich helle Grau durch Mischung aus Weiss und Schwarz hergestellt und durch eine ganz analoge Versuchsreihe ermittelt, innerhalb welcher Grenzen die einzelnen Bestimmungen dieses Grau von einander abweichen.

Zur Herstellung des gleich hellen Grau war ein weisser Sector von durchschnittlich 38® nöthig; betrug die Sectoren- grösse 37® oder weniger, so erschien der graue Kreisfleck zu dunkel, betrug sie mehr als 39®, so erschien er zu hell.

Für das unveränderliche Grün fand sich, dass der blaue

Ueber den Farbensinn bei indirectem Sehen. 33

Sector 101—102^ betragen musste. War er kleiner als 100^ 80 erschien das Grün im indirecten 8eben gelblich, war er grösser als 102^, so erschien es bläulich. Das gleich helle Grau wurde hergestellt durch Mischung von 210^ Schwarz mit 150^ Weiss; auch hier betrugen, wie sich aus einer grösseren Zahl von Versuchen ergab, die Grenzen, innerhalb deren der weisse Sector geändert werden konnte, ohne dass die Mischung heller oder dunkler erschienen wäre als die graue Fläche, durchweg weniger als 3^.

Wio man sieht, gestattet die Methode für die roth- grünblinde Netzhautzone eine sehr genaue Messung der weissen Valenz der bezüglichen farbigen Lichter. Wenn man die Gleichung zwischen demselben Grau der oberen Fläche und einem Gemisch aas Weiss und Schwarz in der üblichen Weise auf dem Kreisel bei directem Sehen her- stellt, erreicht man kaum eine grössere Genauigkeit. Ich bestimmte für das directe Sehen bei einem Grau, dessen weisse Valenz bei Horizontallage des Rahmens ca. 222® be- trug, die Fehlerbreite (aus 40 Versuchen) auf 2^ (Grenzen : 221V/ und 223 V/).

Hat man in der beschriebenen Weise für eine belie- bige rothgrünblinde Netzhautstelle den grünen oder rothcn Kreisfleck zum Verschwinden gebracht, also für diese Stelle die Gleichung zwischen dem Grau und dem Grün oder Roth hergestellt, so gilt diese Gleichung auch für jede beliebige andere Stelle der rothgrünblinden Netz- hautparthieen, d. h. der Fleck bleibt unsichtbar, gleichviel auf welche Stelle des rothgrünblinden Theiles der Netzhaut man sein Bild fallen lässt.

Es fragt sich nun, ob die für den rothgrünblinden Theil der Netzhaut bestimmte weisse Valenz der bezüglichen rothen und grünen Pigmentlichter auch für die farbentüch- tigen Stellen denselben Werth hat Dabei ist wieder von der intramacularen Netzhautzone abzusehen, weil hier durch die chromatische Absorption ein Intensitätsverlust der stärker brechbaren Strahlen eintreten und dadurch die weisse

T. Graefe'8 Archiv Ar Ophthalmologie. XXXV. 4. 3

54 I>r. Carl Hess.

Valenz des Gesammtlichtes etwas herabgesetzt werden muss.

Da das unveränderliche Roth und Grün zu einander complementär sind (vgl § 3), so kann man beide auf dem Kreisel in solchem Verhältnisse mischen, dass für die zu untersuchenden farbentüchtigen Netzhautstellen die Misch- farbe Grau entsteht. Die weisse Valenz dieses Grau lässt sich nun leicht in der beschriebenen Weise messen; der Versuch ergiebt, dass diese weisse Valenz gleich ist der Summe der beiden weissen Valenzen der ge- mischten rothen und grünen Lichter. Hieraus folgt, (wenn man nicht ganz erzwungene Hypothesen machen will,) dass die weissen Valenzen dieser beiden Lichter auch für die farbentüchtigen (extramacularen) Netz- hautparthieen ganz denselben Werth haben wie für die rothgrünblinden Theile.

Ich mischte, wenn das herrschende Wetter eine Yerftn- demng der Beleuchtung während der Yersuchsdaner nicht be- fürchten liess, das unveränderliche Roth aus dem spectralrothen und dem blauen Sector und maass seine weisse Valenz; da- rauf mischte ich für dieselbe rothgrünblinde Netzhautstelle das unveränderliche Gran ans dem gelbUchgrflnen und blanen Sec- tor und maass auch seine weisse Valenz. Endlich mischte ich für eine farbentttchtige (extramacnlare) Netzhautstelle aus den- selben drei farbigen Papieren ein Grau, welches mit dem der grauen Fläche bei passender Neigung der letzteren zum Fenster eine Gleichung ermöglichte.^) (Mischt man das Grau für die Stelle des directen Sehens, so erscheint bei indirectem Fixiren der Kreisfleck dentlich grünlich; ich mnsste, nm jetzt wieder Gran herzustellen, den rothen Sector um 8 10^ vergrössem, den grünen um ebensoviel verkleinem; im directen Sehen erschien

>) Da das Papier, aus welchem die graue Fl&che hergestellt war, ein merkliches Korn hatte, während das durch das Loch sicht- bare Gran des Kreisels wie alle Kreiselmischnngen ganz homogen erschien, so war ein absolut gleiches Aassehen beider Grau trotz des schwach indirecten Sehens nicht möglich; für die Herstellimg der Gleichong kommt dies indess nicht wesentlich in Betracht.

Ueber den Farbensinn bei indirectem Sehen. 35

der Kreisfleck jetzt deutlich röthlich; der blaue Sector blieb bei beiden Mischungen gleich gross. Die Erscheinung erklärt sich aus der Absorption durch das Maculapigment. Diese Far- benänderung des aus Roth und Grün gemischten Grau im intra- und extramacularen Gebiete giebt uns ein Mittel an die Hand, die Ausdehnung des Netzhautbezirkes, innerhalb dessen die chromatische Absorption der Macula fttr unsere Yersuchsbe- dingungen in Betracht kommt, messend zu bestimmen; wie er- wähnt beträgt dieselbe für mich auf der temporalen Netzhant- hälfte 6— 7^)

Die weisse Valenz des aus Roth, Grün und Blau gemisch- ten Grau maass ich mit derselben Netzhautstelle, indem ich statt der drei farbigen einen weissen und einen schwarzen Sector auf die Scheibe brachte und denselben dasjenige Grös- senverhältniss gab, bei welchem das entstandene Grau mit dem Grau der oberen Fläche gleich hell erschien.^) Die Menge des zur Erzeugung des Grau nöthigen Blau stimmte immer annähernd genau mit der berechneten (s. § 3). Aus den Men- gen des mitverwendeten Gelblichgrttn und Spectralroth ergaben sich also auch durch Rechnung sehr angenähert die Mengen des auf der Scheibe befindlichen unTeränderlichen Grün und Roth. Die Summe der weissen Valenzen der beiden letzteren war nun stets ganz oder nahezu gleich der weissen Valenz des aus den drei farbigen Papieren gemischten Grau.

Beispiel I.

Zur Herstellung des unveränderlichen Roth ist eine Misch- ung von 53^ Blau und 307^ Roth nöthig; zur Herstellung des gleich hellen Grau aus Schwarz und Weiss muss dem weissen Sector eine Grösse von 33,5^ gegeben werden: (1) 307® r + 53® br = 33,5<> w, + 326,5<> s,. In gleicher Weise findet man für das unveränderliche Grün: (2) 290^ gr + 70<> bgr = 124« Wgr + 236« Sg,.

') Das aus dem Weiss und Schwarz gemischte Grau wich bis- weilen im Tone ein wenig von dem Grau der Fläche ab; für die Herstellung der Helligkeitsgleichung war dies aber stets nur von ganz untergeordneter Bedeutung. Es war eben nicht möglich, die zur Herstellung der grauen Fläche benutzten Papiere von genau demselben Grau zu erhalten, welches durch Mischung des weissen und schwarzen Normalpapieres entstand.

36 Dr. Carl Hess.

Bei der Herstellang eines farblosen Grau für die innerste Stelle der extramacularen Netzhaatzone, d.h. also far eine toU- ständig farbentüchtige Parthie fand ich:

(3) US^ R + 130<^ Gr + 62« B = 76« W + 284<> S. Ans Gleichung (1) und (2) berechnet sich (s. §. 4) Br + ^gr = 29,1« + 31,3® = 60,4«, was von dem experimentell gefun- denen B um 1,6« differirt.

Berechnet man aus den beiden ersten Gleichungen die Menge von Weiss, welche in dem aus dem unveränderlichen Roth und Gran hergestellten Mischgrau enthalten ist, so er- giebt sich

fürW, + Wgr= 18,3«+ 55,5«= 73,8« (für Sr + Sgr = 178,6« + 105,7« = 284,3«); es differirt also das gefundene W von dem berechneten um 2,2«.»)

Wir haben oben gesehen, dass auch für Netzhautstellen, die nur wenige Grade von der Stelle des directen Sehens ent- fernt sind, bei Herstellung eines mit der oberen Fläche gleich hellen Grau die einzelnen unter ganz gleichen äusseren Be- dingungen vorgenommenen Messungen Unterschiede von durch- schnittlich 2« ergaben.

Beispiel IL

(1) 315« r + 45« hr = 31« Wr + 329« Sr .

(2) 288« gr + 72« bgr = 124« Wg, + 236« Sgr.

(3) 172«R + 133«Gr + 55« B = 76« W + 284« S. Die Berechnung ergiebt für

Br + Bgr = 24,5« + 33,3« = 57,8«

Differenz zwischen dem berechneten und dem gefundenen B

= 2,8«; femer findet man für

Wr + Wgr= 16,9«+ 57,2«= 74,1« und für Sr + Sgr = 179,6« + 108,9« = 288,5«.

Differenz zwischen dem berechneten und dem gefundenen W

= 1,9«.

^) Dass die Summe der berechneten weissen und schwarzeo Sectoren nicht immer genau 360® giebt, liegt in der oben hervor- gehobenen kleinen Abweichung des gefundenen von dem berechne- ten Blau.

Ueber den FarbenBinn bei indirectem Sehen. 37

Beispiel III.

(1) 313<>r + Al^hr = 35» Wr + 32ö<^ s, .

(2) 292<> gr + 680 bgr = 135« Wgr + 2250 Sg,.

(3) 1730 R + 133<> Gr + 54<> B = 77® W + 283« S. Die Berechnung ergiebt für:

Br + Bgr = 25,9<> + 32,3« = Ö8,2<> Differenz zwischen dem berechneten and dem gefundenen B =r 4,2«.

Ferner ergiebt sich für

Wr + Wgr= 19,3«+ 61,4«= 80,7« und für Sr + Sgr = 179,6« + 102,4« = 282,0«. Differenz zwischen dem berechneten und dem gefundenen W = 3,7«.

Beispiel lY.

(Beobachtung von Professor Hering.)

(1) 325« r + 35« br = 31« Wr + 329« Sr .

(2) 297« gr + 63« bgr = 137« Wgr + 223« Sgr.

(3) 179« R + 133« Gr + 48« B = 78« W + 282« 8. Die Berechnung ergiebt für:

Br + Bgr = 47,4«;

Differenz zwischen dem berechneten und dem gefundenen B

= 0,6«.

Femer ergiebt sich für:

Wr + Wgr = 17,0« + 61,3« = 78,3« und für Sr + Sgr = 181,2« + 99,8« = 281,0«.

Differenz zwischen dem berechneten und dem gefundenen W

= 0,3«.

Um den Satz, dass die weissen Valenzen der farbigeu Lichter für die farbentüchtigen extramacularen Netzhaut- parthieen ganz denselben Werth haben, wie für die farben- blinden Zonen, auch in Bezug auf blaues und gelbes Licht nachzuweisen, wurde ähnlich verfahren.

Ich stellte durch Mischung aus einem gelben und blauen Papier, die nahezu genau complementär waren, farbloses Grau

38 Dr. Carl Hess.

für die innerste extramacalare Netzhautzone her und bestimmte die weisse Valenz dieses Grau; um die weissen Valenzen des blauen und des gelben Pigmentlichtes bestimmen zu können, musste dasselbe durch Zumischung farblosen Lichtes genügend abgeschwächt werden, um auf einer nicht allzu excentrisch ge- legenen Netzhautzone zu verschwinden.

Die zu unseren Versuchen verwendeten verdttnnten blauen und gelben Farben verschwanden bei der gewöhnlich benutzten Grösse des Loches auf einer ca. 30 35^ vom Fixationspunkte (auf dem horizontalen äusseren Meridian) entfernten Netzhaut- stelle (Näheres s. u.). Durch besondere Versuche wurde er- mittelt, dass die Bestimmung der weissen Valenz mit diesen Netzhautstellen, in der oben angegebenen Weise, mit einer durchschnittlichen Genauigkeit von 4 5^ möglich war.

Ich brachte, um die Zahl der Einzelmessungen und da- durch die Möglichkeit neuer Fehler thunlichst einzuschränken, sowohl das verdünnte Gelb als auch das verdünnte Blau durch passendes Verschieben der zugesetzten weissen und schwarzen Sectoren immer auf gleich grosse weisse Valenz mit dem durch Mischung des gesättigten Blau und Gelb erzeugten Grau, und ersparte dadurch zwei Einzelbestimmungen der weissen Valenz der gelben und blauen Scheibe. Es ist dabei offenbar ganz gleichgültig, in welchem Grössenverhältniss die zur Herstellung des verdünnten Gelb und Blau benutzten gelben und blauen Sectoren zu einander stehen.

Beispiel I.

Die Mischung des gelben und blauen Sectors ergiebt:

(1) 180<> B + 180^ G = 226« W + 134» S.

Zur Herstellung des verdünnten Gelb wurde ein gelber Sector von 87^ benutzt und durch Zumischung von Weiss und Schwarz auf gleiche weisse Valenz wie das Grau in Gleichung (1) ge- bracht; es ergab sich:

(2) 87<> g + Ibb^ Wg + 118<^ Sg = 226« Wg + 134« Sg . In gleicher Weise für Blau:

(3) 90« b + 184« Wb + 86« Sb = 226« Wg + 134« Sg . Aus (2) und (3) berechnet sich der Werth für

Wg + Wb = 146,8« + 84,0« = 230,8«, was von dem gefundenen Werthe um 4,8« abweicht.

lieber den Farbensinn bei indirectem Sehen. 39

Beispiel II.

(1) 1730B+ 187^0 I

(2) 90« g + 160® Wg + 110<> Sg > = 236« w + 124« s.

(3) 90<^ b + 193« Wb -f 77«8bj aus (2) und (3) ergibt sich:

Wg + Wb = 157,9» + 82,6» = 240,5». Differenz zwischen dem berechneten und dem gefundenen Werthe t= 4,5».

Beispiel III. ,

(1) 182,5» B + 177,5» G j

(2) 102» g + 138» Wg + 120» Sg > = 225» W + 135» S.

(3) 100» b + 184» Wb + 76» Sbj aus (2) und (3) ergiebt sich:

Wg + Wb = 151,3» + 74,8» = 226,1». Differenz zwischen dem berechneten und dem gefundenen Werthe

= 1,10.

§7.

Bas Vermögen der Rothempfindung nimmt mit wacdisen- dem AbStande von der fovea centralis genau in dem- selben ICaasse ab, wie das der Grünempflndung, das Vermögen der Gelbempfindung genau ebenso wie das der Blauempfindung.

Um über das gegenseitige Verhältniss der Abnahme des Empfindungsvermögens für Roth und Grün resp. Blau und Oelb überhaupt Untersuchungen anstellen zu können, ist es zunächst erforderlich, für beide Arten des Empfin- dungsvermögens ein gemeinsames Maass zu finden. Ver^ schiedene grüne Lichter besitzen die Fähigkeit, grüne Em- pfindung zu erzeugen, in sehr verschiedenem Maasse, sie sind, um es kurz zu bezeichnen, sehr verschieden grünwir- kend. Das mehr oder minder grosse Vermögen eines Lich- tes, grün zu wirken, bezeichnen wir mit Hering als die grüne Valenz oder den Grünwerth des bezüglichen Lichtes.

40 I>r. Carl Hess.

Bestimmen und messen lässt sich derselbe nur in Bezug auf ein als Normalgrün gewähltes Pigment, welches unter genau denselben Beleuchtungsverhältnissen wie das zu un- tersuchende gesehen wird. Ganz Analoges gilt von dem Roth-, Gelb- und Blauwerthe eines Pigmentes.

Für die vorliegende Frage handelt es sich aber nicht bloss darum die Grünwerthe oder die Rothwerthe verschie- dener Pigmente je unter sich zu vergleichen, sondern den Grünwerth eines grünwirkenden mit dem Rothwerthe eines rothwirkenden Pigmentes.

Als das Nächstliegende erscheint es nun, einem roth- und einem grünwirkenden Pigmente den gleichen Roth- und Grünwerth dann zuzuschreiben, wenn dieselben zu gleichen Theilen z. B. auf dem Kreisel gemischt eine farblose Misch- ung geben, im Falle sie dazu aber in einem anderen Ver- hältnisse gemischt werden müssen, anzunehmen, dass sich der Rothwerth des einen ziun Grünwerthe des anderen um- gekehrt verhält wie die Grösse der beiden zur Herstellung einer farblosen Mischimg nöthigen Sectoren.

Dabei ist jedoch Folgendes zu bedenken. Bekanntlich kann uns ein sonst weiss erscheinendes Papier röthlich oder gelblich erscheinen, wenn wir z.B. vorher eine grüne oder eine blaue Fläche betrachtet haben und umgekehrt; die Annahme einer Gleichheit zwischen dem Roth- und dem Grünwerthe zweier Pigmente wäre hiemach also immer nur für eine ganz bestimmte chromatische Stimmung der be- treffenden Netzhautstelle denkbar; veränderte Stimmung derselben könnte sofort aus der zuvor bestandenen Gleich- heit eine Ungleichheit machen. Durch die Sclera und Iris dringt fortwährend etwas Licht ins Auge, welches im We- sentlichen roth gefärbt ist; die Farbe des Himmelslichtes ist eine wechselnde, die Farben der Zimmerwände und der im Zimmer befindlichen Gegenstände geben fortwährend Anlass zu farbiger Reizung der Netzhaut; es ist also das Auge stets bald mehr für die eine, bald mehr für die an-

lieber den Farbensinn bei indirectem Sehen. 41

dere Farbe ermüdet oder nach Hering adaptirt, und es könnte auf den ersten Blick unzulässig erscheinen» aus der Farblosigkeit des auf dem Kreisel aus einem rothen und grünen oder einem blauen und gelben Sector zusammen- gestellten Gemisches das Yerhältniss zwischen Roth- und Grünwerth, sowie zwischen Gelb- und Blauwerth der bei- den Sectoren bestimmen zu wollen.

Obwohl nun diese Bedenken schön aus theoretischen Gründen unwesentlich erschienen, sofern nur Sorge getra- gen war, dass alle auf einander bezogenen Versuche unter ganz gleichen äusseren Verhältnissen angestellt wurden, so habe ich doch nicht verabsäumt den wesentlichen Theil der im Folgenden mitgethoilten Bestimmungen auch mit einem durch längere Zeit vor jedem Lichtzutritt geschütz- ten Auge und mit Benützung eines trichterförmi- gen Schirmes, welcher das Auge vor seitlich ein- fallendem Lichte schützt (s. u.), und auf schwarzem Grunde anzustellen, ohne in Bezug auf die hier in Frage kommenden Punkte zu einem anderen Ergebnisse zu gelangen als unter den anderen gewöhnlichen Beleuchtungs- verhältnissen des Auges.

Nachdem ich mit der oben beschriebenen Methode für die eben herrschende Beleuchtung das unveränderliche Roth und Grün hergestellt hatte, wozu, um gleich ein bestimmtes Beispiel zu wählen 307 ^^ Roth (Spectrah-oth) und 53" Blau für die eine und 290^ Grün (Gelblichgrün) und 70® Blau für die andere Mischimg nöthig waren, wurde aus demselben Spec- tndroth, Grün und Blau für die farbentüchtige (extramacu- lare) Netzhautzone eine farblose Mischung erzeugt; hierzu waren nöthig 168<^ Spectrakoth + 130« Grün + 62« Blau (die Berechnung des Blau aus den beiden ersten Mischun- gen ergiebt 60,4«). Hätte man nun auf dem Kreisel ein- mal die Mischung 307« Spectralroth -f- ^3« Blau, und dann die Mischung 237,6« Grün + 57,3« Blau + 65,2« Schwarz zusammengestellt, so wäre nach dem Eingangs Gesagten

42 Dr. Carl Hess.

der Rothwerth der ersten dem Grünwerthe der zweiten Scheibe gleichzusetzen, die Scheiben wären, wie Hering sagt» gegenfarbig äquivalent.

Dabei hätten aber die beiden Mischungen eine sehr verschieden grosse weisse Valenz. Zur Untersuchung der uns vorliegenden Frage ist aber ein unumgängliches Erfor- derniss, dass die Scheiben nicht bloss gleich grosse farlnge, sondern auch gleich grosse weisse Valenz haben.

Wenn ich auf dem Kreisel z. B. das eine Mal 180^ des unveränderlichen Orün mit 180^ Schwarz, ein anderes Mal dasselbe Grün mit 180^ Weiss mische und untersuche, in welchem Abstände vom fizirten Punkte für denselben Meridian die eine und die andere Mischung, z.B. auf dun- kelgrauem Grunde farblos wird, so finde ich für die erste gesättigter erscheinende Farbe einen beträchtlich grösseren Abstand, als für die letztere, obwohl beide Mischungen ge- nau denselben Grünwerth haben. So wurde in dem an- geführten Beispiele die Farbe 180<> Gr + 180« S auf einem Grunde von etwa gleicher Helligkeit in 2b^ Entfernung von der Netzhautmitte (auf dem horizontalen äusseren Meri- dian) farblos, während die Mischung 180® Gr + 180« W auf dem gleichen Grunde schon bei einer Entfernung von 13® farblos erschien. Je grösser bei gleicher farbiger Valenz eines Lichtes die gleichzeitige weisse Va- lenz desselben ist, desto leichter kann bei entspre- chender Herabsetzung des Sinnes für Grün das letztere unter die Schwelle der Wahrnehmb|arkeit kommen. Sollen also auf der Netzhaut die Grenzen der Wahmehmbarkeit für Roth und für Grün vergleichend un- tersucht werden, so ist es unbedingt nöthig, die beiden bezüg- lichen Lichter der Kreiselmischung nicht nur auf gleich grosse fiEirbige, sondern auch auf gleich grosse weisse Valenz zu bringen. Die Versuche wurden bei einer während der Ver- suchsdauer voraussichtlich gleichbleibenden Beleuchtung in der Weise angestellt, dass zunächst durch Mischung eines färb-

lieber den Farbensinn bei indirectem Sehen. 43

loeen Grau aus Roth, Grün und Blau das Verhältniss er- mittelt wurde, in welchem für die herrschende Beleuchtung die Grösse des rothen Sectors auf der später herzustellen* den Scheibe mit unveränderlichem Roth zur Grösse des grünen Sectors auf der Scheibe mit dem unveränderlichen Grün stehen musste, damit beide gleiche farbige Valenz erhielten. Das graue Papier des Rahmens wurde so ge- wählt, dass seine Helligkeit ungefähr in der Mitte zwischen derjenigen des grünen und des rothen Papieres lag.

Sodann wurde das unveränderliche Roth auf dem Krei- sel hergestellt und demselben ein entsprechend grosser weis- ser Sector zugesetzt, um der rotirenden Scheibe genau die gleiche Helligkeit mit der grauen Fläche in angenähert horizontaler Lage derselben zu geben. Hierauf wurde das unveränderliche Grün von gleicher HeUigkeit auf dem Krei- sel zusammengestellt: aus der ersten Gleichung (Mischung von Roth, Grün und Blau) berechnete sich die Grösse des grünen Sectors, welche nöthig war, um der rotirenden Scheibe die entsprechende grüne Valenz zu geben; der übrige Theil der Scheibe wurde aus einem blauen, einem weissen und einem schwarzen Sector gebildet und das Verhältniss die- ser drei so lange variirt, bis das Grün neutral und wie- der auf genau gleiche Helligkeit mit der grauen Fläche gebracht war, deren Neigung nach der HersteUung des rei- nen Roth unverändert geblieben war.

Für unseren besonderen Zweck war dieses etwas um- ständlichere Vorgehen der Bestimmung der Sectorengrösse durch Rechnung deshalb vorzuziehen, weil das beigemischte Weiss im Vergleich zum Grau der oberen Fläche eine gelbe Valenz besass, was durch Vergrösserung des blauen Sectors ausgeglichen werden musste, und weil dadurch eine so genaue Berechnung wie in den früheren Versuchen er- schwert wurde. ^) Vergl. übrigens den Nachtrag S. 62.

') Vergleicht man das in dieser Weise hergestellte Roth and OrQn von genau gleich grosser farbiger und gleich grosser weisser

44 Dr. Carl Hess.

Zur Bestimmung der Gesichtsfeldgrenzen für dieses unveränderliche Roth und Grün von gleicher farbiger und gleicher weisser Valenz befindet sich das untersuchende Auge bei fixirtem Kopfe genau vertical über dem Loche in 25 cm Entfernung von demselben und folgt den Bewegun- gen eines Punktes, welcher in den verschiedenen Meridia- nen von der Peripherie gegen das Loch hin vorgeschoben wird. Das letztere ist wie bei den früheren Versuchen durch ein Papier von der gleichen Helligkeit mit der grauen Fläche verdeckt und wird nur in kleinen Pausen für ganz kurze Zeit durch Wegziehen des Papieres freigelegt

Hierbei ist die Bestimmung derjenigen Stelle, an wel- cher auf der vorher gleichmässig grau erschienenen Fläche zuerst ein rother oder grüner Kreisfleck auftritt, mit sehr viel grösserer Genauigkeit möglich, als bei den früheren Methoden, wo es galt den Punkt zu bezeichnen, an welchem ein schon lange vorher sichtbar gewesenes Object beginnt einen bestimmten Farbenton zu zeigen. Wie aus der fol- genden Tabelle hervorgeht, ist die Fehlergrenze bei den einzelnen Messungen selten grösser als 1 IVt^ (s. u.).

Die Messungen worden in acht verschiedenen Meridianen vorgenommen und fttr jeden einzelnen Meridian mindestens dreimal wiederholt; die Entfernung des Punktes, an welchem der farbige Fleck sichtbar wurde, von dem Rande des Loches

Valenz, indem man etwa beide auf den kleineren Kreiseln des ersi- beschriebenen Apparates auf schwarsem Grunde nebeDeinander an- tersQcht, so erscheint in der Regel, wenn das Auge vorher dem Tageslichte ausgesetzt war, das OrOn entschieden ges&ttigter als das Roth; dieses dürfte möglicherweise darauf zurQckzufahren sein, dass das dem Tageslichte ausgesetzte Auge stets bis zu einem gewissen Grade für Roth ermOdet ist und daher eine verhAltniu- m&ssig grössere Grünempfindlichkeit besitzt; hat man ein Auge ge- nügend lange vor Lichteinfall geschützt, und betrachtet dann die Farben, so hat jetzt die scheinbare S&ttigung des Roth zu-, die des Grün abgenommen, und ein S&ttignngsunterschied zwischen beiden ist nicht mehr wahrzunehmen.

lieber den FarbenBinn bei indirectem Sehen.

45

wurde mit dem Bandmaasse abgemessen and mit Hilfe einer Tabelle in Winkelgrade umgesetzt; für die folgenden Beispiele ist 1 Centimeter nahezu genau = 2 Winkelgraden. Selbstyer- ständlich war die Grösse des farbigen Objectes (d. i. des Loches in dem grauen Rahmen) für alle unter einander zu verglei- chenden Versuche gleich gross (bei den folgenden Beobachtun- gen = 14 mm im Durchmesser); denn unter im Uebrigen glei- chen Verhältnissen wird eine Farbe um so weiter peripher- wärts noch wahrgenommen, je grösser das farbige Feld ist; so lag für dasselbe Roth auf demselben grauen Grunde die Grenze der Wahmehmbarkeit im horizontalen äusseren Meridian

bei 20 ^ wenn der Durchmesser des Loches 7 mm betrug.

n ^^ 1 w n n n w *^ w

w * 9 M n 97 n fy ** n

17 *'^ 7 57 77 77 77 77 •'^ 77

Messung der Gesichtsfeldgrenzen für Roth und Grün. Beispiel L

Zur Herstellung des farblosen Grau waren nöthig: 193<> Roth + 132,5<> Grün + 34,50 Blau. Das unyeränderliche Roth wurde gebildet durch Mischen von

231« Roth + 38® Blau + 91® Weiss. Danach ergab sich für das unveränderliche Grün die Mischung 158,0« Gr + 36« Bl + 113,5« S -f 52« W. Die Gesichtsfeldmessung ergab folgende Zahlen:

(Die Meridianbezeichnung bezieht sich auf die Netzhautmeridiane.)

Grenzen für Roth in cm.

aussen

10,5

aussen oben

8,5

oben

8,5

innen oben

14,2

innen

22,2

innen unten

15,6

unten

7,3

aussen unten

8,3

10,7;

10,8;

8,3;

8.3;

8,5

8,4:

14,0

14,3;

22,7

20,5;

17,4

16,5 ;

7,0

7,0;

7,9

7,9;

Mittel

10,6

8,35

8,5

14,2

21,8

16,5

7,1

8,0.

46

Dr. Carl Hess.

aassen aossen oben oben

innen oben innen

innen nnten unten aussen unten

Grenzen fftr OrQn in cm.

10,9

8,1

8,4

15,2

21,6

16,4

7,0

7,9

10,6

10,8 ;

8,4

8,2;

8,7

8,3;

14,0

14,8;

22,0

20,0;

16,4

15,5;

7,0-

7,4;

7,9;

7,8;

Mittel

10,80 8,2 8,45

14,6

21,3

15,8 7,1 7,8.

Da für diese Entfernungen 1 cm nahezu genau 2^ am Perimeter entspricht, also 1 mm = 0,2^, so ergiebt sich aus der Tabelle, dass auf der äusseren Netzhautiiälfte, wo viel genauere Bestimmungen möglich sind, die Grenzen für Roth und Grün durchweg um weniger als ^/^^ von einander abgehen-, auf der inneren Netzhauthälfte finden sich Unterschiede von höchstens 1,4^; aus den Einzelbestimmungen geht aber hervor, dass die Schwankungen überhaupt hier grösser sind, und der mittlere Unterschied zwischen der Roth- und der Grüngrenze ist klei- ner als die grösste Abweichung zwischen den Einzelbestimmun- gen für eine und dieselbe Farbe; wir sind daher berechtigt, auch diese Differenz als innerhalb der Grenzen der unvermeid- lichen Fehler liegend anzusehen.

Beispiel II.

Zur Herstellung des farblosen Grau waren nöthig: 157,5<> R + 148,5® Gr + 54« Bl. Das unveränderliche Roth wurde hergestellt durch Mischung von

200<> R + 48® B + 66<> S + 46® W. Daraus fand sich für das unveränderliche Grün

188® Gr + 39® B + 133® 8. Indem ich die farbigen Sectoren beider Scheiben auf drei Vier- tel, die Hälfte, ein Viertel der ursprünglichen Grösse redu- cirte und durch entsprechend grosse Sectoren von Weiss und Schwarz ersetzte, konnte ich mir verschieden gesättigte Ab- stufungen des unveränderlichen Roth und Grün herstellen, der- art, dass für jede Stufe das Roth und das Grün wieder gleich grosse weisse Valenz hatten-, selbstverständlich hatten die corre- spondirenden Stufen auch gleich grosse farbige Valenz; für jede der vier Stufen wurden die Grenzen (der hier möglichen grösseren Genauigkeit wegen nur für den horizontalen äusseren Meridian) bestimmt.

Ueber den Farbensinn bei indirectem Sehen. 47

a) fOr Roth.

Grenzen in cm. Mittel

I. 200R + 48B + 46W+ 66S: 12,6 12,6 12,6 12,6

n. 150R + 36B + 50W4-1248: 12,0 11,9 12,0 12,0

IIL 100R + 24B + 54W+182S: 11,2 11,3 11,4 11,3

IV. 50R+12B-I-58W + 240S: 9,2 9,4 9,7 9,5

b) für Grün.

Grenzen in cm. Mittel

I. 188Gr+40B + 132S 12,4 12,5 12,5 12,5

IL 141Gr + 30B + 16W + 173S: 11,6 11,9 12,0 11,85

ni. 94Gr + 20B-f31W + 215S: 11,3 11,4 11,4 11,3

IV. 47Gr+10B4.47W-j-256S: 9,6 9,6 9,7 9,6.

In jeder der vier verschiedenen Abstufungen der unver- änderlichen Farbentöne fallen die Grenzen fflr Roth und für Grün wiederum nahezu genau zusammen; der Unterschied beträgt durchweg weniger als '/g^, liegt also wieder innerhalb der Grenzen der unvermeidlichen Fehler.

Die Grenzen für Blau und Gelb wurden an dem glei- chen Apparate nur für die temporale Netzhauthälfte und auch hier nur mit wenig gesättigten Farben geprüft, da die Bestim- mungen bei allzu indirectem Sehen nicht exact genug sind, um daraus Schlüsse auf die grössere oder kleinere Ausdehnung des einen oder anderen Feldes ziehen zu können.

Es fand sich für eine Versuchsreihe:

(1) 200<> Bl + 1600 G = 1590 W + 201« S.

(2) 63« Bl + 145<> W + 152« S = 159® W -f 201« 8.

(3) 500 G + 1240 W + 1860 8 = 159« W + 201« 8. (Die Berechnung ergiebt Wg -f* ^^ = 156,4«; die weissen Valenzen stimmen also bis auf 2,6« genau.) Die Grenzbestim- mung ergab für

Grenzen in cm. Mittel

a) Gelb, aussen 18,0 17,8 17,6 17,8

aussen oben 16,6 16,9 16,7 16,7

aussen unten 16,2 15,8 16,0 15,95

Grenzen in cm. Mittel

b) Blau, aussen 17,8 17,5 17,2 17,5

aussen oben 16,2 16,6 16,4 16,4

aussen unten 15,8 15,6 16,5 16,1;

es zeigt sich also, dass die Grenzen für Gelb und Blau auf dem horizontalen äusseren, sowie auf dem äusseren oberen

48 I>r. Carl Hess.

and äusseren unteren Netzhautmeridian um weniger als 1^ von einander abweichen, wenn die Mengen von Gelb und Blau in jeder der zu untersuchenden Farben so gewählt sind, dass sie f&r eine extramaculare Netzhautzone gleich grosse fähige und gleich grosse weisse Valenz haben.

Es wurde übrigens die Messung der Gesichtsfeldgren- zen für die Terschiedeuen Farben nicht bloss mit der oben beschriebenen Methode vorgenommen, vielmehr hatte ich schon vorher ausgedehnte Beobachtungsreihen noch in der Weise angestellt, dass ich die unveränderlichen Farbentöne mit Hülfe von farbigen Papieren herstellte, deren weisse Valenz früher auf ganz anderem Wege^) mit Hülfe einer von Herrn Prof. Hering angegebenen Methode bestinunt worden war. Die Grösse der weissen, resp. schwarzen Sec- toren, welche nothwendig waren, um die zu vergleichenden Farben auf gleich grosse weisse Valenz zu bringen, wurde durch Rechnung, die Aequivalenz in Bezug auf die Farbe in der gleichen Weise wie bei den obigen Versuchen er- mittelt. Diese Methode ergiebt keine so genauen Resul- tate, wie die erstbeschriebene, weil erstens die Bestimmung der weissen Valenz nicht jedesmal von Neuem für die ge- gebene Beleuchtung vorgenommen wurde und weil zweitens die Beurtheilung des ersten Auftretens einer Farbe in einem schon vorher gesehenen farblosen Felde viel weniger ge- naue Bestimmungen zulässt als das Auftauchen und Ver- schwinden des farbigen Feldes bei der ersten Methode. Gleichwohl führte sie zu demselben Ergebnisse. Wir thei- len die bezüglichen Beobachtungen an dieser Stelle mit, weil sie sich mehr an die gewöhnliche Art der Perimeter- untersuchungen anschliessen.

Die Versuche nahm ich an dem in § 2 beschriebeneu Kreisel vor; die farbigen 3 cm im Durchmesser haltenden Scheiben rotirten auf einem grossen gleichmässig schwar- zen Grunde; die Fixation des Kopfes etc. geschah wie bei

«) Vergl. Hillebrand und Hering 1. c. S. 24 ff.

lieber den Farbensinn bei indirectem Sehen. 49

den obigen Versuchen; mehrfach wurde zum Schutze des Auges vor seitlich einfallendem Lichte ein weiter, innen geschwärzter Trichter aus Pappe benutzt, dessen obere engere Oeffnung so hergerichtet war, dass sie an die daa Auge umgebenden Weichtheile allenthalben dicht anschloss. Ich nahm die Versuche an mir selbst in grösserer Zahl, in kleinerer auch an mehreren GoUegen vor; da die bei diesen gefundenen Ergebnisse mit den an meinem eigenen Auge gemachten Beobachtungen in allen wesentlichen Punk- ten übereinstimmen, so beschränke ich mich auf die Wie- dergabe der letzteren.

Die zur Untersuchung benutzten Scheiben bestanden aus

(1) 230« R + 40« B + 90» W

(2) 225« Gr + 16« B + W + 113« S.

Da aas den früheren Betimmungen sich für die weisse Valenz der einzelnen Pigmente ergeben hatte, dass

360« R = 10« W

360« B = 90« W

360« Gr = 154« W, so ersieht man aus den Gleichungen, dass die weisse Valenz beider Farben nahe gleich gross ist; die Grösse der farbigen Sectoren entspricht den bekannten Anforderungen. Die Grenzbestimmung ergab folgende Zahlen (in Gentimetern):

für Roth für Grün

(Mittel a. IG Vera.) Mittl. Fehler (Mittel a. 16 Yen.) MitU. Fehler

0,3 0,7 0,3 0,7 1,0 1,0 0,5 0,3

Für ein anderes Roth und Grttn, welches durch Verklei- nerung der farbigen Sectoren auf die Hälfte und ausserdem noch durch Vermehrung der weissen Valenz verdünnt worden war, fand ich die folgenden Zahlen:

T. Oraefe'8 Archiy für Ophthalmologie. XXXV. 4. 4

aussen

10,2

aussen oben

14,0

oben

15,8

innen oben

23,4

innen

29,0

innen unten

19,1

unten

15,1

aussen unten

14,2

10,3

0,3

14,1

0,8

16,0

0,3

23,6

1,0

29,3

1,3

19,0

0,9

14,9

0,6

14,5

0,4.

60

Dr.

Carl Hm8.

fOr Roth

fOr Grün

(Mittel a. 16 Ten.) HitU. Fehler

(Mittel a. 16 Yen.) lUtU. Fehl«

aussen 8,8

0,4

8,4

0,3

aussen oben 9,0

0,4

8,4

0,5

oben 9,2

0,3

9,2

0,3

innen oben 12,0

1,3

12,0

0,9

innen 15,6

1,1

15,1

0,7

innen nnten 10,3

0,6

9,8

0,7

unten 8,3

0,4

8,4

0,4

aussen unten 9,3

0,8

10,0

0,8.

Betrachtet man die erste der beiden Tabellen, so ergiebt sich, dass die grösste Differenz zwischen der Grenze ftlr Roth und jener für GrQn in einem Meridian 0,3 cm d. L weniger als 1^ beträgt, was aber innerhalb der Grenzen der nnvermeid- liehen Fehler liegt, wie ans der beigefügten Tabelle der mitt- leren Fehler hervorgeht.

Für das verdünnte Roth nnd Grün sind die Bestimmun- gen nicht mit der gleichen Uebereinstimmung ausgefallen. Die grösste Differenz zwischen der Grenze für Roth und jener für Grün beträgt im äusseren unteren Quadranten 0,7 cm d. i. 1 ^/g ^, doch dürfen wir daraus noch nicht auf eine Verschiedenheit der Grenzen für Roth und Grün in dem betreffenden Meridian überhaupt schliessen, wenn wir berücksichtigen, dass gerade bei diesen Bestimmungen sich auch ein verhältnissmässig grosser mittlerer Fehler (über 1 Va *) fand. Beide Versuchsreihen lie- fern uns vielmehr wieder den Beweis, dass die Grenzen für gleichwerthige Mengen von Roth und Grün zusammenfallen.

Die Grenzbestimmung für Gelb und Blau gab ein gleiches Resultat, wenn die Mengen von Gelb und von Blau so gewählt waren, dass aus ihrer Mischung farbloses Grau für die extra- maculare Netzhautzone entstand.

Die benützten Scheiben waren gebildet aus

(1) 105 G + 60 W + 195 S.

und (2) 85 B + 84 W + 191 S.

Die weisse Valenz des hierzu benutzten Gelb betrug

(nach früherer Bestimmung) 190^

die weisse Valenz des bezüglichen Blau 133^

farbloses Grau entstand durch Mischung von 199^ G mit 161^ B.

üeber den Farbensinn bei indirectem Sehen. 51

Grenzen ^Ar Roth für Grün

(Mittel a. 16 Yen.) Mlttl. Fehler (Mittel a. 16 Yen.) MitU. Fehler

aussen 20,4 1,0 20,6 1,0

oben 24,5 0,7 24,9 0,7

unten 18,3 0,5 18,8 0,5

Auch hier glaubte ich aus den oben erwähnten Gründen auf eine Grenzbestimmung für die nasale Netzhauthälfte verzichten zu sollen; für die temporale fallen, wie man sieht, die Gren- zen soweit zusammen, dass die grösste Differenz 0,5 cm, d. i. etwa 1^ beträgt; die beigegebenen Zahlen für die mittleren Fehler zeigen, dass diese Differenz innerhalb der Fehlergren- zen liegt.

Hatte ich das Gelb und Blau für die intraroaculare Netzhautparthie zu farblosem Grau gemischt und berechnete da- nach die Mengen von Gelb und Blau für jede der einzelnen Scheiben, so fanden sich durchweg für Blau weitere Grenzen als für Gelb, und zwar betrug der Unterschied im Mittel 2 3^; es erklärt sich dies zur Genüge daraus, dass zur Mischung von farblosem Grau für die Stelle des directen Sehens wegen der stärkeren Absorption blauer Strahlen durch das Maculapigment nicht unbeträchtlich grössere Mengen von Blau erforderlich sind. Das in dem letzten Beispiel angeführte Blau und Gelb, welche auf der extramacularen Zone farbloses Grau gaben bei der Mischung 199^ G -j- 161^ B, mussten, um an Stelle des directen Sehens farbloses Grau zu liefern, zu gleichen Theilen gemischt werden, also 180* G + 180* B. Im indirecten Sehen erschien diese Mischung bläulich.

Auf die Wahrnehmbarkeit und das frühere oder spä- tere Verschwinden einer Farbe beim indirecten Sehen ist von wesentlichem Einflüsse auch das Verhältnisse in wel- chem die weisse Valenz der Farbe zu jener des Grundes steht; die Farbe wird am weitesten peripherwärts wahrge- nommen, wenn der Grund die gleiche weisse Valenz be- sitzt; sie verschwindet um so früher^ je grösser der Unter- schied zwischen den weissen Valenzen beider ist. Für ein unveränderliches Roth, dessen weisse Valenz =95* betrug» lag im horizontalen äusseren Meridian die Grenze der Wahr- nehmbarkeit, wenn dem Grunde die gleiche weisse Valenz gegeben war, in 27* Entfernung von der Stelle des direc»

4*

52 Dr- Carl Hess.

ten Sehens; auf schwarzem Grunde erschien der Kreisfleck schon bei 19^ Entfernung farblos, hellweiss, auf weissem Grunde bei 13^ farblos, dunkelgrau. Durch eine besondere Versuchsanordnung, welche es ermöglichte, den Unterschied zwischen der weissen Valenz der Farbe und jener des Grun- des innerhalb noch weiterer Grenzen zu varüren als bei dem beschriebenen Apparate, konnte ich auch fiir das di- recte Sehen nicht allzu gesättigte Farben ausschliesslich durch Veränderung der weissen Valenz des Grun- des zum Verschwinden bringen; an die Stelle der farbigen Empfindung trat eine farblose, und zwar je nach der weis- sen Valenz des Grundes dunkles Grau oder helles Weiss. ^)

§8. Herstellung von Farbengleiohungen.

Wir haben früher 6) gelegentlich der Untersuchung der unveränderlichen Farbentöne gesehen, dass eine Glei- chung zwischen dem Grau der oberen Fläche und dem durch Mischung aus Roth, Grün und Blau auf dem Kreisel entstandenen Grau, welche für die Stelle des directen Se- hens gebildet worden war, nicht bestehen blieb, sobald sie mit einer extramacularen (farbentüchtigen) Netzhautstelle gesehen wurde; noch viel auffälliger macht sich dieser Un- terschied bei gewissen Gleichungen zwischen einem aus zwei homogenen Lichtem gemischten Lichte einerseits und einem aus einem homogenen und weissen Lichte gemischten Lichte andererseits geltend. Die (theoretisch wichtigen) Untersu- chungen über das Verhalten von Farbengleichungen auf dem farbentüchtigen und auf dem rothgrünblinden Theile der Netzhaut müssen daher wiederum unter Ausschluss des intramacularen Netzhautgebietes vorgenommen werden.

*) Vergl. Hering, zur Lehre vom Lichtsinne § 43, S. 124 der zweiten Auflage.

üeber den Farbensinn bei indirectem Sehen. 53

Zunächst wurde eine Reihe diesbezüglicher Versuche mit Spectralfarben angestellt. Bei dem oben an zweiter Stelle beschriebenen Spectralapparate wurde die eine Hälfte des kreisförmigen Gesichtsfeldes mit homogenem Lichte er- füllt, die andere mit einem Mischlichte aus zwei homogenen Farben, und zwar in der Weise, dass an dem entsprechen- den Gollimatorrohre an Stelle des einen Spaltes zwei ange- bracht wurden, deren gegenseitiger Abstand durch Ein- setzen von Schaltstücken von verschiedener Breite geändert werden konnte; auf diese Weise war es möglich, beliebige Farben des Spectrums miteinander zu mischen.

Es wurden nun zunächst durch entsprechende Verschie- bung des einen oder anderen Gollimatorrohres und durch Reguliren des MengenTerhältnisses der gemischten Lichter die beiden nur durch eine feine Linie von einander ge- trennten Gesichtsfeldhälften einander möglichst ähnlich ge- macht. Da die Mischfarbe in der Regel weniger gesättigt erscheint, als die im Tone entsprechende homogene Fai'be, so musste diesenfalls zur Herstellung völliger Gleichheit dem homogenen noch farbloses Licht zugemischt werden, was durch eine besondere Vorrichtung an dem Apparate sich leicht bewerkstelligen Hess. Auf diese Weise wurde eine grössere Anzahl von Gleichungen für die extramacu- lare farbentüchtige Netzhaut hergestellt, so beispielsweise zwischen Gelb einer- und Roth und Grün andererseits; fer- ner zwischen einem aus Spectralroth und Blaugrün gemisch- ten Grau und dem entsprechend abgeschwächten Tageslichte; zwischen homogenem und einem aus Roth und Blau gemischten Violett u.s.f. (im Ganzen untersuchte ich zehn solcher Gleichungen). Es fand sich regelmässig, dass eine Gleichung, welche für die innerste extramacu- lare Netzhautzone hergestellt worden war, auf allen übrigen extramacularen farbentüchtigen wie far- benblinden Stellen der Netzhaut bestehen blieb.

Um diesen Satz auch für Pigmentlichter nachzuweisen,

64 I>r- Carl Hess.

bedienten wir uns wieder des oben beschriebenen Kreisels. Die erwähnte Gleichung zwischen dem Grau der Fläche und dem aus Roth, Grün und Blau für die extramaculare Zone gebildeten Mischgrau des Kreisels blieb bestehen, mit welchem Theile der extramacularen Netzhaut man sie auch betrachtete; ersetzte man die obere graue Fläche durch ein beliebiges aber nicht zu gesättigtes farbiges Papier und stellte auf dem Kreisel durch Mischung aus beliebig ge- wählten anderen hinreichend gesättigten Farben (eventuell unter Zusatz von Weiss oder Schwarz) eine Gleichung her, so blieb dieselbe auch für die ganze übrige Netzhaut be- stehen. In zweiter Linie wurde mit dem Kreiselapparat eine Reihe von Gleichungen für die rothgrünblinde Netz- faautzone gebildet. Wir haben oben ö), gelegentlich der Herstellung des unveränderlichen Roth gesehen, dass bei entsprechender Helligkeit der oberen Fläche der farbige Kreisfleck verschwand, sobald sein Bild auf eine rothgrün- blinde Netzhautstelle fiel, und dass derselbe dann auch auf allen übrigen rothgrünblinden Netzhautstellen unsichtbar blieb. In diesem Falle handelte es sich um eine Gleichung zwischen dem Grau der oberen Fläche und dem Grau, wel- ches durch Mischung der in dem grossen spectralrothen Sector enthaltenen weissen Valenz mit der des blauen Sectors entstand. Um Gleichungen zwischen verschiedenen Farben für die rothgrünblinde Netzhautzone herzustellen, wurde die graue Fläche durch eine entsprechende farbige Fläche ersetzt. Es durften hierzu nur wenig gesättigte Papiere verwendet werden; nahm ich sattere Farben, so musste zur Herstellung einer Gleichung entweder die Kreiselfarbe so gewählt sein, dass sie in der Farbe der oberen Fläche auch für die farbentüchtige Netzhaut schon nahe stand, oder es musste, wenn Gleichungen zwischen Farben hergestellt wer- den sollten, welche auf dem Farbenzirkel weiter auseinander liegen, das Auge so stark abgelenkt werden, dass die Be- obachtungen allzu ungenau wurden; denn es rücken, wie

Ueber den Farbensinn bei indirectem Sehen. 55

wir ssAen, die Grenzen fdr Roth und Grün um so weiter hinaus, je grösser das farbige Object (in unserem Falle die Umgebung des Loches) ist, und weiterhin nimmt bei gros- ser Sättigung der oberen Fläche die Sättigung der Farbe des Ereisfleckes im Gontrast^ beträchtlich zu, wodurch auch diese noch weiter peripher wahrgenommen wird.

Unter den mir zur Verfugung stehenden farbigen Pa- pieren, welche die obere Fläche bilden sollten, erwies sich ein rosafarbiges, ein gelbrothes, ein gelbgrünes und ein blaugrünes am geeignetsten zur HersteUung von Gleichungen.

Es wurden Gleichungen gebildet zwischen Rosa (auf der oberen Fläche) und Blau, Grün und Weiss auf dem Kreisel; zwischen Blaugrün oben und Blau, Roth und Weiss unten, zwischen Golbgrün oben und Gelb, Roth und Weiss unten, endlich zwischen Gelbroth oben und Gelb, Grün und Weiss unten.

Die Grösse der einzelnen Sectoren auf dem Kreisel wurde so lange variirt, bis der dem Loche in der oberen Fläche entsprechende Kreisfleck, wenn sein Bild auf eine rothgrünblinde Netzhautzone zu liegen kam, vollständig ver- schwand. Da auf einem grossen Theile der rothgrünblin- den Netzhautparthieen die Empfindlichkeit für Blau und Gelb, sowie jene für Helligkeitsunterschiede, wie wir früher sahen, noch eine beträchtliche ist, so war die Herstellung solcher Gleichungen mit grosser Genauigkeit möglich.

War der Kreisfleck für eine rothgrünblinde Netzhaut* stelle verschwunden, so blieb er unsichtbar, gleichviel auf welchen Theil der rothgrünblinden Netzhaut sein Bild zu liegen kam; dagegen trat er in einer von der oberen Fläche wesentlich verschiedenen Farbe hervor, sobald er mit einer auch nur einigermaassen farbentüchtigen Netzhautstelle ge- sehen wurde; mit anderen Worten: eine Gleichung, welche lÜr eine Stelle der rothgrünblinden Netzhaut hergestellt worden ist, bleibt für sämmtliche rothgrünblinden Netzhaut- parthieen bestehen; dagegen hört sie auf eine Gleichung

56 Dr. Carl Hess.

zu sein, sobald ihr Bild auf eine farbentüchtige Netzhaut- stelle fällt

Ueber die Beziehungen zwischen dem Farbensinn un- serer rothgrünblinden Netzhautzone und jenem der (total) Rothgrünblinden soll bei anderer Gelegenheit ausführ- licher berichtet werden; an dieser Stelle sei nur hervor- gehoben, dass sowohl die Kreiselgleichungen für Grau (bei der Herstellung des unveränderlichen Roth) als auch die verschiedenen, für meine rothgrünblinde Netzhautzone her- gestellten Gleichungen zwischen verschiedenen Farben g^iau oder nahezu genau für die centrale Netzhaut von zwei so- genannten Grünblinden (relativ gelbsichtigen Rothgrünblin- den nach Hering) stimmten.

§9.

SchluBBbemerkongen und Zusammenfiuisang

der gewonnenen Bestiltate.

Bei den von uns mitgetheilten Untersuchungen ist die Prüfung des Farbensinnes auf der peripheren Netzhaut zum ersten Male mit genauer Berücksichtigung aller jener Be- dingungen vorgenommen worden, welche unerlässlich sind, wenn die mit verschiedenen Farben gewonnenen Resultate untereinander verglichen werden sollen.

Der Grund für die Abweichungen, welche die Ergeb- nisse früherer Forscher theils von einander, theils von mei- nen Ergebnissen zeigen, liegt, wie das Vorstehende schon zur Genüge gelehrt haben wird, hauptsächlich darin, dass man meist Farben von ungleich grosser farbiger und wohl immer solche von ungleich grosser weisser Valenz miteinan- der verglich und auf die HeUigkeit des Grundes nicht ge- nügende Rücksicht nahm. So erscheint es jetzt verständ- lich, dass die üblichen rothen Pigmente, weil sie meist eine im Vergleiche zur farbigen geringere weisse Valenz haben als die grünen, nicht schon auf derselben Netzhautstelle gelb erscheinen, auf welcher die grünen bereits keine Spur

Ueber den Farbensinn bei indirectem Sehen. 57

von Grünlichkcit mehr verriethen; es erscheint ebenso ver- ständlich, dass je nach der Sättigung des benutzten Pig- mentes und der Helligkeit des Grundes sehr verschiedene Grenzen für die Rothempfindung und in analoger Weise für die anderen Farbenempfindungen sich ergeben mussten. Da ferner auch z. B. das Spectralroth bei gleicher schein- barer Helligkeit weniger weisse Valenz besitzt als das spec- trale Grün, so ist verständlich, dass letzteres bei zunehmend indirectem Sehen früher sein Grün verlieren kann als das Spectralroth sein Roth. Aubert sprach sich bereits 1857 dahin aus, dass theoretisch zur Prüfung des Farbensinnes nur Farben von gleicher „Intensität und Nuance'^ benutzt werden dürften, fügt aber selbst hinzu, dass es solche Far- ben nicht gebe. Solange freilich die erst von Hering ge- nauer entwickelten Begriffe der weissen und der farbigen Valenz eines Lichtes nicht festgestellt waren, solange man z. B. jedes homogene Licht als eine „gesättigte^' Farbe zu bezeichnen pflegte, obwohl z. B. spectrales grünes Licht bei gleich grosser farbiger Valenz eine ungleich grössere weisse Valenz hat, als homogenes rothes Licht, solange war auch der Weg zur Herstellung gleichwerthiger Farben, wie sie zur genaueren Untersuchung des peripheren Farbensinnes nothwendig sind, noch verschlossen. Ole Bull war der erste, welcher sich bemühte, für die bezüglichen Untersu- chungen „Farbentöne von gleicher Reinheit und gleicher Helligkeit'* herzustellen. Aber auch seine Bemühungen konn- ten nicht zu einem ganz befriedigenden Ergebnisse fuhren, weil ihm z. B. nicht bekannt war, in welcher Weise die scheinbare Helligkeit eines Pigmentes von seiner weissen und von der Art und Grösse seiner farbigen Valenz ab- hängt. So können z.B. ein Gelb und ein Blau von gleich grosser farbiger und gleich grosser weisser Valenz sehr verschieden hell erscheinen, und dasselbe gilt von Roth und Grün^) (s. S. 28). Hiemach kommt es bei den vorliegen-

*) Vergl. auch Hillebrand und Hering 1. c.

58 I>r. Carl Hess.

den Untersachimgen nicht sowohl auf gleiche Helligkeit, als Tielmehr auf Gleichheit der bezüglichen Valenzen an. Es erscheint aber auch ans anderen Gründen von vornherein nicht möglich, nach Ole BulPs Methoden das hier anzu- strebende Ziel in jedem Falle genau zu erreichen.

Die von Herrn Professor Hering angegebene, oben beschriebene Untersuchungsweise gestattet mit grosser Ge- nauigkeit den zu vergleichenden Pigmenten gleich grosse farbige und gleich grosse weisse Valenz zu geben, sie er- möglicht es, für die Werthigkeit der Farben einen genauen numerischen Ausdruck zu gewinnen und in die Rechnung einzufuhren. Da ausserdem die Bestinmiung des zur Un- tersuchimg vorzüglich geeigneten Farbentones mit grosser Genauigkeit möglich ist, so wird es für andere Beobachtet jederzeit leicht sein die angestellten Untersuchungen zu controliren; bei Vermeidung aller der bezeichneten Fehler- quellen wird man dann zu ganz übereinstimmenden Ergeb- nissen gefuhrt werden müssen.

Für die praktische Prüfung des Farbensinnes ergiebt sich eine Reihe von nicht unwesentlichen Folgerungen. Bei den vorzunehmenden Untersuchungen muss auf die weisse Valenz der benutzten Pigmente und die Wahl der zweck- mässigsten Helligkeit des Grundes entsprechend Rücksicht genommen, bei vergleichenden Untersuchungen mit verschie- denen Pigmenten Sorge getragen werden, dass dieselben in Bezug auf weisse und auf farbige Valenz übereinstimmen.

Bei dem übereinstimmenden Verhalten von Roth und Grün einer-, sowie von Gelb und Blau andrerseits wird es in der Zukunft voraussichtlich genügen, mit je einer der beiden Farben die Prüfung vorzunehmen. Dazu würde sich am meisten eine Farbe von möglichst grosser Sättigung und bei indirectem Sehen unveränderlichem Farbentone eignen. Die Wahl von fixirten Pigmenten ist zu genaueren Untersuchungen deshalb nicht räthlich, weil der unverän- derliche Farbenton eines gemischten Lichtes genau nur für

Ueber den Farbeiuiim bei indirectem Sehen. 59

eine bestimmte Beleuchtung und eine bestimmte Färbung der Krystallinse bestehen kann. Vielleicht führen Versuche, die oben beschriebene Methode auch für den ausgedehnteren klinischen Gebrauch nutzbar zu machen, noch zu einem befriedigenden Ergebnisse.

Die Resultate der vorliegenden Untersuchung lassen sich in die folgenden Sätze zusammenfassen:

1) Es giebt drei homogene Lichtarten, ein bestimmtes Gelb, ein Grün und ein Blau, welche für das chromatisch neutral gestimmte (d. h. weder zuvor farbig ermüdete noch gleichzeitig auf anderen Netzhautstellen farbig beleuchtete) Auge bei zunehmend indirectem Sehen zwar ihre Sättigung mindern, nicht aber ihren Farbenton ändern. Alle übrigen homogenen Lichter verändern denselben mehr oder minder deutlich. Ebenso wie die drei erstgenannten Lichter ver- hält sich ein ganz bestimmtes, aus homogenem Roth und homogenem Violett oder Blau gemischtes Roth, wenn man es ausgehend von einer zwar ausserhalb der macula gele- genen aber noch farbentüchtigen Netzhautparthie mit zu- nehmend excentrischen Netzhautstellen betrachtet. (Inner- halb der Macula erscheint ein solches Licht wegen der theilweisen Absorption des violetten oder blauen Lichtes in einem anderen, dem spectralen Roth näher stehenden Roth.)

Die bei indirectem Sehen im Farbentone unveränder- lichen Farben Gelb, Grün, Blau und Roth entsprechen den von Hering als Urgelb, Urgrün, Urblau und Urroth be- zeichneten Farbentönen. Es ist also für den Farbentüch- tigen auch in dieser Weise möglich, die vier Farbentöne auf rein experimentellem Wege zu bestimmen.

2) Zusammengesetzte farbige Lichter, welche von dem neutralgestimmten Auge mit einer neben der Macula gele- genen, farbentüchtigen Netzhautstelle gesehen in einem der genannten vier Farben töne erscheinen, verlieren ebenfalls

60 ^r. Carl Hess.

bei zunehmend indirectem Sehen immer mehr au Sättigung, ändern aber nicht ihren Farbenton; alle anderen zusam- mengesetzten farbigen Lichter ändern denselben dabei mehr oder minder deutlich.

3) Aus dem bei indirectem Sehen im Tone unverän- derlichen homogenen Blau und Gelb, wie auch aus dem unveränderlichen homogenen Grün und dem aus homogenem Roth und Violett zusammengesetzten unveränderlichen Roth lässt sich Weiss mischen, d. h. diese Lichter stellen zwei complementäre Paare dar. Dasselbe gilt von den entspre- chenden im Tone unveränderlichen beliebig zusammenge- setzten farbigen Lichtern.

4) Farbige Lichter, welche für die farbentüchtige Netz- hautzone deutlich ins Grüne oder Rothe spielen beziehungs- weise vorwiegend roth oder grün, aber nicht genau oder nahezu genau von dem Tone des Urroth oder ürgrün sind, werden bei zunehmend indirectem Sehen unter stetiger Ab- nahme ihrer Röthlichkeit oder Grünlichkeit mehr und mehr gelblich beziehungsweise bläulich, um endlich keine Spur von Röthlichkeit oder Grünlichkeit mehr zu zeigen und nur noch mehr oder minder gesättigt gelb bezw. blau zu er- scheinen. Ob letzteres auf einer mehr oder weniger excen- trischen Netzhautstelle eintritt, hängt ebenso wie das Farb- loswerden des Urroth oder ürgrün von der anfänglichen Sättigung, der Grösse der betroffenen Netzhautstelle, der Intensität des Lichtes und der Helligkeit und Farbe des Grundes ab, welcher das bezügliche farbige Feld umgiebt, und ist überdies mit davon bedingt, auf welchem Netzhaut- radius sich das Bild des farbigen Feldes entwirft.

5) Die bei Weitem beste Methode zur Bestimmung der Excentricität, bei welcher auf einem bestimmten Netz- hautradius das Bild eines farbigen Feldes farblos wird, be- steht darin, dem farblosen Grunde, welcher das anfänglich farbige Feld trägt, genau dieselbe Helligkeit zu geben, welche das farblos gewordene Feld hat, sodass letzteres bei

üeber den Farbensinn bei indirectem Sehen. 61

entsprechend indirectem Sehen gar nicht mehr vom Grunde unterschieden werden kann und daher verschwindet.

6) Wenn zwei farbige Felder auf farblosem Grunde im indirecten Sehen ganz verschwinden, weil ihre Farbe nicht mehr empfunden wird und ihre Helligkeit gleich der- jenigen des Grundes ist, so kann man beiden denselben farblosen Helligkeitswerth (gleiche weisse Valenz nach He- ring) zuschreiben. Ebenso kann man einem urrothen und urgrünen Lichte gleich grosse rothe und grüne Valenz zu- schreiben, wenn beide zu gleichen Theilen gemischt eine für die farbentüchtige Netzhaut fetrblose Mischung geben. Ein rothes und ein grünes Feld vom Tone des Urroth und ürgrün, von gleich grosser farbiger und gleich grosser weis- ser Valenz werden, wenn man beiden gleiche Grösse giebt und auf demselben Grunde untersucht, auf demselben Ra- dius des Sehfeldes, bezw. der Netzhaut genau in dem glei- chen Abstände vom fixirten Puncte farblos und unter den oben genannten Umständen unsichtbar. Dasselbe gilt unter gleichen Bedingungen von einem urgelben und urblauen Felde.

7) Hieraus folgt, dass der Rothsinn auf den einzelnen Netzhautradien mit der Excentricität der Netzhautstellen in genau demselben Maasse abnimmt, wie der Grünsinn, der Gelbsinn ebenso wie der Blausinn.

Wir können also sagen, dass einerseits der Rothgrün- sinn, andererseits der Blaugelbsinn vom Centrum nach der Peripherie abnehmen, und zwar der erstere viel rascher als der letztere.

8) Weder für den Rothgrünsinn, noch für den Blau- gelbsinn lässt sich eine absolute Grenze festsetzen, wohl aber lässt sich im gegebenen Einzelfalle die Grenze bestim- men, über welche hinaus die Netzhaut unter den gewöhn- lichen Beleuchtungsverbältnisseu für Lichter von bestimmter farbiger Valenz und bestimmter Extensität als rothgrün- blind, bezw. auch blaugelbblind anzusehen ist.

62 I^r. Carl Hess, Ueber den Farbeiuiiim bei indirectem Sehen.

9) Alle Lichter, welche auf einer farbentüchtigen aber extramacularen Stelle der neutral gestimmten Netzhaut farb- los (weiss) erscheinen, erscheinen auch auf allen übrigen extramacularen Netzbautstellen farblos. Alle Farbenglei- chungen für eine farbentüchtige, aber eztramaculare Netz- hautstelle gelten auch für alle übrigen extramacularen, be- liebig excentrisch gelegenen, nicht aber noth wendig auch für die intramaoularen Theile der Netzhaut Alle Farben- gleichungen für eine rothgrünblinde Netzhautstelle gelten auch für alle übrigen rothgrünblinden, nicht aber für die farbentüchtigen Netzhautstellen.

In der vorliegenden Abhandlung ist eine Reihe von Thatsachen mitgetheilt, welche jederzeit leicht einer Con- trole unterworfen werden können und welche ganz unab- hängig Yon jeder Theorie zu Recht besteben. Ohne an dieser Stelle auf theoretische Erörterungen einzugehen, will ich nur hervorheben, dass ich mich vergebens bemüht habe, den ganzen Complex der Erscheinungen mit der Young- schen Theorie, sei es in ihrer ursprünglichen Fassung, sei es in einer der späteren Modificationen, in Einklang zu bringen. Aus der Hering'schen Theorie lassen sich, wie schon die gegebene Darstellung zeigt, alle beobachteten Thatsachen in durchaus einfacher und vollständiger Weise erklären.

Naehtrag. Ich habe später mit ganz analogen Er- gebnissen die S. 43 47 beschriebenen Bestimmungen der Grenzen für Roth und Grün mit einem Weiss auf der un- teren Scheibe wiederholt, welches im Vergleich zum Grau der oberen Fläche keinerlei farbige Valenz hatte.

lieber die Hypothesen zur Erklärung der peripheren Farbenblindheit

Von

Dr. Ewald Hering, Professor an der deatschen Universit&t Prag.

Mit 3 Holzschnitten.

I. Die Hypothesen von Helmholtz und Leber -Fiok.

Die Young'sche Erklärung der angeborenen Farben- blindheit aus dem Fehlen einer der drei von ihm ange- nommenen Faserarten der Netzhaut wurde später von Max- well und Helmholtz wieder aufgenommen und von letz- terem auch auf die sogenannte periphere Farbenblindheit der Farbentüchtigen ausgedehnt Helmholtz^) glaubte anfangs nur schliessen zu dürfen, „dass die Netzhaut am Rande gegen blaues und grünes Licht empfindlicher ist, als gegen rothes." „Sie nähert sich dort,** sagt er, „einiger- maassen dem Zustande der Rothblindheit^ Aber schon in den Nachträgen zur physiologischen Optik') spricht er ge- radezu von der „Rothblindheit an der Grenze des Seh- feldes."

Die Thatsachen, auf welche sich Helmholtz stützte, waren nach seinen eigenen Worten folgende:

1) Handbuch der physiologischen Optik S. 301. *) Ebenda S. 845.

64 ^r. Ewald Hering.

,^he die Farben'' (beim Verschieben ihres Bildes gegen die Peripherie der Netzhaut) „ganz verschwinden, erleiden sie noch eine ähnliche Aenderang des Farbentons, wie bei der Yermehrnng ihrer Intensität Roth und Grün werden näm- lich sehr deutlich Gelb, Blau scheint direct in Grauweiss überzugehen, und in den Mischungen aus Blau und Roth, dem Purpur, überwiegt an den Grenzen des Gesichtsfeldes das Blau. So erklärte schon Purkinje, dass Purpur an der äussersten Grenze blau erscheine, wenn es weiter in das Ge- sichtsfeld hineinrückt, violett werde, endlich seine eigentliche Farbe erhalte. Ich selbst sehe ebenfalls Rosaroth an den Gren- zen als bläuliches oder violettes Weiss. Am auffallendsten ist die zuletzt erwähnte Erscheinung bei Mischungen aus je zwei einfachen Farben. Wenn man z.B. nach der weiter unten zu beschreibenden Methode ein kleines farbiges Feld mit einfachem Roth und Grünblau so beleuchtet, dass es im direct en Sehen weiss erscheint, so erscheint es indirect gesehen schon in ge- ringer Entfernung vom Fixationspunkte grünblau.''^)

Von den erwähnten Farbenänderungen stimmt (ausser der des Rosa) nur die zuletzt angeführte zur Annahme einer peripheren „Rothblindheit''. Aber gerade diese Farbenän- derung hat Maxwell nachher aus der stärkeren Absorp- tion der grünblauen Strahlen durch das Pigment der ma- cula erklärt, und Helmholtz hat noch in den Nachträgen zu seinem Handbuche dieser Erklärung beigestimmt') Ihre Richtigkeit lässt sich auch leicht nachweisen. Die Annahme einer peripheren „Rothblindheit" wäre also aus den übri- gen angeführten Thatsachen zu begründen, was durchaus nicht möglich erscheint. Wenn, was thatsächlich in der deutlichsten Weise der Fall ist, ein Roth vom Tone des spectralen Roth und ein Grün vom Tone des Grün zwischen den Linien E und b, welches Grün Helmholtz als das eigent- liche, der Grundempfindung entsprechende Grün bezeichnet, auf der bezüglichen peripheren Zone der Netzhaut gelb erscheinen, so können nach der Young'schen Theorie die-

*) Handbach der physiologischen Optik S. 300. *) Ebenda S. 845.

Ueber die Hypothesen etc. der peripheren Farbenblindheit. 65

ser Zone die rothempfindenden Fasern nicht fehlen, weil nach dieser Theorie die gelbe Empfindung nur durch das Zusammenwirken der roth- und der grünempfindenden Fa- sern zu Stande kommen kann. Ferner könnte an die Stelle der Empfindung eines satten Purpur, welche durch das Zu- sammenwirken der roth- und der violettempfindenden Fa- sern entstehen soll, auf einer ^i'othblinden'^ Netzhautzone allenfalls eine blau violette, nicht aber eine blaue treten, sofern das Violett eine der drei Grundempfindungen sein soll. Nur bei sehr geringer Sättigung des Purpur, wie im Rosa, könnte ein Uebergang zum Blau stattfinden. Vor allem aber wäre auf einer „rothblinden'* Zone die Weissempfin- dung überhaupt unmöglich, vielmehr müsste hier an ihre Stelle eine absolut gesättigte grünblaue Empfindung treten. Dazu kommt noch eine Reihe anderer, ebenfalls schon von Purkinje und Aubert, auf welche sich Helmholtz be- zieht, ganz richtig angegebener, aber von letzterem nicht mit angeführter Thatsachen. Die Genannten hatten schon gesehen, dass Violett bei indirectem Sehen blau erscheint, was nach der Young'schen Theorie nur bei einem sehr weisslichen Violett denkbar wäre, sofern man mit Young und Helmholtz Violett und nicht Blau als eine der drei Grundempfindungen annimmt; dass femer Gelb bei zuneh- mend indirectem Sehen seinen Ton nicht ändert, während es nach der Young'schen Theorie immer grünlicher und sogar gesättigt grün werden müsste.

Ueberhaupt könnte nach der Young'schen Theorie streng genommen kein einziges Pigment mit Ausnahme eines in der Grundfarbe Roth oder in der dazu complementären Farbe erscheinenden, auf der „rothblinden" Zone in dem- selben Farbentone gesehen werden, wie auf der mittleren Netzhaut. Fig. 1 stellt ein absichtlich ganz willkürlich ent- worfenes Farbendreieck mit der Curve der homogenen Lich- ter dar. Denken wir uns von der Ecke R als dem Orte eines imaginären Lichtes, welches ausschliesslich die roth-

T. Qnefe's Archiv fQr Ophthalmologie. XXXV. 4. 5

66 I>r. Ewald Hering.

empfindenden Fasern erregen würde, durch die Orte der einzelnen Spectrallichter gerade Linien bis zur gegenüber- liegenden Seite 6rV gezogen, so giebt uns der Ort, in wel- chem diese Seite geschnitten wird, die Farbe an, in welcher alle auf der bezüglichen Geraden liegenden objectiven Farben (Lichter) gesehen werden müssten, wenn die Rothfasern fehlten. Denn die Seite GrV des Dreieckes repräsentirt dann alle „Farbenempfindungen'S welche für die „rothblinde^ Netz- hautzone noch erhalten sind. Man ersieht hieraus zugleich, dass man von jener Netzhautzone überhaupt nur noch ab- solut gesättigte Farbenempfindungen erhalten könnte, wäh-

Fig. 1.

rend doch im Gegentheil alle Pigmente, wie schon Pur- kinje und Aubert angeben, mit wachsender Entfernung ihres Bildes von der Netzhautmitte nicht nur nicht gesät- tigter, sondern vielmehr immer weniger gesättigt erscheinen. Die Hypothese von der Rothblindheit der peripheren Netzhaut war also durch Purkinje's und Aubert 's Be- obachtungen bereits hinreichend widerlegt, ehe sie noch von Helmholtz (allerdings zunächst nur vermuthungsweise) aufgestellt war. Gleichwohl bürgerte sich dieselbe ein, und erst im Jahre 1873 machten unabhängig von einander Le- ber*) und Fick*) auf die Widersprüche aufmerksam, in welchen die Hypothese mit den Thatsachen steht.

') Klinische Monatsbl&tter für Augenheilk. Bd. XI. S. 467. *) Arbeiten d. Würzburger physiolog. Laborat. S. 218.

Ueber die Hypothesen etc. der peripheren Farbenblindheit. 67

Fick bemerkte:

„Es ist merkwürdig, dass keinem, der den vorstehenden Erklärangsversach vertritt, der logische Widersprach aufgefal- len ist, in welchem er mit den Grandlagen der Yo angesehen Theorie steht Nach dieser Theorie ist nämlich der Eindruck „Weiss^^ bedingt durch die gleichmässige Erregung der drei von ihr angenommenen Fasergattungen. Er kann also nur auf Netzhauttheilen vorkommen, wo alle drei vertreten sind. Wären in der äquatorialen Netzhautzone nur blauempfindende Fasern vorhanden, so mtlsste hier jeder Reiz sei er ein electrischer, mechanischer oder eine Strahlung irgend welcher Art, wofern er überhaupt wirkt, die Empfindung Blau von einer Sättigung hervorrufen, wie wir sie auf der Polargegend der Netzhaut gar nicht haben können; denn in dieser werden selbst durch homogene Strahlen von 676 Billionen Schwingungen die roth- und grünempfindenden Fasern ein wenig mit erregt. Es müss- ten mit anderen Worten auf den äquatorialen Theilen der Netzhaut selbst weisse Flächen tiefblau erscheinen. Auf der mittleren Zone der Netzhaut könnte nach der obigen Theorie der Eindruck weiss auch nicht zu Stande kommen, sondern nur Eindrücke der tiefsten Farbensättigung und zwar derjeni- gen Qualitäten, welche wir mit grün, blaugrün, grünblau und blau bezeichnen. Diese Eindrücke entstehen nämlich nach der Young'schen Theorie durch die gleichzeitige Erregung der grün- und blauempfindenden Fasern in verschiedenen Verhält- nissen der Stärke.

Von alledem findet aber das Oegentheil statt Die An- nahme, dass in der äquatorialen Zone zwei Fasergattungen und in der mittleren Zone eine fehlen, ist also ganz ungeeignet, die totale Farbenblindheit der äquatorialen und die partielle (Rothblindheit) der mittleren Zone zu erklären.'^

Sowohl Leber als Fick haben auch sogleich versucht, die Thatsachen durch eine neue Hypothese mit der Young- schen Theorie in Einklang zu setzen, wobei jedoch bemerkt werden muss, dass Leber sich durchaus nicht als einen Anhänger dieser Theorie erklärt hat, während Fick als einer ihrer Hauptvertreter gelten darf.

Schon in seinen Nachträgen zur physiologischen Optik hatte Helmholtz^) bei Besprechung der Rose'schen Ver-

') 1. c. S. 848.

5*

68 I>r* Bwald Hering.

suche über die Störungen des Farbensinns nach Santonin- genuss bemerkt:

„Daneben könnte man hier freilich ebenso, wie bei den natörlich Farbenblinden auch daran denken, dass nicht die Leistnngsfilhigkeit der Nervenfasern anfgehoben würde, sondern die Gestalt der Intensitfttscnryen, Fig. 119, für die drei Arten lichtempfindlicher Elemente sich änderte, wobei dann eine viel grössere Veränderlichkeit in dem Verhalten der ob- jectiven Farben gegen das Ange eintreten könnte.^^

Der hier ausgesprochene Gedanke liegt auch der er- wähnten, besonders von Fick ausfuhrlicher erörterten Hypo- these zu Grunde. Er nimmt an, dass von der Mitte nach der Peripherie der Netzhaut hin die Erregbarkeitsverhält- nisse jeder der drei Faserarten gegenüber den Lichtem ver- schiedener Wellenlänge sich stetig derart ändern, dass in einem gewissen Abstände von der Mitte (auf der früher als „rothblind'' bezeichneten Zone) die rothempfindenden Fasern gegenüber jedem beliebigen homogenen Lichte die- selbe Erregbarkeit besitzen, wie die grünempfindenden, und dass schliesslich auf der äussersten Netzhautzone zwischen den Erregbarkeitsverhältnissen der drei Faserarten jeder Unterschied verschwinde. Für die „rothblinde" Zone der Netzhaut giebt es also nach dieser Hypothese nur zwei, für die „total farbenblinde" nur eine „Intensitätscurve", gleichwohl aber für beide Zonen drei Faserarten, jede von ganz derselben specifischen Energie wie auf der mittleren Netzhaut.

Helmholtz hat in der neuen Auflage seines Hand- buches eine der Fick'schen analoge Hypothese aufgestellt» wenn er S. 373 sagt:

„Die Benennungen, welchen wir den Farbeneindracken auf der Peripherie der Netzhaut geben, erklären sich am leich- testen unter der Annahme, dass in der rothblinden Zone die rothempfindliche, pbotochemiscbe Substanz" (welche jetzt an die SteUe der rothempfindenden Fasern getreten ist) „der grün- empfindlichen ähnlich geworden sei, in der änssersten Zone alle drei einander gleich."

Ueber die Hypothesen etc. der peripheren Farbenblindheit. 69

n.

Methodische Bedenken gegen die Fiok'sohe Hypothese.

Ehe ich die Thatsachen bespreche, welche auch diese Hypothese als unhaltbar darthun, will ich erörtern, wie be- denklich mir dieselbe schon aus methodischen Gründen er- scheint. Ich finde sie nicht in Einklang mit den Grund- anschauungen, auf welchen die Young'sche Theorie be- ruht, und so eingreifend wird meiner Meinung nach die letztere durch jene Hypothese erschüttert, dass mir damit die Theorie selbst eigentlich bereits als aufgegeben erscheint.

Die Young-Helmholtz'sche Theorie leitet aus dem Mischungsgesetz die Nothwendigkeit der Annahme von drei physiologischen Variablen (den specifischen Energieen oder Erregungen der drei Faserarten) und drei Grundempfindun- gen ab. Entsprechend müsste sie für die partielle Farben- blindheit, gleichviel ob sie die ganze Netzhaut (wie beim Farbenblinden) oder nur eine bestimmte Zone derselben (wie beim Farbentüchtigen) betrifft, zwei physiologische Variable und zwei Grundempfindungen fordern, weil sich hier alle mögUchen Lichter nach der Schwerpunktsconstruc- tion in einer Geraden anordnen lassen; und ebenso müsste sie für eine totale Farbenblindheit der äussersten Netzhaut- zone des Farbentüchtigen oder der ganzen Netzhaut des total Farbenblinden nur eine solche Variable und eine Grundempfindung annehmen, weil hier die „FarbentafeP' auf einen Punkt reducirt ist.

Wenn sich nun die Theorie durch die Thatsachen ge- zwungen sieht, diese ihre eigenen und zum Theil so leb- haft verfochtenen Gonsequenzen aufzugeben, und auch dort drei specifische Energieen und Grundempfindungen anzuneh- men, wer nach ihren eigenen Principien nur zwei oder gar nur eine nöthig sein würden, so ist damit zugestanden, dass aus den Ergebnissen der Mischungsversuche und aus der angenommenen Zahl der Dimensionen für die Mannigfaltig-

70 I>r. Ewald Hering.

keit der Lichtempfindungen einer Netzhaut oder Netzhaut- zone kein zwingender Schluss auf die Zahl der physiologi- schen Energieen oder der Grundempfindungen gezogen wer- den könne. Entweder es ist unzulässig mehr Grundempfin- dungen anzunehmen, als das Mischungsgesetz zum Minde- sten fordert, und dann sind für die partiell farbenblinde Netzhautzone nur zwei, für die total farbenblinde nur eine anzunehmen; oder es ist zulässig, und dann ist es unge- rechtfertigt zu behaupten, der mittleren Netzhaut des Far- bentüchtigen könnten unmi^lich mehr als drei Grundem- pfindungen zukonunen, eine Behauptung, die zwar nicht von Leber oder Fick, wohl aber von anderen aufgestellt wor- den ist.

Noch bedenklicher erscheint mir Folgendes: Wenn es drei verschiedenartige, von einander ganz unabhängige phy- siologische Variable giebt, wie dies die Young'sche Theorie (und in gewissem Sinne auch die Theorie der Gegenfarben) annimmt, so ist es verständlich und von vornherein nicht unwahrscheinlich, dass individuelle Verschiedenheiten in dem relativen Entwickelungsgrade dieser drei Variablen vorkom- men, und dass im Grenzfalle die eine oder andere ganz unentwickelt bleiben kann (angeborene Farbenblindheit). Ebenso verständlich erscheint es, dass sich auf den ver- schiedenen Netzhautzonen, entsprechend ihrer verschiedenen Bedeutung für den Gebrauch des Organes, Entwickelungs- verschiedenheiten der drei Variablen finden können.

Die ältere Auffassung der individuellen Verschieden- heiten des Farbensinnes verschiedener Individuen oder des Farbensinnes der verschiedenen Netzhautzonen desselben Individuums war also eine der genannten Theorie angemes- sene und natürliche. Hierbei wurde das Gesetz, nach wel- chem die Erregungsstärke einer bestimmten Faserart von den verschiedenen Wellenlängen abhängen sollte, also das Gesetz der sogenannten Intensitätscurve als unveränderlich angenommen, nur die absoluten Grössen der Erregung (die

üeber die Hypothesen etc. der peripheren Farbenblindheit. 71

Ordinaten der Gurre) sollten für alle Wellenlängen in demselben Verhältniss eine Aenderung erfahren, wenn der Entwickelungsgrad der bezüglichen Faserart oder Ener- gie hinter der Norm zurückgeblieben wäre.

Was ist nun an Stelle dieser folgerichtigen Auffassung getreten, nachdem man einsehen gelernt hat, dass die That- Sachen mit ihr nicht in Einklang zu bringen sind?

Die Aendernngen des Farbensinnes sind, wenn man ausgehend von der Mittelzone der Netzhaut zur Peripherie fortschreitet, durchaus stetige. Der normale Farbensinn der Mittc) geht allmählich in partielle und schliesslich in (sicher wenigstens angenäherte) totale Farbenblindheit über. So zerlegt sich die Netzhaut gleichsam in ein System von Zonen, deren jede von ihren Nachbarn in Betreff ihres Farbensinnes yerschieden ist. Für jede einzelne dieser im- endlich vielen Zonen muss nun von den Anhängern der neuen Hypothese eine andere „Intensitätscurve*' für die einzelne Faserart, ein anderes Gesetz der Abhängigkeit ihrer Erregung von der Wellenlänge angenommen werden, und zwar muss für jede einzelne Zone diese hypothetische Curve für Jede Faserart rein empirisch festgestellt werden. Dies bedeutet aber für die Theorie nichts anderes, als dass für jede Netzhautzone eine Hypothese ad hoc gemacht wer- den muss, dass man so viel verschiedenartige Curven an- nehmen müsste, als es in Bezug auf den Farbensinn ver- schiedene Zonen giebt. Dasselbe wäre in Betreff der indi- viduellen Verschiedenheiten des Farbensinnes der Fall, so- weit dieselben nicht auf blossen Absorptionsverschieden- heiten beruhen. Man hat sich freilich begnügt, bei der Erörterung der Fick- Leber 'sehen Hypothese nur drei be- stimmte Zonen aus der ganzen Mannigfaltigkeit derselben herauszugreifen, eine centrale mit normalem Farbensinn, eine ganz bestimmte „dichromatische" und eine „monochro- matische" und nur für diese drei Zonen hat man die Cur- ven der Erregungsstärke auf Grund von Thatsachen zu

72

Dr. £wald Hering.

skizziren versucht; alle Zwischenzonen hat man vorerst un* berücksichtigt gelassen und keinen Versuch gemacht, ihr Verhalten genauer zu untersuchen und ihre Intensitätscur* ven festzustellen.

Die ursprüngliche einheitliche Young'sche Theorie hat sich also verwandelt in ein Agglomerat von Einzelhypothe- sen ad hoc für die einzelnen Netzhautzonen. Die ganze Theorie erscheint aufgelöst in so viel Hilfshypothesen, als es functionell verschiedene Zonen giebt, und alle diese Hy- pothesen werden nur noch zusammengehalten durch die Behauptung, dass jede Netzhautzone drei specifisch ver- schiedene Faserarten oder Energieen besitze, obwohl die Thatsachen für die partiell farbenblinde („dichromatische'') Zone nur zwei, für die total farbenblinde („monochroma- tische") nur eine Faserart erfordern würden. Der eigent- lich feste Inhalt der Theorie ist also nur noch die Annahme von drei Energieen, gleichviel ob zur Erklärung der That- sachen drei nöthig sind, oder ob die Thatsachen nur zwei, oder gar nur eine fordern. Welche drei Grundempfindun- gen diesen drei physiologischen Energieen entsprechen, bleibt überdies unter den Anhängern der Theorie nach wie vor strittig.^) Auf jeder einzelnen, von allen übrigen functio-

') Nach meinen Notizen wurden bisher folgende Farben als Grandfarben aufgestellt:

1801 1802 1856 1860 1868

1868

1869 1873^ 1879/ 1885

Young:

Young:

Maxwell:

Helmholtz:

Preyer:

Exner:

J.J.Müller

Fick:

König:

Roth Roth Roth Roth Roth (beiläufig 683^) Roth

. Roth Roth

Roth (nach Pur- pur hin)

Gelb

Grün

Grün

Grün

Grün

(beil&ufig 510^)

Grün (zwischen

£ und b)

Grün (506^)

Grün (zwischen

£ und b)

Grün (505^)

Blau Violett

Blau Violett

Blau

(beUäufig 470^)

Röthlichblau

(beUftufig 430^)

Violett

Röthlichblau Blau (475^)

Ueber die Hypothesen etc. der peripheren Farbenblindheit. 73

nell verschiedenen Netzhautzone soll sich dieselbe Faserart gegenüber den verschiedenen Wellenlängen anders verhal- ten, so dass zwischen der einzelnen Faserart oder Energie und den verschiedenen Wellenlängen gar keine feste Be- ziehung mehr besteht, und es kein bestimmtes Gesetz für die Abhängigkeit der Erregung einer Faserart oder Ener- gie von der Wellenlänge des Lichtes, keine bestimmte „In- tensitätscurve*' für jede der drei Variablen mehr giebt. Alles zusammengenommen lässt sich hiernach von einer eigentlichen Young-Helmholtz'schen Theorie des Farben- sinnes nicht mehr sprechen, denn Niemand vermöchte aus dem, was heute noch diesen Namen führt, auch nur zu den wichtigsten Thatsachen auf deductivem Wege zu gelangen und z. B. die allmählichen Aenderungen des Tones und der Sättigung, welche die meisten Farben bei zunehmend indi- rectem Sehen zeigen, aus der Theorie abzuleiten.

Für das Schicksal der hier kritisirten Hypothese über die periphere Farbenblindheit, wie der Young-Helmholtz- schen Theorie überhaupt, ist es übrigens gleichgültig, ob man den soeben entwickelten methodischen Bedenken Ge- wicht beilegen will oder nicht, weil sofort gezeigt worden wird, dass sich jene Hypothese schon durch die Thatsachen zureichend widerlegen lässt.

UL Widerlegung der Hypothese von Fiok.

In einer umfassenden und zum Theil sehr eingehen- den Untersuchung hat neuerdings Carl Hess^) alle wesent-

Helmholtz hat in der zweiten Auflage seines Handbuchs (S. 379) meine Bemerkung (üeber Newton's Qesetz der Farbenmischung. Lotos 1887. Sep.-Abdr. S. 70), dass in der Young*schen Theorie „je nach Bedflrfoiss bald diese, bald jene Farbentöne als den Qrund- empfindungen entsprechend angenommen werden'* als eine „unge- rechtfertigte YerdUchtigung'* bezeichnet. ») vgl. dieses Archiv XXXV, 4.

74 Dr. Ewald HeriDg.

Heben Verschiedenheiten zwischen dem Farbensinn der cen- tralen farbentüchtigen Netzhaut und den übrigen, mehr oder weniger farbenschwachen Netzhautzonen festgestellt. Die Ergebnisse seiner zum Theil nach neuen Methoden an- gestellten Versuche sind im Wesentlichen in vollem Ein- klang mit denen anderer Beobachter, und wo dies nicht der Fall ist, wurde, soweit es sich um irgend Wesentliches handelt, der Grund des abweichenden Befundes aufgedeckt Ich darf hinzufügen, dass meine eigenen langjährigen Er- fahrungen, die ich theils an meinem Auge, theils an denen anderer geübter Beobachter gemacht habe, durchaus mit den Ergebnissen der Hess'schen Untersuchung überein- stimmen, und dass die individuellen Unterschiede überall nur graduelle waren und nirgends die von Hess mitgetheil- ten Ergebnisse abändern könnten.

Aus alledem ergeben sich nun die folgenden für die Kritik der älteren Theorieen des peripheren Farbensinnes besonders wichtigen Sätze, zu deren Verständniss nur hinzu- zufügen ist, dass unter macularer Zone der Netzhaut der- jenige Theil derselben gemeint ist, auf welchem wegen der vorgelagerten Pigmentschicht der macula lutea zusammen- gesetzte Lichter als nicht bloss quantitativ, sondern auch qualitativ andere zur lichtempfindlichen Schichte kommen, wie auf der übrigen, extramacularen Netzhaut.

1) Drei bestimmte homogene Lichter, ein gelbes, ein grünes und ein blaues werden auf allen Theilen einer neu- tralgestimmten ^) Netzhaut, soweit sie nur überhaupt noch farbig erscheinen, in demselben Farbentone gesehen wie auf der centralen Netzhaut, wenngleich in sehr verschie- dener Weisslichkeit (Sättigung).

2) Die übrigen homogenen Lichter ändern bei zuneh-

^) Eine angen&hert neutralgestlmmte Netzhant stellt man her, wenn man das Auge etwa eine halbe Stuide vor jedem Lichteinüall schätzt und w&hrend der Beobachtung eines spectralen Lichtes kei* nerlei anderweites Licht die Netzhaut treffen l&sst.

lieber die Hypothesen etc. der peripheren Farbenblindheit. 75

mend indirectem Sehen mehr oder minder deuÜicb nicht nur ihre Sättigung, sondern .auch ihren Farben ton.

3) Von den drei genannten» im Tone unveränderlichen Lichtern sind zwei, das gelbe und blaue, zueinander „com- plementär^ (gegenfarbig), d. L in passendem Verhältniss gemischt geben sie für jede neutralgestimmte Netzhautstelle Weiss.

4) Jede zwei homogenen Lichter, welche fiir eine be- liebige neutralgestimmte Netzhautstelle complementär sind, sind dies auch für jede andere. (Das Mischungsverhältniss kann innerhalb der macula ein anderes sein, als ausserhalb.)

5) Zusammengesetzte Lichter, deren Farbenton dem Tone eines der drei unyeränderlichen homogenen Lichter entspricht, femer Lichter von einem bestimmten rothen Farbentone, endlich alle weisserscheinenden Lichter ändern ebenfalls bei zunehmend indirectem Sehen ihren Ton bezw. ihre Farblosigkeit gar. nicht, sofern die Netzhaut neutral- gestimmt ist und ihre intramaculare Zone ausser Betracht bleibt, d. h. die Beobachtung an der äusseren Grenze der macula begonnen wird.

6) Alle übrigen gemischten Lichter ändern unter den genannten Umständen nicht nur ihre Sättigung, sondern auch ihren Farbenton.

7) Die im Tone unveränderlichen rothen Lichter geben passend gemischt mit den unveränderlich grünen für jede neatralgestimmte Netzhautstelle Weiss, ebenso die unver- änderlichen gelben mit den blauen.

8) Jede für- eine farbentüchtige (extramaculare) Netz- haotstelle gültige Farbengleichung gilt auch für jede belie- bige andere (extramaculare) Stelle.

Es ist ans dem Mischungsgesetze leicht ersichtlich, dass sich aus den hier aufgezählten Thatsachen nicht nur die Unzulässigkeit der F ick 'sehen Hypothese zur Erklärung des peripheren Farbensinnes, sondern die Unrichtigkeit der Young-Helmholtz'schen Theorie überhaupt ergiebt.

76 I>r. Ewald Hering.

Nehmen wir an, die Eckpunkte des ganz willkürlich entworfenen Farbendreiecks (R, Gr, V, Fig, 2) seien die Orte der wirklichen oder imaginären Lichtreize, welche jeder für sich ausschliesslich nur eine der drei Faser- arten zu erregen vermögen, und der Mittelpunkt W des Dreiecks sei der Ort aller zusammengesetzten Lichter, weldie weiss erscheinen, weil sie alle drei Faserarten gleich stark erregen. Jede Ton W nach einem Punkte des Dreieckum-

fangs gezogene Gerade (Radius) enthält die Orte sämmt- lieber Lichter, welche nach der Young' sehen Theorie den- selben Farbenton haben.

Die sub 1 und 5 zusammengefassten Thatsachen zei- gen nun, dass vier von diesen Geraden dadurch ausgezeich- net sind, dass die auf ihnen liegenden Lichter bei zuneh- mend indirectem Sehen ihren Ton nicht ändern, sondern nur minder gesättigt (weisslicher) werden, daher sie für jede beliebige Netzhautzone auf der bezüglichen Geraden des Farbendreiecks bleiben müssen und nur ihren Ort in-

Ueber die Hypothesen etc. der peripheren Farbenblindheit. 77

nerhalb derselben ändern d. h. weiter nach der Mitte des Dreiecks W hinrücken können. Die sab 3 und 7 angeführ- ten Thatsachen lehren ferner, dass je zwei dieser vier Ge- raden oder Radien des Dreiecks diametral entgegengesetzt liegen, also zusammen einen Durchmesser des Dreiecks bil- den. Wir wollen die Linien ^"^^ (»/als diese beiden Durchmesser annehmen.

Die sub 5 angeführte Thatsache der unveränderlichen Farblosigkeit der weissen Lichter zeigt, dass dieselben auch für die beliebig excentrischen Netzhautstellen ihren Ort im Dreieck nicht ändern. Dies folgt auch schon daraus, dass die beiden Durchmesser, auf welchen die im Tone unver- änderlichen Farben liegen, sich, wie wir sahen, auch für die excentrischen Netzhautstellen wegen der Unveränder- keit ihrer Lage stets im Mittelpunkte des Dreiecks schnei- den. Es folgt femer auch aus sub 8.

Aus sub 4 folgt weiter, dass alle Lichter, welche für eine Netzhautstelle auf demselben Durchmesser des Farben- dreiecks liegen, auch für alle übrigen, beliebig excentrischen Stellen nur einem Durchmesser angehören.

Aus alledem, wie auch schon allein aus den sub 8 er- wähnten Thatsachen, folgt schliesslich, dass die Ortsände- rung sämmtlicher Lichter im Farbendreieck für die zuneh- mend excentrischen Netzhautstellen nur in einer einzigen Weise möglich wäre, nämlich derart, dass die Curve der homogenen Lichter (rgv) ohne ihre Oestalt und Lage im Uebrigen zu ändern, sich mehr und mehr verjüngte, wie dies die punktirten Curven der Figur für einzelne Sta- dien dieser Verjüngung darstellen, bis die Curve schliesslich für die total farbenblinde Netzhautperipherie in einen Punkt zusammenschrumpfen würde.

Dies wäre also die einzige Möglichkeit, um die oben zusammengestellten Thatsachen, mit Ausnahme der un- ter 2) und 6) erwähnten, zwar nicht mit der Fick'schen Hypothese, welche schon jetzt widerlegt erscheint, wohl aber

78 Dr. Ewald Hering.

noch mit der Theorie von Young-Helmholtz in Einklang zu bringen. Nun wäre aber die unvermeidliche Consequenz dieses einzigen Auswegs, welcher für diese Theorie jetzt noch übrig scheint, die, dass alle farbigen Lichter im indirecten Sehen zwar ihre Sättigung, nicht aber ihren Ton an» dem könnten. Da eine solche Aenderung aber bekann- termaassen bei der weitüberwiegenden Mehrzahl der farbi- gen Lichter schon für den ungeübten Beobachter in der auffalligsten Weise eintritt, so folgt, dass die Young-Helm- holtz'sehe Theorie überhaupt keine Möglichkeit zur Er- klärung der oben angeführten, zum grossen Theile bereits lange bekannten Thatsachen darbietet, und dass sie durch dieselben allein schon genügend widerlegt ist.

Wem Erörterungen, wie die soeben angestellten, min- der geläufig sind, kann sich leicht von der Unvereinbarkeit der Fi ck 'sehen Hypothese (wie der erwähnten Theorie über- haupt) mit den Thatsachen des indirecten Farbensehens über- zeugen, wenn er den Versuch macht, die von verschiedenen Autoren in verschiedenen Formen entworfenen sogenannten Intensitätscurven der drei Faserarten für jede einzelne Netz- hautzone so umzugestalten, dass sie sämmtlichen für diese Zone geltenden Thatsachen entsprechen. Er wird sich da- bei leicht überzeugen, dass dies auch nicht annähernd mög- lich ist.

IV. Sine neue psychologische Hypothese von Hehnholts.

Helmholtz hat bekanntlich schon früher ganze Rei- hen von Thatsachen, welche sich aus der Young'schen Theorie nicht erklären lassen, als blosse Urtheilstäuschun- gen hingestellt Nachdem sich nun seine in der ersten Auflage seines Handbuchs vermuthungsweise gegebene Er- klärung des peripheren Farbensinns aus einer vermeintlichen „RothbIindheit'< der peripheren Netzhaut als den Thatsachen

Ueber die Hypothesen etc. der peripheren Farbenblindheit. 79

zuwiderlaufend erwiesen hat, versucht er in der zweiten Auflage ausser einer, der Fick'schen analogen Erklärung (s. o.) auch noch eine psychologische Erklärung der, wie er meint, vielleicht nur scheinbaren Widersprüche zwischen den Thatsachen und seiner älteren Hypothese. Er sagt S. 374:

„Uebrigens wiU ich dabei bemerken, dass ich diesen Um- stand^) nicht für beweisend für die genannte Hypothese des Uebergangs einer lichtempfindlichen Endsubstanz in eine andere halte, obgleich die Thatsachen sich so am leichtesten erklären lassen. Denn auch wenn eine der Grundempfindungen fehlte, würden wir lernen, welche Empfindungen in den peripherischen Theilen dem häufigsten und intensivsten Lichteindrucke, der Farbe der am hellsten erleuchteten Körper entsprechen. Die- ser verkündet uns objectives Weiss: was wir davon unterschei- den können, würde dann nach der Art seines Unterschiedes von der dem Weiss entsprechenden Empfindung abgeschätzt werden. Wenn uns also eine Grundempfindung, z. B. Roth fehlt, so deuten wir den Rest wahrnehmbarer Farben als Far- ben einer Linie, die im .Farbendreieck durch den Ort des Weiss parallel der Verbindungslinie der beiden noch erhaltenen Grund- farben gelegt ist. Diese würden, wenn Roth fehlt, von Gelb durch Weiss zu Blau gehen.^'

Bei dieser Auseinandersetzung hat Helmholtz eine sonderbare Verwechslung begangen, auf welcher sich die ganze Hypothese aufbaut. Wenn die Grundempfindung Roth fehlt, sollen wir den Rest wahrnehmbarer Farben als Farben einer Linie deuten, die im Farbendreieck durch den Ort des Weiss parallel der Verbindungslinie der beiden noch erhaltenen Grundfarben gelegt ist, und diese Linie soll von wGelb durch Weiss zu Blau" gehen. Wie Fig. 3 zeigt, geht diese Linie (ah), wenn wir Roth, Grün und Violett als Grundempfindungen nehmen und die Grundempfindung Roth fehlt, in Wirklichkeit von einem Gelbgrün durch Weiss

') dass nämlich in Fällen angeborener oder erworbener einsei- tiger Farbenblindheit -farbige Lichter mit dem farbenblinden Auge ebenso gesehen werden, wie wir sie mit der farbenblinden Netz- hautzone sehen.

80 I>r- Ewald Hering.

zu einem Purpur, nicht aber von Gelb durch Weiss zum Blau. Wir müssten also auf der peripheren Netzhaut nur noch gelbgrüne und purpurne Farbenwahmehmungen haben. Die Lage könnte die fragliche Linie, wie die Figur zeigt, nur dann haben, wenn nicht Roth, sondern Grün die fehlende Grundempfindung wäre. Wo bliebe aber dann die von Helmholtz angenommene Rothblindheit? Die Sache wird nicht besser, wenn wir uns an das von Helmholtz ebenfalls abgebildete Farbendreieck seines Schülers König halten, in welchem Blau als dritte Grundempfindung ange-

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nommen ist Hier würde die Helmholtz'sche Bemerkung auch dann nicht stimmen, wenn wir Grün als die fehlende Grundempfindung annehmen. Denn die Linie ginge dann von einem Rothgelb durch Weiss zu einem Grünblau. Durch die von Helmholtz begangene Verwechselung wird also seine ganze Erklärung hinfallig.

Sollte diese neueste psychologische Hypothese Ton Helmholtz überhaupt nur möglich werden, so müsste er sich entschliessen, seine alte Annahme von der „Rothblind- heit" der peripheren Netzhaut aufzugeben und dafür „Grün- blindheit" anzunehmen. Solange dies nicht geschehen, er-

Ueber die Hypothesen etc. der peripheren Farbenblindheit. 81

scheint es überflüssig, zu zeigen, dass die Hypothese auch dann noch haltlos wäre. Höchstens wäre hier noch her- yorzuheben, dass es nach dieser Hypothese auch keine ein- seitige „Kothblindheit" mehr geben könnte, sondern nur „Grünblindheit".

Schliesslich bemerkt Helmholtz noch Folgendes: „Da wir überhaupt im Stande sind, den Unterschied des dichromatischen Farbensehens in der Peripherie unserer Netz- haut mit dem trichromatischen der Mitte zu fibersehen, und er durch Jahrtausende übersehen worden ist, bis die physiolo- gische Beobachtung besonders auf diesen Punkt gerichtet wurde, können wir daran ermessen, bis zu welchem Grade unsere auf die Beurtheilung der Körperfarben gerichtete Einfibung bei der Abschätzung qualitativer Unterschiede der gesehenen Objecto mitwirkt"

Wie schon die eben besprochene Hypothese zeigt, ist Helmholtz der Ansicht, dass unser Urtheil auf die Farbe, in der wir die Dinge sehen, in so hohem Grade bestim* mend wirkt, dass wir in sehr vielen Fällen eine ganz an- dere Farbe wahrnehmen, als der jeweiligen Empfin- dung entspricht, welche durch das bezügliche Licht erzeugt wird. Er meint also, wir hätten, so lange wir nicht die indirect gesehenen Dinge zum Gegenstande besonderen Stu- diums machten, ein auf der peripheren Netzhaut abgebil- detes z. B. rothes Ding ebenso roth wahrgenommen» wie beim directen Sehen desselben, obwohl die Empfindung in beiden Fällen eine verschiedene war. Nun achten wir aber beim gewöhnlichen Sehen überhaupt nur auf die Dinge, welche sich auf der mittleren Netzhaut abbilden, und so- bald ein excentrisch abgebildetes eben nur beginnt, unsere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, gleitet auch schon unser Blick zu ihm hin, sodass es sich wieder auf der centralen Netzhaut abbildet. Man hat also gar keine Veranlassung, sich mit den peripheren Netzhautbildern und ihrer Farbe zu beschäftigen und ihre Farbe eigentlich wahrzunehmen, so lange man sie nicht zum Gegenstande besonderer Auf-

▼. Graefe'» Archiv für Ophthalmologie. XXXV. i. 6

82 Dr. Ewald Hering.

merksamkeit macht. Es ist ja doch bekannt, dass es einen besonderen, beim gewöhnlichen Sehen nie nöthig werden- den Willensact erfordert, ein peripher erscheinendes Ding za betrachten, ohne doch zugleich die Gesichtslinie auf das- selbe einzustellen. Hierin also liegt der Grund dafür, dass man den Unterschied der Farben eines und desselben Din- ges beim directen und stark indirccteu Sehen so lange über- sehen hat, und dass ihn der nicht sachverständig angelei- tete Laie noch heute übersieht; nicht aber darin, dass der Laie durch ein unbcwusstes Urtheil bestimmt würde, z. B. ein für die centrale Netzhaut violettes Ding auch mit der peripheren violett zu sehen, obwohl es ihm hier thatsäch- lich eine blaue Empfindung erzeugt, und dass er erst beim Studium des indirecten Sehens statt des sonst in Folge fal- schen Urtheils wahrgenommenen Violett nun das em- pfundene Blau auch wirklich sieht. Es bedarf vielmehr schon besonderer Aufmerksamkeit, um überhaupt die Farbe der peripheren Netzhautbilder wahrzunehmen; sobald man sie aber überhaupt wahrnimmt, nimmt man sie sofort in der durch die Art der Erregung und Empfindung bestimmten Farbe wahr, d. h. im erwähnten Falle blau und nicht violett

Selbstverständlich hält der Laie auch jetzt noch das Ding, obwohl er es indirect blau sieht, nach wie vor für violett, d. h. er erklärt das Violett für die „wirkliche" Farbe des Dinges, das Blau für eine „optische Täuschung**. Die- ses (freilich nicht „unbewusste") Urtheil, so bestimmt es auch ist, verhilft ihm aber doch nicht im Mindesten dazu, das Ding auch indirect violett zu sehen, er sieht es viel- mehr trotz seinem Urtheil blau, sobald er nur gelernt hat, trotz der auf etwas indirect Erscheinendes gerichteten Auf- merksamkeit das Auge unbewegt zu halten.

lieber die Hypothesen etc. der peripheren Farbenblindheit. 83

Nachdem ich die Unrichtigkeit der in dieser Abhand- lang erwähnten Hypothesen zur Erklärung der peripheren Farbenblindheit dargethan habe, bliebe noch übrig, die letztere aus der Theorie der Oegenfarben zu erklären. Aber diese Erklärung liegt so offen zu Tage, dass Jeder, der diese Theorie auch nur in ihren Grundzügen kennt, sich alle in obigen Sätzen zusammengeÜEtösten Thatsachen leicht aus derselben selbst abzuleiten vermag.

lieber die relative Accommodationsbreite.

Nach Untersuchungen von F. Halsch und H. Perele^

mitgetheilt von

Dr. med. H. Perelos.

(Aus dem deutschen physiologischen Institute zu Prag.)

Mit 20 Figuren im Text.

Nachdem man bis zum Jahre 1836 angenommen hatte, dass der Zusammenhang zwischen Accommodation und Con- vergenz ein absoluter sei, das heisst, dass man bei einer Convergenz auf einen n*^*" entfernten Punkt, auch auf diese Entfernung accommodiren müsse und umgekehrt, wies Volk- mann^) nach, dass es einen solchen Zusammenhang nicht gebe. Er widerlegte obige Anschauung, welche bis dahin durch die Autorität Johannes Müller 's') gestützt war, durch einige einfache Versuche, und gelangte so zu dem Resultate, dass unter bestimmten Verhältnissen eine Lösung des absoluten Zusammenhangs möglich sei, ohne sich jedoch über die Art und Weise und den Grund dieser Lösung weiter auszusprechen. Donders') gelang es, hierfür wei-

^) Volkmann, Neue Beitr. zur Physiologie des Gesichtssinnes. 1836, p. 148 und vorhergeh.

^) Johannes Malier, Vergleichende Physiologie des Gesichts- sinnes. 1826. p. 216.

') Douders, Anomalien der Refraction und Accomodation des Auges, herausgeg. von Otto Becker. Wien 1866.

H. Pereies, lieber die relative Accommodationsbreite. 85

tere Beweise zu liefern, und auch den Grad der Unabhän- gigkeit zu bestimmen.

Die Ergebnisse der Donders'schen Untersuchungen sind seitdem allgemein angenommen, jedoch keiner genaue- ren Ueberprüfung unterzogen. Erst vor wenigen Jahren hat Dr. H. Biesinger^) auf Anregung Prof. NageTs neuer- dings einige Versuche über die relative Accommodations- breite angestellt, wobei er sich derselben Untersuchungs- methode bediente wie Donders.

Auch die Ergebnisse dieser Untersuchung zeigten sich im Allgemeinen nicht geeignet, jene Bedenken und Zweifel in befriedigender Weise zu lösen, die sich Herrn Professor Sattler bezüglich der Constanz der Donders'schen Cur- ven für andere Fälle aufgedrängt hatten.

Herr Professor Sattler fand bei Gelegenheit einer An- zahl von Bestimmungen der relativen Accommodationsbreite, welche ohne Zuhilfenahme besonderer Apparate an einigen gleichalterigen, emmetropischen Hörern seiner Vorlesungen auf der hiesigen Klinik für Augenheilkunde vorgenommen wurden, dass die so gewonnenen Ergebnisse die von Don- ders angegebenen Grenzen der r. Abr. in vielen Fällen über- schritten, besonders was deren negativen Theil anbelangt.

Auf Anregung unseres verehrten Lehrers, dem ich hier- für meinen herzlichsten Dank ausspreche, unternahmen wir*) -es also, die r. Abr. neuerlich eingehend zu untersuchen.

*) Gr&fe-Sämisch, Handb. der Augenheil k. Leipzig 1880. Anomalien der Refraction u. Accomodation des Auges v. A. Nagel. Clap. X. ferner: Biesinger, Untersuchungen üb. d. Beziehungen zwischen Accommodation u. Converg. der Blicklinien. Inaug.-Dissert. Tflbingen 1879. Nagel, Beobachtungen und Arbeiten aus der ophthalmiatrischen Klinik. Tübingen 1880. I, S. 58.

^) Ich begann die Untersuchungen gemeinschaftlich mit meinem CoUegen M. U. C. Franz Halsch, und es sind die sämmtlichen Voruntersuchungen, die Untersuchungen an unseren emmetropischen Augen, die Construction des Coordinatensystems und die mathema-

86 H. Pereies.

Die Versuche wurden im hiesigen physiologischen In« stitute gemacht, wo Herr Prof. Hering sich nicht nur be- reit zeigte, uns mit Rath und That zu unterstützen, son- dern uns auch eine Methode empfahl, welche zur Unter- suchung der relativen Accommodationsbreite noch niemals in Anwendung gebracht worden ist, und durch welche allein, wie sich aus dem Gange unserer Arbeit ergiebt, so über- aus genaue und zahlreiche Beobachtungen möglich gemacht wurden.

Die Methode ist die haploskopische und der Apparat, der durch die Güte Herrn Prof. Hering 's eigens für un- sere Zwecke construirt wurde, ist eine Modification jenes Apparates, den er gelegentlich seiner Untersuchungen über den Raumsinn ^) benutzt hat.

tische Auffindung des Gesetzes bezQglich der Corve, Fig. 10, unsere gememschaftliche Arbeit. Mein Mitarbeiter wurde mir am 16. October 1888, nahe dem Ziele seiner Studien durch plötzlichen Tod entrissen. Er starb in Folge von Verbrennung, die er sich beim XJmstQrzen seiner brennenden Petroleumlampe zugezogen hatte. Sein Hinscheiden bedeutet für alle seine Freunde den Verlust eines wackeren Cameraden, fttr die Wissenschaft den Abgang eines allge- mein anerkannten und durch mehrfache wissenschaftliche Arbeiten bewährten hoffnungsvollen Talentes.

') Handbuch der Physiologie von L. Hermann. Leipzig 1879. III. Band, 1. Theil: Der Raumsinn und die Bewegungen des Auges von £wald Hering. £s findet sich I. Abschn., 1. Cap., p. 337: „Eine derartige Vorrichtung, mittels welcher jedem Auge ein be- sonderes Gesichtsfeld dargeboten, der Inhalt beider Gesichtsfelder aber vereint im Sehfelde zur Erscheinung gebracht wird, heisse eine haploskopische Vorrichtung*' ; femer I. Abschnitt, 6. Cap., p. 393 Anm. 1 gelegentlich der Erwähnung der im Text beschriebenen Modification: „Dieser Apparat unterscheidet sich von dem beweg- lichen Spiegelstereoskope Wheatstone*s nur dadurch, dass bei letzterem beide Spiegel sammt den zugehörigen Bildebenen um eine gemeinschaftliche, zwischen den beiden Spiegeln gelegene, verticale Achse drehbar sind, während im ersteren jeder Spiegel seine be- sondere, zugleich durch den Drehpunkt des entsprechenden Auges gehende Achse hat.

lieber die relative Accommodationsbreite.

87

Hering beschreibt denselben in dem betreffenden in der Anmerkung genannten Werke folgendermaassen: ),Vor jeder der beiden horizontalen und zunächst parallel ange- nommenen Gesichtslinien befindet sich ein um 45^ zu ihr geneigter kleiner Spiegel. Die beiden projectivischen Zeich- nungen liegen je auf einer verticalen Ebene ah c, a^ \ c^ (Fig. 1), welche ebenfalls zur Ebene des zugehörigen Spie- gels unter 45® geneigt ist, und demselben auf einem Schlit- ten beliebig genähert, oder wieder von ihm entfernt wer- den kann. Spiegel und Bildebene einer Seite sind je auf

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Fig. 1.

einem Gestelle befestigt, welches um eine vertikale Achse drehbar ist, deren gedachte Verlängerung durch den Dreh- punkt des bezüglichen Auges geht; bei der Drehung des Gestelles ändert sich also weder die Lage der Zeichnung zum Spiegel, noch die Lage des letzteren zum Drehpunkte des Auges, wenn der Kopf durch einen Halter fixirt ist. Sind b und b^ die dem Fixationspunkte entsprechenden Punkte der beiden Zeichnungen, so müssen die Gesichts- linien, wenn der Apparat die durch Figur 1 versinnlichte Stellung hat, parallel stehen, um auf die Spiegelbilder ß und ßi dieser Punkte zu treffen; hat aber der Apparat eine Stellung, wie sie Fig. 2 darstellt, so müssen die Gesichts- linien zu demselben Zwecke convergiren."

88

H. Pereies.

Uusor Apparat nun gestaltete sich, nachdem wir nach den Bedürfnissen, die sich im Laufe der Vorversuche her- ausstellten, einige Veränderungen an demselben Torgenom- hatten, folgendermaassen: Auf einer Marmorplatte von 90 cm Länge, 45 cm Breite, 2,5 cm Dicke befinden sich zwei Kreis- sectorcn M und M^ (Fig. 3) aus Blech von 32 cm Radius,

A' 'A

Fig. 2.

deren 50 Bogengiade umfassende Peripherie eine Einthei- lung trägt, auf der man Grade und Zehutelgrade ablesen kann. In dem Mittelpunkte eines jeden Kreissectors ist eine verticale Achse angebracht {A und A^)^ welche das Endstück je einer Schiene A B und A^ B^ durchbohrt.

Fig. 3.

Jede Schiene verläuft also im Radius des betreffenden Sectors, und ist um die genannte Achse drehbar. Vom Drehpunkte aus ist auf jeder Schiene eine MUhmeterein- theilung so aufgetragen, dass deren Nullpunkt mit dem Drehpunkte der Schiene zusammenfällt. Auf jeder Schiene ist ein kleiner Schlitten C und C^ (Fig. 3) verschiebbar, der wiederum ein Gestell P und P^ zur Aufnahme der Seh-

lieber die relative Accommodationsbreite. 89

proben trägt. In der Nähe der beiden mit den Achsen verbundenen Enden der Schienen sind auf einem von letz- teren unter einem rechten Winkel abgebogenen, kiurzen (horizontalen) Fortsatz die Gestelle für die Spiegelchen S und Si angebracht, welche gestatten, letztere so zu justiren, dass ihre Ebenen mit der zugehörigen Schiene je einen Winkel von 45^ einschliessen und sich um die Mittelpunkte der Sectoren herumbewegen, den gleichen Winkel beschrei- bend wie die Schienen. Die spiegelnden Flächen der Spie- gelchen und die Flächen der Sehproben sind lothrecht. Die beiden Sectoren sind sammt den Achsen, Schienen und Spiegelchen parallel zu sich selbst verschiebbar, so dass man die beiden Achsen in Pupillondistanz bringen kann; zur Feststellung dienen die Schrauben r, r^, r^, r^.

Der Stützapparat für den Kopf, der in der Mitte zwi- schen den beiden Achsen Ä und A^ angebracht wird (auf der Zeichnung der Deutlichkeit wegen weggelassen), ist durch zwei Schrauben so verstellbar, dass man den Dreh- punkt der Augen, den wir der Einfachheit wegen in die Verbindungslinie der beiden äusseren Augenwinkel fallend denken, senkrecht über die Sectorenmittelpunkte, und wag- recht vor die Mitte der Spiegelchen bringen kann. (Der minimale Fehler, den man etwa durch diese Annahme be- züglich der Lage des Drehpunktes begeht, bleibt ausserdem noch für alle Beobachtungen derselbe und hat daher kei- nen Einfluss auf die Richtigkeit der Resultate.) Der Kopf des Beobachters wird so gestellt, dass die Horizontalebene des Schädels parallel ist mit der Blickebene. Die Null- punkte der Gradeintheilung und die Drehpunkte der Schie- nen liegen in einer Geraden, und jeder der beiden Bogen, welche die Gradeintheilung tragen, ist noch diesseits des Nullpunktes bis auf 8 Grad fortgesetzt, um die Sehachsen auch in Divergenzstellung bringen zu können.

Um die Spiegelchen so zu stellen, dass sie mit den Schienen genau 45^ einschliessen, bedienten wir uns folgen-

90

H. Pereies.

der Justirung: Die Schienen A^B^ und AB (Fig. 4) wer- den auf 45® gestellt, in einer zur Verbindungelinie der Nullpunkte parallelen durch die Mitte der Spiegel S und 8i gehenden Geraden zwei Lothe L und L^ aufgehängt und die Spiegelchen so lange gedreht, bis man beim Visiren von rechts oder von links die Lothe mit deren Spiegelbil- dern auf jeder Seite zur Deckung bringen kann. Aus der Zeichnung ist ersichtlich, dass dies nur dann geschehen kann, wenn die Spiegel auf der Verbindungslinie L L^ senk- recht stehen, also mit den Schienen ^Bund A^B^ 45^ einschliessen.

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Als Sehproben wählten wir nach dem Vorschlage Hrn. Prof. Hering 's noch ganz unbenutzte österreichische Fünf- guldennoten, die sich nach mehreren Versuchen mit anderen Probeobjecten am besten hiezu eigneten, da sie sich wegen der vollkommenen Gleichheit ihrer Bilder binocular leicht vereinigen und zusammenhalten lassen, und auch zahlreiche feinste Details aufweisen, durch welche die Beurtheilung des Scharfsehens sehr genau wird.

Um diese Sehproben auf den Gestellen P und Pj (Fig. 3) so zu befestigen, dass identische Punkte derselben bei paralleler und geradeausgerichteter Blickrichtung, dem- entsprechender Stellung der Schienen auf o und o^ auf iden- tische Netzhautstellen fallen, wurden bei der genannten Schienenstellung auf den Gestellen P und P, (Fig. 5) zwei Lothe L und L^ so lange verschoben, bis sich ihre Spie- gelbilder mit den Lothen l und i, von jedem der über den

lieber die relative Accommodationsbreite.

91

Drehpunkten A und A^ befindlichen Augen zur Deckung bringen Hessen. Da die Lothe l und l^ in Pupillendistanz symmetrisch zur Medianlinie aufgehängt wurden, so ist ersichtlich, dass die Lothe L und L^ solche Stellen der Gestelle markirten, welche vorgenannter Anforderung ent- sprechen. Nun wurden die Banknoten so befestigt, dass sich die Lothe mit ihren Halbirungslinien deckten; daher konnten die von jedem Auge empfangenen Banknotenbilder zur Vereinigung gebracht werden.

Verschiebt man nun die Schlitten mit den Gestellen längs der Schienen, so ändert man die Entfernung der

Fig. 5.

Spiegelbilder vom Auge, und solange der Beobachter das vereinigte Doppelbild deutlich und scharf sehen kann, so lange muss die Accommodation den wirklichen Entfernun- gen gefolgt sein, und man kann ihre Grösse nach Hinzu- rechnung der Entfernung des Spiegels vom optischen Mit- telpunkte des Auges in Centiraetem und Millimetern an den Schienen ablesen und in Dioptrieen ausdrücken. Durch Drehung der Schienen um ihre Achsen A und A^ kann man jede beliebige Convergenz- und Divergenzstellung der Sehlinien zwischen den Grenzen +90® (Convergenz), (parallele Sehachsen) 16*^ (Divergenz) herstellen, somit die Accommodationsbreite bei jeder beliebigen Convergenz, oder die Maxima und Minima der Convergenz bei beliebi- ger Accommodation bestimmen. Wenn man zur Feststel- lung der Grenzen immer dasselbe Kriterium nimmt, näm-

92 H. Pereies.

lieh vollkommen scharfes Sehen der feinsten Einzelnheiten, 80 muss man bei beiden Anordnungen der Versuche die gleichen*) Ergebnisse bekommen, da in beiden Fällen nur die Reihenfolge der in der Accommodation und in der Con- vergenz vorgenommenen Veränderungen verschieden ist.

Wir wählten der Bequemlichkeit halber die Anord- nung, dass wir die Entfernung des Objectes, also die Ac- commodation jeweilig feststellten, und durch Drehung der Schienen das Maximum und Minimum der Convergenz be- stimmten, bei der eben diese Accommodation noch festge- halten werden konnte (analog den Prismenversuchen Bie- singer's). üebrigens wurde noch eine Beobachtungsreihe in der Weise angestellt, dass wir die Grenzen der Accom- modation bei jeweilig festgestellter Convergenz der Gesichts- linien bestimmten, und es zeigte sich, dass man auch in diesem Falle die gleichen Ergebnisse erzielte (Fig. 13).

Man sieht leicht ein, dass bei dieser Methode alle jene Ungenauigkeiten wegfallen, welche bei der Bestimmung der r. Abr. mit Brillengläsern und gar mit Prismen unvermeid- lich sind. Denn die Planspiegelchen, welche für den gröss-

*) Biesinger bestimmte die r. Abr. mittels sphärischer Gl&ser, die Fusionsbreite mittels Prismen, welches letztere unserer häufi- geren Anordnung der Versuche analog wäre. Doch bekam er für die durch Prismen bestimmte relative Fusionsbreite ganz andere, und zwar viel kleinere Werthe, als den aus der r. Abr. abgeleite- ten entsprechen würde. Da nun der Zusammenhang zwischen Accom- modation und Convergenz ein wechselseitiger ist, so wäre dies jeden- falls ein sehr auffälliges Ergebnis, wie auch Nagel in den zu Bie- singer *s Arbeit beigefQgten Bemerkungen erwähnt. Es ergab sich auch schon bei der nochmaligen Ueberprüfung der Prismenversuche durch Schleich eine sehr gute Uebereinstimmung beider Reihen von Werthen, und ich bin in der Lage zu constatiren, dass, wie man aus Fig. 13 ersieht, die nach der im Texte ersterwähnten An- ordnung gewonnenen Grenzen der relativen Fusionsbreite mit den aus den Ergebnissen der zweiterwähnten Anordnung abgeleiteten Grenzen, sehr exact abereinstimmen. Dasselbe gilt für die relativen Accommodationsbreiten.

Ueber die relative Accommodationsbreite. 93

teil Theil der Bestimmungen verwendet wurden, ergaben bei Anwendung der oben erwähnten optischen Justirung gar keine Ungenauigkeiten, und die zur Ermöglichung einer Accommodation von weniger als zwei Dioptrieen nothwendi- gen Hohlspiegel sind von so grosser Brennweite, dass die durch sie bedingten Ungenauigkeiten sehr gering, überdies auch noch für die ganze Versuchsreihe dieselben sind, wäh- rend bei der bisher angewendeten Methode mit zunehmen- der Brechkraft der Linsen oder Prismen die eingeführten Fehler unverhältnissmässig zunehmen. Ausserdem kann man mit unserem Apparat leicht und schnell mehrere Bestim- mungen hintereinander machen, was den Vortheil hat, dass die Augen während einer Versuchsreihe nicht zu sehr er- müden, und dass man die Durchschnittszahlen aus zahlrei- cheren Beobachtungen gewinnen kann.

Um ein Urtheil zu gestatten über die Genauigkeit und die Fehler, mit welchen die einzelnen Beobachtungen ge- macht wurden, gebe ich bei einer Versuchsreihe (S. 99) die vollständigen Tabellen mit den direct gefundenen Wer- then wieder, während ich bei den übrigen der Kürze halber nur die Mittel werthe anführe. Ich bemerke hierbei, dass fast in keinem Falle der Mittelfehler und der grösste Fehler überstieg.

Um über die in den Resultaten enthaltenen Beziehun- gen zwischen Accommodation und Gonvergenz einen leich- ten Ueberblick zu gestatten, scheint es mir noth wendig, alle Ergebnisse graphisch darzustellen, indem ich sie in ein Coordinatensystem eintrage, welches dem von Donders sei- nerzeit verwendeten, analog ist, mit dem Unterschiede, dass hier statt Zollen, Dioptrien eingeführt wurden, und es mög- lich ist, die Gonvergenz auch in Meterwinkeln abzulesen.

Das Goordinatensystem wurde nach folgender Ueber- legung coustruirt: Denkt man sich die Augen auf einen

94

H. Pereies.

Punkt P gerichtet (Fig. 6), welcher sich in der Drehpunkls- distanz (Pupillendistanz) p vom optischen Mittelpunkte der

Augen Ä und A^ gemessen, me- dian vor ihnen befindet, so bilden die Verbindungslinien der optischen Mittelpunkte und des Punktes P ein gleichseitiges Dreieck APA^. Also entspricht der Accommodation auf die Enfernung p mm (für mich 68 mm entspricht 14,7 D.) eine Con- vergenz von 60®. Einer Accommo- dation auf den Punkt Pj, welcher sich in der Entfernung p^ vom Auge befindet, entspricht eine Convergenz von a^. Drückt man die Accommo-

dation m Dioptrieen aus, so ist = ai> und = d,

Pi P

wo dl und d eine Anzahl von Dioptrieen bedeuten. In dem

/2 ßO

Dreiecke PA^ P^ ist p : p^ = sin -^ : sin -^

Pi =

p sin 30

sm

1000 Pi

1000

p

sin^^ sin 30

di = d

:X.

sing

sin 30

Diese mit x bezeichnete Grösse nehmen wir zur Abscisse des Coordinatensystems; x ist somit proportional dem sinus des halben Convergenzwinkels. Die Accommodation wollen wir in Dioptrieen ausgedrückt auf die Ordinatenachse un- seres Systems auftragen.

lieber die relative Accommodationsbreite.

95

Wenn ich z. B. für mich, p = 68in, d=14,7 D, das System construiren will, so ist dies nach dem Gesagten einfach. Einer Accommodation von 14,7 D entspricht eine Convergenz von 60®. Wenn ich also auf der Ordinaten- achse eine Strecke ON (Fig. 7) = 14,7 annehme, so habe ich in der gleichen Entfernung von 0 auf der Abscissen- achse den Punkt M als jenen Punkt anzunehmen, der eine Convergenz von 60® bezeichnet; die Strecke OM bedeutet

, .60 0 also sm-^ .

Die Strecke OJV theile ich nun in 14,7 D

A./4f7D

ein und auf die Strecke OM. trage ich die Sinus der hal- ben Convergenzwin- kel in Längeneinhei- ten auf. Die sinus der halben Conver- genzwinkel wurden nicht berechnet, son- dern wie aus unsern Figuren ersichtlich ist, geometrisch con- struirt. Man nimmt den radius 2 d = 2xON in den Cirkel, beschreibt aus irgend einem Punkte der Ordinatenachse als Mittelpunkt einen Kreisbogen, theilt ihn in halbe Grade, und projicirt die- selben auf die X Achse. Die Projectionen stellen die sinus der halben Convergenzgrade dar, wurden aber mit solchen Zahlen bezeichnet, welche die ganzen Convergenzen aus- drücken.

Dieses Coordinateusystem gestattet die Grösse der Ac- commodation in Dioptrieen und der Convergenzen in Win- kelgraden direct abzulesen. Auch die Nagel' sehen Meter- winkel sind leicht einzuführen, indem man sich von den Durchschnittspunkten der Abscissen mit der Diagonale OQ

96 H. Pereies.

Ordinaten gezogen denkt, welche die x Achse in so viele MW theilt, als die y- Achse in Dioptrieen getheilt ist. Die Diagonale OQ ist zugleich die von Donders kurzweg als Convergenzlinie bezeichnete Gerade, und hat die Bedeutung, dass die ihr zugehörigen Abscissen und Ordinaten solche Werthe der Convergenz und Accommodation ausdrücken, welche beim Sehen von Gegenständen in der Medianebene von emmetropischen Augen geleistet werden. Dass man ausserdem auch die Grösse der MW in Winkelgraden direct ablesen kann, ist schon deshalb von Vortheil, weil die Vor- stellung von Graden für Jedermann sicher geläufiger ist, als die von MW, deren Grösse überdies noch von der Pu- pillendistanz abhängig ist Z. B. einer Accommodation von 10 D entspricht eine Convergenz von 10MW = 39,8® oder 450 Conv. ist bei 68 mm Pd. = 11,25 MW (Fig. 12).

Ich gehe nun an die Darstellung der Versuchsergeb- nisse, und bringe dieselben in derselben Reihenfolge, in der sie gefunden wurden, der leichteren Uebersicht und besseren Anschaulichkeit wegen, gleich in das oben beschriebene Co- ordinatensystem eingezeichnet

Die ersten drei Curven sind nach den Beobachtungen des Franz Halsch gezeichnet; derselbe war zur Zeit der Versuche 25 Jahre alt, Emmetrop.

Rechts ^j f 9 cm (00

Sehschärfe l ^ Punct. prox. ! Punct. remot. '

Links

[vT (lO- (

Pupillendistanz Pd = 64mm, Nahepunkt: binoc. 10,0— 10,5 cm, absol. 9,5— 10,0 cm.

Ueber die relatiYe Accommodationsbreite.

97

I. Beobachtungsreihe

(die mit bezeichneten Zahlen bedeuten Divergenzen).

Accommo- datiOD In

Convergenxen

Dioptrien

Maxima

Minima

1,9

50,3

-6,5

2,8

53,5

-4,5

4,6

61.7

+ 1,1

6,7

69,8

12,0

7,9

40,0

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K. 8.

II. Beobachtungsreihe.

Accommo*

ConTO-genzen

dation in

I>loptrien

Muima

Minima

1,9

41,7

-5,8

2,8

50,0

-4,6

3,7

54,5

-3,0

4,6

67,6

-2,3

5,4

58.8

+ 0,0

6,3

59,0

+ 2,4

7.1

61,2

+ 5,3

7,9

61,9

+ 9,7

8,7

63,1

16,1

10,0

63,9

31,8

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T. Graefe's Archiv fOr Ophthalmologie. XXXV. 4.

Fig. 9.

98

H. Pereies.

III. Beobachtungsreihe.

AocommodatioD

Conrergenxen

in

Dioptrien

Minima

1,9

44,5

9,0

2,8

50,9

-7,6

4,6

57,1

-3,2

6,3

62,1

+ 3,9

7,9

67,2

12,5

9,4

71,1

50,5

Die folgenden Curven sind nach meinen eigenen Be- obachtungen gezeichnet. Ich war zur Zeit der Versuche 22 Jahre alt, Emmetrop,

6

Rechts Sehschärfe < Links

^ Punct. prox. <

vT

11 cm

Punct. rem. <

10 cm

oo

Pd. 68 mm; Nahep.: binoc. 9,5— 10,0 cm; absol. 9,5— 10,0cm.

Uober die relative Accommodationsbreite.

99

IV. Beobachtungsreihe.

Accommo- dfttion In

ExperimeDtell gefundene Werthe der Convergenzen

Mittel- werth

uegat.

podt.

mlUI.

IMoptrien

I

'ehler

1,9

Max.

Min.

32,1 0,7

30,5 1,5

36,1 1,0

36,5 1,1

33,8 1,1

3,2 0,4

2,7 0,4

2,5

0,2

2,8

Max. Min.

38,0 2,5

37,8 2,5

36,2 2,5

39,6

37,9 2,5

1,7 0,0

2,3 0,0

0,9 0,0

4,2

Max. Min.

43.0 7,3

22,2 6,9

40,4 6,2

40,8 8,0

41,6 7,1

1,2 0,9

1,4 0,9

1,0 0,5

5,4

Max. Min.

43,8 9,7

44.3

9,8

(35,1)

41,5

9,7

46,4

44,0 9,7

2,5 0,0

2,4 0,1

1,4 0,0

6,7

Max. Min.

51,4 12,6

50,8 12,6

52,8 12,6

49,4

51,1 12,6

1,7 0,0

1.7 0,0

1,0 0,0

7,9

Max. Min.

54,5 17,5

54,1 16,7

54,3 16,1

54,3 18,2

54,3 17,1

0.2 1,6

0,2 1,1

0,1 0,9

9,0

Max. Min.

57,6 26,0

56,8 20,0

(48,5) 56,1 22,9

59,3

24,8

57,3 23,9

1,2 3,1

2,0 2,1

1,0 1,8

10,2

Max. Min.

61,4 39,0

61,7 38,1

60,9 30,2

62,1 33,1

61,5 35,1

0,6 4,9

1.4

3,9

0,6 3,4

Wie man sieht, wurden bei jeder Einstellung des Ob- jectes 3 5 Beob- achtungen gemacht. Die in der Reihe 5,4 D und 9,0 D in Klammer befindli- chen Werthe wur- den nicht in Rech- nung gezogen, weil diese Abweichungen offenbar auf grobe Beobachtungsfehler oder Aufstellungs-

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Fig. 11.

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100

H. Pereies.

fehler zu beziehen sind. Die negativen Fehler sind die Differenzen der kleinsten Werthe und der Mittelwerthe. Die positiven Fehler sind die Differenzen der grössten Werthe und der Mittelwerthe. Der mittlere Fehler wurde gefuu- deUy indem man die Summe aller Fehler ohne Rücksicht auf das Vorzeichen durch die Anzahl der Beobachtungen dividirta Bei allen übrigen Beobachtungen bewegen sich die Fehler innerhalb der gleichen Grenzen.

V. Beobachtungsreihe.

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Aocommo- datioQ in

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Dioptrien

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3

47,7

+ 0,8

4

51,5

2.7

6

59,0

8,0

8

69,8

16,7

10

68,7

48,1

Fig. 12.

Die folgenden Daten wurden auf die Weise gewonnen, dass ich die Schienen bei verschiedenen Convergenzen (0^ 10^ 20^ etc.) durch Klemmschrauben feststellte, und die Objecte von zwei Gehilfen auf den Schienen verschieben liess. Um die Accommodation für beide Augen gleichmäs- sig zu ändern, mussten die beiden Gehilfen die Gestelle nach dem Schlage eines Metronoms in gleichen Zeiten um gleiche Stücke verschieben.

lieber die relative Accommodationsbreite.

101

VI. Beobachtungsreihe.

CoDTergenz

Aocommodatlon in

in

Dioptrien

Winkelgnden

Maxima

Minima

0

2,3

10

6,5

20

8,4

30

9,0

1,8

40

10,4

2,6

50

10,7

4,8

60

10,7

9,4

An allen diesen Figuren sieht man, dass die beiden Enden der Curven mit punktirten Linien gezeichnet sind.

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Die ausgezogenen Linien sind Ver- bindungslinien der experimentell ge- fundenen Curven- punkte, die punk- tirten sind die nach theoretischen Vor- aussetzungen (s.u.) construirten Fort- setzungen. In der Nähe des absoluten

Nahepunktes P konnten wir in ei- nigen Fällen den Endpunkt der Cur- ^^

ven deshalb nicht bestimmen, weil einmal bei so geringer Entfernung der Bilder und starker Convergenz die Beleuch- tung der Sehproben sehr schlecht wurde, ein andermal der ssu breite Nasenrücken die nothwendige Convergenz herzu- stellen hinderte, und in allen Fällen war dieser Versuch für die Augen sehr anstrengend und schn^rzhaft Doch

102 H. Pereies.

bestätigen jene Figuren, bei denen der Punkt P bestimmt iverden konnte, die Richtigkeit unserer Voraussetzungen.

Für die Accommodation auf weniger als 1,9 D konnte bei Anwendung von Planspiegelchen unser Apparat deshalb nicht benutzt werden, weil die Länge der Schienen noth- wendig begrenzt ist. Um aber auch diesen Theil der Cor- ven experimentell zu finden, wendeten wir bei einem Ver- suche an Stelle der Planspiegelchen kleine Hohlspiegel yoq 30 cm Brennweite an. Waren die Objecto in 30 cm Ent- fernung vom Spiegel aufgestellt, so waren die von den Spie- geln reflectirten Strahlen parallel, die Accommodation also = 0. Grossere Accommdationen konnten durch Annäherung der Sehproben hervorgerufen werden. Die auf diese Weise gewonnenen Curven (VII. Beobachtungsreihe Fig. 14) stim- men bis zur Abscisse 2D ganz gut mit den construirten überein. Die weiteren Curvenstücke, deren Punkte nur ver- gleichsweise bestimmt wurden, sind aus dem Grunde lehr- reich, weil sie zeigen, welchen störenden Einfluss die An- wendung sphärischer brechender Flächen auf die Bestim- mung der relativen Accommodationsbreite haben kann. Bis zu den Punkten r und p wurden nämlich die Versuche mit den Hohlspiegeln gemacht, dann aber wegen zunehmender Undeutlichkeit der Spiegelbilder, von 3 D an auf der Fern- punktskurve, von 7 D an auf der Nahepunktskurve, mit Planspiegeln fortgesetzt. Man sieht, dass die Curventheile 2>i P und T^ P eine grössere relative Accommodations- breite einschliessen, als nach der Lage der Punkte r und p und der Krümmung der Curventheile Bp und Rr voraus- zusetzen wäre. Die relative Accommodationsbreite wurde also durch die Verwendung von sphärisch brechenden Flächen eingeengt. Der Grund hievon lag in unserem Falle offen- bar darin, dass das vom Spiegel gelieferte Bild desto ver- zerrter und undeutlicher wurde, je mehr sich die Sehproben vom Brennpunkte des Spiegels entfernten, je näher man also mit ihnen an die Spiegel heranrückte.

lieber die relative Accommodationsbreite.

103

VII

. Beobachtungsreihe.

C 0 n V e T

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An^nmnindfttifin

in

Maxima

Min

ima

Dioptrien

mit Con-

mit Plan-

mit Con-

mit Plan-

cavspiegel

spiegel

cavspiegel

Spiegel

0,0

7,5

-7.0

0,5

17,0

6,5

1,0

22,4

5,5

1,6

25,9

-4,9

2,0

28,2

-4,0

2,5

30,2

-3,2

3,0

31,6

41,8

-2,2

4,0

+ 1,1

5,0

54,9

+ 4,6

6,0

9,2

7,0

61,1

14,1

10,3

9,0

66,0

24,2

10,0

68,2

39,9

Aus der Betrachtung dieser Curve sieht man zunächst, dass die Ergebnisse bei demselben Be- obachter zu ver- schiedenen Zeiten verschieden waren. Ueberdies zeigen die meisten Curven ei- nige Unregelmässig- keiten, welche aber niemals an dersel- ben Stelle liegen, daher auf zufällige Beobachtungsfehler zu beziehen sind.

Im Allgemeinen jedoch haben die

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Fig. 14.

Curven insgesammt eine eigenthümliche charakteristische

104

H. Pereies.

Form ^) 9 besonders die in Figg. 10 und 13 verzeichneten, was uns auf die Yermuthung kommen liess, dajss in dem Zusammenhang zwischen Accommodation und Convergenz irgend eine einfache Gesetzmässigkeit liege. Wir unter- zogen daher die unter Beobachtungsreihe III (Fig. 10) ver- zeichneten Daten einer näheren Untersuchung, welche uns zu dem Ergebnisse führte, dass die Curven exponentielle sind. Bevor ich zur Entwicklung der Gleichungen der Cur- ven übergehe, er- ^ / 1 scheint es mir noth-

wendig zwei Begriffe zu erläutern, welche eine einfache Inter- pretation der Glei- chungen ermög- lichen, nämlich die Begriffe „latente Ac- commodation^ und „latente Entspan- nung**. Zu diesem Behufe denke man sich, dass von den ^* Augen bei jeder

Pig. lö.

^) Wenn man die von Anderen bisher gefundenen Curven be- trachtet, so findet man, trotz der relativ ungenaueren Methoden (da doch mehr oder weniger grosse Beobachtungsfehler bei Verwendung sphärischer Gl&ser besonders bei Laien unvermeidlich sind) schon einselne Aehnlichkeiten mit der von uns gefundenen Form. So sehen z.B. alle von Donders gefundenen Nahepunktscurven, auch die bei Myopie, den unseren sehr ähnlich, und in Biesinger*8 Ar- beit findet sich sogar eine, nach den Beobachtungen von Schleich dargestellte Figur verzeichnet, bei der sowohl die Nahe- als auch die Fempunktscurve mit den von uns gefundenen vollkommen über- einstimmt, wenn man von den wenigen Zacken derselben absieht, die offenbar auf kleine Beobachtungsfehler oder Refractionsfehler der Linsen zurückzufahren sind.

Ueber die relative Accommodationsbreite.

105

Convergcnz die ganze absolute Accommodationsbreite auf- gebracht werden könnte. Dann wären bei der graphischen Darstellung (Fig. 15^) als Grenzlinien der relativen Accom- modation die beiden Asymptoten P P" und JJ' JJ" anzu- nehmen, was die Bedeutung hätte, dass die Accommodation von dem Grade der Gonvergenz imabhängig sei.

Dies ist nun, wie wir wissen, nicht der Fall, sondern die Abhängigkeit der Accommodation von der Convergenz drückt sich graphisch aus durch die Gurven iiiZo Pund TToB, Der oberhalb der Gurre BBoP gelegene Theil der Accom- modation ist ebenso von der Gonvergenz gebunden als der unterhalb der Curve PPo JJ gelegene Theil. Bezeichnet man nun diesen (oberen) Theil als latente Accommodation und jenen (unteren) als latente Entspannung, so lässt sich, wie wir sehen werden, das in den zu entwickelnden Gleichun- gen enthaltene Gesetz einfach interpretiren.

Die Gleichungen der Curve Fig. 10 wurden nach der Methode der kleinsten Quadrate numerisch berechnet und ich gebe hier alle Daten, welche nothwendig sind, um sich von der Richtigkeit der Rechnung zu überzeugen.

Bivergens

augeh. X

«ugeh. y

- 2,448

1,938

0,000

5,465

50«

+ 13,186 0,000

9,346

Conyergeiu

0'

0,000

44« 18'

11,762

1,938

51« 12'

13,482

2,863

56« 6'

14,672

4,630

62« 24'

16,163

6,297

67« 12'

17,266

7,874

^) (Die in dieser Figur gezeichneten Corven sind nach den aus den Daten der III. Beobachtungsreihe berechneten Gleichungen geo- metrisch construirt. Wie man sieht, decken sie sich mit den in Fig. 10 empirisch gezeichneten fast vollständig.)

106 H. Pereies.

Pd = 64mm entspricht 15,6 D.

conv

sin-

2

sin 300 15,6 Gleichnug der Nahepunktscurye:

9,48 y = 4,0155 e- o.2578x (i)

Gleichung der Fernpunktscurve:

y + 0,05855 = 0,05855 e^'^^ (2)

Gleichung der relativen Accommodationsbreite: b = 9,53855 (4,0155 e- o»2578x + o,05855 e^*^^) (3) Differencirt man (1) und (2), so erhält man

^y =0,2587(9,48 y) aus (1)

(latente Accommodation)

Jl = 0,290 (y + 0,05855) aus (2)

bereits aufgebrachte Accommodation oder latente Entspannung.

(1) und (2) logarithmirend erhält man:

1 (9,48 y) = 1 (4,0155) 0£578 x

t* (lat. Aca) a b

l(y + 0>05855) = 1 (0,05855) + 0,290 x

Le (lat. Entsp.) a^ b^

Die Gleichungen

La = a bx und Le = aj + b^ x bedeuten: Der Logarithmus der latenten Accommo- dation resp. der latenten Entspannung ist eine lineare Function der Convergenz.

Die Gleichungen aus (1) und aus (2) drücken aus: „Die zu gleichen Abscissenstücken zugehörigen Zu- wüchse der Ordinaten der relativen Accommodationsbreite sind den zugehörigen Ordinaten der latenten Accommoda- tion resp. der latenten Entspannung direct proportional^^ z.B. Fig. 15: b, e:e,f:d,g = be:ef:dg resp. h,l:],m:k,n = hl:im:kn.

Ueber die relative Accommodatlonsbreite. 107

Da nun die Abscissenstücke die halben sinus der Con- vergenzwinkel bedeuten, welche man den Convergenzwinkeln selbst gleichsetzen kann, ohne einen grossen Fehler zu be- gehen, so lassen sich die Gleichungen aus (1) und (2) fol- gendennaassen interpretiren:

I. Der Zuwuchs der maximalen Accommodation, welcher bei gleichmässiger Zunahme der Conver- genz aufgebracht werden kann, ist direct propor- tional der zugehörigen latenten Accommodation.

II. Der Zuwuchs der maximalen Entspannung der Accommodation, welcher bei gleichmässiger Abnahme der Convergenz aufgebracht werden kann, ist direct proportional der zugehörigen latenten Entspannung.

Die Gleichung aus (2) kann man auch folgendermaassen interpretiren: Der Zuwuchs der minimalen Accommodation, welcher bei gleichmässiger Zunahme der Convergenz auf- gebracht wird (welchen aufzubringen das Auge durch die Convergenz gezwungen wird) ist direct proportional der be- reits aufgebrachten minimalen Accommodation.

Es erscheint von vornherein verständlich, dass, je klei- ner bei fortschreitender Convergenz der übrig bleibende Theil der überhaupt möglichen Accommodation wird (die latente Accommodation), auch desto kleiner die Zuwüchse zur bereits aufgebrachten Accommodation ausfallen werden; dies gilt für die Nahepunktscurve. Für die Fempunktscurve kann man analog überlegen: Bei abnehmender Convergenz werden die Zuwüchse der einzelnen Entspannungen desto kleiner, je mehr sich die Entspannung der Totalentspannung (Asymptote B' R") nähert.

Es spielt also die latente Entspannung bei der Fem- punktscurve dieselbe Rolle, wie die latente Accommodation bei der Nahepunktscurve. Sogar der Proportionalitätsfactor ist bei beiden Curven nahezu gleich.

108

H. Pereies.

Das oben ausgesprochene Gesetz lässt sich auch aus eigens zu diesem Zwecke 'eingerichteten Versuchen direct herleiten. Man braucht dieselben nur so einzurichten, dass die Ordinaten immer um ein Gleiches» z.B. um eine Diop- trie zunehmen, was sich in der folgenden mit besonderer Sorgfalt angestellten Versuchsreihe vorfindet:

VIII. Beobachtungsreihe.

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3

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-0,2

4

56,6

+ 1,5

5

60,0

3,6

6

62,9

5,8

7

65,0

8,8

8

67,5

12,5

9

69,3

17,6

Fig. 16.

Um aus diesen Versuchsdaten das Gesetz zu erkennen, ist es nothwendig folgende Tabelle aufzustellen:

y

a

z

^ = 4o.6-y

P

y

a

X

Jy

0,4 + y

P

2

-1,8

-0,45

0,40

8,6

3,44

2

46,1

11,50

1,43

2,4

3,43

3

-0,2

-0,05

0,44

7,6

3,34

3

50,8

12,93

1,00

3,4

3,40

4

-fl,5

+ 0,39

0,52

6,6

8,43

4

56,6

13,93

0,77

4,4

3,39

5

3,6

0,91

0,61

5,6

3.42

5

60,0

14,70

0,63

5,4

3,40

6

5,8

1,52

0,74

4,6

3,40

6

62,9

15,33

0,53

6,4

3,39

7

8,8

2,26

0,94

3,6

3,38

7

65,0

15,86

0,46

7,4

3,41

8

12,5

3,20

0,31

2,6

3,41

8

67,5

16,32

0,40

8,4

3,36

9

17,6

4,51

1.6

9

69,3

16,72

9,4

lieber die relative AccommodationBbreite. 109

Die mit y überschriebene Colonne enthält Entfeman- gen der Bilder vom Auge gemessen in Dioptrien.

Die mit a überschriebene Colonne enthält die Conver* genzen, gemessen in Winkelgraden; die mit x überschrie- bene dieselben in Längeneinheiten ausgedrückt, also die zu den einzelnen y zugehörigen z. Diese wurden gefunden

. a

SlUg-

nach der Formel x = Pd . ^^^ (siehe p. 106).

. a

%\n

= 14,7 r^ = 29,4 sin |-

2"

Die folgende Colonne enthält die DififerenzenquotienteB, d. h. die Quotienten der Zuwüchse von x und von y. Da in unserem Falle der Zuwachs von y immer gleich 1 ist,

so ist -j— = ^x; man findet sie, indem man jedes x yon

dem unmittelbar nachfolgenden subtrahirt. z.B. zfx4 = 0,61 = 1,52 0,91.

Die nächste Colonne trägt am Kopfe 10,6 y resp. 0,4 4~y, das ist die latente Accommodation oder die Ent- fernung des Curvenpunktes von der oberen Asymptote P^ P^^, resp. die latente Entspannung oder die Entfernung des Cur- venpunktes der Fernpunktscurve von der unteren Asymp- tote RR—.

Die letzte mit P überschriebene Colonne zeigt uns,

/f x ^x

dass die Producte -t— (10,6 y) und -r- (0,4 -f- y) durch- gängig mit grosser Annäherung constant und fast gleich gross sind; daraus folgt, dass Jy d. i. der Zuwachs der Accommodation direct proportional ist, einmal (10,6 y) der latenten Accommodation, das anderemal (bei der Fern- punktscurve) direct proportional (0,4 + y) der latenten Ent- spannung; der Proportionalitätsfactor ist in beiden Fällen annähernd =3,4.

110 H. Perelos.

Da das obengenannte Gesetz, wie man aus den folgen- den Curven sieht, auch für Myopen und vielleicht^) auch für Hyperopen gültig ist, so hat man zunächst durch dasselbe den Vortheil gewonnen, dass man die ganze relative Accommodationsbreite von emmetropischen oder myopischen Menschen durch die Bestimmung dreier Punkte sehr annähernd vollständig verzeichnen kann, wenn nur diese mit hinreichender Sorgfalt gemacht wurde. Man braucht nämlich nur z. B. den absoluten Nahe- punkt P, den absoluten Fernpunkt R und irgend einen Punkt in der Mitte der Curve bezüglich ihrer Lagen im Coordinaten- System zu kennen, und kann danach alle übrigen Punkte der Curven berechnen, oder dieselben geometrisch construiren. Dieses letztere findet sich in Fig. 20 bereits angewendet. Man sieht auf den ersten Blick, dass die Curven in Fig. 20 ihrer Form nach mit den für Emmetropen gefundenen überein- stimmen, und auch die geometrischen Durchschnittspunkte derselben P und R im Coordinatensystem dem experimen- tell gefundenen Nahe- und Fernpunkt sehr nahe liegen.

Auch bezüglich der Erfahrungsthatsache, „dass man die Accommodation nur für jene Entfernungen längere Zeit festhalten kann, bei welchen der positive Theil der rela- tiven Accommodationsbreite im Vergleiche zum negativen relativ gross ist,*< finden sich in dem Gesetze einige Ergän- zungen.

Für die beiden untersuchten Emmetropen war nämlich das andauernde Accommodiren innerhalb der Accommoda- tionsbreite von beiläufig 6D möglich; am wenigsten ermü- dend war die Accommodation auf Gegenstände in 20 bis 25 cm Entfernung. Man sieht aus den Figg. 15 und 16, dass bei dieser Accommodation auf 20 25 cm =5 4D die positiven und negativen Theile der relativen Accommo- dationsbreite nahezu gleich sind; die noch mögliche An-

^) Zu exacten Versuchen passende Hyperopen konnte ich bisher noch nicht auftreiben.

lieber die relative Accommodationsbreite. Hl

Spannung und Entspannung haiton sich hier sozusagen das Gleichgewicht

Was nun die Grenze anlangt, wo der Accommodations- Yorgang für den Emmetropen beschwerlich ist, wo also so- zusagen Asthenopie eintritt, so kann ich für uns beide jene Stelle der Convergenzlinie als Grenze angeben, bei welcher die latente Accommodation kleiner wird als 1 D (beiläufig bei 6D). Ob diese Grenze für Emmetropen im Allgemei- nen gültig ist, müssen weitere Untersuchungen entscheiden. Wenn man bedenkt, dass je kleiner die latenten Accommo- dationen werden, auch desto kleiner die noch möglichen Zuwüchse zur Accommodation sind, so erscheint das oben gesagte ganz annehmbar.

Bevor ich zur Darstellung der relativen Accommoda- tionsbreite von Myopen übergehe, möchte ich noch einen Umstand erwähnen, der für die von Hering aufgestellte Ansicht, dass der Zusammenhang zwischen Accommodation und.Convergenz ein angeborener sei, als eine weitere Stütze angesehen werden kann. Helmholtz hat nämlich, entge- gen der Hering 'sehen Anschauung, die Behauptung auf- gestellt, die Accommodation verknüpfe sich nur in Folge der Gewöhnung durch fortgesetzte Uebung mit der Conver- genz. Wäre dies der Fall, so würde es wahrscheinlich mög- lich sein, durch entgegengesetzte Uebung den Zusammen- hang wenn nicht vollständig zu lösen, so doch wenigstens die mögliche Lösung zu vergrössern. Unsere Versuche lehr- ten uns, dass dies durchaus nicht der Fall ist, dass wir trotz ganz bedeutender Uebung in der Lösung des Zusam- menhanges, keine wesentlich grösseren, mitunter sogar klei- nere relative Accommodationsbreiten erhielten.

Der untersuchte Myop war M. St Heinrich Winterberg, 22 Jahre alt S. (R. und L. mit Coit. 5 D) = -,x Insuflf. der Muse, rect int nach Prismenbestimmung =12^

Pupd. = 61 mm; Nahepunkt: binok.: konnte wegen der Lisufficienz nicht bestimmt werden; absol: 7,0 7,5.

112

H. Pereles.

IX. Beobachtungsreihe.

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Accommo- dmtion in

CooTergenien

IMoplrlen

Mudnu

Minima

5

12,0

-3,7

6

17,9

-8,9

7

22,5

-2,5

8

27,1

-0,6

9

32,6

+ 2,0

10

37,3

4,6

11

40,8

8,6

12

44,2

11,7

18

45,0

15,9

Fig. 17.

X. Beobachtungsreihe.

Accommo- datlon in

ConTergenioi

Dioptrien

Maxima

Minima

5

13,3

-2,1

G

18,8

-1,1

7

25,6

+ 0,9

8

32,1

2,8

9

34,7

7,0

10

37,5

9,1

11

38,6

13,1

12

41.7

19,1

13

42,8

28,5

üeber die relative Accommodationsbreite.

113

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Beobachtongsreihe.

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Aocomiuo- dAÜon in

CoüTergenzen *^

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Dioptrien

BCaxima

Minima

18,2 25,8 32,1 37,0 41,1 43,3 45,1 47,0 48,5

-3,0;;

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Fig. 19.

XII. Beobachtungsreihe, gemacht an Dr. med. Fritz Hirsch, 25 Jahre alt, Myop, S. R. u. L. Corr. 2,5 D fast ^. Pupd.: 61mm; Nahep. binok.: 8,0— 8,5cm; absol. 7,5— 8,0 cm.

Es wurden nun 3 Punkte jeder Curve bestimmt und zwar für die Fempunkts- curve 2,5 D Conv. 5D 47,50 10 D 62,1« für die Nahepunkts- curve

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Fig. 20.

Y. Graefe'8 Archiv für Ophthalmologie. XXXV. 4.

114 H. Pereies.

Man sieht aus Figur 20, wie man durch die so gefun- denen Punkte Exponcutielle legen kann, welche die ganze relative Accommodationsbreite ausdrücken.

Alle diese für die beiden Myopen gefundenen Curven be- lehren uns, dass die relative Accommodationsbreite derselben demselben Gesetze unterworfen sind, wie die der Emmetropen. Entgegen den bisher gefundenen Ergebnissen muss ich sagen, dass bei den von mir untersuchten Myopen auch die Grösse der r. Acc-Breite nicht verschie- den ist von der des Emmetropen; die in Fig. 20 ver- zeichneten Curven schliessen ebenso grosse Werthe von relat Accommodationen ein, als die für Emmetropen gefundenen, und die in Fig. 19 verzeichneten lassen sich ebenfalls auf die eines Emmetropen zurückführen, wenn man sich die Myopie von 5 D und die Insufficienz von 12^ corrigirt und die Curven dementsprechend verschoben denkt. Dies deutet darauf hin, dass sowohl die Refraction der ruhenden Au- genlinse des Myopen, als auch deren Fähigkeit ihre Refrac- tion zu ändern mit der der emmetropischen Augenlinse über- einstimmt, dass also bei den beiden Myopen die Myopie auch nicht zum kleinsten Thcile von Veränderungen der Linse herrührt.

Die Schwierigkeit anhaltend binocular zu sehen, liegt bei der in Fig. 19 verzeichneten Myopie weniger in dem Missverhältniss zwischen positivem und negativem Theil der relativen Accommodationsbreite, als in dem zwischen posi- tiven und negativen Theil der Fusionsbreite (wenn ich die rechts von der Diagonale gelegenen Abscissen als positiven, die links gelegenen als negativen Theil der relativen Fu- sionsbreite bezeichne (nach Nagel)). Diese Thatsache ist bereits von Donders constatirt und von Nagel bestätigt worden.

Dr. Hirsch kann die binoculare Accommodation zwi- schen den Grenzen 4D— 12D ohne Schwierigkeit auf die Dauer festhalten.

Ueber die relative Accommodationsbreite. 115

Es wird mir vielleicht möglich sein, diese Untersuchun- gen nach zwei Seiten hin zu ergänzen. Es erübrigt näm- lich einerseits die relative Accommodationsbreite von Hy- peropen, andererseits den Einfluss der Neigung der Blick- ebene auf die relative Accommodationsbreite zu untersuchen.

Zum Schlüsse möchte ich noch darauf aufmerksam machen, dass sich die Insuffidenz des Muse. rect. int. des Med. stud. Winterberg während der Versuche merklich ge- bessert, d. h. verringert hat. Ich glaube, dass es für die praktische Augenheilkunde von Interesse wäre zu entschei- den, ob sich das Spiegelhaploskop nicht als Tumapparat (sit venia verhol) für die äussern und innern Augenmus- keln verwenden liesse.

Ich habe die Herstellung eines für diesen klinischen Zweck geeigneten Spiegelhaploskops in Aussicht genommen, welches für die hiesige Augenklinik des Herrn Professor Sattler bestimmt ist. Es wird daher möglich sein in einiger Zeit über die Eignung dieses Apparates zu thera- peutischen Zwecken Näheres zu berichten.

Es sei mir noch gestattet, meinem hochverehrten Leh- rer, Professor Hering, für seine werkthätige Unterstützung, für die vielfach ertheilten Rathschläge und Winke, die er mir bei dieser Arbeit angedeihen liess, meinen innigsten Dank auszusprechen.

8*

Heber die yon Operationsnarben nnd yemarbten IrisTorfailen ausgehende GlaskSrpereitening.

Von

Dr. A, Wagenmann,

Privatdocenten und erstem Assistenten der üniYersit&ts-Aagenklinik

in Göttingen.

Hierzu Tafel I and V, Fig. 1—9.

Schon seit langer Zeit ist es bekannt, dass nach Ope- rationen, vor allem Kataraktextractionen und Lridectomieen, noch nach Jahren schwere acute eitrige Entzündungen der tieferen Theile des Auges auftreten können, die meist nach wenigen Tagen zu einer vollständigen eitrigen Glaskörper- infiltration mit rapidem Verfall des Sehvermögens fuhren* Und zwar sind diese acuten eitrigen Lridocyclitiden nach anscheinend normal verlaufenen und normal geheilten Ope- rationen beobachtet, jedoch bei weitem häufiger nach nicht ganz tadelloser Wundheilung, wie nach cystoider Vemar- bung oder, wenn kleine Irisoinklemmungen oder Prolapse stattgefunden haben.

Dieselben Zufälle sind beobachtet bei zumal peripher sitzenden Lrisprolapsen und vorderen Synechien, die in Folge von perforirten ülcerationen oder perforirenden Verletzun- gen aufgetreten und vernarbt sind.

Dr. A. Wagenmann, Ueber Glaskörpereiterung. 117

Diese schweren eitrigen Processe machen entweder den Eindmck, als seien sie ganz spontan aufgetreten, oder es sind ganz geringfügige Verletzungen u. dgl. vorangegangen, die aber in gar keinem Verhältniss stehen zu der Hoch- gradigkeit und dem rapiden Verlauf der tiefen Eiterung. Gerade dieser Punkt bildet ein Hauptcharakteristicum dieses Krankheitsbildes.

Bisher sind die in der Literatur niedergelegten Beob- achtungen und Untersuchungen, die sich mit dem erwähn- ten Krankheitsbild befassen, nicht sehr zahlreich. In dem Becker'schen AÜas ist auf Tafel XUI ein von Sattler anatomisch untersuchter Fall mitgetheilt von Glaskörper- abscess bei einem drei Jahre früher wegen entzündlichen Glaukoms mit gutem Erfolge operirten Auge.

Die Entzündung setzte acut ohne nachweisbare Ursache ein. Das Auge wurde einige Zeit später wegen fortbeste- hender Entzündung und lebhafter Schmerzen enucleirt. Es fand sich ein grosser Eiterherd im Glaskörper. Ueber das Zustandekommen der Entzündung hat sich Sattler nicht ausgesprochen. Ein Punkt aus der Krankengeschichte giebt meines Erachtens einen Fingerzeig ab, wie man sich die eitrige Glaskörperinfiltration des linkes Auges erklären kann. Nämlich ein halbes Jahr vor Eintritt der Entzündung am linken Auge platzte spontan die Narbe an dem sechs Jahr vorher iridectomirten anderen Auge. Die Narbe wurde mit Lapis touchirt und heilte nach mehreren Wochen ohne Nachtheil für das Auge. Man kann daraus vermuthen, dass auch am linken Auge vielleicht ein ähnlicher Zufall unbe- merkt eingetreten ist, und man würde damit der Erklärung des Falles bedeutend näher gerückt sein, worauf ich noch weiter unten zurückkommen Verde. Weiter hat Swanzy^) einige klinisch beobachtete Fällq von acuter eitriger Ent-

^) An after danger of peripheral prolaps of the Iris. Dublin, qnater. joom. May 1871.

118 Dr. A. Wagenmann.

Zündung nach vernarbten peripheren Irisvorfällen mitge- theilt und auf die Gefahr dieser Irisvorfälle hingewiesen.

In dem ersten Fall hatte eine eitrige Iridocyditis zwei Tage zuvor ohne nachweisbare Ursache eingesetzt bei einem vor zwanzig Jahren verletzten und mit einem peripheren Irisvorfall abgeheilten Auge. Der anfänglich noch befrie- digende Lichtschein nahm innerhalb der fünf Tage, die Pa- tient in Beobachtung blieb, rasch ab. Bei dem zweiten Fall war acht Monate vorher der Irisvorfall ebenfalls nach Verletzung entstanden. Die Entzündung setzte spontan ein, und schon nach einem Tag war eine eitrige Iritis mit Glas- körpertrübuugen zu constatiren, die deutlich ihren Ausgang von der peripheren Iriseinklemmung nahm. Das Sehen nahm rapide ab, das Auge wurde phthisisch und wegen sympar thischer Reizung des anderen Auges enucleirt In dem dritten Fall war zwei Jahre vorher beiderseits ein symme- trisch gelegener Irisvorfall entstanden in Folge von Ulcera- tion, die während einer blennorrhoischen Conjunctivitis auf- getreten war. Der Patient erlitt zwei Jahre später an dem rechten Auge eine ganz geringfügige Verletzung durch Schlag mit einem Pferdeschweif, die innerhalb zehn Tage zu einer Panophthahnitis führte.

Das Zustandekommen dieser acuten schweren Entzün- dungen erklärt Swanzy nicht; nur weist er die Iriszerrung als Ursache entschieden zurück, da z.B. in seinem ersten Fall keine solche vorhanden war. Er deutet aber auf die Nähe des CiUarkörpers hin. Es machte eben damals die Erklärung dieser Fälle grosse Schwierigkeiten, da man ja überhaupt mit den entzündungserregenden Ursachen noch vielfach im Dunkeln tappte.

Leber's^) Verdienst ist fe, für diese Erkrankungsfalle die richtige Erklärung gegeben und den Modus der Erkran- kung dargelegt zu haben. In seiner Arbeit über die inter-

') V. Graefe*s Archiv für Ophthalmologie, XXIY, 1, p. 284.

Ueber von Operationsnarben etc. aasgehende Glaskörpereiterung. 119

cellularen Lücken des vorderen Homliautepithels im norma* len und pathologischen Zustande äussert er sich in einer Anmerkung über die Fälle und sagt:

Jch muss annehmen, dass es sich in diesen merkwür- digen Fällen um die Folgen einer Infection im Bereich eines kleinen Substanzverlustes handelt, wie er spontan oder durch eine geringfügige Verletzung an einem geheilten Irisvorfall leicht entstehen kann. Geringe Dicke oder fistulöse Be- schaffenheit der Narbe und die Nähe des Giliarkörpers er- klären den malignen Verlauf, der sich unvergleichlich viel ungünstiger stellt als bei der sogen, spontanen Erweichung central gelegener Leukome/'

Es ist diese Erklärung nicht gleich durchgedrungen; es mag auch sein, dass sie deshalb nicht die gebührende Beachtung gefunden hat, weil sie übersehen ist.

Denn mehrere Jahre später sprach Zehender^) auf der Heidelberger Versammlung über periphere Irisvorfälle und redete wieder der Zerrungstheorie das Wort.

Die Zerrung der Iris, die bei einem Irisvorfall nie ganz fehle, soll nach seiner Meinung die Ursache dieser malignen Processe sein. Er kommt durch seine Ansicht zu der Consequenz, die Abtragung der Irisvorfälle für verwerf- lich zu halten, da die Abtragung die Iris mehr zerre, als wenn man den Vorfall sich selbst überliesse. Statt der Abtragung macht er bei mehr oder weniger frischen Fällen kleine benachbarte oder gegenüberliegende Iridectomien.

In der Discussion, die sich an diesen Zehen der 'sehen Vortrag anschloss, theilte Arlt einen Fall mit, wo sechzehn Jahre nach einer mit Iriseinklemmung geheilten Extraction eine Panophthalmitis von dem Irisprolaps des temporalen Wundrands ausgegangen war. Auch er entscheidet sich nicht bestimmt, ob diese nur eine zufällige Gomplication sei, oder ob sie entstanden sei durch die momentane brüske

^) Sitzungsbericht 1882.

120 ^' ^' Wftgenmann.

Drackvermindenmg in Folge eines möglicherweise stattge* habten Traumas» oder ob eine Infection von einer kleinen Rissstelle aus vorliege.

Leber trat dem entgegen für seine früher dargelegte Anschauung über die Entstehung der nach Operationen und nach Irisvorfällen beobachteten acuten Entzündungen ein und führte als Bestätigung seiner Ansicht an, dass er in einem solchen nach normal verlaufener Glaucomiridectomie aufgetretenen eitrigen Glaskörperinfiltration Mikrokokken im Glaskörper habe nachweisen können.^) Die grosse Nähe des Glaskörpers sei das Moment, das den malignen Verlauf erklärt. Leber theilte femer einen seltenen Fall, aufge- treten an einem mit einem alten verheilten Irisvorfall be- hafteten Auge mit, bei dem das Auge trotz bestehender eitriger Iridocyclitis mit Glaskörpertrübungen und trotz herabgesetzter Lichtempfindung noch gerettet wurde durch zwei Iridectomien und eine Inunctionskur. ')

Einen weiteren hierher gehörenden Fall hat Alexan- der^) mitgetheilt, zu dem Leber, um die Beurtheilung des FaUs von Dr. Alexander gebeten, die Erklärung gab. Am rechten Auge des Patienten, an dem ein adhärentes Leukom nach aussen seit der frühesten Kindheit bestand, trat plötzlich nach vielen Jahren eine acute Entzündung mit heftigen Schmerzen auf, die rasch das Sehen vernich- tete und zu Phthisis bulbi führte. Complicirt war dieser Fall durch eine fast gleichzeitig sich entwickelnde Erblin- dung des linken Auges mit Ausgang in Sehnervenatrophie vermuthlich durch vom rechten Auge aus entstandene trom- bophlebitischc Processe.

Auch die späteren Mittheilungen über derartige Fälle haben meist die Leb er 'sehe Ansicht acceptirt So berich-

*) 1. c. p. 63 und 117.

^) Ich habe cliesen Fall ausführlicher mitgetheilt auf pag. 221.

^) Deutsche medicinische Wochenschrift 1882. No. 34.

Ueber Ton Operationsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiterung. 121

tet Mules^) yon eiuer Beobachtung, dass an einem 2wei und ein Vierteljahr vorher wegen Glaucoms operirten und mit cystoider Vernarbung geheilten Auge von der Narbe aus eine acute eitrige Entzündung entstand, die vierund- zwanzig Stunden nach dem ersten Auftreten der Eiterung zur Zerstörung des Sehvermögens führte.

Weiter hat Priestley Smith*) einen Fall bekannt gegeben, wo zwei Jahre nach einer gelungenen Katarakt* extraction eine acute eitrige Entzündung auftrat, die das Auge vernichtete. Den Ausgang hatte die Entzündung von einer kleinen Iriseinheilung im Wundwinkel genonmien. Da bei der Patientin zu dieser Zeit ein Ohrekzem bestand, so nahm Priestley Smith an, dass vielleicht daher das In- fectionsmaterial mit dem Finger übertragen sei. Eine wei- tere Mittheilung stammt von BrudencU Carter^) her, der acute Panophthalmitis an einem drei Jahre zuvor wegen Glaukoms iridectomirten und ganz normal geheilten Auge beobachtete.

Femer hat van Duyse*) eine derartige Beobachtung mitgetheilt. Es handelte sich um einen 46jährigen Arbei- ter mit einer rechtsseitigen Katarakta senilis und einer linksseitigen Chorioretinitis. Etwas über ein halbes Jahr nach der mit einer kleinen Iriseinklemmung im temporalen Wundwinkel geheilten Extraction am rechten Auge trat aus unbekannter Ursache eine acute Panophthalmitis ein, deren Ursprung vom Irisprolaps sich dadurch nachweissen liess, dass diese Stelle eitrig infiltrirt war. Der Verlauf war ein rapider; schon nach achtund vierzig Stunden war die Panoph- thalmitis vollständig entwickelt.

Van Duyse schliesst sich vollkommen der Lcber'schen Anschauung über das Zustandekommen der Infection an.

») British med. Joum. 1882. 23. dec. II. 1251.

*) British med. Joum. 1882. II. 1251.

') British med. Joum. 1882. II. 1252.

«) Annal. d'oculistique 1884. XGII. p. 44.

122 I>r. A. Wagenmann.

Ebenso beurtheilt Valude^) den von ihm anatomisch untersuchten aus der Heidelberger Klinik entstammenden Fall. An einem Auge, das vierunddreissig Jahre vorher in Folge einer Entzündung ein partielles Staphylom davon- getragen hatte, trat ohne besondere Ursache eine acute PanOphthalmitis auf, die rasch zum Verlust des Sehvermö- gens führte. Neun Tage nach dem Einsetzen der Entzün- dung wurde das Auge enucleirt. Die anatomische Unter- suchung ergab eine eitrige Infiltration der Cornea mit theil- weisem Verlust des Epithels, besonders erheblich in der Narbe, und eine eitrige Entzündung aller in Frage kom- menden Theile des Auges und zwar am stärksten entwickelt im Giliarkörper. Die Linse fehlte. Der Bulbusraum voll Eiter, der zum Theil keine Kernfärbung aufwies. Als Be- sonderheit fanden sich im Corpus ciliare Mastzellen. Die Untersuchung auf Mikroorganismen war resultatlos.

Eine weitere Abhandlung über eitrige Iridochorioiditis bei adhärenten Leukomen hat Despagnet^) verfasst Er theilt acht Fälle von eitriger Entzündung nach adhärenten Leukomen mit. Mit seiner Erklärung weicht er von der Leber'schen Ansicht ab und neigt sich wieder der Zer- rungstheorie zu, indem er sie in einem Punkt modificirt Er meint nämlich, dass Mikroorganismen von der ursprüng- lichen eitrigen Hornhautentzündung im Auge zurückblieben und in einem Zustand der Inactivität verharrten, bis sie durch neue Schädlichkeiten wieder ins Wachsthum gerie- then und die eitrige Entzündung veranlassten. Die Ur- sache für das Wiederanfachen sieht er in der permanenten Irisreizung vom eingeklemmten Stück oder von der gegen- überliegenden Irisparthie aus, und in der Drucksteigerung, weshalb auch besonders die peripheren adhärenten Leukome gefährdet seien, bei denen der Kammerwinkel verschlossen

') Archives d^ophthalm. 1885, p. 328.

^) De L'Irido-choroidite suppurative dans le leucome adh^rent de 1a corn^e. Th^se de Paris 1887.

Ueber Ton Operationsuarben etc. ausgehende Glaskörpereiterung. 123

sei. Es wird also durch diese Schädlichkeiten der Bodeu zur erneuten Kokkenwucherung vorbereitet und damit die Eiterung veranlasst. Gegen die Leb er 'sehe Ansicht der fistulirenden Narbe führt er einen Fall an, bei dem umge- kehrt durch die Puuktion des Leukoms die bestehende puru- lente Entzündung gebessert wurde. Weiter scheint ihm gegen Leb er 's Ansicht der Umstand zu sprechen, dass es im Verlauf der eitrigen Iridochorioiditis in mehreren Fäl- len zu einem Eiterdurchbruch in der Sclera und nicht in dem Leukom gekommen ist. Denn, wenn eine Perforation des Leukoms vorher bestanden hätte, so hätte nach seiner Ansicht die Eiterung dort durchbrechen müssen und nicht in der widerstandsfähigen Sclera.

Dieser letzte Einwand ist, wie leicht zu sehen, nicht zutre£Eend. Denn durch die fistulirende Beschaffenheit der Narbe oder durch eine frische Ulceration derselben wird nur erklärt, wie und wo die Infectionsträger in das Bul- businnere gelangen. Was sie, einmal in den Glaskörper gelangt, fiir weitere Zerstörungen in dem Auge machen, hat ja mit ihrer Eingangspforte direct gar nichts zu thun. Diese secundären Vorgänge und Veränderungen hängen von ganz anderen Umständen ab.

Vor allem aber spricht gegen die Verallgemeinerung dieser Ansicht, dass in sämmtlichen Fällen, die nach asep- tisch geheilten Operationen aufgetreten sind, gar kein alter Kokkenherd im Auge angenommen werden kann. Auf diese Fälle hat Despagnet in seiner Besprechung keine Rück- sicht genommen, und für die Fälle, bei denen früher eine Eiterung im Spiel war, ist die Annahme eines zurückgeblie- benen Kokkenherdes noch nicht nachgewiesen und deshalb schon a priori mit Reserve aufzunehmen, zumal die frische Infection von aussen vielfach bewiesen werden kann.

Ferner ist unbewiesen der Factor der Iriszerrung. Es spricht schon dagegen das meist beobachtete, fulminante Auftreten dieser Panophthalmitiden. Bei lang andauernder,

124 ^' A. WagenmADn.

allmählich sich steigernden Entzündung könnte man ja mög- licherweise auf eine Iriszerrung als Ursache kommen, aber wie die supponirte, stetig vorhandene Zerrung eine solche acute PanOphthalmitis direct oder auf dem Umw^e einer Reizung eines alten Kokkenherdes bewirken soll, ist nicht verständlich. Die Annahme einer Iriszerrung ist eben rein hypothetisch und hat seit Alters zur Erklärung einer Ent- zündung herhalten müssen, da man die entzündungserre- genden Stoffe nicht kannte. Etwas anderes ist es mit der Drucksteigerung. Diese giebt in der That ein praedispo- nirendes Moment ab, was man auch schon daraus ersehen kann, dass die Zufälle relativ häufig nach Glaukomiridec- tomien beobachtet sind und bisher noch nie nach einer einfachen z. B. optischen Iridectomie. Aber der Einfluss der Drucksteigerung besteht nicht in dem Moment, das Despagnet annimmt, sondern nur darin, dass nicht lineare Wundheilung bei glaukomatösen Zuständen leicht vorkommt, dass die Narben und adhärenten Leukome bei Druck- steigerung ectatisch werden und damit entweder durch Spon- tauperforationen Gelegenheit zur Infection geben oder durch ihre Prominenz und Verdünnung äusseren Schädlichkeiten wie Ulcerationeu oder geringfügigen Traumen um so zu- gänglicher werden und so den Mikroorganismen den Weg ins Innere erleichtem, zumal der Glaskörper vielfach in die Ectasie vorgetrieben ist.

Despagnet erhebt nun selbst die Frage, woher es kommt, dass trotz der Häufigkeit der adhärenten Leukome, bei denen man doch stets Iriszerrung und einen alten Kok- kenherd annehmen könnte, man so selten diese Zufalle beobachtet. Er meint, dass in einer grossen Zahl solcher Fälle ein Gegenmittel in der fistulirenden Beschaffenheit der Narbe läge, wodurch bei angenommener Glaskörperver- flüssigung durch Absickern einer Drucksteigerung entgegen- gewirkt würde. Dieser Erklärung widersprechen die klini- schen Thatsachen.

lieber yon Operationsnarbea etc. ausgehende Glaskörpereiterang] 125

Zudem beruft sich Despagnet auf eine Beobachtung, die er als Fall VIII mitgetheilt hat und die gar nicht toU- beweisend ist, da der Glaskörper nicht mit betheiligt ist.

Sodann bespricht er in seiner Abhandlung die ver- schiedenen Präventivmaassregeln, um die schlimmen Zufalle zu vermeiden und bespricht die operativen Verfahren wie Iridotomie, Synechotomie, Iridectomie etc., Verfahren, die zum Theil an sich wegen der Gefahr der Linsenverletzung nicht räthlich sind.

Der Vollständigkeit halber will ich seine Fälle kurz anfuhren:

1) Adhärentes Leukom unten innen. Sieben Jahr später tritt an dem bisher reizfreien Auge eine acute Panophthalmitis auf ohne Ursache mit Scleralperforation innen unten nach fünf Tagen.

2) 23jährige8 Mädchen mit adhär. Leukom seit der Kind- heit Iridectomie gegenüber dem Leukom. Zwei Jahre später acute eitrige Iridocyclitis.

3) Adhärentes Leukom nach unten. Zwei Jahre später acute Panopthalmitis ohne Ursache mit stärkster Eiteransamm- lung hinter dem Leukom.

4) Zwei vernarbte Irisprolapse unten mit Ectasie. Sechs- undzwanzig Jahre später acute eitrige Iridocyclitis mit Hom- hautinfiltration. Eiterung den Leukomen entsprechend am stärk- sten. Rasche Abnahme des Sehvermögens. Am dreizehnten Tage Scleralperforation oben aussen.

5) Kleines adhärentes Lenkern unten aussen mit Colobom nach oben nach Entzündung und Operation vor nenn Jahren. Acute, spontane Panophthalmitis.

6) Adhärentes Leukom nach Ulcus corneae, ca. ^/4 Jahr später frische Entzündung, die heilt. Zwei Jahre später acute Panophthalmitis.

7) Grosses adhärentes Leukom nach unten seit fünfund- zwanzig Jahren bestehend. Auge blind. Seit drei Wochen frische spontane eitrige Iridocyclitis. Bei der Enudeation findet sich Eiter in der Orbita.

Anatomischer Befand: Cornea infiltrirt Eitrige Glaskör- perinfiltration. Am hinteren Pol Eiter durch Geftsse und Ner- ven nach aussen übergeleitet.

126 Dif. A. Wagenmann.

8) Grosses adhärentes Leakom oben mit wenig Sehver- mögen. In den folgenden Jahren zweimal recidiyirende Iritis mit Hypopyon. Paracentese. Es bleibt eine fistulirende Narbe zurück, die sich ab und zu entleert. Auge die folgenden 14 Jahre frei von Entzündung.

Dieser letzte Fall unterscheidet sich von den vorigen dadurch, dass bei ihm gar keine Cyclitis mit Trübung oder Infiltration des Glaskörpers eingetreten ist, sondern dass nur eine Iritis mit Hypopyon vorlag, wie sie bekanntlich bei Hornhautulcerationeu sehr häufig ist. Nach dem gan- zen Verlauf zu urtheilen, scheint hier nur eine oberfiächlich gebliebene Infection stattgefunden zu haben. Dass die Hei- lung durch eine Paracentese befördert wurde, ist nichts ungewöhnliches. Den Schluss aber ziehen zu wollen, dass dieselbe auch eine Wiederholung der Entzündung verhütet habe, ist nicht richtig, da ja die Annahme, dass ein neuer Zufall eintreten musste, durchaus nicht berechtigt ist.

Wie man aus der Zusammenstellung des über diese Krankheitsform Veröffentlichten ersieht, fehlt es noch vor allem an anatomischen Untersuchungen dieser Fälle. Ausser den aus früherer Zeit stammenden Untersuchungen Satt- ler's und der neueren Valudes und den spärlichen ana- tomischen Angaben Despagnets liegen keine ausführlichen anatomischen Untersuchungen vor. Nur die anatomische Untersuchung kann den Beweis der Richtigkeit einer Hy- pothese erbringen. Vor allen Dingen muss aber bei diesen eitrigen Entzündungen auf das Vorkommen und die Her- kunft der Mikroorganismen geachtet werden. Leber hat im Glaskörper eines solchen Falles Mikroorganismen gefunden und damit eine anatomische Stütze für seine An- schauung erbracht Valude hat in seinen Präparaten den Nachweis von Mikroorganismen nicht zu erbringen vermocht, wahrscheinlich weil das Auge zu lange Zeit in Müller'scher Flüssigkeit gelegen hatte.

lieber, von Operation snarben etc. ausgehende Glaskörpereiterang. 127

Ich habe deshalb einige Augen der Göttinger Samm- lung, bei denen theils nach Operationen, theils nach adhä- renten Leukomen eitrige Iridocyclitis oder Chorioiditis auf- getreten war, einer genauen anatomischen Untersuchung unterzogen, und habe besonderes Gewicht gelegt auf die Untersuchung und den localen Nachweis von Mikroorganis- men. Um zugleich unsere Kenntnisse über die klinischen Verhältnisse zu erweitem, habe ich die dazu gehörenden Krankengeschichten ausführlicher mitgetheilt und noch einige andere hier beobachtete Fälle, die nicht zur anatomischen Untersuchung kommen konnten, angereiht

Herrn Professor Leber bin ich für die Ueberlassung des interessanten Materials und die freundliche Beihülfe, die er mir hat zu Theil werden lassen, zu besonderem Dank verpflichtet.

Zunächst will ich einige nach Operationen aufgetretene Erkrankungsfälle mittheilen.

Fall I (Tafel I und II, Figg. 1 und 2).

Eitrige Glaskörperinfiltration,

spontan an einem drei Jahre vorher staaroperirten

Auge aufgetreten.

Krankengeschichte: Jacob Schake, Förster a. D. 65 J. aus Kohlhausen bei Hersfeld.

Am 12. Nov. 1883 wurde dem Patienten eine Katarakt des rechten Auges durch modificirto Linearextraction nach oben extrahirt. Vor der Operation bestand Conjunctivitis mit leichter Epiphora, die durch Einträuflung von Sei. Zinc gebes- sert wurde.

An dem Auge bestand eine alte Hornhauttrübung, die durch eine vor fünfundzwanzig Jähren stattgehabte Verletzung mit einem Fichtenzweig veranlasst war. Die Operation verlief normal. Die Kapsel wurde mit dem Cystitom eröffnet, und der grosse, gelbe Kern leicht entbunden.

128 I^r. A. Wagenmann.

Die Heilung verlief bei Nachbehandlung mit 2 ^1^ Carbol- säurelösung und Jodoform im Wesentlichen normal. Doch neigte das Auge zu geringer Ciliarinjection. Am unteren PupiUar- rand lag eine kleine Corticalflocke, die sich mit Hinterlassung einer hinteren Synechie ziemlich Tollständig reaorbirte. Das Sehvermögen war wegen der Homhauttrttbung unvollkommen.

Patient zählte mit convex 10 D Finger in 15 Fuss und las mit convex 16 D mittelgrosse Druckschrift (Jäger 12). Se. frei. Ophthalmoskopisch war das Bild des Augenhintergrundes verschleiert.

L. Hyp. 1,5 D S=*/3. Keine Katarakt.

12. Mai 1886. Heute kommt Patient wieder, weil vor acht Tagen eine Entzündung des rechten Auges mit Schwel- lung der Lider und mit anfänglichen heftigen Schmerzen auf- getreten ist. Patient weiss nichts von einer Verletzung.

Status praesens: Das Golobom ist von eitrigem Exsudat ausgeftlUt. Am inneren Wundwinkel findet sich eine eitrig infiltrirte, schon im Durchbruch begriffene Stelle. Die ganze Operationsnarbe erscheint eitrig infiltrirt.

Starke Chemosis. Iris verfärbt, fleckig geröthet. Kammer seicht. Lichtschein ungenügend, Projection ganz unsicher.

Am 12. und 13. Mai 1886 wurden von der fistulirenden, ulcerirten Stelle mittelst eines Platindrahts, der ohne Mühe ein Stückchen weit ins Auge eingeführt werden. konnte, zwei Cul- turen auf Agar angesetzt; das Resultat war jedoch ein nega- tives.

14. Mai 1886. R. Enucleatio bulbi. Der Bulbus lässt sich aus der stark infiltrirten Tenon'schen Kapsel nur mit Mühe ausschälen, wobei aber keine Flüssigkeit aus der Fistel austritt Nach der Operation wird die Fistel mit dem Linearmesser etwas dilatirt und von dem austretenden Eiter werden noch zwei Impfungen auf Agar und eine auf Gelatine vorgenommen. Die letztere bleibt negativ. Von den Agarculturen liefert jede im langen Impfstrich nur einige wenige weisse Cultnren vom Aus- sehen des Staphylokokkus albus. Mikroskopisch sind die Kokken vielleicht etwas gross für Staphylokokken. Eine auf Gelatine an* gesetzte Secundärcultur hat nach einigen Tagen die oberste Schicht der Gelatine verflüssigt, sodass es sich also doch wohl um Staphylokokken handeln dürfte. Doch ist auffallend, dass im Verhältniss zu dem acuten Process nur eine so geringe Colonienbildung auftrat.

Ueber von Operationsnarbcn etc. ausgehende Glaskörpereiternng. 129

Auge in MüUer'scher Flüssigkeit gehärtet, im verticalen Meridian aufgeschnitten, beide Hälften in Celloidin eingebettet. Der Durchschnitt zeigt folgendes (vgl. Tafel I, Fig. 1):

Die Narbe ist eitrig infiltrirt Sie wird gebildet durch ein fast 1 mm breites Zwischengewebe. Die Corncalränder klaf- fen und sind etwas an einander verschoben, der untere steht nach aussen. Die Narbe wird bedeckt von einer wulstförmi- gen Verdickung, die nach aussen etwas prominirt und sich über die Schnittenden der Cornea legt. Von dem inneren Rand der eitrig infiltrirten Narbe geht ein Eiterstreif zum Pupillarrand der Ins. Er ist von dem Glaskörper geschieden durch eine helle Membran, die als Linsenkapsel anzusprechen ist. Von der Narbe aus setzt sich die Eiterung direct auf den an sie stossenden Glaskörper fort. Derselbe ist hier vollkommen eitrig. In die Tiefe ziehen von hier aus mehrere zum Theil scharf begrenzte Eiterstränge, die nach unten besonders breit sind. Die obere Glaskörperhälfte ist freier. Doch finden sich auch hier die Eiterstränge, die bis zur Retina ziehen. Die vordere Kammer ist seicht, von eitrigem Exsudat erfüllt. Die Iris ist verdickt Hinter derselben liegt ein massig grosser Krystall- wulst Die Aderhaut ist unten dicht hinter dem Ciliarkörper üach abgelöst durch bei der Härtung gallertig geronnenes Ex- sudat. Die Retina liegt überall an ihrer Stelle, ist etwas ver- dickt.

Mikroskopischer Befund. Der Operation^schnitt ist im mittleren Theil in die Homhautperipherie gefallen. Die Ränder klaffen ziemlich breit auseinander, sie sind durch ein narbiges Zwischengewebe verbunden, das nach aussen zu einem dicken Narbenwulst hervorgewachsen ist. Der Wulst ist stark aufgelockert und eitrig infiltrirt, nach oben geht er in die in- filtrirte Conjunctiva über, nach unten fällt er ziemlich rasch ab, nachdem er eine Strecke weit den unteren Schnittrand der Cornea überdeckt hat Er ist bedeckt von mehrschichtigem Epithel und ist reich an Gewissen. Mehrfach sieht man Epi- thelzapfen in die Tiefe gehen. Das Epithel ist durch Eiter- körperchen aufgelockert Der Wulst ist vorhanden, soweit der Schnitt reicht Nach dem medialen Wundwinkel zu tritt ein oberflächlicher Epitheldefect auf; davon ausführlicher weiter unten.

Das Narbengewebe besteht, wie man jetzt noch an den wenigst veränderten Stellen sehen kann, aus einem faserigen

T. Gracfe'B Archiv för Ophthalmologie. XXXV. 4. 9

130 ^^' A. Wagenmann.

Gewebe, das von einem Cornealränd zum andern zieht. Es ist jetzt sehr erheblich aufgelockert und durch Eiterkörper- chen meist bis zur Unkenntlichkeit der Structur durchsetzt. Dort, wo man noch die Faserung erkennt, sind die Eiterkör- perchen in regelmässigen Reihen angeordnet Die eitrige Ein- schmelzung der Narbe ist fiberall sehr hochgradig, am hoch- gradigsten jedoch in der medialen Hälfte an der Stelle der Ulceration. Da der untere Schnittrand der Cornea nach aus- sen verschoben ist, besteht eine massige Yortreibung der Narbe. Die Eiterung setzt sich von der Narbe aus fiberall unmittelbar auf die Tiefe fort.

Die Schnittränder der Cornea sind nicht überall abzugren- zen, da das letzte Ende des Cornealgewebes stark infiltrirt ist Auch sind die Enden erheblich verdickt und zwar besonders das obere.

Das Verhältnis der Iris zur Narbe ist folgendes: Soweit das Colobom reicht, ist die Iris hart an der Ciliarwurzel ab- getrennt. Der Stumpf ist etwas abgerundet und erreicht nicht die Hornhautnarbe. In den Wundwinkeln jedoch ist die Iris mit der Narbe verwachsen. Im lateralen Wundwinkel beschränkt sich die Verwachsung auf die Hinterfläche der Narbe. Der Colobomschenkel ist in die taschenförmig ausgebuchtete Narbe hineingezogen und mit der Innenseite der Narbe verklebt Nach dem medialen Wundwinkel zu ist der Irisstumpf länger und in die Narbe eingeheilt, ohne dass er aber die Oberfläche der Narbe erreicht Weiter nach innen ist der Colobomschenkel der Iris um den oberen Cornealrand nach aussen umgeschlagen und in die ausgebuchtete Narbe hineingezogen, mit deren Hin- terfläcbe er durch pigmentirtes Gewebe innig verwachsen ist

Ueber das Verhalten der Linsenreste und der Linsen- kapsel dieses Falles habe ich schon an anderer Stelle eine ausffihrliche Beschreibung und Abbildung gegeben, worauf ich hier verweisen möchte.^) Doch will ich der Vollständigkeit halber hier kurz die Verhältnisse recapituliren.

Der Kapselsack ist breit eröffnet, die seitlichen Enden der vorderen Linsenkapsel haben sich hinter die Iris zurflck- gezogen. Dort liegen auch zwischen den Eapselblättem Lin- senreste; das Colobom selbst ist rein. Der untere Kapselrand ist mit der Iris verwachsen, daselbst folgt in der Peripherie

>) y. Graefe's Archiv für Ophthalmologie XXXV, 1, p. 173 ff. Tafel V, Fig. 1.

lieber von Operationsnarben etc. aasgehende Glaskörpereiterang. 131

«in grösserer Erystallwalst. Die hintere Kapsel zieht in einem nach vorn convexen Bogen nach der Narbe, mit der sie ver- wachsen ist Und zwar ist die Verwachsung in der lateralen Hä]fte nur eine oberflächliche, während in der medialen Hälfte der Eapselzipfel in die Narbe eingeheilt ist und beinahe die Oberfläche der Narbe erreicht. Auf der Yorderfläche der hin* teren Kapsel finden sich die früher beschriebenen glashäutigen Auflagerungen, die zum Theil durch Eiter abgehoben sind. In der vorderen Kammer liegt ein mit der Narbe und mit der Ins zusammenhängendes eitriges Exsudat der Linsenkapsel auf. An die Hinterfläche der Linsenreste stösst der eitrig infiltrirte Glaskörper. Alle Faltungen der Kapsel sind von Eiter um- hüllt, die Eiterung setzt sich von der Narbe aus in die Tiefe fort

Wir haben jetzt die schon mehrfach erwähnte ulcerirte Stelle am medialen Ende der Narbe zu beschreiben, die der Ausgangspunkt der Eiterung gewesen ist (Taf. II, Fig. 2). Dicht vor dem inneren Colobomrand £ndet sich eine massig ausgedehnte, oberflächliche Ulceration mit geringem Substanzverlust Der Grund des Ulcus ist stellenweise necrotisch und in einen kern- losen Detritus verwandelt Die Necrose erstreckt sich eine Strecke weit in die Narbe hinein. Es ist dieses dieselbe Stelle, an der die Kapsel bis zur Oberfläche der Narbe eingewachsen ist Man kann an den Schnitten verfolgen, wie sich das Kap- selende dem Ulcus mehr und mehr nähert. Dort, wo das Ulcus am breitesten und tiefsten ist, erreicht die Kapsel die Ober- fläche und liegt nun in einiger Ausdehnung in dem Geschwürs- grund frei zu Tage, umgeben von necrotischem Narbengewebe. An dieser Stelle hat die eitrige Infiltration der Narbe ihren Höhepunkt erreicht. Das obere Hornhauteude ist enorm ver- dickt und sehr reichlich mit Eiter durchsetzt. Man findet in dem Narben wulst eine Stelle, an der das Gewebe von Fibrin durchtränkt, die Zellfärbung schlechter und die Umgrenzung der Zellen verwaschen ist Es macht den Eindruck, als habe hier eine tiefgehende Necrose bevorgestanden. In der Umge- bung ist alles dicht infiltrirt, von Structur wenig zu erkennen. Femer treten hier Züge von Eiterkörperchen auf, die der Kapsel entlang die Narbe quer durchsetzen und in den Bulbus führen.

Während in der lateralen Bulbushälfte die Cornea mit Ausnahme der Wandränder wenig verändert und seitlich von der Narbe nicht infiltrirt ist, reicht in der medialen Hälfte die eitrige Infiltration zumal an der Stelle der Ulceration weit

9*

132 Dr. A. Wageumann.

in die Grundsubstanz hinein. ' Auch ist hier dieselbe stark faserig, bindegewebsartig und arm an Hornhautkörperchen. An einer circumscripten Stelle in der Tiefe der Hornhaut sind die Faserbündel durch breite Lücken, die von Eiterkörperchen und Detritus ausgefüllt sind, auseinander gedrängt. Da diese Lücken eine regelmässige Anordnung besitzen, so gleicht hier die Cor- nea einem breiten faserigen Netzwerk, in dessen Maschen das £xsudat liegt. Offenbar ist ein Theil dieser Veränderungen alten Datums ond der Ausgang der vor Jahren stattgehabten Verletzung, deren Folge klinisch als Hornhauttrübung zu se- hen war.

Die Iris ist verschieden hochgradig verdickt, mit Rund- zellen ziemlich reichlich durchsetzt. Die Gefässe stark hyper- ämisch, Hämorrhagien im Gewebe. Der Pupillarrand ist kolbig verdickt Von seiner Hinterfläche geht die pigmentirte Wuche- rung aus, die den Rapselrand umgriffen hat. In den seitlichen Parthien linden sich mehrfache breite Verklebungen der Iris mit den Linsenmassen. Sonst liegt zwischen Iris und Erystallwulst Exsudat, das zum Theil einen schwartigen Charakter trägt und Pigmentzellen enthält, zum Theil aber frisch fibrinös mit ver- schieden reichlichem Gehalt an Blutkörperchen ist. So fällt besonders in der medialen Hälfte eine ziemlich umfangreiche, stark mit Fibrinfäden durchsetzte Hämorrhagie auf. Ueberall sind Eiterkörperchen in verschiedener Zahl eingewandert.

Der Ciliarkörper ist hyperämisch mit Rundzellen durch- setzt. Seine Innenfläche ist auf grosse Strecken von Fibrin- netzen eingehüllt. Auch zwischen den Zonulafasern liegt viel fädiges Fibrin.

Die Chorioidea ist fast in toto massig verdickt, nur an einzelnen Stellen ist die Verdickung erheblicher. Sie ist über- aus blutreich. Die citrige Infiltration ist in verschieden hohem Grade überall zu erkennen. Stellenweise ist sie beträchtlich, wie z. B. in der unteren Bulbushälfte dicht unter dem Orbiculus ciliaris. Vielfach greift sie direct auf das Pigmentepithel und die Retina über. Die Suprachorioidea ist von ihrem ciliaren Ursprung an ganz enorm verdickt durch entzündliches Trans- sudat, das Fibrin und Eiterkörperchen enthält. Und zwar ist auch hier in der unteren Bulbushälfte der Process hochgradiger.

Das Pigmentepithel liegt mit Ausnahme mehrfacher seichter Abhebungen der Chorioidea glatt auf. Es ist stellen- weise von Eiterkörperchen durchsetzt. Ferner kann man mehr- fache Entfärbungen der Pigmentzellen beobachten; neben Zel-

Ueber von Operationsnarbon etc. ausgehende Glaskörpereiterang. 133

len mit spärlichen Pigmentmol6cüIen liegen farblos^ Zellen. Strichweise finden sich auch Wucherungen.

Die Retina zeigt eine diffuse, eitrige Entzündung. An den am meisten afficirten StiBllen erkennt man nichts mehr von Str^ctur. Schon die Pars ciliaris retinae ist stark eitrig infiltrirt. An anderen Stellen idt ein Netzhautödem das am meisten auffallende. Die Zapfen- und Stäbchenschicht ist durch das Oedem vielfach abgedrängt von der äusseren Körnerschicht. Die Zapfen und Stäbchen sind grösstentheila zerfallen und de- generirt, nur an wenigen Stellen finden sich noch relativ in- tacte, mit vereinzelten Eiterkörperchen untermischte Zapfen. Die Gefässe der Membran strotzen von Blut. Auch in der Re- tina sind mehrfache zum Theil ausgedehnte Uämorrhagieen ge- legen, die auch in den Glaskörper übergehen. Wiederholt ist die Membrana limitans hyaloidea durch eitriges Exsudat breit abgelöst.

Der Glaskörper ist vornehmlich in seinem vorderen Ab- schnitt stark eitrig infiltrirt Seine vordere Grenze ist die hintere Linsenkapsel, der er bis in die etwas vorgebuchtete Narbe folgt. Offenbar ist durch Senkung die untere Parthie stärker infiltrirt als die obere. Der Giliarkörper und der Kry- stallwulst sind vollkommen von Eiter eingehüllt. Zwischen den Eiterkörperchen erkennt man noch vielfach krümlichc Eiweiss- substanz. Eigenthümlich sind lange im vorderen Abschnitt hin- ter der Linse gelegene Faserstränge, die den vereiterten Glas- körper von oben nach unten durchziehen und zum Theil nach hinten umbiegen. Sie stehen mit der Linsenkapsel nicht in Verbindung, haben also mit den oben erwähnten Kapselblättern nichts zu thun. Vielmehr sind es wohl verdichtete Glaskörper- stränge. Ferner findet sich in den peripheren Schichten der hinteren Glaskörperhälfte eine schön ausgebildete Glaskörper- faserung mit beginnender eitriger Infiltration. Man bekommt hier sehr schöne Bilder von reihenförmiger, parallel laufender Infiltration. An anderen Stellen ist der Glaskörper von fädi- gem Fibrin durchsetzt. Auch hämorrhagische Herde werden mehrfach angetroffen. Das Blut stammt vom Giliarkörper und der Retina. Die den Glaskörper von vorn nach hinten durch- ziehenden Eiterstränge sind zum Theil dadurch bedingt, dass die Eiterkörperchen verdichteten Glaskörperfäden entlang ihren Weg genommen haben. Von den Strängen zweigen sich zahl- reiche kleine Gruppen von Eiterkörperchen ab. Auch in den makroskopisch normal aussehenden Parthien liegen diffus zer-

134 I>r. A. Wagenmann.

streute Eiterkörperchen. Andere Stellen jedoch sind vollkom- men frei

Um die Erreger der Eiterung, die Mikroorganismen, in den Schnitten nachzuweisen, habe ich eine grosse Anzahl von Präparaten nach den verschiedensten Methoden, meist freilich nach der Löffler'schen, gefärbt

Der Befund an Kokken war kein so massenhafter, wie ich ihn bei anderen Augen gehabt habe, doch wurde volle Ein- sicht in die Art der Verbreitung und in die Eingangspforte der Mikroorganismen gewonnen. Ich habe auf der Ulceration im medialen Wundwinkel sowohl am Rand der Ulceration als auf dem Grund derselben einzelne Haufen von Kokken gefun- den. Weiter konnte ich sie in der Narbe nachweisen und zwar schlössen sie sich hier theilweise der eingeklemmten Lin- senkapsel an. Weitere Oruppen lagen in dem auf der hinteren Linsenkapsel nach der Iris hinziehenden Eiterhaufen. Grössere Massen traf ich dann im Glaskörper an. Doch waren sie nur in bestimmten Regionen nach hinten gedrungen. In mehreren der von der Narbe in die Glaskörpertiefe ausstrahlenden Eiter- streifen habe ich grössere Massen gefunden; in anderen Schnit- ten, die nur etwas seitlich lagen, fehlten sie dagegen. Auch in die laterale Bulbushälfte habe ich grössere Kokkenmassen verfolgen können, sogar in einem Schnitt bis zur Retina hin. Dagegen habe ich in dem eitrigen Narbenwulst der lateralen Seite keine Kokken gesehen. Nirgends waren Kokken in Ge- lassen anzutreffen.

Die Kokken haben sich vielfach nicht gut gefärbt Sie lagen meist als Haufen von Einzelkokken. Nur an einigen Stellen haben sie auch kurze Ketten gebildet Auch verein- zelte unzweifelhafte Semmelformen konnte ich finden.

Epikrise.

Wir müssen, um den Fall richtig zu beurtheilen, uns vorstellen, wie die Verbältnisse an dem staareztrahirten Auge gelegen haben vor dem Eintreten der suppurativen Entzündung. Die Wundränder der Cornea waren aneinan- der verschoben, der periphere einwärts, der centrale auswärts gerückt und in dieser Stellung durch ein dickes Narbengewebe verbunden. An der Inneufläche der Narbe bestand eine leichte Ausbuchtung, in die an den Winkeln

lieber von Operationsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiterung. 135

Iris hineingezogen war. Die Kapsel war ergiebig eröffnet; ihr unterer Rand lag hinter der Iris, mit derselben durch eine ausgedehnte Synechie fest verbunden. Das Colobom war rein. Das obere Kapselende bildete eine nach hinten spitzwinklig ausgezogene nach vorn offene Tasche. In der lateralen Hälfte des Coloboms war der freie Zipfel in mehr- fache Falten gelegt und mit der Hintorfläche der Narbe verwachsen. In der medialen Hälfte dagegen war der Zipfel in die Narbe selbst eingelagert und erreichte an einer Stelle fast die Oberfläche. Im Colobom war die Hinterkapsel con- vex nach vorn vorgebuchtet Gleich hinter der Linsenkap- sel lag der Glaskörper, der den Kapselfalten bis in die ausgebuchtete Narbe hinein folgte. Die Iridectomie wai* eine fast vollkommene, die Iris hart am Ciliarkörper abge- trennt Der Stumpf grenzte nicht an den Schnittrand. Nur im medialen Rand des Coloboms war der Irisstumpf etwas grösser und in die Wunde eingeheilt Seitlich vom Colo- bom war die Iris in die Narbe hineingezogen und mit der Hinterfläche verwachsen. Auf der Vorderfläche der hin- teren Linsenkapsel hatten sich glashäutige Auflagerungen gebildet, die ich für Ausscheidungsproducte des Linsenepi- thels halte und an anderer Stelle ausführlicher behandelt habe. ')

So lagen die Verhältnisse bis zu der acht Tage vor der Enucleatiou beginnenden frischen Entzündung, die rasch zum Verlust des Sehvermögens geführt hat Die anato- mische Untersuchung bestätigt den klinischen Befund, dass der Process seinen Ausgang genommen hat von einer klei- nen Ulceration der Narbe im medialen Wundwinkel. Es ist dieses gerade die Stelle, wo die Kapsel bis zur Ober- fläche in die Narbe eingeheilt war, und wo es sehr leicht zur Fistelbildung kommen konnte. Von dem Ulcus aus ist der Process in die Tiefe gegangen. Und offenbar war diese

*) V. Graefe's Archiv für Ophthalmologie XXXV, 1, p. 173.

136 Dr. A. Wagenmann.

Propagatioii durch die eingeheilte Kapsel erleichtert, die den Weg ins Innere wies. Denn da die Linsenkapsel mit der Umgebung nicht durch organischen Gewebsaustausch verwächst, so wird hier eine Art Fistel bestanden haben, die freilich bei intactem Epithel mit der Oberfläche nicht commuiiicirte. Und als zweites Moment, den schlimmen Ausgang dieser an sich geringfügigen ülceration zu erklär ren, kommt die unmittelbai^e Nähe des Glaskörpers in Be- tracht. Sowie die Narbe eitrig infiltrirt war, musste der Glaskörper in Mitleidenschaft gezogen werden.

Wenn man schon aus den pathologisch -anatomischen Bildern den Ausgangspunkt und den Weg der Propagation der eitrigen Entzündung bestimmen kann, so wird die Rich- tigkeit der Auffassung durch den Befund an Mikroorganis- men dur(;hau8 bestätigt. Wir lernen die Ülceration am medialen Wundwinkel als die Eingangspforte der Kokken kennen und wir können verfolgen, wie sie durch die Narbe und zwar an der Linsenkapsel entlang in den Glaskörper sich fortgesetzt haben, wo sie nun frei nach den verschie- densten Seiten hin in grossen Zügen in die Tiefe gewach- sen sind. Auf der ulcerirten Stelle und in der Narbe selbst war der Befund an Kokken spärlich im Vergleich zu ihrem massenhaften Vorkommen im Glaskörper. Man muss aber bedenken, dass es genügte, wenn nur wenige Kokken durch die Narbe in die Tiefe gelangten. Sie stiessen dann sofort auf den Glaskörper, der ein vortreffliches Nährsubstrat für ihre Entwickelung bot. Man braucht also in solchen Fäl- len in der Narbe selbst spärliche oder selbst gar keine Kokken mehr anzutreffen, wenn wie hier durch eine fistu- lirende Beschaffenheit der Narbe der sofortige üebergang in die Tiefe statthaben konnte. Durch die eingeheilte Linsenkapsel war ihnen der Weg präformirt In anderen Fällen wieder wird man an der Eingangspforte vielleicht grössere Colonien finden. Da also hier in der Narbe ein localer Niederlassungsherd sich etablirt hatte, so war es

Ueber von Operation snarben etc. ausgehende Glaskörpereiterung. 137

zu ei]ier starken eitrigen Infiltration des Narbengewebes gekommen. Da der Befund an Kokken an der Ein- gangsstelle kein sehr hochgradiger war, so lässt es sich auch erklären, dass die Impfung zu keinen ganz evidenten Resultaten geführt hat. Was die erste negativ gebliebene Impfung angeht, so ist es mir zweifelhaft, ob der Platin- draht wirklich in die Narbe eingedrungen ist, da ich im subconjunctivalon Gewebe einen Spalt finde, der möglicher- weise den Weg des Drahts darstellt. Das Exsudat, das nach der Operation zur Impfung kam, entstammt wahr- scheinlich dem Eiter der Narbe oder der vorderen Kam- mer, in dem ich auch nur spärliche Kokken gefunden habe. Von den drei angesetzten Culturen gingen zwei Agarculturen an. Und eine davon gewonnene Secundärcultur auf Gela- tine lieferte einen die Gelatine verflüssigenden Kokkus, also wohl Staphylokokkus. Das Wachsthum der Colonien würde wahrscheinlich ein viel reichlicheres gewesen sein, wenn es gelungen wäre, direct aus dem Glaskörper zu impfen.

Fall II (Taf. III, Fig. 3). Eitrige Glaskörperinfiltration, spontan an einem wegen Glaukoms iridectomirteu Auge aufgetreten. Dieser Fall ist bereits früher von Herrn Prof. Leber untei-sucht. Es beziehen sich auf ihn die Mittheilungen, die Herr Professor Leber bei der Discussion des Zeh en- der'sehen Vortrags auf der Heidelberger Versammlung im Jahre 1882 gegeben hat. Da wir jetzt im Besitz besserer Tinctionsmethoden für Mikroorganismen sind, so schien es der Mühe werth, die noch vorhandenen Theile des Bulbus zu einer nochmaligen Untersuchung zu verwerthen. Zudem hatte Herr Professor Leber damals nur kurz das Resultat der Untersuchimg gegeben. Es mag deshalb hier die ge- nauere Mittheilung des Krankheitsfalles und der anatomi- schen Befunde, die in vieler Beziehung Interessantes bieten.

138 ^T. A. Wagenmann.

folgen. Herr Professor Leber hat mir gätigst die Notizen seiner früheren Untersuchung dazu zur Verfügung gestellt.

Krankengeschichte: Karl Dunkel aus Kflllstedt, 49 J. €. Jan. 1878. Beiderseits Glaucoma simplex mit tiefer Druck- excavation. Anfang der Sehstörung angeblich seit einem Vier- teljahr. Auge war stets frei von Schmerzen und Injection. Druck nicht wesentlich erhöht R. Finger in 10 Fuss gez&hlt, Se. defect innen und innen unten. L. Finger in 18 Fuss ge- zählt, Se. beschränkt nach innen und innen unten.

11. Jan. 1878 nach Gebrauch von Eserin S= */iq bds» Rechts etwas schlechter.

12. Jan. 1878 beiderseits Iridectomie nach unten mit dem Linearmesser. R. breites Colobom, beide Sphincterenecken re- ponirt, Auge völlig entspannt. Wunde blutet etwas stark. L. ebenfalls breites Colobom. Die äussere Sphincterecke nicht ganz reponirt. Deshalb nochmals mit der Pincette eingegangen und ein weiteres Stück excidirt. Auge ebenfalls entspannt.

26. Jan. 1878. Heilung normal. R. S. = Finger in 17 bis 18 Fuss gezählt. L. S. = Vio* Gesichtsfeld bds. concen- trisch eingeengt Entlassen.

30. März 1878. Patient kommt heute wieder mit eitriger Iridocyclitis des rechten Auges. Er hat sich einen Monat lang nach der Operation sehr wohl gefohlt Da traten vor vier Wochen plötzlich heftige Schmerzen in dem rechten Auge auf^ die nach der Stirn ausstrahlten. Dieselben haben seit einigen Tagen nachgelassen. Das Sehvermögen war nach dem Auftre- ten der Schmerzen sofort ganz erloschen. Das linke Auge war immer frei.

Status praesens: R. Noch starke Injection im ganzen Bereich der Scleralbindehaut. Es besteht noch etwas Chemosis, die Lider sind geröthet Am unteren Hornhautrand ist die Coiijunctiva der Iridectomienarbe entsprechend in Gestalt eines horizontalen Wulstes emporgehoben, der eine kleine Eiterau- sammlung durchschimmern lässt Die Iris ist etwas grünlich verfärbt. Die Pupille ist mittelweit, am oberen Rand durch feine Synechieen gezähnelt. Unten sind die divergirenden Rän- der des vollkommen regelrechten, sehr breiten Coloboms mit den an normaler Stelle liegenden Sphincterecken ganz scharf zu sehen. Die Pupille sowohl wie das Colobom ganz von Eiter erfüllt, der die Linse verdeckt, sich aber seitlich kaum auf dio Iris fortsetzt Der Augendruck ist ziemlich normal, eher etwas

Ueber von Operationsnarben etc. ausgebende Glaskörpereiterung. 139

herabgesetzt Druck auf den Bulbus und auf die Supraorbital- gegend sehr empfindlich. Cornea klar. Absolute Amaurose.

An demselben Tage wird das rechte Auge enucleirt Operation und Heilungsverlauf normal.

Der Sehnerv ist ziemlich knapp am Auge abgeschnitten. Der Querschnitt ist beträchtlich verkleinert, beträgt dicht am Auge nur 2,5 muL Das Bindegewebe in der Umgebung des Auges verdichtet, besonders an der Insertionsstelle der Obliqui. Am unteren Homhautrand eine auch im Leben bemerkte eitrig infiltrirte Vortreibung der Operationsnarbe.

Der in Müller'scher Flüssigkeit gehärtete Bulbus wird im verticalen Meridian durch den Sehnerveneintritt und die ge* nannte Yortreibung halbirt. Die temporale Hälfte wird nach- träglich in Celloidin eingebettet

Sectionsbefund (Taf. HI, Fig. 3):

Dicht an der unteren Corneoscleralgrenze noch innerhalb der Cornea findet sich die fast 1 mm klaffende Iridectomienarbe. Die Comealränder sind etwas verdickt Die eitrig infiltrirte Narbe ist zu einer extrabulbär gelegenen Tasche ausgebuch- tet, in der gelbliche Massen, vermuthlich Eiter, eingelagert sind. An den Narbenwulst schliesst sich nach unten die ver- dickte Conjunctiva an. Das eitrige Exsudat der Narbe setzt sich zwischen Irisstumpf und Linse direct in den Glaskörper hinein fort Auch in der vorderen Kammer liegt eitriges Ex- sudat Die Iris ist verdickt. Auch der angrenzende Linsen- theil ist gelblich verfärbt, offenbar eitrig infiltrirt Die Linse ist verkleinert, flach, von vorn nach hinten verdünnt Der Glas- körper ist fast total eitrig infiltrirt, nur das Centrum und der hintere Abschnitt sind von grober Eiterinfiltration frei.

Der Ciliarkörper mit dem Anfangstheil der Chorioidea ist ringsum beinahe bis zum Aeqnator durch eine durch die Mül- ler'sche Flüssigkeit geronnene fast 2 mm dicke Exsudatschicht von heller Farbe abgehoben. Im hinteren Bulbusabschnitt liegt die Aderhaut der Sclera wieder an.

Die Retina ist vom Aequator an bis zum Sehnervenein- tritt abgelöst durch ein 2— 3 mm breites, in Müller'scher Flüs- sigkeit gelatinös geronnenes Transsudat Die Retina ist ge- faltet, verdickt

Mikroskopischer Befund.

Der Iridectomieschnitt fällt, wie schon makroskopisch zu sehen war, in die Cornea; die Ränder sind scharf abge-

140 Dr. A. Wagenmann.

schnitten, wenig verdickt und durch ein stark eitrig infiltnrtes Gewebe auseinandergedrängt; die Descemet*sche Membran ist nach aussen umgeschlagen. Das Gewebe zeigt an den Wund- räudern eine denselben parallel gehende fibrilläre Streifung, die dicht von Eiterkörperchen durchsetzt ist; die Fibrillen biegen nach aussen um und umgrenzen die taschenförmige Ausbuchtung der Narbe. Um den oberen Schnittrand legt sich die verdickte Coujunctiva auf dieses eitrig infiltrirte Narbengewebe. Die Wand der Tasche ist etwas nach aussen von der Mittellinie verdünnt. Die eitrige Infiltration erstreckt sich nur hie und da von der Narbe aus in die Cornea etwas weiter hinein; auch gehen einzelne Gefösse in die Grundsubstanz der Cornea über. Die buckeiförmige Ausstülpung der Narbe ist von Epithel über- deckt, nur an der dünnsten Stelle derselben ist dasselbe defect und von Eiterkörperchen durchsetzt. Die Uöhlung der Tasche ist ausgefüllt von eitrigem Exsudat, zwischen dem vielfach nich( gefärbte, gelblich aussehende faserige Stücke von verschiedener Grösse liegen, die sich als Linsensubstanz erweisen. Etwas nach aussen von der Mittellinie überwiegen diese Linsenmassen das Exsudat. Man sieht aus der noch zu beschreibenden Lin- senkapselruptur einen breiten Zug von Linsenbröckel nach der Narbe ziehen, sich in die Tasche der Narbe hinein erstrecken und bis an die äussere Wand derselben reichen. Freilich feh- len auch hier zwischen den Linsenfasern nicht ganz die Eiter- körperchen. An den übrigen Theilen ist der Inhalt fast ganz eitrig.

Die Conjunctiva ist enorm hyperäraisch , reichlich mit Eiterkörperchen durchsetzt.

Der Ciliarkörper reicht bis an den Scleralrand der Narbe, ein Irisstumpf ist nicht vorhanden, auch keine eigent- liche Iriseinklemmung. Nur ein Pigmentstreif nebst einzelnen Irisfasern setzt sich in die Narbe fort und deckt den Scleral- rand derselben. Das faserige Narbengewebe, das hier den Cor- nealrand überzieht, ist mit dem Ciliarkörper stellenweise ver- wachsen. Auch Gefässe führt dieses Gewebe, das von Pigment durchsetzt ist.

Die Linse ist, wie schon mit blossem Auge zu sehen war, stark verkleinert, platt, in ihrer unteren Hälfte gelblich verfärbt. Die Kapsel ist an dem der Narbe benachbarten Rand in ihrer Continuität unterbrochen. Die Enden klaffen weit auseinander, sind gefaltet und nach aussen umgeschlagen. Das Kapselloch ist breit, sein anderer Rand liegt erst jenseits des

Ueber von Operationsnarben etc. aasgehende Glaskörpereiterung. 141

Coloboms. Ans diesem grossen Loch sind Linsenmassen aas- getreten und erstrecken sich mit Eiter untermischt bis in die Narbenhöhle, wie oben erwähnt ist. Die Linsenfasem sind an dieser Stelle in kleinere Stücke zerfallen, zwischen den Fasern liegen Myelinkugeln. Die übrige Linse ist in ihrer Substanz wenig verändert Nach dem Kapselloch zu zeigt die Linse mehrere parallele Spalten, in welche eitriges Exsudat einge- drungen ist. Kleinere Gruppen von Eiterkörperchen finden sich bis über die Mitte hinaus, am weitesten erstreckt sich die Eiterinfiltration an der hinteren Fläche. Ueberall sind die Eiterkörperchen nur zwischen die Fasern eingelagert.

Stellenweise zeigen sich auch mit glänzenden Körnchen gefüllte, die Eiterkörperchen an Grösse übertreffende Zellen, in der Linse aber nur spärlich, dagegen mehr in der Nähe der Narbe in der Höhlung, welche die Linsentrttmmer ein- schliesst. Der ganze Linsenkörper muss sich in der Kapsel etwas nach unten verschoben haben, denn an der oberen Hälfte des Aequators füllt die Linse den Kapselsack nicht ganz aus. Hier sind die vordere und hintere Kapsel einander genähert und in mehrere Falten gezogen; zwischen den Kapselblättern liegt eine grosse Gruppe von neugebildeten Kapselzellen, stel- lenweise auch mit Resten alter Linsensubstanz untermischt Die vordere Linsenkapsel ist mit der Iris durch ein Exsudat verklebt, in das stellenweise Pigment eingedrungen ist

Die Iris ist verdickt, das Pigmentblatt gewuchert Am Boden der vorderen Kammer liegt eitriges Exsudat Der Kam- merwinkel ist, soweit die Iris erhalten ist, eine Strecke weit verwachsen. Ueberall ist die Umgebung des Schlemm'schen Canals reichlich pigmentirt

Der Ciliarkörper und die Ciliarfortsätzo sind massig stark infiltrirt. Anf ihrer Innenfläche findet sich eine breite schwartige Auflagerung, die sich bis zum Linsenäquator er- streckt Sie besteht aus faserigem wenig infiltrirtem, zum Theil Pigment enthaltendem Bindegewebe. Der Ciliarmuskel ist auf- gelockert, zeigt nur radiäre Fasern, so gut wie keine circu- läre, ist nach vorn in eine lange Spitze ausgezogen. Die Schei- den der durch die Sclera tretenden Ciliargefösse sind enorm stark infiltrirt

Die Suprachorioidea ist sofort nach ihrem Beginn eine Strecke weit bis fast zum Aequator enorm aufgelockert durch ein im Ganzen wenig Eiterkörperchen enthaltendes Transsudat. Im Bereich dieses Transsudats ist die Sclera etwas nach aus-«

142 I>r- A. Wagenmann.

Ben ausgebnchtet. Die Ansbachtang und das Transsudat enden ziemlich plötzlich; man siebt, dass die Scleralfasern am Ende der Transsudation eine deutliche Knickung nach aussen erlitten haben. Die übrige Aderhaut ist überall verdickt, eitrig in* filtrirt und hyperämisch.

Die Pars ciliaris retinae ist stark verdickt und bindege- webig degenerirt, das Pigment unregelmässig gewuchert

Der Glaskörper erstreckt sich nach vorn zwischen Ci* liarkörper und zerstörten Linsenrand bis an die Cornealnarbe; die eitrige Infiltration der Narbe geht hier unmittelbar auf denselben über. In seinem vorderen Abschnitt ist er dicht eitrig infiltrirt Mehrfach erkennt man Reste von Glaskörper- faserung, die nun durch regelmässige EiterzOge auseinanderge- drängt sind. Zwischen den Eiterkörperchen liegt vielfach noch feinkörnige Grundsubstanz und netzförmiges Fibrin. Dicht vor der Papille ist der Glaskörper weniger infiltrirt; nur kleinere Gruppen von Eiterkörperchen sind bis zu derselben vorgedrun- gen. Dagegen findet sich hier mehr Fibrin und auch kleine Blutungen. Sodann strahlt von der Papille ein neugebildetes, zellenreiches Bindegewebe in den Glaskörper aus, mit langen Spindelzellen durchsetzt.

Die Retina ist nach hinten vom Aequator abgelöst; sie ist stark degenerirt, stellenweise, besonders vorn eitrig infil- trirt. Die Körnerschichten schmaler, die Stäbchen und Zapfen zerfallen; mehrfach sieht man Hämorrhagieen in derselben. Auch Pigmenteinwanderung in die Retina wird vielfach beob- achtet. Der Opticus ist atrophisch, zellig infiltrirt.

Die Untersuchung auf Kokken ergab ein positives Resul- tat. Schon früher hatte Herr Professor Leber durch Behand- lung der Schnitte mit Kalilauge die Anwesenheit der Kokken unzweifelhaft feststellen können.

Ich habe jetzt die Schnitte mit Löfflcr'scher Methylen- blaulösung behandelt. Die Kokken haben sich im Ganzen nicht sehr intensiv ge&rbt. Auch mit anderen Methoden konnte ich keine bessere Färbung erzielen.

Im Glaskörper liegen sie massenhaft zu grösseren Haufen zusammen, am deutlichsten sieht man sie an Stellen, wo der Glaskörper weniger stark eitrig infiltrirt ist. Verschiedene Hau- fen liegen frei in der eiweissreichen Grundsubstanz. Andere Haufen sind von spärlichen Eiterkörperchen umgeben, andere finden sich in den dicht infiltrirten Parthien. Einige Gruppen von Kokken habe ich auch in der Narbenhöhlnng gefunden.

Ueber von Operationsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiterung. 143

In der Linse konnte ich keine nachweisen, dagegen neben der Linse in dem Exsudat, das den Ciliarkörper nmgiebt. Die Kokken zeichnen sich ans durch ihre Verschiedenheit der Grösse. Neben kleinen finden sich auffallend grosse Kokken. Sie haben deutlich Neigung, sich in Ketten zusammenzulegen, man kann aus dem Kokkenconvolut deutlich lange Ketten isoliren.

Epikrisc.

Wir haben hier eine eitrige Iridocyclitis vor uns, die an einem wegen Glaukoms iridectomirten Auge sechs Wochen nach der normal verlaufenen und normal geheilten Opera^ tion aufgetreten ist. Der Patient hatte ein leidliches Seh- vermögen wieder erlangt Es war keine Iris eingeklemmt, wie die anatomische Untersuchung bestätigen konnte.

Vier Wochen nach der eingetretenen frischen EntzUn- düng stellte sich der Patient wieder vor. Was die Veran- lassung zu der neuen Entzündung gegeben hat, ist nicht mehr auszumachen. Ob die Narbe sich vorgetrieben hatte, lässt sich nicht bestimmen; die jetzt bestehende starke Eo- tasie ist jedenfalls wesentlich secundär. Ich habe in den Präparaten keine deutliche Ulceration der Narbe mehr ge- funden, nur eine Auf lockeiiing des Epithels und eine eitrige Infiltration derselben. Daraus kann man schliessen, dass die Wundaffection wohl nur eine geringfügige gewesen sein wird. Auch muss man bedenken, dass der Proeess schon vier Wochen spielte und dass die Verhältnisse etwas ge- stört sind durch die secundäre Ectasie der Narbe. Jeden- falls aber ergiebt die anatomische Untersuchung, dass von der Narbe aus, wo die Veränderungen am hochgradigsten waren, der Proeess in die Tiefe gegangen sein muss. Un- heilvoll für den Verlauf war wieder, dass der Glaskörper ungeschützt bis an die Narbe reichte. Sowie hier an der Narbe ein infectiöser Herd sich entwickelte, so konnte die tiefe Infection leicht erfolgen, indem die Keime zwischen Linsenrand und Ciliarkörper den Glaskörper erreichten. Der an die Narbe stossende Glaskörperabschnitt ist am hoch-

144 ^' A. Wagenmann.

gradigsten vereitert. Ein fernerer Beweis, dass hier in der Wundgegend der Process seinen Ausgang genommen hat, ist die Ruptur der Linsenkapsel an dieser Stelle, die allein als Folge der Eiterung hinzustellen ist. Denn von einer Verletzung bei der Operation kann keine Rede sein, da diese bei der Nachbehandlung beobachtet sein müsste und da der Patient sechs Wochen lang gut gesehen hat. Vielmehr ist die Perforation der Linse als Folge der Eite- rung, die ja hier zuerst aufgetreten und am stärksten war, anzusehen.

Weiter unten werde ich bei Gelegenheit eines anderen Falles, in dem sich auch eine unzweifelhafte Linsenkapsel- perforation durch Eiterung findet, auf diesen Punkt zurück- kommen.

Nach der Perforation der Linsenkapsol traten Linsen- massen aus und drängten nach der Narbe zu. Die Aus- buchtung dei*selben ist wohl grösstentheils den vordringen- den Linsenmassen zuzuschreiben, wobei jedoch nicht aus- geschlossen ist, dass schon vorher Neigung zur Ectasie be- stand. Gerade wegen der Gefahr der cystoiden Vemarbung sind die Glaukomiridectomien diesen Zufällen im Gegen- satz zu den übrigen Iridectomien stark ausgesetzt. Auch Vorgänge, wie der von Sattler mitgetheilte, dass die Narbe spontan aufbricht, können den Weg für die frische tiefe Infection abgeben.

In dem von Sattler^) beschriebenen Fall von Glas- körperabscess nach Glaukomiridectomie war zwar die Ur- sache für das befallene Auge unbekannt. Aber aus der Spontanperforation der Narbe des anderen Auges, die ohne Nachtheil heilte, könnte man auf einen ähnlichen Vorgang an dem linken Auge schliessen, nur dass hier die Fistel die Infectionsstrasse für die Mikroorganismen abgegeben hat.

In dem hier mitgetheilten Fall war die Folge der

') Becker*8cher Atlas der pathol. Anatomie. T. XIII.

üeber von Operationsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiterang. 145

frischen Infection eine eitrige Entzündung aller Theile des Auges, die mehr oder weniger hochgradig überall ausge- sprochen war.

Wie viel von den sonstigen pathologischen Verände- rungen, die sich in dem Auge finden , auf Rechnung des Glaukoms kommen, ist schwer auszumachen.

Beachtenswerth von dem Befunde ist das starke Oedem der Suprachorioidea, das nach hinten ziemlich plötzlich endet und eine deutliche Knickung der Sclerafasern bewirkt hat. Auch die Netzhautablösung und die Degeneration dieser Membran verdient Erwähnung. Das schwartige Ge- webe an der Innenfläche des Ciliarkörpers scheint älteren Datums zu sein, wenn es auch möglicherweise zum Theil durch eine frische proliferirende Entzündung gebildet ist. Denn die eitrige Entzündung des Bulbus hat einen etwas subacuten Charakter und scheint den Höhepunkt erreicht zu haben.

Der Befund an Kokken bestätigt die Annahme des Er- krankungsmodus. In der Narbe habe ich deutliche Kokken- haufen angetroffen, wobei freilich nicht absolut auszuschlies- sen ist, dass sie aus der hinteren Kammer stammen und mit der vorquellenden Linse in die Narbentasche hinein- geschleppt sind. Zahlreichere Haufen habe ich im Bereich der hinteren Kammer und im vordersten Glaskörperabschnitt, der an die Narbe stösst, gefunden. Massenhafte Conglo- merate sind im Glaskörper gelegen. Die Grössendifferenz der Kokkenindividuen fällt stark ins Auge. Ihre Anordnung in Ketten weist sie in die Classe der Streptokokken. Gleich- massiger an Grösse und besser in der Färbung sind die Hau- fen, die an Stellen gelegen sind, wo der Process noch fort- schreitet. Dort ist auch die Färbung der Kerne der Eiter- körperchen eine lebhaftere. Man muss die schlechte Fär- bung der Kokken und das Auftreten der Grössendifferenz ansehen als Folge beginnenden Absterbens.

▼. Oraefe's Archiv für Ophthalmologie. XXXV. 4. 10

146 Dr- A. Wagenmann.

Fall 111.

Eitrige Iridochorioiditis

an einem staaroperirten Auge, '/^ Jahr nach der

Operation aufgetreten.

Georg Ballhanse ans Langenhagen, 50 Jahre. Patient wurde wegen linksseitigen Cataracta senilis am 16. Mai 1874 mit modificirter Linearextraction nach oben operirt. Die Sphinc- terecken waren gut reponirt. Auch im Uebrigen war der Ver- lauf von Operation und Heilung normal; Patient mit S=*/5 entlassen.

Am 28. März 1875 entzündete sich ohne Ursache das linke Auge unter heftigen Schmerzen besonders des Nachts. Das Sehvermögen war nach zwei Tagen vollständig aufgehoben. Am 25. April 1875 stellte sich Patient wieder hier vor.

Status praesens. Pupille von eitrigem Exsudat ausge- füllt, Iris stark verfärbt, vascularisirt. Lider geschwollen, Con- junctiva chemotisch. 1 mm hohes Hypopyon. Auge weich, auf Druck empfindlich. Lichtschein fast vollständig erloschen. R. Cataracta fera matura.

Am 1. Mai 1875. Enucleatio bulbi, nachdem seither warme Umschläge ohne Erfolg angewendet sind. Das enucleirte Auge zeigt beim Durchschneiden eine totale eitrige Glas- körperinfiltration.

Leider ist das Auge in der Sammlung verdorben, da der Alkohol bei schlecht schliessendem Stöpsel verdunstet ist.

Die Katarakt des rechten Auges wird mit Erfolg am 20. Mai 1875 extrahirt.

Epikrise. '/^ Jahr nach normaler Kataraktextraction trat ohne Ursache eine plötzliche Entzündung ein, die in- nerhalb zwei Tage das Sehvermögen vernichtete. Der Ver- lauf war kein besonders stürmischer. Vier Wochen später wurde das Auge enucleirt.

Der Glaskörper erwies sich als vollkommen eitrig in- filtrirt. Ueber die Entstehung der Infection in der Tiefe lässt sich in diesem Fall nichts sicheres sagen.

Ueber von OperationsDarben etc. ausgehende Glaakörpereiterung. 147

Fall IV.

Beginnende eitrige Iridocyclitis von einer

cystoiden Extractionsnarbe ausgehend; geheilt.

Krankengeschichte. Greorg Fleischer aus Göttingen, 7 3 J.

Patient wurde am 3. Mai 1887 durch modificirto Linear- extraction nach oben wegen einer stationären, immaturen senilen Katarakt des linken Auges operirt. Der Heilungsverlauf wai etwas protrahirt dadurch, dass die Wunde 10 Tage lang fistelte, und die Kammer sich nicht herstellen wollte. Er wurde am 20. Tag mit S=Vio entlassen. Durch das die lange Zeit absickernde Kammerwasser war die Iris nach der Wunde hin verzogen.

Patient stellte sich am 27. August wieder vor. Die Seh- schärfe war auf ^/^ gestiegen. Im äussern Wuudwinkel fand sich eine kleine Wundcyste mit durchschimmernder Iris. Da die Cyste sich langsam vorbuchtete, so wurde sie am 4. No- vember mit dem Linearmesser durchschnitten, wobei die Kam- mer aber nicht eröffnet wurde. Da die Cyste sich jedoch wieder füllte, so wurde sie nochmals eröffnet, und dann von der in die Wunde eingeklemmten Iris ein Stückchen excidirt.

Am 14. November 1887 wurde Patient wieder entlassen. Die Cyste war verschwunden, die Narbe glatt verheilt ohne Prominenz.

Bei einer späteren Vorstellung konnte abermals constatirt werden, dass die Ectasie verschwunden war. S = ^/g mit + 11 D. Patient las mit entsprechendem Convexglas (Jäger) feinste Schrift. Gesichtsfeld frei. Opth. normal. Das Pupil- largebiet war vollkommen rein.

Am 29. December 1887 kommt Patient wieder mit be- ginnender eitriger Iridocyclitis. Patient bemerkte zuerst vor fünf Tagen eine geringe Röthung des linken Auges. Da er keine Aenderung der Sehschärfe merkte, legte er derselben keinen Werth bei. Er hat noch gestern Nachmittag ohne jede Beschwerde die Zeitung gelesen. Abends thränte das Auge ein wenig und schmerzte auch etwas. Doch merkte er noch beim Schlafengehen keine Aenderung der Sehkraft. Als Pa- tient jedoch heute Morgen aufwachte, war das Sehvermögen verschwunden.

Status praesens. 29. December 1887. Auge stark in- jicirt, Lider geröthet. Cornea diffus getrübt, Epithel matt. Von

10*

148 I>r. A. Wagenmann.

dem innern Wundwinkel aus hängt eine eitrige Flocke iir die vordere Kammer hinein. Aeusserlich haftet derselben Stelle ein schleimig eitriges Secretflöckchon an, das frei im Conjunc- tivalsack flottirt, sich aber leicht abziehen lässt. Doch geht von seinem Fusspunkt ein eitriger Streif aus, der die Narbe durchsetzt und mit der Eiterflocke in der Kammer in Zusam- menhang steht. Die Narbe ist aufgelockert und infiltrirt Der innere Sphincter steht hoch, die Iris ist zur Wunde hingezogen, doch besteht keine eigentliche Einklemmung. Das Colobom ist grösstentheils von einer gleichroässigen, nicht sehr dicken Exsudatschicht bedeckt, die mit der eitrigen Flocke am innern Wundwinkel in direktem Zusammenhang steht. Nur die obere Hälfte des Coloboms ist zum Theil frei, auch erhält man hier noch etwas rothen Reflex beim Durchleuchten. Auch im äussern Wundwinkel ist die Narbe aufgelockert, zudem finden sich hier zwei kleine, bläulich verfärbte Ectasien. Das Kammerwasscr ist stark getrübt. Die Exsudation der Pupille und des Colo- boms ist noch oberflächlich, man sieht nur einzelne feine gelb- liche Stränge in die Tiefe dringen. Am Boden der vorderen Kammer besteht ein 1 ^/j mm hohes Hypopyon. Der Druck ist normal, jedenfalls nicht herabgesetzt. Ein Thränenleiden be- steht nicht. Handbewegungen werden nur unsicher wahrge- nommen, die niedrigste Lampe wird etwas unsicher erkannt. Die Projection ist gut.

Unter Coca'inanaesthesie wird der Infectionsherd am in- nern Wundwinkel untersucht. Bei vorsichtigem Sondiren mit einem Stilet kann man constatiren, dass der Herd nahe an der Sclera sitzt, und dass man von hier durch vereitertes, aufge- lockertes Gewebe wie durch einen Canal in die Tiefe kommt Es wird nun der spitze Brenner eines Pacquelin'schen Thermo- cauters in den Canal eingeführt und der innere Wnndwinkel tief ausgebrannt. Dann wird mit einem schmalen Messer die Kammer vollends eröffnet und das Kammerwasser abgelassen. Von dem Exsudat der vordem Kammer tritt nichts nach aus- sen. Suhl. Vorband.

30. Deccmber 1887. Die Exsudation hat noch etwas zu- genommen, die Pupille ist fast ganz verlegt, die Kammer wie- der hergestellt, das Kammerwasser diffus getrübt.

31. December 1887. Das Auge hat sich entschieden ge- bessert. Das Kammerwasser ist klarer. Die Exsudatiou hat keinesfalls zugenommen. Der Lichtschein ist heute gut.

Ueber von Operationsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiterung. I49

1. Januar 1888. Das Auge sieht bedeutend besser ans. ■Cornea klar, Kammerwassertrübung hat abgenommen. Hypo- pyon verschwunden. Injection geringer. Die Pupille ist viel reiner, sie bekommt wieder mehr schwarze Färbung. Der in- nere Wundwinkel vernarbt. Handbewegungen deutlich erkannt.

5. Januar 1888. Prozess immer mehr rückgängig. Pupille reiner, Exsudatschicht nimmt ab, man bekommt mehr rothen Reflex. Die Pupille wird auf Atropin etwas weiter. S = Fin- ger auf 1 m gezählt. Se. frei.

17. Januar 1888. Das Exsudat in der Pupille nahm im- mer mehr ab und verschwand schliesslich bis auf eine zarte grauweisse Membran. Die Pupille hatte bei Tageslicht ihre Schwärze wieder erlangt. Mit dem Spiegel bekam man über- M rothen Reflex, doch blieb das Auge noch leicht injicirt, -was zu dem günstigen Aussehen nicht recht passte. Finger wurden ohne Gläser auf 1 ^/^ m gezählt. Die Behandlung be- stand zuletzt in Application von warmen Umschlägen und Ein- träuflungen von Atropin und Sublimat.

18. Januar 1888. Schon gestern Abend klagte Patient über leichten Druck im Auge. Ausser einer massigen Zunahme der Injection war an dem Auge keine Veränderung zu sehen. Heute Morgen ist ein Recidiv der eitrigen Iritis zu con- statiren. Das Auge ist stärker injicirt, thränt. Diesmal er- streckt sich vom äussern Wundwinkel aus eine Eiterflocke in das Colobom. Das Kammerwasser ist getrübt, die Cornea matt, die Iris verfärbt, ™™ hohes Hypopyon am Rande der Kammer. Der innere Wundwinkel intact. Lichtschein voll be- friedigend. Sofort wird unter Cocainanaesthesie der äussere Wundwinkel mit einem Stiletchen untersucht. Man gelangt in einen ünterminirten Gang, der eitrig infiltrirt ist. Die infil- trirten Schichten werden mit Pincette und Scheere entfernt. Man stösst nun in der Tiefe auf Irisgewebe, das in die Narbe eingeheilt ist. Der freigelegte Canal wird mit dem Pacque- lin'schen Thermocauter energisch gebrannt. Dann wird noch- mals ein reines Stilet eingeführt und versucht, in die vordere Kammer zu gelangen. Das Instrument dringt leicht in die Kammer vor, das Kammerwasser wird abgelassen. Atropin, Sublimat, Jodoform, Verband.

Abends hat die Exsudation noch etwas zugenommen, die Pupille ist wieder ganz verlegt durch eine gleichmässige Exsu- datschicht. Das Kammerwasser wird nochmals zum Abfliessen gebracht.

150 I>r- A. Wagenmann.

19. Januar 1888. Exsudation hat nicht zugenommen. Kam- mer wieder eröffnet und entleert. Lichtschein gut.

20. Januar 1888. Das Stilet dringt heute nur schwer in die Kammer ein, offenbar hat sich der Canal in der Tiefe ge- schlossen. Die Pupille von eitrig-fibrinösem Exsudat noch ganz überzogen. Der Wunde entsprechend liegt etwas Blut auf der Iris. Der Verband wird wegen Neigung zu Entropium des- untern Lids mit warmen Sublimatumschlägen vertauscht

30. Januar 1888. Nur langsame Besserung zu constatiren. Das Exsudat in dem Colobom zog sich etwas zusammen. Das Kammerwasser noch trübe, noch Rest vom Hypopyou. Di& Wunde in voller Heilung begriffen, nicht infiltrirt Es wird, um die Kammer nochmals zu entleeren, mit der geraden Lanze nach aussen eine Paracentese gemacht.

14. Februar 1888. Die Heilung ist seit der Operation ungestört. Die Cornea gewann an Glanz, das Kammerwasser wurde klarer, die Exsudation des Coloboms wurde zum grossen Theil resorbirt, zum andern Theil aber in eine festere Mem- bran umgewandelt, die die Mitte der Pupille freiliess. Die Wunde war glatt vernarbt

Status praesens. Auge fast frei von Injection. Die Pupille im Centrum schwarz, in der Peripherie durch eine weisse Membran verlegt. Durch die Lücke in der Pupillarmembran bekommt man rothen Reflex, man kann die Papille soeben sehen. S = mit convex 10 D Finger in 5 m gezählt, mit con- vex 16 D Jäger Nr. 16 gelesen. Se. frei. Atropin weiter.

27. Februar 1888. Die Lücke in der Membran noch etwas grösser geworden. Papille noch stark verschleiert Im Glaskörper finden sich flottirende Trübungen. Auge nur sehr wenig injicirt Visus derselbe. Atropin weiter.

5. März 1888. Die Entzündung völlig abgelaufen. Bei fortgesetztem Atropingebrauch sind Pupille und Colobom ziem- lich weit und regelmässig geblieben, aber von einer sehr zarten Membran eingenommen, welche am Rand etwas dichter ist und mit dem Pupillarrand zusammenhängt Zarte flottirende Glas- körpertrübungen, wodurch die Papille noch massig verschleiert ist Visus könnte nach den optischen Verhältnissen noch ein wenig besser sein. S = mit convex 10 D Finger in 5 m. Se. frei.

Weiterhin wurde die Mitte des Coloboms noch etwas, freier und die Pupillarmembran dünner. Die Glaskörpertrübnngen nahmen langsam ab. Das Sehen hob sich noch. So wurde no- tirt am 31. October 1888 mit convex 12 D 8=^5^ "Jit con-

Ueber Ton Operationsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiterang. 151

vex 18 D Nr. 2 (J.) fliessend gelesen. Se. frei. Papille noch etwas verschleiert, im Glaskörper noch feine flottirende Trübungen.

Epikrise.

Dieser Krankheitsfall giebt die beste Bestätigung und klinische Demonstration der auf Grund klinischer und ana- tomischer Untersuchung gewonnenen Resultate. Die Wund- heilung war durch das mehrere Tage daaernde Abgeflos- sensein der vorderen Kammer keine ganz ungestörte. Die Iris war in die Wände hineingezogen. Im äusseren Wund- winkel war es im weiteren Verlauf zu cystoider Ausbuch- tung gekommen, die erst nach wiederholtem Eingiiff besei- tigt schien. Und auch in den inneren Wundwiukel war, wie sich später ergab, Iris hineingezogen. Beinahe acht Monate nach der Extraction und eineinhalb Monate nach dem letzten Eingriff zur Beseitigung der lateralen Nar- bencyste trat eine acute eitrige Iridocyclitis auf. Und zwar war die Infection nachweislich vom inneren Wund- winkel ausgegangen. Man konnte bei genauer Untersuchung eine circumscripte Infiltration, die die Wunde von vom nach hinten durchsetzte, erkennen. Aussen hing ihr eine schleimig-eitrige Flocke an, und innen setzte sich die Eite- rung direct in die Tiefe fort. Die Ursache ist unbekannt. Das Auge war die letzten Tage vorher ein wenig geröthet, sonst war nichts besonderes aufgefallen. Möglich, dass sich der innere Wundwinkel ein wenig vorgebuchtet hatte und durch ein geringfügiges Trauma zum Platzen gekommen war. Man muss ein geringes Fistuliren der Wunde anneh- men, wenn auch der Augendruck bei der Vorstellung des Patienten normal war, da sich die Fistel wieder geschlos- sen hatte durch das die Wunde von vorn nach hinten durch- setzende Exsudat. Die eitrige Iritis setzte dann ganz acut ein mit beginnender eitriger Exsudation, sodass das Sehen rasch aufgehoben wurde. Während Patient noch am Tag vor- her ohne eine Aenderung der Sehschärfe zu bemerken die Zeitung las, war am anderen Morgen beim Erwachen das Sehen

152 I^r- A. Wagenmann.

bis auf Erkennen von Handbewegungen aufgehoben. Der Pro- cess zeichnete sich durch seine grosse Malignität aus, da an dem Morgen die Pupille durch eitriges Exsudat verlegt war, ein kleines Hypopyon bestand und auch schon feine Eiter- streifen sich in den Glaskörper senkten. Da der Process erst wenige Stunden bestand und noch im Ganzen oberflächlich erschien, so war es möglich, dass der Kokkenherd noch auf die Wunde beschränkt war. Denn die Exsudation in die Kammer, Pupille und Glaskörper konnte noch erklärt werden durch das Uebertreten von entzündungserregenden Stoffen durch Diffusion. Zudem sprach dafür, dass der Lichtschein doch im Ganzen noch befriedigend schien, wenn auch das Erkennen der niedrigsten Lampe etwas zweifel- haft war. Von der Annahme ausgehend, dass der Kokken- herd in der Narbe seinen ursprünglichen Sitz hatte, und dass er noch auf die Narbe beschränkt wäre, wurde die Narbe auf das gründlichste mit dem Pacquelin'schen Thermocauter gebrannt, da es so allein gelingen konnte, den localen Herd zu zerstören und das Auge zu retten.

Die Untersuchung der Narbe mit einem Stilet liess erkennen, dass man es in der That mit einem Eiterherd in der Narbe zu thun hatte. Zugleich wurde das Kammer- wasser abgelassen, um etwaige im Kammerwasser befind- liche Schädlichkeiten zu entleeren und nun zugleich die Wunde zu irrigiren. Der weitere Verlauf bewies die Rich- tigkeit der Auffassung des Krankheitsfalles und des thera- peutischen Eingriffs. Wenn auch am ersten Tag nach dem Brennen noch eine geringe Zunahme der Exsudation con- statirt wurde, so war doch schon am zweiten Tage eine ganz entschiedene Besserung zu bemerken, die nun weiter- hin anhielt und zum Zurückgehen des Processes führte. Der Herd war an dieser Stelle dauernd zerstört, das Se- hen hob sich wieder.

Die anfängliche geringe Zunahme der Exsudation er- klärt sich wohl so, dass das Auge mit den in dasselbe ein-

lieber von Operationsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiterung. 153

getreteneu Stoffen gewissermaasseu erst fertig werden musste, das8 die diffundirten Stoffe noch eine Zeit lang auf die Auswanderung der Eiterkörperchen Einfluss hatten, bis sie sich erschöpft hatten. Da nach Vernichtung des Kokken- herdes weiter keine Stoffe geliefert wurden, so konnte die Resorption des Exsudats beginnen. Der günstige Verlauf nach dem Brennen der Narbe ist ein Beweis dafür, dass der Kokkenherd noch ein localer war, dass keine Kokken ins Auge gedrungen waren, denn sonst wäre der Process sicher nicht zum Stillstand gekommen.

Der günstige Verlauf sollte jedoch nicht anhalten, son- dern es trat nach drei Wochen ein schweres Recidiv auf und zwar diesmal vom äusseren Wundwinkel ausgehend. Es war schon aufgefallen, dass das Auge dem günstigen Verlauf entsprechend nicht recht abblassen wollte. Auch hier war wieder das acute Einsetzen der Erscheinungen ausgesprochen. Wie die Kokken dorthin gelangt sind, ist zweifelhaft Entweder könnte man yermuthen, dass auch hier die Narbe locker war, und dass vom Conjunctivalsack aus Infectionskeime eingedrungen waren, dass also eine Wiederholung desselben Processes stattgefunden hatte, oder man könnte annehmen, dass die Kokken im inneren Wund- winkel doch nicht YoUständig zerstört, dass die temporal gelegenen nicht getroffen waren. Diese hätten dann eine gewisse Zeit bedurft, um sich zu erholen und nach aussen zu wuchern, wo sie den neuen Anfall veranlassten.

Wie dem auch sei, das Auge hatte noch einmal den- selben Process zu bestehen. Auch dieses Mal wurde der Herd durch Brennen mit dem Pacquelin'schen Thermo- cauter und Eröffnen der Kammer zum Stillstand gebracht. Um eine Irrigation der Wunde von innen her zu veran- stalten und die Entzündungsproducte zu entleeren, wurde das Kammerwasser noch mehrmals in den nächsten Tagen abgelassen. Die Pupille wurde wieder durch Exsudat voll- kommen verlegt, und auch in die Tiefe gingen Exsudatstrei-

154 I>r. A. Wagenmann.

fen. Nach und nach erholte sich das Auge, und die Irido- cyclitis heilte aus mit Hinterlassung einer Pupillarmembran und flottirender Glaskörpertrübungen. Die Pupillarmembran begann jedoch schon bald sich spontan zu resorbiren und sich zu durchbrechen, sodass sich das Sehvermögen» wenn auch langsam, auf S = V5 bob. Die Papille war zu sehen, wenn auch noch etwas verschleiert, der Glaskörper bis auf zarte flottirende Trübungen klar.

Das Resultat ist ein überaus befriedigendes, wenn man bedenkt, in wie grosser Gefahr das Auge zweimal geschwebt hat, und dass das Sehvermögen bis auf quantitative Licht- empfindung gesunken war. Wäre der Patient nicht sofort gekommen, und wäre nicht nach richtiger Beurtheilung der Verhältnisse sofort energisch vorgegangen, so wäre eine PanOphthalmitis sicher nicht zu vermeiden gewesen.

An die oben mitgetheilten Fälle von eitriger Iridocy- clitis nach Operationen reihen sich die Fälle an, bei denen diese schweren acuten und subacuten Entzündungen von einer peripheren vorderen Synechie oder einem adhärenten Leukom als Ausgang eines Hornhautgeschwürs oder einer zufälligen Verletzung der Hornhaut ihren Ursprung genom- men haben.

Fall V.

Eitrige Glaskörperinfiltration nach vernarbtem,

peripherem Irisprolaps.

Krankengeschichte. Anna Müller aus Seesen, 22 J.

11. Mai 1887. Rechts alter geheilter Irisvorfall am In- nern untern Homhaatrand, im zehnten Lebensjahre durch Ent- zündung entstanden. Die Pupille ist nach unten verzogen, die Cornea bis zur Mitte narbig getrabt. Seit fünf Tagen ist das Auge ohne nachweisbare Ursache entzündet. Es bestan- den starke Schmerzen. An der stärksten Prominenz des adhä- renten Leukoms dicht neben dem Hornhautrand findet sich ein kleines eitriges Ulcns. Unterhalb der Cornea schimmern

Ueber Ton Operationsoarben etc. aasgehende Glaskörpereiternog. 155

durch die Bindehaut zwei gelbliche Flecke durch, möglicher- weise von einer Scleral«rweichung herrührend. Druck erhöht. Pupille nicht zu erleuchten; aus der Tiefe dringt ein gelblicher Rpflex. Nur mittlere Lampe erkannt, Projection mangelhaft.

Da die Diagnose, ob der Glaskörper schon eitrig infiltrirt sei, nicht ganz sicher scheint, wird zunächst, zumal der Druck er- höht ist, eine Iridectomie nach oben angelegt, in der Erwar- tung dadurch zu einer sicheren Diagnose zu gelangen. Nach der Schnittführung stellt sich eine gelbliche, gallertige Masse von zweifelhafter Natur ein. Massig breites Colobom; Auge entspannt.

13. Mai 1887. Die Wunde wird durch eitriges Exsudat, das aus der Tiefe stammt, klaffend erhalten. Das Auge ist gereizt, schmerzt. Enucleatio bulbi ohne Zufall mit nor- maler Heilung. Der Bulbus wird in Müller'scher Flüssig- keit gehärtet.

Sectionsbefund des Bulbus: Die Cornea zeigt in der untern Hälfte ein buckeiförmig vorgetriebenes, gelblich ver- fUrbtes, auf der Oberfläche an einer Stelle ulcerirtes Leukom. Am obem Hornhautrand befindet sich die 7 mm lange, durch Exsudat klaffende Iridectomiewunde. Der Bulbus wird im ver- ticalen Meridian aufgeschnitten. Auf dem Durchschnitt sieht man in der untern Bulbushälfte die Hornhaut und Iris zu einer breiten Narbe verwachsen. In der obern Bulbushäfte besteht etwas vordere Kammer, die durch Blut und Exsudat ausgefüllt ist. Die Iris ist zur Wunde hingezogen, anscheinend nur un- vollkommen excidirt. Soweit das adhärente Leukom reicht, ist die Iris mit der Linse durch ein gelbes Exsudat verklebt. Unter der vordem Liusenkapsel findet sich eine schmale Höhle, die leer ist. Der Glaskörper ist zum Theil eitrig infiltrirt, und zwar am hochgradigsten in der untern Bulbushälfte und hier besonders in der an die hintere Kammer sich anschliessen- den Parthie zwischen Ciliarkörper und Linse. Von dort ziehen gelbe Eiterstreifen in die gallertig geronnene, grau aussehende Glaskörpersubstanz. Ein Streif zieht der hintern Linsenkapsel entlang, weitere Streifen strahlen bis zur Papille aus. Die Retina ist verdickt, in der untern Bulbushälfte durch ein durch- sichtiges, geronnenes Transsudat seicht abgelöst. Die Ablösung beginnt dicht hinter dem Ciliarkörper.

Mikroskopischer Befund: An dem staphylomatös aus- gebuchteten, vernarbten peripheren Irisprolaps der untern Hom- hauthälftc kann man die Rissenden der Cornea noch deutlich

156 I)r. A. Wagenmann.

erkennen, die ein wenig nach aussen umgebogen mit dem Iris- gewebe zu einer Narbe verschmolzen sindi Auf der Spitze des Staphyloms ist von Irisgewebe nur wenig mehr zu erkennen, selbst das Pigmentblatt, das sonst ziemlich gut erhalten ist, zeigt hier mehrfache Unterbrechungen. Aussen sitzt eine ziem- lich dicke Ephithelschicht. An einer Stelle der stärksten Ver- dünnung findet sich eine frische Ulceration. Das Ephithel ist abgestossen, das stark eitrig infiltrirte und zum Theil necro- tische Narbeugewebe liegt zu Tage; die an sich hier sehr dünne Narbe ist durch Eiter und feinkörnige Einlagerungen stark aufgelockert. An einer Stelle besteht der Grund des Ulcus nur aus zwei bis drei Faserschichten, zwischen die eben- falls Eiterkörperchen und amorphes Exsudat eingelagert sind. Das eitrige Exsudat der Narbe setzt sich direct in die hintere Kammer fort. Offenbar hat hier eine Perforation bestanden und ist die Fistel nur oberflächlich durch das Exsudat ver- schlossen. Die eitrige Infiltration setzt sich auf die Umgebung des Ulcus seitlich fort und hat die Corneallamellen aus ein- ander gedrängt. Das Ephithel zeigt hier ebenfalls viele Un- regelmässigkeiten und Defecte. Die Narbe ist vascularisirt; rothe Blutkörperchen sind in das Gewebe ausgetreten. Das Staphylom betrifft nur die Irisperipherie, während der^ Pupil- larrand frei in die Kammer ragt. Die Iris ist in der Um- gebung der Perforation verdickt und füllt den Winkel zwischen Cornea und Iris eine Strecke weit aus. Nach dem Hornhaut- centrum zu folgt die schon bei anderer Gelegenheit^) beschrie- bene Auflagerung der Descemet'schen Membran, die nach der Kammer zu von neugebildeter Glashaut bedeckt ist, die nach innen einen Endothelbelag besitzt. In Bezug auf diese Ver- hältnisse sei auf die frühere Arbeit, in der dieselben nä- her beschrieben und abgebildet sind, verwiesen. Die Iris ist stark pigmentirt. Dadurch^ dass die Iris mit der Hinterfläche der Cornea auch seitlich vom Prolaps verwachsen ist, ist die vordere Kammer in der untern Bulbushälfte sehr seicht. Um 80 tiefer ist aber hier die hintere Kammer, die in die kegel- förmige Ectasie des Leukoms hineinragt und den dünnen Ge- schwürsgrund von hinten her berührt In der hintern Kammer finden sich neben Fibrin und rothen Blutkörperchen zahlreiche Eiterkörperchen. Die Eiterung setzt sich von dem Ulcus di- rect fort auf die hintere Kammer und weiter in die Tiefe der

*) V. Graefe's Archiv für Ophthalmologie, XXXV, 1, p. 172 ff.

lieber von Operationsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiterung. 157

Linse entlang in den Glaskörper, der unmittelbar an die hin- tere Kammer sich anschliesst. Auch in der obern Bulbushälfte ist die Kammer seicht; der Kammerwinkel ist vollkommen ver- wachsen. Nach oben sind durch die Iridectomie die Verhält- nisse etwas verändert. Der corneale Schnitt klafft durch ein hauptsächlich fibrinöses Exsudat, in das rothe und weisse Blut- körperchen eingeschlossen sind. Das ciliare Ende der Iris ist zudem in die Wunde eingeklemmt. Das Ephithel hat von den Schnittenden aus die Zwischensubstanz zum Theil überwuchert. Von der Iris ist nur ein massig breites Stück excidirt. Das Pigmentblatt ist zum Theil auf der Linsenkapsel hängen ge- blieben. Auch sind hie und da Gewebsstränge zurückgeblieben, die die Kammer durchsetzen und nach der Wunde hingezogen sind. Die vordere Kammer enthält mit Eiter und Blut durch- setztes Fibrin.

Im Colobom liegt auf der vorderen Linsenkapsel ausser dem haftengebliebenen Pigment noch eine Schicht von organi- sirtem Exsudat, das zwischen Iris und Linse gelegen hatte. Dazu kommen noch frische Eiterhaufen. Seitlich vom Colobom ist die Iris durch dickes organisirtes und jetzt wieder frisch eitrig infiltrirtes Exsudat mit der Linsenkapsel verwachsen.

Die Iris ist infiltrirt, verdickt, das Pigmentblatt verbrei- tert und vielfach in zwei Schichten gespalten. Nach oben von dem Staphylom ist die Cornea von annähernd normaler Structur.

Die Conjunctiva ist stark verdickt, eitrig infiltrirt, be- sonders nach unten von der peripheren vorderen Synechie.

Der Ciliarkörper ist stark atrophisch, die Ciliarfort- Sätze sind nach der Iris zu gezogen. Die eitrige Infiltration ist massig stark entwickelt, unten mehr als oben. Der Schlemm'sche Canal ist von Pigment stark umwuchert

Der Ciliarmuskel ist auf ein ganz schmales Dreieck zusammengeschmolzen, das fast nur radiäre Fasern enthält. Die Muskelbündcl liegen dicht zusammengedrängt, sind von Pigment durchsetzt und eitrig infiltrirt. Die Pars ciliaris retinae ist stark infiltrirt.

An der Linse findet sich der ausgedehnte vordere Kap- selstaar mit alter Kaspelnarbe, dessen Beschreibung in der früheren Arbeit gegeben ist. Zwischen Kapselstaar und Cor- ticalis ist ein breiter Spalt entstanden, der mit Eiweisssubstanz ausgefüllt war. Hervorheben möchte ich hier nochmals, dass die Kapselepithelien auf dem alten Vorderkapselstaar eine frische starke Wucherung zeigen und zum Theil gerade dort

158 ^r. A. Wagenmann.

auffallend stark, wo aussen eitriges Exsudat der vorderen Kapsel anfliegt. Anders dagegen verhält sich das Epithel in der äquatorialen Zone, wo es eine grosse Strecke necrotisch ist; auch hier liegt aussen eitriges Exsudat der Kapsel auf. Die Epithelzellen sind feinkörnig, gebläht, ohne Kernfärbung. Die Kerne der jüngsten Faserschichten sind auffiallend lang gezogen, seitlich verschmälert und enthalten zahlreiche, verschieden grosse, theils rundliche, theils polygonale intensiv sich Erbende KQgel- chen, während die übrige Kernsubstanz farblos ist. Dazwischen finden sich auch stark geblähte Kerne, in denen die Chroma- tinsubstanz ebenfalls in Kügelchen, die zum Theil durch feine Fäden verbunden sind, gelagert ist und die deutliche Yacuolen enthalten. Die Kerne reichen weit nach hinten bis zum hin- teren Linsenpol. Die Linsenfasern sind zum Theil zerfallen und mit Eiweisskugeln durchsetzt. Vereinzelte Eiterkörperchen sind weit in die Linse vorgedrungen.

Die Retina zeigt neben Veränderungen älteren Datums einen verschieden hohen Grad von eitriger Infiltration, die vor- nehmlich die inneren Schichten betrifft und fast nirgends ver- misst wird. Die Stäbchenschicht ist an einzelnen Stellen des hinteren Bulbusabschnitts noch erhalten, im Uebrigen aber in starkem Zerfall begriffen und mit Eiterkörperchen, die zum Theil aus der Chorioidea stammen, durchsetzt. Vielfach ist sie von der Körnerschicht abgedrängt, und manchmal sind die Stäb- chen und Zapfen deutlich verlängert und zu Büscheln zusammen gelegt. In der äquatorialen Zone ist die Retina durch Wuche- rungen der Stützfasem stark degenerirt. Die Faserstränge umschliessen grosse Hohlräume, die jetzt viel eitriges Exsudat enthalten. Die eitrige Infiltration der Retina ist am stärksten dicht hinter der Ora serrata. Ferner fällt durchweg eine hoch- gradige Veränderung der retinalen Gefässe auf, die darin be- steht, dass die Gefässwände enorm verdickt und die Lumina dadurch verengt sind.

Die Papille ist tief excavirt. Die Excavation ist aus- gefüllt von fibrinreicher und massig infiltrirter Glaskörpersub- stanz. Der Opticus ist stark atrophisch und infiltrirt.

Die Chorioidea ist bis auf einzelne stärkere Eiteran- sammlungen im Ganzen wenig verdickt und massig stark eitrig infiltrirt, dagegen überall hyperämisch und reich an Stroma- pigment. Der Glaskörper ist reich an fädigem Fibrin. Dicht hinter der Ora serrata ist eine deutliche reihenförmige Anord- nung der Eiterkörperchen in den peripheren Glaskörperschichten

Ueber von Operationsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiterung. 159

zu constatiren. Auch zwischen den Zonulafasern und weiter nach hinten findet sich dieselbe regelmässige Anordnung der Eiterkörperchen in den äusseren Schichten. Im Uebrigen liegen die letzteren regellos, zum Theil von Fibrinfäden durchzogen. Sonst findet sich vielfach Eiweisssubstanz zwischen den Eiter- körperchen. Auch trifft man viele verschieden grosse EQgel- eben an, die ich für zerfallene Kerne halten möchte.

Die Untersuchung auf Kokken ergiebt Folgendes: In dem Staphylom finden sich zahlreiche Kokkenhaufen, die theils auf dem Geschwürsgrund, theils zwischen den Lamellen der Cornea gewachsen sind. Es sind kleine, rundliche, zu Haufen znsammengelagerte Kokkon ohne Kettenbildung. Weitere Häuf- chen sind in der hinteren Kammer gelegen, und von dort lassen sich Kokkenzüge in dem den Ciliarkörper umgebenden Eiter auffinden. Von hier aus kann man die Kokken weit in den Glaskörper verfolgen. Besonders dichte Kokkenmassen ziehen der Hinterfiächo der Linse entlang, wo sie enorm massenhafte Golonien bilden, die man schon bei schwacher Vergrösserung bei Färbung mit Methylenblau als blaue Züge erkennen kann. Sie liegen zum Theil der Kapsel unmittelbar an, zum Theil liegen sie zwischen Eiterkörperchen. Nach hinten kann man die Kokken weithin in den Glaskörper verfolgen. An der Iri- dectomiewunde liegen keine Kokken. Der Merkwürdigkeit halber sei noch erwähnt, dass sich auch einzelne Kokkengruppen in dem Kapselstaargewebe finden, wo sie zwischen Gruppen von Eiterkörperchen liegen.

Epikrise.

Die Pathogenese dieses Falles ist auf der Hand lie- gend. Seit dem zehnten Lebensjahr bestand auf dem Auge ein peripheres adhärentes Leukom nach- unten. Wie aus der tiefen Sehnervenexcavation zu entnehmen ist, war ein Status glaucomatosus hinzugetreten-, was bei der vorderen Synechie und der ausgedehnten hinteren Synechie nicht be- fremden kann. Die Folge war, dass das Leukom ectatisch und auf der Mitte des alten Prolapses stark verdünnt war, und dass zwischen Linsenrand und Ciliarkörper ein grösserer Zwischenraum entstand, in dem der Glaskörper an die hin- tere Kammer stiess. Durch eine unbekannte Ursache trat eine kleine oberflächliche Ulceration an der dünnsten Stelle

160 Dr. A. Wagenmann.

der Narbe auf wahrscheinlich mit nachfolgender Perfora- tion. Dieses kleine Ulcus ist, wie die anatomische Unter- suchung und der Kokkenbefund klar thut, die Infections- quelle für die eitrige Iridocyclitis mit Glaskörperinfiltration geworden.

Der Status glaucomatosus ist also auch hier nur das Bindeglied, das durch Ausdehnung und Verdiinnung der Narbe das Zustandekommen eines frischen Infectionsherds an der vorderen Synechie erleichtert Von dem Ulcus der Narbe aus sind die Kokken in die hintere Kammer gekom- men und auf den schutzlos daranstossendeu Glaskörper über- gegangen, der soweit der Zwischenraum zwischen Linsen- äquator und Ciliarkörper betrug, direct an die hintere Kam- mer sticss. Da zudem das Staphylom nach unten lag, so mussten corpusculäre Gebilde, die in die hintere Kammer gelangten, durch Senkung direct mit dem Glaskörper in Berührung kommen.

Die Kokken haben, wie man verfolgen kann, diesen Weg genommen und haben sich dann im Glaskörper rasch nach allen Seiten hin ausgebreitet Die Folge war dann die innerhalb weniger Tage aufgetretene eitrige Entzündung der Iris, des Ciliarkörpers, der Retina und der Chorioidea. Die Glaskörperinfiltration und die eitrige Entzündung der genannten Theile war dem Entstehungsmodus entsprechend in dem unteren Bulbusabschnitt am hochgradigsten.

Einer kurzen Erwähnung bedarf noch von den übri- gen Befunden der Umstand, dass ein Theil des Linsenepi- thels in Wucherung gerathen, ein Theil necrotisch gewor- den ist. Die Kapsel war von Eiter überzogen und unter derselben finden sich nebeneinander die beiden entgegen- gesetzten Vorgänge an den Epithelzellen, Wucherung und Necrose, ohne dass ich in dem Auftreten der Kokken dafür eine Erklärung habe finden können.

In den Kapselstaar waren wahrscheinlich von der alten Kapselnarbe aus Kokken hineingewandert Von derselben

Ueber von Operationsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiterung. 161

Stelle aus sind auch die Eiterkörpercheu in kleinen Grup- pen eingewandert und haben sich weithin verbreitet.

Beachtenswerth ist ferner, dass die Kernzone weit nach hinten reicht, sodass in der Gegend des hinteren Linsen- pols noch kernhaltige Fasern angetroffen werden. Die Kerne der jüngsten Linsenfasern zeigen Veränderungen, die als Degenerationsvorgänge aufzufassen sind. Die Ghromatin* Substanz ist in Kügelchen angeordnet Neben mehr verein- zelt vorkommender Vacuolenbildung in den Kernen mit deut- licher Aufblähung derselben fällt hauptsächlich eine starke Zunahme in der Länge und Abnahme in der Breite der Kerne auf. Die schmälsten Kerne bestehen nur noch aus einer Reihe aneinandergelagerter Chromatinkügelchen. Offen- bar handelt es sich um eine Art Schrumpfung der Kerne. Diese Art der Kemdegeneration entspricht den Befunden Becker 's*) und Schirmer's*), nur dass ich die helle Hülle def Kerne hier vermisse.

Die übrigen Veränderungen der Linsensubstanz deuten auf eine vorher bestandene Katarakt

Fall VL

Eitrige Glaskörperinfiltration nach altem adhärentem Leukom.

Heinrich Fredhof aus Sielhorst 21 Jahre.

27. März 1882. Links altes adhärentes Leukom gegen- über dem äusseren Pupillarrand. Eitrige Glaskörperinfiltration. Man bekommt aus der Tiefe einen gelben Reflex. Lichtschein ungenügend, Protection fehlt

Vor vier Wochen bemerkte der Patient einen heftigen Schmerz an dem Auge; seither ist das Auge entzündet

28. März 1882. Es wird eine Iridectomie nach unten innen gemacht

*) Die Anatomie der gesunden und kranken Linse p. 46. *) Y. Graefe*8 Archiv für Ophthalmologie XXXIV, 1.

T. Graefe'« Archiv flkr Ophthalmologie. XXXV. 4. 11

162 Dr* A. WagenmaniL

6. April 1882. EDtzQndang nicht zum Stillstand gebracht Wegen der Gefahr sympathischer Entzündung wird das Auge enucleirt. Heilung normal.

Das Auge wird transversal aufgeschnitten, sodass die un- tere Hälfte grösser ist.

Sectionsbefund.

Die Cornea ist in der äusseren Hälfte etwas getrübt Die vordere Kammer ist ganz aufgehoben. Der äussere Pupillar- rand der Iris ist mit der Cornea verwachsen. Die Linse vor- getrieben. Die Netzhaut ist total abgelöst und in mehrfache Falten gelegt. Die nasale Netzhauthälfte erreicht die Mittel- linie und zieht in gerader Linie zum Opticus. In der tempo- ralen Bulbushälfte ist der Glaskörper abgelöst Der nach hinten spitz zulaufende Glaskörper ist verdichtet Man erkennt in ihm einzelne gelbliche Punkte; so fällt besonders ein intensiv gelb gefärbter Punkt auf, der dicht hinter der Linse gelegen ist Das Transsudat zwischen Glaskörper und Retina und das zwischen Retina und Aderbaut ist gelatinös geronnen und durchsichtig. Rechts wie links ist der Ciliarkörper eine Strecke weit seicht abgelöst

Die untere Hälfte wird in Celloidin eingebettet und ge- schnitten. Durch einen Fehler am Mikrotom gehen einige Schnitte, die gerade die vordere Synechie treffen, verloren.

Makroskopisch lässt sich an der Schnittreihe Folgen* des constatireu: Der gelbe Punkt hinter der Linse vergrössert sich rasch und es tritt ein ziemlich grosser rundlicher Gla»- körpcrabscess, der vorn an die Linse stösst und hinten fast die Bulbusmitte erreicht, zu Tage. Auch in der hinteren Bul- bushälfte treten einige kleinere circumscripte Abscesse auf, die zum Tbeil mit der nasalen Retlnabälfte zusammenhängen. Gleich- zeitig bemerkt man eine kleine Einheilung des äusseren Pu- pillarrandes in die Cornea, an dem die Cornea durchsetzenden Pigment kenntlich. Die Stelle siebt gelblich infiltrirt aus. Innen fehlt die Iris in Folge der Iridectomie. Weiter nach der Peripherie zu wird der Abscess wieder allmählig kleiner, und es schiebt sich zwischen ihn und die Linse ein verdich- tetes Gewebe ein.

Mikroskopischer Befund: Die Grundsubstanz der Cor- nea ist in der äusseren Hälfte stark faserig, in der inneren Hälfte ziemlich normal. Das Cornealgewebe enthält fast in allen Schichten Gefösse. Die Infiltration der Cornea ist meist ge*

lieber von Operationsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiterung. 163

ring, nur an einzelnen Stellen in den äusseren Partbien sehr erheblich und zwar am stärksten in der Nähe der vorderen Synechie. Dieselbe besteht in einer circumscripten Einbcilung des äussern Pupillarrands. Das Loch des Descemet'schen Mem- bran ist massig breit. Das eingelagerte Irisgowebe ist beson- ders in der hintersten Schicht stark pigmentirt und eitrig in- filtrirt Das Cornealepithel ist überall ziemlich normal. Ueber der Synechie und an einigen Stellen neben derselben finden sich partielle Auflockerungen desselben und auch kleine De- fecte. Die Zellen sind von Eiterkörperchen auseinander ge- drängt, die stellenweise zwischen dem Epithel frei zu Tage liegen, doch ist es zu keiner eigentlichen Gcschwürsbildung gekommen. Soweit die Synechie reicht, findet man auch in den tiefsten Schichten stärkere Eiteransammlungen.

Die vordere Kaminer ist seicht. In der nasalen Hälfte fehlt die Iris in Folge der Iridectomie. Sie ist hart am Ciliarkörper abgetrdnnt Nur etwas Pigment und einzelne FaserzQge von Irisgewebe sind in die Wunde eingeheilt, die schon ganz fest durch zellreiches Gewebe geschlossen und von Epithel, das sich auch in den Wundcanal hineinsenkt, über- deckt ist. Die junge Narbe ist frei von Entzündung. Die Iris der temporalen Seite ist dünn und ziemlich diffus infiltrirt, an einzelnen Stellen liegen dichtere Eiterhaufon. Der Eam- merwinkel selbst ist frei, doch besteht centralwärts eine peri- phere Synechie der Irisoberfläche mit der Cornea. Die Hinter- fläche der Iris ist mit der nach vorn gedrängten Linse innig verklebt durch ein Eiterkörperchen enthaltenes Exsudat, das an der Stelle der vorderen Synechie grössere Eiterhäufchen enthält, die sich continuirlich um den Linsenäquator bis ia den Glaskörper fortsetzen. Das Pigmentblatt der Iris ist ver- dickt, mehrfach in zwei Lagen gespalten und besonders in der Nähe des Linsenäquators von der Irishinterfläche durch ein Transsudat auf eine grosse Strecke abgehoben. Das Pigment liegt der Linsenkapsel auf. Im Colobom findet sich ebenfalls ein ziemlich gleichroässiger Belag von eitrig durchsetztem Ex- sudat, das viel freie Pigmentkörnchen enthält.

Der Ciliarkörper ist abgelöst. Die Ciliarfortsätze, die wenig infiltrirt sind, sind stark nach vorn gezogen und grenzen fast dircct an den Linsenäquator. Die vordersten Ciliarfort- sätze sind mit der Irishinterfläche verwachsen. Dadurch, dass der Ciliarkörper sammt dem vorderen Aderhautstück durch ein ziemlich zellarmes Transsudat abgelöst ist, hat sich der Ciliar-

II*

164 ^f' A. Wagenmann.

muskel um seineu vorderen Ansatzpunkt am Gorneoscleralrand stark nach innen und vom gedreht. Er ist aufgelockert und wenig infiltrirt Die Ablösung der Ge^shaut reicht innen wie aussen fast bis zum Aequator. Nur vereinzelte Fasern der Suprachorioidea durchziehen das Transsudat. Soweit die Aderhaut abgelöst ist, ist sie hyperämisch und nur stellenweise stark infiltrirt und verdickt

In der Linse ist das Epithel abnorm weit auf die hin- tere Fläche gewuchert. Die äussersten Schichten bestehen da- selbst aus kernhaltigen Fasern. Die Körner der Linsenfasern zeigen zum Theil wieder eine körnige Anordnung der Chro- matinsubstanz. Die hintere Kapsel ist in der mittleren Parthie stark gefaltet, und zwar sind diese Faltungen entstanden durch Züge eines schwartigen Gewebes, das streckenweise der hin- teren Kapsel adhärirt und ttber die Falten hinzieht In den hinteren Cortikalschichten finden sich vereinzelte rundliche Kerne und vereinzelte zerstreut liegende Rundzellen.

Die Pars ciliaris retinae ist zu einem langen, stark pig- mentirten Fasergewebe ausgewachsen, das den Ablösungswinkel der Retina ausfüllt und sich in den vordersten Theil des Glas- körpers fortsetzt Diese vorderste Glaskörperparthie ist von einem gefässhaltigen und eitrig infiltrirten Schwartengewebe durchsetzt, das seinen Ursprung vom Ciliarkörper und von der Pars ciliaris her nimmt. Es zieht als massig breites Band von einer Seite zur andern, an der hinteren Linsenkapsel her- streifend. Nur dort, wo der Glaskörperabscess sich findet^ ist es unterbrochen und von Eiter ersetzt. Das Gewebe hat auf- fallend lange Kerne und junge dichte Bindegewebsfasern. Die an die hintere Kammer stossende Parthie ist nicht dicht faserig, sondern von Eiweisssubstanz stark aufgelockert. An der Stelle der vorderen Synechie setzt sich die Eiterung in die hintere Kammer fort bis zum alten Prolaps.

Die Structur der abgelösten Retina hat stark gelitten. Stäbchen und Zapfen sind nur noch ganz hinten in leidlichem Zustande erhalten, nach vorn sind sie abgelöst, stark verdickt, unregelmässig, und dann noch weiter nach vom zerfallen und defect In dem vorderen Abschnitt sind die Müll er' sehen Stfltzfasem enorm gewuchert, und die Kömerschichten unregel- mässig gestaltet, Nervenfasern und Ganglienzellen zu Grande gegangen. Dagegen ist die Retina hier überall stark hyper- ämisch und stark eitrig infiltrirt und zwar auf der nasalen Seite stärker, als auf der temporalen, wo sich ja eine Glas-

Ueber von Operationsnarben etc. ausgebende Glaskörpereiterang. 165

körperablösung findet. In dem hinteren Abschnitt ist die eitrige Infiltration nicht mehr so gleichmässig stark; einige Stellen der Retina sind hier stark verdünnt und besonders in den Körnerschichten atrophisch. An den besterhaltenen kleinen Stel- len kann man alle Schichten noch erkennen. Auch hämor- rhagische Herde und fibrinöse Durchtränkung der Retina wer- den nicht vermisst. In dem Transsudat, das den Glaskörper aussen von der Retina trennt, trifft man neben f&digem Fibrin auch klumpige Eiweisssubstanz an, die vielfach aus kleinen viereckigen Platten besteht und strahlige Figuren bildet. Neben Blutstreifen kommen auch zahlreiche Gruppen von Eiterkör- perchen vor. Viel weniger Eiterkörperchen finden sich in dem subretinalen Transsudat, das aber stellenweise fädiges, von der Retina ausstrahlendes Fibrin enthält. Beachtenswerth ist, dass im Ablösungswinkel die Hinterflächo der Retina von einem organisirten Exsudat belegt ist, das die Retina in Falten zieht.

Der Opticus ist massig stark infiltrirt, nicht stark atrophisch.

Die Ghorioidea ist mit Ausnahme des an den Ciliar- körper stossenden Theils vollkommen normal und nicht verdickt.

Der Glaskörper bildet einen spitzen Kegel, der der nasalen Netzhauthälfte anliegt, und dessen Spitze die Papille nicht erreicht In dem vorderen Theil des Glaskörpers findet sich ein grosser Abscess, der vorn der hinteren Linsenfläche anliegt und stellenweise bis zum Linsenäquator reicht, das schwartige Gewebe durchbrechend. Der Abscess besteht* aus dicht ge- drängten Eiterkörperchen mit sehr spärlicher amorpher Zwischen- substanz. In Betreff der Kemfärbung der Eiterkörperchen ist ein Unterschied. Im Centrum des Abscesses haben sich die Kerne sehr schlecht oder gar nicht geförbt; die Zellen sind offenbar in Necrose begriffen. Nur vereinzelte dazwischen liegende Zellen haben noch deutliche Kernfärbung. In den Randtheilen haben sich die Kerne wieder gut gefärbt. In den Randtheilen des Abscesses fallen mehrfach Häufchen von in- tensiv gefärbten, verschieden grossen Körnern auf, die den Eindruck von Zerfallsproducten der Kerne macheu. Zum Theil erkennt man an ihnen noch blasse Hüllen. Nach der Peri- pherie zu stösst vorn das schwartige, vom Ciliarkörper aus- gehende Gewebe an den Abscess. In der medialen Hälfte grenzt derselbe an die Retina. Neben dem centralen Abscess finden sich noch zahlreiche kleine, an die Retina grenzende dichte Eiteransammlungen, die direct von der eitrig infiltrirton

166 I>r- A. WageDmann.

Retina herstammen. In dem hinteren Bulbusabschnitt erkennt man eine dentliche Faserang der Randschichten des Glaskör- pers, die durch reihenweise geordnete Eiterkörperchen infil- trirt sind. Wo die Anhäufung der Eiterkörpercheir eine stär- kere ist, umsäumen die Glaskörperfasern den kleinen Abscess. Auch in der Spitze des Glaskörpers sind noch circumscripte Eiterhaufen gelogen, die an die Retina grenzen und dann jedes Mal einer besonders starken Infiltration der Retina entsprechen. Der übrige Glaskörper ist feinkörnig und von verschieden dichten, kleinen Gruppen von Eiterkörperchen durchsetzt.

Von Kokken finde ich einzelne Gruppen in der Cornea in dem Infiltrat der vorderen Synechie und an den Stellen, wo das Epithel defect und von Eiterkörperchen durchsetzt ist. Reichliche Mengen finden sich im Glaskörper. In dem grossen Abscess bilden sie zahlreiche kleine Gruppen bis zu 15 Individuen, die als Einzelkokken neben einander liegen. Auffallend ist ihre mehrfach zu beobachtende Grössendifferenz. Neben kleinen, gleich grossen Kokken trifft man einzelne dickere Kokken an, und an anderen Stellen variirt die Grösse so, dass nicht drei Kokken gleich gross erscheinen. Femer kommen Häufchen von sehr schlecht gefärbten Kokken neben besser ge- erbten vor. Offenbar sind es im Absterben begriffene Haufen. Gleichmässiger an Grösse und besser gefärbt sind die Kokken- gruppen, die sich ausserhalb des grossen Abscesses finden. Sie lassen sich weit nach hinten verfolgen, und überall, wo dich- tere Eiterkörperchen liegen, sieht man auch Kokkenhaufen da- zwischen. Vielfach grenzen die Kokkenzüge an die Retina, und an einer Stelle konnte ich sie durch das Gewebe bis in die Stäbchenschicht verfolgen.

Epikrise.

Wir haben es hier mit einer subacut, nicht sehr in- tensiv verlaufenen, eitrigen Entzündung zu thun, die an einem Auge mit einem viele Jahre alten, vernarbten, cen- tralen adhärenten Leukom ohne nachweisbare Ursache auf- getreten ist. In dem Auge bestand ferner eine alte to- tale Netzhautablösung mit Schrumpfung und Ablösung des Glaskörpers in der lateralen Hälfte. Auf der inneren Seite ist der Glaskörper mit der abgelösten Retina fest verwach- sen. Die früher bestandenen Verhältnisse haben dem Ver-

Ueber Yon Operationsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiterung. 167

lauf ofifenbar einen eigenthümlichen Charakter verliehen. Der degenerirte Glaskörper wird der Kokkenwucherang einen gewissen Widerstand geleistet hab^n. Es ist mehr zur Bil- dung circumscripter Abscesse gekommen. Vorn hinter der Linse findet sich ein an der Stelle der vorderen Synechie sich bis in die hintere Kammer fortsetzender grosser Ab- scess, der das älteste Stadium darstellt und der schon in Necrose begrififen ist. Nach hinten ist die Eiterung lang- sam fortgekrochen und hat zu mehreren kleinen Abscessen, die mit der Retina in Verbindung stehen, geführt.

Als Ursache der Eiterung lassen sich Kokkenhaufen im Glaskörper nachweisen, die der Intensität des Processes entsprechend nicht sehr massenhaft sind. Dort, wo die eitrige Entzündung ihren Höhepunkt überschritten hat, fallen die Grössenunterschiede und die schlechte Färbbarkeit der Kokken auf. Interessant ist es ferner in diesem Fall, dass die Netzhaut fast ausschliesslich das eitrige Exsudat gelie- fert hat und allein eitrig entzündet ist, was sich durch die bestehenden Verhältnisse erklärt. Die eitrige Entzündung der Tiefe ist ofifenbar dadurch entstanden, dass Kokken in den Glaskörper gelangt sind und sich dort vermehrt haben. Sie üben dann vermöge ihrer entzündungserregenden StofiTe eine Fernwirkung auf die Gefässo der Nachbarschaft aus, die die Auswanderung der Eiterkörpercheu veranlasst. Da nun hier die Retina in toto abgelöst und weit vorgetrieben war, so war das Gefässgebiet der Retina das nächste, das von dem Attractionsvermögen der Kokken betrofifen wurde. Die Chorioidea blieb bei ihrer fernen Lage verschont, und wir finden sie deshalb ganz normal bis auf die circum- scripte Stelle an der Grenze der Ablösung, wo auch sie den entzündungserregenden Stofifen ausgesetzt war. Wir haben also hier eine fast ausschliesslich eitrige Retinitis vor uns.

Die Kokken stammen wohl auch in diesem Fall mit ziemlicher Sicherheit von der Ulceration im Bereich der

168 I>r. A. Wagenmann.

vorderen Synechie her. Allerdings ist es den Umständen entsprechend nicht möglich, die Kokken von dem primären Herd bis zum Glaskörper sucoessive zu verfolgen. Noch sicher nachweisen kann man eine eitrige Entzündung an der Stelle der vorderen Synechie und das Vorhandensein von Kokken auf der Ulceration. Doch kann ich sie nicht mit Sicherheit durch die Synechie bis in die Kammer hinein verfolgen. Bedenkt man aber, dass der Process schon län- ger bestand und im Abheilen begriffen war, dass femer bei der nicht sehr hochgradigen Malignität des Processes nur wenig Material in den Glaskörper gelangt sein wird, und dass zudem durch die Iridectomie das Bild verändert ist, so wird man kaum erwarten dürfen, noch Kokken in der Kanuner zu finden. Ich möchte annehmen, dass die Kokken durch die Synechie in die hintere Kammer gelangt und von da bis zum Glaskörper vorgedrungen sind. In dem eitrigen Elxsudat auf der Linseukapsel finden sich keine Kokken. Doch folgt natürlich aus dem Umstand, dass ich hier die Kokken nicht nachweisen konnte, durchaus nicht, dass sie beim Beginne der Afifection nicht dort gewesen sind. Ausserdem spricht der anatomische Befund mit Sicher- heit dafür, dass die Eiterung von der Synechie aus durch die hintere Kammer sich in den Glaskörper fortgesetzt hat, und dass der Process nach hinten zu noch fortschritt.

Fall VII.

PanOphthalmitis nach frischer Perforation eines vernarbten Irisprolapses.

Hermann Peliceus aus Föhrde bei Höxter, 48 Jahre.

7. Juni 1888. Rechtes Auge. Patient hat vor drei Jahren während einer Lungenentzflndung eine Entzündung des rechten Auges bekommen, in Folge deren das Auge damals erblindete. In der Zwischenzeit ist das Auge reizlos gewesen. Vor neun Tagen entzündete sich das Auge von Neuem, ohne dass Patient eine Ursache anzugeben weiss.

Ueber von Operationsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiterung. 169

Status praesens. R. Panophthalmitis. Lider stark ge- schwollen, Auge tief injicirt, schmerzhaft, stark vorgetrieben. Die Cornea ist leukomatOs getrübt, mit Resten von Pannus. In der unteren Hälfte findet sich etwas oberhalb des Randes ein alter vernarbter Irisvorfall, der ein wenig ectatisch ist. Auf diesem alten Irisvorfall sieht man eine kleine, kreisförmige, frische Ulceration von ca. 1 mm Durchmesser, deren Ränder wenig infiltrirt sind. Strabismus divergens. Aus dem Thränen- sack entleert sich auf Druck eitriges Secret.

Nachdem zuvor das obere Thränencanälchen geschlitzt ist, wird der Bulbus exenterirt.

20. Juni 1888. Die HeUung verlief glatt. Der Verband wurde am achten Tage fortgelassen. Die Thränensackblennor- rhoe wurde mit täglichen Sondirungen und Ausspritzungen be- handelt. Entlassen mit Sol. Zinc.

Der abgetragene vordere Bulbusabschnitt und die eitrig infiltriten Contenta bulbi wurden in Müller 'scher Flüssigkeit gehärtet.

Anatomische Beschreibung.

Erhalten ist ein ovales Stück des vorderen Bulbusabschnitts, das die ganze Cornea enthält. Der Schnitt hat unten die Cor- neoscleralgrenze gestreift. Seitlich hängt innen wie aussen noch ein dreieckiges Stück Sclera. In der unteren Hälfte der Cornea befindet sich oberhalb der Cornealgrenze das erwähnte, ziemlich in dem verticalen Meridian gelegene eitrige Ulcus. An der Hinterfläche der Cornea haftet noch das entsprechende Stück des Uvealtractus an, das von einer dicken Schicht eitri- gen Glaskörpers bedeckt ist. Von der Linse ist nichts zu sehen.

Die ausgelöffelten Contenta bulbi bestehen grösstentheils aus dem vereiterten Glaskörper und Resten der Aderhaut.

Der vordere Bulbusabschnitt wird in Celloidin eingebettet und vom unteren Rand aus in Horizontalschnitte zerlegt.

Bei Betrachtung der Schnittreihe bei Loupenvergrösserung erkennt man, dass in der unteren Hornhauthälfte die Iris früher in ziemlicher Ausdehnung und hauptsächlich nach innen von der Mittellinie prolabirt, und dass die Narbe ein wenig sta- phylomatös ausgebuchtet war. Seitlich von dem vernarbten Prolaps ist die Iris mit der Cornea verklebt. Nähert man flieh der frischen Ulceration, die nicht ganz peripher gelegen ist, so sieht man, dass das Staphylom dünner wird und eitrig infiltrirt ist. Dann folgt die frische Ulceration mit einer fri-

170 Dr. A. Wagenmann.

sehen, an ihrer breitesten Stelle etwa 1 '/, mm klaffenden Per- foration des Staphyloms.

Die Linse mnss bei der froheren Erkrankung verloren gegangen sein, da man von ihr nichts findet als einen schma- len Krystallwnlst, der mit der Hinterfläche der Iris fest ver- wachsen ist. Da die Linse fehlt, und da eine vordere Kammer nicht vorhanden ist, so liegt in der Perforationsöffnung sofort der eitrig infiltrirte Glaskörper zu Tage, welcher die ganze Höhlung des conischen Staphyloms ausfüllt

Der Ciliarkörper und das Stück der Pars ciliaris retinae^ das noch an dem Präparate erhalten . ist, ist ebenfalls vom eitrigen Glaskörper bedeckt.

Um die mikroskopischen Verhältnisse zu erörtern, will ich die Schnitte herausgreifen, die durch die Mitte der Perfo- ration gehen.

Der Riss der Desceroet'schen Membran liegt innen wie aussen ziemlich peripher Die Enden sind in mehrfache Falten zusammengezogen und nach aussen aufgerollt. Sie sind einge- schlossen in eine Wucherung platter Zellen, die möglicher Weise eine Endothel Wucherung darstellt Soweit die Desce- met'sche Membran erhalten ist, hat sich die Structur der Cor- nea besser erhalten. Aber auch hier liegt in der Peripherie die Iris der Descemet'schen Membran, besonders medialwärts, innig an, und aussen sind seichte Reste der vorderen Kammer erhalten in Gestalt von kleinen Spalten zwischen Cornea und Iris, die mit Eiweissmasse ausgefüllt sind. Centralwärts von dem Riss der Descemet'schen Membran ist es zu einer innigen Verwachsung zwischen Iris und Cornea gekommen. Die Cor- nea ist verdickt, ihre Grundsubstanz stark faserig, aufgelockert, durch Rundzellen auseinander gedrängt. Von der Iris aus tritt ein spindelzellenreichcs und viel Pigmentzellen enthaltenes Ge- webe in die Cornea über. Noch mehr nach dem Centrum zu schwindet das Cornealgewebe und hier liegt narbig verändertes Irisgewebe vor. Die eitrige Infiltration hat einen verschie- denen Grad erreicht Die Perforationsränder der frischen Per- foration werden von diesem narbig veränderten Irisgewebe ge- bildet Die Enden sind etwas nach aussen umgeschlagen. Man findet im Irisgewebe und auch im Hornhautgewebe mehrfache Hämorrhagien.

Das Epithel der Hornhaut ist erheblich verdickt und zwar kommt die Verdickung hauptsächlich auf Rechnung der äusseren

üeber Yon Operationsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiterung. 171

Pflasterzellen. Die Riffelung der Zellen ist vielfach eine über- ans deutliche, die Zellen sind wie mit Borsten besetzt

Von vorderer Basalmembran ist nichts mehr zu erkennen. Unter dem Oberall mit Eiterkörperchen durchsetzten Epithel liegt eine viele Gefässe enthaltende, mit Rnndzellen und Spin- delzellen reich durchsetzte, wenig faserige Schicht. Die Ge- f&sse sind zum Theil obliterirt und blutleer. Auch in tiefere Schichten des Leukoms setzen sich Geisse fort An einigen Stellen ist das Gewebe des eigentlichen Prolapses äusserst blutreich.

An der Hinterfläche der Iris findet sich ein schmaler, nur auf der äusseren Seite bis nahe an den Ciliarkörper reichender Kapselsack als Rest der Linse. Und zwar ist die Hinterfläche der Iris durch einen massig breiten Exsudatstreifen mit der Linsenkapsel verklebt Dieses Exsudat enthält Fibrin und viele Rundzellen. An einigen Stellen ist jedoch die Ver- wachsung der Iris mit der Linsenkapsel eine engere, gebildet durch ein aus der Iris hervorgewuchertes Schwartengewebe, das viel Pigment enthält Die Linsenkapsel läuft also in ge- strecktem Lauf parallel der Iris. Sie bildet einen ganz schma- len Sack, der noch geringe Linsenreste, jetzt mit Eiter durch- setzt, enthält Von Linsenresten finden sich noch wenige zer- fallene Fasern, Eiweisskugeln und feinkörniger Detritus, an anderen Stellen Bläschenzellen. Das Epithel ist gewuchert und liegt in Schichten übereinander, mit massig viel Intercellular- substanz. Beachtenswerth sind besonders die seitlichen Winkel der Säcke ausfüllende, aber auch sonst an der Kapsel anzu- treffende Wucherungen der Kapselepithelien zu langen platten Zellen und im Durchschnitt meist spindelförmigen Fasern, die als unvollkommene Linsenfasern anzusehen sind. Von aussen her sind in den Sack Eiterkörperchen eingewandert, denen auch viel Pigmentzellen beigemischt sind. Die Linsenkapsel überragt innen wie aussen die Perforationsstelle und liegt in derselben frei zu Tage. In der Mitte der Perforation fehlt die Linsenkapsel. Hier liegt der eitrige Glaskörper in der Oeffnung. An einigen Schnitten liegen noch auf dem eitrigen Glaskörper Reste von necrotischem Irisgewebe. Soviel an den Schnitten vom Glaskörper erhalten ist, ist eitrig infiltrirt Die Infiltration in der Tiefe ist verschieden weit vorgeschritten. So sieht man neben dem Ciliarkörper noch viel netzförmiges Fibrin. Sehr schön zu erkennen sind noch vielfach die Glaskörperfasem, zwischen denen die Eiterkörperchen in langen parallelen Reihen

172 Dr. A. Wagenmann.

liegen. Zwischen den parallelen Zögen liegen wieder besonders im Centram Parthien mit diffuser Anordnung. Auch Reste von Zonulafasem sind in der Umgebung des Ciliarkörpers zu finden.

Die Ciliarfortsätze sind nach yorn umgebogen und mit der Rückseite der Iris verwachsen. Sie sind infiltrirt und stark hyperämisch. Auch Blutungen, die auch in den Glas- körper übertreten, finden sich im Ciliarkörper. Die Pars cili- aris retinae ist gewuchert und infiltrirt.

Auch die Aderhaut ist infiltrirt, die Suprachorioidea stark ödematös aufgelockert.

Von Mikroorganismen habe ich in dem Ulcus und in dem eitrigen Glaskörper Massen von Kokken gefunden. Und zwar ist die Eokkenentwickelung durchaus nicht überall gleichmflssig vertheilt auf der Ulceration, sondern bestimmte Stellen sind als eigentliche Herde anzusehen, von denen aus die Infection der Tiefe stattgefunden hat.

Der Haupthord liegt ziemlich nahe am oberen Geschwürs- rand. Dort liegeu auf dem Geschwürsgrund grössere Kokken- haufen, besonders an der temporalen Seite neben und auf der frei zu Tage liegenden Linsenkapsel. Sie sind der Linsenkapsel entlang in die Tiefe vorgedrungen. Die Massen sind so enorm, dass man sie schon mit schwacher Yergrösserung bei Färbung mit Methylenblau als blaue Stränge in die Tiefe verfolgen kann. Daneben finden sie sich hier in zahllosen Massen durch das ganze Gewebe vertheilt. Kleinere Gruppen wechseln mit grösseren Hau- fen ab. Einzelne Stränge, in denen die Kokken besonders zahl- reich zusammengedrängt liegen, kann man bis tief in den Glas- körper hinein verfolgen. Besonders auffallend ist ein Strang, an dem die Glaskörperfasern noch erkennbar sind und an dem die £iterkörperchen weniger dicht liegen. Er lässt sich tief in den Glaskörper als isolirte Kokkenwucherung verfolgen. In der Umgebung findet sich auch eine ziemlich hochgradige diffuse Vertheilung der Kokken. Die Massenhaftigkeit der Kokken an dieser Stelle ist gar nicht zu vergleichen mit der Zahl, die sich in anderen Gegenden finden. Es finden sich zwar Kokkenhaufen in jedem Schnitt, in einigen aber nur auf der Ulceration, in anderen nur vereinzelt oder in mehrfachen Gruppen im Glaskörper.

Die Kokken sind klein und haben Neigung, sich zu zweien zusammen zu legen. Vereinzelt fand ich auf dem Boden der Ulceration kleine Gruppen einer grösseren Kokkenart Auch habe ich an einer Stelle einen oberflächlichen Herd von Strepto-

Veber von OperatioDsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiterung. 173

kokkeu angetroffen, sowie auch karze Stäbchen. Offenbar ha- ben sich mehrere Sorten auf der Ulceration niedergelassen und sind zur Entwickelung gekommen. Im Hornhautgewebe fand ich ausser am Geschwürsrand keine Kokken, ebenso wenig in dem Irisgewebe. Nur zwischen den oberflächlichsten Epithel- zellen fanden sich in einzelnen Schnitten die Kokken eingela- gert, und zwar liessen sie sich bis weit ab von der Ulceration verfolgen. Auch auf der Oberfläche des Epithels lagen Hau- fen von Kokken verschiedener Art.

Epikrisc.

Es handelt sich in dem vorliegenden Fall um ein Auge, das während einer Pneumonie o£feubar an einer ausgedehn* ten Ulceration der unteren Hornhauthälfte erkrankt war, die zur Perforation, Irisvorfall und Austritt der Linse führte. Die Annahme, dass die Linse vielleicht erst bei der zwei- ten Entzündung ausgetreten sei, wird durch die Kleinheit der frischen Perforation widerlegt Zudem beweisen die alten Verwachsungen der Iris mit der ihr angelagerten Lin- senkapsel, sowie die Structurverhältnisse der Linsenreste zur Evidenz, dass die Linse schon früher verloren gegan- gen ist. Der Process hatte ein ausgedehntes Leucoma ad- haerens et prominens hinterlassen. Im Bereich des früheren Irisprolapses war die Bulbuswand sehr dünn; mit der Hin- terfläche waren streckenweise die Reste der Linsenkapsel innig verwachsen. Daran grenzte sofort der Glaskörper, der den ganzen von dem Staphylom umgrenzten Raum aus- füllte. Wahrscheinlich war die Linsenkapsel an der Stelle der späteren Ulceration in das Narbengewebe eingelagert. Das Auge war in der Zwischenzeit (drei Jahre lang) reiz- los geblieben. Wie die neue Entzündung begonnen hat, kann man nicht mehr ausmachen. Möglich ist, dass die dünne ectatische Narbe spontan perforirte. Dafür könnte sprechen, dass die Narbe nach der Perforationsstelle zu sich ziemlich rasch bedeutend verdünnt, und dass der Rand der Perforation selbst überall scharf und verhältnissmässig wenig eitrig infiltrirt ist. Im anderen Fall müsste man

174 I>r. A. Wagenmann.

annehmen, dass eine Ulceration von aussen her auftrat, und die dünne Stelle bald necrotisch wurde. Ob dabei eine Verletzung eine Rolle gespielt hat, ist unbekannt. Wie dem auch sei, jedenfalls ist es an der Stelle des früheren Pro- lapses zur Entstehung einer kleinen perforirenden Ulcera- tion mit eitriger Infection des Bulbusinhalts gekommen. Nach der Quelle der Infection braucht man nicht lange zu suchen, da eine floride Thränensackblennorrhöe bestand. Ob die in dem Perforationswinkel freiliegende Linsenkapsel bei der Entstehung der frischen Affection mit eine Rolle gespielt hat, lässt sich nicht mehr nachweisen. Die Infec- tion ging sofort auf den Glaskörper über, der nach der Perforation frei zu Tage läge lag, drang rapide in die Tiefe, und führte zur Entstehung der Panophthalmitis.

Der Patient will die ersten Beschwerden neun Tage vorher bemerkt haben. Die eitrige Entzündung hatte also Zeit, sich auf alle Theile des Bulbus zu erstrecken.

Als Träger der Infection finden sich Kokken. Diesel- ben lassen sich von der Perforationsstelle aus sehr schön in die Tiefe verfolgen. Und zwar haben sie ihren Einzug an einer bestimmten Stelle nahe dem oberen Rand der Ul- ceration gehalten. Dort liegt der Hauptherd, gegen den der Befund an den übrigen Stollen verschwindet Es scheint, als ob die Linsenkapsel der Verbreitung in die Tiefe Vor- schub geleistet habe, da ihr entlang grosse Haufen von Kokkon liegen, und von ihr aus sich Kokkenstränge in die Tiefe verfolgen lassen. Der Process hat schon so lange be- standen, dass es auch zu einer diffusen Kokken Wucherung weithin im Glaskörper gekommen war. Da der Bulbus so- fort nach der Exentration in MüUer'sche Flüssigkeit gelegt wurde, so konnte die postmortale Wucherung der Kokken keine grosse gewesen sein.

Ueber von Operationsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiteruug. 175

Fall VIII.

Staphylomaanticum nach Bleunorrhoea neonatorum;

frische Ulccration mit nachfolgender eitriger

Glaskörperinfiltration.

Anna Fernaa aus Ulfein, 18 Jahre.

Anamnese. 4. Juli 1882. Rechtes Auge durch Blen- norrhoea verloren gegangen. Der Beschreibung nach bestand ein totales Leukom mit Iriseinheilung. Das Auge war ver- kleinert. Die jetzt bestehende Entzündung trat ohne nach- weisbare Ursache vor drei Wochen mit heftigen Schmerzen ein, seit gestern wurde ein gelblicher Buckel auf dem Auge bemerkt.

Status praesens. R. A. Die Cornea und Umgebung ziemlich stark ectatisch, so dass die Lider nur unvollkommen geschlossen werden können. Hornhaut in der Mitte leukomatös getrübt, stark vascularisirt, ihr Randtheil von drei stärkeren prominirenden gelben Buckeln eingenommen, von denen der nach innen unten gelegene oberflächlich ulcerirt erscheint. Auge frei geöffnet, geringer Reizzustand.

Im Laufe des Tages perforirte der in der Horizontallinie gelegene Buckel spontan, wobei sich aus dem Innern etwas Eiter entleerte.

5. Juli 1882. Enucleatio bulbi. Bei Ablösung der stark verdickten Coiijunctiva zum Zweck der Tenotomie der Mus- keln findet sich an einer Stelle eine subconjunctivale Eiterung.

13. Juli 1882. Normal geheilt.

Sectio n des seither in Müll er 'scher Flüssigkeit aufbe- wahrten Auges: Der ganze vordere Bulbusabschnitt staphylo- matös ausgedehnt Die Grenzen der Hornhaut nicht ganz sicher anzugeben, da eine ringförmige Wucherung der Coujunctiva be- steht. Auf der ectatischen Oberfläche prominiren in ihrem Bereich drei Buckel, von denen der eine ganz peripher am innern untern Corneoscleralrand sitzt und ulcerirt ist. Die Ulcc- ration erstreckt sich auch etwas auf die Conjunctiva, so dass ihre Grenze hier nicht anzugeben ist. Ein zweiter circum- scripter Buckel von etwa 2^/, mm Basis ragt im obern äusseren Quadranten hervor. Ein dritter Buckel erhebt sich ziemlich steil etwa in der Horizontallinie etwas nach aussen von der Mitte. Auf ihm findet sich ein etwa 2 mm grosses Loch, aus dem Eiter henorgequollen ist. Der Rand des Loches ist scharfl

176 I^. A. Wagenmann.

In seinem hinteren Theil ist der Bulbus normal configarirt. Der Bulbus wird im horizontalen Meridian aufgeschnitten, so dass die Perforationsstelle getroffen wird.

Auf dem Durchschnitt erkennt man Folgendes: Die vor- dere Begreuzungswand des Bulbus wird von einem fast 2Vs mm dicken Narbengewebe gebildet, das aus Cornea und Iris zusam* mengesetzt ist. Die Conjuuctiva ist enorm verdickt und hat sich als Wulst über die Comeoscleralgrenze gelegt. Der vordere Bulbusabschnitt ist stark ectatisch. Von Linse nichts zu sehen; sie ist jedenfalls wohl bei der früheren Ulceration verloren gegangen. Der Glaskörper grenzt direct an das Staphylom- gewebe. Nach aussen von der Mitte liegt die erwähnte Per- foration, durch die der eitrig infiltrirte Glaskörper zu Tage getreten ist. Von der Perforationsstelle aus gehen ZQge eitri- ger Infiltration In die tiefen Schichten der Cornea. Auch der mediale Theil des Staphyloms ist stark eitrig infiltrirt An den PigmentzOgen, die sich um die Sclera schlagen, erkennt man, dass ein totaler Irisprolaps früher stattgefunden hat Die Aderhaut liegt der Sclera an, die Retina ist in toto abgelöst, weit gefaltet und verdickt Sie bildet einen engen Trichter, die Blätter fliessen nach hinten zu zusammen. Die grösste Tiefe der Ablösung beträgt innen 7 mm, aussen 8 mm. Das subretinale Transsudat ist ziemlich klar. Der Ciliarkörper ist mit Schwarten bedeckt

Der Glaskörper ist in eine ziemlich gleichmässige Eiter- masse umgewandelt Nur am Rande findet man hinten noch einen durchsichtigen Streif. Der eitrige Glaskörper füllt die Staphylomhöhle ans, er sendet einen breiten Eiterzapfen in die Perforationsstelle hinein. Einbettung in Celloidin.

Verfolgt man die Schnittreihe mit der Loupe, so kommt man bald unterhalb der Horizontallinie auf eine grosse und tiefgehende Ulceration, die auf dem peripheren, nach innen und unten gelegenen Buckel localisirt ist Der Grund des Ulcus ist uneben. Die Wand verdünnt sich immer mehr, und es folgt nun eine weite Perforation, in der der eitrige Glas- körper zu Tage liegt.

Mikroskopische Untersuchung.

Das Totalstaphylom besteht aus einem dicken, gefilsshal- tigen Bindegewebe, in dem die Iris mit aufgegangen ist und das jetzt stark eitrig infiltrirt ist In der Peripherie geht es über in einen dicken Conjunctivalwulst, der ebenfalls hoch- gradig hyperämisch und infiltrirt ist. An den Pigmentzügen

Ueber von Operationsnarben etc. ausgehende GlaskOrpereiterong. 177

kann man noch die frühere Lage der Iris erkennen. Der Iris- prolaps nimmt fast die ganze Iris ein, denn sowohl innen wie aussen schlägt sich die Iris um die Sclera, der noch ein kurzer Corneastnmpf mit nach aussen umgerollter Descemet- scher Membran anhängt, nach aussen. Die Pigmentzcllen sind in das umgebende Narbengewebe gewuchert Die Muskeln der Iris sind noch in dem Staphylomgewebo erhalten, sonst ist aber die Irisstructur fast vollständig untergegangen. Bedeckt ist das Staphylom von einer ziemlich dicken Epithellage. Zu unterst liegen mehrere Schichten Cylinderzellen von verschiedener Höhe und Breite, darauf eine verschieden dicke Lage von Platten- opithelien. Vielfach liegen zahlreiche Gefässe direct unter dem Epithel. Auch Eiterkörperchen durchsetzen stellenweise dasselbe. Ferner beobachtet man auch vielfache Abhebungen des Epithels durch kleine Hämorrhagien. An einzelneu Stellen liegen noch an der Hinterfläche der degenerirten Iris knäuel- förmig aufgerollte Reste von Linsenkapsel, sonst ist von Linse nichts erhalten.

Der Ciliarkörper ist atrophisch, pigmentirt, der Ciliar- muskel ebenfalls, besonders innen. Der Ciliarkörper ist über- deckt von einer dicken Lage eines schwartigen Gewebes. Auch hier sind überall Eiterkörperchen eingelagert in ver- schiedener Dichtigkeit, und ausser der Infiltration fallen massenhafte kleine Hämorrhagieen ins Auge. Als Ausgangs- punkt der frischen Iridocyclitis purulenta ergiebt die Unter- suchung ein grosses, randständiges, im inneren unteren Qua- dranten gelegenes Ulcus, das auf dem hier stark vorgetriebenen alten Irisprolaps sich etablirt hat Es ist ein terassenförmig in die Tiefe dringendes Ulcus, das zu einer weiten Perforation geführt hat. Der Geschwürsgrund ist zum Theil necrotiscb, stark eitrig infiltrirt In den necrotischen Massen erkennt man noch Reste von Gefllssen. Der Grund ist bedeckt von krümlichen, mit Eiterkörperchen durchsetzten Massen. Nach den Seiten wird die Ulceration flacher und geht noch auf die Conjunctiva über. Die ziemlich weite Perforationsstelle liegt an der Corneoscleralgrenze. Die Eiterung setzt sich durch die Perforation in die Tiefe fort Von den Rändern des Ulcus aus erstreckt sich die Eiterung verschiedentlich in das Gewebe des Staphyloms hinein und hat zu uuterminirenden Eiteran- sammlungen geführt

Neben dieser Perforation besteht, wie schon oben erwftluit» eine zweite in der Horizontallinie gelegene, die, wie die

▼. Gncte'n Archiv f&r Ophthalmologie. XXXV. 4. 12

178 ^i*. A. Wagenmaun.

tomische Untersuchung bestätigt, von innen nach aussen erfolgt ist. Die eitrige Einschmelzung der Wand ist innen am gross- tcu, der Rand des Loches ist scharf, nicht ulcerirt oder necro- tisirt, das Epithel reicht bis an den Rand. Die unter dem Epithel gelegenen Schichten sind relativ wenig infiltrirt. Die äussere OefiFnung ist kleiner als die innere. In der Perforation liegt der vereiterte Glaskörper frei zu Tage, ist nach aussen vorgequollen und überdeckt pilzförmig den Rand der Perfo- ration. Ausser dieser Stelle findet man noch mehrfach von innen her erfolgte eitrige Infiltrationen der Bulbuswand. Der durch die abgelöste Retina stark verkleinerte Glaskörperraum ist bis auf vereinzelte Stellen, in denen noch Fibrinfäden zu erkennen sind, ziemlich gleichmässig dicht infiltrirt Der eitrige Glaskörper wird noch von Resten von Glaskörperfasern durch- zogen, die zum Theil ziemlich breite Fasern darstellen, zwi- schen denen eine reihenförmige Infiltration stattgefunden hat In den peripheren Theilen des Glaskörpers erkennt man mehr- fach hämorrhagische Herde. Nach hinten zu nimmt die Eite- rung etwas ab, und hier überwiegt das netzförmige Fibrin.

Die Pars ciliaris retinae ist stark bindegewebig dege- nerirt und von Pigmentzellen durchsetzt Die Schwartenbildung hat hier eine besondere Dicke erreicht. Rundzellen fehlen auch hier nicht.

Die abgelöste Retina ist in viele feine Falten gelegt^ stark bindegewebig degenerirt. Die Körnerschichten unregel- mässig breit, die Stützfasern lang ausgewachsen, die Stäbchen- schicht fast ganz degenerirt. In der subretinalen Flüssigkeit findet sich viel netzförmiges Fibrin, Blut und vereinzelte Grup- pen von Eiterkorperchen. Von der Schwarte der Pars ciliaris retinae sind breite Bindegew^ebszüge ausgegangen, die die Aus- senseite der Retina überziehen. Nach hinten zu nähern sich die Blätter der Retina und schliessen einen schmalen Streifen stark faserigen Glaskörpers ein. Das letzte Stück ist durch schwartiges Gewebe, das von der Papille ausgegangen ist, aus- gefüllt. Hier sind die Retinalgefässe stark verdickt.

Der Opticus ist atrophisch, bindegewebig degenerirt Die Scheiden sclerosirt. Die Chorioidea ist massig verdickt und wenig eitrig infiltrirt. Der erste Anfang der Suprachorioidea ist aufgelockert, stärker infiltrirt und fibrinös durchtränkt.

Die Untersuchung auf Kokken gab ein positives Resultat Sowohl auf der Ulceration, vro sie zum Theil im Gewebe lagen, wie im Glaskörper und an der Durchbruchsstelle fand ich

Ueber von Operationsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiterang. 179

Gruppen mittelgrosser Kokken. Der Befund war für die Hoch- gradigkeit der Eiterung nicht sehr massenhaft. Auch war die Färbung der Kokken theil weise eine schwach ausgesprochene. Sodann habe ich im Glaskörper noch Gruppen ungefärbter Kügelchen^ die ganz den gefärbten Kokkenhaufeu glichen, ge- funden. Es ist wahrscheinlich, dass die Färbbarkeit gelitten hat, möglicherweise durch das Jahre lange Liegen in Müller- scher Flüssigkeit.

Epikrise.

Als Ausgang einer Blennorrhoea neonatorum war in unserem Fall ein Totalstapbylom zurückgeblieben, das mas- sig stark ectatiscb war. Die Linse war bei der damaligen Entzündung ausgetreten. Da die vordere Kammer fast voll- ständig fehlte, 80 war es wohl nur dem Umstand, dass der Ciliarkörper atrophisch und mit dicken Schwarten überzo- gen war, zu danken, dass die Ausbuchtung nicht noch hoch- gradiger geworden war. Offenbar hatte die Abscheidung der Flüssigkeit abgenommen, und der Flüssigkeitswechsel sich den bestehenden Verhältnissen adaptirt. Ohne nach- weisliche Ursache kam es achtzehn Jahre später zu der frischen Entzündung. Als sich Patientin drei Wochen nach dem Einsetzen derselben vorstellte, war der Glaskörper voll- kommen eitrig infiltrirt. Als Ausgangspunkt der tiefen Ei- terung liess sich mit Bestimmtheit ein auf dem alten Iris- prolaps innen unten localisirtes Ulcus, das perforirt war, nachweisen. Ein eitriges Ulcus auf einer so dünnen Narbe wird leicht perforiren, und wenn es perforirt ist, so wird die Infection auf den Glaskörper übergehen, der ja in sol- chen Fällen, zumal wenn die Linse fehlt, direct an die Aussenwand des Bulbus stösst

Die intraoculare Eiterung war in unserem Fall eine 80 hochgradige, dass sie ihrerseits von innen her die Bul- buswand arrodirte und durchbrach. Die Perforation erfolgte am Abend der Aufnahme. Aus dem Charakter und der Figuration der Perforationsränder kann man die primäre von aussen nach innen und die secundäre von innen nach

12»

180 I^r* A. Wagenma&n.

aussen gehende Perforation unterscheiden. Bei der letz^ tereu ist die äussere Oeffnung die kleinere, hei der ersteren die innere, hei letzterem stellt das Geschwür einen nach innen offenen, terassenformig abgesetzten Trichter dar, hei crsterem einen nach aussen offenen. Die Netzhautahlösung und die schwartige Cyclitis sind alten Datums.

Der Kokken he fund weist mit grosser Bestimmtheit darauf hin, dass die kleine Ulceration auf dem Irisprolaps den Ausgangspunkt darstellt, da hier die Kokken auf dem Ulcus und im Gewebe der Geschwürsränder angetroffen sind. Im eitrig infiltrirten Glaskörper lagen sie gruppen- weise zerstreut, die einzelnen Individuen für sich allein lie- gend und keine Ketten bildend.

Fall IX.

Eitrige Glaskörperinfiltration nach vernarbtem peripherem Irisvorfall.

Minna Kupferschmidt aus Andreasberg, 16 Jahre.

L. A. Patientin hat im zehnten Lebensjahre nach Masern eine langdauernde linksseitige Angenentzündong aquirirt, an der sie zwei Jabre lang gelitten haben will. Die Sehkraft war nach Ablauf der Entzündung dnrch ein „FelP' stark be- einträchtigt, doch nahm sie wieder etwas zu. Das Auge war bis vor vier Wochen frei von Beschwerden. Da trat eine Ent- zündung auf, die sich allmählig steigerte und Schmerzen ver- ursachte.

9. Mai 1878. Status praesens. Am oberen Hornhaut- rand findet sich eine starke Hervortreibung von höchst unge- wöhnlichem Aussehen, die offenbar als ein durch Eiteransamm- lung ausgedehnter geheilter Irisvorfall zu betrachten ist Die Ilervorragung nimmt den ganzen oberen und oberen äusseren Hornhautrand ein und erstreckt sich auf die Sclera. In der Mitte befinden sich zwei radiäre Einschnürungen von schwärz- licher Farbe, durch welche der am stärksten vorgetriebene obere Buckel von dem äusseren oberen getrennt wird. Die Buckel sowie die übrige Cornea sind vascularisirt. Die vor- dere Kammer ist vollkommen aufgehoben. Gerade im Centrum

Ueber von Operaüonsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiteruog. 181

findet sich noch eine kleine geheilte Perforation ohne Irisein* klemmnng und eine weitere am innern unteren Rand, in der die Iris eingelagert, aber nicht Torgetrieben ist Bei focaler Beleuchtung erkennt man nach innen von der Mitte eine ver- tical ovale Stelle, durch welche man von hinten her Licht be- kommt, vermutlich ein Rest von Pupille.

Die übrige Cornea ist getrübt. Der Augendruck ist massig herabgesetzt, der Bulbus auf Druck etwas empfindlich. Abso- lute Amaurose.

Enucleatio bulbi. Während der Operation platzt das Staphylom und die Linse tritt sammt der Kapsel aus. Här- tung in Müll er 'scher Flüssigkeit.

Sectionsbefund des Auges.

Der Durchmesser der Cornea erscheint vergrössert, die Oberfläche uneben, hauptsächlich in der oberen Bulbushälfto staphylomatös ausgebuchtet Der bei der klinischen Beschrei- bung erwähnte grosse Buckel zeigt auf seiner Spitze eine ovale 2 3 mm lange Perforation, aus der eitrige Massen hervorragen. Der Opticusdurchschnitt ist grau. Der Bulbus wird im vcrti- calen Meridian so aufgeschnitten, dass die Pcrforationsstelle excentrisch nach aussen getroffen wird, so dass der grössere Theil der innern Hälfte angehört. Auf dem Durchschnitt sieht man, dass das Staphylom den ganzen oberen Theil der Cor- nea einnimmt und bis in die untere Bnlbushälfte reicht Der Irisprolaps beginnt oben hart am vorderen Sclerarand, die Iris schlägt sich um das Scleralende stark nach aussen und ist mit der Cornea zu einer pigmentirten , fast 1 mm dicken Narben- masse verschmolzen.

Der Rand der Conjunctiva ist enorm verdickt und zieht sich noch eine Strecke weit auf das Staphylom hinüber. Die die Perforationsränder bildenden Enden des Staphyloms sind verdünnt.

Der Ciliarkörper ist in der oberen Bnlbushälfte stark atrophisch in die Länge gezogen; er ist sammt dem vorderen Theil der Aderhaut circulär bis zum Aequator seicht abgelöst.

Die Netzhaut ist in toto abgelöst, stark nach vorn ge- zogen und bildet ein den vorderen Bulbusabschnitt nach hinten begrenzendes Diaphragma, in dem nur die Mitte etwas nach hinten ausgezogen ist Der Yerbindungsstrang zum Opticus ist bis auf einzelne feine Fäden vollkommen atrophirt. Auf der Papille ragt ein 1mm langer Zapfen in das gelatinös gerou-^

182 Dr. A. Wagenmann.

nene subretinale Transsudat, der sich nach vom etwas auf* fasert Es macht den Eindruck, als sei der Strang spontan abgerissen. Die atrophische, gefaltete Retina zeigt an ihrer Rückfläche eine Anzahl netzförmiger Fächer, die durchschnitt tenon Falten zu entsprechen scheinen.

Der ganze vordere Bulbusabschnitt, der nach vom durch das Staphylom, nach hinten durch das quer ausgespannte Netz- hautdiaphragma umgrenzt wird, ist eingenommen vom eitrig in* filtrirten Glaskörper. Nur nach unten und nach hinten ist der Glaskörper theilweise nicht eitrig, sondem schwartig ver- dickt, von grauem Aussehen. Die Linse, die bei der Opera^ tion ausgetreten ist, fehlt Die innere Bnlbushälfte wird in Celloidin eingebettet

Mikroskopischer Befund.

In der oberen Bulbushälfte befindet sich die Ck)ntinuität»- trennung der Cornea dicht neben der Corneoscleralgrenze, so dass nur ein kurzes Stückchen Descemet'scher Membran mit darauf liegender Homhautgrundsubstanz am oberen Ende er- halten ist Es beginnt sofort der ectatische, vernarbte Prolaps, dessen Gewebe hier reich pigmentirt, stark vascularisirt und infiltrirt ist. Nach dem Hornhautcentrum zu nimmt das Pig- ment der Narbe ab. Sie besteht aus einem so stark infiltrirten, von Gefässen durchzogenen Gewebe, dass man eine eigentliche Grundsubstanz nicht mehr erkennt In der Tiefe ist nicht einmal eine Abgrenzung von dem anliegenden Eiter mehr mög- lich. Der Perforationsrand des Staphyloms ist abgerandet und ulcerirt Das Epithel endet eine Strecke weit vor der Per- forationsstelle, der Grund ist necrotisch, die Gef&sse, deren Wandung stark aufgequollen, necrotisch, ohne Kernftrbung ist, und deren Lumina leer sind, liegen frei zu Tage. Blutextra- vasate triflft man im Gewebe an.

Auf der unteren Seite der Perforation sind Cornea und Iris besser erhalten. Der Perforationsrand selbst, der aus reich pigmentirtem Narbengewebe besteht, ist massig infiltrirt; bis zum Rand hin ist das Epithel erhalten. Weiter nach der Peri- pherie zu ist Cornea und Iris zu einer Membran verschmolzen bis zu dem früheren unteren Ende der Perforation, an der ge- falteten Descemet'schen Membran kenntlich. Von da ab ist nach unten zu die Cornea wohl erhalten, nur wenig infiltrirt und von spärlichen Gefilssen durchzogen. Es ist eine vordere Kammer vorhanden, die aber dadurch seicht ist, dass sich noch

Heber von Operationsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiterung. 183

mehrfache Yerklebaugen der Irisoberfläche mit der Hinterfläche der Cornea finden. Die Irisoberfläche ist durch dio zackigen Vorsprünge anregelmässig.

Das Irisgewebe ist verdickt, reich pigmentirt, nach in- nen von schwartigen Auflagerungen bedeckt, das auch die Ober- fläche des Ciliarkörpers deckt Kammerwinkel verwachsen. Auf der Descemet'schen Membran finden sich mehrfach Drusen und Auflagerungen einer neugebildeten Schicht Glashaut Das Endo- thel liegt auf der initern Oberfläche dieser Neubildungen. Da ich analoge Befunde früher schon veröfifentlicht habe, so will ich diese Bilder hier nicht näher beschreiben.

Ciliarkörper in der unteren Bulbushälfte infiltrirt, in der oberen auffallend lang ausgezogen und atrophisch, gleich- falls infiltrirt. Der Ciliarmuskel ist unten aufgelockert, oben durch das Hindrängen des Ciliarkörpers zu der Perforations- stelle^ und durch die Ablösung des Ciliarkörpers von der Sclera aufgerichtet und comprimirt. Die Suprachorioidea ist vorn Öde- matös aufgelockert und verdickt Die Chorioideu überall hyper- ämisch und nur wenig infiltrirt.

Die abgelöste Retina ist in zahlreiche, in Schlangenlinien verlaufende Falten gelegt, die zum Theil sehr dicht zusammen liegen. Die Structur ist stark verändert. Nur noch an wenigen Stellen erkennt man Reste von Stäbchen und Zapfen. Die Stfltzsubstanz ist zu langen Fasern ausgewachsen, die viel Zellen enthalten. Die Körnerschichten zum Theil verbreitert, zum Theil atrophisch. Innen sind die Falten von gefässreichem, schwartigem Gewebe überbrückt Aehnliches Gewebe deckt auch theilweise die Hinterfläche der Retina. Die eitrige In- filtration- der Retina ist gering. In dem subretinalen Trans- sudat findet sich viel fädiges Fibrin, das zum Theil der Rück- fläche des Netzhautdiaphragmas anhängt Auch hämorrhagische Herde werden nicht vermisst.

Im Glaskörper erkennt man zwischen den dicht gelager- ten Eiterkörperchen viel amorphes Ei weiss, Fibrin, Blut und deutliche Stränge von restirender Glaskörperfaserung, die eine weitverbreitete und dichte gewesen sein muss. In den peri- pherischen Schichten ist der verdichtete, stark faserige Glas- körper noch gut erbalten, ohne merkliche Infiltration. Zwischen den Faserzügen kommt hie und da amorphes Eiwciss vor und Fettkömchenzellen.

Kokken finden sich an dem oberen Perforationsrand des Staphyloms. dort wo das Gewebe uicerirt und necrotisch ist,

184 ^i"* A. Wagenmann.

ferner in der eitrig infiltrirten Glaskörpersabstanz. Sie liegen zu kleinen Haufen beisammen, meist zu zweien angeordnet Die Färbung ist theilweise keine sehr intensive. Ab und zu kann man deutlich Grössendifferenzen nachweisen.

Epikrise.

Bei dem mitgetheilteu Fall war ohne uachwcisbare Ursache an einem staphylomatösen Auge eine schwere ei- trige subacute Entzündung aufgetreten. Nach dem klini- schen Befund war eine am oberen Hombautrand gelegene buckelförmigo Vortreibung derselben als Ausgangspunkt der Tiefeninfection anzusprechen. Durch das bei der Operation erfolgte Platzen des Staphyloms mit nachfolgendem Linsen- austritt sind die anatomischen Verhältnisse stark beeinträch- tigt Doch kann man noch constatiren, was für die Patho- genese wichtig ist, dass die Wand des erwähnten Buckels stark eitrig infiltrirt und an einer Stelle necrotisch ist, während der übrige Theil des grossen Irisstaphyloms nur wenig eitrig infiltrirt ist Gerade an der Stelle, wo die Perforation erfolgt ist, sieht man deutliche Zeichen eines Torherbestandcnen eitrigen Zerfalls; hier ist offenbar der primäre Sitz der Affection gewesen, was ja nicht verwun- dern kann, da diese Stelle am meisten prominirte und da- durch äusseren Schädlichkeiten am ersten ausgesetzt war.

Gerade an dieser Stelle, wo auch das Epithel eine Strecke weit fehlte, konnte ich im Gewebe Häufchen von Kokken nachweisen, die jedenfalls vor der frischen Bulbus- perforation dort gewesen sein müssen. Der untere Rand der Perforation zeigt keine Spuren einer vorherbestandenen Necrose und Ulceration. Das Epithel geht bis zum Rand und ist hier abgerissen. Das Gewebe ist stark infiltrirt, nicht necrotisch. Was ich von Eiter und Kokken in der Perforationsöffhung finde, stammt aus dem Glaskörper und ist durch das Platzen dahingelangt.

Die Netzhautablösung ist alten Datums, offenbar ent-

Ueber von Operationsnarben etc. aasgehende Glaskörpereiterung. 185

standen durch die starke Verdichtung und Schrumpfung des Glaskörpers.

Der Process ist von dem Staphylom aus auf die Tiefe übergegangen und hat eine eitrige Iridocyditis mit Glas- körperinfiltration veranlasst. Es lassen sich in dem eitrigen Glaskörper dieselben Kokkengruppen nachweisen wie im Ulcus. Der Eiter stammt hier grösstentheils von den Ge- fässen der Iris resp. des Staphyloms und dem Ciliarkörper und den Gefassen der schwartigen Auflagerungen, die eben- falls alten Datums sind. Die abgelöste Retina ist wenig in- filtrirt, die Aderhaut ist massig hyperämisch, sie ist durch das subretinale Transsudat dem Einfluss der Kokken ent- zogen gewesen.

Interessant ist, dass ich auch in diesem Fall Neubil- dungen von glashäutiger Substanz an der Descemet'scheu Membram nachweisen konnte, die offenbai* von dem Endo- thel ausgegangen sind, da sie an ihrer inneren Oberfläche von einer regelmässigen Endothelschicht bedeckt sind. Ana- loge Befunde habe ich früher veröffentlicht und abgebildet.

Fall X.

Eitrige Panophthalmitis, ausgegangen von einem

in Folge einer geringfügigen Verletzung ulcerirten

Partiais taphylom.

Katharina Krieter aus Duderstadt, 18 Jahre.

Patientin kam zum ersten Male im Jahre 1876 im Alter von sieben Jahren in Behandlung der Klinik wegen frischer -Conjunctivitis catarrhalis. Damals bestand schon an dem linken Auge ein vernarbter Irisprolaps nach innen. Im Jahre 1879 wurde an diesem Auge eine Iridectomie nach oben gemacht, ^a sich das adhärente Leukom vorbuchtete. Später war Pa- tientin wieder in Behandlung wegen eines frischen Irisprolapses am rechten Auge, der abgetragen wurde, und im Jahre 1883 wegen beiderseitiger phlyctänulärer Randkeratitis.

Am 10. Juni 1887 stellte sie sich wieder vor wegen einei* seit neun Tagen bestehenden Entzündung des linken Auges.

186 I>r* A. Wagenmann.

Zwei Tage vor Eintritt der Entzündung war ihr im Walde etwas in das Auge geflogen.

10. Juni 1887. Status praesens. L. Ausgesprochene PanOphthalmitis. Bulbus vorgetrieben, unbeweglich, Lider stark geschwollen. Die Cornea eitrig infiltrirt, an der Stelle des alten Prolapses ulcerirt, im Uebrigen vascularisirt Eiter in der Kammer. Durch die entzündlich verdickte Conjunctivae schimmert oben eitriges Exsudat durch. Absolute Amaurose.

Beim Versuch, den Bulbus zu enucleiren, erweist sich der- selbe nach oben perforirt Es wird deshalb die Exenteration vorgenommen. Der Glaskörper ist vollständig eitrig iufiltrirt. Nach dem Abziehen der Aderhaut erkennt man eine nach oben gelegene 5 mm breite Scleralperforation. Diese SteUe der Sclera wird mit der Scheere noch excidirt.

Der vordere Bulbusabschnitt, sowie die Contenta bulbi werden in Müller'sche Flüssigkeit gelegt, nachdem zuvor von den verschiedenen Eitermassen frische Deckglastrockenpräpa- rate angefertigt sind. In diesen Präparaten finden sich zahl- lose Kokken, die meist zu zweien zusammen liegen. An ein- zelnen SteUen erkennt man dichte Haufen dieser Kokken.

Der in Celloidin eingebettete vordere Bulbusabschnitt wird in der Mitte vertical durchschnitten und dann in Vertical- schnitte zerlegt.

Makroskopischer Befund des Durchschnitts.

Vordere Kammer nur in der oberen Bulbushälfte vor- handen. Linse nach oben verschoben, mit der Irishinterfläche verwachsen. Das ectatische, mit der Iris verwachsene Leu- kom nimmt die ganze untere Hälfte ein, ist stark infiltrirt Die hintere Kammer ist voll Eiter. Zwischen Linsenäquator und Ciliarkörper beträgt die Entfernung etwa in der Mitte des Staphyloms 2V3mm. Der eitrig infiltrirte Glaskörper reicht zwischen Linse und Ciliarkörper weit nach vorn.

Mikroskopischer Befund.

In der oberen Bulbushälfte ist die Cornea von annähernd normaler Configuration, nur dass sie stark eitrig infiltrirt und stellenweise vascularisirt ist. Der Kammerwinkel ist verwachsen. Soweit, wie hier die Iris erhalten ist, besteht eine vordere Kammer, die mit Eiter und Fibrin ausgefüllt ist. Die Iris ist enorm verdickt, infiltrirt, reichlich pigmentirt. Ihre Hin- 'terfläche ist mit der vorderen Linsenkapsel durch ein organi- sirtes, jetzt frisch eitrig infiltrirtes Exsudat verwachsen. Durch

lieber von OperationsDarben etc. ausgehende Glaskörpereiterang. 187

die Iridectomie ist nar ein kleines Stück Iris excidirt, der Stumpf mit der Narbe verwachsen; im Colobom ein Eiterge- rinnsel. Nähert man sich dem aus mehreren Hornhautperfo- rationen und Irisvorfällen zusammengeflossenen und ziemlich complicirt gestalteten Staphylom, so beginnt eine reichlichere Infiltration der Cornea. Das Staphylom ist Sitz einer ausge> dehnten Oberflächenulceration. Der Geschwürsgrund besteht, wenn man von oben her kommt, anfangs aus Resten von Hom- hautgewebe, das zum Theil necrotisch, zum Theil und zwar in den tieferen Schichten enorm stark infiltrirt ist. Die Spalt- räume der Homhautgrundsubstanz sind von dichten Zügen von Eiterkörperchen ausgefüllt. Auch ist das Gewebe, soweit Ge- fässe vorhanden sind, fibrinös durchtränkt. Weiter nach unten zu ist der Rest von Hornbautgewebe abgestossen, und es liegt nur die gefaltete Descemet'sche Membran frei im Geschwürs- grund. Dann folgt nach unten oberflächlich necrotisches Iria- gewebe; die tiefen Schichten sind sehr stark infiltrirt. Dort, wo das Staphylom am dünnsten ist, ist die Wand mehrfach fast in toto necrotisch. Das Geschwür reicht ziemlich nahe an den unteren Comeoscleralrand und hat auch den hier gelegenen neugebildeten Narbenwnlst ergriffen. Die Eiterung setzt sich überall in die Tiefe fort. Die ganze hintere Kammer, die durch die Ausbuchtung des Staphyloms und die Verschiebung der Linse nach oben einen ansehnlichen Umfang besitzt, ist von Eiter ausgefüllt, dem nur an wenigen Stellen födiges Fibrin beigemengt ist. Man kann nur schwer eine Abgrenzung von dem stark infiltrirten Glaskörper machen. Derselbe reicht, wie man aus Zonula und Glaskörperfasern entnehmen kann, weit nach vorn und erreicht zwischen Linse und Ciliarkörper vor- geschoben, beinahe die Hinterfläche der Staphylomwand. Dass ich in diesem Falle an dem einen Rissende der Descemet'schen Membran Neubildung von Glashaut gefunden habe, ist in der früheren Arbeit^) erwähnt.

Soviel von dem Glaskörper an dem vorderen Bulbus- abschnitt erhalten ist, zeigt eine enorm dichte Infiltration mit nur wenig intercellularer Eiweisssubstanz. Stellenweise findet sich etwas Blut und fädiges Fibrin. Auch fireie Pigmentkömer werden am Rande angetroffen.

Der Ciliarkörper und Ciliarmuskel sind in der unteren Bulbushälfte stark atrophisch und infiltrirt

») V. Graefo's Archiv für Ophthalmologie XXXV, 1, p. 187.

188 ^^' A. Wagenmaim.

Die Pars ciliaris retinae ist stark pigmentirt und in- filtrirt.

Aderhaut and Retina, von denen ein kleines Stück am Stumpf erhalten ist, sind stark hyperämisch und eitrig degene- rirt. Ueberall finden sich in den pigmentirten Theilen viel freie Pigmentkömer im Gewebe.

In der fast ganz von Eiter umgebenen Linse trifft man vom neben stellenweiser Necrose des Epithels Wucherungen desselben an. Auf das Epithel folgt nach hinten eine m&ssig breite Eiweissschicht. In der Linsensubstanz sind deutliche cataractöse Veränderungen nachweisbar. Auch hier sind die Kerne der Kemzone in kömiger Degeneration begriffen.

Das Stück Sclera, das die Durchbruchsstelle des Eiters enthält, sowie die ausgelöffelten Contenta bulbi werden eben- falls in Celloidin eingebettet und geschnitten. An der Perfo- rationsstelle ist die Sclera necrotisch. In der Umgebung des Loches findet sich eine starke eitrige Infiltration und Auflocke- rung der Membran. Die Eiterung hat sich durch das Loch in das episclerale Gewebe fortgesetzt. Der Glaskörper ist überall ganz enorm dicht eitrig infiltrirt. Auch in den tiefen Schichten enthält er nur wenig Eiweisssubstanz und ab und zu etwas Fibrin. Stellenweise färben sich die Kerne der Eiter- körperchen nicht sehr gut. Die Aderhaut und Retina der hinteren Bulbushälfte zeigen noch in erhöhtem Maasse die er- wähnten Veränderungen des vorderen Abschnittes.

Von Mikroorganismen habe ich enorme Massen Kokken auf und zwischen den necrotischen Gewebsparthien der ausge- dehnten Staphylomulceration gefunden. Stellenweise bilden sie förmliche Reincultnren. Der Hauptmasse nach ist es dieselbe Art, die auch im Glaskörper vorkommt, und die sich in den frischen Deckglastrockenpräparaten vorfand. Es ist ein mittel- grosser Kokkus, der vielfach zu zweien liegt, aber keine Ket- ten bildet.

Der Geschwürsgrund der Cornea ist auf grosse Strecken von dichten Colonien bedeckt, und auch in das Gewebe sind einzelne Colonien eingewandert. Die Umgebung der grösseren Kokkenplaques ist necrotisch, erst in einiger Eutfernung davon beginnt lebendes Gewebe, das überaus dicht eitrig infiltrirt ist

Die Einwandemng der Kokken in das Bulbusinnere hat dort stattgefunden, wo die stark verdünnte und in ihrer Dicke necrotische Staphylomwand den Geschwürsgmnd bildet Dort senken sich einzelne Kokkenmassen in die Tiefe und lassen

Ueber Ton Operationsnarben etc. ansgehende Glaskörpereiterung. 189

sich direct in die hintere Kammer verfolgen. Sonst finden sich in dem Eiter der vorderen and hinteren Kammer, sowie in dem eitrig infiltrirten Glaskörper des vorderen Bulbusab- Schnitts auffallend wenig Colonien. Nur vereinzelte dichtere ZOge kann man aus der hinteren Kammer in die Tiefe ver- folgen, die an der Linse vorbei ihren Weg nehmen.

In dem hinteren Abschnitt des Bulbus finden sich stellen- weise äusserst dichte Colonien von Kokken, die ganz den auf dem Geschwürsgrund gelegenen gleichen. Bis in das Aderhaut- gewebe hinein kann man sie verfolgen. Im Glaskörper trifft man neben grossen Haufen auch zwischen Eiterkörperchen zer- streute kleine Gruppen an. Auffallend ist, dass dort, wo die Kerne der Eiterkörperchen sich schlecht färben, die Kokken verschiedene Grösse zeigen und theilweise ein helles Centrum besitzen. An der Perforationsstelle der Sclera liegen grössere Haufen dicht an den Perforationsrändern. Die Kokken lassen sich hier auch in die Sclera hinein und auch extrabulbär in in das episcleralo Gewebe verfolgen.

Vereinzelt trifft man auch im Glaskörper längere Kokken- ketten an. Auch auf dem Geschwürsgrund des Staphyloms sind noch vereinzelte kleine Gruppen anderer Kokkenarten anzutreffen, so ein ziemlich dicker Kokkus, ferner ein sehr feiner, lange, zarte Ketten bildender Streptokokkus.

Epikrise.

Die Pathogenese dieses Falles ist vollkommen klarlie- gend. Das mit einem Partialstaphylom nach unten behaf- tete Auge erlitt durch Hineinfliegen eines Fremdkörpers ein geringfügiges Trauma, das, wie so kleine Traumen häufig thun, zur Entstehimg einer schweren Hypopyon- Keratitis Anlass gab. Woher die Infection der Oberfläche stanmit, ist nicht bestimmt zu sagen, wahrscheinlich war der Fremd- körper unrein.

Betroffen war das kleinen Traumen besonders exponirte Staphylom. Die durch das Trauma hervorgerufene ülcera- tion zeichnete sich durch ihre rasche Zunahme aus, wobei die letztere wohl dadurch begünstigt war, dass die Narbe, wenig widerstandsfähig, rasch necrotisch zerfiel. Es findet sich jetzt auf dem Staphylom ein grosses eitriges Ulcus,

190 I^r- A. Wagenmann.

auf dessen necrotiscbem Grund grosse Massen von Kokken gelegen sind. Freilich würde auch ein vorher intactes Auge bei den gleichen Bedingungen: Trauma der Cornea, schwere Infection, innerhalb weniger Tage das Bild einer schweren Hypopyou-Keratitis bieten können. Dass aber in so kurzer Zeit ausser dem Oberflächenprocess Panophthalmitis mit vollkommener Glaskörpervereiterung und grosser von innen nach aussen erfolgter Scleralperforation des Bulbus sich entwickelt hat, das stimmt nicht zu dem gewöhnlichen Krank- heitsbild der Hypopyon-Keratitis, das findet nur in den be- sonderen hier vorliegenden Verhältnissen seine Erklärung, nämlich in dem Bestehen des Partialstaphyloms. An der dünnsten Stelle desselben ist die Wand in toto necrotisch. Hier sind die Kokken in den Bulbus eingewandert und tra- fen sofort auf den weit vorgedrängten Glaskörper, in dem sie sich nach hinten verbreiteten und so die schwere Pan- Ophthalmitis veranlassten. Wie man aus der secundären Scleralperforation schliessen kann, hat der Process in der Tiefe schon mehrere Tage bestanden. Die in den Bulbus eingedrungenen Kokken haben sich anscheinend rasch in die Tiefe verbreitet und erst hier grössere Colonien gebil- det, da ich in dem vorderen Bulbusabschnitt wenig Kok- kenhaufen antraf. Der hier befindliche Eiter wird zum grössten Theil aus den Gefässen der Iris und des Staphy- loms stammen, und die Auswanderung der Eitcrkörperchen wird hauptsächlichst veranlasst sein durch die Wirkung der aussen auf dem Geschwürsgrund gelegenen, ßeincultureu ähnlichen Kokkcnmasseu. Bei der Nähe und ungeschützten Lage des Glaskörpers mussten die Eitcrkörperchen sofort in denselben eindringen. Die in der Tiefe befindlichen Eitermassen stammen aus den Gefässen der Retina und des Uvealtractus, und sind auf die in der Tiefe gewachsenen Infectionskeime zurückzuführen.

Ueber von Operationsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiterung. 191

Fall XL

Partiolle eitrige Glaskörporinfiltration, von einer

peripheren vorderen Synechie nach geringfügigem

Trauma ausgegangen.

Wilhelm Fromm aus Yarenholz bei Rinteln, 39 Jahre.

6. Juni 1887. Patient hat im zwölften Lebensjahr an dem rechten Auge eine Entzündung gehabt, von der ein weia- aer Fleck an dem Auge zurflckblieb. Er will mit dem Auge noch etwas gesehen haben, bis vor fünf Wochen ein kleines Drahtstückchen gegen dasselbe flog. Das Auge entzündete sich, das Sehen war aufgehoben und stellte sich nicht wieder her. Das Auge hat seither viel geschmerzt.

Status praesens. Geheilter alter Irisvorfall nach innen unten. Auge tief injicirt, weich, anscheinend frisch porforirt und zwar, wie es scheint, an der Stelle der früheren Perfora- tion. Sonst ist am Bulbus keine Wunde zu entdecken. Circu- läre hintere Synechie; Pupille eng, mit einer zarten Exsudat- schicht bedeckt. Iris verfärbt, aussen oben vorgebuckolt Im unteren Bulbustheil ist die vordere Kammer tiefer. Kein Hy- popyon. Auge druckempfindlich.

Keine Uandbewegung erkannt, Lichtschein auch nach Auf- enthalt im Dunkeln nicht befriedigend, Projection ungenügend.

8. Juni 1887. R. Iridectomie nach aussen und unten mit dem schmalen Messer, wobei ein ziemlich breites Colobom erzielt wird.

15. Juni 1887. Heilung der Iridectomiewunde normal. Doch bleibt das Auge tief entzündet und äusserst druckem- pfindlich, auch erhält man aus der Tiefe einen gelblichen Reflex.

Enucleatio bulbi mit normaler Heilung.

Der in Müller*scher Flüssigkeit gehärtete Bulbus zeigt unter den Sehnen des Inferior und Internus seichte Scleralein- ziehungen. Das Leukom reicht fast bis zur Hornhautmitte und sieht nahe dem inneren unteren Coruealrand infiltrirt aus.

Der Bulbus wird im horizontalen Meridian aufgeschnitten.

Durchschnitt: Innen ist die Cornea mit der Iris flächen- haft zu einer Narbe verwachsen, an deren Hinterfläche die Linse fixirt ist. Letztore zeigt unter der Kapsel nach innen von der Mitte eine circumscripte strichförmige Trübung. Nach aussen besteht vordere Kammer. Grosse circuläre Aderhaut- ablösung bis über den Aequator nach hinten reichend. Ciliar-

192 I^r. A. Wagenmann.

körper verdickt, ebenfalls abgelöst. Glaskörper im Torderen Tbeil eitrig infiltrirt, im hinteren Theil von einzelnen Eiter- strängen durchzogen, sonst aus geronnener Eiweisssnbstanz be- stehend. Retina überall seicht abgelöst, verdickt

Die untere Bulbushälfte wird in Celloidin eingebettet und geschnitten.

An der Schnittreihe erkennt man makroskopisch folgendes: An der Stelle der alten Perforation, die daran kenntlich ist, dass das Irispigment bis dicht an die Oberfläche der Narbe reicht, findet sich eine circumscripte eitrige Infiltration der Narbe. Das zwischen Hinterfläche der Iris und der Linse befindliche Gewebe ist hier ebenfalls gelblich, auch der Ciliar- körper ist eitrig infiltrirt. Der hinter der Linse gelegene Glaskörperabscess nimmt in den tieferen Schnitten nach allen Richtungen an Ausdehnung zu, hängt mit der medialen Ciliarkörpergegend zusammen und erreicht um den Linsenrand herumgehend die hintere Kammer. Auch die hintere Parthie des Glaskörpers scheint von einzelnen Eiterstreifen durchzogen.

Mikroskopischer Befund:

Die alte Hornhautperforation hat ganz peripher statt- gehabt. Das mit der Iris verwachsene Narbengewebe ist reich pigmentirt. Das Pigmentblatt der Iris vielfach in zwei Lagen gespalten, zwischen denen organisirtes Exsudat liegt Die Hin- terfläche des Leukoms ist mit der Linse durch ein organisirtes, jetzt eitrig infiltrirtes Exsudat verwachsen. Dasselbe Gewebe setzt sich bis zum Ciliarkörper fort, die Innenfläche desselben überziehend. An der dünnsten Stelle des den Irisprolaps über- deckenden Narbengewebes, ist die Narbe eitrig infiltrirt, die Faserung unregelmässig, an einer Stelle zerrissen und geknickt Das Epithel ist bis auf eine circumscripte Auflockerung und einen geringfügigen Defect ganz gut erhalten. Die Eiterkör- perchen durchsetzen das Epithel und bilden unter demselben theils rundliche dichte Anhäufungen, theils flächenhafte Einla» gerungen zwischen die Bindegewebsbündel der Narbe. Die ei- trige Infiltration setzt sich auf den benachbarten Theil der ('onjunctiva fort, die durch Eiter und fibrinöses Exsudat ver- dickt ist. Nach hinten ziehen breite Eiterstreifen durch das Narbengewebe zum stark eitrig infiltrirten Ciliarkörper und weiter in den daranstossenden Glaskörper. Die eitrige Infil- tration ist in dem die hintere Kammer ausfüllenden Gewebe stellenweise eine sehr dichte.

Die angrenzenden Parthien des Leukoms sind ziemlich

Ueber Ton Operationsnarbeo etc. ausgehende Glaskörpereiterang. 193

frei von eitriger Infiltration, ebenso die ftbiige Hornhaut, die jenseits Tom Lenkom normale Strnctar hat Bemerkenswerth sind an der Grenze zur normalen Hornhaut hin gelegene Ein- lagerungen in die oberflächlichsten Schichten des Lenkoms toh einer scholligen, hyalinen, homogenen Substanz von gelblicher Farbe, die sich mit Anilinfarben Äusserst intensiv filrben, die ganz verschiedene Grösse besitzen und besonders geartete Ei» weisstropfen zu sein scheinen. Mit Eosin färben sich die Schol- len nur schwach oder gar nicht.

Die corneale Iridectomienarbe ist linear vereinigt, reich an glatten Zellen. Nur an einer Stelle erhebt sich von dem Irisstumpf eine Zacke, die mit der Narbe adhftrirt. Es ist ein breites Irissttlck excidirt, doch ist überall eine gleich- mftssige Pigmentschicht auf der Linsenkapsel haften geblieben.

Die Ablösung des Ciliarkörpers und der Aderhaut ist eine hochgradige, nur an der Stelle dos adhftrenten Leukoms nicht so vollständige. Der vordere Ansatz des Ciliarmuskels giebt die einzige schmale Verbindung mit der Gorneosceral- grenze ab. Der Muskel selbst ist abgelöst und stark nach vorn umgeklappt, sodass die Radiftrfasem nach der Hinterflftche der Linse zu gerichtet sind. Die Ciliarfortsätze, die von schwar- tigem Gewebe eingehtült sind, stossen an den Linsenäquator.

Die innere Parthie des Ciliarkörpers ist stark eitrig infil- trirt. Die Aderhautablösvng hat innerhalb, der äusseren Schich- ten der Suprachorioidea stattgefunden. Einzelne Blätter lösen sich von der Aderhaut ab und durchziehen den Hohlraum bis zur Sclera hin. Man beobachtet hier auffallend langgezogene Pigmentzellen und sehr platte endothelartige Zellen.

In dem Transsudat finden sich Fibrinnetze und grosse rundliche Zellen. In dem dem Leukom entsprechenden Theil kommen auch Gruppen von Eiterkörperchen vor.

Die Aderhaut ist nur in dem vordersten Abschnitt mas- sig stark infiltrirt, im Uebrigen mit Ausnahme einer massigen Hyperämie wenig betheiligt. Ihr liegt das Retinalpigment ziem- lich intact auf.

Der Glaskörper ist weithin abgelöst Die Ablösung be- ginnt dicht vor dem Bulbusäquator. Nur in der Baibusmitte erreicht der Glaskörper mit einer nach hinten vorspring^iden Ausbuchtung die Aequatorialebene. An der Aussenfläche der Hyaloidea hängt ein Besatz von Eiterkörperchen. Von ihrer Innenfläche springen, soweit sie von der Retina abgelöst ist, kurze ziemlich breite Fasern in den Glaskörper vor. Dort, wo

T. Oraefe*8 ArchiT fUr Ophthalmologie. XXXV. 4. 13

194 ^r- A. Wagenmann.

die Ketina mit dorn Glaskörper noch zasammenhängt, lassen sich von der Innenfläche derselben breite und feine lange Bänder in den Glaskörper verfolgen, besonders schön bei Fär- bung mit 1 % Nigrosinlösung. In dem vorderen Abschnitt ist der Glaskörper stark verdichtet. £s strahlen vom Ciliar- körper und von der pigmentirten und stark gewucherten Pars ciliaris retinae schwartige Massen nach der Hinterfläche der Linse aus und bilden eine massig dicke Auflagerung derselben. Dieses Gewebe ist jetzt überall äusserst stark eitrig infiltrirt und zwar am stärksten an der Seite des Leukoms. Nach hin- ten folgt auf dieses vereiterte Schwartengewebe eiweiss- und flbrinreicher Glaskörper, der ebenfalls dicht eitrig infiltrirt ist und den schon makroskopisch sichtbaren Abscess bildet. Die Eiterkörperchen zeigen zum Theil schon schlechte Kernfilrbung. Auch treten in den mittleren Partien des Abscesscs zahlreiche verschieden grosse intensiv geförbte Kügelchen auf, die ich als Zerfallsprodukt von Kernen ansehen möchte. Nach hinten nimmt die Eiterung ab, und es prävaliren die Fibrinnetze. Nur ver- einzelte Streifen von Eiterkörperchen strahlen nach der Tiefe aus. Einzelne dieser Züge sind äusserst reich an grossen Fett- körnchenzellen.

Das zwischen Retina und Glaskörper gelegene, den gan- zen hinteren Bulbnsraum ausfüllende Transsudat, sowie das sub- retinale Transsudat J[)esteht aus in J^üller'scher Flüssigkeit ge- ronnener Ei Weisssubstanz, in der sich zerstreute Gruppen von Eiterkörperchen und mehrfach dichte Fibrinnetze finden. Nur im vorderen Bulbusabschnitt finden sich dichte Züge von Eiter- körperchen zwischen Aderhaut und Retina.

Die Retina ist besonders in der vorderen Hälfte eitrig infiltrirt und zeigt verschiedene Grade von bindegewebiger De- generation. Die Stäbchen- und Zapfenschicht ist vielfach büschel- förmig abgelöst und in Zerfall begriffen. In der hinteren Bul- bnshälfte ist die seicht abgelöste Retina gefaltet. Besonders springt in die Augen eine grössere Falte auf der Grenze des hinteren und mittleren Drittels. Auf der Spitze der Falte liegt der Innenfläche eine Wucherungsschicht von jungem ge- fiisshaltigem Bindegewebe auf. Hier nimmt eine den Bulbns- raum quer durchziehende neugebildete Membran ihren Ur- sprung, die das zwischen Glaskörper und Retina gelegene Trans- sudat quer durchsetzt. Die Membran hat etwa die Dicke einer normalen Retina und besteht aus zellreichem, faserigem Binde- gewebe, das jetzt frisch eitrig infiltrirt ist.

lieber von Operationsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiterang. 195

Der Opticus ist zollreich, nicht atrophisch. Auf der Pa- pille findet sich ein nach vom spitz vorspringender Kegel von neugebildetem Bindegewebe.

In der Linse findet sich an der Stelle der vorderen Sy- nechie eine vernarbte Vorderkapselperforation und ein die kleine Perforation weit überragender Yorderkapselstaar. Die Kapsel- narbe wie der Kapselstaar bestehen aus geschichteten Glashaut- lamellen mit sehr spärlichen Lflcken und Resten von Zellplat- ten in derselben. Das Kapselstaargewebe enthält femer ziem- lich viel diffus zerstreute Pigmentzellen und Häufchen freier Pigmentkömer, die offenbar von dem Irispigment herstammen, sowie auch frisch eingedmngene Eiterkörperchen. Die Perfora- tionsränder der Kapsel sind nach aussen umgeklappt und enden spitz in dem Gewebe der Kapselnarbe. Die Innenfläche des Kapselstaars ist von einer neugebildeten Glashaut bedeckt, die etwa halb so dick ist wie die alte Kapsel und auf deren in- nerer Seite eine regelmässige Lage Kapselepithel sich findet Die aufgelagerte glashäutige Schicht findet sich im ganzen Be- reich des Kapselstaares und ist auch im Bereich der Kapsel- lücke nicht unterbrochen, ein Befand, der nach der Becker- schen Auffassung des Befundes als Kapselspaltung nur schwer sich erklären Hesse, da bei einer stattgehabten Perforation alle Schichten durchtrennt sein müssten. Die Dicke der Schicht variirt übrigens, da an einzelnen seitlich von der alten Per- foration gelegenen Stellen in der Mitte die Lamelle deutlich dünner ist als am Rand. Auch ist hier der Epithelbelag kein so regelmässig einschichtiger. An den seitlichen Enden des Kapselstaars legt sich die neugebildete Schicht der alten Kap- sel an, und man kann die feine Trennungslinie noch weit- hin bis zum Linsenäquator verfolgen. Nach innen von dem Kapselstaar folgt ein Bezirk, in dem die Linsenfäsern zerfallen sind, und in dem sich viel Detritus und amorphe Eiweisssub- stanz findet. Auch einzelne Rnndzellen und eine Anzahl ge- färbter kleiner kernartiger Gebilde liegen zwischen den Lin- senfasera. Die Kemzone reicht abnorm weit nach hinten. Die jüngsten Fasern sind durch Eiweisskugeln auseinandergedrängt und bilden auffallend starke Wirbel.

Die hintere Linsenkapsel ist in zahlreiche Falten gezogen, die durch die Schrampfung und die Verdichtung des Glaskör- pers sowie durch die neugebildeten vom Ciliarkörper stammen- den Schwarten bewirkt sind. Zwischen Linsenkapsel und Lin- senkörper liegt eine Eiweissschicht.

13»

196 Dr. A. Wsgenmmitii.

Die Kerne der jüngsten Linsenfasem zeigen znm Theil die körnige Degeneration.

Von Kokken fand ich kleine Hänfdien eines mittelgro»- sen nicht kettenbildenden Kokkns im Bereich der eitrigen In- filtration des adhftrenten Leukoms. Aach zwischen den hier etwas aufgelockerten Epithelzellen konnte ich strichfdnnige Zflge derselben nachweisen. Sodann traf ich im Gewebe noch eine Anzahl Hftufchen kleiner, den Kokken vollkommen an Grösse gleichender Kügelchen an, die sich nnr sehr blass mit Methy- lenblau geftrbt and die theilweise eine yiolette Fftrbang ange- nommen hatten. Ich möchte sie für im Absterben begriffene Kokkencolonien halten. In dem an den Ciliarkörper stossen- den Eiter and in dem Glaskörpereiter konnte ich zahlreiche Kokkengrappen auffinden, wenn auch die Zahl keine sehr be- deutende war, doch vermisste ich sie fast in keinem Schnitt Sie glichen an Grösse und in der Art des Zusammenliegens denen im Leukom, wenn auch die Grösse hier mehr schwankte. Ihr Auffinden war hier erschwert, da sich in dem Abscess viel Zerfallsprodukte Ton Kernen feinden. Ich habe mich hanptr sächlich an die Randpartien des Abscesses halten mOssen, um Verwechslungen zu vermeiden.

Epikrise.

Die Verletzung, die in diesem Falle zu der eitrigen Iridocyclitis mit Glaskörperabscess Veranlassung gegeben hat, war an sich nur eine geringfügige und wäre von einem intacten Auge sicher bald überwunden, da sie nur die Cor- nea traf. Man findet an der von dem Drahtstückchen be- troffenen Stelle des vernarbten peripheren Irisvorfalls eine circumscripte eitrige Infiltration. Das Epithel ist nur an einer Stelle etwas aufgelockert, sonst überall vorbanden. Der kleine oberflächliche Eiterherd ist anscheinend in Heilang begriffen und der Kokkenbefund hier selbst nur ein spärlicher. Zu einer eigentlichen Ulceration war es gar nicht gekommen. Da von dem Drahtstückchen die dünnste Stelle der Narbe betroffen wurde, so war hier offen- bar eine Fistel die Folge. Entweder sind nun die Infec- tionsträger gleich bei der Verletzung in die hintere Kam-

lieber Ton Operationsnarben etc. aasgehende Glaskörpereitemng. 197

mer gebracht oder sie sind von dem oberflächlichen Infeo- tionsherd aus durch die fistelnde Narbe erst später in die Tiefe gedrungen. Dass hier keine fulminante Eiterung auf- getreten ist, sondern mehr das Bild der subacuten eitrigen Entzündung, mag seinen Grund darin haben, dass nur we- nig entwickelungsfähiges Kokkenmaterial in die Tiefe ge- drungen und vor allem wohl darin, dass der vordere Theil des Glaskörpers stark verdichtet und damit der Nährboden für Mikroorganismen ein schlechter war. Die eitrige Ent- zündung betraf hauptsächlich den Giliarkörper und die Re- tina, die Aderhaut war wegen der von früher her obwal- tenden V^hältnisse ziemlich frei geblieben von eitriger Infiltration.

Eine Reihe der besdiriebenen Veränderungen dieses Auges sind alten Datums und als Folgezustände der frühe- ren Entzündung in der Kindheit anzusehen. So ist die ausgedehnte Glaskörperablösung Folge der Verdichtung und Schrumpfung des vorderen Glaskörperabschnitts. Die mit der Hyaloidea, die sich hier als deutliche Grenzmembrau darstellt, zusammenhängende und in den Glaskörper aus- strahlende Glaskörperbänder und -fasern sind überaus deut- lich ausgebildet.

Als Folge der Schrumpfung des an der Hinterfläche der Linse gelegenen Schwartengewebes haben wir eine hoch- gradige Ablösung des ganzen Ciliarkörpers und des vorderen Theils der Aderhaut vor uns, sowie eine ganz erhebliche Faltung der hinteren Linsenkapsel. Der äussere Rand des Ciliarmuskels hat sich um 90^ nach innen gedreht und hängt nur noch mit einer schmalen Brücke am Gomeoscle- ralbord. Sodann ist die Netzhautablösung alten Datums. Höchst auffallend ist der Befund, dass der hinter dem ab- gelösten Glaskörper befindliche Bulbusraum quer durchzogen wird durch eine neugebildete, gefassführende Membran, die sich ringsum an eine vorspringende Falte der Netzhaut ansetzt und nach vom in eine ebensolche Wucherung auf

198 I>r- A. Wagenmann.

der Innenfläche der Retina übergeht Die Entstehung die- ser Membran ist wohl nur so zu erklären, dass früher die ganze Innenfläche der Retina von einer Wucherungsschicht bedeckt war, welche später durch Umwandlung in Binde- gewebe schrumpfte, und sich dadurch im hinteren Abschnitt von der Innenfläche der Retina loslöste bis an den Punkt, wo sie noch jetzt fixirt ist. Nur auf der Papille ist noch ein Rest zurückgeblieben, der jetzt als Kegel nach innen vorspringt. Die anatomischen Bilder sprechen ganz ent- schieden dafür, dass die seichte Netzhautablösung erst durch weitere Schrumpfung dieser Membran entstanden ist, da gerade der Fusspunkt derselben die am weitesten vorsprin- gende Netzhautfalte darstellt. Interessant wäre es gewesen, diese Verhältnisse ophthalmoskopisch zu untersuchen.

Nach dem Befund muss die Behauptung des Patienten, noch etwas mit dem Auge vor der Verletzung gesehen zu haben, als höchst unwahrscheinlich augesehen werden.

Fall XII.

Eitrige Glaskörperinfiltration nach

Partialstaphylom.

Lina Pabst aus Wallrode, 16 Jahre.

L. altes Partialstaphylom der Cornea im äusseren Abschnitt. Iridectomie nach unten innen am 6. Juli 1887 mittel- breites Colobom. Nach der Iridectomie war das Auge eine Zeit lang hypotonisch, bald nachher aber setzte wieder Druck- steigerung und Vortreibung ein. Das Sehvermögen entsprechend: Vio^ ophthalmosk. keine Excavation. Nach ausgiebiger Punk- tion des Staphyloms am 9. November 1887 und nach erneuter Iridectomie nach unten am 9. Dezember 1887 wurde geringe Abflachung des Staphyloms erzielt.

26. Juni 1888. Patientin kommt heute wieder wegen einer frischen Entzündung, die seit drei Tagen besteht

Status praesens. Starke Conjunctivalinjection und Che- mosis. Grosses Partialstaphylom der Cornea, das fast die Hälfte der Oberfläche einnimmt und nach aussen und oben bis zum Rande sich erstreckt. In der Nähe des oberen Randes eine

Ueber Ton Operationsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiterung. 199

kleine frische Ulceration. Uebrige Cornea ziemlich stark ge- trübt, vordere Kammer fast ganz aufgehoben. In dem nach innen unten undeutlich sichtbaren Colobom kommt ein gelb- licher Reflex zu Tage, der von eitriger Glaskörperinfiltration herzurühren scheint, allenfalls auch auf Trübung der tiefen Linsenschichten bezogen werden kann. Augendruck erhöht. Lichtschein gut, Projection ungenügend.

Die eitrige Stelle des Staphyloms wird in Chloroformnar- cose sehr ausgiebig und tief mit dem Pacquelin gebrannt; man kommt in der Tiefe auf pigmentirtes Irisgewebe und es dauert ziemlich lange, bis die hintere Kammer eröffnet ist. Es fliesst dabei nur wenig klares, jedenfalls nicht erheblich getrübtes Kammerwasser ab, worauf die Oeffnung mit der Scheere noch etwas nach unten erweitert wird. Auch jetzt kommt kein Eiter zum Vorschein.

29. Juni 1888. Der Eingriff gut ertragen. Staphylom stark vorgetrieben. Die gebrannte Stelle von Fibrin bedeckt. Der untere Theil der Cornea reichlich vascularisirt Der gelb- liche Schein im Bereich des Coloboms unverändert. Augendruck normal. Bisher keine Schmerzen, aber Lichtschein und Pro- jection ungenügend.

30. Juni 1888. Der gelbliche Schein im Colobom stärker. Während der Nacht Schmerzen. Eitrige Glaskörperinfiltration mit Bestimmtheit anzunehmen.

30. Juni 1888. L. Enuclcatio bulbi. Als nach Durch- schneidung der Conjunctiva bulbi der Rectus internus teno- tomirt werden soll, erweist sich die Sclera innig der Tenon- schen Kapsel adhärent. Es muss desshalb die Sclera Schritt für Schritt mit der Scheere lospräparirt werden. Nachdem der Bulbus so möglichst herausgeschält ist, wird die Enucleations- scheere eingeführt. Im Moment des Durchschneidens platzt das Staphylom und es spritzt flüssiger Eiter heraus, von dem aber nichts in die Tiefe der Wunde gelangt. Der Bulbus col- labirt. Beim Durchschneiden des Sehnerven wird der Bulbus gefenstert. Die Papille wird nachträglich sammt einem Stück vom Opticus herausgeholt. Heilung normal.

Von dem Eiter, der beim Platzen des Bulbus herausspritzt, werden sofort mehrere Deckglastrockenpräparate angefertigt und auf Kokken untersucht. Es fanden sich in allen Präpa- raten massenhafte Kokkencolonien, die Individuen in denselben meist deutlich zu zweien gelagert.

200 Dr. A. Wagenmann.

Der in MüUer'sche Flüssigkeit gehärtete Balbns wird im verticalen Meridian aufgeschnitten, so dass der Schnitt nach innen von dem Staphylom fällt

An dem Durchschnitt constatirt man folgendes:

Cornea verdickt. Kammer seicht, voll Eiter. Unten be* steht ein Golobom. Die Gegend der Iridectomienarbe eitrig infiltrirt, die Cornea wird hier von vom nach hinten von einem Eiterstreif durchzogen. Die Iris stark verdickt. Die Linse hängt mit der Iris zusammen, sie ist auffallend flach. Der Glaskörper ist vollkommen gleichmässig eitrig infiltrirt Da der Bulbus hinten gefenstert und ein Theil Glaskörper verloren gegangen ist, so füllt dieser die Bulbuskapsel hinten nicht voll* ständig aus. Chorioidea stark verdickt

Die äussere Bulbushälfte wird in Celloidin eingebettet und geschnitten.

An der Schnittreihe lässt sich makroskopisch schon fol« gendes erkennen :

In die eitrig infiltrirte und an einer Stelle oberflächlich ulcerirte, von vorn nach hinten stark verdickte Iridectomie- narbe ist Iris eingeklemmt. Es lässt sich von der Narbe aus ein Eiterstreif continuirlich nach hinten an der Linse vorbei in den Glaskörper verfolgen. Auch das Colobom ist von Eiter ausgeftOlt In der oberen Bulbushälfte wird, je mehr man in der Schnittreihe nach der temporalen Seite kommt, die vordere Kammer seichter, und es beginnt eine centralgelegene Ver- wachsung der Iris mit der verdickten Cornea. Diese vordere Synechie wird nach aussen immer breiter, die Iris nähert sich immer mehr der Oberfläche. Die Linse ist sehr flach und im oberen Aequator mit der Iris verwachsen. Das adhärente Len- kern wird nach der temporalen Bulbusseite hin immer breiter, dünner und ectatisch. Die hintere Kammer dem entspre- chend stark vertieft, mit Eiter ausgefüllt, der nach unten mit dem eitrigen Exsudat im Colobom zusammenhängt

An der dünnsten Stelle des Staphyloms findet sich in der Mittellinie ein oberflächliches Ulcus mit eitrigem Grund. Ein weiterer Defoct beginnt temporalwärts dicht an der oberen Corneoscleralgrenze, der dann weiter nach aussen in eine im- mer breiter werdende Perforation, die der Brennstelle ent- spricht, übergeht. Die Iris ist am oberen Perforationsrand nach aussen umgeschlagen. Das 1 mm breite Loch ist ausge- füllt von einem dicken Eiterstreif, der sich durch die hintere Kammer an der Linse vorbei in den Glaskörper fortsetzt Offen-

Ueber Yon Operationsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiterung. 201

bar iflt beim Platzen des Bulbus iv&hrend der Enucleation hier vereiterter Glaskörper ausgetreten. Dio Linse nimmt in dieser Gegend rasch an seitlicher Ausdehnung ab und ist durch breite Eitermassen vom CUiarkörper getrennt. Der Glaskörper ist überall dicht eitrig infiltrirt

Mikroskopische Beschreibung:

Conjunctiva samt Limbus enorm verdickt, eitrig infil- trirt und stark hyperftmisch. An der äusseren Oberfläche der eitrig infiltrirten Iridectomienarbe findet sich die erwähnte frische Ulceration mit necrotischem und eitrigem Grunde. Die Eiterung und Necrose setzen sich durch die Narbe fort und es zieht ein stark eitriges Exsudat von der Narbe direct in die Tiefe ins Colobom und an der Linse vorbei in den Glas- körper.

Soweit die Cornea erhalten ist, ist sie verschieden hoch- gradig infiltrirt und von Gewissen durchzogen. Ziemlich im Homhautcentrnm ist der alte Riss der Descemet'schen Mem- bran und der vernarbte Irisprolaps zu erkennen. Bedeckt ist der Prohips von einer dicken Epithelschicht. Au einer Stelle findet sich hier ein circumscriptes Ulcus mit stark infiltrirtem Grunde. Nach oben von dem Prolaps folgt eine seichte vordere Kammer, die nach der temporalen Bulbusseite zu immer seich- ter wird.

An Schnitten, die durch die obengenannte Gegend gefal- len sind, ist die Iris, soweit sie nicht in die Cornea eingelagert ist, enorm verdickt, eitrig infiltrirt, stark pigmentirt. Der Kam- merwinkel ist verklebt. Die Hinterfläche der Iris ist, so weit die Iris nicht ins Staphylom aufgegangen ist, mit der vorderen Linsenkapsel durch ein organisirtes Exsudat verwachsen, in dem jetzt Eiterkörperchen eingewandert sind. Hier findet sich anch an einer Stelle eine kleine, alte, verheilte Linsenkapsel- Perforation mit Bildung eines im Durchschnitt spindelförmigen Kapselstaars. Die Kapselnarbe, sowie der kleine Kapselstaar bestehen aus geschichteter glashäutiger Substanz, zwischen die jetzt Eiterkörperchen reihenweise eingewandert sind. Dieser eitrig infiltrirte Kapselstaar giebt ein zierliches Bild.

Die vordere und hintere Linsenkapsel sind mehrfach ge- faltet, zwischen den Linsenfasem- liegen weit zerstreut Gruppen von Eiterkörperchen. An der hinteren Linseukapsel findet sich nahe am unteren Linsenäquator eine circumscripte frische Per- foration der Kapsel, durch den eitrigen Process erzeugt. Die Kapselenden sind nach aussen umgerollt und klaffen mäs-

202 I>r. A. Wagenmaun.

Big breit. Die Linsenfasern sind von der Kapsel durch Ei- Weisssubstanz abgedrängt. Ein das Kapselloch ausfallender Ei- terstreif ist im Begriff in die Linse einzudringen. Ich komme auf diese Stelle bei dem Kokkenbefund noch zurück. Die Kerne der Linsenfasern sind auffallend länglich und zeigen sehr deutlich die mehrfach erwähnte Körnung (Taf. Y, Fig. 5 ahed).

An Schnitten, die eine Strecke weiter nach aussen von der eben erwähnten Stelle entnommen sind, erkennt man dann die breite Bulbusperforation, die nahe dem oberen Comealrand gelegen ist. Der obere Perforationsrand wird von eitrig infil- trirter Cornea gebildet, um die der Irisstumpf sich nach aus- sen geschlagen hat; der untere Rand wird von infiltrirtem Nar- bengewebe des Irisprolapses gebildet. In dem in das weite Loch eingelagerten eitrigen Exsudat findet sich Pigment, viel fädiges Fibrin und Linsenfragmente. Es ist nämlich die vor- dere Linsenkapsel an dieser Stelle weit perforirt und mehr- fach gefetzt Durch das Kapselloch ist Linsensubstanz aus- getreten; die Kapsel ist daher mehrfach gefaltet. Die Riss- enden der Kapsel sind scharf. Auch die hintere Linsenkapsel ist hier durchbrochen, und der eitrig infiltrirte Glaskörper ist in die Linse, die hier stark zerfallen ist, vorgedrungen. Von hier aus sind zahlreiche kleinere und grössere Häuf- chen von Eiterkörperchen zwischen die Linsenfasern nach allen Seiten vorgedrungen. Die Linse hat eine sehr flache Form und besonders in der Gegend des Aequators haben sich die vordere und hintere Kapsel stark genähert. Die äquatorialen Kapselzellen sind gewuchert.

An Schnitten, die noch weiter nach dem temporalen Hom- hautrand zu entnommen sind, hat die Linse an Umfang rasch abgenommen und es drängt nun der eitrige infiltrirte Glaskör- per in einem breiten Streif zu der Perforationsstelle. Man erkennt hier in dem in der Perforationsstelle liegenden Eiter Reste von Glaskörper- und Zonulafasem, zwischen denen die Eiterkörperchen reihenförmig eingelagert sind.

Die übrigen Theile des Auges befinden sich sämmtlich in einem mehr oder weniger hohen Grad eitriger Entzündung.

Der Giliarkörper ist hyperämisch und nur massig stark infiltrirt; die Ciliarfortsätze sind nach vorn gezogen, der Ciliar- muskel etwas zellreicher als normal. Der Innenseite des Ciliar- körpers ist ein breites Fibrinnetz eingelagert, das nur wenig Eiterkörperchen einschliesst.

Während also die eitrige Infiltration des Ciliarkörpers

lieber von Operatioosnarben etc. ausgehende Olaskörpereiterung. 203

relativ gering ist, findet sich in der Pars cilians eine starke Infiltration mit reichlicher Wucherung der Pigmentzellen. Die Snprachorioidea ist stark ödematös aufgelockert, von fädi- gem Fibrin durchsetzt.

Die Aderhaut ist fast durchweg enorm verdickt und eitrig infiltrirt. Ihre GefUsse sind überall stark erweitert und mit Blut vollgepfropft, zum Theil erreichen sie ein kolossales Caliber. Auch Blutextravasate fehlen nicht. In dem hinteren Bulbusabschnitt und hier besonders auf der inneren Seite hat die eitrige Infiltration einen sehr hohen Grad erreicht. Die Eitermassen bilden zum Theil buckelförmige Hervortreibungen der Basalmembran. Zahlreiche Eiterstreifen haben die Glas- haut durchbrochen und ziehen ins Bulbnsinnere.

Das Retinalpigment ist durch das eitrige Exsudat viel- fach abgehoben nnd durchbrochen. Die Zellen sind zum Theil in Degeneration begriffen, zum Theil gewuchert und haben verschiedene Formen angenommen. Einzelne Zellen haben lange Fortsätze, andere sind pyramidenförmig ausgezogen.

Die Retina ist durchweg stark infiltrirt und in eitriger Schmelzung begriffen. Nur an wenigen minder hochgradig ver- änderten Stellen sind die Schichten noch einigermaassen er- halten. Dagegen ist sie an den Stellen, die den hochgradig- sten Aderhautveränderungen entsprechen, in vollständigem Zer- fall begriffen und vielfach durch Eiter seicht abgelöst.

Der Opticus ist enorm stark infiltrirt, sowohl in der Nervensubstanz, wie in seinen Scheiden. Die Gefässe im Op- ticus sind von breiten Eiterstreifen begleitet, die den Geftss- scheiden angehören. Auch die Sclera ist massig stark infiltrirt Die Gefässscheiden der durchtretenden Ciliargefässe sind eitrig infiltrirt. Besonders ausgesprochen ist die eitrige Infiltration der Scheiden der Venae vorticosae; die enorm hyperämischen Venen sind von einem dichten Eiterring umgeben. Bemerkens- werth ist, dass die Zahl der weissen Blutkörperchen in diesen Venae vorticosae beträchtlich zugenommen hat. Innerhalb der Gefässe sieht man auf dem Durchschnitt kleinere und grössere Gruppen von Eiterkörperchen zwischen den rothen Blutkörper- chen liegen, zum Theil der Gefösswand benachbart.

Der Glaskörper ist fast ganz gleichmässig in eine Eiter- masse verwandelt. Nur an vereinzelten Stellen und zwar be- sonders in der nächsten Umgebung des Giliarkörpers finden sich fibrinöse Netze. Auch einzelne haeroorrhagische Herde sind anzutreffen. An einzelnen Stellen sieht man zwischen den Ei-

204 ^- A. Wagenmano.

terkörperchen, deren Kerne schlecht gefilrbt sind, amorphes Eiweiss.

Aach in diesem Fall kann man eine von der Ora serrata anhebende, peripher gelegene reihenf5rmige Anordnung der Eiterkörperchen constatiren. Zwischen den Reihen sieht man Glaskörperfiasem.

Auch hinter der Linse trifft man reihenförmige Zflge von Eiterkörperchen an, deren Anordnung zum Theil durch Glas- körperfasem, zum Theil durch Zonulafasem bedingt ist

Der Heftigkeit der Entzflndung entsprechend ist auch der Befund der Mikroorganismen ein massenhafter.

Es finden sich massenhafte Kokkenhaufen in der Ulcera- tion der Iridectomienarbe. Von dort lassen sie sich in grossen Zflgen quer durch die eitrig infiltrirte und zum Theil necro- tische Narbe bis in das Exsudat in der vorderen Kammer ver- folgen. Auf der vorderen Linsenkapsel habe ich zahlreiche Gruppen von Kokken gefunden und weiter an der Linse vor- bei in den Glaskörper verfolgt Weitere Kokkenhaufen sind gelegen auf der centralen Ulceration des Staphyloms. Sie sind auch hier in das Gewebe hineingedrnngen. AucJi in dem Eiter, der die Perforationsöffnung ausfüllt, sind dieselben Kokken an- zutreffen.

Höchst beachtenswerth ist die Verbreitung und das Verhal- ten der Kokken in dem Gornealepithel (Taf. V, Fig. 6). Die Kokken durchsetzen in schmalen reihenförmigen Zügen das Epithel auf weite Strecken, indem sie sich zwischen die Epi- thelzellen in den intercellularen Lacken vorgeschoben haben. Und zwar findet man diese Zage nicht nur im Plattenepithel, sondern besonders schön auch im Cylinderepithel. Die Zellen sind vollständig umsäumt von Kokken. Zwischen den Fusa- Zellen liegen sie auf der Bowman'schen Membran zu kleinen Haufen, sonst haben sie die Lücken zwischen zwei Zellen als schmale Züge ausgefüllt (Tafel V, Fig. 6). Es giebt dieses Umwuchertsein der Zellen von regehnässigen Kokkenzügen dem Epithel ein höchst zierliches Aussehen. Die Zellkerne sind schwach gefärbt An anderen Stellen ist das Epithel gelockert und im Abstossen begriffen. Dort sind dieselben vollständig übersät mit Kokken. Diese Durchwucherung des Epithels mit mokken hat eine grosse Ausdehnung gewonnen. Denn bis auf Kehrere mm von dem Ulcus entfernt findet man im sonst nor- malen Epithel solche Kokkenzüge.

Im Glaskörper finden sich massenhafte Kokkencolonien,

Ueber yod Operationsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiterung. 205

die zum Theil in langen zasammenhängenden Zttgen in die Tiefe dringen, zum Theil mehr diffus zwischen den £iterkör- perchen gelagert sind. Andere Stellen des Glaskörpers sind wieder frei Ton Kokken; so werden sie in der nächsten Um- gebung des Ciliarkörpers, soweit das Fibrin reicht, vermisst. In der Tiefe des Glaskörpers kann man Kbkkenzttge bis zur Retina verfolgen. Sie haben vieUkch die in eitriger Schmel- zung begriffiene Retina dnrchwuchert und sind in das subre- tinale Exsudat vorgedrungen. Hier trifft man sie vielüach zwi- schen den Pigmentzellen an und weiterhin auf und in der Chorioidea. Gerade an den Stellen, wo die eitrige Chorioiditis ganz besonders hochgradig ist, wo ganze Eiterzüge von der Chorioidea ausgehen und das Pigmentepithel durchbrechen, findet man grössere Haufen Kokken auf und in der Aderhaut. Sie liegen frei im Gewebe und nirgends in Gefässen, so dass embolische Processe mit Sicherheit ausgeschlossen werden können.

In der Linse habe ich Kokken einmal zwischen den von aussen eingewanderten Eiterhäufchen gefunden. Sodann habe ich zwischen den Linsenfasern kleine rundliche und ovale blä»- chenartige Gebilde gefunden mit scheinbarer Umhüllungsmem- bran, in denen kleine Häufchen von Kokken und kurzen Stäb- chen beisammenlagen (Taf. Y, Fig. 7 0, h) Kerne konnte ich in den Bläschen nicht finden. Wahrscheinlich sind es Lacken zwischen den Linsenfasern, in denen die Mikroorganismen selb- ständig weiter gewuchert sind. Beachtenswerth ist der Befund an der spontanen Liusenperforation. Dort finden sich am wei- testen nach den Linsenfasern zu in dem amorphen Eiweiss ganz massenhafte Kokkencolonien. In einiger Entfernung nach aus- sen davon liegen die durch das Loch der Kapsel eindringen- den Eitermassen.

Der Form nach haben wir hier kleine, meist zu zweien liegende, grosse Colonien bildende Kokken vor uns, die ganz denen entsprechen, die ich sofort nach der Eneduation in den Deckglastrockenpräparaten gefunden habe. Die Grösse schwankt nur an einzelnen Stellen, sonst sind sie ziemlich gleich gross. Sie haben keine Neigung zur Kettenbildung. Vielfach fand ich zwischen den Kokken kleine Stäbchen vor.

Epikrise.

Wir haben es zu thun mit einem Auge, das in Folge früherer Perforation mit Irisprolaps nach aussen ein Par-

206 Dr. A. Wagenmann.

iialstaphylom dayontxug. Ohne nachweisbare Ursache wurde das Auge von einer frischen nach wenigen Tagen zur Pan- ophthalmitis fuhrenden eitrigen Entzündung befallen. Kli- nisch konnte man auf dem Staphylom nahe am oberen Rand eine kleine eitrige Ulceration bemerken. Bei der Trübung der übrigen Cornea konnte nicht sicher beurtheilt werden» ob der Process schon auf den Glaskörper übergegangen sei. Da der Lichtschein von der Patientin noch gut ange- geben war, so wurde der Versuch gemacht, die Eingangs- pforte der Infection gründlichst durch Brennen mit dem Pacquelin zu zerstören. Waren die Mikroorganismen noch nicht in die Tiefe gedrungen, so konnte es nur so gelingen, den Bulbus zu retten. Doch zeigte es sich in den folgen- den Tagen, dass die Eiterung schon die Tiefe ergriffen hatte.

Der anatomische Befund hat dadurch gelitten, dass diu Verhältnisse durch den therapeutischen Eingriff yerän- dert sind, und dass bei der Operation der Bulbus vom ge- platzt und hinten gefenstert ist. Wie die Verhältnisse bei dem Beginn der Erkrankung gelegen und auf welchem Wege die Infection zu Stande gekommen ist, kann anatomisch nicht sicher mehr einwiesen werden. Jetzt findet sich eine breite Perforation des Staphyloms, die mit eitrigem Exsu- dat ausgefüllt ist Es ist dieses die Stelle, an der klinisch ein rundliches Ulcus constatirt war. Durch das Brennen und das Platzen des Bulbus an dieser Stelle entstand die breite Perforation. Das in der Oeffiiung liegende Exsudat ist eitriger Glaskörper. Auch die Linse ist an dieser Stelle durch das Eingehen mit dem Pacquelin von vorn nach hinten perforirt Nach dem klinischen Befund ist diese Stelle als der Infectionsherd anzusehen.

Doch wäre auch noch eine andere Möglichkeit als die Infectionsquelle vorhanden. Wir finden nämlich auch in der alten Iridectomienarbe, in der die Iris eingeheilt ist, einen selbstständigen Infectionsherd. Von einer oberfläch-

Ueber von OperatioDBDarbeii etc. ausgehende Glaskörpereiterung. 207

liehen Ulceration aus ist die ganze Narbe stark eitrig in- filtrirt und die eitrige Exsudation setzt sich unmittelbar auf das Golobom und auf den Glaskörper fort. Von dem Geschwür der Narbe aus lässt sich ein dichter Kokkenzug bis in den Glaskörper verfolgen. Da die Linse mit dem oberen Giliaransatz der Iris durch eine breite hintere Sy- nechie fest verwachsen ist, so besteht unten zwischen Ci- liarkörper und Linsenrand ein breiter Zwischenraum; die Linse war etwas nach oben verschoben. Wenn also durch die Iridectomienarbe Kokken ins Augeninnere gelangten, und man kann sie da überall verfolgen, so war die Ge- legenheit zu Glaskörperinfection äusserst günstig.

Also entweder hat die Ulceration des Staphyloms und das ist das wahrscheinlichere oder der eitrige Pro- cess an der Lridectomienarbe die Ursache der tiefen Infec- tion abgegeben. Für beide Stellen war das Uebergehen auf die Tiefe begünstigt, da der Glaskörper schutzlos preis- gegeben war.

Die von aussen in den Glaskörper gelangten Kokken haben sich enorm rasch nach hinten in denselben verbrei- tet und haben bei ihrem infectiösen Charakter innerhalb weniger Tage eine hochgradige eitrige Entzündung fast aller Theile des Auges herbeigeführt. Die relativ geringe Cy- clitis purulenta erklärt sich wohl so, dass die Kokken haupt- sächlich in die Tiefe des Glaskörpers gewuchert und so dem vorderen Gefassgebiet entzogen sind. Der Glaskörper- eiter ist zum allergrössten Theil sicher von der Aderhaut und der Retina geliefert. Beide sind enorm stark afficirt dagegen ist der Ciliarkörper von Fibrin bedeckt. Dass die Patientin anfangs noch guten Lichtschein gehabt haben will, ist sicher unrichtig, da die Retina so vollkommen destruirt ist. Die Patientin hat offenbar durch Rathen getäuscht. Bekanntlich ist ja die Lichtscheinprüfung ein sehr feines Erkennungsmittel tiefer Eiterung.

Von den vorhandenen Linsenkapselperforationen ist die

208 ^r. A. Wagenmann.

eine alt und durch eine Kapselnarbe gescUosflen. Die bei- den Perforationen am oberen äusseren Linsenrand, g^^* über der breiten Bulbusperforation sind durch das Jk^nnen mit dem Pacquelin entstanden. Die Spitze wurde, um den localen Herd zu zerstören, tief in das Staphylom eingeführt. Die vierte Perforation nahe am unteren Rand der hinteren Kapsel, dem medialen Rand der Iridectomienarbe entspre- chend, ist offenbar durch die Eiterung entstanden.

Besondere Beachtung verdient noch der Befand, dass die Epithelzellen der Cornea auf grosse Strecken von den Kokken vollkommen umwachsen sind. Die Kokken haben sich an die intercellularen Lücken gehalten, die sie ssnm Theil vollkommen ausfüllen. Auf mehrere Millimeter Ent- fernung von der Ulccration findet man noch Kokken zwi- schen dem Epithel.

Dieser Befund hat auch allgemeines Interesse, da an- zunehmen ist, dass ähnliches bei schweren infectiösen Hom- hautprocessen auch sonst vorkommen kann. Vielleicht er^ klärt sich so bei Homhautulceration das Weiterkriechen des Processes und die Reinfection von Geschwüren in Fäl- len, bei denen durch energisches Brennen der locale Infeo- tionsherd zerstört scheint. Wenn die Kokken auf grössere Entfernungen im Epithel fortzukriechen vermögen, so ist es in solchen Fällen fast unmöglich, alle Mikroorganismen durch therapeutische Eingriffe zn vernichten.

Fall XIII (Taf. IV, Fig. 4).

PanOphthalmitis incipicns nach peripherer vorderer Synechie.

Frau Friederike Cassel aus Nordstemmen, 35 Jahre.

Patientin litt im Alter von acht Jahren an lang dauern* der Entzündung des linken Auges, in Folge deren ein Fleck zarückblieb. Sie konnte nur grössere Gegenstände mit dem Auge erkennen. Vor vierzehn Tagen trat eine frische Ent- zündung auf ohne sicher bekannte Veranlassung, die rasch das

lieber von Operationsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiterang. 209

Sehvermögen vernichtete. Möglicherweise habe beim Rflbenans- roden eine geringfügige Verletzung stattgefunden.

10. November 1885. Status praesens. Eitrige Irido- cyclitis, von einem alten vernarbten Irisvorfall am innem Hom- hautrand ausgehend. Der Irisvorfall ist ohne merkliche Pro- minenz mit Verziehnng der Pupille nach innen geheilt Vordere Kammer seicht, die Iris grün verfärbt, von einer dünnen Ex- Budatschicht bedeckt. Die Pupille ist durch ein Exsudat voll- kommen verschlossen. Kammerwasser getrübt. Die Stelle des alten Irisvorfalls ist etwas infiltrirt und oberflächlich ein wenig ulcerirt. Am unteren Homhautrand findet sich eine frische Phlyctäne. Augendruck normal. Lichtschein fast ganz auf- gehoben.

Therapie: Ungt. Jodof. Warme Umschläge.

Der Prozess nahm rasch zu, so dass nach wenigen Tagen das Bild einer beginnenden Panophthalmitis sich entwickelte. Nachts hatte Patientin heftige Schmerzen.

17. November 1885. Chemosis, Lidschwellung. Die Ver- hältnisse an der Cornea haben sich wenig verändert, nur hat sich das kleine phlyctänuläre Geschwür am unteren Homhaut- rand vascularisirt. Absolute Amaurose.

Enucleatio bulbi. Die Tenon'sche Kapsel ist schon derb infiltrirt. Beim Durchtrennen der Extemussehne entleert sich etwas dünnflüssiger Eiter, obwohl die Sclera nicht ange- schnitten sein konnte. Es wird deshalb von der weiteren Durchschneidung der Sehne Abstand genommen. Vielmehr wird die Tenon'sche Kapsel am Bulbus gelassen und hinter ihr das Gewebe durchtrennt, worauf die Opticusdurchschneidung glatt gelingt. Während der weiteren Operation entleert sich weiter kein Eiter.

Die Untersuchung des frischen Bulbus lässt hinter der Insertion des Rectus extornus eine kleine, von stark verdünnter Sclera umgebene rundliche Oeffnung erkennen, aus der auf leichten Druck sich noch etwas Eiter aus dem Bulbusinnern entleert.

Es wird sofort auf drei Agarröhrchen geimpft, und es werden mit etwas Secret zwei Dcckglastrockenpräparate ange- fertigt.

22. November 1885. Der Impfversuch hat nur auf zwei von den drei Röhrchen umschriebene Culturen von Staphy- lococcus albus geliefert.

Die mikroskopische Untersuchung der frischen, gefärbten

V. (iraefe's Archiy für Ophthalmologie. XXXV. 4. 14

210 ^' A. Wagennumn.

PräjMirate ergtebt zmnftchst an einem derselben eine ziemlkA spärliche Menge Yon Doppelkokken von mittlerer Grösse, ein- mal auch zu vieren zusammen liegend. Ihr Durchmesser be- trägt ca. 0,68 (i. Daneben kommen noch Colonien kleinerer Kokken vor, die schlecht gefärbt sind. An dem anderen Prä- parat finden sich viel zahlreichere Gruppen kleinerer Kok- ken, während die oben erwähnten grösseren in derselben spär- lichen Menge vorkommen. Die kleinen Kokken finden sich in Gruppen bis zu 50 beisammen von etwas verschiedener Grösse und mit Andeutung von Theilungen. Die durchschnittliche Grösse beträgt Ofifd, In beiden Präparaten finden sich noch Btäbchenartige Gebilde in geringer Menge, von denen ein Theil sich bei stärkster Yergrösserung in Kokkenketten auflösen läset.

Das Auge wird im verticalen Meridian aufgeschnitten und in Celloidin eingebettet Die beiden Hälften werden dann noch durch einen Horizontalschnitt in je ein oberes und unteres Viertel getheilt.

Sectionsbefund. An der inneren Bulbushälfte erkennt man am medialen Hornhautrand ein oberflächliches, ulcerirtea, nicht prominirendes Leukom.

An dem verticalen Durchschnitt ist Folgendes zu be- merken: In der massig tiefen vorderen Kammer liegt ein Rest von Exsudat. Cornea hier normal.

Der Glaskörper ist stark eitrig infiltrirt, besonders didit sein unterer Theil. Die Hinterfläche der Linse ist von einer gleichmässigen Eiterschicht bedeckt. In der oberen Bulbus- hälfte strahlen vielfache verschieden breite und zum Theil zu- sammenhängende Eiterstreifen in die Tiefe, von noch ziemlieh durchsichtiger Glaskörpersubstanz geschieden. In der unteren Bulbushälfte sind sie dagegen zu einer compacten Eitermasae verschmolzen, die bis zur Papille reicht. Daselbst scheint auch der Glaskörper durch eitriges Exsudat seicht abgelöst zu sein.

Die Iris, Ciliarkörper, Chorioidea massig verdickt Die Retina ist im hinteren Bulbusabschnitt ganz enorm ver^ dickt und von röthlichen Streifen durchsetzt. Der Horizontal- durchschnitt der medialen Bulbushälfte trifft den Anfang des adhärenten Leukoms.

Man erkennt schon makroskopisch an der angelegten Schnitt- reihe Folgendes: Das adhärente Leukom ist peripher gelegen. Der Pupillarrand löst sich von der Cornea ab und zieht zur Linse hinüber. Die vordere Kammer ist massig tief. Etwa 3 mm von der Comeoscleralgrenze entfernt liegt die alte Per-

Ueber Yon Operationsnarben etc. ausgehende Qlaskörpereiterung. 211

foraüonsstelle der Cornea, in die die Iris bis ^Eist zur Ober- fläche eingeheilt ist. An dem Pigmentstreifen kann man die Lage der Iris verfolgen. Die Perforationsstelle war nicht sehr breit Die Stelle ist jetzt eitrig infiltrirt Es setzt sich ein Exsndatstreifen als gelblicher Zapfen in die Hinterkammer fort, und von dort lässt sich ein zwischen verdickter Iris und Linse gelegener Eiterstreifen um den Linsenäquator in den Glaskör- per verfolgen. Dieses Exsudat der Hinterkammer ist von der vorderen Kammer getrennt durch den von der Perforations- stelle nach der Linse ziehenden Irisschenkel. Die Linse scheint ein wenig nach dem Leukom zu gehoben zu sein. Auf der Spitze des nicht ectatischen Leukoms findet sich eine kleine Einsenkung, ein grösserer Substanzverlnst lässt sich an dem Durchschnitt nicht nachweisen.

Mikroskopischer Befund (Taf IV, Fig. 4).

Die Perforationsstelle der Cornea ist kenntlich durch die unterbrochene und an den Enden stark gefaltete Desce- met'sche Membran. Die Cornea verdünnt sich an der Stelle der Perforation rasch. Das narbig veränderte und mit der Cornea verschmolzene Irisgewebe ist stark verändert, von un- regelmässigen Pigmentwucherungen durchsetzt, reichlich vascu- larisirt und nach aussen nur noch bedeckt von einer dttnnen Schicht eines jetzt aufgelockerten Narbengewebes. Die narbige Veränderung der Corneagrundsubstanz setzt sich noch eine Strecke weit nach den Seiten fort. Man findet noch viel Ge- fässe in der Substanz der Hornhaut. Die vordere Synechie ist stark pigmentirt, frisch eitrig infiltrirt und vielfach auch von Blutungen durchsetzt Die Pigmentschicht der Iris ist mehrfach unterbrochen. Das periphere Stück des medialen Irisabschnittes ist bis zur Synechie verdickt, infiltrirt, pigmentirt, mit der Hinterfläche der Cornea verklebt. Der Kammerwinkel ver- wachsen. Gerade an der dünnsten Stelle der vorderen Synechie findet sich ein kleines frisches Ulcus. Das Epithel ist zum Theil ganz defect, zum Theil besteht es nur aus einer ganz dünnen, unregelmässigen Schicht, ist aufge- lockert und von Eiterkörperchen durchsetzt Der Geschwürs- grund wird gebildet theils von freiliegendem Irisgewebe, theils von aufgelockerten, zerrissenen und theilweise necrotischen Narbengewebsfasern, die durch necrotische Massen, Blut, Eiter auseinander gedrängt sind. Diese eitrig infiltrirte Zerfallsmasse setzt sich direct in die Tiefe die hintere Kammer fort

212 Br. A. Wagenmann.

Die vordere Kammer ist durch den absteigenden Irisschenkel abgeschlossen.

t)ie Cornea ist anch seitlich von dem Geschwür überall zellreicher als normal.

Das Irisgewebe ist überall verdickt, pigmentirt und eitrig infiltrirt. Der Ranm der hinteren Kammer zwischen Iris- hinterfläche und Linse ist ausgefüllt von einem zum Theil orga- nisirten Exsudat, das jetzt reich an Fibrin ist und eitrige Infiltra- tion aufweist. Das Exsudat steht am Linsenäqnator direct im Zu- sammenhang mit dem eitrig infiltrirten Glaskörper. Der Linsen- kapsel liegt ein dichter Eiterstreifeu au^ der sich continuirlich auf die Hinterfläche verfolgen lässt Man erkennt zwischen den Eiterkörperchen noch bindegewebsähnliche Fasern, die älte- ren Ursprungs sein müssen. Auch hier trifft man neben reich- lichen Fibrinnetzen Pigmentzellen und freie Kömer vielfach an. Die Exsudation zwischen Iris und Linsenkapsel setzt sich auch nach der anderen Seite fort nach der vorderen Kammer zu. Die vordere Kammer selbst ist von eiweisshaltiger Flüssig- keit, die wenig Zellen enthält, ausgefüllt.

Am medialen Hornhautrand ist der Limbus durch Ein- lagerung feinkörniger Massen und Fibrin enorm verdickt. Das Epithel ist zum Theil defect und die Oberfläche ulcerös. Au der Oberfläche mangelt jede Kernfärbung. In der Tiefe ist Blut in das Gewebe ergossen, wohl in Folge der Enucleation, und es hat von allen Seiten her eine starke Einwanderung von Eiterkörperchen stattgefunden. Die Schichten der Grund- substanz der Cornea sind auch infiltrirt. Die Ulceration, die aus einer Phlyctäne entstanden ist, erstreckt sich vom Limbus aus auf die Conjunctiva bulbi.

Der Ciliarkörper und Ciliarmuskel sind an der der vorderen Synechie entsprechenden Stelle atrophisch, pigmentirt und Sitz einer frischen eitrigen Infiltration. Die Pars ciliaris retinae ist enorm verdickt, stark pigmentirt und eitrig infiltrirt.

Die Chorioidea ist überall massig verdickt, hyperämisch, von Blutungen stellenweise durchsetzt und verschieden dicht eitrig infiltrirt.

Das Retinalpigment ist vielfach seicht abgehoben, die Zellen sind unregelmässig gestaltet, haben zum Theil pyramiden- artige Fortsätze, sind durch Fibrin und Eiterkörperchen aus- einander gedrängt.

Die Retina selbst ist überall ziemlich hochgradig de- struirt Die Stäbchen- und Zapfenschicht in den verschieden-

Ueber von Operationsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiterung. 213

Bten Stadien des Zerfalld anzutreffen. Die Elemente der äusse- ren Körnerschicht sind stark nach hinten ausgewachsen. Breite Eiterstreifen ziehen der Retina entlang und haben Abhebungen des Glaskörpers veranlasst. Auch Fibrinmassen sind in die Retina eingelagert und ihrer Innenfläche zum Theil aufgelagert. Besonders auffallend ist eine enorme Verdickung der Retina am hinteren Augenpol, die bedingt ist durch Einlagerung einer dicken Schicht parallelfädigen Fibrins in die innerste Abthei- lung der Netzhaut, der nur wenige Eiterkörperchen beigemengt sind. Von Nervenfasern ist nichts mehr zu erkennen.

Die Papille ist enorm geschwollen, der Opticuseintritt stark infiltrirt, die Retinalgefässe hyperämisch, die Scheiden stark eitrig durchsetzt.

Die Glaskörperinfiltration ist stellenweise überaus dicht. Man erkennt meist zwischen den Eiterkörperchen noch Fibrinfäden. An weniger dicht infiltrirten Stellen liegt zwi- schen den Eiterkörperchen, die gern zu schmalen Streifen den Glaskörper durchsetzen, eiweiss- und fibrinreiche Glaskörper- Bubstanz. Der Eiter umgiebt die Hinterfläche der Linse be- sonders dicht; vorn lässt sich ein directer Zusammenhang nach- weisen zwischen Exsudat der hinteren Kammer, die ihren An- fang an der Ulceration der vorderen Synechie nimmt, und dem Glaskörper. Zwischen den Eiterkörperchen finden sich auch hier vielfach Häufchen kleiner, verschieden grosser, stark: ge- färbter Kömchen, die 'wohl aus zerfallenen Kernen stammen. Femer trifft man fettkömchenzellenähnliche grosse Zellen an. Mehrfach haben sich die Keme der Eiterkörperchen schlecht gefärbt.

Besondere Beachtung verdienen noch merkwürdige Gebilde, die sich in dem Glaskörper an verschiedenen Stellen finden. Sie treten besonders schön hervor bei Färbung mit Hämato^ xylin-Eosin, wobei sie sich blau förben und deutlich abstechen von der rothen Färbung des Fibrins und des amorphen Ei- weisses. Man sieht die Glaskörpersubstanz an Stellen, wo keine Eiterkörperchen liegen, durchzogen von schmalen Streifen, die untereinander zusammenhängen und verschiedene Figuren bilden. An einer Stelle haben sie die Form von Sternen, die nach ver- schiedenen Seiten lange Fortsätze aussenden, die mit den Fort- sätzen benachbarter Knoten zusammenhängen. Sie erinnern an knochenkörperähnliche Gebilde. Dadurch, dass die Fortsätze verschieden lang sind, liegen die Knotenpunkte näher zusammen und bilden dichtgelagerte netzähnliche Gebilde. Die Zwischen-

214 I>r* A. Wagenmann.

ränme sind aasgefüllt von Eiweisssabstanz. Die Begrenznngs- fignren sind homogen, lassen nirgends Kerne oder die Abkunft von Zellen erkennen. An anderen Stellen sind die Forts&tse länger und es werden dadurch grössere alveoläre Formen ge- bildet. Dicht daneben zeigen die Gebilde wieder eine andere Anordnung, indem sie zu langen concentrischen Schalen za«> sammen liegen, die eine membranöse Beschaffenheit vermuthen lassen. Umgeben sind diese Bildungen von Eiterkörperchen. Am Rand erkennt man deutlich, dass sie auch eine Strecke weit zwischen die Eiterkö^Derchen sich verfolgen lassen, bis sie firei enden. In dem hinteren Abschnitt des Glaskörpers bilden sie in dem von Eiterung freien Theil langgestreckte Zflge von breiteren Bändern, die ebenftdls zusammenhängen, aber keine Centren bilden. Sie sind hier deutlich fein punk- tirt Hier haben sie das Aussehen von Eisfiguren.

Noch eine Stelle bedarf kurzer Erwähnung, nämlich die Perforationsstelle des Bulbus aussen, die während der Ena- cleation bemerkt wurde. Der Glaskörper ist an dieser Stelle besonders stark infiltrirt. Die Betina ist necrotisch zerfaUen und auch in der Umgebung des Loches hochgradig eitrig in* filtrirt, ebenso ist die Aderhaut vollkommen durchbrochen. Das Retinalpigment fehlt; am Rande ist es durch Eiter mehrÜBUsh zerrissen. Die Enden der Aderhaut und Retina sind nach aussen umgeschlagen. Das Loch in der Sclera ist kleiner, als das der innem Membranen. Die Enden der Sclera sind necro- tisch, von feinkörniger Eiweisssabstanz und Fibrin durchsetzt; auch etwas Blut hat sich in die innersten Schichten ergossen. Die Enden sind verdünnt und nach innen eingeschlagen. Die Faserung der Sclera hat an Deutlichkeit verloren. Am Rande des Loches sind die Fasern zerrissen und gewellt Die um- gebende Zone der Sclera ist ein wenig infiltrirt; soweit die Necrose reicht, mangelt jede Kernfärbung. Darch das Loch hat sich eitrig infiltrirter Glaskörper nach aussen gedrängt und liegt in der Oeffnung frei zu Tage. Auch weniger stark infiltrirter Glaskörper ist vorgedrängt, er zeigt an dieser Stelle besonders schön die oben erwähnten Gebilde.

Mehrfache Veränderungen zeigt auch die Linse, an die von hinten her der eitrige Glaskörper stösst, und der vom das eitrig fibrinöse Exsudat zwischen Iris und Linse aufliegt, hier dicht auf der Linsenkapsel eine regelmässige Eiterschicht bildend.

Das vordere Kapselepithel ist an einigen Stellen gewuchert und liegt in mehreren Schichten übereinander, einen frischen

Ueber von Operationsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiterung. 215

Rapselataar darstellend. Neben der Wucherung sieht man aber audi Stellen, wo das Epithel necrotisch geworden ist Die Necrose erstreckt sich auch auf die Wucherung der Epithel- zellen. Zwischen Vorderkapselepithel und Linsenfasem liegt auf grosse Strecken geronnenes Eiweiss. Auch zwischen Hin- terks^el und Linsenfasern ist eine breite Eiweissschicht ein- gelagert.

Beachtung verdient femer eine in Entstehung begriffene spontane Kapselperforation, die an einer drcumscripten Stelle der Vorderkapsel nahe am medialen Aequator gelegen ist (Taf. Y, Fig. 8 ahed). Der Linsenkapsel ist an dieser SteUe aufgelagMt ein schwartiges Gewebe, von der früheren Entzündung herrührend, und Eiter, der von der frischen Panoph- thalmitis stammt. An der Linsenkapsel findet sich nun eine circomscripte Einsenkung der Oberfläche, die letzte benachbarte Auflagerungsschicht, die eine Art Deckmembran bildet, ist nach innen eingebogen. Vereinzelte Eiterkörperchen haben sich in die Kapsel eingesenkt. Es macht den Eindruck, als sei die Kapsel an dieser Stelle erweicht, denn am Rand der kleinen Lücke erkennt man eine zum Theil geradlinige, zum Theil ge- lackte Gontour. Die Kapselsubstanz zwischen den Contouren hat auch ein homogenes Aussehen, doch ist sie von der übri- gen Kapsel durch diese Gontour abzugrenzen.

Fast in jedem Schnitt findet man ein oder zwei Eiter- körperchen in diesem sich bildenden Loch stecken. An einer Stelle liegen vier Eiterkörperchen neben einander und füllen so gerade die betreffende Stelle aus. Ab und zu st^Vsst man auch auf ein rothes Blutkörperchen, das sich eingedrängt hat, und auch auf vereinzelte freie Pigmentkörner. An einer Stelle ist offenbar die erweichte Masse verschwunden, denn dort klaf- fen die beiden Enden, ohne Zwischensubstanz zu besitzen.

An den Eiterkörperchen, die in die Kapsel eingedrungen sind, kann man zum Theil eine längliche Form und einen länglichen Kern constatiren. Sie zwängen sich zwischen Lin- senkapsel und Epithel. Es sind aber erst ganz vereinzelte Eiterkörperchen in die Linse eingedrungen und haben sich zwischen Epithel und Linse eingedrängt. An einer Stelle ist tler Epithelbelag durch ein Häufchen amorphes Eiweiss, in dem vereinzelte Eiterzellen liegen, seicht abgehoben. Es handelt sich eben um die allerersten Anfänge einer Linsenkap- Seiperforation; man kann die eindringenden Zellen zählen.

Von Kokken habe ich an der Perforationsstelle nur ver-

216 Dr. A. Wagenmann.

einzelte gefunden. Auch zwischen Epithel und Linsenkapsel konnte ich vereinzelte unzweifelhafte Kokken finden. Eine Beziehung, oh sie zuerst durchgegangen waren und dann erst die Eiterkörperchen uach sich gezogen haben, konnte ich aber nicht sicher nachweisen, dazu fand ich sie zu spärlich.

Auffällig ist ferner die starke Körnung der Kerne der jüngsten Fasern (Ta£ V, Fig. 5 a/). Sie sind stark in die Länge gezogen, schmaler als sonst und enthalten zahlreiche unregelmässig geformte, meist runde Körner, der verschieden- sten Grösse, die sich intensiv färben, während die dazwischen- liegende Kernsubstanz ungeförbt ist.

Sodann bietet eine Stelle der Hinterkapsel dicht hinter der medialen Aequatorialzone einen besonderen Anblick. Der Aequatorialteil der Linsenkapsel und das erste Ende der hin- teren Kapsel ist deutlich verdickt (Taf. Y, Fig. 9). Von dieser verdickten Kapsel löst sich ein breites, etwa die Hälfte der Dicke betragendes glashäutiges Blatt ab, das sich nach vom zuspitzt und in mehrere dünnere Blätter auflöst, die sich in dem Eiter verlieren. Die Abspaltung wird bewirkt durch ein- gekeilte eitrige Massen. Es macht den Eindruck, als ent- spräche die Stelle dem Ansatz der Zonula und als seien die faserigen Enden Zonulafasem. Von dem Abspaltungswinkel aus lässt sich eine Contour weit nach hinten verfolgen. Am hinteren Pol hat die hintere Kapsel normale Dicke.

Die Untersuchung auf Kokken hat ein positives Resultat ergeben. Es finden sich in der kleinen Ulceration der vor- deren Synechie noch deutliche Kokkenhaufen, die zum Theil zwischen die Homhautlamellen eingelagert sind, zum Theil die Oberfläche einnehmen. Neben den gut gefärbten Kokkenhaufen liegen auch auf dem Grund der Ulceration in dem necrotischen Gewebe Haufen von nicht oder nur sehr schlecht gefärbten Kokken ähnlichen Gebilden, die den Eindruck von abgestorbe- nen und im Absterben begriffenen Kokken machen. Weiter kann man die Kokken antreffen in dem Exsudat der Hinter- kammer, wo sie zum Theil auf der Linsenkapsel liegen. Dass ich auch vereinzelte Kokken in der Perforationsstelie und unter der vorderen Linsenkapsel gesehen habe, ist schon erwähnt Grosse Massen sind sodann im Glaskörper entwickelt, die zwi- schen den Eiterkörperchen liegen. Sie sind weit nach hinten zu verfolgen. An der Stelle, wo die Perforation der Bulbus- kapsol von innen nach aussen stattgehabt hat, sieht man grössere Haufen liegen. Doch lässt sich über das nähere Verhalten vor

Ueber von Operationsuarben etc. ausgehende Glaskörpereiterung. 217

der Perforation nichts mehr sicher sagen, da jetzt der Tor- drängende Glaskörper die Perforationsstelle einnimmt. Die Kokken liegen zu Haufen zusammen, es fällt stellenweise ihre Grössendiffereuz auf. Auch zu kurzgliedrigen Ketten haben «ie sich ab und zu zusammen gelegt, während sie sonst keine Neigung zu Kettenbildung haben.

Epikrise.

Die Pathogenese dieses Falles ist durch die anatomische Untersuchung klar gestellt und in Uebereinstimmung ge- bracht mit der klinischen Auffassung. Wahrscheinlich in Folge einer geringfügigen Verletzung ist eine kleine UIcera- tion der alten peripheren vorderen Synechie entstanden, die bei der Resistenzlosigkeit der dünnen Narbe die Infection der tiefen Theile des Auges ermöglicht hat, sodass schon iiach vierzehn Tagen eine PanOphthalmitis ausgebildet war. Der Weg, den die Kokken genommen haben, lässt sich noch nachweisen, aber auch ohne Nachweis der Mikroorganismen spricht der anatomische Befund zwingend dafür, dass der •eitrige Process von dieser Stelle aus durch die hintere Kam- mer am Linsenäquator vorbei in den Glaskörper überge- gangen ist Auch hier stehen die Folgezustände der Glas- körperinfection in gar keinem Verhältnis zu dem Befund iin der Eintrittsstelle der Mikroorganismen. Wir haben eine hochgradige eitrige Entzündung der verschiedenen tiefen Theile vor uns mit hochgradiger Glaskörperinfiltration. Nach aussen unter der Sehne des Rectus externus ist es sogar jsu einem Durchbruch des Eiters nach aussen unter die Conjunctiva gekommen. Der Perforation ist eine drcum- scripte Necrose der BulbushüUen vorhergegangen. Da sich an dieser SteUe grössere Kokkenhaufen finden, so muss man annehmen, dass die Kokken hier besonders stark gewuchert waren und die Necrose veranlasst haben. Wie die Cultur- versuche von Eiter, der dieser Stelle entnommen war, be- wiesen, handelte es sich in unserem Fall wenigstens theil* weise um den weissen Staphylokokkus..

218 ^^' A. Wagenmann.

Von den äbrigen Befunden dieses Auges möchte ich zunächst die beginnende Perforation der Linsenkapsel her-* ausgreifen und bei dieser Gelegenheit eine kurze Bemer- kung zu der Kapselpcrforation durch Eiterung machen. In drei der von mir untersuchten Fälle war die Kapsel durchbrochen, im Fall Dunkel, im Fall Pabst und hier.

Deutschmann^) hat ja experimentell beim Kaninchen Kapselusur und -Perforation durch Eiterungsprocesse erzeugt. Nur über das wie ist er zu keinem positiven Resultat ge- langt, wenn er auch versucht hatte, den von Leber au»> gesprochenen Gedanken, dass die Kapsel durch chemische Stoffe aufgelöst würde, zu bestätigen. Die damaligen Ver- suche und Untersuchungen vermochten aber nicht zu ent- scheiden, ob die Kokken oder ob die Eiterkörperchen die Perforation bewirkten.

Ueber das wie ist auch jetzt noch keine sichere Ant- wort zu geben. Denn wenn man auch den Eiterkörperchen eine histolytische Wirkung, wie sie von Leber neuerdings näher erforscht ist, zuzuschreiben berechtigt ist, so wäre doch der eine Punkt nicht erklärt, dass die Kapselperfora- tion nicht häufiger beobachtet wird und dass, während die ganze Linse in Eiter eingebettet liegt, nur an einer Stelle der Durchbruch erfolgt. Es muss also noch ein besonderes Moment hinzutreten, denn den gewöhnlichen Eiteransamm- lungen gegenüber erweist sich die Kapsel widerstandsfähig. Wahrscheinlich spielen die Kokken selbst eine grosse Rolle dabei, indem sie eine Erweichung der Kapsel verursachen und die Eiterkörperchen nach sich ziehen.

So machte es vor allem in dem Fall XII ganz den Eindruck, als seien zuerst die Kokken durch die Kapsel vorgedrungen und hätten die Eiterkörperchen nach sich ge- zogen. Denn man findet am meisten centralwärts einea grossen Kokkenherd in der Linse und dahinter, von dem- ') V. Graefe'8 Archiv für Ophthalmologie XXVI, 1, p. 134.

Ueber von Operationsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiterung. 219

selben noch durch eine Eiweissschicht getrennt, die Eiter- körperchen, die soeben das Kapselloch durchschritten haben.

Auch in diesem Fall gelang es an der Perforations- stelle einzelne Kokken nachzuweisen, die zwischen Epithel und Kapsel lagen. Wir haben in unserem Fall die allere ersten Anfänge einer Perforation vor uns. Die Kapsel ist an der betreffenden Stelle in ihrer Beschaffenheit yerändert; man kann die seitlichen Contouren, wo die normale Kap- sel wieder beginnt, deutlich wahrnehmen. Die die Kapsel deckende Bindegewebslage ist etwas eingesunken und selbst durchbrochen.

Der erste Fall giebt für die Frage der Entstehung wenig Aufklärung, da die Perforation schon älter war, und Linsenmassen durch das Loch ausgetreten waren.

Obwohl also die Entstehung der Perforation nicht mit voller Sicherheit aufgeklärt ist, so ist es nach den ange- föhrten Beobachtungen unwahrscheinlich, dass die Eiter- körperchen allein die Kapsel durchbrechen können, da ja in diesen Fällen Eiter fast überall der Kapsel anliegt. Wahrscheinlich geht eine Erweichung durch Kokken voran, und es ist die Eitereinwanderung erst secundär.

Femer steht die Erklärung darüber noch aus, wie der oben beschriebene Befund von Verdickung und Spaltung der hinteren Kapsel zu deuten ist; zur sicheren Beurteilung dessen waren die Theile durch die Eiterung zu sehr ver- ändert. Es mag genügen, nochmals auf diesen Befund hin- zuweisen.

Ebensowenig vermiß ich die merkwürdigen Gebilde im Glaskörper zu erklären. Da sich die Netze bei Doppellar- bung mit Hämatoxylin- Eosin blau färben, so scheinen sie aus eiweissartiger Substanz zu bestehen. Möglich wäre, daas sie zu dem Durchwandern der Eiterkörperchen in einer Beziehung stehen.

220 Dr- A. Wagenmann.

In den bisher aufgeführten Fällen von Spätinfection des Auges von einer vorderen Synechie oder von einer fistu- lirenden Narbe aus war die lufection des Bulbus eme so schwere, dass sie in mehr oder weniger kurzer Zeit zum Verlust des Auges führte. Auch bei dem Fall Fleischer (IV) war die Malignität der Erkrankung eine hochgradige und nur durch besondere Umstände war es möglich, die höchst acut und schwer einsetzende Infection zum Stillstand zu bringen. Wäre der Fall nur kurze Zeit, vielleicht nur wo« nige Stunden, später in unsere Hände gekommen, so wäre das Auge sicher durch Panophthalmitis zu Grunde gegangen.

Eine gewisse Differenz freilich in der Acuität des Ver- laufs ergiebt sich auch in den mitgetheilten Fällen. Es ist dieses nichts verwunderliches, da ja bei allen auf Infec- tion beruhenden Krankheiten Differenzen in dem Grad des Verlaufs vorkommen und selbst gewisse Abortivformen be- kannt sind, die in verschiedenen Momenten ihre Erklärung finden. Es kommen hier die Qualität und die Quantität des eingedrungenen Infectionsstoffes und das verschiedene Resistenzvermögen dos Gewebes in Frage. Und so haben wir auch hier neben acuten zur Panophthalmitis führenden Erkrankungen subacute Eiterungen kennen gelernt. Damit ist aber das Krankheitsbild noch nicht erschöpft, denn es giebt noch seltene Fälle, bei denen die eitrige Entzündung nur wenig ausgedehnt und wenig intensiv ist, bei denen sich der eitrige Charakter des Processes bald verliert, und die Entzündung eine fibrinös-plastische Form annimmt; ja es kommen sogar Fälle vor, bei denen an der Infections- stelle die Entzündung so local ist und so rasch zurückgeht, dass sie sich klinisch gar nicht als eitriger Process zu er- kennen giebt, sondern dass fast nur die von dem localen Herde weiterhin erregte seröse und plastische Entzündung der Iris und des Giliarkörpers in die Erscheinung; tritt Es ist auch leicht zu verstehen, dass da verschiedene Fac- toren bei der Pathogenese zusammenwirken müssen, es Fälle

Ueber von Operationsnarben etc. ausgehende Crlaskörpereiterong. 221

geben kann, bei denen mehrere Factoren günstig sind und den Process abschwächen, sodass auch hier Abortivformen vorkommen, die dann der Behandlung zugängig sind und auch noch im weiteren Verlauf durch sie günstig beeinflusst werden.

Ich bin in der Lage einige dieser seltenen Krankheits- bilder als Beispiele anfuhren zu können. Eine andere Auf- fassung als die hier statuirte lassen diese Fälle kaum zu, wenn sie freilich auch nicht durch anatomische Befunde erhärtet ist, da die Fälle nicht zur Section kommen. Wahr- scheinlich würde auch die anatomische Untersuchung bei der Geringfügigkeit der localen Veränderungen kaum einen stricten Beweis liefern können, wenn nicht einmal zufällig ein solches Auge im allerersten Stadium zur Untersuchung gelangte, vielmehr kommt es hier auf die klinische Beobach- tung an.

Auch diese Fälle zeichnen sich durch das rasche Ein- setzen des Processes und die hochgradige Sehstörung aus. Diese hat ihren Grund hauptsächlich in dem Auftreten theils diffuser theils umschriebener Trübungen des Glas- körpers, welche deutlich von der Infectionsquelle ausgehen. Nach der Rückbildung des ersten acuten Anfalls geht der Process in ein chronisches Stadium über, das sich durch grosse Hartnäckigkeit auszeichnet.

Fall XIV.

Eitrige Iritis mit beginnendem Uebergang auf den

Glaskörper nach peripherer vorderer Synechie.*)

Minna Greve aus Alfeld, 25 Jahre. 8. Januar 1872. Patientin hatte am linken Auge vor 16 Jahren eine länger dauernde Augenentzündung überstanden,

*) Ueber diesen Fall hat Herr Professor Leber schon früher eine kurze Mittheilong gemacht (Sitzungsber. der ophth. Ges. 1882, pag. 118 u. 119); hier will ich die interessante Krankengeschichte ausführlicher bekannt geben.

222 ^f- A. Wagenmann.

die mit vollständigem Verlast des Sehvennögens ausheilte. Seit- her hlieh das Auge frei von Reiz.

Am rechten Auge hatte sie vor 11 Jahren gleichfalls eine AugenentzOndung, welche eine periphere vordere Synechie am innem unteren Homhautrand mit entsprechender Yerziehung der Pupille zurttckliess. Patientin will seitdem so gut wie frtther mit dem Auge gesehen haben. Erst vor zwölf Tagen trat ohne besondere Veranlassung eine Entzündung an diesem Auge auf mit Schmerzen und erheblicher Sehstörung. Nach vorüber- gehender Besserung verschlimmerte sich der Zustand vor vier bis fünf Tagen derart, dass Patientin sich nicht mehr allein führen konnte. Die Schmerzen haben seit der letzten Nacht etwas nachgelassen.

Status praesens. R Geringe Lichtscheu, lebhafte Gi- liarinjection. Am innem unteren Homhautrand ein ca. 3 mm im Durchmesser betragendes, leicht prominirendes Leukom, mit welchem die Iris in grösserer Ausdehnung verwachsen ist Die nach dieser Stelle hin verzogene, bimförmige Pupille erweitert sich nur massig auf Atropin. Leichte diffuse Homhauttrübong im unteren Abschnitt, 2 mm hohes Hypopyon, Iris stark ver* färbt, fein vascularisirt, keine hintere Synechie; Pupille bei Tageslicht schwarz, nur von einer zarten Exsudation einge- nommen, welche der ophthalmoskopischen Untersuchung kaum ein Hindemiss abgeben könnte. Irisperipherie etwas retrahirt Augengrund kaum zu erleuchten. Umschriebene Trübungen im Glaskörper nicht nachweisbar, Linse anscheinend durch- sichtig. Ciliargegend auf Druck leicht empfindlich,. Augen- drack normal.

Lichtschein kaum niedere Lampe, Projection richtig; Hand* bewegungen erkannt bei Tageslicht.

L. Totales adhärentes Leukom mit oberflächlicher Ver- kalkung und Verkleinerang der Cornea. Druck normal. Keine Druckempfindlichkeit. Absolute Amaurose.

Therapie: 8 Hirudines. Permanente lauwarme Um- schläge. Calomel in rofract dos. und 3,0 ungt. einer, täglich verrieben.

9. Januar 1872. Pupille weiter, Hypopyon kleiner ge- worden, Irishyperämie geringer.

Der Lichtschein hat sich etwas gehoben, niedrigste Lampe aber noch unsicher wahrgenommen.

10. Januar 1872. Hypopyon noch kleiner geworden. Am äusseren oberen Pupillarrand tritt eine kleine, weisse Exsn«

Ueber von Operationsnarben etc. ausgehende Olaskörpereiterung. 223

dation zn Tage, wie es scheiat auch mit hinterer Synechie. Lichtschein entschieden prftcis, Projection richtig angegeben.

Wegen Stomatitis Calomel ausgesetzt. 2 gr Ungt. einer, ein- gerieben. 4 Hirudines.

11. Januar 1872. Hypopyon nur noch sehr gering. Augen- hintergrund nicht zu erleuchten, Pupille schwarz.

Lichtschein und Projection gut, Patientin filngt an, etwas von Fingern zu erkennen.

Inunctionen weiter.

14. Januar 1872. Hypopyon verschwunden. Hyperämie der Iris geht zurück.

L. Finger in 1 Fuss gezählt. 3 Hirudines.

17. Januar 1872. Inunctionen seither fortgesetzt. Visos auf Fingerzählen in 5 6 Fuss gehoben. Se. frei. Ziffern auf der Uhr erkannt

Angendruck eher etwas geringer als L. Augengrund etwas zu erleuchten.

18. Januar 1872. Auge thränt ein wenig. S = Finger in 3 4 Fuss gezählt. Einige feine Gefässe auf der Iris wie- der zu erkennen.

19. Januar 1872. Während der Nacht sind Schmerzen aufgetreten, das Auge thränt noch immer, der Druck ist relativ hoch, entschieden höher als die letzten Tage, würde an sich nicht als pathologisch gelten können. In der Pupille mehr Exsndation, von der erwähnten Stelle am äusseren oberen Pu- pillarrand ausgehend.

Nur Bewegungen der Hand wahrgenommen. Lichtschein unsicher, niedrigste Lampe.

Da die Affection ihren eitrigen Charakter verloren hat und da die Verschlechterung auf eine Zunahme des' Druckes bezogen werden muss, wird eine breite Iridectomie nach unten angelegt, so dass das Colobom dicht an die vordere Synechie reicht.

25. Januar 1872. Die Heilung den Umständen nach nor- mal. Etwas ausgetretenes Blut ist resorbirt, so dass das Colo- bom rein ist, während die Pupille noch durch Reste von Exsu- dation getrübt ist. Noch immer keine Bewegungen der Hand wahrgenommen, was nach den optischen Yerhältnisaen zu er- warten wäre.

Calomel intern, zweistündlich 0,025. 3 Blutegel.

11. März 1872. Der weitere Verlauf war protrahirt Der Reizzustand nahm allmählig ab, doch blieb das Auge noch im-

224 I>r* A. Wagenmann.

mer empfindlich und thränte leicht Die Injection nahm lang- sam ab, verschwand jedoch nicht vollkommen. Der Druck war zeitweise etwas unter dem normalen. Die Pupille zog sich allmählig zusammen. Das Sehvermögen blieb bis auf Licht- empfindung herabgesetzt. Lichtschein und Projection vollkom- men präcis.

Therapeutisch wurde noch Calomel in refr. dos. eine Zeit lang gegeben, dann ausgesetzt Atropin wurde in massigen Mengen angewendet und warme Umschläge verordnet

Es wird nun nochmals eine breite Iridectomie nach aussen mit dem Linearmesser angelegt, wobei die Iris erst nach wiederholtem Eingehen mit der Pincette folgt und exddirt werden kann.

15. März 1872. Die Iridectomie gut vertragen. Im Colo- bom noch Reste von Blut und Pigment, Cornea grau getrübt Das Auge bei der Untersuchung noch sehr empfindlich und leicht thränend.

Um ganz sicher zu gehen, wird das linke Auge, das zwar nicht druckempfindlich ist, enucleirt Der Opticus ist auf dem Durchschnitt weiss und etwas hyperämisch.

30. März 1872. Der Reizzustand des Auges hat sich trotz zweimaliger Henrteloup'scher Blntentziehung und moderirtem Fortgebrauch von Calomel (dreimal täglich 0,015 gr) noch nicht vollkommen verloren, obwohl der bessernde Einfluss des Heur- teloups unverkennbar ist Ein Theil der Pupille ist noch frei geblieben, so dass Patientin anfängt, Finger zu zählen.

21. Mai 1872. Patientin hat zu Hause Atropin fortge* braucht Der Reizzustand hat sich verloren. Der grösste Theil der Pupille durch eine weissliche, theilweise pigmentirte Auf- lagerung auf der vorderen Linsenkapsel eingenommen, die sich mit dem Spiegel durchleuchten lässt Linse anscheinend klar. Augenhintergrund nicht zu sehen. S = Finger in 6 7 Fnss gezählt Se. frei mit -f 6 Worte von Nr. 15 (J.).

Therapie: Ferrum.

Weiterhin hellte sich die Pupille noch etwas auf, so dass man soeben die Papille sehen konnte und das Sehvermögen auf Fingerzählen in 12 Fuss stieg, wie bei der Vorstellung am 5. Mai 1873 constatirt werden konnte.

In der darauf folgenden Zeit besserte sich der Zustand noch bedeutend. Die Pupillarmembran wurde zum Theil resor- birt, der Rest Hess sich auffallend gut durchleuchten. Die

Ueber von Operationsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiterang. 225

Irisperipherie war oben etwas retrahirt, der PapiUarrand mit der Linse zum Theil verwachsen.

7. Januar 1875. R. S = *®/joo, ohne Glas Nr. 3 (J.) gelesen.

17. Juli 1875. R. S = ««/8oo~ioo Nr. 2 (J.) gelesen. Patientin klagt über vorabergehende Verdunklungen, die mög- licherweise von flottirenden Glaskörpertrübnngen herrühren könnten, deren Anwesenheit jedoch bei der nicht ganz freien Durchleuchtung der Pupille nicht sicher nachgewiesen wer- den kann.

4. Mai 1876. Am äusseren Homhautrand ist eine kleine cystoide Hervortreibung aufgetreten, die zwei Mal punktirt wird.

Auch im folgenden Jahre war noch eine Punktion der cystoiden Hervortreibung nötbig. Das Sehen war gesunken. S = Fingerzählen in 13 Fuss Nr. 12 (J.) gelesen.

Auch die Stelle des Irisvorfalles trieb sich in der Folge- zeit etwas hervor, doch wurde exspectativ verfahren, da keine Beschwerden vorlagen.

Das Sehen blieb herabgesetzt

12. Januar 1880. Patientin kommt wieder mit ausgebil- deter Katarakt.

Lichtschein niedrigster Lampe nach Aufenthalt im Dun- keln erkannt Projection gut.

13. Januar 1880. Kataraktextraction mit Linearschnitt ^nach unten. Nach Eröffnung der Kapsel mit dem Gystitom

entleert sich etwas Linsenbrei, was noch durch Reiben mit dem Lid befördert wird. Das Colobom ist aber nicht frei, sondern durch verdickte Kapsel und Schwarten verlegt Die Kapsel wird mit Häkchen gefasst und mit der Wecker'schen Scheere excidirt. Die Schwarten folgen aber nicht

Das Sehvermögen war dementsprechend in der Folgezeit ungentlgend, mit-^12D Finger in 3 Fuss gezählt

Das Colobom unten ist vollkommen zusammengezogen, die Iris stark nach unten gezerrt. Auch von dem Colobom nach aussen ist nur eine kleine Stelle relativ frei, die sich kaum durchleuchten lässt.

Desshalb am 21. Juni 1880 Iridotomie mit dem SicheF- schen Messer versucht. £s wird nur eine kleine Oeffhung gemacht, die sich durch Blut ausfüllt

Das Sehen hebt sich nur wenig.

26. October 1880. R. mit-f 12D 8 = Finger in 7 Fuss gezählt, mit-f 16 D Worte Nr. 16 (J).

▼. Oracfe'n Arohlv för Ophthalmologie. XXXV. 4. 15

226 ^r. A. Wagenmann.

27. October 1880. Wiederholung der Iridotomie. Der Schnitt wird dies Mal senkrecht zur Irisfaserung angelegt

4. November 1880. Zur grössten Ueberraschung höchst brillantes Resultat. Auge vollkommen reizlos; leicht dreieckige vollkommen schwarze Pupille ungefähr gegenüber der Horn- hautmitte; Augendruck normal.

R. mit + 12D S= *%q, mit+ 18D Nr. 1 (J.). Se. frei.

29. Juli 1881. R. mit+12D Q = *\q,

21. Juni 1888. R mit + 12 D S = "/^o nhz. mit + 20 D Nr. 1. Se. frei.

Status praesens. Grosses adh&rentes Leukom nach unten mit Wulstung der Narbe. Die alte zusammengezogene Pupille soeben hinter dem Leukom zu Tage getreten. Am äusseren Homhautrand eine kleine schwarze Lücke zu sehen als Ausgang der fhiheren Iridectomie. Gegenüber dem Hom- hautcentrum liegt in der stark nach unten gezogenen Iris eine kleine, vollkommen schwarze Lücke von ca. 2 mm Länge und l'/i mm Breite, durch die man vollkommen rothes Licht be- kommt

Epikrise.

Charakteristisch für diesen höchst merkwürdigen Krank- heitsfall ist, dass die Entzündung den eitrigen Charakter verlor und das Bild einer chronischen plastischen Iridocy- clitis annahm, und dass sie gleichwohl nach langer Zeit zum * Ablaufen kam, sodass trotz der Schwere und Hartnäckig- keit des Verlaufs und trotz der vielen Fährlichkeiten, in die das Auge gerieth, doch schliesslich ein brillantes Re- sultat erzielt vnirde.

An dem mit einer alten peripheren vorderen Synechie behafteten Auge trat ohne Veranlassung ziemlich plötzlich eine Entzündung auf, die rasch zur Abnahme des Sehens führte. Das Auge bot das Bild einer eitrigen Iritis dar mit beginnender Exsudation in den Glaskörper. Der Licht- schein war schon entschieden gesunken; die niedrigste Lampe wurde nicht mehr wahrgenommen. Eine Ulceration war nicht zu sehen; es muss nun durch eine kleine Fistel etwas Infec- tionsmaterial in die Narbe eingedrungen sein, das die Ent- zündung der Iris und des benachbarten Ciliarkörpers ver-

Ueber von Operationsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiterung. 227

anlaset bat Die Kokken werden hier nicht sehr tief und in nicht erheblicher Menge ins Auge eingedrungen sein, yermuthlich nur bis in die nächste Nachbarschaft der Per- forationsstelle. Doch spricht das Sinken des Lichtscheins dafür, dass die Affection auch die Retina mit geschädigt haben muss und dass die Grenze dessen, was die Retina verträgt, eben erreicht wurde. Es ist schwer zu sagen, in wie weit die sofort eingeleitete, antiphlogistische Behand- lung dazu beigetragen hat, dem Krankheitsverlauf eine gün- stige Wendung zu geben. Immerhin wird man ihr einen günstigen Einfluss nicht absprechen dürfen, wenn vielleicht auch das Hauptmoment in der Art der Infection und der Widerstandsfähigkeit der Gewebe beruht. Thatsache ist, dass die Entzündung den eitrigen Charakter und die Pro- pagationstendenz verlor und in eine einfache exsudative Iritb oder Iridocyclitis überging. Das Hypopyon ging zu- nächst zurück und das Sehen hob sich auf Fingerzählen, was zumeist hauptsächlich in der Lichtung des Glaskörpers seinen Grund hatte. Die wieder aufgetretene Verschlech- terung schien bedingt durch Hinzutreten von Drucksteige- rung, welche durch die erste Lridectomie beseitigt wurde. Der darauf folgende langandauernde Reizzustand war durch die schleichende Iritis bedingt und ist wohl nicht als sym- pathisch aufzufassen, obwohl, um ganz sicher zu sein das (ganz unempfindliche) amaurotische rechte Auge enucleirt wurde.

Auch die zweite lridectomie hatte auf den Process wohl insofern einen günstigen Einfluss, als der Flüssigkeits- wechsel im Auge gebessert wurde, wenn auch eine momen- tane Besserung des Sehens nicht eintrat.

In den folgenden Monaten ging die Entzündung lang- sam zurück und die partielle Pupillarmembran hellte sich zum Theil auf, sodass das Sehvermögen auf Vio ^^^^g- Die in den folgenden Jahren auftretenden cystoiden Vortrei- bungen der vorderen Synechie blieben für das Auge ohne Belang. Die Verschlechterung des Sehvermögens, die nun

15*

228 Dr. A. Wagenmann.

allmählich wieder auftrat, ist wohl auf die langsam sich entwickelnde Katarakt zu beziehen, die ca. vier Jahre, bis 1880, zur Maturation brauchte. Ihre Extraction ergab bei den complicirten Verhältnissen Kapselverdickung, schwar- tige Verwachsung mit der Iris anfangs ein ungenügen- des Resultat. Erst eine wiederholte Iridotomie, bei der die Schnittrichtung senkrecht zur Irisfaserung ge- wählt wurde, hinterliess eine kleine vollkommen schwarze Pupille, durch die gut gesehen werden konnte. Das Seh- vermögen stieg unerwarteter Weise sogleich auf \ und weiterhin bei der letzten Vorstellung auf */3, sodass die Patientin ihren Beruf als Näherin wieder ausüben konnte. Der Glaskörper hatte sich vollständig aufgehellt und die Netzhaut ihre Functionsfahigkeit ohne jede Einbusse wie- dererlangt. Dies beweist die Richtigkeit der oben vertre- tenen Auffassung, dass es noch nicht zum Eindringen der Kokken in die Tiefe des Auges gekommen war, und dass die daselbst von vom aus erzeugten Veränderungen im Glas- körper und der Retina bei Nachlass des infectiöseu Pro- cosses ganz oder zum grössten Theil sich zurückbildeteii, während der Infectionsherd in der Gegend der Perforations- stelle die Iritis oder Iridocjclitis noch längere Zeit unter- hielt. Die übrigen Vorgänge, Entstehung der Pupillarmem- bran und später von Katarakt nebst ihren Ausgängen ste- hen einfach in Abhängigkeit von der Iritis und haben, so merkwürdig sie an und für sich sind, nichts, was durch die besondere Entstehung des Processes bedingt wäre.

Fall XVI.

Iridocyclitis mit diffuser Glaskörpertrübung bei

peripherer vorderer Synechie nach einem leichten

Trauma aufgetreten.

Joseph Döring aus Gieboldebausen, 65 Jahre. 15. Januar 1873. Patient litt in der Kindheit an beider- eeitigen Augenentzttndungen, die beiderseits Flocken hinterliessen.

Ueber von Operationsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiterung. 229

links auch bedeutende Sehstömng, während rechts das Sehver- mögen gut blieb. Seitdem hielt sich der Zustand bis zu der neuen Erkrankung unverändert; Patient hielt sein linkes Auge für ziemlich unbrauchbar. Etwa vor vier Wochen hatte Pa- tient beim Fahren auf der Eisenbahn das Gefühl, als sei ihm etwas in's rechte Auge geflogen. Doch verlor sich das Drücken in den nächsten Tagen wieder. Etwa eine Woche darauf wachte er mit sehr bedeutender Sehstörung am rechten Auge auf, während er noch Abends zuvor beim Kartenspielen gut gesehen hatte. Er konnte mit dem Auge selbst die grössteu Gegenstände nicht erkennen, was sich bis jetzt gleich blieb. Das Auge war geröthet, was in den folgenden Tagen noch zu- nahm, später aber wieder geringer wurde. Zugleich wurde von den Angehörigen eine weissliche Trübung der Pupille bemerkt. Auch traten heftige Schmerzen auf.

Status praesens. Rechts: Massige Ciliarinjection. Ueber dem äusseren Hornhautrand findet sich eine kleinere vordere Synechie mit nach aussen verzerrter Pupille. Das Leukom ist klein, lässt das Pupillargebiet frei. Pupille verengt, zeigt meh- rere hintere Synechien und erweitert sich kaum auf Atropin. Die Iris ist grünlich verfärbt Ans der Tiefe dringt, besonders von aussen her durch die Pupille, ein gelbweisser Reflex.

Mit dem Spiegel erhält man kein rothes Licht, sondern einen gelbweissen Reflex. Linse klar. Druck etwas herabgesetzt.

Links: Adhärentes Leukom nach aussen, das einen grossen Theil der Pupille verdeckt. Nach Atropin kann man ophthal- moscopisch den normalen Augenhintergrund sehen.

R. Lichtschein mittlerer Lampe unsicher erkannt, excen- trisch nach aussen.

L. Finger in 15 Fuss gezählt.

Therapie: Galomel in refr. dos. Atropin, warme Umschl.

Die Entzündung geht zurück; der Glaskörper lichtet sich aber nicht

4. Februar 1873. R. Iridectomie nach unten.

12. Februar 1873. Glatte Heilung. Künstliche Pupille durch einige bräunliche Auflagerungen (Pigment, Reste von Blut) verschleiert Mit schräger Beleuchtung bekommt man einen graulichen Reflex aus der Tiefe, mit dem Spiegel nur sehr wenig Licht

Entlassen mit Atropin.

230 I^r. A. Wagenmann.

Epikrise.

Ein geringfügiges Trauma hat hier die Ursache abge- geben. Offenbar hatte sich das Infectionsmaterial auf der vorderen Synechie eingenistet. Eine Woche nach dem Trauma trat ganz plötzlich die hochgradige Sehstörung und Entzün- dung des Auges auf, die sich drei Wochen später bei der Untersuchung als Iridocyclitis mit starker diffuser Glaskör- pertrübung herausstellte. Die Entzündung hatte anschei- nend keinen ausgesprochenen eitrigen Charakter, wenn auch das Sinken der Lichtempfindung dafiir spricht, dass die In- fection in die Tiefe gegangen ist Da die Entzündung bei antiphlogistischer Behandlung zurückging, konnte man von der Enucleation absehen. Die Iridectomie wurde von dem Auge vertragen und beeinfiusste den Process günstig.

Fall XVII.

Eitrige Iritis mit diffuser Glaskörpertrübung

bei peripherer vorderer Synechie.

Heinrich Harborth aus Northeim. 19 Jahre.

28. October 1882. Patient erlitt im Alter von 8 Jahren am linken Auge eine Verletzung durch einen Warf mit einem Schneeball. Das Auge erholte sich schon nach wenigen Tagen, es hinterblieb aber, wie Patient genau beschreibt, ein kleiner weisser Fleck am oberen Gornealrand mit Verziehung der Pa- pille nach dieser Stelle hin; es muss also eine perforirende Verletzung der Cornea mit Iriseinklemmung entstanden sein. Patient überzeugte sich in der Folgezeit wiederholt durch Zu- halten des rechten Auges, dass er kleinere Schrift mit dem linken lesen konnte. Vor drei Jahren trat ohne besondere Veranlassung eine Entzündung von 4 5tägiger Dauer an dem gleichen Auge auf, nach deren Ablauf der Zustand gegen früher unverändert war. Die jetzt bestehende Entzündung be- gann vorgestern früh ohne nachweisbare Ursache. Patient er- wachte des Morgens mit Schmerzen im linken Auge, vermochte die Lider kaum zu öffnen und bemerkte, dass das Sehvermögen bis auf Erkennung grober Gegenstände aufgehoben war. Das Sehvermögen hat sich erst seit heute Morgen etwas gebessert bis zum jetzigen Zustand.

Ueber von Operatioasnarben etc. ausgehende Glaskörpereiterung. 231

Status praesens. Rechtes Auge normal.

Links ausgesprochene Giliarinjection und massige Lichtscheu.

Am oberen Cornealrand befindet sich ein bis in die Sclera hineinreichender flacher Buckel, dessen unterer Theil auf die Cornea übergreift, und der sich durch sein weissliches Aus- sehen mit grauem Gentrum unzweifelhaft als ein mit massiger Vertreibung geheilter Irisprolaps zu erkennen giebt Am oberen Rand ist der Buckel eitrig infiltrirt; möglicherweise liegt auch etwas Eiter subconjunctival. Die Cornea ist im Uebrigen klar, die Iris stark verfärbt. Am Boden der vorderen Kammer findet sich ein eben merkliches Hypopyon. Die Pupille ist bei Tages- licht schwarz, birnf&rmig nach oben verzogen, zeigt am unteren Rand eine hintere Synechie und in ihrer Mitte einen rund- lichen Fibrinbclag auf der vorderen Linsenkapsel mit unregel- mftssiger Begrenzung. Es macht den Eindruck, als ob Anfangs die ganze Pupille von einer zarten Membran eingenommen ge- wesen wäre, die sich später zu diesem Fleckchen zusammen- gezogen hätte; dadurch wOrde sich auch das Verhalten des Seh. Vermögens erklären, das sich seit heute wieder gebessert hat Pupille nicht zu durchleuchten.

L. Finger in 8 Fuss gezählt. Se. frei.

Operation. Mit einem Linearmesser wird der Buckel am oberen Cornealrand quer gespalten, wodurch er zusammen sinkt Eiter fliesst nicht aus. Weiteres Untersuchen nach der Tiefe zu wird vermieden.

Atropin, Jodoform, Verband.

10. November 1882. Bei fortgesetztem Jodoformverband und Atropingebrauch besserte sich das Auge andauernd. Die kleine Wunde schloss sich wieder, der Buckel flachte sich bei abnehmender Injection immer mehr ab, die Infiltration des- selben nahm ab. Die anfangs enge Pupille erweiterte sich mehr und mehr, wobei nach unten zwei hintere Synechien deutlich zum Vorschein kamen. Die Anfangs vorhandene Auflagerung auf der vorderen Linsenkapsel verschwand voll- ständig.

Das Sehvermögen hob sich auf S = '%oo ^^^ convex 2,5 D.

Bei der Entlassung am 13. November 1882 bestand nur noch an der Stelle der Vortreibung eine geringe Injection. Die Prominens ist vernarbt. Ophthalm. L. Papille sichtbar, ein wenig verschleiert, zarte fiottirende Glaskörpertrübungen besonders im oberen Theil.

Visus derselbe.

232 Dr. A. Wagenmann.

Epikrisc.

Auch in diesem Fall war ohne nachweisbare Ursaoäe ganz plötzlich eine eitrige Iritis von einer auf dem alten Irisvorfall am oberen Cornealrand localisirten Infection ver- anlasst. Das Sehen sank rapide hauptsächlich in Folge einer, starken fibrinösen Exsudation in die vordere Kam- mer. Als der Patient sich zwei Tage später vorstellte, war eine deutliche eitrige Infiltration des Buckels ohne eigent- liche Ulceration zu constatircn, sowie in der Pupille eine zusammengeschnurrte fibrinöse Membran und im Kammer- winkel ein Hypopyon. Auf den Glaskörper war die Eite- rung nicht übergegangen. Derselbe betheiligte sich nur durch diffuse Trübung, vermuthlich in Folge fibrinöser Exsudation. Das Sehen war den Medientrübungen entsprechend. Das Spalten des Buckels und locale Antisepsis brachte die In- fection znm Stillstand. Die Infection war in diesem Fall überhaupt keine sehr intensive, die Heilung vollzog sich rasch. Im Glaskörper fanden sich als Rest der anfänglichen diffusen Trübung später bewegliche Flocken und zwar haupt- sächlich in der oberen Hälfte, der Lage des adhärenten Leukoms entsprechend.

Hieran möchte ich noch einen weiteren Fall anschlie»- seu, wo eine hartnäckige Iridocyclitis seroso-plastica in Folge einer minimalen Infection von einem kleinen peripheren, vernarbten Irisvorfall aus angeregt wurde. Im Glaskörper fanden sich zahlreiche flottirende Trübungen verschiedener Grösse. Besonders schön war zu sehen, wie mehrere grös- sere fädige Trübungen gerade von dieser Stelle ausgingen und in den Glaskörper ausstrahlten.

Fall XVHI.

Frau Martha Schminke aas Üngsterode, Bl Jahre.

20. December 1888. Rechts kleiner, vernarbter peripherer Irisvorfall am unteren Cornealrand, im 15. Lebenqahre ent- standen. Der Prolaps stellt eine 1 mm im Dorchraesser be-

Ueber von Opera tionsnärben etc. ausgehende Glaskörpereiterung. 233

tragende, pignientirte Scheibe dar. Die Pupille ist nach unten verzogen. Im Hornhautcentrum findet sich noch ein kleiner Hornhautfleck als Ausgang der froheren Entzündung.

Seit vierzehn Tagen ist das Auge ohne sicher nachweis- bare Ursache frisch entzündet Erst später meint Patientin «ich zu erinnern, dass sie ein Vierteljahr vorher sich eine Aehre in's Auge gestossen habe, was aber wohl mit der neuen Entzündung nichts zu thun hat, da Patientin die drei Monate lang gamichts am Auge gefühlt hat. Seitdem die Entzündung besteht, hat sie Schmerzen im Auge.

Giliarinjection; zahlreiche kleine und grössere Beschläge auf der Descemet'schen Membran, Iris stark verfärbt, Pupille reagirt, nach Atropin treten hintere Synechien zu Tage. Augen- druck normal. Die Stelle der vorderen Synechie deutlich auf- l^elockert, wenn auch nicht eigentlich uicerirt. Im Glaskörper zahlreiche flottirende Trübungen der verschiedensten Gestalt und Grösse, fädig, flockig und membranös. Besonders fallen Auch einige lange fädige Trübungen auf, die in der Gegend 4er vorderen Synechie fixirt sind und von dort nach verschie- denen Seiten in den Glaskörper ausstrahlen.

Ophthalmoskopisch: Starke Verschleierung des Bildes, Netz- hautvenen ausgedehnt, sonst normal.

R E. S=«/3« Nr. 4 (J.).

L. E. S=«/g Nr. 1 (J.). Se. beiderseits frei.

Der Verlauf war ein äusserst hartnäckiger, mit verschie- dentlicher Exacerbation, was zum Theil mit seinen Grund darin hat, dass die Patientin sich nicht schonen konnte und nur vor- übergehend sich aufnehmen Hess.

Die Behandlung bestand in Atropineinträuflungen, Schwitz- kur, neuerlichen Gebrauch von Natr. salicyl. und später Sub- limat in Pillenform.

Die Entzündung nahm allmählig ab, die Beschläge gingen bis auf Reste zurück. Der Glaskörper hellte sich auf, die In- jection verlor sich.

Der Visus stieg auf S=%8 Nr. 1 (J.).

Dann traten Nachschübe auf; das Sehen verschlechterte sich dementsprechend. S = ^l^^,

Ende Mai 1889 stellte sich Patientin wieder vor. Der Process machte noch immer keine Miene ganz zurückzugehen. Beste von Beschläge und hintere Synechien bei nicht verfärbter Iris. Auge ziemlich firei von Injection. Im Glaskörper noch viel Trübungen.

:234 I>r. A. Wagenmann.

29. Mai 1889. Iridectomie nach oben. Heilung normal. Process scheint dnrch die Iridectomie günstig beeinflnsst

1. Juli 1889. Boschläge fast vollkommen verschwunden; im Glaskörper, wenn auch weniger, so doch noch viel flotti- piende Trübungen.

Ophthalm. Bild verschleiert Auge frei von Injection.

R. S=«/3e Nr. 3 (J.). Se. frei.

L. S=«/« Nr. 1 (J.). Se. frei.

Patientin bleibt in Beobachtung, nimmt noch 0,01 Sub- limat ein.

Zum Schluss folgt noch ein Fall, wo nach einer Staar^ Operation eine wenig intensiv eitrige, subacut verlaufende Entzündung von der Narbe ausgehend in Erscheinung ge* treten ist, die zur sympathischen Entzündung des anderen Auges geführt hat.

Fall XVIIl.

Frau Elisabeth Dunkel aus Rothe bei Sarstedt, 67 Jahre.

Patientin kam am 17. December 1888 wegen rechtsseiti- ger beginnender und linksseitiger noch nicht ganz maturer Katarakt zur Aufnahme in die Klinik.

Am 12. December 1888 wurde das linke Auge operirt.

Bei der Schnittführung kam die Iris vor das Messer und wurde zwei Mal durchstochen, so dass mit dem Homhautschnitt zugleich ein Irislappen gebildet wurde, der mit der Pincette leicht geholt werden konnte. Die Yerbindungsfäden wurden noch excidirt, so dass ein normales, massig breites Colobom resultirte. Der Schnitt und besonders die Contrapnnktion ziem- lich weit scleralwärts. Mit der Förster'schen Pincette wurde ein grosses Kapselstttck extrahirt, worauf die Linse, wenn auch etwas mühsam, nach aussen befördert wurde. Die Wundränder lagen ziemlich gut zusammen, die Sphincterecken reponirt; Patientin zählte Finger.

Die Heilung war nicht ganz normal. Die Wiederherstel- lung der Kammer liess einige Tage auf sich warten, da der innere Wundwinkel klaffte. Im oberen Theil der Cornea trat in den ersten Tagen eine massig starke diffuse und lineare Trübung auf; die sich von unten her aufhellte. Das Auge war etwas injicirt.

Ueber von Opera tionsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiterung. 235

Bei der Entlassung am 16. Tage nach der Operation machte die Wunde noch immer einen etwas klaffenden Ein* dmck, im innern Wundwinkel war etwas Pigment eingeheilti auch war das Ange noch leicht injicirt. Pupillargebiet voll- kommen rein und schwarz; ophthalm. Befund normal.

Visus; mit convex ICD 8=^«» Se. frei.

Am 28. Mai 1889, also fQnf Monate später, stellte sich Patientin wieder vor mit beginnender Phthisis des linken und sympathischer Iridocyclitis des rechten Auges.

Patientin hatte einige Zeit gut mit dem Auge gesehen. Dann trat eine AUgemeinerkrankung, angeblich ein Longen- katarrh, auf. Das linke Auge entztlndete sich, die Patientin bekam heftige Kop&chmerzen, die sie aber auf die Allgemein* erkranknng bezog. Das Sehvermögen des linken Auges ging allmählig verloren. Einige Zeit darauf erkrankte das rechte Auge. Seit drei Wochen ist die Frau ganz blind. Sie hat die ganze Zeit im Bett gelegen und vermag über die Ent- stehung keine genauen Angaben zu machen.

Status praesens. L. Auge tief injicirt, in Schrumpfung begriffen, druckempfindlich. Cornea stark getrübt, Operations- narbe eingezogen. Linksseit. Amaurose.

R. Sympathische Iridocyclitis mit Pupillarverschluss und Yortreibung der Iris bei seichter Kammer. Iris stark verfärbt. Pupille nicht durchleuchtbar. Druck ziemlich gut.

Niedrigste Lampe zweifelhaft erkannt.

L. Enucleatio bulbi. Sehnerv ziemlich tief durch trennt, sieht normal aus.

R. Warme Umschläge. Atropin. Das rechte Auge blasst etwas ab, Kammer ist sehr seicht.

An dem rechten Auge wird weiterhin nach unten eine Iridectomie gemacht, der, da die Operation gut vertragen ist, nnd der Lichtschein ziemlich genügend angegeben wird, einige Zeit darauf die Kataraktextraction nach oben nachgeschickt wird. Es gelingt, die Katarakt, nachdem ein grosses Stück vorderer Kapsel mit der Pincette extrahirt ist, ziemlich vollständig mit der Schlinge zu entfernen. Das Auge ist stark coUabirt

I 4. Juli 1889. Das Auge hat den Eingriff anfangs gut ver- tragen nnd sich wieder leidlich gespannt. Doch hat sich das Golobom wieder zugezogen und mit Schwarten and Blutresten ausgefüllt Auge ziemlich fi-ei von Injection. Geringe Hypo- tonie. Phthisis imminens.

Der enucleirte Bulbus zeigt eine deutliche Einziehung der

236 I>r. A. Wagenmann.

besonders in der innem Hälfte einen gelblichen Strich dar- stellenden Narbe, femer eine Scieraleinziehnng nnter der Sehne des Extemos nnd ist ein wenig verkleinert Er wird nach Härtung in Müller'scher Flüssigkeit im yerticalen Meridian aufgeschnitten.

Der Durchschnitt zeigt folgendes Bild:

Die Cornea ist nach der Narbe zu ganz erheblich yerdickt und zeigt in ihren inneren Schichten dicht an der Narbe einen kleinen ^/g mm grossen cystischen Hohlraum. Die Wundränder sind so verschoben, dass der untere comeale Schnittrand auf die Aussenfläche des oberen scleralen Schnittrandes zu liegen gekommen ist. Der Schnitt ist ohne Zwischensubstanz verheilt» scheint etwas infiltrirt zu sein.

Die vordere Kammer ist mit geronnener Eiweissubstane ausgefallt. Die Iris ist hart an ihrem ciliaren Ansatz abge- trennt Im Colobom findet sich ein vom Pupillarrand nach der Narbe ziehendes Band schwartigen Gewebes.

Der Ciliarkörper verdickt, seicht abgelöst, oben mehr als unten. Der Glaskörper von weisslicher Farbe, fest ge- ronnen, anscheinend nicht infiltrirt, in der Aequatorialgegend von der Retina seicht abgelöst. Aderhaut ein wenig verdickt Retina, besonders in der hinteren Hälfte und in der Gegend der Papille enorm vordickt

Beide Bulbushälften, sowie das am Bulbus erhaltene etwa 6 mm lange Sttlck Opticus, das vorher von dem Bulbus abge- trennt war, werden in Celloidin eingebettet und geschnitten.

An der Schnittreihe kann man sehen, dass die kleine Cyste, die sich am Innern Wundende findet, vornehmlich der medialen Bulbushälfte angehört

Mikroskopischer Befund.

Die nach dem Schnitt zu enorm verdichte Cornea ist nicht eitrig infiltrirt, von einzelnen feinen Gef&ssen durchzogen. Ihre Fasemng ist nach dem Schnittende stark aufgelockert, theils stärker hervortretend, theils verbreitert und verschwommen, so dass die Lamellen breiten hyalinen Bändern gleichen. Zwischen die Lamellen sind mehrfach von der Wunde aus feine Binde- gewebszttge eingedrungen. Der untere Schnittrand ist in der ganzen Ausdehnung der Wunde auf der Aussenfläche des Sclero- comealbords angewachsen, so dass der obere Schnittrand nach innen gekehrt und radiär gestellt nach dem Bulbuscentrnm za gerichtet ist. Da bei der Operation ein grosser Bindehaat- lappen gebildet war, so sind die durchschnittenen Hornhaut-

Ueber von OperatioDsnarben etc. ausgebende Glaskörpereiterang. 237

lamellen auf der nackten Sclerocornealgrenze implantirt nnd Btehen senkrecht auf der Scleralfasemng. Das am oberen Kammerwinkel stehen gebliebene Stttckchen Descemet'scher Membran ist am weitsten von der Narbe abgedrängt und nm die Dicke des Gornealfalzes von ihr entfernt

Durch eine neugebildete, vom Giliarkörper ausgehende und das Golobom verschliessende Wucherung ist der obere Schnittrand vollkommen von Bindegewebe eingehüllt, das durch eine vom oberen Irisdurchschnitt ausgehende Pigmentwucherung pigmentirt ist Die Iris ist hart am Giliaransatz abgeschnitten, und nur in den äussersten Wundwinkeln ziehen einzelne Fasern um den Hand zur Narbe. Die Verwachsung des oberen Schnitt- randes auf der Aussenfläche des Scleralansatzes ist in einem Theil der medialen Hafte des Schnittes eine unvollkommene, so dass der hintere Theil des Schnittrandes klafft Durch die Verschiebung des Schnittrandes ist das letzte Ende der Horn- haut in sich zusammen geschrumpft und erheblich verdickt

Die Descemet'sche Membran ist eine Strecke weit von der Narbe durch Eiweissmassen von der Hornhautgrundsubstanz abgelöst, in mehrfache Falten gezogen und zwischen Schnitt- rand der Cornea und Sclera in die Wunde eingeheilt, so dass sie fast das Epithel erreicht. Einer der von der Descemet- sehen Membran gebildeten, gerade am innern Narbenwinkel gelegenen Falte ist von dem den oberen Schnittrand einhüllen- den Schwartengewebe eine dicke Membran entgegen gewachsen und mit ihr an zwei Stellen vereinigt, so dass dadurch ein mit Eiweisssubstanz ausgefüllter und mit der vorderen Kammer communicirender Hohlraum gebildet wird. Das Endothel der Descemet'schen Membran ist auf die neugebildete Bindegewebs- schicht übergegangen und kleidet so die Narbencyste aus, deren unterer Theil in die vordere Kammer vorspringt

Aber auch nach aussen von dieser Cyste ist die Narbe nicht fest Denn einmal ist die Descemet'sche Membran auch hier noch abgelöst, gefaltet und bis zum Epithel eingeheilt, und sodann trifft man in dem Narbengewebe zwischen den und seitlich von den Falten der Descemet'schen Membran lange Spalten an, die mit Endothel ausgekleidet sind und während des Lebens mit Flüssigkeit ausgefüllt waren und eine fistulöse Beschaffenheit der Narbe bedingen mussten.

Das Epithel ist mit einem kurzen Zapfen in den äussern Wundwinkel vorgeschoben.

Gerade an dieser Stelle der Narbe, wo die Wundheilung

238 I>r. A. Wagenmann.

eine anvollkommene, wo die Festigkeit der Narbe durch die bis zam Epithel eingeheilte Descemet'sche Membran eine ge- ringe war, findet sich eine eitrige Infiltration derselben.

Das Epithel ist von Eiterkdrperchen aufgelockert und darch- setzt. Zwischen Epithel und Hornhautlamellen sind grössere Haufen Eiterkdrperchen gelegen, und ebenso zieht ein Eiter- streifen auf dem oberen Scleralrand in die Narbe hinein. Die Eiterung setzt sich durch die ganze Narbe bis zum innem Narbenwinkel fort und stösst hier auf das erwähnte, die Cyste umhüllende Schwartengewebe, das hier ebenfalls eitrig infiltrirt ist. Seitlich von dieser eben beschriebenen Stelle der Wunde sieht man Eiterhäufchen nur im äusseren Wundwinkel unter dem Epithel liegen. Die Infiltration setzt sich nicht weiter in die Hornhaut hinein fort, ist auf die Narbe beschränkt.

Die Iris ist stark verdickt, pigmentirt und reichlich eitrig infiltrirt An ihrer Hinterfläche findet sich eine massig dicke, pigmentirte Lage organisirten Exsudats, das über den Pupillar- rand hinaus mit dem das Golobom ausfüllenden organisirten Exsudat zusammenhängt. Dieses neugebildete Gewebe hat den oberen, in das Bulbusinnere gedrängten Schnittrand so innig eingeschlossen, dass es mehrfach nicht möglich ist, den Beginn des Schnittrandes anzugeben. Ueberall findet sich in diesem Oewebe eine mehr oder weniger starke Infiltration.

Die vordere Kammer ist mit Eiweisssubstanz ausgefüllt, in der verschiedene Gruppen von Eiterkörperchen suspendirt sind. An der Innendäche der Descemet'schen Membran sind kleine Eiterhäufchen gelegen.

Von der Linse ist in den Schnitten nichts zu erkennen. Die vordere Kapsel war extrahirt, der Linsenkörper vollstän- dig entbunden. Doch muss noch die hintere Linsenkapsel im Auge zurückgeblieben sein. Sie ist in das organisirte Exsudat eingeschlossen, so dass sie jetzt nicht mehr zu erkennen ist

Der Ciliarkörper ist verdickt und stark eitrig infiltrirt, besonders stark an der Stelle der Narbe. Der Giliarmuskel sowie das vordere Ende der Suprachorioidea sind enorm stark aufgelockert und von Eiterhaufen durchsetzt

Die Aderhaut ist überall um das mehrfache verdickt^ stark hyperämisch und reich von Eiterkörperchen durchsetzt, die stellenweise ganz besonders dicht liegen, so dass die Ober> fläche nach innen prominirt Das Pigment der Ghorioidea ist stellenweise gewuchert

Das Retin alpigment herdweise in starker Proliferation

Ueber von Operationsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiterung. 239

begriffen, überall stark aufgelockert, von Exsudat und Eiter- körperchen durchsetzt und vielfach abgelöst.

Die Retina bietet besonders in dem hinteren Bulbusab- schnitt dad Bild hochgradiger, serös-fibrinöser Entzündung.

Die Pars ciliaris retinae pigmentirt, lang ausgezogen und eitrig infiltrirt Das vorderste Ende der Retina ist bindege* webig degenerirt, leicht gefaltet

In der übrigen Retina sind die^Zapfen und Stäbchen theils zerfallen, theils zu überaus langen Fasern ausgewachsen, stellen- weise büschelförmig abgelöst Die Müller'schen Stützfasern ver- dickt, gewuchert, bilden besonders am hinteren Augenpol zwi* sehen den auseinander gedrängten Eömerschichten grosse Hohl- räume, die von Eiweiss und Fibrin ausgefüllt sind.

Die Papille stark verdickt, die Faserschicht entzündlich auf- gelockert, massiger Zellreichthum, Gefässscheiden eitrig infiltrirt

Die Opticusscheide wenig infiltrirt; die Septa der Nerven etwas mehr infiltrirt, die Gef&ssscheiden von Eiterkör- perchen durchsetzt.

Der Glaskörper enthält nur in seiner vorderen Partie zarte Streifen von Eiterkörperchen; er ist im Grossen und< Ganzen frei von Eiterung.

Die Sclera ist unter der Sehne des Internus aufgelockert Die Scheiden der episcleralen Gefässe, sowie der durch die Sclera tretenden Giliargefässe und Nerven sind deutlich infiltrirt.

Der Befund an Mikroorganismen ist folgender:

In dem äusseren Narbenwinkel finden sich grössere An- sammlungen von mittelgrossen Kokken, die in langen Zügen und dichteren Haufen das Epithel durchsetzen und weiter in das eitrig infiltrirte Narbengewebe zu verfolgen sind. Wenn auch in der lateralen Hälfte der Narbe Kokken im Epithel nicht vermisst werden, so sind sie doch besonders zahlreich in der medialen Hälfte und zwar hier besonders dort, wo die Narbe die beschriebene fistulöse Beschaffenheit zeigt, und wo die eitrige Infiltration derselben auf die Tiefe übergreift. So- weit die eitrige Infiltration reicht, trifft man auch Kokken- häufchen an. Im Innern des Bulbus habe ich ferner Häufchen derselben Art in dem eitrig infiltrirten Giliarkörper und in der eitrig aufgelockerten Suprachorioidea gefunden, sowohl in der oberen, wie auch in der unteren Bulbushälfte. An einzel- nen Stellen des Ciliarkörpers konnte ich grosse, mit Kokken dicht vollgestopfte, lymphoide Zellen nachweisen, die offenbar als Phagocyten aufzufassen sind.

240 ^' A. Wftgenmaon.

In der eitrig infiHrirteii Chorioidea habe ich nnr yerein- zelte Kokkenhaafen geländea, daranter einzelne im hinteren Bolbnsabschnitt In der Retina habe ich nichts von Mikro- organismen aa£znfinden yennocht, ebenso wenig im Glaskörper. Dagegen sind in den lockeren Maschen des intervagi- nalen Balkengewebes der Opticnsscheide lange Zflge 70n Kokken gelegen, die bis znr Lamina cribrosa sich yer- folgen lassen; sie liegen hier frei in dem lockeren Bindege- webe, ohne eine nennenswerthe Infiltration veranlasst zn haben. Soweit der Opticus noch an dem Bulbus erhalten ist, soweit kann man sie auch in continuirlichen Zogen in den Lymph- rftumen nach hinten verfolgen.

Ausser dem noch an dem Bulbus befindlichen Opticusstück stand mir noch das vor der Einbettung von dem Bulbus quer abgeschnittene, mehrere Millimeter lange Opticusstückchen zu Gebote, das ich nach Einbettung in Celloidin in Querschnitte zerlegte. In allen auf Kokken gefärbten Querschnitten des Opticus konnte ich Kokkenhäufchen in der Opticusscheide zwi- schen den intervaginalen Bindegewebsbalken nachweisen. In der Substanz des Nerven selbst fand ich keine.

Weitere Kokkenhäufchen traf ich extrabulbär in dem Winkel zwischen Opticusscheide und Sclera an, die neben den hier befindlichen Gefässen im Gewebe lagen. Ich konnte sie von hier aus weiter in dem episcleralen Gewebe nach vorn verfolgen, wobei sich die Kokken an die Gef&ssscheiden an- lehnten. Auch in den Scheiden der die Sclera durchbohren- den Gefässe, wie z. B. besonders schön an einer Vena vorti- cosa, traf ich dieselben Kokken an. Auch hier war die eitrige Infiltration nur massig stark. Mit kurzen Unterbrechungen konnte ich die Kokken in dichteren oder spärlicheren Zflgen in dem episcleralen Gewebe bis zu der Homhautnarbe hin verfolgen.

Epikrise.

Dieser Erkraukuugsfall lässt in seiner Erklärung eine verschiedene Auffassung zu, da er klinisch nicht genügend beobachtet werden konnte, und da auch das anatomische Bild sich verschieden deuten lässt Doch glaube ich, dass derselbe, wenn er auch Besonderheiten aufweist und von dem gewöhnlichen Bild, das wir hier geschildert haben, abweicht, doch dieser Kategorie zuzuzählen ist, da eine

lieber von Operationsnarben etc. ausgehende Glaskörpereitening. 241

frische Infection von der Narbe aus angenommen werden muss. Freilich könnte man ja hier auch sagen, dass, da die Wundheilung keine ganz normale war, imd da das Auge während der Heilungszeit zur Infection neigte, die Infec- tionskeime sofort während der Heilung schon ins Auge ge- drungen wären, aber erst später die Entzündung veranlasst hätten. Dem scheint mir aber d^r Verlauf und der ana- tomische Befund zu widersprechen. Ich möchte, wie gesagt, den Fall als eine Spätinfection von der Narbenfistel aus ansehen.

An der nicht ganz glatten Wundheilung war die Ver- schiebung der Wundränder aneinander Schuld; die untere Schnittfläche kam auf die Aussenfläche des oberen Gomeal- falzes zu liegen; dadurch schrumpfte der untere Schnitt- rand etwas in sich zusammen und die Descemet'sche Mem- bran löste sich von der Grundsubstanz ab, legte sich in die Narbe, hinderte besonders in der medialen Schnittfläche eine lineare Vereinigung und unterhielt das Klaffen der Bänder. Doch war die Heilung nicht auffallend verzögert sodass die Patientin am 16. Tage nach der Operation ent- lassen werden konnte mit S = Ve und vollkommen reinem Pupillargebiet. Die Entfernung der Katarakt war eine voll- ständige gewesen, sodass sich auch jetzt anatomisch nichts von Linsenresten nachweisen lässt. Wäre schon bei oder» gleich nach der Operation Infectionsmaterial in das Auge eingedi*ungen, so würde sicher eine stärkere Entzündung sich bemerkbar gemacht haben. Da die Patientin ja auch noch einige Zeit lang wie lang, ist allerdings bei der schlechten Auskunft, die die Person über ihre Erkrankung giebt, nicht auszumachen mit dem Auge gut gesehen hat, so darf man wohl annehmen, dass die später aufge- tretene Entzündung mit der Operation selbst in keinem directen Zusammenhang steht. Man muss vielmehr eine neue Infection an der Fistel im inneren Wundwinkel als Ausgangspunkt hinstellen. Hier findet man bei der anato-

T. Qraefe's ArchiT (Qr Ophthalmologie. XXXV 4. 16

242 I>r. A. Wagenmann.

mischen Untersuchung eine die Narbe durchsetzende eitrige Infiltration, hier finden sich au der Aussenfläche des Nar- benwinkels dichte Kokkenhaufen im Epithel eingenistet, die sich in einzelnen Zügen auch in das Narbengewebe verfol- gen lassen. Hier sind offenbai* die Kokken von aussen her in das Auge eingedrungen und haben die Entzündung ver- anlasst. Auch die Form der Entzündung zeichnet sidi durch' ihren schleichenden, wenig intensiv eitrigen Charak- ter aus.

Da sie den Höhepunkt schon überschritten hat, so fin- det man ein von der Innenfläche des Ciliarkörpers ausge- hendes, die Irishinterflächo und das Colobom überziehendes organisirtes Exsudat. Deutliche Eiterhaufen sind im Ge- webe des Güiarkörpers, der Suprachorioidea und der Ader- haut gelegen. In den Glaskörper sind nur einzelne Eiter^ streifen übergegangen. Ob dieser subacutc Charakter auf die Kokkenart oder auf die geringe Zahl und geringe Pro- pagationsfähigkeit zu beziehen ist, lässt sich nicht aus- machen.

Aus dem subacuten Charakter der Entzündung lässt sich ferner erklären, dass das andere Auge sympathisch er- krankte. Wann die Entzündung hier eingesetzt hat, ist nicht zu eruiren gewesen.

Die Frage der sympathischen Augenentzündung ist ja in den letzten Jahren durch Deutschmann's experimen- telle Arbeiten und anatomische Unterauchungen ganz we- sentlich gefordert. Auch ich konnte in meinem Fall in Uebereinstimmung mit seinen Befunden massige entzünd- liche Veränderungen des Opticusstamms und der Opticus- scheiden des erst erkrankten Auges nachweisen und ziem- lich zahlreiche Kokkenhäufchen in den Opticusscheiden auf- finden. Bei der Operation war ein mehrere Millimeter lan- ges Stück des Nerven am Bulbus erhalten und überall Hes- sen sich die Kokkenzüge nachweisen.

Ich möchte auch den Umstand besonders hervorheben,

üeber von Operationsnarben etc. ausgehende Glaskörpereiterung. 243

dass ich von der Hombautwunde aus contiuuirlicli Kokkeu- zäge im episcleralen Gewebe circulär um den Bulbus bis zum Opticus verfolgen konnte, die besonders gern in Ge- fassscheiden gelegen waren. Ob man daraus für die Patho- genese der sympathischen Ophthalmie einen Schluss ziehen darf, kann ich bei der isolirten Beobachtung nicht sagen. Auffallend ist jedenfalls, dass ich sie in meinem Fall in der Betina und dem Glaskörper gar nicht, im hinteren Ab- schnitt der Chorioidea nur in kleineren Gruppen antraf, hier dagegen in continuirlicher Reihe.

Ueber die Kokkenart kann ich nichts sicheres aussa- gen. Doch scheinen die in der Opticusscheide und in den übrigen Theilen des Auges vorkommenden Kokken derselben Art anzugehören, wie man aus dem Aussehen, der Grösse und der Art des Zusammenliegens schliessen darf. Da sie in der Opticusscheide und vor allem im episcleralen Ge- webe nur eine geringe Eiterung veranlasst haben, was auch mit der wenig intensiv eitrigen intraocularen Entzündung übereinstimmt, so scheint es keine der bekannten Staphylo- kokkenarten zu sein, was sich freilich nur durch Züchtung hätte feststellen lassen.

Wie man aus den mitgetheilten Fällen, die zum gros- sen Theil anatomisch untersucht sind, ersieht, haben wir es bei dieser Foim der eitrigen Entzündung an operirten oder leukomatösen Augen mit einer frischen Infection zu thun, die ihren Weg von der Narbe aus nimmt. A priori könnte man ja drei Möglichkeiten aufstellen, wie die neue eitrige Entzündung zu Stande käme, und woher die Kokken stammten.

Erstens könnten die Kokken von der früheren Perfo- ration her in einer Dauerform im Auge zurückgeblieben sein; zweitens könnten sie durch das Gefässsystem in das Auge eindringen und drittens könnten sie durch eine neue Infection von aussen her in das Auge gelangen.

16*

244 Dr. A. Wagenmann.

Die erste Annahme, die in Despagnet ihren Vertre- ter fand, ist, wie ich schon eingangs erwähnte, unbewiesen und höchst unwahrscheinlich, da in einem Theil der Fälle anfangs gar kein infectiöser Process mit im Spiele war, wie z. B. bei normal geheilten Operationen, und da bei den an- deren Fällen vielfach eine grosse Zahl von Jahren dazwi- schen lag, in der das Auge vollkommen reizlos blieb, sodass die Annahme des Wiederauflebens eines eingekapselten Kok- kenherdcs nicht haltbar ist. Zudem spricht das klinische Bild: acutes Einsetzen manchmal nach geringfügigen Trau- men und vor allem der anatomische Befund bei diesen Fällen gegen die Hypothese von Despagnet.

Bei der zweiten Art der Infection von den Gefas- sen aus muss man hier zwei Formen auseinanderhalten, die metastatische, bei der von einem anderweitigen Infec- tionsherd im Körper aus infectiöses Material ins Augehinein- geschwemmt wird, und die Form endogener Infection, bei der zufallig im Blut kreisende Mikroorganismen an einem Locus minoris resistentiae durch Haftenbleiben an der 6e- fässwand zur Entwickelung kommen. Die metastatische PanOphthalmitis, die zudem sehr häufig doppelseitig ist, kommt hier gar nicht in Frage, da sie ein ganz anderes klinisches Bild giebt und mit anderen Processen im Körper in Verbindung steht. Natürlich könnte auch einmal z. B. bei puerperaler Sepsis ein mit einer vorderen Synechie oder einer Operationsnarbe behaftetes Auge metastatisch eitrig erkranken. In keinem meiner zahlreichen Fälle habe ich Beziehungen der Kokken zu den Gefässen gefunden, wemv ich auch stets darauf geachtet habe. Dafür, dass eine zu- dem gefässarme Operations- oder Geschwürsnai'be, bei der die Gewebsveränderungen lange Zeit abgelaufen sind, einen Locus minoris resistentiae abgeben für eine Kokkenansied- lung, liegt bis jetzt keine Beobachtung vor. Der mangelnde Befund an Kokken in Gefässen spricht in meinen Fällen direct dagegen. Und solange keine unzweifelhafte derartige

lieber von Operationsnarben etc. ausgebende Glaskörpereiterung. 245

Beobachtung beigebracht ist, kommt diese Art der Entste- hung auch nicht in Frage.

Es bleibt also nur die dritte Annahme über den Weg, auf dem die Kokken in das Auge gelangen, und wie die neue citrige Entzündung zu erklären ist, übrig. Es han- delt sich stets um eine frische Infection von der Narbe aus. In allen anatomisch untersuchten Fällen gelang es mir, den Beweis zu fiihreu, dass die Narbe den Ausgangspunkt der frischen Entzündung darstellt. In allen Fällen fand ich mehr oder weniger deutliche Zeichen citriger Entzündung in der Narbe, und in den meisten Fällen gelang es noch Kokken in derselben nachzuweisen. Auch für die übrigen nicht anatomisch untersuchten Fälle wurde durch das kli- nische Bild die Narbe als der Ausgangspunkt der frischen Entzündung dargethan.

Sodann haben die vorstehenden Untersuchungen er- geben, dass sowohl die acuten eitrigen Entzündungen nach Operationen mit und ohne Iriseinheilung, wie auch die, die nach anderweitigen durch Ulcerationen und Ver- letzungen entstandeneu besonders peripheren Irisprolapsen und adhärenten Leukomen auftreten, auf ganz ähnlicher Grundlage beruhen. Beide verlangen für das Zustandekom- men gewisse, gleichartige Bedingungen, beide gleichen sich im Verlauf und in der Art der pathologischen Vorgänge, so dass die acuten eitrigen Entzündungen nach Operationen und nach adhärenten Leukomen als wohl charakterisirtes Krankheitsbild zusammengehören.

Die vorstehend mitgetheilten Untersuchungen haben zugleich über die Entwickelung und Verbreitung der ent- zündungserregenden Mikroorganismen im Innern des Auges und über die Entstehung der durch sie erzeugten Processe neue und bemerkenswerthe Erfahrungen geliefert, auf deren in der Epikrise der einzelnen Fälle gegebene Mittheilung ich zum Schluss mir nochmals hinzuweisen erlaube.

Erklärung der Abbildungen.

Tafel I (Fig. 1).

Eitrige Glaskörperinfiltration, drei Jahre nach Kataraktoperation aufgetreten.

Verticalschnitt durch die Mitte der Operationsnarbe.

JV Narbe, eitrig infiltrirtes und aufgelockertes Zwischen-

gewebe. C = Cornea. I == Iris, verdickt. Kr » KrysUllwulst.

Cl r=s Colobom mit eitrigem Exsudat ausgefüllt. BG » Eitrige Glaskörperinfiltration.

Tafel n (Fig. 2).

Der vordere Baibusabschnitt desselben Auges bei schwacher Yer- grösserung. Verticaldurchschnitt der Stelle entnommen, wo die Linsenkapsel in die Narbe eingeheilt und in der Ulceration der Narbe frei zu Tage liegt. Der Deutlichkeit wegen ist die Linsen- kapsel dicker gezeichnet, als es der schwachen Vergrösserung ent- spricht. C = Cornea. Oj =s CoDJunctiva. I =- Iris. Kr « KrysUllwulst.

iV » Eitrig infiltrirte und an einer Stelle oberflächlich ul- cerirte Operationsnarbe. Iky >== Linsenkapsel, in die Narbe eingeheilt. XX:, » Ilintere Linsenkapsel, das Colobom durchziehend. BG » Eitrig infiltrirter Glaskörper.

Dr. A. Wagenmann, Ueber von etc. GlaBkdrpereiierung. 247

Tafel in (Fig. 3).

. Eitrige Glaskörperinfiltration nach Glaukomiridectomie. Verticaldurchschnitt durch die Mitte der Narbe. N » Narbe, eitrig infiltrirt, taschenförmig ausgebuchtet. C = Cornea.

Cj =^ verdickte Conjunctiva. Ck » Ciliarkörper, atrophisch, abgelöst. L =^ Linse, in dem an die Narbe stoesenden Theil eitrig infiltrirt. Der Kapselriss ist bei dieser VergrOsse- rung natQrlich nicht zu sehen. EG =^ Eitrige Glaskörperinfiltration. 22 = Retina, verdickt, abgelöst.

Tafel IV (Fig. 4).

Eitrige Glaskörperinfiltration, von einer frisch ulcerirten vorderen Synechie ausgehend. (Schwache Vergrösserung.) C = Cornea. VS ^^ Vordere Synechie, frisch ulcerirt. Sei = Sclera. (7h = Chorioidea. R =^ Retina, eitrig infiltrirt. EOi Eitrig infiltrirter Glaskörper.

EG^ = Reihenförmige Anordnung der Eiterkörperchen im Glaskörper.

Tafel V.

Fig. 5 ahedef.

Körnige Degeneration der Linsenfaserkeme.

(Winkel homog. Oelimmers. Vi4*)

«, h, c, d von Fall XII entnommen.

«, f von Fall XIII.

Fig. 6. Kokkenwucherungen im Hornhautepithel. (Winkel homog. Oelimmers. Vi«) K » Kokken. E ^ Epithekellen. BM Bowman*8che Membran.

248 ^f* ^' Wagenmann, Ueber von etc. Glaskörpereiterang.

Fig. 7 a and b.

Vacuolenartige Gebilde aus der Linse, Kokken enthaltend.

(Winkel homog. Oelimmers. V,^.)

Fig. 8 ab cd. Beginnende Linsenkapselperforation. (Winkel bomog. Oelinunere. Vi«-) ah cd verschiedenen Stellen entnommen. Lk =3 Linsenkapsel. LE ==^ Linsenkapselepithel. E =s Eiterkörperchen, vielfach langgezogen. K Kokken. P = Pigmentstäbchen. Bk Bothe Blutkörperchen. Ex ^ Amorphes Exsudat

As »» Auf der vorderen Linsenkapsel gelagertes Schwarten- gewebe.

Fig. 9.

Glashäutige Auflagerung auf der Aussenfläche der hinteren Linsen-

kapsel, durch Eitermassen abgelöst.

HLk Hintere Linsenkapsel. A » Auflagerung. E = Eiter. EG = Eitrig infiltrirter Glaskörper.

Zur Frage der Schul-Myopie. Zweiter Theil.

Von

Professor H. Schmidt-Rimpler

in Marbnrg.

Mit i Figuren im Text.

In einer früheren Arbeit^) habe ich die Ergebnisse meiner Augen-Untersuchungen an den Schülern der Gym- nasien zu Frankfuii; a. M., Montabaur, Fulda, dem Real- gymnasium zu Wiesbaden, den Realgymnasien zu Limburg und Geisenheim zusammengestellt und erörtert. Nach Ab- lauf von SVs Jahren konnte ich diese Untersuchungen wie-> derholon; von den damals vorhandenen 1710 Schülern wur^ den 702 zum zweiten Male geprüft: eine immerhin statt- liche Anzahl, um die Veränderungen der Refraction an ihnen zu studiren. Die Gesammtzahl der diesmal unter-; suchten Schüler zu den obengenannten waren die des Gymnasiums zu Marburg hinzugekommen betrug 2002.

Die Methode der subjectiven Refractionsbestimmung^ nach welcher die Einreihung in die verschiedenen Katego- rien erfolgte, war dieselbe wie früher (vergl. 1. c. S. 126). Ich hebe nochmals hervor, dass durch eine Voruntersuchung die Schüler, welche ohne Gläser volle Sehschärfe hatten, beziehentlich mit vorgehaltenem Convexglase 1,0 schlechtei:

>) Y. Graefe*9 Archiv für Ophthalmol. XXXI, 4. Abth., S. 115

—182 (1886).

250 H. Schmidt-Rimpler.

sahen, ausgesondert und als Emmetropen, gefuhrt wurden. Es sind demnach die Refractionsanomalien >> 1,0 Temacfa- lassigt worden. Sämmtliche Myopen wurden ophthalmos- kopirt und nach der verschiedenen Grösse des Conus, der Hyperämie der Papille und progressiven Veränderungen der Chorioidea gruppirt; ausserdem fand eine objective Refirao- tionsbestimmung bei den Schülern, deren Refraction sich gegen früher erhöht hatte, sowie bei allen Myopen >* 6,0 statt.

Auch die hygienischen Verhältnisse der Schulen wur- den einer Untersuchung unterzogen. In meiner früheren Arbeit finden sich darüber ausfuhrlichere Mittheilungen, und zwar unter besonderer Berücksichtigung der Beleuch- tung (Glas zur Bodenfläche, Sehschärfe am schlechtest be- leuchteten Platz) in den einzelnen Klassen; dieselben gebe ich diesmal nur für das neu untersuchte Gymnasium in Marburg. Das Hauptgewicht ist immer auf die hygieni- schen Einrichtungen der einzelnen Anstalt in ihrer Gesammt- heit zu legen; nur wenn hervorragend ungünstige Verhält- nisse in einer bestimmten Klasse bestehen, die zu Schädi- gungen der Augen führen, wie ich dies früher bezüglich der Häufigkeit des Accommodationski-ampfes in einzelnen, nunmehr cassirten oder hygienisch verbesserten Klassen nach- weisen konnte, würde hierauf Gewicht zu legen sein. Klei- nere Unterschiede in der Beleuchtung und Einrichtung der einzelnen Klassen werden nicht besonders zur Geltung kom- men oder wenigstens sich in ihrer Wirkung nicht nachwei- sen lassen, da die Schüler die einzelnen Klassenräume oft und unregelmässig wechseln: so wird je nach der Schüler- zahl bald dieses bald jenes Zimmer als Quinta, Quarta u. s. f. benutzt.

Einzelne Punkte betreffs der Schulhygiene, die mir bei diesen wiederholten Untersuchungen aufgestossen sind, möchte ich hier kurz erwähnen: sie geben jedenfalls dazu einen Bei- trag, dass eine ärztliche Beaufsichtigung und Controlle möge

Zur Frage der Schal-Myopie. 251

man sich dieselbe unter welcher Form immer vorstellen dringend erwfinscht sein mnss.

Vor Allem gehört hierher die mangelnde Reinlichkeit der Zimmer nnd Gebäude, welche sich in grösserem oder geringe- rem Maasse fast überall findet. In einem Gymnasium war der auf dem Boden liegende sandige Schmutz zu dicken Massen geballt und liess die unter den Schalem oft beliebte Bezeich* nung „StalP^ fQr „Schule*^ ganz zutreffend erscheinen: es wurde hier in der That nur ein Mal im Jahre, in den Sommer- Ferien, nass aufgescheuert und gründlich gereinigt Sonst wurde zwei Mal wöchentlich trocken ausgefegt; in den Ferien mit feuchten Sägespänen. Dass das trockene Ausfegen nur eine Ortsveränderung des Schmutzes zur Folge haben kann, ist klar. Zur gewiss grossen Freude aller Lehrer und Schüler hatte die Betonung dieses Missstandes ärztlicherseits^) in Preussen den Erfolg gehabt, dass der Unterrichtsminister Herr t. Ooss- 1er anfangs dieses Jahres einen Erlass gegeben, der eine Bes- serung und Regelung der Reinigung in den Schulen anordnete und, da dies natürlich auch eine pecuniäre Frage ist, even- tuelle Unterstützung in Aussicht stellte. Wenn die Unreinlich- keit auch nicht direct mit der uns hier beschäftigenden Frage der Schul-Myopie etwas zu thun hat, so wollte ich doch meine bezüglichen Beobachtungen nicht unterdrücken, zumal nach an- derer Richtung hin eine schädliche Folge für die Augen kaum verkennbar ist: unter 1662 Schülern fand ich 566 (34%), deren Conjunctiva eine abnorme Beschaffenheit (Hjrperämie, Catarrh, Follikel) zeigte.

Wie gut eine sachverständige ControUe auch bei Neube- schaffung von Subsellien ist, ergiebt sich daraus, dass in zwei Schulen in den letzten Jahren nach meiner 1885 vorge- nommenen Inspection neue Schulbänke angeschafft wurden, die eine ganz veraltete und längst verworfene Construction (sogenannte Nassauische Normalbänke mit festen Tischen und Bänken und einer unveränderlichen positiven Distance von 9 bis 13 cm) haben. ^)

>) Siehe auch meine Brochflre „Schule und Auge*'. 1888. Breslau.

*) Ich möchte hierbei bemerken, dass ich eine 0-Distanz für voll- ständig ausreichend halte, um eine correcte Haitang beim Schrei- ben zu erzielen. Sie gestattet aber eine fireiere Bewegung des Kör- pers als die oft empfohlene negative Distanz, was besonders bei grösseren Schülern in Betracht kommt.

252 . H.. Schmidt-Rimpler.

In mehreren lOassen hatten die Schüler gerade vor sich unverhängte Fenster, in die sie hineinblicken mussten. Spgar eiserne Gitter fanden sich noch vor einigen Fenstern. Die unteren Scheiben sind bisweilen, um ein Durchsehen zu ver- hindern, mit dicker weisser Oelfarbe bestrichen und so auch der Durchtritt des Lichtes verhindert, während matte oder ge-. riefte Glasscheiben mit geringerem Nachtheile denselben Zweck erfüllten; ich halte aber die ganze Massnahme für hygienisch verwerflich. Der Anstrich der Fussböden, Wände, Thüren, die Form der Fenstervorhänge meiner Ansicht nach empfehlen sich am meisten die oberhalb der Fenster innen angebrachten und nach beiden Seiten auseinander zu ziehenden grauen Vor- hänge — erfordern ebenso einer Oontrolle, wie die ordnungs- massige Benutzung der Scbuleinrichtnngen. Nicht selten fand ich noch zugezogene Fenstervorhänge, während die Sonne gar nicht mehr schien (in einer Klasse war die Sehschärfe auf dem schlechtest gelegenen Platz dadurch auf '/^ herabgesetzt; bei hochgezogenem Vorhang war sie ^/g), oder treffliche Subsellien von verschiedener Grösse in einer Klasse, ohne dass jedoch die Schüler ihrer körperlichen Grösse entsprechend darauf ge- setzt worden wären.

Im Allgemeinen zeigte sich in den von mir untersuchten Anstalten das Bestreben, gerügte Schädlichkeiten zu heben und Verbesserungen einzuführen; es ist aber zu bedenken, dass in der Regel auch der Geldpunkt hierbei eine Rolle spielt und dass man demnach nur auf allmähliche Fortschritte wird rech« neu können.

Untersuchung der einzelnen Anstalten. I. Städtisches Gymnasium zu Frankfurt a. M.

Jede Klasse hat, wie bereits in meiner früheren Arbeit ausgeführt, zwei Coetus, von denen der eine zu Ostern, der andere zu Michaeli Versetzung hat. Von den unversetzten Schülern geht ein Theil in den Wechsel-Coetus über, der an- dere bleibt in demselben Coetus, um noch einmal das voll- ständige Jahrespensum durchzumachen. Da es sich demnach gleichsam um ein Doppel-Gymnasium handelt, habe ich die Zu- sammenstellungen der Untersuchungsergebnisse auch dies Mal so gemacht, dass ich Gymnasium Frankfurt-Ostern und Frank- furt-Michaelis trennte. ^

Das Ostern-Gymnasium hat unter 310 untersuchten

Zur Frage der Schul-Myopie. 253

Schülern 209 (67®/o) Emmetropeu, 99 (32%) Myopen und 2 (1%) Hyperopen. (Im Jahre 1885 ergab die Untersuchung 65% E, 33% M, 2%H.) Betreffs der Hyperopie, deren Pro- centsatz anderen Untersuchungen gegenüber sehr gering erscheint, sei nochmals betont, dass die Grade unter 1,0 als Emmetropen gezählt sind und etwaige latente Hyperopie ebenfalls nicht in Rechnung gezogen ist. Die Sehschärfe war bei 242 Schülern (78%)^1, bei 57 (18%):> V, und bei 11 (3%)< %. [1885: S = >1 in 79%, S> in 18%, S< Vj in 3%.] Bezüglich der Yertheilung der niederen Refractionszustände und Sehschärfe nach Klassen giebt die über sämmtliche Anstalten angefertigte Uebersichtstabelle A (cf. Abschnitt: Allgemeine Er- gebnisse) Auskunft. Tabelle 2 zeigt die Yertheilung der Myo- pie nach dem Lebensalter und nach dem Schuljahre.

Wenn man die 619 untersuchten Augen (ein Schüler war einäugig) znsammensteUt, so haben von 385 emmetropischen Augen 341 S^l, 34 S> Vg, 10 S < %. Von 96 Augen mit M < 3,0 haben 51 S ^ 1, 36 S ^ % und 9 S < V«; von 81 Augen mit M3— 6 haben 41 S>1, 37 S > und

3 S< %; von 21 Augen M>6,0 haben 2 S^l, 15 S> %,

4 S<%. Von 4 Augen mit H>3 haben 2 S>1, 1 S> %, und 1 S<CV9- ^on 32 astigmatischen Augen haben 16 S>V« und 16 S<%.

Nachfolgende Tabelle 1 giebt nach Klassen geordnet die Zahl der Anisometropen (41; das rechte Auge war 25, das linke 16 Mal das stärker brechende; 1885: 54 Anisometropen, das rechte Auge 33, das linke 21 Mal stärker brechend) und die Ver- erbung der Kurzsicbtigkeit nach Graden der Kurzsichtigkeit (Ml— 3, 3—6; 6—8 und > 8) eingetheilt an.

Erblichkeit wurde, wie früher, angenommen, wenn beide Eltern oder der Vater oder die Mutter kurzsichtig waren, aber nicht, wenn bei den Geschwistern aUein Kurzsichtigkeit vor- kam. Bei 99 Myopen war 68 Mal, also in 69% (1885 in 75%) Vererbung nachweisbar.

Bezüglich des Auftretens des Conus bei 198 myopischen Augen ergab sich, dass selbiger 120 Mal (61%) vorhanden war. Von 96') Augen mit Ml 3 hatten 47 einen Conus, von 66*) Augen mit M 3— 6: 43, von 36 mit M>6: 30.

*) Die Differenz der Zahlen gegen oben erklärt sich dadurch, dass die Augen mit M6,0 hier nicht mitgezählt sind, sondern in die nächste Kategorie M > 6,0 gebracht wurden.

254

H. Schmidt-Rimpler.

Tabelle 1. Frankfurt a. M. Oatern.

Schale

Anisometropie

M. 1-3.

Vererl M. £

bong

der Myopie

> 8.'

lOufle

r

Starker

{-6.

M. 6-8.

M. l

hnw»hAn<1

Zahl

' Zahl

Ver- erbt

Zahl

Ver- erbt

Zahl

Ver. erbt

Zahl

Ver- erbt

r.

1.

la.

24

10

5

5

3

3

7

4

2

1

1 1 1

Ib.

28

4

3

1

10

4

3

2

2

2

1

na.

31

7

5

2

6

3

4

3

5

3

1 1 1

Üb.

33

5

2

3

4

3

8

7

1

1

ina.

39

1

1

5

3

3

3

III b.

45

8

5

3

6

3

8

7

1

IV.

29

1

1

2

2

3

2

1

V.

33

4

3

1

5

4

1

1

VI.

48

1

1

7

5

310

41

25

16

48

30

37

29

11

7

3 2

Unter 99 M. besteht 68mal Vererbung »- 69 %•

Tabelle 2.

Frankfurt Ostern.

Zunahme der Myopie innerhalb 3Vt Jahren.

I'

I

I

^ jq <S

||5

1^1

N I

11

la.

Ib. IIa. nb.

nia. rab.

IV. V.

früher

jetzt

froher

jetzt

froher

jetzt

froher

jetzt

früher

jetzt

froher

jetzt

früher

jetzt

froher

jetzt

7

8«) 16 12 19 15 18 15*) 21 21 23 19

5

4

1

1

12

11 8

12 8

12 5 8 2 2 4 8 1 2

5 2 7 3 2 4 1

3

KD») 5(1)«) 2(3)«) 2

3(2)») KD»)

5 6 11 7 2 8 2

3 2 6 5 2 5 5

151 41 25

-27 V.

>) 1 M. wurde £. *) Die Klammer enth&lt die Zahl der erb- lich Belasteten unten denen, die froher nicht kunsichtig waren.

Zar Frage der Schul-Myopie. 255

Ueber die Grössengrade und Beschaffenheit des Conus, sowie die Vertheilung nach Myopischen und Klassen finden sich Mit- theilungen in dem Capitel „Allgemeine Ergebnisse^.

Betreffs der Refractionsveränderungen oder der Zunahme der Kurzsichtigkeit, welche während der 3^. Jahre, die zwi- schen der früheren und jetzigen Untersuchung liegen, bei den einzelnen Schttlern stattgefunden hat, giebt die Tabelle 2 Auskunft Die Schüler sind hier nach Klassen und nach ihrer früheren und jetzigen Refraction geordnet; gleichzeitig ist auf vorhandene Erblichkeit Rücksicht genommen. Von 151 früher untersuchten Schülern zeigen 41 (27 ^/o) eine Zunahme der Refraction; unter diesen sind 25 erblich belastet. Von den 41 Schülern waren 24 bereits früher kurzsichtig, jedoch hat sich der Grad ihrer Kurzsichtigkeit gesteigert. Bei 2 früher als kurzsichtig geführten Schülern wurde jetzt Emmetropie con- statirt: es handelte sich demnach um einen zurückgegangenen Accommodationskrampf (abnorme Accommodationsspannung).

Das Frankfurter Michaelis-Gymnasium hat unter 243 Schülern 172 (71«/o) Emmetropen (1885: 65 ^/o), 68 (28%) Myopen (1885: 33%) und 3 (1%) Hyperopen (1885: 2«/o). Die Sehschärfe war bei 194 Schülern (79%) >1 (1885: 76%), bei 43 (18%) ^ (1805= 20%), bei 6 Schülern (2%) <V8 (1885: 3%). Bei den Myopen war in 62% (1885: 67%) Erblichkeit vorhanden. Von 312 emmetropischen Augen haben 291 S^l, 13 >% und 8 < ^(,. Von 68 Augen mit M<3,0 haben 41 S^l, 27 S^ V«; von 48 Augen mit M3— 6 haben 21 S^l, 25 S^%, 2 S<% und von 17 Augen mit M>6,0 haben 6 S>1, 8 S> ^d 2 S<%. Von den 12 hyperopischen Augen haben 6 mit H<C3,0 S^ 1, 1 Auge S<V«» von 5 Augen mit H>3,0 haben 1 S> 1, 1 S>V« und 3 S<%. Von 29 astigmatischen Augen haben 2Ts>%, 8 S<V«.

Einen Conus hatten von 133 myopischen Augen 82 (62%); hierunter bei 68 Augen mit Ml— 3:35, bei 47 Augen mit M 3— 6:33, bei 18 mit M^6:14.

Von 131 früher untersuchten Schülern zeigten 27 (20,6%) eine Zunahme der Refraction; 18 von diesen waren erblich belastet. Von den 27 Schülern waren 12 bereits bei der ersten Untersuchung kurzsichtig, jedoch hatte sich der Grad der Kurz- sichtigkeit gemehrt

256

H. Schmidt-Rimpler.

Tabelle 3. Frankfurt a. M. Michaelis.

.

Schüler

Anisometropie

Vererbang der Myopie

Klasse

Zahl

SOrker brechend

M. 1—3 1 M. 3—6

M. 6-8

M, > 8

Zahl

I?St ^"

Ver- erbt

Zahl

Ver- erbt

Zahl 1 ^*': , erbt

r.

1.

la.

Ib.

Ha.

Hb.

III a.

inb.

IV.

V.

VI.

12 16 32 33 32 26 34 22

5 5 5 7 3 4 5 3 2

3

1 3 3

1 3

1 1 1

2 4

2 4 2 1 4 2 1

3 2 6 8 6 3

t

1

^

2 2

4

1 2 7

1 1

1

1 1 2 1 1 4

1

ll 1

2 ! 2 1 ! 1 1 1

1

1

1

1

1 1

243

39

17

22

38

24

21

11

6 1 5

3

5?

Unter 68 M. besteht 42 mal Vererbung •»^ 62%.

Tabelle 4,

Frankfurt a. M. Michaelis.

Zunahme der Myopie innerhalb 8 Jahren.

a

KS

I

^1

ll

l|3

N (2

Uli

la.

Ib. IIa. Ilb.j

nia.^ inb.

IV. V.

froher

jetzt

frQher

jetzt

früher

jetzt

früher

jetzt

früher

jetzt

früher

jet([:t

früher

jetzt

früher

jetzt

6

4

10

8

20

18

24

21

19

15

18

16

1

1

1

1

3 5 6 7 6 8 7 11 2 6 4 6

2 3 0 3

1 3

3

(2) 3(4)

(3) 1

10 16 28 32 21 22 1 1

liT

27

18

^20,6Vo

Zur Frage der Schul-Myopie. 257

II. Königliches Gymnasium in Fulda.

Von 231 nntersQchten Schülern waren 150 (65®/o) Emme- tropen (1885: 62%), 80 (35 7o) Myopen (1885: 36%), 1 (0,6^/o) Hyperopen (1885: 1%). Die Sehschärfe war bei 182 Schülern (79%) > 1 (1885: 71%); bei 34 (15%) > % (1885: 25%) und bei i5 (6%)< % (1885: 3%). Bei den Myopen war in 34% (1885: 59%) Erblichkeit nachweisbar.

Von 264 emmetropischen Augen haben 217 S>1, 38 ^V» «n<l 9 <%. Von 105 Augen mit M<3,0 haben 68 S>1, 28 >% und 9 <%; von 40 Augen mit M3 6 haben 24 S>1, 13 > «nd 3 <%, und von 8 Augen mit M>6 haben 2 S>1, 5 ^V»» 1 < Va- 2 Augen in Hyperopie <3 haben S> Vj, 2 mit H>3 haben S<%; von 40 astigmatischen Augen 4 S^ 1, 12 > % und 24 > %.

Einen Conus haben von 153 Augen 80 (52%); hierunter bei 105 Augen mit M 1— 3: 50, bei 38 mit M3— 6: 22 und bei 10 mit M>6: 7.

Von 103 früher untersuchten Schülern zeigten 33 (32,0®/o) eine Zunahme der Refraction; 14 von ihnen waren erblich be- lastet. Von diesen 33 Schülern waren 10 schon fi*üher kurz- sichtig.

III. Städtisches Gymnasium in Montabaur.

Von 250 Schülern waren 181 (72%) Emmetropen (1885: 65%), 68 (27%) Myopen (1885: 32%) und 1 (0,4%) Hy- perop (1885: 2%). Die Sehschärfe war bei 217 Schülern (87%) >1 (1885: 82%), bei 27 (10%) > % (1885: 15%) und bei 6 (3%) < (1885: 2%). Bei den Myopen war in 34% (1885: 26%) Erblichkeit nachweisbar.

Von 499 Augen waren 324 emmetropisch; von ihnen hatten 299 S>1, 16 >%, 9 < V». Von 94 Augen mit M<3 hatten 72 S^ 1, 21 > % und 1 < V«; von 28 Augen mit M3— 6 hatten 14 S> 1, 11 > V2 und 3 < Va, und von 6 Augen mit M>6 haben 4 S>1, 1 >% und 1 < %. Von 8 Augen mit H<3 haben 3 S^l und 5 < %. Von 39 astigmatischen Augen haben 13 S>1, 15 >Vs und 11

Einen Conus haben von 128 myopischen Augen 72 (56%); hierunter bei 94 Augen mit Ml->3: 53, bei 28 Augen mit M3— 6: 17, bei 6 Augen mit M>6: 2.

T. Graefe'8 Archiv ftkr Ophthalmologie. XXXV. 4. 17

258

H. Schmidt-Rimpler.

Tabelle 5.

Fulda.

1 Anisometropie

1

M. 1-3.

Vererbung

ier Myopie

Klamie

Schüler

t

starker brechend

r. T r~

M. 3-6.

M. 6-8. 1 M. > 8.

Zahl

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Ver- erbt

Zahl

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Ver- erbt

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Ib.

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1

1

1

IIa.

26 11 6

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1

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3

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1

III a.

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1

IV.

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1

V.

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1

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6

231

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18 1 13

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Ib

17

4

4

2

2

Unter 8() Myopen besteht '27mal Vererbung —34*/,.

la.,

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IIa.!

IIb.

III a.

Illb.

i I

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Tabelle 6. Fulda.

Zunahme der Myopie innerhalb 3Va Jahren.

_

II ll

früher 4

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früher

jetzt

früher

jetzt

früher

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früher

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früher

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103

33 = 327«

0 2 6 0 4 2 0 0

14

*) 1 M. wurde E.

Zur Frage der Schul-Myopic.

259

Tabelle ?• Montabaur.

SchQler

1 Anisometropie

M. 1

Vererbung

der Myopie

M. ;;

Klasse

[

1 starker

-3.

M. 3-6.

M. 6-8.

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Zahl

1 r.

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Zahl

Ver- erbt

Zahl

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Zahl

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Zahl

Ver- erbt

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Ib.

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1

III a.

33

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1

1

III b.

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1

IV.

33

1

1

3

V.

36

5

5

4

VI.

11

1

250

|41

22

19

49

16

16

5

2

1

1

Unter 68 Myopen besteht 23mal Vererbung == 34 7o-

Tabelle 8.

Montabaur.

Zunahme der Myopie innerhalb 3Vs Jahren.

1^

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s

1

früher

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7

7

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W^ P

•) M. wurde E.

88 23 4

17*

260 H. Schmidt-Rimpler.

Von 88 früher untersachten Schülorn zeigten 23 (26%) eine Zunahme der Refraction; 4 von ihnen waren erblich be- lastet. Von diesen 23 Schülern waren 11 schon früher kurz- sichtig.

IV. Königliches Real-Gymnasium in Wiesbaden.

Von 393 Schülern waren 318 (81%) Emmetropen (1885: 71%), 71 (18%) Myopen (1885: 27%) und 4 (1%) Hype- ropen (1885: 2%). Die Sehschärfe war bei 340 Schülern (86%)>1, bei 42 (10%)>% und bei 11 (3%)< V*.

Bei den Myopen war in 48% Erblichkeit nachweisbar (1885: 55%).

Von 786 Augen waren 584 emmetropisch; von ihnen hat- ten 535 S>1, 37 S> und 12 S<%. Von 91 Augen mit M<3 hatten 53 S>1, 31 S>^j^ und 7 S<%; von 48 Augen mit M3 6 hatten 24 S^l, 22 S^% und 2 S < Va und von 10 Augen mit M> 6 hatten 6 S^ 1, 3 ^ '/« und 1 < */2- Von 14 Augen mit Hyperopie <i 3 hatten 6 S> 1, 2 > % und 6 < Vai von 4 Augen mit H>3 hatten 2 S> V2 und 3 S-< %. Von 35 astigmatischen Augen hatten 5 S>1, 19 S>% und 11 S<%.

Einen Conus haben von 149 myopischen Augen 80 (54%); hierunter bei 91 Augen mit Ml 3: 39, bei 47 Augen mit M3— 6: 33; bei 11 Augen mit M^6: 8.

Von 122 früher untersuchten Schülern zeigten 21 (17%) eine Zunahme der Refraction; 9 von ihnen waren erblich be- lastet. Von diesen 21 Schülern waren 11 schon früher kurz- sichtig.

V. Städtisches Real-Progymnasium in Limburg.

Von 138 Schülern waren 109 (79%) Emmetropen, 29 (21%) Myopen (1885: 29%). In der Vorklasse, die aber, um einen Vergleich mit den anderen Anstalten zu gestatten, bei den weiteren Zusammenstellungen fortgelassen, waren 20 Schüler und unter diesen 2 (10%) Myopen. Die Sehschärfe war bei 120 (87%) Schülern >1, bei 14 (10%) >% und bei 4 (3%) < '/,.

Bei den Myopen war in 62% Erblichkeit nachweisbar (1885: 30%).

Zar Frage der Schul-Myopie.

261

Tabe

jlle 9.

Wies

baden.

ScbUer

Anisometropie

Vererbung

der Myopie

Klasse

starker brechend

M. 1

-3.

M. 3-6.

M. 6-8. 1 M. > a.

Zahl

Zahl

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Zahl

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1

IIa.

31

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3

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IIb.

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1

III a.

44

9

2

10

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2

1

III b.

41

4

3

3

1 1 5

4

IV.

79

11

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2

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1 3

2

1

V.

76

6

2

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4

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VI.

59

1

1

4

1 1

i

1

393 42

29

13

45

18 23

15

1

2

1

Unter 71 Myopen besteht 34mal Vererbung =48*/ü.

Tabelle 10.

Wiesbaden.

Zunahme der Myopie innerhalb 3Vs Jahren.

la.

Ib<

na.

IIb.

ina.

Illb.

VI.

II

froher

jetzt

früher

jetzt

froher

jetzt

froher

jetzt

froher

jetzt

froher

jetzt

froher

jetzt

13») I 1

>) 1 M. wurde E. «) Früher E: •) Cf. Anmerk. zu Tabelle 2.

262

H. Schmidt-Rimpler.

Tabelle 11. Limburg.

Anisometropie

Vererbung

der Myopie

»

Klasse

Schftler

! Starker Zahl ^^^^^^^ 1

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Zahl

-3.

M. 3—6.

M. 6-8. ! M. > 8.

Ver- erbt

Zahl

Ver- erbt

Zahl

Ver. erbt

Zahl

Ver- erbt

11.

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2

1

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2

Illa.

11

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1

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2

IV.

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VI.

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1

17

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8

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1 1 1

Vor- kla8(>e

»

1

1

1

Unter 29 Myopen (mit Ausschluss der Vorklasse) besteht 18 mal Vererbung = 62 7o.

II. Illa. III b.

V.

VI.

Tabelle 12.

Limburg.

Zunahme der Myopie innerhalb 3V8 Jahren.

st 'S s

1 "1 ,

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4 4 4 1

68 I 20 ; « 29,4«

13

») 1 H wurde E.

Zur Frage der Schul-Myopie. 263

Von 275 Augen waren 192 cmmetropisch ; von diesen hatten 177 S> 1, 8 > ^'^ und 7 < ^2- Von 33 Augen mit M < 3 hatten 22 S > 1, 10 > V* und 1 < ^V» von 20 Augen mit M3— 6 hatten i 2 S>1, 6 >> «^d 2 < Va und von 10 Augen mit M>G hatten 3 S:> 1, 3 > Va und 2 < V». Von 9 Augen mit Hyperopie <I 3 hatten 4 S > 1 , 3 ^ und 2 <V8» ein Auge mit H>3 hatte S^^/^. Von 10 astigmatischen Augen hatten 2 S>1, 6 > und 2 <C ^2-

Einen Conus haben von 63 myopischen Augen 30 (48^/o); unter diesen kommt er bei 33 Augen mit M 1 3 8 Mal, bei 20 Augen mit M3 6: 13 Mal und bei 10 Augen mit M>>6: 9 Mal vor.

Von 68 früher untersuchten Schülern war bei 20 (29%) eine Zunahme der Refraction eingetreten; 13 von ihnen waren erblich belastet. Unter diesen 20 Schülern waren 7 früher schon kurzsichtig.

VI. Städtisches lieal-Progymnasium in Geisenheim.

Von 112 Schülern waren 84 (75%) Emmetropen (1885: 74%), 26 (23%) Myopen (1885: 22%) und 2 (2%) Hyper- open (1885: S^'q). Die Sehschärfe betrug bei 100 Schülern 89%) :>1, bei 11 (10%) Z'li and bei 1 (1%) <%

Bei den Myopen war in 35% Erblichkeit nachweisbar (1885: 64%).

Von 224 Augen waren 159 emmetropisch ; von diesen hatten 150 S> 1, 7 > Vj und 2 < '/a- Von 25 Augen mit M<3 hatten 16 S>~1, 6 > Va und 3 < %, von 22 Augen mit M3 6 hatten 13 S>1, 9 >% und 5 Augen mit M <6 hatten S^ Va- Von 5 Augen mit H<3 hatten 1 S> 1, 3 > '/a und 1 < %, von 2 Augen mit H>3 hatte 1 S > 1 und 1 <^ ^2- Von 6 astigmatischen Augen hatte 1 S ^ 1, 4 <:% und 1<%.

Einen Conus hatten von 52 myopischen Augen 26 (50%); bei 25 Augen mit Ml 3 kam er 13 Mal, bei 21 Augen mit M3— 6: 7 Mal und bei 6 Augen mit M>6: 6 Mal vor.

Von 39 früher untersuchten Schülern zeigten 13 (33%) eine Zunahme der Refraction; 5 von ihnen waren erblich be- lastet. Unter den 13 Schülern waren 6 schon früher kurz- sichtig.

264

H. Schmidt-Rimpler.

Tabelle 13. Geisenheim.

SchQlei

Anisometropie

Vererbung

der Myopie

Klause

starker

M. 1-3.

M. 3-6.

M. 6-8.

M. >8,

Zahl

r.

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ZaKI

Ver- erbt

Zahl

Ver- erbt

Zahl

Ver- erbt

Zahl

Ver- erbt

IIa.

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1

1

1

1

1

IIb.

20

5

5

5

2

3

1

1

1

1

nia.

14

5

1

3

1

III b.

16

1

3

1

IV.

21

3

3

1 1

1

1

V.

27

2

2

1

1 :

VI.

12

2

2

1

i

112 i

13

7

6

i 12

3

11

4

1

2

2

Unter 26 Myopen bestand 9mal Vererbung« 35 Vo

Tabelle 14.

Geisenheim.

Zunahme der Myopie innerhalb 3Vs Jahren.

1^ II

IIa.i IIb.

ina. inb.

IV.

früher

jetzt

frQher

jetzt

früher

jetzt

früher

jetzt

früher

jetzt

I

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12

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m

s %

2 2 1

39 13 -33,3%

VII. Königliches Gymnasium in Marburg.

Das Gjrmnasiam zu Marburg ist in einer verhältnissmässig engen Strasse belegen und mit seiner Vorderseite gegen die ansteigende Berghöhe gerichtet. Die nach dieser Seite gele- genen Zimmer werden, mit Ausnahme eines, nicht als Unter-

Zur Frage der Schul -Myopie.

265

richtsräame benutzt. Die nach Süden gerichtete Hinterfront sieht vollkommen frei in's Thal; die Klassenränme sind der Sonne viel ausgesetzt und müssen daher die Vorhänge häufig heruntergelassen werden. Die Beleuchtnngsverhältnisse, die Anfangs September, also in einer hellen Jahreszeit, gemessen wurden, waren folgende. Oberprima: Glas- zu Bodenflächc 1:8; 8 = ^/4 am schlechtest gelegenen Patz. Unterprima: 1:7; ^=r«/^. Obersecunda: 1:7; S=\. Unterseeunda: 1:9; S = '/g. Die Classe ist nach Norden gelegen, im Winter in den «rsten und letzten Unterrichtsstunden dunkel. Obertertia: 1:8; S = «Z^. Untertertia A: 1:7; S = %. Untertertia B: 1:7; S = */j. Quarta: 1:6V,; S = */7- Quinta: 1:7; S=«/3,

Tabelle 15. Marburg.

SchQler

Anisometropie

Vererbang

der Myopie

Kinase

Zahl

Stttrker |

M. 1

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M. 8-6.

M. 6-8.

M.>8.

r.

1-

Zahl

Ver- erbt

Zahl

Ver- erbt

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Zahl

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2

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Ib.

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5

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1

1

1

1

IIa.

31

5

2

3

5

1

5

3

2

2

IIb.

31

2

1

1

4

1

2

2

2

1

nia.

26

2

2

10

9

1

III b.

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4

3

1

8

5

5

2

2

1

IV.

45

7

4

3

7

2

2

1

V.

41

2

1

1

1

1

1

1

VI.

38

2

1

1

1 6

1

305

36

19 j 17

48

21

27

18

9

6

3

2

Unter 87 Myopen bestand 47 mal Vererbung »54 7o-

jedoch sind zwei Rouleaux heruntergelassen, trotzdem die Sonne nicht scheint; nach Heraufziehen derselben steigt S auf %. Sexta: 1:9; S^^/g. In einzelnen Klassen ist Gasbeleuchtung vorgesehen. Die Tafelschrift konnte überall von den schlech- test gelegenen Plätzen aus gesehen werden. Die neu ange- schafften Subsellien (Klappsitze) sind gut, zum Theil in zwei Orössennummem fUr die Klasse, ohne dass jedoch die Schüler ihrer Körpergrösse nach darauf gesetzt wären. Die bisweilen vorhandene grosse negative Distance (bis 5 cm in Obertertia) halte ich für unzweckmässig.

Von 305 Schülern waren 216 (70%) Emmetropen, 87 (29%) Myopen und 2 (l^/o) Hyperopen. Die Sehschärfe war

266 H. Schmidt-Rimpler.

bei 259 Schülern (85 «/J > 1, bei 37 1,1 2 \) > \j und bei

9 (3^) <V,.

Bei den Myopen war in 54% Erblichkeit vorhanden.

Von 609 Augen waren 409 emmetropisch; von diesen hatten 366 S^l, 32 S> V, und 11 < V«- Von 91 Augea mit M<3 hatten 61 S> 1, 25 > Vj und 5 < Vi? von 55 Augen mit M 3 6 hatten 33 S>1, 18 > Va, 4 <V2; von 22 Augen mit M>6 hatten 3 S> 1, 17 > V, und 2 < >/^. Von 4 Augen mit H < 3 hatten 1 Auge S > 1 , 1 > \/j und 2 < V«; 2 Augen mit H>3 hatten S< Vj. Von 26 astig- matischen Augen hatten 4 S^ 1, 16 > ^2 ^^^^ 6 <C V«-

Einen Conus hatten von 168 myopischen Augen 94(56%); bei 91 Augen mit M 1 3 kam er 34 Mal, bei 50 Augen mit M3~6: 3 Mal uud bei 27 Augen mit M> 6: 23 Mal vor.

Allgemeine BrgebniBse.

Die Ergebnisse der Untersuchung der einzelnen An* stalten habe ich, wie früher, in eine Reihe von Uebersichts- tabellcn und Gurven zusannnengcfasst.

Tabelle A zeigt den Procentsatz der Myopie der ein- zelnen Anstalten nach Schulklassen geordnet. Auch bei dieser neuen Untersuchung könnte es, wie bei der vor 3*/, Jahren angestellten, bei einfacher Betrachtung der Durchschuittsprocentsätze der Anstalten scheinen, als ob in den Gymnasien mehr Schüler kurzsichtig würden als in den Realgymnasien und Realprogymnasien. So sind in Fulda 35 % Frankfui-t-Ostern 31,9 %, Marburg 29 «/o, Frankfurt- Michaelis 27,9 %, Montabaur 27 ^/^ Myopen, während Wies- baden nur 18®/o, Limburg 21®/o und Geisenheim 23% haben. Der Gesammt- Durchschnitt der Myopen bei sämmtlichen untersuchten Schülern (1982, die Vorklasse von Limburg nicht mitgerechnet) betrug 26,6 % (528 Schüler). Rechnet man die Gymnasiasten allein, so beträgt die Anzahl der Myopen 30**/o; unter 1339 Schülern 402 kurzsichtige.

Jedoch ist auf diese Durchschnittszahlen, wie schon öfter von mir betont, nicht viel Gewicht zu legen. Von gros-

Zar Frage der Schul-Myopie.

267

serer Bedeutung sind die Procentsätze in den einzelnen Klassen; hier lässt sich aber, wie ein Blick auf die Tabelle A lehrt, kein durchschla- gender Unterschied in den beiden getrennten

Gruppen von Unter- richts-Anstalten erken- nen. Anschaulicher noch tritt dies auf der bei- gelegten Curve a hervor. Dieselbe zeigt ebenso wie die auf Grund der früheren Untersuchun- gen aufgestellte, eine zweifellose Zunahme der Myopie in den

höheren Klassen, wenngleich auch hier und da Unregelmässigkeiten im jähen Aufsteigen ^) und Abfallen in einzel- nen Klassen vorkommen. Absolut scharf tritt diese Zunahme der Myopie aber hervor in den Ta-

*) Der starke Procent- satz der Myopie in der Ober- Tertia in Geisenheim er- klärt sich daraus, dass von den 11 Schülern, die nur darin sassen, 8 kurzsichtig waren.

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268

H. Schmidt-Rimpler.

bellen B und C, welche eine Uebersicht nach den Lebens- altern und Schuljahren enthalten. Die Ergebnisse der Ta-

ProcentAiisches Vorkommen ^ Se^^Pki^^ Quarta 7bf in ^Trrfi

der Myopie nach Klassen.

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Zar Frage der Schul-Myopie.

269

bellen B und C sind durch die beigegebene Gurve b und c veranschaulicht. Es folgt demnach auch aus dieser Unter- suchungsreihe wie aus der früheren, dass mit der Höhe des Lebensalters, das die Schüler in den Lehran- stalten erreichen, und mit der Zahl der Schuljahre der Procentsatz der Myopie steigt.

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270

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272

H. Schmidt-Rimpler.

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bringt, wie viel Pro- cente höherer Myopie 3—6 und M>6 sich in diesen einzelnen Ab- theilungen finden, so ergiebt sich, dass von Abtheilung I 3 ®/q eine M 3 6 haben, von AbtheilungII8%nnd von Abtheil. III 16«/.. M>>6 findet sich in Abtheil. 1 in 0,4 %, in Abtheil. II in 2\, in Abtheil. III in 6%. Im Jahre 1885 waren Myopen >> 6 in Ab- theilung I 0,2 «/o, in Abtheilung II 2,3 %, in Abtheil. III 6,4 %. Das Steigen der Zahl

derjenigen Schüler, welche mit höchsten Myopiegraden behaftet sind, mit der Dauer der Schulzeit lässt wohl kaum daran zweifeln, dass letztere auch auf das Zustandekommen dieser Formen einen gewissen Einfluss haben müsse, wie ich dies aus anderen Gründen bereits in mei- ner Zusammenstellung der früheren Untersuchungen den Anschauungen Tscherning's gegenüber klargestellt habe.

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Zur Frage der Schul-Myopie.

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y. Oraefe'B Archiv fQr Opfathalmologie. XXXV. 4.

18

274

H. Schmidt-Rimpler.

Myopie 8—6,0 (incl.) Dioptrien.

Auch diesmal ergab übrigens die ophthalmoskopische Refrac- tionsbestimmuDg, dass vorzugsweise bei den hohen Myopie- graden der Schüler sich' nicht allzu selten ein Accommoda- tionskrampf mit dem Langbau des Auges verknüpft.

Die von einzelnen Seiten aufgeworfene Frage, ob die Zunahme des Procentsatzes der Myopie in den höhe- ren Klassen nicht auch zum grossen Theil darauf zurück- zufuhren sei, dass die emmetropischen Schüler die Gymnasien früher verliessen, um einen anderen Lebens- beruf zu erwählen, und dass vorzugsweise die Kurzsichtigen den Schulcursus durch- machten, kann ich für die von mir untersuch- ten Anstalten in ver- neinendem Sinne beantworten. Ich habe von den abgegange- nen Schülern mit Ausnahme der Prima- ner, die für die Ent- scheidung nicht in Be- tracht kommen eine Zusammenstellung nach den Klassen, in welchen sie zur Zeit der ersten Untersuchung sassen, gemacht, unter Schei- dung der Myopen von den Emmetropen beziehentl. Hyper- metropen. Unter 809 so geordneten Schülern ist der Pro- centsatz der abgegangenen Myopen wie folgt: Sexta 12^/^, Quinta IG^/o, Quarta \1%, Unter-Tertia 33 «/o. Ober-Tertia 38®/o, Unter-Secunda 43®/o, Ober-Secuuda ^b%. Aus den höheren Klassen gehen also, ganz entsprechend der früher gefundenen Steigerung der Myopie in ihnen, auch mehr Myopen ab. Damit dürfte der Beweis wenigstens für meine Untersuchungsreihe geliefert sein, dass das oben

Curve d (Tabelle D),

Zur Frage der Schul-Myopie.

275

erwähnte Moment für die Zunahme des Procentsatzes der Myopie in den höheren Klassen bedeutungslos ist. Das Verhältniss der abgegangenen Myopen zu den früher in sämmtlichen Anstalten vorhandenen Myopen hat natürlich weniger Werth» zeigt jedooh ebenfalls eine grosse Ueberein- stimmung: es waren in den Anstalten 30,8 ^/o Myopen, abge- gangen sind 29,2 ^/q.

Uebrigens würde man auch mit der Annahme, dass alle Abgegangenen einen anderen Lebensberuf ergriffen, sehr fehl gehen. Herr Gymnasial-Director Reinhardt (Frank- furt) war so freundlich, mir eine diesbetreffende Auskunft über seine Anstalt zu geben: es fand sich, dass von 186 ab- gegangenen Gymnasiasten (ezcl. Prima), über deren weite- ren Verbleib er Kunde hatte, 145 in andere Schulen über- getreten waren. Von diesen kamen auf das in der Zwischen- zeit eröffnete königliche Gymnasium in Frankfurt 90, auf andere Schulen immerhin noch 55.

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Schon bei den geringeren Graden der Myopie verklei- nert sich der Procentsatz der vollen Sehschärfe gegenüber den Emmetropen, mit der Zunahme der Myopiegrade nimmt die Sehschärfe immer mehr ab. Aber auch die Hyperopen haben durchschnittlich eine verringerte Sehschärfe; es ent- spricht dies für höhere Grade dieser Ametropie den son- stigen Erfahrungen; die geringeren Grade von Hyperopie

18*

276 H. Sehmidt-Rimpler.

« 1) sind aber bei unseren Untersuchungen den Emme- tropen zugezählt. Dass die Sehschärfe der Astigmatiker in so hohem Grade herabgesetzt ist, wird dadurch erklärlich, dass überhaupt auf Astigmatismus erst untersucht wurde, wenn mit sphärischen Gläsern keine entsprechende Seh- schärfe mehr erreicht werden konnte.

Unter 528 myopischen Schülern fanden sich 268 (50,7%), bei denen entweder der Vater oder die Mutter oder auch beide kurzsichtig waren. Wenn man die Vererbung bei den Kurzsichtigen verschiedener Grade feststellt, so ergiebt sich, dass unter den Schülern mit M 1,0 6,0 in 48,3 •/<> die Eltern kurzsichtig waren, während unter denen mit M ^ 6,0 dieser Procentsatz 64,8 betrug. Aehnliches folgt auch aus Tabelle D, wenn man den Procentsatz der Ver- erbung bei den Myopen ^3 mit dem Durchschnittsproceni- satz der Vererbung der Myopie an den betreffenden Schu- len vergleicht. So findet sich in Frankfurt-Ostern bei M ^ 3 eine erbliche Belastung in 74,5%, bei sämmtlichen Myopen in 69%; in Frankfurt-Michaelis 60% bez. 62%; in Monta- baur 36,8% bez. 34%; in Fulda 52,2% bez. 34%; in Wiesbaden 61,5% bez. 48%; in Limburg 83,3% bez, 62%; in Geiseuheim 42,9% bez. 35%; in Marburg 73% bez. 54%. Hieraus ist zu folgern, dass bei der Entwickelung der höheren Grade der Myopie auch die Erblichkeit eine Rollo spielt.

Von den 1982 untersuchten Schülern waren 270 Aniso- metropen; das stärker brechende, beziehentlich kurzsich- tigere Auge war 148mal das rechte, ]24mal das linke. Dies Ergebniss entspricht, wenn auch bei der vorigen Unter- suchung der zahlenmässige Unterschied grösser war, doch im Uebrigen dem damaligen Befunde.

Einer genaueren Untersuchung wurde das Verhalten der Papilla optica und des Augenhintergrundes unterzogen. Neben der Grösse der Coni ich bezeichne mit diesem nicht gerade sehr zutreffenden Namen sowohl

Zur Frage der Schul-Myopie. 277

die halbmondförmigen Sicheln, als die weiteren, oft die ganze Papille umfassenden ühorioideal -Atrophien wurde bei allen Kurzsichtigen auch notirt, ob die Papilla optica hyperämisch (H) war, ob Veränderungen in dem Pigment- Epithel, entweder neben der Papille oder neben einem durch «ine scharfe Grenze abgeschlossenen Conus, bestanden (P) oder ob beide Alterationen zugleich vorlagen (PH). Es schien mir dies von besonderer Bedeutung, da durch Schiess- Gemuseus*) und Knies neuerdings wieder mehr die ent- zündliche Natur der Myopie betont wurde. Als Hyperaemie rechnete ich nur eine deutlich rothe, pathologische Ver- färbung der Papilla optica, bei der die Gefässe zahlreicher erscheinen und weiterhin der nasale Rand, wie schon Schiess- Gemuseus betont, verschwommen ist und sich wegen der ausgeprägten Röthung des betre£Penden Papillontheils nicht gegen die angrenzende Netzhaut absetzt. Letztere ist bisweilen ebenso wie die Papille leicht getrübt Wenn sich diese Veränderungen neben leichteren oder gröberen Altera- tionen des Pigment-Epithels, die aber ausserhalb eines etwa vorhandenen Conus sich fanden, zeigten, so wurde der Zu- stand als hyperämisch und progressiv bezeichnet. Ausdrück- lich aber möchte ich hervorheben, dass in einer, wenn auch kleineren Zahl von Augen die erwähnten Pigmentverände- rungen, bisweilen auch bei gleichzeitiger Papillen- Hyperämie, schon vor SV« Jahren notirt waren, ohne dass in dieser Zeit der Grad der Kurzsichtigkeit zugenommen oder eine Ver- änderung des Sehvermögens eingetreten wäre.

Unter 603 Augen, welche eine Myopie 1 3 hatten, war in 20 ^/o Hyperämie, in 6,8 ^/o Hyperämie und Pig- ment-Alterationen, in 16 ®/o letztere allein (wie erwähnt, wurde der abgeschlossene Conus hier nicht eingerechnet) vorhanden. Bei 317 Augen mit M 3 6 waren in 22,4 Hyperämie, in 15,4 ®/o Hyperämie und Pigment- Alterationen

^) Vergl. die Dissertation von Straumann, über ophthalmos- kopische Befunde und Heredit&tsverh&ltnisse bei der Myopie. 1887.

278 H. Schmidt-Rimpler.

und in 15,4 ^/q letzere allein nachweisbar, bei 124 Augen mit M > 6 fand sich der gleiche Befand in 20,9 %, 8,8 \ und 30,6 ®/o. Die Hyperämie der Papille ist demnach bei den schwächsten und höchsten Graden der Myopie in ziem- lich gleicher Häufigkeit (26,8 % bez. 29,7 %) vorhanden^ häufiger (36,2 ®/o) bei den mittleren. Hingegen mehrten sich die Pigment- Alterationen, die sich dicht an der Papilla optica oder ausserhalb eines abgeschlos- senen Conus fanden, stufenweis mit dem Myopie- Grade: 22,8 «/o, 36,2 «/o und 39,4 «/o-

Wenn man demnach die Hyperämie der Papille in Ver- bindung mit Pigment- Alterationen der Chorioidea, was ge- wiss für die meisten Fälle berechtigt ist, als Zeichen wei- terer Progressionstendenz der Kurzsichtigkeit betrachten will, so werden die Schüler, welche mit mittleren Graden der- selben behaftet sind, dieser Steigerung in der Schule be- sonders ausgesetzt sein. Immerhin ist die relative Häufig- keit einer Hyperämie der Papille fiir die Frage der Ur- sachen der Myopie von Bedeutung und lässt die einseitige Hervorhebung reinmechanischer Dehnungs- oder Zerrungs- Vorgänge nicht gerechtfertigt erscheinen.

Die Grösse des Conus wurde nach 3 Klassen bestimmt: 1», wenn die grösste Breite des Conus höchstens der Hälfte des Papillendurchmessers gleichkam; P, wenn sie den Pa- pillendurchmesser erreichte; 2, wenn sie ihn übertraf. Hier- nach kamen von Augen mit Ml 3 40,8 °/o in 1*, 5,3% in P, 0,1 7o in 2; mit M3— 6 41,6% in 1», 11,3% in 1\ 0,6 % in 2; mit M > 6 62,9 % in 1», 12,1 % in 1^ und 5,6 ^/o in 2. Bei den schwachen Graden der Kurzsichtig- keit fand sich demnach ein Conus in 46,2 %, bei den mitt* leren in 53,5% und bei den höheren in 80,6%: die Häufigkeit und Grösse der Coni wächst durch- schnittlich mit dem Grade der Myopie; aber selbst bei den Myopie-Graden ^ 6,0 fehlen die Coni in fast 20%. Auch diese Thatsachen unterstützen die An-

Zur Frage der Schul-Myopie. 279

Behauung, dass nicht alle Myopieformen auf Dehnungsvor- gänge zurückzufuhren sind.

Femer wurde bei diesen Untersuchungen die schon früher von mir hervorgehobene Beobachtung bestätigt, dass bei Augen mit nach unten gerichteten Goni in der Regel Herabsetzung der Sehschärfe besteht Es dürfte diese Conusform als Ausdruck eines nicht ganz vollständigen Verschlusses der Foetal-Spalte anzusehen sein, womit sich dann gleichzeitig Entwickelungsstörungen in der angrenzen- den Netzhaut verknüpfen, welche die Sehschwäche ver- schulden. — Auch das Vorhandensein und die Art der Excavationen auf der Papilla optica habe ich no- tirt, da durch W. Schoen's Arbeiten wieder die Aufmerk- samkeit auf sie gelenkt ist. Schoen lässt bekanntlich die Excavation durch Accommodations-Ueberanstreugung ent- stehen und bringt sie mit Glaukom in Verbindung. Ek* hat bei 758^) Augen, wo wegen Hyperämie, Presbyopie, Astigmatismus etc. accommodative Excavation zu erwarten war, in 80,2 ^/^ in mittlere bis randständige Excavationen gefunden; randständige und hochgradige Excavation in 40,3 ^/q. Meine Untersuchungen erstrecken sich auf 1044 myopische Augen. Ich habe drei Formen von Vertiefungen unterschieden: 1) die kleine weisse, aber deutlich ausge- prägte centrale Grube, welche nur am Gefäss-Eintritt sitzt (fovea); 2) eine massige Ausdehnung und Verbreiterung derselben (e), aber noch nicht den Papillen- Rand erreichend, und 3) die ausgedehnte Vertiefung, welche in der Regel bis zum Papillenrande geht (E). Letztere dürfte wohl der hochgradigen und randständigen Excavation Schoen's ent- sprechen, während e und f in seine erste Gruppe hinein- zufallen scheinen. Ich fand nun f in 31 ^/q , e in 30 % und E in 8 ®/o : sollte meine Annahme bezüglich der Ein-

') Es scheinen bei der Qruppirong einzelne Augen von Schön (dieses Archiv, Bd. XXXIII, Abth. 1, S. 204) doppelt gerechnet zu sein: 605 + B06 Augen.

280 H. Schmidt-Rimpler.

theilung Schoen's richtig sein, so würde die Anzahl der Excavatioiien bei Myopen geringer sein als die Yon Schoen bei seinen Patienten gefundene. Allerdings ist zu beach- ten, dass es sich bei mir nur um jugendliche Individuen handelt, während bei Schoen ältere vorzuwiegen scheinen.

Was die Veränderung der Refraction innerhalb der zwischen den beiden Untersuchungen liegenden drei und einem halben Jahre betri£Pt, so konnten darüber an 702 Schülern (von den ursprünglich untersuchten 1710) Beobachtungen angestellt werden. Yon diesen haben eine Zunahme ihrer Refraction ^) 2ö,3 ®/o erfahren. In einzelnen Fällen wurde auch eine Abnahme constatirt, so wurden einige Emmetropen schwache Hyperopen, einige Myopen zeigten einen geringern Grad der Myopie als früher: je- doch ist die Zahl derjenigen, welche eine Refractions- verringerung (bisweilen auch durch Lichtung von Hornhaut* flecken) erfahren, verschwindend klein, ebenso der Grad der Verringerung. Diejenigen Schüler, bei denen früher ein Accommodationspasmus ophthalmoskopisch nachgewiesen war, hatten mit wenigen Ausnahmen eine Zunahme ihrer früheren subjectiven Refraction erfahren; dieselbe wurde jetzt auch meist als objectiv vorhanden constatirt

An den Schülern der einzelnen Anstalten war die nach- gewiesene Refractionszunahme in Procenten folgende: 1) Wiesbaden 17%, 2) Frankfurt-Michaelis 20,0%, 3) Mon- tabaur 26,1%, 4) Frankfurt -Ostern 27,2%, 5) Limburg 29,4 %, 6) Fulda 32 %, 7) Geisenheim 33,3 %.

Auffallend ist die Differenz in der Zunahme der Myopen zwischen Frankfurt-Michaelisund Frankfurt-Ostern,

') Die Zunahme wurde aDgenommen, wenn auf dem schwächer brechenden bez. besser sehenden Auge eine Steigerang >0,5D eintrat Da Myopen und Hyperopen < 1,0 als Emmetropen gerechnet wor- den, so sind die bei diesen vorgekommenen Veränderungen (im Ge- gensatz zu der später folgenden Uebersicht zwischen den regelmäs- sig versetzten und den sitzengebliebenen SchOlern) hier nicht ge- rechnet.

Zur Frage der Schul-Myopie. 281

da diese beiden Abthoilungeu in denselben Räumlichkeiten sich befinden und unter denselben hygienischen Bedingungen stehen. Da auch, wie Tabelle A zeigt, der Procentsatz der Myopie in den einzelnen Klassen ähnlich wie bei mei- der ersten Untersuchung sich zu Ungunsten von Frank- furt-Ostern herausstellte, wandte ich mich an Herrn Diroo- tor Reinhardt mit der Frage, ob vielleicht pädagogische Momente hierbei im Spiele seien. In einer ausführlicheren Antwoi*t, für die ich hier noch meinen besonderen Dank dem verdienten Schulmanne ausspreche, glaubt Herr Direc- tor Reinhardt ganz bestimmt in Abrede stellen zu kön- nen, dass in den Osterklassen durchschnittlich mehr an Kraft und Zeit fiir häusliche Arbeiten verlangt würde' als in den Michaelis- Goten, zumal dieselben Lehrer in beiden Oöten wirken und auch die Hauptlehrer der Klassen in den letzten 9 Jahren vielfach hinüber und herüber gewechselt haben. Wohl aber machte er auf eine andere, sehr be- achtenswerthe Möglichkeit der Erklärung aufmerksam: Bei dem durchgeführten Klassensystem der höheren Schulen Deutschlands spielt die Versetzung eine sehr grosse Rolle. Es ist naturgemäss, dass die Schüler schärfer arbeiten, wenn die Versetzung nahe bevorsteht, als wenn sie nach Erreichung eines ersehnten Zieles sich eine Zeit lang glau- ben gehen lassen zu dürfen. Es wird also immer das der Versetzung vorausgehende Semester das arbeitsreichere und angestrengtere sein. Wenn auch die früher beliebten grossen Repotitorien zum Schlüsse des Schuljahres als unzweck- mässig beseitigt worden sind, so lässt sich doch nicht leug- nen, dass die gesammte Schulordnung, wie sie jetzt in Preusson besteht, der Verschärfung der Arbeiten vor der Versetzungszeit Vorschub leistet. Diese vermehrte Arbeit fällt nun für die Michaelis -Klassen in die Sommermonate, in denen fast nur bei hellem Tageslicht gearbeitet wird, für die Oster -Klassen dagegen in eine Zeit, in der die häuslichen Arbeiten fast nur bei Lampenlicht vorgenommen

282 H. Schmidt-Rimpler.

werden können. Weiter kommt noch hinzu, dass im Som- mer die Arbeit durch die grossen Ferien unterbrochen wird.

Es wäre wünschenswerth, noch an einigen anderen grossen Gymnasien mit vollständig durchgeführtem Doppel- Coetus diese Untersuchungen zu wiederholen, um zu sehen, ob sich dort ähnliche Verhältnisse zeigen.

Von den früheren Emmetropen und Hyperopen (546) waren 18 ®/o (96) kurzsichtig geworden; von den bereits Kurzsichtigen (156) hatte sich der Grad der Myopie bei 52 o/o (81) erhöht. Auf Tabelle E ist die Refractions-Zu- nähme auch nach Klassen geordnet Demnach betrug die- selbe bei den Schülern, die zur Zeit der letzten Unter- suchung in V Sassen 6,2%; in IV 17,8%; in Illb 25,0%; in Illa 25,9%; in IIb 24,4%; in IIa 27,1%; in Ib 26,3%; in la 35,1 %. Abgesehen demnach von den un- teren Klassen bis Quarta, wo die Refractionszunahme eine geringere Anzahl von Schülern trifft, ist sie in den folgen- den Klassen ziemlich gleichmässig; in den drei höchsten,, besonders in la, steigt sie etwas an. Auch wird durch die Tabelle die Anschauung widerlegt, dass die Myopie nach dem 15. und 16. Lebensjahre nicht mehr entstünde.

Alles drängt darauf hin, die Schulzeit durch zu hohe Anforderungen nicht übermässig zu ver- längern, wenn man wirkungsvoll der Zunahme der Myopie entgegentreten will, da mit dem Alter der Schüler die Verbreitung und der Grad der Kurz- sichtigkeit wächst.

Ich habe das mir vorliegende Material auch dazu be- nutzt, die bisher überall nur oberflächlich gestreifte Frage, ob die fleissigeren oder fauleren Schüler mehr der Gefahr des Kurzsichtigwerdens ausgesetzt sind, einer Entscheidiing näher zu führen. Den Unterschied zwischen Fleissigen und Faulen habe ich darin gefunden, dass ich zu ersteren die- jenigen rechnete, welche während der drei Jahre in regel- mässiger Weise versetzt wurden, zu den Faulen die, welche

Zur Krage der Schul-Myopie.

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284 H. Schmidt-Rimpler.

in einer Klasse länger als nöthig sitzen geblieben waren. Es ist das gewiss ein Moment, welches man mit einiger Berechtigung als ausschlaggebend hinstellen kann. Von den früher untersuchten 702 Schülern waren 426 regelmässig vorgeschritten, 276 waren zurückgeblieben. Bei ersteren hatte die Refraction in 31,2% (133) eine Zunahme erfah- ren, bei letzteren in 26,8 ®/o (74): es folgt daraus, dass die Fleissigeren im Durchschnitt etwas häufiger kurzsichtig werden als die Fauleren. Wenn ich nur die oberen Klassen der Gymnasien IIb bis la incl. nehme, so ist die Differenz noch stärker: hier zeigt sich Zunahme der Myopie bei den Fauleren nur in 27 % , während sie bei den Fleissigeren 34 ®/o beträgt Im Frankfurter Gym- nasium, wo bei den vorhandenen Doppel -Cöten der einmal Sitzengebliebene nach Ablauf des nächsten halben Jahres versetzt werden kann, habe ich die Schüler, welche im Laufe der letzten drei Jahre durch „Faulheit" ein halbes Jahr verloren hatten, noch von denen geschieden, die um ein ganzes Jahr oder mehr zurückgeblieben waren. Von diesen letzteren, „faulsten", wurden nur 13®/^ kurz- sichtig. Auch dies scheint den Einfluss der Schulschäd- lichkeiten, denen sich diese Jünglinge mit Erfolg entzogen hatten, genügend zu erweisen. Weiter spricht das Ergebniss gegen die Stilling'sche Anschauung, dass eine flache Orbita für das Zustandekommen der Schulmyopie verantwortlich zu machen sei, da eine durch besondere Faulheit charakterisirte und gleichzeitig Chamaekonchie aufweisende Race in Frank- furt bisher noch nicht beschrieben ist Wenn demnach, wie 68 scheint, auch Faulheit eine Zeit lang und in gewissem Grade auf der Schule gegen Kurzsichtigkeit schützt, so geht dieser Gewinn schliesslich wieder verloren, da die Schüler endlich doch das Versäumte nachholen müssen und hierbei um so leichter ihre Augen überanstrengen werden.

Nicht uninteressant ist eine Zusammenstellung, welche in Procentsätzen das Verhältniss der nicht regelmässig vor-

Zur Frage der Schul-Myopie. 285

gerückten Schüler in den einzelneu Lehranstalten zeigt: in Montabaur blieben 33 ^/^ zurück, in Wiesbaden 34 ^/^^ in Frankfurt 36 ^/o, in Geisenheim 41 ^/o, in Limburg 42% und in Fulda 55%. Wenn die Zahlen, welche der Be- rechnung zu Grunde liegen, auch zu klein sind, um An- spruch darauf machen zu können, ein absolut richtiges Bild der Versetzungsart zu geben, so zeigen sie immerhin, dass ein recht beträchtlicher Theil der Schüler nicht im Stande ist, innerhalb dreier Jahre das vorgeschriebene Pen- sum in der verlangten Art zu erledigen. Hier dürften Massregehi pädagogischer Natur wohl am Platze sein, um Aenderung zu schaffen !

Weiter ist bemerkenswert, dass von den 178 Schülern, deren Refraction zugenommen hatte, nur bei 49 % Erblich- keit nachweisbar war ein Prozentsatz, der dem allge- Bsein gefundenen Durchschnitt der Erblichkeit bei den vor- handenen Myopen (50%) gleichkommt. Beide Befunde zeigen, wie häufig Kurzsichtigkeit in den Schulen erworben wird, ohne dass eine erbliche Belastung anzusch.uldigen ist.

Wenn ich aus meinen wiederholten zahlreichen Unter- suchungen noch einen Schluss auf den Einfluss hygiei- nischer und pädagogischer Momente bezüglich der Verhütung der Schulkurzsichtigkeit ziehen darf, so komme ich zu demselben Resultate wie früher: dass in der That ein solcher Einfluss angenommen werden muss.^) Be- trachten wir beispielsweise das Frankfurter und das Fuldaer Gynmasium: ersteres neuerbaut, mit guten Subsellien und son- stigen hygieinischen Einrichtungen und einem Procentsatz der nicht regelmässig Versetzten von 36 % , letzteres in einem älteren Gebäude, in dem die Beleuchtung der Zimmer aller- dings durchschnittlich nicht der in dem Frankfurter 6ym-

') Siehe auch: v. Hippel, Ueber den Einfluss hygieinischer Maassregeln auf die Schalmyopie. Erschienen nach Einsendnog meines Manoscrlptes.

286 H. Schmidt-Rimpler, Zur Frage der Schul-Myopie.

nasium nachsteht, mit meist schlechten Fensterrorhängen und Suhsellien, auch sonst hygieinisch yernachlässigt; Pro- centsatz der nicht regelmässig Versetzten 55 ^j^. Wie stellt sich nun in beiden Anstalten die Zunahme der Myopie bei den früher untersuchten Schülern in den letzten drei Jah- ren? In Frankfurt Ostern -Cötus beträgt sie 27,2 *^, in Frankfurt Michaelis-Cötus 20,0%, in den gesammten Frank- furter Gymnasien 24 %, hingegen im Fuldaer Gymnasium 32%. Dieser Unterschied erscheint recht beachtenswerth.

Weiter zeigt sich in dem Frankfurter Gymnasium selbst eine Besserung der Verhältnisse seit der ersten Untersuchung die zu einer Zeit stattfand, wo der neue Erweiterungsbau noch nicht lange bezogen war. Dieselbe tritt besonders bei Betrachtung der Uebersichtstabelle A hervor. Während sich der Gesammt- Durchschnitts -Procentsatz der Myopie nur um ein Geringes günstiger gestaltet hat (Frankfurt- Ostern 1885: 32,8%; 1888: 31,9%. Frankfurt- Michaelis 1885: 32,8%; 1888: 28%), so tritt die Abnahme deut- licher hervor in den Myopie-Procenten der einzelnen Klas- sen und in den diese versinnlichenden Curven. In Frank- furt-Ostern waren 1885 in la 66 %, in Ib 50 % Myopen, jetzt sind in beiden Klassen 54 % ; in Frankfurt-Michaelis 1885 waren in la 58%, in Ib 66%, jetzt sind in la 50%, in Ib 44%. Recht anschaulich werden auch die Veränderungen, wenn man die Curven von 1885 und 1888 vergleicht, welche den Procentsatz der Kurzsichtigen nach dem Lebensalter versinnlichen.

Derartige Ergebnisse können uns nur darin bestärken, mit hygieinischen und pädagogischen Besserungen in unse- ren höheren Lehranstalten fortzufahren: wir dürfen so hoffen, der weiteren Zunahme der Myopie Schranken zu setzen.

Die Anatomie des Ocnlomotorinscentnims beim Menschen.

Von

Dr. Perlia in Frankfurt a. M.

(Aus dem Senkenberg* sehen Institut.)

Hierzu Tafel VI IX und 1 Holzschnitt.

In den letzten Jahren haben sich Dank den For- schungen von Y. Gudden, Edinger, Westphal, Dark- Bchewitsch u. a. unsere Kenntnisse über die Ursprungs- stätte des N. Oculomotorius nicht unerheblich vermehrt. Aber eine zusammenhängende naturgetreue Darstellung die- ses wichtigen Nervencentrums steht bis jetzt noch aus. Die dasselbe berührenden Lehrbücher begnügen sich durch- gehends mit der Abbildung und Beschreibung eines hinte- ren Froutalschnittes, obschon die Gruppirung der vom Trochlearis- Ursprung bis in die Wandungen des IIL Ven- trikels vertheilteu Ganglien auf dieser Strecke mannigfache Acnderungen erleidet. Ich suchte daher vermittelst reich- licher Schnittserien frontaler, sagittaler und horizontaler Richtung einen Ueberblick in toto über den den Ophthal- mologen so interessirenden Oculomotoriusursprung zu ge- winnen. Untersucht wurden die Vierhügel vom Menschen verschiedenen Alters bis zum Fötus hinab. Ausgiebigen Gebrauch machte ich sodann von der vergleichenden Ana- tomie. Härtung in Müll er 'scher Flüssigkeit; Färbung nach Weigert

288 Perlia.

Das Centrum des N. Oculomotoriusy bekanntlich unter- halb des Aquädukts gelegen, hat beim erwachsenen Men- schen eine grösste sagittale Ausdehnung von ca. 10 mm. (Die Angabe bei Obersteiner ^) von 5 mm ist entschieden zu klein). Seine grossen, mit deutlichem Nucleus und Nu- cleolus versehenen Ganglienzellen sind theils uni- und bi- polar und von ovaler Gestalt, theils multipolar und dann von mehr dreieckigem Umriss. Die sich aus ihnen zusam- mensetzenden Nervenkeme schieben sich besonders beim Erwachsenen so eng aneinander, dass ihre Sonderung oft mühsam, selbst unmöglich wird. Zum Ueberfluss sind dabei ihre Grenzen von einem dichten Fasernetz überzogen. Noch inniger erscheint die Verschmelzung bei kleinen Thieren, wie Maus und Frosch. Dagegen lassen sich grosse Säuge- thiere zum vergleichenden Studium des Oculomotoriuscen- trums vortheilhafter verwenden, indem wegen der Grösse der einzelnen Kerne ein neuer Zuwachs resp. Schwund des Zellenhaufens mehr in die Augen fällt. Als die geeignet- sten Objecto sind Neugeborene und Fötus aus der letalen Schwangerschaftszeit zu erachten; einerseits weil die Kerne noch durch breitere Zwischenräume getrennt sind, dann wegen der grösseren Zartheit des sie durchziehenden Ner- vengewebes. Nach diesen Erörterungen mehr allgemeiner Natur gehe ich nunmehr näher auf die Einzelheiten des Oculomotoriuscentrums ein. Es geschieht dies durch suc- cesive Vorführung solcher Frontalschnitte, welche in der Richtung von hinten nach vom seine Zusammensetzung am besten demonstriren. Sodann werden die voi^efuhrirai Schnittebenen zum Versuch einer stereometrischen Con- struction der ganzen Kerngruppe dienen.

Dieselbe schliesst sich direct an das Kempaar der N. Trochleares an. Der Uebergang in das Oculomotoriusgebiet

^) Anleitang beim Studium des Baues der nerv. Centralorgane, Wien 1887, pag. 286.

Die Anatomie des Oculomotoriuscentrums beim Menschen. 289

ist durch eine ziemlich plötzliche Vergrösserung des Ganglien- haufens nach oben, unten und innen gekennzeichnet Letzterer bildet jederseits von der Medianlinie ein längliches Dreieck mit der Spitze nach unten, seitlich begrenzt von den Quer- schnitten der hinteren Längsbündel (s. Fig. la). Bei auf- merksamer Betrachtung sondern sich die Zellen in zwei Kerne^ einen grösseren ventralen und kleineren dorsalen, welcher sich oben in eine leichte Goncavität des ersteren hineinlegt. Diese Duplicität zeigt sich besonders deutlich beim Neugeborenen (s. Fig. la, 1 u. 2). Sehr bemerkens- werth ist ferner die Verlaufsrichtung der Oculomotorius- wurzeln. Während nämlich der eine Theil und zwar der grössere seinen Weg direct lateral zwischen die hinteren Längsbündel nimmt, um sich jenseits derselben zu stärke- ren Zweigen zu yereinigen, wenden sich andere, vorzugs- weise vom dorsalen Kern stammende Fasern schräg nach unten innen zur Mittellinie, in welcher sie sich kreuzen. Die theilweise Wurzelkreuzung war in gleicher Weise bei allen Säugethieren, welche ich darauf untersuchte, zu fin- den (Kalb, Schwein, Schaf, Maus); dessgleichen bei den Vögeln (Huhn) und dem Frosch. Man hatte sie bereits vor Jahren vermuthet, ohne sie jedoch nachweisen zu kön- nen. So schrieb im Jahre 1874 Merkel^), seine Präparate machten es ihm wahrscheinlich, dass die erwähnten, den Kern umziehenden Bündelchen und noch andere ans der Mitte des Kerns in die Raphe eintretenden Fasern, welche in grosser Menge zu beobachten wären, auf die entgegen- gesetzte Seite überträten. Den experimentellen Beweis für den wirklichen Anschluss der sich kreuzenden Fasern an dem Nervenstamme der anderen Seite erbrachte erst V. Gudden mit Hülfe seiner Degenerationsmethode. Auf der Naturforscherversammlung zu Salzburg 1881 demon-

*) Handb. d. ges. Augenheilkunde, Graefe-Saemisch, Bd. I, p. 135.

V. Gracfe's Archiv für Ophthalmologie. XXXV. 4. 19

290 Dr. Perli».

strirte er eine zweifellose Entartung im dorsalen Ursprungs- gebiet der gekreuzten Seite bei solchen Thieren, d^ien er sofort nach der Geburt den einen N. Oculomotorius' ent- fernt hatte. „Ich darf wohl sagen ,^ bemerkt der Autor') in seinen hinterlassenen Abhandlungen, „dass die partieUe Kreuzung der Oculomotoriusnerren und die Zusammen- gehörigkeit jedes von ihnen zum centralen Kern derselben und zum dorsalen Kern der entgegengesetzten Seite niet- und nagelfest ist. Damit ist ein kleiner, aber sicherer Fortschritt in der Himanatomie gemacht.^ Allerdings ver- halten sich nicht alle gekreuzten Fasern so. Ein Theil steigt in der Raphe nach unten und biegt in die hinteren Langs- bündel um. Diesen Verlauf sah ich aufs Bestimmteste an schrägen Frontalschnitten durdi das Corpus quadrigeminum eines neugeborenen Kindes (das Gehirn war zwei Stunden nach dem Tode in Müller'sche Flüssigkeit gelegt worden). Mit Figur Ib sind wir im Wurzelgebiet des N. Oca- lomotorius einen Schritt vorwärts gedrungen. Sie fuhrt uns das Nervencentrum in seiner grössten Flächenausdehnung als ein umfangreiches, fast gleichseitiges Dreieck mit brei* ter Basis vor Augen. Aus den Lehrbüchern ist der betref- fende Querschnitt als typisches Ursprungsbild des Augen- nerven am bekanntesten. Im Einzelnen haben zahlreiche Ganglien in der Mittellinie eine Confluenz der lateralen Kerne herbeigeführt, sowie eine gleiche Vermehrung der Zellen nach aussen zu constatiren ist. Der obere Kern dehnt sich nach unten aus, nach der Seite greift er über die Längsbündel hinüber (s. Fig. Ib 1). Entsprechend der mächtigen Zellentwicklung zeichnet sich hier der Oculomo- toriusursprung durch Zahl und Stärke sowohl seiner ge- kreuzten als ungekreuzten Wurzeln aus. Dorsalwärts wer- den die Ganglien von einem dichten Fasergewebe über-

') Bernh. v. Gadden^s gesaromto Abhandinngen. Herausg. t. Prof. Grashey. p. 214.

Die Anatomie des Ocalomotoriascentrams beim Menschen. 291

lagert, welches bogenförmig um den Aquäduct ävarcb. das Höhlengrau nach oben zieht, nach unten in die Kerne sich verliert

Figur Ic giebt einen mehr cerebral wärts liegenden Schnitt wieder. Eine Aenderung zeigen besonders die Ge- bilde in der Medianlinie. In deren unteren zwei Drittel beginnen sich die Ganglien zu einem langgestreckten Kern abzugrenzen, welcher durch ein Nervengeflecbt mit den Lateralkernen in Verbindung steht (s. Fig. Ic 7). Das obere Drittel dagegen nehmen zwei kleine scharfumschriebene Gangliengruppen von blasser Färbung und senkrecht ovaler Gestalt ein. Sie sitzen wie in einem Neste des in das Höhlengrau sich ergehenden Fasei^wirrs (s. Fig. Ic 8). Von Edinger beim Fötus entdeckt, beschrieb sie West- phaP) als medialer kleinzelliger Kern in eingehendster Weise beim Erwachsenen. Ihre Zdlen sind, wie letzter Autor auch hervorhebt, von geringerer Grösse als die der dunkler gefärbten Oculomotoriuskema Da sie Westphal sammt den erst in den nächsten Schnitten (Fig. Id) erscheinenden lateralen kleinzelligen Kernen bei einem Falle von Ophthal- mophlegia externa vollständig erhalten fand, während alle grosszeUigen Kerne degenerirt waren, so gab er sich der Ansicht hin, in ihnen auf das Centrum der inneren glatten Augenmuskeln, des Verengerers der Pupille und des Acco- modationsmuskels, gestossen zu sein. Wir werden später sehen, dass Darkschewitsch für jenes einen anderen Kern in Anspruch nimmt. Der partiellen Wurzelkrouzung begegnen wir hier zum letzten Mal; weiter nach vorn ist sie nicht mehr zu sehen.

Figur I]d (Neugeborener) bringt auch den von West- phal benannten kleinzelligen lateralen Kern zur Anschau- ung (Fig. Id 9). Seine Schilderung durch den Forscher ist erschöpfend. Seitlich an das obere Ende des kleinzelligen medianen Kernes herantretend, streckenweise mit ihm vcr-

') Archiv f. Psychiatrie, Heft 3.

19*

292 Dr. Perlia.

schmelzend, »immt er eine schräge Stellung von innen nach aussen und etwas nach oben ein. Die Ganglien sind die- selben wie die der medialen Gruppe. Auch seine Färbung ist eine hellere, so dass beide gegen ihre Umgebung er- heblich abstechen. Im unteren Theile der Medianlinie fliessen hier noch die grosszelligen Seitenkerne zusammen» Die nächste bemerkenswerthe Schnittebene illustrirt Fig. II. Die äussere Begrenzung der Kerngruppe wird spitz- winkliger, die Grundlinie schmäler. Betreff der Details fällt vor allem in der Mittellinie der aus grossen Ganglien be* stehende mandelförmige Kern mit senkrecht gestellter gross- ter Achse in die Augen. Indem er von den feinen aus dem Höhlengrau parallel nach unten ziehenden Fasern eng um* rahmt wird, hebt er sich aufs schärfste hervor. Das Bild ist sehr charakteristisch, bei erwachsenen Menschen noch mehr als bei neugeborenen (s. Fig. II 11). Da der Name medianer Kern von Westphal für seineu kleinzelligen vor* weg genommen ist, so bezeichne ich, um Verwechslungen zu vermeiden, diesen mittleren grosszelligen, als im Cen- trum der Hauptgruppe gelegen, mit dem Namen Central- kern. Die an ihm vorbeistreichenden Fasern fahren nach unten fächerförmig auseinander und enden abgeschnitten. Den Centralkei*n überragen die lateralen grossen Ganglien,, deren Zahl merklich abgenommen hat Obschon sie zu einem einzigen Kern zu verschmelzen scheinen, bestehen sie gleichwohl aus einem selbstständigen oberen und un- teren. Die Doppelzafal kann nicht klarer ab durch einen Schnitt derselben Gegend des Fötalhirns gezeigt werden, bei welchem die Zellen ein breiter Zwischenraum scheidet (s. Fig. IIb 12 u. 13). Die Sonderung ist auch beim Neu- geborenen noch hinreichend ausgedrückt, wie aus Fig. IIa zu ersehen ist; deini der laterale Ganglienhaufen ist in der Mitte eingeschnürt Die Edinger-Westphal'schen Kerne ziehen sich nach unten spitz aus, wodurch ihre ovale Form in eine kolbenförmige übergeht Gleichzeitig mache ich auf

Die Anatomie des Oculomotoriuscentrums beim Menschen. 293

den ständigen Schwund in der Dicke der hinteren Längs- bündel aufmerksam. Seine Ursache liegt in der fortwährend reichlichen Abgabe von Fasern an die Kerne des N. Ocu- lomotorius. Günstige Schnitte zeigen dies oft in schöner Weise. Einen solchen betrifft Fig. III. Er liegt vor dem zuletzt beschriebenen. Besonders links erkennt man das Umbiegen von Fasern aus den Querschnitten der hinteren Längsbündel nach oben zwischen die lateralen Ganglien (Fig. III 15), welche nur noch die vordersten Ausläufer der in den früheren Schnitten getroffenen umfangreichen gross- zelligen Kerugruppe bilden. Aus diesem Grunde sind die Oculomotoriuswurzeln auch nur spärlich vertreten. Am meisten aber hat sich die Physiognomie des Schnittes durch den Abgang des Centralkerns geändert; an seine Stelle ist eine nach unten sich erstreckende heller gefärbte Zellan- bäufung getreten (Fig. III 14). Sie gestaltet sich zu einem durch das bekannte feine Fasersystem in der Raphe ge- trennten Doppelkern. Die seitlich gewandten oberen ovalen Kerne (Fig. III 8) bilden mit dieser unteren Gruppe einen Winkel, welchen die Spitze der hinteren Kerngruppe aus- füllt (Fig. III 13). Auf der Bildfläche erscheint sodann noch der caudale Theil eines neuen, in den Zwischenräumen der hinteren Längsbündel gelegenen Kernes (Fig. III 16). Seine Ganglien, obschon gut gefärbt, stehen an Grösse den gewöhnlichen Oculomotoriuszellen um ein Geringes nach. Durch ein Fasersystem hängt dieser Kern mit der Spitze der Hauptgruppe zusammen.

Mit Fig. IV gelangen wir in die Region der hinteren Commissur. Die grosszellige Hauptkemgruppe haben wir hinter uns, wogegen der neue obere Seitenkern in grösserer Entwickelung auftaucht (Fig. IV 16). Da er hier zugleich höher und seitlicher erscheint, so muss sein Durchmesser schräg in der Richtung von hinten innen nach vorne und aussen oben gestellt sein. Darkschewitsch^) fand und

^) Nenrologisches Centralblatt, p. 101.

294 Dr. Perlia.

beschrieb ihn im Jahre 1885 beim Fötus und gab im fol- genden Jahre ^) auch eine schematischo Darstellung seiner Lage. Fig. IV bringt den Kern naturgemäss vom Gehirn des Erwachsenen zur Anschauung. Er ist absolut nicht, wie Obersteiner') yermuthet, mit der kleinzelligen Ganglien- gruppe Yon Edinger-Westphal irgendwie identisch. Seine Eigenschaften schliessen eine Verwechslung Ton Tornherein aus. Der Kern liegt nämlich höher theilweise in glei- cher Linie mit dem Aqueductus Sylvii , mehr nach vom und weiter von der Hauptgruppe entfernt, als jene klein- zelligen ovalen Gruppen. Zudem sind seine Ganglien grosser und färben sich dunkler bei der Weigert 'sehen Methode. Darkschewitsch theilt ferner mit, dass in diesem Kerne die ventralen Fasern der Commissura post. endigten, eine Bemerkung, welche gleichfalls thatsachlichen Verhältnissen entspricht (s. Fig. IV 19). Etwaige Zweifel darüber schwin- den am besten durch die Untersuchung der Vierhügel von Neugeborenen. Bei ihnen sieht man mit grosser Deutlich- keit jene unteren Commissur- Bündel in den betreffenden Kern nicht nur eindringen, sondern auch sich auflösen, ein Beweis für ihre wirkliche Endigung daselbst. Entgegen der Ansicht Meynert's, welcher den vom Vierhügcldache in das Höhlengrau einstrahlenden Radiärfasem die Vermittlung des optischen Pupillarreflexes zuschreibt, hält Darksche- witsch jene Bündel der Commissura post für diese Reflex- bahnen. „D est evident," so sind seine Worte*), „que les fibres de la commissure post. du cerveau concourent a for- mer le trajet par lequel les excitations lumineuses se trans- mettent de la retine au noyau de la troisieme paire.^ Sie sollten ihren Weg nach vorn über die Glandula pinealis

') ibidem p. 100. «) 1. c. p. 286.

') Des Fibres Papülaires de la Bandelette optique par Dark- schewitsch de MoBcou. Sep.-Abdr. pag. 8.

Die Anatomie des OculomotoriaBcentrams beim Menschen. 295

und von da seitlich in das Corpus geniculatum ext nehmen. Folgerichtig erklärt er sodann den vorderen lateralen Kern für das Pupillarcentrum. Ob letztere Annahme, zu welcher der Autor auf experimentellem Wege (Degenerationsmethode) gelangte, die richtige ist, oder die von Westphal, welche aus pathologisch-anatomischer Forschung gewonnen wurde, muss die Zukunft lehren. Zur definitiven Entscheidung ist das gesammelte Material noch zu spärlich. Auf Fig. III sahen wir den vorderen Lateralkem durch Nervenzüge mit der Spitze der Hauptgruppe verbunden, Fig. IV zeigt einen gleichen Faseraustiausch mit dem vorgeschobenen blass- zelligen medianen Doppelkem. Bezüglich des letzteren war es mir sehr auffallend, ihn beim Neugeborenen dunk- ler gefärbt als beim Erwachsenen gefunden zu haben. Er darf auch nicht mit den Edinger-Westphal'schen Kernen zusammengeworfen werden. Der Unterschied geht zur Genüge aus Westphal' s Beschreibung und Abbildung seiner Kerne hervor. Während letztere mehr nach hinten, im vorderen Drittel der Hauptgruppe, und höher stehen, nimmt der vordere mediane Doppelkem einen tieferen und mehr centralwärts gewählten Standpunkt ein. Das Ver- halten der hinteren Längsbündel an dieser Stelle drückt gleichfalls Fig. IV (5) aus; ihre Querschnitte sind dünn ge- worden. Eine grosse Verarmung an Fasern weisen die Ocu- lomotoriuswurzeln auf.

Fig. V führt uns nahe dem vorderen Ende des Oculo- motoriusursprungs. Das Präparat ist dem Gehirn des Neu- geborenen entnommen. Alle Kerne sind verschwunden mit Ausnahme des vorderen lateralen (Fig. V 16). Er lässt sich weiter bis an den aufsteigenden Schenkel des Meynert 'sehen retroflexen Bündels verfolgen, seine Gestalt ist somit eine langgestreckte. Es münden noch fortwährend Fasern aus der hinteren Gonunissur in ihn ein; zugleich aber empfängt er auch solche seitlich aus der Gegend des vorderen Vier- hügelannes (Fig. V 24).

296 Dr. Perlia.

Nach der Durchmusterung des Oculomotoriuscentrums an einer frontalen Schnittserie ist die Aufgabe zu lösen, aus jener unter Zuhülfenahmc von Schnitten sagittaler und frontaler Richtung eine körperliche Vorstellung der ganzen Kemgruppe zu gewinnen. Theils aus diesem Grunde, thcils wegen der nothwendigen Verständigung über die oft nur schwer zu beschreibende Lage der Kerne an sich und zu einander empfiehlt sich der Entwurf eines den anatomischen Verhältnissen möglichst nahe kommenden Schema's. Von solchen an mikroscopische Untersuchungen angelehnten Ent- würfen kenne ich nur das von Edinger.*) Den Haupt- punkten nach stimme ich mit ihm überein, in mehreren kam ich zu anderem Resultat. Die Eintheilung des Oculo- motoriuscentrums in eine grössere hintere oder Hauptgruppe und eine kleinere Vordergruppe ist übersichtlich. Die erstere umfasst jederseits eine Anzahl neben-, vor- und überein- ander geschobener grosszelliger Kerne, welche sich beider- seits längs eines unpaarigen medianeu, gleichfalls grosszel- ligen Kernes anordnen (s. das Schema), t. Gudden, welcher anfangs') die Hauptgruppe in zwei Kerne, einen dorsalen und einen ventralen, eintheilte, gelangte später') zu der Ueberzeugung, dass der ventrale Kern, welchen er für ein- fach gehalten hatte, ein Doppelkem sein und aus einem vorderen und hinteren bestehen müsse. Horizontalschnitte durch den Vierhügel des Schweines machten mir die Dupli- cität auch des dorsalen Kernes sehr wahrscheinlich. Zu- dem gelingt es am Vogelhim (Huhn), in welchem die ge- nannten Kerne mehr in senkrechter Richtung übereinander treten, durch einen etwas nach vorn geneigten Frontal- schnitt die Vierzahl derselben auf einmal zur Anschauung zu bringen. Beim Menschen liegen sie ungefähr so, wie

') Zwölf Vorlesungen über den Bau der nervösen Centralorgane, 2. Aufl., p. 81.

•) 1881 auf der Naturforscher- Versammlung zu Salzburg. ') Hinterlass. Abhandlungen, p. 212.

Die Anatomie des OculomotoriusceDtrums beim Menschen. 297

das Schema sie augiebt. Demnach unterschieden wir einen hinteren ventralen, an das Trochleariscentrum sich an- fichliessenden Kern (Nucl. ventralis II [s. post.]), einen hin-

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teren dorsalen (Nucl. dorsalis II [s. post.]), einen vorderen ventralen (Nucl. ventralis I [s. ant.]), und einen vorderen dorsalen (Nucl. dorsalis I [s. ant.]). Mitten zwischen sie ist der Centralkern (Nucl. centralis) gestellt. Mit seinem cau-

298 I>r. Perlia.

dalen Ende in die hinteren Lateralkeme übergehend, hält er sich Yorne isolirt, umgeben von dichten Faserzügen aus dem Höhlengrau. Hinzu Hmen die Edingor-Westpharschen (medial -lateralen) Zellgruppen. In Gestalt einer soliden, seitlich zusammengedrückten Gangliensäule begleiten sie d^i Centralkern, vor welchem sie sich seitlich im stumpfen Win- kel über die vordere Spitze der grosszelligen Seitenkeme wenden (s. das Schema). In Summa enthielte also die Hauptgruppe vier paarige grosszellige Lateral- kerne, den unpaarigen grosszelligen Centralkern, und die paarigen kleinzelligen Edinger-Westphal- schen Kerne.

Die Vordergruppe bestände sodann aus zwei Kern* paaren: dem lateralen vorderen Kerne (NucL late* ralis ant) und dem medianen vorderen Doppel- kerne (Nucl. medianus ant); ersterer in schräger und seitlicher Stellung gegen die vordere Spitze der Hauptgruppo verlaufend, letzterer die Kerne in der Mittellinie einleitend (s. das Schema). Die Ursprungsweise der Oculomotorius- wurzeln ist gleichfalls im Schema wiedergegeben.

Bezüglich der Bedeutung der einzelnen Oculomotorius- keme sind unsere Kenntnisse noch recht lückenhaft. Wir wissen zwar aus dem nicht seltenen Vorkommen isolirter Nuklear-Lähmuugen, so des Sphincter Iridis, des Muse. Ciliaris (Accommodation), der Convergenzmuskeln, der Au- gen- imd Lidheber etc., dass die zugehörigen Nervenzweige in relativ selbstständigen Kernen entspringen müssen; die bekannten Reizversuche von Hensen und Völckers, welche übrigens in wichtigen Punkten denen von Adamük^) wider- sprechen, weisen zwar den Kernen für Accommodation, Iris und Convergenz ihren Platz im vorderen, für die übrigen Muskeln im hinteren Theil des Oculomotoriuscentrums an.

p. 668

>) Handb. d. ges. Augenheilkunde, Qraefe-Saemisch, Bd. II, 68.

Die Anatomie des Ucalomotoriuscentrums beim Menschen. 299

Auch suchte Staar') vermittels 20 Fälle partieller Oculo- motoriuslähmuDgen eineu Einblick in die Lagerung der Kerne zu gewinnen, indem er sie schematisch so gegen einander stellte, wie sie zum Eintreten jener Gruppen-Er- krankungen die meisten Chancen boten. Aber trotz allem ist es noch nicht gelungen, auch nur einen einzigen Ocu- lumotoriuskem für einen Nervenast mit Gewissheit an- sprechen zu können. Es fehlen bestimmte, auf patholo- gischanatomischer Basis ruhende, Untersuchungen. Der Gehirnbefund von Kahler und Pick') bei Lähmung des Levator Palpebrae, Rectus sup. und Obliquus inf. ist ge- wiss wichtig, da er die hinteren Lateralen Oculomotorius- bündel betraf. Die Afifection scheint jedoch nicht bis in die Kerne verfolgt worden zu sein, so dass wegen der Häufung derselben und der theilweisen Wurzelkreuzung grade im hinteren Ursprungsgebiet auch obiger Fall zur Bestimmung der speciellen Centren nicht viel beigetragen hat. Nichts destoweniger gewähren jene Arbeiten einen grossen Nutzen; denn sie weisen auf die Stelle hin, an welcher wir vor-

') The Journal of Nervous and Mental Disease, May 1888.

Ich gebe hier das Diagramm St aar 's, welches er in ori- gineller Weise durch Wahrscheinlichkeitsrechnung fand, wieder. Es stimmt gut mit den Ergebnissen von Hensen und Yölckers überein. Diagram IV The Position of the Third Nerve Naclei on the Left Lide.

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*) Centralbl. f. Augenheilkunde, 1882, p. 317.

300 Dr. Perlia.

kommenden Falls den Krankheitsheerd zu suchen haben. Ein Jeder, welcher sich mit den mühevollen Gehimunter- suchungen abgegeben hat, weiss einen solchen Fingerzeig wohl zu schätzen. Leider ist das geeignete Material nur schwer und wenig zugänglich, wesswegen wir auf das Thier- experiment angewiesen sind. Dessen Aufgabe besteht darin, neugebornen Thieren die einzelnen Oculomotoriusmuskeln ganz zu entfernen, um die Lage ihres Nervenkernes durch Degeneration zu markiren, gleichgültig, ob wir den von v. Gudden oder von Singer und Münzer (Waller-Marchi'sche Methode) eingeschlagenen Weg befolgen wollen. Der Ope- ration bei neugebornen Thieren treten erhebliche Schwierig- keiten entgegen: der nöthigen Bulbusrollung die ausser- ordentliche Zerreissbarkeit der Gewebe; der völligen Ezstir- pation des Muskels dessen grosse Zartheit und geringe Färbung. Schon eine leise Spannung desselben mit dem Schielhaken behufs Verfolgung bis an seinen Ursprung ge- nügt zur Zerreissung. Der Muskel zieht sich zurück und ist dann nur schwer zu finden. Seine totale Entfernung ist aber eine Conditio sine qua non zum Gelingen des Ex- periments. Diese Gründe haben bis jetzt die Operation scheitern lassen; gleichwohl müssen sie wiederaufgenommen werden, um an's Ziel zu gelangen.

Es bietet sich hier die Gelegenheit, auch einen Rück- blick auf den Fasciculus Longitudinalis post. zu werfen, welcher in innigem Connex mit dem Oculomotoriuscentmm steht. Es lagert gleichsam in einem Bette, dessen Wandungen die hinteren Längsbündel bilden. Am vorderen Ende der Kemgruppe von dünnem Querschnitt, wachsen sie caudal- wärts immer mehr an Umfang, bis sie schliesslich in der Gegend des Nucleus Trochlearis zu dicken Strängen verei- nigt nach der MeduUa oblongata streichen. Manche Bündel macheu, wie ich an lückenlosen Schnittserien durch den Vier- hügel des Kalbes gut verfolgen konnte, einen starkgewundenen Lauf mitten durch die Kerne hindurch. Die Zunahme des

Die Anatomie des Oculomotoriuscentrams beim Menschen. 301

Fascicels iiack hinten hinist durch seine theilweiso Warzelung in dem Oculomotoriuscentrum begründet. In seiner letzten Arbeit über dasselbe leugnet v. Gudden^) diesen Ursprung aus dem Umstände, weil nach Fortnahme der Augenbe- wegungsnerven der einen Seite kein erkennbarer Einfluss auf die Entwicklung der hinteren Längsbündel zu constatiren sei; andererseits wiesen die Maulwürfe trotz Abwesenheit von Wurzeln und Kernen der Augenbewegungsnerven hintere Längsbündel analog denen von Kaninchen auf. v. Gudden's Behauptung widerstreitet aber eine wichtige Thatsache, nämlich das Verhalten des Fasciculus long, post beim Fötus. Flechsig') hat bekanntlich gezeigt, dass in bestimmten Phasen des Fötallebens Fasern, welche beim Erwachsenen völlig gleichbeschaffen sind, sich in auffallender Weise unter- scheiden, indem die einen complette Markscheiden fuhren» während die anderen noch nackte Achsencylinder darstellen. Dahin gehören, wie Flechsig') und speciell Edinger^) nachwiesen, auch die hinteren Längsbündel. Beim Fötus der letzten Schwangerschaftsmonate lassen sich dieselben mit der Weigert'schen Färbung nicht über das Oculomotorius- centrum hinaus nach vorne verfolgen; der ganze markhaltige Fascicel geht in die Kemgruppe auf was ihren wirklichen XJrsprung aus derselben beweist Die betreffenden Schnitte (sagittaler Richtung) sind sehr instructiv; ich habe einen solchen in Figur VI wiederzugeben versucht Die Annahme einer associatorischen Verknüpfung der Augenmuskelkerne (Oculomotorius-Trochlearis, Abducens) vermittels jener Fasern ist demnach eine wohlberechtigte. Beim Erwachsenen ent- halten allerdings die hinteren Längsbündel noch Nerven anderer Art. Dieselben kommen hauptsächlich aus der Linsenschlinge und sollen nach Meynert^) das Projektions-

>) 1. c. pag. 215.

*) Die LeituDgsbahnen im Gehirn u. RUckoDmark d. Menschen, 1876. ») 1. c. pag. 256. *) 1. c. pag. 84.

*) Psychiatrie, Wien 1884, pag. 89.

302 !>'• Perlla, die Anatomie des OcalomotoriascentnuiiB etc.

System aus der Hemisphäre in das centrale Höhlengraa repräsentiren.

Zum Schlüsse darf noch ein zweites, an die freie obere Fläche des Oculomotoriuscentrums herantretendes Nerven- gewebe nicht unerwähnt bleiben. Auf Sagittalscfanitten, welche sich besonders zu seinem Studium eignen, ist dieses Fasergewirr einer über der Kerngruppe lagernden Wolke nicht unähnlich. Seitlich spinnt es sich mit unzähligen Fäserchen in die Kerne des N. Oculomotorius fort; nähert man sich in der Schnittserie der Raphe, so ist man über die reichlichen Fasern erstaunt» welche auf der ganzen Stredce zu parallelen Zügen geordnet yentralwärts ziehen, um sich unterhalb der hinteren Längsbündel im Bogen nach yome zu wenden. Auf Frontalschnitten, welche die Grenze des dritten Ventrikels treffen, sieht man sodann diese Fasern eine weitere Wendung nach aussen über den Himschenkel- fuss machen, wo sie sich in der reticulären Substanz yer- lieren. lieber letztere hinaus konnte ich das Nervensystem nicht mehr verfolgen. Es stehen demnach mindestens zwei ganz verschiedene Fasersysteme mit den Kernen des N. Oculomotorius in Verbindung: die hinteren Längsbündel aus dickeren Fasern bestehend und im Oculomotoriusgebiet vorwiegend sagittal ziehend, und das aus feineren Nerven zusammengesetzte Fasersystem des Höhlengrau mit durch- gehends senkrechter Verlaufsrichtung, lieber die Bedeutung des letzteren ist noch gar nichts bekannt

Erklärung der Tafeln. Tafel VI IZ.

Fig. la.

1. Nttcl. dorsal. II. 8. post.

2. NacL ventral. II 8. post.

-' f _^ > Ocalom. Wurzeln.

4. gekreuzte j

5. Hintere LAngsbflndel.

Fig. Ib. 1—5. wie in Fig. la.

6. FasersjBtem des Höhlengrau.

7. Diffuse Ganglien in der Mittellinie.

Fig. Ic. 5 7. wie vorher.

8. Kleinzellige mediane Qruppe (nach Edinger-Westphal).

Fig. Id.

8. wie vorher.

9. Kleinzellige laterale Gruppe (nach Edinger-Westphal).

Fig. II.

6—8. wie vorher.

10. Aquaeductus Sylvii.

11. Nucl. centralis.

12. Nucl. dorsal. I s. ant.

13. Kucl. ventr. I s. ant.

304 ^' Perlia, die Anatomie des OcalomotorioBcentruiiis etc.

Fig. IIa (Neugeborener). 11 13. wie vorher.

Fig. IIb (Foetas) wie vorher.

Fig. III. 8—13. wie vorher.

15. Bändel des Fascic. long. post. aas den Ocnlomotorios- kernen.

16. Nucl. lateralis anter. (Darksche witsch).

17. Fasern aus dem Höhlengraa. 12. Gef&ssdurchschnitt.

Fig. IV. 5—16. wie vorher. 14. Nucl. medianus ant

19. Yentralfasem der Gommissnra post.

20. Oanglien des Trigeminos.

Fig. V (Neugeborener). 3—19. wie früher.

22. Anfang des dritten Ventricels.

23. Schnitt durch die Horizontalschenkel des retroflexoD Bündels von Meynert.

24. Seitliche Fasern zum Nucl. lat. ant

Fig. VI (Foetus). 5. Hintere L&ngsbündel. 10. Aquaed. Sylvii. 19. Commissura post.

21. Nucl. Trochlearis.

25. Nucl. Oculomotor. sagittal durchschnitten.

Nachtrag.

Während des Druckes vorliegender Arbeit bemühte ich mich^ den Ursprung des N. oculomotorius auch mit der neuen Methode von Marchi darzuthun. Sie unterscheidet sich von der Gudden'schen dadurch, dass das Gehirn des Yersuchsthieres nicht nach vollendeter Entartung, son- dern bereits während deren Entstehen zur Unter- suchung gelaugt. Dieser Umstand ^) liegt in der merkwür- digen Eigenthümlichkeit der Methode begründet, nur die Zerfallsprodukte von degenerirenden Markscheiden intensiv schwarz zu färben, während die normale Gehimsubstanz nur einen grau- grünlichen Farbenton annimmt. Wir sind demnach nicht erst, wie bei Gudden, zu einer sorgfältigen Vergleichung beider homologen Gehirnhälften genöthigt, um die centrale Bahn eines Nerven experimentell festzustellen, im Gegentheil, dieser ist in positiver und deutlichster Weise in die blasse Schnittebene des Gehirnes eingezeichnet. In- dem ich mich an die von Singer und Münzer berichteten Vorschriften hielt, ging ich folgendermaassen vor:

Am 22. Juli a. c. exenterirte ich unter wiederholter retrobulbärer Gocain-Injection mit einem zur Fläche leicht gekrümmten Messer einem fast ausgewachsenen Kaninchen vollständig die linke Orbita. Am 22, August, also ca. vier

*) Beitr&ge zar Kenntniss der Sehnervenkreuzung von Docent Dr. Singer u. Dr. Manzer. Bes. abgedr. aus d. LV. Bd. d. Denk- schriften d. Math. Nat. Gl. d. Kais. Acad. d. Wissenschaften, Wien 1888, p. 5.

T. Gnefe'8 ArchW für Ophthalmologie. XXXV. 4. 20

306 Dr. Perlia.

Wocheu nach der Operation, wurde das Gehirn des Thieres acht Tage in Müll er 'scher Flüssigkeit aufbewahrt, sodann in möglichst dünne Scheiben zerlegt, auf weitere sechs Tage in eine Mischung von 2 Th. Müll er 'scher Flüssigkeit und I Th. 1 ^/o Osmiumsäuro gebracht und schliesslich in der bekannten Weise in Alcohol nachgebärtet. Das Resultat war folgendes:

In vorzüglichster Weise gelang es, die partielle Kreu- zung der hinteren Oculomotoriuswurzeln zur Ansicht zu bringen. Nach leicht geschwungenem Verlaufe sammeln sich in der Rapho die schwarz gefärbten Wurzeln aus dem ven- tralen (gleichseitigen) Kerne der linken und dem dorsalen (gekreuzten) Kerne der rechten Seite (s. Fig. 1), um hierauf nadi vorne den absteigenden Bündeln sich beizugesellen. Der grosse Werth eines solchen Präparates, wie es hier meines Wissens zum ersten Mal vom Oculomotoriusursprung gegeben wird, liegt in dem Wegfall jeglicher Lageverände- rühg der in Betracht kommenden Gehimtheile; dagegen ist mit der Gudden'schen Entartungsmothode stets Schrumpf- ung mit consecutiver Verzerrung gerade der Gebiete ver- knüpft, welche die degenerirten Nerven beherbergen. Ich verweise nur hier auf die die Oculomotoriuskerue betreffen- den Figuren 1 bis 4 der Taf. XXXIX aus den hinterlasseneu Abhandlungen des Autors. Sie zeigen eine erhebliche la- terale Lageveränderung der Kerne und Wurzeln, wie auch die hinteren Langsbilndel auf der entsprechenden Seite stark nach oben abirren.

In Fig. 2 ist der mittlere Theil der Oculomotorius- kerngruppe beim Kaninchen wiedergegeben. Die Fasern des angegriffenen Nerven überziehen nur die Kerne der- selben Seite. Auf den Präparaten fallen sodann vereinzelte schwarzgefarbte Faserquerschnitto in den hinteren Längs- bündeln auf, ein Beweis, dass letztere Bestandtheile der Augenmuskeluerven mit sich führen.

In gewisser Beziehung interessirt uns hier noch die

Die Anatomie des Oculomotoriascentrams beim Menschen. 307

den vorderen Oc}ii<piotoria8wurzeln entsprechende Fig. 3. Sie giebt die Ausläufer des Tractus peduncularis transversus wieder. Derselbe ist jenes von Hall (1810) gefundene und in Vergessenheit gerathene, sodann von Gudden an's Licht gezogene Sehnervenbündel, welches» im vorderen Vierhügel vom Tractus opticus abgehend, nach unten um die Aussen- fläche des Himschenkels sich schlingt, um etwas vor dem Austritt des N. oculomotorius in die Basis des Gehirns ein- zudringen.^) V. Gudden zeigte, dass nach Vernichtung der einen Retina stets der gekreuzte Tract. pedunc. transv. zu Grunde geht. Die Mehrzahl seiner Fasern, welche besonders auf Weigert'schen Präparaten feiner als die gewöhnlichen des Opticus erscheinen, umgreift den inneren Rand des Himschenkelfusses und entfasert und verliert sich in der Substantia reticularis. Daneben aber konnte ich einen Ast dieses Bändels verfolgen, welches medianwärts in den benachbarten vorderen Oculomotoriuswur- zeln zu deren Centrum aufsteigt (s. Fig. 3). Bezüg- lich anderwärtiger Verbindungen des Sehnerven mit dem N. oculomotorius weisen meine Präparate keine Spur von beginnender Entartung in der Ck)mmi8sura post. auf, in welche Darkschewitsch die oculopupillären Fasern ver- legt Desgleichen reagirten die von Meynert als optische Reflexleiter angesprochenen Radiärfasem nicht auf den Ein- griff. Auffallend war es mir, median vom gleichseitigen Him- schenkelfuss noch ein Bündel gefärbt zu finden (s. Figg. 2 u. 3) . es zieht nach hinten, zersetzt sich gegen die Mitte der Ocu- lomotoriuskemgruppe und steigt nach oben (s. Fig. 1), um in der Gegend des Trochleariskemes an die hinteren Längs- bändel heranzureichen. Es entspricht der Lage nach dem Yon Inzani und Lemoigne beschriebenen Fascio peduncu- lare interne.*) Die beiden Autoren bringen diesen Nerven-

*) V. Qadden's gesammelte Abhandlgn., 1889, p. 117— 122. «) V. Gudden 1. c. Taf. XI (Fig. 4).

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308 I^r. Perlia, die Anatomie des OcuIomotoriuscentramB etc.

zug gleichfalls mit dem Opticus in Zusammenhang, welchen jedoch y. Gudden entschieden leugnet und nur aus Fasern vom Corpus mamillare bestehen lässt. Ich muss gestehen, dass nach der y. Gudden'schen Methode gewonnene Gehim- präparate von einseitig enucleirten Kaninchen, welche ich zum Vergleich heranzog, mir keine erhebliche Degeneration des in Frage stehenden Bündels ergab. Weitere Versuche mit der Marchi'schen Methode bezüglich dieses Bündels sind daher abzuwarten.

Ein Beitrag zur Kenntaiss der Miliartabercnlose der Chorioidea.

Von Dr. M. Dinkler, Assistenzarzt

(Aas der mediciniscben Klinik von Prof. Erb in Heidelberg.) Hierzu Tafel X, Fig. I III.

Je nach der Art der Infection unterscheidet man unter tuberculösen Erkrankungen des Augapfels ebenso wie unter denen aUer anderen Organe zwei Formen, eine primäre und eine secundäre, deren ersterc nach der Invasion von Tuber- kelbacillen in dem Auge eines völlig gesunden Organismus von aussen her (ektogen) entsteht, während die letztere nach Verschleppung tuberculöser Substanzen von einem be- reits im Körper vorhandenen specifischen Herde (endogen) sich zu entwickebi pflegt.

Für die Entstehung der ersteren Form kennt man zwei Wege: auf dem einen erfolgt sie nach dem Typus der ex- perimentellen Impftuberculose, dadurch dass bei einer Ver- letzung des Augapfels sei es gelegentlich operativer Eingriffe oder nach Einwirkung eines Traumas mit den Instrumenten, beziehungsweise Fremdkörpern Tuberkelbacillen in das Augen- innere gebracht werden, auf dem zweiten weit seltnerem dadurch, dass die Bacillen, welche an irgend einem anderen Körpertheil eine Eingangspforte gefunden, direkt von der

310 I>r. M. Dinkler.

Stelle der Verletzung in den Augapfel verschleppt werden. So unklar im allgemeinen auch dieser letztere Modus nach unseren Kenntnissen über die Aetiologie und Pathologie der Tuberculose gegenwärtig noch erscheint, so unverstandlich trotz der Vielgestaltigkeit „des localen Factors^' es auch bleibt, dass die Mikroben gerade in diesem einen Organ sich fest- setzen, so ist doch eine derartige Entstehungsweise der primären Tuberculose nicht kurzer Hand abzuweisen, da an- gesichts der noch vielfach mangelhaften Kenntniss der bio- logischen Eigenschaften der Tuberkelbacillen, die Häufigkeit völlig analoger isolirter tuberculöser Herde in den Knochen, im Gehirn, in den Meningen etc. mehr für als wider eine solche Annahme einzutreten vermag. Man würde daher vom aetiologischen Standpunkte bei der primären Tub^icalose des Augapfels eine durch lokale Infection entstandene Form, das Analogen zur Impftuberculose der Thiere, und eine durch direkte Verschleppung des an einem anderen Organ eingedrungenen Tuberkelgiftes erzeugte Form zu trennen haben. Weit häufiger, wenn auch in ihrer Pathogenese vielfach gleich räthselhaft und dunkel, ist die secandäre „endogene" Tuberculose des Augapfels welche wie oben er- wähnt durch Inoculation des specifischen Virus von einem bereits im Organismus vorhandenen Harde vermittelt wird. Dass dieser Form eine Aufnahme der Bacillen in die Lymph- und Blutgefässbahnen vorangehen muss, dass Blut und Lymphe, die wichtigsten Körperflüssigkeiten, dabei die Bolle von Infectionsträgeiii übernehmen, bedarf wohl keiner weiteren Ausfuhrung; es sind dies allgemein anerkannte Thatsaehen, auf welchen die fundamentalen Lehrsätze über die Entste^ hung und den Mechanismus der tuberculösen Durchseuchung des menschlichen und thierischen Organismus sich aufbauen. Mit Rücksicht auf diese eben angedeutete Verschiedenaitig- keit des Infectionsmodus der tuberculösen Erkrankungen im allgemeinen wird auch die Beobachtung leicht verstand- lich sein, dass bei der primären Form der Erkrankung in

Ein Beitrag zur Kenntn. der Miliartubercttlose der Ghorloidea. 311

der Begel nur wellige Bacillen in d^n Augapfel gelangen, da die letzteren den Terletzenden resp. perforirenden Fremd- körpern doch nur vereinzelt anhaften und wie die Cor- net'schen Untersmhungen bewiesen haben, bei weitem nicht 80 „ubiquitär'^ vorkommen, als man bisher anzunehmen sich berechtigt glaubte, dass hingegen die offene Comuni- cation eines erweichten tuberculösen Herdes mit dem Blut- oder Lymphstrom, welche fdr die Enthebung der secundären Erkrankungen die Regel bildet, eine massenhafte Einschleppung von Bacillen vermittelt. Die anatomischen Veränderungen, welche sich an die Bacillenansiedelung anschliessen, ent- sprechen natürlich in ihrer Menge der Zahl der einge- drungenen Krankheitskeime: Durch den Import von nur wenigen werden mehr solitäre, circumscripte, durch den von zahlreichen Bacillen bei diffuser Vertheilung disseminirte multiple Tuberkelherde erzeugt.

Der experimentelle Nachweis für* diese Thatsachen ist nach den ebenso genialen wie fruchtbaren Untersuchungen Cohnheims unter Benutzung der vorderen Augenkammer als Impfstätte ohne besondere Mühe und Zeitaufwand zu erbringen, denn es wuchern z. B. an A&r Iris, nach Ein- bringung grösserer Mengen käsiger Bröckel in die vordere Kunmer zahllose Knötchen in diffuser Vertheilung ebenso prompt und sicher hervor wie die solitären umschriebenen Herde nach Inoculation von minimeii Infectionsstoff. Am menschlichen Auge ist der Conglomerattuberkel, gleich- viel ob er von der Iris, von dem corpus ciliare oder von der Chorioidea seinen Ausgang genommen, sowohl klinisch häufig beobachtet wie auch in pathologisch -anatomisdier Beziehung eingehend und gründlich untersucht; da in einer Anzahl von diesen Publicationen auch dar Nachweis von Tuberkelbacillen in oinwurfsfreior Weise geflAirt ist, so ist die Annahme vollkommen berechtigt, iam die negativen Resultate anderer Forscher nur einer zu wenig umfangreichen oder fehlerhaften Untersuchung zuzuschreiben sind, und es

312 Dr. M. Dinkler.

gilt demnach auch für den Augapfel der Satz: „keine Tabar- calose ohne Bacillen" in der der gleichen Unomschränktbait wie für alle anderen Organe. Meist wird allerdings abge- sehen Yon dem Ergebniss der klinisch^i Beobachtang die einfache histolog. Untersuchung solcher Tumoren unter An- wendung der gewöhnlichen Kernfarben genügen» um diffe- rentiell diagnostische Zweifel zu heben, denn centrale Ver- käsung mit Eruption miliarer Tuberkel in der Peripherie, die Bildung von yielkemigen Riesenzellen und epithelioiden Zellen mit einem randständigen Wall von Rundzellen, die Art und Weise des peripheren Fortschreitens des Prozesses, das eigenthümliche Verhalten der Blutgefässe alles dies ist so eigenartig und charakteristisch, dass gegebenen Falles eine Verwechselung mit anderen Krankheitsprodukten schon durch die histologische Unterauchung ausgeschlossen werden kann. Wichtiger und nothwendiger ist die Untersuchung auf. Bacillen für eine der Hauptformen der secundaren Tuberculose, welche im Augapfel in classischer Form au der Aderhaut zur Entwickeluug gelangt, die acute Miliar- tuberculose. Da bei dem meist rapiden Verlaufe dieser Krankheit die Tuberkeleruption histologisch häufig auf ihrer frühesten und indi£ferenten Stufe: dem Rundzelleutuberkel, stehen bleibt und dieser bekanntlich vor anderen zelligen Infiltrationen, mögen sie chemischen, thermischen, trauma- tischen oder mykotischen Ursprungs sein, kein sicheres Kri- terium besitzt, so wird im Hinblick auf dieses Stadium der Tuberkelentwickelung der Nachweis von Bacillen nicht nur von bakteriologischem Interesse, sondern zur Sicherstellung der klinischen und grob anatomischen Diagnose, von aus- schlaggebender Bedeutung sein. Die Zahl von Untersuchungen über diese Form der tuberculösen Choroidealerkrankungen ist, soweit aus der Literatur, zu ersehen ist, nicht nur eine beschränkte, sondern die wenigen Fälle sind auch so knapp und kurz d. h. entweder nur vom klinischen und anatomischen oder nur vom bakteriologischen Standpunkte abgehandelt,

Ein Beitrag zur Kenntn. der Miliartubercolose der Chorioidea. 313

dass weitere Mittheilungen, die zur näheren Kenntniss die- ser Ghoroidalerkrankung beitragen können, berechtigt er- scheinen.

Im Juni 1888 wurde in der Klinik des Herrn Geh. Hofrathes Erb, folgender Fall von Miliartuberculoae der Chorioidea beobachtet:

Käthchen Kachel, IBjähriges Dienstmädchen aus Heidel- berg, wurde am 26. Juni 1888 in die roedicinische Klinik wegen „Fieber und Bronchitis'^ eingewiesen. Die anamnestischen Erhebungen ergaben folgendes: Eltern der Patientin an Phthise gestorben, fünf Geschwister leben, sind gesund; Patientin selbst war angeblich stets kränklich; vom 3. bis 12. Jahre litt sie an einer „Lungonkrankheit", die unter den Erscheinungen von Husten und geringer Kurzathmigkeit verlief; zugleich- bestand eine häufig sich verschlimmernde Augenlid- und Bindehautent- zündung, Verdickung der OberUppe und Neigung zu Hautaus- schlägen; auch die Hände sollen einmal geschwollen gewesen sein. Nach dem 12. Jahre Hessen die Beschwerden nach und Patientin fühlte sich bis vor zwei Monaten (also ca. sechs Jahre) völlig wohl; seit April d. J. klagte sie über Appetitlosigkeit, Mattigkeit, etwas Husten und Auswurf; keine Fiebererschei- nungen, keine Nachtschweisse, keine Hämoptoe; leichte Ab- mageruDg; seit acht Tagen stärkere Beschwerden; abendliche Temperatursteigerungen, Kopfschmerzen, Durst, Mattigkeit; Husten etwas stärker, wenig schleimiger Auswurf hier und da etwas Stechen in beiden Seiten; dreitägige Obstipation.

Status praesens: Massig entwickeltes, ziemlich gut ge- nährtes Mädchen, panniculus adiposus relativ reichlich ent- wickelt, leichte Anämie der äusseren Hautdecken und sicht- baren Schleimhäute, Zunge belegt, trocken, keine Oedeme, keine Drüsenschwellnngen; leichte Benommenheit des Sensoriums und psychische Reizbarkeit.

Thorax: Normal gebaut; Athmung ruhig, gleichmässig beiderseits, Herzchoc an der normalen Stelle zu fühlen.

Perkussion: Ueber der L Lungenspitze leichte Ver- kürzung des Schalles, obere Lungengrenze steht ca. einen Quer- iinger tiefer als R; respiratorische Verschiebuug der unteren Lungengrenzeu normal; Herzdämpfung nicht vergrössert.

Die Auscultation Hess ausser einer rauhen Beschaffenheit des Vesiculärathmen über der L Spitze keine Abnormität nach- weisen; Herztöne rein.

314 I>r. M. Dinkler.

Abdomen nicht aufgetrieben, Cöcalgurren, kein Lebertumor, Milzdftmpfnng 14 : 8 cm, Milz nicht palpabel. Urin albnmin- frei; Puls beschleunigt, voll, nicht dicrot Da am nächsten und an den folgenden Tagen der Milztumor deutlich palbabel wuiUe, die zweistttndigen Messungen eine febris continua mit sehr gerihgen Remissionen ergaben, die Pulsfrequenz im Vergleich zur tlöhe des Fiebers eine auffallend niedrige (80—84 Schlftge bei B9 bis 40 ^ C) war, und leichte bronchitische Erscheinun- gen hinzutraten, so wurde mit einer gewissen Wahrsdieinlich- keit ein Ileotyphus diagnosticirt und eine dementsprechende Therapie eingeleitet. Dieses Bild bot die Kranke ca. 14 Tage, dann traten jedoch alhnählich die Erscheinungen von Seiten der Lungen mehr in den Vordergrund, Patientin wurde dys- pnoisch, leicht cyanotisch; objectiv Hess sich eine geringe In- filtration des L Unterlappens nachweisen. Der Milztumor ging weiterhin zurück, Darmerscheinnngen: Diarriioeen etc. blieben danemd aus, der Puls wurde frequent und klein, so dass in wenigen Tagen die Krankheit alle die für die acute Miliar- tnbercnlose charakteristischen Symptome darbot.

Diese Diagnose fand ihre endgültige Bestätigung durch das Ergebniss Uer am 15. Juli vorgenommenen ophthalmosko- pischen Untersuchung. Von Seiten des Nervensystemes, be- sonders des Gehirnes, waren weder Allgcmeinerscheinungen noch Herdsymptome eingetreten. Die Beweglichkeit der Augen hatte in keiner Richtung eine Einschränkung erfahren, ebenso- wenig hatte Patientin während der ganzen Dauer der Erkran- kung über SehstArungen: Doppelsehen oder Kebelsehen, geklagt; die Spannung der bulbi lies vermittelst digitaler Prüfung, keine gröbere Aenderung des intraocularen Druckes constatiren. Die Pupillen waren über mittel weit, reagirten sowohl reflectorisch wie accomodativ prompt und schnell; die brechenden Medien erwiesen sich bei focaler Beleuchtung vollkommen klar und ungetrübt Auch bei der Durchleuchtung erschienen Cornea, Kammerwasser und Linse klar, ebensowenig licssen sich im Glaskörper flockige oder spinnewebartige Trübungen, welche auf einen exsudativen Process hindeuten konnten, nachweisen.

(Genauer im aufrechten und umgekehrten Bilde, soweit dies, ohne die Patientin besonders anzustrengen, möglich war, wurde das R Auge untersucht, und zwar auch von diesem nur die hintere Bulbusbälfte bis in die Gegend des Aeqnators. Die piqDilla nervi optici erschien scharf begrenzt und gegen die Umgebung deutlich abgesetzt; ihr blassröthliches Colorit zeigte

^n Beitrag zur Kenntn. der MiliartnbercaleBe der Chorioidea. 315

eine der diffusen Hyperämie derNetzhaotentsprediende intensivere Farbendichte. Yon den GefSssen waren die Tenen verbreitert, prall gefüllt, und verliefen vor allem temporal wärts etwas ge- schlängelt; im Gegensatz zn ihnen erschienen die Arterien etwas verengert dadurch, dass der Doppelcontor ihrer Wandung auf Kosten des Axenblutstromes verbreitert war; Arterienpuls war niAt vorhanden. Die Prominenz der Papille erschien nicht deutlich eiMht, hingegen war ihre Diaphanität in massigem Orade, wahrscheinlich in Folge einer ödematösen Quellung der ••Gewebeelemente, vermindert. Hierin kann man auch die Er- klärung für die Yerstrcichang der physiologischon Excavation, welche fQr gewöhnlich eine Verfolgung der BlutgeAsse in den Stamm des n. opticus hinein erleichtert, suchen. Die Netzhaut im Allgemeinen war, wie schon oben angedeutet, dunkehrt^, hyper- 4misch, zeigte jedoch nirgends gröbere Veränderungen, wie Blutungen oder diffuse Verfärbung; auch ihre Verbindung mit Chorioidea war anscheinend flberall erhalten. Im Bereiche des temporalen Bulbusabschnittes fielen schon beim ersten Blick eine Anzahl mehr oder weniger prominenter, hOgeliger Stellen auf, die, anscheinend regel- und gesetzlos verstreut, nur eben darin eine gewisse Gesetzmässigkeit in ihrer Anordnung er- kennen Hessen, dass sie fast ausschliesslich auf die temporale Hälfte, und zwar in besonders dichter Zahl auf den hinteren -Quadranten, vertheilt waren; nasal Hess sich wenigstens bei der durch die Athemnoth der Patientin gebotenen Eile keine ähn- liche Efflorescenz nachweisen. Die Grösse dieser mehr oder weniger verfärbten Erhebungen der Netzhaut schwankte inner- halb enger Grenzen und stand in directem Verhältniss zu ihrer Prominenz über das Niveau der anliegenden Netzhaut- partien; denn in gleicher Weise wie der Umfang wuchs, wurde auch die Vorwölbung ausgesprochener. Besonders deutfich trat dies an einzelnen Knötchen hervor, über welche direct ein grösseres Netzhautge&ss hinwegverlief. Weiterhin Hess sich auch in ihrer Farbe und Begrenzung eine gewisse Gesetz- mässigkeit erkennen, insofern als die kleineren Knötchen eine ausgesprochen rundliche Gestalt zeigten und über ihnen je nach der Grösse die rothe Farbe des Augenhintergrundes mehr und mehr abgeblasst erschien; an den meisten von die- ser Grösse war jedoch noch eine deutliche Chagrinirung der Netzhaut trotz der Decoloration zu erkennen. Die grösseren Prominenzen hingegen waren unregelmässiger configurirt, ihre Form war mehr oval und etwas in die Länge gestreckt; auch

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ihre Färbung zeigte eine der Zunahme ihres Umfanges ent- sprechende Aenderung, und war entweder eine rein weisse, oder so z. B. an einem unmittelbar an der Papille liegen- den Knötchen eine opak gelblich-weise. Der Uebergaag der einzelnen Herde in dies umgebende Gewebe war gleich- falls je nach der Grösse derselben deutlich verschieden^ wäh- rend die Verfärbung an den kleineren FJecken allmählich in das Roth der anliegenden Netzhautpartie fiberging, traten die grösseren, als weisse oder weiss-gelbliche Herde durch die ab- norme randständige Gefässfttllung scharf abgesetzt hervor; an einzelnen, so z. B. an einem nach oben temporalwärts einge- lagerten Knötchen, war der hyperämische Ring durch eine schwarze Pigmentanhäufung von sichelförmiger Gestalt unter- brochen. Ueber die Zahl und genauere Yertheilung der Knöt- chen auf die oberen oder unteren Abschnitte des hinteren temporalen Quadranten, über die Grösse ihrer Hervorragnng in den Glaskörper, Hess die zunehmende Schwäche und hoch- gradige Athemnoth der Patientin leider keine sicheren Resul- tate gewinnen.

Es hatte demnach die ophthalmoskopische Untersuchung ausgesprochene Veränderungen des Augenhintergrundes erge- ben, welche wegen ihrer Anordnung und Vertheilung, ihrer Gestalt und Verfärbung in dem vorliegenden Falle zweifel- los als miliare Tuberkel zu deuten waren, und der auf Grund der übrigen klinischen Symptome gestellten Diagnose: allge- meine acute Miliartnberculose eine absolute Sicherheit ver- liehen. Am 16. Juli wurde der Zustand immer bedrohlicher, die Respiration erreichte geradezu eine jagende Frequenz, der Puls wurde kleiner und schwächer, am Herzen trat Galo- prhythmus auf, Delirien stellten sich ein, die Cyanose nahm mehr und mehr zu, und so erfolgte am selben Tage Abends bei einer Respiration von 86 pro Minute der exitus lethalis. Die Augen wurden einige Stunden post mortem herausgenom- men und in Müller 'scher Flüssigkeit gehärtet

Die am 17. Juli vorgenommene Section (Herr Dr. Ernst) ergab folgendes: Miliartuberculose der Lungen, Emphysem der interlobulären Lymphgefösse der Lungen und der Pleuren, ver- käsende peribronchitische Tuberculose der Oberlappeu, beson- ders links, Miliartuberculose der Milz, Leber und Niere, Ne- phritis parenchymatosa acuta. In den Miliartuberkeln der Lungen, von welchen einige Präparate nach der Gabbet- Krnst* sehen Methode angefertigt wurden, fanden sich in reich-

£in Beitrag zur Kenntn. der Miliartuberculose der Chorioidea. 317

licher Menge Tuberkelbacillen. Die beiden Augen- wurden nach yiermonatlicher Härtung in Mflller'scber Flüssigkeit zwei Tage in fliessendem Wasser ausgewaschen und dann in 70 und 96**/o Alcohol gehärtet; die obere Calotte (einschliess- lich der Insertion des m. rectus superior) wurde abgeschnitten und die weitere Vorbereitung für die Einbettung in Celloidin in einer Alcoholäthermischung (anä) vollendet; dabei lösste sich in Folge des Zusammensinkens des Glaskörpers die Netzhaut eine Stelle weit ab und gestattete so einen Ueberblick über einen grösseren Theil der Choroides; auf dem gleichmässig schwarzen Grunde derselben fanden sich im Bereiche der tem- poralen Hälfte zahlreiche weissliche, rund und länglich geformte, bis stecknadelkopfgrosse Knötchen, von deren Peripherie noch zarte wurzelfädchenartige Ausläufer ausgingen; bei einem Ver- such, eines derselben mit einer Präparirlanze abzuschaben, er- gab sich, dass es sich nicht um exndatiye Auflagerungen, son- dern um Verdickungen der Chorioidea selbst handelte. Nach der Einbettung der Bulbi wurde ein Theil der angefertigten Schnitte mit Carmin und Hämatoxylin in der üblichen Weise gefärbt, ein weiterer Theil für die Tuberkelbacillenfärbung aufbewahrt.

Makroskopisch sieht man an den ungefärbten Schnitten pigmentarme oder gänzlich pigmentlose, spindelförmige An- schwellungen der Aderhaut, und zwar vorwiegend in dem hin- teren temporalen Sector; an den gefärbten Schnitten lässt sich gleichfalls mit blossem Auge constatiren, dass neben den circum- scripten Anschwellungen auch noch eine diffuse Verdickung und Infiltration der Choroides besteht. Diese Veränderungen sind dabei so ausgeprägt, dass man sich ohne Berücksichtigung des opticus-Stammes leicht über die topographischen Verhältnisse der Krankheitsherde, ihre fast ausnahmslos temporale Lage zu Orientiren vermag.

Sehnerv and retina lassen nirgends eine directe Botheili- gung aa der Erkrankung erkennen; frei von zelligen Infiltra- tionen und Blutungen entsprechen sie normalen Verhältnissen, nur die schon ophtalmoskopisch nachgewiesene Hyperämie ist, auch anatomisch deutlich zu erkennen, die Blutgefässe sind dicht vollgestopft mit rothen Blutkörpem, zwischen denen sich vereinzelte weisse eingelagert finden; auch für eine mikrosko- pisch nachweisbare Schädigung der äusseren Netzhantschichten, die bei den beträchtlichen Veränderungen ihres ernährenden

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Organes: der Chorioidea ganz natQrlidi wäre, sind histologisch keine sicheren Anhaltspunkte zu finden.

Dagegen ist das tapetum nigruoi, welches üherall der Cho- rioidea anhaftet (auch an den Stellen, wo die Netzhaut, wie oben erw^nt, artificiell abgelöst ist) in verschieden hochgra- diger Weise verändert. Zunächst lässt sich über den kleinsten Bubmiliaren Knötchen der Choroides, die nur das Bild eines umschriebenen rundzelligen Infiltrates zeigen, eine Zunahme des Breitendurchmessers der Pigmentepithelien auf Kosten ihres Höhendurchmessers erkennen, die der Grösse der Prominenz der einzelnen Herde ziemlich parallel geht; aus der Form eines stehenden Rechteckes oder eines Quadrates werden sie zu einem liegenden Rechteck geradezu breitgedrflckt, solange der gestei- gerte Druck nicht die Elasticitätsgrenze der Zellen überschreitet; durch Messungen mit dem Mikrometerocular lässt sich eine Maxi- malabnahroe des Höhendurchmessers von 2 3 f^ nachweisen. Mit den Veränderungen der äusseren Form erfährt der Inhalt der Zellen eine Verlagerung und Verschiebung in der Weise, dass die Pigmentkömer im ganzen Protoplasmaleib dicht zusammen- gedrängt werden, und die normaliter pigmentfireie perinucleare Zone erfüllend, dem Kern selbst direkt anliegen; über die in- nere Fläche desi nach der Basalmembran zu verschobenen Kernes zieht nur eine ganz schmale Brücke auf&llend kleiner Pigmentkömehen hinweg und verbindet so die dem Kern seit- lich anliegenden Pigmentmassen; an Menge erscheint an diesen Zellen das Pigment noch nicht reducirt, sondern nur, wie aus der dichten Zusammenlagerung und sdieinbaren Verschmelzung der einzelnen Pigmentmolecüle hervorgeht, auf einen kleineren Raum beschränkt; an den meisten der Epithelien ist jedoch auch eine Abnahme des Pigmentes zweifellos, und zwar ist sie um so hochgradiger, je stärker der durch die Knötchenbildung der Choroides ausgeübte Druck ist; der Pigmentschwund hält mit der Zunahme der Vorwölbnng nach dem Glaskörper ziem- lich gleichen Schritt. Sobald das Maximum der Dehnbarkeit der Pigmentmembran erreicht ist, erfolgt bei Fortdauer des Druckes eine Continnitätstrennung auf der Höhe des Tuberkels und führt regelmässig zu einer im Bereiche der Grenzen des Knötchens sich haltenden Ablösung des tapetum nigrum. Der daraus entstehende Defect wird anscheinend ziemlich schnell durch eine Art Lymphthrombus ausgefüllt, der sich aus zelligen Elementen, Pigmentkörnchen und einer födig gekörnten, feinen Intercellularsubstanz aufbaut; diese Exsudat-Zellen sind vorwie»

£in Beitrag zur Kenntn. der Miliartuberculose der Chorioidea. 319

gend rund und besitzen einen leicht färbbaren Kern, der in der Mitte einer spärlichen, in der Form von Fadennetzen angeordneten, protoplasmatischen Substanz eingelagert ist; um den Kern heriuB finden sich in den Protoplasmainseln einzelne PigneAtkdrEer verstreut. Schon das intracelluläre Vorkommen von Pigment, wie auch die Form der Zellen, die leichte, intensiye Färbang ihres Kernes deuten darauf hin, dass es sidi in ihnen um Exsudatzellen, d. h. weisse Blotseilen, die in der peripheren reaktiven Zone der Tuberkel nach Emigratioii ans den Blut- gefj&ssen sich angesammelt haben, handelt. Die grosso Menge des freiliegenden Pigmentes, welches nur zum Theil wie eben erwähnt wieder von den Rundzellen aufgenommen ist, beweist ferner nicht nur, dass an der Rissstelle einzelne Epithelien un- ter Entleerung ihres Inhaltes geborsten sind, sondern dass auch aus den in ihrem Volumen anscheinend erhaltenen Zellen Pig- ment ausgetreten ist; letzteres findet sowohl in der Pigment- armuth der dem Lymphthrombus anliegenden Pigmentepithelien seine Bestätigung, und ist auch direct mikroskopisch zu ver- folgen; man findet nämlich über den erhaltenen, in der Con- tinuität des tapetum nigrum gelegenen Zellen zahlreiche frei- liegende Pigmentkörnchen, welche in mehr oder weniger dichtem Zuge nach der Rissstelle zu sich verfolgen lassen und damit den Weg andeuten, den das Pigment intra vitam nach seinem Aus- tritt ans den Zellen genommen^ hat; ein anderer Theil des Pigmentes ist in die Stäbchen- und Zapfenschicht eingeschwemmt und bis zur membrana limitans externa gelangt

Es lassen sich demnach unter dem Einflüsse des an- dauernden Druckes der in die Aderfaaut eingelagerten Knötchen und in Folge der mit. der tuberkulösen Erkran- kung des Cborioidalgewebes sich einstellenden Ernährungs- störungen eine Anzahl von Veränderungen an den Pigment- epithelien constatiren, welche mit einfachen Gestaltsverän- derungen einsetzen und mit Zerfall der Zellen und Atrophie ihres Pigmentes abschliessen.

Die Basalmembran, auf welcher die Epithelien auMtzen, ist überall, selbst über den grössten Knötchen erhalten; ihr Durchmesser, wie auch ihre gleichmässig homogene Structur hat keine Aenderung erfahren, und vermöge der ihr eigenen Elasticität hat sie jeder Vorwölbung und Auftreibung der Cho- rioidea sich anzupassen vermocht. Dass jedoch ihre Dehnbar-

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keit eog begrenzt ist, geht aus dem histologischen Verhalten der nach aussen liegenden Gewebeschichten hervor; während nämlich über den kaum prominirenden kleinen Tuberkeln die kleinzellige Infiltration bis an die hintere Fläche der Basal- membran heranreicht, fehlt sie an den grösseren auf der Höhe der Yorwölbung stets und tritt erst in der peripherischen flacheren Zone auf, wo offenbar die Druckverhältnisse fQr Emigrationsvorgänge und exsudative Processe sich günstiger gestalten. An dem freien Ende einzelner Schnitte, deren vor- deres Segment bis hinter der ora serrata zur Erleichterung der Präparation abgeschnitten wurde, findet sich als zufälliger Befund eine Spaltung der Basalmembran in zwei gleiche Hälf- ten, deren eine dem Pigmentepithel, die andere der Chorioidea anhaftet; der Riss erstreckt sich ziemlich weit, allmählich an Breite abnehmend, und ist jedenfalls durch die verschiedene Retraction des den Glaskörperraum ausfüllenden Celloidins und des Chorioidal- und Scleralgewebes entstanden; irgend welche Zeichnung, welche auf einen lamellären Bau der Membran schliessen lässt, ist daran nicht zu beobachten.

Die schmale Gewebeschicht der Choriocapillaris, die mit der äusseren Fläche der Basalmembran durch feine fibriUäre Gewebebrücken in directem Zusammenhange zu stehen scheint^ hat als weit selbstständigerer, aus einem reichen Gefössnetz zusammengesetzter Theil im Vergleich zu dem tapetum nigrum und der Glasmembran weit ausgedehntere und greifbarere Ver- änderungen erfahren.

Anatomisch lässt sich die Erkrankung in eitie circiim- Scripte und eine diflFuse Form theil en; die erstere verläuft un- ter Bilduug submiliarer und miliarer Knötchen von wechseln- der Grösse, die andere, welche sich zwischen den Knötchen- eruptionen verbreitet, stellt sich als eine diffuse zellige Infiltration des ganzen Querschnittes dar. Als beiden For- men gemeinsam ist ihre Localisation auf den hinteren tem- poralen Bulbusabschnitt zu nennen.

Die kleinsten submiliaren Entzündungsherde, die sich aus dem übrigen Gewebe als selbstständige Gebilde herausheben, bestehen aus rundlichen, mit intensiv färbbarem Kern ver- sehenen, protoplasmaarmen Zellen, von denen man im frühesten Stadium noch intra- und eztravasculär gelegene unterscheiden kann; mit der Zunahme und dichteren Anhäufung dieser Ele-

Ein Beitrag zur Kcnntn. der Miliartuberculose der Chorioldea. 321

mente geht jedoch das Gefdge des nngemein zarten, im wesent- lichen aus weiten Capillaren bestehenden Gewebes in der dif- fusen Zellinfiltration auf, ohne dass eine active Betheilignng der Ge^tosendothelion im Beginn oder den späteren Stadien des Tuberkels, etwa in Form von Wuchernngserscheinungen, zu constatiren ist Während die Grösse der Knötchen durch vor- wiegend appositionelles peripherisches Wachsthnm fortschreitet, treten auch weitere Veränderungen an den zelligen Elementen ein-, man beobachtet zuerst spärlich, dann etwas häufiger die Entwickelung von epithelioiden Zellen, deren Grösse und eigen- thamlich spindelförmige Gestalt, sie aus dem Gros der beschrie- benen Rundzellen heraushebt; an ihnen ist besonders die Abnahme der Färbbarkeit des ovalen, meist etwas wellig con- turirten Kernes, und das getrübte, opake Aussehen des Proto- plasmas zu erwähnen. Eine Intercellularsubstanz ist nicht mit Sicherheit bei der dichten Zusammendrängung der Zellen zu erkennen. Das Auftreten dieser epithelioiden Zellen ist nicht streng localisirt in das Centrum der Entzündungsherde, wie bei dem typischen Miliartuberkel, sondern bald trifft man sie mehr central, bald auch ganz peripher an der Grenze gegen die ge- sunden Gewebe hin. Schon im Stadium der Rundzellenanhäu- fung treten gewisse Gefässveränderungen in den Vordergrund; die Capillaren sind dicht erfüllt mit rothen Blutzellen, und zwischen diesen finden sich, in zunehmender Menge nach dem Erkrankungsherde hin, weisse Blutkörper eingestreut; mit dem Wachsthum des Knötchens werden die Erscheinungen der Hyper- ämie ausgeprägter, die Capillaren sind um das Mehrfache ihres Volumens erweitert und enthalten fast ausschliesslich weisse Blutzellen. Derartige hochgradige Veränderungen sind offen- bar nicht nur auf entzündliche Störungen, welche unter Gefäss- erweiterungen, Emigrations- und Exsudationserscheinungen ver- laufen, zurückzuführen, sondern gewiss auch nicht zum geringsten Theil auf gleichzeitig einwirkende mechanische Momente. Zu den bekanntesten Eigenschaften des Tuberkels gehört die schon in den ersten Stadien eintretende Gefässlosigkeit in Folge von Thrombose und Obliteration der primären Gefässbabnen ; ins- besondere gehen die Capillaren in der Neubildung so völlig auf, dass es meist nicht gelingt, ihre Existenz in späteren Stadien noch nachzuweisen. Diese Ausschaltung einer wenn auch nur kleinen Strecke derj Capillaren muss nothgedrungen zu einer Stauung und Erweiterung in den centrifugalen Gefässstrecken führen, und zwar werden diese Erscheinungen um so ausge-

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sprochener sein, je länger die Verlegung bei gleich bleibender treibender Kraft vom Herzen resp. den grösseren Gefässstämmen ans andauert; nur die Zusammenwirkung entzündlicher Erschei- nungen und mechanischer Verlegung ist im Stande, diese hoch- gradige Dilatation der Capillaren in der Peripherie der Tuberkel- herde zu erklären. Eine weitere Entwickelung und Ausbildung der regressiven Metamorphose: Nekrose der Herde mit käsigem Zerfall, ist an den primär in der Choriocapillaris entstandenen und auf diese beschränkt bleibenden Tuberkelknötchen nicht nachzuweisen. Die zwischen den eiuzehien spezifischen Her- den liegenden Gewebsabschnitte zeigen, wie eben erwähnt, eine diffuse Erkrankung und sind meist in der unmittelbarsten Nähe der Knötchen intensiver verändert als in einiger Entfernung davon ; die zarte Choriocapillaris hat in ihrem Durchmesser eine erheb- liche Verbreiterung erfahren und ist in ziemlich hohem Grade verdickt. Als anatomische Unterlage für diese Volumenzunahme ist neben der hochgradigen Hyperämie der Gefässe, die um das Ein- und Mehrfache ihres Umfangs erweitert und von Säu- len dichter, gedrängter, rother und weisser Blutzellen erfüllt sind, ganz besonders die Infiltration mit zahlreichen, in ihrem äusseren Verhalten weissen Blntkörpern völlig gleichenden Zellen hervorzuheben. Während in der normalen Choriocapil- laris nach Sattler nur eine miuime lymphoide Flüssigkeit und ganz vereinzelte Lymphkürperchen zwischen den einzelnen Capillarschlingen sich finden, sieht man in den vorliegenden Präparaten zahlreiche Häufchen von fünf bis zehn und mehr dicht aneinander gelagerter Zellen, deren intensiv gefärbter Kern und spärliches Protoplasma den Zelltypus zu bestimmen scheinen, durch breite Zellzüge zu einem einheitlichen infil- trirten Gewebe verbunden. So sicher es von den circumscrip- ten Knötcheneruptionen gilt, dass sie durch Ansiedelung von Tuberkolbacillcn hervorgerufen sind, dass sie als eine speci- fischo Gewebereaktion anzusehen sind, ebenso schwierig ist es, diese Frage nach der Aetiologie in Bezug auf die eben ge- schilderte diffuse Erkrankung der Choriocapillaris zu beant- worten. Wenn man die Kreislaufstörungen, die für einen Gc- webetheil, der überhaupt nur aus Gefässen besteht, gewiss von weittragendster Bedeutung sein müssen, berücksichtigt, femer den verhältnissmässig geringen Abstand der Knötchen unter einander, die gleichzeitige Erkrankung des anliegenden Cho- rioidealstromas in Erwägung zieht, so wird man sich eher dafür entscheiden, diese Entzündung als eine Begleiterscheinung, eine

Ein Beitrag zar Kenntn. der Miliartuberculose der Chorioidea. 323

reactive Gewebeveränderung nicht spezifischen Charakters an- zusprechen; eine weitere Bestätigung erfährt diese Annahme noch durch das am Ende der Mittheilung folgende Resultat der Untersuchung auf Tuberkelbacillen.

In weit höherem Maasse treten die anatomischen Verän- derungen an dem Chorioidealstroma hervor, und zwar auch hier wieder in zwei Formen, deren eine als circumscripte mit Enöt- chenbildung verläuft, während die andere die verbindenden Ge- webeabschnitte in diffuser Weise ergreift. In der Choriocapillaris schliesst die Tuberkelbildung wie wir sahen, mit dem Auftreten epithelioider Zellen ab, an der Chorioidea propria hingegen sind die weiteren theils progressiven theils regressiven Ver- änderungen, wie sie zum Typus des ausgeprägten Miliartu- berkels gehören, in mehr oder weniger vollendeter Weise zu verfolgen. Eigenthtlmlicherweise selten kommt es zur Riesen- zellenbildung; nur in einer relativ geringen Zahl von Schnitten sind solche nachzuweisen, beanspruchen aber trotz ihres spärlichen Vorkommens eine gewisse Beachtung. In ihrer Form und Grösse in der Anordnung ihrer Kerne, der meist central beginnenden Zellnekrose unterscheiden sie sich zwar in nichts von Riesen- zellen in Tuberkeln anderer Organe; eines aber besitzen sie, was nach der mir zugänglichen Literatur zu urtheilen nur in der Lunge bis jetzt nachgewiesen worden ist : nämlich Pigment. K. Koch beschreibt in seiner Abhandlung über die Aetiologie der Tuberculose (II. Band Abhandlungen aus dem Reichsgesund- heitsamt pag. 24) einen solchen Befund (cf. Tafeln) und spricht die Vermuthung aus, dass pigmentirte Riesenzellen wohl nur in der Lunge vorkommen dürften. Schon vor 3 Jahren konnte ich mich jedoch davon überzeugen, dass diese Gebilde in seltener Voll- kommenheit auch bei der Tuberculose der Iris, wie die beige- gebenen Zeichnungen (Tafel-Fig. II und III) beweisen, zur Ent- wickelung gelangen; auch unter den wenigen Riesenzellen des vorliegenden Falles sind einige ausgesprochen pigmentirt und entsprechen den zwei Figuren. Die Anordnung des Pigmentes welches von schwarzbrauner Farbe in Form der bekannten Kurz- stäbchen oder -Spiesse und Körnchen in den Zellen vertheilt ist, lässt eine ähnliche Gesetzmässigkeit erkennen, wie sie für die Tuberkelbacillen in neuerer Zeit von Weigert constatirt und her- vorgehoben worden ist. In gleicher Weise wie diese aus dem der Nekrose verfallenem Theile verschwinden, in der noch lebens- kräftigen und Wachsthumsenergie besitzenden Kernzone hingegen in Massen sich vorfinden, geht es mutatis mutandis mit den

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Pigmentkörueru; auch sie sind durch den Untergang des Zeil- protoplasmas dem Zerfall geweiht; sie werden allmählig kleiner, weniger zahlreich und verlieren an Farbenintensität; in allen Riesenzellen enthalten die nekrotisirten und verkästen Parthieen nur wenige feinkörnige Pigmenttheilchen und erscheinen nur mit einem gelblichen Pigmentpulver bestäubt; dagegen liegen die normal grossen, schwarzbraunen Pigmentkömer immer in unmmittelbarster Nähe der Kerne resp. zwischen diesen und ver- decken dieselbe durch dichte Anhäufung oft so, dass bei ihrer bekannten radiären Anordnung kaum die Polabschnitte noch sichtbar sind. Das hierin sich wiederspiegelnde Verhalten ist so charakteristisch, dass man daraus auf die Lebensfilhigkeit oder den „Tod^^ der einzelnen Protoplasmazonen schliessen kann; weiterhin geht jedoch auch hieraus hervor, dass das Pigment immer in einer gewissen nutritiven Wechselbeziehung zu der Zellsubstanz steht, und keineswegs als eine Art Fremd- körper in die Zellen eingelagert ist, sondern die Ernährungs- störungen des Protoplasmas in vollster Schwere an sich erföhrt. Ganz besonders schwierig erscheint es, diese eigenthümlichen Riesenzellen ihrer Entstehung nach richtig zu deuten, denn die Frage der Riesenzellenbildung ist durchaus nicht so kurz abzuthun, wie man nach den Baumgarten'schen Mittheilun- gen anzunehmen geneigt sein wird. Es handelt sich weniger darum zu entscheiden, ob durch indirekte Segmentirung oder durch Fragmentirung allein, oder beide Processe zusammen die endogene Eemwucherung erfolgt, als vielmehr nachzuweisen, welche Zellengebilde als die Ausgangspunkte dieser Zellen an- zusehen sind, ob die fixen Bindegewebskörper und präformirten Pigmentzellen, oder ob die emigrirten weissen Blutkörper es sind, welche auf den durch das Eindringen der Tuberkelbacillen aus- gelösten Reiz proliferiren und später zerfallen. Wenn auch mitotische Processe anscheinend völlig fehlen, so drängt doch der Pigmentgehalt der Riesenzellen zunächst zu der Annahme hin, dass pigmentirte Stromazellen ihre Yorlänfer gewesen sind .und dass das Pigment von vornherein als ein integrierender Bestandtheil ihnen angehört hat; denn anders wäre das Ver- halten des Pigmentes zur Zellsubstanz, das mit dem zelligen Zerfall schwindet nnd ebenso auch mit dem Zellenwachsthum sich vermehrt, nicht verständlich; gerade die Thatsache der Pigmentvermehrung, die bei dem durchgängigen Reichthnm der Zellen an Pigment keines Beweises bedarf^ ist es, die in unserem Fall zu Gunsten der Baumgarten'schen Lehre von der Riesen-

Ein Beitrag zur Kenntn. der MiliartaberculoBe der Ghorioidea» 325

zellenbildung durch Proliferation fixer Bindegewebskörper zu sprechen scheint; ist ja unstreitbar den pigmentirten Stroma- Zellen der Chorioidea ebenso wie den Speichelzellen die Speichel- bildnng oder den Leberzellen die Gallenbild nng, die Fähigkeit eigen, selbst Pigment zu bilden oder wenigstens aus den um- spalenden Medien fertiges Pigment oder dessen Vorstufen in sich aufzunehmen resp. zu yerarbeiten. Diese Eigenschaft geht den weissen Blutzellen zweifellos ab, wenn sie auch, die Rie- senzellenbildnng vorausgesetzt, vermöge ihrer „fressenden^' Thä- tigkeit Pigment in sich aufnehmen können. In den meisten Herden kommt es wie schon oben erwähnt nicht zur Riesenzel- lenbildung, sondern es schliesst sich die Nekrose und der Zer* fall unmittelbar an das Stadium des Rundzellen- und Epithelioid- zellentuberkels an, indem regressive Vorgänge ungewöhnlich früh eintreten, rasch über das ganze Knötchen sich verbreiten und da- bei den typischen Gang vom Centrum nach der Peripherie nicht einhalten; häufig trifft man die eine Seite eines Herdes voll- kommen käsig zerfallen, nur in zarten Umrissen die Conturen der primären Gewebetheile wie z. B. der Blutgefässe, die theil- weise noch mit rothen Blutzellen erfüllt sind, und einzelner zelliger Elemente aus der krümligen Masse sich heraushebend. An die degenerirten Parthieen schliesst sich oft das anscheinend wenig veränderte Gewebe der Umgebung direkt an, dessen Frei- bleiben von entzündlichen Erscheinungen ebenso wie die in den Tuberkeln insular auftretenden Anhäufungen von kaum ver- änderten rothen Blutzellen kleiner Hämorrhagieen für den ra- piden Verlauf der regressiven Veränderungen sprechen kann. Achtet man bei der Entwickelung der Tuberkel genauer auf die Betheiligung des Chorioidalstromas, so findet man bald, dass sie an der einen Stelle eine mehr passive, an der anderen eine ausgesprochen aktive ist. Im ersteren Falle tritt die Tuberkeleruption an der Grenze zwischen Choriocapillaris und Chorioidea propria auf und wächst an dieser Lokalisation fest- haltend durch periphere Anlagerung zelliger Elemente zu einem grösseren Tuberkel heran ohne auf dem einen oder dem anderen Gewebetheil continnirlich sich fortzusetzen. Die direkte Folge für beide Gewebe muss eine der Grösse des sich einschiebenden Herdes entsprechende Verdrängung und Raumbeschränkung sein ; je länger nun dieser Druck auf die betheiligten Gewebe ein- wirkt, um so mehr werden die an&nglich functionellen Störungen in ihrer Ernährung und Circulation zu ernsten Schädigungen und schliesslich organisch greifbaren Veränderungen führen; an der

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peripherischen Zone der Knötchen, welche sich mehr keilförmig zwischen Choriocapiilaris und Chorioidealstroma drängt und vermöge ihres kleinen Durchmessers nur einen verhältnissmässig geringen Druck ausUhen kann, bemerkt man eine allmählig zunehmende Streckung und Abplattung der Pigmentzellen, welche anstatt wie in der Norm ihre Fortsätze quallenartig nach allen Seiten hin auszustrecken, langgestreckt erscheinen und nur wenige kurze Fortsätze erkennen lassen; an diese Reduktion der Zellausläufer schliesst sich in einer unter stärkerem Druck stehenden Zone ein Schwund der ganzen Zelle an; derselbe erfolgt allmählich und betrifft in der Regel nur die unmittelbar unter dem Scheitel des Tuberkels, dem Maximum seiner Yorwölbung liegenden Schichten; mit dem Zellschwund ist natürlich eine Atrophie des Pigmentes, welches ähnlich, wie den Fettzellen die Fettkugeln, den Pigmentzellen zugehört, verbunden und zwar erfolgt dieselbe derartig, dass die einzelnen Pigmentkömer sowohl an Menge abneh- men, indem offenbar ein grösserer Theil aus den Zellen austritt und durch die Lymphbahnen entfernt wird, wie auch an Grösse verlieren und ihre schwarzbraune Farbe verändern; man sieht an ihrer Stelle durch feinsten Pigmentstaub noch die Ausdeh- nung angedeutet, in welcher das Gewebe pigmentirt war. Zu einer völligen Continuitätsunterbrechung des Ghorioidealstromas und dessen Pi^entlagc kommt es jedoch anscheinend bei der Lokalisation der Tuberkel zwischen Choriocapiilaris und Chorioi- dea propria nicht, sondern auch unter dem prominentesten Theile des Tuberkels finden sich noch pigmcntirte Zellenzüge, welche continuirlich in die mehr und mehr der Norm sich nähernden Nachbarbezirke übergehen. Selbstverständlich soll dadurch dass das mechanische Moment die Drucksteigemng für das Zustande- kommen derartiger Veränderungen an den Pigmentzellen be- sonders hervorgehoben wird, nicht ausgeschlossen sein, dass die entzündlichen Veränderungen in der Umgebung der tuber- culösen Herde und die sie begleitenden Kreislaufstörungen auch als gewichtige Faktoren in die Waagschale fallen.

Dieser mehr passiven Betheiligung des stroma chorioideae an der Tuberkelbildung steht eine zweite Form gegenüber, die dadurch charakterisirt wird, dass die Tuberkeleruption im Stroma selbst erfolgt und bei ihrem Wachsthum die einzelnen Zell- Bchichten in gleichmässiger Weise in den Process mit hineinzieht; die fixen Bindegewebszellen erscheinen auseinandergerückt und ihre Abstände von einander wesentlich vergrössert durch die Einlagerung neugebildeter zelliger Elemente. Schon in diesem

Ein Beitrag zur Kenntn. der Miliartuberculose der Chorioldea. 327

Stadium spielen sich gewisse Veränderungen regressiver Natur an ihnen ab wie aus dem Pigmentschwund und dem immer selteneren Auftreten von Pigmentzellen tlberhaupt zu ersehen ist. Es ist daher diese Art der tuberculösen Erkrankung der Chorioidea mit Recht als eine parenchymatöse zn bezeichnen^ da sie mitten im Stroma sich vollzieht. Dementsprechend geht auch im Verlaufe der regressiven Vorgänge in solchen Tuber- keln, in welche ein umschriebener Theil der Chorioidea con- tinuirlich übergegangen ist, die entsprechende Gewebeparthie mit zu Grunde und man merkt in derartigen, käsig degenerir- ten Herden nur an den Zügen herrenlosen mehr detritusarti- gen Pigmentes, welches stellenweise zu Pigmentkugeln und -Tröpfchen zusammengeflossen ist dass da früher Pigmentzellen ansässig gewesen.

So führt denn diese Form der Choriodaltuberkelbildung zu einer völligen Zerstörung des pigmenthaltigen und pig- mentfreien Gewebes innerhalb ihrer Grenzen, während nach der Peripherie zu allmählich durch vereinzeltes Auftreten pigmentirter Zellgebilde der Uebergang in das Nachbai- gewebe vermittelt wird. Im Gegensatz hierzu üitt bei der ersten Form die Pigmcntatrophie zurück, sie wird nie eine vollkommene, sondern es macht in Folge der Zusammen-' drängung der Pigmeiitzellen mehr den Eindruck, als hätte eine Zunahme des Pigmentes stattgefunden.

- Analog dem Befunde an der Choriocapillaris ist auch in dem Chorioidealstroma das Gewebe, welches zwischen einzelnen Knöt- chen liegt, in diffuser Weise erkrankt und zwar in einer nach dem vorderen Bulbusabschnitt zu abnehmenden Intensität. Die Ver- änderungen, welche in einer rundzelligen Infiltration und hoch- gradigen Hyperämie bestehen, bieten nichts besonders bemer- kenswerthes; im grossen und ganzen sind sie ausgesprochener in der inneren üälfte des Chorioideal-Querschnittos und bedingen stellenweise nach ihrer mehr umschriebenen oder diffusen Ver- breitung ein dichteres Zusammenstehen oder abnormes Ausein- anderrücken der Pigmentzellen.

An der Sclera sind entzündliche Veränderungen nur dann nachweisbar, wenn die tuberculöse Erkrankung des Chorioideal- stromas über den ganzen Querschnitt verbreitet ist; sie zeigen sich in Form geringer exsudativer Processe als kleinzellige In-

328 Dr. M. Dinkler.

filtrationen ohne schwerere Aenderungen der Textar des scleralen Gewebes.

So prägnant nun un allgemeinen auch der histologische Befund ist, so wenig angesichts der geschilderten pro- und re- gressiven Metamorphosen der neugebildeten Knötchen ein Zweifel an der tuberculösen Natur derselben bestehen kann, so ist doch die Untersuchung auf Bacillen nicht nur deshalb, weil sie nach den heutigen Anschauungen zur vollständigen Beschreibung tuber- culöser Erkrankungen als selbstverständlich hinzugehört, von Interesse, sondern geradezu unerlässlich, da sie einzig und allein im Stande ist über die specifische oder nicht specifische Be- schaffenheit der diffusen Erkrankungen sowohl der Chorioca- pillaris wie des Chorioidealstromas sicheren Aufschluss zu geben, was ja histolog. nicht möglich war. Zunächst einige Worte aber die Art der Färbung ! Als Färbeflüssigkeit wurde Zieh Fsches Carbolfuchsin welches vor der Ehrlich'schen Fuchsin-Anilin- wasserlösung abgesehen von der Schnelligkeit und Intensität der damit erzielten Färbung schon deshalb den Vorzug verdient, weil die Präparate viel weniger zusammenschrumpfen, als Entfärbungsmittel 25 ^/o Schwefelsäurelösung und zu Contrast- förbung wässerige Methylenblaulösung benutzt; ein anderer Theil der Schnitte wurde auch nach der G ab bet-£rnst*schen Methode behandelt, deren Schwerpunkt in der Verschmelzung der Ent- und Contrastfärbung in einem Akt ruht. Die nach beiden Me- thoden behandelten Präparate Hessen auch bei genauester Durch- sicht mit Immersionssystemen weder im Bereiche der Knötchen noch ausserhalb derselben Bacillen (in ca. 25 Schnitten) erkennen. Weitere Versuche, bei denen die Bacillenfärbung statt Vi % Stunde auf 12—48 Stunden ausgedehnt wurde, bewiesen bald, dass das negative Resultat der ersten Färbungen der zu kurzen Dauer der Fuchsiufärbung zuzuschreiben war, denn je länger die Schnitte in der Carbolfuchsinlösung lagen, um so mehr Ba- cillen fanden sich gefärbt, eine Beobachtung, die offenbar in der Härtung der Objecte mit Müller'scher Flüssigkeit und der dadurch bedingten Erschwerung der Farbstoffimprägnirung ihre Erklärung findet und auch schon von Bernheimer gelegent- lich der Untersuchung eines 12 Jahre in Müller'scher Flüs- sigkeit aufbewahrten Bulbus genügend hervorgehoben worden ist. In ihrer Vertheilung zeigen sich die Bacillen beschränkt auf die speciiischen Knötcheneruptionen und finden sich be- sonders häufig in den nekrotisirteu verkäsenden Parthieen, spärlicher zwischen den epithelioiden Zellen der weniger ver-

Ein Beitrag zur Kenntn. der Miliartuberculose der Ghorioidea. 329

änderten Tuberkel; vermisst werden sie dnrchgehends in den randständigen Infiltraten der Tuberkel und den sich anschlies- senden diffusen zelligen Infiltrationen des Chorioidealstromas und der Choriocapillaris; die Stäbchen liegen meist vereinzelt jLU zweien oder zu dreien, nur in einem einzigen Präparate fanden sich 8 Bacillen in dichter Aneinanderlagerung inmitten eines nekrotischen Herdes; intravasculär gelang es trotz langen und angestrengten Suchens nicht, Bacillen aufzufinden und es darf dies negative Ergebniss vielleicht dahin gedeutet werden, dass innerhalb der Blutgefässe zur Zeit des exitus lethalis keine Bacillen mehr circulirten, und der primäre Infectionsherd schon einige Zeit lang vor dem exitus erschöpft war. Dies stimmt auch mit den Resultaten wie sie an den Lungenschnitten sich ergaben, und mit dem negativen Ausfall der Blutuntersuchungen zu Leb- zeiten der Fat. überein. Von morphologischen Eigeuthümlich- keiten sind mehrfach die bekannten lichten, körnerartigen Stellen in den Bacillen zu constatiren, die von Koch als Sporen ge- deutet eine Art Gliederung der Stäbchen bewirken. Das Fehlen der Bacillen in den diffusen zelligen Infiltraten zwischen den Tuberkeln beweist, dass die frühere Deutung dieser Ver- änderungen als nicht specifischer, tuberkulöser Erkrankungen, wie es schon Cohnheim als wahrscheinlich hinstellte, zu Hecht besteht; sie sind nach dem Ergebniss der Untersuchung auf Tuberkelbacillen als Begleiterscheinungen ohne charakteristische Merkmale anzusprechen analog den EntzQndungserscheinungen, die in der Umgebung von anderen Krankheitsherden bakteriel- len Ursprunges zur Beobachtung gelangen.

Resume.

Bei einem hereditär belasteten Mädchen entwickelt sich nach einem längeren Prodromalstadium das Bild einer acu- ten allgemeinen Miliartuberculose. Ophthalmoskopisch fin- den sich besonders in der Gegend der macula lutea in beiden Augen zahlreiche theils runde theils unregelmässig länglich gestreckte grössere Herde von blassröthlicher bis weiBSgelblicher Farbe. Die Retina ist frei von Blutungen oder sonstigen Veränderungen. Dieser Befund wird bestä- tigt durch die anatomische Untersuchung; schon makrosko- ])isch leicht erkennbar finden sich in der Ghorioidea des

330 I>r. M. Dinkler.

hinteren temporalen Bulbusabschnittes ausgesprochene Ver- änderungen, die in zwei verschiedene Formen: eine diffuse und eine circumscripte, zu trennen sind. Die letztere, bei Betrachtung mit blossem Auge als Knötcheubilduug sich darstellend, ist offenbar specifisch tuberculöser Natur; die erstere tritt als flächenartige Verdickung zwischen jenen Einzelherden auf. Mikroskopisch zeigen die Knötchen die bekannte Struktur des Miliartuberkels; es lässt sich ferner leicht nachweisen, dass ihre ophthalmoskopische Decolora- tion durch Veränderungen und Zerfall des Pigmentepithels einerseits und durch Obliteration der Blutgefässe und wei- tere Gewcbsnekrose innerhalb der eigentlichen Krankheits- herde andererseits hervorgerufen ist. Die Tuberkel an und für sich sind bemerkenswerth einmal wegen der Bildung pigmentirter Riesenzellen, deren Pigmentkörner sich ganz ähnlich wie die Tuberkelbacillen an den pro- und regres- siven Vorgängen des Zellprotoplasmas und der Kerne durch Vermehrung und Zerfall (selbstverständlich ohne jeden ur- sächlichen Zusammenhang zu diesen Zellveränderungen) be- theiligeu, und zweitens durch ihre wechselnde Entwickelung in der Choriocapillaris und Chorioidea propria; treten sie innerhalb der Chorioidea propria auf, so führen sie zu einer Zerstörung des Chorioidealpigmentes, während bei der Ent- wickelung in der Choriocapillaris nur eine Verdrängung der pigmentirteu Bindegewebszelleu und eine Art Vei"^ Schmelzung derselben zu einem Pigmentstreifen zu beobach- ten ist. Die diffuse Erkrankungsform bietet das Bild einer gleichmässigen kleinzelligen Infiltration, verbunden mit einer hochgradigen Erweiterung der Capillargefässe. Durch die Untersuchung auf Tuberkelbacillen lässt es sich beweisen, dass beide Formen der Erkrankung nicht nur, wie oben beschrieben, histologisch, sondern auch aetiolo- gisch völlig verschieden sind, dass die umschriebene Form auf Grund der Einlagerung ziemlich zahlreicher Tuberkel- bacillen als spezifisch tuberoulöse, die diffuse hingegen als

Ein Beitrag zur KenntD. der Miliartuberculose der Chorioidea. 331

eine secuudäre reactivc Entzündung, frei von jedem charak- teristischen Merkmal, aufzufassen ist. Auffallend bleibt es schliesslich, dass die Inundation mit Tuberkelbacillen sich auf das Gefässgebiet der arteriae ciliares posticae beschränkt und keine Verbreitung über die Bezirke der zahlreichen anderen Aeste der arteria ophthalmica gefunden hat.

Literaturangaben:

Bock, Zur Tuberculose des Augapfels, Virchow's Archiv Bd. 91 (daselbst ist die Literatur bis zum Jahre 1882 ausführlich angegeben). Ferner:

Haab, Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde 1884.

Ostenholz, Inaugural- Dissertation. München 1884.

Schäfer, klin. Monatsblätter f. Augenheilkunde 1884.

Alexander, Centralblatt f. prakt. Augenheilkunde 1884.

Eeissmann, Archiv für Ophthalmologie Bd. XXX.

Treitel, Berlin, klin. Wochenschrift 1885 No. 28.

Ulrich, Centralblatt für prakt. Augenheilkunde.

Stölting, Graefe's Archiv. Bd. XXXIL

Neesse, Archiv für Augenheilkunde. Bd. XXXIL

B. Koch, Actiologie der Tuberculose.

Erklärung der Abbildungen.

Tafel X.

Fig. L TuberculoBis miliaris chorioideae.

1. Stäbchen und die Zapfenschicht der Retina.

2. PigmentepitheL

3. Basalmembran.

4. Pigment. Bindegewebszellen der Subst. propria chorioideae.

5. Haemorrhagie innerhalb des Tuberkels.

6. Kleinzellige Infiltration am Rande des Tuberkels.

7. Obliterürte Arteria im verkästen Theil des Tuberkels.

8. Freies, zum Theil zerfallenes Pigment.

1). Tuberkelbacillen (Dach einem anderen Präparat eingezeichnet).

Fig. II und III. Pigmentirte Riesenzellen aus der Iris. 1. Kern- und Pigmentzone.

Noch einmal „Die Convei^enzfactoren**.

Von Alfred Graefe.

Obwohl ich nach dem Tone, den Herr Dr. Landolt in seiner Antwort*) auf die Vertheidigung *) gewählt hat^ welche ich gewissen mir von ihm gemachten Einwürfen') entgegen gehalten hatte, auf eine weitere Discussion der bezüglichen Angelegenheit mit ihm selbst am liebsten ver- zichten möchte, so verhindert mich hieran doch das Be- denken, dass das Urtheil des mit meinem Artikel weniger bekannten Lesers durch jene Auslassungen leicht irre ge- fuhrt werden könnte, was ich im Interesse der von mir ver- tretenen Sache nicht wünschen kann.

Die Bedeutung der von mir besprochenen und meinen weiteren Folgerungen zu Grunde gelegten Thatsache näm- lich, dass auch dort, wo die Accommodation bei der bino- cularen Einstellung der Augen nicht thätig ist, das vom Sehakt excludirte Auge der Regel nach doch auf den Blickpunkt des andern fixirenden eingerichtet ist, wird schlechtweg mit der Versicherung zu beseitigen versucht, dass meinen Vei*suchen jegliche Qualification als auch nur „einigermaassen genauer** abzusprechen sei (S. 270). Da ich jedoch in meinen bezüglichen Artikeln immer nur auf die Ergebnisse jener Vei-suche verwiesen, über die Art meines

') V. Graefe'a Archiv f. Ophthalm. XXXV. Abth. 3.

*) ibidem XXXV. Abth. 1.

') Bericht d. internat. Congr. zu Heidelberg. 1888. S. 42.

Alfred Graefe, Noch einmal ,,Die Convergenzfactoren''. 333

Experimentirens indess Mittheilangen bisher nicht ge- macht hatte, 80 wäre zwar eine Interpellation über letztere durchaus gerechtfertigt gewesen, eine aprioristische Verwer- fung der ersteren aber ist unvereinbar mit den Forderungen der Billigkeit.

Nach den Auslassungen Landolt's (S. 271) muss der Leser zu der Meinung verleitet werden, als hätte ich bei jenen Versuchen die Stellung des vom Sehakt ausgeschlos- senen Auges mit dem Millimetermaasse ermittelt! Wenn ich die vielfach übliche Methode, Abweichungen von der Normalstellung mittelst eines linearen Maasses zu bestim- men, auch für gewisse strabometrische Messungen benutzt und empfohlen habe, bei denen es sich um gröbere Devia- tionen handelt und wo eine approximativ richtige Bestim- mung den mit der Besonderheit der Aufgabe verbundenen Zwecken durchaus genügt, so wäre es doch geradezu sinn- los gewesen, jene hier überhaupt kaum durchführbare Me- thode auch bei der in Rede stehenden •Untersuchungsweise in Anwendung zu bringen und bin ich allerdings nicht darauf gefasst gewesen, einer derartigen Verirrung verdäch- tigt zu werden und mich hiergegen vertheidigen zu müssen. Wenn ich unter solchen Umständen mich nun veranlasst sehe, nachträglich die Art meines Experimentirens darzu- legen, so muss auch ich um Entschuldigung bitten, wenn ich hierbei mit Besprechung zum Theil sehr elementarer Dinge die Geduld des Lesers in Anspruch nehme.

Während altemirender Exclusion beider Augen wird das je nicht bedeckte aufgefordert, ein in der Mittellinie selbst oder dieser nahe gelegenes Object, eine Lichtflamme, eine Zahl, einen Buchstaben oder dergleichen, welches gross genug ist, um auch ohne Accommodation ausreichend deutlich erkannt zu werden, aufmerksam und scharf zu fixiren. Verharrt nun das eben verdeckte Auge genau in seiner Stellung, während der verdeckende Schirm von diesem entfernt und vor das andere Auge gebracht wird, so schliesse ich, dass es auf

334 Alfred Graefe.

den Blickpunkt des andern eingestellt war, macht es iudess eine centrirende Bewegung/^um zur Fixation zu gelangen, so war es eben nicht auf jenen eingestellt und Richtung und Excursion dieser Bewegung wäre natürlich der Index für die Besonderheit seiner vorherigen fehlerhaften Stellung. Hier kommt es zunächst überhaupt nur darauf au, ob das verdeckte Auge eingestellt ist oder nicht, die Messung einer etwa vorhandenen Deviation, welche z. B. bei der auf latenter Divergenz beruhenden muskulären Asthenopie ja von höchster Wichtigkeit ist, wäre für unsere Frage nur von secundärem Interesse. Der eben beschriebene Versuch wird nun dadurch vielfältig variirt, dass die Blickpunkte in die verschiedensten Distancen vom Beobachter gebracht werden, jedoch immer nur innerhalb derjenigen Sehstrecke, für welche die Accommodation nicht thätig ist Wäre der Nahepunkt beispielsweise bis 60 cm abgerückt, so wird die Stellung des verdeckten Auges bei Objectdistancen von 15, 30, 60 cm, liegt der Fernpunkt in 30 cm, in solchen von 30 cm bis etwa 5 m geprüft, handelt es sich um Emmetropie mit (künstlicher) Accommodationsparalyse, so findet die Prü- fung ganz analog für nahe, mittlere und grössere Entfer- nimgen statt. Den gegen diesen Prüfungsmodus etwa be- liebten Einwurf der Ungenauigkeit müsste ich entschieden zurückweisen. Wir sind im Stande, auf diese Weise auch sehr wenig excursive Bewegungen des Auges sicher zu con- trolliren zum Beleg dessen führe ich an, dass die aus- gleichende Drehung, welche durch ein Prisma eingeleitet wird, noch genau wahrnehmbar ist. Zugegeben selbst, dass minimalste Ablenkungen des verdeckten Auges sich bei dieser Art des Experimentirens der Beobachtung wirklich entziehen könnten, so würde dies als ein Argument gegen meine Anschauungen doch auch nicht zu verwerthen sein. Mein „Convergenzbestreben" sit venia verhol würde dann doch immer eine gleiche Bedeutung beanspruchen dürfen, wie das Accommodationsgefuhl, denn mein verehrter

Noch einmal ,.Die Convergenzfactoren'\ 335

Gegner giebt ja selbst zu (S. 269), dass die durch letzteres bedingte Einstellung ,,nicht absolut genau*^ zu sein brauche. Die mir von ihm gemachten theoretischen Einwürfe genü- gen nicht im Entferntesten, mich, wie er hofft, von der Un- haltbarkeit meiner Ansicht zu überzeugen. Jene auch ohne Einwirkung der Fusion und ohne Intervention der Accommo- dation sich in den dargelegten Experimenten thatsächlich offenbarende Solidarität der Blickrichtung beider Augen lässt sich durchaus nicht fortironisiren. Es ist hier in der That ausser jenen Factoren, wie ich mich äusserte, noch ein me- chanischer Zwang wirksam und die Vorstellung, dass derselbe etwa durch ein eine solche Cooperation beider intemi regu- lirendes durch Uebung erworbnes Centrum ausgeübt werde, hat doch wohl nichts Widersinniges. Wenn ich nicht irre, steht Hr. Dr. Landolt einer solchen Annahme selbst ja nicht durchaus abweisend gegenüber.^) Wäre nur das Accom- modationsgefuhl für die Stellung des excludirten Auges be- stimmend, so würde man dort, wo die Accommodation fehlt, der Regel nach ein ganz unstätes Schwanken desselben bald nach dem nächst, bald nach dem entferntest gelege- nen Blickpunkte der Sehrichtung des fungirenden Auges beobachten müssen, dies aber ist eben nicht der Fall! Ganz in Einklang mit diesen Darlegungen stehen die Ex- perimente des CoUegen Eugen Fick,*) welche Herr Dr. Landolt zu meiner nicht geringen Verwunderung als gegen meine Anschauung argumentirende citirt.

Der von meinem Herrn Gegner S. 270 vorgeschlagene „einfache und schlagende" Versuch zur Prüfung der Stellung eines excludirten Auges bei mangelnder Accommodation ist, wenigstens in sehr ähnlicher Form, lange Zeit auch von mir benutzt, indess als nur bedingt brauchbar, wieder mehr und mehr bei Seite gelassen worden. Er wurde und wird

*) Bericht über d. intern. Ophth.-Congress. Heidelberg 1888. S. 39. ') lieber die Factoren der Sehaxenconvergenz. Gorresp.- Blatt für Schweizer Aerzte. Jahrg. 19. 1889.

336 Alfred Graefe.

von mir in folgender Weise ausgeführt. Während einseiti- gen Fixirens einer brennenden Kerze wird das sehende Auge mit einem rothen Planglase bewaffnet. In dem Augenblicke, in welchem das mit der Hand bedeckte Auge freigegeben wird, müssten, falls dasselbe abgelenkt war, Doppelbilder auftauchen, welche eventuell schnell zur Ver- einigung gelangen. Es werden dieselben jedoch nicht in Erscheinung treten, wenn volle Einstellung des excludirteu Auges vorhanden war. Theoretisch ist hiergegen nicht das Mindeste einzuwenden, in praxi aber lässt uns dieser Ver- such doch vielfach im Stich. Diejenigen Fachgenossen, welchen diese Art der Untersuchung geläufig ist, werden hierbei sicher die gleiche Erfahrung gemacht haben, wie ich. Vielfach stimmen die Aussagen der Untersuchten in der That mit unseren Erwartungen überein, d. h. sie sehen wirklich, wenn wir auch auf anderem Wege eine unter der deckenden Hand eintretende Ablenkung constatirt haben, die dieser correspondirenden Doppelbilder. Gar nicht selten indess wird, während jene doch in ganz evidenter Weise vorhanden ist, trotz normalem binocularen Sehens, trotz un- zweifelhafter Intelligenz des Beobachters, ein solches Auf- treten von Doppelbildern nicht wahrgenommen, oder doch nicht zugegeben. Wie dies etwa zu erklären wäre, ist für unsere Frage ziemlich gleichgültig, es liegt indess auf der Hand, dass wir im Vertrauen auf die Unfehlbarkeit dieses Versuchs zu irrigen Schlüssen leicht gefuhrt werden könnten. Wenn Herr Dr. Landolt endlich seine gegen mich gerichtete Replik mit einem Hinweise darauf eröffnet, dass „ich ihm schon früher (anno 1887) einmal einen kritischen Artikel gewidmet habe", der indess darum von ihm un- beantwortet geblieben sei, weil ich seine bezügliche Arbeit nicht gelesen hätte, so muss ich zu meinem Be- dauern zunächst feststellen, dass jene Angelegenheit nicht nur in keinerlei Beziehung zu unserer Streitfrage steht, sondern dass der beregte Artikel auch keineswegs Herrn Dr.

Noch einmal „Die Convergenzfactoren^'. 337

Landolt, sondern yielmehr den Interessen des paralyti- schen Schielens, resp. dessen operativer Behandlung gewid- met war. Allerdings habe ich in demselben beiläufig auch die Zweckmässigkeit des von jenem gemachten Vorschlags, bei Trochlearislähmung eventuell eine Tenotomie des Obli- quus inferior an dessen Ursprungsstätte auszufuhren, aus dort dargelegten Gründen in Frage stellen müssen. Die Kenntniss jener Arbeit war mir, wie ich loyal erklärt habe, nur durch ein Referat im Nagerschen Jahresbericht ver- mittelt worden und glaubte ich auf die Einsicht in die Originalarbeit verzichten zu müssen, da ich in dem Irrthum befangen war, es befände sich dieselbe nur in den für mich schwer zugänglichen Akten der Pariser medicinischen Aka- demie. Ich gestehe, dass mich der allerdings recht ver- spätet gemachte Vorwurf als ein scheinbar sehr wohl be- gründeter zunächst recht empfindlich traf, musste ich durch denselben doch zu der Meinung gestimmt werden, dass in der Originalarbeit irgend etwas vorhanden sei, was in dem Nagel'schen Berichte unerwähnt geblieben und geeignet sein könnte, den Landolt'schen Vorschlag unter von mir zu wenig gewürdigten Gesichtspunkten erscheinen zu lassen. Nachdem ich nun den betreffenden Artikel *) nachträglich durchstudirt habe, finde ich in demselben zwar einen sehr schätzenswerthen Beitrag zur Anatomie des Obl. inferior und Vorschriften über die ihn betreffende Operationstechnik, doch nicht das Mindeste, was etwa mein über den gemach- ten Vorschlag, bei Trochlearislähmung event. den Obl. in- ferior zu tenotomiren, abgegebenes Urtheil berührte oder gar zu modificiren vermöchte. Ich erwartete mindestens doch eine einschlägige Krankenbeobachtung mit Darlegung der durch jene Operation erreichten Erfolge zu finden, in- dess beschränkt sich das, was überhaupt Beziehung zu dem Yon mir bearbeiteten Thema hat, lediglich auf die Worte :

1) Archives d*Ophtlialmologie p. Panas etc. V. S. 402.

T. Graefe's Archiv fQr Ophthalmologie. XXXV. 4. 22

338 Alfred Oraefe, Noch einmal „Die Convergenzfactoren'*.

„L'oblique inferieur, 6taDt Tantagoniste de Toblique sape- rieur, sa tenotomie peut 6tre indiquee dans la paralyse de ce dernier."

Bei so beschaffenen mildernden Umständen dürfte meine Verschuldung Herrn Dr. L an doli gegenüber doch wohl in nichts zusammenfallen und es wird mir schwer zu glauben, dass es nur sittliche Entrüstung gewesen ist, welche ihn zur Zeit verhindert hat, mich auf die ihm gemachten Ein- wände einer Antwort zu würdigen.

Druck von Pdschel d Trepte in Leipzig.

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