| ALLGEMEINE | VERERBUNGSLEHRE VoN VALENTIN HAECKER FRIEDR.VIEWEG&SOHN BRAUNSCHWEIG, I] | ? 26LSTIOO TOEO 0 ITEM IOHM/18 > 1913 Pr MA y 2 ALLGEMEINE VERERBUNGSLEHRE ENTE 2 And ALLGEMFINE _ VERERBUNGSLEHRE VALENTIN HAECKER PROFESSOR DER ZOOLOGIE IN HALLE A. S. MIT 135 FIGUREN IM TEXT UND 4 LITHOGRAPHIERTEN TAFELN BRAUNSCHWEIG DRUCK UND VERLAG VON FRIEDR. VIEWEG & SOHN E41 Alle Rechte, namentlich das Recht der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Copyright, 1911, by Friedr. Vieweg & Sohn, Braunschweig, Germany. VORWORT. Das vorliegende Buch bildet die äusführlichere Bearbeitung einer kleinen Vorlesung, welche ich seit einer Reihe von Jahren, zuerst an der Technischen Hochschule in Stuttgart und an der landwirtschaftlichen Hochschule in Hohenheim, später in Halle gehalten habe. Es soll dem Leser einen Überblick über eine verhältnismäßig junge Disziplin geben, welche, wie wohl kein anderer Zweig der Organismenlehre, den Charakter einer Sammelwissenschaft hat und demgemäß ihre Bausteine in gleicher Weise der Zoologie und Botanik, der Morphologie und " Physiologie, der deskriptiv-mikroskopischen und der experimentellen Forschung entnimmt. Ebenso wie dem Studierenden in einer Vorlesung über Vererbungslehre die enge Fühlung und Wechselwirkung, welche im Grunde zwischen den von ihm zu bewältigenden Spezial- und Prüfungsfächern besteht, zum Bewußtsein gebracht werden kann, so soll auch, wie ich hoffe, der Leser den Eindruck erhalten, daß trotz der naturgemäß immer intensiveren Bearbeitung gewisser biologischer Einzelprobleme gerade auf dem Gebiete der Vererbungslehre das Inter- esse und die Freude an der synthetischen, naturphilosophischen Behand- lung niemals aufgehört hat, und daß die gedankenlos nachgesprochene und nachgeschriebene Phrase, die Naturwissenschaft verliere sich immer mehr in Zersplitterung und Spezialisierung, auch in bezug auf die bjologischen Probleme zu keiner Zeit weniger am Platze war als gegenwärtig. In Vorlesungen über Vererbungslehre kommt noch ein weiteres Moment didaktischer Art gewissermaßen von selber zur Geltung. Da nämlich diese-Wissenschaft und das Interesse an ihr nicht gleichmäßig fortgeschritten ist, sondern zu verschiedener Zeit, sei es durch die vorauseilende Theorie, sei es durch besonders markante Entdeckungen, neue kräftige Impulse empfangen hat, so ergibt sich gerade bei ihr eine VI Vorwort. % Darstellung nach historischen Gesichtspunkten als die nächstliegende, und es kann also bei der, ‚ Behandlung des Stoffes der Sinn für die Entwickelungsgeschichte der Wissenschaften und die Wissenschafts- lehre überhaupt, die Kenntnis von der Bedeutung des Hypothetischen und von den allgemeinen Vorbedingungen und Mitteln eines tatsäch- lichen Fortschrittes gefördert werden. Auch in dem vorliegenden Buche schien ein Aufbau auf historischer Grundlage geboten zu sein, wobei indessen eine möglichst reinliche Scheidung zwischen den tat- sächlichen Ergebnissen und den Anregungen und Zusammenfassungen theoretischer Art durchzuführen versucht wurde. Insbesondere ist im zweiten und vierten Hauptteil die erstere, im dritten und fünften die letztere Seite vorwiegend betont worden. Diesen Gesichtspunkten formaler Art ist aber in dem Buche ein anderer übergeordnet worden. In der letzten Zeit ist eine ganze Reihe von lehrbuchartigen Zusammenfassungen erschienen, in welchen nur ein begrenzter Teil des Gesamtgebietes von bestimmten Fragestellungen aus ausführlich behandelt ist. Das gedankenreiche Werk Batesons, welches die Mendelschen Prinzipien zum Gegenstand hat, ist hier-an erster Stelle zu nennen. Von zusammenfassenden Darstellungen da- gegen, in welchen in gleicher Weise alle allgemein - physiologischen, cytologischen und experimentell- physiologischen Probleme zur Be- sprechung gekommen wären, liegt aus den letzten Jahren nur Thomsons „Heredity“ vor uns, und es mag überhaupt zweifelhaft erscheinen, ob eine derartige Zusammenfassung zurzeit noch von einem einzelnen bewältigt werden kann oder auch, ob die Zeit hierfür bereits gekommen ist. Vielleicht darf aber am ehesten noch von seiten der Keimzellen- forschung ein solcher Versuch unternommen werden, denn die Frage nach dem materiellen Substrat der Vererbungserscheinungen wird immer den letzten und wichtigsten Gegenstand der Vererbungslehre bilden müssen, und bei fast allen Untersuchungen experimenteller Art werden die Kernfragen der Protoplasma- und Zellenlehre berührt. Es sei nur an die Arbeiten über den Einfluß jedes der beiden Eltern auf die Nachkommen, über das eigentliche Wesen der Erbeinheiten, über den Zeitpunkt ihrer Spaltung und Wiedervereinigung, über die Spezifität der Erblichkeitserscheinungen, über die Geschlechtsbestimmung und andere erinnert. Vorwort. VH Der Verfasser hat es schon zu wiederholten Malen in kleineren Zusammenstellungen unternommen, den Beziehungen zwischen be- stimmten Ergebnissen der Experimental- und der cytologischen For- schung weiter nachzugehen. In dem vorliegenden Buche sollen nun diese Versuche in mehr systematischer Weise über möglichst weite Gebiete der Vererbungslehre ausgedehnt, die Verbindung zwischen einzelnen ihrer Kapitel befestigt und dabei das Ziel im Auge behalten werden, das durch die Begründer unserer theoretischen Grundvor- stellungen, besonders durch Weismann, vorgezeichnet und verfolgt worden ist und in dem Ausbau einer allgemeinen, auf eine einheitliche morphobiologische Basis gestellten Vererbungslehre besteht. +. ar 2. Wenn nun auch die Anschauungen und Überzeugungen, welche bei jenen früheren Versuchen als Wegweiser gedient und auch in diesem Buche den leitenden Faden gebildet haben, in vielen Punkten von denen mancher anderer Biologen verschieden sind, so ist doch versucht worden, auch die abweichenden Auffassungen möglichst gleichmäßig zum Worte kommen zu lassen, vor allem natürlich diejenigen, welche von bestim- mendem Einfluß auf den Gang der Untersuchungen und die Deutung und Verknüpfung der Tatsachen gewesen sind. Die Literaturverzeichnisse am Schlusse der einzelnen Kapitel sollen in dieser Hinsicht dem Leser eine noch ausgedehntere Orientierung ermöglichen. In ihnen sind dreierlei Schriften aufgenommen worden: Die für die einzelnen Gebiete grund- legenden Werke; ferner zusammenfassende Darstellungen, in welchen sich weitere Literaturverweise finden, und endlich solche Arbeiten aus der jüngsten Zeit, in welchen ganz neue Beobachtungen mitgeteilt und neue Anregungen gegeben sind, welche also als Wegweiser in wissen- schaftliches Neuland dienen können, so besonders zahlreiche neuere Arbeiten kleineren Umfangs auf dem Gebiete der Mendelschen Ver- erbungslehre. Ich habe versucht, mich möglichst strenge an diese Regel zu halten und bitte die Herren Fachgenossen um Nachsicht, wenn sie diese oder jene Arbeit in den Literaturverzeichnissen vermissen. Ein „Literaturnachweis“ am Schlusse des Buches soll es er- möglichen, die in den einzelnen Verzeichnissen zerstreuten Arbeiten der einzelnen Autoren aufzufinden. Zum Schlusse möchte ich an dieser Stelle dem verehrlichen Verlag Friedr. Vieweg & Sohn meinen verbindlichsten Dank für sein VAL: Vorwort. vielfach bewiesenes Entgegenkommen aussprechen. Ebenso habe ich meinem Mitarbeiter am hiesigen Institute, Herrn Privatdozent Dr. Ludwig Brüel, für seine freundliche Beihilfe bei der Besorgung der Korrekturen und für zahlreiche wertvolle Anregungen zu danken, welche er mir auf Grund seiner außerordentlichen Literatur- und Sachkenntnis bei diesem Anlaß gegeben hat. Endlich spreche ich Fräulein Käthe Wangerin auch an dieser Stelle meinen besten Dank für ihre Mitwirkung bei der Herstellung der Zeichnungen und besonders der Vorlagen für die Tafeln aus. Halle a. S., im März 1911. V. Haecker. re WA Äh an Te | Inhaltsverzeichnis. I. Teil. Seite nk mann SE RE N I En 1 1. Kapitel: Allgemeine Begriffe und vulgäre Erscheinungsformen der Ver- BET a a a a ee ae 1 2. Kapitel: Systematische und klassifizierende Versuche . ....... 3." Kapitel: Statistische Methode -„ an. le. 13 ll. Teil. Die morphobiologischen Grundlagen der Vererbungslehre . ..... 2... 18 4 Bapllel: Das: Prolsplaema » nn u en en PET 18 5. Kapitel: Weiterentwickelung der Zellenlehre . ... 2.2.2.2 2.0..% 29 6 Rapitels:: Kern und Kernfteilung zu... 2. San 39 7. Kapitel: Geschichte der Fortpflanzungszellen der Vielzelligen . . . .. 60 8. Kapitel: Reife Fortpflanzungszellen und Befruchtung . ....... 73 9. Kapitel: Die Reifungsteilungen und ihre $tammesgeschichtliche Be- ERDE tee ee ee ns 88 10. Kapitel: Die Chromosomen in den generativen Zellen. Heterotypische Teilung und Heterochromosomen . . . . sc nieis es nee se 99 r1. Bapltel: Chromssemenzahl: 3. 2. Re nee ee en 112 Ill. Teil. Weismanns Vererbungslehre. Das Problem der Vererbung erworbener Eigen- BERNIE ee a ea 121 12. Kapitel: Frühere Versuche einer morphobiologischen Erklärung der Verexbußgetischeinüugen 2. 05 ee ee 121 13. Kapitel: Die Kontinuität des Keimplasmas als Grundlage einer Theorie a NE TIERE NE ES RS 126 14. Kapitel: Vererbungssubstanz, Keimplasma, Idioplasma A 134 15. Kapitel: Das Problem der Vererbung erworbener Eigenschaften. All- gemeines. A. Aquikausale und B. äquidispositionelle Abänderungen 150 16. Kapitel: Das Problem der Vererbung erworbener Eigenschaften (Forts.). C. Einseitige Lamarcksche Abänderungen . . .. 2 22.22 2.0. 156 17. Kapitel: Das Problem der Vererbung erworbener Eigenschaften (Forts.). D. Allseitige Lamarcksche Abänderungen . . 2. 2 2 2 2220. 164 18. Kapitel: Pfropfbastarde, Xenien, Telegonie . . ». : 2. 22.2222 .. 180 7/0877 >4 Inhaltsverzeichnis. 19. Kapitel: Weiterer Ausbau der Weismannschen Vererbungslehre 20. Kapitel: Kritik der Anschauungen von Weismann. O. Hertwigs T’haorie ‚der "BiogeBenie 27 Me ee Are e IV. Teil Exraisinenkelle Bastardiorschung 2 2, 0 0 Ann ee ne ie 21. Kapitel: Allgemeines über Bastarde . .... 2. 2222000. A 22. Kapitel: Mendelsche Bastardierungs- oder Vererbungsregeln . 23. Kapitel: Verbreitung des Mendelschen (alternativen) Vererbungsmodus 24. Kapitel: Der Mendelsche Vererbungsmodus beim Menschen . . . . 25. Kapitel: Das Geschlecht als mendelndes Merkmal... . 2.2... 26. Kapitel: Faktorenhypothese. Zusammengesetzte Merkmale. ..... 27. Kapitel: Theoretische Tragweite der Mendelschen Lehre ...... 28. Kapitel: Praktische Bedeutung der Mendelforschung für die Tierzucht . V, Teil. Neue morphobiologische Vererbungshypothesen . . 2.2.2200. 29. Kapitel: Individualitätshypothese. Ungleichwertigkeit der Re 30. Kapitel: Das Reduktionsproblem .. . ... + .-s.0 se 0a 0 2000. 31. Kapitel: Chromosomenhypothesen der Vererbung . . » . 2.2... 32. Kapitel: Chromosomen und Geschlechtsbestimmung . . »....... 33. Kapitel: Versuch einer Kernplasmahypothese zur Erklärung der Mendel- Urnzesee.. rer naar le = laiiezsl ie Ergänzender Literaturnachweis Die TE res ie ee EN fe eine te Sachregister By BITTE I RED HR a EEE FT TE 7 u ET ee nn ie Seite 190 I. Teil. Historische Einleitung. Erstes Kapitel. Allgemeine Begriffe und vulgäre Erscheinungsformen der Vererbung. Die Worte „Vererbung“ und „erblich“ sind heute in jedermanns Munde und ein großer Teil wenigstens der gebildeten Laien ver- bindet mit den Worten auch einen bestimmten Sinn. Unter „Vererbung“ versteht man erstens die Tatsache, daß die Art- und ebenso gewisse Individualcharaktere der Eltern bei den Nachkommen wieder zum Vorschein kommen, oder auch zweitens den zu ermittelnden Prozeß der Übertragung, also das Zustande- kommen dieser Übereinstimmung. Die „Erblichkeit“ ist eine Eigen- schaft bestimmter Merkmale des Organismus und besteht eben darin, daß die betreffenden Charaktere in den aufeinanderfolgenden Genera- tionen wiederkehren!). !) Es dürfte nicht ganz dem Sprachgebrauch entsprechen, wenn Haeckel (Nat. Schöpfungsgesch., 10. Aufl., 1. Teil, S. 158) unter Erblichkeit die Vererbungskraft ver- steht, die Fähigkeit der Organismen, ihre Eigenschaften auf ihre Nachkommen durch die Fortpflanzung zu übertragen. Die beiden in der englischen wissenschaftlichen Sprache gebräuchlichen Worte „heredity“ und „inheritance“ stehen sich in anderem Sinne einander gegenüber wie unsere Begriffe „Vererbung“ und „Erblichkeit*. Nach Thomson würde „heredity“ die organische oder genetische Kontinuität zwischen den aufeinanderfolgenden Genera- tionen bedeuten, während „inheritance“ (heritage) die Gesamtheit dessen bedeutet, was der Organismus ist bzw. von dem er ausgeht, vermöge seiner hereditären Be- ziehungen zu Eltern und Vorfahren. Beim Menschen kommt dazu noch ein äußer- liches Erbteil, a social inheritance, d. h. die mündliche und schriftliche Überlieferung: Das Wort „inheritance* in dem von Thomson angegebenen Sinne würde unseren Ausdrücken „Erbschaft“, „Erbmasse“, „Anlagenkomplex“, „Keimgut“ (Walter Haecker in Natur u. Staat, Teil IX, Jena 1907) entsprechen. Haecker, Vererbungslehre. > Habsburger Unterlippe. + Diejenigen normalen Individual- und Rassencharaktere, deren Erblichkeit dem Laien am meisten in die Augen springt, sind natür- lich gewisse äußerliche Eigenschaften des Körpers, so namentlich die Farben von Haut, Hautgebilden und Augen. Es ist den Pferde- züchtern längst bekannt, daß nicht bloß die Gesamtfärbung, sondern vor allem auch gewisse weiße Abzeichen am Kopfe und an den Extremitäten der Pferde in hohem Maße, wenn auch mit entschiedener Tendenz zur Verkleinerung, erblich sind. Am konservativsten scheint der „Stern“, d. h. der kleine weiße Stirnfleck zu sein!). Bei Menschen sind außer der Pigmentierung von Haut, Haaren und Augen hauptsächlich die Größe und Statur, sowie besondere Bil- dungen der Gesichtsteile als erbliche Eigenschaften bekannt. Ein Beispiel, welches in biologischen Werken immer und immer wieder zitiert wird, ist die starke Unterlippe der Habsburger. Da hier der merkwürdige Fall vorliegt, daß eine markante und ungewöhn- liche Gesichtsbildung sich durch viele Generationen und mindestens sechs Jahrhunderte hindurch mit Sicherheit verfolgen läßt, und da sich die meisten Autoren mit einem kurzen Hinweis begnügen, so soll gleich hier teils im Anschluß an Lorenz, teils auf Grund eigener Nachforschungen auf das Historische der Habsburger Unterlippe etwas näher eingegangen werden ?). Die ersten Habsburger, für welche die are Unterlippe bisher mit Sicherheit festgestellt werden konnte, sind Friedrich UI. (1415 bis 1493), dessen Sohn Maximilian I. (1459—1519), dessen Sohn Philipp der Schöne (1478—1506) und dessen beiden Söhne Karl V. (1500 — 1558) und Ferdinand I. (1503— 1564). Aus früherer Zeit liegen naturgemäß nur wenige als authentisch zu betrachtende bildliche oder plastische Darstellungen oder Beschreibungen vor, und es mag damit die Ansicht zusammenhängen, daß die eigentliche Habsburger Unterlippe auf die Prinzessin Cimburga (Cymburgis) von Massovien, !) Vgl. K. Kiesel, Über die Vererbung von Farben und Abzeichen beim Pferd. Arch. wiss. u. prakt. Tierkunde, Bd. 34. *) Ich bin besonders meinem Kollegen, Herrn Geheimrat Lindner, ferner den Herren Hofrat v. Karabacek und Dr. A. Stix an der k. k. Hofbibliothek in Wien und Herrn Prior Heinr. Schuler am Stift in Wilten bei Innsbruck für ihre liebens- würdige Beihilfe bei der Beschaffung der Belege zu größtem Dank verpflichtet. Eine ausführliche Darstellung der Erblichkeitsverhältnisse der Habsburger Unterlippe wird baldigst erfolgen. Hier sei nur kurz auf die Abbildungen in den verschiedenen Bänden von Onckens Allgemeiner Geschichte und in W. v. Seidlitz’ Allgem. histor. Porträtwerk (München 1884) hingewiesen. Habsburger Unterlippe. 3 die Gemahlin des Herzogs Ernst des Eisernen von Österreich und ‚Mutter Friedrichs IH., eine körperlich ungewöhnlich entwickelte Frau, zurückzuführen sei (Lorenz)... Von anderer Seite ist darauf hingewiesen worden, daß Herzog Karl der Kühne von Bur- gund, aus dem ‚Hause Valois, der Schwiegervater Maximilians I, und einige andere Glieder dieses Hauses eine starke Unterlippe be- saßen (Rubbrecht). Indessen ist darauf aufmerksam zu machen, daß auch Ernst der Eiserne, wie eine zeitgenössische Profildarstellung deutlich erkennen läßt, eine außerordentlich kräftige, wulstige Unter- lippe aufwies, so daß es meines Erachtens als zweifellos anzunehmen ist, daß das Erbstück der Habs- burger schon bei diesem Stamm- vater vorhanden wart). Weniger sicher ist das Vor- kommen der Unterlippe bei den älteren Habsburgern. Erwähnen möchte ich nur, daß das Grab- denkmal Rudolfs I. in Speyer eine kräftige, wenn auch nicht ausnehmend entwickelte Unter- lippe zeigt. Im Mannesstamm*fand die Überlieferung des Merkmals in beiden Habsburger Linien statt, Denkndurstsnt Darroll 3. sowohl bei Karls V. Sohne Phi- Aus Oncken-Erdmannsdörfer. lipp U. und dessen spanischer Deszendenz, wie auch in der von Ferdinand I. abstammenden öster- reichischen Linie. Fig. 1. In der österreichischen Linie ist namentlich Leopold I. (1640 bis 1705), der Urenkel Ferdinands IL, als „Dicklippiger“ bekannt, und zwar tritt das Merkmal besonders auf Münzen und Medaillen in scheinbar absichtlicher Übertreibung hervor (Fig. 1). Von besonderem Interesse sind die Erblichkeitsverhältnisse bei den weiblichen Familiengliedern. Im allgemeinen weisen die Habs- burgerinnen das Merkmal nicht auf, doch kommen immerhin, wie ich !) Wiener Hofbibliothek, Kodex Nr. 89 (Predigten des heiligen Augustin). Auch einige (viel spätere) Kupferstiche zeigen das Merkmal (Kupferstichsammlung der Hofbibliothek, Porträtkasten 87, Blatt 80, 81, 81*). 1* A Habsburger Unterlippe. glaube, wiederholt Andeutungen vor!). Auch fand im ganzen keine Übertragung des Merkmals durch die weiblichen Deszendenten statt, insbesondere ist die Eigentümlichkeit keinem der europäischen Herrscherhäuser durch die ungewöhnlich zahlreichen weiblichen Mit- glieder der spanischen Linie mit Sicherheit übermittelt worden, und ebensowenig hat durch die sieben Töchter Kaiser Ferdinands I. eine Einbürgerung des Merkmals in anderen Dynastien stattgefunden (Lorenz). Doch kommen auch hier Ausnahmen vor. Insbesondere hat Maria Theresia, welche selber ebensowenig wie die meisten anderen Habsburgerinnen eine besonders starke Unter- lippe besaß, die Eigentümlichkeit im Gegensatz zu den weiblichen Gliedern der spanischen Linie auf ihre männlichen Abkömmlinge übertragen. Bei dem zum Teil sehr ausgeprägten Hervortreten des Familientypus im Hause Habsburg-Lothringen, z. B. bei Kaiser Fer- dinand und bei den Erzherzögen Franz Karl und Albrecht, kommt indessen wohl auch in Betracht, daß Maria Theresias Gemahl, Franz I. von Lothringen, ebenfalls eine stark hervortretende Unterlippe, wahrscheinlich als Erbteil seiner habsburgischen Großmutter, besaß 2). Auch bei den Medicis scheint durch die Verbindung mit weib- lichen Gliedern des Hauses Habsburg die Verstärkung einer schon in der Familie vorhandenen Anlage eingetreten zu sein, wie denn be- sonders der von einer habsburgischen Mutter abstammende Leopold von Medici (gest. 1675) eine starke Unterlippe erkennen ließ. Alles in allem darf als erwiesen gelten, daß sich in der Familie der Habsburger das äußerliche Merkmal der stark hervor- tretenden Unterlippe in zäher Weise viele Generationen und Jahrhunderte hindurch vererbt hat, und daß dieser Charakter ganz überwiegend bei den männlichen Gliedern hervor- trat, jedoch wiederholt durch Frauen vom Großvater auf die Enkel übertragen worden ist. In einem späteren Kapitel wird nochmals darauf zurückzukommen sein. !) So bei der Erzherzogin Marianna, Tochter Ferdinands III. und der Infantin Maria von Spanien (einer Schwester Philipps IV.), und ebenso bei ihrer Kusine, der Infantin Maria Theresia, einer Tochter Philipps IV., welche nach dem Bericht einer Zeitgenossin „levres un peu grosses et vermeilles“ besaß. Vgl. die zahlreichen Ab- bildungen bei H. Zimmermann, Zur Ikonographie des Hauses Habsburg, Jahrb. Kunsthist. Samml. d. Allerh. Kaiserhauses, 25. Bd., Wien u. Leipzig 1905. ?) Lorenz weist auf das von Liotard gezeichnete und von Schmuzer ge- stochene Bild Franz’ I. und auf das Bild seines Bruders hin (vgl. Oncken III, 9, S. 47, 50, 78). Psychische Merkmale. 5 Daß beim Menschen auch geistige Eigenschaften vererbt wer- den, gehört ebenfalls zu den vulgären Tatsachen. Schon der in allen vererbungsgeschichtlichen Werken zitierte Spruch Goethes aus den „Zahmen Xenien“ stellt physische und psychische Eigenschaften be- züglich der Vererbungsmöglichkeit auf gleiche Linie, und besonders hat das Buch Galtons Hereditary Genius dazu jbeigetragen, daß ‚heutzutage diesem Verhalten jeine große Aufmerksamkeit geschenkt und beispielsweise in fast allen neueren Biographien die Frage nach der Herkunft der geistigen Eigentümlichkeiten erhoben wird. Es ist auch bekannt, daß der für die Vererbungstheorie so wichtige Be- griff der „Anlage“, der auch von vielen englisch schreibenden Autoren verwendet wird, gerade dem psychologischen Gebiete entnommen ist. Ein klassisches Beispiel für die Vererbung speziell des musika- lischen Talentes bietet die Familie Bach, die in einer ganzen Reihe von Generationen eine große Anzahl von tüchtigen, zum Teil hervor- ragenden Musikern erzeugt hat?). Zur Zeit der Herzogin Amalie von Weimar bedeuteten in Thüringen die „Bache“ geradesoviel wie Stadtpfeifer oder Berufsmusiker 2). Für die Weitervererbung des mathematischen Talentes bildet die Familie Bernouilli, für die erbliche Veranlagung zur naturwissen- schaftlichen Beobachtung und Kombination bilden die Familien Dar- win und Siebold bekannte Beispiele. Aber nicht bloß auf intellektuellem Gebiete, sondern auch auf dem des Gefühlslebens und der Willenstätigkeit ist die erbliche Über- tragung gewisser Familienzüge eine bekannte Erscheinung. Die Be- obachtung der Laien pflegt sich dabei naturgemäß nur auf zwei oder drei Generationen zu erstrecken, aber der Historiker vermag in einzelnen Fällen auch hier die Wirkung der Vererbung über längere Zeiträume hinaus nachzuweisen oder wenigstens wahrscheinlich zu machen. So wurde, um auch wieder das Haus der Habsburger heran- zuziehen, vor einiger Zeit der Nachweis zu führen versucht®), daß seit der Vermählung Maria Theresias mit Franz von Lothringen das Lothringer Blut mit seiner eigentümlichen Verbindung von Lebens- lust und praktischer Nüchternheit mit dem schweren, düsteren, träume- ') Vgl. C. H. Bitter, Carl Philipp Emmanuel und Wilhelm Friedemann Bach und deren Brüder. Berlin 1868. ?) Vgl. W. Bode, Der Musenhof von Weimar. Berlin 1908. ») Vgl. Der Werdegang Kaiser Franz Josefs. Von einem österreichischen Dichter. Velhagen u. Klasings Monatshefte, 22. Jahrg., 1908. 6 Erblichkeit bei freilebenden Tieren. risch-großartigen Lebenselemente der Habsburger ringe, und daß bei den einzelnen Gliedern der Dynastie bald das eine, bald das andere Erbteil zum Durchbruch komme. Kaum weniger geläufig als die erbliche Übertragung von nor- malen Charakteren und leichten Abnormitäten ist die Zähigkeit, mit welcher ausgesprochen pathologische Merkmale, vor allem Mon- strositäten, morphologische und physiologische Defekte (Entwickelungs- hemmungen) und Dispositionen zu Krankheiten übertragen werden. Beim Menschen sind Hyperdaktylie (Sechszähligkeit der Finger und Zehen) und Hypophalangie (Reduktion der Phalangenzahl von drei auf zwei), Albinismus, Farbenblindheit (Dyschroma- topsie), Bluterkrankheit oder Hämophilie als erbliche Abnor- mitäten besonders bekannt. Bei den Tieren tritt die Erblichkeit ausgesprochen abnormer und pathologischer Charaktere im allgemeinen nur beim planmäßigen Experimente’ hervor, bei den Haustieren, weil naturgemäß abnorm veranlagte Tiere in der Regel von der Weiterzucht ausgeschaltet werden und daher die Erblichkeit durch mehrere Generationen nicht verfolgt werden kann, bei den freilebenden Formen, weil hier aus leicht begreiflichen Gründen Vererbungsvorgänge überhaupt nur schwer zur Beobachtung gelangen. Doch liegen immerhin auch be- züglich der letzteren einige bemerkenswerte Beobachtungen vor, und insbesondere haben Rot- und Rehwild brauchbare Materialien ge- liefert. # Schon Burdach berichtet, daß in einem Forste eine Reihe von Jahren hindurch Hirsche vorkamen, welche im ersten Jahre ihres Lebens noch gar kein Geweih und späterhin nur eine Stange auf- setzten. Ebenso!) sind in einem oberschlesischen Revier in den letzten Jahren hintereinander vier Rehböcke mit doppeltem Gehörn erlegt worden. Bei allen Exemplaren war in gleichmäßiger Weise links und rechts je eine Spießerstange und dahinter eine mäßige Sechserstange zur Ausbildung gelangt. In beiden erwähnten Fällen kann es sich natürlich nur um die erbliche Übertragung einer spontan aufgetretenen Abnormität (Mutation) handeln. Die meisten bisher mitgeteilten Tatsachen haben einen Bestand- teil des Gemeinwissens der Menschheit gebildet, ehe es 'eine eigent- liche Vererbungsforschung gegeben hat, ja, die Anerkennung der Erb- lichkeit, insbesondere der geistigen Eigenschaften, hat sich, wie !) Vgl. Deutsche Jägerzeitung, Bd. 47, Nr. 28, S.457 (1906). Praktische Verwertung der Erfahrungen. 7 Haeckel hervorgehoben hat, seit den Anfängen der Geschichte ge- wissermaßen unbewußtermaßen,‘ instinktmäßig in einer Menge von menschlichen Einrichtungen und Begriffen geäußert. Haeckel erinnert vorzugsweise an die Vorstellungen von der „Erbsünde“, der „Erb- weisheit“, dem „Erbadel“. In bewußter Weise haben sich zuerst wohl die Bauern, Tier- züchter und Gärtner die Beobachtungen auf diesem Gebiete zunutze gemacht, und eine Reihe von Jahrtausende alten Erfahrungen hat in Sprüchen und Bauernregeln einen Niederschlag gefunden. In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts sind auch den Medizinern gewisse Vorstellungen auf dem Gebiete der Vererbungserscheinungen in Fleisch und Blut übergegangen, doch wird man hier bereits großen- teils die Wirkung der neueren Vererbungswissenschaft, insbesondere der Weismannschen Lehre von der Nichtvererbung erworbener Eigenschaften anerkennen müssen, so daß man hier nicht mehr von vulgären Kenntnissen sprechen kann. Ebenso ist es auf die Werke von Darwin und Spencer, von Galton und Weismann zurück- zuführen, wenn neuerdings auch bei den Untersuchungen der Historiker und Soziologen!) der Begriff der Vererbung und die Grundtatsachen und Hauptregeln der Erblichkeit eine immer bedeutsamere Rolle spielen. Literaturverzeichnis zu Kapitel 1. Galton, F., Hereditary Genius. London (Mac Millan) 1869. —, Genie und Vererbung. Deutsch von Dr. OÖ. Neurath und Frau Dr. Schapire- Neurath. Leipzig (Verlag von Dr. W. Klinkhardt). Haeckel, E., Natürliche Schöpfungsgeschichte. ı1. Aufl. Berlin 1909. Hertwig, O., Die Zelle und die Gewebe. I. u. II. Jena 1893 und 1898. —, Allgemeine Biologie. 3. Aufl. Jena 1909. Lindner, Th., Geschichtsphilosophie. Das Wesen der geschichtlichen Entwickelung. Stuttgart u. Berlin 1904. Lorenz, O., Lehrbuch der gesamten wissenschaftlichen Genealogie. Berlin 1898. Natur und Staat, Beiträge zur naturwissenschaftlichen Gesellschaftslehre. Eine Sammlung von Preisschriften. Jena (G. Fischer). Rubbrecht, O., L’origine du type familial de la maison de Habsburg. Bruxelles 1910, Thomson, ]J. A., Heredity. London (John Murray) 1908. ") Vgl. Lindner 1904, sowie das Sammelwerk Natur und Staat. Zweites Kapitel. Systematische und klassifizierende Versuche. Die ersten wissenschaftlichen Versuche, in das Gebiet der Ver- erbungserscheinungen weiter einzudringen, waren naturgemäß rein systematischer und klassifizierender Art und beschränkten sich auf die Aufzählung einiger empirischer Tatsachen und allgemeiner Sätze. Als ernsthafte Versuche dieser Art, die auch heute noch wissenschaft- lichen Wert haben, sind diejenigen von Blumenbach, Hofacker, Burdach, Lucas, R. Wagner und vor allem Darwin zu nennen. Schon bei den älteren der genannten Autoren klingen manche Sätze und Fragestellungen durchaus modern, so wenn Burdach hervor- hebt, daß die Eltern auch in Beziehung auf Krankheit ihren Kindern weniger das geben, was sie selbst sind, als vielmehr die Anlage, das zu werden, was sie geworden sind. An die grundlegenden Tatsachen der Mendelschen Erblichkeitsforschung wird man erinnert, wenn schon Wagner erwähnt, daß bei der Verbindung eines Albinos oder Kakerlaken mit einem schwarzen oder einem gewöhnlichen weißen Individuum die Kinder fast ohne Ausnahme einem der beiden Eltern folgen, und daß der Albinismus oft in der zweiten Generation latent bleibt, in der dritten aber wieder auftritt. Zweifellos kann schon mittels der systematischen Methode manches Licht auf wichtige Verhältnisse geworfen und eine erste Grundlage für Aufstellung von Regeln geschaffen werden. So hat Lorenz bezüg- lich der Unterlippe der Habsburger die Regel aufstellen können, daß die Abnormität nur in der männlichen Deszendenz sichtbar hervortrat!) und vorzugsweise auch durch diese weiter vererbt wurde, und ferner konnte er zeigen, daß in mehreren Fällen beim Zusammentreffen zweier gleichsinniger „latenter‘ Anlagen ein verstärktes Wieder- erwachen des Familientypus stattfand. Auch Kekul& von Strado- ') Hinsichtlich vermutlicher Ausnahmen vgl. oben S.4, Anmı. Dreigroßelterliche Mischung. 9 nitz, der die Degeneration der spanischen Linie der Habsburger zum Gegenstand einer Untersuchung gemacht hat, glaubt bei aller Reserve in seinen Schlußfolgerungen wenigstens so viel sagen zu dürfen, daß die erbliche psychopathische Belastung mancher spanischer Habs- burger (Don Carlos, Karl Il.) aller Wahrscheinlichkeit nach wenigstens zum Teil auf Johanna die Wahnsinnige von Spanien (1479—1555), die Gemahlin Philipps des Schönen von Österreich, zurückzuführen ist. Ebenso scheint sich ihm der Erfahrungssatz zu bestätigen, daß wieder- holtes Vorkommen in jeder Beziehung gesunder Ahnen auf die Nach- kommen günstig, das wiederholte ‚Vorkommen kranker, belasteter Ahnen dagegen schädlich wirken könne. | Bezüglich gewisser Einzelfragen kann schon die rein genea- logische Forschung zu ganz unzweideutigen positiven oder negativen Ergebnissen gelangen. Schon wiederholt sind Versuche gemacht worden, durch wiederholte Kreuzungen mehr als zwei Rassen in einem Bastard zu vereinigen. So hat Wichura stets distinkte Spezies von '\ Weiden in einem Bastard kombiniert!), und Darwin hat Tauben- bastarde gewonnen, deren Großeltern vier verschiedenen Rassen an- gehörten (z. B. weiße Möve, weiße Trommeltaube, weiße Pfauentaube, blauer Kröpfer). Aber es sind, abgesehen von den später zu be- sprechenden Kreuzungen Mendelscher Art, nur wenige Fälle bekannt, in denen bei einem Individuum die Merkmale von mehr als zwei Großeltern wirklich hervortreten. Aus der zoologischen Literatur ist mir nur Standfuß’ abgeleiteter Saturnia-Bastard ESE pyri 2 Sat. gegenwärtig. Es schien mir daher von Interesse zu sein, auf genealogischem Wege zu ermitteln, in welchem Umfange beim einzelnen Menschen die Eigenschaften von mehr als zwei großelterlichen Linien vereinigt sein können. Ich habe ‚deshalb bei solchen Familien meines Be- kanntenkreises Umfrage gehalten, in denen gewisse gut charakterisierte Merkmale (Farbenblindheit, rote Haarfarbe usw.) auftraten. In einem Falle war nun mit Sicherheit zu zeigen, daß der Sohn die ausgesprochen mathematische Begabung vom Großvater väterlicherseits und vom Vater, die hochgewachsene, schmächtige Statur von dem einen Urgroßvater (Vater der Großmutter väterlicherseits) und vom Vater, %) Zitiert bei Darwin, Bd. 2, $.352 (1868). —. 10 Haeckels „Vererbungsgesetze“. die Farbenblindheit vom Großvater mütterlicherseits in sich ver- einigte?): Urgroßvater (Statur) Großvater Großmutter Großvater Großmutter (Mathemat. Talent) (Farbenblindheit) Vater Mutter (Mathemat. Talent, Statur) Sohn (Mathemat. Talent, Statur, Farbenblindheit) Es geht aus dem Stammbaum mit Sicherheit hervor, daß hier in der Tat im Sohn die Eigenschaften von drei großelterlichen Linien vereinigt sind. Die meisten der auf genealogischem Wege gewonnenen An- schauungen sind schon vor mehreren Jahrzehnten durch Haeckel als „Vererbungsgesetze“ formuliert worden. Haeckel hat eine ganze Reihe solcher „Gesetze“ aufgestellt, so das Gesetz der er- haltenden (konservativen) und das der fortschreitenden (progressiven) Vererbung. Damit soll die Vorstellung zum Aus- druck gebracht werden, daß die Einzelindividuen nicht bloß diejenigen Eigenschaften auf die Nachkommen vererben können, welche sie selbst von den Vorfahren ererbt haben (konservative Vererbung), sondern auch solche, die sie erst während ihres individuellen Lebens erworben haben (progressive Vererbung, Lamarcksches Prinzip). Andere Gesetze sind das der ununterbrochenen oder kontinuierlichen Vererbung, das Gesetz der unterbrochenen oder latenten Ver- erbung, wie es sich besonders in den Erscheinungen des Generations- wechsels und def Rückschlags (Atavismus) äußert, das Gesetz der geschlechtlichen Vererbung (Übertragung der sekundären Sexualcharaktere durch das andere Geschlecht) und das der ge- mischten beiderseitigen Vererbung (Kombination der elterlichen Merkmale am Kind, die Amphimixis Weismanns). Einen gesetz- mäßigen Charakter haben nach Haeckel auch die abgekürzte Vererbung (vereinfachte Rekapitulation der Stammesgeschichte durch !) Der Vater des betreffenden Sohnes ist selbst Naturforscher und war in der Lage, auf Grund genauer, persönlicher Kenntnis der in Betracht kommenden Familien- glieder und unter Benutzung bestimmt lautender, die Jugendzeit der letzteren be- treffender Familientraditionen den Gang der Vererbung in unzweideutiger Weise zu verfolgen. Gesetze und Regeln. 11 die Einzelentwickelung, biogenetisches Grundgesetz), die be- festigte Vererbung (beruhend auf dem akkumulierenden, durch mehrere Generationen hindurch wirkenden Einfluß äußerer Faktoren), sowie die gleichzeitliche (homochrone) und gleichörtliche (homotope) Vererbung (Vererbung im korrespondierenden Lebens- alter und an korrespondierenden Körperstellen). Man wird bezweifeln dürfen, ob die empirischen Mö glichkeiten des Vererbungsverlaufes, die in den Haeckelschen Vererbungsgesetzen eine Formulierung gefunden haben, die Bezeichnung von Gesetzen oder auch nur von Regeln verdienen. Schon R. Wagner hat vor beinahe 50 Jahren gesagt: „Wenn wir übrigens überhaupt in der Physiologie von Gesetzen sprechen, so geschieht dies nur sehr euphe- mistisch; man darf an wahre physikalische Gesetze, wie das Gravi- tationsgesetz, dabei nicht denken.“ Auch neuerdings ist von ver- schiedenen Seiten, insbesondere von Roux!), gegen die mißbräuch- liche Verwendung des Ausdrucks „Gesetz“ in der Biologie Einspruch erhoben worden, und in der Tat wird man bei solchen komplexen Vorgängen, wie es die einzelnen Formen der Vererbung sind, nur dann das Wort Gesetz anwenden können, wenn alle wirksamen ' Faktoren ermittelt sind und demnach das Geschehene als eine be- ständige, ausnahmslose (unter gleichen Umständen stets in gleicher Weise geschehende), voraus zu berechnende Wirkung erscheint. Im Gegensatz zur Physik wird man in der Biologie allerdings auch schon von Gesetzen reden dürfen, bevor das Quantitative der Wirkungs- weise ermittelt ist2), bevor also die einzelnen wirksamen Faktoren und ihre Effekte als mathematisch faßbar erscheinen. Andererseits genügen die zahlenmäßige Darstellung und die Möglichkeit, die Effekte mit einiger Wahrscheinlichkeit voraus zu berechnen, noch nicht, um von einem Gesetze reden zu können: es muß vielmehr die Ausnahmslosigkeit der Wirkungsweise erkannt sein). So können z.B. die später zu besprechenden Men- delschen Vererbungsregeln, trotzdem die Resultate bestimmter Kreu- .zungen sich zahlenmäßig darstellen und mit großer Wahrscheinlich- keit voraussetzen lassen, nicht als Gesetze bezeichnet werden, da wir über die kausalen Faktoren so gut wie gar nicht unterrichtet sind, ') Vgl. Roux (1897 u. 1905), sowie Godlewski (1909% ?2) Vgl. Roux, S. 146 (1905). ®) Vgl. Roux, Arch. Entw.-Mech., S.294 (1897), sowie Vortr. u. Aufs., S. 156 (1897). 12 Gesetze und Regeln. und das Kriterium der Ausnahmslosigkeit fehlt. Vielmehr handelt es sich hier, wie in so vielen anderen Fällen, um Regeln, d.h. um den. „Ausdruck eines Häufigkeitsverhältnisses des empirischen Vorkom- mens“1). Wir werden auf dem Gebiete der Vererbungslehre voraus- sichtlich noch lange Zeit brauchen, bis uns die befestigte Erfahrung die Aufstellung so einfacher biologischer Gesetze erlaubt, wie sie z. B. die Sinnesphysiologie in dem Weberschen Gesetze („die Empfin- dung wächst wie der Logarithmus des Reizes“) besitzt. Literaturverzeichnis zu Kapitel 2. Blumenbach, De generis humani varietate nativa. Ed. III. Göttingen 1795. Burdach, B. F., Die Physiologie als Erfahrungsmittel. ı. Bd., 2. Aufl., S. 562 ft. Leipzig 1835. Darwin, Ch., Das Variieren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Domestikation. Übers. von J. V. Carus. Stuttgart 1868. Godlewski, E., Das Vererbungsproblem im Lichte der Entwickelungsmechanik be- trachtet. Leipzig 1909. Haeckel, E., Natürliche Schöpfungsgeschichte. ı. Aufl., Berlin 1868. ı1. Aufl., Berlin 1909. Hofacker, Über die Eigenschaften, welche sich bei Menschen’ und Tieren von den Eltern auf die Nachkommen vererben, mit besonderer Rücksicht auf die Pferde- zucht. Mit Beiträgen von Dr. Fr. Notter. Tübingen 1828. Kekul& von Stradonitz, St., Über die Untersuchung von Vererbungsfragen und die Degeneration der spanischen Habsburger. Arch. Psych., 35. Bd., 1902. Lorenz, O., s. Literaturverzeichnis 1. Lucas, Prosper, Trait€ Philosophique et Physiologique de [’Heredit& naturelle. Paris 1847— 1850. Roux, W., Für unser Programm und seine Verwirklichung. Arch. Entw.-Mech., 5. Bd., 1897, und Leipzig 1897. — Vorträge und Aufsätze über Entwickelungsmechanik. I. Die Entwickelungsmechanik, ein neuer Zweig der biologischen Wissenschaft. Leipzig 1905. Standfuß, W., Experimentelle zoologische Studien. Neue Denkschr. Allg. Schweiz. Ges. Naturw. 1898. Wagner, R., Nachtrag zum Artikel Zeugung. R. Wagners Handwörterbuch der Physiologie. 4. Bd., S. 1007 ff. Braunschweig 1853. !) Vgl. Roux 1897. Drittes Kapitel. Statistische Methode. Etwas zuverlässiger als die systematisch-genealogische ist die statistische Methode, wenn freilich auch diese zunächst nur wertvolle Häufigkeitsverhältnisse, also Regeln und keine Gesetze ermitteln kann. Schon bei den ersten wissenschaftlichen Versuchen, in das Gebiet der Vererbungserscheinungen tiefer einzudringen, hat die Statistik eine Rolle gespielt. So findet man bei Hofacker die Angabe, daß unter 216 von gleichfarbigen Pferdepaaren erzeugten Füllen 205 von derselben Farbe wie die Eltern und nur 11 anders gefärbt waren. Die bekanntesten Versuche dieser Art, welche den Anstoß zu zahlreichen gleichgerichteten Untersuchungen und theoretischen Be- trachtungen gegeben haben, sind diejenigen von Galton. Galton!) hat an der Hand von Biographien und Stammbäumen solche Familien untersucht, welche innerhalb gewisser Berufskatego- rien (Staatsmänner, Gelehrte, Dichter usw.) eine größere Anzahl von berühmten oder wenigstens bedeutenden Männern aufwiesen und, indem er jeweils das hervorragendste Mitglied jeder Familie zum Ausgangspunkt nahm, berechnete er u. a, wieviel hervorragende Verwandte gleichen Berufs im Durchschnitt auf 100 berühmte Männer kommen. Seine Resultate sind in der folgenden abgekürzten Tabelle enthalten: 3 Urgroßväter, 17 Großväter, 31 Väter, 100 Ausgangspersonen, 48 Söhne, 14 Enkel, 3 Urenkel, ) Galton, Hereditary Genius. 14 Galtons Vererbungsgesetze. d. h. es kommen auf 100 berühmte Ausgangspersonen 3 hervorragende Urgroßväter, 17 Großväter usw. Es geht daraus ohne weiteres hervor, daß sowohl in der Deszen- denz als in der Aszendenz die Zahl der hervorragenden Familien- mitglieder mit Zunahme von der Entfernung von der Ausgangs- person rasch abnimmt. Diese Ergebnisse sowie Untersuchungen ähnlicher Art über die Erblichkeit der Statur beim Menschen und die Färbung bei den Basset- Jagdhunden haben Galton zur Aufstellung seines Gesetzes von der Mischung elterlicher Eigenschaften in den Kindern (Law of ancestral inheritance) geführt!), Danach beträgt der Anteil, welchen beide Eltern zusammen an dem im Kinde zur Entfaltung kommenden Anlagenkomplex haben, durchschnittlich die Hälfte, der Anteil der vier Großeltern !/,, derjenige der acht Urgroßeltern !/; usw. Es läßt sich also der Anteil der ganzen Aszendenz an der gesamten Erbmasse (inheritance) des einzelnen Individuums durch die Reihe: vP + Yy + Ys + Yet: =ı oder durch die Reihe HOFFEN + = darstellen. Das sogenannte Galtonsche Vererbungsgesetz ist eine statistische Formel, welche selbstverständlich, vorausgesetzt, daß sie richtig ist, nur ein Durchschnittsverhältnis zum Ausdruck. bringen und nur für größere Massen von Individuen Gültigkeit haben kann. Es ist natürlich nicht möglich, die im einzelnen Individuum kommenden Anlagen an der Hand der Formel vorherzusagen. Eine Reihe von englischen Forschern, so Pearson, Weldon u.a., haben an ihrer Prüfung und Vervollkommnung gearbeitet. Andere, wie Bateson, Darbishire und Thomson, haben versucht, ihr Verhältnis zu den später zu besprechenden Mendelschen Vererbungsregeln klar- zulegen. Es muß in dieser Richtung auf ein späteres Kapitel (Kap. 27) hingewiesen werden, hier sei nur hervorgehoben, daß die Galtonsche Formel auf der einen Seite bis zu einem gewissen Grade mit den Vor- stellungen im Einklang steht, welche sich die Tierzüchter hinsichtlich der „Blutmischung“ gebildet haben und die in den üblichen Bezeich- nungen 3/,-Blut, ?/;-Blut usw. ihren Ausdruck gefunden haben); anderer- ‘) Vgl. Natural inheritance und The average Contribution usw. ®) Vgl. Bastardierung und Geschlechtszellenbildung, S. 178. Regressionsgesetz. 15 seits ist leicht einzusehen, daß sie sich nicht gut mit den Ergebnissen der Mendelschen Kreuzungsversuche (s. IV. Teil) und insbesondere mit der Lehre von der „Reinheit der Gameten“ verträgt. Ob neuere Wendungen in der experimentellen und cytologischen Forschung in dieser Hinsicht eine Wandlung herbeiführen werden, mag dahingestellt bleiben. Ein zweites, von Galton auf statistischem Wege gewonnenes „Gesetz“ ist das Rückschlags- oder Regressionsgesetz (Law of filial regression). Dieses Gesetz sagt aus, daß, wenn die Eltern bezüg- lich irgend einer Eigenschaft große Ausschläge gegenüber dem Mittel- maß aufweisen, die Nachkommen allerdings nach der gleichen Richtung hin vom Typus abzuweichen pflegen, aber doch die Tendenz zeigen, zum Mittelmaß zurückzukehren. So weisen in der von Galton untersuchten Bevölkerung die Söhne von Vätern, welche eine Höhe von 72 Zoll besitzen, im Durchschnitt nur die Höhe von 70,8 Zoll S ' auf, d. h. es tritt die Tendenz hervor, auf die mittlere Höhe der Be- _ völkerung (68,25 Zoll) zurückzufallen. Nach Galton beruht die Regression einerseits auf der allgemeinen Tendenz der Abnormitäten zur Rückkehr in das organische Gleich- gewicht des.„Typus“, andererseits auf der mosaikartigen Beschaffen- heit der Erbmassef des einzelnen Individuums, welche sich ja nach Galton nicht bloß aus den Beiträgen der Eltern, sondern aus den- jenigen aller Vorfahren zusammensetzt und daher im allgemeinen auf ein Durchschnittsverhältnis hinauskommen wird. Die Frage nach der Gültigkeit des Galtonschen Regressionsgesetzes ist neuerdings durch Johannsens Theorie von den Populationen und reinen Linien!) wieder mehr in den Vordergrund des Interesses gerückt worden, im übrigen würde es, soweit seine Gültigkeit in Betracht kommt, die wohlbekannte Erfahrungstatsache, daß die Nachkommen genialer Persönlichkeiten in der Regel zum normalen Typus zurückfallen, gewissermaßen als Grenzfall in sich schließen. In neuerer Zeit ist die statistische Methode in großem Stile auf medizinischem Gebiete zur Anwendung gekommen, indem versucht wird, auf diesem Wege die Erblichkeit gewisser Erkrankungen, z. B. der Tuberkulose, der bösartigen Geschwülste und der Geisteskrank- heiten zu erforschen. Es sei hier insbesondere auf die Zusammen- stellungen von Orchansky und Martius hingewiesen, sowie auf di b} 944 !) Vgl. Kap. 27. 16 Medizinische Statistik. _ zahlreichen Abhandlungen, in welchen Weinberg in verdienstvoller Weise auf die methodischen Schwierigkeiten des statistischen Ver- fahrens hingewiesen hat. Hierher gehören die Verschiedenwertigkeit der Quellen (Material der Kliniken, Lebensversicherungsgesellschaften und Standesämter), der Mangel einer exakten Todesursachenstatistik, die Unvollständigkeit der Ermittelungen hinsichtlich der entfernteren Verwandtschaft, insbesondere bezüglich der verstorbenen Familien- mitglieder, die unvermeidlichen Differenzen in der ärztlichen Diagnose. Hier liegt noch ein weites Arbeitsfeld offen, und wenn auch auf diesem Wege für die Wissenschaft bereits wichtige Vorergebnisse und Anregungen gewonnen worden sind, so bleibt doch auf dem (rebiete der pathologischen Vererbung für eine exakte, nach einwand- freien Grundsätzen arbeitende Statistik fast noch alles zu tun). Literaturverzeichnis zu Kapitel 3. Bateson, W. und Saunders, Miss E. R., Reports to the Evolution Committee. Rep. I. London 1902. Darbishire, A. D., On the Bearing of Mendelian Principles of Heredity on Current Theories of the Origin of Species. Mem. and Proc. Manchester Lit. and Phil. Soc., Vol. 48, 1904. —, On the supposed Antagonism of Mendelian to Biometrie Theories of Heredity. Ebenda Vol. 49, 1905. —, On the Difference between Physiological and Statistical Laws of Heredity. Ebenda Vol. 50, 1906. —, On experimental Estimation of the Theory of Ancestral Contributions in Heredity. Proc. Roy. Soc. B., Vol. 81, 1909. Galton, F., Hereditary Genius. London (Mac Millan) 1869. (Deutsche Übers. siehe Literaturverzeichnis 1.) —, Natural Inheritance. London (Mac Millan) 1889. —, The Average Contribution of each Several Ancestor to the Total Heritage of the Offspring. Proc. Roy. Soc. London, Vol. 61, 1897. Haecker, V., Bastardierung und Geschlechtszellenbildung. Zool. Jahrb., Suppl. 7, 1904. ‚Hesse, A., Natur und Gesellschaft. In: Natur und Staat. 4. Teil. Jena 1904. Hofacker, siehe Literaturverzeichnis 2. Johannsen, W., Über Erblichkeit in Populationen und reinen Linien. Jena 1903. Lang, A., Über Vererbungsversuche, Verh. D. Zool. Ges. 1909. Martius, F., Krankheitsanlage und Vererbung. Leipzig u. Wien 1905. Orchansky, J., Die Vererbung im gesunden und krankhaften Zustande. Stuttgart 1903. i !) Vgl. Weinberg, 1903, 1907, 1909. Literaturverzeichnis 3. 17 Pearson, R., On the Law of Reversion. Proc. Roy. Soc. London, Vol. 66, 1900. —, On the Laws of Inheritance in Man. I. Inheritance of Physical Characters. Bio- metrika II, 1903. —, The Law of Ancestral Inheritance. Biometrika II, Pari 2, 1903. —, On the Laws etc. II. On the Inheritance of the Mental and Moral Characters etc. Biometrica III, 1904. Thomson, J. A., Heredity. London (John Murray) 1908. Weinberg, W. Pathologische Vererbung und genealogische Statistik. Dtsch. Arch. f. klin. Med., Bd. 78, 1903. —, Aufgabe und Methode der Familienstatistik bei medizinisch-biologischen Problemen. Zeitschr. f. soz. Med., 3. Bd., 1907. —, Das mathematische Prinzip der scheinbaren Überfruchtbarkeit der Eltern aus- erlesener Kinder und der Nachwuchs der Begabten. Ebenda 4. Bd., 1909. Weldon, W.F.R., Inheritance in Animals and Plants. In „Lectures on the Method of Science“, Oxford 1906. Haecker, Vererbungslehre. 2 Il. Teil. Die morphobiologischen Grundlagen der Vererbungslehre. Viertes Kapitel. Das Protoplasma. Die rein statistische Methode wird auf dem Gebiete der Erblich- keitsforschung nur von einer verhältnismäßig geringen Zahl von Bio- logen gepflegt und weitergebildet. Es sind zwei andere Unter- suchungsrichtungen, deren Ziele, Wege und Ergebnisse zurzeit im Vordergrund- des Interesses stehen: die Morphobiologie der Fort- pflanzungselemente (Vererbungscytologie) und die experimen- telle Bastardforschung. Die ersten wirklich nachhaltigen Anstöße für die Inangriffnahme des Vererbungsproblems gingen in der Tat von der Zellen- und Be- fruchtungslehre aus, und wenn auch schon Jahrzehnte hindurch, auf zoologischer Seite namentlich durch Darwin, Standfuß, Haacke und Weismann?!), immer wieder planmäßige Kreuzungsexperimente ein- geleitet worden waren, so* brachte es doch die ganze Entwickelung der zoologischen Wissenschaft und ihr Jahrzehnte hindurch vorwiegend phylogenetisch-morphologischer und deskriptiv-entwickelungsgeschicht- licher Charakter mit sich, daß wenigstens von seiten der Zoologen die Erforschung des materiellen Substrates der Vererbungs- ') Weismann hat schon in den 80er und 90er Jahren eine ganze Reihe von experimentell-vererbungsgeschichtlichen Untersuchungen in Angriff genommen oder angeregt, so die bekannten Versuche mit Mäusen, welche die Frage nach der Ver- erbung von Verletzungen entscheiden sollten, ferner die von Guaitaschen Kreuzungs- versuche mit Mäusen und verschiedene Experimente mit Schmetterlingen und Ostra- koden. Protoplasma. 19 erscheinungen im ganzen früher betrieben wurde, als das experi- mentelle Studium des groben, äußerlichen Vererbungsverlaufes. Die von O. Hertwig, Strasburger und Weismann in den Dienst der Vererbungslehre gestellte Keimzellenforschung konnte frei- lich den vorwiegend morphologischen Charakter welcher noch in den 70er und 80er Jahren die Zoologie im ganzen kennzeichnete, nicht aufrecht erhalten. Es war vielmehr in der Natur des speziellen Ob- jektes gelegen, daß hier von Anfang an eine innige Durchdringung morphologischer und physiologischer Probleme und Me- thoden stattfand, und so ist es gerade die von der Vererbungs- theorie immer aufs neue vorwärts getriebene Keimzellenforschung gewesen, welche eine große Zahl zoologischer Forscher von der reinen Morphologie in die Morphobiologie herübergeleitet hat. Dem historischen Gang der Forschung entsprechend, werden in diesem Buche zunächst die Theorie von der Kontinuität des Keimplasmas und die mit ihr unmittelbar zusammenhängenden Vererbungshypothesen ihre Besprechung finden. Zuvor sollen aber die wichtigsten Ergebnisse der Zellen- und besonders der Keimzellen- forschung, soweit sie unser Gebiet berühren, in übersichtlicher Weise zusammengestellt werden. Als Ausgangspunkt ‘und Grundlage aller tierischen und pflanz- lichen Lebenserscheinungen ist die lebende Substanz oder, wie sie seit Hugo von Mohl bezeichnet wird, das Protoplasma (Plasma) zu betrachten. Es pflegt in der einfachsten Form, in der es sich beispielsweise in vielen Pflanzenzellen, bei den Amöben, bei den weißen Blutkörperchen darstellt, als plastische, an und für sich durchsichtige Substanz beschrieben zu werden. Der Aggregatzustand des Protoplasmas wurde vielfach als „festweich“ oder „halbflüssig“ bezeichnet. In der Tat stellt es, physikaliseh-chemisch betrachtet, zweifellos ein „heterogenes System“ dar, welches aus einer Mischung von wässerigen Lösungen, von flüssigen Substanzen (Li- poiden u. a.) und von gequollenen Kolloiden besteht). In einigen Fällen, so am Zellleib der kleinsten Lymphkörperchen, erscheint das Protoplasma als optisch homogen, in der Regel läßt es aber eine deutliche mikroskopische Struktur erkennen, entweder eine \Vaben- oder Alveolarstruktur (Wabentheorie Bütschlis), oder eine feinkörnige (Granulatheorie Altmanns), oder schließlich ı) Vgl. Spiro, 1910. 20 Protoplasmatheorien. eine fädige oder filzartige Beschaffenheit (Filar- oder Fadengerüst- theorie Flemmings). Im ersten Falle, der in der Sarkode, d. h. im Zellleib zahlreicher Protozoen verwirklicht ist (Fig. 2), sind kleinste Tröpfchen (Alveolen) einer flüssigeren Substanz in so dichter An- ordnung in einer weniger flüssigen eingelagert, daß die letztere nur in Gestalt von sehr dünnen Lamellen zwischen den Alveolen hervor- Fie. 3. Fig. 4. Alveoläres Plasma von Tricho- sphaerium (Rhizopod). Nach Schaudinn. tritt und in ihrer Gesamt- heit im optischen Durch- schnitt das Ansehen einer Honigwabe gewährt. Im zweiten Falle sind Körn- chen (Granula) einer an- scheinend bald festen, bald flüssigen Substanz ebenfalls in dichtester Anordnung in ein Grundplasma eingela- gert (Fig. 3), während im ‘ibrilläre Plasma- letzten Falle innerhalb ei- Körniges Plasma einer strukturen in den ner Grundmasse (Zwischen- Schleimzelle des Sala- Darmzellen des Fro- manderdarms.. Nach sches. Nach M. Hei- masse) fibrillen-, strang- oder gerüstförmige Bildun- gen auftreten (Fig. 4). Vielfach kommen auch zwei oder drei dieser Strukturen in derselben Zelle vor. Die meisten Forscher sind darin einig, daß beim alveolären Bau die „Lamellen“ oder „Alveolenwände“, beim granulären und fibrillären die Grund- oder Zwischenmasse sicher eigentliches lebendes Protoplasma darstellen. Dagegen gehen die Ansichten darüber aus- einander, inwieweit die verschiedenen Einschlüsse, also die Alveolen, M. Heidenhain. denhain. Chemie des Protoplasmas. 21 die Granula und die Fadenstrukturen als modifizierte, vom Grund- plasma abgegliederte und ein mehr oder weniger selbständiges Dasein führende Plasmaportionen, oder aber als rein passive, sekretartige, innere Plasmaprodukte zu verstehen sind!). Hier kann jedenfalls nur von Fall zu Fall ein bestimmteres Urteil abgegeben werden. Was speziell die Alveolen der wabenähnlichen Plasmaformen anbelangt, so handelt es sich dabei vielleicht sogar nur um Tröpfchen von „Struktur- wasser“, welche beim Übergang des Protoplasmas aus dem festen in den flüssigen Zustand vom Plasma entbunden werden?). Die Granula der Schleimdrüsen haben sicher, soweit sie bereits die Reaktionen des fertigen Schleimes erkennen lassen, den Charakter von Sekrettröpfchen, während diejenigen der Eiweiß- und Fermentdrüsen in ihren Anfangs- stufen vielfach als lebende, durch Assimilation wachsende Gebilde (autonome Organellen) betrachtet werden®). Unter den fadenförmigen Plasmastrukturen werden die während der Zellteilung auftretenden Strahlenfiguren von der Mehrzahl der Forscher als vorübergehende Modifikationen des Protoplasmas selber aufgefaßt. Ebenso viele offene Probleme, wie bei der morphologischen Be- trachtung, ergeben sich bei der chemischen Inangriffnahme des Protoplasmas. Es liegen zwei Möglichkeiten vor, in die Chemie der lebenden Substanz vorzudringen: die makrochemische Methode untersucht die chemische Zusammensetzung und die Eigenschaften derjenigen Stoffe, welche sich in genügend großen Mengen aus den Geweben isolieren lassen, also z. B. die aus dem Fischsamen zu ge- winnenden Eiweißverbindungen, während die Mikrochemie unter Zuhilfenahme sogenannter differenzierender Farbstoffe, durch welche jeweils bestimmte Zellbestandteile ausschließlich oder besonders stark tingiert werden, die spezielle Verbreitung und Lokalisation der Stoffe nachzuweisen versucht. Die Erfolge der ersteren Methode knüpfen sich vorwiegend an die Namen Miescher und Kossel an, die des zweiten Verfahrens sind vor allem den Botanikern E. Zacharias und !) Im ersten Falle würden die betreffenden Gebilde den extrazellulären Cuti- eularbildungen und den intrazellulären Grundsubstanzen des Bindegewebes (Meta- plasma im Sinne Martin Heidenhains, Exoplasma nach Siedlecki), im letz- teren Falle den Dotterkörnchen des tierischen Eies, den Stärkekörnern und Kristalloiden der Pflanzenzellen (Para-, Allo-, Deutoplasma der zoologischen, Metaplasma der botanischen Autoren) zu vergleichen sein. Vgl. Siedlecki, 1907. °) Bütschli hat derartiges an den Scheinfüßchen der Foraminiferen beobachtet. Vgl. die näheren Ausführungen bei M. Heidenhain (1907, S. 501). ») Vgl. Heidenhain, S. 380, 385, 476 (1907). 29 Chemie des Protoplasmas. Fischer und den Histologen Ehrlich, Weigert und M. Heiden- hain zu verdanken. Beide Methoden haben mit der großen Schmissigkeit zu kämpfen, daß bei jedem chemischen Eingriff nur tote Umwandlungs- und Zer- fallsprodukte, also Protoplasmatrümmer, erhalten werden, so daß die im Leben vorkommenden und wirksamen Stoffe in der Regel nicht direkt zu ermitteln sind. Bei der mikrochemischen Methode kommt noch hinzu, daß sich am lebenden Material manche Strukturverhältnisse wegen ihres sehr gleichmäßigen Lichtbrechungs- vermögens nur unvollkommen voneinander abheben und also eine Identifizierung der am toten (fixierten) Objekt gemachten Befunde mit den im Leben beobachteten Dingen, sowie die Entscheidung, inwieweit es sich bei ersteren um Kunstprodukte handelt, nicht immer ganz einfach ist. Es muß besonders noch betont werden, daß die Er- wartung, die man noch vor ein oder zwei Jahrzehnten bezüglich der mikrochemischen Bedeutung der färbungsanalytischen Untersuchungs- methoden gehegt hat, bisher nur in geringem Umfange erfüllt worden ist. So wertvoll nämlich auch die differenzierenden Färbungen sind, um am toten oder auch am lebenden Objekt (Vitalfärbungen!) die auf kleinem Raume nebeneinander liegenden Strukturen in höherem Grade unterscheidbar zu machen, so beschränkt sich ihre Bedeutung für die chemische Erkenntnis der lebenden Substanz im wesent- lichen darauf, daß je nach der Affinität zu basischen oder sauren Farbstoffen !) (Basophilie oder Acidophilie) der saure bzw. basische Charakter bestimmter Protoplasmabestandteile erkannt werden kann. Unter den Substanzen, welche am Aufbau des Protoplasmas her- vorragend beteiligt sind, sind die Eiweißstoffe (Proteinstoffe) und Lipoide am genauesten bekannt. Die Eiweißstoffe setzen sich im allgemeinen aus den Elementen C, O, H, N, S zusammen, doch können auch andere Elemente an ihrem Aufbau beteiligt sein. So enthält der rote Blutfarbstoff (Hämoglobin) der Wirbeltiere Eisen; ein im Blute der größeren Krebse und vieler Mollusken enthaltener Eiweiß- körper, welcher beim Schütteln mit Luft dem Blute eine blaue Farbe verleiht (Hämocyan), ist kupferhaltig; und in einem in der Schild- drüse vorkommenden Eiweißkörper (Thyreojodin) ist Jod enthalten. Speziell in den Zellkernen finden sich Nucleoproteide vor, d. h. zusammengesetzte Eiweißverbindungen, welche einen Eiweiß- !) Im ersten Falle Karmin, Hämatoxylin, basische Anilinfarben, z. B. Methyl- grün, Safranin; im zweiten Falle saure Anilinfarben, z. B. Säurefuchsin, Lichtgrün. Spezifisches Plasma. 23 körper als „Kern“ und eine phosphorreiche organische Säure, die Nucleinsäure, als „prosthetische Gruppe“ enthalten. Unter den Lipoiden versteht man gewisse Zellbestandteile, die sich durch Äther und ähnliche Lösungsmittel extrahieren lassen !). Zu ihnen gehört das P- und N-haltige Lecithin, welches namentlich im Sperma und Eidotter und als ein zweifellos sehr bedeutsamer P-Träger auch im Gehirn in bedeutenden Mengen vorkommt, sowie das P- und N-freie Cholesterin, welches offenbar in sämtlichen Zellen, und zwar wahrscheinlich immer als ein und dieselbe Ver- bindung auftritt. Zu den regelmäßigen Plasmabestandteilen gehören dann noch die Fermente (Enzyme), anorganische Salze und Wasser. Erstere spielen bei den in der lebenden Substanz sich vollziehenden chemi- schen Umsetzungen eine wichtige Rolle als Katalysatoren, d.h. als Stoffe, welche durch ihre Anwesenheit die Reaktionsgeschwindig- keit gewisser chemischer Vorgänge vergrößern. Sie werden in den Lebewesen selber gebildet, und zwar können in derselben Zelle neben- einander sehr verschiedene Fermente auftreten. Für die Leberzellen z. B. ist schon seit längerer Zeit bekannt, daß sie mindestens zehn verschiedene Fermente beherbergen (Hofmeister). Für die theoretische Vererbungslehre ist nun vor allem die Frage von Interesse, ob die in der lebenden Substanz vorkommenden Stoffe, insbesondere die Eiweißstoffe, spezifisch verschieden sind, d.h. eine von Art zu Art wechselnde chemische Zusammensetzung aufweisen. Schon G. Jäger hat aus der spezifischen und individuellen Ver- schiedenheit der Riechstoffe die Vorstellung abgeleitet, daß die lebende Substanz nicht bloß der verschiedenen Tierspezies, sondern auch der einzelnen Individuen einer Art eine verschiedene chemische Zusammen- setzung haben müsse, eine Schlußfolgerung, welche damals mit un- verdientem Spott aufgenommen wurde. In der Tat hat die Unter- suchung der Eiweißkörper, besonders der Hämoglobine, bestimmte Anhaltspunkte für diese Auffassung ergeben. Schon die kristallinische Form ‘der rein darstellbaren Hämoglobine zeigt bei den. verschiedenen Tierformen Unterschiede, die auf die chemische Verschiedenheit spe- ziell der im Hämoglobin enthaltenen Eiweißkörper schließen lassen zum Teil allerdings auch durch die verschiedenen, den kristallisierten Eiweißkörpern anhaftenden Salze bedingt sein mögen. Unter den ") Vgl. Kanitz, S. 235 (1910). ” 24 Spezifisches Plasma. Nagern weisen z. B. die Meerschweinchen Tetraeder, der Hamster kurze, dicke, rhombische Prismen, das Eichhörnchen sechsseitige Tafeln > _auft).\ Auch die quantitative Analyse der Eiweißkörper läßt beträcht- “ liche Unterschiede erkennen, wenn auch die bisher aufgestellten For- meln?) nicht richtig sein mögen.) Selbst die Annahme, daß jedes Individuum sein Individual- eiweiß besitzt, ist nicht unmöglich, da schon Miescher gezeigt hat, daß von einer Eiweißverbindung von nur 40 C-Atomen bereits eine Million Isomerien möglich sind. Von besonderem Interesse würde 'es in vererbungstheoretischer Hinsicht sein, wenn die Nucleoproteide des Kerns chemisch genauer bekannt wären. Wir können hier nur so viel sagen, daß der Nucleinsäureanteil offenbar nur geringe Variationen aufweist. So konnte z. B. gezeigt werden, daß bei so entfernt stehenden Tier- formen, wie beim Seeigel (Arbacia), Lachs und Hering, keinerlei chemische Unterschiede bezüglich der Sperma-Nucleinsäure bestehen), dagegen scheinen auch hier die Eiweißanteile nicht unerheblich zu wechseln. Faßt man, abgesehen von der Spezifität der Eiweißanteile, noch die Unmöglichkeit ins Auge, auf dem Wege der Transfusion das Blut eines Warmblüters durch artfremdes Blut zu ersetzen, sowie die verschiedene Immunität, welche die einzelnen Warmblüter und sogar die einzelnen menschlichen Individuen gegenüber bestimmten Krankheitserregern, z. B. den Tuberkelbazillen, zeigen, so wird man sich für berechtigt halten, mit. R. Fick®), in Anlehnung an den O. Hertwigschen Begriff der „Artzelle“5), von einem „Art- plasma“ und „Individualplasma“ zu sprechen. Unsere Vorstellungen vom Aufbau des Protoplasmas entstammen nun aber nicht bloß der morphologischen Betrachtung der mikro- skopisch erkennbaren Strukturverhältnisse und der chemischen Ana- lyse, sondern auch allgemeinen, von verschiedenen Gesichtspunkten aus angestellten Erwägungen. Schon bei der mikroskopischen Be- trachtung lassen, wie neuerdings Heidenhain nachgewiesen hat, die sichtbaren Formbestandteile „hinsichtlich ihrer Ausmessungen nach der !) Vgl. Huppert 1896. ?) Vgl. Bunge, S. 56 (1894). — ®) Vgl. Burian 1906, sowie Kanitz, S.247 (1910).\ *) Vgl. R. Fick, 8.103 (1901). ! °) Vgl. O. Hertwig, Zelle u. Gewebe, II, S. 8. Metastruktur. Lebenseinheiten. 25 Richtung des Kleinen hin eine abnehmende Reihe erkennen, an deren Ende sie im Bereich des Metamikroskopischen verschwinden“. So wird man schon auf diesem Wege mit Notwendigkeit zu der Annahme einer jenseits der Leistungsfähigkeit unserer Instrumente liegenden „Metastruktur“!) des Protoplasmas geführt, einer Vor- stellung, welche sich auch bei der theoretischen Betrachtung der Lebenserscheinungen, insbesondere der Vererbungsprozesse, den ver- schiedensten Forschern aufgedrängt hat. Es hat zuerst wohl Brücke?) in bestimmterer Weise sich für die Existenz elementarer Lebenseinheiten ausgesprochen, welche eine Zwischenstufe zwischen der Zelle und den chemischen Molekülen bilden und die Fähigkeit der Assimilation und Vermehrung zeigen. Dieser Gedanke hat dann immer wieder, man könnte sagen, mit un- widerstehlicher Gewalt, in der theoretischen Biologie Herrschaft ge- wonnen. Es sind im wesentlichen die nämlichen Dinge, die von Spencer als physiologische Einheiten), von de Vries als Pangene, von Wiesner als Plasomen, von Weismann als Biophoren ®), von Roux als Isoplassonten, Automerizonten, von Giglio-Tos als Bio- moren, von Heidenhain als Protomoren bezeichnet werden. Alle diese Forscher nehmen an, daß diese Teilchen einen höheren Wert haben als die Moleküle der anorganischen und organischen Verbin- dungen, daß sie von ihnen durch die Fähigkeit der Assimilation und des Stoffwechsels, des Wachstums und der Vermehrung auf dem Wege der Selbstteilung unterschieden sind und wahrscheinlich Aggregate von verschiedenartigen Molekülen darstellen. Auf der Konstitution dieser Molekülgruppen, vielleicht auch auf einer bestimmten gegenseitigen Ver- bindung untereinander verschiedener Molekülgruppen beruht nach jener Anschauung die Metastruktur, Organisation oder Architek- tonik des Plasmas und diese bedingt ihrerseits wieder den regelmäßigen, spezifischen Ablauf der Lebenserscheinungen. Wie eine Uhr mit dem !) Roux 1883. ?) Vielfach wird Henle als Urheber dieser Vorstellung genannt. Vermutlich hat man dabei diejenigen Stellen in seiner Allgemeinen Anatomie (S. 163, 216) im Auge, an welchen er von einer Entstehung und Zusammensetzung der Zellen aus „Elementarkörnchen“ spricht. 3) Über den Unterschied zwischen den physiologischen Einheiten Spencers und den Keimchen Darwins siehe Weismann, Keimplasma, S. 8. *) Die Biophoren setzen nach Weismann (Keimplasma, S.60) alles Proto- plasma zusammen, sowohl das zu Zellkörpern differenzierte Morphoplasma, als das im Kern enthaltene Vererbungs- oder Idioplasma. 26 Teilbarkeit der Lebenseinheiten. Einstampfen aufhört, eine Uhr zu sein, obgleich Qualität und Quan- tität des Metalles unverändert bleiben, so ist auch mit dem Zerreiben eines anscheinend so homogenen Plasmakörpers, wie es z. B. die Loh- blüte (Aethalium septicum, jetzt Fuligo varians) ist, das Leben ver- nichtet, ein viel zitierter Vergleich, der freilich nach unseren jetzigen Kenntnissen nicht ohne weiteres verallgemeinert werden darf?). Es soll übrigens bemerkt werden, daß einige neuere Autoren direkt von Plasmamolekülen (Davenport) oder Biomolekülen (Giglio-Tos) sprechen, wobei von der Vorstellung ausgegangen wird, daß diese der Assimilation und Teilung fähigen Atomgruppen nur durch die Komplikation ihres Baues von den vielatomigen Mole- külen hochorganisierter organischer Verbindungen, wie z. B. der aro- matischen Körper oder Eiweißstoffe, verschieden sind. Von verschiedenen Seiten ist darauf hingewiesen worden, wie schwierig es sei, sich die Teilbarkeit des so gebauten Protoplas- mas, insbesondere die bei den meisten Zellteilungsvorgängen an- scheinend vollkommen symmetrische Verteilung seiner Qualitäten, vorzustellen. Vor allen haben Haacke und Kassowitz diese Schwierigkeit für die Weismannsche Ide (wie wir sehen werden, lebende Protoplasmateile höherer Ordnung, die sich aus Biophoren zusammensetzen) hervorgehoben, und Driesch hat im Zusammen- hang damit das Schlagwort von der „Unteilbarkeit dreidimensionaler Maschinen“ geprägt. Indessen ist schon verschiedentlich gezeigt worden, daß es auch gewisse organische Verbindungen gibt, deren Moleküle unter geeigneten Bedingungen ‚(d. h. bei Vorhandensein bestimmter Verbindungen, mit welchen sie Reaktionen ausführen) von dem ursprünglichen Zustand a in einen Zustand b übergehen, um sich sodann wieder in 2 Mol. vom Zustand a zu spalten. So hat Giglio-Tos darauf hingewiesen, daß ein Essigsäuremolekül bei successiver Zuführung geeigneter „Nähr- substanzen“ (Phosphorchlorid, Zinkäthyl) sich unter Abspaltung von „Sekretstoffen“ (Phosphoroxychlorid, Salzsäure, Zinkchlorid) in 1 Mol. Methyläthylketon umwandelt und daß sich dieses bei Zufuhr von Sauerstoff wieder in 2 Mol. Essigsäure spaltet. Ähnliches läßt sich !) Hofmeister 1891 hebt hervor, daß man auch mit zertrümmerten, in einen Brei verwandelten tierischen Organen einzelne Lebensvorgänge nachzuahmen im- stande ist, und daß gerade durch Zertrümmerung von Zellen der Nachweis in ihnen ceingeschlossener chemischer, im Leben tätiger Agenzien, z. B. mancher Fermente, ermöglicht worden sei. Bau der Lebenseinheiten. 27 innerhalb der Gruppe der Benzolverbindungen nachweisen, insofern z. B. aus Phenetidin (C,H,0OC,H,NH,) bei Phenolzusatz und Ather- behandlung ein Körper (Phenoazophenotol) entsteht, dessen Molekül gewissermaßen ein doppeltes Phenetidinmolekül darstellt und durch Reduktion tatsächlich auch in zwei Phenetidinmolekel gespalten wer- den kann!). Hier haben wir also die chemischen Analoga der Assi- milation, der Sekretion, des Wachstums und der Teilung vor uns. Natürlich ist aber die Heranziehung derartiger chemischer Pro- zesse nichts weiter als ein ganz roher Versuch, zu einem Bild von der Selbstteilung der Protoplasmateilchen zu gelangen, sowie man z.B. von „Bahnen“ oder „Verknüpfungen“ redet, wenn man den Verlauf der Gehirnfunktionen der Vorstellung näher bringen will. Die vergleichsweise Erwähnung einer der aromatischen Körper ist vielleicht deshalb noch von. Interesse, weil diese Verbindungen mit ihrer großen Zahl von Atomen, mit dem ringförmig geschlossenen Aufbau, den zahlreichen Isomerien und den austauschfähigen seit- lichen Atomgruppen dem Nichtchemiker am ehesten eine vorläufige Vorstellung von der Konstitution der kleinsten Lebensteilchen geben können. So meint auch Giglio-Tos, daß die Biomoleküle den Bau komplizierter Ketten mit verzweigten Ästen besitzen, und vor allem ist auch die moderne Serumforschung, wohl in Anlehnung an die Chemie der aromatischen Körper, zu ähnlichen Vorstellungen von der Konstitution des Protoplasmas gelangt. Nach Ehrlich besteht nämlich das Protoplasma aus einem Leistungskern, dem eigent- lichen vitalen Zentrum, und den Seitenketten, welche als Organe des Protoplasmas dienen. Im speziellen haben bestimmte Seiten- ketten, die Rezeptoren oder Nutrizeptoren, die Fähigkeit, auf Grund einer bestimmten chemischen Konstitution und Affinität die assimilationsfähigen Nährstoffe zu verankern und so die Assimilation einzuleiten. Literaturverzeichnis zu Kapitel 4. Brücke, E., Elementarorganismen. Sitzungsber. Akad. Wiss. Wien, 44. Bd. (2), 1861. Bütschli, O., Untersuchungen über mikroskopische Schäume und das Protoplasma. Leipzig 1892. Bunge, G., Lehrbuch der physiologischen und pathologischen Chemie. 3. Aufl. Leipzig 1894. !) Nach freundlicher Mitteilung von Prof. H. Kauffmann in Stuttgart. 28 Literaturverzeichnis 4. Burian, R., Chemie der Spermatozoen. Ergebn. d. Phys., 5. Jahrg., 1906. Davenport, C. B., Inheritance in Poultry. Washington 1906. Driesch, H., Die organischen Regulationen. Leipzig 1901. —, Neue Antworten und neue Fragen der Entwickelungsphysiologie. Anat. Hefte, 2. Abt., Ergebn. An. u. Entw. 1901. —, Zwei Beweise von der Autonomie der Lebensvorgänge. Verh. V. Intern. Zool.- Kongr., Berlin 1901. Ehrlich, P., Über Partialfunktionen der Zelle. Münch. Med. Wochenschr. 1909. —, Über die neuesten Ergebnisse auf dem Gebiete der Trypanosomenforschung. Arch. f. Schiffs- u. Tropenhyg., 13. Bd., 1909. Fick, Über die Vererbungssubstanz. Arch. f. Anat. u. Phys. 1907. 4.03 — Fischer, A., Fixierung, Färbung und Bau des Protoplasmas. Jena 1899. Giglio-Tos, E., Les Problemes de la vie. I—IV. Turin u. Cagliari 1900—1910. Haacke, W., Gestaltung und Vererbung. Leipzig 1893. 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Zehnder, L., Die Entstehung des Lebens aus mechanischen Grundlagen entwickelt. 2. Ausg. Tübingen 1910. Fünftes Kapitel. Weiterentwickelung der Zellenlehre. Die Theorie der Vererbung hat nicht nur an die Protoplasma- theorie, sondern vor allem auch an die Zellenlehre angeknüpft, und wenn auch neuerdings die nichtzellularen Bakterien vielfach in den Kreis der vererbungsgeschichtlichen Forschung gezogen worden sind, so wurzelt doch die heutige Vererbungstheorie in der üblichen Auf- fassung der Zellenlehre. Noch vor kurzem hat OÖ. Hertwig sich dahin geäußert, daß das Vererbungsproblem im wesentlichen ein Zellenproblem sei. Es wird aber niemand, der die Literatur verfolgt, sich des Ein- drucks erwehren können, daß die Zellenlehre, wie sie von Schleiden und Schwann begründet und im Laufe des 19. Jahrhunderts zur Bausteinlehre und zur Zellenstaatlehre weiter gebildet worden ist, sich zurzeit in einer Art Krisis befindet, daß vergleichende Anatomen, Embryologen, Histologen und Physiologen in immer ver- stärktem Maße gegen die bisherige Fassung Einwände erheben, und daß durch diese Weiterentwickelung auch gewisse vererbungstheo- retische Vorstellungen berührt werden. In der Fassung, wie sie ihr ursprünglich von Schleiden, Nägeli, Virchow u. a. gegeben worden ist, sagt bekanntlich die Zellentheorie, daß alle höheren tierischen und pflanzlichen Organismen aus Gebilden niedrigerer Ordnung, den Zellen, zusammengesetzt sind, und daß - diese, morphologisch betrachtet, die letzten Formelemente oder Bausteine des Organismus darstellen, in physiologischer Hinsicht dagegen als Elementarorganismen oder (nach Virchow) als Lebenseinheiten zu betrachten sind. Das letztere soll so viel heißen, daß alle Lebensvorgänge, welche der Organismus als Ganzes zeigt, z. B. Assimilation, Wachstum, Vermehrung, sich im kleinen an den einzelnen Zellen abspielen. So stellen die chlorophyliführenden 30 Zellenstaat. Palissadenzellen auf der einen Seite die Formelemente des phanero- gamen Laubblattes dar, auf der anderen Seite zeigen sie bis zu einem gewissen Grade noch den Charakter von Elementarorganismen, da isolierte Palissadenzellen in geeigneten Nährstofflösungen mehrere Wochen lang am Leben bleiben, assimilieren und weiter wachsen können !). Diese „Bausteintheorie“* hat sich bald zur „Zellenstaattheorie“ weiterentwickelt. Milne Edwards in den 50er Jahren und dann namentlich Haeckel und H. Spencer haben die Vorstellung zu be- Fig. 5. Fie. 6. Junge Pandorinakolonie nach Pringsheim ; Platydorinakolonie nach Kofoid. aus Weismann. gründen versucht, daß die Zellen innerhalb des Körpers eine Art von sozialer, auf Arbeitsteilung beruhender Gemeinschaft darstellen 2). Diese Zellenstaaten oder Zellenrepubliken kommen sowohl in der Stammesgeschichte wie in der Entwickelung des einzelnen Indivi- duums dadurch zustande, daß die ursprünglich gleichartigen Glieder einer Zellenfamilie, z. B. einer jungen, auf dem Stadium der Gattung Pandorina (Fig. 5) oder Platydorina (Fig. 6) befindlichen Volvoxkolonie oder eines im „Morulastadium“ stehenden tierischen Eies, auf Grund zunehmender morphologischer Differenzierung und physiologischer Arbeitsteilung sich auf der einen Seite immer mehr spezialisieren, ') Vgl. Haberlandt, S.ı4 (1904). ?) Vgl. die näheren Ausführungen bei OÖ. Hertwig und Heidenhain. Einwände gegen die Zellenstaatlehre. 31 andererseits immer abhängiger von anderen Zellen und vom ganzen Körper werden, also nach H. Spencer dem Ganzen integriert wer- den!). Die Zellen haben also, wie sich die Botaniker ausdrücken, weniger den Charakter von Elementarorganismen als von Elementar- organen, und tatsächlich tritt ja in dem vorhin angeführten Beispiel der Palissadenzellen der Phanerogamen die nur unter künstlichen Be- dingungen sich äußernde physiologische, Selbständigkeit der Zellen vollkommen zurück gegenüber ihrem ausgesprochenen Charakter als spezifischer Assimilationsorgane ?). In dieser Fassung hat die Zellentheorie bis vor kurzem fast uneingeschränkte Anerkennung gefunden, und die „Zellenstaatlehre“ pflegte in Lehrbüchern und Vorlesungen als das eigentliche Fun- dament aller Morphologie und Physiologie dargestellt zu werden. ÖOntogenetisch betrachtet erschienen die Zellen nach wie vor als die eigentlichen Bausteine des Organismus, und namentlich auf zoolo- gischer Seite pflegt es fast als Axiom betrachtet zu werden, daß die Zellen nicht bloß auf Grund fortgesetzter Teilungen den ursprünglich einfachen Elementarorganismus, den einzelligen Keim, in einen Zellen- staat umwandeln, sondern daß sie auch durch ihren Teilungsrhythmus und ihre Teilungsrichtung die Form des Ganzen und der ein- zelnen Körperteile bestimmen. Dem Histologen erschienen die nichtzellularen Bestandteile des Organismus, vor allem die Cuti- cular- und Interzellularsubstanzen, als einfache tote Sekrete der Epithel- und Bindegewebszellen, und der Physiologe sah in den Zellen die unteilbaren Träger aller Lebenserscheinungen. Gegen diese Thesen sind nun aber schon seit längeren Jahren da und dort Stimmen erhoben worden, und vor allen haben sich hintereinander die Botaniker Hofmeister, de Bary und Sachs, der Anatom Rauber und der Zoologe Whitman dahin ausgesprochen, daß in der Einzelentwickelung nicht die Zellen die Form des Ganzen bestimmen, sondern .daß umgekehrt die Anordnung der Teile durch das Wachstum und die Formgestaltung des Ganzen beherrscht wird. Im speziellen dachte Sachs, daß sich die Form des Körpers und ') Vgl. auch O. Hertwig, Zelle und Gewebe, II, S.85. ®) Das Palissadengewebe enthält im Mittel 3- bis 5mal soviel Chlorophylikörner als das Schwammparenchym. Die Assimilationsenergie des ersteren dürfte aber noch verhältnismäßig größer sein, weil es sich auf der Blattoberseite befindet und deshalb weit günstigeren Belichtungsverhältnissen ausgesetzt ist, als das von ihm beschattete Schwammparenchym. Vgl. Haberlandt, S.244 (1904). 32 Einwände gegen die Zellenstaatlehre. sein Wachstum durch die Strömung des Protoplasmas nach bestimmten Richtungen, also durch dessen Wachstumsrichtung und Wachstums- Fig. 7. Fr Floridee (Melobesia) nach Rosenoff und Sachs. druck, reguliert, und daß die Zellplatten, d. h. die Anlagen der Scheidewände zwischen zwei durch Teilung neuentstandenen Tochter- Fig. 8. A Be u $ a0) Kegelförmiger Vegetationspunkt nach Sachs. zellen, auf Grund bestimmter Wachstumsgesetze stets rechtwinklig zur Richtung des intensivsten Wachstums angelegt werden. Der wachsende Thallus mancher Algen (Fig.7) und die „Vegetationspunkte“ höherer Plasmodien und Syncytien. 33 Pflanzen mit ihren „periklinen“ und „antiklinen“ Zellwandrichtungen, welche entsprechend der paraboloidischen Gestalt der Sproßspitzen zwei rechtwinklig sich schneidende Systeme konfokaler Paraboloide bilden (Fig. 8), gelten als die beste Illustration für die Sachssche Theorie, aber auch auf zoologischem Gebiet lassen sich Verhältnisse namhaft machen, welche für die formbestimmende Bedeutung des (Ganzen sprechen. ı f Diese Anschauungen sind nicht ohne Einfluß geblieben, und so spricht denn auch O. Hertwig, der im ganzen eher der älteren Auf- fassung zuneigt, von Fig. 9. „der doppelten Stellung der Zelle als Elementar- organismus und als de- terminiertem und inte- griertem Teil eines über- geordneten, höheren Organismus“!). Indessen blieb im allgemeinen die ZellenstaatlehrezuRecht. bestehen, insbesondere hat, wie wir sehen wer- den, die Vererbungstheo- rie diese Fassung der Zellenlehre als Aus- gangspunkt genommen. Gerade in den letz- ten Jahren ist nun aber, wie bereits angedeutet wurde, von verschiedenen Gesichtspunkten aus die Unzulänglich- keit (inadequacy) der älteren Zellenstaattheorie hervorgehoben worden. Eine große Rolle spielen bei den betreffenden Erörterungen die Plasmodien und Syncytien, vielkernige Plasmamassen, von denen die ersteren als selbständige Organismen, die letzteren als Teile der höheren Vielzelligen erscheinen 2). Es kann darauf hingewiesen Caulerpa crassifolia nach Sachs. ') Vgl. auch Haberlandts Bemerkungen zum „Zellenstaat“ (3. Aufl. d. Phys. Pflanzenanat., S. 15). *) Nach Rhode (1908, S. 2) würden auch die vielkernigen Gewebe höherer Tiere als Plasmodien zu bezeichnen sein, wofern sie schon primär im Ei durch die sich hier abspielenden Kernteilungsprozesse zur Ausbildung kommen, während Syncytien durch Verschmelzung von ganz indifferenten Embryonalzellen entstehen. Haecker, Vererbungslehre. A ” 1 Demo una = I ’ zn 34 Plasmodien und Syncytien. werden, daß es im Tier- und Pflanzenreiche eine ganze Reihe von vielkernigen, nichtzellularen „Plasmodien“ gibt, so die Siphoneen oder Schlauchalgen (Caulerpa, Fig.9, Vaucheria), die Myxomyceten oder Schleimpilze (Fuligo varians — Aethalium septicum, Lohblüte), viele Foraminiferen, die sogenannten „koloniebildenden“ Radiolarien (Collo- darien)!), und unter den Infusorien die Opalinen. Ferner durch- ladfen viele Protozoen bei der Reproduktion vielkernige, also plas- modiale Entwiekelungsstadien, z. B. die Infusorien und manche Radio- larien (Aulacanthiden), und ebenso haben bekanntlich auch die Eier vieler Arthropoden zunächst einen plasmodialen Charakter. Auf der anderen Seite hat neuerdings Rhode zu zeigen versucht, daß in vielen Fällen die Gewebszellen vielzelliger Tiere, so insbesondere die Muskelelemente, mitunter sogar die Geschlechtszellen, nicht in ge- rader Linie von Embryonalzellen (im letzteren Falle den Urgeschlechts- zellen) abstammen, sondern unter Einschaltung vielkerniger Plasma- massen?), welche aus den mehr selbständigen Embryonalzellen der früheren Entwickelungsstadien entweder auf dem Wege multipler Kernteilung oder durch nachträgliche Verschmelzung ihre Entstehung nehmen. Ebenso ist darauf hingewiesen worden, daß auch bei den Regenerationsvorgängen und bei der Bildung der Geschwülste die Gewebe vielfach in den plasmodialen oder syncytialen Zustand zurück- kehren 3). ; In allen diesen Fällen kann natürlich, wenigstens zeitweise, von einem zellularen Aufbau der betreffenden Organismen oder Gewebe nicht gesprochen werden, vielmehr kann der Ausdruck Energide, womit Sachs einen einzelnen Zellkern mit dem von ihm beherrschten Protoplasmabezirk bezeichnet hat, eine passende Verwendung finden ®). !) Es dürfte vielleicht zweckmäßig sein, die Bezeichnung Kolonie für solche zellular gebaute Organismen zu reservieren, deren Zellen nur durch tote Substanzen (Gallerte) oder höchstens durch dünne Plasmabrücken miteinander verbunden und in geringem Maße differenziert und integriert erscheinen. Nach dieser Definition würden mindestens die einfacheren Volvocineen (Pandorina, Platydorina, siehe oben Fig. 5, 6) echte Kolonien darstellen, während Volvox globator mit seinen durch Plasmasträngen verbundenen Zellen einen Übergang zu den Plasmodien bildet (vgl. auch Rhode, 1.°C;, :S: 83). : ?) Ein sehr interessantes Beispiel eines kompliziert gestalteten Syncytiums bietet die Pigmentzelle (Chromatophore) der Tintenfische dar (vgl. C. Chun, Verh. D. Zool. Ges. 1902). ®) Vgl. Driesch, S.72, und Rhode, S. 73. *) Einwände gegen den Energiebegriff sind von verschiedenen Seiten erhoben worden. Vgl. Heidenhain, S. 50; Haberlandt, S. 58, Anm.3. . An letzterer Stelle Histologische Einwände, 35 Auch neuere experimentell-entwickelungsgeschicht- liche Untersuchungen haben ergeben, daß die tierischen Keime in ihren jüngsten Stadien auch bei künstlich gehemmter oder vollständig unterdrückter Zelldurchschnürung typische Formen und Differenzie- rungen erlangen können, wie z. B,künstlich-parthenogenetische Eier von Anneliden auch ohne Plasmateilung das larvale Wimperkleid entfalten können!). Man wird Driesch beistimmen können, wenn er sagt, daß neuere Forschungen uns den Organismus in weit höherem Grade, als man früher glauben mochte, als ein Ganzes gezeigt haben. „Die Zellen sind oftmals Bausteine dieses Ganzen, aber mehr nicht, und oft nicht einmal das.“ Von histologischer Seite ist neuerdings namentlich Heiden- hain?) für die Auffassung eingetreten, daß der fertige vielzellige Organismus keineswegs als ein reines Zellenaggregat im Sinne der Zellenstaattheorie aufgefaßt werden kann, daß er vielmehr eine Asso- ziation ganz ungleichwertiger lebender Formbestandteile (von Zellen, syncytialen Bildungen, Muskelfasern, Bindegewebsbündeln, elastischen Fasern usw.) darstelle, und daß auch Wachstum und histo- logische Differenzierung nicht einfach auf der Zellteilung und der Abscheidung verschiedenartiger toter Zellenprodukte beruhe. Speziell die Interzellularsubstanzen (Bindegewebsfibrillen, elastische Fasern) und Cutieularbildungen wären nicht als passive Sekrete der Zellen anzu- sehen, sondern stellten sich als abgegliederte, modifizierte Teile des Zellprotoplasmas dar, welche außerhalb der Zellen selbständig assimi- lieren und weiterwachsen können?®). Sogar die Fähigkeit der Selbst- teilung dürfte nach Heidenhain wenigstens den Interzellularsubstanzen zukommen, wie denn überhaupt das Teilungsvermögen keineswegs wird namentlich auf den von A. Zimmermann hervorgehobenen Umstand hin- gewiesen, daß bei mehrkernigen Zellen mit lebhafter Protoplasmaströmung der Begriff der Energide als einer organischen Einheit sich weder in morphologischem noch in physiologischem Sinne aufrecht erhalten läßt. !) Lillie 1902; vgl. auch Schmidt, S. 331 (1904), welcher bei Seeigelkeimen zeigte, daß zwischen Zellteilung und Organbildung keine direkte Beziehung besteht, derart, daß etwa an Zonen, welche zur Einfaltung oder Wucherung bestimmt sind, eine besonders reichliche Teilung stattfände, sowie Godlewski 1908, der beim gleichen Objekt trotz der Unterdrückung der Zellteilung durch CO,- Behandlung ein (modifiziertes) Blastulastadium heranzog. 2) Vgl. Heidenhain, S. 54 ff. ®) Bezüglich der Interzellularsubstanzen vgl. M. Schultze 1861, Flemming 1902, Studnicka 1903 u. a.; bezüglich der Cuticularbildungen siehe Biedermann 1902. “ 3* 7 36 Histologische Einwände. bloß den Zellen und ihren Organellen (Kern, Centrosoma), sondern den verschiedensten morphologischen Formgebilden (Biosystemen) zuzuschreiben ist. Es ist dabei an die schon 1861 von Weismann beobachtete Spaltbarkeit der Muskelprimitivbündel, speziell an die Muskelfasern des Säugetierherzens, welche infolge massenhafter un- vollkommener Spaltung eine kontinuierliche Fleischmasse von der allgemeinen Form eines Plexus bilden, zu erinnern. Auch die eine unvollständige Teilung dar- stellendeintrazellulareSpros- sung der Skelettanlagen der Radiolarien !) ist in diesem Zu- sammenhange zu erwähnen: spe- ziell die Radialstacheln der Aula- canthiden entstehen nämlich in der Weise, daß sich zunächst ein länglicher, von einer plasmati- schen „Vakuolenhaut“ um- gebener Gallerttropfen bildet (Fig. 10A), daß dann auf Grund von regelmäßigen Sprossungs- vorgängen die Endäste gebildet werden (Fig.10B) und schließlich die Verkieselung der Vakuolen- haut zustande kommt (Fig. 10C). Hier bildet offenbar die zunächst | & häutige Stachelanlage ein relativ \G) selbständiges, mit Sprossungsver- r B c mögen ausgestattetes lebendes Formelement. Endlich hat sich auch ein Physiologe, Schenck, gegen die Auffassung der Zelle als einer elementaren „physiologischen Lebens- einheit* gewandt. Der Übergang von potentieller in kinetische Fig. 10. Intrazelluläre Sprossung der Radialstachel- anlage einer Aulacanthide (Aulographis). ’) Vgl. V. Haecker, S.45 (1906), S.602 (1908). Auch manche tierische Hart- gebilde zeigen während ihrer Entwickelung ein selbständiges, von den (ernährenden) Zellen relativ unabhängiges Wachstums- und Formbildungsvermögen. Vgl. die von Maas im wesentlichen bestätigten Angaben von Minchin über die Entstehung der Spikula der Kalkschwämme (Tiefsee-Rad., S. 583). Physiologische Einwände. 37 Energie, Verbrennung, Wärmebildung, Erregbarkeit, Bewegung (Flim- merung), alle diese Vorgänge und Eigenschaften seien keineswegs an das zelluläre System gebunden, sondern stellen, da sie innerhalb bestimmter Grenzen auch an abgelösten Protoplasmabildungen vor- kommen können, Funktionen der lebenden Masse, des Proto- plasmas, dar. Aus allem hier Gesagten geht hervor, daß die Zellenstaattheorie nach verschiedenen Richtungen hin in Weiterentwickelung begriffen ist und vielfacher Ergänzungen bedarf. Speziell das überaus häufige Vorkommen plasmodialer und syncytialer Bildungen scheint darauf hinzuweisen, daß die Differenzierung des Protoplasmas in Kernplasma (Karyoplasma) und extranucleares Plasma („Cyto- plasma“)!) gegenüber der Differenzierung der lebenden Substanz in gesonderte Zellterritorien das allgemeinere Prinzip darstelle. Wir werden uns also zunächst mit der Sonderung des Protoplasmas in Kern- und extranucleares Plasma und deren Bedeutung zu be- schäftigen haben, zumal gerade für die Vererbungslehre dieser Gegen- satz ein besonders wichtiger geworden ist. Literaturverzeichnis zu Kapitel 5. de Bary, H. A., Botanische Zeitung 1879. Biedermann, W., Geformte Sekrete. Zeitschr. f. allg. Phys., 2. Bd., 1903. Driesch, H., Die Physiologie der tierischen Form. Erg. Phys., 5. Jahrg., 1906. Flemming, W., Zur Entwickelungsgeschichte der Bindegewebsfibrillen. Intern. Beitr. z. wiss. Med., Festschr. f. Rud. Virchow, 1. Bd., 1891. Flemming, W., Die Histogenese der Stützsubstanzen der Bindegewebsgruppe. O. Hertwigs Handbuch der Entwickelungsgeschichte, Lief. 4 u. 5, 1902. Giglio-Tos, E., Les problömes de la vie. III® Partie. Cagliari 1905. Godlewski, E., Plasma und Kernsubstanz in der normalen und der durch äußere Faktoren veränderten Entwickelung der Echiniden. Arch. Ent.-Mech., 26. Bd., 1908. Haecker, V., Tiefsee-Radiolarien. Erg. Deutsch. Tiefsee-Exp., 14. Bd., 1908. —, Über die Mittel der Formbildung im Radiolarienkörper. Verh. Deutsch. Zool. Ges. 1906. Haberlandt, G., Physiologische Pflanzenanatomie. 3. Aufl. Leipzig 1904. Hertwig, O. Die Zelle und die Gewebe. I. u. II. Jena 1893 u. 1898. —, Der Kampf um die Kernfragen der Entwickelungs- und Vererbungslehre. Jena 1909. !) Der Ausdruck Cytoplasma bezeichnet das Protoplasma des Zellleibes und deckt sich also nicht mit dem allgemeineren Begriff des extranuclearen Plasmas. 38 Literaturverzeichnis 5. Heidenhain, M., Plasma und Zelle. I. Jena 1907. Lillie, F. R., Differentiation without cleavage in the Egg of the Annelid Chaetop- terus. Arch. Entw.-Mech., 14. Bd., 1902. Minchin, E. A., Materials for a Monograph of the Ascons I. Quart. J. Micr. Sci., Vol. 40, 1898. Rauber, A., Neue Grundlegungen zur Kenntnis der Zelle. Morph. Jahrb., 8. Bd., 1883. Rhode, E., Histogenetische Untersuchungen. I. Breslau 1908. Ruzicka, V1l., Die Bakterien und das Vererbungsproblem. Arch. Entw.-Mech., 26. Bd., 1908. —, Über Erbsubstanz und Vererbungsmechanik. Zeitschr. allg. Phys., 10. Bd., 1909. Sachs, J., Vorlesungen über Pflanzenphysiologie. Leipzig 1882. —, Weitere Betrachtungen über Energiden und Zellen. Flora 1895, Ergänzungsband. Schenck, F., Physiologische Charakteristik der Zelle. Würzburg 1899. Schmidt, H., Zur Kenntnis der Larvenentwickelung von Echinus micr. Verh. Phys.-Med. Ges. Würzburg, N. F. 36, 1904. Schultze, M., Über Muskelkörperchen und das, was man eine Zelle zu nennen habe. Reicherts Archiv 1861. Studnicka, F. K., Histologische und histogenetische Untersuchungen. Anat. Hefte, 21. Bd., 1903. —, Über einige Grundsubstanzgewebe. Anat. Anz., 31. Bd., 1907. —, Exoplasma oder Metaplasma? Sitzungsber. Böhm. Ges. Wiss., Prag 1908. Weismann, A., Vorträge über Deszendenztheorie. 2. Aufl. Jena 1904. Whitman, C. O., The inadequacy of the cell theory of development. Wood’s Holl Biol. Sect. 1895. Sechstes Kapitel. Kern und Kernteilung. Der sogenannte „ruhende“, d. h. nicht in Teilung befindliche Kern (nucleus) wird speziell für die vielzelligen Organismen in der Regel als ein bläschenförmiges Gebilde beschrieben, welches von einer Kernmembran umschlossen ist und in seinem Innern eine flüssig gedachte Grundsubstanz, den Kernsaft, ferner ein grobmaschig-netz- förmiges oder schwammartiges (spongiöses), den Kernraum durch- setzendes Kerngerüst und eine oder mehrere meist stark färbbare, rundliche Gebilde, die Kernkörper oder Nucleolen, enthält (Fig. 11; Fig. 13 A, ı). Die nicht färbbare Substanz des Kerngerüstes wird von den Histologen gewöhnlich Linin oder Achromatin genannt, während die färbbare Substanz, welche den Lininfäden in Form kleiner Körn- chen ein- oder angelagert erscheint, die Bezeichnung Chromatin erhal- ten hat. Es kann keinem Zweifel unter- liegen, daß die im Präparat netz- Unreifes Eierstocksei eines Echino- artig oder spongiös erscheinenden derms. Nach O. Hertwig. Kerngerüste mehr oder weniger Kunst- produkte sind, erzeugt durch die schrumpfende (plasmolytische) Wirkung der für die Abtötung und Konservierung der Gewebe ver- wandten Reagenzien (Sublimat- und Osmiumgemische usw.). Ebenso dürfte es sich dann, wenn im Präparate der Kernraum wolkenartige Ansammlungen von körnigen Massen enthält, um gerinnselartige Aus- fällungen der Kernsubstanzen handeln. Dem lebenden Zustand werden dagegen diejenigen Kernbilder am nächsten kommen, welche an Stelle Fig. 11. 40 Chemie des Kerns. eines grobmaschigen Kerngerüstes den Kernraum von einer schwach färbbaren, gleichmäßig alveolaren (feinwabigen) Substanz, dem Grund- plasma oder Karyoplasma, erfüllt zeigen, in welchem die stark färbbaren Kernsubstanzen, Chromatinkörnchen und Kernkörper als ‚selbständige Gebilde eingelagert erscheinen (s. unten Fig. 13 B, 1)}). Dafür, daß diese Auffassung die zutreffende ist, spricht u. a. die Beobachtung, daß die sehr großen „ruhenden“ Kerne der tripyleen Radiolarien, je nach der Beschaffenheit und Wirkung der Kon- servierungsmittel, die zwischen den Nucleolen („Binnenkörpern‘“) gelegene Grundsubstanz bald in Form eines spongiösen Flechtwerks (Fig.12 C), bald als feinkörniges, wolkiges Gerinnsel (Fig. 12 B), bald als gleichmäßig-feinwabige Masse (Fig. 12 A) erkennen lassen. Nach C Karyoplasma der Radiolarien (Aulacanthiden) bei verschiedener Konservierung. dem, was uns sonst über die Beschaffenheit des Protoplasmas und insbesondere die Kerne der Protozoen bekannt ist (vgl. S. 20, Fig. 2), dürfte es nicht zweifelhaft sein, daß wenigstens in diesem Falle das letztgenannte Bild den lebenden Zustand am besten wiedergibt. Bezüglich der chemischen Beschaffenheit der einzelnen Kern- anteile besitzen wir nur sehr wenig befriedigende Kenntnisse. Es läßt sich nur soviel sagen, daß im Kern hauptsächlich zweierlei Sub- stanzen vorkommen, die sich chemisch und tinktionell (d.h. bezüglich ihrer Affinität zu den verschiedenen Kernfarbstoffen) voneinander scharf unterscheiden: die früher (S.22) erwähnten Nucleoproteide und ein den Eiweißstoffen zugehöriger oder nahestehender Körper, das * Plastin?). Nach der ziemlich übereinstimmenden Ansicht der meisten Autoren bestehen die Chromatinkörnchen des „ruhenden“ und des ') Vgl. Haecker, S.385 (1902), S.216 (1904), S.24 (1907); Gregoire et Wygaerts 1903; Tellyesnicky 1904; Mar£&chal 1904 u. a. ?) Vgl. Zacharias, S.69, 74 (1909). Kernkörper. 41 zur Teilung sich vorbereitenden Kernes aus Nuclein!), die bei der Teilung hervortretenden Chromosomen oder Chromatinschleifen da- gegen setzen sich aus Nuclein und Plastin zusammen 2). Ferner ist Nuclein zusammen mit Plastin am Aufbau der zusammengesetzten oder Chromatin-Nucleolen beteiligt, dagegen sollen die echten Nucleolen oder Plasmosomen ausschließlich aus Plastin bestehen. Es ist zurzeit kaum möglich, aus diesen Ergebnissen der Mikro- chemie bestimmtere Schlüsse bezüglich des gegenseitigen Verhältnisses der einzelnen Kernsubstanzen zu ziehen. In der Tat gehen die An- sichten über den Chemismus des Kernes sehr weit auseinander, und soweit bestimmtere Anschauungen über die Bedeutung der einzelnen Kernteile und ihre Beziehungen zueinander vorliegen, sind sie weniger auf Grund der mikrochemischen Untersuchungen, als mit Hilfe aus- gedehntester vergleichender Beobachtungen gewonnen worden. In einer Beziehung scheinen sich allerdings zurzeit die Ansichten mehr und mehr zusammenzuschließen,, nämlich in der Frage nach der Bedeutung der echten Kernkörper oder Nucleolen (Plasmosomen).. Diesen Körpern, vor allem den sogenannten Keim- flecken der Keimbläschen (d.h. der Kerne der unreifen Eier), wurde früher vielfach eine sehr wichtige Rolle, namentlich bei den Kern- teilungsprozessen, zugeschrieben, insbesondere sollte nach einer alten Annahme von Remak die Teilung von Kern und Zelle durch eine Teilung des Kernkörpers eingeleitet werden. Auch nach der Ansicht mancher neuerer Forscher würden die Nucleolen wichtige Nähr- oder Baustoffe darstellen, welche bei den Veränderungen der chromatischen und achromatischen Substanzen zur Verwendung kommen3). Jedoch neigen sich zurzeit die Anschauungen eines großen Teiles der For- scher der sogenannten Kernsekrettheorie*) zu, wonach die Kern- !) Nach Heidenhain, S. 153, 162 (1907), würden die Chromatinkörnchen (Chromiolen) der ruhenden Kerne von zweierlei Art sein, insofern nebeneinander P-reiches, bei Säurefuchsin-Methylgrünbehandlung grün färbbares Basichromatin und P-armes, eine rote Tinktion annehmendes Oxychromatin auftreten. In den Anfangsstadien der Teilung verschwindet das Oxychromatin, vermutlich, indem es sich in Basichromatin verwandelt. 2) Vgl. Zacharias, 1. c., S. 237. Par? ®)' Über die verschiedenen Kernkörpertheorien vgl. Haecker, S.114 (1899). *) Bezüglich der Begründung der Kernsekrettheorie vgl. Haecker, S. 246 (1895), S.114 (1899). Eine ganze Reihe von erfahrenen Zellforschern hat sich neuerdings auf den Boden der Kernsekrettheorie gestellt, so Montgomery, Wilson, A. Fischer, Schneider, Vejdovski, Winiwarter, Heidenhain. Letzterer hat versucht, der Kernsekrettheorie eine chemische Begründung zu geben [S. 196 ff. (1907)]. 2 Kernkörper. Mitose. körper Abspaltungsprodukte, Zwischenprodukte des Stoffwechsels dar- stellen. Wie bei allen Stoffwechselvorgängen, die sich in den Organismen abspielen, End- und Nebenprodukte des Stoffwechsels zur Abscheidung kommen, so würden nach der Kernsekrettheorie auch die Nucleolen während der vegetativen Tätigkeit von Zelle und Kern in Tröpfchenform abgespalten, um dann noch während der Kernruhe oder zu Beginn der. Kernteilung als eine Art von Sekret in gelöster oder ungelöster Form aus dem Kernraume entfernt zu werden. Fig. 13. 1 2. 3 4 3 2 3 4 Indirekte Kernteilung, schematisiert. A nach der Chromatinerhaltungs-, B nach der Achromatinerhaltungshypothese. Weniger Einhelligkeit besteht bezüglich des gegenseitigen Ver- hältnisses von Chromatin und achromatischen Kernbestandteilen, sowie darüber, inwieweit diese Substanzen an dem Aufbau der beim ge- wöhnlichen Kernteilungsmodus hervortretenden Chromosomen oder Chromatinschleifen beteiligt sind. Nach der am meisten verbreiteten, im wesentlichen auf Flem- ming zurückzuführenden Ansicht spielt sich dieser Prozeß, die indirekte Kernteilung, Mitose oder Karyokinese, in fol- . gender Weise ab. In den frühen Stadien der Teilung, den Prophasen, schließen sich die Chromatinkörnchen des ruhenden Kernes mit Linin- bestandteilen des Kerngerüstes zur Bildung der stäbchen- oder schleifen- Mitose. 43 förmigen Chromosomen zusammen, und zwar in der Weise, daß die Chromatinkörnchen ihre mehr gleichmäßige Verteilung im Kern- gerüst (Fig. 13 A, 1) aufgeben und sich, unter gleichzeitiger Ver- mehrung, längs bestimmter Fadenzüge des Gerüstwerks zusammen- ordnen, während die von ihnen freigegebenen Teile des Maschen- werks eine Auflösung erfahren (Fig. 13 A, 2). Es kann entweder zunächst ein zusammenhängender, knäuelig aufgewundener Faden (Knäuel, Spirem) zustande kommen, der sich erst nachträglich durch Querteilung (Segmentierung) in schleifenähnliche Abschnitte, die Chromosomen oder Chromatinschleifen, gliedert, oder es können letztere von vornherein als selbständige Gebilde auftreten. Die Chromosomen erfahren eine zunehmende Verdichtung, und wenigstens in einigen Fällen erscheint ihre Chromatinsubstanz in Form von färbbaren Scheiben (Chromomeren) oder klei- nen Körnchen (Chromiolen), welche geldrollen- artig oder wie die Glieder in einer Perlschnur Ri b Fig. 14. angeordnet und durch eine Lininunterlage zu- sammengehalten sind!) (Fig. 14a). Die Längsspaltung der Chromosomen (Fig. 13, 3) und ihre in den mittleren Stadien der 4 Chromosom aus den Teilung, den Metaphasen, sich vollziehende voll- SEE en en ständige Durchteilung in zwei Tochterchromo- Chromomeren. Nach somen (Fig.13, 4) soll dann in der Weise von-“ Allen. b. Quergekerb- statten gehen, daß sich jedes der vorhin genannten sa, RER sichtbaren Teilchen (Chromomeren, Chromio- ERS len) für sich spaltet und gleichzeitig eine Durchteilung der Linin- unterlage erfolgt. In den Anaphasen erfolgt die dizentrische Wanderung der Tochter- chromosomengruppen. : Für die Endstadien der Teilung, die Telophasen (Fig.13 A, 5), wird gewöhnlich angenommen, daß die an die gegenüberliegenden Pole der Teilungsfigur gelangten Tochterchromosomen, nach Art der Amöben, Fortsätze ausstrecken und auf diese Weise miteinander in Verbindung treten. So kommt wieder ein Kerngerüst zustande, über welches sich die Chromatinkörnchen in mehr gleichmäßiger Weise verteilen, und da nun auch Kernmembran und Kernkörper wieder er- ») Vgl. auch Heidenhain, S.165 (1907). de nz pi Korn 44 ‚Achromatinhypothese. scheinen, so werden alle in den Prophasen sich abspielenden Prozesse gewissermaßen in umgekehrter Reihenfolge (auf dem Wege einer retrogressiven Metamorphose) wiederholt. In dieser Darstellung kommt die Anschauung zum Ausdruck, daß die Chromatinkörnchen des ruhenden Kernes stofflich identisch sind mit den die Färbbarkeit der Chromosomen bewirkenden Substanzen, speziell mit den Chromomeren und Chromiolen, und daß sie gleichzeitig die biologisch wichtigste Substanz bilden, während den chromatinfreien Linin- (Achromatın- ) Teilen des Kerngerüstes,=der Lininunterlage der Chromosomen, dem „„Kernsaft“ des ruhenden Kernes, sowie der anscheinend flüssigen Sub- stanz, in welcher die Chromosomen in den späteren Prophasen, in den Meta- und Anaphasen der Teilung eingebettet sind, nur eine sekun- däre Rolle zufällt. Im Gegensatz zu dieser älteren Auffassung (Chromatinerhal- tungshypothese) geht eine andere Annahme (Achromatin- erhaltungshypothese oder kurz Achromatinhypothese)!) unter anderen von der Tatsache aus daß in vielen ruhenden Kernen außer einem oder mehreren Nucleolen “überhaupt keinerlei färbbare Substanz wahrzunehmen ist2), und verlegt den Schwerpunkt von der färbungsanalytisch oder mikrochemisch {nicht immer scharf faßbaren | Chromatinsubstanz auf das alveolär strukturierte Grundplasma des ..Kernes (Fig. 13B, 1), welches nach obigem im ganzen den Kernsaft und das Kerngerüst, also die Linin- oder Achromatinsubstanzen der früheren Autoren in sich begreift. Die Chromosomen entstehen danach nicht durch Vermehrung und Zusammenscharung der Chromatinkörnchen, sondern als lokale (zirkumskripte), stark färbbare (vorwiegend basophile) Verdichtungen des alveolären Karyoplasmas selber (Fig. 13 B, 2). Diese Differenzierungen treten zunächst entweder als längere, körnige Fäden oder als korkzieherartige Spiralen hervor, aus denen dann die definitiven schleifen- oder stäbchenförmigen Chromo- somen gewöhnlich auf Grund einer allmählichen Verkürzung und weiteren Kondensierung ihre Entstehung nehmen. Welchen Anteil die Chromatinkörnchen des ruhenden Kernes am Aufbau der Chromo- somen haben, ob sie als körnige Chromiolen oder in Form einer imbibierenden Flüssigkeit in die Grundstruktur der Chromosomen !) Haecker 1904, 1907. ®2) So z. B. im „Keimbläschenstadium“ mancher einheimischer Kopepoden mit langsam sich abspielender Eibildung. Achromatinhypothese. 45 eingehen und deren starke Färbbarkeit bewirken !), oder ob sie, ähn- lich den Nucleolen, nur Stoffwechselprodukte sind, welche während der Chromosomenbildung besonders reichlich zur Entwickelung kom- men, oder ob sie gar nur künstliche Fällungen darstellen, läßt die Achromatinhypothese vorläufig unentschieden. Die Möglichkeit ist mindestens vorhanden, daß die starke Tingierbarkeit der fertigen Chromosomen überhaupt nicht mit dem Chromatin im Zusammenhang steht, sondern dem eigenen dicht-alveolären Gefüge zu ver- danken ist). Die fertigen Chromosomen besitzen also nach der Achromatin- hypothese im ganzen eine gleichmäßige, sehr dicht-alveoli- sierte Struktur und lassen außer dem früher oder später hervor- tretenden Längsspalt in der Regel keine weitere Organisation erkennen. In gewissen Fällen kann sich allerdings schon in den Pro- und Meta- phasen eine gröbere Alveolisierung (Vakuolisierung) der Chromosomen, also eine Auflockerung ihres Gefüges bemerkbar machen, und es können dann Bilder zustande kommen, welche eine Gliederung in scheibenförmige Abschnitte vortäuschen (Fig. 14a)°). Seltener ist eine durch helle Querkerben hervorgerufene wirkliche Segmentierung wahrzunehmen, so z. B. bei den „bivalenten“ Chromosomen der Kope- poden (Fig.14b) und offenbar auch bei den auffallend langen „Sammel- chromosomen“ von Ascaris, In solchen Fällen wird dann auch die Längsspaltung des Chromosoms auf einer Durchteilung sichtbarer Einzelabschnitte beruhen, während für gewöhnlich das Chromosom als Ganzes, vermutlich nach erfolgter Zweiteilung der kleinsten un- sichtbaren Plasmateilchen, der Länge nach gespalten wird. Die Rekonstitution der Tochterkerne findet nach der Achromatin- hypothese in der Weise statt, daß sich die Tochterchromosomen unter Alveolisierung und Aufquellung zu wurst- oder bläschenförmigen Teil- kernen, den Karyomeren Fols (Idiomeren nach meiner Termino- logie), umbilden, welche miteinander zum ruhenden Kern ver- schmelzen (Fig.13 B, 5; Fig. 15). * „Bei der indirekten Kernteilung treten auch im Cytoplasma Umbildungen und Neubildungen hervor, die in ihrer Gesamtheit auch !) Daß zwei nacheinander beobachtete Körper wegen ihres ähnlichen Aus- sehens, insbesondere wegen ihrer gleichen Färbbarkeit, in diesem Falle also Chro- matinkörnchen und Chromosomen, nicht notwendig in genetischer Verbindung stehen müssen, hat neuerdings wieder Zacharias, S. 238 (1909), betont. 2) Vgl. Gr&goire und Wygaerts 1903. ®) Vgl. Haecker, S.35 (1907). 46 Achromatische Figur. als Teilungsapparat oder als achromatische Figur bezeichnet werden. In den als typisch betrachteten Fällen ist noch während der Prophasen in der Nachbarschaft des Kernes ein meist als selbständiges („autonomes“) Zell-Organellum angesehener, rundlicher, tief tingier- barer Körper, das Centrosoma oder der Zentralkörper, wahr- Fig. 15. INN \ N I IN vn Karyomerenbildung bei der Furchung des Seeigeleies. Nach Boveri. zunehmen, in welchem vielfach noch ein dunkel färbbares Zentralkörn- chen, das Centriol, zu beobachten ist. Dieses Gebilde dokumentiert seine zunehmende Aktivität darin, daß das ihn zunächst umgebende Cytoplasma, offenbar unter dem Einfluß einer vom Centrosoma aus- gehenden chemischen oder dynamischen Wirkung, besondere Diffe- renzierungen zeigt, entweder in Form einer sonnenartigen, scheinbar aus strahlig angeordneten Protoplasmafäden oder -fibrillen zusammen- gesetzten Figur, der Polstrahlung (Fig.16), oder mehr in Gestalt Achromatische Figur. 47 einer rundlichen, dichteren Plasmaanhäufung, der Sphäre (Attrak- tionssphäre). Ebenfalls noch in den Prophasen findet eine Zwei- teilung des Centrosomas und der dasselbe umgebenden Plasmadiffe- | renzierung statt (Fig. 17), bei manchen tierischen Eiern kann | diese Verdoppelung sogar schon am Schluß der vorangehenden Teilung sichtbar sein (Fig. 15). Während dann die Tochtercen- trosomen, je von einer eigenen Polstrahlung oder Sphäre um- geben, weiter auseinanderrücken, ein, ordnen sich die zwischen ihnen gelegenen Plasmapartien zu einer spindelförmigen, längsgestreiften, die Centrosomen verbindenden und infolge ihres Auseinander- rückens sich verlängernden Figur, Fig. 17. I Fig. 18. Fig. 16. Entstehung der achromatischen Teilungsfigur in der unreifen Eizelle eines Plattwurms (Thysanozoon). Nach van der Stricht. der Zentralspindel, an (Fig. 17, 18). Nach der Auflösung der Kern- membran, also zu Beginn der Metaphasen, stellen sich dann die Centrosomen zu beiden Seiten des ursprünglichen Kernraumes auf 48 Achromatische Figur. Amitose. (Fig. 18), die Polstrahlungen bzw. Sphären haben sich bedeutend ver- größert, und ebenso hat sich die Zentralspindel, zum Teil wohl unter Verbrauch der nicht in die Bildung der Chromosomen eingegangenen achromatischen Kernsubstanzen, zu einer langen, bald breiteren, bald schmäleren, gegen das Cytoplasma meist ziemlich scharf abgegrenzten Spindelfigur ausgezogen. Innerhalb oder im Umkreis dieser Spindel, und zwar in einer die Mitte der Spindelachse senkrecht durchschnei- denden Ebene (Äquatorebene), ordnen sich dann die inzwischen längs- gespaltenen Chromosomen in Form einer stern- oder plattenförmigen Gruppe (Aster, Äquatorialplatte) an (Fig. 13, 3), worauf die endgültige Durchteilung der Chromosomen und, im sogenannten Dyasterstadium, das dizentrische Auseinanderrücken der Spalt- hälften oder Tochterchromosomen in der Richtung auf die beiden Centrosomen erfolgt. Nach einer älteren Annahme (Muskelfadentheorie) ') würden sowohl bei der Ein- ordnung der Chromosomen in den Äquator, als auch bei der dizentrischen Wanderung die „Polstrahlen* und „Spindelfasern“ als kontraktile Zugfasern wirksam sein, indem sie sich an den Chromosomen anheften und diese in den Äquator und später gegen die Pole ziehen. Nach einer anderen Auffassung (dynamische Theorie) ?) würden die Polstrahlen, Sphären und Spindelfasern überhaupt nur den (durch die Konser- vierung verstärkten) Ausdruck der von den Zentralkörpern auf die beweglichen Plasmateilchen ausgeübten (orientierenden, zentrierenden) Wirkungen darstellen, also im wesentlichen den Charakter von „Kraftlinien“ haben, während die Bewegungen der Chromosomen entweder als Reizbewegungen aufzufassen sind, oder mehr mecha- nisch durch die Plasmaströmungen und Substanzverlagerungen bewirkt werden, die bei der Zellteilung, also bei der Umwandlung eines einpoligen in einen zweipoligen Gleichgewichtszustand, vor sich gehen. In den Telophasen, nach erfolgter dizentrischer Wanderung, werden die Zentral- körper kleiner und im Zusammenhang mit ihrer verminderten Aktivität nehmen auch die Polstrahlungen, Sphären und Spindelfasern an Ausdehnung und Deutlichkeit ab, um schließlich gewöhnlich ganz zu verschwinden. Da, wie wir sehen werden, in einigen Vererbungstheorien die Chromosomen eine große Rolle spielen, so ist derjenige Kern- und Zellteilungsmodus, bei welchem es nicht zur Bildung von Chromosomen kommt, sondern eine "einfache Durchschnürung oder Fragmentierung des Kernes erfolgt, die direkte Teilung oder Amitose, von besonderem Interesse. Bis zur Entdeckung der Karyo- kinese, also bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts, galt die nach dem Remakschen Schema (successive Durchschnürung von Kernkörper, Kern und Zellleib, Fig. 19 A—C) verlaufende direkte Zell- !) Vgl. besonders van Beneden u. Neyt 1887 und Boveri 1888. ?) Vgl. Haecker, S.73 (1899); Gurwitsch 1904. Vorkommen der Amitosen. 49 teilung als die am weitesten verbreitete Form der Zellvermehrung. Später brach dann die Auffassung durch, daß die direkte Teilung bei den Vielzelligen hauptsächlich nur in hochspezialisierten Zellen auftrete und dann einen Vorgang darstelle, der nicht mehr zur physiologischen Neulieferung und Vermehrung der Zellen führe, son- dern entweder eine Entartung oder Aberration anzeige, oder vielleicht [2 Fig. 19. = | A B C Remaksches Schema der direkten Kernteilung. in manchen Fällen (Bildung mehrkerniger Zellen durch Fragmentie- rung) durch Vergrößerung der Kernoberfläche dem zellulären Stoff- wechsel zu dienen habe!). Auch aus dem Gebiete der Einzelligen, bei welchen man zunächst noch die direkte Kernteilung als den normalen Teilungsprozeß ansah, wurden immer mehr Fälle bekannt, Fig. 20. Fig. 21. Kernteilung bei Ceratium. Kernteilung bei Myxosphaera. Nach O. Schröder. Nach Borgert. in welchen es zur Bildung wirklicher Chromosomen kommt, die nach Entstehung, Aussehen und Schicksal durchaus mit den Chromosomen der Vielzelligen übereinstimmen. Besonders schöne Beispiele liefern !) Diese neuere Auffassung ist hauptsächlich auf die Arbeiten von Flemming, H. E. Ziegler und vom Rath zurückzuführen. Haecker, Vererbungslehre. 4 50 Amitosenähnliche Bilder. die tripyleen Radiolarien mit ihren 1200 bis 1600 fadenförmigen Chromosomen !), die Myxosporidien (Fig. 20a, b), Peridineen (Fig. 21) und Opalinen ?). Auch heute noch treten immer wieder von Zeit zu Zeit Beob- achter auf, welche sogar innerhalb des Entwickelungskreises der « Geschlechtszellen das regelmäßige Vorkommen amitotischer Teilungen nachweisen zu können glauben). Es ist indessen gegenüber allen derartigen Angaben hervorzuheben, daß der Beweis für das Auf- ‚ treten wirklicher amitotischer Prozesse deshalb nur schwer und viel- | leicht überhaupt nur mittels der Beobachtung am lebenden Objekt geliefert werden kann, weil vielfach auch mitotische Prozesse in den Telophasen mit amitosenähnlichen Bildern abschließen. Man kann Gonomerenbildung bei den Kopepoden. daher den Telophasen sehr häufig nicht ansehen, ob sie zu einem mitotischen oder amitotischen Prozesse gehö- ren, ein Umstand, der auf- fallend häufig von den Be- obachtern übersehen wird. So kann z.B. das Vor- kommen von zwei oder meh- reren getrennten Kernen in einer Zelle darin seine Ur- sache haben, daß in den Telophasen einer indirekten Teilung die Karyomeren, d.h. die alveolisierten Chromosomen, nicht zu einheit- lichen Tochterkernen verschmelzen (vgl. S. 45), sondern mehrere Teil- kerne bilden. Insbesondere kann der Fall eintreten, daß statt eines Ganzkernes zwei Halbkerne gebildet werden, von denen sich der eine aus den väterlichen, der andere aus den mütterlichen Karyomeren zusammensetzt (Gonomerentypus der Doppelkernigkeit, Fig. 22B, C). Indem es dann doch noch zu einer teilweisen Ver- schmelzung der Gonomeren kommen kann, entstehen zweilappige oder durch Ringfurchen eingeschnürte Kerne, also Formen, die viel- fach ohne weiteres als Stadien einer amitotischen Teilung betrachtet werden. !) Vgl. Borgert 1900, 1909; Haecker, Tiefs.-Rad., Taf. 41. ?) Vgl. Schröder 1907; Borgert 1910; Metcalf 1908. ®) Vgl. Child 1907 und die Kritik seiner Angaben bei Boveri 1907; sowie E. Knoche, Zool. Anz., 35. Bd. (1910). Amitosenähnliche Bilder. 51 Zweikernige, also scheinbar amitotisch sich vermehrende Zellen können ferner dadurch zustande kommen, daß innerhalb einer Zelle eine mitotische Teilung des Kernes stattfindet, die Durchschnürung des Zellleibes dagegen ausbleibt, ein Verhalten, das für die Tapeten- zellen der Antheren, aber auch als eine mehr ausnahmsweise Er- scheinung für die männlichen und weiblichen Fortpflanzungszellen mancher Tiere angege- ben wird (Tapetenzel- lentypus der Doppel- kernigkeit, Fig. 23)}). Das Auftreten von sanduhrförmigen Kernen, welches ebenfalls als Be- weis für die Verbreitung amitotischer Prozesse an- gesehen zu werden pflegt, ist deshalb nicht ent- scheidend, weil es eine ganze Reihe mitotischer, d.h. unter Chromosomen- bildung verlaufender Pro- zesse gibt, die in ihren Telophasen sanduhrför- - mige Bilder liefern und Bildung doppelkerniger Zellen Mitose bei Para- Fig. 23. so amitotische Prozesse (junge Tapetenzellen eines maecium. vortäuschen können. Pastards von Mirabilis Jalapa Nach Calkins und z tubiflora). Nach Tischler. . Cull. Hierher gehören die Kernteilungen der Infusorien (Fig. 24), die sich bei fort- bestehender Kernmembran abspielen, und bei welchen die aus- einanderrückenden Tochterkerne durch die schlauchförmig ausgezogene Kernmembran längere Zeit miteinander verbunden bleiben, sowie die „Pseudoamitosen“, die man bei Einwirkung von Äther auf Kopepodeneier. erhält, und bei welchen die auseinanderrückenden Tochterchromosomen noch während ihrer Umbildung zu Karyomeren !) Vgl. Tischler 1908, Jörgensen 1908, Heidenhain, S.273 (1907). Auch die zwei- und dreikernigen Zentralkapseln der tripyleen Radiolarien möchte ich auf Grund verschiedener Beobachtungen und Überlegungen als die Produkte von unvoll- ständigen mitotischen Prozessen und nicht, mit Borgert, als Endstadien von Ami- tosen betrachten. 4* 52 Karyoplasma und extranucleäres Plasma. miteinander durch Verbindungsstränge im Zusammenhang bleiben (Fig. 25). Es sind also so viele Möglichkeiten für das Zustandekommen von mehrkernigen Zellen und sanduhr- oder garbenförmigen Kernteilungs- figuren auf mitotischem Wege vorhanden, daß auch heute noch eine gewisse Reserve gegenüber den Angaben über das Auftreten von Amitosen, namentlich in generativen Zellen, geboten erscheint, besonders auch gegenüber allen denjenigen Mitteilungen, in welchen nicht ausdrücklich die anderen bestehenden Erklärungsmöglichkeiten ausgeschlossen sind. Speziell bei der indirekten Kern- und Zellteilung tritt scheinbar die Tendenz hervor, die Kernsubstanz möglichst gleich- mäßig auf die beiden Tochterzellen zu verteilen, man gewinnt Fig. 25. wenigstens den Eindruck, als ob auf die genaue sym- metrische Verteilung des Karyoplasmas eine größere Sorgfalt verwendet werde, als auf diejenige des Cyto- N h plasmas. Dieses Verhältnis, auf welches erstmals I Roux aufmerksam gemacht hat, führt unmittelbar vor die Frage, welche Bedeutung der so weit ver- a b breiteten Differenzierung der lebenden Sub- stanz in Karyoplasma und extranucleäres 8 Plasma zuzusprechen ist. Die bei verschiedenen ‚EaeudoamAFORG Objekten ermittelte Tatsache, daß der Kern innerhalb ee olonsı der Zelle mit Vorliebe die Stellen lebhaftesten Wachs- tums und intensivsten Stoffumsatzes einnimmt, und andererseits die mangelnde Regenerationsfähigkeit kernloser Protozoen- fragmente !) weisen darauf hin, daß der Kern ganz allgemein bei der stoffbildenden und formgestaltenden (synthetischen, formativen) Tätig- keit der Zelle eine wichtige Rolle spiele, oder, wie man auch sagen kann, ein organisatorisches Zentrum für diese Lebensfunktionen, ein Mittel für die Formbildung 2) darstelle. Damit läßt sich vielleicht ‚auch die spezielle Hypothese einigermaßen in Einklang bringen, wo- nach der Kern als das wesentliche Oxydationsorgan der tierischen Ge- webe zu betrachten sei 3). ') Bezüglich der grundlegenden Untersuchungen einerseits von Haberlandt und Korschelt, andererseits von Nußbaum, Gruber, Hofer und Verworn, sei auf die Lehrbücher (0. Hertwig, Wilson, Haecker) verwiesen. ?) Vgl. Driesch, S. 104 (1906). ®) Vgl. Loeb, S. 36 (1906). Karyoplasma und extranucleäres Plasma. 53 Während nach der hier vorgetragenen Auffassung dem Kern wenigstens bezüglich bestimmter Lebensleistungen eine Art von Prinzipat zugeschrieben wird, wird von verschiedenen Seiten !) mehr das Wechselverhältnis der beiden Plasmasorten in den Vordergrund gestellt. Es wird etwas stärker betont, daß Kern und extranucleäres Plasma zwei relativ selbständige (autonome) Kompo- nenten eines Systems bilden, zwischen denen ein stetiger Substanz- wechsel, eine fortdauernde gegenseitige Wechselwirkung be- steht, wie dies bei zellulär gebauten Organismen insbesondere auch aus den regelmäßigen Massenverhältnissen zwischen Karyo- und Cytoplasma, aus der Kernplasmarelation R. Hertwigs?), her- vorgeht. Von diesem Standpunkte aus, der natürlich in keinem prinzipiellen Gegensatz zu dem erstgenannten steht, wird dann wohl der letzte Grund für die Differenzierung von Kern und extranucleärem Plasma in der Möglichkeit einer räumlichen Trennung be- stimmter chemischer Prozesse, in den osmotischen Funktionen der Kernmembran?), also im ganzen in der bei höheren Organismen immer mehr zunehmenden Komplikation des Chemismus der lebenden Substanz zu suchen sein. Von großem Interesse ist in dieser Hinsicht, daß die Natur auf dem Wege der Plasmadifferenzierung in einem Falle noch einen weiteren Schritt zu tun versucht hat, indem sie bei den Radiolarien vom zweigliedrigen (zweischichtig-konzentri- schen) zum dreigliedrigen System (Kern, Zentralkapsel, extrakapsuläre Sarkode) übergegangen ist). In einer Beziehung wird man dem Kern allerdings auch vom Standpunkte der Gegenseitigkeitslehre aus ein gewisses Privilegium zuerkennen müssen. Man wird nämlich sagen dürfen, daß durch die räumliche Trennung von Karyoplasma und Cytoplasma nicht bloß ein komplizierterer Stoffwechsel ermöglicht wird, sondern daß durch diese Differenzierung ein Teil der lebenden Substanz der direkten Wirkung der äußeren Einflüsse und „den täg- lichen und stündlichen Zustandsänderungen des Protoplasmas“ ent- !) Vgl. die Darstellungen bei Verwörn u. Godlewski. Auch von O. Hert- wig wird, so sehr er auch die wichtige Rolle des Kernes bei formativen und nutri- tiven Prozessen hervorhebt, auf die Wechselwirkungen zwischen den Zellteilen be- sonderer Nachdruck gelegt. ?) Vgl. R. Hertwig 1903, 1908 und Boveri 1905. ®)-Vgl. auch Loeb, S.68 ff. (1906). *) Vgl. Tiefsee-Radiolarien, S.689. „So stellen alle diese drei Zonen drei ge- sonderte Laboratorien dar, welche wohl ihre Produkte aneinander abgeben, in denen aber mit ganz verschiedenen chemischen Mitteln und Reaktionen gearbeitet wird.“ 54 Zelluläre Organisation. zogen wird, also leichter imstande sein wird, seine spezifische mole- kulare Architektonik !) fortzuerhalten. Es wird auf dieses auch vererbungstheoretisch wichtige Moment später zurückzukommen sein. Während wir uns so einigermaßen eine Vorstellung machen können von der Bedeutung, welche der Sonderung von Kern und extranucleärem Plasma zukommt, ist die Frage nicht so leicht zu beantworten, weshalb sich die höheren Organismen nicht mit dieser Differenzierung begnügen, sondern fast durchweg zur zellulären Organisation übergegangen sind. Die weitgehende morphologische Gliederung der Schlauchalgen (S.33, Fig.9) und ebenso die erstaun- liche Spezialisierung, welche die Skelette und manche andere Struk- turen bei einzelligen, also bei nicht zellulär gegliederten Organismen (tripyleen Radiolarien, Peridineen, hypotrichen und peri- trichen Infusorien) aufweisen, ferner die Unabhängigkeit mancher morphogenetischer Prozesse vom zellulären Aufbau und die weite Verbreitung syneytialer Gewebsformen bei höheren Tieren, alle diese bereits im letzten Kapitel besprochenen Erscheinungen zeigen, daß den Formgestaltungsvorgängen auch bei nichtzellulärem Auf- bau ein sehr weiter Spielraum offen steht, und daß also wenigstens in dieser Hinsicht die zelluläre Organisation nur relative Vorteile bieten kann. Immerhin dürfte es zweifellos sein, daß nicht nur, wie wir sahen, bei der Differenzierung der lebenden Substanz in Karyo- plasma und extranucleäres Protoplasma, sondern auch bei der Ent- wickelung ihrer zellulären Gliederungen vor allem auch mor- phogenetische oder konstruktive Momente eine Rolle spielen. So wie in der Baukunst die Anwendung von kontinuierlichen Massen oder von isolierten Stücken (Lehm, Beton — Ziegel, Quader) sowohl von der physikalischen und chemischen Eigenschaft der Materialien als auch von den Zielen und Zwecken der Konstruktion abhängig ist, so muß auch in der organischen Welt beim Übergang vom plasmodialen zum zellulär-gegliederten und weiterhin zum syncytialen Aufbau Material und Konstruktionsziel von Bedeutung sein. Ein Beispiel dafür, daß auch im Organismus, je nach der Be- schaffenheit des Materials, kontinuierliche oder gegliederte Strukturen zur Verwendung kommen, scheinen mir die Glasschwämme (Hexaktinelliden) und einige hochorganisierte Radiolarien, besonders Cannosphaera, zu liefern (Fig. 26). In beiden Tiergruppen ist das !) Vgl. Heidenhain, S.61, 391 (1907). Zelluläre Organisation. 55 Skelett aus Kieselsubstanz gebildet, und in beiden zeigt es fast die nämliche Fachwerkstruktur: äußere (äy) und innere Gurtung (ig), Fül- lungsglieder (f), äußere (äd) und innere (id) Druckfänger!). Während aber bei den Glasschwämmen (Fig. 26B) isolierte Skelettstücke, also gegliederte Strukturen, vorliegen, stehen bei Cannosphaera (Fig. 26.A) die einzelnen Skelettstücke sämtlich untereinander in kontinuierlicher Fig. 26. ee B Fachwerkartiges Skelett eines Radiolars, Cannosphaera (A), und eines Kiesel- schwamms, Hyalonema (B). Letzteres nach F. E. Schulze. Verbindung. Offenbar hängt dies damit zusammen, daß bei ersteren die zelligen und syncytialen Gewebsmassen eine genügend innere Konsistenz besitzen, so daß für den Zusammenhalt des Organismus ein kontinuierliches Skelett nicht nötig ist, während bei Cannosphaera die plasmatischen Teile des Organismus infolge ihrer eigenen Zart- heit und der Einlagerung dünnflüssiger Gallerte nur eine geringe innere Kohäsion besitzen und daher durch ein zusammenhängendes Skelett verbunden sein müssen. | !) Näheres in den „Tiefsee-Radiolarien“, S. 488 ff. 56 Zelluläre Organisation. In ähnlicher Weise, wie in diesem Beispiele die Gliederung bzw. die Kontinuität des Skelettes durch die Konsistenz der lebenden Substanz bedingt ist, so dürfte auch die Ausbildung des plasmodialen, zellulär-gegliederten oder syncytialen Gewebstypus in vielen Fällen von den gröberen physikalischen Eigenschaften des Protoplasmas und der Plasmaprodukte abhängig sein. Außer der Qualität des Materials wird aber auch das Kon- struktionsziel, d.h. die endgültige Form eines Organismus oder Einzelorgans, darüber zu bestimmen haben, ob im Entwickelungs- verlauf zelluläre oder nichtzelluläre Gewebsformen zur Verwendung Fig. 27. kommen. Wenn wir z.B. sehen, daß die Wandung einer typisch gebauten Blastula und die em- bryonalen Keimblätter (Fig. 27) einen ausge- sprochen zellulären Cha- rakter aufweisen, so dürfte dies darin seinen Zweck haben, daß die Keimblätter eine Reihe von Falten- und Ge- wölbebildungen auszu- führen haben, und daß dabei vielleicht iso- lierte, gegeneinander verschiebbare Formelemente, die auf Grund ihrer Plastizität je nach ihrer Lage die Gestalt von Kugeln oder Ellipsen, von Prismen oder Keilen annehmen können, größere Vorteile gewähren, als kontinuier- liche plasmodiale oder syncytiale Gewebsmassen. Die zelluläre Gliederung kommt aber wahrscheinlich nicht bloß den Bedürfnissen der Formgestaltung, sondern auch den physiologisch- chemischen Prozessen entgegen. So wie innerhalb der einzelnen Zelle die Differenzierung in Karyo- und Cytoplasma die räumliche Trennung und damit den ungestörten Ablauf bestimmter chemischer Umsetzungen begünstigt, so wird durch die zelluläre Gliederung der Gewebe die Möglichkeit geschaffen, daß in demselben Organ oder Gewebe nebeneinander sehr verschiedenartige Prozesse selbständig verlaufen, oder aber, daß an den einzelnen Stellen des Gewebes der- e Beginn der Gastrulation bei Cyclops. Zellulärer Charakter der Fortpflanzungselemente, 57 selbe Prozeß sich in verschiedenen Phasen befindet. Für die Sinnes- epithelien mit ihrer meist sehr deutlich hervortretenden zellulären Gliederung dürfte wohl das erstere, für die Drüsenepithelien das letz- tere Moment in Betracht kommen. Ihren Höhepunkt erreicht diese Entwickelung in der Ausbildung frei beweglicher Elemente, der Wanderzellen. | An Stelle des zellulären Aufbaues kann dann der ungegliedert- syncytiale treten, wenn die Funktion des Gewebes eine mehr einheit- liche ist und die Stoff- und Energieumsetzungen sich in allen Teilen des Gewebes im gleichen Rhythmus abspielen. So stellt der Herz- muskel des Menschen wahrscheinlich für die ganze Dauer des Lebens ein einziges Syncytium dar. Wieder eine andere Bedeutung besitzt der zelluläre Charakter für die Fortpflanzungselemente. Bei diesen. scheint es in erster Linie darauf anzukommen, bei möglichst geringem Material- aufwand den einzelnen Keim mit beiden Plasmasorten auszustatten, und so fügen sich schon aus diesem Grunde die Fortpflanzungs- elemente der höheren Organismen dem Schema der einfachen Zelle ein. Wie wir jedoch sehen werden, kommt der zelluläre Charakter der generativen Elemente nicht in allen Phasen ihrer Entwickelung gleichmäßig zum Vorschein: am deutlichsten tritt er in den Anfangs- stadien der Entwickelung, bei den Urgeschlechtszellen hervor, wo es sich offenbar gleichzeitig darum handelt, das „Keimplasma* von den im Embryo sich abspielenden morpho- und histogenetischen Vorgängen zu separieren, und dann wieder in den Endstadien, bei den reifen Geschlechtszellen. In den mittleren Stadien der Entwickelung kommt es dagegen vielfach zur Entfaltung syncytialer Bildungen. RE Literaturverzeichnis zu Kapitel 6. „rt 0.2 05 AD A 092 Beneden, E. van, Recherches sur la maturation de l’oeuf et la f&condation. Arch. Biol., Vol. 4, 1883. — et Neyt, A., Nouvelles recherches sur la f&condation et la division mitosique chez l’Asc. meg. Communic. pr@lim.. Bull. Ac. R. Belg. (Ser. 3), Vol. 14, 1887. 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Von dieser Umwandlung wird allerdings die morpho- biologische Begründung der Vererbungslehre deshalb weniger berührt, weil gerade die generativen Elemente, die für die Erklärung der Ver- erbungserscheinungen in erster Linie in Betracht kommen, sowohl in den Anfangs- wie in den Endstadien ihrer Entwickelung einen aus- gesprochen zellulären Charakter haben), weil ferner der Befruchtungs- prozeß der Vielzelligen und die analogen Erscheinungen bei Ein- zelligen sich nahezu als reine Zellenprobleme darstellen und auch die ersten Entwickelungsvorgänge des tierischen Eies, welche ein wichtiges Angriffsobjekt der experimentellen Vererbungsforschung bilden, im wesentlichen den Charakter von Zellteilungsprozessen haben. Für die Vererbungstheorie stehen natürlich die reifen Fort- pflanzungselemente, speziell die Eier und Samenfäden der höheren Tiere, sowie das Produkt ihrer Vereinigung, das befruchtete Ei, im Vordergrund des Interesses. Doch sind gerade die von der Ver- erbungstheorie, hauptsächlich von den Schriften Weismanns aus- gegangenen Anregungen die Ursache gewesen, daß sich die Zellen- forschung seit über 30 Jahren mit der größten Energie auch auf die Geschichte der Fortpflanzungselemente, also auf die Aszendenz der Geschlechtszellen, geworfen hat, und daß zunächst die sogenannte Reifungsperiode und die der Reifung unmittelbar vorangehenden !) Der Charakter der Samenfäden und Eier als hochspezialisierter Zellen ist zuerst von Kölliker (1841) und Lavalette St. George (1865—1ı866) erkannt worden. Geschlechtszellendifferenzierung bei Ascaris. 61 Teilungen, dann aber auch die Zeit, in welcher die Vorfahrenzellen der Fortpflanzungsprodukte sich von den übrigen Embryonalzellen absondern und die erste Anlage der Geschlechtsdrüsen zustande kommt, an den verschiedensten Objekten und mit allen Mitteln einer vervollkommneten Technik in Angriff genommen wurden. Bei einer Reihe von vielzelligen Tieren läßt sich die Geschichte der Keimzellen oder Geschlechtszellen, wie man ganz all- gemein die generativen, im Dienste der Fortpflanzung stehenden Zellen und ihre Aszendenz im Gegensatz zu den somatischen, Soma-, Körper- oder Gewebszellen zu nennen pflegt, von den Stadien der Embryonalentwickelung an verfolgen. Zuerst ist für einige Dipteren gezeigt worden, daß sich schon in den allerersten Stadien der Eientwickelung einige Zellen, die Polzellen, von dem übrigen Zellmaterial absondern, um später, wie gewöhnlich angenom- men wird, den generativen Elementen den Ursprung zu geben (Weis- mann, Metschnikoff u. a.)!). Vollkommen sichere Beobachtungen liegen für den Pferdespulwurm und für die Kopepoden vor. Bei beiden läßt sich die ganze Zellenfolge, welche vom befruchteten Ei zu der ersten Anlage der Geschlechtsdrüsen oder Gonaden führt, also die Reihe der sogenannten Stammzellen oder die erste (differentielle, somato-germinative) Strecke der Keimbahn auf Grund bestimmter, bei den einzelnen Teilungsakten auftretender histologischer Eigentümlichkeiten Schritt für Schritt verfolgen. Beim Pferdespulwurm 2) treten bei der ersten Teilung des be- fruchteten Eies lange, schleifenförmige Chromosomen mit keulenförmig angeschwollenen Enden auf. Dieser Chromo- somentypus bleibt beim Übergang vom Zwei- zum Vierzellenstadium (Fig. 283A) nur in der einen Schwesterzelle, der ersten Stamm- zelle®) (in der Literatur durch P, bezeichnet), erhalten, während in der anderen Zelle, der ersten Ursomazelle ($, oder AB), welche einem Teil des Ektoderms den Ursprung gibt, eine sogenannte Di- minution eintritt. Diese besteht darin, daß in der Äquatorebene der Teilungsfigur von jedem Chromosom die verdickten Enden ab- ') Vgl. Korschelt u. Heider, Spez. Teil, S. 845 ff.; Allgem. Teil, S. 370. ?) Vgl. Boveri 1887, 1892, 1899. ®) Die von Haeckel für das befruchtete Ei vorgeschlagene Bezeichnung „Stamm- zelle* hat Boveri in zweckmäßiger Weise auf diejenigen Embryonalzellen über- tragen, welche in der direkten Aszendenz der Geschlechtszellen liegen, aber außer den Geschlechtszellen selber auch noch somatische oder nichtgenerative Elemente aus sich hervorgehen lassen, also auf die Zellen der ersten Keimbahnstrecke. 62 Geschlechtszellendifferenzierung bei Ascaris. gestoßen werden, während der mittlere Fadenabschnitt sich in eine große Zahl sehr kleiner Chromatinkörner segmentiert (Fig. 28A, $,; vgl. C, EMSt). Im weiteren Verlaufe der Teilung sind es allein die \ S, (AB) kleinen Körnchen, welche gespal- ten werden und die dizentrische Wan- derung ausführen, während die großen Endabschnitte zunächst im Äquator rudimentäre Durchteilungsversuche machen und dann im Cytoplasma der Resorption anheimfallen (vgl. die Fig.28B, welche in den Zellen A und B an den Polen der Teilungsfigur die Körnchen und im Äquator die Schleifenenden zeigt), Die gleiche Differenzierung wiederholt sich beim nächsten Teilungsschnitt (Fig. 28C): nur die eine Tochterzelle der ersten Stammzelle, die zweite Stamm- zelle (P, = P;—+-S,), führt die langen Chromosomen, während ihre Schwester- Differenzierung der Geschlechtszellen bei Ascaris (Diminutionsprozeß). Nach Boveri. zelle, die zweite Ursomazelle, welche ento- und mesodermale Elemente, sowie die Anlage des Munddarms (Stomodäums) aus sich hervorgehen läßt (EMSt), die Diminution aufweist. Die gleichen Geschlechtszellendifferenzierung bei Ascaris. 63 Unterschiede kehren noch einige Male wieder. Beim sechsten Teilungs- schritt?!) zeigt sich zum letzten Male das Bild eines ungleichen Ver- haltens von zwei Schwesterzellen: die eine, die Stammzelle fünfter Ordnung (P,) oder Urgeschlechtsmutterzelle2), liefert unter Bildung langer Chromosomen vom ursprünglichen Habitus die beiden Urgeschlechtszellen, während ihre Schwesterzelle, die fünfte Ursomazelle ($,), dem Diminutionsprozeß unterliegt. Alle anderen Zellen, außer den P- und S-Zellen, bilden bei der Teilung von vorn- herein kleine, körnchenförmige Chromosomen. Die bei Ascaris ermittelten Tatsachen sind, wie wir sehen wer- den, nicht bloß deshalb von besonderem vererbungstheoretischen Interesse, weil sich hier, auf Grund bestimmter kernteilungsgeschicht- licher Merkmale die ganze Reihe der Stammzellen vom befruchteten Ei an feststellen läßt, sondern auch deshalb, weil der in den Schwester- zellen der Stammzellen sich abspielende Diminutionsprozeß sich wohl nicht anders deuten läßt, als daß sich hier der Kern gewisser Be- standteile, welche in den Schwesterzellen mitgeführt werden, ent- ledigen will). Ein wesentlich einfacheres Bild zeigt die Differenzierung der Urgeschlechtszellen bei den Kopepoden aus den Gattungen Cyclops und Diaptomus®). Hier sind die Stammzellen einschließlich des un- geteilten Eies dadurch gegenüber den anderen Embryonalzellen aus- gezeichnet, daß bei ihrer Teilung im Umkreis des einen Pols der Teilungsfigur färbbare Körnchen, die Außenkörnchen oder Ekto- somen, offenbar als Nebenprodukte des Stoffwechsels zur Abscheidung kommen (Fig. 29 A, B). Diese Gebilde gelangen bei der Teilung in diejenige Schwesterzelle, welche die Stammzelle der folgenden Zell- !) In dieser Hinsicht weicht Boveri, dem wir die Entdeckung und die ein- gehendste Darstellung des Vorganges verdanken, von zur Strassen und Zoja ab, welche nicht sechs, sondern fünf Teilungsschritte angeben. 2) Von Boveri wird diese Zelle in seinen ersten Schriften als Urgeschlechts- zelle bezeichnet (vgl. 1892, S. 116, sowie Waldeyer, S.223). Später (1899) wendet Boveri diesen Namen nur auf ihre beiden Abkömmlinge an. Ich möchte es für zweckmäßig halten, schon die erste Embryonalzelle, in deren Deszendenz sich nur noch generative Elemente oder höchstens Hilfszellen der letzteren (z. B. Nährzellen) befinden, durch einen besonderen Namen von den vorangehenden Stammzellen zu unterscheiden, und möchte für sie die Bezeichnung Urgeschlechtsmutterzelle (primäre Urgeschlechtszelle), für ihre Töchter den Namen Urgeschlechtszellen (sekundäre Urgeschlechtszellen) in Vorschlag bringen. ®) Vgl. Boveri, S.422 (1899). *) Vgl. Haecker 1897, 1902. 64 Geschlechtszellendifferenzierung bei den Kopepoden. generation darstellt!), verschmelzen hier während des Ruhestadiums zu unförmigen Klumpen und werden resorbiert. Während sich die letzte Stammzelle, die Urgeschlechtsmutterzelle (primäre Urgeschlechts- zelle), teilt und so die beiden Urgeschlechtszellen bildet (Fig. 27), treten die Körnchen nicht mehr einseitig, sondern im ganzen Umkreise der Teilungsfigur auf. Die Körnchenzellen stellen also die direkten Etappen der Keimbahn dar. Die Differenzierungsvorgänge bei Ascaris und bei den Kopepoden lassen sich zurzeit nicht ohne weiteres miteinander in Verbindung bringen. Doch treten bei der Furchung von Cyclops abnormerweise Bilder auf, welche eine große Ähnlich- keit mit den Befunden von Ascaris zeigen: Abspaltung von Körnchen bereits im Knäuelstadium (Fig. 30A), Ansammlung im Äquator (Fig. 30B) und rudimen- täre Durchteilungsversuche in den Telophasen der Teilung (Fig. 30 C)*). Bemerkens- wert ist auch, daß sich die Körnchen an derjenigen Seite des „Kerngerüstes“ bilden, welche normalerweise wahrscheinlich den Schleifenenden den Ursprung geben würde. Fig. 29. Geschlechtszellendifferenzierung bei den Kopepoden. Noch für eine Reihe von anderen Tieren wurde eine frühzeitige Sonderung der Keimzellen beschrieben 3), insbesondere sprechen immer !) Ich bin bei dem ersten Auffinden der Körnchen unsicher gewesen, ob bei den einzelnen Teilungsschritten die körnchenführende oder die körnchenfreie Schwester- zelle als Stammzelle anzusprechen ist. Inzwischen konnte K.Amma den bestimmten Nachweis führen, daß tatsächlich das erstere zutrifft. Der Nachweis gründet sich zum Teil auf die Beobachtung, daß z. B. bei Diaptomus castor (Fig. 29B) die zu Klumpen verbackenen Körnchen der vorangegangenen Teilung (a) noch erhalten sind, während bereits in der gleichen Zelle die neue Körnchengeneration (n) zur Ab- scheidung kommt. Damit ist bewiesen, daß jeweils die körnchenführende Tochterzelle zur Stammzelle wird. ?) Meine ersten Beobachtungen (Arch. f. mikr. Anat., 43. Bd., 1894) sind inzwischen von H.Matscheck in der oben skizzierten Weise vervollständigt worden. Eine ge- nauere Veröffentlichung steht noch aus. ®) Vgl. Korschelt und Heider, Allgem. Teil, S.368, u. Waldeyer, S. 400. Über Beobachtungen bei Sagitta vgl. W. Elpatiewski (Anat. Anz., 35. Bd., 1909 u. Biol. Zeitschr., 1. Bd., Moskau 1910) u. P. Buchner (Anat. Anz. 1909, u. Festschr. f. R. Hertwig, Jena 1910). Gonadenbildung bei den Kopepoden. 65 mehr Beobachtungen dafür, daß auch bei den Wirbeltieren schon vor der Anlage der Geschlechtsdrüsen (vor Bildung der sogenannten Genitalleisten) bestimmte Zellen den Charakter von Fortpflanzungs- zellen haben). Nur in wenigen Fällen ist das unmittelbare Schicksal der Ur- geschlechtszellen und überhaupt der frühzeitig gesonderten Keim- zellen, sowie der Anteil, den diese Elemente in Verbindung mit anderen (mesodermalen und mesenchymatischen) Embryonalzellen beim Aufbau der Greschlechtsdrüsen haben, vollkommen bekannt. Namentlich ist es infolge der soeben erwähnten neueren Beobachtungen zweifelhaft geworden, inwieweit die bisherigen Ansichten über die Gonadenbildung bei den Wirbeltieren haltbar sind 2). Fig: 30. Verhältnismäßig _ein- fach liegen die Dinge bei Sad ANN den Kopepoden. Nach ihrer Entstehung bleiben die bei- denUrgeschlechtszellen, von | | einigen glatten Mesenchym- | zellen umhüllt, während des ganzen Nauplius- und Meta- A B C naupliusstadiums im Ruhe- Diminutionsvorgang bei Cyclops (pathologisch). zustand liegen, zunächst : isoliert zu beiden Seiten des Darmrohres, später vereinigt an seiner Dorsalseite®). Die Bildung der Gonaden erfolgt dann in der Weise, daß sich sowohl die Urgeschlechtszellen als auch die mesenchy- matischen Belegzellen durch Teilung vermehren. Erstere liefern die Keimzellen der zunächst geschlechtlich indifferent erscheinenden Ge- schlechtsdrüse, also die Geschlechtszellen (Gonocyten) im engeren Sinne‘) oder die indifferenten Geschlechtszellen ") Außer den von Korschelt-Heider u. Waldeyer erwähnten Beobachtungen von Nußbaum (bei Forelle und Frosch), Beard (bei Selachiern), Wheeler (bei Petromyzon) u. Eigenmann (bei einem Knochenfisch, Cymatogaster) liegen ähnliche Angaben vor von Allen für die Schildkröte Chrysemys und für Rana pipiens (Anat. Anz., 29. Bd., 1906 u. 31. Bd., 1907), von Jarvis für den Saurier Phrynosoma (Biol. Bull., Vol. 15, 1908) und von Rubaschkin für Säuger (Anat. Hefte, 39. Bd., 1909). ?) Vgl. Waldeyer und Felix. ®) Bei Cetochilus erfolgt die erste Teilung schon vor der Vereinigung (Grobben). *) Nach der von Waldeyer vorgeschlagenen Terminologie. Haecker, Vererbungslehre. 5 66 Samenbildung und Eibildung. (Fig. 31, 92), letztere die Hüllen der Gonaden (h) und später die An- fangsabschnitte der Ausführungswege (gw) }). In einer bestimmten Entwickelungsphase, bei den Kopepoden ungefähr gleichzeitig mit der Ausbildung der sekundären Geschlechts- charaktere (Greifantenne, Greiffuß), läßt sich dann der Geschlechts- charakter der Gonaden und der Geschlechtszellen deut- lich unterscheiden. Aus der indifferenten Gonade der Metazoen ent- wickelt sich dann entweder ein Hoden (Testis) oder ein Eierstock (Ovarium) und aus den Geschlechts- zellen entstehen die Ursamenzellen oder Spermatogonien bzw. die Ureizellen oder Ovogonien?). Damit beginnt die Samenbildung Indifferente Geschlechtsdrüse (Gonade) von Diaptomus. Nach O. Krimmel. Fig. 32. Ovarium eines Kopepoden (Canthocamptus). Etwas schematisiert. (Spermatogenese) und Eibildung (Ovogenese), und zwar pflegt man zunächst in beiden Fällen eine Teilungs- oder Ver- !) Meine früheren Beobachtungen sind neuerdings von Frl. O. Krimmel be- stätigt und ergänzt worden (Zool. Anz., 35. Bd., S. 778). ?) Waldeyer (S. 168, 224, 1906) reserviert die Ausdrücke Ursamenzellen und Ureizellen für die erste in sichtbarer Weise geschlechtlich differenzierte Zellengenera- tion, während er für die folgenden die Bezeichnungen Primordialeier oder Ovo- gonien bzw. Spermatogonien verwendet. Wachstums- und Reifungsperiode. 67 mehrungsperiode zu unterscheiden, während welcher die Sper- matogonien und Ovogonien einer mehr oder weniger lebhaften Ver- mehrung unterliegen. In schlauchförmigen Geschlechtsdrüsen und bei einer mehr kontinuierlichen Geschlechtszellenbildung läßt sich dann eine bestimmte Zone, die Keimzone, unterscheiden, welche mit den aufeinanderfolgenden Generationen der Ursamen- oder Ureizellen angefüllt ist (Fig. 32, kz). Bemerkenswert ist der syncytiale Cha- rakter, welchen diese Keimzone in vielen Fällen aufweist. Nament- lich in den Anfangsteilen der Ovarien der Arthropoden (Fig. 32) pflegt die synceytiale Gewebsform sehr klar hervorzutreten !), und das- selbe gilt wenigstens für die Hoden der Kopepoden und Myriapoden?). Auch die Spermatogonien vieler Tiere, z. B. der Schmetterlinge (Seidenspinner) und Anneliden (Regenwurm), stehen durch eine zen- trale, bei ersteren kernhaltige, bei letzteren kernlose Plasmamasse (Versonsche Zelle bzw. Cytophor) gruppenweise miteinander in syncytialem Zusammenhang. In der nun folgenden Wachstumsperiode bzw. Wachstums- zone (Fig. 32, rechts von wz) tritt zunächst wieder ein Stillstand in der Vermehrungstätigkeit ein: namentlich im weiblichen Geschlecht erfahren die aus der letzten ovogonialen Teilung hervorgegangenen Eimutterzellen oder Ovocyten erster Ordnung (unreife Eier, Eierstockseier, Voreier, Fig. 32, 00c) entweder noch im Ovarium (Säuge- tiere) oder zum Teil erst in den Ovidukten (Kopepoden) eine be- trächtliche Größenzunahme, welche im wesentlichen durch die Ab- scheidung von Dottermaterial (Fig. 32 bei ooc) im Eiplasma bedingt ist, während im männlichen Geschlecht in den Samenmutterzellen oder Spermatocyten erster Ordnung das Wachstum weniger stark hervortritt und nur in seltenen Fällen (z. B. bei Ascaris, Fig. 33a) eine Dotterbildung zustande kommt. In der folgenden Periode der Samen- und Eibildung, in der Reifungsperiode bzw. in der Reifungszone, zeigen abermals die männlichen Elemente die einfacheren Verhältnisse. Auf Grund zweier successiver Teilungen, der Reifungsteilungen (Fig. 33 b—d !) Fast alle Abbildungen des Insektenovariums lassen den syncytialen Gewebs- charakter deutlich erkennen. Ebenso besitzen die Anfangsteile des Ovariums der Kopepoden (Haecker 1895) und Myriapoden (Tönniges) eine syncytiale- Struktur. Vgl. auch Rhode, S. 4ı (1908). Auch im Säugetierovarium kann das Epithel der Ovocyten ein syncytiales Gefüge zeigen. Vgl. Waldeyer, S. 324, Fig. 130. 2) Vgl. die Abbildung des Heterocopehodens bei Korschelt und Heider, Allgem. Teil, S.473, sowie Tönniges 1902. 5* 68 Wachstums- und Reifungsperiode. Spermatidenbildung bei Ascaris. Nach Brauer. a Spermatogonie. b Spermatocyte erster Ordnung. c—d erste, e zweite Reifungs- teilung. und ee), verwandeln sich die Samenmutter- zellen (Spermatocyten erster Ordnung) in zwei Samentochterzellen (Sper- matocyten zweiter Ordnung, Fig. 33d) und vier Samenzellen (Sper- matiden, Fig. 33e). Im weiblichen Geschlecht pflegt der Kern der Eimutter- zellen, das Keimbläschen, meist unter beträchtlicher Volumenverminderung (vgl. Fig. 34A und B) vom Eizentrum an die Peripherie zu wandern und gleichzeitig die späteren Prophasen und früheren Metaphasen der Teilung zu durchlaufen. Die erste Teilungsfigur (Fig. 34 B) bleibt in sehr vielen Fällen längere Zeit im Zustande der späteren Metaphase an der Peripherie liegen, eine Bereitschaftsstel- lung, während welcher gewöhnlich die Samenzelle in das Ei eintritt, also die Befruchtung eingeleitet wird und in vie- len Fällen, z. B. bei den Kopepoden, auch die Eiablage stattfindet. Es erfolgt eine asymmetrische Zellteilung (Fig. 34C), welche zur Bildung einer großen Ei- tochterzelle (Ovocyte zweiter Ordnung, Fig. 34C, 0) und einer kleinen rudimen- tären Zelle, des ersten Richtungs- körpers (rk) führt. Unmittelbar darauf wiederholt sich der gleiche Prozeß (Fig. 34D, E) und es kommt zur Bildung der reifen Eizelle und des zweiten Richtungskörpers (Fig. 34E, rk”). Zuweilen erfolgt gleichzeitig mit der zweiten Reifungsteilung eine mehr oder weniger regelmäßige Teilung des ersten Richtungskörpers, so daß im ganzen drei Richtungskörper gebildet werden. Im Falle der Parthenogenesis (Entwickelung ohne Befruchtung) werden entweder zwei Metamorphose der Samenzellen. 69 (Honigbiene, Gallwespen, Amei- sen) oder nur ein einziger Rich- tungskörper (Cladoceren, Ostra- koden, Aphiden) gebildet. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Reifungs- teilungen bei der Samen- und Eibildung, stammesgeschichtlich und physiologisch betrachtet, ein- ander entsprechen, und daß also Ei und Richtungskörper einer- seits und die vier Samenzellen andererseits eine homologe Zell- generation darstellen. An die Reifungsperiode schließt sich in der Samenbil- dung noch eine weitere Periode, die Umwandlungsperiode, an, während welcher die Meta- morphose der Samenzellen in die befruchtungsfähigen, in der Regel durch starke Beweglichkeit aus- gezeichneten Samenfäden, Spermatozoen oder Sper- mien stattfindet. Charakteristi- sche Momente dieses Umwand- lungsprozesses sind bei den typischen flagellatenähnlichen Spermatozoenformen: die Ver- doppelung des Centrosomas (Fig. 35A, s) und seine Verlagerung an den Zellenrand (B, e.a—+ c.p); Bildung des Mittelstückes oder Spermienhalses unter Beteiligung des inneren oder vorderen Cen- trosomas (B,C, c.a); Auswachsen des Schwanzfadens vom äußeren oder hinteren Centrosoma . aus (B,ce.p); Streckung und Ver- Fig. 34. Richtungskörperbildung bei Cyclops gra- cilis. Nach Matscheck. (E schematisiert nach Bildern bei Cyclops viridis.) RC) 70 Metamorphose der Samenzellen. Fig. 35. n cy ©- c.2a ET EEE f.princ B idz "idz n n +-6y cy LE c.a | 1-c,2 ann ce. / en y a f. prince C D Samenbildung bei Salamandra maculosa. Nach Meves aus Waldeyer. Metamorphose der Samenzellen. 71 dichtung des Kernes (n) sowie Zurückbildung des größten Teiles des Cytoplasmas (cy) bis auf einen dünnen, den Kern umgebenden Belag (D); Ausbildung des Spitzenstückes (C—E, idz) unter Beteiligung eines Körpers, der wahrscheinlich einen Restteil des achromatischen Appa- rates (Sphäre — Centrosomahülle, A, s, oder Spindelrest, A, sp) dar- stellt und als Idiozom bezeichnet zu werden pflegt?). Auch einige Eier durchlaufen teils vor, teils nach der Befruchtung eine Metamorphose. Letzteres gilt z. B. für das Vogelei, welches beim Eintritt in den Eileiter nur von der als Zellmembran zu deutenden Dotterhaut umgeben ist und innerhalb des drüsenreichen Eileiters mit sogenannten tertiären Hüllen (Eiweiß und Kalkschale) versehen wird 2). USE Zum Schluß sei noch bemerkt, daß speziell in der Vererbungs- lehre die befruchtungsreifen männlichen und weiblichen Fortpflanzungs- zellen mit einem aus der Botanik entnommenen Ausdruck als Ga- meten, das Produkt ihrer Vereinigung als Zygote bezeichnet wird. Literaturverzeichnis zu Kapitel 7. (Betreffs der Auswahl der hier angeführten Literatur vgl. das Vorwort.) Boveri, Th., Über Differenzierung der Zellkerne während der Furchung des Eies von Ascaris megalocephala. Anat. Anz., 2. Bd., 1887. —, Ref.: Befruchtung. Erg. An. u. Entw., 1. Bd., 1892. — , Die Entwickelung von Ascaris megalocephala mit besonderer Rücksicht auf die Kernverhältnisse. Festschrift für Kupffer. Jena 1899. Davifs, H. Sp., Spermatogenesis in Acridiidae and Locustidae. Bull. Mus. Comp. Zool. Harv. Coll., Vol. 53, 1908. Felix, W., und Bühler, A., Die Entwickelung der Keimdrüsen und Ausführungs- gänge. O. Hertwigs Handbuch d. Entw.-Lehre, 3. Bd., 1. Teil. Jena 1906. Haecker, V., Die Vorstadien' der Eireifung. Arch. f. mikr. Anat., 45. Bd., 1895. —, Die Keimbahn von Cyclops. Arch. f. mikr. Anat., 49. Bd., 1897. —, Über das Schicksal der elterlichen und großelterlichen Kernanteile. Jen. Zeitschr. Naturw., N. F., 30. Bd., 1902. Korschelt, E., und Heider, K., Lehrbuch der vergleichenden Entwickelungs- geschichte der wirbellosen Tiere. Spez. Teil. Jena 1890. !) Vgl. die Darstellung bei Meves und Otte. Im einzelnen gehen die Be- obachtungen noch sehr weit auseinander, wie die Arbeiten von Otte und Davies, welche beide heuschreckenartige Orthopteren zum Gegenstand haben, zeigen. 2) Vgl. Korschelt und Heider, Allgem. Teil, S. 281, 340. 72 Literaturverzeichnis 7. Korschelt, E., und Heider, K., Allgem. Teil. Jena 1902—1909. Meves, F., Über Struktur und Histogenese der Samenfäden des Meerschweinchens. Arch. f. mikr. Anat., 54. Bd., 1899. Otte, H., Samenreifung und Samenbildung bei Locusta viridissima. Zool. Jahrb. (Anat. Abt.), 24. Bd., 1907. Rhode, E., Histogenetische Untersuchungen. I. Breslau 1908. Tönniges, C., Beiträge zur Spermatogenese und Ovogenese der Myriapoden. Zeit- schr. wiss. Zool., 71. Bd., 1902. Waldeyer, W., Die Geschlechtszellen. O. Hertwigs Handbuch d. Entw.-Lehre, 1.Bd., 1. Teil. Jena 1906. Achtes Kapitel. Reife Fortpflanzungszellen und Befruchtung. Die reifen, d.h. befruchtungsfähigen Fortpflanzungszellen!), werden bei den höheren Tieren im männlichen Geschlecht als Samenfäden, Spermatozoen, Spermien oder auch als Samenzellen bezeichnet. Sie werden entweder innerhalb einer eiweißhaltigen Flüssigkeit entleert (liquor seminis, z.B. „Milch“ der Knochenfische) oder in Form von paket- artigen, von einer kapselartigen Hülle umgebenen Komplexen, den Samenpatronen oder Spermatophoren, vom männlichen Tier in die weiblichen Geschlechtsorgane übertragen oder dem Weibchen angeheftet. Derartige Samenpatronen finden sich bei Regenwürmern, Blutegeln, Krebsen (Kopepoden, Dekapodenfu. a.), Spinnen, Insekten (Heuschrecken, Honigbiene), Schnecken, Tintenfischen und geschwänzten Amphibien. Die fertigen Spermatozoen weichen hinsichtlich ihrer Gestalt in der Regel von dem gewöhnlichen Schema einer Zelle bedeutend ab und zeigen eine Reihe von Differenzierungen, die mit der besonderen Funktion der männlichen Fortpflanzungszellen im Zusammenhang stehen. Außer der Bedeutung, welche die Samenzellen wie alle an- deren Formen von Fortpflanzungszellen für die Arterhaltung haben, kommt ihnen noch die spezielle Aufgabe zu, das Ei aufzusuchen, in sein Inneres einzudringen und den jungen Keim mit dem Teilungs- apparat auszustatten. Dementsprechend sind die Spermatozoen eines großen Teils der Metazoen mit einem Bohr- und lokomotorischen Apparat und wahrscheinlich alle mit einem Centrosoma versehen. Zu den am einfachsten gebauten Spermatozoen gehören die kugeligen oder amöbenähnlichen Samenzellen der Wasser- flöhe (Cladoceren). Bemerkenswert sind hier vor allem die spezi- fischen Verschiedenheiten in der äußeren Gestalt. So besitzt von den beiden bei uns vorkommenden Moinaarten M. paradoxa längliche, an beiden Ende zugespitzte, halbmondförmige Elemente (Fig. 36 A), ') Vgl. Korschelt u. Heider, Allgem. Teil, S. 397, und Waldeyer, S. 9%. 74 Samenfäden. M. rectirostris dagegen heliozoenähnliche „Strahlenzellen“, d. h. große kugelige Zellen mit sonnenartig ausstrahlenden, feinen, unbeweglichen Fäden (Fig. 36B). In dieser verschiedenen Gestalt kommt offenbar die artliche Verschiedenheit des Protoplasmas zum Ausdruck (s. oben 323)... Einen sehr einfachen Bau besitzen auch die Spermatozoen der Nematoden. Speziell diejenigen des Pferdespulwurmes (Fig. 37) haben eine kegelförmige Gestalt und enthalten in ihrem breiteren, rundlichen, amöbenartig beweglichen Abschnitt den Kern (n), in ihrem schmäleren Teile ein kegelförmiges, stark lichtbrechendes Gebilde, den sogenannten Glanzkörper (g), der mit dem Kern ins Ei gelangt, aber hier der Resorption unterliegt. Dieser Körper ent- steht nach neueren Untersuchungen?) durch Konzentration der während B Spermien von Moina paradoxa (A) und Spermium von Ascaris megalo- rectirostris (B). Nach Weismann. cephala. Nach E. v. Beneden. der Wachstumsperiode in den Spermatocyten erster Ordnung ab- geschiedenen (Fig. 33) und durch die Reifungsteilungen auf die ein- zelnen Samenzellen verteilten Dotterkugeln. Die am häufigsten vorkommende Form der reifen Samenzellen ist die des flagellatenähnlichen „Samenfadens“. Im einfachsten Falle, z. B. bei den Medusen (Fig. 38), sind an dem Samenfaden zu unterscheiden: das Spitzenstück (sp), welches als Bohr- apparat dient, der Kopf (k) mit dem Kern, das Mittelstück (m) mit dem Centrosoma und der Schwanzfaden. Im wesent- ") Auch die übrigen Cladoceren weisen zum Teil sehr verschieden gestaltete Spermatozoen auf. In ähnlicher Weise besitzen die Feuerkröte (Bombinator) und die Teichunke (Pelobates), trotzdem sie zur gleichen Familie (Pelobatidae) gehören, Spermien von sehr verschiedenem Habitus. Vgl. Waldeyer, S.127. ®) Vgl. Marcus 1906. Nach A. Mayer 1908 entsteht der Glanzkörper durch Verschmelzung der „plasmatischen Granulationen“. Spermatozoen. 75 lichen den nämlichen Bau, aber eine etwas größere Komplikation zeigen die Spermatozoen der geschwänzten Amphibien, so diejenigen von Salamandra maculosa, Triton (Molge) und Ambly- stoma. Schon bei Anwendung schwächerer Vergrößerung lassen sich an dem (bei Amblystoma 360 bis 430 u langen) Spermatozoon ein Spitzen- stück (perforatorium, Fig. 39, sp) mit Widerhaken (Hamulus), der sehr verlängerte, nach vorn stark verjüngte Kopf (k), Fig. 38. das Mittelstück (Halsstück m), welches das vordere und hintere Centrosoma enthält!) und der Schwanz- * faden mit der undulierenden Membran (w.m) k unterscheiden 2). Letztere stellt einen krausenartig m gefalteten Saum dar, an dem im lebenden Zustande eine lebhafte, fortschreitende Flimmerung wahrzu- nehmen ist. „Indem jede der Krausen gewisser- maßen als Ruderplättchen funktioniert, kommt eine sehr gleichmäßige, geradlinig fortschreitende Be- wegung zustande“ 3). Komplikationen anderer Art finden sich bei den Spermatozoen der Säuger. So zeigen z.B. bei Meer- schweinchen (Fig. 40) Spitzenstück (sp) und Kopf (k) zusammen die Gestalt einer abgeplatteten, regel- mäßig gekrümmten (im Längsschnitt, Fig. 40 B, S-förmigen) Schaufel. Über die Bedeutung dieser Struktur ist nichts bekannt ®). i Die kompliziertesten Spermatozoenformen sind wohl die mit Fortsätzen versehenen „Spermato- somen“ der dekapoden Krebse (Fig. 41). Man Spermium einer Me- duse (Aureliaaurita). ') Genau gesagt, das vordere Centrosoma und ein vorderes Nach Ballowitz. Teilstück des hinteren. Das hintere Teilstück des hinteren gleitet während der Entwickelung am Achsenfaden entlang abwärts und ist endgültig etwa am Anfang des letzten Schwanzdrittels gelagert (Meves). ?) Bezüglich der feineren Struktur des Schwanzfadens vgl. Ballowitz, Meves, sowie Waldeyer, S.ı84. Der Schwanzfaden wird nach Meves von dem rinnen- förmig ausgetieften Achsenfaden (Hauptfaden, Fig.39, hf) gebildet, der an seiner konvexen Seite von einer plasmatischen Schicht, der „Hülle“, bedeckt ist, während sich aus der Konkavität der Rinne die von dem Randfaden (rf) ein- gesäumte undulierende Membran (u.m) erhebt. ®) Vgl. Korschelt u. Heider, S. 425. Nach anderer Auffassung würde die Beweglichkeit der undulierenden Membran weniger in ihr selbst, als in dem den freien Rand des Saumes bildenden Randfaden (Fig. 39, rf) liegen. Vgl. Waldeyer, 8. 158. *) Vgl. Meves 1899, sowie Waldeyer, S.441. 76 Spermatozoen. Fig. 41. sch Fig. 40. Fig.39. Spermium des Wasser- salamanders (Molge marmo- Tata). Nach Ballowitz. Fig. 40. Spermium vom Meer- schweinchen (Cavia cobaya). Nach Meves. A Flächenansicht. B Kantenansicht. Fig. 41. Eindringen des Sper- miums bei Galathea. Nach Koltzoff. Reifes Ei. 2 unterscheidet an diesen den ziemlich umfangreichen Kern (n)!), den Halsteil (m), welcher auch hier das Centrosoma einschließt?) und drei radiär angeordnete, nach vorn (kernwärts) gerichtete borstenartige Fortsätze (f) trägt®), sowie die Chitinkapsel (ch), welche ein früher als Stachelapparat bezeichnetes, kompliziert gebautes „Röhrchen“ einschließt. Das Spermatosom berührt die Eioberfläche mit dem von den Halsfortsätzen gebildeten federnden Dreifuß (Fig. 41 A). Das Eindringen von Wasser in die mit einem „Explosionsstoff“ gefüllte Kapsel bewirkt sodann eine Quellung und Umstülpung der Kapsel (B). Dadurch erhält der Kopf einen Stoß nach vorn und dringt samt dem Halsstück in das Ei ein (B,C). I Die Abweichungen, welche das reife Ei vom gewöhnlichen Zellentypus zeigt, beziehen sich einerseits auf die durch die An- sammlung von Nahrungsmaterial bedingte Größe +), andererseits auf den Besitz von Hüllen verschiedener Art, welche teils der Ernährung, teils dem Schutz des Embryos dienen. Es werden außer der vom Eiplasma selbst gebildeten primären Eihülle (Dotterhaut der Echinodermen und Mollusken, zona radiata der Wirbeltiere) sekun- däre und tertiäre Eihüllen unterschieden. Erstere werden von einem besonderen, das Ei umhüllenden Epithel, dem Follikelepithel, abgeschieden, und treten, z. B. bei den Insekten, in Form einer chitin- artigen Schale (Chorion) auf. Letztere bestehen aus Abscheidungen des Eileiters oder besonderer Drüsen. Beispiele sind die Eiweißhülle, Schalenhaut und Kalkschale des Vogeleies, die Gallerthüllen der Am- phibieneier, die hornigen, viereckigen Eikapseln vieler Haie und Rochen, die zitronenartigen Kokons der Regenwürmer usw. Y) Die Untersuchungen von Koltzoff haben endgültig gezeigt, daß der rund- liche Körper tatsächlich den Kern enthält. 2) Genauer gesagt, wie bei den Urodelen (S. 75, Anm.1), das vordere Centrosoma und den vorderen Abschnitt des hinteren. Vgl. Koltzoff, S.510. Der hintere Ab- schnitt des hinteren Centrosomas sitzt im Röhrchen. Vgl. 1. c., S. 388. ®) Diese Fortsätze wurden früher gewöhnlich als starr beschrieben. Abgesehen davon, daß z.B. beim Hummer und bei Galathea pseudopodienartige Verkürzungen und Verlängerungen zu beobachten sind (Koltzoff, S. 480), muß aber den Fortsätzen eine elastische federnde Konsistenz zugeschrieben werden. *) Die eigentliche Eizelle, das „Gelbei* oder die Dotterkugel beispielsweise des amerikanischen Straußes (Rhea americana), ist nach Messungen an einem dem Hallenser zoologischen Garten entstammenden frischen Ei 9,2cm lang und 6,7 cm breit. Sein Volumen beträgt also 216ccm. Nimmt man für den ausgestorbenen madagassischen Aepyornis dasselbe Verhältnis von Gesamtvolum zu Dottervolum an, wie bei Rhea, so ergibt sich für das Gelbei von Aepyornis ein Volumen von 2643 ccm, also ein ungeheures Maß für eine einzelne Zelle! 78 Begattung. Sowohl in den primären als in den sekundären Eihüllen können besondere Eingangspforten für die Spermatozoen, die Mikropylen, ausgebildet sein. So besitzt die Eihaut der Mollusken und Knochen- fische einen, das Chorion der Insekten einen oder mehrere Mikropylen- kanäle. Die Begegnung der reifen Geschlechtszellen kann bewirkt werden durch eine direkte innere Begattung, indem die Samenzellen mittels des männlichen Kopulationsorgans unmittelbar in die weiblichen Geschlechtswege übertragen werden. Beispiele hierfür finden sich sowohl bei Zwittern (Plattwürmer, Mollusken) als auch bei getrennt geschlecht- lichen Formen (Hale, Reptilien, Säuger). Bei der indirekten inneren Begattung wird das Sperma in Form von Samenpatronen entweder während der Kopulation dem Weibchen angeheftet, worauf die Samen- zellen nachträglich in die Samentasche (Receptaculum seminis) des letzteren gelangen (Kopepoden), oder es wird im Verlauf der Liebes- spiele die Samenpatrone vom Männchen abgelegt und dann vom Weibchen in die Geschlechtsöffnung aufgenommen (geschwänzte Amphibien). Bei der äußeren Begattung kommt die Vereinigung der Geschlechtszellen in der Weise zustande, daß während der Kopu- lation die Fortpflanzungselemente der beiden Geschlechter gleichzeitig ins Wasser austreten (Batrachier), während bei der freien Besamung die Abgabe und Vereinigung der Geschlechtszellen ohne Berührung der Elterntiere erfolgt (Medusen, Echinodermen, Fische). Die Begattung braucht nicht unmittelbar von der Befruchtung gefolgt zu sein. In den Fällen z. B., in welchen die Samenzellen vom Weibchen in einer Samentasche aufbewahrt werden, kann die Be- fruchtung durch Monate (Feuersalamander) oder Jahre (Honigbiene) von der Begattung getrennt sein. Bei den Fledermäusen findet die Begattung im Herbst statt, während die Loslösung der Eier aus dem Eierstock und ihre Befruchtung durch die im Uterus aufbewahrten Samenzellen erst gegen das Frühjahr hin erfolgt. Unter Befruchtung versteht man ganz allgemein die Vereinigung zweier Geschlechtszellen oder Gameten und ihrer Kerne. Von einer Verschmelzung der Kerne im Sinne einer gegenseitigen Durch- dringung der Kernsubstanzen darf man offenbar mit Rücksicht auf die gonomer gebauten Kerne (siehe unten) nicht reden '). Bei der Antogamie (siehe unten) findet vielfach (Entamoeba) nur eine Ver- einigung zweier Kerne statt. '!) Vgl. Haecker, S. 78, 1902. Befruchtung. Polyspermie. 79 Bei den Metazoen nimmt der Befruchtungsprozeß seinen An- fang mit dem Eindringen einer oder mehrerer Samenzellen in das Ei und schließt ab mit der Kopulation von Spermakern und Eikern. Das Eindringen erfolgt vielfach während der Metaphasen der ersten Reifungsteilung („Bereitschaftsstellung“ der ersten Richtungsspindel an der Eiperipherie), seltener, z. B. bei den Seeigeln, nach vollkommener Durchführung der beiden Reifungsteilungen. Bei den meisten Metazoen dringt normalerweise nur eine Samenzelle ein (Monospermie), und speziell bei dem klassischen Objekt der Befruchtungslehre, beim See- igel, schützt sich das Ei im Moment des Eindringens des Sperma- kopfes dadurch gegen Überbefruchtung, daß eine für weitere Sperma- tozoen undurchdringliche Dottermembran oder Eihaut gebildet wird. Diese hebt sich vom Eiplasma ab, indem sich der Plasmaleib ein wenig von der Grenzschicht zurückzieht und in den Zwischenraum eine aufquellende Substanz abscheidet !). Im Gegensatz zur pathologisch verlaufenden Überbefruchtung steht diephysiologischePolyspermie, bei welcher normalerweise mehrere Samenzellen in das Ei eindringen, aber allerdings nur ein Sperma- kern mit dem Eikern in Verbindung tritt. Eine derartige Mehr- befruchtung wird als regelmäßiges Vorkommnis bei Haien, Reptilien, ‚Vögeln, als häufiges Vorkommnis (fakultative physiologische Poly- spermie) bei Amphibien, Insekten und Spinnen beobachtet. Es handelt sich im allgemeinen um große dotterreiche Eier, und man wird die Bedeutung des Vorganges darin zu suchen haben, daß durch eine Mehrheit der eindringenden Samenzellen die Aussicht des Eikerns, möglichst bald bzw. im richtigen Zustande mit einem Samenkern zusammenzutreffen, vergrößert wird. Sehr häufig, so z. B. beim Seeigel, dringt vom Spermatozoon nur der vordere Teil, einschließlich des Mittelstückes, in das Eiplasma ein, während der Schwanzfaden in der Eihülle (beim Seeigel in der Dotterhaut) stecken bleibt. In zahlreichen anderen Fällen, so bei Turbellarien (Thysanozoon, Fig. 18), Gastropoden (Physa, Fig. 42) und manchen Wirbeltieren, z. B. bei der Fledermaus (Vesperugo, Fig. 43), wird auch der Schwanzfaden in das Ei hereingezogen. Er ist dann als ein in Schlingen gelegter Faden noch während der Durchführung der ersten Richtungsteilung (Thysanozoon und Physa), zuweilen aber, so bei der Fledermaus (Vesperugo), noch während der Annäherung der !) Zur Analyse des Vorganges vgl. Herbst 1904. 80 Befruchtung. beiden Geschlechtskerne wahrzunehmen. Früher oder später fällt aber der eingedrungene Schwanzfaden ebenso wie das Spitzenstück der Resorption anheim, während das Cytoplasma des Kopfes und Mittel- stückes so vollständig mit dem Eiplasma verschmelzen, daß sie nicht % Fig. 42. Befruchtung des Eies der Fledermaus Befruchtung des Eies von Physa. (Vesperugo).. Nach van der Stricht. Nach Kostanecki und Wierzejski. mehr als selbständige Gebilde zu erkennen sind. In der Regel ist also von der eingedrungenen männlichen Fortpflanzungszelle nur noch der Spermakern (Fig. 44, k) und ferner das im Mittelstück mit- ch Fig. 44. / N ZU Eindringen des Spermiums im Seeigelei.“ Nach Wilson und Matthews. geführte Spermozentrum wahrzunehmen. Dieses besteht aus einem Centrosom (? dem vorderen der Spermatide) oder, wo dieses nicht erkennbar ist, aus einer körnigen, dotterfreien Masse, der Sphäre (Fig. 44A, s). Später tritt die das Centrosoma oder die Sphäre um- gebende Spermastrahlung (Fig. 44B, ss), d. h. die radiäre An- ordnung der Plasmagranula und der Dotterkörnchen, hervor. Befruchtung. 81 Bald nach dem Eindringen des Spermakerns führt er in sehr vielen Fällen eine Drehung aus!), derart, daß das an seinem hinteren Ende gelegene Spermozentrum gegen das Eiinnere gerichtet wird (Fig.44A u. B). Die Eintrittsstelle bleibt beim Seeigel längere Zeit durch eine Plasmaerhebung, den Empfängnishügel (eh), markiert. Während sich dann der Spermakern dem Eikern nähert, verliert er allmählich seine längliche (kegel- oder stiftförmige) Gestalt, seine Fig. 45. Fig. 46. rk Befruchtung des Seeigeleies. Nach Wilson und Matthews. sp... Befruchtung des Ascaris-Eies. Nach Boveri. Fig. 47. dichte Konsistenz und starke Färbbarkeit und nimmt mehr und mehr das Aussehen des Eikerns an. In der Regel zeigen die beiden Kerne zur Zeit der Kopulation annähernd gleiche Größe und Beschaffen- heit (Fig. 45, ei und sp, 47), seltener, z. B. beim Seeigel (Fig. 46), weist der Sperma- kern noch während und nach der Kopulation eine geringere Größe und dichtere Konsistenz Befruchtung des Eies von Cyclops strenuus, als der Eikern auf, oder er Na Er überwiegt sogar an Größe, wie das zuweilen bei den Kopepoden der Fall ist. !) Zuerst von Fick beim Axolotl, dann von Wilson und Matthews beim Seeigel beobachtet. In anderen Fällen, so bei der Fledermaus, scheint diese Drehung zu unterbleiben (van der Stricht). Haecker, Vererbungslehre 6 82 Befruchtung. In früheren oder späteren Stadien der gegenseitigen Annäherung der beiden Kerne teilt sich das Spermozentrum (Fig. 45, s,s) und damit auch die Spermastrahlung und, indem sich die beiden Kerne aneinanderlegen (kopulieren), kommt ein viergliedriges System zustande, das aus den beiden weiter auseinander gerückten Spermo- zentren und den zwischen ihnen gelegenen Geschlechtskernen. besteht (Fig. 46, 47). Die Vorbereitung der Kernsubstanz zur ersten Teilung des nun- mehr doppelkernigen Keimes (der „ersten Furchungsteilung“) macht sich schon während (Ascaris, Fig. 45) oder erst nach erfolgter Kopu- lation bemerkbar. Speziell bei Ascaris zeigen die Chromosomen der beiden Geschlechtskerne schon vor der Kopulation eine sehr weitgehende Ausbildung, und bei diesem Objekte konnte Eduard van Beneden (1883) die fundamentale Tatsache feststellen, daß die Chromosomen . von Ei- und Spermakern bei der Kopulation die gleiche Zahl und das gleiche Aussehen zeigen !). Ebenso wie im Falle von Ascaris in besonders deutlicher Weise die selbständige und gleichmäßige Vorbereitung zur ersten Teilung hervortritt, so läßt sich bei einer Reihe von Formen, insbesondere bei den Kopepoden und bei einer Schnecke (Crepidula) zeigen, daß die erste Teilung von beiden Kernsubstanzen auch selbständig durchgeführt wird, so daß nicht nur im Äquatorialplatten- und Dyaster- stadium deutlich zwei Gruppen von Chromosomen, eine väterliche und eine mütterliche, zu unterscheiden sind (S.50, Fig. 22 A), sondern auch bei der Rekonstitution der Tochterkerne keine einheitlichen Kerne, sondern Doppelkerne entstehen (Fig. 22 C), die aus den beiden elterlichen Halbkernen oder Gonomeren zusammengesetzt sind. Auch späterhin läßt sich die gleiche Erscheinung beobachten, so daß speziell in den frühen Embryonalzellen und in den Urgeschlechts- zellen mit großer Regelmäßigkeit der Doppelbau der Kerne oder der gonomere Kernzustand hervortritt. Bei Cyclops kommt in den späteren Stadien und sogar noch in den Ovogonien und Spermato- gonien der Doppelbau der Kerne darin zum Ausdruck, daß in den jungen Tochterkernen in jeder der beiden Kernhälften die Nucleolen- substanz selbständig zur Abscheidung kommt und erstere also einen symmetrischen binucleolären Bau zeigen (Fig. 48). In älteren !) Bei Ascaris megalocephala bivalens (Fig. 45) kommen im Ei- und Samen- kern je zwei Chromosomen, bei univalens je eines zur Entwickelung. Befruchtung. | 83 Kernen findet eine Verschmelzung der beiden Nucleolen statt!). Die Selbständigkeit oder Autonomie der väterlichen und mütterlichen Kernsubstanz läßt sich also vom befruchteten Ei bis zum Beginn der Wachstumsphase der Keimzellen verfolgen 2). Namentlich in den letzten Jahren haben sich die Beobachtungen ähnlicher Art immer mehr gehäuft und insbesondere sind auch, wie gleich hier angeführt werden soll, für verschiedene niedere Organismen Fälle von einer verspäteten Verschmelzung bzw. einer dauernden Auto- nomie der Sexualkerne bekannt geworden. Dies gilt für Ascomyceten, Fig. 48. Blastomerenkerne im Ei von Cyclops viridis. Basidiomyceten (Uredineen), Konjugaten, für Amoeba diploidea und vermutlich auch für Myxosporidien ?). Angesichts aller dieser Befunde wird man also die Befruchtung nicht, wie dies früher üblich war, als einen Verschmelzungsprozeß !) Sehr schön und regelmäßig tritt ein binucleolärer Bau, speziell der Spermato- gonien, in den jugendlichen, in lebhafter Zellvermehrung begriffenen Hoden z. B. von Kopepoden (Heterocope) hervor. ®) Es ist u. a. von OÖ. Hertwig bezweifelt worden, ob die binucleoläre Be- schaffenheit junger Tochterkerne als Kriterium für ihren gonomeren Aufbau an- gesehen werden darf. Die Befunde, speziell bei Cyclops, zeigen aber, daß in den aufeinanderfolgenden Zellgenerationen 1. Doppelkerne mit je einem Nucleolus in jedem Gonomer, 2. zweilappige Kerne mit je einem Nucleolus in jedem Kernlobus und 3. runde Kerne mit zwei symmetrisch gelegenen Nucleolen ganz allmählich ineinander übergehen, und daß also ein kontinuierlicher Zusammenhang be- steht zwischen dem letztgenannten, von OÖ. Hertwig beanstandeten Kerntypus und der von Rückert und mir in den ersten Stadien der Furchung beobachteten doppelten Teilungsfigur (Fig. 22 A). Es ist also doch offenbar logisch durchaus gerechtfertigt, wenn man das Auftreten symmetrischer Nucleolen in den jungen Tochterkernen der späteren Zellgenerationen auf dieselbe Ursache zurückfütrt, wie die in den ersten Doppelkernen, nämlich auf das Fortbestehen zweier selb- ständiger, genetisch verschiedener Kernbezirke. ») Vgl. für Ascomyceten Blackman und Fraser (Ann. Botany 1906) und Christman (Trans. Wiscons. Ac. 1907); für Basidiomyceten Claussen (Ber. bot. Ges. 1907); für Konjugaten Klebahn (Ber. bot. Ges. 1888); für Amoeba Hart- mann und Nägler (Sitzungsber. Ges. Naturf. Freunde, Berlin 1908); für Myxo- sporidien Schröder (Arch. Prot. 1907). 6* 84 Befruchtung der Phanerogamen. bezeichnen dürfen, vielmehr handelt es sich offenbar um die Schaffung: eines zweikernigen Zustandes, um die Paarung zweier Kerne meist verschiedener Abkunft in einer einzigen Zelle. Bei einer Reihe von Metazoen (Rotatorien, Entomostraken, zahl- reichen Insekten) ist in bestimmten Generationen der Befruchtungsakt sekundär unterdrückt worden. Die Vermehrung durch unbefruchtete Fig. 49. Eier wird in diesen Fällen als Partheno- __psch genesis (Jungfernzeugung) bezeichnet. Es wurde in diesem und dem vor- hergehenden Kapitel in erster Linie die Entwickelung der Geschlechtszellen und der Befruchtungsprozeß der vielzelligen Tiere oder Metazoen dargestellt. Mit wenigen Worten soll hier noch auf die homologen Erscheinungen bei den Meta- phyten und bei den Einzelligen einge- gangen werden. Speziell bei den angiospermen Phanerogamen nimmt der eigentliche Eibildungsprozeß vom Embryosack (Embryosackmutterzelle) seinen Ausgang. Der Kern dieser Zelle liefert auf Grund von drei aufeinanderfolgen- den Teilungsschritten acht Kerne, von welchen sich je drei an jedem Ende des Doppelte Befruchtung bei Lilium. Embryosackes zusammen mit kleinen Nach Guignard. Plasmaportionen vom übrigen Embryo- Be al Oberen ‚ sackplasma abtrennen und die Eizelle, unterer Polkern. a Antipoden. pıp"die die beide Synergiden (Gehilfinnen) und die drei Antipodenzellen (Gegen- füßlerinnen) darstellen (Fig.4900,5y,a). Die beiden übrigen Kerne, der sogenannte obere und untere Polkern (ps, pi) legen sich in der Mitte des Embryosackes zum sekundären Embryosackkern zusammen. Im männlichen Geschlecht teilt sich die Pollenmutterzelle rasch hintereinander zweimal und liefert die vier Pollenkörner (Pollenzellen). Innerhalb jedes Pollenkorns findet noch innerhalb der Anthere eine abermalige Teilung statt, welche zur Bildung einer generativen und einer vegetativen Zelle führt. Nach erfolgter Bestäubung wächst das Pollenkorn zum Pollenschlauch aus, während Befruchtung der Einzelligen. 85 auf Grund eines vierten Teilungsschrittes die generative Zelle zwei sich völlig gleichende generative Zellen liefert. Auf die in stammesgeschichtlicher Hinsicht sehr interessanten Ver- hältnisse bei den Gymnospermen, besonders bei Ginkgo biloba und Cycas, sowie bei den Gefäßkryptogamen kann hier nicht eingegangen werden. Es sei nur erwähnt, daß bei Ginkgo, Cycas und den Farnen die beweg- lichen männlichen Fortpflanzungszellen (Spermatozoide, Antherozoide) starke Anklänge an die Spermatozoen der vielzelligen Tiere zeigen. ‚Der eigentliche Befruchtungsakt vollzieht sich speziell bei den Lilien, einem der klassischen Objekte der botanischen Zeugungslehre, in der Weise, daß der eine der generativen Kerne (Fig. 49, p’) in die Eizelle eindringt und sich mit dem Eikern verbindet, während der andere (p”) mit dem sekundären Embryosackkern die Kopulation aus- führt. Es findet also eine doppelte Kernkopulation statt. Die eine bildet den Ausgangspunkt für die Entstehung des eigentlichen Embryos, die zweite führt zur Bildung des Ernährungsapparates der Eizelle, des Albumens oder Endosperms. | Dem Befruchtungsakt der höheren Tiere und Pflanzen entspricht bei den einzelligen Organismen in der Regel die Verbindung zweier Individuen. Die Verbindung kann zu einer dauernden und totalen Verschmelzung der beiden Paarlinge oder Gameten und ihrer Kerne führen. Man spricht dann von einer Karyoplasmogamie oder Kopulation und nennt das. Verschmelzungsprodukt eine Zy- gote. Oder es kann die Verbindung eine vorübergehende sein und nur einen Austausch von Kernen im Gefolge haben, dann liegt eine reine Karyogamie oder Konjugation vor. Dieser Fall ist bei den Infusorien verwirklicht, bei welchen der Mikronucleus oder Geschlechts- kern jedes Paarlings nach zweimaliger vorbereitender Teilung!) auf Grund eines dritten Teilungsvorganges zwei generative Kerne liefert, den stationärenKern und den Wanderkern. Der Wanderkern jedes Paarlings tritt in den anderen Paarling über und vereinigt sich mit dem stationären Kern des letzteren. Hierauf findet die Loslösung der beiden Gameten statt 2). !) Siehe folgendes Kapitel, Fig. 57. ?) Manche Forscher, z. B. A. Lang in seinem Lehrbuch, nehmen an, daß die Kopulation aus der Konjugation stammesgeschichtlich hervorgegangen sei. Da- gegen spricht aber u. a. die isolierte Stellung, welche den neueren Anschauungen zufolge die Infusorien gegenüber den übrigen Protozoen einnehmen. Man kann sich nicht gut vorstellen, daß die Befruchtungsvorgänge gerade dieser hochspezialisierten Gruppe ein ursprüngliches Verhältnis darstellen. 86 Befruchtung der Einzelligen. Die Befruchtungsvorgänge der Einzelligen zeigen noch in anderer Hinsicht mancherlei Verschiedenheiten. Insbesondere können die Gameten entweder gleich groß sein und werden dann Isogameten genannt, oder es treten nach Größe, Form und Beweglichkeit geringere oder stärkere Unterschiede hervor, in welchem Falle man die mehr eiähnlichen Makrogameten von den spermatozoenartigen Mikro- gameten unterscheidet. Der Befruchtungsprozeß wird in ersterem Falle als Isogamie (Homogamie), in letzterem als Afisogamie (Heterogamie) bezeichnet. In einigen Fällen (Actinosphaerium u. a.) sind die Gameten Schwesterzellen, in anderen (Entamoeba) besteht der Befruchtungsakt sogar nur in der Verbindung von zwei Kernen, die aus dem einzigen Kern einer Zelle durch Teilung entstanden sind und vor ihrer Ver- einigung noch vorbereitende Teilungen durchlaufen. Beide Be- frachtungsmodi werden als Autogamie zusammengefaßt. Literaturverzeichnis zu Kapitel 8. Ballowitz, E., Untersuchungen über die Struktur der Spermatozoen. Arch. f. mikr. Anat., 36. Bd., 1890. Beneden, E. van, Recherches sur la maturation de l’oeuf, la fecondation et la division cellulaire. Arch. Biol., Vol.,4, 1883. Boveri, Th., Zellenstudien, Heft 2. Jena 1888. —, Zellenstudien, Heft 6. Jena 1907. Conklin, E., Karyokinesis and Cytokinesis etc. of Crepidula. Journ. Acad. Philadelph. (2), Vol. ı2, 1902. Doflein, F., Lehrbuch der Protozoenkunde, 2. Aufl. Jena 1910. Fick, R., Über die Reifung und Befruchtung des Axolotleies. Zeitschr. wiss. Zool., 56. Bd., 1893. Grobben, K., Zur Kenntnis der Dekapodenspermien. Arb. Zool. Inst. Wien, 16. Bd., 1906. Haecker, V., Über die Selbständigkeit der väterl. u. mütterl. Kernbestandteile usw. Arch. f. mikr. Anat., 46. Bd., 1896. —, Über das Schicksal der elterl. und großelterl. Kernanteile. Jen. Zeitschr., 37. Bd., 1902. —, Die Chromosomen als angenommene Vererbungsträger. Erg. d. Fortschr. d. Zool., ı. Bd., 1907. Herbst, C., Über die künstliche Helsanlıkahs von Dottermembranen usw. Mitt. Zool. Station Neapel, 16. Bd., 1904. Hertwig, O., Beiträge zur Kenntnis der Bildung, Befruchtung und Teilung des tierischen Eies. I. Morph. Jahrb., 1. Bd., 1875. Koltzoff, N.K., Studien über die Gestalt der Zelle. I. Arch. f. mikr. Anat., 67. Bd., 1906. Literaturverzeichnis 8. 87 Korschelt, E., u. Heider, K., Lehrbuch der vergleichenden Entwickelungsgeschichte. Jena 1892—1910. Kostanecki u. Wierzejski, Über das Verhalten der sogenannten achromatischen Substanzen im befruchteten Ei. Arch. f. mikr. Anat., 42. Bd., 1896. Lang, A., Lehrb. der vergl. Anatomie, 2. Aufl., 2. Lief. Protozoa. Jena 1901. Marcus, H., Ei- und Samenreife bei Ascaris canis. Ebenda, 68. Bd., 1906. Mayer, A., Zur Kenntnis der Samenbildung bei Ascaris megalocephala. Zool. Jahrb. (Anat. Abt.), 25. Bd., 1908. Meves, F., Über Struktur und Histogenese der Samenfäden des Meerschweinchens. Arch. f. mikr. Anat., 54. Bd., 1899. (Enthält auch Angaben über die Samen- fäden von Salamandra.) Rückert, J., Zur Befruchtung von Cyclops strenuus. Anat. Anz., 10. Bd., 1895. —, Über das Selbständigbleiben der väterlichen und mütterlichen Kernsubstanz usw. Arch. f. mikr. Anat., 45. Bd., 1895. —, Die erste Entwickelung des Eies der Elasmobranchier. Festschrift für Kupffer. Jena 1899. —, Über Polyspermie. Anat. Anz., 37. Bd., 1910, Stricht, O. van der, La formation des deux globules polaires etc. chez Thysanozoon. Arch. Biol., Vol. 15, 1898. — , Le spermatozoide dans l’oeuf de Vesperugo noctula.. Verh. anat. Ges., 1902. Waldeyer, W., Die Geschlechtszellen. Literaturverzeichnis 7. Weismann, A., Die Samenbildung bei den Daphnoiden. Zeitschr. wiss. Zool. 33. Bd., 1879. Wilson, E. B.,, u. Matthews, A. P., Maturation, fertilization and polarity in the Echinoderm egg. Journ. Morph., Vol. 10, 1895. Neuntes Kapitel. Die Reifungsteilungen und ihre stammesgeschichtliche Bedeutung. In den neueren Vererbungstheorien wird den Reifungsteilungen eine sehr wichtige Rolle bei der Verteilung der Anlagen der Fig. 50. Sporenbildung bei einem Lebermoose (Aneura). Nach Farmer. Von den vier Loben der Zelle und den vier Zipfeln der Kernteilungsfigur fallen drei in die Zeichnungsebene, der vierte ist durch Linien angedeutet. Eltern auf die Kinder zuge- schrieben. Bei diesen Gedanken- gängen wird vor allem auch auf die ungemein weite Verbrei- tung von vorbereitenden Tei- lungen ähnlicher Art in den meisten Gruppen des Tier- und Pflanzenreiches Bezug genommen. | In der Tat wird zurzeit allge- mein anerkannt, daß die Teilungen, welche im Embryosack der angio- spermen Phanerogamen zur Bildung der Synergiden und Antipoden- zellen führen, den Reifungsteilungen der tierischen Fortpflanzungszellen homolog zu setzen sind), und daß dasselbe für die zwei Teilungspro- zesse gilt, auf Grund deren die Pollenmutterzelle die Pollenkörner liefert. Vierteilungsprozesse ähn- licher Art treten aber auch bei der Sporenbildung der Gefäßkrypto- gamen (Pteridophyten, Equisetum) und Lebermoose auf, also an einer anscheinend ganz heterogenen Stelle im Lebenscyklus höherer Orga- nismen. Es sei insbesondere auf die Lebermoose hingewiesen, in deren vierlappigen Sporenmutterzellen vierpolige Teilungsfiguren !) Vgl. Strasburger 1884. Homologie der Reifungsprozesse. 89 (Fig.50) auftreten und wenigstens in einzelnen Fällen (Pallavicinia) eine gleichzeitige Teilung des Kernes in vier Enkelkerne erfolgt }). Es erhebt sich also zunächst die Frage, ob all& diese Vorgänge wirklich einander entsprechen und ob ihre weite Verbreitung nicht, abgesehen von ihrer etwaigen Rolle bei der Vererbung, eine allgemeinere biologische Bedeutung hat. Daß die bisher genannten Vorgänge tatsächlich miteinander zu homologisieren sind, daß insbesondere jeweils die ersten Teilungen bei der Pollen- und Eibildung der Phanerogamen, bei der Sporen- bildung der Farne und bei der Samen- und Eireife der Metazoen einander entsprechen, geht aus der großen Ähnlichkeit hervor, welche dieKernteilungsvorgänge im einzelnen zeigen?). So weisen die Chromatinelemente bei fast allen Objekten in den frühen Prophasen der ersten Teilung die bekannte, von Moore (1895) als Synapsis bezeichnete einseitige Zusam- menballung (Fig. 51) auf, einen Zustand, von’welchem immer noch nicht feststeht, ob es sich bei diesen Bildern durch- aus um natürliche Verhältnisse oder, was mir wahrscheinlicher erscheint, zum Teil um ein durch die Konservierungsmittel hervorgerufenes Artefakt handelt). Ebenso zeigt das folgende Stadium der Diakinese (s. unten) bei den verschiedensten Metazoen und Metaphyten eine weitgehende Übereinstimmung der Chromosomen, indem in .den früheren Phasen (Fig. 52 A, B) lang- gestreckte, feinkörnige Doppelfäden, Überkreuzungsfiguren und lockere Ringe, in den späteren (Fig. 52C, D) gedrungenere (kondensierte) Doppel- stäbchen, Ringe, Viererkugeln und Kreuze zur Ausbildung kommen. Auch auf die achromatischen Teile der Kernteilungsfigur kann sich die Ähnlichkeit erstrecken: so ist speziell die „erste Richtungs- Fig. 51. Synapsisstadium von Drosera (d'). Nach Berghs. !) Vgl. J. B. Farmer, Ann. Botany 1894, 1895. 2) Vgl. Haecker, Über weitere Übereinstimmungen usw., S.691; D. Reifungs- erscheinungen, S.911. ®) Vgl. die Chromosomen als Vererbungstr., S. 79. 90 Homologie der Reifungsprozesse. spindel“, d. h. die achromatische Figur der ersten Reifungsteilung des tierischen Eies, bei vielen Objekten, z. B. bei Ascaris und bei den Kopepoden, durch die nämliche bündel- oder garbenförmige Gestalt und denselben Mängel an ausgesprochenen Centrosomen ausgezeichnet, wie die multipolaren Teilungsfiguren, welche bei der Sporenbildung der Farne, Equisetaceen (Fig.53) und bei der Pollenbildung der Lilia- ceen angetroffen werden ?). *j Für die Frage nach der Homologie der genannten Teilungspro- zesse ist vor allem noch von Bedeutung, daß nach einer schon von Fig. 52. A und B frühe Diakinese bei Pristiurus (2) nach Rückert und Lilium speciosum (c') nach Gre&goire. C und D späte Diakinese bei Pteris (Sporenbildung) nach Calkins und Heterocope (®) nach Rückert. Hofmeister begründeten Anschauung ?2) bei den Phanerogamen, Gefäßkryptogamen und Bryophyten die betreffenden Teilungsvorgänge die Bildung der rudimentären oder vollentwickelten Geschlechts- generation (des Gametophyten) einleiten, also die Entstehung des Embryosackes und Pollenschlauches, des Prothalliums und der Moos- !) Über weitere Übereinstimmungen usw., S. 724. 2) Vgl. Juel 1900; Strasburger, Chamberlain, Lotsy 1905 u.a. Befruchtung bei Thallophyten. 91 pflanze. Ob es angängig ist, die „Prothalliumlehre* auch auf die Metazoen zu übertragen, ob man also speziell das Ei mit seinen zwei oder drei Richtungskörpern mit den Gametophyten der Pflanze homologisieren darf, mag dahinge- stellt sein !); jedenfalls sind in den erstgenannten Fällen die Reifungs- teilungen durch die Geschlechts- generation von dem Befruchtungs- akt getrennt und haben also offen- bar direkt mit dem letzteren nichts zu tun. Fig. 53. Unter den Thallophyten sind ‚ entsprechende Vorgänge namentlich von den Algenpilzen (Entomo- phthoraceen) 2) und Braunalgen (Fucaceen) bekannt. Bei einem der ersteren (Basidiobolus ranarum) ent- | Garbenförmige erste Teilungsfigur bei steht in zwei benachbarten Mycel- Equisetum. Nach Osterhout. zellen, die als Gameten bezeichnet werden dürfen, in der Nähe der sie Fig. 54. trennenden Scheidewand je eine schnabelförmige Ausstülpung, in welche die Kerne der beiden Zellen treten. Sie teilen sich hier unter Bildung breiter, garbenförmiger Spindelfiguren (Fig. 54), wie sie einer- seits bei der Richtungskörperbil- Br dung mancher tierischer Eier, an- dererseits bei den Teilungsvorgän- gen mancher Einzelligen auftreten: die beiden äußeren Tochterkerne Richtungskörperbildung bei Basidiobolus. werden durch Scheidewände von EN den Gameten abgetrennt und gehen zugrunde, während die inneren Tochterkerne innerhalb des einen Gameten kopulieren. !) Vgl. Chamberlain 1905. ®) Vgl. D. G. Fairchild, Jahrb. wiss. Bot., 30.Bd., 1897; W. Löwenthal, Arch. Prot., 2. Bd., 1903. 92 Vorreife bei Protozoen. Bei den Fucaceen!) liefert die ursprüngliche Ovogoniumzelle auf Grund von drei hintereinanderfolgenden Teilungsschritten acht Zellen, von denen sich nur eine bestimmte, je nach den Spezies verschiedene Anzahl zu befruchtungsfähigen Eiern entwickelt, während der Rest aus rudimentären, mit den Richtungskörpern vergleich- baren Zellen besteht. Auch die Protozoenforschung namentlich der letzten Jahre hat uns mit zahlreichen Vorkommnissen ähnlicher Art bekannt gemacht, und auf diesem Gebiete ist wohl auch in erster Linie der Schlüssel für die biologische Deutung der Reifungserscheinungen zu suchen). Man wird am besten eine Übersicht über alle diese Erscheinungen gewinnen, indem man verschiedene Gruppen von Beobachtungen Fig. 55. unterscheidet, je nachdem die Über- einstimmung der betreffenden Tei- lungsvorgänge mit den Reifungs- teilungen der höheren Organismen eine vollkommene und ohne weiteres in die Augen springende oder eine weniger naheliegende ist. Eine erste Gruppe bilden solche Formen, bei denen wirkliche Tei- lungsakte vorliegen, welche hinsicht- lich ihrer Zahl (1—2) und ihres Auf- tretens unmittelbar vor der Be- Richtungskörperbildung bei Actino- fruchtung, sowie nach dem Verhalten ee der färbbaren und achromatischen Kernsubstanzen eine unverkennbare Ähnlichkeit mit der typisch ver- laufenden Ei- und Samenreife der Metazoen aufweisen (typische Vor- reife mit Richtungskörperbildung). !) Vgl. Oltmanns, Bibl. Bot. 1889; Strasburger, Jahrb. wiss. Bot. 1897, S.197; Farmer u. Williams, Phil. Trans. R.-Soc. London 1898. ?) Schon Bütschli (1885) hatte die Protozoen herangezogen, um seine Deutung der Richtungskörper als abortiver Eier zu stützen (vgl. auch R. Hertwig, S. 89, 1898). Als ich dann in den Jahren 1898 und 1899 den Versuch machte, die feineren kernteilungsgeschichtlichen Verhältnisse bei den Protozoen bei einer vergleichenden morphobiologischen Betrachtung der Reifungsteilungen zu verwerten, lagen außer den bekannten Vorgängen bei den Infusorien nur Angaben über Heliozoen (Schau- dinn, R. Hertwig), Sporozoen (Wolters, Siedlecki), Diatomeen (Klebahn, Karsten) und Desmidiaceen (Klebahn) vor. Inzwischen hat sich aber die Zahl: der Beobachtungen ganz erheblich vergrößert, so daß der Versuch einer natürlichen Gruppierung der Tatsachen nicht mehr aussichtslos erscheint. K } ı 1LUJ u” Vorreife bei Protozoen. 93 Hierher gehört vor allem die „Richtungskörperbildung“ bei den Heliozoen!). Sowohl bei Actinophrys sol (Fig.55) als bei Actino- sphaerium Eichhorni/tritt in jedem der beiden Gameten, welche bei beiden Formen wahrscheinlich Geschwisterzellen sind (Autogamie), der Kern an die Peripherie und teilt sich hier zweimal unter Bildung je eines stark färbbaren „Reduktionskerns“, wobei die Teilungsspindeln ebenfalls wieder, wie bei Basidiobolus, eine große Ähnlichkeit mit den breiten Richtungsspindeln mancher tierischer Eier aufweisen. Die inneren Teilkerne wandern dann ins Zentrum der Zellen zurück und verschmelzen miteinander nach Auflösung der Zellscheidewand. Während wir hier ein genaues Gegen- stück zur Richtungskörperbildung des Meta- zoeneies vor uns haben, sind bei einem im Darm eines Tausendfüßlers (Lithobius) vor- kommenden Coceidium (Adelea ovata) Vor- gänge zu beobachten, welche in mancher Hinsicht an die Samenreife der Metazoen erinnern). Hier erfolgt in der männlichen Keimmutterzelle (dem Mikrogametocyt, Fig. 56, mi), nachdem sie sich an die weib- liche Zelle (den Makrogametocyten, ma) an- gelegt hat, ein Vierteilungsprozeß des Ker- nes. Entsprechend den vier Kernen zer- fällt die männliche Keimmutterzelle in vier Mikrogameten, von welchen einer in den Makrogameten eindringt, während die drei Reifungsteilungen im Mikro- anderen degenerieren. — Alles in allem en A zeigen die Heliozoen und Adelea eine weit- gehende Übereinstimmung mit der Ei- und Samenreife der Metazoen. In zeitlicher Hinsicht kommt dies auch darin zum Ausdruck, daß die Reifungsprozesse erst durchgeführt werden, nachdem sich die Gameten nebeneinandergelegt haben, in ähnlicher Weise, wie bei sehr vielen Metazoen die Abschnürung der Richtungskörper erst nach dem Ein- dringen des Spermatozoons in das Ei erfolgt?). Fig. 56. !) Schaudinn, Sitzungsber. Akad. Wiss. Berlin 1896, R. Hertwig 1898, Keysselitz, Arch. Prot., 11. Bd., 1908, Distaso, ebenda, 12. Bd., 1908. Vgl. auch mein Referat: D. Reifungserschein., S.863 (1899). ?) Vgl. Siedlecki, Ann. Inst. Pasteur 1899. ») Vgl. oben S.68, 79. A\ RE Ri u/NV 94 Atypische Vor- und Nachreife.- I, Bei einer zweiten Gruppe von Formen werden ebenfalls abortive Teilungsprodukte gebildet, aber die Zahl der Teilungen und ihre zeitlichen Beziehungen zum Konjugationsprozeß stimmen nicht ganz } h ) yrtWine Ynnvr mit den Verhältnissen bei den Metazoen überein (atypische Vor- und Nachreife mit Bildung von „Richtungs-“ oder ‚„Reduktions- kernen‘‘). Hierher gehören, außer den Befunden bei Desmidiaceen, bei einigen Hämosporidien (Haemoproteus noctuae), bei Amoeba diploi- dea!) und manchen anderen Vorkommnissen, vor allem die Beob- achtungen bei den Infusorien und Myxosporidien. Fig. 57. Vorbereitende Teilungen des Geschlechtskerns in den Ga- _ meten von Paramaecium. Nach R. Hertwig und Maupas. Bei ersteren), speziell bei Paramaecium caudatum (Fig.57), spielt sich bekanntlich der Reifungsprozeß in der Weise ab, daß sich der Mikronucleus jedes Paarlings zwei- mal unter Bildung lang ausgezogener, spin- delförmiger Figuren teilt. Drei der Ab- kömmlinge gehen als Richtungskörper zu- grunde, während der vierte sich abermals teilt und die beiden Geschlechtskerne, den stationären und den Wanderkern, liefert, welche mit dem Geschlechtskerne des an- deren Paarlings wechselseitig kopulieren. Aber nicht bloß vor, sondern auch nach der Konjugation werden bei manchen Infusorien rudimentär wer- dende Kerne gebildet. Nach erfolgter Trennung der beiden Paarlinge läßt bei Para- maecium caudatum der Kopulationskern auf Grund eines dreimaligen Teilungsprozesses acht Kerne entstehen, von denen vier in die vor- dere, vier in die hintere Hälfte des Exkonjuganten zu liegen kommen. Die vier vorderen wachsen zu Makronuclei aus, von den vier hinteren wird einer zum ständigen Mikronucleus, während die drei an- fan alnrh! deren zugrunde gehen (Nachreife, Fig.58 A,B). Bei den beiden !) Vgl. Klebahn (Closterium und Cosmarium), Jahrb. wiss. Bot. 1890; Schau- dinn (Haemoproteus [Trypanosoma] noctuae), Arb. Kaiserl. Gesundheitsamt 1905; Prowazek (Trypanosoma Lewisi u. Brucei), ebenda 1905; Hartmann u. Nägler (Amoeba diploidea), vgl. Literaturverzeichnis. ®2) Vgl. Maupas 1889; R. Hertwig 1889; Clara Hamburger, Arch. Prot. 1904; Prandtl, Arch. Prot. 1906; Calkins u. Cull, Arch. Prot. 1907 u. a. (di Ze a ee Nachreife der Infusorien. 95 folgenden Zellteilungsakten werden die Makronuclei auf die vier Enkelzellen verteilt, während der ständige Mikronucleus durch zwei- malige Teilung ihre Mikronuclei bildet (Fig. 58C). Etwas andere Verhältnisse liegen bei den Myxosporidien vor'). Speziell bei Myxobolus grenzen sich in dem während der Fortpflanzung weitervegetierenden und weiterwachsenden vielkernigen Plasmodium zweikernige Plasmaportionen (Pan- sporoblasten) ab, aus denen, ebenfalls wieder unter Bildung abortiver Kerne oder „Restkerne“, die eigentlichen Sporoblasten hervorgehen. Für eine im See- pferdchen vorkommende Form (Sphaeromyxa) konnte neuerdings wahrscheinlich ge- macht werden, daß die beiden Kerne jedes der zweikernigen Pansporoblasten aus verschiedenen Teilen des Plasmodiums stammen ?), woraus sich deutliche Beziehungen zu den Verhältnissen bei den Metazoen ergeben würden. Fig. 58. Nachreife von Paramaecium. Nach Doflein. ma vegetative Kerne (Makronuclei). mi Geschlechtskerne (Mikronuclei). ir zugrunde gehende Kerne. In einer dritten Gruppe würden solche Fälle zu vereinigen sein, in welchen bei der asexuellen Vermehrung (auf dem Wege der homo- chronen Teilung vielkerniger Formen, Sporenbildung oder multiplen Knospenbildung) ein Teilungsschritt sich durch besondere Charaktere hervorhebt, ohne daß es allerdings zur Bildung von Richtungskernen kommt (accentuierte Teilungsschritte ohne Richtungskörperbildung). Hierher ist z. B. die letzte homochrone Teilung zu rechnen, welche die „Sekundärkerne“ eines monothalamen Wurzelfüßers, Allo- !) Th&lohan, Bull. Scientif. France et Belg. 1895 (vgl. auch Lang, S.239, 1901); Keysselitz, Arch. Prot., 11. Bd., 1908 u. a. 2) O. Schröder, Arch. Prot. 1907. BT 96 Accentuierte Teilungsschritte. gromia, vor dem Zerfall der Amöbe in die einkernigen Gameten aus- führen (Fig.59), und die auch von dem ersten Beobachter mit einer „Reifungsteilung“ verglichen worden ist!). Etwas andere Verhältnisse zeigen die Telosporidien unter den Sporozoen, z. B. die vorhin er- wähnte Adelea 2). Nachdem der Kopulationskern durch Teilung eine größere Anzahl von Kernen ausgebildet hat, grenzt sich um jeden derselben eine kugelige Partie von Protoplasma ab. In den so ent- standenen Sporocysten findet nun abermals eine Art von karyo- kinetischer Teilung statt (Fig.60), und so entstehen schließlich die in jeder Sporocyste paarweise gelegenen Sporozoiten, welche durch Aufklappen der Sporocystenmembran frei werden). Fig. 59. Fig. 60. Synchrone Teilung der Sekundärkerne von Sporozoitenbildung bei Adelea, Allogromia. Nach Prandtl. Nach Siedlecki. An solche Vorkommnisse schließen sich dann, durch Übergänge vermittelt, die Fälle der vierten Gruppe an, in welchen, sowohl bei der geschlechtlichen als bei der ungeschlechtlichen Fortpflanzung, eine Bildung sehr zahlreicher Sporen auf Grund von successiven, viel- fach synchronen Kernteilungsvorgängen erfolgt, ohne daß sich einer der Teilungsvorgänge besonders hervorhebt (sexuelle und asexuelle Sporenbildung, Sporogonie und Schizogonie). Hierher gehören !) Prandtl, Arch. Prot. 1907. ?) Siedlecki, Ann. Inst. Pasteur 1899. °) Auch bei der Sporenbildung von Radiolarien (Oroscena) scheinen sich nach den mir vorliegenden Bildern die späteren Teilungsprozesse dadurch gegenüber den früheren zu accentuieren, daß von einem gewissen Teilungsschritt an die Kerne in abgegliederten Plasmaportionen, den Sporennestern, miteinander vereinigt bleiben. Vgl. Tiefsee-Radiolarien, Literaturverzeichnis. Rudimentäre Sporenbildung. 97 z. B. die Vermehrungsvorgänge von Trichosphaerium ?) und diejenigen der Foraminiferen 2). Aus dieser Zusammenstellung läßt sich, wie ich glaube, ohne weiteres das Resultat entnehmen, daß auch diejenigen Reifungspro- zesse der Protozoen, welche in ausgesprochener Weise mit den Ei- und Samenreifungserscheinungen der Metazoen übereinstimmen (erste und zweite Gruppe), als rudimentäre Sporenbildungsprozesse zu betrachten sind, in ähnlicher Weise, wie die Ei- und Samenreife der Metazoen mit den Sporenbildungsprozessen der Farne und Leber- moose verglichen werden kann. Indem also die Reifungsteilungen der Protozoen und Metazoen in ihrer Gesamtheit als phylogenetische Reminiszenzen betrachtet werden dürfen:), wird ihre nahezu universelle Verbreitung wenigstens zum Teil verständlich gemacht. Das zähe Festhalten an diesen Vor- gängen würde aber kaum erklärbar sein, wenn ihnen nicht auch heute noch eine wichtige biologische Bedeutung zukommen würde, und namentlich seit Weismann den von ihm postulierten Vorgang der Reduktion der Keimplasmaeinheiten in die Reifungsperiode ver- legt hat, ist immer wieder der eigentliche Grund für die allgemeine Verbreitung der Reifungsprozesse in einer fundamentalen vererbungs- geschichtlichen Funktion gesucht worden. In späteren Kapiteln (19, 30, 31, 33) wird hierauf zurückzukommen sein. Literaturverzeichnis zu Kapitel 9. Bütschli, O., Gedanken über die morpholog. Bedeutung der sogenannten Richtungs- körperchen. Biol. Centralbl., 4. Bd., 1885. i Chamberlain, Ch. J., Alternation of generations in animals from a botanical standpoint. Bot. Gaz., Vol. 39, 1905. !) Schaudinn, Abh. Preuß. Akad. Wiss. Berlin, Anhang, 1899. ®) Lister, Phil. Trans. R. Soc. London 1895; Schaudinn, Sitzungsber. Ges, Naturf. Freunde, Berlin 1895; Winter, Arch. Prot. 1907. ®) Für eine Reihe von Protozoen werden andere Reduktionsmodi beschrieben, sei es ein Zerfall des nucleolusartigen „Karyosoms“, sei es ein Austritt von Chromatin- körnchen aus dem Kern. Vgl. Schaudinn (Coccidium Schubergi), Zool. Jahrb. 1900; Derselbe (Malariaparasit der Vögel), Sitz.-Ber. Ges. Naturf. Fr. 1899; Siedlecki (Makrogamet von Adelea), 1. c., u. a. Diese Beobachtungen, die bei der minutiösen Beschaffenheit des Untersuchungsgegenstandes natürlich mit gewissen Unsicherheiten . verknüpft sind, stehen mit der noch schwebenden Frage der Seesen. und Mito- chondrienbildung im Zusammenhange. Haecker, Vererbungslehre. . 7 98 Literaturverzeichnis 9. Haecker, V., Über weitere Übereinstimmungen zwischen den Fortpflanzungszellen, der Tiere und Pflanzen. Biol. Centralbl., 17. Bd., 1897. — , Über vorbereitende Teilungsvorgänge bei Tieren und Pflanzen. Verh. D. Zool. Ges. 1898. —, Die Reifungserscheinungen. Erg. An. u. Entw., 8.Bd. (1898), 1899. —, Die Chromosomen als angenommene Vererbungsträger. Erg. u. Fortschr. d. Zool., 1. Bd., 1907. Hertwig, R., Über Kernteilung, Richtungskörperbildung und Befruchtung von Actinosphaerium Eichhorni. Abhandl. Kgl. Bayer. Akad. Wiss., 2.C1., 19.Bd., 1898. Juel, H. O., Vergleichende Untersuchungen über typische und parthenogenetische Fortpflanzung bei der Gattung Antennaria. Sv. Vet. Ak. Handl., 33. Bd., 1900. Lotsy, J. P., Die X-Generation und die 2X-Generation. Eine Arbeitshypothese. Biol. Centralbl., 25. Bd., 1905. Strasburger, E., Neue Untersuchungen über den Befruchtungsvorgang bei den Phanerogamen usw. Jena 1884. —, Über periodische Reduktion der Chromosomenzahl im Entwickelungsgang der Organismen. Biol. Centralbl., 14. Bd., 1894; ebenso Ann. Bot., Vol. 8, 1894. —, Die stofflichen Grundlagen der Vererbung im organischen Reiche. Jena 1905. Zehntes Kapitel. Die Chromosomen in den generativen Zellen. Hetero- typische Teilung und Heterochromosomen. In den Kernteilungen, welche sich innerhalb des Zyklus der generativen Zellen abspielen, zeigen die Chromosomen vielfach ein anderes Aussehen und Verhalten als in den Mitosen somatischer Gewebe, z. B. der Epidermis des Feuersalamanders. Es ist nun möglich, alle diese Varianten, ER : Fig. 61. von denen einige auch in der Vererbungstheorie eine Rolle * spielen, unter einem einheit- lichen Gesichtspunkte zusam- menzufassen. + \+ Ebenso wie Flemming zum erstenmal (1879) den Ver- lauf einer typischen somati- schen Kernteilung in nahezu lückenloser Weise dargestellt hat, so rühren von ihm auch die ersten eingehenden Beob- achtungen über eine beson-. dere, in generativen Zellen vorkommende Modifikation her (1887). Es handelt sich um die heterotypische Kernteilung im Sala- manderhoden, einen Modus, der von den Kernteilungen der Sala- manderepidermis durch eine ganze Reihe von Eigentümlichkeiten unterschieden ist. Hier sei nur erwähnt, daß in den Prophasen die Chromosomen nicht in der „normalen“, für die somatischen Mitosen des Salamanders charakteristischen Zahl (24), sondern nur in der halben Zahl (12) zur Ausbildung gelangen, ferner, daß ihre Spalt- hälften an den Enden miteinander verklebt sind und auf diese Weise „ B Heterotypische Teilung im Salamanderhoden. Nach Flemming. 100 Diakinese. Ringe bilden, und daß sie außerdem vielfache Verschlingungen, Überkreuzungen und sonstige Abweichungen vom Parallelismus zeigen (Fig. 61 A). Sehr charakteristisch ist sodann das Fehlen eines regelmäßigen Aster- oder Äquatorialplattenstadiums und die lange Dauer des „metakinetischen Tonnenstadiums“, in welchem die Ringe an der Außenfläche der achromatischen Spindel parallel Erste Reifungsteilung von Heterocope Weismanni. Nach Matscheck. Fig. 63. Kreuzfiguren in den Sper- matocyten von Syromastes. Nach Groß. zu deren Längsachse gespannt und gestreckt erscheinen, so daß sie zusammen eine korb- oder tonnenförmige Figur bilden (Fig. 61 B). Endlich zeigen die Tochterchromosomen wäh- rend der dizentrischen Wanderung eine deut- ° liche sekundäre Längsspaltung. Noch ehe man sich über die Homologie der von Flemming im Salamanderhoden be- obachteten Teilungsvorgänge!) mit den bei- den Reifungsteilungen der tierischen Eier klar geworden war, wurden auch bei letz- teren sehr merkwürdige Chromosomenformen beobachtet, und zwar hauptsächlich in dem- jenigen gewöhnlich sehr lange dauernden pro- phasischen Stadium, welches durch die lose, vielfach wandständige Verteilung der bereits vollständig individualisierten Chro- mosomen innerhalb des Kernraumes ausge- zeichnet ist und jetzt allgemein die Bezeich- nung Diakinese?) führt. So wurden für die Eireife verschiedener Arthropoden, Nematoden und Mollusken schon durch Carnoy und Bo- veri?) sehr mannigfaltige Chromosomentypen festgestellt, und bald darauf wurden die quer- gekerbten Doppelstäbchen der Kopepoden (Fig. 14B, 52 A), die Vierergruppen (Viererkugeln) in den Sperma- tocyten der Maulwurfsgrille (Gryllotalpa) und in den Ovocyten mancher ') Der im Salamanderhoden auf die heterotypische Teilung folgende, ebenfalls durch bestimmte Merkmale gekennzeichnete Teilungsschritt ist von Flemming als homöotypische Mitose beschrieben worden. ?) dı@ auseinander, zivnoıs Bewegung. ») Vgl. Carnoys Arbeiten in der Zeitschrift Cellule (1885—1886) und Boveris Zellenstudien III (1890). Verbreitung des heterotypischen Modus. 101 Kopepoden (Fig. 62), die Überkreuzungsfiguren im Keimbläschen der Haie und die Kreuze in den Spermatocyten der Hemipteren (Fig. 63) entdeckt, lauter Chromosomentypen, welche in der späteren, ins Ungeheure anschwellenden Reifungsliteratur immer wieder be- schrieben worden sind. Bald konnte auch in überzeugender und end- gültiger Weise, speziell bei den Kopepoden, die Homologie der diakinetischen Überkreuzungfiguren, Doppelstäbchen, Viererkugeln und Ringe festgestellt werden!), nachdem sich schon vorher nahe Beziehungen zwischen den in der Ei- und Samenreife beobachteten Vierergruppen zu den prophasischen Chromosomen des Salamanderhodens ergeben hatten 2). Während so für das gesamte Tier- und Pflanzenreich die Homologie der Reifungsteilungen und der dabei auf- tretenden Chromosomentypen mit im- mer größerer Deutlichkeit hervortrat (vgl. auch Kap. 9, S. 89), mehrten sich gleichzeitig die Beobachtungen, wo- nach auch an anderen Stellen des generativen Zellenzyklus Mitosen mit heterotypischem Charakter auf- treten. Die ersten Befunde betrafen die Kernteilungen der Keimbahnzellen von Ascaris (Fig. 64, sowie S. 62, Heterotypische Teilung im Ascarisei. Fig. 28), auf deren Übereinstimmung ae ee mit der heterotypischen Teilung des Salamanderhodens schon E. van Beneden aufmerksam gemacht hatte, sowie die frühen Furchungs- teilungen und die Bildung der Urgeschlechtszellen bei Cyclops (Fig. 65)3). Aber auch bei ganz anderen Teilungsvorgängen wurden Bilder gefunden, welche starke Anklänge an die heterotypische Tei- lung des Salamanderhodens und an die diakinetischen Phasen der Y) Rückert 1894. ?) Haecker 1892; vgl. auch Kap. 9. ®) In meiner ersten Mitteilung (1892) hatte ich noch die „halbe“ Chromosomen- zahl als einen besonders wichtigen Charakter des heterotypischen Modus betrachtet, daneben aber auch die Beschaffenheit des längsgespaltenen Spirems, die Tendenz der Schwesterfäden, mit den Enden zu verkleben und gleichzeitig den Parallelismus auf- zugeben, sowie die Ring- und Tonnenfiguren als solche heterotypische Charaktere be- zeichnet, die auch bei der Bildung der Urgeschlechtszellen von Cyclops hervortreten. 102 Verbreitung des heterotypischen Modus. Ei- und Samenreife zeigen: so wurden bei verschiedenen Säugern in bösartigen Geschwülsten ringförmige Chromosomen und tonnen- förmige Kernteilungsbilder gefunden!) (Fig. 66), und ebenso konnte gezeigt werden, daß bei künstlicher Reizung von embryonalen und fertigen Gewebszellen (z. B. durch Ätherisierung)?2) oder auch bei infektiöser Erkrankung der Gewebe die Chromosomen die Form von Fig. 65. Fig. 66. DA 2 OE a e rm Heterotypische Teilung in der Urgeschlechtsmutterzelle von Cyclops. Fig. 67. Ringfiguren aus einem Plattenepithel- karzinom der Katze (A) und einem Vierergruppen im ätherisierten Epitheliom der Maus (B). Cyclopsei. Nach Schiller. Nach Farmer, Moore und Walker. ‚typischen Vierergruppen annehmen (Fig. 67)°). Endlich kommen auch bei den Teilungen der Radiolarien (Fig. 68) ausgesprochene Über- kreuzungsfiguren, Ringe und Doppelstäbchen zur Beobachtung ®). ‘) Vgl. Farmer, Moore und Walker 1904; Scientific reports Cancer Res. Fund Nr. 1; Haecker 1904. ®2) Vgl. Haecker 1907, Schiller 1900. ®) Nach neueren Beobachtungen von Frl. OÖ. Krimmel bei Cyelops. *) Haecker, Verh. Zool. Ges. 1907; Zool. Anz., 34. Bd., 1909. ee Bedeutung des heterotypischen Modus. 103 Im ganzen darf man heute sagen, daß in der heterotypischen Teilung des Salamanderhodens eine Anzahl von Erscheinungen zu- sammengehäuft ist, welche zum allergrößten Teil auch bei anderen Teilungsschritten vorkommen, und daß die heterotypische Teilung des Salamanderhodens einen Spezialfall, genau gesagt, einen Grenzfall eines auch sonst weit verbreiteten, von den gewöhn- lichen Mitosen durch eine Reihe von Merkmalen unter- schiedenen Teilungsmodus darstellt!. Man kann also von heterotypischen Mitosen im weiteren Sinne des Wortes oder mit Strasburger von allotypischen Mitosen sprechen und darunter alle Teilungen mit einzelnen ausgesprochen heterotypischen Merk- malen verstehen. Wenn man sich den gemeinsamen Charakter aller derjenigen Zellen zu vergegenwärtigen sucht, in welchen normalerweise derartige Tei- Fig. 68. a b c d e f > e> . i Ch | g Chromosomenbildung bei Aulacantha. lungsprozesse vorkommen, so gelangt man schließlich zu der Auf- fassung, daß das Auftreten des heterotypischen Teilungsmodus im weiteren Sinne den Ausdruck eines nicht oder nur wenig differenzierten (embryonalen) Zustandes der Zelle darstellt. Im speziellen läßt sich diese Vorstellung sehr gut mit den von ver- schiedenen Seiten geäußerten Anschauungen in Einklang bringen, wonach die charakteristischen Eigentümlichkeiten der bösartigen Ge- schwülste, deren Kernteilungen nach Obigem ebenfalls heterotypische Charaktere aufweisen können, auf einer Entdifferenzierung oder Zurückdifferenzierung der Zellen beruhen ?). !) Vgl. Haecker 1907, sowie Bonnevie 1908. ”) Vgl. v. Hansemann 1903, R. Hertwig 1909, Haecker 1904. 104 Heterochromosomen. In seinen reinsten Formen, als euheterotype Mitose mit fädigen oder band- förmigen Chromosomen und echten Tonnenfiguren (Fig. 61), oder als diakinetische Mitose mit Doppelfäden und Überkreuzungsfiguren in den früheren (Fig. 51) und mit verkürzten und verdickten Chromosomen (Doppelstäbchen, Ringen, Viererkugeln, Kreuzen) in den späteren Phasen (Fig. 52), kommt der heterotypische Teilungsmodus hauptsächlich bei den Reifungsteilungen vor, während die deutheterotype Mitose, welche nur mehr oder weniger starke Anklänge an die heterotypische Teilung des Salamanderhodens zeigt, außerhalb der Reifungsperiode, in Furchungs-, Keimbahn- und Urgeschlechtszellen, bei Protozoen, sowie in pathologischen Zuständen angetroffen wird. . Auch dieses Verhältnis scheint mir nicht ohne Bedeutung für die Auffassung des heterotypischen Modus zu sein. Bereits im vorigen Kapitel wurde ja der Nachweis zu führen versucht, daß sich in der Vor- und Nachreife der Protozoen, in der Ei- und Samenreife der höheren Tiere und in der Embryosack-, Pollen- und Sporenreife der höheren Pflanzen die letzten Anklänge an die multiplen Teilungs- oder Sporulationsprozesse finden, die bei einer Reihe von einzelligen Formen (Sporozoen, Foraminiferen, gewisse Radiolarien) sowohl in der geschlechtlichen, wie in der ungeschlechtlichen Phase des Generationswechsels aufeinander folgen. Wenn nun die heterotypischen Abweichungen vom gewöhnlichen Kernteilungstypus, wie sie in embryonalen, genc- rativen oder durch Reizwirkungen gehemmten Zellen, also im ganzen in nicht oder wenig differenzierten Zellen, mehr vereinzelt vorkommen, in der Reifungs- periode gewissermaßen in konzentrierter Form vereinigt sind, so dürfte dies eben damit zusammenhängen, daß gerade hier ein teilweises Zurückfallen einzelner Keimzellengenerationen auf einen ausgesprochen indifferenzierten ‚physiologischen Zustand, nämlich auf den der Sporenmutterzellen (Sporocyten) und Sporen der Ein- zelligen und niederen Pflanzen, stattfindet. Andere Chromosomentypen, welche nicht speziell dem Kreise der heterotypischen Erscheinungen angehören dürften, wohl aber auch bei den Teilungen der Keimzellen und besonders in der Reifungs- periode zutage treten, sind die Heterochromosomen. Von Henking (1891) zuerst bei der Samenbildung der Feuerwanze (Pyrrhocoris) festgestellt, sind diese Gebilde namentlich durch die amerikanischen Zellforscher bei den Hemipteren und Orthopteren genauer untersucht und weiterhin von verschiedenen Autoren bei mehreren anderen Arthropodengruppen (Archipteren, Käfern, Myriapoden, Spinnen, Kopepoden) nachgewiesen worden!). Es handelt sich um Chromo- somen, die durch ihre Größen- und Formverhältnisse, durch ihre ab- weichende Färbbarkeit und durch ihr Verhalten während der Teilung gegenüber den anderen Chromosomen gekennzeichnet sind. Sie haben entweder den Charakter von Monosomen, d.h. von besonders langen, wurmförmigen Chromosomen, welche in den spermatogonialen Teilungen ') Vgl. die Schriften von Montgomery, Wilson, McClung, ferner unter anderen die früher (Kap. 7, S. 71) zitierten Arbeiten von Otte und Davies und die Kopepoden-Arbeiten von Braun und Matscheck (Kap. 11). Heterochromosomen. 105 der Hemipteren in der Einzahl (Fig. 69a, b, 1), in den ovogonialen Teilungen zu zweien (c, 1,1) auftreten, und welche im männlichen Geschlecht bei der zweiten Reifungsteilung (d, h) ungeteilt der einen Spermatide zugewiesen werden, so daß die beiden aus der zweiten Teilung resultierenden Spermatiden eine ungleiche Chromosomenzahl erhalten (e, f). Oder man findet neben den gewöhnlichen Chromo- somen zwei kleine, ungleich große Elemente, die sogenannten Idio- chromosomen (Fig. 70a, b, c, £, i), die beim ersten Teilungsschritt Fig. 69. wu u N Ir 2 2 ® FIN ZN ae9 0,9 De es ‘oo e f Doppelte Chromosomengarnitur bei Protenor belfragei. Nach Wilson. a,b spermatogoniale Chromosomengruppen mit einem Monosom. c ovogoniale Gruppe mit zwei Monosomen. In allen drei Gruppen sind die paarweise zusammengehörigen Chromosomen durch gleiche Buchstaben bezeichnet; das lange Chromosom ı bzw. h (beim / in der Ein-, beim ® in der Zweizahl) stellt das unpaare Heterochromosom (Monosom) dar. d spätere Phase der zweiten Spermatocytenteilung. e, f Schwestergruppen in Polansicht (derselben Spindel entstammend). der Reifungsperiode genau wie die übrigen Chromosomen gespalten werden (d, e), im zweiten dagegen nach vorübergehender Aneinander- legung (f, g) auf die beiden Spermatiden verteilt werden, so daß auch in diesem Falle wieder Spermatiden mit ungleichem Chromosomen- bestand gebildet werden. In einem dritten Falle endlich liegen zwei kleine, aber gleich große Chromosomen, die Mikrochromosomen vor (Fig. 71 a—c, m), welche beim ersten Teilungsschritt (d, e) auf die beiden Samentochterzellen (Spermatocyten zweiter Ordnung) verteilt werden. Da sie sich vor der zweiten Teilung durch Spaltung ver- 106 Heterochromosomen. doppeln (g) und ihre Tochterelemente in der gewöhnlichen Weise auf die Schwesterzellen verteilt werden, so erhalten in diesem Falle sämt- liche Spermatiden einen völlig gleichen Chromosomenbestand, wofern nicht, wie z. B. im Falle von Alydus (Fig. 71), neben den Mikro- chromosomen noch ein unpaares Monosom (h) auftritt (Fig. 71h). Spermatogenese von Lygaeus turcicus. Nach Wilson. a spermatogoniale Metaphase. b Spermatocytenkern aus der Wachstumsphase. c aus der Diakinese. d und e Metaphase der ersten Teilung in Pol- und Seitenansicht. f und g Metaphase der zweiten Teilung in Pol- und Seitenansicht. i,i Idiochromosomen. Die drei Fälle finden sich z. B. in der Spermatogenese von drei Hemipteren, einer Protenor-, Lygaeus- und Alydusart (Fig. 69, 70, 71) verwirklicht. Bei letzterer Form kommt, wie erwähnt, außer den Mikrochromosomen noch ein Monosom vor. Die Geschichte der Heterochromosomen ist trotz vieler sehr gründlicher Untersuchungen in mancher Hinsicht noch wenig auf- Heterochromosomen. 107 geklärt, insbesondere besitzen wir nur sehr wenige Angaben über das Auftreten und Verhalten dieser Gebilde außerhalb der Vermehrungs- Spermatogenese von Alydus pilosulus. Nach Wilson. a spermatogoniale Metaphase. b Spermatocytenkern aus der Wachstumsphase: das Monosom Ah ist dem Nucleolus (Plasmosom) angelagert. c Spermatocytenkern in der Diakinese. d und f Metaphase der ı. bzw. 2. Teilung in Polansicht. eund g Beginn der Anaphase der ı. bzw. 2. Teilung. h Ana- phase der 2. Teilung. m, m die Mikrochromosomen. und Reifungsperiode, speziell auch in den früheren Etappen der Keim- bahn und in den somatischen Zellen. Bemerkenswert dürfte in dieser 108 Heterochromosomen. Hinsicht sein, daß bei einer vielleicht hybriden Kopepodenform, Cyclops distinctus, welche in den Vorstadien der Eireife fünf gewöhn- liche, doppelwertige Chromosomen und ein Heterochromosom auf- weist, während der Furchungsteilungen elf gleich große und gleich- gestaltete Elemente beobachtet werden!). Auf die mutmaßliche Bedeutung der Heterochromosomen, ins- besondere auf, die ihnen zugeschriebene Rolle bei der Geschlechts- bestimmung wird später?) zurückgekommen werden, hier sei nur die Frage berührt, ob nicht für die Heterochromosomen dasselbe gilt h KAKIZIENZ d (düoonneens-, HIXILEITEE ? Doppelte Chromosomengarnitur von Anasa tristis. Nach Wilson. a und c spermatogoniale nnd ovogoniale Gruppe. b und d die gleichen Chromosomen paarweise an- geordnet (kh das Monosom, m die Mikrochromosomen). wie für den heterotypischen Teilungsmodus, nämlich daß sie als Grenzfall einem weiteren Kreise von Erscheinungen einzureihen sind. Es ist hier zu sagen, daß gerade bei einigen Hemipteren und Orthopteren, also bei Vertretern derjenigen Tiergruppen, welche die Heterochromosomen in besonders deutlicher Weise hervortreten lassen, die Chromosomen der Ovogonien und Spermatogonien ihrer Größe nach vielfach eine Reihe bilden, derart, daß immer zwei Chromo- somen von der gleichen Größenabstufung vorhanden sind (Fig. 72)3). ') Nach Untersuchungen von K. Amma. ”) Vgl. Kap. 11 und 32. ®) Vgl. die Arbeiten von Montgomery, Sutton, Wilson, Mc Clung. Doppelte Chromosomengarnitur. 109 Derartige doppelte Chromosomengarnituren oder -sortimente (gradated series) sind inzwischen mit mehr oder weniger großer Be- stimmtheit auch für eine lange Reihe von anderen Tierformen und ebenso für einige Pflanzen beschrieben worden, und zwar hauptsächlich für die Vermehrungsperiode der Keimzellen!). Man wird bei einigen Objekten mit wenigen schleifenförmigen Chromosomen, z. B. bei Ascaris megalocephala2), die Möglichkeit exakter Messungen zugeben können, auch konnte gerade für dieses Objekt die Verschiedenheit der Chromosomen nicht bloß für die Vermehrungs- und Reifungs- periode, sondern auch für die Eifurchung nachgewiesen werden. In vielen anderen Fällen handelt es sich aber mehr um Abschätzungen, als um wirkliche Messungen, und es fehlt außerdem der Nachweis, daß die Größenunterschiede auch außerhalb der Vermehrungs- und Reifungsperiode vorkommen. Damit sind natürlich viele Unsicher- heiten bezüglich der Deutung der Erscheinung verbunden, und diese Schwierigkeiten werden noch dadurch gesteigert, daß bei einer ganzen Reihe von Objekten inkonstante Größenunterschiede nach- gewiesen werden konnten?). Aber selbst wenn die Größenunterschiede bei allen fraglichen Objekten als konstant nachzuweisen wären, so würde damit noch nicht ohne weiteres gesagt sein, daß sie eine essentielle Ver- schiedenheit der einzelnen Chromosomenindividuen bedeuten. Da nämlich manche Beobachter angeben, daß derartige Größenunterschiede sich im Verlaufe der Teilung ausgleichen), so bleibt für die Ver- mutung der Raum offen, daß sowohl die konstanten wie die inkon- stanten Größenunterschiede wenigstens bei einigen Objekten auf ungleich rascher (heterochroner) Entwickelung der einzelnen Chromosomen beruhen, wie eine solche namentlich deutlich in den polychromosomalen Kernen der Radiolarien zutage tritt). !) So für einen Seeigel, Strongylocentrotus (Boveri), für Ascaris (Mont- gomery), Blattläuse (Hewitt), Haifisch (Schreiner), Amphibien (Montgomery, Helen King), Katze (Winiwarter und Sainmont), Ratte und Mensch (Moore und Arnold), sowie für mehrere Pflanzen, z. B. Galtonia, Funkia, Yucca, Hieracium (Strasburger, Miyake, Rosenberg). *) Vgl. die Arbeiten von Montgomery und Schaffer. ®) Näheres findet sich in meinem Referat 1907, S. 40. *) So Helen King (1905) für die erste Reifungsteilung des Kröteneies und Vejdovski (1907) für diejenige des Rhynchelmiseies. { °) Haecker, Zool. Anz., 34. Bd., 1909; vgl. auch Tiefsee-Radiolarien, Literatur- verzeichnis 5. 110 Literaturverzeichnis 10. Bei diesem Stande ist es auch noch nicht möglich, die Frage endgültig zu beantworten, ob das Vorkommen von Heterochromosomen nur einen extremen Fall der abgestuften Garnituren bedeutet, wenn auch zugegeben werden muß, daß in einigen Fällen der Augenschein unmittelbar für das Bestehen eines derartigen Zusammenhanges spricht. Literaturverzeichnis zu Kapitel 10. Bonnevie, K., Chromosomenstudien. II. Heterotypische Mitose als Reifungs- charakter. Arch. f. Zellf., 2. Bd., 1908. Boveri, Th., Zellenstudien. II. Jen. Zeitschr., 24. Bd., 1890. Buchner, P., Das accessor. Chromosom in Spermatog. u. Ovogenese der Orthopteren. Arch. f. Zellf., 3. Bd., 1910. Cancer Research Fund. Scientific reports. Nr.ı. London 1904. Carnoy, J. B., La Cytodierese des Arthopodes u. folg. Arb. Cellule, Vol. ı u. 3, 1885 — 1886. Farmer, ]J. B., Moore, J.E.S. und Walker, C.E., Über die Ähnlichkeit zwischen den Zellen maligner Neubildungen usw. Biol. Centralbl,, 24.Bd., 1904. Flemming, W., Beiträge zur Kenntnis der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. Arch. f. mikr. Anat., 16. Bd., 1879. —, Neue Beiträge zur Kenntnis der Zellen. Ebenda, 29. Bd., 1887. Groß, J., Die Spermatogenese von Syromastes marginatus L. Zool. Jahrb. (Anat. Abt.), 20. Bd., 1904. Haecker, V., Die heterotypische Teilung im Zyklus der generativen Zellen. Ber. Nat. Ges. Freib., 6. Bd., 1892. —, Über weitere Übereinstimmungen usw., 1897, siehe Literaturverzeichnis 9. —, Mitosen im Gefolge amitotischer Vorgänge. Anat. Anz., 17. Bd., 1907. — , Über die in malignen Neubildungen auftretenden heterotypischen Teilungsbilder. Biol. Centralbl., 24. Bd., 1904. —, Die Chromosomen als angenommene Vererbungsträger. Erg. u. Fortschr. Zool., 1..Bd;; 1907: Hansemann, D. von, Studien über Spezifität, Altruismus und Anaplasie der Zellen. Berlin 1903. Hertwig, R., Über physiol. Degeneration bei Actinosphaerium. Nebst Bemerkungen. zur Ätiologie der Geschwülste. Festschr. f. Haeckel, Jena 1904. King, Helen, The formation of the first polar spindle in the egg of Bufo lenti- ginosus. Biol. Bull., Vol. 9, 1905. Mc Clung, C. E., The spermatocyte divisions of the Locustidae. Kans. Univ. Sc. Bull., Vol. ı, 1902. Montgomery, Th. H., A study of the chromosomes of the germ cells of Metazoa. Trans. Am. Phil. Soc., Vol. 20, 1901. —, Chromosomes in the Spermatogenesis of the Hemiptera Heteroptera. Ebenda, Vol. 21, 1906. —, On morphological difference of the Chromosomes of Ascaris meg. Arch. f. Zellf., 2. Bd., 1908. Rath, OÖ. vom, Zur Kenntnis der Spermatogenese von Gryllotalpa vulg. Arch. f. mikr. Anat., 40. Bd., 1892. Litefaturverzeichnis 10. 111 Rückert, J., Zur Entwickelungsgeschichte des Ovarialeies bei Salachiern. Anat. Anz., 7. Bd., 1892. ! — , Zur Eireifung bei Kopepoden. Anat. Hefte, 1894. Schaffner, J. H., Chromosome differences in Ascaris meg. Ohio Naturalist, 1909. Schiller, J., Über künstliche Erzeugung „primitiver“ Kernteilungsfiguren bei Cyclops. Arch. Entw.-Mech., 27. Bd., 1909. Strasburger, E., Typische und allotypische Kernteilung. Jahrb. wiss. Bot., 42. Bd., 1905. Sutton, W.S., On the morphology of the chromosome group in Brachystola magna. Biol. Bull., Vol. 4, 1904. Vejdovski, F., Neue Untersuchungen über die Reifung und Befruchtung. Prag 1907. 4°. Wilson, E. B., Studies on chromosomes. I—II. ]J. f. exp. Zool., Vol. 2—3. 1902— 1906. Elftes Kapitel. Chromosomenzahl. Schon Flemming (1882) hatte es für die Epithel- und Binde- gewebszellen des Feuersalamanders aufs höchste wahrscheinlich ge- macht, daß bei jedem Kernteilungsakt in konstanter Weise 24 Chromo- somen gebildet werden, und später konnte Boveri (1890) auf Grund des damals vorliegenden, freilich noch sehr unzulänglichen Materials das „Zahlengesetz der Chromosomen“ in folgender Weise formulieren: „Für jede Spezies ist die Zahl der Chromosomen kon- stant, d. h. in den karyokinetischen Figuren homologer (denselben Geweben und Entwickelungsstadien angehöriger) Zellen finden sich stets die gleichen Zahlen.“ Im ganzen ist dieser Satz im Laufe der Zeit bestätigt worden, doch hat sich eine Reihe von Ausnahmen ergeben, so daß man auch hier kaum mehr von einem Gesetz, sondern nur von einer Zahlenregel sprechen kann (s. S. 11). Zunächst sind mehrere Tierspezies bekannt geworden, welche bezüglich der Chromosomenzahl zwei Rassen auf- weisen, von denen die eine doppelt soviel Chromosomen als die andere besitzt. So hat Boveri für den Pferdespulwurm und später für einen Seeigel, Echinus microtuberculatus, das Vorkommen von zwei Varianten festgestellt: beim Spulwurm beträgt die Zahl der Chromosomen in den langschleifigen Kernteilungsfiguren der Keim- zellen entweder vier (Ascaris megalocephala bivalens) oder zwei (Ascaris megalocephala univalens), und bei Echinus kommt neben der Zahl 36 die halbe Zahl 18 vor). Im Hinblick auf das später zu besprechende Vorkommen zweiwertiger oder bivalenter 2) Chromosomen in der Reifungsperiode dürfte die Annahme nahe liegen, daß in diesen ‘) Bezüglich anderer Fälle vgl. mein Referat 1907, S. 38. ?2) In diesem Zusammenhange ist "das Wort „bivalent“ in dem sprachlich richtigen Sinne von „zweiwertig“ angewandt, während es in der von OÖ. Hertwig eingeführten Rassenbezeichnung Ascaris megalocephala bivalens etwa soviel wie „doppelt so groß“ (doppeltzählig) bedeutet. Ausnahmen vom Zahlengesetz. 113 und ähnlichen Fällen die höhere Zahl den Typus darstellt und die “ Rasse mit der geringeren Chromosomenzahl infolge paarweiser Ver- bindung der Chromosomen doppelwertige, d. h. aus zwei Ein- heiten zusammengesetzte Elemente besitzt. Es könnte aber auch die niedrigere Zahl das ursprüngliche Verhältnis darstellen, während die höhere Zahl gelegentlich dadurch zustande kommt, daß sich die Chromosomen in einem Kern, beispielsweise in dem des befruchteten Eies, längsspalten und infolge Ausbleibens der Kernteilung der doppelte Chromosomenbestand erreicht wird). Ausnahmefälle ähnlicher Art liegen vor, wenn in somatischen Zellen die Chromosomenzahl zwischen zwei extremen Zahlen, von denen die eine das Doppelte der anderen beträgt, schwankt, wenn z.B. in der Darmwand eines Kopepoden (Diaptomus coeruleus) Zellen mit 28, mit 14 und mit einer dazwischenliegenden Zahl vorkommen ?). Auch zur Erklärung dieser Erscheinung wird man die Bivalenzhypo- these heranziehen und die intermediären Zahlen auf einen unvoll- ständigen Zerfall bivalenter Elemente, also auf eine Mischung bivalenter und univalenter Elemente zurückführen dürfen. Vielleicht trifft Ähn- liches für die von Strasburger und anderen Botanikern angeführten Fälle mit schwankender Chromosomenzahl zu. Schwieriger ist es zu. erklären, wenn in den Zellen desselben Individuums ein mehr oszillierendes Schwanken der Zahl um die Normalzahl herum stattfindet. So werden z.B. in den Sperma- . tocyten des Ohrwurms (Forficula): in der Regel 13 Chromosomen ge- funden. Es kommen aber Hoden vor, in welchen nebeneinander die Zahlen 13 und 12, und solche, in denen die Zahlen 13 und 14 beob- achtet werden®). In ähnlicher Weise beträgt die Chromosomenzahl bei der Pollenreife von Hieracium venosum 7, seltener 8 und 9, bei Hieracium auricula 9, seltener 8 und 7%). Während, von diesen Ausnahmen abgesehen, für die einzelnen Arten die Boverische Regel der Zahlenkonstanz Gültigkeit hat, scheint auf den ersten Anblick eine vollkommene Regellosigkeit zu bestehen, wenn man die Chromosomenzahlen verschiedener Arten. miteinander vergleicht. Zunächst fallen die ungeheuer weiten Grenzen ') Vgl. Strasburger 1910. ®) Vgl. O. Krimmel 1910. ®) Vgl. Zweiger, S. 157 (1906). Ähnliche Verschiedenheiten haben beim gleichen Objekt Lavalette St. George, Carnoy und Sinety gefunden. *) Rosenberg 1907. Haecker, Vererbungslehre. 8 114 Extreme Zahlen. auf, innerhalb welcher die Chromosomenzahl überhaupt schwanken kann. Das eine Extrem bildet nach dem jetzigen Stande unserer Kenntnisse die Univalensrasse des Pferdespulwurms, welche in den Keimbahnzellen nur zwei schleifenförmige Chromosomen aufweist. Dabei ist allerdings zu beachten, daß letztere offenbar als mehrwertige, aus 24 kleineren Einheiten zusammengesetzte „Sammelchromosomen“ anzusehen sind, worauf die Kernteilungsbilder in den somatischen Zellen hinweisen!). Auf der anderen Seite finden sich in den mito- tischen Figuren der tripyleen Radiolarien mindestens 1200 bis 1600 Chromosomen, ein offenbar sekundäres Verhältnis, das mit der außer- ordentlichen Größe des Kernes und Weichkörpers dieser hochspeziali- sierten Protozoen zusammenhängt. Innerhalb dieser Grenzen schwankt die Chromosomenzahl der einzelnen Tier- und Pflanzenarten, so jedoch, daß im allgemeinen die Zahlen der unteren Grenze beträchtlich näher liegen. Nur in wenigen Fällen sind Zahlen festgestellt worden, welche über 100 liegen, so für den Phyllopoden Artemia salina, welcher 84 oder 168 Chromo- somen aufweist?2), und für einige Protozoen, nämlich für Actino- sphaerium (etwa 100) und Pseudodifflugia (mindestens 200 Chromo- somen)3). Verhältnismäßig sehr häufig kommt die Zahl 24 vor, so bei einigen der klassischen Untersuchungsobjekte der Zoologen und Botaniker, beim Feuersalamander und bei den Lilien. Auch beim Menschen, bei welchem die Verhältnisse wegen der sehr geringen Größe der Kerne für die Zählung ungünstig liegen, beträgt nach neueren Angaben die spermatogoniale Chromosomenzahl ungefähr 24 (nach Guyer sind es 20 typische und 2 accessorische Chromosomen), während nach anderen Untersuchungen 32 als Normalzahl zu gelten hätte®). Daß die Chromosomenzahlen der Tiere und Pflanzen überhaupt verhältnismäßig häufig zwei einfachen Zahlenreihen, dem „Zweier- system“ (Boverische Reihe 2, 4, 8, 16, 32....)5) und namentlich dem „gemischten Zweier- und Dreiersystem“ (6,12, 18, 24...) !) Bei mehreren anderen Würmern kommt die Zahl 4 vor, so bei Echinorhynchus (Kaiser, Biol. Zool. 1893) und Vortex viridis (Lepeschkin, Biol. Zeitschr. 1910). ?) Dies gilt speziell für die parthenogenetische Form von Capodistria und Odessa (Brauer, Petrunkewitsch), während die sexuelle Art von Cagliari 42 Chromo- somen besitzt. Vgl. Artom 1906. ®) Nach Angaben von R. Hertwig bzw. Doflein. *) Vgl. insbesondere Duesberg 1906, Moore und Arnold 1906, Guyer 1910. °) Vgl. Boveri, Zellenstudien II. Spezifische Zahlen. 115 angehören, ist wohl dahin zu deuten, „daß die Chromosomenzahl auf irgend welcher Stufe der Phylogenese als das Produkt von Vermehrungsvorgängen entstanden ist, wie denn auch bei nie- deren Organismen, z. B. bei den Pandoraceen und Hämosporidien, obige Zahlen vielfach als die Endzahlen der Vermehrungstätig- keit auftreten“. Tatsächlich kommen bei den Chromosomen analoge Vermehrungsvorgänge vor: speziell bei den Radiolarien muß beim Übergang von der Zygote zum vegetativen Stadium mit seinem polychromosomalen Riesenkern eine Vermehrung dieser Art statt- finden). Wenn also schon die Betrachtung der Gesamtheit der Tiere und » Pflanzen gewisse Regelmäßigkeiten, insbesondere das häufige Auf- treten der Glieder bestimmter arithmetischer Reihen (Regel der arithmetischen Progression der Chromosomenzahlen) zum Vorschein bringt, so lassen sich solche zuweilen auch innerhalb einzelner kleinerer Gruppen nachweisen. In mehreren Tiergruppen herrscht eine vollständige oder wenigstens ziemlich weitgehende Gleichförmigkeit bezüglich der Chromo- somenzahl. So führen z. B. die urodelen Amphibien in den Cyten I (Spermatocyten und Ovocyten erster Ordnung) regelmäßig 24, die opisthobranchiaten Mollusken 16. Unter den Hemipteren weisen die Pentatomiden in den Gonien (Spermatogonien und Ovogonien) größten- teils 14, vereinzelt auch 16, die Coreiden in den Spermatogonien 13 oder 21, in den Ovogonien 14 oder 22 Chromosomen auf?). Auch bei den Feldheuschrecken (Acridiodea) herrscht eine gewisse Stabilität vor, indem in den Spermatogonien in der Regel 23 Chromosomen auftreten 3). Verhältnismäßig große Schwankungen finden sich bei den Kopepoden, jedoch konnte gerade hier der Nachweis geführt werden, daß innerhalb einzelner Gruppen Hand in Hand mit der zu- nehmenden morphologischen Differenzierung (mit der Ent- fernung von den primitiveren Typen) eine Verkleinerung der Chromo- somenzahl geht, und zwar entweder sprungweise, indem beim Übergang von einer Art zur anderen die Zahl um die Hälfte ver- mindert wird, oder kontinuierlich, auf Grund eines von Art zu Art erfolgenden allmählichen Abbaues. !) Vgl. Haecker, Chrom. Ver., S.66 (1907), sowie Rauber 1908. 2) Vgl. die Arbeiten von Montgomery, Wilson, Payne, ®) Vgl. MeClung. 116 Chromosomenzahl und Differenzierung. Faßt man speziell die fortschreitende Zurückbildung des fünften Thorakalfußpaares als Kriterium für die zunehmende Entfernung vom Ausgangstypus ins Auge, so zeigt sich im großen ganzen, daß die Formen mit noch vollständiger entwickelten Rudimentärfüßchen die höhere, die mit stärker reduzierten Füßchen die geringere (normale oder somatische) Chromosomenzahl aufweisen (Fig. 73)!). So besitzen Fig. 73. „6 x N # = S@ S® \ \ ER I / serrul. N 12+2h pras. diaph. phaler. 10+1h 12 12+1h )i Y 7® grac. — [u Verminderung der Chromosomenzahl der Cyclopsarten Hand in Hand mit der Reduktion des fünften Fußpaares.. Nach Braun. in der Cyclops fuscus-albidus-Gruppe die beiden Arten mit. noch deutlich zweigliedrigem Rudimentärfüßchen (C. fuscus und albidus) 14 Chromosomen 2), dagegen die Arten mit stärker reduziertem, ein- ") Vgl. H. Braun, S. 472ff. (1909), sowie Matscheck, S. 57 (1910). Von letzterem wird die „pseudoreduzierte“ Chromosomenzahl in den Vorstadien der ersten Reifungsteilung angegeben. ?) Die vielleicht einen natürlichen Bastard darstellende Zwischenform C. distinc- tus besitzt 10 Chromosomen und ı Heterochromosom. Genauere Untersuchungen über die Natur dieser Form sind im Gange. Chromosomenzahl und Differenzierung. 117 gliedrigem Füßchen 12 + 2h, d.h. 12 typische und 2 Heterochromo- somen (C. serrulatus), 12 + ıh (C. phaleratus) und 10 + ıÄh (C. pra- sinus). In ähnlicher Weise bilden die Cyclops- Arten der zweiten Hauptgruppe, wenn sie nach dem Grade der Rudimentation des fünften Fußpaares zusammengestellt werden, eine Reihe, an deren Anfang sich Formen mit 22 Chromosomen (C. strenuus und insignis) befinden und deren Schlußglieder nur 12 (C. diaphanus) und 6 (C. gracilis) Chromosomen besitzen). Man wird sich dem Eindruck wohl kaum entziehen können, daß tatsächlich innerhalb der Gattung Cyclops parallellaufend mit der morphologischen Differenzierung, wie sie sich z. B. in der zunehmenden Rudimentation des fünften Fußpaares äußert, auch eine Abnahme der Chromosomenzahl stattfindet, und ferner, daß wenigstens in der Gattung Cyclops die Heterochromosomen (h), in diesem Falle doppelte oder einfache Zwergchromosomen, auf einen im Laufe der Phylogenese stattfindenden allmählichen Abbau und eine schließliche Elimination einzelner Chromosomen hinweisen?) ') Im ganzen kommen in der Gattung Cyclops folgende Chromosomenzahlen vor: komplexe (Ditetraden) in | „Normale den Prophasen der ersten | (S0matische) Reifungsteilung (2) Zahl Cyclops strenuus. . :»... 11 22 = Namistr td” a! 22 = bicuspidatus . 9 18 > bicusp. var. odessana 9 18 a dybowskü ... .... 9 18 r FUBOHST Een ea he, 14 }: BIDIGUE ee 7 14 % lenckarti 5-22. | 7 14 5 serrulatus . . . ... 6+ 2h 12 + 2h 5 phaleratus. .... | 6-+ ıh 12 + ıh 5 Thrdis-r. DAASSE | 6 12 4 diaphanus . . . . . | 6 12 u VE | 5+1ıh 10 + ıh nos. 5 + ıh 10 + ıh & VOEBBUS: un a 8: | 5 10 a 1 Ve | 3 6 ?) Vgl. Chr. als Ver. Tr., S. 52 (1907). Schon Paulmier (1904) hat unter Bezug- nahme auf seine Beobachtungen bei Hemipteren von „degenerating chromosomes“ gesprochen. “ 118 Abbau der Chromosomen. Was die übrigen Kopepoden anbelangt, so weisen die Süßwasser-Centro- pagiden im ganzen eine höhere Chromosomenzahl auf als die Cyclopiden. Die normale oder somatische Zahl schwankt zwischen 34 und 28, demnach die in den Vorstadien der ersten Reifungsteilung auftretende halbe oder, wie auch gesagt wird, „pseudoreduzierte“* Zahl (vgl. Kap. 30) zwischen 17, 16 und 14. Bemerkenswert ist, daß bei einer der Formen mit der pseudoreduzierten Zahl von 17 Chromosomen (Diaptomus castor) 3 derselben zu einem dreigliedrigen Ring, also einer besonderen Art von „Heterochromosom“, verbunden sind (Fig. 74)'). Etwas niedrigere Zahlen finden sich bei den Süßwasser-Harpacticiden?). Es ist zu hoffen, daß gerade bei den Kopepoden mit ihrem großen Formenreichtum und ihren günstigen kerngeschicht- lichen Verhältnissen die Ausdehhung der Untersuchung auf immer weitere Gruppen schließlich dazu führen wird, daß etwas mehr Licht auf die Beziehungen zwischen der Chromosomenzahl und den sonstigen morphologischen und physiologischen Ver- hältnissen der einzelnen Spezies fallen wird. Bezüglich der Beziehung der Chromosomenzahl zu allgemeinen Formverhält- nissen vgl. auch die Angaben von Gates (Kap. 14). Während hinsichtlich der spezifischen Chromosomenzahlen nur die ersten Ansätze zur Aufstellung allgemein gültiger Regeln vorliegen, lassen sich in bezug auf die in den Zellen des gleichen Organismus hervortretenden Verschiedenheiten der Chro- mosomenzahlen einige bestimmtere Aus- sagen machen. Eine fundamentale Regel — man kann mit Rücksicht auf die Verhältnisse bei den Chromosomen der ersten Rei- mit Heterochromosomen ausgestatteten For- fungsteilung von Diaptomus nen auch hier nicht von einem Gesetz castor. Nach Matscheck. R ii sprechen — bildet die zuerst von Eduard van Beneden beim Pferdespulwurm festgestellte Gleichheit der Chromosomenzahl in den beiden kopulierenden Ge- schlechtskernen, d. h. es steht für zahlreiche Formengruppen fest, daß sich nach der Befruchtung aus dem ruhenden Eikern genau ebenso viele Chromosomen herausarbeiten, wie aus dem Spermakern. Bei der Bivalensrasse des Pferdespulwurms z. B. kommen in jedem Geschlechtskern zwei (S. 81, Fig. 45), bei der Varietät univalens ein einziges Chromosom zur Beobachtung. Nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch wird die bei der a lation der Geschlechtskerne zur Vereinigung gelangende Chromosomen- !) Vgl. H. Matscheck 1910. ?) Canthocamptus staphylinus besitzt die Normalzahl 24. “Bei C. trispinosus und Nitocra hibernica hat P. Krüger neuerdings die Normalzahlen 22 und 16 festgestellt. ee a u N Normale Chromosomenzahl. Zahl der komplexen Gruppen. 119 zahl als die normale, typische oder nicht reduzierte be- zeichnet. Diese Zahl erhält sich, soweit Untersuchungen vorliegen, in der vom befruchteten Ei zu den Urgeschlechtszellen führenden Zellenfolge, also in der ersten (differentiellen) Keimbahn- strecke), fort, so daß also bei der Bildung der Urgeschlechtszellen die gleiche Chromosomenzahl auftritt, wie bei der ersten Furchungs- teilung2). Auch in den übrigen Furchungszellen, sowie in den soma- tischen Zellen des heranwachsenden und ausgewachsenen Organismus kehrt in vielen Fällen die nämliche Zahl wieder und wird dann als somatische bezeichnet. Doch sind in dieser Hinsicht mehrere Aus- nahmen bekannt. So führen z. B. bei Ascaris schon während der Furchung die nicht zur Keimbahn gehörenden Zellen eine beträchtlich größere Zahl, indem die langschleifigen „Sammelchromosomen“ der Keimbahnzellen in den somatischen Elementen in Einheiten niedriger Ordnung zerfallen (S. 62, Fig. 28). Häufiger als solche „über- zähligen“ Mitosen kommen in den Furchungszellen und ebenso in somatischen, insbesondere embryonalen und larvalen Geweben „unter- zählige“ Kernteilungen mit einer wechselnden, die Normalzahl nicht erreichenden Chromosomenzahl vor: ganz sicher trifft dies für die Kopepoden) zu, und ebenso wurden Beobachtungen dieser Art bei Salamandra und bei einer Meduse gemacht). Auch von botanischer Seite liegen ähnliche Beobachtungen vor. Sehr regelmäßig erscheint in den Spermatogonien und Ovo- gonien die normale Zahl der Chromosomen. Ausnahmen haben sich unter anderen bei den Kopepoden gefunden, indem hier zuweilen die halbe Zahl auftritt’). Bemerkenswert ist auch der sexuelle Di- morphismus, der namentlich bei den Hemipteren in den spermato- gonialen und ovogonialen Teilungen hinsichtlich der Chromosomen- zahl hervortritt®). Als eine fundamentale Regel gilt endlich, daß in den Ovocyten und Spermatocyten erster Ordnung die Zahl der komplexen Chromosomengruppen, die in den allerfrühsten Phasen der ersten !) Siehe oben S. 61. *) So bei Cyclops. Meinen ersten Angaben (1892), wonach in den Urgeschlechts- zellen von Cyclops viridis (= brevicornis) die reduzierte Zahl auftritt, liegt möglicherweise eine Verwechselung mehrerer Arten zugrunde. ®) Vgl. O. Krimmel 1910. *) Vgl. hierzu vom Rath 1893 und Bigelow 1907. ®) Vgl. Matscheck 1910. 6) Siehe oben S. 104, sowie Kap. 32. 120 Literaturverzeichnis 11. Reifungsteilung zutage treten, der sogenannten Vierergruppen oder Tetraden und ihrer Homologa (Viererkugeln, Vierer- stäbchen, Doppelfäden, Doppelstäbchen, Ringe, Kreuze), halb so groß ist als die normale Zahl der Chromosomen. Auf dieses wichtige Verhältnis wird später zurückgekommen werden !). Literaturverzeichnis zu Kapitel 11. Artom, C., Il numero dei cromosomi e la maturazione dell’ uovo dell’ Artemia etc. Biologica, Vol. 1, 1906. Bigelow, H.B., Studies on the nuclear cycle of Gonionemus etc. Bull. Mus. Comp. Zool. Harv. Coll., Vol. 48, 1907. Boveri, Th., Zellenstudien. III. Jen. Zeitschr., 24. Bd., 1890. . Braun, H., Die spezifischen Chromosomenzahlen der einheimischen Arten der Gattung Cyclops. Arch. Zellf., 3. Bd., 1909. Della Valle, P., L’organizzata della cromatina studiata mediante il numero dei chromosomi. Archivio Zool., Vol.4, 1909. Duesberg, J., Sur le nombre des chromosomes chez !’homme. Anat. Anz., Vol. 28, 1906. Flemming, W., Beiträge zur Kenntnis der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen. II. Arch. f. mikr. Anat., 20. Bd., 1882. Guyer, M. F., Accessory chromosomes in. man. Biol. Bull., Vol. 19, 1910. Haecker, V., Die Chromosomen als angenommene Vererbungsträger. Erg. und Fortschr. Zool., 1. Bd., 1907. Krimmel, Ottilie, Chromosomenverhältnisse in generativen und somatischen Mitosen bei Diaptomus coeruleus. Zool. Anz., 35. Bd., 1910. Matscheck, H., Über Eireifung und Eiablage bei Kopepoden. Arch. Zellf., 5. Bd., 1910. McClung, C.E., The chromosome complex of orthopteran spermatocytes. Biol. Bull. Vol. 9, 1905. Montgomery, Th. H., 1901 und 1906, siehe Literaturverzeichnis 10. Moore, J. E. S. und Arnold, G., On the existence of permanent forms among the chromosomes etc. Proc. Roy. Soc. London, B, Vol. 77, 1906. Payne, F., Some new types of Chromosome Distribution etc. Biol. Bull. Mar. Biol. Lab., Vol. 16, 1909. Rauber, A., Ontogenese als Regeneration betrachtet. Dorpat 1908. Rosenberg, O., Zur Kenntnis der präsynaptischen Entwickelungsphasen der Re- duktionsteilung. Svensk. Botanisk Tidskr., 1. Bd., 1907. Strasburger, E., Typische und allotypische Kernteilung. Jahrb. wiss. Bot., 42. Bd., 1905. —, Chromosomenzahl. Jena 1910. Vom Rath, O., Beiträge zur Kenntnis der Spermatogenese von Salamandra mac. Zeitschr. wiss. Zool., 57. Bd., 1893. ' Wilson, E. B., siehe Literaturverzeichnis 10. Zweiger, H., Die Spermatogenese von Forficula auricularia. Jen. Zeitschr. Naturw., 42. Bd., 1906. !) Siehe Kap. 30. II. Teil. Weismanns Vererbungslehre. Das Problem der Vererbung erworbener Eigenschaften. Zwölftes Kapitel. Frühere Versuche einer morphobiologischen Erklärung der Vererbungserscheinungen. In den vorhergehenden Kapiteln sind’ diejenigen Ergebnisse auf dem Gebiete der Protoplasma- und Keimzellenforschung aufgezählt worden, welche bei den Versuchen, die Vererbungserscheinungen von einem einheitlichen morphobiologischen Gesichtspunkte aus verständ- lich zu machen und insbesondere ihr eigentliches materielles Substrat kennen zu lernen, von Bedeutung sind. Es wurden dabei in erster Linie die tatsächlichen Ergebnisse, welche sich neuerdings dem ge- sicherten Bestand unserer Kenntnisse angegliedert haben, hervor- gehoben, dagegen ist auf das Hypothetische so wenig wie möglich und auf die speziell vererbungstheoretischen Deutungen, welche man den Befunden gegeben hat, überhaupt noch nicht eingegangen worden. Es kann nun darüber von vornherein kein Zweifel bestehen, daß bei den Vererbungserscheinungen der Vielzelligen den reifen Fort- pflanzungszellen oder Gameten und ihrem Vereinigungsprodukte, dem befruchteten Ei oder der Zygote, eine fundamentale Rolle zufällt. Denn nur die reifen Samenzellen können es sein, denen der väter- liche Organismus seine offenbare Fähigkeit, die Eigenschaften der Nachkommen zu beeinflussen, verdankt, und nur durch den Be- fruchtungsprozeß können alle diejenigen Merkmalskombinationen zu- stande kommen, deren Regel- und Gesetzmäßigkeiten durch die neuere Vererbungsforschung ermittelt worden sind. Aus diesem Sachverhalt 122 Darwins Pangenesishypothese. ergibt sich aber unmittelbar die morphobiologische (keimzellen- physiologische) Fassung des Vererbungsproblems. Es handelt . sich, wie Weismann!) betont hat, um ein Doppelproblem: 1. Wie kommen die F ortpflanzungszellen dazu, daß sie sämt- liche Vererbungstendenzen oder Anlagen des gesamten Orga- nismus in sich vereinigen? 2. Durch welche Kräfte, durch welchen Mechanismus werden diese Tendenzen beim Aufbau des neuen Organismus zur Entfaltung gebracht? Wie ist es insbesondere zu erklären, daß beim Kinde ‚die Anlagen in derselben Reihenfolge zur Ent- faltung kommen wie bei den Eltern? Auf diese Fragen, namentlich auf die erstere, eine Antwort zu geben, ist schon in früheren Jahren wiederholt unternommen worden. Als erster hat Darwin?) in seiner „Provisorischen Hypothese der Pangenesis“ den Versuch gemacht, die hauptsächlichsten Tat- sachen der Reproduktion und Vererbung „durch irgend ein verständ- liches Bindemittel zu verknüpfen“. Er nimmt an, daß die Zellen im Körper der Tiere und Pflanzen kleine Körnchen oder Atome abstoßen, daß diese Zellkeimchen oder Keimchen (gemmules) mit den Körpersäften im ganzen Organismus zirkulieren, sich währenddem vervielfältigen und an bestimmten Stellen des Körpers sich zu Knospen oder Sexualelementen aggregieren können. Auf diese Weise kommt es, daß die reproduktiven Elemente Keimchen von allen Zellen des Organismus in sich einschließen. Bei der Entwickelung der Knospe oder des Eies zum jungen Organismus bringen dann die Keimchen in bestimmter Reihenfolge wieder die nämlichen Zellenformen hervor, von denen sie im elterlichen Organismus ihren Ursprung genommen hatten. Der junge Organismus, der aus den Keimzellen hervorgeht, ist also nicht das Produkt dieser allein, sondern sämtlicher Zellen des elterlichen Organismus („Pangenesis“), und zwar in der Weise, daß jede Zelle durch Vermittelung der Keimchen ihre eigene Art erzeugt. Die Pangenesishypothese scheint auf den ersten Anblick eine weitreichende Erklärungskraft zu besitzen. So würde z. B. eine Ver- erbung erworbener Abänderungen, falls eine solche vorkommt, sehr leicht auf die vermittelnde Rolle der Keimchen zurückgeführt werden !) Vgl. Weismann, Die Kontinuität des Keimplasmas (Aufsätze, S. 200). ®) Das Variieren usw., 2. Bd., S. 491—529. Vgl. auch Weismann, Aufsätze, S.86; Keimplasma, S.4; O. Hertwig, Zelle und Gewebe. Il. S. 291; Allgem. Biologie, 2. Aufl., S. 569. + Anlagenträger. 123 können, und die Erscheinungen des Rückschlages wären in der Weise zu erklären, daß die von den Zellen eines Individuums produzierten Keimchen unter Umständen mehrere Generationen hindurch latent bleiben und erst bei späteren Nachkommen zur Entfaltung gelangen. Indessen fehlt der Hypothese die tatsächliche Unterlage, indem, wenigstens zu Darwins Zeit, die Annahme einer Abgabe der Keim- chen in das Blut, einer Zirkulation und Zusammenscharung in den Fortpflanzungselementen in keiner Weise durch Beobachtungen ‚ge- stützt werden konnte. Es handelt sich also nach Darwins eigenem Urteil um eine durchaus provisorische Hypothese. Immerhin ist aber durch diesen Erklärungsversuch „rein formaler Natur* (Weismann) zum ersten Male gezeigt worden, welche Erscheinungen überhaupt zu erklären sind, und eine der Grundvorstellungen Darwins kommt auch in den späteren Theorien wieder zum Vorschein, nämlich die Annahme, daß die verschiedenen Eigenschaften der Organismen im Keime durch gesonderte materielle Teilchen oder Anlagen- träger repräsentiert werden. Darwins Idee, daß allen Zellen des elterlichen Organismus ein gleicher Einfluß auf die Gestaltung des Kindes und damit auf die Vererbungserscheinungen zukommt, ist zunächst von keinem anderen Vererbungstheoretiker wieder aufgenommen worden, dagegen haben schon vor und insbesondere nach Darwin mehrere Forscher eine im gewissen Sinne entgegengesetzte Anschauung vertreten und zum Teil auch durch tatsächliche Beobachtungen zu stützen versucht, nämlich die Vorstellung, daß bei der Entwickelung der Organismen schon sehr frühzeitig eine Sonderung der Gewebs- und Fortpflan- zungszellen, also der „personalen“, der Erhaltung des Indivi- duums dienenden und der „germinalen“, für die Arterhaltung bestimmten Teile des Körpers stattfindet. Als Vertreter dieser Auf- fassung sind Owen (1849), Haeckel (1866), Brooks (1876), Rauber (1880) und Nußbaum (1879, 1880) zu nennen!). Aus Vorstellungen dieser Art haben sich dann die verschiedenen Kontinuitätshypothesen herausgebildet, welche eine von Gene- ration zu Generation sich erstreckende, durch die generativen Körper- elemente vermittelte Kontinuität bestimmter Substanzen annehmen und damit, zeitlich betrachtet, als eigentliche Vorläuferinnen der Weismannschen Lehre anzusehen sind. !) Vgl. Weismann, Keimplasma, S. 260; Thomson, S. 411; bezüglich der Arbeiten Nußbaums vgl. auch Waldeyer, S.401. 124 Galton. Jäger. Speziell Galton!) schließt an die Pangenesishypothese an und sucht diese zu verbessern. Er behält Darwins Anschauung bei, daß in den Fortpflanzungselementen zahlreiche Keimchen als Anlage- masse oder als Grundstock („stirp“) für das neue Individuum ein- geschlossen sind, aber er nimmt im Gegensatz zu Darwin eine doppelte Bestimmung dieser Keimchen an. Ein Teil der letzteren gelangt nach Galton während der Entwickelung des jungen Organis- mus zur Entfaltung, diese werden also aktiv und leiten die Ent- wickelung des Individuums, indem sie den Charakter der einzelnen Zellen, Gewebe und Organe bestimmen. Die übrigen Keimchen da- gegen bleiben in latentem, gebundenem Zustande und gehen schließ- lich in die Fortpflanzungszellen des neugebildeten Individuums über, um hier den „stirp“ für das folgende zu bilden. In bestimmterer Weise wendet sich G. Jäger (1876) gegen die Pangenesishypothese und gleichzeitig auch gegen Göttes Diskonti- nuitätshypothese, wonach der Keim gewissermaßen nur ein totes Pro- dukt des Körpers darstelle. Jäger hebt hervor, daß der Ausgangs- punkt für die Geschlechtsprodukte lebendiges Protoplasma_ sei, welches niemals aufhört, lebendig: zu sein, sich aber an dem ontogene- tischen Differenzierungsprozeß und an der Funktion der Selbsterhaltung: des Muttertieres nicht weiter beteiligt. Jäger stellt also der Pan- genesishypothese die „Lehre von der Kontinuität des Keimproto- plasmas durch alle Generationen hindurch“ gegenüber?). Bei der Ontogenese spalten sich die Teilungsprodukte des Keimplasmas in zwei Gruppen: in die ontogenetische, welche das Einzelwesen auf- baut, und in die phylogenetische, welche reserviert wird, um zu ge- schlechtlichem Protoplasma langsam heranzureifen. Alle hier aufgezählten, unabhängig voneinander entstandenen Versuche, zu denen noch eine mit Weismanns erster Vererbungs- schrift (1883) zeitlich zusammenfallende Äußerung Pflügers zu rechnen ist3), zeigen einen provisorischen oder gar nur gelegentlichen Charakter. Sie sind in demselben Sinne als Vorläufer der Weis- ) Vgl. Galton 1875. ”) Weismann ist auf das Jägersche Buch (1876) erst nach dem Erscheinen seiner ersten Schrift über die Vererbung (1883) aufmerksam geworden. Er erwähnte daher Jäger erst in seiner zweiten Schrift (1885; vgl. Aufsätze, S. 248), übersah aber bei diesem Zitat, daß schon Jäger den gleichen Ausdruck „Kontinuität des Keimprotoplasmas“ benutzt hatte, den er selbst auf der letzten Seite seiner ersten Schrift (vgl. Aufsätze, S. 121) gebrauchte. Vgl. auch Keimplasma, S. 263, Anm. 1. ») Vgl. Weismann, Aufsätze, S. 76. Weismann und seine Vorgänger. 125 mannschen Vererbungstheorie zu betrachten, wie etwa die Schriften . von Erasmus Darwin, Goethe und manchen anderen Denkern als Vorläufer der „Entstehung der Arten“ bezeichnet werden. Wohl für jedes weitere und engere Wissensgebiet können Zeitperioden namhaft gemacht werden, in welchen durch die zunehmende Fülle und Reife der Kenntnisse und durch die von einzelnen, besonders markanten Entdeckungen ausgehenden Impulse die Forscher auf ganz bestimmte Synthesen und Formulierungen hingelenkt worden sind. Es werden dann an verschiedenen Stellen und in unabhängiger Weise dieselben Gedanken in weniger klarer oder in reiferer Form zum Vorschein kommen und ähnliche Begriffe gebildet werden, und es kann auch nicht ausbleiben, daß da und dort für den gleichen Gegenstand sogar die gleiche Bezeichnung gefunden wird. Die Voraussetzung aber, daß schließlich ein derartiger Gedanke beachtet wird, daß er zum Durchbruch gelangt und fruchtbar weiter wirkt, liegt nicht bloß in der vollkommenen, durch den Fortschritt der Kenntnisse herbeigeführten Vorbereitung des Bodens, sondern vor ‘allem in der Hervorhebung und glücklichen Kombination der entscheidenden Tatsachen, in der Klarheit der Fragestellungen und in der logischen Konsequenz und Vollständigkeit, mit welcher der Gedanke zur Durchführung gelangt. Für die Vererbungslehre der 80er und 90er Jahre kann es keinem Zweifel unterliegen, daß diese Voraussetzungen erst durch die Weis- mannschen Schriften erfüllt worden sind. Literaturverzeichnis zu Kapitel 12. Darwin, Ch., Das Variieren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Domestika- tion. Übers. von J. V. Carus. Stuttgart 1868. Galton, F., A Theory of Heredity. Contemp. Rev., 27. Bd., 1875. Hertwig, O©., Die Zelle und die Gewebe. Jena 1893—1898. —, Allgemeine Biologie. Jena 1896. Jäger, G., Zoologische Briefe. Wien 1876. — , Lehrbuch der allgemeinen Zoologie. Leipzig 1879. Thomson, J. A., Heredity. London 1908. Waldeyer, V., Die Geschlechtszellen. Siehe Literaturverzeichnis. Weismann, A., Die Kontinuität des Keimplasmas als Grundlage einer Theorie der Vererbung. Jena 1885. —, Aufsätze über Vererbung. Jena 1892. —, Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena 1892. Dreizehntes Kapitel. Die Kontinuität des Keimplasmas als Grundlage einer Theorie der Vererbung. Weismann geht bei seinen Betrachtungen von den Verhältnissen bei den Einzelligen aus und fragt, auf welche Weise bei diesen die Erscheinung der Vererbung zustande kommt). Wenn sich ein ein- facher organisiertes einzelliges Tier, z. B. eine Amöbe, durch Zwei- teilung vermehrt, so teilen sich. hintereinander Kern und Zellleib und es entstehen zwei Hälften, die sich in Größe und Beschaffenheit voll- kommen gleichen. Das Mutterindividuum gibt dabei vollständig seine Individualität auf und setzt sich in jedem der beiden Tochterindividuen in gleicher Weise fort. Es besteht also eine stoffliche Kontinuität zwischen Mutter und Töchtern, und darauf beruht offenbar nicht bloß die morphologische Ähnlichkeit der letzteren mit dem Mutterindividuum, sondern auch ihre physiologische Übereinstimmung, d. h. ihre Fähig- keit, bestimmte Nahrungsstoffe in bestimmter Weise zu assimilieren, diese in Amöbenplasma von spezifischer Konstitution umzuwandeln und so durch Stoffzunahme oder Wachstum den Zustand des Mutter- individuums zu erreichen. Die stoffliche Kontinuität zwischen Mutter und Töchtern ist also die eigentliche Ursache ihrer Ähnlichkeit, d. h. der Vererbung). Man kann in diesem Falle auch mit Darwin sagen, daß die Vererbung eine Form des Wachstums, oder, mit Haeckel, daß sie eine einfache Fortsetzung des Wachstums sei. Nur bei wenigen Formen dürfte der Vererbungsprozeß nach diesem einfachen, von Weismann angegebenen Schema zustande kommen. In der Regel kommt zu dem fortgesetzten Wachstum der Leibes- substanz noch ein weiteres Moment hinzu, nämlich eine größere oder geringere Anzahl von Neubildungsprozessen. Schon bei der Teilung der Amöbe muß, da die einzige im Muttertier vorhandene 1) Über die Vererbung 1883. ?) Vgl. Weismann 1883 (Aufsätze, S. 80). Vererbung: bei Einzelligen. 127 kontraktile Vakuole einseitig dem einen Tochtertier zugewiesen wird, in der anderen Tochter die Neubildung einer Vakuole stattfinden. Besonders deutlich tritt das Zusammenwirken beider Faktoren bei den hochdifferenzierten Radiolarien, z. B. bei einer Aulacanthide, her- vor. Hier kommt bei der Zweiteilung zunächst eine gleichmäßige Verteilung aller Bestandteile des Körpers zustande, nämlich der Kern- substanz, der Zentralkapsel (Fig. 75, ck), des intra- und extrakapsulären Aulacanthide (Auloceros) mit zwei Zentralkapseln und geteiltem Phäodium. (Diese Form gehört zu den Formen, welche längere Zeit im zweikapseligen Zustande ver- harren. Sie darf aber trotzdem wohl auch zur Veranschaulichung des Zweiteilungs- vorganges der einkapseligen Formen herangezogen werden.) Zellplasmas, des aus dünnflüssigen Gallerttropfen bestehenden Alveolen- apparates (a), des „Phäodiums“ (ph) mit seinen schleimigen, später gallertigen, wahrscheinlich fermenthaltigen und der Verdauung dienen- den Sekrettropfen (den Phäodellen) und den hohlen, gallertgefüllten Kieselstacheln. Während nun in den Tochtertieren Kernsubstanz und Plasma durch einfaches Wachstum auf den Stand des Muttertieres gebracht werden, müssen Alveolarapparat, Phäodium und Kieselskelett, sowie die Öffnungen der Zentralkapsel durch Neubildungsprozesse ergänzt werden. Die Möglichkeit solcher Neubildungen beruht aber 128 Vererbung bei Einzelligen. darauf, daß die Tochterindividuen infolge der stofflichen Kon- tinuität mit dem Mutterorganismus auch alle Qualitäten und Potenzen des letzteren übernehmen und daher auch alle Sekretions- und Formbildungsprozesse, auf welchen die Differenzierung der Alveolen, Phäodellen und Skeletteile beruht, fortzusetzen imstande sind). Zu diesen Potenzen gehört aber nicht bloß die Fähigkeit zu spezifischer Sekretion und Formbildung, sondern auch das Vermögen zuregulatorischer und ordnender Tätigkeit, wie es sich z. B. in der Herstellung der typischen Form der Zentralkapsel und in der definitiven Anordnung ihrer Öffnungen äußert. Nicht wesentlich verschieden sind solche Fälle, in denen bei der Zweiteilung die meisten Differen- zierungen des mütterlichen Körpers zurückgebildet und in den Tochter- individuen neugebildet werden. Dies ist z. B. bei den hypotri- chen Infusorien der Fall, bei welchen das ganze durch den Ge- brauch abgenutzte Wimperkleid des Muttertieres, insbesondere auch die großen Stirn- und Aftereirren (Fig. 76, st u. a) und die Membran- bildungen des Peristoms zurück- aa ea a; gebildet und in den beiden Töch- st Stirneirren. a Res, ap und mpaltes tern durch neue Bildungen (nc’ nc”) une ee ne" Anlage derCirren ersetzt werden 2). Letztere entste- hen an Stellen, die zum Teil weit entfernt von den alten Differenzierungen stehen. Die Vererbung kommt also auch hier nicht durch einfache Übernahme der mütter- lichen Organisation zustande, sondern ist dadurch bedingt, daß infolge der Kontinuität der lebenden Substanz auch das spezifische Differen- zierungsvermögen von Generation zu Generation fortbesteht und sich Y) Bezüglich der Bildung der Skeletteile vgl. S. 36 (Fig. 10). 2) Vgl. Schuberg 1899 und Wallengren 1901. Vererbung bei koloniebildenden Organismen. 129 bei jedem Vermehrungsakt aufs neue betätigt. Es ist also hier durch- aus zutreffend, wenn gesagt wird, daß der Mechanismus der Ver- erbung nichts anderes sei als der Mechanismus der Differenzierung (Conklin), und daß folglich das Studium der Vererbung zusammen- fällt mit dem Studium der die Differenzierung bestimmenden Faktoren (Jennings). Eine Art Zwischenstufe zwischen den einzelligen und vielzelligen Organismen bilden in morphobiologischer und damit auch in ver- erbungsgeschichtlicher Hinsicht die koloniebildenden Organismen Fig. 77. Pandorina morum. Nach Pringsheim aus Lang. A Kolonie mit Gametenhaufen (Tochterkolonien). B freie Gameten, zum Teil in Kopulation. aus der Phytoflagellatengruppe der Volvocineen. Bei einigen Formen, so bei Pandorina und Platydorina (S. 30, Fig. 5 u. 6) besteht die Kolonie aus 16 oder 32 ganz gleichartigen, von einer Mutterzelle ab- stammenden Individuen, die in einer gemeinsam von ihnen aus- geschiedenen Gallerte eingebettet sind und ihre zwei Geißeln in radiärer Richtung über die Oberfläche der Kolonie hervortreten lassen. Die Kolonie pflanzt sich gewöhnlich in der Weise fort, daß alle Individuen auf Grund fortgesetzter Zweiteilung zu Gametenhaufen oder Tochterkolonien werden (Fig. 77 A), welche nach Auflösung der mütterlichen Gallerte selbständig umherschwärmen. Bei der geschlecht- lichen Fortpflanzung dagegen werden die Einzelzellen nach dem Zer- fall der Mutter- und Tochterkolonien frei und schwärmen als Gameten Haecker, Vererbungslehre. 9 130 Vererbung bei Volvox. herum, um sich paarweise zur Bildung von Zygoten zu vereinigen (Fig. 77B). Nach einer Ruheperiode entsteht dann aus jeder Zygote durch Teilung eine junge Mutterkolonie. Im ganzen verhält sich also bei Pandorina jede einzelne Zelle in bezug auf die Fortpflanzung wie ein solitärer einzelliger Organismus, mit dem einzigen Unter- schiede, daß die Geschwisterzellen längere Zeit miteinander im Kolonie- verband bleiben. Das Vererbungsproblem ist also wie bei den echten Einzelligen ein Problem der Assimilation, des Wachstums und der Differenzierung. Anders liegen die Verhältnisse bei der Gattung Volvox, bei welcher viele Hunderte von Individuen, im Durchschnitt 10000, zu einer Kolonie vereinigt sind. Der Fortschritt gegenüber Pandorina beruht darin, daß hier nicht mehr alle Individuen die Fähigkeit haben, die Art durch Bildung einer neuen Kolonie fortzupflanzen, vielmehr ist diese Fähigkeit an bestimmte Zellen gebunden, welche bei der ungeschlechtlichen Fortpflanzung von einerlei, bei der geschlechtlichen von zweierlei Art sind. Man kann also zunächst unterscheiden zwischen den sterblichen somatischen oder Körperzellen, welche, solange die Kolonie wächst, durch Teilung ihresgleichen erzeugen und nach Ableistung ihrer animalen und vegetativen Lebens- funktionen bei der Auflösung der Kolonie zugrunde gehen, und den in gewissem Sinne unsterblichen !) Keim- oder Fortpflanzungs- zellen, welche bei Auflösung der Kolonie fortexistieren und eine neue Kolonie zu bilden imstande sind. Speziell bei der geschlecht- lichen Fortpflanzung kommt noch eine weitere Arbeitsteilung hinzu, indem unter den Keimzellen eiähnliche weibliche Zellen oder Makro- gameten und spermatozoenähnliche männliche Zellen oder Mikrogameten zu unterscheiden sind. Die Vererbung sämtlicher Eigenschaften der Art, sowohl derjenigen der somatischen wie derjenigen der Geschlechtszellen, ist also aus- schließlich eine Funktion der letzteren, und es ergibt sich daraus, daß diese zweierlei Potenzen oder Anlagen in sich einschließen müssen, nämlich die Anlagen der Charaktere der Somazellen und diejenigen der Eigenschaften der Geschlechtszellen. Erstere Anlagen sind in den Fortpflanzungszellen nur in potentia oder in „latentem“ Zustande vorhanden, insofern wenigstens die ungeschlechtlichen Keimzellen ') „Unsterblich“ insofern, als zwischen ihrer lebenden Substanz und derjenigen der späteren Generationen eine stoffliche Kontinuität besteht. Kontinuität des Keimplasmas. 131 und die Makrogameten gewisse Merkmale der somatischen Zellen, nämlich den Geißelapparat, den Augenfleck und die kontraktile Vakuole nicht selbst zur Entfaltung bringen, vielmehr nur fähig sind, Individuen, welche mit solchen somatischen Charakteren ausgestattet sind, durch Teilung aus sich hervorgehen zu lassen. Ganz ähnlich verhalten sich nun offenbar auch die vielzelligen Organismen. Auch hier besteht ein Gegensatz zwischen den Körper-, Soma- oder Gewebszellen (Haut-, Nerven-, Muskel-, Drüsen- zellen usw.) und den Keim- oder Fortpflanzungszellen, auch hier ist die Funktion der Vermehrung und Arterhaltung an die letzteren gebunden und auch hier müssen diese in potentia (virtuell) sämtliche Qualitäten der Körperzellenvin sich enthalten. Wir stehen also damit vor der ersten Hauptfrage des Vererbungs- problems: Wie kommt die Keimzelle dazu, alle Qualitäten, Anlagen oder Vererbungstendenzen der Spezies in sich zu enthalten !)? Weismann ist der Ansicht, daß die morphologischen und physio- logischen Tatsachen gegen die Annahme Darwins sprechen, daß die Keimzellen gewissermaßen ein Produkt oder einen Extrakt des ganzen Körpers darstellen, und ebenso gegen die Hypothese Nägelis, wo- nach die in den Keimzellen enthaltene Substanz während der Ent- wickelung einen Kreislauf von Veränderungen vollendet, der sie durch den Aufbau des neuen Individuums hindurch zum Ausgangspunkt zurückführt. Es bliebe also nur die Annahme übrig, daß die Keim- zellen in ihrer wesentlichen und bestimmenden Substanz, dem Keimplasma, überhaupt nicht durch das Soma des Individuums bedingt und beeinflußt sind oder aus ihm hervorgehen, sondern direkt aus den elterlichen Keimzellen ihre Entstehung nehmen. Es besteht also eine Kontinuität des Keimplasmas von der Keim- zelle der Mutter bis zur Keimzelle der Tochter, und zwar denkt sich Weismann diese Kontinuität zunächst in der Weise, daß bei der Eifurchung und beim weiteren Aufbau des Körpers ein Teil des Keimplasmas unverbraucht bleibt, um bald früher, bald später in Form der neuen Keimzellen sichtbar zu werden ?). Der Schwerpunkt der Keimplasmahypothese liegt also zunächst in der Annahme einer Kontinuität des Keimplasmas und nicht darin, daß diese Kontinuität äußerlich in einer durch histologische ) Vgl. oben S. 122. ?) Aufsätze Vererbung, S. 89, 323. 132 Erklärungswert der Keimplasmatheorie. oder physiologische Charaktere ausgezeichneten, vom befruchteten Keim zu der Geschlechtsdrüsenanlage führenden Zellenfolge, in einer Keimbahn, zum Ausdruck kommt. Es ist aber klar, daß die früher erwähnten Fälle von Ascaris und Cyclops, in denen die ganze Reihe der Keimbahnzelle durch histologische Merkmale charakterisiert ist!), als wertvolle Stützen der Kontinuitätshypothese betrachtet werden können. Es soll an dieser Stelle nicht auf das zweite Hauptproblem der Vererbungslehre, auf die Frage, wie die in den Keimzellen ein- geschlossenen Anlagen im jungen Organismus zur Entfaltung gelangen, eingegangen werden, aber es empfiehlt sich vielleicht, auf die Trag- weite der Kontinuitätshypothese nochmals von etwas anderen Gesichts- punkten aus hinzuweisen. Es wurde früher gezeigt, daß „Vererbung“ im wesentlichen die Ähnlichkeit oder vollkommene Übereinstimmung des kindlichen mit dem Elternorganismus bedeutet. Diese Übereinstimmung erstreckt sich bekanntlich nicht bloß auf den erwachsenen Zustand, sondern auf alle einzelnen Entwickelungszustände und beruht in letzter Linie zweifellos auf der Übereinstimmung der Keimzellen, aus welchen einerseits der elterliche, andererseits der kindliche Organismus hervor- gegangen ist, also auf einer Übereinstimmung der Ausgangs- punkte. Nun gibt aber doch offenbar die Kontinuitätshypothese eine befriedigende Erklärung für die Übereinstimmung der Ausgangs- punkte und damit also auch für die Vererbung selbst, indem sie diese Übereinstimmung eben auf die stoffliche Kontinuität, auf die von Generation zu Generation stattfindende Übertragung eines unver- änderten Keimplasmarestes zurückführt. Man kann sich mit Weismann das Keimplasma auch als eine lang dahin kriechende Wurzel vorstellen, von welcher sich von Strecke zu Strecke einzelne Pflänzchen, d. h. die Individuen der aufeinander- folgenden Generationen erheben. !) Siehe oben S. 61. Literaturverzeichnis 13. 133 Literaturverzeichnis zu Kapitel 13. Bütschli, O.,Infusoria. In: Bronns, Klassen und Ordnungen, 1. Bd., Abt.3. Leipzig u. Heidelberg 1887—1889. Conklin, E. G., The mechanism of heredity. Sci., Vol. 27, 1908. Jennings, H. S., Heredity, variation and evolution in Protozoa. I. Journ. exp. Zool., Vol. 5, 1908. Lang, A., Lehrbuch der vergleichenden Anatomie, 2. Aufl., 2. Lief. Protozoa. Jena 1901. Schuberg, A., Zur Kenntnis des Teilungsvorganges bei Euplotes patella. Verh. Med.-Nat. Ver. Heidelberg, N. F., 6. Bd., 1899. Wallengren, H., Zur Kenntnis des Neubildungs- und Resorptionsprozesses bei der Teilung der hypotrichen Infusorien. Zool. Jahrb. (Anat. Abt.), 15. Bd., 1901. Weismann, A., Über die Vererbung. Jena 1883. —, Die Kontinuität des Keimplasmas als Grundlage einer Theorie der Vererbung. Jena 1885. Vierzehntes Kapitel. Vererbungssubstanz, Keimplasma, Idioplasma. Wie hat man sich nun die wesentliche und bestimmende Sub- stanz der Keimzellen, das Keimplasma, also. das eigentliche materielle Substrat der Vererbungserscheinungen zu denken? Bald nach dem Erscheinen von Weismanns erster Vererbungs- ' schrift (1883) trat Nägeli mit seiner „Mechanisch -physiologischen Theorie der Abstammungslehre“ (1884) hervor. Die Anschauungen, welche Nägeli bezüglich der Vererbungserscheinungen vertritt, laufen in mancher Hinsicht mit denjenigen Weismanns parallel, auf der anderen Seite sind aber in diesem Werke eine Reihe eigenartiger Gedanken enthalten, welche für die weitere Entwickelung des Keim- plasmabegriffes von großer Bedeutung gewesen sind !}). Nägeli nimmt wie Weismann eine besondere Vererbungs- substanz, ein Anlagenplasma oder Idioplasma?) an, welches gegenüber der übrigen lebenden Substanz, dem Ernährungsplasma, an Masse stark zurücktritt, aber auf die spezifische Entwickelung und Gestaltung des letzteren und damit des ganzen Organismus einen bestimmenden Einfluß hat. Dies geschieht in der Weise, daß eine vom Idioplasma ausgehende Entwickelungsbewegung dem Tropho- plasma mitgeteilt und hier durch den Umsatz der Nahrung unter- halten wird. Nägeli dachte sich dieses Idioplasma in Gestalt von Strängen, die den ganzen Keim und später sämtliche Zellen des Organismus durchziehen und aus mikroskopisch unsichtbaren, reihenförmig an- geordneten Kriställchen, den Micellen, zusammengesetzt sind. Letztere bestehen aus einer größeren oder kleineren Anzahl von Molekülen und sind ihrerseits wieder zu höheren Einheiten verschie- !) Vgl. auch Weismann, Keimplasma, S. 13. ?) idıos eigentümlich, eigenartig. Architektonik des Idioplasmas. 135 dener Ordnung verbunden, welche die Anlagen der verschiedenen Zellen, Gewebesysteme und Organe des Organismus darstellen ?). Speziell das Idioplasma des Keimes stellt demnach ein mikroskopisches (besser: ultramikroskopisches) Abbild des makroskopischen erwach- senen Organismus dar, indem jede Eigenschaft des erwachsenen Organismus als Anlage in ihm enthalten ist. Daraus ergibt sich die weitere wichtige Vorstellung, daß es ebenso viele Arten von Idioplasma gibt, als Kombina- tionen von Eigenschaften existieren, und daß innerhalb einer Spezies jedes Individuum aus einem etwas anders gearteten Idio- plasma hervorgegangen ist?) Alles in allem kommt in der Nägelischen Lehre die An- schauung zum Ausdruck, daß die spezifische Entwickelung und Organisation durch die spezifische micellare Struktur oder die Architektonik des Idioplasmas bedingt ist. Man kann viel- leicht auch sagen, daß die spezifische Organisation o eine Funktion der Idioplasmastruktur & ist: o = f(), und daß kleine Abänderungen in der Organisation durch kleine Abänderungen in der micellaren Struktur des Idioplasmas bedingt sind: o + do = f(t + di). Das Idioplasma Nägelis ist keine sichtbare, mikroskopisch kon- trollierbare Struktur, und es mußte also, wenn man in der Erkenntnis des materiellen Substrates der Vererbungserscheinungen weiter kom- men wollte, als nächster Schritt versucht werden, das Idioplasma womöglich mit sichtbaren Organisationsverhältnissen in Zusammen- hang zu bringen. Schon Nägeli hatte die Annahme ausgesprochen, daß das Idioplasmanetz besonders auch im Kern zusammengedrängt sei, vor allem aber haben Strasburger, O. Hertwig und Weis- mann die Ansicht zu begründen versucht, daß speziell die Kern- substanz den Träger der Vererbungserscheinungen, also die Ver- erbungssubstanz, das Keim- oder Idioplasma, darstelle. Die Beweise, welche von den genannten und von anderen For- schern zugunsten dieser Auffassung angeführt worden sind, liegen auf verschiedenen Gebieten. Schon alle diejenigen Tatsachen, welche für eine wesentliche Beteiligung des Kernes an den formgestaltenden Zellprozessen !) An einer anderen Stelle spricht Nägeli davon, daß jedes Organ und jeder Organteil seine Entstehung einer eigentümlichen Modifikation oder eher einem eigen- tümlichen Zustand des Idioplasmas verdanke. ?) Vgl. oben S.124 die Anschauungen G. Jägers. 136 Der Kern als Vererbungsträger. sprechen, vor allem die mangelnde Regenerationsfähigkeit kernloser Protozoenfragmente !), dürfen zugunsten der Ansicht herangezogen werden, daß der Kern „den bestimmenden Faktor des spezifischen Wesens der Zelle“ 2) darstelle und demnach .eine wichtige Rolle bei der Vererbung spiele. Wenn ferner Roux?3) zu dem Schlusse ge- langt, daß der so ungemein umständliche und verwickelte Prozeß der Karyokinese ein Mittel darstellen müsse, den Kern nicht bloß seiner Masse nach, sondern auch der Masse und Beschaffenheit seiner Qualitäten nach zu teilen, so ergab sich von selbst die Folgerung, daß für die Entwickelung des Embryos der Kern wich- tiger als der Zellleib sei, und daß also ersterem die führende Rolle bei den Vererbungsvorgängen zukommen müsse. Noch unzweideutiger schienen die Beobachtungen über den Be- fruchtungsprozeß zu sein. Speziell bei der Befruchtung der Angiospermen gewinnt man den Eindruck, daß sich von männlicher Seite tatsächlich nur die Kernsubstanz beteiligt, insofern beide gene- rative Kerne des Pollenschlauches (Fig. 49, p’, p") vollkommen nackt, d. h. ohne Cytoplasma, in den Embryosack eintreten, und der eine mit dem Eikern (00), der andere mit dem sekundären Embryosack- kern (ps + pi) kopulieren. Da nun bei Bastarden die Merkmale der väterlichen Stammpflanze sowohl im jungen Organismus als auch in dem vom sekundären Embryosackkern abstammenden Endosperm- gewebe hervortreten können, so scheint damit wiederum ein Beweis für die Annahme zu liegen, daß der Kern nicht bloß eine wichtige Rolle bei den Vererbungserscheinungen spielt, sondern sogar den aus- schließlichen Träger der Vererbung darstellt ®). Bei den vielzelligen Tieren kann im Gegensatz zu den Angio- spermen nicht in Abrede gestellt werden, daß außer dem Kern auch noch andere Teile der Samenzelle, mindestens das Mittelstück mit ') Vgl. die früher (S. 52) erwähnten Versuche von Nußbaum und Gruber. ?) Vgl. Weismann, Aufsätze, S. 222. ®) 1884, S.15. Ob der äußeren Symmetrie des Kernteilungsvorganges immer auch eine symmetrische Teilung der kleinsten Teile entspricht, kann freilich nicht bewiesen werden. So hat neuerdings Giglio-Tos zu zeigen versucht, daß die Teilung eines Biomoleküls in zwei ungleiche Teile viel leichter sein müsse, als in zwei gleiche Teile, und daß daher die unsymmetrische Teilung den häufigeren Modus darstellen müsse. Bezüglich der Rouxschen Folgerung vgl. auch Fick, S. 185 (1905); God- lewski, S. 110 (1909). *) Vgl. Strasburger 1884, 1900; S. 533, 544 (1908). Vgl. hierzu auch Cor- rens, S. 338 (1909). Äquivalenz von Ei- und Samenkern. 137 dem Centrosoma !), in die Eizelle eintreten. Trotzdem konnten gerade die bei der Befruchtung des Metazoeneies hervortretenden Erschei- nungen als ein besonders gewichtiges Argument zugunsten der An- nahme, daß die Kernsubstanz dem Idioplasma N ägelis entspreche, angeführt werden, und zwar auf Grund folgender Überlegungen. Da im allgemeinen, worauf schon Nägeli hingewiesen hatte, die beiden Eltern an der Zusammensetzung der in den Deszendenten vereinigten Merkmale in gleicher Weise beteiligt sind, so ist von vorn- herein zu erwarten, daß auch das von den beiden Eltern gelieferte materielle Vererbungssubstrat seiner Masse und Zusammensetzung nach gleichartig ist. Nun ist aber bekannt, daß gerade bei den vielzelligen Tieren ganz enorme Unterschiede zwischen der Masse des ganzen Eies und der ganzen Samenzelle bestehen — schon bei kleinen Eiern wie bei dem des Axolotls (Amblystoma) beträgt das Volumen des Eies das 50millionenfache gegenüber dem Volumen des Spermatozoenkopfes ?2) —, und es würde also, wenn das ganze Ei und die ganze Samenzelle als Vererbungssubstrat in Betracht kämen, jene Erwartung nicht erfüllt werden. Da aber, wie van Be- neden zuerst beim Ascarisei gezeigt hat, bei der Kopulation die Kerne annähernd gleich groß sind und Chromosomen von gleicher Zahl und Beschaffenheit zur Entwickelung bringen (Fig. 45, S. 81), so lag die Annahme nahe, daß es die gleich gestalteten Kerne der im übrigen so verschieden gestalteten Geschlechtszellen sind, durch welche die gleichen Erbanteile der Eltern übermittelt werden (O. Hert- wigs „Gesetz der Äquivalenz von Ei- und Samenkern‘). Für die ausschließliche Rolle des Kernes bei den Vererbungs- erscheinungen schienen vor allem auch die Ergebnisse eines von Boveri ausgeführten Bastardierungsversuches zu sprechen. Nachdem die Möglichkeit festgestellt war, kernlose Fragmente des Seeigeleies nach Befruchtung zur Entwickelung zu bringen, hat Boveri eine Kreuzbefruchtung in der Weise ausgeführt, daß kernlose Eifragmente von Sphaerechinus mittels des Samens von Echinus befruchtet wurden. Von vornherein war dann mit mehreren Möglichkeiten zu rechnen. Insbesondere konnten die aus den Eifragmenten entstehenden Zwerg- larven hinsichtlich ihrer Gestalt und Skeletteile eine Mischung der elterlichen Charaktere zeigen, dann wäre bewiesen gewesen, daß auch !) Vgl. oben S. 80. ?®) Vgl. auch die enorm großen Eizellen mancher Vögel (S. 77, Anm. 4). 138 Boveris Vererbungsexperiment. das Eiplasma bei der Vererbung beteiligt ist, da ja vom mütterlichen Organismus nur das Eiplasma und keine Kernsubstanz geliefert wurde. Oder es konnten die Zwerglarven ausschließlich den väterlichen Ha- bitus zeigen: dann wäre dies zunächst so zu deuten gewesen, daß das Eiplasma nur die Rolle eines Nährbodens besitzt, und daß der Kern allein die Vererbung bestimmt. Nun zeigten in der Tat einige der Zwerglarven (Fig.78B), welche durch Fremdbefruchtung kernloser Eifragmente entstanden, ausschließlich väterliche Merkmale (vergleiche Fig.78C), und so war ein weiterer Hinweis gegeben, daß dem Kern bei der Vererbung eine überwiegende Rolle zukommt !). Auf Grund der hier aufgezählten Beobachtungen, denen manche andere angereiht werden könnten 2), wurde, insbesondere durch O.Hert- wig, Strasburger und Weismann, die Hypothese vom Ver- erbungsmonopol des Kernes aufgestellt, wonach der Kern das eigentliche und ausschließliche materielle Substrat der Vererbungs- erscheinungen bildet. Diese Hypothese schließt die spezielle An- nahme in sich, daß im Zustand der Kernteilung die Chromo- somen die Vererbungsträger darstellen, und so haben sich aus dieser Auffassung die später zu besprechenden Chromosomen- hypothesen der Vererbung herausentwickelt. Welche Kernsubstanzen im Zustand der „ruhenden“ Zelle die Rolle der Vererbungsmasse spielen, darüber gehen die Ansichten auseinander. Zunächst wurde fast allgemein die Meinung vertreten, daß die Chromatinkörnchen zur Bildung der Chromosomen zusammen- treten, und dementsprechend wurde das Chromatin als die konti- nuierliche, von Zellgeneration zu Zellgeneration überlieferte Vererbungs- substanz angesehen. Dieser Chromatinerhaltungshypothese ist aber, wie oben (S. 44) auseinandergesetzt wurde, neuerdings die Achromatinerhaltungshypothese gegenübergestellt worden, der- ') Ein strenger Beweis dafür, daß der Kern allein die Vererbung bestimme, konnte durch das Boverische Experiment nicht geliefert werden, denn unter Um- ständen können, wie spätere Versuche ergaben, auch Bastardlarven aus ganzen Eiern und solche aus kernhaltigen Bruchstücken ganz nach dem väterlichen Typus gebildet sein (vgl. Boveri, S. 105, 1904; S.247, 1907). Welche Vererbungs- richtung überhaupt von den Bastardlarven der Seeigel eingeschlagen wird, ob mehr die väterliche oder die mütterliche, dürfte nach Untersuchungen von Vernon, Don- caster, Herbst und Tennant von der Jahreszeit bzw. der Temperatur und Alkali- nität des Seewassers abhängig sein. Vgl. Herbst, Literaturverzeichnis 21 u. Ten- nant, Arch. Ent.-Mech., 29. Bd., 1910. ®) Vgl. auch Baltzer 1910. ru Le nn Godlewskis Vererbungsexperiment. : 139 zufolge der Schwerpunkt der Kontinuitätsfrage von der Chromatin- substanz auf das alveolär strukturierte Grundplasma, das Achro- matin, zu verlegen ist. Gegen die Auffassung, daß dem Kern bei den Vererbungserschei- nungen eine ausschließliche oder doch ganz überwiegende Rolle zufällt, haben sich mehrfache Stimmen erhoben. So ist Verworn hauptsächlich auf Grund experimenteller Untersuchungen an Protozoen zu der Anschauung geführt worden, daß Kernsubstanz und Zellproto- Fig. 78. or Pluteuslarven von Sphaerechinus granularis (A) und von Echinus microtuberculatus (C). B Bastardlarve aus einem kernlosen Eifragment von Sphaerechinus. Nach Boveri. ab aufsteigende Stäbe der Abanalseite. an Analstäbe. ap Apikalstäbe. or Oralstäbe. v seitliche Verbindungsstäbe. plasma in gleicher Weise an dem Zustandekommen der Lebens- erscheinungen beteiligt sind, und daß also auch die Vererbung dadurch bewirkt werde, daß beide Substanzen mit ihren gegenseitigen Stoff- wechselbeziehungen übertragen werden. In ähnlicher Weise haben sich auch Loeb, Godlewski, Lundegärd und andere Forscher geäußert, Besonders überzeugend schienen in dieser Richtung die Experi- mente Godlewskis zu sein. Godlewski hat kernlose Fragmente 140 Godlewskis Vererbungsexperiment. der Eier eines Seeigels (Echinus) mit dem Samen eines Haarsternes (Antedon), also eines Vertreters einer ganz anderen Echinodermen- klasse, befruchtet und festgestellt, daß die Embryonen im Gastrula- stadium das sogenannte primäre Mesenchym, also ein ausschließlich mütterliches Merkmal, zur Entwickelung bringen. Es können also, wenigstens bis zum Gastrulastadium, auch ohne Vorhandensein des mütterlichen Kernes mütterliche Charaktere zum Vorschein kommen, und es muß also auch dem Eiplasma ein Anteil an der Übertragung der elterlichen Arteigenschaften zugeschrieben werden. Die Ergebnisse Godlewskis scheinen auf den ersten Anblick im schroffen Gegen- satz zu den Befunden Boveris zu stehen, indessen lassen sich beide durch die Annahme vereinigen, daß während der ersten Periode der Eientwickelung die Konstitution des Eiplasmas maßgebend ist und die Chromosomen nur durch gewisse generelle Eigenschaften wirksam sind, und daß erst in einer zweiten Periode die Chromo- somen durch ihre spezifischen Eigenschaften zur Geltung kommen (Boveri)?). Von anderer Seite, so namentlich von Rabl, ist besonders auf diejenigen Experimente hingewiesen worden, aus welchen eine Prä- formation bestimmter Körperteile im Eiplasma des Keimes hervorgeht. Bei den Eiern verschiedener Tiere ruft nämlich die Ent- fernung gewisser Teile des Eiplasmas einen Ausfall bestimmter Organe hervor, und man konnte daraus schließen, daß in den weggeschnittenen Teilen die Anlagen für die betreffenden Körperteile vorgebildet sind. Schneidet man z. B. am Ei der Röhrenschnecke (Dentalium) die wäh- rend der ersten Teilung normalerweise sich bildende Vorwölbung, den sogenannten Pol- oder Dotterlappen (Fig. 79A, pl), ab, so kommt es zur Entwickelung einer Larve, bei welcher das Hinterende und ebenso der am Scheitel befindliche Wimperschopf (das Apikalorgan) nicht zur Ausbildung gelangt ist (Fig.79 C, verglichen mit B)2). Man darf also hier annehmen, daß das Material des Pollappens für die Bildung ') Vgl. Boveri, S.249 (1907). Kreuzungsversuche, welche Correns mit einer „weißbunten“ Mirabilisrasse (Stengel, Blätter, Hüllkelch und unterer Teil der Perigon- röhre waren grün und weiß gefleckt) angestellt hatte, ergaben, daß der krankhafte Zustand der Chromatophoren, wie er sich in der Weißbuntheit äußert, ausschließlich durch das Plasma überliefert wird (Correns 1909). Man wird dem Experiment mit Bezug auf das vorliegende Problem so lange keine entscheidende Bedeutung zu- messen dürfen, als über die eigentlichen Ursachen und den Charakter jenes krank- haften Zustandes nichts Genaues bekannt ist. 2) Wilson 1904. N Lokalisation der Anlagen im Keim. 141 dieser beiden Körperteile unentbehrlich ist, und es sprechen diese und ähnliche Befunde!) dafür, daß bei einigen Tieren mindestens nach erfolgter Eireife die einzelnen Regionen des Eiplasmas.in verschiedener Weise determiniert, oder daß, wie man auch sagen kann, die Anlagen bestimmter Organe lokalisiert sind. Zur Ver- erbung, d.h. zur Wiederholung der Entwickelungsprozesse, als deren Fig. 79. Entwickelung von Dentalium. Nach Wilson. A Ei in Zweiteilung mit Pollappen pl. B normale Larve. C Defektlarve (durch Entfernung des Pollappens erzielt). Endresultat die Eigenschaften der Eltern im Kinde wieder erscheinen, ist also in allen diesen Fällen eine bestimmte Struktur des Eiplas- ') Andere Beobachtungen dieser Art haben Roux (Virchows Archiv, 114. Bd., 1888) am Froschei, Crampton (Arch. Ent.-Mech., 3. Bd., 1896) und Wilson (Journ. Exp. Zool., Vol.ı, 1904) bei weiteren Mollusken (Ilyanassa, Patella), Fischel (Arch. Ent.-Mech., 6. u. 7. Bd., 1897—1898) bei einer Rippenqualle (Bero@), Conklin (Journ. Exp. Zool., Vol.2, 1905) bei einer Ascidie (Cynthia), F.R. Lillie bei einem Annelid (Chaetopterus) gemacht. Vgl. hierzu auch Rabl 1906, sowie Korschelt u. Heider, Allg. Teil, S. 81 ff. 142 Organbildende Substanzen. mas nötig, und so wird man auch auf diesem Wege zu dem Schluß geführt, daß bei der Vererbung alle Zellbestandteile in gleicher Weise beteiligt sind (Rab]). In einzelnen Fällen finden sich im reifen Ei sogar besondere sichtbare Differenzierungen in Gestalt von Körnchen, die, ähnlich den früher (S.63) beschriebenen Ektosomen des Cyclopseies, durch ihre Färbbarkeit oder auch schon durch ihr Lichtbrechungsvermögen von dem übrigen Protoplasma verschieden sind und bei der Teilung des befruchteten Eies genetische Beziehungen zu bestimmten Organanlagen erkennen lassen, indem sie während der Eisegmentierung den Urzellen bestimmter Organe zugewiesen werden. Ob allerdings diese „organbildenden“ (ooplasmatischen) Substanzen tatsäch- lich eine cytoplasmatische (vom Kern mehr oder weniger unabhängige) Ver- erbungssubstanz darstellen, wie dies Meves speziell für die als Chondriosomen (Mitochondrien) bezeichneten Einschlüsse der Samen- und Embryonalzellen der Wirbel- tiere (Fig. 80) annimmt?!), oder ob es sich um nichtlebende Stoffe handelt, ähnlich den determinierenden Faktoren, welche nach Delage im Ei eingeschlossen sein sollen, oder ob sie in letzter Linie aus dem Kern hervorgehen und ihr Verhalten also mit der Hypothese von dem Vererbungsmonopol des Kernes vereinbar ist (Conklin), darüber Darmepithelzellen eines Hüh- gehen die Ansichten noch weit auseinander. A N Alles in allem ist also die Diskussion im Cytoplasma. Nach Meves. - über die Frage, ob der Kernsubstanz bei der Vererbung eine ausschließliche oder wenigstens eine führende Rolle zufällt, oder ob die beiden Hauptbestandteile der Zelle in gleicher Weise beteiligt sind, noch lange nicht abgeschlossen, und eine einigermaßen befriedigende Lösung wird wohl erst dann möglich sein, wenn unsere Kenntnis von der chemisch-physiologischen Ver- schiedenheit der einzelnen Zellorgane und vom Chemismus der Zelle überhaupt weiter fortgeschritten sein wird. Fig. 80. Y) Vgl. hierzu Lundegärd 1910. Kernplasmahypothese der Vererbung. 143 Ich selbst möchte, unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Er- gebnisse der Bastardforschung und bestimmter Erfahrungen, die ich bei der Untersuchung der hochspezialisierten tripyleen Radiolarien gewonnen habe, einer eingeschränkten Kernplasmahypothese der Vererbung das Wort reden, wonach im allgemeinen Kern und Zellplasma bei der Übertragung der Art- und Individualcharaktere beteiligt sind, im einzelnen aber dem Kern eine bestimmende und führende Rolle zufallen kann. Als eine der morphologischen Voraussetzungen dieser An- schauung ist, wie ich glaube, anzunehmen, daß das Kern- und das Zellplasma jeder Spezies in bezug auf die generellen und spezifischen Strukturen und Potenzen miteinander übereinstimmen und nur insofern verschieden sind, als durch diese Verschiedenheit die Stoffwechselvorgänge ermöglicht werden!). Sie stellen also ernährungsphysiologische Modifikationen einer und derselben Plasma- sorte, des Artplasmas, dar und können ohne Schwierigkeit ineinander übergeführt werden. Ebenso wie offenbar in den Prophasen der Kern- teilung nach Auflösung der Kernmembran überschüssiges Kern- plasma in Cytoplasma transformiert wird2), so kann umgekehrt Cyto- plasma in Kernplasma umgewandelt werden, wie dies besonders während der Eifurchung in der allmählichen Änderung der Mengen- verhältnisse von Kern- und Zellsubstanz, nach R. Hertwigs Definition in der Herstellung der normalen Kernplasmarelation, hervortritt). Die weitgehende konstitutionelle Übereinstimmung von Kern und Cytoplasma bringt es nun mit sich, daß bei irgend welchen, die Variationsbreite der Art nicht überschreitenden Zustandsänderungen (konstitutionellen Verschiebungen) der einen Plasmasorte auch die andere in gleichem Sinne umgestimmt werden kann, derart, daß be- !) Vgl. auch Kap. 6, S. 52 f. *?) Vgl. die Größenverhältnisse einerseits des ausgewachsenen Keimbläschens, andererseits der kondensierten Chromosomen der ersten Reifungsteilung, S. 69, Fig. 34a und b i ®) Boveri (1905) hat hervorgehoben, daß sich die Kernsubstanz bei der Ei- furchung mit jedem Teilungsschritt verdoppelt, insofern nach jeder mitotischen Halbierung der Tochterkern annähernd auf das Volumen des Mutterkerns wiederum heranwächst, daß aber andererseits die Zellsubstanz im ganzen nicht nur nicht wächst, sondern sogar durch die auf ihre Kosten wachsende Kernsubstanz vermindert wird. Godlewski u. a. nehmen bei diesen Vorgängen eine direkte Transformation des Zellprotoplasmas in Kernsubstanz an, während Loeb es offen läßt, ob die letztere aus dem Protoplasma oder aus den in ihm enthaltenen Reservestoffen gebildet wird. Zu diesem Gegenstand vgl. besonders auch R. Hertwig 1903, 1908, Boveri 1905. 144 Umstimmung des Plasmas. stimmte, vorher nur latent vorhandene Potenzen des ein zweigliedriges System darstellenden Artplasmas aktiviert werden. Wird beispiels- weise in ein Zellplasma a ein rassenfremder Kern b’ importiert, so kann das erstere durch den letzteren umgeprägt (assimiliert) werden, so daß es den adäquaten Zustand a’ annimmt'). Als Resultat dieses Assimilationsprozesses wird eine bestimmte Potenz A’ des Artplasmas zur Entfaltung kommen und in Gestalt einer bestimmten äußeren Eigenschaft in Erscheinung treten. Umgekehrt wird in gewissen Fällen auch eine Umstimmung des Kernes durch das Cytoplasma erfolgen können. Da nun ferner nach meiner Auffassung das einzelne Artplasma nicht bloß solche Potenzen, Konstitutions- oder Zustandsmöglichkeiten enthält, welche sich normalerweise in den einzelnen Varietäten der betreffenden Art äußern, sondern auch eine große Anzahl an- derer Potenzen, welche in den Variationsbereich ganz anderer Arten und Gattungen gehören und bei jenen nur unter durchaus abnormen Bedingungen als „Transversionen“ zum Vorschein kommen 2), so können gegenseitige Umstimmungen und Assimilationen des Kern- und Cytoplasmas sogar bei Art- und Gattungskreuzungen er- folgen, wie dies der Boverische Bastardierungsversuch (Import eines gattungsfremden Kernes) und gewisse durch Artkreuzung hervorgerufene Mosaikbastarde zeigen®). Bei sehr starker Heterogenität des Kern- und Cytoplasmas unterbleibt freilich eine eigentliche Umstimmung, und es wird unter gewissen Bedingungen, wie z. B. beim Godlewski- schen Kreuzungsversuch, der Fall eintreten können, daß der Fremdkern, ähnlich den die künstliche Parthenogenese bewirkenden Agenzien, nur als Stimulus für die Auslösung der Eientwickelung wirkt, und das Eiprotoplasma demgemäß überhaupt nur seine eigenen Potenzen zur Entfaltung bringt. Was nun im speziellen die Anteile der beiden Haupt- bestandteile der Zelle an den spezifischen, von Generation zu Generation sich wiederholenden Formbildungsvorgängen und also an der Vererbung anbelangt, so glaube ich, daß dieses Verhältnis weder für alle Organismen, noch für alle Einzelvorgänge der Ent- wickelung auf eine einheitliche und glatte Formel gebracht !) Vgl. Kap. 33. 2) Vgl. Haecker 1908. ®) Letztere zeigen in einzelnen Körperregionen reziproke Umstimmungen nach der väterlichen, in andern nach der mütterlichen Seite hin. Vgl. den Bastard zwischen Lady Ambherst- und Goldfasan (Kap. 21). Rolle von Kern- und Cytoplasma. 145 werden kann, um so weniger, als ja bei der Formbildung, wie O. Hertwig, Roux, Driesch u. a. hervorgehoben haben, auch die inneren Plasmaprodukte, die doch nicht eigentlich zum Zellplasma gerechnet werden können, und die äußeren Faktoren (Schwerkraft usw.), eine bestimmende Rolle spielen können. Wenn man zum vollständigen äußeren Artbild sämtliche einzelnen Erscheinungen und Eigenschaften rechnet, die nicht bloß im ausgebildeten Zustand eines Organismus, sondern in allen ein- zelnen Entwickelungsstufen zur Beobachtung kommen, so dürften hinsichtlich der Rolle von Kern- und Cytoplasma hauptsächlich fünf verschiedene Verhältnisse in Betracht kom- men und unter Umständen nebeneinander wirksam sein: 1. Gewisse äußere Erscheinungen, z. B. die Asymmetrie im Zellteilungsprozeß, wer- den offenbar ganz überwiegend durch den Zustand des Zellprotoplasmas und seiner Einschlüsse bestimmt. Wenn z. B. das Froschei aus dem Vier- in das Achtzellen- stadium übergeht (Fig. 81), so bewirkt die Konzentration der Hauptmasse der Dotter- materialien in den unteren Partien des Eies Feriire und andererseits die größere Affinität des ee Pia Kernes zu den dotterärmeren Plasmaportio- Nach O. Hertwig. nen, daß sich die Kernteilungsfiguren in die oberen Teile der Furchungszellen einstellen und letztere demgemäß bei der Durchteilung in eine kleinere (obere) protoplasmareiche und eine größere (untere) dotterreiche Tochterzelle zerfallen (O. Hertwig). Die spezifischen Qualitäten des Kernplasmas dürften auf diese Formverhältnisse nur eine geringe Einwirkung haben, und es ist wohl anzunehmen, daß in solchen Fällen der Import eines fremden Kernes keine wesentlichen Unterschiede hervorrufen würde. 2. In anderen Fällen scheint die Formbestimmung ebenfalls vor- wiegend im Zellprotoplasma ihren Sitz zu haben, aber auch dem Kern fällt offenbar eine wichtige spezifische, wenn auch vielleicht mehr auslösende und stoffliefernde Funktion zu. Dies dürfte z. B. für die tripyleen Radiolarien gelten, bei welchen die hochspezialisierten Kieselbildungen, z. B. das „Schloß“ der ähnlich den Muscheln von zwei’ Halbschalen eingeschlossenen Conchariden (Fig. 82), auf Grund Haecker, Vererbungslehre. 10 Fig. 81. 146 Rolle von Kern- und Cytoplasma. eines komplizierten Ineinandergreifens von Abscheidungs-, Wachstums- und Sprossungsvorgängen zustande kommen). Man gewinnt hier den Eindruck, daß die spezifische Formbildung vielmehr durch die innere, nach verschiedenen Richtungen hin verschieden beschaffene (anisotrope) Struktur, durch den spezifischen „promorphologischen“ Aufbau des Weichkörpers, als durch den mächtigen, mit zahlreichen (1200 bis 1600) gleichartigen Chromosomen ausgestatteten, anscheinend monoton gebauten Kern bedingt ist, und daß der letztere offenbar Fig. 82. Schloßbildung eines tripyleen Radiolars (Conchoceras). Die beiden hemisphärischen Halbschalen sind miteinander durch Zahnreihen verbunden, welche ineinander greifen, wie die Finger einer gefalteten Hand. Die Zahnreihe der einen Halbschale ist mit der anderen Halbschale durch zwei aus ösenartigen Kieselbrücken oder Doppelpfeilern bestehenden Führungen (m marginale, sm submarginale Führung) verbunden. Diese Anordnung bewirkt, daß bei Volumenvergrößerungen des Weichkörpers oder bei Kollisionen mit anderen Organismen die Halbschalen sich nicht übereinanderschieben können. mehr die Funktion einer „Kerndrüse“, als die eines eigentlich form- bestimmenden Organs besitzt 2). 3. Bei den vielzelligen Organismen stellt die Zahl und Größe der Zellen auf einem bestimmten Entwickelungsstadium eine wich- ') Vgl. auch S. 36, Fig. 10, sowie unten Fig. 106. ”) Daß speziell bei Formen mit losen Skelettelementen, vor allem bei den Aulacanthiden, die Anlagen der einzelnen Skeletteile, die „häutigen Stachelanlagen“ ein hohes Maß von morphologischer und physiologischer Selbständigkeit gegenüber dem sie umgebenden Grundprotoplasma besitzen, ist schon früher (S. 36) erwähnt worden. Vgl. im übrigen Tiefsee-Radiolarien 1908 (Literaturverzeichnis 5), S. 689; Rad. in Ver. u. Var. 1907 (Literaturverzeichnis 5), S. ı1; sowie 1907, S. 5. BETEN Kernplasmarelation. 147 tige morphologische Erscheinung dar. Bei ihrem Zustandekommen spielt nun offenbar weder das Cytoplasma, noch der Kern eine eigentlich führende Rolle, sondern als formbildender Faktor kommt im wesentlichen das quantitative Verhältnis der beiden Haupt- bestandteile der Zelle in Betracht!). Ein bestehendes Mißverhältnis zwischen der Menge der Kernsubstanz und des Cytoplasmas, die gestörte Kernplasmarelation oder die Kernplasmaspannung (R. Hertwig) stellt ein inneres, die Zellteilung hervorrufendes Moment dar, welches so lange wirksam ist, bis die normale Kernplasmarelation hergestellt ist. Daß für die einzelnen Spezies eine feste Relation zwischen Kernsubstanz- und Cytoplasmamenge besteht, äußert sich unter anderem darin, daß bei menschlichen Riesen und Zwergen die Zellengröße mit der Zellengröße bei normalen Individuen übereinstimmt und nur die Zellenzahl eine wechselnde ist (Boveri). Nahe ver- wandte Spezies besitzen im ganzen die nämliche Kernplasmarelation. Daher auch bei nahe verwandten, aber ungleich großen Spezies in homologen Organen die Zellengröße konstant, die Zellenzahl aber wechselnd ist (Rab1)?). Für eine Nachtkerzenform, Oenothera gigas, läßt sich zeigen, daß ihre wesent- lichen morphologischen Unterscheidungsmerkmale auf die besondere Größe der Zellen zurückzuführen sind. Diese aber hängt offenbar damit zusammen, daß bei Oenothera gigas die Zahl der Chromosomen (28) doppelt so groß ist als bei Oenotheta Lamarckiana und anderen Formen (Mutanten) und dementsprechend auch die Kerne größer sind. Es beruhen also hier alle spezifischen Formverhält- nisse in letzter Linie auf einer Vergrößerung der Chromosomenzahl (Gates). Ob vielleicht in ähnlicher Weise auch die morphologischen Speziesunterschiede bei den Kopepoden (Kap. ı1) mit der Vergrößerung der Chromosomenzahl und damit der Kern- und Zellengröße zusammenhängen, ist vorläufig nicht zu entscheiden. 4. Da, wo es sich weniger um Formverhältnisse, als um Eigen- schaften mehr chemischer Art handelt, z. B. bei der Produktion be- stimmter Sekrete, insbesondere auch bei der Ablagerung von Pigmenten, wird, worauf die Ergebnisse der Rassenkreuzungen hinweisen?), die führende Rolle des Kernes stärker hervortreten, sei es, daß er durch Abgabe kleinster Lebenseinheiten (der Pangene de Vries', der Biophoren Weismanns) oder von Stoffteilchen niedrigerer Ordnung direkt zur Bildung jener Substanzen beiträgt, oder durch Abscheidung von Fermenten (Enzymen) die Stoffwechselvorgänge im Zellprotoplasma beeinflußt (Haberlandt). 5. Wenn ein fremder Kern in das Cytoplasma importiert wird, wie dies bei jeder Fremdbefruchtung der Fall ist, so kann sich die ') Nach Untersuchungen von Gerassimoff, Morgan, Driesch, R. Hertwig, Boveri. Vgl. besonders Boveri 1905, ferner Godlewski 1910. ®) Vgl. Boveri 1905. ®) Vgl. Kap. 23. 148 Führende Rolle des Kerns. am führende Rolle des Kernes, wie oben ausgeführt wurde, wohl noch in anderer Weise geltend machen, nämlich in einer Umprägung oder Assimilierung des Zellplasmas, ebenso wie umgekehrt auch letzteres eine Umstimmung der Kernsubstanz herbeiführen und so in gewissem Sinne die Herrschaft übernehmen kann!). Alle diese verschiedenen Relationen zwischen Kern und Cyto- plasma lassen sich natürlich nicht immer scharf voneinander trennen. Bei dem gegenwärtigen Stande unserer Kenntnisse ist es aber nötig, bezüglich der verschiedenen Möglichkeiten zunächst die Analyse, soweit als angängig, durchzuführen und auch bei diesem Gegenstand im Auge zu behalten, daß in der Biologie mit fortschreitender Tat- sachenkenntnis die Problemstellung nicht einfacher, sondern immer verwickelter wird. Literaturverzeichnis zu Kapitel 14. Baltzer, F., Über die Beziehung zwischen dem Chromatin und der Entwickelung und Vererbungsrichtung bei Echinodermenbastarden. Arch. f. Zellf.,.5. Bd., 1910. Boveri, Th., Ein geschlechtlich erzeugter Organismus ohne mütterliche Eigen- schaften. Sitzungsber. Ges. Morph. u. Phys. München, 5. Bd., 1889. —, Über die Befruchtungs- und Entwickelungsmöglichkeit kernloser Seeigeleier usw. Arch. Entw.-Mech., 2. Bd., 1895. —, Über den Einfluß der Samenzelle auf die Larvencharaktere. Ebenda, 16. Bd., 1903. —, Ergebnisse über die Konstitution der chromatischen Substanz des Zellkerns. Jena 1904. —, Zellenstudien, Heft 5. Jena 1905. —, Zellenstudien, Heft 6. Jena 1907. Conklin, E. G., Organ-forming substances in the eggs of Ascidians. Biol. Bull., Vol. 8, 1905. —, The mutation theory from the stand point of cytology. Science, Vol. 21, 1905. Correns, C., Zur Kenntnis der Rolle von Kern und Plasma bei der Vererbung. Zeitschr. Ind. Abst., 2. Bd., 1909. Delage, Y., L’Heredit& et les Grands Problemes de la Biol. Gen. 2. Aufl. Paris 1903. Demoll, R., Zur Lokalisation der Erbanlagen. Zool. Jahrb. (Allg. Z. und Phys.), 30. Bd., 1910. Fick, R., Betrachtungen über die Chromosomen, ihre’ Individualität, Reduktion und Vererbung. Erg. An. u. Phys., 1905. Gates, R. R., The Stature and Chromosomes of Oenothera gigas. Arch. f. Zellf., 3. Bd., 1909. Gerassimoff, J. P., Zur Physiologie der Zelle. Bull. Soc. Imp. Nat. Mosc. 1904. !) Vgl. Kap. 33. EEE EBENEN Literaturverzeichnis 14. 149 Giglio-Tos, siehe Literaturverzeichnis 37. Godlewski, E. jun., Untersuchungen über die Bastardierung der Echiniden- und Crinoidenfamilie. Arch. Entw.-Mech., 20. Bd., 1906. — , Plasma und Kernsubstanz in der normalen usw. Entwickelung der Echiniden. Arch. Entw.-Mech., 26. Bd., 1908. —, Das Vererbungsproblem im Lichte der Entwickelungsmechanik betrachtet. Leipzig 1909. —, Plasma und Kernsubstanz usw. bei der Regeneration der Amphibien. Arch. Entw.-Mech., 30. Bd., 1910. Haecker, V., Die Chromosomen als angenommene Vererbungsträger. Erg. u. Fortschr. Zool., 1. Bd., 1907. — , Vererbungs- und variationstheoretische Einzelfragen. I. Zeitschr. Ind. Abst., 1. Bd., 1908. Hertwig, O., Das Problem der Befruchtung und der Isotropie des Eies. Jena 1885. —, Der Kampf um die Kernfragen der Entwickelungs- und Vererbungslehre. Jena 1909. —, R., Über Korrelation von Zell- und Kerngröße. Biol. Centralbl., 23. Bd., 1903. —, Über neue Probleme der Zellenlehre. Arch. f. Zellf., ı. Bd., 1908. Korschelt, E. und Heider, K., siehe Literaturverzeichnis 7. Lillie, F. R., Polarity and Bilaterality of the Annelid Egg. Biol. Bull., Vol. 16, 1908. Loeb, J., Vorlesungen über die Dynamik der Lebenserscheinungen. Leipzig 1906. Lundegärd, H., Ein Beitrag zur Kritik zweier Vererbungshypothesen. Jahrb. wiss. Bot., 48. Bd., 1910. . Meves, F., Die Chondriosomen als Träger erblicher Anlagen. Arch. f. mikr. Anat,, 72. Bd., 1908. Nägeli, C., Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre. München und Leipzig 1884, . Rabl, C., Über „organbildende Substanzen“ und ihre Bedeutung für die Vererbung. Leipzig 1906. Roux, W., Über die Bedeutung der Kernteilungsfiguren. Leipzig 1884. —, Einleitung zu den Beiträgen zur Entwickelungsmechanik des Embryo. Zeitschr. Biol., 21. Bd., 1885. Ruzicka, Vl., Über Erbsubstanz und Vererbungsmechanik. Zeitschr. allgem. Phys., 10. Bd., 1909. Strasburger, E., Neue Untersuchungen über den Befruchtungsvorgang usw. Jena 1884. —, Einige Bemerkungen zur Frage nach der „doppelten Befruchtung“ bei den Angiospermen. Bot. Z. 1900. —, Chromosomenzahlen, Plasmastrukturen, Vererbungsträger und Reduktionsteilung. Jahrb. wiss. Bot., 45. Bd., 1908. Van Beneden, E., Recherches sur la maturation de l’oeuf, la fecondation et la division cellulaire. Arch. Biol., T. 4, 1883. Verworn, M., Allgemeine Physiologie. 5. Aufl. Jena 1909. Weismann, A., 1883 —, 1885 —, Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena 1892. Wilson, E.B., Experimental Studies on germinal Localization. I—II. J. Exp. Zool. Vol. 1, 1894. siehe Literaturverzeichnis 13. Fünfzehntes Kapitel. Das Problem der Vererbung erworbener Eigenschaften. Allgemeines. (A) Äquikausale und (B) äquidispositionelle Abänderungen. Durch die Aufstellung der Kontinuitätshypothese wurde Weis- mann unmittelbar vor das Problem der Vererbung erworbener Eigen- schaften geführt. Da Lamarck die erbliche Übertragung der während des indi- viduellen Lebens erworbenen Variationen als den wichtigsten der bei ‘der allmählichen Artumwandlung wirksamen Faktoren betrachtet hatte, und da das Lamarcksche Erklärungsprinzip auch in Darwins Ent- wickelungslehre neben dem Selektionsprinzip eine wenn auch neben- sächliche Rolle spielt, so ist es klar, daß es sich hier um eine der Fundamentalfragen der Artbildungs- und Abstammungslehre handelt. Insbesondere ist auch die praktische Bedeutung des Gegenstandes für die Tier- und Pflanzenzüchter, für die Mediziner und Soziologen ohne weiteres einleuchtend. Weismann ging zunächst (1883) von der Frage aus, wie es möglich gewesen sei, daß in einer Volvoxkolonie die Keimzellen die Fähigkeit erlangt haben, durch Teilung immer wieder auch die anderen Zellarten, die Körperzellen, hervorzubringen, da doch vor der Diffe- renzierung der Kolonie, d. h. ehe bei den Vorfahren von Volvox eine Differenzierung von Keim- und Körperzellen eingetreten war, alle Zellen immer nur ihresgleichen erzeugten. Zunächst besteht die Möglichkeit, daß diejenigen Zellen der Kolonie, welche durch Anpassung an die Lebensbedingungen zu Körperzellen differenziert wurden, durch Abgabe von Stoffteilchen die Keimzellen derart umgestalteten, daß diese bei der folgenden Teilung sich in die verlangten ungleichen Hälften teilen mußten. Einer solchen, mit Darwins Pangenesis- hypothese im wesentlichen zusammenfallenden Annahme steht aber schon bei so einfachen Organismen, wie es die Volvoxkolonien sind, Somatische Induktion. 751 eine Reihe von Schwierigkeiten im Wege. Ganz besonders ist es aber ‚auch unmöglich, sich bei den eigentlichen vielzelligen Organismen, welche eine weiter fortgeschrittene Arbeitsteilung und eine ganze Anzahl verschiedener Zellen und Gewebe aufweisen, eine Vererbung erworbener Eigenschaften auf dem Wege einer stofflichen Kommuni- kation zwischen Körper- und Keimzellen vorzustellen, und so kam Weismann dazu, hier die Möglichkeit einer solchen direkt in Ab- rede zu stellen). Man wird in der Tat Weismann in dieser Hinsicht mindestens das Folgende zugeben müssen. Denkt man sich, es habe irgend eine Gruppe von somatischen Zellen, beispielsweise eine Hautpartie, infolge einer Verletzung eine Verminderung in der Zahl oder eine Deformation in der Anordnung ihrer Elemente erfahren. Dann wäre es allerdings in einfachen Fällen mittels einiger Hilfsannahmen denk- bar, daß dieses veränderte Bild, die Abänderung A, auf die Fort- pflanzungszellen projiziert wird und hier im Keimplasma eine ad- äquate Abänderung @ hervorruft. Wenigstens könnte man sich irgend welche Verbindung zwischen den Soma- und Keimzellen, eine soma- tische Induktion der letzteren durch die ersteren 2), sei es mittels Darwinscher Keimchen, sei es mittels irgend welcher innerer Sekrete oder Nerveneinflüsse®), vorstellen. Immer unter der Voraussetzung; daß es sich um einfachere Fälle handelt, könnte man sich dann in der Tat ausdenken, daß gleichen äußeren Eindrücken immer auch gleiche Abänderungen in der Konstitution des Keimplasmas entsprechen, so wie die empfindliche Platte des Phonographen durch gleiche Töne und Tonkombinationen immer in gleicher Weise beeinflußt wird. Aber ganz unvorstellbar ist der von Lamarck angenommene weitere Vorgang, nämlich die Wiedererweckung derselben Abände- rung A im jungen, aus der Keimzelle hervorgegangenen Organismus als eine Folge der im Keimplasma entstandenen Abänderung «. Die Unmöglichkeit, sich ein derartiges Wechselverhältnis vorzu- stellen, geht schon aus folgender Überlegung hervor. !) Vgl. unter anderen Weismann, Keimplasma, S. 515. ?) Detto 1909. Plate, S. 336 (1908), nennt Reize, welche nur auf das Soma wirken und dann in veränderter Form durch die organischen Leitungsbahnen auf die Keimzellen übertragen werden, Leitungsreize. ®) Eine reziproke Verbindung der im Nervensystem gelegenen, funktionell dem „Stirp“. oder „Keimplasma“ entsprechenden „Zentralzone“* und andererseits der somatischen Elemente durch „nervöse Ströme“ hat neuerdings Rignano an- genommen. 152 Unwahrscheinlichkeit einer somatischen Induktion. Eine der Voraussetzungen für das Zustandekommen einer solchen Vererbung als eines gesetzmäßigen und nicht bloß zufälligen Vor- kommnisses würde sein, daß die Kette von Ursachen und Wir- kungen X, Y,Z, die im elterlichen Organismus von der Abänderung A zur Keimzellenvariation a führt, in umgekehrter Reihenfolge wieder in Gang gesetzt wird, wenn sich aus der Keimzelle der junge Orga- nismus entwickelt. Denn nur in diesem Falle könnte jedesmal dem A wieder ein A, dem B ein B entsprechen. Nun können als einzige Faktoren, die für die Projektion der Abänderung A auf die Keim- zellen im elterlichen Organismus in Betracht?kommen, die Abgabe und Zirkulation von Keimchen oder inneren Sekreten, oder auch Nerveneinflüsse angenommen werden, aus Faktoren dieser Art würden also die Glieder der Kette x, y, 2 bestehen. Andererseits ist aber doch der Kausalnexus, welcher zwischen der Konstitution der Keim- zellen und der Entfaltung äußerer Merkmale im jungen Organismus, bzw. zwischen Keimesvariationen a und entsprechenden Abänderungen des Artbildes anzunehmen ist, sicherlich ein ungleich kompli- zierterer und kann keineswegs im Transport von Stoffteilchen oder in Kommunikationen nervöser Art bestehen. Es werden also als Glieder der Ursachenkette nicht x, y, z, sondern’ ganz andere Fak- toren (Mittel der Formbildung) m, n, o in Betracht kommen, und dementsprechend wird sich, im Falle die Abänderung A des elterlichen Organismus überhaupt fortwirkt, nicht die Lamarcksche Reihe A— 0 —- y—2—u—2—y—ı —A4, sondern eine Reihe mit einem ganz anderen Schlußglied, etwa A—ı — y—z—a—m— n—o—B ergeben. Nur auf Grund von ganz zufälligen Umständen könnte das Schlußglied A dann und wann einmal erreicht werden. Wie gezeigt wurde, war Weismann zunächst aus rein theo- retischen Gründen zu dem Ergebnis gelangt, daß eine Vererbung erworbener Eigenschaften nicht stattfindee Da nun aber in der Un- möglichkeit, sich von einem Vorgang ein Bild zu machen, noch kein Beweis gegen die tatsächliche Existenz des Vorganges liegt, so unterzog er die einzelnen Erscheinungen, die als Stütze für die Lamarcksche Auffassung angeführt worden waren, einer genaueren Prüfung, und suchte den Nachweis zu führen, daß in einem Teil der Beispiele die Beobachtung eine unvollständige ist, und daß andere Fälle einer Gruppierung der Erscheinungen. 153 scheinbaren Vererbung erworbener Eigenschaften sehr wohl als Wir- kung von Ausleseprozessen gedeutet werden können. Seit dem Erscheinen von Weismanns Schriften ist das Tat- sachenmaterial ganz bedeutend vermehrt worden, und es hat sich immer deutlicher die Notwendigkeit einer bestimmten Gruppierung der Erscheinungen und einer gesonderten Behandlung der einzelnen Tatsachengruppen herausgestellt. Man wird unter den Erscheinungen, für welche eine Vererbung in Lamarckschem Sinne (4 — a — A) auf den ersten Anblick in Frage kommen kann oder mit größerer oder geringerer Bestimmtheit behauptet wird, zweckmäßig vier Gruppen unterscheiden. Es kommen in Betracht: a) solche Fälle, in welchen in augenscheinlicher Weise eine Übertragung der Reizursache selber stattfindet und also, da beim Kinde die gleiche Ursache weiterwirkt, das Wieder- auftreten der Besonderheit, also der Reizwirkung, ohne weiteres verständlich wird (äquikausale Änderungen); b) solche Fälle, in welchen die Bedingungen für die Wirkung bestimmter Reize, also die Reizempfänglichkeit oder Disposition, auf Grund einer erblichen Keimesvariation , übertragen wird (äquidispositionelle oder vielleicht kürzer äquipotentielle Variationen). Diese beiden Fälle, in welchen sich die gleiche Erschei- nung bei Eltern und Kindern wiederholt, ohne daß von einer Vererbung der Erscheinung selber gesprochen werden kann, fallen nach dem heute noch in der Medizin herrschenden Sprach- gebrauch zum Teil wenigstens unter den Begriff der kongenitalen (angeborenen), und zwar der erblich kongenitalen Abänderungen !). Ihnen stehen diejenigen Variationen gegenüber, welche bei den Eltern durch Einwirkung eines Reizes, der entweder direkt von der Außenwelt herrührt oder sich aus den Beziehungen des Organismus zur Außenwelt ergibt, hervorgebracht werden und bei denen eine Übertragung der Reizwirkung angenommen wird oder nachzuweisen ist. Man kann sie vielleicht als Lamarcksche Ab- !) Die Medizin spricht auch heute noch von kongenitalen Veränderungen sowohl dann, wenn es sich um die Übertragung der Reizursache oder des Erregers auf germinalem oder placentarem Wege handelt, als auch dann, wenn angeborene, auf Keimesvariationen beruhende (zum Teil erbliche) Defekte vorliegen, die in „ver- sprengten Embryonalzellen“ (z. B. bei Dermoidcysten) oder in Entwickelungshem- mungen anderer Art (z. B. bei Leistenbrüchen) ihre Ursache haben. 154 Äquikausale Abänderungen. änderungen zusammenfassen und unter ihnen je nach der ar Se fläche des Reizes unterscheiden: c) Die einseitigen Lamarckschen Abänderungen, welche in augenscheinlicher Weise- nur bestimmte, umschriebene Körperteile betreffen, und d) die allseitigen, für welche eine Beeinflussung des ganzen elterlichen Organismus einschließlich der Fort- pflanzungselemente angenommen werden muß. A. Äquikausale Abänderungen (Übertragung der Reizursache). Bei der P&ebrine, einer Infektionskrankheit der Seidenraupe, . kann die Übertragung in der Weise zustande kommen, daß die Krankheitserreger aus dem elterlichen Organismus in die Eier ge- langen und im jungen Organismus weiterwuchern. Möglicherweise werden auch beim Menschen Infektionskrankheiten in der Weise übertragen, daß die Erreger aus dem erkrankten (männlichen oder weiblichen) Individuum in die Fortpflanzungszellen gelangen. Ins- besondere wurde früher angegeben, daß die Syphilis durch Infektion der Spermatozoen vom Vater auf die Kinder übertragen werden kann. Indessen sind neuerdings die meisten Gynäkologen zu der Ansicht gelangt, daß eine direkte paterne Übertragung bei der Syphilis nicht vorkomme, wie denn vor allem auch darauf hingewiesen worden ist!), daß der vermutliche Erreger der Lues, die, Spirochaete pallida, länger als der Kopf eines menschlichen Spermatozoons ist. Offenbar haben derartige auf Keiminfektion (pränataler Infek- tion) beruhenden gleichsinnigen Erkrankungen der Eltern und Kinder mit einer Vererbung nichts zu tun, da die Wider- holung der Reizwirkung bei den Kindern nicht auf einer Abänderung des Keimplasmas, sondern auf der Übertragung der Reizursache von einer Generation auf die andere beruht. Es handelt sich um die nämliche Erscheinung, wie beim grünen Süßwasserpolypen (Hydra viridis), dessen grüne Farbe auf dem Vorhandensein einer symbiotischen Algen-(Zoochlorellen-)Flora beruht und in der Weise übertragen wird, daß die Algen vom mütterlichen Entoderm in die Eizellen und !) Zuerst durch Bumm. Die Länge der Spirochaete pallida beträgt 6 bis 15 u, seltener 16 bis 26 « (aus Doflein, Lehrb. d. Protoz.), die des menschlichen Sperma- kopfes 4,5 u (nach W. Krause aus Waldeyer). ln ae Äquidispositionelle Abänderungen. 155 damit auf die Nachkommen übergehen. Ein Gegenstück bietet ein von Sitowski!) ausgeführter Fütterungsversuch dar: Werden die Raupen von Tineola biselliella mit dem Farbstoff Sudanrot gefüttert, so erscheinen im Fettkörper der Raupe und ebenso im Fettkörper und Eierstock des aus der Raupe hervorgehenden Schmetterlings rosa gefärbte Fetttröpfchen, und diese finden sich auch noch in den ab- gelegten Eiern, also in den Anfangsstadien der folgenden Generation. In allen diesen Fällen liegt also keine Vererbung erworbener Eigenschaften im Sinne Lamarcks, also ein A— a — A-Prozeß, vor, sondern eine direkte Übertragung der Reizursache, ein Vorgang, der durch die Formel U — U—. U ausgedrückt werden kann. B. Äquidispositionelle Abänderungen (Übertragung der Reizempfänglichkeit). Ein Vererbungsvorgang kann auch vorgetäuscht werden, wenn eine bestimmte Keimesvariation in Gestalt einer besonderen Reiz- empfänglichkeit oder Disposition von einer Generation auf die andere übertragen wird, und wenn infolge dieser gleichartigen Dis- position (geringe Resistenz der Epithelien, ungenügende Ausbildung von Schutzstoffen) bei den Vorfahren und Nachkommen die nämliche Krankheit Eingang findet. Hier wird nur die Empfänglichkeit vererbt, während die eigentliche Krankheitsursache, sei es in Gestalt von Mikroben, wie bei der Tuberkulose, sei es in Gestalt von äußeren Wirkungen anderer Art (Traumen), wie bei manchen Psychosen, in jeder Generation erst neu hinzutreten muß. Man kann vielleicht diese Zusammenhänge durch die Formel DENEDEDE DO) veranschaulichen, wobei durch D die Disposition aller Zellen, -ein- schließlich der Keimzellen, durch U die von außen kommende Reiz- ursache ausgedrückt werden soll. !) L. Sitowski, Bull. Acad. Sci. Cracovie. 1905. Sechzehntes Kapitel. Das Problem der Vererbung erworbener Eigenschaften. (Fortsetzung.) C. Einseitige Lamarcksche 'Abänderungen. Eine Reihe von individuell erworbenen Abänderungen oder Neu- erwerbungen kommt dadurch zustande, daß ein äußerer Reiz in augenscheinlicher Weise nur auf bestimmte Teile des Körpers einen direkten Einfluß ausübt und der Körper in entsprechender Weise reagiert. Derartige Abänderungen, welche also auf der Reaktion bestimmter Körper- oder Somazellen auf einseitig wirksame Reize beruhen, fallen unter den Begriff der somatogenen Abänderungen Weismanns und bilden einen direkten Gegensatz zu den blastogenen Abänderungen, welche „die Folge einer Keimes- variation sind, mag diese entstanden sein, wie sie wolle“ 1). Zu diesen einseitigen Abänderungen gehören die destruktiven Abänderungen, d. h. die durch mechanische Eingriffe entstandenen Verletzungen und Verstümmelungen, die funktionellen Abänderungen, die durch Gebrauch oder Nichtgebrauch eines Organs hervorgerufen werden, und die psychischen (mnemischen) Neuerwerbe, d. h. ein- fache Eindrücke (Engramme) psychischer Art, welche die einzelnen Individuen empfangen. Für alle diese Abänderungen ist von den Anhängern Lamarcks die Annahme gemacht worden, daß sie bei den Nachkommen, sei es in derselben Form, sei es in qualitativ oder quantitativ abgeänderter Weise, wieder zum Vorschein kommen, und zwar wird vielfach sogar behauptet, daß schon die Einwirkung auf eine Generation genüge, um die Beeinflussung mehrerer oder aller folgenden Generationen hervorzurufen. Als Beweise für eine Vererbung destruktiver Abänderungen 2) sind u. a. immer wieder solche Fälle angeführt worden, in welchen ı) Vgl. Weismann 1888 (Aufs., S.498), 1892, S. 3. ?2) Vgl. Weismann 1889. Verletzungen. 157 Hunde oder Katzen, die infolge eines Unglücksfalles oder durch Zwangskupierung ihren Schwanz eingebüßt hatten, schwanzlose Nach- kommen erzeugt haben sollen. Bei den meisten derartigen Fällen ist aber vollkommen die Frage außer Acht gelassen worden, ob nicht unter den Vorfahren bereits die Schwanzlosigkeit bzw. eine Ver- kümmerung des Schwanzes als sprungweise Variation (Mutation) auf- getreten war, und ob es sich also bei den betreffenden Nachkommen nicht um ein Wiederauftreten latenter Anlagen oder Tendenzen handelt. In der Tat ist es ja bekannt, daß es auf der Insel Man im Irischen Meer und in Japan Katzenrassen gibt, bei welchen eine vom Ende der Schwanzwirbelsäule her Platz greifende Reduktion der Wirbelzahl, verbunden mit abnormer Verknöcherung und zuweilen mit vorzeitiger Verwachsung der Schwanzwirbel untereinander, als angeborene und erbliche Bildungsanomalie auftritt, wie denn überhaupt die Schwanzwirbelsäule der Säuger hinsichtlich der Wirbelzahl außer- ordentlich weitgehende Schwankungen spezifischer und individueller ‚Art aufweist!). So konnte denn auch in einzelnen der als Beweis- material herangezogenen Fälle nachträglich gezeigt werden, daß unter den Aszendenten sich ein Individuum mit angeborener Schwanzlosig- keit befand, so daß also das Auftreten schwanzloser Jungen in ein- facher Weise zu erklären war. Gegen die Annahme, daß Verletzungen und Verstümmelungen übertragen werden, sprechen im übrigen nicht bloß zielbewußte Experimente, wie dasjenige von Weismann, welcher bei Mäusen neunzehn Generationen hindurch den Schwanz kupierte, ohne daß eine Wirkung bei den Nachkommen hervortrat 2), vielmehr dürften sie auch widerlegt werden durch eine Reihe von ethnographischen Tat- sachen und tierzüchterischen Erfahrungen. In ersterer Hinsicht ist vor allem auf die Beschneidung (Circumcision) hinzuweisen, die nicht bloß bei den Israeliten, sondern auch bei zahlreichen anderen asiatischen, afrikanischen und amerikanischen Völkern seit Jahrtausenden ausgeübt wird, ohne daß ein Einfluß auf die Nachkommen mit Sicherheit nach- gewiesen werden konnte. Auf tierzüchterischem Gebiete liegt ferner \) Es sei auf die großen spezifischen Verschiedenheiten in der Schwanzlänge bei den Raubtieren (Katzen, Bären) und Affen (Meerkatzen, Menschenaffen) hin- gewiesen. Ein Beispiel für individuelle Schwankungen bildet der Mensch, bei welchem in der Regel 4 oder 5, seltener 3 oder 6 Schwanzwirbel angetroffen werden. 2) Vgl. 1888a (Aufsätze, S. 522), sowie Keimplasma, S. 520. Ähnliche Versuche hat Ritzema Bos mit Ratten angestellt. 158 Funktionelle Abänderungen. die Tatsache vor, daß seit mehr als 100 Jahren bei den Schafmüttern der Merinos der Schwanz kupiert wird, und daß trotzdem niemals ein schwanzloses oder stummelschwänziges Merinoschaf geboren wurde !), obwohl gerade bei den Schafen eine große Variabilität bezüglich der Zahl der Schwanzwirbel und eine Neigung zu starker Reduktion vorliegt 2). Im ganzen wird man sagen dürfen, daß zurzeit kein vollkommen einwandfreies Beispiel für die Vererbung der durch Verletzungen hervorgerufenen Deformationen vorliegt, und daß die überwiegende Zahl der Biologen der Ansicht ist, daß eine solche Vererbung nicht stattfindet. Dagegen wird vielfach noch von seiten der Tierzüchter an der Möglichkeit einer Vererbung von Verletzungen festgehalten >). Ähnlich steht es mit den funktionellen Abänderungen, den Aktivitätshypertrophien, die durch intensiven Gebrauch eines Organs, und den Inaktivitätsatrophien, die durch Nichtgebrauch hervorgerufen werden. Es ist eine allgemein bekannte Erfahrung, daß viel gebrauchte Organe, z. B. einzelne Muskeln und Muskelgruppen, die in bestimmten Berufen besonders stark in Anspruch genommen werden (Armmuskeln der Schmiede u. a.), überernährt, hypertrophisch werden und daher an Volumen und Funktionsfähigkeit zunehmen, und daß umgekehrt ein wenig gebrauchter Körperteil in den Zustand der Unterernährung oder Atrophie gelangt und infolgedessen eine mangelnde Ausbildung oder gar eine Rückbildung erfährt. Nach Lamarck sollen nun solche durch Gebrauch (Übung) oder Nichtgebrauch hervorgerufenen Ab- änderungen erblich übertragen werden, es soll ferner, falls der Gebrauch !) Vgl. Weismann 1889 (Aufsätze, S. 527). Herr Dr. W. Staudinger hatte die Freundlichkeit, die betreffende Mitteilung Kühns und Weismanns dahin zu ergänzen, daß bei den Merinos nur die Schafmütter, und zwar im Interesse eines erleichterten Sprunges kupiert werden, daß aber bei den englischen Fleischschafrassen (Leicester, Southdown, Hampshiredown, Oxfordshire) seit etwa 50 Jahren die Zucht- tiere beiderlei Geschlechts, in ähnlicher Weise wie die belgischen Pferde und Shires, aus Formrücksichten kupiert werden, ohne daß eine Einwirkung auf die Jungen nach- gewiesen werden konnte. ®) Nach H. v. Nathusius (Vorträge über Schafzucht. Berlin 1880) besitzen die schwanzlosen Rassen nur 3, die kurzschwänzigen 12 bis 16, die langschwänzigen (z. B. die Fettschwanzschafe) 22 bis 24 und mehr Wirbel. Die verschiedenen Wild- schafe (Moufflon, Argali, Mähnenschaf usw.) besitzen nach dem Material des hiesigen landwirtschaftlichen Instituts 10 bis 14 Wirbel. ®) So führt neuerdings U. Dürst (Mitt. Naturf. Ges. Bern 1909) den Ursprung der Hörner der Cavicornier und des Kreuzschnabels der Gattung Loxia auf die Ver- erbung von Traumen zurück. EN Funktionelle Abänderungen. 159 oder Nichtgebrauch in den folgenden Generationen sich in gleichem Sinne fortsetzt, im Laufe der Stammesgeschichte eine Summierung (Akkumulierung) der in den einzelnen Generationen hinzutretenden positiven oder negativen Abänderungen oder Differentiale stattfinden und so eine immer-fortschreitende Entwickelung bzw. eine Rudi- mentation und schließlich ein vollständiger Schwund des betreffenden Organs zustande kommen). So würde z. B. die mächtige Entwicke- lung der Brustmuskeln einer Taube, eines Mauerseglers (Cypselus) oder Kolibris und die starke Entfaltung des ihnen als Ursprungsstätte dienenden Brustbeinkiels (Carina) auf eine akkumulierende Wirkung des durch viele Generationen fortgesetzten Gebrauches zurückzuführen sein, und ebenso würden die vorderen Extremitäten, die Brustmuskeln und der Brustbeinkiel bei den straußenartigen Vögeln dadurch zur Rückbildung gelangt sein, daß infolge des Aufenthaltes in baumlosen Steppen oder auf kleinen Inseln eine Abnahme der Flugtätigkeit, also ein zunehmender Nichtgebrauch dieser Organe eintrat. Nun gilt aber für die Wirkungen des Gebrauchs oder Nicht- ‚gebrauchs dasselbe, wie für die durch mechanische Eingriffe hervor- gerufenen Deformationen. Zunächst ist der Nachweis, daß derartige Wirkungen vererbt werden, bisher niemals in einwandfreier Weise geführt worden, und es ist auch ohne weiteres klar, daß insbesondere ein zahlenmäßiger Nachweis mit besonderen Schwierigkeiten verbunden sein würde. Denn auch von den Anhängern Lamarcks wird ja ein- geräumt, daß selbst die sehr intensiven Gebrauchswirkungen vieler ‚Berufe (schwielige Hand des Arbeiters, Muskeln des Athleten) nicht vererbt werden, wenn die Wirkung nur eine oder einige wenige Gene- rationen lang dauerte, und daß offenbar nur ein durch viele Generationen hindurch regelmäßig wiederkehrender Reiz zu sichtbaren erblichen Änderungen führen kann?). Aber abgesehen von der Schwierigkeit eines direkten Nachweises, kann, wie Weismann hervorgehoben hat, eine im Laufe der Stammesgeschichte stattfindende Vergrößerung und Vervollkommnung und umgekehrt eine successive Rückbildung von Organen ohne besondere Schwierigkeiten auf Selektions- prozesse zurückgeführt werden. Denn offenbar werden nur solche Organe viel gebraucht und geübt, welche für das Leben des Organismus von Bedeutung sind und daher im Kampf ums Dasein eine wichtige ') Haeckel hat diesen Prozeß als fortschreitende oder progressive Vererbung bezeichnet. Siehe S. 10. 2) Vgl. Plate, S. 344. 160 Panmixie. Rolle spielen. Derartige Organe unterliegen aber in besonderem Maße der Naturzüchtung, und es wird ihr Ausbildungsgrad und ihre Leistungs- fähigkeit schon durch die Wirkung der letzteren gesteigert werden. Umgekehrt wird, wenn ein Organ, z. B. der Sehapparat beim Übergang zum Höhlenleben, in verringertem Maße gebraucht wird, schon durch den Wegfall der Ausleseprozesse seine allmähliche Re- duktion im Laufe der Stammesgeschichte herbeigeführt werden können. Wenn nämlich zweckmäßige Bildungen durch Selektion entstanden sind, so müssen sie auch durch Selektion erhalten werden, und sie werden von ihrer hohen Ausbildungsstufe herabsinken, sobald, wie dies beim Übergang in neue Lebensbedingungen eintreten kann, die Naturzüchtung in Wegfall kommt. In diesem Falle werden ja nicht bloß die in bezug auf das betreffende Organ bestausgestatteten Individuen, sondern auch die Träger der Minus-Variationen Aussicht haben, am Leben zu bleiben, zur Fortpflanzung zu gelangen und ihre Eigenschaften auf die Nachkommen zu vererben, es wird also eine Vermischung aller Individuen, eine Panmixie, eintreten und infolgedessen ein allmähliches Herabsinken des Organs von seiner ursprünglichen Organisationshöhe zutage treten, auch ohne daß eine Vererbung im Sinne Lamarcks stattfindet). Es gibt überdies Fälle, in denen es überhaupt ausgeschlossen erscheint, daß eine Vererbung erworbener Eigenschaften bei der Weiter- bildung oder Zurückdifferenzierung bestimmter Organe eine Rolle gespielt hat. So sind z.B. bei den Ameisen und Termiten ver- schiedene, den Arbeitern eigentümliche Differenzierungen aller Wahrscheinlichkeit nach erst auf einer späteren Stufe der stammes- geschichtlichen Entwickelung zur Ausbildung gelangt, nachdem die Arbeiter bereits ihre Fortpflanzungsfähigkeit und damit die Möglich- keit einer Übertragung erworbener Eigenschaften verloren hatten. Hier kann, wie Weismann namentlich in der bekannten, mit Herbert Spencer geführten Diskussion gezeigt hat, eine Vererbung der Ab- änderungen, die bei den Arbeitern durch Gebrauch oder Nichtgebrauch eines Organs während des individuellen Lebens entstanden sind, überhaupt nicht in Frage kommen, und es bleibt nur die Annahme übrig, daß die Weiter- oder Zurückbildung ausschließlich unter dem Einfluß von Züchtungsprozessen stattgefunden hat 2). !) Vgl. Weismann 1883, 1886 (Aufsätze, S. 102, 574). ®) Vgl. Weismann 1886 (Aufsätze, S. 573); 1893, S.17, 43; 1895, S. 37, sowie H. Spencers Aufsätze in der Contemperary Review. Mnemische Abänderungen. 161 Die Argumente Weismanns haben bei einem großen Teil der Biologen Anklang gefunden, und man wird bezüglich des Problems der Vererbung der funktionellen Abänderungen sagen können, daß zurzeit kein Biologe und wohl auch kein Mediziner mehr eine solche Vererbung als ein des Beweises nicht weiter bedürftiges Axiom an- nimmt, daß vielmehr auch die Anhänger Lamarcks im Gegensatz zu früher bemüht sind, ihre Ansichten durch Heranziehung von Tat- sachen zu stützen. Anders steht es mit den Tierzüchtern. Bei ihnen überwiegt im ganzen noch die Annahme, daß die Vererbung funktio- neller Abänderungen einen der wichtigsten Faktoren bei der Neu- bildung der Kulturrassen darstellt, und die langjährige, auf biologischer Seite geführte Diskussion über diesen Gegenstand hat bei ihnen noch keinen lebhaften Nachhall gefunden. Eine dritte Gruppe von einseitigen Abänderungen stellen die psychischen Neuerwerbungen oder, wie man in Anlehnung an Semon sagen kann, die mnemischen Abänderungen dar. Nach der Ansicht von Haeckel, Eimer, Semon und anderen „Neo- Lamarckianern“ wäre es möglich, daß Eindrücke psychischer Art, insbesondere Erfahrungen, die während des individuellen Lebens gemacht werden, und Gewohnheiten, die sich ein Tier angeeignet hat, derart die Keimzellen beeinflussen, daß sie bei den Nachkommen wieder in Form von angeborenen instinktartigen Fähigkeiten zum Vorschein kommen!). Nehmen wir an, ein Falter oder eine Hummel habe die Erfahrung gemacht, daß an einer von der betreffenden Spezies bisher nicht besuchten Blume, beispielsweise einer neu im- portierten Kulturpflanze, Nektar in besonders bequemer oder reich- licher Weise zu gewinnen sei, und sie hätten sich infolgedessen daran gewöhnt, dieser Blume zuzufliegen, so daß der Besuch dieser Blume ein automatischer geworden wäre. Dann würden nach Auffassung der Neo-Lamarckianer, mindestens nach einer durch viele Generationen hindurch erfolgten Wiederholung der Erfahrung, die Nachkommen von vornherein den Instinkt besitzen, der betreffenden Blüte zu- zufliegen. Danach würden also die angeborenen Instinkte erblich gewordene automatisierte Gewohnheiten darstellen. Auch die Vererbung solcher mnemischer Neuerwerbungen ist nach Weismann unbeweisbar. Vor allem scheinen gegen die Annahme, !) Haeckel (Natürliche Schöpfungsgeschichte, 11. Aufl., 1. Bd., S. 191) nennt die Instinkte ohne weiteres „erbliche psychische Gewohnheiten“. Haecker, Vererbungslehre. 11 162 Entstehung der Instinkte. daß sich die Instinkte auf diese Weise stammesgeschichtlich ent- wickelt haben, die nur einmal im Leben ausgeübten Instinkte zu sprechen, z. B. die zum Teil so verwickelten Instinkthandlungen, welche die Raupen der Schmetterlinge zur Sicherung des Puppen- stadiums ausführen. Denn die betreffenden Handlungen kommen ihrer Natur nach nur einmal im individuellen Leben zur Ausübung, sie sind auch von den Vorfahren immer je nur ein einziges Mal aus- geführt worden und es kann also eine Einübung und Einprägung gewollter Handlungen als Ursache für ihre Entstehung nicht wohl in Frage kommen). Man müßte denn annehmen, daß bei einem Tier schon eine einmalige Folge von psychischen Vorgängen genügen würde, um auf die Nachkommen eine nachhaltige Wirkung aus- zuüben. Abgesehen von den allgemeinen Gründen, welche gegen eine spezialisierte Übermittelung von psychischen Eindrücken auf die Nachkommen sprechen, und welche für die mnemischen Abände- rungen in gleicher Weise wie für die destruktiven und funktionellen Gültigkeit haben, steht aber einer derartigen Voraussetzung schon die eine Erfahrung im Wege, daß beim Menschen, dessen Gehirn bezüglich seiner Aufnahmefähigkeit alle anderen Gehirne um ein Unendliches übertrifft, keine einzige sichere Beobachtung dieser Art gemacht werden konnte. Man wird angesichts dieser Schwierigkeiten die Instinkte als Lebensäußerungen zu betrachten haben, die ihre Ursache in Keimes- variationen haben und unter der Wirkung von Züchtungsprozessen immer weiter vervollkommnet und spezialisiert worden sind. Literaturverzeichnis zu Kapitel 15 und 16. Bonnet, R., Die stummelschwänzigen Hunde usw. Anat. Anz., 3. Bd., 1888. Bos, J. Ritzema, Untersuchungen über die Folgen der Zucht in engster Bluts- verwandtschaft. Biol. Centralbl., 14. Bd., 1894. Detto, C., Die Theorie der direkten Anpassung und ihre Bedeutung für das An- passungs- und Deszendenzproblem. Jena 1904. Eimer, Th., Die Entstehung der Arten. Jena 1888. Haeckel, E., Natürliche Schöpfungsgeschichte, 11. Aufl. Berlin 1909. Hering, E., Über das Gedächtnis als eine allgemeine Funktion der organisierten Materie. Vortrag. 2. Aufl. Wien 1876. ) Vgl. Weismann 1883 (Aufsätze, S. 107), 1889 (Aufsätze, S. 510), 1904, II, S.65, 1906, S.22 u.a.a.0. Vgl. auch H. E. Ziegler 1910, S. 34 ff. Literaturverzeichnis 15 und 16. 163 Martius, F., Krankheitsanlage und Vererbung. Leipzig u. Wien 1905. Plate, L., Selektionsprinzip und Probleme der Artbildung. 3. Aufl. Leipzig 1908. Rignano, E., Über die Vererbung erworbener Eigenschaften, Hypothese einer Zentroepigenese. Leipzig 1907. (Vgl. Franc&s Zeitschr. Ausbau d. Entw., 2. Jahrg. 1908; Ann. Naturphil., 8. Bd.) Semon, R., Die Mneme als erhaltendes Prinzip im Wechsel des organischen Ge- schehens. Leipzig 1904. Spencer, H., The Inadequacy of Natural Selection. Contemp. Rev. 1893. —, A rejoinder to Prof. Weismann. Contemp. Rev. 1893. —, Weismannism once more. Contemp. Rev. 1894. Thomson, J. A., Heredity. London 1908. Weismann, A., Über die Vererbung. Jena 1883. —, Die Kontinuität des Keimplasmas usw. Jena 1885. —, Über den Rückschritt in der Natur. Freiburg i. B. 1886. —, Vermeintliche botanische Beweise usw. Erlangen 1888. —, Über die Hypothese einer Vererbung von Verletzungen. Jena 1889. —, Aufsätze über Vererbung. Jena 1892. —, Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena 1892. —, Die Allmacht der Naturzüchtung. Eine Erwiderung an H. Spencer. Jena 1893. — , Äußere Einflüsse als Entwickelungsreize. Jena 1894. —, Neue Gedanken zur Vererbungslehre. Jena 1895. — , Über Germinalselektion, eine Quelle bestimmt gerichteter Variation, Jena 1896. —, Vorträge über Deszendenztheorie. 2. Aufl. Jena 1904. —, Richard Semons „Mneme“ und die Vererbung erworbener Eigenschaften, Arch. Rass. u. Ges. Biol, 3. Jahrg., 1900. Ziegler, E., Können erworbene pathologische Eigenschaften vererbt werden usw.? Beitr. Path. Anat. u. Phys., 1. Bd., 1886. Ziegler, H. E., Der Begriff des Instinkts einst und jetzt. Zool. Jahrb., Suppl. VII, 1904. —, Dasselbe. 2. Aufl. Jena 1910. — , Die Streitfrage der Vererbungslehre (Iamarckismus oder Weismannismus). Naturw. Wochenschr., N.F., 9. Bd., 1910. Ei Siebzehntes Kapitel. Das Problem der Vererbung erworbener Eigenschaften. (Fortsetzung.) D. Allseitige Lamarcksche Abänderungen. Während bisher noch in keinem Falle einseitige Abänderungen bekannt geworden sind, in welchen die Vererbung in unzweideutiger Weise festgestellt worden ist!), liegt eine ganze Anzahl von Bei- spielen vor, in welchen Reizwirkungen von weniger lokalisierter Art auf die durch die betreffenden Reize nicht mehr beeinflußten Nach- kommen übertragen werden und diese Übertragung auf eine gleich- zeitige Beeinflussung der Körperzellen und Keimzellen, also auf eine Parallelinduktion im Sinne Dettos zurückgeführt werden kann). Ebenso wie bei den einseitigen Abänderungen wird man auch hier verschiedene Gruppen von Erscheinungen auseinanderzuhalten ") Auf die Brown-S&quardschen Meerschweinchenversuche, welche von ver- schiedenen Seiten in diesem Zusammenhang angeführt worden sind, wird weiter unten bei Besprechung der toxischen Abänderungen eingegangen werden. Der von Plate (1908, S. 344) zitierte Cunninghamsche Versuch kann wohl kaum als beweiskräftig angesehen werden. Cunningham hat die farblose Seite junger Plattfische von unten her beleuchtet und dadurch das Auftreten von Pigment hervorgerufen. Aus dieser Reaktionsfähigkeit der Unterseite, welche also sogar die spezifische Vererbungstendenz zu überwinden vermag, schließt Cunningham, daß die äußeren Faktoren die eigentümliche Verteilung der Pigmentierung und Pigment- losigkeit auf die rechte und linke Körperseite direkt veranlaßt haben müssen, und Plate glaubt, daß hier ein Beispiel für Vererbung durch somatische Induktion vorliege. Angesichts der ungenügenden Kenntnisse, die wir zurzeit noch bezüglich der bei der Pigmentbildung wirksamen kausalen und finalen Faktoren haben, scheint mir der Versuch Cunninghams nicht eindeutig zu sein, und ich -glaube nicht, daß man, wie Plate meint, die Wirkung von Selektionsvorgängen und zufälligen Keimes- variationen als ausgeschlossen betrachten kann. ®) Plate hat Reize, die in gleicher Weise Körper- und Keimzellen treffen, im Gegensatz zu den Leitungsreizen (s. oben S.151, Anm. 2), Simultanreize genannt. Lamarcksche Vererbung bei Protisten. 165 haben, und zwar in erster Linie solche Abänderungen, welche bei den Nachkommen in qualitativ-identischer Weise, wenn auch in abgeschwächtem Grade hervortreten, und solche, welche bei den Kindern in modifizierter Form zum Vorschein kommen. Die einfachsten Beispiele allseitiger identischer Abände- rungen finden sich bei den Protisten, also bei den Bakterien und Einzelligen. So verlieren gewisse virulente Bakterien, z. B. die Milz- brandbazillen (Bacillus anthracis) und die Erreger der Hühnercholera (Bacterium cholerae gallinarum), ihre giftigen Eigenschaften, wenn sie unter abnormen Bedingungen, z. B. in bestimmten Nährlösungen oder bei hoher Temperatur gehalten werden, und die so erlangte Ungiftig- keit kann von den Nachkommen auch unter normalen Bedingungen festgehalten werden, im Falle der Milzbrandbazillen z. B. dann, wenn sie ein Versuchstier passieren, welches für den Milzbrand besonders empfänglich ist!). In ähnlicher Weise sollen von farbstoffbildenden Bakterien (Bacillus prodigiosus) unter der Wirkung höherer Tem- peraturen farblose Rassen gebildet werden, welche längere Zeit hindurch, auch unter normalen Bedingungen stabil bleiben 2), und ebenso behalten Trypanosomenstämme, welche gegen gewisse Arsen- verbindungen giftfest gemacht worden sind, die Arsenfestigkeit als dauernden Erwerb des Protoplasmas bei, auch wenn ein solcher Stamm in drei Jahren etwa 400mal durch normale Mäuse hindurch- passiert ist?). Hierher gehört auch die Beobachtung, wonach Algen (Oscillarien) in farbigem Licht die betreffende Komplementärfarbe (z. B. in rotem Licht die grüne Farbe) annehmen und die so erworbene Farbe auch bei Weiterkultur in weißem Licht auf die durch vegetative Vermehrung entstandenen Nachkommenzellen ‘übertragen ®). In allen diesen Fällen ist die Konstitutionsänderung, welche dem Protoplasma des elterlichen Organismus beigebracht wurde, eine der- !) Zitiert nach OÖ. Hertwig, Allg. Biol. Sehr skeptisch hat sich bezüglich dieser und ähnlicher Angaben A. Fischer 1903, S. 50, geäußert. 2) Vgl. dagegen A. Fischer 1903, S.152, wonach auch diese Ergebnisse als unsicher erscheinen. ®) Vgl. Ehrlich 1909 (Über Partialfunktionen und: Über die neuesten Er- gebnisse). *) Vgl. Th. W. Engelmann (Bot. Ztg., 41. Bd., 1883 und Verh. Phys. Ges. Berlin 1902/1903) und Gaidukov (Abh. Pr. Ak. Wiss. Berlin 1902 und Ber. Bot. Ges., 21. Bd., 1903), sowie F. Oltmanns, Morph. und Biol. d. Algen, 2. Bd., S. 197. Jena 1905 und E. Abderhalden, Naturw. Woch., 7. Bd., 1908. 166 Vererbung der Immunität. artig nachhaltige, daß die Nachkommen, welche bei den Teilungs- vorgängen im wesentlichen als einfache Fortsetzungen des Protoplasmas ihre Entstehung nehmen, infolge dieser stofflichen Kontinuität jene Modifikation ohne weiteres übernehmen und fest- halten ?). In ähnlicher Weise kann bei Vielzelligen eine von den Eltern erworbene Eigenschaft allgemein-konstitutioneller Art bei den Nachkommen wieder zum Vorschein kommen, wenn die betreffende Reizwirkung sämtliche Teile des Organismus einschließlich der Keimzellen betroffen hat. In diesen Fällen wird die konstitutionelle Abänderung der Keimzellen auch dem jungen Organismus mitgeteilt werden, weil dessen Zellen in stofflicher und funktioneller Kontinuität mit den elterlichen Keimzellen stehen. Im speziellen lassen sich vielleicht einige Fälle von erblich gewordener Immunität mit den Beobachtungen an Protisten in Parallele bringen. So wird z. B. die von Mäusen erworbene Festigkeit gegenüber gewissen Pflanzengiften, dem Ricin und Abrin?), durch die Mutter auf die Kinder übertragen, und ebenso wird die erworbene Immunität des Rindes gegen Küstenfieber3) und diejenige des Kaninchens gegen Hundswut und Diphtherie®) zum Teil auf die Nachkommen vererbt. In den genannten Beispielen ist, wofern nicht die placentare Er- nährung der Nachkommen durch die Mutter im Spiele ist, eine gleich- artige, immunisierende Beeinflussung sämtlicher Zellen des Körpers und damit auch der Keimzellen durch die Pflanzen- oder Krankheits- gifte anzunehmen, und eine solche ist deshalb unmittelbar verständlich, weil die in kleinen, sich steigernden Dosen den Tieren zugeführten Stoffe mit den ernährenden Flüssigkeiten in sämtliche Zellen und so auch in die Keimzellen gelangen können. Weniger klar sind einige andere Fälle, in denen klimatische Faktoren unbestimmter Art als Reizursachen von überdauernder Wirkung in Frage kommen. Hierher gehört die Beobachtung 1) S. oben S. 126. 2) Das Ricin kommt zusammen mit einem dickflüssigen Öl im Samen der Euphorbiacee Ricinus communis, das Abrin in den roten, schwarzfleckigen Samen der Paternostererbse (Abrus precatorius) vor. ®) Nach R. Koch (Vortrag im deutschen Landwirtschaftsrat am 13. Februar 1908) sterben ungefähr 90 Proz. der von der Krankheit befallenen Tiere. Dagegen sind die Nachkommen der „gesalzenen“ Tiere, d. h. derjenigen, welche die Krankheit überstanden haben, in geringerem Grade empfänglich. Es sterben nur 60 bis 70 Proz. *) Zitiert bei Tschermak 1908. Vererbung klimatischer Wirkungen. 167 Schübelers, wonach sich bei dem von Deutschland nach Norwegen importierten Sommerweizen die Zeit zwischen Aussaat und Reife von Generation zu Generation verkürzt und diese‘ vielleicht unter der Wirkung der nordischen Besonnung herbeigeführte Verkürzung der Reife auch noch eine Zeitlang hervortreten soll, wenn der Weizen nach Deutschland zurückgebracht und dort weiterkultiviert wird!). Auch sonst liegen auf botanischem Gebiet hierher gehörige Beob- achtungen vor?) und möglicherweise ist in diesem Zusammenhang als anthropologisches Gegenstück das viel zitierte Beispiel von der Yankeesierung oder Indianisierung der in Amerika einwandernden Europäer zu nennen. Denn nicht bloß die Einwanderer angelsäch- sischer, deutscher und skandinavischer Abkunft lassen anscheinend unter der Wirkung des Klimas eine von Generation zu Generation sich steigernde Abänderung in der Richtung des Yankeetypus er- kennen, sondern nach neueren Ermittelungen®) hat dieser Prozeß auch bei den neuerdings in großer Zahl eingewanderten osteuropäischen Juden und Süditalienern seinen Anfang genommen. Die Erklärung aller hier erwähnten Fälle und ihre Zurückführung auf bekannte Erscheinungen ist zurzeit noch mit Schwierigkeiten verknüpft. Vermutlich dürfte es sich aber um eine ähnliche Form der Parallelinduktion handeln, wie bei den experimentell erzielten Abänderungen, von denen im folgenden die Rede sein wird und bei welchen nicht bloß die Reizursachen, sondern auch die Reiz- wirkungen einer genaueren Analyse zugänglich sind. Ich erwähne an erster Stelle die Versuche, welche Tower) in langjähriger überaus gründlicher Arbeit mit dem zu den Chrysome- !) Die norwegisch geschriebenen Abhandlungen Schübelelrs, sowie seine 6 „Sätze* sind bei Wille (1905) zitiert. Die Beobachtungen Schübelers sollen übrigens nach Wille wegen verschiedener Fehlerquellen nicht stichhaltig sein, ins- besondere liegt die Möglichkeit vor, daß bei der Kultur in unbeabsichtigter Weise Selektionsprozesse mit im Spiele waren. Vgl. auch Weismann 1906. ?) So gibt Cieslar (zitiert bei Tschermak 1908) an, daß der Zwergwuchs von Koniferen, die in der Höhe gezogen wurden, auf die in der Ebene aufwachsenden Nachkommen vererbt wird. Auch hier könnten allerdings Selektionsprozesse in Frage kommen, indem möglicherweise in der Höhe nur die zwerghaften Mutationen am Leben blieben und fortpflanzungsfähig wurden, so daß beim Versuch überhaupt nur erblich fixierte Zwergformen in Frage kamen. ®) Nach Untersuchungen des Anthropologen F. Boas an der Columbia-Univer- sität (nach einem Referat im Globus 1910). *) Tower 1906. Vgl. auch Ziegler, Naturw. Woch. 1910 (Literaturverzeichnis 15 und 16). 168 Towers Versuche. liden gehörigen Koloradokäfer (Leptinotarsa decemlineata) und seinen Färbungsvarietäten angestellt hat und die zu ganz besonders klaren Ergebnissen geführt haben. Wenn bei diesem Käfer äußere Faktoren (Wärme, Kälte, Feuchtigkeit) auf das Puppenstadium zur Ein- wirkung kommen, solange die mit der „Wachstumsperiode“ be- ginnende Geschlechtszellenreife noch nicht eingesetzt hat, so weisen die betroffenen Tiere im Imagostadium bestimmte Färbungs- abänderungen auf, ähnlich den erblichen Aberrationen, welche die Spezies auch in der Natur bildet. Diese künstlich erzeugten Ab- änderungen sind nicht erblich, d. h. die unter normalen Bedingungen gezogenen Nachkommen zeigen die normale Färbung. Die Er- klärung für diese Ergebnisse liegt offenbar darin, daß rein somatogene Abänderungen zustande gekommen waren und eine nachträgliche Induktion der später sich bildenden Geschlechtszellen augenscheinlich nicht stattgefunden hatte. Wirken aber die äußeren Faktoren auf die bereits vollkommen ausgefärbte Imago während der Geschlechtszellenreife ein, so wird die Imago selber nicht mehr beeinflußt, aber die aus den Geschlechtszellen hervorgehenden Nachkommen zeigen die Ab- änderungen, offenbar weil es zu einer direkten Beeinflussung des Keimplasmas der Geschlechtszellen gekommen war. Alles in allem sind die Ergebnisse der Versuche zweifellos in der Weise zu deuten, daß in keinem Falle eine Vererbung im Sinne Lamarcks stattgefunden hat. Im ersteren Falle entstand eine nicht- erbliche somatogene, im letzteren eine erbliche Keimesvariation. Beobachtungen ähnlicher Art sind bei den sogenannten Tem- peraturaberrationen der Schmetterlinge gemacht worden. Durch Standfuß, Weismann, Fischer und Schröder sind bei ver- schiedenen Tagfaltern, bei einem Spinner (Arctia caja) und beim Stachelbeerspanner (Abraxas grossulariata) durch Einwirkung ab- normer Temperaturen auf das Puppenstadium Abänderungen der Flügelzeichnungen hervorgerufen worden, welche in einzelnen Fällen bei den Nachkommen auch dann, wenn diese bei gewöhn- licher Temperatur aufgezogen werden, in abgeschwächter Form wieder hervortreten. Werden speziell die Puppen vom kleinen Fuchs (Vanessa urticae, Fig. 83, 1a) mit mäßig erniedrigter bzw. mäßig erhöhter Temperatur (0° bis + 15° bzw. 35 bis 370) behandelt, so schlüpfen Falter aus, welche in ihrem Farbenmuster mit den natürlichen Varietäten polaris Temperaturaberrationen. 169 (Nordkap, Amurgebiet, Kamtschatka) und ichnusa (Sardinien, Korsika) übereinstimmen, und als künstliche Kälte- und Wärmeaberrationen bezeichnet werden. Wenn dagegen sehr niedrige oder sehr hohe Temperaturen angewandt werden (0° bis — 20° bzw. + 42 bis + 46°), so erscheinen extrem gefärbte Frost- und Hitzeaberrationen, welche bisher mit Sicherheit noch nicht im Freien gefunden worden sind und den Namen ichnusoides (nigrita) führen. Charakteristisch für diese durch extreme Temperaturreize erzeugten Variationen (Fig. 83, 1b) sind hauptsächlich die Verschmelzung der beiden ersten Vorderrandflecke (lI und III) zu einem breit-oblongen Fleck, der Schwund der beiden kleinen Flecke in der Mitte des Vorderflügels, die Verwischung der Randbinde und die Auflösung ihrer blauen Oberseite 1. von Vanessa urticae (a normal, b Frost- und Hitzeaberration), 2. von Vanessa Jo (a normal, b Frost- und Hitzeaberration), 3. von Argynnis Laodice (mit verhältnismäßig „primitiver“ Zeichnung). Halbmonde, sowie die Verdunkelung der Oberseite der beiden Hinter- flügel. Ganz analoge Abänderungen weisen bei entsprechender Be- handlung einige nahe verwandte Vanessaarten, insbesondere der große Fuchs (V. polychloros) und das Tagpfauenauge (V.]Jo, Fig. 83, 2a—b) auf. Im speziellen werden bei letzterem die charakteristischen Augen- flecke unterdrückt, indem namentlich am Vorderflügel die hellen Schuppen durch dunklere verdrängt werden und die dem äußeren Vorderrandfleck entsprechende Pupille des Auges (2a, III) mit dem folgenden Randfleck (2a, II) zu einem oblongen Feld verschmilzt (2b, U+-I). 170 Temperaturaberrationen. Die durch Frost und Hitze erzeugten "Zeichnungsabänderungen sind teilweise erblich. Werden nämlich künstlich erzeugte ichnusoides- Individuen gepaart, so treten unter den Nachkommen auch dann, wenn diese im Puppenstadium bei normaler Temperatur gehalten werden, neben normalen Faltern einige Individuen mit den charak- teristischen Zeichnungsabänderungen von ichnusoides auf. Hier liegt augenscheinlich die Vererbung einer erworbenen Eigen- schaft vor, und es fragt sich, ob hier eine parallele Induktion (A — A — A) angenommen werden kann, oder ob es sich wirklich um den Lamarckschen Modus (A — a — A) handelt. Auf den ersten Anblick scheint es!), als ob die Aberrationen im wesentlichen durch Verdunkelung, d. h. durch vermehrte Pigmentierung von den normalen Typen unterschieden seien. In diesem Falle hätte man sich zu denken, daß Frost und Hitze in sämtlichen Zellen des Organismus, also auch in den Schuppenbildungszellen der Puppe und in den Keimzellen, eine vermehrte Tendenz zur Pigmentproduktion hervorrufen, und die Vererbung könnte dann ohne weiteres als eine parallele Induktion, als eine gleichsinnige Beeinflussung des Personal- und Germinalteiles aufgefaßt werden (A — A — A). Indessen zeigt eine nähere Betrachtung, daß speziell die Frost- und Hitzeaber- rationen der Vanessaarten keineswegs bloß durch intensivere und ausgedehntere Pigmentierung von den normalen Typen unterschieden sind. Es sei nur auf den durch den Schwund der beiden kleinen Flecke im Vorderflügel herbeigeführten Pigmentverlust hingewiesen). Die Erklärung kann also wenigstens bei Vanessa keine volle Gültig- keit haben. Nun ist von verschiedenen Seiten) darauf aufmerksam gemacht worden, daß wenigstens ein Teil der durch Temperaturreize hervor- gerufenen Abänderungen den Charakter von Atavismen hat, insbesondere treten gewisse Anklänge an die Gattung Argynnis (Fig. 83, 3) hervor, die mindestens in bezug auf die größere Regel- mäßigkeit des Zeichnungsmusters als eine primitive Formengruppe betrachtet werden darf. !) Namentlich die Versuche mit Abraxas scheinen darauf hinzudeuten, daß durch die Temperaturwirkung „melanistische“* Individuen erzeugt werden. ?) Eine ausführliche Widerlegung der Verdunkelungshypothese findet sich bei Fischer 1907; vgl. auch Haecker 1910, ®) Vgl. Dixey 1894; Weismann, Vortr. II, S.229; Fischer 1907; vgl. da- gegen Plate, S. 341. Zurückdifferenzierung spezifischer Merkmale und Weckung latenter Potenzen. 171 Speziell bei den durch sehr starke Temperaturreize bewirkten Frost- und Hitzeaberrationen, den „D-Variationen“ der Vanessaarten, handelt es sich zum Teil um Zeichnungsabänderungen, die jedenfalls als Ausdruck einer Zurückdifferenzierung spezifischer Merk- male gedeutet werden können!): so wird z. B. das Auge von V. Jo ausgelöscht und die spezifischen Grundtöne, das’Ziegelrot des großen und kleinen Fuchses und das Purpurbraun des Tagpfauenauges, werden hauptsächlich am Hinterflügel in ein düsteres Braun über- geführt. Als Entwickelungshemmungen können diese Differenzierungen im . allgemeinen nicht bezeichnet werden, da die reproduzierten Stadien meistens keine normalen ontogenetischen Durchgangsstadien darstellen, eher könnte man auch hier von phylogenetischen Reminiszenzen sprechen. Jedenfalls ist aber die Wirkung dieser Differenzierungen eine Verähnlichung der Arten. Diese Verähnlichung beruht nun aber nicht bloß auf der Zurück- differenzierung gewisser Merkmale, sondern z. T. auf dem weiteren Umstand, daß unter der Wirkung der gleichen Reize in den ein- ander nahestehenden Arten gewisse übereinstimmende Merkmale zu- stande kommen, die nicht wohl als Entwickelungshemmungen onto- genetischer Art oder als phylogenetische Reminiszenzen zu deuten sind2). Dazu gehört vor allem die Verschmelzung der beiden distalen Randflecke des Vorderflügels (II+ III nach Dixey), wie sie in über- einstimmender Weise bei mehreren Vanessaarten hervortritt (Fig. 83, ı und 2, b, III). Offenbar sind also in den verschiedenen Spezies noch gemeinsame (generelle), normalerweise latente Potenzen (novelties der englischen Autoren) verborgen, welche unter dem Ein- fluß abnormer Reize geweckt werden. Demnach liegen (Fig. 84) die durch abnorme Reize hervor- gerufenen Aberrationen nicht auf der direkten Linie, die von den Formen a, db, ce zur Stammform s führen, sie entsprechen also nicht den Punkten a’, b’, e', sondern fallen auf die abseits gelegenen Punkte a,b", c' zurück, man kann auch sagen, sie nähern sich einer Pseudo- stammform s’. Daß diese nicht der Stammform s entspricht, beruht wohl hauptsächlich darauf, daß durch die abnormen, in der Natur im allgemeinen nicht vorkommenden Reize im Gattungsplasma ab- norme generelle Potenzen geweckt werden. !) Vgl. Haecker 1910. ?2) Auch Weismann (1906) nimmt für die Temperaturaberrationen eine Mischung uralter Ahnencharaktere mit modernen Merkmalen an. 172 Vererbung bei Temperaturaberrationen. Die teilweise Vererbung derartiger Variationen würde dann in einfacher Weise durch die Annahme einer parallelen Induktion er- klärt werden können. Danach würden sämtliche Zellen, insbesondere die Schuppenbildungszellen und die Keimzellen, unter der Wirkung der Reize die nämliche Umstimmung in dem angeführten doppelten Sinne erfahren, nämlich eine Zurückdifferenzierung der spezifischen Merkmale auf der einen und die Entfaltung genereller, normalerweise latenter Potenzen auf der anderen Seite. Sie verhalten sich also derart, als ob sie nicht den Arten a, b, c, sondern der Pseudostammform s’ angehören. Infolgedessen werden im elterlichen, der Reizwirkung ausgesetzten Individuum die Fig. 84. s’ m c SR Wirkung abnormer Temperaturen auf Vanessaarten. Schuppenbildungszellen durch vereintes, harmonisches Zusammen- wirken das Farbenmuster s erzeugen), und ebenso werden sich in den jungen, aus den umgestimmten Fortpflanzungszellen hervorgehen- den Individuen die Schuppenbildungszellen verhalten können, so daß das nämliche Farbenmuster auch unter normalen Bedingungen zum Vorschein kommt. In ähnlicher Weise, wie die Ergebnisse der Temperaturexperi- mente mit Schmetterlingen, dürften wohl auch die Beobachtungen, !) Bei Regenerationsvorgängen kann von einem neu aufgebauten Entwickelungs- zentrum aus in regelmäßiger Weise immer wieder dasselbe harmonische Ganze ent- stehen (es liegt gerade hier nahe, an Meisenheimers Beobachtungen über die Regeneration der Flügelanlagen der Schmetterlingsraupen zu denken). Man wird um so leichter verstehen können, wie in unserem Fall die in der gleichen Richtung um- gestimmten Schuppenbildungszellen immer wieder ein in derselben Richtung ab- geändertes Farbenmuster entstehen lassen. Kammerers Versuche mit Salamandra. 173 welche Kammerer bei seinen Amphibienversuchen gemacht hat, zu verstehen sein. Es ist Kammerer gelungen, durch Einwirkung künst- licher Bedingungen die beiden einander nahestehenden, aber jedenfalls in der Jetztzeit scharf voneinander geschiedenen Molcharten, den Feuersalamander (Salamandra maculosa) und den Alpensalamander (S. atra), bezüglich ihres Verhaltens bei der Fortpflanzung und des Charakters der Larven einander ähnlicher zu machen. Es hat sich dabei herausgestellt, daß diese Abänderungen auch ohne Fortdauer der künstlichen Versuchsbedingungen wenigstens teilweise auf die Nachkommen vererbt werden. Im speziellen hat es sich gezeigt, daß S. maculosa, wenn sie bei geringer Feuchtigkeit gehalten wird, nicht, wie dies normaler- weise der Fall ist, eine größere Zahl von kiemenatmenden Larven (Fig.85 A) ins Wasser absetzt, sondern nur eine kleine Anzahl, bei längerer Angewöh- nung überhaupt nur zwei kiemenlose „Vollmolche“ gebiert. S. maculosa zeigt also eine entschiedene Annähe- rung an S. atra, welche normaler- weise zwei kiemenlose Vollsalamander (Fig. 85B) absetzt, während die übri- gen Uteruseier zu einem Dotterbrei eingeschmolzen werden und den bei- A normale neugeborene Larve von den überlebenden Embryonen als Nah- Salamandra maculosa, ins Wasser ab- rung dienen. Die als Vollmolche ge- gesetzt; Be normale, als „Vollmolch“ neugeborene Salamandra atra, auf dem borenen maculosa-Salamander (zweite Lande abgesetzt. Nach Kammerer. Generation) gebären auch dann, wenn sie in normale Feuchtigkeitsbedingungen versetzt werden, Larven, welche hinsichtlich ihrer geringeren Zahl, ihrer bedeutenderen Größe und vorgeschritteneren Entwickelung immer noch eine bedeutende An- näherung an S. atra aufweisen. Es macht sich also bei der Rückkehr der zweiten Generation zu normalen Lebensbedingungen eine unzweifel- . hafte Vererbung der vom Elterntier unter künstlichen Bedingungen erworbenen Eigenschaften bemerklich, andererseits findet bei Fort- dauer der künstlichen Bedingungen noch eine Steigerung der er- worbenen Charaktere und eine vollständige Annäherung an S. atra statt: ein maculosa-Weibchen der zweiten Generation, welches in einem Aquarium ohne Wasserbecken gehalten wurde, gebar zwei 174 Versuche mit Salamandra. Vollsalamander von bedeutender Größe (40 bis 41 mm)!) und dunkler Färbung, sowie ohne eine Spur von Kiemen und Flossensaum (vgl. Fig. 85 B). Umgekehrt setzt S. atra in wassergesättigter Umgebung statt der zwei schwarzen Vollmolche eine größere Anzahl von gefleckten, mit Kiemen und Ruderschwanz ausgestatteten Larven ab, und diese, in ihrer Jugend an S. maculosa (vgl. Fig. 85 A) erinnernde zweite Gene- ration gebiert im Wasser abermals Larven, welche in bezug auf die vollkommenere Ausbildung des Ruderschwanzes und ihre größere Gewandtheit im Wasser noch eine weitere Steigerung der maculosa- Charaktere aufweisen. Resultate ähnlicher Art ergeben sich bei Versuchen mit der Geburtshelferkröte (Alytes obstetricans).. Während diese Kröte, im Gegensatz zu unseren anderen Batrachiern, auf dem Lande laicht und eine verhältnismäßig geringe Zahl (18 bis 86) großer, dotterreicher Eier produziert 2), werden die brünstigen Tiere durch die Wirkung hoher Temperaturen (25 bis 30°C) namentlich in den späteren Laichperioden veranlaßt, mehr und mehr das Wasser aufzusuchen und hier sich der Eischnüre zu entledigen. Gleichzeitig steigt die Zahl der Eier bis auf 115, ihre Größe und ihr Dottergehalt werden geringer, während ihre Resistenzfähigkeit im ungewohnten Medium zunimmt, so daß eine immer größere Anzahl Eier zur Entwickelung gelangt. Eine Vererbung der erworbenen Eigenschaften trat bei den Nach- kommen derjenigen Laichperioden hervor, in denen die Elterntiere schon die „höchste Stufe der Instinktvariation“ erklommen hatten. Trotzdem nämlich die Eier der Stammgeneration sehr bald nach der Ablage in normale Bedingungen versetzt worden waren, laichten alle aus ihnen hervorgehenden Individuen zweiter Generation zunächst !) Die Länge der Larven von S. maculosa beträgt normalerweise 23 bis 30 mm. ?) Das 0" umklammert das ® um die Lenden und leistet Geburtshilfe, indem es den Laich aus der Kloake des 2 herausdrückt und sein Austreten durch Ziehen und Stemmen mit den Hinterbeinen unterstützt. Da die Eierablage im Trocknen stattfindet, so quellen die Gallerthüllen der Eier nicht auf, sondern bleiben wegen ihrer Klebrigkeit an den Schenkeln des o' haften. Sie wickeln sich infolge der Bewegungen des o' um dessen Hinterschenkel herum und sitzen diesen, da sie nach Verlust der Klebrigkeit eine zähe Beschaffenheit annehmen, wie eine Fessel auf („Feßlerkröte“). Sie werden dann vom co herumgeschleppt und gelegentlich eines der häufigen Bäder, welche das d' nimmt, werden die Embryonen frei (vgl. Kam- merer, S.450, 1909). Versuche mit Alytes. 175 im Wasser, die Zahl der Eier der ersten Laichperiode übertraf die Norm, ihre Größe war geringer und ihre Resistenzfähigkeit im ab- normen Medium eine sehr bedeutende. Zur Ergänzung sei bemerkt, daß, wenn die Eier der Stamm- generation in hoher Temperatur (25 bis 30° C) gelassen werden, die Annäherung der zweiten Generation an die primitiven Laich- gewohnheiten anderer Froschlurche noch stärker hervortritt. Die Gallerthülle der Eier der zweiten Generation nimmt an Dicke zu, die Larven zeigen typische Amphibienkiemen und die erwach- senen c* der dritten und noch mehr die der vierten Generation ent- wickeln in der Brunst Daumenschwielen. Was die vererbungstheoretische Bedeutung der Kammerer- schen Versuche anbelangt, so dürften mehrere dabei hervorgetretene Erscheinungen dem Verständnis näher gerückt werden, wenn auch hier, wie bei den Schmetterlingsversuchen, eine mindestens dop- pelte Wirkung der veränderten Lebensbedingungen unterschieden wird. Auf der einen Seite darf man zweifellos mit Kammerer einige der künstlich bewirkten und zum Teil erblichen Abänderungen bei S. atra und Alytes als Entdifferenzierungen oder sogar als Atavismen auffassen. Auf der anderen Seite bleibt (man denke an die Annäherung der S. maculosa an atra) ein Rest von Abände- rungen übrig, die vielfach den Charakter von progressiven Variationen haben und deren Entstehung an die Entfaltung gene- reller, latenter, nur unter abnormen Bedingungen zur Entwickelung kommender Anlagen bei Vanessa erinnert. Ausgehend von der Annahme einer derartigen doppelten Wirkung der äußeren Reize gelangt man dann zu der Auffassung, daß es sich bei den beob- achteten Vererbungserscheinungen nicht um eine Vererbung soma- togener Eigenschaften und um eine somatische Induktion der Keim- zellen durch Leitung handelt, sondern daß auch hier, wie bei den Vanessen, die Vererbung auf einer parallelen Induktion der Körper- und Keimzellen beruht und ihr also blastogene Abänderungen zugrunde liegen. Ergebnisse ähnlicher Art wie bei den Amphibien hat Kammerer (1910) bei Eidechsen erhalten, also bei einem Objekt, das schon vor langer Zeit durch die Untersuchungen Eimers in die Artbildungs- lehre eingeführt worden ist. Unter anderem wurde die normalerweise lebendiggebärende Bergeidechse (Lacerta vivipara) bei erhöhter Tem- peratur (25 bis 30°C) eierlegend, und ihre Nachkommen erwiesen sich 176 Versuche von Woltereck und Klebs. ebenfalls als eierlegend, auch dann, wenn sie bei niedriger Temperatur gehalten wurden. Bei der im männlichen Geschlecht rot-, im weib- lichen gelbbäuchigen L. fiumana ruft Temperaturerhöhung bei den Männchen erbliche Weißbäuchigkeit, bei L. serpa und oxycephala dagegen Temperaturerhöhung und Haltung in äußerster Trockenheit einen ebenfalls erblichen Melanismus hervor usw. In der gleichen Richtung bewegen sich die Ergebnisse Wolte- recks, welcher bei Cladoceren eine erbliche Fixierbarkeit von milieu- bedingten Abänderungen beobachtete. So kann z. B. die „Kopfhöhe“, die im allgemeinen ‚mit wachsender Intensität der Ernährung: ihrer- seits zunimmt und also gegenüber den Milieubedingungen eine be- stimmte „Reaktionsnorm“ aufweist, durch Einwirkung extremer Lebenslagen in erblicher Weise abgeändert werden. Auch auf botanischem Gebiet liegen ähnliche, experimentell ge- wonnene Resultate vor. Klebs hat bei der Hauswurz (Sempervivum) durch Veränderung der Kulturbedingungen (Düngung, hohe Tempe- ratur, Feuchtigkeit) Blütenvariationen bestimmter Art (veränderte Zahl der Blumenblätter usw.) hervorgerufen und weiterhin gefunden, daß diese Variationen auch bei der ersten Tochtergeneration unter ganz anderen Bedingungen wieder zum Vorschein kamen. Während die bisher aufgezählten allseitigen Abänderungen bei den Nachkommen in qualitativ identischer Weise, wenn auch vielfach in quantitativ abgeschwächtem Maße hervortreten und hier also im wesentlichen die Formel A— A — A Gültigkeit hat, gibt es eine An- zahl von Abänderungen, welche bei den Nachkommen in qualitativ modifizierter Form zum Vorschein kommen. Zu diesen allseitigen, nicht-identischen Wirkungen ge- hören insbesondere die durch die Wirkung gewisser Krankheits- gifte oder Toxine hervorgerufenen erblichen (kongenitalen) Abände- rungen. Es ist bekannt, daß der Alkoholismus vielfach in der Weise sich äußert, daß bei dem Potator selber als Folgen des geschwächten Zustandes oder auch als unmittelbare Wirkungen des Alkohols krank- hafte Erscheinungen leichter und schwerer Art (Magen- und Darm- katarrhe, Lebercirrhose, Delirium) hervortreten, während bei seinen Nachkommen sich die Nachwirkung in Form von allgemeiner Körper- schwäche, in der geringeren Resistenz gegen Krankheiten und in der Neigung zu Psychosen allerart geltend macht. Offenbar ist in solchen Fällen als allgemeinste Wirkung des Alkoholmißbrauchs eine Schwächung sowohl der Körper- als der Keimzellen des Er- a ee a u A ee Alkoholismus. 177 zeugers und damit auch der Organisation der Nachkommen zu be- trachten, während als äußerlich hervortretende Folgewirkung dieser Schwächung bei den Eltern ünd Kindern je nach den accidentiellen äußeren Faktoren oder je nach der verschiedenen Blutmischung sehr verschiedenartige krankhafte Zustände zur Entwickelung kommen können. Es gilt also nicht die Formel A — A — A, sondern das abgeleitete Schema (A+ B) — A — (A + 0). Vermutlich sind auch die bekannten Beobachtungen von Brown- Sequard!), welche so oft als entscheidende Beweise für das Vor- kommen einer Lamarckschen Vererbung angeführt worden sind, in dieser Weise zu deuten. Brown-Se&quard hat bei Meerschweinchen mittels Verletzung verschiedener Teile des zentralen und peripheren Nervensystems (Herausschneiden eines Teiles der grauen Substanz des Gehirns, Durchschneidung des Rückenmarks, des Nervus ischia- dicus, Nervus poplitaeus internus usw.) Erscheinungen hervorgerufen, welche an verschiedene Symptome der Epilepsie des Menschen er- innern. Die Nachkommen dieser Tiere waren im allgemeinen klein, schwächlich und dekrepit und wiesen Lähmungserscheinungen, Atro- phien oder Gangräne an verschiedenen Körperstellen auf. Im allge- meinen entsprachen die bei den Jungen hervortretenden Erscheinungen nicht denjenigen, welche bei den Eltern durch die Verletzung her- vorgerufen waren, aber in einigen wenigen Fällen (in 1 bis 2 Proz. der Fälle) zeigten sie selber wieder, ohne daß bei ihnen Eingriffe vorgenommen wurden, £pileptische Erscheinungen. Angesichts des Umstandes, daß, wie die verschiedenen Versuche beweisen 2), ähnliche epileptiforme Krankheitsbilder durch Eingriffe sehr verschiedener Art hervorgerufen werden können, und überhaupt die eigentliche Ätiologie dieser Erscheinungen vollkommen unklar ist, lassen sich die Ergebnisse Brown-S&quards bei der' Behandlung der Frage nach der Vererbung erworbener Eigenschaften nicht in eindeutiger Weise verwerten:). Jedenfalls stehen mehrere Möglich- keiten offen, die Erscheinungen auch ohne die Annahme einer Ver- !) Die Abhandlungen Brown-Säquards sind 1869—1893 großenteils in den Archives de Physiologie normale et pathologique (Paris) erschienen. Näheres findet sich u. a. bei Weismann, Aufsätze, S.375; Thomson, Heredity, S. 230. ?) Die Versuche Brown-Söquards sind inzwischen von verschiedener Seite (Westphal, Obersteiner u.a.) wiederholt und modifiziert worden, und verschiedene Mediziner, insbesondere auch der Pathologe E. Ziegler, haben zu ihnen im Sinne Weismanns Stellung genommen. ®) Vgl. Weismann, Thomson, Plate. Haecker, Vererbungslehre. 178 Brown S&quards Versuche. Vererbung und Gedächtnis. erbung somatogener Eigenschaften dem Verständnis näher zu bringen, vor allem muß damit gerechnet werden, daß durch die Traumen Störungen von bestimmter trophischer Art herbeigeführt und daß vielleicht im Zusammenhang damit Toxine frei gemacht wurden, welche die Keim- zellen oder durch Vermittlung des Blutes den Fötus in gleicher Richtung ‘wie die Eltern schädigen. Es würde dann eine ähnliche Erscheinung vorliegen wie bei den Wirkungen des Alkoholismus. Weniger wahr- scheinlich ist es, daß bakterielle Infektionen eine Rolle spielen. Wenn wir nun nochmals den augenblicklichen Stand des La- marckschen Problems zusammenfassen, so ist zunächst hervorzuheben, daß im Verlauf der Diskussionen, die sich an die Schriften Weis- manns angeknüpft haben, in immer bestimmterer Weise die Not- wendigkeit hervorgetreten ist, die einzelnen von den Anhängern La- marcks herangezogenen Erscheinungen gruppenweise zu behandeln. Vor allem ist ein strenger Unterschied zu machen zwischen den einseitig lokalisierten Abänderungen, welche sich im ganzen mit den somatogenen Variationen Weismanns decken, und denjenigen Abänderungen , für welche eine mehr allseitige, gleichmäßige Wirkung des Reizes auf Körper- und Keimzellen angenommen werden kann und welche demnach einen Teil der blastogenen oder Keimes- variationen Weismanns bilden !). Bezüglich der somatogenen Variationen besteht heutzutage wohl bei der Mehrzahl der Biologen die Auffassung, daß eine Vererbung auf dem Wege der somatischen Induktion der Geschlechtszellen bisher in keinem Falle mit Sicherheit nachgewiesen werden konnte. Dagegen liegt eine Anzahl von Fällen vor, in denen eine Vererbung allseitiger Abänderungen mittels paralleler Induktion festgestellt wurde. Eine solche Übertragung entspricht zwar nicht vollkommen dem von Lamarck und seinen Anhängern angenommenen Ver- erbungstypus, es liegt aber wohl kaum ein Bedenken vor, auch hier von einer Vererbung erworbener Eigenschaften zu sprechen. Auch wird man in diesen Fällen dem von Hering, Semon, A. Forel, Rignano?2) u. a. gezogenen Vergleich zwischen der Vererbung und dem psychischen Gedächtnis (der Mneme) eine mehr als metaphorische Bedeutung zuweisen dürfen. !) Blastogene Variationen können nach Weismann auch auf andere Weise, nämlich durch Neukombination der Ahnenplasmen (s. S. 191) oder auf dem Wege der Germinalselektion (s. Kap. 19) zustande kommen. ?) Siehe hierzu Literaturverzeichnis 15 u. 16. Vgl. auch Weismann 1906. Ele ee un \ Literaturverzeichnis 17. 179 Literaturverzeichnis zu Kapitel 17. Brown-S&quard, Versch. Abhandlungen. Arch. Phys. Norm. Path. 1869— 1893. Dixey, F. A., On the phylogenetic significance of the wing- markings etc. of the Nymphalidae. Trans. Ent. Soc, London 1892. — , Mr. Merrifield’s Experiments in Temperature-Variation as bearing on Theories in Heredity. Ebenda 1894. Ehrlich, P., Über Partialfunktionen der Zelle. Münch. Med. Woch. 1909. —, Über die neuesten Ergebnisse auf dem Gebiete der Trypanosomenforschung. Arch. Schiffs- u. Tropenhygiene, 13. Bd., 1909. Fischer, A., Vorlesungen über Bakterien. 2. Aufl. Jena 1903. —, E., Zur Physiologie der Aberrationen- und Varietätenbildung der Schmetterlinge, Arch. Rass. u. Ges. Biol., 4. Jahrg., 1907. Haecker, V., Vererbungs- und variationstheoretische Einzelfragen. 1]. Über Trans- versionen (Überschläge). Zeitschr. ind. Abst., 1. Bd., 1909. —, — II. Über die Temperaturaberrationen der Schmetterlinge und deren Erblich- keit. Ebenda, 4. Bd., 1910. Hertwig, O., Allg. Biologie, siehe Literaturverzeichnis 12. Kammerer, P., Vererbung erzwungener Fortpflanzungsanpassungen,. ]. und Il, (Salamandra). Arch. Entw.-Mech., 25. Bd., 1907. —, Ill. (Alytes). Ebenda, 28. Bd., 1909. . — , Vererbung erzwungener Farbenabänderungen. I. und II. Ebenda, 29. Bd., 1910. Klebs, G., Über die Nachkommen künstlich veränderter Blüten von Sempervivum. Sitzungsber, Heidelb. Akad. Wiss. 1909. Meisenheimer, J., Über Flügelregeneration bei Schmetterlingen. Zool. Anz, 33. Bd., 1908. — , Experimentelle Studien zur Soma- und Geschlechtsdifferenzierung. ]. Beitrag. Jena 1909. Plate, L., Selektionsprinzip und Probleme der Artbildung. 3. Aufl. Leipzig 1908. Schröder, Chr., Die Zeichnungsvariabilität von Abraxas grossul. usw, Allgem. Zeitschr. Ent., 8. Bd., 1903. Standfuß, M., Handbuch der paläarkt. Großschmetterlinge. Jena 1896. — , Die Resultate 30jähriger Experimente mit Bezug auf Artbildung usw. Verh, Schweiz. Naturf.. Ges. (Luzern) 1905. Thomson, J. A., Heredity. London 1908. Tower, W.L., An Investigation of Evolution in Chrysomelid Beetles of the Genus Leptinotarsa. Carnegie Inst. Wash. Publ. 48, 1906. Tschermak, E., Der moderne Stand des Vererbungsproblems. Arch. Rass. u. Ges. Biol., 5. Jahrg., 1908. Weismann, A., Aufsätze, 1892, siehe Literaturverzeichnis 15/16; Vorträge, 1904, siehe Literaturverzeichnis 15/16. — , Richard Semons „Mneme“ und die „Vererbung erworbener Eigenschaften“. Arch. Rass. u. Ges. Biol., 3. Jahrg., 1906. Wille, N., Über die Schübelerschen Anschauungen in betreff der Veränderungen der Pflanzen in nördlichen Breiten. Biol. Centralbl., 25. Bd., 1905. Woltereck, R., Weitere experimentelle Untersuchungen über Artveränderung usw, bei Daphniden. Verh. D. Zool. Ges. 1909. Achtzehntes Kapitel. Pfropfbastarde, Xenien, Telegonie. In allen morphobiologischen Vererbungshypothesen, so insbeson- dere in den Pangenesishypothesen von Darwin und de Vries und in der Kontinuitätslehre Weismanns, ist auf einige Erschei- nungen Bezug genommen worden, welche eine gewisse Ähnlichkeit mit den typischen Vererbungsvorgängen erkennen lassen und zum Teil auch als Vererbungsprozesse in einem erweiterten Sinne des Wortes zu deuten sind. Es sind dies vor allem die Pfropfbastarde, die Xenien und Bizzarrien, sowie die Telegonie. Durch neuere Untersuchungen ist in einem Teil der Fälle eine vollständige Aufklärung herbeigeführt worden, bezüglich der übrigen haben sich seit der Begründung der genannten Vererbungshypothesen die Frage- stellungen in mancher Hinsicht verschoben. Auf jeden Fall sind neuerdings verschiedene dieser Vorkommnisse in den Vordergrund des Interesses gerückt worden, so daß auch jetzt noch jede Vererbungs- hypothese sich mit ihnen abfinden muß. Man verstand bisher unter Pfropfbastarden im engsten Sinne des Wortes Adventivsprosse, die aus der Verwachsungszone eines Reises mit der Unterlage hervorgehen und sich in mancher Hinsicht wie sexuelle Bastarde zwischen den beiden zusammengepfropften Arten verhalten!). Als Beispiel wurde von vielen Forschern das be- rühmte Laburnum (Cytisus) Adami angesehen, eine Laburnumform, deren Blüten in merkwürdiger Mischung die Charaktere des gelb- blühenden Goldregens, Laburnum vulgare, und der purpurblühenden Cytisus purpurea in sich vereinigen). Insbesondere treten neben hellgelben, purpurnen und schmutzigroten Blüten auch solche auf, die in zwei symmetrische Hälften, eine gelbe und eine purpurne, geteilt sind. !) Vgl. Baur 1910. ?) Vgl. Darwin, I, S.497 (1868); Weismann, S.445 (1892). ER u N enieh; 181 Mit größerer Sicherheit als Laburnum Adami ist der Crataego- mespilus Asnieresii von Bronvaux (einem Orte bei Metz) als Propf- bastard in dem oben begrenzten Sinne zu deuten. Hier handelt es sich um eine interessante Mischform von Mispel (Mespilus germanica) und Weißdorn (Crataegus monogyna), welche sich an einem mehr als hundertjährigen Weißdornstamm in unmittelbarer Nähe der Stelle, wo auf ihn ein Mispelzweig aufgepfropft worden war, in Gestalt von mehreren Adventivtrieben gebildet hatte). Unter Xenien faßte man bisher nach dem Vorgang von Focke Abänderungen der normalen Gestalt oder Farbe zusammen, die außer- halb des Embryos an irgend welchen Teilen des Samens oder des mütterlichen Organismus anscheinend durch die Einwirkung fremden Blütenstaubes hervorgebracht werden. In einigen Fällen steht tat- sächlich fest, daß auf dem Wege der Bastardbefruchtung eine der- artige Beeinflussung zustande kommen kann. So hat Correns für den Mais nachgewiesen, daß bei Bestäubung einer gelben Rasse mit dem Pollen einer blauen in der äußersten Endospermschicht (Aleuron- oder Kleberschicht) der Samenkörner die blaue Farbe der väterlichen Stammpflanze auftritt. In ähnlicher Weise ist von älteren Beobachtern angegeben worden, daß bei Erbsen auch die Samenschale, bei der Zuckererbse (Pisum arvense) und Orange die vom Fruchtknoten abstammenden Teile der Frucht (Hülse bzw. Fruchtfleisch) und beim Apfel sogar das den Fruchtknoten (Gehäuse) umwallende und die Scheinfrucht bildende obere Ende der Blütenachse durch Fremdbestäubung in der Richtung der den Pollen liefernden Rasse oder Spezies modifiziert werden könne? Mischfrüchte von verschiedenem Aussehen sind namentlich von den Agrumi, d. h. den mediterranen Vertretern der Gattung Citrus bekannt, und ihre Träger werden als Bizzarrien bezeichnet®). Spe- ziell für die Orange gibt Gallesio an, daß er durch Fremdbestäubung mit dem Pollen der Limone eine Frucht erhalten habe, deren Rinde innerhalb eines Sektors die Merkmale einer Limone aufwies, während der übrige Teil der Rinde und das Innere der Frucht nur der Orange glich. Am genauesten untersucht sind die auch jetzt noch existierenden Bizzarrien von Florenz, welche außer reinen Früchten der Pomeranze und der Florentiner Cedrate auch Mischfrüchte ver- !) Vgl. Noll 1905; Strasburger, S. 530 (1907). 2) Vgl. Darwin, I, S. 511 (1868). ») Vgl. Strasburger, S.56 (1904); S. 538 (1907). 182 Bizzarrien. Telegonie. schiedener Art aufweisen, unter anderen solche, deren Schale voll- ständig oder innerhalb bestimmter, vom Stheitel zum Stiel laufender Sektoren der Pomeranze angehört, während die übrige Schale und das ganze Fruchtfleisch die Charaktere der Cedrate trägt. Auch Mischungen von Orange und Limone und solche aus drei Citrusarten werden in der Literatur erwähnt. Bezüglich der Entstehungsgeschichte der Bizzarrien weichen die Angaben voneinander ab. Die Orange-Limone-Bizzarria soll, wie bereits erwähnt wurde, nach Gallesio einen sexuellen Bastard dar- stellen !), während für die Florentiner Pomeranze-Cedrate-Bizzarria angegeben wird, daß sie aus Adventivsprossen hervorging, welche der Unterlage nach Absterben des Edelreises entsproßten 2). Erstere würde also den Xenien, letztere den Pfropfbastarden anzureihen sein. Als Infektion des Keimes oder nach Weismanns Vorschlag als Telegonie (Fernzeugung) werden endlich solche Fälle bezeichnet, in denen anscheinend die Begattung eines Weibchens mit einem ersten Männchen von Einfluß ist auf die Beschaffenheit derjenigen Nach- kommen, die aus der Paarung desselben Weibchens mit einem zweiten Männchen hervorgehen. Am bekanntesten ist folgender schon von Darwin erwähnte Fall). Eine kastanienbraune arabische Stute des Lord Morton wurde zuerst von einem Quaggahengst belegt und erzeugte mit diesem einen Bastard, danach wurde sie mit einem ara- bischen Rapphengst zusammengebracht und warf zwei Füllen, welche graubraun (dun) und an den Beinen, eines von ihnen auch am Hals, deutlich gestreift waren. Außerdem besaßen sie die kurze, steil auf- recht stehende Mähne des Quaggas.. Außer diesem Vorkommnis, welches auch Darwin für ein unzweifelhaftes Beispiel von Telegonie ansah, sind namentlich von Tierzüchtern zahlreiche andere Fälle an- | gegeben worden, in denen ein Einfluß des ersten Männchens auf die später von derselben Mutter mit anderen Männchen erzeugten Nach- kommen hervorzutreten schien t). Wie erwähnt, haben die Untersuchungen der letzten Jahre be- züglich mancher der hier aufgezählten Vorkommnisse Aufklärung gebracht, und zwar haben zunächst diejenigen Xenien eine Erledi- ‘) Gallesio, Trait$ du Citrus 1811; vgl. Darwin, Var., I, S. 514; Stras- burger, S. 544 (1907). 2) Nach Pietro Nati 1674 und Gallesio 1811; vgl. Strasburger, S.539 (1907). ) Darwin, Var., I, S.520; vgl. auch Weismann, S. 504 ff. (1892). *) Vgl. Darwin, Var., I, S.520, Anm. 138; ferner Thomson, S.145 (1908). a a a a Bastard-Endosperm. Pfropfbastarde. | 183 gung gefunden, in denen es sich ausschließlich um eine Beeinflussung des Endosperms handelt, wie dies z.B. bei manchen Maiskreuzungen der Fall ist. Es haben nämlich'Nawaschin und Guignard zuerst bei den Lilien den Nachweis geführt, daß beide generative Kerne des Pollenschlauches in den Embryosack schlüpfen (S. 84, Fig. 49), und daß der eine mit dem Eikern (00), der andere mit dem durch Vereinigung der beiden Pollenkerne (ps, pe) entstandenen sekundären Embryosackkern die Kopulation ausführt. Von dem so entstandenen dreifachen Kern stammen aber die Endospermkerne ab, und da also die Substanz der letzteren zum Teil auf diejenige des einen genera- tiven Pollenkerns zurückzuführen ist, so ist ein Einfluß der väter- lichen Rasse auf das Endosperm ohne weiteres zu verstehen. Nun ist allerdings gerade für den Mais diese sogenannte doppelte Be- fruchtung noch nicht nachgewiesen worden, aber da die letztere außer bei den Lilien auch noch bei einer Reihe von anderen Phanero- gamen beobachtet ist, so wird man mit Correns die Maisxenien in der Weise zu erklären haben, daß durch die Vereinigung des zweiten generativen Pollenkerns mit dem sekundären Embryosackkern ein Bastard-Endosperm entstanden ist, und man wird also Vorkomm- nisse dieser Art als echte Vererbungsvorgänge bezeichnen müssen. Auch das Problem der Pfropfbastarde ist in den letzten Jahren der Lösung wesentlich näher geführt worden. Zunächst ist es Winkler mittels zielbewußter, an Tomate (Solanum lycopersicum) und Nachtschatten (S. nigrum) ausgeführter Experimente als erstem gelungen, willkürlich Pfropfbastarde in dem früher begrenzten Sinne zu erzeugen, d.h. aus der Verwachsungszone zweier Pfropflinge bastard- ähnliche Mittelbildungen als Adventivsprosse entstehen zu lassen. Der Versuch bestand im wesentlichen im folgenden: Wenn eine junge Pflanze der Tomate dekapitiert und gleichzeitig die Achselknospen der Stengelblätter entfernt werden, so daß ein Ersatz des verlorenen Haupttriebes durch Austreiben der Achselknospen verhindert wird, so kommen aus dem Callus, der die Schnittfläche kappenförmig über- zieht, Adventivsprossen in großer Zahl hervor. Wird aber durch Keilpfropfung ein Trieb vom Nachtschatten aufgesetzt und abermals dekapitiert (Fig. 86 A), so daß die apikale Schnittfläche zum Teil aus . Geweben der Unterlage, zum Teil aus solchen des Reises besteht, so kann durch geeignete Methoden bewirkt werden, daß nur an den Stellen a—d (Fig. 86B), wo die Gewebe von Unterlage und Reis unmittelbar aneinanderstoßen, Adventivsprosse entstehen. Auf diese Weise erhielt. 184 Wesen der Pfropfbastarde. nun Winkler eine Anzahl von Adventivsprossen, deren Blätter, Blütenteile und Früchte die Merkmale der Tomate und des Nacht- schattens in sich vereinigten, also ihrer Entstehung und Beschaffen- heit nach tatsächlich als Pfropfbastarde im früher angegebenen Sinne zu betrachten sind. Die erste der so erzeugten, mit dem zunächst theoretisch voraussetzungslosen Namen Chimären bezeichneten Misch- formen wurde Solanum tubingense genannt. Durch diese Experimente wurde nun aufs neue die Frage nach dem eigentlichen Wesen der Pfropfbastarde aufgerollt. Es war früher!) A Fig.86. speziell für Laburnum Adami vielfach angenommen worden, daß an der Veredelungsstelle abnormer- weise eine Zelle des Edelreises und eine solche der Unterlage miteinander verschmolzen und also eine Kopulation zwischen zwei vegetativen Kernen zustande gekommen sei. Auch Winkler führte zunächst die von ihm: erzielten Mischbil- dungen auf nichtsexuelle Zellverbindungen zurück. Gegen diese Annahme hat aber Strasburger aus zellgeschichtlichen Gründen?) Einwände er- hoben und ist der Ansicht von de Vries®) bei- getreten, daß Laburnum Adami überhaupt keinen Pfropfbastard, sondern einen geschlechtlich ent- standenen Bastard darstelle, dessen Eigentümlich- keiten durch „vegetative Merkmalsspaltun- Erzeugung gen“, das heißt durch Trennung der im Bastard von Pfropfbastarden. verbundenen Anlagen während der vegetativen Nach Winkler. Zeilteilungen, zustande gekommen seien. Eine dritte Ansicht über die Pfropfbastarde ergab sich aus Be- obachtungen, die von Baur an panaschierten (partiell-albinotischen) Pelargonien gemacht wurden. Bei der Kreuzung grüner und weißrandiger Rassen entstehen unter anderen grünweiß marmorierte Pflanzen, deren Vegetationspunkte vielfach eine Mischung von weißen und grünen Zellen enthalten. Insbesondere können Vegetationskegel ') Vgl. Strasburger, S.ı69 (1884) und Weismann, S.447 (1892). 2) Vgl. Strasburger, S. 63 (1905). Vor allem fand Strasburger, daß. Laburnum Adami die gleiche Chromosomenzahl aufweist, wie die beiden Stamm- formen, während im Falle einer Kernverschmelzung die doppelte Zahl zu er- warten wäre. ®) 2. Bd., S. 676 (1903). N Chimären. 185 auftreten, die aus einzelnen weißen und grünen Sektoren zusammen- gesetzt sind (Fig. 87 A), und solche, bei denen die zwei peripheren Zelllagen aus weißen, die inneren Schichten aus grünen Zellen be- stehen, die also eine periklinale Schichtung aufweisen (Fig. 87B). In ersterem Falle werden solche Blätter, die an der Grenze zwischen einem weißen und grünen Sektor entstehen, eine weiße und eine grüne Hälfte besitzen, aus Vegetationskegeln der letzteren Art da- gegen bilden sich Blätter, bei denen die äußersten beiden Zellschichten und ebenso der dünne, nur aus wenigen Zellschichten bestehende Blattrand weiß ist (Fig. 87C). Erstere sind von Baur, indem er den Ausdruck „Chimären“ in etwas verändertem Sinne verwandte, als Sektorial-, letztere als Periklinalchimären bezeichnet worden. Fig. 87. Schema für Sektorial- (A) und Periklinalchimären (B, C). Nach Baur. Eine dritte Form würden die Hyperchimären Strasburgers sein, bei denen die Vegetationspunkte mosaikartig aus Zellen beider Eltern- arten zusammengesetzt sind. Im Hinblick auf diese Befunde ergab sich nun die Auffassung, daß die „Pfropfbastarde* Laburnum Adami, Crataegomespilus und Solanum tubingense Organismen sind, „bei denen artreine Zellen von beiden Pfropfkomponenten ohne Verschmelzung zu gemeinsamem Aufbau eines neuen Individuums zusammengetreten sind“). Die Winklersche Bezeichnung Chimären wurde auch für die so ge- deuteten Organismen beibehalten. Speziell S. tubingense würde eine Periklinalchimäre darstellen, deren Haut von der Tomate und deren !) Winkler 1910. 186 Chimären. Inneres vom Nachtschatten stammt!), und in ähnlicher Weise sollen auch Laburnum Adami und Crataegomespilus auf Grund der ana- tomischen Befunde als Periklinalchimären zu betrachten sein. Wenn so hinsichtlich der Maisxenien und verschiedener Pfropf- bastarde das Hauptproblem im wesentlichen gelöst erscheint, so bleiben natürlich noch eine Menge von Einzelfragen offen, und eine ganze Anzahl der im Anfang des Kapitels aufgezählten Beobachtungen wird zunächst durch die neu gewonnenen Kenntnisse noch nicht berührt. Bezüglich der Bizzarrien hat Strasburger?) die Ansicht aus- gesprochen, daß es sich ebenfalls um Chimären handelt, eine Auf- fassung, für welche die Angaben über die Entstehung der Florentiner Bizzarria sprechen dürften®). Man wird aber doch vielleicht sich vor einer frühzeitigen Verallgemeinerung hüten müssen, denn die Be- hauptung Gallesios, daß er eine Orangen-Limonen-Bizzarria durch Bastardierung erzeugt habe, darf doch nicht ohne weiteres bezweifelt werden, zumal die Beobachtungen Baurs dafür sprechen, daß ein Zu- standekommen sektorial und periklinal geteilter Mischfrüchte auf dem Wege der Bastardierung nicht zu den Unmöglichkeiten gehört. Ein hierher gehöriger Fall soll kurz erwähnt werden. In einem Pfarrgarten im Württembergischen Schwarzwald stehen nebeneinander ein Rosen- - apfel- und ein Goldparmänenbaum. Vor fünf Jahren trug letzterer neben den normalen Goldparmänefrüchten einen Apfel mit einem Rosen- apfelsektor, und im letzten Jahre einen kleinen Apfel, welcher äußer- lich vollkommen die dunkelrote Farbe und den fettigen Glanz der Rosenäpfel zeigte, im Innern aber im Gegensatz zu letzteren rein weiß war. Hier liegt doch die Vermutung nahe, daß eine zufällige Bastardierung und also eine Einwirkung des Pollens auf die mütter- lichen Gewebe stattfand. So wird man also angesichts der bestimmten Angaben verschiedener Autoren“) immer noch die Möglichkeit offen halten müssen, daß es neben der Bastard-Endospermbildung und den Chimären doch auch noch Xenien im ursprünglichen Sinne Fockes gibt, und daß durch den Pollen bald die Samenschale (Erbse), bald die Derivate des Fruchtknotens (Hülse der Zuckererbse und Fruchtfleisch der Orange), !) Vgl. Baur 1909, 1910, Strasburger 1909, Winkler 1910 (Über das Wesen der Pfropfbastarde). 2) S.525 (1909). ?) Siehe oben S. 182. *) Vgl. Darwin, I, S.5ı1 (1868). Echte Xenien. 187 bald sogar die vom oberen Ende der Blütenachse abstammende Schein- frucht (Apfel) beeinflußt werden können. Ein zoologisches Gegenstück würden die Beobachtungen von A.von Tschermak bilden, der bei der Kreuzung von Kanarienhennen mit männlichen Wildvögeln (Gierlitz, Stieglitz usw.) einen Einfluß der väterlichen Spezies auf die Zeichnung der Eier beobachten zu können glaubt!), und als eine weitere Stufe der Xenienbildung, als die Wirkung einer besonders nachhaltigen Beeinflussung des mütterlichen Organismus würde eventuell die Telegonie in Betracht kommen. Angesichts der großen Bedeutung, welche neueren Erfahrungen zu- folge die inneren Sekrete (Hormone) für die Beziehungen zwischen ns 0% @®® : Schema von Guthries Transplantationsversuchen bei Hühnern. Fig. 88. den verschiedenen Organen des Körpers haben, könnte man sich im Falle der Xenien- und Bizzarrienbildung die Beeinflussung des mütter- lichen Körpers durch die väterlichen Fortpflanzungselemente etwa in der Weise denken, daß von dem befruchteten Keime aus auf demselben Wege, auf dem ihm die Nahrungsstoffe vom Soma her zuströmen, irgend welche Substanzen, mag man sie als innere Sekrete oder En- zyme, als Pangene oder Biophoren auffassen und bezeichnen, an die ") In ähnlicher Weise sollen nach den Angaben älterer Autoren (W. von Na- thusits) Hennen von Rassen, deren Eier normalerweise weißschalig sind, nach der Begattung mit einem Cochinchinahahn gelbe Eier legen. 188 Geschlechtsdrüsen und Soma. mütterlichen Gewebe abgegeben werden, und daß auf diese Weise eine Umstimmung der letzteren, eine Erweckung latenter Potenzen nach Art der Transversionen herbeigeführt wird, in ähnlicher Weise, wie ein Fremdkern das Cytoplasma umzustimmen vermag). Die Ergebnisse der Experimentalforschung sind allerdings vor- läufig noch widersprechender Art. Auf der einen Seite weisen neuere Beobachtungen darauf hin, daß bei manchen tierischen Objekten das Soma und insbesondere die sekundären Geschlechtscharaktere durch die Geschlechtsdrüsen nicht auf dem Wege einer spezifischen inneren Sekretion beeinflußt werden ?). Andererseits hat Guthrie?) gefunden, daß ein schwarzes Huhn, dem der Eierstock eines weißen Huhnes implantiert wurde (Fig. 88A, 9), nach der Paarung mit einem weißen Hahn (A, d‘) teils weiße, teils weiß und schwarz gefleckte Nachkommen erzeugte, und daß ebenso ein weißes Huhn, dem der Eierstock eines schwarzen Huhnes eingesetzt worden war (B, 9), nach Kreuzung mit einem schwarzen Hahn (B, d‘) weiß und schwarz gefleckte Jungen hervorbrachte. Falls hier nicht doch Rassenmischungen im Spiele sind, würden die Versuche offenbar so zu deuten sein, daß eine spezifische Beeinflussung der Genitaldrüsen und der in ihnen erhaltenen Geschlechts- zellen durch die Wirtin stattgefunden hat. Es dürfte also auch der umgekehrte Fall, d. h. die spezifische Beeinflussung des Somas durch die Geschlechtszellen, nicht ganz außerhalb des Bereichs der physio- logischen Wahrscheinlichkeit liegen. Literaturverzeichnis zu Kapitel 18. Baur, E., Das Wesen und die Erblichkeitsverhältnisse der „Varietates albomarginatae hort.“ von Pelargonium zonale. Zeitschr. ind. Abst., 1. Bd., 1909. —, Pfropfbastarde, Periklinalchimären und Hyperchimären. Ber. D. Bot. Ges., 27. Bd., 1909. —, Pfropfbastarde. Biol. Centralbl., 30. Bd., 1900. !) Vgl. Kap. 14, S.148. Das seltene Vorkommen von Bizzarrien weist darauf hin, daß in diesem Falle noch besondere Bedingungen (individuelle Dispositionen, physiologische Zustände usw.) hinzutreten müssen. ?) Vgl. Meisenheimer, Literaturverzeichnis 17. Nach den Ergebnissen von Hegar, Halban u. a. üben die Geschlechtsdrüsen, indem sie den allgemeinen Stoffwechsel des Organismus beeinflussen, eine quantitative, nicht aber eine spezifische Wirkung auf die Ausbildung der sekundären Geschlechtscharaktere aus. *) Ein ähnliches, jedoch weniger entscheidendes Experiment hat V. Magnus (Norsk. Magazin Laegevidenskab, No.9. Kristiania 1907) mit Kaninchen ausgeführt. Vgl. Johannsen 1909 und Godlewski 1909, Literaturverzeichnis 14. NEON Literaturverzeichnis 18. 189 Correns, C., Untersuchungen über die Xenien bei Zea Mays. Ber. D. Bot. Ges., 17. Bd., 1899. — , Über Bastarde zwischen Rassen von Zea Mays usw. Ebenda, 19. Bd., 1901. Darwin, Ch., Das Variieren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Domestikation. Übers. von J. V. Carus. Stuttgart 1868. Focke, W. O., Die Pflanzen-Mischlinge. Berlin 1881. ‘Guthrie, C. C., Further Results of Transplantation of Ovaries in Chickens. Journ. exp. Zool., Vol. 5, 1908. Johannsen, W., Elemente der exakten Erblichkeitslehre. Jena 1909. Korschelt, E., Beeinflussung der Komponenten bei Transplantation. Med. Naturw. Archiv, 1. Bd., 1908. Meisenheimer, J., Experimentelle Studien zur Soma- und Geschlechtsdifferenzierung. Jena 1909. Noll, F., Die Pfropfbastarde von Bronvaux. Sitzungsber. Niederrhein. Ges. f. Natur- u. Heilk., 1905. Strasburger, E., Neue Untersuchungen über den Befruchtungsvorgang bei den Phanerogamen als Grundlage einer Theorie der Zeugung. Jena 1884. —, Streifzüge an der Riviera. 2. Aufl. Jena 1904. ? — , Typische und allotypische Kernteilung. Jahrb. wiss. Bot., 42. Bd., 1905. — , Über die Individualität der Chromosomen und die Pfropfhybridenfrage. Jahrb. wiss. Bot., 44. Bd., 1907. —-, Meine Stellungnahme zur Frage der Pfropfbastarde. Ber. D. Bot. Ges., 27. Bd., 1909. Thomson, J. A., Heredity. London 1908. Tschermak, A. von, Über den Einfluß der Bastardierung auf Form, Farbe und Zeichnung von Kanarieneiern. Biol. Centralbl., 30. Bd., 1910. Vries, H. de, Intrazellulare Pangenesis. Jena 1889. —, Die Mutationstheorie, 2. Bd., Leipzig 1903. Weismann, A., Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena 1892. Winkler, H., Über Pfropfbastarde und pflanzliche Chimären. Ber. D. Bot. Ges., 25. Bd., 1907. —, Solanum tubingense, ein echter Pfropfbastard zwischen Tomate und Nacht- schatten. Ebenda, Bd. 26a, 1908. —, Weitere Mitteilungen über Pfropfbastarde. Zeitschr. Bot., 1. Jahrg., 1909. — , Über das Wesen der Pfropfbastarde. Ber. D. Bot. Ges., 28. Bd., 1909. Neunzehntes Kapitel. Weiterer Ausbau der Weismannschen Vererbungslehre. a) Lehre von der Amphimixis. Durch die Ablehnung der Lamarckschen Auffassung, wonach die Artumwandlung im wesentlichen durch Vererbung somatogener Ab- änderungen bewirkt wird, wurde Weismann zunächst dazu geführt, eine andere Quelle für die Variationen, d. h. für die äußeren Verschieden- heiten der Individuen und Rassen anzunehmen. Er sah diese Quelle im Befruchtungsprozeß. Gegenüber der alten Anschauung, daß der Befruchtungsprozeß der Vielzelligen in erster Linie in der mechanischen Auslösung der Eientwickelung oder, wie H. Spencer, Ed. van Beneden, V. Hensen u.a. sich ausdrückten, in der Verjüngung oder Be- lebung des Keimes gelegen sei!), konnte vor allem die weite Verbreitung der Parthenogenesis geltend gemacht und insbesondere auf das Vorkommen rein parthenogenetischer Organismen, so des Muschelkrebses Cypris reptans 2), gewisser Wasserflöhe der großen Alpenseen 3) und der Armileuchteralge Chara crinita®), hingewiesen werden. Auch die Anschauung von Maupas, wonach die Konjuga- tion der Einzelligen, das zweifellose Homologon der Befruchtung, einen Verjüngungsvorgang darstelle, steht mit einer Reihe von Tat- sachen im. Widerspruch: es seien nur die Hemmung der Gesamt- vermehrung der Infusorien bei Eintritt in die Konjugationsperiode und der Dauerzustand vieler durch die Konjugation gebildeten Zygoten genannt. !) Vgl. Weismann 1886 (Aufsätze, S. 343), 1891 (S. 792), 1904, I, S. 266. 2) Weismann 1891 (Aufsätze, S. 796), 1904, I, S. 267. ®) Bosmina und Daphnia longispina. Vgl. Woltereck, Verh. D. Zool. Ges. 1909. *) Diese Alge kommt wenigstens im nördlichen Europa nur in weiblichen Exemplaren vor. Amphimixis. 191 Die Hauptbedeutung des Befruchtungsprozesses kann also nicht in der Auslösung der Entwickelung liegen, vielmehr ist als solche nach Weismann die Vermischung zweier individuell ver- schiedener Vererbungstendenzen, die Amphimixis, an- zusehen. Die Bedeutung der Amphimixis kann nun ihrerseits nach ver- schiedenen Richtungen hin gesucht werden. Entweder könnte der Zweck dieses Vorganges im Ausgleich von Störungen, in der Unterdrückung weniger günstiger Variationen durch Einführung „frischen Blutes“, also in der Erhaltung der Artkonstanz, gelegen sein, oder es könnte sich um die von der Selektionstheorie geforderte Akkumulierung und Stärkung günstiger Anlagen, oder endlich um eine immer wiederholte Entstehung neuer Anlage- kombinationen handeln. Weismann nimmt nun an, daß die Hauptbedeutung der Amphimixis und damit überhaupt der sexuellen oder amphigonen (zweielterlichen) Fortpflanzung in der letztgenannten Richtung liegt. Die Amphimixis ist nach ihm die Haupt- quelle der erblichen Variationen, sie hat das Material an individuellen Unterschieden zu schaffen, mittels dessen die Selektion neue Arten hervorbringt. In der Sprache der Keimplasmatheorie ausgedrückt, heißt das: es findet bei der amphi- gonen Fortpflanzung zu Beginn jeder Generation eine Neukombination der Vererbungssubstanzen oder Keim- plasmen und damit der Anlagen statt, und zwar wird nach Weismann diese Wirkung unterstützt durch den von ihm postu- lierten Vorgang der Reduktionsteilung. b) Reduktion der Ahnenplasmen und Postulat der Reduktionsteilung. Eine der Grundvoraussetzungen, von welcher Weismann in seiner Theorie ausgeht, ist die Annahme, daß in der Erbmasse eines Individuums, in seiner Vererbungssubstanz, die väterlichen und mütterlichen (je die Anlagen sämtlicher Charaktere und Organe enthaltenden) Anteile getrennt bleiben, eine Anschauung, welche in gewissem Sinne durch die Beobachtungen über die Autonomie der Gonomeren (S.82) bestätigt wird. Wenn man sich nun vorstellt, daß in irgend einem befruchteten Ei und in sämtlichen Zellen des daraus hervorgehenden Organismus diese Anlagenkomplexe zunächst zweimal enthalten seien und daß 192 Reduktion der Zahl der Ahnenplasmen. eine Keimzelle dieses Organismus durch eine fremde Keimzelle be- fruchtet wird, so würden im Keim zweimal zwei Anlagenkomplexe zusammenkommen, und in ähnlicher Weise müßte sich offenbar ihre Zahl von Generation zu Generation bei jedem Befruchtungsakt ver- doppeln. Es werden also in der Vererbungssubstanz jedes der Nach- kommen nicht nur zwei, sondern eine größere Anzahl von selbstän- digen, von verschiedenen Ahnen herrührenden Anlagenkomplexen oder, wie Weismann sagt, von Ahnenplasmen oder Iden enthalten sein. Diese Annahme würde nun aber offenbar zu ungeheuerlichen Kon- sequenzen führen, d.h. es würde in den einzelnen Individuen eine übermäßige Anhäufung von selbständigen Vererbungstendenzen statt- finden. Auf Grund theoretischer Erwägungen kommt also Weismann schließlich zu der Vorstellung, daß diese Verdoppelung der Zahl der Vererbungseinheiten oder Ahnenplasmen durch eine in jeder Gene- ration sich wiederholende Reduktion ihrer Zahl auf dieHälfte aufgehoben werden muß, und ferner, daß diese Zahlenreduktion bei den Reifungsteilungen, im weiblichen Geschlecht also bei der Bildung der Richtungskör- per vor sich gehen müsse!). So kam als ein 2:5 Schritt von nachhaltiger theoretischer Wir- Idant(Chromosom)mitlinear kung die engere Verbindung der Ahnenplas- aneinandergereihten Iden. menhypothese mit den Ergebnissen der Keim- et zellen- und Kernteilungsforschung zustande. Wie schon früher (S.135) gezeigt wurde, war Weismann, ebenso wie OÖ. Hertwig und Strasburger, zu der Auffassung gelangt, daß die Kernsubstanz der Keimzellen das materielle Substrat der Vererbungstendenzen darstelle, und daß insbesondere die bei der Kernteilung hervortretenden Chromosomen oder Kernschleifen als die eigentlichen Vererbungsträger anzusehen seien. ‘ Im speziellen dachte sich Weismann, daß die Ahnenplasmen oder Ide, also die kleinsten, jeweils sämtliche Organanlagen in sich enthaltenden, nicht mehr teilbaren, unter sich verschiedenen Einheiten der Vererbungs- substanz, in den Chromosomen linear aneinandergereiht sind (Fig. 89). Die. Chromosomen oder, wie Weismann sagt, die Idanten stellen also Komplexe von „individuell“ verschie- denen Ahnenplasmen dar. Fig. 89. ') Vgl. Weismann 1887 (Aufsätze, S.425, 4209). u A ah Ze ee a 1a Ball DZ gespalten, also ihrer Zahl ’ Reduktionsteilung. 193 " Bei der gewöhnlichen Kernteilung, der Äquationsteilung, werden bei der Längsspaltung der Chromosomen gleichzeitig auch die linear aneinandergereihten Ahnenplasmen halbiert (Fig. 90 A), und es geht also jede der verschiedenen Qualitäten, die in jedem der individuell verschiedenen Ahnenplasmen enthalten sind, auch auf jeden der beiden Tochterkerne über!). Wenn aber die postulierte Halbierung in der Zahl der Ahnenplasmen stattfinden soll, so muß es nach Weis- mann noch einen anderen Kernteilungsmodus, eine Reduktionsteilung, ge- ben. Diese soll darin be- stehen, daß die einzelnen Chromosomen vor der Kern- teilung nicht der Länge nach Fig. 90. nach nicht erst verdop- pelt werden, sondern sich ungespalten auf die bei- den Tochterkerne verteilen (Fig. 90B). Dann würde jeder der letzteren die Hälfte der Gesamtzahl der Ahnen- plasmen enthalten. Nun hatten einige Be- obachtungen ergeben, daß beiparthenogenetischen Eiern die zweite Reifungs- teilung in Wegfall kommt 2). Schema der Äquations- (A) und Reduktions- Auf der anderen Seite war er Ar zu erwarten, daß bei parthenogenetischen Eiern keine Reduktions- teilung stattfindet, weil es ja hier infolge Ausbleibens der Befruchtung !) Zuerst hat Roux (1884) die Vermutung aufgestellt, daß der Kernteilungsprozeß ein Mittel darstelle, den Kern nicht bloß seiner Masse, sondern auch der Masse und Be- schaffenheit seiner einzelnen Qualitäten nach möglichst genau zu teilen. Vgl. obenS. 136. ?) Von Weismann und Ishikawa wurde dies an parthenogenetischen Daph- nideneiern, von Blochmann an parthenogenetischen Rotatorieneiern nachgewiesen. Bei späteren Untersuchungen stellte es sich heraus, daß in einer Reihe von Fällen auch von parthenogenetischen Eiern zwei Richtungskörper gebildet werden. Vgl. S.68 unten. Haecker, Vererbungslehre. 13 | % 194 Reduktionsteilung. auch nicht zu einer amphimiktischen Verdoppelung der Chromosomen- zahl kommt, und so lag der Schluß nahe, daß bei der amphigonen Fortpflanzung die theoretisch postulierte Reduktionsteilung durch die zweite Reifungsteilung dargestellt werde !). Die Anschauungen Weismanns erhielten bald darauf eine Stütze einerseits durch die Begründung der „Individualitätshypothese“, welche den einzelnen Chromosomen ein hohes Maß von stofflicher und funktioneller Autonomie zuwies, andererseits durch Befunde, Schema der Samenreife bei Ascaris. Frei nach O. Hertwig aus Weismann. A Spermatogonie. B junge Spermatocyte erster Ordnung. C erste Reifungsteilung. D-—F zweite Reifungsteilung. welche bezüglich des Verhaltens der Chromosomen bei den Reifungs- teilungen gemacht wurden. Auf die Individualitätshypothese und auf die genannten Befunde, welche beide für die ganze weitere Entwickelung der Vererbungs- theorie eine große Bedeutung erlangt haben, soll in späteren Kapiteln ?) nochmals zurückgekommen werden. Hier sei nur bemerkt, daß sich Weismann namentlich auf die Beobachtungen am Pferdespulwurm !) Weismann 1887 (Aufsätze, S. 434). ®) Vgl. Kapitel 29, 30. Neukombination der Anlagen. 195 (Ascaris megalocephala) stützen konnte, bei welchem durch Boveri und O. Hertwig tatsächlich eine Halbierung der Chromosomenzahl während der Ei- und Samenreife nachgewiesen worden war, und zwar konnten die vorliegenden Bilder wirklich in dem Sinne gedeutet werden, daß bei der Samen- und Eireife eine Reduktionsteilung stattfindet !). In den Samen- und Eimutterzellen (Spermato- und Ovo- cyten erster Ordnung; findet nämlich z.B. bei der Rasse Ascaris megalo- cephala bivalens zunächst eine Art Verdoppelung der in der Vier- zahl vorhandenen Chromosomen (Fig. 91 A, B) und dann bei den beiden Teilungsschritten eine zweifache Halbierung ihrer Zahl statt (C—F). Wird nun der Verdoppelungsprozeß (B) als ein Längs- spaltungsvorgang, wie er die normalen Kernteilungsakte einzuleiten pflegt, aufgefaßt, so ist ohne weiteres klar, daß sich die eine der beiden Reifungsteilungen als eine Äquations-, die andere als eine Reduktionsteilung präsentiert. Denn die Längsspaltung könnte sich nur auf eine der Teilungen beziehen, für die andere würde kein der- artiger Prozeß zur Verfügung stehen. Speziell bei der Samenbildung (Fig. 91) würden dann die Vor- gänge in folgender Weise zu deuten sein: In der Stammmutterzelle erfolgt in den Prophasen der Teilung die Längsspaltung (B); die Ver- teilung im ersten Reifungsprozeß (C) erfolgt nach diesem Längsspalt, stellt also eine Äquationsteilung dar, und die in die Samentochterzellen gelangenden vier Chromosomen (D) verteilen sich, ohne einen weiteren Längsteilungsprozeß, als solche auf die beiden Samenenkelzellen (E, F). In entsprechender Weise können die Verhältnisse bei der Eireife gedeutet werden. c) Neukombination der Anlagen. * Mit der Zahlenreduktion kann nach Weismann eine Neukombi- nation der Elemente verbunden sein. Wie wir sahen, enthalten im Falle des Pferdespulwurms (Rasse „bivalens“) die beiden Samen- tochterzellen je vier, nach Weismann individuell verschiedene, d. h. aus verschiedenartigen Ahnenplasmen oder Iden zusammengesetzte Chromosomen a,b, c,d. Wenn nun diese mittels der Reduktions- teilung auf die Samenenkelzellen verteilt werden, so gelangen in jede der letzteren zwei Elemente, und zwar sind bei einer Zahl von vier !) Die erste Deutung, welche Weismann (1891, Aufsätze, S.690) diesen Be- funden gab, war etwas komplizierter gefaßt. n 13° 196 Germinalselektion. Chromosomen offenbar sechs Kombinationen von je zwei Elementen möglich: ab, ac, ad, be, bd, cd. Da aber diese sechs Kombinationen sowohl in den männlichen, wie in den weiblichen Geschlechtszellen auftreten können, so werden bei der paarweisen Vereinigung der Keimzellen (Gameten) des nämlichen Elternpaares 6x6 — 36 ver- schiedene Sorten von befruchteten Keimen („Zygoten“ nach der neueren Terminologie) ihre Entstehung nehmen können. Mit der Normalzahl der Chromosomen wächst natürlich die Zahl der für die einzelnen Geschlechtszellen möglichen Kombinationen. Bei 8 Chromosomen beträgt sie 70, bei 12 4096, bei 16 12870!). Es würden also beim Menschen, dessen Fortpflanzungszellen nach neueren Angaben ?) 12 oder 16 Chromosomen enthalten, in den Zygoten 4096 x 4096 bzw. 12870 x 12870, also rund 16,8 oder 165,6 Millionen Kombinationen möglich sein. Die Wahrscheinlichkeit, daß sich dieselbe Kombination in zwei oder mehreren Zygoten wiederholt, ist also außerordentlich gering, und es ist daher nach Weismann nicht zu verwundern, wenn unter den successiven Kindern eines menschlichen Elternpaares wohl noch niemals identische beobachtet worden sind. d) Germinalselektion. Eine der Grundlagen der Weismannschen Vererbungshypothesen ist, wie gezeigt wurde, die Annahme einer Verschiedenheit der einzelnen in den Kernen der Geschlechtszellen nebeneinanderliegen- den Vererbungseinheiten (Ide, Ahnenplasmen) und damit auch ihrer Träger, der Idanten oder Chromosomen. Es fragt sich nun, wie kommt diese Verschiedenheit der Ide und damit der Chromo- somen zustande? Nach Weismann sind die Ide, also diejenigen kleinsten Ein- heiten des Keimplasmas, welche gerade noch sämtliche Anlagen der Art enthalten, aus einzelnen Teilchen, den Bestimmungsstücken für die einzelnen äußeren Merkmale oder Determinanten, zu- sammengesetzt, welche ihrerseits aus bestimmten Gruppierungen von Biophoren, d. h. den niedersten, mit den Fähigkeiten der Assimila- tion, des Wachstums und der Vermehrung eben noch begabten Lebens- einheiten, bestehen 3). !) Vgl. Weismann 1891 (Aufsätze, S. 716). ?) Siehe oben S. 114. ®) Vgl. Weismann, Keimplasma, S.71. Vgl. auch oben S.25. a Die u Germinalselektion. 197 Durch die Anwesenheit und Beschaffenheit der Determinanten ist das Auftreten bestimmter Charaktere im werdenden Organismus bedingt, derart, daß die einzelne Determinante je die Anlage einer selbständig variabeln Eigenschaft darstellt, und ebenso wie die erblichen Variationen des Individuums selber in Variationen der ganzen Ide ihren Ursprung haben, so beruhen also die erb- lichen Variationen einzelner Körperteile und Körpereigenschaften auf Variationen der Determinanten. In jedem Geschlechtszellenkern sind natürlich für jedes Organ und für jede Körpereigenschaft mehrere Determinanten vorhanden, nämlich ebenso: viele als Ide, da ja jedes Id einen aus sämtlichen Determinantensorten der Spezies bestehenden Komplex darstellt. In dem jungen Organismus, der aus der Geschlechtszelle hervorgeht, wird im allgemeinen ein bestimmter Körperteil oder eine bestimmte Körper- eigenschaft dann variieren, wenn die Majorität der betreffenden Determinanten abgeändert is. Wie kommen also die Abänderungen der Determinanten und damit diejenigen der lde (Ahnenplasmen), der Idanten (Chromosomen) und des ganzen Keimplasmas zustande? Wie Weismann in Anlehnung an. Roux’ Vorstellung von dem Kampf der Teile im Organismus annimmt, besteht in jedem organischen System ein Konkurrenzkampf?): so wie zwischen den einzelnen Personen die Selektion wirksam ist (Personalselektion) und ebenso wie nach Roux zwischen den einzelnen Geweben und Zellen Ausleseprozesse stattfinden (Histonalselektion, Intra- selektion), so findet während der Entwickelung der Geschlechts- zellen auch zwischen den verschiedenen Determinanten einer Ge- schlechtszelle ein Kampf um die zuströmende Nahrung statt, und zwar in erster Linie zwischen den homologen Determinanten ver- schiedener Ide?2), dann aber auch zwischen den nichthomologen Determinanten eines und desselben Ids3). Auf der ungleichen "Ernährung und auf dem damit zusammenhängenden Ausleseprozeß, auf der Germinalselektion, beruhen aber die Verschiedenheiten der Determinanten, und zwar glaubt Weismann zeigen zu können, daß, wenn einmal eine Plus- oder Minusvariation entstanden ist, diese Abänderung beim Eingreifen bzw. beim Ausbleiben !) Vgl. Weismann 1894, 1896. 2) Weismann S.34 (1896). ®?) Weismann, 2.Bd., S.129 (1904). Vgl. auch Thomson S.471 (1908). 198 Erbungleiche Teilungen. der Personalselektion eben auf Grund des intragerminalen Kon- kurrenzkampfes in stetiger Weise nach der Plus- bzw. Minusseite fortschreiten muß). e) Zerlegung des Keimplasmas in der Ontogenese. Die Determinantenlehre versucht auch das zweite Hauptproblem der Vererbung?) zu lösen, die Frage, durch welche Kräfte und Mechanismen die Vererbungstendenzen beim Aufbau des neuen Organismus zur Entfaltung gebracht werden. Nach Weismann sind innerhalb der einzelnen Ide die ver- schiedenen Determinanten, also die Bestimmungsstücke für die ein- zelnen selbständig variabeln Merkmale, fest lokalisiert und in be- stimmter Weise zusammengefügt, so wie z. B. die verschiedenen Atomgruppen im Benzolring durch eine typische Architektonik mit- einander verbunden sind. Bei der Teilung des Eies wird nun durch einen vorausbestimmten und geregelten Mechanismus das Keimplasma in der Weise auseinandergelegt, daß auf Grund „erbungleicher“ Teilungsprozesse die einzelnen Determinantengruppen und Determi- nanten jeweils denjenigen Zellen zugewiesen werden, für welche sie die Bestimmungsstücke bilden. So würden z.B. bei der ersten Teilung des Eies des Pferdespulwurms (S.62, Fig.28) die Determi- nantengruppen für einen Teil des Ektoderms in die eine der beiden ersten Blastomeren (S,-Zelle), die Determinanten für Entoderm, Meso- derm, Stomodäum (Anlage des Vorderdarms) und Geschlechtsapparat, sowie für einen weiteren Teil des Ektoderms in die andere (P;,-Zelle) eintreten und eben durch diese Verteilung das Schicksal, die „pro- spektive Potenz“ der beiden Zellen bestimmen. Bei der zweiten Teilung findet dann abermals auf Grund einer erbungleichen Teilung die Zerlegung des Determinantenkomplexes P, in zwei ungleiche Determinantengruppen statt. Die Determinanten für Entoderm, Meso- derm und Stomodäum treten in die eine Zelle (EMSt-Zelle), die für die Geschlechtselemente und einen Teil des Ektoderms in die andere (P,-Zelle). Nicht bei jedem Kernteilungsprozeß findet eine unsymmetrische erbungleiche Zerlegung der Determinantenkomplexe statt. Wenn es sich nämlich um die Bildung einer größeren Zahl gleichartiger !) Näheres bei Weismann 1896 und 1904. ®) Vgl. S.122. Erbungleiche Teilungen. 199 Zellen handelt, wenn z. B. aus der Urzelle eines Sinnesepithels die verschiedenen gleichartigen Sinneszellen ihre Entstehung nehmen sollen, so finden erbgleiche Kernteilungen statt, d. h. während des Kernwachstums und der Vorbereitung zur Teilung tritt innerhalb der einzelnen Ide eine Verdoppelung der Determinanten ein und bei der Durchteilung der Ide werden die so gebildeten Schwesterdeterminanten in symmetrischer Weise auf die beiden Tochterkerne verteilt. Es ist nochmals daran zu erinnern, daß nach der Hypothese von der Kontinuität des Keimplasmas in einer bestimmten Reihenfolge von Zellen, in der sogenannten Keimbahn, das Keimplasma in unver- änderter Weise fortgeführt wird. In die Sprache der Determinanten- lehre übersetzt, heißt dies, daß bei der Abgliederung der Keimbahn- zellen von den Somazellen eine asymmetrische Teilung der Ahnen- plasmen stattfindet, derart, daß die ersteren jeweils den ganzen Determinantenkomplex, die letzteren nur die ihrer prospektiven Potenz entsprechenden Determinanten mit auf den Weg erhalten. Bezüglich der Art und Weise, wie die Bestimmung der Zellen durch die Kernsubstanz vor sich geht, so können von vornherein verschiedene Annahmen gemacht werden !). Es könnte sich entweder um eine energetische Beeinflussung des Zellprotoplasmas durch die Kernsubstanz handeln, um eine Übertragung von Bewegungsformen, in ähnlicher Weise, wie man sich früher die Erregung des Eiplasmas durch das eindringende Spermatozoon gedacht hat, oder es könnte die Bestimmung durch Enzyme (Fermente) erfolgen, die vom Kern gebildet und an das Zellplasma abgegeben werden (Haberlandt), oder es könnten Stoffteilchen, die aus dem Kern ins Zellplasma aus- wandern, direkt bei den Stoffwechselvorgängen und fermentativen Tätigkeiten der Zelle beteiligt sein. Letzteres wurde vielfach für die vielumstrittenen Chromidien?) angenommen, färbbare, in verschie- denen Protozoen- und Metazoenzellen beobachtete Körnchen, welche von der Chromatinsubstanz des Kernes abstammen und aus dem Kern in das Zellplasma überwandern sollen (R. Hertwig, Goldschmidt). Weismann selbst lehnt sich an eine Auffassung an, welche H. de Vries in seiner „Intrazellularen Pangenesis“ vertreten hat und derzufolge die kleinsten Lebenseinheiten, die Pangene, aus dem Kern in das !) Vgl. Weismann, Keimplasma, S.61. 2) Vgl. besonders R. Hertwig 1902, Goldschmidt 1904, 1907. Auf botani- schem Gebiete vgl. Lundegärd, Literaturverzeichnis 14, L. Digby, Ann. Bot., Vol. 23, 1909. 200 Literaturverzeichnis 19. Cytoplasma übertreten und sich in die einzelnen Zellteile umwandeln sollen. Nach Weismanns spezieller Anschauung würden sich die kleinsten Lebensteilchen, die Biophoren, von den Determinanten- gruppen loslösen und nach Auswanderung in den Zellleib die be- sonderen Differenzierungen, z. B. in den Muskelzellen die Abscheidung der kontraktilen Substanz, hervorrufen. Literaturverzeichnis zu Kapitel 19. Boveri, Th., Zellstudien. II. Jenaische Zeitschr., 21. Bd., 1887. Goldschmidt, R., Die Chromidien der Protozoen. Arch. Prot., 5. Bd., 1906. —, Der Chromidialapparat lebhaft funktionierender Gewebszellen. Zool. Jahrb., 21. Bd., Anat., 1904. —, u. Popoff, M., Die Karyokinese der Protozoen und der Chromidialapparat usw. Arch. Prot., 8. Bd., 1907. Hertwig, O., Vergleich der Ei- und Samenbildung bei den Nematoden. Arch. f. mikr. Anat., 36. Bd., 1890. Hertwig, R., Die Protozoen und die Zellentheorie. Arch. Prot., 1. Bd., 1902. Roux, W., Der Kampf der Teile im Organismus. Leipzig 1881. Thomson, J. A., Heredity. London 1908. Vries, H. de, Intrazellulare Pangenesis. Jena 1889. Weismann, A., Die Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung für die Selektions- theorie. Jena 1886. —, Über die Zahl der Richtungskörper und über ihre Bedeutung für die Vererbung. Jena 1887. —, Amphimixis oder die Vermischung der Individuen. Jena 1891. —, Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena 1892. —, Äußere Einflüsse als Entwickelungsreize. Jena 1894. —, Über Germinalselektion, eine Quelle bestimmtgerichteter Variation. Jena 1896. —, Vorträge über Deszendenztheorie. 2. Aufl. Jena 1904. Zwanzigstes Kapitel. Kritik der Anschauungen von Weismann. O.Hertwigs Theorie der Biogenesis. Die Hypothesen Weismanns haben auf der einen Seite, so namentlich durch gewisse Beobachtungen und theoretische Vorstel- lungen von Roux!) eine Unterstützung gefunden, auf der anderen Seite ist durch sie eine lebhafte Opposition wachgerufen worden 2). Die gegensätzlichen Anschauungen beziehen sich vor allem auf den Bau der Vererbungssubstanz und aufihr Verhalten bei der Entwickelung. Man pflegt diese Gegensätze durch die Wort- paare Determinantenlehre (Korpuskularhypothese) und chemische Vererbungslehre, Neo-Evolutionismus und neo-epigene- tische Theorien zu bezeichnen. Nach der Determinanten- oder Korpuskularhypothese Weismanns u. a. sind die Einheiten der Vererbungssubstanz, die Ide, ihrerseits aus Lebenseinheiten niedrigerer Ordnung, den Deter- minanten und Biophoren zusammengesetzt, welche die räumlich getrennten Anlagen der einzelnen selbständig variabeln Eigen- schaften darstellen und selbst Komplexe von Molekülen bilden 3). Auf der anderen Seite steht die chemische Vererbungshypothese a outrance (Miescher) oder Konstitutionshypothese®), welche einen verhältnismäßig einfachen Bau des Protoplasmas annimmt und seinen Einheiten den Wert von außerordentlich komplizierten Mole- !) Über Roux’ „Mosaiktheorie“ vgl. seine im Literaturverzeichnis aufgezählten Schriften. 2) Genauere historische Daten finden sich bei OÖ. Hertwig, Zelle und Gewebe, 23B02.92207: ®) Eine etwas modifizierte, zur chemischen Vererbungshypothese überführende Annahme hat R. Fick gemacht. *) Unter konstitutiven Eigenschaften verstehen die Chemiker solche, welche von der Architektonik des Moleküls abhängig sind und mit dieser wechseln, im Gegen- satz zu den additiven, welche sich aus den Eigenschaften der einzelnen Bestand- teile der Verbindung summieren. 202 Gründe gegen die Kontinuitätslehre. külen zuschreibt (vgl. Kapitel 4). Die einzelnen selbständig variabeln Eigenschaften des Organismus (z. B. die Zeichnungsflecke auf den Schmetterlingsflügeln) sind aber nicht an bestimmte Körperchen oder Atomgruppen gebunden, sondern an die Verbindung als Ganzes. So wie sich z. B. Benzol und Phenol durch eine OH-Gruppe unter- scheiden und dieser Unterschied sich in den Anderungen einer ganzen Reihe von Eigenschaften (Geruch, Farbe, spezifisches Gewicht, Reak- tionsweise) äußert, so werden durch verhältnismäßig geringfügige Änderungen in der Konstitution des Plasmamoleküls auch Abände- rungen in der Kombination der äußeren Eigenschaften des Organismus bedingt ?). Gegenüber den Anschauungen Weismanns, welche sich auf das Verhalten der Vererbungssubstanz bei der Entwicke- lung beziehen und teils schon in der Kontinuitätslehre, teils in der Determinantenhypothese ihren Ausdruck gefunden haben, ist auf die außerordentliche Regenerationskraft vieler pflanzlicher und tie- rischer Organismen, auf ihr Vermögen, nach Verletzungen die ursprüng- liche Form und verloren gegangene Körperteile wiederherzustellen, sowie auf die Erscheinungen der ungeschlechtlichen Vermehrung hin- gewiesen worden. Die Fähigkeit des Süßwasserpolypen, aus Teil- stücken, die nur Ygoo des ursprünglichen Körpervolumens betragen, den ganzen Körper wiederherzustellen, die außerordentlich weitgehende Regenerationskraft verhältnismäßig hochdifferenzierter Tiere, wie es die Strudelwürmer (Planaria) und Seesterne sind, das Vermögen mancher Pflanzen, z. B. Begonia und Torenia, an scheinbar beliebigen Punkten der Blätter und von äußerlich nicht erkennbaren Vegetations- punkten aus Sprosse zu entwickeln 2), alle diese Erscheinungen sprechen, wie OÖ. Hertwig, H. Spencer, Driesch und manche andere be- tont haben, gegen die Grundannahme der Kontinuitäts- und Deter- minantenlehre, wonach das Keimplasma während der Ontogenese nur in den Keimbahnzellen unverändert bleibe, dagegen in allen anderen Zellen eine immer weiter gehende Zerlegung und Spezialisierung der Anlagenmasse stattfinde. Vielmehr scheinen, wie hervorgehoben wird, !) Vgl. hierzu Miescher (1897, 1. Bd., S. 117), Herbst (1906, S. 290), Baur, (1908, S, 287), Giglio-Tos u. a. Auch ich selbst habe innerhalb bestimmter Grenzen diese Anschauung vertreten (Erg. u. Fortschr. d. Zool., 1.Bd., S. 37, 1907). ®) Vgl. hierzu O. Hertwig, Zelle und Gewebe, Morgan 1901, Driesch 1901, und seine Referate in den Ergebn. d. An. u. Entw., 8., 11, 14., 17. Bd., 1898—1907; Korschelt 1907. Bd ee an ENTER. NONE TLDR Theorie der Biogenesis. 203 die genannten Tatsachen zu beweisen, daß sämtliche Zellen des Organismus Träger des vollständigen Idioplasmas sind. Insbesondere hat O. Hertwig in seiner Theorie der Bio- genesis!) den Standpunkt vertreten, daß keine erbungleiche Teilungen existieren und daß also während der Ontogenese keine Zerlegung der Erbmasse stattfindet. Die tatsächlichen Verschieden- heiten der Gewebszellen, wie sie in der Bildung bestimmter Plasma- produkte (kontraktile Substanz, Interzellularsubstanzen, Gallenfarbstoffe, Fette, Pepsin usw.) äußerlich hervortreten, werden vielmehr nach O. Hertwig dadurch hervorgerufen, daß unter dem Einfluß ein- seitig angreifender äußerer Faktoren, z. B. der Schwerkraft, oder unter der Wirkung innerer Faktoren, z. B. der Wechselwirkung benachbarter Zellen, bald diese, bald jene Anlagen mehr ausgebildet und zur Entfaltung gebracht werden ?). Der Gegensatz zwischen der Lehre von Weismann einerseits und derjenigen von OÖ. Hertwig andererseits besteht also im wesent- lichen im folgenden. Nach der Ansicht des ersteren ist jede Eigen- schaft und jeder Körperteil des aus der Keimzelle entstehenden Orga- nismus im Keimplasma durch bestimmte Teilchen vorgebildet, und die Ontogenese besteht daher im wesentlichen in dem „Sichtbar- werden unsichtbarer Mannigfaltigkeiten“. Die Lehre von Weis- mann kann also als eine evolutionistische (neo-evolutionistische) bezeichnet werden und stellt, allerdings in ganz neuem Kleide, eine Fortsetzung der Evolutions- oder Präformationstheorie von Haller und Bonnet dar, welche annahmen, daß das neue Indivi- duum nicht bloß der Materie nach, sondern auch schon in seiner wesentlichen Form im Keim und damit im elterlichen Organismus vorgebildet sei. Im Gegensatz dazu würde nach der Auffassung von ©. Hertwig, Driesch u. a. ein verhältnismäßig einfacher Bau der Keimzellen und der Vererbungssubstanz anzunehmen sein, alle Zellen erhalten die nämliche Vererbungssubstanz, und die Entwickelung voll- zieht sich demnach unter wirklicher Produktion von Mannigfaltig- keiten, indem jede einzelne Entwickelungsstufe die eigentliche Ursache der nächsten, noch komplizierteren darstellt und dieselbe !) Zelle und Gr 2:.Bd.,: 8.75%, ?) Zelle und Gewebe, 2. Bd., S. 66 und a. a. O. Damit steht auch die im 5. Kapitel erwähnte Auffassung in enger Berührung, daß auf jeder Entwickelungs- stufe die Form des ganzen Zellenaggregats Charakter und Schicksal der einzelnen Zellen bestimme. 204 Regenerationsvermögen als Anpassungserscheinung. gewissermaßen als eine Neubildung hervorruft. Man kann also diese Auffassung als eine epigenetische (neo -epigenetische) bezeichnen, insofern sie manche Berührungspunkte mit den Anschauungen der alten Epigenetiker oder Postformisten, vor allem K. F. Wolffs und Blumenbachs zeigt, welche jede Zeugung für einen wirklichen Neubildungsakt ansahen !). Der Gegensatz zwischen der „neo-evolutionistischen“ und der „neo-epigenetischen“ Auffassung hat dann weiterhin zu leb- haften und anregenden Erörterungen geführt, und es sind bei den sich anschließenden Untersuchungen eine Menge von Tatsachen zutage gefördert worden, welche bald mehr die eine, bald mehr die andere Auffassung zu stützen scheinen. Die Diskussion drehte sich dabei im wesentlichen um folgende Punkte: 1. Zunächst hat Weismann?) die aus den Erscheinungen der Regeneration und ungeschlechtlichen Fortpflanzung abgeleiteten Ein- wände gegen die Zerlegungstheorie durch den Hinweis auf die ungleiche Verbreitung der Regenerationsfähigkeit zu widerlegen versucht. Nach Weismann lehren die Tatsachen, daß nicht alle Organismen die nämliche Regenerationskraft besitzen, und daß offenbar das Regenerationsvermögen keine primäre Eigenschaft der Organismen, sondern eine sekundäre, im Laüfe der Stammesgeschichte erworbene Anpassungserscheinung darstelle, die im wesentlichen nur solchen Körperteilen zukommt, welche Verletzungen und Schädigungen anderer Art besonders ausgesetzt sind. So seien z. B. bei den urodelen Amphibien, welche seit den Versuchen Spallanzanis eines der klassischen ‚Beispiele der Regenerationsfähigkeit bilden, Lunge und Hoden nicht oder kaum regenerationsfähig, offenbar weil sie seltener als die Beine, Schwanzflossen, Kiemen und Augen in die Lage kommen, verletzt zu werden. Wenn nun das Regenerationsvermögen eine sekundäre Anpassungserscheinung darstellt, dann wird auch der idio- plasmatische Mechanismus, auf welchem jenes beruht, sekundärer Art sein, und zwar besteht er nach Weismann darin, daß den regene- rationsfähigen Geweben und Zellen außer den Determinanten, welche im normalen Entwickelungsverlauf ihre Ausbildung beherrschen, noch ein Nebenidioplasma mit Ersatzdeterminanten (Reserve- ') Vgl. u. a. Weismann, Vorträge, 1.Bd., S.287; Korschelt und Heider, Allgemeiner Teil, S. 83. *) Vgl. besonders Keimplasma, S. 124; Vorträge, 2. Bd., S.20 u. 21. re a rn Entwickelungsmechanische Beobachtungen. 205 idioplasson nach Roux) zugeteilt wird, welches nur bei ein- tretenden Störungen aktiv wird, eine Vorstellung, welche bereits früher in ähnlicher Weise durch Roux vertreten worden war!). Diesen Ausführungen gegenüber konnte freilich darauf hingewiesen werden, daß z. B. beim Menschen auch weniger exponierte Teile, wie Schilddrüse, Lymphdrüsen, Leber und Niere, in größerem oder ge- ringerem Maße regenerationsfähig sind (Ribbert)2), und daß Ähn- liches auch für manche Tiere gilt. Auch von botanischer Seite hat Vöchting auf Grund seiner Experimente mit Araucaria hervor- gehoben, daß Sprossen einer Pflanze zum Bewurzeln und zur Aus- bildung gebracht werden können, ohne daß nur die geringste Wahr- scheinlichkeit dafür vorhanden ist, dieser Vorgang könne sich in der freien Natur ebenso vollziehen, und so muß mindestens so viel zu- gegeben werden, daß das Regenerationsvermögen nicht überall, wo es vorkommt, den Charakter einer Anpassungserscheinung hat. 2. Widersprüche ähnlicher Art ergaben sich auch bei der experi- mentellen (entwickelungsmechanischen) Untersuchung tierischer Eier. Auf der einen Seite stehen solche Eier, deren erste Furchungszellen, wenn sie durch mechanische Einwirkung isoliert werden, nur „Teil- bildungen“ (Halbembryonen mit einseitig ausgebildeter linker oder rechter Körperhälfte, Halb- und Viertellarven, Defektbildungen mehr unregelmäßiger Art) aus sich hervorgehen lassen und also auf eine frühzeitige Spezifizierung des Anlagenmaterials im Sinne von Weis- manns Zerlegungshypothese hinweisen, auf der anderen Seite gibt es Formen, deren erste Blastomeren sich nach Isolierung ganz wie das normale Ei weiterfurchen und dementsprechend Zwerglarven (zwerg- hafte Ganzlarven) mit allen Merkmalen der normalen Larve aus sich hervorgehen lassen, ein Verhalten, das mehr für eine Äquipotenz der Furchungszellen im Sinne ©. Hertwigs zu sprechen scheint 3). !) Nach Roux deutet die hohe Regenerationsfähigkeit mancher tierischen Objekte darauf hin, daß „die Zellen nicht durch und durch an ihre spezifische Funk- tion angepaßt sind, sondern daß jede, sei es im Kern oder im Protoplasma, noch einen Rest wirklichen embryonalenStoffes (Reserveidioplasson) enthält, welcher in Tätigkeit tritt, sobald und soweit er nicht mehr durch den Widerstand der physio- logischen Umgebung daran verhindert wird“. Vgl. Roux 1881, 1893. ®2) Bezüglich der Literatur vgl. Korschelt, S.254 (1907). ®) Beispiele für den ersteren Typus bilden die Ctenophoreneier, für den letz- teren die des Amphioxus und der Medusen. Bei den Echinodermen furchen sich die isolierten Blastomeren zunächst so, als ob sie sich im normalen Verband befänden, später setzen aber regulatorische Prozesse ein, welche bewirken, daß die Teilstücke 206 « Histologische und zellteilungstheoretische Gegensätze. 3. Auch auf histologischem Gebiet liegen keine einheitlichen Ergebnisse vor. Bei einigen Formen (Ascaris, Kopepoden) ist eine frühzeitige histologische Sonderung der Keimbahnzellen von dem übrigen embryonalen Zellenmaterial schon während der ersten Ent- wickelungsstadien festzustellen (S. 61), und keine Beobachtung steht bis jetzt der Vermutung im Wege, daß der histologischen Differenzie- rung auch eine solche der Potenzen entspricht, daß also hier die Kontinuität des Keimplasmas und die Spaltung der Anlagen im Sinne Weismanns einen sichtbaren Ausdruck findet!. Bei anderen Formen dagegen, z. B. bei vielen Wirbeltieren, scheint eine durch histologische Merkmale charakterisierte, vom befruchteten Ei bis zur Greschlechtsanlage führende Keimbahn nicht zu bestehen, ein Ver- halten, welches wieder mehr die epigenetische Auffassung zu stützen scheint. 4. Vom zellteilungstheoretischen Standpunkt aus kann zugunsten der Annahme erbungleicher Teilungen im Sinne Weis- manns angeführt werden, daß, wie Giglio-Tos2) in einleuchtender Weise auseinandergesetzt hat, vom chemischen Standpunkt eine unsymmetrische Teilung so hochorganisierter Atomkomplexe, wie es sicherlich die chemischen Einheiten des Plasmas sind, viel wahr- scheinlicher ist, als eine symmetrische Zerlegung. Für die Hert- wigsche Auffassung von der Ubiquität erbgleicher Teilungen da- gegen spricht, daß bisher, abgesehen von den Mitosen der mit Hetero- chromosomen ausgestatteten Samenelemente®), bisher keinerlei Zell- teilungen zur Beobachtung gelangt sind, bei welchen die primäre Ursache für die Verschiedenheit der Tochterzellen auf eine in äußer- lich sichtbarer Weise ungleiche Teilung der Kernsubstanz zurück- geführt werden könnte. Alles in allem lassen sich zurzeit von keinem der beiden Stand- punkte aus sämtliche vorliegenden Tatsachen in vollkommen be- friedigender Weise zusammenfassen. Aber vielleicht ist es doch mög- lich, bei Berücksichtigung einiger neuerdings in die Protoplasma- und Zellenlehre hereingetragener Vorstellungen wenigstens die Beobach- sich schließlich doch zu normalgestalteten Zwerglarven weiterentwickeln. Vgl. im übrigen Korschelt und Heider, Allgemeiner Teil, S.8ı (Kap. II: Das Determina- tionsproblem). !) Vgl. auch Demoll (Literaturverzeichnis 14). *) 1. Bd. S. 48. ®) Siehe oben S. 104. Molekulare Grundlagen der Regeneration. 207 tungen auf dem Gebiete der Regeneration in etwas anderer Weise miteinander zu verbinden und damit einen Ausgleich zwischen den einander gegenüberstehenden Anschauungen anzubahnen !). . Wenn man von der Voraussetzung ausgeht, daß die Einheiten der Vererbungssubstanz, mag es sich um Molekülgruppen oder um besonders große Moleküle handeln, nicht ein starres Gefüge besitzen, sondern daß mindestens ihre peripheren Teile bei aller Festhaltung der Spezifität des Baues, sei es bei der Vorbereitung zur Teilung, sei es während der Funktion, regelmäßige Veränderungen erfahren, wenn man insbesondere mit Giglio-Tos annimmt, daß die Konsti- tution der Vererbungssubstanz eine Art von Zyklus durchläuft, der im allgemeinen vom Zustand der ruhenden Zelle A zum Zustand der Teilungsreife B und durch die Meta- und Telophasen wieder zurück zum Zustand A führt, so wird man mindestens dreierlei Verände- rungen für möglich halten müssen: ı. daß bei der Teilung der Zu- ‚stand B, statt zweier gleicher Produkte bb, zwei ungleiche b’b” liefert (erbungleiche Teilung), 2. daß nach erfolgter Teilung in einer oder in beiden Tochterzellen der Zustand der Mutterzelle A nicht mehr vollständig erreicht wird (Entwickelungshemmung), 3. daß in einer Zelle durch die Funktion selbst oder durch die Umgebung der Zustand A abgeändert wird (epigenetische Veränderung). In allen diesen Fällen wird es nun offenbar vom Grade der Veränderung abhängig sein, ob sie eine dauernde, irreparable ist, oder ob vielleicht durch irgend einen im Organismus gelegenen Faktor oder auch durch eine äußere Ursache, z. B. durch den von einer Verletzung ausgehenden Reiz, die Vererbungssubstanz veranlaßt wird, ihren typischen Zustand wiederherzustellen. Im ersten Falle, d.h. wenn die Modifikation irreparabel ist, wird das Regenerationsvermögen dem Organismus selber fehlen oder unvollständig sein, im letzteren Falle bestehen zwei Möglichkeiten: entweder ist die Fähig- keit zur Wiederherstellung durch Selektionsprozesse fixiert und besonders stark ausgebildet, so daß die betreffenden Zellen bei einer Deformation des Körpers regelmäßig die Konstitution und die Potenzen der Keimzellen erlangen und so den Ausgangspunkt für Regenerationsprozesse bilden (adaptatives Regenerations- '!) Einen Ausgleich zwischen den evolutionistischen und epigenetischen An- schauungen hat neuerdings auch Rignano (Literaturverzeichnis 15/16) in seiner Hypothese der Zentroepigenese herzustellen versucht. Vgl. auch S. Becher, Biol. Centralbl., 19. Bd., 1909. 208 Literaturverzeichnis 20. vermögen), oder es wird die Fähigkeit zur Wiederherstellung des Zustandes A eine schlummernde sein und in der Natur überhaupt nicht oder nur äußerst selten, wohl aber bei künstlichen Eingriffen zur Entfaltung kommen können (nicht-adaptatives Regenera- tionsvermögen). Literaturverzeichnis zu Kapitel 20. Baur, E., Einige Ergebnisse der experimentellen Vererbungslehre. Beih. d. Med. Klinik, 4. Jahrg., 1908. Blumenbach, J. F., Über den Bildungstrieb. Göttingen 1791. Bonnet, K., Betrachtungen über die organisierten Körper, übers. von A. E. Göze, Lemgo 1775. Delage, Y., siehe Literaturverzeichnis 14. Driesch, H., Die organischen Regulationen. Leipzig 1901. —, Referate in Merkel und Bonncts Ergebnissen der Anatomie und Entwicke- lungsgesch. 8., 11., 14., 17. Bd., 1898— 1907. Giglio-Tos, E., Les problemes de la vie. I—1V. Turin und Cagliari 1900—1910. Haller, A. v., Elementa physiologiae corporis humani. Lausanne 1757—1766. Herbst, C., Vererbungsstudien. I—III. Arch. f. Eutw.-Mech., 21. Bd., 1906. Hertwig, O. Die Zelle und die Gewebe. I—II. Jena 1893 — 1898. —, Zeit- und Streitfragen der Biologie. I. Präformation oder Epigenese? Jena 1894. Korschelt, E. Regeneration und Transplantation. Jena 1907. — und Heider, K., siehe Literaturverzeichnis 71. Miescher, F. Histochemische und physiologische Arbeiten. Leipzig 1897. Morgan, T. H., Regeneration. New York 1901. Übers. von M. Moßkowski, Leipzig 1907. Rignano, E., siehe Literaturverzeichnis 15/16. Roux, W., Der Kampf der Teile im Organismus. Leipzig 1881. Ges. Abhand- lungen, 1. Bd., Nr. 4. —, Einleitung zu den Beiträgen zur Entwickelungsmechanik des Embryo. Zeitschr. f. Biol., 21. Bd., 1885. —, Über Mosaikarbeit und neuere Entwickelungshypothesen. Anat. Hefte von Merkel-Bonnet 1893. Ges. Abhandlungen, 2. Bd., Nr. 27. —, Über die Spezifikation der Furchungszellen usw. Biol. Centralbl., 13. Bd., 1893. Ges. Abhandlungen, 2. Bd., Nr. 28. —, Gesammelte Abhandlungen. ı. und 2.Bd. Leipzig 1895. Vöchting, H., Über die Regeneration der Araucaria excelsa. Jahrb. d. wissensch. Bot., 40. Bd., 1904. Weismann, A. Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena 1892. — , Vorträge über Deszendenztheorie. 2. Aufl. Jena 1904. Wolff, K. F., Theorie von der Regeneration. Berlin 1764. —, Theoria generationis. Halle 1774. IV. Teil. Experimentelle Bastardiorschung. Einundzwanzigstes Kapitel. Allgemeines über Bastarde. Die Erforschung der Vererbungserscheinungen hat sich, wie ge- zeigt wurde, im Laufe der achtziger und neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts hauptsächlich in zwei Richtungen bewegt: es wurde versucht, das materielle Substrat der Vererbungsvorgänge und die cytologischen Prozesse, welche ihnen zugrunde liegen, kennen zu lernen, und ferner wurde die alte, bei den Züchtern, Ärzten, Biologen und Laien weitverbreitete Ansicht, daß erworbene Eigenschaften ver- erbt werden, der Kritik und experimentellen Prüfung unterworfen. Daß die Anregung zu eingehender Behandlung dieser beiden Probleme zu einem großen Teil von der Aufstellung und Begründung der Lehre von der Kontinuität des Keimplasmas ausging, wird heute auch von den Gegnern dieser Theorie anerkannt. Einen neuen gewaltigen Anstoß erhielt die Vererbungsforschung zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch die Wiederentdeckung der Mendelschen Bastardierungsregeln. Schon vorher war allerdings der Grund zu einer wissenschaft- lichen Bastardlehre als einem selbständigen Zweig der Biologie ge- legt worden, ja man kann sagen, daß ihre ersten Anfänge bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts zurückreichen, in die Zeit, als Kölreuter (1761) durch Kreuzungsversuche den ersten exakten Be- weis für die Sexualität der Pflanzen lieferte. Indessen haben beinahe alle Nachfolger Kölreuters, so John Hunter, Knight, Gärtner, Naudin, Wichura und vor allem Darwin, bei der Untersuchung der Pflanzen- und Tierbastarde weniger das Problem der Ver- Haecker, Vererbungslehre. 14 210 Bastardforschung und Artbildungslehre. erbung als solches, als vielmehr die Frage nach den Verwandt- schaftsbeziehungen der Arten im Auge gehabt. Noch am Ende des 19. und zu Anfang des 20. Jahrhunderts hat einer der ersten Zoologen, der nach Darwin in zielbewußter Weise und in großem Maßstabe Kreuzungsversuche angestellt hat, Standfuß, auf diesem Wege in erster Linie die Frage zu lösen versucht, ob zwei einander nahe- stehende Formen getrennte, distinkte Arten oder nur Varietäten dar- stellen !); in derselben Weise wollte Kühn in Halle mittels seiner ausgedehnten Kreuzungsversuche den Grad der Blutsverwandtschaft der Wildrinder und Wildschafe ermitteln, und um die gleiche Zeit hat auch H. de Vries auf den ersten Seiten seiner „Elementaren Bastardlehre“ die Frage nach den systematischen Einheiten und die Möglichkeit, mittels der Bastardierungen Arten und Varietäten zu unterscheiden, in den Vordergrund gestellt?2). In der Regel wurde dann von den älteren und neueren Forschern als ein wichtiges Kri- terium für die Artverschiedenheiten die mangelnde Fortpflanzungs- fähigkeit der Kreuzungsprodukte angesehen, und so findet man denn auch heute noch in fast allen Lehrbüchern die Tatsachen der Bastard- forschung im Anschluß an die Behandlung des Artbegriffes auf- gezählt. Nun haben allerdings schon Darwin, de Vries, Nägeli» Weismann u. a. die Bedeutung der Bastardforschung für die Ver- erbungslehre genau erkannt und bei der Begründung ihrer Ver- erbungshypothesen das vorliegende Beobachtungsmaterial in ausgiebiger Weise herangezogen, aber trotzdem wird man sagen dürfen, daß der enge Zusammenhang zwischen Bastardforschung und Vererbungslehre erst durch die Aufstellung der Mendelschen Regeln in das volle Licht gerückt worden ist. Aus der vormendelschen Periode der Bastardforschung ist aber doch von der neueren Forschung eine Anzahl von Erfahrungen, Unterscheidungen und Begriffen übernommen worden, auf welche hier kurz eingegangen werden soll. Man hat früher, namentlich unter dem Einfluß Fockes, eine Unterscheidung zwischen Mischlingen, Bastarden (Hybriden) und Blendlingen vorgenommen. Als Bastarde wurden die Kreuzungs- produkte verschiedener Arten, als Blendlinge diejenigen verschie- dener Varietäten bezeichnet, während man mit dem Namen Misch- ı) Vgl. Standfuß 1896. ®) De Vries, S.8 (1903). Verwandtschaftsgrad der Eltern. Konstante Bastardrassen. 211 linge beide Kategorien zusammenfaßt. Es ist klar, daß namentlich bei den Bestrebungen, die Bastardforschung in den Dienst der Art- bildungslehre zu stellen, die Anwendung dieser verschiedenen Be- zeichnungen wegen der Unsicherheit der Abgrenzung zwischen Art und Varietät vielfach zu einer petitio principii und naturgemäß auch sonst zu mancherlei Schwierigkeiten führte, und so hat sich denn in der neuesten Phase der Bastardforschung der Gebrauch eingebürgert, mit dem Ausdruck Bastard oder Hybrid ganz allgemein jedes Kreuzungsprodukt von erblich differenten Formen zu bezeichnen, mag es sich um Gattungen, Arten oder Varietäten han- deln!).. Man kann auch mit Correns?) unter Bastardierung ganz allgemein die Vereinigung zweier Keimzellen verstehen, welche nicht die gleichen Anlagen besitzen. Im ganzen deckt sich diese mehr und mehr in Aufnahme kommende Definition auch mit dem populären Sprachgebrauch, indem man bekanntlich die Kreuzungsprodukte zweier „Rassen“ des Menschen ebensogut als Bastarde bezeichnet, wie die- jenigen zwischen Pferd und Esel oder zwischen Fasan und Haushuhn. Je nach dem von der heutigen Systematik angenommenen Ver- wandtschaftsgrad der beiden Eltern kann dann unterschieden werden zwischen Rassen-, Unterart-, Art- und Gattungsbastarde. Rassen- bastarde entstehen z. B. bei der Kreuzung zweier Kulturrassen der Haustaube; als Unterartbastarde können die auf der Grenze der Verbreitungsgebiete der Raben- und Nebelkrähe (Corvus corone und cornix) häufig vorkommenden Mischformen gelten; ein Beispiel für die Artbastarde bildet das Rakel- oder Mittelwaldhuhn (Tetrao medius), der Abkömmling von Birkhahn und Auerhenne, und als Gattungsbastard mag das Kreuzungsprodukt von Haushuhn und Edelfasan (Phasianus colchicus), als Familienbastard dasjenige der Penelope (Fam. Cracidae) und des Edelfasans angeführt werden >). Werden Bastarde derselben Abkunft untereinander gepaart, so kann es vorkommen, daß ihre Nachkommen dieselben Merkmale wie die Bastarde selber zeigen. Man spricht dann von konstanten Bastard- rassen. Das bekannteste Beispiel bildet Aegilops speltaeformis, eine Kreuzung zwischen einer wildwachsenden Graminee, dem Walch (Ae. ovata) und dem Weizen (Triticum vulgare)). Auf zoologischem ') Vgl. H. de Vries, S.9 (1903). ?) Correns, S. 453 (1905). ®) Letzterer Bastard befindet sich im britischen Museum. Vgl. Guyer 1909. *) Vgl. H. de Vries, S.71 (1903). 14* 2793 Abgeleitete Bastarde. Vollblut, Halbblut. Gebiet seien die schon von Darwin mehrfach erwähnten Leporiden oder Hasen-Kaninchen-Bastarde angeführt, deren Natur allerdings immer noch nicht sichergestellt ist!), sowie die von Castle ge- zogenen Kaninchenbastarde mit mittlerer Ohrenlänge, auf welche später (Kapitel 27) eingegangen werden soll. Werden Bastarde nicht untereinander, sondern mit einer der Stammformen oder mit einer dritten verwandten Art oder mit einem anderen Mischling gepaart, so .können sogenannte abgeleitete Bastarde entstehen. Sie werden, je nach der Zahl der ursprünglichen reinen Arten oder Typen, welche zu ihrer Entstehung beigetragen haben oder „im Bastarde verbunden sind“, als zweielterliche oder binäre (aus der Rückkreuzung mit einer der Stammformen entstandene), dreielterliche (dreifache) oder ternäre, vierelter- liche (vierfache) oder quaternäre usw. bezeichnet 2). Ein ternärer Bastard ist z. B. das von Darwin) zitierte Produkt einer Pferde- stute und eines Esel-Zebra-Bastards. In ähnlicher Weise gelang es Darwin selbst, bei Tauben in einem Vogel fünf der distinktesten Rassen miteinander zu vereinigen), und Wichura?) hat bei seinen Versuchen mit Weiden sogar sechs Arten miteinander in einem Bastard verbunden. Bekanntlich versteht der Tierzüchter unter Vollblut reinrassige Tiere mit edeln Eigenschaften, unter Halbblut die Abkömmlinge eines Vollbluttieres und eines Angehörigen einer gemeinen Rasse. Mit Dreiviertelblut und Einviertelblut werden die Tiere be- zeichnet, wenn drei bzw. einer der vier Großeltern der Edelrasse an- gehörten. In ähnlicher Weise wird auch bei Mischungen von Wild- formen mit Haustierrassen unter Hervorhebung des Anteils der ersteren von Halbblutbastarden, Dreiviertelblutbastar- den usw. gesprochen (Kühn). Als reziproke Bastarde werden die Abkömmlinge zweier Stammformen dann bezeichnet, wenn diese kreuzweise miteinander verbunden werden, derart, daß das eine Mal von der einen Stamm- form der Vater, das andere Mal von der gleichen Stammform die !) Bezüglich der Literatur vgl. Ackermann, II. Teil, S.75. Ebenda finden sich Angaben über (? konstante) Fischbastarde (II. Teil, S. 4). 2) H. de Vries, S.79, 85,.87 (1903). ®) Bd. 2, S. 56 (1868). *) Bd. ı, S.246 (1868), Anm. 5) Zitiert bei Darwin, Bd.2, S.352 (1868) und de Vries, S.87 (1903). Bezeichnung der Bastarde. 213 Mutter genommen wird. Beispiele bilden Maultier und Maulesel. Ersteres ist das Kreuzungsprodukt von Eselhengst und Pferdestute, letzterer dasjenige von Pferdehengst und Eselstute !). Um Bastarde ihrer Abkunft nach zu kennzeichnen, verbindet man die Namen der beiden Stammformen durch ein Kreuz oder in Form eines Bruches, indem, wenigstens in der Zoologie, der Name des männlichen Erzeugers vorangestellt oder als Zähler verwandt wird, zum Beispiel: Capra hircus X Ovis aries oder Capra hircus & x Ovis aries 2 oder Capra hircus Ovis aries Abgeleitete Bastarde werden in entsprechender Weise dargestellt, z. B. der bekannte dreifache Schmetterlingsbastard von Standfuß: Saturnia (pavonia & X pini 2) x S. pyri 2 oder pavonia '\ pini 2 Era pyri 2 Botanischerseits wird häufig die umgekehrte Bezeichnungsweise angewandt. So setzt de Vries?2) den Namen der Mutter voran: a x b bedeutet also: „a befruchtet durch b*. Hinsichtlich der äußeren Erscheinung der Bastarde unterscheidet man intermediäre Bastarde im engeren Sinne, welche ungefähr die Mitte zwischen den beiden Elternformen halten, goneokline (patrokline und matrokline), welche mehr dem einen der beiden Eltern zuneigen, und einseitige, bei welchen nur die Merkmale der einen Stammform zum Vorschein kommen). Vielfach stellt man auch einfach die Begriffe intermediär und einseitig einander gegenüber und rechnet dann zu den intermediären Bastarden im weiteren Sinne auch die goneoklinen ?). Saturnia ( !) Die Möglichkeit, Pferdehengst und Eselstute erfolgreich zu verbinden, ist durch Kühn im Haustiergarten von Halle in wissenschaftlich einwandfreier Weise nachgewiesen worden. 2) S.10 (1903), Anm. Vgl. auch ebenda, S. 79. ®) Vgl. de Vries, S.18 (1903); Lang, S.ı (1910). *) Versuche, die Ursachen der größeren Ähnlichkeit der Nachkommen mit einem der beiden Eltern zu ermitteln und den Grad der Ähnlichkeit zu verändern, hat namentlich Herbst mit Seeigellarven angestellt (1906—1909). DIAS" Intermediäre Bastarde. Unter den intermediären Bastarden können Mosaikbastarde und Misch- oder Deckbastarde unterschieden werden. Bei ersteren kommen die Merkmale der Eltern in mosaikartiger Verteilung an den verschiedenen Körperteilen des Bastards zum Vorschein, so bei dem in zahlreichen zoologischen Gärten gezogenen Bastard vom Lady-Amherstfasan und Goldfasan (Chrysolophus amherstiae d' x Chr. pietus 9). Dieser Bastard zeigt zuweilen!) am Kragen und an der buntfarbigen Oberseite die Merkmale des männlichen Amherstfasans, dagegen gehören die rote Unterseite und die Färbung des Schwanzes der Hauptsache nach dem Goldfasan an. Bei den Misch- oder Deck- bastarden treten die einzelnen, einander korrespondierenden Charak- tere der beiden Eltern zu einem Mischtypus zusammen. Ein schönes Beispiel bilden die Bastarde von Gimpel (Pyrrhula pyrrhula) und Kanarienvogel (Serinus canarius), bei welchen die Färbung und Zeich- nung der einen Stammform fast an allen Körperteilen mit derjenigen der anderen kombiniert ist. Über das ganze Farbenmuster des Gim- pels erscheint ein gelber Ton gelegt, so daß speziell das Rot der Unterseite in ein trübes Orangegelb und das Weiß des Bürzels in Hellgelb umgewandelt wird. Auch die dunkeln Schaftstriche des wilden Kanarienvogels kommen an dem Gefieder der Bastarde wieder zum Vorschein. Was die Bedingungen für das Zustandekommen der Bastardie- rung anbelangt, so spielt, wie schon die älteren Forscher wußten, der Verwandtschaftsgrad der Stammformen eine wichtige Rolle. Je näher zwei Formen einander verwandt sind, um so eher kann zwischen ihren Angehörigen eine erfolgreiche Paarung stattfinden. Bei geringerer Verwandtschaft, z. B. bei Artungleichheit, kann die Paarung und erfolgreiche Begattung durch verschiedene Faktoren erschwert oder verhindert werden: es kann zwischen den Elterntieren selbst eine instinktive Abneigung zur Annäherung bestehen, oder es kann durch die Beschaffenheit der Kopulationsorgane die Begattung mechanisch unmöglich gemacht sein, oder es besitzen die Fortpflan- zungszellen keine sexuelle Affinität zueinander). Im ersten Falle können durch die Gefangenschaft oder Domestikation das repulsive Verhalten unterdrückt werden, wie dies die in zoologischen Gärten vorkommenden Kreuzungen zwischen so entfernt stehenden Formen, !) Die einzelnen Individuen weisen beträchtliche Unterschiede in der Farben- verteilung auf. ?) Vgl. hierzu O. Hertwig, Zelle und Gewebe, 1. Bd., S. 241. Sexuelle Affinität. 215 wie Löwe und Königstiger, zeigen), im zweiten Falle können die mechanischen Hindernisse eventuell durch künstliche Mittel beseitigt werden (künstliche Befruchtung bei sehr verschieden großen Hunde- rassen). Was endlich die mangelnde Affinität zwischen den Fort- pflanzungszellen anbelangt, so haben die Brüder Hertwig (1886) gezeigt, daß bei Seeigeleiern durch längeres Liegenlassen im See- wasser die Bastardbefruchtung erleichtert wird, und später ist es Loeb u.a. gelungen, z.B. durch Veränderung des Salzgehaltes des See- wassers (Zusatz von Natriumhydroxyd) die erfolgreiche Befruchtung von Seeigeleiern durch Seesternsperma zu erreichen. Mit der instinktiven Abneigung, die im allgemeinen zwischen den Angehörigen zweier „guter“ Arten besteht, hängt es zusammen, daß wenigstens im Tierreich in der freien Natur verhältnismäßig selten Artbastarde auftreten, und man hat Grund zu der Annahme, daß das Vorkommen solcher fast immer durch irgendwelche Störungen der normalen Lebensverhältnisse bedingt ist 2). Im übrigen spielt auch die Individualität der Elterntiere hinsichtlich der Kreuzungsmöglichkeit eine Rolle, wie dies Driesch für die Seeigel gezeigt hat. Wie die Möglichkeit der erfolgreichen Paarung überhaupt, so hängt auch die Fähigkeit der Bastarde, sich ihrerseits fort- zupflanzen, von dem Verwandtschaftsgrad der Eltern ab. Je ent- fernter sich die Eltern stehen, um so weniger fruchtbar sind die Bastarde, und jedenfalls gilt für das Tierreich, daß schon die Art- bastarde im allgemeinen unfruchtbar sind). So sind z.B. noch niemals Rakelhühner in Fortpflanzung beobachtet worden. ') Auch durch künstliche Mittel kann die Abneigung überwunden werden. So wurde im Haustiergarten in Halle ein Zebrahengst dadurch zur Begattung mit einer Eselstute bewogen, daß dieser eine mit Streifen bemalte Decke aufgelegt wurde. ”) So wird z. B. das verhältnismäßig häufige Auftreten des Rakelhuhns (s. oben S. 211) in Schweden damit in Zusammenhang gebracht, daß in diesem Land ein besonders starker Abschuß von Auerhähnen stattfindet und die Auerhennen daher häufig die Balzplätze der Birkhähne aufsuchen. Vgl. Naumann, Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, 6. Bd., S. 106, Anm. 3, 108. ®) Nach Guyer sind bei den Vögeln die Art- und Gattungsbastarde (Fasanen- bastarde, Perlhuhn X Haushuhn, Fasan X Haushuhn) größtenteils männlichen Geschlechts. Guyer spricht die Vermutung aus, daß durch die Fremdbefruchtung die konstruktive Seite des Stoffwechsels (Metabolismus) eine Hemmung erfährt, und daß die hierdurch bewirkte schlechtere Ernährung des Embryos die Entwickelung des männlichen Geschlechts begünstige. Es würde dann allerdings eine epigame, d. h. erst nach der Befruchtung erfolgende Geschlechtsbestimmung vorliegen (vgl. Kapitel 25). 216 Sterilität der Bastarde. Daß im übrigen auch hier individuelle Unterschiede in Be- tracht kommen, zeigen Beobachtungen von Kühn: von vier Gayal- halbblutbullen erwies sich ein einziger mit Halbblutkühen als frucht- bar. Ebenso ist bekannt, daß das Maultier ausnahmsweise fruchtbar sein kann. Über die eigentlichen Ursachen der Sterilität der Bastarde ist noch nichts Sicheres bekannt. Ich habe früher (1902)!) die An- nahme gemacht, daß bei der Geschlechtszellenbildung der Bastarde infolge ungenügender Affinität der väterlichen und mütterlichen Chromosomen die komplizierten Umordnungsverhältnisse, welche nor- malerweise der Reife der Eizellen vorangehen, Störungen erfahren, und daß infolgedessen eine unvollkommene Ausbildung der Geschlechts- zellen stattfindet. Indessen haben cytologische Beobachtungen von Poll an Vogelbastarden und von Tischler an Pflanzenmischlingen es als zweifelhaft erscheinen lassen, ob eine „Repulsion der elter- lichen Chromosomen“ die eigentliche Ursache der Sterilität der Bastarde darstellt 2). Literaturverzeichnis zu Kapitel 21. Ackermann, R., Tierbastarde. Kassel 1898. (Enthält eine Zusammenstellung der bis zum Ende des 19. Jahrhunderts bekannten Tierbastarde.) Correns, C., Weitere Untersuchungen über die Gynodiöcie. Ber. d. Bot. Ges., 23. Bd., 1905. Darwin, Ch. Das Variieren usw., 1868. Siehe Literaturverzeichnis 2, S. 12. Driesch, H., Über rein-mütterliche Charaktere an Bastardlarven von Echiniden. Arch. f. Entwickelungsmechanik, 7. Bd., 1898. Focke, W. O,., Die Pflanzenmischlinge. Berlin 1881. Fruwirthb, C., Die Züchtung der landwirtschaftlichen Kulturpflanzen. I. Berlin 1905. Guyer, M. F., On the sex of hybrid birds. Biol. Bull., Vol. 16, 1909. Haecker, V., Praxis und Theorie der Zellen- und Befruchtungslehre. Jena 1899. —, Über die neueren Ergebnisse der Bastardlehre usw. Arch. f. Rass.- u. Ges.-Biol., 1. Jahrgang, 1904. —, Bastardierung und Geschlechtszellenbildung. Zool. Jahrb., Suppl. VII, Jena 1904. Herbst, C., Vererbungsstudien. I—VI. Arch. f. Entwickelungsmechanik, 21., 22., 24., 27. Bd., 1906— 1909. Hertwig, OÖ. und R., Experimentelle Untersuchungen über die Bedingungen der Bastardbefruchtung. Jen. Zeitschr., 19. Bd., 1886. 1) Vgl. 1904, S. 245. ?) Vgl. Tischler 1907, Poll 1908, ferner Gates, Bot. Gaz., S.48 (Oenothera lata x O. gigas), Farmer und Digby, Ann. Bot., Vol. 24 (1910) (Polypodium hybr.). Literaturverzeichnis 21. 217 Hertwig, O., Zelle und Gewebe und Allgemeine Biologie. Siehe Literatur- verzeichnis 1, S.7. Kölreuter, J. G., Vorläufige Nachricht von einigen das Geschlecht der Pflanzen betreffenden Versuchen und Beobachtungen. 1761. Lang, O., Die Erblichkeitsverhältnisse der Ohrenlänge usw. Zeitschr. ind. Abst., 4. Bd., 1910. s Loeb, J., The fertilization of the egg of the sea-urchin by the sperm of the star- fish. Univ. Calif. Publ. (Phys.), Vol. ı, 1903. —, Further experiments usw. Ebenda, Vol.2, 1904. Morgan, Th. H., Experimental Zoology. New York 1907. —, Experimentelle Zoologie. Übersetzt von L. und H. Rhumbler. Berlin und Leipzig 1909. : Poll, H. und Tiefensee, W., Mischlingsstudien und die Histiologie der Keim- drüsen bei Mischlingen. Sitzungsber. d. Ges. Naturf. Frd., Berlin 1907. Poll, H., Mischlingsstudien. III. System und Kreuzung. Ebenda 1908. Standfuß, M., Handbuch der paläarktischen Großschmetterlinge. 2. Aufl. Jena 1896. — , Die Resultate 30jähriger Experimente usw. Verh. d. Schweiz. Naturf. Ges., Luzern 1905. Tischler, G., Weitere Untersuchungen über Sterilitätsursachen bei Bastardpflanzen. Ber. d. D. Bot. Ges., 25. Bd., 1907. —, Zellstudien an sterilen Bastardpflanzen. Arch. f. Zellf., 1.Bd., 1908. Vries, H. de, Die Mutationstheorie. 2.Bd. Elementare Bastardlehre. Leipzig 1903. N RENT ET NEE Fe Zweiundzwanzigstes Kapitel. Mendelsche Bastardierungs- oder Vererbungsregeln. Wie bereits erwähnt wurde, ist die Bastardierungsforschung zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch die "Wiederentdeckung der Mendelschen Regeln in neue Bahnen geleitet worden. In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts hatte der Augustiner- pater und nachmalige Prälat Gregor Mendel in Brünn ausgedehnte Untersuchungen über Pflanzenkreuzungen, insbesondere über die Bastardierung von Erbsenrassen angestellt und ist dabei zu einer Anzahl von Ergebnissen gelangt, welche für die Vererbungslehre von fundamentaler Bedeutung sind. Mendels Mitteilungen sind in einer nicht allgemein zugänglichen Zeitschrift, in den Verhandlungen des Naturforschenden Vereins in Brünn, niedergelegt worden!) und waren daher, obwohl sie in Fockes Pflanzenmischlingen erwähnt wurden und obwohl Mendel einen ausführlichen Briefwechsel mit Nägeli unterhielt2), der Beachtung und Würdigung durch die wissenschaft- liche Welt entgangen. Ebenso sind auch die Kreuzungen, welche später Haacke mit Mäusen vorgenommen hatte und bei welchen er in unabhängiger Weise zu ähnlichen, wenn auch weniger scharf formulierten Ergebnissen gelangt war, übersehen worden. Erst im Jahre 1900 ist durch gleichzeitige Veröffentlichungen von de Vries, Correns und Tschermak, welche unabhängig von- einander und zunächst, ohne Mendels Entdeckungen zu kennen, zu den gleichen Ergebnissen wie dieser gelangt waren, die Aufmerk- samkeit der Biologen auf diese Verhältnisse und auf die Verdienste ") Die erste, bzw. die erste und zweite Abhandlung Mendels sind in der Zeit- schrift Flora 1901, sowie in Ostwalds Klassikern der exakten Wissenschaft (s. Lite- raturverzeichnis) abgedruckt worden, Eine englische Übersetzung findet sich im Journ. Roy. Hort. Soc., Vol. 26, 1901, sowie als Anhang in Batesons Buche. 2) Herausgegeben durch Correns, 1905 (s. Literaturverzeichnis). Über die Gründe, weshalb Nägeli den Entdeckungen Mendels keine weitere Beachtung geschenkt hat, vgl. Correns, ebenda, S.189, und Bateson, S. 54 (1909). Uniformitätsregel. 2ig Mendels gelenkt worden. Seither haben zahlreiche botanische und zoologische Forscher sich mit dem Gegenstand beschäftigt und die Mendelsche Vererbungslehre zu einem der fruchtbarsten, die weitesten Perspektiven eröffnenden Zweige der Biologie ausgestaltet. Außer ‘den eben genannten drei Botanikern, denen noch E. Baur anzureihen ist, haben hauptsächlich das englische, unter der Leitung Batesons stehende Evolution Committee, die Amerikaner Castle und Daven- port, letzterer als Leiter der Carnegie-Station für experimentelle Ent- wickelungslehre in Cold Spring Harbour auf Rhode Island, ferner Cuenot in Nancy, Darbishire und Hurst in England, Lang in Zürich mit großem Erfolg auf diesem Gebiete gearbeitet. Die Ergebnisse der Mendelforschung gipfeln zunächst in der Auf- stellung von drei bei der Rassenkreuzung in weitem Umfang gültigen Vererbungsregeln und einer Erklärungshypothese. Die erste Regel kann bezeichnet werden als die von der Gleich- heit (Uniformität)!) der F}-Bastarde, d.h. der Individuen der ersten aus der Kreuzung zweier elterlicher Rassen hervorgegangenen Nachkommengeneration, der ersten filialen oder F,-Generation (Uniformitätsregel) 2). Man hatte eine Zeitlang, nach dem Vorgang von Cosren: 3), als erste Regel die „Prävälenzregel“ angenommen, wonach von zwei einander korrespondierenden (antagonistischen oder allelo- morphen)*) Merkmalen der beiden Stammformen (z. B. Pigmentierung und Pigmentlosigkeit) in.der F,-Generation das eine (in unserem Fall die Pigmentierung) „dominiert“5) oder „prävaliert“, d. h. aus- schließlich zum Vorschein kommt, während das andere, das rezessive, in dieser Generation latent bleibt. Es hat sich indessen sehr bald herausgestellt, daß eine solche ausschließliche Dominanz oder Prä- valenz des einen Merkmals in der ersten Generation nur einen Spezialfall darstellt‘), und daß als Regel für die erste Generation nur ihre Uniformität gelten kann. !) Vgl. A. Lang, S.34 (1909). ?) Die Terminologie der F',-, F,-Bastarde usw. stammt von Bateson (Bateson und Saunders 1902). Die elterliche Generation wird als parentale oder P-Gene- ration bezeichnet. ®) Über Levkojenbastarde 1900. *) Bateson hat für die beiden sich einander bei der Kreuzung gegenüber- stehenden Merkmale die Bezeichnung Allelomorpha vorgeschlagen. °) Der Ausdruck „Prävalenz“ ist insofern zweideutig, als er ja an und für sich nur „Vorherrschaft“, und nicht, was er besagen soll, „Alleinherrschaft“ bedeutet. 6) Vgl. auch Bateson, S.13 (1909). 220 Verhalten der F',-Bastarde. Es können nun, wie gleich hier angeführt werden soll, drei ver- schiedene Fälle auftreten: a) Die F,-Bastarde sind intermediär (im weiteren Sinne)!), d. h. sie stellen hinsichtlich des antagonistischen Merkmalspaares eine Zwischenform zwischen den beiden Stammrassen dar. Dieser Typus ist namentlich bei Pflanzen sehr weit verbreitet. Wird z. B. eine weißblühende Rasse der Wunderblume, Mirabilis Jalapa, mit einer rotblühenden Rasse gekreuzt, so sind die F}-Bastarde durchweg rosa (Fig.92, links, F,, und Taf. ]). b) Die F,-Bastarde sind einseitig, d. h. von den antago- nistischen Merkmalen ist das eine, das „dominante“, alleinherrschend Ia Fig. 92. Ib mi. wo NS > , \ —r 2 O R 9 \ ) \ I .oeo0- ... 'Y Soolenr 1/7 Schema der alternativen Vererbung. P parentale, F}, Fa, F3 erste, zweite, dritte filiale Generation. Ia Typus mit intermediärer, Ib Typus mit rein dominierender F}-Generation. (es „prävaliert“)2), während das andere, das „rezessive“, nicht zum Vorschein kommt, man kann auch sagen, daß das dominante Merkmal das rezessive in der äußeren Erscheinung vollständig verdeckt 3). Beispiele finden sich namentlich im Tierreich sehr viele: bei der Kreuzung einer einfarbigen und einer fünfbänderigen Gartenschnecke (Helix hortensis) dominiert die Einfarbigkeit, schwarze und weiße Axolotl (Amblystoma) geben ausschließlich schwarze (im Larven- ') Vgl. oben S. 213. ?) Siehe oben S. 219, Anm. ») Vgl. Lang, S. 36 (1909). en Haecker, Vererbungslehre Tafel 1. P P Fig. 1 Pi; Zu S. 220. 221. E . K. Wangerin del. Obere Hälfte nach Correns, Friedr. Vieweg & Sohn, Braunschweig. Verhalten der F',-Bastarde. Spaltungsregel. 221 zustande barschartig gebänderte) F,-Nachkommen, braune und fuchs- farbige Vollblutpferde nur braune Fohlen (Fig. 92, rechts, F,, und Taf. ]). Als Zeichen für die Dominanz und Rezessivität sind vielleicht die mathematischen Zeichen > und < gut zu verwenden, z. B. schwarz > weiß, fuchsfarbig < braun). c) Die F,-Bastarde zeigen einen neuen (bei keiner der Stammformen sichtbaren), speziell einen atavistischen Charakter, bilden ein Kreuzungsnovum?). Z.B. entstehen bei Kreuzung der albinotischen Hausmaus mit der schwarz- und weiß- gescheckten japanischen Tanzmausrasse ausschließlich graue (wild- farbige) F}-Bastarde, es ist also Rückschlag auf die Stammform erfolgt. Ebenso zeigen bei Kreuzung zweier weißblühender Rassen der groß- blumigen oder spanischen Wicke (Lathyrus odoratus), die sich im übrigen durch die Beschaffenheit des Pollens unterscheiden, die F}- Nachkommen die Purpurfarbe der in Sizilien wild vorkommenden Stammform. Die zweite Mendelsche Regel, die mit Correns als Spaltungs- regel bezeichnet werden kann, bezieht sich auf die Individuen der zweiten Nachkommengeneration, auf die F,-Bastarde. Nach dieser Regel kommen, wenn die F,-Bastarde untereinander gepaart werden, bzw. wenn Selbstbestäubung erfolgt, bei ihren Nachkommen, den F,- Bastarden, beide elterlichen Charaktere wieder zum Vorschein, und zwar sind sie in einem ganz bestimmten Zahlenverhältnisse auf die F,-Individuen verteilt. Es findet also eine „Spaltung“ der in den F,-Bastarden verbundenen Anlagen, man kann auch sagen, ein „alternierendes“ Auftreten derselben statt. Entsprechend den drei oben erwähnten Fällen ist nun das Ver- halten der F,-Generation ein verschiedenes: Im Falle a) findet sich bei 25 Proz. aller F,-Individuen der domi- nierende (D), bei 25 Proz. der rezessive (R), bei 50 Proz. der inter- mediäre Charakter (J). Es besteht also das Zahlenverhältnis D:J: R — 25:50:25 oder 1:2:1 (Fig.92, links, F,, und Taf. ]). Im Falle b) kommen auf 75 Proz. dominierende F,-Individuen 25 Proz. rezessive. Es herrscht demnach das Zahlenverhältnis D: R = 3:1 (Fig.92, rechts, F,, und Taf. ]). | ') Lies: schwarz dominierend über weiß (stärker als weiß), fuchsfarbig rezessiv gegen braun. Auch Lang hat neuerdings (Zeitschr. Ind. Abst., 4. Bd., S.41, 1910) diese Zeichen in Vorschlag gebracht. ?) Vgl. Tschermak 1904. 222 Spaltungsregel. Reinheit der Gameten. Im Falle c) treten besondere Zahlenverhältnisse hervor, indem neben den elterlichen Charakteren auch die „Kreuzungsnova“ der F,-Generation und eventuell noch andere Typen zum Vorschein kommen. Sehr häufig findet sich das Zahlenverhältnis 9:3:4, auf welches später noch näher eingegangen werden soll. In dem oben erwähnten, auf eine Lathyrus-Kreuzung bezüglichen Beispiel weist die F,-Generation das Verhältnis 27 purpurn :9 rot: 28 weiß auf. Es sei gleich hier erwähnt, daß die tatsächlich zur Beobachtung kommenden Zahlenverhältnisse in der Regel sehr genau mit den hier angeführten einfachen Relationen übereinstimmen. So fand z. B. Correns bei der Kreuzung einer Erbsenrasse mit gelbem und einer solchen mit grünem Keim in der F,-Generation 619 gelbe und 206 grüne Individuen, und ich selbst erhielt bei meinen Kreuzungen zwischen schwarzen und weißen Axolotln in einem Falle das Ver- hältnis 573:191 (also genau 3:1), in einem anderen 672:218 (statt 667,5: 222,5). Auch in den folgenden Generationen bestehen regelmäßige Zahlenverhältnisse. Speziell im Falle a) (Fig.92, links, F,) ergibt sich bei Inzucht bzw. Selbstbestäubung der vier Lose, daß die domi- nante und die rezessive Gruppe jeweils nur Nachkommen ihresgleichen erzeugt („rein zeugt“ !), breeds true), während die Nachkommen der beiden intermediären Gruppen abermals das Zahlenverhältnis 1:2:1 erkennen lassen. Ebenso findet man im Falle b) (Fig.92, rechts, F,), daß von den drei Losen, welche äußerlich nur den dominierenden Charakter zum Vorschein bringen, das eine bei Inzucht oder Selbst- bestäubung ausschließlich Nachkommen mit dem dominierenden Charakter hervorbringt, während die Nachkommen der beiden anderen den dominanten und rezessiven Charakter im Zahlenverhältnis 3:1 aufweisen. Die Individuen des vierten, rezessiven Loses erzeugen wieder nur rezessive Nachkommen. Um diese Zahlenverhältnisse zu erklären, hat schon Mendel eine Erklärungs- oder Zusatzhypothese aufgestellt, die als Hypothese von der Reinheit der Gameten bezeichnet werden kann. Nach dieser Hypothese tritt, wenn der F,-Bastard Geschlechtszellen oder Gameten bildet, in den Fällen a) und b) eine Spaltung der bei der ursprüng- lichen Bastardbefruchtung miteinander vereinigten, antagonistischen Anlagen eines Merkmalspaares auf, derart, daß die Hälfte der Gameten !) Wie man vielleicht besser an Stelle des Ausdrucks „rein zieht“ oder „rein züchtet“ sagt. Reinheit der Gameten. 223 De jedes einzelnen Bastard-Individuums nur noch die Anlage für den domi- nierenden, die andere die Anlage für den rezessiven Charakter enthält. Nehmen wir im besonderen an, es läge der Fall b) vor und es mögen bei einer Bastardbefruchtung eine Gamete mit einer domi- nierenden schwarzen und eine solche mit einer rezessiven weißen Anlage zusammentreten (Fig.93, gam). Es bildet sich also ein be- fruchteter Keim, eine Zygote (zyg,), in welcher die schwarze und weiße Anlage miteinander vereinigt sind. In dem jungen F,-Orga- nismus (F,), welcher aus der Zygote hervorgeht, werden die sämt- lichen Zellen, z. B. alle Epidermiszellen (epz), beide Anlagen enthalten und, da in unserem Falle eine vollkommene Dominanz der schwarzen Anlage vorliegt, ausschließlich den schwarzen Charakter äußerlich zur Fig. 93. epz 0) ukmz gam zyg, F, eh Spaltung der Anlagen in der F',-Generation. Schau tragen. Auch die Urkeimzellen (ukmz) und wohl auch die folgenden Keimzellengenerationen werden noch beide Anlagen be- herbergen, bei der Bildung der definitiven Keimzellen (gam,) jedoch wird der Hypothese zufolge eine Spaltung in der vorhin erwähnten Weise erfolgen, derart, daß die beiden Anlagen auseinandergehen und die fertigen Keimzellen jeweils nur noch eine von ihnen ein- schließen. Es ist wie „ein Abschied zwischen zwei Personen, welche eine Zeitlang nebeneinander denselben Weg gegangen sind und welche sich jetzt eine andere Gesellschaft aufsuchen wollen“ (de Vries)?). Die Gameten sind also „rein“ mit Bezug auf die eine Anlage. ') Dieses Bild wurde von deVries ursprünglich auf die kerngeschichtlichen Vorgänge angewandt, die mit der Anlagenspaltung in Beziehung gebracht worden sind (de Vries 1903). 224 Reinheit der Gameten. Diese Hypothese von der Reinheit der Gameten erklärt in der Tat die Zahlenverhältnisse in einfachster Weise. Wenn nämlich z. B. im Falle b) bei der Geschlechtszellenbildung der F,-Bastarde (Fig.94, F}) tatsächlich jeweils 50 Proz. der Gameten mit der dominierenden Anlage D, z.B. mit der Anlage für Schwarz, und 50 Proz. mit der rezessiven R, z.B. mit der für Weiß, ausgestattet Fig. 94. gam, & ©) © 0 2385 17 LeIz eu Den ©00% Spaltung der Anlagen in der F',-Generation. werden, so ergeben sich doch bezüglich der Zygotenbildung viererlei Kombinationsmöglichkeiten. Es können sich vereinigen (Fig. 94, 2493): eine schwarze Samenzelle D mit einer schwarzen Eizelle D’= DD, „ schwarze ® IR „ weißen A R=DR, „ weiße “= 2 A „ schwarzen „ D='RD: „ weiße 5 B:tr4 „. weißen . R= BR. Aus den Zygoten der ersten Sorte DD müssen „homozygote“ Individuen hervorgehen, d. h. solche, welche mit nur einerlei Anlage, und zwar speziell mit der dominierenden, schwarzen ausgestattet sind und demgemäß selbstverständlich den. schwarzen Charakter zur Reinheit der Gameten. Rückkreuzungen. 225 Entfaltung bringen; ebenso entwickeln sich die Zygoten der vierten Sorte RR zu homozygoten Individuen, welche ausschließlich die rezessive weiße Anlage enthalten und daher weiß sind. Aus den Zygoten der zweiten und dritten Sorte dagegen, DR und RD, ent- stehen „heterozygote“ Individuen, welche, wie die F} -Bastarde, zweierlei Anlagen in sich beherbergen und, wenn Schwarz voll- kommen dominant ist, äußerlich nur den schwarzen Charakter zur ‘ Entfaltung bringen. Man wird also vom Boden unserer Hypothese aus erwarten dürfen, daß von den vier Gruppen im ganzen drei die schwarze und nur eine die weiße Farbe zeigen. Da nun die F;- Bastarde im Falle b) dieses Verhältnis in Wirklichkeit aufweisen, so ist die Hypothese von der Reinheit der Gameten offenbar geeignet, Fig. 95. Fig. 96. 7 = & N „e vV eV: =» — DB © | } ©) © © Rückkreuzung des Bastards mit der Rückkreuzung mit der rezessiven dominierenden Stammform. Stammform. für das Zustandekommen der Proportion 3:1 eine ausreichende Er- klärung zu geben. Ähnlich liegen die Verhältnisse im Falle a), wie ohne weiteres ersichtlich ist. Eine Art Probe für die Richtigkeit der Hypothese bilden die Rückkreuzungen der F,-Bastarde mit den beiden Stammformen. Wird im Falle b) der heterozygote F,-Bastard mit der dominierenden Stammform gekreuzt, so werden, wie das Schema Fig. 95 ohne weiteres zeigt, nur zweierlei Zygoten entstehen, es werden sich also die Nachkommen aus 50 Proz. Heterozygoten und 50 Proz. domi- nanten Homozygoten zusammensetzen. Bei Rückkreuzung mit der rezessiven Stammform (Fig. 96) können ebenfalls nur zweierlei Haecker, Vererbungslehre. 15 226 Rückkreuzungen. Unabhängigkeitsregel. Sorten von Zygoten gebildet werden: 50 Proz. der Individuen müssen Heterozygoten sein, 50 Proz. dagegen rein rezessive Homozygoten, die bei Inzucht oder Selbstbestäubung auch wieder nur rezessive Individuen liefern. In der Tat entsprechen nun die tatsächlichen Ergebnisse der Rückkreuzungen den theoretischen Erwartungen, so daß also auch auf diesem Wege die Hypothese von der Reinheit der Gameten eine wertvolle Stütze zu erhalten scheint. Es soll im übrigen gleich hier bemerkt werden, daß die eben besprochenen Schemata für die Rück- kreuzung bei der Frage, inwieweit beim Menschen mendelnde Merk- male vorkommen, eine große Rolle spielen. Es wurde bisher das Verhalten der Bastarde bezüglich eines einzigen Merkmalspaares besprochen, ohne Rücksicht darauf, ob die betreffenden Stammformen sich noch in anderen Merkmalspaaren unterscheiden, oder ob die Bastarde eigentliche Monohybriden (de Vries) sind, d.h. von Eltern abstammen, die tatsächlich nur in dem einen Merkmalspaare differieren. Unterscheiden sich nun die beiden miteinander gekreuzten Stammformen durch zwei oder mehrere Merkmalspaare (Farbe der Blüten, Farbe der Keime usw.), sind also die Kreuzungen dihybrid oder polyhybrid (de Vries), so gilt nach Mendel der wichtige Satz, daß die einzelnen Merkmals- paare sich mit Bezug auf die Spaltungserscheinungen unabhängig voneinander verhalten. Sind die Eltern z. B. in zwei Merkmalspaaren verschieden, so liefert demnach der Bastard, da sich beide Merkmals- paare unabhängig voneinander spalten und jedes Glied des einen mit jedem der beiden Glieder des anderen sich kombinieren kann, nicht zweierlei, sondern viererlei Gameten, und durch wechselseitige Vereinigung der männlichen und weiblichen Gameten werden nicht, wie bei der monohybriden Kreuzung, vier, sondern sechzehn ver- schiedene Klassen von Zygoten gebildet. Man wird dieses Verhältnis als dritte Mendelsche Regel oder Unabhängigkeitsregel bezeichnen können. Es mögen von zwei miteinander zu kreuzenden Pflanzenrassen, z. B. von zwei Erbsenrassen, die eine rote Blüten und gelbe Kotyledonen, die andere weiße Blüten und grüne Kotyledonen besitzen!). Rot sei vollkommen dominierend über Weiß, Gelb über Grün (rot > weiß, gelb > grün). ') Vgl. Correns, S.73 (1901) (Die Ergebnisse usw.). Haecker, Vererbungslehre = MITA K. Wangerin del, Zum Teil nach Correns. Tafel Il. Zu S. 227f. Friedr. Vieweg & Sohn, Braunschweig. ea au a -_ Unabhängigkeitsregel. Maiskreuzungen. 227 Der F,-Bastard liefert dann sowohl im männlichen wie im weib- lichen Geschlecht je viererlei Gameten: r.gdrgrd@w.gdw.ro' —r.gQr.grQw.gQ w.gr 2. Durch Befruchtung werden 16 verschiedene Zygoten gebildet: EDER DER TIRE T.g X w.g T.g X w.gr r.gr x r.g r.gr X T.gr r.gr x w.g r.gr X w.gr wgxTt[tg WRITE w.g X w.g w.g X T.gr w.gr X rT.g w.gr X r.gr r.gr x w.g w.gr X w.gr In diesen 16 Zygoten sind die Merkmale in 10 verschiedenen Kombinationen enthalten. Äußerlich werden aber infolge der Domi- nanz von Rot und Gelb nur viererlei F,-Bastarde zu unterscheiden sein, und zwar im Verhältnis Rot-Gelb: Rot-Grün: Weiß-Gelb: Weiß- Grün = 9:3:3:1 (in der obigen Tabelle sind die 9 Zygoten, aus denen rot-gelbe Individuen entstehen, durch fetten Druck hervor- gehoben). Als ein weiteres Beispiel für die Spaltung bei dihybriden Kreu- zungen seien die von Correns untersuchten Maisbastarde angeführt (Taf. I). Kreuzt man eine gelbe Rasse mit stärkehaltigen und daher in trockenem Zustande glatten Körnern mit einer blauen Rasse mit zuckerhaltigen Körnern, welche beim Trocknen ihr Wasser verlieren und daher runzlig werden, so findet man in der F,-Generation an den einzelnen Maiskolben viererlei Körner, nämlich blaue-glatte, blaue-runzlige, gelbe-glatte, gelbe-runzlige, und zwar, da blau > gelb, glatt > runzlig, im Zahlenverhältnis von 9:3:3:1 vor!). Wird speziell die Rasse alba mit glatten, gelblichweißen Körnern (Taf. II, Fig.ı) mit dem Pollen der Rasse coeruleo-dulcis mit runz- ligen, blauen Körnern (Fig.2) bestäubt, so zeigt der F,-Bastard (Fig. 3)2) eine vollkommene Dominanz von „glatt“ und eine in diesem Falle allerdings unvollständige Dominanz von „blau“ (nur etwa die Hälfte der Körner ist stärker oder schwächer blau gefärbt). Die rezi- proke Kreuzung coeruleo-dulcis 9 x alba 0 ergibt ebenfalls F,-Bastarde mit dominierendem „glatt“ und „blau“ (Fig.4)3). In der F,-Generation !) Vgl. Correns 1901, 1905, sowie Haecker, Wandtaf. z. allg. Biol., Serie C, Nr. 3 (s. Literaturverzeichnis). Die Zeichnungen der Wandtafeln sind von Frl. Marian Mülberger teils nach den Figuren in Correns großer Maisarbeit, teils nach einigen von Herrn Professor Correns freundlichst überlassenen Maiskolben gezeichnet. ®) Das Original (Correns, Bibl. Bot., 1901, Heft 53, Taf.2, Fig. 7) stellt eigentlich den übereinstimmend gefärbten Bastard alba-cyanea dar, ®) Das Original (Correns, 1. c., Taf.2, Fig.ı1) stellt eigentlich den Bastard von vulgata X coeruleo-dulcis dar. 15* 228 Trihybride Kreuzungen. zeigen die verschiedenen Individuen, nämlich die einzelnen Körner jedes Kolbens, im Verhältnis 9:3:3:1 die Kombinationen glatt-blau, glatt-gelb, runzlig-blau, runzlig-gelb (Fig. 5). In der F,-Generation können übrigens ausnahmsweise auch Mosaikbildungen, sei es in der Form (Fig.6), sei es in der Farbe der Körner (Fig. 7) auftreten. Ein zoologisches Beispiel ist unter anderem von Lang angegeben worden). Wird ein Exemplar der reinen gelben, ungebänderten Varietät der Hainschnecke (Helix nemoralis) mit einem Exemplar der reinen roten, einbänderigen Rasse gekreuzt, so sind die F,-Nach- kommen, da rot > gelb und Bänderlosigkeit > Bänderung, uniform- rot und ungebändert. In der F,-Generation dagegen erscheinen vier Typen. (rote ungebänderte, rote gebänderte, gelbe ungebänderte und gelbe gebänderte) im Zahlenverhältnis 9:3:3:1. Auch bei dihybriden Kreuzungen werden sehr genaue, den theoretischen Werten nahekommende Zahlenverhältnisse gefunden. So fand z. B. Correns bei einer dihybriden Maiskreuzung in der Fy-Ge- neration die Zahlen 565, 191, 176, 68, also fast die erwarteten Werte 562,5, 187,5, 187,5 und 62,52). Bei trihybriden Kreuzungen, wenn es sich also um drei Merk- malspaare Aa, Bb, Ce handelt (wobei A>a, B>b, C > ce), würde der F}-Bastard das Aussehen ABC besitzen und in der F,-Generation werden acht äußerlich unterscheidbare Typen in folgendem Verhältnis auftreten: 27 ABO0:9aB0:9 ABe:9 AbC:3 Abe:3aBe:3abC: 1 abe®). Daß tatsächlich auch bei trihybriden Kreuzungen eine Spaltung der Merkmale und ihre Neukombination nach den verschiedensten Richtungen stattfindet, ist durch verschiedene Beobachtungen erwiesen worden. So liefern z.B. Leghornhühner mit einfach gezacktem Kamm, normaler Zehenzahl und gelben Beinen und Dorkings mit „Rosen- kamm“, überzähliger Zehe und weißen Beinen zusammen eine Nach- kommenschaft, welche in der F,-Generation die genannten Merkmale in den verschiedensten Kombinationen aufweist, z. B. Vögel mit ein- fachem Kamm, Extrazehe und weißen Beinen oder solche mit Rosen- kamm, normaler Zehenzahl und gelben Beinen®). Ein anderes, be- ') Vgl. Lang 1909. 2) Vgl. Correns, S. 166 (1900). ®) Vgl. Bateson, S.59 (1909); Lang, S.4 ff. (1910). *) Vgl. Bateson und Saunders, S.ı10 (1902). Bezüglich der hier auf- gezählten Merkmale der Hühnerrassen vgl. Kapitel 23. Trihybride Kreuzungen. 229 sonders instruktives Beispiel bieten die Meerschweinchen dar). Kreuzt man ein rotes, kurzhaariges, glatthaariges Meerschweinchen (Fig. 97 B) mit einem weißen, lang-(angora-)haarigen, rauhhaarigen, bei welchem die Haare rosettenförmig um bestimmte, meist symmetrisch gelegene Punkte angeordnet sind (Fig. 97 A), so erscheinen entsprechend dem Verhältnis rot > weiß, kurzhaarig > langhaarig, rauhhaarig — glatt- haarig in der F,-Generation die verschiedensten Kombinationen. Die A Fig. 97. B Kombinationen der Merkmale beim Meerschweinchen. Nach Castle. A Langhaariges, rauhhaariges, albinotisches 4’ (White Peruvian). B kurzhaariges, glattes, rotes ? (Red English). C kurzhaariges, rauhhaariges, albinotisches (White Abyssinian). Aus der Kreuzung von A‘ mit einem Red English-?, welches rezessiven Albinismus enthielt. D kurzhaariges, rauhhaariges, schwarzrotes 4" (Tortoise-shell Abyssinian). Aus der Kreuzung von Ao’ mit einem homozygotischen Red English-y. F}-Bastarde sind rot, kurzhaarig, rauhhaarig (Fig.97 D), falls die pig- mentierte Stammform in bezug auf die Färbung reinrassig (homozygot) ist. Ist aber der pigmentierte Elter in bezug auf die Färbung hetero- zygot, führt er also eine rezessive weiße Anlage mit sich, so entstehen in der F}-Generation auch weiße, kurzhaarige, rauhhaarige Individuen (Fig. 97C), da bei Verbindung eines DR- und RER-Individuums 50 Proz. DR- und 50 Proz. RR-Nachkommen entstehen müssen. Bezüglich der Literatur vgl. Literaturverzeichnis 23. !) Castle 1905. Dreiundzwanzigstes Kapitel. Verbreitung des Mendelschen (alternativen) Vererbungsmodus. Es fragt sich nunmehr, für welche Merkmale hat die Mendelsche oder, wie man mit Rücksicht auf das alternierende Auftreten der Charaktere in der F,-Generation auch sagt, die alternative Ver- erbungsweise Gültigkeit? Zunächst ist zu sagen, daß mindestens ein sehr großer Teil der erblichen Rassenmerkmale nach diesem Modus vererbt wird, und daß vor allem für die Färbungs- und Zeichnungscharaktere seine weitgehende Gültigkeit nachgewiesen werden konnte. Insbesondere steht fest, daß bei Tieren Pigmentierung und vollständiger Pigmentmangel, d. h. echter Albinismus, bei welchem Haut, Hautgebilde und Augen keine Spur von Pigment zeigen und die Augen rot erscheinen), sich wie zwei antagonistische Merkmale verhalten, derart, daß die Pigmentierung stets dominierend ist gegenüber der Pigmentlosigkeit. Dies gilt z.B. für alle Nager (Kaninchen, Meerschweinchen, Ratten, Mäuse)?2) und ist ebenso für die-schwarze Menschenrasse wahrscheinlich gemacht worden?). Bezüglich des partiellen Albinismust) läßt sich keine Regel aufstellen. Was speziell den Leucismus (weißes Integument und pig- mentierte Augen) anbelangt, so dominiert dieser bei manchen weißen ' Hühnerrassen über Pigmentierung, jedoch ist dann diese Dominanz keine vollständige, insofern z. B. bei einer Kreuzung der weißen !) Nach der einen Ansicht infolge Durchschimmerns des roten Blutes durch die Gefäße (Hauschild, S.486), nach einer anderen infolge der Durchleuchtung der Iris durch das vom Augenhintergrund zurückgeworfene Licht („even as the sky is red at sunset“. G.C. und Ch. B. Davenport). ?) Schon Castle und Allen (1903) haben für Mäuse diese Feststellung gemacht. Vgl. auch Bateson, S. 74 (1909). ®) Siehe nächstes Kapitel. *) Unter partiellem Albinismus werden vielfach verschiedene Dinge ver- standen. Es ist vielleicht zweckmäßig, diese Bezeichnung für die verschiedenen Grade von Weißbuntheit, einschließlich des Leucismus (weißes Integument und pig- Zu ech A ee A Aa te ET Ssanire Partieller Albinismus. 231 Leghorns mit Indian Games oder braunen Leghorns das weiße Ge- fieder der F,-Bastarde dunkle Flecke aufweist. Im Gegensatz dazu verhält sich das weiße Gefieder bei Kreuzungen des Seidenhuhns mit gefärbten Rassen (Strupphuhn, Wildhuhn, schwarze Minorka) rezessiv'). Bei Schafen dominiert die weiße Farbe über die schwarze, wodurch das in der Regel nur sporadische Vorkommen schwarzer Tiere in weißen Herden („Every flock has its black sheep“) erklärt wird 2). Einen besonderen Fall bildet das Axolotl (Amblystoma tigrinum). Bei der weißen Rasse ist die Iris dunkel pigmentiert, die Pupille dagegen erscheint rötlich, da im Pigmentepithel viel weniger Pigment vorhanden ist als bei pigmentierten Tieren. Diese meines Wissens bis jetzt noch nirgends vorgefundene Pigmentverteilung im Auge, die eine Art Gegenstück zur Blauäugigkeit (pigmentlose Iris, pigmentierter Augen- hintergrund) bildet, ist auch bei solchen weißen Individuen stets zu beobachten, welche auf dem Kopf oder auch auf dem Nacken mehr oder weniger grau bestäubt sind, und ebenso bei den eigentlichen Schecken. Die weißen Individuen, mit oder ohne schwache Bestäubung am Kopfe, verhalten sich rezessiv gegenüber den gewöhnlichen (melano- tischen), es kommt jedoch vor, daß in der F,-Generation bzw. bei Rückkreuzung von schwarzen Heterozygoten mit weißen Tieren statt weißer Tiere solche mit stärkerer Pigmentierung, sei es mit gleichmäßig grauer Oberseite oder mit dunkeln, deutlich abgegrenzten, metamer angeordneten Flecken auftreten®?). Es liegt also hier der Fall vor, daß trotz strenger Gültigkeit der Mendelschen Zahlenverhältnisse die rezessiven Kreuzungsprodukte einen unreinen Charakter aufweisen ‘®). Auch in den Fällen von partiellem Albinismus niedrigeren Grades treten Verschiedenheiten auf. Speziell die Scheckzeichnung (Pana- chierung), namentlich die mehr unregelmäßige, ist im allgemeinen rezessiv gegenüber der gleichförmigen Pigmentierung und dominant gegenüber Albinismus. Dies gilt z. B. für die Scheckzeichnung der japanischen Tanzmaus (grau-weiß, schwarz-weiß, blaß rötlichgrau-weiß);) mentierte Augen), zu reservieren, und diejenige teilweise Färbung, die auf dem Wegfall nur der einen oder anderen Pigmentfarbe beruht, als Schizochroismus zu bezeichnen (Haecker, Jahresh. Ver. Vaterl. Naturk. Württ. 1908, S. 364). Vgl. auch Adametz 1905. !) Vgl.Bateson und Saunders 1902, Davenport 1906, Bateson, S. 102 (1909). ?) Davenport 1905. ®) „Metamer-Schecken“. Vgl. Haecker, S. 200, Fig. 2 (1908). *) Weitere Untersuchungen zur Aufklärung dieses Verhältnisses sind im Gange. So viel bisher ersichtlich, spielen äußere Faktoren keine Rolle (vgl. Bateson, S. 43, 1909). Eine entferntere Analogie bieten die Befunde von Correns dar, welcher bei der‘ grünfleckigen (variegata-) Rasse von Mirabilis Jalapa das Auftreten von Ästen mit der typischen grünen, normalerweise dominierenden Farbe beobachtete (1910). Diese Äste verhielten sich. allerdings bei der Vermehrung durch Selbstbestäubung als Heterozygoten, während sich die Axolotl-Schecken bei weiterer Kreuzung als rezessive Homozygoten benehmen. °) Vgl. Allen, Darbishire, Cu¬ u.a. Mit „blaß rötlichgrau“ soll die von den englischen Autoren als pale fawn oder silver fawn beschriebene Nuance bezeichnet werden. 232 Scheckzeichnung. Wildfarbe. und für diejenige der Ratten!) und ebenso für diejenige der Hunde). Auch die bestimmten Formen der Scheckzeichnung verhalten sich in ähnlicher Weise. So ist die Zeichnung der Himalayakaninchen (weiß mit tief schokoladenschwarzer Schnauze, Ohren, Schwanz und Pfoten) rezessiv gegenüber der Grau- und ebenso gegenüber der Schwarzfärbung, dominant gegenüber reinem Albinismus3). Ein eigentümliches Verhalten zeigen die schwarzgesichtigen Schafe: bei Kreuzung von Suffolks mit schwarzem und Dorsets mit weißem Gesicht entstehen F,-Bastarde mit gesprenkeltem Gesicht, während in der F,-Generation rein weiße, rein schwarze und verschiedenartig ge- sprenkelte Gesichter auftreten). Unter den einzelnen Färbungen dominiert die „Wildfarbe“, d.h. die meist graue oder graubraune Anpassungsfarbe, die durch regel- mäßige Anordnung der verschiedenen Pigmente im einzelnen. Haar zustande kommt, über die einfachen Färbungen, die als „Mutationen“ der Wildfärbung bei domestizierten und gelegentlich auch bei frei- lebenden Tieren auftreten (schwarz, schokoladenbraun, gelb), sowie über den Albinismus. Bei den Kreuzungsversuchen, die mit ver- schiedenen Nagern angestellt wurden, hat sich dies Verhältnis allge- mein herausgestellt, und ebenso dominiert bei Percheron-Pferden Grau über Schwarz®). Was das Verhältnis der verschiedenen Einzelfärbungen untereinander anbelangt, so liegen hier wieder spezifische Unter- schiede vor: Für Mäuse gilt die Relation gelb > schwarz > schoko- ladenbraun, für Kaninchen und Meerschweinchen schwarz > gelb, für Meerschweinchen auch schwarz >schokoladenfarbig®). Während bei der Wanderratte (Mus decumanus) grau>schwarz, findet man bei der Kreuzung zwischen der schwarzen Hausratte (M. rattus) und der wild- grauen Alexandrinerratte (M. alexandrinus), daß schwarz > grau?). Für die Hunde gilt schwarz > braun und für die englischen Rennpferde ließ sich an der Hand der Stutbücher nachweisen, daß Dunkelbraune (schwarzes Pigment über den ganzen Körper verbreitet) und Braune (nur Mähne, Schweif und Füße schwarz) über Füchse dominieren). !) Vgl. McCurdy und Castle. 2) Vgl. Lang 1910. ®) Vgl. Bateson, S. 111 (1909). *) Wood 1905. °) Harper 1905. 6) Castle 1906. Bei Kaninchen ist reines Schokoladenbraun nicht bekannt. 7) Morgan 1909. ®) Vgl.Lang 1910, sowie Hurst 1906 und Bateson, S.124 (1909). Die englischen Bezeichnungen für Dunkelbraune, Braune und Füchse sind brown, bay und chestnut. \ Zeichnungsvarietäten. 233 Alle bisher für die Erblichkeit der F ärbung aufgezählten Beispiele beziehen sich auf domestizierte Tiere. Wenn es auch von vorn- herein außerordentlich wahrscheinlich ist, daß auch bei wildlebenden Säugern und Vögeln die nämlichen Erblichkeitsverhältnisse bestehen, so ist es doch von Interesse, daß tatsächlich in einigen Fällen auch bei freilebenden Tieren der alternative Vererbungsmodus nachgewiesen oder wenigstens sehr wahrscheinlich gemacht werden konnte. So ist vom Steinkauz, Athene noctua, eine Varietät bekannt, welche statt der normalen gelben Iris eine schwarze Iris besaß, und die vor- liegenden Beobachtungen machen es sehr wahrscheinlich, daß die Schwarzäugigkeit einen rezessiven Charakter darstellt?). In ähnlicher Weise weisen verschiedene Beobachtungen darauf hin, daß bei der Amsel (Turdus merula) der normale Melanismus und der Albinismus sich als antagonistische Merkmale verhalten). Sehr wechselnd ist auch bei den Wirbellosen das Verhältnis der Zeichnungsvarietäten zueinander und zur Einfarbigkeit. Bei der Seidenraupe (Bombyx mori) dominiert Streifung über Weiß®), während bei der Garten- und Hainschnecke (Helix hortensis und nemoralis) die Einfarbigkeit über die Bänderung dominiert‘). Bei Schmetterlingen ist die typische Zeichnung bald dominant, bald rezessiv gegenüber den dunkleren (melanistischen) Varietäten, ersteres z. B. beim Stachel- beerspanner (Abraxas grossulariata), letzteres beim Rotbuchenspinner oder Nagelfleck (Aglia tau). Bezüglich des letzteren liegen sehr interessante Kreuzungen von Standfuß vor). Die helle Normalform von Aglia tau (Fig. 98A) ist rezessiv gegenüber den beiden melanistischen Varietäten (Muta- tionen) fere-nigra mit stark pigmentierter Randbinde (Fig. 98B) und melaina mit mehr gleichmäßiger Verdunkelung (Fig. 98C)®). Die beiden Mutationen untereinander ergeben eine neue Form, weismanni, !) Nach Beobachtungen von: Giglioli (Ibis, S, ı, 1903), zitiert bei Bateson, S. 110 (1909). Vgl. auch O. Kleinschmidt, Strix Athene, in: Berajah (Leipzig) 1907, Taf. 2 und 3. .. ”) Wenn z.B. Fischer-Sigwart (Ornithol. Jahrb. 1894, S. 151) von einem normalen Amselpaar berichtet, dessen Brut aus zwei normalen und aus zwei weißen Jungen bestand, so kann es sich allerdings um spontanes Auftreten von Albinismus, gerade so gut aber auch um das F\,-Ergebnis einer Bastardierung gehandelt haben. ®) Coutagne 1902, Toyama 1906. *) Lang 1908. >) Standfuß 1910. °) fere-nigra fliegt in einem großer Teil von Mitteleuropa, melaina ist bisher nur in Steyer in Oberösterreich nachgewiesen worden. * 234 Aglia tau. welche zuweilen einen intermediären Typus repräsentiert, in der Regel aber eine Addition des Pigmentes der beiden Mutationen, also eine annähernde Verdoppelung der Verdunkelung erkennen läßt (Fig. 98D). Wird ein heterozygotes fere-nigra-Individuum mit einem ebensolchen melaina-Individuum gekreuzt, so erscheinen unter den Nachkommen alle vier Typen. Dies können wir durch eine Formel ausdrücken, Weibchen von Aglia tau. Nach Standfuß. A Normalform. B Mut. fere-nigra. in welcher die homozygoten Individuen von Aglia tau normal, fere- nigra und melaina bzw. mit AA, BB und CC bezeichnet sind und durch die Einklammerung der rezessive Charakter von A an- gedeutet ist: BBx AA CCx AA mn nn. B(A) C(A) 25 Proz. BC 25 Proz. B(A) 25 Proz. C(A) 25 Proz. AA (weismanni) (fere-nigra, heterozyg.) (melaina, heterozyg.) (normal, homozyg.) Hautgebilde. 235 Bezüglich der Erblichkeitsverhältnisse der verschiedenen Zeichnungsformen polymorpher Schmetterlinge, insbesondere der Papilioniden mit mehreren Weibchen- formen, haben die Arbeiten von de Meijere und Punnett interessante Ausblicke eröffnet. Was dann sonstige Hautgebilde anbelangt, so verhalten sich der Angoracharakter (Angorismus), d. h. das lange, seidenweiche Fig. 98. > Weibchen von Aglia tau.° Nach Standfuß. C Mut. melaina. D. Mut. weismanni. Haar bei Kaninchen, Meerschweinchen (Fig. 97A) und Katzen, und die Seidenfedrigkeit (silky feathers) der Hühner gegenüber dem normalen Typus rezessiv, während die rosettenförmige Anord- nung der Haare bei Meerschweinchen (Fig. 97 A) und die Struppig- keit des Gefieders bei Hühnern sich gegenüber der normalen glatten Beschaffenheit der Haare und des Gefieders als dominierend erweisen. 236 Kammformen der Hühner. Bei Hunden dominiert Kurzhaarigkeit fast vollkommen über Lang- haarigkeit). In besonders schöner Weise läßt sich, wie schon im vorigen Ka- pitel ausgeführt wurde, bei Meerschweinchen zeigen, wie die Glieder der drei Merkmalspaare: Pigmentierung > Albinismus, Kurzhaarigkeit > Angorismus, Rosettencharakter > Glatthaarigkeit in der F,-Gene- ration in den verschiedensten Kombinationen zutage treten. Die Rezessivität speziell des Angorismus istin Betracht zu ziehen, wenn es sich um die Frage nach der Einwirkung der Lebensbe- dingungen auf die Rassencharaktere handelt. So hatte Darwin?) angegeben, daß die Karakulschafe, deren schwarzes, feines, lockiges Vließ bekanntlich das Hauptmaterial für die echten „Perser“-Teppiche liefert, diesen Haarcharakter verlieren, wenn sie aus ihrer Heimat aus der Nähe von Buchara®) nach Persien oder in andere Gegenden ent- fernt werden. _ Gegenüber der naheliegenden Annahme, daß hier eine direkte Wirkung. des Klimas in Frage komme, hat schon Castle®) die Möglichkeit hervorgehoben, daß bei der Verpflanzung der Tiere in andere Gegenden infolge von Blutmischung der rezessive An- goracharakter allmählich unterdrückt werde. Sehr genaue Angaben existieren über die Erblichkeit der ver- schiedenen Kammformen der Hühnerrassen®). Hervorzuheben ist, daß der „Erbsenkamm“ (erbsenförmige Tuberkeln in drei Längsreihen angeordnet, Fig. 99B) und der „Rosenkamm“ (zahlreiche papillen- förmige Erhebungen, welche zusammen eine dreieckige Platte bilden, Fig. 99C) gegenüber dem hohen einfach gezackten Kamm z.B. des Bankiva- und Leghornhuhns (Fig. 99A) dominierend sind. Auch die Haube der Hühner, ein Federbüschel in der Stirnregion ®), und die Fußbefiederung verhalten sich gegenüber dem Typus als dominierende Merkmale, während der lange Schwanz des japani- !) Bezüglich der erwähnten Haarcharaktere vgl. namentlich Castle 1903, Lang 1910, bezüglich der Federncharaktere die Arbeiten von Bateson und Saunders und Davenport. %),Var., 1,8322: °).Das fragliche Karakul ist ein Ort zwischen Buchara (220 m) und Tschardschui am Amudarja (190m) und nicht zu verwechseln mit dem großen Karakulsee (3780 m) auf dem Pamir-Plateau. *) Heredity of „Angora“ coat 1903. °) Vgl. namentlich Bateson und Saunders und Davenport, sowie Bateson, S. 61 (1909). °) Eine genauere morphologische Untersuchung dieser Bildung hat neuerdings B. Klatt (Zool. Anz., 36. Bd., 1910) gegeben. REN ET PETE DO Hornlosigkeit der Rinder und Schafe. 237 schen Tosa- oder Phönixhuhns einen nicht vollkommen ausgesprochenen dominierenden Charakter besitzt. ö Bezüglich der Hörner wurde festgestellt, daß die Hornlosig- keit der Aberdeen-Angus- und Galloway-Rinder gegenüber der Horn- bildung der Shorthorns dominierend ist!), während sich bei der Kreuzung hornloser Suffolkschafe mit gehörnten Dorsets die Horn- losigkeit wenigstens im männlichen Geschlecht als rezessiv erweist). Fig. 99. Kammformen. Nach Thomson. A Einfach gezackter Kamm. B Erbsenkamm. C Rosenkamm. Die Verkümmerung des Schwanzes bei der Katze von Man ist ein (unvollständig) dominierender Charakter gegenüber dem nor- malen Schwanz?). Unter den mehr pathologischen erblichen Rassencharakteren sei erwähnt die Extrazehe der Dorking- und Houdan-Hühner (Fig. 100), !) Vgl. Bateson und Saunders 1902, Spillmann 1906. 2) Wood 1905. ®) Vgl. Groß, S. 511 (1906); Bateson, $S.34 (1909). Die vorliegenden älteren Angaben von Weinland (1862) und v. Kennel (1902) (vgl. Groß) lassen es als zweifelhaft erscheinen, ob bei Kreuzungen zwischen Stummelschwanzkatzen und nor- malen Katzen die Uniformitätsregel Gültigkeit hat. 238 Mendelnde Merkmale bei Pflanzen. welche gegenüber der normalen Zehenzahl unvollständig dominiert, sowie die KopfKernie des polnischen Huhns, eine domartige Vor- wölbung des Schädels, welche durch Bildung einer Cerebralhernie und sekundäre Verknöcherung der dura mater zustande kommt (Fig. 101) und ein rezessives Merkmal darstellt. Das Tanzen der japanischen Mäuse, ein erblicher Drehschwindel, dessen Ätiologie noch nicht vollkommen sicher steht und der unab- hängig von einem bestimmten Farbenkleid auftreten kann, ist ein rezessiver Charakter, der aber in der F,- Generation nicht bei einem vollen Viertel der Individuen zutage tritt). Bei Pflanzen sind u. a. folgende Merkmalspaare fest- gestellt worden: Wie bei den Tieren trifft auch bei den Pflanzen die Regel zu, daß Färbung über Pigmentlosigkeit dominiert. Speziell gilt dies in den meisten Fällen für die auf der Anthocyanfärbung des Zellsaftes beruhenden roten, blauen und purpurnen Blüten- farben, welche dominant sind gegenüber der weißen Blüten- farbe2). Andererseits ist die gelbe, durch die Anwesenheit gelber Chromoplasten (Plasti- den) bedingte Blütenfarbe re- zessiv gegenüber der auf der Anwesenheit weißer Chromoplasten (Leukoplasten) beruhenden Farb- losigkeit, so bei den Levkojen (Mattiola), bei der großblumigen Wicke (Lathyrus) usw. 3). Fig. 100. Überzählige Zehe eines Houdan-Hahnes. Unterhalb des Sporns die doppelte Hinterzehe. Nach Davenport. Fig. 101. Kopfhernie eines polnischen Huhnes. Nach Davenport. / !) Darbishire 1904. Plate (Intern. Zool. Kongr. Graz 1910) hat neuerdings bestritten, daß das Tanzen einen mendelnden Charakter darstellt. ®) Eine Ausnahme bilden gewisse weiße Rassen von Primula sinensis. Vgl. Bateson, S. 105 (1909). ®) Vgl. Bateson, S. 134 (1909). nd ee a Tu Mendelnde Merkmale bei Pflanzen. 239 Was das Verhältnis der Farben untereinander anbelangt, so do- miniert bei Erbsen, großblumigen Wicken und Levkojen Purpur über Rot, bei anderen Pflanzen, so beim Aschenkraut (Cineraria) Blau über Rot, während umgekehrt bei Primula Sinensis Blau gegenüber Rot rezessiv ist!). Also liegen hier ähnliche Verschiedenheiten, wie bei den einfachen Pigmentfärbungen der Nager vor. Schon früher wurde angedeutet, daß auch bei anderen Pflanzen- organen eine alternative Vererbung der Färbungscharaktere stattfindet. So dominiert bei den Erbsen, wie schon Mendel fand, die gelbe Farbe der Cotyledonen über die grüne, beim Mais verhalten sich nach den Untersuchungen von Correns das Blau und Nichtblau der Kleber- schicht und ebenso die gelbe und weiße Farbe des übrigen Endo- sperms wie antagonistische Merkmale 2). Bei den Erbsen dominiert ferner die runde Beschaffenheit der Samen über die gerunzelte, während die großen, länglichen und ein- fachen Stärkekörner, welche in runden, und die kleinen verschieden geformten und zusammengesetzten Körner, welche in gerunzelten Samen vorkommen, eine intermediäre F,-Form bilden). In ähnlicher Weise sind beim Mais die glattkörnigen Rassen, bei welchen die Körner infolge des Stärkegehaltes des Endosperms glatt und voll bleiben, dominierend gegenüber denjenigen Rassen, deren Körner infolge des Zuckergehaltes des Endosperms beim Trocknen runzlig werden (Taf. II) :). Bei Lichtnelken (Lychnis) und Levkojen (Matthiola)5) dominiert die haarige Beschaffenheit der Pflanze über die glatte, bei der Brenn- nessel (Urtica) die stark gesägte Form der Blätter (U. pilulifera) über die schwach gesägte (U. dodartii)®), beim Weizen die Bartlosigkeit der Ähren über die bärtige Form”), bei Erbsen und großblumigen Wicken (Lathyrus) dominiert endlich hoher Wuchs über Zwerg- wuchs 8). Auch bei einigen rein physiologischen Charakteren wurde der alternative Vererbungsmodus festgestellt, so beim Bilsenkraut (Hyos- !) Vgl. Bateson, S. 135 (1909). *”) Vgl. Correns, S.212 (1901) (Ergebn.) und 1901 (Bast. zw. Maisrassen). ®) Vgl. Correns 1900, Tschermak 1900, Gregory 1903, Darbishire 1908 u.a. *) Correns 1901. °) Bateson und Saunders 1902, Correns 1900 u. a. 6) Correns 1905. 7) Tschermak 1901. 8) Mendel, Tschermak 1901 u.a. 240 Unvollständige Dominanz. cyamus) die Zweijährigkeit als dominierend über Einjährigkeit!), beim Weizen Frühreife als unvollständig dominierend gegenüber der Spät- reife2), und ebenso Empfänglichkeit für Gelbrost als dominierend gegenüber der Immunität). Sowohl im Tier- wie Pflanzenreich sind übrigens eine Reihe von Fällen bekannt, in welchen die heterozygoten Individuen eine unvoll- ständige Dominanz des eigentlich dominierenden Charakters erkennen lassen). So können bei Kreuzung von normalzehigen Hühnerrassen mit solchen, welche eine Extrazehe besitzen (Fig. 100), in der F}-Ge- neration über 20 Proz. der Individuen den rezessiven normalzehigen Typus aufweisen. Die unvollständige Dominanz, für welche übrigens die unvoll- ständige Rezessivität bei den Axolotl-Bastarden eine Art Gegenstück bildet, kann an eines der Geschlechter gebunden sein. So ist bei den Leghornhühnern Weiß > Schwarz, aber bei den Weibchen ist die Do- minanz so unvollständig, daß das Gefieder des Hybriden mit einzelnen dunklen Flecken besetzt, gesprenkelt oder „blau“ sein kann. Daß hier die Dominanz nicht umgekehrt, sondern nur abgeschwächt ist, geht daraus hervor, daß in den späteren Generationen das Weiß mehr und mehr dominiert. Zahlreiche Fälle sind auch bekannt, in welchen die Bastarde ein im Laufe der Entwickelung bzw. in den einzelnen Körper- regionen wechselndes Verhalten aufweisen. Einfarbig schwarze Mäuse können während des Haarwechsels vorübergehend eine grau- braune Färbung aufweisen5); bei gesperberten Hühnern beruht die Bänderung der einzelnen Federn darauf, daß während ihrer Ent- wickelung in bestimmten Zonen schwarzes Pigment zur Abscheidung gelangt, in den alternierenden Zonen dagegen nicht®); weiße Axolotl- larven können nachträglich einen gescheckten (intermediären) Habitus annehmen. Verhältnisse dieser Art sind auch bei Artbastarden nachgewiesen worden. Bei der Kreuzung von Saturnia pavonia @ x pyri 9 sind die Raupen in ihrem ersten Kleide pyri-ähnlich und werden später I) Correns 1904. ?) Tschermak 1908. Hier findet sich eine Zusammenstellung der bisher bei Weizen und Gerste beobachteten alternativen Merkmalspaare. ®) Biffen 1907. *) Vgl. hierzu Davenport 1910. 5) Vgl.v. Guaita 1900, sowie Allen 1904. °) Davenport, S. 85 (1906). Literaturverzeichnis 22 und 23. 241 der Raupe von S. pavonia ähnlicher!). Bei einem Orchideenbastard (Odontoglossum Edwardi x O. Harryano-crispum) wurde beobachtet, daß die sich öffnenden Blüten auf gelbem Grund violette Flecke be- saßen und daß sich dann das Gelb in Weiß und dieses wieder in ein blasses Lila verwandelt?) Literaturverzeichnis zu Kapitel 22 und 23. Adametz, L., Die biologische und züchterische Bedeutung der Haustierfärbung, Jahrb. d. landwirtsch. Pflanzen- u. Tierzüchtung, 2. Jahrg. (1904). Stuttgart 1905. Allen, G. M., The heredity of coat colour in mice. Proc. Am. Ac., Vol. 40, 1904. Bateson, W., and Saunders, E. R., Reports to the Evolution Committee of the Royal Society. I. 1902. Bateson, W., Mendel’s Principles of Heredity. Cambridge 1909. Baur, E., Untersuchungen über die Erblichkeitsverhältnisse usw. von Antirrhinum majus. Ber. D. Bot. Ges., 25. Bd., 1907. Biffen, R. H., Studies in the Inheritance of Disease-resistance. Journ. Agric. Sci. Vol. 2, 1907. Castle, W. E., The heredity of „Angora“ Coat in mammals. 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Eine große Zahl der im vorigen Kapitel angeführten Daten ist auf experimentellem Wege, durch planmäßige Züchtung der ersten und zweiten, eventuell auch noch der folgenden Bastardgenerationen ermittelt worden, nur bei einigen wenigen ist eine andere Methode zum Nachweis des alternativen Vererbungsmodus, die statistische, zur Verwendung gelangt. Diese statistische Methode ist im wesentlichen schon von Daven- port (1905) bei seinen Untersuchungen über die Farbe der Schafe festgelegt und neuerdings von Bateson (1909, S. 229) näher präzi- siert worden !), Sie wird dann zur Anwendung kommen, wenn der Natur der Sache nach die planmäßige Reinzucht der Stammformen und die Inzucht der F,-Nachkommen ausgeschlossen ist, wenn viel- mehr ein von der Natur dargebotenes, auf in der Regel nur zwei oder drei Generationen sich erstreckendes Material zur Festlegung des Vererbungsmodus benutzt werden soll. Insbesondere wird also die statistische Methode bei der Feststellung der Erblichkeitsverhält- nisse beim Menschen Verwendung finden. Dominante Charaktere werden nach diesem Verfahren im allgemeinen daran-erkannt, daß sie nur durch affizierte, d.h. das dominierende Merkmal äußerlich zur Schau tragende Individuen weiter vererbt werden, und daß also bei den Nachkommen eines nichtaffizierten Elternpaares das Merkmal nicht auftritt, es sei denn auf Grund einer Spontanvariation (Mutation). In vielen Fällen, namentlich dann, wenn es sich um seltenere dominante Charaktere mehr pathologischer Natur handelt, !) Eine streng mathematische Methode zur Feststellung des alternativen Ver- erbungsmodus hat Weinberg entwickelt und bei seinem Versuch, den alternativen Charakter der Anlage zu Mehrlingsgeburten nachzuweisen, zur Anwendung gebracht (1908, 1909). Kriterien für dominierende und rezessive Merkmale. 245 wird es ferner vorkommen, daß infolge der beim Menschen be- stehenden fast schrankenlosen Blutmischung (Panmixie) von den Eltern dominanter Individuen nur der eine dominant, und zwar heterozygot, der andere aber rezessiv sein wird, es werden also in diesen Fällen, abgesehen natürlich von Verwandtenehen und zu- fälligem Zusammentreffen, die Eltern die Vererbungsformeln DR und RR besitzen, und dies wird sich darin äußern, daß nur bei 50 Proz. der Kinder das dominierende, bei den anderen 50 Proz. aber das rezessive Merkmal zum Vorschein kommt. Ist also in einer größeren Geschwisterschar ein bestimmtes Merkmal etwa bei der Hälfte der Individuen vertreten, so wird man zunächst ganz allgemein an einen mendelnden Charakter zu denken haben, und an der Hand des im vorigen Absatz angeführten Kriteriums wird man bestimmen können, ob es sich um ein dominierendes Merkmal handelt. Im Falle ein dominierendes Merkmal in seinem Auftreten an ein bestimmtes Geschlecht, z. B. das männliche, gebunden ist — ein Ver- hältnis, das, wie wir sehen werden, gerade beim Menschen in einigen Fällen vorliegt —, wird seine Feststellung durch den Nachweis er- folgen, daß die männlichen Nachkommen der affızierten männ- lichen Familienglieder zur Hälfte den betreffenden Charakter auf- weisen, zur Hälfte nicht. Der Verdacht, daß ein bestimmtes Merkmal rezessiv ist, liegt dann vor, wenn es innerhalb einer Familie mehreremal zum Vorschein kommt, und zwar in der Weise, daß es bei den Kindern von nicht- affizierten Eltern auftritt. Die vier entscheidenden Kriterien für den rezessiven Charakter eines Merkmals sind im übrigen nach Davenport folgende: 1. Zwei rezessive Eltern (RR x RR) dürfen nur rezessive Nachkommen geben. 2. Ein rezessiver und ein hetero- zygoter (äußerlich dominierender oder intermediärer) Elter (RR x DR) geben 50 Proz. rezessive Nachkommen. 3. Zwei heterozygote Eltern (DR x DR) geben 25 Proz. rezessive Nachkommen. 4. Ein rezes- siver und ein rein dominierender Elter (RR x DD) liefern nur domi- nante Individuen. Es ist nun beim Menschen für eine Reihe von normalen und pathologischen erblichen Merkmalen der alternierende Charakter fest- gestellt oder sehr wahrscheinlich gemacht worden. Mit ziemlicher Sicherheit darf man sagen, daß auch beim Menschen und speziell bei den Negern der Albinismus ein rezessives 246 Albinismus der Neger. Merkmal ist. In einem von Farabee!) mitgeteilten Falle heiratete ein albinotischer Neger eine normale Negerin und erhielt drei äußer- lich normale Söhne. Von diesen erzeugten zwei wieder nur normale Nachkommen, während einer, welcher zweimal mit äußerlich normalen Frauen verheiratet war, 15 Kinder erzeugte: mit der ersten Frau 5 normale und ein albinotisches, mit der zweiten Frau 6 normale und 3 albinotische.. Wenn nun in der Tat der Albinismus auch beim Menschen ein .rezessives\ Merkmal darstellt, so läßt sich der Ver- erbungsgang bei folgender Annahme leicht verstehen: Der Großvater war homozygot-rezessiv, die Großmutter homozygot-dominant, die Söhne heterozygot-dominant, desgleichen die beiden Frauen des dritten, eine Annahme, die dadurch ihre Unwahrscheinlichkeit ver- liert, daß nach Farabee in der Nachbarschaft noch mehrere andere Fälle von Albinismus vorkamen. Es ergibt sich also folgende Des- zendenz: ZRH DD DR xD! DR x DD?! l. 50 Proz. DD, 50 Proz. DR 2. so Proz. DD, 50 Proz. DR (sämtlich äußerlich normal) (sämtlich äußerlich normal) DRa x DR2Q 3. DEE 25 Proz. DD, 50 Proz. DR, 25 Proz. RR Da von den Nachkommen des dritten Sohnes 11 normal und 4 albinotisch waren, so beträgt die Zahl der letzteren annähernd 25 Proz. und es stimmen also die tatsächlichen Zahlen sehr gut mit den zu erwartenden überein. Weniger klar liegen andere Beobachtungen. In einem von Sted- man in Surinam beobachteten Falle?) heiratete eine albinotische Negerin einen Europäer. Die Kinder waren lauter Mulatten, es muß also in diesem Falle die Anlage für dunkle Pigmentierung von der albinotischen Negerfrau latent mitgeführt worden sein, was der oben gemachten Annahme widerspricht, daß die albinotischen Neger homozygot rezessiv sind. Was überhaupt die Erblichkeit der ne bei Kreuzung ver- schiedener Menschenrassen anbelangt, so liegen in dieser Rich- !) Vgl. Farabee 1903, sowie Castle 1903. Weitere Literatur bei Groß, S.418 und 513 (1906), Hammer, S.80 (1908) und Bateson, S. 226 (1909). 2) Zitiert bei Bateson, S. 227 (1909). Bastardvölker. 247 tung, so weit mir bekannt ist, noch keine ausgedehnteren, unter Be- rücksichtigung unserer neueren Erfahrungen durchgeführten Unter- suchungen vor). In der Regel wird angegeben, daß die Bastarde in bezug auf die Färbung einen intermediären Charakter aufweisen 2), doch liegen auch gegenteilige Beobachtungen vor. So berichtet neuerdings Townsend?3) von der Bevölkerung einer kleinen Insel im Stillen Ozean (Pitcairn), welche vor etwas über 100 Jahren durch Vermischung von Engländern mit polynesischen (tahitischen) Frauen entstand und deren Stammbäume sorgfältig aufbewahrt sind. Die Eingeborenen der ersten Generation hatten alle, mit einer Ausnahme, Fig. 102. 1 Durchschnitt durch die Iris eines Negers. Nach Hauschild. cjp Konjunktivapigment. ci Ciliarfortsätze. co Ciliarkörper. hep hinteres Irisepithel. 1 Linse. str Irisstroma. vgr vordere Grenzschichf. dunkles Haar, dunkle Augen und olivenfarbene Haut. In der zweiten Generation waren einige so dunkel wie Vollblut- Tahitier, andere so hellfarbig wie Europäer, und gegenwärtig erscheinen beide Typen nebeneinander in der gleichen Familie. Offenbar liegt also hier der alternative Vererbungsmodus vor ®). !) Vgl. E. Fischer 1909. 2) Vgl. auch Bateson, S.208 (1909). ®) Manchester Guardian 1910. Zitiert nach der Frankfurter Zeitung. *) Ähnliches gilt vielleicht für die Hautfarbe der „Bastards* in Deutsch - Süd- westafrika, welche bald hellzimtbraun, bald und zwar meistens wie die Südeuropäer, vereinzelt auch recht hell gefärbt sind. Vgl. E. Fischer 1909. 248 Bastardvölker. Vererbung der Augenfarbe. Ziemlich komplizierter Natur scheinen die Erblichkeitsbeziehungen zwischen den verschiedenen Augenfarben des Menschen zu sein. Was zunächst das Morphologische anbelangt, so sei daran erinnert, daß, abgesehen von den albinotischen Individuen, die Chorioidea bei allen Menschenrassen, auch bei den helläugigen, sehr viel Pigment enthält und daß darauf die Schwärze der Pupille beruht. Auch das zweiblätterige hintere Irisepithel (pars iridica retinae in Fig. 102, hep), welches, als Fortsetzung der Retina und der Epithelbekleidung des Ciliarkörpers (c?), die Innenfläche der Iris bedeckt, ist stets pigmentiert'), dagegen zeigt das bindegewebige Irisstroma (str) und die vordere Grenzschicht (vorderes Endothel, vgr) wechselnde Verhältnisse. Die dunkelbraune bis tiefschwarzbraune lrisfarbe dunkelhäutiger Rassen und brünetter Individuen wird durch die sehr starke Pigmen- tierung der vorderen Grenzschicht der Iris bedingt 2), während bei allen hellen Augen (hellbraun, grau, grün, blau) das Pigment der vorderen Grenzschicht in geringerem oder stärkerem Maße reduziert ist, so daß die Pigmentverhältnisse des Stromas und des hinteren Epi- thels mit beteiligt sind oder ausschließlich in Frage kommen. Bei hellbraunen Augen ist in der vorderen Grenzschicht und im lIris- stroma hellbraunes Pigment in weniger dichter Anordnung vorhanden, bei grauen und graublauen Augen tritt eine Abänderung der Braunfärbung durch Beimischung reflektierter blauer Strahlen ein, eine grüne Farbwirkung kommt bei ebenfalls nicht sehr starker Pig- mentation dadurch zustande, daß in der Nähe der Pupille die be- kannte radiäre Struktur der Iris sich in Form eines Wechsels zwischen grauen oder graublauen „Sektoren“ und hellbraunen „Irisbalken“ 3) darstellen kann; die Blaufärbung endlich hat darin ihre Ursache, daß die bindegewebigen Teile der Iris (vordere Grenzschicht und Stroma) vollkommen pigmentfrei sind und in diesem „trüben“, vor einem dunklen Hintergrund gelegenen Medium eine starke Reflexion von blauen Strahlen zustande kommt. Die Blaufärbung der Augen kommt also in der nämlichen Weise zustande, wie die des Himmels oder wie die der blauen Vogelfedern. ') Vgl. z.B. A. Rauber, Lehrbuch der Anatomie des Menschen, 5. Aufl., 2. B4.78.712. ”) Vgl. Hauschild, S.487, 540. ®) Erstere bestehen nur aus den untersten, letztere aus allen Irisschichten (vgl. Hauschild, S. 484). Vererbung der Augenfarbe. Haarfarbe. 249 Neuere Untersuchungen !) haben nun zunächst ergeben, daß Blau rezessiv gegenüber Braun ist, ein Ergebnis, daß mit der allge- mein gemachten Beobachtung von der. Zurückdrängung des helleren (germanischen) durch den dunkleren (romanischen) Typus im Einklang steht2). Blauäugige Individuen sind also in bezug auf dieses Merkmal stets homozygot und dementsprechend findet man, daß die Kinder zweier blauäugiger Eltern (RR x RR) ebenfalls überwiegend blau, seltener blaugrau oder grau sind. Was die graue Farbe anbelangt, so scheint sie im allgemeinen ebenfalls rezessiv gegenüber Braun, dagegen dominant gegenüber Blau zu sein. Nach anderweitigen Untersuchungen) würde der allgemein gehaltene Satz Gültigkeit haben, daß die An- wesenheit von braunem Pigment an der vorderen Oberfläche (d.h. in der vorderen Grenzschicht) der Iris dominant ist gegenüber der Ab- wesenheit von solchem Pigment. Ferner scheint auch eine gleich- mäßige Färbung der ganzen Iris (self-coloured irides) dominant zu sein gegenüber der ringförmigen, auf die Umgebung der Pupille be- schränkten Pigmentierung (ringed irides). Bezüglich der Vererbung der Haarfarbe liegen noch keine be- stimmten Resultate vor. Doch dürften die Verhältnisse schwarz oder dunkelbraun > hellbraun > flachsfarbig ) und schwarz > rot 5) Gültig- keit haben. Was den sonstigen Charakter des Kopfhaares anbelangt, so ist das gekräuselte (in der distalen Hälfte in einer engen Spirale verlaufende) Haar mit elliptischem Querschnitt dominant gegenüber dem geraden, zylindrischen 6). Das wellenförmige, in einer offenen Spirale gleichmäßig von der Wurzel bis zur Spitze gekrümmte Haar scheint gewöhnlich einen heterozygoten Zustand (wellenförmig x. ge- rade) darzustellen ?). Von sonstigen morphologischen Merkmalen, welche nicht in das Gebiet des eigentlich Pathologischen fallen, sei zunächst die Habs- burger Unterlippe genannt, welche offenbar ein dominierendes, ') G. C. und Ch. B. Davenport 1907. ?) Man vergleiche die Gemälde der Venezianer des 16. Jahrhunderts (Palma vecchio, Tintoretto, Bordone) mit ihren blauäugigen, flachs- oder rotblonden Patrizier- frauen, die Madonnen des Bolognesers Guido Reni usw. im Gegensatz zu dem vor- herrschend dunkeln Typus der jetzigen Stadtbevölkerung Oberitaliens. ») Vgl. Hurst 1908. *) Vgl. Davenport 1908 (Det. of dom. etc.). ®) Bateson, S.206 (1909). ®) G. C. Davenport und Ch. B. Davenport. 7) Auch bei den „Bastards“ in Deutsch-Südwestafrika stellt das Haar einen Kompromiß zwischen beiden Rassen dar. Vgl. E. Fischer 1909. 250 Erbliche Mißbildungen. Erbliche Hautaffektionen. fast ausschließlich an das männliche Geschlecht gebundenes Merk- mal darstellt und welche als solches durch mindestens sechs Jahr- hunderte hindurch in der Dynastie der Habsburger weitervererbt worden ist). Ein physiologisches Merkmal, welches beim Menschen wahrscheinlich in Form eines rezessiven Charakters vererbt wird, ist die Anlage zur Mehrlingsgeburt?). Der alternative Vererbungsmodus kann ferner für eine große Zahl von erblichen Krankheiten und Mißbildungen nachgewiesen oder wahrscheinlich gemacht werden, und zwar sind beinahe alle bis- her bekannten mendelnden Abnormitäten beim Menschen dominant. Dieses Verhältnis erklärt sich wahrscheinlich, wie schon Bateson hervorgehoben hat, dadurch, daß für dominierende Merkmale die Ver- erbung leichter festzustellen ist. Als dominierende Merkmale sind vor allem anzuführen: Die erbliche Brachydaktylie oder Hypophalangie, bei welcher sämtliche Finger und Zehen nur zwei Phalangen aufweisen 3); der kongenitale präsenile graue Star); ferner eine ganze Anzahl von Hautaffektionen, für welche gleichzeitig durch Gossage und Hammer die alternative Vererbungsweise dargelegt werden konnte. Dahin gehört die Tylosis palmaris et plantaris (Keratoma p. et pl.), welche in einer abnormen Verdickung der Haut der inneren Handfläche und Fußsohle besteht und deren Erblichkeit schon für die durch Darwin) berühmt gewordene „Stachelschwein“ - Familie Lambert nachgewiesen worden war; ferner die Dermatolysis here- ditaria (Epidermolysis bullosa), bei welcher die Epidermis bei ge- ringfügigen Anlässen Blasen bildet, die Hypotrichosis congenita familiaris (Haarverlust in ganz jugendlichem Alter) usw. ®). Weiterhin ist der dominierende Charakter für den Diabetes insipidus (Polyurie), für die kongenitale stationäre Nacht- !) Siehe Kapitel 1. 2) Vgl. Weinberg 1909. ®) Bateson, Brit. med. Journ., Vol. 2, S.61ff. (1906); ferner Hammer 1908, Bateson, S.210 (1909) (hier eine ausführliche Darstellung). *) Bateson, S.217 (1909). 5) Darwin, Variieren, 2. Bd., S.5. °) Eine sehr merkwürdige erbliche Hautabnormität, deren Vererbungsweise aber noch nicht- genauer bekannt geworden ist, findet sich bei einer Varietät der Hausmaus, der „Rhinocerosmaus“ (Allen, S.67, Fig.ı, 1904). Die vollkommen haarlose Haut ist hier in Querrunzeln gelegt und bildet an den Körperseiten je eine mantelartige Längsfalte. Erbliche Hautaffektionen. 251 blindheit, für einige Formen von Glaukom!) usw. nachzuweisen, während die Retinitis pigmentosa und Alkaptonurie (Rot- färbung des Harnes infolge der Anwesenheit von Alkapton) wahr- scheinlich rezessive mendelnde Abnormitäten darstellen 2). Von besonderem Interesse ist auch die Erblichkeit der Bluter- krankheit (Hämophilie), welche durch das Auftreten starker Blutungen bei leichten Wunden und Rissen gekennzeichnet ist, und die der Farbenblindheit, speziell der Rot-Grün-Blindheit3). Für beide Vorkommnisse gilt, ähnlich wie für die Habsburger Unterlippe, daß sie offenbar dominante Charaktere sind, die nach dem alternativen Modus vererbt werden, aber in ihrem äußeren Auftreten an das männliche Geschlecht gebunden sind. Als Norm kann für derartige Merkmale gelten, daß sie innerhalb einer Familie im allgemeinen nur bei den männlichen Individuen auftreten, daß sie ferner durch nicht- affızierte Männer nicht, durch die affızierten Männer aber, je nach ihrer und ihrer Frauen Zusammensetzung, auf alle oder nur auf einen Teil der Söhne übertragen werden, und endlich, daß sie auch durch nichtaffizierte Frauen vom Großvater auf den Enkel übertragen werden können. Ausnahmen kommen indessen in verschiedener Hinsicht vor: speziell bei der Bluterkrankheit können in seltenen Fällen auch nichtaffiziertte Männer die Abnormität auf die Söhne übertragen, und andererseits kann die Farbenblindheit auch bei weiblichen Familiengliedern auftreten, dann nämlich, wenn diese von einem affizierten, heterozygoten Vater und einer in bezug auf das Merk- mal gleichfalls heterozygoten Mutter abstammen (DR d' x DR 9) und in bezug auf das Merkmal selber homozygot (DD) sind). In diesem Falle werden alle Söhne der affızierten Frauen das Merk- mal zur Entfaltung bringen: DROAXxDR® DD?! RRco DR c< (alle affiziert!) DR 29 ') Vgl. Bateson, S. 220ff. (1909). ?) Ebenda, S. 225 ff. #) Vgl. auch P. Lucas, siehe Literaturverzeichnis 2; Darwin, Variieren, 2. Bd., S.94; Weismann, Keimplasma, S.484. Bezüglich der Farbenblindheit vgl. besonders Bateson, S.172, 223 „1909). *) Nach Bateson (S. 223, 1909), wenn sie mit einer doppelten „Dose“ des den Zustand der Farbenblindheit hervorrufenden Faktors ausgestattet sind. 252 Eugenik. Die zunehmende Kenntnis der Erbeinheiten beim Menschen und ihres Verhaltens bei der Vererbung hat nicht bloß ein hohes wissen- schaftliches Interesse, sondern wird sicher nach und nach auch prak- tische Früchte tragen. Vor allem wird die Frage, inwieweit erblich belasteten Individuen das Recht auf Nachkommenschaft zugewiesen werden darf, von einem sicheren Boden aus beantwortet werden können. In Deutschland, England und Amerika sind ja bereits die ersten Schritte getan, um die Aufmerksamkeit weiterer Kreise auf das soziologische Grundproblem der Rassenhygiene oder Eugenik (der „Wohlgeborenheit“) zu lenken, und bei diesen Bestrebungen werden in Zukunft sicher die Ergebnisse der Mendelforschung eine immer wichtigere ‘Rolle spielen !). Literaturverzeichnis zu Kapitel 24. Allen 1903, s. Literaturverzeichnis 22 und 23. Bateson 1909, s. Literaturverzeichnis 22 und 23. Castle, W.E., Note on Mr. Farabee’s observations. Science, N.S., Vol. 17, 1903. Darwin 1868, s. Literaturverzeichnis 2. Davenport, C. B., The origin of black sheep in the flock. Science, N. S., Vol. 22, 1905. —, Determination of dominance in Mendelian inheritance. Proc. Amer. Phil. Soc., Vol. 47, 1908. Davenport, Gertrude C. and Davenport, Ch. B., Heredity in eye-colour in man. Science, N. S., Vol. 26, 1907. —, Heredity in Hair-form in Man. Amer. Nat., Vol. 42, 1908. Farabee, W. C., Note on Negro albinism. Science, N. S., Vol. 17, 1903. Fischer, Eug., Das Rehobother Bastardvolk in Deutsch-Südwestafrika.. Umschau, 13. Jahrgang, 1909. (Vgl. auch Korrespondenzbl. d. D. Ges. f. Anthr., Ethn., Urgesch., 40. Jahrgang, 1909.) —, Ein Fall von erblicher Haararmut usw. Arch. f. Rassen» u. Ges.-Biol., 7. Jahr- gang, 1910. Gossage, A. M., The inheritance of certain human abnormalities. Quart. J. Med. 1908. Groß, s. Literaturverzeichnis 22 und 23. ') Vgl. Natur und Staat, Literaturverzeichnis 1; Archiv für Rassen- und Ge- sellschaftsbiologie; Bateson 1909; Davenport, Eugenics, New-York 1910. Prak- tische Zwecke verfolgt in dieser Richtung das durch Galton geleitete Institut für Nationaleugenik, ferner die Internationale Gesellschaft für Rassenhygiene (Vorstand: A.PlötzundE.Rüdin, München) und The Committee on Eugenics of the American Breeders Association (Secretär: C. B. Davenport). Literaturverzeichnis 24. 253 Hammer, Die Bedeutung der Vererbung für die Haut und ihre Erkrankungen. Verh. d. D! dermatol. Ges. 1908. (Berlin, J. Springer.) Hauschild, M. W., Untersuchungen über die Pigmentation im Auge verschiedener Menschenrassen. Zeitschr. f. Morph. u. Anthr., 12. Bd. 1909. Hurst, C. C., On the Inheritance of Eye-Colour in Man. Proc. Roy. Soc., Vol. 80, B., 1908. Weinberg, W., Über den Nachweis der Vererbung beim Menschen. Jahresh. d. Ver. f. Vaterl. Naturk. Württ. 1908. — , Die Anlage zur Mehrlingsgeburt beim Menschen und ihre Vererbung. Arch. f. Rassen- u. Ges.-Biol., 6. Jahrg., 1909. — , Über Vererbungsgesetze beim Menschen. Zeitschr. Ind. Abst., ı. und 2. Bd., 1909. Fünfundzwanzigstes Kapitel. Das Geschlecht als mendelndes Merkmal. Verschiedene Tatsachen legen es nahe, die Frage nach dem Zahlenverhältnis und der Verteilung der beiden Geschlechter und nach den Faktoren, welche beim einzelnen Individuum das Geschlecht be- stimmen, im Zusammenhang mit dem Vererbungsproblem zu erörtern. Es sind dies vor allem die Erscheinungen des sexuellen Di- morphismus; die Korrelationen oder wechselseitigen Beziehungen, welche zwischen den primären und sekundären Geschlechts- charakteren in entwickelungsgeschichtlicher und physiologischer Hinsicht bestehen; die Spuren eines latenten hermaphroditischen Zustandes, welche sich auch bei den höchsten Tieren nachweisen lassen, und endlich die Beobachtung, daß speziell bei den Säugern und Vögeln die beiden Geschlechter in einem ganz bestimmten Zahlenverhältnis, dem Sexualverhältnis, auf die Individuen einer Art verteilt sind, daß aber andererseits bei den Nachkommen eines und desselben Elternpaares hinsichtlich der Verteilung des Geschlechts dieselbe scheinbare Unregelmäßigkeit herrschen kann, wie bezüglich anderer morphologischer und physiologischer Charaktere. Schon Darwin hat in seinem Werke über das Variieren der Tiere und Pflanzen in den Kapiteln, welche von der Vererbung handeln, auf ein latentes Vorkommen der sekundären Geschlechts- charaktere hingewiesen!) und damit die Probleme der Vererbung und der Sexualität in einen engeren Zusammenhang gebracht. Darwin stellt die These auf, daß in vielen, wahrscheinlich in allen Fällen, die sekundären Geschlechtscharaktere jeden Geschlechts in dem entgegengesetzten Geschlecht schlafend oder latent ruhen, bereit, sich unter gewissen Bedingungen zu entwickeln. Als Stütze für diese Auffassung wurden von Darwin hauptsächlich die „hahnen- !) Darwin II, S.67 (1868). Latenter Hermaphroditismus. 255 fedrigen“ Hennen, Fasanenhennen, Rebhühner, Enten und die Weibchen hirschartiger Tiere, welche im Alter Geweihe aufsetzen, herangezogen. Von anderen Autoren wurde dann die Ansicht ausgesprochen, daß dieses Verhältnis nicht nur für sekundäre Geschlechtscharaktere, sondern für die geschlechtlichen Potenzen selber Gültigkeit hat und daß also alle diöcischen Organismen als latent monöcisch oder herma- phroditisch zu bezeichnen sind. Namentlich die Pflanzenwelt lieferte für die weite Verbreitung eines solchen Zustandes einige wichtige Belege. So fand Bordage, daß, wenn die Sproßspitze von jungen männlichen Pflanzen des Melonenbaumes (Carica papaya) kurz vor dem Erscheinen der ersten männlichen Blüten abgeschnitten wird, unmittelbar unter der Schnittfläche seitliche Zweige hervorwachsen, welche weibliche Blüten und Früchte tragen. Umgekehrt beobachtete Strasburger, daß bei den weiblichen Pflanzen von Melandrium album die Infektion mit einem Brandpilz (Ustilago violacea) eine Zurückbildung des weiblichen Organs, des Pistills, und eine volle Entwickelung der normalerweise rudimentären Antheren bewirkt. Bei anderen Pflanzen scheint freilich das Geschlecht unabänder- lich bestimmt zu sein. Dies gilt für die männlichen und weiblichen Thalli diöcischer Moose und für die Prothallien der Schachtelhalme, während bei den zwitterigen Prothallien der Farne insofern eine ge- wisse Labilität besteht, als die Ausbildung der weiblichen Organe künstlich gehemmt werden kann. Weismann hat dann die Vorstellung des latenten Zwittertums auch auf das Keimplasma und die Keimzellen übertragen und die Annahme gemacht, daß die Keimzellen mit Doppeldeterminanten nicht bloß für die sekundären, sondern auch für die primären Ge- schlechtscharaktere ausgestattet sein müssen!). Das Geschlechtsbestimmungsproblem, welches seit langer Zeit namentlich die Tierzüchter und Physiologen beschäftigte, war nunmehr dahin zu präzisieren: Um welche Zeit und durch welche Faktoren wird die eine der beiden im Keimplasma ruhenden Anlagen aktiviert, die andere für die betreffende Generation in den latenten Zustand versetzt? Bezüglich des Zeitpunktes waren von vornherein drei Möglichkeiten gegeben): es konnte die Determinierung des !) Vgl. Keimplasma, S.468. Im übrigen hat sich Weismann wiederholt gegen die Ansicht ausgesprochen, daß die Übertragung des Geschlechtes einen Vererbungs- akt darstelle (Keimplasma, S. 483). ?) Haecker, S.93 (1902). 256 Geschlecht und Mosaikfärbung. Geschlechtes schon vor der Befruchtung erfolgen (progame Ge- schlechtsbestimmung) oder durch den Befruchtungsakt selber (syngame Bestimmung) oder erst nach erfolgter Befruchtung, in irgend welcher Phase der individuellen Entwickelung (epigame Be- stimmung). Zugunsten der Annahme einer progamen Entwickelung konnte vor allem die Tatsache angeführt werden, daß bei einigen Tieren (bei dem Annelid Dinophilus, bei Rädertieren und bei Phylloxera) schon im Ovarium zweierlei Eier, große „Weibcheneier“ und kleinere „Männcheneier“, auftreten; für die syngame Geschlechtsbestimmung schienen die Verhältnisse bei der Honigbiene zu sprechen, insofern bei dieser aus den befruchteten Eiern bekanntlich weibliche Tiere, aus den unbefruchteten Drohnen hervorgehen, während das Vor- kommen einer epigamen Bestimmung trotz zahlreicher daraufgerichteter Untersuchungen bisher noch durch keine vollkommen unzweideutige Beobachtung erwiesen werden konnte!). In ein ganz neues Stadium wurde die Geschlechtsbestimmungs- frage einerseits durch neuere zytologische Beobachtungen, welche wir namentlich einer Anzahl amerikanischer Forscher verdanken und über die in einem späteren Kapitel (32) berichtet werden soll, andererseits durch die Verknüpfung des Problems mit der Mendel- forschung gerückt. Schon Mendel hatte im Hinblick auf das eigentümliche Zahlen- verhältnis, welches in einem Falle die männlichen und weiblichen Pflanzen des Bastards Lychnis diurna x L. vespertina (151 weibliche und 52 männliche) aufwiesen, die Frage erhoben, ob hier vielleicht etwas Ähnliches wie bei der Anlagenspaltung vorliegt?), und zu einem ähnlichen Gesichtspunkt war sehr bald nach der Wiederentdeckung der Mendelschen Regeln Bateson?) gelangt. Zuerst ist dann Castle (1903) der Frage näher getreten. Indem er die echten Hermaphroditen mit mosaikartig gescheckten Tieren und die diöcischen (latent hermaphroditischen) Organismen mit einfarbigen, d.h. nur das dominierende Merkmal äußerlich entfaltenden Hetero- ‘) Näheres über die in Betracht kommenden Beobachtungen findet sich in den neueren Zusammenstellungen von Düsing, Klebs, Waldeyer, Lenhossck, O. Schultze, Cu¬, Strasburger, R. Hertwig, Korschelt, Heider, Morgan, Bugnion u. a. (Vgl. auch Kap. 21, S. 215, Anm. 3.) *”) Briefe an Nägeli, S.241. Vgl. auch den Zusatz von Correns, ebenda, 5.253. ®) Bateson und Saunders, S. 130. Selektive Befruchtung. 257 zygoten vergleicht, glaubt er in bezug auf das Geschlecht ähnliche Erblichkeitsverhältnisse wie in bezug auf die Färbung annehmen zu dürfen. Ebenso wie nämlich „mosaikfarbige“ Mäuse „Mosaik“-Keim- zellen produzieren, in welchen beide Farbenanlagen miteinander eng verbunden sind (DR), und ebenso wie bei den einfarbig-grauen Hybriden eine Spaltung stattfindet und demnach reine D- und reine R-Gameten gebildet werden, so glaubt Castle, daß auch der Herma- phrodit als „sex-mosaic“ Mosaikgameten (d'9) liefert, während bei diöcischen Formen eine Spaltung in reine d‘’- und reine 9-Gameten stattfindet. Danach wären bei letzteren nach der Spaltungsregel viererlei Keimzellen und viererlei Zygoten zu erwarten: c'-Eier Q-Eier c'-Spermatozoen Q-Spermatozoen = sata t+3etgR. Nach Castle sprechen aber die Tatsachen gegen das Vorkommen von Keimen, die in bezug auf das Geschlecht homozygot (J’J‘ oder 929) sind, denn es gibt keine Fälle, in welchen bei reinster Inzucht, wie z.B. bei der Parthenogenese, ausschließlich das eigene Geschlecht weitervererbt wird, wie man bei der Inzucht von geschlechtlich homozygoten Individuen erwarten müßte!). Er führt daher die Hypothese vom selektiven Befruchtungs- vorgang ein und meint, daß Eier, welche die Anlage zu einem Geschlecht enthalten, stets nur durch entgegengesetzt-geschlecht- lich determinierte Spermatozoen befruchtet werden. Es werden also d-Eier durch 9-Spermatozoen, 9-Eier durch J‘-Spermatozoen be- fruchtet und demnach überhaupt nur heterozygote Keime ge- bildet, in welchen (bei den diöcischen Spezies) die männlichen und weiblichen Charaktere immer wieder miteinander in einen Konkurrenz- kampf um die Alleinherrschaft treten. Eine eigentliche Erklärung für den Vorgang der Geschlechtsbestimmung ist damit allerdings nicht gegeben. Auch andere Beobachtungen können dazu führen, die Mendelsche Spaltungsregel auf die Geschlechtsbestimmung anzuwenden 2), vor allem diejenigen Fälle, in denen in augenscheinlicher Weise das Geschlecht die Entfaltung oder Unterdrückung gewisser im übrigen mendelnder Anlagen bestimmt. Es sei vor allem an die früher auf- !) Aus den parthenogenetischen Eiern der Honigbiene gehen sogar ausschließ- lich Tiere männlichen Geschlechts hervor! ?) Bateson, S.1ı3 (1904); S. 164 (1909). Haecker, Vererbungslehre. 17 258 Gehörnte und hornlose Schafe. gezählten, in ihrem Auftreten vorwiegend an das männliche Geschlecht gebundenen Abnormitäten, an die Bluterkrankheit, die Rot-Grün- Blindheit, sowie an die Habsburger Unterlippe erinnert. Besonders lehrreich ist auch folgendes Beispiel!):; Wenn die in beiden Geschlechtern gehörnten Dorsetschafe mit den in beiden Ge- schlechtern hornlosen Suffolks reziprok gekreuzt werden, so sind die F,-d‘ gehörnt, die F}-@ hornlos.. Bei den d‘ dominiert also die Hornbildung, bei den 9 die Hornlosigkeit. In der F,-Genera- tion treten viererlei Typen auf, nämlich gehörnte und hornlose Männchen und gehörnte und hornlose Weibchen, und zwar ungefähr in folgendem Verhältnis: Männchen . ....... 3 gehörnte : ı hornloses, Weibchen rs ra ı gehörntes : 3 hornlose. Wenn dieses Verhältnis sich wirklich bei weiteren Untersuchungen als konstant herausstellen sollte, so würde man sich zu seiner Er- klärung folgende Spaltung vorzustellen haben: TEE H (Hornbildung) X A (Hornlosigkeit) ee re o' H(h) 2 & h?) Gameen..:. H Äh Te>. REN I HH Hch) ()H hh a 2 HH (H)h ı(H) hh. Daraus wäre abzuleiten, daß im männlichen Geschlecht Horn- losigkeit nur bei solchen Individuen zum Vorschein kommt, welche bezüglich dieses Merkmals homozygot sind, und ebenso im weiblichen Geschlecht die Hörner nur bei solchen Tieren, welche in bezug auf Hornbildung homozygot sind. Jedenfalls lassen aber die Tatsachen deutliche Beziehungen zwischen dem Geschlecht und einem men- delnden Charakter erkennen. Hierher gehört ferner «die bekannte Tatsache, daß schwarz- und orangegefleckte Katzen mit oder ohne Weiß, die „tortoise-shells“ der englischen Züchter, beinahe stets weiblichen Geschlechts sind), während die Männchen dieser Varietät gewöhnlich eine einfarbige orangegelbe oder rostbraune Färbung haben). Man hat wohl anzunehmen, daß I) Wood 1905; Wood and Punnett 1908. ?) Die Klammer bedeutet rezessives Verhalten. ®) In der Regel wird gesagt, daß die dreifache Färbung sehr selten bei einem Kater zu sehen ist. Vgl. Darwin, Var., II, S.97. *) Erstere nach Doncaster, letztere nach Darwin. Vgl. im übrigen Don- caster 1904, sowie Bateson 1909. Fe N Correns’ Bryonia-Versuch. 259 die betreffende Rasse heterozygot ist und daß im weiblichen Ge- schlecht der heterozygote Zustand im tortoise-shell-Charakter zum Ausdruck kommt, während im männlichen Geschlecht entweder Orange dominiert oder eine intermediäre Färbung (Rostbraun) zu- stande kommt. Jedenfalls ist auch hier das Auftreten bestimmter Färbungen an das Geschlecht gebunden: im weiblichen Geschlecht muß irgend ein Agens enthalten sein, welches das Verhältnis von Dominanz und Rezessivität abändert. Aus diesen und manchen anderen Beobachtungen!) hat auch Bateson die Überzeugung geschöpft, daß die Verteilung des Ge- schlechts den Mendelschen Spaltungsprozessen analog ist. Wirklich unzweideutige Anhaltspunkte für die Begründung dieser Auffassung sind aber erst durch Untersuchungen von Correns gewonnen worden. Correns hat zwei Arten der Zaunrübe, die zweihäusige (diöcische) Bryonia dioica und die einhäusige (monöcische) B. alba, miteinander reziprok gekreuzt und außerdem das Sexualverhältnis der reinen B. dioica bestimmt. Die drei Versuche ergaben folgendes (Fig. 103): T Bryonia dioica @ x B. alba d’. Resultat: 100 Proz. weibliche Bastarde. II. Bryonia dioica 9 x B. dioica d'. Resultat: 50 Proz. weibliche, 50 Proz. männliche Pflanzen. IH. Bryonia alba 9 x B. dioica d. Resultat: 50 Proz. weibliche, 50 Proz. männliche Bastarde. Correns glaubt seine Befunde mit Hilfe der Annahme deuten zu können, daß B. dioica d heterozygot männlich-weiblich mit dominierender Männlichkeit, B. dioica 9 homozygot weiblich ist. Sämtliche Keimzellen sind demnach progam be- stimmt, und zwar haben die männlichen Keimzellen (Pollenkörner) zur Hälfte männliche, zur Hälfte weibliche Geschlechts- tendenz, die weiblichen (Eizellen) haben durchweg weibliche ) In seinem Buche (1909) bespricht Bateson u. a. noch die Kreuzungs- versuche, welche Doncaster und Raynor mit dem Stachelbeerspanner, Abraxas grossulariata, und der Varietät lacticolor angestellt haben (Verkoppelung der Charak- tere „männlich“ und „grossulariata“, bzw. „weiblich“ und „lacticolor“, nach Bateson „unechter Allelomorphismus“, d. h. Repulsion zwischen den Charakteren Weiblich und grossulariata), sowie Versuche von Noorduyn und solche von Miss Durham mit Kanarienvögeln (Repulsion zwischen Weiblich und Schwarzäugig). Vgl. auch Lang, S.47 (1909). RR, I 11 III 260 Bryonia-Versuch. Tendenz. Die definitive Entscheidung über das Geschlecht der Nachkommen erfolgt erst syngam bei der Befruchtung, indem beim Fig. 103. $ glg] 100 2 2 d © 50 2 50d [9] 2 x@ 50 9 50 d Schema für Correns’ Bryonia- Versuche. Zusammentreffen der weiblich gestimmten Eizellen mit männlich gestimmten Pollen- körnern die männliche Tendenz über- wiegt. In der Tat würden sich von der gemachten Voraussetzung aus die Ergeb- nisse der drei Versuche ohne Schwierig- keit erklären lassen. Bezeichnet man die männliche dioica mit m(w), die weib- liche mit ww, die zwittrige alba mit zz, so werden im Versuch I nur einerlei Zygoten wz gebildet, welche, da offen- bar Zweihäusigkeit über Einhäusigkeit dominiert, lauter weibliche Individuen jiefern. Im Versuch II werden infolge der Aufspaltung von ww und m(w) zweierlei Zygoten (ww und mw) gebildet, aus denen, da m > w, weibliche und männliche dioica-Individuen in gleicher Anzahl hervorgehen. Im Versuch UI würde unserer Voraussetzung nach eine Aufspaltung von 22 und m(w) stattfinden, die zur Bildung von zweierlei Zygoten zm undzw, also zur Bildung von 50 Proz. männlichen und 50 Proz. weiblichen Ba- starden führt. Gegenüber der Annahme von Castle, wonach beide Geschlechter in bezug auf das Geschlecht heterozygot sind, ist also Correns zu der Vorstellung geführt wor- den, daß nur eines von ihnen hetero- zygotist. In der Tat scheinen alle neue- ren Untersuchungen, sowohl die experi- mentellen wie die zytologischen, darauf hinzuweisen, daß sich die beiden Geschlechter in dieser Hinsicht verschieden verhalten, wenn auch im einzelnen die Ergebnisse und Anschauungen auseinander- weichen. a Di» LP Bryonia-Versuch. 261 Während nämlich Correns zu dem Resultat gekommen war, daß bei Bryonia das männliche Geschlecht heterozygot ist, zeigt Bateson?), daß sich die Ergebnisse von Correns auch von der Hypothese aus erklären lassen, daß bei Bryonia die weibliche Pflanze heterozygot mit dominierender Weiblichkeit, die männliche Pflanze dagegen homozygot männlich ist. Bateson ist um so mehr zu dieser Ansicht geneigt, da auch bei tierischen Objekten, z.B. beim Stachelbeerspanner, Abraxas grossulariata (Doncaster und Raynor), und beim Kanarienvogel (Noorduyn, Miss Durham) die Kreuzungs- ergebnisse am einfachsten erklärt werden können, wenn man die weiblichen Tiere als heterozygot mit dominierender Weiblich- keit betrachtet. Es wird diese Frage in einem späteren Kapitel (32) nochmals behandelt werden. Literaturverzeichnis zu Kapitel 25. Bateson und Saunders, s. Literaturverzeichnis 22/23. Bateson, W., Address to the Zoological Section. Brit. Ass. Advanc. Sci., Cambridge 1904. —, Mendel’s Principles of Heredity. Cambridge 1909. Bordage, E., Variation sexuelle consecutive A une mutilation chez le Papayer commun. C. R. Soc. Biol., Ser. 10, Tom. 5, 1808. Bugnion, E., Les cellules sexuelles et la determination du sexe. Bull. Soc. Vaud. Sci. nat., Vo1.46, 1910. Correns, C., Die Bestimmung und Vererbung des Geschlechts. Berlin 1907. Cuönot, L., Sur la determination du sexe chez les aminaux. Bull. Sci. France et Belg., Tom. 32, 1899. Darwin, Ch., Das Variieren usw., s. Literaturverzeichnis 2. Doncaster, L., On the Inheritance of Tortoiseshell and Related Colours in Cats. Proc. Cambr. Phil. Soc., Vol. 13, 1904. —, and Raynor, G. H., Breeding Experiments with Lepidoptera. Proc. Zool. Soc. London, Vol. 1, 1906. Düsing, C., Die Regulierung des Geschlechtsverhältnisses usw. Jen. Zeitschr. Naturw., 17. Bd., 1884. Durham, F. M., and Marryat, D. C. E., Inheritance of Sex in Canaries. Rep. Evol. Ctee, 4, 1908. Haecker, V., Über das Schicksal der elterlichen und großelterlichen Kernanteile. Jen. Zeitschr., 37. Bd., 1902. Hertwig, R., Über das Problem der sexucllen Differenzierung. Verh. D. Zool. Ges. 1905. —, Weitere Untersuchungen über das Sexualitätsproblem. Ebenda 1906. 1) S. 168 (1909). 262 Literaturverzeichnis 23. Klebs, G., Über das Verhältnis des männlichen und weiblichen Geschlechts in der Natur. Jena 1894. Korschelt, E., und Heider, B., s. Literaturverzeichnis 7. Lang, A., Über Vererbungsversuche. Verh. D. Zool. Ges. 1909. Lenhossek, M. v., Das Problem der geschlechtbestimmenden Ursachen. Jena 1903. Mendel, G., Briefe an Nägeli. Herausgegeben von C. Correns. Abh. Math.- Phys. Kl. Kgl. Sächs. Ges. Wiss., 29. Bd., Leipzig 1905. Morgan, Th. H., Experimental Zoology. New York 1907. Noorduyn, C. L. W., Die Erblichkeit der Farben bei Kanarienvögeln. Arch. Rass.- 7 u. Ges.-Biol., 5. Jahrg., 1908. Schultze, O., Zur Frage der geschlechtebildenden Ursachen. Jena 1903. Strasburger, E., Versuche mit diöcischen Pflanzen in Rücksicht auf Geschlechts- verteilung. Biol. Centralbl., 20. Bd., 1900. Waldeyer, W., Die Geschlechtszellen. In O. Hertwigs Handb. d. Entwickelungs- lehre, 1.Bd. Jena 1903. Weismann, A., Das Keimplasma. Jena 1892. Wood, T. B., Note on the inheritance of horns and face-colour in sheep. Journ. Agric. Sci., Vol.1, 1905. —, and Punnett, R. C., Heredity in Plants and Animals. Trans. Hight. Agric. Soc. Scotland 1908. arahkaı ı 7 H. Per R., P10Z dem, ln on Lyr Ahenunichm n bad, . dr. PBnta. 24 (4): 205- 228. Um BE a Fe lad 2 ln u nd Due” 2 N 2 2 0 252 Sechsundzwanzigstes Kapitel. Faktorenhypothese. Zusammengesetzte Merkmale. Eine Übersicht über alle dem alternativen Vererbungsmodus unter- worfenen Merkmale ergibt zunächst, daß es sich überwiegend um erbliche Abänderungen normaler oder pathologischer Natur handelt, welche innerhalb der einzelnen Spezies, ohne das Artbild im ganzen zu verändern, auftreten, und also als Rassencharaktere im wei- testen Sinne des Wortes bezeichnet werden können. Inwieweit auch die Unterscheidungsmerkmale verschiedener Arten das alternative Verhalten zeigen können, ist infolge des Umstandes, daß wenigstens bei Tieren die Artbastarde fast durchweg steril sind, zurzeit noch eine offene Frage. Wenn man nun weiterhin die spaltenden Rassencharaktere näher charakterisieren will, so stößt man zunächst auf die Tatsache, daß die Spaltungsvorgänge und ebenso die Erscheinungen der vollkom- menen Dominanz und Rezessivität dann besonders typisch zutage treten, wenn eine Stammform mit einer Defektrasse, d. h. mit einer Varietät, welche durch das Fehlen eines Merkmals gekenn- zeichnet ist, gekreuzt wird. So wurde bereits erwähnt, daß sich bei Tieren Pigmentierung und totaler Albinismus durchweg als antago- nistische Merkmale verhalten und daß dabei erstere dominiert, letz- terer rezessiv ist. Auf das nämliche läuft im wesentlichen die An- sicht von de Vries hinaus, wonach speziell die retrogressiven und degressiven Mutationen, d. h. diejenigen sprungweisen Variationen, welche durch Latentwerden eines aktiven, bzw. durch Aktivwerden eines latenten Merkmals ihre Entstehung nehmen, bei der Kreuzung den Mendelschen Regeln folgen. Nun scheint aber, und zu dieser Auffassung sind sehr bald eine Reihe von Forschern gelangt, beim alternativen Vererbungsmodus das Verhältnis Anwesenheit— Abwesenheit noch in weiterem Um- fange Gültigkeit zu haben, und Bateson!) hat zuerst in präziser 1) S. 11 (1909). 264 Färbungsbestimmer. Erbformeln. Weise die schon von Correns!) begründete Ansicht ausgesprochen, daß es sich bei der Spaltung vielleicht weniger um die Trennung von zwei antagonistischen Charakteren, als vielmehr um die An- wesenheit und Abwesenheit eines unterscheidenden Elementes handelt. Um die gleiche Zeit war Cu¬?) bei seinen Mäuseversuchen zu der wichtigen Vorstellung ‘gelangt, daß das Zustandekommen einer bestimmten Färbung an das Zusammentreten von mindestens zwei „Determinanten“ in einer Zygote geknüpft ist, eine Annahme, die, wie . gleich ersichtlich sein wird, mit der Batesonschen in gutem Einklang steht. Nach Cu¬ genügt es für die Entwickelung der grauen, schwarzen oder gelben Gesamtfärbung einer Maus nicht, daß der Be- stimmer für Grau (@), Schwarz (N) oder Gelb (J)®) in einer Zygote vorhanden ist, sondern es muß noch ein anderes Agens in Gestalt eines besonderen Färbungsbestimmers oder Chromogens {C) vorhanden sein. Ist in den Zygoten dieser Bestimmer © nicht vorhanden, sondern der von Cu¬ angenommene antagonistische Bestimmer A (Albi- nismus), so werden aus den Zygoten, auch wenn sie die Farben- bestimmer @, N oder J mit sich führen, albinotische Mäuse hervor- gehen. Bei bestimmten Kreuzungen können dann diese von den albi- notischen Mäusen mitgeführten Agenzien, die sich an ihren Trägern äußerlich nicht dokumentieren, bei den Nachkommen sichtbar werden, dann nämlich, wenn die sie einschließenden Gameten mit einer den Faktor € enthaltenden Gamete zusammentreffen. Cuenot war gleichzeitig zur Aufstellung von Erbformeln (Formules hereditaires) gelangt, welche in veränderter Form jetzt allgemein Anwendung finden. Eine homozygote (reinrassige) graue Maus wurde von Cuenot mit C@ oder ÜG@ C@ bezeichnet, eine heterozygote graue, z. B. aus der Kreuzung Grau x Schwarz hervor- gegangene durch C@ CN. Für eine schwarze Maus gilt die Formel CN, für Albinos, welche von schwarzen Vorfahren abstammen und daher Schwarz in latentem Zustande mit sich führen, die Formel AN usw. !) S. 607 (1902). *:) Cu¬ 1904. ») G@, N, J als Anfangsbuchstaben von gris, noir, jaune. Die englischen und deutschen Autoren wenden als Indices für die einzelnen Bestimmer jeweils die An- fangsbuchstaben der englischen und deutschen Bezeichnungen an. Es wäre wünschens- wert, wenn bezüglich aller dieser Bezeichnungen eine internationale Vereinbarung zustande käme. Vgl. A. Lang, Zeitschr. Ind. Abst., 4. Bd., ı. Heft, S. 41 (1910). Siche auch unten S.265, Anm. 1, 270, Anm. 2. Faktorenhypothese. Presence- and absence-Hypothese. 265 Den Gedankengängen von Cuenot und Bateson ist gemeinsam, daß bei der Untersuchung der Erblichkeitsverhältnisse nicht die äußerlich hervortretende Eigenschaft als solche, sondern ein hinter ihr liegendes Agens, „some distinguishing element“ bei Bateson, „une difference materielle d’ordre chimique“ bei Cu¬ ins Auge gefaßt und mit dieser operiert wird, und so hat sich denn weiterhin aus diesen Anschauungen heraus die Faktorenhypothese (Fak- torialhypothese, Presence- and absence-Theorie) entwickelt, um deren Ausbau sich Correns, Bateson, Baur, Nillson-Ehle, Castle, Lang, Plate u. a. verdient gemacht haben. Nach dieser Hypothese ist ganz allgemein ein „dominierender“ Charakter ‘durch die An- wesenheit eines bestimmten Faktors (Determinante, Bestimmer, caractere-unite, unit-character, Elementareigenschaft, Erbeinheit, Gen) bedingt, der korrespondierende rezessive Charakter durch seine Abwesenheit. Neuerdings bringt man in der Regel in den Erbformeln den positiven Faktor durch einen großen lateinischen Buchstaben, seine Abwesenheit oder den negativen Faktor durch den entsprechenden kleinen Buchstaben zum Ausdruck. Die Cu¬schen Erbformeln für die Mäuse sind also auf Grund der neueren Vorstellungen, wenn man zunächst von der gelben Rasse mit ihren komplizierten, bisher noch nicht ganz aufgeklärten Verhältnissen absieht, in verschiedener Weise zu modifizieren. Ein erstes Paar von Allelomorphen bilden CE (Anwesenheit von Pigment, Faktor für Pigmentierung) und e (Abwesenheit von Pigment). Wei- tere Paare sind der Bestimmer für Grau @, durch dessen Anwesen- heit eine ganz bestimmte, durch Anpassung erworbene, die „Wild- farbe“ bedingende. Verteilung des Pigments innerhalb der einzelnen Haare (der „Aguti-Charakter“ bei den Meerschweinchen) hervorgerufen wird, und sein Allelomorph g (Abwesenheit des Faktors für Grau), N (Faktor für Schwarz) und n (Abwesenheit dieses Faktors), Ch (Faktor für Schokoladenbraun) und ch (Abwesenheit dieses Faktors). Nach der früheren Ausdrueksweise würde die Relation @>N> Ch!) gelten, wobei @ und N, N und Ch als „korrespondierende“ Merkmale ') @ und Ch werden in allen drei zunächst in Betracht kommenden Sprachen wegen der Übereinstimmung der Anfangsbuchstaben der betreffenden Worte gleicher- weise angewandt. Wo keine solche Übereinstimmung besteht, wie z. B. bei den Wörtern für Schwarz, könnte vielleicht der Anfangsbuchstabe des lateinischen Wortes, der in diesem Falle sich mit dem des französischen Wortes deckt, zur Verwendung kommen. 266 Verbesserte Erbformeln. oder geradezu als natürliche „Antagonisten“ gedacht wurden. Nach der Faktorenhypothese gibt es aber keine Antagonistenpaare von der Zusammensetzung @N, @Ch, NCh, sondern nur die Paare @g, Nn, Chch. Wenn also beim Zusammentreffen beispielsweise von @ und N in einer Zygote die Graufärbung zur Entfaltung kommt, so sagt man nicht mehr, daß Grau über das antagonistische Merkmal N dominiert, sondern daß der Bestimmer für Grau durch seine Anwesenheit unter anderem auch verhindert, daß der gleichzeitig anwesende Bestimmer für Schwarz seine Wirkung manifestiert. Man sagt mit Bateson!), der Bestimmer für Grau ist epistatisch gegenüber dem für Schwarz, der letztere hypostatisch gegenüber dem ersteren. Der Einfachheit halber kann man allerdings bei zwei Faktoren, welche in diesem Verhältnis zueinander stehen, immer noch von dominant und rezessiv sprechen und sie statt durch vier, durch zwei Buchstaben zum Ausdruck bringen. Nach dem Obigen gelten also für die Mäuse folgende voll- ständige Erbformeln: für Drau 2 RE TE, C@GNCh (wobei G epistatisch gegenüber N und Ch) » AMChwarze un vn Bu GINCh ( 3.2: N = N Ch) „ schokoladenfarbige . . . CgnCh?). Nun gibt es aber, wie die Untersuchungen von Miss Durham und Castle gezeigt haben, auch noch einen besonderen Dichtigkeits- faktor D®), welcher durch seine Anwesenheit Dichtigkeit (Intensität, Sättigung) des Pigments, durch seine Abwesenheit seine Auflösung (Dilution) bedingt. D zusammen mit N liefert Schwarz, d und N „Blau“, ebenso D und Ch Schokoladenbraun, d und Ch Rötlichgrau (silver-fawn)*). Auch die Einfarbigkeit (Uniformität) wird bei den Nagern durch einen besonderen Faktor U bedingt, dessen Abwesen- heit (uw) Scheckzeichnung bewirkt). ') S.79 (1909). 2) Miss Durham (1908) nimmt zunächst für Ch keinen besonderen Faktor an, vielmehr entsteht nach ihrer Auffassung Schokoladenbraun, wenn C ohne @ und N auftritt. Vgl. im übrigen die abweichenden Erbformeln bei Castle 1909 und Platc 1910. ®) Von Castle für die Kaninchen als Intensitätsfaktor J eingeführt. Beide Indices könnten internationale Verwendung finden, da die betreffenden Worte in den meisten Sprachen mit gleichen Buchstaben anfangen. *) Siehe oben S. 231, Anm >. 5) Vgl. hierzu Lang, S.38 (1910). Castle (1909) hat den Faktor für Scheck- zeichnung durch einen besonderen Buchstaben S bezeichnet. Natur der Faktoren. 267 Was die Natur der „Faktoren“ anbelangt, so kann man mit Cuenot und Bateson an fermentartige chemische Substanzen!) denken, durch deren Anwesenheit und Zusammenwirken das Auf- treten nicht bloß bestimmter Färbungscharaktere, sondern auch, das- jenige anderer mendelnder Merkmale erklärt werden könnte. So dürfte in den rundlichen glatten Samen vieler Erbsen- und Mais- rassen ein enzymatischer Faktor vorhanden sein, der die meisten Reservestoffe in Stärke verwandelt, während in anderen (rezessiven) Rassen infolge des Fehlens dieses Faktors viel Zucker erhalten bleibt und die Körner deshalb beim Trocknen runzlig erscheinen 2). In anderen Fällen sind natürlich die Zusammenhänge weniger faßbar. Wenn uns z. B. normale Beschaffenheit des Haarkleides und Ango- rismus als „antagonistische* Merkmale in den Weg treten, so läßt sich vorläufig nur annehmen, daß bei den normalhaarigen Rassen ein regu- latorischer, das Haarwachstum in Anpassung an die Lebensbedingungen normierender Faktor vorliegt, der den Angorarassen fehlt. Welcher Art eben dieser Faktor im besonderen ist, darüber läßt sich zurzeit natürlich keine Ansicht aussprechen. Vom Boden der Faktorenhypothese aus sind nun nicht bloß die besonderen Zahlenverhältnisse (9:3:4 usw.) leicht zu ver- stehen, die man bei bestimmten Kreuzungen erhält3), sondern auch das Auftreten der „Kreuzungsnova“ (Tschermak), insbesondere das Wiedererscheinen „atavistischer“* Merkmale findet eine be- friedigende Erklärung. Was zunächst die erwähnten Zahlenverhältnisse anbelangt, so wurde schon sehr bald zu ihrer Erklärung die Annahme gemacht, daß in diesen Fällen bei der Keimzellenbildung der F,-Bastarde ent- weder zusammengesetzte Charaktere (compound allelomorphs nach Bateson) aufgespalten®) oder von den sichtbar manifestierten Anlagen der beiden Stammformen latente Anlagen (kryptomere Charaktere nach Tschermak) abgespalten werden 5), die sich ein- zeln ebenso verhalten, wie jede andere den Mendelschen Regeln ') Ähnlich den „spezifischen Eisubstanzen“ bei Delage und den „plastischen Substanzen“ bei Le Dantec. Vgl. Cu¬ 1905. ?) Vgl. Bateson, S.267 (1909). Siehe auch oben S. 227. ®) Siehe oben S. 222. *#) Vgl. Mendel 1865 (herausgegeben von Tschermak, Ostwalds Klass. d. ex. Wiss., Nr. ı21, S.34), Bateson und Saunders, S.142 (1902), Bateson 1902, Castle und Allen 1903, de Vries, S.196 (1903). >) Vgl. Cu¬ 1904, Tschermak 1902, 1903, 1904. 268 Relation 9:3:4. folgende Eigenschaft. Es werden also von den F,-Bastarden nicht bloß zweierlei, sondern eine größere Anzahl von Gametensorten ge- bildet, und in den folgenden Generationen kommen die verschiedenen isolierten Merkmale nach den für die dihybriden und polyhybriden Kreuzungen geltenden Regeln!) zum Vorschein. Indem sodann die Vorstellungen und die Bezeichnungsweise der Faktorenhypothese über- nommen wurden, ist man zu einer präzisen und befriedigenden For- mulierung dieser Ergebnisse gelangt. Einige einfachere Beispiele werden dies illustrieren. Werden wildgraue Kaninchen mit Albinos gekreuzt, so erhält man graue F,-Bastarde und in der F,-Generation normalerweise das Verhältnis 3 Grau :ı Albino. Nun kommen aber zuweilen in der F,-Generation neben den grauen und albinotischen Individuen auch schwarze vor, und zwar in folgendem Verhältnis: 9 graue : 3 schwarze : 4 Albinos 2). Das nämliche läßt sich bei Mäusen (Tafel IIla) beobachten, und nach Cu¬s ersten Darstellungen würde für ein derartiges Ver- halten folgende Erklärung zu geben sein®). Es bestehen zwei, Paare von Allelomorphen: Dominant: Rezessiv: 1. Chromogen C Albinismus A 2. Grau-Bestimmer @ Schwarz-Bestimmer N (im Albino enthalten). Es werden also von jedem Geschlecht viererlei Gameten gebildet: 060 ON AGS ANdG — CG2% CN AGL AN und demnach 16 Gruppen von Zygoten. In diesen sind die vier. Faktoren in neun verschiedenen Kombinationen enthalten, von welchen sechs (auf 12 Zygotengruppen verteilte) den Faktor U aufweisen, also gefärbte (graue oder schwarze) Individuen aus sich hervorgehen lassen, während bei drei Kombinationen (in 4 Zygotengruppen) jener Faktor fehlt. Wie leicht zu zeigen ist, kommt tatsächlich das oben erwähnte Zahlenverhältnis 9: 3:4 zustande, wobei bemerkenswert ist, daß hinsichtlich der gametischen Zusammensetzung drei verschiedene Sorten von Albinos unterschieden werden können: AA.G@, AA.GN, ') Vgl. oben S. 226. ®) Vgl. Hurst 1905, sowie Bateson, S.75 (1909). ®») Cu¬ 1909. Dieser Arbeit sind die Tafeln ]IJa und IIIb FEN Haecker, Vererbungslehre | Tafel Illa. Zu S. 268. 269. Ch AN n) -q K. Wangerin del. Nach Cuenot. Friedr. Vieweg & Sohn, Braunschweig. fast ee Be u ee u A Bin F Haecker. Vererbungslehre | Tafel Illb. Zu S. 268, 269, IM Ne “ ) | CGFCND RL CGFCND — 2 | B% > CGFEGF er ell CEDCED CNDEND \ corCGn er K. Wangerin del. Nach Cuenot. Friedr. Vieweg & Sohn, Braunschweig, Saar FRE \ Auftreten von mehreren Kreuzungsnovitäten. 269 AA.NN. Bei weiterer Kreuzung kann dann die Verschiedenheit dieser Albinos tatsächlich zutage treten ?). In diesem Falle ist also ein vom Albino latent mitgeführtes Merk- mal durch die Kreuzung sichtbar geworden, und zwar dadurch, daß der betreffende positive Faktor mit einem anderen gleichfalls posi- tiven im Albino nicht enthaltenen, nämlich dem Chromogen (, zu- sammentraf. Das folgende, gleichfalls einer Arbeit Cu&enots entnommene Beispiel zeigt, daß auch mehr als ein Kreuzungsnovum durch Kombination der in den Stammformen manifestierten und latenten Faktoren entstehen kann. Es sind dabei die Erbformeln Cuenots beibehalten worden, obwohl sie nicht mit der neueren oben erwähnten Interpretation und Bezeichnungsweise übereinstimmen (Tafel IIIb). Nach Cu£¬ unterscheiden sich schokoladenfarbige Mäuse von den schwarzen dadurch, daß bei ersteren neben den Faktoren Ü und N ein Auflösungsfaktor D (dilue) auftritt, während die schwarzen Mäuse einen Intensitätsfaktor F' (fonc&) enthalten. Nach Castle, Miss Durham u.a. ist die Formel für die schwarzen Mäuse CgNCh (s. oben S. 266), wobei N epistatisch gegenüber Ch ist, die für schokoladen- farbige Mäuse lautet CgnCh. Es würde also der Cu¬sche Faktor F' dem Faktor Ch, der Cu&änotsche Faktor D dem Faktor ch entsprechen. Wird nun eine graue Maus, welche den Faktor F enthält und also die Formel O@F besitzt, mit einer schokoladenfarbigen (CN D) gekreuzt, so entstehen in der F,-Generation neben grauen (4 Typen) und schokoladenfarbigen (1 Typus) zwei neue Farben, nämlich Schwarz und Golden-Aguti (cinnamon-agouti, brun dore), je in zwei Typen mit etwas verschiedenen Erbformeln (Tafel Ib). Das Verhältnis lautet: Grau: Schwarz: Golden-Aguti:schokoladenfarben —= 9:3:3:12). Kreuzungsnova können auch durch Kombination eines positiven und eines negativen Faktors zustande kommen, so z. B. wenn eine rotblütige Rasse der großblumigen Wicke (Lathyrus) oder Levkoje (Matthiola) mit einer cremefarbigen gekreuzt wird 3). Die rote Blüten- farbe beruht, wie früher gezeigt wurde *), auf einer Rotfärbung des Zellsaftes, in den gelben Rassen sind bei farblosem Zellsaft gelbe Chromoplasten vorhanden. Die F,-Bastarde sind rot, in der !) Andere Darstellungen dieser Auflösungsprozesse finden sich bei Tschermak 1904 und Bateson, S.77 (1909). ?”) Vgl. im übrigen die Arbeiten von Castle, Miss Durham und Plate. ®) Entnommen aus Bateson, S.71 (1909). *) Siehe oben S. 238. 270 5 Atavistische Merkmale. F,-Generation erscheinen Qrote, 3 rot-cremefarbene, 3 weiße und 1 creme- farbenes Individuum, wobei Rot-creme als Intermediärfarbe, Weiß als . vollständiges Novum zutage tritt. Um das Zustandekommen dieses Zahlenverhältnisses zu erklären, sind zwei Faktorenpaare anzunehmen: roter Zellsaft $, farbloser Zellsaft (Abwesenheit der roten: Farbe) s; farblose Chromoplasten (Anwesenheit eines dominierenden Faktors, der die normale Gelbfärbung der Chromoplasten unterdrückt) P — gelbe Chromoplasten (Abwesenheit dieses Faktors) p. Die F\-Gene- ration wird dann rote Zellfärbung und farblose Chromoplasten auf- weisen, in der F,-Generation dagegen werden 'nach den für die di- hybriden Kreuzungen geltenden Regeln folgende Verhältnisse gelten: 9 rote Individuen 3 rot-cremefarbige 3 weiße Individuen ı cremefarbiges (roter Saft, « Individuen (farbloser Saft, Individuum farblose Körper) (roter Saft, gelbe farblose Körper) (farbloser Saft, Körper) gelbe Körper) Das Kreuzungsnovum „Weiß“ ist also durch Kombination eines positiven und eines negativen Faktors entstanden. Sehr häufig treten bei Rassenkreuzungen dieser Art auf Grund einer Rekombination von zwei oder drei getrennt erblichen Faktoren atavistische Merkmale zutage. Es wurde bereits hervorgehoben, daß die Wildfarbe der freilebenden Stammformen der Haussäuge- tiere morphologisch betrachtet darauf beruht, daß die einzelnen Pig- mente, Schwarz, Braun und Gelb, am einzelnen Haar in einer ganz bestimmten Anordnung, nämlich in bestimmten Zonen (Pigmentringen oder -gürteln) auftreten, wodurch die verschiedenen Abstufungen von Graugelb, Graubraun, Rötlichgrau usw. entstehen, die man z. B. bei der Hausmaus, beim Schakal und Wolf, beim „mäusefarbigen“ Wild- pferd beobachtet. q Speziell bei den meerschweinchenartigen Nagern (Caviiden)!) liegen der beim Paka (Coelogenys) und Aguti (Dasyprocta) vorkommenden Wildfarbe drei Pigmente zugrunde, welche im einzelnen Haar in be- stimmten Zonen verteilt sind: Schwarz (an der Haarspitze und Basis), Rotbraun (in einem Gürtel unterhalb der Spitze) und Gelb. Für das Auftreten dieser drei Pigmente sind die drei Faktoren N (Schwarz), Br (Braun) und Y (Gelb)?) verantwortlich zu machen, von welchen N !) Vgl. Castlc 1907, 1907a, 1907 b, 1908. 2) Wegen der Bezeichnung N siehe oben S. 265, Anm. ı. Die Bezeichnung Br könnte, ebenso wie Ch (Schokoladenbraun), internationale Gültigkeit haben (brown, brun, braun). Y = yellow entspricht der Bezeichnung J = jaune bei Cuenot. Rückschlag bei Meerschweinchen. 271 epistatisch über Br und Y, Br epistatisch über Y ist. Die Wild- farbe selbst wird durch das Hinzutreten eines weiteren Faktors A bedingt, der als Agutifaktor bezeichnet wird und dem Faktor @ bei den Mäusen entspricht. Werden nun schwarze Meerschweinchen, welche N, Br und Y, aber kein A enthalten, also die Formel aNBrY besitzen, mit roten von der Zusammensetzung anBr Y gekreuzt, so wird man in der F,-Generation schwarze Tiere von der Formel aN BrY (genauer: aaNnBrBrYY), in der F,-Generation das Zahlenverhältnis 3 Schwarz :1 Rot erhalten. Wenn aber die rote Stammform den Agutifaktor A mit sich führt, also die Formel AnBrY aufweist und zimtbraun erscheint, so ergeben sich bei der Kreuzung F,-Bastarde von der Formel ANBrY (genauer: AaNnBrBrYY), d.h. es tritt als "atavistisches Merkmal Wildfarbe auf. In der zweiten Gene- ration entsteht die Relation: 9 Aguti : 3 Schwarz : 4 Rot!). Treffen in einer Zygote die Faktoren A, Br und Y zusammen, so entstehen Tiere, bei welchen die rote Farbe durch Anwesenheit des A-Faktors in ein eigentümliches Zimtbraun (cinnamon-agouti) um- gewandelt worden ist. Solche zimtbraunen Individuen finden sich z. B. bei der Kreuzung Wildgrau x Rot (ANBrYx anBrY) in der F,-Generation. Die F,-Bastarde sind in diesem Falle natürlich wildgrau (Aa. Nn.BrBr. YY). Jeder von ihnen bildet viererlei Keimzellen, nämlich: 1. ANBrY, 2. AnBrY, 3. aNBrY, 4. anBrY, und es ist leicht zu sehen, daß in der F,-Generation viererlei Indi- viduen, nämlich wildgraue, schwarze, zimtfarbige und rote im Ver- hältnis 9:3:3:1 entstehen müssen ?). Ein besonders schönes Beispiel für die Entstehung von Rück- schlägen und für die Anwendbarkeit der Faktorenhypothese haben Bateson und Punnett3) mitgeteilt. Werden von der großblumigen Wicke (Lathyrus odoratus) zwei weiße Rassen, von denen die eine lange Pollenkörner, die andere rundliche besitzt, miteinander gekreuzt, so sind die Individuen der F,-Generation purpurn, gleich der in Sizilien vorkommenden wilden Stammform, und in der zweiten Gene- ration wird das Zahlenverhältnis 27 Purpurn:9 Rot:28 Weiß erhalten. !) Castle 1907. 2) Castle 1908. ®) Vgl. S.85 (1905), sowie Bateson, S.89 (1909). 272 Rückschlag bei Lathyrus. Diese Resultate finden ihre Erklärung, wenn man annimmt, daß für das Zustandekommen der Rot- und Purpurfärbung das Zusammen- treffen von zwei bzw. drei getrennt übertragbaren Faktoren notwendig ist: Rot entsteht durch die Kombination eines farbenbildenden Fak- tors Ü und eines komplementären, rotbildenden Faktors R, die Pur- purfarbe kommt zustande, wenn ein blaubildender Faktor B hinzu- tritt. Es bestehen also Faktorenpaare Cc, Rr, Bb. Nun enthält offenbar die eine der beiden weißen Stammformen den Faktor Ü und außerdem den Faktor B, die andere den Faktor R. Es werden also gekreuzt: OrB (Weiß mit langen Pollen) x eRb (Weiß mit runden Pollen). Die F)-Generation CeRr Bb ist purpurn, in der Fy-Generation erscheinen 27 purpurne Individuen (RB), 9 rote (U.Rb) und 28 weiße von sehr verschiedener Zusammensetzung, jedoch niemals mit der Kombination CR. In der purpurnen und roten Klasse können übrigens verschiedene, durch besondere Faktoren bedingte Unterklassen auftreten, welche durch verschiedene Farben- intensität und zum Teil durch verschiedene Färbung von „Fahne“ und „Flügeln“ charakterisiert sind !). Die fortschreitende Analyse der Faktoren führt bei jeder neuen Untersuchung zu überraschenden, die weitesten Perspektiven er- öffnenden Ergebnissen. Am weitesten ist man in dieser Hinsicht bei einigen Pflanzen vorgedrungen. So sind beim Löwenmaul, Antirhinum majus, vorläufig neun verschiedene positive Faktoren oder Erbein- heiten, welche beim Zustandekommen der verschiedenen Blütenfarben beteiligt sind, nachgewiesen worden, im ganzen ist aber anzunehmen, daß die außerordentliche Mannigfaltigkeit der Blütenfarbe von Anti- rhinum majus auf etwa zwanzig Erbeinheiten zurückzuführen sein wird 2). Von großer Bedeutung sind auch neue Befunde von Nilsson- Ehle®), welcher zeigen konnte, daß ein und dasselbe äußere Merkmal bei derselben Pflanze durch verschiedene Faktoren bedingt sein kann. Nilsson-Ehle fand bei der Kreuzung einer schwarzkörnigen und einer weißkörnigen Hafersorte, daß die F,-Bastarde schwarzkörnig waren und daß in der F,-Generation das merkwürdige Zahlenverhältnis 15 Schwarz : ı Weiß auftrat. Offenbar liegt hier in verkappter Form das für dihybride Kreuzungen gültige Zahlenverhältnis 9:3:3:1 !) Vgl. Bateson 1909, Taf. 3. - ?”) Vgl. Baur 1908, 1910, sowie Wheldale 1910. ®) Nilsson-Ehle 1908. Ergebnisse von Nilsson-Ehle, 273 ! vor, und man darf also annehmen, daß beim Hafer die Schwarzkörnig- keit durch zwei verschiedene Faktoren für Schwarz, welche einzeln oder zusammen wirksam sein können, bedingt ist. Werden diese A und B genannt, so liegt die Kreuzung AB x ab vor. Die F/-Indi- viduen haben die Erbformel AaBb, und in der F,-Generation treten in der bekannten Weise 10 verschiedene Kombinationen auf, welche das Ergebnis 15 : 1 zustande kommen lassen. Auf experimentellem Wege, durch separate Aussaat der Samen der einzelnen F,-Pflanzen konnte die Richtigkeit der Annahme erwiesen werden. East!), welcher bei Maiskreuzungen zu ganz ähnlichen Resul- taten gelangt ist, hat darauf hingewiesen, daß auf Grund dieser Be- obachtungen und Deutungen die Vorstellung der Erbeinheiten (unit- characters) als „unwiderruflich fixierter Einheiten“ voraussichtlich eine allmähliche Umwandlung erfahren werde. Literaturverzeichnis zu Kapitel 26. Bateson, W., Note on the resolution of compound characters by cross-breeding. Proc. Cambr. Phil. Soc. 1902. — , Address to the Zool. Sect. Brit. Assoc. Advanc. Sci. Cambr. 1904. —, and Saunders, E. R., 1902, s. Literaturverzeichnis 22 und 23. —, Saunders, E.R., Punnett, R. C., and Hurst, C. C. Report I. Rep. to the Ev. Ctee, London 1905. Baur, E., Einige Ergebnisse der experimentellen Vererbungslehre. Beih. d. Mediz. Klinik, 4. Jahrg., 1908. —, Vererbungs- und Bastardierungsversuche mit Antirrhinum. Zeitschr. Ind. Abst., 3. Bd., 1910. Castle, W. E, and Allen, G. M., The Heredity of Albinism. Proc. Amer. Ac. Arts and Sci., Vol. 38, 1903. Castle, W. E., The production and fixation of new breeds. Proc. Am. Breeder’s Assoc., Vol. 3, 1907. —, Ona case of reversion etc., Sci., N.S., Vol.25, 1907 (1907 a). —, Color varieties of the rabbit and other rodents etc. Sci., N.S., Vol.26, 1907 (1907 b). —, A new color variety of the Guinea-Pig. Sci., N.S., Vol. 28, 1908. — , Studies of Inheritance in Rabbits. Carneg. Inst. Wash. Publ. Nr. 114, 1909. Correns, C., Über Bastardierungsversuche mit Mirabilis-Sippen. Ber. D. Bot. Ges., 20. Bd., 1902. j Cu&@not, L., L’HEredit€ de la pigmentation chez les souris (3me Note). Arch. zool. exp. et gen., (4) Vol.2, 1904. —, Rapport sur l’Heredite. Assoc. Franc. Av. Sci. Congres de Lyon 1906. —, L’heredite d. 1. pigm. ch. 1. souris (5me Note). Arch. zool. exp., (4) Vol. 6, 1907. !) East 1910. Haecker, Vererbungslehre. 18 | 274 Literaturverzeichnis 26. Cu£¬, L., Recherches sur l’hybridation. Proc. VII. Intern. Zool. Congress. Cambr. (Mass.) 1910. Durham, F.M., A Preliminary Account of the Inheritance of Coat-Colour in Mice. Rep. Evol. Ctee 4, 1908. East, E. M,, A Mendelian Interpretation of Variation that is apparently continuous. Am. Nature, Vol.44, 1910. Hurst, C.C., Exp. Studies on Heredity in Rabbits. Linn. Soc. J. Zool., Vol. 29, 1905. Lang, A., Referat über Castle 1909. Zeitschr. Ind. Abst., 4. Bd., 1910. Nilsson-Ehle, H., Einige Ergebnisse von Kreuzungen bei Hafer und Weizen. Botaniska Notiser 1908. Plate, L., Die Erbformeln der Farbenrassen von Mus musculus. Zool. Anz., 35. Bd., 1910. Punnett, R. C., Mendelism. 2. Edit. Cambr. 1907. Tschermak, E., Über die gesetzmäßige Gestaltungsweise der Mischlinge. Zeitschr. f. landw. Versuchsw. i. 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Es soll im folgenden die theoretische Bedeutung der alternativen Vererbung nach verschiedenen Richtungen hin erörtert werden. Da aber auf diesem jungen Arbeitsfeld, ebenso wie auf den Nachbargebieten, fast ununterbrochen neue und teilweise überraschende Tatsachen zutage gefördert werden, so sind auch die Meinungen zurzeit noch im vollen Fluß begriffen und es kann sich also hier nur darum handeln, in kurzen Zügen eine Übersicht über die neuen Gedankenverbindungen und Fragestellungen zu geben. a) Hauptergebnis der Mendelforschung. Das theoretisch bedeutsamste Ergebnis der Mendelforschung ist die Feststellung von selbständig erblichen (spaltbaren), in der großen Mehrzahl der Fälle diskontinuierlichen Erbeinheiten und die immer klarer werdende Erkenntnis, daß diese Erbeinheiten sich wenigstens in vielen Fällen nicht unmittelbar in den äußerlich sichtbaren Merkmalen zu erkennen geben, sondern durch un- sichtbare Elementareigenschaften, Anlagen oder Faktoren repräsentiert werden. In manchen Fällen liegt eine einzige Erb- einheit der einzelnen äußeren Eigenschaft zugrunde, und die Ver- bindungen, welche die erstere von Generation zu Generation mit anderen Erbeinheiten eingeht oder löst, wird durch den Vererbungs- gang der äußeren Eigenschaft direkt widergespiegelt, ein anderes Mal 18* 276 Mutationstheorie. dagegen müssen mehrere Erbeinheiten zusammentreffen, um ein äußeres Merkmal zur Entfaltung zu bringen, und ihre Spaltung bei der Gametenbildung wird in der folgenden Generation den Schwund des betreffenden „zusammengesetzten Charakters“ herbeiführen. Wieder in anderen Fällen kann die einzelne Erbeinheit je nach den Lebens- bedingungen in verschiedenen äußeren Merkmalen zum Ausdruck kommen, so wenn z.B. bei Primula sinensis eine bestimmte Reaktions- fähigkeit als Erbeinheit nachgewiesen werden kann, kraft deren sie bei niedriger Temperatur rote, bei höherer Temperatur weiße Blüten bildet!). Endlich kann auch der Fall eintreten, daß ein und dasselbe äußere Merkmal das eine Mal durch die eine, das andere Mal durch die andere Elementareigenschaft bedingt ist, wie dies z. B. für die schwarze Kornfarbe gewisser Hafer- und die rote Kornfarbe mancher Weizensorten gilt?). b) Beziehung zur Mutationstheorie. Sowohl in der Hervorhebung der Elementareigenschaften als der eigentlichen Angriffsobjekte der Vererbungsforschung, als auch in der starken Betonung der Bedeutung, welche die diskontinuierlichen Merkmale für die Rassenlehre haben, zeigt sich eine außerordentlich nahe Berührung der Mendelforschung mit der Mutationstheorie von H. de Vries. Hat doch H. de Vries schon in seiner „Intra- cellularen Pangenesis* und ebenso in der „Mutationstheorie“ den Ge- danken vertreten, daß die Eigenschaften der Organismen aus scharf voneinander unterschiedenen Einheiten aufgebaut sind, und aus den Ergebnissen der Bastardforschung hatte er weiterhin den Schluß gezogen, daß nicht die äußerlichen, der Wahrnehmung bequem zu- gänglichen Merkmale für den Ausfall der Kreuzungsprodukte ent- scheidend sind, sondern die innerlichen, weit schwieriger zu er- forschenden Elementareigenschaften, deren Äußerungen die Merk- male sind). Ebenso wie nach den Ergebnissen der Mendelforschung, so hat man sich also auch nach den Anschauungen von de Vries zu denken, daß das Artbild aus einer Summe von erblichen Elementareigen- schaften zusammengesetzt ist, welche in der Regel einer ganzen An- zahl von Spezies gemeinsam sind und bei den einzelnen Arten in der '!) Vgl. Baur, S. 285 (1908). ®) Vgl. Nilsson-Ehle, Literaturverzeichnis 26. ») Vgl. Mutationstheorie, I, S.3, II, S.442 u. a. a. O. Transversionen. 277 verschiedensten Weise kombiniert sind. Diese Elementareigenschaften können für uns in Gestalt der äußeren Merkmale zum Vorschein kommen. Was die Zahl der Elementareigenschaften anbelangt, aus welcher sich die einzelnen Artbilder zusammensetzen, so braucht diese nach de Vries keine außerordentlich große zu sein, sieht man doch die nämlichen Merkmale bei sehr verschiedenen Organismen wiederkehren. Immerhin glaubt de Vries, daß für die einzelne Pflanze einige Tausende von Elementareigenschaften anzunehmen sind. Die Analyse der Mendelphänomene-hat-uns vor der Hand nur mit einer verhältnismäßig geringen Anzahl von Elementareigenschaften bekannt gemacht, für die Beurteilung ihrer Zahl ist aber bedeutsam, daß für das Zustande- kommen zahlreicher äußerer Merkmale zwei, drei und wohl auch mehr „Faktoren“ oder Elementareigenschaften nötig sind, und daß ins- besondere bei „unvollständiger Dominanz“ die verschiedenen inter- mediären Stadien, welche die F,-Bastarde zeigen, auf dem Zusammen- wirken einer größeren Anzahl von Faktoren beruhen können!?). Für die Kenntnis der Elementareigenschaften und ihrer Verbreitung bei den einzelnen Organismen dürften auch die von mir als Trans- versionen (Überschläge)2) bezeichneten Vorkommnisse von einiger Bedeutung sein. Es handelt sich hier darum, daß nicht selten einzelne scharf umgrenzte Charaktere, welche normalerweise zum Merkmalskomplex einer Spezies gehören, bei einer anderen, mehr oder weniger entfernten Spezies in aberrativer Weise auftreten, es liegt also ein Sichtbarwerden von normalerweise latenten Elementar- eigenschaften unter bestimmten abnormen Bedingungen (z.B. bei Weg- fall eines epistatischen Faktors) vor. Als Beispiele seien, abgesehen von gewissen Zeichnungsabänderungen bei den früher erwähnten Temperaturaberrationen der Schmetterlinge:), die abnormerweise bei Tauben vorkommenden Schwimmhäute und der bei verschiedenen Vögeln als Speziesmerkmal, bei anderen nur ganz gelegentlich auf- tretende weiße Halsring erwähnt. Es weisen derartige Trans- versionen, die, soweit bekannt, dem alternativen Vererbungsmodus folgen, darauf hin, daß in den einzelnen Artbildern zahlreiche nor- malerweise nicht zum Vorschein kommende Elementareigenschaften stecken, wie denn auch Klebs auf Grund experimenteller Unter- 4 !) Vgl. Lang, S.ı8 (1910). 2) Haecker 1909. "Vgl. Kap. 17, 5. 171. m 278 Bedeutung der diskontinuierlichen Abänderungen. suchungen an Pflanzen zu dem Ergebnis gelangt ist, „daß die in der freien Natur vorhandenen Entwickelungsformen einer Spezies nicht den gesamten Umfang der in ihrer Struktur liegenden Entwickelungs- möglichkeiten ausmachen“. Die Schwimmhäute der Tauben sind rezessiv gegenüber dem normalen Ver- halten (Staples-Browne). Der weiße Halsring des Phasianus torquatus erweist sich, wie mir Herr Prof. A.Ghigi mitzuteilen die Freundlichkeit hatte, bei Kreu- zungen mit- Ph. colchicus als ein dominierendes Merkmal. Für die Analyse der Entstehungsweise gerade dieses Merkmals besitzen wir insofern einen Anhaltspunkt, als bei der Kreuzung von einfarbigen und holländischen (scheckigen) Kaninchen die heterozygoten F'-Bastarde die Andeutung eines weißen Kragens zeigen (Bateson, S. 84, 1909). . Wie oben angedeutet wurde, besteht noch eine weitere wichtige Be- rührung zwischen der Mendelforschung und der Mutationslehre. Ebenso wie nämlich durch Mendel die ausgesprochen diskontinuierlichen Merkmale und ihre Bedeutung für die Rassenbildung in den Vorder- grund der Betrachtung gerückt worden sind, so nimmt auch de Vries, wie schon vor ihm Bateson (1894) an, daß die Bildung neuer Varietäten und Arten nicht, wie sich Darwin und Weismann vor- gestellt haben, im wesentlichen auf der kontinuierlichen oder fluktuierenden (individuellen) Variabilität, auf einer allmählichen Steigerung kleiner individueller Abänderungen oder Fluktuationen, sondern auf sprung- oder stoßweise vor sich gehenden Prozessen, durch welche in der Regel größere diskontinuierliche Ab- änderungen, sogenannte Mutationen, geschaffen werden, beruhen. Es wird später nochmals von der vererbungstheoretischen Bedeutung dieser beiden Formen der Variabilität die Rede sein, hier soll nur noch auf die große Verwirrung hingewiesen werden, welche auf diesem Ge- biete in terminologischer Hinsicht besteht. Es werden namentlich unter dem Begriffe der kontinuierlichen oder fluktuierenden Variabilität sehr verschiedene Dinge verstanden, namentlich deshalb, weil man in der Definition in der Regel auch die von Fall zu Fall experi- mentell festzustellenden Erblichkeitsverhältnisse und ursächlichen Faktoren einzuschließen bemüht ist!). Es empfiehlt sich aber vielleicht, zwischen der kontinuierlichen und diskontinuierlichen Variabilität, also zwischen Fluktuationen und Mutationen, zunächst nur eine rein quantitative Unterscheidung zu machen: Die Fluktuationen sind ') So zeigt Plate, S.7ıff., 286 (1908), dad Darwin unter Fluktuationen erbliche, richtungslose, individuelle Schwankungen verstand, während de Vries und neuerdings auch Johannsen damit die nichterblichen Schwankungen um den Typus meinen. Terminologisches. 279 danach geringfügige, nur kleine, vom Typus und untereinander ab- weichende Variationen (Differentiale im mathematischen Sinne); die retrogressiven und degressiven Mutationen de Vries’ (Partial- mutationen nach meiner, Sprungblastovariationen nach Plates Ter- minologie) sind rückschreitende oder neu wieder auftauchende Ab- änderungen eines oder einiger weniger Merkmale von beträchtlichem Ausschlag, also von stoß- oder sprungweisem Charakter, während unter progressiven Mutationen vom Oenothera-Typus (Total- mutationen nach meiner, Mutationen sens. striet. nach Plates Be- zeichnungsweise) sprungweise Änderungen des ganzen Habitus zu verstehen sind. Es würde dann. ferner von Fall zu Fall nachzuweisen sein, ob die Abänderungen der verschiedenen Kategorien erbliche Varia- tionen von zunächst internem Ursprung sind, welche durch Veränderung der Vererbungssubstanz ohne unmittelbare Beeinflussung durch bestimmte äußere Faktoren hervorgerufen werden (blastogene oder Keimesvariationen im ursprünglichen Sinne Weismanns), oder ob es sich um erbliche Abänderungen exogenen Ursprungs han- delt, die unter der Wirkung der Lebensbedingungen durch parallele Induktion von Soma und Geschlechtszellen!) ihre Entstehung nehmen (erbliche Modifikationen, exoblastogene [somatoblastogene] Variationen), oder ob nichterbliche, durch äußere Faktoren bewirkte Abänderungen des Somas (somatogene Variationen nach Weis- mann, Somationen nach Plate) vorliegen. H. de Vries nimmt an, daß die Fluktuationen exogenen Ursprungs und nichterblich, die Mutationen dagegen blastogenen Ursprungs und erblich sind. Neuere, später zu besprechende Untersuchungen haben aber gezeigt, daß diese Unterscheidung nicht festzuhalten ist. c) Beziehungen zur Biotypenlehre Johannsens. Wie mit der Mutationstheorie, so stehen die neugewonnenen An- schauungen auch mit der Lehre Johannsens von den Populationen und reinen Linien in engstem Zusammenhang. Nach Johannsen stellt eine Population, d.h. die Bevölkerung eines Landes oder der Bestand an Tieren bzw. Pflanzen einer gegebenen Art oder Rasse an einer bestimmten Örtlichkeit, in vielen Fällen nicht eine Einheit dar, sondern bildet eine Mischung von verschiedenen selbständigen, festen \) Siehe Kap. 17, S. 164. 280 | Phänotypus und Biotypen. Typen, den reinen Linien oder Biotypen, und ist dann als Schein- typus oder Phänotypus zu bezeichnen. Wenn man einen solchen Bestand in bezug auf ein einzelnes Merkmal variationsstatistisch unter- sucht, d.h. wenn man z.B. das Samengewicht oder die relative Breite von Bohnen, die „Schartigkeit“!) der Gerste, von Individuum zu Individuum mißt und die einzelnen Längen, Gewichtsklassen usw. als Abszissen, die Zahl der zu jeder Klasse gehörenden Individuen als Ordinaten aufträgt, so erhält man, wenn die oberen Enden der Or- dinaten verbunden werden, ein Häufigkeits- oder Variations- polygon (Fig. 104), oder eine Galtonsche Kurve, welche im all- Fig. 104. an \ 150 200 250 300 350 ı 400 450 500 550 600 | 368,4 Variationspolygon für das Samengewicht einer Bohne. Nach Johannsen. gemeinen symmetrisch ist und so unmittelbar zum Ausdruck bringt, daß die mittleren Klassen durch die größte, die extremen durch die kleinste Zahl von Individuen vertreten zu sein pflegen (Quetelet- sches Gesetz)?). In Fig. 104 ist nach Johannsen die Variation des Saınengewichts von 606 Bohnen dargestellt, welche die Ernte einer Saat von 25 Bohnen bildeten, die ihrerseits die kleinsten Individuen einer Partie von braunen „Prinzeßbohnen“ repräsentierten. Es wurden in der Ernte 12 Gewichtsklassen (150 bis 200, 200 bis 250 usw. Milligramm) !) Unter Schartigkeit der Gerste versteht man die Erscheinung, daß bisweilen eine Anzahl der jungen Fruchtknoten sich nicht zu Körnern entwickelt und daß daher leere Stellen in der reifen Ähre entstehen. *”) Variationskurven einfachster Art erhält man z. B. bei einzelnen durch variable Stachelzahl ausgezeichneten Radiolarien. Vgl. Rad. Var. u. Artb., S.4. Phänotypus und Biotypen. 281 unterschieden und diese Klassen als Abszissen aufgetragen. Die Areale der Recht- ecke entsprechen der in der betreffenden Klasse gefundenen Individuenzahl. Beim ersten Anblick des Variationspolygons erscheinen derartige Populationen oder Phänotypen als Einheiten, wenn man aber nach dem zuerst von Louis Leveque de Vilmorin aufgestellten Isolations- prinzip (Prinzip der individuellen Nachkommenbeurteilung) die Nachkommen der einzelnen Mutterpflarrzen separat untersucht und unter fortgesetzter Selbstbefruchtung „reine Linien“ zieht, so wird sich in vielen Fällen der Nachweis führen lassen, daß eine scheinbar einheitliche Fig. 105. ER Ri U Asse AR, 2 AL 7 Bir L 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 General- und Spezialkurven für Phänotypus und Biotypen. Frei nach Lang. Population oder ein Phänotypus in Wirklichkeit ein Gemenge von mehreren eigentlichen Einheiten, den Biotypen (Elementararten), dar- stellt, von denen jede, abgesehen von „fluktuierenden“, um den Mittel- wert schwankenden Varianten, sich bei Selbstbestäubung konstant von Generation zu Generation forterhält. Die äußeren Eigenschaften dieser Biotypen sind nach Johannsen durch besondere, trennbare und somit selbständige, in den Gameten enthaltene „Zustände“, „Grundlagen“, „Anlagen“, durch die Gene, bestimmt; die Gesamtheit der Gene bildet die genotypische Grundlage des Biotypus. In dem oben angeführten Beispiele (Fig. 104) scheint die Nachkommenschaft der kleinen Bohnen beim ersten Anblick des Variationspolygons ebenfalls einen ein- heitlichen Typus zu repräsentieren. In Wirklichkeit besteht aber dieser Phänotypus, obwohl die Muttersamen alle gleich groß waren, aus nicht weniger als 19 Biotypen oder reinen Linien, von welchen 5, 7,6 und 1 bzw. in die Größenklassen 300 bis 350, 71 282 Phänotypus und Biotypen. 350 bis 400, 400 bis 450 und 500 bis 550 fallen. Unter den ausgewählten kleinen Muttersamen befanden sich also verhältnismäßig viele, welche tatsächlich zu klein- samigen Typen (unter 350mg), und nur ein einziger, welcher zu einem großsamigen Typus (über 450 mg) gehörte. In Fig. 105 ist zur Veranschaulichung des Verhältnisses zwischen der Gesamt- variation des Phänotypus und den „fluktuierenden“ Variationen der einzelnen Biotypen in vereinfachter Form ein von A. Lang gegebenes Schema dargestellt. Ähnlich wie Fig. 106. A 6 200 194 176 142 125 | B 250 Phänotypus (A) und ein einzelner Biotypus (B) bei Paramaecium. Nach Jennings. 20 100 45 80 im vorigen Schema (Fig. 104) sind auf der Abszisse die Längenklassen der Individuen des Phänotypus angegeben, während die (nur zum Teil gezeichneten) Ordinaten die Zahl der zu jeder Längenklasse gehörigen Individuen darstellen. In die General- kurve des Phänotypus sind die Spezialkurven der einzelnen, durch Vererbungs- versuche ermittelten Biotypen eingezeichnet. Für die Zeichnung hat sich die Größe und Form der Spezialkurven aus der Überlegung ergeben, daß für jeden einzelnen Punkt der Abszisse (z. B. 61,4 oder 65,4) die Ordinate der Generalkurve gleich der Summe der Ordinäten der Spezialkurven sein muß. Faktoren und Determinanten. 283 Inwieweit Selektion das Bild einer Population beeinflussen kann, soll weiter unten berührt werden. Hier sei nur hervorgehoben, daß zu ähnlichen Vorstellungen auch schon Hjalmar Nilsson an der schwedischen Saatzuchtanstalt von Svalöf gelangt war!), und daß später Elise Hanel bei Hydra (Tentakelzahl), Jennings bei Para- maecium (Körpergröße), Woltereck bei Cladoceren (Kopfhöhe usw.) die Ergebnisse Johannsens im wesentlichen bestätigen konnten. Die Fig. 106A zeigt nach Jennings die relativen mittleren Längen von acht verschiedenen Biotypen einer Paramaecium-Kultur (die wirklichen mittleren Längen sind unter den Umrissen in Mikromillimetern angegeben). In Fig. 106B ist der Biotypus D der Fig. 106A mit seinen zwischen 80 und 250 Mikromillimetern liegenden _ Fluktuationen dargestellt. Daß zwischen diesen Ergebnissen und denjenigen der Mendel- forschung bezüglich der Annahme von selbständigen Erbeinheiten eine vollständige Übereinstimmung besteht, braucht nicht näher aus- geführt zu werden. d) Beziehungen zu der Determinantenlehre. Was das Verhältnis zu den morphobiologischen Vererbungs- und Artbildungstheorien anbelangt, so ist ohne weiteres ersichtlich, daß die Feststellung zahlreicher selbständig sich vererbender Merkmale der Determinantenlehre oder Korpuskularhypothese Weismanns in gewissem Sinne entgegenkommt?). Die Determinanten Weismanns würden in der Tat eine Art von morphologischem Gegenstück zu den als Einheiten von mehr physiologischem Charakter gedachten „Faktoren“ bilden, wofern sie wirklich als materielle Teilchen im Sinne Weismanns aufgefaßt werden. Neuerdings hat Castle3) eine Brücke zwischen beiden Vorstellungsweisen hergestellt, indem er sich, ausgehend von den Färbungs- und Zeichnungsrassen der Kaninchen, die in der Keimzelle enthaltenen Faktoren in analoger Weise ketten- artig verbunden denkt, wie etwa die Determinanten im Id. Er stellt demgemäß Erbformeln auf, ähnlich den chemischen Formeln, durch welche die Anordnung und Verkettung der Atome im Molekül zum Ausdruck gebracht werden soll. Die Formel für die genotypische !) Vgl. Johannsen, S.6 (1903), S. 162 (1909). Vgl. auch Barbers Unter- suchungen an Bakterien. ?®) Vgl. auch Thomson, S. 369. ®) Castle 1910. Vgl. auch I.angs Ref. 1910. 284 Faktoren und Determinanten. Konstitution des homozygoten wildgrauen Kaninchens würde danach lauten: | U, B Bar ne EINE 4; n 1, DE oder besser (nach Lang): uU 5 AA—-C0C-YYl NEE | NBrBr/ II In dieser besonderen Zusammenstellung der Indices für die ein- zelnen Faktoren stellt der Faktor (, der ganz allgemein die Bildung einer chromogenen Substanz bedingt, eine Art von Kern dar, mit dem alle’ anderen Faktoren direkt oder indirekt verbunden sind. Es soll dadurch zum Ausdruck kommen, daß ohne die Anwesenheit dieses Faktors ( überhaupt keine Farbe zur Entwickelung kommen kann. Die übrigen Faktoren sind: A (Aguti-Faktor)!), U (Uniformitätsfaktor, bewirkt die gleichmäßige Verteilung des Pigments, also Einfarbigkeit)?), J (Intensitätsfaktor, bewirkt starke, dichte Pigmentbildung)?), Y (Faktor für Gelb), Br (Faktor für Braun), B (Faktor für Schwarz)*) sowie ein Faktor E (extension factor, bewirkt gleichmäßige Verteilung des braunen und schwarzen Pigments über die mit gelbem Pigment ver- sehenen Körperpartien)?). Die Formel bringt durch die Stellung der Indices im besonderen noch zum Ausdruck, daß B und Br bei den Kaninchen nur zur Geltung kommen, wenn schon Y vorhanden ist, und ferner, daß E nur auf B und Br einwirkt. Für ein komplett homozygotes einfarbig schwarzes Tier, bei welchem der epistatische Aguti-Faktor fehlt, würde die Erbformel (in der von Lang vorgeschlagenen Verbesserung) lauten: UU | BB aa-uc-YY NEE usw. | BrBe/ 37 !) Siehe oben S. 271. ?) Siehe oben S. 266. Bei seinem Fehlen tritt Scheckzeichnung auf. ®) Siehe oben S. 266, 269. Bei seinem Fehlen tritt Auflockerung (Dilution) des Pigments, also Blau- oder Cremefärbung, ein. *) — N bei Cu¬. Siehe oben S. 265. °) Seine Abwesenheit bewirkt Beschränkung von Braun und Schwarz auf Augen und Extremitäten. Mendelforschung und Selektionstheorie. 285 e) Beziehungen zur Selektionstheorie. Sehr umstritten ist noch die Frage, inwieweit durch die neuen Ergebnisse die Grundlagen der Selektionstheorie Darwins berührt werden. In dieser Richtung können hier nur einige Andeutungen gegeben werden. Beim ersten Bekanntwerden der neuen Tatsachen wurde hauptsächlich die Größe der Variation ohne Rücksicht auf ihr Zustandekommen betont und die Frage erörtert, ob als Angriffs- punkte für die natürliche Zuchtwahl nur sprungweise Variationen, sei es Mutationen des ganzen Habitus vom Oenothera-Typus, sei es stoßweise, durch diskontinuierliche Abänderungen einzelner Merkmale entstandene Aberrationen (Partialmutationen), in Betracht kommen, oder ob auch eine allmähliche (gleitende), erbliche und daher von Generation zu Generation um kleine Differentiale fortschreitende Variabilität, also im wesentlichen das, was schon Darwin als in- dividuelle fluktuierende Variabilität bezeichnet hat, das Material für die Selektion darbietet. Die Antwort lautete verschieden: während de Vries nur die erstere Möglichkeit annahm, wurde namentlich von Weismann hervorgehoben, daß so komplizierte Anpassungen, wie es die Zeichnung der Blattschmetterlinge, die Augen der Tiefseefische sind, unmöglich bloß durch Häufung und Steigerung von vereinzelt vorkommenden und richtungslosen sprungweisen Mutationen ent- standen sein können. Auch haben Weismann u.a. auf die Existenz sogenannter morphologisch -geographischer Formenketten!) hingewiesen. Solche liegen dann vor, wenn die in benachbarten Ge- bieten vorkommenden Lokalformen kontinuierlich ineinander über- gehen, und die nächstliegende Erklärung ist offenbar die, daß sie auf dem Wege einer kontinuierlichen Entwickelung unter fortgesetzter Wirkung der Selektion zustande kommen. Formenketten dieser Art haben die Gebrüder Sarasin und Plate für die Landschnecken von Celebes und von den Bahamas, ich selbst für die Radiolarien nach- gewiesen, und Davenport zitiert in diesem Zusammenhang den nord- amerikanischen Singsperling (Melospiza), von welchem westlich der Rocky Mountains nicht weniger als 16 Subspezies oder klimatische Variationen unterschieden werden 2). !) Vgl. Weismann, Vorträge II, S.251; Plate 1907; Haecker, Tiefsee-Rad., S..000; Rad. Var. u. Artb,, S.1$: 2 *) Nach einer Zusammenstellung im Amer. Mus. of Nat. Hist. in New York. 286 Übergänge zwischen Fluktuationen und Mutationen. Variabilität bei Radiolarien. Nun läßt sich aber die Gegenüberstellung von sprungweisen und kontinuierlichen Variationen nur schwer durchführen, schon deshalb, weil auch solche Variationen, welche im übrigen durchaus den Charakter und das Verhalten de Vriesscher Mutationen haben, in ihrer äußeren Erscheinung keineswegs besonders beträchtlich ‚zu sein brauchen und daher vielfach kaum von den fluktuierenden Abänderungen Darwins zu unterscheiden sind. Überdies kann durch das Zusammenwirken mehrerer selbständiger diskontinuierlicher Faktoren sehr leicht das äußere Bild gleitender Übergänge zustande kommen, wie dies Lang bezüglich der gleich zu besprechenden Ergebnisse Castles wahrscheinlich zu machen versucht hat!), und umgekehrt ist es sehr wohl denkbar, daß durch kontinuierliche Abänderungen des Art- plasmas bzw. der „Faktoren“ sprungweise Abänderungen des äußeren Artbildes zustande kommen können, wie ich in einem Falle für Radiolarien wahrscheinlich machen konnte 2). Wie die gallertgefüllten Kieselröhren der Aulacanthiden (S. 36, Fig. 10), so entstehen auch die Skelettelemente der Aulosphäriden, Castanelliden und anderer Tripyleenfamilien in der Weise, daß zunächst innerhalb des Protoplasmaleibes läng- liche Gallerttropfen („Vakuolen“ oder „Alveolen“) gebildet werden, deren „Vakuolen- haut“ später verkieselt. Ein Unterschied gegenüber den Aulacanthiden besteht nur darin, daß die Bildung der Gallertvakuolen im Anschluß an die zuerst abgeschiedenen kieseligen „Primitivnadeln“ (Fig. 107A,B, pn; C) erfolgt. Wenn nun die länglichen, die feinen Primitivnadeln umschließenden Gallertvakuolen (D) bis zur Verkieselung selbständig bleiben, so entsteht cin.Maschenwerk von selbständigen Skelettröhren (Aulosphäriden, Fig. 107 A,E), fließen sie dagegen infolge stärkerer Kohäsion vor der Verkieselung zusammen, so bildet sich eine Gitterschale (Castanelliden, Fig. 107B). Der Unterschied in der Kohäsion kann unmöglich bedeutend sein, da in einem Falle innerhalb desselben einzelligen Individuums nebeneinander beide Konstruktionstypen beobachtet wurden. Es entscheidet also in diesem Falle eine vielleicht nur minimale Differenz in der Kohäsion der gallertigen Grundsubstanz des Kieselskeletts darüber, ob das aus lauter einzelnen hohlen Kiescelröhren zusammengesetzte regelmäßige Maschenwerk der Aulosphäriden (Fig. 107 A) oder die äußerlich ganz verschiedene, von runden, fensterartigen Poren durchbrochene Gitterschale der Castanelliden (Fig. 107 B) zur Ausbildung kommt. Mit der einfachen quantitativen Unterscheidung zwischen dis- kontinuierlicher und kontinuierlicher Variation ist also in der Frage nach der Wirkung der Selektion nicht weiterzukommen und es wurden zunächst verschiedene Versuche gemacht, für die Hauptformen der Variabilität, unter Berücksichtigung der Erblichkeitsverhältnisse und der die Variation verursachenden Faktoren, eine genauere Definition \) Vgl. Lang, Erbl. d. Ohrenlänge, 1910, ?) Tiefsee-Rad., S..660; Transvers., S. 461. Wirkung der Selektion nach Johannsen. 287 zu geben und die Bedeutung der so umschriebenen Variationstypen für die Selektionsprozesse festzustellen. Einen besonders scharf präzisierten Standpunkt hat Johannsen eingenommen, indem er die diskontinuierlichen, genotypischen Fig. 107. x ers \ Q ph A Maschenwerk einer Aulosphäride (Aulastrum) und B Gitterschale einer Castanellide (Castanidium). C—-E Entstehung des Maschenwerks einer Aulosphäride (Aulosphaera). (auf einer Abänderung der genotypischen Grundlage beruhenden), erblichen Unterschiede, durch welche die einzelnen Biotypen einer Population gekennzeichnet sind, und die fluktuierenden, persön- 288 Wirkung’der Selektion nach Johannsen. lichen (bei fester genotypischer Grundlage auftretenden), nichterb- lichen Unterschiede, welche in den Variationskurven der einzelnen Biotypen zum Ausdruck kommen, einander gegenüberstellt. Das Vor- kommen genotypischer Verschiebungen, d. h. kontinuier- licher (gleitender) Abänderungen der genotypischen Grundlage, will Johannsen allerdings nicht vollständig in Abrede stellen, jedoch glaubt er, daß bisher keine beweisenden Beobachtungen vorliegen. Einen wichtigen Punkt bildet jedenfalls in der Auffassung Johannsens die genotypische Festigkeit, d.h. die relative Dauer- haftigkeit der einzelnen Biotypen. Neue Biotypen werden nach Johannsen, soweit sichere Beobachtungen zur Verfügung. stehen, nur auf dem Wege einer stoßweisen Änderung oder Mutation ge- wonnen; eine solche erfolgt nur zeitweise, und somit stehen also der Selektion nicht, wie Darwin und Weismann annehmen, zu jeder-Zeit zahlreiche richtungslose erbliche Variationen kleineren und kleinsten Umfangs und kontinuierlicher Art zur Verfügung. Denn die persönlichen Fluktuationen um den einzelnen Biotypus herum sind ja nach Johannsen mindestens in der Regel nichterblich. Die Selektion erstreckt sich also nur auf die innerhalb eines Phänotypus vorkommenden, durch einzelne Merkmale oder ganze Merkmalskomplexe diskontinuierlich unterschiedenen Biotypen oder reinen Linien, und zwar in der Weise, daß sie die günstigen Biotypen unter Ausmerzung der ungünstigen isoliert. Sie kann beispielsweise innerhalb eines Phänotypus die größten oder kleinsten erblichen Typen isolieren und so den Mittelwert des gesamten Phänotypus nach der einen oder anderen seiner beiden Variations- grenzen hin dauernd verschieben. Darauf beruht die Erfahrungstat- sache, daß sich die Selektion im Anfang, d. h. solange innerhalb eines Phänotypus noch eine größere Zahl von Biotypen zur Verfügung stehen, in sichtbarer Weise als wirksam erweist, daß aber die Grenzen ihrer Wirksamkeit bald erreicht sind, sobald nämlich der einzelne Biotypus isoliert ist. Die nichterblichen Fluktuationen im einzelnen Biotypus kommen nach Johannsen für die Selektion nicht in Be- tracht, und so werden in dem durch Selektion isolierten Biotypus die fluktuierenden Plus- und Minusvariationen im alten Umfang weiter- bestehen. Für die Auffassung, daß die fluktuierenden Plus- und Minus- variationen durch die Selektion nicht beeinflußt werden, findet Johannsen in seinen Experimenten eine Stütze. Weder das Samen- Wirkung der Selektion. 289 gewicht und die relative Breite der Bohnen, noch die „Schartigkeit“ der Gerste konnte innerhalb der einzelnen reinen Linien durch Selek- tion modifiziert werden. Unabhängig von der persönlichen Be- schaffenheit des Mutter- und Großmutterindividuums, d. h. unabhängig von der Größe des Ausschlages, welche diese letzteren gegenüber dem Biotypus zeigen, wird der durchschnittliche Charakter der Nach- kommen einzig durch diesen bestimmt. Die Annahme Galtons, daß die Beschaffenheit der Nachkommenschaft (ihre Abweichung vom Durchschnittscharakter der gegebenen Population) durchschnittlich betrachtet eine bestimmte Funktion der Beschaffenheit der verschie- denen Ahnengenerationen sei!) und daß der Rückschlag nach dem Regressionsgesetze erfolge?2), erhält durch die Experimente keine Stütze. In ähnlicher Weise hat Jennings bei Paramaecium die Wirkung der Selektion formuliert, und ebenso sind Pearl und Surface auf Grund langjähriger Untersuchungen zu dem Resultat gekommen, daß bei Plymouth-Rock-Hühnern durch Selektion von kontinuierlichen (fluktuierenden) Variationen keine Steigerung der Fruchtbarkeit inner- halb einer Linie erzielt werden kann. Auf der anderen Seite liegen aber doch auch Beobachtungen vor, welche auf die Möglichkeit einer genotypischen Verschiebung, d.h. einer allmählichen Umprägung des Biotypus unter der Wirkung der Selektion hindeuten und damit eine größere Bedeutung der kon- _ tinuierlichen Variabilität für die Artbildung erkennen lassen 3). So hat Castle den Nachweis zu führen versucht, daß der lang- ohrige Charakter der „Widderkaninchen“ ein durch Selektion langsam aufgebautes Merkmal sei. Bei Kreuzung von Langohren mit Kurzohren hatte er nämlich Halbblutlangohren mit intermediärer, bei Inzucht der Halbbluttiere konstant sich vererbender Ohrenlänge erhalten, ebenso entstand bei Kreuzung von Halbblutlangohren mit Vollblutlangohren eine Bastardrasse von Dreiviertelblutlangohren, deren Ohrenlänge ungefähr in der Mitte zwischen derjenigen der Halbblut- und Vollblutlangohren lag und sich bei Weiterzucht eben- falls konstant erhielt usw. Aus der Möglichkeit, den Langohrcharakter VB. 5:14, ER ®) Auch Johannsen (S. 357, 1909) hat, wie oben angedeutet, eine solche geno- typische Verschiebung, falls es sich um sehr lange Generationsreihen handelt, als nicht unmöglich, wenn auch als sehr unwahrscheinlich bezeichnet. Haecker, Vererbungslehre. 19 290 Wirkung der Lebenslage. in dieser Weise abzubauen und jede einzelne Zwischenstufe erblich zu fixieren, schloß Castle umgekehrt, daß jener nicht diskontinuier- lich entstanden sei, wie wahrscheinlich die mendelnden Charaktere, sondern ganz allmählich auf Grund von Selektionsprozessen!). - Die Ergebnisse Castles sind trotz ihrer mathematischen Fassung nicht ganz eindeutig, denn bei der intermediären Ohrenlänge könnte es sich nach Lang?), ähnlich wie in den von Nilsson-Ehle be- schriebenen Fällen), um die kumulative Wirkung mehrerer oder gar vieler separater gleichwertiger mendelnder Faktoren für die Ohren- länge handeln. Immerhin weisen die Befunde auf die Möglichkeit einer kontinuierlichen „genotypischen Verschiebung“ unter der Wirkung der Selektion hin, wie ja eine solche den Befunden Kam- merers und Wolterecks zufolge auch unter dem Einfluß der Lebenslage vorkommt). Wenigstens liegt keine Veranlassung zu der Annahme vor, daß in den von Kammerer beobachteten Fällen die künstlich erzielten, erblichen Veränderungen einen sprungweisen, diskontinuierlichen Charakter haben. Auch Woltereck hat ausdrück- lich im Gegensatz zu Johannsen festgestellt, daß bei Cladoceren durch Vertauschung der Milieubedingungen zweier Biotypen eine kontinuierliche Reihe von Übergängen hergestellt werden kann und er hat die Ansicht gewonnen, daß die Lokalformen der Daphnien durch kontinuierliche, milieubestimmte Veränderung entstanden seien. f) Entstehung der Erbeinheiten. Ebenso wie die Ergebnisse der Mendelforschung zusammen mit denjenigen von de Vries und Johannsen die Weiterentwickelung der Selektionslehre beeinflußt haben, so ist auch das alte Problem der Wirkung der Lebensbedingungen auf die Entstehung erblicher Variationen durch die neugewonnenen Ergebnisse und Anschauungen in mehrfacher Hinsicht berührt worden. Fast allgemein wird angenommen, daß die mendelnden Charaktere, bzw. die hinter ihnen stehenden Erbeinheiten nicht bloß in ihrem '’) Auf einen ähnlichen Fall habe ich schon vor längerer Zeit aufmerksam ge- macht. Die Bastarde Ursus maritimus o' X U. arctos @ sind in bezug auf die Form des Kopfes und der Färbung intermediär. Bei Rückkreuzung der F'-Bastarde mit dem Vater findet in beiderlei Hinsicht eine weitere Annäherung an diesen statt. Näheres S. 178 (1904). ®) Lang, Ohrenlänge, 1900. #) Siehe oben S. 272. *) Vgl. Kap. 17. Knospenvariationen. 291 gegenseitigen Verhältnis diskontinuierlicher Art sind, sondern daß dies, was übrigens keineswegs selbstverständlich ist, auch für ihre Entstehung gilt, d. h. daß sie auf mutativem Wege entstanden sind. In der Tat ist das spontane Auftreten einzelner mendelnder Charaktere wiederholt beobachtet oder wahrscheinlich gemacht worden. Hierher gehört das plötzliche Auftreten von Melanisten bei Schmetterlingen (z. B. beim Birkenspanner, Amphidasis betularia, nach Standfuß)!), das unvermittelte Erscheinen von totalen oder partiellen Albinos bei „halbdomestizierten“ Vögeln (Amsel, Haus- _ rotschwanz, Haussperling, Haus- und Rauchschwalbe). Auf botanischem Gebiete liegen ebenfalls verschiedene Angaben vor. Von großem Interesse sind namentlich die erblichen Knospen- variationen, auf welche namentlich Darwin und de Vries die Aufmerksamkeit gelenkt haben?). Vielfach handelt es sich um Nachwirkung vorhergegangener Kreuzungen, in anderen Fällen scheint aber die spontane Entstehung sicher zu sein. So treten bei der Kartoffel in offenbar nicht seltenen Fällen sprungweise Variationen auf, die sich bei asexueller Vermehrung durch Knollen als erblich erweisen. Soweit bisher bekannt, handelt es sich dabei stets um solche retrogressive Mutationen, welche bei der geschlechtlichen Fortpflanzung ein rezessives Verhalten zeigen: an Stöcken mit roten Knollen entstehen weiße Knollen, die längliche Gestalt der Knollen springt in-die runde über und statt flachliegender Augen treten tief- liegende auf®). In ähnlicher Weise kommen an „variegata“-Exemplaren von Mirabilis Jalapa mit grünfleckigen Blättern tiefgrüne Sprosse zur Entwickelung, also eine Variation, die bei der Bastardierung gegen- über dem variegata-Typus dominierend ist‘. Auch die spontane Entstehung neuer Formen von Winterweizen ist hieher zu rechnen). Welche Ursachen die Entstehung von derartigen Mutationen von mendelndem Charakter hervorrufen, darüber ist noch sehr wenig be- kannt, doch wird man im Gegensatz zu de Vries vielfach an Fak- toren klimatischer Art denken dürfen. So traten nach Simroth®) im Jahre 1909, wie er glaubt, als Folge der Trockenheit und Wärme des ') 1898, s. Literaturverzeichnis 17. ?) Vgl. namentlich de Vries, S.670 (1903) und Cramer 1907. ») East 1909. *) Correns 1910. Vgl. S.231, Anm. 4. °) Vgl. Nilsson-Ehle, Sver. Utsäd. Tidskr. 1906 (zitiert bei Fruwirth, Journ. Landw., S. 301, 1908). ®) Biol. Centralbl., 25. Bd. 19* 292 Entstehung der Mutationen. Sommers, in Mitteldeutschland besonders viele Albinos (besonders bei Amseln) und Melanisten (beim Haussperling, bei der Brandmaus und beim Hamster) auf, ebenso könnte auch das in den einzelnen Jahr- gängen besonders häufige Vorkommen schwarzer Eichhörnchen auf klimatische Verhältnisse zurückgeführt werden), wie ja auch die Zu- sammendrängung melanistischer Tierformen in bestimmten Gebieten (z. B. im Schwarzwald) auf einen Einfluß klimatischer Faktoren hin- weist 2). Auch die Befunde von Tower?) dürfen in diesem Zusammenhange genannt werden, da es sich um mendelnde Charaktere handelt, die unter der Wirkung äußerer Faktoren diskontinuierlich entstanden sind ®). Daß auch die kontinuierlichen Variationen durch die spezielle Lebenslage hervorgerufen werden können, und daß dies ins- besondere für die sogenannten Standortsmodifikationen sicher- ‚steht, wird allgemein anerkannt, und durch die Versuche Kammerers und Wolterecks ist neuerdings gezeigt worden, daß kontinuier- liche, durch künstliche Lebensbedingungen hervorgerufene Verschie- bungen erblich fixiert werden können, derart, daß auch bei Zurück- versetzung in die ursprüngliche Lebenslage die Nachkommen zunächst den neugewonnenen Typus beibehalten. Bei der geringen Anzahl unzweideutiger Experimente, welche bisher vorliegen, ist es im übrigen noch nicht möglich, die verschie- denen, hier berührten Formen der Variabilität schärfer gegeneinander abzugrenzen, wie denn auch auf diesem speziellen Gebiete noch keine Definition und noch keine These zu allgemeiner Anerkennung gelangt ist. Manche Formen von Variationen, wie z. B. die meristischen (numerischen) Variationen der tripyleen Radiolarien5), sind bis jetzt in keiner der üblichen Rubriken unterzubringen, und eine größere Klarheit wird wohl erst dann eintreten, wenn wir in das Wesen der hinter den äußeren Eigenschaften stehenden Erbeinheiten, Elementar- eigenschaften oder Gene tiefer eingedrungen sein werden. !) Vgl. Groß, S.553 (1906), Literaturverzeichnis 22 u. 23. 2) Vgl. Klunzinger, C.B., Über Melanismus bei Tieren. Jahresh. Ver. Vaterl. Naturk. Württ. 1903. ®) Vgl. S. 167. *) Vgl. auch Johannsen, S.450 (1909). °) Vgl. Tiefsee-Radiolarien, S.656; Rad. Var. u. Artb., S. 13. Galtons Gesetze. 293 g) Beziehungen zu den Galtonschen Gesetzen. Ganz kurz sei zum Schluß nochmals auf die Beziehungen zwischen den Mendelschen Regeln zu den statistischen Gesetzen Galtons!) hingewiesen. Von verschiedenen Vertretern der variations- statistischen (biometrischen) Schule Galtons, so besonders von Dar- bishire?), ist versucht worden, beide Aufstellungen miteinander in Einklang zu bringen. Danach sollen die Galtonschen Gesetze rein statistische, für Massen gültige Formulierungen sein. Auf der anderen Seite ist, namentlich von Bateson, eine allgemeinere Gültig- keit der Galtonschen Thesen überhaupt in Abrede gestellt worden. Nach Bateson kann allerdings zufälligerweise eine scheinbare Gültigkeit bestehen, wie denn auch die arithmetischen Resultate der Kreuzungen DRx RR und DRx DR durch Galton korrekt vorhergesagt worden seien®). Auch Johannsen‘) hebt hervor, daß Graltons Vererbungsgesetze keine biologischen Gesetze seien, sondern nur der Ausdruck dafür, daß bei den betreffenden Untersuchungen mit unreinem Material gearbeitet worden sei. ı Literaturverzeichnis zu Kapitel 27. Barber, M. A., On Heredity in certain Micro-Organisms. Kans. Un. Sci. Bull., Vol.4, 1907. Bateson, W., Materials for the Studies of Variation. London 1894. —, Mendel’s Principles of Heredity. London 1909. Baur, E., 1908, s. Literaturverzeichnis 26. Castle, W. E., 1909, s. Literaturverzeichnis 26. Correns 1910, s. Literaturverzeichnis 22 und 23. Cramer, P. J. S., Kritische Übersicht der bekannten Fälle von Knospenmutationen. Natuurkund. Verh. Holl. Maatschappij Wet. 4°. 474 S. Haarlem 1907. Darbishire, A. D., 1904, 1905, 1906, 1909; s. Literaturverzeichnis 3. Davenport, C. B., Evolution without mutation. Journ. Exp. Zool., Vol.2, 1905. —, Species and varieties, their origin by mutation. Sci., N. S., Vol. 22, 1905. —, The Mutation Theory in Animal Evolution. Sci., N. S., Vol. 24, 1906. East, E. M., The Transmission of Variation in the Potato in Asexual Reproduction. Connect. Exp. Station Rep. 1909—1910. Haecker, V., Bastardierung und Geschlechtszellenbildung. Zool. Jahrb. Suppl. VII, 1909. !) Siehe Kap. 3, S. 13. *) Siehe L.iteraturverzeichnis 2. ») Bateson und Saunders, S. 116 (1902); Bateson, S. 129 (1909). *) S.163 (1909). 294 . Literaturverzeichnis 27. Haecker, V., Über die lebende Substanz. Jahresh. Ver. Vaterl. Naturk. Württ. 1908. —, Tiefsee-Radiolarien. Allg. Teil. Wiss. Erg. D. Tiefsee-Exp., 14. Bd., Jena 1908 — , Über Transversionen. Zeitschr. Ind. Abst., 1. Bd., 1909. — , Die Radiolarien in der Variations- und Artbildungslehre. Ebenda, 2. Bd., 1909. Hanel, Elise, Vererbung bei ungeschlechtlicher Fortpflanzung von Hydra grisea. Jen. Zeitschr. Naturw., 43. Bd., 1908. Johannsen, W., Über Erblichkeit in Populationen und reinen Linien. Jena 1903. — , Elemente der exakten Erblichkeitslehre. Jena 1909. Jennings, H. S., Heredity, Variation and Evolution in Protozon. ]. Journ. Exp. Zool., Vol. 5, 1908. I. Proc. Amer. Phil. Soc., Vol. 47, 1908. —, Heredity and variation in the simplest organisms. Amer. 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Leipzig 1901 und 1903. Weismann, A., Vorträge über Deszendenztheorie. 2. Aufl. Jena 1904. Woltereck, R., 1900, s. Literaturverzeichnis 17, S. 179. Achtundzwanzigstes Kapitel. Praktische Bedeutung der Mendelforschung für die Tierzucht. Die praktische Bedeutung der Hauptergebnisse von Mendel und seinen Nachfolgern, sowie von de Vries und Johannsen wird auf dem Gebiete der Pflanzenzucht bereits in vollem Umfange anerkannt, und eine ganze Reihe von Instituten für Pflanzenbau- lehre hat sich mit großer Energie der neuen Errungenschaften an- genommen, um ihre praktische Verwendbarkeit zu prüfen. Es ist zweifellos, daß die von den Arbeiten Tschermaks und Fruwirths, Johannsens und der Svalöfer Schule ausgehenden Gedanken und Anregungen sehr bald auch in der praktischen Landwirtschaft zu wichtigen Neuerungen und Erfolgen führen werden. Viel zurück- haltender haben sich bisher die Tierzüchter gegenüber den Fort- schritten der Erblichkeitslehre verhalten. Alle die Gründe, aus welchen sich überhaupt die Tiere für die Verfolgung der Vererbungserschei- nungen weniger als die Pflanzen eignen, ihre größere Sprödigkeit gegenüber dem Experiment, die Unmöglichkeit einer Selbstbefruchtung, ihre langsame Geschlechtsreife und geringere Fruchtbarkeit spielen natürlich bei dem wertvollen Haustiermaterial eine besonders wich- tige Rolle, zum Teil haben aber auch mehr zufällige und äußere Gründe, vor allem die Festlegung durch andere wissenschaftliche Auf- gaben, dazu beigetragen, daß auch da, wo Mittel und Material vor- handen gewesen wären, die neueren Methoden und Ergebnisse noch nicht in wünschenswerter Weise auf die eigentlichen Nutztiere über- tragen worden sind. Für die praktische Tierzucht kommen nun offenbar hauptsächlich folgende beiden Punkte in Betracht: 1. der Nachweis, daß sich zahl- reiche unter den unterscheidenden Rassenmerkmalen bei der Vererbung als diskontinuierliche, selbständige und spaltbare Ein- heiten verhalten, und 2. die Vorstellung, daß die äußeren Charaktere 296 Instabilität der Rassen, durch Faktoren, Elementareigenschaften oder Erbeinheiten bedingt sind, und zwar vielfach in der Weise, daß das Zustandekommen eines an- scheinend einheitlichen äußeren Merkmals an das Zusammentreten mehrerer Faktoren in einer Zygote geknüpft ist. Daraus ergaben sich für die praktische Tierzucht zunächst einige Winke für das Verständnis einiger allbekannter und bisher wenig geklärter Erscheinungen, dann aber auch verschie- ‚dene Lehren in positiver und negativer Richtung. Erklärt wird vor allem die den Tierzüchtern geläufige Instabi- lität vieler Formen !), das Auftreten von „Zwischenrassen“ (de Vries) oder „ever sporting varieties“ (Punnett). Hier kann es sich allerdings um spontane sprungweise Abänderungen oder auch um „Umschläge“, d.h. um nichterbliche, durch bestimmte Bedingungskonstellationen her- vorgerufene, sprungweise Modifikationen handeln (Baur). Nicht selten werden aber intermediäre heterozygote Formen (D.R-Formen) vor- liegen, die bei der Weiterzucht immer wieder der Aufspaltung an- heimfallen. Wenn z. B. nach einer alten Erfahrung der Kanarien- züchter Vögel mit langen, liegenden, symmetrisch vom Scheitel ab- stehenden Federn, wie sie auf den. Ausstellungen gewünscht werden, niemals rein fortgezüchtet werden können, so erklärt sich dies da- durch, daß die betreffenden Formen als intermediäre Heterozygoten durch die Kreuzung von Vögeln mit krausen aufrechten Hauben (D) und Glattköpfen (R) erhalten werden. Bei ihrer Weiterzucht werden daher neben den gewünschten DR-Formen stets auch DD- und RR- Individuen auftreten. Überhaupt wird man in der Regel finden, daß intermediäre oder neue Formen, die durch Kreuzung zweier reiner Rassen entstanden sind, sich nicht rein weiterzüchten lassen, und daß nur in verhältnis- mäßig seltenen Fällen intermediäre F,-Bastarde den Ausgangspunkt für konstante Bastardrassen bilden2). Man hat sich das Zu- standekommen der letzteren wohl dadurch zu erklären, daß die im F,-Bastard vereinigten „antagonistischen“ Merkmale eine dauernde Verkoppelung oder Fusion irgendwelcher Art eingehen. Eine Instabilität der Rasse kann sich auch darin äußern, daß in durchaus unregelmäßiger Weise ungewöhnliche Aberrationen, die „sports“ der Züchter, die „single variations“ Darwins auftreten. 1) Vgl. auch BatesonundSaunders, S. 131 (1902); Bateson, S. 298 (1909). 2) Vgl. Kap. 21, S.2ı1 und Kap. 27, S. 289. Latenz,. Rückschläge. 297 Auch hierbei können, falls es sich nicht um Umschläge oder spon- tane Mutationen handelt, Spaltungs- und Neukombinationsvorgänge Mendelscher Art die Ursache sein. Wenn z. B. in einer weißen Schafherde von Zeit zu Zeit ein schwarzes Individuum zum Vor- schein kommt, so könnte allerdings dabei an eine wirkliche Mutation gedacht werden, wahrscheinlicher aber ist es, daß in solchen Fällen Mendelprozesse vorliegen. Entweder könnte nämlich das (domi- nierende) Weiß der Mehrzahl der Schafe auf der Anwesenheit eines epistatischen Faktors $ beruhen, welcher die Entwickelung der Pig- mentierung verhindert. Es werden dann schwarze Schafe entstehen können, wenn eine Kreuzung zwischen zwei in bezug auf S hetero- zygoten Tieren (Ss x Ss) erfolgt‘). Oder es wird die schwarze Farbe durch zufälliges Zusammentreffen zweier oder mehrerer komple- mentärer Faktoren bewirkt, welche von verschiedenen weißen Indi- viduen mitgeführt werden, ebenso wie bei Mäusen das Auftreten der Graufärbung an das Zusammentreffen zweier komplementärer Faktoren (C und @) geknüpft ist 2). Früher hätte man in solchen Fällen wohl auch gesagt, daß die schwarze Farbe in den weißen Tieren „latent“ vorhanden sei. In- dessen haben die neueren Untersuchungen von Bateson, Tscher- mak, Shull u. a. ergeben, daß man unter Latenz bisher sehr ver- schiedene Dinge verstanden hat, es ist also, wie Johannsen sagt, der Begriff der Latenz zu den in voller Auflösung befindlichen zu rechnen. Ähnliches gilt für diejenigen Fälle, in welchen der Tierzüchter bisher von Rückschlag oder Atavismus gesprochen hat. Auch dieser ‘Begriff ist seit einigen Jahren in sichtlicher Umwandlung begriffen. Schon de Vries3) hat hier den Hebel angesetzt, aber namentlich durch die neugewonnenen Vorstellungen von der Ent- stehung und Spaltbarkeit zusammengesetzter Charaktere ist manche Klärung herbeigeführt worden. Im ganzen handelt es sich wohl bei einem Rückschlag auf die wirkliche, historisch nachweis- bare Stammform#) um das Zusammentreffen zweier oder mehrerer !) Vgl. Bateson, S.104 (1909). ?) Siehe oben S. 231. ®) Mutationstheorie, 1. Teil, S. 482. *) Also beim physiologischen Atavismus nach de Vries (im Gegensatz zum phylogenetischen Atavismus, d.h. dem Rückschlag auf die nur auf Grund systematischer Untersuchungen angenommene Stammform). - 298 Praktische Winke. getrennter Faktoren. Es findet also nicht, wie man früher vielfach annahm, ein vollständiges Neuauftreten alter verschwundener Merk- male statt, vielmehr sind die betreffenden Erbeinheiten, durch deren Kombinierung die Charaktere der Stammform gebildet werden, in den verschiedenen Aszendenten stets, wenn auch in isoliertem Zu- stande, vorhanden gewesen. Etwas anders liegen wohl die Dinge bei den Temperaturaberra- tionen der Schmetterlinge. Wenn nämlich bei diesen ein teilweises Wiederauftreten „atavistischer* Charaktere!) wahrzunehmen ist, so mögen dabei Ausfallerscheinungen mit im Spiele sein: die starken äußeren Reize bewirken, daß gewisse epistatische, im Laufe der Stammesgeschichte hinzugekommene und für das betreffende Artbild charakteristische („phylogenetisch neue“) Faktoren nicht zur Geltung kommen und infolge des Freiwerdens hypostatischer Faktoren „phylo- genetisch ältere“ Eigenschaftskombinationen zur Entfaltung kommen. Die neugewonnenen Ergebnisse werfen schließlich noch ein Licht auf solche Abänderungen, welche bei Versetzun$ einer Rasse in ein anderes Klima scheinbar unter der direkten Wirkung kli- matischer Faktoren zustande kommen, in Wirklichkeit aber möglicherweise doch als Wirkung einer Durchkreuzung mit domi- nierenden Rassen aufzufassen sind. Es sei hier an den früher erwähnten Fall der Karakulschafe erinnert 2). Ein praktischer Wink in negativer Richtung ist durch den Hinweis darauf gegeben, daß der künstlichen Selektion wenig- stens in gewissen Fällen anscheinend ganz bestimmte Grenzen ge- zogen sind. Nach den Ergebnissen von Johannsen, Jennings und Pearl soll es ja innerhalb eines Phänotypus nur möglich sein, eine Isolierung der in bezug auf ein bestimmtes Merkmal reinen Linien (bei quantitativen Merkmalen eventuell eine Isolierung der extremen Formen) vorzunehmen, dagegen soll, sobald die Isolierung statt- gefunden hat, die Selektion keinen Einfluß mehr haben. Es muß in- dessen nochmals hervorgehoben werden, daß auf diesem Gebiete keines- wegs alle Experimente eindeutig sind, und daß insbesondere durch Kammerers Untersuchungen neue Ausblicke geschaffen worden sind. In positiver Hinsicht ist dadurch, daß auf Grund der neuen Ergebnisse die Bedeutung der Individualzüchtung stärker her- !) In diesem Falle würde ein „phylogenetischer“ Atavismus nach de Vries vorliegen. Vgl. im übrigen Kap. 17, S. 170. 2) Vgl. Kap. 23, S. 236. Fixierung von Rassen. 299 vortritt, ein überaus wichtiger Anhaltspunkt für die Konsolidie- rung und Verbesserung der Rassen gewonnen worden. Um den züchterischen Wert einer bestimmten Rasse zu beurteilen, darf nicht mit Massen operiert werden, vielmehr sind die Erblichkeits- verhältnisse der einzelnen Individuen zu verfolgen. Dabei ist zu beachten, daß da, wo Fluktuationen vorliegen, die Be- schaffenheit des Somas kein sicheres Kriterium für die Zusammen- setzung seiner Gameten und damit für die Beschaffenheit der Nach- kommen darbietet. Wenn eine Henne im Jahre 200 Eier legt, so darf man nicht ohne weiteres erwarten, daß ihre Nachkommen wieder „200-Eier“-Hennen sind, und ebenso brauchen die Nachkommen einer besonders schweren und besonders zuckerhaltigen Rübe nicht über das Mittelmaß hinauszugehen. Soll also aus einer gemischten Rasse oder Population, z. B. einem aus zwei Farbenvarietäten (Braunen und Füchsen) bestehenden Pferdeschlag, eine reine Rasse gezogen werden, so wird sich zunächst nach den für den Menschen angegebenen Regeln!) aus den vor- liegenden Daten ein vorläufiges Urteil über Dominanz und Rezes- sivität (epi- oder hypostatisches Verhalten) der einzelnen Charaktere gewinnen lassen. In dem hier angenommenen Falle, in welchem eine nahezu vollständige Dominanz der braunen Farbe vorliegt, wird die rezessive Rasse ohne weiteres fixiert werden können, da alle fuchs- farbigen Individuen rezessive Homozygoten (RR) sind und ihre Paarung stets wieder rezessive Homozygoten liefern wird. Ferner kann durch Kreuzung eines dominanten Individuums mit einem rezes- siven festgestellt werden, ob ersteres in bezug auf den dominierenden Charakter, in unserem Falle die braune Farbe, homozygot (rein dominant, Vollblut) oder heterozygot (Halbblut) ist. Im ersteren Falle werden alle, im letzteren 50 Proz. die braune Farbe aufweisen. Liegen nur Individuen mit dem dominierenden Charakter vor, oder ist das gerade erforderliche Geschlecht nur durch dominierende Individuen vertreten, so wird, falls ein Individuum vorhanden ist, dessen gametische Zusammensetzung (DD oder DR) schon vorher bekannt ist, die Kreuzung mit diesem den Prüfstein bilden. Im anderen Falle sind zwei beliebige Individuen mit dominierendem Charakter zu kreuzen und das Zahlenverhältnis der aus ihrer Kreuzung hervor- gegangenen Individuen wird einen ersten Anhaltspunkt dafür liefern !) Siehe Kap. 24. 300 Bildung neuer konstanter Rassen. können, ob eine Kreuzung DDx DD, DDx DE oder DRx DR ‚stattgefunden hat, da nur in letzterem Falle rezessive Tiere zum Vorschein kommen. Durch weitere Kreuzungen, insbesondere durch Gewinnung einer „Prüfgeneration“ (Tschermak), wird dann ein endgültiges Urteil darüber gewonnen werden können, welche Aus- gangsindividuen und welche Nachkommen homo- und welche hetero- zygot sind). In ähnlicher Weise wird zu verfahren sein, wenn es sich um Fixierung einer Rasse handelt, deren äußere Eigenschaften, soweit sie für den Züchter in Betracht kommen, durch das Zusammentreten einer größeren Anzahl von Faktoren bedingt sind. Es kommt auch hier zunächst darauf an, das gegenseitige Verhalten der ein- zelnen Faktoren festzustellen und bei Pflanzen womöglich durch Selbstbestäubung, sonst aber durch Verbindung der zu isolierenden Rasse mit einer anderen, welche bekannterweise in bezug auf den betreffenden Charakter heterozygot ist, die Reinheit (Samenbestän- digkeit) der Rasse zu prüfen. Schon Allen und Castle haben dies Verfahren speziell für Mäuse erprobt, Tschermak und Bateson haben es später für Pflanzen weitergebildet. Im wesentlichen die nämlichen Methoden, welche für die Isolie- rung reiner Rassen aus einem gegebenen Gemisch anzuwenden sind, finden auch Platz, wenn es sich darum handelt, neue Kombi- nationen (Kreuzungsnova) von dauerndem Bestande herzustellen, also Bildungen, die in bezug auf alle in Betracht kommenden Fak- toren homozygot sind. Hier ist vor allem zu beachten, daß, ab- gesehen von dem ganz einfachen Verhalten bei rein monohybriden Kreuzungen, die Beschaffenheit der F}-Generation noch nicht für das Gelingen oder Nichtgelingen der gewünschten Kombination entschei- dend ist, d.h. es wird häufig vorkommen, daß die gewünschte Kom- bination in der F}-Generation noch nicht, wohl aber infolge der bei der Gameten- und Zygotenbildung stattfindenden Auflösungs- und Neugruppierungsprozesse in der Fy-Generation zum Vorschein kommt. Es dürfen also die F,-Individuen nicht ausgerottet werden, falls sie das Gesuchte nicht gewähren, denn sie geben bezüglich der in der !) Auch die Ausmerzung der von den englischen Pflanzenzüchtern als „rogues“ (= Schelme, Landstreicher) bezeichneten Aberrationen ‚kann unter Umständen auf dem nämlichen Wege erfolgen. Sind die „rogues“ rein rezessive Individuen, so wird da, wo es sich nicht um spontane Mutationen handelt, ihre Ausrottung durch Rein- zucht der dominanten Individuen gelingen (Bateson, S. 292, 1909). Wesen der Korrelationen. 301 ‚ F,-Generation zum Vorschein kommenden Möglichkeiten keinen sicheren Aufschluß }). In vielen Fällen werden speziell die F,-Kombinationen für Ge- brauchszwecke besonders wertvoll sein. Diese müssen immer wieder durch Kreuzung der P-Formen gewonnen werden, und zu diesem Zwecke ist die Reinheit der letzteren aufrecht zu erhalten. Als ein grobes Beispiel für die Anwendung dieses Prinzips kann die Maultierzucht angeführt werden. Schon früher bildeten in der Tier- und Pflanzenzucht Neukom- binationen von konstantem Charakter eine der Hauptquellen der meisten züchterischen Neuheiten. Wie aber namentlich Bateson?) hervorgehoben hat, ist die alte Annahme, daß eine lange Zeit und fortgesetzte Zuchtwahl dazu nötig sei, um eine neue Varietät zu fixieren und sie reinziehend (breeding true) zu machen, irrtümlich, denn die homozygoten, für die Reinzucht als Ausgangspunkt dienenden Individuen erscheinen ja schon in der Fy-Generation, und die Rassen- reinheit kann dann mit Hilfe der F3-Generation endgültig hergestellt werden. Soweit es- sich also um Erlangung und Fixierung neuer Typen durch Neukombingtion handelt, ist man jetzt in der Lage, den Prozeß der Zuchtwahl bedeutend zu beschleunigen. Die neuen Ergebnisse gewähren schließlich auch die Möglichkeit, in das Wesen der Korrelation einzudringen und ihre wirkliche Bedeutung für die praktische Zucht klarzulegen. Von Korrelation spricht man, wenn zwei Merkmale derart im Zusammenhange mit- einander stehen, daß sie in ihrem Auftreten gegenseitig aneinander gebunden sind und daß Abänderungen des einen auch solche des anderen mit sich bringen. Zusammenhänge dieser Art bestehen z. B,., wie früher ausgeführt wurde, zwischen bestimmten Abnormitäten des Menschen (Hämophilie, Farbenblindheit) und dem männlichen Geschlecht. Bekannt ist auch die Erscheinung, daß bei weißen und weißgefleckten Schafen und Schweinen, wenn sie mit Buch- weizen gefüttert und dem Sonnenlicht ausgesetzt werden, bestimmte, als Fagopyrismus bezeichnete Hautaffektionen entstehen, welche bei schwarzen Tieren unter gleichen Umständen nicht hervorgerufen werden 3). !) Vgl. auch Bateson, S. 296 (1909). 2) S.291, 298 (1909). ®) Andere Beispiele finden sich besonders bei Darwin, Variieren usw., an verschiedenen Stellen. N 302 Feststellung von Korrelationen. Die Tierzucht hat nun vielfach Erfahrungen dieser Art auszu- nutzen versucht, indem sie sich in der Auswahl der Zuchttiere nach äußeren Merkmalen richtete, die mit der gewünschten Eigenschaft erfahrungsgemäß korrelativ verbunden erscheinen. So wurden z. B. in Süddeutschland lange Zeit hindurch bei der Simmentaler Zucht ein- farbige, speziell semmelfarbige Tiere bevorzugt, weil ein gewisser korrelativer Zusammenhang zwischen der Einfarbigkeit und der Milch- ergiebigkeit angenommen wurde. Schon von züchterischer Seite !) ist aber. darauf hingewiesen worden, daß derartige erfahrungsmäßigen Beziehungen keine unbedingt sicheren Wegzeiger für die Zucht bilden können, und daß speziell in der Simmentaler Zucht jahrzehntelang gescheckte, aber sofst vorzügliche Tiere lediglich des Prinzips der Einfarbigkeit wegen ausgeschaltet werden. Noch deutlicher hat die Mendelforschung gezeigt, daß in vielen Fällen Hand in Hand mit der Bildung von Neukombinationen scheinbar feste Korrelationen durch das einfache Mittel der Kreuzung aufgehoben oder, wie Johannsen?) sagt, gebrochen werden können. Auf der anderen Seite sind aber gerade auf dem Wege der Rassen- kreuzung wirkliche, vollkommen oder ‚nahezu feste Korrelationen zwischen zwei Merkmalen festgestellt worden, sei es, daß für die be- treffenden Merkmale zwei miteinander „verkoppelte“ Erbeinheiten anzunehmen sind, sei es, daß durch einen einzigen Faktor oder durch eine bestimmte Faktorenkombination die gleichzeitige Entstehung von mehreren äußeren Eigenschaften bedingt ist. Ersteres liegt mög- licherweise vor in dem früher) angeführten Falle von Lathyrus, wo die Erbeinheiten für die Gestalt der Pollenkörner anscheinend mit be- stimmten Farbenbestimmern kopuliert sind, letzteres dürfte zutreffen, wenn z. B. bei Campanula die petaloide Ausbildung des Kelches und seine Umwandlung zu einer zweiten Corolla als dominanter Charakter auftritt und direkt („kausalmechanisch“) eine weitere Eigen- tümlichkeit, nämlich die Rückbildung der weiblichen Organe, be- dingt ®). Wenn diese letzten Ermittelungen auch in erster Linie ein theo- retisches Interesse haben, weil auf diesem Wege voraussichtlich wohl !) Vgl. Strebel. ?) S. 185 (1899). 3.271. *) Vgl. hierzu Correns 1900. 1905; Johannsen, S.419 (1909); Bateson, S. 200 (1909). R Be Lan Aula ce tn Du I Aa u me Literaturverzeichnis 28. 303 noch manche Aufklärung hinsichtlich der gegenseitigen Beziehungen und des eigentlichen Wesens der „Faktoren“ gewonnen werden kann, so besteht doch zweifellos auch die Aussicht, daß sich aus Untersuchungen dieser Art noch manche praktischen Folgerungen ergeben werden. Literaturverzeichnis zu Kapitel 28. Bateson und Saunders 1902, s. Literaturverzeichnis 22 und 23. Bateson 1909, s. Literaturverzeichnis 27. Baur, E., Untersuchungen über die Erblichkeitsverhältnisse einer nur in Bastardform : lebensfähigen Sippe von Antirrhinum majus. Ber. d. D. Bot. Ges., 25. Bd., 1907. GörLcHh3; 6, Über Levkojenbastarde. Bot. Centralbl., 84. Bd., 1900. — , Einige Bastardierungsversuche mit anomalen Sippen. Jahrb. f. wiss. Bot., 41. Bd., 1905. Castle, W. E., The heredity of „Angora coat“ in mammals. Sci, N.S., Vol. 18, 1903. — , Recent discoveries in heredity and their bearing on animal breeding. Pop. Sci. Monthly, 1905. : —, The mutation theory of org. evolut., from the standpoint of animal brecding. Sci, N.S., Vol. 21, .1905. Haecker, V., Über die neueren Ergebnisse der Bastardichre usw. und ihre Bedeutung für die praktische Tierzucht. Arch. f. Rassen- u. Ges.-Biol.,, 1. Jahrgang, 1904. Johannsen 1909, s. Literaturverzeichnis 27. Krämer, H., Welche Vorteile erwachsen der Tierzucht aus der erhöhten Nutzbar- machung der neueren biologischen Forschungsergebnisse? Deutsche tierärztl. Wochenschr., 13. Jahrg. Punnett, P. C., Mendelism. Cambr. 1905. Shull, G. H, A new Mendelian ratio and several types of Latency. Am. Nat., Vol. 42, 1908. Strebel, V., Die Hohenheimer Rindviehherde. Plieningen 1901. Tschermak, E., Die Theorie der Kryptomerie usw. Beih. z. Bot. Centralbl., 16. Bd., 1903. —, Die praktische Verwertung des Mendelschen Vererbungsgesetzes bei der Züch- tung neuer Getreiderassen. Deutsche landw. Presse, 30. Jahrg., 1903. Vries, H. de, Die Mutationstheorie. Leipzig 1901 und 1903. VW. Teil. Neue morphobiologische Vererbungs- hypothesen. Neunundzwanzigstes Kapitel. Individualitätshypothese. Ungleichwertigkeit der Chromosomen. Wie früher gezeigt wurde?), haben verschiedene Beobachtungen und Gedankengänge. zu der Annahme geführt, daß im Kern und speziell in den beim Kernteilungsprozeß auftretenden Chromosomen die eigentliche Vererbungssubstanz eingeschlossen sei, und daß den Kernteilungsvorgängen, vor allem aber den die Befruchtung einleitenden Reifungsteilungen, eine besonders wichtige Rolle bei der Verteilung der Vererbungspotenzen auf die Nachkommen zufallen müsse. Es wurde auch bereits hervorgehoben, daß diese hauptsächlich durch Weismann begründeten Anschauungen eine wichtige Unterstützung durch die Aufstellung der Individualitätshypothese erhielten, wonach, ähnlich wie der Kern als Ganzes, so auch die einzelnen Chromosomen relativ selbständige Individuen oder autonome Lebens- einheiten sind, die auf dem Wege der Teilung von Zellgeneration zu Zellgeneration überliefert werden. Nach dieser durch Rabl, E. van Beneden und Boveri auf- gestellten, hauptsächlich aber durch letzteren begründeten und aus- gearbeiteten Lehre bilden also die Chromosomen, die zu Beginn der Mitose aus der „ruhenden“ Kernsubstanz hervorgehen, die direkte Fortsetzung derjenigen Chromosomen, welche nach Ablauf der vorangegangenen Teilung in die Entstehung der Tochter- \) Kap. 14 u. 10. Stützen der Individualitätshypothese. 305 kerne eingegangen waren, sie stellen also, abgesehen von der durch den Stoffwechsel bewirkten Substanzvermehrung und Substanzerneue- rung, dieselben Individuen wie die letzteren dar!). Voraussetzung dieser Annahme ist natürlich, daß den bei der Teilung auftretenden Chromosomen auch im „ruhenden Kern“ relativ selbständige Teile der Kernsubstanz entsprechen. Die Frage, ob den Chromosomen wirklich die hier angenommene morphologische und physiologische Selbständigkeit zukommt, ist von größtem, vererbungstheoretischem Interesse, auch dann, wenn die „Chromosomenhypothese der Vererbung“, welche sich vom Boden der Individualitätslehre aus im Laufe der Jahre entwickelt hat, sich in wesentlichen Zügen als unhaltbar erweisen sollte. Sicher wer- den auch alle Vererbungshypothesen der Zukunft die Frage nach der Natur der Chromosomen zu berücksichtigen haben, und es ist daher hier am Platze, auf die Begründung der Individuali- tätslehre etwas näher einzugehen. Fig. 108. A Unter den Argumenten, welche zu ihren Gunsten angeführt worden sind, spielt die fast überall nachweisbare konstante spezifische Chromo- somenzahl?), sowie die schon von Rabl hervorgehobene Tatsache der Telophasen und Prophasen in den übereiästimmenden Anordnung Epidermiszellen von Salamandıa, x Nach Rabl und Boveri. der telophasischen und propha- sischen Chromosomen eine wichtige Rolle. Wie nämlich an den Epidermiszellen von Salamandra (Fig. 108), an den Furchungszellen von Ascaris®) und an anderen Objekten in kaum widerlegbarer Weise gezeigt werden kann, weisen die Chromosomen, welche zu Beginn einer Kernteilung aus dem ruhenden Kern hervorgehen (Fig. 108 B), annähernd die gleiche charakteristische Stellung auf, welche die Tochterchromosomen der vorhergehenden Teilung beim Eintritt in das Kernruhestadium eingenommen hatten (A). !) Vgl. besonders Boveri 1904. *) Vgl. Kap. ıı, S. 112. ®) Vgl. besonders Boveri 1909. Hlaecker, Vererbungslehre. 20 306 Stützen der Individualitätshypothese. Bei dem zu den klassischen Objekten der Zellforschung ge- hörenden Pferdespulwurm (Ascaris megalocephala) lassen sich über- haupt eine ganze Reihe von Erscheinungen nur im Sinne der, Indivi- dualitätslehre deuten. Wenn z.B. das Ei der Rasse A. m. bivalens durch ein Spermatozoon der Rasse univalens befruchtet wird, so ent- wickelt der mütterliche Kern vor der ersten Teilung des Eies zwei lange, der väterliche ein kurzes Chromosom (Fig. 109 A), und ebenso treten auch in der ganzen Zellenfolge, welche zur Bildung der Ur- geschlechtszellen führt, bei jeder Kernteilung zwei lange und ein kurzes Chromosom auf, (B), eine Tatsache, welche offenbar als ein nachdrücklicher Hinweis auf eine durch die Kernruhestadien hindurch Fig. 109. Bastardbefruchtung bei Ascaris. Nach Herla. bestehende Kontinuität der väterlichen und mütterlichen Chromosomen angesehen werden darf!). Als eine weitere wertvolle Stütze der Individualitätslehre ist von verschiedenen Seiten auch auf die Tatsache hingewiesen worden, daß namentlich in der Spermatogenese verschiedener Insekten einzelne Chromosomen von bestimmter Größe, Form und Färbbarkeit sowohl in den Spermatogonien, wie in den Spermatocyten beob- achtet werden konnten, so daß wenigstens für diese besonderen Elemente eine Kontinuität durch mehrere Zellgenerationen hindurch kaum bezweifelt werden kann. Diese als „Heterochromosomen“ be- zeichneten Elemente sind schon früher besprochen worden und werden später nochmals zu behandeln sein 2), hier soll nur darauf aufmerksam gemacht werden, daß auch bei einem der wichtigsten Objekte der Ver- !) Vgl. Herla. ?) Kap. 10 bzw. 32. Stützen der Individualitätshypothese, 307 erbungszytologie, beim Seeigel (Echinus und Strongylocentrotus), regel- mäßige Formverschiedenheiten der Chromosomen beobachtet werden konnten!). Wenigstens treten während der Eifurchung in allen Kern- teilungsfiguren zwei Chromosomen auf, deren Tochterelemente in der Metaphase durch eine charakteristische Hakenform von den übrigen Chromosomen verschieden sind (auf dem in Fig.110 abgebildeten Schnitte ist jederseits nur ein hakenförmiges Tochterchromosom ge- troffen). Einer der Haken stammt beim Seeigel vom Ei-, der andere vom Spermakern. Die Individualitätshypothese war von Anfang an mit der weiteren Hypothese verknüpft, daß die färbbaren Teile des Kernes, ins- besondere die Chromatinkörnchen, die für die Lebensvorgänge wichtigste Kernsubstanz, also auch die Vererbungssubstanz bilden. Diese An- schauung hing ihrerseits mit den Vorstel- ( lungen zusammen, die man sich anfänglich, )) Ar N } N Fig. 110. namentlich im Anschluß an Flemming, bezüglich der Entstehung der Chromo- somen in den Prophasen der Teilung und hinsichtlich der telophasischen Rekonstitu- tion der Tochterkerne gemacht hatte2). In- j \ \ N / dessen stehen der Individualitätshypothese [ J in dieser Form, der sogenannten Chroma- tinerhaltungshypothese,eineReihe von Schwierigkeiten im Wege, so vor allem die Beobachtung, daß in vielen Fällen im „ruhenden“ Kern des unreifen Eies (Keimbläschen), abgesehen von einem großen Nucleolus, überhaupt keine färbbaren, als Chromatin- körnchen zu deutenden Substanzen wahrgenommen werden, und daß bei verschiedenen Objekten, z. B. in den embryonalen Geweben der Amphibien, in den jungen Eizellen der Kopepoden, sowie in manchen Pflanzenzellen®), der Bestand der Kerne an Chromatinkörnchen, offenbar im Zusammenhang mit dem physiologischen Zustand der Zelle, ein sehr Erste Furchungsspindel von Strongylocentrotus. Nach Baltzer. {) Baltzer 1909. ”) Vgl. Kap. 6. ®) Von verschiedenen Botanikern ist eine Korrelation zwischen der Ernährungs- arbeit der Zelle und der Menge der chromatischen Substanz nachgewiesen worden (Zacharias, Lily Huie, Rosenberg, Magnus). Vgl. die Literatur bei Rosen- berg 1904. 20* 308 Achromatinerhaltungsh ypothese. wechselnder sein kann. Diese Schwierigkeiten werden von der Achro- matinerhaltungshypothese durch die Annahme umgangen, daß die eigentlich aktive Substanz des Kernes durch das alveoläre Grund- plasma (S.42, Fig. ı3B, ı) repräsentiert wird, und daß die von Kern- generation zu Kerngeneration anzunehmende Stoffkontinuität im wesent- lichen auf der Fortexistenz physiologisch selbständiger Territorien dieses Grundplasmas beruht!). Ob sich dann die neuen Chromosomen, wie von Gregoire für die pflanzlichen Zellen angenommen wird, einfach durch Kontraktion der einzelnen Zellterritorien bilden oder ob sie innerhalb der letzteren (endogen) in Gestalt von lokalen (stäbchen- oder spiralfadenartigen) Verdichtungen ihre Entstehung nehmen und also zu den Kernterritorien des ruhenden Kernes, bzw. zu den alten Chromosomen im Verhältnis der Tochter zur Mutter oder der Bakterienspore zum mütterlichen Bakterium stehen 2), jeden- falls hängt ihre Grundsubstanz durch den Kernruhezustand hin- durch kontinuierlich mit derjenigen der alten Chromosomen zusammen und der ruhende Kern würde demnach als ein Kompositum aus mehreren, den einzelnen Chromosomen entsprechenden Teilkernen oder Kernplasmaterritorien bestehen?). Eine wertvolle Stütze für diese Auffassung gewährt die Beob- achtung, daß bei den ersten Teilungen tierischer Eier*) die Tochter- chromosomen zunächst zu bläschenförmigen Gebilden, den Karyo- meren Fols (Idiomeren), anschwellen, welche, indem sie in be- stimmtem Rhythmus oder in mehr unregelmäßiger Weise miteinander konfluieren, die Tochterkerne liefern (S.46, Fig.15). In einem Falle, bei der Eifurchung einer Milbe (Pediculopsis graminum), konnte durch mehrere Zellgenerationen hindurch ein kontinuierlicher Fortbestand der Karyomeren beobachtet werden (Fig. 111)5). Wie gesagt, werden durch die Achromatinerhaltungshypothese zahlreiche Schwierigkeiten beseitigt, welche früher einer unbedingten Annahme der Individualitätshypothese im Wege gestanden haben. Im ') Vgl. Kap. 6. ?) Haecker 1904. ®) Haecker 1900. Ausgehend von Untersuchungen an Radiolarien und Tricho- nymphiden (einzelligen Parasiten der Termiten), ist neuerdings auch Hartmann zu der Vorstellung gelangt, daß die Metazoenkerne „Polykaryen“ oder „polyenergide Kerne“ mit ciner bestimmten Anzahl von Einzelkernen (Energiden, Chromosomen) darstellen. *) Vgl. die Zusammenstellung bei Montgomery 1001. ®) E. Reuter 1909 Regulations- und Manövrierhypothese. 309 übrigen lassen sich so viele Beobachtungen zugunsten der letzteren anführen, daß sie jedenfalls zurzeit zu den am besten begründeten zelltheoretischen Anschauungen gehört und, wie Boveri hervor- gehoben hat, nicht mehr lediglich den Charakter einer Arbeits- hypothese, sondern den einer gut fundierten Theorie besitzt. Jedenfalls steht ihr keine Gegenhypothese gegenüber, welche in gleicher Weise wie die Individualitätslehre allen Beobachtungen ge- recht wird. Dies gilt besonders auch für Delages Regulations- hypothese und für Ficks Manövrierhypothese. Nach ersterer würde die Chromosomenzahl eine spezifische Funktion des Proto- Fig. 111. ' ©) N ar | R \ ae 0) . N in men l: el Fe Ör / \ , ‘ \ nz \ j ' 2 ed 9% I \ SS a RR, . n N‘ 7 ga x m ir TR > Ver Furchungsteilung bei Pediculopsis. Jederseits die vier selbständig bleibenden Karyo- meren, in der Mitte der Spindel mitochondrienähnliche Stäbchen („Chromosomoide*“). Nach Reuter. plasmas, speziell des Eiplasmas sein, und demgemäß sollen abnorme Chromosomenzahlen, wie sie z. B. bei künstlich bewirkter partheno-- genetischer Entwickelung infolge des Ausfalles der Kernkopulation zustande kommen können, auf Grund einer selbstregulatorischen Fähigkeit des Eiplasmas wiederhergestellt werden. Die Konstanz der Chromosomenzahl könne also nicht als ein Beweis für die Richtigkeit der Individualitätshypothese angesehen werden. Einen etwas abweichenden Standpunkt hat Fick eingenommen. Er be- trachtet mit Weismann, Boveri u. a. die einzelnen Chromatin- körnchen als Träger oder Aggregate der hypothetischen Vererbungs- 310 Boveris Beobachtungen an dispermen Eiern. einheiten, er hält aber die Chromosomen, in welchen die Chromatin- körnchen während der Kernteilung miteinander verbunden sind, nicht für wichtige, von Zellgeneration zu Zellgeneration sich erhaltende Individuen, sondern nur für „taktische Formationen“ oder „mobile Manövrierverbände“, die nur dann auftreten, wenn es auf die regelrechte Verteilung des Chromatins ankommt. Gegenüber der Anschauung Delages ist darauf hinzuweisen, daß die Beobachtungen über die Chromosomenzahl bei parthenogene- tischen Eiern, von denen er ausgegangen ist, nicht bestätigt werden konnten!), während mit den Annahmen Ficks die Befunde am Ascaris-Ei und die Beobachtungen über die Heterochromosomen kaum vereinbar sind 2). Die Individualitätshypothese hat von seiten Boveris eine in vererbungstheoretischer Hinsicht wichtige Weiterbildung erfahren in Gestalt der Hypothese von der essentiellen (physiologischen) Verschiedenheit der Chromosomen. Während nämlich nach Weismann sämtliche Chromosomen eines Geschlechtskernes jeweils die Anlagen sämtlicher Arteigen- schaften enthalten und gewissermaßen nur individuelle Unterschiede aufweisen), ist Boveri zu der Vorstellung gelangt, daß die Chromo- somen in bezug auf ihre Funktion ungleichwertig sind. Boveri geht von Beobachtungen an disperm, d.h. mit zwei » Samenzellen befruchteten Seeigeleiern aus. Sei n die normale Chromo- somenzahl der Echinuseier®), so werden bei doppeltbefruchteten Eiern die Spalthälften der 3 x 2 Chromosomen der drei Geschlechtskerne bei dem (im ersten Furchungsakt erfolgenden) simultanen Zerfall in vier Blastomeren in unregelmäßiger und durchaus zufälliger Weise verteilt werden. Die Blastomeren werden also in ihrem Chro- matinbestand ungleichwertig sein (Fig. 112). Seien die Chromosomen des Eikerns a,, b,, C,, d,, die des einen Spermakerns Q,. by, C,, d,, die des anderen qa,, b,, €C,, d,, so wird, wenn durch Verdoppelung der von den beiden Spermien mitgebrachten Centrosomen vier Pole entstehen, jedes der ı2 Chromosomen ganz nach Zufall zwischen zwei der vier Pole gebracht werden !) Boveri 1902. Vgl. auch E. Bataillon, Arch. Zool. Exp.(5), Tom. 5, S 107 (1910). 2) Vgl. Boveri 1907, 1909. ») Vgl. Kap. 19. *) Bei Echinus microtuberculatus existieren nach Boveri zwei Varietäten mit 18 und 36 Chromosomen. Ungleichwertigkeit der Chromosomen. Sr (Fig. 112). Dementsprechend werden, wenn sich die Vierteilung des Eies vollzieht, ‚die vier Blastomeren einen ganz verschiedenen Bestand an Tochterchromosomen erhalten. Werden nun die vier Blastomeren künstlich voneinander gelöst und zu selbständiger Weiterentwickelung gebracht, so entstehen, wie die Erfahrung zeigt, pathologische Derivate, und zwar von un- gleicher Entwickelungsfähigkeit und Beschaffenheit. Eine Störung im Zellprotoplasma kann nun als Ursache für den patho- logischen Zustand nicht in Frage kommen. Denn da bei der simul- tanen Vierteilung die vier Blastomeren in ihren Protoplasma-Eigen- schaften offenbar gleichwertig sind, so hätten bei einer plasmatischen Störung Derivate von gleicher Beschaffenheit resultieren müssen. Die Derivate sind aber, wie ge- sagt,ungleichwertig, und diese Tatsache kann nach Boveri nur darauf beruhen, daß bei der si- multanen Teilung die vier Blasto- meren einen ungleichen Chro- matinbestand erhalten haben. Unter Berücksichtigung aller näheren Verhältnisse kommt dann Boveri zu dem weiteren Schluß, daß es nicht die ungleichen und zum Teil verminderten Chromo- somenzahlen sein können, welche Verteilung der Chromosomen bei der die Bildung ungleichwertiger De- simultanen Vierteilung disperm befruchteter rivate hervorrufen, denn die Seeigeleier. Frei nach Boveri, - Möglichkeit, kernlose Eifragmente durch Befruchtung sowie unbe- fruchtete Eier durch künstliche Agenzien zur Entwickelung zu bringen (Merogonie bzw. künstliche Parthenogenesis), beweist, daß die Chromosomenzahl sogar auf die Hälfte vermindert werden kann und dennoch normale Larven entstehen. Es ergibt sich also, daß die Variationen, die bei der Entwickelung dispermer Keime auftreten, nur auf einer wechselnden Kombination von Chromosomen beruhen kön- nen, daß also die einzelnen Chromosomen verschiedene Quali- täten besitzen müssen!) Fig. 112. ı) vgl. Bose 1902, 1904. 312 Gültigkeit der Boverischen Hypothese. Ausgehend von diesen Befunden und Erwägungen, sowie unter Berücksichtigung der bei den Chromosomen anderer Objekte beob- achteten regelmäßigen Größenabstufungen (S. 108, Fig. 72) und der Beobachtungen über die Heterochromosomen, stellt sich also Boveri. vor, daß die Chromosomen eines Kernes physiologisch (essen- tiell) ungleichwertig sind, und daß für die normale Entwickelung des Embryos eine bestimmte Kombination nötig ist. Bezüglich der Eindeutigkeit von Boveris Beobachtungen und der Sicherheit seines logischen Eliminationsverfahrens, durch welche andere Erklärungsmöglichkeiten ausgeschlossen werden sollen, sind ' verschiedene Einwände erhoben worden!)._.Indessen konnte bisher nichts Entscheidendes vorgebracht werden, und wenn man vielleicht auch die Empfindung hat, daß bei der Kompliziertheit des Experiments und der Schlußketten weitere Untersuchungen noch manche un- erwartete Wendungen bringen könnten, so wird man doch in den Ergebnissen Boveris einen nachdrücklichen Hinweis auf das Vor- handensein physiologischer Ungleichwertigkeiten der Chromosomen sehen dürfen, wie denn auch neuerdings eine Anzahl von Forschern zu der Ansicht gelangt ist, daß Boveri im wesentlichen recht haben dürfte). Es wurde oben darauf hingewiesen, daß, sobald man sich auf den Boden des Individualitätsgedankens stellt, im Hinblick auf das in der Organismenwelt überall gültige Prinzip der Arbeitsteilung eine funktionelle Verschiedenheit auch der Chromosomen von vornherein als wahrscheinlich erscheinen muß. Beispielsweise könnte man sich denken, daß ein successiver Abbau der Chtomosomen, wie er z. B. innerhalb der Gattung Cyclops Hand in Hand mit der zunehmenden Entfernung von den primitiven Typen geht, nicht ausschließlich auf eine Verminderung der Kernsubstanzmasse hinzielt, daß vielmehr, ähnlich wie bei metamer gegliederten Tieren, mit der Abnahme der Segmentzahl vielfach auch eine zunehmende Arbeitsteilung zwischen den Segmenten verbunden ist, auch die Chromosomen im Laufe der Stammesgeschichte eine morphologische und physiologische Differen- zierung erfahren können. Einer Verallgemeinerung der Ergebnisse dürften allerdings vor der Hand noch erhebliche Bedenken im Wege stehen. „Welche Schwierig- !) Vgl. Driesch, S.628 (1905); Rabl, S.68 (1906); Fick 1907. ?) Vgl. Driesch, S.31 (1909); Godlewski, S. 229 (1909). Gültigkeit der Boverischen Hypothese. 313 keiten ergeben sich z. B. bei der Vorstellung, daß die Anlagen so verschiedener Formen wie der Weinbergschnecke, der Feuerwanze (Pyrrhocoris), des Salamanders und der Lilie jedesmal auf die gleiche Anzahl von Chromosomen, nämlich auf 24, verteilt sein sollen; und wie würde es zu erklären sein, daß gerade die Zahlen 12, 16, 24 so häufig wiederkehren !)?“ Welche Zellfunktionen im übrigen im Falle einer wirklich vor- handenen Arbeitsteilung auf die einzelnen Chromosomen verteilt sein könnten, darüber liegen bisher, abgesehen von der Hypothese von der geschlechtsbestimmenden Funktion der Heterochromosomen (Kap. 32), nur wenige Außerungen vor, wie sich denn auch Boveri in dieser Hinsicht noch sehr zurückhaltend ausgedrückt hat?). Literaturverzeichnis zu Kapitel 29, Boveri, Th., Zellenstudien II und III. Jena 1888 und 1890. — , Über mehrpolige Mitosen als Mittel zur Analyse des Zellkernes. Verh. Phys.- Med. Ges. Würzb., (N. F.), 35. Bd., 1902. — , Die Ergebnisse über die Konstitution der chromatischen Substanz des Zellkernes. Jena 1904. —, Zellenstudien VI. Jena 1907. —, Die Blastomerenkerne von Ascaris usw, Arch. Zellf., 3. Bd., 1909. Delage, Y., Etudes experimentales sur la matur. cytoplasmique etc. Arch. Zool. exp. (3) Vol.9, 1901. Driesch, H., Die Entwickelungsphysiologie von 1902 bis 1905 und 1905 bis 1908. Erg. An. u. Entw., Bd. 14 u. 17, 1905 u. 1909. Fick, R., Betrachtungen über die Chromosomen usw. Arch. An. Phys. (Anat.), Suppl. 1905. —, Vererbungsfragen usw. Erg. Anat. u. Entw., 16. Bd., 1907. Godlewski, E., Das Vererbungsproblem im Lichte der Entwickelungsmechanik be- trachtet. Leipzig 1909. Gregoire,V., et Wygaerts, A., s. Literaturverzeichnis 6, Haecker, V., Mitosen im Gefolge amitosenähnlicher Vorgänge. Anat. Anz., 17. Bd., 1900. —, Bastardierung und Geschlechtszellenbildung. Zool. Jahrb. Suppl. 7, 1904. —, Die Chromosomen als angenommene Vererbungsträger. Erg. Fortschr. Zool. 1. Bd., 1907. Hartmann, M., Untersuchungen über Bau und Entwickelung der Trichonymphiden. Festschr. f. R. Hertwig. ı.Bd. Jena 1910. - !) Haecker, S.233 (1904); S.60 (1907). ®) Vgl. Boveri, S.96 (1904), Lillie, S.250 (1906), Haecker, S.59 (1907), sowie Kap. 32. 314 Literaturverzeichnis 29. Herla, V., Etudes des variations de la mitose chez l’ascaride mög. Arch. Biol., Vol. 13, 1893. Lillie, F. R., Observ. and exp. etc. in Chaetopterus. Journ. Exp. Zool., Vol. 3, 1906. Montgomery, Th. H., A study of the chromos. of the germ cells of Metazoa. Trans. Amer. Phil. Soc., Vol. 20, 1901. Rabl, C., Über Zellteilung. Morph. Jahrb, 1885, ı0. Bd. —, Über „organbildende Substanzen“ usw. Leipzig 1906. osenberg, O., Über die Individualität der Chromosomen im Pflanzenreiche. Flora, 93. Bd., 1904. 3 Strasburger, E., Über die Individualität der Chromosomen usw. Jahrb. wiss. Bot. 1907, 44. Bd. Van Beneden, E., et Neyt, A., Nouvelles recherches sur la fecondation etc. Bull. Ac. Roy. Belg. (3) Tom. 14, 1887. Dreißigstes Kapitel. Das Reduktionsproblem '). Kein anderer Zweig der Zellenlehre hat von Anfang an in so enger Verbindung mit der Fortentwickelung der vererbungstheoretischen Anschauungen gestanden und hat von dieser Seite so viele befruch- tende Impulse empfangen, wie die Erforschung der Reifungsteilungen. Nachdem Weismann (1877) von theoretischen Erwägungen aus zu der Forderung einer in der Reifungsperiode vor sich gehenden Reduktion der Chromosomenzahl gelangt war 2), haben «die regelmäßigen Zahlenabstufungen, welche die Chromosomen unmittelbar vor und während jener Periode aufweisen, und das Zustandekommen dieser Verhältnisse den Gegenstand von Hunderten von Untersuchungen an den verschiedensten tierischen und pflanzlichen Objekten gebildet. Als dann nach einigen Jahren, angesichts der zahlreichen, scheinbar un- überwindlichen Schwierigkeiten, welche sich der endgültigen Ent- scheidung mancher strittiger Punkte entgegenzustellen schienen, das Interesse zu erlahmen begann und beinahe eine Art von Resignation Platz greifen wollte, hat zu Anfang dieses Jahrhunderts die plötzlich sich eröffnende Aussicht, die eigentümlichen bei der Reifung hervor- tretenden Chromosomenverteilungen zu den Mendelschen Spaltungs- prozessen in eine engere Fühlung zu bringen, den Gegenstand aufs neue in den Vordergrund des cytologischen Interesses gerückt. Dieser erneuten und mit erhöhtem Eifer erfolgten Inangriffnahme des Gebietes ist es zu verdanken, daß in den letzten Jahren das Reifungs- und Reduktionsproblem, wie ich glaube, sehr wesentlich der Klärung und Entscheidung näher geführt worden ist. Es mußte darauf ankommen, wenigstens bei einigen Objekten, zu sicheren Er- gebnissen zu gelangen, und es schien mir, daß gerade die Kopepoden wegen der Klarheit der cytologischen Bilder und wegen der Möglichkeit ausgedehnter ver- !) Vgl..Kap. 9 (Phylogenie der Reifungsteilungen), 11 (Chromosomenzahl bei der Reifung), 19 (Postulat der Reduktionsteilung). 2) Siehe oben S. 192. 316 “ Zahlengesetz der Diakinese. gleichender, sowie cexperimentell-cytologischer und bastärdgeschichtlicher Unter- suchungen besonders günstige Aussichten darbieten. Seit einer Reihe von Jahren habe ich daher in Verbindung mit einer Anzahl von Mitarbeitern die Kopepoden in systematischer Weise aufs neue in Angriff genommen, und durch die bisher er- schienenen Arbeiten von E. Wolf (vorbereitende Untersuchungen über die Fort- pflanzung), Schiller (künstliche Beeinflussung der Kernteilungen), Braun (Chromo- somenzahl), Matscheck (Reifungsteilungen), Frl. OÖ. Krimmel (somatische Mitosen), Amma (Geschlechtszellendifferenzierung), Krüger (Canthocamptus) sind die Unter- suchungen bereits nach verschiedenen Richtungen hin gefördert und zum Teil auch bis zu einem gewissen Abschluß gebracht worden. a) Das Zahlengesetz der Diakinese. Abgesehen davon, daß die Untersuchungen bei Einzelligen eine Reihe von neuen Gesichtspunkten eröffnet und zu bestimmteren Vor- stellungen bezüglich der Phylogenie der Reifungsteilungen geführt haben), konnte durch die neueren Forschungen immer wieder die. schon früher 2) erwähnte, für die Reifungsperiode gültige Regelmäßig- keit oder, wie man hier wohl beinahe sagen kann, Gesetzmäßigkeit nachgewiesen werden. Diese besteht darin, daß bei den höheren Tieren und Pflanzen die Zahl der komplexen Chromosomen- gruppen, die in den Prophasen der ersten Reifungsteilung, speziell in der Diakinese°), hervortreten, also die Zahl der sogenannten Vierergruppen oder Tetraden und ihrer Homologen (Vierer- kugeln, Viererstäbchen, Doppelfäden, Doppelstäbchen, Ringe, Kreuze) halb so groß ist als die „normale“, „somatische“, „diploide“ #) Zahl der Chromosomen, wie sie unter anderem in den Teilungen der Spermatogonien und Ovogonien zum Vorschein kommt. Ent- sprechend diesem Zahlengesetz der Diakinese beträgt z. B. bei der Spermatogenese und Ovogenese von Ascaris die Zahl der Vierer- stäbchen, welche zu Beginn der Reifungsperiode beobachtet wird, bei der Rasse bivalens 2, bei univalens 1, während die Normalzahl, wie sie in den Spermatogonien und Ovogonien, im befruchteten Ei !) Vgl. Kap.9. ®) Vgl. Kap. 11, S. 119. ®) Vgl. S.90, Fig. 52. Die Diakinese umfaßt diejenigen prophasischen Stadien, in welchen die bereits formierten und mehr oder weniger kondensierten Chromo- somen eine lose Verteilung innerhalb des noch membranumschlossenen Kernraums zeigen. *) Strasburger hat die „normale“ Zahl, wie sie durch Vereinigung der beiden Geschlechtskerne zustande kommt, als diploid, die in jeder der reifen Geschlechts- zellen enthaltende („reduzierte“) Zahl als haploid bezeichnet. Vgl. Strasburger 1905, Gregoire, S. 245 (1910). Homologie der „Komplexe“. 317 und in den Keimbahnzellen des sich furchenden Eies gefunden wird (5. 81, Fig. 45; S. 62, Fig. 28A), sich auf 4 bzw. 2 beläuft. Wie der Name Vierergruppen oder Tetraden besagt, läßt sich ferner in den allermeisten Fällen eine Zusammensetzung dieser komplexen Gebilde aus mindestens vier Einheiten nachweisen, und da ferner die vier Einheiten jedes Komplexes im Verlaufe der beiden Reifungsteilungen auf die definitiven Fortpflanzungszellen verteilt werden, so kommt tatsächlich eine numerische Reduktion oder Halbierung der Chromosomenzahl im Laufe der Reifungsperiode zustande, derart, daß die definitiven Fortpflanzungs- Fig. 113. Achtergruppe (A) und Achterring (B) bei Copepoden, Nach Matscheck. q Querspalt. Il und ITI primärer und sekundärer Längsspalt. zellen nur noch die Hälfte derjenigen Zahl enthalten, welche ‘in den Spermatogonien und Ovogonien auftritt: Spermatogonien und Ovogonien . » » 2.2... n Einheiten i n 2 Far Spermatocyten und Ovocyten erster Ordnung - - F Komplexe = 4 Einheiten Spermatocyten und Ovocyten zweiter Ordnung er Einheiten M n R q Samen- und Eizelle - - »- »- » - 0.0... = Einheiten Berruchtssesk fi. en N er ae n Einheiten b) Homologie der komplexen Chromosomengruppen. Als der Niederschlag zahlreicher außerordentlich mühevoller Untersuchungen, welche im Laufe der beiden letzten Jahrzehnte an den verschiedensten zoologischen und botanischen Objekten ausgeführt worden sind. und auf die Feststellung der Entstehungsweise und auf die Möglichkeit einer Homologisierung der komplexen Chromosomen- gruppen gerichtet waren, hat sich, wie ich glaube, folgendes ergeben. - 318 Unterdrückung der Querkerbe, Man geht am besten wohl von der Tatsache aus, daß bei einer Reihe von Formen die „Komplexe“ der ersten Teilung nicht bloß eine Vierteiligkeit, sondern sogar eine Achtteiligkeit erkennen lassen. Dies ist z. B. bei den Kopepoden der Fall, bei welchen entweder quergekerbte Doppel- stäbchen, deren Einzelstäbchen selbst wieder „sekundär“ längsgespalten sind (Fig. 113A), oder vierteilige, ebenfalls sekundär längs- gespaltene Ringe auftreten (Fig. 113B). Nun läßt sich aber für die Kopepoden mit Sekundär längsgespa- Sicherheit nachweisen, daß die quergekerbten tene Doppelfäden bei Doppelstäbchen und vierteiligen Ringe einander Stenobothrus. Nach 3 - . Davigs. homolog sind, daß insbesondere die durch Kerben (g) getrennten Hälften der Einzelstäbchen den Viertelbögen der Ringe!) und der „sekundäre“ Längsspalt der Doppelstäbchen (II, 7) demjenigen der Ringe entspricht 2). Bei diesen achtteiligen Komplexen oder Ditetraden der Kopepoden ist nun offenbar die äußerlich wahrnehmbare Gliederung der Komplexe am weitesten ausgebildet, und auf sie als die über- sichtlichsten Vorkommnisse können, wie mir scheint, sämtliche übrigen bei zoologischen und botanischen Objekten gefundenen Bilder unschwer zurückgeführt werden. Entweder kommt(nämlich in den Pro- und Metaphasen, teilweise auch in den Ana- phasen der Teilung‘) die Querteilung nicht zum Vorschein. Dann liegen Bilder vor, wie sie z. B. bei den Orthopteren (Fig. 114) und bei den Lilien (Fig. 115) beobachtet worden sind und wie sie in etwas abweichender Form auch bei Fig. 114. Sekundär längsgespal- tene Doppelfäden bei der £ h Pollenbildung Ascaris auftreten 3). Die Chromosomenkomplexe von Allium fistulosum. bestehen aus je einem Paar von parallel ge- Nach Strasb { . z RO DTRSONEBEN [agerten oder umeinander gedrehten Fäden oder Stäbchen (Einzelfäden oder -stäbchen, chromosomes-filles I bei Gre- goire u. a.), welche ihrerseits mehr oder weniger deutlich „sekundär“ ') Vgl. Rückert und Matscheck. ®) Vgl. besonders Matschecks Beobachtungen bei Diaptomus salinus. *) Lerat (Cell., Vol. 22, 1905) hat auffallenderweise auch bei Cyclops strenuus die Ouerkerbe nicht finden können. Unterdrückung des sekundären Längsspaltes. 319 längsgespalten sind und demnach aus zwei dicht aneinander gelagerten Einheiten (chromosomes-filles II) zusammengesetzt erscheinen. Mit- unter, so bei Salamandra, tritt der „sekundäre“ Längsspalt erst wäh- rend der Metaphase hervor (Fig. 116). Oder, in einer weiteren Gruppe von Fällen, es tritt im Verlaufe der Pro-, Meta- oder Anaphasen der ersten Teilung eine Querkerbe oder wenigstens eine charakteristische Knickung der Einzelstäbchen auf, dagegen kommt die „sekundäre“ Längsspaltung während der ersten Teilung überhaupt nicht zur Ausbildung. Dann liegen quergekerbte Doppelfäden oder -stäbchen (S.43, Fig. 14b), vierteilige Ringe (S. 90, Fig.52 C—D), Kreuz- figuren mit gleich langen oder ungleichen Armen (Fig. 117 b—d) oder Viererkugeln (Fig. 117e) vor. Alles in allem können also im Verlauf der verschiedenen Phasen der ersten Teilung drei verschiedene Haupttypen von komplexen Chro- mosomen auftreten: I. Achtteilige (quergekerbte und „sekun- där“ längsgespaltene) Komplexe, Ok- taden und Ditetraden, z.B. in der Ovogenese der Kopepoden und in der- jenigen von Ascaris canis!) (Fig. 113). Anaphasen der hetero- II. Vierteilige („sekundär“ längsgespal- typischen Teilung im tene) Komplexe, Längstetraden, alamanderhoden Nach r : A x Flemming. z. B. die Viererstäbchen bei der Samen- bildung der Orthopteren (Stenobothrus, Fig. 114) und bei der Pollenbildung von Liliaceen (Allium, Fig. 115), nach früherer Darstellung auch bei der Ei- und Samenbildung von Ascaris megalocephala. Il. Vierteilige (quergekerbte) Komplexe, Quertetraden, z.B. die Kreuze und Viererkugeln bei der Samenbildung von Orthopteren und Hemipteren (Fig. 117). Fig. 116. c) Entstehung und Zerlegung der komplexen Chromosomen. Es fragt sich nun weiter, in welchem Verhältnis stehen die prophasi- schen Komplexe zu den Chromosomen der Spermatogonien und Ovo- ) Vgl. Marcus 1906 (besonders Taf. 30, Fig. 34). Auch in der Ovogenese von A. megalocephala ist von Tretjakoff (1904, Taf. 21, Fig. 7) das vorübergehende Auftreten einer Querkerbe beobachtet worden. 320 Entstehung der Komplexe. gonien und wie kommt insbesondere der Übergang der Zahl n in die Zahl 5 (5.317) zustande? Spielen dabei die nämlichen Prozesse, wie bei den gewöhnlichen (somatischen) Kernteilungen, oder Vorgänge von irgend einer besonderen Art eine Rolle? Nach einer heute fast allgemein anerkannten Anschauung, zu welcher OÖ. vom Rath, ich selbst und Rückert auf verschiedenen Wegen gelangt sind !), sind die Komplexe zunächst als zweiwertige, bivalente Chromosomen aufzufassen, deren Eigentümlichkeiten auf einer engen paarweisen Verbindung der spermatogonialen und ovo- Fig. 117 a 4& ! a a | © bb bb n b Umwandlung der quergekerbten Doppelfäden von Syromastes in Vierergruppen (ehe das Stadium d in e übergeht, erfolgt die Einstellung in die Teilungsfigur, wobei die kurzen Arme der Vierergruppe in die Äquatorebene zu liegen kommen). Nach Groß. gonialen Elemente beruhen. Die Herabsetzung der Zahl n auf die Zahl 5 findet also nicht etwa auf dem Wege einer teilweisen Re- sorption der spermatogonialen und ovogonialen Elemente statt, sondern ist nur eine scheinbare, also eine Schein- oder Pseudoreduktion, wie jetzt allgemein gesagt wird. Nach der ursprünglichen Auffassung würde die Scheinreduktion stets dadurch zustande kommen, daß der kontinuierliche (vielfach schon längsgespaltene) Chromatinfaden, welcher bei einzelnen Objekten in der Knäuelphase der ersten Reifungsteilung beobachtet wird (Fig. 118, 119), beim Übergang in die Diakinese eine unvollständige !) Vom Rath 1892, Haecker 1892, Rückert 1894. # Metasyndese. 321 Segmentierung erfährt, d.h. es unterbleibt ein Ouerteilungsschritt und infolgedessen werden durch den Segmentierungsprozeß nicht n, sondern nur > Elemente gebildet. Diese Auffassung der Scheinreduktion dürfte sicher, wie ich glaube, für einen Teil der Objekte tatsächliche Gültigkeit haben, es wird aber wohl besser eine weniger mit hypo- thetischen Vorstellungen verbundene Ausdrucksweise zu wählen und zu sagen sein, es hat eine paarweise Verbindung, eine Syndese je zweier spermatogonialer oder ovogonialer Elemente stattgefunden, sei es noch ne Fig. 118. Fig. 119. Kontinuierliches längsgespaltenes Kontinuierliches’längsgespaltenes Spirem aus den Prophasen Spirem in der Pollenmutter- der ersten Reifungsteilung des zelle von Lilium. Salamanderhodens. Nach Flemming. Nach Farmer und Moore, 1 in den Endstadien der letzten spermatogonialen oder ovogonialen Teilung, sei es in den frühen oder auch in den späten Prophasen der ersten Reifungsteilung !). #0) Annahme einer Metasyndese. Nach einer ersten Auffassung besteht nun die Syndese darin, daß sich je zwei der spermatogonialen oder ovogonialen Elemente in einer der vorhin erwähnten Phasen mit ihren Enden aneinander, also hintereinander legen2), es findet eine Metasyndese statt. Es ') Vgl. Haecker, S.73ff. (1907). Die Bezeichnung Konjugation ist für diesen Vorgang zunächst zu vermeiden, da man bei diesem Worte an einen geschlechtlichen Vorgang, in unserem Falle an eine Verbindung je eines väterlichen und eines mütter- lichen Elementes denkt (s. unten). Auch der Ausdruck Synapsis (S.89), den MecClung für die paarweise Vereinigung vorschlägt, ist offenbar nicht am Platze, da man dabei, seit diese Bezeichnung durch Moore eingeführt ist, in erster Linie an das bekannte Bild der einseitig zusammengedrängten Kernsubstanz denkt. *) Die amerikanischen Autoren sprechen von einer end-to-end-conjugation. Haecker, Vererbungslehre. 2ı 322 Tetradenformeln. würde dann ein Spezialfall vorliegen einer sehr weit verbreiteten Er- scheinung, nämlich der in den Prophasen der Kernteilungsprozesse häufig hervortretenden Neigung der Chromosomen zur Endverklebung, Agglutination oder Kettenbildung'!). Wenn dies wirklich zutrifft, so bestehen folgende Zusammenhänge zwischen den Chromosomen der spermatogonialen und ovogonialen Teilungen und den komplexen Elementen der Reifungsperiode. Wer- den die ersteren durch a,b, c,d... und nach vollzogener „primärer“ Längsspaltung durch = 10 —, ne bezeichnet, so weisen die dia- kinetischen Chromosomen speziell der Kopepoden auf Grund der Metasyndese die Zusammensetzung auf: a+b c+d ed: oder kürzer: 7 au alb eld a|b’ c|d Wenn dann eine sekundäre, den zweiten Teilungsakt vor- bereitende Längsspaltung bemerkbar wird und die Komplexe acht- teilige Ditetraden werden, so ergibt sich für sie die Zusammen- setzung: io a "a € ee) alb\ /elda\ nr) (ea) a|b |d wobei durch die Striche I und II die Richtung des primären und sekundären Längsspaltes angedeutet wird. Bei manchen Kopepoden, z.B. Cyclops gracilis und Diaptomus salinus, sind in der späten Diakinese der sekundäre Längsspalt und die Querkerbe bald hintereinander (in aufeinanderfolgenden Phasen), bald nebeneinander (an denselben Komplexen) zu beobachten (Matscheck 1910, Taf.4, Fig.4—8; Taf. 6, Fig. 63—64). Ich selbst habe bei anderen Formen schon bei meinen allerersten Untersuchungen Bilder dieser Art gesehen, ohne sie jedoch richtig zu deuten. Einen entsprechenden Aufbau zeigen die Längstetraden anderer Formen, nur daß hier die auf die Metasyndese zurückzuführende Bivalenz der Elemente äußerlich nicht sichtbar ist: ab (=) /ab\ (a5 !) Haecker 1907. Als eine entferntere Analogie kann die Kettenbildung der Gregarinen und Bakterien angeführt werden. x Tetradenformeln, 323 Für die Quertetraden, bei welchen keine sekundäre Längs- spaltung hervortritt, Jautet die Formel einfach: alb SE Was nun die Verteilung der Komponenten dieser Komplexe im Verlaufe der beiden Reifungsteilungen anbelangt, so spielen hier- bei offenbar zwei Momente eine Rolle, die mit dem früher her- ‚vorgehobenen Charakter der Reifungsteilungen als rudimentärer Sporen- bildungsprozesse zusammenhängen !): auf der einen Seite die ver- schieden abgestuften Rückbildungen und Zusammenziehungen, welche der in den Reifungsteilungen mit so großer Zähigkeit fest- gehaltene Prozeß der „Tetrasporenbildung“ bei den einzelnen Orga- nismengruppen erfahren hat, auf der anderen Seite die Gleich- wertigkeit, welche bei vorgeschrittener Zusammenziehung ?) der Längs- und Querteilungsprozeß hinsichtlich der dizentrischen Wanderung: und endgültigen Verteilung der Komponenten erlangen kann. Ist die Zusammenziehung der beiden Teilungsprozesse nur wenig " vorgeschritten, wie dies bei einer größeren Zahl von Kopepoden 3) der Fall ist, so behalten die beiden Reifungsteilungen einen mehr gleichartigen Charakter und es vollziehen sich beide nach dem Längsspalt, die erste nach dem primären, die zweite nach dem sekundären: sie sind also beide Äquationsteilungen im Sinne Weismannst). Die reifen Samen- und Eizellen erhalten also bi- valente Elemente von der Zusammensetzung a]b, e]d..., welche ihren bivalenten Charakter vielfach durch die noch während der Embryonal- entwickelung deutlich sichtbare Querkerbe verraten. Eine numerische Reduktion der Chromosomen im strengen Sinne des Wortes hat also während der Reifungsprozesse nicht stattgefunden, vielmehr enthalten die reifen Samen- und Eizellen je die volle (normale, somatische, diploide) Zahl, wenn auch in verkappter, schein- reduzierter Form (Fig. 120A). Der befruchtete Keim erhält also faktisch die doppelte (tetraploide) Zahl von Chromosomen, und die !) Vgl. Kap.9, sowie Haecker, S. 189, 191 (1910). ?) Einen extremen Fall bilden in dieser Hinsicht die simultanen Vierteilungs- prozesse bei manchen Lebermoosen (S. 88, Fig. 50). Vgl. auch die simultanen Vier- teilungen im disperm befruchteten Seeigelei (S.311, Fig. 112). ®) Einen ganz ähnlichen Modus hat Granata für die Spermatogenese eines Acridiers (Pamphagus) beschrieben. Arch. Zellf., 5. Bd., 1910. *) Siehe S. 193. 324 Metasyndetisch-eumitotischer Modus, normale (diploide) Zahl wird wenigstens bei den Kopepoden erst im Verlaufe der Embryonalentwickelung oder späteren Ontogenese durch endgültige Syndese (Teleutosyndese) der beiden in der Querkerbe aneinanderstoßenden Komponenten hergestellt‘). Bei diesem Über- gang der Chromosomen aus der Zweiheit in die Einheit spielen wohl innerhalb der Chromosomensubstanz Assimilations-, Absorptions- oder vielleicht nur Rudimentationsprozesse eine Rolle. Alles in allem würden also aufeinanderfolgen: 1. die Metasyndese, 2. zwei Äquationsteilungen, 3. die Teleutosyndese. Man kann daher 5 den ganzen Prozeß als metasyndetisch-äquationellen oder, da die betreffenden Teilungen den typischen Mitosen der Metazoen- und Metaphytenzellen hinsichtlich des Verteilungsmodus entsprechen, als eumitotischen ?2) oder metasyndetisch-eumitotischen bezeichnen. Ist die Zusammenziehung- der beiden Teilungsprozesse eine stärkere, nähern sich also die Reifungsteilungen in ihrem Charakter den simultanen Vierteilungsprozessen der Lebermoose, so kann die sekundäre Längsspaltung ganz unterdrückt werden oder sie findet wenigstens bei der Verteilung der Chromosomen keine Verwendung. Die Chromosomen werden vielmehr bei einer der beiden Teilungen nach der Querkerbe zerlegt, d.h. die beiden metasyndetisch ver- bundenen Elemente jedes der bivalenten Elemente werden wieder von- einander getrennt und auf die Schwesterzellen verteilt, so daß also bei einem der beiden Teilungsschritte eine Reduktionsteilung zustande kommt und die reifen Geschlechtszellen nur je die halbe (reduzierte, haploide) Chromosomenzahl (ein halbes Sortiment der Chromosomen- Individuen) übernehmen. Es scheinen hierbei beide Möglichkeiten verwirklicht zu sein: In einigen Fällen werden die bivalenten Chromosomen erst in der zweiten Teilung zerlegt und auf die Schwesterzellen verteilt, es liegt also eine Postreduktion (Korschelt und Heider) vor (Fig. 120B). Dieser metasyndetisch-postreduktionelle Modus ist zuerst für die Ovogenese der Kopepoden 3), ferner für die Ovogenese der Seeplanarien®), für die Spermatogenese von Myriapoden°) und Ortho- 2) 1910, S. 194. 2) Nach der Terminologie von Korschelt und Heider. ®) Rückert, Haecker. Vgl. indessen die obigen Ausführungen. *) v. Klinckowström (Arch. mikr. An., 48. Bd., 1897), Francotte (Me&m. cour. Ac. Belg. 1897), van der Stricht (Arch. Biol., T. 15, 1897). ®) M. W. Blackman (Bull.-Mus. Comp. Zool., Vol. 48, 1905). Metasyndetisch-postreduktioneller Modus. 325 pteren !) und in etwas modifizierter Form für diejenige von Hemipteren ?) angegeben worden. Noch in einer Reihe von Fällen wurden die Bilder anfänglich im Sinne des metasyndetisch - postreduktionellen Modus interpretiert, es wurde jedoch diese offenbar nächstliegende Erklärung aufgegeben, nachdem durch die Aufstellung der später zu besprechenden Hypothese von der Parallelkonjugation oder Parasyndese eine andere, vom vererbungstheoretischen Standpunkt aus besonders einleuchtende Deutungsmöglichkeit gegeben war?). A B Fig. 120. % D a b c d Ser c d a b c d a c & b c d Br c d a b c d b d Erste Teilung. OT rn d a ce d Kr x b|jp alla Zweite Teilung. SIR UeN rem r ER « ce d #- -D ed b d a c a ce ET NE, ww, Schematische Darstellung der Reduktion. A metasyndetisch-eumitotischer, B metasyndetisch-postreduktioneller, C metasyndetisch- präreduktioneller, D parasyndetisch-präreduktioneller Modus. Eine zweite Möglichkeit besteht nun weiter darin, daß die Zerlegung der bivalenten Elemente und damit der Reduktionsprozeß schon im ersten Teilungsschritte vor sich geht und also eine Präreduktion (Korschelt und Heider) stattfindet. In der zweiten Teilung vollzieht sich dann die Verteilung nach dem (primären) Längsspalt (Fig. 120C). !) Sutton (Biol. Bull., Vol.4, 1902), McClung 1905. 2) Groß 1904. °) Vgl. die Angaben über die Ovogenese der Oligochäten bei Vejdovski und Mräzek (Arch. mikr. An., 62. Bd., 1903) und bei Vejdovski 1907. ? 326 Metasyndetisch-präreduktioneller Modus. Dieser metasyndetisch-präreduktionelle Modus ist unter anderem für die Ovogenese von Anneliden (Öphryotrocha)!), für die Sper- matogenese von Hemipteren 2) und mit großer Bestimmtheit für die Samenbildung der Kröte (Bufo lentiginosus)3) angegeben worden. Auch bei der Deutung dieser Beobachtungen hat die Beantwortung der Frage, ob Metasyndese oder Parasyndese besteht, den prinzipiell wichtigen Ausgangspunkt zu bilden ®). ßBß) Annahme einer Parasyndese. Der Vorstellung, daß bei der Bildung der diakinetischen Chromo- somenkomplexe eine Hintereinanderlagerung oder Metasyndese je zweier spermatogonialer oder ovogonialer Chromosomen stattfindet, stehen mehrere andere Meinungen gegenüber, unter welchen zurzeit die Hypothese von der Parallelkonjugation oder Parasyndese bei Zoologen und Botanikern die weiteste Verbreitung besitzt). Nach dieser zuerst durch von Winiwarter aufgestellten, zoologischerseits besonders durch das Ehepaar Schreiner, botanischerseits durch Gregoire verteidigten Hypothese legen sich in den frühesten Pro- phasen der ersten Teilung, speziell in dem als Synapsis bezeichneten, durch einseitige Zusammendrängung der Kernsubstanz gekennzeichneten Stadium, je zwei Chromosomen parallel aneinander. So entstehen die „Gemini“ oder nach einmaliger Längsspaltung der miteinander „konjugierten“ Elemente in den einfachsten Fällen Viererstäbchen von der Zusammensetzung: ( a ) (&) a € € b\’ /d 3 @) In der ersten heterotypischen Teilung erfolgt dann eine Prä- reduktion, indem sich die miteinander konjugierten Elemente wieder !) Korschelt (Z. w. Z., 60. Bd., 1895). ®) Paulmier (J. Morph., Vol. 15, Suppl., 1899), Kath. Foot u. Strobell (Am. J. Anat., Vol.4 u. 7, 1005 u. 1907), Lefevre u. McGill (ebenda, Vol.7, 1908). ®) Helen King (Am. J. Anat., Vol. 7, 1907). *) Vgl. Gregoire 1910. °) Eine andere Auffassung kommt in der Faltungshypothese (Montgomery, Farmer u. Moore u. a.) zum Ausdruck, wonach sich nach erfolgter Metasyndese die bivalenten Elemente in der Ouerkerbe umbiegen, so daß die metasyndetisch ver- einigten Elemente nachträglich parallel zueinander gelagert werden. Es soll dann eine Präreduktion und im zweiten Teilungsakt eine Längsspaltung erfolgen (vgl. Haecker,S.83, 1907). Einen besonders einfachen Reduktionstypus ohne vorausgehende Scheinreduktion hat Goldschmidt (Zool. Jahrb. [Anat.], 21. Bd., 1905; Arch. Zellf., 2.Bd., 1908) für die Ovogenese eines Trematoden, Zoogonus, beschrieben. Vgl. da- gegen Gr&goire (Cellule, T.25, 1909). Gründe gegen die Annahme einer Parasyndesis. 327 voneinander trennen und auf die Schwesterzellen verteilt werden, im zweiten, vielfach als homöotypisch bezeichneten Teilungsakt findet hierauf die Verteilung nach dem Längsspalt statt (Fig. 120D; hetero- homöotypisches Schema nach Gregoire!). Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß zahlreiche Bilder in dieser Weise gedeutet werden können, wie denn auch diese Hypo- these, zumal sie beim ersten Anblick für die Mendelschen Spaltungs- vorgänge eine besonders einleuchtende Erklärung zu geben scheint, im Anfang mit großer Sympathie aufgenommen worden ist. Es scheint mir aber, daß bei keinem Objekte bisher ein wirklicher Be- weis für das Vorkommen der Parasyndese geliefert worden ist, daß vielmehr in allen Fällen auch andere Deutungen möglich sind und zum Teil viel näher liegen, und daß außerdem mehrere apriorische Gründe gegen die Annahme einer Parasyndese sprechen 2). Was die Mehrdeutigkeit der betreffenden Bilder anbelangt, so sei hier nur darauf hingewiesen, daß der Eindruck der Parallel- konjugation offenbar durch die teilweise Koinzidenz zweier voneinander unabhängiger Erscheinungen hervorgerufen werden kann, nämlich erstens eines mehr zufälligen oder, besser gesagt, selbst- verständlichen teilweisen Parallelismus der Fäden, wie er durch die in der Synapsisphase, besonders: im sogenannten Bukett- stadium bestehende polare Anordnung der Kernsubstanzen be- dingt wird (Fig.121 A), und zweitens einer verfrühten, bei den einzelnen Objekten und Individuen je nach dem physiologischen und Konservierungszustand bald früher, bald später, bald regelmäßiger, bald ' unregelmäßiger hervortretenden primären Längsspaltung (Fig. 121B). Überdies sind viele Bilder, welche eine successive, vom Ende gegen die Mitte fortschreitende Aneinanderlagerung zweier Fäden zu beweisen scheinen, sicherlich auf die in der Synapsisphase erfolgenden künstlichen Schrumpfungen und Verzerrungen zurückzuführen. Es sind hier auch jene nicht seltenen Fälle zu erwähnen, in denen schon beim ersten Auftreten der Doppelfäden in der Pro- !) Einen etwas”modifizierten Modus hat Vejdovski (1907) für die Ovogenese von Öligochäten beschrieben. Auch Bonnevie (1908—1911) und Janssens (1909) vertreten besondere Auffassungen. *) Vgl. Haecker 1907 (S.86), 1909, 1910, sowie die Kritiken von Meves (Arch. Zelif., 1. Bd., 1908), Fick (ebenda), Goldschmidt (ebenda), denen sich nach anfänglich sehr enthusiastischer Aufnahme der „Junktionstheorie“ immer mehr Zweifler und Gegner anreihen. 328 Gründe gegen die Annahme einer Parasyndesis. phase der ersten Teilung ein ausgesprochener Parallelismus der Einzelfäden vorliegt (Fig. 118, 119), was gegen die angenommene allmähliche Aneinanderlagerung je zweier Fäden spricht und die Analogie mit den längsgespaltenen Chromosomen somatischer Mitosen besonders deutlich macht. Auch die bei Pollenmutterzellen beobachteten Bilder, in welchen schon im „präsynaptischen Kerngerüst“ die ersten, noch etwas unregel- mäßigen Verdichtungen der chromatischen Substanz (Prochromo- somen, Chromosomenspuren) einen Doppelbau erkennen lassen, dürften der ganzen Sachlage nach viel eher auf eine frühzeitige Längsspaltung als auf eine Chromosomenpaarung hinweisen !), ganz Fig. 121. Knäuelstadien aus den Ovocyten erster Ordnung der Katze. Nach Winiwarter und Sainmont. abgesehen davon, daß Bilder ähnlicher Art auch in somatischen Pflanzenkernen zur Beobachtung kommen 2). Die Querkerben, wie sie bei so vielen Objekten in den Prophasen der ersten Teilung wahrzunehmen sind (Fig. 117a u. a.), sprechen andererseits mit Entschiedenheit für eine Metasyndese, und die un- zweideutige, auf Längsspaltung beruhende Entstehungsweise der Chromosomen eines Radiolars (Aulacantha, S. 103, Fig. 68) kann als ein weiteres Argument dafür betrachtet werden, daß die ganz ähnlich gebauten Chromosomen der Reifungsperiode ebenfalls einem primären Längsspaltungsprozeß ihre Entstehung verdanken. !) Vgl. Overton 1905, Tab. 6., Fig. 16; Strasburger 1905, p. 35 ff.; Lunde- gärd 1910, und andererseits Haecker 1907, S, 78. ?) Vgl. Strasburger 1909, S. 59, Tab. ı, Fig. 18. Gründe gegen die Annahme einer Parasyndesis. 329 Überdies scheint mir, und damit komme ich zu den apriorischen Unwahrscheinlichkeiten, gegen diese Hypothese die immer deut- licher hervortretende Tatsache zu sprechen, daß die vielfach dem heterotypischen Modus folgende erste Reifungsteilung der Metazoen und Phanerogamen hinsichtlich ihrer prophasischen und metaphasischen Charaktere keineswegs die isolierte Stellung einnimmt, die ihr im Anfang zugeschrieben worden ist, daß vielmehr ihre besonderen Züge auch bei anderen generativen und embryonalen Mitosen weit verbreitet sind!). Wenn aber diese engen Beziehungen zwischen dem in der ersten Reifungsteilung zutage tretenden Modus und den typischen Mitosenformen bestehen, so ist schwerlich zu erwarten, daß ersterer in bezug auf einen offenbar so fundamentalen Punkt, wie es die Entstehung ‘der Chromosomen- komplexe ist, von den typischen Mitosen wesentlich abweicht. Und wenn diese charakteristischen Doppelfäden, Überkreuzungs- und Achter- figuren usw. an anderen Stellen durch Längsspaltung zustande kommen, so scheint es mir überaus wahrscheinlich zu sein, daß das gleiche für die Chromosomenkomplexe der ersten Reifungsteilung gilt. So willkommen also auch eine Hypothese sein würde, welche, wie die von der Parasyndesis, in so einfacher Weise die experi- mentellen Ergebnisse mit den cytologischen in Verbindung bringt, so halte ich sie doch für unbegründet, und ich möchte glauben, daß die große Mehrzahl der Beobachtungen durch die Annahme einer Metasyndese in einfacherer Weise erklärt wird. - Literaturverzeichnis zu Kapitel 30. Berghs, J., La formation des chromosomes het£rotyp. etc. I—IV. Cell., Tome 21—22, 1904/05. Bigelow, H. B., Studies on the nuclear cycle of Gonionemus. Bull. Mus. Comp. Zool. Harv. Coll., Vol. 48, 1907. Bonnevie, K., Chromosomenstudien I—III, Arch. Zellf., ı., 2., 6. Bd., 1908—1911. Boveri 1890, s. Literaturverzeichnis 10. —, 1892, s. Literaturverzeichnis 7 (S. 71). Davies 1908, s. Literaturverzeichnis 7. Farmer, J. B. and Moore, J. E. S., On the maiotic phase (reduction divisions) in animals and plants. Quart. J. Micr. Sc. (N.S.), Vol. 48, 1904. Foot, Kath. and Strobell, E. C., Prophase and metaphase of the first maturation spindle of Allolobophora foet. Amer. J. Anat., Vol.4, 1905. \) Vgl. Kap. 10, sowie Haecker, S. 104 (1907); S.ı85 (1910), Bonnevie 1907 u. 1908. 330 Literaturverzeichnis 30. Gregoire, V., Les r&sultats acquis sur les Cinöses de maturation I. Cell., Tome 22, 1905. —, La formation des gemini höterotypiques dans les vegetaux. Cell., Tome 24, 1907. — , Les Cindses de maturation etc. Cell., Tome 26, 1910. Groß 1909, s. Literaturverzeichnis 10. Haecker 1892, s. Literaturverzeichnis 10. — 1907, s. Literaturverzeichnis 10. —, Über die Chromosomenbildung der Aulacanthiden. Zool. Anz., 34. Bd., 1909. — , Ergebnisse u. Ausblicke in der Keimzellenforschung. Z. Ind. Abst., 3. Bd., 1910. Hertwig, O., Vergleich der Ei- und Samenbildung bei Nematoden. Arch. mikr. An., 36. Bd., 1890. Janssens, F. A., La theorie de la Chiasmatypie. Cell., Tome 25, 1909. Janssens, F. A. et Dumez, R., L’el&ment nucl&inien etc. chez Batrachoseps et Plethodon. Cell., Tome 20, 1903. Jörgensen, M. Untersuchungen über die Eibildung bei Nephelis usw. Arch. Zellf., 2. Bd., 1908. King, H.D., The spermatogenesis of Bufo lentiginosus. Am. J. An., Vol.7, 1907. Korschelt und Heider, Lehrbuch, J.iteraturverzeichnis 7. Lotsy, J. P., Die Wendung der Dyaden usw. Flora 1904. Lubosch, W., Über die Eireifung der Metazoen usw. Erg. Anat. u. Entw., 11. Bd. (1901) 1902. Lundegärd 1910, Literaturverzeichnis 14 (S. 149). Marcus 1906, s. Literaturverzeichnis 8. Mare£chal, ]J., Sur l’ovogenese des Selaciens etc, Cell., Tome 24, 1907. MeClung, C. E., The chromosome complex of orthopteran spermatocytes. Biol. Bull., Vol.9, 1905. Matscheck 1910, s. Literaturverzeichnis 11 (S. 120). Montgomery 1901, 1906, s. Literaturverzeichnis 10. Moore, ]J. E. S. and Arnold, G., On the existence of permanent forms among the chromosomes etc. Proc. R. Soc., B, Vol. 77, 1906. Morse, M., The nuclear-components of the sex cells of four species of cockroaches. Arch. Zellf., 3. Bd., 1909. 4 Overton 1905, s. Strasburger. Rath, vom, 1892, s. Literaturverzeichnis 10. Rückert 1894, s. Literaturverzeichnis 10. Schleip, W., Die Entwickelung der Chromosomen im Ei von Planaria usw. Zool. Jahrb. (Anat.), 23. Bd., 1906. Schreiner, A. und Schreiner, K. E., Neue Studien über die Chromatinreifung der Geschlechtszellen. I—V. Arch. Biol, Tome 21—22, 1905/06; Anat. Anz., 29. Bd., 1906; Vidensk. Selsk. Skr., 1907/08. Strasburger, E., Allen, Ch. E,, Miyake, K. und Overton, J. B., Histolog. Beiträge zur Vererbungsfrage. Jahrb. Wiss. Bot., 42. Bd., 1905. Strasburger, E., Zeitpunkt der Bestimmung des Geschlechts usw. Jena 1909. Tretjakoff, D., Die Bildung der Richtungskörperchen usw. und die a ira von Ascaris. Arch. mikr. An., 65. Bd., 1904. Trinci, G., L’evoluzione storica del problema della riduzione etc. Archivio An. Embr., Vol. 7, 1908. Vejdovski 1907, s. Literaturverzeichnis 10. Winiwarter, v. u. Sainmont 1908, s. Literaturverzeichnis 6 (S. 59). Einunddreißigstes Kapitel. Chromosomenhypothesen der Vererbung. Von der doppelten Annahme aus, daß der Kern und insbesondere die bei der Teilung hervortretenden Chromosomen die eigentlichen Vererbungsträger darstellen und ferner, daß die Chromosomen auto- nome, von Zellgeneration zu Zellgeneration übermittelte Individuen sind, kann der Versuch gemacht werden, die bei der Vererbung der elterlichen Qualitäten hervortretenden Verteilungsverhältnisse mit den Chromosomenbewegungen in Zusammenhang zu bringen, welche bei den Reifungsprozessen beobachtet werden. a) Ursprüngliche Darstellung Weismanns. Die ersten Versuche dieser Art sind von Weismann vorgenommen worden. Weismann nimmt, wie wir gesehen haben), an, daß in jedem der Chromosomen oder Idanten sämtliche Teile und Potenzen des Keimplasmas mindestens einmal vorhanden sind, und daß die Unterschiede der in einem einzelnen Kern enthaltenen Chromosomen nur individueller Art sind, ähnlich den Unterschieden, welche die verschiedenen Individuen einer Familie, Rasse oder Spezies auf- weisen. Ferner haben nach Weismann die Reifungsteilungen nicht bloß den Zweck, die Zahl der Chromosomen oder Idanten vor der Befruchtung auf die Hälfte der Normalzahl zu reduzieren, sondern sie sollen auch den einzelnen Fortpflanzungszellen jedes Eltern- individuums verschiedene Sortimente von Idanten zuweisen, so daß die Zahl der durch den Befruchtungsakt, die Amphimixis, herbei- geführten Neukombinationen der Anlagen eine weitere Steigerung erfährt. Von diesen Voraussetzungen, insbesondere auch von der Vor- stellung aus, daß tatsächlich bei allen höheren Organismen !) Kap. 19. N 332 Annahme Weismanns. eine Reduktionsteilung vorkommt, findet nun in der Tat eine ganze Anzahl von Vererbungserscheinungen eine verhältnismäßig ein- fache Erklärung. So würde die regelmäßige Ungleichheit der von einem Elternpaar abstammenden Kinder darauf zurück- zuführen sein, daß die einzelnen Eier der Mutter und ebenso die einzelnen Samenzellen des Vaters bei der Reduktionsteilung eine sehr ‚verschiedene Idantenkombination erhalten. Dasselbe gilt im beson- deren für die Verschiedenheit der nicht-identischen, zwei- eiigen Zwillinge, welche von zwei verschiedenen, durch verschie- dene Spermatozoen befruchteten Eiern abstammen und sich daher vererbungsmechanistisch nicht anders als gewöhnliche Geschwister verhalten, während die annähernd vollkommene Übereinstimmung der identischen oder eineiigen Zwillinge, die durch nachträg- liche Spaltung eines befruchteten Keimes entstehen dürften, auf der absoluten Gleichheit ihres Idantenmaterials beruht. Der so häufig zu beobachtende, nahezu vollkommene Rückschlag auf einen der vier Großeltern würde ferner im wesentlichen darauf beruhen, daß eine der beiden in der Zygote zusammentretenden Keimzellen bei der Reduktionsteilung vorzugsweise nur die großväterlichen oder die großmütterlichen Idanten erhielte, und daß die Idanten dieser Keim- zelle im befruchteten Keime über die der anderen dominieren. In ähnlicher Weise wäre der Rückschlag auf weit entfernte Vor- fahren in der Weise zu erklären, daß sehr alte, normalerweise in der Minderheit befindliche Vorfahren-Idanten bzw. -Determinanten in- folge bestimmter, für sie besonders günstiger, bei der Reduktions- teilung und Amphimixis zustande kommender Kombinationen in die Majorität gelangen. Manche dieser Erklärungen gewinnen vielleicht noch an Über- zeugungskraft, wenn man, entsprechend den cytologischen Ergebnissen der letzten beiden Jahrzehnte, eine Syndese zweier Chromosomen in den Prophasen der ersten Reifungsteilung annimmt und insbesondere, nach einer zuerst von Montgomery ausgesprochenen Hypothese, in diesen syndetischen Prozessen eine paarweise Vereinigung oder Konjugation je eines väterlichen und mütterlichen Elementes sieht !). Die Fig. 122, welche nach einem von Ziegler gegebenen Schema in freier und abgekürzter Weise diese Modifikation der Weismannschen Amphimixislehre veranschaulichen soll, zeigt, wie sowohl im Vater wie in der Mutter während der Prophasen der ersten Teilung eine Syndese je eines der großväterlichen und groß- !)’Vgl. H. E. Ziegler 1905, 1906. Annahme Weismanns, 333 mütterlichen Elemente stattfindet (122B) und wie infolgedessen nach erfolgter Re- duktionsteilung und Trennung der syndetisch verbundenen Chromosomen sowohl die väterlichen wie die mütterlichen Gameten verschiedene Kombinationen der großelter- lichen Chromosomen aufweisen können (bei der angenommenen Chromosomenzahl Vater Fig. 122. Mutter Großvater Großmutter Großvater Großmutter ‚000 | BBOO OO | BSH ® ®® :0® je ‚0® 8® :@® 8® :'008® @@®& :-0@899 Schema für die Neukombination der Chromosomen. Frei nach Ziegler. je vier Kombinationen, C, 1—4). Auf diese Weise entstehen 16 Sorten von Zygoten, in welchen die Chromosomen von allen vier oder auch nur von drei oder zwei Groß- eltern enthalten sein können (D, 1—16). b) Umgestaltung der Lehre durch Montgomery, Sutton, Boveri. Die Wiederentdeckung der Mendelschen Regeln hat zu Be- trachtungen dieser Art einen besonders starken Anstoß gegeben. Lag 334 z Umgestaltung der Weismannschen Lehre. es doch sehr nahe, die symmetrische Auseinanderlegung, welche zu- folge der Mendelschen Erklärungshypothese von der Reinheit der Gameten!) die im Bastard vereinigten Anlagen bei der Keimzellen- bildung erfahren, zu den auffälligen symmetrischen Vorgängen in Beziehung zu bringen, welche sich an den Chromosomen der Reifungs- teilungen im Falle einer Reduktionsteilung abspielen2).. So wurden Fig. 123. lie Spaltungsvorgänge bei individuell (A) und physiologisch (B) verschiedenen Chromosomen. a und b Keimzellenkerne vor bzw. nach der Syndese der elterlichen Chromosomen. c Reduktionsteilung. denn auch sehr bald verschiedene Versuche gemacht, die Mendel- schen Vererbungserscheinungen, insbesondere die angenommene Rein- heit der Gameten der heterozygoten Individuen, cytologisch zu interpretieren, wobei die Hypothese, daß die Chromosomen die Ver- erbungsträger seien, ferner die Individualitätstheorie und die schon !) Siehe S. 222, ®) Bateson, Princ. Her., Cambr., 1902. Monohybride Spaltungen. 335 vorhin erwähnte Hypothese Montgomerys von der Konjugation der elterlichen Chromosomen den theoretischen Ausgangspunkt bildeten. In der Regel wird außerdem auf Boveris Lehre von der physio- logischen Verschiedenheit der Chromosomen zurückgegriffen. Verhältnismäßig einfach würde die Erklärung für das Auftreten reiner Gameten im Falle monohybrider Kreuzungen sein, wenn also die beiden Stammformen nur durch ein Merkmalspaar unter- schieden sind. Man könnte dabei sowohl die Vorstellung Weis- manns festhalten, wonach alle Chromosomen Träger der sämtlichen Funktionen und nur individuell verschieden sind!), oder auch von der Hypothese Boveris ausgehen, welche eine Verteilung der ver- schiedenen Anlagen auf die verschiedenen Chromosomen eines Kernes annimmt. Im ersten Falle (Fig.123 A) wäre allerdings, um die Entstehung reiner Gameten verstehen zu können, die weitere Voraussetzung zu machen, daß bei der Reduktionsteilung wirklich sämtliche väterliche Chromosomen nach der einen, sämtliche mütterliche nach der anderen Seite gehen (A, c), was unter der Voraussetzung einer vorangegangenen Konjugation je eines väterlichen und eines mütterlichen Chromo- soms (A, b) in Anbetracht des im allgemeinen so streng symme- trischen Verlaufs der meisten mitotischen Prozesse nicht ganz un- wahrscheinlich wäre. Es ist der Nachweis versucht worden*), daß auch dann, wenn bei der Reduk- tionsteilung der Keimzellen der F'-Bastarde keine reinliche Scheidung der väterlichen und mütterlichen Chromosomen erfolgt, die F,-Bastarde im Falle von Monohybridismus das Verhältnis 25:50:25 zeigen werden, da nach der Wahrschein- lichkeitsrechnung in 25 Proz. der Zygoten die Chromosomen der väterlichen, in 25 Proz. die der mütterlichen Stammform die Majorität haben werden, während sich in 50 Proz. der Zygoten beide ungefähr die Wage halten werden. Im zweiten der angenommenen Fälle hätte man sich vorzustellen, daß in den unreifen Keimzellen des Bastards die Träger der beiden antagonistischen Anlagen, z. B. der Anlagen zur roten und weißen Blütenfarbe, durch je ein Chromosom repräsentiert werden (Fig.123B,a, wo die betreffenden Chromosomen durch Querstriche gekennzeichnet sind), und daß in den Prophasen der Reifungsteilungen gerade diese beiden homologen Chromosomen miteinander in Konjugation treten (Fig. 123B,b). Dann würde die Reduktionsteilung (Fig.123B,c) sie in regelmäßiger Weise voneinander trennen und es würden also !) Vgl. Cannon 1902. ®) H. E. Ziegler 1905. 336 Di- und polyhybride Spaltungen. Gameten gebildet werden, die entweder nur die eine, oder nur die andere Anlage in sich schließen. Um nun weiterhin die Unabhängigkeit zu erklären, welche die einzelnen -Anlagenpaare bei di- und polyhybriden Kreuzungen hinsichtlich der Spaltung zeigen, sind freilich erhebliche Schwierig- keiten zu beseitigen. | Geht man von der Weismannschen Hypothese aus, daß die Chromosomen nur individuell verschieden sind, so bietet die An- nahme einer parallelen Konjugation der elterlichen Chromo- somen und die weitere Hilfshypothese, daß zwischen den paarweise aneinandergelagerten Chromosomen ein Austausch von Anlagen stattfindet, die Möglichkeit einer Erklärung‘). Wenn nämlich innerhalb der Chro- mosomen die einzelnen, den Elementareigenschaften des Organismus entsprechen- den Anlagen linear geord- net sind?) undin sämtlichen Chromosomen in dersel- ben Reihenfolge liegen, so werden die‘ gleichnami- gen Anlagen während des . Wi Ri Zustandes der Konjugation Polansicht der Aquatorialplatte in einem Sperma- - d EN d togonium von Brachystola. Nach Sutton. SINSDAFT PPPODIEER PRINMN x das Heterochromosom. i, j, k die drei kleinsten Chromo- eS könnte ein größerer oder BRD kleinerer Teil der Anlagen gegeneinander ausgetauscht werden. Es würden dann in den reifen Sexualzellen die väterlichen und mütterlichen Anlagen in allen mög- lichen Kombinationen auftreten können, so wie es nach der Un- abhängigkeitsregel tatsächlich der Fall zu sein scheint. Einfacher liegt aber auch hier die Sache, wenn im Sinne Boveris eine physiologische Verschiedenheit der Chromosomen angenommen wird). Man kann dann die in den Spermatogonien und Ovogonien Fig. 124. ») Vgl. deVries 1903. Ähnliche Annahmen haben Rückert und Vejdovski gemacht. ®) Vgl. S. 192, Fig. 89. ®) Sutton 1903, Boveri 1904, F. R. Lillie (Observ. etc. in Chaetopterus, Journ. Exp. Zool., Vol. 3, p. 250, 1906). Di- und polyhybride Spaltungen. 337 vielfach beobachteten „doppelten Chromosomengarnituren“!) in der Weise deuten, daß jedes Paar gleich großer Chromosomen (z. B. die Paare i, j, k in Fig. 124) aus einem väterlichen (v, 5’, k) und dem ihm funktionell gleichwertigen mütterlichen Chromosom (?”, 5”, k") besteht. Nach den übereinstimmenden Angaben zahlreicher Autoren sollen nun in den frühesten Prophasen der ersten Reifungsteilung jeweils die beiden Glieder der einzelnen Größenabstufungen mit- einander in Konjugation (Meta- bzw. Parasyndese) treten und bei der Reduktionsteilung auf die beiden Schwesterzellen verteilt wer- den. Da nun die Lage der konjugierten Paare in der Aquatorial- platte der Reduktionsteilung ganz vom Zufall abhängig sein könnte, derart, daß z. B. bei der Eireife das Ei selbst von dem Paar = ’ den väterlichen, von einem anderen Paar 7 den miütterlichen Partner erhalten kann, so würde jede Gamete von jeder Sorte von Chromo- somen ein Exemplar übernehmen, wobei jedoch die Chromosomen väterlicher und mütterlicher Abkunft in den verschiedensten Kombi- nationen auftreten könnten. Werden z.B. die doppelten Chromosomengarnituren der Ovo- gonien durch a’a”b’b"c’'c”... bezeichnet, so könnte die Aufstellung der Paare in der Äquatorialplatte der Reduktionsteilung und ihre Ver- teilung in der verschiedensten Weise vor sich gehen: - 7 ER RN -, FE oder - a’ db’ c' a" ’ b’ ’ c" oder a b’ c'' u a” ’ b’' ’ e' % Es ist ohne weiteres ersichtlich, daß auf diese Weise alle die- jenigen Anlagenkombinationen hergestellt werden können, welche bei di- und polyhybriden Kreuzungen zutage treten. Mein eigener Versuch?), die Mendelschen Spaltungsvorgänge cytologisch zu erklären, ist deshalb als mißglückt zu betrachten, weil die Deutung der Befunde bei Cyclops, welche mir als Ausgangspunkt gedient hatte, inzwischen durch die Arbeiten meiner Schüler®) als unhaltbar nachgewiesen worden ist. Ich möchte es aber doch !) Siehe Kap. 10, S. 108, Fig. 72. ?) S.239 (1909); 1910. ®) Vgl. besonders Matscheck, Literaturverzeichnis ı1 (S. 120). Haecker, Vererbungslehre. 22 338 Symmixis. für wahrscheinlich halten, daß dem von mir damals aufgestellten Begriff der Symmixis eine Realität zukommt, daß also bei manchen Objekten in den späteren Prophasen oder in der Metaphase der ersten Teilung eine Umgestaltung der Chromo- somenkomplexe durch Auswechselung ihrer Teile und also eine in den frühen Prophasen gewissermaßen nicht vorgesehene Verteilung der Elemente in den Anaphasen stattfinde. Ein solcher symmiktischer Vorgang kann entweder durch Rotation ringförmiger bivalenter Elemente (Fig. 125 B—C) zustande kommen, wie Fig. 125. A B € D [23 ’ a’ b’ a’ ib 8 IN 1%: | 7 # ll J & Zi ® 4 | ® ll 2 a” b” a” » b' b je % Symmixis durch Rotation. ‘dies schon Weismann (1891) angenommen hatte, oder es könnte bei X-förmigen Elementen eine Permutation oder Versetzung der Teile erfolgen, wie dies z. B. bei Cyclops viridis möglicherweise vorkommt (Fig. 126) und in ähnlicher Weise Groß (S. 100, Fig.63; S. 320, Fig. 117) für die kreuzförmigen Chromosomenkomplexe von Syromastes annimmt'!). Daß derartigen Vorgängen unter gewissen Voraus- setzungen eine Bedeutung für die Erklärung der Mendelschen Spaltungsvorgänge zukommen könnte, braucht nicht näher erörtert zu werden. Fig. 126. Wir haben gesehen, daß, indem die Beob- achtungen Suttons und anderer über das Auf- treten paarweise abgestufter Chromosomensorti- mente mit der Boverischen Hypothese von der physiologischen Ungleichwertigkeit der Chromo- somen in Verbindung gebracht wurden, eine über- raschende Parallele zwischen den Ergebnissen der cytologischen und der Bastardforschung her- gestellt werden konnte. Mit einem Male schien Symmixis durch Per-- ein großer Teil dessen erreicht zu sein, was den mutation. R . . : Begründern der älteren morphobiologischen Ver- erbungshypothesen als Ziel vorgeschwebt hatte: die „Erklärung“ einer größeren Gruppe von Vererbungserscheinungen durch die mikro- skopisch kontrollierbaren Vorgänge in den Keimzellen. Die Sutton- ') Es liegt nahe, auch die eigentümliche „Verhängung“, welche die Chromo- somen von Ascaris bei der Furchung zuweilen zeigen, durch Symmixis zu erklären. Vgl. dagegen Boveri, S. 212 (1909, Literaturverzeichnis 29). -Unreinheit der Gameten. 339 Boverische Chromosomenhypothese der Vererbung hat daher als ein einleuchtender und eleganter Lösungsversuch vielen Anklang gefunden, und es ist ihr bisher noch keine andere Hypothese von gleichem Erklärungswert gegenübergestellt worden. Gerade weil aber so viel für die Gültigkeit der Sutton-Boveri- schen Kombinationen zu sprechen scheint, ist um so mehr im Auge zu behalten, daß ihr eine ganze Reihe von Voraussetzungen zugrunde liegen, von denen jede einzelne einen hypothetischen Charakter besitzt und schon auf mehr oder weniger Widerstand gestoßen ist. Diese Hypothesen sind im wesentlichen folgende: 1. Die schon von Mendel angenommene Erklärungshypothese von der Reinheit der Gameten. Die Gültigkeit dieser Annahme ist von verschiedenen Seiten be- stritten worden, und es ist zweifellos, daß sie mit manchen experi- mentellen Ergebnissen, z. B. den Beobachtungen beim Axolotl (S.231), nicht in Einklang zu bringen ist. So wurde denn zur Erklärung einer Reihe solcher besonderen Vorkommnisse angenommen, daß die Gameten nach der Spaltung in Wirklichkeit nicht vollkommen rein sind. Man hat sich entweder!) dabei vorgestellt, daß die beiden bei der Kreuzung vereinigten Anlagen sich gegenseitig beeinflussen können, ehe sie bei der Keimzellenbildung der F}-Bastarde wieder auseinandergehen (Tauschhypothese). Die Trennung der Anlagen ist, wie Castle sagt, nicht so vollständig, wie wenn man zwei aufein- andergelegte verschiedenfarbige Glasplatten voneinander nimmt, sondern wie wenn man zwei verschieden gefärbte zusammengeschmolzene Wachsschichten trennt. Nach einer zweiten?) Anschauung (Alter- nationshypothese) würde bei der Keimzellenbildung der F}-Bastarde überhaupt keine Spaltung der beiden Anlagen im Sinne Mendels stattfinden, vielmehr würden sämtliche Keimzellen beide Anlagen, jedoch mit wechselnder Dominanz in sich einschließen. In etwas allgemeinerer Form führt eine dritte®) Hypothese die vielfach beob- achtete Unreinheit der Kreuzungsprodukte darauf zurück, daß die scheinbar rein rezessiven Individuen das dominierende Merkmal in „kryptomerem“, latentem“ Zustande mit sich führen, und daß diese latenten Anlagen durch die Kreuzung zum Teil wieder geweckt werden können. !) Vgl. de Vries 1903, Castle 1905, ?) Vgl. Morgan 1905, Fick 1907. ®) Vgl. Tschermak 1903, 1905. 22° 340 Schwierigkeiten für Boveris Hypothese, 2. Die Hypothese, daß die Chromosomen die eigentlichen Vererbungsträger darstellen (Hypothese vom Vererbungs- monopol des Kernes). Die Gründe, welche für und gegen diese Annahme sprechen, sind im 14. Kapitel erörtert worden. Es scheint, wie wir sahen, mehr und mehr die Auffassung durchzudringen, daß die bisherigen Vor- stellungen einer Revision bedürftig sind. 3. Die Hypothese von der Individualität der Chromosomen. Sie scheint mir die am besten begründete unter den hier zu machenden Voraussetzungen zu sein (Kap. 29). 4. Die Boverische Hypothese von der physiologischen Un- gleichwertigkeit der Chromosomen. Wenn auch diese Annahme eine fast notwendige Konsequenz der Individualitätslehre zu sein scheint (Kap. 29), so liegt doch bisher keine einzige Beobachtung vor, aus welcher mit Sicherheit ein direkter Zusammenhang zwischen den Mendelschen Erbeinheiten und den Chromosomen hervorgehen würde, wenn auch vielleicht die Befunde bei Kopepoden und bei Oenothera (S.340) auf mittelbare Be- ziehungen hinweisen. Selbst die cytologischen Befunde, aus welchen die Existenz geschlechtsbestimmender Chromosomen geschlossen wurde, sind, wie im folgenden Kapitel gezeigt werden soll, nicht eindeutig. Daß das Auftreten regelmäßiger Chromosomenzahlen, z. B. der Zahl 24, bei den verschiedensten Tier- und Pflanzengruppen für die Hypothese an sich eine Schwierigkeit bedeutet, wurde schon früher (S.313) angedeutet. Widersprüche anderer Art ergeben sich aus der Tatsache, daß wohl in allen Fällen die Zahl der Chromosomen geringer ist als diejenige Zahl, welche für die selbständigen erblichen Merk- male anzunehmen ist oder festgestellt wurde. So wurde darauf hin- gewiesen!), daß bei der Erbse die reduzierte Zahl der Chromosomen sieben beträgt, und daß schon durch Mendel sieben selbständige Erbeinheiten nachgewiesen sind. Es wäre doch kaum denkbar, daß Mendel in letzterer Hinsicht bereits sämtliche Möglichkeiten erschöpft hätte und daß bei der Erbse nicht eine wesentlich größere Anzahl von Erbeinheiten existieren würde. Für eine andere Pflanze, das Löwen- maul (Antirrhinum), sind schon jetzt mehr selbständig mendelnde Erbeinheiten als Chromosomen bekannt ?). !) Vgl. Allen 1905. ®) Vgl. Baur 1908, 1910 (Literaturverzeichnis 26, S. 273). Schwierigkeiten für die Konjugationshypothese. 341 Man hat nun allerdings versucht, durch die Annahme, daß jedes Chromosom die Anlage von mehreren Charakteren enthalten müsse), und daß vielleicht die Unterabschnitte der Chromosomen (die Chromo- meren, Chromiolen oder Mikrosomen) die Träger der selbständigen Anlagen seien, einen Teil der Schwierigkeiten zu überwinden, aber man verliert dabei die Möglichkeit, die Spaltungsvorgänge auf mikro- skopisch kontrollierbare Geschehnisse zurückzuführen, abgesehen davon, daß auch die Frage nach den Unterabschnitten der Chromosomen noch vollkommen in der Schwebe ist (S.43). 5. Die Montgomerysche Hypothese von der paarweisen Konjugation der elterlichen Chromosomen. Daß die Tatsachen, welche im Sinne einer parasyndetischen Konjugation der elterlichen Chromosomen aufgefaßt worden sind, mindestens nicht eindeutig sind, und daß manche Beobachtungen und ebenso manche Betrachtungen allgemeinerer Art entschieden gegen die Annahme eines derartigen Vorganges sprechen, wurde früher (Kap. 30) behandelt. Aber auch die Hypothese, daß bei einer metasyndetischen Paarung der Chromosomen jeweils ein väterliches und mütterliches Element verbunden werden, schließt eine ganze Reihe von Unsicher- heiten in sich, und mindestens stehen ihrer Verallgemeinerung verschiedene Schwierigkeiten im Wege.. Einerseits sind ja die doppelten Chromosomengarnituren, auf welche sich die Hypothese in erster Linie stützt, keineswegs mit Notwendigkeit als konstante oder wesentliche Verhältnisse aufzufassen (Kap. 10), andererseits ist auch das zweite Hauptargument, nämlich die vielfach beobachtete Paarung zweier Heterochromosomen (Idiochromosomen, Mikrochromo- somen), keineswegs entscheidend. Denn wenn die Heterochromo- somen wirklich im Abbau befindliche, vielleicht der Nucleolisation anheimfallende Gebilde sind, so würde weder ihrer paarweisen Vereinigung während gewisser Kernzustände, noch dem an ihnen beobachteten Teilungsvermögen eine mehr als sekundäre Bedeutung zukommen müssen. Wenigstens liegt es nahe, ihre paarweise Ver- bindung mit der nachträglichen Verschmelzung der beiden Nucleolen gonomer gebauter Kerne (S.83) zu vergleichen, und, was die Teilungs- fähigkeit anbelangt, so zeigen die Diminutionskörper bei Ascaris und bei den Kopepoden (S. 62, Fig. 28B; S. 65, Fig. 30C) zur Genüge, daß ') Vgl. Wilson (Popul. Sc. Monthly 1903), Heider 1906. 342 Schwierigkeiten für die Konjugationshypothese, auch solche Gebilde, welche nicht mehr den vollen Wert von Chromo- somen haben, in offenbar passiver Weise unter der Wirkung der im Plasma vor sich gehenden Verschiebungen und Neugruppierungen halbiert werden oder wenigstens Teilungsversuche ausführen können. Gegen die allgemeine Gültigkeit der Annahme, daß die Chromo- somenpaarung Chromosomen verschiedenelterlicher Abkunft be- trifft, spricht übrigens, wie mir scheint, die namentlich bei Bastarden häufig gemachte Beobachtung, daß bei der Teilung der Spermato- cyten erster Ordnung und Pollenmutterzellen doppelte Teilungsfiguren (Doppelspindeln) auftreten (Fig.127)?). Man könnte allerdings das Fig. 127. Doppelspindeln in den Spermatocyten eines Taubenbastards. Nach Guyer. Vorkommen solcher Doppelspindeln bei Bastarden als eine Abnor- mität, und zwar als ein Zeichen für die ungenügende Affinität (incom- patibility) der Gonomeren bzw. der elterlichen Chromosomen ansehen und auf die Störungen, welche sich daraus eventuell für den Ablauf des Reifungsprozesses ergeben, die Sterilität der Bastarde zurück- führen 2). Da aber gerade bei sterilen Bastarden solche Doppelfiguren vielfach nicht gefunden werden und umgekehrt auch bei normalen (homozygoten) Individuen noch in den Prophasen der ersten Teilung !) Guyer (Chicago 1900) hat solche bei der Spermatogenese von Tauben- bastarden, Metcalf (Proc. Nebraska Ac. Sci. 1901) bei der Pollenbildung von Gladiolus- Bastarden, Cannon (Bull. Torrey Bot. Club, Vol.30, 1903) bei Baumwollbastarden, Tischler (Jahrb. wiss. Bot., 42. Bd., 1906) bei Ribes-Bastarden gefunden. Vgl. hierzu auch Juel (ebenda, 35. Bd., 1900), Rosenberg (Ber. D. Bot. Ges., 21. Bd., 1903), Gregory (Proc. Cambr. Phil. Soc., Vol.ı3, 1905), Poll (Sitzungsber. Ges. Naturf. Freunde 1907, 1908). ?) Vgl. Haecker S.85 (1902); S. 202 (1904); Sutton 1903. Chromosomen der Drosera-Bastarde. 343 deutliche Spuren von Gonomerie angetroffen werden :), so scheint die Sterilität weniger auf Unregelmäßigkeiten der Reifungsteilungen, als auf allgemeinere physiologische Ursachen (Störungen der Kernplasma- relation, Giftwirkungen usw.) zurückzuführen zu sein 2), und das Auftreten Teilung einer Pollenmutterzelle eines von Doppelspindeln und anderen gonomeren Erscheinungen in den Pro- phasen der ersten Teilung würde eher als ein normales Vorkommnis zu betrachten sein. Wenn aber die beiden Gonomeren noch bis zur ersten Reifungsteilung getrennt bleiben und sogar noch selbständig die Teilung ausführen, so würde dies eine Widerlegung der Ansicht sein, daß in den Prophasen all- ; i : : E Fig. 128. gemein eine Konjugation je \ zweier elterlicher Chromosomen \ı stattfindet. h \ 6. Die Voraussetzung, daß \ IN gerade bei den Objekten, bei wel- chen der alternative Vererbungs- { l modus nachgewiesen wurde, im- : 1" mer auch eine Reduktions- teilung stattfindet, darf nach dem vorigen Kapitel (30) eben- falls nicht als selbstverständlich betrachtet werden. 7. Die Annahme, daß bei Eee exentuellen ee Drosera-Bastards Nach Rosenberg. teilung die Chrom 0somenpaare Die auf zwei Schnitte verteilten Chromosomen- so in’die Äquatorebene der Tei- kempess Han im Kein Tone m oem lungsfigur zu liegen kommen, daß die väterlichen und miütterlichen Partner (Konjuganten) in durchaus unregelmäßiger Weise nach den beiden Richtungen auseinander- gehen, ist vorläufig ebenfalls stark hypothetischer Natur. Allerdings hat Rosenberg zu zeigen versucht, daß dies bei Drosera-Bastarden für die kleinen Chromosomen von D. longifolia und die großen von rotundifolia zutrifft (Fig. 128), indessen muß auch hier noch auf wirk- lich entscheidende Beobachtungen gewartet werden. ') Doppelte Knäuelfiguren in den Prophasen der ersten Teilung hat z. B. Guignard (Bull. Soc. Bot. France, 36. Bd., 1890, Fig. 26) bei Lilium Martagon, ich selbst (1902, Taf. II, Fig. 23) im Hoden junger Heterocope-o" gefunden. Poll (1908) fand in normalen Entenhoden Doppelspindeln. ®) Vgl. Tischler Il. c., sowie 1907, 1908. Vgl. Kap. 21, S. 216. 344 Literaturverzeichnis 31. Im übrigen besteht die Hauptschwierigkeit für die Chromosomen- hypothesen darin, daß bisher noch kein Objekt vorliegt, für welches einerseits die Einzelheiten des alternativen Vererbungsmodus, anderer- seits der Verlauf der Reifungsprozesse genau bekannt sind. Die eytologische Forschung wird ihre ganze Aufmerksamkeit darauf richten müssen, Objekte ausfindig zu machen, welche sich für experi- mentelle Kreuzungs- und Vererbungsstudien eignen und gleichzeitig auch der Keimzellenforschung endgültige Erfolge versprechen !). Literaturverzeichnis zu Kapitel 31. Allen, Ch. E., Nuclear division in the Pollen - Mother -cells of Lilium canadense. Ann. Bot., Vol. 19, 1905. Bovcri, Th., Ergebnisse über die Konstitution der chromatischen Substanz des Zellkernes. Jena 1904. Cannon, W. A., A cytological basis for the Mendelian laws. Bull. Torr. Bot. Club, Vol. 29, 1902. x Castle, W. E., Recent discoveries in heredity etc. Pop. Sci. Monthly 1905. Fick, R., Vererbungsfragen usw. Erg. An. u. Entw., 16. Bd., 1907. Guyer, M. F., The germ cell and the results of Mendel. Cincinnati Lancet Clinic 1903. Haecker 1902, 1904. 1910, Literaturverzeichnis 6 und 30. Heider, K., Vererbung und Chromosomen. Jena 1906, Montgomery, Th. H., 1901. Literaturverzeichnis 6. Morgan, T. H., The assumed purity of the germ cells in Mendelian results. Sci., N.S., Vol. 22, 1905. Rosenberg, O., Über die Tetradenteilung eines Drosera- Bastards. Ber. D. Bot. Ges., 22. Bd., 1904. (Vgl. Meddel. Stockh. Bot. Inst. 1904.) Sutton, W. S., The chromosomes in heredity. Biol. Bull., Vol.4, 1904. Tischler, G., Weitere Untersuchungen über Sterilitätsursachen. Ber. D. Bot. Ges., 25. Bd., 1907. — , Zellstudien an sterilen Bastardpflanzen. Arch. Zellf., 1. Bd., 1908. Tschermak, E., Die Theorie der Kryptomerie usw. Beih. Bot. Centralbl., ı6. Bd., 1903. —, Über Bildung neuer Formen durch Kreuzung. R&s. Congr. Intern. Bot. 1905. Vries, H. de, Befruchtung und Bastardierung. Leipzig 1903. Weismann 1891, 1892, s. Literaturverzeichnis 19. Ziegler, H. E., Die Vererbung in der Biologie. Jena 1905. —, Die Chromosomentheorie der Vererbung in ihrer Anwendung auf den Menschen, Arch. Rass. Ges. Biol., 3. Jahrg., 1906. !) Wie ich glauben möchte, genügen zwei Formengruppen den meisten der Anforderungen, welche an solche Objekte gestellt werden müssen: die Süßwasser- kopepoden und die urodelen Amphibien (Verh. Zool. Ges. 1908). ln u An nn U) ae a m u ein Ku ei ee ci er Zweiunddreißigstes Kapitel. Chromosomen und Geschlechtsbestimmung. Auch diejenigen Biologen, welche die Unterlagen der Sutton- Boverischen Chromosomenlehre für nicht genügend gesichert ansehen, werden vielleicht geneigt sein, wenigstens hinsichtlich der Geschlechts- bestimmung eine spezielle Funktion einzelner Chromosomen zuzugeben und also mit MceClung, Wilson, Boveri u. a. diesen Vorgang auf eine Art von automatischem, an bestimmte Chromosomen geknüpftem Mechanismus zurückzuführen. Die grundlegenden Tatsachen, von welchen die betreffenden Vor- stellungen ausgehen, sind bereits in einem früheren Kapitel (10) zu- sammengestelltworden. Unter den hier aufgezählten Typen von besonders beschaffenen Chromosomen oder Heterochromosomen kommen für unsere Frage in erster Linie diejenigen in Betracht, welche in un- symmetrischer Weise auf die Samenzellen verteilt werden, so daß zwei verschieden ausgestattete Gruppen von Samenzellen ihre Ent- stehung nehmen. Dieser zuerst von Henking bei der Feuerwanze (Pyrrhocoris) entdeckte Dimorphismus der Spermien ist von McClung bei den Orthopteren wiedergefunden und erstmals mit der Geschlechts- bestimmungsfrage in Zusammenhang gebracht worden, und zwar in dem Sinne, daß der von ihm bei der Hälfte der Samenzellen fest- gestellte Körper, das „accessorische Chromosom“, das unpaare Heterochromosom oder Monosom bei späteren Autoren, als männlich bestimmendes Element zu betrachten sei. Eine genauere Begründung der cytologischen Geschlechtsbestim- mungslehre ist dann durch Wilson erfolgt. Wilson hat zunächst ver- sucht, die Homologie zwischen den bei der Samenbildung der Hemi- pteren, Orthopteren und anderen Formen beobachteten Vorkommnissen durchzuführen. Danach kann das für die Geschlechtsbestimmung hauptsächlich in Betracht kommende Chromosom, das „X-Element“, entweder als ein einzelnes Chromosom auftreten, welches bei der 346 Homologie der X-Elemente, daı | & 6) ed | gl 5 eV at 0 2.22 Anasa B %) 0 — ed = 8 e ° S oO 214 = - So (> u o.® S ®, Lygaeus % E= Q S > o OS I d 27 eig e. == rn 8) 228 Thyanta Gelastocoris Spermatogenese der Hemipteren. Nach Wilson. A Anasa (ı X-Element als Monosom). B Lygaeus (1 X-Element als großet Idiochromosom). C Thyanta (2 X-Elemente). D Gelastocoris (4 X-Elemente). Homologie der X-Elemente. 347 in den frühen Prophasen der Reifungsteilungen sich vollziehenden Syn- dese keinen Partner findet und daher bei der angenommenen Reduktions- teilung, wenn die syndetisch verbundenen Paare wieder getrennt und die beiden Paarlinge auf die beiden Schwesterzellen verteilt werden, nur der einen Hälfte der Samenzellen zugewiesen wird. Ein solches, wie gesagt, auch als accessorisches Chromosom oder Monosom be- zeichnetes Heterochromosom tritt z.B. bei den Hemipteren Protenor (Fig. 69a undb, 1) und Anasa (Fig. 129 A) auf. In anderen Fällen, so bei Lygaeus (Fig. 70, Fig. 129 B), wird das X-Element durch das größere der beiden Idiochromosomen repräsentiert. Dieses findet bei der verspätet zwischen der ersten und zweiten Reifungs- teilung vor sich gehenden Syndese in dem kleinen Idiochromosom, dem „Y-Element“, einen Partner, und bei der als Reduktionsteilung anzusehenden zweiten Reifungsteilung (Fig. 70g, ?) gelangt das X-Ele- ment in die eine, das Y-Element in die andere Tochterzelle, so daß auch hier nur 50 Proz. der Samenzellen mit dem X-Element aus- gestattet sind. Bei einzelnen Hemipteren kann das X-Element auch durch 2, 3 oder 4 Elemente ersetzt sein. Zwei Elemente finden sich z. B. bei Thyanta (Fig. 129C) und Syro- mastes, vier bei Gelastocoris (Fig. 129D). Auch dann erhält nur die eine Hälfte der *Samenzellen die X-Elemente, während die andere Hälfte das Y-Element übernimmt oder, wie bei Syromastes, bei der Reduktionsteilung leer ausgeht. Zuweilen, z. B. bei Nezara, treten im männlichen Geschlecht zwei gleich große Elemente auf. Im Hinblick auf verschiedene Übergangsformen wird von Wilson angenommen, daß in solchen Fällen die beiden Elemente nur äußerlich gleich sind, und daß eines von ihnen funktionell den Charakter eines X-, das andere den eines Y-Elementes besitzt'). Der zweite Punkt, welchen Wilson hervorgehoben hat, betrifft die Verhältnisse im weiblichen Geschlecht. Bei mehreren Formen konnte nachgewiesen werden, daß in denjenigen Fällen, in welchen die Sper- matogenese ein Monosom aufweist (Protenor u. a.), in der Ovogenese zwei entsprechende Gebilde gefunden werden (Fig.69 C, 1,1; Fig.129 A), und ebens®, daß, wenn in den Spermatogonien zwei ungleich große Idiochromosomen auftreten, diese in den Ovogonien durch zwei dem größeren Idiochromosom gleichkommende Elemente ersetzt werden (129B). Da nun ferner in den Ovocyten erster Ordnung während der Prophasen der ersten Teilung gerade diese beiden, dem X-Element entsprechenden Chromosomen syndetisch verbunden und dann auf !) Bezüglich weiterer Einzelheiten vgl. besonders die Arbeiten von Wilson und Payne. e 348 Bedeutung der X-Elemente. Grund der Reduktionsteilung wieder voneinander getrennt werden, so werden sämtliche Eier mit einem X-Element ausgestattet und erhalten also alle den nämlichen Chromosomenbestand. | Diese Beobachtungen und Schlüsse führten dann zu der An- nahme, daß das X-Element der Spermatogonien ein weiblich be- stimmendes Element darstellte, d.h. daß durch Einführung einer mit dem X-Element ausgestatteten Samenzelle das Ei weiblich be- stimmt werde. | Wenn z.B. die Spermatogonien einer Tierform » normale Elemente und ein X-Element enthalten (n-+ X) und demnach die reifen Samen- zellen zur Hälfte vom Typus — zur Hälfte vom Typus > + X sind, so besitzen nach obigem die Ovogonien n +2X und die reifen Eizellen = + X Chromosomen. Es wird also bei der Befruchtung einer Eizelle (> ne x) mit einer das X-Chromosom führenden Samenzelle © + x) nicht der männliche (n + X), sondern der weibliche Chromosomen- komplex (n+ 2X) zustande kommen und damit das weibliche Ge- schlecht bestimmt werden. | Enthält aber das männliche Geschlecht, was der allgemeinere Fall’ sein dürfte, in den Spermatogonien außer den n normalen Elementen zwei ungleich große Idiochromosomen (n+ X + Y) und haben dem- nach die Samenzellen zur Hälfte E + X, zur Hälfte — + Y, so weisen die OÖvogonien n+2X, die reifen Eizellen n es X Elemente auf. Auch hier wird durch Vereinigung der das X-Element führenden Samen- zelle mit der Eizelle der weibliche Chromosomenbestand hergestellt. Ähnliche Chromosomenverhältnisse und ein ähnlicher Dimorphismus der Spermatozoen, wie bei den Hemipteren, sind auch bei zahlreichen Orthopteren, bei Coleopteren, Dipteren, Odonaten, sowie bei Myriapoden und Arachnoideen beobachtet worden. Man darf daher nach Wilson annehmen, daß in allen diesen Gruppen die Geschlechtsbestimmung in der nämlichen Weise wie bei den Hemipteren vor sich geht. Auch bei einzelnen Nematoden, nämlich bei Heterakis und möglicherweise auch bei Ascaris megalocephala, liegen ähnliche und in ähnlicher Weise zu deutende Verhältnisse vor!). 1) Vgl. Alice M. Boring, Arch. Zellf., 4. Bd., 1909, und Boveri 190. ° Verhalten parthenogenetischer Eier. 349 Bei anderen Formen existieren umgekehrt zwei Arten von Eiern mit verschiedenem Chromosomenbestand und nur eine Sorte von Spermatozoen. Dies dürfte der Fall sein bei Seeigeln (Strongylo- centrotus)!), und im Zusammenhang damit ist daran zu erinnern, daß bei mehreren Formen, z. B. bei dem Annelid Dinophilus, die Eier schon im Ovarium in große Weibcheneier und in kleine Männchen- eier gesondert sind. Für die Frage, ob wirklich gewisse Heterochromosomen zur Ge- schlechtsbestimmung in irgend welcher Beziehung stehen, werden die- jenigen Fälle von entscheidender Bedeutung sein, in welchen nicht sämtliche Eier befruchtet werden und, wie dies sehr häufig zutrifft, etwa die Hälfte der Eier männliche, die Hälfte weibliche Individuen liefert2), sondern außer den befruchteten auch unbefruchtete Eier zur Entwickelung gelangen und also in ersteren eine syngame, in letzteren eine progame Geschlechtsbestimmung vorzukommen scheint, also, kurz gesagt, die Fälle DENE und unregelmäßiger (fakultativer) Parthenogenesis. Es hat sich nun bei einigen Formen mit parthenogenetischer Fort- pflanzung tatsächlich herausgestellt, daß bei ihnen besondere Chro- mosomenverhältnisse vorkommen, und daß diese vom Boden der im letzten Kapitel behandelten Chromosomentheorie aus ohne weiteres verständlich sind, also ihrerseits wieder als eine wichtige Stütze der letzteren betrachtet werden können. Bei Rebläusen und Blattläusen gehen aus allen befruchteten Eiern weibliche Tiere hervor, und es könnte auf den ersten Anblick darin eine Schwierigkeit für ‘die Annahme gesehen werden, daß bei den Insekten zwei verschiedene Klassen von Samenzellen vorkommen. Nun konnte aber für Aphis saliceti und in ähnlicher Weise für eine Phylloxera-Art gezeigt werden), daß auch hier in der Spermato- genese eine der Reifungsteilungen, und zwar die erste eine asymme- trische ist (Fig. 130, A bis C): das Heterochromosom, welches in der Prophase neben zwei typischen, offenbar bivalenten Chromosomen auftritt, wird nur der einen Spermatocyte zweiter Ordnung zugeteilt, so daß also eine Schwesterzelle mit drei (2+ X) und eine mit zwei !) Vgl. Baltzer 1909. ?) In welcher also nicht das Zahlenverhältnis 100 0° :100 @ oder, wie man kürzer sagt, das Geschlechtsverhältnis 100 besteht (das Geschlechtsverhältnis wird aus- gedrückt durch die Zahl der o*, welche auf 100 2 kommen). ») Vgl. Morgan, v. Baehr. 350 Verhalten parthenogenetischer Eier. Chromosomen entsteht (C, D). Letztere degeneriert später, und es bleibt also nur die X-Klasse der Spermatozoen, d.h. die Gruppe der Weibchen produzierenden Spermatozoen für die Befruchtung übrig, während die Y-Klasse, d.h. die männlich bestimmenden Sper- matozoen, abortiv wird. So erklärt es sich, daß alle befruchteten Eier zu weiblichen Individuen sich entwickeln. Bei Aphis saliceti macht übrigens das Heterochromosom während des ersten Teilungsaktes einen Versuch zur Durchteilung (Fig. ı130B) in ähnlicher Weise, wie dies für die Diminutionskörper von As- caris und Cyclops gilt (S. 64). Nach- her wird es ungeteilt in die größere, durch eine einseitigeAnhäufung von Mitochondrien schon vorher ausgezeichnete Schwesterzelle herübergezogen (C). Eine Bildung rudimentärer Samen- zellen ist auch bei Hymenopteren be- obachtet worden'). Bei der Honigbiene und ebenso bei der Holzbiene (Xylo- copa) wird bei der ersten Teilung eine kernlose, rudimentäre Spermatoryte zweiter Ordnung abgeschnürt (Fig. 131 A,B). Die kernhaltige Tochterzelle liefert beim zweiten Teilungsakt einen zweiten kernhaltigen „Richtungskör- per“, welcher degeneriert, und eine ein- zige befruchtungsfähige Samenzelle (C). Bei den Wespen (Fig. 132) verläuft der erste Teilungsakt in ähnlicher Weise wie bei den Bienen, und zwar besteht hier der rein cytoplasmatische „erste Richtungskörper“ vorwiegend aus dem einen Centrosom (c) und dem von der vorhergegangenen Teilung herrühren- den „Spindelrestkörper“ (interzonal Fig. 130. Spermatogenese von Aphis saliceti. body, ©2). Die zweite Teilung liefert im Nach v. Bachr. Gegensatz zu den Bienen zwei gleich-. A-—(C erste Reifungsteilung. D kleine degenerierende wertige Spermatozoen (Fig. 132 B). und große Spermatocyte zweiter Ordnung. Bei den Bienen und Wespen sind E—F zweite Reifungsteilung der großen Spermatocyte iweiler Drdanse; nun allerdings die Chromosomenver- hältnisse nicht genau bekannt, aber es liegt die Vermutung nahe, daß hier, und ebenso bei den Cladoceren und Rotatorien in ähnlicher Weise, wie bei den Blattläusen und Rebläusen, eine asymmetrische Ver- teilung von „Geschlechtschromosomen“ stattfindet. Auch manche anderen cytologischen Verhältnisse befinden sich nach dem jetzigen Stande unserer Kenntnisse mit der Theorie im guten Einklang. So wird für die Rebläuse ') Meves, Anat. Anz., 24. Bd., 1903; 1907; Mark u. Copeland, Proc. Am. Ac., Vol. 42, 1906; Vol. 43, 1907; Granata, Biologica, Vol. 2, Torino 1909. Verhalten parthenogenetischer Eier. 351, und Blattläuse angegeben, daß die parthenogenetischen Männcheneier bei der Bildung des einzigen Richtungskörpers eines der beiden X-Elemente ausstoßen Fig. 131. Spermatogenese der Honigbiene. Nach Meves. A und B erste, C zweite Reifungsteilung. und so auf den männlichen Chromosomenbestand kommen, während die Weibchen- eier beide X-Elemente und damit die volle (diploide) Zahl beibehalten !). Bei mehreren Insekten bilden auch die parthenogenetischen Eier zwei Rich- Fig. 132. tungskörper?). Bei einigen Gallwespen und Blattwespen soll trotzdem keine Reduktion der Chromosomen stattfin- den, so daß die Eier die volle Chromo- somenzahl (also vermutlich auch zwei X-Elemente) beibehalten). In Über- einstimmung mit der Chromosomen- theorie entwickeln sich nun bei diesen Formen die parthenogenetischen Eier vorwiegend zu weiblichen Tieren. Da- mit steht die weitere Beobachtung im Einklang, daß bei Ameisen in den von den Arbeiterinnen gelegten par- thenogenetischen (Männchen-) Eiern eine Reduktion der Chromosomenzahl und damit wohl eine Entfernung eines der beiden X-Elemente zustande kommt, Spermatogenese von Vespa maculata. während die befruchteten Weibcheneier Nach Mark und Copeland. die volle diploide Zahl aufweisen‘). A erste, B zweite Reifungsteilung. 1) Vgl. Morgan, v. Baehr. ?) Vgl. S.68 unten. ®) So bei Rhodites nach Henking und bei der Blattwespe Poecilosoma nach Doncaster (Quart. J. micr. Sc., Vol. 49, 1906). *) Vgl. Schleip 1908. 352 : Qualitätshypothese. Ob alle diese Beobachtungen vollkommen zutreffen und ob auch die partheno- genetischen Eier der Bienen, Cladoceren, Phyllopoden und Rotatorien entsprechende Verhältnisse darbieten, ist bei den großen Schwierigkeiten, welche gerade bei diesen Tiergruppen eine genaue Zählung der meist außerordentlich kleinen und eng zu- sammengedrängten Chromosomen gewährt, schwer zu sagen!). Hier sollte vor allem gezeigt werden, daß gerade auf dem Gebiete der parthenogenetischen Fort- pflanzung eine große Zahl von Einzelproblemen der Lösung harrt, und nicht minder, daß man gewärtig sein muß, bei Auffindung neuer, besonders günstiger Objekte auf Überraschungen verschiedener Art zu stoßen. Es erhebt sich nun die Frage, welcher Art die kausalen Be- ziehungen zwischen den „Geschlechtschromosomen“ und der Ge- schlechtsbestimmung sind. Zunächst liegt es nahe, daran zu denken, daß die betreffenden Chromosomen eigentliche Geschlechts- bestimmer sind, genauer gesagt, daß sie die Träger gewisser Agenzien oder Faktoren darstellen, deren Anwesenheit in den be- treffenden Keimen die Entfaltung des männlichen oder weiblichen Geschlechts hervorruft. Die Geschlechtschromosomen würden danach auf Grund besonderer Qualitäten, durch welche sie von den übrigen Chromosomen unterschieden sind, wirksam sein (Qualitätshypo- these). Daraus würde sich ohne weiteres eine Parallele zu nen Faktoren oder Bestimmern ergeben, welche bei der Mendelschen Vererbung als wirksam angenommen werden?), und es wäre also die Frage zu beantworten, ob etwa die Chromosomenspaltungen und -ver- bindungen, wie sie besonders bei den Hemipteren und Orthopteren beobachtet werden, den sichtbaren Ausdruck für eine Spaltung und Wiedervereinigung männlicher und weiblicher Determinanten oder Erbeinheiten bilden, und ob also wenigstens in diesem Falle die cyto- logischen Grundlagen eines Vererbungsvorganges in unzweideutiger Weise festgestellt werden können. Schon durch einige Bastardierungs- versuche, namentlich durch Correns’ Experimente mit der Zaunrübe (Bryonia), ist ja, wie früher (Kap.25) gezeigt wurde, die Ansicht be- festigt worden, daß es sich bei der Verteilung des Geschlechts auf die Nachkommen um einen alternativen Vererbungsmodus handle. Nur ist es in diesen Fällen bisher nicht möglich gewesen, diejenigen Vorgänge in den Keimzellen zu beobachten, welche als das cytologische Korrelat der experimentell ermittelten Verhältnisse angesehen werden könnten. !) Bei den Phyllopoden (Artemia) kommt die große Zahl der Chromosomen als erschwerendes Moment hinzu. Vgl. S. 114. ®) Vgl. Bateson und Saunders 1902 (Literaturverzeichnis 2 22 u. 23); Castle 1903; Wilson, Stud. chrom. Ill, 1906; 1909, 1910. Die Geschlechtsbestimmung als Mendelprozeß. 353 Um nun die cytologischen Erscheinungen bei den Hemipteren und Orthopteren als einen Mendelprozeß interpretieren zu können, ist eine ganze Reihe von Hilfsannahmen zu machen. Am einfachsten gestaltet sich von der Qualitätshypothese aus noch die Erklärung, wenn man sich im Gegensatz zu der früher (S. 348) erwähnten Hypo- these vorstellt, daß das in den Chromosomengruppen des männlichen Individuums vorkommende einzelne X-Element ein Männchen- bestimmer ist, während von den beiden in den Chromosomen- gruppen des Weibchens auftretenden X-Chromosomen das eine (X,) ein dominierender Weibchenbestimmer, das andere (X,) ebenfalls ein Männchenbestimmer ist. Von den Spermatozoen würde dann die eine Hälfte, die sogenannte X-Klasse, den Männchen- bestimmer, die andere Hälfte, oder die Y-Klasse, kein besonderes Ge- schlechtschromosom enthalten !); von den Eiern sind 50 Proz. mit dem dominierenden Weibchenbestimmer, 50 Proz. mit dem Männchen- bestimmer ausgestattet. Wenn man nun die weitere Annahme macht, daß eine „selektive Befruchtung“?) stattfindet, in der Weise, daß X,-Eier nur durch X-Spermien und X,-Eier nur durch Y-Spermien befruchtet werden können, so ergeben sich folgende Kombinationen: + !Y=-XN=e. Nach diesen Erbformeln, in welchen die Buchstaben nicht bloß die Geschlechtschromosomen selber, sondern gleichzeitig auch die von ihnen getragenen Bestimmer (Faktoren, Erbeinheiten usw.) darstellen, würden in gewissem Sinne sowohl das Weibchen als auch das Männ- chen in bezug auf das Geschlecht heterozygotisch (heterogame- tisch) sein, ein Ergebnis, welches insofern mit den früher (Kap. 25) erwähnten Deutungen der Bryonia-Versuche nicht ganz übereinstimmt, als letztere das eine Geschlecht als heterozygotisch, das andere als homozygotisch (homogametisch) erscheinen lassen. !) Ob dem Y-Element, das bei Formen vom Lygaeus-Typus in der Hälfte der Spermien vorkommt, eine besondere Bedeutung zukommt, ist bei diesen Spekulationen zunächst außer acht gelassen. *) Ein selektiver Befruchtungsprozeß ähnlicher Art ist schon von einer Reihe von Forschern, so von Beard (Zool. Jahrb., Anat. Abt., 16. Bd., 1902), Castle 1903 u.a. angenommen worden. Morgan, Payne und Browne (Biol. Bull., Vol. 19, 1910) haben neuerdings bei einem Mollusk (Cumingia) durch direkte Beobachtung zu ent- scheiden versucht, ob die Möglichkeit einer selektiven Befruchtung besteht. In dem von ihnen untersuchten Falle war das Resultat ein negatives, Haecker, Vererbungslehre. 23 354 Quantitätshypothese. Die Qualitätshypothese stößt aber, abgesehen davon, daß sie die offen- kundige Verschiedenheit der Spermatozoen unberücksichtigt läßt, auf zahlreiche Schwierigkeiten, sobald es sich um die Erklärung besonders gearteter, außerhalb des Formenkreises der Hemipteren und Orthopteren gelegener Fälle handelt. Hier seien nur die bekannten Geschlechts- verhältnisse der Honigbiene herangezogen. Daraus, daß sich bei dieser die Eier im Falle der Nichtbefruchtung zu Drohnen entwickeln, würde zunächst zu entnehmen sein, daß die Eier bei den Reifungs- teilungen den dominierenden Weibchenbestimmer eliminieren. Die zu weiblichen Tieren sich entwickelnden Eier könnten dann letzteren nur bei der Befruchtung durch das Spermatozoon wiedererlangen, was aber in Widerspruch mit der Grundvoraussetzung steht, daß in den männlichen Chromosomengruppen keine Weibchenbestimmer ent- halten sind. Im Hinblick auf diese und manche andere Widersprüche ist es fraglich, ob die Qualitätshypothese einer weiteren Entwickelung fähig ist. Nach einer zweiten Hypothese würde das Geschlecht durch einen ‘rein quantitativen Unterschied im Chromosomenbestand bestimmt werden). Nach der Quantitätshypothese würden die X-oder Geschlechts- chromosomen der-männlichen und weiblichen Zellen die gleiche Art von Wirksamkeit besitzen, und es würde ausschließlich von der Zahl und relativen Größe der in die Zygote eintretenden Ge- schlechtschromosomen abhängen, welches Geschlecht erzeugt wird. Nun stimmen aber einerseits die Hemipteren (Homopteren, Aphiden), bei welchen zweierlei Spermatozoen bestehen, andererseits die See- igel, welche zweierlei Eier aufweisen, darin überein, daß die weiblich bestimmten Eier „mehr Chromatin“ oder, besser wohl, mehr Chromo- somensubstanz enthalten, und man könnte daher denken, daß eben !) Ohne Kenntnisse von der Mc Clungschen Hypothese hatte ich es schon vor einer Reihe von Jahren als möglich bezeichnet, daß nicht sämtliche Chromosomen “ eines und desselben Kernes in bezug auf die Bestimmung des Geschlechts in einer Richtung wirksam sind, sondern daß es im Kern männliche und weibliche Unter- einheiten gibt, und daß jeweils die Majorität derselben ausschlaggebend ist. Vgl. 1902 (Literaturverzeichnis 6), S.98, sowie Ziegler 1905 (Literaturverzeichnis 31), S.40. Mit der im folgenden skizzierten Hypothese berührt sich auch sehr nahe die Anschauung von R. Hertwig, wonach die jeweilige Kernplasmarelation geschlechts- bestimmend wirkt. Vgl. Verh. D. Zool. Ges.. 1905, S.195, sowie v. Malsens Dino- philus-Arbeit (Arch. mikr. An., 69. Bd., 1907) und Goldschmidt, Arch..Zellf., 6. Bd., 1910. ; Quantitätshypothese. 355 infolge der Vermehrung der Chromosomensubstanz die im Keim sich abspielenden Stoffwechselvorgänge einen anderen, vielleicht intensiveren Verlauf nehmen, und daß diese Änderung bzw. Erhöhung der meta- bolischen Zelltätigkeiten die Bestimmung zum Weibchen im Ge- folge hat!). Man könnte auch sagen, daß die Anwesenheit nur eines X-Ele- mentes an und für sich den männlichen Zustand bedingt, während die Hinzufügung eines zweiten Elementes derselben Art auf Grund einer rein quantitativen Wirkung den weiblichen Zustand herbeiführt. Noch anders ausgedrückt: eine Dosis X-Elemente bewirkt den männlichen, zwei Dosen den weiblichen Zustand (Bateson). Die Quantitätshypothese steht mit der Beobachtung im Einklang, daß bei Dinophilus2), bei den Rotatorien und Aphiden die mit Nähr- material reicher ausgestatteten, also offenbar metabolisch intensiver tätigen Eier weiblich, und zwar progam weiblich bestimmt sind. Auch die bekannten Verhältnisse bei der Honigbiene lassen sich ohne weiteres von dieser Hypothese aus begreifen. Andererseits stehen ihr natürlich solche Fälle im Wege, in denen die beiden Geschlechter die gleiche Chromosomenzahl besitzen oder das männlich bestimmende Spermatozoon die größere Menge’ von Chromosomensubstanz erhält). Auch ist es schwer vorstellbar, daß in den verhältnismäßig sehr großen Insekteneiern so geringfügige Quantitätsunterschiede einen entscheidenden Einfluß ausüben, und daß bei diesen von Spezies zu Spezies wechselnden Quantitätsunterschieden immer gerade die Alter- native männlich-weiblich in reiner Form und nicht häufiger ein zum Zwittertum neigender Zustand herauskommt. Stellt man sich vollends auf den Boden der Anschauung, daß die Heterochromosomen minde- stens zu einem großen Teil im Abbau befindliche Elemente sind — worauf namentlich die Verhältnisse bei den Kopepoden mit großer Bestimmtheit- hinweisen —, so wird man sich schwer der Quantitätshypothese anschließen können. !) Vgl. besonders Wilson 1906, 1910; Boveri 1908. Nach Goldschmidt (l.c.) und Buchner (Arch. Zellf., 3. Bd., 1909) würden die accessorischen Chromo- somen Trophochromatin (den Stoffwechselvorgängen vorstehendes, fermentbilden- des Chromatin) enthalten. Vgl. dagegen Gutherz (Sitzungsber. Ges. Naturf. Freunde, Berlin 1909). ?) Vgl. besonders v. Malsen,l.c. *) Unter den Hemipteren weist Nezara (siehe oben S.347) das erstgenannte, Atolla das letztere Verhältnis auf. Vgl. Payne, Biol. Bull., Vol. 16, 1909; Buchner, Arch. Zellf., 5. Bd., 1910. 28. 356 Indexhypothese, Es soll noch eine dritte Auffassung besprochen werden, welche ich selbst für die annehmbarste halten möchte und die man als Indexhypothese bezeichnen kann!). Danach vermögen die Hetero- chromosomen weder auf Grund besonderer qualitativer Eigenschaften noch vermittelst bestimmter Mengenverhältnisse das Geschlecht der Keimzellen zu beeinflussen. Sie unterscheiden sich vielmehr von den übrigen Chromosomen nur durch ihre Größe, eventuell auch ihren phy- sikalischen Zustand (Dichtigkeit, Adhäsionsvermögen usw.), jedenfalls nur durch solche Eigenschaften, welche mit ihrem Charakter als wenig modifizierter, im Abbau befindlicher Elemente zusammenhängen. Sie werden auch durch Faktoren physikalischer Art (Plasmaströmungen, Gleichgewichtsverschiebungen) veranlaßt, in die schon vorher durch andere Faktoren einseitig determinierten Samenzellen ein- zutreten, und stellen demnach höchstens einen Index für die bereits vollzogene Geschlechtsbestimmung dar. Manche, durch keine der anderen Hypothesen erklärten Verhält- nisse würden vom Boden der Indexhypothese aus verstanden werden. Wenn z.B. bei Aphis saliceti (S.350, Fig.130) die eine Tochterzelle schon während der ersten Teilung durch Größe und Mitochondrien- bildung ausgezeichnet ist und wenn’ das Heterochromosom bei diesem Teilungsschritt den Versuch macht, sich seinerseits symmetrisch zu teilen und nachträglich in die durch die angegebenen Merkmale schon vorher ausgezeichnete Tochterzelle herübergezogen wird, so kann man schwer glauben, daß das Heterochromosom während und nach der Teilung eine andere als eine passive Rolle spielt. Ebenso sind bei Phylloxera diejenigen Eier, welche eines der X-Elemente eliminieren und damit auf den männlichen Chromosomenbestand kom- men, schon vor der Elimination durch ihre geringere Größe von den Weibcheneiern unterschieden. Eine Art von Vermittelung zwischen der Qualitäts- und Indexhypothese hat Wilson?) herzustellen versucht. Danach wäre anzunehmen, daß eine ganze Reihe von Faktoren zusammenwirken müssen, um die Keimzelle, besonders das Ei, männ- lich oder weiblich zu bestimmen. Die X-Chromosomen würden einen dieser Faktoren, und zwar offenbar den entscheidenden bilden. Es könne auch gesagt werden, daß die Herstellung der charakteristischen Chromosomenkombination den Kulminations- punkt des Geschlechtsbestimmungsprozesses darstelle. Welche der hier aufgezählten Hypothesen auch den tatsächlichen Verhältnissen am nächsten kommen mag, auf alle Fälle wird man sich !) Vgl. Haecker, S.64 (1907), Morgan 1909, Montgomery 1910, Buchner, Arch. Zellf., 5. Bd., 1910. 2) 1910, S. 585. Prädetermination und Prädestination. 357 hier noch die eine Frage vorzulegen haben, ob durch die Geschlechts- chromosomen oder durch irgend welche andere vor oder während der Ei- und Samenreife und Befruchtung wirkende Faktoren der ge- schlechtliche Charakter der Keimzellen wirklich endgültig be- stimmt, nach Wilson prädeterminiert wird, oder ob die Keimzellen nur nach einer bestimmten Richtung hin gestimmt, nach Wilson prädestiniert sind, im übrigen aber beide Potenzen in sich einschließen!),. Während nun in einigen Fällen, wie früher (Kap. 25) erwähnt wurde, die Geschlechtszellen unwiderruflich deter- miniert erscheinen, sprechen manche Beobachtungen auf tierischem und pflanzlichem Gebiete dafür, daß auch bei getrennt geschlechtlichen (diözischen) Formen der erwachsene Organismus in Wirklichkeit hermaphroditischer Natur sein kann, was wiederum auf einen herma- phroditischen Charakter der Keimzellen, aus welchen er hervor- gegangen ist, hindeutet. Die Keimzellen sind dann also nicht endgültig determiniert, sondern haben eine bestimmte Geschlechtstendenz, sind in bestimmter Weise prädestiniert, d.h. von den beiden Po- tenzen ist nur die eine im „aktiven“, entfaltungsfähigen Zustand, während ‚sich die andere in einer „latenten“, mindestens in einer . weniger enthaltungsfähigen Verfassung befindet. Diese Auffassung würde im Einklang stehen mit der in diesem Buche zu wiederholten Malen in den Vordergrund gestellten Hypothese von einer vielseitigen Potenz (Pluripotenz) des Artplasmas. Zusammenfassenderweise wäre dann zu sagen, daß mindestens in einigen Arthropodengruppen jede Keimzelle progam eine bestimmte Tendenz erhält oder prädestiniert wird, und daß, wenn bei der Befruchtung zwei Keimzellen mit ungleichen Tendenzen zusämmen- treten, ein von vornherein festgelegter Unterschied in ihrer Entfaltungs- stärke die Entscheidung zugunsten der einen Tendenz herbeiführt2). Es findet dann also eine zweite syngame Prädestination statt. Inwieweit dann nachträglich noch unter der Wirkung äußerer oder innerer Faktoren eine Umstimmung, ein Umschlagen der Ten- denz stattfinden, ob und inwieweit also eine tertiäre epigame Prädestination vorkommen kann, darüber lassen sich heutzutage noch keine Aussagen allgemeinerer Art machen®). Vom Boden der Y) Vgl. Correns 1907 (Literaturverzeichnis 25), Morgan (Exp. Zool., New York 1907), F. R. Lillie (Sci. N.S., Vol. 25, 1907), Wilson 199: 2) Vgl. Correns, S.66 (1907). ®) Vgl. R. Hertwig, S.195 (1905), sowie Kap. 25. 358 Literaturverzeichnis 32. Quantitäts- und Indexhypothese würde jedenfalls ein nachträgliches Umschlagen einigermaßen verständlich erscheinen, während sich die Qualitätshypothese weniger leicht damit abfinden könnte. Literaturverzeichnis zu Kapitel 32. Baehr, W.B.v., Die Oogenese bei einigen viviparen Aphididen und die Spermato- genese von Aphis saliceti usw. Arch. Zellf., 3. Bd., 1909. Baltzer, F., Die Chromosomen von Strongylocentrotus usw. Arch. Zellf., 2. Bd., 1909. Boveri, Th., Über Beziehungen des Chromatins zur Geschlechtsbestimmung. Sitzungs- ber. Phys,-med. Ges., Würzburg 1908/09. —, Über „Geschlechtschromosomen“ bei Nematoden. Arch. Zellf., 4. Bd., 1909. Correns 1907, s. Literaturverzeichnis 25, S. 261. Gutherz, S., Zur Kenntnis der Heterochromosomen. Arch. mikr. An., 69. Bd., 1906. Haecker 1907, s. Literaturverzeichnis 6, S. 58. Henking, H., Untersuchungen über die ersten Entwickelungsvorgänge in den Eiern der Insekten. III. Z. w. Z., 54. Bd., 1892. Hertwig, R., Das Problem der sexuellen Differenzierung. Verh. D. Zool. Ges. 1905. McClung, C. E., The Accessory Chromosome — sex determinant? Biol. Bull., Vol. 3, 1902. Meves, F., Die Spermatocytenteilungen bei der Honigbiene usw. Arch. mikr. An,, 70. Bd., 1907. Montgomery, Th. H., Are particular chromosomes sex determinants? Biol. Bull., Vol. 19, 1910. Morgan, T. H., The production of two kinds of spermatozoa in Phylloxerans etc. Proc. Soc. Exp. Biol. and Med., Vol. 5, 1908, : ‚ A Biolog. and Cytol. Study of Sex Determination in TRrNORSEaNE and Aphids. J. Exp. Zool., Vol. ”7, 1909. Payne, F., On the sexual diff. of the chromosome groups in Galgulus ocul. Biol. Bull,, Vol. 14, 1908. — , Some new types of chromosome distribution etc. Biol. Bull., Vol. 16, 1909. Schleip, W., Die Richtungskörperbildung im Ei von Formica sanguinea. Zool. Jahrb,, Anat, Abt., 26. Bd., 1908. Stevens, N. M., Studies in spermatogenesis with nn reference to the „accessory“ chromosome. Carneg. Inst. Publ. 1905. Wilson, E. B., Studies on chromosomes I—V. ]J. Exp. Z., Vol. 2—6, 1905/09. — ,. Recent researches on the determ. and heredity of sex. Sci., N. S., Vol. 29, 1909, —, The chromosomes in relation to the determ,. of sex. Science progress, Nr. 16. 1910. Dreiunddreißigstes Kapitel. Versuch einer Kernplasmahypothese zur Erklärung der Mendelprozesse. Gleichzeitig mit der Entwickelung der morphobiologischen Ver- erbungslehren von Weismann, de Vries, ©. Hertwig u.a. und viel- fach beeinflußt durch diese sind, wie wir gesehen haben, im Laufe der beiden letzten Jahrzehnte verschiedene Hypothesen über die Natur, die Veränderungen und Funktion der Chromosomen aufgestellt worden, unter welchen namentlich die Vorstellungen über die Bedeutung der Reduktionsteilungen, die Individualitätstheorie und die Lehre von der physiologischen Ungleichwertigkeit der Chromosomen Boden gewonnen und zu immer weiteren Untersuchungen Anregung gegeben haben. Alle diese Anschauungen sind zunächst ohne Kenntnis des Mendel- schen Vererbungsmodus begründet und weitergebildet worden. Und als sich dann ergab, daß die zur Erklärung des letzteren angenommenen Anlagenspaltungen und -neukombinationen von den gewonnenen cyto- logischen Anschauungen aus sich in verhältnismäßig einfacher Weise erklären ließen, so konnte man den Eindruck gewinnen, daß man sich auf beiden Gebieten, sowohl in der Chromosomenlehre wie in der Theorie der Rassenkreuzung, auf dem richtigen Wege befände. a) Schwierigkeiten für die Chromosomenlehre der Vererbung. Es wurde aber bereits hervorgehoben, daß der Verbindung beider Vorstellungskreise erhebliche Schwierigkeiten im Wege stehen, sobald man die bei einigen besonders genau untersuchten Objekten er- langten Ergebnisse und Anschauungen zu verallgemeinern versucht!). !) Schwierigkeiten dieser Art sind auch in den früher zitierten Schriften von Driesch, Fick, Godlewski, Ruzicka, Tischler u. a. hervorgehoben worden. Vgl. auch M. F. Guyer, Deficiencies of the Chromosome Theory of Heredity. Univ. Stud., Univ. Cincinnati (2), Vol. 5, 1900. 360 Schwierigkeiten für die Chromosomenhypothesen. Besonders mehren sich aber neuerdings die Hinweise darauf, daß ein so enger Zusammenhang, wie er einer weitverbreiteten Ansicht zu- folge zwischen den Mendelschen Spaltungsprozessen und der Re- duktionsteilung bestehen soll, doch wohl nur innerhalb bestimmter Grenzen angenommen werden darf. Unter anderem hat die erneute Untersuchung der Kopepoden, also desjenigen Objektes, welches seit seiner Einführung in die Cyto- logie vor 20 Jahren als besonders beweisend für die Existenz einer wirklichen, während der Keimzellenreifung erfolgenden Reduktions- teilung gegolten hat, zu dem Ergebnis geführt, daß wenigstens bei bestimmten Süßwasserformen nur dann von einem Reduktionsakte im ursprünglichen Sinne gesprochen werden könnte, wenn gleichzeitig eine parallele Konjugation zweier Chromosomen, eine Parasyndese, bestehen würde. Nun sprechen aber gegen das Vorkommen einer Parallelkonjugation im allgemeinen und besonders bei den Kopepoden eine Reihe von, mir scheint, sehr schwerwiegenden Gründen, und so wird man die untersuchten Süßwasserkopepoden zu denjenigen Formen zu rechnen haben, bei welchen, wenigstens im weiblichen Geschlecht, die Zusammenziehung und Abänderung der beiden Reifungsteilungen nicht bis zur Einrichtung einer Reduktionsteilung gediehen ist. Wäh- rend allerdings bei anderen Objekten, z. B. bei den männlichen Hemipteren, allen Beobachtungen zufolge diese Entwickelungsstufe wirklich erreicht ist, so darf doch schon jetzt, wie ich glaube, auf Grund der vorliegenden Daten angenommen werden, daß der bei den Kopepoden verbreitete Modus auch sonst vorkommt, und man wird schon aus diesem Grunde Bedenken tragen müssen, die Anschauungen, welche bezüglich der vererbungstheoretischen Bedeutung der Re- duktionsteilung bei Hemipteren und anderen Objekten gewonnen worden sind, ohne weiteres zu verallgemeinern. Aber nicht nur aus der ungleichen Verbreitung der Reduktions- teilung ergeben sich Schwierigkeiten für die Chromosomenhypothesen in ihrer bisherigen Form. Mehr und mehr häufen sich die Tatsachen, aus welchen in überzeugender Weise hervorgeht, daß auch bei nicht- sexuellen, somatischen Zellteilungen Anlagenspaltungen ganz ähnlicher Art wie bei der sexuellen Kreuzung auf- treten können. Schon früher (Kap. 27, 5.291) wurde auf einige Knospenvariationen hingewiesen, welche durch das Auftreten eines rezessiven Charakters oder, wie mar auch sagen kann, durch die Unter- drückung eines positiven Faktors von der Ausgangspflanze unter- Somatische Spaltungen. 361 schieden sind. Auf ein anderes, schon von Darwin erwähntes Beispiel hat neuerdings Bateson in gleichem Zusammenhange die Auf- merksamkeit gelenkt, nämlich auf die Entstehung haarloser (glatter) Pfirsichfrüchte, der sogenannten „Nektarinen“, auf dem Wege von Knospenvariationen. Bei dem Gegensatz zwischen den gewöhnlichen, behaarten Pfirsichen und den Nektarinen handelt es sich um ein Merk- malspaar (haarig-glatt), welches bei sexuellen Kreuzungen dem alter- nativen Modus folgt, und wenn also bei der Knospenvariation der rezessive Charakter zum Vorschein kommt, so kann dies offenbar nur auf dem Wege einer unsymmetrischen, somatischen Zellteilung zu- stande kommen !). Ähnliches mag Gültigkeit haben, wenn z. B. Kame- lien mit rosa und weißen Blüten Zweige mit einfarbigen Blüten tragen und diese bei der Weiterkultivierung die eine Farbe beibehalten). Auf zoologischem Gebiete sind keine ganz entsprechenden Ver- hältnisse bekannt. Doch wird man sicherlich z. B. bei gewissen, regelmäßigen Farbenverteilungen (Streifung, Fleckung, Bänderung) an rhythmische, bei somatischen Teilungen vor sich gehende Spaltungs- prozesse denken können. Allerdings ist wiederholt der Versuch ge- macht worden, die Entstehung derartiger Zeichnungsformen direkt auf die Anordnung der Blutbahnen oder Nerven zurückzuführen), aber in einigen Fällen, so z. B. bei gebänderten Vogelfedern, können derartige Verhältnisse nicht unmittelbar in Betracht kommen. Vielmehr wird man solche Bänderungen mit einer alternierenden Anordnung ver- schieden beschaffener, durch somatische Spaltungen entstandener Gewebszonen in Zusammenhang bringen dürfen, mögen nun die Zellen der aufeinanderfolgenden Zonen in bezug auf das eigene Pigment- bildungsvermögen oder in bezug auf ihre Affinität zu den Pigment- zellen (Chromatophoren) unterschieden sein #).. Bateson ist in dieser Hinsicht noch weiter gegangen, indem er ganz allgemein die Ent- ') Bateson, S.273 (1909). ”) Vgl. Tischler, S. 123 (1908), wo ebenfalls verschiedene Gründe gegen die Annahme geltend gemacht werden, daß die Merkmalsspaltung mit Notwendigkeit nur bei der Reduktionsteilung erfolgt. ” 3) So hat Zenneck (Z. w. Z., 58. Bd., 1894) die primäre l.ängstreifung von Ringelnatterembryonen mit der Anordnung der Hautvenen, van Rynberk (Rendic. R. Acc. Lincei, Vol. 14, 1905; Arch. Ital. Biol., Tome 44, 1905) die Zeichnung bei Wirbeltieren mit der Ausdehnung der Innervationsgebiete der Spinalnerven in Zu- sammenhang gebracht. *) Beobachtungen über die Entstehung des Pigmentes in den Vogelfedern hat Strong (Bull. Mus. Comp. Zool. Harv. Coll., Vol. 40, 1902) gemacht. 362 Inäquale Zellteilungen, stehung metamer wiederholter Merkmale auf regelmäßig vor sich gehende, somatische Spaltungen zurückführt. Es ist wahrscheinlich, daß die hier erwähnten Entwickelungsvorgänge mit der Entstehung der eigentlichen Mosaikzeichnung in einer näheren oder entfernteren Parallele stehen, und möglicherweise sind auch einige bei Chimären und Bizzarrien (Kap. 18) beobachteten Verhältnisse in ähnlichem Sinne zu deuten. Allem nach liegt also kein zwingender Grund vor, die Mendel- schen Spaltungen als Vorgänge anzusehen, welche notwendig mit einer Reduktionsteilung verknüpft sind. Denkt man noch an die Schwierigkeiten, welche einer allgemeineren Anwendung der Hypo- these von der physiologischen Ungleichwertigkeit der Chromosomen und mancher anderer theoretischer Voraussetzungen der Chromosomen- lehre der Vererbung im Wege stehen, sowie an die Beobachtungen, welche für die Beteiligung auch des Zellplasmas bei den Vererbungs- vorgängen sprechen, so liegt es nahe, von der Chromosomenhypothese in ihrer jüngsten Ausgestaltung zunächst auf eine breitere Basis zurückzukehren und den Versuch zu machen, auf eine andere Weise eine Verbindung zwischen den Ergebnissen der Cytologie und der Bastardforschung herzustellen. b) Die inäqualen Zellteilungen der Keimbahn. Man kann vor allem daran denken), die inäqualen (asym- metrischen) Zellteilungsvorgänge heranzuziehen, welche beinahe auf allen Etappen der Keimbahn nachgewiesen werden können. Wie früher gezeigt wurde, kann man bei der Entwickelung vieler Metazoen zwei Hauptabschnitte der Keimbahn unterscheiden, eine erste somatogerminative (differentielle) Strecke, welche vom befruchteten Ei bis zur Bildung der Urgeschlechtsmutterzelle führt und in welcher die Reinigung der Keimbahnzellen von ekto-, ento- und mesodermalen Elementen vor sich geht, und einen zweiten rein-germinativen Abschnitt, welcher sich von der Entstehung der Urgeschlechtszellen bis zur Bildung der reifen Fortpflanzungselemente erstreckt und in welchem die Teilungsakte nur noch zur Bildung von wirklichen propagatorischen Zellen oder höchstens noch von Hilfszellen der letzteren (Nährzellen) oder Elementen von rudimentärem Charakter (Richtungskörper, Abortivzellen im Hoden) führen. In ') Vgl. Haecker 1910 (Literaturverzeichnis 30). Der Aufsatz war ohne Kenntnis des Batesonschen Werkes: Mendels Princ. of Her. 1909, in welchem eine ganze Reihe ähnlicher Gedanken enthalten ist, niedergeschrieben worden. Inäquale Zellteilungen. 363 manchen Fällen, z. B. bei den Wirbeltieren, lassen sich bis jetzt die beiden Strecken nicht scharf gegeneinander abgrenzen, bei anderen Objekten dagegen, vor allem bei Ascaris und bei den Kopepoden, wird durch das Auftreten der Urgeschlechtsmutterzelle und ihre Teilung ein scharfer Einschnitt gebildet. Es ist vielleicht nicht ganz ohne Bedeutung, daß bei den Kopepoden zwischen der Teilungsphase der Urgeschlechtsmutterzelle und der Schlußphase der zweiten Keim- bahnstrecke, der Reifungsperiode, weitgehende Übereinstimmungen bestehen: so tritt bei der Teilung der Urgeschlechtsmutterzelle ebenso wie bei der ersten Reifungsteilung in besonders ausgeprägter Weise der heterotypische Teilungsmodus hervor (S. 101), und ferner setzen die beiden Urgeschlechtszellen noch im Embryo zu einem rudimentären Teilungsvorgang an, bei welchem die von der Reifungsperiode her bekannten Vierergruppen in typischer und normaler Weise zur Aus- bildung kommen können (S.102, Fig. 67)). Die betreffenden Vierergruppen erinnern zunächst an die Viererstäbchen und Viererkugeln, wie sie in den Prophasen der ersten Reifungsteilung bei Kopepoden und vielen anderen Formen zutage treten (S. 100, Fig.62). Da aber bei den Kope- poden (z. B. bei Cyclops viridis) auch zu Beginn der zweiten Reifungsteilung vierergruppenähnliche Chromosomenkomplexe ausgebildet werden können, so wird man vielleicht daran denken dürfen, die Teilung der Urgeschlechtsmutterzelle mit der ersten, den rudimentären Teilungsakt der Urgeschlechtszellen mit der zweiten Reifungsteilung in engere Homologie zu bringen. Bei den Versuchen, die Fortpflanzungsverhältnisse der Metazoen in eine nähere Beziehung zu dem Generations- wechsel der Metaphyten zu setzen (S.91), wird man in Zukunft vielleicht auch diese Verhältnisse zu berücksichtigen haben. Daß nun die somato-germinative Keimbahnstrecke in einzelnen Fällen eine fortlaufende Kette von inäqualen Zellteilungs- prozessen darstellt, ist bereits auseinandergesetzt worden. Bei Ascaris (S. 62, Fig. 28) geht die Inäqualität aus der äußerlichen Verschieden- heit der Schwesterzellen, aus ihrem verschiedenen kernteilungs- geschichtlichen Verhalten und dem verschiedenen Schicksal ihrer Nachkommenzellen hervor, bei den Kopepoden (S. 64, Fig. 29) gibt sie sich schon während der Prophasen der Teilung in dem asym- metrischen Auftreten der „Außenkörnchen“ zu erkennen. ?) Nach Untersuchungen von K. Amma treten an dieser Stelle die von J. Schiller als abnorme Bildungen beobachteten Vierergruppen bei einzelnen Formen als normale Vorkommnisse auf. Es mag hier erwähnt werden, daß R. Hertwig geneigt ist, auch die Synapsisphase bzw. das Doppelfäden- oder diplotäne Stadium der Reifungsperiode als einen unterdrückten. Teilungsvorgang zu deuten (vgl. R. Hertwig, Über neue Probleme usw., Arch, Zellf., 1. Bd., 1908; M. Popoff, Exp. Zellstudien, ebenda). 364 Inäquale Zellteilungen. Aber auch in der zweiten, rein-germinativen Keimbahnstrecke sind inäquale Teilungen häufig nachzuweisen. Bei den Kopepoden hat offenbar schon die Teilung der Urgeschlechtsmutterzelle in ge- wissem Sinne einen inäqualen ‘Charakter. Dies geht daraus hervor, daß wenigstens bei Cyclops und Diaptomus ihre beiden Abkömmlinge, die Urgeschlechtszellen, nach dem ersten rudimentären Teilungsakt und der darauffolgenden langen Ruhepause nicht gleichzeitig, sondern regelmäßig hintereinander in die Teilung eintreten, so daß ein typisches Dreizellenstadium (Fig. 133) zustande kommt. Man kann aus dieser regelmäßigen Ungleichzeitigkeit auf eine innere Un- gleichwertigkeit schließen. Ferner treten asymmetrische Teilungen in größerer oder geringerer Zahl bei der Eibildung verschiedener Insekten auf. So entstehen z. B. in den Eiröhren des Schwimmkäfers Fig. 133. (Dytiscus)!) auf Grund derartiger Teilungs- prozesse aus jeder der primären Ovogonien je eine unreife Eizelle (Ovocyte erster Ord- nung) und 15 Nährzellen. Wenn sich näm- lich eine primäre Ovogonie teilt, so gehen in den Prophasen nur aus einem Teil der Kern- substanz Chromosomen hervor, der Rest wird als eine färbbare Masse abgespalten und legt sich während der Metaphase in Gestalt eines Dreizelliges Stadium der Gonade von Diaptomus denticornis. Ringes um die Teilungsfigur (Fig. 134 A). Diese nach ihrem Entdecker als Giardina- scher Ring bezeichnete Substanz wird aber nach der Teilung dem Kern nur einer, und zwar derjenigen Tochterzelle wieder einver- leibt, welche in der Keimbahn selbst, d.h. in der unmittelbaren Ascen- denz der Ovocyte gelegen ist (Fig. 134 B), während der Kern der anderen Tochterzelle, welche später auf Grund weiterer Teilungen acht Nähr- zellen liefert, sich nur aus Chromosomen aufbaut. Ein solcher in- äqualer Teilungsprozeß wiederholt sich nun noch dreimal: jeweils bei der Teilung derjenigen Zelle, welche in der direkten Vorfahren- reihe der Ovocyte liegt, wird in den Prophasen der Giardinasche Ring ausgeschaltet und in den Telophasen beim Aufbau des Kernes nur einer Tochterzelle, nämlich der folgenden Keimbahnzelle verwandt. ‘) Giardina, Intern. Monatsschr. An. u. Phys., 18. Bd. 1901; Debaisieux, Cellule, Tome 25, 1909; Günthert, Zool. Jahrb. (Anat.), 30. Bd., 1910. Vgl. auch Boveri, S.30 (1904) (Literaturverzeichnis 344). Inäquale Zellteilungen. 365 So entstehen beim zweiten Teilungsakt eine Keimbahnzelle und die Großmutterzelle von vier Nährzellen, beim dritten eine Keimbahnzelle und die Mutterzelle zweier Nährzellen, beim vierten eine Keimbahn- und eine Nährzelle. Bekanntlich werden auch bei den übrigen Insekten, bei zahl- reichen Crustaceen, Anneliden und manchen anderen Formen inner- halb des Ovariums durch Teilung der Ovogonien ungleichwertige Produkte, nämlich Eizellen und Nährzellen, gebildet. Wenn nun auch in keinem dieser Fälle schon während der Teilung Asymmetrien kerngeschichtlicher Art, ähnlich den bei Dytiscus beobachteten, zu Fig. 134. A Differenzierung der Keim- und Nährzellen in den Eiröhren von Dytiscus. Nach Giardina. Erster Teilungsschritt: eine vom ruhenden Kern abgetrennte Chromatinmasse wird der einen Tochterzelle (Keimzelle) zugewiesen. erkennen sind, so ist doch wohl kaum zu bezweifeln, daß wenigstens bei einigen Objekten nicht erst durch eine Art von Konkurrenz- kampf, durch zufällige Lagerungs- und Ernährungsverhältnisse ent- schieden wird, welche Teilprodukte Ei- und welche von ihnen Nährzellen werden, daß vielmehr das Schicksal der Zellen schon durch eine bei der Teilung selbst fixierte Inäqualität oder Un- gleichpoligkeit prädestiniert ist. Dies dürfte insbesondere für die Cladoceren gelten, bei welchen in den aus vier hintereinander ge- legenen Zellen bestehenden Keimzellengruppen jeweils die dritte, vom „Keimlager“ aus gerechnete Zelle zur Eizelle, die anderen zu Nährzellen werden ?). !) Vgl. Weismann, Z. w. Z., 28.Bd., S. 102 (1877). 366 Spaltungen bei inäqualen Teilungen. Es sei ferner an die ausgesprochenen Asymmetrien bei der Richtungskörperbildung und an die Inäqualitäten erinnert, welche bei der Samenreife der Blattläuse (S.350, Fig. 130), Bienen (S. 351, Fig. 131) und Wespen (Fig. 132) auftreten. Jedenfalls kommen auch in der rein-germinativen Keimbahnstrecke unsymmetrische Zellteilungen häufig vor, und wenigstens in einigen Fällen, z.B. in dem der „Außen- körnchen“ der Kopepoden, könnte, mindestens ebenso gut wie eine erbungleiche Teilung der Kernsubstanz im Sinne Weismanns, eine im Zellplasma selber gelegene Asymmetrie als die primäre Ursache für die Verschiedenheit der Tochterzellen in Betracht kommen !). c) Anlagenspaltung bei verschiedenen inäqualen Zellteilungsprozessen. Es läßt sich nun weiterhin die Auffassung begründen, daß die inäqualen Teilungen der rein-germinativen Keimbahnstrecke in der- selben Weise ein Mittel für die Spaltung des Anlagenmaterials darstellen können, wie die Teilungen der somato-germinativen Strecke ein Mittel für die histologische Differenzierung sind, und gleichzeitig, daß derartige Spaltungsprozesse wahrscheinlich an ver- schiedenen Stellen der rein-germinativen Strecke vor sich gehen. So hängt wohl’ die Differenzierung von Männchen- und Weibcheneiern bei Dinophilus, bei Rädertieren und Blattläusen in letzter Linie mit inäqualen Teilungsprozessen der Ovogonien zu- sammen, eine Auffassung, mit welcher eine andere Ansicht nicht im Widerspruch zu stehen braucht, wonach bei Dinophilus die kräftigeren Zellen, welche eine größere Anzahl von Nährzellen zu absorbieren vermögen, zu Weibcheneiern, dieschwächeren zu Männcheneiern werden. Es würde also hier die Anlagenspaltung schon vor der Reifungs- periode vor sich gehen. Auch gewisse Unregelmäßigkeiten in den Zahlenverhältnissen, die bei manchen Objekten, z. B. bei Hühnerbastarden, in der F,-Gene- ration auftreten, können in dem Sinne gedeutet werden, daß die Anlagenspaltungen schon vor den Reifungsteilungen erfolgen 2). Bei seinen Maisbastarden ist Correns im Hinblick auf die Erb- lichkeitsverhältnisse einerseits des Keimes selbst, andererseits des Endosperms zu der Ansicht gelangt, daß die „Spaltung“ der Rassen- !) Vgl. auch Kap. 14, S. 145 (unter 1). ®) Vgl. Bateson, Saunders u. Punnett, S. 128 (1905) (Literaturverzeichnis 26, S. 273). Spaltungen bei inäqualen Teilungen. 367 charaktere im weiblichen Geschlecht bei der ersten Teilung der Embryosackmutterzelle vor sich gehen müsse, während im männ- lichen Geschlecht die Spaltung möglicherweise nicht bei dem korrespondierenden Teilungsakt, d. h. bei der ersten Teilung der Pollenmutterzelle, sondern erst bei einer späteren Teilung, etwa bei derjenigen, welche den vegetativen und generativen Kern liefert, zu- stande kommt!). Aus anderen Tatsachen, z. B. daraus, daß bei Drosera-Bastarden zuweilen zwei Pollenkörner einer Pollenkorntetrade den Typus des einen, zwei den des anderen Elters aufweisen 2), und daß bei dem Lebermoose Sphaerocarpus die vier Sporen jeder Tetrade in der Regel je zwei männliche und zwei weibliche Thalli liefern), kann ferner geschlossen werden, daß in diesen Fällen bei einer der beiden Reifungsteilungen, und zwar, wie gewöhnlich angenommen wird, bei der ersten eine Spaltung von Anlagen bzw. die Geschlechtsbestimmung erfolge, während bei den Hemipteren der sichtbare Dimorphismus der männlichen Geschlechtszellen erst bei der zweiten Reifungsteilung zustande kommt. Zieht man die bereits früher erwähnten Beobachtungen in Betracht, wonach Spaltungsvorgänge ähnlicher Art offenbar auch in somatischen Geweben vorkommen, sowie den Umstand, daß die in der Reifungs- periode auftretenden Kernteilungstypen durch Übergänge mit den sonst in der Keimbahn verbreiteten Typen verbunden sind, so wird man die Meinung aufstellen dürfen, daß die Mendelschen Spal- tungen nicht notwendig an einen bestimmten inäqualen Teilungsschritt der rein-germinativen Keimbahnstrecke gebunden sein müssen‘). d) Anlagenspaltung ohne Reduktionsteilung, durch Disgregation der Determinate. Wie könnte nun, z. B. bei Formen vom Kopepodentypus oder auch bei Knospenvariationen, eine Anlagenspaltung auch ohne eine reduktionelle, d. h. auf dem Wege einer Reduktionsteilung er- ‘) Correns, Modus und Zeitpunkt der Spaltung usw., Bot. Z., 60. Jahrg., II. Abt., 1902. ®) O.Rosenberg ‚Erblichkeitsgesetze und Chromosomen. Bot. Stud. Upsala 1906. ®) Strasburger, E., Zeitpunkt der Bestimmung des Geschlechts usw., Jena 1909, S.4, sowie: Über geschlechtsbestimmende Ursachen, Jahrb. wiss. Bot., Bd. 48, 1910, S. 432. *) Vgl. auch Bateson, S. 160, 270 (1909). 368 Anlagenspaltung ohne Reduktionsteilung. folgende Verteilung der Chromosomen verständlich gemacht werden? Einige Befunde zeigen, daß in der männlichen Zelle neben- einander mehrere korrespondierende Anlagen im weiteren Sinne, d. h. Anlagen, welche bei verschiedenen Rassen oder Arten oder auch in den verschiedenen Zellen eines Individuums für einander vikarieren, zur Entfaltung kommen können. Zwei auf somatische bzw. Protozoenzellen bezügliche Fälle scheinen mir hierfür besonders beweisend zu sein. es Hildebrand?) hat bei einem Oxalis-Bastard gefunden, daß aus- nahmsweise an einer Zelle sowohl ein „Knötchenhaar“ als auch ein „Drüsenhaar“ hervorwachsen kann, während gewöhnlich nur das eine oder andere zur Entfaltung kommt. Um kein Mißverständnis hervorzurufen, sei betont, daß Knötchen- und Drüsen- haare nicht etwa alternierende Merkmale in dem Sinne sind, daß jene nur bei der einen, diese nur bei der anderen Stammform vorkommen. Vielmehr treten beide Typen bei beiden Stammformen und natürlich auch beim Bastard, aber, wie gesagt, fast ausnahmslos als Produkt verschiedener Zellen auf. Das zweite Beispiel betrifft die schon erwähnten „Transversionen“ der Radiolarien, d. h. das aberrative Auftreten der typischen Skelett- charaktere von mehreren (bis zu 4) verschiedenen Familien innerhalb derselben Zelle (S. 286). Aus diesen Befunden ist tatsächlich zu entnehmen, daß, zunächst bei somatischen und Protozoenzellen, in verschiedenen Teilen des- selben Zellplasmas unter Umständen nebeneinander und unab- hängig voneinander mehrere selbständige Potenzen zur Entwickelung kommen können, daß also, soweit die Ent- faltung der Potenzen auf einer Wechselwirkung zwischen Kern und Zellplasma oder einem Prinzipat des ersteren beruht?), in derselben Zelle sich hinter- oder nebeneinander Leitungs- und Beeinflussungs- vorgänge verschiedener Art zwischen Kern- und Zellplasma abspielen können. Besteht nun, wie dies bei Bastarden der Fall ist, der Kern aus zwei Komponenten verschiedener Abkunft, die wir uns der Ein- fachheit halber als zwei räumlich geschiedene Gonomeren vorstellen können (Fig. 135a), so werden von diesen beiden Komponenten aus, sei es durch Vermittelung von Pangenen oder Biophoren oder durch Enzymbildung oder auf energetischem Wege, selbständige Kern- ı) F, Hildebrand, Über einige Pflanzenbastardierungen, Jen. Zeitschr., 23. Bd., 1889, S. 172, Taf. 26, Fig. 19. 2) Vgl. Kap. 14, S. 145 ff. Gleichzeitige Entstehung verschiedener Determinate, 369 wirkungen ausgehen. Eine gewisse Zeitlang, nämlich solange die Differenzierungen an den Zellen äußerlich nicht zum Vorschein kommen, werden in demselben Zellplasma zweierlei durch die Kern- wirkungen determinierte, aber noch unreife und unentfaltete Plasma- teilchen oder, wie man vielleicht unter Erweiterung eines Weis- mannschen Begriffes!) sagen kann, Determinate vorhanden sein. Die betreffende Zelle, die wir uns vorläufig als eine beliebige soma- tische Zelle denken können, wird also während jenes Zeitraumes & Fig. 135. b Schema einer kernplasmatischen Spaltung. a Abstoßung von antagonistischen Biophoren. b Disgregation der Biophoren in den Prophasen der Teilung. c inäquale Teilung. d Rückwirkung des Plasmas auf den Kern. nach zweierlei Richtungen hin determiniert, aber noch nicht differenziert sein. Man kann sich demnach vorstellen, daß bei Bastarden erster Ord- nung speziellauch inirgendwelchen Zellgenerationen der rein-germinativen Keimbahnstrecke Keimwirkungen von ‘) Unter Determinaten versteht Weismann zunächst die Zellen oder Zellgruppen, welche von den einzelnen Determinaten des Keimplasmas in ihrer Entwickelung be- stimmt sind. f Haecker, Vererbungslehre. 24 379 Disgregation der Determinate. zweierlei Art („pigmentbildende“ und „pigmenthemmende“, weiblich und männlich bestimmende usw.) ihren Anfang nehmen und die einzelnen Plasmateilchen zu determinieren beginnen. Es werden also dann in derselben Keimbahnzelle nebeneinander zweierlei De- terminate bestehen können (Fig. 135a). Wenn dies aber der Fall ist, so besteht offenbar die Möglichkeit, daß bei der Vorbereitung zu einer der inäqualen Teilungen, wie sie in der germinativen Keimbahnstrecke auftreten, eine Disgregation oder polare Verteilung der beiderseitigen Determinate stattfindet, in ähnlicher Weise, wie in den Keimbahnzellen von Cyclops die „Ektosomen“ (S. 64, Fig. 29) und in denjenigen von Dytiscus der „Giardinasche Ring“ (S. 365, Fig. 134) einseitig der einen Tochter- zelle zugewiesen werden. Diese Disgregation wird ihren Anfang nehmen, wenn die ersten Regungen des Zellteilungsprozesses sich im Zellleib bemerkbar machen (Teilung der Centrosomen usw.), und sie wird sich namentlich dann in glatter Weise vollziehen können, wenn die eigentlich idioplasmatischen Teile des Kernes, die Chromosomen, sich in der diakinetischen Phase!) zu kondensieren und demnach in den inaktiven Zustand einzutreten beginnen, wenn also die Beein- flussung des Zellplasmas und damit die Bildung neuer Determinate vermutlich sistiert wird (Fig. 135b). Während also bei der folgenden Mitose der Kern eine äqua- tionelle, d. h. in typischer Weise nach dem Längsspalt erfolgende Teilung der Chromosomen erfährt und demnach die väterlichen und mütterlichen Kernsubstanzen gleichmäßig auf beide Tochterzellen verteilt werden, erhält das Zellplasma der letzteren vor- wiegend nur Determinate der einen Sorte (Fig. 135c). Es könnte also, und darin liegt einer der Gegensätze zu den An- schauungen Weismanns, unter gewissen Umständen auch bei einer äqu&tionellen Kernteilung eine Ausstattung der beiden Tochter- zellen mit verschiedenartigen Determinaten zustande kommen. Damit würde nun freilich noch nicht erklärt sein, weshalb die betreffenden Keimbahnzellen und ihre Abkömmlinge, die reifen Gameten, sich in der Folge ausschließlich als Träger oder wenigstens als Ent- falter der dominierenden bzw. rezessiven Anlage erweisen, insbesondere !) Bei den Kopepoden kommen ausgesprochen diakinetische Phasen (Ver- teilung der bereits kondensierten und verkürzten Chromosomen innerhalb des Kern- raumes vor dem Schwund der Kernmembran) in der Keimbahn auch außerhalb der Reifungsperiode vor. Disgregation der Determinate. 371 ist noch nicht erklärt, warum in den mit rezessiven Determinaten ausgestatteten Keimbahnzellen die die dominierenden Anlagen ent- haltenden Kernteile nicht schon im nächsten „Kernruhestadium “ wieder das Übergewicht bekommen, so daß die während der Pro- phasen erfolgte rezessive Bestimmung des Zellplasmas rückgängig ge- macht wird. Um also die Entstehung der rezessiven Keime zu erklären, muß noch die weitere Hilfsannahme gemacht werden, daß das infolge eines inäqualen Teilungsprozesses quantitativ ins Übergewicht ge- langte rezessive Zellplasma seinerseits auf die dominierenden Kernteile zurückwirkt (Fig. 135d), indem es letztere entweder mehr oder weniger umprägt und sich assimiliert, wie dies in einem früheren Kapitel als möglich angenommen wurde !), oder indem es ihre Wirkungen durch Agenzien irgendwelcherf Art neutralisiert, in ähnlicher Weise, wie das Blutplasma eines höheren Tieres sich gegen fremde Plasmasorten wehrt und sie unschädlich macht. Was schließlich die Unabhängigkeit der Merkmale bei poly- hybriden Kreuzungen und die dabei auftretenden charakteristischen Zahlenverhältnisse anbelangt, so dürfte ihre Ursache darin liegen, daß die beschriebenen Spaltungsvorgänge sich auf mehrere Zellgenerationen der germinativen Keimbahnstrecke verteilen, indem z. B. die Spaltung der männlichen und weiblichen Anlagen vorzugsweise auf der einen, diejenige der Färbungscharaktere auf einer anderen Teilungsstufe vor sich geht, eine Annahme, welche im übrigen in der Divergenz der auf den Zeitpunkt der Anlagenspaltung bezüglichen Ergebnisse (s. oben) eine Stütze finden würde. Die vorstehenden Hypothesen würden auch Gültigkeit haben können, wenn nicht alle Chromosomen funktionell gleich- wertig sein würden. Denn ebenso wie in diesem Fall angenommen werden muß, daß bei der histologischen Differenzierung die einzelnen Chromosomen nicht auf den nämlichen Entwickelungs- stufen zur vollen Entfaltung ihrer besonderen Wirkungen gelangen, so könnte man sich Ähnliches auch für die in der rein-germinativen !) Vgl. Kap. 14, S.ı47, Absatz 5. Es ist zu erwarten, daß die Unterdrückung der dominierenden Kernteile durch das rezessiv bestimmte Zellplasma keine so aus- giebige sein wird, wie die Hemmung rezessiver Kernsubstanzen durch dominierendes Plasma. Dies würde einigermaßen mit dem Ergebnis im Einklang stehen, wonach rezessive Rassen (Defektrassen) sebı häufig als „kryptomer“ erscheinen, d. h. das dominierende Merkmal in latentem Zustand mit sich führen (Tschermak). Vgl. meine Axolotl-Versuche (S. 231). * 24 372 Histologische und gametische Differenzierung. Keimbahnstrecke angenommene gametische Differenzierung vor- stellen. Vielleicht wird es später möglich sein, zwischen der histologi- schen und gametischen Differenzierung noch in einer weiteren Richtung, nämlich hinsichtlich des Zeitpunktes der Sonderung bzw. Spaltung der einzelnen Anlagen, Parallelen zu ziehen. Ein Hinweis darauf dürfte darin gesehen werden, daß bei der histologi- schen Differenzierung die Sonderung der Geschlechtscharaktere einen der letzten oder den allerletzten Akt darstellt, und daß ebenso bei der gametischen Differenzierung, wofür schon jetzt bestimmte Tat- sachen vorliegen, die geschlechtliche Prädestinierung der Keimzellen in den späteren Phasen der Keimbahn, zum Teil sogar erst bei der zweiten Reifungsteilung erfolgt. Über den Erklärungswert der vorstehenden Hypothese habe ich schon früher gesagt: die hier entworfene Kernplasmahypothese der Vererbung ist ein Komplex von Arbeitshypothesen, so wie es, minde- stens in demselben Maße, auch die reinen Chromosomentheorien der Vererbung sind, mögen letztere von der Annahme einer allgemeinen Verbreitung der Reduktionsteilungen oder von den Beobachtungen über die „graded series“ der Ovogonien und Spermatogonien oder von der Vorstellung einer Parallelkonjugation ihren Ausgang nehmen. Sie leidet wie die Chromosomentheorien an dem Mißstand, daß bisher noch für keinen Organismus gleichzeitig die Entwickelung der Keim- zellen und die Vererbungserscheinungen genau bekannt sind, und daß es insbesondere noch nicht gelungen ist, an einem und demselben Objekt die beiden Prozesse experimentell zu beeinflussen. Die Kern- plasmahypothese steht den Chromosomentheorien bezüglich der Eleganz und scheinbaren Einfachheit der versuchten Lösung nach, sie kommt aber, wie schon oben angedeutet wurde, neueren Anschauungen über die Rolle des Kernes und Zellplasmas bei der Vererbung vielleicht etwas mehr entgegen; sie läßt sich kaum weniger gut als jene mit der Boverischen Hypothese von der qualitativen Ungleichwertigkeit der Chromosomen in Einklang bringen und sie würde manche zur- zeit schwer zu erklärenden Ergebnisse, insbesondere das divergierende cytologische Verhalten der einzelnen parthenogenetischen Formen, verständlich machen. Auch bietet sie vielleicht den Vorteil, daß sie das Arbeitsfeld für deskriptive und experimentelle Untersuchung noch etwas weiter ausdehnen hilft, als die bisherigen Chromosomentheorien, deren N achprüfung im allgemeinen auf die schwer zugänglichen Erklärungswert der Hypothese. 373 Chromosomen und auf die verhältnismäßig kurze Spanne der Reifungs- und frühen Furchungsperiode beschränkt war. Ganz allgemein wird man aber sagen dürfen, daß sich bei weiterem Vordringen in diese Gebiete, wie in der allgemeinen Lebens- lehre überhaupt, die Erklärungen und Vorstellungen, Vergleiche und Bilder, welche sich bei den ersten Schritten den Pionieren und Füh- rern der Forschung aufgedrängt haben, als zu einfach und grob- mechanisch herausstellen. Diese Erfahrung würde sich zweifellos selbst dann noch immer wiederholen, wenn einmal neue Methoden die Aussicht eröffnen sollten, statt bloß an der Peripherie zu rekognos- zieren, über die letzten Mauern und Wälle hinüberzusehen und in das Allerinnerste einzudringen: in die eigentliche Konstitution und in die intimen Veränderungen des Protoplasmas. Ergänzender Literaturnachweis, zugleich Namenregister. In diesem sind sämtliche bei den einzelnen Kapiteln angeführte Schriften nach den Autoren geordnet. Es soll dadurch einerseits ein Überblick über die Arbeiten der einzelnen Autoren, andererseits eine Auffindung des vollen Titels und des Druck- ortes der wiederholt zitierten Arbeiten ermöglicht werden. Das Verzeichnis gibt also nicht sämtliche Stellen an, an denen eine Arbeit oder ein Autor zitiert ist, sondern bildet nur einen Wegweiser für die Auffindung der ausführlichen Zitate. Die erste (fett gedruckte) Zahl gibt das Erscheinungsjahr der Arbeit, die zweite die Seitenzahl des vorliegenden Buches an. Abderhalden 1908, 165. Ackermann 1898, 216. Adametz 1905, 241. Allen, B. M. 1906, 1907, 65. —, Ch. E. 1905, 344. —, G. M. 1904, 241. Artom 1906, 120. Baehr, v. 1909, 358. Ballowitz 1890, 86. Baltzer 1909, 358; 1910, 148. Barber 1907, 293. Bary, de 1879, 37. Bataillon 1910, 310. Bateson, Materials 1894, 293; Compound char. 1902, 273; Addr. 1904, 261; Mend. Princ. 1909, 241. — und Saunders 1902, 16. —, Saunders, Punnett und Hurst 1905, 273. Baur, Antirrh. 1907, 241; Pelarg. 1909, 188; Erg. Ver. 1908, 208; Pfropfb. 1909, 1910, 188; Ver. Antirrh. 1910, 273. Beard 1902, 353. Becher 1909, 207. Berghs 1904, 1905, 329. | Biedermann 1903, 37. ı Biffen 1907, 241. , Bigelow 1907, 120. Bitter 1868, 5. Blackman 1905, 324. — und Fraser 1906, 83. Blumenbach 1791, 208; 1795, 12. Bode 1908, 5. Bonnet, K. 1775, 208. —, R. 1888, 162. Bonnevie I—Ill, 1908—1911, 329. Bordage 1898, 261. Borgert 1909, 1910, 57. Boring 1909, 348. Bos, Ritzema 1894, 162. Boveri, Diff. Zellk. 1887, 71; Geschl. erz. Org. 1889, 148; Z.-Stud. II, 1888, 58; III, 1890, 58; Befr. 1892, 71; Kernlose Seeigeleier 1895, 148; Entw. Asc. 1899, 71; Mehrpol. Mit. 1902, 313; Einfluß Samenz. 1903, 148; Erg. Konst. 1904, 58; Z.-Stud. V, 1905, 58; VI, 1907, 58; Chrom. Geschl. 1908 bis 1909, 358; Blast. Asc. 1909, 313; Geschl. Nem. 1909, 358. Braun 1909,.120. Brown-Sequard 1869—1893, 179. Ergänzender Literaturnachweis, zugleich Namenregister. Brücke 1861, 27. Buchner 1909, 110; Sag. 1910, 64. Bütschli, Richtungskörper 1885, 97; Infus. 1887— 1889, 133; Mikr. Schäume 1892, 27. Bugnion 1910, 261. Bunge, Lehrb. 1894, 27. Burdach 1835, 12. Burian 1906, 28. Calkins und Cull 1907, 94. Cancer Research Fund 1904, 110. Cannon 1902, 344; 1903, 342. Carnoy 1885—1ı886, 110. Castle, Angora 1903, 241; Farab. obs. 1903, 252; Her. coat char. 1905, 241; Rec. disc. 1905, 303; Mut. theory 1905, 303; Yell. mice 1906, 241; Revers. 1907, 273; Col. Rabb. 1907, 273; Prod. new breeds 1907, 241; Col. Guin.-Pig 1908, 273; Inh. Rabb. 1909, 273. Castle und Allen 1903, 273. Chamberlain 1905, 97. Christman 1907, 83. Claussen 1907, 83. Conklin, Crepid. 1902, 86; Cynthia 1905, 141; Org.-form. subst. 1905, 148; Mut. theory 1905, 148; Mech. her. 1908, 133. Correns, Xenien 1899, 189; Mend. Reg. 1900, 241; Levk. 1900, 241; Bast. Zea 1901, 189; Bast. Mais 1901, 241; Erg. Bast. 1901, 241; Modus d. Spalt. 1902, 367; Hyosc. 1904, 241; Men- dels Briefe 1905, 241; Anom. Sippen 1905, 303; Gynod. 1905, 216; Vererb. Ges. 1905, 241; Bast. Geschl. 1907, 261; Kern u. Pl. 1909, 148; Überg. homozyg. Zust. 1910, 241. Ä Coutagne 1902, 241. Cramer 1907, 293. Crampton 1896, 141. 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Klebs 1894, 262; 1909, 179. Kleinschmidt 1907, 233. Klinkowström, v. 1897, 324. Klunzinger 1903, 292. Koch 1908, 166. Kölreuter 1761, 217. Koltzoff 1906, 86. Korschelt, Zellkern 1891, 58; Ophr. 1895, 326; Transpl. u. Reg. 1907, 208; Transpl. 1908, 189. Korschelt und Heider, Lehrbuch 1892 bis 1910, 71, 72. Kossel 1882, 1892, 28. Kostanecki und Wierzejski 1896, 87. Krämer 303. Krimmel 1910, 120. Lang, Lehrb. 1901, 87; Bast. Helix 1908, 242; Vererb. 1909, 16; Erbl. Ohr. 1910, 217; Ver. Hunde 1910, 242; Ref. Castle 1910, 274. Lefevre und Mc Gill 1908, 326. Lenhossek 1903, 262. Lepeschkin 1910, 114. 377 Lillie, F. R. 1902, 38; Chaetopt. 1906, 336; Polar. Ann, Egg. 1908, 149. Lindner 1904, 7. Lister 1895, 97. Loeb, Fertil. 1903, 217; Further Exp. 1904, 217; Vorles. 1906, 58. Löwenthal 1903, 91. Lorenz 1898, 7. Lotsy 1904, 330; 1905, 98. Lubosch 1902, 330. Lucas 1847—1850, 12. Lundegärd 1910, 149. Mac Curdy und Castle 1907, 242. Magnus 1907, 188. Malsen, v. 1907, 354. Marcus 1906, 87. Marechal 1904, 58; 1907, 330. Mark und Copeland 1906, 1907, 350. Martius 1905, 16. Matscheck 1910, 120. Mayer, A. 1908, 87. McClung, Loc. 1902, 110; Acc. Chr. 1902, 358; 1905, 120. Meijere, de 1910, 242, Meisenheimer 1908, 1909, 179. ; Mendel, Vers. 1866, 242; Hierac. 1870, 242; Abh. 1901, 242; Briefe an Näg. 1905, 262. Metcalf 1901, 342; 1908, 58. Meves, Meerschw. 1899, 72; Honigb, 1903, 350; 1907, 358; Chondrios. 1908, 149; Par. Konj. 1908, 327. Miescher 1878, 28; 1897, 208. Minchin 1898, 38. Montgomery, Germ cells Metaz. 1901, 58; Sperm. Hemipt. 1906, 110; Asc. 1908, 110; Sex. det. 1910, 358. Moore und Arnold 1906, 120. Morgan, Reg. 1901, 208; Pur. germ cells 1905, 344; Exp. Zool. 1907, 217; Phyll. 1908, 1909, 358; Exp. Zool. Übers. 1909, 217; Exp. Rats 1909, 242. —, Payne und Browne 1910, 353. Morse 1909, 330. Nägeli 1884, 149. Nathusius, H. von 1880, 158. Natur und Staat 7. 378 Naumann 215. Nilsson-Ehle 1906, 291; 1908, 274. Noll 1905, 189. Noorduyn 1908, 262. Nußbaum 1884, 58. Oltmanns 1889, 92; 1905, 165. Orchansky 1903, 16. Otte 1907, 72. Paulmier 1899, 326. Payne 1908, 1909, 358. Pearl und Surface 1909, 294. Pearson 1900, 1903, 1904, 17. Plate 1907, 294; Selekt. 1908, 163; 1910, 238, 242. Poll 1908, 217. — und Tiefensee 1907, 217. Popoff 1908, 363. Prandtl 1906, 94; 1907, 96. Prowazek 1905, 94. Punnett 1905, 303; 1907, 274; 1910, 242. (S. Bateson.) Rabl 1885, 314; 1906, 149. Rauber 1883, 38; Anat. 1897—1898, 248; 1908, 120. Rhode 1908, 38, Rignano 1907, 163; 1908, 163. Rosenberg 1903, 342; Ind. 1904, 314; Dros. 1904, 344; Erbl. 1906, 367; Präsyn. 1907, 120. Roux, Kampf d. Teil. 1881, 200; Bed. Kernt. 1883, 59; Funkt. Anp. 1883, 28; Einl. 1885, 149; Halbe Embr. 1888, 141; Ziele u. Wege 1892, 28; Mosaikarb. 1893, 208; Spezif. Furch. 1893, 208; Ges. Abh. 1895, 208; Pro- ‚gramm 1897, 12; Vortr. u. Aufs, 1905, 12. Rubaschkin 1909, 65. Rubbrecht 1910, 7. Rückert, Ovarialei Sel. 1892, 111; Eireif. Kop. 1894, ı11; Befr. 1895, 87; Selbständ. 1895, 87; Elasmobr. 1899, 87; Polysp. 1910, 87. Ruzicka 1908, 38; 1909, 38. Rynberk, van 1905, 359. Sachs, Vorl. 1882, 38; Energ. 1895, 38. Schaffner 1909, 111. Ergänzender Literaturnachweis, zugleich Namenregister. Schaudinn, Foramin. 1895, 97; Actino- phrys 1896, 93; Malaria 1899, 97; Trichosph. 1899, 97; Coccid. 1900, 97; Haemoproteus 1905, 94. Schenck 1899, 38. Schiller 1909, 111. | Schleip 1906, 330; 1908, 358. Schmidt, H. 1904, 38. Schreiner, A. u. K.E. 1905—1908, 330. Schröder, Chr. 1903, 179. —, 0. 1907, 59. | Schuberg 1899, 133. ‚Schübeler s. Wille 167. Schultze, M. 1861, 38. —, 0. 1903, 262. Semon 1904, 163. Shull 1908, 303. Siedlecki 1897, 28; 1899, 93. Sitowski 1905, 155. Spencer, H. 1864—1ı866, 28; 1893, 1894, 163. Spillman 1906, 242. | Spiro 1910, 28. Staples-Browne 1905, 294. Standfuß, Handb. 1896, 179; Exp. Stud. 1898, 12; Res. 30jähr. Exp. 1905, 179; Chaer. Elp. 1910, 242; Alt. Ver. 1910, 243- Stevens 1905, 358. Strasburger, Befr. Phan. 1884, 98; Period. Redukt. 1894, 98; Vers. diöz. Pfl. 1900, 262; Dopp. Befr. 1900, 149; Streifz. Riv. 1904, 189; Typ. u. allo- typ. Kernt. 1905, 111; Stoffl. Grundl. 1905, 98; Ind. Chr. 1907, 189; Chrom., Plasmastr. 1908, 149; Pfropfb. 1909, 189; Zeitp. Best. Geschl. 1909, 330; Chromosomenzahl 1910, 120; Geschl. Best. Urs. 1910, 370. —, Allen, Miyake u. Overton 1905, 330. Strebel 1901, 303. Strong 1902, 359. Studnicka 1903, 1907, 1908, 38. Sutton 1902, 111 (lies 1902 statt 1904); 1904, 344. Tellyesnitzky 1902, 1905, 59. Tennant 1910, 138. Thelohan 1895, 95. Thomson 1908, 7. Ergänzender Literaturnachweis, zugleich Namenregister. Tischler 1906, 342; 1907, 217; 1908, | 59. Tönniges 1902, 72. Tower 1906, 179. Toyama 1906, 243. Tretjakoff 1904, 330. Trinci 1908, 330. Tschermak, A. v. 1910, 189. —, E. v., Pis. 1900, 243; Zücht. Getr. | 1901, 243; Gest. Mischl. 1902, 274; Krypt. 1903, 274; Prakt. Verwert. 1903, 303; Weit. Kreuz. 1904, 243; | | Whitman 1895, 38. Bild. neuer Formen 1905, 344; Erg. Kreuz. 1908, 243. Van Beneden, E. 1883, 57. — und Neyt 1887, 57. Van der Stricht, Thysan. 1898, 87; Vesperugo 1902, 87. Vejdovski 1907, 111. — u. Mräzek 1903, 325. Verworn 1888, 1889, 1909, 59. Vöchting 1904, 208. Vom Rath, Amitose 1891, 59; Gryll. 1892, 110; Sal. 1893, 120. Vries, de, Intrac. Pang. 1889, 28; Loi Disj. 1900, 243; Spalt. Bast. 1900, 243; Mutat. I, 1901, 294; Befr. und Bast. 1903, 243; Mutat. II, 1903, 189. Wagner, R. 1853, 12. Waldeyer 1903, 262. Wallengren 1901, 133. Weinberg 1903, 1907, 1908, 1909, 17, 253. Weldon 1906, 17. 379 Weismann, Daphn. 1879, 87; Vererb. 1883, 133; Kont. Keimpl. 1885, 125; Rückschritt 1886, 163; Sex. Fortpfl. 1886, 200; Bot. Bew. 1888, 163; Verletz. 1889, 163; Amphimixis 1891, 200; Aufs. 1892, 125; Keimplasma 1892, 28; Allm. Naturz. 1893, 163; Äuß. Einfl. 1894, 163; Neue Gedank. 1895, 163; Germinalsel. 1896, 163; Mneme 1900, 163; Vorträge 1904, 163; Zahl d. Richt. 1907, 200. Wheldale 1910, 274. Wille 1905, 179. Wilson, Cell 1900, 28; Germ. Local. 1904, 141; Stud. Chr. I—V, 1905 bis 1909, 358; Det. sex 1909, 1910, 358. ı — und Matthews 1895, 87. ' Winiwarter, v. und Sainmont 1908, 59. | Winkler 1907, 1908, 1909, 189. Winter 1907, 97. Wolff 1764, 1774, 208. Woltereck 1909, 179. Wood 1905; 243. — und Punnett 1908, 262. Zacharias, E. 1909, 28. Zehnder 1910, 28. Zennceck 1894, 359. Ziegler, E. 1886, 163. —, H.E., Amit. Kernt. 1891, 59; Instinkt 1904, 163; Ver. Biol. 1905, 344; Chrom. Ver. 1906, 344; Inst., 2. Aufl. 1910, 163; Streitfr. 1910, 163. — und Vom Rath 1891, 59. Zweiger 1906, 120. Sachregister. Bemerkung. Die Namen von Autoren haben in diesem Register nur insoweit Aufnahme gefunden, als sie zur kurzen Kennzeichnung bestimmter Theo- rien und Hypothesen, Regeln und Experimente dienen und in dieser Verbindung in der Literatur zitiert zu werden pflegen (z.B. Altmanns Granulalehre, Brown- S&quards Versuche, Mendels Regeln). Abraxas 233, 259 (Anm. 1), 261. Accentuierte Teilungen 95. Accessorisches Chromosom 345. Achromatin 39, 44, 138. Achromatinhypothese 44, 138, 307. Achromatische Figur (achr. Apparat) 46, 71; A. F. der ersten Reifungsteilung FEN Achterring 317 (Fig. 113). Actinophrys, Reifung 92 (Fig. 55). Actinosphaerium, Reifung 93; Autogamie 86; Chromosomenzahl 114. Adelea, Reifung 93 (Fig. 56); Sporen- bildung 96 (Fig. 60). Äquationsteilung 193, 370. Äquatorialplatte 48. Äquidispositionelle Abänderungen 153, e 155. Aquikausale Abänderungen 153, 154. Äthalium 34. Affinität, sexuelle 214. Agglutination 322. Aglia tau 233 ff. (Fig. 98). Agrumi, Bizzarrien 181. Aguti 270; A.-Faktor 265, 271, 284; Golden-A. 269; Cinnamon-A. 271. Ahnenplasmen 192, 196. Aktivitätshypertrophien 158. Albinismus 230; Partieller A. 230; A. bei Negern 245; Verschied. Typen 268; Entstehung 291, 292. Algenpilze 91. Alkaptonurie 251. Alkoholismus 176. Allelomorpha 219. Allelomorphismus, unechter 259 (Anm.ı). Allium, Chromosomen 43 (Fig. 14), 318 (Fig. 115). Allogromia, Teilung 96 (Fig. 59). Alloplasma 21. Allotypische Teilungen 103. Allseitige Abänderungen 164. Alternationshypothese 339. Alternierende (alternative) Vererbung 221, 230. Altmanns Granulalehre 19. Alveolarstruktur 19, 44. Alveolen 20. Alydus, Samenbildung 107 (Fig. 71). Alytes, künstl. Abänderung 175. Amblystoma-Bastarde 220, 222: 231, 339. Ameisen, Arbeiter 160; Eireife 351. Amitose 48. Amoeba, Teilung 126. Amphigone Fortpflanzung 191. Amphimixis 190. Amsel-Albinos 233. Anaphasen 43. Anasa, Samenbildung 108 (Fig. 72), 346 (Fig. 129). Angiospermen, Befruchtung 84, 136. Angoracharakter 229, 235, 267. Anisogamie 86. Sachregister. Anlagen 5; 135, 275; Lokalisation im Ei 141; Spaltungen 222, 362, 366 ff; Neukombination 191, 195, 300, 337. Antagonisten 219, 266. . Antherozoide 85. Anthocyan 238. Antipodenzellen 84. Antirrhinum 340. ‚Apfel, Xenien 181, 186, 187. Aphis, Chromosomen 349 f. (Fig. 130), 356. Apis, Geschlecht 256, 354; Samenbildung 350 (Fig. 131). Araucaria 205. Architektonik des Idioplasmas 135. Artbastarde 211. Artbild 276. Artemia 114, 352. Artplasma 24. Artzelle 24. Ascaris canis 319. Ascaris megalocephala, Geschlechtszellen- differenzierung 61f. (Fig. 28), 198; Spermatidenbildung 68 (Fig. 33); Samenzellen 74 (Fig. 37); Befruch- tung 81 (Fig. 45), 82,118; Heterotyp. Teilung 101 (Fig. 64) ; Varianten (biv. u. univ.) 112, 316; Samenreife 194 (Fig. 91); Reduktionsteilung 195; Bastardbefruchtung 306 (Fig. 109); Chromosomen 318, 319, 338; Ge- schlechtsbestimmung 348. ' Aster 48. Atavismus 221, 267, 270, 297, 332; bei Vanessa 170; bei Amphibien 175; bei Negern 221, 270; bei Lathyrus 221, 271; Physiol. u. Phylogen. A. 297. Athene 233. Atolla 355 (Anm. 3). Attraktionssphäre 47. Auflösungsfaktor 266, .269. Augenfarbe des Menschen 248. Aulacanthiden, Chromosomen 103 (Fig. 68), 328; Teilung 127 (Fig. 75); Va- riabilität 286. Aulosphäriden 286 f. (Fig. 107). Außenkörnchen 63, 363. Autogamie- 78, 86, 93. . 381 Automerizonten 25. Autonomie der Gonomeren 191. Axolotl s. Amblystoma. Bach, Familie 5. Bärenbastarde 290. Bakterien, Erworb. Ungiftigkeit 165; Farbstoffbild. B. 165; Kettenbildung 322 (Anm.ı). Basichromatin 41. Basidiobolus 91 (Fig. 54). Bastarde, Definition 210, 211; Bezeich- nung 213; Abgeleitete, binäre, ter- näre usw. B. 212, 213; Reziproke B. 212; Intermediäre B. 213, 220; Go- neokline, patrokline, einseitige B. 213, 220; Fruchtbarkeit 215, 342. Bastard-Endosperm 183. Bastardrassen, konstante 211, 289, 296. Bastards 247 (Anm.4), 249 (Anm. 7). Bateson, Presence and. absence-Hypo- these 263, 265; Compound allel. 267. Baumwollbastarde 342. Bausteinlehre 29, 35. Befruchtung 78; Bedeutung 190; Selek- tive B. 257, 353. Begattung 78. Begonia 202. Bereitschaftsstellung d. Richtungsspindel 79. Bernouilli, Besamung 78. Beschneidung 157. Binucleoläre Kerne 82. Biogenesis 203. Biogenetisches Grundgesetz 11. Biomoleküle 26; Teilung 26, 136. Biomoren 25. Biophoren 25, 147, 196, 200. Biotypen 280, 288. Bivalenz der Chromosomen 112, 113, 320. Bizzarrien 181, 186. Blastogene Abänderungen 156, 178; 279. Blattläuse s. Aphis. Blattwespen, Eireife 351. Blaufärbung d. Nager 266, 284. Blendlinge 210. Bluterkrankheit 251.- Bohnen, Samengewicht 280 (Fig. nd Bombyx mori 233. Familie 5. 382 . Boveri, Zahlengesetz 112; Vererbungs- experiment 137, 139 (Fig. 78); Indi- vidualitätshypothese 303, 340; Ver- schiedenh. d. Chromos. 310, 335, 336, 340; Vers. mit dispermen Eiern 310; Sutton-Boverische Ver- . „erbungshypothese 333. Boverische Reihe 114. Brachydaktylie 250. Brachystola, Chromosomen 336 (Fig. ı 24). Braunalgen 91. Breeding true 222. Brown-S&äquards Meerschweinchen- versuche 177. Bryonia 259, 352. Buchweizen, Wirkung des 301. Bukettstadium 327. Bütschlis Wabentheorie 19. Campanula 302. Canthocamptus, Ovarium 66 (Fig. 32). Carica 255. Castanelliden, Skelett 286 f. (Fig. 107). “ Castle, Kreuzungsversuche 229, 283, 289; Erbformeln 283; Tauschhypo- these 339. Caulerpa 33 (Fig.9), 34. Cavia (Caviiden) s. Meerschweinchen. Centriol 46. Centrosoma 46, 69, 73, 74. Centrosomahülle 71. Ceratium 49 (Fig. 21). Chara, Parthenog. 190. Chemische Vererbungslehre 201. Chimäre 184, 185. Cholesterin 23. Chondriosomen 142. Chromatin 39. Chromatinerhaltungshypothese 44; 138, 306. Chromatinkörnchen 44, 306. Chromatin-Nucleolen 41. Chromatinschleifen 42, 43. Chromidien 199. Chromiolen 43, 341. Chromogen 264, 268. Chromomeren 43, 341. Chromoplasten 238, 269. Chromosomen 42, 43, 192; Entstehung 43, 44, 308; Alveolisierung 45; Bi- Sachregister. valenz 112, 113; Abbau 117, 312, 355; Chr. als Anlagenträger 137, 340, 341; Individ. Verschiedenheit 192, 196; Repulsion 216; Kettenbildung 322; Formeln 322; Chr. u. Geschlecht 345. Chromosomengarnituren, doppelte 105 (Fig. 69), 108 (Fig. 72), 109, 336 (Fig. 124). Chromosomengruppen, 316. Chromosomenhypothesen 331; Schwierig- keiten 359; Tragweite 372. Chromosomenspuren 328. Chromosomenzahl 112, 305, 313; Schwan- ken 113; Normale Chr. 119; Chr. u. Zellengröße 147. Chromosomes-filles 318. Citrus, Bizzarrien 181. Cladoceren, Samenzellen 73; Partheno- genesis‘ 190; Wirkung des Milieus 176, 290; Eibildung 365. Concharidenskelett 146 (Fig. 82). Correns, Bryoniaversuche 259, 352. Crataegomespilus 181, 185. Cremefarbige Blüten 269. Cu¬, Erbformeln 264. Cuticularbildungen 35. Cyclops, Diminution 65 (Fig. 30), 341, 350; Richtungskörperbildung 69 (Fig. 34); Befruchtung 81 (Fig. 47); Chromo- somenzahl 116, 117, 147. Cypris, Parthenogenesis 190. Cytisus adami 180. Cytophor 67. Cytoplasma 37, 45. komplexe 119, Daphnia s. Cladoceren. Darwin, Pangenesis 122. Davenports Kriterien für mendelnde Merkmale 245. Deckbastarde 214. Defektrassen 263, 371. Dekapoden, Spermatosomen 75. Delage, Regulationshypothese 309. Dentalium, Experiment 141 (Fig. 79). Dermatolysis 250. Destruktive Abänderungen 156. Determinanten 196, 265; Zerlegung 198. Determinantenlehre 201, 283. Sachregister. Determinate 368. Determinationsproblem 206. Deutheterotype Mitose 104. Deutoplasma 21. Diabetes 250. Diakinese 89, 90 (Fig. 52), 100, 370; Zahlengesetz der D. 316. Diakinetische Mitose 104. Diaptomus, Chromosomen (Fig. 74). Dicentrische Wanderung 43. Differentielle Keimbahnstrecke 61, 119. Dihybriden 226, 268, 336. Dilutionsfaktor 266, 269, 284. Diminution bei Ascaris 61, 62 (Fig. 28), 341, 350; bei Cyclops 64, 65 (Fig. 30), 341, 350. Dinophilus 256, 349, 355, 366. Diploide Zahl 316, 323 Disgregation 370. Diskontinuierliche Merkmale (Abände- rungen) 276, 278, 285, 291, 295. Dispermie 310. Disposition 155. Ditetraden 318, 322. Dominanz 219, 220; Wechsel der D. 240; Feststellung der D. 244; un- vollständige D. 277. Doppelbefruchtung bei Lilien 84, 183. Doppelfäden 89. Doppelkern 50, 82. Doppelknäuel 343. Doppelspindel 342 (Fig. 127). Doppelstäbchen 89, 100. Dosenhypothese 251, Anm.4, 355. Dotterhaut 77. Dreigroßelterliche Vererbung 9. Drosera, Bastarde 343 (Fig. 128), 367. Dyaster 48. Dytiscus, Eibildung 364 f. (Fig. 134). 113, .118 Echinodermen, Eizelle 39 (Fig. 11); Bastardierung 137, 140. Ei, reifes 77; Ei von Aepyornis 77; Determination der Eiteile 140, 205. Eibildung 66. Eichhörnchen, schwarze 292. Eihüllen 71, 77. Eimutterzellen 67. ‚383 Einfarbigkeitsfaktor 266, 284. Eisen im Plasma 22. Eiweißkern 23. Eiweißstoffe 22. Ektosomen, 63. Elementareigenschaft 265, 275, 276; Zahl der E. 272, 277. Elementarorgane 31. Elementarorganismen 29. Embryosack 84. Embryosackmutterzelle 84. Empfängnishügel 81. Endospermbildung 85, 183. End-to-end-conjugation 321 (Anm. 2). Energide 34. Engramme 156. Entamoeba 78, 86. Entdifferenzierung der Zellen 103; E. der Merkmale 171, 175. Entomophthoraceen 91. Entwickelungshemmung 207. Epigame Geschlechtsbestimmung 215 (Anm. 3), 255, 357. Epigenetiker 204. Epigenetische Veränderung der Zellen 207.- Epistatische Faktoren 266. Equiden, Bastarde 182, 212, 215 (Anm. 1); vgl. auch Pferde. Equisetum, Sporenbildung 91 (Fig. 53). Erbadel 7. Erbeinheiten 265, 275; Zahl der E. 272, 277; Entstehung 290; Verkoppelung 302. Erbformeln 264, 283. Erbgleiche Teilungen 199, 206. Erblichkeit 1. Erbse, Xenien 181, 186; Bastarde 222, 226, 239 (mehrfach); Faktoren 267; Chromosomenzahl 340. Erbungleiche Teilungen 198, 206, 207. Essentielle Verschiedenheit der Chromo- somen 310, 335, 336. Eugenik 252. Euheterotype Mitose 104. Eumitotischer Modus 324. Evolutionisten 203. Exoblastogene Variationen 279. Exoplasma 21. Extensionsfaktor 284. 384 F,-, F,-Bastarde 219. Fadengerüsttheorie 20. Fagopyrismus 301. Faktoren, Bezeichnungen 264, 265, 266, "284; Natur 267; Zahl 272. Faktorenhypothese 263, 265. Faltungstheorie 326. Farbenblindheit 251, 301. Farne, Geschlecht 255. Fasanenbastarde 211, 214, 215 (Anm.3). Fawn (pale f£., silver f.) 231 (Anm. 5), 266. Fermente 23. Fick, Manöverierhypothese 309. Filartheorie 20. Flemming, Fadengerüst- oder Filar- theorie 20. Floriden 32 (Fig. 7). Fluktuierende Variabilität(Fluktuationen) 278, 285, 286. Formenketten 285. Fortpflanzungszellen , F. 60. Frostaberrationen 169. Fucaceen 91, 92. Funktionelle Abänderungen 156, 158. Geschichte der Galathea, Spermium 76 (Fig. 41). Gallwespen, eireife 351. Galton, Vererbungsgesetze 13, 289, 293; Verbesserte Pangenesishypo- these 124. Galtonsche Kurve 280. Gameten 71, 85; Reinheit 222, 334, 339. Gametophyt 90. Garbenspindeln 90, 91. Gayalbastarde 216. Geisteskrankheiten 9, 15, 155. Geistige Eigenschaften 5. Gelastocoris, Samenbildung 346 (Fig.129). Gelbei 77. Gemini 326. Gemmules 122. Gene 265, 281. Generationswechsel 10. Genotypische Festigkeit 288; G. Grund- lage (Konstitution) 281, 284; G. Un- terschiede 287; G. Verschiebungen 288, 289. Gerste, Schartigkeit 280. Germinalselektion 196. Sachregister. Geschlecht als mendelndes Merkmal 254. Geschlechtsbestimmung 255, 345; Chro- mosomen und G. 345. Geschlechtscharaktere, sekundäre 188, 254. Geschlechtsgeneration 90. Geschlechtstendenz 357. Geschlechtsverhältnis 349 (Anm. 2). Geschlechtszellendifferenzierung bei As- caris 61; bei Kopepoden 63. Geschwülste 15; Teilungen 102 (Fig. 66). Gesetze 11. Giardinascher Ring 364, 370. Giglio-Tos, Protoplasmalehre 26, 207. Gingko 85. Gladiolus-Bastarde 342. Glanzkörper 74. Glaukom 251. Godlewski, Vererbungsexperiment 140, 144. Goldschmidt, Chromidien 199. Gonadenbildung 65. Gonomeren 50, 82, 191, 342. Gonocyten 65. Granula 20. Granulatheorie 19. Graufärbung 265. Gregoire, Achromatinhypothese 45, 308; Hetero-homöotypisches Schema 327. Haacke, Mäusekreuzungen 218. Habsburger Unterlippe 2, 8, 249; Geistige Eigenschaften 5; Degene- ration der spanischen H. 9. Häckel, Vererbungsgesetze 10. Haecker, Kernsekrettheorie 41; Achro- matinhypothese 44; Gonomeriehypo- these 50; Scheinreduktion 320. Hafer, Kreuzungen 272; Häufigkeits- polygon 280. Hämoglobin 22; Spezifität 23. Hämophilie 251, 301. Hahnenfedrige Hennen 254. Halbblut 212. Halsring 277, 278. Haploide Zahl 316, 324. Hautaffektionen 250. Heliozoen, Reifung 93. Helix-Bastarde 220, 228, 233. Sachregister. Hemipteren, Samenbildung 104, 345; Chromosomenzahl 115; Geschlechts- bestimmung 345. Henking, Dimorphismus der Sper- mien 104, 344. Heredity ı. Heritage 1. Hermaphroditismus, latenter 255, 256, 357. Hertwig, O., Artzelle 24; Vererbungs- monopol des Kerns 135; Teilungs- gesetze 145; Biogenesis 201, 203. —, O. und R., Bastardbefruchtung 215. —, R., Kernplasmarelation 53, 143, 147; Chromidienlehre 199. Heterakis 348. Heterochromosomen 104, 306, 341; H. und Geschlechtsbestimmung 345. Heterocope, Reifungsteilung 100(Fig.62); Doppelknäuel 343. Hetero-homöotypisches Schema 327. Heterotypische Teilung 99 (Fig. 61), 101 (Fig. 64), 329. Heterozygoten 225, 296. Hexaktinelliden, Skelett 55 (Fig. 26). Himalayakaninchen 233. Hirsche, Erblichkeit 6. Histonalselektion 197. Hitzeaberrationen 169. Höhlentiere 160. Homöotypische Teilung 100 (Anm. 1), 327. Homozygoten 224. Honigbiene s. Apis. Hormone 187. Hühner, Xenien 187 (Anm.); Trans- plantation 188; Bastarde 228, 366; Färbung 231, 240; Seidenfedrigkeit 235; Struppigkeit 235; Kammformen 236 f. (Fig. 99); Haube 236; Fuß- befiederung 236; Schwanz 236; Extra- zehe 237 (Fig. 100), 240; Kopf- hernie 238 (Fig. 101); Fruchtbarkeit 289. Hunde, Farbe 232. Hybriden 211. Hyoscyamus 240. Hyperchimären 185. Hypophalangie 250. Hypotrichosis 250. Hypostatische Faktoren 266. Haecker, Vererbungslehre. 385 Idanten 192. Ide 26, 192; Individuelle Verschieden- heit 192, 196. Idiochromosomen 105, 347. Idiomeren 45, 308. Idioplasma 134. Idiozom 71. Inäquale Teilungen 362. Inaktivitätsatrophien 158. Indexhypothese 356. Indianisierung 167. Individualeiweiß 24. Individualitätshypothese 304, 340. Individualplasma 24. Individualzüchtung 298. Induktion, somatische 151. Infusorien, Kernteilung 51; Konjugation 85, 190; Reifung 94; Nachreife 94; Vererbung 128. Inheritance 1. Innere Sekrete 187. Instabilität der Rassen 296. Instinkte 161; Einmal ausgeübte I. 162. Intensitätsfaktor 266, 269, 284. Intercellularsubstanzen 35. Intraselektion 197. Intrazellulare Sprossung 36. Intrazellulare Pangenesis 199. Irisfärbung 247 (Fig. 102), 248. Isogamie 86. Isolationsprinzip 280. Isoplassonten 25. Jod im Organismus 22. Johannsen, Biotypenlehre 279, 287. Kamelien 361. Kammerer, Versuche mit Amphibien 173, 290, 292, 298; mit Eidechsen 175. Kanarienvögel, Xenien 187; Bastarde 214, 259 (Anm. 1), 261, 296. Kaninchen, Giftfestigkeit 166; Trans- plantation 188; Kreuzungen 212, 232, 268; Himalaya-K. 233; Erbformeln 284; Langohren 289. Karakulschafe 236, 298. Kartoffel, Knospenvariationen 291. | Karyogamie 85. | Karyokinese 42. 25 386 Sachregister. Karyomeren 45, 308, Karyoplasma 37, 38 (Fig. 12). Karyoplasmogamie 85. Katalysatoren 23. Katze, Angorismus 235; Schwänzlosig- keit 237; Dreifarbigkeit 258; Ovo- cyten 328 (Fig. 121). Keimbahn 61, 132, 199, 362. Keimbläschen 68, 306. Keimchen 122. Keimesvariation 153, 156, 178, 279. Keimgut ı. Keiminfektion 182. Keimplasma, Kontinuität des K. 126; Bau des K. 134. Keimzellen 130, 131. Keimzone 67. Keratom 250. Kern. Ruhender K. 39; Funktion des K. 52; Prinzipat des K. 53; Be- deutung für die Vererbung 135, 138, 340. Kerndrüse 146. Kerngerüst 39. ' Kernkörper 39, 41. Kernmembran 39; Osmot. Funktionen 53. Kernplasmahypothese der Vererbung 143, 359. Kernplasmarelation 53, 143, 147. Kernplasmaspannung 147. Kernsaft 39. Kernsekrettheorie 41. Kernteilung, direkte 48. —, indirekte 42 (Fig. 13). Kettenbildung 322. Klebs, Versuche mit Sempervivum 176, 278. Klimatische Faktoren 166, 298. Knäuel s. Spirem. Knospenvariationen 291, 360. Kolonien 39 (Anm. 1); Vererbung 129. Kongenitale Veränderungen 153. Koniferen, Zwergwuchs 167. Konjugation 85, 190, 321 (Anm. ı); K. der Chromosomen 332, 334. Konstante Bastardrassen 211, 289, 296. Konstitutionshypothese 201. Kontinuierliche Variabilität 278, 286, 292. Kontinuitätshypothesen 123; Gegen- gründe 202. Kopepoden (vgl. auch Cyclops, Diapto- mus, Heterocope) 315; Gonomerie 50, 82; Keimbahn 63; Urgeschlechts- zellen 64, 363; Gonädenbildung 65; Chromosomen 318, 322; Reifung 67, 69 (Fig. 34), 318, 323; Dreizellen- stadium 133, 364 (Fig. 133). Kopf der Samenfäden 74. Kopulation der Geschlechtskerne bei Metazoen 82; bei Phanerogamen 85; bei Einzelligen 85. Körperzellen 130. Korpuskularhypothese 201, 283. Korrelation 301. Krähenbastarde 211. Kreuzfiguren 100 (Fig. 63), 320 (Fig. 117), 338. Kreuzungsnova 221, 267, 268, 300, 319. Kryptomerie 267, 339, 371. Kühn, Kreuzungsversuche 210, 213, 216. Küstenfieber 166. Kupfer im Organismus 22. Laburnum Adami 180, 184, 185; Chro- mosomenzahl 184. Längsspaltung, sekundäre 100, 318. Längstetraden 319, 322. Lamarcksches Prinzip 150, 152, 153, 178. Lang, Helix-Bastarde 220, 236; Graph. Darst. der Biotypen 281; Erbformeln 284. Latenz, latente Potenzen (Anlagen) 171, 267, 297. Lathyrus odoratus, mendelnde Charak- tere 238, 239; Rückschlag (Purpur) 221, 222, 271; Kreuzungsnovum (Weiß) 269; Verkoppelte Char. 271, 302. Lebenslage, Wirkung der 290. Lebenseinheiten, elementare 25, 147. Lebermoose, Sporenbildung 88 (Fig. 50), 323, 324, 367. Lecithin 23. Leistungskern 27. Leitungsreize 151. Leporiden 212. Leucismus 230. Leukoplasten 238. EEE WERE u ir Sachregister. Levkoien 238, 239 (mehrfach), 269. Lilium, Doppelbefruchtung 84 (Fig. 49), 85, 183; Doppelknäuel 343. Linien, reine 279, 288. Linin 39, 44. Lipoide 22, 23. Loeb, Bastardbefruchtung 215. Lokalisation der Anlagen im Ei 141. Lord Mortons Stute 182. Lychnis 239, 256. Lygaeus, Samenbildung 106 (Fig. 70), 346 (Fig. 129). Mäuse, Giftfestigkeit 166; Kreuzungen 221, 232, 264, 268, 269; Erbformeln 266; Blaufärbung 266. Mais, Xenien 181, 183; Bastarde 227 (Taf. II), 239 (mehrfach), 366; Fak- toren 267. Makrogameten 86. Makrogametocyt 93. Makronucleus 94. Manöverierhypothese 309. Maschinen, dreidimensionale 26. Mathematische Begabung 5, 9. Matthiola s. Levkoien. Maulesel, Maultier 213, 216, 301. Maupas, Verjüngungslehre 190. McClung, Geschlechtsbestimmungs- hypothese 345. Meduse, Samenfäden 74. Meerschweinchen, Samenfäden 75, 76 (Fig. 40); Künstl. Epilepsie 177; Kreuzungen 229 (Fig.97), 232, 236, 271; Haarrosetten 235; Wildfarbe 270, 271. Mehrlingsgeburten 250. Mehrpolige Spindeln 90, 342. Melandrium, Geschlecht 255. Melanismus 291, 292. Melobesia 32 (Fig. 7). Melospiza 285. Mendels Regeln 218, 221, 226; Rein- heit der Gameten 222, 339; Theoret. Tragweite 275; Bed. für Tierzucht 295; M.sche Spaltungen 362. Mensch, Mendelsche Vererbung 244; Rassenkreuzung 246; Augenfarbe 248; Haarfarbe 249; Mißbildungen 250. 387 Meristische Variationen 292. Merogonie 311. Metakinctische Tonnenfiguren 100. Metaphasen 43. Metaplasma 21. Metasyndese 321. Metasyndetisch-äquationeller (-eumitoti- scher) Modus 324; M.-postredukt. M. 324; M.-präredukt. M. 326. Metastruktur 25. Micellen 134. Miescher, Vererbungshypothese 201. Mikrochemie 21. Mikrochromosomen 105. Mikrogameten 86. Mikrogametocyt 93. Mikronucleus 85, 94. Mikropylen 78. Mikrosomen 341. Milchergiebigkeit 302. Mirabilis- Bastarde 220, 231 (Anm. 4); Knospenvariationen 291. Mischbastarde 214. Mischlinge 210. Mitochondrien 142 (Fig. 80), 309, 350. Mitose 42. Mittelstück 69, 74, 75. Mneme 178. Mnemische Neuerwerbe 156, 161. Modifikationen 279. Moina, Samenzellen 74 (Fig. 36). Moleküle, Teilbarkeit der 26. Monöcie, latente 255. Monohybriden 226, 335. Monosom 104, 375. Monospermie 79. Montgomery, Konjugationshypothese 332, 334, 341; Faltungshypothese 326. Moose, Geschlecht 255. Morgan, Unreinheit der Gameten 339. Morphobiologie der Keimzellen 18. Mosaikbastarde 214, 228, 257. Mosaikzeichnung 362. Musikalische Begabung 5. Muskelfadentheorie 48. Mutationen 278, 288; Retrogressive M. 263, 279, 291; Degressive M. 263, 279; Progressive M. 279. Mutationstheorie 276. 25” 388 Myxomyceten 34. Myxosphaera 49 (Fig. 20). Myxosporidien 50; Reifung 95. Nachtblindheit 250. Nachtschatten 183. De { Nägeli, Idioplasmalehre 134. \ Nebenidioplasma 204. Nektarinen 361. Neoepigenetische Theorie 201. Neo-Evolutionismus 201. Nervöse Ströme 151. Neukombination von Anlagen 191, 195, 300, 337. Nezara, Samenbildung 347, 355. Nilssonsche Haferkreuzungen 272. Normalzahl der Chromosomen 119, 316. Nucleine (i.S. der älteren Kompbolaaen = Nucleoproteide. Nucleinsäure 22, 24. Nucleolen 39, 41. Nucleoproteide oder Nucleine im eng. S. 22, 24, 40. Nucleus 39. Numerische Variationen 292; N. Reduk- tion 317, 323. Nutrizeptoren 27. Oenothera, Chromosomenzahl 147, 340; Mutationen 279. Oktaden 319. Oligochäten 325. Oocyten s. Ovocyten. Oogenese s. Ovogenese. Oogonium s. Ovogonium. Orchideenbastarde 241. Organbildende Substanzen 142. Orthopteren 104. Öscillarien, Färbung 165. Ovocyten 1. Ordn. 67, 2. Ordn. 68. Ovogenese 66. Ovogonium (Ovogonie) 66. Oxalis-Bastarde 368. Oxychromatie 41. Pallavicinia, Sporenbildung 89. Pamphagus 323. Panaschierung 184, 231. Pandorina 30 (Fig. 5); 129 (Fig. 77). Pangene 25, 199, Pangenesis 122, \ K Sachregister. Panmixie 160. Pansporoblasten 93. / Paramaecium, Mitose 51 (Fig. 24); Vor- reife 94 (Fig. 57); Nachreife 95 > (Fig. 58); Variabilität 282 (Fig. 106). Parallelinduktion 164, 178. „Parallelkonjugation 326, 336, ie “Paraplasma 21. Parasyndese 326, 336, 360. Parthenogenesis, Zahl der Richtungs- körper 68, 193; Entstehung 84; Künst- liche P. 144, 311; Reine P. 190; Fakul- tative P. 349; Chromosomen beiP. 349. Partialmutationen 279, 285. Pebrine 154. Pelargonien 184. Pediculopsis, Furchung 308f. (Fig. 111). Pelobatiden, Samenfäden 74. Periklinalchimären 185. Personalselektion 197. Pferde (s. auch Equiden), Farbe 2, 13, 221, 232 (bis), 299; Wildfarbe 270. Pferdespulwurm s. Ascaris. Pfirsiche 361. Pflanzen, mendelnde Charaktere 238. Pfropfbastarde 180, 183. P-Generation 219 (Anm. 2). Phänotypus 280. Phanerogamen, Befruchtung 84. Phönixhuhn 237. Phylloxera, Chromosomen 349, 350, 356. Physa, Befruchtung 80 (Fig. 43). Physiologische Einheiten 25. Pisum s. Erbse. Plasmamoleküle 26. Plasmodien 33. Plasmosomen 41. Plasomen 25. Plastin 40. Plattfische 164 (Anm. ı). Platydorina 30 (Fig.6), 129. Pluripotenz des Artplasmas, 357. Polkerne 84. Pollenbildung 84. Polstrahlung 46. Polyhybriden 226, 268, 336, 371. Polyspermie 79. Polyurie 250. ı Polzellen der Dipteren 61. Populationen 279. Sachregister. Potenzen. Latente generelle P. 171. Postformisten 204. . Postreduktion 324. Prädestination 357. Prädetermination 357. Präformation. 140. Präformationstheorie 203. Präreduktion 325. Präsynapsis 328. Prävalenz 219 (Anm. 5). Prävalenzregel 219. | Presence and absence 265. Primula sinensis 239. Prochromosomen 328. Progame Bestimmung 256, 259, 349, 355, 357. Prophasen 42, 305. Prosthetische Gruppe 23. Proteinstoffe 22. Protenor, Samenbildung 105 (Fig. 69), 347. Prothallium 90. Prothalliumlehre 91. Protomeren (im Text fälschlich: Proto- moren) 25. Protoplasma 18; Aggregatzustand 19; Spezifität 23; Funktionen 37. Protozoen, Reifung 97. Prüfgeneration 300. , Pseudoamitosen 51. Pseudoreduktion 320, Psychische Neuerwerbe 156. Purpurfarbe 272. Quagga 182. Qualitätshypothese 352. Quantitätshypothese 354. Querkerbe 318, 328, Querteilung 43. Quertetraden 319, 322. Queteletsches Gesetz 280. Rabl, Organbildende Substanzen 140; Individualität der Chromosomen 304. Rakelhuhn 211, 215 (Anm. 2). Radiolarien, Intrazell. Sprossung 36; Skelett 55 (Fig. 26), 286f. (Fig. 107); Chromosomen 50, 103 (Fig. 68), 114, 328; Teilung 127; Variabilität 286f. (Fig. 107), 292; Transversionen 368. Rassencharaktere 263. nu Rassenfixierung 299. ” Rassenhygiene 252. % Ratten, Kreuzungen 232. Reaktionsnorm 176.. Rebläuse s. Phylloxera. Reduktion der Ahnenplasmen 192. Reduktionskerne 94. Reduktionsproblem 315. Reduktionsmodi 324. (Fig. 120). Reduktionsteilung 193. Pr Regeneration 202,- 204; Plasmatische Grundlage der R. 207. Regressionsgesetz 15. Regulationshypothese 309. Reifungsperiode 67. Reifungsteilungen 67, 315; Verbreitung 88; Biol. Bedeutung 89, 192; R. der Protozoen 92; R. als rud. Sporen- bildungsprozesse 97, 104, 323. Reifungszone 67. Reh, Erblichkeit 6. Reinheit der Gameten 222, 339; Cytol, Interpret. 334. Reinzeugung 222. Remaksches Schema 48. Reserveidioplasson 205. Retinitis 251. Rezeptoren 27. Rezessive Merkmale 219; Feststellung solcher 245. Rhinocerosmaus 250 (Anm.6). Ribes-Bastarde 342. Richtungskerne 94. Richtungskörper 68, 192. Riesen, menschliche 147. Rignano, Zentroepigenese 207. Rinder, Hornlosigkeit 237 ; Correlationen 302. Ringelnatter, Zeichnung 361. Ringfiguren 89, 100, 338. Rogues 300, Rotgrünblindheit 251. Roux, Bedeutung der Kernteilung 52, 136; Kampf der Teile 197; Reserve- idioplasson 205. Rückert, Scheinreduktion 320. Rückkreuzung 225. Rückschlag s. Atavismus. Rückschlagsgesetz 15. 390 Sachs, Energiden 34. Sagitta, Geschlechtszellendifferenzierung 64 (Anm. 3). s Salamandra, Samenbildung 70 (Fig. 35); Spermium 76 (Fig. 39); Heterotyp, Teilung 99 (Fig. 61); Künstliche Ab- änderung 173 (Fig. 85): Epidermis- zellen 305 (Fig. 108). Samenbildung 66, 70 (Fig. 35). Samenfäden 69, 73, 74. Samenmutterzellen 67. Samenpatronen 73, 78. Samentochterzellen 68. Samenzellen 68, 73. Sammelchromosom 119. Saturnia-Bastard 9, 213, 240, Schachtelhalm (s. Equisetum). Geschlecht 255. Schafe, Kupierung 158; Färbung 231, 232, 297; Karakulschafe 236, 298; Hornlosigkeit 237, 258; Fagopyrismus 301. Schartigkeit 280. Scheckzeichnung 231, 266, 284 (Anm. 2). Scheinreduktion 320, 323. Scheintypus 280. Schizochroismus 231. Schizogonie 6. Schlauchalgen 34. Schokoladenfärbung der Nager 232, 265, 266, 269. Schübeler, Klimawirkung 167. Schwanzfaden 69, 74. Schwanzlosigkeit bei Katzen 157; Er- worbene Schw. bei Schafen 158. Schweine, Fagopyrismus 301. Seeigel, Befruchtung 80 (Fig. 44), 81 (Fig: 46); Varianten 112; Bastar- dierung 137; Chromosomen 307 (Fig. 110); Dispermie 310; Geschlechts- bestimmung 349. Seeplanarien 324. Segmentierung 43. Seidenraupe 233. Seitenketten 27. Sektorialchimären 185. Selektionstheorie 285; Künstliche Selek- tion 298. Selektive Befruchtung 257, 353. Sexualverhältnis 254. Sachregister. Simmenthaler Zucht 302. Simultanreize 164. Single variations 296. Singsperling 285. Siphoneen 34. Solanum tubingense 183, 185. Somatische Induktion 151, 178. Somatoblastogene Abänderungen 279. Somatogene Abänderungen 156, 178. ‘ Somato- germinative Keimbahnstrecke 61, 362, 363. Somazellen (somatische Z.) 61, 130. Soziologie 7. Spaltungen, vegetative 184. Spaltungsregel 221. Spermakern 80. Spermastrahlung: 80. Spermatiden 68. Spermatocyten 1. Ordn. 67, 2. Ordn. 69. Spermatogenese 66. Spermatogonie 66. Spermatophoren s. Samenpatronen. Spermatosomen 75. Spermatozoide 85. Spermatozoon 69, 73. Spermien 69, 73. Spermienhals 69. Spermozentrum 80. Spezifität des Protoplasmas 23. Sphäre 47, 71, 80. Sphaerocarpus 367. Sphaeromyxa, Reifung 95. Spindelrest 71, 350. Spirem 43; Kontinuierl.Sp. 321 (Fig.118, 119). Spitzenstück 71, 74, 75. Sporenbildung 88, 96, 97, 104, 323. Sporogonie 96. Sporting varieties 296. Sports 296. Sprungblastovariationen 279. Stachelschweinfamilie 250. Stammzellen 61.. Standortsmodifikationen 292. Star, grauer 250. Stationärer Kern 85. Statistische Methode 13, 244. Steinkauz 233. Stenobothrus, Chromos. 318 (Fig. 114). Sterilität der Bastarde 342. a ee Sachregister. Stern der Pferde 2. Strasburger, Vererbungsmonopol des Kerns 135; Wesen der Pfropfbastarde 184; der Bizzarrien 186; Terminol. der Chromosomenzahlen 316. Stylonychia, Teilung 128 (Fig. 76). Sutton, Sutton-Boverische Ver- ; erbungshypothese 333. Svalöf 283, 295. Symmixis 338. Synapsis 89 (Fig. 51), 321 (Anm. ı), 327f. (Fig. 121). Syneytien (syncytialer Aufbau) 33, 54, 57, 67. Syndesis 321. Synergiden 84. } Syngame Geschlechtsbestimmung 255, 260, 349, 357. Synthetische Zellfunktionen 52. Syphilis 134. Syromastes, Kreuze 100 (Fig. 63), 320 (Fig. 117), 338; X-Elemente 347. Tanzmaus 231, 238. Tapetenzellen 5ı (Fig. 23). Tauben-Bastarde 9; Schwimmhäute 277, 278; Doppelspindeln 342. Tauschhypothese 339. Teilungsperiode 66. Telegonie 182. Teleutosyndese 324. Telophase 43, 305. Temperaturaberrationen 168, 277, 297. Tetraden s. Vierergruppen Tetrao intermedius 211, 215 (Anm.2). Tetraploide Zahl 323. Tetrasporenbildung 323. Thyanta, Samenbildung 346 (Fig. 346). Thyreojodin 22. Thysanozoon, Kernteilung 47 (Fig. 16 bis 18). Tomate 183. Tonnenfiguren 100. Tortoise-shells 258. Tosahuhn 237. Totalmutationen 279. Towers Exp. mit Käfern 167, 292. Toxine, Wirkung 176. Transplantation von Ovarien 188. Transversionen 144, 277, 368. 391 Trihybriden 228. Trophochromatin 355. Trypanosomen 165. Tschermak, Kryptomerie 267, 339, 371; Rassenfixierung 300. Tuberkulose 15, 155. Tylosis 250. Überkreuzungsfiguren 89, 101. Überschläge 297: Überzählige Mitosen 119. Umprägung des Zellplasmas 148. Umschläge 296. Unabhängigkeitsregel 226. Undulierende Membran 75. Uniformitätsfaktor 266, 284. ‘ Uniformitätsregel 219. Unsterblichkeit der Keimzellen 130. Unterlippe der Habsburger 2, 8. Ureizellen 66. Urgeschlechtsmutterzellen 63, 363. Urgeschlechtszellen 63; U. von Cyclops 102 (Fig.65), 363. Urodelen, Chromosomenzahl 115. Ursamenzellen 66. Ursomazellen 61. Urtica 239. Vanessa, Temperaturaberrationen 168. Variabilität. Versch. Formen 278; Ter- minol. 278, 279, 287£.; Bedeutung für die Selektion 285; Übergänge 286. Variationspolygon 280. Vegetationspunkt 32 (Fig. 8). Vegetative Spaltungen 184. Vererbung, Begriff 1; Dreigroßelterliche V.9; Konservative V. 10; Progressive V. 10, 159; Morphobiolog. Grund- lagen 18; Doppelproblem der V. 122; V. erworb. Eig. 150. Vererbungscytologie 18. Vererbungsmonopol des Kerns 138, 340. Vererbungsregeln. Häckels V. 10,11; Galtons V. 13; Mendels V. 218. Vererbungssubstanz 134. Verjüngung des Keims 190. Vermehrungsperiode 66. Versonsche Zelle 67. Vesperugo, Befruchtung 80 (Fig. 42). 392 Vierergruppen 100 (Fig.62), 102 (Fig.67); Zahl der V. 120, 316; Zusammen- setzung 317, 322; Formeln 322; V. in Urgeschlechtszellen 363. Vilmorinsches Prinzip 281. Vitalfärbungen 22. Vollblut 212. Volvocineen 30, 34 (Anm. 1); Vererbung 129, 150. Vom Rath, Scheinreduktion 320. Vorreife 92, 94. Vries, de, Annahme von Pangenen 25, 147, 199; Intracell. Pangenesis 276; Mutationstheorie 263, 276; Ter- minol. des Atavismus 297; Tausch- hypothese 336, 339. Wabentheorie Bütschlis 19. Wachstumsperiode 67. Wachstumszone 67. Wanderkern 85. Wasserflöhe s. Cladoceren. Weidenbastarde 9, 212. Weismann, Vererbungslehre 121, 190, 332; Kontinuitätslehre 126; Ver- erbung erworbener Eig. 150; Amphi- mixis 190; Reduktionsproblem 193, 315, 331; Germinalselektion 196; Determinantenlehre 201, 283. Weizen, Klimawirkung 167; Erblichkeit 239, 240; Neue ‘Formen 291. Wespen, Samenbildung 350f. (Fig. 132). Wicke, großblumige s. Lathyrus. Wildfarbe 232, 265, 267. Wilson, Heterochromosomen 105, 345; Geschlechtsbestimmungshypothesen 345, 356. Sachregister. Winklers Pfropfbastarde 183. Wolterecks Versuche mit Cladoceren 176, 290, 292. : X-Element 345, 353. Xenien 181, 182. Xylocopa 350. Yankeesierung 167. Y-Element 347, 353. Zahlenkonstanz der Chromosomen 112. Zea s. Mais. Zeichnung der Tiere 361. Zellenlehre 29. Zellenstaatlehre 29. Zellteilung, Theorie 48. Zelluläre Organisation 54. Zentralkörper 46. Zentralspindel 47. Zentroepigenese 207. Ziegler, H.E., Amitosen 49; Chromo- somenhypothese 332, 335. Zoogonus 326. Zuchtwahl. Grenzen der künstl. Zucht- wahl 298; Beschleunigung der Zucht- wahl 301. Zuckererbse, Xenien 181, 186. Zugfasern 48. Zurückdifferenzierung der Zellen 103; Z. der Artmerkmale 171, 175. Zusammengesetzte Charaktere 267. Zwerge, menschliche 147. Zwillinge 332. Zwischenrassen 296. Zygote 71, 223. FE Y BER: ar nl: Si . BEE x je Hi Re a i BHRER Be br MESHERS ERESErEIR EEE s; SHE E 5 f h RER N in tn h HÖR: BRSERE EBENE x He j Kae Ki " Hl ii Peter: Br Y N Ein Bi . ee Water eher REN EN BR EHE { IE ji Dirt Be BIETER PertEhe re 55; rar OR I RER HrEEEER