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27 /

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Zeitschrift

für

Oescbichtswissenscbafl.

Unter Mitwirkung der Herren

A. Boeekh, und W. Grimm, G. H. Pertz und Ranke

herausgegeben

von

Or. ir. Adolph Scliinldt,

Privatdocenlen der Geschichte an der Universität zu Berlin.

rster Band.

Berlin, 1844.

Verlag von Veit und Comp.

Zeitschrift

I für

I

f

Geschichtswissenschaft.

(

Vorwort.

Es ist geraume Zeit, mehr denn ein Jahrzebnd verflossen, seit zuerst die Begründung einer gesdiichtlichen Zeitsdirift in dem Kreise zur Sprache kam, aus dessen Si^osse sie nun hervorgeht. Die Hebungen des Herrn Professors Leopold Rank«, an denen d^r Unterzeichnete mit seinen Freunden 6. Waitz, B. Wilmans, S. Hirsch, W. Dönniges, W. Gies^reoht und R. E<^pke mehr oder minder gleichzei- tig Theil nahm, gaben dazu ^n nächsten Anlas«. Seitdem ward der Plan immer eifriger, und von meiner Seite zumal mit dem Erstgenannten der Freunde, sorwie mit uns^rm hochverehrten Lehrer seihst, verhandelt. Die Aufaiuntemn* gen des Letztem und der eigene Trieb der in den Plan Ein* geweifaten brachten denselben mehr als einmal der Ausfüh- rung nahe. Doch die Grösse und Bedeutung des Untere nehraens, die wohl geeignet ist das Selbstvertrauen des jän- gern Mannes einzuschtk^hteni, jferner die zahlreichen ilusB&» ren Schwierigkeiten und die Aufopferungen, welche nothwen- dig damit veiimnden sind , endKch auch zum Theä der un- vennei<fliche Zwiespalt der Meinungen, haben die Verwirk- lichung, hoffentlich nicht zu ihrem Nachtheile, bis zum Jahre 1843 hinausgeschoben.

Dnd welch' ein Zeitpunkt konnte auch anregender sein ? In dem Jahre da die tausendjährige Selbstständigkeit unsers Vaterlandes gefeieit ward, in den Tagen da man so viel von Deutschlands politischer Einheit spraeh, die mehr noch ein

1*

IV Vorwort

Wunsch als eine Thatsache ist: da durfte wohl am ersten auch der Gedanke Kraft gewinnen, den Grundstein zu einer innigeren Yermittelung deutschen Geistes wenn auch nur auf einem bestimmten Gebiet seiner Wirksamkeit zu le- gen, zur einmüthigen Pflege einer Wissenschaft, die mehr als jede andere mit der Politik verwandt, ja deren Mutter und Erzieherin ist. Möge sie denn den Beweis fahren, dass es auf ihrem Gebiete wenigstens keine tiefgehende Spaltung, keine wesentliche Trennung giebt, dass die Bestrebungen von Ost und West oder von Süd und Nord keine feindseli- gen, unversönlichen Gegensätze bilden.

Freilich müssen so gut in der Wissenschaft wie in der Politik Parteien walten, weil ohne sie nirgend Leben und £ntwickelung ist. Aber diese geistigen Besonderheiten müs- sen sich zu einem höheren Ganzen zusammenfassen, müssen gleichwie die politischen Parteien in die Einheit des Staates, so ihrerseits in die Einheit der Wissenschaft aufgehen; denn erst aus dem Zusammenwirken vieler Richtungen bildet sieh die Gesammtstarke der Wahrheit, wie aus vielen Quellen der Eine Strom. Nicht die absolute Zwietracht also, noch die absolute Eintracht sei ihr Princip, sondern jene „zwie- trächtige Eintracht'S die einer der merkwürdigsten Den- ker des Alterthüms, zunächst für den Staat, als die Grund- bedingung alles Gedeihens aufstellte. Mittel und Wege mö- gen verschieden sein; aber das Ziel der Arbeit ist ein ge^ meinsames, und eben deshalb kann nichts Wünschenswerther erscheinen,' als ein Yereinigungspunkt der mannigfalti- gen und zerstreuten Bestrebungen deutschen Geistes auf 4iem Gebiete der Geschichtswissenschaft Einen sol- chen zu schaffen, ist die erste und vornehmste Bestimmung dieser Zeitschrift; und darum rufen wir die deutschen Ge- lehrten zu freier, einmüthiger Wirksamkeit auf.

Diese thut um so dringender Noth, als die Geschichts- wissenschaft nur durch festes Zusammenhalten sich vor zweien Schäden zu wahren vermag, die ihre Würde, den Glauben an sie, ja ihr Dasein mehr und mehr zu beeinträch- tigen drohen. Der eine nagt an ihrer Oberfläche, der andere

Vorwort. r

an ihrem Kerne, Ich meine den Missbrauch, den die Par- teipresse — nicht einer, sondern aller Farben -- so häufig mit der Geschichte treibt, und die Missgrifie, deren sich der wissenschaftliche Dilettantismus in steigendem Maasse schuldig macht Reden wir von jenem zuerst «

Die Gegenwifft ist durch politische, religiöse und sociale Interessen yiel bewegt; die Praxis und die Theorie, die Sy- steme, die Ideen selber liegen mit einander in Hader; mit einseitiger Sdiärfe stehen sich die Parteien gegenüber und ringen nach Macht als dem Mittel zur Uebermacht: da ge- schieht es denn nicht selten, dass die Geschichte, um als Deckmantel selbstsüchtiger Zwecke dienen zu können i ab- sichtlich verdreht und willkürlich zurecht gelegt wird. In solcher Zeit ist nichts schwieriger als ein besonnenes Urtheil zu bewahren oder zu gewinnen, und deshalb nichts heilsa- mer als die Erweiterung und Vertiefung des Studiums der Geschichte, ohne welche allerdings die Tagesinteres- s^n weder klar verstanden noch verständig berathen wer- den können, weil die Gegenwart die werdende (reschich- te und das Yergangene die Bedingung des Werdenden ist Wenn es nun aber liir ein dringendes Bedttrfniss gelten müss, die geschichtliche Vergangenheit bis auf den gegenwärtigen Moment in ihrer reinsten Objectivitat und somit in ihrer vollsten Wahrheit zu erfassen, um an der gewonnenen Erkehnt- niss einen sichern Leitfaden durch die Gegenwart und den richtigen Weg in die nächste Zukunft zu gewinnen: so dürf- te auch aus diesem Grunde ein Unternehmen zeitgemäss und willkommen erscheinen, welches sich die Aufgabe stellt, das objective Studium der Geschichte zu vermitteln.

Die Politik ist die filüthe der Geschichte und die Ge- genwart ihr Jetztes Blatt. Die Natur der Sache bringt es also mit sich, dass in einer geschichtlichen Zeitschrift die Politik nicht völlig ausgeschlossen sein, dass auch die wis- senschaftliche Erörterung die Zeitinteressen und Zeitereig- nisse nicht immer unberührt lassen kann. Allein ein wis- senschaftliches Organ unterliegt anderen Bedingungen wie ein rein politisches^ Was diesem zur Empfehlung dient, das

VI " Vorwort,

Abzeichen einer bestimmte!» Farbe, würde jenem zum Vor- wurf gereichen müssen. Hier darf nicht der politische Glau- be, sondern nur die wissenschaftliche Befähigung den Maas- stab der Berechtigung bilden; hier darf also nicht der Thä- tigkeit eine Tendenz vorgeschrieben werden, welche die Be- wegung in enge Schranken bannt Doch ebenso wenig dür- fen freilich die Grenzen unendlich weite sein, sondern müs- sen nach beiden Seiten hin diejenigen Extreme ausschliessen, die es venrathen, dass die Wissenschaft ihnen nur die Hülle, nicht der Kern, nur Mittel der Willkür, nicht Zweck der Forschung ist Unsere Zeitschrift soll demnach, zwar allsei- tig iq der Wissenschaft, in der Politik aber weder die ge- duldige Arena aller Meinungen, noch das anmassliche Tri- bunal einer einzigen sein; sie soll allen denjenigen Rich- tungen offen stehen, welche, unbeschadet ihrer eigenthüm- lichen Modificationen, doch darin übereinkommen, dass sie das Grewordene weder als ein £wiges noch als ein Abgestor- benes, sondern als die lebendige Grundlage des Werdenden betrachten, und welche demnach weder in müssigem Still* stehn und ängstlichem Festklammem an dem Yoiiiandenen, noch in ungestümen Sprüngen und im Herabbescfaw^ren luftiger Ideale das Heil der Welt erblicken, sondern vielmehr die organische Fortbildung der geschichtlich geword^ien Zustande und die Befriedigung wirklicher Bedürfnisse auf dem Wege der Reformen erzielen.

Nur dem wissenschaftlichen Bewusstsein und der lei- denschaftslosen Erfahrung kann die Zeitschrift Baum gewäh- ren« Unter solchen Bedingungen aber muss jedwede histo- rische Erscheinung, also auch jedes politische, religiöse und sociale Element Gegenstand der Besprechung oder For- schung sein dürfen, das Resultat sei welches es wolle. Aus- schluss wäre hier Gewalt, dem Wesen der Wissenschaft zu- wider und unwürdig des Geistes unserer Zeit Was vor der Masse zu erörtern bedenklich sein könnte, ist es nickt auf dem wissenschaftlichen Forum. Hier müssen afle Fra- gen unumwunden zur Sprache kommen können, wenn nickt die Wissenschaft selbst ein Wahn sein soll. Zwar ist es

Vorwort vii

nicht unsere Absickt, nur fär Gelehrte ein Organ zu sdiaf- fen; allein gründliche und besonnene Erörterungen des Ver« gangenen oder Geworctenen auf wissenschaftlichenn Boden, dürften den oft so ungründliehen und leidenschaftlichen fiä- sonnements der Tagespresse gegenüber , selbst einem grös- seren Publicum das beste Mittel gewahren , um die eigene Anschauung und Gesinnung mitBewusstsei^ zu bilden und zu kräftigen.

Wenn es also die eine Aufgabe der Geschichtswissen- schaft ist, der Verflüchtigung nach aussen hin, der Ober- flächlidkkdt und dem Missbrauch der Parteiliteratur ent- gegenzutreten: so liegt nun deren zweite Aufgabe darin, in ihrem eigenen iHnem dem wissenschaftlichen Dilettantismus entgegensEuarbeiten.

Wer in dem Bergwerk der Creschichte Erspriesslicfaes wirken will, der muss grossen Ansprüchen entweder des Ta- lentes oder der Geldirsamkeit genügen, der muss für sie geboren oder erzogen sein. Nkht Jeder also ist berufen. Und doch scdiauen wir uns um wer drängt sich nicht alles ra ihrem Eingange! Wen sehen wir nicht aUes in ihren Emgewetden wühlen oder in ihren Schachten hämmern und I»röckeln, als <d> es nor des WoUens bedürfe um grosser * Erfolge gewiss zu sein! Genug der Dilettantismus, und in seinem Gefolge die Fabrikationssucht, ist über die 6e- sdiiohle gekommen und die Wissenschaft dient Vielen entweder zum Kinderspiel und Zeitvertreib, oder zu Spe- culationen und feilem Gewerbe. Und was ist nun der wirkliehe Erfolg? Statt des Goldes bekommen wir Schlak- ken, der Hehte Reinigungsprocess durch die Berufenen wird behindert und erschwert, der Gewinn verwandelt sich in Verlust und die Kunst der Forschung, die Wissenschaft als solche gerälh in Misscredit Soll der Process wieder erieieh-' tert und beschleunigt, die Ergiebigkeit hergestellt und g^ steigert, der Geschichtswissenscfadt als selcher zur rollen Anerkennung und Achtung verhelfen werden: so nuiss eine gewissenhafte PrüAing der Volfanaditeii eintreten, Talent und Gelehrsamkeit erwogen und den Bemfeneii dorth die Nach-

viii Vorwort.

Weisung etwaniger Mängel treulich zur Hand gegangen» den Unberufenen aber, die da tändelnd oder böswillig verderben statt mühsam und aufrichtig zu bessern, ohne Rückhalt die Meinung gesagt werden. Nur so ist es möglich, der änmass- liehen und leichtfertigen Production einen Damm entgegenzu- setzen, und das Mittel dazu gewährt die Kritik.

Doch wie soll diese geübt werden? Aus ihrer Bestim- mung, zu fördern und zu hemmen, ergiebt sich die Haupt- summe ihrer Pflichten. Sie muss vor Allem nichts anders wollen als die Wahrheit, die Wahrheit der Thatsachen und der Gedanken; darum muss sie gründlich doch nicht mit grillenhafter Peinlichkeit, gerecht doch nicht mit Scho- nungslosigkeit verfahren. Sie muss streng sein ohne Bitter- keit, anerkennen ohne Uebertreibung, urtheilen ohne Ansehn der Person; denn auf dem Forum der Wissenschaft darf es keine persönlichen oder Standesunterschiede geben. Sie muss ihrer Stellung und der Würde der Wissenschaft gemäss, nur im Gewände des Ernstes erscheinen; der Geist der Frische, der aus der Ueberzeugung und Begeisterung quillt, lann dennoch in ihr walten, ohne die Waffen des Spottes und der Ironie. Endlich darf sie nur behaupten was sie bewei- sen, nur bekämpfen was sie widerlegen kann, das Zweifei- hafte aber nicht apodiktisch .entscheiden; denn überall müs- sen nothwendig Zweifel bleiben; sie sind die alleinigen Brücken der Wahrheit, die ewigen Triebe der Wissenschaft^

Und wer soll nun die Kritik üben? Wo liegt das abso-*- iute Kriterium der Wahrheit? Wer darf behaupten, es zu besitzen, die letzte Entscheidung der Dinge in -sich zu tragen? Zwar giebt ps verschiedene Maasse des Wissens und Könnens, des Taktes und der Divination; und daher wird auch in der Kritik das Maass der Gründlichkeit und Schärfe ein verschiedenes sein, der Eine mehr vermögen und mehr ^gewinnen als der Andere. Aber Niemand ist unfehlbar, Ifie- mand allein im Besitze der Wahrheit, die im Gegentheil mehr oder minder in Vielen, ja in Allen lebt und wirkt Darum darf die Kritik, sowenig wie Einer Person, sowenig auch Einer Schule oder Richtung ausschliesslich anbeimfal-^

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Vorwort an

len; sonst läuft sie Gefahr nur eine einseitige Wahrheit zu verfechten, in Parteilichkeit auszuarten und nichts anders zu sein als ein Hebel der Gotterie. Vielmehr also müssen alle Persönlichkeiten und Richtungen zugelassen werden» die jenen obigen Forderungen genügen , die darauf Anspruch machen dürfen, mit Aufrichtigkeit nach der Erkenntniss des Wahren zu ringen. Und auch deshalb ist es nothwendig, die Zeitschrift zu einem allgemeinen deutschen Unternehmen zu gestalten.

Aber Eine Klippe liegt auf unserm Wege, an der die Eintracht sdbeitern dürfte» wofern nicht Jeder das Seinige thut, jene hinwegzuräumen. Niemand will sich getadelt sehen. Und doch mus« grade der Tadel das eigentliche Principe der THerr aller» auch unserer Kritik sein; denn wo Höheres erzielt» wo das Schlechte gut, das Gute besser wer- den soH: da fährt nicht Schmeichelei zum Ziele, da kann nicht Lob das einzige oder erste Mittel sein. Kein Talent ist ohne Mängel» auch der Stärkste nicht ohne Schwächen» und nie also können die menschlichen Erfolge den Bedürf- nissen der Wissenschaft vollkommen entsprechen. Wer es demnach wahrhaft redlich mit der Wissenschaft und mit sich selber meint, der lege -vor allem die Empfindlichkeit ab, der lerne den Tadel» $tatt ihn zu hassen» vielmehr lieb gewinnen» weil er allein ihn zur Erkenntniss seiner Mängel und Schwächen führt» selbst wenn er nicht ganz gerecht oder zu scharf aus^sprochen wäre. Ist es doch ein Wider- spruch, Freiheit der Presse d. i. freie Kritik der öffentlichen Zustände als das theuerste Gut zu begehren» und die Kri- tik des eigenen Lebens und Wirkens als das widrigste Un- gema<Sh nimmer ertragen zu können. Fürwahr, soll man es dem Staate verargen dürfen» dass er für Angriffe und Vorwürfe der Presse empfindlich ist» dann müssen erst die Einzelnen» die Gelehrten und Literaten, die Männer das Presse selbst aufhören, es ihrerseits zu sein. Worte müs-^ sen durch Worte oderThaten widerlegt werden; nicht durch &0II» Erbitterung und Hass. Man unterdrücke also diese ebenso unseligen als unwürdigen Gefühle , dann wird jene

X Vorwort.

Klippe aus dem Wege geräumt, der Kampf ein wahrhaft freier und die Zwietracht Eintracht sein.

Soll sich die Geschichtswissenschaft als ein Ganzes er- fassen, so muss sie in allen ihren Theikn, Zweigen und Momenten, den von ihr errungenen Standpunkt jederzeit möglichst klar überschauen können. Allein die Bedingung dessen, die Bewältigung aller Erscheinungen von Seiten der Kritik, ist in Folge der ins Ungeheure gesteigerten Producti* vität fast zur Unmöglichkeit geworden. Daher erscheint es als eine unabweisbare Pflicht, neben der Einzelkritik auch der Gollectivkritik und von Zeit zu Zeit selbst umfassen- deren oder Gesammtübersichten über die einzelnen Gebiete Raum zu geben. Diese Letzteren sollen jedoch weder eine erschöpfende Kritik noch eine bloss erweiterte Bibliographie bilden, sondern vielmehr die neugewonnenen Resohate in kurzen und scharfen Umrissen zu charakterisiren trachten und auf das noch zu Leistende, auf Mängel und Lttekeii aufmerksam machen. Dass Alles und Jedes^ im Strom der Erscheinungen zur Sprache komme, ist kaum bei der ängstlich- sten Sorge erreichbar, aber auch um so eher erlässlich, als ja die Wissenschaft ein organisches Leben darstellt, dessen Eigenthümlic&keit es ist, sein Wesen im Grossen und Gan- zen zu offenbaren, ohne jede kleinste Bedingung seines W«er- dens und Wachsens auf die Oberfläche emporzutragen.

Das Reich der Wissenschaft ist mächtiger, umfessender als jedes politische Dasein. Es erstreckt sich über alle Na- tionen der Erde, bei denen die Bildung Wurzel fasste und Früchte trug. Daher ist es eine fernere unumgäd^iche Be- stimmung unserer Zeitschrift, neben der geschichtlichen Li- teratur Deutschlands, auch die des gesammten gebildeten Auslandes, soweit es irgend die Umstände gestatten, auf- merksam zu verfolgen.

Wenn den allmähligen Process der Wisse«scbaft zu ver-

^ mittein die wesentliche Aufgabe der Kritiken ist, so sollen

andrerseits unsere selbstständigen Aufsätze zunächst dazu

dienen, unmittelbar fordernd in denselben einzugreifen. Da

sich jedoch die Zeitschrift zugleich das Ziel steckt, eine im-

Vonpori. xi

mer grössere und aUgemeißere TheJlnahme für die Geschichts- wissenschaft anzuregen» so ist es wünschenswerth, dass zumal diese Aufsätze durch die Wahl des Stoffes und der Form dasselbe zu eireichen trachten. Dahin soll audi die Uittheifauig auserlesener arehiyalischer Documente wirken; denn wiewohl unsere Zeitschrift es nicht als ihren Hauptbe- ruf beimchton kann, die Quellen der Gesdiichtskunde selbst äoif jede Weise zu vermehren, also unedirte Denkmäler der Vergac^enfaeit in Ifassen an's Licht zu ziehen, so wird sie doch in Hdchen Fallen mit Freuden zu deren Yeröfientlichung die Hand bieten, wo sich neben der Erweiterung des Wissens asäeh tm greeses und aUgemewies Interesse geltend macht.

Mir sdiwebt ein Ideal dessen Yc»r, was die Zeitschrift werden könnte and sollte. Ich werde nicht ruhen und rasten, um ihm näher zu kommen; doch wie weit ich es erreichen mag, weiss ich nicht; denn wo eine Fülle von Kräften erfor- derlieh ist, kann nicht Einer dir Alles bürgen. Darum will ich Vorsätze und Wünsche nicht in das Gewand von Ver- sprechungen kleiden. Denn mit lockenden Vorspiegelungen zu blenden, ist mir fern; ich mag so wenig Andere wie mich selber täuschen; auch ist es ehrenwerther Unternehmungen würdiger, mehr zu erzielen als zu verheissen. Nicht Alles kann auf Einmal errungen werden; ja es ist unsere Auf- gabe ewig zu ringen und niemals fertig zu sein; denn wo das Gestalten aufhört, beginnt der Verfall. Auch lässt nicht Jegliches sich machen, Vieles muss die Zeit erst werden lassen. Manche wünschenswerthe Verbindungen sind noch nicht angeknüpft, andere noch nicht im rechten Gange; doch wird das Meiste sicher gedeihen, wofern die Theilnabme des Publicums und der Gelehrten eine ebenso entschiedene ist, wie die Begeisterung mit der das Werk im Gedanken er- fai^st, und die Hingebung mit der dessen Ausführung unter- nommen ward. »

Wir haben offen und ehrlich gesprochen; wir haben das Verhältniss unserer Zeitschrift, zur Geschichtswissen- schaft und zu den Interessen derselben in Deutschland, zur Politik und zur Tagespresse, zur Kritik und zum Di-

XII

Vorwort.

lettantismus ohne Aückhalt dargelegt; wir haben erklärt, was wir wollen. Ob auch in den Angelegenheiten des wirk- lichen Lebens unsere Ansichten sich hierhin oder dorthin nei- gen mögen: in den Dingen der Wissenschaft leitet uns kein subjectives Meinen; da blicken wir weder rechts noch links, sondern unverwandten Auges auf unser alleiniges Ziel, auf die geschichtliche Wahrheit. Und so entlassen wir denn, zwar nicht ohne jene Schüchternheit, die von der üebernahme grosser und schwerer Pflichten unzertrennlich ist, doch in dem freudigen Bewusstsein eiiier guten Sache, dieses erste Lebenszeichen einer Zeitschrift, welche so Gott will keine flüchtig vorübergehende, sondern eine dauernde sein, und für Wissenschaft und Leben nicht ohne Nutzen bleiben wird.

Berlin, im December 1843.

yt.dolpli Schniidlt*

Wfeher des Orafen Hevtzberg* Abrlss »einev dlploiuatisclieii liaufbalin.

Tritt eine UDbekannte Geschichtsquelle in den Kreis derer, welchen man bisher Kunde und Belehrung verdankte, so hängt das Ortheil über den Werth, nächst ihrer eigenthümlichen Auffassung der Thatsachen, yon der Stellung ab, die sie zu den bereits vorhandenen Ueberiieferungen einnimmt Hierin liegt die Kritik diq sie ausübt und erfahrt: indem das Alte wie das Neue sich gegenseitig ausschliessen oder bestätigen, geht aus diesem Scheidungsprocesse ein Drittes hervor, eine neue Gestalt des Gegenstandes selbst, die richtend über bei- den steht. Somit würde es hinreichen,^ das Verhaltuiss des folgenden Lebensabrisses von Hertzbergs eigener Hand zu den vorhandenen Schriften über den bekannten Staatsmann kurz zu erörtern; indess wer wüsste nicht, das» auf keinem Ge- biete Täuschungen häufiger versucht worden sind, als in der Literatur der Memoiren, und wo liesse man sich leichter, lieber täuschen als hier? Zumal wenn man noch in der At«> mosphäre der Thatsachen selbst lebt; ihre Nähe blendet und verwirrt, und Vorurtheil wie Aberglaube erschweren eine klare Auflassung der Gegenwart nicht minder als der Anfänge der Geschichte*

Einig.e Angaben wie fliese Denkschrift in die Hände des Herausgebers kam , werden also nicht überflüssig* scheinen, da es ohnehin auffallend sein kann, dass sie allein von den Papieren Hertzbergs den Weg zur Oeffentlichkeit gefunden hat. Zunächst verdanken wir sie dem im Jahre 1831 hier

i

2 üeber des Grafen Hertaberg Abriss

verstorbenen Professor Friedrich Leopold Brunn; seit 1786 Lehrer am Joachimsthalschen Gymnasium, hatte er sich zu- gleich durch die verschiedensten literarischen Arbeiten den Ruf eines thätigen Schriftstellers erworben. Er ist der Her-^ ausgeber und Uebersetzer der PöUnitzischen Memoiren , und verfasste unter anderem auch einen Bericht über die letzten Augenblicke Friedrichs des Grossen nach der Erzählung des Kammerdieners, in dessen Armen der König verschieden war. Im Jahre 1789 hielt er am Geburtstage Friedrich Wilhelms II. nach hergebrachter Sitte die Festrede; in dem damals beliebten Ramlerschen Odentone fiihrte er das Thema aus: der preus- sische Staat der glücklichste unter allen Staaten Europens. Unter den Zuhörern befanden sich zwei Männer, deren An- wesenheit nicht ohne Einfluss war; durch den Widerspruch des einen gewann die Rede eine augenblickliche literarische Bedeutung, der Beifall des andern brachte die folgenden Blät- ter in Brunns Hand. Jener war der Abbate Denina, der sich damals als Akademiker in Berlin aufhielt, dieser der Minister Hertzberg. Mit dem ersten wurde Brunn bald darauf in eine literarische Fehde verwickelt; dehn Denina fühlte sich ver- pflichtet, sein Vaterland^ sowie Spanien und Portugal, deren trauriger Zustand allerdings mit starken Farben geschildert worden war, gegen die Angriffe des Redners zu vertherdigen.') Für Hertzberg konnte eine solche Rede nur schmeichelhaft sein: noch im Hörsaale forderte er Brunn auf, sie drucken zu lassen. Nicht damit zufrieden, dass ein Fragment davon im Berliner Journal für Aufklärung erschien, verlangte er' den vollständigen Abdruck, und um jedes Hinderniss aus deni Wege zu räumen (unter anderem wurde darin die ausbre- chende französische Revolution als gross, schön und ehren* voll begrüsst), übernahm er selbst die Durchsicht und Gensur des Manuscripts. Die Rede erschien darauf im Druck, voran ein Zueignungsschreiben an Hertzfterg, der darauf durch die (Jebersendung der beiden ersten Bände seiner Sammlung von

*) In der 1790 2u Berlin erschienenen französischen ücber- setaung des discorso sopra le vicende della letteratura.

seiner diplomatischen Laufbahn. 3

Staatsschriften antwortete. So viel berichtet Brunn selbst in seinen hinteriassenen Papieren. Die Zueignung, so wie eine von den Anmerkungen mit denen er die Denkschrift beglei- tet hat, bestätigen was er mündlich zu erzüUen pflegte, er sei in Folge jener Rede oft in Hertzbergs Nähe gekommen, der sich in wiederholten Gesprächen offen und vertraulich über seine persönliche Stellung ausgesprochen habe, nament- lich seit seinem Rücktritte von den öffentlichen Geschäften« In einem Solchen Augenblicke des Vertrauens übergab er ihm diesen Abriss seines Lebens, so wie eine zweite Denkschrift, die wir später mittheilen werden, über das Bündniss Preüs- sens und Polens im Jahre 1790, mit dem Bemerken, sie als ' sein Eigenthum anzusehen, da er selbst nicht > hoffen dürfe, sie zu veröfifentliehen; vielleidit werde sich ihm die Gelegen- heit dazu darbieten.

So lange Hertzberg lebte, hat Mch diese Gelegenheit nicht gefunden; etwa zwanzig Jahre nach seinem Tode hatte Brunn die Absicht, eine Uebersetzung beider Denkschriften mit sei- ner Rede zusanmien herauszugeben; warum es nicht dazu kam, ist unbekannt. Als er in den Ruhestand vers.etzt wurde, übergab er sie mit seinen übrigen literarischen Papieren ei- nem seiner Amtsgenossen, dem Professor Köpke, mit dem ausdrücklichen Auftrage den Wunsch. Hertzbergs zu erfiillen« Indess ein Versuch diesem Auftrage nachzukommen schlug ebenfaifs fehl : der Lebensabriss wurde einer jetzt eingegange- nen historischen Zeitschrift angetragen, doch der Inhalt schien bedenklich, und die Aufnahme wurde versagt. Jetzt endlich sind beide Denkschriften dem Unterzeidhneten für die vorlie- gende Zeitschrift übergeben worden.

In welcher Weise hier die Mittheilung erfolgen solle, konnte einen Augenblick zweifelhaft sein. Es schien indess das Angemessenste den Abdruck des Originals als eines ak- tenmässigen Dokumentes, trotz der sprachlichen Mängel« zu geben und einige von den Anmerkungen, die Brum» ftir seine Uebersetzung bestimmt hatte, hinzuzufügen. Das Original ist offenbar eine Reinschrift, die' ein Secretair Hertzbergs ange- fertigt hat; Lücken und einzelne Sehreibfehler sind von einer

1*

' 4 _ lieber des Grafm Hertaberg Abriss

andern Hand ergänzt und verbessert: eine Vergleichung mit einigen Antographen Hertzbergs beseitigt jeden Zweifel » ob diese Correcturen von seiner eigenen Hand herrübren.

Doch kommen wir auf das Yerhältniss dieser Lebens* skizze zu Hertzbergs eigenen Schriften, wie zu den Biogra- phien von Weddigen und Posselt, von denen die eine ein Jahr, die andere drei Jahre nach seinem Tode erschien. Na- mentlich hat das Buch des Letztern immer ein gewisses An- sehen behauptet, mit welchem Rechte wird eine nähere Un- tersuchung zeigen, deren wir uns nicht überhoben glauben, 19 80 kleinliche Einzelheiten' sie auch scheinbar fuhren mag; sie allein kann entscheiden, mit welchem Auge man diese Denkschrift zu betrachten habe.

Schon an einer andern Stelle hatte Hertzberg einen frei- lich nur flüchtigen Abriss iseines Lebens gegeben, in der Vor- rede zum dritten Bande seiner Staatsschrüten , dessen Her- ausgabe ihm bekanntlich im Laufe des Jahres 1792 untersagt wurde. Damals ist auch die folgende Denkschrift^ entstanden; gleich aus den ersten Zeilen ergiebt sich, -sie wurde im Laufe des Jahres 1792 verfasst; später klagt Hertzberg, man habe ihm so eben verboten, jenen dritten Band zu veröffentlichen« Im zehnten Briefe an Posselt, vom 23. Januar 1792, befürch- tet er ein solches Verbot, und am 2. October schreibt er an denselben, jetzt sei es in der That erfolgt Dabei übersendet er ihm einige Bogen des dritten Bandes, als ein Gegenge- schenk für Posselts Geschichte Gustavs HL, und -spricht zu- gleich von einem Anerbieten, das jener gemacht hatte, der- einst Hertzbergs Leben schreiben zu wollen. „Ich sehe mit Dank,*^ sind seine Worte, „als ein Zeichen Ihrer fortdauern- den guten Gesinnung gegen mich an, dass Sie mir anbieten, einst meine Lebensgeschichte zu schreiben : ich bin auch voll- kommen versichert, dass Niemand sie besser schreiben würde. £s ist aber eine schwere Unternehmung, die nicht wohl durch blosse Deberschiekungen von einigen Nachrichten ausgefiihrt werden kann. Da meine vornehmsten Handlungen mit der Geschichte König Friedrichs H. genau verbunden gewesen, so hatte ich mir vorgenommen, sie in diese zu bringen, und

seiner diplomatischen Laufbahn. 6

alles mit pi^ces justificatives zu belegen , woraus nun aber wohl nicht yiel werden wird, dafern sich das Staatssystem hier nicht ändert, und man mir den Gebrauch der Archive wieder verstattet/^ Wäre unsere Denkschrift bereits damals vorhanden gewesen, unbezweifelt hätte Hertzberg sie an Pos- selt geschickt, oder ihrer mindestens in seinem Briefe gedacht Jenes Anerbieten und die Ueberzeugung eine Autobiographie nach seinem Sinne sei für jetzt unmöglich, scheinen die Ab- fassung dieser Skizze veranlasst zu haben.

Demnach zeigen beide Schriften, der Pr^cis, so hat Hertz- berg seine Denkschrift genannt, wie der Recueil eine gewisse Verwandtschaft zu einander. Der dritte Theii war unter Ver- hältnissen entstanden, die Hertzberg* immer mehr dahin dräng- ten, die gleichgültige Rolle des Sammlers von Aktenstücken mit der desi Geschichtsschreibers t\i vertauschen. Die An- merkungen, die sonst nur die nothwendigsten Fingerzeige enthalten, werden hier zu ausführlichen historischen Erörte- rungen, in denen der Verfasser nur mit Mühe seine persön- liche Gereiztheit zurückdrängt. Die Urkunden des Reichen- bacher Gongresses werden sogar ohne weitere Bemerkung durch eine fortlaufende Erzählung mit einander verbunden. So finden sich hier in mehreren Noten, namentlich wo Preus- sens Stellung zu Polen und zur Pforte besprochen wird, *) einzelne fast wörtliche Anklänge an den Pröcis. Die» darf indess nicht* auffallen; wer den Recueil, besonders aber die akademischen Abhandlungen und Gelegenheitsreden Hertz- bergs im Zusammenhange durchgesehen hat, wird nicht ver- kennet, dass sie bei allem Adel der Gesinnung in einer ge- wissen Steife und Einförmigkeit dem Geschmacke der dama*» ligen Zeit ihren Tribut abgetragen haben. Hertzberg hat ei- nige Lieblingsideen und Thatsachen, bei denen er vorzugs- weise gern verweilt, und mit ihnen kehren bestimmte Wen-^ düngen zurück, die ihm fast stereotyp geworden sind.

Dodi an einer andern Stelle glauben wir die Grundlage für den Haupttheil des^Pr^cis gefunden zuhaben. Es ist dies

*) Recueil des d^ductions 1. 1. p. V. U Hl p. XIY. 8, 20, 44, 6a

6 lieber des Grafen Hertzberg Äbriss

der zwölfte Brief an Posselt , vom 19. November 1791, wo wir ebenfalls eine ausführliche Darstellung des Beichenbacher Gongresses lesen. Statt mehrer Beweisstellen, die sich leicht darbieten, mögen hier nur folgende stehen, in denen sich selbst in gleichgültigen Wendungen eine wörtliche Ueberein- stimmung zwischen dem Briefe und dem Pr^cis findet. Dort heisst es Seite 21 : „Es wurde dadurch dahin gebracht, dass beide Theile sich entschlossen einen Friedenscongress dar- über zu Beichenbach zu halten, ioelchen su unterstützen der König nUt seiner grossen Armee nach Schlesien marschierte. Ich fing die Negodation den 27. Juni zu Reichenbach mit den zwei östreichischen Ministem an, und ward mit Vmen über meinen Plan in zwei Tagen dahin einig u. s. w." Im Pr^cis: Le roi se rendit au printems de 1790 atec la plus grande partie de son amUe en SiUsie pour appuyer cette nägoda^ tion. Je suivis le roi en SiJ^sie et fouvris les conförenoes de paix ax^ec les deux plenipotentiaires Äutrichiens ä Reichen-^ bach fvhs du camp du roi -et ainsi k Tombre de son arm^e. Je tombais et fus d^accord avec les ministres Äutrichiens du 27. Juni jusqu'au 13 de Juillet sur mon plan concilintoire sus- dit, Selon etc." Ferner S. 27: der König setzt ihm zwei Ka- binetsminister zur Seite „unter dem Yorwande, d(tss der Graf Finch sehr alt und ich kränklich töäre, welches letztere doch

gar nicht wahr ist. Hierauf konnte ich wohl nicht Um--

ger mit Ehren im Dienste bleiben, sondern verlangte meine völlige Demission.** Pr^is: ,,Parceque le comte de Finck se faisait vietix et que f^tais maladif, (ce qui n'est pourtant

pas fond^). Voyant donc que je ne pouvais phis

servir avec honneur, je demandai mon congS absolu/^ End- lich S. 29: „Für mein Personel kann es mir auch nicht gleich- gültig sein, dass ich, nachdem ich 46 Jahre dem Staaie mit so vieler Ehre und desselben Vortheil gedient, nun einen SUu^, den ich als mein Eigenthum angesehen, verlassen soll." Im Pr^cis: ^yAprks avoir servi V^tat pendant 47 ans avec z^Ie, honneur et suco^ non comme un sujet, mais comme un parent, qui tenaitä V^tat comme ä son patrimoine et pour sa vie.^^ Somit hat sich also in jenem Briefe der erste Entwurf

J

seiner diplomatisch^^ Laufbahn. 7

unserer Denkschrift, oder doch ein Dokument gefunden, das zugleich mit ihr aus einer dritten, vielleicht noch unbekann- ten Quelle geflossen sein mag.

Doch wie verhalten sich nun die beiden bekannten Bio« graphien Hertzbergs zu dem Pr^cis? Werfen wir zuerst ei- nen BKck auf die ältere. Der Prediger Weddigen zu Buch- holz im Mindenschen war der Herausgeber einer historisch- geographischen Zeitschrift , des Westphalischen Magazins. Herteberg hatte 1794 die Zusendung eines vollständigen Exem- plars desselben verlangt, und jenem dagegen auf seine Bitte einige biographische Notizen mitgetheilt „Unter den mir zu- gekommeneu Fragmenten,'' sagt Weddigen, „befanden sich auxsh einige gedruckte aus Weidlich, Brüggemann und an- dern;— sie waren mit Zusätzen und Anmerkungen versehen u. s. w.'* Und welcher Art waren diese ungedruckten Frag- mente, die nicht näher bezeichnet werden? Offenbar enthiel- ten sie einen Theil der Denkschrift.

Weddigen schreibt S. 33: „Naeh seiner Zurüokkunft von dort arbeUeie er bei dem <iuswärtigen Departement und im geheimen Archiv, wo er besonders viele Amzüge zu den M^ moires de Brandenbourg des Königs, als eine Historie des dreissifgährigen Kriegs in der Mark und das Memoire von dem Mititairstaat der Ghurfiirsten von Brandenburg, und der- gleichen mehrere verfertigte, und sich dadurch dem Könige Friedrich IL bekaamt machte, welches Gelegenheit gab, dass er im Jahre 1747 zum Legationsrath ernennet, und unter die von dem Könige damals gestiftete Pflanzschule von jungen Edelleuten, weldhe zu auswärtigen Geschäften zugezogen y^nix^ Aevky gesetzt wurde.^^ Im Pr^cis lesen wir: ^^Teus le bonheur de me- faire connaitre a Fräderic IL en 1746, en lui faisant les extraits des archißeSy dont il aioait besoin pour les t»^- moires de Brandenbourg, qu'il composa aiors. Depuis ce tems il me traita comme son Übfe pour les affaires ^tran- g^res, il me mit dans les grandes arcbives et dans h% pepinih-e du d^partemfint itranger, qu'il 6tabHt alorSf avec k titre de conseiller de ligation, et je commen^ais ä traoaiUer dans totttes les expMitions du dipartement^* Ferner bei Weddigen

8 lieber de» Grafen HerMerg Abriss

S. 36: „Im Jahre 1752 erhielt er von der Kömgl Akademie der Wissenschaften zu Berlin den Preis der Aufgabe: üeber u. s. w., welche Schrift die nächste Veranlassung gaby dcus er nicht allein zum Mitgliede besagter Akad^me^ sondern auch von Sr. K. Majestät aus eigener Bewegung zum geheimen Le^ gationsrathe ernannt vmrde^^ Im Pr6cis: „II me confSra en i732 de son propre mouoement le titre de conseitter prici, ayant appris, que j'avais remport6 un prix ä Va^adfynie par une dissertation, par la quelle je fus en m6me tems (igrigi pour membre de Vacad^mie." Weddigen S/93: „Der jetzige König von Preussen, Friedrich Wilhelm 11.^ der,s9h<m als Kronprinz den Grafen mit seinem Zutrauen beehrt hatte, sets&te dasselbe gegen ihn auch während seiner Regierung fort: welches er auf die Art gethan, dass er (Hertzberg) die mei- sten Instructionen und Depeschen für die königlichen Gesandr ten jeden Posttag mit den dazu gehörigen Berichten aufsetzte^ und dem Könige zur Genehmigung und Unterschrift vorgelegt hat.^^ Der Pr^cis: „Son snccessewc le roi regnantaujourd* hui, qui m'avait d^ä honor6 auparaicant de sa confiance, parut vouloir me la continuer. Je lui proposais de permettre que Selon Pexemple du commencement du r^gne du feu rot jus^ qu'A la guerre de sept ans, je lui dressais toutes les dipiches pour les ministres ätrangers et les enverrais ä son. approba^ tion et ä sa Signatur e la veille de chaquejour deposte/^ Dies wird hinreicheDy die aufgestellte Behauptang zu rechtfertigen.

Die Katastrophe wird natürlich nur kurz berührt; Wed- digen begnügt sich mit der Andeutung, Hertzberg habe sich 1791 etwas von dem Schauplatze zurückgezogen. Gegen Ende verlässt er die Denkschrift ganz, sei es, dass ihm der Schluss nicht mitgetheilt worden War, oder dass er nicht weiter zu schreiben wagte. Eine Vorsicht, die um so erklärlicher ist, da das Buch offenbar noch bei Hertzbergs Lebzeiten verfasst ist; seines Todes wird nur in der Vorrede gedacht.

Beiweitem namhafter ist das Leben Hertzbergs von Po^s- seit Posselt war ein Historiker von Fac^, rei^ an Taleat, voll enthusiastischen Eifers, daher mitunter einseitig; er weiss lebhaft und anziehend zu schreiben, und hatte dem Manne,

seiner diplomatischen Laufbahn. 9

dessen Leben er giebt, nicht fern gestanden. In Hertzbergs Briefen hatte er kein unbedeutendes Material in Händen, das schon allein seinem Buche Werth verleihen konnte. Und den* noch selbst diesen Stoff hat er nur oberflächlich benutzt, so dass ihm bereits früher vorgeworfen wurde, sein Buch sei dürftig ausgefallen, und trage die Spuren der Flüchtigkeit So ist es in dei; That, und in höherem Grade als man meint Wer sotlte es glauben^ Posselt, der gerühmte Historiker, den Hertzberg vertrauter Mittheilungen würdig geachtet hatte, ent*- lehnt sein Buch fast wörtlich aus den Fragmenten des un« scheinbaren Predigers Weddigen zu Buchholz, ohne dieses Mannes auch nur mit einem Worte zu gedenken. Man wird es uns gern erlassen, auch dies mit einer Reihe von Paral- lelstellen zu belegen, sie bieten sich ohnehin von selbst dar; nur eine sei erlaubt hier anzuführen. Weddigen sagt S. 50: „Der König hatte die Grossmutfa und Ehre seine Bundes- genossen, die ihn in ihrem Particulierfrieden nicht einmal genennet hatten, in seinem Frieden im Articie s^par^ mit eiozuschiiess«}.'^ Das hier ganz widersinnige Wort „Ehre*' hat Posselt ebenfalls in sein Buch hinübergenommen, S. 18: „Er hatte die Grossmuth und Ehre seine Bundesgenossen, die ihn in ihrem Separatfrieden nicht einmal genannt hat- ten, in seinen Frieden in einem besondern Artikel mit einzur scfaliessen.'^ Sonst ändert er, wie man sieht, die steife und geschmacklose Sprache seines Gewährsmannes; er versetzt die ErzäUuiig -mit Hinweisungen auf Griechenland und Rom und einigen allgemeinen Betrachtungen. Aber auch diese sind nicht immer s€»n Eigenthum; die zusammenfassenden Schluss- bemerkunfjen S. 49 und 50 sind ein wörtlicher Auszug aus Georg Fx>rsters Erinnerungen an das Jahr 1790. So schrieb Posselt; und dennoch möchte man vermuthen, er habe die- selben Materialien wie sein Vorgänger gehabt Er beginnt mit einigen Nachrichten über Hertzbergs Vater, die nähere Mittheilungon von Seiten des Sohnes vorauszusetzen schei- nen; Weddigeiv hat sie eben so wenig als ein Paar andere Stellen, die sich jedoch in der Denkschrift wiederfinden. Diese Ergebnisse sind nicht so unbedeutend als sie auf

10 lieber des Grafen HerUberg Abriss

den ersten Blick scheinen mögen. Wir haben in dem Pr^cis die Quelle der Schriften erkannt, denen man, so oft von Hertz- berg die Rede war, eine Stelle neben seinem Becueil einzu- räumen pflegte. Aber auch auf seinen politischen Charakter, auf sein Verfahren in der Zeit der Ungnade wirft sie ein ge- wisses Licht. Wir wissen bestimmt, Brunn erhielt diese Denk- schrift aus seiner Hand mit der beigefügten Gabinetsordre vom 5. Juli 1791, wir haben gesehen auch Weddigen empfing sie von ihm, dasselbe lässt sich von Posselt vermuthen, minde- stens schickte ihm Hertzberg eine ausfiihrliche Darstellung des Reichenbacher Gongresses, der ebenfalls jene Gabinets- ordre beigelegt war. Jener war ein vielseitiger Schriftsteller, der zweite Bedacteur einer historischen Zeitschrift^ der letzte Geschichtsschreiber und gewsfndter Journalist Mehr als ein- mal hatte Hertzberg das Princip der Oeffentlichkeit ausgespro- chen. Bei der Reinheit seiner Absichten ftihlte er «ich ge- drungen öffentlich seine Verwaltung zu rechtfertigen; der Weg dazu war ihm durch das Verbot seines Buches abge- schnitten, seine freimüthige Bede in der Akademie fiihlte sich gehemmt,*) da theilte er diesen Abriss seines Lebens Män- nern mit, von denen er erwarten durfte,- dass sie früher oder später das ausfuhren würden, was ihm selbst die Umstände versagten.

Aber welchen Eindruck würde nicht diese Denksehrift gemacht haben, wenn sie unmittelbar nach de» Betchenba- cher Gongresse, wenn sie noch während Hertzbergs Leben erschienen wäre, als man noch in der alten Gabinetspolitik lebte, und unbefangen der beginnenden Gährung entgegen- sah, ohne zu ahnen, dass sie in ihrer Kraft immer neue po- litische Gestaltungen zu schafiißn, noch vor Ablauf eines Jahr- zehends jene Tractate und Friedensschlüsse in die Beihe der veralteten und vergessenen hineindrängen werde. Damak ;wücde dieser Abriss zu seiner vollen Bedeutung gekommen sein, er würde als historisches Moment in das Leben selbst

♦) Memoire sur la quatri^me ann^e du r^gne de Fr6d6ric Gull- laume II. p. 26.

letner diplomatischen Laufbahn, 11

eingreifend gewirkt haben. Ganz anders steht die Sache jetzt Er erscheint aus seinem natürlichen Boden herausgerissen; für uns ist er nur ein> geschichtliches Dokument, das einen andern Maasstab erfordert, und an die Stelle der ersten Frage, was diese Schrift gewirkt habe, tritt die zweite nach den neuen Aufschlüssen, die sie giebt. Künstlich müssen wir uns auf den Standpunkt zurückversetzen, aus dem Hertzberg schrieb; denn der Schwerpunkt seiner Ansichten liegt auf ei- ner ganz andern Seite, die-Grundlage seiner Politik ist der Gegensatz gegen Oestreich. Es möge gestattet sein, einen Aogenblick dab^ zu verweilen.

Durch den iBubertsburger Frieden hatte Preussen eine neue Richtung erhalten; mit ihm beginnt der zweite Abschnitt seiner Wirksamkeit unter den gössen Mächten. Erringung und Behauptung einer Stelle in- ihrer Reihe war bisher das Ziel gewesen; ein Kampf mit den Hauptkräften Europas un- ter der Führung des nächsten, heftigsten Gegners war die Folge. Nach dem Abschlüsse des Friedens war die Aufgabe in Deutschland eine Stellung zu gewinnen, die der europäi- sehen entspreche, daher die vorzugsweise deutsche Politik Friedrichs in der zweiten HaMte seiner Regierung. Doch aber- mals musste man hier auf Oestreich stossen. Zugleich greift diese Richtung bestimmend in den Gang der europäischen Verhältnisse ein; die gegenseitige Neutralisirung Preussens und Oestreichs wie Englands und der bourbonischen Mächte erleichterte Russlands Vordringen gegen Westen, wozu eine Macht nach der andern die Hand geboten hatte.

Hertzberg war ein Zögling der ersten Periode, der zwei- ten hatte. er seine volle Manneskraft gewidmet, und ihr in einer Weise genug gethan, die ihn den bedeutendsten Staats- männern an die Seite setzt Welchen Blick zeigt er iiir die europäischen Verhältnisse? Wenn er auch mitunter die Kräfte Preussens überschätzt, ist er doch für die Mängel seiner Lage nicht blind. So chimärisch seine Pläne scheinen, die er auf dem Beichenbacher Gongresse darlegte, so mechanisch das Mittel des Ländertausches war, das sie verwirklichen sollte, dennoch gehen sie aus einer tiefen Erkenntnis» der Grund-

12 lieber des Grafen HertJbberg Abriss

lagen des Staates hervor; es liegt in ihnen eine Prophezeiung, die durch die spätere europäische Umwälzung glänzend er* füllt worden ist. Wenn es zum Wesen des Staatenlenkers gehört, die Gegenwart in ihrem lebendigen Zusammenhange mit der Vergangenheit zu begreifen, um der Zukunft klaren Auges entgegen zu sehen, so besass Hertzberg, mag er awh bisweilen einseitig erscheinen, dies Talent in hohem Grade. Es liegt etwas Imponirendes in der Sicherheit, mit der er in den Jahren 1792 und 93 das Uebergewicht der französischen Republik, und ihr selbst das Schicksal der römischen verkün- det, den baldigen Uebergang von der Demokratie zum Des- potismus/) In der Vergangenheit seines Vaterlandes ist er heimisch; in den wichtigsten Staatssachen handelt er mit ei* nem Hinblick auf das Alterthum, und in der Zeit seiner Un- gnade schwebt ihm das Beispiel des Ariistides vor Augen. Das ist keine Affeetation, etwa wie sie noch in der gleich- zeitigen Literaturperiode erscheint; die antike W«lt mit ihren* Staatsverhältnissen ist wirklich in ihm lebendig, seine völlige Hingabe an den Staat ist ein ihr verwandter Zug. Die Ge^ radheit, oft Starrheit seiner Politik, die entschiedene Frei- müthigkeit, mit der er öffentlich von dem Geschehenen Re- chenschaft ablegt, ja selbst der naive Ausdruck seines freilich starken Selbstbewusstseins, der nicht bei Mirabeau allein ftir leere Prahlerei galt:**) dies alles hat etwas das an römische Grösse erinnert. Doch es würde anmasslich scheinen, nach Dohms treff'licher Charakteristik dies weiter auszuführen: nur noch einige Worte über die schliessliche Katastrophe.

In dem starren Festhalten des Gegensatzes gegen Oest- reich lag auch die Einseitigkeit der Ansichten Hertzbergs. Auf dem Reichenbacher Gongresse wurde es ihm klar, man wollte das alte strenge System des Hauses Brandenburg mit

*) Memoire sur le r^gne de Fr^d^ric II. 27. Jan. 1793. p. 4. llter Brief an Posselt vom 2. October 1792. Zu dem Folgenden s, den 4ten Brief an Posselt vom 13. October 1787 über die Inter- vention in Holland.

**) Histoire secr^te 1. 1. p. 145.' II. p. 126. Als Antwort darauf dient Hertzbergs siebenter Brief an Posselt.

seiner diplomatischen Laufbahn. 13

einem andern vertauschen, aber er schien nicht zu sehen, dass seine Plane schon desshalb scheitern mussten, weil weder den Seemächten daran liegen konnte, statt Polens Preussen im Besitz von Danzig zu sehen, und Oestreich noch weniger' einwilligen durfte, den gefiirchteten Nachbar durch den schwa- chen, Preussen auf Kosten der Pforte stark zu machen. Er erkannte nicht, w^elcher Fortschritt in einer Annäherung an Oestreich liege, dass sich eine neue Epoche liir die deutsche wie die preussische Politik vorbereite, in der beide Haupt- mächte im Einverständniss an die Spitze Deutschlands treten mussten. So erlebt flertzberg den Untergang einer Politik, die in der langen Zeit, wo er das Steuer führte, sein Leit- stern gewesen war, sein eigenes Werk glaubt er in Frage gestellt, und sich selbst sieht er ohne offene Anklage in den Hintergrund gesetzt. In diesem brennenden Schmerzgefühl eines verkannten Patriotismus, das sich nirgend heftiger, rück- sichtsloser ausspricht, als in den bekannten drei firiefen vom Jahre 1794, schrieb er den folgenden Abriss seines Lebens nieder. Nur mit Mühe 2ügelt er den Ausbruch seines Un- willens» dat^ Gefiihl seines Werthes steigert sich ihm so hoch, dass er auch seiner Theilnahme an der Regierung Friedrichs des Grossen eine Bedeutung beilegt, die sie, so achtungswerth sie auch gewesen war, doch sicher nicht gehabt hat Er fin- det die erste Theilung Polens weniger vortheilhaft, weil ge- gen seinen Raih Oestreich daran Theil genommen, der Te- schener Friede würde ehrenvoller geworden sein, hätte er ihn schliessen dürfen r*) der Fürstenbund ist seine Idee. So

*) lu diesem Sinne schrieb Hertzberg bereits am 10. März 1779 an den Grafen Görz; siehe dessen historische und politische Denk- würdigkeiten Thl. I. S. 97. ünbezweifelt würde dies Buch einen grössern Werth haben, wenn sich der Verfasser auf das beschränkt hätte, was ihm aus Gdrz's Nachlass zu Gebote stand. Jetzt gesellt es sich besonders in dem ersten Theile den Memoiren bei, die durch Benutzung bekannten Materials an Umfang gewonnen haben. Schon die häufige Verweisung auf Görz's gedruckte Schpjiten und Dohm muss auffallen: eine nähere Untersuchung ergiebt, dass die ausge- führte Erzähltmg, die im ersten Theile die spärlichen Briefe von und au Görz an einander reibt, hin und wieder -mit Dohms Denk-

14 lieber des Grafen HerMerg Abriss.

schreibt in seinem Unmnthe derselbe Mann, welcher öffent- lich wiederholt hatte, Friedrich sei der Urheber und Vollen- der dieses Gedankens gewesen, welcher einige Jahre darauf den ersten Entwurf dem Nachfolger Friedrichs zugeschrieben hatte, derselbe Mann, der in der besten. Meinung den son- derbaren Vorschlag machte, um die Wahrhaftigkeit der Ge- schichte zu sichern, solle sie, wie in China und der Türkei, nur von amtlich dazu unterrichteten und angestellten Män- nern geschrieben werden.*) Fern sei es, seine eigene histo- rische Treue durch diese Widersprüche verdächtigen zu wol- len; sie zeigen nur wie die Leidenschaft und der unmerkliche Einfluss der Umstände auch den graden Mann mehr nach der einen oder der anderen Seite hinlenken können. Nicht durch eines oder das andere der von Hertzberg angegebenen Momente allein, durch ihr Zusammenwirken ist der Fürsten- bund entstanden, nach einer kurzen Darstellung die er selbst in seinem Recueil giebt, und den gewiss unbefangenen ^it- theilungen, die er darüber an Dohm machte.**)

Einen entschieden neuen Aufs^hluss möchten sonst nur die Angaben über die schon damals beabsichtigte Erwerbung von Schwedisch Pommern gewähren; Hertzberg deutet nur an was er sagen könnte, aber er spricht es nicht aus, er ruft die Nachwelt auf, aber er will sich ihr nicht unbedingt in die Arme werfen. Bisweilen scheint die Hoffnung auf eine Rückkehr an das Staatsruder durchzuschimmern , und äHzu freimüthige Geständnisse würden ihm den Weg zur Versöb- pung mit der Gegenwart ganz abschneiden. Dessen ungeach- tet bleibt dieser Lebensabriss ein interessantes Dokument, biographisch sowohl als aus allgemeinem Gesichtspunkte be- trachtet. Hertzbergs Charakter tritt hier in seiner ganzen Ei-

würdigkeiten wörtlich übereinstimmt. Hertzbergs Äeusserung über die Tbeilnahme Oestreichs an der Theilang Polens bestätigt wenigstens, einen Punkt der Angaben, die Goxe darüber aus seinem Munde haben wollte: s. Dohm Thl. I. S. 447.

*) Memoire sur le vrai caract^re d'une bonne histoire. 1788. p.4.

**) Denkwürdigkeiten Thl. III. S. 62. üebrigens siehe die hier- auf bezügliche Stelle der Denkschrift.

seiner diplomatiscken Laußahn. 15

genthümlichkeit hervor, in seiner Darstellung spiegelt sich sein Bild treuer als es ein Anderer geben könnte, und einen Mann reden zu hören, der dreissig Jahre der rastlose Gehülfe eines grossen Königs war, an dessen Schöpfungen er sich heran- bildete, ist immer denk^srürdig, auch wenn er weniger sagt, als man wünschen möchte. Somit übergeben wir dem Pu- blikum diese Denkschrift, die ein halbes Jahrhundert auf den Augenblick gewartet hat, wo es ihr vergönnt sein würde an das Licht zu treten; es ist ein historisches Yermächtniss des Verfassers, das bis auf das dritte Geschlecht herabgekommen ist; es zu erfüllen wird eine Pflicht der Pietät, es liegt eine Versdhnung darin, eine Gerechtigkeit der Geschichte.

Dr. Rudolf Köpke.

N

Pixels tfe la carrl^re diplomatique du Comte de Hertzberg'.

J'ai eu le bonheur, de servir la monarchie Prassienne .pen- dant quarantc-sept ans, depuis l-ann^e 1745, au sortir de runiversit6 je fus envoy6 comme secr^taire de I^gation k la diete d'^lection de Tempereur Fran^ois I., et k Tage de dix-neuf ans je m'^tois tellement qualifj^ pour la carri^re diplomatique par un droit public de Brandenbourg/) que le minist^re d'alors douta, qu'un 6tudiant soit capable d'une teile besogne. N'^tant qu'un gentilhomme Pom^ranien sans for- tune et sans liaison, j'eus le bonheur de me faire connoitre k Fr^deric II. en 1746, en lui faisant les extraits des archives, dont il avoit besoin pour les m^moires de Brandenbourg, qu'il composa alors et desquels extraits il existe encere un tout entier sur Tancien militaire de Brandenbourg de ma fa^on dans les dits m^moires/*) Depuis ce tems Ik il me traita

*) Diese Abhandlung ist nie im Druck, erschienen, da das Mi- nisterium die Bekanntmachung desselben widerrieth. Küster giebt in seinen Accessiones ad bibliotbecam histor. firandeuburg. Abth. II. S. 395. eine Uebersicht ihres Inhalts. Brunn.

**) Ich habe diese französisch abgefassten Auszüge selbst in Händen gehabt, und mit den Memoiren des Königs genau vergli- chen. Es ergab sich hieraus, dass sie die Grundlage derselben wa- ren, und dass der erlauchte Schriftsteller sie nur nach seiner ori- ginellen Manier umgearbeitet hatte. Sie machten einen eng geschrie- benen massigen Quartband aus. Eine Abschrift davon befand sich in der Bibliothek der Prinzessin Amalie, die sie dem Joachimstbal- schen Gymnasium vermacht hat, doch ist sie daselbst nicht tuehr vorhanden. «. Brunn.

Pricis de Iq camür^ äiplom. du comH de Hertzberg. IT

toimir# «on ^^ve pour les afbiriBS ^triing^nS) il me mit dBÜ les ^ndes archives et dans la p^pmi^fe- du ' d^artemenl ^tranger qü'il ^ablit alori, avec le litre de conteiller de 16« gation, et je comineii^'s k travaiiler dans tootei let exp^c^ tiohs du d^parteiiient En i749 il me confia Bpr^s la morl du Sr. d^llgen*] la garde du d^pAt des archires secrMeo, qu^oii app^ le cabinet des archives, et qui contient les trmiis, les pactes, les testameus et tou» les titres impor« tans de la maisoh de Brandenbourg avec les d^f>6efae8' les plus ' secFibtes. Je trouvois ces ardiives dans le plus gra»d d^Mtfdre, empiaquetdes eneere dans une vmgtaine de caissea immeases, dans lesquelte^ elles avoient ^t^ enroyfes k Stet-« tin' loraqu'i^n oraignott en 1745 fintasion du g^n^rai Grün**) il Berim. Le Sr. dllgen n'avoit pas.eu le courage de les d6^ paqueter; je le fis; je remts tous ees mittiers 4e documens mipoplans k leur place; je les lus tous, et c'est par li'que j'i» acquis la connoissance de tous les droits et int^ts de ia maison.de Brandenbourg, qui sont coome ensoTelis dan^ ma memoire, de sorte que je pins tout ^orire et expMier des thJt^s et des di6p^(^es, et tout ce qui est n^oessdre pour les .affaires ^ti^angferes, oiAme sans le secours des ar-i ^cfaives. On peut en trouver un essai dans certains arttcies sl^tistiques de Brandenbowg, que j'ai foumi k une oocäsion singnliäi^ pour le dretionnaire eneyelop^dique de Paris, que f ar diet^ alors dans une oouple de maliinAes k un secr^tairv«^ et qu'on a r^imprim^ «osuite dans le p^ttotutne cf^MhI;***) Je contfnfQois. dans les ann^es 1750, 1751, 1709, k faire non seulemeot les exp^ditiotis courantes da d^ptttement, mait aüssi les extraits de tomtes les n^gocintions du roi pour son

*) Br starb 1750.

♦»> Er bicfss Grünne. ^

f *.»)>. Sie befanden sich aicht bei dem Manoscripiei* 6& sind die bekannten articles bistoriques et g^ograpfalques des 6tats de la rhaison de Brahdenbourg etc. Berlin 1787. In demselben Jabre er- sebieii einie Uebbrsetzung ton A::Rode. fieurtheitungen gaben die allg'eneiii^ deutsche BIbIMbdc Bd. 81. S; 165. «md die aUgemeine LHenImnKMtuhg 1789. Bd. 1. B. 59^ ' ' > »ninn.

JE«iteakrift f. f»Mchi€bi«]itsw. I. 1844. 2

IS PrM$ de la eamiärt diplamaHque

hiBtoire» doni il n'a pas eu le temt de faire uaage»'i9aM doDt je ferois un tr^s-exoeUenl, si oo me laiMe acbever rhistoire de Fjt^d^ric IL It-me conföra en 1758. de a<m propre mim-* yement le titre de eonseiller priv<&, ayant appris qiie j'^yois remport^ un prix 4 Tacad^mie, par une dissertation , par la- qoelle je fug en m^e tems agr6gd pour membre de raoa- d^mie*). G'est depuis ce tems IJi» que j'ai contiaa^ k terire et k publier ohaque ann^e un ni^aioire acad^inique dont je joiiü icir un exemplaire r^uni/*) dans lesquela j'ai rendu un oompte au public de radministration oivüe de Fr^d^rie II. dana le eours de chaque ann^e, surtout depuis la guerre de aepl^ua» eo pubJiant un detail de» aaiäioratious et des bienCails, qu'il a r^pandü dans le pays et quil a rendu par-«Ui si flarissant» et qui ont fait voir, quelles reasources avoU: monarchie Prus^ sienne bien gouvern^e et qu'elle n'^loit paa öpb^m^e» maia la plus solide de r£urope malgr^ aa ni^iocrit^ Ce sont cea petits miämoires, qui ont fait eonnoitre Fr^^ric II« h tontQ TEkirope dans la qualit^ d'un roi bienfaisant, juate et a<^iC que presque tous les souverains de TEurope ont lu avec vndiiä et m'ont fait faire des complimens flatteurs iJMieasus, teis qfue les reis de France ^ d'Angleterre, de Sardaigne, le prince de Brasil et saifime TeHfiereur Leopold«

£n 1754 le roi ordonna de son chef au miniattee, de m'admettre aux Conferences secr^tes du oabinety et depips ce tems (4 j^ai ccMicouru k expedier les d^pdches les plus im-* portantes et les plus secrfetes. Lorsqu'il vouiut coramence« en 1766 la grande guerre, il me fit venir en seeret h Pots« dam et me confia les papiers secrets, qu'ü avoit tir6 par cor-* ruption des archives de Dresde^ dont je lui fis un pr^eis» qu'il communiqua k toutes les cours. ayant de commencer la guerre, pour leur prouver les desseins dangereux que les deux cours imperiales et celle de Dresde avoient form^ centre lui et qu'il crut deveir pr6venir. Ayant ensutte fait la conqu^te

*) Die Abhandhing erschien im Duruck unter dem Titel: Uebe» erate Bevdlkenun^ der Marie Brandenbuii. Brana;

^) Mm fand sich nicht bei dem Ifanuscripte. Bruan*

4h eomte de BerMetg. 10

de Dresde il fit enlever des ardiiTefii les originaui de eeft pttpiers, suT lesqtiels je cimiposoid en peu de joun le Ak mens m^oire raisonn^ par le<piel presque tonte rEurope Alt conrainciie de la jastice et de la nieemU de sa guerre.

Je foumis au roi en Janvier 1757 par une lettre ano-* nyme, qui se trouye imprim^ k la p. 11. da 1 vol. de mes Berits pMkSf Pid6e de faire une augmentation de Tarm^e de fk^ ä <guai^nite mille homtnes, pour forcer la goerre et pour ne pas abandonner ni la Prasse» ni la Westphaiie. II ex^- cuta cette fd^ par la lev^e de^ reorues, et les milkaires m'ont lU^sur^ que cette nonveUe lev^e, qui ^toit presque seule rest^ au roi deputs la batailie de Gollin, a le plus contribu^ au gain des batailles de Rossbaeh et de Leuthen. fengageoii aussi les 4tatS de' la Pom^raoie et. de la Marcbe, apr^s la perte de la bataitle de GolUfi, & lever k leurs frais ces vingt batailloDS de oillice, qui out ensuite d^fendu Golberg, Gu-^ striti, Sl^ÜD et'Magdebourg, et ont feit la petite guerre si fiingnlifefe et si beureuse areo les Russes et les SuMois en PoRT^irfe^ et put conserve cette ptovince.

Le roi finapp^ de la siugularit^ de la lettre susdite, nie eotiftra en Janvier 1TS7 Pimportante charge de sonS'- secr^ taire d'ötat on de preniier commis du d^partement avec six k sept mille 6€us d'appointemens. II me nomma la' m^me an*« n^ coßjoiutement avec le mar^al Lehwald pour faire la paix avec les Su^dois, ce qui n'eut pourtant pas Heu. Pen*« dant tout (?) le cours de la guerre de sept ans je ^uivis la cour k Magdebourg, et j'accenipagnois le comle de Finkenstein aux quärtiers d'biver du roi, comm^ k Meissen, k Breslau etc. C'est \k que je contribuois k faire en 1762 les deux trait^s de paix avec la Su^de et la Russie, la reine de Su^de ayant 6mt k moi une lettre secrete, pour demander la paix« J'ai anssi exp^diä pendant la guerre de sept ans pres(pie toules les d^ductions, d^clarations et d^p^cbes de la cour. Le roi se trouvant ay commencement de Tann^e 1763 dans le cas de faire la paix av^ les deux cours de Yieime et de Dresde« . il m'appella de Berlin k Lelpdig» m'envoya k Hubertsbourg ei se servit de moi flfe«d, pour faire k l'exclusion du comte de

2*

8(1 Pricis de la cßrriäre d^hmatique

Finky qui ^toit avec lui k Leipiig» cette o^^re pain. Hu^ biertftbourg, qui fut si solide et si hoitorid>le pour lui et pmvc woi, qu'il vint cbez moi ä Hu()ertfibourg et,ine<Ut: »Je^MMm f(61icite, vous ayez fait la paix oomme moi seul contra ^n nombre d'enuemis." *)

II me nomma bieptöt apr^ pour second ministre d'^tat des afiair^s ^tratig^res k la place du comte de Podevils. Je me contentois par modestie de cioq mill^ 6cus d'^ppointemens que le comte de Fink**) ayoit eu« et c^dotf lea flept mill« ^us que j'avois eu auparavant k mes aucce^nsieurs, (ubaltefiie.« Mar^unay« Diestel et Keith, quoique j'aye exerc6 leß. f^optiiHW des deUK deruiers encore trois aus apr^s la paii^ de Huberte«; bourg. . Dans le cours des apu^ d^ptiis 1763^—1773, qui ^toieat paeifigues et dans lesqueJies le rpif FxMinc II. ^'oc- cupQit principalement du sein d^ r^blur son pays et le.U^ ser et d€L se fortifier par des alliauces. sustdut avec Jümp^ari trice de Rusaie» j'ai pr^sid^ a?ec le comte de Finke^stMi au d^partevient des affaires ^trang^res en me cbargeaiit de Texp^dition des trait^s et des priucipales d^^bes d^/d^ partemetit» dans cette ^poque, qui fut si.orageuse et tnt^- reasante par ies troubles et la pacificatipn de la Pologne h laquelle le roi avoit taut de part. Lorsque le roi lut engagö par Texempl^ de Timp^ratrice Marie Tb^r^se qui s'empara ea 1772 de la Staro&itie Polonoise de Zips, k cosi^cevoir avec rim* p^ratrice de' Russie le projet du partage de la Pologne *'*); jq

*) Die richlige Leseart hat wohl Weddigen S. 50: Vous aves fall la paix comme j'ai fait la guerre, un contre plusieurs. Bei Dohm Thl.I. S. 78 heissen die Worte: Vous avez faitla paix comme moi la guerre^

**) Soll wohl heissen: von Podevils. Brunn.

***} Cela se fit dans le tems que Madame la duchesse dOuai- ri^re de Brunsvic dtoit avee le Roi an mois de *JaiUet 1772 au hon-» Teau palais de Potsdam, il me fit demander par le comte d^ Finkenstein, quelles pr^tentions il pouvoit avoir sur teile partie.de la Pologne, sur quoi je lui proposois la Prusse Polonoise et fit passer Tid^ä' quil avoit, de joindre Ies Palatinats de Posen et de Kaiisch ä la Sil^sie, ce qui lui auroit fait manquer roccasion, de eomhiner la Prasse avec le oorps de la monarchie. .>

Anmerkung Hertzl^ergs»

du eömte de Sert%betg. 31

lui fournis i'id^e de s'approprier la Prusse Polonoise. JTeii trouvois tes titres ainsi que pour le port important de Dan* zig , je tes 'constatois dti fond de rantiquit^ la plus recul^ef dans ces d^ductions, qiri out fall \AtA de brait dans ce temff )ji, et out fait toir i. tonte l'Europe, que le roi de Prusse seul avoit de bonnes pi^tentkms. Je dressois dans les ann4e9 1772—1775 toutes les pi^ces, toutes les d(§p6ches relatives U eetfe fifmeuse affaire et ensufte le traitS du partage et celui rfe la cession de la Prusse Polonoise mAme,' quoiqne je me Irouvois alors dans un 6tat de h^miplexie, j*ai eu alofs le bonheuF d'obliger la Pologne dans ce trait^ de renoncer ht la T^ersion du royaun^ de Prasse apres Pettinction de la ligne maskuline de 'Brandenbourg, r^ersion qui lui ^toit as* sut^e pi«r 'te trait6 de Wölau, et d'assurer par^i la succes-' sfoh hie beau royaume aux deux se^^cfs de la maison de Brand^nboiirg et k Yi^temttier ainsi, ce qui a fait plus de peine' aux Polonois que la cession de la Prusse Polonaise m^me. G'^toit un point essenttef, auquel personne ne pensoit, mais qui m'4toit präsent par la connoissance des arcbiTes, et par l^qtiel je crois m^riter la reoonnoissanee de toute la maison de Brandenbourg pendant toute son existence. On commit pourtant alors de grandes fautes dans ce partage, surtotiten iaissant prendre i PAütriche sa portion et une aussi grande en Pologne. Je le (is observer, et je conseillois de laisser phitöt prendre k rAutricbe sa portion sur les Turcs, ce qu'elle auroit pr6fi6r6 alors, mais je ne fus ni ^cout6 ni soutenu.

Le dernier Älecteur de Bavi^re *tant mort en 1778*) et rcmpereur Josepli ayäht voülu s^appröprier üne grande par-' tie de Timportant duch^ de Bavi^re, je crois avoir contribu^ le plus k d6terminer Fr^d^ric II. de s'y opposer de cette mani^re forte et magnanime qui est connue. Je dressois alors tous ces m^möires nombreux et forts'en raisons,par lesquelles' le baron de Riedesel combattit avec le prince de Kaunitz. J'eus la principale pari k la n^gociation', que le minist^re Pr^ssien entretint sur cette alOTaire avec le comte de Gobfn^el,

*) Er starb d^n 30. December 1777.

n PrM$ de la carrUre diplo$Mtique

h Berlin et areo le baren de Tbugat h Braunau en Boheme» et les n^gooiations ayant 6t6 inutiles j'ai dressö les mani- festes du roi, qui attira & hii et ä moi le suffi^ge de toute TEurope et la reconnoissance encore permanente de la fa^ miile palatine et de la nation Bavaroise. Si on avoit voulu suivre mes avis, la oampagne cpii s'ensuivit, attroit 6t6 pliu heureuse qu'elle ne iiit. Ayant 6i6 finie, on commen^a la n^-^ gociation de paix k Teschen; je ne Tai pas fait direetement, mais j'y ai le plus eontribu6 en la dirigeant de Breslau, o4 le roi avoit fait venir le ministöre pour cet effet U est. conno q[ue cette paix fut faite d'une mani^re, qui smgmenta la gfoire et la. consid^ration du roi au plus baut degr6 et le fit re- gardei^ dans toute l'Europe comme le ginrdien de la balance contre la maison d'Autriehe. Elle aiiroit 6a encore plus glo- rieuse» si on n'avoit pas contreearr6 mes plans et si Ton n 'avoit pas empöehö, que j'allasse faire mbi^-m^me la pain k Teschen.

L'empereur Josepb ayant essayö en 1784 >de youloir ac-* qu^rir la Bavi^re par un ^cbange contre les Pays>^Bas, le roi Fr^d^ric IL s'y opposa et fit Schoner ce dessein dangereux de la maniire connue par des d^elarations vigeureuses et des n4goeiations auxquelles j'ai eu la princtpale part G'est k oette occasion que je fis nattre Tid^e de Tunion 'Germanique*),

♦) In der dissertation sur les v^ritables richesses des 6tats 26. Jan. 1786 sagt Hertzberg S. 23: „Gelte gloire doit recevoir un nou- yeaäFelief d'autant plus grand) si Ton consid^re, que le roi ä lui* m^me. imagin^^ pouss^, et consommö cegraod ouvrage (den Für stenbund)/^ Aehnlich lautet die Stelle in dem memoire historique ßur la derni&re ann^e de la vie de Fröd^ric II. S. 27. In dem Me- moir vom 6. Oct. 1791 (wir haben nur die üebersetzung zur Hand) lesen wir S. 9: „Der jetzt regierende König, dessen Geburtstag wir beute feien), hat hierzu (zur Herstelhing des GleiclTgewiehts) vielr. leicht mehr als irgend ein anderer Souverain beigef^agen, sowohl durch die fortgesetzte Bemühung den deutschen Fürstenbünd auf- recht zu erhalten, wovon derselbe vor seiner Thronbesteigung die erste Idee gehabt und angegeben hat u. s. w." Endlich Recueil ThI. II. S. 364 heisst es: „Le comte de Bertzberg avoit eu quelques fois i'oc- easion de s'entretenir avec le roi sur Tidi^e d'une associs^on des

du C4fmi9 de Berinbergt II

qui fat ccmcliie k Berlin en 1786 prineipalenieiit pta mef fMis et par ma plume afec ies ^ledeun de Saie et dVan« novrew C'Moit fe dernier momiinent de la gloire de FrMine IL II parut m'avoir donn^ surtout apr^s Tacquii ition de Prasse et la paii de Tescben toute sa ooi^nce. U me traita avec une famiiiarit^ amicale et me fit renir toiis Ies automnea k Sans-Seucjy poor y pasaer quelques semaines seiil avee lui; enfio comme ii tomba dans sa derni^re maladie bydropique« i/ m'apprila le*9. de Joillet 1786 l San^-Souci et m'y gairda seul JQsqu'i sa mort, qni arriva ie 17 d'AoAt, de aorte qu'd paroit qu*il a Toofai qiie je« fasse Ie t^moin de ce grand

Son succesleur Ie roi r^gsant aujourd'hui, qui m'avoil Mfk hoBort auparafant de sa eonfiance, parnt fouloir me la eootiii«ier. Je lui ppopesois de penaettre, que selon FeKempla du comBiefieemeDt du xägae du feu roijusqu'ä la guerre dtif sept ans^ je lui dreasois toutes Jes d^pddies pour )es mi- msifres ^tmigars et. Ies eorerrois k son approbaüon et i sa Signatare la veüie de cbaqjäe^joiur de poste. Gela fut approuv6| et j'ai mü' gkt6 Ies affiires et y ai travatU^ tous fos jottra 16 ii 18 beures .d'une maui^re qid m'a paro avoir toute so« ^pn^tioa et qiu leur a doMi^ tout Ie suco^s poasible jus» qu'au trail6 de Retckenbaclt

Le roi FrM^rio IL ayänt laissiä sa mooarchie dans l'^tal Ie pins iBarKsant a?ec.une arm^e ^galement bonne et nooa- brause » un tr^sor coDsid6rablc et une natioii vigoureu^e » et ayant jom^ dans Ies deraiferes anntes de sa vie le jöle gkn rseux d'arbitre de la desün^ et de la balance de TEurope« je formois le plan pour le roi Fridörie GuiUaume IL d^s le eomnienceinent de son r^gne, qu*il devoit eosetinuer k jouer ce TÖie et Je pousser encore plus loin, en profitant des 4>cea« sioBs pour proeurer k sa monarcbie ce qui lui taianquoit an«^

princes pour le maintien de la Constitution Germanique, iaquelle rappella au roi le Souvenir de la ligue de Smalcalde. Le roi reg- tiant aujourd'hui comme prince royal ent alors la mdme id6e, don^ salta lä^dessus le c. de H., et s'y pr6para avee plösieurd prinoei de

*

Bl PrSda de la akrriere diplomatique

eore et pour hii 6ter ses iollperfectiotas locates. Je crols ne pas trop dire^ que ee plan a ^t^ exic^M et que ie ma jou^ Ih r6ie d'arbitre de l'^quilibre dans le sud per la r^fohition de la Hollande. ex^cut^e par la yaleur et la pmdence extra-* ordinaire du duo de Brunsvic. II a abaiss^ par--l& la France, il lui a 6t6 son kifluence en Hollande et en Allema^ne, il Ta donn^ k l-Angleterre, il a rendu k oelle-ci la Konnexion wrec l'AUemagne perdue auparavant, lui a a$sur6 ses pcMisesakins dans rinde par Tdiiance Hollandoise et par ralfianee eonetoe «1 1788 entre la Prasse, TAn^^erre et la Hdlande, il a jetM la base de ee grand syst^oie föd^ratif, par lequel ces tiüia puissances s'assistent mutuellement non seulemeut pcmr leur defense mutuelle, mais aussi pour maintenir r^quilibre du pouToir dans toute TEurope en empdcbant qu'aucnne puls«- sance ne puisse l'^brankr par des raes et des entreprfses ambitieuses» G'est dans cette vue, que je conmliois au röiy iorsque la guerre s'alluma en 1788 entre les iejax, eoucs idi^ p^riales et les Turcs et cpie ceux-ci fiireat nieiiao^ d'^tre exputs^s de l'Europe, ce qui aulroit pu proeurer jt la maisoii d'Autriofce, Tancienne riyale de celle de Brandebbourg, uii agrandissement trop dangereux, je .oonsriUois aa roi, que )a Prasse s'y oppose avec ms deux alüä» et tkke de mainteniF r^quilibre dans l'orient et le nord, d'abord par une d^ckira- fion vtgoureuse et en cas de besoin par une intörTention en- core plus effieace. Ge plan fut aussi agr6^ far l'Anglelerre» fnais principalement ex6mit6 par la Prasse presque sans aucun secours de ses allt^s. Le roi de Sufede ayant .commene^ la guerre en fareur de la Porte contre la-ftüissie, ceüe-ci. lui lächa de Daaemarc, dont le prinee royal fk upe invasion en Sii^ et auroit forc6 le roi de Suöde de &ire uae paix qui auroit renvers^ sa nouvelle r^volution et Tauroit mis sous ia d^pendanoe dei la Rassie, si le roi n'avoit paa fdrc^ le Da^ nemarc^ par une d^claration mena^ante que je sugg^rois et dressois et que le Seril duc Fr6d6ric de Brunsvic fiit charg4 et 6toit pr^s d'ex/6cuter, k faire un trait^ de neutralitä avec lui, par lequel^ le roi die Snhde fut mis en etat de continuer ia guerre et de faire une diversien contre la Russie. Celle 4eF^

du camte de Bert%betg, SS

vikni puisBanee ayaiit aussi fMsqoe subjagu^ la Pologne et ayai^ ocHichi un träit6 secret avec le roi de Pologne, pour lui faim leY^r une arm^e de oent miUe hoinmes cpii deyoit 6fare enploy^e contre les Turcs» et pour l'int^griM de la Po- logne c. ä d. contre la Prasse, je eoaaeiUois au roi» de faire des d6elaration8 si vigoureuses en Pologne» que le parti Anti*- lUisfiien prit Je ctessus, seeoua le joug Russieu et fit la premitee rtvojutbn daiis ce pays sous les aaspices de la Pnisse, ce f ui ^it Htäe et nöoessaire, mais he devok paa Mre pouaa^ ai . loin qiie oela a k%ik £rit daos la seconde r6f olutiou en i7S^ contre thes aw tAtke^* On peut dcmc dire äTec rai*« son^que le roi ajou6-en 17W et 1789 le röle d'arbitre de Y^ijqiiilibce däns le nofd ei» airanduisant la SuMe et la Po- lygne du ]0ug de la Buisie, laquelle auroit saus eela ea la SvMe, la Potogne et^ le Danemarc sous ses ordres et auroit nteie enlrain^ ia Prusse soua son despotisme en l'environ« naiHl; de tduii c6t^ A{«res af?oir ainsi affenni la tranquillM et r^qoilihre du^nord» le roi a jouiä en rn^me tems le ro^me rAle emws Tofieiit, en eopddianl les'deux coiirs imp^iales de ebasaer les Tuik» de Ffiurope et de feäre le partage de lear grand 'empife. II engagea ses alli^s de faire tune d^cla« ration cc^mune a^x deux cours imperiales, que les alli^s ne pourroient pa6 perpettre la destniction de T^quilibre dans I'brient fax la^ruine cte Tempire Ottoman, mais qa'ils leur eflriienüleur m^dialion pär üne paix juste et sopporlaUe. LeS' detix puissances märüinies n^ poutoient qu'adii^rer k hr i^oiaivalibn du loi de Prüsse^et d'6toft & Iw 4 Texi^cttter et i eh Gourir les risques. ' J'ardis ak>rs en vne le grand plan que la Porte: devok 6tre engag^e a e^der ^TAutriche la idoU datie et la Wallachie^ et 4 la fiudsie le- district d'Oozafeofi) precvinces inuttles poor.elie et qu'elle avoit döjä perdues, sani que Ir roi de>Bi!aase fut Obligo de Jes lui reconqu^rir, que Fempereur rendroit la Gallioie k la r^puUique de Pologne, qw eelle««ei cMeroit en r^tributioh au roi Danzig et Thorn avec l^s Palati^^ts de Kaiisch et de Pöenanae jusqu-ji ia Wartha e<nitce-,un bon trait<§ de comnerce« que la Kusme .reDdroü k ktfin^die un mMioore bout de laFindandev (pi'on»appelle ie«

96 Pricis de la carrik^e diphinatique

limites de Ja paix de Nystedt et qua le roi de SuMe o^deroH au roi la Pom^anie Su^deise contre oette aequisition terri« torielle et en äquivalent de quelcpies mülions d'6eu8, sur quoi j'^toiB d6jä secr^tement d'accord avec lui par le comte de Borck. Ge plan quelque vaste qu'il paroisse Mre n'6toit pas injuste, n'^tant proprement qu'un behänge de contenance, que ies Turcs devoient payer pour leurs fautes impardoima«» bles, et dont ils poovoient ^tre indemnisös par la giMnt» g^n^rale de toutes Jes puissances suf leur existenee en Evh rope. II 6toit d'une ex^cution possible et m^e facile daiia r^t^ de rannte 1789 Tempereur. Joseph avoit M si mal-« heureux contre Ies Turcs et ^toit Bienae^d'on soul^vemenl g^n^ral de ses sujets. Le roi ayoit m^me agr66 ce.frfan, et devoit Texöcuter iorsqu'il alioit en AoiU; 1789 a- la revw de Sii^sie, mais il fut eontreöarr^ et abandonn^pendantmois absrace par des >per$onnes et pak* des-oioyens, qüe je ne veux pas nommer. Au retour de ia Sil6sie je fus oblig^ de dresMV une alliance avec la Porte Ottomanne , que le Sr, de Bieta rendtt offensive, en outr^passant ses Instructions. Joseph \[I. 6tant mort en F6vrier 1790, son successeur Leopold reehercto la paix et Famitiö du roi par une correspondance de^quatre tettres, dans laquelie JI offirit de restituer tout k la Porte, en se r^servant seuleaient Ies limites de la paix de Passairowitii qui constituent la ville de Beigrade et le m^diocre lästrietde TAluta en Wallachie. Je täcfaois d'en profiter dans la c&ne-f spondance des deux rois et proposois un plan coneiliatoire« seloo lequel Leopold devoit garder le dit m^diocre disiriet ei c^der par encontre un territoire plus grauid de la Gailioie k la r^publique de Pologne, k condition que eelle-ci cöde an roi Ies villes de Danzig et de Tfaorn avec une petite lisi^e* he roi se rendit au printems de 1790 avec la jius grande partie de son armöe en Silesie pour appuyer celte n^goeia- tion,.ou pour donner la suite k sa nouvelle alliance avec Ies Turcs. Je suivis le roi en SiWsie et j'ouvris Ies conförencea de paix avec Ies deux pl^nipotentiaires Autrichiens k Rei*» eheöbach pr^sdu camp du röi et ainsi k Tombre de sonar«* m^e. Je tombois et fus d'aeoord avec Ies ministres Autriehian^

dtf oamte de UßtMeurg^ SV

du 27« Juin jusqu'au 13. de JuiHet sur mon plan concUia« loire susdit, gelon lequel le roi awoit «u un d^dofflinageBient eoävenable de ses frais immenfles d'armeme&ty auioii arrondi et consolid^ sa monardne par l'acquisttion de Danzig et de Thom; il auroit sauv^ les Turcs par un sacrifiee trte m6^ diocre, il auroit jett4 une bonne base d'harmonie avec TAu«* lliche en Joi procurant une extension de seg limites peu im** partanter mats n^cessaire pour sa süret^/ il auroit procura k h Polo^ie un äquivalent sextuple pour la perte de Dauzig» ums auroit empöch^ ptnu* jamais la nouvelle et seconde r^- Yohition en Pologne, d^^uctive pour la PriMse; on «uroit fiiir en mdme tems la paix entre la Porte et la Ruf sie par la eession d'Oeaaooff. Enfin en auroit doncili^ par ce projet les intör^s de toutes les puissances int^ress^es, sans humüier TAu- triehe pdr u^e re^titiition eali^e de ses eonquAtes. Mais tout eeia efaangea enh*e le 12. et 13« Juillet apr^s rarrivte du marqois de liuecbesini et. des deux ministres d'An^eterre et de Hollande. Geux-^i propos^rent au roi le status quo stricte Selon lequel les deux cours imperiales devoient 6tre fore^s k restitü^ tout«s leurs eonquMes k la Porte Ottomaane, sans aueune indemaisatioa pour la Prusse, et le matquis deLuc^ diesiiti soutenoit qua les Polonois ne c^deroient au roi lea i»Ues de Danzig et de Tborn pour aucun prix. Je r^fiitoia töutes ces objections et'propositions dans une Conference que j'eus avec Je roi le 14- de. Juillet k Schönwalde en pr^sence du duo de Brpnsvic et du marquis de Lucehesini» mais le roi insista' sur le Status quo strict-^u'on lui avoit fait a^^r comme plus bonorable et plus sür, etm'obligea k le proposer le 15. de JuiUet sous le lerme de dix jours aux pienipoten- liaires Autrichiens.. 11s en furent p^trifle par la honte, qui en f^ailiissoit sur Jeur cour, mais celle-'ci plus accomnodante eAToy^ son eonsenteffient en buit jours, et c'est lindesrns qu« je fus Obligo de signer le 27. de luillet le fameux traitd de Reicbenbaebf par lequel la cour de Yieane fut obltg^e de re-** slitiier i la Porte Ottomanne toutes ses cQoqueieSr Je stin pillois encore de a»on chef que si ette pouvoU obtenir w^ore qpMbiaes a^SAtages de la* Porte, eHe en donneroit iqui\a<^

28 Pricis de la cmri^^ dipiomatique

teilt au roi, en quoi je visois an' dratriet de Holzenplotz en Hauto^il^sie; mais on se relAcha de cette condition dans la n^godation de ^zistowa, quoique la cour de Vienne arraefatt encore k la Porte deux districts en Wallachie et en Gröatie, et pour mi^nager sa pr^tendue dignit^, on accorda aussi que le trait^ de Reichenbach ne seroit pas rappelig ni nommö dan« le trait* de paix de Szistowa, quoiqu'ii en flit hinique base. Le roi a 6ti^ ainsi raii)itre de T^quilibre dans Porietfl et a sauT(§ ia Porte Ottomanne et rexislence des Türcs eii Eiirope, uniquement k ses risqae3 et frais immenses. II re«- Ron^ taoitement k racqui^ition de Daftzig et de Thorft, qu'on hii avoit repr^sent^e comme impossible et ihtitile, quoiqu'elle soit absohmient necessaire k fa monarcbie Prtissienne comme la clef de la mer baltique, de la Vistule et du commerce de laPoiogne, ainsi que pour combiner la Prusse avec le corps d«f r^tat et pour que la possession n'en soit pas rendue pr6- eaire et interrompue dans le cas d'une guerre atec la Su^«te et la Pologne. On fit valoir ia diminution tie la douane de Fordon, qu*il auroit fallu accorder aux Polonois pour la ces^ sion de Danzig» comme plus importante que cette vitle, quoi-*- que ce ne soit qu'un objet mineur fis-i-vis de la possession d'une ville aussi importante par les> raisons, que je viens d'ai-^ l^guer. On me rendit d^sagr^able et odieux roi par \n pers6v6rance avec laqueile je soutins mes plans par patrio- tisme, quoique je le fisse avec soumission et que j'aye fait ie trait6 de Reichenbach, k la v^rit^ avec douleur et cotitre me» principeSy cependant entiörement selon ses rolont^s et d'une^ mani^re si honorable, qu'il m'en t^moigna "plusieurs fois son' parfait contentenient et que tout le monde a reconnu, que le roi a dict6 la paix k la fi^re maison d'Autriche, et que par ses suites ii a aussi obiig^ la Russie k Ia faire ensuite, etfl se conlentant de la cession tr^Sr-m^diocre du district d'Oe-^ zacoff. Je crois donc avoir quelque m^rite envers la Prasse,-, d'avoir augment6 sa consid^ration, qui est quelque chose de r^el, en soutenant mon plan primordial, en propo9ai»t «t>eir pousaant' Fintervention du roi dans les grandes aMiires duj nord et de Torient jusqu'i une heureuse issue, ^^i tut op4r^'

piff la traitä de fteicbsnbacb, quoique le roi ak faH tens bH ^M>Tts pour des puiasanees ^rangferes, gratuitaamit et gte6^ »eaaemeat, uniquement po«UF la aäretö 0t h bien g^n^ral da l'Europe» sana ionger ä aes peopres iikt6r6ts et k aucwie ia* den^isation qu'il pouvait exiger k juato titre du moias de la piärt dea Turcs*

^ . Oa peut trouyer tonte la suite de ces granda (^v^nemoDs dÜtalU^e et justifi^e dans ie troiaidme vokime de raes ^enta fHibiicSf €pa^ j'ai iait iraprimei* de la oieiSleure foi, mus dont fe F(H yient da . tae d^fendre ia publieatioft, quoique ia aimpia iMStitra. de oet owrriage dcwve bire voir, qu'il ae ooiitieDt qu» la 8 wpjle espos^ 4es fiaila» et neu qui puisae eiioquer dea piuSMoiaea ou dea peiRsoDDea queleouques, ni d^laire ao roi «u nuite k ses inl^r^tSi*)

Quoique j'aie fait le traiM de Reicheobaeh atrictemeAft aajön lea volonte du roi avee im travail immenge, en drea« aant ea m4me tem$ daaa ee congr^a toutea les r^naea auK fih^cbea de noa miuiatrea ^aogera, le roi commenga k mt ÜBUniffiket de la.froideiir Qt k me traiter m^ine duresient» tai^ pendioit le eougres de Beicbedbacb, que surtout pehdaat Ie-s6jour que.\noua fimea quelques semainea appte k Breslau.*^)

r <

») Man wird sich erinperD, dass dieser dritte Baod der Staats: §chriften, dieses Verbots ungeachtet, dennoch bald darauf in Ham- burg ohne Angabe des Dfückorts in einem genauen Nachdrucke erschien. Ob Hertzberg einen entfernten Antheil daran gehabt hat, weiss ich nicht, nur das kann ich anfuhren, dass er mir ins Ge* beim ein .Bxanaplar dasron aum Geschauk macbte. BrmiD. <

. **) Hertzberg er;&äklte mir. einst ia einer traulieben Uoterra.- dung, dass der König gleich nach dem Abschlüsse der Reicheuba^ eher Convention ihn zu sich berufen und beim Eintritt in sein Zim - mer zu "ihm gesagt habe: „Ich wünsche Ihnen Glück zu Ihrem vierten glüeklidi vollendeten Friedensschlüsse* Er habe darauf ge^ a9tw<»1et: „Nk)ht mir, sondern ledigüob £w. Miifastat komm! dwaan Glückwunsch zu; denn ich habe diesen Friedenstractat nor auf Ib* ren ausdrücklichen Befehl, ganz gegen meinen Willen abgeschlos- sen/^ Der König habe ihn hierauf bald wieder mit anscheinendem Unionen entlassen. Brunn.

Auf dieses Gespräch deutet Hertzberg selbst hin in seinem He< cueil Tbl 01. S. XXIIL in der Anmerkung. .. ' -

80 PrM9 de^la cartiäre diplof^atique

Ofi me n^gligea et me cacha tont oe qu^ön put, surtwt ce qui se faisoit avee les Fran^ois et en Pologne. Sans- me laisser abattre per ies d^sagr^mens journaKers que j'eiis k e»iuyer, je coiitinuai Texp^tion de toutes Ies d^p6cbes, je cooBeUfaii au roi de s'opposer k ia seeonde Evolution de ia Pologne et T^lection h^r^ditaire d'un roi, ce que S. M. l0 roi approuva aussi alors. Je d^tournai par de forte» reprö- sentations le projet que F^lectenr de Mayence proposa, dt^ faire 61ire d^8-Iors Tarcbiduc Fran^ois pour roi des Romaiifee en m^me tems que son p^re Leopold fut tin emp^^ttr, ce qui auroit rendu Tempire h^r^ditmre k Ia maison d'Au^he» pour an demi si^cle. J'entamai surtout une n^oeiation avec Ies oours d'Angleterre et de Suede pour assorer au roi TaS'i* sistance de TAngleterre et de Ia Su^de dans Je dessein qu'ii ätoit confu ayec ses alii^s^ de forcer Ia cour de Bussie k faire aussi Ia paix avec Ia Porte sur le pied du status quot; quoique j'eusse repr^ent^ au rot dans Ies n^ociations 4b Reiohenbach, que cette entreprise seroit träs diffidle et cou«« teuse, dhs qu'on n'ayoit (n'auroit?) pas fait Ia paix entre k Rttssie et Ia Porte k Toccasion et dans le traitii de RdcbeabMb» ce qui £toit possible et facile.selon nion plan coacilia!to(ire) inais non pas selon celui du Status quo strict. Getto n^gociation devint inutile, avec le roi de Su^de k cause de ses pr^ten- tions trop fortes, et m^me avec rAi\gleterre au mois de Mars I791y le Sr. Pitt proposa au parlement Tenvoi d'une flotte dans Ia Baltique, niais (?) ce qui fut empdcb^ par Ia trop forte oppoutioii de Ia DatkHi et obligea ia Prusse et Ies deux pois*« sances maritimes, de renoncer aux mesures vigoureuses cöntre Ia Russie, d'envoyer le Sr. Fawkener k Petersbourg et y faire conclure Ies pr^liminaires tres mödiocres, qui firent ensuite Ia base du traitö de paix eatre Ia Russie et Ia Porte Otto« manne, sans Tinterventiofi des alli^s. Cette n^gociation aurait raieux tourn^, si on n'avoit pas contrecarr^ et r^roqu^ un memoire, que j*envoyais au commencement de Mars ^Londres. Ce fut dans ce mois, Mr. de B.*) reyint de Yienne^

*) Bischofswerder. Brunn.

dv oomte de fferi^betg. St

et dati6 le mois d'Avrä ftuivanft, qu'il ftit rtsolu de me faire aoitir du minist^re des affains ^trang^res. Le roi notüa k aen oiinist^re par hd ordre du 1. de Mai 1791 qu'il mroit i^sohi, parceque le c^nle de Fiek se Caiaoit Wem et que j'^tois maladif (ce qni n'est pourtant pas fendA), de plaoer eomte de SebHle&boiirg*) et Mr. d'Aivensieben dans le d4« {tartemenl comme ministres, poar former un conseä, mus* ^'auüim ministre ne devmt entreteiiir une ocNTreapondimce pmrtiiaB^re avec les ministres du roi dans l'^tranger. QaoH* ^16 je seotpis bien, que eela ^it uniquemeot dirigi coiitfe noi, je Bie souHiis pourtairt aox yolontte du roi. Je pasaai eQoere deux semaines aiec les trois miniitres dana les con-» (ferenoei öidinairesy et j'eiis mtme dans cet iBterralle nne ecoatsion de faire adopfcer au roi mon sentiaient pour un ob-» jetimportank de la u^goeiaftiou de Szistowa con^e celui des Irojr 'amtres minislres; mais je m'apper^us bient6t qu*on eora- iH&iifCMt i nie eaeber ies n^gooiatioiis impoptantes et surtoul qn'on avoit pris uu arran^enent secret^ pour que je i\e viase ^us les d6pAcbe8 de dos ibinistres k Yienne, k Szistowa^ k Varäovie, et k Petosbourg, pour me d^rober ia eonnoissaftee des u^goeii^oDs, qu'on entretenoit arec Ia eour de Yienne. J'^^ demandcSis une ei^lication aux trois ministves, qui me döelar^ent que c'^it par «i ordre partieulier du roi. YoyBnl deno par ee proc^d^ singoiier, que j'avois perdu sarconfianee et que je ne pourois plus servir aree bouneur, je tui deman-« dai men oong^ absdu. Sur quoi je re^us Ia r^ponse ci-jointe« gracieuse en appareoce/*} dans laquelle il ne voulut pas s'ex-

*) Kehnfert. Brunn.

**) Tranqailljsez.vous. J'ai eu mes raisons, pour donnerli mes rau^stres, Vos coü^gaes, les ordres dont Vous Vous plaignez dane ¥otre leUre ()e ce mois. Je n'ai, soyez en persaad^, absohimeni timi contra Votre z^le et Votre patriotisnie. Vous en avez detin^ tarop de preoves pour pouvoir en douter un instant Une des prin- eipales raisons, qui m'a engag^ k donner )es ordres, dont il est que- süon, est, de Vous soulager du travaü fatiguant, dont Vous Ü\e^ charg6, et mon dessein n'a jamais ^t^ de Vous Met Vos ehai^tfs et empUm^ aussi pau que Vos appointemens, et cela par une suite

SS PrMs de la ctwriere^tlifßlowlkatique

pUqüer sur la v^ritable raison du ckaiigeinent, maii all^a fteutement que c'^it par cerlaiiies raitbns el pcNir me soih iager du trop grand fardeau dont jo m'^Aois cbarg^» que je deyoii^ pourtant- pirder mes eraploiA «t ams appoinlemeiM, et que je pouvois m'ocouper de la directiön de Taeadiftniie et de la cuiture de ia soie nationale, aUisi que du dessein d'^cnire 1'bistoire de Frtd^ric II. Je r^pandts au roi que, an vojrant ainai exciu sans raison de sa cönfiance ei de k. pavtie es«» senttelle du d^pertement auquel j'arois^pr^sid^ avec hönneof et'suec^s depuis trente k quarante ans, je le priai de m^ dispenser eiiti^reinent des afiaires ^trang^s et des appoin^ lernen» de dnq Hiiile ^cus que j'aiois eu jmqu'iei , qoe je n'aTois pas de grands biens, mais aussi pasde gränds besokis^ que je iie touIois pas dtre piensiottnaire, mais que je «onti«* nuerbis gratis la directiön de Tacadteie et de la som nationale^ et que j'^crirois rhistoire de Fr^dMc II. que j'aveis tenjears regard6 comme un ouYrage de ma seule oomp^tebce et le plus utile que je pourrois faire pour la nation et pour TÜu«* Hianit^, k cause des grands exemples qu'elk foumktiit^ el que j'^tois peut-^tre le seul en ^at d'^rnu cetta hialoire d'une maniöre v^ritablement pragmatiquey et avec toufos les pi^ces justificatives, mais que je priois en m^me teois le roi instamment de s'expliquer avec moi et de me dire une rm** son quelconque, par laquelle j'avQis perdu sa cönfiance et encouru sa disgraee, apr^ avoir senri T^t pendant qual^ rante-o fiept ans aveczäle, honneur et sucees, et aprte avinfr

de Tamilie et de la consideration que je Vous porte* SoyQz donc en repos lä-dessus et tr^s assur^ que je prie Dieu etc. De la main propre du roi:

Je verrai aussi avec plaisir, que Vous contitiuez la ourat^le de tacad^mie, ainsi que la directiön de la colture de la soie du päf«: eomme je n'ignore pa^ «que Voas Vous proposez d'^rira l'hialoM du feu roi, je verrai avec plaisir que Vous y employez vos beurear de loisir, et je donnerai les ordres n^cessaires aux archives , que Ton Vous doone les pi^ces n^cessaires pour cette interessante hi«- stoire. Tenez Vous toujours assur6 de ma parfaite estime et MBiMi A Gbarlottanbourg le 5. de Juillet 1791.

Fr^dt GutUsaime^.i »

du comte de Heri%berg. 83

it^ personnellement attach^ k lui et k son grand pr£cl6ces* seur, non comrae un sujet mais comme un parent, qui tenoit a r6tat eomme k son patrimoine et pour sa vie. Je n'ai ja- mais pu obtenir lä-dessus aucune explication ni r^ponse ^crite^ ni aucun acc^s aupres de sa personne, mais il m'a toujours r^pondu, qu'il n'etoit pas indispos6 contre moi, qu'il n'avoit rien contre mon zele et contre mon patriotisme. II faut donc que ce soit contre mon habilet^ et contre ma discr^tion, dont Fr^d^rie II., assez s^v^re, ne s'est pourtant jamais plaint. Je sais tont^s les imputations, qui sont calomnieuses et je les pourroLs ais^ent n^futer, si on vouloit seulement m'^couter et en yenir k une explication qu'on 6vite avec obstination. Le roi ne m'a pas parl6 depuis la susdite 6poque du cinq de JuiUi&t, il m'a fait inviter quelques fois k diner pendant le si* Jöur de la .princesse d'Orange, mais point du tout pendant cet hiver, que (?) <leux fois aux soupers, auxquels je n'assiste pas. II m'a donc.trait^ et me regarde avec un froid gla^ant, qui f»e fait regarder par toute la ville comme un ministre dis- ^graciä et m'exclu): presque des cours et des soci6t6s de la viUe. Je pourrois envisager tout cela en pbilosophe et ayec indtff6rence, abandonner ma chötive pension et les petits liens, par lesquels je tiens encore k T^tat par l'acad^mie et la cul- iure de la soie nationale et me reti)*'er dans ma cbaumiöre. Je le ferai aussi peut-Atre bient6t, mais je le differe encore parceque je tiens encore trop k cette histoire de Fr^d^ric II., que je regarde comme un objet utile et n^cessaire, tant pour le public et la post^rit^, que pour mon existence et pour mon occupation pendant le reste de ma vie, et que je re- garde les liaisons susdites encore n^cessaires pour parrenir ä ce but, et parcequ'on m'a fait m^me entendre, que si je refusois absolument Ja pension, oh ne me permettroit plus l'usage des archives pour Thistoire de Fr^d^rio II., parcequ'on croit, que c'est un besoin pour moi et qu'on envisage comme d^hoQorant pour le roi, s'il me laisse aller sans pension. Gependant comme on vient de me d^fendre la publication du troisi^me volume de mes Berits publics, qui ne contient sdre-^ ment rien de dioquant pour personne, comme on m'a pres*

Zeitaclirift f. Ge«chichic]it«w. I. 1844. 3

34 Pricis de la carri^e diplomatique

crit des bomes fort ^troites pour Thistoire de Fröd^ric IL, en ordonnant que je dois demander chaque pi^co au ministäre, ce qui est impossible, et que je ne dois plus avoir accäs aux archives, que j'ai cr66 et mis en ordre, que j'ai pendant trente ans soud ma garde imm^diate, et presque tous les trait^s et d^p^che« du rfegne präsent et pr^c^dent sont Touvrage de ma t6te et de ma main, et par cons^quent ma propri^te, dont on me d^fend le libre usage d'une mani^re inouie, je n'aurai plus rien k m^nager, je serai foreö de prendre les partis extremes, de renoncer k toute autre liaison que ceiie de r^gnicole, et de transmettre k la post^rit^ les y^ritables causes de ma disgrdce inouie, que je sais fort bien et que je peux mftme prouver. Le rpi ne veut pas me les dire. U me r^pond toujours, qu*il n'avoit rien contre mon zfele et contre mon patriotisme, mais qu'il Youloit m6nager ma sant^ (ce dont je»n'ai pas besoin), et qu'il avoit des raisons pour faire ce changement dans le minist^re, pour en rendre la marche plus exacte et plus mesur^e (ce qui est justement le con- traire dans la Situation pass6e et präsente), et qu'il avoit des raisons, qu'il ne trouve pas k propos de me dire, pour m'ex- clure de sa conGance du secret des affaires 6trang^res, dont j'ai 61^ le d6positaire pendant un demi siöcle. U faut qu'il ait des raisons plus fortes, pour traiter ainsi un ministre, qui a servi T^tat dans une si longue öpoque avec la pleine con<- fiance de deux souverains, avec le suffrage de la nation, avec un z^le et un succes marquö, qui leur a fait presque seul et sans aueun secours ^tranger, k ses frais (n'ayant jamais ob* tenu ni demande aucun extraordinaire (?) pour tous ses yoyages de n^gociations et d'bommage), buit trait^s de paix solennels (ce qu'aucun autre ministre n'a encore jamais fait), des cen* taines de d^ductions g^n^ralement applaudies et de (deux?) cent mille däp^ches, qü'on peut soumettre k la censure la plus s^io^re de tout oonnaisseur et homme d'^tat. II faut des raisons bieil fortes, pour qu'un souverain bon, juste et vertueux prenne la r^soluUon de forcer k la retraite et de disgracier avec tei 6clat un ministre, qui a ces titres par-devers lui. J'ai sou- vent examine ma conscience, si j'ai quelque chose k me re-

du comte de Berhberg. 35

proeber, mais je n'en tronve pas le moindre sujet Je me propose encore de m'accuser moi-m^me enTers le roi siir des suppositions possibles et de m'en justifier. Je verrai alors si on Youdra me r^pondre et m'objecter quelque chose.

Je suis moralemcnt persuad6 quH n'y a pas d'antre rai- son de ma disgr^ce, que celle: qu'ön a fait croire au roi, que pouf jouir d'un gouvernement heureux et tranquille il n'y a?oit pas d'autre moyen, que celui d'abandoimer Tancien Systeme vigoureux de la. maison de Brandenbourg, et de s'al- lier ^troitement aveö la cour de Vienne, et que pour cet ef- fet il 6toit n^cessaire d'^carter un ministre, qu'on croit trop attach^ k l^'ancien Systeme, trop actif et trop vigoureux (ce qu'on appelle turbulent), qüe la cour de Vienne regarde comme 8on ennemi aeharn^, et qui restant dans le ministire pour- roit contrecarrer le nouveau Systeme. Outre l'induction qu'on peut tirer de ce qui s'est pass6 jusquici, j'en ai une prcure assez forte en mains, qtte selon une d^p^cbe du ministre An- giois Elgin,*) le roi Leopold lui a.dit k Florence et k Cre- mono en propres termes, que depuis que le comte de Hertz- berg aYoit 6t^ mis en elFet de cöt6, et que son dernier me- moire d^sagr^able k la cour de Yienne pour la pacification de Szistowa aroit 6t6 annuU6, il etoit content et pourroit

*) Extrait d'une des d^p^ches du comte d'Elgia ii sa cour, dat^e k Yenise le 25. Mai 1791: L'empereur, loin de dösavouer la declaration de son ministre k Mr. Strattow, et de me r^peter ce quil m'avoit dit ä Florence, r^pliqua, que la Situation des affaires pr^sentTiit ast^re .{k c^tte heure?) un aspect tout diff^rent; que Mr. de Hertzberg avoit 616 en effet mis de cÄt6, et que Toffice envoye par ce ministre relativement au congr^s de Sistova, et present^ par Mr. de Jacobi ä Vienne le 30. d'Avril, avok 6t6 dans le fond annulle; que S. M. le roi de Prusse avoit 6crit en Tur- quie de la mani^re la plus conciliatoire; que lui (empereur) con- cevoit' qu'on ponvoit engager sans difficaltö la Porte A acquies- cer ä i'arrangement propos6 par le comte Gobenzl; qu'il ne dou- toit pas de pouvoir obtenir ia prolongaticm de l'armistice; comme aussi il ne pouvoit pas exister des craintes sur le recommence- ment des hostilites, et qu'enfin il ne pouvoit pas penser ä terminer ses n^gociations pendant que toutes les autres ötoient encore en suspens* 7,J'en serois seul, dit-ü, la dupe.'^

3*

36 Pricis de la carri^e diplom, du comte de Hertsberg.

entrer dans les vues des alli6s, Ges propos remarquables sup- posent donc un concert pr6c6dent ä T^gard du comte de Hertzberg et ne laissent point de doute, que ce ministre a ^t^ sacrifi^ au nouveau Systeme, et que les deux plus grands monarques de TEurope lui ont fait Thonneur de convenir entre eux pour T^carter de leurs affaires. Si cela est, comme il n'en faut pas douter, il faut bien qu'un pauvre gentiihomme Pom^ranien se resigne k son sort et se retire de bonne gräce; mais ii pourroit exiger, qu'il soit trait6 autrement^ qu'il ne soit pas renvoy^ avec in6pris par deux souverains, qui Tont autrefois honorö de leur estime, comme le comte de Luc- chesini Ta t6moign6 de la part du grand-'duc Leopold au comte de Hertzberg, et du moins on ne peut pas trouver ä redire^ que je g^misse d'un Systeme qui doit absolument de- venir destnictif tot ou tard pour la patrie et pour les v^ri- tables intör^ts de la maison de Brandenbourg, qui par la po- sition locale des deux ^tats ne peuvent jamais 6tre ccHicili^s .avec ceux de la maison d' Antriebe , mais qui n'exigent pas toujours une guerre, mais seulement une attention suivie pour s'^clairer mutuellement, et pour entretenir par ces meyens le y^ritable patriotisme des deux partis pour lebonheur et la tranquillit^ de l'empire Germanique, ainst que de toute TEurope. Je crois que j'aurois jett^ la base d'un Systeme aussi grand et aussi digne de deux grandes maisons, si on avoit admis mon plan conciliatoire au congr^s de Reichen- bach, lequel ^pargnoit h la cour de Yienne une grande hu- miliation, lui assuroit ses fronti^res, en fajsoit autant k la Prusse et la tiroit de son ^tat pr^caire, qui coneilioit enfin les TÖritables int^r^ts de toutes les puissances du nord et de Forient de TEurope et leur assuroit une position et des li- mites naturelles, qui auroient 6cart6 pour long-tems tout sujet

4

de collision. Sed non erat in fatis! Le monde n'a pas du jouir de ce bonheur, et un homme d'^tat, trop honnAte, trop philosophe et patriote, a du 6tre puni par la plus forte hu- miliation d'avoir voulu procurer trop de bien k Thumanit^, d'avoir trop pr6sum6 de son z^le, et d'avoir trop n6glig6 les voies de la politique ordinaires.

Der Verfall der TolksrechAe In Rom unter

den ersten Kaisern«

In den blühenden Zeiten der Republik waren die Patricier durch die Gurien» die- Plebejer durch die Tribus, die Gesammt- heit Beider durch die Genturien vertreten; und diese drei- fache Repräsentation des römischen Yolkes stellte die Grund- lage des Staates, die constitüirende Gewalt desselben dar« Doch welcher ümsehwung war seitdem geschehen! Die be- sten Lebenskeime hatte der Wandel der Zeit und der Bege- benheiten erstickt; freilich nach den Gesetzen jener Noth- wendigkeit, mit der das geschichtliche Leben überhaupt zu immer neuien und neuen Gestaltungen hindrängt.

Die Guriatcömitien waren in demselben Maasse ver- kommen wie das Patricia! Zu Gicero's Zeit und als die Mo- narchie sich anbahnte 9 waren sie dem Wesen nach längst verschwunden und durch die geringe Zahl der Patricier schon an sich zur Unmöglichkeit geworden. Zwar blieb ihr Name noch als ein lebloses Schattenbild bestehen, einmal in An- wendung auf die öffentlichen Wahlauspicien^] und auf die formelle Verleihung der Amtsgewalt,') andrerseits in Rück- sicht auf die privatrechtlichen Adoptionen oder Arrogationen; *) doch wurden bei diesen Formalitäten die Comitien nur noch

1) Cic. adv. RulL U. 11. cf. Dien. II. 6.

2) Dio 39, 19. 41, 43. 53, 32. Cic. adv. Rull. IL 10. ad fara. I. 9, 25. Gell. XIII. 15. Gaj. I. 5. fr. 1. D. de const. princ. 1, 4. c. 1. §. 7. C. de vel. jur. enucl. 1, 17.

3) App. b. civ. m. 14. 94. Dio ^, 5. Suet. Oct. 65. Tac. HisLI. 15.

38 Der Verfall der Volksrechte in Rom

durch die Yersammlung der Pontifices und der Auguren/) und die 30 Curien durch 30 Lictoren vertreten.*) Von sol- chen Ycrsammlungen ging also auch nach der Gründung des Principates im Namen der erloschenen Curien das Königs- gesetz (lex regia) als Guriatgesetz über die Amtsgewalt (lex curiata de imperio) aus, d. i. die formelle Einweisung in die vom Senate verliehenen kaiserlichen Titel und Rechte, von der das Bruchstück der lex de imperio Yespasiani noch jetzt eine unmittelbare Anschauung gewährt.

Die Tribut- und die Genturiatcomitien bestanden da- gegen noch factisch. Im 6ten Jahrhundert der Republik, um 534,') war eine Verschmelzung Beider zu einer einzigen Na- tionalversammlung versucht worden, indem man die Gentu- riatcomitien im populären Sinne reformirte. Biii zu dieser Zeit nämlich hatte in denselben, der Absicht ihres. Gründers des Servius Tullius gemäss, die Aristokratie des Geldes ein entschiedenes Uebergewicht, insofern die Genturien der er- sten Klasse mit denen der Ritter allein schon die Stminen- majorität ausmachten; jene Reform aber gab ihn^, weil sie die Genturien mit den Tribus verband und diesen unterord- nete, eine mehr demokratische Geslalt,^)^ welche «ie' auefa bis in die Kaiserzeit hinein beibehielten. Danach stinnnten nunmehr die Genturiatcomitien ebenfalls niaidi Tribiis,*) deren es seitdem unverändert 35 gab, so dass IB l^immen gegen 17 entschieden. Diese 35 Gesammtstimmen zerfielen aber, wie es in der That scheint, in 350 Golbctivstimmeii, da innerhalb jeder Tribus die alten Unterscheidungen nach Alter und Vermögen im Gegensatz zu den Tributcomitien auf-» rechterhalten wurden und die Abstimmung gleichwie in d^

1) Gfc. ad Alt. IV. 18. VIU. 3. pro domo 14. Gell. V. 19. XV. 27. Tac. 1. c. Si te privatus lege curiata apud pontifices ut moris est adoptarem.

2) Cic. adv. Rull. II. 12.

3) Vergl. Götlling R. Slaalsverf. S. 381 ff.

4) Dionys. IV. 21.

5) Liv. 29, 37. Epit. 49. Polyb. VI. 14 (12); Cic. pro Plane.. 2a adv. Rull. II. 2. Suet. Gas. 41. 80. Oct. 56.

unier den ersten Kaisem. 39

alten Genturiatcomitien centurienweise geschalt In jeder Tri« hus nämiich stimmten die Aelteren und die Jüngeren (Senio« res und Juniores) gesondert, und zwar beide Theile je in 6 Klassen/] so dass jede Tribus 10 Genturien, alle 35 mithia 350 Genturien oder Theilstimmen enthielten.

Das Alter war demnach, gleichwie in der alten Centu-^ riatverfassung, durch dieselbe Stimmenzahl vertreten wie die Jüngeren, nämlich durch 5 in jeder Tribus, durch 175 im Ganzen. Das Vermögen dagegen hatte nicht mehr wie in je- ner das Ueberge wicht, weil jede der 5 Klassen eine gleiche Stimmenzahl, naiplich in jeder Tribus 2 und im Ganzen 70 aufzuweisen hatte d. i. 35 der Aelteren und 35 der Jüngeren.*) Auch verloren die Ritter ihre ehemalige selbststandige Stel-. \\m%y iodem sie nicht mehr in 18 besonderen Genturien, son- dern allem Anscbein nach, ja ohne allen Zweifel, in denen der ersten Klasse der verschiedenen Tribus stimmten,^) so dass die Stimmen der ersten Klasse, die Ritter miteingerech- net, von 98 auf 70 zurückgeführt waren und nicht mehr 97 Stimmen gegenüber hatten wie sonst, sondern ^80, oder f der Gesammtstimme in jeder Tribus. Andrerseits stimmten auch die Gapite. censi und die Proletarier nicht mehr abgesondert, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach mit der 5ten Klasse.')

Die Ordnung war sicher folgende. Zuerst stimmte die aus- den ländlichen Tribus erlooste centuria praerogativa,*) die» da die Genturien klassenweise berufen wurden, natürlich stets der ersten Klasse angehörte, so dass nur 62 Loose da- bei erforderlich waren, je 31 für die Genturien der Aelteren und der Jüngeren der. ersten Klasse der 31 ländlichen Tri- bus. Die centuria praerogativa Aniensis juniorum '} bezeich-

1) Cic. pr. Flacc 7. Sali, de rep. ord. U. 8., wo ausdrücklich 5 Klassen erwähnt werden; bell Jug. 86. Cic. Phil. II. 33. Liv. 43, 16. cf. Val. Max. VI. 5, 3. Aur. Vict. 57,

2) Liv. I, 43.

3) Dafür spricht auch wohl Liv. 29, 37. imd 43, 16. im Ver- gleich mit Val. Max. VI. 5, 3. u. Aur. Vict. 57. s. GötlUng S. 385. 390 f.

4) S. Göltling S. 183.

5) Cic. pr. Plane. 20. Fest. p. 214.

6) Liv. 24, 7 (vom J. 539). cf. 26, 22. 27, 6.

40 Der Verfall der Volksrechte in Rom

net also z. B. die Genturie der ersten Klasse der Jüngeren aus der Aniensichen Tribus. Das Votum oder Suffragiuin der centuria praerogativa wurde den übrigen 349 Genturien die noch zu stimmen hatten *] bekannt gemacht. Dann wurde die erste Klasse aller Tribus, also 69 Genturien mit Abzug der praerogativa, zu gleichzeitiger Abstimmung berufen; hierauf die 70 Genturien der zweiten Klasse aller Tribus; dann die 70 der Sten, der 4ten und der 5ten Klasse, wiederum hinter- einander. Nach jeder Klassenabstimmung ward das Resultat wenigstens den Vorsitzenden Behörden sogleich angezeigt

Wenn nun die Iste und 2te Klasse mit der centuria prae- rogativa gleichlautend stimmten, also 140 Genturien oder je I einer jeden Tribus einig waren: so lag die Entscheidung in der Abstimmimg der 3ten Klasse, sobald sie in der Mehr- zahl der Tribus durch beipflichtende Suffragia jene f auf 4- brachte. Aus diesem Grunde hob z. B. Antonius, um Dola- bella's Erwählung zum Gonsul zu verhindern, nachdem 'zuerst die centuria praerogativa, dann die Iste und die 2te> Klasse denselben einstimmig gewählt hatten, also unmittelbar vor der entscheidenden Abstimmung der 3ten Klasse, die Gomtüen plötzlich auf.') Es folgt femer, dass wenn die ersten 6 Suf«p fragia, d.i. r% der Gesammtstimme, in tler Mehrzahl der Tri- bus gleichlauteten, es der Abstimmung der 4ten und 5ten Klasse gar nicht mehr bedurfte;^) bei abweichenden SuflSra- gien konnten aber die Tribus in allen ihren Theäen oder sämmtliche 350 Genturien zur Abstimmung gelangen. ') Doch war es das Gewöhnlichste, sowohl in den Genturiat- wie' in den Tributcomitien, dass der Praerogativa die übrigen Stim- men sich anschlössen.'')

1} Liv. 24, 8: ceterae centariae im Gegensatz zur prae- rogativa.

. 2) Cic. Phil. II. 33. Bei Göttling S. 392 bat sich ein Irrthum eingeschlichen; denn nach seiner dritten Ansicht sind die Worte bfs tacet nicht wie bei der zweiten zu verstehen, sondern die praerojgaliva ist nach jener nur eine Ce'niurie,

3) Daher Cic. adv. Ruil II. 2.

4) Daher Cic. pr. Plane. 20.

5) Cic. Phil. n. 33. Ascon. in Verr. I. 9.

unter den ersten Kaisem. 41

Die Absicht, dass diese also umgeformten Gentoriatco«- mitien die Form der Tributcomitien allmäUig ganz verdrän- gen und zur alleinigen Repräsentation des Volkes werden sollten» kam nie zur Verwirklichung. Das ultrademokratische Princip, welches den Tributcomitien zu Grunde lag, und der Widerstand der Volkstribunen, die mit deren Aufhebung auch ihrer eigenen Allmacht beraubt worden wären, erhielt die- selben während der Republik aufrecht, und das beginnende Principat liess sie wie alle übrigen Formen vorläufig fort- bestehen.

Zwar soll, nach der Meinung neuerer Forscher, wenige Zeit nach jener Reform, nämlich im J.'575, im Gegensatz zur demokratischeren Gestaltung der Genturiatcomitien, die Tri- busversafmmlung um die beiderseitigen Principien gewis- sermaassen auszugleichen eine aristokratischere Färbung erhalten haben, insofern gewisse Theile des Volkes, Gorpo- ratiionen, Gollegien, innerhalb der Tribus nunmehr die Ein- zelstimmen gebildet hätten, aus denen die Gesammtstimme erwachsen sei. *) indessen beruht dies nur auf einer Aliss- deutung der Angabe des Livius, wonach die Gensoren jenes Jahres, wie es heisst, die Stimmen änderten, indem sie die Tribus bezirksweise nach Stand, Vermögen und Gewerbe ordneten.^) Schon* der Umstand, dass diese Nachricht «ganz vereinzelt dasteht, und dass Livius selbst gar kein besonde- res Gewicht auf sie legt, zeigt zur Gentige, wie dabei nicht an eine so radicale Umwälzung des constitutionelten Princips der Tribuscomitien selbst zu denken sei, in welchem Falle sich nothwendig anderweitige Spuren hätten erhalten und be- stätigende Gombinationen ergeben müssen. Vielmehr handelt es sich augensdieinlich nur um eine neue Organisation der Tribus als Volksabtheilungen> da es natürlich im Laufe der Zeit da- htngekommen sein musste, dass die einzelnen Mitglieder ei- ner Tribus in ganz verschiedenen Regionen ansässig waren,

1) S. Göttling S. 396.

2} 40, 51: mutarunt suffragia: regionatimque generibus homi- num, caussisque, et quaestibus, tribus descripserunt.

42 Der Verfall der Voltarechte in Rom

alsOy da tribus und regiones ursprünglich Eins war, vielfach in einer ganz andern Tribus stimmten, als wozu sie ihrem Wohnsitze nach gehörten. Die Gensoren brachten nun diese abnormen Verhältnisse wieder in das Geleise zurück, indem sie die Tribus neuerdings nach den Regionen ordneten, d. h. jeden Einzelnen in die Tribus einschrieben, zu der er der Region nach gehörte. Die neue Einschreibung aber nach Stand, Vermögen, Alter, Gewerbe u. s. w. war nichts anders als die gewöhnliche Erneuerung der Gensurlisten Rehufs der Gon- trolle, die nur diesmal ausnahmsweise eine ungeheuere Ar- beit und daher ein denkwürdiges Ereigniss war, weil in Folge der neuen Tribusordnung nicht bloss einzelne Nummern in den Klassen-, Standes-, Gewerbe -Listen u. s.w. zu ändern waren, sondern alle Tribusregister selbst umgestossen und umgeschrieben, also sämmtliche Rürger von Neuem eingetra- gen werden mussten. Durch diese Versetzung der einzekiea Rürger in die dem Rezirke nach ihnen zuständige Tribus wurde nun offenbar nicht das Stimmprincip, sondern bloss die Stimmordnung geändert, insofern jetzt in jeder Tribus theil weise andere Personen stimmten als zuvor; und dies heisst bei Livius: mutarunt suffragia. Zugleich ergiebt sich, dass diese Aenderung ebensowohl die Stimmordnung in den Gen- turiatcomitien betraf wie in den Tributcomitien, d& ja da- zumal auch schon jene nach Tribus stimmten; und hieraus erklärt es sich wieder, dass Livius die Angabe nicht ausdnick-* lieh auf Eine der beiden Versammlungen bezieht, weil sie eben Reide betraf.

Es ist also gewiss, dass nach wie vor jenem Zeitpunkt« und bis zu ihrem Absterben unter dem Principate, in den Tributcomitien die Gesammtstimme der Tribus, im Gegensatz zu den Genturiatcomitien nicht aus Golloctivstimmen, sondern unmittelbnr aus den Einzelstimmen der Tribulen gebildet ward. Ihr Princip war im vollsten Sinne des Wortes: die politische Gleichheit aller Rürger; nur wurde auch in ihnen eine Tribus als Prärogativa oder Principium erloost, die zu- erst stimmte; die übrigen, jure vocatae genannt, wurden dann

' unier den ersten Kaisern. 43

gieichEeitig zur AbstimmuDg berufen. ^) Das Stimmredbt in beiden YersamiBlaogen erlosch mit dem Yollendeten sechiig*- sten Jahre.

Von alter Zeit her hatten die Genturiat- und die Tribut- comitien wesentlich gleiche Rechte gehabt, nämlich Beam- tenwahl, Criminalgerichtsbarkeit und Gesetzgebung; aber Beziehung und Bedeutung waren verschieden. Jene hat* ten die Wahlen der höheren Behörden: der Gonsuln, Prato- ren und Gensoren; diese der niederen: der Volkstribunen, Aediten und Quästoren. Die Genturienversammlung hatte fer- ner nur die richterliche Entscheidung bei ProYOcationen in Fällen des Hochverrathes oder der Perduellio; die Tribus- versammlung aber das Recht zugleich selbst anzuklagen und zu richten. - Die Erstere endlich war auf die Annahme oder Verwerfung legislativer Vorschlage des Senates beschränkt; di« Letztere hatte dagegen bei der Gesetzgebung das Redbt der Initiative und der Debatte. Deshalb mussten sich in dem- selben Haasse wie das demokratische Princip im Staate über- haupt durebdmng, und schon seit der Zwölftafelgesetzgebung, die Tributcomitien zur legislativen Hauptversammlung gestal- ten; und deshalb ^abm ihnen auch der aristokratische Sulla ntcfat allein die Cteriebtsbarkeit, sondern vor Allem die Le- gislation>^) so dass nur das Wahlrecht ihnen übrig blieb, während er andrerseits den Genturiatcomitien bloss die Pro- vocatioi^ entzog. *)

Zwar war dieser Rejictionsversuch gegen die Demokratie nur vorübergehend, die Gomitien erhielten ihre Befugnisse im Allgemeinen zurück, und die Tribusversammlung wurde sogar mächtiger und zügelloser denn je zuvor, indem sie selbst in Angelegenheiten der höhern Verwaltung^ wie z. B, der Ver- leihung von Provinzen, sich eijDO Entscheidung anmaasste. Da jedoch die Sullanische Griminalverfassung, auf Vermehrung der stehenden Gerichtshöfe oder der Geschwornengerichte

1) Varro R. R. IIL 17. vgl. Ascon. in Verr. I. 9, der indessen zunächst die reformirten Genturiatcomitien im Sinne hat.

2) App. b, civ. I. 60.

3) Cic. Verr. I. 13, cf. App. b. civ. I. 59.

44 Der Verfall der Volksreckte in Rom

(quaestiones perpeiuae) beruhend, wegen ihrer grössern Zweckmässigkeit, ausnahmsweise Anerkennung und Dauer gewann: so gehörten wenigstens Volksgerichte schon wäh- rend der letzten Zeiten der Republik zu den seltensten Er- eignissen, und die Thätigkeit sowohl der Tribut- wie der Genturiatcomitien war im Wesentlichen auf Wahlen und Gesetze beschränkt, als das Principat aus der Republik sieb hervorrang.

Inzwischen war seit dem siebenten Jahrhundert allmäh- lig bei allen Angelegenheiten die geheime Abstimmung durch Täfelchen eingeführt worden; zuerst durch das Gabinisdie Gesetz im Jahre 614 bei den Wahlen, dann durch das Papi- rische im Jahre 622 auch bei der Entscheidung über Gesetze. Die Absicht war die Unabhängigkeit der Meinung zu sichern, die allerdings bei der offenen Abstimmung insofern gefährdet erscheint, als nur zu oft das Wort feiger ist wie der Gedanke, Gefährlicher aber noch ist das geheime Verfahren, weil es zu einem Deckmantel der Gemeinheit und Gesinnungslosigkeit werden kann und diese in so verderbten' Zeiten fast häufiger ist als Feigheit. Es gewährt der Zweizüngigkeit Schutz und (ordert die Restechlichkeit. Daher nahm auch zumal bei den Wahlen das Bestechungssystem, allen Gesetzen und Strafen zum Hohn, in einer erschreckenden Weise zu. Verres hatte nicht weniger als 500,000 Sestertien daran gesetzt um Ci- cero's Aedilität zu hintertreiben.*) Die Tribus, die einzelnen Genturien und bestimmte Klassen wurden durch Künste und Versprechungen, durch Lustbarkeiten, Gastmäler oder baares Geld bearbeitet.*) Oder man gewann auch die bei der Ab- stimmung beschäftigten Beamten, wie die Austheiler der Tä- felchen (divisores), die Abnehmer der Stimmen oder die Auf- seher der Stimmkasten (rogatores, custodes) und selbst die das Resultat ziehenden Stimmordner (diribitores).') Ja es bil- deten sich sogar nach Art der Handelscompagnien Gesell-

1) Cic. Venr. I. 8.

2) Cic. ad Att. I, 16. IV. 15. Or. p. red. ad Quir. 7. Q. Cic. de petit. cons. 5. Or, pr. Mur, 32.

3) Cic. pr. Plane. 18. vgl. Göttling S. 397.

unter den ersten Kaisem. 4S

Schäften, welche das Stimmensammeln als ein gut rentiren- des Geschäft für Geld in Entreprise nahmen. Diese Sodali-^ täten oder Goliegien, die durch festes Zusammenhalten ihrer Mitglieder*) auch sonst einen vielfach schädlichen Einfluss auf die politische und bürgerliche Ordnung ausübten,*) wur- den zwar mehrfach verboten, wie im Jahre 685 durch einen Senatsbeschiuss, ') dann nachdem Glodius sie 695 herge- stellt') — jm Jahre 698 durch das Licinische Gesetz; *) doch schon die Wiederholung der Verbote zeigt, wie wenig die- selben im Grunde fruchteten.

Unter solchen Umständen wurden gegen das Ende der Republik die Comitien mehr und mehr der Kampfplatz ge- heimer oder offener Umtriebe, ein Werkzeug der Selbstsucht und des Ehrgeizes Einzelner. Und so konnte es denn gesche- hen, dass sie sogar Beschlüsse zu ihrem eigenen Machtheii fassten, ihre Rechte der Willkür der Mächtigen Preis gaben. Sie selbst wirkten dabei mit, als zuerst Cäsar,') dann die Triumvirn') die .Wahl aller oder der meisten Behörden an sich rissen und dergestalt die Wahlversammlungen in ihren alten Formen zu einem blossen Schaugepränge herabwürdig- ten. Die Empfehlungsschreiben, die Cäsar vor den Wahltagen an die Tribus umbersandte, kamen bestimmten Befehlen gleich, denen Niemand zuwiderzuhandeln wagte. Sueton theilt uns das stehende Formular derselben mit; sie lauteten lakonisch genug: ,>der Dictator Cäsar an die und die Tribus. Ich em- pfehle euch die und die Männer, damit sie durch eure Stim- men ihre Würde empfangen.''*) Die einzige Opposition ge- gen Gäsars Uebergriflfe bildeten, wie es scheint, die neuer-

_ - *

1) Daher die Bestimmung der Lex Servilia ed. Klenze p. 15.

2) Vgl. Cic. pr. Sext. 15. Waller Gesch. d. R. R. S. 253.

3) Ascon. in Pison. 4.

4) Gic pr. Sext. 25. in Pisoa 4. Dio 38, 13.

5) Cic. pr. Plane. 15.

6) Suet. Gas. 41. 76. Dio 43, 45 sqq. 51. cl 42, 20. App. b. civ. II. 128. in. 2. IV. 91. 93.

7) Dio 46, 55. 47, 2. 15. 48, 32. 35. 43. 53. 49, 43. App. b. civ. IV. 2. 7. V. 73,

8) Suet. Caes. 41.

46 Der Verfall der VolkirecMe in Rom

standenen Collegien oder Klubs; sie mochten ihm heindioh bei den Gomitien entgegenarbeiten; das nannte Cäsar wie in freieren Zeiten Wahlumtriebe, und löste sie sämmtlich auf.^) Es scheint, sie waren damals minder der Freiheit als der Willkür schädlich.

Augustus, indem er auf der einen Seite dem Volke die Gerichtsbarkeit, von deren Ausübung es factisch schon ent* wohnt war, nunmehr definitiv entzog,') stellte auf der andern demselben angeblich die alte Wahifreiheit zurück.') Ja er gab sich das Ansehen, als ob er nidbt mehr vermöge wie ir- gend einer aus dem Volke, indem auch er an den Wahltagen wie jeder andere in den Tribus seine Stimme abgab.*)

Allein diese erkünstelte Bescheidenheit war nur eine Maske des Selbstgefühls und jene Unabhängigkeit von gerin- gem Belang; in der That verkürzte sie Augustns mehr und mehr. Zwar verpönte er durch strenge Strafen bei den Be- werbungen jede Zudringlichkeit und jede Bestechung, doch das Eine wie das Andere übte er selbst, indem er an den Wahltagen mit seinen Candidaten um Stimmen bittend bei den Tribus die Bunde machte,*) und an jeden Bürger der Fabischen und Scaptischen Tribus, denen er durch Geburt und Adoption beiderseits angehörte, nicht weniger als 1000 Sesterzen auszahlen liess. ') Alle Bewerber mussten vor der Wahl bestimmte Summen deponiren, deren sie bei überwies sener Bestechung verlustig gingen,^) und seine eigenen Can- didaten machten hiervon keine Ausnahme; •) aber was sie zu unterlassen gezwungen waren, das that er für sie, und so konnte ihnen das llebergewicht über die Mitbewerber nicht

1) Suei Gaes. 43.

2) Rede des Tiberius bei Die 56, 40. vgl. unt. S. 54 n. 1.

3) Suet. Oct. 40. Dio 53, 21. 56, 40. 54, 30 in BctreflF der Volkstribunen.

4) Suet. Oct 56: ut unas e populo.

5) Suet. I. c. circuibat supplicabatque. cf. Dio 53, 2!.

6) Suet. 1. c. 40: a se dividebat.

7) Dio 55, 5.

8) Suet. Oct. 40,

unter den ersten Kaisem, 47

entgdien. Das Volk, heisst es, w^ahlte frei, nur sorgte Augu- i^s dafür, dass kein Untauglicher designirt würde; >) indess ^ tauglich war nur wer ihm behagte. Und so ist es wohl richtig was Dio sagt: ,ydie Genturiat- und die Tributcomitien wurden zwar noch versammelt; allein^es geschah in ihnen nichts, was nicht auch ihm genehm war/'

Nachdem er sich dergestalt die Bahn geebnet, ging er einen Schritt weiter; im Jahre 7 nach Chr. designirte er Un- ruhen halber die zu wählenden Behörden sammtlich selbst, und seit dieser Zeit hielt er es für überflüssig, noch persön- lich in den Volksversammlungen zu erscheinen. Vielmehr em- pfahl er fortan die yon ihm begünstigten Candidaten den Co- mitien in beiderlei Gestalt, gleichwie Cäsar, schriftlich.^) Die wiedererstandenen GoUegien löste er neuerdings auf.*)

War auf diese Weise den Volksversammlungen schon in den letzten Zeiten des Augustus wenig mehr als die formelle Wahl verblieben: so vofUuhrte nunmehr Tiberius im Jahre 14 nach Ghr. den Staatsstreich, der ihnen auch diese noch ent- zog; er übertrug die formelle Wahl dem Senate«^) Ob Au-

1) Dio 53, 21.

2) Dio 55, M.

3) Suet. Oct. 32. Joseph. Ant. 14, 10, S.

4) Tac. Ann. I. 1^: Tum primum e campo comitia ad patres translata sunt Das ium heissi so viel wie „bei dieser Gelegenheit^' d. i. bei der Prätoren wähl dieses Jahres. Trotz unserer Achtung vor Herrn Dir. Peter, müssen wir doch dessen Randglosse zu dieser Stelle (in der Zeitschrift f. d. Alterthumswissensch. 1842. S. 917 t) als vollständig verfehlt bezeichnen. Nicht dass wir den dort ange- gebenen Zusammenhang laugneten denn dieser ist ja etwas so Augenfälliges und so Bekanntes, dass es eben nicht erst einer Ent- deckung bedarf , sondern weil es noch andere Zusammenhänge giebt, die dem Glossator ofifenbar entgangen sind; im Wesentlichen werden dieselben aus unserer Darstellung erhellen, wenngleich wir die Beweise hier zu erschöpfen weder im Stande noch gesonnen sind. Dass die Maassregel eine radicale, auf alle Wahlen bezüg- liche war, zeigt schon der Zusatz des Tacitus: nam ad eam dietn, etsi potissima arbitrio principis, quaedam tarnen studlis tri- buum fiebant. Also dies ist die natürliche Folgerung von diesem Tage an geschah durch die Gunst derTribus nicht das Geringste mehr.

46 Der Verfall der Volksrechte in Rom

gustus ihm wirklich, wie Veilejus angiebt,*} eine eigenhändig geschriebene Anweisung dazu hinterlassen, ist schwer zu ent- scheiden; es ist nicht unmöglich, weil jener Schlag in der That nur die letzte Gonsequenz seines eigenen Verfahrens war, aber wahrscheinlicher ist es doch, dass dem schlauen Tiberius der Name seines beim Volke beliebten und vergöt- terten Vorgängers nur zum Vorwande und Deckmantel sei- ner despotischen Bestrebungen dienen sollte. Wie dem auch sei: hätte diese Verfassungsänderung eine verfassungsmässige sein sollen, so hätte sich der Fürst darüber mit dem derma- iigen Wahlorgane d. Jh., nidit mit dem Senate, sondern mit dem Volke vereinbaren müssen; und dies eben that er nicht Daher überall Aufregung und Murren; denn das Volk war zu bestürzt um zu schweigen, aber auch zu zahm und geduldig um zu handeln; man ergoss sich nur, wie Tacitus sagt, in fruchtlose Klagen über den Raub indem m^n ihn geschehen Hess.'] Und so erlag, wie nicht selten, das zagende Recht der kühnen Gewalt. Tiberius hatte richtig gerechnet: Klagen schläfern die Thatkraft, und die Zeit schläfert die Klagen ein. Das Wahlreglement des Tiberius war folgender Art.') Die Gonsuln designirt er meist selbst nach Belieben,^) Aus den Bewerbern um die übrigen Aemter bestimmt er diejeni- gen, welche zur definitiven Wahl zugelassen werden sollen,') und lässt sie in den Senat entbieten. Einige derselben em- pfiehlt er ausdrücklich,®) und diese müssen ohne Widerrede gewählt werden. ^) Die Anderen bleiben ohne Empfehlung

1) n. 124: primam principalium ejus operum fuit ordinatio comi- iiorum; quam manu sua scriptam D. Augustus reliqaerat.

2) Tac. I. c. neque populus ademptum jus questus est nisi inani rumore.

3) Dio 58, 20. Hauptsteile.

4) Cf. Tac. Ann. L 81.

5) Dies ist das candidatos nomin are. Tac. Ann. I. 14 fin.

6) Unter den 12 Gandidaten der Prälur 4, also i. s. Tac. c. 15, cl. c. 14. Dies ist das commendare candidatos.

7) Cf. Tac. Ann. 1. 15: sine repulsa et ambitu designandos. Lex de Yesp. imp. 4: quos .. commendaverit •. eoram ^. extra ordinem ratio habeatur.

unier den ersten Kaisem. 49

\

sich selbst uberlasseii; unter ihnen entscheidet die freie Wahl des Senates und m Vdlle einer Stimmengleichheit nach al- tem Brauche die gütliche Uebereinkunft der Bewerber selbst oder das Loos.^)

Wenn man nun bedenkt, dass die jetzt vom Senat voll- zogene definitive Wahl zuvor den Volksversapimlungen, und die nunmehr vom Princeps geübte Vorwahl ehemals dem Se- nate zustand y insofern dieser bis dahin über die Zulässigkeit der Bewerber entschieden hatte*): so sieht man, dass die neue Wahlordnung im Wesentlichen nichts anders war, als ein centralisirendes Heraufziehen der Gewalten oder Macht- vöUkommeiJieiten : die bisherige demokratiische Wahlinstanz wurde in eine aristokratische, und die bisherige aristokra- tische in eine monarchische umgewandelt.

Nach dem Wahlact im Senate wurden zwar noch, je nachdem es sieh um höhere ödere niedere Magistrate han- delte, cHe Genturiat- oder Tributcomitien zusammenberufen, um durch alte Förmlichkeiten dem neuen Verfahren den Schein der Bechtmässigkeit zu geben; doch wurden hier nur in Ge- genwart der Candidaten ') die getroffenen Wahlen durch den fierold verkündigt^), und dem Volke selbst blieb nichts als

1) Cic. pr. Plane. 33. Varro R, R. HI. 17. Dio's o/io>,oyta ist die concessh, nfcbt die cotiio candidatof um ; sie konnte auch schon vor der Abstimmung stattfinden (Dio 59, 20), und In diesem Falle eine Folge der co'itlo sein, welche die vereinten Intriguen mehrer Gan* didaten ^egen bestimmte Mitbewerber, meist vermittelst der con- cessio oder der Stimmenabtretung, bezeichnet.

2) Cic. toga cand. p. 524. Daher Tac. Ann. L 10: extortom in- vito senalu consulatum.

3) Daher comitia inire. Suet. Yesp. 5.; bei Dio 5S, 20: h t6v

ö^fiov oder sg TO 9rX^<>og eaisvcu^

4) Dio 58, 20: dqx<^<^ oalaq ist sicher nicht in aqx^^^^if'^i zu ändern; dagegen dürfte statt ucrre iv s 1^6 vi 6o%eiv ylyvaa^cu viel- leicht ctxoTt. gelesen werden, wiewohl auch dies nicht nothwendig ist. ~- Aus Suet. Dom. 10. erhellt die Formel: c^mitiarum die detti- umtos (designatos) Cotuules (Tribunos) praeco ad popuhm (ad ple- bem) pronuntiat (renuntiat).

Zeitschrift f. Oe«cbicluclitsw. 1. 1S44. 4

50 Der Verfall der Volksrechte tu Rom

das Recht, sich durch Beifallsgeschrei in der Ausäbiuig ?on Rechten begriffen zu wähnen.*]

Galigula haschte Anfangs auf jede Weise nach der Gunst des Volkes. Neben anderen populären Maassnahmen, wie der Verleihung einer uneingeschränkten Rede- und Schriftfrei- heit*), bewerkstelligte er auch im Jahre 38 nadi Chr. die Aufhebung des Tiberischen Wahlreglements und die Zurück- gabe des Wahlrechts an die Genturiat- utid die Tributcomi- tien in der zuvor üblichen Weise. ^] Vierundzwanzig Jahre hatten indessen das Volk von der Ausübung dieses Rechtes entwöhnt und lau gemacht; auch blieb die Freiheit nach wie vor illusorisch, theils weil, die Beweiber sich meist überhaupt nicht in grösserer Zahl zu den Aemteiti meldeten als noth- wendig gewählt werden mussten, öder do<;h andefxi Falls schon vor der Wahl durch gütliche Uebereinkunft unler sich den Rücktritt der Ueberzähligen bewirkten/ theitsr aber und vorzüglich weil die kaiserliche Willkür nach wie vor dieselbe blieb; daher war bald genug das Volk seines Rechtes und der Fürst seiner Gnade überdrüssig. Und so führte schon im Jahre 39 Galigula, nachdem er auch den Zwang wider Rede und Schrift erneuert,^) das Tiberische Wahlreglement wieder ein. ") Seitdem ward dasselbe in allen wesentlichen Bestim- mungen, und so auch mit der darin angeordneten einfachen Renunciation der Senatswahlen ®) vor der einen oder der an- dern Volksversammlung ^} , auf lange Zeiten hinaus und min-

1) Gleichwie nachmals bei der Renunciation des vom Senat erwählten Kaisers vor den Genturiatcomitien; s. Bist. Aug. in Ta-. cit. 7, welche Stelle das lebhafte Bild einer solchen Scene giebt. cf. Plin. pan. 63 sq.

^) Stiet. Calig. 16. Die 59, 16.

3) Die 59, 9. Suet. Calig. 1. c.

4} Dio 59, 16.

5) Dio 59, 20.

6) Vgl Tao. Aon. XIV. 28. XV. 19. Plin. ep. III. 20. paneg. 92.

7) Vgl Suet. Vesp. 5. Dom. 10. Plin. paneg. 63 sq.; spenUa ««/*- fragia was man so oft oder stets missverstanden -^ geht nidit auf das Volk, sondern auf den Senat; daher c. 92: tuffragator im ewria^ in campo declarator. So zerfällt wohl der einzige Halt, wor-

unter den ersten Kaisem, 51

destens bis auf Alexander Severus beibehalten.^) Dessenun- geachtet bediente man sich noch in Urkunden und Gesetzen des gleissnerischen Ausdrucks: der Fürst empfehle seihe Gan- didaten dem Senat und dem römischen Volke.*) So weit erstreckte sich die Mystification.

In demselben Maasse wie das Wahlrecht verloren ging» verschwand auch die Gesetzgebung des Volkes. Die Art dieses Verschwindens acheint Vielen unerklärlich, weil kein alter Schriftsteller desselben als der bestimmten Thatsache einer beistimmten Zeit gedenkt. Allein dieses Schweigen der üeberliefening ward eben durch die Art des Verschwindens bedingt, und diese muss Jiedem klar werden, der nicht mit der Oberfläche der Thatsachen sich begnügt. Das scheinbare Geheimuiss liegt darin, dass das Volk die Gesetzgebung ver- lor ohne dass der Fürst sie ihm gradezu nahm, dass die Aus- übung des Rechtes aufhörte ohne dass das Recht selber auf- gehoben ward. ^ Und die GHinde dieser Erscheinung liegen einmal in der Zersplitterung der gesetzgebenden Gewalt, und andrerseits in den Mängeln der Gomitialverfassung. Doch nur das Nebeneinanderbestehen beider Gründe konnte jene Er- scheinung hervorrufen.

Die legislative Gewalt war vom ersten Augenblicke des Principates an nach dem Muster der Bepublik, welche die Magistratsedicte, die Senatusconsulte und die Volksgesetze

auf sich ^e an Halbheit leidende Behauptung Bubino's (Unters. I. 105) stützen mochte, dass das Wahlresultat nicht jedesmal, sondern nur „fast jedesmal ^^ durch den Imperator oder den Senat vorher* bestimmt gewesen, und dass den Volksv^rsammlongen noch eine „scheinbare Abstimmung" verblieben sei.

1) Dio 59; 20: msm. tovtou xd /Jiev aXkot^ «ot^OKf^ ttctl iiel to'U Tt-

ßeqlov^ocot^^itrraro, BS, 20: ^ca^aateq wu vuv. Auf diesen Zustand passt es auch, wenn Modestinus (fr. 1. D. de lege Julia ambitus) sa^, m seiner Zeit (hodie) gehöre die Ernennung der Magistrate ad eurem principis und nicht mehr ad popnii favorem; dass auch der Se- nat damals schon das formelle Wahlrecht verloren habe, ist um so weniger mit Sicherheit daraus zu folgern, als Modestinus und Dio um dieselbe Zeit schrieben.

2) Lex de imp. Vesp. 4.

4*

62 Der Verfall der Volksrechte in Rom

als allgemeine Rechtsquellen anerkannte, i) dreifach getheilt, zwischen Fürst, Senat und Volk. Der Fürst besass sie, weil er der Machterbe der ordentlichen und der ausserord^ntli«* chen Magistraturen wie der Dictatur und des Triumvirates war, und weil ihm persönlich das Recht zuerkannt ward, aus eigener Machtvollkommenheit gesetzliche Bestimmungen zu erlassen, in der Form von Decreten, Rescripten und Edicten oder Constitutionen.*) Die Beschlüsse des Senates gewan- nen schon seit der Lex Hortensia') allm'ählig an sich Ge- setzeskraft, ohne der Bestätigung des Volkes zu bedürfen; in den letzten Zeiten der Republik sind sie eine allgemein an- erkannte Rechtsquelle,*] und der Senat vollkommen in dem Ansehen einer gesetzgebenden Behörde.*) Die Befugniss des Volkes war eine doppelte; in den Genturiatcomitien konnte es nur über ein vorgelegtes Senatusconsult' entscheiden und es durch Annahme zu einer Lex erheben, in den Tributoo- mitien aber aus eigener Machtvollkommenheit auf den Antrag oder die Rogation eines Tribunen allgemein bindende Ge- setze, Plebiscite, später ebenfalls Leges genannt, erlassen; schon ini der letzten Zeit der Republik galten die Volksbe- schlüsse beiderlei Art ohne Unterschied als Leges.')

Es war nun der centralisirenden Tendenz des Principa- tes vollkommen entsprechend, wenn der Fürst, sobald es auf

1) Cic. Top. 5.

2) Lex de imp. Vesp. 6: ulique, quaecumque ex usu relpu- blicae, majesiate divinarum, humanarum, publicarum privatarumque rerüm esse censebit, ei agere jus potestasque sit, ita üii divo Aug. Tiberioque Claudio Gaesari Aug. Oermanico fuit.

3) TheophiL I. 2, 6. 6. cf. Dionys. YH. 18.

4) Cic. Top« 5.

5) Pompon. in L. 2. §. 9. D. de or. jur. 1, 2. §. 5. I. de J, N. G. et C. 1, 2. Theophil. I. 2, 5,

6) Cic. Top. 5. pro leg. Manil. 24. Gell. 10, 20.; besonders seit dem Hortensischen Gesetz, welches eben den Plebisciten legis vi- cem verschaffte, s. Gell. 15, 27* TheophiL 1, c. L. 2. §. 8. D. de or. jor. Plin. H. N. 16, 15. Gaj. I. 3. §• 4. L de J. N. G. et C. Daher die Namen: lex Cincia, lex Aqailia, Manilia u*s, w., die doch Pie< biscite bezeichnen.

unier den ersten Kaisem. S3

Erlassung einer gesetzlichen Bestimmung ankam, lieber ent- weder die monarchische Yermittelung des Edictes oder die oligarchisch-aristokratische des Senatusconsultes in Anspruch nahm, als die demokratische des Volksgesetzes. Zwar hatte er einen Widerstand yon Seiten der Menge nicht leicht zu befürchten; doch eine Gewalt , die er am liebsten aliein be- sessen hätte, musste er am wenigsten geneigt sein, Allen preiszugeben. Und hierin liegt der eine Grund des allmäh- Jigen Yerschwindens der Gomitialgesetzgebung; denn hatten vor dem Principat die Gomitien allein die Gesetzgebung in Händen gehabt, dann freilich hätten sie dieselbe entweder auch fernerhin beibehalten müssen oder nur durch äussere Gewalt verlieren können; da hingegen noch andere Wege der Gesetzgebung offen standen , mithin der volksthümliche kein 90thwendiger war, so -konnte das Principat diesen letztem ohne Gewalt und doch mit Erfolg dem Verfall überliefern, dadurch dass es ihn zwar unverschlossen^ aber auch in immer grösseren Zeiträumen unbetreten liess.

Der zweite Grund liegt in dem grossen Gebrechen der Qomitialverfassung, wonach die Berufung der gesetzgebenden Volksversammlungen keine Pflicht, sondern nur ein Recht der betreffenden Behörden war, so dass sie zwar jederzeit be- rufen werden konnten, aber nicht gleich den Wahlversamm- Jungen zu bestimmten Zeiten berufen werden mussten. Während dal^er die letzteren nur durch einen Gewaltschlag, wie ihn Tiberius ausführte, außsuheben waren, brauchten jene nur immer seltener und seltener berufen zu werden, um so allmählig und so unbemerkt zu verschwinden, dass die histo- rische Ueberlieferung nicht einmal von einem Erlöschen, ge- schweige von einer positiven Rechtsentziehung Meldung thun konnte. Hierzu kommt, dass eben der Princeps selbst jenes Recht der Berufung, und mithin auch das der Nichtberufung, ganz in seinen Händen hatte; theils mittelbar in Folge der Abhängigkeit der Behörden, theils unmittelbar wegen seines lebenslänglichen Besitzes der consularischcn und der tribuni- cischen Gewalt, wodurch die oberste Leitung sowohl der Cen- turiat- wie der Tributcomitien ihm zustand.

64 Der Verfall der Volkirechfe in Rom

Man sieht leicht ein, dass wirklidi nur das Zusammen« wirken beider Umstände jenes Verschwinden zur Folge ha-> ben konnte. Denn hätten die Gomitien die Gesetzgebung al- lein gehabt, so hätten sie berufen werden müssen, auch ohne dass es bestimmte Termine der Zusammenkunft gab; und hätte es umgekehrt, bestimmte Termine gegeben, so wären sie zum Behuf der Gesetzgebung zusammengetreten, auch ohne dazu allein befugt zu sein. Wie nun aber einmal die Dinge lagen, konnte es in der That dem gewordenen Rechte ge- mäss eine Gesetzgebung ohne Volksversammlungen, und keine gesetzgebende Volksversammlung ohne den freien Entschluss des Fürsten geben. Wäre also auch die Fortdauer der Co- mitialgesetzgebung eine Aufrechterhaltung der Verfassung ge- wesen, so war das Gegentheil kein offener .Umsturz dersel- ben ; die Volksgerechtsame starben nach dieser Richtung hin nach und nach in sich selbst ab^ doch freilich nur in Folge des Umstandes, dass die bisherige Nahrung ihnen absichtlich mehr und mehr geschmälert ward.

Der Grad dieser Schmälerung hing von der Stärke des Principates überhaupt und von dem Charakter des jedesma- ligen Princeps ab. Augustus, der jenes erst befestigen musste, liess noch eine grosse Reihe von Gesetzen durch das Organ der Gomitien ergehen. Wenigstens glaubt man allgemein, die Gesetze seiner Zeit insofern sie leges genannt werden und eben deshalb als Volksgesetze betrachten zu müssen^ Dahin gehören nun 1) die Leges Juliae judiciorum publicoram und privatorum, eine Revision der Civil- vnd Criminalgerichts- ordnung.') 2) Die Lex Julia de adulteriis um 737 d. St., wo- nach die fleischlichen Vergehen dem gewöhnlichen Gerichts- verfahren angeschlossen und zugleich der Verkauf der Dotal- grundstiicke beschränkt ward.*) 3) L. J. de ambitu um die^

1) Gsg. IV. 30* 104. Fragm.Vat. 197 sq. Suet.Oct.32 und die Gtate bei Zimmern Gesch. des R P. IL I. S. 115 ff. u. S. 81 Uv 2; die Bestim- mungen bei Dio 54, 18 und in L. un. §. 4. D. de lege Jul. amb. 48, 14« sind jedoch keineswegs dieselben. Auf diese Gesetze bezieht sich ohne Zweifel auch Dio 56, 40.

2) Dio 54, 16. Suet. Oct. 34. Horat. od. 4, 5. P&uU. U. 21.

tmter den ersten Kaisern, S5

selbe Zeity wodurch die Wahlumtriebe und Bestechungen durch harte Strafen verpönt wurden.') 4) L. J. majestatis, gegen den gerichtety durch dessen Rath oder Beistand die Waffen wider den Imperator oder wider die Bepublik erhoben, oder das Heer in einen Hinterhalt verlockt wird; sowie gegen den, welcher ohne Befehl des Imperators Krieg fuhrt, Aushebun- gen veranstaltet, das Heer zum Aufruhr reizt, den Imperator veriässt u. s. w. Und nicht allein die That, sondern auch die hjto'schen und beleidigenden Worte wurden mit der schärf- sten Ahndung bedroht') 5] L. J. de peculatu, residuis et sa- crilegio, gegen diejenigen, so öffentliches Vermögen antaste- ten.') 6y Leges J. de vi publica et privata, gegen Aufläufe und Zttsammenrottui^n, gegen bewaffnete oder unbewaffnete WidersetzlicULeit wider öffentliche Personen, und gegen Ge- waltthätigkeit wider Privatleute.^) 7) L. J. de fraudata an- W^Bf gegen Aufkauf und wucherlichen Verkauf von Getreide/) 8) L. Julia et Pa{Ma Poppaea, mit verschiedenen Nachträgen zwischen 726 und 762, gegen die Sittenlosigkeit und die Ab- n^dune der ächten Bürgerschaft, durch Feststellung von Stra- fen wider Ehe- und Kinderlosigkeit und von Belohnungen im entgegengesetzten Falle.') 9) L. J. vicesimaria im Jahre 759, welche eine Steuer von 5 Proceui auf Erbschaften und Legate legte, von der indessen die allernächsten Verwandten und die Armen frei waren.') 10) Die L. Aelia Sentia 757 zur

B. §. 2. Dig. 48, 5. Inst. 3, 8. C. Th. 9, 7. C J. 9, 10. Zimmern a. a. 0. S. IW f.

1) Dio 54, 16. Pauli. V. M. Dig. 48, 14.

2) Suet. Tib. 58. Tac. Ann. I. 72. PauU. V. 29. Dig. 48, 4.

3) Säet. Oct. 34. Pauli. V. 27. Dig, 48, 13.

4) Pauli. V. 26. Dig. 48, 6. 7.

5) Dig. 48, 12.

6) Tac. Ann. III. 28. Die 54, 16. 56, 7. Suet. Oct. 34 sq. Horat. Epöd. 18, Prep. El 2, 6. Isid. Etym. V. 15. ülp. XIII— XVm. L. 44 pr. D. de ritu nupt 23, 2. L. 37 pr. D. de op. lib. 38, 1. G^. U. 206 sq. Zimmern S. 109 ff.

7) Dio 55, 25. Plin. Paneg. 37. Jahn spec. epigr. p. 24 n. 2: proc. XX heredit. Gaj. III. 125. L. 13 de transact. 2, 15. L. 37 D. de relig. 11, 7. L. 68 D. de lege Falc. 35, 2. Ruhr. L. 154 D. de Y. S. 50, 16. Zimmern S. 114 f.

66 Der Verfall der Votksrechie in Rom

Beschränkung der Freilassungen.*) 11) Die L.Furia Ganinia76i, als Ergänzung der Aelia Sentia.*) Diese Gesetze können theils tribunicische theils consularische, plebiscita oder popu* liscita gewesen sein; meist aber waren es wohl consularischey mit Vorberathung im Senate, doch so dass die Yolksyersamm- lung gewiss noch förmlich darüber abstimmte. Widerstand war um so weniger zu befürchten, als Augustus noch der öffentlichen Meinung gern Gehör gab und daher, um dieselbe zu erkunden, seine Gesetzentwürfe vor der eigenen Entscheid» düng zu promulgiren pflegte. ^)

Tiberius, der das Principat schon befestigt vorfand, und dessen Charakter ebenso despotisch dem Volke, als schlau dem Senate gegenüber war, bildet auch hier wieder einen Wendepunkt Wie er das Wahlrecht dem Volke nahm und es dem Senate übertrug: so hat er auch die legislative Thä- tigkeit des letztem vermehrt, die des erstem dagegen so be- deutend vermindert, dass sie fast ganz unterdrückt erscheint Daher gedenkt Tacitus, da wo er einen Ueberblick über die Lage der verschiedenen Theile des Gemeinwesens während der ersten 10 Jahre des Tiberius zu geben sich ausschickt,/) mit keinem Worte einer Theilnahme des Volkes an den Staats* geschälten; vielmehr togt er gleich von vorn herein, die öf- fentlichen Angelegenheiten, so wie auch die wichtigsten Pri- vatsachen seien im Senate abgehandelt worden.^) Daher sind auch kaum ein oder zwei Volksgesetze (Leges) mit Sicher- heit aus seiner Regiemng anzuführen; nämlich die Lex Junia über die Freilassungen') und eine Lex Visellia,^) von denen

1) Dio 55, 13. Suet. Oct. 40. Dosith. de manumiss. §. 14. Ulp^. l 5. 11 sqq. XIX. 4 XXV. 7. Gaj. L 13. 18. 37 sq. Dig. 40, 9. C. J. 7, lost. I. 5. 6. III. 8. Zimmern S. 113 f.

2) Ulp. 1. 24 Cod. J. Vn. 3. Inst. 1. 7. Säet. Oct. 40. Zimmern a. a. O.

3) Dio 53, 21.

4) Ann. IV. 6: Gongniens crediderim recensere cetera^uoque rci publicae partes, quibus modis ad eam diem habitae sint. .

5) l c. Jam primmn publica negotia et privatonim maxima apud patres tractabanlur.

6) Gaj. UI. 56. Dosith. §. 14. §. ult. I. de lib. 1, 5.

7) ülp. lU. 5. cl. L. un. C. ad leg. ViseU. 9, 2L

unter den ersten Kaisem. 67

diQ erstere nur vermuthungsweise ins Jahr 772 d. St. oder 19 nach Chr., und die andere 777 oder 24 nach Chr. ge- setzt wird.*)

Im Sinne des Tiberius ?erfubren dessen Nachfolger. Das Recht schwand bin ohne völlig zu erlöschen. Einzelne Leges kommen hin und wieder unter Claudius *) und Nero,') noch unter Nerva') und Trajan') vor. Niemals wird man abej* ein letztes YoJksgesetz nachzuweisen vermögen, da es so zu sagen Icein letztes gab, indem die Grenzen zwischen der Lex einer« seits und dem Senatusconsultum sowie der Constitutio andrer- seits sich allmäUig verwischten.*) Denn nothwendig schwand Wesen und Form der Comitialgesetzgebung gleicherweise da- hin; die freie Entscheidung gestaltete sich unfehlbar schon unter Augustus zu einer nicht füglich zu verweigernden Sanc- tion,^) und da es sich demnach fast nur noch um ein for- melles Beoht handelte, so dürfte schon unter Tiberius die wirkliche Abstimmung ausser Gebrauch gekommen sein. Wie bei den Wahlen wird man das Volk versammelt, ihm das Ge- setz durch den Herotd verkündigt und in den nie ausblei- benden Acciamationen den Schein der verfassungsmassigen Anerkennung gesucht haben. Endlich hat man dann selbst

1) S. Zimmern S. 72. Andere setzen jene 729/oder gar schon 671.

2} Lex Claudia de mulierum tutela Gaj. I. 157. 171. Ulp. XI. 8. Ein anderes Gesetz deutet Tac. Ann. XI. 13 an: lege lata saeviliam crediforum coercuit; es ist dies das sogenannte SC. Macedonianum.

3) Lex Pfetronia oder SC. Turpilianum über die Verantwort- lichkeit der Anldäger. Tac. Ann. 14, 41. Dig. 48, 16. Cod. 9, 45 u. a. Stellen.

4) Lex agraria s. L. 3 §. 1 D. de term. mot. 47, 21.

5) Lex Vectibulici (?) s. L. 3 C. de serv. reip. man. 7, 9. Franke zur Geiscb. Traj, S. 493.

6) Daher heisst es bei Tac. Ann. 13, 49: der Senat berathe über leges; und daher wird ein und dasselbe Gesetz, "wie wir in den voiiiergehenden Noten sahen, bald lex bald senatusconsultum genannt; Ebenso kommt schon unter Caiigula ein Steueredict als lex vor (Snet Cal. 40 sq.), und von einer Proposition oder Relation des Fürsten im Senate wird oft genug der Ausdruck legem ferre gebraucht.

7) Dio 53, 21.

58 Der Verfall der Volksrechte äs Rom

diesen Schein der Yoikszusttmmung für entbehrlieh erachtet, und auch ohne denselben die Beschlüsse des Senates und die Verordnungen des Fürsten an sich als leges angesehen und als solche publicirt. ') Nichtsdestoweniger aber sprach man noch in öffentlichen Urkunden, der Ohnmacht zum Spott, von der Rechtskraft der Befehle des Volkes.*)

Wie leicht und unmerklich bei der Getheiltheit der le-* gislativen Gewalt und bei der Abhängigkeit der Gomitialtage von den Behörden die übliche Sanction der Gesetze Yon Sei- ten des Volkes in Verfall gerathen konnte : davon geben selbst die Zeiten der Bepublik hinlängliche Beweise. So war ein uraltes Recht gewesen, dass nur das Volk^von den Ge- setzen entbinden könne; und doch hatte sich der Senat mit der Zeit in den ausschliesslichen Besitz dieses Rechtes ge- setzt. Zwar pflegte noch in den hetreffendea Fällen dem Se- natusconsulte die Glausel beigefügt zu werden,, dass darüber an das Volk, Behufs der Bestätigung durch eine Rogation, be- richtet werden solle; allmählig jedoch hörte diese Berichter- stattung auf und die Sache gedieh endlich dahin, ^ass nicht einmal mehr die Anhängung jener Glausel stattfand.') Durch die Gewohnheit setzte sich die Usurpation so fes^, dass der Versuch des Tribunen Gornelius im Jahre 686, das alte Volks- recht durch ein tribunicisches Gesetz (ne quis nisi per popu- lum legibus solveretur) wieder zurückzuführen, vereitelt ward und es ihm nur gelang ein solches Gesetz durchzubringen, vermöge dessen ein von Gesetzen entbindender Senatsbe- schluss wenigstens nur in Anwesenheit von 200 Mitgliedern

gefasst werden durfte; auch sollte zwar die Bestätigung des * "

1) £s wäre übrigens nicht unmöglich, dass selbst scboh die Leges unter Augustus, wenn auch nicht alle, doch zum TheU nur Senatusconsulte oder Constitutionen mit blosser ßenunciation ge- wesen wären.

2) Lex de Yesp. imp. 8: perinde justa rataque sint^ ac si po- pull plebisve jussu acta essent. Wer weiss es nicht, dass Formeln jederzeit das Wesen der Dinge überleben! Ihre urkundliche Erschei- nung kann daher niemals einen Maasstab für die Dauer der Insti- tutionen geben, durch die sie bedingt sind.

3) Ascoo. in arg. or. pro C, CorneL

imier den ersten KaUem. S9

Volks wiederum eingeholt werden, kein Tribun aber dagegen Einsprache thun dürfen,') K^ Wunder also, wenn alt- mählig in der Kaiserzeit die Senatusconsulte ohne Weiteres Leges wurden und die Einholung der formellen Sanction yon Yolkswegen als eine leere Obsenranz zuletzt ganz unterblieb.

Auf dem Marsfelde am Petronischen Bache befand sich das Stadtsgebäude fiir die Nationalversammhingen in beider- lei Gestalt, die sogenannten Septa, welche seit der Verschö- nerung, die sie durch Augustus erfuhren, Julia beibenannt wurden, und von denen uns noch ein antiker Grundriss zum Theil erhalten ist*) Zu den Septis gehörte das Diribitorium,') wo die 35 Stimmkasten der Tribus bei den Tributcomitien und die 350 der Centurien bei den Genturiateomitien geöff- net, die Stimmen sortirt und die Resultate gezogen wurden. Dies Geschäft der Diribitoren (oder Gustoden] wurde yor- mals ohne Zweifel von den 350 Richtern ausgeübt, welche das Galpurniscfae Gesetz eingeführt hatte, so dass je 10 Rieh-* ter*] den Stimmkasten einer Tribus ordneten, und je einer den Stimmkasten einer Geirturie. Da aber die Volkstbthei- lungen besonders seit der Erwerbung des Bürgerrechts durch die Italiker, also seit 663, ausserordentlich an Stärke der Kop&ahl zunahmen, so vermehrten sich in gleichem Maasse auch die Geschäfte der Stiramenzählung. Deshalb übertrug Augustus, nachdem inzwischen auch die Zahl der Richter auf etwa 4000 gestiegen, einer besondern Decurie derselben, den SQgenaniiten Neunhundertmännem, jenes Amt.')

Wie ist nun aber diese bisher so dunkel erschienene Beamtenzahl zu. erklären? Wohl einzig aus der Art, wie man den Zuwachs der Keubürger seit dem Bundesgenossenkriege

1) ]. c. ne quis in senatu legibus solyeretur, nisi CG affuissent neve quis, qaum soiatus esset, intercederet, quam de ea re ad po« pulum ferretur. Vgl Göttling S. 478.

2) Graev. thes. T. IV. Göttiing S. 386.

3) Die 55, 3. Plin. H. N. 16, 40.

4) Daher wohl das decurimre bei Gic. pr, Plane. 18 mit Rück* sieht auf die Bestechlichkeit der Stimmordner.

5) Plin» H. N. 33, 2.

60 Der Verfall der VoVssr^hte in Rom

untergebracht hatte. Nach Vellejus (U« 20.) wurden die liali- ker in 8 alte Tribus vertheäty nach Appian (b. ciVb L 49) in 10 neue. Der Letztere hat gewiss seine lateinische Quelle nur missverstanden, wenn er an neugebildete Tribus denkt; allein die Zahl 10 kann nicht gleicherweise auf \einem Missverstand- nisse beruhen y noch der Ausdruck ösKorvvovTsQ corrumpirt sein. Es werden also erst 8, dann nach mannigfachen Wechselfällen,') und in Folge neuer Verleihungen des Stimm- rechts^) — 10 alte Tribus durch Aufnahme der Neubürger vermehrt I also gleichsam verdoppelt wi^rden sein.') Und in dieser Verdoppelung von 10 Tribus dürften nun die Neun* hundertmänner des Augustus ihre Begründung finden. Denn dieselbe kam der Bildung von 10 neuen gleu^h. Für die Müh* waltung der Diribitoren wenigstens war es so gut als ob statt 35 jetzt 45 Tribus , oder statt 350 Genturien jeiat 450 gewesen wären. Und zu diesen Zahlen standen in der That die Neunhundert in einem ^[enauen Verhältnisse, indem je 2 derselben auf eine einfache Genturie, oder je 20 auf jede der 25 einfachen Tribus und je 40 auf jede der 10 verdoppelten gerechnet wurden.

DoTsh dies Alles war nun dahin, das Stimmrecht der Bürger Anfangs aus Politik aufrediterhalten, dann kaum ge--

1) Dahin gehört die Vertheilung der Neabürger sowie der Li- bertinen in sämmtliche 35 Tribus durch Sulpicius (App. b. civ, I. 55 sq. Liv. ep, 77), die von Sulla annullirt (App. i, c. 59 fin.), von Cinna wieder angeregt und von der Marianischen Paftei, wie es scheint, neuerdings eingeführt ward (cf. Ltv. ep. 84), bis sie wohl schliesslich durch Sulla auf die Dauer beseitigt wurde^ so dass. fortan wie die Libertinen wieder auf die 4 städtischen Tribus (Cic. pro Milon. 33. cf, Peyr, fr. Cic. p. 230) so auch die Neubürger wie- der auf eine gewisse Zahl von Tribus beschränkt waren.

2) S. z. B. Liv. ep. 84. cl 86.

3) Ist die Angabe des Sisenna bei Nonius (s. v. Seuati u. ergo), dass L. Galpurnius Piso in Folge eines Senatsbesoblusses 2 neue Tribus hinzugefügt habe, wie kaum zu bezweifeln, auf diese Zeit zu beziehen, wenn auch auf ein späteres Jahr als Weiland (de beil. Mars. p. 63) andeutet: so gewinnt die obige Annahme der Steige- rung von 8 auf 10, und somit Appian's Zahl eine schlagende Be- stätigung.

unter den &rsien Kauern. 61

duldet, endlich vernichtet oder erstorben. Seit Tiberius dies ist unsere feste Ueberzeugung wurde nie mehr förm- lich abgestimmt. Die Volksversammlungen, obwohl noch Gomitia genannt, glichen doch keinen regelmässigen Gomitien mehr, sondern nur tumultuarischen Goncionen; und obwohl nach dem alten Geremoniel der Tribut- und der Genturiat- comitien zusammenberufen, hatten sie doch weder Behörden zu wählen noch Gesetze zu bestätigen, sondern dienten le- diglich zu einem blendenden Schauspiele äusseren, oft auch rednerischen Prunkes; nie fehlte es an schallendem Beifall, wenn der Kaiser das Wort nahm. Doch selbst diese bedeu- tungslosen, nur die Renunciation vollendeter Thatsachen -be- zweckenden Berufungen, wurden immer seltener und seltener. Mit Tiberius also verschwindet factisch der ordo piebe- jus oder der staatsrechtliche populus aus der römischen Ge- schichte. Es gab ieine JSechte des Volkes mehr. ^) Wenn daher das Prinoip der Volkssouveränetät, soweit dasselbe über^ haupt durchfilhrbar ist^ die .Grundlage der römischen Repu- blik bildete, so sidht man leicht ein, dass es schon die Ju- lier waren ^ welche die Grundfesten der Republik zertrüm- mert und auf diesen Trümmern das Gebäude der AUeinherr- sdbaft gegründet haben. Zwar ist diese Alleinherrschaft unter ihnen noch nicht iormeliy wohl aber innerlich und wesentlich vollendet Der Folgezeit blieb kaum m^hr zu thun übrig, als das Gerüste abzutragen, welches Jene um den Bau noch ste-* ben liessetf. Und nur hiermit säumte mam

1) Unter den Beweisstellen ist Tac. Dial. 34—37. 41. nicht zu übersehen, wonach zur Zeit der Unterredung, d. i, unter Vespasian, alle Debatten schon als lange verschwunden gedacht werden. Auf den Untergang des Stimmrechts in längst verschollener Zeit spielt Ammian. 14, 6, 6. an: Et olim licet otiosae sint tribus, pacataeque oenturiae, et niilla sufifragiorum certamina. Dass um die Mitte des Jahrh. jene Scheincomitien noch bestanden, ist aus dieser Stelle, auf die mich Herr Prof. Ranke aufmerksam machte, nicht zu fol- gern; wohl aber, dass der Name derTribus und Gentarien immer noch eine gewisse, wenn auch veränderte Geltung hatte.

Adolph Schmidt.

Hofleben und BoftUten der Fttrstinnen Im seehzehnten Jahrhimdert«

Eine Skizze.

fw»

Als vor Jahren der Verfasser dieser Abhandinng an einem andern Orte ein Bild vom Fürstenleben und der Fürstensitte im sechzehnten Jahrhundert zu entwerfen versuchte , schien es ihm nicht unpassend, jenem Bilde einst ein anderes vom Leben und der Sitte der Fürstinnen derselben Zeit zur Seite zu stellen. Wenn er aber damals schon siVh zu dem Bekennt^ nisse gedrungen iiihlte, dass; ,,wir noch nieht im Stände sind, Ansprüchen auf ein vollendetes, in sieh abgeschlossenes und abgerundetes Sittengemälde dieser Zeit vÖUig:€renüge zu lei- sten; es müsse daher das Dargebotene vcnrerst nur als eine Art von Vorstudien zu einem einstigen vollständigeren und voUkommneren Bilde betrachtet werden; es seien Skizzen, einzelne Zeichnungen und Schattirungen, die einsft 2u einem Genregemälde des Lebens und der Sitte der Zeit dienen könn- ten", so gilt dies auch hier von dem, was als Cmrisse und Entwürfe zu einem Genrebild des Lebens und der Sitte der Fürstinnen des sechzehnten Jahrhunderts dem Freunde ge- schichtlicher Sittengemälde vorgelegt wird. Und es gilt viel- leicht hier noch um so mehr, weil es noch ungleich grössere Mühe und Opfer an Zeit gekostet, um die Zeichnung eini- germaassen abzurunden und mit Farben und Tinten zu be- leben. Den Fürsten trieb das sturmbewegte Leben dieser gei- stiggrossen Zeit auf die Bühne der Vi^elt hinaus und stellte ihn vielfach in allen seinen Bestrebungen, Sitten und Eigen-

Hof leben und HofiUten der Fürstinnen etc. 63

thümlichkeiten dem beobachtenden Blicke der Mitwelt und dem forschenden Auge der Nachwelt dar. Anders aber die Fürstin. Je wilder der Sturm von aussen tobte, sei es im Kampfe der Waffen oder im zornerhitzten Streite um Lehr- meinungen und Glaubenssatzung, um so mehr sah sie sich vom öffentlichen Leben zurückgedrängt auf die ruhigen Ge- mache ihres Hofes, in die Kreise ihrer häuslichen Umgebun- gen, in das Stillleben ihrer fürstlichen Beschäftigungen. Um so stfhwieriger aber ist es auch, sie in diesem ihrem Still- leben 2u belauschen 9 die hervorstechenden Züge aus ihrem Lebensbilde getreu und wahr aufzufassen und wiederzugeben. Der Reiz tndess, der in der Forschung und Betrachtung die- ses in die Stille zurückgezogenen fürstiichen Lebens liegt, hat den Verfasser dieser Skizze die Mühe nicht verdriessen las- sen, mehre Hunderte von Origtnalbriefen der Fürstinnen des sechzehnten Jahrhundertr hervorzusuchen, um aus ihnen die Züge, zusammenzulesen, welche, wie es ihm schien, dazu die- nen könnten, ein Bild von. dem Leben dieser Fürstinnen zu gewinnen. Was ihm an Licht und Leben, Farben -Ton und Schatten noch abgeht, mögen Andere, mag eine spätere Zeit daran noch vervollständigen. Das Gegebene mag so lange als Skizze dienen.

Fassen wir das Leben einer Fürstin von der Wiege aul^ so empfing die' Welt das neugeborene „Fräulein'^ schon da- mals nicht mit der Freude, wie einen jungen Sohn. Wünschte mau der Mutter von nahe und fern auch Glück „zu glückse- liger Erlösung von der fraulichen Bürde und zu solcher ge- benedeieten Gabe*', so versäumte man doch selten, den pro- phetischen Wunsch „eines Erben in Jahresfrist* hinzuzufügen. Desgleichen ward auch die Taufe des Fräuleins mit ungleich wenigerem Glanz gefeiert und selbst die fürstlichen Pathen- geschenke waren meist von geringerem Werthe. Indess dankt dodi die Herzogin ^hna von Mecklenburg dem Hepzog von Pre]iissen bei der Taufe ihrer Tochter für das Pathengeschenk nut den Worten: „es wäre wahrlich eines solchen tapfern und stattlichen Geschenkes uimöthig gewesra, denn dass wir

64 Ho flehen und BofHiien der Fürstinnen

Ew. Liebden zu GeYatter gebeten, ist keiner andern Ursache halber geschehen, als dass wir mit Ew. Liebden und dersel- ben herzliebsten Gemahlin alte Treue und Freundschaft wie- derum erneuem wollten."

Während der junge Prinz, zum Alter des Unterrichts herangereift, der Pflege der fürstlichen Mutter entnommen und der Führung und Belehrung eines Hofmeisters überge- ben war4 wuchs das Fräulein in der mütterlichen Umgebung zu einem höheren Lebensalter heran, ohne dass an eigent* liehe wissenschaftliche Ausbildung gedacht ward. Es^mäg als Ausnahme gelten, dass Herzog Albrecht von Preussen, desr sen Gemahlin, eine Dänin, der deutschen Schrift und Sprache damals noch nicht ganz mächtig war, seiner Tochter Anna Sophia schon in ihrem siebenten Jahre einen besondem Leh- rer gab, der sie besser in der deutschen Sprache unterrich- ten sollte, als es die Mutter vermochte.*) Selbst im vorge- rückten jungfräulichen Alter war von einem umfassenden Unterricht und einer auch nur einigermaassen gründlichen wissenschaftlichen Belehrung der fttrstlichen Fräulein damals kaum die Rede. Lesen und Schreiben, Religion und eine Uebersicht in der Geographie scheinen in der Regel die ein- zigen Gegenstände des Unterrichts gewesen zu sein; aber>uch hierin blieben die Kenntnisse meistens höchst mangelhaft. Zu- weilen kam noch einige Belehrung in der deutschen und wohl auch in der lateinischen Sprache hinzu. So erklärt der Jtlarkr graf Georg Friedrich von Brandenburg dem Hofmeister Hein- rich Schröder in einem Zeugniss, „dass er den Töchtern des Herzogs Albrecht Friedrich von Preussen, Fräulein Anna und Eleonore, stets mit bestem Fleisse aufgewartet und dieselben in der lateinischen und deutschen Sprache treulich instituirt und unterwiesen, nun aber zur weitern Fortsetzung seiner Studien nach seinem Wunsche seine Entlassung erhalten habe.'^ Sonach blieb die geistige Ausbildung der fürstlicbe;i Fräulein in jeder Hinsicht unvollkommen und mangelhaft,

*) Wir finden in Rechnungen, dass der angenommene fürsthcfae Leiirer Magister Jacobus ein jäbrliches Gehalt von BO Mark erhiell.

im sechzehnten Jährhundert 65

wovon aueh die Briefe, welche sich aus ihren späteren Jah- ren von ihnen erhalten haben, redende Zeugen sind, denn sie verrathen nie eine Spur voh wissenschaftlichen Kenntnissen irgend einer Art und selbst die Sprache und Schreibart, in der sie abgefasst sind, geben Beweis von ihrer mangelhaften geistigen Ausbildung. Nur hie und da, wie wir später sehen werden, durchbrach der eigene Geist die Schranken und Hem- mungen der Zeit und erhob sich zu einer gewissen Höhe der Bildung.

Die eigentliche Erziehung und Ausbildung des fürstlichen Fräuleins fiir das Leben und für seine weibliche Bestimmung erfolgte Üieils durch die Leitung und Führung der fürstlichen Mutter, theils durch den Umgang und Unterricht der Hof- meisterin, der Obervorsteherin der Hofjungfrauen oder des 5. g. Frauenzimmers, von deren Stellung am fürstlichen Hofe wir späterhin das Nähere hören werden. Da ihr die nächste Aufgeht und äusserliche Ausbildung des fürstlichen Fräuleins anvertraut wurden, so waren die Fürstinnen stets bemüht, Personen, die sich durch weibliche Tugenden, Anstand, feine Sitten und Gewandtheit im Umgang, aber zugleich auch durch Fertigkeit und Geschick in weiblichen feinen Arbeiten aus- zeichneten, als Ho&neisterinnen in Dienst zu nehmen. Man wählte sie gewöhnlich aus dem Adel. Es war indess nicht leicht, Personen zu £nden, die alle Tugenden und Eigenschaf- ten einefr in allen Beziehungen brauchbaren Hofmeisterin ver- einigten. Die Herzogin Dorothea von Preussen durchmusterte vergebens den gesammten w^eiblichen Adel ihres Landes, um eine geeignete Person auszusuchen, deren Führung sie ihre Tochter Anna Sophia anvertrauen könne. Sie musste Auftrag geben, ihr eine solche aus Deutschland zuzusenden. Sie ver- hiess ihr einen jährlichen Gehalt von zwanzig Gulden, aus- serdem die Hofkleidung, wie man sie allen andern Hofjung- frauen jedes Jahr zu geben pflegte und stellte ihr die Aus- sicht zur Verbesserung ihrer Besoldung, wenn sie ihren Pflichten und Obliegenheiten in Pflege und Führung des fürst- lichen Fräuleins treu und fleissig nachkommen werde. Häu- fig entspann sich zwischen der Hofmeisterin und dem fürst-

Zeitsehrtft f. Geschichtsw. I. 1844. 5

66 Hofleben imd Hofsitten der Fürstinnen

liehen Fräulein eine vertraute, innige Freundschaft für das ganze Leben.

War das fürstliche Fräulein zu mannbaren Jahren ge- kommen, so suchten die fürstlichen Aeltern gerne Gelegen- heit zur Verheirathung. Mitunter aber traten beim Unter- bringen der fürstlichen Töchter manche Sorgen und Schwie- rigkeiten ein. Nicht selten machten sich der damalige Reli- gionszwist und die Spaltung in der Kirche auch in diesen Verhältnissen geltend, denn kein Fürst des altkatholischen Glaubens konnte sich überwinden, eine Tochter an einen Fürsten der neuen lutherischen Kirche zu vermählen und in gleicher Weise schreckte den evangelischen Fürsten das Be- kenntniss des alten Glaubens von jeder solchen Verbindung zurück. So versuchte es im J. 1551 der Pfalzgraf Friedrich III. eine Verbindung zwischen seinem Vetter, dem Markgrafen Bernhard von Baden, und einer Tochter der Gräfin Elisabeth von Henneberg (Tochter des Kurfürsten Joachim I. von Bran- denburg und früher Gemahlin des Herzogs Erich des- Aeltern von Braunschweig) durch Vermittlung ihrer Tochter Elisa- beth von Henneberg einzuleiten ; er Hess ihr durch diese mel- den, dass der Markgraf an ihrer Tochter „Frauchen Katha- rine Wohlgefallen gefunden" und dass, wenn sie nicht ab- geneigt sei^ er sich persönlich bei ihr einfinden wolle, um um die Hand ihrer Tochter zu werben und „dann nach ihrem Gefallen es mit der Heirath richtig zu machen." Als^ indess die Gräfin sich näher um des Markgrafen Persönlichkeit er- kundigte .und erfuhr, dass er des Markgrafen Karl von Baden rechter Bruder sei, schrieb sie dem H^zog Albrecfat von Preussen: „der ist ein Papist; da habe ich kein Herz dazu." Sie hat darauf den eben genannten Herzog, er möge ihr zu einer andern Veri>indung ihrer Tochter, wenn es sein könne, mit dem Sohne des Kurfürsten von Sachsen, mit demr Her- zog von Lüneburg oder am liebsten mit einem Prinzen aus dem Hessischen Fürstenhause mit Rath und That zur Hand stehen. Allein von allen diesen Wünschen ging keiner in Er- füllung. Sie gab daher endlich ihre Tochter dem Freiherrn Wilhelm von Rosenberg, Burggrafen von Böhmen.

im sech%ehnim Jahrhundert. 67

Lebten fürstliche Wittwen mit ihren Fräulein von der Welt zurückgezogen auf dem einsamen Besitzthum ihres Leib- gedings und also ohne fielen Umgang mit andern Fürsten- söhnen, so wusste die besorgte Mutter gemeinhin kein an- deres Mittet zur Versorgung ihrer Töchter, als die Vermitt- lung eines nahe verwandten oder sonst befreundeten Fürsten anzusprechen. Hören wir, wie die Wittwe des Herzogs Al- bert VI. oder des Schönen von Mecklenburg Anna (Tochter Ae^ KurfUrsten Joachim I. von Brandenburg) bemüht war, ihre Tochter Anna an den Mann zu bringen. Sie hatte ihr Auge auf den Herzog Magnus von Holstein geworfen und schrieb deshalb dem Herzog Albrecht von Preussen: „Weil Ew. Liebden selbst wissen, dass die Aeitern nichts lieber sehen, denn dass ihre Rinder bei ihrem Leben möchten ehr- lich und christlich versorgt werden und ich auch nichts lie- ber erfahren wollte, als ddiss meine freundliche, herzliebste Tochter möchte bei meinem Leben fürstlich versorgt und aus- gesteuert werden, so bitte ich Ew. Liebden aufs freundlichste, Ew. Liebden wollen als der Herr, Freund und yater daztt helfen rathen, dass meine Tochter an die Orte kommen möchte, damit sie ihrem fürstlichen Stande nach versorgt werde und ich dess getröstet und erfreut wäre, wie ich auch nicht zwei- fele, Ew. Liebden werden der Sache ferner nachdenken. Ich habe für meine Person bedacht, wenn Gott Friede mit Liv- land und dem Moskowiter gebe, ob es dann mit Herzog Magnus von Holstein gerathen wäre." Herzog Albrecht in- dess billigte diesen Vorschlag nicht, weil ihm mehrmals vom Herzog Magnus Nachrichten zugekommen waren, die ihn be- denklich machten, zur Vermittlung einer solchen Verbindung seine Hand zu l^ieten. Er gab jedoch der Herzogin den Trost, für ihre Tochter auf jede Weise zu sorgen. Einige Jahre nachher ward diese, nachdem sie schon das 33ste Jahr er- reicht, an den Herzog Crerhard von Kurland vermählt.

Noch grösere Schwierigkeiten traten für solcheJurstliche FrHufein ein, die sich früher dem Klosterleben gewidmet hatten, später aber entweder gezwungen oder freiwillig ins Weltlfeben zurückgekehrt waren; für sie boten sich fast nir-

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68 . Hofleben und HofsUteti der Fürstinnen

gends Aussichten zu ehelichen Verbindungen dar, denn in solchen Fällen stellten selbst auch politische Rücksichten un- überwindliche Hindernisse entgegen. In dieser Lage waren der Graf Wilhelm IV. von Henneberg und dessen Gemahlin Anastasia (Tochter des Kurfürsten Aibrecht Achilles von Bran- denburg) mit ihrer Tochter Fräulein Margaretha, die sie früh- zeitig in ein Kloster gegeben hatten. Nachdem ihre drei an- dern Töchter bereits glücklich vermählt waren, hatte der Her- zog von Preussen in einem Briefe an die Gräfin im Spasse die Bemerkung fallen lassen: wenn sie noch eine Tochter übrig habe und sie verheirathen wolle, so möge sie sich nur an ihn wenden, er werde schon daiiir sorgen, dass sie einen König bekomme. Die Gräfin in der bedrängten Lage, in der sich damals schon das Hennebergische Fürstenhaus befand, und überdiess auch überreich mit Kindern gesegnet (denn sie hatte deren ihrem Gemahl nicht weniger als dreizehn gebracht}, nahm die Sache ernster, als es der Herzog erwartet haben mochte. Sie fasste ihn beim Wort, indem sie ihm schrieb: Sie habe keine erwachsene und mannbare Tochter mehr aus- ser einer, Margarethe genannt, die sie in früher Jugend, da sie erst neun Jahre alt gewesen, in ein versperrtes Kloster gethan habe, in der Absicht, dass sie ihr Leben lang darin bleiben solle; sie sei deshalb auch geweiht und eingesegnet worden. „Da sind aber, fährt sie fort, im vergangenen Auf- ruhr (im Bauernkrieg) die Bauern in dasselbe Kloster, wie in mehre andere Klöster eingefallen und haben es schier gar verwüstet, so dass die Nonnen, die darin gewesen, alle ver- stöbert worden sind. Ein Theil haben Männer genommen; die Obersten darunter, nämlich die Aebtissin und Priorin sind seit dem Aufruhr gestorben; ein anderer Theil ^nd wieder ins Niederland unter Köln hinabgezogen, von wo sie zuvor aus Klöstern heraufgekommen waren; die übrigen sind noch hin und wieder bei ihren Freunden. Nun ist aber bei uns um-, her mit den Jungfrauen in den Klöstern ein solches wildes Wesen, dass ich meine Tochter nicht gerne wieder in ein Kloster thun möchte, denn ich besorge auch bei dem jetzi- gen Wesen, sie würde doch nicht darin bleiben können und

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ich müsste sie dann wieder herausnehmen. Also will ich sie lieber bei mir behalten und zusehen, was der liebe Gott mit ihr schaffen will. Wo aber Ew. Liebden vermeint, dass es meiner Tochter annehmlich, nützlich und gut sein sollte, so würden mein Herr und Gemahl und ich in dem Fall unser Vertrauen ganz in Ew. Liebden setzen^ wenn Ew. Liebden sie wohl mit einem Manne versorgen wollten, wo anders keine Scheu daran sein sollte, dass sie eine Könne gewesen ist. Sonst ist sie eine feine, redliche, fromme, züchtige Metz, der ich, ob sie gleich nicht meine Tochter wäre, doch nichts an- ders nachsagen könnte/' Merkwürdig aber ist, wie die Gräfin den Herzog auf die Gefahren aufmerksam macht, die für die- sen Fall zu befürchten seien. „Ich will, fährt sie fort, Ew. Liebden als meinem lieben Vetter nicht verschweigen, dass der Kaiser und sein Bruder, der König von Ungarn und Böh- men, einen grossen Verdruss und Ungnade auf einen werfen, der eine Nonne nimmt oder der einer Nonne zum ehelichen Stande hilft; sie sprechen ^ derselbe sei gut lutherisch und dem sind sie dann, wie ich höre, sehr feind. Sollte also mei- mem H«rm und Gemahl, mir und meinen Kindern oder der Herrschaft Henneherg Ungutes daraus entstehen, so wäre uns allen das sehr beschwerlich, denn der kaiserliche Fiscal kann jetzt sonst nichts mehr, als dass er sich über die kleinen Herren legt, die nicht grosse Macht haben, und dieselben plagt Die grossen aber, die Gewalt haben, lässt er wohl sitzen.^' Da die Gräfin besorgt, es könne aus dieser Angele- genheit für die Herrschaft Henneberg doch vielleicht ein Nach- theil entstehen, so macht sie, wie sie sagt, „aus ihrem thö- rigten Kopfe" dem Herzog den Vorschlag: er möge, damit doch möglicher Weise eine Verheirathung zu Stande kom- men könne, das Fräulein Margarethe an seinen Hof in sein Frauenzimmer nehmen; man könne dann ja sagen: der Her- zog habe darum gebeten, und auf diese Weise könnten sie und ihr Gemahl, was auch fortan mit dem Fräulein gesche- hen möge, sich gegen den Kaiser und andere hinlänglich ver- antworten. Dabei aber liegt der Gräfin noch eine andere Sorge auf dem Herzen. Sie gesteht dem Herzog, dass sie

70 Hofleben und Hofsitten der Fürstinnen

und ihr Gemahl mit grossen Schulden beladen seien, mehr als sie gerne sagen möge; es dürfe also auf die Verheira- thung des Fräuleins nicht zu viel verwandt werden , denn sonst würden die von Schwarzburg und ihre andern Töchter auch um so viel mehr fordern , wenigstens doch verlangen, man solle einer so viel geben als der andern. „Wo es also, fligt die Gräfin hinzu, Ew. Liebden dahin bringen könnten, dass wir nichts zum Heiratsgut geben dürften als allein ei- nen ziemlichen Schmuck und die Zehrung, um sie zu Ew. Liebden hineinzubringen, so wollten wir Ew. Liebden URd Gott sehr danken, dass wir unsere Tochter so hoch und ehr- lich versorgt hätten."

So sehr indess die Gräfin bemüht war, um ihre gewe- sene Nonne mit einem Manne zu versoi^gen, so gingen doch mehre Jahre hin, ohne dass sich eine Aussicht eröfihete. ErsI nach fünf Jahren fragte Herzog Albrecht bei der Gräfin wie- der nach, ob das Fräulein noch ausser dem Kloster sei und was man ihr etwa als Abfertigung oder Aussteuer geben könne; er wolle sich jetzt Mühe geben, sie mit irgend einem reichen Polnischen Herrn zu versehen. EUerauf antwortet ihm der alte Graf Wilhelm selbst: „Unsere Tochter hat gar keine Lust, wieder in ein Kloster zu kommen, wiewohl es uns den jetzigen Zeitläuften nach ganz beschwerlich ist, sie so lange sitzen zu lassen; denn Ew. Liebden können selbst abnehmen, dass solches kein Lager-Obst ist. Wo wir nun aber und un- sere liebe Gemahlin, da wir beide mit einem guten Alter und schweren Leib überfallen und oft auch viel krank sind, mit Tod abgingen, so wäre sehr zu bedenken, wie es jdem armen Mensch dann gehen möchte, da wir hieraussen nie- mand für sie haben bekommen können, wäre es audi nur ein schlechter Graf oder Herr gewesen, der sie hätte neh- men wollen, weU sie eine Nonne gewesen ist Wir haben deren keinen unter dem Kurfürsten von Sachsen oder dem Landgrafen von Hessen finden können. Wiewohl uns viele gerathen haben, sie nicht wieder ins Kloster zu thun, so ha- ben sie doch alle Scheu sie zu nehmen, weil sie eine Nonne gewesen ist. Darum wo Ew. Liebden etwas zu Wege brin-

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gen könnten, womit sie versorgt werde, wollten wir Ew. Lieihlen gerne folgen/* Der Graf sdblagt hierauf dem Her- *20g vor, ob er nicht vielleicht in Böhmen oder Schlesien etwa durch den Herzog Friedrich von Liegnitz, wenn unter diesem irgend Grafen oder Herren sesshaft wären, eine Verbindung anknüpfen könne. „Was ihre Mitgift und Ausfertigung anlangt, fährt der Graf fort, so wollen wir Euch freundlicher Mei- nung nicht verbergen, dass wir von. der Gnade Gottes nun fünf Söhne haben, die alle im Harnisch reiten mit sechs, acht und auch zehn Pferden. Dieselbigen an den Fürstenhöfen zu erhalten, gebt uns des Jahres nicht ein Geringes .aut Wir haben auch noch eine erwachsene und unvergebene Tochter Walpurg bei uns im Hause, desgleichen eine bei unserer Muhme der Herzogin von Gleve und Berg, welche auch et- was haben wollen. Wir sind überdies durch etliche Unfälle und Kriegsiäu/te, wo^iit wir einige Zeit betreten gewesen, in Unrath kpmmen, so dass wir etwas viel schuldig gewor- den sind* Wir zeigen Ew. Liebden dies alles darum an, ob uns dieselbe bebüJflich sein könnte, dass wir die Tochter solchem nach fiuch versehen und ausfertigen köpnten, und ob dann das Heiratsgut wohl auf dreitausend Gulden gebracht werden möchte, in Betracht des weiten Weges und der gros- sen Kost und Zehrung, die wir darauf verwenden müssten, .sie so weit hin wegzuschicken , was sich auch nicht unt^ tausend Gulden belaufen würde, zudem was uns noch der Schmuck und die Kleidung kosten möchte.^ Mit Bücksicht auf diese Umstände bittet 'endlich der Graf den Herzog: er möge, darauf denken, dass er so leicht als möglich in der Sache davon komme, wiewohl er seiner Seits alles thun wolle, was in seinem Vermögen stehe.

Herzog Albrecht, dem es immer Vergnügen machte, sich in Heirathsangelegenheiten seinen Freunden geflUlig z^ zeigen, erwiederte dem Grafen: wenn er früher gievsoisst hätte, dass der Graf seine Tochter einem Freiherrn geben wolle, so würde er sie längst mit einem solchen in seinem eigenen Lande haben versorgen können; da es indess jetzt vielleicht möglieh sei, sie in Schlesien bei dem Herzog Friedrich von

72 Hofleben und Hofsitten der Fürstinnen

Liegnitz unterzubriogeD^ so wolle er sich zuvörderst an die- sen wenden, um zu sehen , ob sich dort etwas Gutes aus- richten lasse. ,,Wo es aber, fügt er hinzu, an dem Orte nicht gelingen würde, wollen wir keinen Fleiss sparen, Rath, Mit- tel und Wege zu erdenken, ob wir sie in Polen, Litthauen oder wo sich die Fälle mit der Zeit zutragen würden, in un- serem Lande versorgen könnten.^' Der Herzog bittet daher den Grafen: er möge sich einen kleinen Verzug nioht be- ' schwerlich fallen und sich auf keine Weise bewegen lassen, seine Tochter wieder ins Kloster zu stecken; wofern es ihm aber beschwerlich sei, sie länger bei sich ^u behalten oder man vielleicht in ihn dringen werde, sie wieder in ein Klo- ster zu Verstössen, so möge er sie ihm lieber nach Preussen zuschicken; er wolle sie als Freund bei sich behalten, bis sich eine Gelegenheit finde.

Wie wir hier den Herzog Albrecht von Preussen bereit- willig finden, dem gräflichen Fräulein Margarethe irgendwie einen Mann zu verschaffen, so'war er es auch, der dem jun- gen Markgrafen von Brandenburg, nachmaligem Kurfärslen Joachim H., mit dem er so befreundet war, dass er sich mit ihm duzte, eine Braut zu empfehlen suchte. Er leitete die Heirath zwischen ihm und seiner nachmaligen Gemahlin Hed- wig, einer Tochter des Königs Sigismund L von Polen, da- durch ein, dass er ihm die Prinzessin auf folgende Weise schilderte: „Ich will Dir nicht bergen, dass sie nicht alt, son- dern hübsch und tugendsam, auch gutes Verstandes, Geberde und Wesens ist, ungefähr um ihr zwanzigstes Jahr. In Summa, dass ich Dich mit langen Reden nicht aufziehe, so kann ich Dir sie nicht genugsam rühmen, und sage das bei meiner .höchsten Treue und wahrem Wesen: wo ich diese jetzige fromme Fürstin ,' meine liebe Gemahlin nicht hätte und mir Gott eiiv solch Mensch, wie diese tugendsame Fürstin ist, von der ich schreibe, verliehe, so wollte ich mich selig schrei- ben und halten/^

Wie für den Herzog von Preussen, so war es, wie wir aus häufigen brieflichen Mittheilungen ersehen, auch für- an- dere Fürsten eine Art von Lieblingsgeschäft, Heirathsverbin-

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düngen zwi sehen verwandten Fürstenhäusern zu Stande zu bringen. So hatte der Landgraf Philipp von Hessen kaum erfahren, dass der Herzog von Preussen eine schöne, mann- bare Tochter habe, als er ihm durch den herzoglichen Rath Asverus Brandt das Anerbieten machen liess, sofern es der Herzog wünsche, eine Verbindung zwischen dem Fräulein und einem jungen Pfalzgrafen zu Stande zu bringen. Albrecht nahm es mit ausserordentlicher Freude auf. „Wir können daraus, schrieb er ihm, nichts anders verspüren^ als Ew. Lieb- den freundwilliges ^ treues Herz und haben auch darob um so viel mehr Frohlockung geschöpft, als wir bedacht, mit welcher hcAen Freundschaft, auch Erbeinigungsverwandtniss die löblichen kurfürstlichen und ftirstlichen Häuser Branden- burg und Hessen, schon viele Jahre her einander verwandt sind; und dieweil wir denn solche treue Freundschaft, die Ew. Liebden gegen uns tragen, befinden, mögen wir hinwie- der in gleicher Treue und Vertrauen unangezeigt nicht las- sen, dass wir nicht allein nicht ungewogen, - sondern sehr begierig sind, da uns leidHebe und ziemliche Wege vorkä- men, unsere geliebte einzige Tochter einem frommen Fürsten ins heilige Reich deutscher Nation zu verheirathen.^' Der Herzog ersucht darauf den Landgrafen, ihm über den Namen, die Verhältnisse, die Cresinnungen und den Charakter des jungen Pfalzgrafen nähere Nachrichten mitzutheilen, damit er die Sache weiter erwägen und mit seinen Freunden und Ver- wandten, insbesondere mit dem Könige von Dänemark, dem Bruder der Mutter seiner Tochter, in Berathung ziehen könne. Wi« viel dem Herzog daran gelegen war, eine solche Verbin- dung ins Werk gestellt zu sehen, gab er dadurch zu erkennen, dass er dem Landgrafen alsbald meldete, wie er seine Tochter auszustatten gedenke. Er schreibt ihm: „Wir wollen Ew. Lieb- den als dem Freunde vertraulicher Meinung nicht verbergen, welcher Gestalt wir unsere Tochter, wenn sie durch gnädige Schickung Gottes verheirathet wird, auf ziemliche und leid- liche vorgehende Beredung nach altem Herkommen des Hau- ses Brandenburg auszustatten gesinnt sind. Wir sind nämlich bedacht, Ihrer Liebden zur Mitgift 20,000 Gulden neben ehr-

74 Hofleben und üofsiiten der Fürstinnen

lieber, fürstlicher Aussteuerung an Kleinodien, Kleidern, Ge- schmeiden und was dem anhängig, so dass verhoffentlich fürstlich vollfahren möge, nach unserm Vermögen zu geben und sie sonst nach Gelegenheit der Herren und Beredungen, die hierin aufzurichten, dermaassen fürstlich zu versehen, da- mit wo Ihre Liebden nach Schickung des Allerhöchsten den Fall des Todes an uns und der hochgeborenen Fürstin, un- serer freundlichen herzgeliebten Gemahlin erlebte, derselben an dem, was die Natur, Recht und Gerechtigkeit an Erb- schaft und sonst giebt, nichts entzogen werden solle/' üee Wunsch des Herzogs wurde indess nidit sogleich erfüllt: seine Tochter Anna Sophia erhielt erst mehre Jahre später den Herzog Johann Albert von Mecklenburg zum Gemahl.

Hatte sich eine Aussicht zu einer Verbindung des fürst- lichen Fräuleins eröffnet, so versäumten die Aeltern nicht, zuvor die nahen Verwandt^! darubeir zu Raitbe zu ziehen und mati fand es nöthig sich zu entschuldigen, wenn dies aus ir- gend einem Grunde nicht hatte geschehen können. Als sieh der Landgraf Georg von Leuchtenfaerg im J. 1549 mit seinem Sohne Ludwig Heinrich in den Niederlanden einige Zeijt am Kaiserhofe aufhielt, gelang es dem Märkgrafen Albreeht von Brandenburg, eine Verbindung zwischen dem jungen Prinzen und der jungen Gräfin Mathilde von der Mark zu Stande zu bringen. Sie musste aber aus mancherlei Gründen mit solr eher £ile betrieben werden, dass es nicht möglieh war, die nahen Verwandten erst darüber um ihren Rath zu fragen. Die Landgräfin Barbara von Leuchtenberg, eine Schwester des Herzogs Albrecht von Preussen, bittet daher üi> dem Schreiben, worin sie diesem mit grosser Freude das glüdc- liche Veriöbniss ihres Sohnes mit „der wohlgeborenen Jung- frau Mathilde geborene Gräfin zur Mark'^ meldet, aufs Dringendste um Entschuldigung, dass der Markgraf und ihr Gemahl in der Sache, in der sie unter andern Umständen gewiss nichts ohne der andern Herren Brüder und Vetter Wissen, Rath und Willen verhandelt und beschlossen haben würden, es diesmal hätten unterlassen müssen^ um nicht in Gefahr zu kommen, die treffliche Partie aus der Hand gehen

im sechzehnten Jahrhundert 75

zu lassen; denn abgesehen von „der Jungfrau Frömmigkeit und ehrlichem Verhalten und dass sie furstmässigen Stam- mes sei, auch ein tapferes fiirstliches Heiratsgut erhalten werde, ständen auch deren nächste Gesippte und Verwandte beim Kaiser in grossem Einfluss und Ansehen, dass man von diesen sich manche Hülfe versprechen könne/'

Hatte ein junger Fürst noch nicht die persönliche Be- kanntschaft einer Prinzessin, die man ihm zugedacht, gemacht, so sandte man ihm entweder ein Porträt derselben, eine Gon- terfeiung, wie man es damals nannte, oder man suchte eine persönliche Zusammenkunft Beider an einem dritten Für- stenhöfe zu veranstalten, um so „eine Besichtigung der Per- sonen'^ möglich zu machen. So Hess es sich der Herzog Ai- brecht von Preussen im J. 1561 viele Mühe kosten, eine Ver- bindung zwischen detia Könige Erich XIV. von Schweden und einer Prinzessin von Mecklenburg einzuleiten. Er hatte dem Könige das Fräulein als iso ausgezeichnet schön geschildert, dass dieser ihm erwiederte: er müsse nach solcher Schilde- rung wohl glaiü)en,„dass die Person ihrem fürstlichen Stamme nach sehr schön und mit hodiädeligen Tugenden geziert und begabt sei." Er schlug mehre Wege vor, wie es der Herzog möglich machen könne, dass eine gegenseitige Besichtigung zwischen ihnen Statt fiade^ „denn, fugte er hinzu, im Fall naeh vorgehender Besichtigung wir an der Person, wie wir helfen, einen Gefallen tragen würden, so wüssten wir nichts, was uns sonst an Vollfuhrung solcher Heiratssache, sofern dadurch eine, beständige, zuverlässige und vertraute Freund- schaft zwischen uns und dem Hause zu Mecklenburg gepflanzt und aufgerichtet werden möchte, besondere Hindernisse ent- gegenstellen könnte, da wir in diesen christlichen Sachen nach keinem grossen Brautschatz oder nach Reichthum, wo- mit wir ohnedies von Gott reichlich begabt sind, sondern al- lein nach hochadeligem fürstlichen Stamm, Geblüt, Tugend und Schönheit der Person trachten." Die Verbindung kam jedooh zum Glück des Fräuleins von Mecklenburg nicht zu Stande. Der König heiratbete bekanntlich nachmals die Tech-

76 Hoflebm und Hofsitten der Fürstinnen

.ter eines Korporals, ward bald darauf vom Throne gesiossen und starb später im Gefangniss.

So gleichgültig gegen Brautschatz und Mitgift wie König Erich war man sonst in der Regel nicht; vielmehr wurden sie gewöhnlich als eine Sache von grosser Wichtigkeit be- trachtet und darüber oft lange diplomatische Verhandlungen gepflogen. Hatten zwei junge fürstliche Personen so viel Nei- gung zu einander gewonnen, dass sie sich zu einer gegen- seitigen Verbindung entschlossen, so ernannten die Väter ei- nige ihrer vertrautesten Räthe zu Unterhändlern, die an ei- nem dritten Orte zusammenkamen^ um über die Ausstattung, den Brautschatz und die Mitgift des fiirstlichen Fräuleins zu unterhandeln. Man nannte dies ,|eine Ehebeteidigung^'; es dauerte oft mehre Wochen, ehe man über Alles aufs Reine kam, denn man ging dabei mit grosser Sorgsamkeit zu Werke. Hatte man dch endlich über alles Einzelne genau verstän- digt, so wurde mit aller diplomatischen Förmlichkeit ein Ehe- contract im Namen der furstlidien Väter vpn den Gesandten abgeschlossen,^ der über die Ausstattung und Mitgift alles Nö- thige feststellte. Was dabei hauptsächlich zur Sprache kam, werden einige Beispiele eriäutem.

Nachdem Herzog Albrecht von Preussen sich der Zu- stimmung des Königs Friederich I. von Dänemark wegen der Verbindung mit dessen Tochter, der Prinzessin Dorothea ver- sichert, kamen die bevollmächtigten Räthe beider Fürsten, namentlich von Seiten des Herzogs der Bischof Erhard von Pomesanien, der Burggraf Peter von Dohna, der Ritter Dic- terich von Schlichen und einige andere zu einer Ehebeteidi- gung in Flensburg zusammen und es wurden nach vielfachen Unterhandlungen folgende Bestimmungen als Ehecontract fest^ gestellt, der später auch die Genehmigung des Königs und des Herzogs erhielt. Im Namen des Königs ward verspro- chen : er werde der Prinzessin als Heirathsgeld 20,000 Gulden mitgeben, welches in zwei Hälften in den Jahren 1527 und 1528 zu Kiel in guter Silbermünze ausgezahlt werden solle; ausserdem wolle er sie mit königlicher und fiiFstlieher Klei^ düng, Kleinodien und silbernem Geschirre, „wie es bei Kö-

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nigen^ Fürsten und Herren gebräuchlich und Gewohnheit sei'S ausstatten und bis an das Fürstenthum Preussen mit tausend Mann zum ehelichen Beilager einbringen und gelei- ten lassen. Der Herzog dagegen verpflichtete sich, seiner künf- tigen Gemahlin, y^dem Fräulein von Dänemark", eins der bei- den Schlösser Tapiau oder Labiau, welches später die dazu verordneten Räthe des Königs wählen würden, zu „verleib- gedingen" und die Fürstin in das gewählte Schloss mit allen seinen Zubehörungen, Städten, Märkten, Dörfern, Lehen, des- gleichen auch auf den Adel und die Ritterschaft, die etwa in dem Amte gesessen seien, mit allen herrlichen Rechten, Frei- heiten und Diensten in gewöhnlicher Weise einzuweisen. Werde die Fürstin des Herzogs Tod überleben, so solle sie auf dem gewählten Schlosse „wie eine Leibgedingsfrau^^ ih- ren Wohnsitz haben. Es werden ihr ferner auf 40,000 Gul- den gewisse Renten in den Geldzinsen, Zöllen und sonstigen Nutzungen itn Amtsbereiche des Schlosses verordnet und ver- macht, wobei aus||rücklich noch bestimmt wird, dass das, was in den Einkünften und im Rentenertrage des Schlosses an der Rentensumme etwa fehlen werde, von den andern naheliegenden Aemtern gedeckt werden solle. Alles, was von Alters her an Schaarwerk, hohen und niedem Gerichten, Fi- scherei, Holzung u. s. w. zum Schlosse gehört, solle dabei bleiben und ausschliesslich zur Haushaltung und Unterhaltung des Hofes der Fürstin verwandt werden. Was der Herzog an Morgengabe oder zur Verbesserung und Erhöhung des Leibgedings seiner Gemahlin einst noch zuwenden wolle, solle seiner Güte und Liebe anheim gestellt sein. Ferner verpflichtete er sich, in einem besondern Yerzichtbriefe ftir sich, seine Gemahlin und ihre Erben allen weitern Ansprü- chen und Forderungen an die Reiche Dänemark und Nor- wegen, sowie an die Fürstenthümer Schleswig, Holstein u.s.w. zu entsagen, nichts an väterlicher oder mütterlicher Erbschaft weiter zu verlstngen und mit solcher Ausstattung gesättigt zu sein.'' Nur wenn der König ohne männliche Leibeslehen- erben sterbe, solle es dem Herzog vorbehalten bleiben, für seine Gemahlin „als eine Tochter von Dänemark und Hol-

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78 Hofleben und Hofsitten der Fürstinnen

stein zu fordern, was ihr von Rechtswegen gebühre/' Dieser Verzichtbrief solle dem Könige noch vor dem ehelichen Bei- lager eingehändigt werden. Endlich ward noch festgesetzt, dass im Fall der Herzog von seiner künftigen Gemahlin keine Erben erhalten werde und diese vor ihm sterbe, alles, was das königliche Fräulein als Heirathsgut, Brautschatz und Klei- nodien nach Preussen bringen werde, dem Könige oder des- sen Erben wieder anheimfallen solle.

Stellen wir diesem Ehecontract aus dem zweiten Jahr- zehend des sechzehnten Jahrhunderts einen andern aus einer spätem Zeit zur Seite, so finden wir in diesem die Bestim- mungen etwas verändert. Bei der Eheverbindung des Pfalz- grafen Johann des Aeltem von Zweibrücken mit dem Fräu- lein Magdalene, der Tochter des Herzogs Wilhelm von Jülich, Cleve und Berg im J. 1579, musste der Pfalzgraf zuerst das Versprechen geben, dass er an einem bestimmten Tage mit dem Fräulein Magdalene das eheliche Beilager halten wolle. Dagegen sicherte ihm der Herzog nach sUchem Beilager ei- nen Brautschatz von 25,000 Goldgulden zu und versprach, solchen „zum rechten Heiratsgut gegen gebührliche Quittung" in Jahresfrist auszahlen zu lassen, auch seine Tochter „mit Kleinodien, Kleidern, Schmuck, Silbergeschirre ü. a., wie es einer Fürstin von Jülich wohl gezieme, ungefähr gleich den andern Schwestern ehrlich abzufertigen." Der Pfalzgraf ver- hiess nach erfolgtem Beilager das Fräulein mit einer iiirstli- chen Morgengabe von 4000 Gulden zu versehen, „womit die Fürstin solle handeln, thun und lassen können nach ihrem besten Wohlgefallen und wie es Morgengabsrecht und Ge- wohnheit ist" Da herkömmlicher Weise die Verzinsung der Morgengabe mit 200 Gulden erst dann erfolgte, wenn die Fürstin ihren künftigen Gemahl überlebte, so versprach der Pfalzgraf, ihr gleich nach dem Beilager jährlich 400 Thaler in vierteljährigen Zahlungen als „tägliches Handgeld" anweisen zu lassen. Sobald das Heirathsgut von 25,000 Gulden entrich- tet sei, sollte der Pfalzgraf ohne Verzug das Fräulein aufsein Schloss und Amt Landsberg und einige andere genannte Be- sitzungen mit voller obrigkeitlicher Herrlichkeit „zu Wider-

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legufig und Gegengeld des erwähnten Heiratsgutes '^ anwei-« sen und sie ihm verschreiben lassen. An jährlichen Zinsen und Nutzungen in dem verschriebenen Leibgeding sicherte er seiner künftigen Gemahlin eine jährliche Rente von 3800 Gulden, theils an baarem Gelde zu 1525 Gulden, theils an Wein und verschiedenen Getreidelieferungen zu, mit dem XeT-» sprechen, dass wenn das Schloss und Amt Landsberg und die übrigen Besitzungen den genannten Aente- Betrag nicht vollkommen abwerfen würden, der Abgang laut Witthums- verschreibung vom Pfalzgrafen aus dessen Rentkammer oder andern Aemtem zugesteuert werden solle. Der Fürstin soll- ten in dem ihr zum Leibgeding zugeschriebenen Amte und Schloss „alle Obrigkeit, Gericht und Herrlichkeit, Fischerei, Jagd, Bau- und Brennholz und sonst alle Küchengeftlle^^ zugehören, nur mit Ausnahme der hohen landesfurstlichen Obrigkeit, der Bergwerke, Bitterlehen, Reisegefolge, Steuer, Zoll und Ungeld, die der Pfalzgraf sich vorbehielt. Nach Er- legung des Heiratfasgutes sollten alle Einsassen des erwähnten Amts und der übrigen Besitzungen der Fürstin eidlich gelo- ben, nach ihres Gemahls Tod niemand anderm als nur ihr Gehorsam zu leisten. Sobald die Fürstin Wittwe werde, soll- ten des Pfalzgrafen Erben ihr das Schloss Landsberg ohne weiteres übergeben und es mit Hausrath, Betten und Lein- wand so zureichend versehen, dass sie ihrem fürstlichen Stande gemäss daran keinen Mangel leide. Fehle ihr selbst das nö-^ thige Silbergeschirr, so sollten des Pfalzgrafen Erben sie da- mit versorgen; nach der Fürstin Tod aber oder etwaniger zweiter Verheirathung solle es an das Fürstenbaus Zwei- brücken wiederutti zurückfallen. An diesem ihrem Witthum und Vermächtnisse solle die Fürstin sich genügen lassen und an das Land weiter keine Forderung machen. Der Pfalzgraf aber verzichtete gegen Empfang des erwähnten Heirathsgutes auf alle väterliche und mütterliche Erbgüter oder sonstigen älterlichen Nachlass im Fürstenthum Jülich, sowie auf alle weitern Ansprüche und Forderungen. Endlich ward noch festgesetzt, dass wenn die Fürstin nach des Pfalzgrafen. Tod sich von neuem vermählen werde, dessen Erben verbunden

80 Hofleben und Hofsitten der Fürstinnen etc.

sein sollten, sie in Jahresfrist aus ilirem Witthum mit der Summe des Heirathsgutes, 25,000 Gulden , auskaufen und ihr dann auch ihren Kleiderschmuck, ihre Kleinodien, ihr mit* gebrachtes Silbergeschirr und ihren Häusrath ungehindert fol- gen zu lassen; sterbe sie aber vor dem Pfalzgrafen oder spä- terhin als Wittwe, so solle jeden Falls (sie möge Kinder hin- terlassen oder nicht) ihr Heirathsgut nebst aller ihrer „Fahr- niss^' an das Fürstenthum Zweibrücken zurückfallen. .

Aus diesen und einigen andern uns vorliegenden Ehe- contracten sehen wir also : es wurde jeder Zeit bei der Ver- mählung einer Fürstin ein gewisses Heirathsgut als ein blei- bendes Kapital an ihren künftigen Gemahl gezahlt, der ihr dagegen eine ländliche Besitzung verschrieb, worüber sie be- stimmte oberherrliche Rechte erhielt, aus welcher sie einen ihr zugesicherten Unterhalt oder Ertrag an Geld und Natu- ralien für ihre Bedürfnisse und ihren eigenen liirstlichen Hof- staat bezog und auf der sie als Wittwe ihren Wittwensitz nehmen konnte. In dieser Besitzung stand ^ie in gewisser Hinsicht, jedoch noch unter gewissen Beschränkungen,' als selbständige Fürstin da. Die Einzahlung des Heirathsgutes trug zugleich den Charakter eines Zins- oder Rentekaufs, durch welchen die Fürstin Ansprüche auf bestimmte Einkünfte zu ihrem eigenen Unterhalt gewann. IMe Morgengabe dagegen setzte der Fürst für seine künftige Gemahlin selbst fest. Sie bestand gleichfalls in einem für die Fürstin bestimmten Ka- pital, dessen Verzinsung aber erst nach des Fürsten Tod an- hob, so dass also erst die fürstliche Wittwe den Zinsertrag der Morgengabe zu geniessen hatte. So lange der Fürst lebte, ward ihr ein gewisses Handgeld für ihre gewöhnlichen täg- lichen Ausgaben angewiesen.

(Fortsetzung im nächsten Heft.)

J, Voigt.

The life and pontificate of Gregory VII. by John William Bowden, M. A. In two volumes. London 1840.

Schriften des Auslandes find^ wenn sie nicht der Bei« letrislik angehören oder die politischen Interessen der Ge» genwart nahe berühren, noch immer nur miäisam und sehr spi&t ihren Weg zu uns. So ist auch das Leb^ Gregor's VIL ¥on Bowden, obwohl sohon vor einigen Jahren erschienen» erst neuerdings mehrfach in Deutsehland genannt worden, le grosseres Interesse aber der Gegenstand darbietet» und je weniger sich luetdererseits eine Bekanntschaft mit d^ Behand- lung, die er hier gefunden, unter den Freunden historischer Litaratur voraussetzen, lässt, um so mehr scheint es entschul- digt, wenn. wir 4ies Werk noch jetzt einer Besprechung un- terwerfen.

Es ist auffällig, dass Bowd^, der eine ausgebreitete. Kenntni^s der Quellen und Httlfsmittel zur. Geschichte Gre- gor's YU. zeigt, eine Schrift weder benutzt noch erwähnt, die im J. 1832 Sir Aoger Greisley buchstäblich unter demselben Titel, den Böwden seinem Werke beUegte, zu London, her- ausgab. Man muss Absicht in diesem Schweigen yermutbeni um so mehr als die allgemeine Tendenz Bowden's eine gaöz andere war, wie die seines Vorgängers. Greisley behaup- tet: „The Catholic religion, as it exists in Italy, is nothing n^re. than the triuotph of . fraud c^er ignoranee and blind- ness," und will grade dies au seiuem Gegenstande im Eiozel- nm darthun; er übergiebt seinem Yolke die. Arbeit 5, in tbe hope, th^t it may confirm it in that Protestant belief whioh our enUghtened fathers established, to die happiness and glory., of this kingdom.^' Bowden, ein offenkundiger AnhKftger der Lebten von Pusey und Newm^n, s^zt die Corruption der römis^-katholi sehen Kirche im Grossen «und Ganzen in -eine viel spätere Zeit als di^, welche er behandelt; eK ern

Zeitschrift f. eescbichtsw. I. 1814. 5

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kennt die frühere Entwickelung jener Kirche so weit an, dass er die bischöfliche Englands in den engsten Zusammenhang mit derselben setzt, und den jetzigen Zustaad äusserlicher Trennung (their present state of outward Separation) erst vom J. 1569^ datirt; ^r sieht daher in Gregor a witness for tbe truth delivered to the Ghurch's care and a reformer of the ahuses of his time, und wenn er auch die kirchliche Umge- staltung Englands im 16ten Jahrhundert als nothwendig und wohlthütig anerkennt, so war ^sie doch nach seiner Meinung TOn einer grossen Zahl von liebeln begleitet, die bis auf den heutigen Tag fortgewirkt haben. Eine R^rmatioB der Re- jbrmation sdieint demnach in den Wünschen und Absichten Bowdeti's au liegen, und auch darüber kann nach der gm-* z^n Haltung seines Werkes kein Zweifel sein,' dass er eh«r eine Anntfaernng an Rom als weitete Entfemang ron den^^ selben vor -Augen hat

Wie in der Tendenz unterscheiden sich aber beide Bio-» graphmv auch in der Bearbeitung de& Gegenstandes selbst; Die Schrift von Greisley ist eigentlich nur Uebersetzung und theilw^se Umschmelzung der Arbeit «ine^ italienischen Ge- lehrten^ der ruhmlos und hülflos starb, und dessen Mami^ ftoriptder Baronet in ItaKen, wahrsch^iiiliob billig getiug, von den Gläubigern desselben kaufte. Dieser hatte zu jeher po>* litifichen Partei Italiens gehört, welche alle Leiden des Xan^ des, das Hinwelken eines vormals so ruhmrei(Aen NameitB, die Schwäche eines Volkes, das einst die Welt zu beherr** sehen meinte, der priesterlichen Herrschaft Roms, dem mdn«* chischen und kirchlichen Despölismus zuschreibt, der von dort ausging: einer Partei, welche in Italien seit Jahrfaundertw existirt, uäd weiche trotz alier Verfolgung nimn/^ unterdrückt werden konnte. Daher finden wir in der Schrift von Grcts*^ ley fast überall die politischen Gesichtspunkte des Gegen** Standes mit besonderem Bezug auf Italien hervorgehoben^ ffierdurch gewinnt sie ein gewisses Interesse, um so iqefar, da Manches aus* italienischen Stadtchroniken geschöpft isi^ die nicht allgemein zugänglich sind. Der Leser wird Einzel- nes luden, was ihm neu ist, aber selten ist das Neue rieb-

by John WiUiam Bowden. Sd

tig^ weil es dem italienischen Antor ah aller Kritik fehlte, nnd dem englischen Bearbeiter würden wir Unrecht Üiun, wenn wir ihm einen hohem Grad der Einsicht in dieser Be- ziehung beimessen wollten, als der Verfasser des Werkes selbst besass. Greisley's Zusätze zu dem Original werden schwerlich mehr betragen, als einige allgemeine Reflexionen und mehre mindestens überflüssige Anfuhrungen aus der neuern theologikcben Literatur Englands.

In ganz anderer "Weise ist das Werk Bowden's entstan- den'; er teilt sieh besonders auf der kirchlichen Seite seines Gegenstandes, und hat sich von hier aus über denselben wohl erientirt. Dass er die Quellen selbst eingesehen und fleissig kenulzt hat, zeigt sich durchweg; nicht weniger ersichtlich wird jedoch die Benutzung Von neuern Hüifsmitteln, nament- libh solchen, welche die deutsche Literatur ihm darbot Bow- den fuhrt als 'solche vornehmh'cb die kirchenhistorischen Werke von Schröckh und Gieseler an, wie das Leben Gregorys YIL von Voigt; er behauptet aber durch diese nur zu -den Quel- len geföfart zu sein, und dann aus diesen selbstständig gear- beitet zu haben. Wie uns scheint, bedarf diese Behauptung bedeutender Beschränkung; denn im Wesentlichen beruht diese neue Biographie Gregorys doch auf den Resultaten deut*^ scher Forschung, und die Einsicht in die Quellen fiifarte den Verfasser fast nirgends vber jene hinaus. Am aufTälligsCen ist dies iti den Theilen des Buches, welche die politiscfaei Ge** schichte Deutsehlands und Italiens berühren; diese sind fast nur eine Debersetzung der betreflenden Abschnitte aus Steh- zel's Geschichte der fränkischen Kaiser: ein Werk, das deif Verfasser wohl gelegentlich anfuhrt, aber'weder unter seinen vorzüglichsten Hüifsmitteln elrwähnt, nocb grade da citirl, wo es am nöthwendigsten gewesen wäre. Aus einer grossen Zahl von Beispielen, durch welche wir diese Bemerkungen erwein sen könnten, heben wir aus den ersten Abschnitten nur ein- zelne Stellen hervor, bei denen Steiizel nicht genannt ist

Stenzel a. a. O. L p. 113: Zu Pavia hielt Heinrich (IIL) mit neun und dreissig der angesehensten Bischöfe Deutsch- lands^, Italiens, Burgnnds und Frankretck eine Kirchenver^

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Sammlung und berieth sich mit ihnen über die Lage des papstlichen Stuhls. Die versammelten Bischöfe meinten: es sei ungerecht einen Bischof, vielmehr einen Papst, ungehört zti verurtheilen; daher lud der König den Gregorius YI. ein zu ihm zu komfaien. Dieser, ein einföhiger Mann, hoffie, übrigens sich keiner Schuld bewusst, den plipstlichen Stuhl mit Hülfe des Königs behaupten zu können, kam zu ihm nach Piacenza, und begleitete ihn mit vielen Bischöfen nach Su- tri. Bowden a. a. O. I. p. 117. 118: In Pavia, he held, on the 2oth of October, a Council, which was attended by nine- and-tfairty of the most distinguished bishops of Germany, Italy, Burgundy, and France; with whom he conferred on the State of the pontificate, with a view to the deposHion- ol all its existing claimants. But the prelates declared tfaat a bishop, and much more a pope, could not he condemned unheard; and Henry therefore invited Gregory Tl. to join him in northem Italy. This simple and Ignorant man, trusting in what considered the purity of his intehtions, and in the feeling which existed in the papal city in his favour, un- hesitatingly set ont for the imperial court; and presenttng himself before Henry at Piacenza, was received by the king with all honour and distinction. Thence he proceeded, with the monarch and his train, to Sutri.

Zu dem Datum citirt Bowden Herman. Gontr.; aber es findet sich dort nicht, sondern ist mit der Quellenangabe aus den chronologischen Tabellen bei Stenzel IL p. 220 entlehnt» Die wahre Nachweisung des Datums ist dort ebenfalls gege- ben, Bowden hat sich nur in dem Ausschreiben des Gitais vergriffen, und ist in diesem Falle mindestens nicht auf die Quellen zurückgegangen. Das received by the king with all honour and distinction beruht auch nicht auf dem gedruck- ten Text des Bonizo, den Bowden neben Herrn. Gonte. otiH» sondern auf einer £mendation StenzePs; Gleich darauf .findet sich eine nicht t>ireniger angstliche Benutzung: * ^

Steiizel a. a. O.: Es hatten sich die Grundsatze des fal- schen I6idör schon allgemeiner festgesetzt, vermöge deren dem Pafpst die höchste Gewalt in der Kirche und damit das

hff John WüKam Bowden, 85

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Redit zHStand, alle an ihn gebrachten Sachen zu entschei- den, Richter aller Bischöfe und Aebte zu sein, ohne von die- sen gerichtet werden zu können.

Bowden a. a. O.: The principles of the false Isidore were now universally admitted; and according to these, the pope, being himself the supreme judge of bishops and all other ecciesiastical dignitaries, could not be judged by them.

Selbst wo gesdiichtliche Personen redend eingeführt wer- den, erinnert der Ausdruck des Verfassers bisweilen mehr an den des deutseben Bearbeiters als an die ursprüngliche Quelle. So heissen die Worte Gregorys VI. an die Synode /u Sutri bei Bonizo p. 8Q2: Testern Deum invoco in animam meam, viri fratresy me ex hoc remissionem peccatorum et Dei cre- didi promereri gratiam; sed quia antiqui hostis nunc cogno- 9eo versmtiam, quid mihi sit faciendum in medium consulite.

Stenxel übersetzt p. 113: Ich rufe Gott als Zeugen an, dass ich durch das, was ich gethan habe, geglaubt habe, Yer- gebimg meiner Sünden und die Gnade Gottes zu erlangen. Doch weü ich nun die Fallstricke , welche der böse Feind mir gelegt hat, erkenne^ so rathet mir, was ich thun soll.

Bowden p. il9: I call God to witness, that in doing what i did, I hoped to obtain the forgiveness of my sins and the grace of God. But now that 1 see the snare into which the enemy kas entrapped me, teil me what I must do?

Auch Voigt ist auf ähnliche Weise benutzt, und es würde uns nicht schwer fallen zu beweisen, dass manche Irrthümer aus der Ültem Biographie Gregorys in die neuere übergegan- gen sind. Zuweilen entsteht auch durch willküriiche Benut- rang yersdiiedener lUUfsmittel eine Erzählung, der alle Be- dmgungen historischer Wahrheit fehlen. So erz'ähit Stenzel, Petrus Damiani sei im Jahre 1062 als päpstlicher Legat nach Deutschland geschickt worden, .und habe dort seine Discep- tatio synodalis geschrieben. Bowden schreibt dies nach und ttgt sogidch hinzu, dass Peter eine güi^tige Aufnahme am königlichen Hofe gefunden habe. Voigt erzählt nach Baro- näss, dass die genannte Schrift Peter Damiani's zu Augsburg verlesen sei. Auch dies nimmt Bowden auf, unterlässt aber

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nicht, zugleich die bedeutende Wirkung zu bemerken, welote sie he'rvorgebradit. Und doch ist weder die Reise Peter's noch die Vorlesung seiner Schrift zu Augsburg zu beweisen» vielmehr beides sehr unwahrscheinlich*

mensuraque ficti Crescit et auditis aliquid novus adiicit auctor.

Man mag die tadelnden Bemerkungen, die wir bisher über die Behandlung des Gegenstandes erhoben haben, fiir geringiUgig halten, und wir würden uns sogar selbst der Kleinmeisterei anklagen, wenn sie eben nur Einzelnheiten träfen; aber wirklich bezeichnen sie im Ganzen und Grossen den Standpunkt, auf welchem sich des Verfassers Forschung halt, wenn überhaupt hier noch Von Forschung nach unsem Begriffen die Rede sein kann. Der Verfasser hat sieh von neueren Autoren zu den Quellen fuhren lassen, bat dies« selbst eingesehen und durchblättert, Einzelnes aus ihnen nach- getragen, aber an eine kritische Behandlung derselben hat er auch nicht yon weitem gedacht Und diese war gerade hier um so nöthiger, da schon in den Quellen selbst sidi der Parteigeist auf das Schroffste zeigt, schon dort Lügen und Entstellungen der Facta nur allzu häufig sind, und die Sage sich bald nach dem Tode Gregorys in die au&entischi Ueberlieferudg mischte. Nur durch die Kritik der UeberUe- ferung konnte die Darstellung einen wissenschaftliche Grund und Boden gewinnen, nur hierdurch der Be^aehtung neue Resultate gewonnen werden.

Es kann uns nicht beifallen hier nachzuholen, was der Verfasser versäumte; doch wollen wir an einer einzelnen, an sich minder erheblichen Partie darthun, wie er Terfuhr, und warum er mit Unrecht so verfuhr; wir wählen die AafiiBge der auf Gregor selbst bezüglichen Erzählung.

Das Geburtsjahr Hildebrand's ist nirgends überliefert; Bowden setzt es mit Recht zwischen die Jahre lOlü— 1020, doch muss es, da Hildebrand bei seiner Bückkehr nach Rom im J. 1046 noch ein Jüngling genannt wirid, 1020 nä«- her als 1010 liegen. Als seinen Geburtsort nennt Bowden mit Anderen Saone; nicht ganz genau, denn Pandulfus Pis«,

by John WiUkun Rou^den. tu

der hier aus römvsclien Katalogen schQpfti $ag^ de cppida Roanco, vielleicht eine unzuverlässige Leseart, da in dem Leben, das unter dem Namen des Gardinais von Arragonien bekannt ist, Bonato jsißhi; dass der Ort aber in dem Gebiet von Saone lag, unterliegt naeh andern Nachrichten keinem Zweifel.*) 0er Vater Hildebrand's wird an den angeführten Stellen Benicus oder Bonatus genannt; die erste Leseart hat iadiessen wohl grössere Autorität für sieb.

Doch wer war Bonicus? In welchem Stande wurde Hil- debrand geboren? Wir berühren damit einen Punkt, über den lange und zum Theil mit Erbitterung gestritten ist; für un- sere Zeit hat er mehr das Interesse der Neugierde, als wis- senscka£ttidhe Bedeutung. Die Meinungen, dass Hildebrand der S^hb eraes Bfirgers von Ocvieto war, dass er, zu Saone gebores^ diesen Ort zur Stadt erhob, mit der Grafschaft sei- ner Familie schenkte, und so der Gründer des aldobrandi- Biachen Gfoschleot^s wurde, oder dass er aus der florentini- sdien Familie Buondelmonte abstamme, bedürfen keiner Widerlegttilg mehr; wohl aber fragt, sich, ob die aller Orten verbreüiete .Angabe, für die sich auch Bowden entscheidet, daas Hildebrand der Sohn eines Zimmermanns war, ^^hl begründet sei. Ihre Verbreitung rührt von Baronius her, doch forschte Pagi vergeblieh nach einer alten Autorität für die- selbe» Eine selobe lässt sich nun allerdings aufbringen, und zwar die des AnnaUataSaxo, der z. J. 1074 an einer durch- aus sagenvdtlen Stelle erzählt, dass Hildebrand's Vater ein Zimmermaan zu Rom gewesen sei. Dennoch halten wir die Gründe, die Papebroch für eine edle Abkunft Hildebrand's vorgebracht hafc,.filr sehr erheblich, und möchten noch dafiir die ' ganze Erzählung Benno's von der Jugend Hildebrand's anfuhren, da jener, obwohl ein erbitterter Gegner Gregorys, nichts TOn dessen unedler Abkunft sagt, sondern ihn uns vidmelir von Kindheit an im Umgänge mit den angesehen- sten Personen zu Born zeigt E& kehrt in der Geschichte je-

*) Auch bei Benzo Prol. libr. VI. wird Hiidebrand Saonensis genannt*

8S The life and pontißcate af Gregory VIL

ner Zeit oft wieder , dass man yerhasste Personen grade ih- rer Abkunft nach zu verdächtigen sacht, und dass dies auch dem Gregor widerfahren, unterliegt keinem Zweifel; denn Lambert erzahlt zum X. 1076, dass der Cardinal Hugo schon damals über die Geburt und Erziehung Hildebrand's unglaub- liche Dinge verbreitet Von welcher Art diese waren, sehen wir aus dem Zeitgenossen Benzo, dem wüthendsten Feinde Gregor's. Er sagt im Anfange des sechsten Buches seines Panegyricus von Hildebrand:

Natus matre suburbana de patre caprario GucuUatus fecit nidum in Petri solario. Wer diesem Zeugniss Glauben schenkt, hat mindestens die Autorität eines Zeitgenossen für sich; freilich fdilt dabei die Beziehung auf das Gewerbe Joseph's von Nazareth, der viel- leicht die ganze Sage von Hildebrand , dem Ztmmemiann^r sohne, ihr Dasein verdankt

Yon frühester Jugend an wurde Hildedirand zu Rom er- zogen; er sagt es selbst in einem Briefe an die «ächsischen Fürsten. Wahrscheinlich wurde er dem Kloster der h. Maria auf dem Aventin, wo sein Oheim Abt gewesen sein soU, übergeben; dass aber dieser eine Person mit iem Erzbischof Laurentius von Amalfi gewesen sei, ist eine der. unbej^öa- detsten Yermuthungen, die Bowden aus Yoigt aufgenomm^i hat Früh trat Hildebrand in den Orden des heiligen Bene- dict, aber ungern, wie er dies selbst bei der zweiten Excon»- munication Heinrichs sagt; daher fallen die Betraohtnngeii Bowden's über die frühzeitige Devotion Hildebrand's in ein Nichts zusammen. Bald verliess er auch wieder das Kh>ster, und lebte in der genauesten Verbindung mit dan Enämchot Laurentius von Amalfi und dem Erzpriester Johannes^ woU in dem Hause des Letzteren, wo auch Laurentius wohnta Ueber diese Jugendjahre Gregor's ist besonders Benno zu benutzen, der Born und die dortigen Verhältnisse kannte, wenn man auch nicht Allem Glauben schenken darf, was er von einem Manne sagt, den er aus innerster Seele hasst Statt dessen ist Bowden im Weiteren dem Paul von Bern- ried gefolgt; der; wo er nicht Actenstücke, die ihm bekannt

by John WiUiam Bowden,

wurden, «bsclireibt, nur Legendenartiges enthält Däss Hit^ debrand vor 1046 schon einoial nadi Gluny gereist sei, steht nicht einmal dort, wie überhaupt Bowden keine Autorität dajfiir anfahren kann. Paul erzählt nur von einer Prophezei«- ung des Abts Majolus (nicht Odilo wie Bowden nach Voigt schreibt) über den jungen Hildebrand: eine offenbare Sage, da Majolus schon 994 starb. Paul spricht allerdings von ei- ner VieisGy aber bezeichnet als Ziel derselben schlechthin chis Frankenland: „Nach einigen Jahren kehrte dann Hilde- br^nd nach Rom zurüek, eine abermalige Reise wurde durch ein Wunder vereiteit, und Hildebrand blieb zu Rom; bald darauf starb Dainasus, und Leo IX., der ihm folgte, schloss std^ ganz an j^en an.^^ So etwa erzählt Paul. Von der V^bianmmg'Hildel^and's mit Gregor VI., von seiner Rück- kehr mit Leo IX.. weiss derselbe kein Wort; ja seine Erzäh- Itmg ^M^ mit den offenkundigsten Thatsachen im Wider- tpruch. Und docji folgt ihm Bowden; die Rückkehr Hilde- bfänd's nach Rom, das Wunder zu Aquapendente wird nach- er^lt, nur in eine frühere Zeit geschoben, damit die ver- bürgte Geschichte doch auch ihr Recht behalte. Die Verban- fimmg HMdebrai^s mit Gregor VI., sein späterer EintritiT in das Kh>6ter Gluny, seine Rückkehr mit Leo IX.: alles dies sind zu entftclweden bezeugte Thatsachen, als dass sie Bowden nicht in der Hauptsache hätten klar werden sollen; doch fin- dei^ siob auch hier frrthümer. Hildebrand war z. B. sicher- lich nicht Prior zu Gluny; als einfacher Mönch wird er in allen gleichzeitigen Quellen genannt, nur Ein späterer Autor, Ot^ von Freisingen, erwähnt, dass Hildebrand das Pi^iorat zu Gluny bekkndet habe, aber auch er fügt hinzu: ut dicitur. Wir ermüden die Geduld unserer Leser, und brechen daher ab; aber wir könnten die Erzählung des Verfassers in ihrem weiteren Verlauf bis zum Tode Gregorys den^ besten Beridt über densdben hat er nicht gekannt; er ist von ei- nem Anhänger des Papstes im Kloster Gave bei Salerno ge- schrieben, und Gregor starb nach demselben plötzlich an der zu Salerno herrschenden febris pedicularis ^ wir könnten, sagin wir, diese ganze ErzäUu&g mit kritischen Bedenken

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verwandter Art begleiten. Wir wissen s^br wi»hl, es giebt Viele ^ die auf derartige Bedenken k«in grosses Gewicht le-» gen, sondern in ibfaen nur ein thöriohtes Anstreben subjec-* tiver Willkür gegen den grossen objectiiren Gebalt der Ge- schichte sehen, und wir selbst, obwohl uns die historische Kritik nicht für ein Spiel subjeetiver Eitelkeit gitt, sondern, im Gegentheil für die absolute Forderung der Wissenschaft» um zu ihrer objectiven Geltung zu gelangen, sind dennooh weit davon entfernt Grosses für klein» und Kleines für gro«s zu erachten. Auch glauben wir, dass sich die Geschichte in ihren grossen Zügen dem geistigen Auge ohne die mübsam« Vermittelüng specieller Forschung gleipbsam als eine Ofibn*- barung enthüllen könne und müsse, ja dass die höchste Be- deutung derselben auf keine andere Weise den Sterblichen ersctdossen wird. Aber nicht ohne Argwohn blicken wir auf den Gelehrten, der von dem Wege strenger Forscfaiftg skh entfernt; denn wir fürchten, dass wenn ihm cfe Ridie zu sorgsamer J^rwägung des Einzelnen und scheinbar Aeusser^ Ucfaen fehlt, ihm auch die Besonnenheit Qnd Unparteilich^ keit mangelt, um die grossen Momente der welthistorischen Bewegung selbst in ihrer Innern Wahrheit m erkennen; wir furchten, dass subjective Meinungen sich hineinschwärzen in die grossen Ideen , welche in der Geschichte wirken wbA schaffisn, dass diese Zwecken dienstbar gemacht wird» die ihr als freier Wissenschaft fern liegen, und dass der Mensdi an ihr meistert und bildet, während er von ihr gemeistert und gebUdet werden soll.

Wir leugnen es nicht, auch bei der vorliegenden Soteift scheint sich uns eine sokbe Besorgniss bestätigt zu hab^K» Bowden sieht, in Gregor einen Zeugen fiäar die chrbtiiche Wahrheit selbst, einen Mann, der das Christenthunr gegen Gefahren vertheidigte, die es zu vernichten drohten. Gewiss war Gregor ein Zeuge für den Glauben an Christus, der Hni aufrecht erhielt in seinem gewaltigen Schicksal; aber wie will der Verfasser beweisen, dass Gregorys Gegner in dem gros«^ sen Kampfe, den er mit ihnen zu bestehen hatte, das Chri«- stenthum bedrohten? Haben sie nicht vielmehr auch LehrCm

by John WilUqm Boteden. 91

.tertheadigt und verfocbteu, die wir dU jetzt für d^m .Chri-^ »tefttbuin gemasser halteni als die jenes Papstes, sdbst? Bow** den siebt in Gregor einen grossen Reformator, der vielfaebe Gebrecheil der Kirche heilte. Diese Gehrechen waren» soweit sie jener Zeit selbst klar wurden, Simonie und das uniüch-- tige Leben des Klerus; wer will läugnen, dass Gregor mit aller Kraft gegen sie angekämpft hat? Aber hat er diese Ge- brechen etwa allein gesehen, etwa allein gegen sie den Kampf unterfiomm«!?. War es nicht das gleiche Streben iJler aus-r gesei^hneteii weltlichen und geistlichen Fürsten des elften Jahrhunderts? Hierin liegt nicht die eigentliche Bedeutung des Hannes; eher erkennen wir sie schon darin, wie ex dem undaubem Lehen d«r Gei«tiiehkeit ein Ende machen wollte. Er verbot die Ehe allen Klerikern der obern Grade, er gebot de» Laien dies im Aufsland gegen die Geistlichkeit mit Ge* walt, weun es sein mässte, durchzusetzen. Man erinnere fti^ der Pataria zu Mailand und des Briefes an Rudolf von Sehwaben und BerHioId von K&mthen/) Es unterliegt aber keinem Zweifel, .das6 es neben sittlichen Motiven doch vor* nehmlicb kirehlkh->p(diti8che waren, die Gregor zu diesem ge-» waltsamen Verfahi^n" antrieben; die Freiheit der Kirche lag für ihn wesentücb darin begründet, dass der Geistliche ihr ganz gehöre^ und weder durch Abhängigkeit von der Familie noch auch von dem Staate dem Dienste derselben entzogen werda Daher steht das Investiturgesetz, sein eigenstes Werk, m der engsten Beziehung zu den Verordnungen gegen die Priesterehe; wie diese ein Angriff gegen die Familie, war jenes ein Angriff ge^n den Staat; mit gleicher Energie und gleicher Gewaltsaaikeit wurden beide geführt. Freiheit, ab-» solute Freiheit der Kirche: das war das Ziel Gregorys. Auch Bowden giebt dies zu, obwohl er es nicht in ganzer Schärfe fasst, und allen Maassregeln des Papstes mehr einen rein sitt*^ liehen Charakter als den eines ausgeprägten politisch-kirch- lichen Systems verleihen möchte. Wenn er nun aber in der Freiheit, welche Gregor der Kirche zu erkämpfen suchte, nur

*) Regest, II. ep. 45. etiam vi, si oportuerii> prohil»eatis.

M' The life and pontificate of Gregory VII.

eine Freiheit von den Banden des Feudalsystems sieiAy mit welchem die Salier Kirche und Staat auf gleiche Weise hat« ten umstricken wollen, so hat er die Höhe und Tiefe des Gregorianischen Systems nicht ermessen oder nicht ermes- sen wollen. Nidit das Feudalsystem zertrümmern wollte Gre- gor, sondern es erbauen in der grossartigsten Weise, er hatte iiir dasselbe einen Plan entworfen, wie er wohl zuvor in keines Menschen Gedanken gekommen. Nach der einen Seite, in dem System der Hierarchie, wo er seit Jahrhunderten vor*- bereitet war, gelang es ihm denselben so weit auszufiihren, dass seine Nachfolger auf dieser Grundlage sicher weiterar« beiten konnten; nach der andern Seite hin, wo die weltli« chen Gewalten in dies System hineingezogen werden sdUea, misslang der Plan, doch war er darum nicht minder ausge« bildet und in der Ausführung versucht Nach «iner Freiketl der Kirche neben dem freien Staate hat Gregor nie gestr^t; wie hätte er auch an die vollständige Absond^irung, an die absolute Trennung zweier Mächte denken sollen, die in ste« ter Beziehung und Wechselwirkung stehen? Die Kirche als eine fest geschlossene, monarchisch regierte Macht> sollte frei sein von allen andern Mächten, die das Lebeti beherrschen, sie allein frei, und Staat und Familie von ihr in der sti'eng-* sten Abhängigkeit. Die Kirche allein war ihm eine göttliche Institution; der Staat ein Werk des Satans*); die Ehe an sich unrein und unheilig; nur durch die Kirche, nur ihr dienend könne auch sie geweiht und geheiligt werden. Wie Gregor so den Gedanken einer Oberhoheit nicht bloss über die Kirche, sondern auch über alle weltlichen Gewalten, den Gedanken einer Universalmonarchie im weitesten Sinne^ des Wortes in sich trug, wie von ihm aus seine Thätigkeif durchgängig bei- stimmt war, wie nach ihm alle seine Handlungen zu beur* theilen sind: das muss der Geschichtschreiber d^seibon

*) Quis nesciat reges et duces ab üs habuisse principiuiiiy qui Daum ignorantes, superbia, rapiois^ perfidia, homicidiis, postremo iiniversis paene sceleribus, mundi principe, diabolo videlicet agilante, super pares, scilicet homines dominari caeca cupiditatcf et intole- rabili praesumptione affectaverunt. Reg. ViU. ep. 3L ^

by John William Bowden. 93

durchschauen und uns anschaulich machen. Wie wenig Bow- den dies gethan hat, geht schon daraus hervor, dass er die Ansprüche, die Gregor auf die Lehnshoheit der verschiedenen Staaten Europa's erhob, herleitet aus „einem Zusatz von Schwäche zu den edelsten Gefühlen und Principien einem Zusatz, welcher seinen Ursprung hat in den verschrobenen Ansichten über die Natur von Christi Königreich, welche in dep dunkeien Zeiten vor Gregor allgemein angenommen waren/' Wir sind der festen Ueberzeugung, dass eine strenge, unparteiische Forschung vcm dem ausserordentlichen Manne ein ganz anderes Bild entwerfen muss,*] als seine Feinde und Widersacher uns überliefert haben; aber wir halten es für eine Sünde ^egen die Geschichte, für eine Sünde gegen das Andenken Gregor's selbst, wenn seine neuesten Bio^aphen seine maebtige Gestalt nicht mehr in ihren festen, sicheren Umrissen erkennen lassen, ihm Züge leihen, die er nicht ge- habt hat, und sei eis auch um ihm zu schmeichein oder ihn zu verschönen. Gregor hat aus dem, was er wollte und dachte» der Welt kein'Geheimniss gemacht, mindestens dem nicht blö- den Auge seine Absichten und Zwecke deutlich genug ent- hüllt. Warum sollten wir die Augen nicht öffnen? Und wenn wir sehen, warum sollten wir von dem nicht offen sprechen, was wir gesehen haben?

*) Auch ist dies in allgemeineren Werken bereits in den Grund- linien geschehen. Zu dem Besten, was über Gregor gesagt ist, rech- nen wir die Erörterungen Plank's, Gieseler's, Stenzei's und v. Sy- bel's in der Geschichte des ersten Kreuzzuges. Bei ihnen findet sich Manches ausgeführt, was wir oben nur andeuten konnten. ."■.«•-• ' ,

Berlin. Dr. W. Giesebrecht.

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Mlftcelle

1.

Neueste Enfdeekungen zu Niniveh nach den Berichten des französi- schen Gonsols zu MosiU, Mr. Bottft. Ueber die ungeheuere Hauptsta<K des alten assyrischen Reiches., das nach dem Stifter der ältesten bekann- ten Dynastie Asiens benannte Niniveh (oder Ninos der Griechen), am oberh Laufe des Tigris, finden sich bei den Klassikern nur eiaie(ei aus orientali- schen Quellen geschöpfte und daher wohl leicht übertriebene Angaben in Betreff ihrer Pracht und Grösse» Diodorns giebt ihr, wahrscheinlich nach KtesiaS; 480 Stadien Umfang; Xenophon, dessen Hespila ohne Zweifel den- selben alten Ort bei dem heutigen Mosul bezeichnet, in der Anabasis nacfy eigner Anschauung 6 Parasangen, d. i. 480 Stadien; Strabon sagt nur, die Stadt sei grösser gewesen als Babylon, dessen UmfaDg er zu 360 StacHan angiebt. Hinsichtlich ihrer Lage, welche einig» der Alten an den .£uphrat setzen, finden sich so wenig zuverlässige -Daten, dass Gelehrte wie Man- nen und Reiohard sogar an der Existenz einei feiten NiniVeU aw «bera Tigris halten irre werden und die . assyrische Hauptstadt in das Canalland des untern Tigris -Eiiphratsystems versetzen können. Gleichwohl ist die Tradition, wedch^ die Lage von Niniveh gegenüber dein heutigen Melsul au Ostufer des obern Tigris bezeichnet, bei den .Orientalen nie ausgestorben; selbst spätere arabische Schriftsteller sprechen noch von bedeutenden Roi- nen und antilusn Bildwerken an dieser SteUe^ und ein r neueres Dorf da^^b^ führt noch bei den chaldäischen Christen den Namen Nuniah (nach.Botla: Ninlouah), während ihm die Orientalen den Namen des aus der Geschichte 4er alten Siädt b^kannt^nr Propheten .'Joops (w«b. Ncibby Juans, tilrk. JUimn Pejgbamber) geben. .Die Unscheinl)arkeit der Reste, welche jetzt, nachdem wegen der Nähe einer grossen neuern Stadt die bedeutenderen Baudenk* male der alten verschwanden und als Baum^eriat verbraucht wor^«n sind, nur noch in grossen Erdwällen bestehen, war hauptsächlich daran Schuld, dass frühere Reisende, wie Tavernier, Niebuhr und Kinneir ihnen nicht ge- nügende Auftnerksamkeit schenkten. Erst durch den- englischen Consul in Bdghdad, Mr. Rieh, de^ Im S, 4880 Mosul besuchte, haben wir gsnaaere Untersuchungen und Pläne erhalten, die durch die Herren v. Moltke und V. Mühlbach (1838) und den englischen Reisenden Mr. Ainsworth {4840) bestätigt und vervollständigt wurden. .Nach ihren Ergebnissen bestehen die Reste- in Erd- und Backs telnwällen von 20 30' Breite und 24 30' Höhe, die in einer Ausdehnung von etwa 30,000 Fuss ein unregelmässiges -Vier- eck, den Haupttheil der alten Stadt, einscbllessen. Innerhalb derselben er- heben sich zwei künstliche von Backsteinen aufgeführte Hügelakröpolen von bedeutendem Umfang, mit den Dörfern Kojundschuk und NebbyJunus; das ganze Areal ist mit Backsteinen, Ziegeln und Terracotten, die fast sätnjnt- lich Eeilinschriften tragen, sowie mit unregelmässigen Trümmerhaufen über, deckt; an einzelnen SteUen finden sich auch noch Quadern aus dem der unmittelbaren Umgebung von Mosul eigenthümlichen Muschelkalfcstein, -dem %l^oq xoyx^^'M^''l9^ cl^n Xenophon in den Ruinen von MespUa bemerkte. Grabkammern von Quaderbau mit Inschriften, Reliefs und^ Schmucksachen, sollen nach Rieh's Zeugniss im Hügel Kojundschuk aufgefunden und zer- stört worden sein. Auch ausserhalb der Umwallung finden sich auf isolir- ten hohen Punkten (Zembil Tepessi und Jarimdscheh) ganz ähnliche Trum-

mert«8te, die Yöntädten angehört haben mttgen. -^ Nachdem nun netier> lieh der seit Kurzem hi6taUirte UranzSaische Gonstil lu Ifoaol, Hr. BoUa, im Omfange dieser allen Stadt einige weniger betohnende Ausgrabongen * un- ternommen^' wobei nur Ziegel und Quadern mit Keilinscbriften entdeckt wurden, hat er in der Nadhbarschaft yon Niniveh, 5 Stunden nördlich beim Dorfe Khorsebadi wo man auch früher schon Ziegel mit Keilinschriftea fand, eine Ausgrabung angefangen, deren Resultat höchst belohnend in werden verspricht, und deren Fortgang daher auf Kosten der französi- schen Regierung, durch Yermittelung der Minister des Innern und des Unterrichts, Grafen Buchatel und Herrn Villemaln, in Aussicht gestellt ist. Die ersten Berichte Botta's über das bis jetzt Gefundene, brieflich an den gelehrten Orientalisten J, Bfobl in Paris gerichtet, sind im Journal Asia- tlque 4843 no. 7. p. 64 fL mitgetheiit. (Brief vom 5. April d. J. mit 42 Ta- feln Abbildungen von Denkmälem. Neuere Briefe vom 2. Mai und 9. Juni, deren heldige Publicatioii versprochen wird, sollen noch wichtigere Resul- tate ergeben; vergl. Ang&b. Allg. Zeit. 4843. No. 474 Beil. Wir enthalten uns dariiber noch des Urtheils.) Nach denselben haben die Ausgrabungen auf einem Theil des Hügele, den das Dorf Khorsabad efnnimmt, Reste der 6nmd<> mauent einee grossen Psdastes bloss^Iegt, die leider nur bis zu einer Döhe von .9 40 Fuss und zum Theil nocti weniger erhalten sind, Übrigens aber einen seltenen Reichtbum an Sculpti^en und Inschriften offenbaren. Auf einem, nach der bekannten assyrisch -babylonischen Constructionsart mit Ziegeln in Asphalt gelegten Fussboden, erheben sich jene Mafuem ; die Aus- 84Pnseiten bestehen in grösseren und kleineren, immer aber sehr dtinnen blatten eines harten marmorartigen Gfp&eSy welche ganz mh Rehefs be- deckt sind; das Innere ist durch eine thonartige tmi Kalk gemischte Erde ausgefüllt. Die Figuren sind thells kolossal, von 8 bis 9 Fuss Höbe, thellB in doppelten 3 Ftfss hoben und durch 4^ Fuss breite Keilinscbriften ge- trennten Reihen geordnet. Sie scheinen durchaus historische Facta darzu- stellen; man bemerkt, nach Botta's Zeichnungen oder Beschreibungen, Bo- geBsehülzen «ind endete Krieger, «um Theil zu Pferde, auch mit Wagen, sowie mir Andeutungen von Festungsmauem; ferner andere mUnnliche und weibliche Figuren von unbesiimmier Bedeutung. Unter den kolossalen Fi- guren tragen einige' eine sehr reiche, mit sauber ausgellthrten Ornamenten bedeckte, vielleicht priesterliche oder königliche Bekleiduhg. Im Styl und der Ausführung sind diese Sculpturen nach Botta's Meinung, die allerdings dftpch seine S^eielmiingen bestHtigt wh'd, den Bildwerken von PefsepoU« sehr ähnlich, nur dass sie entschieden mehr Leben, freiere Bewegung und eine correctere Zeichnung verrathen. Gleichwohl fragt es sich noch, ob wir wirklich, wns Botta's Ansicht zu sein scheint, in diesen Resten Denk- mäler der ältesten assyrischen Kunst werden anzuerkennen haben, oder ob der Fortgang der Entdeckung oder -die Entzifferung der Keilinscbriften nicht, vielleicht bewefsen dürfte, was man nach dem Styl der Sculpturen anzunehmen geneigt sein könnte, dass der ganze Bau vielmehr einer spä«- tem, persischen Zeit angehört. Denn wenngleich die alte Nlnlveh seit der medijBCben Eroberung, ^nd so auch zu Xenophon's Zeit zerstört lag, so gedenkt doch dieser Autor in derselben Gegend königlicher Paläste (jSacrt- %tla), auf die man also füglich die erwähnten Ruinen beziehen könnte.

. 2. .

Die Anzahl der historischen Werke über die Eroberung Mexfco's ist dof^h ein n^ues vermehrt worden. Der Verfasser der „Oesehichte Spaniens unter Ferdinand und Isabella '^, W. H. ^Presdott, hat die Früchte seiiier hl« storischen Forschungen in jenem ersten Werke noch nicht erschöpft und Bentley in London kündigt so eben etnOHistory of the Gonquest of Mexico

96 Miscellen.

wilh a Prelimiaary View of the ifexican Givilisation and the Life of Um Conquerer Hemando Gartes von dem genaonten Verfasser an. Zwei dw aasgezeichnetsten Historiker, SoUs und Robertson, haben dasselbe Thema schon behandelt, aber do<A dem kritischen i^ste des heutigen Tages in Hinsicht der Genauigkeit der QueUenforschuiig ticht genügt. Auch fehlten ihnen zum Theil diese Quellen. Preseott dagegen konnte über das voll- ständigste Material disponiren; die Sammlungen des Bon Juan Baptista Munoz, des berühmten Verfassers der Geschichte Indiens, des Don Navar- rete und mehrer anderen, welche die werthvollsten Documente aus den Archiven Spaniens enthalten, standen ihm zu Gebote. Er hat sie fleissig benutzt und ein Werk geliefert, das zwar, was die Hauptereignisse be- trifft, nichts Neues bringt, aber in den Einzelheiten sehr Vieles berichtigt und vervollständigt.^ Prescott hat den Robertson detaillirt; den Charakter und die Bedeutung der Ereignisse, wie dieser grosse Geschichtschreiber sie gezeichnet, hat er unverändert gelassen, und nur die Umrisse mit eineor Menge von Einzelnheiten ausgefüllt. Ob deshalb dies Werk wirklieh ein gefühltes Bedürfniss war, ist zu bezweifeln. Uebrigens zeichnet es sich durch seine Darstellung vortheilhaft aus und man findet Stellen darin, wo sich die Grazie und Eleganz Addispn's mit Robertson'« erhabenein Schwünge und Gibbon's glanzvoller Erzählungsweise vereint.

3. ' . '-."-.

Unter den Christen des Orients ist eine Prophezeiung verbreitet, der sufolge die muhamedanische Macht im Jahre 4844 zu Grunde gehen soU. Sie stützt sich auf Apocal. 4 3, 5., wo von dem Drachen, der dem Johannes erschienen, gesagt wird: „Es ward ihm gegeben, dass es mit ihm wÄbrte 42 Monate lang/' Diese als Jahrmonate genommen gebei) die Zahl 4^60, welches Jahr der Hedschrah am 49. Januar 4&44 beginnt. ,

4.

Die Philosophie der Geschichte hat in der nettesten Zeit in.Deutseh'* land wunderbare Fortschritte gemacht. Was Herder, Schiller, Kant, Fichte, Sobelling U.A. leisteten, waren geistreiche. Räsonnements oder freie Spe- culationen iiber die tiefere Bedeutung der Vergangenheit. Mit Heg^ trat die Construction der Geschichte auf; das ganze Feld derselben wurde, soweit es irgend anging, nach dem trichotomlschen Schema bemesseUt An grossen Inconsequenzen fehlte es nicht; vorsichtiger^eise blieb iedeaseD Hegel bei der Gegenwart stehen. Um diese grösste Inconsequenz der philosophischen Construction zu beseitigen, gaben seine Nachfolger die Vor-« sioht.auf, und Gieszkowski in seinen Proleg. zur Historiosophie (4838) zog auch die Zukunft in die Gons|ruction hinein. Aber avLCh er beobachtete noch einen gewissen Grad von Zurückhaltung, insofern er nur die allge- meinen Kategorien des Schönen, Wahren und Guten als .Maasstab, «n die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft anlegte, und deren Charakter da- nach zu entwickeln suchte. Allein jede Richtung treibt nun einmal ihrem äussersten Extreme zu, zieht ihre letzten Consequenzen, und so ist es denn jetzt dabin gekommen, dass uns Herr Eisenhart in seiner Philosophie def Staats (4843) die Zukunft sogar nach Zahlen construirt. Wir .gedenken auf dies Buch zurückzukommen und beschränken uns daher nur auf das hier^ hergehörige Schlussresultat des Verfassers. Danach stehen der weltgeschicht- lichen Entwickelung die bedeutsamsten Wendepunkte um die Jahre 4 875, 2350, 2625 und 3000 bevor. Gewiss, eine noch kühnere Prophezeiung wie die eben gemeldete der orientalischen Christen!

Btofleben and Hofhltten der Fttniiimeii im seelizeliiiteii Jatalmnüewt.

(P o r t s e t z u n g.)

Waren Brüder oder sonst nahe Verwandte vorhanden» die im Fall des Todes eines Fürsten erbliche Ansprüche auf ein zum Leibgeding verschriebenes ländliches Besitzthum erheben konn- ten, so war es erforderlich, dass solche zur Leibgedingsver- Schreibung noch vor der Vermählung ihre besondere Einwil- ligung ertheilten, um die Fürstin nach ihres Gemahls Tod gegen Eingriffe in ihr Besitzthum sicher zu stellen. Vt^ir fin- den Beispiele, dass man zur Sicherheit Leibgedingsverscfarei- bungen vom Kaiser förmlich bestätigen Hess.

Erst wenn auf diese Weise der Ehecontract fest und (ärmlich abgeschlossen, von beiden Seiten genehmigt und die junge Fürstin in ihrem künftigen ehelichen Verhältnisse si- cher gestellt war, erfolgte das eigentliche feierliche Verlöb- niss. Wir finden es bei der ehelichen Verbindung des Her- zogs Albrecht Friederich von Preussen mit Fräulein Maria Eleonore, ältester Tochter des Herzogs Wilhelm von Jülich, Cleve und Berg, im Jahre 1572 auf folgende Weise vollfiihrt Der junge Fürst sandte seinen Hofmeister und einige seiner vornehmsten Bäthe mit diplomatischer Vollmacht und dem genehmigten Ehecontract an den Hof des Vaters der Prin- zessin ab, wo sie angelangt und feierlidb empfangen sofort beim ^Fürsten um Audienz baten. Sobald sie ihnen gewährt war, erschienen sie am fiofe, wo sie die nächsten Familien- glieder und die Prinzessin im festlichen Schmuck versammelt

ZailMKrift r. GMckiebUir. I. 1844. 7

98 Hoflebm und Hofsitten der Fürstinnen

fanden. Der Hofmeister setzte zuerst in einer Anrede an den Herzog den Zweck ihres Erscheinens, den Verlauf der Be- werbung um seine Tochter und den Abschluss der bisher geführten Verhandlungen laut seiner Instruction auseinander. „Nachdem nun alles, fügte er dann hinzu, bis zum ehelichen Beilager verglichen und vollzogen ist, bleibt jetzt nur noch übrig, dass nach altem fürstlichen, christlichen Brauch in ge- genwärtiger Versammlung das Jawort gegeben werde, indem das Fräulein sich gegen sie, die Gesandten, verbinde, die künftige Ehegemahlin des Fürsten zu sein, der um ihre Hand werbe." Am Schlüsse der Rede sprach er dann die Bitte aus: „der fürstliche Vater möge jetzt seine geliebte Tochter dahin berichten, dass sie ihr Jawort gebe und sich dergestalt auf gepflogene Tractation ehelich verbinde.^' Darauf Hess der Fürst durch seinen Kanzler Antwort geben und in seinem Namen erklären, dass er auch seiner Seits den Abschluss der bisherigen Verhandlungen genehmige und es somit sein Wille sei, „dass jetzt der Abrede allenthalben nachgegangen werde und die Versprechung und das Haadgelübde dermassen von seiner Tochter im Namen der heiligen Dreifaltigkeit gesche- hen möge." Nach solcher Erklärung des Herzogs wandte sich der Gesandte an die junge Fürstin mit der Frage: „ob ihre liurstliche Gnade, nachdem sie ihres Herrn Vaters gnädigen Willen vernominen und die Erlaubniss empfangen, den Für- sten, der um ihre Hand geworben, zu ihrem künftigen Ehe*^ gemahl zu haben begehre?" Die Fürstin zögerte mit der Ant- wort, bis der Vater sie dem Gesandten entgegenfahrt^^ wor- auf sie diesem die Hand reichte und die Erklärung gab: „weil es meinem gnädigen Herrn Vater also gefallt, bin ich es wohl zufrieden." Der Gesandte versprach ihr dann im Namen sei- nes Herrn, dass dieser sie als seine künftige Ehegemahlio halten und anerkennen und sidi ihr zu aller gebührlichen Treue und Liebe aufs freundlichste erbieten und verbinden wolle.

War auf solche oder ähnliche Weise das Verlöbniss voll- aogen, so erfolgte die Brautbeschenkung. Der Gesandte über- reichte der fürstlichen Braut im Auftrage seines Herrn bald ein prachtvolles Brautkleid, bald auch kostbares Pelzwerk,

im sechßefmten Jahrhundert 99

künstlich gearbeitete goldene Geschmeide oder andere werth- volle Kleinodien. Auch die Eltern der Bra«t wurden mit ansehnlichen passenden Geschenken, Brüder und Schwestern gewöhnlich mit goldenen Ketten, kostbaren Ringen oder son- stigen Kleinodien erfreut. In der Regel bot auch der Gesandte seiner Seits der fürstlichen Braut irgend ein Geschenk ent* gegen. Wir finden z. B., dass ein Gesandter der Braut ein schöngemaltes Lädchen Yon kostbarem Holze mit Elends-* kiauen und Bernstein -Oel zum Geschenk überreichte. Das bedeutungsvollste Greschenk aber, welches damals gewöhnlieh schon bei der Verlobung gewechselt wurde, war der Braut* und Bräutigams^Ring, als symbolische Zusicherung gegensei- tiger Treue. So schreibt z.B. eine fürstliche Braut an ihren fütr^lichen Sräutigam im Jahre 1549: „loh habe von Ew. Lieb-* itm den spitzen Diamant-Ring zum Vermählungs-Ring em- pfangen, wodurch Ew. Gnaden mir ihre stete Treue verheis- set; dagegen schicke ich wiederum Ew. Gnaden einen Saphir-> Ring zu gleicher steter Treue und verspreche meine Zusage zu halten und nimmermehr zu brechen.'^

Während der Bratitzeit wurden zwischen Braut und Bräu-* tigam fort und fort Geschenke gewechselt Bald erhält die erstere eine schöne goldene Kette, an welcher des Bräuti- gams Namenszug in Edelsteinen gefasst hängt und „die sie tägHeh auf der blossen Haut tragen soll,'* bald erfreut sie der Bräul%am mit einem prachtvollen Pelze, selbst „ein Spanio- tisches Höndlein^ wird von der Braut mit Freude aufgenom- men, „damit sie sich bis zum baldigen Beilager hübsch fein und züdbtig die Zeit vertreibe.'^ Sie erfreut dagegen den Bräutigam bald mit einem Perlenkranz oder mit einer Stik- kerei von ihrer eigenen Hand, bald selbst auch mit einem feinen Bräutigamshemde. Herzog Albrecht von Preussen über- raschte einmal seine Braut, die Prinzessin Dorothea von Da- nemark, seine herzallerliebste Fürstin, Muhme und Bufale^', wie er sie nennt, mit etlichen , J^umberanzen" (Poineranzen), um sich daran zu erfrischen; sie lasst dagegen ihrem Bräu- tigfion durch den Bisciiof von Pomesanien ab Geadienk einen Dornenkranz entgegenbringen, worüber dör Herzog seltsam

7*

100 Hofleben und EofsUten der Fürstinnen

genug so erfreut ist, dass er seiner Braut schreibt; „Wiewohl der Kranz, den Ew. Liebden mir sendet, von Dornen ist, so ist er mir doch lieber und soll mir auch lieber sein als alle Rosen- und Yeilchenkränze und wenn sie auch mit den be- sten Gypr^ssen vermengt wären." Die Prinzessin aber er- wiederte ihm: „er möge den Dornenkranz doch nicht so gar hoch anschlagen, denn es sei ja nur ein ganz nichtswürdi- ges Ding."

Während Braut und Bräutigam sich auf solche Weise beschenkten und durch ihre Geschenke mitunter auch gegen- seitig neckten, besorgten die fürstlichen Eitern die Ausstat^ tung der Braut Das Kostbarste waren in der Begel die Kleia- odien, weshalb sie im Ehecontract jeder Zeit ausdrücklich als ein Theil der Aussteuer mit ausb^dungen wurdei^ Als Bei- spiel diene, was das Fräulein Ann« von Preussen bei der Vermählung mit Johann Sigismund« Sphn des KurAirsten Joar chim Friedericfa von Brandenburg, im J. 1694 an Kleinodien zur Ausstattung erhielt. Ein goldenes Halsbaüd mit 18 Rosea von Edelsteinen, darunter fünf Rubin-Rosen, vier Diamtnl- Rosen und neun glänzende Perlenstücke, vom Meister Gabriel Lange in Nürnberg verfertigt, kostete 3750 Mark, ein anderes wurde mit 3115 Mark und ein drittes mit 32 Diamanten, Per- len und goldenen Rosen mit 1487 Mark bezahlt Ein viertes Halsband, 3000 Mark an Werth, schenkte der Braut die fürst- liche Mutter aus ihrem eigenen Kieinodienschatze. Dazu ka- men ferner eine goldene Kette für 265 Mark, 36 goldene Ringe, darunter 24 mit Diamanten für 432 Mark, 60 Ringe mit Rubinen an Werth 360 Mark, 48 s. g. Kreuzringe, die man dem Augsburger Goldarbeiter mit 396 Mark bezahlte« Für Perlen zum Schmuck wurden 1745 Mark verwendet, so dass mit noch einigen andern Kleinodien dieser Theil der Ausstattung des fürstlichen Fräuleins nicht weniger als 14,633 Mark betrug, nach damaligem Geldw^rthe schon ^ine sehr bedeutende Summe.*)

*) Aebnliche Angaben über Brautausstattungen bei Rave mann Elisabeth Herzogin von Braunschweig S. 107.

im sech^knten Jahrhundert loi

Die Ausstattung der Braut mit dem nöthigen Silberge* räthe kostete in der Regel den fiirstltdlen Eltern selbst keine so grosse Summe, denn man rechnete hiebei auf die gewöhn- lichen Hochzeitsgeschenke. Sobald nämlich der Hochzeitstag bestimmt war, ward gewöhnlich eine grosse Zahl von nahe und fern gesessenen, verwandten oder sonst (befreundeten Fürsten und Fürstinnen zur Hochzeitsfeier eingeladen. War die Braut mutterlos, so ei^ing an eine nahebefreundete Für- stin zugleich auch die Bitte, die Stelle und Geschäfte „der Brautmutter des Brautfräuletns*' zu übernehmen. Wer dann von den geladenen fnrstiicheo Gästen das Hochzeitsfest durch seine Gegenwart verh^rlichte, brachte der Braut irgend ein wepthvolles Geschenk, worauf der Name des Schenkers stand, einen silbernen Becher, eine silberne Schale, einen in Silber gefassten Löffel von Meermuschel, Yenetianische Gläser mit Schalen, silberne Messer und Gabeln oder irgend ein kost- bares Kleinod zu Schmuck und Putz entgegen. Es geschah dies in der Begel am andern Morgen nach der Trauung. Man nannte es daher die Morgengabe. Hatten zur Darreichung <^ieser Weibgesdienke die Hochzeitsgäste sich im grossen Yersammlungssaale des fürstlichen Schlosses eingefunden und die Braut im festlichen Schmucke auf einem erhöhten Sitze sich niedergelassen, so nahte sich ihr zuerst der fürstliche Bräutigam selbst mit einem kostbaren Brautgeschenk; ihm folgten dann ihrem Bange nach mit ihren Ehrengeschenken die Fürsten, Grafen und Botschafter, hierauf auch die Für* stinnen und Gräfinnen; selbst die Landesstädte sandten ge- wöhnlich Abgeordnete, um der Braut irgend welche Ehren- gaben entgegenzubringen. Waren Fürsten verhindert, dem Hochzeitsfeste beizuwohnen, so sandten sie gewöhnlich einen ihrer vornehmeren Bäthe als Stellvertreter, die am Feste selbst den Bang ihrer Fürsten einnehmend , der Braut ein Braut>- geschenk im Namen ihrer Herren überreichen mussten. So rühmt z. B. Herzog Albrecht von Preussen bei seiner zwei- ten Yermähluug mit Anna Maria, des Herzogs Erich von Braunschweig Tochter: der Kurfürst Moritz und Herzog Au- gust von Sachsen hätten sich wegen ihres Nichterscheinens

102 Hofleben und Hofsittm der Fürstinnen

l)ei seioem Hochzeitsfeste entschuldigt; ersterer aber habe durch einen Diener eine goldene Kette geschickt und durch des Herzogs Marschall der Braut zur Morgengabe überrei« eben lassen und sein Vetter Markgraf Albrecht der Jüngere habe diese ebenfalls mit „einem tapfern Geschenk einer gol*- denen Kette mit Edelsteinen" beehrt. Die Ges^enke zur Morgengabe waren so überaus zahlreich, dass der Herzog der Gemahlin des Grafen Poppo von Henneberg ein langes Ver- zeichniss derselben zusenden konnte. Als später derselbe Hör- mg zur fürstlichen Hochzeit oder ,,Heimfahrt" des Fräuleins Elisabeth Landgräßn von Leuchtenberg eingeladen ward, er- tbeitte er seinem Rath Ahasverus Brand, der eben damals in Deutschland war, den Auftrag, bei der Hochzeit sein Stell- vertreter zu sein und irgend ein Kleinod nebst einer golde- nen Kette zum wenigsten 200 Gulden an Werth von einem Augsburger Kaufmann aufzunehlnen und der Braut am Hoch- zeitstage in seinem Namen zu überreichen.

Nach dem Hochzeitsfeste (dessen Schilderung hier filg- lieh unterbleiben kann, weil anderwärts eine solche vo» uns schon gegeben ist) trat die fiirstliche Frau am Hofe ihres

k

Gemahls als Gebieterin der ihr zugeordneten Hofdienersehaft auf. Die Hofhaltung der Fürsten und Fürstinnen pflegte schon damals ziemlich bedeutend und zahlreich zu sein. Gewöhn- lich entwarf der Fürst entweder schon vor seiner Vermah- lung oder sogleich nach derselben nach einem ihm mitge- theilten Muster für seine junge Gemahlin eine s. g. Hoford* nung oder wie man es auch nannte, „eine Ordnung des Frs^uenzimmers.'* Wir haben vier solcher Hofbrdiiungen von Höfen des südlichen und nördlichen Deutschlands aus den Jahren 1526, 1535, 1547 und 1560 vor uns liegen. Da sio im Wesentlichen mit einander übereinstimmen- und die Hoford- nung, wie schon erwähnt, meist nach dem Muster andrer Höfe eingerichtet wurde , so scheint man folgern zu därfien, dass in der feststehenden Hofordnung an fiirstlichen Höfen überhaupt ein gewisser Typfus herrschte, der nur hie und^d in unbedeutenden Veränderungen abwich. Legen wir die vor uns liegenden Hofordnungen zum Grunde, so gestakd;

im sechsiehnten Jahrhundert. IM

sich der Hof der Fürstin uogefdbr in folgtoder Weise und Ordnung.

An der Spitze des gesammten Hofpersonals der Fürstin stand überall der Hofineister als Obervorsteher der ganzen fürstlichen Dienerschaft, dem als Ordner des Hofdienstes alle, die in der Fürstin Dienst standen, zum pünktlichsten Gehor- sam verpflichtet waren. Die Hofordnung gebot: ,,der Hof- meister solle alle diejenigen, welche der Fürstin zugeordnet seien, wer sie auch sein möchten, unter seinem Befehl streng in Gehorsam halten und sie zu regieren und zu bestrafen Volhnaßht haben; er solle stets mit Fleiss daraufsehen, dass die Fürstin ehrlich, züchtig, getreulich, mit guter Ordnung und höchstem Fleisse wohl bedient und abgewartet werde.*^ Es lag ihm ferner die Pflicht ob, unter der Fürstin übrigen Dienern und Dienerinnen stets Einigkeit, gute Zucht und Aqstand aufrecht zu halten. Kamen Beweise von Unverträg- lichkeit, Zanksucht oder unsittlichem Lebenswandel eines fürst- lichen Dieners zu seiner Kenntniss, bemerkte er Unordnung und Unachtsamkeit im Dienst oder Ungehorsam gegen gege- bene Befehle und gegen die Hofordnung, so war er verbun- den, die Schuldigen ernstlich zu ermahnen, im wiederholten Falle sie zu bestrafen . und blieb auch dieses erfolglos, der Fürstin oder dem Fürsten davon Anzeige zu machen. Dies seine Stellung zu der übrigen Dienerschaft.

Der Hofmeister war immer zugleich der erste und vor- nehmste Leibdiener. Hielt die Fürstin eine Ausfahrt zur Kirche, irgendwohin zur Tafel oder einen Spazierritt zum Vergnügen oder i^g sie auf Reihen, so musste er sie begleiten, ihr dann in und aus dem Wagen oder auf und von dem Zelter helfen ui^d überhaupt in allen Dingen der Fürstin zu Dienst stehen. Ward er durch wichtige Gründe an solcher Begleitung ver- hiüderl^ so musste er dafür sorgen, dass er in seinem Dienst durch einen andern anständig und geziemend vertreten werde. Am Hofe selbst muäste er bestandig in der Nähe der Für- iitin sein; alles, was an sie gelangen sollte, nahm er zunächst in Empfang und ertbeilte, wenn es nöthig war, im Auftrage der Fürstin die etwanigen Antworten und Bescheide. Die

104 Hofleben und Bofsitt^ der Füntinnen

Hofordnung schrieb ihm daher ausdrücklich vor, dass er ohne vorherige Anzeige bei der Fürstin steh nie auf längere Zeit aus ihrer Nähe entfernen dürfe.

War der Fürst vom Hofe abwesend, so gingen manche Hofdienste seines ihn begleitenden Hofmeisters auf den der Fürstin über. Vornehmlich hatte er dann die Oberaufsicht über Küche und Tafel; in jener musste er darauf sehen, „dass mit' dem Essen sauber und reinlich nach iiirstlicher Ordnung umgegangen werde ;^^ an dieser hatte er darauf zu achten, dass die Speisen und Getränke fleissig und ordent* lieh credenzt würden, auch „dass die Zugeordneten von Adel und andere ihren Dienst bei der Tafel fleissig und züchtig abwarteten.^* Er war dafür verantwortlich, dass die Tafel- ordnung auf keine Weise verletzt oder gestört werde« Er hatte also darauf zu merken , dass im fürstlichen Speisesaal keiner von den dort speisenden Räthen, Adeligen, Junkern oder andern männlichen Personen sich an die Tische der Jungfrauen setze oder stelle oder über Tisch mit den Jung- frauen Gespräche halte. Nur die Zwerge def Fürstin und die zur Aufwartung bestimmten Diener durften sich am Jung- frauen-Tische finden lassen. Jeder, der gegen die Tafelord- nung handelte oder im Gespräch Sitte und Anstand verletzte, setzte sich einer warnenden Zurechtweisung des Hofmeisters aus und ward, wenn er sich nicht abwehren liess, dem Für- sten zur Bestrafung angezeigt.

Der Hofmeister hatte ferner in Verbindung mit der Hof- meisterin (von der sogleich näher die Rede sein wird) die Oberaufsicht über die Ordnung im s. g. Frauenzimmer. Mit diesem Namen bezeichnete man damals das fürstliche Wohn- und Versammlungszimmer der den weiUiehen Ho^fstaat der Fürstin bildenden Hoffräulein. Dies waren in der Regel Töch- ter adeliger Familien des Landes, die man an den Hof bradb^, um sie theils in feiner Sitte, Anstand und Lebensart ausbil- den, theils auch m feinen, künstlichen Handarbeiten, wie sre damals besonders an fürstlichen Höfen betrieben wurden, un- terrichten zu lassen. Diesen Zweck finden wir ausdrücklich in mehren Briefen ausgesprochen, in denen um die Aufnahme

tift sechaehnien Jahrhundert lOS

adeliger Fräulein ins fürgtliche Frauenzimmer gebeteta wird. Den Unterricht in Handarbeiten und die übrige weibliche Aus- bildung besorgten ältere Kammerfrauen, die zu diesem Zweck im Frauenzimmer angestellt waren. Um unter diesen Hof- fräuleiu Zucht und gute Sitte aufrecht zu erhalten, waren in der Hofordnuttg gewisse Bestimmungen vorgeschrieben, atf deren Befolgung der iiirstliche Hofmeister zu sehen hatte. Bevor z. B. um zwölf Uhr Mittags das s. g. Morgenmahl ge- halten wurde, durfte ausser den mit besondem Diensten be- auftragten männlichen Personen niemand das Trauenzimmer besuchen. Erst mit der zwölften Stunde konnten Adelige, je- doch aticbnur wenn die Fürstin einheimisch war, ins Frauen- zimmer in Gesellschaft gehen und dort bis zwei Uhr des Nachmittags verweilen, desgleichen des Abends von sechs bis um acht Uhr. Sobald um zwei oder acht Uhr der Kämmerer oder Thürknecfat dreimah mit dem Hammer an die Thüre sdblug, musste jeder ohne Verzug das Frauenzimmer verlas- sen. Es hing von des Fürsten imd der Fürstin Befehlen ab, die Besuchszeit im Frauenzimmer zu verlängern oder zu ver- kürzen, auch wenn dazu Anlass gegeben war, diesem oder jenem den Besuch zu verbieten oder in gewissen Zeiten al- len Besuch des Frauenzimmers ganz zu untersagen. In der Besuchszeit hielten gewisse Bestimmungen Zucht und Sitte aufrecht; es war „den Jungfern'^ alles Hin- und Wiederlau- fen im Zimmer streng verboten; es stand eine gewisse Ord- nung fest, nach welcher sie züchtig und ehrsam auf einer Bank sitzen mussten. Es war ihnen nicht erlaubt, stehend vor den adeligen Herren Gespräche zu halten; es hiess .viel- mehr in der Hofordnung: „die vom Adel sollen im Frauen- zimmer stets züchtig sich neben den Jungfern niedersetzen und alle unzüchtigen Geberden und Worte vermeiden, wie denn solches die adelige Zucht und der Gebrauch ehrlicher iurstlicher Frauenzimmer erfordert.'^

Es war Pflicht des Hofmeisters und der Hofmeisterin, die vorgeschriebene Ordnung im Frauenzimmer streng und pünktlich aufrecht zu erhalten. Wer sich nicht anständig und ehrbar im Frauenzimmer benahm oder die bestimmte Ord-

10t Hofkb0i und HofsUim der Fürstinnen

Dung störte, konnte vom Hofmeister daraus verwiesen und der fernere Besuch ihm verweigert werden. Der Hofmeister war daher ausdrücklich verpflichtet, wahren^d der Beisuchs- stunden im Frauenzimmer anwesend zu sein oder wenn er verhindert war, sich durch den Kämmerer oder „eine aur dere angesehene Person, vor der man Scheu haben musste,*^ in der Aufsicht vertreten zu lassen« Weil er fiir alle Unord- nungen im Frauenzimmer verantwortlich war, so durfte aus- ser den dabei angestellten Dienern und Dienerinnen ohne sein oder der Hofmeisterin Wissen weder eine Manns- noch Frauensperson, am wenigsten wenn sie unbekannt-war, in dasselbe zugelassen werden; er durfte auch keine Gemein- schaft oder Verbindung mit dem Frauenzimmer eriauben-, die in irgend einer Hinsicht dem guten Ru£ei nachtheilig wer- den oder auch nur Verdacht erwecken konnte. Was er in .dieser Hinsicht anzuordnen fiir zweckmässig fand, hing gana von seiner Bestimmung ab. Damit die Zugänge zum Frauen- zimmer zu gehöriger Zeit verschlossen werden komäten, schrieb ihm die Hofordnung vor, daiiir zu sorgen, dass sowohl der Fürstin als den Jungfrauen im Frauenzimmer der sogenannte Schlaftrunk stets zu gehöriger Zeit, nämlich Abends noch vor acht Uhr gebracht werde, denn bald nach dieser Zeit mussten die äussern Zugänge zum Frauenzimmer im Som- mer undWintor verschlossen sein und durften ohne beson- dem Befehl des Hofmeisters oder der Hofmeisterin nicht wieder geöflhet werden.

Dies war ungefähr die Stellung des Hofmeisters der Für- stin nach den uns vorliegenden Hofordnungen. In der fte- ^el war er zugleich auch Mitglied des fürstlichen Rathes im4 nahm an dessen Versammlungen Theil. Wir. finden, ihn we- nigstens öfter als fiath des Fürsten aufgeführt. . ^

Die zweite wichtigste Person unter der Hofdienerschaft einer Fürstin war die Hofmeisterin, als nächste Vorsteherin und Vorgesetzte des Frauenzimmers, in der Regel adeligen Standes. Man wählte dazu gerne Wittwen oder doch be- jahrtere Personen. Ueber ihre Anstellung am Hofe bestimmte gewöhnlich die Fürstin selbst. Die Wichtigkeit ihrer Pfliph-

im sechi^hnien JahrhuttderL 107

ten und ihrer Verhältnisse in der tägiidien Umgebiuig der Fürstin brachte es Ton selbst schon mit sich» dass man bei der Besetzung dieses Hofdienstamtes stets mit grosser Vor- sicht zu Werke ging. Als z. B. die Herzogin Dorothea von Preussen ums Jahr 1541 ihre bisherige Hofmeisterin Lucia von Meisdorf wegen Altersschwäche aus dem Dienst entlas-» sen musste, gab sie nach mehren Orten hin wiederholte Auf« träge, ihr eine gute und brauchbare Person zu dem Amte in Vorschlag zu bringen und da sie eine solche unter dem Adel in Preussen nicht finden konnte, musste sie sich an einige Bekmmte in Deutschland wenden, mit der Bitte, ihr von dorther eine geeignete Person zuzuschicken, rath jedoch ausdrücklich, sie zuYor-aufs allergenauste zu prüfen, damit sie gut mit ihr versorgt 9§i. Sie verspricht ihr ein jährliches ßehalt von 20 Gulden und die gewöhnliche Hofkleidung, mit der Aussicht auf Verbesserung, sofern sie sich der Her- zogin mch ihrem Gefallen verhalten werde. ')

In den Dienst der Fürstin wurde die Hofmeisterin mit dem eidlichen Gelöbniss aufgenommen: „Der Fürstin getreu und gewähr zu sein, die Tage ihres Lebens der Fürstin be- reitwillig zu dienen, ihren Schaden zu warnen und zu oflTen- b^ren, auch nichts nachzureden, woraus der Fürstin oder dem Fürsten irgend welcher Schaden, Unglimpf oder NachthetI erfolgen kdnnte, vielmehr alles, was ihr Rathsweise anvertraut CKler von der Fürstin angezeigt werde oder sie sonst von ihr in Erfahrung bringe, bis ins Grab zu verschweigen.'^ Sie musste ferner eidlich versprechen, die ihr vom Fürsten über- gebeiie Hofordnung nie zu übertreten, sich die Aufwartung 4ler Fürstin stets aufs fleissigste angelegen sein zu lassen, „das Frauenzimmer pünktlich und treu zu regieren, etwani- ger Zwietracht und Uneinigkeit der Jungfrauen und aller de«- rer, die ins Frauenzimmer gehörten, nach allem Vermögen zuvorzukommen und wofern sich eine der Jungfrauen eine üble Nachrede oder sonstige Verletzung guter Sitte und Zucht

*) Vgl. Havemann Elisabeth Herzogin von Braunschweig-Lü- neborg S. 1%

los Hofleben und Bofsitten der Fürstinnen

erlauben werde, sie mit Bath des Fürsten, der Fürstin und des Hofmeisters, wenn es diese nöthig fänden, ernstlich zu bestrafen.

Die Hofmeisterin war demnach, wie zum Theil schon hieraus ersichtlich ist^ die erste und nächste Dienerin der Fürstin und [Soweit es diese verlangte, ihre beständige 6e* sellschafterin und Begleiterin. Hielt in des Fürsten Abwe->' senheit die Fürstin allein Tafel, so mussten nach Vorschrift der Hofordnung die Hofmeisterin und der Hofmeii$ter nebst einigen HofFräulein mit an ihrer Tafel speisen. In des Für- sten Anwesenheit dagegen sass die Hofmeisterin mit< am Tische der Jungfrauen. Da diese vom frühen Morgen bis spät am Abend, wo sich die Fürstin zur Buhe begab, bestän- dig um ihre Person war, so ents|Hinn sieh gewöhnlich zwi- schen beiden ein gewisses vertrautes Verhaltniss, so* dass z.B. die Herzogin Dorothea von Preussen ihre Hofiiieisterin Lueia von Meisdorf nie anders als „unsere liebe Mutter'* nannte.

Als Obervorsteherin der Hoffräulein hatte sie die nächste Oberaufsicht und Verantwortlichkeit übet Zucht und Ordnung im Frauenzimmer. Man war ihr daher hier in allem zum strengsten Gehorsam verpflichtet, denn in der Hofordnung war es ihr ausdrücklich als Pflicht vorgeschrieben, „sie solle die Jungfrauen im Frauenzimmer stets nach ihrem höchsten Vermögen zu Zucht, Ehre und Bedlichkeit anhalten, dafUr sorgen, dass dieselben der Fürstin zu behaglichem WiHen ehrbar dienten, und daraufsehen, dass unter ihnen alles Ge- wäsche und Gezanke, was dem fürstlichen Frauenzimmer übel anstehe, vermieden werde. Sie war ausserdem verpflich- tet, auch für die Ausbildung der Hoffräulein sowohl in sitt^ liebem feinen Anstand und gutem Benehmen, als ifh Geschick zu weiblichen Arbeiten so viel als möglich Sorge zu tragen. Was sie daher im Frauenzimmer anordnete, um Zucht und gute Sitte aufrecht zu erhalten und zu fördern oder Unord* nungen vorzubeugen, musste unbedingt befolgt werden. Ohne ihre Erlaubniss durfte keine fremde Person das Frauenzim- mer zum Besuche betreten. Wir finden sogar in der Hof- ordnung die Vorschrift, dass wenn einer der Jungfrauen im

im sechzehnten Jahrhundert lOf

Frattenzimmer während der Nacht eine Schwachheit sufallen und die Hofmeisterin dazu gerufen werde» so solle sie sich zuerst wegen der Schwachheit nach höchstem Vermögen er«- kundigen und nur wenn dann befunden werde , dass ein Doctor oder Baibier nöthig sei, solle deren einer „aus Er- fordern unvermeidlicher Noth, sonst aber keine andere Manns- person bei Tag oder Nacht ins Frauenzimmer zur Kranken eingelassen werden."

Diese Hoflraulein oder, wie sie damals gewöhnlich hies- sen, Kammerjungfrauen dienten der Fürstin als nächste weib- liche Dienerschaft. Sie waren ausschliesslich adeligen Stan- des und zwar, wie schon erwähnt, in der Regel Töchter adeliger Familien des Landes. Nur ausnahmsweise kamen mitunter Fälle yor, dass .Fürstinnen aus besondem Rück- sichten, bei höheren Verwendungen und Empfehlungen auch Töchter, auswärtiger adeliger Familien als Kammerjungfrauen in ihr Frauenzimmer aufnahmen. Gewöhnlich mussten solche» wie es scheint, eine Art von. Pension niederlegen und von den Eltern mit den nöthigen Bedürfnissen ausgestattet sein. So verwandte sich einmal der König von Dänemark bei der Herzogin von Preussen um die. Aufnahme der Tochter eines seiner Unterthanen in ihr fürstliches Frauenzimmer. Sie er- wiederte ihm darauf: Sie wolle ihm gerne in allen Dingen gefifillig sein; er könne jedoch leicht selbst ermessen, dass sie ihren .eigenen Unterthanen darin nicht wenig zu thun schuldig sei und diese vor allen andern fördern müsse und wolle. Um jedoch dem Könige und den Eltern ihren freund-* liehen Willen zu. beweisen, sei sie es zufrieden, dass die letzteren ihr eine ihrer Töchter zuschicken möchten, doch dergestalt, wie sie hinzuiugt, dass sie auch dasjenige bei ih- rer Tochter thun und mitgeben, was sie oder andere Ei- tern, wenn sie eine Tochter ins Kloster stecken, zu thun pflegen. Als man indess der Herzogin bald darauf meldete: die Eltern wollten ihrer Tochter nicht mehr als etwa hun- dert Mark und etliche Kleider mitgeben, schrieb sie dem Könige: unter solchen Umständen könne sie die Jungfrau nieht.in ihr Frauenzimmer aufnehmen, zumal da, wie sie

IIA Hoßeben und Hofsitten der Fürstinnen

abermals hinzußigt, „Wir auch dieses Landes jund Fürsten- thums Preussen Jungfrauen vor andern zu helfen schuldig sind. Wo ihr aber die Aeltern fünfhundert- Mark mit einer ziemlichen Nothdurft Kleider und Geschmuck mitgeben und solches so lange bis sie ausgebracht wird, hinterlegen oder ihr zum Besten zu Zins machen wollen, soll alsdann an uns in dem zu freundlichem Gefallen nichts erwunden werden/^ Bei der Aufnahme in das fürstliche Frauenzimmer musste jedes Hoffräulein sich „bei adeliger, ehrenreicher Treue** eid- lich verpflichten, gewisse ihr vorgelegte, den Dienst bei der Fürstin und ihr übriges Verhalten betreffende ^ BestirnrnüYi- gen fest und pünktlich zu beobachten. Ausser dem allge- meinen Versprechen eines stets treuen Dienstes musste sie geloben, Tag und Nacht der Fürstin stets gewärtig zu sein, so oft und so lange es diese verlange^ Morgens und Abends ihr stets zum Dienst bereit zu stehen, darauf zu achten, dass die Fürstin ohne ihren Willen nie und nirgends allein ge^^ lassen werde , auch mit allem Fleisse auf Speisen und Ge^ tränke zu sehen, wenn sie der Fürstin in ihrer Kammer, auf Reisen oder sonst irgendwo gereicht würden, damit al- len Gefahren, die daraus entstehen könnten, mit aller Sorg- falt vorgebeugt werde. Sie musste mit darauf achten, dass alles unordentiiche Aus- und Eingehen in der Fürstin Zim-^ mer vermieden, auch dass ohne des Fürsten oder des Hof- meisters Wissen oder unangemeldet niemand ausser der ver-* eidigten Dienerschaft in die fürstlichen Zimmer zugelassen werde. Kein Hoffräulein durfte sich erlauben, irgend etwas von Kramwaaren, Speisen, Getränken, Briefen und sonst et- was anzunehmen und in die Kammern der Fürstin zu tra- gen ohne deren Vorwissen und ohne sich zuvor erkundigt zu haben, von wem und von wo das Gebrachte komme. Die Hofordnung schrieb ferner vor: die Kammerjungfrauen sollten nicht minder wie die Hofmeisterin sich auch der Wartung und Reinigung der Kleidung, der Gemache der Fürstin und „was sonst zu ihrer zierlichen Notbdurft gehtjrt, mit allem Fleisse annehmen, damit dasselbe alles stets-farst- liefa gehalten werde." Wann die Fürstin aus ihrem Gemache

im sechzehnten Jahrhundert . 111

gehe, sollten ihr wenigstens die Hofmeisterin mit etlichen Kammerjungfrauen jeder Zeit zu Dienst stehen und es in gebührlicher Aufwartung der Fürstin nirgends an Fleiss feh* len lassen.

Gewann schon durch die über die Absdiiiessung des Frauenzimmers gegebenen Bestimmungen das Leben der HofTräulein einen streng gehaltenen, fast klösterlich einsamen Charakter, so schrieb die Hofordnung überdiess noch vor, dass sich kein HofTräulein erlauben dürfe, irgend welche Briefe, von wem sie auch kommen mochten, ohne Erlaubniss und Miiwissen^ der Hofmeisterin anzunehmen oder auch solche wegzusenden. Briefe an Eltern, Geschwister und nahe Verwandte konnten nur dann „unbesichtigt aus dem Frauenzimmer ausgehen ^% wenn sie etwanige nothwendige Bedürfnisse betrafen; aber es htess ausdrücklich: „es solle ailwege in solchen Schreiben vermieden bleiben, irgend et- was anderes oder weiterem aus dem Frauenzimmer zu schrei-* ben-" Wollten Freunde oder nahe Verwandte ein HoCfräu- lein im Frauenzimoier besuchen, so durfte auch dieses nur im Beisein der Hofmeisterin geschehen, „damit diese, wie es beisst, jedesmal h^^n möge, was sie mit einander zu schaf-* fen und zu reden haben.^' Eben so durfte kein Hoffriluleia ohne der Hofmeisterin Eriaubniss irgend ein Geschenk an- nehmen, es mochte gross oder klein sein und von wem es auch kommen' mochte; noch viel weniger war es einer Hof- jungfrau erlaubt, ohne der Hofmeisterin Beisein oder aus- drückliche Genehmigung», die freie, offene Strasse zu be- treten. Was auswärts zu besorgen war, musste meist durch Knaben oder Diener geschehen, die zu diesem Zweck dem Frauenzimmer zugeordnet waren.

Trotz dieser Strenge aber in den Bestimmungen der

Hofordnung galt es doch immer als ein Glück für ein adeli- ges Fräulein, an einem Fürstenhofe in ein fürstliches Frauen- zimmer aufgenommen zu werden, wie wir aus den häufigen 3ittschreiben der Eltern ersehen, die um die Aufnahme ihrer Töchter nachsuchten. Gemeinhin fanden auch die Aufgenom- menen vonseiten der Fürstin bei guter Führung eine freundKche

llü Hoflehen und Hofsitien der Fürstinnen

BebaiulluDg. So riihint man es z. B. der edlen Kurfürstin Hedwig von Brandenburg ausdrücklich nach, dass sie mit ihren Hofiräulein stets im freundlichsten und herablassend- sten Verkehr gelebt; die liebenswürdige Herzogin Dorothea von Preussen nannte gewöhnlich ihre Hoffräulein „meine liebe Töchter."

Hatte ein Hoffräulein eine Anzahl von Jahren am fürst- lichen Hofe zugebracht und das, was damals zur feinen Bil"* düng gehörte, sich angeeignet, so knüpften sich dort auch leichter als anderswo Verbindungen für das künftige Lebens^ glück. War eine solche geschlossen, so sorgten der Fürst und die Fürstin für eine stattliche Aussteuer und Hoch- zeitsfeier. Wir finden in mehren Hofordnungen die aus- drückliche Bestimmung; dass wenn eine Jungfrau von Adel aus dem fürstlichen Frauenzimmer mit Rath und Einwil- ligung des Herzogs und der Herzogin sich zu verheirathen gedenke, so wolle der Herzog aus Gnaden sie mit hundert Mark an baarem Gelde aussteuern. Geschehe es aber, dass eine zuvor, ehe sie in das Frauenzimmer käme, ehelich ver- sprochen wäre oder unter einem Jahre sich verheirathen werde, so wolle der Herzog nicht verbunden sein, ihr «in solches Heirathsgeld mitzugeben. Geschah das eheliche Ver- löbniss einer Hofjungfrau mit des Fürsten Vorwissen und Genehmigung, so übernahm dann die Fürstin die Ausrich- tung der Hochzeit, sie bestellte ihr die sogen, „hochzeitliche Ehre." So sehen wir, um nur ein Beispiel anzuführen, di^ Herzogin Dorothea von Preussen sehr geschäftig bemüht, ih- rem Hoffräulein von Persskau, der Tochter des Burggrafen Moritz von Persskau, das hochzeitliche Beilager so stattlich wie möglich auszurichten; sie giebt die nöthigen Anordnun- gen zur Hochzeit, sie ladet selbst den Vater zum Vermäh- lungsfeste seiner Tochter an ihren Hof ein u. s. w.

. Was die Anzahl der Hoffräulein im Frauenzipimer b^- trifit, so scheint diese an den Fürstenhöfen meisteb» fest bestimmt gewesen zu sein; sie war es wenigstens am Hofe des Herzogs von Preussen. Er erwiederte daher der Herzo- gin von Münden auf deren Bitte wegen Aufnahme einer ge-

im seck^hnten Jahrhundert. 113

wissen Maria von Reden als Kammeijungfer seiner Gemah- lin: „Wir zweifeln nicht, Ew. Liebden haben sich wohl 2a erinnern, was wir uns diesfalls, ehe denn die Heirat zwischen uns und unserer Liebden Gemahlin beschlossen worden, ha- ben vernehmen lassen, nämlich dass wir eine Hofordnung hätten, der wir nachgingen, und weil wir uns gegen unsere ünterthanen nicht eines Weitern einlassen, wüssten wir uns gegen Fremde auch nicht höher zu versprechen." Der Her- zog erklärte demnach, dass er gegen seine festbestimmte Hof- ordnung das vorgeschlagene Fräulein nicht bei sich aufneh- men könne.

£iner der wichtigeren Hofdiener der Fürstinnen war aus- ser dem Ho£(neister der Kämmerer, auch der Hofkäramerer oder Leihkämmerer genannt, weil er „mit allem treuen Fleiss auf der Fürstin Leib aufwarten soll." Er war ebenfalls ade- ligen Standes, weshalb es auch in seinem Amtseide hiess : er solle seinem Amte^ stets nachkommen, wie es einem ehrlie- benden Diener von Adel ziemt und gebührt. In diesem Dienst- eide waren ihm zugleich im Allgemeinen auch seine wichtig* sten Dienstpflichten vorgeschrieben. Er solle, hiess es, die tiefste Verschwiegenheit über alles beobachten, was er beim Ein- und Ausgehen in der Fürstin Kammer oder sonst heim- lich oder öfient4ich erfahre; er solle ferner stets sorgsam dar- auf achten , dass das Frauenzimmer immer zur rechten Zeit geschlossen werde und keinen ungebührlichen Aus- und Ein- gang in dasselbe gestatten, überhaupt allen Unordnungen so viel als möglich zuvorkommen. In allem, was die Ordnung des Frauetizimmers vorschrieb oder die Fürstin und der Hof- meister ihm darüber anbefahl, war ihm die pünktlichste Aus- führung zur Pflicht gemacht. Sobald er im Frauenzimmer ir- gend eine Unordnung oder irgend etwas Ungebührliches be- merkte, was er nicht selbst abstellen konnte, musste er dem Fürsten oder der Fürstin darüber schleunige Nachricht geben. Ud>erhaupt galt die Specialaufsicht über das iurstliche Frauen- zimmer überall als eine seiner wichtigsten Dienstpfliohten.

Unter dem speciellen Befeiri des Hofkämmerers stand zu«* gleich die ganze übrige Hofbedienung der Fürstin. Dahin ge^

ZciUchrirt f. Geacbichtsw. I. 1844. g

114 Hofleben und HofMten der Fürstinnen

körten die Kammerjunker, die Hoflakaien, die KammennSgde der Thürknecht u. a. Die Kammerjunker oder Kammerjungen waren junge Edelknaben, welche theils den Dienst der Auf- wartung an der Tafel oder im Gemach der Fürstin, theils auch verschiedene Dienste im Frauenzimmer m yerrichten hatten. Nach der Hofordnung mussten sie bei ihrer Aufnahme am Hofe das achte Jahr erreicht haben und wurden mit dem dreizehnten Jahre aus dem Dienst entlassen, denn es war ausdrücklich yorgesehrieben, dass kein Edelknabe über die-« ses Alter hinaus in das Frauenzimmer mehr zugelassen wer- den dürfe. Der Hofkämmerer hatte stets darauf zu achten, „dass die Kammerjungen, die der Fürstin zu Dienst stehen soHen, sich stets reinlich, ehrbar und züchtig hielten und auch sonst ihrer Aufwartung Gnüge thaten; wofern sie etwas ver"^ brechen würden, solle er sie mit einer ziemlichen Ruthen«* strafe zu züchtigen Macht haben und das zu thun auch schul- dig sein.*^ Hatten jedoch solche Edelknaben sich während ihres Aufenthalts am fürstlichen Hofe gut und redlich gefährt, so sorgte die Fürstin dann, wenn sie aus dem Hofdienste entlassen wurden, auch gerne für ihr weiteres Fortkommen oder ihre fernere Ausbildung theils auf Reisen theils auch durch Empfehlungen an andere fürstliche Höfe. Ausser die- sen Edelknaben finden wir im Dienste der Fürstinnen auch noch s. g. „grosse Kammerjungen '% die vornehmlich zu Be- stellungen ausser dem fürstlichen Schlosse gebraucht wurden. Mit Ausnahme der Edelknaben wurden alle am Hofe der Fürstin angestellten Diener, vom Hofmeister und der Hof- meisterin an bis zum Thürknecht, Hofschneider und der Hof- wäscherin herab durch einen bei ihrer Anstellung zu leisten- den Eid in Treue und Pflicht genommen. Dieser Eid ent- hielt theils allgemeine, für Alle geltende Bestimmungen, z. B, in Betreff der Verschwiegenheit über alles, was von irgend welcher Wichtigkeit am Hofe der Fürstin vorging oder die persönlichen Verhältnisse der Fürstin betraf, theils wurden in denselben audi die wichtigsten Dienstvorschriften bald im Allgemeinen, bald auch in besondem Andeutungen mit auf- genommen. So war, um nur ein Beispiel anzuführen, im

im sechzehnten Jahrhundert. 115

Diensteid der lurstlichen Hofwäscherin vorgeschrieben: wenn sie Sachen der Fürstin in der Wäsche habe, solle sie Sachen keiner andern Person in die der Fürstin mit untermengen, auch niemand über solche Sachen kommen, sie besichtigen und eben so wenig einen fremden Menschen auf derselben Waschbank waschen lassen ohne höhere Erlaubniss. Des« gleichen musste sie in ihrem Eide beschwören, dass sie zur Kleiderwäsche der Fürstin keine Weid-Asche gebrauchen, sondern sie mit Seife und wie sich's sonst gebührt fleissig waschen wolle. Üebrigens war diese Art der Vereidigung der gesammten Hofdienerschaft fast an allen fürstlichen Höfen* ge- bräuchlich. Als einst die Herzogin von Münden, Gemahlin des Grafen Poppe von Henneberg, sich beim Herzog Albrecht von Preussen über die ungebührliche Behandlung, die sie von manchen ihrer Hofdiener erfahren müsse, beklagte, in- dem manche ihre mit dem Handschlag zugesicherte Treue brächen, andere trotzig sich weigerten, ihr einen förmlichen Diensteid zu leisten , gab er ihr auf ihre Anfrage , wie er es damit an seinem Hofe halte, die Antwort: „Ew. Liebden mö- gen wissen, dass wir es die Zeit unserer fürstlichen Regie- rung und auch jetzt noch also halten und auch nicht anders wissen, als dass es bei andern Fürstenhöfen auch so gebräuch- lich ist, nämlich dass wir alle unsere Amtleute, Hofmeister, Kanzler, Marschälle und andere Bäthe, ebenso andere Per- sonen, die zum Regiment nothwendig, desgleichen die Leib- diener, Kämmerer, Aerzte u. a. und dann auch die, welche auf unsern Tisch zu Truchsess-Aemtern, Küche, Keller, Sil- berkammer und überhaupt keiner ausgenommen zur Aufwar- tung unseres Leibes verordnet werden, mit leiblichem Eide in Dienst annehmen; dasselbe findet auch bei den Dienern uncT Dienerinnen unserer Gemahlin Statt, es seien Hofmei- st^rinnen, Kammerjungfern oder andere. Es geschehe wohl| fügt der Herzog hinzu, dass zuweilen ein ehrlicher Mann sich durch einen leiblichen Eid beschwert finde und dann bitte, an Eides "Statt Treue mit Handgelübde zusagen zu dürfen, daher er solchen ehrlichen Leuten den leiblichen Eid nach- > lasse, denn wenn einer solche veriieissene Zusage nicht hal-

8*

116 Hofleben und Hofsittm der Fürstinnen

ten wolle, so werde er eben so wenig den Eid halten. Bei den Alten ist wahrli<;h ein solcher Handstreich oder Hand- gelübde in grossem Ansehen gewesen und es wundert uns deshalb um so viel mehr, warum es die jungen Leute jetzt dahin spielen, zu meinen, solches Gelöbniss zu halten nicht schuldig zu sein."

Von der Leistung eines solchen Diensteides waren dte an den Höfen im fürstlichen Frauenzimmer angenommenen Zwerge und Zwerginnen ausgenommen. Wie es Zeiten gab, in denen ein Hofnarr, ein Geck oder Lustigmacher fast nodi*« wendig mit zur Gompletirung der Hofdieoerschaft gehörte, so waren im sechzehnten Jahrhundert besonders Zwerge und Zwerginnen an den Höfen der Fürstinnen eine Art von Lieb- lingssache, so dass man sich alle mögliche Mühe gab» sich solche irgendwoher zu verschafien. Wir haben feine Anzahl von Briefen verschiedener Fürstinnen an den Herzog voa Preussen vor uns, worin er ersucht wird, solche kurze Selt- samkeiten von Menschen auftreiben zu lassen und diesem und jenem Hofe zuzuschicken. So schreibt ihm die Herzogin Bar- bara von Liegnitz, eine geborene Markgrafin von Branden- burg: „Ew. Liebden geben wir freundlicher Meinung zu er- kennen, dass wir gerne bei uns in unserem Frauenzimmer eine Zwergin sehen und haben wollten. Demnach bitten wir Ew. Liebden ganz freundlich, Ew. Liebden wollen uns, so- fern sie jetzt keine an ihrem Hofe hatten^ eine solche Zwer*^ gin in ihrem Lande zu Wege bringen helfen und uns die- selbe aufs eheste so es möglich ist allhier übersenden und zukommen lassen." Der Gemahl der Fürstin, Herzog Georg von Liegnitz, spricht den Herzog Albrecht ebenfalls um einen Zwerg für seine Gemahlin an, mit der angelegentlichsten Bitte» ihm einen solchen, woher es auch immer sein möge, aufs schleunigste zu verschaffen. Als vorläufiges Gegenpräsent über- schickt er dem Herzog ein Paar Englische Hunde und ein^ Hündin „von der Art, wie sie der Römische König habe." Die Markgräfin Katharina, Gemahlin des Markgrafen Johann von Brandenburg, lässt es sich nicht verdriessen, die Mark- gräfin Anna Sophia von Brandenburg wiederholt zu bitten^

im sechzehnten Jahrhundert, 117

doch ja nicht zn vergessen, ihr die versprochene Zwergin so bald als möglich zuzuschicken; und kaum hat die Landgräfin Barbara von Leuchtenberg gehört, dass Herzog Albrecht von Preussen ein äusserst niedliches Zwerglein an seinem Hofe habe, so quält sie diesen in ihren Briefen drei Jahre lang mit der Bitte, ihr das niedliche Ding doch abzulassen. Zu- erst schreibt sie ihm im J. 1548: „Bitte Ew. Liebden ganz freuifdifeh, wo es anders Ew. Liebden nicht zuwider ist, ihr Zwergle hinzugeben, dass Ew. Liebden mir es doch schicke; i^ wollte es halten, als wenn's mein Kind wäre; doch wenn es Ew. Liebden zuwider wäre, so wollte ich es nicht begeh- ren.^' Der Herzog entschuldigt sich bei der Fürstin, dass er ihr das Zwerglein, weil es seiner verstorbenen Gemahlin zu- gehört und dieser besonders lieb gewesen sei, nicht ablassen könne. Er verspricht ihr aber ein anderes Exemplar zu schik-, ken; Darauf erwiedert . die Landgräfin: „So viel das Zwergle betriffl;, so Ew. Liebden bei sich haben und derselben gelieb- fester seliger Gemahlin zum Besten befohlen gewesen ist, so sind wir es wohl zufrieden, dass Ew. Liebden es behalten und müsste uns ja leid sein, dieweil es diese Gestalt hat, dass wir es. begehren sollten. Dass aber Ew. Liebden im Vorhaben stehen und verhoCTen, an andern Orten einen Zwerg an sich zu bringen und so Ew. Liebden den erlangen, dass sie uns damit begaben wollten, das nehmen wir mit Dank an*" Der Herzog tiberschickte ihr darauf im nächsten Jahre eine Zwergin. Allein die Fürstin ist damit noch nicht be- friede, sie ^ill nun gerne ein Paar haben und schreibt da- her von neuem: „Ew. Liebden ist wohl noch gut wissen, dass sie mir geschrieben haben, Ew. Liebden wollten mir ei- nen Zwerg und eine Zwergin schicken; die Zwergin ist mir geworden, der Zwerg aber nicht, bitte daher ganz treulich, mir auch diesen zu Wege zu bringen.'^ Man machte mit Mlqhen Zwergen auch gerne Ehrengeschenke an andere be- freundete Höfe. So wollte z. B. einst die Herzogin Dorothea von Preussen ihren Bruder den König Christian Hl. von Dä- nemark mit einem solchen Geschenke erfreuen und schrieb daher dem Obermarsshall ihres Gemahls: „Da Ihr uns zU"-

118 Ho flehen und Hofsttten der Fürstinnen

nächst noch einen Zwerg zugesagt, mit Yenneldung, wenn wir denselben nur haben wollten , dass Ihr uns in der IIa* sau (Masovien) wohl noch etliche zu verschaffen wässtet, so ist demnach unser gnädiges Begehren an Euch, Ihr wollet uns zu gut noch etliche Zwerge aufbringen, damit wir auch die Königl. Würde zu Dänemark mit solchen verehren mö- gen/' Aus der flofordnung ersehen wir übrigens, dass diese Zwerge vorzüglich auch zur Aufwartung bei der fdrstli<^en Tafel gebraucht wurden.

Wenden- wir uns jetzt zu den Beschäftigungen, woolk sich die Fürstinnen in den stillen Tagen ihres Hof lebens die Stunden zu verkürzen pflegten, so tritt uns hier alierdings ein ganz anderes Büd des fürstlichen Lebens entgegen, als wir es heutiges Tages an fiirstlidien Höfen finden. Mit Le4>- türe konnten sich damals bei der Seltenheit geeigneter Bvh eher die Fürstinnen wenig vergnügen, noch weniger gehörte Musik zum Zeitvertreib fürstlicher Frauen; wir haben waiig-^ stens in ^llen den zahlreichen Briefen, worin Fürstinnen über ihre Beschäftigungen sprechen, nicht ein einzigesmal d^r Mu- sik und eben so wenig der Malerei erwähnt gefunden, üeber- haupt war das Leben der Fürstinnen damals ungleich stiller, einfacher und freudenleerer. Schon die häufige lai^e Abwe*- senheit der Fürsten von ihren Höfen, wenn sie auf Reichs- tagen verweilen mussten, Fürstenversammlungen oder fijriegs- verhältnisse sie beschäftigten oder andere wichtige Angde- genheiten sie von ihren Höfen entfernt hielten, zwang die fürstlichen Frauen mittlerweile zu einem zurückgezogenen, vergnügungslosen Stillleben, dessen Bild nur in den verschiede- nen Neigungen der Fürstinnen oder in äussern Anlässen seine verschieden wechselnden Farben gewinnt. Ist der Fürst im KriegsCelde, so nimmt auch die Fürstin an Kriegsereignissen lebendigeres Interesse. Die Kurfürstin Hedwig von Branden- burg verräth als Politikerin in ihren Briefen häufig die regi^ Theilnahme an politischen Welthändeln. Als ihr Gemahl Joa- chim IL im Jahre 1642 dem Türkenkrieg beiwohnte, erzählte sie dem Herzog von Preussen mit grossem Interesse von die- sem Kriegszuge; aber sie erkundigte sich zugleich auch mit

tm seck»ehnten Jahrhmdert |19

eifriger Wissbegier, ob es denn wirklich wahr sei, dass sich die Kräige von Frankreich und Dänemark mit den Türken .gegen den Kaiser verbanden hätten, um dessen Vorhaben in Ungarn durch einen Angriff auf Mailand zu hindern. Wie sich diese Fürstin in solcher Weise häufig mit politischen Dingen beschäftigt, so studirt sich dagegen die Gräfin Elisa- beth von Henneberg, eine Tochter des Herzogs Erich des Aeltern vcm Braunschweig, lange Zeit in die damaligen theo- logischen, namentlich in die Osiandrischen Streitigkeiten hin- ein; da sie aber in ihrer unglücklichen Lage in diesem theo-' logischen Gezanke fiir ihre schwergebeugte Seele keinen Trost findet, so scjireibt sie sich nach und nach ein Gebet«' buch zusammen, um in der Beschäftigung mit dem Worte Gottes Linderung ihres Kummers zu suchen. „Da Ew. Lieb- den midi ßrmalmt haben, schreibt sie dem Herzog von Preus- sen , dass . ich heftig im Glauben beten solle wider Gottes, Ew. Liebden und meine Feinde, so habe ich eine Zeitlang etliche CoUecten anä dem ganzen Psalter, Daniel und Judith, aus dem Mose und Ester, aus dem Buche der Könige, aus den Evangelisten, den Büchern der Maccabäer und aus an- derer göttlicher heiliger Schrift zusammengetragen, woraus Ew. Liebden die Angst meines Herzens spüren können, auch wie ich jetzt |;etrost wider Gottes, meine und aller lieben Christen Feinde bete. Ew. Liebden halten mir's freundlich lu gut, denn vor der Welt, bei den gottlosen Höfen, die Gott nidit erkennen wollen» wird das Beten für Thorheit geachtet Ab^ kommt der Glaube dazu, Ew. Liebden sollen erleben, was die Kraft des Gebetes vermag, denn es betet nicht ich oder Ew. Liebden, sondern der Creist Gottes in uns. Es wird und muss Amen sein, dess bin ich gewiss."

Andere Fürstinnen und deren mochten in Deutsche land damals viele sein erscheinen mehr als fürstliche Haus-» firauen, die sich selbst mit um die Einzelheiten der ftirstli- chen Hanswirthsehaft bekümmern.*) Ein schönes Bild davon

♦) Vgl. was Havemann in s. Biographie der Herzogin Elisa- beth von Braunschweig -Lüneburg S. 11 von dieser Fürstin sagt.

120 Hofleben und Hofsitten der Fürsiinnen

giebt uns die edle Herzogin Dorothea von Preussen, denn m ihrer unermüdlichen Sorge um das fürstliche Hauswesen mochte sie, die Königstochter, wohl schwerlich von einer andern Fürstin übertroffen werden. Sie macht es sich zur Pflicht- sache, auf alle häuslichen Verhältnisse und Bedürfnisse ihres Hofes ein wachsames Auffe zu haben. Schreibt ihr der Her- zog auf der Reise: sie möge, wie sie pflege, sich den Hof- garten und die Haushaltung fleissig empfohlen sein lassen, sd erwiedert sie ihm: „ich erkenne mich zu allem dem schal* dig, wie Ew. Liebden eigene und getreue Dienerin Euerem Gefallen allwege nachzukommen; aber ich kann Ew. Liebden nicht verbergen, dass dieweil Ew. Liebden weg ^wesen ist, man nicht wohl Haus gehalten hat, wie ich selbst gesehen und mein Hofmeister mich berichtet hat*' Befindet sich ihr Gemahl auf einer Reise im Lande, so sorgt sie auf jexte Weise, dass es ihm an nichts, was er nur wünschen könne, fehle. Wir finden, dass sie ihm selbst allerlei Lebensbedürfnisse, frische Butter, wohlschmeckenden Käse, Obst, Pfefierkücken «. d^. nachschickt und sie bezeugt dem Herzog ihre herzinnige Freude, wenn er ihr meldet, dass ihm das Zugesanette wohl geschmeckt habe. Dann wiederum lässt sie ihm reine Hem- den und andere Leibwäsche, ja sogar eine vei^esseüe „Nacht- haube*' nachbringen, weil sie besorgt, er möge sich den Kopf erkälten. Schickt der Herzog aus Krakau dort^ angekaufteir Wein, Rheinfall und Malvasier nach Königsberg, so trägt, w in einem Schreiben der Herzogin auf, doch selbst wohl zu- zusehen, dass der Wein nicht verderbe und nicht in fremde Hände komme. Fehlen in der Hauswirtiischaft einzelne Be- dürfnisse, so sorgt die Fürstin fiir ihre Herbeischaflung in der Regel selbst Wir lesen noch, wie sie z. B. der Feiicilae Schürstab in Nürnberg aufträgt: sie möge fiir sie ein Säck- chen voll guter Linsen bestellen und ihr von dort zuschicken, „denn, fügt sie hinzu, solche bei uns allhie fast seltsam sind und wir sie hiesiges Landes nicht wohl bekommen können^'; und nachdem sie die Linsen aus Nürnberg erhalten hat, dankt sie der Uebersenderin äusserst freundlich, bestellt bei ihr zu- gleich aber (sie um Verzeihung bittend, dass sie ihr so oft

iiit sechzehnten JakrhunderL 121

besehwerlich falle), ihr etwa 300 Ellen von den allerbesten Deberziig^i zu Unterbetten besorgen, entweder aus Nord"- fingen oder sonst woher, wo man solche am besten und dicksten mache. Einer Königsbergerin, Hedwig Rautherin, die nach Deutschland reist, giebt sie den Auftrag mit, ihr draus- sen zu sechs grossen Fürstenbetten und sechs Pfuhlen, je auf ein Bette und Piiihl 19 Ellen, guten und kleinen, aller- besten gesteiften Zwillig anzukaufen und nach Preussen zu schicken/) Oft ist es fast spasshaft, wie sehr sich die Her- zegin um allerlei Dinge in der Wirthscfaaft bekümmert. Es wird ihr eine Probe Seife aus Marienburg zugeschickt und sie meldet darauf, sie wolle es mit dem dortigen Seifensie- der einmal versuchen und wenn es trockene Seife sei, den Stein mit 15 Groschen bezahlen. Bald darauf aber schreibt »e wieder: sie habe die neue Probe des Seifensieders er- halten und die Saife sei an sidi nicht schlecht; weil sie in- dess der Venedischen nicht gleiche, auch an Geruch zu stark sei für ihre und des Herzogs Kleider, so müsse sie für die gefaaMe Mühe danken. Sie bestellt sich dann die nöthige Seife aus Nürnberg. Auf die Leibwasche des Herzogs ver- wendet sie selbst immer die grösste Aufmerksamkeit Sie sefaiekt der Näherin eine Anzahl Hemden und den nöthigen Zwirn zu, bestimmt selbst die Breite, Weite und Länge der Aermel und Kragen, bittet aber zugleich, die Arbeit möglichst zu fijfdem, weil es mit den alten Hemden des. Herzogs schon sehr auf die Neige gehe. Die Näherin ersucht die Fürstin, ihr die alten Hemden einstweilen zur Ausbesserung zuzu- siifaieken, „denn, fiigt sie hinzu, sie habe ja auch der Herzo- gin deren Kleider, wenn sie zerrissen gewesen, wieder mit allem Fletsse so zusammengenäht und unterhalten, dass sie dkselben noch jetzt trage; wenn sie das nicht gethan, so würde die Herzogin sie haben ablegen und wohl dreissig

*) Von Elisabeth Herzogin von Braunschweig sagt Ha ve mann a. a. 0.: ,,Mit eigener Hand nahm sie, die umsichtige, sorgsame Hausfrau, das Bettinventar ihres Sohnes Erich zur Neustadt auf; die höchste Ordnung beobachtete sie in ihren Ausgaben, deren jede von ihr eingetragen wcarde.**

12S Hofleben und Hofsitten der FürsUtmen

Mark mehr üir neue geben müssen/^ Um sich Nidieriniieii fiir ihren Hof zu erziehen, gründete die Herzogin eine be-« sondere Anstalt, worin sie eine Anzahl jnnger Bürgertöchter und Landmädcfaen von einer geschickten Näherin unterrichten liess und für Lehrgeld und Kost jährlich 25 Mark zahlte.

Eben so sorgt die Herzogin selbst häufig gerne für die Angelegenheiten der herrschaftlichen Küche. Es fehlt ihr eine tüchtige Köchin; sie kann aus ganz Preussen keine solche be- kommen und schreibt daher nach Nürnberg an Felicitas SchiHT"- stabin: „Nachdem wir gerne eine gute Köchin, die uns für unsem Leib kochen und uns in unserm Gemache auf^vrarten thäte, haben wollten, so bitten wir mit allen Gnaden, Ihr wollet Euch befleissigen, ob Ihr uns eine gute Köchin über- kommen könntet, denn wir einer solchen im Jahre gerne zehn Gulden geben wollen, und ob es sich schon um ein Paar Gulden höher laufen thäte, läge uns auch nicht viel daran, zudem auch ein gutes Kleid, so gut wir's unsern Jung«* frauen in unserem Frauenzimmer zu geben pflegen. Aber das müsstet Ihr von unsertwegen ihr hinwieder mdden, dass ihr viel Auslaufens nicht gestattet würde, sondern sie müsste stiU, züchtig und verschwiegen stets bei uns in unserem Gemache sein und auf unsern eigenen Leib warten. Hätte sie dann Lust bei uns hierin zu bleiben und sich alsdann etwan mit der Zeit in andere Wege zu versorgen, so sollte sie daw von uns mit allerlei Gnaden gefordert werden. Was Ihr alao von unsertwegen ihr versprechen und zusagen werdet, das soll ihr allhier durch uns überreicht und gehalten werden*^ Die Köchin wird besorgt und zum Zeichen der Dankbarkeit fiir ihre bisherige* Dienstgeflissenheit übersehickt die Herzo* gin der Schürstabin bald nachher einen goldenen Schaupfen^ nig. Auch in diesen Angelegenheiten erstreckt sidi die. Auf- merksamkeit und Sorgfalt der Herzogin bis in alle Einjsel- heiten. Nahet Fastnacht, so bestellt sie selbst zwölf gute Lachse und etliche Schock Neunaugen fiir den herzoglichen Tisch; ein andermal lässt sie für 20 Gulden Lachs und Neun- augen aus Schleswig kommen. Die Aale, die ihr Hector von Hessberg besorgt, kommen ihr zu frisch und nicht genug

im seck^ehnten^Jethrhundert. 12S

getrocknet zu; sie schreibt ilnn daher: «»wenn Ihr wiechr Aale, besonders grosse erhaltet,- so wollet sie alsbald aus- nehmen, ihnen ganz die Haut abstreifen, sie dann mit Mäge- lein bestecken, die Haut wieder überziehen und also vollends trocknen lassen/^ Weil sie weiss, dass ihr Gemahl ein Freund von Kabliau ist, so sdireibt sie bald dahin bald dorthin, um sich solchen zuschicken zu lassen. Selbst bis nach Helsingör lässt sie an den dortigen Vogt Jasper Kaphengst das Gesuch ergiehen: er möge jetzt, da die Zeit nahe, wo man in Däne- mark Makrelen fange, ihr solche einkaufen und eingesalzen in einem Fässeben zusenden, daneben ihr auch einige Schock Makrrien trocknen * lassen. Die Herzogin will nach Hemel yerreisen; es fallt ihr aber ein, dass in ihrem Garten zu Fisch« hausen noch Weintrauben hängen, die sie nun nicht genies* aen kann; sie schreibt daher der Jungfer Röslerin: sie möge 'die Trauben abnehmen und eine Latwerge daraus machen, jedoch von den weissen und rothen eine besondere und kei- nen Zucker dazu nehmen. Sie selbst bestellt für die herr- schaftliche Küche bei den Amtleuten zu Tapiau und Neiden- burg Rinderflefsch und Wildpret u. s. w. Fehlt dies oder je- nes am herzoglichen Tischgeräthe, so ist es ebenfalls die Herzogin, die dafiir $orge trägt Sie lässt sich z.B. die nö- tfaigen silbernen Trinkgefasse in Nürnberg, die nöthigen Tisch- niesser nach zugeschickten Mustern in Liegnitz oder Memel verfertigen und da die ihr zugesandten zu dünn und auA sonst nicht recht passend scheinen, so schickt sie sie zurück und bestimmt aufs genaueste, wie sie sie zu haben wünsche.*) Nahen die Freuden der Hausmutter, so treten der Her- sogin auch neue Sorgen entgegen. Fühlt sie sich von neuem als Mutter, so >giebt sie ihrem Gemahl, wenn er auf Reisen ist, von Zeit zu Zeit die genaueste Nachricht, wie es mit ihr stehe, fUgt dann aber hinzu: „Ich mödite Ew. Liebden wohl gebeten haben, dass Ew. Liebden diesen Brief ja vwbrennen wolle, damit ihn niemand anders zu sehen kriegt, der mei-

*) Aehnliches berichtet Ha ve mann a. a. 0. S. 12 von der Her- BO^ Elisabeth von Braunschweig.

121 Hof leben und HoßiHen der Fürstinnen

ner damit spotten möchte, denn zu Ew. Li^bden versehe ich mich es nicht, und weiss es auch fürwahr, dass Ew. Liebden mich meines Schreibens nicht verdenkt^' Rückt die Zeit nä- her^ wo sie >,ihrer Muiichen Bürde'* entbunden werden soU, so sorgt sie selbst liir eine geschickte Hebamme und gute Ainme. Sie wendet sich dann an die Königin von Dänemark mit der Bitte, ihr die bewusste erfahrene Frau zu ihrer Ent- bindung zuzuschicken, „in Ansehung, wie sie hinzufügt, dass ich diesmal mit einer erfahrenen, ehrlichen Frau nicht ver- sehen bin." Ein andermal schreibt sie unter denselbigen Um- standen anFelicitas Schürstabin in Nürnberg: „der barmlier^ zige Vater hat es nach seinem göttlichen Willen abermals attf gute Wege mit uns gebracht. Dteweil nun aber in dteden Landen keine rechtschaffene gute Wehemutter, damit wir wcdil versorgt sein möchten, zu bekommen ist, so ist unser ganz gnädiges Sinnen und Begehren an Euch, weil diese Sache unsern eigenen Leib, Gesundheit und Wohlfahrt betreffen thut, Ihr wollet neben Eurer Freundschaft Euch nicht beschweren, uns eine gute, verstandige und rechtschaffene Hebamme, dar- auf wir uns verlassen dürfen, zu Wege bringen.'^ Die Her- zogin fugt hinzu: man möge es mit der Hebamme so abma- chen, dass sie für immer in Preussen bei ihr bleibe; sie solle so gehalten werden, dass sie sich nicht zu beklagen habe; wo nicht, so solle sie eine andere mit sich bringen, die sie selbst „nach ihrer Art und Kunst abgerichtet habe" und blei- ben könne. Sie solle bei ihr auf jede Weise gut versorgt w^en. Eben so sorgsam bemüht sich die Herzogin selbst um eine tüchtige Amme. Sie wendet sich nach Danzig, wo' ihr auch eine empfohlen wird, die einen Sohn „gut gemut* tert" hat Diese erbietet sich auch bereit, für 20 Gutden Lohn, ein Lundisches Kleid und zwölf Mark für ihr anderwärts un- tergebrachtes Kind in den Dienst zu treten. Die Herzogin aber schreibt: ihr Schreiber müsse sich in der- Angabe des Lohnes geirrt haben; eine Amme bekomme gewöhnlich nur zehn Gulden jährlichen Lohn und so viel habe sie auch die- ser anbieten lassen; da ihr indess einmal 20 Gulden zugesagt seien^ so wolle sie ihr solche auch geben und dazu noch den

im sechiehnten JahrhimdevL TM

6. g. Gottespfennig. Nun ist die Herzogin wieder selir be- sorgt, dass alles glücklich von Statten gehen möge. Da er- hält sie die Nachricht: „Heinrich von Baumgart zu Schönburg und dessen Frau sollten Wissenschaft haben^ dass man schwan- gern Frauen, wenn sie über die Hälfte gekommen seien, eine Ader lassen müsse; dadurch soUten die Kinder verwahrt wer- den, dass sie das Freischich (?) nicht bekämen/^ Da sie nun aber in Zweifel ist, wie die Ader heisse, an welchem Orte und zu welcher Zeit man sie lassen müsse, so wendet aie sich selbst an den genannten Herrn mit der Bitte um nähere Belehrung. Dieser giebt sie und erhält dafür ein schönet Auerhom zum Geschenk. Zu gleicher Zeit schickt ihr eine befreundete Fürstin fiir ihre Umstände auch gewisse Yerhair* tungsregeln und Indicien, wonach sie sich zu richten habe und auf die . sie merken müsse. Wir enthalten uns, diese In- dicien hier weiter mitzutheilen; sie sind zum Theil sehr son- derbar; es heisst darin auch unter andern: man müsse dar- auf achten, wie die Farbe unter dem Angesichte, ob sie bleich oder roth sei , femer welchen Fuss die Fürstin zuerst vor- setze, wenn sie aufstehe und gehen wolle. „Wenn ich, fugt die fürstliche Freundin hinzu, über diese Artikel kann be- richtet werden, will ich Ihrer Liebden mit göttlicher Hülfe zuschreiben, was Ihre Liebden tragt, ob es ein Herrlein oder ein Fräulein sein wiirde.^^

Wenden wir uns wieder naher zu den Beschäftigungen der Fürstinnen, so verbrachten sie einen grossen Theil der Zeit ihres Stilllebens mit allerlei weiblichen Handarbeiten. Dahin gehörten Nähen, Stickereien und vorzüglich auch Per- ienarbeit. Wir finden die Fürstinnen häufig selbst mit ihrer feinen Leibwäsche beschäftigt, oder sie machten auch oft mit eigenhändig verfertigten Näherarbeiten Geschenke an Freunde und Angehörige. Die Markgräfin Sabine von Brandenburg wünscht dem Herzog von Preussen Glück zum Neujahr und tiberschickt ihm zugleich als Neujahrgeschenk ein von ihren eigenen Händen verfertigtes Hemd mit der Bitte, es von ihr als eine geringe Verehrung anzunehmen. Der genannte Her- zog hat die Herzogin Anna Maria von Wirtenberg mit einem

I2i Hofkben und Bofsitten der Füntinnen

Gescbenk von Bernstein und Elendsklauen erfreut; sie über- rascht dagegen den Herzog mit dem Gegengeschenk eines selbst genähten Hemdes, bittet aber zugleich um Entschuldi- gung, dass es noch nicht so weiss sei, als es eigentlich sein sollte, weil sie sich der eiligen Botschaft an den Herzog nicht vermuthet habe. Wiederholt wird der Markgraf Wilhelm von Brandenburg, Erzbischof von Riga, von der Herzogin Doro- thea von Preussen zum Neujahrsgruss mit „etzlichen schlech- ten Hemden'S die sie selbst verfertigt hat, beschenkt, und wie dieselbe Fürstin einmal den Herzog Johann von Holsteiit mit dem Geschenk eines Hemdes und eines Kranzes erfreut, so schreibt sie ein andermal dam Grafen Georg Ernst von Henneberg: „Damit Ew. Liebden unsere Freundwiiligkeit und mütterliche Treue zu spüren, so schicken wir derselben ein Hemd und einen schlechten Kranz.*) Wiewohl dasselbe nicht alles dermassen von uns gemacht ist, als es billig sein sollte, so bitten wir doch ganz freundlich, Ew. Liebden wollen sol- ches zu freundlichem Gefallen von uns aufnehmen und mehr unsem gewogenen Willen denn die Geringschätzrgkeit der Gaben hierin vermerken, dasselbe auch von unsertwegen tra-* gen und unserer allewege im Besten dabei gedenken.'*

Mehr aber noch waren Stickereien und Perlenarbeiten eine stehende Beschäftigung der Fürstinnen. Vorzüglich wer- den gestickte Hauben, Barette, s. g. Kränze oder Kragen, Brusthemden, Koller, Halstücher und Halsbänder, Armbander, Kissen .auf Stühlen, überhaupt auch die Frauenkleider als die Hauptstickereiarbeiten der Fürstinnen erwähnt.**) Die Biuster dazu, wenn sie sich durch Schönheit auszeichneten, schick- ten sie sich häufig einander gegenseitig zu, so dass ein schö- nes Modelltuch von Nürnberg von der Hereogin Ursula von Münsterberg zur Herzogin Sophia von Liegnitz, von dieser zur Herzogin Dorothea von Preussen und von dieser endlich

*) Auch die Kurfürslin Hedwig von Brandenburg beschenkte ihren Gemahl mit einem Hemd und Kranz; s. Zimmermann Gesch. Brandenb. unter Kurf. Joachim S. 210. 211.

**) Zimmermann a. a. 0. S. 64.

im icchfiehnten Jahrhundert 127

rar Känigin von Dänemark wanderte/) In der Regel wiurea die Stickereiarbeiten stark mit Gold und Silber geschmückt Der Geschmack, den man darin am meisten liebte, war der Italienische; man schätzte daher yor allen auch „die Wel- schen Muster^, die man sich aus Nürnberg oder aus Leipzig von dem dortigen reich^i Italienischen Kaufmann Lorenzo de Yillani kommen liess. Auch diese künstlichen Stickereien dien- tea häufig zu fürstlichen Geschenken. Der König von Däne- mark erhält sogar von der Herzogin von Preussen einmal „ein schlechtes Paar Handschuhe 'S die sie für ihn gestickt hat, ,.damit, wie sie sagt, er daraus sehe, dass sie ihn noch nicht sogar vergessen habe''; der Königin macht sie zugleidi ein gesticktes Halskoiler und Halstuch zum Gesdbenk und erbietet sich, ihr nächstens auch etliche neue Muster zu Hau- ben zu schicken, die sie von auswärts erhalten habe und ihr sehr gefielen.

Yor allem beliebt war damals schon die Perlenarbeit Fast an jedem Füri^nhofe war ein sogenannter Perlenhefter oder Perlenarbeiter als fürstlicher Diener angestellt Sein Griialt war in der Re^l 40 Gulden, Heizung, fürstliche Hof- kleidung, Ausspeisung . und freie Wohnung, wofür er allesr verfertigen musste, was ihm für die Fürstin und deren Töch- t^ zur Verarbeitung übergeben wurde. Ausserdem beschäf- tigten sich die Fürstinnen auch selbst viel mit allerlei künst- Kehen Perlenarbeiten. Es galt z. als ausgezeichneter Kopfsehmuck, die Hauben von Gold- und Silberstoflfen nebst deren Schlingen und Binden so geschmackvoll und reichlieb als möglich mit den kostbarsten Perlen zu schmücken. Der häufige Gebrauch hatte sie im Preise bedeutend gesteigert. Wir finden, dass eine Fürstin sich bei dem Fuggerischen Factor zu Nümberg vier verschiedene Sorten bestellt; von der grössten Sorte verlangt sie 10 Unzen, die Unze zu un- gefilhr 10 oder 12 Gulden, von der zweiten Sorte etwa 14 Unzen, die Unze zu 10 Mark, von der dritten ebensoviel, die Uiize zu 8 Mark, und von der vierten kleinsten Sorte 15

*) Aehnliches bei Havemann Elisabeth 13.

128 Hoflebeu und Hofsiiten der FürsHnnen

Unzen, die Unze zu 5 Mark. Eine andere Fürstin ist mit einem Perlenfaändler im Handel begriffen; sie nimmt ihm 45 runde Perlen ab, das Stück für 17 Groschen, dann 8 Perlen mit Gold gefasst, das Stück zu 15 Groschen; für 20 andere aber, für welche der Verkäufer 24 Groschen für ein Stück fordert, bietet die Fürstin nur 20 Groschen.

Welcher bedeutende Werth aber an Perlen, Gold- und Silberstickereien u. dergl. darauf verwandt wurde, um Putz und Kleiderschmuck der Fürstin so glänzend und prachl?oU wie möglich auszustatten, können wir sehen, wenn wir eir. nen Blick auf die fürstliche Garderobe werfen. Es bietel «ich uns dazu das Inventarium der Garderobe einer Herzo«^ gin aus dem Jahre 1557 dar, aus dem wir nur einen mässi«^ g^i Auszug zur Anschauung steilen wollen. Wir finden des fürstlichen Kleiderschmuck in drei Glassen getheilt. Di» erste enthält „die weiten Röcke" in grosser Zahl, darunter besonders glänzend ein leberfarbiger Atlas -RoQk mit Her- melin geAittert und sehr reich mit goldenen und silber- nen Schnüren besetzt, ein StaatsfcJeid, welches die Fürstin scnmückte, wenn sie ausser ihrem Schlosse erschien. Deit reichsten Kleider-Staat der Fürstin umfasste die zweite Glasse „gestickte enge Kleider.'' Unter ihnen stachen hervor: ein gestickter Bock von Goldstoff, aufs Welsche Muster gemacht, mit einem eine halbe Elle breiten mit Perlen ^stickten Strichi auch um die Aermel und um den. Hals nebst dem Brustlätz- lein oder Brusthemdehen mit grosseh, schönen Perlen ge- stickt; ein Kleid von Goldstoff, Gold übergoldet, die Aennd oben mit Perlen verbrämt; zwei Kleider von grauem und braunem Karmosin- Atlas, mit vier Strichen von goldeneip Tuch verbrämt, mit goldenen und silbernen Scfaaüren gestickt, obi^ um den Brustlatz mit einem Perlengebräme; ein ande- res, von graueni Damast mit silbernem Tuch und schwarze« Sammet weinrankenartig gezäunt und aufs W«kche Mustac gemacht; dann ein Kleid von - grauem Taffet mit schwarzen Sammet, daran ein Strich mit goldenen und silbernen Schnü- ren und mit gelbem Katune unterlegt, mit einem Brusthemde, welches auf den Aermeln mit Perlen gestickt den Bucbsta-

m, s$cfls6ehntm Jd^humdert 129

ben iL hat und um die Anne mit P^len mid goidenen Sebnii*- reu besetzt ist. In gleicher Weise finden wir aueh die tibri- §m zahlreichen Kleider theils von goldenem und seidenem At- las, theils von verschiedenfarbigem Sammet, theils von grauem» weissem und leberfarb%em Damast odet Tobin, entwed« mit gQldenein und silbernem Tuch verbrämt oder mit goldenen und silbernen Schnüren besetzt, grossen TheHs reich mit Per-* km gestickt, die meisten ..nach Welschem Muster oder Italie«* nischer Mode verfertij^, die sidi besonders durch weite Aer«« mei . aisgezeicfanet zu haben scheint Die dritte Glasse enthielt die Brusthemden theils von schwarzem oder ]d>erfarbigem Sammet mit silbernen und goldenen Schnüren oder goldenen Borten^ theils von rothem Atlas mit blauem Goldstück, theils von braungoldenem Damast oder schwarzgoldenem Tobin u.s.w. Die Ansehaffimg und Vervollständigung dieser Garderobe setzte die Fürstin fort und fort in Thätigkeit, den^ sie sorgt immer selbst daiur, dass die nöthigen Kleiderstoffe in gebö- rigßm Maasse vorhanden sind; sie giebt daher bald dahin bald doirtUh Aufträge, ihr die erforderlichen Gegenstände zukom- men zu lassen. Wir sehen z. B., wie die Herzogin von Preus- sen auf einmal. bei einem Kaufmann aus Nürnberg eine Be- stellung macht, nach welcher er ihr senden soll vom besten seklefi^n . Gewand 2a Ellen Leibfarbe , 20 £llen goldgelben Damast, einen schwarzen ganz guten Sammet, 3 Elllen asch- ferbigen Tohin, 8 Ellen braunen Sammet, 24 Ellen aschfar- bigen und läibfarbigen Sammet, 25 Ellen rothen Damast, 20 Eilen leibferbigen, 28 Ellen braunen und. 8 Ellen aschfarbigen ENftmast, ausserdem einen bedeutenden Betrag Yenetianiscfaer ^eide und Veaeüanischer Borten. Bestellungen und Sendun- gen von: solchem Umfange mussten oft wiederholt werden, denn Ausser den Bedürfnissen der Fürstin selbst erforderte aueh die jährliche Hofkleidung der gesammten fürstlichen Hof«« dienersehaft, namentlich die ganze weibliche Dienerschaft der Fürstk,di6 gesammte Zahl der Kamm^ungfraooi im Frauen- zimmer für ihre Bekleidung eine grosse Masse sdcter Klei- derstoffe. Der uns noch aufbehaltene, ihre Garderobe und ihren Putz betreffende Briefwechsel deor genannten Herzpgia

Zeitschrift f. GescbichUv. 1. 1844. O

130 Hofleben und BofsiUen der FüfsHnnen

E«igt sie uns in beständiger gescbllftKcfaer Y^rbindong theils mit Kaufleuten in Danzig, LeipEig^ Nürnberg u. s.w., theiis mit Perlenhifindlern und Perlenheftern in Krakau u. a. Bei dem einen besteilt sie ,,ein Gestick um des Herzogs Kappet bei dem andern Tür sich und ihre Hofjungfern grosse und kleine Hüte; bald schickt sie nach Nürnberg Muster und Zeicb« nung» wie ein Hut und Barett gemacht werden soll, bald Hisstsie sich aus Warschau Schleier, seidene Gürtel, sohdae Kämmd^u. dgl. kommen; bald wünscht sie sich einige neue Italienische Muster und schreibt dann dem Geschäftsträger ihres Gemahls in Rom: „Da Ihr Euch uns zu dienen mil allem Fleisse angeboten, so ist unser gnädiges Begehren, Ihr wollet uns etliche säuberliche Formen und Modelle auf Aw Welscfie Art, mit weisser Seide ausgenäht, sonderlieh auf die neue Art, da die Leinwand ausgestochen und durch son- derliche Kunst mit Rosen und Bhimenwerk wieder mit weis«- sem Zwirn eingezogen wird, bestellen und mitbringen. Son« derlich aber geschähe uns zu gnädigem Gefallen, wenn Ihr uns irgend ein feines, tugendsames Weib oder Jungfrau, die nicht leiehtfertiger Art wäre, mit Euch brächtet, oder aber wo diese nicht zu erlangen wäre, eine Mannsperson, die solche Modelle und Formen, desgleichen auch goldepe Bolz- ten, so man jetzo aus Welschland bringt, mjchen könne/' > Neben der Kleidung gab überdiess auch zahlreicher und inannigfaltiger Putz und Schmuck den Fürstinnen vielfältige Beschäftigung, denn auch darin besorgten sie in der R^el alles selbst. Der Pretiosen -Schatz der meisten Fürstinnen war mit einem grossen Reichthum yon Edelsteinen, Gold^ und Silberarbeiten und andern Kostbarkeiten angefüllt. Eti- scfaien daher die Fürstin bei hohen Festen im vollen fiirstlb- eben Staat, so boten dieser Schatz und die flirstKche Gard^ robe alles dar, was nur ir^fend fürstlicher Schmuck und GImmt heissen konnte. Auf ihrem Haupte glänzten dann bald zwei Papageienfedeni od«r sehneeweisse Enten- oder Knuuobfe- dern, bald ein Perlenkranz oder auch ein mit Gold und P«r^ leu geschmückter, gewundener Kranz; bald schniückte das Uauf^ auch eine Haube von Gold- und Seidenstoff mit Pei«^

J

Im sechz^mM Jakthundert, 13f

fensteraen und golde&en SciiKagen. I>^ Hals nmgfld) ein Halstyand mit Smaragden, Sapfairen, Rubinen und Perle» ver*^ aderl, daran irgend ein anderes Kleinod mit Terschiedenen Edekteioen, welches irgend ein Fürst oder eine Fürstin ge^ schenkt, oder auch ein in Dramanten und Rubinen eingefass*» tev Adler. Die Scfauflem bedeckte ein Koller bald von Gold-* Stoff, bald von Sammet mit Silber oder goldenen Borten Tei^ bfämt, zuweilen mit Hermelin oder Maitlem gegittert, oder auch von weissem, golddurchwebten Damast mit Mördern umlerlegt Auf der Brust hielt dieses Koller ein goldenes Heft- leih ansammen, welches immer reich mit Smaragden, Saphi-» ren, Rubinen und Ametbistenf besetzt und mit irgc^nd einer Figur gescbmüekt war; bald sab man daran „einen Lands-* knecht «nd ein Weiblein^S bald „den Ritter S. Georg'S bald „em Sebweia^r Weiblem, einen Schwan", u. dg!., und auch dfesief reich wk allerler Edelsteinen verziert. Zuweilen um- sebloss den Hals ein übergelegter feingestfckter Hemdkragen mit goldenen. Borten, attf welchem dann goldene Ketten ruh- ten, die zum TheiV mit s. g. Mühlsteinen und Kam^p^fiifdem, Peoerbaken von Gold, goldenen Birnen oder andern Früch- ten, balbraaben Ringen vl dgt geschmückt waren.^ Statt der goldenen Ketten sah man auch noch s. g. Paternoster, bald* wobhis^ende, bald von Gold, Bernstein oder Koraiten, die ^itweder „mk goldenen Heiligen" oder einem „Marienbilde mit dem Jesuskinde" oder Meh „mit der Dreifaltigkeit in €rold" behängt waren» In Sommerszeit umschlang die Brost ein Brusttneh mit Perlenborten in Laubgewinden, bald mit dem Bude einer Jungfrau^ eines Phdnixes, eines Schwans, eines Hevzens^ b^ld mit irgeüd einer andern Aussi^bmückung versehen, üeber dem Brusttuch hingen dann die goldenen Halsketten mit Edelsteinen, welche zuweilen goldene und silbeme Conterfeete (Bildnisse] von Königen^ Kl)niginnen und verwandten Fttarsten oder auch den ersten Namensbucbstaben des fürstliebm Gemahls in Perlen gestickt umftssten. ttfiufig waren dies Pariser Arbeiten. Die Aermel sebntückten künst- liebe Perlenstickereien, die allerlei Figuren biMeten, t. B. eine 9<fklle,ya»tt einem Vogelfänger, vi^r Sapbifen, fünf Bubinen,

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132 Ho flehen und HofsUien der Fürstinnen

einer Smaragdlilie, drei Rubin-Rosen und einem dreiecki^n Diamant, unter dem Vogelfänger drei Rubin- und Diamant- Rosen'^; ein anderes mit einer Jungfrau und einem Gesellen hatte Reime mit goldenen Ruchstaben. Die Hände der Für- stin schützten gegen Kältiß und Sonne Hispanische Hand- schuhe (sie waren die beliebtesten) oder auch solche von Semischem Leder. Die Finger schmückten goldene Schma- rallen-, Türkiss-, Diamant- und Rubinringe. Den Leib um- schloss der Gürtel von sehr abwechselnder Farbe, immer mit Goldstoff und Perlenarbeit in Blumen- und Laubgewinden, Perlenbuchstaben und Perlenzügen aufs künstlichste verziert und am Schlüsse mit goldenen Ringen und Stiften versehen. Von schwarzem Sammet verfertigt trug er zuweilen auch die- ersten Namensbuchstaben des Fürsten und der Fürstin neben zwei gekrönten goldenen Herzen mit Laubwerk umschlungen. Er umfasste bald den fürstlichen weiten Atlas-Rock mit Her- melin gefuttert und mit goldenen und silbernen Schnüren besetzt, bald das engere Kleid von Karmosiii-Atlas» schwar- zem Sammet oder Damast, meist nach Welscher Mode mit weiten Aermehi , immer reich verbrämt und mit Stickereien geschmückt. Den Fuss bedeckte der gestickte, oben mit Per- len und einigen Edelsteinen gezierte Schuh.

Der Werth eines solchen fürstlichen Schmuckes war nach damaligen Geldverhältnissen sehr bedeutend. Wir finden, dass ein Halsband und ein s.g. Diamant-Jesus mit 1200 Thalem» acht verschiedene andere zum Schmuck einer Fürstin gehö- rige Kleinodien mit 2710 Thalem, ein Armband mit 160 Tha'* lern, ein Diamantkreuzehen mit 70 bis 80 Thalern, eine Me- daille (damals Medaye genannt) mit 30 bis 40, aber auch mit 150 und 250 Thalern, eine Sehachtel mit Perlen mit 427 Tha- lern bezahlt wurden. Es gab Halsbänder, die einen Werth von 3000 bis zu 3750 Mark hatten. Im J. 1527 iiess Herzog Albrecht von Preussen bei dem Meister Ariiold Wenck in Nürnberg iur seine Gemahlin ein diamantenes Halsband ver- fertigen, wozu die Steine aus Venedig verschrieben wuitten und vom Fürsten mit 2000 Gulden bezahlt werden mussten, und einige Jahre spater zahlte derselbe Herzog fiir angekÄuf-*'

im sechzehnten Jahrhundert. 133

ten Schmuck seiner Gemahlin 6597 Thaler. Im Jahre 1551 vervollständigte die Herzogin Anna Maria, zweite Gemahh'n des genannten Fürsten, ihren Schmuck mit verschiedenen Pretiosen, die sie aus Nürnberg vom Schmuckhändler Georg Schulthess erhielt und zahlte ihm dafiir nahe an 3000 Gulden. Die schönsten und kunstvollsten Kleinodien wurden da- mals in Nürnberg v^ertigt; wir finden daher die Fürstinnen mit den dortigen Pretiosen-Händlern und Gold- und Silber- arbeitern Arnold Wenck, Georg Schulthess, Rüdiger von der Burg und ebenso mit dem schon erwähnten Italiener Lorenzo de Yillani in. Leipzig in beständiger Gorrespondenz, bald um ihren Staalsschmuck zu vervollständigen, bald um Einzelnes davon umTorroen und verändern zu lassen, bald um bei ei- nem hohen Feste, einer Taufe oder einer Yermählutigsfeier mit iiirstlichen Geschenken von Pretiosen zu erfreuen, oder .aWeh.um einen schadhaften Schmuck ausbessern zu lassen. Eine Fürstin schickt einige Edelsteine, „weä sie etliche Krätze bekommenes nach Nürnberg, mit dem Auftrag, sie von einem Sieinschneider rein und sauber auspoliren zu lassen; eine an- alere hat von einem Pretiosen-Händler ein anscheinend schö- nes Kleinod 2ura Geschenk fiir einen nahen Verwandten ge- kauft; allein die Billi^eit des Preises erweckt bald Verdacht; sie lässt es untersuchen und man findet, die Fürstin sei be- rgen, es seien s. g. „Brillen*' statt ächter Edelsteine einge- setzt. Keine Fürstin hatte vielleicht mit ihrem Schmuck und Putz mehr zu thun und keine war in ihren Bestellungen sorg- samer und genauer als die Herzogin I>orothea von Preussen; sühidct sie dem Goldarbeiter in Nürnberg 20 Ungarische Gul- den und eine Anzahl Ringe, um sie zu einer Kette und einem Kleinod zu benutzen, so ordnet sie in einem langen Schrei- ben an,' wie alles gemacht und „aufs subtilste und mit Ver- setzung der Steine so künstlich als möglich verfertigt werden solle, oben in der Mitte solle ein Blümlein, nebenan Blätter und ein Stil sein, die Spitzen aber so, dass man sich nicht daran reisse oder kratxe u: s. w. u. s. w.''

(Schluss in einem spätem Heft.)

J. Voigt

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Vebev 4len Ausbraidh üem wiehen$iaa%gen

Aas Mitchen*s nngedruckten Memoiren mitgetheilt von L. Ranke.

V orbemerkuQg des Herausgebers. MilcbeU reMdirte um diß Zeit da der siebeiyahrige Krieg ausbrach als Gesandter Eng* laiids am Hofe f riedrichs des Grossen. Ausser seinen JBe<r liebten und Depeschen aus den Jahren 1756 ff, befinden aicb unter den im britischen Museum von ihm aufbewahrten Pa* (Meren auch zusammenbangende Meo^oiren (llitcJlieU papevs Vol. 67), welche, in späteren Jahren niedergeschrieben^ die erste Zeit seines Aufenthaltes am Berliner Hofe mit^ einer ge^ wissen Au$rubrlicbkeit bebandeln, allmählig aber in ein bloA* ses Tagebuch übergehen» Der you Herrn von Raumer in sei» nen Beitrügen xur neueren Geschichte (TblJL S.367) erwühfttt „umständlichere Bericht Mitchells, ohne Datum^' ist niehto anders als eben diese Memoiren. Die kurzen Ausxüge, welche Herr von Baumer daraus entnahm (S. 368— 370 u. S. 373f.)> mussten den Wunsch nach weiteren Mittbeilungen rege ma- eben. Deshalb schien es niebt unangemessen, hier die Anlange dieser Memoiren vollständig, und zwar, im* Gin Verständnisse mit dem Herrn Einsender, dem grössern Publicum in* einer vom^ Herausgeber angefertigten Uebertragong und den Histo<« rikern von Fach im Originaltest vor Augen zu legen. Es be-» bedarf wohl kaum der Erwähnung, dass wenn auch im Gros* smi und Ganzen die histprisebe Treue der Mitcheirsoheu Dar^ Stellung unantastbar ist, doch in einzelnen Zügen und selbst in der Auffassung manches fiir den Kritiker ta berichtigen bleibt

lieber den Ausbruch des nebet^fdUirigen Krieges. 136

Im Januar 1756 wurde der Vertmg zwisohen den K<V» nigen von England und Preussen unterveicbnet. Wie und wann die Unterhandlung begann» clavon bin ich nicht voll- standig unterrichtet, und ebensowenig von den eigentlichen Beweggründen dieses Vertrages.

Auf Seiten des Königs von E. war der YortbeiJ einleuch* tend» da Hannover dadurch sichergestellt wurde, ohne doch m dem Vertrage erwähnt zu werden.

Auf Seiten des Königs von Pr. schien der vornehmste fiewinn der zu sein » dass dessen Besitzungen in Preussen ilordi diesen Vertrag vor jedem Einlall der Bussen gedeckt würden, da diese kurze Zeit zuvor sich zu einem Bündnisse mit Enghmd heiJbeigelasseB hatten.

Was sicli TOT und unmittelbar nach der Unterzeichnung jenes Vertrages zwischen den beiden Höfen zutrug, davon Mhe kk keine Kenntniss. Doch der König von Pr. hat mir gesagt: er faal>e die. festesten Versicherungen darüber, dass iluifiland sich nicht rühren werde.

Kaum war indessen der Vertrag mit Preussen bekannt geworden, als die Oesterreicher mit. allem am Bussischen Hofe iimen zu Geb(Mte. stehenden Einflüsse darauf hinarbei- Men, in. Petersburg das englisch-russische Bündniss zu hin- tertreiben, das von Seiten der Kaiserin Elisabeth nach mei-« Hern Dafürhi^ten ebeii in Folge dessen längere Zeit und bis zum Monat [Februar] unvollzogen blieb. Sie wiesen auf die MeUigaBg hin, die der englische Hof dem russischen zu- (^fiigt habe, indem er ohne Mitwissen der Kaiserin einen Vertrag mit Preussen geschlossen. Und nunmehr begannen aie die Maske abzuziehen und, aHer Verpflidaitungen uneinge** denk, die sie dem Könige von £. und der Englischen Nation •ohuldig waren, beeilten sie ihre Schritte um sich selbst in die Arme Frankreichs zu. werfen.

Um die Zeit, da der englisch-^preussische Vertrag unter- Beiduirt ward, kam der Herzog von Mivernois als Gesandter Frankreichs nach Berlin. Seine Unterhandlungen hatten kei- nen Erfolg. Zwar wurde er vom Könige freundlich emplan- gen; allein der Auftrag, um desswillen er kam und demge-

136 üeber de» Ausbruch des

m'äss er den König yennögen sollte, sein Bündniss mit Frank- reich zu erneuem und Hannover anzugreifen, war Sr. Preus* sischen Majestät nicht genehm; und so kehrte der Herzog von Niyernois, nachdem er [mehre] Monate in Berlin und Potsdam verweilt, in sehr übler Laune wie ich hörte, nach Paris zurück.

Der König von Pr. sagte zu mir bei einer Unterredui^, die ich bald nach meiner Ankunft in Berlin mit ihm pflog, dass er das Benehmen dieses Herzogs nicht recht biUigeik könne; er sei nicht frei und offen, sondern auf krummem Wegen zu Werke gegangen; und was die Vorschlage betr^fev womit er beauftragt gewesen, so könne er denselben kern Gehör schenken, da der König von E. keine Veranlassofig gegeben habe, um einen Angriff auf Hannover voa sein^ Seite zu rechtfertigen. Zufolge anderer (Jnterredongen habe ich Grund zu vermuihen, dass der Yorsoblag za einem An- griff auf Hannover dem Könige von Pr. schon 'vor der An- kunft des Herzogs von Nivemois durch Herrn von BottüM gemacht worden sei, und zwar in einer sehr ungeziemenden Weise. In einem Briefe an den König von Pr. äusserte nam* lieh derselbe: Es sei jetzt gut Plündern in. Hannover; worauf indessen der König erwiederte: eine solche Zuom«* thung möchte zwar für Mazarin (?) sehr geeignet gewesen sein; er aber halte sie für den höchsten Schimpf, der ihm angethan werden könne.

Ich habe dem König von Pr. den Vorwurf machen hö- ren, dass er durch Unterzeichnung des Vertrages mit Eng- land, kaum einen Monat oder sechs Wochen vor Ablauf des französischen Bündnisses, die Franzosen herausgefordert habe; Indessen kenne ich noch jetzt den wahrhaften Thatbestaad nicht, und ebensowenig die Natur der Verpflichtungen ^ea Königs gegen Frankreich.

Gegen Ende Januars 1756 ward ich benachrichtigt, dass der König Georg gesonnen sei mich als seinen Bevollnäch- tigten nach Berlin zu senden, mit dem Gehalt eines ausser« ordentlichen Gesandten. Am 12. März hatte ich Handkuss

siebenjährigen Krieges, 13?

beim Könige. Am 18. April veiiiess ich England und traf am 8. Mai^ über Hannover tind Braunschweig, in Berlin ein.

Unverweilt meldete ich dem Grafen Podewils meine An- kunft und hatte am 11. zu Potsdam meine erste Audienz. Ais ich mein Be^aubigungsschreiben dem Könige überreichte, begleitete ich dasselbe mit einem kurzen Gompliment, wor* auf Se. Maj. mir- brieflich antwortete. Dann schickte ich mioh an, Sr. Maj. die Absichten zu eröffnen, welche den König meinen Heirn bewogen hatten, mich mit dieser Sendung zu beehrmi. Mit grosrser Aufmerksamkeit hörte er mir zu und versetiBte sogleich, dass er gewissenhaft den Vertrag erfüllen werde, den er unlängst mit dem Könige von Grossbritannien geschlossen. Er sprach die Meinung aus, dass sich in diesem Jahre in Deutschland nichts ereignen würde, wollte es aber mdbt auf sieh nehmen zu sagen, was in dem nächsten sich ereignen könne. Er äusserte damals, dass „alle Entwürfe, welche die Höfe von Wien und Paris etwa gehegt haben fiiOchten, um unter dem Verwände der Religion in Deutsch- land Unruhen zu erregen und die Rechte des Erbprinzen ?on Hessen zu unterstützen, für jetzt wenigstens bei Seite ge- schoben wären, da der Prinz von Hessen gegenwärtig in Ber- Ikk' sei und eifrig danach trachte, in seine Dienste zu treten.^^ Hernach hatte ich die^' Ehre mit Sr. Maj. zu diniren, und nach der Tafel forderte er mich auf, die Nacht in Potsdam zu verbleiben lind auch andern Tages mit ihm zu speisen. Vor dem Diner hatte icb ein sehr ausführliches Privatgespräch mit Sr. Maj., . wofin er die höchste Achtung vor dem Könige « von E. kund gab und das bekräftigte, was er in der Audienz am Tage zuvor mir gesagt hatte. Er bemerkte: „er wäre sehr wohl davon unterrichtet, dass zwischen den Höfen von Wien und Paris eine Uebereinkunft im Werke sei, und dass der Wiener Hof sich in grosser Verlegenheit darüber befinde, auf weiche Weise er den dringenden Anfragen begegnen solle, wel- tkm [der englische Gesandte] Mr. Keith letzthin beauftragt wor- den sei an ihn zu richten; doch die Absieht ginge dahin, jed^ bestimmten Antwort so lange auszuweichen, bis die Uebereki- kunflT wirklich unterzeichnet wäre, und dies Benehmen durch

13t lieber den Äuibruch des

das Verhalten zu rechtfertigen, welche« unser Höf bei der Unterhandlung des jüngsten Vertrages mit Preussen selbst beobachtet habe."

Üeberhaupt bat der Empfang, welchen mir der König angedejhen Hess, meine kühnsten Erwartungen weit über- troffen, und die Art seines Benehmens fand ich sehr abwei'* chend von den Vorstellungen, die man mir darüber eingeflösst Er empfing mich mit Aufrichtigkeit, Offenheit und Leutselige» keit, und gab mir sehr bald (um jeden Argwöhn in Betreff Frankreichs zu entfernen) Aufschluss über die Unterhaiidliuig des Herzogs von Nivemois. Ueber das Geschäft, womit ich beauftragt war, sprach er ßich mit grosser Klarheit aus wed legte nicht nur seine Meinung, sondern auch seinen B«th ohne Bückhalt dar. Ich konnte eine so hohe Güte vön^Sei«- ten des Königs nicht anders vergelten, als indem ich auf die möglichst aufrichtige und ehrliche Weise zu Werice gisg und ihm in den Berichten, die ich meinem Hofe einsandtet (xo** rechtigkeit widerfahren liessi ^ Dies hatte den gewoasehten Erfolg. Denn sein Zutrauen wuehs täglii^, und da ich ofU mals nach Potsdam berufen wurde und gar manche lange und geheime Audienzen erhielt, worin der König nicht nur was ich ihm vorzutragen hatte mit grosser Aufmerksamkeit ai^ hörte, sondern sogar in vielen Fällen mich aufforderte meine Meinung als Privatmann, nicht als Gesandter auszu^qpreoheo« es betonend, dass er selbst zu mir wie ein Freund, nicht wie ein König geredet, so ermuthigte mich diese H^ablassimg Sr. Maj., mich mit dem grössten Freimuth und ohne allen Vorbehalt zu äussern.

Mein häufiger Aufenthalt zu Potsdam während des Söm« mers und die ausgezeichneten Gunsibezeugungen, welche dw König und demgemäss die ganze könij^idie Familie, so wes die Hof leute, mir zu Theil werden liessen, flössten allen, an- deren fremden Ministern, die in Berlin residjrten, vornehm^ lieh aber dem französischen Gesandten, Herrn von Valory, eine grosse Eifersucht ein« Er beklagte sich sogar über diesif Parteilichkeit bei den Gräfin) Podewils und Finken^tein, Jhinn zufügend, ich reizte den König auf mit Frankreich zu brechen

wC *

und die WaCn» zu ergreifen. Gnf Podewils sagte mir, er habe bei iißs&t Gelegenhat mir Gereehtigkeit wideriafareoi ksseo und dem Henrn von Valory die VersiclieraDg gegdbea» dass idb, weil eutfenit den Kömg zum fiegian des Krieges zu reizen, vielmehr wie er sicher wisse alles daran gesetzt; bähe um ihm vorzubeugen, dass ich natürlich dem Bündnisse mit Eogland Gedeihen wünschen müsse, dass aber meine Ab* siditeB und meine Sprache friediieh wären.

Iip Monat Juni erhielt der Köfuig die Nachricht, dass der Scbulzvertrag zwischen Frankreich und Oesterreieh wirklidi unteräeicfaiet sei , und dass es ausser den Artikeln im Ver* ^age selbst noch besondere und geheime gübe, die nur er- rathen wevden* könnten. Man muthmasste, dass dieselben die Abtretung einif^« St&dte oder gewisser Districte in den Nie-«- d^landen von Seite» des Kaiserhofes beträfen.

Dieser Vertrag beunruhigte den König nicht im Gering* stan. Er meinte, wenn es zu nichts Weiterem käme, als der m y^rage gegenseitig ausbedungenen Hülfsleistung von 24000 Maiin^> ao ^i dies nur von sehr geringem Belang. Aach schien er nicht anzunehmen, dass diese Vereinigung Frankreichs und Oestenreicbs eine aofriohtige und dauernde sein könne. Denn in dieser Zeit, und obgleich mit Frankreich gespannt, glaubte er doch triohl^ dass dasselbe nur im Entferntesten die Absieht liege, wirklieh nut ihi6 zu brechen, sondern dass dessen der* malige Handlungsweise, indem es sich den Anschein einer VerbindiRig mit dem Hause Oesterreich gebe, mehr in Em* pfindelei -und Verdrusls ihre Quelle habe, als in irgend einem festen politischen Krineipe, oder in einer bestimmten Neigong das bisliirige -System zu ändern. Ebensa wusste er (aus der Abgabe gewisser Berichte), dass er der Frau von Ponpadour UjD(d ihren Creaturen \%rhasst sei, .welche nun die erfolglose Sendung des Herzogs von Nivernois als wilikonunenen Aniass benutet hätlen, um seine Allerehristlichste M^^stJM; wider ihn einsun^fnen. Allein er dachte sich nteht die Möglichkeit^ dass (teren Arglist dearmassen im Kabinet überwogen hafaeii könnte^ um diese Macht, mit der er so lange verbändet gewesen und der er so grosse Dienste geleistet, am ganz zu. entfremden.

140 Ueber den Ausbruch des

Die Preussischen Minister^ obwohl ihnen der Schritt Frankreichs mehr Besorgniss einziiflössen schien, waren den«^ noch fest überzeugt, dass dasselbe, im Fall eines Krieges in Deutschland, bei der Unterstützung des Hauses Oesterreieh sich auf nichts weiter einlassen würde, als auf Stellung sei- nes Gontingents in Truppen oder Geld. In dieser Ueberzeu- gung wurden sie durch die Versicherungen des Marquis yoa Yalory bestärkt, welcher, nach dem Abgange des Herzogs voA Nivernois, auf den Wunsch des Königs von Pr., als ordent- licher Gesandter nach Berlin geschickt worden war, um den Herrn de la Touche zu ersetzen, der dem Könige nidbt behagt^

Als im Monat Mai ein Theil der Hannoferschen Trup- pen und 8000 Hessen nach England abberufen wurden, wa- ren die Hannoverschen Minister, die furchtsamsten und leichte gläubigsten all^ Menschen, sogleidi yolier Angst, Fraakreieh werde sich in Marsch setzen und ihr Land liberfallen, bevor irgend eine Truppenmacht zu dessen Yertheidigung zusam- mengezogen werden könne. Die Nachricht von dem Bund*- niss zwisc£ien Oesterreieh und Frimkreich erhöhte 'diese Be^ sorgnisse in solchem Grade, dass sie sich die Gefahr scbon als nahe bevorstehend und unabwendbar dachten. Auf ihr Ansuchen erhielt ich den Auftrag, ^bei dem Könige von Pr. anzufragen, welchen Beistand er leisten könnte; im Fall Han- nover in diesem Sommer während der Abwesenheit der Trup- pen angegrififen würde. Die Antwort Sr. Maj. stimmte mit den früheren Aussprüchen überein: „Er wolle mit seinein Kopfe dafür bürgen, dass in diesem Jahre kein Angriff statt- finden werde; aber er wünsche, dass geeignete Massregeln für das nächste angeordnet würden, in Betreffdessen er für nichts einstehen möge.'' Zugleich übergab er mir ein ¥ei«» zeichniss derjenigen Truppen, deren Anwerbung in Otiutsd^« iand er als wünschenswerth erachtete.

Das Ansehn des Königs von Pr. genügte nicht um die Furcht der Hannoveraner zu zerstreuen, weil ^sie sich, eiitbil* deten Frankreich und Oesterreieh dächten an sie attein. Jth ward daher beauftragt dem Könige neue /Vorstdiangen zu machen und «auf eine Antwort für den eintretenden Fall zu

Mkbef^ähri^n Krieges. 14 L

bestellen. Sa Maj. wiederholte minächst das früher Gesagte» itersicberte jedoch, dass, wenn der Fall eintrete, er 10^000 Mann stellen und, der Bewegungen seiner Truppeu unbe- schadet, dafiir Sorge tragen wolle, dass diese Zahl wirklich auf hannoverschem Gebiet sieh befinde, ehe noch die Fran- zosen es erreichen könnten. Hierauf wurde idi von Seitea der Hannoverschen Hinister brieflich bestürmt, eine grössere Zahl auszuwirken und eine genaue Angabe der Begiolenter» welche ihnen zugesandt werden sollten. Ich meldete solches dem Könige; doch da ich wahrnahm, dass diese unablässige Quälerei einen üblen Eindruck auf ihn mache, so begnügte ich mich mit der Erneuerung seines frühern Versprechens, der ^ die Worte hinzufügte: „Lassen Sie diese Herren wis- sen, dass wenn die« 10,000 Mann ihnen zur Hülfe gesandt werden, ich sie doch nicht länger entbehren kann als bis zu Ende des nächsten Februars, da ich ihrer anderwärts bedarf; und nur unter dieser ausdrücklichen Bedingung geschehe es, dass ich sie ihnen' verspräche.'^ Als ich ihn um eine gros-, ser& Zahl anlag, sagte er „das sei unmöglich, wofern ich ihm nicht die ab^sdute Grewissheit geben könne, dass Preussen llhbeunrähigt bleiben würde'*; vielmehr rieth er „man solle keine Zeit verlieren, um Truppen für das nächste Jahr zu w^ben; er selbst habe seine Massregein schon getroflfen und i$ei auf alles was sich etwa ereignen möchte vorbereitet."

Der König bemerkte: er wisse, die Kaiserin Maria The- mata' könne iitoyOOO Mann ins Feld stellen, Frankreich nicht über 50,090 (wobei er die deutschen Regimenter in dessen Biensten s»i 20,000 berechnete; der Rest seien Pfalzische und* Würtembergnehe Truppen, mit einigen wenigen französischen Biegimentern vermehrt um die Zahl voll zu machen); auf der andern Seite könne der König von Grossbritannien, obgleich &r 8000 Mann nach England gesandt, durch eine Vermehrung seiner Truppen und dadurch, dass er den Herzog von Braun- »ehweig in seinen Sold nehme, ein Heer von 25 bis 30,000 Mann aufbringen; er selbst, der König von Pr., vermöge eine Armee von 100,000 Mann zu stellen; dann würden aber im-, mer noch 30,000 lüissen nöthig sein. Um den Zuzug der-

■dbea ni erkicbtwu, schlag er vor, bis h^b tich m Ami \ ihren StantJqiurtieTen suoäohat belegeMn iUfen ton Lienm^ \ und Kurland an Bord ihrer Galeeren etnschifi«n und m im \ Preuasischen und Potnmerscben Küsten eaUang leselB'.iii \

den Pommevadten Häfen volle er ihnen Quartier ge^OiW». fsm sie wttbrend der Fahrt Veranlassung zar Landung hftu ten; zu Rostock aber möge ihre AutschtSung bewiiitweN den. Diese Ueherfebrt, so rechnete er, erfordere im Ganm etwa vier Wochen und wUrdo nicht nur mithin viele Z^Aj sondern auch den Truppen viele Anstrengung enpareii-, ei« grosBer Gewinn im Fall sie genöthigt wären umnittdtMr in» Feld zu rücken.

Gegen Ende Juli übergab der franz. Gesandte Ibrqj im Valorf auf Befehl seines Hofes dem Gfaferi^ Podewils eme Note und hatte bald darauf btim Könige eine Audienz, wal' che nur wenige Minuten währte. Graf Podewils erzäitte dent Könige, so dass ich es bikte, der Marquis habe betheium „er wolle seinen Kopf daliir verpfänden, dass die Kaiserin Königin nicht die Absicht habe ihn aniugreifen"; worauf Po- dewils erwiedert: „Will Ihr Hof dies verbürgen?" IKer untM-lwach (fiesen der König und sagte; „Sie -geben fehlt Frankreich wiR versprechen, der Kaiserin keinen Beistand gegen mich zu leisten, wofern ieh meimrieits verspredien will, keinen Beistand dem Könige von Engtand zu gefeen. Allein ich bin entschlossen, dergleichen nicht zu thsn^ idi will meine Verpflichtungen gegen England erftUen." Darauf^ instmirte er den .Grafen Podewils über die Antwort, welohe er auf die Note des Marquis za erlassen habe^ Als ieb, nach der AudtenE des Letztem, in das Kabinet des^König» einbrat« äusserte dieser mit einem Anflug von Heiterkeit: „loh ^1) nicht, dass diese Herren zu mir reden, -wie man zu den HAl*' lündem redet, und dass sie mir sagen, wHcfaen Vertrag ich erfiillen soll oder nicht."

Im Laufe dieses Sommers erhielt der König Kflnde'ron ' den Intriguen, die der Wiener Hof spann, um in Verfcindang mit Frankreich und Russland ihn gleit^zeftig von allen Sei- ten. anzugreifen. In diese Versckwörang hatte man auch den-

iiebenjährigtn Krieges. 143

•ttchsiseb^n Hof kineingezogen, oder bestrebte sich ihn hin^ Moeuziehen; \md ?on hier ans wurde dem Könige von Pr., nicht nur alles was sieh in Dresden begeben, sondern audi was ^tt Wien und Petersburg im Werke war, hinterbracht.

Die Bewegungen der kaiserlichen Truppen in Böhmen gegen die Grenzen von Schlesien hin, der Anmafsch verschie- dener Regimenter von Ungarn her und die Vermehrungen, welche in diesen Truppeniheilen stattfanden, dienten dazu, den Verdadit des Königs gegen den Wiener Hof zu erhöhen md, zu beetärken. Er beschioss daher> seinen Gegnern den VoFsprung abzugewinnen und nahm (indem er ihre Absichten als nidit m^r zweifelhaft betrachtete) den Grundsatz an, das» ea bessef sei zuvorzukommen als sich zuvorkommen lassen. * Als- nach den Musterungen der Preussischen Truppen, in den Monaten Mai und Juni, der Verdacht des Königs durch die Briefe, die er aus Schlesien empfing, sich bedeutend ge- steigert iMtte^ Kess er. unter dem Verwände eines Gamiaons- wedbsek seine Tcuppen« in verschiedene Standquartiere ein-* nuieli und steckt^ auch mehre Lagerplätze ab, die er nie- mab einzunehmen WiUehs war, zog aber in der That seine Straitiiräfte ^rgestait zusammen, dass er auf den leisesten Wink wo es änü beliebte marschfertig sein konnte, um je- der' etwa wider ihn gerichteten M»cht die Stirn zu bieten.

Dtes& Bewegungen im Preussischen Heere und die Ein- berufung der Stabseffidere, welche sich zu Garisbad in Böh- men aufhißten, versetzten die Kaiserin Maria Theresia in so gtfosse'Beeorgniss und Unruhe, dass sie, darauf hin, alles was man nur an Mannschaften zusammenzuraffen vermochte, ei- ligst nach Böhmen hineintrieb, indem sie unzweifelhaft sich eittbiUele, es sei auf einen Einfall in dieses Land abgesehen. Ihr Jkfairffeb der kaiserlichen Truppen nach Böhmen e^scbredtte die Preuföiscfaen Officiere und Beamten in Schlesien, und da die Berichte, welche sie dem Könige efnsandten, wahrscheiti- Keh- übertrieben waren, so dienten sie dazu, das Mi^strauen desselben gegen den Wiener Hof zu verstärken und «u be- festigen, bis es endlich dahin gedieh, dass er seinen Verdacht niel^ mehr als soteban, sondern als vottkommetie Gewissheit

144 Ueber den Ausbruch de$

betrachtete. Und da er nur zu wohl von den Unterhandlun- gen und geheimen Zwecken unterrichtet wurde, welche wie es hiess Himmel und Erde in Bewegung setzten um Frank- reich, Russland und Sachsen zu veranlasseu gleichzeitig über ihn herzufallen, während Oesterreich mit seiner ganzen Macht in Schlesien eindringen sollte: so folgerte er, dass für ihn keine andere Rettung sei, als in Präventivoitassregeln. Dem- nach beschloss er die Kaiserin in Böhmen anzugreifen, be- vor sie noch hinlänglich vorbereitet sei, hoffend, im FaU des Gelingens werde die schreckenvolle Verschwörung in Dunst zerrinnen; denn könne die als Haupt geltendei Partei der«* messen geschwächt werden, dass sie ausser Stande wäre den Krieg im nächsten Jahre zu unterhalten, so müsse die ganze Last auf die Verbündeten und, Genossen fidlen, von denen er keineswegs annahm dass sie gesonnen sein würden die- selbe zu tragen. ^

In dieser Gemüthsstimmung; voll von Argwohn und Atiss«^ trauen, fand ich den König, als er mich um Ende Juli nach Potsdam beschied. Nachdem er mir die letztemp'fangenen Nachrichten aus Schlesien und Sachsen mitg;»tbeilt, geruht« er mir seinen Entschluss zu eröffnen, vermöge dessen *er un- verweilt aufzubrechen gedenke, um seinen Feinden zuvorzu- kommen und ihnen den Rang abzulaufen, da er hierin daü einzige Mittel sähe, das sich mit seiner Sicherheit vertrage,^ so zahlreichen und mächtigen Widersachern gegenüber, lite- ren Kräfte,* wenn sie vereinigt würden, bei weitem allen de* nen überlegen sein müssten, die er selbst ins* Feld. zu stel- len vermöge.

Zugleich erklärte mir Se. Majestät ( wie er dies oft zu- vor gethan), dass er nichts so sehr wünsche als den. Frieden; dass er zu behalten begehre was er besitze, aber keineswegs die Absiebt hege neue Erwerbungen zu machen. Idi erin^ nere mich, dass sich unter anderen Berichterstattungen, wel- che mir der König bei dieser Gelegenheit vorzeigte, einige sehr heftige und wie mir schien übertriebene Meldungen aus Schlesien befanden, wonach die Oesterreicher die Errichtiaig. emes Lagers auf einer von Schlesien umscUoftienen Land^.

riebenjährigen Kriege$. HS

2UDge Böhmens beabsichtigten. Aus dieser Anzeige in Yer- bindung mit anderen sehloss der König, dass der Wiener Hof stefaerlich bezwecke ihn anzugreifen. Ich nahm mir die Frei«- heit zu bemerken, dass aus der Errichtung solcher Lager die Absicht der Oesterreicher nicht mit Sicherheit gefolgert wer« den köntoe, insofern sie auf ihrem eigenen Gebiete Yerblie- ben; vielleicht wäre ihr Plan der, Se. Majestät zu verlocken den ersten Streich zu thun und dergestalt sie zu berechtigen, diejenigen Hülfsleistungen von Frankreich und Russland zu fordern, welche der Kaiserin für den Fall zugesagt seien» dass sie in ihren eigenen Besitzungen angegriffen würde. Der König antwortete hierauf, abgerissen und mit einiger Aufre- gung, indem er mir starr ins Gesicht blickte: „Wie me«a Bterrl Was sehen Sie in meinen Gesichte? Glauben Sie, dass meine. Nase gemacht 9ei umNasens^ber zu bekommen? Bei Gott, ich werde sie mir nicht gefallen lassen l^Mch versetzte, dass nach meinem Dafürhalten Niemand so kühn sein würde ihn zu beschimpfen; und wenn man es thäte, so sei doch sein Charakter in Europa zu wohl bekannt, um den gering- sten Zweifel darüber zu lassen, in welcher Weise es vergol- ten werden würde; auch hätte ich unter allen den grossen Eigenschaften, die er besässe, noch niemals Geduld und Ge- lassenheit aufzählen hören. Er nahm diesen Freimuth wohl auf und lachte. So gelang es mir seine Leidenschaftlichkeit im Beginn ihres Ausbruchs .zu beschwichtigen. Doch nach- dem er mir einige andere Berichte vorgelegt, sehloss er wie- der -mit den Worten: „Hier ist nicht zu helfen! Diese Dame da (indem er auf das Bildniss der Kaiserin wies) will Krieg haben, und sie soll ihn bald haben. Ich weiss kein anderes Mittel als meinen Feinden zuvorzukommen; meine Mann- schaften sind bereit, und ich muss diese Verschwörung zu JH'echen trachten, bevor sie zu stark wird.'' Ich stellte ihm «un die Gefahr vor, welche entstehe , den Englischen Ein- fluss am Bussischen Hofe gänzlich zu vernichten, wenn er durch irgend einen, ob auch dringlichen Schritt von seiner Seite, als der angreifende Theil dargestellt werden könne; und ich bestand darauf, es sei noch Hoihung vorhanden, die-

Z«itMbriCI f. GesdiiehUw. I. 1844. ±Q

14C Ueber den Ausbruch des

sen Hof car Neutraliät zu bestimmen, wenigstens im Fall die Kaiserin zuerst angreife; überdies, da die Ursachen zur Schilderhebang auf Verdachtsgründen und Privatangaben be- rahten^ von deren Triftigkeit das übrige Europa keine Kennt* niss habe, so wäre ich der ehrerbietigen Meinung, dass es in hohem Grade zu seinem Vortheil gereichen und nicht ver- fehlen würde überall Eindruck zu machen, wenn er vorerst die Kaiserin um Aufklärung darüber anginge, ob sie die Ab- sicht hege ihn anzugreifen , da er Grund habe über die Bü- stfsngen und kriegerischen Anstalten in Böhmen und ander- wilrts besorgt zu sein. Fiele die Antwort ungeni^end aus, so würde er in aller Welt Augen g^echtfertigt s^n, wenn er zu seiner Selbstvertheidigung von den ihm zu Gebote ste- henden Kräften Gebrauch madie. Seine Vorbereitungen könn- ten inzwfiicben ihren Fortgang nehmen; aucji würde der Zeit- verlust ein sehr geringer sein, nur die wenigen Tage begrei- fend, welche die Hin- und Zurückreise des Gouriers nach und von Wien in Anspruch nehme. Dem Könige schien -dieser Vorschlag nicht genehm, und er gerieth dlmäUig sehr in Eifer: er kenne den Uebermuth und 4len Stol» des Wie- ner Hofes; eine solche Anfrage wurde die Dinge nur ver- scUimmem^ oad ihn sdbst einer ho^müthigen und beschim- pfenden Antwort aussetzen, die er sich, wie er hinzufügte, miM ge&llen lassen würde. Ich behauptete: je anmassender die Antwort ausfiele, desto besser; nicht dass ich dächte, «r solle sie sich gefallen lassen; allein es würde dies gewis- sermassen ein Eingestandniss der geheimen AnsohUtge dieses Hofes sein, so dass es, mit dea Anzeigen die er über dessen Pläne erhalten, in Verbindung gebracht, nicht verfehlen -kÖBne, 4ie übrigen Mäckto^Eiiropasr ontgleich von seiner eigenen fried- lichen. Gesibming und. von den böswilligen und ehrgeiztgen Absiohlett des Wiener Hofes zu überzeugen. (Jeberdies, wenn von seiner Seite Aufklärungen gewünscht, von d^ Kaiserin aber verweigert wurden, so sähie ich nicht ein, mit welchem Angesicibt die Letztere Hiäfe l>egehren könne, sei' es von Frankreich oder von fiussland; auch würde dieser Umstand detti Englischen Gesandten am Petersburger Hofe gewiss ein

sieber^ökrigen Krieges. 147

iiöchst wirksames Mittel an die Hand geben, iiin die Bussen in Unthätigkeit zu erbalten oder vielleicht selbst, durch de- ren Ansehn und Einfluss, den Frieden Europas zu bewab* ren. Der König hörte Alles ruhig an; dann aber versetzte er mit Wärme : ,,Nein, das kann nichts helfen. Das kann die Sache vielleicht verschlimmern! Sie kennen diese Leute nicht; es wird sie nur stolzer machen, und ich werde diesen Leu- ten da nicht nachgeben." Nach dieser sekr langen Unter- haltung begab sich der König zur Mittagstafel, und ich glaubte dass alles vorüber sei. Allein noch während der Tischzeit liess er mich einladen, in Potsdam zu bleiben und am Abend der Burletta beizuwohnen, was ich auch that. Als wir nach dem Schauspiel durch den Garten zum Chinesischen Pa- last hingingen, rief mich der König zu sich heran und sagte: „Ich habe über das nachgedacht, worauf Sie diesen Morgen so angelegentlich drangen, und werde meinem Gesandten zu Wien Anweisung gdben, eine Audienz bei der Kaiserin selbst, ohne Oazwischenkunft ihrer Minister, zu begehren. Vielleicht kann ich durch Ueberraschung eine Antwort erlangen; haben sie indess Zeit dieselbe vorzubereiten, so kommt es wie ich Ibno^D gesagt habe.'' Ich billigte diesen Entschluss vollkom- men; doch er setzte hinzu: „Wir werden sehen I Aber ich erkläre ilmen im Voraus, dass ich von dem allen nichts erwarte, und bei Gott! ich werde diesen Leuten da nicht weichen."

Demzufolge ging an den Preussischea Gesandten zu Wien, Herrn von Kling^äf, nächsten Tages der Befehl ab eine Au- dienz zu fordern, worin er angewiesen wurde zu eröffnen, dass der König, beunruhigt über die vor sich gehenden Rü- stungen, ihn beauftragt habe, eine Erklärung zu verlangen, entweder schriftlich oder mündlich und in Gegenwart des Englischen und des Französischen Gesandten, der Art, dass sie die Kaiserin nicht damit umgehe ihn in diesem oder dem nächsten Jahre anzugreifen ; auch sei er bereit seinerseits der Kaiserin eine gleiche Erklärung zu geben.

Der König harrte mit grosser Ungeduld der Rückkunft des Gouriers, und sobald derselbe eingetroffen, liess er mich

10*

148 lieber dm Ausbruch des

nach Potsdam bescheiden und theilte mir die erhaltene Ant- wort mit, die ihn keineswegs befriedigte; er fragte mich um meine Meinung. Ich sagte: ich wünschte sie wäre deutli- cher, doch freue mich die Wahrnehmung, dass nichts Belei- digendes darin enthalten sei. Hierauf händigte er mir den Auszug eines Briefes ein, der zwar mit einem Datum, doch nicht mjt der Angabe des Abgangsortes versehen war, und forderte mich auf ihn sorgfältig durchzulesen. Es enthielt der- selbe die Meldung von einem Gespräche, das ein vertrauter Freund des Oesterreichischen Ministers Grafen Kaunitz mit diesem in Betreff der Antwort gepflogen habe, welche von der Kaiserin auf des Königs Anfrage zu ertheiten sei. Wäh- rend ich las, kotinte ich mich des Lächelns nicht erwehren. Dies gewahrend, fragte der König, weshalb ich lache. Ich suchte eine ausweichende Antwort zu geben; -doch da er in midi drang, war ich zu dem Gestandniss genöthigt, dass ich deshalb gelächelt, weil mir diese Nachricht zu gut und zu umständlich dünke; ich sei mit dem Grafen Kaunitz wohl bekaiint, und hielte ihn für zu klug um irgend einem Freunde, wer es auch sei, ein solches Geheimniss anzuvertrauen. Nach- dem ich mich über des Grafen Charakter ausgelassen,. den ich mit Aufrichtigkeit schilderte, geruhte Se. Maj. zu sagen: „Ich bekenne > Ihre Bemerkung ist richtig; dennoch kommt diese Nachricht von guter Hand, und man darf darauf bauen; auch will ich, wenn Sie noch irgend einen Zweifel hegen, Ihnen die Person nennen; vielleicht dürfte sie Ihnen bekannt sein; jedenüalls bürgt ihr Name allein dafür, dass die Nach- richt zuverlässig ist.'^ Ich entschuldigte mich, indem ich ihm versicherte, dass ich es glaubte; vermied es aber den Namen der Person .von ihqa zu vernehmen, da ich voraussetzte, es möchte für Se. Maj. beleidigend sein, an dem zu zweifeln, wovon er selbst so fest überzeugt war. Damals hatte ich keine Ahnung, dass dieser Brief vom Grafen Flemming, dem Sächsischen Gesandten zu Wien herrühre.

Der König theilte mir mit, er werde seinen Gesandten beauftragen eine zweite Anfrage zu stellen, da die erste Ant- wort nicht befriedigend sei, und zwar ohne auf die Form-»

siehet^ährigm Krieges. 149

lichkeit der Anwesenbeit irgend eines fremden Gesandten zu bestehen; nur müsse die Erklärung für dieses und das nächste Jahr lauten, wie oben. Da indessen alle diese Anfragen und Antworten bekannt gemacht worden sind, so brauche ich über sie hier nicht ausführlicher zu sein.

Um diese Zeit erklarte mir der König: er sehe, die Kai- serin wolle durchaus Krieg haben, und so sei kein Ausweg übrig; in Betracht jedoch (es war nämlich um den Anfang Au- gust), dass Hannover gänzlich von Truppen entblösst sei, und dass die Franzosen, wenn er in so früher Jahreszeit einen FeM- zug antrete (und er ))ehauptete ja marschfertig zu sein) sich versucht fühlen möchten, die Grenzen Deutschlands zu über- schreiten und ihre Winterquartiere daselbst zu nehmen, in Betracht dessen wolle er seinen Feldzug noch um einige Wo- chen verschieben, um jene zu tauschen (indem er seinen Ge- sandten in Paris zur M ittbeilung der Schritte befugte, die er in Wien gethan). Er ersuchte mich, meinen Hof von dem allen zu unterrichten und zugleich darauf zu dringen, dass man Truppen werbe und die Hannoveraner herübersende.

Da die Antwort Oesterreichs auf die zweite Anfrage ebenso unbefriedigend ausfiel wie die erste, und da sie zehn Tage später eintraf als der König erwartet hatte (aus dem Grunde weil Herr von Klinggräf Bedenken trug sich zu ei- ner schriftlichen Ausfertigung der Anfrage zu verstehen): so beschloss Se. Maj., sich augenblicklich in Marsch zu setzen. Er berief mich am Donnerstag den 26. August und theilte mir noch am Abend jene Antwort mit, ersuchte mich aber am nächsten Morgen zu ihm zu kommen. Da nun Hess er sich zu mir ausführlich über seinen Entschluss eines unver- weilten Aufbruches aus und erklärte, dass er durch Sachsen gehen müsse; doch habe er diesen Morgen an seinen Ge- sandten zu Wien eine dritte Anweisung erlassen, um noch einmal auf eine deutliche Erklärung zu dringen. Könne er eine solche erlangen, so werde er mit Vergnügen umkehren; inzwischen aber sei er entschlossen zu marschiren, da die Jahreszeit weit vorgerückt sei. Er forderte mich auf, meinen Hof hiervon in Kenntniss zu setzen, sowie auch von dem

n

150 Englischer Text.

Umstände, dass er seinem Gesandten Vollmacht gegeben Wien zu verlassen, wofern er keine Auskunft erlangen könne.

Demgemäss zog der König folgenden Tages, Sonnabend den 28. August, an der Spitze seiner Garden aus Potsdam ab; eine andere Colonne wurde durch den Prinzen von Preus- sen geführt.

Am Freitage darauf stellte er mir ein gedrucktes Exem- plar de's Manifestes zu, welches sogleich bei seinem Ein- tritt in Sachsen veröffentlicht werden sollte, und worin er de^ Vorhabens gedachte, dieses Land als Unterpfand in Be- sitz zu nehmen. Bei keiner Gelegenheit hatte er mir das Geringste über seine Absicht durch Sachsen zu gehen gesagt, viel weniger von dem Vorsatze es 'in der Weise anzugreifen, wie er es nunmehr that.

Mr. Keith hat nachmals zu mir geäussert, er glaube, er sei die Ursache, dass der König von Preussen die dritte Bot- schaft an die Kaiserin abgesandt habe.

In January 1756, the treaty between the King and the King of Prussia was signed. How, and when the negocia- tion was begun, I am not thoroughly informed, nor what were the motives to this treaty.

On the part of the King the advantage was evident, as Hanover was thereby secured, though not mentioned in the treaty.

On Ihe part of the King of Prussia, the chief advantage seems to be, that by this treaty, bis dominions in Prussia were secured from any invasion by the Russians, as they had a little before entered into a treaty with England.

What passed before, and immediately after the signing of this treaty between the two courts, I am ignorant of. Bat the King of Prussia has told me, that he had the strongest assurances that Russia would not act.

No sooner was the treaty made public, than the Au- strians began with all their influcnce at the court of Russia to endeavour to hinder the negociation of the treaty at that

Engüscher Text 151

court» whicb« I believe, by that means was not ratiötfd tili

some time in the inoDth of They repreaented to that

oourt the indignity the court of England had done to the court of Ruasia, by entering into a treaty with Prusaia with*; out the priyity of the Empress of Rusaia» and they theo began to tfarow off the mask, and forgetttng all the obligar- tions they had to the King, and to the English nation , they made wide strides to throw themselves into the arma of France.

About the time of the signiog of the treaty between England and Pnissia,. the Duke de Mivemois was sent to B^in. His negociation did not succeed. He was well recetved by the King. But the buainesa he came upon, which was to engage the King to renew his treaty with France, and to attack Hahover, not being agreeable to his Prussian Majesty» the Duke de Nivemois, after a stay of . . . months at Berlin and Potsdam, retumed to Paris, highly out of bumour, as I bave heard.

His Prussian Majesty told me, in a conversation I had wüh htm soon after I came to Berlin, that he did not roueh like the manners of that Duke; he was not frank and open, but acted indirectly; and as for the propositions he was char- ged with, he could not heaAen to them, the King of Eng-* laad haring done nothing that could justify his attacking of Hanover. 1 bave reason to think from other conversations that the proposition of attacking Hanover had been made to the King ofPrussiabefore the arrival of the Duke ofNiver- Bois, and that in a very indecent manner, by Monsr. de RouiU6» wha told the King of Prussia in a letter, that there was good plunder at Hanover; to which the King replied that * such a proposition woiüd have beeh very proper for Man** darin (Mazarin?), and that he considered it fi^s the highest indignity that could be offered him.

I bave heard the King of Prussia blamed for provoking the Frencb, by signing the treaty with England, about a month or six weeks before that with France expired. But I do not yet know the truth of the fact, nor what was the nature of his engagement with France.

1S2 Englischer Text.

About the end of January 1756 , 1 was acquainted tkat the King thougfat of sending me lo Berlin as bis Minister, witb tbe pay of Envoy Extraordinary. I kissed tbe King's hands the 12th of March 1756. I left England the 18di of April, and arrired at Berlin the 8th of May, having passed through Hanotrer and Brunswick.

I immediately notified my arriyal to Gount Podewils, and had my first audience at Potsdam on the llth. When 1 delivered bis Majesty's letter to the King of Prussia, I acr companied it witb a short compliment^ to whieb bis Majesty answered by a letter. I then proceeded to open to bis Ma- jesty tbe yiews the King my master had in bonouring me witb tbis commission, whiob he heard witb great attention, and immediately replied, that he would strictly fulfill the treaty he had lately entered into witb the King of Great Brittain. He was of opinion that nothing would happen in Germany this year, but would not take upon bim to say what might happen tbe next He then said that what designs the court of Yienna and the court of France might have had of exciting troubles in Germany, upon pretence of religion, and of supporting the rights of the hereditary Prince of Hesse, were, for the present at least, postponed; as the Prince of Hesse was now at Berlin, and very desirous to enter into bis Service. 1 had afterwards the bonour of dining witb his Majesty^ and aller dinner he desired me to stay at Pots- dam that night, and dine witb bim next day. Before dinner I had a great deal of conversation witb his Majesty in pri- vate, in which he expressed tbe highest regard for the King, and confirmed to me what he had said in the audience of the day before. He said he was well informed that a Con- vention was framing, between tbe courts of Yienna and France; that tbe court of Yienna was greatly embarrassed in what manner to answer tbe instances which Mr. Keith had lately been directed to make; but their intention was to shift giving any answer tili the Convention was actually signed, and to justify tbis conduct by the manner in which our court had con- ducted itself in the negociation of tbe late treaty with Prussia.

EngUscher Text 153

' In general the reception I met with from bis Pnissiaa Majesty very far exceeded my wärmest expectations and bis manner of acting I found very different from wbaf it bad been represented to me. He received me wiib candor, open- ness, and affability, and very soon (to remove all suspicion witb regard to France) gaye an account of tbe D. de Niver- nois' negociation. Upon tbe business I was cbarged witb be spoke with great precision, and gaye, not only bis opinion, b\it bis advice freeiy. I could make no retum to so mucb goodness on tbe part of tbe King of Prussia, but by acting in tbe most candid and fair manner possible, doing bim ju- stice in the relations I sent to my court; wbicfa bad tbe de* sired effect For bis confidence increased daily, and as I was often sent for to Potsdam, and bad many long and private audiences in whicb tbe King of Prussia not only heard witb greät attention wbat I bad to offer, but even on many oc- casions desired me to speak my opinion as a private man, not as a minister, urging, that he bad talked to me as a friend, not as King, these indulgences on tbe part of bis Majesty^ emboldened me to speak with the greatest freedom, and wtthout reserve.

Tbe frequent joumeys I made to Potsdam during the summer, and tbe distinguished marks of favor whicb the King, and of consequence, all tbe Royal Family, and the courtiers, shewed^me, gave great jealousy to all tbe other foreign mi- Ulsters residing at Berlin^ particularly to Monsr. de Yalori, the French Minister. He even complained of that partiaiity io Gount Podewils and Gount Finkenstein, adding, that I in- stigated the King of Prussia to break with France, and to lake up arms. Gount Podewils told me, that on tbis occasion he did me justice, by assuring Monsr. de Yalori, that so far from instigating tbe King to begin the war, to bis certain knowledge, I bad done every tbing to prevent it, that natu- rally I must wish well to the alliance witb England, but that my views and my language were pacific.

In tbe month of June the King of Prussia bad notice,

that the defensive treaty between France and Vienna was

■-"^

164 Englischer Text

actually signed; that besides the articies in the treaty, there were separate articies wbich could oaly be guessed. They were conjectured to be conceming a cession to be made by the Imperial court of some towns, or of certatn districts in the low-countries. ^.

This treaty did not in the least alarm the King of Prus- sia. He thought if it went no farther thab the assistance sti** pulated reciprocally in the treaty, of twenty four thousand men, that it was of very little consequence; and he did not seem to think, that this union between France and Austria eould be cordial or lasting. For, at this time, though he was out of humour with France, he did not believe that France had any intention to break with hin), and that what they did at this time, in seeming to unite wiüi the House of Austria, proceeded more from peevishness and spite, than from any ßxed principle of politics, or from any intention to alter the System. He knew hkewise that he was- obnoxious to Madame de Pompadour (on account of certain reports) and to her creatures who had taken this opportunity of the unsucoessful mission of the D. de Nivernois, to indispose his most cbri«* stian Majesty towards him. But he did not imagine that their malice could have so far preyailed in the cabinet, as to alie- nate entirely that power with whom he had been so long united, and to whom he had been so useful.

The Prussian Ministers, though they seemed moce con* cemed at the step France had taken, yet they were firmly persuaded that France would go no farther in support of tfae House of Austria, than to furnish their contingent in men or money, in case there should be a war in Germany; and they were confirmed in this by the assurances of the Marquis 4e Yalori, who, after the D. de Nivernois left Berlin^ was sent at the King of Prussia's desire, as ordinary minister, in the place of Monsr. de la Touche, who was disagreeabie to the King of Prussia.

As in the month of May, part of the Hanover troops, and eight thousand Hessians had been calied over into* Eng- land, the Ministers of Hanover^ the most timid and credulous

Englischer Text 155

of mankindy were immediately alarmed that France would certainly march and overrun their country, before any forco couid be got together to defend it. The news of the treaty between Austria and France heightened their fears to such a degree, that they thought the danger imminent and una- Yoidable. Upon their Suggestion, I had directions to ask Bis Prussian Majesty what assistance he could give, in case Han- over was attacked this summer, during the absence of the troops. His Prussian Majesty's answer was uniform; that he would answer with his head, that no attempt would be made this year; but he wished that proper measures were concerted for the next, for then he would answer for nothing; and he gave me a list of such troops as he thought might be hired in Germany.

The authority of the King of Prussia was not sufficient to quell the fears of the Hanoverians; as they imagined that France and Austria thought of thein solely. I was therefore directed to make new representations to the King of Prussia, and to insi'st for an answer as if the case existed. His Pnis- sifioi Majesty, after repeating to me what he had before said, assur^ me that if the case existed, he would furnish ten thousand men, and notwidistanding the movements of his troops, that he would take care that that number should he forthcoming and actually in the territory of Hanover, before the French could arrive there. I was then teased with letters from the Hanover Ministers to procure a greater number» and an exact specification of the regiments that were to be gent. This I mentioned to the KiAg of Prussia, but as I found it was disagreeable to him to be constantly teased, I was contented with his renewing Bis former promise, to which he added , let these gentlemen know, that if the ten thou« sand men are sent to their assistance »• I can spare them no longer than to the end of next February, as I shall have use for them elsewhere, and it is with this express condition that I promise them." Wheh I urged for a greater number he said thaf was^ impossible, unless I could give absolute as- surances that Russia would be quiet, but adyised that no time

15C Englischer Text

shouki be lost in engaging the troops for the next year, as he saw the storm began to thicken; that he had already taken his measures, and was prepared for whatever might happen.

The King said he knew the Empress Queen could bring one hundred thousand men into the field; that France could not bring above fifly thousand, of which he reckoned the German regiments in their service at twenty thousand, the rest Palatines and Wirtemberg troops, with a few French Regiments added to make up the number; that on the other side, the King of Great Brittain, though he had sent eigfat thousand of his troops to England, could, by an aügmenta- tion of his troops, and by taking the Duke of Brunswicks into his pay, have an army of five and twenty or thirty thou- sand men; that he, the King of Prussia, could bring an army of one hundred thousand, but still thefe would be wanted thirty thousand Russians; that, in order to facilitat^ the Co- ming of the Russians, he proposed that they should embark on board their gallies in the ports of Livonia and Gourlaiid nearest to their quarters, and sail along the coasts of Prus- sia and Pomerania; that he would give them quarters in the ports of Pomerania, if they had occasion to land, and they might be put on shore at Rostock (or Radstaoq), which vo-' yage, he reckoned, was in all about four weeks, and would be a great saving of time, as well as of fatigue to the troops, in case there was occasion for them to enter upon imme- diate service.

Towards the end of July the Marquis de Valori, the French minister delivered a letter to Gount PodewiJs, by order of his court, and soon after had an audience of the King, which lasted but a fe^V" minutes. Gount Podewils said, in my hearing, to the King of Prussia, that the Marquis de Valori had said, he would pawn his head that the Empress Queen had no intention to attack him; to which Podewils replied, „will your Gourt guarantee that/^ Here the King of Prussia interrupted him, and said „you are wrong. France will promise to give no assistance to the Empress Queen against me, provided I will, on my part, promise to give no

Englischm' Text 157

assistance to the King of England. Bat I am resoWed to do no such thing; I will fulfill my engagements with England/' He then told Gount Podewils what answer to give to the Marquis de Yalori's letteir. When I went into the closet^ after the Marquis de Yalori's audience^ the King said, with an air of good humour: „Je ne veur pas que ces Messieurs me parlent comme on parle aux Hollandois> et qu'ils me di* sent quel traitö je dois remplir ou non.^'

During the course of this summer, the King of Prussia faad intelligence of the intrigues of the Court of Vienna, in cmijunction with France and Russia to attack him at onee on all sides; and into this conspiracy they had drawn, or were endeavouring to draw, the court of Saxony, from whence he had intelligence, not only of every thing that had passed at Dresden, but also of what was doing at Vienna and Petersburg,

The motions of the Imperial troops in Bohemia, upon the frontier of Silesia, the march of several regiments from Hungary, and the augmentations made in those troops, ser- ved to heilten and confirm the suspicions His Prussian Ha- jesty had of the Court of Vienna. He, therefore, resolved to be beforeband with them, and (looking upon their intentions as no longer doubtful) adopted this maxim, that it was bet- ter to prevent than to be prevented.

As, after the reyiews of the Prussian' Troops, in the months of May and June, his Prussian Majesty's suspicions were greatly heigfatened by the letters he received fr<»n Si- tesia, he, upon pretence of changing the garrisons, made his troops march into different quarters, marked out several en- campments which he never intended to occupy, but drew his forces togetiber in such a manner, that he could march where he pleased, upon a very short notice, to oppose any force that might be brought against him.

These motions in the Prussian army, and the recall of the general officers who were at Carlsbad in fiohemia, gave great umbrage and alarm to the Empress Queen, who, upwi that, poured in as many troops as could be got together into Bo- hemia, as she probably imagined, that an inyasion was in-

7!

s

168 Englischer Testet

t^ded of that country. .The mareh of the Imperial troops into Bohemia alarmed the King of Prussia's oiBcers and mi* nisters in Silesia, and as is probable the accounts they sent, to the King, were exaggerated, they served to confirm and fortify the suspicions he had of the Court of Vienna, and, at last, raised them to such a degree, that he no longer consi- dered them as suspicions, but looked on them as absolute certainties. And as he was but too well informed of Üieir negociations and secret views; that they were moving heaven and earth to engage France, Jlussia, Saxony, to fall upon bim at once, whilst the Court of Vienna, with its whole force, ßhould invade Silesia, he concluded there was tio salvation but in preventive measures. He therefore resolved to attack the Empress Queen in Bohemia, before ^he could be suifi* ciently prepared, hoping that, if he succeeded. Uns formidable conspiracy mi^t dissipate in smoke, if the party principally concerned could be so far reduced, as not to be in a con- diüon to Support the war next year, that then the whole bürden must faill upon the allies and associates, whiefa he did not think they were inclined to bear.

In this Situation of mind, fiUed with jealousy and suspi- cion, I found the King of Prussia, about the end of July, at Potsdam, where he had sent for me; and after coranmnicft'* ting to me the intelligence he had lately received from Silesia and from Saxony, he was pleased to acquaint me with the resolution he had taken« of imniediately marching to pre?ent his enemies, and to be beforehand with them, ais the only measure he tbought consistent with his saüeity against foas so nuroerous and so powerfiil, whose force, if once unv- ted, must be so much superior to any he cojuld bring into the field.

At the same time His Prussian Majesty declared to me (as he had often done before) that be wished for Qothing so much as peace; that he wanted to keep wbat he had, but had no view of making new acquisitions. I remember^ on this oo- casion, amongst other pieces of intelligence \diich His Prus^ sian Majesty shewed me, there were some very strong, and,

Englischer Texi. UW

as I thought, exaggerated accounti^ fitHn Silesia, of an iDten- ded eneampment upon a langue de terre in Bobemia, which was enclay^ in Silesia; npon whicli information, combined witfa others, the King concloded that the Court of Vienna certainly intended to attack him. I took the. liberty to re- present, that from such encampments, the intention of the Austrians could not certainly be concluded, whilst they re- mained upon their own territory; that perhaps their design might be to provoke His Majesty to strike the first biow, and tbereby to entitle them to call for the succours from France and Russia stipuiated in case the Empress Queen was at- tacked in her possessions. He answered me abruptly, and with some emotion, and looking me füll in the face, „Com<- ment, Monsieur I Qu'est-ee que vous yoyez dans man yisage? Croyez-vous que mon nez est fait pour recevoir des chique- naudes? Par Dieu, je ne les soufirirai pointl'^ I replied Ihat nobody, I beb'eved, would be rash enough to afiront him; that if they did^ his character was too well known in Europe (o leaye any doubt in what manner it would be resented, and Ihat of all the great qualities he possessed, I never heard patience and forbearance reckoned of the number. He took this freedom well, and laughed. It served to allay his pas- sion which was beginning to arise. But after shewing me some other pieces of intelligence, he concluded with saying, „there is no help for it; that Lady (pointing to the Empress Queen's picture) will have war and she shall have it soon« 1 have nothing for it but to preyent my enemies;*my troops are ready, and I must endeavour to break ^is con^)iracy, before it grows too streng/^ I then represented the danger there was of destroying entirely the Etiglish interest at the Gourt of Russia, if by any, even necessary, act of his, he could be construed to be the aggressor, and I insisted on the ho« pes there were of getting tibat Gourt to be neutral, at least in case the Empress Queen was the aggressor; that besides, as the reasons for begkinuig the war were founded on su« spicions, and on private intelligence, the ground ef which was not known to the rest of Europe, I was humbiy of opi-

liO Engtiseher Text.

nion, thaf it would be greatly for bis interest, and that it €ouId not fall to make an Impression every where, if he would first ask an ^claircissement of the Empress Queen, *to know wbether she had any intention to attack bim, as be bad reason to be alarmed with tbe armaments and warlike preparations in Bohemia and elsewbere; tbat, if tbe answer was not satisfactory, all mankind would justify bis making use of tbe force be bad to defend biiuself; tb^t tbe prepara- tions be was making migbt go on in tbe mean time> and very little time would be lost, only tbe few days necessary for a Courier to go to and retum from Yienna. He did not seem to relisb tbis proposal, and began to speak with great warmtb, ttiat be knew tbe insolence and fiert^ of tbe Court of Yienna; that tbe making such a demand would be only making tbings worse, and exposing lumself to receive an ar- rogant and insulting answer, wbicb, be added, be would not bear. I urged that tbe more baugbty tbe answer was, so mucb tbe better; not that I thought be sbould bear, but that it would be a sort of declaration of.tbe seeret intentions of that Court, wbicb, when joined to tbe intelligence be bad of their designs, could not fail at once to convjnce the other powers of Europe of bis pacific disposition, and of tbe ma- lice and ambitious views of tbe Court of Yienna; that, b^- sides, if explanations were desired on bis part, and reiused by that Court, I did not see with wbat face tbey could ask succours, eitber from France or Russia, and it would cer- tainly furnish tbe King's Minister with a very strong argu- ment at tbe Court of Petersburg, to keep tbe Russians quiet, or perbaps, by their autbority, to preserre tbe -peace of Eu- rope. Ue beard all with patience, but replied witb warmth; „na, that will not do; it may make tbings worse, vous ne connoissez pas ces gen^; celä les rendra plus fiers, et je ne c6derai point k ces gens lä/' Tbe King then went to dinner after tbis very loDg conversation, and I thought all was over. But in tbe time of dinner he desired me to stay and see the Burletta in tbe evening, wbicb I did. After tbe Burletta, as we were going to the Palais Chinois, in the garden, the King

EngUscker Text 101

calted to me and said, ,,1 haye reflected on what you urged so warmly this moming, aod I will ghre directioiM to my minister at Yienna to ask an audience of the Eoipress her« seif, without tbe intenrention of her minister; I mayperhaps get an answer by, surprise; bot if Uiey have time to prepare it, it will be as I told you.^^ I approted much of this reso* lution, but he added, ^^vons Terra (nous yerrons?), mais je vous declare d'avance que je n'attends rien de tout eeci et par Dieu! je ne c^derai pas k ces gens \k.^

Acoordiagly Monsr. de Klingraaff had orders the next day to ask an andiencey in which he was directed to declare, tbat the King, alarmed with tbe preparations that were ma- hing, had directed him to aak a declaration^ either in writing or veibal, in the presence of the English and French Mini- sters, that she, the Empress Queen, had no Intention to at« tack him either this year or the next, and he was willing to gtve the like declaration to the Empress Queen.

His Prussian Majesty waited with great impatience the retum of tibe Courier» and so soon as he had arrived he sent for me, to Potsdam, and communicated the answer he had received, with which he was not satisfied and asked my (^i« Bion. I Said I -wished it had been more explicit, but I waa glad to find there was notfaing offensive in it He tben put into my hands an extnict of a letter dated, but the place from whence it came not mentioned, and desired me to read it carefutty. This extract gaye an account of a couTersation that an intimate firiend of Count Kaunitz had with him, concer« ning the answer the Empress Queen was to give to the King of Prussia's demand. As I read it I could not help smiling, which the King perceiving, asked me why I smiled. I en« deavoured to shift giving an answer, but he insisting, I was obliged to own, that I smiled because I thought the intelli« gence too good, and too minute; that 1 was acquainted witfii CoiHit Kaunitz, and believed him too wise to trust any frieud whatever with such a secret. After UHking of Count Kiunitz's character, which I gave him fairly, his Majesty was pleased to say, „I own your (^ervation is just, but this intelligence

ZtiUehrift f. GMchichtsir. 1. 1844. ±1

162 Englischer Text

eomes from a good band, and may be depended upon; and if yoil itill ha?e any doubt, 1 will n«n6 tbe person ta yon; perhapa be may be known to yon, bnt bis name alone will aatidy that ihd inteßigence is good.^^ I excused myself by as- soripg bim täat I beliered it, but declined bearing tbe per- son's name, as I tfaougbt it might be offensive to His Majesty to donbt of wfaat he so firmly believed. At this time I had no suspicion tbat this letter was firom €ount Fleming, tbe Saxon Minister at Yienna.

His Prussian Majesty told me that he wouid direet his minister to make a second demand, as the 4irst answer was not satisiactory, and that, without insisting on any formaKty of tbe presence of any foreign minister, but that the decla» ratioA must be for this and the ncxt yesfr^ aa aböve. Bat aH these demands and answers being made public, I need not bare >be moTo particular about them.

At this time the King of Prussia declared to me, that be'saw the Empress Queen ^asresoWed to have war^ and tliefe was iio help for it; but tbat upon refleetion (as thta was about tfae^beginning of August) that Manöver was quite d^garni of trobps, if he marched on any expedition so early in^ thä teason (and he said he was ready) the French mtgU be lempted to come into Germany, and take up their wlnter- quarters th^e, he would therefore deiay for some weeks bis expedition, in Order to deceive them (having ordered his Mi^ nister at Paris to communicate the steps be had taken at Yienna), and he desired me to acquaint my Court with this, and at the same time to press them to hire.troops, and send over tbe Hanoverians.

The answer to the seoond demand being as lilde satis- fectory as the first, and it coming ten days later than he ex- pected (by reason of a doubt Monsr. de KJingraaff had of giving a eopy in writing), tbe Kingimmediately resolved to march. He sent for on Thursday 26th of August, and com-* munkated the answer (bat night, but desired me to came to him next moming, when he talked to me fuily of his inten- tions of marching forthwith, declared that he was to go througb

Englischer Text 163

Saiony, but that he had that morning sent a third order to bis ininister at Yienna, still to insist for an explicit answer; wbicb if he Qpuld obtain, he would return with pleasure, but that, in the mean time, he was resolved to niarch, as the season was far advanced. He desired me to acquaiut my Court with this, and that he had given directions to bis Mi- nister to retire from Yienna, if no answer could be obtained.

Accordingly the next day> saturday the 28th August, he marched from Potsdam at the head pf bis guards: another column was led by the Prince of Prussia.

On Friday afternoon, he gave me a printed copy of the manifesto to be publisbed as soon as he entered Saxony, in wbicb be mentions tbe taking that country end^pöt He bad lipon no oecasion said any tbing to me of bis intention of goiog tbrough Saxony, tar less of invading it in the man* jier he did.

Mr. Keith has since told me that he believes he wi^ the eeqasion of tbe King of Prussia si^ding the third message to the EQq>res8 Queen.

11*

Thttrlnifer im liande Hadelii«

Es ist hiDlänglich bekannt, welche Mühe den Forschem nord- deutscher Geschichte die Erwähnung der Thüringer an der Nordseeküste bei Widuchind. gemacht hat Wer den folgen- den Erklärungsversuch billigt, wird mir eine AufiEählung der früheren leicht erlassen, da meine Absicht dahin geht, nicht sie zu widerlegen, sondern wenn es möglich ist, sie über- flüssig zu machen. Ob ein solches Ergebniss 'auf allgemei- neres Interesse Anspruch machen kann, steht dahin: in der sächsischen Geschichte hat es wenigstens für eine kürzlich neubelebte Gontroverse Bedeutung, für Schaumann's Erörte- rung, die Saxones des Ptolemäus seien im Laufe d^s dritten Jahrhunderts über die Elbe in Norddeutschland als Eroberer hereingebrochen. Diese hat mich, wie ich gleich gestehen will, zu keiner Zeit überzeugt Sie ist genöthigt, sämmtliche Zeugnisse, welche in späterer Zeit von freien Cheruskern und Angrivariern, Ghauken und Haruden berichten^ schlechthin des Irrthums zu zeihen: ihrerseits hat sie, wenn man von den jeder Deutung fähigen Aussagen des Saxo Grammaticus absieht, nur die Widuchindsche Erzählung zur Gewähr, und so scheint auch von sächsischer Seite eine Prüfung an der Zeit, ob jene älteste einheimische Ueberlieferung in der That die sonst unerweisliche Hypothese vertreten will.

Widuchind erzählt 1, 1 : die Sachsen sollen nach einigen von den Dänen und Normannen, nach andern von den Ma- cedoniern gekommen sein: gewiss ist, dass sie in Hadeln landeten, hier mit Thüringern zusammentrafen, und ihnen

Thüringer im Lande Hadeln. 165

durch doppelten Betrug Landbesitz abgewannen. Darauf yon einer britischen Gesandtschaft aufgefordert, unternehmende die Eroberung Englands, später, als der fränkische König Theodorich mit Irminfried in Krieg geratb, verbinden sie sich mit jenem und erhalten nach entscheidendem Antheil am Kampfe einen beträchtlichen Theil des thüringischen Lau* des, wo die frühem Einwohner von ihnen tu Laten ge- macht werden.

Grimm bemerkte bereits, dass diese Greschichte nur von einem Theile des Sachsenlandes reden will, also selbst bei ihrer Fassung hat Schaumann zur Stütze seines Systems eine Ausdehnung nöthig. Das Entscheidende aber für jeden An- spruch, den sie auf allgemein sächsische Bedeutung machen kann, liegt offenbar in ihrer Chronologie: soll sie als Stamm- sage aller Sachsen über ihre Herkunft gelten, so muss Wi* duchind seinen Zeitpunkt für die Landung, als vor der bri- tischen Eroberung liegend, beglaubigen können. Nun bemer- ken wir sogleich, dass seine Angaben über diese letztere der Sage selbst nicht angehören, er citirt dafür eine Historia Saxonum als Quelle und ich zweifele nicht, diese in Beda (bist, ecci.l, 15) wieder zu finden. Die einzige bedeutendere Abweichung besteht darin , dass Beda die Gesandtschaft nur erwähnt, Widuchind aber die von ihr gehaltene Bede aus- fuhrlich mittheilt, eine Ausschmückung des vorgefundenen Stoffes, die bei solchen Gompilationen etwas ganz gewöhn- liches i«t. Für die Zeitrechnung der Sage selbst steht also aus diesem ißinschiebsel Widuchinds nichts zu folgern: glaubte Widuchind einmal an die Abstammung aller Sachsen von die- sen in Hadeln Gelandeten, so verstand es sich von selbst, dass er den Zug nach England an dieser Stelle einreihte.

Nicht minder können wir aber auch nach meinem Da- fürhalten von einem andern Theile seines Berichtes absehen, eben demjenigen, auf welchem die Hauptschwierigkeit der ganzen Erzählung beruht. Gleich nach der Landung treffen die Sachsen in Hadeln mit den Thüringern zusammen, kau- fen diesen einen Schooss voll Erde ab, und als die Thürin- ger der bekannten List bei der Besitznahme sich nicht lügen

166 Thüringer im Lande Hadeln.

woUen, kommen sie scheinbar unbewafihet zu einem 6es|HrtiQh und machen die Gegner mit den versteckt gehalteikeii Mei-^ sem nieder. Ausser Widuchind wiederholt diese Angaben das Loblied auf den H. Anno 21, in etwas kürzerer aber un- veränderter Fassung. Ueber sein Yerhaltniss zu Widuclund» und in wie weit es von demselben (ur abhängig zu halten sei, kann ich nicht entscheiden, lege aber auch kein .Ge- wicht darauf. In Bezug auf das Ereigniss selbst glaube icbt es liegt hier einer der häufigen Fälle vor, wo man die Lö- sung des Knotens nicht in den Sachen, sondern bei den Et^ Zählern suchen muss. Die beiden Vorgänge sind bekannt in der deutschen, und vor Allem sowohl in der sächsischen als in der thüringischen Sagengeschichte, worüber die Zusam- menstellung bei Grimm (Deutsch« Sagen II, 69% R. A. 90. dazu noch Nennius über die Eroberer Britanniens, ohne Frage Mascovs Quelle) gar keinen Zweifel übrig lässt. An si^h ist also ihre Aechtheit unbedenklich, aber ^en so gering au;cii die Sicherheit, dass sie urspriinglicher und geschiehtKdier Weise in diesen Zusammenhang gehören. Hier und da tau- chen sie hervor, sie sind in Jedermanns Munde und werden mit Leichtigkeit in jediB sächsische Geschichte eingeschoben. Scheiden wir sie hier aus, so meldet Widuchind nichts an- ders mehr, als dass Sachsen, im Lande Haddn gelandet, sich an dem Irminfriedschen Kriege betheiligt hätten.

Diese Yermuthungen würden mir für sich allein sdboii bündig genug erscheinen; dazu kommt dann, dass sie nicht nur nicht die besten Quellen gewaltsam verbessern wollen^ sondern gerade mit diesen Widuchind erst in volleb Einldang setzen. Die Ueberlieferung des Sachsenspi^ek III, 44. weiss von keinem ZuVischenereigniss zwischen der Landung und dar letzten Eroberung Thüringens, der älteste Gewährsmann Ru- dolf (transl. Alex. 1.) sagt sogar mit ausdrücklichster Bestimmt« heit: Saxonum gens ex Anglis Britanniae incoiis egressa in loco Hadolaun appulsa est eo tempore quo Thiotricus ter- ram Irmenfridi ferro et igni vastavit. Was endlich für Widb- chind entscheidend ist, die Quedlinburger Chronik, welche ganz allein seine Aussagen über den Irminfriedschen Krieg

Thüringer im Lande Hadeln, 167

nicht bloss wiederholt, sondern durch einige geographische Bestimmungen erweitert, welche also höchst wahrscheinlich nicht ihn, sondern seine Quellen vor sich hatte, stimmt in der angegebenen Hinsicht nicht zu ihm, sondern genau zu Rudolf und lässt die Sachsen erst im sechsten Jahrhundert in Hadeln landen.

. Hiernach ist es klar, diese Erzählung in ihrer reinen Ge- stalt hat die Absicht nicht, sich lur die Stammsage aller Ost- und Westphalen auszugeben. Sie berichtet nur über eine einzelne Schaar von Ueberelbischen, welehe den Angriff Theo- doridis ben«ktztet)i um. einen Jheil des thüringischen tap^es sieb zuzaeigneuv D$i»$. datnfils noch alle (leberlitferung der Saohsea mfäßk eng mit Stgi6> ja mit Mythus v^r^ob, zeigt die Erwühniing Irings als Gottes der Milchstrasse : al$(0 selbst in dieser engem AiiOotssung ka^n sie nicht schwer in das Ge^ wicht einer streng geisebiehtlichen Betrachtung fallen, ym so weniger als Gregor von Tourii uns nut stark abweichenden Tbatsftphea.ifi durchaus glaubwürdigem Berichte versieht. Je Bäher aber, ihr Geholt dem. mythischen Gebiete steht, desto leiobler begreift sich ihre spätere Verbreitung und der gute Ghöibe» in weteb^m d«(s neunte. und zehnte Jahrhundert sie als eine allen Sachsen angehörige Geschichte aufnahmen.

Damit verit^windet nun jeder Grund, auf Widuchiod sich berofend, aller sonstigen Geographie der Thüiinger in den Weg zu treten« oder die .Entstehung des Sachsenbund^« auf «ndere Momente zurückzuführen als die Ursprünge der (rän- kisdoien oder alamfinnischen Natioa. Die Cliera^r und ihre Mackbarn» deren frühere Einbeit damals schon die beltigsten ErschüliterungeQ erfahren hatte, bedurfte^! nur eines geringen Anstosses» um sich unter neuen. Formen auf die W.o^n und die Kiisten d^ Mordsee zu werfen. Vielleicht <Uesep AnstOss faßben. die bolsteiniscben Saxones ihnen gegeben und da»U Namen über die neue Genossenschaft verbreitet. B<mn. ' Sjbel>

Ephoroft ttber die Heloten.

Man ist allgemein der Ansicht, Ephoros habe angenommen, die sämmtlichen alten Einwohner Lakonike's $eien gleich mit dem Eintritt der dorischen Herrschaft Heloten genannt wor- den, und zeiht ihn deshalb des Jrrthums, da dieser Name zuerst nur den gewaltsam unterworfenen Bürgern einer oder einiger Städte beigelegt und Ton diesen alhnählig auf alle Sklaven übertragen worden sei. An dieser Eqtstehungsweise des Namens lässt sich freilieh ebenso wenig zweifeln, wie an dessen Ableitung von SXcü (dki<r7C(jD, afyiw), so dass er der Natur der Sache entsprechend „Kriegsgefangene'^ bedimtet; 4.aher giebt auch Suidas (s. h. v.) die Erklärung: ot «^o& X^fj^pivTsQ* 6ux itoKifjLou i]A/cüxotc^. Dagegen ist- Ephoros von dem Vorwurfe des Irrthums (s. z.B. Hermann: Antiqq. Lacon. p.20. Fiedler: Geogr. u. Gesch. v. Altgriechenland S.308) zu reinigen; denn die Stelle des Strabon, worauf derselbe beruht, ist augenscheinlich corrumpirt Dieser sagt nämlich (VHJ. 5. p. 364), Ephoros berichte, die ersten dorischen Kö- nige Eurysthenes und Prokies hätten befohlen: njnatüwvavraq attaVTag rofvq 'JU^iolKOfvg ^^a^iardSv o/uuu>q Icrovonunjg uvcu^ Hurixovrag otou icoMtsious xai otpx^twv, TcaKtitrPoti 6i £?Af(ora9* '^Äyiv 6s rov Eni^crp'ivoug ökptXicrPou rriv Igto^ vofjJxxv 76CU cnjvTsXslv K^ocrroifyu rfi Sica^rri]* to<u^ ^lii; <y&/ aKK<n}g •uiroiMotxrac, TCfvg ^'EXsiofvg Tonjg ixcfVTotg ro ^'fSihog itoii\oraniiv<yvg aaco<nwnv, dcaroe x^arog dhwvat icoXi/Lii^ 9cal ot^iS^fivai dbvXou^. Man hätte hier auf den ersten Blick wahrnehmen dürfen, dass die Worte: ocaKdorf^ai ös EtKunag ein Einschiebsel sind^ entstanden durch Versetzung; denn of-

EphoroM über die Heloten. 169

fenbar gehören sie hinter die Worte : xpc^vou dbvArou«. Wir brauchen jedoch auf die in der Sache und im Ausdruck begründete Wahrscheinlichkeit dieser Behauptung um so we- niger Nachdruck zu legen , als sich die Aenderung sogar als eine absolute Nothwendigkeit herausstellt. Denn nach der jetzigen Stellung jener Worte hätten Eurysthenes und Pro- kies den Namen Heloten aufgebracht, nach der von uns in Anspruch genommenen aber der König Agis, und dies wird ja in der später folgenden, nicht genugsam beachteten Bemerkung: rf^ eSXwTeiav ol ns^l '^Ayiv bIctIv o! »ecxTa- ösi^aiVTBq ausdrücklich behauptet Jene Worte müssen also in der angedeuteten Weise versetzt sein; denn unmöglich kann der Autor einen so groben Widerspruch, und zwar in Einem AUiemznge, begangen haben. An dem Ausdruck dKwvat noXifuf ersieht man deutlich^ dass Ephoros dieselbe Ablei- tung des Namens geltend machen will wie Suidas, zumal da ihm das Ethnikon yon ^EKog ausdrücklich lEiXaioi lautet Der mittelbare lostorische Gewinn unserer Erörterung aber be- steht darin., dass nimmehr auch das Zeugniss des Ephoros die Auffassung tostöttgfc, gegen die er vorzüglich bisber zu. streiten schien.

Adolph Schmidt

lieber eine neue Bearbeitung des lieben«

Muliammed*««

Vi< 1

Wer die öffentlicben Arbeiten der deiil;sGbeii OrienUiiitoi seit zehn bis zwanzig Jahr^i von aussen' verfolgte, kdumte vielleicht oft meinen, ihi" Bestreben sei zu wenig auf d«i Ge-* winn reiner geschichtlicher Wafarbaitt^n sowie auf Kun^t und Fleiss geschichtlicher Darstellungen gerichlet. Aui^h la^t sieh ein solcher Vorwurf nicht ganz al« unstatthaft abweisen, fo^ fern überhaupt aus manc^n Ursachen, deren Auseinander- setzung ich an dieser Stelle iiirdite,. in Deutschland noch im- mer der rechte Sinn für wahre GescÜehtsehreibung zu wenig angeregt, wohl auch bis jetzt zuwenig anregbar ii^; In an- derer Hinsicht aber ist der bisherige Mangel auf dem. Orien- talischen Gebiete mehr für ein Glück zu halten, weil die ge- nauem sprachlichen Vorbereitungen der mannigfachsten Art, welche jeder Orientalischen Geschichtschreibung einen ersten sichern Grund geben müssen, grösstentheils selbst erst in den letzten Jahrzehnden von vorn an erworben werden mussten und in einigen Gebieten sogar jetzt noch nicht genügend er- worben sind. Nehmen wir z. B. das Arabische, welches doch schon seit längern Zeiten unter Christen etwas bekannter war, so war im vorigen Jahrhunderte fast nur Reiske ein sowohl in der Sprache viel erfahrener als für geschichtliche Erkenntniss empfanglicher Mann: und doch wie viel fehlte ihm auch in der arabischen Philologie noch, um die Geschichte vollkommener und sicherer erkennen zu können!

Indessen scheint die neueste Zeit nun mit .rascherem Schritte und besserem Erfolge nachholen zu wollen, was bis

lieber eine neue Bearbeitung des Lebens Muhammed*s, 171

dahin yersäumt scheinen konnte. In drei ganz ?er8chi«denen wichtigen Gebieten morgenländischer Geschichte hat das tetite Jahr Geschichts werke entsteh^i sehen, welche wenigstens soviel erkennen lassen, dass die langen Jahre sprachlicher Vorbereitungen nicht umsonst gewesen sein wollen, lieber meine eigene Geschichte des Volkes Israel, deren erster Band zu Anfange dieses Jahres erschien, steht mir weiter kein Ur* theil zu als etwa was sich aus dem eben Gesagten ergiebt Von Lassen, welcher 0ir geschichtliche Untersuchungen eio besonders glückliches Geschick hat, erscheint soeben der An- fang eines grossen Werkes aber Indische Alterthumskunde, welches, wenn es vollendet sein wird, die schwachen Ver- suche welche früher der sei. Bohlen und Andere zu einem ähnlichen Zwecke unternahmen, leicht ganz vergessen machen und eine Ehrenstelle in der gesanunten deutsdien Geschichts- literatur behaupten wird. Ferner ^schien im Herbste vor»* gen Jahres eine Lebensbeschreibung Muhammed's von Dr. Gustav Weil, Bibliothekar an der Universität zu Heidelberg, welche, da siä in einem Bande vollendet vorliegt,*) hier nä- her besprochen werden kann.

Dass es diesem Werke an der ersten und nothwendig- sten Vorbedingung, der Sicherheit in der Sprache tler Quel- len, nicht fehle, habe ich im Vorigen bereits angedeutet; Le- ser aber, welche die ganz besondem Verhältnisse arabischer Philologie nicht kennen, mögen nicht vergessen, dass die Er- füllung dieser ersten Bedingung hier ausnehmend schwierig ist, und dass die früheren Versuche europäischer (belehrten das Leben des arabischen Propheten darzustellen vorzüglich aus dem Mangel an gehöriger Fertigkeit arabische Handschrif- ten sicher zu lesen und zu verstehen äusserst unvollkommen blieben. In den zahlreichen Anmerkungen giebt der Verf. oft Rechenschaft über sein sprachliches Verständniss der Quel- len, vorzüglich mit Rücksicht auf die erst vor einigen Jahren

*) Mohammed der Prophet, sein Leben und seine Lehre. Ans handschriftlichen Quellen und dem Koran geschöpft und dargestellt von Dr. Gustav Weil. Stuttgart 1843. - 450 Seiten nebst 8 Seiten Orient. Text.

172 üeber eine neue Bearbeitung

erschienene Lebensbeschreibung Muhammed's vom Herrn v. Hanfmer: wir müssen ihm in den meisten Fällen Recht ge- ben, nur selten legt er etwas weniger sicheres in die Worte der Quellen/) Man wird es auch besonders schätzen, dass der Verf. auf die richtige Aussprache der Eigennamen allen Fleiss gewandt hat: nur warum er den Namen Omaija (yon dem die Omaija di sehen Ghalifen herkommen) überall nach der bisher allerdings ganz gewöhnlichen Weise Ommeija mit doppeltem m schreibt, hätte näher erklärt werden müs- sen, da nicht nur der Qämüs, sondern auch andere Gründe, z. B. die Etymologie gegen die Verdoppelung des m sprechen. Aehnlich ist der QAmüs nicht für den Namen Acrama, son- dern fiir 'Ikrima.**)

Auch in den übrigen Vorkenntnissen, welche zur gründ- lichen Behandlung dieser Geschichte gehören, wird man bei dem Verf. nichts vermissen. So ist fiir die ganze äussere Be- handlung der Geschichte Muhammed's Ton der grössten Wich- tigkeit die Vorfrage, ob die Araber während seines Lebens nach reinen Mondjahren rechneten, oder nicht; und Herr Gaussin de Perceval der Jüngere zu Paris hat neulich***) die Ansicht aufgestellt, dass erst Muhammed und zwar bei sei- ner letzten Wallfahrt nach Mekka, also kurze Zeit vor seinem Tode, das reine Mondjahr ohne Einschaltung eingeführt habe. Der Mann dem wir sonst gern soviel Ungereimtes als mög-

♦) Um von dieser Ausnahme ein Beispiel zu geben, so scheint mir der Verf. S. 137 in die Worte Hawaii 'Ichashri Sar.59,2. zu viel zu legen, wenn er sie auf ^ie Wegführung der Banu-Kainukaa beziehen will; eine solche geschichtliche Beziehung müsste :deutii- eher ausgedrückt sein; und der Gebrauch des Infinitiv für das Par: ticip, worauf sich der Verf. hier beruft, ist doch mit Vorsicht zu beurtheilen. Ich vermuthe, dass diese allerdings schon alten Aus- legern dunklen Worte nichts bedeuten als „auf den ersten Stoss'^ d. i. sogleich, augenblicklich.

**) In meiner Handschrift der Sirat alrasül Fol 217. 218 wird der Name zwar gewöhnlich ohne Puncte gelassen, einmal aber wirk- lich mit i punctirt.

***) In einer längern Abhandlung, Journal asiatique 1843 Avril.

des Lebens Muhammed's. 17S

lieh au&ubfinleii so leicht versucht werden, scheint auch schlecht genug zu sein für die Einführung eines an sich so rohen und unweisen Gebrauches als der des reinen Mond- jahres ist Allein der neueste Lebensbeschreiber Muhammed's wendet dagegen mit Recht vieles ein; und schon an sich ist es leichter denkbar, dass die Zurückfährung des Mondjahres auf das Sonnenjahr bei einem Volke, welches keinen Acker- bau trieb, allmählig in Verfall gerathen sei, als dass ein Ge- setzgeber sie ohne Grund und Ursache absichtlich aufgeho- ben habe.

Fragen wir, da die gedruckten Bücher zur Ausführung seines Zwedtes bei weitem nicht genügen konnten, welche haindschriftlichen Quellen dem Verf. zu Gebote standen: so finden wir ihn auch von dieser Seite her gut gerüstet £r benutzte ausser einem handschriftlichen Commentare zum Qorane drei Lebensbeschreibungen Muhammed's von spätem Verfassern, welche zwar sehr reiche Sammlungen aber zum Theile so entsteHte^Auf&ssungen der Geschichte Muhammed's enthalten^ dass mit ihnen ein älteres oder wo möglich das älteste Gesdiichtswerk über Muhammed zu vergleichen einem sorgfältigen Geschichtsforscher unserer Zeit und unseres Va- terlandes fast uneriässlich wurde. Hier traf es sich nun glück- lich, dass der Verf. das alte Geschichtswerk Ibn-Hischäm's nach einer sehr guten Handschrift, welche seit 1838 in mei- nem Besitze, ist, noch zur rechten Zeit benutzen konnte. Ich hatte diese Handschrift damals in der Hoffnung erworben, bald selbst das Leben Muhammed's nach den besten Quellen zu bearbeiten, freue mich nun aber, da andere Geschäfte mein Vorhaben in eine unbestimmte Frist zurückwarfen, dass sie schon jetzt voii einem kundigen Gelehrten zu ähnlichem Zwecke mit Nutzen gebraucht ist

Indem der Verf. diese ziemlich reichen Hülfsmittel mit der oben beschriebenen Vorbereitung sowie mit ausdauern- dem Eifer und einer keine Mühe scheuenden Anstrengung zu erschöpfen suchte: hat er ein. Werk geschrieben, welches als die erste etwas zuverlässigere Geschichte Muhammed's betrachtet werden kann und den Anforderungen der Wissen-

-U

174 lieber eine neue Bearbeitung

Schaft in hoher Stufe genügt Seine Darstellunggart igt ein* fi^b und schlicht, doch nicht ungefällig; und die Einfachheit selbst wird unverwöhnten Lesern hier lieber sein als die ent-- weder hoch aufgeblasenen oder zu künstlich verkürzten Sätze, welche man jetzt in manchen deutschen Geschichtswerken neuester Art findet Nur die Uebertragung des in arabischen Eigennamen so häufigen Wortes Sohn unmittelbar nach ei- nem andern Namen hat in dem Drucke oft etwas steifes und unverständlicheres, hätte jedoch leidbt vermieden wer«^ den können.

Indess ist die Aufgabe einen weltgeschichtlichen Helden wie Muhammed war voUkommner und nach allen Seiten ge-*. nagend zu beschreiben eine der schwersten, welche der wi»«- senschaftlushen Geschichtschreibung gestellt werden kann. Wir besitzen zwar über ihn verhältnissmässig sehr viele und man- nigfaltige Nachrichten, indem von der einen Seite die 'hohe Stufe von Verehrung', zu welcher seine Anhalter ihn bald nach seinem Tode erhoben, von dier andern das Bedürfniss der auf ihn zurückgehenden Gottes- und Bechtslebre soviel Ueberbleibsel seiner Schriften, Worte, und Thaton ab nur möglich sorgsam zu erhalten, mächtig dahin wirken raussten, dass wir von keinen Manne des 6ten oder 7ten christl. Jabr^ hunderts durch tieberlieferung soviel wissen können als von ihm. Allein schon das Grosse und Einzige dieser Erscheinung selbst bietet für seine genügende Auffassung kein geringes Räthsel; und wenn die Nichtmuhammedaner darüber unend- lich leichter und freier urtheilen können als die Moslims, denen jeder ernste Blick aus ihrem Zauberkreise heraus al*-* lerdings durch die Eigenheit ihrer Religion unmö^ich ist, so steht ihnen desto naher die Gefahr, die sonderbare Erschei- nung um die eine oder andere Stufe niedriger zu stellen als sie in der Wirklichkeit gestanden haben muss.

. Das ganze religiöse Wesen des Mannes der sidi das Sie- ^1 der Propheten nannte und der auch in derThat, wie die Geschichte nun im Grossen gelehrt hat> der letzte Prophet weltgeschichtlicher Bedeutung geworden ist, wie sollen wir es uns denken? Diese Frage drängt sich auch dem reine«

des L^ens IMammed'i. 175

Gesehiehtoforspcher üsf« iukI der Verf. hat darüber eine An- sieht aufgestellt^ welche viel- Schein hat Er glaubt nämlich aas yerschiedeneik Anzei<^n in den arabischen Erzählungen über sein Leben die Meinmig der Byzantiner vertheidigen zu können^ dass der grosse, starke, bis in Aein föstes Jahr ge« sund und kräftig wirkende Mann an der J^il^sie fortwäh-* rend gelitten habe; die Selbstiäuschüng worin er sieh befun-' den habe, im Glauben Engel zu sehen und Offenbarungen rom Himmel zu empfangen ^ sei als eine Folge epileptischer Anfölle anzusehen y und jedesmal wann er eine Offenbarung empfangen (welehes nach den geschichtMcfaen Spurenr sehr hätti% der Fall gewesen sein muss), sei er ron der fidlenden Smdrt ergriffen gewesen. Aehnlich ist es, wenn der Yerf!^ meint, im Innern Mubammed's sei zuerst „Reflexion*^ gewe- sen, ^döiitt sei eist ^Phantasie*' hinzugetreten. SoYiel jedoch ich selb^ von dem allgemeinen Hergange der drei Zeitstufen yenstdie jn weiche sein ganzes Leben zerfällt (bis zum öffent* ticheft Auftretet ak Proj^het, bis zur Flucht, bis zum Tode}'), wäre das Uosse Naohdenken, Berechnen und Klügeln erMi allmäUig in ihm herrschend gewordm; utid was den Zustand heftigster Aufregung und Aaserei betrifit, so wird er ja ve» fielen Propheten des Alterthums berichtet Es ist unsU'eitig sehr verdienstiichy dass der Verf. auch die Aussagen der By--' ^ntiner über Mahammed 's Seelen- und Körperzustand einer nähern Aufmerksamk^t gewürdigt und was sich dafiir nach arabischen Quellen sagen lässt sorgfältig gesammelt hat: doch würde man immer noch eine höhere Ursache zur Erklärung der ganzen Erscfaeinuiig'Muhammed's suchen müssen als Re-« iexion und Epilepsie. Auch scheint- es mir, als habe der Verf. gerade die frühere Geschichte des Mannes, welche doch imf Ckrinde die entscheidende ist und alle spätere Entwickelung in ihrem geheimnissYollen Busen trägt, etwas weniger be* rttcksiditigt und besonders aus dem Qorane zu erklären ge« sucht als die spätere.

♦) Der Verf. hall nicht diese drei Zeiträume fest, sondern tbeilt das ganze Leben Mahammed's in neun Hauptstücke r vielleicht we- niger passend als die Sache selbst es fordert.

176 lieber eine neue Bearbeiiung

Sehen wir sodann auf die lange Reihe der Thaten oder Begegnisse Mahammed's : so werden uns viele ganz gewöhn^ liehe und leicht erklärliche, aber auch nicht wenige wunder- bare- erzählt; und wie diese letztern zu betrachten und zu behandeln seien, ist hier wie in allen ähnlichen Fällen die schwierigere Frage. Der Verf. hat gegen alle solche Wun- dererzählungen eine gewisse Abneigung und die meisten er- zählt er gar nicht; in der That giebt es auch eine Menge solcher Erzählungen, besonders von der ausiuhrlichem Dar- steliungisart, aus denen man nichts sieht als den Glauben und dazu die Redekunst der Zeiten in welchen sie entstanden* Allein man sollte doch nie vergessen, dass wir hier von Haus aus auf einem Gebiete der Wunder uns befinden, wobei ea nur auf das Mehr oder Weniger, sowie auf die eigenthüm*« liehe Weise der Wunder und Wundererzähiungen ankomiDii* Hier alles ohne nähere Unterscheidung zu verwerfen, möchte auch bei einem Propheten und ReUgionssttfter wie Muhasn^ med nicht recht billig sein, noch den Anford^ungmi geschieht- licher Wissenschaft genügen; denn sogar wenn solche Erzäh- lungen uns nichts anzeigten als wie die Zeitgenossen ^der die allernächsten Nachkommen einen Mann wie Muhaminedt in seinem Gehen und Stehen auffassten, würden wir sie ab eine Art von geschichtlichen Zeugnissen und Spuren niel^ übersehen dürfen. Das richtige Verhalten zu ihnen schiene mir also dieses zu sein, dass man zwar alles der Art wat erst Spätere in dem rhetorischen Zeitalter erzählen, streng sonderte und höchstens beispielsweise einiges davon erwähnte, was dagegen in so aken Quellen, wie die zuvor erwähnte Sirat alrasül ist, sich findet, überall einer nähern Ansieht imd Untersuchung oder wenigstens der Wiedererzählung wür- digte. Wir haben ja in diesem Gebiete den seltenen Vortheilr dass wir die verschiedenen Zeitalter in denen diese Erzäh- lungen sidi ausbildeten und festsetzten, im weitesten Um- fange übersehen und ruhig mit einander vergleichen können» Am Ende des Lebens Muhammed's wirft der Verf. auch die Frage auf, warum er nichts bestimmtes über seinen Nach- folger ausgesprochen habe. Ich möchte darin weniger eine

dM Lebens Mähämmed's, 177

tädeln^ürdige Unealsehlosstoheit Muhciinined's sebefr,- als viehoebr eine unansweichbare Folge der ausser^rdentlichiiti StelloDg woriti er sich befefid und in der ibm schieehterdingl niemaiid im gewöhnlichen Sinne 'dds Wortes nachfolgeiV'noch ihn beerben konnte. Hier konnte kein damals gebomer Füfa-^ rer dem Führer» kein Fürst odeir König dem gleidien folgeif: und dass Afubammed dies fühlte und nicht etwa i^nen Lieb^ img zum Nachfolger ernannte, würde ififa ihm ßher für etwa^ gttües. als fHr einen Fehler anredmen. Oer Drang 'der Uifl^ Stande iBwang freilich nach dem wirklichen Tode des Mannes seine Anhänger ihm aus eigner Wahl einen 'Nachfolger, ei- nen ChaKfen zu geben: aber die Geschichte zeigt auch, wi^ weit das überhaupt möglich war, und dass schon Ton Mua-^ via oder vielmehr von Othman an der Name eines Chalifen weselitiich sinnlos war. Auch möehte ich nicht mit dem Verf. m^nen, Omar habe sieh bei dem Tode Muhammed's „aus Politik^' nur so gebellt als sei der Prophet unmöglich ge<- sterben, und habe danach das Volk zu bearbeiten gesucht. Soweit ich diesen zweiten Chalifen, mit dessen Geschichte ich mich früher sehr viel nach handschriftlichen Quellen be- schäftigt habe, seinem Innern nach kenne, war überhaupt Po- litik in dilBsem Sinne des Wortes nie seine Sache, und am wenigsten war er wohl in einem solchen Augenblicke der Verstellung fähig. Die wichtige Erzählung in der Strat al- rasül Fol. 276 f.*) würde auch kaum den Sinn haben kön- nen, den ihr der Verf. gegeben hat: sie will entschieden kei- nen andern Sinn geben, als dass Omar und viele andere mit ihm von der Gewalt jenes schmerzlichen Augenblickes hin-

*) hl der Stelle welche der Verf. FoL A aus dieser Handschrift darüber hat abdrucken lassen, sind durch Versehen hinter abü bekrin ausgefallen die Worte: jaumaidin. qäla . vaachadahä -Inäsu an abi bekrin. Uebrigens ist dies auch die Hauptstelle woraus der Verfasser beweisen will, dass Abubekr nach Muhammed's Tode selbsteigen manches für jden Qoran erdichtet und in seine Sammlnng eingeschoben habe: der Beweis dafür scheint mir wenigstens aus den Stellen Sur. 3, 138. 21, 35 f. vgl. 3, 186. 29, 57 nicht sicher ge- führt zu werden.

Zeitschrirc f. Oes«liichtsir. I. 1844. 12

178 lieber eine neue Bearbeitung des Lebens MufuimmecTs.

gerissen, an einen wahren Tod MuhammedTs wirklich nicht glauben konnten und deshalb den Ausspruch wie vergessen hatten, in welchem der Prophet selbst vor Jahren seinen ein- stigen Tod angekündigt hatte; weder dies ist unglaublich, noch dass Muhammed wirklich seinen Tod vorausgesagt habe. Nach der Schlacht von Ohod, als er für todt gebalten war während Andere riefen, dass wenn auch der Prophet gefal- len doch sein Gott noch lebe, hatte er wohl Veranlassung zu einem solchen Ausspruche; und eine gewisse Nüchternheit in dieser Hinsicht liegt überhaupt im Wesen Muhammed's.

Doch was Omar betrifft, so wird der gelehrte Verf. selbst bfild Gelegenheit haben über ihn und seinen Geist weiter zu reden. Wir können nämlich den Lesern ankündigen, dass der Yerf. auch das Leben der Gbalifen, zunächst das der ersten vier in einem besondem Bande, auf ähnliche gründliche Weise aus gedruckten und 'handschriftlichen Quellen zu beschreiben beabsichtigt; und wir wünschen ihm dazu alles Gedeihen,, sowie alle gute Unterstützung, welche vorzüglich die Besitzt oder Bewabrer von Handschriften ihm gewähren können. Tübingen, 29. Dec, 1843.

Ewald;

Vie politique et civile de Thomas Becket, chancelier de Henri IL, ArchevÄque de Canterbury, par C. Bataille.

Paris 1842. 80. 310 pag.

So sehr wir auch die verdienstyollen Leistungen der neuem /ninBösisehen Geschichte anerkennen mögen, so wer- den wir doch immer durch die Art und Weise wie die Be- wegungen des öffentlichen Geistes auch auf dem umfriedeten Gebiet der geschicbtliGhen Wissenschaft ihre Herrschaft gel- tend machen, gestört und Terletzt werden müssen. Was nur imner das französische Leben in seinen Tiefen wie auf sei- ner Oberfläche erregen mag, in den historischen Werken der Periode findet es seinen getreuen Abdruck. Wir besitzen deren nn ttitrakatholischen, ultraliberalen und conserrativen Sinne, wir haben Geschichtswerke von allen möglichen Standpunk- ten aus geschrieben, nur nicht von dem wahrer Wissenschaft- lichkeit Den Inhalt des Geschehenen zu erforschen, in die Tiefe geschichtlicher Erscheinungen sich zu versenken, und das Leben der Nationen und der Einzelnen unverfdlscht zu reprodnciren, ist was die neuern Historiker meist noch we- niger kümmert als die altern. Bei ihnen handelt es sich nur darum, welche Gonsequenzen für diese oder jene Parteifrage des Tages sich aus diesem oder jenem Ereigniss ziehen lässt; von einer wissenschaftlichen Objectivität, von dem wahren Yerstiindniss der Geschichte wissen sie nichts, der Lärm des Tages lässt zu einer sinnigen Betrachtung des Vergangenen weder Zeit noch fi«im.

Das heutige französische Leben, man weiss es nur zu gut, ist von den Bestrebungen des Katholicismus erfüllt, sich zu rehabilitiren , die Gemüther wie vordem zu beherrschen und nebenbei jeden äusseren Yortheil, der sich darbieten möchte, nicht zu versäumen. In dieser geistigen Atmosphäre ist auch vorliegendes Buch geschrieben und von ihren Ein-

12"

180 Vie poRtique et civile de Thomas Becket^

Aussen ganz und gar erfüllt eine Apologie der katholiscben Kirche und ihrer Ansprüche auf weltliche Herrschaft, wie man sie dem heutigen liberalen Frankreich nicht zutrauen sollte. Aber auch eine solche würde man gern willkommen heis- sen, erfüllte sie nur die massigsten wissenschaftlichen An- sprüche. Unser Autor zwar klagt über die Herrschaft des Ro- mans, er wendet sich mit seinem Buche, das nichts von der Lüge schöner Täuschungen entlehne, an die geringe Zahl Le- ser, welche für ernste geschichtliclie Darstellungen Sinn hät- ten; er spricht von seinen Studien und Unters^uchuiigen und rühmt sich eine der wichtigsten Tfaatsacben wenigstem un*- ter einer neuen Form dargestellt zu haben. Keinem einiger«* maassen mit der Sache Vertrauten wird er aber durch solebe Redensarten impontren. Sern Buch ist nichts mehr und nichls minder als ein geschichtlicher Roman, der den Ideen des mo>- dernen Katholicismus auch in den untern Kreisen Eingang verschaffen soll. Nebenbei aber auch ein Plagiat der settsam--» sten Art. Die schwierigste Periode der englischen Geschichte hat der Verf. zu behandeln unternommen, ohne die zahlrei«' oben und wichtigen gleichzeitigen Do<mmente, -^ ich will nicht sagen zu durchforschen und zu ergründen, das vermö* gen selbst Männer wie Tbierry nicht, aber ohne sie zu lesen, o)ine sie selbst auch nur dem Namen nach zu kennen« Er weiss nichts von der so wichtigen Biographie des faeit Thomas, die sein Kleriker Wilhelm, der Sohn des Siephanw (darum Stephanides genannt) verfasst, nichts von dem sprach^ lieh und geschichtlich nicht minder m^kwürdigen altfranzö^ stscben Leben desselben Heiligen, das Immanuel Bekkeir 1838 aus einer Wolfenbattier Handschrift herausgegeben, und des*- sen Lücken, er so gut' naeh den Pariser Codices hätte aus«- fiillen können.*) Er kennt nicht die aus beiDah 600 Briefen bestehende Gorrespondenz zwischen Thomas, Aletander IH. und Heinrich H.; er weiss nichts von den Arbeiten der Ben

*) Neuerdings hak Leroux de Lincy aus letzteren in der Bi- bliofteque de Töcote des Charles IV. p. 208 dankehswerthe Mtlth^i- langen gemacht.

Archetf^ue de Canierbury, par C. Bataille, 181

nedictiner, seiner Landsleute im XVI. und XVII. Bande des Recueil des historiens de France, und um die mehr oder minder gleichzeitigen engliscben und normannischen Chroni-- ken kümmert er sich nun vollends gar nicht. Bei einem so wichtigen, den innersten Nerv des politischen und kirchlichen Lebens der Nationen berührenden Streit, wie- der zwischen Thomas von Ganterbury und Heinridi II. war, hätte es je- dem Andern unerlässlich erschienen, auch die früheren Zu* stünde des Staats und der Kirch<$ in Betrachtung m ziehen, £e dutrch Recht und Growohnheit eingeführte Scheidung ih- rer beiderseitigen Gewalten zu erfassen und jenen Kampf in seiner nationalen und universalen Bedeutung zu erkennen. tFnserm Autor kg Niebts fem^ als alles dies. Sein ganzes Wissen hat er vielmehr au$ einem höchst mangelhaften Stu- #iuiti d^r sogenannten Vita quadripartita (von Johann von Sa- üsbury^ -Heribert Von Bosaham, Wilhelm von Ganterbury und d^m Abt' Alamis verfasst), aus Lingard und aus thierry ge- schöpft. Er hat sich ^kht gescheut, im buntesten Gemisch QueHe und Httlfsifiittel abzuschreiben und die Lücken mit Redensarten loft der seltsamsten Art auszuftillen. Besonders 0ft aber bat d^r Letztere dies Schicksal gehabt; will man sich die Mühe geben unserm Verf. zu folgen, so wird man leicht Thierry's Worte und Wendungen, sdbst da wo er ihn nicht anfuhrt > auf's^ Genaueste wiederfinden können. Wun- deii)arer Weise. aber gelrinnt doch die ganze Erzählung un^ ter seinen Bernden eine andere Farbe und Form. Denn wäh- rend Thierry dön Erabisohof von Ganterbury allerdings nicht getiiug zu ehren weiss, in ihm aber doch nur dem Träger Und Votkämpfe*' der aksächsichen Opposition im No**mannen- staate huldigt, macht er sich darum nicht zum Vertheidiger dör mittelalteriiehen« Kirche und ihrer weltlichen Ansprüche,, und hat noch neuerlich von Capefigue den Vorwurf hören müssen, dass er die grosse organisiteiide Idee des Katholi- cismns nicht begriffen habe. Sein Ausschreiber behält zwar j^ne Grundidee bei, weiss aber zu gleicher, Zeit in ziemiidi geschickter Weise Alles zum Ruhme l und Preise der Kirche und ihrer Diener zu wenden und umzudeuten.

183 Vi^ poüiique et civik de Thomas Becket,

Sehen wir auf einige Augenblicke von dem vorJiegeaden Buche ab, und prüfen wir die von Thierry mit Geist und Geschick vorgetragene Ansicht, dass in dem Kampfe des Erz- bischofs Thomas gegen König Heinrich IL nur ein schmerz-- liches Ringen der unterdrückten sächsischen Nationalität ge- gen die Tyrannei und Brutalität der französischen Norman- nen, ein letztes Aufathmen dieses kräftigen deutschen Yolks^ Stammes zu erblicken sei» so lässt sich nicht läugueni dass diese Idee für den er^en Augenblick etwas ungemein bhw^ dendes und imponirendes hat In der Thal auch hat sie si^ in Deutschland viele Anhänger, unter ihnen die tüchtigistea und scharfsinnigsten Historiker, zu verschaffen gewusst. Und wie sollte man auch dieser Ansicht seioen Beifoll versage»? Die Kirche hätte, meint man, ihre hohe, acht humane. IfisH sion, die Uliterdrückten und Bedräofgten in ihre Atm^ aaa nehmen, sie gegen die rohe weUüehe Gewalt zu schützen« sie aufzurichten und zu trösten, auch hier verstanden und auszuAihren gewusst, und so könne kein Zweifel sein, wekhe Partei bei diesem Streite im Rechte. gewesen. Sehen wir aber näher zu, forschen wir nach den Beweisen, so zerfliesst auch diese glänzende Idee wie so viele andere der modemen französischen Historiker in Nichts. Wir erkennen vielmehr, dass Thomas, weit davon entfernt aus säahsischem Blute zu entstammen, ein so guter Normanne als alle Ritter am Hofe Heinrichs war, wir erfahren durch die vollgültigsten Beweise, dass sein Vater aus der villa Tierrici in der Normandie ge- bürtig und ritterlichen Standes war. Und dies Alles ersehen wir aus dem Stephanides (ed. Sparke p. 11), der auch Thierry bekannt und von ihm vielfach benutzt ist. Nun wollte es das Unglück, dass er gerade diese, seine ganze Hypothese um-^ stürzende Stelle iU>ersehen musste. Ueberhaupt aber liesse s^ii ge,gen des sonst so verdienten Historikers Ansicht vom Sächsisch -Normannischen Staate im Uten und 12ten Jahr- hundert manches einwenden. Das leidige Generalisiren hat Ihm. auch hier einen bösen Streich gespielt; denn anstatt die Zustände Englands in jener Zeit in der Fülle ihrer Indivi- dualität zu erkennen^ das nationale und kirchliche Leben in

ArcheeSque de Canterbury^ par C. Bataille. 18t

semeo unendlich zahlreichen Abstafiingen und Ibdificationen zu erforschen 9 hat er sich begnügt, nur zwei Classen Ein* wohner wahrzunehmen: die Eroberer und Unterdrücker nor- mannischen Bluts und die Unterworfenen sächsischer Ab- stammung. Er hat nicht bemerkt, dass von einer völligen Verknechtung eines Yolksstammes durch den andern, wie sie im Alterthume vorkommt, bei germanischen Staaten gar nicht die Bede sein kann; dass hier vielmehr die unterworfenen JMwen in ihrer Integrität von den siegreichen Eroberem erhalten, dass in England namentlich eine so kastenhafte Un- terscheidung beider Stämme nie festgehalten, sondern von den Königen die innigste Verschmelzung i>eider in Sprache, Recht und Gewohnheit beabsichtigt und durchgeiiihrt wor- den ist Ohne eine solche wäre denn auch die moralische Energie des englis^en Volkes ein wahrhaft unerklärliches poUti^hes Rätb^el. So w^ss Thierry denn auch nicht, dass •elbst manche sächsische Edlen höhen, und viele niederen Adels auch oaeh der Eroberung ihre Güter behalten und sich mit dem norntandischen später vermischt haben; ihm ist völ- lig unbekannt» dass «luch umgekehrt eine Ergiessung norman- nischer Conwanderer in die rein sächsischen Städte stattge- fimden hat Zur letzteren Classe gehörte auch Gilbert, der Vater unseres Thomas, der, obwohl ritterlichen Standes, doch eine Londoner Bürgerin heirathete und daselbst Bürger ward, wodurch wie bekannt, er dem niederen Adel des Königrei- ches, der gentry, gleichgestellt wurde. Doch gehörte sein Sohn darum nicht zu den Sachsen; wir besitzen vielmehr den voll- ständigsten Beweis, dass Thomas durchaus sich nur als Nor- manne fühlte, in der von Palgrave Tom [i. bekannt gemach«* ten Schrift über den Streit des Abts Gauterius de Bello mit dem Bischof Hilarius von Ghichester; nirgends auch tritt das Moment des sächsischen Ursprungs in seinen zahlreichen Brie- fen und Herzensergiessungen hervor/) nirgends findet sich

*) Auch der Name Decket, unker dem Thomas einmal in der Weltgeschichte bekannt ist, möchte ihm mit Recht streitig geouieht werden können, da keine der drei Biographien, kein Brief oder sonstiges Document desselben erwähnt. £r findet sich zum ersten

184 Vie politique et civile de Thomas Becket, '

nur irgend eJn^ Sympathie der siclisischen ißevölkeruivg för Thomas angedeutet. Man überzeugt^ sieh leicht, d«ss diese glänzende Hypothese von Thierry jedes, auch des geringsten Fundamentes entbehrt, und man wird bald zu d^r Ansieht gefiihrt, dass jenem Kample ganz andere Principien zu Grunde lagen, Ideen wdlt uniTerselleren Inhalts und allgemeinerer Bedeutung, dass es ein Kampf war des nationalen Rechtes des Anglo-Normannischen Staiates gegen die das nationale Leben in seiner Quelle angreifende EMfiihning des caBöni* sehen Rechtejs, dass dieser Kampf wesentlich Englands spä-«' tere Selbstständigkeit und Nationalität gesichert hat

Wollen wir nun auch Thterry, der nun einmal in seiner vopgefassten Meinung befangen warv keiheia Vorwurf daraus m&ohen, dass ' er das Wesen jenes denkwiirdigeh Streites zwischen Staat und Kirche so vbllig verkannt hat, so liesse sich cbcft an den späteren GeiscUditschreibeir eine hÖUerq Anforderung' stellen, «nd zwar iim so mehr, als ertsidil'ja freiwillig 2üm Yertheidiger der Kirdheun«(ibrear' Rechte a^ geworfenr^fiat. Aber unser Autor ist weit davon entfernt, vim der Entwic^kelung der Kirche, von der Auisbdreitung ihneB Rechtes und von ihr^n Ein- und Uebergriflbn in das' bttrger«* liehe Leb^ eigelife Vorstellungen zu hab^; er begt^i^ aioti auch an den Punkten, wo dies etwa in Frage kommen köntitej Thierry ganz einfach abzuschreiben.

(Jeberhaupfi aber giebt das Buch, in den Theilen wo wir ihm eine bedingte Selbstständigkeit zuerkennen müssen, Zeog- niss von dein leichtfertigsten Studium des Verfassers. . Jener Fiction vom angelsächsischen Ursprung des Erzbisehofs Tho« mas ;^u Liebe erfindet' er gradezu pag. d. dass derselbe in Frankreich das Französisebe studirt, p. 53; dass man ei als

Maie in defiö thron, des J6atnie3 Bromton/ welches aber waht^ sbheinlioh erst unter Eduard Ilt verlasst worden, und zwar hter in einer so sagenhaften Umgebung und in so nahem Gonnex mit dem Yolksli^e bei lamieson, dasö ei' tiin deswillen schon Verdacht ^r^e^. Ich denke diese utod^ ähnfrche verwandte Fragen in deti Ei^enrsen zu meiner dtfmnächsl'heranszUgebendenGeschiclitoEiig- liiWdd im Uten und 12ten Jahrhunden näher zu belenciliten.

Arcket>ique de Canlerhuryy par C, Batailk, 185

eine kohe Gunst befraehtet, dstss der Sohn eines Angelsaeh- sen zur obersten geistticken Würde gelangt sei, und p. 180 dass Heinrich nachher durcbf seine Absetzung eine hervortre- tende Opposition der Angelsachsen habe unterdrücken wol- len. Es fehlen nieht die gröbsten Verstösse, die seltsamsten Widersprüche. So keisst es p. 43. dass Theobald, der Vor- gänger des Thomas, vor der Thronbesteigung Alexander's III. gestorben wäre, während der Verf. ihn auf der vorhergehen- den Seite Alles aufbieten lässt, um Heinrich zur Anericen- nting jenes Papstes zu bewegen. Bei dieser Veranlassung kommt noch eine historische Unwissenheit zum Vorschein. Durch eine komische Verwechslung macht er die weltbekannte ScUachft bei Legnmio zu einer Seeschlacht, und lässt hier die Vene ti an er den Kaiser besiegen und darauf ihren Do- gen mit dem Adriaftischen Meere sich vermählen. Die Vita quadrip^ fet wie gesagt <fie 'einzige Quelle, die der Verf. ge- lesen; aber ilie Gitale hieraus sind meistens so verkehrt, dass mran sich freuen muss, wenn ein einzelnes einmal eintriflt. sind ^Pälle' nicht selten^ wo Thierry ganz richtig Briefe und andere Documeilte nflch dem Retnieil citirt, unser Verf. aber,' um einen gewiissen Schein von Gelehrsamkeit zu ret- im, eta g^adezu etfondenes, sinnloses Citat hinsetzt (so p. 181. 13Ö. 214. 216).

Eine ' erträglieh riditt ge- Chronologie vermisst der Leser ebenfalls v&Hig; so ist es bekannt, dass Thomas das Kloster m Pontigny, wohin er sich geflüchtet, im Jahre 1166 verlas- si^n i»usste; der Verf. setzt, ohne die geringste Gewähr da- t&T »h^sugebeA, dtes in das Jahr 1 (68. Es srteht nicht minder fest, dass erst vs\t dem -Jahre 1173 jene bekannten Empörun- gen der Söhne Heinrich*s II. angefangen; Unser Autor lä^st ibn S. 57 schon im Jahre 1162 hierdurch argwöhnisch wer- den. Wir wissen, dass Alöxander III. zur Schlichtung des föf ihn höchst peinlichen Streites vi er Gesandtschaften zu König Heinrich absandte; rtiaii ersieht leicht, dasS die obsch webende Frage bei jeder in: eitt anderes Stadium getreten, und äie SieiluAg des Papstes zum englischen Könige durch sciii mdbi oder imnidcr günÄtigies Verhältni^siiri'^et dotiiialigcn cüropÄi-

186 Vie poHtique et civile de Thoma$ Becket,

sehen Verwickelung bedingt war. Herr B. kennt nur die bei- den ersten Legationen, und hat von dem Einfluss der^ailge* meinen Zustande auf die englische Frage nur die verkdirte- sten Vorstellungen (p. 163).

In dem materiellen TheHe der Arbeit dem Verf. wei- ter nachgeben zu wollen, wäre ebenso vergeblich als ermü- dend. Begnügen wir uns einige Blicke auf seine Charakter- schilderung des heil. Thomas zu werfen. Schon das Shake- speare'sche Motto, das Herrn Bataille's Grundgedanken über Thomas ausspricht: „ein Herz so fern vom Truge als der Himmel von der Erde" bezeichnet diesen feinen, gewandten, lebensfrohen und lebensklugen, aber von den hierarchi$ebeii Ideen durch und durch erfUlHen, dabei energischen und ge- waltigen Charakter ganz und gar nicht. Er war viebnehr ehtr geizig, Hess sich des Königs Dienste und die höchste Ganz- lerwnrde gefallen, so lange sie ihm Ehre und üi^floas, Reidi- thum und Wohlleben versdiaflten; er gab sie aof, sobald ihn ein höherer, mit der Palme des Martyrerthums gekrönteF Ehr- geiz in die Arme der Kirche lockte. Es ist falsch und nur durch des Verf. Unwissenheit zu enüchuldigen, wenn er be*« hauptet, Thomas habe sich ernstlich geweigert das ihm an- gebotene Erzbisthum Ganterbury anzunehmen, und Niemand habe ihn des Ehrgeizes beschuldigt Wir wissen vielmehr gtn« genau, aus dem Briefe Gilbert Foliot's von London, welche Intriguen, Drohungen und Einschüchterungen Thomas in Be- wegung gesetzt, um die höchste geistliche Würde zu erhal- ten. Wir sehen ihn auch unmittelbar nachher daran gfh^n^ seine hierarchischen Pläne zu verwirklichen, und WjBun ,er bei dem kräftigen Widerstände Heinrichs noch einmal zu- rücktritt, als er den König mit allen geistlichen und weUU- chen Lords vereidigt sieht, die Freiheiten des Staats und d^ Landeskirche der Römischen Curie gegenüber zu wahren, so geschieht dies nicht aus der guten Absicht, die entgegenge- setzten Parteien zu versöhnen , wie Herr B. p. 88 will, son- dern ist nur ein natürliches Schwanken seiner sonst so krtf- tigen Seele, bevor er sich dem Tode weiht. Dieser erreicht ihn bei seiner Bückkehr nach England; er hatte ihn lange

ArchevSqtte de Canterhury, par C. Bataille. 187

sehnlichst gewünscht und erwartet. Noch konnte er fliehen ohne seine Ueberzeugung im Mindesten zu verläugnen. Er will es nicht, er stirbt Gewiss auch ein Martyrerthum für eine Idee; aber wie unähnlich jenem der erßten Blutzeugen mit seinen reinen innerlichen Motiven! ein Martyrerthum des Ehrgeizes und kirchlichen Hochmuthes. Und aus diesem zaben und consequenten Charakter, aus diesem scharfsinnig gen Denker und feurigen Redner, macht der Verf. ein lamm- frommes Gemüth, voller Demuth, Resignation und Reue, mit einem Worte einen F^n^lon de la terre de Kent! Es versteht sich dabei von selbst, dass in des Verf. Darstellung die Geist* lichkeit überhaupt ein Muster jeder Tugend ist, und nur der Hof des Königs aus den verdorbensten Menschen besteht, während doch die Zeugnisse selbst der kirchlichen Schrift- steller, und namentlich auch jene vita quadrip., die Verderb- niss der Geistlichen nicht arg genug schildern können. Aber dass sie Räuber, Mörder und Ehebrecher waren, dass die Staatsgewalt hier mit starker Hand eingreifen musste, und dass darüber wesentlich auch der Kampf entbrannte, darüber will und darf der Verf. kein Wort sagen.

Haben wir dieses dürftige Machwerk der modernen ka- tholisirenden Presse Frankreichs ausführlicher besprochen, als es dasselbe verdient, so geschah es theils der Wichtigkeit des Gegenstandes halber, theils aber auch um derartige Insinua- tionen ein iiir allemal aus dem Gebiete der Wissenschaft zu verweisen. Will diese ultrakatholische Partei durch die Wis- senschaft für ihre Zwecke wirken, so geschehe dies mit wis«» senschaftlicher Gründlichkeit und Gediegenheit. Vermag sie dies nicht, so thut sie besser zu schweigen, und ihre Kräfte alle auf den Punkt hinzulenken, in den glaubens- und liebe- leeren Gemüthern den Saamen wahrhaftigen und lebendigen Glaubens zu säen. '

Dr. R. Wilmans.

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5.

la einer Versammlung der numismatischen Gesellschaft in London, welche vor einiger Zeit unter dem Vorsitze Lord Gonynghttm'a stattfand, theilte der bekannte Numismatiker, Herr Professor Akerman, mit, dass man in dem Kirchspiel Grondall in der NUhe eines alten römischen Lagers, das den Namen „Gäsars Camp'' führt; mehre alte Goldmänzen aus den Zeiten der Merowinger gefunden habe. Wenigstens zeigten es einige Stucke deutlicb, dass sie den ersten französischen Königen dieser Dynastie angehörten. Dagegen fanden sich darunter mehrey w^che fUr den Numit* matiker durchaus neu sind; sie zeigen auf der ein^n Seite ein bartloses Mannesantlitz und ein Kreuz; auf der anderen das Wort „LVNDM^II'' mit einem Kreuz idnerhaU) eines Kreises. Bs ist wohl bekannt , dass vor Zeit der Merowinger die Münzen Englands nur aus Silber gefertigt wurden, aber die aufgefundenen Stücke scheinen doch eine Ausnahme von dieser Regel za sein; dena Herr Akerman erkUbte dieMiben. oha« Bedenken für eng« lische, aus welcher Zeit sie auch immer stanunen möchten. Auch sollen sie nach seiner Behauptung aus Londoner Prägstätte sein. Der Besitzer der Münzen ist Herr G. E. hetroj In Ewebrt

Eine ähnliche Entdeckung dieser Art, die inüess von grösserer hiälo- rischer Bedeutung ist, wurde vor kurzem auf der Insel Ceylon, wie der Ceylon herald meldet, zu Manaar' gemacht. Unter dem Fundamente ei- nes sehr alten Gebäudes fand man Th^ile eines römischen Daches, und nach Forträumung des Schuttes einen goldenen Ring mit den Zeichen ANN. PLOG. von antiker Acbeit, ganz glatt und ähnlich den Exemplaren im bri- tischen Museum, welche von römischen Rittern getragen sein sollen. . Man kann vielleicht den ehemaligen Besitzer dieses Ringes aus einer Stelle beim HInias ermitteln, wo es heisst, dass der Zoll- Pächter «tm rothen Meer, Annius Plocaniua, im Jahre 60 n. Chr. durch einen Sturm an die Küstea von Ceylon verschlagen sei. Derselbe war vom Ritterstande.

Die Numismatik, nicht als Liebhaberei sondern als Wissenschaft, hat in England ausgezeichnete Vertreter, deren Arbeiten auch auf- dem Gontiaen^ vom Historiker dankbar aufgenommen werden. Eine kurze Notiz einiger neu erschienenen Werke auf diesem Gebiete historischer Wissraischaft dürfte» darum von Interesse sein. Cardwell und Akerman sh&d gegenwärtig die bedeutendsten Numismatiker Englands; der erstere ist Professor an der Universität Oxford für alte Geschichte, und hat vor einiger Zeit seine Voi^ lesuugen über das Münzwesen der Griechen und Römer veröffentlicht (Leo- tures on the Coinage of tbe Grecks and Romans ; deliverd in tho Univer- sity of Oxford by Edward Gardwell D. D. PriocipeS of St, Albans Hall anü Gamden Professor of AncientHistory) ; der Letztere ist, ein tbätiges MligUed der Akademie der Wissenschaften in London, und man besitzt von ihm zwei bedeutendere Werke über Numismatik: A Numismatic Manual by Yonge Akerman und A Descriptive Gatalogue of Rare and Unedited Roman Goins from the earliest period of Roman Coinage to the Extinclion of the Empire under Constantinus Paleologus with numcrous Plates from the Originals. 2 Theile. Das letzte Heft des Quarterly Review beleuchtet in einem längeren Artikel den Werlh dieser Schriften, von denen die des Dr. Card- well ihrer wissenschalllichen Form und der gründlichen Forschung wegen

di« ec»t«^Slalle einniminl* M«ft erbttU in deri^UMn nksbft allein eine An- leitung. 2ur PQutiing <ler. Bilder auf den tf Unzen ; sondern aooli eine voH« ständige GesctUcbte der Prfigekanst bei den Alten, denen Verständniss zu jener Deutung, d. i. zur Aufklärung lustoriacher Ereignisse unerlässlich ist, Bemerkenswerth ist es, dass Dr. GaiHwell der allgemeinen Annahme, die firütaesten Münzen wären mit dem Bilde eines Stieres oder wenigstens ei- ner Art von Yieh bezeichnet gewesen, entgegentritt. Diese Annahme beruht bekanntlich auf der im Orient so verherrschenden Anbetung des Stieres und zürn Beweise, dass man zuerst das Sinnbild derselben den Münzen anfprägte, dient gewöhnli^äi die Stelle der Genesis 33, 49 wo es hetsst: „Jakob kaufte ein Stück Land am hundeit Stüc&e Geldes;'' denn der he- bräische Originaltext fgr „Stücke "Geldes" lautet „Kesitoth", was „Lämmer^' heisst, mit deren BUdem die MefaDstücke wahrscheinlich bezeidinet waren. Obschon auch PliniuS (H. N. XXXIIL 3.) Ton dem ersten Metallgelde sagt: „signalnm est notis pecudum, unde et pecunia appellata'' so bleibt doch Dr. Gardwell bei seiner Behauptung stehen und bemerkt: „Was die ersten Münzen Rom's betrifft, so müssen wir gestehen, dass wenn sie wirklich mit einem „pecus'' bezeichnet worden sind, doch kein Stück einer solchen MUnzsorte jetzt mehr existirt/' Der Reviewer des Qüaxterly berichtigt indess hier den gelehrten Doctor, und behauptet, dass es im britischen WW- senin ein Original-Exemplar von einem römischen As gäbe, worauf das Bild eines Stieres sich fände. -Ebenso widerlegt derselbe den Autor in Bezug auf die griechischen Münzen , von denen Dr. Gardwell gleichfalls sagt, dass man noch kein Stück in Athen oder sonst wo gefunden habe, das, wie Piutareh von den Münzen der Zeit des Theseus berichtet, einen Stier als Gepräge habe, und dass man Überhaupt deshalb deren frühere Existenz bezweifeln müsse. Der Gegenbeweis des Reviewer's ist etwas weit herge*^ holt und ziemlich wiHküriieh. Homer lässt nämlich U. 6,936 den Diomedes die vom Glaukos eingetauschte Rüstung auf iitcerofLßol iwsaßoltav schätzen, d. i. nach der Meinung des Reviewer's nicht auf 409 wirkliche Stiere mit Hörnern und Hufen, sondern auf 409 Stiermünzen, welche zur Zeit des Trojanischen Krieges in Athen, wo Menestheus, der Nachfolger des Theseus, welcher nach Plutarch solche Münzen schlagen liess, regierte, gäng und gäbe waren. Wottte man jene hundert und nenn Stiere für wirkliche Stiere balten, so müsste man heute auch hundert Sovereigns für hundert wirk- liche Könige halten] S>ie römischen Münzen thetlt Dr. Gardwell in Gon- sular- Münzen, ediche welche die höchsten Magistratspersonen Rom's zum Andenken an Familien-Ereignisse schlagen Hessen, und in kaiserliche Mün- zen, solche welche auf Befehl der Kaiser in Gold und Silber oder auf Ver- anlassung des Senates in Kupfer und Erz zum Ruhme römischer Wohlfahrt und zur Ehre des dieselbe schützenden Augustus geprägt wurden. Unter den erstefen fällt die öftere Darstellung des Hauptes der athenischen Mi- nerva, an den Eulenschwingen auf dem Helme kenntlich, auf, was zu man- nigfachen beutungen Anlass giebt ; die Bedeutung der letzteren besteht haupt- sächlich in der treuen Portraitirung des darauf geprägten Herrscherbildes, welche Sitte schon mit Julius Cäsar den Anfang nahm, und bis zum Sturze des abendländischen Reiches fortdauerte. Doch sind die Bilder der Mün- zen der letzten SOO Jahre schon ungenau und weisen auf den Verfall der Kunst hin.

6.

Unter den neuesten Erscheinungen der armenischen Literatur, deren afuslüfailichere Besprechung wir uns vorbebidten, verdieat besonders eine Biographie Alexanders desQrossen erwähnt zu werden, weldie in S: Lazzaro bei Venedig 4849. gr. B, gedruckt wurde, und wahrschein*

IM MUceUen.

lieh im 5ton Jahrhandert unserer Zeitrectanang verfliMi, oder vielmebr •«• dem Griechischen ttbersetzt, mil den beluinnten Biographien in vielfacher Be- ziehung übereinstimmt, aber auch in vielen Stücken von denselben abweicht,

7.

Ebendaselbst erscheint seit dem Anfange des Jahres 4843 eine neue Zeitschrift in vulgür-armenischer Sprache, von welcher uns der Prospectus vorliegt, Die Mechitharisten, eingedenic des von ihrem Stifter ihnen vorgezeichneten Zweckes,, europäisches Wissen und europäische Bil- dung unter ihren Landsleuten zu verbreiten, eines Zweckes, dem die zu Smyrna und Constantinopel schon seit längerer Zeit von Armeniern ausge- henden Journale „Arschaluis araratean, d, h. die Morgendämmerung vom Ararat" und „Schtemaran pitani gitjeleatZ; d. h. Magazin für nütsliche Kennt- nisse'' nicht vollkommen entsprechen, haben diese Zeitschrift unter dem Titel „Bazmaw^p, d. h. der Polyhistor^ gegründet, welche bestimmt ist, in einfacher, verständlicher Sprache und auf eine angenehme Weise die Fortschritte der Europäer in allen Zweigen des Wissens, die neuen Erfin* düngen und Entdeckungen in Künsten und Wissenschaften aller Art, wich- tige geographische und ethnographische Notizen, so wie ökonomische und tfedicinische Bemerkungen in der Kürze mitzutheilen, Sie enthält im All- gemeinen 3 Rubriken: 4} für die Naturwissenschaften nach ihrem ganzen Umfange, Physik, Chemie, Astronomie und Naturgeschichte i. Zoologie, Botanik und Mineralogie, so wie auch Geologie und BergwerlLskunde ; 3) für die Oekonomie oder Einrichtung des Lebens in den Städten, auf dem ]Lande und in der Familie, wobei durch moralische Erzählungen und Er. mahnungen auf das Gemüth der Leser, namentlich der Kinder, eingewirkt und gezeigt werden soll, was man zu thun habe, um sich und die Seini- gen glücklich zugleich und reich zii machen ; desgleichen sollen darin lehr- reiche Winke für den Landbau, häusliche und diätetische Regeln und nütz« liehe Erfindungen mitgetheilt werden ; 3) für Geographie, Ethnographie und Geschichte der Gegenwart, worin interessante Reiseberichte, Biographien berühmter Männer und die Tagesbegebenheiten besprophen werden. Vor- zugsweise wird dabei auf die armenische Geschichte, Geographie und Li- teratur Rücksicht genommen; und, um das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, sollen kleinere Gedichte, Fabeln, und zur ' Veranscbaulichung des Mitgetheilten, wo es nöthig ist, Abbildungen beigegeben werden. Von dieser Zeitschrift sollen monatlich 3 Hefte veröffentlicht werden,

8. Seit dem Monat August des Jahres 4843 (oder seiC dem Anfang des Monats Redscheb d»J. 4 359 d. H.) erscheint zu Constantinopel die Fort- setzung einer in Deutschland weniger bekannt gewordenen Zeitung un- ter dem Titel „DscherideY havadiz, d. h. Neuigkeitsregister." Sie war früher bis zu der Nummer 4 38 gekommen, und beginnt nach ei- ner dre^ährigen Unterbrechung mit der Nummer 439 unter demselben Re- dacteur. Es wird von derselben regißimässig jede Woche 4 Bogen in gr. Fol., dem Format der Staatszeitung (Takvimi vek^e) gedruckt und ausgegeben, und sie berichtet mit weniger Umschweif über die Ereignisse des In- und Auslandes, erzählt kurzweilige Anecdoten, und stellt in den neuesten' Num. mem schwierige mathematische Aufgaben, deren Lösung in dem nächsten Blatte erbeten und gegeben wird.

Bei den Ausgrabungen auf dem Gallisch- Römischen Begrtfbnissplaiza twischen Das pich (Aspioium) und dem Schloss von Bettange im Ganton und Arrondissement von Thionvilie sind neuerdings Fragmente eines Stein*

Miscellen. 191

Obelisken und daneben das steinerne Standbild eines Stieres von natürlicher Grösse entdeckt worden. Man muthmasst, dass ^b ietstere den Apis darsielle, dass diese ägyptische Gottheit mitbin in den dortigen Gegenden verehrt worden sei und der Ortsname Aspicium von ihr abgeleitet sein dürfle. Daselbst sind auch Medaillen aus der Zeit des Valens und Yalenti- nian's 1, gefunden worden.

10. Das ^Leipziger Report orium der deutschen und ausländischen Literatur^'; das in unermüdlicher und erfolgreicher Weise nach immer grös- serer Brauchbarkeit ringt, enthält unterm 29. Dec. 4 843 eine sehr dan- kenswerthe ^^Uebersicht der den Programmen der Gymnasien u.a. Un- terrichlsanstalten der Königreiche Bayern, Hannover, Prenssen, Sachsen, des Kurfürstenthums Hessen, der Grossherzogthümer Baden, Sachsen-Weimar und verschiedener anderer deutschen Staaten in den Jahren 4 8*42 und zum Theil 4843 beigegebenen wissenschaftiichen Abhandlungen'' (S. 573 ff.}. Da dies^tien naeh Fächern geordnet und auch die Geschichte nebst ih- ren Hülfswissen Schäften vollständig bedacht ist: so darf sich unsere Zeitschrift begnügen, auf dies Jedermann zugängliche Hültsmlttel jetzt und in Zukunft zu verweisen, «ohne wie es die ursprüngliche Absicht war die gleiche Mühwaltung zu Übernehmen. Die Vermeidung des acta agwe ist unter allen Verhältnissen ein Gewinn.

11.

Die Zeitschrift für Münz-, Siegel- und Wappenkunde, her- ausgegeben von B. Köhne, enthalt im öten Heft des 3ten Jahrgangs zwei Aufsätze, welche für den Historiker von Interesse sind: 4) die Römischen auf die Deutschen und Sarmaten bezüglichen Münzen. 8} Münze des VM* nigs Xtikolaus von Bosnien. -^ Jener, iaoch unbeendigf, behandelt die Kai- serzeit bis auf Commodus, dieser die einzige bis jetzt bekannte Bosnische Münze, die sich in der Gappe'schen Sammlung zu Berlin befindet»

12.

Am 22. Dec. des vorigen Jahres constituirte sich in Berlin eine nu- mismatische Gesellschaft; die Begründer derselben sind der Ge- hefmerath Tölken und der Dr. Köhne.

13.

Von G. J. Hermann in Göttingen sind in neuerer Zeit zwei Gele- genheitsschriften erschienen, von denen die eine, durch die Erianger Säcularfeier hervorgerufen, für den Römischen Gultus, die andere, dem Lectionskatalog von 4843 und 44 vorangeschickt, für die Staatsverfassung Athens von Bedeutung ist. Jene ist betitelt : „de loco Apolliois in carmine Horatii saeculari'', diese : „epicrisis quaestionis de Proödris apud Athenienses.''

14.

Von dem historischen Verein der fünf Orte Lucern, Uri, Schwyz, Unter walden und Zug, welcher sich am 4 0. Januar 4843 bildete, liegen uns unter dem Titel „der Geschichtsfreund" ( I. Band. I. Lie- ferung, Einsiedeln bei Gebr. Benziger) die ersten Mittheilungen vor, Sie enthalten 4) Regesten kaiserlicher und königlicher Urkunden des Stadtar- chivs Lucern aus den Jahren 840 4530. 2) Actenstücke über den Reichs- zoll zu Fluelen im Lande Uri 4343 4 353. 3) Kirchliche Documente aus 'den Jahren 4 244 4429. 4) Eine Sammlung von Actenstücken betreffend Hof-, Stadt-, Burg- und Landrechte, Vogtei und Lehen, Bündnisse und Ur- fehden, Eidgenössisches und Oesl§rreichisches 955 4395. 5) Theile des Liber Heremi, namentlich a} Annales Einsidlenses majores 84 4 4 226. b) Ann. EinsidU minores 844—4298.

IM MisceUen.

15,

Das bei Prommanft tu Jena erscheinende dentsche Staatsarchiv, herausgegeben vom Regierangs -Rath Buddeiis, enthalt in seinem 5ten Bande (4844) ausser manchen werthvollen staatsrechtlichen und staetsölco- noraischen Abhandlungen auch interessante actenmässige Beiträge zur neue- sten EntwiclLiung deutscher Staaten. Wir heben daranter namentlich die Yergleichung des Landesverfassungsgesetzes von Hannover mit dem Staats- grundgesetze hervor, sowie die Erläuterung der Döcumente in Cntersu. chungssachen wider die Mitglieder des Magistrats der Haupt- und Resi- denzstadt Hannover. Der Preussische Straf-Geselz-Entwurf nach dem Aus- schussberichte der Prettssischen StSnde und die Postreformen Oesterreichs sind in diesem Bande ebenfalls der Erörterang unterworfen worden. Den Standpunkt und die Richtung des d. St. A. dürfen wir als bekannt voraussetzen.

16.

. Herr Hirsch Phllippowsky aus Polen, der durch die Herausgabe ei» ner philologischen Tafel bekannt ist, die als hunderijähriger Kalender dten^ bereitet ein Werk vor (hebräisch), das aUes, was den jüdischen Ka- lender und die jüdische Chronologie beCrifil, in sich fassen soll. Es wird in drei TheUe zerfallen und jeder derselben eine grosse Anzahl von Tabellen und Erlöutenmgen enthalten.

IT,

Notiz im Talmud über die ionische Einwanderung in Ita- lien ausKleinasien. Um das Gericht Gottes über die Vergehen des Israel. Volkes deutlich darzustellen, wohl auch zu rechtfertigen, wird im Talmud, (Tract. Sabath 56, b cf. Sanhedrin 21; b.) folgende Notiz gegeben: „Zur Zeit als König Salomo die Tochter Pfaaraoh's freiete, Hess sich (der Engel) Gabriel nieder, und steckte ein Rohr ins Meer. An dieses setzte- sich Erde an und darauf wurde eine grosse Stadt gebaut. In einer Mithintha wmde gelehrt: Am selbigen Tage, da Jerobeam die beiden goldenen Kttlber einführte, ei- nes in Betbel, das andere in Dan, wurde eine Hütte gebaut, und sie wurde das Italien loniens.'^ Wer 4ie hyperbolische bUderreJcfae Darstellung des Talmud's kennt, wird wissen, dass hier von einer Einwanderung und einem Emporkommen die Rede ist. Und die ungefähre Zeit deutet auf jene hin, deren die Mythe in Folge der Zerstörung Troja's erwfihnt. Die Yerbeira- thnng Salomo's mit der Tochter des Aegyptischen Königs trifft ungeföhr zwischen das Jahr 4048 und 4045 a. Chr. cf. L Reg. 8, 4. Die Einführung des Kälberdienstes ungefähr um das Jahr 978 a. Chr. Es scheint also auf das Emporbiühen dieser Einwanderang und auf das Mächligwerden der- selben hinzuweisen. Vielleicht, dass damit besonders die Erbauung Lavi- nhims und Alba's bezeichnet ist, na<^ Diodes Peparetheus, der den Rab- binen bekannt gewesen sein mag, wenn auch die Zeit aus M^uigel einer genauen Chronologie nicht so ganz übereinstimmt,

1«.

Der Culturverein in Berlin hat in neuester Zelt als Preis aufgäbe gestellt, die Anfertigung eines „zum Unterricht für Lehrer und zur Lcctüre Gebildeter geeigneten Handbuches der jüdischen Geschichte von Alexander dem Grossen bis auf unsere Zeit." Der Preis beträgt 200 Thaler und behält der Verfasser ein Jahr lang das Recht über den Verlag seines Werkes zu verfügen, Macht derselbe keinen Gebrauch davon, so wird es nach Ablauf dieser Frist auf Kosten des Vereins gedruckt und als dessen Eigenthum betrachtet. Die Arbeiten müssen dem Secretär des Vorstandes, Herrn Ludwig Lesser, bis spätestens zum März 4845 zugestellt werden.

Barere von Tleuzac«

Als im Anfange des Jahres 1841 die Zeitungen Baräre's Tod verkündigten, wanderte man sich, dass er noch so lange am Leben gewesen; er war wie verschollen und schon unter die Abgeschiedenen. gerechnet, ja in manchen Büchern sein Tod als um das Jahr 1830 erfolgt berichtet worden. Kein Wun- der! Seit der Julirevolütion ans dem Exil nach Frankreich heimgekehrt, hatte er nach kurzem Aufenthalte in Paris sich nach seinem Geburtsorte Tarbes im Departem^t der obern Pyrenäen, der vormaligen Landschaft Bigorre, zurückgezogen und hier ausser aller Berührung mit dem öffentlichen Leben in stiller Abgeschiedenheit seine letzten zehn Jahre verbracht. Er ist 86 Jahre iMt geworden und hat bis zum achten Tage vor seinem Tode geschrieben; sein handschriftlicher Nachlass ist sehr ansehnlich. Die Geschichte hat seit einem halben Jahrhunderte ein Urtheil über ihn; dieses lautet auf unge- meines Talent, treffliche Bildung, ursprüngliche Ehrenhaftig- keit der Gesinnung, aber auf Charakterschwäche, auf Neigung im Sturme der Parteiung zu laviren (penchant k louvoyer], ^f allmählige Nachgiebigkeit gegen die schreckbaren Blut- menschen der Revolution, auf endliche Yersunkenheit in de- ren Dieoste und Theilnahme an den grässlichsten Yerirrungen der Revolution: es fragt sich, ob aus den Aufzeichnungen, die er hinterlassen, der Geschichte Stoff zu seiner Entschul- digung oder Rechtfertigung zuwächst? Ja, was noch wichtigi^r ist, man ist berechtigt anzunehmen, dass die literarisch^ Hin- terlassenschaft eines Mannes, der bei der Revolution eine Zeitlang im Mittelpuncte stand, von dem der Anstoss zu ri^n

ZeiUcbrift f. Getchiclitsw. 1. 1814, j[3

194 Barbre von Vteu^ac.

senhaftem Aufschivunge der Kraft ausging, schätzbare Auf- klärungen über das innere Getriebe der Revolution, über die Geheimnisse des Wohlfahrtsausschusses, dessen Mitglied er war, über den Charakter eines Garnot, dem er sehr nahe stand, eines Bobespierre, dessen Client er eine Zeitlang zu sein schien, eines St Just, Couthon, Lebas, die Robespierre's letzte Genossen unter den Machthabern waren, eines Billaud*- Varennes, Collot d'Herbois, tallien, Fouch6 U; s. w., denen er sich zu Robespierre's Sturz beigesellte, und über die ge- heimen Entwürfe und Umtriebe der Einen und der Andern tothalte» Alle jene terroristischen Amtsgenossen Bar^re's sind dahin gestorben, ohne historische Denkwürdigkeiten 2tt ttnterlasjien ; er allein, der raschesten und gewandtesten schrilU liehen Darstellung mächtig, von Napoleon als der bezeichnet, welchem vorzugsweise die Geschichtschreibung der Revolu- tion zukomme, immer literarisch productiv, in langem Ver« steck zu Bordeaux, in fünfzehnjährigem Exil zu Mons und Brüssel, zuletzt in zehnjähriger Altersnihe zu Ti^rbes reich an Müsse, schien berufen zu sein, von ihnen mit zu beriditen. Also hat gewiss jeder theilnehmende Beobachter* der Ge- schichte des neueren Frankreichs mit ungemeinen Erwar- . tungen die Ankündigung eines Buches vernommen, welches jüngst aus Bar^re's handschriftlichem Nachlasse hervorgegan- gen ist. Es sind die:

Mim^ires de Barere, membre de la Constituante etc.^ pu^ bliSi par M. M, Bippolyte Carnoi, membre de la ehambr^ des depuUs, et D.atid (d' Angers) membre de rinstihd}^ pHöidis d'üne N&tice historique par H. Cam^t P&risy Jtü* Labitte iB42, i843. /F. Volum. 441 436. 374. 4S0 8^ten. Das Elischeineii dieses Buches ist auch wegen äusserer Umstäind^ bedeutsam. Erstlich schon darum, dass es hat er- scheinen können, und Baräre's literarische Hinterlassenschaft nicht wie die eines Mirabeau, Gambacier^s u. s. w. unter Schloss imd Riegel zurückgehalten worden ist. Zweitens, dass die Aechtheit des Inhaltes ausser altem Zweifel ist. Drittens, dass die Herausgabe einem tüchtigen Manne, Hipp. Camot denn diesem hauptsächlich ist sie zu tefdanken zu Theil gewor*

Bar^e t>ofi Vieimac. 195

den ist, demsetben, der sich schon um Gr^goire's Andenken verdient gemacht hat, und der als Knabe in seines Vaters Hause 181S Barere kennen lernte und späterhin dessen Yer-^ trauen als der Sohn eines seiner treuen politischen Freunde genoss. Endlich, dass dies Buch nur einen Theil des hand<^ schriftlichen Nachlasses enthält und muthmasslich noch man- ches Andere aus letzterem veröfiFentlicht werden wird. Die 5ache ist in gute Hände gekommen.

Hauptbestandtheile des Buches sind 1) Notice historique sur Barere par H. Carnot; 2) M^moires über die assembl^e Constituante^ legislative, «die Convention nationale etc. 3) Ais Einleitung dazu Fragmente aus dem Journal, welches Barere 1788 tn Paris anlegte: Le dernier jour de Paris sous Tancien regime. 4) Als Anhang: Souvenirs de la Belgique, aus der Zeit von Bar^re's Exil. 5) Fragmente aus dem Gompte-rendu, das Barere in seiner Haft auf Oleron und zu Saintes ent^ warf, aber nicht zum Abschluss brachte. 6) Portraits. Die wichtigsten Theile sind die M^moires und die Portraits. In diesen vornehmlich spricht sich der Geist aus, welchen das gesammte Buch athmet. Von* diesem ist, ehe wir ins Einzelne eingelien, zu reden. ' Uns vergegenwärtigt sich dabei das An* denken an die Memoiren solcher Theilnehmer an der Bevo- lution, die sie überlebt und in der Müsse des Buhestandes über sie 'geschrieben haben. Wir erinnern uns vor Allen Na* poleon's, dem es nicht sowohl um die Wahrheit, als darum cu thun war, sich selbst und die ihn betreflPenden Begeben* heiten in günstigem Lichte darzustellen, und der nichts von dem Blendwerke des vormaligen Gewalthabers verlaugnet Levasseur's von der Sarthe, des eingefleischten Terroristen der als Greis unwandelbar bei den Grundsätzen des Schrek- kensystems beharrt, Lafayette's, der noch 1830 die Ansichten des Xafares 1789 festhielt, Montlosier^s, der vom alten Feu- dalismus nichts abgelegt hat, zu geschweigen eines Dumas, -Vaublanc, der gefälschten Memoiren eines Fouch^, eines -wenig- bekannten Bruchstückes von der Hand des- wackern Itounou; Es scheint in der Ordnung zu sein, dass wenige dieser politischen Charaktere im Wesentlichen von früheren

13*

196 Baräfe ioon Vieu^Me.

ÄDsichteh zurückgekommen sind. Auch bei Barere verläug«* net sich nicht eine aus der Zeit seiner politischen Bedeut- samkeit und der Revoiutionsieidenschaft stammende Befan- genheit: jedoch diese trägt nicht den Charakter einer Apo- logetik der Yerimingen der Revolution, an denen er Theil gehabt; sie erfüllt sich zumeist in Yorurtheilen, die der mass- lose Argwohn» das eigentliche Fieber der Bevolution, erzeugte. Dagegen lasst sich als Grundton der Aufzeichnungen Bar^re's über die Zeit des Terrorismus das Bemühen erkennen» seine Theilnahme an der Handhabung eines Systems» das er an sich verwirft; und das in der That^ seiner Natur nicht ent- sprach, zu beschönigen und den ^Besinnungen der Humanität ihr Recht widerfahren zu lassen; späterhin gesellt sich dazu Bitterkeit im Urtheile über die Menschen, welche ihm, dem ehemaligen Terroristen, Verfolgungen bereiteten und das Leben sauer machten, von Tallien und Fr^ron an bis zu denBourbons. Wir fassen zunächst jene Befangenheit näher in's Auge. Hier haben wir die Hauptstücke der in der Fieberperiode der Revolution aufgewucherten Fabellehre, ohne irgend eine Ermässigung, das gesammte Magazin von Imputationen und Anschuldigungen, die schrankenloseste Glaubensfähigkeit und unwandelbare Beharrlichkeit in ihr. Da hat Prinz Lambesc 12. Juli 1789 eigenhändig einen Greis niedergesäbelt« Graf Artois die Verbrecher aus dem Gefängniss losgelassen, da will die Königin 14. Juli die Nationalversammlung mit Ka- nonen beschiessen lassen , da ist Pitt der Urheber der Con- vention von Pillnitz, da ist Mirabeau an dem Gifl;e der Par- tei Lameth gestorben (1, 312), der Herzog von Orleans durch die Umtriebe von Goblenz hingerichtet worden, da sind von Goblenz und London bestochene Agenten des Auslandes und d^r Emigration nicht bloss ein Tallien etc., sondern auch Marat, Robespierre (2, 232), da ist der Aufstand des 12. G^r^ minal von Tallien, Fr^ron und Barras angestiftet (2, 262) oder (an einer anderen Stelle) der 12. Germinal und dazu der erste Prairial ein Werk Sieyes' (3, 268), die Gonspiration Ar^na's^ Ceracchi's etc. ein blosses Polizeifabrikat, Pichegru im Ker- ker erdrosselt worden u. dgL

Saräre e<m Vtemac, 197

In dieser Richtung also Jiaben wir nur den verjährten Nebe], der sich gegen die Lichtstrahlen historischer Kritik und gegen eine grossartige Ansicht von dem Gange der Be- Toltttion verschlossen gehalten hat. Barere, sieht man, hat sich nicht die geringste Mühe gegeben, seine Ansichten von demselben, wie sie in den Jahren 1789—1794 sich gestaltet hatten, zu berichtigen. Seine Beharrlichkeit in dem Glauben, dass das britische Cabinet, Pitt's Gesinnung und Getriebe, •ine Büchse der Pandora. fiir die Revolution, gewesen sei, musste allerdings in der unläugbaren Evidenz der bösen Künste und der Gewissenlosigkeit der Pitt'schen Politik eine tüchtige Stütze finden; und* andererseits wies ihn seine pu« bHctstische Schriftstellerci noch unter dem Directoriuro, dem Gonsulat und im Kaiserreiche auf fortwährenden Antagonis- mus gegen England hin; zuletzt machte das Benehmen Wel- Irägton's den schmerzlichsten Eindruck auf ihn. Also in Be- treff England's Anklagen, nichts als Anklagen, mit und ohne Grund, ebenso in Hinsicht der Emigranten, des Hofes von Coblenz -^ und daher hauptsächlich eine schiefe'Stellung sei- ner Motiyiruttg der bedeutendsten Begebenheiten der Revo- lution. Es ist das Gespenst der faction de T^tranger, das sich während der Revolution' nie recht bannen Hess, weil Wahr- heit und Dichtung nicht von einander zu scheiden waren, das aber bei Barere historischen Aufklärungen nicht im gering- sten Raum gegeben hat.

Nicht anders ist es mit seiner Ansicht von Danton, und gerade in dieser möchten wir die auffälligsten Vorurtheile und einen oiur aus grenzenloser Leichtfertigkeit erklärbaren Mangel an kritischer Ueberlegung finden. Zwar bekennt er, dass auch ihm die Urheber des Septembermordes unbekannt seien (2, 37), wo er weiter, als sich ziemt, hinter der Wahr- heit zurückgeblieben ist; hier also scheint Danton von ihm mit minder Schuld als gewöhnlich belastet zu werden; nach- her aber bezeichnet er diesen als einen homme plein d'au- dace et d'une t6m6rit6 f^roce, comme il Tavait prouv6 le 2 et 3 septembre (3, 267), häuft auf diesen so viel schlimme Entwürfe, dass Danton als der eigentliche Mephistopheles der

200 Bßräre von Vieuzac,

dem Uin$täiideD gerade von dem Redacteur einer Meage Be- schlüsse des Wohlfahrtsausschusses hätten erwarten können; jedoch erklärt die Art wie Barere, als Deportirter, von der Bühne abtrat, diesen Mangel genugsam. Also sind wir auch dies Mal wieder auf den Wunsch zurückgeworfen , dass aus dem Archiv des Wohlfahrtsausschusses die noch unbekannten urkundlichen historischen Belege an's Licht kommen mögen. Wir wenden uns zu dem, was Barere über sich seibat vorbringt. Es hat, wie schon bemerkt, zum Charakter Apo«- logie nicht des Systems, dem er. eine Zeitlang diente, son- dern seiner Person und der Art, wie diese jenem gedient habe. Es mag Barere nicht zu übel angerechnet werden, dasd er die terroristischen Gräuel, zu denen er die Hand, minde- stens durch seine Unterschrift, bot, fast insgesammt mit Stäi^ schweigen übergangen hat, dass wir nichts von der Mission eines Lebön u. s. w. lesen; wir können dagegen anfiihren» dass in dem gesammten Buche eine absichtliche Fälschung der Geschichte zu apologetischen Zwecken niii^ht bemerktet ist und bestätigen auch mit voller (Jeb^zeugang, was Barere von der Nichtswürdigkeit seiner thermidori&tischen Widefs^«. eher, eines Tallien, Fr^ron u. s. w. vorbringt. Wir glauben ihm gern, dass er -im Grunde: nicht bösartig war, und dass nur seine von ihm selbst eingestandene (1, 11) Cbarakt^- schwäche, die freilich selten bei einem Menschen heilloser ausgeschlagen ist, ihn in eineJLage brachte, wo er seiner bessern Natur untreu werden musste. Er ist bemüht darzu- thun, was er Gutes gestiftet, wie oft er Menschen das Le- ben gerettet habe: wohl ihm, dass er dergleichen anfiihreiv kann. Besonderes^ Gewicht legt er auf die kolossale Masse von Arbeiten, die er im Wohlfahrtsausschusse bewältigt habe (2, 138. 141), und als auf ruhmvolles Tagewerk weist er hin auf seine Berichte von den französischen Waffenthaten. Es ist, als ob hierbei das Bemühen einer Assimiiirung mit Car- not zu Grunde gelegen habe. Garnot ist sein Mann; von die- sem spricht er mit unbedingter Verehrung (2, 367. 4, 102 ff.), und hier wird ihm jeder unbefangene Urtheiler beistimmen. Also wie Gamot, den Blick nur auf die Yertheidigung des

Bar^e ton Vieusac. 901

Vatertandes gewandt, sich nicht um das Innere bekümmerte und auf Treue und Glauben zu vielen die innere Waitung betrefii^nden Beschlüssen des Wohlfahrtsausschusses seine Un« terschrift gab, ohne sie gelesen zu haben» ebenso scheint es möchte Barere ihm mit seinen Heeresberichten zur Seite ste« hen; jener der Schöpfer eines neuen Kriegssystems, Barere als der Herold von den Wirkungen, die es hatte, so dass uüter andern die Soldaten mit dem Rufe: Barere k la tribune! im Jahre 1794 gegen die Piemonteser anstürmten (2, 133). Wir können uns irren, aber wenigstens vermehrt unsere Yer- muthung nicht die Schuidrechnung Barire's. Dass er nicht EU den Plusmachem der Revolution gehörte , wird sich aus seiner Anfühl^ng (2, 140),. er sei -— als Mitglied des Wohlr {afartsausschusses •■■ genöthigt gewesen, von einem Freunde BU borgen, wohl nicht sicher ergeben; doch ist auch das €re- genthml nicht zu beweisen. Vollkommen Recht hat er end-« lieh in setner bittern Klage über die Yerläumduog; mag da-* diuypch äxifeb nic;bt. in viaian Stücken dargetban werden, wie übel er dabei g^hren sei, so lässt sich vom Allgemeinen auf das, was ihn betroffen hat, anwenden, dass die Verleumdung da;&'Pm[ictum saliens in der Lügenhaftigkeit der Revolution ist,: dass man das Schlimmste am liebsten glaubte, dass der Argwohn der Verläumdung entgegenkam, der Parteigeist sie pflegte und endlich in der enormen Leichtgläubigkeit und Leidenschaftlichkeit ^er Zeitgenossen auch das Abenteuer- lichste die Gestaltung ausgemachter historischer Thatsachen bekam. Die Zeichnung, welche er von dem Geiste der Ver- läumdung giebt, ist nicht übertrieben.*) Auch werden manche

*) C'est une puissance chez les nations corrompues, Elle a k ses ordres ringratitude et i'envie; eile a une main de fer qui tient une plumeempoisonn^e; eile a un coeur de boue et une t^le da bronze. Elle frappe toujours le g6nie, la vertu, le talent, le qiMte; eile se prampoime ä tous les poavoirs pour servir leurs passions et pour mettr^ ses biographies et ses anecdotes mensong^res h leur Solde; ette est sans oreilles et sans pitiö; sourde volontaire et m^düante, eile n'^oute ni les faits vr^is, ni les faitß justiGcatifs; ses blessures fönt des cicatrices: qui restent toujours (1. S). Dazu

tos Barbre ttm Vieuwc,

ihfii beiitimmen» wenn er sagt: En France le maavais ne tombe pas parce qu'il e§t mauvais, mais biea pareequ'il est as6 (3, 21). Von dem was er imEinzeben anfiibrt mag hier erinnert werden, dass er nieht gesagt hat: La guiUotine bat monnaie k la place de r^volution (2, 128) und, was er schon in seiner Yertheidigungs-* Schrift vom Jahre 1794 behauptet hatte, dass sein Wort: „U n'y a que les morts, qui ne reviennent pas^' nicht den scUim««* men Sinn hat, den man ihm zur Zeit der Reaction unter«* legte (2,120). Es ist mit manchen dieser Revolution^prüche wie mit den grands mots französischer Könige und mit einer Menge Anekdoten : Se non h vero, h ben trovato. Doch Ba*» r^re sagt uns nicht, dass er jenen Ausspruch in einer Mah^ nung zur Strenge 4. Juli 1794 im National-Gonvente wieder-- holt hat (Moniteur J. 2. N. 287) ! Als etff Hauptstack von Apo» logie ist anzuführen , was Herr Garnot in der Notice histo« rique 1, 13 ff. alt Fragment aus den handscfariftlichen Auf^ Zeichnungen Barere's hat abdrucken lassen. Es ist aber zu umfänglich, um hier Platz zu finden.

So mögten wir denn unsere altgemeinen Bemerkungen mit dem Bekenntnisse schliessen, dass aus den verliegendton 4 Bonden die Geschichte der Revolution sehr wenig neue Aufschlüsse gewinnt, und dass als das Wesentliebste bei die-* ser literarischen Erscheinung die Anschaulichkeit der Eigen- schaften Bareres anzusehen ist, wobei auch die Erkenntniss Ton der Negation der Unbefangenheit, des Scharfblicks, der Genauigkeit in seiner Auflbssung und Darstellung, ihren Werth hat. Wir müssen uns schon darein ergeben, von keinem derer, die in der Revolution von einem bedeutenden Stande puncte aus mitgehandelt haben, eine befriedigende Geschichte derselben aus irgend einer Hinterlassenschaft zu ^ben. Das beste Licht werden immer noch vertraute Briefe und Auf« Zeichnungen geben: die papiers trouv6$ chez Bobespierre und die Correspondance inödite de Napoleon Bonaparte können

2. 73. je sais qu'ä Paris on n'^coute qoe l'accusation, et que jamais on n'y peat faire entendre une jusf^ation: la calomnie est le patrimoine des Parisiens.

Barkre f>an Vieunac. jOt

als Beispiel dienen. Bei der If ostemng des Eituelaen wollen wir Dichts übergehen, was als gute Ausbeule gelten kann; doch soll uns nicht bloss das kümmern^ was neue Aufschlüsse giebt, sondern auch was treffend bemerkt ist, nicht minder aber was eine irrige Angabe enthält.

In der Notice historique von H. Garnot. finden wir der Natur der Sache gemäss ein H^sum6 aus den Memoiren selbst, und was der Herausgeber ausserdem überBaräre zu sagen hatte, zugleich aber einzelne interessante Mittheilungen aus Baräre's Itfanuscripten , die sich auf losen Zetteln befanden. Näinlieh wie Herr Gamet über die Beschaffenheit des ge- rammten handschriftlichen Nachlasses berichtet (1, 5) , befand sich darin eine ansehnliche Zahl fliegender Blätter, bestimmt, dem Texte der Memoiren eingereiht zu werden. Ein solches Fragment ist S. 69 über den Herzog von Orleans (£galit6>, und in diesem S. 51 die schon oben gedachte wahnhafte An* gäbe, dass die Jotriguen der ausgewanderten Prinzen von Goblenz dessen Haft, Abführung nach Marseille und noch fiiehr seine lUickholung nach Paris zum Halsprocess ver- ursacht-hätten^! S. 80 dass die Idee der Ecole daMars in der Ebene von Sablons nicht von Robespierre, sondern von Gar- not kam. S. 88 dass Barere mit einer Geschichte des Wohl- Mrtsausschusses umging; die id^e prdiminaire dazu ist S. 88—103 zu lesen. (Jeher Robespierre mehrerlei S. 116 f., wor- auf-sdion oben, hingewiesen worden ist. Von des Heraus- gebers Zutbaten bemerken wir S. 58: eine interessante Mit- fheilttBg über die berühmte Pamela Fitzgerald, die Barere in dem Kreise der Frau von Genlis hatte kennen lernen (2, 73)» und die ihn zu Paris kurz nach seiner Rückkehr dahin. 1830 besuchte! -~- S. 63: Im Jahre 1833 ward Barere durch eine ver- traute Mittelsperson von Seiten König Ludwig-Philipp's auf«* gefördert, Aufschlüsse über die Katastrophe des Herzogs von Orleans (Egalit6) zu geben; Barere wies nach, dass der Wohl- fahrtsausschuss damit nichts zu thun gehabt habe^ dass viel- mehr der Antrag zum Gericht vom Sicherheitsausschusse aus- gegangen sei, und seitd^n erhielt er bis zu seinem Tode jährlich eine Pension von 1000 Francs» S. 81; nach Mil''«

ttieiiang eines Ohrenzeugen sagte Robespierre einst von B«- rtre (nicht ohne ein gewisses Uebelwollen): Bar^e a pu com^ mettre quelques erreurs, mais c'est un honnÄte homme, qui aime son pays et le sert mieux que personne. D^s qu'un travail se präsente, il est cli5pos6 k s'en charger. II sait tout, il connaft tout, il est propre k tout. Dazu ge- sellt sich eine Mittheilung Prieur's von der Goldküste, des Gollegen von Barere im Wohlfahrtsausschusse: lorsque apr^s- de longues heures de d6bats anim^s, qui noos-tenaietit sou- vent une partie de la nuit, nos esprits fatigu^s ne pouvaient- plus qu-avec peine se rappeler les circufts que la drscussion avait parcourus et perdaient ile vuer le point principal, Ba- rere prenait la parole; ä la^suite d'un r6sum^ rapide et lu- mineux il posait nettement la question> et nous n'avions plus qu'un niot k dire pour la r^soudre. S. i23 nadi David -s Mittheilung: Barere, mit diesem befreundet, sagte ihm 9. Ther« midor: Ne viens point a cette s6ance; tu n'es point un hmnme politique,' tu te compromcttrais. S. 154: Nach dem 18. Bru- maire im Dienste Bonaparte's, der ihm die.h|irgerliche Exi- stenz wiedergab, hatte Barere diesem unter andern auch verr- trauliche Berichte zu erstatten: soit survl'opinion publique^ soit sur la marche du gouvernement, soi^-sur tout oe iqu'^l pourra croire 6tre interessant au premier consul de connaitre, mit dem Zusätze: il peut ^crire en toute libert^. Dies ge"^ schab vom Anfange des Jahres 1803 bis zu Ende 1807^ wo Bar^e's freimüthiger Ton und die Mahnungen an fortwäh- rende Opposition der alten Aristokratie im Bunde nnt der religiösen Meinung (opinion) Napoleon missfiel und Duroc an Barere schrieb, dass der Kaiser nicbt^mebr Zeit habe, diese Bulletins zu lesen. Barere hatte deren 222 eingesandt. Im Exil zu Brüssel nach dem Tode Napoleon's gedachte er sie zu veröffentlichen, aber die Julirevolution hinderte ihn iin der Ausführung.

' Die Memoiren fangen an Bd. I. 203. Was Barere ( geb. 10. Sept. 1755 zu Tarbes, mit dem Zunamen von Yieuzac, einem Orte, wo sein Yater einige Lehnsgefälle hatte) von. s^ner Jugendbildung und den Anfängen und ersten Erfolgen

Bm'ire von Vieumt^. - 2W

seines GesehXfts- und Literaturiebens erzählt Eintritt in die Advocatur zu Toulouse, Vertheidigung eines jungen Mäd- chens gegen die Anklage des Kindesmordes, Bildung ein^ eonförence de charit^ zu unentgeltlicher Sachwaltung für Anne, historisch «publicistische Studien, Aufnahme in die Akademie der Wissenschaften und der jeux floraux zu Tou- louse — ist sehr geeignet, für den feingebildeten und wohl- gesinnten Mann einzunehmen. Für den Alterthumsfreund ist interessant, dass Barire im Schloss Beaud^an, also in einer G^end, wohin nach der Annahme einiger Historiker Gäs«r gar nicht gekommen sein soll, eine römische Inschrift „mon- ^bus dicavit Gaesar^^ fand; eine Abhandlung darüber las er in der Akademie von Toulouse; der Stein ist später nach Paris gekommen. Nach Paris ging Barire im Jahre 1788; seine gefällige Persönlichkeit und seine angenehmen gesell- schaftlichen Talente schatten ihm Zutritt in hohe Kreise, na- mentlich zu der Herzogin von d'Anville, Mutter des Herzogs von Lbrochefoucauld. Er schrieb während dieser Zeit das obgedacbte Tagebuch: Le demier jour etc. worin ausser der Notiz über die im Hause der Herzogin von d'Anville herr- schenden liberalen Ideen nur die Portraits von Ludwig XVL, Marie -Antoinette u. s. w. anziehend sind. Als Deputirter in der eonstituirenden Nationalversammlung redete Barire zum ersten Male, als über den Namen derselben debattirt wurde» Ueber tien 2J, Juni lesen wir S. 256 eine nicht unglaub- würdige Notiz (aus dem Munde eines Garde- du« corps und eines königlichen Thierarztes): Quand le roi eut mont^ en

voiture sur la grande avenue du chAteau, M. d'A (Ar^-

tois) s'avan^a et lui dit que les d6put^s des communes re/usaient de sortir de la salle et qu'il fallait les faire sabrer par les gardes-du-corps. Le roi r^pondit

froidement par ces mots: Au chAteau! M. d'A insista

pfus fort: Donnez donc Tordre de les sabrer, autre^ ment tout est perdu. Allez-y vous-mftme ... On in- sista encore. Le roi, que gagnait l'impatience, dit k M. d'A

Ailez vous faire f... Au chAteau, au chAteauI S. 367: Bestätigung, dass der Herzog von Larochefoucauld--Liancourt

206 Barhre Don VitU!6ae.

in der Nacht auf dein iS. Juli zu Ludwig XVI. sagte: G'est une rÄvolution. S. 271 : In der Nacht des 4. Aug. brachte Barere seine Stelle als conseiller-doyen der Senechauss^e von Bigorre mit 12000 Livres zum Opfer. S. 283: Im Co* mite des iettres de caehet angestellt, erfuhr Barere, dass ein Graf von Crecqui, in Folge einer von seiner Familie veran*- stalteten Requisition bei der preussischen Regierung, zu StbU tin im Kerker sass. Ferner S. 284: als die zwölf Deputirtea der Bretagne 1788 in die Bastille sollten und der PolizetlteU"» tenant de Grosne anzeigte, dass dort kein Platz sei, befahl der Minister Brienne, zwölf Gefangene aus der Bastiile als „Wahnsinnige" nach Gharenton zu schaffen, damit in jener Platz würde. S. 294: Barere war oft in ^lem Kreise der Frau von Genlis, die später ihn l'exöcrable nannte. S. 319: die National -Versammlung bekam so viel zu schreiben, dass Barere von einem gouvernement plumitif sprach. Bei der Rückkehr der königlichen Familie von der Flucht trugen Bar rere und Gr^goire den Dauphin auf ihren Armen durch die wilddrohende Menge in die Tuilerien. —. S. 328: Am 17. Juli 1791 gab Karl Lameth, wie er selbst 1832 in der Deputir- tenkammer ausgesagt hat, als damaliger Präsident derNatio- naI-Versammlung an Bailly den Befehl auf das Volk zu feuern. S. 329 von dem Bemühen der Partei Lameth bei der Re-^ Vision der Macht des Thrones aufzuhelfen. B. spricht sehr ungünstig darüber und leitet davon die nachherige Ungunst der Gonstitution in der öffentlichen Meinung ab. Hier kön* nen wir ihm nicht beistimmen.

Band IL Nach dem Schluss der constit N. V. bemüht sich H. V. Larochefoucauld, B. in Paris zu halten; ihm war das Ministerium des Innern zugedacht; B. aber ging nach Tarbes. Nach Paris kam er §. Aug. 1792 zurück; bei den Begebenheiten des 10. Aug. war er nur Beobachter. Ludwig soll nach der Ankunft in der N. Vers, den OberofBeieren d^r Schweizer, welche um Ordre baten, gesagt haben: Re- tournez k votre poste, et faites votre devoir (19). Das ist schwerlich zu glauben ; der König gab Befehl, die Vertheidi- gung des Schlosses einzustellen. Danton als Justizminister

Bariare t^^n Vimuae. 207

näthigte B. eine Stelle als Ministerialralh auf (22). B. kam durch den Eintritt in den N. Gonvent davon los. Zur fit- ronde 20g ibi Bildung und aueh Vorliebe für den FöderaUs- tnus, der in «fmer Plane war, hin (39); gegen Marat äusserte er anfangs Abneigung. Bei dem Verhör des Königs Prä-* sident.des N. G. veranstaltete er, dass. diesem ein Lehnstuhl gesetet wurde , Hess in der Anrede und der Vorieisung der Klagepunkte den vom Gomite gemachten Zusatz Gapet nach Lotus weg, und veranlasste Valazd, der bei Ueberreichung del* Actenstücke an Ludwig diesem den Rücken zukehrte und über die Schulter hin sein Geschäft verrichtete, eine geziei* mende Stellung anzunehmen (57). Als nachher Gambac^res bei einer Mission an den König Louis Gapet sagte, äusserte sieh dieser mit Anerkennung über Barire's Benehmen. Von seinem Votum in der dreifachen Abstimmung über Ludwig schweigt Barere; bekanntlich war bei der Frage über Appel- lation an das- VqHc gerade sein negatives Votum von wich- tigem Einflüsse. Im Gomite de defense g^n^rale arbeiteten Danton und Lacroix gegen Brissot, Gensonnö und deren Freunde; hier nicht minder Reibung als im N. Gonvent, aber mit der besondern Tendenz, des Einflusses auf die Armee und der Gorrespondenz mit den Feldherren sich zu bemäch* tigen (25). Mit Dumouriez suchte Danton ebensowohl als die Girondisten genaues Einverstandniss. S. 77 rechnet er die Girondisten zu der caste moderne des profiteurs de r^volutions. Den Bericht, dass der Krieg an Spanien zu erklären sei, machte Barere im Auftrage des Gomite (60)% Di^ Gonspiration vom 10. März 1793 (irrig ist S. 80 vom I5ten die Rede) hält Bari^fe für einen Versuch, un prince tris connu (den Herzog von Orleans oder dessen ältesten Sohn!) an die Spitze zu bringen; der Tumult, wo Fournier der Amerikaner den Pöbel führte, und Dumouriez's Reerbewegung seien ver-^ abredet gewesen. Heber die Blindheitl Was von der aller« dings nicht ganz aufgeklärten Sache zu halten sei, darüber s. meine Gesch. Frankreichs 2, 102 f. Jedenfalls galt es einen Angriff auf die Girondisten. So will uns auch das nicht glaubhaft erscheinen^ was S. 90 erzählt wird: Danton wirkte

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268 Barhre ttm Vieuzac.

dem Baron von Sta^l-Holstein 100,000 Thaler zu einer di«* plomatischen Reise und Verhandlung über ein Bündniss mil Sdiweden aus; Herr von Stael aber ging nur nach Goppet An dem Tage des völligen Sturzes der Gironde 2. Juni 1793 sprach Barere gegen Henriot und begehrte la punition exem- plaire et instantan^e de ce soldat insolent, qui ose outrager et violer la repr^sentation nationale (S. 90). Das berichtet auch der Moniteur, und femer heisst es, fiobespierre habe Baröre eingeschüchtert (Buchez et R. h. pari. 28, 45). Hier nun lautet es: Robespierre kam zu Barere auf die Tribüne und sagte ihm leise : Que faites*vous ]k1 voüs faites un beau gächis. Barere aber sagte laut: Le gdchis n'est point ä Ja tribune, il est au carrousel, il.est 1^! und vfiü nun er^t die obigen Worte gegen Henriot gesprochen haben. Dass Dpnton zwar den 31. Mai betrieben habe, ist ausser Zweifel; er wollte die für ihn bedrohliche Gommission der XII. beseitigen; dass er aber den 2. Juni gemacht habe, ist nicht zu glauben; er liess die Sache nur gehen, sie kam nun in Marat's^ und Robes^ pierre*s Hand. Noch einmalJiess Barere sich als Widersacher der Unterdrückung vernebmen; von ihm ging der Antrag* aus, den Departements Geissein für die verhafteten Girondisten zu stellen (95); durch ihn wurde Danton bestimmt, sich zur Geissei anzubieten: aber als im N. Gonvent Danton sich mit den Häuptern der Linken besprach (unbezweifelt war hier Robespierre's Stimme von Einfluss) ward er umgestimmt uiid der ganze Plan rückgängig gemacht. In dem zweiten Wohl- fahrtsausschusse (v. 10. Juli) war es bald vorbei mit Baräre's Selbstständigkeit; 27. Juli trat Robespierre ein und nun war Barere auf ein ganzes Jahr von dessen- Willen abhängig. Ir- rige Ansicht hat Barere S. 104 von Danton, als habe dieser bei dem Betriebe neuer Besetzung und Einrichtung des Wohl- fahrtsausschusses Herrschaft für sich im Sinne gehabt: 5¥ar«- um trat er denn nicht ein in denselben? Wir wiederholen es, die gesammte Ansicht Bar^re's von Danton ist höchst be- fangen; wir erinnern uns kaum, eine so totale Verblendung in Betreff der Sinnesänderung und Parteistellung Danton's

Bat^e etm Vieusäe. 2M

Mit dem Sturze der Gironde gefaeden m haben.*) Hat Ba« Thre nie mit seinem Freunde und Amtsgenossen Carnot über Danton gesprochen? dessen Urtheil, wie er es gegen mich im Jahre 1818 aussprach, lautete ganz anders; er äusserte sich mit Theilaahme über Danton's Charakter und Kraft, mit Geringschifitzung über Robespierre. Als sein Verdienst führt

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. *) Bardre's Ansicht von Danton's Plänen ist eine radical aben» teaecliche; in dem Compte-rendu heisst es (2.335): Depuis long« temps, Daiatpn cherchait ä cr^er uq gouvernement provisoire, bien extreme dans ses mesures, bien violent dans ses tnoyens, bien en- Ti6 par sa puissance, bien corrompu par ses richesses ou ses pro- digälä^s/ei bieii 6di^QX par i'opinion qü'on r^pandräit qu'il' faisait tOQt; qu'il ^ail la cajise de tous les maux, et le pöre de tous les d^sastres. Quandce gouvernement provisoire et colossal serait con- sacr^ par des decrets, Danton ge chargeait ensuite. avec ses moyens, ses disciples, son parli, son Systeme de sans-culotterie, ses ar- mUesT^voIuttonnaires, sont ribanal r^volutiounaire, ses seclionnaires it4(X sols, Ses comitös r^roldtionnaires älaJacobite et ses com* missaires du. con^eü executif ä la cordeli^re, ses journalistes, ses aboyeurs, et toute la tourbe des seclaires; il se chargeait, dis-je, de soulever toutes les temp^tes contre le gouvernement et contre ia Convention qui Taurait cr6ö oa tol^re; de le briser lui et ses membres, ou de le fäfre plier sous sa volonte personn eile, au milieu des orages et des ^cueils dont il saurait l'entoQrer. Si ce Systeme de violence ne r^ussissait pas. ä perdre le gouvernement et les gonvernanls, alors, ^^gemhde ^^fsk^&, et oßppsant ie.caime plat ä la tempiltjO» Daa-« ton se proposait de. Jecrier T^pergie dii gouvernement, en passant brusquement'du Systeme de la terreur ä celui de rindulgeoce etc. Bin wahres Monstrum von Imputation (welcher Unsinn, einem Jlienscbcn- solches Labyrinth des gefährlichsten Pessimismus beizu- legen!) und von Argwohn in der Deutung der Indulgence Danton's. Es ist in der Geschichte der Revolution gespensterhafter Spuk üiit dem Pessimismus gelrieben worden; nirgends mehr als hier. Oder aber schrieb Barere so in dem Compte-rendu nur aus Berech- nung? S. 970 folgt eine ähnliche Dectamation, betreffend den stür- mischen 5. Sept. ]7jD3, jour d'anarchique memoire i hier aber sind es Robespierre und Danton , welche, le plus sauguinaire et le plus degoütant despolisme gründen wollen und die gesammte Zeichnung passt nur zum geringsten Theil auf Danton. Barere hatte den Be- richt über die Beschlüsse jenes Tage* zu niachen gehabt; daher erklärt sfch seine Furie gegen die, welchen er zu solchem Organ gedient hatte.

ZeiUchrirt f. Gescbicktsir. I. 1844. j[4

aift Barir4 ton VimuK^

Barere nn, G«mat und Prieur von der Goldkäste zn MUgMe« dem dee WobICfthrlsaasschuBses vorgescfalagen zu haben (lOS), Beeehtungswerth ist, was Baräre 2, 134 von Bonaparte er-» lühlt: Als DugOBiraier gegen £nde 1793 einen Plan zum An- griff auf Toulon entwarfen hatte^ nahm Salieetti auoh einen iweiten vom . damaligen ArtilleriecapiUin Bonaparte mit naeä Paris; Garnot verschmolz beide mit einander und Hess Bo* napärte zum Bataiilonsehef ernennen. Dies ist aber nicht» wie es S. 135 heisst, im Januar 1794 gewesen; Toulon fiel ja' schon 19. Dec. 1793. Weiterhin erzählt Bariire (2, 188 J, dass die Marseiller Bonaparte wegen Wiederherstellung ihre« Forts verklagten, dass aber diesem hierauf die Bdestigung der Küste bis zum Yar übertragen wurde, Auoh dies wirkte Carnot aus. Wie hierbei dieser Verdienst hatte, so rechnet Barere es sich zu gute (2, 147), dass er zuerst darauf ange- tragen habe, aus deqi eroberten Belgien die Meisterwerke eines Rubens u. 8.w. ins Museum zu Paris zu sdaffen. Und dies fuhrt er, wunderlich genug, als Argument an, den Vor«- wurf des Vandalismus zu entkräften. Aber wir wissen ja, wie auch Garnot und Bonaparte hierüber dachten (s. Wachs«« muth Gesch. Frankr. 2, 547); 'diese Entführung von Sehäteen der Wissenschaft ,und Kunst ist wesentlicher Bestandtheil der französischen Gloire jener Zeit. Ueber die Katastrophe der Hebertisten und Dantonisten hat Barere kein Wort. Was-^er von einem Entwürfe der Verbündeten, Frankreich zu theüei^, berichtet (2,158), halten wir für voUkoi^men glaubhaft, aber seltsam ist es, wie die Theilungscharte an Heran lt*SeebeH«s und durch diesen an Proly den „Agenten des Auslandes'^ ge- langt und so verloren geht, lieber St. Just theilt Barire man- ches Interessante mit; aber in seinen Zeitangaben von St. Jttßt's AbgaBge zur Sambre- und Maasarmee und dessen Feiiid^ Seligkeit gegen Hoche (2, 150. 157, 170) ist Anachronismus: St Just war nicht erst kurz vor der Schlacht bei Fleurus bei jener, und die Verhaftung Hoche's durch ihn fällt schon in den Winter 1793/94. Nach Barfere hatte übrigens der Wobifabrtsausschuss schon im Anfange des Jahres 1794 Ver-* dacht gegen Pichegru und versetzte ihn deshalb zur Nord-*

Barire ton Vioiaae. 211

«rmee; Picbegru zögerte der ersten Ordre zu folgea; Bartee Xlmli die zweite , sehr gestrenge, mit (2, 172).' Doroh diese Entfernung Pichegru's vom Oberrhein, meint er, sei der Y^r-* rath mindestens aufgeschoben worden. Dennoch, scheint es^ als ob für damals von dergleichen noch nicht die Rede sein kmm. B. sagt: nn simple incident de correspondance noos Mtira un instant sor ce g^n^ral, erklärt sieh aber nicht nS-^ ber, was dies gewesen sei. Saint^Just iäierragte an Fltfiig^ kalten und Charakterstärke Robei^ierre bei weitem; er war eigentüeh der Mann , dem die Herrschaft, wenn 'der TeiTO^ rismus sieh langer ausgelebt hätte, zufallen musster doeb; wenn ton eisernem Willen wie Bonaparte , hatte er nichts von dessen stürmischer Kraftäusserung. Robespierre sagte von ihm: Saint*Just est taciturne et observateur; mais j'ai remtf'quö, quant k son physique, quil a beaucoup de res- semMance avec Charles IX. (2, 168). Aber den Jähzorn des kMiern hatte Saint- Just nicht: als eines Tages Robespierre über einiger ihm missfälUge Beschlösse in Zorn war, sagte Saint-Just:. Galme*toi doiic, Tempire est au flegmaiique (a.\a. O.).^ Dass er sich darin täuschte, zeigt sein Ausgang. Sein Ingrimm geg^ü den Adel, dem er doch der Geburt naeh angehörte, >war so gross, dass er darauf antrug, jenen zum W^ebau anzustellen (2, 169). Man hat sich mit Recht ge- wundert, wk Sieyes der Guillotine entgangen sei. BedrobI wiir er allerdings. Robespierre nannte ihn la taupe de la riftvolutioii und hielt ihn für sehr gefährlich (2,280): ohne den 9. Thennidor würde auch Sieyes an die Reihe gekom*'^ meü sein. Von besonderer Bedeutsamkeit ist es, zu er- («kren , wodurch und wann eine Entfremdung Bar^re's von dem TriiHnvirat Robespierre, Saint- Just und Coutbon, ein- trat IMss Barere in den letzten Tagen vor dem 9. Tbermidor ikien nicht mehr angehörte, vielmehr von ihnen fttlr sieb fürchtete, ist uns schon bekannt (s. Wachsmuäi Gesck Frankr. 2, 331). Der Eindruck, den Bar^re's Armeeberiebte machten, erregte Saint-Just's Eifersucht; er rief: Je demande que Ba- r^ve ne fasse plus tant mousser toutes les vietoires (2, 149). CouAK>n solhe das Geschäft übernehmen, scheiterte aber bei

14*

il2 Barär0 von Vleuzae.

dem ersten Versnche. Saint -Just war auch darüber ärger-« lich^.dass Barere durch Requisition zu öffentlichen Diensten eine Menge EdeUeiMe -von dem Gesetze/ das sie vom Parit ▼erbannte^ zu eximiren wusste (2, 176. 179). Darauf klagte Dusourny, ein Scherge. Robespierre's, Barere bei den Jaco- binem an als Aristokraten; Robespierre zwar iiess ihn ajour-« niren; Camot aber prophezeihte ihm baldige Anklage. Dh Gesetz Yom 22. Prairial löste endlich den Bann des Schwei«» gens der Furcht, indem es Alle und AH^s fürchten * liess^ seitdem Spaltung auch im Wohlfahrts- und Sicheriieitsaus* Schüsse und Absonderung Bobespierre's, Saint -Just's und Couthon's von den übrigen Mitgliedern (206), heftige Debat- ten in den vereinigten beiden Gomit^'s und Bedrohung Gar« not's durch Saint-Just. Dies Alles ist hier bei weitem min- der-genau erzahlt, als sich's schon längst aus Garnot (expos^ etc.) und Yilate (causes secr^tes) entnehmen Iiess» neuerdings aua Stuart (r^v^lations) und dem Material in Buchez et Roux (histoire parlementaire) ergiebt Neu ist der Zusatz, dass Jto- r^re darauf Garnot gegen Saint-Just vertheidigt und diesem erklärt habe, dass er ihn nicht fürchte (206). In deh secfaa Wochep vor dem 9. Tbermidor war.Bat!ife~ id>er mehr von einem taedium vitae niedergedrückt, als mit Huthr^m Wr-^ derstande erfüllt (2, 212). Es wurde ruchbar, dass das Tri-i- umvirat Listen fertige (208), dass 18 Deputirte de»'N. Gonv., Tallien» Barras, Froren, Dubois-Granc6 etc. angeklagt wer- den sollten ; die Gegner des Triumvirats beschlossen , sie zu vertheidigen (211). Am Ende des Messidors versammelten sieh alle Mitglieder der dem Triumvirat ergebenen 48 Revolutions- ausschüsse von Paris auf dem Stadthause; Baräre wurde von seinen Gollegen vermocht, ein Decret dagegen auszuwirken (210). Im Anfange des Thermidor (nicht Messidor, wie es S. 213 heisst) veranlasste Robespierre eine Versammlung beider Gomit^s; er begehrte die Einsetzung von vier Revolutions- gerichten; Saint-Just darauf die üebertragung der Dictatur an Robespierre. Ausser Gouthon, Lebas und David war Al- les dagegen. Apr^s une diseussion vive et courte^ les dicta- teurs^ honteux et d^pit^s» se virent ^conduits etc. Die Ordre

du joQr, wodureh jener Antrag beieitigt wurde, war wje ein« Kriegserklärung auf den Tod (214). In der Nacht auf deu 9. Thermidar waren die beiden Gontit^s Tersaminelti währeiii Bobespierre mit seinen Freunden bei den Jacobinern war; Barere wurde beauftragt, Proclamationen und Deorete für dai folgenden Tag auszuarbeiten. Gambon brachte einen Ba« taillonschef (den Notar Lecointre), der sich erbot, sein Ba- taillon zur Abwehr eines nächtlichen tleberfalls heranzufiih« ren. Dazu kam es nicht (218). Barere behauptet, Saint-Just sei nicht in den Wobifahrtsausschuss gekommen; nach An» deren War er da und wurde von Billaud und Gollot bei Nie« derschreibuhg einer Anklagerede betroffen. Gewiss ist, dass er am Morgen des 9. Thermidor nicht, wie er rersprochen, seine Bede den übrigen Mitgliedern des Wohlfahrtsäusschus-* ses vorlegte. Ueber den 9. Therm, hat B. nichts zur Vervollr fi^digung von dessen Geschichte: falsch ist seine Angabei dass Bobespierre mit Saint«*JuSt in einem Saale des Wohlr Cfihrtsaussdiusses bewacht und dort von Henriot befreit wor- den seien (225); Bobespierre ward gefangen nach dem Lur jO^mbourg und von da im Triumphe nach dem Stadthause gefuhrt.

Der^z^eite Tbeil der Memoiren (2, 242 ff.) geht bis zur Deportation Bär^re's. Er enthalt sa gut wie nichts Beach* tungrwrcrtib^^ör -df^-Geschichte Frankreichs; von dem was Barere betcifit, bebeirwir Folgendes hervor. Die Gomaiission- der XXI, welche zur Untersuchung über ihn und seine Mit- angeklagten besteilt war, wollte mit 19 Stimmen gegen 2 ihn von aller Anklage entlasten; aber dem war Sieyes entgegen^ behauptend, man müsse über die Angeklagten in Masse be- rathen. Dessen Votum brachte Barere in den Halsprocess zurück. Dies erzählte 1800 Sergent, der vormalige Protokoll- führer bei jenen Sitzungen, an Barere, gab es ihm nachher auch schriftlich; B. führt diesen Brief als in seinen Memoi- ren befindlich an : aber er hat sich nicht vorgefunden (2, 264)« Nach der Sitzung, wo Barere seine Yertheidigungsrede hielt*, kamen zwei Deputille zu ihm und sagten, wenn er auf der Tribüne Tbatsachen , betreffend Collot's Mission nach Lyon

214 ^ Barire v&n VieuiM,

tmd Billaud^s Gorrespondmit mit ilim, angeben wollte, 66 werde er durch besonderes Decret freigesprochen werden. bies Idinte B. ab (2, 275). Dazu gesellt Baröre die Mitthei*- lung, dass Billaud allein die Correspondenz mit Collot und Föudi^ in Lyon hatte, dass ein Ungenannter an Barere die seheussliehe Lyoner Proclamation Ronsin's, des Anführers der Refoltttionsarmee (s.WachsmuthGesch.Frankr. 2,217) sandte, dieser sie dem Wohlfahrtsausschüsse vorlegte und darauf Göl- tet von Lyon zurückgerufen wurde (2, 275). Von S. 285 an werden die Memoiren abgebrochen und es folgen Bruchstücke aus Bar^re's unvollendeiem Gompte-**rendu; was in diesen bemerkenswerth ist, haben wir bereits oben eingesehaltet.

Die Memoiren werden fortgesetzt in dem dritten Baiuie. Die Deportation Billaud's, GoHot's und Bar^re's ward bekannt-^ Kch inmitten des Tumults vom 12. Germinal beschlössen; die- ser setzte sich fort am Morgen des 13ten; was soll man mm sagen, wenn Barere dies auf einen Anschlag, ihn* und seine Crefährten zu ermotden, deutet (3, 3 f.)! v Nicht viel anders klingt es, dass zur Zeit wo Barere in Säintes'gefangen sass, zwei geheime englische Agenten de» N. Gonvents dahin ge- kommen seien, um in ihm dem englischen Gouvernement etA Sdilachtopfer zu liefern (3, 41). Wird man ihm glauben, dass er, als sich Gelegenheit zur Flucht darbot, diese nicht eher benutzen wollte, als hh der N. Gonvent seine Sitzungen ge- . schlössen und damit der Charakter des Repräsentanten für Barere aufgehört habe (3, 48)? Im Verstecke zu Bordeaux 1795 1799 schrieb Barfere sein Buch sur la"* liberW des niers, ein Zeugniss von seinem nimmer rastenden Hasse gegen Eng« land. Doch mehr hasste er das Directorium, das ihm nach* spürte. Auch kann er nicht verschweigen, was Pitt zu Nion von Rochefort sagte, dass er fiir 500 Guineen die Gopie von den Plänen des Directoriums zur Landung in Irland erhalten habe (3, 71). Ein Brief Barfere's an Bonaparte über die neue Constitution, die auf den 18; Brumaiire folgte, wirkte bei Lefcj- term zu einer günstigen Meinung von Barfere; am 5.Friiöaire des J. 8 erhielt dieser seine Freiheit. Zu einer Unterredung »Äiit Bonaparte berufen, sprach er sich über die Mittel Franl-

Baittte tön Vieuzac. t IS

Mieb SU r«gierm tas imd nannte als Haaptpttnkte: jii»ttM lit earacMra. Noch im Januar 1100 wieder berufen, bekam er den Auftrag, ^&e Sobrift Lord GrenvHle'ft zu widirlegeni darauf wurde ihm eine Präfectur angeboten, die er ausiehlttg; dann «ollte er ein Journal für die Armee schrerben, die ibm noch von seinen Berichten im N. Gonvente her wohlwolltei auch das lehnte er ab; ebenso ist er nie Gensor der Jour-« »ale gewesen (3,101). -- Nach der Conspiration Ar^na's, Ce- racchi's u.s.w., die er, wie oben bemerkt, für Conspiration de Mrique erklärt (d, 116 f.} und wobei er die Absiebt muthma«> Sien lässt, mehre entschiedene Republikaner in den Handel «u verstricken, indem bei der Untersuchung nach Verkehr der Conspiranten mit Salicetti, Biass^na (!), Camot und fia- ri^re geforsoht wurde, sollte er Paris veriassen; doch Fouch^ mit welchem er immerfort in Verbindung blieb, vermittelte und er dui^ MeifoeA. ~ Nach dem Frieden au Amiens be« suchen ihn mehre det naeh Paris gekommenen Engländer, Erskine, Mackenzie, Kemble, Francis Burdett u. s. w. Gegen Keoible äusserte Barere, ob es nicht gut sein würde, wenn die eöglts(^e~n Miciister die 8ehmahungen der Journale gegen den eraten Gonsul unterdrückten : da schlug Kemble mit der Faust auf den Tisch und schrie, wenn das ein Minister versuchte^ würde er selbst sich an die Spitze eines Volkstumults stel« leu, um dem Menschen, der die Freiheit der Presse irgend anzutasten wage, das Haus zu demoliren (3, 1?6). Nach Wie« derausbrucb des Krieges begann B. mit veijüngtem Hasse sein Memorial antibritannique und bald darauf die geheime Berichterstattung an Bonaparte. Aber als sein Departement ihn zum' Senat vorschlug, ward dies von Paris aus hinter- trieben. Er wurde bekannt mit Izquierdo, dem spanischen Geschäftsträger; dieser ward ihm so gewogen, dass er sich wegen geringschätziger Aeussemngen über Barere für ihn schlagen wollte (3, 41]; doch was Barere aus dessen Eröff- nungen über die spanischen Angelegenheiten mittheilt, ist nicht der Rede werth. Die spanische Königin, heisst es 146, licfbte und vertheidigte sehr ihren Sohn Ferdinand (t). Mit der Geschichte es genau zu nehmen, ist einmal nicht

%U Barire ton Vietuac,

Büire'fl Sache* So sollen S. 157 der Kaiser Von. Oestreidi imcl der König von Preussen bei dem Gongress zu Erfurt gewesen, 700,000 Mann nach Russiand gezogen, 600,000 m wenigen Tagen zu Grunde gegangen, 12,000 Mann zurückge^ kommen sein (3, 157. 162. 175). Während des russischen Feldzugs Hess Savary (qui ressemblatt plutöl k un gendarme qu'A un ministre] Barere kommen, um ihn über unruhige Be- wegungen in den Vorstädten auszufragen; auch Tallien war da. Man sieht, was man beiden noch immer zutraute. Ba- r^re's Journal wurde unterdrückt; zur Entschädigung bekam er eine Viertelactie des Journal de Paris (3j 164); -^ Als ge- heimer Berichterstatter war der vormalige Redacteur des Jour- nal de TEmpire, Fiev6e, seit 1809 bei Napoleon in Geltung; von ihm erzählt Barere 3, 168 ff. Einzelnes» das fast- auf Ei- fersucht schliessen lässt. Aus der Geisohichte der ersten Restauration, während welcher Barere ein Pamphlet über Ei- nigung der Republikaner und Royalisten zu schreiben beau^ tragt ward (3, 202), noch ein Stückchen Argwohn: Zum 21. Jan. 1815, dem Jahrestage des Königsmordes habe der Poli- zeiminister Dandr^ verkleidete Gendarmes vor die Thüren al- ler Häuser der Königsmörder besteIH, und eine Anzahl Ad- liger im Sinne gehabt, diese zu ermorden; das sei nur durch den Strassentumult bei dem Begräbniss der Schauspielerin Raucöux verhindert worden (3, 204 f.). Sphr ungenügend ist was Barere über die hundert Tage berichtet. Er richtete zwei Noten an Napoleon, der nichts darauf erwiedeite, er Hess drei Schriften gegen den acte additionel ausg^n, er hatte eine Adresse bereit, der aber «ine andere von Garion- Nisas vorgezogen wurde; nach der Schlacht bei Wat^rloo ver- fasste er eine Proclamation, die aber mit einer anderen von Jullien verschmolzen wurde (3, 211 223). Der Verbannung von Paris entzog sich Barere zunächst durch siebenmonatli- chen Versteck. Labourdonnaye's verrufene Kategorien legt er Ludwig XVIII. bei (3, 239), über den er durchweg das un- vortheilhafteste Urtheil fällt. Nicht minder herbe urtheilt er über Oeeazes. Die Art wie Göurtois, der Marie- Antoinettens Testament hesass, seiner Papiere beraubt wurde (3| 256) » ist

JSor^e ten Vtettitae. 217

allerdings widerwärtig. Im Januar 1816 fl<di,er nach Mom» ipäter Dach Brüssel. Den König von Holland preist er we- gen des Schutzes, den die Verbannten genossen. Der fran«, Gesandte Latour du Pin begehrte u. a. Austreibung Merlin's von Douay. Dieser schiffl;e sich ein nach Amerika, ward aber durch Sturm an die Küste zurückgeworfen; auf- neues An- dringen Latour du Pin's sagte der König: 11 s'^tait embarqu^, Ja mer me Ta rendu, je le garderai (3, 255]. Was B. zum Schiuss der Memoiren (3, 265] über den Gang der Revolution bemerkt, ermangelt der. Richtigkeit, des Scharfsinns und der Ei^abenheit des Gesichtspunktes in gleichem Maasse.

Die Souvenirs de la Bejgique 3, 275 ff. sind von gerin- gem Werthe; als Hauptstück derselben bezeichnen wir die Nötiis über die Papiere Mirabeau's, die der Graf Lamarck, aachher Herzog von Ahremberg, erbte und deren Herausgabe 1927 nahe bevorstand (3, 345 f.].

Die Portraits, alleiniger Inhalt des vierten Bandes, ent- Jiaiten eine Menge Wiederholungen des früher Gesagten, sind Um besser, gearbeitet, als alles Frühere. Wenn ein Theil des Bar&re'schen Nachlasses zur Uebertragung in's Deutsche in Frage kommen sollte, so würden diese Portraits zu empfeh- len sein. Doch bedarf es der nachbessernden Hand: falsche An^en sind auch hier in Menge; Anistoresie geht durch uiid dufTisk; Charakteristiken und Anekdoten machen die Haupt- sache aus. Es sind der Portraits 92. Gift und Galle ist reich- lich darin. Vor Allem in dem Artikel: Les Bourbons (4, 46 bis 80). Ludwig XYHI. heisst faux, intrigant et brouillon po- lijtiqüe; dies ist noch nicht das Harteste; 53: le moins b6te et le plus m^chant des Bourbons, il en ^tait aussi le plus fourbe et le plus lache u. dgl. B. erinnert an den unglückli- chen Marquis von Favras, der für ihn^ an den Galgen kam (davon auch unter Lafayette 4, 289]. Schon in den Memoiren 3,257 erzählt er, Ludwig habe als Graf der Provence 1789 bei dem Parlament Schriften niedergelegt, die die Unechtheit der Kinder Marie -Antoinettens beweisen sollten; aber 4, 58 iMlet es auf einen eigenhändigen Brief an den Herzog von Fitz-James, aus dem J. 1789, worin er ihn bittet, die Sache

218 Bw^e oM VimiMi

4i»^ Notobleii v^yrcttlegen: jedoch in dem Jahre gab es krine y^rsammluDg der Notablen und das Ganze ist wohl niohti ala eine Mystifioation des Morning cbronicle, das 25. Febr« 1833 berichtete, in einer Yersteigening sei jetier Brief mti torgekommen. Von Danton lesen wir 4, 173 eine schreck«* bare und schwerlich zu bezweifelnde Aeusserung: Le lOaoAt, la r^volution est accouch^e de la libertö r^pablicaine, le 13 septembre, eile a d6pos^ Tarri^re-faix. Von Foueh6: Fouch^ n'aimait pas le mal pour le plaisir de le feire; il e4t pr^f^rö le bien; mais quel gouvernement sait empidyer ce moyen^ä? Dass Feucht nicht so böse war, als die Menge glauU;, und dass er zugleich Napoleon gegenüber eine^ Festigkeit und ei- genen Willen hatte, Hesse sich wohl ddtthun. Fr^i'on, TaHieti und Barras bekommen begreiflicher Wejse schlödlte'^ CetH suren, doch nicht schlechter, als sie terdienen. Barrag üttfl Fr6ron, heisst es 222, hatten in Marseille 800,090 Francs zu- sammengebracht, wovon sie Rechnung- ablegen sollten^ 'sie brachten das angebliche Protokoll eines Misire, dass auf dem Wege nach Paris ihr Wagen in einen Sumpf gdstttrzt ^ud das Portefeuille mit den Assignaten rerloren gegangen sei. Billig urtheilt Barere über Lafayette 279 f., scboAend IHSer Chateaubriand und Talleyrand, sehr günstig über Lamartifie, Manuel (von Rix), Böranger, Brune, Buonarotti (den Gefti^« sen Babeufs), Lamarque, Ney, Mirabeau (vou seiner Beste« chung sehr treffend: il se moqua m^me de ses corrupteurs. II jessemblait k ces femmes, qu'on paye toüjdurs et qu'dn n'achäte jamais. 345), Garnot, Prieur von der Goldküst^; da- gegen werden Guizot> die Doctrinaires insgesammt, Lally- Tolendal, Fürst Metternich, Montlosier, Casimir P^er, Rö- derer, Sieyes, Thiers und zuletzt Wellington in dehr uugün- stigem Lichte dargestellt. Zu dem Ansprechendsten in der gesammten Reihe Portraits gehört, was Barfere über Mirabeau und über Talleyrand giebt Vom Ersteren mag hier nur das schöne Wort stehen, das er über die hämischen Kritiker sei- nes frühern Lebens sprach : Oui, mes anciennes erreurs coö- tent bien cheri la chose publique (364). Unter Talleyrand finden^ wir Auszüge aus einer Art politischen Testam^nts^ das

Barkre i^on Vieuzac. 219

er März 1838 im Institute niederlegte Zeichnungen ei- nes Ministers der auswärtigen Angelegenheiten comme il faut^ eines Gonsuls und endlich Divisionschefs in solchem Mini- sterium. Als zur Geschichte der hohen Politik gehörig, füh- ren wir endlich, ohne gerade Barere hier für einen vorzüglich sichern Ge\vährsmann zu achten, noch an 4, 367: Kaiser Franz war 1815 geneigt mit Napoleon zu unterhandeln, aber als Murat losschlug, sagte er: Comment puis-je traiter avec Na- poleon, quand il me fait attaquer par Murat? 4, 441 f.: Vom Wiener Congress aus, als ein Bund zwischen Frankreich und Oestrer^h im Werke war, äusserte sich Talleyrand in seinem Schreiben an Ludwig XVIII. geringschätzig über die Abkunft des Hauses Romanow; Kaiser Alexander bekam Kunde da^ von, verzieh dies nicht und daher kam es, dass Talleyrand liäeh der zweiten 'Restauration entlassen ward.

Leipzig.

Dr. W. Wachsmuth.

EiOihav der Sachse nncl die nenesfen Bear-

belter seiner Genchlchte«

Nächst dem Jahrhundert der Reforniation giebt es in dec deutschen Geschichte vielleicht, keinen Abscbnitti der sich mehr zu einem geschlossenen Ganzen^abnindete» und dessen Entwicklungsgang sich in seinen äussersten umrissen leich- ter erkennen liesse, als der Zeitraum von dem Aussterben der Karolinger bis auf den Beginn d^r Habsburgischen Macht Die leitenden Ideen bieten sich in den- Ereignissen fast von selbst dar, und sind von den Zeitgenossen so vielfach ausge- sprochen worden, die einzelnen Kaiser treten so entschieden hervor und verbinden sich wieder in den drei grossen Ge- schlechtern zu so übersichtlichen Gruppen» dass man eben nur . dem Strome der Begebenheiten in folgen braucht, um auph in der wissenschaftlichen Behandlung des rechten Weges ge- rade nicht zu fehlen; dennoch wird man auf diesen Yertbeil kein allzu grosses Gewicht legen dürfen. Was sich uns auf den ersten Blick als unabweisbar richtig darstellt» ist nur das Allgemeinste» aber wir haben es hier nicht mit dem Allge- meinen allein, in seiner Verbindung mit dem Einzelnen, mit seiner Erscheinung in diesem haben wir es zu thun. Findet sich in der Behandlung solcher Zeiten die Methode leicht, noch leichter stellt sich ein Schematismus ein, bei denv man sich um so lieber beruhigt, je weniger man ihm eine gewisse Berechtigung absprechen kann. In der Regel wird in umfas- senderen Werken wie in Lehrbüchern die Geschichte der drei grossen Kaiserfamilien an dem Faden des Investiturstreits abgewickelt; gern verweilt man länger bei den hervorragen-

Lothar der 8ach$e u. dU neuesten Bearbeiter etc.

den Gestalten, und geht mit einem halben Blicke bei den andern vorüber, auf deren Kosten man nieht selten jene noch weiter in den Vordergrund stellte; man hat sich gewöhnt die einen zu sehen, die andern zu übersehen.

Es lässt sich nicht leugnen, zu denen die bald mit mehr oder weniger Absicht übersehen worden sind gehört auch Lothar der Sachse, und doch reiht er sich weder unwürdig den frühem Kaisern an, noch sind die Ergebnisse seiner Herr« Schaft unbedeutend zu nennen ; aber er steht allein da, ohne Djnüstie, neben der eisernen Festigkeit seines Vorgingers schien er zu yeriieren, und das aufsteigende Gestirn der Ho- benslaufea drohte ihn schon bei seinem Leben zu verdunkeln.

Noch zweimal treten uns auf den Wendepunkten der deutschen Geschichte ähnliche Gestalten entgegen, die im Le* ben, wie jetzt *in der Wissenschaft, in mancher Hinsicht das- selbe Schicksal hatten wie Lothar, es sind Conrad L und Adolf von Nassau. Man fertigt sie meistens mit wenigen Wor- ten ab, weil sie weder eine dauernde Gewalt begründeten, noch eine herrschende mit ihnen unterging; aber wir beach- ten niißht, dass während ihrer Unruhe vollen Regierung die Mächte^ denen die Zuluinft Deutschlands gehörte, wenn schon für den Augenblick zurückgedrängt, in der Stille immer tie« fere und festere -Wurzeln schlugen. Was uns später in dem ttberraischeaden Lichte einer neuen Gestaltung erscheint, wie die Herrschaft der. Sachsen unter Heinrich L , das erhöhte Uebergewicht mit dem Hohenstaufen und Habsburger auftre- ten, in jenen Zeiten bildete oder kräftigte es sich. Aber wie es uns nicht verstattet ist in das Geheimniss des Werdens selbst einzudringen, wird es uns auch nur selten so gut eine neu hervortretende Macht im Emporwachsen aus dem Keime zu beobachten; mit erdrückender Ueberlegenbeit steht das Gewordene in seiner ganzen Grösse plötzlich vor uns, und höchstens ist es uns noch- gegönnt seinen Verfall eine Zeit lang zu hißgleiten, während im Verborgenen neue Kräfte her- anreifen. Denn zunächst ist es das Gewordene, nieht das Werdende, was den Geschieh tsohreiber hervorruft. Diesem Eindrucke folgten auch die unbefangenen Chronisten jener.

823 Lotlmr^ der Sachse und dk neueetm

SMen» daher die yerbäüiiifisini^ige INirftjgkeii und a»ttiu)ter der gäfiiliclie Mangel susamBaeiibSngeiider Ueberlieferungen» die den Forscher gerade da verlassen, wo er ihrar am mei- sten bedürfte.

Und Ao^ waren eben diese Zeiten Wendepunkte der deuts^a Geschichte, die von den Fürsten, in deren Händen das Cresi^iok des Beiches lag» besser in ihfer Bedeutung er<* kennt wurden als von den mönehischen Chronisten» Oewt iflrep wir nicht, so stehen die Hegi^iingen Gonrtd's, Lofii«r^a md Adolfs in einer gewisten Yerwandtocbiift m üiotnderi^ die 2tt einer Parallele aufzufordern scheMira. Sie 2^fn 4ie Versuche, welche die Fürsten machten, der Herrschaft kn Beiche eine andere Wendung m geben, man möchte sagen, es seinem Schicksale zu entziehen, Y^suche, die gerade das, was man hatte vermeiden wollen, nur desto sidkerer beiiiei- führten, und in denen eine Saat des Unheils lag, die in der Innern Zersplitterung des Beichs zuletzt ihre Früchte trog« Nach dem Tode des letzten Karolingers bot man^ den Saoh-? sen die Krone an, ein fränkischer Herrsdier war es der sie davon trug, um so sicherer war sie nach sieben Jahren des KM%pfes das Erbtheil des jetzt noch mächtigern Saehsenrtam« mes . Als Heinrieh Y. kinderlos gestorben war, fürchteten diie Grossen nichts mehr als die aufstreb^ide Macht des v^rwand^ ten Hauses der Hohenstaufen, sie kehlten zu denSacbaeii zurück und wählten Lothar. Doch was war die Folge? Naek zehnjährigem Bingen, liach einer augenbltcklidieti Unterwer« fiing traten die Hohenstaufen mit ungesehwächier£raft wie- derum auf den Wahlplatz, und zu dem früher gefürcfateten und darum abgewiesenen Hause kehrte man jetzt um so lie-^ her zurück, weil sich, wie jene unter den fränkischen Kai-« Sern, so unter Lothar ein anderes Geschlecht erhoben hatte, das der Aristokratie noch gefährlicher schien, die auf 2wei deutschen Herzogthümern und einem italischen Lande ru- hende .Macht der Weifen. Was Lothar die Krone ^etBchattt hatte, musste sie seinem Schwiegersöhne entreissen; es war diMeibe Politik, die später so oft geübt worden ist, und die auch diesmal den Best der Fürsten bestimmte sich dem WAht>

BearbeUer seiner Oeschickte, S33

acte» der die Krone an die Hohnustaufen brachte, ohne Wi- derspruofa anzuschliessen. War, wie man gemeint hat, Hein«^ rieh der Stolze durch Conrad III. um die Krone betrogen worden, so war es Friedrich von Hohenstaufen nicht minder dinreh Lothar, aber im Ernste wird man keins von beiden behaupten können. Und nicht anders stand es mit Adolf von Nassau. Dem anwachsenden Uebergewicht des Hauses Habs-* borg wollten sich die Fürsten entziehen, es wurde von dev Htmekift ausgeschlossen, nur um sie nach einem kurzen Zwiichenreich siegreicher, kräftiger wieder zu erlangen.

Boppelt wichtig aber erscheint Lothars Stellung, durch die enge Yerbittdung^in welche die allgemeinere Frage über -die Investitur mit den Kämpfen um die Verfassung tritt Dies «rkannte man ebenso s^r als man fühlte , dass man auch sein^ Regierung das Redit ein^ historischen Sichtung müsse angedeihen lassen, nachdem die Hohenstaufen und Franken ihre Gescbidhtselireiber gefunden hatten, und auch die Zei- ten der sächsischen Kaiser einer neuen Durchforschung un- terworfen worden wiwen. Ihn zum Mittelpunkte einer eige* neu Darstellung zu iowshen, sdiien um so nöthiger, da seine Herrsdiafl bidd als diarakterloser Anhang zu den fränkischen Zeiten gezogen, bald als Einleitung der Hohenstaufischen Ge-* schichte geopfert wurde. Beide Standpunkte konnten für die Au&ssung Lothars nur ungünstig wirken, denn wo sich ein eigentfa^mliches Urtheil herausstellte, war es in der That nicht selten mehr ein Verurlheilen als ein Beurtheilen. Diese Rück- sichten haben jetzt binnen Jahresfrist zwei Monographien hervorgerufen: die frühere von Gervais in Verbindung mit ei- ner Geschichte Heinrichs V.*), das Ganze also eigentlich eine .Darsfelhing'der.Uebergangszeit von den Franken zu den Ho- henstaufen;. die zweite des Herrn Jail^, die sich auf die Zeit Lothars beschränkt, eine gekrönte Preisschrift, erscheint hier neuer Bearbeitung vor dem Publikumr*)

*) Politische Geschichte Deutschlands unter der Regierung der Kaiser Heinrich V. u. Lothar III. 2ler Theil: Kaiser Lothar III. Leipz. P. A. »rockhaus. 1842.

**) Geschichte des deutschen ßeicbes unier Lothar dem Saoh*

tit Loth0t ihr 8aoh$eunä dU neuesten

Es ist hinreichend bekannt,^ dass der Tadel den Lothar früher erfuhr, ihm in dem ersten Bearbeiter seiner Geschieht« .einen. warmen Lobredner erweckt hat; mit dem £ifer eines Anwalts vertheidigt Gervais jeden Fuss breit Boden gegen die Hohenstaufen, so wenig als möglich soll ihnen von dem Glänze bleiben, mit dem man sie zu umgeben gesucht hat: Und fragen wir nun zuerst nach der Grundansicht des jiin«* gern BearbeiterSi die sich an einigen verstreuten Stellen sei- nes Buches ausgesprochen findet, so können wir nicht der Meinung sein, dass sie sich wesentlich von der seines Vor- gängers unterschiede, nur die Form in der sie auftritt ist eine andere; Gervais spricht entschieden aus,. was bei ihm imr* alimählig und nicht ohne ein gewisses Schwanken h^vot«* tritt Er giebt Lothar das höchste Zeugniss das die Geschichte geben kann, er sagt S. 220: Es ist kein leeres Wort^ Lothar verstand seine Zeit; und dock meint er andrerseits S. 35: er habe durch die Bedingungen die er bei seiner Wahl einging, der Ehre des Reichs, dem kaiserlichen Ansehen eine, tiefe Wunde geschlagen. Sollte Lothar diese Zugeständnisse ge- macht haben, weil er einsah die Zeit ertrage, njcht mehr ein Kaiserthum, wie es sich die Sachsen und Franken dachten; es sei an der Zeit die früheten^iispiHiche-iieifabziastiimnen? Sicher hatte.«r..yon. derWürjje dj^.Saiserthupis und seingr Stellung in 4er christlijehen Welt kefate^' ^mnge^e Meinung als seine Yergängerv vielmehr war isie es, die ihn zwang in derselben Weise aufzutreten, dieselben Ansprüche zu erbe- ben, die jene gemacht, und die er als des Reiches Fürst selbst bekämpft hatte. Lothar erscheint als ein edler versöhnlidier Charakter, der mit seiner Milde Kraft und Entschlossenheit des Handelns zu vereinen weiss; er giebt dem Reiche nicht nur die lang ersehnte Ruhe, auch den alten Glanz giebt er ihm zurück, auf den Wegen der Ottonen einherziehend, stellt er die Hoheit und den Einfluss gegen Dänemark, .die W^en- den, die Böhmen, die Ungarn, in ünteritalien wieder her, er

sen. Eine von der pbilos. Facultät zu Berlin gekrönte Preisschrift. Berlin. Verlag von Veit u. Comp. 1843.

Bearbeiter sekier GesoMchte» 2tS

geUi^sst seine Thatigkeit mit einem zehnjährigen Landfrieden dbf und die Chronisten preisen ihn als den Vater des Vater- landes. Aber nach den inneren Umwälzungen die das Reich seit einem halben Jahrhundert erfahren hatte, musste es im- mer ^ie- erste, wichtigste Frage bleiben , wie er sich zum Papstthum stellen werde, und eben in seinem Verbältniss zu diiBiSem' können wir nieht die ideale Einheit, beider Gewalten finden, die Gervais darin zu sehen meint, noch die innere UeberzeugUDg mit der sich Lothar der Kirche unterordnete, worin Herr Jaifö ein religiöses Bedürfniss des Kaisers zu er- kennen glaubt Vielmehr können wir seine Stellung nach die- ser Seite hin nur eine schwankende nennen. Betrachten wir sie. einen Augenblick naher.

^ In der Wahlcapitulation hatte Lothar auch das aufge- geben, was das Goncordat dem Kaiser erhalten hatte, bei den AVahJen der geistlichen Fürsten gegenwärtig zu sein: er Uess es sich gefallen die Belehnung mit den Regalien nicht an dem Gewählten, wie es früher festgestellt worden war, sondern erst an dem Geweihten zu vollziehen, wodurch sei- U^m Einflüsse noch engere Schranken gesetzt wurden. Ja er ging noch einen Schritt weiter, er erliess den bei seiner Wahl anwesenden Bischöfen und Aebten den Lehnseid (hominium) den sie früher geleistet hatten, (ut moris erat, sagt die nar- ratio de electione Lotharii) und begnügte sich mit dem Ge-^ lübde der Treue (fidelitas), während die weltlichen Fürsten beides leisten mussten. Damit hatte er dem Papste, den geist- lichen Ständen gegenüber das Princip auf dem das Kaiser- ttium rufaete, geopfert; er, der oberste Lehnsherr der Christen- heit verzichtete auf den Lehnseid der geistlichen Fürsten^ und doch behielten sie die Lehen in Händen, die sie vom Reiche hatten, die Städte, die Herzogthümer, die Markgrafschaften und Grafschaften, das Mtinzrecbt, die 2ölle, die Märkte und Geriete, die Reichsvoigteien und Burgen. Wie wenig sie selbst geneigt waren ihrem geistlichen Charakter solche Opfer zu bringen, hatten sie bereits bei der im Jahra Uli versuch- tem Ausgleichung des Investiturstreits hinlänglich gezeigt (Mo- num. Germ. legg. IL p- 69). Dnd was erkaufte sich Lothat

Z«itschrin f. Geschichtsw. I. 1844. ^5

226 Lothar der Sackie und die neuesten

damit? Nicht einmal die volle Uebereinstimmung mit Bitiem Papste, der selbst erst gegen einen Schismatiker seine volle Würde erkXmpfen, mit des Kaisers Kräften erkämpfen musste. Wir können gern glauben, dass es Lothar mit dem ewigen Frieden zwischen Reich und Kirche von dem er 1131 an In- nocenz II. schreibt, Ernst war, aber die gebrachten Opfer konnte auch sein Glaube an die Superiorität der Kirche nicht verschmerzen. Wie hätte er sonst zu Lüttich an den Papst die Forderung stellen können, die Investitur zurückzUgebta, wie sie vor dem Galixtinischen Goncordat bestanden, weif das Reich allzu sehr geschwächt sei? Es ist kaum glaublicb, dass die fromme Ansprache des b. Bernhard an des Kaisers Gewissen diese Skrupel für immer beschwichtigt, oder dass ihre Kraft allein sie auch nur für jetzt beseitigt habe. Noch standen die Hohenstaufen im Felde, und schwerlich dürften die geistlichen Stände auf eine Herstellung des alten Verhält- nisses eingegangen sein, nachdem sie die Freiheit der WaM kennen gelernt hatten.

Auch fehlte es fernerhin keineswegs an Streitpunkten zwischen der wettlichen und geistlichen Herrschaft. Der Kai* ser will den Frieden, er giebt nach, zwar nicht ohne Wider* streben, nicht ohne leise Versuche seinen Anspruch dun^h«' zusetzen, aber er giebt nach, und doch schützt ihn dies nicht vor weiteren Anmuthungen. Die Wahl Albero's von Trier wird gegen seinen Willen vom päpstlichen Legaten durchge- setzt, er thut Einspruch, aber dennoch giebt er ihm die In^ vestitur; er bleibt mit dem Erzbischof bis an das Ende sei- ner Regierung gespannt, dennoch ernennt der Papst gerade dieaeD au seinem Legaten iär Deutschland. Heinrich V. hat|e im Jahre 11 tl geschworen ein Schützer und Schirmherr der römischen Kirche zu sein, sie in ihren Einkünften und Nut«*» Zungen zu wahren, sie bei ihren Besitzungen, Ehren uml Rechten nach Kräften zu erhalten. Anders lautete der Schwur zu dem sich Lothar zwanzig Jahre später verstand, ein si«» ekeres Zeichen, weiche Fortschritte das kirchliche Princip in dieser Zeit gema<^t hatte. Er gelobte 1133 nicht nur die Regalien dts b. Petrus die der Papst besitze zu bewahren,

BearbeUer seiner Oesekichie. 237

sondern auch dt6 er nicht besitee herzustellen, ein Zuge-* stUndoiss, das er sieher in der Absicht gemacht hatte, deri Frieden zu erhalten, aber schon beim ntichsten Schritte musste es ihn unausbleiblich mit sich selbst, mit dem Kaiserthum, ja auch mit dem Papste in Widerspruch bringen. Was konnte nteht Alles als Regal des h. Petrus in Anspruch genommen Werden? Man erinnere sich doch nur der Sprache die Gte- gorüihrte, hatte er nicht das Eigenthum aller Menschen (om- ftium hominum possessiones) für ein Gut des h. Petrus er- klärt? Dass Lothar an diese Folgerungen nicht dachte, zeigt die bald (fintretende Spannung, in die er mit dem Papste gerietb; aber hatte er nicht im Princip eingeräumt, was er in der That nicht zugestehen wollte und konnte?

Gleich bei der Frage, die zunächst zur Sprache kam, a^eigten sich die Folgen dieses Schrittes. Lothar musste die Mathildischen Erbgüter, die von den Reichslehen gewiss schwer oder gar nicht zu trennen waren (Stenzel fränk. Kaiser Th. L S. 668), von dem Papste zu Lehen nehmen. Wie oft hatten Ae Kaiser nicht ausgesprochen Oberlebnsherren der Chri- stenheit zu seinr? Dieser Kaiser erliess den geistlichen Für« sten den Lehnsetd, er selbst leistete ihn dem ersten geistli- eilen Fürsten und wurde sein Lehnsmann; dass er es nur ittr einen bestimmten Landstrich wurde, konnte die Sache nicht ändern, der Kaiser war Lehnsmann geworden, und da- mit hatte er das Princip des Kaiserthums aufgeopfert. Die- selben Auftritte wiederholten sich bei dem zweiten Zuge nach ItaKen. Salemo, ünteritdiien überhaupt, war ein Regal des h. Petrus; Innocenz unterliess nicht es als solches in An- spruch zu nehmen, Lothar konnte nicht vergessen, dass hier seine Vorgänger seit mehr als hundert Jahren Belehnungen ertheitt hatten, und doch hatte er geschworen dem h. Petrus seine Regalien wieder zu schaffen. Ein heftiger Streit «wi- schen Papst und Kaiser war die Folge, und einem gänzlichen Bruche konnte nur durch ein neues Zugeständniss Lothar's vorgebeugt werden : man begnügte sich mit einer voi^ufigen Maassregel, Kaiser und Papst belehnten bis zur scbliesslichen Ausgleichung der Sache tJen neuen Herzog ton Apulien gleich*

15*

229 Lothar der Sachse und die neuesten

zeilig mit derselben Fahne. Damit hatte Lothar die Ober« herrscbaft des Papstes in Unteritalien neben der seinen an«> erkannt, und dieser Opfer ungeachtet gab der Papst seiner^ seits in Nebenfragen, wie die Abtwahl von Montecassino nur unter fortgesetzten Drohungen und Protestationen jiach. Ein stetes Nachgeben» ein stetes Weichen bis zur Crefahrdung des Princips gegenüber den immer steigenden Anforderungen 4er andern Seite, ohne auch nur in Nebendingen den Friedea erreichen zu können, den er aus itmerster Ueberzeugung wttnschte, dies scheint uns hier der Grundcharakter der Re^» gierung Lothars. War es möglich den Frieden herzuslellen: er, der Mann der Partei, die so oft die Verbündete Roms ge- gewesen war, der Herrscher voll Milde und Kraft zuglmcb, er hätte es gekonnt; er wollte es, und was war das firgebniss? Wahrlich, kein Zeitpunkt scheint geeigneter die Natur dieses Kampfes in das rechte Licht zu setzen als die Herr-« schdft Lothars» Wären die Weifen nach seinem Tode an die Stelle der Hohenstaufen getreten, sie hätten dem Papstthüra gegenüber schwerlich anders gehandelt als diese,, hinlängl ich hatte bereits Heinrich der Stolze seine Gesinnungen gegen den Papst an den Tag gelegt, und es ist eine leere Geschidits- mäkelei, behaupten wollen, ihre Wahl würde dem fieicha grosses Elend erspart haben. Aber nicht auf Namen, oder Personen kam es hier an, es waren nicht die Salier und Ho- henstaufen, nicht Gregor und Innocenz die den Kampf führ- ten, es waren Principien, die einmal in ihrer ganzen Schärfe ausgesprochen, sich befehden müssen bis auf den Tod^ und nur in ihrer gegenseitigen Vernichtung lag die Möglichkeit des Friedens. Der die Macht besass zu lösen und zu binden, ini Himmel und auf Erden, der das freie Reich der Geisten, beherrschen wollte, er konnte, er durfte seine Würde nicht von dem Herrscher dieser Welt annehmen , es lag eia Wi*^ derspruch darin, der die Idee des Primats nothwendig ver-^ nichten musste; mit dieser Macht war kein Friede zu schlies- sen, denn nur in der Weltherrschaft fand sie ihre Erfüllung. Und der Kaiser, der erste Fürst der Christenheit, von des-» sen Macht alle weltliche Herrschaft ein Ausfluss war, er solltf

Bearbeiter seiner Geschichte, 220

die Geidtliohen mit allen Gütern, die seit Karl dem Grossen in ihre Hände gekommen waren, aus dem Reichsverbande entlassen? er sollte sein Reich vom Papste 2u Lehen tragen? Er wäre vom Throne herabgestiegen und hätte sein Scepter mit eigner Hand zerbrochen.

Doch kehren wir zu dem Ruche zurück, das uns zu die« ser weiteren Ausführung unserer Ansicht über Lothar Ge- legenheit gegeben hat; wir glauben damit zugleich die Auf«< Ibssung, wie sie dort dargelegt wird, einer Kritik unterw'or«* fen zu. haben, ohne auf die Stellen noch besonders hinwei- sen zu müssen, in denen sie hervortritt.

Herr JafT^hat sich in der Rehandlung des Gegenstandes der Art und Weise angeschlossen, die man die mehr kritisch- philologische nennen kann, und die in den letzten Jahren al- lerdings nicht ohne £rfolg aus dem fiereich der Alterthums- Wissenschaften, wo sie von jeher die übliche war, auch auf den Boden der mitt«laltrigen Forschungen verpflanzt worden ist. Er hat mit grosser Gewissenhaftigkeit alles benutzt, was an Chroniken und Urkunden in Betracht kommen konnte, aueh das kritische Verhaltniss der Quellen zu einander lässt er nicht ausser Acht, er thut keinen Schritt vorwärts ohne Prüfung, und scheut nicht die Mühe in das kleinste Detail einzudringen. Wie es bei einer solchen Sichtung des Stoffs üblich ist, setzt der Verf. die Hauptbelegstellen, die Hinwei- sungen auf die minder bedeutenden, kleinere kritische Erör- terungen unter den Text, die grösseren verweist er in die Beilagen, deren er neun giebt, die seiner Gelehrsamkeit noch freiem Spielraum verstatten. Namentlich verdient hier die siebente Beilage hervorgehoben zu werden ; er giebt nämlich S. 245—270 eine Uebersicht sämmtlicher deutscher Erzbischöfe und Bischöfe, die während Lothars Zeiten auftreten; Wahl- tag, Todestag, jede urkundliche Notiz die aufgetrieben wer- den konnte, ist hier in der Weise von Regesten eingetragen, so dass sich daraus ein bedeutendes Hülfsmittel Tür die Lö- sung chronologischer Fragen ergab, das dem Verf. mehr als einmal trefflich zu Statten kommt. Der Vortbeil einer um- fosseuden Renulzung der Urkunden erweis sich auch bei der

230 Lothar der Suchst und die neuesten

Untersuchung über die Frage; wann Herzog Heinrich m\t Sachsen belehnt worden sei, die dahin entschieden wird, dads es vor 1137 nicht geschehen sein k^nne, da Heinrieh bis auf dieses Jahr in den vorhandenen Urkunden nur als dux Bar variae und marchio Tusciae, aber nicht als dux Saxoniae er** scheint Weniger Gewicht ist dabei wohl auf die bestimmte Angabe des gleichzeitigen Peter Diaeohus zu legen, der $U lerdings die Belohnung in das Jahr 1137 setzt; dass man aber seinen Erzählungen über Dinge, die seinem nächsten Kreise nicht angehörten, nicht überall trauen darf, geht aus solchen Behauptungen hervor, wie, Innocenz habe zu Lüttich das liv>* vestiturrecht an den Kaiser wirklich abgetreten; weirt ihm doch der Verf. selbst in dem genauen Bericht über seinen Aufenthalt im kaiserlichen Lager einen chronologischen Feh-i 1er nach, S. 211. Die abweicfaendeu Angaben Dodechin's, des Mönchs von Weingarten, Helmold's, welche die Belehnohg mit Sachsen auf 1126, 1127, 1136 feststellen, sucht derVerf* aus einer Verleihung einzelner sächsischer Lehen zu erkiären, eine Auslegung iu der man sich dem consequenten. Schwei- gen der Urkunden gegenüber fast gedrungen siebt, ob woU keiner der Chronisten die Sache so meint,, alle drei sprechen nur von dem ducatus Saxoniae. Auch ist es aufTallend, diass der Kaiser sollte das Herzogtfaum zurückbehalten haben; was hatte die Erbitterung gegen die Franken mehr gesteigert als Versuche dieser Art?

Chronologische Untersuchungen, auf die ohnehin das Er-» forschen des Details vorzugsweise hinleitet, behandelt der Verfasser überhaupt mit Vorliebe, und man kann nicht leug-* nen, dass er dabei einen gewissen Scharfsinn entwickelt, S. 103 in der Erörterung über die Zeit der Mainzer Versamm- lung 1131, über den Aufenthalt des Kaisers vor fienevcnt, S. 204, die Reise des Abtes von Montecassino S. 210 u. s. w. ; freilich handelt es sich dabei meistens nur um einen Unter- schied von wenigen Tagen , doch entscheidet der Verf. auch auf diesem Wege die Frage, ob Herzog Conrad auch Mark- graf von Tuscien gewesen sei, die nach dem Vorgange alte'* rer Forscher, natürlich mit Nein beantwortet wird. Femer

Bearbmier seiner Geschichte. 231

giel>t er in der achten Bailage ein VerzeioknisB der Unter- schriften der Lotharischen Urkunden; dass er hier neben den ErjBkanzlern auch die meistens bedeutungslosen Kanzler be* rücksiebtigt hat, ist ein löblicher Beweis, dass er keinen Punkt ausser Acht lassen wollte, auf den bei frühem Untersuchun- gen dieser Art hingewiesen worden ist

So stellt sich denn von dieser Seite ein entschiedener Fortschritt in der Bearbeitung der Geschichte Lothars her- aus, das ^iaterial ist gesichtet, manches Einzelne ist in ein neues Licht gestellt, vieles schärfer, sicherer bestimmt. Aber damit ist erst ein Theil der Aufgabe gelöst, und irren wir nicht, der leichter zu lösende. Wir können gewiss am we- ni^teu geneigt sein Forschungen dieser Art in ihrem Werthe irgendwie herabzusetzen; aber was helfen uns todte Einzel- heiten, wenn sie sich nicht zu einem Bilde abrunden, aus dessen Zügen Geist und Leben zu uns sprechen? was hilft uns das wohlgeordnete Fachwerk der Chronologie, das, wenn es auch die Theile giebt, doch des geistigen Bandes ent- behrt? Und das ist es nach unserer Meinung was Herrn Jaffö's Buche fehlt, worin es entschieden hinter Gervais zurücksteht Es kann nicht unsere Absicht sein eine Vergleichung beider Bücher anzustellen, aber ein Blick auf die frühere Leistung lasst sich um so weniger vermeiden, als Herr Jaffö selbst be-* reits in seiner Vorrede eine solche Vergleichung angestellt, und sie einstweilen mit ziemlicher Sicherheit zu seinen Gun- sten entschieden* hat Wir haben hinlänglich dargethan, dass wir Gervais' Grundansicht für unrichtig halten, aber wir müs- sen zugestehen, dass er trotz der Menge von Vermuthungen, Combinatipnen, Betrachtungen die sich in breitester Ueberfülle geltend machen, im Ganzen doch seines Stoffs weit mehr Meister ist als der jüngere Verf., ungeachtet dieser in vielen ein- zelnen Punkten gegen ihn Recht behält Bei seinem Vorgänger findet derselbe den falschen Pragmatismus (Vorrede S. 2). Im- inerhin, aber warum musste er hinzusetzen „dieser liege ihm ebenso fern als jenem nahe''; warum mit ein^ai verdäehtigen- den. Hinblick auf jenen äussern: ,3Iir war es ciiizig und al« lein um die Wahrheit zu thun"; warum Gervais' gewiss ach-

232 Lothar der Sachse und die neuesten

tUBgsweithes BekeBotniss (Gesch. Lothars, Vorrede S. L) über- sehen, y^anders Denkende der Unkunde und Sorglosigkeit zu zeihen, oder seine Ansichten für die einzig richtigen auszu-* geben, halte er für eine grosse Anmassung*'?

Und hat sich denn der Yerf. von dem falschen Pragnia«* tismus frei gehalten, den er dort so vornehm tadelt? Gewiss hat er es gewollt, aber ebenso gewiss ist es ihm nicht immer gelungen. So weicht er S. 28 von der gewöhnlichen Annahme ab, nach der sich bei der Wahl Lothars. die Sachsen auf dem rechten Rheinufer, Friedrich von Hohenstaufen auf dem linken lagerte. Es handelt sieh hier um die Erklärung der Worte ultra fihenum und ex altera parte in der narrat de elect. Loth. Aber weil Friedrich nach demselben Zeugniss angeblich aus Furcht vor den Einwohnern von Mainz nicht in die Stadt zu kommen wagte, schliesst der Verf., deshalb kann er sich nicht auf der Mainzer, auf der linken ^eite des Rheins gelagert haben, ein solches Verfahren wäre wohl ein offener Wider- spruch in Friedrichs Benehmen gewesen. Wie? darum? Weil Friedrich nicht in die Stadt zu kommen wagte, darum kann er auch nicht auf der Uferseite wo diese Stadt lag ge« blieben sein? darum musste er eilen den breiten F]u$s zwi- schen sich und der Stadt zu sehen? Wie soll man es nennen, wenn wir S. 42 über die Verurtheilung Friedrichs auf dem Strassburger Reichstage, auf das Raisonnement hin, dass die Quellen ebenso wenig berichten, er sei vorgeladen worden, als er sei nicht vorgeladen worden. Folgendes lesen: „Der Herzog aber erschien nicht nur nicht, sondern begann sogar neue offene Feindseligkeiten gegen den König. Also darauf hin bricht der Verf. über Friedrich von> Hohenstaufen den Stab! Wo soll man den falschen Pragmatismus suchen^ wenn er hier nicht ist? Der Verf. ist ferner nicht mit dem Grunde zufrieden, den Otto von Freisingen angiebt, weshalb Rainald die Belehnung mit Burgund bei Lothar nicht nach- suchte, — nimis iustitiae suae confisus, er vertraute auf sein gutes Recht, der Verf. setzt S. 64 hinzu: „oder weil er den deuts^chen Königen die Oberherrlichkeit Burgunds nach dem Aussterben der Franken absprach." Er vermuthet, in

Bearh^Uer »einer Geschichte. 233

Bezieirang auf diesen Fall habe LoAar das Geseti gegebei^ wenn ein Vasall binnen Jahr und Tag die ndttiige Belehming aus gutem Grunde (non doiose, Monum. Germ. legg. II. p. 80) nicht nachgesucht habe, solle er das Lehen nicht verlieren, weil der Schluss nahe liege, wer keinen guten Grund bat^ verliert das Leben. In der That, eine sonderbare Art indi* reeter Gesetzgebung. Auch bestimmte ein Gesetz Conrads IL in diesem Falle entschieden Verlust des Lehens. Ueberbaupt bürdet der Verf. den Worten nicht selten mehr auf, als sie £U tragen vermögen; so schliesst ein Brief Innocenz IL an Lotiiar mit den Worten: et post decursum agonis Stadium incorruptibilis coronae suscipias praemium. Es ist zugege- ben, dftss eine Wendung in der schwülstigen und überiade- neu Sprache des Briefs möglicher Weise auf Lothars Plan/ die Krone- auf seinen Schwiegersohn zu vererben, gedeutet werden kanq, aber zu viel ist es, auch den Sinn der enge» merkten Worte ^ die nur eine geistliche Vertröstung enthal- te, aus dem Zusammenhange folgendermassen erklären zu wollen, wie der Verf. 174 A. 86 thut: „Und damit du nach Edüllung der von mir geforderten Gegendienste nänilich zunächst des italienischen Feldzugs als Lohn für Heinrich die Königskh>ne empfangest*^ Durch solche Erklärungen Ulssl sich aus Allem Alles machen.

Es scheint nicht ganz überflüssig noch einige Bemerkun- gen hinzuzufügen, die mehr die literarische als die historische Seite des Buchs betreflen. Dass der Verf. eine ausgebreitete Kenntniss und möglichste Benutzung der literarischen Hülfs- mittel bei einer Monographie vorzugsweise nicht für gleich- gültig erachte, dafür giebt sein Buch hinlängliche Beweise, fast auf jeder Seite zeigt er seine Belesenheit; aber wie er sie zeigt, darüber- möchten wir mit ihm rechten. Bei Unter- suchungen dieser Art schliessen wir uns einer Reibe von Vorgängern an, die für uns gedacht, geforscht, gearbeitet ha- ben, mit den Ergebnissen ihres Fleisses arbeiten wir weiter, und was wir Neues damit erwerben ist in der Regel viel weniger als wir empfingen. Haben wir aber wirklich eine höhere Stufe als jene erreicht, ist es ein Wunder, oder des

234 Lothat der Saoh$e und di0 nrntesien

Auf hehens und Rühmens ^ertb^ ^dass wir einen wQitern Ge- fiehtekrei« haben» als der auf dessen Schultern wir gestiegen sind? Der Verf« scheint nicht überall dieser Meinung gewe- sen SU sein. Nicht Vorzugsweise da, wo er andern Forschern ßlwas m danken hat, führt er sie an, sondern wo er glaubt anmerken zu müssen, dass er im Vergleich mit ihnen Neues gebe» und doch wäre es der Billigkeit wie der Kürze wegen rathsam gewesen, solche Hinweisungen mindestens da liicht zu unterlassen, wo im Grunde nur wiederholt wird, was jene schon gesagt hatten. Warum verweist erz. B. S. HO und 146 nicht auf Dahlmann, dessen Ansicht über Loüiars Yerhältniss zu Dänemark er. gegen Giesebrecht in dessen wendischen Geschichten eigentlich nur vertritt , mit denselben Beweis- stellen und Gründen vertritt, die Dahlmann in seiner Ge- schichte von Dänemark ThL 1. S. 231, 233 bereits gegeben und angedeutet hatte. Und gar von seinem unmittelbaren Vorgänger, auf den der Verf. glaubt herabsehen zu dürfeni hätte er doch ja nichts annehmen sollen, ohne es^mitdessMi Namen zu bezeichnen. Die naheliegende- Ausgleichung der sch^nbar sich widersprechenden Stellen über Heinrichs Ver- mählung mit Lotbars Tochter (S. 6(X A. 23), hatte schon Ger- vais (S.7d. A. 1. 2.) gegeben, ebenso den Grund warum wahr- scheinlich Karl von Flandern in der narrat de elect. Loib. als V^ahlcandidat gar nicht genannt werde (S. 18}, und doch wiederholt dies der Verfasser beinahe mit ähnlichen Worten. Diese Stellen bei Gervais- gehörten doch nicht zu: denen, wo der Verf. besorgen musste den Leser durch seine Widerle- gungen zu belästigen, wie er in der Vorrede S. V sagt. Warum endlich giebt er bei der Anfuhrung von Kaiserurkunden die Nummer aus Böhmer's Regesten in der Regel nur da an, wa er einen Druckfehler oder sonst eine Kleinigkeit anzumerken findet, da doch gerade das Gitat nach der Nummer die lieber-« siebt bedeutend erleichtert? Doch wdil nicht um ein Paar Citate mehr zu Markte bringen zu können? doch nicht damit man meine er sei ohne Böhmer's Hälfe in das Labyrinth der Urkunden eingedrungen, und habe sich nieht an seiner Hand, sondern durch eigene Kraft darin zurechtfinden temen? Die

Hinweisung auf die Nummer der RegeM^o hi docb -wotU dar geri9g9te Dank dea man einem Abone ab^tirtt^ kaiifti 4er zuerst diesen verachutteten Sobacht wieder ziigADgUch machte.

Auch die Art wie . fremde Meinungen widerleigt werden acbeixil uns nicht passend. Wenn der Verf. z. B. S. £3» A. Ai in brüskem Tone ausruft:. ,,För StenzePs Behauptung kaan ieb keinen Beweis finden*'; wenn er S. 79« A. 24 sskgt: „Böh-' nier scheint einen Ort Stohka zu kennen; mir ist ein soU eher nicht bekannt''; wenn er S. 133 von Luden's Erfindun- gen spriefal und S. 193. die naiv klingende Versicherung giebt, nach Savigny's Erörterungen über die Auffindung der Pan- dekten sei wohl nichts mehr darüber zu sagen; wenn er von Widersinnigkeiten^ von aus- der Luft gegriffenen Behauptungen anderer spricht: so kann diese Weise nicht für die rechte gelten. Scheint es doch fast, als erschallten diese Aussprüche von einem Tribunale herab, wo keine Appellation gilt. Allem Anseheine nach versucht sich der Verf. zum ersten Male auf dem Gebiete der Wissenschaft öffentlich, und so tritt er den Meistern entgegen, die „Jahre lang bilden und sich nimmer genug thun.'' Es kann uns natürlich nicht einfallen zu ver- langen, eine fremde Meinung solle auf Autorität eines Na- mens angenommen werden, das hiesse den Tod der Wissen- schaft verlangen, in der der Widerspruch das Belebende ist; nur erscheine er in gehöriger Form, nur trete er nicht als Orakelspruch auf, der allem ferneren Reden mit einem Schlage ein Ende machen will. Auch .dürfen Männer, die ihr Leben an die Erforschung solcher Verhältnisse gesetzt haben, wohl einmal eine Vermuthung wagen, ohne sie gleich mit Brief und Siegel zu belögen; aber wir geben es dem Verfasser gern zu, dies ist eine Freiheit, die nicht ein Jeder in Anspruch nehmen darf.

Doch genug davon, und zum Schluss nur noch eine Be- merkung. Die Schreibweise des Verfassers ist ungleich, mit- unter künstlich geschraubt und hin und wieder allzu trivial. Wie schwierig es auch sei, Untersuchungen und Darstellun- 'gen die bis in das Einzelnste gehen in ansprechender Weise zu geben, hier hätte der Verfasser gewiss mehr thun können.

^36 Lothar der Sachse und dk neuesten Bearbeiter etc.

Wenigstens war mandie steife Wendung, mancher kleine Aitstoss, wie S* 45, wo Otto ron Mähren feierlich schwört^ seinen Platz nur als Sieger oder Besiegter verlassen' zu wol- len, wie die beleidigende Gonstruction S. 212: „Lothai^ hielt so fest an sie'^ (der Schutzherrschaft nümiich), leicht hinweg zu räumen; auch schwerTällige Zusammensetzungen, wie Söh- nelosigkeit, Gegenkönigschaft und dergleichen konnten wohl vermieden werden.

Dr. Rudolf Köpke.

Veber elnlye nanptfra^ren dem HTordlseheii

Alterthnms»

ErsterArtikel

lli0 Dachsiehenden Untersuchungen knüpfen sich zunächst an folgende literarische Erscheinungen an: i) Skandinavien tin- der Bedna^Akkm, Förra og Sednare Afdelningen. Stockholm irykt hos Johan Hörberg. 1834. 1836. 2) Wikings^^üge, Staats-^ Verfassung und Sitten der alten Skandinavier. Von A. M. Strinnbolm. Aus dem Schwedisclien von Dr. C. F. Frisch, Sub'- rector am deutschen National-- Ltfceo in Stockholm. Erster Theil: die Wikingszüge. Zweiter Theil: Staatsverfassung und Sitten. Hamburg bei Friedrich Perthes. 1841. Die erstere Schrift liihrt auch den Titel: „Svenska Folkets Historia fr&n .äldste tili närwarande tider. Första og andra Bandet" Die zweite giebt eine deutsche Uebersetzung derjenigen Theil« jenes Wecks, welche die Geschichte der Wikingszüge und die Darstellung der alten schwedischen Verfassung und Sitten enthalten. Die beiden ersten Abschnitte der Einleitung des Original Werks: 1) die Bekanntschaft der Alten mit dem skan- dinavischen Morden, so wie 2) die Völkerwanderungen und ersten Bewohner Skandinaviens beabsichtigte, wie in der Vor- rede zum zweiten Theil gesagt wird, Herr Dr. Frisch einzeln für sich erscheinen zu lassen, liegen indess meines Wissens dem deutschen Publikum noch nicht vor. Den Abschnitt, in wekbem die eigentliche politische Geschichte Skandinaviens wahrend des heidnischen Zeitalters im Ortginalwerk darge- stellt wird, wollte der Uebersetzer theils darum nicht geben, weil diese Geschichte wenig oder gar nicht in die Geschichte

238 lieber emige Hauptfragen

des übrigen Europa eingreift, theils auch darum nicht, weil seiner Ueberzeugung zufolge nach den schätzbaren Darstel- lungen von Geijer, Rühs und Eckendahl für das deutsche gelehrte Publikum kein Bedürfniss einer neuen Darstellung mehr vorhanden wäre. Auch die Uebersetzung des siebenten Abschnittes, der die Einführung des Ghristenthums in Schwe- den abhandelt, wurde iiir unnö^g gehalten» da die 6e$pbicfa(e derselben von Reuterdahl schon in deutscher uebersetzung vorhanden ist. In der Uebersetzung bildet die Geschichte der Wikingszüge den Inhalt des ersten Theils und die Darstel- lung der Verfassung und Sitten den des zweiten Theils. Im Original werk wird dagegen die Geschichte der WtkingIszügA im zweiten Theile behandelt und an diese die Darstellung der Sitten ohne Absatz am Schlüsse angeknüpft; die Darstel- lung der Staatsverfassung bildet den fünften Abschnitt des fersten Theils. Nur ein Paar unbedeutende Ny)ten hat der Uebersetzer dem Werke hinzugefügt, jedoch aus dem ersten Theile des Originals S. 270 und S. 290 ein Paar interessante Anmerkungen, in welchen die schwierige Frage über day Zeitalter Ragner Lothbrok's untersucht- wird, in den ersten Theil der Uebersetzung S. 23—26 aufgenommen. Die Schreib- art dieser letzteren ist im Allgemeinen als gut und fliessend zu loben ; doch theile ich nicht die Meinung des Herrn Dr. Frisch, dass der Aufnahme von schwedischen Ausdrücken, wie Idrott und Fosterbnider nichts entgegenstehe. Ein wahres Verdienst hat sich der Uebersetzer um das Werk von Strinn- holm dadurch ' erworben , dass er den Inhalt desselben itl grössere und kleinere Partien abgetheilt und mit einem sum- marischen Inhaltsverzeichnisse versehen hat Seiner Versiche- rung zufolge hatte er auch die citirten Werke, wo sie ihm Zugänglich waren, stets verglichen. Dies müsste ihm unge- mein viel Zeit und Arbeit gekostet haben, da Strinnholm nur iti höchst seltenen Fällen eine einzelne bestimmte Stelle an- giebt, und nur im Allgemeinen auf seine Gewährsmännef sich zu berufen pflegt.

üeberhaupt spricht sich eben nicht an dem ganzen Werke ein^ tiefe umfassende Quellenforschung aus, durch welche

de$ nordischen Alterthums, 230

bedeutende, die Wissenschaft bereichernde neue Ergebnisse Tage gefördert worden wären. Das Verdienst desselben besteht mehr nur in einem sorgsamen Zusammenstellen des-' sen, was schon früher durch Forschungen Anderer ins Licht gestellt worden ist. So z. B. liegen der Darstellung der Ge- schichte der Normannenzüge grösstentheils die Arbeiten von Depping zu Grunde. Diejenigen Theile des Werks, die Herr Dr. Frisch in sein Werk aufgenommen hat, sind offenbar die betehrendsten. An dem, was in den unübersetzt gebliebenen Theilen enthalten ist, dürfte die Kritik mit geringen Ausnah- men mancherlei auszusetzen haben.

Die erste Abbaodlung, die einen kurzen Abriss von den Vorstellungen der Alten über den Norden der Erde giebt, bietet nichts Eigenes oder Neues dar. pie zweite Abhand- lung aber, in der von dien Völkerwanderungen und den äl- testen Bewohnern des Nordens gesprochen wird, entwickelt Ansichten, an denen in heutiger Zeit kein Geschichtsforscher mehr festhalten sollte. Nach einer übersichtlichen Darstellung der allgemeinsten Verhältnisse der Wanderungen der germa- nischen Völker, über die römische und griechische Schrift- steller Bericht ertheilen, wird eine Behauptung aufgestellt, deren Wahrheit an und für sich gewiss nicht zu bezweifeln ist, die indes§, falsch gefasst, Herrn Strinnholm zu Folgerun- gen Anlass giebt, deren Richtigkeit ihm nicht zugestanden werden darf. Mit Grund wird (S. 89) behauptet, dass während des vierten und fünften Jahrhunderts ein grosser lebendiger Völkerverkehr in dem ganzen Ländergebiete zwischen Skan- dhofarien und den Küsten des schwarzen Meeres stattgefun- den habe. Von dieser Behauptung aus wird übergegangen auf die Betrachtung des Inhalts der nordischen Sagen und so der Weg zu dem gefunden, was ah angeblich historische Er-- tnnerung in den ersten Gapiteln der Ynglinga-Saga und in der berüchtigten Einleitung zur jüngeren Edda enthalten ist Auf die von Tacitus erwähnte Sage über Ulysses, der bis zum Rhein gekommen wäre, wird hingewiesen; so auch aufStra- bo's Aspurgianer. Dies Wort hat aber so wenig mit dem „Gott" bedeutenden germanischen Worte As etwas gemein,

340 üeber einige Hauptfragen

wie mit dem Stamme des geographisch bedeutenden Wortes yyAsien^'. Das Wort Aspnrg ist zusammengesetzt aus den me-* dischen Wörtern asp (Pferd) und urgos, von unbekannter Be- deutung (Schafarik's slawische Alterthümer. Deutsch. Band I. S. 358). Die Alanen und Osseten, die ursprünglich am Kau- kasus und am kaspischen Meere gesessen haben sollen, wer- den unbedenklich als ihrer Abstammung nach mit den Gothen verwandt bezeichnet (S. 103—105). Gründliche Forscher je- doch (Schafarik's slawische Alterthümer. Erstef Band. S. 362 bis 356. Vergl. Mannert's Geographie der Griechen und Rö- mer. Tbl. 4. S. 264) nehmen an, dass sie sarmatischen Stam- mes gewesen wären. Als Hauptbeweis für den germanischen Ursprung der Alanen ist angeführt worden, dass der Gross- vater des Jordanes Notar eines alanischen Fürsten gewesen sei. Pfister (Geschichte der Teutschen. Bändel. S. 221) äussert die Meinung, dass er das nicht geworden, wenn die alanische Sprache von der gothischen verschieden gewesen wäre. Es scheint indess, dass ein alanischer Fürst bei seinem vielfa- chen Verkehr mit den Gothen eines Dolmetschers bedurft hätte. Will man jedoch die Alanen durchaus zu den germa-* nischen Stämmen zählen, so muss man zugleich annehmen, dass sie als berittene Vorhut der Gothen in die Länder ein-^ gerückt sind, wo sie zuerst gefunden werden. Strinnholm greift freilich zu der Aushülfe, die Behauptung aufzustellen^ dass Perser und Germanen, wie es die Verwandtschaft der Sprache beweise, ursprünglich verwandten Stammes wären. Allein dieser Beweis ist zu allgemein, als dass ef in Rück- sicht auf die Entscheidung der Frage über die Einwanderung Odin's irgend von Bedeutung sein könnte.

Schaiarik, der die Sage über diese EinwandeHTUng noch historisch festzuhalten. sucht, löst dieselbe jedoch eigentlich innerlich auf. Ihm zufolge müssten Odin und seine Genossen gleichfalls sarmatischen Ursprungs gewesen sein. Er sagt dar- über: „Wichtiger als die Alanen am Maiotis und Pontos sind in Bezug auf slawische Alterthümer ihre Brüder im Norden, in der Nähe der alten nowgoroder Slawen, auf der Seheide der slawischen ynd finnischen Welt. Ptolemaios> die Peu-

des nordischen Alierthutns, S4I

tingerschen Tafein, Markiati von Heraklea, anderer minder wichtiger Zeugnisse zu geschweigen, bezeugen einstimmig, dass Alanen im Norden, in der Nähe der Berge in welchen der Dniepr und die Düna entspringen, gesessen haben; ihr Ausspruch gewinnt durch die alte skandinavische Volksüber- lieferung von den Äsen, die sich in den skandinavischen Sa« gen erhielt, Bestätigung." „Ihre Horde (der Alanen) hieljt sich auf jeden Fall da auf, wo die meisten Ebenen und dii besten Weideplätze sich fanden, also in den Gegenden des

heutigen Smolensk, Mohylew und Tschernigow." „Es

feuchtet klar ein, dass dieses Volk mit den einheimischen Wanen und Jötunen, d. h. den Winden und Finnen und den dazu gekommenen Normannen bald in hartem Kampfe lag, bald in friedlichem und ruhigem Verkehr stand, bis es end- lich, als Wanen und Jötunen sich verbanden, überwunden und vernichtet wurde. Aus dem Geschlechte dieser Äsen war der gefeiertste Held der skandinavischen Sagen, Odin, dem später Gothen und Sweonen göttliche Ehre erwiesen, ent- sprossen." (Schafarik a. a. O. S. 257. 348.)

Es wird wohl Niemand, der jemals mit der skandinavi- schen 'Mythologie sich ernstlich beschäftigt hat, der Ansicht des Herrn Schafarik beistimmen. Dagegen wird die Zeit nicht fern sein, in welcher jeder gründliche Forscher mit ihm (a. a. 0. S. 358. 359) es für „lächerlich" halten wird und wun- derlich, „wie einige deutsche Geschichtschreiber, noch nicht s^ufirieden mit der über allen Zweifel erhabenen ürheimath der Deutschen in Germanien, sich dennoch in die nordischen Saigen vertiefen, um den Ursprung der Gothen und Sweonen bei den kaukasischen Alanen, den der übrigen Deutschen aber bei den Geten und Thraken zu suchen." Dass die Behaup- tung Scbafarik's (a. a. 0. S. 359), die Normannen, Sweonen und Gothen wären der Abkunft und den ursprünglichen Sitzen nach von den Alanen vollkommen verschieden, gegründet ist» daran kann kaum gezweifelt werden. Herr Strinnholm ist indess anderer Meinung. Doch genügt ihm die Verwandt- schaft der germanischen Völker mit den Alanen und Persern noch nicht. Er sucht auch eine Verwandtschaft mit den Grie-

Zcitsehrift f. Gocbicktsv. I. 1814. Jg

343 Ußber einige Eauptfragen

eben und Tbrakiern nachzuweisen, und beruft sieb dabei be- sonders auf die spracblicben Untersuchungen von Rask. Al- lerdings auch kann es wohl keine Frage sein, dass die Ur- zustände der alten Griechen und die der alten Germanen, jeroebr sie erforscht werden, desto mehr Beziehungen geisti- ger Urverwandtschaft nachweisen werden. Dies aber wird niemals zureichen liir den Zweck der Bildung bestimmter Vorstellungen von Einwanderungen einzelner Stämme oder Schaaren in den Norden. Wäre indess auch überhaupt nicht die Erreichung dieses Zweckes unmöglich, so würde sie ins- besondere nicht eben erleichtert werden durch die Art und Weise, wie Herr Strinnbolm die Sache anfasst. Es muss ihm die von Jordanes schon, der bekanntlich Geten und Gothen mit einander verwechselte, in die Geschichte der Völkerwan- derungen hineingebrachte Verwirrung als Mittel- und Halt- punkt seiner Hypothesen dienen. Gothen und Geten sind ihm gleich und die Geten thrakischen Stammes sind auch mit den Trojanern verwandt; in Idavallir aber und Hildskjalf, der Höhe von Asgard, findet er den trojanischen Ida wieder, und so scheint es ihm ein Leichtes^ in den Genossen des ältesten Odins, den er in dem Geat der angelsassischen Stammtafeln zu erkennen glaubt, die idäischen Dactylen nachzuweisen (S. 112 124). Dabei beruft er sich denn auch auf die Sagen der Sachsen von ihrer Herkunft aus Griechenland und auf die Sagen der Franken über ihren trojanischen Ursprung. Eine Betrachtung der Verwandtschaft der griechischen und lateinischen Sprache mit der medisch- persischen oder dem Zend führt ihn dann auch weiter über den Kaukasus nack dem Osten hin und zu der Behauptung, dass die alte skan- dinavische Götterlehre nicht minder mit der Lehret Zoroasters als mit der griechischen Götterlehre übereinstimme (S. 130). So wird der Weg gebahnt, auf Hoch-Asien zu kommen, als auf die ursprüngliche Heimath von welcher die Völker aus- gezogen wären.

Zugestanden freilich wird, dass die Geschichte der Ur- yfSiQderungen für uns in einem undurchdringlichen Dunkel verborgen liege; doch werden einige Blicke auf die Geschichte

des nordischen Alterthums. 243

der Länder, die an dem schwarzen Meere und in dessen Nach- barschaft h'egen, geworfen. Es wird auf die Urreiche in Phry- gien, Lydien und Troja hingewiesen; auf die Kymmerier und Scythen. Endlich aber zeigt sich dem Blicke des Herrn Yer* fassers Alles in einem helleren Lichte; die Geten machen sich mächtig und unter ihnen tritt Dikeneus auf, ein zweiter Za- molxis. In diesem Dikeneus aber wird nun demzufolge, was der Wahrscheinlichkeit entspreche, derselbe Mann erkannt, der als der historische und letzte Odin nach dem Norden gewandert wäre und das Reich Swithiod gegründet hätte» Die Mithridatischen Kriege sollen Bewegung in das Volksle- ben der Geten gebracht und so die Veranlassung zur Aus- wanderung geboten haben (S. 132—141).

Nachdem so die eigentliche historische Begebenheit ge- funden ist, wird nach der Annahme, dass zu verschiedenen Zeiten frühere Einwanderungen stattgefunden hätten, ausein- ander gesetzt, wie die Bevölkerung Skandinaviens aus zwei- facher Wurzel erzeugt und in der Vermischung zweier ur- sprünglich verschiedener Stämme ein dritter gebildet worden sei. Zuerst hätten die an Kraft, Stärke und Grösse alle an- deren Menschen übertreffenden Jötnar im Norden gewaltet; darauf wäre ein anderes Geschlecht von kleinerem Bau und schwächer an Körperkraft, aber in Kraft des Geistes und des Verstandes überlegen, gekommen, hätte im Kampfe mit den Jötnaren diese überwunden, darauf aber auch mit ihnen ge- schlechtlich sich verbunden und vermischt, und so ein drit- tes Geschlecht erzeugt. Dies letztere Geschlecht hätte sich nun weder durch körperliche Kraft, noch durch geistige Ei- genschaften so ausgezeichnet, wie die beiden älteren Geschlech- ter; es wäre demselben jedoch durch seine Künste gelungen göttlicher Ehren theilhaftig zu werden (S. 145). Man sieht hier nicht recht ein, wo das Volk bleibt und wo die Menschen hergekommen sein sollen, die die Mitglieder des dritten Ge- schlechts als Götter verehrt haben. Saxo nennt diese letzte- ren Mathematici (Saxo edit. Müller p. 35), und auf ihn beruft sich Strinnholm. Die ganze Stelle bei Saxo hat aber in hi- storischer Bedeutung gar keinen Sinn, und ist auch gar nicht

16*

244 Ueber einige Hauptfragen

ia einer solchen aufzufassen. Sie bedarf vielnnehr einer my- thischen Deutung. Es ist ganz unläugbar^ dass Saxo in sei- ner euhemeristischen Art und Weise der Deutung der Mythen, eine vorgefundene theogonische Göttersage auf menschliche Verhöltttisse übertragen habe. Es liegt hier am nächsten, auf die hellenische Sage über den Titanenkampf zu verweisen. Eine skandinavische Göttersage, die der ihr zu Grunde lie- genden Vorstellung nach in einer Art innerer, geistiger Ver- wandtschaft zu jener hellenischen gestanden hat, muss dem Saxo zu Ohren gekommen sein, und er hat sie auf seine Weise verarbeitet. Sie kann daher nur für den Mythologen Bedeutung haben, nicht aber für den, der Untersuchungen über die Geschichte der Bevölkerung Skandinaviens anstellt.

Oass sich eine Verschiedenheit in Absicht auf Cultur- stufen an den noch erhaltenen, auf der Oberfläche der Erde gefundenen Steinmonumenten in Verbindung mit dem, was in den Gräbern gefunden wird, nachweisen lasse, soll nicht geläugnet werden. Es bleibt jedoch selbsjt noch zweifelhaft, ob die von den nordischen Gelehrten gemachte Unterschei- dung dreier Zeitalter, des Steinalters, des Broncealters und des Eisenalters durch und durch in sich gegründet ist. Je- denfalls aber ist dadurch nichts Sicheres gewonnen iiir den Zweck der Entscheidung der Frage über die Urbewohner von Skandinavien und über die Geschichte der Bevölkerung die-» ses Landes. Aus dem Vorhandensein der bekannten Stein- monumente darf man noch nicht mit Herrn Strinnholm (S. 146. 148) schliessen, dass die ältesten Bewohner Skandinaviens Biesen gewesen wären. Bekanntlich sind nirgends auf der Erde unter den Versteinerungen Biesenknochen gefunden worden, so wenig wie Knochen von Zwergen. Hätte es aber wirklich einmal Biesenvölker auf der Erde gegeben, so müss- ten doch einige Spuren davon sich gefunden haben; denn wahrscheinlich dürfte die Annahme doch nicht sein, dass die Leichname aller Biesen auf dem Scheiterhaufen nach erfolg- tem Tode verbrannt wären. Weiter auch kann die Hypothese von den Biesen nicht durch das gestützt werden, was (S, 148) aus der Herwara-Sage entnommen wird. Dem zufolge soll

des nordischen Alter tkums, 245

die nordische Erde, ehe Türken und Asiaten herangekommen waren, von Riesen und Halbriesen bewohnt gewesen sein, die später sich Frauen au& Mannheim genommen und ihre Töchter dorthin vermählt hatten: so dass das Volk sich sehr untereinander vermischt hätte. In dieser Stelle werden die Mannheim bewohnenden Menschen in einen seltsamen Ge- gensatz zu den Biesen und Halbriesen gesetzt. Man muss darnach fast daran zweifeln, dass den letzteren Men^henna- tur zugeschrieben worden sei ; dann aber entsteht wieder eine zweite Frage über die Art und Weise des Verkehrs und der Vermischung der verschiedenen Geschlechter. Alles indess bewegt sich hier in detn Kreisen mythischer Vorstellungen» die im euhemeristi sehen Sinne falsch gedeutet worden sind. Was die Herwara-Sage enthält muss einer ähnlichen Kritik unterworfen werden, als das, was Saxo darbietet.

Wahr zwar ist, dass schon in der ältesten ursprünglichen Vorstellung, wie sie der heidnischen Zeit angehört, ein mähr«- chenhaftes Verschwimmen der mythischen Anschauungen her- vortritt. Es scheinen die Götter-, Riesen- und Menschen- welten in einander überzugehen, ohne dass sie durch scharfe Grenzen von einander geschieden wären. Der Jötunen oder Jötnar wird allerdings manchmal so gedacht, als ob sie Men- schennatur hätten und wie in den Worten Gautr und Goti die Vorstellungen von Gott und Gothe enthalten sind, so sind auch in dem Worte Jötunen (angelsassisch Eoten) die Vor- stellungen von Riesen und Juten enthalten (Finn Magnusen Mytholog. Lex. p. 111. 219. Grimm's deutsche Mythologie. S. 291. Beowulf übersetzt von Ettmüiler. S.22.23. Anmerk. zu V. 1082). Ein eigentliches Uebertragen dieser verschiedenen Vorstellungen auf einander kommt jedoch in den Quellen aus der heidnischen Zeit mit Bestimmtheit nicht vor. Nur dies kann behauptet werden, dass die Jötnar als die Bewohner jener felsigten Gegenden gedacht wurden, in denen man hi- storisch die Finnen, oder die Kwänen und Lappen findet. Gross gebaut sind die Kwänen, klein die Lappen, und es Hesse sich etwa an diesen, zwischen beiden Stämmen statt- findenden Gegensatz die Vorstellung des Gegensatzes von Rie*

246 lieber einige Hauptfragen

gen und Zwergen anknüpfen. Wesentlich jedoch ist diese Vorstellung mythisch, wenn sie auch in einzelnen Beziehun- gen historisch gewandt worden .sein mag. Von fabelhaften, seltsam gestalteten Felsbewohnern war schon etwas den Rö- mern zu Ohren gekommen. Tacitus (Germ. c. 46) nennt sie Hellusier, und dass Kaspar Zeuss (die Deutschen und die Nachbarstämme S. 77) diesen Namen richtig gedeutet hat, in- dem er. denselben aus dem altnordischen Worte Hella, Fels, Klippe erklärt, wird ganz bestimmt dadurch erwiesen, dass die Normänner bei ihren Entdeckungen in Amerika eine Ge- gend, ihrer felsigten Beschaffenheit wegen, Halluland genannt haben. Plinius (1.4. c. 13) kennt die Hillewionen als ein sehr mächtiges Volk in Skandinavien. Ihr Name bedeutet ohne Zweifel auch Felsbewohner. Auf ein anderes, als auf dies Volk die unbestimmtere und fabelhaftere Nachricht des Tacitus zu beziehen, dazu ist kein Grund vorhanden. Es er- innern aber diese Hellusier, Felsner oder Felsbewohner an die alte mythische Ansicht der Skandinavier von dem die Felsen bewohnenden Riesengeschlecht. Tacitus spricht von ihnen unmittelbar nachdem er von den Finnen geredet hat. Mit Nothwendigkeit erhellt auch nicht aus der Nachricht des Plinius, dass er seine Hillewionen für Germanen gehalten habe. Als Felsbewohner scheinen sie eher Völkern lappischen oder wahrscheinlicher noch kwänischen Stammes anzugehö- ren. Noch im elften Jahrhundert hatten die Berggegenden Schwedens andere Einwohner als das angebaute Land. Es waren dieselben von einem wilden Volke bewohnt, welches zuweilen jährlich, zuweilen um das dritte Jahr aus seinen unbekannten Schlupfwinkeln hervorbrach, Verwüstung über die Ebenen verbreitete, wo ihm nicht kräftig Widerstand ge- schah, und eben so eilig zurückkehrte. Es waren dies Ueber- bleibsel der älteren finnischen Stämme. Um die angegebene Zeit konnte auch noch die nördlich am bothnischen Meer- busen belegene schwedische Provinz Helsingeland als ein Hauptsitz der Skridfinnen bezeichnet werden. Auch in den östlich von Helsingeland oberhalb Wäfmeland belegenen Ge- genden streiften noch im elften Jahrhundert Skridfinnen und

des nordischen Alterthums. 217

Finnlappen in den Wildnissen umher« (Vgl. Gesehichte Schwe- dens von Geijer. Thl. I. S. 61. 93. 98.)

KwXnen und Lappen, unter dem gemeinschaftlichen Ka- men Ton Finnen zusammengefasst, scheinen allerdings die Urbevölkerung von Skandinavien gebildet zu haben. Betrach- tet man die durch Meeresbuchten sesonderte und inselhaft auseinandergerissene Gestalt des überall vom Wasser um- strömten gebirgigen Landes, und spürt man zugleich dem nach, was man noch im Allgemeinen über den Gang der alt- germanischen Gultur in Skandinavien zu entdecken im Stande ist, so muss es einem sehr wahrscheinlich vorkommen, dass germanische Stämme hier nicht ursprünglich autochthonisch gesessen haben, sondern als fremde Ansiedler ins Land ge- kommen sind. Zwar sassen in Norwegen schon frühe ger- manische Stämme bis Drontheim hinauf; der lebendigste Ver- kehr war jedoch stets an die Küsten geknüpft, und die erste Anbauung des inneren Landes von Nordskandinavien ist von dem westlichen norwegischen Küstenlande ausgegangen. Go- ihen waren schon seit alten Zeiten am Wenern- und Wetter- See angesiedelt. West-Göthaland zwischen beiden Seen und dem Kattegat belegen, war ohne Zweifel eine von den Land- schaften Schwedens, die am frühesten von germanischen Sehaa- ren angebaut worden ist (Geschichte Schwedens von Geijer. Band LS. 55). Eine Sage über die erste Ansiedlung derGo- then in Skandinavien fehlt freilich. Allein man kann nach dem, was sagenhaft über den Anbau der Kästen des Mälar- Sees berichtet wird, und durch die Verhältnisse der schwe- dischen Volklande, deren Benennung nach Zehn-, Acht- und Vierhunderten (Tiundaland, Attundaland und Fierdhundraland) auf eine ursprünglich militärische Ansiedelung hinweist, hi- storische Bestätigung gewinnt, mit Recht schliessen, dass ur- sprünglich die Gothen in einer ähnlichen Weise am Wenern- See sich angesiedelt haben, wie später am Mälar-See die Schweden. Weil an Seen die nordischen Wikinger zu über- wintern pflegten, wurden sie von den Iren Lochlaner ge- nannt^ von Loch die See (O'Connor Scripten rer. hibem. Tom.L epistol. nuncup. pag. 122). Veranlassung zu Ansiedelungen in

248 Veber einige Hauptfragen

einzelnen Baehton an den Küsten werden zunächst scbon seit uralten Zeiten unternommene Wikingszüge gegeben ha«- ben. In beziehungsweise späteren Zeiten fand man es gera- tben, von der Küste weg sich tiefer ins Land hineinzuziehen, um sich mehr gegen schnelle seeräuberiscbe Einfälle zu sichern. So verlegte man in den Gegenden am Mälar-See die Haupt-^ Stadt von Sigtuna nach üpsala. I>en Gothen mochten die Ge- genden am Wenern- und Wetter- See angemessene Oerter zur Ansiedelung darbieten. Man hielt sich bei der ferneren Anbauung, wie dies namentlich berder von Werma'land be- richtet wird, an den Lauf der Flüsse. Auf Kämpfer- oder Wikingslebcn indess, nicht aber auf Ackerbau, als auf das Ursprüngliche, aus welchem die Verhältnisse sich entwickelt hatten, zeigt auch das hin, dass das Ausroden der Wälder nicht eben für ein sehr ehrenvolles Geschäft angesehen ward. Ais Olaf, König Ingiald's Sohn, von Iwar Widfadmi verdrängt; mit dem Volke, welches ihm folgen wollte, in die Wildniss zog, und es in Schweden bekannt ward, dass er mit dem Ausroden von Wäldern sich abgebe,^ fiel dies auf, und man nannte ihn den Zimmermann (Ynglinga Saga. c. 46).

Wie im Alterthum durch Vermittlung der in den uräl- testen Zeiten von den tyrrhenischen Pelasgern geübten See- räuberei Pelasger und später die zu Hellenen gewordenen Griechen sich rings ausbreiteten über das Meer und an den verschiedene^ Küsten barbarischer Länder sich ansiedelten; wie im Mittelalter Angelsassen und Normannen die britischen und gallischen Küsten einnahmen: in ähnlicher Art auch müs- sen in uralten Zeiten germanische Seeräuber von der südli- chen Küste der Ostsee und von Jütland aus die Küsten von Skandinavien besetzt haben. Die finnische Urbevölkerung ward, wie in neueren Zeiten in Nordamerika die Eingeborenen von den Europäern, immer weiter zurückgedrängt in die Gebirge und Wälder.

In Erwägung dessen, dass besonders für den, der sich an Finn im Beowulfsliede und an die irischen Finnen der Vorzeit erinnert (Ren. Bibern. Script ed. O'Connor. Tom. L prol. 1. pag. 94, 104. prol. 2. pag. 38. The Transactiops of th§

des nordischen Alterlhums. 249

Roy. Irish Acad. Vol. I. antiquit p. 116], die Etymologie des Wortes Finn durchaus nicht feststeht, ist es keinesweges mit Bestimmtheit anzugeben, in welche Beziehung man den Zwer- gen Finn (Yöluspa 14] und den als Finnenbaherrscher bezeich* neten Jotun (Höstlanga fragment 2. str. 13, VergL Svea Rikes Häfder af Geijer, förste Delen. p. 274) zum Finnenvolk setzen soll. Sicher aber ist, dass schon Snorri Begebenheiten, die die heidnische Zeit fielen, erzahlend, von einem Jotun, Na- nsens Swasi redet, den er als Finnen bezeichnet (Haralds Saga Ens Harfagra. c. 25). E$ könnte jedoch Snorri vielleicht hier seine euhemeristische Deutungsweise der Mythen auf eine ake Sage angewandt haben. Denn zwar wird einfach erzählt, dass die Tochter des Jötun, Snafrid, der Weiber Schönste dem Harald vier Söhne, Sigurd, Halfdan, Gudrod und Rögn- walld geboren habe; im Uebrigen aber tragt die Sage einen etwas seltsamen und wunderbaren Charakter an sich, der sie in das Bereich der Dichtung erhebt. Die Snäfrid verwirrte den Geist Haralds dermassen, dass er aus Liebe in Raserei verfiel, in welcher er seines Reiches vergass und dessen, was der Königswiirde gebührte. Nach ihrem Tode behielt sie noch ihre lebendige Farbe und blieb, ohne zu erblassen in ihrem Bette liegen, an welchem der König drei Jahre lang sass, in der Hoffnung, sie werde wieder erwachen. Als aber Harald endlich von seinem Wahnsinn durch Thorleif Spaki gebeilt und dann der Leichnam der Snäfrid auf den Scheiterhaufen gebracht ward, wurde derselbe ganz blau, und es wallten her- aus Schlangen und Eidechsen, Frösche und Kröten und böse Gewürme alter Art. Der Name des Vaters der Snäfrid ist etymologisch auf das Wort „swas*', welches süss oder wol- lüstig bedeutet (Finn Blagnusen. Lex. Mythol. p. 469), zu be- ziehen. Hiernach dürfte wohl die erwähnte Sage mehr in das Bereich des Dichterischen als in das des Historischen zu ziehen sein, und Snorri's Bezeichnung des Jötun als ei- nes Finnen würde in Rücksicht auf heidnische Vorstellungen von keiner grossen Bedeutung sein, da sie von ihm -selbit in. der Umrwandelung der Sage herstammen könnte. In der späteren Umbildung der heidnischen Vorstellungen im christ^

850 Ueber einige Hauptfragen

liehen Bewtt^ft^eih gingen die Vorstellungen von Jötunen und Finnen in einander über, und auch das freilich ist für die heidnische Zeit gewiss, dass schon von Alters her das 6e- htet, wo Finnen wohnten und Jetten hausten, in der Yor« Stellung zusammenfiel.

Ist aber dies Yerhältniss auseinandergesetzt, so bleibt noch eine nähere Betrachtung der Sage von der Einwanderung der Äsen übrig. Es ist im Vorhergehenden versucht worden, wie weit- es möglich ist, die Ansicht zu begründen, dass Skandi- navien nicht die ürheimath der Stamme germanischer Ab- kunft, die dort schon frühe angesessen gefunden wurden, ge- bildet hätte. Sind denn die germanischen Schaaren einge- wandert, so müssen auch mit ihnen ihre Götter eingewandert sein, und in dieser Beziehung erledigt sich die Untersuchung von selbst Aber es liegt uns hier eine andere Frage vor, die theils durch die euhemeristische Form, in der uns die Sage von Odin aufbehalten ist, theils durcli, die Beziehungen in die die Äsen zu Asien gesetzt werden, angeregt wird. Ei- nige wollen von der ganzen Sage nichts wissen (vergl. Dahl- mann's Geschichte von Dänemark. Band I. S. 31. Desselben Forschungen auf dem Gebiete der Geschichte. Bd. I. S. 199. 375. Koeppen's literarische Einleitung in die nordische Mytho- logie. Berlin 1837. S. 131 ff.); Andere suchen in einer beson- neneren Weise, wie Strinnholm, immer noch die Vorstellung von dem historischen Odin festzuhalten (Svea Rikes Häfder af Geijer. forste delen. p. 388 394. Geschichte Schwedens von Geijer. Erster Band. S. 26. 27). Es stellt sich jedoch bei diesem letzteren Versuche stets die schwer zu beantwortende psychologische Frage entgegen, wie es möglich geworden sei, dass auf einen eingewanderten Helden die Ehren und Wür- den des höchsten Gottes übertragen worden wären. Die tJn- auflöslichkeit dieser Frage nebst dem Mangel an innerem Zu- sammenhang in der Sage in den verschiedenen Formen, in denen sie uns überkommen ist, rouss jedem, der die Art und Weise berücksichtigt, wie überhaupt die Gelehrten des Mit- telalters Sage und Geschichte behandelten, die Ueberzeugung geben, dass in Beziehung auf äusserliche Geschichte, auf ein-

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des nordischen AUerthums. Mi

zelne Begebenheiten^ die sich Xusserlieh lagetragen hdMO sollten, wenig auf die ganze Sage zu geben ist

Mit Bewusstsein und Absicht wurde im Mittelalter die Sagengeschichte eines Volks, wenn es zum Christenthom be- kehrt worden war, nach bestimmten Grundsätzen umgestal- tet. So heisst es in den irischen Annaien der vier Magister: „Aetas GGCCXXXVIII. Decimus Annus Laogarii. Historiae et Leges Hiberniae expurgatae et descriptae ex collectionibus scriptis, et retustis libris Hiberniae in unum locum collectis, rogante S. Patricio. Hi sunt noyem sapientes Authores qui id fecerunt ibi. Laogarius, i. e. Rex Hiberniae, Gorccns et Darias tres Reges, Patricius, Benignus et Gairnechus tres sanctr, Ros, Dubthachus et Fergus tres Historioiy quemadmodum narrat distichon vetus/' „Laogarius, Gore* cus, Darius Durus Patricius, Benignus, Garnechus Man- suetus, Ros, Dubthachus, Fergus (Res nota). Norem sunt Authores Historiae magnae/' Nach welchen Grundsätzen Verfasser dieser Art yerfuhren, ersieht man am besten aus dem, was über den irischen Ghronisten aus dem elften Jahr- hundert, Tigernaeh, gesagt wird: „Denique, Hibemica tempora cum exterorum Regum temporibus se conciliasse inquit, non solum chronica extera conferens Julii Africani, Eusebii, Hier- onymi, Marceltini, Isidori, Orosii, Bedae et aliorum, yerum etiam ista omnia ad trutinam revocando, juxta Hebraicam veritatem. „Haec decursa per tanta Saecula, ex Hebraica veritate, prout potuimus ostendere curaTimus'^ (O'Gonnor. He- rum Hibernicarum scriptor. Tom. I. Epistol. nuncup. p. 15. 190. Tom. 3. p. 114).

In einer ähnlichen Art wie die irischen Ghronisten rer- fahren sind in Anknüpfung der Geschichte ihres Volks an die allgemeine Weltgeschichte und besonders an die hebiüische Geschichte, sind auch auf Island, nachdem das Ghristen- thum hier eingeführt wordeu war, diejenigen yerfahren, die mit geschichtlichen Studien sich beschäftigten. Es lag dabei theils das Bedürfniss zu Grunde, nachdem man in den Kreis der allgemeineren weitgeschichtlichen Entwickelungen einge- treten war, auch des Bewusstseins eines ursprünglichen Zu-

M2 Veher einige Hauptfragen

■mMnenhanges mit der allgemeinen Menschheit froh zu wer-- den; theils aber aueh noch das ganz besondere Bedürfnisse die eigene Geschichte mit der heiligen Geschichte in Verbindung zu bringen. Jenes erstere aligemeinere Bodürfniss hatten auch schon in vorchristlichen Zeiten Griechen und Römer gefühlt, und so waren unter jenen die Sagen entstanden über alte YerbiDdungeu mit Aegypten , unter diesen die Sage von ih- rem trojanischen Ursprünge. Für die Christen aber hatte sich durch das Hinzukommen der Geschichte des alten Testaments ein ganz neues Bereich eröffnet. Es entstand für sie nun- mehr das Bedürfniss, an diese Geschichte ihre eigene Sagen- gesehichte anzuknüpfen. Doch verfuhr man dabei nach der Verschiedenheit der historischen Zustande der verschiedenen zum Ghristenthum bekehrten Völker auf verschiedene Weise. Die Iren und Angelsassen, deren Bewusstsein die Idee des römischen Reichs ferner lag, als dem ihrer christlichen Brü- der auf dem festen Lande, kümmerten sich auch weniger wie diese darum, dass die Sagen über die von dem Virgil besungenen Heroen des römischen Reichs mit in das von ih- nen gesponnene Grewebe aufgenommen würden; einfacher vielmehr begnügten sie sich schon mit der hebräischen Wahr-r heit, wie sie sie nannten, und mit der Anknüpfiing ihrer Sa- gengeschichte an die des alten Testaments. Die irischen. Ge- lehrten nahmen aus der ihnen zu Gebot^ stehenden Fülle des Inhalts der heidnischen Sagen aus der Vorzeit ihres Volks den Stoff* her, um ihre Geschichte bis auf die Zeit der Sünd- ffluth zurückzuführen, und selbst noch weiter. Vierzig Jahre vor der Sündfluth sollte Gesoir mit fünf Töchtern und drei Männern nach Irland gekommen sein; sie hätten sich aber unter einander erschlagen, und so wäre zuerst durch Mord- thaten die Insel Irland mit Blut befleckt worden. Darauf wäre 278 Jahre nach de;r Sündfluth Parthalon mit drei Söhnen und vier Frauen gekommien. Gegen afrikanische Seeräuber hät- ten sie mit ihren Mannen die erste Schlacht, die je auf Ir- land vorgefallen wäre, geliefert Mehre Jahrhunderte später aber wären sie in kurzer Zeit fast alle durch die Pest dahin ge- rafft worden, und darauf hätten sich die Neimidber, il^m

des nordischen Alierthums. 213

später die Firbolger auf der Insel niedergelasseiiy bis ztiletzt nach den Zeiten Salomons im vierten Zeitalter der Welt die Schotten, die Stammväter der heutigen Iren> gekommen wä- ren (Nennii hist. Brit edid. Stevenson. Londin. 1838. $. 13. O'donnor script. rer. hibernicT Tom. I. prol. 2. p. 25. 26. 63. Tom. 3. dissert..praelim..p. 2. 8. Annal. IV. Magistr. p. 2. 5). Sie sollten ursprünglich von den Scythen, den Nachkommoi des MagogSy des Sohnes des Japhet, des Sohnes Noafa's her« stammen (Transact. of the roy. Irish Academ. Vol. 16. part pag. 15); aber im Laufe vieler Jahrhunderte aus Aegypten über Spanien nach Irland gekommen sein. Es ward nämlich erzählt, dass zur Zeit, in welcher die Israeliten aus Aegypten gezogen wären, ein vornehmer Scythe aus seinem Reiche ver« trieben, mit grossem Gefolge in Aegypten sich aufgehalten hätte. Er war nicht zur Verfolgung des Volkes Gottes mit den Aegyptern ausgezogen, und als diese nun ertrunken wa« ren, Hirchteten ihre übrig gebliebenen Landsleute, dass der Scythe sich der' Herrschaft über sie bemächtigen könne. Sie vertrieben ihn daher aus dem Lande, und nach mannigfal«* tigen Wanderungen kamen sie nach Spanien und nach Ver« lauf vielier Jahre nach Irland (Nennii hist. Brilan. ed. Ste* vensou. $. 15. O'Gonnor script. rer. hibern. Tom. I. proleg. 2* p. 36. 37). ,

So knüpften in einer eigenthümlicben Weise die Iren jbre Sagengeschichte an die Geschichte des alten Testaments an« Die Stammtafeln ihrer Könige reichen aber bei weitem nicht so hoch hinauf. Die Stammtafeln der schottischen Könige von Albanien oder dem heutigen Schottland werden zurück* geführt bis in das {unftc Jahrhundert unserer Zeitrechnung auf den König Fergus, den Sohn Erik's; in Rücksicht altf die Zeitangaben der angeblich aus Spanien geschehenen Ein« Wanderung, der Schotten in Irland finden sich die grössten Widersprüche, und als ihr Fürst, der sie aus Spanien nach Irland hinübergeftihrt hätte, wird Herimon genannt (O'Gon-* nor scriptor. rer. hibern. Tom. I. prol. 1. p. 123. 126. 132« 134. prol. 2. p. 4o. 63. 83. Annales Tigernacbi ad ann. 502. Chal« mers Caledonia. Vol. L p. 274.J

2M lieber eimge Hauptfragen

Unter den mm Cliristentbum bekehrten Angelsassen führte man die Stommtefeln der Königsgeschlechter bis auf Sem oder auf Noah zurück. Damit begnügte man sich jedoch, ohne dass man wie die irischen Gelehrten weitläuftigere Sa- gen mit in das gesponnene GSwebe hineinverflochten hätte. Die Frage, inwieweit schon in der heidnischen Zeit unter Angein und Sachsen die Stemmtefeln auf Woden zurückge- filhrt worden waren, ist mit aller Sicherheit schwer zu ent- scheiden. Dass ursprünglich schon die heidnischen Nordländer, in eben der Art wie die Griechen die Abstemmung des Hyllui^ durch Herakles vom Zeus, die Abstemmitng ihrer Königsge- schlechter von Woden abgeleitet hätten, ist zwar nicht zu bezweifeln; es fragt sich aber theils darum ^ inwieweit die verschiedenen Stemmtafeln schon in der heidnischen Zeit im Einzdnen ausgebildet gewesen sein könnten, theils darum^ inwieweit die von den angelsassischen- Geschichlschreibern überlieferten Stem'mtefeln mit den in den heidnischen Lie- dern enthaltenen durchaus in (Jebereinstimmung gestenden hätten. Das Erstere wäre möglich; das Letztere aber ist be- stimmt zu verneinen. Darin hat Kemble ohne Zweifel fiecht, w^n er (Ueber die Stemmtafel der Westsachsen. München 1836) sagt: „Die ältere Geschichte Englands lehrt deutlich, dass Befähigung eine Krone zu tragen nur Wodens ächten Nachkömmlingen zuerkannt wurde; die nobilites war hier niehts anders als göttliche Herkunft, und sobald die Söbnß von einem geringeren Stemme verjagt worden waren, fiel das ganze Gebäude der angelsassischen Politik, und das Volk liess sieh gefallen, einem normannischen Herzoge stett ihrem ein- heimischen königlichen Blute anzugehören." Nicht so si- eber ausgemacht dürfte das sein, was noch in folgenden Wor- ten hinzugefügt wird: „Grade darum, obwohl man längst Woden als Gott vergessen hatte, sind die königlichen Genea- logien der verschiedenen angelsassischen Reiche so sorgfältig aufbewahrt worden, währehd der gemeinen Ansicht nach Woden selbst zum Helden wurde, der sich durch Betrug zum Gott erhoben haben sollte, aber dennoch durchaus der wahre Stifter und Stemmvater der Geschlechter blieb."

des nardi$chen AUerthumi. üi

Schon aus dem was Grimm (Deutsche Mythologie. Anh. S. 3) darüber bemerkt, dass einige angelsassische Chronisten nur Yon drei Söhnen Odin's redeten, während die meisten sieben nennten, erhellt es, dass die verschiedenen Stammta- feln nicht nach übereinstimmenden Vorstellungen entworfen sind. Die Dreizahl würde auf die alte Heiligkeit, die dersel*« ben von den alten germanischen Völkern beigelegt ward, hin-* weisen. Tacitus berichtet, wo er nicht zwar von der Ab- stammung der Könige redet, jedoch von der Abstammung der Volksstämme nach alten deutschen Liedern spricht, von dem Vater, dem Sohne und von drei JEnkeln. Die jüngere Edda fiisst das Wesen Odins mehrfach in dreifacher Weise zusam- men: als Har, Jafnhar und Tredie; in dreifacher Brüderschaft als Odin, Wilir und We; m dreifacher Abstammung als Buri, Bör und Odin. Die Dreizahl würde der alten heidnischen Ansicht offenbar entsprechender sein, als die Siebenzahl. Diese letztere wird nur aus dem Grunde gewählt worden sein, weil bei der Ansiedelung in Britannien zuerst sieben angelsassische Reiche gegründet wurden. Nach der Angabe die Kemble (a« a. O. S. 35) aus einer Handschrift giebt, war man aber auch nicht einig über die Namen der sieben Söhne Wodens. Es werden genannt: Wetha, Käser, Wiltegius, Wiltheagius, Bel- degius, Wilges und Wuitha. Nach den Stammtafeln die Grimm (a. a. 0. S. 3) aus den Chronisten giebt, würden die Nameu der blieben Söhne Wodens folgende gewesen sein: Vecta, Ka- sere, Saxneat, Vihtläg, Vägdäg, Bäldäg, Winta. Dagegen giebt Kemble (a. a. O. S. 32] aus noch zwei andern Handschriften, als welcher schon gedacht worden ist, fünf Namen von Söh- nen Wodens an, die auch nicht durchaus mit den oben ge- nannten übereinstimmen, nämlich : Vecta, Vepedegius, Wielac, Saxnat, Beldec und Vecta, Vepedec, Widac, Saxwad, Beldec. Weiter ins Einzelne gehende Vergleichungen der aus gedruck- ten Chroniken zu schöpfenden Stammtafeln noch anstelleii zu wollen, dies würde bei dem gegenwärtigen Stande der Sacb^ ein müssiges Bestreben sein. Denn dauerhafte Früchte wird ein solches Bestreben nur dann bringen können, wenn Kemble, wie er es versprochen hat, die angelsassischen Stammtaf^la

2M lieber einige Hauptfragen

aus Handsehriften mit Bemerkungen über die Lesarten voll- kommen herausgegeben haben wird.

Was Kemble über die Namen aufwärts von Woden bis auf Sem und Noah beibringt, kann, wenn es auch in einer Bücksicht sehr überzeugend ist, in einer anderen Bückstcht doch nicht als befriedigend gelten. Die Spuren alter Dich<- tong, die er in dieser Beihe nachzuweisen sucht (a.a.p.S.30), sind dem gewöhnlichen Auge kaum erkennbar. Dass er my^^ thisch die Namen zu deuten sucht ist gewiss richtig, und auch dies, dass er Woden zuletzt ganz in den Mittelpunkt des My- thus hineinbringt. Es giebt mehre angelsassische Stammtafeln, die bloss auf Woden zurückgehen, und zwar die älteste bei Beda geht nicht weiter (Bedae histor. eccies. 1. 1. c. 15. Yergl. Nennii bist. Brit ed. StevensonS. 57.58. 59. 60. 61. Angelsas- sische Chronik ed. Ingram. Lond. 1828. p. 15. 24. 34. 72. Ethel- werd. edit. Savilii. Lond. 1596. L. I . p. 474. 475. 477. Florent. Wigom. edit. 1601. p. 556. 557. 559. 581. Alfredus Ceverlac. ed.Hearne. Oxon. 1716. p. 79. Wilhelm Malmesbür. ed. Hardy. 1840. vol. 1. p. 62. Bobert of Gloucester ed. Hearne. Oxford. 1824. p. 228). Andere Beihen, die über Woden hinaufsteigen, weichen sehr von einander ab. Sie gehen entweder bis auf Bedvig oder auf Sceaf und knüpfen sich entweder unmittel- bar an Noah an oder mittelbar durch Sem. Sceaf soll einigen Artgaben zufolge ein Sohn Noah's gewesen und in der Arche geboren sein, oder Geta oder Geat wird zum Sohiie Gottes gemacht (Asser. in Anglica, Normannica et Hiberniea ex bi- bliotheca Gamdeni. Francofurt. 1603. p. 1. 2. Nennii bist. Brit ed. Stevenson. $. 31. Florent. Wigornens. edit. 1601. p. 551. 552. Simeon Dutielmens. ad ann. 849. Angelsassische Chronik ed* Ingram. Londin. 1823. p. 23. 95. 96. Ethelredus Abbas Bieval. ed. Twysden. p. 351. Henricus Huntindon. ed. SaviUi 1596. p 173. Badulfus de Diceto. ed. Twysden. p.529. Mattbaeus West- monast. edit Francofurti 1601. p. 142 Thomas Otterbourne ed. Hearne. scriptor. rer. anglic. Oxoniae 1732. p. 31. 32. Lan-

5v^ gebeck scriptor. rer. dan. Tom. L p. 6— 9).

Wenn Kemble aus Handschriften mit genauen Lesarten

^■' mehr« Stammtafeln wird bekannt gemacht haben, dann erst

des nordiichen AUerAums. 257

\irird man zu dem Werke einer näberen.Ver^idiung schrei- ten dürfen. Dabei ist jedoch zu -wünschen, dass er die Ren hen ganz und genau, und dabei nicht bloss das geben möge, was etwa für seine Ansichten sprechen könnte. Soweit man {^genwärtig zu urtheiien im Stande ist, muss man wohl der Ueberzeugung leben, dass die ganze Reihe ton Woden bis auf Sceaf , Bedwig oder Geat und bis auf Sem oder Noah nur von den christlichen Mönchen gemadit worden ist« um ein« Verbindung zwischen der angelsassischen Sage und der bi«> Uischen Geschichte zu Stande zu bringen. Die Namen ^ die die Yerfertiger gewählt haben, sind ohne Zweifel der heid- Mschen Dichtersage entnommen; nur bleibt es fiir jetzt noch sehr schwer zu entscheiden, ob alle Göttemamen oder nicht einige vielleicht Heroennamen gewesen sind. Bedenklieh übri- gens iM die Gleichsetzung des Wesens von Sceaf und Odin jedenfalls, da in jenem die Verherrlichung des Friedensgei- stes, in diesem dagegen die des Kriegergeistes sich ausspricht Es gehört überhaupt Sceaf einem ganz anderen Kreise my- thischer Vorstellungen an, als dem, in welchem das Wesen des Woden sich bewegt. Sceaf von der Korngarbe benannt die sein Haupt schmückte, schlafend auf einem Schiffe .ohne Ruder angetrieben nach Skandinavien kommend, und erwach- sen herrschend in Schleswig oder Hedeby, ist durch Anord- nung eines auf Ackerbau gegründeten Volkslebens in Skan- dinavien und dem Lande der Angeln der erste Stifter der Volksthümlichkeit geworden. Woden dagegen war der Be- schützet der wandernden, aus ihrer Heimath heraus auf Krieg und Eroberung ziehenden Heerscfaaaren, und inwiefern sei- net in den Stammtafeln gedacht wird,^ wird er nicht aufge- führt als Stammvater des Volks, sondern nur als Ahnherr der kd&iglrchen Geschlechter. Beowulf aber, nicht der jüngere, deni gar kisine Nachkommen gegeben werden, sondern jener *äitere Abkömmling von Sceaf war der Stammvater der neun skandinavischen Volksstämme germanischer Abkunft. Es heisst in Rücksicht auf ihn: Ab istis novem filiis3oerini (BeowuU) descenderunt novem gentes septentrionalia inhabitantes, qui quondam regnum Britanniae invaserunt et obtinuerunt: Saxo-

Zestf«hri(t f. Geschichtair. 1. 1S44. |7

/«»«'

258 Ueber eifäge Hauptfragen

fM^ Angli, Jiithi, Daci, Norwagenses, Gothi, Wandaii, Greati et Frisi (A tranglation of the anglo-saton poem of Beowulf by JkAn Kemble. Lond. 1837. pogtscript to the preface. p. 4—8). Was aber den ursprünglichen Stifter des Volks, aus weichem diese nenn Stämme sieh gebildet haben , den Sceaf betrifft» so darf er nicht mit dem Schwanenritter gleich gesetzt wer^ den. Leo hat.es zwar gewollt; der Schwanenritter gehört je- doch einem« ganz andern Sagenkreise^^ als dem des Sceaf aii> und zwar dem Kreise der romantischen Dichtungen. In der Si^e Ton Sceaf ist nur die Vorstelhing mythisch verherrlicht, wie in einem auf Ackerbau gegründeten und durch Acker<r bfm geeinigten Volksleben die germanische Bevölkerung de« Nordens in ihrer Volksthümlichkeit sich ausgebildet habe, und wie, nachdem in dem Sohne Sceaf s, dem SkioM, der kräftige Vertiiekliger dieses Volkes aufgestanden wäre, später alsdann unter Beowulf dem älteren es sich in neun Stämme ausge-* breitet habe. Charakteristisch übrigens tritt in allen vergii«- ebenen angelsassischen Stammtafeln dies hervor^ dass sie nir- gends Spuren, wie sie anderswo vorkommeja, zeigen von ei- nem Anschliessen an das, was man im Mittelalter aus dem Virgil schöpfte.

Gildas weiss so wenig von angelsassischen Stammtaibh, wie von der Abstammung der Britten von Brutus; hatte Übri- gens, wenn auch, wie es nicht scheint, ihm schön Sa{|^n darüber zu Ohren gekommen waren, gar keine Veranlassung davon zu reden. Beda weiss nur von der Abstammwig des Beugest und des Horsa von Woden. Dagegen bringt Neu- nius schoii eine, weitläuftige Geschichte bei von einem ge** wissen Brutus, dessen Abstammung von dem Aeneits herge- leitet wird, und der nach mannigfaltigen Geschicken auf die Insel gekommen sein soll, die nach ihm Britännia genannt und durch ihn bevölkert worden wäre (Nennii hiator. Brit. ed. Stevenson. §. 7. 10). üeber die Lebenszeit, über die Pier- son des Nennius und über die G^esc^ichte des ihm zugeschrie- benen Werkes ist indess durchaus nichts Zuverlässiges aus«* zumachen (a.a.O. Preface $. 14.) ; doch scheint es, Aba^ man in Irland schon ziemlich frühe von Sagen wusste,Miie in dem,

des nordischen Altertkums. 259

dem Nennius zugeschriebenen Werke, welches im Laufe der Zeiten allerdings manche Umwandelungen erlitten hat^ sich finden (O'Connor scriptor. rer. hibern. Tom. I. proleg. 1. p. 17. 130. proleg. 2. pag. 26). Im üebrigen soll es im sechsten Jahr- hundert in Irland einen berühmten Dichter Namens Neimius oder Nennius gegeben haben (O'Connor Script, rer« hib. Tom.I. proleg. 2, pag. 73. 76). Die von Nennius abgeleitete Sage über den Brutus als den Stammvater der Britonen findet sieb sp«^'*' ter vielfach reidier ausgebildet wieder (Vergi. Henric Huntind cd. Savilii. 1596. L. 1. Fol. 17J. Galfred, monemut. ed. 1587. Heidelbergae. L. 1. c. 3-^17. Matthaeus Westmonast edii Francof. 1601. p. 8. 11. 13. Leges Edowardi ed. Wilkins. p. 206). Sie führt durch Aeneas auf Troja zurück, wie man denn auch in Island einige Stammtafeln findet, die jedoch in einer anderen Weise auf Troja zurückfahren (Vergi. Langfedgatal bei Langebek scriptor. rer. dan. Tom. I. p. 1. £dda Islando- mm edit. Resenii Havniae. p. 1665). In jenem Langfedgatal, oder jener isländischen Stammtafel, deren älteste Handschrift aus dem Jahre 1313 ist, findet sich, wie auch in der Einlei- tung zur jüngeren Edda ein wunderliches Gemisch biblischer, hellenischer und angelsassischer Sage. Ausserdem ist auch in jenes Langfedgatal eine an die Stammsage der Ynglinga» Saga sich anschliessende Stammtafel aufgenommen. Dagegen finden sich schwedische Stammtafeln, die weit einfacher sind, an die Ynglinga-Saga sich anschliessen und nicht über Inge oder Odin hinausgehen (Fant scriptor. rer. suec. 1818. Tom. I. p. l^^4. Vergi. p. 14). Andere schwedische Stammtafeln ge- hen gar nicht einmal so weit (a. a. O. p. 1—21). Ueber die reiche Sammlung von Stämmtafeln, die Suhm in seiner kri- tischen Geschichte, als Einleitung zu seiner grösseren Ge- schichte von Dänemark giebt, kann ich nicht reden, weil ich dies Buch nicht zurHand habe. Torfäus (Series dynastarum. L.3i c. 1. p. 211. 213. 215^ 216) hat Stammtafeln, die bis auf Skiold und Odin gehen.« Das Langfedgatal giebt er (S. 217) auch, sowie eine Stammtafel aus der Ynglinga-Saga. In sei- ner Geschichte von Norwegen (Histor. Norweg. L. 3. c. 13. p. 137) wirft er isländif^he, angelsassiscfae und dann.auch 'he—

17*

260 Veber einige Hauptfragen

biüische Stammtafeln unter einander. In den verschiedenen dänischen Stammtafeln bei Langebek (scriptor. rer. dan. Tom. I. p. 10—42. 64) geht keine einzige über Dan zurück. Sveno hat Skiold und Peter Olai aus dem sechzehnten Jahrhundert Dan als Stammberm der dänischen Könige (a. a. O. Tom.I. p.44.77). In der nach dem Könige Erich genannten Chronik, die aus der letzten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts stammt, wird (a. a. 0. p. 144) die Ansicht aufgestellt, dass es wahrscheinlich sei, dass die Dänen von den Danaern oder Griechen abstamm-* tcn. Im Uebrigen werden Gog und Magog als die Urväter der Dänen, Dan aber, wie auch in den, aus dem Anfange dea vierzehnten Jahrhunderts stammenden esromensischen Jahr-n büchern (a. a. O, p. 149. WO. 224) als erster König der Dä- nen genannt

Der berühmte dänische Geschichtschreiber aus dem zwölf- ten Jahrhundert kennt den Odin wohl, nicht aber als Ahn- herrn der dänischen Könige. Als Stammväter des Volks nennt er Dan und Angul, und in Uebereinstimmung mit der däni-f* sehen und nordischen Dichtersage, nach welcher di^ Dänen- könige Skioldungen hiessen, preist er den Skiold, ohne ihn in Rücksicht auf Abstammung in irgend eine Beziehung zu Odin zu setzen. Dies würde aber schon allein genügen für den Beweis, dass in den dänischen VolksIiediBm es keine be- stimmt ausgebildete Sage über die Abstammung ihrer Könige von Odin gegeben hätte; es wird aber noch mehr bestätigt durch das aus den dänischen Stammtafeki und Chroniken Beige- brachte. Läugnen Hesse es sich nur von der Ansicht aus» dass nach der Bekehrung von Dänemark ein bewusstes und absichtliches Bestreben des Hofes und der Geistlichkeit dar- auf hingewirkt habe, das Gedächtniss der hohen göttlichen Würde des Königfhums aus der Erinnerung des Volks zu verwischen. Dies würde aber nicht wahrscheinlich sein , da vielmehr anderswo die christliche Geistlichkeit überall sich beschäftigt zeigte, die mythischen Vorstellungen in euheme- ristischer Weise abzuschwächen. Hierzu kommt noch, dass Peter Erasmus Müller (Critisk (Jndersögelse af Danmarks og Norges sagnhistorie. Kiöbenhavn 1823. p. 184—195) mit gros-

(k$ nordischen AU&rtkmn$. Ml

Mf Wahrscheinlichkeit es nachgewiesen h$t, dass die ur« sprüngliche Ynglinga-Saga von Thiodolf, wie sie dem Snorri vorgelegen hat, nicht über Fiölner rückwürts hinaufgegangen sei Zwar kann nicht gelaugnet werden, dass unter den heid«^ nischen Sachsen und Skandinaviern die königh'che Würde ab* häügig gedacht ward von göttlicher Abstammung; dieser Ge« danke wird sehr bestimmt im Hindlu-Lioth ausgesprochen (IIindlu-*Liod 11.16. Yergl. Saga Olafr Eonungs hin helga. c. 89. Hervarar-'Saga. Hafn. 1785. p. 30.) Doch folgt daraus noch »idil, dass in den alten heidnischen Stammtafeln im Einzel* nen bestimmt die Urerzeugung unmittelbar auf Odin zurück« geführt wcnrden sei. Im Allgemeinen können die Könige und ihre Sänger sehr wohl auf Abkunft von den Äsen, oder wie bei den Gothen von den Ansen hingewiesen haben, ohne über di« näheren YerhüHnisse der Urerzeugung sich auszusprechen. So findet man auch im Hyndlu-Lioth weder die vier Königs^ gesehiechter, die Skioldungen, die Skylfingen, die Autblingen und die Ylfingen, noch die anderen vier Geschlechter des vornehmeren und geringeren Adels in Rücksicht auf ihre Ab^ stammung unmittelbar an Odin oder an einen seiner Söhne geknüpft. Dies geschieht mit Bestimmtheit iih Einzelnen im Hyndlu-Lioth auch da (28) nicht, wo auf die Göttersage, die mit Ragnarokr endet, übergegangen wird.

Mit Bestimmtheit darf nicht behauptet werden, dass zur Heidenzeit die Lieder über die Abstammung der königlichen und adlichen Geschlechter unmittelbar bis auf Odin zurück- geführt worden sind. Es ist vielmehr wahrscheinlich, dass in Rücksicht auf das Einzelne dieses Gegenstandes die Dichtung sich in einem gewissen Halbdunkel gehalten haben dürfte. Der christlichen Geistlichkeit musste es dagegen sehr nahe liegen. Alles anzuwenden, die in der Brust der bekehrten Heiden noch waltende Ehrfurcht vor den alten Göttern zu dampfen; und dies konnte ihnen am leichtesten gelingen, wenn sie die göttlichen Gestalten herauszogen aus ihrem himmli- sche Glänze und durch Hülfe einer euhemeristischen Deu- tung dem Y.olke dieselben als ganz gewöhnliche wirklichei weon auch heldenhafte Menschen darstellten. Die

JMJI Utbrn^ einige HatipifrageH

die über Odin riicfcwi&rts hinaufgehen, sind ohne allen Zwei**» fei ein Machwerk der christlichen Geistlichkeit.

Als merkwürdig, woran auch schon Dahlmann (Forschun*« gen auf dem Gebiete der Geschichte. Band I. S. 369) erinnert» bleibt hier übrigens noch zu erwähnen, dass der Mönch Theo- derich, der im zwölften Jahriiundert lebte, berichtet» dasi man in Norwegen für die, der Zeit Harald Haarfagers vor«^ angegangenen Zeiten keine zuverlässigen Stammtafeln gehabt hatte. Der Hauptinhalt des Liedes von Thiodolf über da» Ge*- schlecht der Ynglinger muss indess sonach aus Upsala stam<- tnen: denn dass er von dem Dichter rein ej^funden sei, ist natürlicherweise nicht anzunehmen; höchstens könnte jemand allenfalls behaupten wollen, es hätte sich Thiodolf der Sage ¥on Olaf Tretelgia bedient, um durch Halfdan Hwitbein, den er als den Sohn von Olaf bezeichnet, die Reihe der Ynglin* ger fortzusetzen. Ohne eine solche Ansicht vertheidigen za wollen, mache ich nur darauf aufmerksam» dass das eigent- liche poetische Moment in der Yngiinga-Saga in der Vorstel- lung von dem Untergange des alten göttlichen Königsge-' schleehts im Iqgiald, der seine Strafe durch den die Allein- herrschaft begründenden Iwar Yidfadme fand, beruhte. Was übrigens überhaupt nicht zu läugnen, ist dass es der Ge- sinnung der altgermaniscben Völker in der innersten Tiefe entsprochen habe, ihre Könige und das Recht auf die kö- nigliche Würde von göttlicher Abstammung herzuleiten; zum Beweise dafür darf jedoch die Sage bei Tacitus über die Abstammung der deutschen Volksstämme nicht angeführt wer- den. Denn in ihr ist nicht die Rede von der Abstammung der Königsgeschlechter. In der britischen Sage von Brutus dagegen scheint die Vorstellung zu schwanken zwischen der von einem Ahnherrn des Fürstengeschlechts und der eines Stammvaters des britischen Volks.

Das mit dieser Sage verbundene Moment der Anknüpfung derselben an die trojanische Sage, finden wir, mit Ausnähme der Franken, nur wieder unter den Isländern. Wir haben gesehen, dass es weder in der angelsassischen upd also auch nicht kk der sächsischen, noch in der dänischen, schwedisehen

(k$ HOrdocAen Alt^rihums. SM

und Qorwegiscben Sage sich finde. Zwar ist Gejier (Stet Rikes Häfder första deleo. p. 396}, um Strinnkolm's (Skab« dwaYien under Hedna-JUdera. faira Afdelningen. f. 118) bei dieser Oeiegenheit gar nicht xu gedenken, immer noch an«* derer Meinung. Er beruft sieb, um die Aniicht von der Her« kutift der germanischen Nordltnder aus dem Osten festen^ halten, nqch darauf, dass Dudo (Du Ghesne Hist. Norm. Script. Pl63) beriditet, die Dänen hatten sich gerühmt, vonAntenor absustammen. Dudo ist indess schwerlich jemals mit heid- nischen Normannen oder Danen zusammengekommen. Die in dem Gebiete des frankischen Reichs unter Rollo's Anfüh- rung angesiedelten Normannen hatten aber schon im Jahre 912 das Gbristentbum angenommen, und die zu den Norman- nen geschickten christlichen Geistlichen waren gewiss gleich nach der Bekehrung jener betriebsam genug gewesen, die in heidnischen Liedern aufbewahrten Sagen der Normannen für ihre Zwecke umzudeuten. Die Normannen niögen ohne Zwei« tri von Skandinavien her Lieder mitgebracht haben, in wel«' eben Erinn^ungen an die Thaten ihrer Vorfahren aus jener Zeit, in welcher sie während der Völkerwanderungen an der Donau und am schwarzen Meere herumschwärmten, enthal- ten waren. Zur Umbildung solchen Stoffes hatte schön frühe Jordanes die Bahn gebrochen. Wilhelm von Jumieges, der mit Kritik die Geschichte Oudo's behandelte, erklärt sich je- dodk in Rücksicht auf das, was er von den älteren Zeiten berichtet, durchaus nicht sicher. Nachdem er die Weisheit de$ Jordai^es nicht unberücksichtigt gelassen und auch auf den Antenor hingedeutet hat, bemerkt er über das, was er gesagt hat: „es möge sich nun so oder so verhalten, gewiss bleibe, dass die Dänen von den Gothen herstammten^^ (Sed sive hoc, sive illud exstiterit, originem tarnen a Gothis no- scuntur ducere Dani. Wilhelm. Gemmit. L. 1. c. 4), Ordericu» Vitalis spricht bei Gelegenheit der Angabe der Stammtafel des Königs Eduard ( Du. Ghesne Bist. Norm. p. 639) gar nicht von einem Heroen, der auf trojanischen Ursprung hinweisen käaute; er schltesst sich natürlicherweise an die angelsassi- sdie» Stamqttafeln an, und würde hier gar nicht erwähnt

M4 Veber eitrige Eaupiftagen

worden sein, wenn nicht ^trinnholm (a.a.O.) in eii^r ganx aU|[6nieinen Weise sich auf ihn beriefe.

Der Beweis, den man für die Aecbtheit der Sage Ton der historischen Einwanderung Odin's aus den Worten Paul Wamefried's hat hernehmen wollen, ist schon gut von Koap«« pen widerlegt Er hebt es hervor, dass in diesen- Worten (Wodan sane, quem adjecta littera Godan dixerunt, ip^ est» qui apud Romanos Mercurius dicitur^ et ab universis Ger«- maniae gentibus ut Deus ^doratur; qui non circa haec tem«- pora, sed longe anterius, nee in Germania, sed. in Graeeia fuisse perhibetur. de gest Longob. L. 1. c. 9) die Behauptung liege, dass Mercur oder Hermes schon in alten Zeiten in Griechenland gewesen wäre, diese Worte sidh aber nicht auf den Namen von Wodan bezögen (Koeppens literarische Ein<- leitung in die nordische Mythologie. S. 195).

Ohne den Odin in irgend eine, sei es in. eine freund- liche oder in eine feindliche Beziehung zu Troja setzen zu wollen, muss ich doch gestehen, dass ich der bekannten Stelle bei Tacitus über den Ulyssesr (Germ. c. 3) mehr Wertfi beilegen möchte , als es gewöhnlich geschieht. Es fällt als bedeutend auf, dass an dieser kurzen Stelle drei Anklänge sich finden: Ulysses und Odysseus auf Odin; Asciburgium auf Asgard; das Wort Laertes könnte aber vielleicht auf das alt« skandinavische Wort „Lärathr^^ zu beziehen sein. Lärathr war, der eddaischen Mythologie nach, ein mythischer Baum, der auf dem Dache von Walhalla wuchs (Finn Magnusen. Mytholpgiae Lexic. v. Lärathr). Da in der ältesten deutschen und nordischen Religion der Baumdienst eine so grosse Be- deutung hatte, so dürfte es wohl möglich genannt werden, dass in einer Sage, die an das, worüber Tacitus so unklar ^nd unbestimmt berichtet, geknüpft gewesen sein mag, eine mythische Vorstellung vorgetragen wäre, nach welcher man das Wesen Odin's als aus dem Baumgeiste hervorgetreten, von diesem erzeugt, angesehen habe. Dass von der Herkunft des Ulysses über das Meer gesprochen wird, berechtigt noch nicht dasu, diese mythische Gestalt gerade zu einem Heroen tu machen. Denn von Wanderungen durch die Länder wuss-

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des norc^chen AUerthums. 265

ten auch die nordischen Sagen in Beziehung auf den als Gott gedachten Odin zu erzählen (Ynglinga-Sa^a. c. 3. Saxo Grani« inat. ed. Steph. p. 13. 45). Unmöglich scheint es übrigens gar nichts dass schon zu den Zeiten des Tacitus eine Ansiede- lung nordischer Seeräuber an den Ufern des Nieder« Rheins steh gefunden haben könnte. Was das Wort Asciburgium be« trift, so ist es bekannt, dass die Worte As, Aes auch in Hochdeu^cbland und Sachsen früher aligemein in Gebrauch •gewesen sein müssen. Den Hetruscern hiessen die Götter Aesares oder Aesi (Grimm Deutsche Mythologie. S. 17). Das Wort As bedeutet göttliche Macht, und es lässt sich sehr wohl denken, dass ein Ort am Rhein davon her den Namen Asciburgium erhalten haben könne , dass daselbst göttlichen Mächten eine heilige Statte gegründet gewesen wäre. Der Name des asciburgischen Gebirges im Osten kann auch keine Schwierigkeiten machen. DieLygier und andere in den Ge<* bieten am Fusse des Riesengebirges herumschweifenden ger- maniischen Hee'rschaaren haben sehr wohl die in den Wolken sich verlierenden Gipfel des Riesengebirges als den Sitz der Äsen ansehen können. Es muss aber alsdann dies Asgard, um in mythischer Weise zu reden, allerdings bezeichnet wer- den als ein altes, als ein solches nämlich, welches als die Wohnstätte von Geisterwesen gedacht ward , iur die man sieh jedoch noch nicht kunstsymbolisch bestimmte Rilder ge-* schaffen hatte. Von Tempeln und Götterbildern spricht auch in Beziehung auf das Asciburgium am Rhein Tacitus nicht; darf, was er sagt, auf den kriegswüthigen Odin, der herum- zog, die Völker zu Streit und Kampf aufzuregen, bezogen werden, so ist bei ihm nur die Rede von einem, durch sturm- bewegte Meereswogen herumgetriebenen Gotte. Der Bericht scfaliesst sieh unmittelbar dem über das altgermanische Kriegs- gefaeul an, und dass dies ganz zufällig ist, ist wohl nicht an- zunehmen; es dürfte vielmehr hindeuten auf irgend eine, in der Art und Weise, wie dem Tacitus seine Nachrichten zu- gekommen sind, enthalten gewesene, aber von ihm selbst kaum verstandene Beziehung des von ihm Ulysses genannten Wesens zum Kriege.

266 V^her mnige Ba^lfragen

Dass übrigens dies ganze Verhilttniss, von welchem Ta-* eitus spricht > in gar keiner Beziehung zur Ausbildung der Sage von der trojanischen Abi(unft der Äsen oder aber der Franken steht, leuchtet von selbst ein. Aus der britischen Sage von der trojanischen Abstammung der Britannier köa-* neu sich die isländische and fränkische Sage auch nicht e&t* wickelt haben. 0enn in wesentlichen Punkten weichen diese beiden unter einander verwandten Sagen von der britischen ab; besonders aber darin, dass Brutus über Italien gekom-. men sein soll, die Franken und Äsen aber nach dem Falle von Troja nördlich gezogen wären.

Zur Geschichte der Sage hat Wilhelm Grimm das Be* dratendste beigebracht Ich kann daher nicht umbin die Haupt»* stelle, auf die es hier ankommt, wörtlidi wiederzugeben. Es heisst aber bei Grimm: „Prosper Aquitanus (Gontinuator dos Eusebitts, st. um 463) erwähnt unter der Begierung des Kai* sers Gratianus: Priamus quidam regnat in Francia, quantam altius colligero potuimus c: lY.'' (Vergl. Du Chesne. Tom. I. p. 1%. 391. 693. 800). Deutlicher drückt Fredegar Scholastieua (st. 658) die Sage aus: „de Francorum regibus B. Hieronymns» qui jam olim fuerat, scripsit.^' (Mit dieser Hinweisung auf Hie- ronymus ist jene angeführte Stelle des Prosper gemeint) „Quod prius Virgilii poetae narrat historia, Priamum primum habuisse regem, cum Troja fraude ülixis caperetur:)exinde fuisse egrefr* SOS. Post ea Frigam babuisse regem bifaria divisione partem eorum Macedoniam fuisse aggresjsam, alios cum Friga vocatoa Frigos Asiam pervagantes in littore Danubii fluminis et maria oceani consedisse. Denuo bifaria divistone Europam media ex ipsis pars cum Francione eorum rege ingressa fuit, qui Europam pervagantes cum uxoribus et liberis Rheni ripam occuparunt: nee procul a Rheno civitatem ad instar Trojae nominis aedificare conati sunt; coeptum quidem, sed imper« fectum opus remansit. Residua eorum pars, quae super lifr» tore Danubii remanserat, electum a se Turchot nomine re*** gern, per quem vocati sunt Turqhi, et per Francionem hi aiii vocati sunt Franci, multis post temporibus cum ducibus etx** ternas dominationes semper negantes. Hist. Franc, epit o. %

d^ nordkehen AUerthim$., 2i7

Mit dem Fredegar itimmt übereia Aiaioiniu (st 1008) in der biftoria in der Zuschrift an den Abt Abbon, in der Vorrede e. iO und zu Anfang des ersten Bucfaea; er sagt aud), dasi diiehe Autoren dasselbe angäben. £in gleiches «ithält eine alte handschriftliche französische Chronik: Mäanges tirös d'uoe gr. bibtiotbfeqtte. V. 272. Die Gesta Francorum (der Verf. der* selben lebte um 720) haben folgende Steüe, c. 1.2.: Alii au-« tem de principibus ejus Priamus et Antenor cum aliis Yiris de exereitu Trpjanorum XII. miilia fugerunt cum navibus, qui introeuntes ripas Tanais fluminis per Maeotides pAludes na-« vigaverunt et pervenenint ad terminos finitimos Pannoniaruim Uli quoque^ egressi a Sicambria veneitmt in extremis par« tibus Rheni fluminis in Gennaniarum oppidis, Ulicque inha<^ bitaveniBft. Wie geneigt man gewesen an die Trojaner sieb aszuknäplen, beweist eine Stelle bei Paul Wamefried (st vor 800. de gest. Longob. L. 6. c. 23.) : boe tempore apud Galliaa in Francorum regnum Anchis Arnulphi filius, qui de nomine Anchisae quondam Trojani creditur appellatus, sub nomine majoris domus gerebat principatum; und noch mehr das £pi- liphium der Rothais, Toditer des Königs Pipih:

asi abayus Ancfaise potens, qui diicit ab illo Trojane Anchisa longo post tempore nomen, Thom. Aqttinas a S. Joseph, de orig. gent. Franc, p. 43. Ghifllet, Vindic hi^ p. 429. 453. Idem in Lampad. ad. Vindic. p. 5. -r Sigeberlus Gemblacensis (zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts) sagt: Yalentinianus eorum virtute delectatus, eos qui prius vo-^ eati erant Trojani, deinde Antenoridae, postea etiam Sicaiabri Franeos attica (?) lingua appellavit, quod latina lingua inter- pretatur: feroces undecunque ergo denominati sunt t'ranci: quäntum altius colligere potuerunt bistoriographi, hie Pria« mus regnabat super eos tempore prioris Yalentiniani. Nam ex ipso regis nomine recollentes nobilitatem illius Priami, sub quo eversa est Troja^ inde glcNriabantur gentis suae manasse porimordia« Das letztere hat wahrscheinlich den Prosper Aqui-* tan. zur Quelle'^ (Altdäntsche Heldenlidier, Balladen und MäP« dien, übersetzt von Wilhefaaa Carl Grimm. Heidelberg 1811. S, 434— 43^).

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268 Ueber ebiige Hauptfragen

Hier dem Herrn Grimm noch weiter in spätere Zeiten m folgen, in welchen die Sage von der trojanischen Abkunft in die Kreise der romantischen Dichtung aufgenommen und in ihnen vielfach verarbeitet ward, ist für den hier zunächst Tcvliegenden Zweck niclit nothwendig. Nur will ich noch Ei- niges, was den Gegenstand näher berührt, anderswo herneh- men. In der Vita Sigeberti IlL (Du Ghesne hist franc. Tom.L p. 591), deren gegenwärtige Abfassung in das llte Jahrhundert fiiilt, heisst es : Postquam Graeci nobilem Frigide urbem eyer- terunt Aeneas et Antenor nobiles Trojanorum cum reliqui» Trojanomm ad exteras nationes se contulerunt^ Aeneam qui« dem ad Italiam venisse et Romani Imperii fundamehta je- cisse etiam a Scholaribus cantatur. At duodecim millia Tro- janorum, qni Antenorem sequuti, Scythiae regiones pervagati, circa Meothidas palud^s consederunt, et ab Antenore Ante* noridae vocati sunt. Hinc in Virgilio iegitur (1.242): Antenor potuit mediis elapsus Achivis liliricos penetrare sinus, atque intima tutus Regna Libumorum et fontem superare Timavi. - Quorum Posteri condita civitate metropoli sui Regni, quam Sicambriam nominaverunl, a qua etiam Sicambri denomi- nati sunt

Die Gesta Francorum enthalten noch mehr als was Grimm aus ihnen beigebracht hat, und was ich allerdings um so mehr ßir wichtig halte, weil sich daran später Betrachtungen an^ knüpfen lassen über die Gestalt der Sage von der Einwan- derung der Äsen, wie sie Snorri hat. Nach dem gegebenen Berichte darüber, dass die flüchtigen Trojaner nach den mäo- tischen Sümpfen geschifil und zu den Grenzländern von Pan- nonien gekommen wären, fahren die Gesta Francorum in fol- gender Art fort: „Missisque per gyrum exploratoribus, de- prehenderunt e vicino locum suae habitaUonis congruum^ remotum videlicet e communi habitatione hominum, nullis cultum vomeribus, marinis fluctibus undique circumseptum« Ibi itaque fixere tentoria, et resumptis animis civftatem aedi«* ficaveruDt, quam Sicambriam appeilavere. Viri igitur isti foi^ tes et validi consueta ferocitate suffulti contra Yicinos arma

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des nordischen AUerthums. 8W

moventes, per gyrum finitima devastantes famam sui nomiDis vulgaverunt ubique. Et quoties de propriis finibus Panno- nianim populus hos exturbare yolaisset, toties frustratis vi* ribus eorum gladiis caedebatur, nee ad debellandos eos aliqua poterat facultate eonsurgere. cumqae eos nee arrois nee yiribus, nee suffragiis aliquibus de propriis agellis extrudere potQtssent, tandem ab insectationibus eorum desistentes, qndi ante persecuti sunt ut inimieos, contra velle postmodum eoe* perunt colere ac ?enerari quasi ^dominos ac vicinos. GreTe-» runt itaque in gentem magnam, et inhabitaferunt Sioantbriain usque ad tempora Vaientiniani Imperatoris. Habebant duceli et Primarios et universos ordines magnatorum'' (Du Chesne bist. Franc. Tom. I. p. 800]« In anderen kleineren Bruchstük- ken faeisst es: „coeperuntque aedificare civitatem ob memo- riate (ob memoriam) appellaveruntque eam Sicambriam/' ,9 et coeperunt aedificare civitatem ob memoriale eorum ap« peHaveruntque Sicambriam. Habitaveruntque iüic annis mul-< tis, creveruntque in gentem magnam (a. a. 0/ Tom. L p. 692). Nach einer sorgfältigen Yergleichung aller vorausgeschickten Stellen, in welchen mehrfach auf Yirgii zurückgewiesen wird, erhellt es zur Genüge, dass das, was in der Sage den Ur-^ Sprung der Franken an Troja knüpft, aus jenem Dichter ge- nommen ist Die erste Andeutung auf die Sage von diesem Zusafflimehhange findet sich bei Prosper Aquitanus aus dem fönften Jahrhundert, aus einer Zeit, in der schon hier und da Ahnungen sich regen konnten über das, was aus dem kräf*^ tigen GristederJPranken geschichtlich sidi werde entwickeln können. Im Fortgange der reicheren Entwickelung des ge- schichtlichen Lebens der Franken entwickelte sich auch die Sage reicher; und besonders seit Dagoberts L Zeiten, seit denen * die grossen Hausmayer aufstehen, um Recht und Ge«* rechtigkeit im Reiche wieder herzustellen, und darauf ihre Macht tu gründen, muss sich die reichere Sage, von der Fre- degär spricht, ausgebildet haben. Schon unter Chlotar IL war, nachdem er Herr von der ganzen fränkischen Monarchie geworden, die durchaus überwiegende Macht der Gemein«» sdbaft Getreuer äusserlich und öffentlich hwvorgetreten (Vergi.

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270 Veber einigt Hauptfragen

Unterging der Naturstaaten. S. 74. 75). Hiermit aber rnndste sieh zugleich ein tieferes Bewusstsein von der heroischen Bedeutung ihrer Geschichte in dem Geiste der Franken re- gen. Diesem Bewusstsein entsprach die Anknüpfung ihrer Urgeschichte an die Heroenwelt des Alterthums, ganz beson- ders aber an die der alten Roma, von wo aus jene Weltmacht sich entwickelt hatte, an deren Stelle im Westen zu treten schon der Beruf Ton ihnen gefühlt ward. Was aber die Sage Ton dem Treiben der Vorfahren der Franken an den Grenz- endem von Pannonien betrifft , so ist diese aus der allge- meinen germanischen Sage über die Geschichte und das Krie- gerleban der germanischen Heerschaaren genommen, welches sie an den Küsten des schwarzen Meeres getührt haben, ehe sie nach dem Westen gedrängt wurden. Oass die StammVäter der Franken aus Pannonien gekommen wären, ist nicht wahr- scheinlich, wenn a^ch Gregor von. Tours (Du Ghesne bist, Franc. Tom. I. p. 279) berichtet, dass Tiele es behaupteten. Wenigstes würde von einem angeblichen Sikambrien unfern des Tanais keine Spur nachzuweisen sein, und die Franken treten auch nicht erst unter Gratian oder Yalentinian I. aus ei- nem östlich belegenen Sikambrien in der GeseUehte auf, und in Verbindung mit den Bömern. Dass ihre Vorfahren gewisser- naassen als Räuber, die sich in ihnen ursprünglich fremden Ländern die alten Landbewohner unterworfen und sich zu herrschenden Rerehsständen erhoben hätten, geschildert wer- den, dies entspricht ganz dem Geiste der geschichtlichen Ent- wicklungen aUer germanischen Reiche des Mittelalters,

Sehen wir aber sonst noch weiter auf die Sage, in welcher* von einer unfern des Tanais gegründeten Stadt die Rede ist, so finden wir ganz unläugbar, dass Snorri Stnrleson hieraus seine Angabe von der Lage des alten Asgard's genommen habe. Dass überhaupt die Isländer bei Feststellung der Stamm- tafeln der nordischen Künigsgeschlechter fränkische Annalen benutzt haben, dafür lassen sidi auch noch andere Spuren nächweisen. Are Frode, der älteste isländische Geschieht- sdireiber; stellt an die Spitze seiner Stammtafel des Geschlech- tes der Yngiing^r einen Türkenkönig. Er hat denselben ohne:

des nordischen AUerthums, 271

Zweifel von Fredegar her, der schon im siebenten Jabriran- dert Y(m einem alten Könige trojanischen Geschlechtes zu wissen giailbte, der früher über die an der Donau zurttckge« bliebenen nach ihm Turchi genannten Yolksschaaren geherrsdit haben sollte. In Rymbegia, einem chronologischen, zur Ord- nung der christlichen Festzeiten abgefassten Werke, dessen gegenwärtige Form aus der letzten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts stammt» wird gesagt, dass alle in der norwegt«> sehen Sprache abgefassten Erzähhingen, denen Wahriüeit za Grunde Hege, die Geschichten begännen mit der der Türken und Männer aus Asien (Rymbegla. Pars L cap. 1. $. 1.). Im Widersprach mit den eddaischen Mythen wird Odin ein Sohn Thors genannt, jener aber als der bezeichnet, von dem viele Kjönigsgesehlecbter. ihre Abstammung herleiteten. In der Ein*» lekung zur jüngeren Edda ist Alles voller Fabeln. Hier wird Alles dmrch die seltsamsten Etymologien verwirrt. Tros und Thor, Sibylla und Sif, Frigida und Frigg werden mit einen« der in Verbindung gebradit. Nicht jedoch liegt in den Sagen der jüngeren Edda die Wurzel der Sage von der trojanischen Abkunft der Äsen, noch in den aus heidnischer Zeit herstam* men^n Liedern der älteren Edda. Der Ursprung derselben muss hergeleit^ werden aus der Sage, die unter den Fran* hen in dem Maasse reicher sich ausgebildet hat, in weldiem in ihrem Bevirussisein die Ahnung von dem inneren Zusam« menhange ihrer Geschichte mit der gesammten allgemeinen Weltgeschichte sich regte.

Wenn indess auch die trojanische Sage aus den mythi- schen Vorstellungen der Nordländer entlemt werden muss, so entsteht doch noch wieder die andere Frage, ob denn die bei Are Frode und in Rymbegla vorkommende, auf den Osten hinweisende Sage vom Türkenkönige und von den Türken und Männern ausAsien, die bei Saxo gleichfalls auf den Osten' hindeutende Sage von dem Sitze der Asengötter zu Byzanz, und die Sage Snorri's über das grosse Svithiod gänzlich zur Seite zu schieben wären, als erst in spätem diristlichen Zei- ten gemacht. Der blosse Verkehr der im Mittelalter durch die Wäringer zwischen Skan^navien und Konstantinopel ver-

272 lieber ekwge Hauptfragen

▼ermittelt ward, genügt um so weniger zur Erläuterung der Frage darüber» wie Saxo zu seiner Ansicht gekommen sei, um wie mebr eine im Allgemeinen auf den Osten hinwei«* sende Ansicht im Norden ?erbreitet war. Dass diese noch aus der heidnischen Zeit stammt, das lässt sich meiner (Jeher- Zeugung nach mit grosser Sicherheit beweisen. Zuerst tritt Einem hier die Vorstellung yon dem grossen Svithiod ent-* gegen. Man hat zwar behaupten wollen» dass diese Vorstel- lung keine ursprünglich nordische sei» sondern erst entstan* den in Folge einer sprachlichen Verwirrung» indem maa aus dem Worte Skythia Svithiod gemadit hätte (Geijer Svea Ri* kes HäfiJer. första delen. p. 391. Koeppen liteittrisdie Einlei«« tung in die nordische Mythologie. S. 180). Diese Beimuptung lüsst sich indess leicht widerlegen. Schon Ihre hatte auf eine Sfanliche Verwechselung» fiber seltsam genug im umgekehrten Sinne hingewiesen (Ihre Glossar, p. 839). Er hatte geglaubt» dass die Griechen und Römer das W^ort Svithiod in Skytiiia verkehrt hätten. Muss nun auch diese Ansicht gänzlich zu- rückgewiesen werdra» so ist doch der Gedanke» worauf sie sich stützt» nicht ohne Bedeutung. Ihre legt nämlich auf. das Wort „Thiod", in dessen Bedeutung yon Volk ein grosses Gewicht und schliesst daraus» dass es der ursprüngliche Name für Skythia gewesen wäre. Das Wort »»Swi'^ ist nun ohne Zweifel zusammengezogen aus »»Sueven^S und SvitUod heisst . Suevenvolk. Verfolgt man diesen Gedanken weiter» und er- wägt man zugleich dabei» wie schon bei Tacitus die östlichen Grenzen der Bereiche der Sueven ins Unbestimmte sich ver- lieren» wie aber nicht gar lange nach seiner Zeit germanische Kriegerschaaren von den Küsten der Ostsee her bis au die des schwarzen Meeres sich ausbreiteten und das ganze von Snc^ri Gross -Svithiod genannte Land ihrer Herrschaft un- terwarfen: so muss man doch wohl auf den Gedanken ge- führt werden» wie es allerdings möglich sei» dies ganze grosse Gebiet habe seit der Zeit» seit welcher die Gothen in dem- selben geherrscht hatten» im Norden den Namen Svithiod erhalten. Dazu kommt» dass Gross-Svithiod auch noch un- ter dem Namen von Godheimar bekannt war (Ynglinga-Saga

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dei nordioAen Älierthüms. 273

c. 9). In der Bedeutung, in welcher Snorri'dies letztere Wort gebraucht, mag er wohl Götterwelten darunter verstanden haben. Da jedoch Godthiod ebensowohl Gothenvolk als Göt^ teriieimath heissen kann (Vergl. Finn M agnusen Mythol. Lexic* T. Godthiod), so ist man berechtigt ein Aehnliches von God«* heimr zu behaupten. Kapitel 15. wird indess wieder God** kttms gedacht, und da dies mit Beziehung auf den alten Odin geschieht, so muss das Wort auch hier in der Bedeutung von G^llerwiit genommen werden. Sehr wichtig aber ist, dais zi^ieich dabei 6ros$-Switfaiods gedacht wird, in welchem Swegdir, der ausgezogen war, Godheim und den- alten Odin an£msaeben, viele seiner Blutsfireunde fand. Das was hier Ton Swegdtr erzählt wird, der bei seiner zweiten Ausfahrt naeä dem Osten in Gross - Swithiod seinen Untergang fand, mochte ich nicht mit Preter Erasmus Müller (Gritisk Under- sögeise of Danemarks og Norges äagnhistorie. p, 194) als ein gelehrtes Einschiebsel ansehen. Eines Theils zeigt die Form . dieser Sage im Allgemeinen zu Sjehr auf heidnische Yorstel«? kuigsweisen hin; anderentheils ist in dieser Sage offenbar auch* eine mythische Erinnerung erhalten an alte Wikings-- woge der Vorzeit gegen den Osten. Ich kann in dieser gan-» Ben Sage nur eine- Bestärkung für meine (Jeberzeugung fin« den,.dass schon zur Zeit des Heidenthums eine Vorstellung geherrscht luibe, nach welcher im Lande des Ostens, in Gross- Swübiod, Godheimr uhd der alte Odin gesucht wurden. Mesem entsprechen die in den früheren Kapiteln (2^^6) auch freilich in euhemeristischer Deutung umgebildeten mythischen VorsteUongen über das alte und neue Asgard. Es hängen aber mit diesen Vorstellungen anch die über die Wanen enge zttsammm.

Kachdem Äsen und Wanen Frieden geschlossen hatten» ' setzte Odin die Häupter der Wanen, den Niord und Frey xu Opferprieftem und die Freya als Priesterin ein.

Fasst man diese Sage in 'ihrer mythischen Form einfach ftttfy so muss man gestehen, dass in derselben die Erinnerung an jeine Entwicklung, an eine Umwandlung in Bezug auf die Formen des religiösen Lebens der Nordländer festgehfil-*

Zeitochrin f. G«schichtsir. I. 1844» ^^

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274 ÜAer eimge Saupf fragen

ten ist. In der Art und Weise wie des Niord's, des Frty's und der Freya gedacht wird, erkennt man leicht die Hindeo- tung auf eine Veränderang, und zwar auf eine reichere und man möchte sagen , auf eine festere Ausbildung der Formen des Götterdienstes (Vergl. Cap.l2). Von Entwicklungen, wn Umwandlungen in den religiösen Formen der Odinsfereliref hatte auch Saxo erfahren. Es heisst nämlich bei an, daia fur Zeit Hadings Odin allgemein als Gott gegolten habe, dier« lelbe jedoch voneugswetse in Up«ila Terdbrt worden wte^e. Nun hätten die Könige des Nordens, um diesen ihren Gott besonders zu ehren, ein goldenes Bild verfertigen lassen und dasselbe wie Saxo die Sache nimmt, nach Byzanz, wo er Asgard hinyerlegt, geschickt. Darüber wäre Odin sehr erfrsut gewesen; die Frigg jedoch hätte aus Prunksucht, und Hab^ sucht nach dem Golde getrachtet, welches als Zierralb das Bild geschmückt; sie hätte einige Schmiede: verftftrt, im» das Bild des Goldes zu berauben; Odin aber habe diese Schmede aufhängen und sein Bild darauf auf einem hohen Oite aoEf« stellen lassen. Darauf aber soll die Frigg in ihrem unbe« zwinglichen Verlangen nach dem Golde meh einem ihr^-Die«> ner hingegebai haben, damit dieser zum Dank daiiir das Bid seines goldenen Schmuckes beraube und ihr üb^lidhve. &o nun auf zweifache Weise entehrt, sei Odin davon gegangen m die weite Welt, und darauf hab<) sich- M anderer Zaube- rer, Mitodin genannt, durch seine Zauberkünste an j^ros SieHe zu setzen gewusst. Dieser Mitodin habe darauf einen nemii Religionsdienst eingeführt, indem er sic^ ^egen die his dahin gegoltene Sitte aufgelehnt habe, nach welcher man den Zorn der Götter und Geister durch allgemeine Opfer, die ihnen allen gemeinsam dargeboten wurden, zu versöhn^ suehle. Bbiie 0]»fersitte soll durch ihn iiir die Zukunft verboten und dagegen der Gebrauch eingeführt worden sein, einer jeden der göttlichen Mächte besondere Opfer darzureidien.

Der wahre Odin kehrte zwar wieder nach einiger Zeit von seiner Wanderung zurück, und vertrieb denMttodin nebat anderen sogenannten Zauberern, die unter dessen Zwiscjben- horrscludl sich götüicher Ehren angemaasst hatten (Saxo Gram-

4€$ nördUehen ÄUertkum. 215

iQftt adit Ifulleri. p. 42. 43. 44). Das Wesentliche jedoch, was MUodio eingeführt hatte, blieb : besondere, einzelnen Göttem geleistete Opfer nämlich, und ein darnach sich heraussteUen*- der klarer und bestimmter sich bewusst gewordener Poly-^ theismus. Dies erhellt theils aus den Formeti, wie der skant- 4tiiaTisciie Götterdiedst historisch bestanden hat, theiis dai^ «n», das$ Iladiiig tor seinem Tode noch selbst sich bewogw ath^dMi Fro oder Frey ein Unheil abwehrendes Opfa* «d^ m^eileti (a. a. O. p. 49. 60).

Das Freibltrt, wie es von den Nordländern genannt ward, <M|er das dem Freir tu Ehren angestallte Opfer blieb in spä- torn iKeiteft eines der wichtigsten Hauptopfer. Es kommt keine Spiir davon vor, dass ^ schon vor Hadings Zeit^ bestanden ^tte. Die Slifbug desselben scheint überhaupt erst diesem königlichen Heros zugeschrieben worden zu sein. Denn zu «einer Zek z^gt sieh überhaupt, wie aus der beigebrachten Sage über Odin und Frigg erhellt, die Spur einer religiösen fiewegwg in dem Geiste d&r Nordländer. HaAng wird ab •in Heros ^geschildert, der mit den über- und unterirdischen Dingen in einem gewissen nähern Verkehr gestanden hätt^ £r ward noch bei seinen Lebzeiten durch ein Geisterweib onter die Erde gezogen und durch düstere Wolkengegend und auf vielbttretenem Pfade zur grünen Wiese geführt, von wel-^ iilier eine im Wirbel der Strömung aus Waffen sich hauende Brüeke über den Fluss dorthin den Weg bahnte, wo täglich die in der Sdilacht gefallenen Helden kämpften (a.a.0.p.51).

Ea kann keinem Zweifel unterworfen sein , dass in den Sagen, die dem Saxo vorgelegen haben, sehr bestimmte An-^ dentungen iti>er bedeutende innere Umwandlungen in dem raii^ösen Bewusstsein der Skandinavier enthalten gevralen sein müssen. Die Zeit dieser Umwandluflg setzte die Sage mjtiiisdi in die Zeit Hadings, eines alten heroischen Königti Das Wesentliche dabei war aber, dass das religiöse BewussU aein sich während dieser Entwicklung hervorrang aus allge««* meioeren, unbestimmteren Vorstellungen von geistigen und Sbyturmächteü, die über das Leben walteten, zu klareren An^ aehaauttgen n»t bestimmten Umrissen von Göttem » d^ea

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276 Vaier einige ßaupifruffm

ganzM Wesen baeh dem Yorbifde des mensebltdien Lebens «ofgefasst ward» Dies spricht sich sehr bestimmt aus in der Sage Yon der neu eingeführten Sitte des Bilder- und Opfer-i> dienstes. Nicht mehr im Allgemeinen wurden, wie früher den göttlichen Mächten die Opfer gebracht, sondern Ton nun «Q einzelnen besonderen Gottheiten, die einzelnen besonder ffen Kreisen des Lebens vorstanden und deren Macht innere Mb bestinmiter Kreise und besonderer Grenzen sich bewegte^ Ein ähnliches Moment der religiösen Entwiclchingen uoler den Griechen versetzt deren Sage in die Zeit des Kehrops. Um diese Zeit sollten die Götter den Beschluss gefe»5t ha-^ ben, Städte zu gründen, in wekhen einem jeden imter ifaneü besondere Ehren erwiesen würden (Apollodor. L. 3. c, 4. *$. i)* Anderen Sagen zufolge sollte die nach diesem Beschlüsse er«- folgte Austheihing der yerschiedenen Aemter* an die Götter, bei welcher die Bereiche ihrer Macht bestimmt worden wih ren und sie zugleich mit den Menschen über die Opfer und Ehren, die ihnen von diesen zu leisten wären, sich ansgegli^ eben hätten, zu Mekone, dem späteren Sikyon, geschehen sria (VergL Stuhr's Reiigions- Systeme der Hellenen. S. 167).

Nach dem Vorhergehenden indess ist es klar, dass so«» wohl bei Snorri wie bei Saxo aus der vorchristlichen Zeit herstammende Erinnerungen sich finden, die auf Umwand«^ lungen in der Entwickhing der Beligionsformen der Skandi'^ navier hinweisen. Es knüpft sich daran das an, was auch in der jüngeren Edda über den Gegensatz des alten und neuen Asgards gesagt wird. Bei Saxo aber wird in der Sage von der Errichtung des Götterbildes auf den Ursprung des Btt^ c^dienstes, der an jene Umwandlungen geknüpft gewesen wärei hingedeutet Das Moment der Einfuhrung des Bilder-« dienstes gehört aber mit zu dem Bedeutendsten in Absiekl auf dm Cregensatz der Religionsformen der germanjschen Völker, wie Tacitus sie schildert, und wie sie dagegen sich abspiegeln an den isländischen Liedern und Sagen. Keine SfKur von Bilderdienst findet sich bei Tacitus. In Skandina- vieti dagegen war der Götterdienst durchaus und auf das Engste an Bilderdienst geknüpft und es waren hier den Göt^

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dm nordiieken AUerihumM. 277

tem IQ einer gunz nrnnSssigen Anzahl, in einzelnen Tempeln an hundert Bilder erriehtet (Jornsvikinga-^Saga. c 12. Vefgt Pornmanna sögur. II. 153).

Was lieh an NacbrtdUen über die Geschichte des Bil«< derdienstes unter den germanischen Heerschaaren, die an d^ Kogenamten Völkerwanderung Theil genommen haben, mdn finden fälsst, hat Jakob Grimm fleissig gesammelt und zusamf* mengestetit (Deutsche Mythologie. S. 72—84). Im Allgemeinen Iflaube ich hier die Yermuthung aaüstellen zu dürfen, dasa die Germanen nur erst nachdem sie mit der römisdien Welt bekannt geworden waren« und nur erst in Folge dieser Be« kanntscbaft dazu im Geiste angeregt w^orden sind, ihren Göt^ tem Bilder zu errichten. Im Einzelnen aber ist hier dies besonders hervorzuheben, dass das älteste Zeugniss über BiU ^^tenst bei den Germanen erst in die zweite Hälfte des vierten Jahrhunderts zurückführt. Es wird (Sozomenus. bist ecoles. I. 6. c. 37) der vielfachen Gefahren , in welchen II1<- fifats unter den heidnisohen Gotben schwebte, gedacht Da<« bei wird gesprochen von den Verfolgungen, die die Cbristeii unter den Gotben zur Zeit des in dem Jahre 382 verstorben neu gothisehen Kdnigs Athanarich erlitten hätten. Zugleich wird erzählt, wie Athanarich befohlen habe, das Bild auf ei^ nem Wagen vor den Wohnungen aller des Ghristentbumi Verdächtigen berttrazufiibren; weigerten sie sich uiederzufaU len und zu opfern, so sollte ihnen das Haus über dem Kopfe angezündet werden (Yergl. Grimm a. a. O. S. 73).

Ob das oben erwähnte Bild ein Götterbild oder des Kö« nig^ 3iid oder das Bild von Athanarichs Vater gewesen sei, ist schwer mit Bestimmtheit auszumachen. Der Vater Atha* narich's hatte wegen seines Heldenmutbs und Verstandes bei Konstantin in solchem An^ehn gestanden, dass ihm eine Bild** Säule errichtet worden war (Mascov's Geschichte der Deutschen Thl.1). Mag es sich indess mit dem gothischen Bilde verhalten, wie es will, man findet in demselben die Spur von Bilder- verehrung bei germanischen Völkern im vierten Jahrhundert Sezomenus spricht aber auch noch von der helienisc}ien Weise der gotte»ii(|nstlichen Gd)räucbe der Barbaren, und dasa, will

278 Veb^ €m%e Hat^tfragm

Grimin wW» <iieser Kircb6D«ebriftote]ler ikhrflfixaQ tat ipvmi^ gesetit haben ioUte» ist um so weniger anzuneboieo, weil ea docb scbeint, dass von ibm das Hellenische auf das Barba* r&die in irgend einer Weise bezogen wird. Einwirkungen •wn Seiten des in der römiseben Welt noch nicht ersterbe-» nen heidnischen Geistes auf die ivotben zn einer Zeit» m wehber das Ghrbtentbum sich unter sie anszubreiteft aoboii aogeboben httte, können sehr wohl stattgefunden babev. Na^ mentlich liegt die Yeroiuthung nicht fern , dals der IMenst der Muttor der Götter, der im dritten und nerton Jabfaun- dort im römischen Reiche so lebendig auigefalüht war, mit dem Dienste einer weiblichen Gottheit der Gothen, d^fett Wesen etwa dem der altdeutschen Nertbus entsproehen bUte, verknüpft worden sein könnte.

Da gar keine früheren Spuren eines Bilderdienstes in der Geschichte der germanischen Völker vorkommen, die Ger- manen zu den Zeiten des Tacitus aber den Bilderdienst noch nickt ausgebildet hatten, so sind wir nicht nur bereobl^gf, sondern sogar kritisch verpflichtet, uns an den angefüfarteA Bericht des Sozomenus zu halten. Ind»n wir aber dies tbuui geht uns ein grosses Licht auf über die Geschichte d^ re«> Kgiösen Entwicklungen im Geiste der germanischen Yölken Die Umwandlungen in dieser Geschichte, in Folge deren die Religion der Skandinavier ihre eigenthUmlicbe und von der der alten Germanen verschiedene Gestalt gewann, mässton ihren Ursprüngen nach in die Zeiten der Ttfikerwanderan*« gen gesetzt werden.

Die Bekanntschaft mit der römischen und griechischen Welt, die mancherlei Kämpfe, die die germanischen Heer- schaaren unter sich und mit den ihnen fremden Völkern, so« wie auch mit der Natur zu bestehen hatten, müssen ihren Geist sehr lebhaft angeregt haben. Ohne grossen Einfluss auf den ganzen Gang der Entwicklungen im Geiste der Germa- nen konnte dies Alles nicht bleiben. Diese erste Bewegubg ward aber, nachdem der Anstoss gegeben war, in der Ge- schichte eines grossen Theiles der germattischen Völker plötz- lich hk ihrer Entwicklung gestört in Folge der Bekehrung

d^ nordischen ÄUerthum, Vis

lum GbriBteDtbum. Dass auch die nordischen Völker auf die lebendigite Weise mit iu die allgemeine Bewegung der Yöl« kerwäoderungen hineingezogen gewesen, ist eine Sache diet bentigas Tages allgemein anerkannt ist und keines besonde<- fm Beweises weiter bedarf. Nach dem Ende der Völkerr waadenuigen aber blieben die nordischen Völker sich selbst überlassen, von der christlichen Welt ausgeschlossen» Ihr her ben bewegte sich nunmehr in eigenen Kreisen und auf eine e^entbämliche Weise konnte das zur Entwicklung gedeihen, was in seinen Keimen angeregt worden war. Diese Entwick- lungen und die Anregungen dazu hatten aber viele innei'e Kämpfe im Geiste erzeugen müssen. Davon zeugt auch im Allgomeinen der Geist» der in der Religion der Skandinavier harscht und der ganze Charakter derselben. Im Besonderen ab^ geben die oben erwähnten Sagen von Saxo und Snorri den Beweis für die Behauptung, dass ehe das religiöse Be-^ wosstsein der skandinavischen Heiden in der denselben ei- genthümlicfaen Form zu einem gewissen Maasse von Klarheit sich ausgebildet habe, grosse Verwirrungen und Kämpfe ini Geifite zu überwinden gewesen sind. Was beide Gescbichtr sdireiber erzählen, das müssen sie aus Sagen entnommen ha-^ ben, in welchen Erinnerungen an Entwicklungen und Um« Wandlungen im religiösen Bew.usstsein, sowie an Einfiihrung neuer Formen des Götterdienstes aufbehalten waren.

In euhemeristischer Deutung sind freilich diese Sagen von den christlichen Geschichtschreibern sehr entstellt wor- den. So ist dem Snorri Odin ein herrschender Heeresfurst im östlich belegenen Asalande. Dieser Fürst führt Krieg mit dem benachbarten Volke der Wanen und überlasst darauf» nachdem er Frieden mit ihnen geschlossen hat, die Herrschaft -im alten A^gard^ der Hauptopferstätte im Asalan^, seinen bei- den Brüdern We 4md Wilir. Selbst aber zieht er mit allen Göttern nebst vielem anderen Menschenvolk nach dem Nor- den und kommt zuletzt an den Mälar-See, wo er Sigtuna sein neues Heiligthum gründet ( Ynglinga-Saga. c. 4. 5). Saxo weiss von diesem Zuge zwar nidits and hat seU>st nicht ein- mal eine bestimmt ausgebildete Vorstellung von liem Gegen:^

280 Ü$ber einige Sauptfragem

iatze des alten und neuen Asgards. Auf die Eioftthrong ei«* nes neuen Götter-^ und Opferdienstes deutet er jedoch ebenap bestimmt, wie in der Vorstellung von Byzanz, als dem Sitatt der Götter, auf den Osten hin (ed. Müllen p. 50). Unter den Sachsen hatte von einer auf den Osten hindeutenden SifK, nach welcher die Sachsen von einer Schaar aus dem Heere Alexanders abstammen sollten, bekanntlich auch Wittechind gehört

Besonders merkwürdig und mit Bestimmtheit den siche- ren Beweis für die Behauptung liefernd, dass die Odiosreli« gion ein Erzeugniss dessen sei, was an inneren Kämpfen in der Seele der nordischen Völker, die später noch im Heideii«* thum verharrten, in Folge der Bewegungen d<^r Völkerwaar* derungen angeregt worden, ist was wir über die Geschickte des Dienstes des Gottes Frey wissen. Frey wird nicht nur von Snorri ( Ynglinga-Saga. c. 12] als derjenige gekannt» der den Dienst der Götter von Alt-Sigtuna nach Upsalir verlegte» und hier mit höherer Pracht denselben neu ordnete; aueh Saxo vielmehr kennt ihn als Hauptvorstand des Heiligthums zu Upsala, und als den Gott,, dem hier das Opfer angestellt ward. Frey aber war nicht vom Asengeschlecbte, sondern gehörte dem Geschlechte der Wanen an, die erst kurz vor der Zeit der Gründung von Sigtuna in die Gemeinschaft der Äsen aufgenommen worden waren. Es hatten die Waneoi wie es sich an dem Wesen der Häupter derselben, des Niofd, des Frey und der Freie, in deren Gestalt als Wanengöttio» ausspricht, ganz neue Elemente in das religiöse Leben der Nordländer gebracht. In Wahn sich bewegende dionysische Sinnenlust war mit ihrer Aufnahme in die Gemeinschaft der Äsen erwacht, und hiernach bestimmt sich der Gegensatz vom alten und nc^uen Asgard, den auch Saxo andeutet, inwiefern er von Umwandlungen in den Religionsformen, von der Aus«* bildung ein6s sich klarer bewusst gewordenen Polytheismus und des Bilder- und Opferdienstes spricht Mit diesem Dienste, und an den Wanendienst sich anschliessend , war aber auch eine Form verknüpft, die sicher nicht altgermanischen Ur- sprungs sein kann^ sondern auf hellenischen Ursprung mit

des narcksehen AHßtihum. tSl

Bestimnitbeit hinweist Adam von Bremen (hiftt eoelesiart. e. 223) erzahlt, dass zu Upsala das Bild des Frey. mit einem grossen Phallus geschmückt gewesen wäre. Das« sich Adaaa ▼on Bremen in seinem Berichte nicht geirrt haben kann, son« d^n dass wirklieh mit dem Dienste der drei Wanengötter ein Phallusdienst in gewisser Form verbunden gewesen sei^ erbellt aus folgender Stelle der Einleitung in die jüngere Edda* Es heisst nach der lateinischen Uebersetzung (c. 3.) daselbst: $,Ouamvis aut^m Satumus Jovi coelum distribuisset, terram ni« bitominus affectavit; idcireo regnum paternum hostiliter inva-« dens ocGupavit, membraque virilia patri amputari et in mare projici curavit, unde nata creditur Venus dicta, et Dea amorum« Gaeterum ubi Satumus a filio Jove castratus esset, ex Greta in Italiam aufugit, ubi tunc ejusmodi degebant gentes» quae nibil laborabant, sed ex fructibus et herbis victitabant, antra et terrae speluncas inhabitantes. Quo quum pervenisset Sa<» tümus, mutato nomine Niordum se vocabat, ut filius Jupiter ia^rtior Geret ubinam loci degeret Primus ibi homines arare et viueas plantare docuit Quoniam vero in illis locis terra erat rotre fertilis, proventum copiosis$imum cito dedit. Incola« aotem Niordum hunc Principem sibi delegerunt, et sie omni« illa regna in suam redegit possessionem." Welche wun- derliche Verwirrung in Fofge von Vermischung griechischer und skamlinavischer Mythen auch in dieser Stelle herrscht» getäugnet kann gar nicht werden» dass der Verfasser jener Einleitung Kunde von einem mit dem Dienste der Wanen» götter verknüpften Phallusdienst gehabt haben muss.

Das Hauptergebniss jedoch würde folgendes sein: In der altgermanischen Welt hatte sich allerdings schon eine poly- theistische Verehrung von geistigen Mächten, die besonders über die Kriegsgeschicke walteten» herausgebildet; auch hatte sich eine an den Dienst der Mutter Erde sich anknüpfende Ver«< ehrung von Naturmächten entwickelt: doch bis zur Ausbildung einer plastischen Anschauungsform im kunstsymbolischen Bil- derdienste war es noch nicht gediehen. Dazu gedieh es vielmehr erst nach der Zeit der Völkerwanderungen im Norden unter den germanischen Völkern^ die nicht, wie die nach dem Sü-

2tö Ueber dnige Hauj^fragen des nord. Alterthums,

den gesogenen zum Christenthiun sich bekehrten» sondern im Heidenthum verharrten. Es geschah in Folge dessen^ was in ihrem Gebte angeregt worden war durch den zu jener Zeil lebhafter angeregten Verkehr mit den gebildeten Völkern der alten Weh. So bildeten sich in kunstsymbolischer Form ^ religiösen Vorstellnngen um, und es entstand eine neue WcM der Götter im Gegensatze zu der Welt der alten Götter. IKe Keime zur Anregung dieser neumi geistigen Schöpfangen wa«» ren ausgesäet worden während der Zeit, in welcher die aus- fahrenden Kriegerschaaren in den lebhaftesten Kämpfen mit der Römerwelt sich befunden hatten. In die Gegenden, wovon die Anregungen ausgegangen, ward auch von der mythiseheii Vorstellung die Stätte gesetzt, von wo aus 0<Kn mit den Asaa nach dem Norden ausgezogen wäre, um hier das neue As- gard zu erbauen. Hierauf sieh beziehende mydiisdie Vor«« stefiungen hat Saxo gewiss auch in den Sagen, aus doien er den Inhalt seiner Geschiebte nahm, gründen. Dazu in-« deas, diese Stätte durch die Bezeichnung von Byzanz geo^ graphisch näher zu bestimmen, mag er allerdings veranlass worden sein in Folge des Verhältnisses, welches im Mittel« alter zwischen dem Norden und Konstantinopel durdi Ver«^ mitthmg derWäringer bestand; doch schwerlidi wird er dar«? Juach seine Sage von der südöstlichen Lage 4er Götter ganv und gar erfunden haben. Mit Ausnahme dessen, was die fie«« üeicfanung von Bjzanz betrifit, hält sich seine Ansicht allge«t meiner und mehr von Systemsucht frei, als die Snorri's. Der Hauptfehler bei beiden, und bei dem letzteren in einem noch weit höheren Maasse, besteht aber in der euhemeristiflchen AufiassungS'- und Deutungsweise, in welcher das, was nur auf innere geistige Kämpfe und Entwicklungen, zu denen die sogenannte grosse Völkerwanderung in Beziehung steht, 8e» deutung hat, und eben deshalb nur mythisch zu ÜMsen, aus« serlich genommen und historisch gedeutet worden ist Strinn«« holm hat sich desselben Fehlers schuldig gemacht.

P. F. Stttbn

Aiwtof AÜ0U In Beslelmiig auf die evan- gpellMteii Ftt»rt;en Deutoeliland«*

Im Bewegungen in der evangelischen Kirche Deutschlands, die seit einigen Jahrzehenten in mehrfacher, zum Theil ent« gegengesetzter Riclitung wahrgenommen werden, haben nxk*» ter andern veranlasst, die Bewandtniss jenes vidjährigen Kriegs von neuem ins Auge zu fassen, in welchem die kirchlichen und politischen Triebrüder auf die eigenthtimlichste Weise durch l^ander liefen, und jene sich zuletzt in diesen fast verlonm« Namentlich wird über die Absidht gestritten, die den Nor-* dischen Helden au£ den Schauplatz desselben gefuhrt hat £i^ ner in Leipzig^ vor etwa zehn Jahren gegründeten erangeUseh«^ kirchiidien Stiftung, freudig begriisst von allen, die durch die Schale auf den Kern des Ghristenthums dringen, haben die Urheber durch Beilegung seines Namens eine Weihe zu ge-it hen gemeint, deren sie nicht bedarf. Was den Schwedischen Kl>nig bewogen hat, in die Deutschen kirchlich-bürgerlffchen F^hdsetigkeiten einzugreifen, ist bekannt; eine ausiährlidie Wiederholung wäre überflüssig; nur darauf ist es hier abge- sehen, durch bündige Zusammenstellung der wesentlichea Thatsacheh den damaligen Stand der Dinge in Erinnerung zu bringen, um den Maasstab fiir das Verdienst Gustaf Adolfs aufimstellen.

Seit dem Jahre 1618 befand sich Deütsohbnd in einem Zustancte allgemeiner Verwirrung und zusammengesetzter Kampfe. Was vor 63 Jahren in dem Friedensvertrage zu Augsburg für alle Zeiten als allgemein unverbrüchlich fest-« gesetzt worden, erftdir von katholischer Scate auf Beidhis«

284 Gustaf Adolf in Beziehung auf die

und Kreis* Tagen j in den fieichsgerichten und Städtischen Behörden oft Verletzungen; die Schritte aber der evangeli- schen Fürsten zur Behauptung ihrer Rechte gingen bald über die kirchliche Gränze. Sie schlössen einen mächtigen Bund, dem sich ein katholischer drohend entgegen stellte. Die ihr Glaubensbekenntniss auf brüderliche Eintracht abgelegt hat« ten, erhoben gegen einander das Schwert! In dem Wahlver« trage hatte das Reicbsoberhaupt versprochen, 'keine fremde Kriegsvölker in das Reich zu ziehen, es rückten aber Spanter aus den Niederlanden hervor; und auch die Evangelischen riefen Ausländer, Dänen, zu Hülfe, und bekriegten ihren Lehn- berrn. Welche Verwickelung des staatsgesetzlichen und des sittlichen Zustandes! Da halte doch Jeder die Hand zurüidß von dem Schwerte rechtsthümlicherMacbtspr»cbel Zum Glück ereignen sich im' Leben eines Volks nur selten StreitftUe, für die kein menschlicher Richter zuständig ist

Christian der Vierte von Dänemark, der würdigste Man» unter so vielen, die in jener Zeit der Zerrültungen auftreten^ hatte der angelegentlichen Auffoderung der bedrängten evan- gelischen Fürsten Gehör gegeben. Bei alUr Tapferkeit abwi allem beharrlichen Muthe erlag er doch endlich der (Jeber-> macht sowohl des Oesterreichischen und des Heeres der ver«« bündeten katholischen Fürsten unter dem grausamen Tilty» als der furchtbaren Waldsteinschen Horde. Immer weiter und weiter zurückgedrängt, ward er endlich auf die Inseln seihetf Reichs beschränkt Mit Ausnahme einiger festen Plätze und Stellungen kam der ganze südliche Rand der westlichen Ge- gend des Baltischen Meeres, Jütland, Schleswig, Holstein; Mecklenburg und fast ganz Pommern in die Gewalt der ka« äiolischcn Heere unter Oesterreichischer Oberherrschaft. Ein so überschwengliches Waffenglück, wie wäre das mit MäsSi- gung zu ertragen gewesen! Es verführte zu übereilten, weit aussehenden Entwürfen. Eine Oesterreichische Seemacht am Baltischen Meere; eine Landung vermittelst Hansischer Scbiffli auf den Dänischen Inseln und wohl noch weiter östlich; di« Benutzung des einträglichen Nordischen Handels für die be- dürftige Schatzktmmer: dies schien nicht ausser dem Bereidve

etangeüschen Fürsten DetUschiands. 28t

ii&r Möglichkeit zu liegen. Und welcher Glanz für die Re- gierang Ferdinands des Zweiten, wenn er die Nordgränze Deutscfaiands weiter hinausgenickt hiitte, als Karl der Grossei

Bei diesen Vorgängen in den westlichen Ländern der ^dküste blieb Gustaf Adolf während seiner Feldzüge in den OftUchen kein gleichgültiger Zuschauer; nur nahmen die Kriege mit seinem leibiieben Vetter Siegmund Ton Polen alle Streit« krtifte in Anspruoh. Auch in Ansehung der Frage, auf wel-* lAer Seite in diesen schon unter Gustafs Vater begonnenen Familienfeindseligkeiten das Recht gelegen, muss der äussere Gerichtshof sich bescheiden, nicht zuständig zu sein. Im Fort«* gange der Schwedisch -Polnischen Kriege erhielt Siegmund fon seinem Schwager Ferdinand dem Zweiten 1627 ein mäch- tiges HüUsheer unter dem Befehle "eines Herzogs Adolf aus dem Holstein -Gottorpschen Hause, im nächsten Jahre aber folgte ein stärkeres unter dem Brandenburger von Arnim. In einem hitzigen Treffen mit letzterm in dem damals Polni- schen Preussen gerieth Gustaf selbst, doch unerkannt, in Ge- fengensehaft, ward aber sogleich von den Seinigen wieder in Freiheit gesetzt.

Sehr viele Kamen, befleckt auf mancherlei Art, hat die Geschichte iur die Nachwelt aufzubewahren; darunter ist aber nur ein Richelieu. Waffengewalt, Ränke, Geldleistungen, alle Mittel wusste dieser Geistliche mit Geschick anzuwenden, um an der Lösung der alten Aufgabe Frankreichs fortzuarbeiten, die Macht des Spanisch -Oesterreichischen Hauses, des un- versöhnlich gehassten Nebenbuhlers, zu brechen. Wenn Ri* (^eKeu zur Erreichung dieses Zweckes den berühmten Hel- den an der Nieder -Weichsel ausersah, so durfte er, in Er- wägung der angefiihrten Umstände, an dessen Zugänglichkeit für seine Aufregung nicht zweifeln; denn es sass noch in Gustaf der Stachel des Verdrusses, in die Hände der Croa- ten gefallen zu sein ; und eine Oesterreichische Nachbarschaft wäre den Schweden sehr ungelegen gewesen. ^ Zweckmässig begann Richelieu damit, durch einen gewandten Unterhänd- ler im September 1629 einen sechsjährigen Waffenstillstand zwischen den streitenden Vettern zu vermitteln , damit <ler

am Gustaf Adolf in BesUekung auf die

Sdiwdde nicht abgehalten würde, für Frankraieh und (ür mh «elbst in Deutschland aufzutreten. In den weiteien Verhand* lußgen, die durch das Ansinnen der Französischen Herrs<^-^ sucht und den Widerstand des Schwedischen Selbstgefühls verzi^ert wurden» war nur die Bede von den ?erietzte& StäM»- gerechtsamen der Deutschen Fürsten , und dem Trachten Oesterreiehs nach allgemeiner Oberherrsekaft» weld^m Ein* hirit 2u thun Gustaf berufen sei. Einer Unteratttaaing iH evangelischen Sache ward nicht gedacht; und wenn Riehelieni vorgab, die evangelischen Fürsten erwarteten in Guitaf Adotf ihren Erretter, so sollte dies nur heissen: iasafem sie in ihr ren Freiheiten und Rechten gekränkt oder bedrc^t wäma.

Endlich waren alle Bedenklichkeiten beseitigt, und der Entschluss des kühnen Mannes zur Reife gehingt« Er mnmi» freilich seinen gebietenden Namen in die Wagschale, legen, denn mit kaum 15000 Mann, die er im Junius 1630 an die Pommerschen Küsten führte, gegen die Oerterreichische und die Macht des katholischen Bundes, und gegen so geübtfi, alles Menschengeiubl verleugnende Feldherren anmrückea, konnte ein tollkühnes Unternehmen zu sein, und den Sf)0tt zu rechtfertigen scheinen, der sich in den Worten aiuliess: „mag der Schneekönig nur kommen I'^ In (ter Beschwerde^ Schrift, die er zur Rechtsbegründung seiuec^ (JeberfaUs bekanut machte, ward Gewicht darauf gelegt, dass Ferdinand ^m Könige Siegmund, dem Feinde Schwedens, Kriegshülle ge- leistet habe. Nicht weniger machte Gustaf eine von Oester«* reich ihm widerfahme, völkerschaMiche Beleidigung gdteud, mit der es sich verhielt, wie folgt Schon im Frübjabr^ 1628 hatte er nach Stralsund eine Besatzung geschickt, von der Bürgerschaft, da sie von^ ihrem Lande sherm und den Hanse- städten keinen Schutz erlangte, als eine in dem Oesteirei- chiscfa-Piinischen Kriege parteilose Macht angerufen» Als min Oesterreich durch mehrere zusammentreffende Umstände be- wogen wurde, mit Dänemark Friede zu schliessen, köuicte Gustaf, als damaliger Herr von einer so bedeutenden Festung im Bereiche des Kriegsschauplatzes , auf Tbeilnahme an deq Verhandlungen Anspruch machen, die zu Lübek im Mai* 1629

eöangeliichen Fürsten DeuUehhmds. 863

S<att hatten. Da 'wurden aber seine Berollmächtigten schnöd« cunickgewiesen.

Im Rücken durch die genannte Festung gedeckt, kotmte der Könige behutsam und allmählig, Fortschritte in Pommern machen ; der Herzog jnusste sich anschliessen. Nachdem Gu- rtaf die in Polen nicht mehr nöthige Kriegsmannschaft an sieh gezogen hatte, auch Verstärkung aus dem eroberten Lief- land eingetroffen war, rückte er vor in die Mark Branden- burg. Jetct hielt ihn der Torsichtige Richelieu für hinreichend beglaubigt, und nahm ihn zu Bärwalde im Januar 1631 in Französischen Sold, wenn auch nur in einen geringen. Von V«rtbeidigung der evangelischen Kirche wiederum keine l^ur in dem Vertrage, wc^l aber von Schonung der Katholischen. fat Anfange des Monats April wurde Frankfurt an der Oder erobert, wobei das Schwedische Kriegsvolk die Stadt und die Oesterreichischen Gefangnen auf das grausamste behandelte.

Es kömmt nun darauf an, wie zunächst die Kuriursten von Brandenburg und Sachsen den Sieger aufgenommen ha-* ben, beide, wie die übrigen evangelischen Fürsten, von Fer- dinand in ihrer Religionsfreih^t bedroht. Bei Georg Wilhelm von Brandenburg kam die Verschwägerung mit Gustaf nicht in Betracht; er sträubte sich lange, mit einer auswärtigen Macht eine Verbindung gegen die einheimische oberste Be- hörde einrogeheo; und wenn endlich Göstrin und Spandau eingeräumt wurden, so wich man nur der Gewalt. Johann Georg von Sachsen, ebenfalls mit Gustaf verwandt, veranstal- tete im Frühjahre 1631 zu Leipzig eine Versammlung der evangelischen Stände, worin dieselben keineswegs eine Ver- bindung mit Schweden , sondern zu ihrer Selbsthülfe ein Schutzbündniss gegen Missbräuche der reichsoberhauptlichen Gewalt beschlossen. In einer starken Sprache, doch mit ehr- erbietiger Haltung, erklärten sie, die Drangsale nicht länger dulden* zu können, die ihren Landen durch die unaufhörli- chen Kriegszüge und Gewaltthätigkeiten der Oesterreichischen Heerhaufen zugefügt würden, und wodurch Ferdinand den von ihm „hochbetho^erten königlichen Wahlvertrag'' verletze. Sie wären daher genöthigt, mit vereinigten Kräften sich zu

268 Gustaf Adolf in Beziehung auf die eoangel etc.

schützen, und den vom Könige erlassenen, willkürlichen, ih- ren wohlerworbenen kirchlichen Rechten zuwider laufenden Vertilgungen sich nicht zu unterwerfen. Diese Beschlüsse sind jedoch nicht zur Ausführung gekommen. Denn ehe die Streitkräfte zusammengezogen und geordnet waren, rückte der Zerstörer von Magdeburg heran; da konnten fireilkh die Evangelischen nicht anstehen, den Schwedischen Fahnen ra folgen;

Was demnach Gustaf Adolf gewollt, und nach Riebelieiii^ Plane gesollt hat, das ist erreicht worden, zuerst durch ihn selbst, darauf durch seine ihn überlebenden Feldherren, in deren verwickelten Kriegszugen das Wort Anwendung ge- funden hat: „der Krieg nährt sich selbst/* Der Oesterreichi- sehen Macht sollte dadurch Einhalt gethan werden, dass sie verhindert würde, die Deutschen Fürsten in eine Abhängig- keit vom Königthum zurück zu versetzen, wie solche in der frühem Zeit bestanden hatte. Der Erfolg hat dann allerdings mit sich gebracht, dass die evangelischen unter diesen Für- sten für sich und ihre Uuterthanen auch die vollkommene Freiheit ihrer Bekennung behauptet haben, unverkennbar ohne besondere Beabsichtigung Gustafs. Denn mit der staatsredil« liehen Selbstständigkeit wäre auch die knrchenrecbtlieiie ge^ schmälert, wohl gar unterdrückt worden, was unleugbar eine Beschränkung der freien Forschung zur Folge gehabt halte: und um wie vieles Gediegene, Unvergängliche wäre dann Deutschland, wäre die Welt ärmer!

Bonn.

UüUmann«

,*

IJiig'edrttektes Sehvelben Frtedvleli^« von 0entx an den Redactenr des Hfttniberir^i^

Correspondenten«

Mitgetheilt von C, Fl. Seebode.

Vorbemerkungen des Herausgebers.

Hie schriftlichen Reliquien eines Mannes, der in den bedeu-« tendsten Krisen unsers Jahrhunderts einen weityenweigten Einfluss auf die Gestaltung der Europaischen Angelegenhei- ten ausübte, der bei mehr als einem Anlass hinter der Schau- bühne des politischen Dramas eine leitende Rolle zu spielen schien, werden, auf welchem Standpunkt der Reurtheilung man auch stehen mag, immer Beachtung verdienen und In- teresse erwecken, auch wenn sie nicht sowohl neue Auf«* Schlüsse über historische Erlebnisse, als vielmehr nur Beiträge zur nähern Charakteristik ihres Urhebers gewähren. Diese Betrachtung ist es, welche uns bewpg, dem nachfolgenden Schreiben, dessen Yeröffentlichung dem Herrn Einsender bis-« her an mehr als einem Orte misslang, gern und bereitwiiUg einen Platz in unserer Zeitschrift einzuräumen. Niemand ge- wiss wird uns die Absicht unterlegen, als wollten wir die llissstimmungen vergangener Tage wiederbeleben, wenn wir, um dem Historiker zu einer allseitigen Würdigung derVer-* gangenheit die Bahn nach Kräften zu ebenen, keine Cielegen'^ heit zur Vermehrung des Stoffes oder zur Erweiterung de^ .v^ Gesichtskreises vorübergehen lassen. * *^

Das Schreiben Friedrich's von Gentz ist vom 6. Augusb 1808 datirt und an den damaligen Redacteur des Nümber*.

Z«iUcIirin f. Oeschiclitsw. 1. 1844* |9

't »

290 Ungedfucktes Schreiben Friedrieh* s ton Genti

ger Gorrespondenten von und für Deutschland Dr. Wendel gerichtet, welcher vor einigen Jahren als H. S. GoL Gothaischer Rath zu Goburg verstarb und das Andenken ei- nes als Schulmann wie als Schriftsteller verdienten Mannes hinterliess. Der noch lebenden ehrwürdigen Wittwe dessel- ben, der Inhaberin des Originals, verdankt der Einsender, Herr Reg. Referend. Seebode in Berlin, die Abschrift und die Voll- mMfat zflor V«r9lbnt)tehung towohl jenet Scbreibtas wie dier ufltom iA. August darauf ergaogenea Antwort Dea Aidass 2U dem erstem gab «in kurzer Artikel im Nürnberger Gorre- spondenten vom 26. Juli 1808 (No. 208. S. 834), durch dessen Inhalt Gentz sich verletzt fühlte; derselbe lautete, gemäss dem Extract, welchen uns die gegenwärtige Expedition des Blattes auf unser Ansuchen gefälligst zukommen Hess, folgendermassen: „Von der Donau, 21. Juli. Der bekannte Schrift- stdler Gentz hält sich gegenwärtig zu Toeplitz im Bade auf. Das preussisdie Eriegsmanifest gegen Frankreich, da- von er Verfasser ist, hat ihn so sehr angegriffen, dass er noch jetzt die Folgen davon empfindet, und sich auf An- rathen verständiger Aerzte ins Bad begeben hat. Er seilest soll wünschen, sich im Lethe baden zu kommen" [können?]. Die gänzliche Zurückweisung des Gerüchtes hinsichtlich der Aii^rschaft des Kriegsmanifestes war der Hauptzweck des Gentzischen Schreibens. Deshalb dürfte es, um den rich- tigen Standpunkt zur Würdigung des Inhaltes zu gewinnen, keineswegs überflüssig sein, der Mittheilung desselben dieje- nigen Attfiudilttsse über diesen Punkt voranzuschidcen^ welche der Verfasser damals noch zurückhielt und die fai seinem nun- mehr audi im Original vorliegenden Tagebuche enthalten sind (Journal de ee qui m'est arriv^ de plus marquant dans le voyage qwe j'ai fait au quartier- g6n6ral de S. M. le Boi de Prasse. Lb 2.d'Octobre 1806 et jours suivans. S. Schlesier: Hi^oires et Jettres in^d. du chev. de Gentz. 1841. p. 221 sqq.). Zunächst fragt es sich: welche Motive lagen seiner Be- rufung nach Erfurt im Jahre 1806 zu Grunde? Die Aeuss&* rang, die Gentz am 7. Octobar niederschrieb : , je commen^ai i. i soup^onner que Teffet que ma pr^sence semblait pro-

an den Redacieur des Nürnberger Correspondmien. 201

duire^ pouvait bien ayoir i^iA le principal motif par lequel les ministres m'avaient invit^ '^ (p. 267), dürfen wir als blosse Yermuthung auf sich beruhen lassen. Wichtiger ist was der Graf Haugwitz darüber am 5ten zu ihm sagte: ,,le fait est qu'il s'agissait de gagner Yotre opinion en favenr de notre

entreprise. Les objets particuliers, pour lesquels je Yous

demanderai Yotre avis, quelque importans qu'ils puissent Atre en eux-m^mes, ne sont cependant qoe des accessoires; ie principal, c'est que Yous soyez notre ami" (p. 236). Darauf, meldet Gentz weiter, machte er mir den Yorschlag „que je Passistasse pendant quelques jours de mes conseite, et, en cas de besoin, de ma plume" (p. 250). „II me dit qu'il avait k me demander, avant tout, de me cbarger de la r6- vision d'un manifeste^ r6dig6 par Mr. Lombard, et de la traduction de cette pi^ce en allemand. II m'assura que je trouverais Lombard dans des dispositions dont je serais bien content, prät k accueillir toutes les remarques et toutes les critiques que je pourrais lui communiquer sur son travail, et Ji y faire tous les changemens que je proposerais. H me demanda ensuite de r^diger un articie en r^ponse k ceux que les Journaux Fran^ais avaient publi^s sous les dates fictives de Dresde et de Gassei, relativement k la Situation de ces deux cours, et k leurs rapports avec la Prusse" (p. 251).

Gentz entsprach den Wünschen des Ministers. „Rentr£ chez moi, erzählt er S. 251, ... j'ai r6dig6 l'article sur les deux cours Electorales, tel qu'il a 6t6 imprim6 dans la gacette d'Erfurt du 7. Octobre." Am 6ten Yormittags war Gentz beim Kabinetsrath Lombard. „II me parla, heisst es S. 259, de son manifeste, en disant qu*il ^tait fait depuis huit jours, mais que depuis qu'il avait su que le Roi m'avait appel^, iln'a- rait plus Touln y toucher sans connaitre mon avis sur oette pifece." Nach Tische wollte man „procöder k la lecture et k Texamen du manifeste." Und so geschah es. Hören wir nun darüber den wörtlichen Bericht (p. 262—266).

„La premiere lecture faite, il me proposa de discuter U pifece articie par articie. II adopta nori seulement arec faci- lit^, mais ayec le plus grand empressement, toutes les obser«^

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292 Vngedrucktes Schreiben Friedrich*s eon Gents

vations que je crus devoir lui faire; il n'en repoussa pas une. 11 y avait une quaniit6 de passages qui se ressentaient de ce ton ind^cent qui m 'avait tant r^volt^ contre la lettre [k Na- poleon]; il les supprima ou les modifia tous. II me soUicita quelquefois de prendre la plume pour exprimer avec plus de pricision la tournure que je voulais substituer k la sienne; ce fttt la seule Operation par laquelle j'ai directement con- couru k certains passages de ce mauifeste/' Dann geht der Verf. auf einige Einzelheiten ein. »^Le paragraphe qui rap- pelte l'assassinat de Mr. le Duc d'Enghieui se trouva r^dig^ ä peu pr^s dans les termes qui m'avaient violemment choqui dans la lettre. II le changea d'apr^s mon conseil. Mais ici je ne me bornai pas k une simple critique de r^daction. Je lui demandai etc. Je reproduisis la m£me Observation k propos de plusieurs autres paragraphes; il me repondit chaque fois que le Roi le voulait ainsi; apris quoi il n'y eut plus rien k dire. 11 y avait un article le Roi faisait valoir contre Napoleon la d^marche faite il y a quelques ann6es pour ettgager Louis XVIII. k renoncer k son droit k la cöu* rönne. Get article 6tait d'un scandale outrageant Je repr^- sentai k Lombard combien la Prusse 6tait int^ress^e k faire oublier cette odieuse transaction. II supprima le passage. * La partie du manifeste qui contenait la justification de la Prasse sur les trait^s de Yienne et de Paris » fut celle je refüsai toute concurrence^ m^me celle d'une critique de rö- daction. pour la premi^re fois il ötait question du Hanovre .... il se trouvait un passage dans lequel on atta- quait directement les principes du gouvernement Anglaii^ par rapport k la navigation des neutres. Je fis sentir Timprudence de cette tirade dans un moment on voulait se rapprocher de l'Angleterre; j'allais en dömontrer la futilit^^ lorsqu'il se d^termina tout court k la retrancher. Le moment le plus difBcile et le plus orageux de cette longue s^ance fut celui nous discutions la p^roraison. Apr^s les mots qui d^ig- nent TEmpereur de Russie, il y avait un passage de quelques lignes oü, Sans avoir nonam^ TAutriche, on en parlait dans d^s termes qui n'ötaient absolument applicables qu'ä eile. Le

an den lUdacteur des Nürnberger Correepondenten. 293

sens de cette 6traDge allusion iUit que TEmpereur secoo* derait ia Prusse de ses voeux, s'il ne pouyait pas le faire de ses efforts. D^jk k Ia premi^re lecture j'avais ^t^ si frapp6 de ce passage^ que je m'^tais bien promis de le faire dispa- raitre k tout prix. Je repr^sentai k Lombard ce qu'il y avait d'ißjuste, dlnd^licat et de cniel k compromettre gratuitement une puissance qui, par quelque raison que ce füt, ne voulait pas se pr^cipiter dans Ia lutte; j'en appelai aussi k Tint^r^t bien entendu de Ia Prusse, qui ne Tengageait certainement pas k s'ali^ner Ia Cour de Yienne, en Ia violentant ouTerte- ment dans sa marche. Je rencontrai dans cette discussion plus de t^nacit^ et de r^sistance qu'il n'y en avait eu dans aucune autre partie du travaiL II se retrancha de nouveau derri^re Tobjection embarrassanle que le Roi Tavait youlu aißsi; mais depuis que je m'6tais aper^u k quel point il 6tait le maitre absolu de ia r6daction, cette objection ne fit plus son eflet. Gependant je vis de plus en plus que, pour rem- porter ici Ia victoire, il s'agissait d'une grande fermet^. Je lui d^clarai donc enfin tout net que^ si ce passage n'^tait point supprim^, non seulement je ne me priterais jamais k Ia tra-* duction du manifeste, mais que je le renierais hautement, que je m'inscrirais en faux contre cette pi^ce; et de plus, je me croirais oblig^ de quitter incessamment Erfurt; je le quit* terais dans Ia nuit, apr^s avoir expliqu6 au Boi par une lettre que je remettrais au Gomte Goetzen le motif de mon döpart pr^cipit^. II me regarda d'un air de surprise; et apr^s avoir r^fl^chi pendant quelques secondes, il prit brusquement Ia plume et effa^a le touf Am Schlüsse beisst es (p. 266 sq.]: „La pi^ce qui fut discut^e ce soir 6tait de Ia premi^re im-< portance; eile devait influer sous tant de rapports sur le sort futur de Ia Prusse, et il d^pendait de Lombard tout seul de Ia r^diger, de Ia modifier, de Ia renforcer ou de Ia ren-> verser avec moi; ni le ftoi, ni le Gomte Haugwitz, ni per- sonne ne fut consult^ sur aucune de ces Operations; car le manifeste resta absolument tel qu'il ötait sorti de nos mains; et le Roi ne Ta pas m^me revu avant qu'il füt imprim^ et publik 1'^ Hierauf ersuchte ihn Lombard, die Uebersetzuug

294 Vngedrucktes Schreiben Friedrich's eön Genti

möglichst zu beschleunigen. „Je Tentrepris, sagt der Verfl, en rentrant chez moi, et y ayant consacrö toute la nuit, je la tenninai k huit heures du roatin/^

Sein Wirken war damit noch nicht abgeschlossen. Am 8. Oct. schreibt er (p. 287): ,,Apräs dtner, le Gomte Haugwitz m'a pri^y au nom du Roi, de r6diger une prociamation k l'ar- m^e sur Fobjet et ie caract^re de la guerre; une autre adres- s6e au public de la monarchie Prussienne dans le m^me sens; et ce qui me parut assez bizarre une pri^re pour Ätre r^it6e dans les ^glises (NB. Ges deux demieres pi^ces n'ont jamais yu le jour).^' Der Auftrag in Betreff der Prociamation an die Truppen wurde vollständig von ihm erfüllt; wie und in welcher Weise, setzt er p. 305 307 auseinander. Um diese Prociamation und um das Manifest bewegten sich die Haupt- interessen. ,,Nous avons din6, schreibt er am 10. Oct, chez le Comte Haugwitz. II ^tait de la meilleure humeur du monde .... Taffaire de la prociamation ^tait termin^c; le mani- feste s'imprimait k Weimar" (p. 3il). Daher auch Lombardes Erkenntiicfakeit; „il m'a remerci6, heisst es p. 311 sq., de la maniöre la plus affectueuse du bien qu'il pr^tendait Hre r6- sutt^ de mon s6jour; il m'a dit que le Roi y 6tait 6galement sensible, et que, dans des tems plus tranquilles, il s'en sou- viendrait avec reconnaissance.'^

Aus diesem allen erhellt, dass man Herrn von Gentz nicht nur überhaupt eine höchst umfangreiche diplomatische Thä- tigkeit in den Octobertagen des Jahres 1806, sondern insbe- sondere auch zwar nicht die Autorschaft, wohl aber eine sehr bedeutende Theilnahme an der definitiven Gonstituirung und Bedaction des französischen Textes des Manifestes bei- zumessen berechtigt ist, und dass er namentlich Verfasser der deutschen Version desselben war. Nur aus dem Bewusstsein dieser Mitwirkung und mancher ermuthigenden Verheissun- gen*) erklärt sich jenes VorgefiihI, vermöge dessen er schon

*) Man s. z.B. p. 243: faites entrevoir l'avenir sous un aspect qui ^loigne absoIumeDt toute idee d'inter^t personnel , et j' ose r6- pondre non seulement de l'opinion, mais encore de la faveur et de la confiance g^nörales. Worauf Haugwitz er-

an dm Redacteur de» Mmb&rger Correspondmten.

damals die AnschuldigaDgen , die später gegen ihn erhoben wurden, voraussah : ,^'ai rassemblö et consign^ dans ua mi* moire toutes mes id^es sur Torigine de cette guerre. Ca mi^ moire me seryira un jour pour r6pondre k la sottise et ä la calomnie qui ne nianqueront pas de m'accuser d'y avoir oCHiw tribu^ par mes conseils'' (p. 324).

Hören wir nunmehr die Worte seines Schreibens, in dem, sich wenigstens, neben der Wahrheit mancher allgemeinen Betrachtung, jene grosse Gewandtheit und jenes Talent nicht Yerkennen lassen, welche allen seinen Schriften so eigen sind.

Teplitz am 6ten August 1808.

Seit geraumer Zeit war ich einer der erklärtesten Freunde und einer der thätigsten Betorderer Ihrer Zeitung. Die Reich- haltigkeit dieses Blattes an interessanten, oft ihm allein eig«* nen Artikeln, die, freylich nicht absolute, aber doch Yorglei- ehungsweise höchst rühmliche Unabhängigkeit desselben, der gemässigte Ton, die correkte und anständige Schreibart, die darin herrschen, sichern ihm, nach meiner Ueberzeugypg, den ersten Rang unter allen heutigen Zeitungen Deutschlands. So urteilte ich von dem Augenblick an, da ich näher mit Ihrer Zeitung bekannt wurde, bis auf diesen Tag; und da in dem Lande, in, welchem ich lebe, meine Stimme nicht ganz dme Gewicht ist, so darf ich mir schmeicheln, zu der besondem Gunst und dem immer noch steigenden Beyfall, die dieser Zeitung in den Oesterreichiscben Provinzen zu Theil gewor« den sind, das meinige beygetragen zu haben.

Ob Ihnen hieton gleich nichts bekannt seyn konnte, so war ich doch nicht wenig erstaunt, in No. 208 eben dieses, von mir bey jeder Gelegenheit gepriesenen Blattes, einen ge- gen mich gerichteten, höchst unanständigen, höchst ungerech- ten, besonders aber worauf ich am meisten insistiren mögte eines Platzes in einer solchen Zeitung durchaus UAWÜr«* digen Artikel zu finden.

wiedert: si Yous partiez apr^s ne m'avoir dit que ce!a, je me f6« liciterais bien de Yous avoir vu.

S96 üngedmckies Schreiben Friedrich's ton Getrii

Seit einigen Jahren bin ich mit Ausfällen dieser Art so gesKttiget, dass ich sie, in der Regel , mit der vollkommen* sten Gleichgültigkeit lese. Nie habe ich auch nur einen der geringsten Notiz gewürdigt; theils aus gerechtem Stolz, theils weil es mir thörigt geschienen haben würde, die überaus erwünschte Lage, in welcher ich mich befinde, durch öffent- liche Streitigkeiten mit Gegnern, die ich sammt und sonders verachte, zu compromittiren oder zu verbittern. Im gegen- wärtigen Fall mache ich die erste, und vermuthlich für lange Zeit einzige Ausnahme; sie sey Ihnen ein Beweis der auf- richtigen Achtung, welche Sie mir eingeflösst haben.

Zuvörderst muss ich im Allgemeinen bemerken, dass wohl nicht leicht etwas unbilligeres, etwas undelikateres gedacht werden kann, als, einen Mann, der sich von dem öffentlichen Schauplatz, und nahmentlich von allem Antheil an öffentli- chen Discussionen ganz zurückzog, der seit den Katastrophen die das Schicksal Deutschlands entschieden, nichts von sich hören Hess, der Niemanden angreift. Niemanden beunruhigt, gegen Ijiemanden zu Felde ziehen will, bey j^der Gelegen- heit, und oft sogar (wie z. B. auch diesmal) ohne alle Ver- anlassung, zum Gegenstande unbefugter Sarkasmen zu ma- chen. Gesetzt, es wäre wahr, „dass ich aus dem Lethe zu trinken wünschte ,'' so würde ich doch nicht begreifen, mit welchem Rechte man mir diese letzte Labung verkümmern wollte. Mich dünlt, meine vieljährigen, wenn auch leider fruchtlosen Anstrengungen für die Aufrechthaltung der Un- abhängigkeit des gemeinschaftlichen Vaterlandes, und für das, von wahrer Freiheit unzertrennliche Interesse des Europäi- schen Gemeinwesens, hätten wenigstens so viel für mich be- wirken sollen, dass man mir einige Ruhe, wenn ich nichts als diese mehr begehre, gönnte, dass man mich nicht ohne Unterlass vor das Tribunal eines Publikums schleppte i mit welchem, so wie es heute beschaffen ist, ich so gern jede Berührung vermeiden mögte.

Da ich mich nun aber einmal entschlossen habe, über den mir anstössigen Artikel zu sprechen, so will ich mich auch einer nahem Zergliederung desselben nicht entziehen,

an den Redacteur jdes Nürnberger Correspondenten. 897

und Ihnen zeigen, wie viel grobe Irrthümer hier in wenigen Zeilen versammelt sind. Ich bin zum Voraus fest überzeugt» dass Sie diesen Artikel nicht geschaffen haben» dass er ent- weder aus einem andern mir unbekannten Blatte» oder aus irgend einer noch schlechtem Quelle an Sie gelangt ist Aus dem» was ich Ihnen sagen werde» mögen Sie indessen auf den allgemeinen €harakter der Waffen sdiliessen, mit wel* chen die Feinde der guten Sache denn nur diese allein sind die meinigen mich zu bekämpfen pflegen.

1. Ich bin nicht der Verfasser des Preussischen Krieges-» Manifestes. Ich befand mich, nach vorhergegangner vier- jähriger Trennung von Preussen» im Haupt- Quartier zu Er- flirt> als jenes Manifest erschien. Dieser Umstand hat die Fabel» als wenn ich es geschrieben hätte nicht erzeugt, aber möglich gemacht. Wenn Sie und die Welt einst erfah- ren werden» auf welche Veranlassung» wie, warum» unter welchen Gonjunkturen» mit welchen Zwecken etc. ich da- mals in Erfurt war»*) so werden Sie, das weiss ich» aufrich- tig bedauern» Sich je» auch nur mittelbar und entfeent» zum Werkzeuge irgend einer» mit jenem grossen Moment zusam- menhängenden Schmähung oder Verleumdung gegen mich herabgelassen zu haben. Mehr kann ich für jetzt nicht sa- gen ; auch gehe ich hier» aus guten Gründen» in keine nähere Beurteilung des mir fälschlich zugeschriebnen Manifestes ein» und erkläre mich nicht darüber» ob» und in wie fern ich es mir zur Ehre rechnen würde» oder nicht, es verfasst zu ha- ben. Nur so viel füge ich hinzu: Die Personen» welche der Französischen Regierung im ersten Augenblick die Meynung beybrachten» ich sey der Verfasser dieses Manifestes, wussten bestimmt» dass ich es nicht war, und griffen zu der Lüge» um den wahren Verfasser» der sich» wie sie glaubten» in ei- ner grossen Gefahr befand» zu retten. Seit langer Zeit ist dieser letztere» nicht bloss der französischen Regierung, son-

*) Diese Zwecke haben wir im Obigen kennen gelernt, und darunter gehörte vor Allem (avant tout) die Revision des Hani* festes. Anmerke des Uerausg.

298 JJngedruoMe$ Schreiben Friedrick's ton Genta

dern allen unterrichteten Personen in Frankreich und Deutsch« land bekannt; nur Unwissenheit oder Bosheit kann heute noch mich mit ihm vermengen.

2* Hätte ich mich also Krankheits halber nach Teplitz begeben, so wäre meine Krankheit wenigstens nicht die Folge des Prenssischen Krieges-Manifestes gewesen. Das Faktum ist aber, dass ich weder Krankheits- noch auch nur Bades- halber in Teplitz bin, da ich mich, Gottlob, einer guten und festen Gesundheit erfreue. Ich habe seit zwey Jahren mei- nen gewöhnlidien Wohn -Ort in Prag gehabt; nichts war daher natürlicher, als dass ich den grössten Theil des Som- mers, so im vorigen Jahre, so in diesem, an einem nur 12 Meilen von Prag entfernten Orte zubrachte, der in dieser Jahreszeit der Sammel-Platz vieler meiner Freunde, und vie- ler interessanten Personen aus allen Theilen von Deutsch- land ist. Auf diese Weise fallt der ganze Spott über meine angebliche Bade-Gur, gleich mit seiner Basis, zusammen.

3. Der Zusatz, ich wünschte mich im' Letibe baden zu können,^ kann nur zweierley Sinn haben. Dieser flache Scherz soll entweder ausdrücken, dass ich in Rücksicht auf die aus meinem bisherigen politischen Wandel geflossnen Unannehm- lichkeiten und Widerwärtigkeiten, heute alles darum gäbe, anders gedacht, oder anders gehandelt zu haben. Oder er soll gar glauben machen, dass ich voll innrer Unzufriedenheit und Reue über meine bisherigen strafbaren Grundsätze, und endlich zu einer bessern Einsicht gelangt, gern vergässe, was ich in den Zeiten meiner Verblendung geschrieben und ge- than. Eins wäre gerade so richtig gesehen, als das andre« Ich würde nicht klagen, wenn ich der Märtyrer der grossen und heiligen Sache geworden wäre, für die ich so lange ge- kämpft habe. Es hat Gott aber anders gefallen. Meine Lage ist bis jetzt die glücklichste, die sich in diesen Zeiten der allgemeinen Bedrängniss nur denken lässt; sie ist in vielen Rücksichten sogar glänzend; und gerade dies bringt meine Gegner am meisten wider mich auf. Ich besitze alles, was das Leben angenehm machen kann; ich befinde mich über- dies in Verhältnissen; die es wohl der Mühe werth seyn mag.

an dm Redacieur des Nürnberger Corre$p<mdenien,

tu beneiden; im vollen Genüsse der Achtung und Freund- schaft der edelsten und vortrefflichsten Personen mein«* Zeit Dies ist eine der Ursachen meiner unersehütterlidien Gleidw giUtigkeit gegen das ohnmächtige Geschwäti der Libellisten. -^ Soll aber das ,,Trinken aus dem Lethe'^ so gemeint seyn, dass es mich aus üeberzeugung gereute die poKtiscbto Grundsätze, um derentwillen man mich heute verdammt, be- kannt zu haben, so wünschte ich wohl, Ihnen die ganze La-« cherlichkeit einer solchen Insinuation fühlbar machen zu kön- nen. Wie, in alier Welt, sollte ich dazu kommen, Grundsätze zu bereuen, deren Nicht -Anerkennung oder Nicht-Befolgung uns sämmtlich ins Verderben gestürzt hat? Wodurch sollte ich gerade jetzt zu der Einsicht in die Falschheit eines Sj-* stems gebracht worden seyn, dessen Wahrheit, in so fern sie äussrer Beweise bedurfte, die Erfahrung jedes Tages mit der Stimme des Donners bekräftiget? Ist denn etwa Europa, ist denn nahmentlich Deutschland, durch den Triumph des ent- gegengesetzten SysteR)s so frey, so selbständig, so reich, so bItAend geworden, dass ich mich zu schämen hätte, das, was solche Resultate herbeygefiihrt, hartnäckig verkannt zu haben? Oder was ist geschehen, worüber ich mich mit Vorwürfen quälen müsste? Habe ich all dieses Elend, diese Schmach, diese Knechtschaft, diesen bodenlösen Verfall nicht tausend und tausendmal (und zwar noch in ganz anderer Weise, als Sie jemals ahnden mögen, wenn Sie nichts als etwa meine unbedeutenden Druck- Schriften von mir kennen] vorausge- sagt? Dass die Resultate für mich sprechen, das erkennen schon alle vernünftige und rechtliche Menschen dieser Zeit, und werden es, je länger je mächtiger erkennen: die Ge- schichte und die Nachwelt wird für das Uebrige sorgen. In so fem bloss von persönlicher Befriedigung die Rede ist, kann ich auf meine politische Laufbahn gewiss mit Wohlgefallen zurücksehen; aber freylich ist dies Wohlgefallen mit den bit- tersten Schmerzen gemischt; mein Sieg wurde theuer erkauft; die Gerechtigkeit, die mir endlich widerfahren muss, erhebt sich aus den Trümmern alles dessen, was gross und herrlich auf Erden war.

300 Ungedrucktei Schmben Friedrich's tön Genta

Jetzt zum Schluss und zum eigentlichen Zweck dieses Briefes. Wenn Sie der Mann sind, für den ich Sie bisher gehalten habe, und wenn Ihre Verhältnisse Sie nicht schlech- terdings in die Unmöglichkeit versetzen, das mir zugefügte Unrecht einigermassen wieder gut zu machen, so werden Sie mich durch eine gelegentliche Berichtigung jenes anstössigen Artikels verbinden. Ich wünsche sie, um ganz freymüthig gegen Sie zu sprechen, nur aus einem einzigen Grunde. Es liegt mir nehmlich gerade jetzt daran, die Idee, dass ich an politischen Verhandlungen noch irgend Theil hätte, möglichst

zu entfernen.*) Was Sie zu diesem Ende zu sagen ha«»

ben würden, müsste also ungefähr (denn ich will Ihnen keineswegs Vorschriften geben] folgendergestalt lauten:

„Was neulich in öffentlichen Blättern über Hrn. v. G. und seinen Aufenthalt in Teplitz gesagt worden ist, scheint um so unbilliger zu seyn, da Jedermann weiss, dass dieser sonst auf so vielfache Weise thätige Mann, seit einigen Jah- ren**) an den politischen Angelegenheiten keinen Theil mehr genommen hat, auch sich in keine öffentliche Discussionen gemischt hat. Da Prag jetzt sein gewöhnlicher Wohnort ist, so liegt wohl nichts befremdendes darin, dass er einen Theil des Sommers, auch ohne sich des Bades zu bedienen, in Teplitz zubringt. Uebrigens ist es heute ziemlich allgemein bekannt, dass man ihn mit Unrecht für den Verfasser des Preussischen Krieges-Manifestes gehalten hat^^

Ein so unschuldiger, so gemässigter, so trockner Artikel kann Sie, so viel ich es zu übersehen vermag, mit Nieman- den compromittiren. Sollten Sie aber anderer Meynung seyn, so haben Sie wenigstens die kleine Gefälligkeit fär mich, mir in einem Privat*Schreiben (von welchem ich keinen weitem Gebrauch zu machen heilig verspreche) den Empfang des ge- genwärtigen anzuzeigen; und legen Sie dieses Schreiben nur gefälligst, unter der Adresse des Herrn Zeitungs-Expeditor

*) In diesen Worten dürfte der Schlüssel zum Verständniss des ganzen Schreibens liegen. Anm. des Herausg.

**) Dies ist schon mit Rücksicht auf seine Thätigkeit zu Erfurt nicht ganz genau. Anm. des Berausg.

an dm Bedaeteur des Nürnberger Correspandenten. 901

Schwartz in Prag, in eins der Zeitungs-Pakete, welches Sie dem Prager Postamte zuschicken. Auf diesem Wege gdangt es am sichersten in meine Hände.

Nehmen Sie unterdessen die Versicherung meiner ganz besonderen, selbst durch jenen von Ihnen wahrscheinlich keineswegs verschuldeten Artikel nicht geschwächten Hoch* achtung an

Friedrich v. Gentz,

Ritter des Nordstern -Ordens und Kaiaerlicb Oesterreichischer Hofratb,

Erwiederung.

Nürnberg, 16. August 1808. Auf Ihre verehrte Zuschrift vom 6ten dieses haben wir nicht gesäumt, eine Berichtigung in unser Blatt unter dem Artikel Oesterreich aufzunehmen.*) Wir glaubten nicht nöthig zu haben, uns wegen des Ihnen aufgefallenen Artikels zu entschuldigen. Sie wissen es selbst, dass itir die, welche ins höhere Leben der Politik und Literatur hinüber treten, ein anderer Maasstab ihrer Bestrebungen entsteht, als wenn sie in gewöhnlichen bürgerlichen Verhältnissen geblieben wären. Die grossen Interessen, welche das jetzige Europa theilen, erzeugen nothwendig eigene Betrachtungen über Diejenigen, welche auf dem grossen Schauplatz auftraten. Die vorzüg-

«) Sie findet sich in No. 229 (16. Aug. 1808) p.915 und lautet also: „Oestreich (Prag). Was neulich in öffentlichen Blättern über Herrn v. Gentz und seinen Aufenthalt zu Töplitz gemeldet wurde, Ist dahin zu berichtigen, dass, da Prag jetzt sein gewöhnlicher Wohnort ist, derselbe einen Theil des Sommers, auch ohne sich des Bades zu bedienen, in Töplitz zubringt Wie man allgemein versichert, hat Herr von Gentz seit einigen Jahren an politischen Angelegenheiten keinen Antheil mehr genommen; auch soll es jetzt ziemlich allgemein bekannt seyn, dass man ihn mit Unrecht für den Verfasser des preussischen Kriegsmanifestes gehalten hat/' Auch diese Mittheilufig verdanken wir der gegenwärtigen Expedition.

Anm. des Herausg.

802 üngedrucktei Schreiben Friedrich^s v. Genta etc.

liehe Anerkennung, die unser Blatt bey Ihnen gefunden fcftt, ist uns übrigens sehr ehrenvoll, und wir wünschen, dass Sie auch jetzt nicht anders darüber urtheilen mögen. Denn wir können Sie versichern, dass wir durchaus ohne persönliche Aaiinosttät gegen Sie sind, und Ihren Talenten vcrfle Gerech- tigkeit widerfahren lassen, ob wir ^ich über politische Sy«- steme nicht einerley Meynung mit Ihnen seyn können. Und mit dieser Versicherung empfehlen wir uns zur fernem Achtung.

Die Redaktion des Correspondenten von und

für Deutschland.

Das Steatozeltnngpiweiien der Römer«

Vorwort.

Die folgende Abhandlung ist, als Theil eines grössern Gan- zen über die Quellen zur Geschichte des römischen Kaiser- reiches, im Jahre 1837 entstanden und in dieser Verbindung zum Behufe der Habilitation im Winter 1839/40 bei der hie- sigen philosophischen Facultät eingereicht worden. Daraus erhellt ihre Unabhängigkeit von den Arbeiten Le Glerc's und Lieberkühn's, von denen die erstere (des journaux chez les Romains) 1838, die andere (de diurnis Romanorum actis) 1840 erschien. Beide habe ich erst jetzt (1844) bei der Wieder- durchsicht meines Aufsatzes zu vergleichen Gelegenheit ge- habt Wiewohl sich hierbei theils überraschende Ueberein- stimmungen, theils bedeutende Abweichungen ergaben, fühlte ich mich doch in keiner Weise zu wesentlichen Aenderungen veranlasst, einerseits um meine Resultate in ihrer Selbststän- digkeit aufrecht zu erhalten, andrerseits weil die divergiren- den Beweisführungen nirgend meine üeberzeugung zu er- schüttern vermochten. Ausserdem ist der Organismus meiner Arbeit ein durchaus anderer wie bei allen meinen Vorgän- gern von Lipsius und Emesti an. Kam es diesen mehr oder minder auf Sammlung^ Zusammenstellung, Vervollständigung und Abgrenzung des Stoffes an: so war es mir vornehmlich um Gruppirung desselben nach Gesichtspunkten und Richr iungen zu thun. Während z. B. Le Giere die Fragmente im Texte zu kritischen Zwecken, wenn auch nicht immer kritisch verarbeitet, dann im Anhange, nicht ohne Missbrauch des Raumes^ dieselben noch einmal und zwar in chronologiscl^

304 Das Staatszeitungiteesen der Römer.

Ordnung aneinanderreiht, schien es mir vor allem wünschens- werth einerseits ) sov/eit es der beglaubigte Stoff und die nothwendige Kürze gestatteten, auf den historischen Zusam- menhang der ofBciellen Journalistik mit den jedesmaligen po- litischen Zustanden, namentlich auf den Gegensatz der repu- blicanischen und der monarchischen Physiognomie des Insti- tutes hinzuweisen ) und andrerseits durch Verbindung des Gleichartigen und durch Bubricirung des Inhaltes ein mög- lichst anschauliches Bild von der Beschaffenheit der römischen Staatszeitung unter kaiserlicher Bedaction zu entwerfen. Le Glerc's Arbeit ist, beiläufig gesagt, noch dadurch merkwür- dig, dass sie die beissendsten Anfechtungen gegen Miebuhr enthält (p. 146 sqq. 157 sq. und besonders p. 164 sq.), die wohl je zum Vorschein gekommen; in wieweit dieselben begrün- det oder unbegründet sind, erörtern wir vielleicht bei ande- rer Gelegenheit

Im Uebrigen glaube ich einer Becension der modernen Literatur mich enthalten zu dürfen; den bedeutendsten Bang darin nimmt jedenfalls an Inhalt wie an Umfang das eben besprochene Buch ein, dessen Vorzüge ich um so freudiger anerkenne, als sie die Mängel bei weitem überwiegen. Da- gegen musste ich im Folgenden mich entschliessen, die klas- sischen Beweisstellen vollständig und zwar grossentheils im Original vorzufuhren, damit Jeder über deren Beziehungen selbst urtheilen könne und damit wir bei einem später zu liefernden Artikel, über den Verfall der Denkfreiheit im AI- terthum, auf festeren Grundlagen zu fussen vermögen.

Als Momente des römischen Staatszeitungswesens sind 1) die Annales Maximi oder die jährlichen Staatsberichte, 2) die Acta populi fiomani diurna oder die tägliche Staatszei- tung und 3] die Acta senatus diurna oder die Senatszeitung zu betrachten.

Die Natur dieser Institute lässt sich nur aus ihrem ge- schichtlichen Zusammenhange begreifen; doch können wir hier (wo es sich nur um einen Zweck imter vielen handelt) bloss die SttBsersten Umrisse desselben andeuten.

Entwicklungsitadien. 305

Entwicklungsstadien.

Den Phasen der römischen Staatsentwicklung mussten notb wendig die Weisen ihrer öffentlichen Ueberliefening entsprechen. So lange der Staat, ungeachtet seiner verschie- denen Bestandtheile, sich als eine Einheit fühlte so lange bedurfte es auch nur Eines Organes. Das Uebergewicht der Patricier, das Gleichgewicht beider Stande und das Ueber- gewicht der Populären bezeichnen die drei Phasen der, in der letzteren schon dem Zerfall entgegengehenden, Staats- einheit. Der ersteren entsprechen nun augenscheinlich die im patricischen Sinne durch den Oberpriester von Staats- wegen redigirten Jahresberichte, die Annales Maximi; sie behaupteten sich nalurgemäss über die Zeiten des patrici- schen Uebergewichtes hinaus auch während der ganzen Zeit des Gleichgewichtes beider Stände, weil nur dann erst radi- cale Umwälzungen eintreten, wenn das Neue über das Niveau des Alten hinaus zur entschiedenen Uebermacht gelangt, also bis zur Zeit der populären Demonstrationen durch die Gracchen oder bis zum zweiten Viertel des 7ten Jahrhunderte d. St.; nur mit dem Unterschiede, wie es scheint, dass sie bis zur Gleichstellung beider Stände gegen Ende des 4ten Jahrhunderts bloss den Patriciern, und erst von da ab, oder im 5ten, auch den Plebejern zugänglich wurden. Daher sagt noch Ganulejus im Jahre 309 in seiner Rede an die Quiri- ten bei Liv. IV. 3: Obsecro vos, si non ad fastos, non ad commentarios pontificum admittimur: ne ea quidem scimus, quae omnes peregrini etiam sciunt? Gonsules in lo««» cum regum successisse? etc., während Gic. de Orat. II. 12, 52 ohne Beschränkung von der Ausstellung des Albums spricht, potestas ut esset populo cognoscendi.

Mit der aufschwellenden Macht der Populären aber gin« gen um 624 die Annales max. ganz ein (Gic. I. c. usque ad P. Mucium Pontificem maximum d. i. 623) und an deren Stelle traten unmittelbar, nach meiner Ansicht, der neuen Phase des Staates wiederum genau entsprechend, die im populä- ren Sinne von Staatswegen redigirten Tagesberichte, die Acta popuH Romani diurna.

ZfiUehrirt f. Geschichtsw. I. 1844. 20

306 Das StaaU^tungswesm der Römer,

Als nun aber allmählig durch die Bürgerkriege die Ein- heit des Staates sich in eine unversöhnbare Z weih ei t spal- tete, und das eine Element in der Senatsgewalt, das an- dere in der Volksgewalt sowohl Vorwand als Rückhalt suchte: da trat naturgenaäss endlich, und zwar im Jahre 695, ein zweites Staatsorgan, ein Senatsjournal (acta senatus diurna) den actis populi,als dem Volks Journal, selbstständig

gegenüber.

Das Principat brachte schliesslich den Staat wieder zu einer formellen Einheit, und so geschah es zumal da der Senat auch jetzt noch als Vertreter des Gemeinwesens eine dem Fürsten bedenkliche Wichtigkeit beibehielt dass schon seit Augustus die Acta senatus, zwar ununterbrochen protokoUirt, aber ferner nicht mehr publicirt werden durften (Suet Oct. 36), dass mithin seitdem die Acta populi wiederum das einzige öffentliche Organ, die allgemeine Staatszeitung, wur- den und blieben.

Was ich hier als Resultat vorangestellt, ist in mehrfa«- oher Beziehung nunmehr zu belegen.

Die jährlichen Staatsberichte.

Dass die Annales maximi auch Annales Pontificum, Annales Pontificum maximorum, commentarii Pontificum, An- nales publici und vorzugsweise Annales genannt in Rom's Ursprung ihre Wurzel haben, wird schon durch Cicero's An- gabe hinlänglich verbürgt (de Orat. II. 12, 52: Erat historia nihil aliud, nisi annalium confectio: cujus rei memoriaeque publicae retinendae causa ab initio rerum Romanarum usque ad P. Mucium Pontif. max., res omnes singulorum an- norum mandabat litteris Pontifex maximus referebatque in album et proponebat tabulam domi, potestas ut esset populo Gognoscendi, ii, qui etiam nunc Annales maximi nominantur. cf. Hist. Aug. in Tacit. c. 1. ed. Salm, p.226. B: Quod, post excessum Romuli, factum pontifices, penes quos scribendae historiae potestas fuit, in literas retulerunt, ut etc.). Daher be- zeichnen sie die roheslen Anfänge der römischen Prosa (Quint X. 2^7: quid erat futurum, si nemo plus effecisset eo, quem

Dk jährlkken Staatibttichte. 307

seqaebatur? .... nihil in historiis supra Pontificum «rnales haberemus: ratibus adhuc navigaretur). Die Sprache hatte später bei der Veraltung vieler Wörter manche Dunkelheit (Quint. YIII. 2, 12). Obgleich die Anordnung nach Jahren ih- nen den Namen gab (cf. Diomed. de orat III. ap. Putsch, p. 480: Annales inscribuntur, quod singulorum fere anuoro« actus contineanty sicut publici annales, quos pontifiees scribaeque conficiunt de Romanis, quod Romanorum res ge- stas declarant), so wurden doch innerhalb jedes Jahres die Ereignisse nach Tagen natürlich nicht nach sämmtlichen, sondern nur nach den denkwürdigen rubricirt (Serv* ad Aen. I. 373: Ita autem annales conficiebantur: tabulam de- albatam quotannis Pont. Max. habuit, in qua praescriptis con- sulum nominibus et aliorum magistratuum digna memoratu notare consueverat, domi militiaeque, terra marique gesta per singulos dies. Cujus diligentiae annuos commentarios in octoginta libros veteres retulerunt, eosque a Pontificibus Max., a quibus fiebant, Annales Maximos appellarunt.*) Sie waren also gleichsam eine privilegirte Universalchronik (auch Macrob. Sat. III. 2 sagt: Pontificibus permissa est potestas memo* riam rerum gestarum in tabulas conferendi). Oass sie bei der gallischen Eroberung 364 grösstentheils untergingen, erhellt aus Livius (VI. 1: quae in commentariis pontificum aliis«» que publicis privatisque erant monumentis namentlich wohl einzelne Vertragsurkunden incensa urbe pleraeque inter- iere.**); dass sie aber möglichst restaurirt wurden, geht aus Servius hervor, dem zufolge die nachmalige vollständige Aus- gabe auf gewöhnlichem Schreibmaterial 80 Rücher betrug, wovon Gellius in Retreff der Statue des Horatius Codes das Ute citirt (lY. 5, 6). lieber die gleichzeitige Publication ist manches Irrige behauptet oder gemuthmasst worden. Nach

*) Le Clerc (p. 14. cl. 226) u. A. haben diese Stelle gänzlich miss verstanden und daher fälschlich verdächtigt

**) Auch ohne dies Zeugniss wäre ein Transport nach Caere oder dem Capitol, wie ihn Le Giere p. 76 sq. voraussetzt, ganz un- glaublich. Zu einem so colossalen Unternehmen blieb in der all* gemeinen Bestürzung keine Zeit.

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SOS Das Siacttsi^tungsicesen der Römer.

den angezogenen Stellen gebrauchte offenbar der Pontifex Maxi< mus zu jeder Jahresübersicht nur Eine Tafel, die nach Ab- lauf desselben im Archiv seines Palastes aufgestellt ward. Eine eigentliche Bekanntmachung fand also gar nicht statt; die Oeffentlichkeit bestand nur darin, dass der Eintritt in das Pontificalarchiv oder die Einsicht in die dort aufgerichteten Tafeln den Patriciern, später auch den Plebejern gestattet war«

Uebergang in die tägliche Staatszeitung.

Die Hauptsache ist nun aber die. Wenn einerseits nach Cicero'd Angabe die Redaction der Annales niax. mit P. Mu- eius um 624 aufhörte, und andrerseits mit Berufung auf Sue- ton (Jul. Gaes. c. 20) behauptet wird, die der Acta populi habe erst mit Gäsar's erstem Consulate d. i. im Jahre 695 begon- nen : so wurde sich eine Unterbrechung der öffentlichen lieber- lieferung von 70 Jahren ergeben, die doch in Wahrheit allen Glauben übersteigt Die meisten Untersuchungen haben die Verwirrung eher vermehrt als vermindert, namentlich seit Er- scheinung der Dodweirschen Fragmente. Wer daher nicht keck genug war, den Sueton der Lüge oder der Unwissen- heit zu zeihen, der nahm entweder wirklich jene Lücke an oder Hess was jederzeit das Bequemste ist die Sache auf sich beruhen.

Meine Behauptung, dass die Acta populi gleichsam das populäre Surrogat der Annales max. waren und unmittelbar anfingen als diese aufhörten, ist, däucht mich, schon durch die politischen Gonstellationen zur Zeit des P. Mucius be- glaubigt; doch denke ich auch durch positive Argumente sie begründen zu können.*)

*) Le Clerc, sehe ich nan, behauptet im Wesentlichen dasselbe, wiewohl er eine geringe Unterbrechung gelten lässt, p. 326: les uns avaient succöd^ aux autres avec assez peu d'interruplion, vgl. p. 225 u. anderwärts. Seine Beweisführung beruht aber theils auf falschen, theils auf ungenügenden Grundlagen, s. unt. S. 311. Anm. Auch an- dere Gelehrte vor ihm haben Aehnliches vermuthet, doch ebenso* wenig erwiesen. Lieberkühn's Einwände und abweichende Aufstel* langen (p. 15) sind nicht stichhaltig.

Ueberpang in die tägliche Staat$%eUung. 909

i) Zttoiichst fällt auf, dass wir auch für die Zeit nach 624 noch Annales als Organ öffentlicher Ueberliefening citirt finden. So bei Plinius dem Aelteren, der bekanntlich^ wo es sich um Privatannalen handelt, den Namen des Autors anzu«- fuhren pflegt, als: Ennius, Fabius Pictor, Galpumius Piso, Porcius Gato, Gassius Hemina, Yalerius Antias, Gnejus Gel« lius, Licinius Macer u. s. w., die öffentlichen dagegen schlecht«« hin durch Annales bezeichnet. Die hierher gehörigen Stellen, auf die Jahre 647 bis 693 bezäglicb, sind folgende: \. 13, 17. inauspicata est et incendiaria avis, propter quam saepenu- mero lustratam Urbem in Annalibus invenimus, sicut L. Gassio, G. Mario Goss. (i.e. 647 a. {].), quo anno et bubona viso lustrata est. Quae sit avis ea, nee reperitur, nee tradi« tur. X.2i,25: invenitur in Annalibus, in Ariminensi agro, M. Lepido, Q< Gatulo Goss. (i. e. 676) in villa Galerii locutum gallinaceum, semel, quod equidem sciam. YIII. 51, 78: So|i«« dum aprum Bomanorum primus in epulis adposuit P. Ser^ vilius Rullus, pater ejus Bulli, qui Ciceronis Gonsulatu legem agrariam promulgavit (i.e. 691]. Tam propinqua origo nunc quotidianae rei est. Et hoc Annales notarunt, herum scili- cet ad emendationem morum : quibus non tota quidem coena, sed in principio, bini ternique pariter manduntur apri. YIU. 36,54: Anna] ib US notatum est, M. Pisone, M. Messalla Gosf» (i. e. 693) a. d. XIV Galendas Octobr. Domitium Ahenobarbum Aedilem curulem ursos Numidicos centum et totidem vena- tores Aetbiopas in circo dedisse; miror adjectum Numidicos fuisse, quum in Africa ursum non gigni constet.

Diese Gitato entsprechen nun augenscheinlich ihrem In-* halte nach sowohl der Natur der Annales maximi wie der Acta populi; weil jedoch Jene schon eingegangen waren, so müssen offenbar die Letzteren als Aequivalent und gleich* sam als Fortsetzung der Ersteren gemeint sein. Da es sich sicher mehr um einen Wechsel der Redaction und der Tendenz als des Titels ursprünglich gehandelt, so kann der Ausdruck Annales im Grunde nicht befremden. Wie die Form sich wesentlich gleich blieb, insofern Beide tageweise (per singulos dies) geordnet waren^^ so mag auch der Name Acta

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SlO I>a$ SfMt$%eUung$toe$en ikr Rötner.

nicht unmittelbar den Namen Annales verdrängt haben. Auch liegt ja keineswegs in Gicero's Worten, dass mit Mucius die Abfassung der Annalen (confectio Annalium) überhaupt, son- dern nur, dass mit ihm die der Annales maximi aufhörte. Einen officiellen Titel gab es überdies sicher nicht, d.h. die ausgestellten Tafeln führten keine Ueberschrift. Ist doch selbst der Titel Annales maximi augenscheinlich erst später ge- macht, d. h. nach ihrem Eingehen oder ihrem Abschluss, wie aus Senrius erhellt (s. oben S. 307], also wohl eben nur im Gegensatze zur neuen Redaction. Das Institut wurde zwar jedenfalls erweitert; denn über jeden Tag ward nunmehr referirt, was die Entstehung des Ausdrucks Acta diurna be- dingt; dass es aber lange noch im gewöhnlichen Leben ebenso gut Annales populi wie Diurna populi genannt werden konnte, sieht Jeder ein, da solche Tagebücher immer auch Jahr- bücher sind und Jahrgange bilden. Daher denn auch z.B. der Ausdruck: in ejus anni acta relatum bei Plin. H. N. iL

56, 57 und: ex actis ejus anni bei Asconius Ped. ad Gic. pro Mil. p. 47 ed. Orell.

Endlich müssen wir noch berücksichtigen, dass in der Kaiserzeit die ursprünglichen Motive, die politischen Gesichts- punkte des Institutes längst verwischt waren; der Gelehrte hatte bei Betrachtung beider Sammlungen nur ein literari- sches Interesse; er durfte sie als zwei Theile Eines Ganzen, als wesentlich gleichartige Serien einer allgemeinen Staats- oder Stadtchronik ansehen; er durfte das Ganze und somit beide Theile als annales, wenn auch nicht beide als diurna bezeichnen. So gehen denn bei Plinius jene obigen Gitate augenscheinlich auf die zweite Serie, andere wie z. B. YIII.

57, 82: Annales tradunt (über das J. 538) auf die erste, und noch andere wie IL 53, 54: Annalium memoria und VIII. 57, 82 : Annales refertos habemus auf das Ganze überhaupt. Da- her findet sich selbst noch für die Zeiten des Principates der Ausdruck Annales, wo unzweifelhaft die Acta diurna gemeint sind. Man sehe nur Hist. Aug. in Opil. Macrin. c. 3. ed. Salm, p. 93 E: De ipso quae in annales relata sunt, proferam. Fer- ner in Alex. Sev. c.l. p. 114 B: Interfecto Vario Heliogabalo

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lieber gang in die tägtiche Staatszeitung, 311

sie enim maluimus dicere quam Antoninum, quia et nihil Antoninorum pestis illa ostendit, et hoc nomen ex annali* bus, senatus auctoritate, erasum est. Hier ist deutlich von öffentlichen Annalen die Rede, doch so, dass der Aus- druck das Genus bezeichnet, dem als Species die Acta sena- tus, die Acta populi und die fasti angehören. Am Entschie- densten ist die Stelle in Alex. Sev. c. 67. p. 134 B : dimisso senatu Gapitolium ascendit, atque inde re divina facta et tu- nicis Persicis in templo locatis, concionem hujusmodi habüit: „Quirites, vicimus Persas, milites divitcs reduximus, vobis congiarium polticemur, cras ludos circenses Persicos dabi- nius.^^ Haec nos et in annalibus et apud multos reperi- mus. Wiederum sind öffentliche annales gemeint, denn sie stehen im Gegensatz zu den Privatschriftstellern; aber auch den Actis senatus werden sie hier entgegengesetzt, aus de- nen die unmittelbar vorhergehende Relation ausdrücklich entlehnt ist; ebensowenig kann von den fastis die Rede sein, da schon das Angeführte in diesen unmöglich Platz finden konnte und das hujusmodi überdies zeigt, die Rede sei in der Quelle selbst noch ^ausführlicher gewesen. So müssen demnach die Acta populi gemeint sein.

2) Andrerseits erscheinen nun die Acta populi wirklich auch schon unter ihrem gebräuchlichen Mamen vor dem 3.695. Doch habe ich nicht das DodweH'sche Fragment vom J. 692 im Sinne, denn ich suche nur nach sicheren Stützen; auch nicht etwa Zell's Berufungen [im Morgenblatt 1835. No. 146 ff.) auf Cicero ad Att. VI. 2 und auf Asellio (bei Gell. V. 18),

denn jenes Citat, weil zweifelsohne auf 704 d. St. sich beziehend, ist irrthümlich und dieses, weil die Erwähnung von Diarienschreibern das Vorhandensein der Acta populi diurna nicht bedingt, kraftlos.*) Vielmehr bringt die Entschei- dung wiederum Plinius. Invenitur in Actis, heisst es L. VH*

*) Ebenso falsch sind die Berufungen Le Cierc's p. 230 sqq. sowohl auf Asellio, der eben nur von Privattagebüchern redet, als auf Dio Cassius 47, 6, welcher die archivalischen Slaatsdocumente jeglicher Art bezeichnet, und auf Tac. diai. 37, wo es sich um acta forensia handelt.

312 Doi Staatimtungswesen der Römer.

53, 54 9 Feiice Russato (d. i. russatae oder rubeae factionis) auriga elato, in roguni ejus unum e faventibus jecisse sese: frivolum dictu, ne hoc gloriae artlGcis daretur, adversis stu«- diis copia odoram corniptum criminantibus. Dies geschah, wie aus dem Folgenden (Quum ante non multo M. Lepi- dus .... crematus est. dl. c. 36. Plut. in Pomp. c. 16] erhellti bald nach 677 oder noch in diesem Jahre selbst. Eines an- deren Beweises bedarf es nicht; dieser genügt vollkommen.*) Nur mag noch einer Berufung desselben Autor's auf das J* 640 gedacht werden, die, wenn auch unter anderer Bezeich- nung auftretend und daher an sich weniger entscheidend, bei dem Aufhören der Annales max. nur auf die Acta populi zu beziehen ist: 11.56,57: relatum in monumenta est, lacteet sanguine pluisse M. Acilio, G. Porcio Goss. et saepe alias.

3) Gar oft tragt ein blosses Missverständniss die Schuld alier Verwirrung. Sueton, dessen Autorität in einem ihm notbwendig geläu6gen Thema anzutasten gefährlich ist, an- statt mit unserer Behauptung im Widerspruch zu stehen, giebt vielmehr, wie mir scheint, eine Bestätigung derselben; schwer- lich hat man den Sinn seiner Worte richtig erwogen. Die Stelle lautet (Gaes. 20): inito honore (sc. Gaesar consul) pri- mus instituit, ut tam senatus, quam populi, diurna acta con- fierent et publicarentur. Dies ist nicht gleich senatus et po-

*) Le Clerc, wie alle üebrigen, hat ihn ganz übersehen; zwar kennt er jene Stelle, versetzt aber das Ereigniss ganz willkürlich unter Nero in das Jahr 819, das Lieberkühn p. 11 getrost von ihm entlehnt. Von Gründen ist natürlich keine Spur. Ce fait, sagt Le Clerc p. 395, dont Pline n'assigne point la date, parait convenir assez au regne de N6ron; und p. 182 meint er, das Datum sei cer- tainement aussi de l'^poque impöriale. Das ist Alles. Und doch war die Zeitbestimmung so einfach und leicht zu ermitteln! Denn die Identität jenes Lepidus mit dem im J. oder um's J. 677 verstorbenen Vater des Triumvir ist schon aus den angezogenen Stellen voll- kommen klar, und mithin kann das ante non multo nicht im Sinne von,, vor nicht langer Zeit" mit Rücksicht auf den Zeitpunkt da Plinius dies schrieb, gesagt sein denn inzwischen war ein hal- bes Jahrhundert verflossen , sondern ^s muss notbwendig im Sinne von „nicht lange zuvor" auf das zuvorgemeldete Ereigniss zurückbezogen werden.

Ueberpang in die tägKche Staahzeitung. SIS

pull, wie man angenommen, sondern heisst nur: £r verord«» nete, dass (fortan) ebensowohl des Senates, wie (bisher schon) des Volkes .tagliche Verhandlungen aufgezeichnet und veröffentlicht werden sollten. Tam-quam ist hier so viel als ita-ut, das Sueton wegen des vorhergehenden ut nicht gebrauchen konnte; so viel als tantum-quantum, eodem mo«* do quo (ac), oder etiam senatus non tantum populi; in diesem Sinne kommt es bei Sueton öfter vor z. B. Gaes. 74. Aug. 66.*) Die Neuerung ist also, dass neben den Actis populi nunmehr auch Acta senatus erschienen; nur das mag man in Betracht der noch vorhandenen Gitate zugeben, dass von der Zeit an, der Name Acta populi den Ausdrück An« nales entschiedener verdrängte.

Die scheinbare Lücke in der öffentlichen (Jeberlieferung der Tagesereignisse von 624 bis 695 verschwindet somit jedenfalls.

Wenn Atticus, um die bisherige Vernachlässigung der Geschichtschreibung bei den Römern darzuthun, sagt (Gic« de legg. I. 2, 6): Nam post annales pontificum maximorum, quibus nihil esse potest jucundius (nicht jejunius): si aut ad Fabium, aut ad Gatonem, aut ad Pisonem, aut ad Fannium, aut ad Vennonium venias: ... quid tarn exile, quam isti om- nes? so kann uns die Uebergehung der Acta populi, un- geachtet sie die Annales max. unmittelbar ersetzten, nicht verwundern. Aus diesen Letzteren entwickelten sich eben zwei ganz verschiedene Momente : einmal nach der Seite des Lebens hin die Tagesblätter, die Acta populi diurna, andrer- seits nach der Seite der Wissenschaft hin die annalistische Privatgeschichtschreibung. Atticus also, der nur von der wei- teren Entwicklung der Geschichtschreibung handeln will, konnte und durfte nicht die Acta populi auffuhren, die zwar fiir die Nachwelt eine Quelle, nicht aber für die Mitwelt ein Genus der Geschichte waren (dasselbe gilt auch von der Stelle de orat. IL 12). Während die Annalisten nur die historisch

*) Es kann mich nur freuen, diese in vollkommener Unabhän- gigkeit entstandene Auslegung auch bei Le Giere p. 197 und Lie- berkübn p. 15 anzutreffen.

314 Das Staatsmimgstcesm der Römer,

merkwürdigen Dinge aufzeichneten, beschäftigten sich die Acta populi grossentheils mit alltäglichen. Und hierin fin- det denn auch die so oft missverstandene Stelle des Tacitus Ann. XUI. 31 ihre vollständige, mit dem Schweigen Gicero's übereinstimmende Erklärung: Nerone secundum, L. Pisone Coss. (810 a. 11.) pauca memoria digna evenere, nisi cui libeat (Tacitus, muss man sich vorstellen, hatte hier den betreffen- den Jahrgang der Xcta populi diurna vor Augen) laudandis fundamentis et trabibus, quis molem amphitheatri apud campum Martis Caesar exstruxerat, volumina implere, cum ex dignitate populi Romani repertum sit, res inlustres an- nalibus, talia diurnis Urbis Actis mandare d.h.: „da es doch der Würde des Rom. Volkes angemessen erfunden worden, Merkwürdiges Geschichtswerken, Alltägliches den Tages- blättern zu überantworten." Man sollte wohl einsehen, dass es sich hier um Vertheilung des Stoffes in zwei gleichzei- tige üeberlieferungsweisen handeln muss, mithin nicht von den Annalibus maximis die Rede sein kann, als welche auf- gehört ehe die Acta begannen.

Die DodwelTschen Fragmente.

Nach dem Bisherigen wird man zugeben, dass, wären die DodwelFschen Fragmente (App. ad Praell. Camd. p. 665 sqq. 690 sqq.)» ^^ l>bi*'s pontificum linteis nach Is. Yossius, ex Actis Urbis diurnis nach Dodwell, der damit aber einen ganz falschen Begriff verbindet, in der That acht: so könnte das erstere vom Jahre 586 nur auf die Annales max., das zweite vom J. 692 nur auf die Acta populi bezogen werden.

Von vielen Seiten indessen und mit Recht sind sie ver- worfen worden.*) Namentlich hat Wesseling (Probabilium li- ber sing. Franeq. 1731. c. 39 p. 354—385) durch eine lange Reihe von Argumenten ihre Autorität erschüttert; die we- sentlichsten derselben denn nicht alle freilich sind gleich

*) Auch von Le Clerc p. 261 sqq. Lieberkühn dagegen hat ver- sprochen (p. 17), diese Fragmente als acht zu vertheidigen; ich bin begierig zu sehen, wie man es anstellt um schwarz als weiss er- scheinen zu lassen«

Die DödweWschen Fragmente, 315

haltbar scheinen folgende: 1) der Fascenwechsel habe nicht täglich, sondern monatlich stattgefunden 2) das scutum Gim- bricum sei mit Rücksicht auf Gic. Or. II. 66 und Quint YI. 3 späteren Ursprungs 3} das vexillum rubeum in arce positum immer nur auf die Gomitien, nicht auf Aushebungen bezüg-* lieh. In Betreff des 2ten Fragmentes insbesondere noch: 4) die Guria Pompeja habe damals noch gar nicht bestanden 5] die Feindschaft zwischen Milo und Glodius erst später be* gönnen 6) das Grabmal der gens Gaecilia sich nicht an der Aurelischen^ sondern an der Appischen Strasse befunden 7) in dem betreffenden Jahre habe es keine Gensoren gegeben. Was vorher Dodwell selbst über den Fascenwechsel und über die Gensur zur Vertheidigung der Fragmente gesagt (s. p. 668 sq. und p. 732 sq.), steht augenscheinlich auf zu schwa* chen und künstlichen Füssen, und der tumultus inter operas Glodii et servos T. Annii zwang ihn selbst sogar zu einem partiellen Verdacht (p. 708: Utinam de fide constaret Aucto- ris Apographi Petayiani, num hoc loco in marmore repererit haec verba, an in alia tabula reperta, quam ipsam hujus par- tem credidit, huc ipse transtulerit). Die übrigen Punkte be- rührt Dodwell gar nicht.

Ernesti (Exe. I. ad Suet. Gaes. 20), an den man am mei- sten appellirt, macht gegen die Fragmente drei Einwände; doch grade diese sind am wenigsten entscheidend. 1) Die zum Theil wörtliche Uebereinstimmung von Fr. 1. Prid. Kai. April, und Kai. April, mit Liv. 44, 22. Daraus lässt sich aber noch nicht schliessen, dass dies aus Livius entnommen sei; dieser konnte ja selbst seine Angaben aus den Annal. max. geschöpft haben. Das verhehlt sich auch Ernesti nicht ganz; um so mehr dringt er 2) auf Beachtung des Styls. Schon Gamerarius und Yelserus behaupteten: haec fragmenta neque Colons neque succi esse pro aetate, quam affectant (Vels. ep. ad Gamer. 50. p. 840. bei Fabric. bibl. lat. ed. Ern. Y. III. p. 315); Ernesti meint, der Styl entspreche vielmehr dem livia- nischen Zeitalter. Allein einmal wird man zugestehen müs- sen, dass die Diction jederzeit ein missliches Kriterium sei; dann aber auch, dass der historische und der Kanzleistyl zu

31S Dm StiMis9eitungsice$en der Römer.

alleu Zeiten von einander abweichen. Der der Annales max* hielt ohne Zweifel mit der Ausbildung der Umgangssprache stets gleichen Schritt, während natürlich der der Senatuscon^ sulte, Plebiscite, Edicte u. s. w., durch ein sprödes Formel- wesen festgehalten, weit hinter derselben zuriickblieb. Eine Vergleichung mit dem Sc. de Bacchanalibus vom J. 568 darf also zu keinen Folgerungen Anlass geben. Doch hiervon auch abgesehen^ fände ja grade diese Schwierigkeit die einfachste Lösung, wenn, wie doch Dodwell will, die Fragmente als jüngere Gopie zu betrachten wären, so dass die Diction des Originals modernisirt worden sein könnte. Wenn Ernesti endlich 3) mit Bücksicht auf Suet. Gaes. 20 die Meinung hegt, es habe vor 69ä gar keine Acta populi gegeben, so haben wir dies Bedenken schon erledigt und überdies könnte da- mit wenigstens Frag. 1, als auf die Annales Qiax. bezüglich, nicht erschüttert werden.

Dagegen vermehren zwei äussere Umstände, die man bisher nicht genugsam gewürdigt, entschieden den Verdacht.*)

1) Die Herkunft der Inschriften ist durchaus räthselhaft (s. Dodw. Praell« YUI. $• X. app. $. I. $. X. und praef. ad. fr. 2. p. 690). Fragm. I. theilte zuerst Pigb. Ann. ad an. 585 mit; es war ihm zugekommen durch Jacobus Susius aus den Pa- pieren von Ludovicus Yives. Beinesius ( Synt Insc. Glass. IV. 2—8) entnahm es aus Pighius, und Grävius liess es zu Suet. Gaes. 20 (ed. alt.) abdrucken. Dodwell erhielt beide Frag- mente von Hadrianus Beverlandius; dieser hatte sie von Is. Vossius bekommen, Vossius aber dieselben aus den Papieren von Paulus Petavius abgeschrieben; auch erwähnt er ih- rer in seiner Ausgabe des Gatull Lond. 1684 p. 333 sq. Pe- tavius endlich, so sagt Dodwell, collegerat haec editioni- que paraverat inedito inscriptionum volumine. Dieser Aus- druck ist völlig nichtssagend. Kommt es doch darauf an zu wissen, woher Vives und Petavius zu ihren Abschriften ge- langten: hierüber grade verlautet Nichts. Ebenso wenig er-

*) Auch neuerdings ist nnr Le Clerc p. 262 sqq. auf den zu< erst zu erwähnenden näher eingegangen»

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Die DodwelVschen Fragmente. 317

fährt man von dem Aussehen der Originale, noch wo sie gefunden und wo sie bewahrt worden. Die Autopsie des Yives bezweifelt Dodwell selbst, und auch die des Petavius stellt er nur als Möglichkeit hin (app. §. I fin.). Bemerkens- werth ist noch , dass die einzige Autorität für Fr. 2, das so-* genannte apographum Yossianum mit Minuskeln geschrieben ist und ohne Rücksicht auf Abtheilung der Linien; das an- tike Ansehn bei Dodwell ist nur ein Kunststück.

2] Die Annales max., und wahrscheinlich auch die Acta populi, wurden gleich den Edicten durch tabulae dealbatae» wie wir aus Cicero und Servius sahen, d. h. auf übergypsten Holztafeln, mit aufgetragener Dinten- oder Farbenschriffc, pu-* blicirt; die fraglichen Fragmente aber, heisst es, wären auf Marmortafeln eingegraben. Diese Angabe ist äusserst ver- fänglich; sie scheint deshalb erfunden, weil die Erhaltung der tabulae dealbatae selbst, ihrer Beschaffenheit nach, allerdings nicht hätte glaublich erscheinen können, und somit involvirt sie das Geständniss, dass jene Fragmente wenigstens nicht Theile des Originals sind. Wirklich betrachtet Dodwell App. §. X. p. 663 sie als Reste einer späteren, zur Zeit des Au- gustus oder des Tiberius angefertigten Edition der Annales und der Acta. Nun ist zwar keineswegs zu bezweifeln, dass es von diesen Sammlungen im Alterthum Abschriften genug gegeben; aber von einer Marmorausgabe zu träumen, gränzt an Wahnwitz. Die fasti Praenestini, ja selbst die noch be- wunderungswürdigeren fasti Capitolini müssten gegen ein sol- ches Unternehmen, zu dem zwischen 2 und 300,000 Marmor- platten vonnöthen gewesen wären, äusserst winzig erscheinen. Und dieses ungeheure Monument wäre von der Erde spurlos verschwunden, während jene winzigeren in so beträchtlichen Resten auf uns gekommen sind? In der That ein so colos- «ales Unternehmen konnte entweder nicht ausgeführt wer- den, oder einmal ausgeführt nie untcrgehn. Wenn nun demnach jene angeblichen Marmortafeln weder Original noch Copie sein können: was sind sie dann anders als eine Fiction?

Auch springt, wie mir wenigstens scheint, der Anlass der Erdichtung ziemlich grell in die Augen. Schon vorlängst

318 Das 8taaismtungstee$en der Römer.

machte sich, namentlich unter den Juristen, die Meinung gel- tend, welche auch bis in die neueste Zeit herein Verfechter fand, dass nämlich die Edicta perpetua nicht erst durch die lex Cornelia im Jahre 687 entstanden seien, sondern wahr« scheinKch schon im 6ten Jahrhundert seit dem häufigieren Verkehr mit den Peregrinen. Dieser allerdings gewichtige Streitpunkt wird nun auf eine überraschende Weise durch das angebliche Fragment vom Jahre 586 entschieden, wo es gleich von vorn herein heisst: V. Kai. Aprileis .... hora. octava . senatus . coactus . in . Hostilia . S . G . factum . est. uti . praetor es . ex . suis . perpetuis.edictis. jus.di«- cerent. So erfuhr man mit Einem Male Jahr, Tag und Stunde. Da liegt doch wohl die Vermuthung nahe, dass einen eifri«- gen Anhänger jener Ansicht der Kittel, sie über alle Zweifel zu erheben, zum Entdecker d. i. zum Erfinder dieser Inschrift machte. Natürlich musste er, um nicht augenblicklich Miss- trauen zu erregen, dem Betrüge eine grössere Ausdehnung geben, wobei sich Gelegenheit fand, auch Zweifel anderer Art leicht und keck zur Entscheidung zu bringen. Wirklich ward Mancher und selbst Heineccius bestochen ; die meisten Juristen indessen haben auch ihrerseits sich gegen die Aecht^ heit erklärt, wie Bach, Biener, Zimmern (Gesch. des röm. Privalrechts I. Erste Abth. {). 124 n. 9) u. A. Derselbe Au-* tor, einmal in seiner Weise sich gefallend, brachte dann auch das 2te Fragm. zu Stande. Der befremdende Umstand, dass dem Pighius nur das Erstere bekannt ward, ungeachtet doch beide augenscheinlich als zusammengehörig und an Einem Orte gefunden gedacht werden sollen, wird eben nur da- durch erklärbar, dass das 2te nicht gleichzeitig die Werkstatt verlassen. Dies bekam erst Petavius zur weiteren Besorgung; denn gegen ihn kann sich der Verdacht so wenig richten wie gegen Vossius, wohl aber auf Susius und vor Allen auf Vi- ves. Nachträglich fand ich in der That bei Voss, ad GatuU. p. 334 einen festern Anhalt für die Richtung meines Verdach- tes. Eo autem libentius hoc moneo, sagt er, quod necdum in lucem prodiere haec fragraenta. Partem duntaxat exhibuit Pighius in suis Annalibus, sed longe plura sunt, quae penes

Die Siaatss&eitung der Republik. 319

me sunt, quaeque ipse non vidit, quamvis utraque ex eodem Ludovici Vivis vetustissimo ut opinor exem- plari fuerint descripta. Danach hätten denn wirklich die Fragmente des Petavius und des Pighius aus einer und der- selben Quelle gestammt, aus den Papieren des Ludovicus Yives. Ich stehe daher nicht an, in diesem spanischen Ge- lehrten des 16. Jahrhunderts den Erfinder jener Fragmente zu bezeichnen, um so weniger, als es ja bekannt ist, wie derselbe mit seiner juristischen Natur auch eine poetische also erfinderische verband, wie er das System der Rechts- wissenschaft (aedes legum) im Gewände der Dichtung be- handelte, und wie er eben hierbei das alte Rechtslatein in so tre£Plichem Rococcostyle zu handhaben wusste, dass Nichtken^ ner desselben daraus einen Beweis für die Verdorbenheit der lateinischen Sprache jener Zeit entnehmen zu dürfen glaub- ten (vgl. u. A. Hugo: Lehrb. d. Gesch. des R. R. seit Justinian. 1818. S. 224) Umstände, die gewiss nicht geeignet sind, das Misstrauen gegen ihn zu heben.*) Dass der Verfasser der Fragmente, wer er auch sei, Geschick besass, ist nicht zu läugnen, und immerhin behält sein Machwerk als eine Re- eonstruction der Art und Weise, in welcher etwa die Anna- les max. und später die Acta populi abgefasst worden, noch ein gewisses Interesse. In keinem Stücke aber darf es Ein- fluss üben auf unsere Untersuchung, zu der wir jetzt zu- rückkehren.

Die Staatszeitung der Republik.

Wenn Anfangs die Acta populi in ihrem Gepräge noch wesentlich mit den Annal. max. übereinstimmen mochten: so musste doch allmählig eine zwiefache Verschiedenheit, in

*) Le Clerc wendet dennoch freilich ohne diese Umstände geltend zu machen und nur der Absicht desselben die Fragmente des Ennius zu sammeln gedenkend (p. 321), sowie der Thatsache, dass aus Spanien überhaupt damals viele verdächtige Denkmäler hervorgingen (p. 264) seinen Verdacht von ihm ab (p. 320) und gänzlich auf Sigonius hin (p. 321), ohne dass sich dafür irgendwie positive oder specielle Anknüpfungspunkte auffinden Hessen.

320 Das Staatsieitungstoesen der Römer.

Bezug auf Inhalt und Form, sich heraussteilen. Der Inhalt der Annales max. hatte sich auf die politischen und reli- giösen Angelegenheiten beschränkt, der der Acta populi dehnte sich auch, so zu sagen, auf die häuslichen Ereig- nisse des Volkes oder der Stadt aus, und schon hierdurch ist zum Theil die Verschiedenheit der Form bedingt, indem die Letzteren einen grösseren Umfang gewinnen mussten und täglich erschienen. (Jeberdies, hatte früher das patricische und das Optimaten- Interesse darin vorgeherrscht, so trat , nunmehr das des Volkes und der Populären in den Vorder- grund. Das Institut bekam eine entschieden populäre Tendenz.

VV^ie ungemein reichhaltig die Staatszeitung der Repu- blik war, lässt sich zumal aus den Andeutungen in den Ci- ceronischen Briefen entnehmen, obwohl die städtischen Ta- gesberichte, auf die sich dieselben beziehen, meist nicht mit der ofliciellen Zeitung identisch^ sondern nur nach ihrem Muster redigirte Privatrelationen sind.

Es ist unverkennbar, dass viele Artikel nur Futter für Neugier, Geklätsch und Aberglauben waren. Durch eine Menge von Abentheuerlichkeiten und Wundergeschichten, durch Cu- riositäten und Trivialitäten, wurde der Leser, je nach seinem Geschmack, unterhalten oder gelangweilt Da las man denn z. B. wie es im Jahre 640 Milch und Blut geregnet; wie die Erscheinung des Brandvogels, von dem Plinius nichts Näheres weiss, die Stadt in Schrecken gesetzt und eine Sühnung ver- anlasst; wie im Gebiet von Arimini auf der Villa des Gale- rius ein Hahn gesprochen; wie Servilius RuUus zuerst unter den Römern ein ganzes Wildschwein aufgetischt; wie bei der Bestattung des Felix, eines Wagenlenkers von der rothen Par- tei, einer seiner Anhänger sich in den Scheiterhaufen gestürzt, die Gegenpartei aber behauptet habe, um den Ruhm des Künstlers zu verkleinern, er sei durch die Menge der Wohl- gerüche betäubt worden; wie der Curulädil Ahenobarbus am 18. September 693 im Circus eine Thierhetze veranstaltet, wo 100 Numidische Bären und ebenso viele Aethiopische Jäger gekämpft eine prahlerische Anzeige, da es wie Plinius be- merkt in Numidien gar keine Bären gab (s. die Stellen oben

Die Staatszeitung der Republik, 321

S. 309 u. 312). Alle diese Züge gehören freilich in die ersten Zeiten der Redaction der Staatszeitung, meist in die zweite Hälfte des 7ten Jahrhunderts d. St. Dass es aber auch in den letzten Zeiten der Republik, in den Anfangen des 8ten Jahr- hunderts nicht anders war, erhellt aus Cicero. Auch jetzt noch las man darin allerhand Anekdoten und Gerüchte (Gael. ap. Gic. ad div. 8, 1: fabulae, rumores), allerhand Anzeigen und Rerichterstattungen über Schauspiele, Leichenbegängnisse U.S.W. (Gael. ibid. 8, II: ludorum explosiones, et funerum, et ineptiarum ceterarum), die Programme der Fechterspiele, die Vertagungen der Gerichtstermine u. dgl. mehr (Gic. ib. 2, 8: gladiatorum compositiones, vadimonia dilata, et Ghresti com- pilationem, et ea, quae nobis, quum Romae sumus, narrare nemo audeat.*) Ebenso fehlte es auch nicht an offenbaren Wundern (Plin. H. N. 2, 66, 57).

Nichtsdestoweniger überwog sicherlich der politische Theil der Zeitung sowohl an Interesse wie an Ausdehnung. Man fand darin die Senatusconsulte und Edicte (Gael. I. c. 8, 1 : se- natusconsulta, edicta), die Yolksbeschlüsse, die politischen Debatten und Reden (Gael. ib. 8, 11: Quam quisque senten- tiam dixerit, in commentario est rerum urbanarum). Deshalb war ihre Zusendung für die auswärtigen Staatsmänner un- entbehrlich um sich im Niveau der Ereignisse zu erhalten. In den ersten Tagen des Mai 704 schrieb Gicero an Atticus (6,2): „Ich habe die städtischen Zeitungen (acta urbana] bis zum 7. März empfangen." Er erfuhr daraus, dass der Tribun Gurio sich den Antragen der Gonsuin über die fernere Re- setzung der Statthalterschaften, wodurch das Interesse Gäsars gefährdet und Gicero's Hoffnung auf die Rückkehr nach Rom vereitelt werden konnte, nebst einigen seiner Gollegen wi-

♦) Chreslus war entweder ein berüchtigter Spitzbube oder ein Priyatzeitungsschreiber, je nachdem man den Ausdruck eompilati^ auffasst. Da wir von ihm weiter nichts wissen, ist eine absolute Entscheidung nicht möglich; doch neige ich zur letztern Erklärung, da die Existenz von bezahlten Privatzeilungsschreibern gewiss ist

(Cael. ib. 8, l: hunc laborem alteri delegavi ne molestiam tibi

cum impensa mea exhibeam).

Zeitschrift f. Getchiehtsw. I. 1844. 2t

822 Das Staats^iungswesen der Römer.

dersetzt habe. Daher fahrt er nach dem Obigen fort: „Ich ersehe, dass in Folge der Standhaftigkeit unsers Gurio alles eher als die Angelegenheit der. Provinzen im Senate verhan- delt werden wird. Also rechne ich mit Zuversicht auf unser baldiges Wiedersehn/^ Ein andermal, im Jahre 710, schreibt Cicero an GorniGcius (ad div. 1?, 23): „Dass die städtischen Zeitungen (rerum urbanarum acta) dir ühersandt werden, weiss ich bestimmt; widrigenfalls würde ich selbst dir Bericht er- statten." Und wiederum im Jahre 711 an G. Gassius (ad div. 12,8): „Das Verbrechen deines Verwandten Lepidus, seine ausserordentliche Leichtfertigkeit und Unbeständigkeit, wirst du wohl aus den Zeitungen (ex actis) erfahren haben, welche dir, wie ich gewiss weiss, zugesandt werden."

Nicht minder erhellt der Reichthum und die Bedeutung der politischen Nachrichten aus dem Umstände, dass für die spätere Erläuterung der Giceronischen Reden die Staatszei- tung eine wesentliche Grundlage bildete; sie war dem As- conius eine Hauptquelle; „ich habe, schreibt er, die Tages- blätter dieser ganzen Zeit durchgelesen" (ad Gic. or. pro Mi- Ion, p. 44: Acta etiam totius illius temporis persecutus sum). Aus ihnen stammt eine Fülle von Material bei ihm her; öf- ters citirt er sie ausdrücklich. Umterm 8. Juli 700 d. St &nd er darin die Nachricht, dass P. Valerius Triarius den Scaurus wegen Erpressungen vor dem Prätor M. Gato angeklagt habe, drei Tage nach der Freisprechung des G. Gato (ad Gic. or. pr. Scaur. p. 19: ut in actis scriptum est). Aus einem frühern Jahrgange (6% d. St.) ersah er, dass Pompejus von einem Freigelassenen des Glodius mit Namen Damio damals form** lieh belagert worden sei. In einem Artikel vom 18. August hiess es daselbst: der Volkstribun L. Novius, des Glodius College habe, als Damio gegen den Prätor Flavius die Tri- bunen anrief und diese darüber beriethen , sich bei der Ab- stimmung also vernehmen lassen : „Ich bin durch diesen Hand- langer des P. Glodius verwundet, durch bewaffnete Rotten, durch ausgestellte Posten von der Theilnahme an den öffent- lichen Angelegenheiten zurückgedrängt worden; Gn. Pompe- jus ward belagert Da man jetzt mich anruft, werde ich das

I

Die Siaatizeitung der Republik. 823

Beispiel desjenigen nicht nachahmeD, den ich tadiei und den Urtbeilsspruch aufheben." Und nunmehr liess er sich auf die Intercessien ein (ad Gic. or. pr. Mil. p. 47: ut ex actis ejus anni cognovi, in quibus XV Gal. Sept etc.).

Die Bürgerkriege hatten den Zwiespalt zwischen Senat und Volk unversöhnlich gemacht; Senats«- und Volkspartei standen sich lauernd und in gewaltsamen Krisen als blinde Factionen gegenüber. Um das Jahr 700 d. St war Milo ein Haupt der ersteren, Glodius ein Führer der letzteren. Dar« aus entsprangen persönliche Reibungen und endlich im Jahre 702 erfolgte bei der zufälligen Begegnung auf der Appischen Strasse die Ermordung des Glodius durch die Begleiter des Milo. Kaum verbreitete sich die Kunde in Rom, als das Volk sich zusammenrottete und die Tribunen , welche wie Muna- tius Plancus, Gajus Sallustius und Quintus Pompejus^ An- hänger des Glodius waren, durch stürmische Reden die Menge aufwiegelten. Seitdem wogte der Aufruhr durch die Strassen; die Wuth wandte sich gegen den gesammten Senat wie gegen die einzelnen Häupter seiner Partei. Zum Unglück herrschte, durch Vereitelung der Gonsulwahlen ein Interregnum, so dass die Aufrechterfaaltung der Ordnung und die Abwehr des Un-* fugs kaum möglich war. Da geschah es denn, dass bei der Verbrennung der Leiche des Glodius auf dem Forum der Se- natspalast in Flammen gesetzt, das Haus des Milo obwohl vergeblich angegriffen, das des Lepidus aber belagert, erstürmt und demolirt ward, weil dieser als Interrex die Gonsulwah- len verweigerte^ damit nicht in diesem kritischen Augenblicke die Gegner Milo's gewählt würden. Der Senat befand sich in der grössten Bedrängniss; er war für Milo gesinnt und durfte doch die That gegen Glodius nicht rechtfertigen; er war in seinem Köiper und in seinen Gliedern verletzt wor- den und vermochte doch nicht auf eigene Hand den Sturm zu beschwören. Um daher die Ruhe nur einigermassen wie- derherzustellen, sah er sich endlich genöthigt, den grossen Pompejus, trotz seiner schwankenden politischen Grundsätze, zum alteinigen Gonsul mit ausserordentlicher Machtvollkom- menheit zu ernennen.

21*

324 Das StcMti&eUungstoesen der Römer.

Alle diese Ereignisse und Stimmungen nun fanden, sammt den mannigfaltigen Zwischen vorfallen und Folgen, in der Staatszeitung das Organ ihrer Verbreitung. Dort las man, dass Milo am 20. Januar von Rom abgereist war um sich nach Lanuvium zu begeben (Ascon. adCic. or.proMil.p.32); dass an diesem Tage, dem der Ermordung des Clodius, die Tribunen Sallustius und Q. Pompejus, Milo's Feinde, vor der Volksmenge Reden hielten, die auch ausführlich in der Zei- tung mitgetheilt wurden, und von denen die des Letztgenann- ten nach dem ürtheil des Asconius einen besonders aufrüh- rischen Charakter trug {ib. p. 49) ; ferner dass am 28. Februar ein Senatsbeschluss zu Stande kam, des Inhaltes: die Ermor- dung des Clodius, die Brandstiftung in der Curie und der Angriff auf das Haus des Lepidus seien als Staatsverbrechen zu betrachten (ib. p. 44).

Die Sitzung, in der dieser Beschluss gefasst wurde, war sehr stürmisch und wichtig. In ihr siegte das Volksinteresse über das senatorische. Die Einleitung eines Processes gegen Milo wurde natürlich als unvermeidlich anerkannt; doch wollte der Senat, nach dem Vorschlage des Hortensius, dass die Untersuchung zwar ausserordentlicherweise d. i. vor allen an- deren vorgenommen, aber nach den bisherigen Gesetzen, vor dem Quästor geführt werden sollte. Da verlangte ein Mitglied, ein gewesener Prätor, die Theilung d. h. die be- sondere Abstimmung über jeden der beiden Artikel dieses Vorschlags, und nunmehr ging der erstere allein durch, wah- rend der zweite durch die Intercession der Tribunen verei- telt ward (cf. Cic. pro Mil. c. 5 sq.).

Die Staatszeitung enthielt über diese merkwürdige Sit- zung unter dem 28. Februar nichts weiter als die Bekannt- machung jenes oben gemeldeten Senatsbeschlusses (Ascon. i. c. ultra relatum in Acta illo die nihil). Unter dem 1. März zeigte sie aber an, dass an diesem Tage der Tribun Munatius in einer Concio (Meeting) dem Volke über die Vorgänge im Senate am Tage zuvor ausführlich Bericht erstattet habe. Die V -^ ,ri n^iMia^rici riri^firlhrn wnrdr ebenfalls dort mitgetheilt; darin kam ^v->^ - «-A. folgende Stelle vor: „A. Hortensius, indem er eine aus-

Die Staatszeitung der Republik. 325

serordentliche Untersuchung vor dem Quästor beantragte, hat sich dadurch das Schicksal bereitet, dass er, während ihm ein geringes Quantum Gelindigkeit mundete, ein grosses Quan- tum Bitterkeit verschlucken musste. Denn dem erfinderischen Menschen trat auch für uns ein erfinderischer Geist entge- gen; wir fanden einen Fufius, der da ausrief: ich verlange die Theilung. Und nun legte ich und Sallustius gegen den zweiten Theil des Antrags Einspruch ein" (ib. p. 44: Quod Q. Hortensius dixisset, ut extra ordinem quaereretur apud quaestorem, aestimare futurum, ut, quum pusillum edisset dulcedinis^ largiter acerbitatis devoraret. Adversus hominem ingeniosum ingenio usi sumus; invenimus Fufium, qui dice- ret, Divide. Reliquae parti sententiae ego et Sallustius in- tercessimus).

Demnach wurde bekanntlich der Process in Folge eines neuen Gesetzes, welches Pompejus erliess, vor einem be- sondern Untersuchungsgerichte verhandelt. Der Ausgang liess sich vorhersehen; trotz der Vertheidigung Cicero's und der Einwände Gato's wurde Milo durch 38 Stimmen unter 51 verurtheilt und ging ins Exil. In einem Artikel des betref- fenden Jahrganges der Staatszeitung las man später, da Wun- der nun einmal bei keinem bedeutenden Ereignisse zu ent- behren waren, dass es während der Vertheidigung Milo's im April Ziegelsteine geregnet habe (Plin. H. N. ?, 66^ 57).

Die bisherigen Anführungen dürften zugleich genügen, um die von Ernesti ausgehende Meinung zu entkräften, als sei die Abfassung der Acta (confectio actorum] nach Gäsar's erstem Gansulate unterbrochen worden. Freilich ist die Be- hauptung leichter als die Widerlegung, da wir allerdings nicht über jeden Jahrgang, geschweige über jede Tagesnummer, Rechenschaft zu geben vermögen. Allein Nichts spricht für sie. Alles dagegen, und namentlich eben die Reihe von Be- rufungen auf die Acta der Jahre 695 bis 711, die wir aus Gicero, Asconius und Plinius beigebracht, und denen noch Dio 44,11 für das Jahr 710 hinzuzuftigen ist. Von den Stel- ^

len bei Gicero und nur sie kennt Ernesti bezieheir sic||g^' die ad Att. 6, 2 ad div. 2, 15 u.'12,23, wie man auch klügeln

326 Das Staats&eiiungswesen der Römer,

mag, gleichviel ob mittelbar oder unmittelbar , auf die offi- ciellen Acta urbana d. i. auf die Acta populi allein oder mit Einschluss der Acta senatus, die während dieser Zeit neben ihnen bestanden haben dürften und sich jetzt nicht mehr mit Sicherheit von ihnen unterscheiden lassen. Dass den Diplo*- maten, wie Cicero, wenn sie in der Provinz sich aufhielten, diese ofBciellen Zeitungsnachrichten nicht immer genügten, kann schwerlich befremden, da dieselben doch meist nur Facta, nicht Motive darstellten, und auch jene nicht einmal stets im Detail; ja manche interessante Angelegenheit blieb auch wohl ganz unberührt. So schreibt Cicero im Jahre 704 an Calius (ad div. 2, 15): „(Jeher Ocella hast du mir in we- nig verstandlicher Weise geschrieben (vgl. 8,7], und in den Zeitungsberichten finde ich darüber nichts'^ (in Actis non erat). Deshalb nahmen die auswärtigen Römer gern die Feder ih- rer Freunde oder, wo dies nicht anging, die Schreiberzunft in Anspruch, um entweder das an sie zu übersendende Ex- emplar der Acta mit Zusätzen zu begleiten oder mit Zugrun- delegung derselben, theils abkürzend theils erweiternd, selbst- ständige Relationen abzufassen. Eine solche von einem Schrei- ber gefertigte Gompilation haben die Briefe ad div. 8, 1 (s. ob. S. 321). 2. 11 und 2, 8 zum Gegenstande. Diese Verschieden- heit von den officiellen Actis urbanis stellt sich auf den er- sten Blick heraus, und daher wird auch nicht dieser specielle Titel, sondern der allgemeine Ausdruck „rerum urbanarum commentarius^ gebraucht. Ein Grund, die officiellen Acta urbana hier zu erwähnen, war wie Jeder einsehen muss, der diese Briefe aufmerksam liest, gar nicht vorhanden; mithin ist auch aus der blossen Nichterwähnung keineswegs auf Nichtexistenz zu schliessen. Am wenigsten aber kann man den Einwurf machen: „Wozu Privatrelationen, wenn es öf- fentliche gab?'^ Denn bei jenen kam es ja nicht darauf an, diese zu ersetzen, sondern sie zu übertreffen. Liest man doch heut auch bei wichtigen Anlässen lieber Privatcorre- spondenzen als die nackten Referate officieller Zeitungen. Auch dem Cicero war es nicht um blosse Thatsachen zu thun; er wollte über die Angelegenheiten des Staates einen

Die Senatszeitung. 327

Staatsmann vernehmen; er verlangte tiefeingehende Erörte- rungen, feine Beobachtungen, Ansichten, Rasonnements. Die- sen Ansprüchen konnten selbst die Privatrelationen nicht im- mer genügen, zumal wenn man es sich bequem machte und die Arbeit gegen ein Honorar einem Zeitungsschreiber über- trug. Daher schreibt Cicero zürnend an Gälius, der ihm jene Compilation von fremder Hand geschickt: „Wie? damit meinst du hätte ich dich beauftragt, mir die Programme der Fech- terspiele, die Vertagungen der Gerichtstermine, die Diebereien (oder Schreibereien) eines Ghrestus (s. ob. S. 321) und über- haupt solche Dinge mitzutheilen, die mir, wenn ich in Rom bin, niemand zu erzählen wagt? .... Nein, weder Vergangenes noch Gegenwärtiges, sondern das Zukünftige erwarte ich von dir, als einem weit in das Ferne vorausblickendeu Manne, besprochen zu sehen, damit ich aus deinen Briefen, indem ich die Lage des Staates darin erkenne, zu entnehmen ver- möge, in welcher Art dessen Bau sich gestalten werde'' (ad div. 2, 8: Quare ego nee praeterita nee praesentia abs te, sed, ut ab homine longe in posterum prospiciente, futura exspecto, ut ex tuis litteris, quum formam reipublicae viderim, quäle aedificium futurum sit, scire possim).

Die Senatszeitung.

Es war ohne Zweifel der endlos sich fortspinnende Gon- flict zwischen Volk und Senat, welcher in diesem den Wunsch nach einer journalistischen Vertretung den täglichen Volks- berichten gegenüber entstehen Hess. Dass in den letzteren eine gewisse Einseitigkeit vorherrschen musste, insofern sie vor Allem die Interessen der Gomitien, die Rechte des Vol- kes wahrnahmen, leuchtet ein. Nur durch eine selbstständige Publicistik des Senates konnte das senatorische Interesse in Ansehn erhalten, jene Einseitigkeit aufgehoben und so zu sa- gen das Gleichgewicht der Parteien hergestellt werden.

Die Senatszeitung war also augenscheinlich ein Bedürf- niss für den Senat selbst, und mithin kann die Begründung derselben durch Gäsar im Jahre 695 nicht als eine Intrigue gegen die Gurie, sondern vielmehr nur als eine Goncession

330 Das St(tats!6eitttngsu>esm der Römer.

meist nur im Interesse des Privatgebrauchs der Gonsuln oder des betreffenden Referenten, wie das more majorum bei demselben anzudeuten scheint.

Aus dem allen geht hervor, dass Gäsar's Neuerung in der That keine urplötzliche, sondern eine allmählig vorberei-* tete, eine Forderung der Zeit war. Es gab vor ihm Proto- kolle von Senatsverhandlungen und Publicationen solcher Pro- tokolle; der Fortschritt bestand darin, dass er die Ausnahme zur Regel erhob. So begannen die Acta senatus diurna.

Die Senatszeitung bildete ein von den Actis populi ge- trenntes selbstständiges Journal und keineswegs, wie so Viele zu glauben scheinen,*) ein mit jenen verbundenes Institut. Hiergegen sprechen alle Zeugnisse, und (ürwahr! diese bei- den Redactionen hätten am allerwenigsten in dieser Zeit sich mit einander vertragen. Dass die Protokolle wortgetreu und vollständig wiedergegeben wurden, lässt sich schwerlich be- zweifeln. Ob aber unter Gasar die Herausgabe der Acta senatus Unterbrechungen erlitt, mag dahingestellt bleiben; denn Entscheidung ist Willkür, wo es weder für noch wi- der sichere Data giebt Nur Ein Umstand möchte indirect für die Unterbrechung zeugen; doch nicht das Schweigen Gicero's denn der Ausdruck Acta urbana könnte bei ihm die Acta senatus zugleich mit den Actis populi umfassen , sondern die augenscheinliche Nichtbenutzung von Senatsacten durch Asconius, zumal in Betreff der Milonischen Angelegen- heiten des Jahres 702, ungeachtet er sagt, er habe die Acta dieser ganzen Zeit durchmustert (s. ob. S. 322); doch könnte es auch sein, dass bei diesen Worten die Acta senatus sei- nen Gedanken ebenso fern lagen, wie im Allgemeinen seinen Zwecken; denn er hatte mit Reden vor dem Volke, nicht vor dem Senate, zu thun und seine Forschung kann sich deshalb freiwillig, vielleicht auch unfreiwillig, auf die zugänglicheren Acta populi beschränkt haben. Wie dem nun auch sei, so viel ist gewiss, dass das Ende der Senatszeitung ihrem An- fang sehr nahe liegt, und dass dasselbe durch die gleichen

*) Auch Le Clerc.

Die StaatszeUung der Monarchie. 331

Motive bedingt wurde, wie die Umgestaltung der Acta populi. Das Principat bildet den Wendepunkt. Es war ohne Zwei- fel schon in den Anfängen des Augusteischen Zeitalters, als das Verbot gegen die Senatszeitung erging (Suet. Aug. 36: auctor, ne acta senatus publicarentur). Die Protokolle wur- den nach wie vor fortgesetzt; aber sie blieben geheim und nur ein kurzer Extract derselben ging fortan, unter dem Ein- flüsse einer oft despotischen Gensur, in die Acta populi über, die dergestalt nunmehr, der centralisirenden Tendenz der Mon- archie und der Einheit der Staatsidee entsprechend, zur Be- deutung einer allgemeinen Staatszeitung erhoben wur- den. Allein Charakter und Haltung derselben waren jetzt ganz anderer Art und geben zu näherer Betrachtung Anlass.

Die Staatszeitung der Monarchie.

Ueberwog zur Zeit der Bepublik der politische Inhalt der Staatszeitung bei weitem allen übrigen Stoff, weil das Volk als Substanz des Staates keinen Grund hatte seine ei- genen Angelegenheiten, Thatcn und Interessen zu verbergen und die Freiheit der öffentlichen Mittheilung zu beschränken: so musste doch mit der Begründung des Principates auch hierin ein Wendepunkt eintreten. Die Souveränetat ging von dem Volke an den Fürsten über; die Bechte der Gomitien wurden zerbröckelt und aufgelöst; die öffentliche Leitung al- ler wichtigen Angelegenheiten wurde mehr oder minder zu einer geheimen; das pulsirende Leben des Staates zog sich von dem Forum in den Palast, von der Bednerbühne in das Kabinet des Fürsten zurück. Nur in der Curie des Senates verblieb noch ein kümmerlicher Best der alten Freiheit. Kein Wunder also, wenn die aufkeimende Monarchie, wenn schon Augustus, ihr eigentlicher Werkmeister,, um die Begierung wie den Händen so auch den Augen des Volkes zu entzie- hen, einmal die Veröffentlichung der Senatsprotokolle verbot oder mit anderen Worten die Senatszeitung gänzlich unter- drückte, andrerseits aber die politischen MittheUungen der Staatszeitung auf ein äusserstes Minimum zu beschränken und ihr überhaupt ein dem nunmehrigen Bestände der Dinge

3.^ Dm Staatszeitungsicesen der Römer.

entsprechendes Gepräge zu verleihen sich bemühte. Es kam darauf an, den Freiheitsdrang allmahlig an Unterwürfigkeit, die Herrschlust an Gehorsam, die politische Selbstthatigkeit des Volkes an Passivität und Apathie zu gewöhnen. Es kam darauf an, die Römer zu Unterthanen zu erziehen. Und nach diesen Gesichtspunkten musste auch die geistige Nahrung, die dem Volke durch die Staatszeitung täglich verabreicht wurde, fortan bemessen und zubereitet werden. Die Ange- legenheiten des Hofes, die Gnadenbezeugungen des Fürsten mussten den Vordergrund einnehmen um zu imponifen, der Eitelkeit zu schmeicheln und zum Wetteifer im Trachten nach Gunst und Ehren anzuspornen; die Thätigkeit des Senates musste soweit sie an Freimuth gränzte vorsichtig umschleiert, sobald sie entschiedenen Servilismus athmete als Muster zur Schau gestellt werden; die Menge musste man durchaus in der Unkenntniss über ihre wahren Interessen zu erhalten su- chen, und um dieselben vergessen zu machen, ihr ein buntes Ragout von Alltäglichkeiten und Lapalien auftischen, das, ge- würzt mit einer Portion frivoler Gurifsitäten oder aufheitern- den Anekdotenwitzes und gehörig versetzt mit einer Dosis züchtiger Gottesfurcht oder niederschlagenden Aberglaubens, hinlänglich geeignet schien zugleich ab- und anzuziehen, zu zerstreuen und zu sättigen.

Doch alles dies werden wir deutlicher erkennen oder doch gründlicher ahnen, wenn wir, soweit es die kärglichen Notizen darüber zulassen, den Inhalt der Römischen Staats- zeitung, wie er in der Kaiserzeit beschaffen war, hier näher betrachten. Derselbe lässt sich etwa folgendermassen gliedern:

I. Hofberichte. Wir dürfen dieselben schon seit der Dictatur des Julius Cäsar datiren, der zuerst das öffentliche Organ seinen Zwecken dienstbar machte. So erschien auf sein Geheiss unterm 15. Februar 710 in der Staatszeitung die Anzeige „es sei ihm vom Volke durch Vermittlung des Con- suls die Königswürde angeboten worden, doch habe er die- selbe nicht anzunehmen geruht.'^ Man sieht, dass dies eine leere Insinuation war, die mit der Zeit Früchte tragen sollte oder konnte; denn man weiss, dass der Kern dieser Demuth

Die Staaisseitung der Monarchie. 333

der Ehrgeiz war, dass die Römer den Königstitel hassten und nur der ihn liebte, der ihn zurückwies (Dio 44, 11: iq rd oSito^Lvri^LaTa iyypaxpij^ai «toi'rjorfiv, Stl Tijv ßaoriXsiav flcopci Tou 6ji/UL<yu öid totj iSitaTov 6uSofjLSV^v[v ol ot5x iöi^orro^ Es ist hier natürlich nicht an die Acta senatus zu denken; aber ebenso wenig auch an die Fasti, obgleich wir aus Gic. Phil. IL 34, 87 wissen, dass auch in diese die Notiz eingetra- gen ward; denn dies geschah keineswegs auf Gäsar's, son- dern wie Cicero ausdrücklich sagt auf des Antonius Anord- nung; also sind es zwei ganz verschiedene Insertionen). Im Jahre 716 liess Augustus durch die Zeitung bekannt machen „der von der Livia geborne Knabe sei von ihm dem Yater desselben, dem Nero zugestellt worden" (Dio 48,44: iq rd iSÄO^vij^aTa iyy^d'^aq, ort KoZcrcxp t6 ysvwil^ev Aioxjtqf, Tji iaxncyu ^uvacxl 'xatÖiov NcptüVt tcj) icorpl dniöonsca). Die Scheu vor der Oeffentlichkeit bildete übrigens bald genug die steifen Formen der Hofetikette aus; allen Mitgliedern des fürstlichen Hauses, den Prinzen und Prinzessinnen wurde in Haltung und Benehmen ein beengender Zwang auferlegt; von Augustus heisst es ausdrücklich, er habe Tochter und Enke-r linnen angebalten, nie heimlich und nichts Anderes zu thun oder zu reden, als was in die Tagesblätter aufgenommen wer- den könne ( Suet. Aug. 64 : vetaretque loqui aut agere quid- quam nisi propalam et quod in diurnos commentarios referreturj. Freilich brachte dieser Zwang, wie so häufig, die entgegengesetzte Wirkung hervor, und die chronique scan- daleuse des Hofes schwoll um so mehr im Munde des Vol- kes an, je geflissentlicher die Regierung die Thatsachen zu verheimlichen suchte, indem sie dem officiellen Organ ein unverbrüchliches Stillschweigen zur Pflicht machte.

Indessen brachte, wie einst die unterworfene Welt der siegestrunkenen Republik, so jetzt das unterwürfige Rom den stolzen Unterdrückern der eigenen Freiheit den Tribut seiner Huldigungen dar; seitdem begannen die eigentlichen Gour- oder Empfangs- und Audienzberichte, die nicht minder der weiblichen Eitelkeit innerhalb des Palastes, wie der männli- chen ausserhalb desselben, scfameicbelten. Da las man denn

334 Das Staatssieitungsu>esen der Römer.

nunmehr in den öffentlichen Blättern: die Kaiserin habe ge* ruht an dem und dem Tage die und die Personen in der und der Weise zu empfangen. So erzählt Dio zum Jahre 767 ausdrücklich, die Kaiserin Livia habe, so oft sie in ihren Cre«- mächem die Aufwartungen des Senates und des Volkes an- nahm, einen Bericht darüber in die Staatszeitung einrücken lassen (57, 12: '^cdw yd^ fxkya itae iSacep 'gcacrau; raq «90* aPtv yuvauxaq wyxwro, worra occu rfiv ßorvhfiv xai toü dij* m&v TOTJQ iSlrshovraq oixad« dcntourofiiivoug aBi tcotb icröe^ ^<a^ae, xai ronuro occu ig rd örnnocria vno/ubvi^/UtaTa icry^dcpacrPau). Und ganz dasselbe meidet er zum Jahre 801 von der Kaiserin Agrippina (60, 33: rfiq ^''ky^vtauv^g onöötlig To icocpa^tai; j^mtroy d^JKa rd tb äKha xat ijicep a\}Toi; rov RXorudtov i6\iv(xro, ocou iv xoiviS rojjg ßoxs^oinsvorvg i^cma- ^rro, 9caL Tiyuro Tuxi igrd aS9i:o^Lvr]/.iocra «cs^a^ero. cf. Tac Ann. 13, 18). Hof* und audienzfähig war übrigens dsonunal noch, wie aus diesen Stellen erhellt, jeder der es sein wollte. Sichtung und Maass ward erst nöthig, als der Grundsatz ,je mehr je besser'^ dessen man Anfangs bedurfte um nur ei« nige Früchte zu erndten, endlich deren zu viele trug.

Nicht minder wesentlich erschien es dem Hofe, das grös- sere Publicum zu unterrichten, welche Schauspiele oder Lust- barkeiten die fürstlichen Personen mit ihrer Gegenwart be- ehrt hatten. So unterliess es Gommodus niemals, so oft er einem Fechterspiele beigewohnt, dies durch die Staatszeitung bekannt zu machen (Hist. Aug. ed. Salm. p. 50. G: Ludum [sc. gladiatorum] semper ingressus est, et quoties ingredere- tur, publicis monumentis indi jussit). Ja in Herrschern, wie der ebengenannte, nahm die Eitelkeit, von sich reden zu machen, einen so schaamlosen Gharakter an, dass die Staats- zeitung selbst mitunter zu einer chronique scandaleuse sich gestaltete. Denn Gommodus pflegte ohne Scheu sogar dieje-^ nigen seiner Handlungen in derselben zu veröffentlichen, welche der bessere Theii des Publicums ihm übel deutete oder wohl selbst als Beweise von Rohheit, Grausamkeit und ausschwei-* fender Lebensweise verdammte und mit dem Titel von Schand- thaten brandmarkte (ib. c.l5. p. 51. G: habuit praeterea morem,

Die Siaatszeitung der Monarchie. 336

ut omnia quae turpiter, quae impure, quae crudeiitery quae gladiatorie, quae lenonice faceret, actis ürbis indi juberet, ut Marii Maximi scripta testantur). Nicht unähnlich verfuhr Tiberius, indem er auf dem gleichen Wege die schlimmsten Seiten seines Charakters, die schmachvollsten Handlungen seines Lebens zur Schau stellte; aber seiner Verfahrungsweise lagen, wie überall so auch hier, schlaue politische Absichten zu Grunde. Er wollte seine Widersacher vernichten; deshalb spürte er ihren geheimsten Aeusserungcn, selbst im Zwiege- spräche, nach oder dichtete ihnen solche an, die sein Gewis- sen ihm als möglich erscheinen Hess; dann aber gebot er alle dergleichen Aeusserungen als thatsachliche durch die Zeitun- gen zu verbreiten, um dergestalt die Verfolgungen, mit denen er umging, im Voraus und wenn auch nur scheinbar vor der öfientlichen Meinung zu rechtfertigen (Dio67, 23 zum J. 775: xal ydp bI iv oSocop^rc^ Ttq xai nrpo^ eva öisT^syPi] tl, xom rcfVTo idri/aoo'igvsv, wcrrs nai ig ra otoiva aJico/tivrj/uara ea^aquc^ai. otcu ttoKhoauq ql [lii^ eIou tiq^ wq iigrji^vct, s4 ^*>v EcxvTtp on/injdsc, itpocrxccraft^fgvStTo, Sicwq wg öocaioTora S^L^Bor^at vo/uLLcrPsiii)^

Abgesehen von diesen theils unwesentlichen theils un- würdigen Artikeln, die unter besseren Regenten gewiss sehr zusammenschmolzen^ diente die Staatszeitung öfters auch zur Verbreitung kaiserlicher Erlasse, Constitutionen und Edicte. Auf diese Weise wurde z. B. das Rescript Trajan's gegen Bestechung und Prävarication der Advocaten bekannt gemacht (Plin, epp. 5, 14: Pauci dies, et über principis severus, et ta- men moderatus. Legesipsum; est in publicis actis). Doch immer geschah dies sicher nicht, wie schon durch Rückschluss daraus erhellt, dass Caligula sein Steueredict deshalb mit so ausserordentlich kleinen Buchstaben ausfertigen und die Erztafel in dem unzugänglichsten Winkel anbringen liess, da- mit Niemand es abschreiben könne und mithin aus (Jnkennt^ niss der darin enthaltenen Bestimmungen recht viele Contra- ventionen begangen würden (Suet Calig. 41).

IL Senatsberichte. Diese bestanden natürlich ge- meinhin nur in höchst dürftigen Auszügen aus den Proto-

336 Das Staatsmtungsicesen der Römer,

kollen der Senatssitzungen, mit Angabe der vom Senate ge- fassten Beschlüsse. Dies folgt schon aus Tac. Ann. 16, 2?. Denn als unter Nero der freimüthige Thrasea lange vergeb- lich oder nur mit matten Erfolgen gegen den Servilismus des Senates angekämpft und endlich es vorgezogen hatte, lieber die Curie gar nicht mehr zu betreten, als durch seine An- wesenheit bei Fernerstehenden den Glauben zu erregen, er gebe den schaamlosen und entwürdigenden Decreten dersel- ben seine Zustimmung: da, heisst es bei Tacitus (zum Jahre 819], wurden in den Provinzen und bei den Heeren die Rö- mischen Tagesblätter nur um so eifriger gelesen, um zu er- fahren, was Thrasea nicht gethan habe, d. h. um die Ent^ Wicklung zu verfolgen, welche die Haltung des Senates nun- mehr nach dem Rücktritt seines edelsten Mitgliedes und dem •Verstummen der letzten Opposition nehmen werde (diurna populi Romani per provincias, per exercitus curatius le- gunturi ut noscatur, quae Thrasea non fecerit). Unter der Rubrik der Senatsberichte wurde ohne Zweifel auch der Ver- lauf und Ausgang der wichtigsten Staatsprocesse, die vor dem Senate als oberstem Griminalgerichtshof gefuhrt wurden, be- kannt gemacht.

Nur zuweilen ging ausnahmsweise der Inhalt der Sit- zungsprotokolle ausfiihrlich in die Staatszeitung über. Zum erstenmal, wie es scheint, im Jahre 851, als Trajan in der €urie feierlich empfangen ward; an die Einzelheiten dieser Sitzung und an die freudigen Zurufe des Senates erinnernd, sagt daher Plinius d. Jüngere (paneg. 75): „Doch wozu suche und sammle ich das Einzelne? als ob ich in eine Rede zu- sammenzufassen ... vermöchte, was ihr, versammelte Väter, beschlösset sowohl in die öffentliche Zeitung einrücken als in Erz eingraben zu lassen^' (et in publica acta mittenda, et incidenda in aere. Auf dies zwiefache Moment bezieht steh auch das folgende: et in vulgus exire, et posteris tradi, so dass es unmöglich ist die publica acta mit den Erztafein zu identificiren).

" Und was enthielten denn nun diese ausführlicheren Se- natsberichte der Staatszeitung? Sicher nichts Gefährliches.

Die Staatszeilung der Monarchie. 337

Nur Beweise wetteifernder Unterthänigkeit, eine Mustersamm- lung schlüpfriger Tiraden, einen Wust schmeichlerischer Ac- clamationen, des Thrones so wenig wie der Curie würdig,

eine Anleitung zur Nachahmung fiir das Volk. Wie un- ermesslich war doch die Kluft, die zwischen der Zeit des Au- gustus und des Trajan lag! die langen Zeiten schmachvoller Tyrannei hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Selbst als der beste Fürst den Thron bestieg, vermochte der Senat sich nicht zu ermannen; der knechtische Sinn hatte sich schon zu tief eingenistet, nur dass seine Aeusserungen, einst durch Zwang und Furcht aus den Lippen gepresst, jetzt freiwillige waren oder im Geleise der Gewohnheit sich bewegten. „Heil dir!" rief man dem Trajan in der Curie zu. „Vertraue uns! Ver- traue dir!" „Mögen die Götter dich lieben, wie du uns!"

„Mögen die Götter uns lieben, wie du uns liebst!" „Heil uns!" dergleichen war es, was in der Staatszeitung stand und was man in Erz graben Hess (Plin. 1. c. 74).

Die Verfasser der Historia Augusta liefern eine fast un- absehbare Reihe von Beiträgen ähnlichen Gepräges zur Cha- rakteristik des Senates, sowie seiner Sitzungsprotokolle und der Berichte, die aus diesen in die Staatszeitung übergingen. Wer Lust hat, der lese sie. Sie gewähren ein sprechendes Gemälde der tiefsten menschlichen und politischen Erniedri- gung, über das auch der flüchtigste Blick nicht hingleiten kann ohne unwillkürlich Ekel und Abscheu zu erregen. Da kann man auf das Genaueste ersehen, wie oft jeder einzelne huldigende Zuruf des Senates wiederholt wurde, ob man fiinf- oder zehn- bis achtzigmal rief: „dich mögen uns die Götter erhalten" oder „dich haben wir stets gewünscht" oder „nach dir sehnte sich der Staat" u. s. w. (s. z. B. in Claud. 4. in Tac. 5). Die Kunst der Protokollirung war in der That zu einer staunenswerthen Höhe gediehen.

Wir können uns, trotz unsers Widerwillens, der Pflicht nicht entziehn, dem Leser wenigstens Eine Probe als Beleg vorzuführen, und zwar die wörtliche Abschrift eines Artikels der Staatszeitung vom Jahre 975 d. St. Doch bemerken wir, dass diese Probe noch zu den gemassigteren gehört» Es han-

Zeitschrift f. GescIiiehUw. I. 1844. 22

338 Das Staats^eitungstvesen der Römer.

delt sich um die Ablehnung der Beinamen ;,Antoninus'' und des „Grossen^' durch den Kaiser Alexander Severus. Die Historia Augusta, welcher es niemals um künstlerische Form, sondern um trockne Aneinanderreihung urkundlicher Documente zu thun ist, beginnt ohne Umschweife also (in Alex. Sev. c. 6 sqq.) : Aus der Staatszeitung vom 6. März (Ex Actis Urbis a. d. pridie nonas martias): Als der Senat sich in der Curie, nämlich im geweihten Tempel der Eintracht, zahlreich ver- sammelt und den Aurelius Alexander Cäsar Augustus zur Theilnahme eingeladen hatte, lehnte dieser es anfangs ab, weil er wusste, dass ihm zu erweisende Ehrenbezeugungen den Gegenstand der Verhandlung bilden sollten. Endlich er* schien er jedoch und wurde mit folgendem Zuruf empfan- gen: „Tugendhafter Augustus, mögen die Götter dich erhal- ten! Kaiser Alexander, mögen die Götter dich erhalten! die Götter gaben dich uns, mögen die Götter dich uns bewah- ren! die Götter haben dich den Händen eines Sünders [He- liogabaPs] entrissen, mögen die Götter dir langes Leben ver- leihen! Auch du hast das Joch des sündhaften Tyrannen ge- tragen; auch du seufztest beim Anblick des Sünders und Wollüstlings. Ihn haben die Götter ausgerottet, mögen dich die Götter erhalten! Mit Recht ward der schmachvolle Kaiser verurtheilt Heil uns unter deiner Herrschaft, Heil dem Staate ! Zum abschreckenden Beispiel ist der Schändliche am Haken geschleift worden, mit Recht bestraft der schwelgerische Kai- ser, mit Recht bestraft der Beflecker der Ehren. Dem Alex- ander verleihen die unsterblichen Götter Leben; hier offen- bart sich das Gericht der Götter !^^ Als Alexander seinen Dank ausgesprochen, erscholl der Zuruf: „Antoninus Alexander, mögen die Götter dich erhalten! Antoninus Aurelius, mögen die Götter dich erhalten! Antoninus Pius, mögen die Götter dich erhalten! Nimm den Namen Antoninus an, wir bitten dich ! Eingedenk jener guten Kaiser lass dich Antoninus nen- nen! Reinige du den Namen der Antonine; was Jener schän- dete, das reinige du! Stelle die Würde des Antoninischen Namens wieder her. Möge das Blut der Antonine sich in dir erkennen ! Räche die Verunglimpfung des Marcus/ räche

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Die Siaats^tung der Monarchie. 339

die Verunglimpfung des Verus, räche die Verunglimpfung des Bassianus! Schlimmer als Gommodus war allein Helio- gabal; er war weder Kaiser noch Antoninus, noch Bürger, noch Senator, noch adelig, noch Römer. In dir ruht unser Heil, in dir unser Leben, damit wir des Lebens froh wer- den! Es lebe Alexander den Antoninen gleich, damit wir des Lebens froh werden! Er werde Antoniuus genannt, als An- toninus weihe er die Tempel der Antonine! die Parther und die Perser besiege Antoninus! den geweihten Namen em- pfange ein Geweihter! den geweihten Namen empfange ein Reiner! den Namen des Antoninus, den Namen der Antonine mögen die Götter beschützen! In dir und durch dich besit- zen wir Alles, o Antoninus!'^ Auf diese Acciamationen ant- wortete Aurelius Alexander Cäsar Augustus: „Dank sei euch, versammelte Väter, nicht jetzt zuerst, sondern auch wegen der Gäsarwürde, wegen der Erhaltung meines Lebens, we- gen der Ertheilung des Augustustitels, der Oberpriesterwürde, der tribunicischen und der proconsularischen Gewalt: Ehren, die ihr mir durch eine Gunst ohne Gleichen, sämmtlich an Einem Tage beigelegt." Kaum hatte er diese Worte gespro- chen^ als man ihm von Neuem zurief: „Alle diese Ehren hast du angenommen, so nimm nun auch den Namen Anto- ninus an! das darf der Senat, das dürfen die Antonine ver- dienen! Antoninus Augustus, mögen die Götter dich schützen! Mögen die Götter dich Antoninus erhalten! den Münzen werde der Name der Antonine zurückgegeben, die Tempel der An- tonine weihe ein Antoninus!" Aurelius Alexander Augustus erwiederte: „Ich beschwöre euch, versammelte Väter, ver- setzt mich nicht in die bedenkliche Nothwendigkeit, einem so grossen Namen genügen zu müssen; zumal da schon der Name den ich führe, obwohl ein ausländischer [Alexander], mir eine Bürde scheint Fürwahr, alle solche ausgezeichnete Namen sind niederdrückend. Wer wollte etwa einen Stum- men Cicero nennen? wer einen Unwissenden Varro? wer einen Ruchlosen Metellus? Und was die Götter verhüten mögen wenn Jemand ohne seinem Namen zu entsprechen im Glänze der höchsten Würden verweilt, wer würde ihn

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340 Das Staatszeitungstvesen der Römer.

dulden?^' Die nämlichen Acciamationen erschollen^ wie zu- vor; der Kaiser aber sprach: „Von welcher Bedeutung der Antoninen Name (nomen) oder vielmehr ihr himmlisches Wal- ten (numen) war, das ist gewiss, geneigte Väter, noch in eurem Gedächtnisse. Gilt es Frömmigkeit: wer war heiliger als Pius? Gilt es tiefes Wissen: wer weiser als Marcus? Gilt es Redlichkeit: wer offener als Verus? Gilt es Tapfer- keit: wer tapferer als Bassianus? Denn des Gommodus will ich jetzt nicht gedenken, der eben um so verabscheuungs- würdiger war, weil er bei solchen Sitten den Namen Anto- ninus beibehielt. Diadumenus aber war noch zu jung, hatte noch nicht Zeit gehabt den Namen zu verdienen, den die Schlauheit des Vaters ihm zuführte." Wiederum erfolgten Acciamationen, wie zuvor. Der Kaiser fuhr fort: „Neuerlich aber wohl erinnert ihr euch dessen, versammelte Väter! als jenes Ungethüm, das an Schaamlosigkeit nicht nur alle zweifussigen, sondern selbst alle vierfussigen Geschöpfe über- traf, den Namen Antoninus sich anmasste und in Schand- thaten und Schwelgereien den Sieg über die Nerone, die Vi- tellier und die Gommodus davontrug: wie war da das Seuf- zen allgemein, wie herrschte da unter allen Klassen des Volkes und in allen ehrenwerthen Kreisen nur Eine Stimme darüber, dass dieser nicht mit göttlichem Rechte (rite) An- toninus heisse, und dass durch diese Pest der so erhabene Name geschändet werde." Bei diesen Worten rief man ihm zu: „Solch' Unglück mögen die Götter verhüten! Unter dei- ner Herrschaft fürchten wir dies nicht; unter deiner Führung sind wir davor sicher. Du hast gesiegt über die Laster, ge- siegt über die Verbrechen, gesiegt über die Schmach. Du hast dem Namen Antoninus Ehre gemacht. Wir sind unbe- sorgt, wir sind voll guten Vorurtheils. Wir haben dich von Kindheit an erprobt und erproben dich auch jetzt." Der Kai- ser erwiederte: „Nicht deshalb, versammelte Väter, scheue ich mich jenen in Aller Augen so ehrwürdigen Namen an- zunehmen, weil ich besorgte, ich möchte in ein ähnliches lasterhaftes Leben verfallen, oder weil ich mich des Namens schämte; allein einmal widersteht es mir, den Namen einer

Die Staatsieitung der Monarchie. 341

fremden Familie mir anzumassen, und andrerseits glaube ich auch, dass dessen Gewicht mich niederdrücken dürfte/' Neue Acclamationen wie zuvor. Dann fuhr er fort: „Gewissl so gut wie den Namen des Antoninus, kann ich auch den Na- men des Trajan und des Titus und des Yespasian annehmen/' Bei diesen Worten unterbrach ihn der Ruf: „In gleichem Sinne wie Augustus, so heisse auch Antoninus!'' Darauf der Kaiser: „Ich sehe wohl, versammelte Väter, was euch be- wegt, diesen mir beizulegen. Der erste Augustus ist der erste Urheber des Reiches, und sein Name ist uns Allen gleich- wie durch Adoption oder Erbrecht überkommen; die Anto- nine selbst hiessen Augusti. Den Namen Antoninus dagegen hat Pius nach wirklichem Adoptionsrecht auf Marcus und Verus übertragen; Gommodus erhielt ihn als ein Erbstück; bei Diadumenus war er etwas Absichtsloses, bei Bassianus eine AflTectation und bei Aurelius Alexander würde er lä- cherlich sein." Nunmehr erscholl der Zuruf: „Alexander Au- gustus, die Götter mögen dich schützen! Heil ob deiner Be- scheidenheit, deiner Klugheit, deiner Untadelhaftigkeit, deiner Sittenreinheit! Jetzt erkennen wir, was du uns sein wirst; hieran erproben wir dich! Du wirst es bewirken, dass die Fürsten wählen des Senates gut ausfallen; bewirken, dass das ürtheil des Senates für das beste gilt. Alexander Augustus, mögen die Götter dich schützen! Mag denn der Antoninen Tempel Alexander Augustus weihen! Dich, unsern Gasar, un- sern Augustus, unsern Imperator, mögen die Götter erhalten! Sieg, Glück und Herrschaft viele Jahre lang!" Kaiser Alex- ander nahm von Neuem das Wort: „Ich sehe, versammelte Väter, dass ich erreicht habe was ich wollte, und ftlr diese Gewährung kann ich nicht umhin die grösste Erkenntlichkeit zu hegen und zu bethätigen, indem ich danach ringen werde, dass auch der Name den ich mit auf den Thron gebracht würdig genug sei, um von Anderen begehrt und guten Für- sten durch das Urtheil eurer Pietät zuerkannt zu werden." Nach diesen Worten ertönte der Ruf: „Grosser Alexander, die Götter mögen dich schützen! Hast du den Namen Anto- ninus zurückgewiesen, so nimm den Beinamen des Grossen

342 Doi Staatszeitungswesen der Römer.

an! Grosser Alexander, die Götter mögen dich schützen!^' Als dieser Ruf sich immer wieder erneuerte, sagte Alexander Augustus: „Eher durfte ich^ versammelte Vater, den Namen der Antonine annehmen; denn dafür Hesse sich doch, wenn auch nur einigermassen, die Blutsverwandtschaft oder der gleiche Beruf zur Führung des kaiserlichen Titels geltend machen. Aus welchem Grunde aber sollte ich den Namen des Grossen annehmen? Was habe ich denn schon Grosses gethan? Alexander hat ihn erst nach grossen Thaten, Pom- pejus erst nach grossen Triumphen angenommen. Lasset also ab, ehrwürdige Väter, und selbst grossmächtig (magnifici) wie ihr seid, haltet mich lieber für einen der Eurigen, als dass ihr den Namen des Grossen auf mich übertraget/' Hier- auf erschallten die Acciamationen : „Aurelius Alexander Au- gustus, die Götter mögen dich schützen !'' und so weiter wie es Sitte war (Et reliqua ex more).

Damit endet, nicht die Sitzung denn nach dieser glor- reichen Debatte wurden noch andere Dinge verhandelt (ib. c. 12) , wohl aber das Excerpt des Verfassers, demgemäss der Monarch allerdings dem servilen Senate gegenüber im vortheilhaftesten Lichte erscheint Eines weiteren Gommen- tars dieser und ähnlicher Stellen bedarf es nicht; das einzig Interessante ist das Resultat, dass die Staatszeitung höchst langweilig war.*)

III. Volksberichte die Acta populi im eigentlichen und ursprünglichen Sinne. Hier offenbarte sich in dem Ge- halt der Staatszeitung der ungeheuerste Abstand zwischen den

*) Le Giere hat die Stellen aus der Bist. Aug. über Marc. Au- rel (p. 397 sq.) und über Commodus (p. 399 sqq.), sowie aus Au- rel Vict. überPertinax (p. 405 sq.) mil Unrecht unter die Zeitungs- fragmente aufgenommen. Zwar standen sie sicher in den Senats- protokollen; dass sie aber daraus in die Acta populi übergegangen wären, dafür findet sich nicht die leiseste Andeutung, und die blosse Voraussetzung ist um so gewagter, als anerkannterweise die Ver- fasser der Hist. Aug. und die Gewährsmänner derselben so gut wie vor ihnen Tacitus, Sueton u. a. Geschichtschreiber auch unmit- telbar aus den Senatsprotokollen schöpften. Nicht minder unbe- gründet sind die sämmtlichen Gitate bei Le Giere p. 418.

Die Staatss&eitung der Monarchie. 343

Zeiten der Republik und denen der Monarchie. Denn ein poli- tisches Interesse konnten diese Berichte nur so lange gewäh- ren, als sie der Thatenreflex der souveränen oder autonomen Volksversammlungen waren, als die Regesten derselben ihren Mittelpunkt bildeten. Schon in den Anfängen des Principates aber, wie wir neulich zeigten (Heft 1. dieser Zeitschr. S. 37 ff.), verschwanden die Rechte des Volkes^ verstummten die Go- mitien. Und je mehr dergestalt die politische Bedeutung des Volkes und der Gomitien erlosch, je mehr schrumpften auch die Volksberichte zusammen, je mehr wurde diese Rubrik auf das sociale Leben angewiesen und mit Referaten gefut- tert, die ebenso schaal als unschädlich waren. Hier fand das Volk täglich die sprechenden Beweise seiner Erniedrigung; doch nahm unter den Wirkungen der Zeit und dieses offi- ciellen Gängelbandes die Zahl derer mehr und mehr ab, de- nen der Vergleich mit der Vergangenheit die Gegenwart zu entwürdigen schien. Hofdienste Gnaden und Aemter Hessen den Ehrgeizigen, Almosen Brodspenden und Spiele den Müs- siggänger den Verlust souveräner Rechte vergessen. Von Geschlecht zu Geschlecht gewann der politische Indifferen- tismus grösseres Terrain.

Debatten der Volksredner also, Plebiscite und Leges im eigentlichen Sinne oder Volks ge setze, sowie auch Volks- wahlen, konnte die Staatszeitung wenigstens seit der Re- gierung des Tiberius (s. Heft l.S. 47 f. 56 f. 61), dessen Politik das System der Centralisation selbst gewaltsam ins Leben einführte, nicht mehr mittheilen; wohl aber durfte sie nun um desto ausführlicher von Volksfesten und Lustbarkeiten Kunde geben, von Gircusspielen und Gladiatorenkämpfen, überhaupt von Allem, worin das Wesen der Dinge am we- nigsten besteht.

Nur, wie im wirklichen Leben an die Verkündigung der vom Fürsten und dem Senate vollzogenen Wahlen und Ge- setze vor den Schattenbildern der abgestorbenen Gomitien (s. Heft 1. S. 49 f. 57 f.), so knüpften sich in den Mittheilungen der Staatszeitung an die Berichte über diese Verkündigungs- scenen für das Volk die einzigen politischen Erinnerungen

344 Das StaatszeUungswesen der Römer.

grösserer Tage an. Allein auch diese Erinnerungen mussten für den bessern Theil desselben betrübend und demüthigend erscheinen. Denn statt der Resultate seiner Abstimmungen las es jetzt nur die Zergliederung seiner tausendstimmigen Acciamationen. Die Renunciation der vom Senat vollzogenen Kaiserwahlen spielte eine Hauptrolle. Die Historia Augusta hat uns bei Gelegenheit der £rwählung des Kaisers Tacitus in einem kurzen Auszug das Bild einer solchen Scene erhal- ten, das der Verfasser oder sein Gewährsmann nirgend an- ders woher entlehnt haben kann, als aus der von ihm aus- drücklich benutzten Staatszeitung (inProb. c. 2: usus ... actis etiam senatus ac populi). Es heisst daselbst (inTacit. c. 7): „Aus dem Senat begab man sich auf das Marsfeld. Dort be- stieg Tacitus die Gomitialbühne und der Stadtprafect Aelius Gesetianus hielt folgende Anrede: „„Hochwürdige Soldaten und hochverehrte Quiriten (Vos, sanctissimi milites, et sacra- tissimi vos Quirites)! Ihr habt nunmehr einen Fürsten, wel- chen nach dem Wunsche aller Heere der Senat erwählt hat. Tacitus ist es, dieser hocherhabene Mann, der, wie er bis- her durch seine Rathschläge das Gemeinwesen förderte, nun- mehr dasselbe durch seine Befehle und Beschlüsse fördern mag.''" Sogleich erhob sich das Beifallsgeschrei des Volkes: „„Glückseligster Tacitus Augustus, mögen die Götter dich erhalten!"'' und was man sonst noch bei solcher Gelegenheit zuzurufen pflegt" (et reliqua, quae solent dici).

Zuweilen Hessen sich auch statt der früheren Volksred- ner die Kaiser selbst vor dem Volke vernehmen, und die Staatszeitung ermangelte nicht, dergleichen Acte zu beschrei- ben und die kaiserlichen Reden wiederzugeben. So las man darin, als Alexander Severus mit prächtigen Siegesnachrich- ten von seinem in den Erfolgen sehr zweideutigen Feldzuge gegen Persien nach Rom zurückgekehrt war und zunächst dem Senate seine glorreichen Bulletins selbst verkündet hatte, wie er nach der Aufhebung der Senatssitzung sich auf das Capitol begeben, dort geopfert und die persischen Ge- wänder im Tempel niedergelegt, dann aber an das Volk eine Rede gehalten habe, etwa des Inhaltes: „Quiriten! Wir ha-

Die Staatszeitung der Monarchie. 345

ben die Perser besiegt; wir haben die Truppen beutebeladen zurückgeführt. Euch versprechen wir eine Geldspende; auch werden wir morgen im Circus persische Spiele veranstalten" (Hist. Aug. in Alex. Sev. c. 57. s. ob. S. 314, wo wir schon nachgewiesen, dass die als Quelle citirten Staatsannalen nichts anders gewesen sein können, als der betreffende Jahrgang der Staatszeitung).

IV. Magistratsberichf e. z. B. Mittheilungen aus den Verhandlungen vor den Gonsuln. Dahin gehört ein Begegniss unter Domitian im Jahre 846 oder 847, welches Plinius der Jüngere (epp. 7, 33) erzählt. Der Senat hatte ihn und den berühmten Herennius Senecio zu Vertretern der Provinz Bä- tica gegen Babius Massa bestellt; dieser war verurtheilt und sein Vermögen auf Senatsbeschluss vorläufig mit Beschlag belegt worden. Es war die Gefahr vorhanden, dass durch geheime Mittel und Opfer der Verurtheilte das Vermögen wieder an sich brächte und der Provinz die gebührende Schad- loshaltuttg entginge. Die beiden Advocaten wollten deshalb die Gonsuln bitten, dafür Sorge zu tragen, dass das Vermö- gen nicht durch die Verwahrenden verschleudert würde. „Wir kamen, erzählt er, zu den Gonsuln (venimus ad consules); Senecio sagte was zur Sache gehört, Einiges fügte ich hinzu. Kaum schwiegen wir still, als Massa sich beklagte, Senecio habe nicht die Pflicht eines Anwalts, sondern die Bitterkeit eines Feindes gegen ihn erfüllt, und denselben des Majestäts- verbrechens der beleidigten Ehrfurcht (impietatis) beschuldigte. Jedermann entsetzte sich. Ich aber sagte: ich fürchte, er- lauchte Gonsuln, Massa zieht mir durch sein Stillschweigen, insofern er nicht auch niich beschuldigt, den Vorwurf der Prävarication zu (d. h. den Verdacht, es insgeheim mit ihm gehalten, sein Interesse beim Process begünstigt zu haben). Dieser Ausspruch wurde sogleich aufgefasst und nachmals vielfach gerühmt." Und von diesem Hergange sagt nun Pli- nius vorher selbst, er wäre in den actis publicis verzeichnet. Die Scene desselben war allem Anschein nach nicht die Se- natsversammlung, wie Walch (ad Agricol. p. 113 sq.) und Zell (a. a. O.) annehmen, sondern das Audienzlocal der Gonsuln;

346 Das Siaatszeitungswesen der Römer.

daher es kurz zuvor heisst: Senecio, <)uuin explorasset« con- sules postulationibus vacaturos. Dafür als^ dass auch Senatsvorgänge in die Acta populi aufgenommen worden seien, dürfte wenigstens diese Stelle nicht, wie jene behaupten, einen Beleg geben. Dass es sich aber hier wirklich um ei- nen Artikel der Staatszeitung handelt, geht, wenn noch einem Zweifel Raum bleiben könnte, aus der ganzen Fassung des Briefes hervor. Dieser ist an den Geschichtschreiber Tacitus gerichtet, der diese Handlung des eitlen Plinius in seinen be- rühmten Historien verherrlichen soll. Und Plinius sagt: „ich bezeichne dir diese Handlung, obwohl sie, als in den actis publicis enthalten, deiner Aufmerksamkeit nicht entgehen kann. Nun hätte sie aber doch dem Tacitus sehr wohl entgehen können, wenn etwa hier die Actenstücke der Magistratsarchive, die Tacitus niemals citirt und unmöglich erschöpfend benutzen konnte, gemeint wären und nicht viel- mehr eben die Acta populi oder Urbis diuma, deren Jahr- gänge Tacitus offenkuudigerweise gewissenhaft durchmusterte und deshalb auch mehr wie einmal citirt.

y. Vermischte Nachrichten. Dieselben lassen sich etwa folgendermassen rubriciren, wobei es sich natürlich nur um die Unterscheidung des Inhaltes, nicht um die Gonstati- rung eines ofliciellen Schemas für die Reihefolge handelt:

1. Leichenbegängnisse vornehmer Personen. So wurden z. B. die Trauerfeierlichkeiten bei der Bestattung der Beste des Germanicus unter Tiberius im Jahre 773 ausführ- lich in der Staatszeitung beschrieben und die Functionen an- gegeben, welche die einzelnen Mitglieder des fürstlichen Hau- ses dabei übernommen hatten ; deshalb wundert sich Tacitus, selbst in diesem den Tagesereignissen gewidmeten Organe die Mutter des Germanicus, Antonia, nirgend bei dieser Feier besonders aufgeführt zu finden (Ann. 3, 3: matrem Antonianri non apud auctores rerum, non diuma actorum scriptura reperio uUo insigni officio functam, cum super Agrippinam et Drusum et Glaudium ceteri quoque consanguinei nominatim perscripti sint).

2. Localanordnungen. z.B. die Erweiterung der Stadt-

Die Staatszeitung der Monarchie. 347

grenzen unter Claudius (Tac. Ann. 12, 24: quos tum Clau- dius terminos posuerit facile cognitu et publicis actis per- scriptum).

3. Bauten. So gab die Staatszeitung sehr gewissenhaft fortlaufende lobpreisende Berichte über den Bau des Amphi- theaters unter Nero im Jahre 810; sie war von diesem Ge- genstande um so mehr erfällt, als Nero dafür sorgte, dass der Stoff zu wichtigeren Artikeln ihr gebrach und die Meldung denkwürdigerer Thaten eine Unmöglichkeit war. Daher schrieb Tacitus, nachdem er diesen Jahrgang durchblättert und die politische Ebbe darin wahrgenommen hatte, nicht ohne Bit- terkeit jene Worte nieder (Ann. 13, 31) : „Als Nero zum zwei- tenmal nebst L. Piso Consul war, geschah wenig, das der üeberlieferung werth wäre, man müsste denn etwa Lust haben, mit Lobpreisungen der Steinmassen und Gebalke, wo- durch der Kaiser den Koloss von Amphitheater am Marsfelde zu Stande brachte, die Bände anzufüllen, während es doch der Würde des Römischen Volkes entsprechend befunden ward, wichtige Ereignisse den Jahrbüchern anzuvertrauen (annalibus d.i. Geschichtswerken, wie sie eben Tacitus schrieb), dergleichen Dinge aber den Tagesblättem der Stadt zu überlassen" (diurnis ürbis Actis vgl. ob. S. 314). Wer sollte es glauben, dass die despotische Censur des Hofes sich sogar auf diese gleichgültigen Artikel erstreckte! Und doch war dem so. Unter Tiberius im Jahre 775 wurde der grösste Säulen- gang in Rom, der sich nach der einen Seite gesenkt hatte, auf eine bewunderungswürdige Weise wieder aufgerichtet Die Kunst des Baumeisters, der dieses Werk vollbrachte, er- regte so sehr die Missgunst des Kaisers, dass er verbot des- sen Namen in den Zeitungen anzugeben, damit derselbe nicht auf die Nachwelt käme (Dio 57, 21 : oiJx sitsrps^sv aoJrd iq Toe nj'sto/iivri/iiara icrypoKpUvat) ; und wirklich gerieth der- selbe dadurch in Vergessenheit. Dio, der nicht minder fleis- sig wie Tacitus die Jahrgänge der Staatszeitung bei seinem Geschichts werke zu Rathe zog, fand darin den Namen des Künstlers nicht, wohl aber wie es scheint die Beschreibung seines Verfahrens. „Er befestigte, heisst es, die Grundsteine

348 Das Staats^eitungswesen der Rötner.

des Säulenganges so, dass sie sich nicht verschieben konn- ten, Hess den übrigen Theil des Baues ganz mit wollenen und leinenen Decken umwickeln, das Ganze aber überall mit Seilen umspannen, und hob es dann durch das gleichzeitige Anziehen vieler Menschen und Maschienen wieder in die alte Lage.'^

4. Naturereignisse und Wunder. Im Jahre 800 d. St zeigte z. B. die Staatszeitung an, dass der Yogel Phönix er- schienen, eingefangen, nach Rom transportirt und auf Befehl des Kaisers Claudius nunmehr im Gomitium ausgestellt wor- den sei (Plin. H. N. 10, 2: actis testatum est. Solin. 33, 14: actis etiam Urbis continetur), Dass es indess ein un'ächter gewesen, setzt Plinius hinzu, würde Niemand bezweifeln.

5. Merkwürdige Vorfälle und Anekdoten. Unterm Uten April 749 meldete z.B. die Staatszeitung: G. Grispinus Hilarus, aus einer ehrenwerthen plebejischen Familie von Fä- sulä, habe in einer grossen und feierlichen Procession, be- gleitet von 9 Kindern, worunter 2 Töchter, von 27 Enkeln, 8 Enkelinnen und 29 Urenkeln, dem Jupiter auf dem Gapitol ein Opfer dargebracht (Plin. 1. c. 7, 13, 11 : in actis temporum divi Augusti invenitur, XII consulatu ejus, Lucioque Sylla collega, a. d. III Idus Aprilis etc.). Unterm lOten Januar 781 berichtete sie ein merkwürdiges Beispiel von der Treue und Hingebung der Hunde für ihre Herren. Als nämlich Ti- tius Sabinus und dessen Sklaven zum Tode verurtheilt wor- den, habe man nicht vermocht, den Hund eines der letzteren vom Gefängnisse zu entfernen; als man den Leichnam die Stufen der Gemonien hinabgeworfen, sei er dennoch nicht von dem Körper gewichen und habe, umringt von einer gros- sen Volksmenge, kläglich geheult und gewimmert; als ihm Jemand ein Stück Brod zugeworfen, habe er es zum Munde seines todten Herrn getragen, und sobald der Leichnam in die Tiber gestürzt worden, habe er sich nachgestürzt und den Körper schwimmend über dem Wasser zu erhalten gesucht, während die Menge von allen Seiten herbeigeströmt sei, um die Treue dieses Thieres zu bewundern (Plin. 1. c. 8, 40, 61: actis populi Romani testatum. vgl. Dio 58, 1 wo jedoch

Die Staatss^tung der Monarchie, 349

Sabinus selbst als Herr des Hundes gilt). Von der Gehässig- keit dieser Hinrichtung ohne gerichtlichen Urtheilsspruch, von der Schändlichkeit eines solchen Justizdespotismus, sprach natürlich die Zeitung nicht.

Zu dieser Rubrik dürfen wir auch wohl die Prophezeiung rechnen, welche die Historia Augusta in Opil. Macrin. c. 3 aus den Staatsannalen entlehnte d.i. aus einem der Jahr- gänge der Staatszeitung (s. oben S. 310). Die Himmelsprie- sterin zu Garthago, heisst es daselbst, welche von der Gott- heit beseelt die Zukunft zu verkünden pflegt, als sie einst unter Antoninus dem Frommen durch den Proconsul über die Lage des Staates und über die Herrschaft befragt wurde, befahl sobald sie auf die Fürsten zu reden kam, mit lauter Stimme zu zählen, wie oft sie Antoninus '' sage; und dar- auf, wie alle deutlich vernahmen, nannte sie den Namen „Antoninus Augustus'^ achtmal. Jedermann hatte daraus ge- folgert, Antoninus der Fromme werde acht Jahre regieren. Als aber derselbe diese Zahl von Jahren überschritt, so wa- ren die Gläubigen damals und später überzeugt, dass die Pro- phetin etwas anderes angedeutet habe; nämlich die Zahl de- rer, welche den Namen Antoninus führten d. i. Pius, Marcus Aurelius, Yerus, Gommodus, Garacallus, Geta, Diadumenus und Heliogabalus.

6. Hinrichtungen. Dass die Ankündigung derselben in der Staatszeitung mit Namhaftmachung der Delinquenten Regel war, ergiebt sich genugsam daraus, dass die geheime Hofjustiz der Tyrannen in gewissen Fällen eine Ausnahme forderte. So verbot Domitian im Jahre 844 ausdrücklich, die Namen der Hingerichteten daselbst aufzuführen, damit ihr Andenken nicht auf die Nachwelt käme (Dio67, 11: (So-^'JW liur\6ß/iu(x ^iVTj^LT] vdSv S^avaToxj^vwv 'UjtoksicpPji sxtjihvcrs crcpdq sg rd ajÄo^Lvri^aTa io'ypaq)i]a;at). Dies Verbot kann sich durchaus nur. auf die Acta populi beziehen; denn den betreffenden Executionen ging kein Process, keine schriftliche Verhandlung voraus {rwv y^a/n/naTwv xwpig), und Domitian referirte nicht einmal darüber im Senate (ibid.), so dass iu den geheimen Senatsprotokollen (Acta senatus, vÄo^LVTJ^iaTa

350 Das Staats^tungswesen der Römer.

rfiq ßiyvKiiQ. Dio 78, 22) jene Namen auch ohneYerbot gar keinen Platz finden konnten.

VI. PrivataDgelegenheiten. Diese begriffen nament- lich einzelne Anzeigen von Geburts- und Todesfällen, von Ehebündnissen und Scheidungen, doch mit Beschränkung auf die höheren Stände. Für die Geburtsanzeigen sind die Be- weise am deutlichsten. So fand Sueton darin, dass Tiberius am 16. Nov. 712 geboren sei (Tib. c. 5: Sic enim in fastos actaque publica relatum est. Die Zusammenstellung mit den Fastis lässt keinen Zweifel über die Bedeutung der Acta publica zu]. Ebenso ergab sich daraus, dass Galigula zu An- tium geboren wurde (Gal. c. 8: Ego in actis, Antii editum invenio ... Sequenda est igitur quae sola restat publici in- strumenti auctoritas.*) Diese Bezeichnung als ein öffent- liches Organ weist wiederum jede andere Deutung zurück; ja die Beziehung auf die Geburtslisten im Aerararchiv ist hier eine vollkommene Unmöglichkeit, da ja ein zu Antium Ge- bomer nicht in Rom angemeldet sein konnte). Zweifelhafter erscheinen die Stellen der Hist. Aug. in Gord. trib. c. 4 und in Ant. Diadum. c. 6., des Seneca de benef. 3, 16 u. A. Das Meiste überhaupt, was Lipsius und seine Nachfolger in die- sen Kreis ziehen, stellt sich allerdings als eine Verwechse- lung mit den Actis magistratuum dar, von denen ich ein an- dermal, handeln werde. Vornehmlich übersteigt der Glaube an die Namhaftmachung sämmtlicher Geburtsfalle in den Actis populi alle Wahrscheinlichkeit. Dazu war schwerlich Raum genug. Nur summarische Uebersiehten scheint es, sowohl der Geburts- wie der Sterbefälle, wurden wie bei uns in den Tagesblättern veröffentlicht. Darauf deutet zumal die merkwürdige Stelle im Petronius, wo zur PersifiQirung des Trimalchio, in der Art der Acta ürbis wie es ausdrück- lich heisst, und zur Parodirung derselben, eine formliche Zei- tung über die Ereignisse auf dessen Gütern vorgelesen wird Durch Petronius kommt uns daher überhaupt Inhalt und Form

*) Wer die Lesart „quae sola actorum restat et publici instr. auct." adoptirt, muss wohl wenigstens ut für ei setzen.

Die Staaiszeitung der Monarchie. 351

der Staatszeitung auf bessere und beglaubigtere Weise zur Anschauung, wie durch die Dodwell'schen Fragmente. Es heisst daselbst (Satyr, c. 53):

Actuarius ... tanquam Urbis acta recitarit:

„Den 26. Juli. Auf dem Gumanischen Landgute, welches dem Trimalchio gehört^ wurden 30 Knaben und 40 Mädchen geboren. Aus der Tenne in den Speicher wurden 500,000 Scheffel Getreide eingebracht .500 Ochsen wurden gezähmt. An demselben Tage wurde der Sklave Mithridates gekreuzigt, weil er von dem Genius unsers Gajus übel gesprochen. Am selben Tage wurden 100,000 Sesterzien, welche nicht placirt werden konnten, in die Kasse deponirt. Am selben Tage fand eine Feuersbrunst in den Pompejanischen Gärten statt, welche in der Wohnung des Pächters Nasta ausbrach.''

Wie? unterbrach Trimalchio, seit wann sind die Pom- pejanischen Gärten für mich angekauft? Im vorigen Jahre, versetzte der Actuarius, und deshalb sind sie noch nicht in den Rechenschaftsbericht gekommen. Trimalchio erblasste und rief: Was auch iiir Güter für mich angekauft sein mö- gen, wenn ich nicht innerhalb 6 Monaten davon in Kennt- niss gesetzt werde, so verbiete ich sie mir in Rechnung zu stellen.

Hierauf wurden auch die Edicte der Aedilen verlesen und die Testamente der Waldhüter, worin Trimalchio aus- drücklich enterbt wurde; dann die Schuldbestände der Päch- ter, und die Yerstossung einer Freigelassenen durch den Ober- aufseher, der dieselbe im Beischlaf mit einem Bader über- rascht hatte; die Verweisung eines Portiers nach Bajae, die Anklage gegen den Zahlmeister und der Urtheilsspruch von Seiten der Kammerdiener.

Soweit Petronius. Zu wie interessanten Yergleichungen mit den Zeiten Nero 's giebt nicht dies Product der Phantasie Anlassl Es offenbart sich in ihm eine feine und doch sinn- liche Ironie, sowohl gegen die ganze saubere Wirthschaft des damaligen Hofes und die Rechtslosigkeit der Zustände, wie gegen die Schaamlosigkeit, mit der die Staatszeitung sich zum ofßciellen Ausdruck der Regierung machte, gegen die poli-

352 Das Staatszeitungswesen der Römer.

tische Bedeutungiosigkeit und Nüchternheit, die sie durch athemiose Kleinigkeitskrämerei und durch ein bunt geschmink- tes Golorit vergeblich der Aufmerksamkeit zu entziehen suchte. Sie war und blieb nur ein klägliches Surrogat dessen, was sie einst gewesen und unter dem Drange der Umstände nicht mehr sein konnte. Ihre Bedeutung fiir den Geschichtschrei- ber der Kaiserzeit wie Tacitus, Sueton und Dio Gassius, be- stand nur darin, dass sie als privilegirtes amtliches Organ der Staatsgewalten einen mageren Extract der Staatsereignisse enthielt, soweit deren Veröffentlichung aus dem geheimen Ka-' binetsarchiy (scrinium principis, secreta principis), dem Archiii der kaiserlichen Staatskanzlei (scrinia palatii], den Senatspro- tokolien (acta senatus) und den Magistratsarcbiven (acta ma- gistratuum) der Begierung räthlich oder zulässig erschien. Die gewissenhafte Forschung durfte sich mit ihnen ebenso wenig oder weniger noch begnügen, wie wir etwa mit den Zeitungs- nachrichten unserer Tage; und sie that es nicht. Als nach- mals aber Schriflsteller wie die Verfasser der Historia Au- gusta, nicht mit Maass und Vorsicht, sondern mit wahrer Wollust diesen Staub und Plunder aufwühlten, um nur ihre Aermlichkeit mit Lumpen und buntem Flickwerk zu ver- decken: da war es klar, dass die Geschichtschreibung des Alterthums ihrem Grabe entgegenging.

Redaction und Publication.

Der vollständige und eigentliche Titel der Staatszeitung lautete unzweifelhaft: „Acta populi Romani diuma.^' Daraus entstanden aber der Kürze halber die Bezeichnungen „Acta diuma" und „Acta populi" (hierfür wieder „Acta publica"), oder auch ganz einfach „Diurna" und „Acta" vorzugsweise als (Jniversaljournal, sowie einst die „Annales pontificum maximorum" als Universalchronik vorzugsweise „Annales" genannt wurden. Da Rom den Staat repräsentirte, so muss- ten natürlich die Ereignisse der Hauptstadt den Hauptinhalt der Acta ausmachen, und daraus erklärt sich nun auch die Benennung „AcU ürbis" und „Acta urbana."

^ Die Redaction, über die wir noch im Dunkeln sind, wurde

Redaction tmd Publication. 363

wahrscheinlich durch die Stadtquästoren, nachmals durch den Stadtpräfecten , mit Hülfe vieler Schreiber (scribae, librarii, actuarii oder actarii, notarii, censuales) besorgt. Jedoch stand dieselbe, wie sich von selbst versteht und wir schon vielfach zu bemerken Gelegenheit hatten, durchaus unter dem Ein* fluss des Hofes. Schon unter Gäsar's Dictatur büsste die Staatszeitung ihre Unabhängigkeit ein. Seitdem waltete eine strenge Gensur. Auf höchsten Befehl wurde das eine und andere eingerückt oder dies und jenes übergangen. Die freisinnigen Anfänge eines Tiberius, Galigula und Nero, muss- ten zwar auch eine günstige Rückwirkung auf die Haltung der Staatszeitung ausüben; allein jene Ghancen währten nicht lange, und der Liberalismus wich nur einer um so drücken- deren Gedankentyrannei. Der intrigante Tiberius, vor dessen geheimer Polizei auch das Geheimste nicht verborgeü blieb (s. Tac. Ann. 1, 74. vgl. 4,67. 6, 7), affectirte zumal sehr eifrig einen Schein von erhabener Freisinnigkeit, indem er alle, selbst die gröbsten Schmähungen der Opposition durch die Tagesblätter veröffentlichen Hess, doch eben nur, wie sich früher zeigte (S. 335], um desto ungescheuter und sicherer seine Opfer zu treffen. Selbst in Aeusserlichkeiten machte sich dieser Einfluss geltend, so dass z. B. die von Glaudius erfundenen 3 Buchstaben gleich in der Staatszeitung zur An- wendung gebracht wurden, wie Sueton (Glaud. 41) erzählt: exstat talis scriptura in plerisque libris, actis diurnis (für: ae diurnis) titulisque operum» Der Styl stellt sich als eine Vermittlung der Umgangs- und der Büchersprache dar« Da- her sagt Quintilian (X. 3, 17 sq.): Ex Graeco translata vel Sallustii plurima, quale est: Vulgus amat fieri ... Et jam vul- gatum Actis quoque: Saucius pectus.

Die tägliche Publication geschah ohne Zweifel in dop*« pelter Art: einmal wurde gewiss zur Kenntnissnahme für Alle, namentlich für die ärmeren Klassen, eine Tafel öffent^ lieh ausgestellt;*) dann aber auch eine Menge von Exempla-

*) Hierauf zumal bezieht sich wohl das ex aünalibüs senaluft auctoritate erasum der Bist. Aug. in Alex. Sev. c. 1. vgl. S. 311.

Zeitoehrift f. GeMkicbtoir. 1. 1844. 23

354 Das Staatszeitungswesen der Römer.

reo auf gewöhnlichem Schreibmaterial in die vornehmen und reicheren Häuser der Hauptstadt, so wie durch ganz Italien und alle Provinzen ausgegeben. Daher sagt Juvenal in sei- ner Schilderung des müssigen und grausamen Treibens der römischen Damen Sat YL 482 sqq.: pictae vestis considerat aurum, Et caedit; longi relegit transversa diurni, Et caedit*) und Gossutianus bei Tacitus in der schon ange-^ führten Stelle Ann. XVI. 22: diurna populi Rom. per pro- vincias, per exercitus curatius ieguntur. Ob die Exem- plare gestempelt oder von Amtswegen signirt wurden, weiss ich nicht zu sagen ; es hat Manches ifiir und wider sich. Je- denfalls wurden Originalabschriften öffentlich aufbewahrt. Die versandten Acta mögen nicht immer ohne Zusätze gebliehen sein, oft auch wie in Cicero's Zeit nur die Anknüpfungspunkte gründlicherer Privatcorrespondenzen gebildet haben; denn wre damals, so Hessen noch jetzt abwesende Staatsmänner an ihre Freunde zu Rom die Mahnung ergehen: „urbana acta par- scribe" (Plin. epp. 9, 15). Dass es neben der ofSciellen Zei- tung noch Privatinstitute ähnlicher Art, etwa als Unterneh- mungen von Budbhändiern oder Sdireibem, gegeben habe, ist zumal für die Zeiten der eifersüchtigen Kaiserherrschaft höchst unwahrscheinlich; keine Spur berechtigt zu einer sol- chen Annahme. Sie würde auch sicher dann keine Begrün- dung finden, wenn man über die mehrerwähnte compilatio Chresti (s. S. 321. 326 f.], sowie über die Bedeutung der re- gesta scribarum porticus Porphyreticae (Hist Aug. in Prob, c. 2) und ähnliche Institute vollständig auf's Reine kommen könnte; jene Regesten werden wenigstens von d«n actis se- natus und populi in der angeführten Stelle deutlich unter- schieden. Jedenfalls erinnern die Acta vielfach an die spä- teren Informationi und Fogli d'awisi Italiens, die zwischen ihnen und den modernen, durch die Presse einflussreicheren Zeitungen eine Art von Uebergang bilden. Dass in der Kai-

♦) Ich weiss wohl dass Viele, und selbst der Scholiast, unter düirmtm hier den Tagesbericht des Hausintendanten verstehen ; doch bleibt mir die Beziehung mindestens zweifelhaft.

RedacHon und Publication, 355

serzeit, ungeachtet des Verfalls der politischen Artikel, das äussere Interesse an den Actis populi bedeutend, ja bedeu- tender sein musste wie in der Republik, ist klar genug; denn je mehr die Oeffentlichkeit schwand, je geringer die Zahl de- rer wurde, welche noch an der Regierung Antheil hatten, je mehr nahm natürlich die Zahl derjenigen zu, welche aus der Staatszeitung allein eine gewisse, wenn auch nur dürftige Relehrung über den Gang der Verwaltung schöpfen konnten. Unbeträchtlich kann der Umfang der einzelnen Tagesnum- mern nicht gewesen sein; dies ergiebt sich sowohl aus der Mannigfaltigkeit des Stoffes, als aus JuvenaFs Worten.

Adolph Schmidt

23*

Der ietxlge Zustand der nittnzkiindllcheii

ü^lsjieiijicliaft«

Die Münzen gew'ähren em doppeltes historisches Interesse, zuerst ein gewissermassen inneres, als Geld, also in staats- ökonomischer Beziehung, dann ein äusseres, durch die Vor- stellungen, welche sie tragen.

In ersterer Beziehung haben schon die Alten, namentlich Dardanos, Diodor, Heron, Didymos, Priscian u. A. die Nu- mismatik behandelt: den archäologischen Nutzen aus ihr zu ziehen, konnte natürlich nur eine Aufgabe für neuere Ge- lehrte sein.

Der grosse Yortheil, die grosse Unterstützung, welche die Münzen dem Studium der Geschichte gewähren, sind schon vielfach anerkannt worden. Die Geschichte ganzer Dy- nastien, ja grosser Reiche lässt sich einigermassen nur durch ihre Münzreihen herstellen; jeder weiss wie wichtig die Mün- zen sind für die Epigraphik, Mythologie, Ikonographie^ He- raldik u. s. w. Andererseits sind aber zu genauer Erklärung der Münzen auch gründliche historische Kenntnisse erfor- derlich. Wir erwähnen beispielsweise hier nur die Münzen der Königin Philistis. Dass dieselbe in Sicilien gelebt hat, wie sie ausgesehen, sogar approximativ die Jahre, in welchen sie herrschte, kann der Numismatiker wohl bestimmen: ihre näheren Lebensumstände, welche gewiss zur Erklärung der langen Münzreihe, die man von ihr aufzuweisen hat, beitra- gen, zu erforschen, das ist die Aufgabe des Historikers.

Um sich aber specielle numismatische Kenntnisse zu er- werben, muss man bei dem jetzigen Zustande der Münzkunde

Der jetzige Zustand der münakundL Wissenschaft. 3^7

viel Zeit und Mühe verwenden. Meist wird daher dem 6e- schicbts- und Alterthumsforscher die Müsse dazu fehlen: er ist auf die im Fache der Numismatik erschienenen Bücher angewiesen, die ihm aber in vielen, ja in den meisten Fällen den Rath, welchen er in ihnen zu suchen gedenkt, versagen werden. Viele und grosse Länder entbehren noch ganz der numismatischen Bearbeitung, andere können nur dürftige und unvollständige Beschreibungen ihrer Gepräge aufweisen. Die Zahl der grösseren gründlichen münzkundlichen Schriften ist sehr gering.

Um aber mit gehörigem Erfolge in der Numismatik zu arbeiten, muss man ihr ein ganzes Leben widmen. Wie we- nige Gelehrte vermögen dies aber aus eigenen Mitteln? Es ist daher die Pflicht des Staates, mit gründlichen Vorkennt- nissen begabte Männer zur Bearbeitung seiner Münzgeschichte durch eine angemessene und ehrenvolle ihnen dargebotene Stellung zu gewinnen. Was auf diese Weise erzielt werden kann, das beweisen wohl zur Genüge die beiden einzigen von Staatswegen der Numismatik bestimmten Stellen: die Pro- fessur der Münzkunde an der Wiener Universität, mit wel<« eher bekleidet Eckhel seine unsterbliche Doctrina nümmorum veterum schrieb und der Fauteuil, bestimmt der Numismatik in der Königl. Akademie des inscriptions et helles lettres zu Paris, in welchem Mionnet seine mühsame, von eisernem Fleiss zeugende Description des m^dailles Grecques et Ro- maines verfasste. Dank der Oesterreichischen, Dank der Fran- zösischen Regierung, dass sie durch ihre Liberalität die bei* den umfassendsten, unentbehrlichsten Werke ins Leben riefen.

Ist nun auch durch diese beiden Werke gewiss-ermas- sen die Aufgabe für die alte Numismatik gelöst, d. h. bie- ten sie dem Historiker und Alterthumsforscher das Material iiir ihre Untersuchungen, so bleibt doch auch für die alte Münzkunde noch unendlich viel zu thun übrig. Zwar findet man selten antike Münzen, die noch nicht bekannt gemacht sind, aber wie viele der schon vielfach beschriebenen sind noch nicht gehörig erklärt, aus wie vielen ist noch nicht der Nutzen gezogen, den sie ßxt die Geschichte enthalten!

358 Der jetzige Zttetand der

, Betrachten wir kurz was seit Eckhel, Mionnet und Se« itini auf dem Gebiete der alten Münzkunde geschehen ist

Unter den Italienischen Arbeiten sind besonders die fon Biccioy das vollständigste Werk über die Römischen Fa- milienmünzent ferner das tüchtige, fleissige Buch von Marchi und Tessieri: TAes grave del Museo Kircheriano hervorzu- heben. Daran schliessen sich die Werke von Mi Hingen: Gonsid^rations sur la Mumismatique de l'ancienne Italie und Fiorelli: osservazioni sopra talune monete rare di cittji Gre- che. Auch enthalten die Annali und das Bulletino des ar- chäologischen Instituts zu Rom manche interessante numis- matische Aufsätze von Gavedoni» Fontana, Minervino, Rathgeber u. A.

Ausser deSaulcy's essai de Classification des monnaies autonomes de l'Espagne ist für Spaniens alte Numismatik in neuester Zeit (seit Sestini's descrizione delle medaglie Ispane) gar nichts geschehen. In Portugal ist unseres Wis- sens in diesem Jahrhunderte nur das Lexicon numismogra- phiae Lusitaniae (Lissabon 1835] herausgekommen. Viele Werke haben wir dagegen Französischen Gelehrten zu verdanken. Ihr Eifer und Fleiss hat sich vorzüglich den früher sehr ver- nachlässigten vaterländischen (Gallischen] Münzen zugewendet, welche namentlich de la Saussaye (Numismatique de la Gaule Marbonnaise), Gartier, der Baron Grazannes, Bar- th61emy, der Marquis deLagoy (meist in der von Gartier und de la Saussaye redigirten trefflichen Revue numisma- tique] durch interessante Beiträge bereichert haben. Ihnen aehliesst sichLelewel an durch seine 6tudes numtsmatiques et arch^ologiques, type Gaulois, ein fleissiges, viel Aufschluss gebendes Werk.

Ueber andere antike Münzen haben ausser den angeführ- ten Gelehrten geschrieben, vor Allen Letronne, dessen Gon- sid^rations g6närales sur F^valuation des monnaies Grecques et Romaines, Tabulae octo nummorum, ponderum etc. und die Aufsätze über die Münzen der Ptolemäer von tiefer, gründ- licher Gelehrsamkeit zeugen, femer der Herzog von Luynes, Lenormant, Miliin, du Mersan, de Witte, Raoul-

mün^kundUchen Wissenschaft 369

Rocbette, de Longp^rier u. A. Die meisten ihrer Auf- sätze sind in der erwähnten Revue numismatique mitgetheilt

In den Niederlanden ist in letzter Zeit für das Stu- dium alter Münzen wenig gethan. Gewiss wird dasselbe durch die seit einiger Zeit bestehende numismatische Gesellschaft zu Tirlemont neuen Aufschwung erhalten.

Mehr geschieht in England, dessen schöne und reiche Sammlungen zum münzkundlichen Studium anregen. An der Spitze der Englischen Mumismatiker steht der unermüdliche J. Yonge Akerman, Secretär der numismatischen Ge- sellschaft. Von ihm giebt es verschiedene Werke, von wel- chen wir besonders: a descriptive Catalogue of rare and une- dited Roman Goins, Coins of the Romans, relating to Britain (zweite Ai^flage), numismatic Manual und das noch nicht voll- endete Greek Goins of Gities and Princes hervorheben. Dann gebührt Akerman das Verdienst, eine Zeitschrifl; für Münz- kunde (von welcher als numismatic Journal drei und als nu- mismatic Ghronicle sechs Bände bereits erschienen sind], be- gründet zu haben, in welcher die antike Münzkunde, ausser durch den Herausgeber, namentlich durch Birch und Bor** rell, zwei eifrige Sammler, vertreten wird. Auch die Werke von Gardwell (Lectures on the Goinage of the Greeks and Romans}, Payne-Knight (nummi veteres civitat etc.), Wil- son (Ariana antiqua), Prinsep (in Galcutta) und Gombe dürfen wir nicht mit Stillschweigen übergehen. Millingen, welcher seit langer Zeit sich in Italien aufhält, haben wir bereits oben erwähnt

In Dänemark, wo an der Spitze der Münzkenner der König selbst steht, haben Ramus, Falbe und der leider für die Wissenschaft zu früh gestorbene Bröndsted vielfach die alte Münzkunde bereichert Falbe wird binnen Kurzem un- ter den Auspicien des Königs ein umfassendes Werk über die alten Münzen Afrika 's herausgeben, dessen epigraphi- scben Theil, so weit er das Punische betrifft, der rühm- lichst bekannte Orientalist Lindberg bearbeitet

In Russland haben sich v. Köhler, v. Bartholomaei, V. Morgenstern und v. Preller (die beiden letzteren in

360 Der jetmge Zustand der

Dorpat) zum Theil nicht geringe Verdienste um die Numis- matik erworben.

Verhältnissmassig wenig ist für die alte Münzkunde da- gegen in Deutschland geschehen. Vt^ohl mögen dies die an antiken Münzen verhältnissmüssig armen Sammlungen die- ses Landes verschulden. Dennoch verdanken die Münzfreuhde das trefflichste numismatische Werk, welches in diesem Jahr- hundert erschienen ist, einem Deutschen Gelehrten. V(^ir mei- nen Boeckh's Metrologie, worin die alten Münzfüsse auf das Scharfsinnigste und Gründlichste dargestellt sind. Zu den achtbaren Deutschen Forschem auf dem Gebiete der alten Münzkunde gehören femer: v. Steinbüchel und Arneth, Eckhel's Nachfolger, beide in Wien, Streber in Mün- chen, Gerhard, Panofka und Pinder in Berlin, Lasi- sen in Bonn u. s. w. Auch theilen die mit dem Jahrgang 1838 beschlossenen Blätter für Münzkunde, von Grote zu Hannover herausgegeben, ferner die Leitzmann'sche numis- matische Zeitung und die vom Schreiber dieses im J. 1841 begonnene Zeitschrift für Münz-, Siegel- und Wappenkunde manche Aufsätze über antike Münzen mit, von Grote fend, Rathgeber, v. Donop, v. Rauch u. A.

Bleibt nun auch für die alte Münzkunde, namentlich für die Gepräge Asiens noch Manches zu thun übrig, wie viel mehr muss für die mittelalterliche Numismatik geschehen, um welche man sich noch gar zu wenig bekümmert hat! Hier ist die Aufgabe, ein Lehrgebäude zu errichten, wie es Eck- hei für die antike Münzkunde erbaut hat. Aber um dies zu versuchen, sind noch unendlich viel Vorarbeiten nöthig! Zwar ist die Anzahl der guten Monographien über die Mittelalter- münzen nicht gering, um aber ein Ganzes, ein System bilden zu können, müssen noch viel tüchtige Schriften verfasst wer- den. Wohl mögen die Schwierigkeiten, welche dem Forscher in mannigfacher und in grösserer Anzahl bei den mittelal- terlichen, als bei den antiken Münzen entgegentreten, man- chen abgeschreckt haben, ersteren seinen Fleiss zuzuwenden. Kann man auch den mittelalterlichen Münzen Kunstwerth nicht absprechen, so muss man doch gestehen» dass sie in

mümkundlichen Wissenschaft 361

dieser Beziehung von den alten übertrofien werden; dazu kommt, dass wir aus dem Mittelalter nicht allein von den Ländern, welche im sogenannten classischen Alterthum münz- ten, Gepräge haben, sondern auch noch zahlreiche numisma- tische Denkmäler von vielen anderen, welche sich früher ohne solche beholfen hatten. Man denke nur an das in numisma- tischer Hinsicht so äusserst fruchtbare Deutschland. Auch waren namentlich in den ersten Jahrhunderten unserer Zeit- rechnung im unendlich grossen Römischen Reiche ausser dem Kaiser wenige Städte und Dynasten münzberechtigt; wie be- deutend ist aber die Anzahl der weltlichen und geistlichen Herren, Städte u. s. w. gewesen, welche im Mittelalter prä- gen durften und wie genau muss man die Geschichte der- selben kennen, um ihre Münzgeschichte zu bearbeiten! End- lich machen die vielen stummen Münzep, d. h. solche, welche nicht in Aufschriften oder Ghiffem den Münzherrn nennen, das Studium der mittelalterlichen Numismatik schwierig.

Im Folgenden sagen wir also weniger, was bereits ge- schehen ist, als vielmehr, was noch geschehen muss.

Werke, welche das ganze Mittelalter umfassen, besitzen wir nur zwei: Leitzmann's unbrauchbaren Leitfaden und LeleweTs Numismatique du moyen dge, ein achtungs- werthes Buch, in welchem besonders diejcipigen Länder, de- ren Münzcabinete dem Verfasser offen standen, namentlich die Niederlande und Frankreich mit Erfolg bearbeitet sind. Für Deutschland und den Norden konnte aber der Verfasser aus Mangel an gründlichen Quellenschriften nicht das Genügende leisten. Dann sind hier auch Mader's kri- tische Beiträge, ein Werk über dessen Werth es nur eine Stimme giebt, und zum Theil auch ftir die spätere Numisma- tik, welche wir hier gleich der mittelalterlichen anschliessen, die sogenannten Cabinete (Beschreibungen einzelner Münz- sorten), namentlich Madai's Thaler-Gabinet, neu und sorg- fältig bearbeitet vom Ritter v. Schulthess- Rechberg, Weisen' s Gulden -Gabinet, Joachim's Groschen -Gabinet, nebst den Beitragen von Böhmen, Götz und dem Verfas- ser, Reinhardts Kupfer-Cabinet u. s. w. zu nennen; ebenso

362 Der jehige Zustand der

einige brauchbare Auctions-Cataloge» z.B« der v. Ampach'- sche (verfasst Ton Knauth) u.s. w.

Wenden wir uns nun zu den einzelnen Landern. Zu Griechenland rechnen wir die Byzantinischen Münzen, welche nach Zeit und Stil dem Mittelalter zugezählt werden müssen. Ausser dem Baran Marchant hat sich um sie in neuester Zeit besonders der Französische Akademiker de Saulcy Verdienste erworben (in seinem Essai de classifica« tion des suites mon6taires Byzantines und in der Revue nu-* mismattque). Eine neue Bearbeitung dieser Münzen bereiten Pinder und Friedländer in Berlin vor. Ueber die Mün- zen der Kreuzfahrer besitzen wir brauchbare und interes- sante Abhandlungen, ausser von Marchant und de Saulcy namentlich auch von Munter (om Frankemes Mynter en Orienten).

Besser gepflegt ist die Italienische Numismatik, über welche im vorigen Jahrhundert viele tüchtige Monographien erschienen sind. Die Münzen der alten Gothischen Könige in Italien hat der Marquis de Lagoy bearbeitet, über die der Herzöge von Benevent und Salerno steht ein inter- essanter Aufsatz von St Quintino im VI. Bande derBevue numismatique. Mit Herausgabe der ältesten Neapolitani- schen Münzen beschäftigt sich der Fürst St. Giorgio. Ueber die Savoyischen Münzen hat Promis ein treffliches Werk geschrieben, Gazzera über die der Grafen von Desana, Gandolphi über Genua, Viani überMassa und Pistoja; interessante Beiträge zur Lombardischen Münzgeschichte und der des benachbarten Trient hat Graf Giovanelli ge- geben. Indessen fehlt auch hier noch Manches, namentlich Münzgeschichten von Florenz, vom Kirchenstaat u.s.w.

Fast ganz vernachlässigt ist Spanien, dessen Münzen aus der Zeit der Westgothischen Könige nach Florez ei- gentlich nur noch G. Piot in derfievue.de la numismatique 3elge einige Aufmerksamkeit geschenkt hat. Lieber spätere Spanische Münzen besitzen wir mit Ausnahme d'er Bücher von Lastanosa und Saez gar nichts. Ebenso vernachlässigt ist Portugal, über dessen Münzkunde seit den wenigen von

müudsundliehen Wissenschaft. 363

Faria^ Sousa, Gerhardt u. s.w. mitgetheilten Bemerkun- gen, also seit einem halben Jahrhundert, gar nichts ge- schrieben ist.

Erfreulich ist dagegen der Fortschritt auch des Studiums der Mittelaltermünzen in Frankreich. Ausser den schon oben genannten Gelehrten, welche meist ihre treflPlichen Un- tersuchungen in der Revue numismatique niedergelegt haben, müssen wir besonders Foug^re und Gonbrouse nennen, deren Gatalogue raisonn^ des monnaies nationales de France von Eifer und Kenntnissen zeugt. Eine trefiliche Münzge- schichte von St Omer hat Hermand geschrieben, interes- sante Briefe über die Münzgeschichte Frankreichs: Gar-^ tier, die Gepräge der Normandie hat Lecointre-Dupont, die der Picardie: Rigollot behandelt u. s. w.

Auch die zur neuesten Geschichte gehörigen Münzen sind in keinem Lande so beachtet worden, wie in Frankreich. Die Denkmünzen, welche sich auf die Revolution bezie- hen, haben Mi Hin undHennin herausgegeben, die zur Ge- schichte Napoleon's gehörigen: Rougeot de Briel, Bras- seux u. A.

Was die Deutschen Provinzen Frankreichs betrifit, so existirt eine gute Münzgeschichte des Elsasses vom Baron Berstett, eine schöne Abhandlung über die Strassburger Münzen von Levrault und lobenswerthe Arbeiten über die Numismatik Lothringen's von de Saulcy.

Wir dürfen hier die Bemerkung nicht unterlassen, dass das Studium der Numismatik in Frankreich nicht wenig durch die jährlich von der Akademie des inscriptions vertheilten Preise für die besten münzkundlichen Werke unterstützt wird.

Auch Belgien hat tüchtige Münzfreunde aufzuweisen, deren Untersuchungen meist früher in der Revue numisma-t tique Fran^aise, jetzt aber in der neu begründeten Revue Beige publicirt werden. Ausser dem schon genannten Piot gehö«^ ren hierher: Meynaerts, Grioth u. A. Renesse's Münzge- schichte Lüttich's lässt noch Manches zu wünschen übrig.

An der Spitze der Numtsmatiker in den Niederlanden stehen van der Ghijs, dessen interessante Tydschrift van

364 Der jetzige Zustand der

algemene Munt-en Penningkunde leider schon mit dem Jahr* gang 1835 beschlossen ist, van Orden, Verachter, Ver- kade u. a. m. Eine Beschreibung der Niederländischen Me- daillen des Gothaischen Museums hat Rathgeber verfasst.

Für den Eifer des Studiums der Münzwissenschafl; in England zeugt, dass von Ruding's meisterhaften Annais of the Goinage schon im Jahre 1838 eine dritte Auflage er- schienen ist Von grossem Interesse sind auch das Buch von Hawkins: British Silver Goins, mehre kleine Schriften von TUl, viele Aufsätze von ersterem, Haigh, Smythe, Smith u. A. in Akerman's Zeitschrift, sowie das Buch Ainslie's: lllustrations of the Anglofrench Goinage. lieber die Irlän- dischen Münzen hat Lindsay ein lobenswerthes Werk: a view of the Goinage of Ireland geschrieben, auch der Auf- satz von Aquilla Smith: on the Irish Goins of Edward the Fourth in den Transactions of the Royal Irish Academy ist zu erwähnen. Die Schottischen Münzen sind seit Snel- ling und Gardonnel nicht bearbeitet worden.

Auch für die Dänische Münzkunde ist viel geschehen. Eine neue Ausgabe der Bescrivelse over Danske Mynter og Medailler, auf Veranlassung des Königs selbst bearbeitet, wird binnen Kurzem erscheinen. Zwei tüchtige und verdienstvolle Numismatiker, von welchen auch viele vortrefflich redigirte Münz-Gataloge existiren, Thomsen und Devegge sind ihre Verfasser. Viele gute kleine Abhandlungen über alte Dänische Münzen hat auch Ramus geschrieben. Etwas vernachlässigt ist die Holsteinsche Münzkunde; gewiss wird ihrer in der erwähnten neuen Ausgabe der Bescrivelse gedacht werden.

Ueber die Schwedischen Münzen ist seit Brenner, Berch und den Ergänzungen zu letzterem von Silferstolpe kein neueres bedeutenderes Werk erschienen. Vorbereitet wird ein solches von Hiidebrand, Königl. Reichsantiquar, einem trefflichen Kenner der typischen Monumente seines Vaterlandes.

Die Norwegische Numismatik, seit Brenner ganz ver- gessen, hat an Holmboe einen tüchtigen Vertreter gefunden. Seine Schrift: de prisca re monetaria Norvegiae ist interes- sant und belehrend.

münskundlichen Wissenschaft. 365

Viel ist (ür die Russischen Münzen geschehen. Aus- ser den älteren Werken von Schlözer, Pansner u. s. w., sind vorzüglich zu nennen: Ghaudoir's aper^u sur les mon- naies Busses und die fleissigen Schriften Tschertkoff's, na- mentlich seine noch nicht beendigte Opisanie Monet Rus- kich, welche in Heften erscheint. Die Russischen Denk- münzen, früher von fiicaud de Tiregale herausgegeben, erscheinen jetzt in einer neuen Bearbeitung durch die ar- chäographische Gommission, unter Leitung des ausgezeich- neten Numismatikers v. Reiche I. Beiträge zur Liefländi- schen und Esthnischen Münzgeschichte enthält des Ver- fassers Zeitschrift für Münzkunde.

In wenig Ländern geschieht aber so viel für die Münz- kunde, wie in Polen: die brauchbarsten Werke über Pol- nische Münzen sind die von Gzacki, Leiewel, Bandtkie u. s. w. Eine Arbeit über die Gepräge von Alexander L an, von einem tüchtigen Kenner dieser Münzen v. Zagorski ver- fasst, ist schon im Druck begriffen; ein ähnliches Unterneh- men soll zu Posen betrieben werden. An älteren Polni- schen Münzen ist eine bedeutende Ansahl in des Verfassers Zeitschrift für Münzkunde bekannt gemacht worden. Die Denkmünzen hat Bentkowski kurz zusammengestellt, Graf Raczynski aber in einem Prachtwerke bildlich und mit hi- storischen Erklärungen versehen mitgetheilt.

Für die Böhmische Münzkunde, welche durch Voigt eine vortreffliche, wenn auch jetzt nicht mehr ganz genü- gende Bearbeitung erfahren hat, wirkt besonders Hanka. Mehre fleissige Abhandlungen aus seiner Feder enthalten die Verhandlungen des Böhmischen Museums.

Ungarn's Münzen, über welche namentlich Schönvis- ner zwei brauchbare Werke geschrieben hat, werden neu von J. Rupp bearbeitet. Das erste Heft dieses Werkes, die Münzen des Arpadischen Hauses .enthaltend, zeugt für die Kenntnisse und den Fleiss des Verfassers. Der Münzen Sie- benbürgens hatten sichSchmeizel und nach ihm der oben erwähnte Schönvisner angenommen; auch sie wird Rupp im letzten Theile seines angekündigten Werkes behandeln. Die

366 Der jetzige Zustand der

Slavonischen Crepräge sind ebenfalls von Schönvisner sowohl wie von Rupp berücksichtigt worden.

Die Servischen Münzen hingegen können sich noch keiner genaueren Bearbeitung erfreuen. Ausser der kleinen Schrift von Zanetti: de nummis regum Mysiae findet man über sie noch einzelne Notizen in Dawidowitsch's Za- bawnik, Köppen's Spisok ruskim pamjatn und der Ljetopis srbsky. Die bekannten Münzen der Moldau und der Wal~ lachei, so wie die einzige bis jetzt bekannte Bosnische, sind in des Verfassers Zeitschrift für Münzkunde mitgetheilt

Für Deutschlands Numismatik ist viel, aber lange nicht genug geschehen. Einen tüchtigen kurzen Abriss der Deut- schen Münzgeschichte hat v. Praun gegeben.*) Wohl wäre es an der Zeit, dieses Buch umzuarbeiten und bis auf un- sere Tage fortzuführen. Aueh das Münzarchiv des Teutschen Reidis von Hirsch sollte wohl fortgesetzt werden. Letzte- res ist auf Privatkosten freilich nicht ausführbar. Die Sedis- vacanz- und Gapitels -Münzen Deutscher Stifter hat Zeper- nick mit Fleiss gesammelt und bekannt gemacht. Wen- den wir uns nun zu den einzelnen Provinzen Deutschlands.

Unter den älteren Werken, welche Oesterreich's Nu- mismatik behandeln, ist vor allen Herrgott's Numotheca Austriaca zu nennen. In neuester Zeit haben v. Karajan, Primi sser und namentlich der fleissige und kenntnissreiche Bergmann brauchbare Abhandlungen über das Oesterrei- chische Münzwesen geschrieben. Auch des letzteren „Me- daillen auf berühmte Männer des Kaiserthum's 0 esterreich'* verdienen eine lobende Erwähnung. Eine Oesterreichische Münzgeschichte existirt aber noch nicht

Noch weniger hat man sich um die Münzen der dem Preussischen Staate jetzt angehörenden Länder bekümmert. Die für die Geschichte der Mark Brandenburg so höchst wichtigen Münzen sind noeh nicht zu einer Münzgeschichte dieser Provinz zusammengestellt Deber sie haben wir nichts

*) Das Werk enthält auch Nachrichten über das Münzwesen der Spanier, Franzosen, Engländer u. s. w.

müwikundtkihen Wissenschaft. 367

als die Rau' sehen Tafeln und einzelne Abhandlungen von Mader, Adler, Spiess und dem Verfasser. Namentlich hat Spie SS in seinen Brandenburgischen Münzbelustigungen sehr viele Denk- und Gurrentmünzen des regierenden Hauses mit- getheilt; andere Denkmünzen desselben enthalten die Werke von Oelrichs, Seyler, Gütther und Bolzenthal.

Noch schlimmer sieht es mit der Provinz Pommern aus: einige wenige Notizen über ihre alten Gepräge geben die Baltischen Studien; die Stralsundischen Münzen sind, jedoch nicht vollständig, in Gadebusch's Pommerscher Sammlung beschrieben. Die Provinz Preussen dagegen hat anVoss- berg einen tüchtigen Bearbeiter gefunden. Seine beiden Werke: die ältesten Münzen der Städte Danzig, Elbing und Thorn und Geschichte der Preussischen Münzen und Siegel von frü- hester Zeit bis zum Ende der Herrschaft des Ordens, so wie die Aufsätze über die Preuss. Münzgeschichte zur Zeit Kö- nig Sigismund's I. und die Belagerungsmünzen Danzig's vom Jahr 1577, zeigen dass er Meister in seinem Fache ist

Was die Provinz Sachsen betrifit, so werden die älte- sten Münzen derselben, über welche «um Theil Leukfeld die ersten Nachrichten gegeben hat, von einem tüchtigen Nu- mismatiker v.Posern-Klett bearbeitet Die Herausgabe einer Halberstädtischen Münzgeschichte von Hecht ist durch den Tod des letzteren, hoffentlich nicht auf lange Zeit auf- geschoben worden. Mit einer Magdeburgischen Münzge- schichte beschäftigt sich Wiggert Von v. Hagen's Beschrei- bung der Manns feldischen Münzen sind zwei Auflagen er- schienen, die letzte schon 1778. Die mannigfachen Gepräge der Grafen von Stollberg hat man fast gar nicht beachtet. Auch enthält Leitzmann's Zeitschrift manchen interessan- ten Beitrag zur Münzgeschichte dieser Provinz.

Schlesien hat durch Dewerdeck schon vor 140 Jah- ren eine recht tüchtige Münzgeschichte erhalten» Seit dieser Zeit sind aber namentlidi viele Schlqsische Mittelaltermünzen bekannt geworden, von welchen nur Mader eine geringe Anzahl publicirt hat Eine neue Bearbeitung und Vervoll-

368 Der jetzige Zustand der

ständigung des Dewerdeck^schen Buches wäre gewiss ein dankeswerthes Unternehmen.

Von den Münzen der Provinz Westphalen sind nicht wenige in 6 rote' s Blättern für Münzkunde bekannt gemacht worden. Niesert's Münstersche Münzgeschichte lässt viel zu wünschen übrig.

Wenig beachtet sind die Münzen der Rheinprovinzen. JSohTs Beschreibung der Trierschen Münzen, eine achtungs- werthe Arbeit, wird nächstens in einer zweiten Ausgabe er- scheinen. Walraf's Beschreibung der Gölniscben Münzen ist ein blosser Katalog. Auch über einzelne Münzen dieser Ge- genden steht mancher gute Aufsatz in Grote's Blättern.

Fast gänzlich vernachlässigt ist Bayern' s Münzkunde. Für die Mittelaltermünzen dieses Landes giebt es nur die Ab- handlung von Obermayr, einige der späteren Münzen hat Streber in verschiedenen Schriften und die neuesten Krä- mer in seinem Ehrenbuch erläutert. Für die Münzen der Pfalzgrafen am Rhein belehren am besten Widmer's Schriften. Die Augsburgischen Münzen des Mittelalters hat Beyschlag, die jtambergischen: Heller, die Nürn- bergis oben: Will (in seinen Münzbelustigungen) und Kief- haber, die Regensburgischen (der Stadt) P lato bekannt gemacht u. s. w. Aber die zahlreichen Gepräge der Bisthümer Passau, Eichstädt, Regensburg, Würzburg, der Gra- fen von Oettingen, der Städte Augsburg u. s. w. hat noch keiner vollständig bearbeitet

Mit Würtemberg sieht es nicht besser aus. Viele Mün- zen des regierenden Hauses hat Sattler beschrieben, einige ältere auch Beyschlag, welcher auch andere zu diesem Lande gehörige Gepräge in seiner Suevisch- Allemannischen Münzgeschichte aufgeführt hat. Bin der 's Münzgeschichte ülm's (in den Würtembergischen Jahrbüchern) dürfen wir nicht unberührt lassen.

Kein Land ist aber in numismatischer Hinsicht so gründ- lich bearbeitet, wie Sachsen. Unter den älteren Büchern sind, ausser vielen anderen, die Schriften von Tenzel, na- mentlich seine Saxonia numismatica, femer Klotzsch's

münAkundlioh^ Wissenschaft 369

Versuch einer Kur-Sachs. Münzgeschichte, dann Wagner's Schockgroschen, Böhmen's und Götz's Beiträge zum Gro« schen-Cabinet zu erwähnen. Zu den neueren gehören noch Dassdorf's Leitfaden und die gelehrten Abhandlungen des schon genannten v. Posern -Klett in den Berichten der Deutschen Gesellschaft zu Leipzig. Wie schon bemerkt, ist der Letztere mit Herausgabe einer umfassenden Sächsischen Münzgeschicbte während des Mittelalters beschäftigt»

Eine Münzgeschichte des Braunschweig'schen Hau- ses hatte Schlaeger bearbeitet, sie ist aber nicht im Druck erschienen. Viele Münzen dieser Familie enthalten Scheid's Origines Guelficae und das nur in 100 Exemplaren abge- druckte „vollständige Braunschweig - Lüneburgische Münz- und Medaillen- Gabinet ^^ von v. Praun. Die Erzbi«- schöflich Bremischen Münzen sind von Botermund und Grote (in seinen Blättern ftir Münzkunde], die Goslar'schen Münzen in Heineccius' Sylloge, so wie in Leitzmann's Zeitschrift, die Göttingischen und Hildesheim'schen ebenfalls in letzterer kurz beschrieben. Auch Grote's Blätr ter für Münzkunde enthalten manchen Beitrag zur Münzge- schichte des Königreichs Hannover. Sein Werk über die Ostfriesischea Münzen ist noch nicht erschienen.

An die Numismatik vieler der kleinern Deutschen Staa- ten hat man wohl kaum gedacht Eine Badensche Münz- geschichte bearbeitet Freiherr von Berstett Hessen 's. älp teste Münzen sind zum Theil in einer Schrift Seeländer's und in Plato's Schreiben über die Hofgeismars che Münze beschrieben. Hessische Groschen sind von Meusel im li- terarisch-statistischen Magazin aufgeführt. Ein nur einiger- maassen auf Vollständigkeit Anspruch machendes Buch über die Hessische Münzgeschichte giebt es noch nicht. Die Mainzer Münzen hat Würdtweiik kurz beschrieben:, sein Werk erfordert viele Nachträge. Eine Abhandlung über die Fuldaischen Münzen etistirt von Hinkelbein.

Ueber die Mecklenburgischen Münzen belehren vor-^ züglich die Schriften von Evers; auch enthalten die Jahrbü- cher des Mecklenburgischen historischen Vereins manche in*»-

ZcitscliriCI f. GMchicIitsir. 1. 1844. 24

370 Dtr jetzige Zmiand der

leressantc numismatische Aufsätze von Lisch, Masch und Kretschmer. Gewiss werden die Mecklenburgischen Nu- mismatiker eine neue Bearbeitung der Münzgeschichte ihres Vaterlandes nicht lange verschieben.

Sehr mangelhaft behandelt sind dieAnhaitschen Mün- zen (eigentlich nur von Beckmann in seiner historia Anhal- lina und in den Nachträgen dazu von Lenz), die Reussi- schen (von Büchner, Haynisch und Buchner), etwas weniger die Schwarzburgischen (von Brügleb, Hell- bach, Lesser, Lindner und Wermuth). Nassau, Lippe und Wal deck können auch nicht eine ihren Münzen gewid- mete Schrift aufweisen. Viel Aufmerksamkeit hat man hin- gegen den Münzen der vier freien Städte (mit Ausnahme Frankfurts) geschenkt Für Hamburg ist besonders zu nen- rx^ Langermann's in zwei Auflagen (zuletzt im J. 1802) eiw sdiienenes Münz- und Medaillen -Vergnügen und die im Jahre 1843 von dem historischen Verein begonnene Fortset- zung desselben, in welcher allmäblig sämmtliche Hamburgische iarepräge bekannt gemacht werden sollen. Um Lübeck's Nu- mismatik haben sich vefdient gemacht: Seelen (durch eine grosse Anzahl kleiner Abhandlungen), v. Meilen, Müller, Schnobel und in neuester Zeit Grautoff (im 3ten Bande seiner historischen Schriften), um Bremen's namentlich iüaissel. lieber Frankfurt's Münzen handeln fast allein Mo- Titz (Einleitung in die Staatsverfassung der Reichsstadt Frankfurt) und Albrecht (Mittheilungen zur Geschichte der Reichsmünzstätten).

Das Münzwesen der Schweiz im Allgemeinen haben ausser Haller nur Hagenauer (Statistik der Schweiz) und Pestalozzi (Beträge zur Schweizerischen Münzgesdiichte) bearbeitet lieber Baseler Münzen schrieben Schöpflin (Alsatia illustrata) und der schon oben erwähnte Albrecbt, die Bern er sind, freilich nicht vollständig, im Elenchus nu- mismatum bibliothecae reip. Bernatis aufgefiihrt. Eine Arbeit über sie von Ruchat ist nicht im Druck erschienen. Die ältesten Zürcher Münzen hat ein tüchtiger Kenner dersei- l>en, Meyer, herausgegeben, üeber die Münzen der übrigen

münzkundlicken Wissenschaft, 371

Gantone haben wir zum Theil nur sehr mangelhafte Notizen und wäre es wohl zu wünschen, dass die Schweizerischen Münzhebfaaber eine gründliche Bearbeitung ihrer vaterländi- schen Gepräge vornähmen.

Mit einem gründlichen Studium der orientalischen Münzkunde hat man sich erst in neuester Zeit beschäftigt. Die beiden Tychsen, Hallenberg und Adler waren mit die ersten^ welche dieses fast ganz vernachlässigte Feld be- bauten. Unter ihren Nachfolgern müssen vor Allen Casti- glioni, Schiepati, Marsden, Wilson und vorzüglich der EckJiel der orientalischen Münzkunde, v. Fräfan, genannt werden. Gross ist die Belehrung, welche der Numismatito' dem ziddzt erwähnten Forscher verdankt Die Münzen dar Sasaniden, Ispebed's u. s. w. haben ausser den genafinten Gelehrten^ auch de Longp^rier, t. Dorn und Olshauseo erläutert, die Armenischen: Brosset

Amerika's Gepräge, obgleich sie nur den letzten Jahr- iumderten angehören, sind ziemlich zahlreieh. Zusammen- ^estellt hat sie nock Niemand. Die Münzen der Goloni6Q sind meii^ in den Werken, welche die Numismatik des Mut- tarlandes behandeln, aufgeführt Dasselbe findet grössteoiheiJs mxA bei den Asiatischen und Afrikanischea Golontal-* münzen statt

Eine genügende Ton artistischem Gesidilspuiikt aufgelassie Geschichte der Stempelschneidekimst giebt es »och nicht Das bis jetzt beste Werk darüber ist das von Boizenftbai. Mit Abfassung einer neuen Bibliotbeca numarU, wieleh^ mehr als die blossen Titel enthalte soll, ist v. Böse beschäftigt

Dies wäre in der Kürze «ler Abriss von dei», was h«upt- sachlieh in der Münzkunde bis jetzt geschehen i^. Die Lücken, welche noch ausgefiütt werden nrässen, sind sehr bedeutend und, wie wir im Eingange gesa^ haben, nur dunch liberale Unt^stützung von oben her, kann ein f^ründltches, umfassendes Werk über die mittelalterliche und neuere Münz- ^eschidhte zu Stande gebracht werden.

B. Kühne.

24

Stuttgart u. Tübingen b. Cotta 1813. Mittelitalien

vor den Zeiten römischer Herrschaft; nach seinen

Denkmalen dargestellt von Dr. Wilhelm Abeken, Se-

cretär des archäologischen Instituts zu Rom u. s. w. Mit

eilf Tafeln. XVIII. u. 446 S. 8. (3 Thlr. 6 gGr.)

Sogleich in den ersten Worten seiner Vorrede erkennt der leider zu früh verstorbene Verfasser dieses schätzbaren Buches mit Dank die vielfachen Bemühungen derjenigen, welche seit Niebuhr's erstem Auftreten das alte Italien zum Gegenstande ihrer Forschungen wählten, und entweder das Dunkel seiner Völkergeschichte zu erhellen suchten, oder zur Kenntniss der Sprache und Mythologie der altitalisched Völ- kerstämme beitrugen. Nur für die italische Kunstgeschidite vermisste er mit Recht noch eine nicht bloss compendiarische und abgebrochene, sondern zusammenhängende Verarbeitung des reichen Materials, welches die neuern Entdeckungen und Untersuchungen zusammengetragen haben, und der aus einer gründlichen Verarbeitung der vorliegenden Elemente zu (er- wartende Gewinn bestimmte ihn zur Herausgabe seines Werks, dessen Werth und Leistung er selbst sehr richtig in folgen- den Worten schildert. „Schon die mit Dodwell und der Dio- „nigi beginnenden, seitdem mit Fleiss fortgeführten Unter- suchungen altitalischer Staedtereste geben der historiseh- „topographischen Betrachtung des Landes neues Leben; grös- „ser aber wird der Ertrag für das Leben des Volkes selbst „noch werden, wenn man jene Bauten auch künstlerischer- ,)Seit8 ins Auge fasst, die Art und Weise der alten Fortifi-^ „cation, die unter verschiedenen Bedingungen des Locals und „dds Materials sich bildende Baukunst des Gebirgs und der «yEhene; wenn man die ganze sich in dem Städtebau ent- „wickelnde Ireofemk schärfer betrachtet, und dieser Betrach- „tung die. Betrachtung auch der übrigen Reste alter Archi-

MitieliiäHen eor den ZeUen römischer Herrschaft. 873

9,M[tur, der bürgerlichen sowöbl als der heiligen, anscbliesst ,f Was die Denkmsller bildender Kunst betrifit, so hat diu jyEröfinung etruskischer Thesauren bereits einen weiten Bliök „in .ein frühes italisches Kunstleben vergönnt. Etrurien ,, steht als reich gebildetes Land vor unsern Augen. Die Kunst „wird Hebel der Politik und Religion, besonders in dem Un- stern südlichen Theil des Landes, wo Tarquinii als Haupt* „Stadt des tyrrhenisch-rasenischen Staates glänzt Der grie- „chische, von Korinth aus wirkende, durch die Namen des „Demarat und seiner Genossen bezeichnete Einfluss ist nun „durch einen Theil der gemalten Yasen bestätigt, welche „grade durch ihre strenge Sonderung von den mehr das Ge* „präge des Orients tragenden Metall- und rohen Terracot- „tenarbeiten einen besondern Werth als Denkmäler des mit „dem ausgebreiteten Handel sich ausbreitenden griechischen „Kunstlebens erhalten. Es ist dasselbe griechische Kunst- „leben, welches in dem mitern opisch^n Lande die tiefsten „Wurzeln schlägt, geschirmt, gekräftigt durch fortwährenden „Verkehr mit dem griechischen Mutterlande, welches, wie es „scheint, auch auf das tarquinische^ über einen Theil des „latinischen Uferlandes «ich erstreckende Reich den lebeu'»- „digsten Einfluss übt, und Gumä mit den latinischen sowohl „als altetruskischen Handelsstädten in naher Verbindung er- hält — Bei der italischen Baukunst kommt man auf den letzten tyrrhenischen Stamm zurück, den wir zunächst in „alten Städteanlagen durch das ganze mittlere Land verfol- „gen, aber zeigen^ dass grössere Gultur, günstigere Bedingun- gen des Locals unter dem tyrrhenisch-etruskischen Stamme grössere technische Bildung erzeugen; dass hier vermuthlich ^, der künstlichere Steinschnitt, der Bogen sich ausbildete; „dass die eigentliche kunstreichere Architektur, der Tempel*- „und Gräberbau, freilich auf wesentlichen, der ganzen mitt- „leren Halbinsel angehörigen Grundlagen sich hier zu einem „gewissen Normal Charakter erhoben hat. Die vorliegende ^, Arbeit ist die Frucht eines mehr als fünijährigen Aufenthalts „in Italien. Auf Reisen in die nächste* latinisc^it^Ua^egend „Roms, in Etrurien, in Gampani^y in das mittter^ Gebirgs^

99

99 99

371 MMeHMkn vor den ZeUen rämiseher Btmekaß;

^land» nidite der Verfasier den Schauplatz seiner Fondmii- „gd^f wie von der geographisdien Seite, so nadi den erbal- lytenen Denkmälern der Baukunst kennen xa lernen/*

Für die Darstellung der etruskisebra Kunst war ausser den mannigfaltigen Priyatsammlungen von Denkmälern in Ita- lien die Gründung des Museums etruskiscber Alt^lmnier vom regierenden Papste im Jahre 1837 ein besonders begün- stigender (Jmstand. Die in Bezug auf die älteste Culturge- schichte so v^chtigen statistischen Notizen der cäretanischen vnd alsietinischen Funde verdankt der Verf. der Güte der um iie Ausgrabui^en in jenen Gegenden so verdienten Frau Herzogin von Sermoneta, die vorzüglichsten Hülfsmittel zur Betrachtung der campanischen Kunst aber einem dreimaligen Jüngern Aufenthalte in Neapel, besonders dem letzten, m wel- chem ihm die freie Benutzung der Münzsammlung des kö- niglichen Museums vergönnt war. Seine persönliche Stellung als Secretär des archäologischen Instituts verschaflte ihm un- ter vielen andern Hülfsmitteln auch einen lebhaften Verkehr mit allerlei trefflichen, um die Geschichte ihres Vaterlandes patriotisch bemühten Männern, deren Monographien, die kein Buchhandel über die Grenzen Italiens verbreitet, gleichwohl eine erstaunlidie Fülle schätzbaren archäologischen Materials bieten. Des Verlassers früher Tod vereitelte dessen Absicht, dem Buche ein Verzeichniss der zahlreichen italienischen Mo- nographien, die er benutzte, nebst der Charakteristik densel- ben, sowie ein Verzeichniss der Sammlungen von Altertiul- mem und Münzen, beizufiigen, und vernichtete zugleich den Plan, den vorliegenden Forschungen einen zweiten Band fol- gen zu lassen, welcher zufolge der Versicherung von Sulpiz Boisser6e in München die Kunstgeschichte Boms und <kr römischen Nachbarländer von dem Zeitpunkte der samniti- schen Kriege bis zu der Herrschaft des Augustus behandeln sollte. Auch was der Verf. zu einer Monographie über das Capitol und zu einer Mythologie Italiens gesammelt hatte, ist nun für uns verloren, sowie manches Andere auf dem Felde der archäologischen Wissenschaft, wozu er reiches Material f;esammelt hatte. Im vorliegenden Werke, welches er noch

nach äemm Denkmaien dargesMU von W. iidetoi. 37$

bis zam Register voliendele, beschreibt die Einleitung das älteste mittlere Italien, und zwar 1) Etrusker und Umbrer, 2) Latiner^ 3) Sabiner und sabellische Stamme S. 1 120 choH rographisch und historisch. Zu den obem sabellischen Stäm- men zählt er ausser den Sabinern und Aequiculem oder Aequiculanern, welche er von den Aequem des hohen und unwirthlichen Gebirges gegen die latinische Ebene unter- scheidet, die Marser, Herniker und Peligner; zu den untern die Gampanier und Samniten nebst den Picentinem, vor wel- chen er die Volsker und Aurunker einschaltet; zu den sabel- lischen Stammen am Adrias aber auch Apulien nebst den Frentanern, Marrucinern, Vestinern und Picentinem in Pi- cenum. So schätzenswerth die chorographische Uebersicht dieser Völker ist, so wenig befriedigen die historischen An- sichten und gelegentlichen Spracherläuterungen, in welchen er mehr fremder Autorität als eigener Forschung folgt, und in einer Nachschrift selbst der von Sir William Betham in seiner Etruria Geltica behaupteten Aehnlichkeit des Gtmskischen mit der irischen Sprache nicht zu widerspre«- chen wagt. Wie erfolgreich eine ernstere und genauere geo- graphische Betrachtung des Landes im Ritter'schen Sinne für die Geschichte Italiens sein würde, ist dem Verf. selbst recht fiihlbar geworden, als er eine lebendige, auf Autopsie der natürlichen Verhältnisse beruhende Physiognomik des ältesten mittleren Italiens zu entwerfen versuchte.

Er Hess es sich vorzüglich angelegen sein, zur Begrün- dung einer Kunstgeschichte von Altitalien die Denkmäler selbst mit möglichster Gewissenhaftigkeit zu untersuch.en, und jede der beiden Hauptformen der Kunst, die Architektur und die bildende und zeichnende Kunst, in ihrem besondern histori** sehen Charakter zu behandeln. Bei der Architektur S. 125 bis 260 betrachtet er zuerst die ältesten Städtebauer und die ältesten Burgen, die Anlage und Bildung der Städte und den Mauerbau in Etrurien und Umbrien, in der latinischen Eben^ und dem Albanergebirge, in der Sabina und dem Aequerge«- birge, in der marsischen Hochebene, dem Pelignerthale und Hermkergebirge, dem östlichen und westlichen Volskergebirgß,

376 Miitelitalieti eor den Zeiten römischer Herrschaß;

dem Aürunkergebirge, Samnium und Gampanien. Die Zeich- nungen der ersten Tafel entwickeln folgende sich entspre- chende Hauptstufen für den polygonen und den Quaderbau:

1) ungeschnittene oder wenig Quadern ohne Gleichmässig- geschnittene polygone Stei- keit geschnitten nach dem in- ne mit vorherrschend hori- dividuellen Charakter des je- zontaler Lage ; verbunden desmaligen Bruchs. Taf. I. 4. durch kleinere Zwischen- steine. Taf. I. I.

2) zugeschnitt. polygone Stei- regelmässig geschnittene Qua- ne, wohl in einander ge- dern. Taf. I. 5.

fügt. Taf. I. 2.

3) systemat. entwickelter Po- systemat. entwickelter Qua- iygonbau. Taf. I. 3. derbau. Taf. l. 6.

4) Verdrängung des Polygonbaues durch den Quaderbau, aber fortdauernd partielle Einwirkung und Anwendung des er- steren. Dazu kommen noch auf Taf. 1. 7. der Wall von Alba, 8. der Ziegelbau nach Vitruv, und 9 a. 9 b. das Emplecton nach Vitruv. Hierauf bespricht der Verf. die Bogen- und Gewölbeconstruction nebst den Befestigungen alter Städte, über welche die Thore und Eingänge der zweiten Tafel be- lehren, die hydraulischen Anlagen, Strassen und Briicken, Privat- und öffentliche Bauten des Gerichts und Verkehrs, und Nachträgliches über Brunnenhäuser und Cisternen. Auf die Anlagen der Volkslustbarkeit lässt er die Tempel und Gräber folgen, wozoi die dritte, vierte und fünfte Tafel be- lehrende Zeichnungen liefern. Im Tempelbau geht das kunst- reiche Etrurien den übrigen italischen Stämmen voran, bei wel- chen sich der toscanische Tempel auf Taf. HI. als eigenthümlich italisch neben den griechischen hinstellt. Im Gräberbau un- terscheidet der Verf. 1) ältere Grundformen der Gräber (Grä- ber von Gäre, Pyrgoi, Alsium, Chiusi u. s. w.); die Nurhagen und Riesengräber Sardiniens auf Taf. IV. 2) ausgebildetere Gräberformen von Tarquinii, Chiusi, Volterra, Vulci u. s.w. auf Taf. V. 3) die Felsengräber von Toscanella, Gastel d'Asso, Norchia, Sutri. Bei der Plastik und Malerei S. 261—352, weicher die sechs letzten Tafeln gewidmet sind, stellt der

nach seinen Denkmalen dargestellt t^on W. Ahmten, 377

Verf. die Entwicklung der bildenden Kunst zuerst nach den vörbdndenen Denkmälern in den drei Haupttfaeilen des mitt^ leren Landes, Etrurien und Dmbrien, Latium und der Sabina, Campanien mit Anschluss von Samnium und dem nördlichen Lucanien und den Landern des adriatischeh Meeres dar und giebt dann in einem Anhange eine Uebersicfat der in Italien geübten Künste in ihrer Technik und ihren Leistungen S. 3S3 bis 427. So überschauet er unter den einzelnen Kunstgattun- gen der Plastik 1) die Thonarbeit, 2) die Metallarbeit, 3) die Glas- und Schmelzarbeit, 4) die Steinarbeit, 5) die Arbeit Holz, Elfenbein, Bernstein, wozu die sechste, siebente und achte Tafel Beispiele liefern, sowie die neunte und zehnte Tafel über die Malerei belehren, bei welcher der Verf. zuerst die freie Entfaltung des Pinsels auf Vasen und Wänden, dann die angewandte Malerei (gemalte Terracotten, Steinarbeiten u*s.w.) bespricht Dem Namen* und (Sachregister und Ver- zeichnisse der Tafeln, deren elfte als numismatische Beilage unter vierzehn Silbermünzen auch eine unedirte von Popu^ lohia mit dem Löwen nebst einer lucanischen Erzmünze Ver- zeichnet (S. 428 445), ist noch eine Seite zugegeben, welche Druckfehler und Verbesserungen anzeigt, aber die nur allaiu häufigen Druckfehler bei w^tem nicht erschöpft, vielmehr noch neue hinzuftigt, wie wenn fiir Aelalia auf Kyrnos bei Herodot 1, 165 f. nicht Alalia, sondern Aethalia zu lesen verlangt wird.

Obgleich der Verf. versichert, dass die Untersuchung der Denkmäler selbst fiir ihn das Leitende gewesen, und schritt^ lidhe Nachrichten nur da berücksichtigt und zusammengetra^*- gen seien, wo sie, mit vorhandenen Resten zusammengehal- ten, zu Resultaten fiihren; so blieb ihm doch nicht leioht ir^ gend ein Werk unbenutzt, welches die von ihm behandelten Gegenstände berührt. Nur der Ref. darf sich nicht rühmen von ihm benutzt zu sein, obwohl die Verbesserungen d^ letzten Seite darauf hindeuten, dass er seine Beiträge zur Greographie und Geschichte von Altitalien vielleicht noch be«^ nutzt haben würde wenn er länger gelebt hätte. Wenigstens will er die von den Alten gegebene Deutung des Aborigi-

378 MUMUeUien eor den ZeUen römischer Berrschaft;

iier-Niune»B ab origine, gegen weldie der Boreigonen«- Name bei Lykophron der sicherste Beweis sei, nicht verbür^ gen, und verwahrt sieh zugleich, in dem Namen Aequi Fa- ll sei einen Bezug auf die Ebene zu sehen. Er beruft sich hierbei auf eine Anmericung , in welcher er Aequi als einen Volksnamen erkennt, dessen Wurzel auch die Oerter Aecla- num und Equus tuticus in der Nachbarschaft der samni- tiscfaen Hirpiner enthalten. Dass er Höhenbewohner bezeichne, wie Latium eine Niederung oder Flachland gleich Campa- nien, sagt er jedoch so wenig, als er die Volsker für Sumpf- bewohner erkennt In der corrupten Stelle Strabo's V, 2. 9. pag. 226 will er mit Grosskurd AlxmMov ^osXrco^av statt des nirgends erwähnten Ahcov/uLKpoKioTiov lesen. Wenn er aber Prisci Latini durch lateinische Prisker übersetzt, und damit den eben so gemissbrauchten Namen der Gasker ver- gleicht, und die Prisker sowohl ab Gasker fiir Abor%iner er- klärt, unter deren Namen die Gasker, Aequer und Yolsker zum Theil als Rest der ältesten italischen Bevölkerung da- stehen: so spricht sich darin eine gleiche Verwirrung der Begriffs aus, wie wenn sogleich auf der ersten Seite des Bu- ches gesagt wird, dass rätische Gebirgsstamme, von Norden herabsteigend und am rechten Tiberufer mit tyrrheniscben Urbe wohnern oder Pelasgern, die zu den Aboriginern kamen, gemischt, das etruskische Volk bildeten, das untere Land dagegen von griechischen Ansiedlungen seit Alters den Namen Magna Graecia trug, und die Halbinsel in ih- ren mitdem Landschaften, wo die Aboriginer weilten, Italia propria biesa* Von Unklarheit zeugt schon der häufige Gor brauch von Zusammensetzungen, wie tyrrhenisch-sikelisch und tyrrfaeniscb-opisch neben tyrrhenisoh-rasenisch oder tyrrhenisch-etruskisch, und tyrrbenisch-pelas- gischund pelasgisch-umbrisch neben sabellisch-tyrr- henisch und sabelHsch-oskisch. Zu sehr auf des Öio- nysios Worte bauend, dehnt der Verf. mit Niebubr den Na- men der Pelasger zu weit aus, und weil er den tyrrheniscben Namen in Italien eben so innig mit dem sikelischen verwach- sen glaubt, wie er von den Griechen mit dem paiasgischen

nach seinen Denkmalen dargeiteUi eon W. Abeken. 379

verbunden wird, hält er mit Otfried Maller gans verschiedene barbarische Völker für ursprÜBgliche Verwandte der Helle«> Aen. Ob er gleich nicht leugnet, dass die Sage von den Tyrr- hener-Pelasgern eine italische Urbevölkerung scheidet, welche die umbrisehe heisst, und in dem ganzen Lande von einem Meere zum andern herrschend war, verwirft er doch das scharfe Scheidemesser, welches Lepsius in seiner, vom Verf. in der Jenaer L. Z. 1842. No. 289 f. angezeigten Schrift über die tyrrhenischen Pelasger in Etrurien zwischen Tyrrhener und Umbrer gesteckt habe, um die Tyrrhener in die Stelle der als chimärisch verworfenen Rasener zu erheben, weil es ihm unerlässlich scheint^ den tyrrhenischen Namen sich eng im Ansohluss an den umbrischen, die Umbrer sich theilweise zu Tyrrhenem werdend zu denken, in der Art, dass wir in ihnen beiden, und besonders in ihrer Vereinigung, das ur*- griechische Element ausgesprochen finden, welches die Alten pelasgiscb heissen. Es gab nach ihm eine Zeit, wo die Etrush- ker mit den übrigen pelasgischen Stämmen Italiens ein ver- wandtsdiaftliches Band der Sprache und Bildung enger ver- schlungen hielt, und das Fremde, welches in das Etruskische hineinkam, kam durch die Wanderungen aus dem obem Ge- birge. Da sich nach des Verfassers Ansicht nur so das spa- tere Etruskische vom Lateinischen schied, welches, wie das Altetruskische, urgriechisch war und, alles Drängens verschie- dener Völkerschaften ungeachtet, um ihres gleich griechischen Ursprunges willen unvermischt blieb: so kann es nicht be- fremden, wenn der Verf. den Namen Glusium's von dem verschlossenen, des Abflusses entbehrenden Wasser seiner Gegend ableitet. Der tyrrhenische Name, aus welchem ebensowohl Etruria als.Tuscia undToscana ward, hängt dem Verf. mit rii^oriQ oder turris fär Tcv^yoq zusammen; aus dem Stamme tx;$>^ oder turs soll aber auch eben so- wohl Tarchon und Tarchufin oder Tarquinius, ja Tar- raco und Trasimenus für Tarsimenus, als Tyrrhus, Turnus und tyrannus, gebildet sein. Noch mehr sol- cher irrigen Etymologien und Ansichten über Verwandtschaft, Verzweigung und Ursprung der einzelnen Völker Altitaliens

380 Mi^cellen.

anzufiihren, enthalt sidi der Referent, um nicht durch Her- vorheben der schwachen Seite undankbar zu scheinen gegen die fielfachen Belehrungen in dem, wo nicht fremde Auto- rität, sondern Autopsie des Verfassers Urtheil leitete. Hannover. 6. F. Grotefiend.

HlAcellen«

19.

VolksibÜmliches Recht und nationale Gesetzgebung. Seit der Zeit der Befreiungskriege und als ThiJMiut auf die Nothwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches für Deutschland hinwies, hat sich die dffentUche Meinung wohl nie wieder mit so entschiedener TheiU nähme dieser wichtigen Frage zugewandt, wie in den lelztverflossenen Jahren. Wir brauchen nicht an die verschiedenen Ereignisse zu erinnern, welche dazu mehr oder minder Anregung gaben. Es Ittsst sich schwerlich verkennen, dass die nationalen Bestrebungen Deutschlands immer grössere Ausdehnung und Kraft gewinnen, dass das Ideal der Einheit des allgemei- nen Vaterlandes, lange Zeit das nebelhafte Phantom eines unbewussten jugendlichen Dranges und poetischer Schwärmerei, in verklärterer Gestalt sich nicht minder der oberen und höchsten Schiebten wie der mittleren und unteren bemächtigt, und einer vernUnlUgen selbstbewusst^a Yerwirk- liohung entgegengeht. In diesem Sinne hatte die tausencU^rige Feier der Selbstständigkeit Deutschlands mehr die Bedeutung einer Mahnung an die Zukunft als einer Erinnerung an die Vergangenheit; und in dieser Bedeu- tung liegt ihre eigentliche Weihe für die Gegenwart, sowie ihre Fruchtbar- keit für die Geschichte. Indem die Hinwendung zu einem klaren und be- Bttanmten Ziele, zu dem Ziel einer einheitlichen Gestaltung deutschen Sin- nes und Lebens, sich allmählig in allen Gebieten des Geistes und unter allen Interessen der Wirklichkeit Raum verschafft, wird sie die beste Ge- ^ "wHIhr leisten für eine ruhige, besonnene und friedliche Entwicklung der Dinge, die nur da mit Störungen bedroht ist, wo es dem Gedanken an ei- nem Ziele, oder der Aufgabe an Klarheit, oder dem Wollen an Ernst ge- bricht. Bei solcher Deberzeugung können wir die „Zeitschrift für volks- thüniliches Recht und nationale Gesetzgebung, herausgegeben von Gustav Eberty" (Halle bei Lippert und Schmidt), welche seit dem Januar J. in Monatsheften erscheint, nicht anders denn als ein gutes eiw treuliches Zeichen begrüssen, da sie den einheitlichen und volksthümlichen Bestrebungen in Deutschland auf dem Gebiete des Rechtes einen Mittel- punkt und eine allgemeinere Thellnahme zu erwecken verspricht. Doch mit Recht erstrebt sie, nicht eine hastige, sondern eine allmählige schritt- weise Entwicklung, Beweis genug, dass sie die schwierige Natur ihres Zweckes vollkommen würdigt und dass sie, worin so häufig gefehlt wird, neben der^ Erkenntniss des Notwendigen, des Endzieles, auch die des Möglichen, der vorhandenen Mittel, zum Maassstab ihres Wirkens gemacht hat. Denn das eüiheiUiche und volksthümliche Streben, das sie vertreten IpriU, geht, wie es im Vorwort heisst, nicht unmittelbar darauf aus, an die ^'lep.e der mannigfachen Gesetzgebungen Deutschlands einen einförmigen "^Cotfex 2u setzen; es sucht vlehnebr auf wissenscbaaUchem Wege eine

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MisceUen. 381

Einheit in den Rechtsnormen herzustellen, weiche von seltwt eine Binheit in der Geselzgehung aus sich hervortreiben wird. Zu dieser ist Dentsch- lond jetzt auf dem Gebiete des Handels- und Wechselrechts einerseits durch den Zollverein, andererseits durch den vermehrten Verkehr überhaupt ge- nOthigt. Aber es drängt sich diese Nolhwendigkeit vor Allem da auf, wo es sich um die höchsten Güter des Lebens handelt, in dem Stralirechte« Man erkennt es als unnatürlich, dass in den 38 Staaten Deutschlands ver« schiedene Bestimmungen nicht nur über Strafverfiihren und Strafmaasse, sondern über die Strafbarkeit der Handlungen selbst gelten, und dass Jetzt der Zeitpunkt zu einer Einigung über diese Gegenstände gekommen, zeigi die nie gesehene ihnen zugewandte gesetzgeberische Thätigkeit, bei wel* eher sich nicht bloss der Juristenstand, sondern das Volk betheUigt weiss. - Es wird dieser neuen Zeitschrift gewiss nicht an Anklang und Erfolg mangeln, wofern sie alle ihre Kr&fte auf die Verfolgung ihres Hauptzweckes concentrirt. Bas Leben und die Literatur gehen so oft Hand in Hand ; was für die letztere jene journalistische Erscheinung zu werden verspricht, dazn dürfte für das erstere sich der deutsche Advocatenverein gestalten, wenn seine BUdung nicht verkümmert wird und wenn seine Absichten gleicher- weise das Mögliche wie das Nothwendige, das Gegebene wie das Erstrebte beachten.. Jedenfalls wäre es gewagt, das Kind vor der Geburt zu verur- theilen; denn nur an den Früchten sollt ihr sie erkennen.

20.

Positives Völkerrecht. Das erste Heft der ebengenannlen Zeit- schrift giebt einen Aufsatz „zur wissenschaftlichen Begründung des Völkerrechts^' von Dr. H. Hälschner in Bonn, der vieles Beach- tenswerthe enthält. Unter allen Zweigen der Rechtswissenschaft ist in der That der des Völkerrechtes am weitesten zurückgeblieben, wie er denn auch der jüngste unter ihnen ist und nicht eher als im 4 7ten Jahrhundert seine ersten bedeutenden Triebe entwickelte. Kein Wunderl denn im AI- terthum mangelte das Rechtsbewusstsein in den Grundsätzen des Völker- verkehrs, und im Mittelalter wurde das Völkerrecht gleichsam vom Kirchen- und Lehnrecht absorbirt. Aber auch jetzt noch ist es nicht zu einem wis- senschaftlichen System gediehen, vielmehr das Völkerrecht noch immer im Kampfe um sein Dasein begriffen. Hugo Grotius erfasste zwar schon das Verhältniss der Staaten und Völker zu einander als ein positiv rechtliches; allein seitdem wurde die Lehre des positiven Völkerrechts mehr und mehr durch die Phantasien des natürlichen verdrängt, das die Existenz des er- steren oft gradezu in Abrede stellte. Erst als gründliche Quellensammlun- gen das Dasein positiver, historisch entstandener Völkerrechtsgrundsätze augenscheinlich erwiesen, verschaffte sich das positive Völkerrecht wenige stens eine factische Anerkennung und nunmehr wurde Moser der eigent- liche Begründer der praktischen europäischen Völkerrechtswissenschaft, der es nicht sowohl darauf ankommt zu sagen, was sein könnte oder soUto, sondern zu zeigen was unter den Völkern wirklich Rechtens ist und war« Vor allem kam es auf die historische Begründung des Völkerrechts an; was Grotius für seine Zeit geleistet wurde ge Wissermassen durch Ward's Arbeit über die Geschichte des Völkerrechts bis auf des Erstem Zeitalter ergänzt, und durch Wheaton's Hist. des progrös du droit des gens en Europe depuis la paix de Westphalie jusqu'au congrös de Vienne welter fortgeführt. Zugleich wurde der Völkerrechtsgeschichte durch Materialien- sammlungen vorgearbeitet, wie die sehr schätzenswerthen von Martens (Gauses c^löbres du droit des gens. % vol. 48S7 und Nouvelles causes oö- löbres du droU des gens. 9 vol. 4843. Leipz. F. A. Brockbaus). Auch ^ das Bedürfioiss nach einer wissenschaftlichen Begründung des Völkerr^^ts

3g2 Miicdien.

macbte steh immer fühlbarer, und ihm verdankeD wir die Pütter' sehen BeHrtlge zur VöUcerrechts-^eschichte und Wissenschaft (Leipz. A. Wienbrack. 4843) welche in ihrem ersten Abschnitt Begriff und Wesen des praktischen europttischen Völkerrechts festzostellen suchen, sowie die oben an^eliikrte Abhandlung von Hälschner. Wir erachten diese Bestrebungen fUr heil- sam und im Interesse der Wissenschaft für um so dringender nothwendig, als trotz aUer Qaellensammlungen, trotz alier historischen Vorarbeiten und systematischen Versuche, die Existenz des positiven Völkerrechts, wie ge- sagt noch bis heutigen Tages bedroht erscheint, wie denn anch jüngst noch der Recensent des Pütter'schen Buches in den lau' sehen Jahr- büchein sich den Zweiflern und Ungläidiigen zugesellte. Als ob ein Ge- wohnheitsrecht nur dann erst für ein positives gelten könne, wenn ein schriftlicher Codex dessen Grundsjitze sinnlich darsteHtl Oder hört «in Becht auf Recht zu sein, darum weil es verletzt werden kann nnd ver- letzt wird? Gewiss so wenig, wie die Ausnahme die Regel umstöBst, oder •wie das Verbrechen das Recht Innerhalb des einzelnen Staates anfheb«. Die Grundsätze des Völkerverkehrs beruhen einzig anf dem gemeinaamea Rechtabewusstsein der Völker, und eben deshalb ist ihr Inbegriff ein posi- tiv«« Völkerrecht. Wir woUen Herrn Hilsehner nicht in die Einzelheiten seiner Untersaebung folgen; wir pflichten ihm bei, wenn er auch in den Wechselbeziehung^ der Völker dem Rechte die Macht zutraut, ohne welche allerdings das Recht kein Recht ist Der Staat, sagt er, ist nicht die ab- solute Macht, sondern ein Höheres über ihm Stehendes ist das Staaten- liy Stern, aus dem der einzelne Staat nicht heraustreten kann. Dieses mit seinen gemeinsamen Interessen stellt in seiner sittlichen Einheit die aon- verlhie gesetzgebende Macht dar, deren Gebote die Gesetze des posi- tiven Völkerrechts sind. Das verleUte Völkerrecht stellt sich in letzter In- stanz darch den Erieg wieder her. Aber die reifere Entwicklang des eu- topäischen Staatensystems hat allmlihlig diese ultima ratio mehr und mehr entbehrlich zu machen gesucht. WeU die Verletzung eines Staates mehr oder minder alle übrigen berührt, ist das Staatensystem selbst sein eigener Arzt, der völkerrechtliche Richter. Ja, seine Wirkungen reichen weit über die Grenzen Europa's hinaus, wofür die Gegenwart ein treffendes Beispiel ^wäbrL Die Absetzung der Königin Pomareh auf Otaheiti ist eine of- fenbare Verletzung. des Völkerrechts; der Widerruf wäre sidber nicht sobald erfolgt, stünde Frankreicdi mit seinem nationalen Ehrgeize ganz isolirt da; iler Wledetlierst^er des verletzten Völkerre<dits in diesem speeieUen FaUe ist in der That nicht Frankreich, nicht das französiscbe Ministerium, son- dern das gemeinsame Interesse nnd die sittliche Macht des europäischen fitaatensystems. Auch dürfen wir wohl darauf hinweisen, dass die völker- fecbtUchen Schiedsgerichte mehr nnd mehr in Aufiiahme kommen. „Die Vertrtkge des Wiener Congresses, sagt Herr H., sind der bereits 4648 dic- tirte und 4846 erneuerte völkerrechtliche Landfriede, und die europäische Pieotarciiie ist unser vbikerrechtliches Rei<äiskammergericlit. Man darf nicht linrchten, dass heut noch ia Europa ein Streit ausbrechen werde, der nicht dieser Jury unseres Staatensystems vorgetragen, von ihr reiflich erwogen nnd abgeortheilt würde. Auch wird man ihr die Macht ihren Urtheilsspruch auszufilhren, wohl nicht absprechen wollen.^* Unterwerfen sich die Strei- tenden drai UxQkeü nicht, dann ist der Krieg gleichsam ein weiteres Rechts- mittel, „die Appellation an das einzig wahre Gottesurtbeil, die Berufung auf das UrtbeU der Geschichte.^^ Was für diesen Zweig der Rechtswissen- schaft fernerhin Noth thut, kann nicht zweiib&aft sein ; die nächste Aufgabe ist allerdings die, eine vollständige Geschichte des Völkerrechts zu liefern. Erst auf dieser Grundlage wird sich ehi vollständiges System des heutigen europäischen Völkerrechts erheben können. Dann wird dem positiven Völr

Mi$ceUm. 383

kerrecht auch das natürliche wieder helfend zur Seite treten dürfen, vm die Rechtsregeln zu Recbtsbegriffen zn erbeben; wobei der Rechtsphiloso- phie der Anspruch nicht verkümmert werden wird, durch Entwicklung wis- senschaftlicher Systeme den Bildungen des wirklichen Lebens voranzuschrei- ten, die nur durch einen allmttbligen historischen Process zur Reife gedei* hen können.

21. Bildnisse der deutschen Könige und Kaiser. Wir machen auf ein schönes Taterländisches Unternehmen aufmerksam, dessen Begrün- dung wir dem unvergesslichen Friedrich Perthes verdanken; die Vorberei- tungen dazu beschäftigten ihn noch in den letzten Tagen seines Lebens; tlie erste Probe, die nunmehr unter dem obigen Titel als erstes Beft vor- liegt (Hamburg und Gotha, Fr. u. Andr. Perthes. 4844), soUte er nicht mehr erblicken. Alle Bfldnisse der Beherrscher Deutschlands von Karl dem Gros- sen bis auf Franz IL werden hier Platz finden und mit „charakteristischen Lebensbeschreibungen'' von dem um die Verbreitung der Keantoiss deut- scher Geschichte vielverdienten Ober-Schulrath Fr. Kohlrausch begleitet werden. Die Zeichnungen sind nach Siegeln, Münzen, Grabmttlem, Denk- mttleiD und Origtealbildnissen vom Professor Heinr. Schneider aus Koburg gefertigt und in der xylographischen Anstalt zu München in Holz geschnit- ten. Die AusftUirung der vorliegenden 7 Bildnisse Karl's des Grossfn, Lud- wig's des Frommen, Ludv^s des Deutschen, Karl's des Dieken, Arnulfs, Ludwig's des Kindes und Konrad's I. ist sehr sauber und sorgfttltig. Die Auffindung beglaubigter Quellen war mit grossen Schwierigkeiten verknüpft, und noch immer bleibt für die folgenden Reihen eine UauptlUdce, nämlich die Bildnisse der salischen Kaiser; möchte die an Alle gerichtete Bitte, die Verlagshandluag von den etwa voiliandenen brauchbaren Quellen in Betreff dieser Letzteren in Kenntniss zu setzen, nicht ohne vielseitigen und genügenden Erfolg bleiben, damit einem so würdigen Unternehmen, dem wir den besten Fortgang wünschen, die Bahn möglichst geebnet werde.

22.

Die kritischen Urtheile der Literarischen Zeitung. Wir haben uns anheischig gemacht in unserer Zeitschrift eine ehrliche und auf- richtige Kritik zu üben ; das ernste Interesse der Wissenschaft gebietet uns aber auch, vor jeder unehrlichen und vehmartigen zu warnen« Deshalb fühlen wir uns berufen, eine Thatsache zu veröflientlichen, welche mit deutscher Redlichkeit im schneidendsten Widersprach steht. FreBich betrHR sie uns; doch nicht darum führen wir sie an, sondern weU nar dieser Umstand uns zu der ungeahnten Entdeckung führte, dass die Redactien der Literarischen Zeitung unter dem Deckmantel der Anonymität ih- rer Mitarbeiter das verpönte Gewerbe der Urtheile -Fälschung treibt, die No. 47 d. J. enthält eine Anzeige der beiden ersten Hefte unserer Zeli- schrift, worin folgende Stelle vorkommt: „Unter den andern selbstständigen Arbeiten zeichnet sich die des Herrn Herausgebers über den Verfall der Volksrechte in Rom unter den ersten Kaisem durch eine wwar ttwm» fgt^ dekiäe^ aber 9om»t gute Darstellung vortheUhaft aas, wenn auch die ge- fundenen Resultate nkht neu timd.** Es kommt uns hier durchaus nicht auf Inhalt und Werth des UrtheUs an, sondern eindg und aHein auf desee» Ursprung. Man mag uns zutrauen, und wir werden Jede Gelegenheit wahr- nehmen es zu bewähren, dass Tadel uns nicht verdriesst. Da jedoch die durch die Schrift hervorgehobenen Urtheile mit allen uns anderweitig zu- gegangenen, sowohl brieflichen als mündlichen, im graden Gegensatze stan- den: so wandelte uns die gewiss verzeihliche Neugier an, den Namen des Recensenten zu erfahren. Die Redaction der Lit. Ztg. weigerte sich, ihn zu

3g4 Miiceüen.

nennen. Und so wäre wohl das geheime und unwürdige Gewerbe derseU ben noch Wnger verborgen geblieben , hätte nicht ein Zufall uns den Ro- censenten entdeckt und entgegengeführt, der gleich bei unserm ersten ru- higen Einwurf gegen jene Worte die überraschende Erklärung abgab, dass seinUrtbeil ohne sein Wissen durch Einschaltung und Streichung völlig entstellt worden sei. Er erbot sich uns das Manuscript vorzule- gen, worin in der That die Worte ^,zftar sonst" ganz fehlten, der Sohluss aber lautete: „wenn auch die Resultate nicht durchgehends neu sein moehisn,^^ Durch das eigenmächtige und später auch eingestandene Verfahren der Redaction war also das Unheil des Recensenten stiUschwei- gends fast in das grade Gegentheil umgewandelt worden. Was bleibt nach dieser Thatsache noch zu sagen übrig 1 Hat man nicht ein Recht ähn- liche Fälschungen bei allen Urtheilen der Liter. Ztg« vorauszusetzen? Wird man fortan sie anders als mit Misstrauen zur Hand nehmen, dürfen? 0er Schriftsteller der vor das kritische Foram der Lit. Ztg. gezogen wird, das Publicum das in ihren Spalten über den Werth dör neuesten Erschei- nungen sich orienliren will, glauben die competenten Aussprüche sach. verständiger Richter zu vernehmen. Allein beide werden gröblich hinter gan- gen, wenn die Urtbeile der gelehrten und ehrenhaften Mitarbeiter zuvor eine geheime Instanz passiren müssen, die man durchaus für. in comp et ent erklären muss ; zumal da die Liter. Ztg. dem Gesammtgebiete der Literatur gewidmet ist und doch die Redaction derselben unmöglich den Inbegriff aller vier J^aculläten darstellen, unmöglich die Resultate alles menschlichen Wissens in sich aufgenommen haben kann. In welches Labyrinth von Miss griffen muss sich also der eine Geist verirren, wenn er in allen Tief^ und auf allen Höhen der Wissenschaft sein eigenes Licht als maassgebend leuchten lassen wUl. Der Beweis liegt vor Augen. Wir würden sicher Herrn Brandes eine grosse Verlegenheit bereiten, wollten wir die Auf- forderung an ihn richten, die Resultate jenes Aufsatzes, die ihm „nicht neu sind'* sämmtlich anderwärts nachzuweisen, es müsste denn Werke über die röm. Geschichte geben, die nur für ihn geschrieben sind. Lieber möch- ten wir jedoch ihn fragen, ob etwa auch der Inhalt dieses Excurses kein neues Resultat enthalte, ob vielleicht die UrtheUs-Fälschungen der Lit. Ztg. so alt seien, wie seine Stellnng als Herausgeber derselben. Man rede uns nicht von Redactionsbefugnissen 1 Diese können sich bei einer wissen- schaftlichen Zeitschrift immer nur auf die Form und gewissermaassen auf den Anstand erstrecken ; niemals aber darf eine Redaction so weit ge- hen, den Sinn der richterüchen Ausspruche ihrer Mitarbeiter von Fach nach WUlkür und Laune heimlich umzustossen. Das ist ein Verfahren, welches Treue und Glauben zu Grunde richtet und wofür es im Lexicon der Höf- lichkeiten keinen Ausdruck giebt. Wir warnen also vor den Urtheilen .der Liter. Ztg. 1 Und wir werden so lange an der Ehrlichkeit ihrer Kritik zwei- feln, so lange vor ihr zu warnen fortfahren, bis sie den einzig rechtschaf- fenen Weg einschlägt, der ihr zur Herstellung ihres Credites noch übrig bleibt, Aufhebung der Anonymität. Die volle Gerechtigkeit ist von der Oeffentlichkeit untrennbar. Wer sich berufen glaubt zu reden und zu rich- ten, der schaue der Welt frei und offen ins Angesicht. Nur wer sich den BUcken Aller aussetzt, wird nichts behaupten als was er vertreten kann; nur wer öffentlich richtet^ richtet gerecht.

lieber die Iielstungren der Enfflttnder auf dem Geblelie der KirclieiigeAehlchte

Kng^lands.

iVenn Objectivitöt und strenge UDpaiteiiichkeit die nothwen-*> digen Eigenschaften des Historikers sind, und nur der die Palme erringen kann, der sich über die hadernden Partei^ ansichten erhebt, und aus einiger Ferne die Ereignisse be- trachtet, die er zu beschreiben unternimmt, so kann keiner der englischen oder schottischen Kirchengeschichtschreiber auf den Namen eines wahren Historikers Anspruch machen. Denn da in Britannien Religion und Kirche viel mehr mit dem Staat und dem öffentlichen Leben verknüpft sind als auf dem Festlande, und von jeher alle theologischen Streitfragen eine nachhaltige praktische Wirkung bei dem Volke hatten, so wurden stets die Begebenheiten der Vergangenheit mit Beziehung auf die Folgen in der Gegenwart angeschaut und lobend oder tadelnd, rechtfertigend oder verwerfend, je nach der eigenen Richtung und dem Standpunkte des Darstellers, beurtheilt. Daher erscheint jede Kirehengeschichte unter der Färbung derjenigen Religionspartei, zu der sich der Verfasser bekennt, und es ist deswegen jeder kirchlichen Gesellschaft die Nothwendigkeit auferlegt, die Geschichte ihrer Entstehung und Ausbildung und ihre Verhältnisse zu den andern Kir-* eben und Sekten von ihrem eigenen Standpunkte aus dar- zustellen, weil sie von den übrigen nur mit Tadel und Vor- würfen erwähnt wird. Dies hat einerseits die Folge, dass die Streitfragen von mehren Seiten beleuchtet und dadurch kla- rer werden, andrerseits aber, dass der Leser, der ausser dem

ZeiUcbrifl f. GMchiekUir. I. 1844. 25

386 lieber die Leistungen der Engländer auf dem

Treiben dieser Religionsparteien steht und die absichtliche Einseitigkeit nicht Yon vorne herein kennt, leicht zu einer schiefen Ansicht oder zu einem unrichtigen Urtheil gefuhrt wird. Dies ist aber in der Geschichte Englands von grösse- rer Wichtigkeit als bei andern Ländern, weil durch die enge Verbindung von Kirche und Staat die religiöse Ansicht auch zugleich den Maassstab zur Beurtheilung fast aller Ereignisse des sechzehnten und siebenzehnten Jahrhunderts und zur Würdigung der Regenten und Regierimgen an die Hand giebt, und die politische Geschichte dieser Zeit mehr oder minder von dem religiösen Impulse des Volks und der ent- gegenstrebenden Richtung der Könige und ihrer Staats- und Kirchen-Diener ausgeht Die Kämpfe über Disciplin und Ad- ministration der Kirche und über dieses oder jenes Dogma sind also in England nicht blosse Zänkereien zelotischer, ei- gensinniger Theologen, die eine vorübergehende Aufregung bei ihren Anhängern hervorrufen, sondern es sind Lebens- fragen, durch welche die grossartigsten Begebenheiten im Staate herbeigeführt werden. Die hartnäckige Anhänglichkeit an das anglicanische Episcopat hat einen der kräftigsten Kö- nige aus dem Hause Stuart auf das Blutgerüst gefuhrt, und das Bestreben, eine, umgestürzte Kirche wieder aufzurichten, hat seinen Sohn vom Thron gestürzt und dessen Nachkom- men um ihr schönes Erbe gebracht Dass diese Religions- wuth, diese gewaltigen Parteikämpfe auf die Kircbenhistori- ker dieser und der folgenden Zeit eine starke Nachwirkung ausüben und auf Urtheil und Darstellung influiren mussten, ist leicht begreiflich, besonders wenn man bedenkt, dass das englische Volk eine entschiedene Richtung zum kirchlichen Rigorismus und zum religiösen Fanatismus hat, wie sich so- wohl aus den harten Verordnungen der Episcopalen gegen die Nonconformisten als aus der Zerrissenheit und endlosen Separation der zahlreichen Sektirer ergiebt, und dasff auf der andern Seite die bekannte Loyalität gar Manchen zu der An- sicht fuhrt, dass der Wille des Regenten als Gesetz zu be- trachten und mit passiver Unterwürfigkeit zu befolgen sei. Was aber ausserdem eine klare Auffassung der englischen

Gebiete der K%rckenge»chichte Englands. 387

Reformation und der daraus hervorgegangenen Kampfe noch erschwert, ist ihre Eigenthümlichkeit und die besondere Ent* Wicklung der kirchlichen und reh'giösen Zustände, was so* wohl von der insularischen Lage des Landes als von dem abgeschlossenen, das Fremde sich schwer aneignenden Cha- rakter der Nation herrührt, und wodurch der Maassstab der Vergleichung mit ähnlichen Erscheinungen anderer Länder abgeht.

So verschieden sich nun auch die Auflassungs- und Dar- stellungsweise der englischen Reformation und ihrer Folgen bei den verschiedenen Glaubensgenossen äussert, so lassen sie sich doch in drei fiauptklassen eintheilen, in Katholi- ken, Episcopalen und Dissenters. Die ersten und letz- ten sind sich ihres Zieles genau bewusst und daher von glei- chem Parteieifer beseelt, ja nicht selten in ihrer Polemik übereinstimmend, da sie denselben Gegner bekämpfen und unter demselben Drucke seufzen; ihre Tendenz giebt sich durch mannigfache Entstellung und Färbung der Begeben- heiten kund, wodurch die Wahrheit verhüllt und der Drtheil- lose leicht irre geführt wird. Die mittlem dagegen sind sehr ungleichartig, je nachdem die Einflüsse waren, unter denen sie schrieben, so dass sich die Einen der katholischen An- sicht vor der Reformation anschliessen, wie die heutigen Pu- seyiten, die Andern mehr auf dem Standpunkte der deutschen Protestanten stehen und daher den Dissenters näher kom* men. Als Repräsentant jener Gattung kann Jeremias Col- lier dienen, während die letztere Richtung von Gilbert Burnet vertreten wird. Zwischen beiden steht noch eine dritte Partei, die hochkirchlich -protestantische, gleich feind- selig gegen Calvin und Luther wie gegen Rom und Papis- mus. In dem Folgenden wollen wir nun über die Reprä- sentanten dieser verschiedenen Richtungen, mit Ausnahme der Dissenters, einige Angaben zusammenstellen, unsere Auf^ merksamkeit jedoch hauptsächlich dem Bischof Gilbert Bur- net, als dem bedeutendsten darunter zuwenden. Wir beab- sichtigen dabei nicht nur unser Scherflein zur Aufhellung einer wichtigen Periode der Kirchengeschichte beizutragen,

25*

388 Ueber die Leistungen der Engländer auf dem

sondern auch den Beweis zu liefern, dass die heutigen Be- strebungen der Puseyiten in England nicht als eine neue, losgerissene Erscheinung zu betrachten seien, sondern dass in verschiedenen Epochen der frühern Kirchengeschichte sich ähnliche Tendenzen mit weit grösserer Aussicht auf Er- folg geltend zu machen gesucht haben, und dass sich demnach auch hier die Worte des Dichters bewähren, dass die Sonne nichts Neues mehr sehe. Wir wünschen ^]i zeigen, dass seit Jahrhunderten unter der englischen Geistlichkeit und nament- lich auf der conservativen Universität Oxford sich Männer befunden haben, die nach einer nähern Verbindung der eng- lischen Kirche mit der römisch-katholischen strebten und die Reformation als ein verhängnissvoUes Ereigniss betrachteten, dass aber von jeher in der englischen Nation ein durchaus protestantischer Sinn herrschend war, an dem alle diese Be- strebungen scheiterten. Wer daher heutzutage an das Trei- ben einiger Theologen in Oxford Hoffnungen und Befürch- tungen knüpft, der verkennt den gesunden Sinn des engli- schen Volks, das zu sehr am Beeilen hängt, als dass es sich aus seinem freien Besitzthume vertreiben, und seinen klaren, praktischen Verstand unter ein glänzendes Joch beugen liesse. Selbst wenn solche antireformatorische Ansichten bei der Geistlichkeit mehr Eingang finden sollten, als dies bis jetzt der Fall scheint, wäre noch wenig für die englische Kirche zu furchten, da dergleichen Grundsätze nicht ihre Wurzeln in der Nation haben, sondern als dürre Theorien ohne Boden und Halt in der Luft schweben, das Volk aber gewöhnlich so lange geduldig zusieht, bis ihm das Treiben zu arg wird, und es dann mit einem derben Schlag der verkehrten Neue- rung Einhalt thut. Kein Volk bildet sich mit einem richti- gem Takt seine eigenen Ideen und Grundsätze, als das eng- lische, und nur was mit diesen zusammentrifit, kann auf Geltung und Erfolg rechnen. Im siebenzehnten Jahrhundert begünstigte der Hof und ein grosser Theil des Klerus die katholischen Tendenzen, und dennoch trug die Richtung des Volks den Sieg davon; wie sollte man also jetzt, wo man die Regierung keiner solchen Zuneigung beschuldigen kann

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Gebiete der Kirchengeschichte EuglatidSj. 369

und der Sinn des Volks derselbe geblieben ist, von einer hyperconservativen Fraction wirkliche Gefahr für die eng« lisch-protestantische Kirche befürchten?

Zum bessern Verständniss des Folgenden wird es nöthig sein, einige einleitende Worte über den kirchlichen Zustand Englands und über das Verhältniss der Regenten zu den re« ligiösen Tendenzen des Volks von der Reformation bis zur Vertreibung Jacobs II. vorauszuschicken.

A. Schicksale der englischen Kirche von Heinrich VIII.

bis zur Vertreibung lacobs II.

Heinrich VIII. war dem päpstlichen Stuhle und der römischen Kirche mehr zugethan, als irgend einer der gleich- zeitigen Regenten. Während Carl V. die Verlegenheiten des römischen Hofs oft absichtlich durch Beschützung seiner 6eg* ner vermehrte, um eigene Vortheile daraus zu ziehen, schrieb Heinrich in heiligem Eifer für die Kirche gegen Luther ein Buch und forderte in Briefen die sächsischen Fürsten zur Vertilgung „des schuftigen Mönchs, der ewigen Quelle der Lüge" auf. Ais die kaiserlichen Truppen verheerend in Rom eindrangen (Mai 1527) und Papst Clemens VII. hülflos und verlassen in das Castell sich flüchten musste, war Heinrich der einzige, der sich seiner annahm und ihm Unterstützung gewährte. Daher war auch der Papste der diese Gesinnung kannte und schätzte, dem König von England besonders zu- gethan und stellte ihm eine befriedigende Lösung der Ehe- scheidungssache in Aussicht, wenn nur erst die kaiserlichen Truppen seine Staaten geräumt hätten. Allein die Umstände wurden verwickelter. Carl V. nahm sich seiner Tante an und hinderte den Papst an dem Vollzug seines Versprechens. Cle- mens hofite sich durch italienische Schlauheit durchzuwin- den; allein die Ungeduld des sinnlichen Königs vereitelte seine Pläne; er überlistete sich selbst und brachte die rö- mische Tiara um ihre schönste Perle. Heinrich liess ei- genmächtig durch den Erzbischof Cranmer die Scheidung voll- ziehen und sich bald nachher mit Anna Boleyn trauen, und da die Curie, die unter spanischem Einflüsse handelte, die

390 lieber die Leistungen der Engländer auf dem

nachträgliche Bestätigung venagte, so wurden im Laufe der dreissiger Jahre eine Reihe von Pariamentsbeschlüssen und Regierungsverordnungen erlassen, welche das locker gewor- dene Band zwischen der englischen Landeskirehe und der römischen Curie lösten und die päpstlichen Rechte und Prä- rogativen der Krone zutheilten. Nach Abschaffung des römi- schen Primats erklärte sich der König zum „Oberhaupt der englischen und irischen Kirche auf Erden unter Christus '% nahm als solches die Annaten und alle Sportein, die für Dis- pensationen, Appellationen u. drgl. an die Curie flössen, für sich in Anspruch, Hess sich den Zehnten von allen geistlichen Stellen bezahlen und heischte von seinen Unterthanen einen neuen, sogenannten Suprematseid. Sodann „inhibirte^^ er auf einige Zeit alle geistliche Jurisdiction und ertheilte hernach den einzelnen Bischöfen, auf besonderes Ersuchen, im Namen des Königs „von dem alle geistliche Jurisdiction ausfliesst^', aufs Neue die Befugniss, ihre Episcopalrechte auszuüben. Die folgenreichste aber, und mit den grössten Ungerechtig- keiten verbundene Maassregel war die Aufhebung aller Klö- ster und Einziehung ihres Guts und Vermögens.

Wenn auf diese Weise Heinrich YIIL den Grund zu dem äussern Organismus der anglicanischen Kirche legte, so war ^r dagegen ein zu grosser Anhänger des herrschenden Reli- gionssystems und der Lehren des Thomas von Aquino, als dass er damit auch zugleich in eine Reformation der kirch^ liehen Satzungen nach dem Vorgänge der deutschen Fürsten, oder in die Begründung einer Kirche nach den Vorschriften der Apostel gewilligt hätte. Seine Gesinnung blieb katho- lisch und mit despotischer Hand zwang er sein Volk sich mit dem zu begnügen und in das zu fügen, was er willkürlich und launisch beizubehalten oder zu ändern beschloss. Der alte Dogmenglaube und der herkömmliche Cultus wurden mit wenigen Modificationen beibehalten, während man die Pfeiler, auf denen sie ruhten, umstiess; und wer sich beige- hen liess, die getroffenen Neuerungen zu missbilligen, oder an dem Alten, das noch bestand, Anstoss zu nehmen, starb eines gewaltsamen Todes, so dass die Hand des Scharfrich-

Gebiete der Kirchengeschichte Englands, 391

ters über Papisten wie über Reformirten schwebte. Ja selbst der Weg der Orthodoxie war durch widersprechende Ge* setze und launenhafte Verfugungen gefahrvoll und unsicher; denn was heute als rechtgläubig galt, konnte morgen häre- tisch sein. Das Lesen der Bibel, das anfangs Niemandem ver- sagt war, wurde später nur den Gebildeten gestattet, und die Hoffnungen derer, die eine zeitgemässe Reform des kirch- lichen Lehrbegrifis erwarteten, wurden durch die sogenann- ten sechs Blutartikel und die grausamen Strafbestimmungen gegen deren üebertreter schrecklich getäuscht.

Die Aufhebung dieses Gesetzes der Blutartikel war da- her unter der Regierung Eduards VI. der Anfang einer durchgreifendem Reform der Kirche, die auf Anordnung des Protectors Somerset und unter den Auspicien Granmers vor- genommen wurde. In Betreff der äussern Verfassung schloss man sich dabei an die von Heinrich VHI. getroffenen Anord- nungen an, die aufs Neue sanctionirt wurden; was dagegen Gultus, Disciplin und Lehrbegriff angeht, so verliess man die bisherigen Formen und Satzungen und gab der englischen Kirche durch Bearbeitung und Einführung der symbolischen Bücher eine eigenthümliche Gestalt und einen von den übri- gen protestantischen Kirchen in vielen Punkten abweichen- den Inhalt Diese Bücher bestanden in einer neuen, auf dem allgemeinen Ritual- und Gebetbuche (common -prayer-book) beruhenden Liturgie, in dem Homilienbuch, in der Gonfes- sion der zweiundvierzig, unter Elisabeth auf neununddreissig reducirten Artikel, und in einer neuen Sammlung ausgewähl- ter canonischer Gesetze. Die Abstellung der Messe und Hei- ligenverehrung, die Einfuhrung der Landessprache beim Got- tesdienste, die freie Benutzung der übersetzten Bibel, die Communion unter beiderlei Gestalt und die, wenn gleich mit einigen BeschränkuDgen gestattete, Priesterehe hatte diese erste Form der anglicani sehen Kirche mit ihren reformirten Schwesterkirchen des Festlandes gemein; dagegen schlugen die englischen Reformatoren bei Abfassung der Liturgie ei- nen eigentbümlichen Weg ein, indem sie von den altern zur Gewohnheit gewordenen Formen mehr beibehielten als bei

392 Ueber die Leistungen der Engländer auf dem

jenen der Fall war, absichtlich keinen auswärtigen Theologen zu Rathe zogen und den angebotenen Beistand Galvin's ent- schieden von sich wiesen. Sie hielten es für besser dabei nicht auf das apostolische Zeitalter zurückzugehen, wie die Reformatoren des Festlandes thaten, sondern die kirchlichen Formen, wie sie sich in den sechs ersten Jahrhunderten nach und nach ausgebildet hatten, zum Grunde zu legen und Al-^ les beizubehalten, was nicht grade zum Aberglauben führte, oder dem Papismus zur Folie diente. Daher äusserte sich auch Calvin in mehren Briefen sehr missbilligend über die Beibehaltung des „papistischen Trödels'' in dem englischen Ritualbuohe, das bald nach seinem Erscheinen von dem Schot- ten Alexander Alesius ins Lateinische übersetzt wurde. Uebrigens schändete sich auch diese Regierung durch Kir- chenraub und bedrohte die Unglücklichen, die in Folge der Klosteraiifhebung als brodlose Vagabunden und Bettler um- herirrten, mit den härtesten Strafen, während zur Errichtung des Somerset-Palastes am Strande der Themse zwei Kirchen, zwei Kapellen und drei bischöfliche Wohnungen niederge- rissen wurden.

Unter der Regierung der katholischen Maria Tudor wurde das servile Parlament dahin gebracht, die meisten die- ser Bestimmungen wieder aufzuheben. Die Liturgie wurde „als Neuerung und Erfindung einiger weniger Männer von singulären Ansichten'' abgeschafft, das book of common prayer aus dem Gottesdienste entfernt, der Kelch den Caien entzo- gen, die Priesterehe untersagt und die Messe wieder einge- führt; bei der Ordination der Bischöfe sollte der alte Ritus beobachtet werden und die früheren canonischen Gesetze wieder ihre Gültigkeit erhalten. Auch wurde das der Krone zugefallene Kirchenvermögen zur Restauration einiger Klöster verwendet, die aber keinen längern Bestand hatten, als die Regierung der Gründerin. Die Wiedereinführung des päpst- lichen Primats und der geistlichen Jurisdiction fand dage- gen anfangs Widerstand und konnte erst im dritten Parla- ment, nachdem der neue Cardin.*»»- Legat Reginald Polus die Besitzer der Klöster- und Kirchengüter über den Fortgenuss

Gebiete der Kirchengeschichte Englands. 393

ihrer erworbenen Besitzungen beruhigt hatte, durchgesetzt werden. Die Erneuerung des Gesetzes de comburendo hae- retico gab der bigotten, menschenfeindlichen Königin die Mit- tel an die Hand, ihrem lang gehegten Hass gegen die Pro- testanten Luft zu machen und ihre Rache zu befriedigen. Die Flamme des Fanatismus loderte in allen Gegenden des Rei- ches und Schaaren flüchtiger Reformirten verliessen das Land des Schreckens und suchten ein Asyl in den glaubensver- wandten Staaten Deutschlands und der Schweiz.

Doch dauerte dieser Zustand nicht lange. Schon im No- vember 1558 bestieg Elisabeth den englischen Thron; und da sie einer Kirche , nach deren Principien sie für illegitim und regierungsunfähig galt, nicht zur Herrschaft verhelfen durfte, so Hess sie in dem ersten Parlamente 1559 die Be- schlüsse der vorhergehenden Regierung abrogiren und durch die sogenannte Uniformitätsakte den Zustand der Kirche, wie er unter Eduard bestanden, wieder einführen. Alle Diener der Kirche und des Staats wurden sofort, unter Androhung der Absetzung und anderer Strafen genöthigt, eidlich zu ge- loben, dass sie die Königin als Oberhaupt der Kirche aner- kennen, jede fremde Jurisdiction als ungültig verwerfen und allen Bestimmungen der symbolischen Bücher, die einer neuen Revision unterworfen wurden, aufs Genaueste nachkommen wollten. Dadurch ward Elisabeth unbeschrankte Gebieterin des Glaubens und der Gewissen ihrer Unterthanen, und da ihr zugleich die Befugniss zustand, ihre Autorität in kirchli- chen Dingen Andern zu übertragen, woraus die so gehässige hohe Gommission hervorging, so wurde jede geistige Re- gung, die sich auf kirchlichem Gebiete zeigte, einer Art In- quisition unterworfen, und dadurch eine Opposition hervor- gerufen. Denn eine Kirche, wie die anglicanische Episcopal- oder Hochkirche, die zwischen der römisch-katholischen und der reformirten in der Mitte steht, in Gultus und Hierarchie an die erstere, dem LehrbegriSe nach an die letztere sich anschliessend, konnte nicht Jedermann befriedigen. Sie entriss den Katholiken zu viel, und liess den Reformirten, die man mit dem Namen Puritaner belegte, zu viel bestehen; daher

394 lieber die Leistungen der Engländer auf dem

sich beide, trotz der Verfolgungen^ die sie sich dadurch zu- zogen, als NoDConformisten ausschieden. Indessen wären die Katholiken unter Elisabeth wenig gefährdet gewesen, hätten sie nicht durch Gonspirationen, die von den überseeischen Seminarien zu Gunsten ihrer katholischen Gegnerin Maria Stuart fortwährend angesponnen und unterhalten wurden, den Zorn der strengen Gebieterin geweckt. Denn Elisabeth war den kirchlichen Geremonien und der äusseren Pracht beim Gottesdienst sehr zugethan und sah darin ein wirksa- mes Mittel, das Volk in heiliger Ehrfurcht vor der Religion und in Gehorsam und Unterwürfigkeit gegen die Obrigkeit zu erhalten, während ihr die demokratischen Grundsätze der Puritaner und der einfache Gultus der presbyterischen Kirche durchaus zuwider waren.*) Durch die Uniformitäts-Akte erlangte, die anglicanisch- protestantische Kirche in England entschieden den Sieg, so dass von dieser Zeit an der Kampf zwischen Katholiken und Protestanten als ein ungleicher, weniger Interesse erregt, als die Streitigkeiten zwischen den hochkirchlichen Episcopalen und der puritanischen Opposition. Die sogenannten Puritaner, der Stamm aller nachfol- genden Sekten in England, bestanden anfangs hauptsächlich aus flüchtigen Protestanten, die unter Maria in Deutschland und der Schweiz ein Asyl gesucht und bei der Thronbestei- gung der Elisabeth wieder in ihre Heimath zurückgekehrt waren. Während ihres Exils hatten sie sich in Frankfurt, Strassburg, Basel, Genf u. a. O. niedergelassen und mit Ein- willigung der obrigkeitlichen Behörden ihren eigenen Got- tesdienst eingerichtet, dabei aber nach dem Vorbilde der cal- vinischen Kirchen mancherlei Aenderungen in der Liturgie Eduards VI. vorgenommen und überhaupt grösstentheils eine Vorliebe für den einfachen Gultus und die durchgreifendem Reformen des Festlandes gewonnen. Nach ihrer Rückkehr

*) um die Katholiken versöhnlicher zu stimmen Hess Elisabeth aus dem common -prayer-book mehre Stellen und Ausdrücke, die ihnen anstössig sein konnten, entfernen z.B. die Bitte, der Herr solle sie erlösen von der Tyrannei des Bischofs von Rom und sei- nen verfluchten Unternehmungen.

Gebiete der Kirchengeschichte Englands. 395

hofiten sie daher zu bewirken, dass bei der neuen Organi- sation der Kirche das common-prayer-book und die Liturgie von allem dem „gereinigt^' würde, was sie die Hefe des Anti- christs und den papistischen Cnflath nannten, zumal da sich Männer von wissenschaftlichem Rufe, wie Job. Fox, der Mar- tyrologe^ Miles Goverdale u. A. unter ihnen befanden. Aber die üniformitätsakte schlug alle ihre Hoffnungen nieder und Hess ihnen nichts übrig, als durch die Weigerung sich der „papistischen" Gewänder beim Gottesdienste zu bedienen und verschiedene Geremonien, wie das Knieen beim Em- pfange des Abendmahls, mitzumachen, ihre Missbilligung aus- zudrücken. Durch Härte, Verfolgung und Amtsentsetzung nahm ihre Zahl und ihr Eifer zu. Die consequente Durch- fuhrung calvinischer Principien mehrte die Divergenzpunkte, bis zuletzt die Grundsätze der Puritaner über Kirchenverfas- sung, Disciplin und Gultus denen der Hochkirche grade ge- genüberstanden. Denn während in der Nationalkirche, wie bei der Staatsverwaltung, das aristokratisch - hierarchische Princip dominirte, waren die Fundamental-Lehren der puri- tanischen Kirchengemeinschaft rein demokratisch; während dort eine starre Form jede freie Bewegung aufhob und das religiöse Bewusstsein aller Glieder in enge Fesseln schlug, bildete sich hier nach und nach das voluntary principle, „das Princip der unbedingten Freiwilligkeit in Beziehung auf die Verbindung des Einzelnen mit der Kirche" (ühden, Zustände der anglican. Kirche p. 5), und während dort das liturgische Element und ein fixirtes Geremoniel beim Gottesdienste vor- waltete und die Predigt durch bestimmte Regeln auf einen engen Ideenkreis beschränkt war, herrschte hier eine schmuck- und kunstlose Einfachheit, und bei dem aller Poesie und Phan* tasie ermangelnden Gottesdienste war die freie Rede des Pre- digers, als der momentane Erguss einer göttlichen Begeiste- rung> der überwiegende Bestandtheil.

Die Puritaner strebten Anfangs nach calvinisch-presbyte- rianischen Einrichtungen, wonach der Wille des Einzelnen der republicanischen Kirchengemeinde und ihrer Repräsen- tanten, den Presbyterien, Synoden und Kirchenversammlun-

396 lieber die Leistungen der Engländer auf dem

gen untergeordnet war. Sie verwarfen keineswegs die Idee einer Staatskirche, sofern dieselbe nur nach ihren Principien organisirt wäre, daher sie sich auch nicht separirten, son- dern nur als Opposition innerhalb der Nationalkirche selbst ihre Ansichten geltend zu machen suchten. Aber schon im letzten Viertel des sechzehnten Jahrhunderts trennten sich die Independenten oder Gongregationalisten, realisirten zuerst in Holland unter Gartwright, Brown, Ainsworth u. A., nach- her an der Massachusettsbay und in Connecticut, den Grund- satz des voluntary principle als freie Kirchensekte und tra- ten bald den presbyterianischen Puritanern, aus deren Schooss sie hervorgegangen waren, eben so feindselig gegenüber, wie diese den Episcopalen.*) Der stete Verkehr der Indepen- denten mit dem Mutterlande pflanzte ihre Ansichten daselbst fort, und erleichterte Vielen von ihnen^ im folgenden Jahr- hunderte, als sich die Umstände zu ihren Gunsten gestalte- ten, die Rückkehr in ihre Heimath.

Mit Jacobs I. Thronbesteigung erwarteten die Purita- ner wie die Katholiken Milderung der gegen sie bestehenden Gesetze; jene weil Jacob in der presbyterianischen Kirche, deren Grundsätze nicht wesentlich von denen der Puritaner abwichen, erzogen worden war, und öfters geäussert hatte, „er danke Gott, dass er ihn in der reinsten aller Kirchen gebo- ren werden liess, an der er daher auch bis zu seinem Tode festhalten wolle"; diese weil er von jeher Nachsicht gegen sie geübt und vor seiner Thronerlangung Milderung der Re- ligionsgesetze und Gewissensfreiheit ihnen ausdrücklich in Aussicht gestellt hatte, wenn sie ihm nicht entgegenwirkten.

Die Puritaner wurden jedoch bald inne, dass jene Ver- sicherung Jacobs nur aus Heuchelei und aus Furcht vor der rücksichtslosen Derbheit der presbyterianischen Prediger her- floss, dass aber der König im Herzen die demokratisch -re- publicanische Verfassung der schottischen Kirche verabscheue, wie dies aus seinem, damals noch wenig bekannten Buche

*) Dies haben wir bereits ausgesprochen und weiter ausgeführt in einer Recension der Schriften von Gabler und üliden über die Zu- stande der anglicanischen Kirche in den Heidelb. Jahrbüchern 1843.

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„Basiiicon doron'^ hervorging, worin die Ansicht niedergelegt war, dass eine republicanische Kirchen Verfassung mit einer Monarchie unvereinbar sei, eine Ansicht, die sein ganzes spä- teres Verfahren gegen die Dissenters bestimmte, und die in dem Grundsatze ausgesprochen war: „Kein Bischof, kein König/' Jacobs Vorliebe für die Episcopalkirche hing mit seinem Streben nach absoluter Macht und mit 'seinen ho- hen Ideen von der göttlichen Würde der Könige zusammen, die er in einer zweiten Schrift dem bestürzten Volke dar- legte, wo er aus den SchUderungen Samuels von den Lei- den und Bedrückungen, die das israelitische Volk unter dem despotischen Scepter eines orientalischen Monarchen zu er- warten hätte, den Schluss zieht, dass nach den Worten Got- tes dem König absolute Gewalt ohne alle Beschränkung zu- stehe, das Volk aber keine Rechte habe und zum „passiven Gehorsam'^ verpflichtet sei. In dem Golloquium von Hamp- ton-court, das Jacob auf eine „tausendhändige Petition" der Puritaner anordnete und worin er selbst trotz einem Theo- logen disputirte und argumentirte, erklärte er daher densel- ben auch, „dass sich Presbyterialverfassung mit Monarchie vertrüge wie Gott mit dem Teufel, und dass er nicht gewillt sei, seine Beschlüsse und Handlungen von Jack und Tom kritisiren zu lassen, wobei der eine sage: so muss es sein, der andere aber aufstehe und sage: Nein! so wollen wir's haben!'' Alles was die Puritaner erlangten, war, ausser der genauem Bestimmung einiger Glaubensartikel, die neue noch heut zu Tage in der englischen Kirche gebrauchte Bibelüber- setzung, mit Ausschluss der apokryphischen Bücher, weil die ältere viele Fehler enthielt, die Genfer Bibel aber, welche die Puritaner eingeführt wünschten, ihrer kühnen Anmer- kungen wegen dem König ebenso missfiel, wie sie seiner Vorgängerin missfallen hatte. Somit blieb den puritani- schen Nonconformisten nichts übrig, als sich entweder der anglicanischen Kirche, deren Satzungen jetzt durch einen neuen canonischen Codex, unter der Leitung des servilen Erzbischofs Bancroffc, noch schroffer dargestellt wurden, zu fügen, oder sich als excommunicirte, rechtlose Sektirer und

398 Veber die Leistungen der Engländer auf dem

Disscnters allen Verfolgungen und Bedrückungen biossgestellt zu sehen. Sie wählten das letztere Loos und traten dem Staat und seiner Kirche feindselig gegenüber. Ihre einzige Waffe blieb die Presse und trotz mannigfacher Verbote ge- gen den Verlag puritanischer Schriften, ward fortwährend eine heftige Polemik gegen die Episcopalkirche unterhalten, wobei der König nicht geschont wurde.

Wie Jacob i. mit entschiedener Abneigung gegen die Puritaner nach England kam, so hegte er dagegen von Ju- gend auf eine grosse Vorliebe für die Katholiken. Es ist höchst merkwürdig, wie sich in allen Gliedern der Familie Stuart eine Neigung zur römischen Kirche beurkundet, die nicht durch Erziehung geweckt und durch Jugendeindrücke werth gemacht wurde, sondern die wie ein unheilbringendes Erbtheil von den Eltern auf die Kinder überging und an al- lem Unglück, das die Familie betroffen, Ursache war. Jacob, der als zweijähriges Kind seiner Mutter entrissen und von Buchanan im Hass gegen die Katholiken auferzogen wurde, der in seiner Jugend die heftigsten Invectiven gegen den päpstlichen Antichrist und die römische Hure hören musgte, der zeigte schon als König von Schottland unbegreifliche Nachsicht gegen die Umtriebe spanischer Emissäre und Je- suiten, die in Verbindung mit einigen katholischen Edelleuten seine Regierung beunruhigten, und Hess sich nur mit innerm Widerstreben zuweilen durch die laute Stimme des entrü- steten Volks bewegen, Strafen über sie zu verhängen, die er aber bei der ersten Gelegenheit wieder aufhob. Jacob hätte daher auch gern die Versprechungen, die er den englischein Katholiken des In- und Auslandes machen Hess, sogleich er- füllt, wenn ihn nicht die laute Stimme des Volks daran ge- hindert hätte. Der unzeitige Bacheplan einiger fanatischen Katholiken, die in dem Aufschub eine Weigerung erblickten, zwang ihn später ihnen den Eid of allegiance aufzulegen und durch mehre strenge Gesetze gegen die Neigung seines Her- zens Bedrückungen über sie zu verhängen. Das unpopuläre Be- streben, seinen Sohn Carl mit einqr katholischen Prinzessin zu vermählen, war noch ein Nachklang seiner geheimen Neigung.

Gebiete der Kirchengeschichte Englands. 399

Durch diese Zuneigung zu dem Katholicismus, die auch auf Jacobs Sohn Carl I. überging, verdarben sich die Stuarts ihre Stellung der protestantischen Nation gegenüber und ver- stärkten die Reihen der Puritaner, zumal da jetzt zu der Furcht vor einer Restauration des Papismus noch die Be* sorgniss vor einer Vernichtung der politischen Volksrechte sich gesellte. Daher wurden die Puritaner aus verachteten Sektirern nun auf einmal Kämpfer für religiöse und politische Freiheit; ihre Forderungen und Ansichten fanden in der Masse der Nation desto stärkern Anklang, je schroffer Carl I. den- selben entgegentrat, und je mehr die Stuarts überhaupt den Geist und die Richtung des Volks nicht begriffen und nicht anerkennen wollten. Zu einer Zeit, wo die Tendenz der Masse auf Vereinfachung des Gultus ging, schenkte Carl sein ganzes Vertrauen einem Prälaten (Laud), der schon als Bi- schof von London sich durch Strenge gegen die protestanti- schen Nonconformisten , durch überspannte Grundsätze von dem göttlichen Rechte der Könige und dem passiven Gehor- sam der Völker, und durch eine unzeitige Neigung fiir kirch- liche Geremonien und pomphaften Gottesdienst allgemein ver- hasst gemacht hatte. Selbst die Episcopalen wurden gegen ihn aufgebracht, zumal als die Beschuldigung laut wurde, er habe das anglicanische Glaubensbekenntniss durch den viel bestrittenen Zusatz verfälscht, nach welchem „die Kirche Macht habe Ritus und Geremonien anzuordnen, und entschei- dende Autorität in Sachen des Glaubens^S ein Zusatz, der in der von Garl I. veranstalteten Edition der Glaubensartikel zu lesen war, während er in einigen frühern Ausgaben sich nicht vorfand, und dem man die Absicht zuschrieb, den Weg zur Einführung des Katholicismus zu bahnen und dem Parlamente die Einmischung in die kirchlichen Angelegenheiten zu ent- ziehen. Als nun gar dieser eifrige Episcopale nach dem Tode des milden Abbot auf den erzbischöflichen Stuhl von Ganter- bury erhoben wurde, und durch neue Gonsacrirung der Pauls- kirche, durch Ausschmückung mehrer Gathedralen mit Bil- dern und Ornamenten, durch Einführung neuer, der römischen Kirche sich anschliessender Geremonien bei dem öffentlichen

400 lieber die Leistungen der Engländer auf dem

Gottesdienste, die Gerüchte von einer beabsichtigten Wieder- einfühning des katholischen Religionssystems in England im- mer glaubwürdiger machte, da nahm die Aufregung des über seine bürgerliche und kirchliche Freiheit besorgten Volkes mehr und mehr zu. Puritanische Prediger, die von dem ze- lotischen Prälaten unbarmherzig von ihren Stellen getrieben und dem Elende Preis gegeben wurden, zogen im Lande umher und reizten durch fanatische Reden die erhitzten Ge- müther noch mehr auf. Man sah im Gefolge der Königin fast lauter Katholiken oder Convertiten, darunter Priester und Jesuiten von verdächtigem Streben; man vernahm, dass dem Erzbischof selbst zweimal von Rom aus der Cardinalshut an- geboten worden sei, und dass darüber zwischen ihm und dem König Berathungen stattgefunden hätten; man bemerkte, dass ein päpstlicher Legat, Panzani, sich in London aufhielt und offen mit dem Hof verkehrte, und dass Will. Hamilton im Namen der Königin, aber mit Wissen ihres Gemahls längere Zeit in Rom residirte; man erfuhr, dass zwei anglicanische Bischöfe, Goodman von Gloucester und Montague von Chi- chester thätig an einer Vereinigung mit „der römischen Mut- terkirche" arbeiteten. Dies alles goss Oel in die Flamme und reizte die mit Argwohn erfüllten Gemüther des Volks zur Empörung. Sollten ihre Väter (so wurde gefragt) die Leiden der Verbannung und die Marter des Feuertodes darum er- duldet haben, damit noch vor Abfluss eines Jahrhunderts der Geist wieder in die Fesseln römischer Arglist geschmiedet

würde?

Statt diese Stimmung des Volkes zu beachten, glaubte der verblendete König durch strenge Bestrafung der Wider- sacher der bestehenden Kirche, durch Drohungen gegen die Verletzer des göttlichen Rechts der Könige und durch abge- drungene Eide, „dass die bischöfliche Kirche und ihre hie- rarchische Verfassung die einzig rechtmässige sei", die ver- wegene Opposition unterdrücken zu können. Allein dieser Weg führte den König weit vom Ziele ab, er führte ihn ei- nem Abgrunde zu, den er erst mit Schrecken gewahr ward, als er den Rückweg verloren hatte. Der erste Anstoss zur

Gebiete der Kirchengeschichte Englandi. 401

Empörung ging übrigens von Schottland aus. Auch hier sollte eine bischöfliche Jurisdiction, mit der hohen Commission im Gefolge, die demokratischen Synoden und Presbyterien er- setzen , ein neuer canonischer Codex der legislativen Auto- nomie der Kirchenversammlung ein Ende machen, das book of common-prayer die freien und kühnen Predigten der Geist- lichen verhindern und eine hierarchische Rangordnung den übermüthigen Stolz der Gleichheit brechen und Ehrgeiz, Egois- mus und menschliche Schwächen unter den Predigern wek- ken. Da erhob sich das Volk in Masse gegen die Errichtung des „Baaldienstes ^^; unter Fasten und Beten wurde der alte Govenant „zur Beschützung der reinen Religion und Kirche gegen papistische Irrlehren und Gorruptionen*' erneuert; und die muth- und willenlosen Truppen des Königs erlagen der fanatischen Wuth der zahllosen Presbyterianer, deren Siege von den Engländern mit Frohlocken begrüsst wurden und dem „langen Parlamente", das mit ihnen in Verbindung trat, bald Gelegenheit gaben, Bache an ihren Gegnern zu nehmen. Die Verhaftung des Metropoliten Laud, die Anklage und Gefangennehfflung von zwölf protestirenden Bischöfen, die Abschaffung des Episcopats und der hohen Commission und die Wiedereinsetzung der früher verjagten puritanischen Geist- lichen bildeten das Vorspiel zu den kirchlichen Neuerungen, die im Jahre 1643 und 44 vorgenommen wurden. Eine Com- mission von 120 geistlichen und 30 weltlichen Gliedern kam nämlich nach langen und heftigen Debatten zu dem Beschluss, dass an die Stelle des common prayer-book und der angli- eanischen Liturgie das sogenannte directory for the public worship, das im Wesentlichen mit der presbyterianischen Kirchenform übereinstimmte, als Norm des Glaubens und des Cultus eingeftihrt werden sollte. Sofort wurden, wie beim Beginne der Beformation, Bilder, Ornamente, Orgeln u. dgL aus den Kirchen entfernt, die gemalten Fenster eingeschla- gen, Monumente, die als Träger „des Aberglaubens und der Abgötterei" angesehen werden konnten, niedergerissen, Man- tel, Kragen und Kappe den Geistlichen untersagt und eine Menge unnützer Feiertage aufgehoben. Den Predigern war

Zeitsolirift P. GescbicbUw. 1. 1844. 26

402 Ueber die Leistungen der Engländer auf dem

es nun gestattet, sich in langen Reden mit Freiheit über alle Punkte der Religion und über alle Ereignisse im Staat und Leben zu ergehen und selbst das Privatleben der sündigen Glieder ihrer Kirche einer Prüfung zu unterwerfen, um zu untersuchen, wer würdig sei, sich dem Tische des Herrn zu nähern und wer nicht. Die Enthauptung des Erzbischofa bezeichnete eine neue Aera in der englischen Kirche und die Herrschaft der früher schwer bedrückten und verfolgten Pu- ritaner, die jetzt die Geissei der Verfolgung über die Nacken ihrer ehemaligen Verfolger schwangen und aus Bedrückten Bedrücker wurden. Die Erscheinungen blieben dieselben, aber die Spieler auf der Schaubühne des Lebens hatten ihre RoI-» len gewechselt

In Folge des Directoriums wurde das kirchliche England in Provinzen, diese in Glassen und die Glassen in Pres- byterien eingetheilt. Aber Ruhe und Zufriedenheit kehrte darum nichik in die Gemüther ein. Die orthodoxe presbyte- rianische Partei beschwerte sich, dass das Parlament eine ungesetzliche Autorität über die Kirche, ihre Versammlungen und ihre Diener ausübe und das despotische Regiment der zelotischen Geistlichen nicht in seiner vollen Ausdehnung dulden wolle; die Independenten, die vermöge ihres Enthu- siasmus, ihres Eifers und ihrer Energie bei dem Parlamente, der Armee und der Bürgerschaft immer mehr an Ansehen gewannen, und die nicht gewillt waren, ihre Freiheit und Unabhängigkeit, um derenwillen Viele von ihnen früher ihre Heimath verlassen hatten, jetzt der Controle eines fremden Kirchenregiments unterzuordnen, murrten, dass der kirchliche Despotismus nur eine andere Form angenommen hätte, und dass nun statt einiger wenigen Bichöfe eine zahllose Schaar Geistlicher ihre Zwingherrschaft übten. Sie verlangten, dass jede kirchliche Gemeinde aütonomische Rechte über Glauben, Gultus und Disciplin habe, dass alle Kirchengemeinden, die sich durch das freiwillige Zusammentreten gleichgesinnter Glaubigen bildeten, coordinirt seien, und dass Niemand ge- zwungen werde, sein Gewissen unter eine allgemeine Vor- schrift zu beugen, sondern dass Jedermann Gott nach eigenem

Gebiete rfei* Kirchengeschichte Englands. 403

Ermessen diene; Verschiedenheit des Glaubens und Gultus müsse folglich erlaubt und Toleranz heilige Pflicht sein. Ihr grosser Beschützer war Cromwell; ihre Fürsprecher die Ju- risten und Politiker, welche keine kirchliche Autorität unab- hängig von der weltlichen Obrigkeit dulden wollten und das göttliche Recht der Presbyterial-Einrichtung verwarfen. Ihre Stärke beruhte in der Armee und in den zahllosen Sekten, die um diese Zeit unter den verschiedensten Namen und mit den wunderlichsten Ansichten aus dem chaotischen Zustande hervortraten und sich alle unter die Fahne der Independen- ten oder Gongregationalisten reihten, so wie in der grossen Menge der Libertinen, die die Ascetik der Presbyterianer und ihre strenge Disciplin scheuten. Ihre Macht wuchs von Tag zu Tag und es liegt in der Natur einer Revolution, dass die Partei, die mit verwegenem Sinn die extremste Richtung ver- folgt, zuletzt den Sieg davon trägt. Wie daher Lands Hin- richtung den Triumph der Presbyterianer über die Hochkirche bezeichnete, so ist die Verurtheilungund Hinrichtung Carls I. als der Sieg kirchlicher Ungebundenheit über die starre Form der Synodal-Yerfassung, und als der Uebergang einer stren- gen Demokratie in eine zügellose Ochlokratie zu betrachten. Aber in einer Revolution ist kein Stillstand möglich, und die siegreiche Ansicht, mag sie auch noch so extravagant sein» findet immer wieder ihre heftigsten Bekämpfer in solchen, die nach derselben Richtung noch weiter gehen, bis das un- haltbare Aeusserste die Herrschaft erlangt, aber nur um sie dem Gegensatze wieder in die Hände zu spielen. So wurden die Ansichten der Independenten, als der persönlichen Frei- heit noch immer zu nahe tretend, bekämpft von der neuen Sekte der Levellers, die sogar das Band einer kirchlichen Gemeinschaft und jede fifirte Form des Gottesdienstes als die Freiheit des Gewissens beengend verwarfen, und nur die Eingebungen der von Gott verliehenen Vernunft als maass- gebend fiir Religion und Gultus statuirten. Diesen kirchlichen Ansichten entsprachen ihre politischen Grundsätze von der Verwerflichkeit jeder monarchischen Regierungsform, von der Selbstregierung des Volks und der allgemeinen Wahlberech-

26*

404 lieber die Leistungen der Engländer auf dem

tigung bei Besetzung der Repräsentantenstellen, die durch schnellen Wechsel möglichst Vielen zugänglich gemacht wer- den sollten.

Während der republicanischen Zeit blieb die pres- byterianische Kirchenform in England die herrschende und das Episcopal-System ausser Gebrauch. Da aber unter allen Ständen die Richtung nach dem Religiösen vorherrschend war, und die Freiheit des Gewissens von allen Unzufriedenen in Anspruch genommen wurde, so war diese Zeit besonders fruchtbar an neuen Sekten, die sich an allen Ecken und En- den des Reiches erhoben und als Separatisten der herrschen- den Kirche gegenüberstellten. In jenen Tagen religiöser Auf- regung fand jede, auch die absurdeste Ansicht ihre Anhänger und ihre Märtyrer, und je auffallender die Ansicht sich äus- serte, desto sicherer konnte sie auf Erfolg rechnen. Der kirch- liche Zustand in England war damals , wie heut zu Tage in Nordamerika, in das dem katholischen Autoritätsglauben ent- gegengesetzte Extrem übergeschlagen, indem sich Jedermann berufen fühlte, die Bibel, deren Erklärung in der katholischen Kirche der individuellen Willkür entzogen ist, nach seinem Sinne und seiner Einsicht zu deuten und dabei mehr der göttlichen Inspiration als menschlicher Autorität folgen zu müssen glaubte. Von diesen Sekten waren viele nur ephe- mere Ausgeburten einer fanatischen Zeit und von eben so kurzer Dauer, wie diese selbst. Was die Grenzen der Be- sonnenheit und der nüchternen Vernunft überschreitet, ist nie mehr als eine flüchtige Erscheinung des Tages. An- dere verloren sich unter den grössern überlebenden Sekten der Puritaner und Independenten; noch andere haben, wie die Quäker, bis auf den heutigen Tag eine unbestrittene, selbstständige Existenz. Gromwelf, selbst ein Kind des reli- giösen Fanatismus jener Zeit, legte den Sekten, so lange sie harmlos blieben ^ keine Hindernisse in den Weg; nur wenn die excentrische Richtung die Institute des Staats, und der herrschenden Kirche bedrohte, wie im Jahre 1653, als das sogenannte Barebone-Parlament die Patronatsrechte und die Zehnten abschaffen wollte, dann trat Cromwell dem Treiben

Gebiete der Kirchengeschichte Englatids, 405

der Schwärmer entgegen und hielt Besonnenheit und Ver- nunft mit starker Hand aufrecht.

Nach der Restauration suchte der Hof in Kirche und Staat alles wieder auf den alten Fuss zu stellen, ging aber in seinen reactionären Bestrebungen immer weiter, bis der [Jebertritt zum Katholicismus erfolgte, und eine heue Thron- änderung bewirkte. Carl U., das Bild eines charakterlosen, schwachen und egoistischen Fürsten, war entweder schon während seines Exils in Frankreich zur römischen Kirche übergetreten oder hatte doch wenigstens solche Vorliebe für dieselbe gewonnen, dass es späterhin Ludwig XIV. nicht schwer fiel, durch Geld und. Mätressen ihn förmlich zu der- selben hinüberzulocken, obgleich dies der Nation bis zu des Königs Tod ein Geheimniss blieb. Die Erinnerung an die Härte der presbyterianischen Geistlichen während seiner ver- hängnissYollen Jugendjahre, die Abneigung des genusssüchti- gen Fürsten vor der ascetischen Strenge der Puritaner und das Bedürfniss, für ein wollüstiges und lasteryolles Leben eine leichte Absolution zu erlangen und durch eine erheu- chelte Busse den ruhigen Fortgenuss aller sinnlichen Freuden zu erkaufen, dies waren die Motive, die Carl U. dem Ka- tholicismus geneigt machten und ihn auf eine Bahn führten, auf der er Heuchelei, Doppelzüngigkeit, Falschheit, Wortbrü- chigkeit und ähnliche Untugenden nicht vermeiden konnte. Die Declaration von Breda, in welcher „zarten Gewissen '^ Glaubensfreiheit zugesagt, und die Versicherung gegeben war, „dass Niemand wegen Religionsverschiedenheit beunruhigt oder in gerichtliche Untersuchung gezogen werden sollte, vor- ausgesetzt, dass er den Frieden des Reichs nicht störe'S wurde schon im ersten Jahr seiner Regierung schmählich verletzt, als in Folge der Gorporations- und Uniformitätsakte alle Nonconformisten , die sich weigerten, den Suprematseid zu leisten, dem Covenant (der durch die Hand des Büttels öf- fentlich verbrannt wurde) zu entsagen, und ihre ungeheu- chelte Uebereinstimmung mit allen Punkten des allgemeinen Ritual- und Gebetbuchs eidlich zu erhärten, für unfähig er- klärt wurden, irgend ein Amt in Staat und Kirche zu beklei-

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den; eine Verfügung die über zweitausend presbyterianiscfae Geistlichen ihrer Stellen beraubte und mit Weib und Kind dem Elende Preis gab. Es währte nicht lange, so sah man die Episcopalkirche wieder im yolien Genüsse ihrer Güter» Rechte und Privilegien, die Hierarchie in ihrer ganzen Aus- dehnung wieder hergestellt, alle drückenden Gesetze gegen die Nonconformisten erneuert und eine unduldsame Geist- lichkeit von Neuem im Besitze der frühem Macht und von dem Wunsche getrieben, sich an den Puritanern für die er- littene Schmach zu rächen. So lange daher ihr Zorn nur gegen die Dissenters gerichtet war, fand die zeiotische Geist- lichkeit an dem König und der Regierung kräftige Unter- stützung. Die sogenannte Gonventikel-Akte vom Jahre 1664 und 1670 erklärte alle religiösen Zusammenkünfte von mehr als fünf Personen, wobei nicht die Bestimmungen des allge- meinen Gebets- und Ritualbuchs zum Grunde gelegt wären, für ungesetzlich und aufrührerisch und bedrohte deren Theil- nehmer mit schweren Strafen. Dies geschah darum, weil die abgesetzten puritanischen Geistlichen, die bei ihren bisheri- gen Pfarrkiridem Mitleid, Hülfe und Anhänglichkeit fanden, heimlich Bet- und Andachtsstunden hielten, die mehr besucht wurden, als der anglicanische Gottesdienst, woher es kam, dass sich Sekten und Gonventikel auf beunruhigende Weise mehrten und wiederholte Strafbestimmungen hervorriefen.

Aber nachdem die Episcopalen ihre Rache an den Dis- senters gestillt hatten, und die Strenge der Nonconformisten- Gesetze auch die Katholiken traf, da erinnerte sich Carl wie- der seiner frühern, von Breda aus erlassenen Zusicherungen und wünschte eine Milderung derselben. Eine königliche De- daration, dass der Krone das Recht zustehe, von den Geset- zen gegen die Nonconformisten zu dispensiren, sollte den Weg bahnen. Allein das Parlament durchschaute die Absicht und erklärte diese Declaration für illegal. Dies unterbrach auf einige Jahre das Vorhaben des Königs. Als er aber mit Ludwig XIV. einen Vertrag abgeschlossen hatte, wonach er verpflichtet war, zur katholischen Kirche überzutreten und in Verbindung mit Frankreich die protestantischen Holländer zu

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bekriegen, ging ihm der Druck, unter dem die Katholiken seufzten, noch mehr zu Herzen, weshalb er im März 1672 eine neue Declaration erliess, worin er „vermöge seiner höch- sten Macht in kirchlichen Dingen '^ alle Strafgesetze gegen Nonconformisten fiir suspendirt erklärte, religiöse Versamm- lungen an bestimmten Orten erlaubte und die dissentirendep Priester unter den Schutz der weltlichen Obrigkeit stellte. Diese Yerfligung suchte Carl als Vollziehung seiner Declara- tion Yon Breda darzustellen und die protestantischen Dissen- ters zu dem Glauben zu bringen, es sei vornehmlich eine Vergünstigung für sie. Allein der König hatte durch seine Härte und Willkür gegen die Puritaner schon zu oft und zu deuüich seine wahre Gesinnung verrathen, als dass man jetzt, wo im ganzen Lande laute Klagen über Zunahme des Pa- pismus ertönten, sich dmrch diese Maske hätte täuschen las- sen. Die Presbyterianer und Independenten nahmen daher die gebotene Toleranz kalt auf, und Baxter schickte sogar das Gehalt, das ihm wie den übrigen einflussreichsten puri- tanischen Predigern verabreicht wurde, dem Hof zurück, weil er darin ein Mittel sah, die diss^iitirenden Geistlichen zum Schweigen zu bringen. Mit Entrüstung nahm dagegen die hochkirchliche Nation diese zur Toleranz führende Decl^ra-i- jtion auf, in der sie den ersten Schritt zum Papismus erblickte; und da um dieselbe Zeit die Kunde laut ward, dass die Her- zogin von York vor ihrem Tode von einem Franeiskaner- laönch nach römischem Bitas die Sterbesacramente empfan- gen hätte, und das Gerücht ging, dass der Herzog selbst Ka-r jtholik sei und der Krieg gegen Holland der Vernichtung des Protestantismus gelte: so verlangte das nächste Parlament sp dringend die Zurücknahme der Di^i^ration, da^s Ludwig XIV. selbst dem König rieth^ dem erwachten Fanatismus nachzu- geben, ehe er aufs Neue die Flam^ie des Bürgerkrieges ent- zünde, und dass Carl es für gerathea hielt, sowohl seine Verfügung zu annulliren, als die mit Ungestüm begehrte so- genannte Testafcte zu bestätigen (März 1673). Nach dieser Akte wurden alle diejenigen, die sich weigern würden den Eid der Treue und des kirchlichen Supremats zu leisten, das

408 lieber die Leistungen der Engländer auf dem

Abendmahl nach dem Ritus der anglicanischen Kirche za nehmen, und eine Declaration gegen die Transsubstantiations* lehre zu unterzeichnen, für unfähig erklärt, irgend ein mili- tärisches oder civiles Amt zu bekleiden. Die Folge davon war, dass der Herzog seiner Stelle eines Gross-Admirals ent- sagen und dadurch seine Conversion bekannt machen musste; und als einige Jahre darauf die Nation durch die gerichtli- chen Verhandlungen über die „papistischen Gomplotte^^ in die grösste Aufregung gesetzt wurde und die Schotten durch die Ermordung des Erzbischofs Sharp, der sich zur Begrün- dung des Episcopalsystems in jenem Lande hatte gebrauchen lassen, die ganze Hofpartei mit Schrecken fällten über den neuerwachten Fanatismus, da gab der Herzog dem Verlangen des Königs und der öffentlichen Stimme nach und Terliess England auf einige Zeit Diese Vorgänge brachten die Epi- scopalen und Dissenters einander näher und es erhoben sich im Pariamente viele Stimmen für eine Milderung der gegen diese bestehenden Gesetze. Aber erst als man die unzuver- lässigen Anzeigen von jenen papistischen Complotten gegen das Leben des Königs benutzen wollte, um die Katholiken durch neue Akte von dem Ober- und Unterhaus auszuschlies- sen, wurde die Bestimmung der Testakte über die Verpflich- tung, das Abendmahl nach dem Bitus der anglicainischen Kirche zu nehmen, aufgehoben, um die Dissenters, deren Bei- stand zur Durchführung des Antrags nützlich war, für die Sache zu gewinnen. Daraus geht hervor, dass bei der zu- nehmenden Macht der Katholiken und bei der wahrscheinli- chen Aussicht auf einen katholischen Thronfolger, dessen Ausschliessung von dem ünterhause im Jahre 1680 vergebens beantragt wurde, die anglicanischen und nonconformisUschen Protestanten sich näherten, um dem gemeinschaftlichen Feinde kräftiger entgegentreten zu können.

Carl U. hatte sich äusserlich immer zu der Landeskirche gehalten und erst kurz vor seinem Tode seine Heuchelei of- fenkundig gemacht, dadurch dass er aus den Händen eines katholischen Priesters die Sterbesacramente empfing; Ja- cob U. dagegen war ein zu eifriger Gonvertit, als dass er

Gebiete der Kirchengeschichte Englands. 409

mit einer blossen Duldung seines Glaubens sich zufrieden gegeben hatte. Mit dem Eifer eines Missionärs und dem Trotze eines Fanatikers ergriff er Maassregeln, die dem Volke seine Absicht» die katholische Kirche zur herrschenden zu erheben ) verrathen mussten. Wie Julianus der Apostat (mit dem ihn Samuel Johnson verglichen hatte, dafür aber im J. 1686 an den Pranger gestellt, öffentlich gepeitscht und mit einer Geldstrafe belegt wurde) umgab er seine Person mit Leuten seines Glaubens, und erhob in der Verwaltung des Staats und in der Armee Gonvertiten und Katholiken zu den höchsten Stellen, mit Zurücksetzung der hochkirchlichen Pro- testanten. Er schickte einen Gesandten an den Papst und nahm einen päpstlichen Nuncius an, er stellte im Schloss die Messe wieder her und gestattete den kathoUschen Gultus in Privatkapellen; er gewährte den Jesuiten und andern Ordens- brüdern sichern Aufenthalt in seinem Reich, beförderte Gon- Versionen durch Anstellungen und andere Vortheile und si- cherte sogar den übergetretenen Geistlichen den Fortgenuss ihrer bisherigen Pfründen. Die Aussicht auf irdische Vor- theile, auf Aemter und Ehrenstellen, verfehlte ihre Wirkung nicht bei den Schwachen, die Verführung war zu lockend und das Beispiel von Oben gab manchem Scheingründe zur Beschwichtigung seines mahnenden Gewissens. Der Befehl alle, die unter der vorhergehenden Regierung wegen Verwei- gerung des Eides der Treue und des Supremats in^Haft ge- bracht worden waren, in Freiheit zu setzen, gab etliche tau- send Nonconformisten der menschlichen Gesellschaft zurück. Darunter befanden sich auch 4)rotestantische Dissenters. Da- mit aber nicht die Meinung Geltung fände, als ob des Kö- nigs Herz auch mit diesen Mitleid fühle, wie verkehrte Lob- redner glauben machen wollten, liess er bald nachher das bekannte Buch des Hugenotten- Geistlichen Claude über die Verfolgungen der Protestanten in Frankreich öffentlich durch die Hand des Henkers verbrennen und sprach somit seine Billigung der von Ludwig XIV. angewendeten Maassregeln aus. Doch konnte Jacob nicht auf Erfolg rechnen, so lange die Testakte noch in Kraft war. Um daher deren Abschaffung

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410 Ueber die Lekhingm der Engländer auf dem

vorzubereiten^ oder ihre Wirkung zu lähmen, wurde von dem Gerichtshofe der Kings-bench, dessen Räthe von dem König zuvor sorgfältig sondirt und die widerspenstigen passend er- setzt worden waren, der Grundsatz geltend gemacht: „es stehe in der Madit des souveränen Königs von England in gewissen Fällen von den Reichs -Gesetzen zu dispensiren.^^ Dies hatte zuerst die Folge, dass in der Armee die höchsten Refehlshaberstellen Katholiken und Gonvertiten übertragen wurden; und als dies hie und da unter der Geistlichkeit Murren erzeugte, und die bestandige Mahnung von den Kan- zeln herab, „fest an dem protestantischen Glauben zu halten und sich nicht von den Irrthümem des Papstthums umgarnen zu lassen^S das Volk in Aufregung brachte, so erging an dio Geistlichen der Befehl, sich aller Gontroverspredigten zu ent- halten und nur Moral und Gottesfurcht zu lehren. Gompton, Bischof von London, eine kräftige Säule der Opposition, lei- stete diesem Befehle nicht Folge, und wurde daher von dem neuen, zur Untersuchung derartiger Vergehen eingesetzten Deiegatenhof unter dem Vorsitze des Erzbiscfaofs von Gaa- terbury, seines Amtes beraubt, aber von dem Volke als Mär- tyrer verehrt

Bei der feindseligen Stimmung des Volks, die sich bei jeder Gelegenheit kund gab, konnte Jacob zur Durdiführung fieiner Pläne nur auf die Hülfe der Armee rechnen, weshalb er darauf bedacht war, die zuverlässigsten Leute zu Befehls- habern zu machen. Wie sehr musste es ihn daher empören, dass ein Pamphlet von demselben Samuel Johnson, das sich bald in Aller Händen befand, auch hier Misstrauen und Feind- schaft zu erzeugen suchte, indem es die Soldaten aufforderte „fest bei der Wahrheit zu beharren, sich nicht mit den blut- dürstige und abgötteriscfaen Papisten zu verbinden, und ei- nem Dienste zu entsagen, dessen Zweck sei, Messhäuser auf-^ 9!m*ichten und die Nation unter die Herrschaft von Fremdlin- gen zu bringen.'^ Diese Mahnung verfehlte ihre Wirkung nicht, wenn gleich der Schuldige zu einer harten Geldbusse und zu der entehrenden Strafe verurtheilt wurde, dreimal am Pranger m stehen und von Tyhurn nach Newgate gegeisselt zu werden.

Gebiete der Kirchenge$ckichte Englands. 411

Mit dem der ganzen Familie Stuart eigenthümlichen Starr- sinn fuhr jedoch Jacob II. fort durch Prociamationen in Schott* land und England seinen Giaubensgenossen die Rechte zu ertheilen, die ihnen durch die Landesgesetze versagt waren* Aber die presbyterianischen, dem religiösen Fanatismus so zugänglichen Schotten widersetzten sich der Ausübung einer streitigen Prärogative und erklärten, „Toleranz liege nicht in dem Bereiche der weltlichen Obrigkeit und sei unvereinbar mit Gottes Geboten ; ihr Zweck wäre, Tyrannei au&urichten^ und ihr Bestreben, die Herzen der Protestanten dem Papis- mus zu öfihen und somit Ketzerei, Gotteslästerung und Ab* götterei zu gestatten/' Eine ähnliche Aufregung bewirkte in England die Declaration, wodurch alle Strafgesetze wegen Uebertretang kirchlicher Bestimmungen ausser Wirkung ge* setzt und die Abnahme irgend eines Beligionseides als Be- dingung des Zutritts zu einem Amte verboten wurde. Ein solcher Versuch hatte schon unter der vorhergehenden Be* gierung, wo doch der König sich noch äusserlich zu der eng- lischen Kirche hielt, den heftigsten Widerspruch gefunden; welche Unruhe und Bewegung musste sich daher jetzt erst der Gemüther bemächtigen, wo alle Schritte des Königs da* hin gingen, die katholische Kirche zur herrschenden zu er- heben! wo die gesetzwidrigen Eingriffe in die Verfassung der Landesuniversitäten die Geistlichen und Gelehrten um deA Fortgenuss ihrer Einkünfte besorgt machten, und die offen- kundigsten Wahlumtriebe und Wahlbeherrschung bei der Bil- dung eines neuen Parlaments die Nation überzeugten, dass der König, im Widerspruch mit seinem Krönungseide, die Aufhebung der Testakte und die Einführung einer allgemei- nen Toleranz auf legalem Wege zu erstreben sudie, um dann alimählig die bestehende Kirdie zu ändern? Ais daher der Geistlichkeit die Weisung ertheilt wurde, die Pix>cUmatioQ in der Kirche zur Zeit des gewöhnlichen Gottesdienstes zu verlesen, weigerten sich sieben Bischöfe, dem Befehl nach- zukommen und reichten eine Protestation dagegen ein. Wü- tfaend über diese Vermessenheit Hess der unbesonnene Fürst die Prälaten anklagen und in den Tower bringen. Auf dem

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4t2 lieber die Leistungen der Engländer auf dem

Zuge dahin wurden sie von dem Volke wie Heilige verehrt und kniend ihr Segen erfleht, und die Worte der Schrift, die grade an jenem Tage (9. Juni) als lesson in allen Kirchen ge- hört wurden (2. Gor. 6, 2): ,,lch habe dich in der angenehmen Zeit erhöret, und habe dir am Tage des Heils geholfen. Se- het jetzt ist die angenehme Zeit, jetzt ist der Tag des Heils^S machten auf die bewegten Gemüther einen unglaublichen Ein- drudc und belebten die Hoffnung des Volks auf den Retter, der ihm aus der Ferne zukommen sollte. Die Freisprechung der Angeklagten wurde wie ein Siegesfest mit Freudenfeuer und Jubelgeschrei gefeiert, was den König von der nahen Gefahr hätte überzeugen müssen, wenn er nicht in unbegreif- licher Verblendung die Augeii vor dem gähnenden Abgrund absichtlich verschlossen hätte. Die Geburt eines Prinzen, die von ihm als glückliches Ereigniss zur Vollendung seiner Pläne begrüsst, von der Nation aber als unheilvolle Mystification mit Besorgniss und Misstrauen betrachtet wurde, beschleu- nigte die Unternehmung seines Schwiegersohnes Wilhelm von Oranien, mit dem schon lange die Partei der protestantischen Malcontenten und Whigs in geheime Verbindung getreten war, und in dessen Nähe sich Schaaren von englischen Flüchtlin- gen befanden. Unter diesen war auch der Geschichtschreiber Burnet, der im Namen aller geflüchteten und verbannten Engländer das merkwürdige Memoriale verfasste, von dem Wilhelm 8000 Exemplare mit sich führte, als er Anstalten machte, den Händen seines Schwiegervaters ein Scepter zu entreissen, das dieser unfähig zu führen war. Jacob H. wurde zu seinem Schaden bald gewahr, wie gefährlich es sei, dem Grundsätze Baum zu geben, dass man Gesetze und Eid- schwüre durch sophistische Deutung umgehen könne. Denn wie er seinen Krönungseid und die Testakte unbeachtet bei Seite schob, so hielt sich auch die Nation nicht länger an die Akte vom passiven Gehorsam und von der Gesetzwidrig- keit eines bewaffneten Widerstandes gebunden, die während der vorhergehenden Begierung unter grosser Bewegung durch- gesetzt und von Jacob immer strenge aufrecht erhalten wor- den war. Der Boden, auf dem er stand, war durch Verratb,

Gebiete der Kirchengesckkhie Englands. 413

Heuchelei und Meineid, mit welchen die. Stuarts die Nation vertraut gemacht hatten, wankend geworden; dies bemerkte jetzt Jacob mit Schrecken und yerliess in Verzweiflung das Land seiner Geburt, um dessen schönen Thron er sich und seine Nachkommen in thörichter Verblendung gebracht hatte. Wilhelm nahm ohne Schwerdtstreich Besitz von dem Reiche und regulirte im Einvernehmen mit den Vertretern der Na- tion die Gesetze in Staat und Kirche so, dass für die Zukunft die Herrschaft der Reichsstatuten nicht mehr durch Maass-> regeln der Willkür beeinträchtigt werden konnte. Das Dis- pensationsrecht wurde abgeschafll, den Uniformitatsgesetzen und der Testakte die frühere Geltung zurückgegeben und al- len geistlichen und weltlichen Unterthanen ein neuer Eid der Treue und Anhänglichkeit an den König Wilhelm und die Königin Maria auferlegt. Diese letztere Bestimmung fand aber heftige Gegner, besonders unter der Geistlichkeit, von wel- cher viele Glieder aus verschiedenen Gründen der Revolution abgeneigt waren. Die Einen sahen jeden Widerstand gegen die Obrigkeit als unerlaubt an und hielten an der Lehre vom passiven Gehorsam, die sie so viele Jahre lang als Glaubens- artikel der englischen Kirche verkündigt hatten, fest; Andere waren dem Hause Stuart aus Grundsätzen der Legitimität oder aus persönlicher Anhänglichkeit gewogen; Andere bil- ligten die Bestrebungen einer Versöhnung der anglicanischen Kirche mit der katholischen „Mutterkirche 'S und noch An- dere standen aus überspannten Begriffen von der Wichtigkeit der Episcopaleinrichtung und der ununterbrochenen Succes- sion der Bischofsweihe der katholischen Kirche viel näher, als der protestantischen und f^^chteten von dem neuen Kö- nig, der in der calvinischen Kirche erzogen worden war, und ihre beschränkten, exclusiven Grundsätze nicht billigte, Ge- fahr für die Herrschaft ihres hierarchischen Systems. Die Zahl der letzteren nahm besonders zu, als Wilhelm den For- derungen der Schotten nachgab und in die Abschafliing des Episcopats und die Wiederherstellung der presbyterianischen Verfassung willigte und als er und Bischof Burnet von Sa- lisbury, der des Königs Vertrauen besass, die drückenden

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414 Ueber die Lditungen der Engländer auf dem

Gesetze gegen die Dissenters zu mildern und ihnen den Weg zum Uebertritt in die Landeskirche durch allerlei Zugeständ- nisse zu erleichtern suchten. Eine Menge Geistlicher yer- weigerten daher den Eid der Treue und wurden als Non- conformisten nach Ablauf eines bestimmten Termins ihrer Stellen entsetzt Sie verharrten in einer trotzigen Resigna* tion, ihre Hoffnung auf die Bückkehr der vertriebenen Kö- nigsfamilie gründend, erschwerten und beunruhigten auf alle Weise die Regierung des neuen Herrscherpaares und wid- meten ihre Müsse und ihre Talente der Verfechtung legiti- mistischer und hierarchischer Grundsätze. Einer der bedeu- tendsten unter diesen eidweigernden Nonconformisten (non -Jurors) war Jeremias Collier.

B. Die englischen Kirchenhistoriker seit der Reformation.

a) Die altern bis auf Gilbert Burnet.

Aus dem Vorstehenden ist ersichtlich, welchen Wech- selfällen die englische Kirche unterworfen war, und wie be- deutend die Einflüsse des Hofes und der Regierung in ver- schiedenen Perioden auf die religiösen Ansichten und die Gestaltung der Kirche eingewirkt haben. Man darf sich da- her nicht wundem, wenn die kirchlichen Ereignisse, die in der innigsten Wechselwirkung mit der Verfassung und Ver- waltung des Staats standen, von den englischen Geschicht- schreibern auf die verschiedenste Weise dargestellt und be- urtheilt werden, so wie man sich auch nicht wundem wird, dass Gewissenszwang, Proselytenmacherei , Intoleranz und rücksichtslose Verketzerungssucbt religiösen Indifferentismus und antichristliche Tendenzen herbeiführten, wie wir sie bei den Deisten der nächstfolgenden Zeit erkennen, und dass auf der andern Seite bei unbeugsamem Naturen sich engherziger Sektengeist und starrer Zelotismus festsetzte.

Diese Verschiedenheit der Ansichten und Urtheile der Kirchenhistoriker giebt sich nicht nur in der Darstellung der Reformation und ihrer Folgen kund, sondern schon in der Auffassung der altern Religionsgeschichtc. Während nämlich die Katholiken die altbritische Kirche vor Augustinus ganz

Gebiete der Kirchengeschichte Englands. 415

ignoriren oder ihre Verschiedenheit von der römisch-katho- lischen in Abrede stellen, legen die Puritaner und Presbyte- rianer grade darauf das grösste Gewicht und suchen die An- sicht zu begründen, dass in den ersten Jahrhunderten des Ghristenthums, als durch Missionare des Morgenlandes das Eyangelium in Britannien verkündet worden sei, die Kirche keine Bischöfe und kein sichtbares Oberhaupt gehabt habe. Sie betrachten also die calvinische und presbyterianisdie Kir- chenform als die rein -apostolische, die mehre Jahrhunderte durch antichristlichen Aberglauben und Götzendienst unter- drückt und latent gewesen sei, bis die Reformation die Hülle abgestreift habe, und lassen folglich die römisch-katholische Kirche des Mittelalters gar nicht als apostolische oder als deren Fortsetzung gelten. Dieser Ansicht sind die akatholi- schen Disserters in England und die Anhänger der presbyte- rianischen Kirche in Schottland, sowohl die altern wie Knox und Georg Buchanan, als die neuern, wie Maccrie, Ja- mieson (history of the Guldees) und viele Andere. Nach ih- rer Annahme flüchteten sich zur Zeit der Diocietianischen Verfolgung und während der angelsächsischen Kriege viele Christen nach Schottland, führten dort, unter dem Namen Guideer, ein frommes Eremitenleben und theilten ihrer heid- nischen Umgebung das Ghristenthum in apostolischer Ein- fachheit mit. Die von ihnen begründete Kirche habe in ur- sprünglicher Reinheit mehre Jahrhunderte bestanden, bis im 9ten und lüten Säculum die Guideer den römischen Bischö- fen und die evangelische Lehre dem katholischen Kirchen- system mit seinen traditionellen Zuthaten und Auswüchsen allmählig erlegen sei. Die englischen Episcopalen stehen in diesem Punkte auf Seiten der Katholiken, indem auch sie keinen wesentlichen Unterschied zwischen der alt -britischen und römisch-katholischen Kirche gelten lassen, vielmehr das sechste und siebente Jahrhundert der christlichen Zeitrech- nung als normgebend für Gultus, Verfassung und LehrbegrifF annehmen, und zugestehen, dass in der römischen Kirche die apostolische enthalten sei, wenn gleich mit mancherlei un- gehörigen Zuthaten und Missbräuchen umhüllt, die die an-

416 Veber die Leistungen der Engländer au f dem

glicanische Kirche abgestreift und somit jene in ihrer ur- sprünglichen Reinheit wiederhergestellt hätte. Daher hält auch die Hochkirche die ununterbrochene Succession des Episco- pats und die Katholicität und ausschliessliche Uniformität mit Strenge und in Nachahmung der altern katholischen Kirche fest. Die Episcopalen sehen daher in der Reformation kein Schisma^ wie die Katholiken, sondern nur den Akt einer Zu- rückführung zu dem Zustande, wie er einige Jahrhunderte früher bestanden , und suchen aus der Geschichte den Be- weis zu liefern, dass sowohl die angelsächsischen Könige als die ersten Regenten aus dem normannischen Hause das kirch- liche Primat besessen hätten, und dass durch schwache Für- sten und schlaue Päpste die Freiheiten der angücanischen Kirche, die ebenso sicher und klar gewesen seien, wie die der gallicanischen, nach und nach vernichtet worden wären, bis Heinrich YUL und seine Nachfolger die königlichen Rechte sich wieder zugeeignet und die Kirche von der usurpirten Autorität des römischen Bischofs befreit hätten. Deshalb suchte Roger Twisden in einer eigenen Schrift „historical vindica- tion of the church of England ^^ zu beweisen, dass die eng- lischen Könige von jeher das Primat in sacris geübt und da- her auf legalem Wege den Usurpationen und Erpressungen der römischen Bischöfe ein Ende gemacht hätten. ..

Am meisten wird jedoch die Darstellung und Beurthei- lung der Reformation und ihrer Folgen von den subjecti- ven Ansichten der Kirchenhistoriker bestimmt, so dass man den Autoren des sechzehnten Jahrhunderts, welcher Kirche sie auch angehören mögen, nur mit grosser Vorsicht trauen darf, da sie im Parteieifer durchaus die Gränzen der Wahr- heit überschreiten. Zum Beweise dieser Behauptung wollen wir unter vielen nur die zwei bekanntesten Geschichtschrei- ber Sanders und Fox erwähnen. Der erstere war zur Zeit der Königin Maria Professor des canonischen Rechts in Ox-. ford und Parteigänger des Gardinais Reginald Polus, nach dessen Angaben er hauptsächlich sein Buch (vera et sincera historia schismatis Anglicani, de ejus origine ac progressu cet aucta per Ed. Risbtonum Gol. Agrip. 1628) verfasst hat.

Gebiete der KirchengeicMchte Englands. 417

Unter Elisabeth seines Amtes entsetzt, wanderte er anfangs in Italien umher, begleitete den Cardinal Hosius auf das Gon- eilium von Trident und erhielt später die Stelle eines Pro- fessors in Löwen, wo er 1571 durch ein Werk „de yisibiK monarchia Ecclesiae^' die Aufmerksamkeit der Curie erregte, und von dieser Zeit an bei geheimen Unterhandlungen in Spanien und den Niederlanden mehrfach von dem römischen Hof benutzt wurde, bis er 1583 als päpstlicher Nuncius in Irland den Hungertod starb, als er sich genöthigt sah in Wäl- dern und Einöden Schutz gegen die Verfolgungen und Nach- stellungen zu suchen, die er sich durch seine Umtriebe ge- gen die Regierung der Königin Elisabeth zugezogen hatte. Sanders war Fanatiker ohne moralischen oder wissenschaft- lichen Werth, ein untergeordnetes Werkzeug des römischen Hofes und ein unheimlicher Unruhstifter während der Reli- gionskämpfe des sechzehnten Jahrhunderts. Da sein Buch durchaus nur den Zweck hatte, die Reformation zu verun- glimpfen und als den Ausfluss der niedrigsten Leidenschaften darzustellen, so wurde es im folgenden Jahrhundert von den Jesuiten benutzt, um unter den Stuarts die anglicanische Kirche zu untergraben, und zu dem Behufe von Rishton die oben erwähnte, mit einer Fortsetzung versehene Ausgabe ver- anstaltet, in welcher die auffallendsten Lögen und Verleum- dungen weggelassen wurden, um der Verbreitung des Buches iiicht zu schaden. In dieser Gestalt wurde es dann ins Eng- Ksche, Italienische und Französische übersetzt und erregte zur Zeit, als in Frankreich die Conversionen betrieben wur- den und den Katholiken in England sich die glänzendsten Aussichten öffneten, eine solche Aufmerksamkeit, dass Burnet dadurch zuerst veranlasst wurde, die Geschichte der engli- schen Reformation vom entgegengesetzten Standpunkte aus zu schreiben und die Reformatoren von dem Vorwurfe un- lauterer Motive zu reinigen. In der Darstellung der Ehe- scheidungssache und des Schismas folgt Sanders, wie gesagt, den Angaben des Cardinal Polus. Dieser, ein naher Ver- wandter des königlichen Hauses lebte zur Zeit als Heinrich VIII. mit dem päpstlichen Stuhle in Zwist gerieth, in Italien«

ZeitMkrift f. Geschichttw. I. 1844. 27

418 lieber die Leistungen der Engländer auf dem

wo ihfn sein Baog» seine Bildung und sein liebenswürdiger Charakter eine Menge distinguirter Freunde, wie Bembo, Sa- dolet, Contarini u. A. erwarben. Der Kömg, ein freigebiger Gönner aller Gelehrten und Literaten unterstützte ihn mit <einem reichliehen Jahrgehalte und setzte ihn dadurch in den Stand, in beneidenswerther Müsse seinen Studien obzuliegen und iti seinem eleganten Hause die Kenner und Förderer der humanistischen Studien zu versammeln. In der Erwartung^ dass Peius sich dafür dankbar erweisen würde, ersuchte ihn Heinrich, das königliche Supremat in einer Schrift zu ver- theidigeo, war aber nicht wenig erstaunt, als er statt der er- warteten Bechtfertigung das Buch „pro ecclesiastic^e unitatis defensione*'*) erhielt, das nicht nur seine Schritte gegen den römischen Hof in dem schwärzesten Lichte darstellte, son- dern den König selbst und Anna Boleyn, „die neue JezabeP^ mit den empörendsten Benennungen und Insulten belegte« Heinrich wird als Tyrann, als Ehebrecher, als Kirchenräuber, als Bedrücker seines Volks mit Ahab, Nero und Domitian verglichen, und seine Ehe mit Anna Boleyn dadurch noch soandalöser gemacht, dass ihm vorgeworfen wird, er habe früher mit deren Schwester in einem ähnlichen Verhältnisse gestanden. Alle diese Vorwürfe und Beschimpfungen nimmt Sanders auf» giebt sich aber damit noch nicht zufrieden, son- dern stellt, um den schismatischen König auch noch mit der Schmach der Blutschande zu besudeln, die absurde Behaup- tung auf, Heinrich habe auch mit der Mutter beider Schwe- stern ehebrecherischen Umgang gehabt und sei der leibliche Vater der Anna gewesen. Diese unglückliche Frau wird über- haupt von ihm auf die schändlichste Weise verleumdet; schon in ihrem fünf;iehnten Jahre habe sie sich von einem Diener ihres Vaters und von dessen Kaplan missbrauchen lassen, und in Frankreich habe sie ein so schmähliches Leben geführt, dass n^n sie allgemein die Miethstute (hackney) genannt habe,

*) Der volle Titel: Reginaldi Poli Card. Brilanni pro eccles. uni- tatis defensione libri lY., in quibus conatus est, maximo studio ec- desiae Romanae Primatum constabilire. ^ In Deutschland zuerst im Jahre 1555-

Sebieie der Kirchenge$ckiehte Englands. 419

u. dergl. ID.; ja sogar als hüsslicb, verwachsen und aussStzig wird sie dargestellt! Auch die Angabe, dass die Ehe zwi- schen Prinz Arthur uiid seiner Gemahlin Catharina nicht fleischlich vollzogen worden sei, wodurch Heinrichs Gewis- seusscrupel als heuchlerisch und nichtig dargestellt werden sollten, rührt von Polus her. Es würde uns zu weit füh- ren, die zahllosen Lügen, Irrthümer und Verleumdungen in Sanders Budbe auch nur anzudeuten, weshalb wir auf Bur- nets Reformations- Geschichte verweisen, wo man am Ende jedes Bandes dieselben nicht nur angegeben, sondern auch widerlegt findet. Fanatiker, wie Sanders, haben von wafa« rer Geschichte keinen Begriff; sie suchen darin nur Belege zur Begründung ihrer Ansichten und entstellen und verdre- hen alles, was nicht in ihren Kram passt Da solche beute einen so hohen oder so tiefen Standpunkt einnehmen, dass sie nicht mehr von den kleinlichen ftücksichten der Schaam incommodirt werden, so haben sie gegen den ehrlichen Mann gewonnenes Spiel und die grosse Zahl urtbeilsloser Leser wird dcirch eine kecke Lüge nur zu leicht getäuscht. Dies wusste Sanders und sein Fortsetzer Rishton sehr gut Ein- gedenk des lateinischen Sprudis erzählen sie daher mit der grössten Zuversicht erlogme oder entstellte Thatsachen in ruhiger Sprache und mit erheuchelter Mässigung; und da dies in gefälliger Form geschiebt, so konnte das Buch, das künstlich gehoben und verbreitet wurde, seine Wirkung nicht verfehlen. Als Gegensatz zu Sanders kann Johann Fox, der Martjrologe angesehen werden, der wenige Jahre nach jenem starb (1587). Als eifriger Anhänger der Reformation verliess er unter Maria Tudor sein Vaterland, hielt sieh län- gere Zeit in der Schweiz auf, wo er grosse Liebe für die demokratische Verfassung der reformirten Kirche Zwingli'i und Galvin's einsog, und kehrte nach der Thronbesteigung der Elisabeth wieder nach England zurück. Seine Creschichte der protestantischen Märtyrer, die er während seines Exils vwfasste, erschien zuerst lateinisch als allgemeine Kirchen- f^eschichte von England (Gommentarius rerum in Ecclesia gestarum a Wiciefo ad suam aetatem), wurde aber nachher

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420 lieber die Leistungen der Engländer auf dem

ins Englische übersetzt und erweitert, nachdem die zahlrei- chen Irrthümer und üngenauigkeiten der ersten Editionen berichtigt worden waren. Die vollständigste und schönste Ausgabe erschien im Jahre 1684 in drei grossen Foliobänden mit vielen Kupfern unter dem Titel:. „Acts and monuments of Martyrs/* Fox ist ein ebenso eifriger Parteimann für die Protestanten, wie Sanders für den Katholicismus oder viel- mehr Papismus, und muss daher mit ebenso grosser Vorsicht gelesen werden, wie dieser. Aber was den sittlichen Cha- rakter beider angeht, so ist ein himmelweiter Unterschied zwischen ihnen. Dem Römlinge ist Religion und Gfaristen- thum ebenso sehr Nebensache wie Wahrheit und Geschichte; er sieht nur Heil und Tugend in der Verbindung mit der römischen Kirche und dem Papste, in der Reformation nur ein Vi^erk des Satans und in allen, die dabei mitwirkten, dessen Diener, in denen daher nichts als Laster und Sünd- haftigkeit wohnen kann. Fox dagegen ist ein durchaus from- mer Mann, begeistert für den Sieg des apostolischen Ghri- stenthums, in dem er allein das Heil der Welt erblickt, eia Zelote zur Ehre Gottes, und intolerant aus innigster Ueber- zeugung, dass die katholische Kirche die Schöpfung des An- tichrists sei, gegründet zum Verderben der Menschen. Wäh- rend Sanders mit seinem Geifer alle Reförderer der Refor- mation besudelt und aus seiner schwarzen Seele giftigen Argwohn und boshafte Reschuldigungen mit kalter Ruhe über sie ausgiesst, lässt Fox gar keinen Verdacht gegen die Rein- heit ihrer Gesinnung aufkommen, weil seine eigene Seele selbst ganz frei davon ist, und während Sanders die Hinrich- tung eines Häretikers als die gerechte Strafe für sein Ver- gehen betrachtet, sieht Fox in den verfolgten Lollarden und Protestanten die schuldlosen Opfer einer blinden Wuth, wo- mit der Antichrist die herrschende Kirche heimgesucht habe und verweilt mit der grössten Umständlichkeit bei allen ih- ren Worten und Handlungen, um den Leser zu erbauen und einen ähnlichen gottergebenen Sinn in ihm zu erwecken. Er polemisirt nicht, weil er bei allen redlichen Menschen die- selbe Gesinnung voraussetzt und seine Exciamationen und

Gebiete der Kirchengeschichte Englands. 421

Invectiven über die Härte und Grausamkeit der Papisten, gelten mehr dem Vater der Sünde und des Uebels, fiir des- sen unfreiwillige Diener er sie ansieht, als ihnen selbst. Diese Lauterkeit der Gesinnung des Martyrologen fand auch stets Anerkennung und machte, dass sein Werk, das der Ausfluss eines blinden aber ehrlichen Enthusiasmus ist, im sechzehn« ten und siebenzehnten Jahrhundert ein Lieblingsbuch aller ernsten Protestanten wurde, und dass selbst Elisabeth, die dem Verfasser als einem Anhänger der ersten puritanischen Opposition und eifrigen Nonconformisten abgeneigt war, und ihn durch Zurücksetzung absichtlich kränkte, das Buch der Märtyrer fortwährend mit grosser Liebe las.

Im siebenzehnten Jahrhundert bekämpften die englischen Kirchenhistoriker weniger die Ansichten der Katholiken als die demokratischen Grundsätze der Puritaner und Presbyte* rianer, die immer tiefere Wurzel schlugen und den Boden unter ihren Füssen wanken machten. Dieser Kampf brachte die anglicanischen Schriftsteller den Katholiken, deren Basis die Bestimmungen der römischen Kirche sind, viel näher als den Protestanten des Festlandes, die ihre Ansichten auf Cal- vin und die andern Beformatoren zurückführten; und da der Kampf den engen Kreis der Theologie verliess und sich im Staatsleben praktische Geltung verschafile, so hatte der Sieg dieser oder jener Ansicht Einfluss auf die ganze Existenz dessen, der sich zu ihr bekannte, und aus dem Ton und der Farbe der meisten Kirchenhistoriker lässt sich die Zeit und die Bichtung der Begierung, unter der sie schrieben, erken- nen. Einer der bekanntesten Schriftsteller unter Carl L und während der Bepublik war Thomas Füller, ein gelehrter Geistlicher und Polyhistor. Als Anhänger des Königs verlor er in der Bevolution sein Amt, aber sein schmiegsamer Cha- rakter und sein vorsichtiges Benehmen schützte ihn gegen Verfolgung und verschafile ihm unter Cromwell wieder eine Anstellung, die ihn jedoch nicht abhielt, sich thätig für die Kückberufung Carls II. zu verwenden, der ihn daher auch später zu seinem Kaplan machte und ihn sicher auf einen Bischofssitz befördert hätte^ wenn nicht Füller schon ein Jahr

42*2 lieber die Leistungen der Engländer auf dem

nach der Restauration (I(i61) auf einer Reise gestorben wäre. Thomas Füller hat unter vielen andern Werken auch eine englische Kirehengeschichte von der ersten Pflanzung des ChristentBums bis zum Tode Gari I. (des Märtyrers, wie er ▼OD den Episcopalen genannt wird) geschrieben (London 1655. Fol), die ganz das Gpepräge des Torsichtigen, zurückhaUenden Verfassers an sich tragt. Deiicate Punkte, die seine Ansicb-^ ten hätten verratiien können, übergeht er, wie die Episcopai-» kämpfe („bellum episcopale") in Schottland unter Gari I. und zwar, wie er selbst sagt, „weil Niemand Mitleiden mit ihm fühlen würde, wenn er unnütz in Disteln griffe, die ihn nichts angingen und sich so die Finger zersteche, und dann weil hier der umgekehrte Fall eintrete wie bei der alten Geschichte, wo man mit mehr Sicherheit als Wahrheit die Dinge dar- stellen könne, während jetzt die Wahrheit leicht zu ermit- teln aber gefahrbringend sei." Bei der Aenderung der Litur- gie im J. 1645 sagt er: „Ich bin der Meinung, dass es recht (lawful) und sicher (iir mich ist, die Argumente pro und con- tra kurz anzugeben und meine eigene Ansicht für mich zu behalten, die nicht verdient, dass der Leser davon Notiz nimmt*^ und vergleicht dann das Geschäft eines Historikers mit dem eines Heroldes, der, wenn er nicht den Spion mache, bei Freund und Feind ungekränkt Zugang finde. Das Buch ist übrigens nicht ohne Werth, besonders wegen des Reicb- thums an Particularitäten und seltenen Notizen über Perso- nen und Institute, wie z. B. die englischen Abteien und Klö- ster bei ihm besonders gut und ausführlich behandelt sind. Dagegen ist der Styl im höchsten Grade manierirt und einer geschichtlichen Darstellung ganz und gar unangemessen. Der Verfasser kann sich nicht enthalten, jedes Ereigniss, das er erzählt, mit Bemerkungen, Glossen und witzigen Einfällen zu begleiten, wodurch der Faden der Geschichtserzählung in un- lählige Stücke zerrissen wird und der Leser nur mühsam eine Uebersicht der Begebenheiten gewinnt. Eingeschaltete Tabellen, Controversen, Documente u. dgl. unterbrechen noch mehr den einfachen Gang und erschweren die fortlaufende Leetüre. Das Bestreben des Verfassers^ sich möglichst viele

Gebiete der Kirchengeschichte Englands. 423

Freunde zu erwerben, wird auch daraus ersichtlich, dasls jede der zahlreichen ünterabtheilungen (sections), in die das Buch zerfällt, eine besondere Dedication mit einer kleinen Zueig- BUDgsrede enthält Ausser einer protestantischen Färbung hat übrigens das Werk so wenig als der Verfasser einen entschie« denen Charakter.

Ein Jahr nach Füller starb Peter Heylin (geb. 1600), ein Mann von Kraft, Energie und Charakterfestigkeit, wenn gleich von verwerflichen Principien. Er war einer der Ka* plane Carl I. und begünstigt von dem Erzbischof Land, des- sen Ansichten und Tendenzen er theilte, daher er auch bei der steigenden Macht der Puritaner die Ungunst des Schick«« sals, das den Erzbischof und seine Anhänger verfolgte, zu erfahren hatte. Bei der Abschaffung der englischen Liturgie wurde er als strenger Episcopale seines Amtes entsetzt und seinem Vermögens für verlustig erklärt und musste mit sei« 9er Familie flüchtig und darbend im Lande umherziehen, von dem kargen Ertrag einer Art royalistischer Zeitschrift „Mer- curius Aulicus" und von der Unterstützung mildthätiger Freunde lebend. Dennoch hielt er fest an seinen Ansichten und ertrug Leiden und Verfolgung, in der Hofihung, dass ein besserer Zustand der Dinge für ihn eintreten würde, wenn der Sohn des hingerichteten Monarchen den Thron seiner Väter wieder bestiege. Aber seine Hoffnungen gingen nicht in Erfüllung. Er bekam zwar wieder ein geistliches Amt, das ihn ernährte, aber er verstand die Kunst nicht, den cha- rakterlosen, leichtsinnigen Fürsten zu gewinnen, der alte Freunde und frühere Wohlthaten schnell über den Genüssen des Augenblicks vergass , und Charakterfestigkeit weniger schätzte als geschmeidige Charakterlosigkeit Dieser Undank sehmerzte ihn tief und beschleunigte seinen Tod. Er hatte seine Feder und sein Leben der Vertheidigung absoluter Macht in Kirche und Staat und der Begründung des passiven Ge- horsams bei den Unterthanen gewidmet, und was war sein Lohn ftir den Hass und die Verfolgungen, die er sich dadurch zugeaogen? Ein Subdiaconat bei Westminster, während An- dere, die ihm in jeder Beziehung untergeordnet waren, Bis-

424 Uebet' die Leitungen der Engländer^ auf dem

thümer und Prälatensteilen inne hatten. Heylin's Kirchen-' geschichtet) von der im Jahre 1674 bereits die dritte Auflage in klein Folio veranstaltet wurde, ist ein höchst merkwürdi- ges unJ bedeutendes Buch, wie schon daraus hervorgeht, das» man den Uebertritt des Herzogs von York, des nachmaligen Königs Jacobs II., dem Einflüsse desselben zuschrieb. wurde abgefasst zur Zeit der Herrschaft der Presbyterianer und Independenten, die Heylin von Grund der Seele hasste, und der Grimm über den verwirrten Zustand der Kirche, un- ter dem er schrieb, lässt sich allenthalben erkennen. Die Ge- schichte beginnt erst mit Eduard VI., obwohl gelegentlich aucb der frühern Veränderungen unter Heinrich VID. gedacht wird, und geht bis zum Jahre 1566. Der Schluss des Buchs ent^ hält einen heftigen Ausfall auf die Puritaner, „die klein an- fingen, mit Kappe, Kragen und Bischofskleidung, aber nach und nach auf die höchsten Punkte losgingen, auf eine gänz- liche Aenderung in Kirche und Staat, auf Verfälschung der Lehre, auf Umsturz der Liturgie und des gesetzlich einge- führten Gultus. Aber die Enthüllung dieser gefährlichen Lehre, die geheimen Gomplotte und offenen Anschläge, wodurch sie nicht nur das Dach und die Mauern dieses göttlichen Baues niederrissen, sondern sogar die Fundamente untergruben, zie- men sich besser für eine Geschichte der Presbyterianer oder Arianen Für jetzt genüge es, die wahre Basis unserer Kirche und ihren primitiven Glanz gezeigt zu haben, damit man deut- lich sehen möge, wie arg sie verwirrt und wie entsetzlich sie entstellt wurde durch unruhige Köpfe, deren Streben so unvereinbar mit den Rechten der Monarchie als mit der kirch- lichen Kleidung, mit der Episcopal- Verfassung und mit den fixirten Gebetsformeln isf Bei Abfassung seiner Geschichte hatte Heylin einen praktischen Zweck im Auge. Da nämlich

*) Ecclesia reslaurata: tbe history of the reformation of the church of England, containing the beginning, progress and suc- cesses of it; the counsels by wbicb it was conducted, the ruies of piety and prudence upon which it was foundeo, the several steps by which it was promoted or retarded in the change of times. LoBd. 1674. 3 ed. Fol.

Gebiete der Kirchengeschichte Englands. 425

während der Revolution und des Protectorats die währe Kirche zu Grunde gegangen sei, dieselbe folglich von dem neuen König eben so wiederhergestellt werden müsste, wie die monarchische Verfassung, die nach seiner Ansicht ohne jene keinen Bestand und kein Fundament hätte, so sollte der frü- here Zustand der Episcopalkirche in historischer Entwicklung anschaulich gemacht werden, damit Carl II. sich bei der Reor- ganisation darnach richten könnte. Dabei wünscht er aber alles das geändert und verbessert, was anfangs durch mensch- liche Leidenschaften oder Vorurtheile verfehlt worden war, und was zum Theil den Untergang des Episcopalsystems durch die demokratische Kirchenform herbeigeführt hatte. Dazu ge- hörte vornehmlich eine grössere Autorität der Kirche und ihrer Diener, Restitution des Kirchenvermögens und Wieder- herstellung der religiösen Institute, wodurch das geistliche Regiment mehr Macht bekäme, die Kirchengesetze mehr Kraft und Ansehen erhielten und die geistigen und religiösen Be- strebungen des Volks leichter beherrscht und besser über- wacht werden könnten. Zu dem Zweck hebt er besonders die Unlauterkeit der Motive hervor, von denen die Beförde- rer der Reformation geleitet worden seien, weist nach, wie wenig bei dem Vi^erke selbst wahre innere Ueberzeugung thä- tig gewesen wäre, und zieht die Leidenschaften und Schwach- heiten der Handelnden, die Ungerechtigkeit und Schädlichkeit so mancher Neuerung und die selbstsüchtige Gesinnung, aus der sie grösstentheils floss, unbarmherzig ans Licht, während er mit grossem Interesse bei der Restitution der Klöster und Stifter unter Maria verweilt und die hohe Gommission als 9,das Bollwerk der Erhaltung der anglicanischen Kirche'^ dar- stellt. — Die Bitterkeit seiner Seele giebt sich in der Heftig- keit der Sprache und in der Schärfe seines Tadels kund, be- sonders wenn er auf Männer von demokratischer Richtung in der Kirche zu sprechen kommt, wie er denn kein BedA- ken trägt, Knox „den grossen Brandstifter '' (incendiary) zu nennen und Calvin als den Urheber alles Unglücks der eng- lischen Kirche anzuklagen. Heylin's Kirchengeschichte hat drei Vorzüge: Gründlichkeit^ Genauigkeit und Klarheit, aber

426 lieber die Leistungen der Engländer auf dem

künstlerische Vollendung, Grazie und Unparteilichkeit fehlen ihr gänzlich.

b) Gilbert Buniet und seine Gegner.

Unter allen Kirchenhistorikem stand und steht noch jetzt bei dem englischen Volke keiner in so hohem Ansehen, als Gilbert Burnet, ein Beweis, dass er die Reformation aus dem Gesichtspunkte der Mehrzahl der Nation auflasste und darstellte, und sich nicht von dieser oder jener beschränkten Parteiansicht leiten Hess. Es möge uns daher vergönnt sein, etwas länger bei ihm zu verweilen, um so mehr ab die Um- stände seines Lebens aus seinen Memoiren (Burnets history of his own time. Lond. 1809. 4 voll. 8.) genau bekannt sind. Gilbert Burnet wurde im September 1643 in Edinburg ge- boren und stammte aus einer sehr angesehenen durch ihren Eifer für die schottische Nationalkirche ausgezeichneten Fa- milie. Sein Vater, ein bekannter Jurist und Sachwalter, gab seinem talentvollen Sohne eine vortreffliche Erziehung und bestimmte ihn für den gleichen Beruf, dem er sein Leben gewidmet hatte. Aber Burnet folgte dem innem Drang, der ihn zur Theologie führte, ohne jedoch das Studium der Ju- risprudenz ganz aufzugeben, was ihm besonders zur Erlan- gung einer richtigen und klaren Einsicht in das Wesen der Administration, der Gesetzgebung und des ganzen Staatsor- ganismus förderlich war. Nach vollendeten Studien wäre es dem hochbegabten jungen Manne leicht gewesen, in Kurzem ein bedeutendes Kirchenamt und grossen Einfluss zu erlan- gen, wenn er von den Zeitumständen einen klugen Gebrauch hätte machen wollen. Denn damals befand sich die schottische Nationalkirche durch die Einführung des Episcopats in dem Zustande grosser Verwirrung und Parteiung, und der Hof suchte auf alle Weise Anhänger und Beförderer seiner Ab- siAiten zu gewinnen und würde die Unterstützung eines so vielversprechenden Mannes, wie Burnet, den der angesehenste unter den neuen Bischöfen, Leightoun, seiner Freundschaft und seiner besondern Aufinerksamkeit würdigte, und der durch seine Geburt und Familienverbindungen der Regierung höchst

Gebiete der Kirchengesckichte Englands. 427

ntitElich hätte werden können, sehr gut vergolten haben. Aber Burnet zeigte schon frühe jenen scharfen Blick und jenen richtigen Takt, der ihn später aus so mancher schwierigen Lage rettete, und ihn immer dasjenige erkennen und ergrei- fen lehrte, was Bestand zu haben schien. Er liess sich nie als Beförderer eines launenhaften Plans, nie als Vermittler einer Unternehmung gebrauchen, die der Gesinnung der Na- tion widerstrebten und nicht ihre Wurzeln im Volke hatten. Er war ein Feind jeder hohlen Theorie, die sich, von Oben geschützt, auf einem ungeeigneten Boden breit zu machen suchte. Er lehnte daher alle Anträge einer Anstellung ab^ und begab sich auf Reisen, zuerst nach England und von da im J. 1664 nach Holland und Frankreich, wo er seine Stu- dien eifrig fortsetzte und mit den ausgezeichnetsten Theolo- gen dieser Länder, besonders mit den berühmten Hugenotten- Predigern von Gharenton, Daillö und Morus, Verbindungen anknüpfte. Erst nach seiner Rückkehr übernahm er die Pfarr- stelle zu Saltoun, die er aber schan um 1$69 auf Zureden seines Freundes Leightoun mit der Stelle eines Professors der Theologie in Glasgow vertauschte. Um diese Zeit war die Parteiung in der schottischen Kirche und der Zwiespalt unter den presbyterianischen und bischöflichen Geistlichen sehr gross, und bei allen wohlgesinnten Patrioten der Wunsch rege geworden, der zunehmenden Verwirrung und Gahrung durch eine Vermittlung zwischen den beiden äussersten An- sichten zu steuern. Burnet, der als Freund religiöser Tole- ranz bekannt war, wurde dabei vielfach um Rath angegangen, und gab sich alle Mühe, die streitigen Punkte auf eine feste^ gemässigte Basis zu stellen. Ueber Ritus und Geremonien hegte er die liberale Ansicht: „keine seien so schlecht, das» sie die Menschen schlecht machen könnten, und keine so gcrt, dass die Menschen dadurch gut würden.^^ Aber Toleranz fin- det in Zeiten religiösen Fanatismus keine Anerkennung, viel- mehr Hass und Verfolgung von allen Seiten. Dies erfuhr auch Burnet. Die Presbyterianer zürnten, dass er die eng- lische Liturgie beim Gottesdienste anwendete, und der Epi- scopalverfassung mehr zugethan als abgeneigt schien; die fipi-

428 lieber die Leistungen der Engländer auf dem

scopaien dagegen hassten ihn, weil er die Bedrückung und Verfolgung der Nonconfomiisten missbilligte und an eine Se- ligkeit ausser dem Bereiche der englischen Kirche zu glau- ben wagte.

Während seines Aufenthaltes in Glasgow erhielt Bumet von der Herzogin von Hamilton den Auftrag, die Geschichte des Ministeriums ihres Vaters und Oheims, worüber sie viele ungeordnete Papiere besass, zu schreiben, ein Auftrag, der ihn zuerst mit dem Herzoge von Lauderdale in Verbindung brachte. Dieser erbot sich nämlich zu mündlichen Mitthei- lungen und fasste zu dem Schriftsteller bald solches Vertrauen, dass es nur in dessen Macht gestanden hätte, zu einem der wichtigsten Aemter im Staat oder in der Kirche emporzu- steigen. Aber der Charakter dieses schottischen Edelmanns, der despotisch gegen Untergebene und kriechend gegen Hö- here war, der aus Servilität sich als Werkzeug gebrauchen liess, um bei seinen Landsleuten die absolute Königsmacht in Kirche und Staat einzuführen, und der aus Wohldienerei den glühenden Eifer eines presbyterianischen Govenanters mit einem kalten Indifferentismus vertauschte^ schreckte den frei- sinnigen auf seinen eigenen Werth stolzen Bumet von einer nähern Verbindung ab. Sein grader, von dem Gefühle der Freiheit durchdrungener Geist verschmähte die Mittel und Wege, durch die man damals zu Amt und Würde gelangte und Fürstengunst erwarb, und sein Grundsatz, sich nicht als Werkzeug zur Ausführung unpopulärer, von einem nach ab- soluter Gewalt strebenden König ersonnener Willkür-Maass- regeln benutzen zu lassen, hiSlt ihn ab, von dem Anerbieten, unter vier vacanten schottischen Bisthümern eins auszuwäh- len, Gebrauch zu mächen. Aus Klugheit und aus Patriotis- mus suchte er sein Streben stets mit den Tendenzen der Nation zu assimiliren und jede Parteirichtung, die nicht auf allgemeine Geltung zählen konnte^ zu vermeiden, und wenn er gleich im J. 1672 ein Buch zu Gunsten des Episcopalsy- stems, und über die ünrechtmässigkeit eines bewaffneten Wi- derstandes aus Gründen der Beligion, herausgab, so weigerte er sich dennoch abermals ein Bisthum, selbst mit dem An-

Gebiete 4er Kirohengeschichte Engbmde. 479

rechte auf das erste vacante Erzbisthum, anzunehmen, um nicht dem Verdachte und der Nachrede Raum zu geben, als habe er seine Ansichten aus selbstsüchtigem Streben den Wünschen des Hofes accommodirt

Burnet hatte bereits so sehr die allgemeine Aufmerk- samkeit erregt, dass, als er im J. 1673 behufs des Drucks der „memoirs of the dukes of Hamilton*' nach London reiste, der König ihn aus eigenem Antrieb zu einem seiner Kapläne ernannte und der Henog von York einige Unterredungen mit ihm hielt. In denselben wurde mehrmals die Frage verhan- delt, ob die katholische oder die anglicanische Kirche den Vorzug verdiene, wobei sich der Herzog, um den Ursprung der letztem herabzuwürdigen, auf Heylin's Reformationsge- schichte berief und zum Beweise der Richtigkeit seiner An- sicht unter anderm auf die Grundsätze der meisten englischen Prälaten hinwies, die der katholischen Lehre viel näher stän- den, als die der Jüngern Generation. Burnet und sein Freund Stillingfteet^ der durch jenen bei dem Herzoge eingeführt worden war, bestritten seine Beweisführung, warnten ihn vor den Folgen eines (Jebertritts zu einer Kirche, die dem Volke verhasst sei, wie er aus der Gesinnung der jungem Geistlichkeit, die er als die Gesinnung der ganzen Nation be- trachten dürfe, entnehmen könne, und riethen ihm, ja nicht zu fest auf den streitigen Grundsatz des passiven Gehorsams zu bauen. Sie erboten sich zu einer Disputation mit zwei katholischen Theologen, was aber der Herzog ablehnte. Auf gleiche Weise benutzte er die Gunst die ihm der König er- wies, um diesen aus der moralischen Versunkenheit und ent- nervenden Lasterhaftigkeit zu reissen.

Diese Gunst dauerte indessen nicht lange. In dem schot- tischen Parlament des folgenden Jahres 1674 erhob sich gegen Lauderdale's Administration ein heftiger Sturm, der von einer Opposition ausging, an deren Spitze der Herzog von Hamil- ton, ein Freund und Gönner unsers Geschichtschreibers stand. Dies genügte dem leidenschaftlichen Lauderdale, der auf Bur- nets wachsendes Ansehen bei Hofe neidisch war, um diesen dem König als einen der Urheber des Widerstandes zu be-

430 lieber die Leistungm der Engländer auf dem

zeichnen. Carl strich ihn daher sogleich aus der Liste seiner Kapläne, und als dieser, um dem Schauplatze der Partei- wuth zu entgehen, sein Lehramt in Glasgow aufgab und in London ein untergeordnetes Predigeramt zu erhalten suchte, hintertrieb er lange seine Wiederanstellung. Dennoch erhielt Burnet zuletzt eine Patronat^pfarre und zeichnete sich bald so sehr als Prediger aus, dass seine Kirche jedesmal gedrängt voll war. „Seine Reden enthielten keine studirten Phrasen oder abgerundete Perioden, wie sie damals zu sehr im Schwung waren; sondern es war die Kraft seiner Beweisführung, die Wärme seiner Sprache und die Würde seines Wesens, ver- bunden mit dem Anstände und der Grazie seiner Person, was Aufmerksamkeit gebot; und da das was er stgke immer von Herzen kam, so ging es auch seinen Zuböre^rn stets zuHerzen.^ *) Während der neun Jahre, die er in diesem Amte zu- brachte, untemabm er das widitigste Werk seines Lebens, die Geschichte der engtischen Reformation. Keine Zeit konnte für ein solches Werk geeigneter sein als jene, und kein Mann geschickter dazu als Burnet. Die Neigung des Holes für den Katholicismus war. kein Gefaeimniss und erregte in der Na- tion allgemeines Missfallea; die Willfährigkeit der meisten Bischöfe und hochgestellten Prätaten den Wünschen des Kö- nigs und seines feuders nachzukommen, füllte die Freunde des Protestantismus und die Anhänger einer freien Repri^ seatativ-Verfassikng mit banger Besorgniss für die Zukunft und der Beifall, womit die kurz vorher veranstaltete franzö- sische Ud)ersetzung des Sanders'schen Buchs in gewissen Kreisen aufgenonusnen wurde» empörte jeden Freund der Wahrheit. Burnet, dessen Sehriftstellertaknt ebenso aner- kannt war, wie sein Mulh und seine Freisinnigkeit, wurde daher von vielen Seiten ange^mgen, eine Gescbkdkte der Re- formation vom protestantischen Standpunkte aus zu schrei- ben, und die Feinde und Verleumder dieses grossartigen Er- eignisses zu widerlegen. Er Itess sich bereitwillig findai und

*) Burnels Leben von seinem Sohn Thom. Burnet, vor dem ersten Bande der „history of bis own ttme/^

Gebiete der Kirchengeschichie Englands. 431

sammelte mit grossem Fleisse das dazu erforderliche Mate- rial. Er erhielt anfangs Zutritt zu der Bibliothek der Familie Gotton, in der sich liesonders wichtige Manuscripte über diese Epoche befanden. Kaum aber wurde seine Absicht bekannt, so bewirkte Lauderdate bei dem Eigenthümer, dass Bumet nicht ferner zugelassen wurde, indem er denselben als einen Gegner der königlichen Prärogative darstellte, der von den Documenten einen schädlichen Gebrauch machen würde. Erst nach Erscheinung des ersten Bandes wurde das Verbot su- ruckgenommen und ihm die weitere Benutzung gestattet.

Dieser erste Band erschien im Jahre 1679, also in einem Augenblicke, wo die ganze Nation durch Gerüchte von pa- pistischen Gomplotten in Agitation gehalten wurde, und die Oenunciationen des Titus Oates u. A. gerichtliche Untersu- chungen der aufregendsten Art herbeiführten. Der Beifall, mit dem daher das Werk aufgenommen ward, war so unge- theilt, dass sich die beiden Parlameatshäuser bewogen fan- den, dem Verfasser für ein solches Nationaldocument öffent- lich zu danken und ihn zur Fortsetzung aubumuntern. In weniger als zwei Jahren erschien auch der zweite Theil, der bis zur üniformitätsakte im Jahre 1559 geht, mit welcher die Beformation als abgeschlossen angesehen werden kann. Eine reiche Sammlung von Urkunden aller Art ist jedem Bande angehängt und erhöht den Werth des Buches. So gross war die schriftstellerische Gewandtheit Burnels, dass er den hi- storischen Text innerhalb sechs Wochen niederschrieb, nach- dem er das Material geordnet hatte. Noch hei Lebzeiten des Verfassers erschienen vier Auflagen in Folio und seitdem eine fünfte in sechs Octavbänden; und zur leichtern Verbreitung veranstaltete Burnet selbst einen Auszug, wobei die Samm- lung der Documente wegblieb. Vof der Bekanntmachung wurde das Werk von dem Erzbischof Tillotson und dem ge- lehrten Bischof Stillingfleet durchgesehen und vier Ueberset- zungen^ darunter eine lateinische und eine französische, mach- ten dasselbe bald Jedermann zugänglich.

BujTftets Beformatiosksgescbichte war den englischen und französischen Fi oselytenmachern ein Dorn im Auge. Ein Buch,

432 Veber die Leistungen der Engländer auf dem

das in schöner Form und in einem klaren, männlich -krafti- gen Styl die Gebrechen der kathoh'schen Kirche, die mora- lische Gesunkenheit der Klostergeisth'chen, die Unwissenheit, Yerweltlichung und Sinnlichkeit des Klerus vor und zu der Zeit der Reformation anschaulich macht, das die Inconsequenz, Charakterlosigkeit und eitle Selbstsucht eines Gardiner und Bonner in das hellste Licht stellt, das galisüchtige, menschen- feindliche Gemüth der Königin Maria aufdeckt und von den gepriesenen Märtyrern der katholischen Kirche, namentlich Ton Thomas Morus, den Schleier wegzieht, der seine Schwä- chen verhüllte ein solches Buch musste am engJischea Hofe ebenso grosses Aergerhiss erregen, wie am französi- schen, wo man grade den gewaltigen Schlag gegen die Hu- genotten beabsichtigte, und die Reformation ^nur unter der Färbung eines Bossuet und ähnlicher Parteischriftsteller dar- gestellt wünschte. Es erschienen daher mehre Gegenschriften, worunter eine französische von Le Grand zur Rechtferti- gung der Geschichte des englischen Schisma's von Sanders und eine englische von Warton, dem Verfasser der Anglia Sacra, unter dem Namen Harm er (A specimen of some er- rors and defects in the history of the refbrmation of the church of England), die bedeutendsten sein möchten. Mit Le Grand hatte Bumet im J. 1685 eine flüchtige Bekanntschaft gemacht und bei einer Mahlzeit in dem Hause eines ihrer gemeinschaftlichen Freunde alle seine Einwendungen, wie er glaubte, widerlegt. Er war daher sehr überrascht, als der- selbe einige Jahre darauf ein Werk in drei Bänden heraus- gab, wovon der erste den Ehescheidungsprocess und das Schisma von römisch-katholischem Standpunkte darstellte, die beiden andern aber Briefe und Documente zum Belege seiner Darstellung enthielten, und worin sich sehr heftige Ausfalle gegen Bumet und seine Reformationsgeschichte vor- fanden. Der andere war ein englischer Geistlicher und An- hänger des Erzbischofs Sancroft, von dem er die Zusicherung der nächsten vacanten Präbende erhalten hatte. Als aber Sancroft nach der Vertreibung Jacobs H. den Conformitäts- eid verweigerte und daher seine Stelle an Tillotson, einen

Gebiete der Kirchetigesi^hichte Englands, 433

Freund und Gönner von Burnet abtreten musste, wandte sich Warton an den letztern mit der Bitte, ihm bei Tillotson die Bestätigung jener Zusicherung auszuwirken. Da aber der Erzbischof nicht darauf einging, so glaubte sich Warton von Burnet vernachlässigt oder betrogen und rächte sich durch Bekämpfung der Beformationsgeschichte. > Wichtiger als diese Schriften, deren feindselige Tendenz sich leicht aus der Bitterkeit des Styls erkennen Hess, war dagegen ein Buch« das im Anfang des achtzehnten Jahrhunderts erschien und das Burnets Werk weniger durch directe Polemik als durch Verschiedenheit der Darstellung und Richtung und durch ent- gegengesetzte Beurtheilung der Resultate in den Augen der Leser zu entkräften suchte. Dieses Buch war die englische Kirchengeschichte von Jeremias Collier, von dem später ausführlicher die Rede sein wird. Diese verschiedenen Angriffe, verbunden mit einigen wohlmeinenden Bemerkungen und Andeutungen über Irrthümer und Versehen, die ihm von mehren Seiten in guter Absicht mitgetheilt wurden, bestimm- ten Burnet nach mehr als dreissigjähriger Unterbrechung im J. 1715 einen dritten Band der Beformationsgeschichte her- auszugeben, der alle Nachträge, Ergänzungen und Verbesse- rungen enthielt, .die er während der Zeit, in welcher auch Rymer's wichtige Sammlung von Urkunden und Staats- papieren erschienen war, zusammen zu tragen Gelegenheit hatte, fn dieser Gestalt liegt nun das Werk vor uns, ein merkwürdiges Denkmal des Fleisses und der Ueberzeugungs- treue des Verfassers, dessen fernere Schicksale wir jetzt noch kurz andeuten wollen.

An den Verhandlungen über die Thronausschliessung, des Herzogs von York, die im Anfang der achtziger Jahre mit grosser Animosität geführt wurden, nahm Bumet indirect thätigen Antheil, und suchte der gemässigten Ansicht, die zu- nächst auf Sicherstellung der Verfassung in Kirche und Staat durch Ernennung eines Regenten drang, den Sieg zu ver- schaffen. Nicht als ob er die unbedingte Ausschliessung für unerlaubt gehalten hätte, sondern aus Gründen der Klugheit, die er selbst im zweiten Theil seiner Memoiren entwickelt

Z«itMhrifl f. G«8chicktstr. 1. 1844. 28

434 lieber die Leistungen der Engländer auf dem

hat. Aber selbst diese gemässigte Ansicht, wonach der pa«- pistische Herzog in die Reihe der Minderjährigen oder Wahn- witzigen gestellt wurde» musste dem Hofe missfallen, und war natürlich nicht geeignet, dem Verfasser der Kirchenge- schichte die verlorene Gunst wieder zu erwerben. Dennoch aber glaubte der König ihn schonen zu müssen, um nicht die Reihen der Opposition durch diese bedeutende Persön- lichkeit zu verstärken; ja er verbarg sogar seinen grossen Aerger über den insolenten Brief, den Burnet um dieselbe Zeit an ihn richtete, und worin er ihm Wahrheiten sagte, die selten zu den Ohren der Fürsten dringen, weshalb es uns gestattet sein möge, dessen Inhalt kurz anzudeuten : Nach- dem er dem König zu verstehen gegeben hat, dass das Volk die ganze Schuld der kritischen Lage des Reichs einzig und allein ihm zur Last lege, sagt er, dass nach der übereinstim- menden Ansicht aller Wohlmeinenden es nur Ein Mittel gebe» alle diese Schwierigkeiten zu heben. Dies Mittel sei aber nicht ein Wechsel im Ministerium oder im Staatsrath, nicht eine neue Alliance oder eine Parlamentssitzung nein! es sei eine gänzliche Sinnesänderung in dem Monarchen selbst, eine Besserung des Herzens, eine Umwandlung des Lebens. „Erlauben Sie mir'S fährt er fort, „Ihnen .mit aller Demuth eines Unterthanen zu sagen, dass alles Misstrauen, mit dem Ihr Volk Sie betrachtet, dass alle Verlegenheiten, in denen Sie sich befinden^ dass der ganze Unwille des Himmels, der auf Ihnen liegt, und der sich in der Vernichtung aller Ihrer Rathschläge kund giebt, lediglich daher kommt, dass Sie Gott nicht gefürchtet und ihm nicht gedient, sondern sich sünd- haften Lüsten überlassen haben/* Der König solle nicht glau- ben, weil einige Leute der Opposition sich um Religion nicht viel kümmerten, dass dies auch bei der Masse des Volkes so sei; nein! im Volke lebe noch ein religiöser Sinn, der recht gut Heuchelei von wahrer Frömmigkeit zu unterscheiden wisse, und der Anstoss nehme an dem Leben und Treiben des Königs und seiner Umgebung. Darum fordert er ihn dringend auf, sich zu bessern, damit die Nation wieder Zu- trauen gewinne und nicht allen scandalösen Gerüchten Glau-

Gebiete der Kirchetigeschichte Etiglands. 43;>

ben schenke; er solle alle diejenigen, die Veranlassung zur Sünde gäben, besonders die Frauen, aus seiner Nabe ent* fernen und den Hof reformiren; „wenn Ew. Majestät '^ sagt er, „sich aufrichtig und ernstlich der Religion zuwenden, so werden Sie bald eine reine Freude von ganz anderer Natur, als die aus grober Sinnlichkeit entspringt, in Ihrem Innern empQnden. Gott wird mit Ihnen sein in Frieden und alle Ihre Rathschläge lenken und segnen, alle guten Menschen werden sich Ihnen zuwenden und alle Schlechten beschämt bei Seite treten und sich bessern." Schliesslich fuhrt er ihm zu Gemüthe wie gröblich er sich gegen Gott versündigt habe, der ihn aus so vielen Gefahren so wunderbar errettet hätte, und ermahnt ihn, nicht dessen gerechte Gerichte auf sein Haupt zu laden, die ihn leicht als ein warnendes Beispiel für künftige Generationen hinstellen und zeitlich und ewig zu Grunde richten könnten; schlage der König diese Mahnung in den Wind, so würde er (Burnet) einst am grossen Tage des Gerichtes Zeugniss gegen ihn ablegen. Wenn schon Carl seinen Unwillen über diesen Brief für den Augenblick ver- barg, so merkte doch Burnet die zunehmende Ungunst des Hofes und zog sich zurück, um sich keiner Verfolgung aus- zusetzen. Als aber einige Zeit nachher das sogenannte fiye« bouse-Gomplot entdeckt wurde und dem Hofe Gelegenheit gab, sich der einflussreicfasten Häupter der protestantischen Opposition zu entledigen, kam auch Burnet in Gefahr. Denn er war ein vertrauter Freund des Grafen von Essex und des Lord Bussel, wagte es, den letztern während seiner Gefan* genschaft öfters zu besuchen, und war ihm sogar bei AbCfts- sung seiner letzten Rede, die so grosse Sensation im Lande machte, behülflich. Nach der Hinrichtung des Lords wurde daher Burnet mit dem nachherigen Erzbischof Tillotson g4^ richtlich vernommen, und wenn gleich nichts auf ihn heraus* kam, weil er zu vorsichtig war, sich in ein so chimärisches Unternehmen einzulassen, so schwebte doch dieselbe Gefahr, die Bussel und Sidney traf, über allen Häuptern der prote- stantischen Opposition, was Burnet bewog, sein Vaterland auf einige Zeit zu verlassen und sich nach Paris zu begel)an

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436 lieber (Ue Leistungen der Engländer auf dem

(1683). -~ Eine Predigt, worin er den Papismus mit einem Löwenrachen verglich, der Alle zu verschlingen drohe, zog ihni bald nach seiner Rückkehr den Verlust seiner Pfarrstelle und das Verbot zu, je wieder in London zu predigen, wo- durch er zu guter Zeit aller Verpflichtung gegen die Regie- rung ledig wurde, und daher bei der Thronbesteigung Ja- cobs IL ohne Anstoss das Reich abermals verlassen konnte. Er erneuerte in Frankreich die alte Freundschaft mit mehren ausgezeichneten Hugenotten, wozu auch der Marschall Schora- burg gehörte, und trat dann eine Reise nach Rom und an- dern Städten Italiens an. Das letztere wurde ihm yon yieXen Seiten widerrathen, allein er war so fern von alier Furcht, dass ihn nichts von seinem Vorsatze abbrachte^ und dass er sogar in der Metropole der katholischen Kirche kühne Aeus- serungen über die „babylonische Hure" auszusprechen wagte. In Frankreich und der Schweiz glich seine Reise einem Triumphzuge; überall bemühte man sich ihn zu sehen und selbst von hochgestellten Katholiken wurde ihm geschmei- chelt, in der eitlen Hoffnung ihn flir ihre Sache zu gewinnen. Im J. 1686 begab er sich dann in die Niederlande, wo er bei Wilhelm von Oranien und seiner Gemahlin die freundlichste Aufnahme fand und bald die Seele der geheimen Pläne die- ses Fürsten auf den englischen Thron wurde. Rurnet drang darauf, die Flotte in bessern Stand zu setzen; auf seinen Rath verwendeten sich Wilhelm und Maria bei Jacob für den sus* pendirten Rischof von London; von ihm rührten die gehei- men Instructionen her, mit denen sich Dyckvelt nach England begab; und die Declarationen, die später Wilhelm bei seiner Landung verbreiten Hess, waren von Rurnet theils entworfen, theils revidirt worden. In diesen Declarationen wurde zuerst nachgewiesen, dass die Eingriffe in die Verfassung des Staats und der Kirche und die vereitelten Versuche, den König von diesem frevelhaften Reginnen in Güte abzubringen, die Un- ternehmung des Prinzen und seiner Gemahlin, als der näch- sten Erben, rechtfertigten, uud dass es ihnen nach göttlichen und menschlichen Gesetzen zustehe, ihre Rechte, die man ihnen durch einen untergeschobenen Erben zu entreissen

Gebiete der Kirchengeschichte Englands. 437

trachte, zu wahren; sodann wurde darin der Nation die Zu- sicherung gegeben, dass der Prinz die gesetzliche Ordnung in Staat und Kirche zurückführen uhd für Erhaltung der reinen Religion und der kirchlichen Institutionen des Landes Sorge tragen würde. Burnet war es auch, der den Prin- zen abhielt in die Falle zu gehen, die ihm Jacob durch den bekannten Quäker Penn stellen liess. Dieser nämlich sollte das Panier einer allgemeinen Toleranz aufpflanzen, um unter diesem Schein der Humanität und Freisinnigkeit die Einwil- ligung des Prinzen in die Aufhebung der Testakte zu bewir- ken. Auf Burnets Rath wies aber Wilhelm diese Anmuthung, die ihm bei der englischen Nation sehr geschadet hätte, von sich, mit der Bemerkung, er erkenne zwar den hohen Werth der Toleranz und werde dieselbe stets üben, finde aber, dass die Bestimmungen der Testakte zur Erhaltung des Protestan- tismus in England nothwendig seien.

Diese Wirksamkeit des englischen Historikers entging dem Hofe in London, wo er ohnedies wegen seiner Refor- mationsgeschichte übel angeschrieben stand, nicht lange, und da Burnet zu gleicher Zeit in seinem Reiseberichte das Elend der Nationen, die unter dem niederdrückenden Einflüsse des Papismus und unter der Willkürherrschaft absoluter Fürsten ständen, in den grellsten Farben und auf die anschaulichste Weise darstellte , und dadurch den Bestrebungen Jacobs auf eine sehr fühlbare Weise entgegenwirkte, so brach die lange zurückgehaltene Wuth des Königs endlich gegen ihn los. Er verlangte in zwei fulminanten Briefen an seine Tochter die schleunige Entfernung Burnets vom Hofe, und schickte sei- nem Gesandten die strenge Weisung, nicht eher wieder mit der holländischen Regierung in Relation zu treten, bis dem treulosen Schriftsteller jeder Besuch bei Hofe untersagt sei. Als dies aber ohne Wirkung blieb, und die Nachricht, dass Burnet im Begriffe stehe, sich mit einer reichen, hochgebil- deten Dame aus einer der ersten holländischen Familien zu vermählen, seine Widersacher mit Neid erfüllte, wurde schnell eine Klage wegen Hochverraths in England gegen ihn an- hängig gemacht, um diese Yerheirathung zu hintertreiben.

438 lieber die Leistungen der Engländer auf dem

Aber ehe noch die officielle Kunde bievon nach dem Haag gelangte, hatten seine Freunde seine Naturalisation in Hol-^ land bewirkt, so dass Burnet das Ansuchen, in sein Vater- land zurückzukehren um sich wegen seiner Anklage zu recht- fertigen, mit der Bemerkung abwies, er sei jetzt den verei- nigten Staaten Tr^e und Gehorsam schuldig, nicht aber dem König Yon England. Auf dieses hin wurde er als HochTer- räther für vogelfrei (outlaw) erklärt und bei den Generalstaa- ten, zufolge eines alten Vertrags, auf seine Auslieferung an- getragen. Aber weder dieses Begehren noch das Verlangen ihn des Landes zu verweisen, fand bei der niederländischen Regierung Gewährung. Man gab zur Antwort: Burnet sei durch seine Naturalisirung ein Glied ihres Staates geworden und könne nicht verbannt werden; wolle der König aber die gegen ihn vorliegenden Klagepunkte ihnen mittheilen, so wä- ren sie bereit, den Beschuldigten vor ihr einheimisches Ge- richt zu stellen. Der englische Hof ging darauf nicht ein, und hofite durch gedungene Mörder sich leichter seines Tod- feindes entledigen zu können ; aber er war von Verrath um- lauert und Bumet erhielt daher zur rechten Zeit Warnung.

Als die Revolution glücklich zu Ende gefuhrt war, und Wilhelm und Maria sich im ruhigen Besitze des Thrones be- fanden, gehörte Burnet zu den einflussreichsten Männern in England und half vornehmlich die neue Ordnung der Dinge in Kirche und Staat begründen. Bei Besetzung der geistii«^ chen Stellen richtete sich die neue Regierung besonders nach seinem Rathe und rühmlich muss man anerkennen, dass er seinen toleranten Grundsätzen so viel als thunlich treu blieb» dass er die gesetzlichen Bestimmungen gegen die eidverwei- gemden Kleriker nach Kräften zu mildern suchte, dass er sich bemühte Versöhnung und gegenseitiges Vertrauen zu begrün- den, und dass er namentlich mit der grössten Selbstentsa- gung von seinem Einflüsse Gebrauch machte. Generositiit war überhaupt ein Charakterzug bei Burnet. Dies hatte er bei seiner ersten Heirath bewiesen, als er auf das grosse Ver- mögen seiner Gattin Margaretha Kennedy, einer Tochter des Grafen von Cassiiis« förmlich Verzicht leistete, und bewies m

^

Gebiete der Kirchengeschichte Englands. 439

auch jetzt, wo ihm jede kirchliche Stelle offen stand und er nach keiner einzigen trachtete. Als das Bisthum Salisburjr erledigt wurde, brachte er seiner Gewohnheit gemäss einen seiner Freunde dafür in Vorschlag. Aber diesmal antwortete ihm der König mit scheinbarer Kälte : ,»er habe schon einen andern ausersehen", und am folgenden Tage erhielt Burnet selbst die Ernennung zu dieser Würde.

Auf diesem Posten wirkte Burnet bis an seinen Tod im J. 1715 thätig und erfolgreich fiir Kirche und Staat lieber die Vergangenheit suchte er den Schleier der Vergessenheit zu ziehen und die Wunden der Parteiung zu heilen; gross- müthig vergab er frühere Kränkungen und feindselige Gesin- nung, trug keinem seiner Gegner Groll nach und rächte sich an Niemand wegen empfangener Beleidigungen Mit Muth und Consequenz verfocht er im Parlament wie bei seiner Amtsführung die grosse und schöne Idee der wahren Tole- ranz, wie er früher die erheuchelte verworfen und bekämpft hatte. Er suchte die Lage der eidweigernden Geistlichen (non- jurors) so viel in seinen Kräften stand, zu erleichtern und hatte Nachsicht mit dem religiösen Starrsinn der Dissenters, und um die Gegner der englischen Kirche zu vermindern, suchte er die Mängel und Schlacken, die dem Episcopalsy- stem anklebten, möglichst zu heben und namentlich die Geistr lichkeit, die so viele Blossen zu Angriffen gab, zu grösserer Thätigkeit und zu einem religiösen Lebenswandel anzuhal- ten/) Er selbst konnte als Vorbild eines Predigers, Seelsor- gers und Administrators gelten, war zu jeder Zeit eine Stütze und Zuflucht des Bedrängten, ein Wohlthäter der Armen, fiir deren Versorgung durch Staatsanstalten er eifrig wirkte, und ein musterhaflier Haus- und Familienvater. Ungeachtet sei- ner vielen Amtsgeschäfte fand er immer noch Zeit für scbrift- stellerische Arbeiten, unter denen besonders eine Abhandlung über die 39 Artikel der englischen Kirche und die Ge-

*) Die sich zu diesen Ansichten von Verträglichkeit und Milde bekannten nannte man in der Folge die low-church-party, im Ge- gensatz zu den starren, exclusivea Episcopalen, die man die high- church-men nennt

440 lieber die Leistungen der Engländer auf dem

schichte seiner Zeit, die sein Sohn nach seinem Tode als nachgelassenes Werk herausgab, die wichtigsten sind.

Burnet kann als einer der glücklichsten Sterblichen an* gesehen werden, was gewiss viel sagen will bei einem Manne, der in einer bewegten Zeit lebte und handelnd in die gros- sen Ereignisse der Weltgeschichte eingriff. Dieses Glück be- ruhte übrigens lediglich auf der Beschaffenheit seines Geistes und seiner Seele, auf der richtigen Entfernung von allen Ex- tremen und Schwindeleien und auf dem klaren Erkennen dessen, was der Nation fromme. Ein heller Kopf, eine gross- müthige, von kleinen Fehlem und Untugenden, wie von hef- tigen Leidenschaften freie Seele, ein begabter Geist, waren Eigenschaften, die, verbunden mit Patriotismus, mit religiöser Ueberzeugungstreue ohne Fanatismus, und mit Tendenzen, die in dem Herzen des Volkes ihre Wurzeln hatten, natür- Hcherweise des äussern Erfolgs nicht ermangeln konnten. Bumet war glücklich in der Ehe, glücklich in der Wahl sei- ner Freunde und glücklich in seiner literarischen Thatigkeit wie bei der Ausftibrung seiner Berufsgeschüfte. Die Geburt hatte ihm eine Stellung angewiesen, die von Neid und von Sorgen gleich entfernt war, und nie störten Zweifel und Kämpfe zwischen seiner innern Ueberzeugung und dem was er äus- serlich in Religion und Politik bekannte , die Ruhe seiner Seele. Auf welcher Seite er kämpfte, da war stets der Sieg; und noch kurz vor seinem Tode hatte er die Freude das Haus Hannover, dessen Ansprüche auf den britischen Thron er lange mit Eifer unterstützt hatte,*} zur Regierung ia Eng- land gelangen zu sehen.

Einen Gegensatz zu Burnet in Ansichten, Tendenzen und Schicksalen bildet Je rem ias Collier (1650—1726), ein Mann, dessen Ueberzeugungstreue, auch wenn man seine Grund- sätze verwerflich findet, doch alle Achtung verdient. Collier, derJSohn eines englischen Geistlichen, widmete sich dem Be*- rufe seines Vaters und bekleidete unter Carl IJ. und Jacob H.

*) Vgl. zwei Briefe der Churfürstin Sophia von Hannover d. d. Hermhausen 1701 in Buruets Leben von seinem Sohn.

Gebiete der Kircliengetchichte Englands, 441

einige untergeordnete kirchliche Aemter, bis die Revolution von 1688 seiner Wirksamkeit als Geistlicher ein Ende machte und seine Laufbahn durchbrach. Da er nämlich ein strenger Verfechter des leidenden Gehorsams war und jeden Wider- stand gegen das legitime Herrscherhaus als frevelhaft ansah, so blieb er dem vertriebenen König treu und verweigerte der neuen Regierung den Huldigungseid , weil er dadurch seine Zufriedenheit mit dem bestehenden Zustande zu erken- nen gegeben und ein Ereigniss gebilligt hätte, das er von Grund seiner Seele als sündhaft und gottlos verdammte. Die nächste Folge davon war, dass er als eidweigemder Wider- spenstiger seines Kirchenamtes entsetzt und dadurch in der feindseligen Stimmung gegen die Regierung verhärtet und erhalten wurde. Um diese Zeit gab es unter der englischen Geistlichkeit hauptsächlich drei Parteien: die Einen, die un- ter Jacob H. die Opposition gebildet hatten, fügten sich mit Freuden der neuen Ordnung der Dinge,^zu deren Herbeifüh- rung sie wesentlich beigetragen hatten, leisteten der Obrig- keit de facto, von welcher allein die Bibel spreche, unbedenk- lich den Huldigungseid und wurden bei Besetzung vacanter Pfründen vorzugsweise bedacht. Die zweite Klasse missbil- ligte im Innern die Revolution und den Grui^dsatz der Selbst- hülfe und war von der bindenden Kraft des dem vertriebenen König geleisteten Eides überzeugt; allein zeitliche Yor- theile, Mangel an Charakterstärke, ängstliche Sorge für ihren künftigen Unterhalt und so manche andere Motive, an die sich der Schwache klammert, wenn er ein nach seiner An- sicht mit Ungerechtigkeit gepaartes Gut ergreifen und die mit Gefahr verbundene gerechte Sache fahren lassen will, bewo- gen Viele, den vorgeschriebenen Eid zu leisten und sich durch sophistische Deutungen und casuistische Glauseln durchzu- winden, zum grossen Nachtheil der Sittlichkeit und der Ehr- furcht vor dem Eide. Die dritte Klasse endlich sah die Lehre vom passiven Gehorsam und der Unerlaubtheit jedes Wider- standes für einen wesentlichen Bestandtheil der englischen Kirche an, weigerte sich die neue Regierung durch den ge- forderten Huldigungseid, der mit dem unter der vorhergehen-

442 lieber die Leistungen der Engländer auf dem

den Regierung geleisteten in Widerspruch stand, anznerken- nen und hielt es iür ihre Pflicht, aus allen Kräften die Rück- kehr des vertriebenen Königs zu bewirken. Diese letztere Partei, die man Non- Jurors oder Jacobiten nannte, und zu denen Collier gehörte, verfocht ihre Ansichten besonders ei-* frig durch die Presse und stellte die Grunde ihrer Gegner, und namentlich die Sophistereien der aus Schwachheit oder äussern Rücksichten sich accommodirenden Kleriker in ihrer ganzen Blosse dar, indem sie mit Gonsequenz die Theorie vom leidenden Gehorsam durchführte und die Worte der hei-- ligen Schrift zu ihren Gunsten deutete. Unter den Schriften dieser Art erregte besonders ein Pan^phlet von Collier: „the desertion discussed'* grosses Aufsehen, da es gegen die Grund-- Sätze Bumets, der damals bei den neuen Machthabem als Prophet angesehen wurde, gerichtet war. Mehre feindselig« Aeusserungen gegen die Regierung und ihre Anhänger, die sich darin vorfanden^ gaben Anstoss und hatten seine erste Verhaftung und Einsperrung in Newgate-prison zur Folge, aus dem er jedoch nach einiger Zeit ohne weitere Procedur wieder entlassen wurde. Als er aber fortfuhr, durch feind- selige Schriften die Regierung und die conformistische Geist- lichkeit in den Augen des Volks herunterzusetzen und eine Reise nach Kent im J. 1692 ihn dem Verdachte einer Cor- respondenz mit Jacob II. aussetzte, wurde er zum zweiten- mal verhaftet, erkaufte anfangs seine Freilassung durch eine Bürgschaft, bereute dann aber seine Schwäche und übergab sich selbst wieder dem Gerichte. Nach einiget Zeit gelang es jedoch der Verwendung seiner Freunde, ihm die Freiheit wieder zu erwirken. Allein dies alles brach weder seinen Mnth noch seine Ueberzeugungstreue. Als im Jahre 1696 ein Complot gegen das Leben des Königs Wilhelm entdeckt wurde und die Richter auf ungenügende und unzuverlässige Beweise hin über Sir Will. Perkins und Sir John Friend das Schul- dig aussprachen und sie als Hochverräther zum Tode verur- theilten, wagte es Collier mit zwei andern eidweigemden Geistlichen, Snatt und Cook, dieselben auf den Richtplatz za begleiten und sie im Angesichte des Volks durdi Auflegung

Gebiete der Kirchengeschichte Englands. 443

der Hände von der Schuld zu absolviren. Diese öffentliche Demonstration einer feindseligen Gesinnung zog neue Ver«^ folgungen über Collier und seine Gefährten herab. Das Ge- richt entschied, dass sie durch diese Handlung, welche die Verbrecher yon der Sünde lossprach und die dadurch er- wirkte Strafe als eine ungerechte darstellte, das hochverrä*^ thcrische Unternehmen derselben gerechtfertigt und Andere zu ahnlichem Beginnen aufgefordert hätten, liess Snatt und Cook in Newgate einkerkern und erklarte Collier, der sich verborgen hielt und in einer neuen Schrift sein Verfahren aus dem Beispiele der primitiven Kirche unter heidnischer Obrigkeit zu vertheidigen suchte, für schütz- und rechtlos (outlaw). üebrigens erregte dieses Ereigniss so grosse Aufmerksamkeit unter dem Volke, dass die Regierung die zwei Erzbischöfe und zwölf Bischöfe bewog, eine Declaration bekannt zu machen, worin sie die Absolution durch Hände- auflegen ohne vorausgegangene Beichte und Sinnesänderung als unerlaubt verdammten, und ihren Abscheu gegen das fre- velhafte Unternehmen der beiden Verurtheiiten offen ausspra« eben. Unter der Regierung der Königin Anna wurden ver- schiedene Versuche gemacht, Collier zu versöhnen und in ein actives Glied der Kirche umzuwandeln; allein er verharrte in seinem Trotze und bewahrte seine Anhänglichkeit einem Für- stenhause, das einer so consequenten Treue durchaus un- würdig war.

Die englische Kirchengeschichte, wovon im J. 1708 der erste und 1714 der zweite Band zu London in Folio erschien,*) ist Colliers bedeutendstes Werk. Dass darin aber nicht eine unparteiische und vorurtheilsfreie Darstellung der kirchlichen Ereignisse zu suchen sei, sondern vielmehr eine nach sub- jectiven Tendenzen und Ansichten gemodelte Geschichte, lässt sich schon aus dem obigen Abrisse seines Lebens erwarten«

*) Au ecclesiasticai history of Great-Britain, cbicfly of England, from the first planting of Ghristianity, to the End of the reign of King Charles II. cet. first volume comes down to the End of the reign of King Henry Vit second vol. beginning at the reign of Henry VIR. and oontlnued to the death of King Charles 11.

444 Ueber die Leistungen der Engländer auf dem

Ef will zwar für einen episcopaien Protestanten gelten, der sich bei der Darstellung der Reformation „weder zu viel Frei- heit gegen die Todten erlaube, noch sich zu sehr einschüch- tern lasse durch die Lebenden 'S steht aber ganz auf katho- lischem, ja man kann sagen auf römisch - hierarchischem Standpunkte, sowohl in der altern Geschichte, wo er Partei für Anselm von Ganterbury und Thomas v. Becket nimmt, als in der spätem, wo er Luther einen „Aufreizer zu bür- gerlicher Empörung im Reich'' nennt, von Galvin sagt, ^,er sei ein Feind der Gewissensfreiheit und jeder Art von Mas- sigung gewesen" und Knox beschuldigt „er sei mit der Bi- bel so roh umgegangen, wie mit der weltlichen Obrigkeit, gegen die er das Volk zur Insurrection aufgewiegelt hätte." In der Darstellung der englischen Reformation verweilt er mit Vorliebe bei den Schwächen und Inconsequenzen Gran- mers, hebt mit innerer Befriedigung die Gharakterlosigkeit, Servilität und Selbstsucht Gromwells und der übrigen Beför- derer der kirchlichen Neuerungen hervor, sieht in der Auf- bebung d^r Klöster, die er lediglich von der Habsucht der königlichen Rathgeber ableitet, den Verfall der Wissenschaft und der Jugenderziehung und stellt die hingerichteten katho- lischen Priester als Männer von Tugend, Bildung und üeber- zeugungstreue dar, zu deren Untergang man erdichtete Ver- schwörungen und unerwiesene Theilnafame an den Insurrec- tionen benutzt hätte. Gardiner findet in Collier einen eifrigen Apologeten und König Garl IL wird als ein hochbegabter Regent dargestellt, der zwar in seinem Privatleben einige Schwächen bewiesen, aber die Factionen mit kräftiger Hand niedergehalten und bezwungen habe. Seine Ansichten und Urtheile über Personen und Ereignisse werden von dem ka- tholischen Historiker Lingard, der auf Colliers Schultern steht, im Wesentlichen getheilt und können aus diesem ta- lentvollen Schriftsteller am besten erkannt werden. Beide lie- fern den Beweis, dass mit Ruhe und Mässigung in der Dar- stellung, Tugend und Ueberzeugungstreue, Begeisterung und Sinnesadel leichter bekrittelt, bezweifelt und um die allge- meine Bewunderung und Anerkennung gebracht werden kön-

Gebiete der Kirchengeschichte Englands. 445

nen, als durch grobe Verleumdung und zelotisches Schimpfen. Wenn das Hohe und Edle durch heimtückische Bemerkun- gen seiner Blume beraubt und in den Staub gezogen ist^ so sinkt sein Werk in die gewöhnliche Beihe menschlicher Tha- ten und der Glanz der Poesie und die Glorie eines höhern Ursprungs fällt wurzellos zu Boden. Um die Beformation, in deren grossartigen Folgen mancher vielleicht die Hand Got- tes erkennen möchte, in das Bereich der Alltäglichkeit her- abzuziehen^ bestreben sich gewisse Leute^ die sonst für gött- liche Einwirkungen in kleinen Dingen einen sehr gläubigen Sinn haben, dieses Ereigniss lediglich von einigen unruhigen, malcontenten Männern herzuleiten, in denen sich dann mo- ralische Fehler, Schwachheiten, Leidenschaften und sündhafte Gelüste als Motive ihrer Handlungen leicht auffinden lassen. Haben sie so den Boden der Beformation für steril und die Wurzel für faul erklärt, so fragen sie, wie daraus gute Früchte entstehen könnten, und weisen auf den Baum der altern Kirche hin, dessen Früchte sie als gesunde anpreisen, weil die Wurzeln keine solche Gebrechen an sich trügen, verges- sen aber dabei, dass der Protestantismus die alten Wurzeln unangetastet liess und nur das üppige Beiwerk und die Scbma- rozerpflanzen , die dem Baum und seinen Früchten den Un- tergang drohten, abschnitt. Ein Bau, dessen Säulen Yer- kleinerungssucht, Splitterrichterei, Bosheit und Verleumdung sind, kann nur den Schwachen und Urtheilslosen bestechen und täuschen; das gesunde Auge der Kräftigen im Volke durchschaut die Bisse und die morsche Basis und lässt sich durch den äussern Firniss nicht bestechen.

Hiermit wäre unsere Aufgabe gelöst, bei der wir, wie Anfangs erwähnt, den doppelten Zweck hatten, einen kleinen Beitrag zur Aufhellung der englischen Kirchengeschichte zu liefern und dann historisch nachzuweisen, dass alle Versuche die römische Kirche in Britannien wieder in die Höhe zu bringen, stets an dem durchaus protestantischen Sinne des Volks gescheitert sind, woraus der Schluss gezogen werden darf, dass die Bestrebungen der heutigen Puseyiten ebenso erfolglos in sich selbst zerüallen werden, wie die ähnlichen

446 Ueber die Leistungen der Engländer auf dem

des siebenzehnten Jahrhunderts. Die Hoffnungen, die unlängst der Cardinal Pacca aussprach (AUgem. Zeitung, Sept. 1843. No. 258): „Segnet der Herr fort und fort den Eifer und die Arbeiten unsers Klerus in England, so wird man die prote- stantischen Prediger bald von dem grössten Theil ihrer Heerde verlassen sehen ^S wagen wir daher dreist, gestützt auf die Vorgänge der Geschichte, als illusorisch zu bezeichnen. Es steht nicht mehr in der Macht eines Fürsten oder einiger weniger Menschen, eine Kirche zur Herrschaft zu erheben, die nicht in dem Herzen des Volks wurzelt. Dass aber in dem englischen Volke das protestantische Element durchaus dominirt, beweist die Geschichte der drei letzten Jahrhun- derte und beweisen die heissen Kämpfe, in denen es sein Herzblut vergoss, um nicht von Neuem in das Joch des „pa- pistischen Aberglaubens'* geschmiedet zu werden. Ja wir (^uben sogar behaupten zu dürfen, dass die grosse Masse des Volks eigentlich dem Galvinismus zusteuerte, dass es sich die anglicanische Kirche nur darum gefallen Hess, weil es nicht in seiner Macht stand, eine vollkommene Reformation zu erstreben, und dass es sich nur darum unter die Fahne der Episcopalkirche stellte, weil sonst die bevorzugten Stände, die alle Ursache hatten mit dieser halben Reform zufrieden zu sein, sich nicht mit ihm gegen den Papismus vereinigt hätten. Das englische Volk verfocht also die Sache der bi- schöflichen Hochkirche bloss deswegen, weil sie zugleich die Sache des Protestantismus war, zeigte aber sowohl zur Zeit der Revolution, wo die Volksgrundsätze die Oberhand be- kamen, als später durch Sektenwesen und Separatismus, dass es gegen die anglicanische Kirche eine innere Abneigung habe, dass es sich derselben nur eben so füge wie dem Regimente der Landesaristokratie, für welche diese Kirche zunächst ge- schaffen ist, und dass es sich bisher bloss darum zu ihr ge- halten habe, weil dadurch dem grössern üebel, dem Papis- mus, der Eingang verwehrt wurde. Unser Prognostiken lautet also etwas verschieden von dem des obenerwähnten Gardi- nals. Wir sagen nämlich: Wenn die englische Landeskirche, die nicht in der grossen Masse der Nation, sondern nur in

Gebiete der Kirchengeschichte Englands. 447

den obern Regionen ihren Halt hat, zu Grunde gebt, so wird sofort nicht der Katholicismus zur Herrschaft gelangen, son* dern der Galvinismus, grade wie wenn durch eine Revolution die gegenwärtige politische Verfassung Englands untergehen sollte, nicht ein Uebergang zum Absolutismus, sondern zum Demokratismus erfolgen würde. Nicht die Theorien eini- ger Theologen, nicht der affectirte Enthusiasmus für Mittel- alter und Kunst, der sich in einigen Axistokratenfamilien kund giebt, können für die Zukunft der englischen Kirche maass- gebend sein, sondern die Richtung des Volks, das sich in demselben Grade immer mehr von der Landeskirche separirt und in demokratischen Sekten seine Befriedigung sucht, wie die Träger des Episcopalsystems sich dem römischen Papis- mus nähern.

Heidelberg am letzten September 1843.

Dr. George Weber.

Das ü^endenland unter liOthar dem Sach- sen« nacli P. Jaffö's Darstellnng-.

JaflK's vor Kurzem erschienene Geschichte des Deutschen Reiches unter Lothar dem Sachsen handelt begreiflich auch von dem, was in der Zeit im Wendenlande geschah. Ich un- terwerfe diesen Theil der genannten Schrift einer eigenen Kritik, weil der Gegenstand mir im Detail bekannt ist, und weil der Verf. meine Wendischen Geschichten auf mehren Punkten angreift, wo ich nicht weichen kann.

Die Erzählung der hierher gehörigen Begebenheiten geht, wie es in den Kaiser- und Beichsgeschichten zu geschehen pflegt, schattenhaft genug an dem Leser vorüber; sie ist durch- weg als Nebensache behandelt. Aber Noten und Beilagen, welche die Erzählung begleiten, lassen sich auf specielle Un- tersuchungen ein. Diese berühren theils Thatsachen, theils Zeitbestimmungen. Erstere am wenigsten.

Der Abodritenfiirst Heinrich hatte vorher gesagt, sein Geschlecht werde bald aussterben. So berichtet Helmold [L 48). Herr Jaff)^ findet darin (S. 107. Anm. 8) eine Bestätigung der in den Wendischen Geschichten (Bd. TL S. 20S) als ein ungegründetes Gerücht bezeichneten Angabe Saxo's, der Abo- drite habe mit Uebergehung seiner eigenen, von ihm für un- fähig erachteten Söhne den würdigeren Schleswiger Herzog Knud La ward zu seinem Erben ernannt, was dieser nach langer Weigerung angenommen. Aber einen Anspruch hat Knud nach Heinrichs Tode nicht erhoben; es ist also anzu-» nehmen, dass auch ein rechtskräftiger Erbvertrag nicht ge-

Das Wtndmbmd unter Loihdr dem Sacheen etc. 449

ftoUossen.*] Was die Fürsten im Privatgespräch verbandelt haben, was sie gewünscht, erwartet, gebofift, meldet die Ge*^ schichte nicht, es kommt auch auf den unwirklich gebliebe- nen Willen nicht an, sondern auf die That.

Broder Boissen, der Yerf. einer Schleswiger Chronik, fand in einer Sammlung Danischer Lieder (Liber cantilena- rum Danicarum ist der Ausdruck des Chronisten) den 7. Ja- nuar als den Todestag des Rnud Laward angegeben (Mencken Script, rer. Germ. T. III. p. 580). Denselben Tag nennt auch die Knytiingersage. Daraus schliesst Herr Jaffi§ (S. 108. Anm. 10), diese sei einerlei mit dem Buche, dessen Boissen gedenkt Der Einfall ist nicht besonders glücklich. Ein in Isländischer Sprache^ in Prosa verfasstes Geschichtsbuch kann unmöglich ein Dänisches Liederbuch genannt werden.

Die Wendischen Geschichten (B. IL S. 335. 336) haben als Hypothese ausgesprochen, in dem Vertrage, den der Dänen- könig Niels im J. 1131 mit dem Könige Lothar schioss, habe letzterer dem Sohne des erstem, dem Magnus, der den Abo- dritenkönig Knud Laward umgebracht hatte, das erledigte Wendische Gebiet zu Lehen gegeben. Saxo, Helmold und der Sächsische Annalist sind die Gewährsmänner, auf welche dabei Rücksicht genommen. Die Bosower Annalen sind nicht benutzt, weil was sie berichten**) mit der Aussage der bei- den Hauptzeugeo» des Saxo und des Helmold, nicht überein- stimmt. Nach diesen hat nämlicb Magnus, der Sohn des re^ gierenden Dänenkönigs, aber niemals selbst regierender Herr

«) Gleicher Ansicht ist P. E. Müller (Critisk Undersögelse af Saxos Histories syr sidste Böger. S. 151).

**) Die Worte um die es sich hier handelt, lauten r Lotharius contra partes easdem (nach Dänemark) exercitum movit: cujus ti- more omnes illius gentis velut arena maris ad^rebellandam in unum coacti, cum ex adverso exercitum regis multo licet minorem, lori- catum conspiciunt, divinitus perterriti, se suaque dedentes, dextra$ petunt, utque rex ipsorum proprium regnum ah ipso et ab Omni- bus imperatoribus suscipere debeat, constituunt, et ut eidem suo regi idem beneficium impendere dfgnetur, humiliter obsecrant. Ann, Bosov. 113L

Zeitichrift f. Gtacliiditeir. 1. 1844. 29

460 Da$ Wendentand unter Lothar dem Sachsen,

in DKnemark, dem Lothar selbst die Buldigang geleistet/) Die Worte der Bosower Annalen dagegen können gramma- tisch nichts anders heissen als dies: die Dänen setzten fest, ihr König (Niels) solle sein Reich, das Dünische, vom lotfiar zu Lehen nehmen, und baten, Lothar möge es demselben ih- rem Könige zu Lehen reichen. Herr Jaffi& hat eine andere Inteipretation versucht (S. 110. Anm. 23. 94). Darnach soll „derselbe ihr König '^ den Magnus bezeichnen. Mir scheint, das heisst der Sprache viel zumuthen. Und Helmold und Saxo kommen auch dabei nicht zu ihrem Recht; nach ihnen ist Magnus und er aHein der HuMigende, also auch der Be- lehnte; das Lehn, das er empfing, kann aber Dänemark nicht gewesen sein, denn dies war in der Hand seines Vaiters; es war mithin vermuthlich das Abodritenreich, welches durch den Tod des Knud eriedigt worden. Das Widersinnige, das mein Gegner darin findet, wenn Lotibat auszog Knud's Tod zu rädien und doch dessen Mörder mit dem Reich des Ge- mordeten beschenkte, vermag ich nicht zu erkennen. Was geschah, war den Rechtsvorstellungen der Zeit vollkommen gemüiss. Magnus hatte den Knud, Lothars Lehnsmann, in Seeland ersdilagen. Dafiir wur er nach Erichs Se<eUindischem Recht dem Deutschen Könige zu einer Busse von 46 Mark verpfliditet (K^Merup Rosenvinge Dänische Rechtsgeschichte übersetzt von Homeyer. S. 66). Er zahKe das Hundertfache, 4000 Mark. Damit war der Todtsehlag rechtlich gesühnt, und einer weitem Vereinbarung Lothars mit Magnus, der Auf- nahme des Letztern unter die Lehnsträger des Erstem stand nichts im Wege.

Tiefer greifend als diese Streitfragen, Welche das Fac- tische berühren, sind die chronologischen. Es sind deren fion^ drei unter sich tag verbunden, zwei isölirte.

Ton den letztem betrifil die eine Otto's vofo Bamberg zweite Missionsreise nach Pommern, die andere den Aufstand der Magdeburger gegen den Erzbischof Norbert

*) ut Magnus Romani imperii mililem ageret sagt Saxo. Ebenso Helmold vom Magnus: homfnio impunitatem adeptus est.

j

naph P. Jaff6\$ Darstellung. 45t

Die Wanderung des Bischofes setzt Herr Jaff^ mit Us- sermann und auf dessen Argumente gestützt in das J. 1127. Aus Sefrids Angaben, meiot er, lasse sich die Zeit nicht mit Sicherheit entnehmen (S. 67. 269). Die Wendischen Geschieh* ten (Bd. II. S. 307) haben zu zeigen gesucht, dass dem nicht so ist: Sefrid giebt das Jahr 1128. Doch könnte der Bio- graph geirrt haben. Das eine cter dafiir Yorgebrachten Argu* mente, das aus Ebbe entnommene, überzeugt noch nicht. Was £bbo berichtet, lässt sich mit den Angaben Sefrids und des Heiligenkreuzer Ungenannten noch inuner vereinigen (Wen« dtsche Geschichten B. II. S. 302). Dagegen würde der Brief des Abtes Wigand, den Andreas, in die ErzSUung der ersten Reise Otto's eingeflochten, enthält (Andr. Jasch. II. 16. Andr. Grets. IL 43), unbedingt inr üssermann's Meinung entscheid den, wenn nachgewiesen w«ure, dass der hier erwäinte „Ty- rann Konrad'' der Hohenstaufe Konrad ist. Denn dieser war, als Otto zum ersten Male nach Pommern ging, noch nicht im Besitz von Nürnberg. Er nahm die Veste als Erbtheil in Anspruch, meldet Otto Ton Freisingen (De gestis Frid. 1. 16), mithin «rsl nach detn Tode Heinrichs V., da der Bischof von Bamberg sdion wieder daheim war. Wigands Brief müsste dann in die Zeit der zweiten Missionsreise gehören, diese aber wäre nicht in das Jahr 1128 zu s^en, denn damals hielt sich Konrad in Italien auf. Die Angriffe auf das Bam- berger Bisthiim, deren das Schreiben gedenkt, müssten dann mit den Kämpfen zusammenfallen, welche die Bosower An- nalen und andere beim Jahre 1127 erzählen. So lange aber noch nidht feststeht, dass der Tyrann der Hohenstaufe ist, wird die Chronologie Sefrids und des Heiligenkreuzer Unge- nannien in Kraft bleiben, und das nm so mehr, da der Brief Wigands m Jer Stelle, wo er sich fiiidet, nicht erst im fünf- zehnten Jahrhundert durdb Andreas eingeschaltet ist, sond^n bereits durch Ebbo, vor dem Jahre 1163, wie Kleropin neuer- dings gezeigt bat.*)

*) Ballische Studien IX. H. 1, S. 32. 87. Das Jahr 1163, als Toj desjahr des Ebbo^ giebt Jack (Beschreibung der Bibliothek zu Bam- berg. II. S. XI.), aus einem handschriftlichen Nekrolog.

29*

452 J><i9 Wendenland unier Lothar dem Sachsen,

Dem AafstaDd der Magdeburger gegen den Norbert giebt Herr Jaff6 seine Stelle im Jahr 1129 und beruft sich dabei eben sowohl auf den Sächsischen Chronographen und die Lauterberger Chronik, als auf die Vita Norberti (S* 246). Doch ist die letztere nichts weniger als im Einklang mit den bei- den ersten und dem Sächsischen Annalisten, sie ergiebt viel- mehr, dass der Aufstand in das Jahr 113jL gehört (Wendische Geschichten B. IL S. 340. 341).

Die drei zusammen gehörigen Zeitbestimmungen bespricht Herr Jaffi6 in einer eigenen Beilage (S. 232—235). Es han- delt sich hier zuerst um das Todesjahr des Wendenfiirsteii Heinrich. Als solches nennt mein Gegner das Jahr 1127» die Wendischen Geschichten haben das Jahr 1119 angenommen. Die Abweichung ist also bedeutend genug.

Wie ich zu meinem Resultat gelangt bin, liegt am Tage: ich habe mich an die Angaben Helmolds gehalten. Vicelin starb am 12. Dec. 1154, nachdem er fünf Jahre und neun Wochen Bischof gewesen (Helm. 1. 78). Vor seiner Erhebung zum Bischof hatte er bereits 30 Jahre in Holstein gelebt (Helm. L 69). Der Aufenthalt in Holstein nahm bald nach dem Tode des Fürsten Heinrich seinen Anfang (Helm. I. 46. 47). Zwischen Heinrichs und Yicelins Tode liegen also minde- stens 35 Jahre und 9 Wochen d. h. Heinrich kann nicht nach dem 11. October 1119 gestorben sein. Die Chronologie der Wendischen Geschichten ist^ demnach die des Helmold.

Herr Jaff6 schlägt einen andern Weg ein. „Das von Got- schalk begründete Wendische Reich Slavien äussert er (S. 4) , welches sich längs der Ostsee von Holstein ösüich bis zur Peene erstreckte und die Stämme der Wagrier, Po- laber, Obotriten, Kissiner, Circipaner und Ranen umfasste, ward jetzt von dem Sohne Gotschalks, Heinrich, beherrscht'' Als Gewährsmann für die hier gegebene Grenze wird Hel- mold (I. 36) genannt Aber Helmold begrenzt yölbg anders. Er fügt zu den genannten Völkerschaften noch die Luitizer, die Pommern und alle Nationen der Slaven zwischen der Elbe und dem Baltischen Meere weithin bis an das Land der

nach P. Jaffi's Darstellung. 453

Polen/) Die Grenzbezeichnung des Chronisten ist also um mehr als die Hälfte verkürzt Ein Grund, warum so yerfah- ren, findet sich nirgend angegeben, nicht einmal die Anzeige, dass so verfahren. Und doch liegt am Tage, wie schwer die ausgelassenen Worte bei der Lösung der vorliegenden Frage in die Wagschaale fallen. Mit Helmold's Chronologie sind sie sehr wohl im Einklänge, völlig unvereinbar aber mit der An- nahme, Fürst Heinrich, der Abodrite, sei erst im Jahre 1127 gestorben. Denn bereits 1120 wurde Pommern von der Pol- nischen Grenze an bis über die Oder, im folgenden Jahre auch das Luitizerland bis in die Nähe der Müritz dem i^o- lenherzoge Boleslav unterthan und tributpflichtig; drei Jahre später unternahm Otto von Bamberg seine erste Missionsreise auf Polnischen Antrieb und unter Polnischem Schutze: Für^t Heinrich hatte damals in diesen Gegenden nichts zu gebieten.

Indessen mit dem Ignoriren jener von Helmold berich- teten Thatsachen ist das gesuchte Ziel nicht erreicht: Herr Jaff6 muss auch die Zeitbestimmungen des Chronisten an- greifen. Er setzt Vicelin's Aufenthalt in Holstein vor seiner Bischofsweihe von 30 Jahren auf 22 herab und meint, bei den vielen Zahlenverstümmelungen in den Urkunden des Mit- telalters werde die Hypothese wohl nicht für gewagt zu hal- ten sein (S. 233).

Und warum das alles? Um zwei von Helmold genannte Namen zu behaupten, die mit der bestimmt ausgesprochenen Chronologie desselben unvereinbar sind. Die an jei^e Namen geknüpften Thatsachen stehen, ihrem wesentlichen Inhalte nach, in keinem Widerspruch mit ihr.

Vicelin empfing die kirchliche Priesterweihe, bevor er nach Holstein ging, durch den Erzbischof Norbert von Mag- deburg. So erzählt Helmold (1. 46). Diese Angabe ist von den

*) Servieruntque Ranorum populi Henrico sub tributo, quem- admodum Wagiri, Polabi, Obotriti, Kycini, Gircipani, Luiici, Pome- rani et universae Slavorum nationeS) quae sunt iater Albiam et mare Balticum et longissimo tractu portenduntur usque ad terram Polonorum. Super omnes hos imperavit Henricus, vocatusque est rex in omni Slavorum et Nordalbingorum provincia. Helm. 1. 36.

454 Das Wendenland unter Lothar dem Sachsen^

Wendischen Geschichten als theilweise unrichtig bezeichnet. Ihr Argument ist aber keinesweges^ wie Herr Jaff6 ihnen Schuld giebty die Frage: wozu hätte sich Vicelin ton eineon andern weihen lassen, als dem Bremer Erzbischofe, der ihm geneigt war, in dessen Diöcese er lebte and als Heidenbote lu wirken torbatte? Mein Buch enthält die angeführten Worte» doch in einem ganz andeni Zusammenhange. Dafür dass Nor- bert die Geremonie der Priesterweihe am Vicelin nicht voll- zogen, ist kein anderer Grund geltend gemacht, als der am Tage liegende chronologische/] Norbert trat sein Amt erst am 18. Juli 1126 an, nachdem, Helmolds anderweitigen An- gaben zufolge, Yicelin bereits nahe an sieben Jahre als Prie- ster in Holstein gewirkt hatte. Da nun Norbert nicht der Consecrirende war, so liegt der Neugier die Frage nah, wer es gewesen. Die Wendischen Geschichten haben geantwortet (Bd. H. S. 246): „Yermuthlich'' Erzbischof Friedrich. Es ist also wiederum unrichtig, wenn Herr JaffiS sagt: Giesebrecht setzt zuversichtlich fiir Norbert, den Erzbischof von Magde- burg, Friedrich, den Erzbischof von Bremen, ein. Nachdem einmal dargethan, dass der erstere die Weihe nicht vollzog, ist so wenig mir, als der Geschichte überhaupt viel daran gelegen zu wissen, wer sie vollzogen hat. Bei weitem mehr Wichtigkeit hat es, zu untersuchen, wie Helmold zu jenem Irrthum gekommen, da er seine Nachrichten von Yicelin, wenn nicht alle, doch gewiss zum Theil aus dessen eigenem Munde vernommen hat. Ich habe nachzuweisen gesucht (Wendische Geschichten B. U. S. 245] , dass durch Norberts Beispiel und die von ihm angeregte ascetische Bewegung Vicelin allerdings die innere Weihe zum Priester empfangen hat, dass also ih- rem wesentlichen Inhalte nach die Thatsache, welche Helr- mold berichtet, vollkommen wahr ist, dass aber der Chronist geirrt hat, indem er von der äussern Geremonie der Weihe verstand, was in einem viel tieferen Sinne gemeint war.

*) Wendische Geschichten B. IL S. 246. Anm. 1. steht: ,,Darch Norbert gewiss nicht, wie in der vorhergehenden Note ge* zeigt ist. Die vorhergehende Note aber steht S. 245. Anm. 1.

nach P. Jaß's Darstellung. 4a5

Wie durch Norbert zum Prierter geweiht, so wurde durch den firzbischof Adalbero Yicelin nach Holstein geführt, berichtet Helmold (1. 47) weiter. Das ist ein Irrthum, erwie- dern die Wendischen Geschichten (fi. IL S. 246. Anm. 2), der aus dem ersten hinsichth'ch der Ordination Yicelins geflossen ist; Adalbero gelangte erst im J. 1123 zum Hamburger Er;*- Stift. Za verstehen ist also allerdings Adalbero's Vorgänger Friedrich; dass aber dieser Name statt jenes zu lesen, habe ich nirgend gesagt: Herr Jaff6 behauptet das mit Unrecht von mir (S. 233). Ich verlange keinen Buchstaben in dem Texte des Helmold geändert; mein Widerpart ist es, der die Worte des Chronisten, seiner Conjecturalkritik gemäss, umgestalten, duobus et viginti annis für triginta annis setzen will.

Für eine so leichte Aenderung, wie Herr JafTö meint, lässt sich das nicht halten. Unrichtige Zeitangaben Gnden sich allerdings in den geschichtlichen Denkmälern des Mit- telalters j wie jeder andern Periode, aber eben sowohl un^ richtige Angaben der Namen und der Thatsachen. Sämmt* liehe drei Unrichtigkeiten sind also auch im Helmold mög^ lieh. Zeitangaben und Angaben der Thatsachen des Autors stimmen aber, wie dargethan, unter sich und mit andern glaubhaften Berichterstattern vollkommen überein, nicht so die Namen und nur die Namen, denn die mit ihnen veiv knüpften Thatsachen bleiben von jenem Zwiespalt unberührt, die ein^, Yicelins Einführung in Holstein durch den Ham^ hurger Erzbischof, durchaus, die andere, die Priesterweiho Yicelins durch Norbert, in dem, was wesentlich an ihr ist. Wo hat nun die Kritik den wirklichen Irrthum zu suchen? Darf sie Thatsachen ignoriren, Zeitbestimmungen ändern, da- mit die Namen Recht behalten, oder wird sie das Yersehen auf dieser Seite finden und dessen Ursprung aufdecken wol- len? Das ist die Alternative, um die es sich handelt. Ich habe mich für das Letztere entschieden, sehe auch in dem, was mir eingewandt worden, keinen Grund von meiner An** sieht abzugehen.

Nächst dem Todesjahre Heinrichs wird das Todesjahr des Hoisteiner Grafen Adolf von Scbauenburg Jn Frage gestellt

458 Das WendenUmd unter Lothar dem Sachsen,

er Mch dem Waffenbandwerk suge wendet Dass er vor dem Vater gestorben, dass diesem der jüngere Sobn unmittelbar im Grafenamt gefolgt, kann nur eine befangene Auslegung in Helmolds Worten sucben und finden.

Es ist somit kein Grund» Lerbeke's Nacbricbt zu ver- werfen. An welchem Tage des Jahres 1125 die Kapelle und der Altar des heiligen Paneratius in Schauenburg eingeweiht wurden, bleibt zweifelhaft. Nach der freilidb nicht immer und nicht Sngstlich befolgten kirchlichen Sitte, dergleichen Hand- lungen an dem Tage des Heiligen vorzunehmen » dem das Crebäude als Opfer dargebracht wurde, lässt sich verm uthen» der Tag der Kirchweihe sei der 12. Mai gewesen. Die letzte Thätigkeit des Grafen Adolf, die sich bestimmt nachweisen lässt, ist dessen Theilnahme an einem Wendenkriege Lothars zu Gunsten des Svantipolk in der letzten Hälfte des Jahres 1121.*) Zwischen dem 24. Juni 1121 und» wenn die oben er- wähnte Vermuthung Grund hat, dem 12. Hai 1125 oder spar testens dem 31. December 1125 muss demnach das Todes- jahr des Grafen Adolf liegen. Das, nach Meiboms Angabe, von Manchen angenommene J. 1122 ist nicht verbürgt, steht aber gewiss der Wahrheit bedeutend näher, als die Zeitbe- stimmung des Ghronicon Holsatiae.

Eine dritte chronologische Frage schliesst sich der eben besprochenen an, die, wann Knud Laward das Abodriten- reich, das früher Heinrich besass, \om Lothar empfangen. Bei Lebzeiten des Holsteiner Grafen Adolf L: das leidet, nach Helmold (L 53), keinen Zweifel. Also, nach Lerbeke, vor 1125.

Dem tritt Herr Jaff<§ entgegen (S. 235). Saxo, meint er, 3etzt das fragliche Ereigniss in die Kaiserzeit des Lothar; das ist unrichtig, man muss die Königszeit verstehen, aber nicht die Zeit, da Lothar erst Herzog war, denn die Annales Bar- tholiniani geben für Knuds Erhebung zum Wendenkönige aus- drücklich das Jahr 1128.

*} Ann. Saxo 1131. Heim. I. 48. Vergl. Wendische Geschichten Bv 11. S. 215. 216. Dass der Feldzug nach dem 24. Juni zu setzen, ^seigt Jaff6 S. 17. Anm. 49.

nach P. Jaß's Darstellung. 459

Dabei ist nur ausser Acht gelassen, dass die Annaien, deren Zeugniss den Ausschlag geben soll, gar nichts bewei- sen können. Schon ihre Name deutet an, und Langebek hat es in der Einleitung zu ihnen eigens bemerkt (Langebek Script, rer. Danic. T. I. p.334}: sie sind eine Arbeit ganz neuer Zeit, Ton dem bekannten Dänischen Historiker Thomas Bartboh'n, am Ende des siebenzehnten Jahrhunderts verfasst

Woher Bartholins Angabe stammt, kann nicht zweifel- haft sein. Die Annaien verweisen mehrfach auf Hamsfort; in dessen Chronologie (Langebek Script, rer. Dan. T. L p. 272} findet sich auch wieder, was jene beim Jahre 1128 melden. Herr Jaff^ hätte also besser gethan, sich auf diesen alteren Gewährsmann zu berufen.

Aber auch Hamsfort gehört erst dem Ende des sechzehn- ten Jahrhunderts an. Er hat freilich aus älteren, zum Theil sogar aus nicht mehr vorhandenen Urkunden und andern Denkmälern geschöpft; doch als unmittelbar entlehnt darf man nur den kleinern Theil seiner Zeitangaben betrachten, der bei weitem grössere ist durch mehr oder minder genaue Rechnung gefunden oder ganz hypothetisch. Die Jahreszahl, welche er für Knuds Krönung ansetzt, kann nur als eine von der letzterwähnten Art gelten, weil sie in Widerspruch steht mit der von Lerbeke gegebenen, die augenscheinlich den Cha- rakter der Unmittelbarkeit an sich trägt Der Hoftag in Schles- wig, auf dem Knud Laward vor dem Dänenkönige und den Dänen zuerst als König der Wenden erschien (Helm. L 50), kann im J. 1128 stattgefunden haben, die Ernennung Knuds durch Lothar kann nicht später als 1125 geschehen sein, ver- muthlich erfolgte sie früher.

Stettin.

Ludwig Giesebrechtf

Quadro elementar das Rela^des politicas e diplomaticas de Portugal com as diversas Potencias do mundo , desde o principio da Honarchia Portugueza at^ aos nossos dias; ordenadoy e composto pelo Visconde de Santarem da Aca- demia Real das Sciencias de Lisboa, Madrid, Napoles, Cor- respondente do Instituto Real de Franga, et€. Impresso por ordem do Governo Portuguez. Pariz. Em casa de J. P. Aillaud. 8. 1842 Tom. I. IL 1843 Tom. lU.

Tortugal, an sich von geringem Umfang und jetzt von Wenigem Einfluss auf die politische Weltlage, nahm einst wegen seiner glorreichen Entdeckungen, seiner ausgedehnten herrlichen Besitzungen in andern Welttheilen, wegen seines Welthandels und der Beichthümer, die es aus diesem wie aus jenen schöpfte, unter den Staaten Europas eine sehr be- deutende Stelle ein, und stand mit allen Ländern, in welchen Handel und Verkehr blühten oder nur erst sich entfalteten, in unmittelbaren oder mittelbaren Beziehungen. An diese merkantilischen Beziehungen knüpften sich andere, mehr po- litischer oder völkerrechtlicher Natur. Es bildete sich ein Sy- stem der Verhältnisse Portugals zu andern Staaten, das zum Theil unbestimmt und ungeregelt blieb, zum Tbeil aber durch Verträge und urkundliches Uebereinkommen festgestellt und geordnet war. Von der grossen Menge von Urkunden, welche diese auswärtigen Verhältnisse Portugals betreffen, waren bis- her vornehmlich nur diejenigen im Auslande bekannt, welche in die in andern Staaten veranstalteten Sammlungen von Verträgen von Seiten dieser aufgenommen waren (wie dies ein Blick z. B. in Martens' Gours diplomatique zeigt). Viele Ur- kunden dieser Art, welche mehr Portugal angingen oder in den betreffenden auswärtigen Sammlungen unbeachtet geblie- ben waren, fanden sich zerstreut in portugiesischen Urkun-

Quadro elementar das IMofou politicas etc. 461

densammluDgen für andere Zwecke, oder lagen handschrift* lieh im Staub der Archive oder Bibliotheken begraben. Jene zu sammeln, diese ans Licht cu ziehen und beide für wis- senschafdiche und staatliehe Zwecke zu ordnen, war eine ebenso umfassende und schwierige, als nützliche Aufgabe. Nur ein Gelehrter, der mit einer günstigen äussern Stellung die erforderlichen vielfachen Kenntnisse und geistige Befähi-* gung, unermüdlichen Eifer und eine alle Schwierigkeiten überwindende Ausdauer verbindet, konnte den Muth fassen, sich eine solche Aufgabe zu stellen und durfte die Hoffnung hegen, sie einst befriedigend zu lösen. Der Verfasser des oben genannten Werkes vereinigt alle diese Bedingungen und Eigenschaften in vorzüglichem Grade in sich. Abgesehen von seinen übrigen günstigen Verhältnissen, muss hier seine frü- here Anstellung bei dem königlichen Archiv der Torre do Tombo, wenn wir nicht irren, als Director desselben, her- vorgehoben werden, und seine in diesem Amt erworbene Kenntniss der Urkunden dieses Archivs, eine Kenntniss, wie er sich ausdrückt (HI. 141) „nicht von Tagen, sondern von fünfzehn Jahren, in denen wir das Archiv frequentirten'^; ebenso sein vieljähriger Aufenthalt in Paris, wo es ihm ver- gönnt war, in unabhängiger Müsse die reichen Minen aus- zubeuten, welche ihm für seinen Zweck die dortigen Hand- schriftensammlungen>darboten. Die historischen Schriften des Visconde de Santarem , die sich vorzüglich auf seine vater- ländische Geschichte und zwar auf sehr verschiedenartige Ge- genstände und Seiten derselben beziehen, geben genugsam Zeugnisse seiner Tüchtigkeit zu einem solchen Unternehmen. Für die Liebe endlich, mit der er sich diesem Unternehmen hingegeben, und die Ausdauer in seinen Bestrebungen spre- chen jene dreissig Jahre, welche er, nach seiner Angabe, diesen Studien und Arbeiten gewidmet hat.

Um seiner Aufgabe zu genügen durchforschte der Ver- fasser sorgfältig alle portugiesische Chroniken und veröffent- lichte vaterländische Schriften, in gleicher Weise alle Chro- niken Spaniens aus dem Zeitraum von acht Jahrhunderten, durchging die Werke über die Geschichte von Frankreich von

168 Qnadro etementar dag ReUvQoes polU%ca$

Crregor Y<m Tours bis B^lrand de MaUevtHe imd im AUge* flaomen die Geschichte der europäischen StsAteu^ durchsuchle «Ue politischen Memoiren und ebenso die Geschiehtswerke aber die Gongresse, die seit dem Vertrag von Yervins gebal- ien wurden. Er sammelte ferner alle auf seinen Zweck be- lügliohen historischen Kotizen und ungedrttdUe Urkunden 1) in der TCMireflPlich«n ttandschriftensammlung der königli- ehen Bibliothek in Lissabon, 2) in der Manuscriptensamm- hing der Bibliodiek der Krone rem Bio de Janeiro, 3) in der k.<öoiglickea Biblic^ek von Rio de Janeiro, 4) in dem höchst racbeo königlichen Archiv der Toire do Tombo, 5) in der Sammlung des Klosters Jesus, i6) in der sehr bedeutenden Samnlung der Bibliothek fon S. Vtcente de Fora, 7) in der •ebenso sehatzenswerthen, sehr umfossenden Sammlung der äientiteken Bibliothek kk lissabon, 6) in den Manuscripten 4e8 Hauses der Grafen da Ponte, wo die amtUdien Gorre- spoiidenzen des ersten Grafen da Ponte im Original aufbe- wahrt werden, 9) in den Handschriften des Hauses da Cuoha, 10} in der grossen MannscriptensammJung des flanses Vova^ bal, 11) in der des Hauses das Gaif eas in den Negotiat^nen mit Rom, London .und HbHaad, 12) in den ifandschriften des JfMS Pauk) Bezerra, 13) in den Archi?«i Yon Frankreich, 14) in d^ Sammlung der köni^hen Bibliothek in Paris, und «ttss^dem in vielen Privateammfamigen. Nachdem der Vis- •eonde eine Uebersidit der in der Handsohriftensuttralung der königL BäbUothdc in Lissabon beindRchen C^sandtsehaAsbe* ridite, Gorrefipondenzen, Diarien, Memoiren, Negetiationeii, Tracta^ u. s.^. gegeben hat (L 53— *6S), schliesst er mit 4er Bemerkung: es würde viel zu weit fuhren, wollte idi alle Suhsidien anfiihren, die ich in dieser „importantissima col- Jec^£o^ gefunden habe. Der Viroonde besitzt jedoeh alle Sum* marien dieser Sammlung, welche jetat im königl. Archiv der Torre do T^wnbo aufbewahrt wird, lieber das köaigl. Archiy iler Torre do Tombo äussert 4er Visconde de Switarem: Der iuig^bliche Beichtfaum desselben an Staatsurkund^ ist so ansserordenUich, dass ich Uer kaum die Zahl dkrer ansage- ton vermag, die sich in den beiden Abtheiiung»i> „das Ga-

e diphmatiöai de PoHugoi etc. 463

tetas und Cüironologioo^* beteickxiet, finden. Die erste um«- fesst beiläufig 700 öifentliche Urkunden, die andere 921. -* Hinsichtlich der zahireidien, hierher gehörigen Urkunden, die in der königlichen Bibliothek in Paris und in den Archiven Frankreichs aufbewahrt werden, verweist der Verfasser auf seine NoUcia dos Mss. pertencentes ao Direito pubiico ex- terno diplomatico de Portugal etc., que existem na fiiblio- theca real de Pariz, e outras da mesma Capital, e nos Archi- vos de Franga, welche die königliche Akademie der Wissen- schaften in Lissabon im i. ±9ß!7 drucken Hess. Unter den Priyatsammlungen , die dem Yisconde reiche Hülfsmittel ge«- w'ährten, hebt er die Sammlungen der Häuser Pombal und -da Ponte hervor. In der ersten sammelte er eine grosse Menge Handeisprivilegien, die vom Anfeng der Monarchie an den Engländern bewilligt wurden , und die Verhandlungen Pom- hals bei den Missionen nach Deutschland und England, welche sechs Bände fällen.

Alle Urkunden, die steh auf Verhältnisse zwischen Por*- tugal (mit Eibschluss seiner ehemaligen und jetfigen Besit* Zungen in and^n Weittheilen) und den verschiedenen Staa^ tdn Europas in irgend einer Weise beziehen, oder Aufschluss -darüber geben, werden von dem Verfasser zugezogen, zunächst mitörlich alle Friedenssehltisse, Bündnisse, Waffenstillstände, Handdsverträge, Grenzbestimmungen u.s.w.; dann alleEdicte, Gesetze und Privilegien, welche entweder in Folge von Ver« trägen, oder nach besonderem Uebereinkommen der betref- fenden Höfe zu Gunsten der Ausländer erlassen und bewii«- ligt wurden; ferner die Gorrespondenzen der portugiesischen Könige mit andern Regenten (bis zum ISten Jahriiundert smd einige dieser Sdreiben, bemerkt der Visconde de San^rem, von so grosser Wichtigkeit, wie die Verträge und Gonven- tionen, die oft denselben einverieibt sind; es war dies da<^ mafs die kürzere und gewöhnliche Art zu unterhandeln), die apostdischen Bullen und Rescripte, weldte mittelst diploma- tischer Verhandlungen erlangt worden. Ausserdem nahm der Verfasser auch Testftmente der Könige von Portugal auf, weO, ebglei^ sie grossentheils keine Documente der poKttscben

461 Quadro elementar das Retofoes poUHcoi

Diplomatie seien , in vielen die Thronfolge geregelt werde und die Könige in denselben aber andere Gegenstände Y^r*- fiigungen träfen , die mit dem auswärtigen Staatsrecht der Nation eng zusammenhingen. Ebenso räumte er einigen in- ländischen Schenkungen eine Stelle ein, weil sie Bedingun- gen enthielten, die eine unmittelbare Beziehung auf die aus- wärtigen Staatsverhältnisse hätten.

Im Besitz dieses grossen Urkundenschatzes und zahlloser historischer Notizen und Nachweisungen konnte nun der Yis- conde de S. seinen umfassenden Plan entwerfen und aus- fuhren. Er umschliesst mehre Werke. Zuerst den Quadro elementar das rela^des politicas e diplomaticas de Portugal com as diyersas potencias do mundo, der in einer Reihe von Bänden die Summarien der Urkunden und die historischen Nachweise der bezüglichen Thatsachen in chronologischer Ordnung enthalten wird. Der Quadro elementar soll nach des Verfassers Absicht die Grundlage eines zweiten Werks sein, einer systematisch geordneten Urkundensanunluog, eines „Gorpo Diplomatico Portuguez^', dessen Herausgabe später erfolgen wird. Endlich beabsichtigt der Yisconde de S. diese grosse Arbeit mit einem dritten Werk zu beschliessen, das die Ergänzung jener bilden soll, mit einer politischen Ge- schichte von Portugal, gegründet auf die in der diplomatischen Sammlung veröffentlichten Verträge und übrigen Urkunden (U. 78, 79. H 8).

Den Inhalt des Quadro elementar, von welchem drei Bände erschienen sind, theilt der Verfasser in 28 Abschnitte, von denen der erste die Summarien von Urkunden über Grenzbestimmungen Portugals enthält, der zweite Privilegien und Gesetze, welche im Allgemeinen die Ausländer^ ihren Handel u. s. w. betreffen, der dritte bis vierzehnte Gonces- sionen und. Privilegien im Besondern zwischen Portugal und Spanien, Frankreich, Italien, England, Holland, Deutschland, Dänemark, Schweden, Bussland, den Barbaresken- Staaten, den Vereinigten Staaten von Amerika, endlich Asien. Die Abschnitte 15 28 umfassen die diplomatischen Beziehungen, und zwar der fünfzehnte diejenigen zwischen Portugal und

j

e diplomaticds de Portugal etc. 465

den verschiedenen Reichen, aus welchen Spanien früher be- stand, und der spanischen Monarchie bis auf unsere Tage^ die folgenden Abschnitte Portugals diplomatische Verhältnisse zu Frankreich, zur römischen Curie, zu Italien (Neapel, Sa- voyen, Parma, Venedig, Genua und Sicilien), zu England^ Holland, Dänemark, Schweden, Preussen, zum Deutschen Reich, zur Türkei, zu Afrika und den Barbaresken, den Ver- einigten Staaten von Aroerika und zu Asien.

Der erste Band enthält die ersten vierzehn Abschnitte und den Anfang des fünfzehnten, der diplomatischen Verhält- nisse zwischen Portugal und Spanien bis ins Jahr 1495, diese von Seite 98 bis 394. Der zweite Band setzt die Summa- rien und Inhaltsanzeigen des fünfzehnten Abschnitts vom J. 1495 bis zum Jahr 1815, 15. Mai fort. Die Summarien der Verhandlungen, welche in die Regierung des Königs Joifo VI. fallen, werden für spätere Supplementbände aufgehoben. Von den Gründen, die den Verfasser zu diesem Abbrechen be- stimmten, ist ihm einer der entscheidensten die Lostrennung Brasiliens. Die diplomatischen Verhältnisse zwischen Portu- gal und Spanien reichen bis S. 330, dann folgen Zusätze zu den ersten zwei Bänden von S. 333 442 und Berichtigun- gen. Die beiden ersten Bände enthalten 2225 Summarien und Inhaltsangaben.

Der dritte Band umschliesst den sechzehnten Abschnitt, die diplomatischen Beziehungen Portugals zu Frankreich, vom Anfang jener Monarchie bis zum Jahr 1638 Febr. (der vierte Band wird sie bis auf unsere Tage fortführen, vgl. III. 141). Ungeachtet der erste Regent Portugals, der Graf Heinrich, von französischer Abkunft war und zwischen den Portugie- sen und Franzosen mancherlei Berührungen stattfinden muss- ten, sind die historischen Nachrichten davon in den portu- giesischen Schriftstellern sowohl, als in den gleichzeitigen französischen höchst spärlich, eine Erscheinung, deren Gründe nicht weit zu suchen sind. Aus der Regierungszeit des Grafen Heinrich enthält der Quadro elementar nur eine Urkunde (aus dem Archiv der Torre do Tombo). Auch in den französischen Schriftstellern des 12ten, 13ten und 14teih

Zeitschrift f. Oeschiclttsw. I. 1844. 3Q

466 Quadro elementar das Rela^^es poUticas

selbst noch des 15ten Jahrhunderts fand der Verfasser nur sehr dürftige historische Notizen in Betreff Portugals; doch waren ihm einige geschichtliche Nachrichten aus dem letzten Jahrhundert von wesentlichem Nutzen, die ersten von dem berühmten Olivier de la Marche, dessen Memoires den Zeit- raum von 1435 1488 umfassen , weitere dann in den Me- moires von Jacques du Clerq u. A. Auch die französischen Memoires und Histoires aus dem 16ten Jahrhundert boten ihm keine reiche Ernte dar, und die Durchforschung von 26 gleichzeitigen französischen Schriftstellern, welche alle an den politischen Ereignissen von 1547 1594 mehr oder weniger Antheil nahmen, gewährte ihm nur eine geringe Ausbeute.

Allein nicht viel mehr fand der Verfasser für seinen Zweck in den portugiesischen Chroniken von Femao Lopes, Buy de Pina, Damiao de Goes u. And. Am meisten fällt es ihm mit Recht auf, dass Francisco de Andrade, der die Ghro« nik eines Königs schrieb, unter dessen Regierung Portugal in häufigen und wichtigen Berührungen mit Frankreich stand, 80 Weniges in dieser Beziehung erwähnt, nicht ein einzig* mal eine Urkunde des Archivs anführt, und während er Guarda Mor der Torre do Tombo war, wo fast alle Urkunden, von denen der Yisconde de Santarem die Summarien giebt, sich fanden, von diesen keinen Gebrauch in seiner grossen Chro- nik machte. Und doch, fügt der Yisconde hinzu, sind diese so zahlreich, dass, wenn wir diejenigen, weiche sich auf Por- tugals Verhältnisse zu Frankreich in der Regierung JoSo's JIL beziehen, publiciren wollten, wir mit ihnen einen beträchtli- cheren Band füllen würden, als die ganze Chronik von An- drade bildet.

Der dritte Band enthält beiläufig 740 Summarien, von denen 400 ungedruckt sind und mehr als 200 nicht in der Torre do Tombo sich finden. Aus diesem Archiv hat der Verfasser 221 entnommen. Wäre daher dieser Band nur mit den Urkunden aus der Torre do Tombo ausgestattet worden, so würden „beinah die Hälffce der inedirten Documente, die er enthält, ihm fehlen '% ungeachtet, bemerkt der Visoonde de Santarem, des Ungeheuern Urkundenschatzes, der in die-

e diplomaticas de Portugal etc. 467

sem Archiv aufbewahrt wird, und ungeachtet dasselbe eins der reichsten und kostbarsten in Europa ist.

Wir beschränken uns hier auf diese blos berichtijche Anzeige der ersten drei Bände eines Werkes, über das erst dann, wenn es vollendet vor uns liegen wird, ein vollstän- diges und richtiges Ortheil gefällt werden kann. Aber schon ans diesen drei Bänden ergiebt sich die hohe Wichtigkeit die- ses Werkes, wie das grosse Verdienst seines Herausgebers.

Giessen.

Dr. Schäfer.

Praktisches Handbuch der historischen Chronologie aller

Zeiten und Völker, besonders des Mittelalters, von

Dr. Eduard Brinckmeier. Leipzig 1843. Verlag

von Adolph Wienbrack.

Die unabweisbare Forderung der Wissensdiaft an den Historiker, das Geschehene der Zeit nach zu ordnen, um es so in seiner Wahrheit, als Wirkung und wiederum als Ur- sache erkennen zu können, macht ihm die Chronologie zu einer nothwendigen Hülfswissenschaft. Zwar haben nun alle Völker, wenn sie nicht in eine gänzliche Versumpfung gera- then sind und allen Sinn für Entwicklung verloren haben, ihre Geschichten in einer mehr oder weniger streng chrono- logischen Ordnung überliefert, aber diese konnten ebenso we- nig von denselben Epochen aus sich fugen, als die verschie- denen Nationalitäten bei getrennter geographischer Lage von denselben Ereignissen berührt worden sind. Weiter mach- ten sich selbst innerhalb der so entstandenen verschiedenar- tigen Acren Divergenzen geltend, indem man die Zeit man- nigfachen Theilungen unterwarf nnd die Zeittheile mannigfach benannte. Eine Hauptaufgabe der chronologischen Wissen- schaft ist es nun, diese Verschiedenheiten in ihrem Wesen zu entwickeln und so dem Geschichtsforscher die Reduction von einander abweichender Anordnungen der Ereignisse auf

30*

468 Praktisches Handbuch der historischen

eine einzige möglich zu machen. Doch selbst mit dieser theo-' retischen Kenntniss bleibt der Historiker immer in einzelnen Fällen auf mühsame, zeitraubende Berechnungen angewiesen, da ein Hülfsbuch, das durch übersichtliche tabellarische Zu- sammenstellungen ihm jene Mühe ersparte, bisher noch fehlt. Diese Lücke in der Literatur will Herr Brinckmeier mit dem vorliegenden Buche ausfiillen. Es ist in sechs Abschnitte getheilt» von denen die ersten fünf den mehr theoretischen Theil der Wissenschaft, Begriffsentwicklungen und Erklärun- gen bietet, um den Leser in den Stand zu setzen, die im sechsten Abschnitte enthaltenen Tabellen zum praktischen Gebrauche benutzen zu können. Immer sind die elemen- tarischen Begriffe, die das Fundament einer Wissenschaft bilden, sichere Probiersteine für den Werth einer wissen- schaftlichen Leistung; denn hier muss es sich zeigen, ob der Verfasser das Wesen seines Gegenstandes verstanden hat. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet lässt uns das be- sprochene Buch nicht zu einem günstigen Urtheil kommen. Nirgends klare und erschöpfende Entwicklung. So heisst es, um gleich ein Beispiel zu geben, Seite 7: „Der Mondcyclus ist ein neunzehnjähriger Zeitraum, dessen jedesmaliges Jahr die güldene Zahl heisst^* und dann wieder S. 49: „der Mondcyclus heisst die güldene Zahl^' und wenige Linien weiter: „die güldene Zahl, oder die Zahl des Jahres im Mondcyclus." Von diesen drei Erklärun- gen ist die erste unverständlich, die zweite falsch und die dritte erst nähert sich der Wahrheit. An eine systemati- sche Anordnung des Stoffes ist im Einzelnen so wenig als im Ganzen zu denken. Von der pisanischen und floren- t in i sehen christlichen Zeitrechnung wird S. 32 inmitten zwi- schen der syrischen und ägyptischen gehandelt, nachdem schon vorher die gemeine christliche Aere, dann die Acren von der Erschaffung der Welt und unmittelbar darauf die römische Zeitrechnung durchgenommen worden sind. Der Verfasser sagt zwar (Vorrede S. XV), es habe „eine ei- gentlich pragmatischeEntwicklung der Wissenschaft der Chro- nologie zu geben, nicht in seinem Plane gelegenes doch fugt

Chronologie aller Zeiten und Völker. 469

er selbst hinzu, er „suchte das ganze Gebiet der Chronolo- gie unter bestimmte Rubriken und zwar so zu ordnen, dass Uebersichtlichkeit und damit praktische Brauchbarkeit iur alle vorkommende Falle erzielt würde/' Wie wenig aber dies Ziel bei einem so willkürlichen Zusammenwürfeln des Stof- fes erreicht ist, springt in die Augen.

Minder billig wäre es vielleicht, die obwohl zum öftem wiederholte Aussage des Verfassers (so Vorrede S. XIV), y,das Buch enthalte alles^ dessen man zu dem Zwecke, die histo- rischen und urkundlichen Daten zu prüfen und zu reduciren bedarf'^ peinlich zu verfolgen, da schon auf dem Titel an- gedeutet wird, dass es besonders zum Gebrauch für die Geschichte des Mittelalters bestimmt ist. Es muss daher nun vornehmlich zu untersuchen sein, inwiefern die prakti- schen Tabellen des sechsten Abschnittes dieser Bestimmung entsprechen.

An Bezeichnungen der Jahre haben Chroniken, beson- ders aber die Urkunden des Mittelalters einen grossen Beich- thum. Die blosse Zählung der Jahre nach Christo würde in der That eine grosse Unbestimmtheit gelassen haben, weil man an verschiedenen Orten den Jahresanfang so sehr von einander abweichend nahm, dass in Pisa dasselbe Jahr nach Christo an demselben 25. März endete, mit dem es in Flo- renz anfing. Man suchte daher durch Hinzufugen der Indic- tionen, Epakten, Concurrenten des gemeinten Jahres dieses näher zu bestimmen, besonders aber durch die Bemerkung, im wievielsten Jahre der Regierung des Kaisers, des Königs, oder des Papstes, der Vi^ürde der Bischöfe, selbst der Aebte u. s. w. das betreffende Ereigniss geschehen sei. In Bezug hierauf vermisst man nun in dem vorliegenden Buche zu- nächst eine Tabelle, in der die erwähnten Jahresbezeichnun- gen für alle Jahre des ganzen Mittelalters nebeneinander ge- stellt sind. Die Indictionen findet man in der Tabelle IX. nur vom Jahre 1000, und die Epakten ebendaselbst gar nur vom J. 1583 ab ausgerechnet. Um so grossem Raum neh- men von S. 235 bis 303 die Verzeichnisse der deutschen Kaiser und Könige, der Könige von Frankreich, England

470 Praktisches Handbuch der historischen

and der Päpste samipt ihren Datirungsmethoden und Re- gierungsepochen ein. Aber abgesehen davon, das» weder die Herrscher der andern Länder noch die Bischöfe überhaupt auf- geführt werden, so sind auch die gegebenen Verzeichnisse reich an Irrthümern und Fehlern. Man wird dies natürlich findto, wenn man erfahrt, dass dem Verfasser z. B. für die deutschen Könige (s. Note zu S. 235) y^namentiich Georgisches Bege- sten dis Anhalt und Quelle gedient haben/^ Er setzt, um aus dem Vielen Einiges zu erwähnen, S. 239 die Krönung Otto's I. zu Acben auf den 2. Juli 936» an welchem Tage, wie S. 236 richtig angegeben wird, sein Vater Heinrich I. zu Memleben starb. Die Erwähl ung Lothars des Sachsen setzt er S. 243 zum 21. August 1 125, während die Wähler erst am 24. August sich versammelt haben; die Krönung Conrads IIL ebendaselbst zum 18. Mai 1138 u* s. w. Das chronologische Verzeichniss der Päpste ist so mangelhaft, dass mehre der heiligen Väter ganz ausgelassen sind; so fehlen Seite 292, weiche die Päpste von 904 bis 985 enthält, folgende : Anastasius lU., Lando, Leo VI., Johann XL, Martin UL, Agapit IL, Johann XIL, Benedict V., Benedict VL und Donus U.

Sehen wir nun» was in dem Buche für die Beduction der mittelalterlichen Tagesbezeichnungen getban ist. Man bediente sich im Mittelalter entweder der römischen Zählung nach Calenden, Nonen und Iden, oder deutete die Tage nur durch die an ihnen gefeierten kirchlichen Feste an; oft fin-« den sich auch beide Bezeichnungen nebeneinander« Der Feste giebt es aber bewegliche und unbewegliche. Die Stel- lung jener ist in ein festes Zeitrerhältniss zum selbst beweg- lichen Osterfeste gesetzt, welches nach der Bestimmung des Nicäisdien Concils am Sonntag des auf das FrüUingsäqui- noctium zunächst folgenden Vollmondviertels gefeiert wurde, und daher auf jeden Tag vom 22. März bis 25. April fallen konnte. Um nun das Datum eines beweglichen Festes zu finden, muss man in dem besprochenen Buche zuerst durch Tab. L die güldene Zahl des Jahres, dann durch Tab. IL, IIL oder IV. den entsprechenden Sonntagsbuchstaben in Erfahrung bringen, hierauf ergiebt sich durch das Zusammenhalten bei«-

Chronologie aller Zeiten und Völker, 471

der in der Tab. Yll. der Ostersonntag des Jahres, mit dessen Kenntniss man endlich in der Tab. X. das verlangte Datum findet; und will man, was oft zur Kritik einer Angabe sehr nothwendig ist, auch den Wochentag wissen, auf den dasselbe Fest gefallen ist, so muss Tab. Y. zu Rathe gezogen werden. Nicht weniger also, als sieben verschiedene Tabel- len sind zu berücksichtigen, um ganz einfach die Lage eines beweglichen Festes (für die Jahre bis 1000 n. Chr. wenig- stens, denn ausgerechnet sind in der Tab. IX. die Ostertage nur für die Jahre von 1000 ab) in Monat und Woche zu finden I Das müsste doch wohl ein praktisches Handbuch der Chronologie, welches in den Stand setzen will (s. Vor- rede S. Yll.), „ohne Mühe genau jedes Datum augenblicklich zu reduciren^S mit einem Blicke überschauen lassen; eine Aufgabe, die überdies seit fast zwanzig Jahren bereits ge- löst ist. Ich meine das Buch von Meier Kornick (System der Zeitrechnung in chronologischen Tabellen. Berlin 1825), das wie mir scheint von Historikern weniger benutzt wird, als es verdient. Es enthält dieses Buch nicht bloss fast alle Tabellen die Herr Brinckmeier mittheilt ausführlicher und über- sichtlicher, sondern ist auch mit der erwähnten Aufgabe aufs Glücklichste zu Stande gekommen. Da nämlich das Datum des Osterfestes jeder Tag vom 22. März bis 25. April sein kann, so giebt Kornick auf jeden dieser 35 Tage einen voll^ ständigen Kalender. Man darf daher nur das Datum des Ostersonntags wissen (und dies findet man in seiner 13ten Tabelle für alle Jahre von 326 n. Chr. ab berechnet), um sich dann den Kalender des Jahres aufzuschlagen. ~

In Ansehung der unbeweglichen Feste, die meist an jene Unzahl von Heiligen geknüpft sind, deren die kaUioIiscbe Kirche im Mittelalter fast täglich mehr bekam, kenne ich die Schwierigkeit, mit der Herr Brinckmeier zu kämpfen gehabt haben würde, wenn er da hätte vollständig sein und allen Anforderungen genügen wollen. Er begnügt sich in der Tab. XYI. ein alphabetisches „Yerzeichniss der gebräuchlich*^ sten unbeweglichen Feste und Heiligentage ^' und in der Tab. XYII. eben ein solches für die ,)in Deutschland im Uiin

472 Praktisches Handbuch der historischen

telalter gebräuchlichen Benennungen der Tage und Kirchen«- feste ^' zu geben. Von dem erstem meint der Verfasser S. 128, ^>es sei so vollständig, als es theils die Gränzen dieses Werkes erlaubten, anderntbeils aber es nur immer mög- lich war.'* In der That aber ist es so unzureichend, dass ihm die fehlenden Heiligen in Menge hergezählt werden kön- nen. Für den Januar z.B. will ich nur folgende erwähnen: Lucianus et Maximus (8. Jan.), Jocundus et Qüirinus (9. Jan.), Johannes PP. et S. Gyriacus ( 12. Jan. ) , Bonitus ep. et conf. (15. Jan.), Honoratus ep. et conf. (19. Jan.), Audifax (20. Jan.), Machianus et Eugenius (23. Jan.), Projectus Mart (25. Jan.), Aldegundis regina (30. Jan.], Goncordius Mart. (31. Jan.). Kicht minder mangelhaft sind darin die Angaben der an verschie- denen Orten gebrauchten verschiedenen Monatstage zur Feier derselben Heiligen. Einige Beispiele in dieser Bezie- hung für den Februar. Bei Augustini translatio steht nur der 11. October, doch ist sie im Galendrier ^de Mismes b. M6nard bist, de Nismes IV. Notes p. 7 zum 28. Februar ge- setzt. Bei Eulalia steht nur der 12. Februar, während sie im Necrol. S. Michael, b. Wedekind Noten IX. auch zum 4. Fe-* bruar gehört Pantaleon ist auf den 28. Juli angesetzt, wie- wohl er nach dem Galendarium S. Maximini b. Hontheim Prodrom. I. 373 auch am 18. Februar gefeiert wurde u. s. w. Dazu kommt, dass Herr Brinckmeier, besonders in Tab. XVI., ganz dogmatisch verfährt und ohne irgend eine Quellenan- gabe seinen Heiligen die Plätze anweist. Ein Vorwurf, der sich fast allen Theilen dieses Buches mehr oder minder ma-<> eben lässt und den der Verf. auch dann nicht zurückzuwei-> sen im Rechte sein würde, wenn seine Resultate überall der Wahrheit getreu wären, da es in der Wissenschaft keinen Glauben giebt.

Ein allgemeines Galendarium der Heiligen des Mittelal- ters überhaupt, das dem Historiker von Nutzen wäre, müsste unserer Meinung nach ganz anders angefertigt werden, als es in diesem Buche geschehen ist. Zunächst müssten die vielen bereits gedruckten Galendarien, Nekrologien, Martyro- logien, vor allem aber die reichen Schätze der Acta Sancto-

Chronologie aUer Zeiten und Völker. 473

rum dazu ausgebeutet, jedem Tage die dazu gehörigen Hei- ligen mit soweit als möglich genauer Angabe ihrer Ganoni- sationszeit und (wenn sie nicht zu allgemeiner Gültigkeit gekommen sind] d^r Oertlichkeit, wo sie gefeiert wurden, beigefügt und alles dies mit pünktlicher Nennung und auf Heimath und Entstehungszeit Bezug nehmender Kritik der Quellen versehen werden. Dahinter erst könnte ein alpha- betisches Verzeichniss der Heiligen folgen, um das Auffinden im Galendarium selbst zu erleichtern.

Wenn wir nun schliesslich das Resultat unserer Beur- theilung zusammenfassen, so ergab sich uns das Theore- tische in dem Buche des Herrn Brinckmeier als unsystema- tisch, unklar und fehlerhaft, das Praktische als unvollstän- dige reich an Irrthümern, in Bezug auf Uebersichtlichkeit hinter früheren Leistungen zurückstehend und genügender wissenschaftlicher Begründung ermangelnd, mit einem Worte als unpraktisch.

Philipp Jaff^.

Schreiben an den Herausgeber.

Göttingen den 45. Februar 4844.

Hochgeehrtester HerrI

In dem Februarhefle der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, wel- ches mir so eben zu Gesichte kommt, führen Sie meine Antiqq. LacoD. p. 20 als Beispiel eines Vorwurfs an, der, wie Sie sagen, allgemein aber mit Unrecht dem Berichte des Ephoros über die Heloten gemacht werde. So geringfügig die Sache ist, so kann es mir doch nicht gleichgültig sein, eines Urtheils geziehen zu werden, dessen Ungrund man „auf den ersten Blick hätte wahrnehmen dürfen'', und ich muss daher bitten, gegenwärtige Reclamation dagegen in Ihr nächstes Heft aufzunehmen. Ich habe nirgends, und am Wenigsten an jener Stelle, Ephoros den angedeuteten Vorwurf ge- macht, sondern nur gesagt, worauf auch Ihr ganzer Aufsatz beruht, dass Strabons Darstellung, wie sie vorliege ( qualem Strabo servavit) viele Widersprüche enthalte; von Ephoros dagegen sage ich in der Note aus- drücklich : neque ipse Ephorus hanc originationem (die von Hellanikos und Pausanias gegebene) ignorasse aut rejecisse videtur, und citire dabei selbst die nach Ihrer Angabe „nicht genugsam beachteten'^ Worte : t^ ehtdretav ot TCsqi Kyiv tL<TLV OL otaTodslioLvtsqf zum deutUchen Beweise, dass ich die Widersprüche des Strabonischen Textes nicht auf Ephoros Rechnung schrieb. Wohl aber weiche ich von Ihrem Aufsatze selbst in seinen zwei wesentlichen Resultaten ab und wage mir zu schmeicheln, dass auch Sie, wenn Sie sich nicht bloss mit dem ersten Blicke begnügen wollen, mir

474 Schreiben an den Heramgeber.

Recht geben werden , dass die von Ihnen vorgeschlagene UmateUung je- denfalls bedenklich ist, und selbst wenn sie irgendwie zulässig wäre, ein Zengniss des Ephoros für die Ableitung von stXuiq aus iXuj daraus nim- mermehr folgen wUrde. Denn auch angenommen, dass Strabon oder EplM)- ro8 selbst geschrieben hatte: TOtjq ös EX/etox^s ..« otaid otqdxoq aXtavou teoXijUff %a£ otqL^^at öoijXoxjq^ otOL)^s7cr^aL öL e&>/WTag, so liegt doch dabei auf dem Worte oKm^ai als solchem zu wenig Nachdruck, als dass man schon in dieser äusserlicben Aufeinanderfolge von aXiwvac und ftXiw- rtq eine etymologische Beziehung erblicken dürfte; und ist es denn Über- haupt oXcn/at mid nicht vielmehr a>alv, ^ woher M iiller und die ihm folgen Jenes Wort ableiten? Ob aXlffnu) und e^u in der Wurzel Eins oder ver- schieden sind, kommt dafUr nicht in Betracht; gesetzt auch sie wären im Sanskrit Eins, so würde ^doch darum ein Grieche der makedonischen Zeit zwischen a>Javcu und £L%{ag kaum einen Gieichklang, geschweige denn eine Stammsverwandtschaft gefunden haben; und am Ende sind Sie seihst in einem unerUftrlichen Irrthum begriffen, wenn Sie bei irgend einem Al- ten eine andere Etymologie für Ei^wg als die von der Stadt Helos vor- aussetzen. Suidas, den Sie dafür anführen, sagt in seinen beiden Artikeln nur: 04 f4 acx/ta^t^b^ 6cnjM>L ^ci/o/acvoi, ouro torG £>iou$, und: ot flTQurrot XBiqia^evTSQy xwv EXoq v^ xcikcv otxowrwv; die Phrase 61» geoXe/uuix} ^^u>x6rsq finde ich überall nicht; auch der Platonische Scholiast, auf welchen sich Müller (Dorier B. II. S. 33) beruft, hat nur die Etymologie von £>ioq, und wenn also auch Ephoros so geschrieben hätte, wie Sie vorschlagen, so würde er mir doch nur als einer der Vielen gelten, die da annahmen, dass BtTMiTsq die altspartanische Namensform für die in ge- wöhnlicher Sprache KKslol oder ^EXadrat. genannten Einwohner von He- los gewesen sei. Eine einzige Stelle, die Sie jedoch nicht citirt haben, könnte die Möglichkeit einer andern Ableitung voraussetzen lassen (Etymol. M. p. 300): uXiOTsq TCaqd A-atuiSoufLovcoiq ot ro^ot o& el alx/^o^Xunfov öoxsXoL yLVO/LtsvoL 1^ axo TOTJ e>iOV5, wo letzteres allerdings alternativ ge- sagt scheint ; inzwischen auch abgesehen davon, dass in dem ersten Theile des Satzes doch gar keine ersichtliche Etymologie enthalten ist, wird die Richtigkeit der auch weiterhin corrumpirten Stelle schon dadurch zweifel- haft, dass bei Suidas und dem Platonischen Scboliasten, die sonst im We- sentlichen mit ihr übereinstimmen und offenbar aus gleicher Quelle geflos- sen sind, grade das disjunctive »q fehlt, und dieses also wahrscheinlich eine Zelle höher hinanf zwischen ro^ot und «4 gehört; wo auch jene beiden 4tai einschieben. Was aber Ihre Umstellung der Worte ocaiXfia^ou 6e £<- Xiaraq selbst betrifft, so haben Sie jedenfalls übersehen, dass solche dahin^ wo Sie ihnen ihren Platz anweisen, nach öo'oXcnjq aus dem einfachen Grunde nicht passen, weil dort noch ein ganz langer Satz folgt, der durch keinen Zwischengedanken unterbrochen werden darf: «oet ocqi^^cit ögv*- Xoxyq 1*1 xaxtolq xKTtv^ taqva tov t%ovxa fJurjr^sXeiy^tqfyuv Bislvat juu^rs 9CtaXi8LV «4» Twv oqtav rcn)r<yvql Wollte man mithin ja umstellen, so wäre pur vor xat ocqL^ijyat nach 7to%e/ui($ ein Platz übrig, und wirklich hat hierher auch bereits Valckenaer (ad Theocriti Adoniaz. p, 268) die frag- lichen Worte zu setzen vorgeschlagen ; aber auch hier drängt sich mir das. Wie mir dünkt, nicht unerhebliche Bedenken auf, dass mitten zwischen aX/Svac und ^qi^^vou, unmöglich habe xa^iftcr^ae, sondern mir xXii^^^^a» gesagt werden können, während an seiner Jet^zigen SteUe der Inf. Prae- sentis oder vielleicht Imperfecti ganz wohl zn elvoti passt. Die sachlichen Schwierigkeiten, welche diese Vulgatlesart enthält, habe ich freilich seihet a. a. 0. nicht verkannt; gleichwohl halte i(±i es für gerathener sie der compilatorischen Kürze des Beferenten Strabon selbst als einem von des- sen Abschreibern beizumessen, und ohne folglich in den von Ihnen ge-

Erwiederung, 475

rügten Vorwurf gegen Ephoros einzustimmen, kann ich dennoch das Mit- tel, das Sie zu dessen Beseitigung gewählt haben, mit einer umsichtigen Kritik nicht vereinbar finden.

Ich hoffe, hochgeehrtester Herr, dass Sie diese hingeworfenen Bemer^ kungen nicht zu unwissenschaftlich finden werden, um ihnen den wörtli- chen Abdruck in Ihrer Zeitschrift zu gönnen. Habe ich einen Punkt über- sehen, der sie zu widerlegen dient, so werde ich jede freundliche Bel^- rung ebenso dankbar annehmen, als ich meinen nur der Sache geltenden Widerspruch mit dem unverttnderten Ausdrucke achtungsvoller Theilnahme an Ihren Bestrebungen verbinde, in welcher ich bin und verharre

Ihr

ganz ergebenster

K. Fr. Hermann.

Erwiederung.

Berlin den 45. April 4844. Hochgeehrtester HerrI

Wenn ich die Erwiederung auf Ihre geehrte Zuschrift vom 45. Febr. länger anstehen liess, als Sie erwarten mochten: so bitte ich Sie, dies neben der Ausdehnung meiner Geschäfte auch dem Umstände zuzuschrei- ben, dass es mir nicht räthUch dünkt, bei solchen Anlässen den Stimmun- gen des ersten Eindruckes nachzugeben.

Ich bin stets überzeugt gewesen, dass sich die Meinungen leichter verständigen würden, müsste das Mittel der Verständigung nicht die Sprache sein. Auch der vorliegende Fall bekräftigt diese Ueberzeugung ; denn das Ergebniss desselben dürfte im Wesentlichen kein anderes sein, als dass ich Sie und Sie mich missverstanden.

Sie sagen, Sie hätten nirgends und am wenigsten a. a. 0. dem Epho- ros den Vorwurf des (rrthums gemacht, die Widersprüche des Straboni- scben Textes nicht auf seine Rechnung geschrieben. Allein in Ihrer Note heisst es ausdrücklich von Ephoros: „licet universos perioecos Et>iUTag dictos narret oppidique incolas E'Xislo'ug potius appellet, bel- lum tamen etc. etc. Hieraus glaubte ich zumal da Sie auch weiterhin immer nur von Ephoros und von den Dingen sprechen „quae illius levi- tas deformavit^' scbliessen zu müssen: 4) dass Sie wirklich annäh- men, Ephoros selbst habe die Periöken mit den Heloten identiflcirt, und 9) dass Sie ihm den Vorwurf des Irrthums machen; denn wenn man sagt „obgleich Ephoros dies und das erzählt, äussert er dennoch dies und jenes (was damit nicht im Einklänge steht) '^, so zeiht man damit doch wohl ihn und keinen andern des Widerspruchs, und wen man des Wi- derspruchs zeiht, den klagt man mindestens des Irrthums an. Trafen in. dessen meine Folgerungen mit Ihren Absichten nicht zusammen, so bitte ich Sie zu bedenken, ob ein Missverständniss von meiner .Seite möglicli gewesen wäre, wenn Sie etwa geschrieben hätten: „licet Strabo euiq narrare contendat^' oder Aehnlicbes.

Ich sei, sagen Sie, vielleicht selbst in einem unerklärUchen Irrthom begriffen, wenn ich bei irgend einem Alten eine andere Etymologie fUr E£>jw9 als die von der Stadt Helos voraussetze. Thäte ich dies, so könnte ich mich damit trösten, diesen nnerklärlicben Irrthum mit einem Manne wie Otf. MüUer zu theUen, der ja in Betreff der Etymologie von b>m aus* drücklich behauptet: „Man kannte diese Ableitung im Alterthuin^', und

476 Erwiederung.

sich zum Beweise dessen nur Beispiels lialber auf die Plirase des Pia* tonisclien Scboliaslen beruft: "Eihwvzq ot «4 cu%ftxihaitiiv dovAiot. Ja Sie selbst macben im Grunde dieser Ansicht eine Concession, indem Sie die Umstellung der Worte xo^ictcr^oet 6z tCkmaiq zurückweisen; denn da es nach der Jetzigen Stellung derselben schon vor dem Aufstände von Helos Heiloten gab, so mUsste doch mindestens diese alte Ueberlieferung eine andere Etymologie als die von Helos voraussetzen lassen. Auch gestehe ich allerdings, dass es mir, worauf ich nachher zurückkommen werde, keineswegs unmöglich erscheint, die Erklärungen der Alten in der von Ihnen zurückgewiesenen; d. h. in MüUer's Auffassungsweise zu deuten oder auszubeuten. Allein in meiner Notiz über Ephoros habe ich dies nicht gethan, wenigstens nicht direct; und es liegt also wohl nur ein Missver- stttndoiss von Ihrer Seite zu Grunde. Ich hatte geäussert: ,,An dieser Entstehongsweise des Namens (d. h. insofern man ihn „zuerst nur den gewaltsam unterworfenen'' Einwohnern, nicht den gesammten Pe- rlöken, beigelegt) lasse sich so wenig zweifeln, wie an dessen Ableitaoer von tKv\ daher gebe auch Suidas die Erldärung: oc ic^wtol %tL^ta^ >«VT«g'* d. h. die zuerst gewaltsam Unterworfenen. Das „da- her'' bezieht sich also auf den Vordersatz über die „Entstehungsweise'' zurück, während Sie es ohne Zweifel auf den Nachsatz bezogen. Wei- terhin äusserte ich: „An dem Ausdruck oXtavot ttoXs/ttw ersehe man deutlich, dass Ephoros dieselbe Ableitung des Namens geltend machen wolle wie Suidas'' d.h. dieselbe historische Ableitung, als Benennung der zuerst gewaltsam Unterworfenen, nicht der gesammten Periö- ken, wie die jetzige Stellung der Worte %a>/et(r^at 6s BtT^wrag glauben macht. Deshalb hatte ich auch die zwar von Fiedler S. 433 in sehr zwei- deutiger Weise citirte, sicher aber nur aus den Worten des Ephoros ge- bildete Phrase „6td gtoT^/tov ^>MMrTtq" als Paraphrase der Erklärung des Suidas zur Seite gestellt, um durch diese Prolepsis von vom herein auf die beiderseitige Uebereinstimmung hinzuleiten; wobei nur statt des deutlicheren „i. e." beim Druck ein blosser Punkt als griechisches Kolon sich einschlich ein Versehen, das bei so vielen und verschiedenartigen Gorrecturen gewiss sehr verzeihlich ist und gleich anderen, unseren Druck- bestimmungen gemäss, auch ohne dies am Schlüsse des ersten Bandes berichtigt worden wäre.*) Freilich ging ich nun einen Schritt weiter, wenn ich, um die Uebereinstimmung des Ephoros mit Suidas in der hi- storischen Ableitung des Namens zu erhärten, hinzufügte: „zumal da ihm das Ethnikon von^EXo? ausdrücddich EX^iot lautet''; d. h. allerdings, insofern er vielleicht gar die Etymologie von %%v geltend machen will, so dass die Heloten ihm selbst der Wortbedeutung und um so sicherer also auch, gleichwie dem Suidas, der Thatsache nach gewaltsam Unter« worfene wären. Gewiss, hätte ich jetzt jenen Passus zu schreiben, ich würde ihn, um ähnlichen Missverständnissen vorzubeugen, wenn auch mit Aufopferung einer wesentlichen Nuance, etwa so fassen: „An dem Aus- druck a^vcu 7eo\i /uLtf ersieht man deutlich, dass Ephoros dieselbe Ent- stehungsweise des Namens geltend machen will wie Suidas, vielleicht sogar die Etymologie von ahto, zumal da ihm u. s. w." Hiermit gebe ich also zu, dass ich mich der Unbestimmtheit im Ausdruck schul- dig gemacht; doch darf ich hoffen, dass Sie, in Rücksicht der oben dar- gelegten Gründe meines eigenen Missverständnisses, mir diesen Fehl nicht allzuhoch anrechnen werden.

*) Ein weit unangenehmeres hat sich in meinen Beitrag zum 4len Hefte eingeschlichen, wo S. 34S Z. 4 u. 5 von unten „ein halbes Jahrhun- dert" statt „ein und ein halbes Jahrhnidert" gedruckt steht.

Eneiederung. 477

Habe ich dergestall die Annahme; dass Epboros "B.i'kfaq etymologisch von Bkfa abgeleitet haben könne , eben nur als eine bedingte Möglichkeit hindurchschimmern lassen und sie durchaus nur als etwas Nebensäch- liches, nicht als ein wesentliches Resultat, wie Sie es nennen, betrachtet: so ist es mir noch weniger beigekommen , zwischen £t>>w> itq und okKwi/au. einen etymologischen Zusammenhang geltend zu machen. Wenn ich aXto-xci), gleichwie ja auch ot^u, mit «Xito identi* flcirte, so geschah dies doch einzig vom Standpunkt der Synonymik; und wenn ich daher aus dem Ausdruck aXw^ai, ^coXi/mta d. h. aus dem Umstände, dass Ephoros die Yerknechteten ausdrücklich als mit Waffen^ gewalt Unterjochte bezeichnet, in Verbindung mit der abweichenden Fgrm des Ethnikons, die Yermuthung entlehne, er selbst nehme vielleicht EiXunsg im Sinne von Kriegsgefangenen d. h. sei der Etymologie von sXia sich bewusst: so brauche ich darum noch keineswegs zwischen tOwTsq oder i%stv und a^&vau. etymologisch irgend einen engern Zu- sammenhang vorauszusetzen, als etwa zwischen den deutschen Wörtern gefangen und unterjocht. Wiewohl ich übrigens in meinem Auf- satze darüber schwieg, würde ich doch auf Befragung keinen Augenblick anstehen, meine Ueberzeugung dahin auszusprechen, dass ich allerdings ahlaway aA*6(a und %7^ta in der Wurzel für Eins halte. Auch ist Müller nicht der Erste, der die Ableitung des Helotennamens von einem Particip geltend machte ; äusserte doch z. B. schon Riemer in seinem Lexicon, dass jenes Substantiv „vom Particip ah^q statt soO^vq^* gebildet sei.

War es mir also nicht um Etymologien zu thun, beobachtete ich grade hierin eine absichtliche Zurückhaltung und hatte ich eben deshalb gar keinen Grund von den Gitaten, die Sie anfahren, meinerseits einen Gebrauch zu machen, der nothwendig das Maass meiner Aufgabe über- schritten haben würde: so glaube ich doch nunmehr einiger darauf be* züglichen Bemerkungen mich nicht enthalten zu müssen. Es scheint in der That sehr zweifelhaft, ob die Definitionen der Alten ipehr die wahn- hafte Etymologie von E\oqt oder die ursprüngUche von £%u> bekräftigen; denn wiewohl sie den Ursprung des Sklavennamens mit der gewaltsamen UnterwerAmg von Helos in Verbindung bringen: so folgt doch hieraus noch nichts, wofern man nicht absichtlich mit Pausan. und Steph. Byz. von der unwahrscheinlichen Voraussetzung ausgeht, dass EtTMntq das Eth* Bikon von EX^og gewesen sei. Warum sollten denn die zuerst gewalt- sam Unterworfenen, die a'owro<. xsioa^meq oder die il otlxuuoCkM' Tfov o<yvM)i yBVo/uLSvot oder die xara xqaxoq qjAKdxo»^ xom^^^, selbst wenn es wie doch aus bekannten Gründen sehr zu bezweifeln die Bewohner von Helos waren, den Namen eiXtarsq nicht dennoch im Sinne von „Kriegsgefangenen'^ erhalten haben können? Und worin liegt da- her die Noth wendigkeit, aus der äusserlichen Verbindung mit Helos, aus dem zufälligen Zusammentreffen, dass die ersten Heiloten angeblich die Heieier waren, den Schluss zu ziehen, die Alten hätten Ei'XiwTsq nur als ein Ethnikon, als eine andere Form für £>«etot betrachtet? Man ist also wohl ebenso berechtigt, in ihren Definitionen die Etymologie von ^tXuneq aus dem Sinn der von ihnen gebrauchten Wörter x^iqta^ivrsq^ alxfjLcL" Xbrroi, okKlavcu u. s. w. zu deduciren, als aus dem Anklänge an den Namen der Stadt. Diese zwiefache Deduction ist daher auch auf die Phrase des Harpocr. oder Hellan., und selbst auf die Worte des Pausan. anwendbar; denn wenn er von den Bewohnern von Helos als den zuerst^ Verknechte- ten sagt: EcXonc? l'iO^^aav gtQwrot, oea^aare^ yB xat ijcrav: so ist diese Ausdrucksweise um nichts weniger zutreffend, wenn man annimmt, seine Quelle nehme Et^ursg im Sinne von Kriegsgefangenen '', was er selbst freUich, wie aus dem nachfolgenden Vergleich erhellt, nicht thut.

478 Erwiederung.

Ich will keineswegs behaupten; dass diese Deulangsweise auf Unfehlbar« keit Anspruch machen könne; vielmehr glaube ich, dass in den vorhan- denen Definitionen das Bewusstsein der wahrhaften Bedeutung des Namens theils schon geschwunden, thefls im Schwinden begriffen ist; doch muss einmal Otf. Müller nothwendig von derselben Ansicht über die Doppelsinnigkeit derselben geleitet worden sein, wenn er grade aus den Worten des Schol. einen Beweis für die Bekanntschaft des Alterthums mit der Etymologie von tXw entnehmen zu dürfen glaubt, und überdies drückt sich ihre Unsicherheit und Halbheit deutUch genug in der Fassung des Etym. Magn. aus, wenn die jetzige Stellung des ^ der Absicht des Autors entspricht, und nur etwa hinter vo^ol ein ttcu ausgefallen sein sollte, was nicht einmal nothwendig erscheint. Freilich stammen die meisten dieser Definitionen aus einer oder zweien älteren Quellen, von denen die eine vielleicht Hellanikos ist; aber warum sollte man nicht annehmen dürfen, dass Sinn und Ausdrucksweise der Quelle grade Im Etym. Magn. am treusten wiedergegeben und vielmehr bei Harpocr., Suid. und dem PJaton. Scholiaslen bis zur verschwiromenden Unbestimmtheit oder gar bis ztir Einseitigkeit getrübt worden sei. Wenigstens kann daraus, dass die Stelle des Etym. weiterhin comimpirt erscheint, noch nicht folgen, dass sie es auch hier ist; und an sich ist es wohl leichter erklärlich, dass ein i^ mit oder oboe Absicht ausgelassen wird, als dass es irgendwo zufällig in den Text hineingerSth ; zumal da Suidas und der Piaton. Scholiast hier schwer- lieh für zwei verschiedene Gewährsmänner gelten künnen. Uebrigens wäre es nicht unmöglich, dass die hier dargelegten Vermuthungen, die ich aus Furcht vor jeder Uebereilung nirgend geltend gemacht habe und ohne den gegenwärtigen Anlass vielleicht nie ausgesprochen haben würde auf die tbeilweise Unbestimmtlieit in meinem Aufsatze, doch jedenfaUs nur wider meinen WUlen und mir unbewusst, einen Einflass geübt hätten.

In Betreff der Umstellung der Worte otaXjsiff^ou 6s E%tataq wusste ich in der That nicht, dass schon Valckenaer eine mit der meinigen im Princip so vollkommen übereinstimmende Vermuthung aufgestellt habe. Diese Belehrung kommt mir zu Statten. Denn wenn Sie die Umstellung überhaupt für bedenklich und mit einer umsichtigen Kritik nicht vereinbar erachten, so könnte ich mich wiederum damit trösten, dass dies Unheil zugleich zwei so berühmte Autoritäten wie Valckenaer und Otf. Müller trifft; denn da der Letztere zu der Stelle ,;Ueber die Entstehung dieses Verhältnisses sagt die gewöhnliche Nachricht u. s. w/^ den Ephoros bei Strabon mit dem Zusatz „nach Välckenaers Aenderung'^ citirt: bo meint er doch unfehlbar die hier in Rede stehende, und adoptirt sie also ohne allen Vorbehalt. Nichtsdestoweniger bemerke icli zu meiner Ver- theidigung 4} dass es mir zunächst nur um den Beweis zu thun war, im Text des Ephoros müsse das Moment, welches bei Strabon durch die Worte ica>r. Öl Ei'Xi. ausgedrückt ist, nothwendig da sich befunden haben, wo er von den Maassnahmen des Agis handelte, und nicht wie Strabon'a Text glauben macht da, wo er von Eurysthenes und Prokies sprach. Die Worte njv siX^areiav et *fgt Aytv ecatv otaTa5fi4avTfff lassen darüber, nach meiner Ueberzeugung, nicht den geringsten Zweifel zu, und eben deshalb durfte ich sie auch als nicht genugsam beachtete bezeich- nen; denn wiewohl Sie dieselben allerdings selbst anführten, halte ich doch jede Quellenangabe für eine nicht genugsam beachtete, aus der man eben nicht so viel folgert, als daraus gefolgert werden kann. Sie Ihrerseits folgern nun aus jenen Worten nur den Widerspruch, insofern danach Ephoros die Ableitung des Hellan. und Pausen, gekannt zu haben scheine. Von meinem Standpunkte aus konnte mir das nicht genügen,

Erwiederung, 479

^venn ich vielmebr daraus folgerte, dass Epboros den Satz, mit dem sie im schneidefidsten Widerspruche stehen ; im Vorhergehenden gar nicht geschrieben d. h. nicht erzählt haben könne, die gesammten Periöken seien Heiloten genannt worden, wie Sie dies nach Ihrer Aeusserung „licet narret'^ anzunehmen schienen^ S) glaubte ich aber einen Schritt weiter gehen, die Worte xaX . öl EtX;. für versetzt erklären und somit auch den Strabon von der Schuld, wenigstens von jeder un« mittelbaren, freisprechen zu müssen. Denn unmöglich wiederhole ich kann ein Autor einen so groben Widerspruch in Einem Athemznge begehen. Doch will ich darum noch nicht entscheiden, ob Valckenaer's Annahme oder die meinige unverfönglicher sei, und noch weniger ist es meine Absicht, den Strabonischen Text ohne Weiteres emendirt zu se- hen. Sicher würde ich als Herausgeber desselben, wofern nicht diploma* tische Kriterien Gewissheit geben, die Stelle lassen wie sie ist; denn das Hineinbringen von blossen Gonjecturen in die klassischen Texte ist im Allgemeinen gewiss das geeignetste Mittel, die Authenticitöt zu verringern statt zu erhöhen. Aber ebenso sicher würde ich auch als Commentator auf das Augenfällige, Uuabweisliche bestehen und behaupten, was ich hier behaupte. 3) bin ich mir nicht bewusst, etwas Wesentliches und na- mentlich nicht die Worte hinter ocQ6>^at doyjXoxyq übersehen, sondern nur nach einer Kürze gerungen zu haben, die ich nun aufgeben muss. Zunächst kann ich mich nicht überzeugen, dass der Genius der griech. Sprache von so eigentbümlicher Sprödigkeit sein sollte, um der Satzbil- düng: xQt^i^va^ öoiSKoxjq^ 'ncckBia^cu ös £t>uurag, tXL ra'tcroiq 9e. t, >/. ein absolutes Hinderniss entgegenzustellen; denn wenn auch selbst an dieser Stelle 9c>i«;>ifva& vorzuziehen wäre, so kann es doch wenigstens Nieman- dem einfallen, das igte raxTCtg auf den Zwischensatz statt auf otqt^ifi'cu zurückzubeziehen ; und wenn es auch nicht zu behaupten ist, dass die Diction schön und ohne allen Anstoss sein würde, so wüsste ich doch keine Sprache, in der eine solche Satzfügung nicht wenigstens zulässig sei. Im Uebrigen lassen sich hunderterlei Gombinationen denken, wodurch die Versetzung bewirkt worden sein kann, ohne dass wir dem Strabon selbst eine mehr als mittelbare Schuld beizumessen brauchen. Das Wahrscheinlichste ist, er habe jenen Satz im Concept ausgelassen und nachträglich am Rande hingeschrieben, in der Absicht, dass er hinter ^o'iiXo'u? eingeschaltet werde. Sei es nun, dass er selbst das Einschale tungszeichen vergass, od<'r dass der erste Abschreiber des Manuscriptes es übersah oder auch mit einem bedeutungslosen verwechselte, welches durch Streichungen und Gorrecturen hinter dqxsuav veranlasst, dort zu- fällig stehn geblieben sein konnte: genug die Einschaltung der Randbemer» kung an einen falschen Ort von Seiten emes Gopisten, der für eine Selbstprüfung der Sache so wenig Interesse haben konnte wie die unsri- gen, trägt gewiss nicht den Gharakter des Unglaublichen.

Gestatten Sie mir nun aber, zu dem überzugehen, was mir selbst die Hauptsache ist. Denn ich kann durchaus nicht damit übereinstimmen, dass Sie die Umstellung jener Worte wiederum als wesentliches Re- sultat meines Aufsatzes bezeichnen; dann wäre dieselbe mir Zweck ge- wesen, während sie in der That mir nur als Mittel diente. Mein we- sentliches Resultat war kein philologisches, sondern ein literar- historisches, ein Beitrag zur Würdigung des Epboros als Geschichts« quelle. Dies ergiebt sich schon daraus, dass der Titel nicht etwa lautete „Emendation einer Stelle des Strabon '', sondern vielmehr eben „Epboros über die Heloten." Der Schluss aber zeigt dies vollends deutlich. Denn „der mittelbare Gewinn unserer Erörterung, heisst es daselbst, besteht darin, dass nunmehr auch das Zeugniss des Epboros die Auffassung be-

480 Encie<ierung,

BtfiUgt, gegen die er vorzüglich bisher zu streiten schien/^ Und an die- sem mir einzig wesentlichen Resultate werde ich wohl ewig festhalten, wenn man auch darüber rechten mag, ob das Mittel, welches zu demsel- ben führte, dieser oder jener Anwendung fähig sei; denn dies Mittel, d, h. der Beweis, dass das %a>f. ob nX». dem Sinne nach in der Relation des BphoroB erst auf die Erwähnung der Maassnahmen des Agis gefolgt sein kiinne, behttlt seine volle Kraft, gleichviel ob man den fraglichen Satz in dem Strabonischen Excerpt hinter oKSvcu 9Co>afJL<^ oder hinter ^qi^TJvcu 6oi$XfOvs setzen, oder ihn auch in seiner bisherigen Stellung aus philolo- gischen Gründen vertheidigen und aus diplomatischen belassen will. Und hierin werden Sie gewiss mir beipflichten. Denn eine andere Alternative giebt es nicht als die: Entweder wirft man dem Ephoros keinen Irrthum vor und dann muss man jene Umstellung der Momente im Sinne des Ephoros gelten lassen; oder man lässt dieselbe nicht gelten dann aber ist man genöthigt, den Ephoros selbst des Widerspruchs d. h. des Irrthums zu zeihen. Die einzige, freiUch revolutionäre Art, wie man allenfalls eine Rettung des Textes versuchen könnte, wäre die A.n- nahme eines Doppelbegriffs der Heloüe; eine solche haben Sie jedoch nicht gegen mich geltend gemacht.

Ueber die Geringfügigkeit der Frage, die uns hier beschäftigt, stimme ich Ihnen schliesslich aus voller Seele bei. Gewiss ist sie im Yerhältniss znm Grossen und Ganzen der Vergangenheit von höchst untergeordneter Bedeutung, im Yerhältniss zu den spannenden Interessen der Gegenwart sogar entschieden gleichgültig. Allein nichtsdestoweniger hat jeder Punkt in der Wissenschall, und wenn es nur das leiseste und versteckteste Pünktchen ist, einen triftigen Anspruch auf Ergründung, da ja selbst der scheinbar isolirteste durch eine Reihe von Uebergängen mit dem Grossen und Gan- zen in Berührung steht. Deshalb glaubte auch ich, den vorliegenden nä- her besichtigen zu dürfen, ohne mich darum zu kümmern nocii darüber zu täuschen, ob es eine der strotzenden Früchte am Baum der Erkennt- niss griechischen Wesens sei, um die es sich handle, oder nur eine der saftlosen Fasern seiner zahllosen und staubbedeckten Wurzeln.

In der festen Zuversicht, hochgeehrtester Herr, dass die freundlichen und wohlthuenden Beziehungen, die mir mit Ihnen zu unterhalten vergönnt war, durch diese Episode keine Störung erleiden werden und überhaupt keiner anderen Wandelung als der des Wachsthums und der Erstarkung fähig seien, bitte ich Sie, die Versicherung der vollkommenen Dankbarkelt für die reichen Belehrungen zu genehmigen, die aus Ihren Schriften mir zugeflossen sind, sowie der aufrichtigen Hingebung, mit der ich mich Ih- rem ferneren Wohlwollen empfehle und hochachtungsvoll verharre

Ihr

ganz gehorsamster Adolph Schmidt.

N. S. Es gereicht mir zur Genugthuung, Ihnen nachträglich melden zu können, dass Hr. G. R. Böckh, mit dem ich so eben sprach, in Be- treff der Strabonischen Stelle ganz meiner Ansicht ist und mich sogar au- genfällig davon überzeugte, indem er mir sein Handexemplar vorwies, worin er die Worte xa\ ös Et>». längst als ein Einschiebsel bezeichnet hatte; auch er hält dieselben für versetzt und meine Einschaltung hinter nqt^yij^cu Öoijhfyuq für unverfänglich und zulässig.

/^

Schreiben an den Heransgeber,

die

^€ke»ehlehte Deutoeblands von I§06— iS80

von Prof« CMedrieli Billau« Hamb. iM9.^

betreffend.

loh versprach Ihnen, geehrter Freund, eine Anzeige der Ge- schichte Deutschlands von Bülau. Es schien mir der Versuch, dem Deutschen Volk eine zusammenhängende und wissen- schaftlich gegründete Darstellung seiner neuesten Geschichte zu geben, in so hohem Maasse bedeutsam und für die Ent- wicklung unserer öffentlichen Verhältnisse, über die in ge- schichtlicher Rückschau allein ein rechtes Bewusstsein ge«* Wonnen werden kann, so einfiussreich, dass ich es für ver- dienstlich hielt, mit Sorgfalt und Aufrichtigkeit das Geleistete zu prüfen und zu besprechen; das um so mehr, da bei der allgemeinen Anerkennung, deren der Charakter und das Ta- lent des Herrn Verfassetrs geniesst, gewisse Einseitigkeiten und Schroffheiten der Ansicht, wie sie in diesem schon weit verbreiteten Buch vorliegen, einen Einfluss gewinnen wer- den, dem wenigstens der motivirte Protest einer entgegen- gesetzten Ansichtsweise nacheilen zu müssen schien. Aber eben dieser Umstand, durch den meine Besprechung des Bu- ches tiberwiegend auf publicistisches Gebiet gedrängt werden musste, schien mir dieselbe der Tendenz Ihrer Zeitschrift mehr und mehr zu entfremden. Ich begnüge mich Ihnen statt ei- ner förmlichen Recension einige Bemerkungen zu übersen- den, indem ich es Ihrer Entscheidung überlasse, ob Sie den- selben einen Platz in Ihrer Zeitschrift gewähren wollen.

Zeitschrift f. GescIiicliUtr. I. 1844.

482 Schreiben an den Herausgeber, die ,yGeschichte

Zunächst: wanim die Geschichte Deutschlands nur bis 1830? Das Jahrzehent darnach ist weder der Erforschung unzugänglicher noch gar des Interesses minder werth als das grosse decrescendo bis zu dem genannten Jahre. Wie war die deutsche Presse stumpf» muthlos, servil geworden; man wandte sich mit Ekel von den deutschen Zeitungen und Brochüren, von der stagnirenden Publicistik unseres Vaterlandes zu denen Englands und Frankreichs; selbst die Erinnerungen unserer grossen Freiheitskriege erhielten mehr und mehr die Farbe die ihnen Frankreich und England gab. Die Zeit der Eman- cipation und der Julirevolution fand ans des Interesses mid des Verständnisses unserer heimisehen Angelegenheiten ent- wöhnt; wie mancher schmerzliche Irrthum seit 1830 stammt uns daher. Aber wir fanden uns allmählig zurecht; die Ei- destreue von 1837 durchschütterte uns; und als das Wetter- leuchten von 1840 ernste Gefahr zu verkünden schien, sahen wir mit frohem Erstaunen, dass wir einiger, dass wir deut- scher waren, als wir uns zugetraut; ein frischer Hauch wehte über Deutschland und erweckte einen Frühling neuer Hoff- nungen. Ich meine, ein rechtes Verständniss des neuen Deutschlands hätte den Darsteller seiner Geschichte nicht ra- sten lassen bei der in unaufgelöster Dissonanz schliessenden Fermate der Reaction; es hätte ihn getrieben^ das Jahrzehent des Liberalismus zu durcheilen, um uns zu dem Jahre zu fuhren, mit dem sich der Blick der Völker von Frankreich, der Blick der Kabinette von Russland hinweg und nach In- nen zu wenden schien, um endlich in erneutem, treulichst gegenseitigen Verständniss und Vertrauen das langersehnte nationale Stadium des deutschen Wesens zu beginnen.

Oder bat Deutschland seit 1815 überhaupt keine Ge- schichte, sondern „nur Zustände und Begegnisse'S etwa ei- nige demagogische Umtriebe, ständische Debatten, administra- tive Verbesserungen, Notizen fiir den Gothaischen Kalender? bat es keine Geschichte, kein Woher und Wohin, keine Er- innerung und Zukunft, keinen Kampf grosser Tendenzen und bewegender Principien? lebt es so hin ohne Hoffnung und Besorgniss?

Deuischlands von 1806—1830'' betreffend. 483

Allerdings giebt es wohlmeinende Männer, nach deren Ansicht die Geschichte bis 1815 reicht und von da an die Maassregeln beginnen. Aber wo ist deren Berechtigung, wo deren Norm, deren Wirkung? hat Deutschland eine neueste Geschichte, so ist sie von mächtiger, unwiderleglicher Bered* samkeit, und vielleicht da am meisten, wo sie zu verstum- men scheint Und diese Beredsamkeit der Thatsachen ist die Sprache des Historikers, mit ihr trifil er uns in das Herz. Gern entbehren wir dann Bemerkungen, wie die: dass die Badensche Verfassung als beste Verfassung in den Augen der Liberalen nachmals von der Kurhessischen ausgestochen worden, dass die Liberalen nicht immer den schärfsten staats- rechtlichen Blick haben (S. 559), oder bei Gelegenheit des auto-da-f6 auf der Wartburg: dass der Hamburger Corre- spondent heut wohl auch mit ins Feuer kommen dürfte (S. 437), oder S. 271 die „bemerkenswerthe" Beobachtung über Bordelle. Oder gehören diese und zahlreiche ähnliche Bemer- kungen auch zu den „politischen Beflexionen'S mit denen Herr Bülau manches aufzuhellen geglaubt hat? (S. IV.)

Von Herrn Bülau wird es niemand anders erwarten, als dass seine Darstellung viel Umsichtiges und Treffendes ent- hält; und die Anerkennung, die derselben ein Meister unse- rer Wissenschaft gezollt hat, überhebt mich der freilich dank- bareren Mühe, das Werthvolle ausdrücklich hervorzuheben.

Vielen wird dieselbe in dem Maass wertbvoller erschei- nen, als Herr Bülau gewissen Antipathien Worte leiht, welche innerhalb des deutschen Vaterlandes nur zu populär sind. Wahrlich den Historiker ziert nichts mehr als strenge Ge- rechtigkeit; sie hat doppelten Werth, wenn er sie auch da übt, wo glänzende Thaten, grosse und mit Aufopferung er^ zielte Leistungen, der feste Blick des Selbstvertrauens und der bewussten Kraft das minder geübte Urtheil blenden und verwirren könnten. Aber je strenger er urtheilt, desto siche- rer begründet, desto überzeugender sei seine Gerechtigkeit. Nur der sittliche Zorn eines Tacitus hat das Becht bitter zu sein; nur die grosse geschichtliche Auflassung eines Thucy- dides versöhnt mit jenem herben Ernst der Betrachtung, der

31*

^ I

484 Schreiben an den Herausgeber, die „Gesckichte

für sich nichts mehr hoffend und fürchtend auf den wirren Wechsel menschlicher Dinge, auf die blöde Ohnmacht mensch- lichen Wollens und Könnens hinabblickt

Es ist ein ernstes und feierliches Amt den Fürsten und Völkern den Spiegel der Selbstbeschauung vorzuhalten, ihnen der Dolmetsch ihrer Geschichte zu sein. Da sollen sie inne werden, was sie geirrt und verschuldet, und wie doch die gütige Hand der Vorsehung ihnen Irrthum und Schuld zum Heil gewandt hat; da sollen sie erkennen, was sie unrettbar verloren und was sie an Anspruch, Recht und Hoflhung er- worben haben; da sollen sie beides^ ihre Kraft und ihre Schwäche, schauen, um an dem erkannten Beruf ihrer ge- schichtlichen Stellung sich emporzurichten zu ernsterem Vor- satz. Wehe dem, der mit einem Lügenbild ihrer Vergangen- heit sie über sich selbst irre macht, der ihnen ihre Schwäche preiset als weise Vorsicht, und was sie aus Frevellust oder im bethörenden Drang der Umstände Arges gethan, als eine Bethätigung ihres guten Rechtes beschönigt, der erniedrigt, was sie Grosses vollbracht und den erquickenden Sonnen- blick einer hehren Begeisterung ihnen zu verhüllen sucht mit dem aufgewühlten Staub rechthaberischer Engherzigkeit und dem wirren Nebeldunst selbstgefälliger Sophistik. Noch leben Männer genug unter uns, die Zeugen der schmachvollen Fremdherrschaft, Zeugen der glorreichen Erhebung Deutsch- lands gewesen; noch jetzt erfüllt sie jede Erinnerung jener ernsten Zeiten mit einer Wärme, die uns in der Fieberbaf-^ tigkeit unserer Stimmungen schmerzlich gemahnt, was wir entbehren. Schönere Erinnerungen hat Deutschland nicht, sie sind der Grundstein dessen, was wir haben und hoffen. Und bei allem Herrlichsten jener Zeit begegnet uns stets zuerst PreussensName. Was einst Athen bei Marathon und Salamis iur Griechenland, das war Preussen damals für unser Vaterland. Wohl hatte das altmächtige Sparta die Ehre der Führung, aber es zögerte mit seiner Hülfe ^ es grollte der aufstreben- den Kraft der jungen Freiheit. Wohl half Theben dem ge- waltigen Fremdling; es ward nach errungenem Siege dem Gott verzehntet. Aber die Rettung Griechenlands; auch die

Deutschlands eon iSOe—iSSO'' betreffend, 485

der Uellenen jenseits des Meeres, nicht allein aber beson- ders der Athener Werk ward ihnen eben nicht gedankt; man nahm es hin, als hätten sie nur ihre Pflicht gethan, oder als hätten sie nur sich zu retten den Namen des Griechen- thums vorangestellt; und die andern Staaten sahen mit Ei- fersucht auf die bewusste Kraft des Perikleischen Staates, in dessen Macht doch allein der Schirm des zerrissenen Grie- chenthums, die würdige Vertretung und Erhebung des helle- nischen Namens, die fortschreitende Entwicklung der hoch- berufenen Nation war. Denn auch des Barbaren Hülfe suchte Sparta zum Kampf wider Athen; und dass Griechenland seine Freiheit ^^ gegen Athen zu schützen eifersüchtig war, das brachte erst die ertödtende Herrschaft Sparta's über die Hel- lenen, dann den Untergang aller Freiheit. Wohl uns, dass unser Vaterland in dem deutschen Bunde eine Form fand, die das Hadern um die deutsche Hegemonie fuir immer zu entfernen vermag, wenn man ihn redlich will, dass Preussen und Oesterreich selbst die Gründung forderten, die hinfort Deutschland als einen unauflöslichen Verein, als eine in po- litischer Einheit verbundene Gesammtmacht [Schlussacte Art. 2.5.) „wieder in der Keihe der Mächte erscheinen lassen sollte^' (Worte des Präsidialgesandten in der Eröffnungsrede 1817). Wie nun behandelt Herr Bülau die deutsche Geschichte jenes Zeitraums? Ich will nur von dem sprechen, was er in Beziehung auf Preussen äussert. Nicht als gäben die ander- weitigen Darstellungen nicht mannigfachen Anlass zu nähe- ren Beleuchtungen, aber das über Preussen Gesagte ist theils in besonderem Grade charakteristisch fiir den Standpunkt des Herrn Verf., theils von der Art, dass mit der Geltung der- artiger Ansichten mehr noch das deutsche als das preussische Interesse gefährdet sein würde. Freilich die grosse Kunsf der Anordnung und Darstellung, die durch kleine Nüancirun- gen, durch die Wahl des Wortes, die Wahl dessen was mit- getheilt, was übergangen wird u. s. w., ihren Eindruck zu erzielen gewusst hat, macht es mir unmöglich, die Farbe, die durchschimmernde Stimmung, die das Ganze durchzieht und den Leser umspinnt, so abzulösen, dass ich sie vorweisen

486 Si^reiben an den Herausgeber, die „Geichichie

und in ihren einzelnen Verwendungen controliren könnte. Aber wer das Buch zur Hand genommen, wird an sich sei« her den Eindruck dieser Stimmung erfahren, und je nach seiner individuellen Weise Genugthuung oder Unmuth em* pfunden haben. Wenigstens geistig gehoben, zu gutem Vor- satz gestärkt, zu neu^ Liebe und Hoffnung fiir das deutsche Vaterland entzündet haben wohl die Wenigsten das durch* iesene Buch aus der Hand gelegt. Oder hat Herr Bülau der- gleichen auch gar nicht gewollt, sondern nur „nach Wahrheit'^ gestrebt? Aber grade die Wahrheit und gar die Wahrheit der Geschichte unserer neuen Zeit kann nicht anders als das wir- ken, was diese Geschichte Deutschlands entbehren lässt.

Doch nun zu Herrn Bülau's Darstellung Preussens ; we- nigstens die hervorstechendsten Aeusserungen mögen im Fol- genden zusammengestellt werden.

Rückwärts blickend sagt er: „Preussens frühere Grösse hatte darin bestanden, dass seine Regenten mit Geschick und Kühnheit die Umstände zur Vereinigung einer Ländermasse benutzt hatten, in deren Besitz ein unternehmender Fürst mit Redeutung in den europäischen Staatshändeln mitspre- chen konnte; und dass es unter der Regierung eines klugen Monarchen einen auf verschiedenen Seiten, den Zeitansichten gemäss, sorgfältig geordneten Verwaltungsmechanismus erhal* ten hatte*' (S. 83). Wenigstens der Geschichtsforscher (als sol- cher zu gelten macht Herr Bülau S. IV. „keinen Anspruch**) wird hier Preussens Verhältniss zum Protestantismus ausge- lassen zu sehen bedenklich finden, wird hier das Bild Fried- richs H. und seiner Bedeutung bei Weitem nicht wiederer- kennen. Bekannt ist, in welchem Verhältniss zu dem grossen Könige das allgemeine Landrecht steht: „freilich nur ein gros- ses Gasuistenmagazin, das in Vielem den Stempel der eng- herzigen Ansicht der Zeit und des Kreises seiner Entste- hung trug** (S. 95), ein Urtheil, das wenigstens den Charak- ter jener Godification nicht erschöpfend bezeichnet. Ferner: „Preussen, das nachher jenes (deutsche) Gesammtgefuhl am strengsten in Anspruch nahm, hatte das Meiste gethan es zu zerstören** (vergl. S. 158. 162). Das ist freilich die

DmtMchlands von 1806—1830'' betreffend. 487

gewöhnlicbe Ansicht , aber der Geschichtsforscher wird sich ernstlich bedenken sie zu wiederholen; jedenfalls tragt jedes deutsche Färstenhaus, das österreichische an der Spitze, glei«- che Schuld; dem vollkommen rechtmässig erwählten Kaiser Carl YII. weigerte Oesterreich die Anerkennung, versagte es die Reichsarchive; das österreichische Kabinet suchte und gewann die Allianz des französischen, „dem, wie Herr Bülau meint, nur innere Feinde oder kurzsichtig Betrogene sich ohne Misstrauen zuneigten" (S. 3), zu jenem siebenjährigen Kriege, in dem der Sieg von Rossbach recht eigentlich als ein na- tionaler, als eine Genugthuung für tausendfachen Schimpf, den Deutschland von Frankreich zu erleiden gehabt, mit Ju- bel begrüsst wurde. An Preussen begann sich ein deutsches Nationalgefiihl von Neuem emporzurichten; und von Fried- richs II. Fürstenbunde konnte Johannes Müller sagen t „ganz Deutschland erwachte zu frohen Hoffnungen, Europa schien bereit uns zu bewundern versuchen auch wir endlich ein- mal den Machtsprung zu thun, hinaus über Jahrhundert alte Pedanterie zu achtem Reichszusammenhang, dann auch zu gemeinem Yaterlandsgeist, damit auch wir endlich sagen dür- fen: wir sind eine Nation." Das ward 1787 geschrieben. Den ungeheuren Ereignissen der Revolution gegenüber, ver- lor da Preussen allein die Besonnenheit, den rechten Weg, die sichere Basis ernster Gerechtigkeit?

Niemand wird die Gewaltsamkeiten und Rechtsverletzun- gen in Abrede stellen, mit denen die Territorial- und Reichsver- hältnisse Deutschlands vernichtet worden sind; niemand wird loben oder rechtfertigen wollen, was. gethan ist; aber zum Heil war's, dass es geschah. Das alte Reich war vollkommen verbraucht; sollte die Nation gerettet werden, so mussten die alten wüsten Trümmer abgetragen, die tausendfach hemmen- den, zur Lüge gewordenen Formen, an denen Deutschland krebshaft krankte, zerbrochen, es musste zu einer Entwick- lung fortgeschritten werden, die man als die des Volkes zum Staatsbürgerthum wird bezeichnen dürfen.

Es ist bekannt, in wie grossartigem Sinne Preussen nach der furchtbaren Bewältigung sich reorganisirte. Nicht als ver-

468 Schreiben an den Herausgeber, die „GeechkMe

mochte Herr Bülau die Bedeutung und die sittliche Hoheit dieser unvergesilichen Jahre in Abrede zu stellen; aber er ist unermüdlich, kleine Mäkeleien beizufiigen und die Schat- ten, die da so wenig wie bei jedem anderen menschlidien Thun gefehlt haben, hervorzuheben. Wenn er es rühmen muss, wie die Regierung einen Grundstein nach dem an- dern in geordnetem Bau legte, so fügt er hinzu: „ruhig, ge- räuschloser als sonst der Preussen Art ist^' (S. 84); und ähnlich S. 108: „der höher gehobene Yolkssinn, einfa- cher, ernster, nach der erhaltenen Lehre weniger prahlerisch' auftretend." Damit stimmen denn freilich (S.i08} „die, man möchte sagen, von tugendhafter Reue zeugen- den ernsten, unablässigen Anstrengungen, womit Preussen die Ursachen des früheren Unheils zu beseitigen gesucht hat" Wie merkwürdig sticht dagegen die schonende Zartheit ab, mit der Herr Bülau Oesterreich behandelt: „wenn es auch nicht durch entschlossenen Uebergang zu einem neuen Sy- stem seines Staatslebens sieh ein neues Mittel zum Siege m sehaflfen gedachte, wenn es auch den Kampf im WesentUcheci mit den alten Mitteln zu fähren vorhatte und nur schwache Versuche machte eine secundäre Beihülfe anderer Elemente zu verursachen (der Kundige weiss, wie viel dieser Euphe- mismus in seinem Schoosse birgt], so bestrebte es sich doch dem alten System eine frischere Lebenskraft, den alten Mit- teln höhere Wirksamkeit zu verleihen, sie alle von den hem- menden Gebrechen und Missbräuchen, von Schlaffheit und Unfähigkeit nach Kräften zu reinigen.'^ Mach Gebühr wer- den die poHemden Umgestaltungen in der Mehrzahl der Rhein- bundstaaten ausführlich behandelt, aber erst das Gegenbiid der alten kläglichen Zustände, der „geheimen Truhen 'S der Kleinbürgerei, des alten Processwesens u. s. w., würde die Wohlthaten die jene Gewaltsamkeiten mit sich brachten, nach Gebühr vergegenwärtigt haben.

Die preussischen Organisationen 'selbst sind nach Herrn Bülau „in den meisten Theilen nur ein Nacheilen in Punk- ten, in denen Preussen hinter den andern, auch deutschen Staaten zurückgeblieben war" (S. 87). Wenn das preussische

Deutschlands t>on 1806— 1830^' betreffend. 489

Miiitörsystem „doch nur eine Modification der in den meisten Staaten angenommenen französischen Gonscription'' genannt wird, so wird nicht hinzugefügt, dass eben in jener Modification der grosse Unterschied des preussischen Wehr- systems von dem Codex der Hölle, wie Chateaubriand die Gonscription genannt hat, h'egt. Selbst wenn Herr Bülau S. 90 sagt: „vor Allem wusste man der allgemeinen Militärpflicht einen volksthümlichen, erhebenden Charakter zu geben u.s.w/S so ist damit der einfachen Wahrheit eines grossen Princips bei Weitem nicht Genüge geleistet.*) In ähnlicher Weise subtrahirend spricht Herr Bülau über die Städteordnung (S. 87): „ein einziges Moment giebt es, worin Preussen allein dasteht .... und doch ist auch diese yortheilhafte Eigen- thümlichkeit Preussens nur eine natürliche Reaction gegen eine früher höchst tadelnswerthe Eigenthümlichkeit desselben Staates '' u. s. w. Und damit man ja nicht zu gut denke von der „tugendhaften Reue*' des preussischen Volkes wird hinzugefügt: „und doch fand grade dieser Theil der Reform selbst auf Seiten Widerspruch, die der Gedanke der Wiedergeburt im hohen Maasse belebte"; und zu dieser all- gemeinen Bezeichnung wird als beweisendes Factum ein Auf- satz aus den „Zeiten" angeführt, in dem eben ein Princip, wie es in der Napoleonischen Verwaltung und in den „vor- ausgeeilten" deutschen Staaten seine Stelle hatte, zur „Bil- dung einer Gesammtmacht" empfohlen wird. Endlich in Summa: „es sind auch hier viele Missgriffe vorgekommen (begreiflich!), man hat bald zu viel, bald zu wenig gethan

*) Ich habe vorausgesetzt, dass Herr Bülau diejenige Efnrichr tung des Miiit'arwesens meint, welche bereits in dem Reglement vom 6. Aug. 1S08 als Princip ausgesprochen wurde, factisch 1813 zur Ausführung kam und durch das Gesetz vom 3. Sept. 1817 mit den denkwürdigen Worten sanctionirt wurde: ,,die Einrichtungen die den Sieg hervorgebracht, und deren Beibehaltung von der gan- zen Nation gewünscht wird, bilden die Grundsätze der Kriegsver- fassung." Sollte dagegen Herr Bülau das meinen, was bei der Nicht- durchführung jenes neuen Princips von 1808 1813 in der That einstweilen galt, so würde nicht zu begreifen sein, wie das ein modificirtes Conscriptionssystem genannt werden könnte.

490 Schreiben an den Herausgeber, Ae „GeecMeUe

(aber doch gethan), man ist auf manchen Punkten und na- mentlich hinsichth'ch der Vieiregiererei und der Volksbevor- mundung dem Uebel nicht auf die Wurzel gegangen, man hatte auch das deutsche Princip (welches?) zu sehr ver- gessen, und war in manchen französisch revolutionären Ideen (ein Ausdruck, der nie seine Wirkung verfehlt) unwillkürlich und unbewusst zu sehr befangen" (S. 88). Freilich folgt dann ein anerkennendes Aber doch, nur dass es sofort wieder ein diminuendo merkwürdiger Art enthält: „aber doch lebte in jenen preussischen Maassregeln ein ernster Wille, ein höherer Ernst ais diese Gesetzgebung noch gekannt hatte^ u. s. w. Wenn erst damals Preussen das Piüdicat höheren Ernstes in seiner Gresetzgebung verdient haben soll, wie will Herr Bülau dann beispielsweise die österreichische Gesetz- gebung jener Zeit bezeichnen, die ohne „tugendhafte Reue^^ in der alten, oder richtiger in der nach Joseph IL wieder- hergestellten alten Weise beharrte und selbst das Gensurgesetz von 1810 in Aituram oblivionem gegeben zu haben schien, bis es 1841 von Neuem zur Nachachtung bezeichnet wurde. Oder meint Herr Bülau ernstlich, dass nur eben Preussen bis 1808 seiner Legislation einen minder hohen Ernst gewid- met habe? Oder will er Preussen damit ehren, dass er die« sem Staat als Versäumniss anrechnet, was er bei andern auch nicht einmal in Anspruch nimmt? Freilich er lasst merken, dass Preussen wohl vorwärts musste, wenn es nicht völlig verloren sein wollte; aber verdient nicht eben dieser Wille, verdient nicht die Einsicht und Kühnheit gleich diesen Weg zu wählen und mit edelster Hochsinnigkeit, mit edelstem Ver- trauen zu verfolgen, die Anerkennung der Geschichte? Nicht fin wenig anders als andere Staaten -der Zeit, nicht ein wenig besser in diesen und jenen Einrichtungen war dies Preussen nach 1807; es bildete sich dort ein qualitativ |3inderes, es ward das wiedergebome Preussen ein Staat der neuen Zeit, der erste, der den grossen Gegensatz zu dem die Revolution Europa polarisirt hatte, auf positive Weise zu vermitteln begann. Begann freilich; in der ungeheuren Arbeit jener grossen sechs Jahre vermochte der Staat, ha-

DeuUcklandi mn i806-'i830'< beireffend. 491

misch entkräftet, argwöhnisch umlauert, mit stets neuer Ver- nichtung bedroht, wie er es wurde, nicht Alles zu vollbrin- gen. Am meisten bedauert Herr Bülau, dass der freiere Geist jener Zeit nicht auch die Justiz durchdrungen (S. 95),. nicht auch dem platten Lande eine der Städteordnung entsprechende Organisation gezeitigt habe (S. 96). Wahrlich, wir mit ihm. An Stein's Namen knüpft sich Tor Allem die Wiederge- burt Preussens. Das hehre Bild des gewaltigen Mannes ragt hochhinaus über die Kothwürfe, die neuerdings wieder be- liebt worden sind. Die Ehrfurcht Niebuhr's, die Hingebung Arndt's, die Freundschaft Gneisenau's und Schamhorst's, die emporblickende Hochachtung des Melanthon Gagern, das sind Zeugnisse, denen gegenüber Herrn Hofrath Dorow's Erlebtes mehr zu seiner als zu Stein's Beurtheilung dienen zu dürfen scheint. In Herrn Bülau's Darstellung wird man allerdings das Bild Stein's nicht verkennen, nur dass er es vorgezogen hat, hier die Schatten stärker hervorzuheben als etwa bei den beiden Fürsten Staatskanzlern, mit denen jenen zu verglei- chen man sich so oft veranlasst fühlt Herr Bülau sagt von Stein: „im Hauptwerk meist das Richtige treffend, mochten ihn einzelne Einseitigkeiten, Schroffheiten und eine gewisse Rechthaberei im Einzelnen der Ausführung zuweilen zu Miss- griffen verleiten, die er späterhin als solche zu erkennen selbst am ersten bereit war" (S* 86). Im weiteren Verlauf der Dar- stellung wird er mit und ohne Nennung seines Namens in einer Weise bezeichnet, welche ein rechtes Verständniss sei- nes Charakters, seines Strebens und der Zeitverhältnisse un- möglich gemacht haben würde; so besonders S. 273 275. Unter anderm wird es sehr richtig gefunden, wenn v. Hippel sagt: „von dem ehemaligen Mitgliede der unmittelbaren Reichs- ritterschaft ist nicht anzunehmen^ dass alle im Geist des weitesten Liberalismus von ihm ausgegangenen Reformen aus innerer Ueberzeugung geflossen seien." Der Brief- wechsel mit Gagern soll Derartiges erweisen. Was derselbe vor Allem erweiset, ist die hohe sittliche Würde und Strenge Stein's, die allein schon jeden Gedanken an solche innere Un- wahrheit, wie sie Herr Bülau mit Hippel annehmen zu müs-

492 Schreiben an den Berausgeber, die „Geschichte

sen glaubt, entfernen sollte. Es ist zu beklagen, dass Herr Bülau nicht etwa statt der des Breitesten abgedruckten Wart- burgsreden dem Abschiedsschreiben Stein's vom 24. Nov. 180S eine Stelle gegönnt hat; aus demselben würde man besser als aus der Beurtheilung des Herrn Verf. den Geist, in dem Preussens Reorganisation begonnen wurde, erkennen.

Ich will nicht weitergehen ohne einen Punkt berührt zu haben, der sich eben hier der Beobachtung aufdrangt Frei- lich man läuft Gefahr weder für vornehm noch für eingeweiht in die höhere Staatsweisheit zu gelten, wenn man solchen Trivialitäten und Privatangelegenheiten wie etwa Ehrbarkeit, Sittenreinheit, Frömmigkeit, mehr als eine statistische Bedeu* tung zur Charakteristik der „füllenden Masse*' beilegt. Wenn aber irgend etwas, namentlich in den höheren Kreisen, das Leben des 19ten Jahrhunderts von dem des 18ten scheidet, so ist es dies, dass die nichtswürdige Libertinage und Frivo- lität des ancien regime, die bodenlose Genusssucht, die Fratze conventioneller Ehre für immer gebrandmarkt, dass man bür- gerlicher, wenn auch noch nicht staatsbürgerlich geworden ist Es hängt an dieser Wandelung eine segensreiche Reihe von Folgen für das Wohl der Völker, für das Heil der Staa- ten, für die Förderung unserer höchsten Aufgaben. Friedrich von Gentz, um von Andern nicht zu sprechen, wird jeder um seiner glänzenden Talente willen bewundem, in seiner Hin- gebung an die Interessen Oesterreichs, nachdem er Preussen aufgegeben, hochschätzen; aber das Alterthum hatte fiecfat, die Epikuräer für eine Pest des Staates zu halten; sie sind es mehr als die Demagogen. Wie tief versunken waren unsere Höfe, geistliche wie weltliche, kleine wie grosse, um den Anfang des Jahrhunderts. Um so gerechter war die herz- liche Verehrung der Preussen für ihr jugendliches Königs- paar, das ihnen in Treue, Frömmigkeit, sittlicher Würde, in jeder häuslichen Tugend und Pflicht ein mahnendes Muster gewährte. Ich bedaure, dass Herr Bülau nicht Notiz davon genommen hat, ^welche hohe Bedeutung grade diese Tugen- den, mit denen das Königspaar den Thron zierte, für die Ent- wicklung Preussens gehabt haben; er begnügt sich mit der

Deutschlands von ISOß-^iSSO'' betreffend. 493

faden Redensart: ,,mit dem Tode der tiefgekrankten Königin erhielt der tiefe Ingrimm der preussischen Nation gegen Frank« reich eine wahrhaft religiöse Weihe"!! (S. 82). Freilich mehr noch bedauern dürfte man den Standpunkt der Beür- theilung, der sich S. 108 in den Worten ausspricht: ^^der Prinz Louis, der der Klatschsucht der gemeinen Philisterei manchen Zielpunkt darbof

Indem ich insbesondere nur Herrn Bülau's Besprechung preussischer „B^g^gi^isse" verfolge, wende ich mich sogleich zum Schluss des ersten Abschnitts. Es ist in hohem Grade charakteristisch, wie Herr Bülau die York'sche Convention zu behandeln weiss. „In dieser ganzen Sache ist vieles Dunkle. Es wird von Niemand mehr ernstlich geläugnet, dass es York möglich, ja leicht war, die Convention zu vermeiden." So wird gleich von vorn her eine geschickte Präoccupation ge- macht; von einer hochherzigen und unendlich folgenreichen That soll nichts als etwa eine entschuldbare Uebereilung übrig zu bleiben scheinen. „Es ist nicht recht klar, worin der grosse Yortheil derselben von dem moralischen Eindruck und der Stellung zu Russland abgesehen bestanden habe." Aber wer sieht davon ab? „Gelang es so bald das ganze Preussen in die Lage zu bringen, dass es sich in Freiheit wider Frank- reich erklären konnte, so würde das auch mit jenem Armee- corps gelungen sein; ja man kann glauben, dass die Nähe desselben manches erleichtert hatte." Aber York hätte sich nicht ohne bedeutenden Verlust durchschlagen können; das oft gezeigte Misstrauen der französischen Befehlshaber würde das Corps zu ruiniren oder unschädlich zu machen verstan- den haben; Russland hätte sofort Ostpreussen occupirt wie das Grossherzogthum Warschau; Preussens Schicksal wäre menschlicher Berechnung nach unrettbar an das Napoleons gekettet geblieben. Der König selbst sprach gegen den fran- zösischen Gesandten die Besorgniss aus, dass das Volk sich ohne ihn und gegen ihn beim Nahen des Feindes erheben werde. Die einzige Möglichkeit das Corps fiir Preussen und den König zu erhalten und im Weiteren nutzbar zu machen, war jene Convention. Dann nach einigen eben so bedenkli-

494 Schreiben an den Heramgeber, die ,, Geschickte

eben Sätzen: y,Aacb lag in der Sache unbestreitbar ein ge- wisser moraliscber Zwang für die Regierung. Und so war es in jeder Art eine ungeheure Yerantwort- liebkeit, die der General York mit diesem Schritt auf sieb nahm/* Als hätte er das nicht in grossartigster Weise selbst erkannt und ausgesprochen: „Ew. Majestät lege ich bereit- willigst meinen Kopf zu Füssen, schrieb er, wenn Sie mein Verfahren tadelnswerth finden sollten.^' Ein solches Bewusst- sein hat das Recht im grossen Augenblick nach eigenem Ent- scbluss zu bandeln; und des Feldberrn, des Staatsmannes Pflicht umfasst mehr, als je eine Instruction Yorschreiben kann. HerrBülau sagt: „hat York diesen Schritt nun kdig-* lioh in patriotischer Unlust, noch ferner mit den Fran- zosen zu ziehen, getban?^^ wahrlich ein Ausdruck, der die Stimmungen und die ungeheuren Alternativen jener Zeit &o zu sagen parfumirt. „Oder hat er wohl gar die Absicht ge- habt, einen gewissen bestimmenden Einfluss auf die Ent- Schliessungen seiner Regierung zu üben .... konnte man aus Bücksicht auf die allgemeine Stimmung nichts gegen ihn yor-

nehmen? musste man nicht wenigstens im Interesse

des Dienstes eine formelle Genugthuung suchen, nicht

wenigstens einen Tadel aussprechen? Es ist ?on uner-

messlicher Wichtigkeit solche Beispiele nicht aufkommen zu lassen. Oder handelte York dennoch in üebereinstimmung mit höheren, die ihn deckten? da erwüchse wieder die Frage, welche Pläne man mit der Sache verbunden*' u. s. w. Es ist nicht nöthig diese Frage aufzunehmen; wer mit dem Gang der damaligen Yerhältnisse bekannt ist und nicht Gründe hat von dem bereits Bekannten nur einen Theil, von der gege- benen Sachlage nur eine Seite zu berücksichtigen, dem wird die Rechtfertigung dessen was damals geschehen , weder schwierig noch bedenklich sein; am wenigsten wird er fUr diesen Fall mit Herrn Bülau sagen: „die hochherzige Absicht und der gute Erfolg können natüriich weder die höhere Pflicht überwiegen noch die Mittel rechtfertigen" und: „der Vortheil, den ein solches Verfahren in dem einen Fall bringen mag, wird nur zu leicht durch die Gonsequenzen überwogen, zu

Deutschlands t>on iSOß-^iSSO'' betreffend. 495

denen es fuhren kann'' (S. 153) eine Ansicht, welche an das erinnert, was seiner Zeit der Staatsrath Joseph von Hu- deiist über den hochherzigen Aufstand der Tyroler 1809 ge- äussert hat: „der Tyroler Aufstand ist ein böses Beispiel; was sie heute für den Kaiser leisten, können sie ein ander Mal gegen ihn thun''; zu Herrn Bülau's Ehre muss ich be- merken, dass er diese Ansicht über die Tyroler nicht getheilt hat, sondern S. 107 von der „schönen Sache'' der Tyroler spricht. Doch zurück zur York'schen Convention. Dem fran- zösischen Patriotismus mag man es nachsehen, wenn er von dem unerhörten Abfall^ von dem Pact der Treulosigkeit spricht. Aber von einem deutschen Manne sollte man nicht erwarten, dass er alle die Momente übergeht, die zur Erklärung und Rechtfertigung des Geschehenen, zur Ehre York's gereichen. Herr Bülau unterlässt anzuführen, wie kränkend und rück- sichtslos das preussische Corps von Macdonald behandelt wor- den, dass Macdonald selbst das verabredete Rendezvous auf- gegeben, dass Memel bereits drei Tage vor der Convention capitulirt hatte, dass das österreichische Corps ohne abge- schnitten zu sein von Mürat und Berthier am 235ten und 24sten Decb. aufgefordert war, Waffenstillstand zu schliessen: j'ap- prendrai surtout avec plaisir, que vous ayez conclu un armi- stice .... qui vous mettrait ä m^me de bien asseoir vos quar- tiers d'hiver et de vous y refaire de vos grandes fatigues. Nachdem Preussen von Napoleon so behandelt worden war, wie seit 1807 unablässig, nachdem Napoleon die schmach- vollen Bedingungen der Allianz vom 24. Februar 1812 (wie Hohn klingt es, wenn Herr Bülau bei Gelegenheit der Pro- elamation von Kaiisch formell mit Recht geltend macht, dass sieh ja Preussen um die Allianz mit Frankreich gegen Russ- land beworben habe S. 162) noch durch Occupation von Spandau und Pillau überschritten hatte, nach solchen Vor- gängen war es naturlich, dass Preussen jene Allianz für ein Werk des Zwanges und der peinlichsten Noth hielt und ent- schlossen war, sie sobald irgend möglich zu brechen und sein Recht der Selbstständigkeit geltend zu machen; Napoleon hatte keinen weiteren Anspruch auf Preussens Bandestreue, als so

496 Schreiben an den Herausgeber, die „Gesckiehte

weit er diese erzwingen konnte. In der Ernennung York's zum Befehlshaber jenes Corps an Grawert's Stelle sprach es sich aus, wohin des Königs Absicht gehe; in seinem Bericht über die Bildung einer ostpreussischen Landwehr vom 12tea Febr. 1813 sagt York: „mit dem ergebensten Herzen und dem Muthy der nur den treuen Diener beseelt, sage ich Ew. Ma- jestät, dass ausserordentliche Lagen auch ausserordentliche Mittel erheischen; in dieser Ueberzeugung haben Ew. Maje- stüt meinen Händen schon früher eine Vollmacht anvertraut, welche mir einen Theil AJlerhöchstihrer königlichen Gewali in besonderen Fällen übertrug" u. s. w. Selbst dem Formel- len, worauf Herr Bülau so grosses Gewicht legt, ist Genüge geschehen durch die Gommission, welche niedergesetzt wurde zu untersuchen, ob York wegen jener Convention vor Kriegs- gericht zu stellen sei; sie hat ihn vollkommen gerechtfertigt gefunden. York erhielt bekanntlich die Nachricht von seiner Suspension nicht anders als durch den bekannten Zeitungs- artikel, und erklärte dagegen, dass diese Mittheilung nicht als ofBciell gelten könne. Herr Bülau glaubt fragen zu müs- sen: „musste oder wollte man auch darüber hinwegsehen, wie er sich über die Nachricht von den Befehlen des Königs in seiner Sache aussprach?"

Gehen wir zu dem zweiten Abschnitt des Bülau'schen Werkes über, der „die Befreiung und Wiedererhebung Deutsch- lands" bespricht. Es wiederholt sich hier das früher Beob- achtete. Herr Bülau kann sich der rühmenden Anerkennung dessen, was Preussen in den Freiheitskriegen geleistet, nicht erwehren; aber wenigstens wird der Schatten sorgsam aus- gespannt, der, wo so helles Licht ist, sich desto schärfer ab- setzt; es wird zur rechten Zeit daran erinnert, „dass Preus- sen nicht für die Befreiung Deutschlands, sondern zur eigenen Rettung und Erhebung vom selbstverschuldeten Falle ins Feld zog, dass es Deutschland zunächst befreien wollte, um für sich Sicherheit und Mitstreiter zu erhalten" (S. 334) ; frei- lich mit demselben Maasse wird den andern deutschen Staa- ten keineswegs gemessen; nicht gesagt wird, wie Oesterreich 1809 sich ebenfalls, freilich vergeblich, mit der Verkündigung

Deutschlands tan 1806-^1830*' betreffend. 497

der Befreiung Deutschlands erhob, in seinen Proclamationen verkündete: ,,unser Widerstand ist Deutschlands letzte Stutze zu seiner Rettung; wir kämpfen, Deutschland die Unabhänr- gigkeit und Natiohalehre wieder zu verschaffen, die ihm ge-^ bahrt/' von der Proclamation an die Bayern erst gar nidit zu sprechen. Herr Bülau übergeht es zu bezeichnen, in welchem Grade der Krieg von 1809, mit den Erzherzögen Johann, Carl, Ferdinand an der Spitze, von dem Kriege von 1813, in dem keiner der erlauchten Erzherzoge unter den Führern war, unterschieden ist. Galt es gerecht zu sein, so hätte es eines bei Weitem tieferen Eingehens auf die Ver- hältnisse Oesterreichs bedurft, es hätte gewürdigt werden müssen, was Hannover seit seiner Befreiung geleist^ hat u. s. w. Aber Herr Bülau gewährt nun einmal Preussen den Vorzug mit eifersüchtiger Ausführlichkeit besprochen zu wer- den, in dem Maasse, dass Blüchers hartes Verfahren gegen das sächsische Corps im Mai 1815 in vollster Härte darge- stellt wird, während die in ihren Momenten sehr bezeich- nende Lazareth^irthschaft in Süddeutschland mit einer kur- zen Bemerkung abgemacht wird, in der Art, dass auch da Preussen seinen Theil bekommt S. 274.

Doch nun zur näheren Betrachtung dieses zweiten Ab- schnittes des Buches.

Gleich der Anfang wird gemacht mit der „tugendhaften Reue", und dass Preussen die und die alte Schuld gegen Deutschland (Anfang 1813) durch herrliche Gesinnung gesühnt habe. Wahrlich, das ist richtig, richtig auch, dass die Ver-* bindung mit Russland manche Schritte zu thun nöthigte, die einmal nicht zu meiden waren, namentlich nicht, wenn Har- denbergs^ diplomatische Vorsicht den Abschluss von Kaiisch ^o lange verzögerte, als es geschah ; aber Herr Bülau fugt da wieder hinzu: „Schritte, die Preussen später bereut hat oder bereut haben sollte (S. 159). In seiner beredten Anklage «.des Kalischer Vertrages unterlässt er jede Andeutung der Entschuldigungsgründe, deren für Preussen in der That vor- handen sind. Es ist übel wenn der Advocat als Richter agirt, wenn der Publicist die Geschichte schreibt. „Auch Preusscaa,

Zeitschrift f. Geschichtevr. I. 1844. 32

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498 Schreiben an den Heramgeber, die „Geschichte

wenn auch in amtlieben Erlassen der strengeren Wabr- heit die Ehre gegeben und zunächst und bauptsäcblich nor f on seiner eigenen Befreiung gesprochen wurde, stellte doch den Credanken von Deutschlands Befreiung jenem Ziel an die Seite" (S. 160). Auch Ton dem preussischen Heer und Volk wird Rühmliches gesagt: „in den preussischen Kriegern je-« ner Tage bemerkte man eine sonst an ihnen ungewohnte und namentlich mit der Zeit von Jena stark contrastirende An- spruchslosigkeit; .... dies und die starke Beimischung Höher* gebildeter gab damals d^ preussischen Kriegern einen Cha- rakter, bei dem sie manche gegen sie in andern deutschen Stummen bestehenden Yorurtheile und Antipathien erstickteii und mandie brandenburgische Eigenthümlichkeit, die anderwärts nicht beliebt ist, wie verschwunden war.'' Ale deutscher Mann muss man sich schämen, von einem deut- schen Lande in solchen Ausdrücken sprechen, so von einem Heere sprechen zu hören, in dem Pommern, Preussen, Schle- ster in herrlichsten Thaten wetteiferten, einem %ere, das nicht ein modificirtes Gonscriptionsheer war, sondern ein Voiksheer im edelsten Sinne des Wortes. „Es ist begreiflich» dass nicht bei allen Gemüthern, ja dass vielleicht bei Weni- gen ganz eine Ueberschätzung von mancherlei AeusserJich- keiten, ein Hingeben an unklare ... Phantastereien und die ungerechte Schroffheit gegen jede abweichende ^ance zu vermeiden war" u. s. w. (S. 177). Bei Gelegenheit der von dem Könige zurückgewiesenen Inschrift fiir die Kreuze der Landwehrmänner: „Wehrlos, ehrlos" wird die Bemerkung g^nacht: „der ganzen Idee der Inschrift lag jene terroristische oder mildestens renommistische Gesinnung zum Grunde, die noch lange nachgewirkt bat" (S. 173). Und in solchem Styl zerbröckelt und zerfitzelt Herr Bülau fort und fort die Erinnerung jener Zeit, an der das deutsche Volk nie aufhö- ren wird sich zu erquicken und emporzuriditen.

War die Bevölkerung Preussens, von der einen Idee der Befreiung Preussens und Deutschlands erfüllt, nur gewandt auf Kampf und Sieg, so trat für die Leiter des Staates so-« fort eine weitere Rücksicht in den Vordergrund. Sie seilten

Deutschlands van 1806—1830^' betreffend. 499

die Siege, die man hoffte, zum Heil des Vaterlandes benul« zen; sie mussten rechtzeitig das Nöthige vorbereitet haben, sie mussten im Voraus mit sich im Klaren sein, wie die fer-* neren Verhältnisse Preussens und Deutschlands geordnet wer- den sollten; sie durften nicht, wie Herr Bülau verlangt, die Gedanken „an Wiedererringung des früheren Areals, der frü^ beren SeelenzahP' sofort bei Seite werfen, „um es dem freien Aufschwünge des Volks zu überlassen, dass sich das preus- sische Volk wieder zusammeaifände*' (S. 155); wahrlich die europäische Diplomatie würde lächelnd so gutmüthige Maxir men auszubeuten geeilt haben. l^ur zu häufig sind oberste Leitungen monarchischer Staaten, weit entfernt Manifestation nen Einer bestimmenden Idee zu sein, das diagonalenartige Resultat sich gegenseitig abschwächender Tendenzen, uur zu häufig eine mehr und mehr neutralisirende Verbindung wi- derstrebender Principien; in friedlichen Zeiten wenigstens ohne plötzlichen Nachtheil, wirkt dergleichen in den Tagen grosser Ereignisse um so' bedenklicher, je gewaltiger die Be- wegung der Zeit, je verwickelter die vorliegenden Verhält- nisse, je nothwendiger rasche und durchgreifende Entschlüsse sind. Deutlich genug zeigt sich Derartiges in den diploma- tischen Verhältnissen Preussens in jener Zeit bestimmend, und das um so mehr, je weiter in Beziehung auf die deut- schen Angelegenheiten, um von den stilleren Einflüssen Witt- gensteins und Anderer zu schweigen, sich Hardenberg An* sieht von der Steins entfernte, die doch nicht bloss in einem bedeutenden Tbeil der höheren preussischen Beamteten und Gommandirenden vorherrschend und der volksthümlichen Be- wegung Preussens im Wesentlichen entspreehend war, son- dern zugleich durch Steins Verhältniss zum russischen Kaiser eine neue Energie erhielt. Unbedenklich mochte Stein an Bussland das Grossherzogthum Warschau übertragen sehen, wenn sich ihm die Hofihungen erfüllten, die er fUr die Re* stituirung Deutsdilands hegte, und welche sich weit von dem ui^lücklichen Theilungsplan entfernten, den, wenn ich recht unterrichtet bin, Graf Münster in einer Denkschrift von Sar-^ torius gegen Enie 1813 enireiehte, und welcher auf die IdeeA

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500 Sckreibäi an den Heramgeber, die ,, Geschichte

Massenbachs (Memoiren II. S. 758) zurückgegangen zu seia scheint Gewiss in Steins Sinne war jene Stelle in der Pro^ clamation von Kaiisch geschrieben : je schärfer in seinen Um- rissen und Grundzügen die Gestaltung Deutschlands henror- treten wird aus dem ureigenen Geist des deutschen Volkes u. s. w^ Aber man kann nicht läugnen, dass die Idee Steins, so kühn und grossartig sie ^war, unter den gegebenen Yer«» hältnissen und bei den verwandelten Vorstellungen über den Begriff der Souveränität nicht mehr liir ausführbar gelten konnte. Das unentschiedene Verhältniss zu Oesterreich konnte nicht verfehlen die ihm entgegenarbeitende fiichtung zu ver- stärken. Wenn bereits im Monat April 1813 Bayern mit sei- nen Anträgen von den Verbündeten an Oesterreich gewiesen wurde 9 so zeigt sich darin, wie viel von der Herstellung Deutschlands Hardenberg dem Interesse Oesterreichs zu op- fern bereit war. Die Verhandlungen in Prag, in denen man sich mit der Elbe als Grenze für Preussen begnügen zu wol- len erklärte, lassen erkennen, wie weit hinter den begeister- ten Hoffnungen der Patrioten die Ansicht der Diplomatie von dem, was erreichbar sei, zurückblieb. Wie gross war die Gefahr, dass man „einen verderblichen und höchst elenden Frieden'^ erhielt. Die Herstellung Deutschlands aus dem ur- eigenen Geist der Nation trat mehr und mehr in den Hin- tergrund; die Verträge von Ried, Fulda, Frankfurt machten sie unmöglich. Fortan erschien als das einzig Gegebene und Maassgebende für die Herstellung Deutschlands die fieihe vertragsmässig anerkannter deutscher Fürsten, ausgestattet mit allen Ansprüchen einer ausschliesslichen Legitimität, in der man die tausendfache Verschlungenheit territorialer, stän- discher und Reichsrechte deutscher Völker nicht mehr mit begriffen meinen wollte. Das „Gleichgewicht der dynastischen Interessent^ das im Lüneviller Frieden eine so bedeutende Rolle gespielt hatte und dem nach Verlust des linken Rhein- ufers zunächst die geistlichen Territorien geopfert waren, das dann die eben so legitimen Ansprüche kleinerer Reichsstände verschlungen hatte, es gab nun mit erneuter Energie auftre- tend die Krystallisationspunkte her, an denen sich aus der

Deutschlands von 1806— i830'' betreffend. 501

mäefatigsten nationalen Bewegung das neue Deutschland klä- ren und gestalten sollte. Sehr treffend wurde in der 1814 herausgegebenen Broschüre über die Gentralyerwaltung (von dem jetzigen Minister Eichhorn] angegeben, wie man zu ver- fahren gehabt hatte, um über die Einschränkungen der zu be- reitwillig anerkannten Souveränitäten, wie sie für die Grün- dung einer deutschen Verfassung nach Beendigung des Krieges nothwendig werden mussten, nicht als über Aufopferungen Sei- tens der deutschen Fürsten nachträglich unterhandeln zu müs- sen, sondern die Rechte, welche man ihnen femer einräumen wollte, als Vergünstigungen überlassen zu können. Wo das Recht zu solchen Vornahmen gewesen wäre? Nach welchem Recht konnten die Souveränitäten, die der Rheinbund pro- clamirt hatte, gültig bleiben, wenn man diesen selbst aus- drücklich und nach dem Princip der Herstellungen, das man wenigstens aussprach, desavouirte? Es war eben die Aufgabe für Deutschland wie für Europa einen neuen Rechtszustand zu gründen; vollkommen sachgemäss sagten die preussischen Diplomaten auf dem Wiener Gongress gegen Talleyrand : que fait ici le droit public? und er war unverschämt genug zu erwiedern: il fait que vous Ates ici.

Je lockerer nach solchen Vorgängen der künftige Ver- band zwischen den Staaten des ehemaligen Reiches werden musste, desto nothwendiger wurde für Preussen, dass es auf eine Wiederherstellung seines Gebietes achtete. Oesterreich hatte sich seine Entschädigungen bereits in Italien auserse- hen. Indem es zu Ried Bayerns Territorien garantirt hatte, war für Preussen Anspach und Baireuth verloren; Hannover- England hatte bereits Ostfriesland zugesichert erhalten, für Preussen ein unersetzlicher Verlust; mit Russland konnte man bei seinen hohen Verdiensten über das nationalfremde War- schau nicht in Weitläuftigkeit gerathen wollen. Wie sollte Preussen zu einem auch nur leidlich entschädigenden Besitz, zu einigermaassen sichernden Grenzen gelangen? Welche Vor- stellungen in dieser Beziehung das Kabinet von Wien hatte, als es nach der Ankunft der Heere am Rhein von Neuem mit Napoleon unterhandelte und namentlich die Rheingrenze

602 Schreiben (Ui den Herausgeber , «Re ^^ Geschichte

anbot, ist wohl nicht ausgesprochen worden, doch zu erra* Ihen leicht Aufialiender ist, dass in dem ersten Pariser Frie- den die preussische Diplomatie über diesen schwierigsten Punkt keine Entscheidungen gefordert oder zu erlangen ver- mocht hat

Man glaubte Sachsen, dessen König seit der Leipziger Schlacht Gefangener war, für Preussen bestimmen zu kön- nen; selbst Kaiser Franz sprach, wie authentisch versichert werden kann, bei seiner Rückreise in Bayern von dieser Uebertragung als von einer völlig ausgemachten und unbe- denklichen Sache. Es ist bekannt, welche beklagenswerthen Verwicklungen sich auf dem Gongress an diese Frage ge- knüpft haben. Wurde einmal das Princip der Legitimität und der Restauration aufgestellt, so durfte dies harte Gericht über eine der ältesten Dynastien ein „gefährliches Beispiel ^^ ge- nanntwerden. Als „hartnäckigen Gegner der deutschen Sache^ hätte man den König strafen können, wenn nicht diese selbst so entschieden den dynastischen und anderen, auch ausser- deutschen Interessen nachgesetzt worden wäre; und dann, wer war ohne Schuld, wenn man die unfreiwilligen zwin- genden Verhängnisse mit einrechnen wollte? ja jene Straf- befugniss selbst durfte nach den Principien, die man bekannte, als unberechtigt verworfen werden. Sollte die Stimme der Völker irgendwie gehört werden, so sprach sich die der Sach- sen unzweifelhaft und auf die rührendste Weise für ihren König aus: „er gehöre vor Allem zu der ihnen garantirten Integrität ihrdS Landes.^* Dann mischten sich alle möglichen schnöden, egoistischen, neidischen, bethörenden Virtuositäten der Diplomatie hinzu, die traurige Frage zu einem rechten Gift für die nationale Ansicht und Anordnung Deutschlands zu machen; es gelang gegen Preussen, das so Grosses in die- sem Kriege geleistet, eine Stimmung hervorzubringen, die je- der Feind Deutschlands nur mit innigstem Wohlge&llen se- hen konnte. Alle Antipathien gegen Preussen fanden eine rechte Genugthuung darin, die Bewunderung für das, was Preussen in diesem Kriege geleistet, mit dem Vorwurf der Habgier und Selbstsucht, der Ungerechtigkeit und terroristi-

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Deulsehlands ton 1806--^i830'' betreffend. 503

scher Anmaassung dämpfen zu könnea. Und Herr Büiau sorgt durch die Kunst seiner Darstellung dafür, dass dieselbe Stimmung aus der Geschichte Deutschlands seit 1806 als na- türliches Ergebniss hervorzugehen scheint und in den deut- schen Yölkem, wenn sie theilweise vergessen sein sollte, von Neuem in lebhafteste Erinnerung zurückgerufen werde.

Wer wird nicht mit Freuden sehen, wie Herr Bülau mit seiner Anhänglichkeit für sein edles Fürstenhaus, fiir sein vaterländisches Sachsen sich selber ehrt; er spricht es scharf und rückhaltlos aus, dass Sachsen bittres Unrecht erlitten habe. Aber wenn er die ganze Last dieses Unrechts auf Preus- sen wälzt, ja wenn er von diesem Gefühl gegen Preussen die Farbe seiner ganzen Darstellung bestimmt werden lässt, so kann man nicht anders als beklagen,- dass er nicht vor- gezogen hat sich einer Aufgabe zu versagen, in der er für sein persönlichstes Empfinden entweder keine Stelle find^, oder eine grosse Verlockung fürchten musste.

Der König von Preussen sagte in dem Patent, mit wel- chem er von den ihm zugewiesenen Theilen Sachsens besitz nahm: „er ehre ihren Schmerz als dem Ernst des deutschen Gemüthes geziemend, und als Bürgschaft der künftigen Treue für das königliche Haus, dem sie hinfort angehören würden; aber die Noth wendigkeit habe es so verlangt nur Deutsch- land hat gewonnen, was Preussen erworben haf

Herr Bülau spricht S. 263 von dem „glühenden Hass^' der Sachsen gegen Preussen: „Gottlob der Sachse hat die- sen Hass überwinden gelernt; aber vergessen ist das Unrecht nicht und wird es sobald nicht werden, und jedenfalls sollte man sich hüten, die alten Gefühle so zu provociren, wie das jetzt wiederholt geschehen isf

Wie einfach und grossartig ist in jenem königlichen Wort das Princip bezeichnet, kraft dessen, wenn es jeder deutsche Fürst oder Staat mit gleicher Ueberzeugung für sich in Gel- tung nahm, sie, die Verweser an dem grossen Gemeingut des deutschen Lebens, sich ohne unheilbare Verbitterung der Ge- müther, ohne den Vorwurf des Undanks gegen die erprobtei;i Völker, ohne Entwürdigung des deutschen Namens und „der

504 Schreiben an den Herausgeber, die ,, Geschichte

Becbte der Deutscbheit'^ wie sie Fürst Metternich nannte, innerhalb eines „Reicbsbundes'* über die Yertbeilung und An«- ordnung ibrer Gebiete verständigen konnten. In diesem Prin- cip durfte Friedrieb Wilbelm III. mit rubigem Gewissen die flehende Bitte der Franken zurückweisen und die treuen Ostfriesen, wenn auch auf Englands Betreiben /) an das bundesfreundliche Hannover dahingehen; in diesem Princip durfte das getbeilte Sachsen den einzigen, aber einen gros- sen Trost finden für das unvermeidlich Nothwendige. In ei- ner grossartigen Einheitlichkeit Deutschlands als „Gesammt- macht*' konnten allein mit diesen die tausend anderen Schäden und Verluste, welche unvermeidlich gewesen, geheilt, tau- sendfaches Unrecht und Gewaltsamkeit gesühnt, eine neue Zukunft erhofft werden. Das war das Ausfahrbare, das für immer Bleibende in dem, was Stein im Sinne hatte: nicht bloss eine abstracte Einheit nationaler Sympathien, noch eine fast nur diplomatische wozu der in dem Grundvertrag noch keineswegs gebrauchte Ausdruck „völkerrechtlioher Verein'^ (Schlussakte Art 1) fuhren musste, sondern eine staatsrecht- liche Einheit, wie sie in kleinerem Kreise Meklenburg, Ein verfassungsmässiges Ganze unter zwei souveränen Landes- fürsten, nach acht deutschen Principien noch jetzt möglich zeigt. Aber die Zeit war noch nicht gekommen; der mo-

*) Herr Bülau hätte wohl gethan das yerhäliriiss Englands zu Deutschland und dessen Kämpfe gegen Napoleon schärfer ins Auge zu fassen als S. 220 geschehen ist; erst wenn man die im vollsten Maasse egoistische Politik Englands für das erkennt was sie na- mentlich damals war, wird man gewisse Beziehungen zu würdigen im Stande sein, bei deren Darstellung die deutschen Schriftsteller noch immer ohne alle Regung nationaler Empfindung zu bleiben scheinen. Der ehemalige Präsident Jefferson sagt (in einem unge- druckten Briefe vom Jahr 1817, der mir vorliegt): „the inextinguish- able hatred and hostility of England has interrupted for a while our peaceable course and sbe is now about to pay the forfeit of all her crimes. The demolition of Bonaparte was but half the work of liberation for the world from tyranny; the great pirate of the ocean remained, but happily to sink under the effects of bis own vices and follies."

Deutschlands von 1806—1830'' betreffend. 505

derne, man darf sagen Napoleonische Begriff der Souveräni- tät hinderte die Gründung einer bestimmteren Verfassungs- norm, eines Bundesgerichtes; Bayern, um von Anderem zu schweigen, erklärte, es trete dem Bunde nur bei, weil es all- gemein gewünscht werde; für sich habe es gar kein Interesse dabei, indem es alle Yortheile, die der Bund gewähren wolle, ebenso gut und besser durch besondere Allianzen erreichen könne. Nicht minder war die Entfremdung zwischen den deutschen Völkern, trotz der Einigung der ersten Begeiste- rung, zu tief eingewöhnt und zu leicht von Neuem provocirt, als dass von ihnen, wie namentlich in Norddeutschland der Impuls zur Befreiung, so nun von der Gesammtheit der zu einer staatsrechtlich innigeren Einigung hätte ausgehen kön- nen. Noch jetzt ist diese Entfremdung, wie nicht bloss Herrn Bülau's Buch beweiset, bei Weitem nicht überwunden. Und doch hängt Deutschlands Wohl und Wehe daran. Wie einst LuUier gesagt hat, dass alle Unterthanen der deutschen Für- sten zugleich Unterthanen des Kaisers, ja diesem mehr un- terthan als jenen seien: so muss, wenn Deutschland nicht die Geschichte Italiens wiederholen soll, jener Gedanke, der in den Entwürfen der Bundesakte von „Unterthanen des deut- schen Bundes 'S von einem „Rath der Fürsten und Stände^' (nicht Städte, wie Herr Bülau S. 343 zweimal schreibt] spre- chen Hess, sorgfältigst bewahrt, wieder aufgenommen, unab- lässig weiter gebildet werden.

Herr Bülau scheint über die Lage und Zukunft Deutsch- lands anderer Ansicht zu sein. Er bezeichnet die allgemein deutschen Tendenzen gern mit Hervorhebung alles dessen, was wider sie einnehmen kann. „Der deutsche Enthusiasmus war wohl in seinen äusseren Zeichen und Losungsworten eine Zeitlang Modesache unter den gebildeten Ständen, blieb aber Modesache und verging wie Modesache" S. 276. Aller- dings sobald die Diplomatie statt ihn fest und sicher zu lei- ten, ihm das Feld verstellen musste, ward er, wie jede Idee ohne praktisch gesicherte Wirksamkeit, zur Phantasterei, zur Garicatur, zu jenen jammervollen Verirrungen, die die Ju- gend der nächsten Jahre so schwer büssen sollte. Noch wäh-

506 Schreiben an den Herausgeber, die ,, Geichichie

rend des Krieges, wie bald waren die allgemein deutseben Tendenzen in praktischer Beziehung auf die Steinsche Cen* tralverwaltung reducirt. Eben dieser wird von Herrn Bülau wenig Anerkenntniss gezollt: y,es wurden überall recht ener- gische Maassregeln getroffen, und der freiwillige Auf- schwung der deutschen Nation ward auf tüchtigen Zwang gestützt; man vergass wohl zuweilen sich zu fragen, ob denn, nicht die vereinte Kraft der vier Hauptmächte, um die sich ja doch alles drehte, ausreichen würde, und ob das Wenige, was man in diesem oder jenem kleinen Landeben zusammen- treiben konnte, so viel Wesentliches zur Entscheidung bei- tragen könne '^ (S. 275); eine Betrachtungsweise, die keine Widerlegung verdient Von der Wahl Repnins zum Gou- verneur von Sachsen Namens der Gentralcommission heisst es: „eine Wahl, die dem Scharfblick Steins grade keine Ehre macht,'' mit der Anmerkung: „oder sollte die nachfolgende preussische Verwaltung dadurch noch erwünschter gemacht werden? sie war den Sachsen noch widerwärtiger, denn in Bepnin war doch noch etwas Originelles und er gab zu la- chen und Anekdoten zu erzählen'' (S. 273).

Mit Herrn Bülau wird jeder Besonnene einverstanden sein, dass eine Verschmelzung Deutschlands zu einem förm- lich einheitlichen Staat nicht wünschenswerth ist (S. 340). Selbst Stein hat nicht daran gedacht, ein französisch centra- lisirendes Kaiserthum für Deutschland zu erstreben. Wenn „enragirte Preussen" derartiges zu Gunsten Preussens ge- hofft haben sollten, so ist es von Herrn Bülau jedenfalls ge- schickt gemacht, überspannte Vorstellungen, wie sie aller Or- ten und nach allen verschiedenartigsten Bichtungen hin vor- gekommen sind, zur detaillirteren Charakteristik Preussens allein hervorzuheben. Das preussische Gabinet ist solchen Gedanken durchaus fern geblieben. Herr Bülau beutet jene enragirte Idee dann weiter aus ; er findet Gelegenheit zu sa- gen: „dabei soll noch von gewissen Eigenthümlichkei- ten des brandenburgischen Stammcharakters, welche den übrigen deutschen Stämmen sehr wenig behagen, und selbst in manchen preussischen Provinzen misliebig befunden

Deutschlands mn ISOö-^iSSO'' betreffend. 507

werden, und von dem Charakter des preussischen Yerwal- tungssystems abgesehen werden" und dazu die Anmerkung: „denn auch hier (in den Provinzen) ist das eben Gesägte er* probt worden, und die Mark, wie die Grundlage und der Prototyp, so der Mittelpunkt dieses Staates, und der, auf wel- chen das Meiste bezogen wird; die Maassregeln, durch welche der gegenwärtige König dem entgegentritt, sind es eben, die ihm am meisten getadelt werden" (S. 341). In der That, eine unerwartete Wendung, eine captatio selbst auf die Gefahr hin, durch den sich von selbst darbietenden Gegensatz dop- pelt anzustossen und das Gedächtniss von Personen und Ver- hältnissen, die von dieser Seite her unzweifelhaft über allen Angriff erhaben sind, gröblichst zu verletzen. Unwürdiger aber, als in dieser Stelle der „Geschichte Deutschlands" von einem geachteten Mann der Wissenschaft; dürft^e über Preus- sen seit lange nicht in deutschen Landen geschrieben sein.

Doch genug. Gern übergehe ich, dass, um Preussens Kampfruhm, selbst den von Dennewitz ein wenig zu trüben, der Kronprinz von Schweden auch da gepriesen wird, wo es schwer wird ihn zu entschuldigen,*) denn er that Ftir-

*) Dem Unterzeichneten liegen die Aktenstücke vor, aus denen sich der hohe Werih der kleinen Schrift ,,Ueber die Schlachten von Gross -Beeren und Dennewitz, von einem Augenzeugen" ergiebt; sie ist von einem dem Generallieutenant von Bülow dienstlich und verwandtschaftlich sehr nahe stehenden Militär und auf dessen un- mittelbaren Anlass verfasst, und aus jenen Papieren ergiebt sich, in wie hohem Maasse rücksichtsvoll diejenigen Ausdrücke in denif Bericht, welche sich auf den Antheil des Kronprinzen an jenen bei- den Schlachten und deren Anordnung beziehen, gewählt sind. In dem Bulletin über die Schlacht von Gross-Beeren, das von dem Hauptquartier des Kronprinzen aus veröflFentlicht worden war, hatte es geheissen: Seine Königliche Hoheit habe dem Generallieutenant V. Bülow befohlen den Feind anzugreifen u. s. w. Ein gleichzei- tig von Bülow eingesandter und für die Veröffentlichung bestimm- ter Bericht, der das Sachverhältniss der Wahrheit gemäss darstellte, war aus Rücksicht auf den Kronprinzen Seitens der Censur zu- rückgewiesen worden. Die uns in authentischer Abschrift vorlie- gende Correspondenz, die sich darüber zwischen Bülow und einer noch lebenden Durchlauchtigen Person entspann, lässt einen tiefen

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508 Sehreiben an den Herausgeber, die y, Geschichte

spräche fiir den König von Sachsen, „was ihm Sachsen nie- mals vergessen wird^' (S. 263). Ich übergehe, was über Gru- ners angebh'chen Terrorismus gesagt wird, übergehe die ei- genthümlichen Interpretationen mit denen anmerkungsweise die Proclamationen u. s. w. des beginnenden Kampfes beglei- tet sind; selbst Wendungen wie S. 101, wonach Napoleons bekannter Auftritt mit Metternich (15. Aug. 1808) „eine jener unbedachten oder übel angebrachten persönlichen Scenen^' genannt wird, „durch die er wiederholt verrieth, dass er nicht auf dem Thron geboren war und diese hohen Stellungen nicht wahrhaft begriffen hatte ich will sie mit ihrer petitio principü unbesprochen vorüber lassen. Herr Bülau, der sonst nicht näher auf die Kritik seiner Quellen eingeht, so wünschenswerth eine solche z. B. in Be- ziehung auf V. Hippels oft benutzte Schrift gewesen wäre,*) äussert sich wiederholentlich mit grösster Schärfe gegen die „Lebensbilder aus dem Befreiungskriege''; er sagt S. 2iS: „Jedenfalls muss man ihnen in alle dem misstrauen, was auch nur entfernt mit dem bekannten Herausgeber und sei- nen persönlichen Stimmungen und Interessen zusammen- hängt*'; und S. 285: „wenn irgend etwas in diesem Buche zu glauben ist, so ist es das zum Lobe Oesterreichs Gesagte; denn das Buch ist von persönlicher Malice gegen Oester- reich dictirt.*'

Blick in die schwierigen Verhällnisse thun, unter denen die Nord- armee ihre unvei^esslichen Siege erkämpfte.

*) Seite 86 wird in Beziehung auf Slein's Abtreten 1808 gesagt: „als eine dem Staatsmann kaum verzeihlicbe Unvorsichtigkeit zum nächsten Anlass des Rücktritts geworden war" und in der Anmer- kung auf „Leben des Königl. Preussischen Staatsministers Freiherrn von und zum Stein, Leipzig 1841. 2 Thle. 8." verwiesen. Wäh- rend die sonstigen Nachrichten in diesem Buch aus anderen be- kannten Schriften zusammengeschrieben sind, ist es mir nicht ge- lungen zu erforschen, auf wessen Autorität jene seltsame Geschichte ' nacherzählt wird. Meine Vermuthung, dass. sie in vorliegender Ge- stalt wenigstens apokryphisch ist, hat sich bei weiterer Nachfrage besfätigt; hoffentlich wird die wahre Sachlage bald völlig aufgeklärt werden können.

Deutschlands ton 1806—1830'' betregend. 509

So viel von den zwei ersten Abschnitten der Bülau*schen Geschichte. Was sie behandeln, ist ja eben die Zeit der völ- ligen Zerbröckelung der bis dahin wenigstens im Namen des Reiches noch .geeinten Nation in der Souveränität der sä- cularisirenden und mediatisirenden deutschen Fürsten er* reichte die unselige Gentrifugalkraft des deutschen Wesens ihr äusserstes Extrem und dann der mächtig beginnende Rückschlag, der Ruf zur erneuten, siegesmächtigen National- einigung, die Begeisterung kühn hinausgreifender Hoffnun- gen, die ersten Grundlegungen zu einer neuen verfassungs- mässig gesicherten deutschen Nationaleinheit. Aber das Läu- terungsfeuer der Jammerjahre hatte die spröden Sonderungen bei Weitem nicht hinweggeschmolzen, jene Begeisterung, so heiss sie die höheren nicht überall die höchsten Schich- ten ergriff, drang bei Weitem nicht in die tieferen Massen hinab. Diese zu vertreten war das nächste Recht und die Stütze jener Souveränitäten; fester, unabhängiger, monadi- scher als sie je gewesen, wurden sie nun. Eine grosse Noth- wendigkeit fährte unsere deutschen Entwicklungen zunächst auf diese Formen hin, die allein den unbeschreiblich grossen üebergang aus dem alten Deutschland zu der Zukunft eines neuen, würdigeren, friedlich zu vermitteln im Stande sind Nicht aus dem völligen Verschwinden aller Stammverschie- denheiten, wie Herr Bülau S. 370 sagt wie völlig irratio- nal verhalten sie sich zu der politischen Yertheilung Deutsch- lands; eben diese ist es, von der sie gefährdet oder besser gemildert werden sondern, was Herr Bülau eben da mit Unrecht als gleichbedeutend setzt, „aus dem Gefühl der na- tionalen Einheit, aus der Mitte des Volksthums selbst '' musa die Weiterbildung des 1813 glorreich Begonnenen hervorge- hen. (Jnd wahrlich, die deutschen Völker sind dieses Weges nicht müssig; sie lernen mehr und mehr, dass sie nur als Ein Volk die errungenen Geistesschätze bewahren und meh- ren, den Fleiss ihrer Hände und den Segen ihrer Felder ge- deihen sehen i vor der beutelüsternen Fremde ihre Grenzen schützen und ihren inneren Frieden sichern können, das« keins von ihnen^ kein deutscher Staat für sich, und wäre er

510 Schreiben an den Herausgeber, die ,, Geschichte

nodi so stark, stark genug ist allein sich selbst oder gar Deutschland zu retten, wenn die Stunde der Gefahr da sein wird, deren Nahen sich niemand bergen kann. Es gilt um Alles, dass „ein einiges starkes, festes, kampffähiges deutsciies Volk in Krieg und Frieden dastehe^' (Stein). Wehe dem, der yon dem alten Hader anders spricht, als um yor ihm zu \%'ar- nen; wehe dem, der dem alten Hass und Hohn mit arger Kunst neue Dolche schürft! Nur zu leicht kann der selbst- mörderische Wahnsinn noch glimmen die Funken, von Neuem erwadien; und dann ist keine Rettung. Ein ern- stes und feierliches Amt, seinem Volk der Dolmetsch seiner Geschichte zu seini durch ihn spricht zu dem Volk sein Ge- wissen. Und keine ernstere Mahnung hat unsere Gescbicbte als das owoi cnrvix'^BLV, dkXd cru^iMpcAiMV ecpuv*

Ich kann mir nicht versagen noch über den dritten Ab- schnitt des Bülau'schen Werkes: „die ersten fünfzehn /ahre des deutschen Bundes '* Einiges hinzuzufügen.

Auch hier finden sich treffliche Bemerkungen, 6ndet sieb mehr als eine meisterhafte Darstellung yon Zuständen und Stimmungen. Und doch gewährt der ganze Abschnitt weder einen klaren Gesammteindruck, noch erkennt man, worauf es in den Bewegungen jener fünfzehn Jahre eigentlich an- gekommen. Wenn HerrBülau meinen sollte, dass die soge- nannten demagogischen Umtriebe diese Bedeutung haben, wie man nach der grossen Ausführlichkeit, womit er dieselben behandelt (S. 40(>-~467], fast glauben muss, so dürfte er mehr die so zu sagen oflicielle als eine historische Ansicht vertreten.

Unendlich werthvoll ist (ur Deutschland die Gründung des Bundes gewesen; er war die einzige Möglichkeit die Ver- gangenheit und Zukunft eines gesammten Deutschlands zu vermitteln. Drohender noch erhob sich in jedem einzelnen deutschen Staate der Widerspruch der alten und neuen Zeit, der alten rückwärts fesselnden Prätensionen und der neuen vorwärts drängenden Entwicklungen. Da die einen, dort die andern gewannen einen Vorsprang, nirgends den Sieg; in den Händen der Regierungen blieb die Macht über beide, die j einzige Möglichkeit sie friedlich und zu gegenseitiger Förde-

Deutschlands mn iSOG^-iSSO^' betreffend. 511

rang zu vermitteln. Nur dass damit sich leicht die Bureau- kratie als eine dritte Partei bildete, die, stark durch die Rou- tine des Begierens, durch die Heimlichkeit der öffentiichen Verhältnisse, durch Gonnexionen zum Gewähren und Em*' pfangen u. s. w., statt zu vermitteln neutralisirte, statt fort- schreitende Entwicklung zu fördern einfriedselig gehorsames Beharren bei dem errungenen glücklichen Zustande als staats- bürgerliche Tugend, Ghristenpflicht und Gesinnung zu erwir- ken sudite, Maassregeln statt Geschichte, ja man darf sagen eine Schranke unumschränkter Monarchie, die am we- nigsten den Thron sichert, die freiheitliche Entwicklung för- dert, der hohen sittlichen Idee des Staates entspricht. Man wird an Ghatham's Wort erinnert: „es steht etwas hinter dem Thron, das grösser ist als der Thron.''

Und doch ist klar, dass wie in den einzelnen Staaten Deutschlands, so in der „Gesammtmacht'^ überwiegend nur erst Anfänge oder kaum noch Anfange gemacht sind. Deutsch- land hat eine grosse Vergangenheit dahingegeben, einen tief gegründeten dem Gesetz nach bis 1806 unzweifelhaften Rechtszustand voll grosser Garantien und grosser Möglich- keiten ohne Vorbehalt, Sichersteilung oder Verwahrung in die Hände der Wenigen übergehen lassen, welchen nun als Souveränen im deutschen Bunde unser Wohl und Wehe an- vertraut ist. Deutschland ist von seiner grossen Vergan- genheit und seiner tausendjährigen Rechtscontinuität durch eine tiefe Kluft für immer getrennt, alle unsere rechtskräf- tigen Beziehungen zu dem Vormals sind zerrissen und durch- schnitten, völliger als in Frankreich immer neue Revolutionen vermodit haben. Deutschland ist ganz auf die neue Zeit gestellt, es hat von der Zukunft alles zu erwarten oder zu fürchten.

Eben darum wäre, eine ernste, wahrhaftige, unverschleierte Darstellung der deutschen Verhältnisse seit ihrer Neugriin- dung von hoher Bedeutung. Vor nicht gar lange galten die Wenigen, welche nicht das Neue über das Neueste vergassen, schon iiir verdächtig. Nur die beschämende (Jnkunde über die Zusammenhänge unserer Gegenwart, über die Lage Deutsch- lands im Ganzen und in seinen Gliedern, machte bei uns den

512 Schreiben an den Herau$geher, die ,, Geschichte

Streit der Ansichten so unfruchtbar und bodenlos^ machte die Gemüther statt sie aufzuklären und zu stärken, verwirrt und verbittert oder schlaff und stumpf. Wir sind wieder so weity dass fast nur die trostlose Alternative von Lieblosigkeit und Unehrerbietigkeit gegen das Gewordene und Bestehende oder von serviler Trägheit und frecher Lobhudelei gegen das wie auch immer Beliebte, sei es Gewähren oder Versagen^ vernommen wird. Es war die Einsicht eines hochherzigen Fürsten, die sich eine gesinnungsvolle Opposition wünschte. Die Neugnindung Deutschlands, der Bundesvertrag, hat in der Erklärung mehrer der bethe'iligten Mächte bei Unterzeich- nung der Bundesakte eine Kritik erfahren, die um so beach- tenswerther ist, je weniger sonst die Diplomatie zu derarti- gen Veröffentlichungen Anlass zu suchen pflegt; aber es war die Zeit, wo unter den Principien, welche die officiellen Pro- tocoUe des Gongresses aussprachen, la juste attente des con- temporains aufgeführt wurde. Sie fanden, dass das Gewährte den Erwartungen der Nation nur zum Theil entsprechen könne; sie erklärten es anzunehmen, weil es keine Art von Yerbesse- rung ausschliesse, weil es besser sei vorläufig einen weniger vollständigen und vollkommenen Bund als gar keinen erhal- ten zu haben. Herr Bülau dagegen findet S. 468: „den gan- zen Charakter dieses Organismus haben wohl selbst die Re- gierungen erst nach und nach im Verfolg der Erfahrungen kennen gelernt und dann sich beschieden, ihn nun für das zu gebrauchen, wofür er geeignet war ü. s. w.*' (vergl. S. SSO). Wir bitten den geneigten Leser sich selbst die weiteren Fragen und Antworten aus diesem Satze zu entwickeln; sie liegen zu nah und fuhren zu weit, als dass ich sie hier aus- fähren möchte. Herr Bülau umgeht es im Einzelnen nach- zuweisen, wie jenes „nach und nach^' sich geschichtlich dar- stellt. Allerdings tritt seit den Garlsbader Beschlüssen und der Ausarbeitung des Bundesgesetzes nicht durch die Bun- desversammlung, wie der Grundvertrag ausdrücklich bestimmt hatte, sondern durch einen nach Wien berufenen Gongress deutscher Staatsmänner eine sehr merkliche Veränderung in der Stellung des deutschen Bundes ein.

Deutschlands von 1806—1830^' betreffend, 513

Es ist sehr lehrreich die energische Antwort des Bun- destages (1817) auf die kurhessische Erklärung in Beziehung auf die westphälischen Domainenkäufer, die Herr Bülau S. 476 mittheilt, mit der österreichischen Antwort auf v. Wangen- heim's Vortrag in derselben Sache (vom 4. Dec. 1823), die Herr Bülau nicht mittheilt, zu vergleichen. Warum überhaupt wird von dem Verlauf dieser charakteristischen Angelegenheit nur der Anfang mitgetheilt? An ihr hätte man Herrn Bülau's Ausspruch in Beziehung auf die Bundeseinrichtung erproben können: „sie hat jedenfalls den grossen Vorzug einer den wechselnden Verhältnissen des Lebens sich an- schmiegenden Elasticität" S. 350.

Auch die auf Antrag der Hansestädte gepflogenen Ver- handlungen über den Schutz des deutschen Handels gegen die Barbaresken hätten um so mehr eine nähere Ausführung ver- dient, da sie nur zu deutlich zeigen, in welcher Würde der Bund Deutschland als eine in politischer Einheit verbundene Gesammtmacht zu repräsentiren gedachte. Verdiente es keine Bemerkung, inwiefern diese deutsche Gesammtmacht, als welche der Bund Deutschland wieder in die Reihe der Mächte treten lassen sollte, bei den verschiedentlichen Gongressen mitthätig war; oder dass eben diesen Punkt die niemals des- avouirte königl. würtembergische Circularnote in Beziehung auf den Congress von Verona hervorhob; oder dass in der oben erwähnten österreichischen Erklärung in Beziehung auf die von dem würtembergischen Bundestagsgesandten ausge- führten Rechtsgründe (der Lehre vom ewigen Staat u. s. w.) gesagt wurde: „dass ein Gang solcher Art bei allen befreun- deten Staaten, welche mit der Gesammtheit dem monarchi- sehen Princip huldigen und für dessen Aufrechterhaltung zu wachen befugt sind, nur die lebhaftesten Besorgnisse er- wecken müsste."

Herr Bülau findet es „recht gut, dass Deutschland nicht eine solche Organisation hat, bei der wie im Innern manches central isirten Staates hinter jeder zeitlichen und örtlichen Er- scheinung sogleich ein Schwall von Gesetzen, Einrichtungen, Maassregeln herstürzt und für Vieles, dem die Selbstthätig-

Zeitschrift f. 6«scbichtsir. 1. 1844. 33

514 Schreiben an den Herausgeber, die „Geechichie

k«it der Glieder vollkommen gewachsen würe, wenn man ihm nur freie Bahn liesse, gleich das Ganze in Unruhe gesetzt wird'' S. 474. Als ob je eine Bundescentralgewalt zu solchen Besorgnissen Anlass gäbe oder vielmehr (denn eine Reihe von Uittelgliedern lasse ich hier absichtlich weg) nur die Stärkung der Bundesgewalt und ihrer unmittelbaren Bezie- hung zu den „ünterthanen des Bundes'' schützt Deutschland vor der Gefahr erneuter Zersplitterung und ihrer nothwen- digen Folge: der besonderen Verbindungen zunächst inner- halb des Bundes der Yerrückung des einzig wünschens- werthen Schwerpunktes für Deutschland der Bildung, der Wirksamkeit neuer Schwerpunkte der Verwirklichung des politischen Arrangements, welches schon 1B23 das ^^Mana- Script aus Süddeutschland" erneut zu sehen wünschte. Die Ohnmacht von Kaiser und Reich war es, in Folge deren die kleineren deutschen Territorien von den grösseren verschlun- gen, das Reichsgebiet zwischen Oesterreich, Preussen, Däne- mark, Schweden, Frankreich, dem Rheinbund getbei/t wur- den. Fürchten wir in Deutschland nichts mehr als die alt- berühmte „teutsche Freiheit" und ^««iirde sie uns von den Dächern gepredigt. Mit höchstem Recht preisen wir den Zoll- verein. Mach der Erklärung des Präsidialgesandten in der Eröffnungsrede 1817 „bezweckt Art. 19 der Bundesakte die deutschen Bundesstaaten selbst in Hinsicht des Handels und Verkehrs so wie in der Schifffabrt einander nicht zu entfremden; auch diese Bestimmung, heisst es in jener Rede, führt uns zu wohlthätigen und gemeinnützi- gen Anordnungen, wodurch wir das Wohl der Gegenwart so wie die spätere Zukunft iur ganz Deutschland sichern kön- nen." Nach Art. 65 der Schlussakte ist auch Artikel 19 zur ferneren Bearbeitung vorbehalten; die Bundescentralgewalt hat es nicht vermocht diese zu leisten; der Zollverein ist statt ihrer eingetreten. Der Souverän, welcher zugleich Mitglied des Bundes und des englischen Oberhauses ist, und als sol- cher in Folge des neuerdings geleisteten Eides dieselbe Pflicht wie jeder andere getreue Unterthan der Majestät von Eng- land hat für Englands Interesse nach bestem Wissen und

Deutschlands von 1806—1830'' betreffend. 515

Gewissen zu handeln und zu rathen, hat, gewiss im wohl- beachteten Interesse seiner deutschen Unterthanen den Bei- tritt zu dem Verein bisher von sich gewiesen; das übrige Norddeutschland bleibt damit der Aussicht auf den Miteintritt wenigstens für die nächste Zukunft fem. Und doch scheint selbst mit finanziellen Verlusten die Einigung, deren wahrer Werth auf einem ganz anderen Felde zu suchen ist, nicht zu theuer erkauft; jeder Schiffsherr zahlt gern einen Theil sei- nes Gewinnes an die Gilde gegenseitiger Versicherung, dass sie ihn, wenn die Wellen Schiff und Ladung verschlungen, schadlos halte für seinen Verlufit. Doch warum das tausendmal Gesagte wiederholen! Jetzt wenigstens sind in Hinsicht des Handels und Verkehrs so wie der Schifffahrt die deutschen Staaten einander entfremdet, ist Deutschland in sich getheilt, bis zum Grenzkrieg der Schmuggler in sich verfeindet Es genüge an diesem Beispiel.

Wiederholentlich kommt Herr Bülau darauf zurück, dass die deutschen Fürsten ihren Völkern nicht durch Verspre- chungen in den Jahren des Freiheitskrieges sich verpflichtet hätten; mehre Prociamationen, auf welche sich der Libera- lismus zu berufen pflege, werden in diesem Sinne commen- tirt; über die Wiener Gongressverhandlungen wird gesagt: „bei den ganzen Verhandlungen und bei der Bundesakte habe es sich nur um Verträge unter den souveränen Re- gierungen, nicht um Zusagen an die Völker gehan- delt'^ (S. 368), „es hat sich der Bund in seinem Grundgesetz

lediglich als ein gegenseitiger Vertrag der Regierungen

und in keiner Art als eine den Völkern gegenüber übernommene Verpflichtung angekündigt^' (S. 350). In- dem Herr Bülau von den Regierungen, nicht von den Für- sten spricht, giebt er selbst eine Theorie auf, die wenigstens formeller Weise seine Ansicht zu rechtfertigen im Stande wäre. Wäre seine Interpretation richtig, so träfe nicht, wie Herr Bülau S. 387 will, die Völker der Vorwurf „die Regie- rungen als etwas vom Volk Getrenntes, ihm Entgegengesetz- tes statt als dessen edelsten und berechtigtsten Ausdruck '' betrachtet zu haben. Nur zu deutlich hatte sich das Gelilhl

33*

516 Schreiben an den Herausgeber, die ,,Ge$ch%chie

dieses Gegensatzes auch in Deutschland ausgebildet. Mag es von den Regierungen oder den Unterthancn, von den Fürsten oder den Völkern verschuldet sein, es ist der traurigste Irr- thum, an unseligen Gonsequenzen, wie die neueste Geschichte zeigt, nur zu reich; es trieb das ebenso unsinnige Princip der Volkssouveränität hervor; zwischen diesen beiden gleich unwürdigen, gleich rationalistischen Extremen oscillirt die Entwicklung der civilisirten Welt, um sie, so Gott will, end- lich beide in dem lauteren Begriff des Staates, wo das Gesetz Souverän ist, zu überwinden. „Versprechua- gen" def Fürsten an die Völker mögen nie die Basis unserer Hoffnungen, unserer Ansprüche sein. In eiiier Kritik über die Verhandlungen der würtembergischen Landstände \%i6 und 1816 heisst es: „eine höhere Nothwendigkeit als in dem positiven Bande eines Versprechens, liegt in der Natur der zu allgemeiner Ueberzeugung gewordenen Begriffe, welche an eine Monarchie die Bestimmung einer repräsentativen Ver- fassung , eines ^ gesetzmässigen Zustandes und einer Einwir- kung des Volkes hei der Gesetzgebung knüpfen. ^^ Es war Hegel, der das aussprach. Streben wir im Politischen dem grossen Vorbilde nachzuahmen, das die kirchliche Entwick« lung Deutschlands in der Beformationszeit gegeben hat; wie mächtig erhob sich Luther gegen die träge Versumpfung des Papismus und seines historischen Bechtes; aber nicht min- der schleuderte er jene Garicaturen seiner eigenen Bestre- bungen, die Wiedertäufer, die Schwarmgeister, von sich hin- weg; er war sich bewusst, die wahrhafte Fortbildung der afi- gemeinen Kirche, das ächte historische Princip zu vertreten. Ich habe nicht im Sinn gehabt, eine Becension des Bü- lau'schen Werkes zu schreiben; sonst müsste ich aus den zwei ersten wie aus dem dritten Abschnitt noch vieles her- vorheben oder näher erörtern, müsste beklagen, dass von den auswärtigen Einflüssen auf den Verlauf der deutschen Verhältnisse, von den europäischen Beziehungen Preussens und Oesterreichs so gut wie gar nicht die Bede ist, dass in dem Schluss ,^die Vorgänge in den einzelnen Staaten betref- fend, so weit sie von einigem allgemeineren Interesse und

J

Deutschlands von 1806—1830'' betreffend. 517

Einfluss waren, Belege und Erläuterungen des Bemerkten, Merkmale deutscher Zustände sind" (S. 520), Oesterreich mit U Seite abgefunden wird, wovon die Hälfte etwa auf eine Anmerkung kommt, die „die modificirte Wiederbelebung der alten Landesverfassung" Tyrols betrifft. Nan^entlich würde auch hier Herrn Bülau's Darstellung der preussischen Ange- legenheiten näher zu beleuchten, auch die Angabe zu prüfen sein: „dass im Volke die ernstere Richtung auf die Ver- fassungsfrage in den Hintergrund trat, dass man sich viel- mehr häufig darin gefiel, mit einem gewissen spötti- schen und hochmüthigen Lächeln auf die constitu- tionellen Zustände und Strebungen der kleineren deutschen Staaten herabzusehen" u. s. w. (S. 531). Es würde auf die Darstellung der sächsischen Verhältnisse, auf den Bericht über die Verhandlungen zur Gründung einer Verfassung in Wür- temberg einzugehen, zu untersuchen sein, warum Herr Bülau Würtembergs Erklärung in Beziehung auf die politische Be- vormundung der Staaten zweiten Ranges durch die Gross- mächte übergangen hat, es würden einzelne Irrthümer, wie beispielsweise die Aiigabe über Mühlenfels (S. 760), zu be- richtigen sein u. s. w.

Herr Bülau hat als Redacteur einer verbreiteten Zeitung, einer geachteten historisch politischen Zeitschrift, als Mitar- beiter des Staatslexicons, als sehr thätiger publicistischer und historischer Schriftsteller, als Universitätslehrer einen Einfluss auf die öffentliche Meinung in Deutschland, der um so wirk- samer ist, je bereitwilliger das deutsche Publicum auf Män- ner hört, welche ihm die Garantien der Wissenschaftlichkeit, des geachteten Namens und der amtlichen Stellung darbieten. Um so ausdrücklicher und ernstlicher sei der Protest gegen das, was in der „Geschichte Deutschlands" Einseitiges, Partei- liches, Verletzendes, gegen das gemeinsame Interesse Deutsch- lands Streitendes gesagt worden ist.

Kiel, Decemb. 1843.

Joh. Gust. Droysen.

Die historischen Vereine und Zeitschriften

Deutschlands.

Nächst den Wissenschaften, welche den industriellen Bestre- bungen unserer Zeit vorarbeiten, ist gegenwärtig die Ge- schichte am eifrigsten angebaut. Welcher Wetteifer herrscht alte Documente zu sammeln und herauszugeben, dunkle Par- tien der entfernteren und näheren Vorzeit zu beleuchten, hi- storische Vereine zu gründen; selbst unter dem grösseren Publicum zeigt sich ein Durst nach geschichtlicher Belehrung« dem speculatiTe Buchhändler und Schriftsteller durch aller- hand populäre Unternehmungen entgegenkommen. Es ist, als ob der Geist vor der rascheren Bewegung der Zeit und ih- ren kritischen Tendenzen, die Alles in Frage stellen, sich flüchten wollte auf den sicheren Boden der Geschichte, um hier das unter allem Wechsel Bleibende, die Gesetze und Er- gebnisse der Entwicklung, kennen zu lernen. In dem Eifer für geschichtliche Forschung steht unser Vaterland andern Ländern keineswegs nach, wohl aber an Einheit der dahin zielenden Bestrebungen. Neben den Forschungen einzelner Gelehrten sind mehr als 40 Vereine für vaterländische Ge- schichte und Alterthumskunde geschäftig, neue Materialien «1 sammeln, und man sollte, wenn man diese Menge von Kräften die sich in Bewegung setzen übersieht, meinen, es müssten schon bedeutende Ergebnisse gewonnen sein. Aber dem ist nicht so; wenn man genauer zusieht, so findet man, dass weder die Quellen vollständig genug gesammelt, noch die nöthigen kritischen Vorarbeiten gemacht sind, um eine gründliche Geschichte schreiben zu können, welche die in-

Die histor, Vereine u. Zeitschrifteti Deutschlands. 519

nere politische und sociale Entwicklung Deutschlands klar vor Augen stellte. Es ist ^schwierig, nur zu einer Uebersicht dessen zu gelangen , was bereits geleistet ist und was noch fehlt, und es wäre gut, wenn man einmal die Summe zöge von dem was man hat, und dann die Mittel berechnete, die man noch braucht, um das Gebäude in edlem Style auszu- fuhren und würdig auszuschmücken. Wir wollen in Nach-» stehendem versuchen, einen kleinen Beitrag hiezu zu geben, indem wir die Seite der forschenden Thätigkeit genauer be- trachten, welche sich in den geschichtlichen Vereinen und ihren Zeitschriften entwickelt

Die Zahl der deutschen Gesellschaften für vaterländische Geschichte und Alterthumskunde beläuft sich auf 44, von denen die meisten ihre eigene Zeitschrift haben. Davon hat Bayern allein 8, Sachsen und Thüringen 7, Würtemberg 4, Brandenburg 2, Baden 2, Nassau, die beiden Hessen, Wetz- lar, die Bheinlande, die Mosellande, Westphalen, Niedersach- sen, Hamburg, Lübeck, Frankfurt, Schleswig-Holstein, Meck- lenburg, Pommern, jedes einen. Dazu kommen noch fn der deutschen Schweiz 6 historische Gesellschaften. Aber nicht nur an Vereine knüpft sich die gemeinsame Forschung, son- dern es haben sich auch da und dort Mittelpunkte dafür in selbstständigen Zeitschriften gebildet, von denen die einen auf Specialgeschichte sich beschränken , während die andern der Geschichtsforschung im Allgemeinen gewidmet sind. Sol- cher Zeitschriften zählen wir 7 provinzielle und 6 von allge- meinerer Richtung. Man könnte sich freuen über diese rege Thätigkeit, diesen Eifer für Erkenntniss vaterländischer Vor- zeit, der sich einen Reichthum von Organen schafft, wenn nicht eben diese Mannigfaltigkeit ein Bild von der Vereinze- lung und Zersplitterung wäre, in der das nationale Leben in Deutschland seine besten Kräfte verzehrt, und bei allem gu- ten Willen doch nichts Grossartiges zu Stande bringt. Viele Vereine verdanken ihre Entstehung der Mode und dem Zeit- geist, der in allen Gebieten seine Arbeit durch Associationen auszufahren liebt, und häufig beruht die Sache nur auf dem guten Willen des Dilettantismus, der sich nicht immer mit

520 Die historischen Vereine und

günstiger Gelegenheit zu wichtigen Forschungen und dem rechten Tacte verbindet, welcher nöthig ist, um gewichtiges Korn von leerer Spreu zu unterscheiden. Manche aber sind auch aus wirklichem Bedürfniss und der (Jeberzeugung her- vorgegangen, dass durch den Zusammentritt einer Gesellschaft etwas erreicht werden könnte, was dem Einzelnen nicht wohl möglich ist. So lange diese vielen Vereine aber nicht plan- mässig zusammenwirken, ihre Forschung nicht auf bestimmte Punkte hinrichten und mit wissenschaftlichem Ernste betrei- ben, werden nie bedeutende Resultate erzielt werden.

Sehen wir nun, wie die einzelnen derartigen Anstalten ihre Aufgabe lösen.

Der älteste Verein ist die von dem Freiherrn von Stein gestiftete und im Jan. 1819 zu Frankfurt constituirte Gesell- schaft für Deutschlands altere Geschichtskunde. Die Aufgabe, die sie sich von Anfang an stellte, ist eine kritische Gesammt- ausgabe der Quellenschriftsteller des deutschen Mittelalters^ welche Pertz redigirt, und von der nun unter dem Titel Mo- numenta Germaniae 6 Foliobände erschienen sind. Die Mit- glieder verpflichten sich, entweder durch namhafte Geldbei- träge, oder Bearbeitung eines Quellenschriftstellers, oder Herbeischafiung von Handschriften, oder Aufsuchung von neuen noch unbenutzten Quellen, die Zwecke der Gesell- schaft zu fördern. Das von der Gesellschaft seit 1820 her- ausgegebene Archiv ist dazu bestimmt, einen fortlaufenden Rechenschaftsbericht von den Bemühungen des Gesellschaft zu geben. Es handelt sich hier bloss um äussere Quellen- kunde; materielle Forschungen, Bearbeitungen einzelner Par- tien der Geschichte oder Mittheilungen von historischen Ma- terialien sind ausgeschlossen. In der angegebenen Richtung '^ ist nun in den bisherigen 8 Bänden des Archivs viel geschehen, wir haben in demselben nicht nur einen kritischen Gommentar der bis jetzt erschienenen Bände der Quellensammlung, son- dern auch eine umfassende (Jebersicht der auf verschiedenen Bibliotheken und Archiven Europa's aufgefundenen Handschrif- ten und Urkunden zur deutschen Geschichte, sowie der be- reits gemachten Vorarbeiten fiir die Fortsetzung des Werkes.

Zeitschriften Deutschlands. 521

Durch die Stiftung der Frankfurter Gesellschaft war ein neuer Eifer iur deutsche Geschichtsforschung angeregt wor- den, und es fingen nun da und dort historische Vereine an sich zu bilden. Einer der ersten und zugleich hinsichtlich der Leistungen einer der bedeutendsten ist der Verein für Geschichte und Alterthumskunde Westphalens, der, nachdem er mehre Jahre zuvor durch einen von Paul Wigand entwor- fenen Plan und Aufruf eingeleitet war, im Jahre 1824 zu Pa- derborn förmlich constituirt wurde. Beinahe gleichzeitig war ein anderer in Münster entstanden, der sich dann bald mit dem Paderborner vereinigte und jetzt mit ihm einen gemein- samen westphälischen Verein bildet. Gleich im Beginne hat sich dieser als Hauptaufgabe seiner Thätigkeit die Sammlung und Herausgabe der für die Geschichte Westphalens wichti- gen Urkunden vorgesetzt, und es wurde diesem Plan von Seiten der dortigen Archivbehörden bereitwillig Vorschub ge- leistet. Aber nachdem die Vorarbeiten grossentheils vollendet waren> fasste der Verein den Beschluss, die Herausgabe ei- nes Urkundenbuchs zu unterlassen, weil demselben ein gros- ser Theil des Materials durch anderweitigen Abdruck, be- sonders in Seibertz Geschichte Westphalens, zum Theil auch im Archive des Vereins selbst, vorweggenommen worden war, und statt des vollständigen Abdrucks der gesammten Urkun- den nur ausführliche Regesten (Inhaltsverzeichnisse) mit Aus- zügen aus gleichzeitigen Geschichtschreibern zu veranstalten. Nach dem neuesten Jahresbericht ist der ursprüngliche Plan jedoch wieder aufgenommen worden, und es sollen die Be- gesten sammt dem dazu gehörigen Urkundenbuche demnächst erscheinen. Das Archiv kam seit 1826 bis 1838 in 7 Bänden unter der Bedaction des für westphälische Geschichtsforschung so thätigen Paul Wigand heraus. Bei seiner Versetzung nach Wetzlar ging die Bedaction an die beiden Directoren der Zweigvereine von Münster und Paderborn, den Archivar H. A. Erhard und den Domkapitular J. Meyer über, welche die- selbe im Namen des Vereins bis auf die neueste Zeit fort- führten. Sowohl unter der früheren, als gegenwärtigen Lei- tung giebt das Archiv eine Reihe sehr werthvoller Forschun-

522 Die hktorischen Vereine und

gen über alte Topographie and Rechtsverhältnisse Westpha- lens. Häufig werden auch grössere Partien von Urkunden, nach sacUicber oder localer Beziehung geordnet, mitgetheilt und jedem Band %|n chronologisch geordnetes Yerzeiehniss der in demselben enthaltenen Urkunden beigegeben. Ausser den Beiträgen zur Localgeschichte Westphalens finden wir auch allgemeine Erörterungen über Gegenstände der histo- rischen Forschung, über die Aufgabe geschichtlicher Vereine, sowie kritische Uebersichten über Sammlungen und Abdruck von Urkunden. Im Ganzen ist jedoch das rechtsgeschichtliche Element überwiegend. Wigand hatte seit 1831 angefangen, dem Archiv als Beilage Jahrbücher der Vereine für Geschichte und Alterthumskunde beizugeben, die dazu dienen sollten, den Verkehr dieser Vereine untereinander zn vermitteln, von ihren Bestrebungen und Leistungen Kunde zu geben und so ein Gentralorgan sämmtlicher historischer Vereine in Deutsch-^ land zu bilden. Sie lösten diese Aufgabe in kurzen Berich- ten auf eine zweckmässige Weise, und es ist daher sehr zvl bedauern, dass der Herausgeber wegen Mangels an V3nter- Stützung die Sache nicht fortsetzen und mit dem 12ten Heft im J. 1838 schliessen musste. Auch seine Nachfolger in der Redaction des westphälischen Archivs haben diese Einrichtung nicht wieder aufgenommen. Man sieht aus jenen Uebersich- ten, dass es allerdings in den Vereinen an sehr tüchtigen Bestrebungen nicht gefehlt hat, aber auch, wie die wirklidien Erfolge denn doch weit hinter der anfänglichen Begeisterung und den guten Vorsätzen zurückgeblieben sind, und man sich häufig mit dem guten Willen begnügen musste, da eben eine grosse Zahl der Mitglieder nicht geeignet war, den Zwecken des Vereins auf eine erfolgreiche Weise zu dienen. Ueber die eigentliche Aufgabe solcher Vereine spricht sich im 7ten Bande des Wigand'schen Archivs H. A. Erhard sehr verstän- dig aus. Er bezeichnet als Zweck derselben 1) Anregung und Erhaltung der Theilnahme für geschichtliche Kenntniss, 2) Sammlung, Aufbewahrung und Nutzbarmachung der Materia- lien zur Geschichtsforschung, 3) eigene Bearbeitung grösserer

Zeitschriften Deutschlands. 523

und kleinerer Partien der Geschichte selbst nach ihren ver- schiedenen Richtungen.

Beinahe gleichzeitig mit dem westphälischen Verein ent^ stand der thüringisch- sächsische für Erforschung vaterländi- scher Alterthümer, der schon im J. 1820 zu Naumburg ge- gründet wurde. Dort gab er 5 Hefte Mittheilungen aus dem Gebiete historisch-antiquarischer Forschung heraus, die sehr gründliche Arbeiten enthalten, denen man wirklich das Zeug- niss geben muss, dass sie die Alterthumskunde bedeutend gefördert haben. Wir erinnern an die Abhandlung von Lep- sius über den Dom zu Naumburg, an die von Koberstein über das Gedicht vom Wartburgkrieg, an Wilhelms Geschichte des Klosters Memleben. Nach einigen Jahren wurde dieser Verein nach Halle verlegt, der Kreis der Mitglieder und der Thätigkeit erweitert und unter des Kronprinzen von Preus- sen Protectorat gestellt Diese Umgestaltung scheint jedoch nicht zum Gedeihen des Vereins beigetragen zu haben. Prof. Kruse in Halle gab in Verbindung mit demselben ein Archiv für alte und mittlere Geographie heraus, das nach Kruse's Abgang von Halle Prof. Lorentz besorgte (Halle 1824 30, 3 Bde.), aber die Theilnahme war gering und das Archiv, welches Kruse eigentlich allein schrieb, war nur dem Namen nach ein Organ des Vereins. Es standen zwar eine Menge von Mitgliedern auf dem Papier, aber viele bezahlten weder ihre Geldbeiträge, noch unterstützten sie den Verein durch literarische Leistungen. Man versuchte nun durch eine neue Organisation der Gesellschaft, sie zu einer frischeren Thätig- keit zu beleben. Ein grosser Theil der bisherigen Mitglieder schied aus, der Verein wurde neu constituirt, und der neue Secretär desselben, Prof. Rosenkranz, gab die „Neue Zeit- schrift für Geschichte der germanischen Völker*' heraus. Von nun an scheint sich ein regeres Leben im Verein entwickelt zu haben. Rosenkranz, in dessen Studienkreis jedoch diese Specialforschung weniger passte, behielt das Secretariat und die Redaction nur kurze Zeit, und an seine Stelle trat Dr. K. E. Förstemann, der seit dem J. 1834 die Vereinszeitschrift unter dem Titel: „Neue Mitiheilungen aus dem Gebiete hi-

524 Die historischen Vereine und

storisch- antiquarischer Forschungen" fortsetzte. Die Theil- nähme an dem Vereine stieg und die literarischen Beiträge mehrten sich. Ihr Inhalt ist ziemlich mannigfaltiger Art, Ar- chäologie, alte Topographie, Urkunden und Statuten herr- schen vor. Es finden sich darunter sowohl urkundliche Mit- theilungen als selbstständige Ausarbeitungen von wissenschaft- lichem Werth und allgemeinerem Interesse, z. B. die erste Landfriedensurkunde in deutscher Sprache vom J. 1236, so- wie die von 1438, die Statuten und Weisthümer von Halle und Nordhausen, Briefe berühmter Männer aus der Refor- mationszeit, unter den Abhandlungen die San Marte's über Wolfram von Eschenbach, die Sage vom h. Graal, die Ar- thursage und das Mährchen des rothen Buchs von Hergest, Lepsius und Otte über den Dom von Merseburg, Gervais Geschichte der Pfalzgrafen von Sachsen. Man sieht, dieser Verein ist einer von denen, die ihrer Aufgabe entsprechen und ihre Hefte nicht mit unbedeutenden Beiträgen von bloss antiquarischem Werthe füllen, deren man hier verhältniss- mässig nur wenige findet. Die von dem Wigand'schen Archiv begonnene Einrichtung, von den verschiedenen historischen Vereinen und ihren Leistungen Nachricht zu geben, hat auch dieser thüringisch-sächsische Verein in Form von Correspon- denznachrichten und Miscellen wieder aufgenommen, ohne jedoch die Üebersichtlichkeit des Vorgängers zu erreichen und die im Interesse der V^issenschaft so wünschenswerthe Kritik gegenüber dem sich breit machenden Dilettantismus zu üben.

Eine besonders rege Thätigkeit in Gründung historischer Vereine herrscht in Bayern, wo die Sache durch die beson- dere Vorliebe und Begünstigung des Königs vielfach unter- stützt wird. Es ist der ausdrücklich ausgesprochene Wunsch des Königs, dass sich in jedem Kreise historische Vereine bilden, und die Akademie der Wissenschaften zu München, sowie die Behörden der Archive sind angewiesen, diese Ver- eine auf jede Weise zu unterstützen. Unter diesen Verhält- nissen müssen nun manche Schwierigkeiten wegfallen, die anderswo den Eifer vielfach lähmen, auf der anderen Seite

Zeitschriften Deutschlands. 525

veranlasst die Begünstigung von oben Manche zur Theilnahme, weiche mehr guten Willen als inneren Beruf und Vorkennt- niss zur Forschung mitbringen.

Einer der ältesten Vereine in Bayern ist der baireuthi- sche, der, im J. 1827 gestiftet, sich im J. 1830 mit dem eben neu entstandenen Bambefger vereinigte und mit ihm einen Verein des Obermainkreises bildet, dessen gemeinschaftliches Organ das Archiv für Geschichte und Alterthumskunde von Oberfranken ist, das als Fortsetzung des früheren baireuthi- sehen von E. L. von Hagen redigirt wird. An dem älteren baireuthischen nahm der Ritter v. Lang thätigen Antheil und stattete das Archiv mit einigen guten Beiträgen aus, auch die spätere Fortsetzung bringt mitunter werthvolle Materialien und zwar nicht bloss für archäologische Topographie, sondern auch iiir Geschichte des geistigen Lebens. Eine sehr löbliche Unternehmung des Bamberger Vereins ist die Herausgabe des Renners von Hugo von Trimberg, nur schade, dass es bei der Ausführung an der erforderlichen kritischen Sorgfalt und genügenden philologischen Vorkenntnissen fehlte.

Von ähnlicher Richtung ist der im J. 1830 gegründete Verein des Rezatkreises zu Ansbach, der zwar kein Archiv, aber Jahresberichte herausgiebt, in welchen neben der Ge- schichte der Gesellschaft die Resultate ihrer Forschungen nie- dergelegt sind. Diese Form hat den Vorzug, dass die Mate- rialien schon gesichtet und nur in gedrängter Kürze mitge- theilt werden. Die vier ersten Berichte sind von Lang redi- girt, der überhaupt einen guten Einfluss auf die Richtung des Vereins geübt hat, welcher auch jetzt noch in der wis- senschaftlichen Haltung desselben sichtbar ist. Lang selbst hat mehre seiner Forschungen den Jahresberichten einverleibt, so z. B. dem zweiten eine Abhandlung über die Spuren der slavischen Sprache in der ältesten Geschichte Frankens. Vor- herrschend ist im Ganzen auch hier die archäologische To- pographie.

Der fruchtbarste Verein in Bayern ist der des Unter- mainkreises in Würzburg, dessen Archiv seit seiner Gründung im J. 1830 bereits zu 8 Bänden angewachsen ist, und beson-«

536 Die historischen Vereine und

den von dem iiir die Geschichte Würzburgs unerroüdlicfa thäiigen Legationsrath Scharold, in dessen Händen die Di- rection des Vereins ist, reichlich versorgt wird. Unter den dargebotenen Materialien fanden wir manchen interessanten Beitrag zur Geschichte Würzburgs, aber auch manches Un- bedeutende und Ueberflüssige. So r, B. B. IV. 1. einen Vortrag in einer Generalversammlung des Vereins: ,, Unter welchen Bedingungen kann eine fränkische Geschichte zu Stande kom- men?^' worin wir statt eines gründlichen Eingehens auf den gegenwärtigen Stand der Forschung pomphafte, nichtssagende Declamationen Gnden, in weichen endh'ch Thucydides und Tacitus und andere Heroen der Geschichtschreibung als Vor- bilder einer bayrischen Geschichte, Plutarch und INepos a/s Vorbilder eines fränkischen Nekrologs herbeicitirt werden. Im ersten Hefte des 5ten Bandes findet sich eine ausführ- liche Erzählung der Schlacht von Dettingen, wobei Pölitz's Weltgeschichte, Böttigers und Zschokke's Geschichte von Bayern doch allzu häufig angeführt werden. Die Auszüge aus Ghmels Regesten König Ruprechts und Kaiser Fried- richs lU. mögen zwar eine bequeme Vorarbeit fiir eine frän- kische Geschichte sein, aber ein Archiv, dessen Zweck es ist, unbekannte Materialien zur Geschichte zu sammeln und vor dem Untergang zu retten, hätte doch wohl Anderes zu thun, als aus neuen Urkundensammlungen, die man überall bekom* men kann, Auszüge zu geben. Unter den Verdiensten dieses Vereins ist auch noch anzuführen, dass er vor einigen Jah- ren dem Minnesänger Walther von der Vogelweide ein Denk- mal errichtet hat.

Die erste Stelle unter allen historischen Vereinen in Bayern dürfte wohl in solider wissenschaftlicher Haltung der von Oberbayern einnehmen. Derselbe wurde im Jahre 1838 hauptsächlich auf Betrieb des nunmehrigen zweiten Vorstan- des Freiherrn v. Zu Rhein gegründet, und giebt seit 1839 ein Archiv heraus, welches darin eine gewisse Garantie des Ge- haltes hat, dass sich die Redaction zum Grundsatz machte, nur diejenigen Arbeiten der Oeffentlichkeit zu übergeben, welche entweder durch wissenschaftliche Behandlung, oder durch die

Zeitschriften Deutschlands, 527

Wichtigkeit ihres Gegenstandes Anspruch auf allgemeineres Interesse haben. In allen übrigen Fällen wird nur das Be^ sultat der Forschungen« in Kürze mitgetheilt, und es bleibt denen, die sich für das Einzelne besonders interessiren, über- lassen, die in der Yereinsbibliothek aufbewahrten handschrift- liehen Aufsatze selbst einzusehen, lieber die Wichtigkie/t der einzelnen Gegenstände mag nun freilich das (Jrtheil verschie- den ausfallen, aber wirklich finden wir in diesem oberbayri*- schen Archiv eine Reihe von Mittheilungen, die wissenschaft- lich gehalten sind und reichliche Ausbeute für die Geschichte geben. Man sieht, dass man hier mit Forschern zu thun hat, die zu unterscheiden wissen, ob etwas historischen Werth hat oder nicht* Als besonders werthvoll sind zu nennen: Höf- lers urkundliche Beiträge zur Geschichte Kaiser Ludwigs lY. und der Unterhandlungen Bayerns mit dem Papst; die Re- gesten zur bayrischen Geschichte von Föringer, Gumppen- berg und Hefner; des Letzteren Bericht über die wissen- schaftlichen Leistungen der Klöster Benedictbeuren, Scheyern und Tßgernsee, und die römischen Denkmäler Oberbayerns. Reichliches Material, wenn gleich von verschiedenem Werthe liefert der Verein von Oberpfalz und Begensburg» der seit 1838 ununterbrochen seine Verhandlungen heraus- giebt. Der Verein des Oberdonaukreises, oder für Schwaben und Neuburg, giebt seit 1835 seine Jahresberichte heraus und beschäftigt sich hauptsächlich mit Ausgrabungen und archäolo- gischer Topographie. Zu diesen 6 Kreisvereinen*] kommt noch ein 7ter, die Nürnberger Gesellschaft für Erhaltung der Denk- mäler älterer deutscher Geschichte, Literatur und Kunst. Der Gründer derselben, Freiherr Hans v. Aufseess, wollte damit ein grossartiges Museum der vaterländischen Alterthümer ver- binden, und sein Anzeiger für Kunde des Mittelalters, den er damals herausgab, sollte ein Organ der Gesellschaft und ein Vereinigungspunkt für die verschiedenen derartigen Ver-

*) Der hier übergangene Verein von Niederbayern zu Lands- hut und Passau scheint noch kein Lebenszeichen gegeben zu ha« ben; des Vereines der Rbeinpfalz wird weiter unten gedacht.

Anm. des Herausg.

528 Die historischen Vereine und

eine werden. Es traten jedoch unangenehme Gollisionen mit den Specialvereinen Bayerns ein, in Folge deren ein grosser Theil der Geschenke von Aufseess selbpt und anderen ursprüng- lichen Eigenthümern zurückgezogen und die Thätigkeit der Gesellchaft auf Nürnbergische Geschichte und Alterthums- künde beschränkt wurde. Von den Leistungen innerhalb die- ses Gebietes giebt nun die von M. M. Mayer redigirte Zeit- schriit „der Nürnberger Geschichts-, Kunst- und Alterthums- freund^' Kunde, in welcher interessante Berichte über Denk- male der alten Kunst und Sitte in Nürnberg sich finden. Sämmtliche bayrische Vereine haben zugleich die Aufgabe, Vorarbeiten für ein künftiges historisch-topographisches Lexi- kon von Bayern zu liefern, und daher mag es wohl aueb kommen, dass in ihren Arbeite^ die Ortsbeschreibung vor- zugsweise bedacht ist.

In dem Nachbarlande Bayerns, in Würtemberg ist der Verein für Vaterlandskunde nicht freier Zusammentritt von Freunden und Forschern der vaterländischen Geschichte, son- dern förmliche Staatsanstalt. Im J. 1820 wurde ein topogra- phisches Bureau errichtet, welches zunächst den Zweck hat, eine gründliche statistisch-topographische Kenntniss des Lan- des möglich zu machen, und der im J. 1822 vom König ge- stiftete Verein für Vaterlandskunde ist nichts anderes als eine Erweiterung dieses Büreau's durch correspondirende Mitglie- der. Beide Anstalten stehen unter dem Finanzministerium, welches unter königlicher Bestätigung die Mitglieder ernennt. Das Organ für Miitheilung der vom Bureau oder einzelnen Mitgliedern angestellten Forschungen sind die im J. 1818 von Memminger gegründeten „Würtembergischen Jahrbücher für vaterländische Geschichte, Geographie, Statistik und Topo- graphie", bei denen jedoch die beiden letzteren Fächer vor- zugsweise vertreten sind, während die eigentliche Geschichts- forschung nur untergeordnete Berücksichtigung findet; doch fehlt es nicht an einzelnen werthvollen Arbeiten auch aus diesem Fache, wie die von Pfaff, Vanotti, Stalin; und jedem Jahrgange wird eine kurze Chronik des letztverflossenen Jah- res beigegeben. Ausser diesen Jahrbüchern wird vom stati-

Zeitschriften Deutschlands. 529

stisch-topographischen Bureau eine Reihe von historisch-to- pographischen Beschreibungen der verschiedenen Oberamts- bezirke herausgegeben, deren Bearbeitung früher vom Vor- stände des Bureaus, Oberfinanzrath v. Memminger, und nach dessen Tode von seinen Nachfolgern, deren mehre sich in sein Amt theilten, gefertigt wurde, die aber jetzt nach Fä- chern vertheilt von den Mitgliedern des Bureaus gemeinschaft- lich besorgt wird. Bereits sind 17 Oberamtsbezirke beschrieben.

Neben dieser Staatsanstalt bestehen in Würtemberg drei Privatvereine für Erhaltung und Sammlung vaterländischer Alterthümer. In Rottweil wurde im J. 1835 aus Veranlas- sung eines neuaufgefundenen römischen Mosaikbodens ein Verein gegründet, der den ausschliesslichen Zweck hat, die dortigen Alterthümer aufzusuchen und zu erhalten. Zu (Jim besteht ein Verein für Kunst und Alterthum in Ulm und Oberschwaben, der im J. 1843 seinen ersten Bericht ausge- geben hat, in welchem hauptsächlich die Erhaltung und Re- stauration des Dimer Münsters besprochen wird. Ein auf ganz Würtemberg sich erstreckender Alterthumsveretn, der sich die Erhaltung, Sammlung und Benutzung der Alterthü- mer zur Aufgabe macht, hat sich im vorigen Sommer in Stutt- gart gebildet, ohne jedoch die eigentlich historische Forschung in den Kreis seiner Wirksamkeit ziehen zu wollen. Dagegen besteht ein anderer Verein in Stuttgart, der für die Literatur dei^scher Geschichtsquellen sehr wichtig werden kann, der sogenannte Hterarische Verein. Er giebt wichtige alte Hand- schriften oder sehene Drucke neu heraus, und so sind bereits mehre ftir die deutsche Geschichte' bedeutende Schriften er- schienen, z. B. Glosener's Strassburgische Chronik, der Codex Hirsffugiensis, Ott Ruiand's Handlungsbuch, die Weingartner Liederhandschrift, und es stehen noch mehre wertfavolle Ge- schichtsquellen in Aussicht. Es wäre zu wünschen, dass be- stimmte' Grundsätze für den Kreis des Herauszugebenden festgestellt würden und sonach die Mittel hauptsächlich der vaterländischen Geschichte und Poesie zu gute kämen.

In Baden, das in allen seinen Landestheilen einen gros- sen Reichthum von Alterthümem besitzt, bestand bis auf die

Zeitsclirift f. OMebielitoir. I. 1844. 34

530 Die historischen Vereine und

neueste Zeit nur ein partieller Verein, die yom Stadtpfiirrer Wilbelmi in Sinsheim im J. 1830 gestiftete Gesellschaft zur Erforschung vaterländischer Altertbümer, deren Thätigkeit beinahe ausschliesslich auf Nachgrabungen gerichtet ist, 19^0— von die Resultate in Jahresberichten mitgetheilt werden. Aus- serdem giebt der ArchivarBader in Carlsruhe unter dem Ti- tel Badenia eine Zeitschrift für badische Geschichte und Lao- deskunde heraus, die aber weniger der gelehrten Forschung, als der Verarbeitung des vorhandenen Materials, oder patrio- tischer Unterhaltung gewidmet ist. Neuestens (1844) hat sich auch in Baden-Baden ein Alterthumsverein mit der Teudenz auf Ausdehnung über das ganze Land gebildet. In der bay- rischen Rhein -Pfalz ist vor einigen Jahren ein historischer Verein gegründet worden, der im vergangenen Jabr seinen ersten Jahresbericht ausgegeben hat.

In Nassau wurde im J. 1821 ein bereits im J. 1811 pro- jectirter Verein constituirt, dessen Tendenz, wie es die Ge- legenheit des Terrains mit sich bringt, hauptsächlich aufAf- tertbumskunde gerichtet ist Der Zweck desselben ist nach den Statuten Sammlung und Beschreibung der römischen und deutschen Altertfaümer, die Beförderung der darauf Bezug habenden geographischen, statistischen und geschichtlichen Aufklärungen, sowie die Sorge ftir die Erhaltung der vor- handenen Denkmale. Die Resultate der Vereinsbestrebungen werden in den „Annalen für Nassauische Alterthumskunde und Gesdiicbtsforschung'^ niedergelegt, welche Archivar Ba- bel redigirt, der überhaupt von Anfang an eine eifrige Thä- tigkeit fiir die Sache des Vereins entwickelte. Der HauptsiU d?r Gesellschaft ist Wiesbaden, wo auch eip Museum von Alt^hUmern errichtet worden ist, das für den Anfang mit den bereits vorhandenen öffentlichen Sammlungen ausgestat- tet und in der Folge durch sehr werthvolle Erwerbungen des Vereines vermehrt wurde. Neuerlich scheint die ein» Zeitlang rege Thätigkeit der Gesellschaft in Stocken gerathen zu sein, wenigstens folg^m die Hefte der Annalen in grossen Zwischenräumen, wie von 1839—1843.

An einem ähnlichen Geschick scheint der im Jahre 1839

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Zeitschriften Deutschlands. 531

entstandene Verein inr Frankfurts Geschichte und Kunst zu leiden. Sein Zweck war nicht sowohl, gelehrte Forschungen anzustellen, als das vorhandene Material zti verarbeiten. Die zwei ersten Hefte des Archivs begannen eine schöne Lösung dieser Aufgabe; eine ausgezeichnete Arbeit des Bürgermei- sters Thomas: Frankfurter Annalen von 793—1300, stellt mit Machweisungen aus Quellen und Urkunden die auf Frankfurt sich beziehenden Data in chronologischer Folge zusammen; aber seit jenen Erstlingen hat der Verein kein Lebenszeichen von sich gegeben, bis zu Anfang dieses Jahres wieder ein reichlich ausgestattetes Heft erschienen ist.

Im Grossherzogthum Hessen wurde im Jahre 1833 unter dem Präsidium des Staatsraths Eigenbrodt ein historischer Verein eröffnet, der durch die persönliche Th'atigkeit seines Stifters sich bald Anerkennung erwarb. Das vom Hofrath Steiner herausgegebene Archiv für hessische Geschichte und Alterthumskunde e|)thält werthvolle Beiträge zur Topographie des Landes; von Eigenbrodt namentlich finden wir eine Reihe von guten Abhandlungen über alte Dynastengeschlechter mit beigegebenen Urkunden.

In Hessenkassel constituirte sich im J. 1834 ein Verein iür hessische Geschichte und Landeskunde. Da hier Forscher wie Bommel, Bernhardi und Landau an der Spitze standen, so erhielt der Verein von Anfang an eine gründlichere wis- senschaftliche Tendenz, von der auch die bis jetzt erschiene- nen Hefte der Vereinszeitschrift zeugen. Der in der ersten Einleitung ausgesprochene Zweck der Gründer ist: über die Geschichte ihres Vaterlandes genauere und umfassendere For- schungen anzustellen, als Einzelne dies zu thun im Stande sind, und durch Mittheilungen über Landeskunde Geschmack ftlr vaterländische Studien zu wecken. Als besonders zu be- achtende Aufgabe der historischen Bestrebungen wird bezeich- net: die sorgfältige Erforschung des inneren Lebens der Staa- ten, der besonderen Verhältnisse, Einrichtungen und Gestal- tungen in der geistigen Entwicklung und Bildung, nebst einer getreuen Darstellung dieser im Stillen wirkenden Kräfte. Es handelt sich also hier nicht von Sammlung bloss ausserlicher

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532 DU hiitorischen Vereine und

Notizen und von antiquarischen Ausgrabungen, sondern yon Vorarbeiten zu einer Geschichte des geistigen Lebens der deutschen Nation. £ine Abhandlung von Gh. v. Rommel B. L 2* über „Hülfsquellen der Landesgescbichte, welche weder zur gedruckten noch ungedruckten Literatur gehören'' giebt treff- liche Winke darüber, wie die Ueberreste der Vorzeit für eine geistige Geschichte auszubeuten sind. Die Natur des Landes, Gräber, römische Schanzen, alte Sagen, Volkssprache, Orts-, namen, alte Sitten und Rechtsgebraucbe, Ruinen und andere Alterthümer werden hier mit besonderer Anwendung aa{ Hessen besprochen und gezeigt, wie sie als GeschichtsqueJlen benutzt werden können. Wenn man nun auch im weiteren Verlauf der Zeitschrift die Erwartungen, welche durch jene Vorsatze und AnPänge erweckt werden, nicht ganz befriedigt findet, so trifft man doch durchgehends Reiträge, die durch; Wichtigkeit des Gegenstandes und gründliche Rehandlung desselben denen der besseren Zeitschriften gleichkommen. Die als Supplement der Zeitschrift beigegebene Monographie G. Landau's über die Rittergesellschaften in Hessen wahrend des 14ten und 15ten Jahrhunderts ist ein sehr willkommener Anfang zur Geschichte der so wichtigen mittelalterlichen £i- nungen. Es ist die erste gründliche Arbeit in diesem Ge- biete, auf welchem erst dann eine erschöpfende Leistung möglich ist, wenn die Urkunden darüber bis auf die frühe- sten Anfänge verfolgt und gesammelt sein werden. Ein zwei- tes Supplement ist die hier zum erstenmale gedruckte hes- sische Chronik von Wigand Lauze, die eine wichtige Quelle Tür die Zeit Philipp des Grossmüthigen bildet. Eine Urkun- densammlung wird von dem Vereine vorbereitet und zunächst ein Verzeichniss sammtlicher gedruckter und in den Archiven befindlicher Urkunden entworfen.

Eine sehr interessante , zum Theil mit Hülfe des hessi- schen und anderer deutschen Vereine zu Stande gekommene Unternehmung ist die vom Ribliothekar Bernhardi in Kassel entworfene Sprachenkarte von Deutschland, worauf die ver- schiedenen provinziellen Dialekte mit ihren Nüancirungen ver- zeichnet sind. Nach des Verfassers ursprünglichem Plane sollte

Zeitschriften Deutschlands. 533

dieselbe ein gemeinsames Untemebmen sämmtiicber bistori- seher Vereine in ganz Deutschland sein und damit die Aus- arbeitung genauer Idiotiken der verschiedenen Mundarten ver- bunden werden. Die Mitwirkung wurde von einem grossen Theil der Vereine zugesagt, jedoch nicht so allgemein und gründlich geleistet, als der Verfasser gewünscht hatte. Im J. •1843 veröffentlichte er nun das Resultat seiner Nachforschun- gen mit der Bitte an sammtliche Sprachforscher und Vereine, ihm zu einer genaueren Ausfuhrung und Vervollständigung dieses ersten Entwurfs, der allgemein mit Beifall aufgenom- men wurde, behülfUch zu sein. Es wäre um so mehr zu wünschen, dass diesem Aufruf Folge geleistet würde, da hier- durch der Anfang zu einem Zusammenwirken der Vereine gemacht wäre, ohne welches kaum bedeutende Resultate der Vereinsthätigkeit zu hoffen sind.

In der Nachbarschaft von Hessen, in Wetzlar, wurde im J. 1834 ein historischer Verein gegründet, an dessen Spitze seit 1836 Paul Wigand steht, welcher den westphälischen Verein gegründet und eine Reihe von Jahren dessen Archiv redigirt hat. Seit 1840 giebt er nun im Namen des Wetz- lar'schen Vereins Beiträge für Geschichte und Bechtsalter- thümer heraus, die im Geiste des früheren westphälischen Archivs die Forschung würdig vertreten, und sich nicht auf provinzielle Geschichte des Wetzlar'schen Bezirks beschrän- ken, sondern auf ältere deutsche Geschichte überhaupt aus- dehnen. Im ersten Band macht der Herausgeber auf die hi- storische Wichtigkeit des Wetzlar'schen Archivs aufmerksam und spricht den Wunsch aus, dass es durch Versetzung in ein passenderes Local vor der Zerstörung geschützt, gesichtet und geordnet, und der Benutzung zugänglich gemacht werde. Möchte dies indessen geschehen sein und die hier befindli- chen Schätze zweckmässig ausgebeutet werden. An interes- santem Material für die Wetzlar'schen Beiträge würde es alsdann nicht fehlen.

Unter die an Denkmalen des Alterthums reichsten Ge- genden gehören die preussischen Bheinlande. Es ist dah^r zu verwundem, dass sich erst in neuester Zeit, aus Veran-

534 Die historischen Vereine und

lassung der im Herbste 1841 in Bonn gehaltenen Philologen- Versammlung ein Verein von Altertbumsfreunden gebildet hat, der sich zur Aufgabe setzt: für die Erhaltung , Bekanntma- chung und Erklärung antiker Monumente aller Art in dem Stromgebiete des Rheins und seiner Nebenflüsse, von den Alpen bis an's Meer, Sorge zu tragen, ein lebhafteres Inter- esse dafür zu verbreiten und soviel als möglich die Monu- mente aus ihrer Vereinzelung in öffentliche Sammlungen zu versetzen. Die Jahrbücher des Vereins, von denen bis jetzt 3 Hefte erschienen sind, enthalten grundliche Abhandlungen von mehren Gelehrten wie Lersch, Düntzer, Paulj, Urlichs, und geben Zeugniss von der soliden Richtung des yerems, bei dem es auf wissenschaftliche Beleuchtung der in den Rheinlanden befindlichen Alterthümer abgesehen ist. Der Stoff theilt sich in Abhandlungen, Miscellen, Recensionen und Chro- nik des Vereins. Die beigegebenen lithographirten Tafeln, die einen wesentlichen Theil der Ausstattung bilden, sind mit Sorgfalt ausgefiihrt.

Auch die benachbarten Moselgegenden haben in St Wen- del und Ottweiler einen Verein für Erforschung und Samm- lung von Alterthümern, der im J. 1839 einen Bericht ausge- geben hat, welcher die gefundenen Alterthümer mit grosser Genauigkeit beschreibt, und ausserdem ist eine historische Zeitschrift unter dem Titel: „Trier'sches Archiv für Vater- landskunde'^ entstanden, die ein Geistlicher J. A. J. Hansen herausgiebt und grossentheils schreibt, welche Ref. aber nicht aus eigener Einsicht kennt.

Den westphälischen Verein und seine bedeutenderen Lei- stungen haben wir schon besprochen. Da dieser sich jedoch nicht auf den Oldenburgischen und Hannoverischen Theil Westphalens erstreckt, so hat sich nun auch fär diese Ge- gend ein besonderer Vereinigungspunkt der historischen For- schung gebildet durch ein Archiv für friesisch -westphälische Geschichte und Alterthumskunde, das unter der Redaction von J. D. Möhimann im J. 1841 begonnen worden ist, und in seinem ersten Bande eine Reihe sehr tüchtiger Beiträge zur friesischen Geschichte enthält.

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ZeUschriften Deutschlands, 535

In Hannover, wo schon früher ein historisches Archiv fiir Landesgeschichte einen Mittelpunkt iur dortige Geschicbts« freunde bildete, wurde im J. 1835 ein historischer Verein für Niedersachsen gegründet, der unter der Redaction von v. Spil* cker und Bronnenberg ein vaterländisches Archiv herausgiebt, das durch gehaltvolle , auch auf die neueren Zeiten sich er«* streckende Beiträge eine ehrenvolle Stelle unter den histori« schen Archiven Deutschlands einnimmt. In diesem Vereine wurde vom Assessor v. Mengershausen der Antrag gemacht, einen allgemeinen Arbeitsplan für die Vereinsglieder zu ent^ werfen, und v. Wangenheim machte darauf aufmerksam, dass es zweckmässig sein dürfte, Gegenstände von einem bestimm- ten historischen Interesse herauszuheben und durch öffent- liche Aufforderung die Thätigkeit der Vereinsmitglieder oder sonstiger Freunde der Geschichte dafür in Anspruch zu neh- men^ während der Verein es übernähme, sowohl die einge- henden Notizen zu sammeln, als dieselben demjenigen, der sich mit einer ausführlichen Bearbeitung eines solchen Ge- genstandes beschäftigen könnte und wollte, mitzutheilen und zu verschaffen. Es wurden sofort beispielsweise wirklich solche Fragen vorgelegt, die sich auf Ermittlung rechtlicher Verhält- nisse in Niedersachsen bezieben. Es wäre sehr zu wünschen, dass derlei Bedürfnisse auch in andern historischen Vereinen zur Sprache gebracht und in erfolgreiche Erwägung gezogen würden; denn wo der historische Eifer beim Allgemeinen stehen bleibt und nicht bestimmte Aufgaben stellt, die erst durch Zusammenwirken gelöst werden können, da bleibt es dem Zufall überlassen, ob etwas Tüchtiges zu Stande kommt, oder nicht; einzelne Mitglieder können sich freilich immerhin be- stimmte Gegenstände auswählen, aber dazu braucht man keine Vereine. Auch eine Urkundensammlung, die in zwanglosen Lieferungen herausgegeben werden soll, hat dieser Verein projectirt, und es ist bereits mit einer Sammlung aus dem Archive des Klosters Heiligenrode der Anfang gemacht worden.

Mit einer bestimmteren wissenschaftlichen Haltung trat auch der Berliner Verein für Geschichte der Mark Branden- burg in's Leben, der sich im J. 1837 constituirte , aber erst

536 Die historischen Vereine und

im J. 1841 seine Arbeiten unter dem Titel „Märkische For^ scbungen" herausgab. Er theilt sich in 3 Sectionen, eine tär Sammlung. und Aufbewahrung geschichtlicher Quellen, eine zweite für Bearbeitung der äusseren und inneren Landesge- schichte, und eine dritte für Sprache, Kunst und Alterthümer. In dem vorliegenden ersten sehr anständig ausgestatteten Bande der Vereinsschriften sind ausser dem ersten Jahres- bericht die in den Monatsversammlungen der 3 Sectionen ge- haltenen Vorträge verzeichnet und eine Auswahl derselbea abgedruckt, die den Geist einer gründlichen wissenschaftli- chen Forschung zeigt.

Ausser diesem brandenburgischen Vereine besteht aucA noch ein altmärkischer für Vaterlandskunde und Industrie ia Salzwedel (Neuhaldensleben], der viele Ausgrabungen veran- staltete, Urkunden sammelte, eine Zeitlang Mittheilungen her- ausgab, aber dermalen sich auf kurze Jahresberichte beschränkt.

Gleiches wie von dem neuen brandenburgischen ist von zwei anderen nordischen Vereinen zu rühmen, von dem Pom— mer'schen und dem Mecklenburgischen. Jener wurde schon im J. 1824 gegründet und giebt seit dem J. 1832 „baltische Studien^' heraus, die sowohl wichtige Materialien, als auch selbstständige Abhandlungen enthalten, z. B. eine Aeihe Be- lationen vom westphälischen Friedenscongress, Mittheilungen über nordische Mythologie von Mohnike, wendische Geschich- ten von Giesebrecht, und eine Pommer'sche Kunstgeschichte, die das Besultat einer Kunstreise ist, welche Franz Kugler im J. 1839 durch Pommern machte, und wobei er überra- schend viele Schätze der Architektur fand. Eine Urkunden- Sammlung wird mit Unterstützung des Vereins und der pom- mer'schen Provinzial- Stände durch Kosegarten, Hasselbach und V. Medem seit vielen Jahren vorbereitet und die erste Lieferung davon ist im vorigen Jahre erschienen. Die Her- ausgeber sorgen dabei nicht nur für einen möglichst correc- ten Abdruck, sondern begleiten die Urkunden auch mit reich- haltigen, sprachlichen und geschichtlichen Anmerkungen.

In Mecklenburg besteht seit 1835 ein sehr rühriger Ver- ein, der 1840 angefangen hat ausser den früheren Jahresbe-

Zeitschriften Deutschlands, 537

richten auch Jahrbücher herauszugeben, welche an dem Ar- chivar Lisch einen in der mecklenburgischen Geschichte eben 50 bewanderten als daiiir eifrig thätigen Bedacteur haben und reichliche Beiträge zur mecklenburgischen Landes* und Volks- . geschidite liefern. Auch hat Lisch im Namen des Vereins bereits 3 Bände grösstentheils bisher ungedruckter Urkunden Jierausgegeben, die viel Merkwürdiges enthalten.

In Kiel entstand im Jahre 1834 ein Schleswig-Holstein- Lauenburgischer Verein, d^sen Organ ein reichlich ausge- stattetes Archiv für Staats.- und Kirchengeschichte von Schles- wig, Holstein und Lauenburg ist. Mit Hülfe dieses Vereins hat Prof. Michelsen ein Urkundenbuch des Landes Ditmar- schen herausgegeben, und später wurde von demselben eine Urkundensammlung der Schleswig-Holstein-Lauenburgischea Gesellschaft für vaterländische Geschichte redigtrt, von der bereits zwei Bände erschienen sind.

In Hamburg ist im J. 1839 ein Verein von Geschichts- freunden zusammengetreten, dessen Vorstand Dr. Lappenberg ist Schon von seiner Leitung dürfen wir eine gründliche Bichtung und ein klares Bewusstsein der Aufgabe erwarten, und dieses bewährt sich auch darin, dass sogleich Sectionen gebildet wurden, nämlich eine historische, statistische, topo- graphische, biographische, artistische, kirchengeschichtliche, juristische, literarische und mercantile. In den ersten Ver- sammlungen hielten die Vorsteher der einzelnen Sectionen Vorträge, in welchen sie auf solche Partien in der Geschichte aufmerksam machten, welche eine genauere Durchforschung bedürfen und lohnen, mehre Arbeiten wurden bereits ver- theilt und zu theilweise gemeinsamer Ausführung übernom- men. In der historischen Section würden z. B. folgende Ar- beiten proponirt: Eine Zusammenstellung dessen, was in alten Chroniken vor der Beformation über Hamburg vorkommt; Auszüge aus den ältesten Erbe- und Beiitenbüchern der Stadt; Bearbeitung der alten Stadtrecbnungen. In der kirchenge- schichtlichen Section: Eine urkundliche Geschichte der Ein- fuhrung der Beformation und der pietistischea Bewegungen; in der literarischen eine Geschichte des Antheils, den Harn-

538 Die kUtorischen Vereine und

bürg an dem AaftchwuDg der Poesie im 17ten und 18ten Jahrhundert nahm. In keinem anderen Verein ist man zu einem so ins Einzelne ausgeführten Arbeitsplan gekommen, wie in dem Hamburgischen, den wir in dieser Beziehung aufs dringendste zur Nachahmung empfehlen möchten. Eine Yer-> einszeitschrifty die alsbald gegründet wurde, enthält ausser den EinleitungSYorträgen mehre Berichte über bereits ange- stellte Forschungen, so von Lappenbei^ über die ältesten Schauspiele, Laurent über das älteste Bürgerbucb^ Krdibe über Hamburgs Theilnahme am schmalkaldischen Kriege. Die Aedaction hat sich zum Grundsatz gemacht^ nur solche Ar- beiten aufzunehmen, welche neue Resultate oder aus bisher unbekannten Quellen eine festere Grundlage für einzelne That^ Sachen geben ; übrigens sieht der Verein nicht diese Zeitschrift, sondern die Sammlung von Materialien für ein bestimmtes Fach und deren Verarbeitung zu einem grösseren Ganzen als seine Hauptaufgabe an.

Lübeck hat in seiner „Geseilschaft für gemeinnützige Thätigkeit" auch eine Section für Geschichtsforschung, die zwar noch keine Zeitschrift gegründet, aber in einem reich- haltigen Urkundenbuch eine noch werthvollere Leistung auf- zuweisen hat.

Unter den nordischen Geschichtsvereinen müssen auch noch einige genannt werden, die zwar nicht dem eigentlichen Deutschland angehören, aber zur germanischen Alterthums- künde ansehnliche Beiträge geliefert haben, nämlich die hi- storischen Gesellschaften in Dänemark und den russischen Ostseeprovinzen. Auf Betrieb des Professors Rafn wurde in Kopenhagen eine Gesellschaft für nordische Alterthumskunde gegründet, deren Hauptzweck ist, alle historischen und an- deren Saga's des germanischen Nordens herauszugeben, zu- gleich aber Alles, was die Geschichte, die Sprachen und AI- terthümer Skandinaviens beleuchtet, zur nähern Kunde zu bringen. Schon in den ersten 5 Jahren ihres Bestehens konnte diese Gesellschaft 24 Bände Quellen der nordischen Saga's herausgeben, und in der Folge dehnte sie ihre Sammlungen auf grönländische und vorcolumbbche Geschichte Amerika's

Zeitichrifien Deutschlands. S39

aus. Gegenwärtig ist wieder eine Quellensammiung für äl- tere Geschichte des nördlichen Europa's im Druck begriffen. Eine Zeitschrift, neuestens „Jahrbücher der nordischen AI- terthümskunde '^ betitelt, erläutert den Inhalt der herausge- gebenen Alterthumsschriften und theilt die von der Gesell- schaft sonst noch angestellten Forschungen mit Da Letztere auch in Deutschland viele Mitglieder zählt, so hat sie vor ei- nigen Jahren für dieselben eine Auswahl ihrer Arbeiten un- ter dem Titel „Historisch-antiquarische Mittheilungen^' druk«- ken lassen, die jedoch nicht in den Buchhandel kamen. Die finanziellen Verhältnisse dieser Gesellschaft, die unter der Protection des Königs steht, sind glänzender als bei irgend einem deutschen Verein, das feste Vermögen derselben be- läuft sich nach dem neuesten Rechenschaftsbericht auf 35,000 Reichsbankothaler. Ausser dieser königlichen Gesellschaft hat sich im J. 1840 in Kopenhagen noch ein anderer historischer Verein gebildet, dessen Zweck mehr auf Quellebstudium der dänischen Geschichte gerichtet ist. Die Zeitschrift, welche Justizrath Molbech als Secretär des Vereins herausgiebt, ent- hält bemerkenswerthe Abhandlungen, besonders von. dem Her- ausgeber: über nationale Behandlung der Geschichte, Beiträge zur Schilderung des dänischen Bauernstandes, über Leibei- genschaft und Ritterthum; von Lersen: eine Geschichte der Reichstage in Dänemark vom 13ten Jahrhundert bis 1660.

Ein lebhaftes Interesse für Geschichtsforschung herrscht in den russischen Ostseeprovinzen, wo im J. 1834 eine Ge- sellschaft für Geschichte und Alterthumskunde entstand, welche in Riga ihren Sitz hat, und die sowohl Erhaltung der Alter- thümer, als historische Forschung sich zum Zwecke setzt. Die Gesellschaftsverfassung ist hier strenger als bei ähnlichen Vereinen in Deutschland. Jedes Mitglied verpflichtet sich nicht nur überhaupt, für die Zwecke der Gesellschaft nach Mög- lichkeit mitzuwirken, sondern ist auch gehalten, an den Sit- zungen, die alle Monate stattfinden, Theil zu nehmen und die Aufträge, welche ihm gegeben werden, auszuführen. Die Zeitschrift der Gesellschaft enthält eine Chronik des verflos- senen Jahres, worin die bemerkenswerthen Ereignisse in den

540 Die hiiiorisciien Vereine und

Ostieeproyinzen znsammengestelit werden, und die eingesand— tea Abhandlungen, soweit dieselben von der Direction des Abnickes würdig befanden worden sind. Eine Bedingung dieser Würdigkeit ist nämlich, dass sie entweder noch dunkle Thatsachen der Geschichte aufhellen, oder durch Neuheit des Inhalts und der Darstellung der Wissenschaft einen Zuwachs liefern, oder auch gesammelt das darbieten, was zu verschie- denen Zeiten vereinzelt erschienen ist. Möchten doch auch andere Vereine fiir ihre Zeitschriften solche Normen aüfsteW len und befolgen.

£s würde uns zu weit fuhren, wenn wir alle historischen Vereine Deutschlands n&her besprechen wollten, vieles müss- ten wir wiederholen, von mehren konnten wir uns auch die Jahresberichte nicht verschaffen. Wir begnügen uns daher, dieselben summarisch anzuführen.

In Leipzig besteht als Fortsetzung der ehemaligen deut- schen Gesellschaft, in welcher einst Gottsched den Vorsitz führte, die übrigens indessen mehrmals, zuletzt im J. 1835, eine Erneuerung erlebt hat, eine Gesellschaft zur Erforschung vaterländischer Sprache und Alterthümer, die sich zwar vor- zugsweise mit Sprachforschung, mitunter aber auch mit To- pographie, Geschichte und Ausgrabungen befasst und einige werthvolle Leistungen au&uweisen hat In Dresden bildete sich schon im J. 1824 ein königl. sächsischer Verein fiir Er- forschung und Erhaltung vaterländischer Alterthümer, der sich später auch urkundliche Forschungen vorsetzte, aber unge- achtet wiederholter Reformen doch zu keinem Gedeihen ge- langte. Neuestens scheint dieser Verein ein literarisches Or- gan bekommen zu haben an dem von Carl Gautsch heraus- gegebenen Archiv fiir sächsische Geschichte und Alterthums- künde.*) In Altenburg ist im J. 1838 eine Geschieh ts- und Alterdiumsforschende Gesellschaft zusammengetreten, die aber bis jetzt noch keine Berichte ausgegeben hat. Ein voigtlän-

*) Vor Kurzem erschien, mit der Jahreszahl 1842, das zweite Heft der „Mittheiiungen'^ des Vereins, als Fortsetzung des im Jahre 1835 herausgegebenen ersten Heftes.

Anm. des Herausg.

Zeitschriften Deutschlands. 541

discher Altertbums verein, im Jahre 183d gegründet, legt sich hauptsächlich auf Nachgrabungen und giebt Jahresberichte und eine Zeitschrift unter dem Titel Variscia heraus; der Henne- bergische, 1833 gestiftet, hat eine ähnliche Tendenz, veran- staltete übrigens auch ein Urkundenbuch, dessen erster Theil, von K. Schöppach redigirt, im J. 1842 erschienen ist. In Görliz besteht seit 1779 eine Oberlausitzische Gesellschaft der Wissenschaften, die vorzugsweise im Fach der Geschichte thätig ist, neuerlich eine Sammlung Scriptores rerum Lusa- ticarum {Görliz I. IL 1839—41) herausgiebt, Urkunden sam- melt, dereq Abschriften bereits 18 Folianten ausmachen, Preis- aufgaben stellt und ziemliche Geldmittel besitzt. In Schlesien hat die dortige patriotische Gesellschaft ebenfalls eine histo- rische Tendenz, und in Sohr's schlesischen Provinzialblättern ein Organ für historische Mittheilungen, das schon werthvolle Arbeiten lieferte. In Königsberg besteht seit mehr als 100 Jahren eine königliche deutsche Gesellschaft, die nach ihrer Stiftungsurkunde die Bestimmung hat, vorzugsweise deutschen Sprachforschungen ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden, aber auch in anderen Gebieten deutscher Wissenschaft thätig ist, und in der neueren von F. W. Schubert herausgegebenen Sammlung ihrer Arbeiten viele zum Theil recht gute histo- rische Abhandlungen zählt.

Im Eifer für historische Forschung steht die deutsehe Schweiz dem übrigen Deutschland keineswegs nach, und hat vor demselben den Vorzug eines planmässigen Zusammen- wirkens. Schon im J. 1812 stiftete der bernische Schultheiss Friedrich von Mülinnen eine geschicbtsforschende Gesellschaft, deren Leistungen in dem schweizerischen Geschichtsforscher, welcher von 1818 1840 von Wyss und Stierlin redigirt in 11 Bänden zu Bern erschien und unter die besten histori- schen Zeitschriften gehört, niedergelegt sind. Im Jahre 1841 wurde jene Gesellschaft als eine allgemein schweizerische neu constituirt und hat nach den Statuten die Bestimmung, die allgemeine Geschichte der Schweiz einerseits durch Zusam- menhalten ihrer Forscher und Freunde überhaupt, sowie ins- besondere der ihr gewidroeten Cantonalgesellsehaften, ande-*

644 Die hisiorischen Vereine und

(6 zur Schweizergeschichte enthielt, aber seitdem wie- der eingegangen ist An seine Stelle traten Beiträge zur va— terlindischen Geschichte, von welchen seit 1839 zwei Bände erschienen sind, deren letzterer namentlich Beitrüge von all— gemein ansprechendem Stoff enthält.

In Oesterreich bestehen' seit längerer Zeit Provinzialtnu- seen für Alterthümer, mit denen Zeitschriften oder Jahres- berichte verbunden sind. So das Johanneum zu Grätz^ das Ferdinandeum zu Insbruck, dessen Curatoren eine neue Zeit- schrift für Landeskunde redigiren, das Museum Francisco- Garolinum zu Lipz, das Beiträge zur Landeskunde von Oester- reich ob der Ens und Salzburg erscheinen lässt, und eine ürkundensammlung vorbereitet. Ueberdies steht noch ein Mu- sealblatt damit in Verbindung, das über Geschichte, Natur, Kunst und Technologie dieser Landestheile berichtet In Wien bestand früher eine historische Zeitschrift, die in 3 verschie- denen Serien und Titeln von Wegerle, von Mühlfeld, Hohler, Ridler und KaKenbeck von 1829*— 37 herausgegeben wurde. Sie enthielt sehr reichliches Material (ur österreichische Ge- schichte, musste aber wegen Mangels an Absatz aufhören. Dasselbe Schicksal hatte der österreichische Geschichtsforscher von J. Ghmel, der einen grossen Reichthum von urkundlichen Mittheilungen und literarischen Notizen darbietet, aber eben dadurch, dass er bloss rohes Material und gar keine Verar- beitung giebt, nur einen kleinen Kreis von Abnehmern und Lesern gewinnen konnte.

Unter den nicht provinziellen Zeitschriften für deutsche Geschichte und Alterthumskunde haben wir mehre, welche den Leistungen der besten Vereine gleich kommen, sie zum Theil übertreffen. Unter diesen ist vor allen zu nennen Haupt's Zeitschrift ftir deutsches Alterthum, die zwar politische Ge- schichte ausschliesst, aber lur Literatur, Sprache, Sitten, Recbts- alterthümer und Glauben der deutschen Vorzeit ein sehr reich- haltiges Archiv bildet und sich für diese Gebiete die gedop- pelte Aufgabe setzt, Unbekanntes dem Gebrauche darzubieten und Vorhandenes oder neu Aufgefundenes wissenschaftlich zu bearbeiten. Die Mittheilung neuen Stoffes ist in der Ausfüh-

Zeitschriften Deutschlands. 545

rung vorwiegend, die wissenschaftliche Haltung in Beitragen beiderlei Art so solid und präcis, dass wir, wenn eine ähn- liche Unternehmung fiir das Gesammtgebiet der deutschen Ge- schichte sich aufthun wollte > ihr diese Zeitschrift zum Vor- bilde empfehlen möchten.

Hormayr's Taschenbuch für vaterländische Geschichte, das bereits seinen 33sten Jahrgang erlebt hat, die Zwecke der Unterhaltung und Forschung miteinander zu vereinigen sucht, und eine reichliche Ausbeute von Materialien darbietet, nimmt eine ehrenvolle Stellung unter den historischen Zeitschriften Deutschlands ein. Eine ähnliche Unternehmung ist Heinrich Schreiber's Taschenbuch für Geschichte und Alterthumskunde Süddeutschlands, von dem übrigens nur 2 Jahrgänge erschie- nen sind, deren werthvoller- Inhalt das Ausbleiben der Fort- setzung sehr bedauern lässt. Ein Versuch, das vorhandene Material der Geschichte Schwabens von höheren Gesichts- punkten aus zu verarbeiten und in einer ansprechenden Form mitzutheilen, wurde von L. Bauer in Stuttgart gemacht in seinem y,Schwaben wie es ist und war'^ Stuttg. 1842, worin wichtige Partien der Geschichte Schwabens, zum Theil auf neue Quellenforschung gestützt, von mehren einheimischen Schriftstellern in einer Reihe von Aufsätzen bearbeitet wur- den. Leider ist es auch hier beim ersten Bande geblieben.

F. V. Baumerts historisches Taschenbuch beschränkt sich nicht bloss auf deutsche Geschichte, und nimmt vorzugsweise solche Beiträge auf, die irgend eine interessante, in sich ab- geschlossene Nebenpartie der Geschichte für die Unterhaltung behandeln. Obgleich die historische Forschung dabei nur ein untergeordneter Zweck ist, so haben wir doch manchem Auf- satz eine Bereicherung der historischen Kenntnisse und eine neue Zusammenstellung zu danken.

Versuchen wir nun nach dieser statistischen Aufzählung der deutschen Geschichtsvereine und Zeitschriften die Besul- täte daraus zu ziehen und uns klar zu machen, was wir ha- ben, was wir vermissen und was wir wollen.

Dass eine rege Thatigkeit für Geschichts- und Alterthums- forschung in Deutschbnd herrsche, dass ein lebendiges In-

Zeitschrirt f. Geschirhtsw. I. 1844. 35

546 Die kUtorischen Vereme und

teresso iur diese Stadien allenthalben verbreitet sei^ davon giebt die Menge der tiberall aufsprossenden Vereine und Zeit- schriften ein unverkennbares Zeugniss. Aber den eigentiichcn Gewinn für wissenschaftliche Erkenntniss der Vorzeit oder für Hebung des Nationalbewusstseins können wir denn doch im Ganzen nicht sehr hoch anschlagen. Mangel an planmäs- siger Leitung, an gegenseitigem Zusammenwirken, und Zer- splitterung der Kräfte lassen es nicht zu erheblichen Erfol- gen kommen. Ein bei den meisten Vereinen ausgesprochener Zweck ist die allgemeine Anregung des Sinnes für Reste der Vorzeit und deren geschichtliche Kenntniss. In dieser Bezie- hung haben sie wohlthütig gewirkt, und schon ihr Bestehen und ihre zunehmende Vermehrung ist ein Beweis, dass der Antheil an Alterthümern und Geschichte im Wachsthum be- griffen sei. Um wie viel besser ist es in dieser Hinsicht jetzt, als vor 10 bis 20 Jahren. Welche Gleichgültigkeit, welche Zerstörungssucht gegen die (Jeberreste des finster« Mittel- alters" herrschte noch zur Zeit der Auflösung des deutschen Beiches selbst bei denen,. welche man zu den Crebildeten zahlte. Wie vieles v^irde damals verschleudert, absichtlich zerstört, geschmacklos modernisirt, was man jetzt als ein Heiligthum aufbewahren und erhalten würde. Für Aufsuchung und Er- haltung der Denkmale des Alterthums und ihre Nutzbarma- chung für die Geschichte haben diese Gesellschaften viel ge- leistet, auf manches alte Denkmal der Baukunst aufmerksam gemacht, dasselbe genauer untersudit und beschrieben, vor Verfall und Zerstörung errettet, zu (kssen Bestauration ¥er- holfen, Sammlungen von Alterthümern angelegt Der thürin- gisch-sächsische, der hessische, nassauische, pommer'sche und rheinländische Verein haben hierin schöne Erfolge aufzuwei- sen, und überall eröfihet sich den Vereinen ein Wirkungskreis, oft handelt es sich noch darum, alte Gebäude den Erspa- rungs- und Zerstörungsplänen subalterner Finanzbeamten, oder modernisirenden Umgestaltungen der Besitzer zu entreissen. Je mehr es gelingt, hochgestellte Männer zu gewinnen, deren Wort Einfluss und Geltung hat, desto erfolgreicher kann die Wirksamkeit eines AJterthumsvemns in dieser Hinsicht sein.

Zeitschriften Deutschlands. 547

Geringer müssen wir die Yerdienste der unterirdischeil Alterthumsforscbung , der Nachgrabungen anschlagen ^ die manche Vereine zur Hauptsache machen. Hier ist das Ge- biet, auf dem sich der Dilettantismus und die Guriositaten- krämerei breit macht, und es ist oft wirklich lächerlich, mit welcher Wichtigthuerei einige alte Scherben, Ringe und Waf- fen, die aus einem Grabe hervorgezogen worden sind, be- schrieben werden, als hätte man die wichtigste Entdeckung gemacht. Wir wollen nicht in Abrede ziehen, dass mitunter interessante Ueberreste des Alterthums dem Boden abgewon- nen wurden, wer wollte verkennen, dass die Ausgrabungen in Pompeji und Herculanum uns das ganze häusliche und gesellige Leben der alten Römer zur Anschauung gebracht und der Alterthumswissenschaft die wichtigsten Aufschlüsse verschafil haben; aber um so reichhaltige Ergebnisse handelt es sich bei uns nicht, sondern meistens um einige alte Ge- fasse, Opfersteine, Ringe und Schwerter, die alle so ziemlich einander gleichen, so dass die Kenner nicht klug daraus wer- den, ob dieselben römischen, celtischen, germanischen oder slavischen Ursprungs sind. Genau betrachtet haben diese Aus- grabungen nirgends zu grossen Resultaten gefuhrt, jedenfalls ist der Werth ihrer Entdeckungen ein bloss secundärer, in- dem sie anderweitige Nachrichten bestätigen, aufgeworfene Vermuthungen bestärken und durch Gombination mit physi- schen und geographischen Verhältnissen des Fundorts einige historische Ausbeute gewähren.

Eine gewöhnlich viel zu wenig benutzte Quelle histori- schen Materials eröffnet sich in den lebendigen Resten der Vorzeit, in abergläubischen Meinungen und Gebräuchen, in Rechtsverhältnissen, alten Sagen und Liedern, in eigenthüm- licben Sitten des Landvolks, in Spruch Wörtern, Redensarten und alten Sprachformen, die sich in irgend einem Provinzial- dialekt erhalten haben. Diese Quellen werden viel zu wenig ausgebeutet, zum Theil weil Diejenigen, welche dem Volke nahe stehen und Gelegenheit zu solchen Beobachtungen hät- ten, nicht die erforderliche historische Bildung und den rech- ten Spürsinn besitzen. Da sollten nun Geschichtsvereine es

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548 Die historischen Vereine und

sich zur besondern Aufgabe machen, Leute aufisusuchen und auizuniuntern» welche Sinn und Beobachtungsgabe für derlei lebendige Alterthümer haben, sie sollten zu Forschungen dar- über Anleitung geben und die örtlichen Gelegenheiten dazu ausmitteln.

Die reichste Ausbeute (ur Geschichtsforschung bleibt frei- lich immer von den geschriebenen Denkmalen der Vorzeit zu erwarten, von Urkunden, Chroniken, Briefen, Gedichten, Flug- schriften. Mit Becht haben mehre Vereine Sammlung und Herausgabe soloher Stücke sich zur Hauptaufgabe gemacht, so der westphälische, der schleswig-holsteinische, der meck- lenburgische, pommer'sche, hennebergische. Die Thätigkeit der Vereine als solcher und der meisten Mitglieder muss sich auf Herbeischaffung der Urkunden aus den verschiede- nen Stadt-, Stifts- und Familienarchiven und auf Zusammen- bringen der nöthigen Geldmittel beschränken. Um den Ur- kunden, die da und dort im Privatbesitz oder sonstwie ver- einzelt sich befinden, auf die Spur zu kommen, ist eine aus- gebreitete persönliche Bekanntschaft erforderlich, txl welcher die Verbindungen des Einzelnen nicht ausreichen; wenn aber Jeder in seinem Kreise nachforscht und sammelt, wenn man namentlich solche Männer, die sich aus Liebhaberei mit Sanr>m- lung von alten Urkunden und Aktenstücken abgeben, oder durch Gieburt im Besitze derselben sind, selbst zu Mitglie- dern des Vereins und für Mittheilung ihrer Schätze gewinnt, kann man weit grössere Vollständigkeit erreichen, als wenn nur ein Einzelner für sich dergleichen unternimmt. Auch (ur Aufbringung der Geldmittel sind die Kräfte eines Vereins nöthig, wenn nicht die Begierungen geneigt sind, die nöthi- gen Summen aus Staatsmitteln beizusteuern, was nicht über- all und nicht immer in der zu wünschenden Ausdehnung der Fall ist Kommt 'es aber nun wirklich zur Bearbeitung, so können nur einige Wenige sich in v die Arbeit theilenund die letzte Bedaction wird am besten von einem Einzigen besorgt. Wcmn eine literarische Arbeit von Mehren gemeinschaftlich redigirt wird, so ist ihr. gewöhnliches Loos, dass sie entwe- der in Stocken geräth, oder die Einheit und Präcision der

Zeitschriften Deutschlands, d49

Ausführung darunter leidet. Die Schriften der gelehrten Ge- sellschaften kommen ohnehin selten ohne einige Verwirrung zur Welt. Fast überall^ wo Vereine mit Glück Urkunden- . Sammlungen herausgegeben haben, sehen wir daher die Sache von einzelnen Gelehrten ausgeführt, so die Schleswig- HoU steinische von Michelsen, die Mecklenburgische von Lisch, die Pommer'sche von Hasselbach und Kosegarten. Bei den Urkundensammlungen zeigt sich nun sogleich ein Hauptge- brechen des Vereinswesens, nämlich die Vielheit und der Mangel an planmässigem Zusammenwirken. . Will jeder par- ticulare Verein seine eigene Urkundensammlung veranstalten, ohne mit den benachbarten Uebereinkunft zu treffen, so müs- sen GoUisionen eintreten; der Spätere will sich von dem Zu- vorgekommenen die Vollständigkeit nicht stören lassen, an- derswo will man das in seinem Plan gestörte Unternehmen lieber gar nicht mehr ausfuhren, und so wird ein Theii der Urkunden zwei und dreimal, ein ariderer gar nicht abgedruckt. Derlei GoUisionen traten zwischen der Lübecker und Schles- wig-Holsteiner Sammlung, zwischen der des westphSlischen Vereins und Seibertz Geschichte Westphalens ein, und wer- den bei den meisten particulären Unternehmungen der Art eintreten und um so häuGger wiederkehren, je mehr diesel- ben vervielfältigt und eine zweckmässige Verständigung ver- säumt wird. Weniger Gefahr der GoUision ist bei den selbst- ständigen Geschichtsquellen, die ihrer Natur nach eine ver- einzelte Herausgabe zulassen, wie z. B. Chroniken, Rechts- bücher, Denkmale der Poesie. Der Antheil des Vereins ist auch hier die Wahl des Stoffes, die Beischaffung der Geld- mittel, das Auflinden der nöthigen Handschriften und alten Drucke; Sache des Einzelnen, den der Verein damit beauf- tragt, ist dagegen die Vergleichung und Revision des Textes und die Beigabe der nöthigen Erläuterungen. Es wäre zu wünschen, dass die Vereine häufiger als es bisher geschehen, durch Herausgabe von einzelnen Geschichtsquellen, die grade in ihrem Bereiche sich finden und ihren Interessen nahe lie- gen, ihren Beitrag zur Geschichtsforschung lieferten. Hier kann die Vielheit der VcreiM weniger schaden. Einige h^ben

560 Die hißiarischm Vereine und

sehr sdiätzbare Gaben dieser Art geboten, so B. der Gor- lizer seine Sammlung Scriptores rerum Lusaticarum, der Bamberger den Renner Hugo's von Trimberg, der Kurhes- siscbe Lauze's Chronik» der Schleswig-Holsteinische altdith- marsche Rechtsquellen, der Kopenhagener die grosse Samm* lung der nordischen Saga's. Möchten doch andere Vereine diesem Beispiele folgen. An Städtechroniken, Statutarrechten, alten Bechnungsbüchern, die für Handels- und Vermögens- Yerhiltnisse eine sehr wichtige, noch lange nicht genug be- nutzte Quelle bilden, und anderem dergleichen ist noch ein reichlicher Stoff vorbanden, der des Aufsuchens und Abdrucks werth wäre.

Für Mittheilung kleinerer Stücke unverarbeiteten Mate- rials, sowie selbststandiger Bearbeitungen einzelner Partien der Crescbichte, dienen die Zeitschriften und Jahresberichte, die auch der unbedeutendste Verein nicht entbehren zu kön- nen meint An diesen Unternehmungen kann man denn am besten sehen, ob wissenschaftlicher Ernst in einem Vereine herrscht. Wir mussten oben, bei Betrachtung der Veteiae im Einzelnen, manchen das Zeugniss geben, dass ihre Zeitschrif- ten werthvolle Beiträge «zur vaterländischen Geschichte lie- fern und von einer wissenschaftlichen Bichtung zeugen. Na- mentlich vom westphälischen, thüringisch-sächsischen, ober- bayrischen, kurhessischen, niedersächsischen, brandenburgi- schen, pommer'scben, mecklenburgischen, hamburgiscfaen gilt dieses. Von andern dagegen kann man es weniger nihmeD, in einigen herrscht das Unbedeutende gar zu sehr vor, und selbst in den bessern läuft Manches mitunter, was für die Geschichte, d. h. für die Fortbewegung des Lebens, für die geistige Ent- wicklung des Volkes, von gar keinem Belang ist Manche Laien nicht nur, sondern auch mitunter Gelehrte vom Fache, sind in dem Irrthum befangen, jede wenn auch noch so aus- serliche Notiz aus. alten. Zeiten habe geschichtlichen Werth, und diesem Vorurtheil haben wir es zu danken, dass sich der Hi- storiker durch einen Wust von Literatur durcharbeiten und eine Masse lesen muss, ohne erhebliche Ausbeute zu gewinnen. Mit solch unnützem Krame, der «ussieht wie Geschichte, aber

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Zmtschriften Deutschlands. 551

es in der That nicht ist, werden bSulig auch die Zettschrifteo der historischen Vereine gefiilit Man missverstehe uns ja nicht, als woUten wir die Einzelheiten gering schätzen, o nein, wir wissen recht gut, dass eine geringfügig scheinende Notiz, ei- nige Zahlen aus einem Bechnungsbuch, ein trockenes Ge^ richtsprotokoll oft mehr werth ist, als eine lange Abhandlung mit kunstreichen Gombinationen oder philosophischen Ueber- blicken. Aber darin bewährt sich der historische Takt und der .scharfe Blick fiir das geistige Leben, dass man das Wich- tige herauszufinden weiss.

Besonders wichtig fiir die Geschichte sind alle Notizen, welche von den rechtlichen, sittlichen, religiösen Zuständen und Verhältnissen eines Volkes oder einer Gegend Zeugniss geben, Gerichtsgebräuche> Klagen und Bestrafungen, Sitten* Züge, Luxus, Volksfeste, Ueberreste alt heidnischen Glaubens und ihre Vermischung mit dem christlichen Cultus. So weit von diesen Dingen in der Gesetzgebung Notiz genommen wor-^ den ist, hat man wohl Kunde davon, aber wie sich das ge- schriebene Gesetz im Leben ausgebildet, was das freiere Spiel des Geistes hinzugethan, das findet den Weg nicht so leicht in die Bücher, sondern muss in seinen zerstreuten Spuren, die hin und wieder zufällig übrig geblieben sind oder einen bleibenden Einfluss auf die Verhältnisse ausgeübt haben, durch eine verständige Beobachtung auigesucht werden. Eine solche an Ort und Stelle anzuregen und zu leiten wäre nun eine Sache fiir historische Vereine. In der kurhessischen Zeitschrift wird in einer trefi'lichen Abfaahdiung v. BommePs Anleitung dazu gegeben, in den Jahresberichten des Bezatvereins finden wir Auszüge aus Gerichtsbüchern, Studien über Häuserin- schriften, V. Hormayr hat in seinem Taschenbuch fiir vater- ländische Geschichte eine stehende Bubrik fiir solche Notizen aus dem Volksleben; aber in den meisten Vereinsschrifien sucht man derlei vergebens, findet dagegen desto mehr Be- schreibung todter Alterthümer und Büchergelehrsamkeit. Was nun erstere betrifil, so wurde schon oben die einseitige Bich- tung auf's Ausgraben gerügt, die Berichte darüber füllen ei- nige Vereinsschriften, z. B. ^e Sinsheimer, beinahe ganz, und

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ein grosser Theil davon möchte unier den Vorrath von Ma- terialien zu reebnen sein, die für die Geschichte nur wenig Ausbeute geben. In diese Classe gehört auch manche von den in den Vereinsheften abgedruckten Ortsbeschreibungen , die oft nur bei einer rein äusserlichen Berichterstattung über Archäologie, Genealogie und äussere Lebensgeschicke der Besitzer stehen bleiben. Sollen topographische Mittheiiungen für die Geschichte wichtig werden, so müssen sie sich durch- aus auf Begebenheiten und Zustände einlassen, die sich au die Oertlichkeit knüpfen.

Unter die werthvoilsten Beiträge der historischen Zeit- schriften gehören unstreitig die Urkunden. Einige der bes- seren Yereinsschriften, wie z.B. das westphälische Archiv und die Thüringer Mittheilungen, verdanken ihren Werth zum Theil den darin abgedruckten Urkunden. Aber auch unter den Uriiunden giebt es manche, die wenig Werth für die Geschichte haben, und häufig bekommen sie erst die rechte Bedeutung, wenn sie mit andern aus derselben Zeit und Um- gebung in einem Urkundenbuche vereinigt erscheinen. Auf der anderen Seite will es auch für den Charakter einer Zeit- schrift nicht recht passen, wenn sie mit Urkunden angefüllt ist, denn in einer Zeitschrift sucht man doch zeitgemasse Verarbeitung und nicht . rohes Materiak Man würde daher wohl besser thun, die Urkunden in der Begel für vollständige Sammlungen aufzusparen und sie nur dahn in Zeitschriften mitzutheilen, wenn sie einer Abhandlung als Beleg dienen, oder grade einen neuen Aufischluss über eine besonders wich- tige Thatsache geben. Jedenfalls sollten aber Urkunden oder andere Materialien zur Geschichte immer mit einer Einfüh- rung begleitet werden, welche die historische Umgebung ver- gegenwärtigt, und die wissenschaftlichen Ergebnisse des neuen Fundes andeutet. Hierdurch wird dem Freund der Geschichte der rohe Stoff geniessbar gemacht, dem Mann vom Fache die Benutzung erleichtert, überhaupt aber den wissenschaftlichen Anforderungen unserer Zeit entsprochen, die überall eine geistige Durchdringung des Stoffes verlangt. Es kommt noch eine andere Bücksicht hinzu, w'^lche eine ansprechende Be-

Zeitschtifien Deutschlands, 553

handlungsweise zur Pflicht macht, nämlich die auf Belebung des Na^tionalbewusstseins. Denn man studirt und cultivirt Geschichte nicht bloss lim einen Drang der Gelehrsamkeit zu befriedigen, sondern um durch die Erinnerung an die Tha* ten, Geschicke und Zustände der Vorfahren das Volks- und Stammesgefuhl zu nähren ; das geschieht aber durch trockene Materialiensammlungen, die der Laie nicht liest, keineswegs. Häufig werden solche Zumuthungen mit Berufung auf die Würde der positiven Wissenschaft abgewiesen. Die Wissen- schaft, sagt man, wolle urkundliche Thatsachen, kein Räson- nement; objective Wahrheit, keine subjective Färbung; un- parteiische Darstellung, keine Parteipolitik. Aber das Alles will der verständige Freund der Geschichte und des Vater- landes auch nicht, und jene Einwendungen sind oft nur die Ausflüchte der gelehrten Pedanterei und der Trägheit, die sich die beschwerlichen Zumuthungen der fortschreitenden Zeit und einer tieferen Auffassung des Lebens kn Namen der Wissenschaft vom Leibe halten möchte. Eine anspre- chende Form der Darstellung ist freilich nicht eines Jeden Sache, doch bleibt es allgemeine Pflicht, sie als Forderung an sich zu stellen.

Betrachten wir nun die Leistungen unserer historischen Vereinszeitschriften, so werden wir die meisten auf einem Standpunkte finden, auf welchem das Bedürfniss dieser hö- heren Wissenschaftlichkeit und Popularität noch nicht einmal ernstlich zur Sprache gekommen ist. Selten findet man sorg- fältig durchgearbeitete Abhandlungen, welche die Resultate gründlicher Quellenforschung in geschmackvoller Darstellung vorlegten. Man meint häufig, für eine Zeitschrift sei unver- arbeitetes Material oder nachlässig hingeworfene Fragmente gut genug, oder glaubt gar in gelehrter Vornehmheit, man brauche sich nicht zu den Ansprüchen eines durch ästhe- tische Leetüre verwöhnten Publicums herabzulassen. Selbst die besseren thun wenig, um ihre Stoffe durch zweckmässige Bearbeitung dem allgemeinen Interesse näher zu bringen. Die Vernachlässigung dieser Seite rächt sich dann freilich auch durch die geringe Theilnabiiie des Publicums, die kaum ei-

554 iM0 kUiarii^AeH Vereim und

oen Absatz möglicb macht, der zur Deckung der Druckkosten hinreicht 9 geschweige dena erlaubte» auf Ausstattung und Honorar etwas Ansehnliches zu verwenden. Dazu kommt nun, dass durch die Menge der historischen Zeitschriften der Absatz sehr getheilt wird, üeberhaupt ist es zu bedauern, dass die literarischen und pecuniären Kräfte für das Gebiet der historischen Forschung ungemein zersplittert werden, so dass am Ende keine von den vielen Zeitschriften etwas Tüch- tiges leisten und ein wirksames Organ fiir die Geschichtsfor- sdiung werden kann. Auch (iir die Aufbewahrung des Ma- terials ist schlecht gesorgt, wenn dasselbe in mehr als 50 verschiedenen Zeitschriften zerstreut ist, das einzelne Werth- volle verliert sich unter der Masse des Unbedeutenden, und wenn man sich auch die Mühe nicht verdriessen lassen wollte, sich durch die zahllosen Hefte der vielen Archive, Jahrbücher und Jahresberichte durchzuarbeiten, so ist es beinahe unmög- lich, sie eintgermaassen vollständig zusammenzubringen. Selbst bedeutenderen öffentlichen Bibliotheken in Deutschland ist nicht zuzumuthen, alle diese vielen Provinzialarchive anzih- schaffen, und gewiss wird man sie nirgends vollständig bei- sammen finden. Es wäre wohl der Mühe werth, dass Jemand den zerstreuten Stoff nach wissenschaftlichen oder localen Rubriken geordnet verzeichnete. Vor einiger Zeit wurde ein Unternehmen dieser Art vom Bibliothekar Dr. Walther in Darmstadt angekündigt; möchte dieser doch bald das löbliche Werk zur Ausführung bringen und die hierzu nöthige Un- terstützung finden. Für die Zukunft ist aber eine Verminde- rung der historischen Zeitschriften fiir deren Gedeihen sehr zu wünschen. Man sage nicht, es sei ja grade erfreulich, dass das historische Studium in unserem Vaterlande so zunehme, und dass allenthalben Organe desselben entstehen. Wir wol- len die Zeichen des regen Eifers und guten Willens nicht verkennen, aber zu viel ist zu viel. Es wäre ganz schön, und sowohl im Interesse der Specialforschung, als in dem des Stamm- und Nationalbewusstseins wünschenswerth, dass etwa jeder Stamm seinen eigenen Vereinigungspunkt für seine hi- storischen Bestrebungen hätte. Sachsen, Wostphalen, Rhein-

Zeitschriften DeutsMands. 555

ländeFi Franken, Bayern, Schwaben, halten billig zusammen, um die Geschichte ihres Stammes anzubauen, und gründen Vereine für ihre Forschungen und Alterthumspflege. Aber bei diesen natüiiicben Einungs* und Sonderungsgninden sollte es dann auch bleiben und nicht die vielfach wechselnden po-^ litischen Eintheilungen zu weiterer Ver?ielfältigung berech- tigen. Braucht denn jeder Kreis, jedes kleine Fürstenthum oder ehemalige Bisthum einen eigenen Verein, eine eigene Zeitschrift, ein besonderes Urkundenbuch? Die Materialien werden unnöthig vervielfältigt, Leute, denen es an Vorkennt- nissen und wissenschaftlichem üeberblick fehlt, häufen in gutgemeintem Eifer Notizen und Mittheilungen, die entweder längst ausgebeutet sind, oder nicht viel Ausbeute gewähren. Alle diese Uebel, an denen die Unternehmungen der Ver- eine kranken, würden zwar nicht ganz gehoben, aber doch sehr vermindert werden, wenn nur jeder Stamm oder jedes grössere Land einen eigenen Verein hätte. Es wäre schon viel gewonnen, wenn nur die verschiedenen obersächsischen, niedersächsischen, rheinischen, fränkischen u.s. w. je zu ei- nem Vereine verschmolzen würden. Wie aber die verschie- denen Stämme ein deutsches Volk ausmachen, in nationalen Angelegenheiten zusammenhalten und einen Einigungspunkt suchen sollen, so sollten auch die verschiedenen provinziellen Vereine sich miteinander verbinden zu gemeinsamen For- schungen und Unternehmungen. Zu einem deutschen Ver- eine sollten sie zusammentreten, aus ihrer Mitte einen Aus- schuss von Männern bewährter wissenschaftlicher Tüchtigkeit und nationaler Gesinnung wählen, der die Arbeiten im Gros- sen leitete, Aufgaben stellte und jedem Vereine seinen An- theil zuwiese. Eine damit zusammenhängende Zeitschrift müsste ein Gentralorgan bilden, Berichte von der Wirlisam- keit der einzelnen Gesellschaften in sich aufnehmen, eine Ucbersicht über den Stand der Forschung und die wissen- schaftlichen Bedürfnisse verschaffen, die gewonnenen Resul- tate sammeln. Ein Vorgang, der zu einem derartigen Ver* such ermuthigen könnte, ist die allgemeine geschichtsfor- schende Gesellschaft der SiJiweiz, die auch die verschiedenen

556 DU historischen Vermne und

Gantonalgesellschaften in sich vereinigt und ihre Jahresberichte aufnimmt, ein die ganze Schweiz umfassendes Regestenwerk veranstaltet und andere gemeinsame Unternehmungen beab- sichtigt Die Verhältnisse in Deutschland sind nun freilich etwas verschieden von denen der Schweiz, das Land weit grösser, das politische Band zwischen den einzelnen Staaten loser, der Gemeinsinn geringer, aber doch wollen wir die Hoffnung nicht ganz aufgeben, dass einmal etwas Gemeinsa- mes in Deutschland zu Stande komme und so ein schwacher Anfang der Einheit Deutschlands wenigstens auf dem Gebiete der Wissenschaft sich verwirkliche. Referent weiss nicht, ob die Idee eines solchen Gesammtvereins (ur deutsche Geschichte ausführbar sein wird, aber er denkt sich die Sache etwa fol-. gendermaassen. Eine Anzahl von Geschichtsfreunden, die sich in wissenschaftlichem Streben und nationaler Gesinnung be- gegnen, tritt zusammen, verstandigt sich über die zu lösende Aufgabe, erlässt an die Vorstände der bestehenden Vereine eine Aufforderung zum Beitritt, die Gesammtbeit derselben wählt dann einen Ausschuss, der sich über die zu unterneVi- menden Arbeiten besprechen, den einzelnen Vereinen ihren Geschäftskreis zuweisen, oder die freiwillig angebotene Ar- beit in ihre organische Verbindung mit dem Ganzen einrei- hen müsste. Als Beispiel wie gemeinsame Arbeiten ausgeführt würden, mag Bernhardi's Sprachenkarte dienen. Hier hätte z.B. der Ausschuss sämmtliche Vereine zu beauftragen, die Dialekte ihrer Heimath in ihren Eigenthümlichkeiten und Uebergängen genau zu erforschen, die gesammelten Notizen an den Urheber der Idee einzuschicken, der dann die ein- zelnen Ergebnisse zusammenstellte und zu einer Gesammt- übersicht und Entwicklungsgeschichte der Dialekte verarbei- tete. Oder es handelt sich darum, die Materialien zu einer deutschen Rechtsgeschichte zu sammeln, deren Etitwicklung auf den vielfältigsten örtlichen Verhältnissen und den daraus entspringenden Modificationen beruht, aus deren allseitiger Beachtung erst ein wissenschaftliches Resultat gezogen wer- den kann. Wäre nun ein Gentral-Geschichtsverein vorbanden, so könnte dieser in den verschiedenen Provinzen und Städ-

Zeitschriften Deutschlands. 557

ten Statutarrechte, Wetsthümer und Gerichtsgebräuche sam- meln, alte Gerichtsprotocolle und Urtele excerpiren lassen, und so die nöthigen Notizen über provinzielle Eigenthümlich- keiten, und den Zusammenhang mit Volks- und Stammcha- rakter erforschen. Auf diese Weise könnte man auch zu den Materialien einer Geschichte der mannigfaltigen Städte-, Rit- ter- und Fürsten -Einungen und Landfriedensbündnisse ge- langen, wenn ein Vereinsausschuss in allen Städte-, Landes- und Adels-Archiven die nöthigen urkundlichen Nachsuchun- gen anstellen Hesse, vermittelst deren man jene Bündnisse bis zu ihren ersten Anfängen und vielfachen Verzweigungen verfolgen könnte, und dadurch bekäme man über einen we- sentlichen Bestandtheil des mittelalterlichen Staatslebens und über die Natur des deutschen Reichs tiefere Aufschlüsse.

Dieser Vereinsorganismus würde sowohl der deutschen Geschichtsforschung als dem einzelnen Gelehrten bedeutende Vortheile gewähren. Dem Vereine wäre es möglich erheb- liche Resultate zu erzielen, indem er die literarischen Kräfte von ganz Deutschland in Anspruch nehmen und auf einen Punkt concentriren könnte, der einzelne Gelehrte dagegen könnte auf energische Unterstützung, auf Vermittlung des Zu- tritts in Archive, erforderliche Geldmittel und Veröffentlichung der Ergebnisse seiner Studien in einer weitverbreiteten Zeit- schrift rechnen. Vielleicht aber machte sich die Sache besser ohne eine förmlich constituirte Gesellschaft, die leicht etwas Schwerfälliges haben und der nöthigen Einheit ermangeln würde. Der freie Zusammentritt einiger Historiker, von de- nen jeder in seinem Kreise die nöthigen Verbindungen an- knüpfte, wäre für die Leitung einer Zeitschrift, welche die Einheit der historischen Forschung in Deutschland vermitteln könnte, wohl zweckmässiger. Bei einer solchen würde es sich nicht bloss um Sammlung von Materialien handeln, sondern um eine kritische Bewältigung und wissenschaftliche Verar- beitung des bereits vorhandenen Stoffes. Nicht nur manche Frage der Kritik ist noch zu lösen, sondern es ist auch die zu einer künstlerischen Anordnung nöthige Uebersicht erst zu gewinnen; vor der MjMse des Individuellen und Partien-

ii^ Die hUtoriiehen Vereine und

Itlrcn erkennt man die Ideen, die sieb durch das Ganze hin- durcbziebcn, die Wendepunkte, in welchen der Knoten ge- schürzt, gelöst oder zerfaauen wurde, nicht deutlich genug, man ist nicht klar daräber, wie die Gebrechen der Gegen* wart mitunter notbwendige Resultate der früheren Verwick- lungen sind, man weiss noch nicht die verborgenen Anfange der jetzt zu Tage gekommenen Strömungen am rechten Orte aufzusuchen. Eine politische und sociale Physiologie nnüsste Licht und Zusammenhang in unsere Geschichte bringen und eine Philosophie der Geschichte möglich machen, unter der wir freilich kein abstractes Schematisiren verstehen, sondern eine objective firkenntniss des geistigen Lebens, das den äus- seren Erscheinungen zu Grunde liegt. Zu Lösung dieser Auf- gabe mitzuwirken dürfte jenes Gentralorgan Tür deutsche Ge- schichtsforschung nicht von sich abweisen, wenn es den For- derungen der deutschen Wissenschaft entsprechen wollte.

Es fragt sich nun, ob gegenwärtige Zeitschrift tar Ge- schichtswissenschaft, die sich freilich zunächst ^n umfassen-* deres Gebiet vorgesetzt hat, nicht die eben entwickelte Aut- gabe, nämlich die, einen Yereinigungspunkt der historischen Vereine und der deutschen Geschichtsforschung überhaupt zu bilden, zu der ihrigen machen wollte. In den Männern, die an der Spitze stehen, vereinigen sich eben die Erfordernisse, auf die es hier hauptsächlich ankommt: vertraute Bekannt- schaft mit dem inneren Leben unserer Vorfahren, mit Recht, Sitte, Glauben und Sprache, umfassende Kenntniss der Ge- schichtsquellen, vollendete Meisterschaft der Darstellung und nationale Gesinnung, aufs schönste. Ihnen könnte es am ehe- sten gelingen, durch ihre Autorität einen heilsamen Einfluss auf Art der Forschung, Kritik und Auffassung zu gewinnen. Die Mittel, durch welche jene Aufgabe zu lösen wäre, wür- den sich aus Tendenz und Bedürfniss von selbst ergeben. Abhandlungen, kritische Uebersicbten, mehr an Stoffe als an Büchertitel anknüpfend» kurze kritische Berichte über die Thä- tigkeit der vorhandenen Vereine, Entwürfe, Anfragen müss- ten wohl die Hauptformen seini in welchen auf Erreichung des Zieles hingearbeitet würde. Di» Mittheilung von Urkun-

Zeitschriflen Deutschlands. 559

den und anderen arcbivali sehen Aktenstücken müsste sich auf besonders interessante Stücke beschränken und es fragt sich» ob es nicht besser wäre, auch diese besonders hierfür be- stimmten Sammiungen zu überlassen. Eine solche könnte etwa als unabhängiges Supplement mit der eigentlichen Zeitschrift in Verbindung gesetzt werden. Ware einmal durch ein sol- ches Gentralorgan für Zusammenhang der Vereine, oberste Leitung ihrer Arbeiten, Kritik der Forschung, wissenschaft- liche Behandlung und nationale Auffassung gesorgt, so möch- ten immerhin die einzelnen Gesellschaften ihren provinziellen Standpunkt festhalten, sich in die Geschichte ihrer Heimath vertiefen, und so durch Specialforschung ihren Beitrag zum grossen Ganzen liefern. Das Vorhandensein einer tüchtigen allgemein verbreiteten historischen Zeitschrift würde schon von selbst die Zahl der übrigen vermindern, die sich nicht durch eigenthümliche Leistungen unentbehrlich zu machen wüssten. Je mehr kleinere Bezirke sich an stammesverwandte grössere anschlössen und so der Kreis der Mitarbeiter und Theilnehmer grösser und gewählter würde, desto eher wären glückliche Erfolge und bedeutende wissenschaftliche Ergeb- nisse zu hofTen. Dazu gehört aber auch, dass die Forschun- gen nicht sowohl auf todte Alterthümer^ als auf Spuren des politischen und socialen Lebens ausgehen, sich weniger um Erbauungszeii der Städte und Burgen, den Vl^echscl ihrer Be^ sitzer und die Folge ihrer Geschlechter kümmern, als um ihre Einungen und Sonderungen vom Gemeinwesen, um ihre In- teressen und Bestrebungen. Auf Alles, was einen Keim zur Entwicklung in sich trägt, auf rechtliche Verbältnisse, sitt- liche und religiöse Zustände, auf die verschiedenen politi- schen und socialen Lebensformen müsste nmn seine beson- dere Aufmerksamkeit richten. Dann würden die Vereinsarchive schon von selbst interessanter werden, Leser und Abnehmer finden, die Wissenschaft und das nationale Bewusstsein fordern.

Tübingen.

Dr. Klüpfel.

560 IHe higtorischem Vereine und

Nachwort des Herausgebers.

Die in dem vorstehenden Aufsatze in voller Unabhängig- keit geäusserten Wünsche veranlassen uns zu der Erklärung^ dass eine denselben möglichst entsprechende Wirksamkeit von vornherein in unserm Plane lag. Das als Prospect ausgege- bene Vorwort zum ersten Heft enthielt S. XI nach dem Schluss des ersten Absatzes ursprünglich folgenden Passus:

yySoll unser Unternehmen , wie wir es sehnlich wün- ,, sehen, einen wahrhaften Yereinigungspunkt alier Bestre- „bungeii deutschen Geistes auf dem Gebiete der Geschichts- ,9 Wissenschaft bilden, äo muss es sich nothwendig auch zu „einem Centralorgan aller historischen Vereine und Gesell- „Schäften unseres Vaterlandes gestalten, soweit dieselben productive oder reproductive Zwecke verfolgen. Dies kann „zunächst nicht anders geschehen, als durch fortlaufende „Mittheilungeu über ihre Leistungen und Absichten, und „daher ersuchen wir dieselben dringend, uns durch regef- „massige üebersendung gedruckter oder schnftVicVieT Be- „richte hierzu in den Stand zu setzen.^' Allein im letzten entscheidenden Augenblicke glaubten wir diesen Paragraphen vorläufig unterdrücken zu müssen, theils um nicht scheinbar Huldigungen darzubringen wo wir in Wahrheit Opfer heischen, theils um nicht mehr zu verspre- chen, als wir halten zu können überzeugt waren, nicht Er- wartungen zu erregen, deren Verwirklichung nur zu leicht an dem Mangel dessen scheitern konnte, was vor Allem dazu nötbig wäre jene Einigkeit im Wollen und im Handeln, die ja leider in unserm Vaterlande bis jetzt noch ein Uto- pien ist Auf keinem Gebiet des gemeinsamen Lebens gleicht Deutschland einem Individuum von Fleisch und Blut, von Kopf und Herz, sondern einzig nur den disjectis mem- bris poStae; daher nirgend ein wahrhaftes Zusammenwirken, überall ein disharmonisches Gewirre von Bestrebungen, über- all unselige Splitterrichterei» Kann oder wird es auf dem hier in Bede stehenden anders, sein? Mag die Zukunft diese Frage beantworten; was wir unsei« Theils zu ihrer glückli-

Zeitschriften Deutschlands, 561

chen Lösung beitragen können, wollen wir freudig thun; keine Mühe, kein Ungemach, keine Widerwärtigkeit soll uns verdriessen. Doch mögen wir uns vor Uebereilung hüten, da- mit nicht um so sicherer misslinge, was mit der Zeit viel- leicht wenigstens reifen kann. Für jetzt und nachdem der Torstdiende Aufsatz im Wesentlichen unsere Grundsätze aus- gesprochen, so dass unsere Erklärungen nunmehr nach kei- ner Seite hin zu falschen Folgerungen Anlass geben können, woUen wir jenen Paragraphen insofern in Kraft setzen, als wir uns zunächst zu gelegentlichen kritischen Berichten über die Leistungen der einzelnen Vereine anheischrg machen. Wir hoffen indessen, dass wir nicht genöthigt sein werden, hier- bei für immer stehen zu bleiben.

NTotlz ttber die kretiseben Mnoten.

Um den Raum nicht unbenutzt zu -lassen, möge hier eine Vermuthung Platz finden. Die Bezeichnungen der Sklaven und Hörigen bei den Griechen drücken in den meisten Fällen sprachlich das Abhängigkeitsverhältniss au». Sollte nicht auch der Name der (LivtSrat [(Mv^trai) in Kreta, gleich denen der dtpaiuMSrai und xXocpiura« daselbst, auf das Yerhältniss ab- hängiger Grundbesitzer hindeuten? Wie nämlich slKwvriq von einem Particip siXtiis, so könnte wohl auch /uLvwTriq von ei- nem Particip hlvwq herkommen, das seinerseits ebenso von Hiivw (^uxvw) gebildet sein würde, wie ö/liwq von Si/Liu) ((fbc juoo)). Die M noten wären demnach die auf den Staatsbe- sitzungen als Leibeigene Verbleibenden oder Verblie- benen, die glebae adscripti, die Lassen des Staats. Dachte man doch auch bei der Ableitung des Namens der Penesten schon im Alterthum an niivaivl Auch erinnert der Ausdruck „mansionarius^' für den steuerpflichtigen Hüfner oder Colo- nen, wie mansus (a, um) für Hufe^- an die gleiche Abstammung.

Adolph Schmidt

ZeiUchriA f. GescUcbtsw. 1. 1844. 35

Researches in Äsia minor, Pontus, and Ärmenia ; with some account of their antiquities and geology by William X HamiltOD, Secretary to the geological society. In two voluraes. London 1842. 8. Reisen in Kleinasien, Pon- tns und Armenien, nebst antiquarischen und geologiscben Forschungen von W. J. Hamilton. Deutsch von Otto Schomburgk, uebst Zusätzen und Berichtigungen vonH. Kiepert und einem Vorworte von Carl Ritter.

Leipzig 1843. 2 Bde. 8.

Kleinasien, dessen Küsten nur sehr mangelhaft, dessen Inneres aber bis auf die neueste Zeit mit alleiniger Aasnahme der Hauptstrassen fast gar nicht bekannt und beachtet wor- den war, hat besonders in dem letzten Jahrzehend die Auf- merksamkeit europäischer Reisender erregt, und EngVduder, Franzosen und Deutsdie haben dieses fiir den Historiker und Alterthumsforsoher nicht weniger als für den Geographen wichtige Land in verschiedenen Richtungen durchstreift, und die Resultate ihrer Forschungen zum Theil schon durch den Druck veröffentlicht. Unter diesen gebührt unzweifelhaft eine der ersten Stellen dem Verfasser des vorliegenden Reisewerks W. J. Hamilton, dessen vielseitige gründliche Bildung in den verschiedenen Zweigen der Naturkunde, namentlich der Geo- logie, dessen historische, philologische und antiquarische Kenntnisse, und dessen unermüdlicher Eifer, gepaart mit der grösstmöglichen Umsicht und Genauigkeit ihn vor vielen An- dern dazu berechtigten und beflihigten, das Gebiet der Lan^ derkunite zu bebauen und zu erweitern. Eine den Englän- dern niehr als Andern inwohnende Lust zu reisen, theiis durch ihre vielfachen Bezidmngen zu allen Theilen der Erde, theiis auch durch eine beneidenswerthe äussere Lage bedingt und hervorgerufen, und der lebhafte Wunsch, ein Land zu

Researches in Äsia minor, Pantui and Armenia; etc. 5fö

Jl>esuoheni welches ihm Gelegenheit zu Entdeokungen darbot, bestiaimte den Verfasser grade diese Gegenden zu dem Ziele seiner Wanderung zu machen; und in der That konnte er wohl kaum eine glücklichere Wahl treffen, welche, wie das Werk zeigt, von dem glänzendsten Erfolge gekrönt worden ist Passend hat er dabei die Form und den Styl seines Ta** gebuchs beibehalten, wodurch die Darstellung an Lebendig-^ keit und Interesse gewinnt, wenn gleich, wie der Verfasser selbst in der Vorrede bekennt » eine gewisse Monotonie da-» hei nicht zu vermeiden ist Sein Hauptaugenmerk war auf vergleichende Geographie, auf Untersuchung der Ruinen und auf genaue Bestimmung der Lage der Oerter nach astrono* mischen Beobachtungen gerichtet, wozu er sich in den Ietz<* len 3 bis 4 Monaten vor seiner Abreise gehörig vorbereitet iiatte« Bald iiberzeugte er sich, dass die bisherigen Karten dieses Landes im höchsten Grade uncorrect und völlig un^ brauchbar waren, und sparte deshalb weder Zeit noch Mühe, dieselben in den Theilen der Halbinsel, welche er durchreiste, BU berichtigen. In steter Rücksicht darauf hielt er, abgese-^ hen von einem sehr speciellen Tagebuche, ein genaues Itine*^ rariukn, in welches er die Zeit der Abreise und» den Compass stets in der Hand, die Richtung des Weges so wie jede Ver* äpdemng, zuweilen 20 25 in Einer Stunde, mit Bemerkun* gen über die physische Structur des Landes eintrug. Eine Probe ton diesem Itinerarium, welche das Werk eines Tages darstellt, findet sich in dem Anhang Vol. IL p. 397. Die grösste Sorgfalt wendete der Verfasser nach seiner Rückkehr auf die Gonstruirung der beigefügten Karte, indem er die ganze Rdse in verjüngtem Maassstabe mit Hülfe des Gapitän H. G. Ha» milton aufzeichnete, die genauen und glaubwürdigen Angaben von Ainswortb, Fellowes, Brant, Ghesney und Andern bei* fügte, die westlichen Küsten insbesondere nach den unter den Gapitans Gopeland und Graves aufgenommenen treffii- eben Seekarten berichtigte, und dann das Ganze zur Vollen** düng und Vervollständigung an Mr. J. Arrowsmith übergab. Nächstdem nahm insbesondere die Geologie einen gros-* sen Theil seiner Zeit in Anspruch, und fast jede Seite seines

36*

564 Researches in A$ia minor, Pantus and Armema;

Werkes giebt Zeugntss von den in dieser Beziehung von ihm angestellten lehrreichen und gründlichen Beobachtungen«

In Gesellschaft von Mr. Hugh Edwin Strickland, einem ebenfalls tüchtigen Naturforscher, namentlich Ornithologen und Entomologen, welcher sich bereitwillig fand ihn zu begleiten, aber leider schon zu Anfang des nächsten Jahres genötbigt war nach England zurückzukehren, yerliess der Verfasser den

4. Juli 1835 sein Vaterland, besuchte zunächst einige vulka- nische Districte Frankreichs, um einen Typus zu haben, mit welche» er die den Berichten Strabo's und neuerer Reisen- den zufolge in vieler Beziehung ähnliche Katakekaumane Kleinasiens vergleichen könnte, und reiste dann über Turin nach Triest, wo er den 24. August anlangte. Da das Pakei- boot von da nach Korfii nicht vor dem 1. September abgehen sollte, so benutzten die beiden Reisenden einen Theii der Zwischenzeit, um die Grotten von Adelsberg, sowie die Queck- silber-Minen und Werke von Idria zu besichtigen, wovon

5. 2 sqq. eine genaue Beschreibung liefern. Nach einer vier- tägigen Fahrt erreichten sie Korfu den 5. September, wo ein anhaltendes Fieber seines Reisegefährten Herrn Hamilton nö- thigte 3 Wochen zu verweUen, und ihm Gelegenheit gab, die Insel nach verschiedenen Richtungen hin zu durchstreifen. Den 26. September fuhren sie von da nach Sta Maura und den folgenden Tag nach Kefalonia, wo sie ebenfalls einige Tage blieben, um die merkwürdigsten Oerter daselbst zu be- sudien. Den 3. October segelten sie nach Ithaka, und von da nach einem dreitägigen Aufenthalte nach Patras, wo sie, kaum gelandet, sich bald von der Unpopularität der Bayern überzeugten. Von hier reisten sie über Korinth nach Athen, wo Herr Hamihon in Folge eines Fieberanfalls 10 Tage das Zimmer hüten musste, und gelangten nach zwei stürmischen Nächten auf einem Dampfboot den 31. October früh nach Smyrna. Bakt* nach seiner Ankunft ergriff Herrn Hamilton das Fieber von Neuem, welches sich nun zu einem regelmäs- sigen Wechselfieber gestaltete. Dieses, und die nun einge- tretene ungünstige Jahreszeit oöthigte die beiden Reisenden ihren Aufenthalt in Smyrna zu veriängern, und sie benutzten

mih some account of their antiqukies etc. 665

die Monate November und December zu geologischen Aus- flügen und antiquarischen Forschuhgen in der Umgegend. So besuchten sie an einem schönen Oecembertage die an der Nordostspitze der Bai befindlichen cyklopischen üeberreste und die Gräber bei Burnubat, von denen eins als das des Tantalud bezeichnet wird; Eine sehr umständliche Beschrei- bung derselben pag. 47 sqq. mit genauer Berücksichtigung der hierher bezüglichen Steilen der Alten macht es mehr als wahrscheinlich, dass dies die Ruinen des alten Smyrna, und nicht, wie Texier meint, die des alten Sipylus sind. In der Hoffnung, durch eine Seereise die letzten Spuren des Fie- bers zu verlieren, schloss sich Herr Hamilton Ende Decem- ber einer mehrwöchentlichen Kreuzfahrt an, welche zunächst nach Athen gehen sollte, ihn aber in Folge der widrigen Winde zuerst nach dem alten Phokaa, jetzt „Fotscha'^ nach Herrn Kieperts Berichtigung (nicht Fouges, wie der Verfas- ser schreibt) genannt, dann nach dem Kap S. Angelo, der Südostspitze von Morea, und von da erst über Athen und. Syra den 27. Januar nach Smyrna zurückbrachte. Da die un- günstige, rauhe Witterung noch fordauerte, so schifften sich die beiden Reisenden nach Konstantinopel (den 20. Februar) ein, wo sie bis zum 22. März verweilten. Nun endlich hatte sich das Wetter gemildert; sie kehrten nach Kleinasien zu- rück und begaben sich über Mudaniah nach Brussa. Von hier aus schlugen sie einen den europäischen Reisenden noch völ- lig unbekannten Weg ein, um den Lauf des Rhyndakus bis zu seinen Quellen bei Azani zu verfolgen, und von da nach Smyrna zurückzukehren. Sie besuchten zuvörderst den See von Apollonia, an dessen Südende (nicht Südostende, wie die bisherigen Karten angaben) der Rhyndakus einmündet, und wendeten sich dann nach dem Städtchen Kirmasli, an den Ufern dieses Flusses gelegen, von wo sie einen Ausflug nach den 3 4 engl. Meilen nordwestlich liegenden Ruinen. zurJia- mamli machten, welche ihnen die Stelle der von Ptolemäus erwähnten Stadt „Germe" oder JMem Germe" zu bezeich^ nen schienen. In dem District von Adranos, wohin sie nun kamen^ fanden sie abermal^lluinen einer Stadt, in denen sie

566 Reiearckes^m A$ia minor, Ponius and Armema;

naek der Aehniichkeil des Districtnamen^ die von Hadriani sn finden glaubten. Sie gingen nvn über Azani, dessen Rui* nen schon von Texier ausfiihrlich beschrieben worden sind^ iBid GhieMiK nach Ushak. Einige dort befindliche Marmor- fragmente, welche nach der Aussage der Bewohner von dem 6 Stunden östlich entfernten Dorfe Ahat Kieui gekommen sein sollten, bewog sie, dahin einen Abstecher zu machen, und sie entdeckten dort grossartige Ruinen, welche sie für die von Trajanopolis hielten. Aus einer in dem Dorfe Segikter südwestlich davon aufgefundenen griechischen Inschrift er- kannten sie, dass der alte Name dieses Ortes nicht Eukarpia, wie Arundell glaubt, sondern „Sebaste^* gewesen ist; und weiterhin hatten sie Gelegenheit den Namen „Klanudda*% weloben derselbe Reisende den Ruinen von Suleimanli giebt, m „Blaundus^* zu rectificiren. Sie erreichten hierauf die Ka- takekaumene und langten über Kula, Adala, Sardis in Smyma den iL April an.

Herr Striokiand musste nun nach England zwräckkehren^ und Herr Hamilton, ungewiss welche Richtung er jetzt em— schlagen sollte, lebte einige Zeit in dem Dorfe Bumubat, bis die Nachricht von der Ankunft eines nahen Verwandten ibn den 6. Mai nach Konstantinopel rief. Hier entschloss er sich «ehre Freunde nach Trebisond zu begleiten, und von da über Erzerum nach Kars und bis zu den Ruinen von Ani (nicht „Anni", wie der Verfasser schreibt) vorzudringen Nach einer dreitägigen Fahrt auf einem Dampfboot kamen sie den 23. Mai nach Trebisond. Hier erhielt Herr Hamilton die Gopie einer griechischen Inschrift, welche schon vollständiger nebst 2 andern und einer ausfuhrlichen Beschreibung der Stadt und ganzen Küste der Mechitharist Minas Bsheschkean in seiner vulgär-armenisch geschriebenen und 1819 zu Venedig edirten V, Darstellung der Umgebungen des schwarzen Meeres ^^ ge- geben hat

Die Reise von Trebisond über Erzerum nach Kars bie- tet wenig Neues dar, sowip auch die Ruinen von Ani nebst einer vollständigen Geschichte dieser grossen, unglücklichen Stadt insbesondere von dem elwen erwähnten Minas Bshesch-

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M>iih some account of $heir €mtiqflitie$ eie* 567

kenn in meiner »,Reise nach Lebastan etc.** Yen. 1830. 8. aus- fubrlich dargestellt worden sind. Auf der Rückkehr aber von Kars nach Trebisond schlug Herr Hamilton einen den Europäern noch unbekannten Weg ein, welcher ihn über Bardes durch die Gebirge nach Ispir und von dort an das schwarze Meer bei Rizeh fuhren sollte; in Ispir jedoch sah er sich in Folge der beunruhigenden Nachrichten über den Weg von da nach Rizefa gehöthigt» den Tschorok entlang bis Baiburt^ und dann auf der ihm schon bekannten Strasse nach Trebisond zurück- zukehren. Er benutzte diese Route, um die Silberbergwerke van Gümischkhane zu besichtigen, und giebt S. 234 sqq. eine detaillirte Beschreibung derseften, wobei wir nur bemerken, dass eine Ocka nach genauer Berechnung nicht 2i Pfund, wie der Verf. annimmt, £»>iidern 2 Pf. 34 Lth. enthält.

Von Trebisond reiste Herr Hamilton zu Lande die Küste entlang, und fand bei TireboU (Tripoli) die Argyria des Ar- rian, welche schon Minas Bsheschkean 1. 1. p. 55 sq. ebenda- selbst 3 ital. Meilen von d^r Stadt erwähnt Er ging sodann über Kerasun, das alte Pharnakia, nach Ordu, in welchem er die Stelle des alten Kotyora wieder zu erkennen glaubte, und kam bei dem Gap Jasun vorbei nach Fatsah und Unieh in das Land der Chalybes, wo er zu seiner Freude die Eisen-* schmieden und Bergleute entdeckte, welche ihn in ihrem gan- zen Thun und Treiben an die uralten Chalybes erinnerten. Bei Thenneh kam er in das Land der Amazonen, und ging über den Kizil Irmak (Halys) und Tschobanlar Tschai (Evar- chus], wobei er die Städte und Flecken Samsun (Amisus], Kum-* dschaas (Konopium), Tscbai Ak Su (Zagora) und Gherseh (Karusa) berührte, nach Sinub (Sinope), in Betreff dessen wir ebenfalls auf die Beschreibung von Minas Bsheschkean 1. L p. 41 sqq. verweisen. Hier veriiess Herr Hamilton die Küste und wendete sich landeinwärts südöstlich über Boiävad nach Yizir Köpri, dessen Alterthümer, wi^ derselt)e p. 329 sq. jeigt, falsofalich die Steile des alten Ga^elQn bezeichnen sollen, nach Miksar (JNepcäsarea), in welchep ^f mit Mannest auch das alte Kabira zu find^q glaubt Ton hier aus ging s^ine Reis^ wifid^r siidwestlicb über ^/äium^oek (Kooiaiia Pantica) naob

568 Reiearckes in A$ia minor, Ponius and Ärmenia;

Tokat, worüber Indschidschean in seiner „Beschreibung des neuen Armeniens'' Venedig 1806. pag. 289 sqq. nachzulesen ist Derselbe giebt die Bevölkerung dieser Stadt abweichend Yon Herrn Hamilton, aber offenbar zu hoch, auf ungefähr 16000 Häuser an, unter denen etwa 2600 armenische, 300 griechische und wenige jüdische, die übrigen sämmtiich tür- kische sein sollen. Auf dem Wege yon Tokat nach Amasia kam der Verf. über Turkhal (Gaziura), Zilleh (Zela) und über das berühmte Schlachtfeld, wo G^ar über Phamaces> König Yon Pontus siegte. In Amasia hielt er sich 3 Tage auf, um die Merkwürdigkeiten der Stadt zu besichtigen, welche pag. 366 sqq. beschrieben werden. Von hier aus wendete er sich nach dem westlich gelegenen und bisher noch von keinem Europäer besuchten Tschorum, in welchem er das alte Ta- vium zu finden hoffte, fand sich jedoch in seinen Erwartun- gen getauscht und entdeckte dasselbe nach vielem vergebli-r eben Suchen südlich davon in dem Flecken Bogbaz KiöL Die Reise ging nun in westlicher Richtung über Akdscbab Tasch, dessen Ruinen ihm die Stelle von „Kome*^ zu bezeich«- neu schienen (vergl. Kieperts Berichtigung zu S. 378), nach Engüreh, dem alten Ancyra, wo ein lltagiger Aufenthalt ihm zum ersten Male Gelegenheit gab, die Bevölkerung etwas nä- her kennen zu lernen und interessante Beobachtungen, na- mentlich über die dort lebenden Armenier, die katholischen wie die schismatischen, zu machen. Yon hier kam Herr Ha- milton südwestlich über Sevri Hissar, Bafa Hjssar, das alte Pessinus, Alekiam, welches er für das alte Orcistus erkannte, und Hergan Kaleh, das alte Amorium nach Afiom Kara His- sar. Hierauf ging er in der Richtung von O. S. O. nach Ja- lobatsch, um dort die Ruinen von Antiochia zu besuchen, sodann den See von Egerdir entlang über Egerdir westlich nach Isbarta, in dessen Nahe er die Ruinen des alten Saga- ' lassttsbemerktCj^ entdeckte nordwestlich davon in demFlek- ken Deenair das ake Apamea Gibotus, und in dessen Nähe die ersten Quellen des Ma^ander wie des Marsyas, fand west- lich davon bei Ghonos (Ghonae) die Ruinen von Kolossae, HierapoKs und Laodicea, femer ijei dem weitern Verlaufe

füiih some aecount of iheir anti^[mties etc. 569

seiner Reise die von Tripolis, Antioehia ad Maeandrum, Nysa und Ephesus, und traf den 21. October in Smyrna wieder ein. Dies der Inhalt des ersten Theiles. Der zweite beginnt mit dem Beriehte einer kleinen Seereise > zu welcher Herr Hamilton von einem Landsmann aufgefordert, die Wintermo- nate Yon Ende November bis Mitte Februar benutete. Aueh diese gab ihm Gelegenheit zu interessanten Entdeckungen in den Ruinen von Ritri, dem alten Erytfarä, von Teos, wo er sich 14 Tage aufhielt, von Aisaluk (Ephesus), wohin sie einen Ausflug zu Lande machten, von Budrum (Halikarnas- sus), auf Rhodus, wo er die Lage der alten Städte Lindus, Kamirus und Jalysus, so wie die Stelle, auf welcher derKo- loss gestanden hat, bestimmt, und auf Syme. Von dem 14. Februar bis 16. April, dem Tage seiner Rückkehr, verweilte er mit wenigen Ausnahmen in Smyrna, um sich zu seiner Reise nach Kappadocien vorzubereiten, ging dann nach Kon- stantinopel, um einen neuen Ferman sich auszuwirken, da die Zeit des bisherigen abgelaufen sein sollte, und hatte dort das seltene Glück die Aja Sophia und die Moschee des Sul- tan Ahmed besichtigen zu dürfen. Den 24. Mai verliess er die Hauptstadt wieder, in der Absicht zuvörderst die geolo« gischen Verhültnisse der Katakekaumene zu untersuchen, wel- che er im vorigen Jahre nur schnell durchflogen hatte, so- dann zu dem grossen Salzsee in der Mitte Kleinasiens zu reisen, und den Berg Argaeus zu besteigen. Er wendete sich zuerst nach Mudaniah, von da südwestlich nach dem See von Abullionte, dem alten Apollonia am Rbyndacus, und dann an dessen nördlichem Ufer entlang über CJlubad (Löpadion) in nordwestlicher Richtung nach Bai Kiz (Kyzikus) und Erdek (Artace). Von hier beschloss er den Lauf des Macestus bis an seine Quellen zu verfolgen, und reiste demnach meist süd« lieh nach dem See von Maniyas, an dessen westlichem Ufer er in dem freundlichen Dorfe Kazakli eine Kosaken-Golonie antraf, über Maniyas, welches er Gk das alte Poemanenus erkannte, bis Singerii, sodann öiidich bei heissen Quellen vor- bei nach Simaul, in welche er die Stelle des alten Synaus entdeckte , so wie di^ bei dem benachbarten Kilisse Kiöt

570 Reiearcke9 .in Asia umor, Ponius a»d Armeaia;

(^Kirchdorf *') geftandeni^n RuiBen ihn ttberzeuglen, dass dort das phrygische Aocyra geitaoden habe. In dem dicht dabei gelegenen See fand er auch den Ausgangspunkt des Iface*- fttus. Nach einem zweitägigen Aitt gelangte er zu dem säd- südöstlich von Simaul gelegenen Kula, und somit in die Ka- takekaumene, welche er bei einem achttägigen Aufenthalt nach allen Richtungen durchstreifte und durchforschte , wobei er zugleich Gelegenheit hatte, die Ruinen zweier Städte Maeo- nia (in Megne) und Saittae (in Sidas Kaleh) zu entdecken. Hinsichtlich eines ausfiihrlichem und genauem Berichtes über diesen vulkanischen District verweist der Verfasser auf die 1, Verhandlungen der geologischen Gesellschaft^^ (neue Folge Bd. VI. p. 18 sqq.). Er beabsichtigte nun zun'äckst den Lauf des MXander zwischen seiner Verbindung mit dem Lykus in der Ebene von Hierapolis und Ischekli genauer zu untersu- chen, und reiste von Kula bis Demirdschi Kiöi in südöstli-' eher, von da aber in nordöstlicher Richtung ober Ischekli (Eumenia), Emir Hassan Kiöi (Euphorbium), Sarran (Acari-* dos Come) bis Afiom Kara Hissar, in dessen Mähe et die SteWo des alten Synnada bezeichnete. Hier wendete er sich wieder sifdöstlich an der Westseite des See's von Ak Scheher vor-* bei» in dessen Nähe er die von Xenophon (Anab. 1. 9, 13) er- wähnte Quelle des Midas entdeckt zu haben glaubt, nadi Ak Scheher (Philomelium), von wo er auf geradem W^e nach dem grossen Salzsee von Kodsch Hissar zu gelangen hoffite; allein da dieser Theil des Landes im Sommer last ganz un- bewohnt ist, so sah er sich genöthigt zuerst eine südöstliche und dann wieder eine nordöstliche Richtung zu verfolgen. Dieser Weg brachte ihn über Ilghun (Tyriaeum), Ladik (Lao- ^ea combusta) und über das halb verfallene Konieh (Ico- nium), wobei er interessante Bemerkungen über den Zug des jungern Cyrus von Apamea bis zu dieser Stadt nach Xeno- phon giebi, nach Kara Bunar, in welchem Orte er das aJte BaraUbra zu erkennen ^ubte, und dann wieder nordöstlich nach Ak Serai, welches er td^ die Stelle des alten Archelais bezeichnete. Ein Abstecher vcta^da nach dem nahen Dorfe Halvar Dere, am Fasse des Hassan ,4la|[b zeigte ihm die Rui-

wiih some accauni of their aniif$iiHes ele; 571

nen einer Stadt, welche sieb ibm als die von Nazianz dar- stellten. Indschidsehean 1. 1. p. 318 ist der Meinung, dass Na-* zianz an der Stelle des Fleckens Sinason, westlich von Kai^ serieh zwischen Indschesu und Nigdeh gestanden habe. Herr Hamilton wendete sich von Ak Serai nordwestlich, und reiste den Salzsee entlang bis Kodsch Hissar, von wo er in südösf-- Ucher Richtung über Nemb Scheher, Urgub, wo er die merk- würdigen Felsenhöhlen in Augenschein nahm, nach Kaiserieh (Caesarea) ging, dessen Häuserzahl ihm zu 10,000 angegeben wurde, während Mr. Brant 8000, Macdonald Kinneir aber 5 6000 angeben. Indschidschean 1. I., welcher p. 312 sqq. eine genaue Topographie dieser Stadt giebt, zählt 6000 tür- kische, 2000 armenische und 1600 griechische Häuser. Von hier machte Herr Hamilton einen Ausflug nach dem nahen Dorfe Nirse oder Nyssa, um die wunderbare Fontaine zu sehen. Dort ist die Kirche des heiligen Gregor, von welchem er p. 265 sagt, dass er nach der Angabe der Armenier ein Bruder des Basilius magnus gewesen und von ihnen der ar«-» menische Gregor genannt würde. Das Letztere ist aber un- richtig, da die Armenier den Bruder des Basilius M. stets, wie die Griechen, Gregorius Nyssenus nennen, und behaupten, dass dieses Dorf an der Stelle des alten Nyssa stehe. Gf. In- dschidschean 1. 1. p. 316. Herr Hamilton bestieg hierauf den Erdschisch Dagh (Mons Argaeus), und reiste südwestlich bis Karaman (Laranda), wobei er unterwegs Soanli Dere als das alte Soandus, Andaval als Andabalis und Kiz oder Kilis His- sar als Tyana bestimmte. Hier wendete er sich wieder west« lieh, und war so glücklich bei Olu Bunar die Ruinen von Isaura zu finden. Von hier ging die Reise wieder nordwest- lich über Bey Scheher und an der Ostseite des See's (Gara- litis) entlang über Kereli (Garallia) nach Ak Hissar, sodann über Olu Borlu (Apollonia) in raschen Märschen, weil über- all die Pest furchtbar wüthete, Ischekli, Allah Seheher, Sar- dis etc. nach Smyrna, wo Herr HamiMoii den 25. August wie- der anlangte, und damit seine' Reisen und Forschungen in Kleinasien beendigte. ßeide Theile sind mit lithographi- schen Darstellungen dgjMftteressantest^n und merkwürdigsten

572 Re$0arches i^Aria minor, P^mius and Armema^

Laiid8€liaften geziert; am Scbluss des Ganzen sind in meh- ren Anhängen Bemerkungen zu einzelnen Berichten, die An*-* gäbe der einzelnen Beiserouten und der von ihm bestimmten Breiten, eine Probe seines Itinerariums, und endlich die zahl- reichen (455) von ihm mit der grösstea Genauigkeit copirten griechischen Inschriften beigefiigt, welche letzteren schon zunn Theil in das Corpus inscriptionum mit aufgenommen wor- den sind. Zu bedauern ist nur, dass er die vielen armeni- sehen, arabitehen und persischen Inschriften, welche er in dem östlichen , Theile Kleinasiens besonders vorfand, nicht (Unfalls copirt hat

Aus diesem kurzen Referat, in welchem wir mit Ueber- gehung der geologischen Verhältnisse, welche er nirgends zu untersuchen und zu bemerken unterlassen hat, fast aus- sdbliesslich die grossentheils neuen Bestimmungen der Lage alter Ortschaften berücksichtigt und angegeben haben, ohne auf die gelehrten üntersuchung^i des Verfassers einzugehen, geht schon zur Genüge die Wichtigkeit dieses Werkes her- vor; und wir müssen es dem Herrn Schomburgk grossen Dank wissen, dass er dasselbe in einer getreuen, fliessenden und von einem empfehlenden Vorworte des- Herrn Prof. G. Bitter begleiteten (Jebersetzung auch dem deutschen Publi- cum zugänglich gemacht hat Auch diese hat die beiden dem Originale beigeftigten Karten, einige der Lithographien, und ausserdem noch in beiden Theilen gelehrte Bemerkungen und Berichtigungen des Herrn Kiepert, welcher selbst einen Theil von Kleinasien bereist, und sich vorzugsweise mit der Geo- graphie dieses und der angrenzenden Länder seit längerer Zeit beschäftigt hat

Da der Druck der [Jebersetzung unmittelbar nach Er- scheinung des Originals bewerkstelligt werden sollte, so ist diese Beschleunigung, und vielleicht auch die Entfernung des "Herrn üeborset^^firp von dem Druckorte die Ursache einiger Auslassungen, MissvBr^ndnisse und Druckfehler geworden, welche letzteren theilweise, aber nicht vollständig am Ende des zweiten Theiis angegeben sind. > ^o ist das, was der Verfas- ser Tom. L p. 16 sq. über Sir Homnüc^ '^^^B^^ sagt, in der

mth some aecouni of ikmr antkp^ij^ eie. 573

Uebersetzung übergangen worden. p. 29 der Uebersetznng steht y,yiele griechische Stifdte'^ statt „vier griech. St" cf. p. 20. e. four. p. 26. e. 480,000 L. wofür p. 34. d. 490,000 Pf. St. p. 35. e. one drachme equal to seyenpence cf. p. 42, 4. 1 Drachme d. i. einen halben Schilling. p. 47, d. Anm. Noct. Att. VIII, 10, für XVm, 10. cf. p. 41, e. p. 49, d. bei „Etwa 50 Schiffe" ist ausgelassen „von englischen Häfen" cf. p. 43, e. p. 56, d. Anm. XVI, 1. für XIV, 1. p. 86. Anm. Kap. 61 für Kap. 64. p 112 u. 113, d. mehre Male „n. Chr." statt „V. Chr." p. 116, d. u. s. w. the Lower Empire Bas Empire, das byzantinische Kaiserthum] stets übersetzt durch „das sinkende römische Reich." Die Anmerkungen p. 116 . und 117 sind verwechselt p. 120, d. 7i für 6f p. 139, d. „10 ü. 40 M." für „10 ü. 30 M." p. 160, d. ist Gümisch- khane zweimal für den Fluss dieses Namens genommen, be- zeichnet aber hier (cf. p. 166, e.) die gleichnamige Stadt p. 200, d. „N. 0." für „N. W." p. 202, d. „rein östlich" für ,.rein westlich." p. 215, d. „15—50" für „6—50". p. 224, d. „360 Okes" für „3600 Ocka's". p.225, d. „Silber 7600 Piast" für „SUber 7500 Piast" p. 252, d. fehlt die Anm. „Xen. Anab. V, 5." p. 254, d. „10 Stunden" für „18 Stun- den." — p. 255, d. Anm. „c. 115" flir „c. 116." p. 262, d. „N. W. bei W." för „N. W. bei N." p. 276, d. „3 Meilen" für „2 Meilen." p. 286, d. „N. u. N. W." für W. u. N. W.'' p. 287, d. „Kap. 93" für „Kap. 83." p. 294, d. „von mehr als 100 Fuss" (ur „of several hundred feet (p. 316, e.) i. e. von einigen Hundert Fuss." p. 301, d. „ein ziemlicher Wagen voll" für „eine grosse Aehre"; der Uebers. las p. 323, e. un- ten „car" statt „ear." p.305, d. „S.S.O." fiir „O.S.O." p. 308, d. ist die Berechnung in der Anm. nicht ganz rich- tig, da 1 Piaster den Werth von 2 Silbergroschen hat, auch sind 2i penny nicht == 8 Pfennige, sondern 2 Sgr. 1 Pf.» wie Ham. richtig angiebt p. 310, d. „Softa -ein Mönchsorden" soll heissen „eine Art Mönche"^. 333, e. „a kind of monkish or religious order"); es bezei^net eigentlich Studirende, die sich zum geistlichen Stan^^ ausbilden. p. 312, d. und 336, e. ist ein historischer InTlhüm : Mahmud II. war der jüngst ver-

574 . . ^Erklärmg in Beiregt

gtorbeiie Padiachah; es ioll hier ohne Zweifel heissen Maho«- met U. oder Mehevmed (i. e. Muhammed) 11«, welcher den Beinamen Fetih >,der Sieger oder siegreiche^' erhielt, aicht Fetik, wie im Original und Uebersetzung steht p. 315, cL ?«• statt 75V p. 324, d. „S. S. O." für „O. S. O.'' p. 325, d. „in den Schriften des Gregorias Thaumaturgus '' für ^in den Schriften des Gregorius Nyssenus» in der Biographie des Gregorins Thaumatnrgus.'* p. 331, d. „altmodischen Schrein'^ für naltmuhammedanische Kapelle/' p. 335, d. „2W für „200a" p, 348, d, „100 oder 500 Pf. St." für „100 Beu- tel oder 500 Pf. Sf Die p. 454, e. gegebene Bescbrei- bong des Zuges Yon Alexius nach dem Berichte der Anna Comnena fehlt in der Uebersetzung p. 417. TU. IL p. 84, du „eine feine Metallmünze'^ für „eine schöne Kupfermünze"; im Englischen steht p. 84: a ßne brass coin. etc.

Petermann.

Erklärung in Betreff der Literarischen Zeitung.

Als mir der Arlikel des Herrn Dr. Brandes in No. 34 der LiU Ztg. za 6esichi gekommen war, schrieb ich demselben unterm 7. Mal folgenden Brief:

„Ew, WobIgeb4Mnen haben in No. 34 der L. Z. mich betreffende Tbau sachen anders dargestellt, als sie sich zugetragen.

„Sie erwähnen daselbst eines Unheils über den Aufsatz des Herrn 8<duiiidt, das Sie von einem Gelehrten sich verschafll und „dessen Resul- tat" mir (dem Referenten Über die beiden ersten Hefte der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft) „mUgetheilt worden^, das ich aber „nicht in seiner ToUen Schfirfe aufgefasst oder wiedergeget)en habe.'' Aus dieser ErUfirung ist offenbar die Andeutung zu entnehmen, Sie hfitten mir jenes Urtheil, in welches Sie mein seUostständig abgegebenes eigenmächtig und ohne mein Yorwisaen verwandelt haben, wiederzugeben aufgetragen. Sie wis- sen aber selbst am besten, dass von einer solchen Zumuthung, die Jeder zurilcltweisen muss, der nicht zu niedrigen Handlangerdiensten sich herab- wttfdigen will, niemals Ihrerseits gegen mich die Rede war. -^ Richtig ist es, dass ich mich zu einer Kritik des Aufsatzes, der für die römische Rechtsgeschichte besondere Studien erfordert, nicht für „völlig compe- lent'' erUärt habe. Deshalb ging aber auch meine Beortheilang dieses (so wie einiger andern Aufsätze, über die zu entscheiden ich mich ebenfalls lljcttt Hk völlig competent hielt) nicht über die Grenzen dessen hinaus, was mir im AU gerne in^Mi «von dem Gegenstande bekannt war.

„Ferner erklären Sie, ich habe der Redaction der L. Z. „kein Zeichen einer Missbiiligung*' ihrer Aenderw^; meines Urtheils gegeben Sie schei- nen hierbei den Umstand ganz vergdiwen zu haben, dass ich Sie deshalb in Ihrer Wohnung aufgesucht und zur Rede gestellt habe. Sie müssen sich sehr wohl noch Ihrer Antwort erinnern : Shes ich mich darüber beruhigen mmshte, indem bei der Anonymität des AufiMIps nicht ich^ sondern die

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der LUerari9cli€H ZeiiumL Sf76

Redactton der L. die darin niedergelegten UrtheUe zu vertreten hätte. AU ieh Sie demaogeaclitet ersuchte, in der L. Z. eine Erlüfirung abzugeben, dasB jenes von mir desavonirte Urttaeil nicht vom Referenten des Artikels herrühre, sagten Sie mir, Sie wollten erst abwarten, ob Herr Schmidt da- gegen auftreten würde.

„Nach diesen Vorgängen sehe ich mich genötliigt, mein Verbältniss zur L. Z. als Mitafbeiter derseüMn aufzulösen und remittire Ihnen hierbei das zur Kritik übernommene Werk.

„Zugleich ersuche ich Sie, diesen Brief zu meiner Rechtfertigung un- verändert und mit meiner Namensunterschrift versehen in einer der näch- sten Nummern der L. Z. gefälligst abdrucken und mich hierüber Ihre Em- schliessnng recht bald wissen lassen zu wollen.''

Da mir Herr Dr. Brandes den Abdruck dieses Briefes verweigerte, so habe ich die Redaotion dieser Zeitschrift ersucht, ihn hier zu veröffentlichen.

Philipp Jaff^

Zusätze des Herausgebers.

Es würde uns aufrichtig gefreut haben, hätte unsere Erörterung im 4. Heft diejenigen Folgen haben können, welche geeignet wären der L. Z. nicht nur bei den Anhängern ihrer Tendenzen, sondern auch in den geg« nerischen Kreisen die Achtung zu sichern, auf die es vor allem ankonunt um in dem Wettstreit der Parteien wie auf dem Gebiet der wissenschaft- lichen Kritik eine allseits ehrenvolle und erfolgreiche Stellung einzunehmen. Diese Aussicht schwindet indess mehr und mehr. Weit davon entfernt auf warnende Stimmen zu achten, beharrt die Red. nicht nur auf ihren ab» schüssigen Wegen, sondern geht mit unbegreiflichem M uthwillen darauf aus, in den Augen sowohl der eigenen Mitarbeiter wie des Publicnms die letz- ten Ueberbleibsel ihres Gredites selbst zu vernichten. Nicht genug, dass sie uns durch die gerügte Crtheilslälschung auf demselben Gebiete der Wissenschaft, d. i. der Rom. Geschichte, zu verdächtigen beflissen war, für welches eben wir bis dahin ihr zur kritischen Stütze gedient; nicht ge- nug, dass sie überliaupt den von ihr sich lossagenden Gelehrten die glänzendsten Atteste über Oberflächlichkeit, Unklarheit, Beschränktheit oder ähnUche Eigenschaften hinterdrein zu schicken pflegt: sie entblödet sich auch nicht, ihren noch thätigen Referenten ins Gesicht zu sagen, dass sie Schüler sind, deren UrtheÜe einer „Berichtigung'' bedürfen. Hat sie wohl bedaidit, dass sie das Publicum dadurch berechtigt von ihren unbekannten Helfern auch seinerseits keine vortheUhaflere Meinung zu hegen, und dass sie damit den Zweifel in ihm rege macht, ob denn nun die falschen ür- theile derselben auch wirklich stets und in competenter Weise beriehligt werden? Freilich affectirt sie eine Gewissenhaftigkeit in Einholung von Separatvoten, die man ehren müsste, wenn das schärfste Mikroscop auch nur eine Spur davon entdecken Hesse; jedem gewesenen und gegenwär- tigen Mitarbeiter nöthlgt sie nur ein Lächeln ab. Warum hat denn Hr. B^ bei so vielen/ ähnlichen Anlässen, wo es sich um Werke vom heterogen* sten Inhalt handelte, erweislich nie daran gedacht sich UrtheÜe Dritter tu-, verschaffen um danach die des Einen Referenten zu iMflehtlgeB^ Und warum hat er bei dem vorliegenden nicht auch in Betreff anderer Materien, für die der Referent ausdrücklich sich ebensowenig für „völlig competent" er- klärt, die gleiche Gewissenhaftigkeit -beobachtet? Unser Stes Heft enthält die verschiedenartigsten Beiträge zur alten, mittlem, neuem und neuesten Geschichte. Hat nun etwa Hr. IjiAei der Beurtheilung desselben in No. sa aus zarter Bücksicht flir dif^ahrbeit es ebenfalls für „natürlich" eredH

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576 ^ Jhi$&%e de$ Herausgebert,

tet, vier SeptraiTola d«xa dazQlioleii, da er ja selbil unzweifelbafl der Verl. derselben ist und doch unmttgUch für irgend einen dieser Gegen- stünde, geschweige Wx alle, als „völlig oompetent*' wird gelten können? Doch was ist tkberiiaupt Wabrtieit lOr die Red. der L. Z.? Hat sie scbon mit dem Begriffe „FKlscbung'' durch ein sophistisches Wortspiel einen, unwür. digen Missbrauch gelrieben : kann man sich wundem, wenn sie auch jenen haiUgsten Begriff der Wissenschaft sür Caricatur verzerrt? „Uns kommt es nur darauf an, ruft sie aus, die Sache und die Wahrheit für sich reden in lassen, nicht aber den Antorittttsglanben zu befördern.*' Seltsam! Will Hr. B. seine Wahrheit für eine automatische Sprechmaschine ausgeben? Es würde ihm nur wie Anderen ergehen. Weiss doch Jedermann, dass unter dem verhangenen Tische irgend ein Orakel verborgen ist, das bei Li<dite besehen wenn auch freilich wohl selten wie eine Autoritttt, doch Jeder- aett wie ein menschliches Individuum aussieht. Seltsamer noch ist es aber, dass die L. Z. in demselben Augenblicke, wo sie dergestalt dem Leser ihre Wahrheitsliebe anpreist, mit Verläugnung aller Scbaam es wagt, ein Ge- webe der gröbsten Tfinschung zu spianea. Da nämlich Hr. B. ein offenes Eingeständnlss seines eigenmaichtigen, aus unlauteren Motiven her- vorgegangenen Verfahrens scheute: so blieb ihm nichts übrig, als seine Yerlegenbeit so gut es eben geben wollte abzulfiugnen und sich der Auf- gabe zu unterziehen, die Resultate unsers Aufsatzes sämmllich anderwürts nachzuweisen. Das Ergebniss dieses Versnches ist -^ nach Hm. B.,.das8 sein Ortheil ein ,4[egründetes''. Ja „eher mildes und schonendes sIb stren- ges'' war (wie gnXdig im Munde eines Mannes der von der Sache nichts versteht! ), für jeden Unparteiischen aber, dass die „Wahrheit" der L. Z. die EigenthUmlichkeit hat, indem sie „für sich reden'' will ihr Gegen theii ■n gebaren. Hier die Beweise; denn es gilt die Würde der L,Z, zu ermessen. Sie vergleicht uDsara Auftatz mit den Hand- und Lehrb\ich.em von Hugo, Pn^ta, Burchardi, Walter und Göttling, d. h. von Autoren die als Kenner der Sache am wenigsten geneigt sein dürften, ihn nach Maassgabe Ihrer Schriften für überflüssig zu erachten. Gleich die Behauptung mit der sie debütirt, dass „freUich nur das letzte" von uns citirt sei, ist eine ent- schiedene Unwahrheit wie S. 45 beweist. Das Hauptmanöver der L. Z. besteht nun darin, dass sie fast alle wirklichen Resultate übergeht, da- gegen möglichst auf jeder Seite einen bekannten Sau, ehien Anknupfhngs- oder UebergangspunlU aus dem Zusammenhange herausreisst, ein Paar Ci- tate aus jenen Schriflstellem daneben setzt und nun bewiesen zu haben vorgiebt, dass der Inhalt aUer der Stellen alt sei, die von uns „irgendwie als neue Resultate angesehen werden könnten." So fragt sie nichts danach, ob das Neue zunächst etwa im Gusse des Ganzen, in der Anschaulichkeit der Entwicklung, in der Auffassung der Wendepunkte und der innem Be- deutung des Gegenstandes überhaupt sich geltend macht, noch ob es im Besondem sich kund giebt durch Umgestaltung der Prämissen oder Modi- Acation der Schlüsse, durch Auseüianderbalten oder Gombiniren von Ge* sichtspunkten, durch Erhärtung oder Verwerfung früherer Beweismittel Es ist nicht davon die Rede, dass unser allgemeiner Zweck war zu erweisen, schon unter den Juliem sei die Alleinherrschaft innerlich und wesentlich vellendet worden (S. 64)) während die gangbare Ansicht diese YoUendong in weit spät^re^ZelASBv versetzt; es ist nicht davon die Rede, in weicher Weise wir den MacchiavsUismus der Julier in der Verdrängung der Volks- freiheiten durch den Absolulismns^charakterisirten (S. 45 f. Cäsar, S.4ft f. Attgttstus, S. 47 f. Tiberius, S. 49 Wendepunkt, S. 50 f. CaUgula und f olge- seit); noch durch welche GombinaUon. wJrN<Ue „Vielen unerklärliche" Art des Verschwindens der GomiUalgesetzgebHqß in ein helleres Licht stellten als dies zuver geschah (S. 54 -54 inel.). Ddüien dUrt die L. Z. Momente

Zu$ät»e de$ Herausgeber^. ^^ . 577

wie die, dass gegen Ende der RepublilL „die GuriatcomiUen dem Wesen nach verseil wunden waren'' (S. 37), dass ,,di6 Tribut- und Centuriatcomitien noch factiscb bestanden'' (S. 39) u. 8.w. Das ist doch grade so einfiütig, wie wenn Jemand von einem Werk über die Reformationsgeschichte, weil darin von dem „Anschlagen der llieses zu Wittenberg", von dem „Wormser Reichstage" und der „Angsburgiscben Confession" die Rede ist^ behaupten woUte, dass dessen Resultate „nicht neu" seien. Bei welchem Theil des PubUcums hofll die L. Z. mit diesem Experimente, durch welches sich un- sere ganze Literatur auf dem Gebiete der vier Facultäten als resultatios erweisen liesse, Epoche zu machen? Doch höchstens nur bei denen, fUr die es noch schlagender gewesen wäre, wenn Hr. B. zu jedem einzelnen Worte eine Belegstelle etwa aus der Becker'schen Weltgeschichte beige- bracht hätte. Geben wir ein deutliches Beispiel dieser Art von Per fi- dle. Der Inhalt von 3. 46 wird durch die AnfUhrung „Augustus entzog dem Volke die Gerichtsbarkeit, stellte ihm die Wahlfreiheit zurück", der von S. 47 durch Anführung der Prämisse „War auf diese Weise den Volksver- sammlungen schon in den letzten Zeiten des Augustus wenig mehr als die formelle Wahl verblieben" mit dem Zusätze abgefertigt: „Eine durchaus be- kannte Sache s. Walter S. 284." Die Hauptsache liegt nun aber dazwi- schen und nimmt den grössten TheU beider Seiten ein, nämlich die SchU- derung der UysUflcationen deren sich Augustus bediente, von der bei Walter keine Spur ist, und die durch das obige Verfahren glücklich umgangen ward. Natürlich reicht dies Manöver nicht immer aus, und die L. Z. nimmt daher auch zu solchen Mitteln ihre Zuflucht, für die alle Bezeich- nung aufhört, weil sie auf dem Gebiet wissenschaftlicher Kritik nicht nur verpönt, sondern auch unerhört sind. S. 59 und 60 steht bei uns eine Erörterung über die Richterdecurie der Neunhundertmänner, die durchaus neu ist und eine wesentliche Bestätigung dafür zu geben scheint, dass die Organisation der Tribus- und Centuriatcomitien im Beginne der Kaiserherr- schaft wirklich die war, für die wir uns in Bezug auf die letzten Zeiten der Republik entschieden hatten (S. 38. 44. 42). Wir leiten diese Frage aus- drücklich als eine „bisher dunkel erschienene" ein. Was thut aber die L. Z. ? Sie weicht klügUch um einige ZeUen zu einem bekannteren Mo- mente zurück, und fertigt nun S. 59 nüt den trügerischen Worten ab: „ist eine resultatlose Nebenbemerkung." Dann springt sie sogleich zu S. 64 über. Und doch gelangen wir erst nun zu dem Gipfel dieser Taktik; denn eben die Glossen zur Schlussseite unsers Aufsatzes stellen alle Eigenschaften der L. Z. wie in einem Brennpunkte dar. Hier nämlich wird unser Hauptresultat berührt; aber wiel Kein Leser wird es über- sehen haben, dass unser besonderer Zweck dahin ging die Behauptung durchzuführen, dass die wirkUche Abstimmung des Volkes in Betreff so- wohl der Wahlen wie der Gesetzgebung schon unter Tiberius ganz aufge- hört habe. Hieran hat man bisher immer noch gezweifelt, und zumal die Juristen; man hat vielmehr in beiden Beziehungen angenommen, dass noch unter den späteren Kaisern und selbst unter Trajan die Abstimmung vor- gekommen sei. Für die Wahlen drücken sich diese Zweifel oder Annahmen noch in den jüngsten Erörterungen und Darstellungen aus, wie z. B. bei Robino (4839. s. uns. Aufs. S. 54), bei Peter (4842. ebend. S. 47), bei Kofiüm (4843. wo S. 365 von Ernennung der Obrigkeiten dureh dae Volk unter Trugen die Rede^ ist); für die Gesetzgebung aber. in der ganzen Reihe der Rom. Rechtsgeschichten ohne Ausnahme, ujoA- in Folge dessen auch bei den eigentlichen Historikern (S. z.B. Hoeck S. 397. 399). Die Zweifels grün de beruhen hauptsächlich für die Wahlen auf Missdeutungen der SteUen bei Tac. Ann. 4, 45 und bei PUn. pan^[|^63 sq., für die Gesetzgebung auf dem Erscheinen vereinzelter leges^Wauf Treyan's Zeit und auf der Beharrlioh-

Z«it«ehrift f. OcMUekUT^f' . 1844. 37

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578 .Zusäine des Herausgebern,

keli mii der die RediUbtotoriker an dem JurisUscheii Begriff der lex als einem durch wiriüiche Abstimmung sanciionirten Volksgesetze festhalten. Jene beiden Mtssdeutnngen baben vi\t nun aber yollständig besei- tigt (S. 47 N. 4 und S. 50 N. 7, wobei wir die fraglicbe Stelle ansdrllck- lich ats eine „so oft oder stets missverstandene'' bezeicbneten). Und hin* sicbtlidi der sSmmllichen leges seit Tiberius machten wir es ^ahr- scbeinlicb, dass sie Tieimebr als durch blosse Renunciation vollzogene Gesetze zu betractaten seien (S. 57); die Beweise bierfUr erstrecken sich von S. 54— 58; die aUgemeinen liegen in der Entwicklung der Art und der Gründe des Versebwindens der Gomitialgesetzgebnng, wie man sie schvrer- lich anderwärts finden wird; die besonderen beniben auf dem nadigewie- senen gleichzeitigen Verfall des nrsprtinglichen Begriffes der lex (S. 57), anf dem nie gebraucbten argumentum ex silentio und dem damit verbundenen positiven Argumente bei Tac. Ann. 4, 6 (S. 56). In Folge dessen stellten wir sogar die MögUcbkeit hin, dass schon die leges des Augustus zum Theil nur Senatusconsulte oder Constitutionen mit l>lo8ser Renunciation gewesen sein dürften (8. 58), obwohl wir für die Mehrzahl derselben eine wirkliche Abstimmung annahmen (8. 56) , da Augustus in der That nur mit Behutsam- keit vorzuschreiten wagte, w&hrend Tiberius in jeder Beziehung den Wen- depunkt zum Absolutismus bildete (S. 47. 56). •— Dies also sind augen- scheinlich, mag man sie nun billigen oder nicht, unsere wesentlichen Resultate, wie sie sich in ihren einzelnen Momenten auf den ganzen Raum von 8. 47-* 64 verlheiien. Und wie verfährt nun ihnen gegenüber die L.Z.? Ais ob gar nichts derartiges vorkäme, Uisst sie die Frage in allen ihren Theilen vollkommen unberührt, bis sie zur Soblussseite des Aufsatzes gre- langt, wo wir restimlrend unsere Argumentation in die Worte znsammeii- tassen: ,,Seii Tiberius dies ist unsere feste Ueberzeuguog wurde i\ie mehr förmlich abgesf immt.'' Diese Worte nun , als ob es eine bloss ge- legentliche Aeusserung wäre, greift sie plötzlich heraus und sagt keck: „Dieser Satz ist nicht bewiesen^^ [Man sieht, dass es der L. Z. hier an Citaten gebrach, um dessen Inhalt als alt zu bezeichnen]] „Eine un- bewiesene Ueberzeugung fährt sie fort ist kein Resultat '' [Also würe z. B. Dablmann's Gesch. der engl. Revol. ein resultatloses Buch?] „Wenn er bewiesen wttre [wohl eine Hinterthür des Gewissens!], so ist damit nur gesagt, was wir längst wissen, dass die Gewalt des Volks der Macht des Kaisers gegenüber durchaus nur illusorisch war^ [Klingt dies nicht wie wenn Jemand spräche: „Wenn es auch bewiesen wäre, dass die Reformation sich in dieser und nicht in jener Weise entwickelte, so wäre damit nur gesagt, was wir längst wissen, dass dem Kathohcismus gegen- über die Reformation eintrat'^?]. Das ist doch in der That eine ganze Ladung voll Lug und Trug, voll unverschämter und zugleich naiver Sopiii- stikl Oder mit anderen Worten, es ist die elgenthümliche „Wahrheit'^ des Hrn. B. Die Wirkubg derselben aber ist verfehlt; solche Schlingen fangen nicht das PnbUcum, sondern verscheuchen es.*) So viel von diesem charakteristischen Machwerk. Jede der übrigen Anführungen offenbart nur ähnliche Mittel oder neue Blossen; die Bemerkung zu S. 56 unsers Auf- satzes legt überdies, indem sie sich das Ansehn glebt uns belehren zu

*) ParaUele. 4»^ der oben gedachten Anzeige unsers 3ten Heftes be« merkt Hr. B. ausdrücklk^, der Hüllmann'sche Aufsatz gehöre zu den ge> iegentiichen Misoellen.'' Wozu*^es? Um uns durch folgende Apostrophe zu verdächtigen: „Und auch sonst^ vermögen wir kaum zu billigen, wenn die „gelegentlichen^^ Anmerkungen (?(J[ verwendet (?) werden, an einem Namen zu mäkein u. s. w/' Nun ab^ enthält unser 3tes Heft; wie der Augenschein lehrt, keine einzige Miscdliß.

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Zusätze des HeraMsgebers> ,~

579

wollei); eine grobe Unwissenheit in der Sache sowie eine völlige Nicht- kenntniss des Tacitus an den Tag, den man freilich und namentlich die L. Z. häufiger im Munde, als in Kopf und Berzen trägt. Jedenfalls sind wir nach diesem Befund der Dinge nur um so mehr berechtigt; bei unserer Warnung vor den Urtheilen der L. Z. zu beharren.

Auf alle sonstigen Insinuationen erachten wir es unter unserer Würde nUher einzugehen. Unser alleiniger Zweck war, nicht unsere persönli- chen Interessen zumal gegen Schattenbilder und Hirngespinnste zu ver- t heidigen, sondern zur Förderung der allgemeinen dadurch beizutragen, dass wir die Nachlheile der unbedingten, erzwungenen Anonymität durch positive Facta ins Licht zu stellen suchten. Der grösste Verderb der Journalistik ist Mangel an Gesinnung. Wer die Oeffentlichkeit und Gradheit liebt, hat auch die Pflicht, lieber die eigene Haut preiszugeben als licht- scheuen Umtrieben schweigend zuzusehen. Das Ist unser Standpunkt. Wir bekämpfen nicht Principien oder Parteien, aber- den Gebrauch geschlosse- ner Visiere und krummer Waffen. Und dieser ist in der L. Z., durch die tendenziöse Willkür der Red., nachgrade zu einem so weitgreifenden Miss- brauch ausgeartet, dass man nicht länger umhin kann, im Namen der Wis- senschaft und der Kritik feierlichst dagegen zu protestiren.

Doch sollen wir danim. Gleiches mit Gleichem vergeltend, der L. Z. als solcher „kein glückliches Prognostikon'^ stellen? Ist nicht wenigstens die Möglichkeit einer Regeneration in ihrer eigenen Geschichte begründet? Hat sie nicht die radicalsten Umwandlungen erfahVen, die wunderbarste Ela- sUcität bethätigt, eine wahre Proteusnatur offenbart? Unter Büchner, aus dessen Zeit unsere Mitwirkung datirt, in der Gestalt einer literarischen Ameise hervortretend, dann unter Meyen, als der Junghegelianismus noch meist in der Verpuppung lag, einem ästhetischen Schmetterlinge vergleichbar, bil- dete sie sich in den krilisch-optimistischen Anfängen des Hrn. B. zu einem friedlich grasenden und euphemistisch glöckelnden Lamme um, bis sie end- lich in den neuesten Jahren zur politisch bibliographischen Amphibie gedieh, mit deren Geburt erst die erzwungene Anonymität ins Leben trat. Gegen- wärtig, so scheint es uns, tbut der L. Z. eine neue Metamorphose und zu- nächst, wir wiederholen es, die Aufhebung jenes Zwanges noth. Dahin ging stets das Verlangen der Mehrzahl der Mitarbeiter, gleichwie das unsrige. Und gewiss! obschon wir an der L. Z. nie anders als durch kritische Re- ferate wirkten und selbst diese seit Einführung der Anonymität auf ein äus- serstes Minimum beschränkten : so thut es uns doch wohl, dass wir durch Gründung der vorliegenden Zeitschrift nunmehr auch bei geringen Anlässen der Versuchung überhoben sind, uns einem Gesetze zu fügen, das unserer Ueberzeugung widerstrebt. Die Verschweigung des Namens bleibe minde- stens in wissenschaftlichen Organen dem Autor anheimgeslellt!

Berichtigungen zum ersten Bande.

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Inlialto - Verzelclmiis«

Seite

Vorwort des Herausgebers in

Ueber des Grafen Hertzberg Abriss seiner diplomatischen

Laufbahn, von Dr. Rudolf Köpke 1

Pr^is de la carriöre diplomatique du Gomte de Hertzberg 16 Der Verfall der Volksrechte in Rom unter den ersten Kaisern^

von Adolph Schmidt 37

Hofieben und Hofsitten der Fürstinnen im sechzehnten Jahr- hundert, eine Skizze von J. Voigt 62

Bowden: lifo and pontificate of Gregory VO., rec. von Dr. Wilhelm Giesebrecht SI

Miscellen: 4. die Entdeckungen zu Niniveh, von Kiepert « . . 94

5. Prescott's Geschichte der Srobemng Mexico'«, von Hectisel 95

3. Untergang des Osmanischen Reiches, von Petermann . . 96

4. die neueste Philosophie der Geschichte, von Schmidt « . 96

Hofleben und Hofsitten der Fürstinnen im sechzehnten Jahr- hundert, von J. Voigt. (Fortsetzung.) 97

Ueber den Ausbruch des siebenjährigen Krieges. Aus Mitchell's ungedruckten Memoiren mitgetheilt von L. Ranke . . . 134

Englischer Text -. ISO

Thüringer im Lande Hadeln, von Heinrich v. Sybel . . « 164 Ephoros über die Heloten, von Adolph Schmidt .... 168 Ueber eine neue Bearbeitung des Lebens Muhammed's, von

Heinrich Ewald . , . 170

Bataille: Vie politique et civile de Thomas Decket, rec. von Dr. Roger Wilmans 179

Miscellen : 5. die numismatische Gesellschaft in London, von H e c h s e 1 188

6. armenische Biographie Alexanders des Grossen

7. neue Zeitschrift in vulgir^^rmenischer . -o«

> von Petermann . 189 Sprache

8. die türkische Zeitung „Dscherid^f ha- vadiz«. ^^

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Inhalts ^Vermchniss. "- 581

Selto 9. Ausgrabangen bei Dasplch

40. Deutsche Gymnasial -Programme

H. Köhne's Zeitschrift für Münz-; Siegel-

und Wappenkunde

48. numismatische Gesellschaft in Berlin \ y^^ Schmidt 190

43. C. Fr. Hermann's GelegenheitsschriAen

44. historischer Verein der fünf Orte Lu- zem, Uri, Schwyz, Unterwaiden und Zug

45. Buddeus' deutsches Staatsarchiv. 4 6. Philippowsky's Werk über jüdische Chro- nologie

47. Noüz im Tahnud über die ionische Ein- > von Hirschfeld . 192

Wanderung in Italien aus Kleinasien 4 8. Preisaufgabe des Gulturvereins in Berlin.

Barere von Vieuzac, von W. Wachsmuth 193

Lothar der Sachse und die neuesten Bearbeiter seiner Ge- schichte, von Rudolf Köpke 220

Ueber einige Hauptfragen des Nordischen Alterthums, von P. F. Stuhr (erster Artikel) 237

Gustaf Adolf in Beziehung auf die evangelischen Fürsten Deutschlands, von K. D. Hüllmann ........ 283

Ungedrucktes Schreiben Friedrich's von Gentz an den Re- dacteur des Nürnberger Correspondenlen, mitgetheilt von L. Fl Seebode 289

Das Staatszeitungswesen der Römer, von Adolph Schmidt

Vorwort .303

Entwickiungsstadien 305

Die jährlichen Staatsberichte 306

Uebergang in die tägliche Staatszeitung 308

Die Dodweü'schen Fragmente . ; . 314

Die Staatszeitung der Republik 319

Die Senatszeitung 327

Die Staatszeitung der Monarchie 331

(Inhalt: 4. Hof berichte. S. Senatsberichte. 3. Volksberichte.

4. Magistratsberichte. 5. Vermischte 'Nachrichten. 6.

Privatangelegenheiten.)

Redaction und Publication 352

Der jetzige Zustand der müpdEundlichen Wissenschaft, von B. Köhne . . , . f*^ 336

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