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1807
Hibrarı of
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Princeton University,
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Altbagcriſihe Nonatsſchrift
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printed in Germany
I. Auffäbe und größere Mitteilungen.
Des Hiltorienmalers Wilhelm Lindenfchmit, des Welteren, Jugend und Bildungszeit bis zur Darftellung der Sendlinger Bauernfchlaht an der St. Margarethenfirde zu Unterfendling. Bon Schriftitelee Lindenfdmit . .
Bu älteren vor= und frühgefchichtlichen Funden aus Altbayern. Bon Dr. p. Reinede
Die Münzgemwichte mit befonderer Rüdficht auf Bayern. Bon J. BV. Kull . F
Die Urkunden Ludwigs des Bayern im Stadtarchiv zu Landsberg. Von J. aber. ;
Gin unbefannter Coder der Bigefden Malerjchule in Augsburg. Bon Dr. Remmeridh
Die Ordenszeichen aus der Lauinger Fürftengruft im Bayerifden LUD. Bon Sriedrih H. Hofmann SE ee a2
Ein merfwürdiges Grab eines neuen bojumasfcen Beigengräberfeides,
Bon Dr. Franz Weber
Ueber römifche Ausnüßung der ame: flirten: Veberlegenheh, Bon Johannes Linde . : vs
Stephan Rottaler ein Bildhauer der Srübrenaiffance in t Mltbagen Bon Dr. Philipp Maria Halm 2 E
Beiträge zur Gefchichte Mar Emanuels. Bon Sehen. von Sm :
II. Chronik und kleine Mitteilungen.
Ehronif ; SEE Bereinsverfammlungen — — — ge u. a. Vorträge von Herrn Dr. Santen über „Die Anfänge sine bas Einporfieigen der Fugger“,
von Herrn Dr. Gg. Preuß über „Die Urfahen der Größe und des Niederganges der Hanfa’, von Herrn Schober über „Die Urkunden Ludwigs des Bayern im Stadtardive gu Landsberg” (55), Herrn Dr. Theodor Bitterauf über „Die Nordlichter in Bayern unter König Max I.“ (56), Heren Privatdozent Dr. Aug. Rofenlehner über „Die wirtfhaftlichen Zuftände Bayerns unter Kurfürft Maximilian Il]. Qofeph“ (149), Herrn Univerfitäts- profefjor Dr. Dveber! über „Die innere Staatsverwaltung Bayerns unter dem Minifterium Montgelas’ (149), Herrn Dr. Johannes Heldwein über „Die Stellung der altbayerifchen Klöfter zur Kunft und Wohlfahrtspflege am Ausgange des Mittelalters“ (152), Herrn Ge- neralmajor v. Menz über „Die Schlaht bei Hohenlinden am 3. Dezember 1800 (152).
Mitteilungen aus den oberbayerifchen Ortsvereinen tan Sein hse See
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III. Alluſtrationen.
. Cimbrifde Frauen by et I th as PSE eh. Team,
. Johanna Rainprechter.. ang. a 2%
. Augufte Rainprechter Nr
. Entwurf zum geplanten Oelgemätd, darftellend bie Seninger Stat . Die Cheruster . : . Erftes Blatt der 1. Stigenaruppe 3 ait eninge Beste
. Oberbayerifcher Schüße ; ze
. Balthafar Maier. . .
. Die Schlacht bei Senbling
10. Arnold von Winfelried 2
11. Lithographie aus der Gejchichte her Sendlinger Sta
12. Porträt eines Bauern . : 3
13. Hauptgruppe mit dem valthaſer Maier
14. Winfelried .
15. Selbjtporträt W. nbenigmites um 1830 Rn ; 16. Sendlinger Bauernfchlacht nad) der TERN von — So 2 17. Heldengefolgichaft : ; 18.-—21. 4 Abbildungen zu sen Uuffag von Dr. Reinecke +
22. Rofter St. Beno bei Reichenhall. (Mon. Boic. vol. III. p. 526) 23. Rufftein (aus: das Neuefte von der Zeit 1704) ; 24. Glide aus der Münchner Ausftellung von 1900 .
25.—32. Initialen der Handfchrift
SOC PWOID =
33.—43. 11 Bollbilder, Darjtellungen von Szenen a * neuen —
44. -48. Darſtellungen aus anderen Codices, die gleichen — See 49. Ordenszeichen aus der Lauinger Fürftengruft . ; ; ey 50. Fund aus einem bajumarifchen Reihengräberfed . . .
51. Zimmermann: Churbayrifd-geiftl. Calender II]. Teil 1755
52. Aus demfelben: II. Teil RTL
53. Bom Altar des Kanonifus Marolt in Aesitinn,
54. Das Schweiftud. Holzjchnitt von A. Dürer
55. Joachim und Anna. SHolzfchnitt von A. Dürer
56. Monogramm des Kanonifus Marolt .
57. Grabplatte des PB. von Altenhaus, Landshut
58. Monogramm auf der Grabplatte des Altenhaus
59. Grabplatte des Kanonifus Ralbsor, Freifing :
60.—61. Einzelheiten aus der vorgenannten Grabplatte .
62. Epitaph der D. und E. Ejterreicherin, Ingoljtadt
63. Teile diefes Epitaphes .
64.—66. Berfchiedene Grabplatten us Being. Anh > Moosburg
67. Detail einer Grabplatte
68. Grabplatte aus Altötting . —
69. Zeichnung des alten Beſtandes des Monumentes in Altötting 70. Grabmonument aus Gergen . — a ae ee ae 71. SandfteineRelief aus Freifing 72, Holzichnitt der Mailänder Schule 73.—74. Zwei Heiligenftatuen aus Holz aus ‚ber Rirche in Reisbach 75.—76. Zwei Altarflügel aus der Kirche in Reisbacdh ‘ 77T. Michaelsfampf mit dem Drachen von A. Diirer
72.—79. Holzrelief3 aus der Sammlung de3 Hiftorifchen Bereing: in " Sandshut ;
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78.—79. Zwei Stüßen des Laubengangs im Refidenghof zu Freifing 80. Kapitelle und Bafen vom Laubengang im Refidenzhofe zu AL 81. Hausinfdrift im Refidenghofe zu Freifing 82. Meifterzeichen am CEdpfeiler des dortigen gaubenganges 83. Grabftein in der Kirche zu Milbertshofen . 84, Aufgang gur Pfarrfirde von Kaufering . 85. Römerftein in Prutting . ; 86.—87. Zwei Bildniffe von ehem. Münchener Dürgermeiften | 88. Franz Anton von Unertl, Zandichaftsfanzler n Mipbandlung der Rn we 90. Schlußvignette
IV. Autorenverzeidjnis. Wohnort, fomweit nidt andereS angegeben: Mtiinden.
Halm Dr. Philipp Maria, f. Ronfervator Hofmann Friedrid) 9., f. — Remmerid Dr. Mar .
Kull J. B. ; Linde Johannes, Saradmane Lindenfhmit, Schriftteller
Ow Anton Freiherr v., & Kämmerer, f. Pesirtearmtnarin a. D., ———
Reinecke Dr. P. Mainz . Schober J., Stadtarchivar, Landsberg Weber Dr. Franz, f. Oberamtsrichter
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Cimbrifhe Frauen Bleiftiftzeihnung, "Js wirkl. Grife. Eine fpdtere Kompofition al8 der „Angriff der Eimbrinnen“ im 3., 4. Heft 1906, ©. 82, aber nad) der Ydee von ©. 77 dortfelbft.
Des Hiftovienmalers Wilhelm Lindenfchmit, des Aelteren, Ingend und Bildungszeit bis jue Harftelung dev Sendlinger Banernfdilaht an dec St. Margarekſienkircke zu Unterfendling.
Fortfegung (vergl. Heft 3 u. 4, 1906).
„Die Lihtwirfung darf als Hülfsmittel be= nüßt werden, um das Bild auseinander zu treiben, allein diefe Arbeit darf nicht gänzlich auf ihren Schultern laften, fondern fie muß fdon durd) die Anordnung der Linien und Gruppen unumftößlic) nicht bIo3 vorbereitet fondern hergeftellt fein.“ — „Die Beleuchtung foll hauptfächlich Ruhe einflößen, — — dazu gehört Kenntnig. Ein ruhig angeordnetes Bild fann man durch eine taftlofe Beleuch- tung ruiniren. Sie foll ferner dazu dienen einen Gedanken auszufprechen und wie die Barbe, dem Bild eine gewiffe Stimmung geben. Sie muß finnvoll feyn, und wenn aud) nod) fo fraftvoll wirfend, immer rubig und gemeffen, nie zerriffen.“ — „Mit Schwarz und Weiß wirthichaften“, äußert er wo anders, „dieß Heißt nicht viele große dintenartige Stiefelwichsplatfchen anbringen, jondern eine woblgeordnete und mohlbeherrichte, wohl— empfundene Beleuchtung. Der fchwarze Nacht- rabe, jomwie das blendende Sraftlicht dürfen nicht überall herumfpufen, fondern in ihrer höchjjten Potenz nur einmal vorlommen und das Bild beherrfchen.“ Dies richtet fich gegen
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einen falfchen Begriff von Malerifh. Es ift ja überhaupt gerade fo wichtig zu erfennen, was ein Künjtler vermieden oder abgelehnt hat, al3 was er dann auf feiner Bahn er= reicht hat. Dies gilt im großen von der Wahl der Stoffgebiete und des Gegenftandes, weil diefer wichtigite Punkt Sache des Charafters und fodann der ganzen Lebensauffafjung it, — foweit nicht äußere Lebensnot gebieterifch mitfpridt. In beiden Beziehungen fann jemand als Dann recht haben und als Künftler verlieren. Treibt ihn fein ganzes Lebens— gefühl, wie das bei Lindenfchmit war, in den Kampf und entwidelt er fo bedeutende Mittel dabei, fo ift der Fall vor ein anderes und höheres Forum zu verweifen.
„Wohl denen“, jchließt jenes Kunftbrevier, „die mit Beit und Rube reichlich verjehen ihrem eigenen Streben gehorchen fünnen; und nichts gleicht der Sehnfucht, mit der ich den Augenblid erwarte, wo ic) aus dem Strudel der Gefchäfte geflüchtet von feiner Bedingung, von feinem Termin, von feinem fremden Gez Ichmad gehindert, frei meinen Gedanken folgen und zeigen darf, was ich fann.“
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2 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfhmit, des Welteren
G8 handelte fic) ihm hHiebet ebenfofehr um den alten Reiz feiner Jdeenwelt, wie um den jchönen Gebrauch verftandener Mittel und Kräfte, den Kunftveritand. Aber er wußte noch von einem anderen Element in fich, und das ift gerade fein unterfcheidendes Merkmal: „Sal man muß mwirfen mit denjenigen Din- gen, worin man feine Stärfe hat, — — — und wenn auch die Herrn Hiltorienmaler fagen, dieß fey nicht der ftrenge Styl, — aber ich fann Leben maden!*. Das erfannten auch unparteiifche Zeitz und Runjtgenoffen an; fo habe fich einmal Heinrich Heß gegen Peter Heb über ihn, Lindenfchmit, geäußert: „Das fet dod) etwas Anderes al3* '); meine Helden feien Männer, die man achte und fürchte, ob fie fchon nicht fo grimmig thäten, wie die des *. ES fey fehr gut gewefen, dak id) einmal ganz meinem Kopf gefolgt fey. Dieß habe Leben und eine Wahrheit gegeben, die hinreißend fei.“ — Nun, dies ift auc) etivag, fügt Lindenfchmit bei. Und Peter Hef meinte ganz richtig, „die eigentliche Münchner Schule habe fic) nur in Gewandern gang voll- fommen ausgebildet, mahrend die Urime, Beine, Leiber, felbft die Ripfe oft, find, wie fie find.“
Die Begriffe ,ftrenger Stil” und ,Hifto- vienmalerei”, die fich in obigem Wusruf an— einander lehnen, waren einer Durchfreuzung und Zerfebung durch ähnliche Kompromiffe unterworfen, einmal weil da8 „Hiftorifche“ viel zu viel mit dem Charakter in Köpfen und ganzen Menfchen zu tun hat, um die realiftifchen Wege gang abweijen zu fünnen, — und andererjeits, was teilweife die Urfache diefer Unflarheit war, weil der „Stil“ nad) feiner technifchen Seite fich nicht richtig auf der Natur der Mittel aufgebaut hatte und die Begriffe und das Können in der eigentlichen Malerei noch unentwidelt waren. Daher gab eS außer jener gegenjäßlichen Bejtrebung, die — wie W. Lindenfchmit — das Hiftorifche im Nealiftifchen feft zu gründen verfuchte, noc) einen anderen lareren Mittelbegriff, von dejjen Lebhaftigfeit Wilhelm urfprünglich mit ausgegangen und der in jeinem Oauptingre- diens bei der herrfchenden Schule wohlge- litten war. Obmohl der folgende Beleg aus viel fpäterer Zeit ftammt, fo hilft er doch
diefe Zufammenhänge erläutern. Ylm 6. Sep: tember 1836 wandte fi) Prof. Schnorr an W. Lindenfchmit und trug ihm nad) einigen einleitenden Worten folgendes Anliegen vor: „Der König von Baiern hat mir aufgetragen einen Eyclus von Gemälden aus der deutfchen Gefchichte auszuführen... . Unter den ges wählten Gegenftänden ift das fogenannte Reidhsfeft, das der KHaifer Friedrich Barbaroffa zu Mainz im Sahre 1184 feierte. ... . Als ic) meine Compofition Shrem Herrn Bruder zeigte, machte er mich aufmerffam auf die ifm natürlic” ganz bekannte Lage und Um— gegend von Mainz und überzeugte mich, daß die Anwendung einer richtigen Anficht der Stadt und Ferne meinem Bilde nur vorteil- haft jein finne, gugleich liek er mich, wie gejagt, hoffen, daß ich durd) Dhre giitige Vermittlung eine genaue Zeichnung, wie ich fie bedürfte, erlangen fiunte. . . .“
Wilhelm beauftragte nun Ludwig damit, und fchrieb: „Sch itbermache Dir hier eine Comijjion, wie du aus dem inliegenden Schreiben von Brofefjor Schnorr fehen wirft. Er war fehr artig, freundfchaftlicher als je, als ich ihn nach meiner Ankunft (von Schwangau) bejuchte und diek that mir wohl, da viele Leute mich behandelten als erinnerten fie jich meiner noch faum. Mach ihm Zeichnungen romantifh bolzfhnittmäßiger Art. Beichne e3 nach der Natur und mache dann zu Huufe etwas daraus, nicht zu elegant, da= mit e8 nicht zu anjpruchsvoll ausfieht. Yeichne e3 ein bischen toll hHiftorifch phantaftilch”. Schnorr danft Ludwig in einem liebenswürs digen Schreiben: „Sie haben mir durch Ihre vortrefflihen Zeichnungen nicht nur große Freude gemacht, fondern auch einen recht wejent- lichen Dienft geleistet, den ich Ihnen nie ver= geilen werde. Och febe erft jet, wie fehr mein Bild, durch die naturgetreue Ferne in jeder Beziehung gewinnen muß . .. *. Dan fieht hieraus, daß die Art der (altdeutichen) Holzjchnitte al3 romantisch empfunden wurde und den Begriff Hiftorifch-phantaftifch anzieht, entiprechend dem ähnlichen Hergang in der Belletriftil. Später gibt Wilhelm einmal die Analyfe eines Gemäldes von Fol, der unter Allen fic) durch eine felbjtändigere Entwids
!) Name eines befannten Künjtlers, aber nicht von Cornelius.
Sugend und Bildungsgeit 3
lung in der Delmalerei hervortat; man merft dort, daß diefe mehrfache Jneinanderlagerung von Tendenzen auch bei Folz wirffam war und bier einem launifchen Behagen an maz lerifcher Farbigfeit das Uebergewicht verlieh, zwar fonjt prinziplos, aber Lindenfchmit urteilt doc, davon: „immerhin geht e3 auf eine ge- wiffe wilde Manier zufanmen“. Man möchte faft meinen, e8 habe fich etiva8 „angemeldet“ und fei gang in der Ferne der Geisfuß Böd- lin einmal vorbeigefprungen, freilich aud von dem nur der Schatten.
DMalerintention lag alfo troß Allem nicht außerhalb des damaligen Sreifes, nur das VBollftändigfeitsbedürfnis, die Syftematif bei mangelndem Malftudium, erjchöpfte fie zu rafh. Wilhelm legte fjpäter immer wieder Wert darauf, „daß es die Hauptjfache an einem Bild ift, daß e8 empfunden ift. Und die gilt von Anordnung, Idee, Zeichnung, Aus— drud und Beleuchtung gleich jehr.“ Bei den Bemühungen, feinem Bruder zu raten, er= fennt er auch das Beitehen von bewufter und unbewupter Runjt, ein Unterfchied, der immer bei den Wendepunften einer Entwidlung ficht- bar wird. „Das gefunde Machwerf ent- {pringt nur aus der Renntni3 und dem Studium d. b. bet denfenden Riinfilern, — hiezu bift du zu jerftreut. . . . Von der Rompofition bis 3ur Pinfelfiihrung herab .... Alles muß vorbereitet, angelegt, jtudiert fein. Dann geht’3 ff. . . . Dieß ift eine Niefenaufgabe. Bon Kaspar Schneider,!) der fein Leben lang Burgen in der Sommerabendfonne (fog. Stim= müngelchen) malte, bi3 zu Stornelius ftect fich jeder engere Grenzen als wir. — Man muß fi alfo, um Anerkennung und dadurd; Mut und Mittel zu erhalten, engere Grenzen jteden, d. h. ein anderes Material nehmen als gerade das verdammte Del.“
Der alte Vater in Mainz merkte wohl, daß die eigentliche Malerei, auf welche fic der Erwerb feiner Söhne gründen follte, bei Cornelius gu furg fam, und er fing an, aus feinem engeren Gefichtspunft und dem folcher „Zolalmeifter“ wie Schneider gute Lehren zu geben. Er wendete fi) dabei an Ludwig, weil Ddiefem auc) das Ergreifen einer ent- Ichiedenen Ricjtung fo fchwer fiel. „Ich habe
gehört, daß es euch unangenehm fei, wenn man euch Nat erteilt, — allein ich will dabei nicht verweilen und dir doch noch mieder- holen, daß ich e8 jehr nüßlich finde, wenn du einige gute Stüde in der Gallerie völlig fopirteft, fodak man fie in ein Zimmer als Schmud aufhängen fann — und nicht ftüd- weife und nur Abriffe. Du wirjt dann mehr mit den Farben und ihrer Wirkung und Aus— wahl befannt werden und dich in Betracht defjen, was gute Wirkung macht, vertrauter machen, — — eö muß einer immer von ans dern lernen und darin hat gewiß der alte Schneider recht, daß er jagte: Die Natur miiffe man durch die Augen der Meifter — be= trachten! — Man muß das Wahre aud) von Leuten annehmen, die man übrigens nicht jehr Hoch fchäßt; Schneider wollte damit fagen, daß man achthaben folle, wie diefe großen Männer diefen oder jenen Gegenstand auf der Leinwand behandelt haben, und fi) darnad) richten.“ Der Rat wäre gut, wenn er nidjt zum Schluß doch eflektifch gemeint wäre. Ende 1827 fchreibt er, während Wilhelm nod) in Mainz weilte, an Ludwig: „Zaffe den Sommer oder das Frühjahr Hin ja nicht aus den Augen, bei einem tüchtigen Maler praftifchen Unter- richt zu nehmen, das gilt auch von Wilhelm. E3 wird wohl Anjtrengung foften, wenn ihr dieß bei der Beichäftigung, die ihr fchon habt [gemeint it das Wrfadenfresfo], ins Werk bringen wollt, allein dag ijt doch nur auf furze Zeit und einem talentvollen jungen Mann ift gut Iehren, auch ohne viele Zeit. Wenn nur der Lehrer aufrichtig ift — und dafür belohnt wird. Jch bin gewiß, daß wenn ihr im Technifchen eingeübt feid, ihr mit Ver— gniigen und Leichtigkeit arbeitet und dann erft den Vorteil von euren guten Anlagen in voll und reihlihem Maße ziehen Eönntet.“ Wollte der erfte Rat auf Orientierung an den Meiftern und auf Gefchmadsbildung hinaus, — wobei e3 doch gleich jehr auf die Schlüffe, die der Copierende 30g, anfam —, jo empfahl der zweite Nat als engeren Weg den Anfchluß an eine beftehende Malübung. Allein auch hier fegte das Herausfinden eines Lehrers Begriffe von den Aufgaben voraus; die felbit- gewonnenen, die Wilhelm hatte, jtießen hier
') Joh. Kaspar Schneider, geb. zu Mainz 1753--1839, Hefl. Hofmaler, ift ein Bruder des Stephan
thiirmers.
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4 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfchmit, de8 Weltercit
fofort auf die Pedanterie des älteren Ge- fchleht8 und feiner Methoden. So hatte Schneider, obgleich Wilhelm mit großem Lern erfolg einen Rubens nad) Anmweifung des Lehrers braun in braun durdhftudiert, es durchaus nicht zulaffen wollen, daß er fi nunmehr mit der Delfarbe vertraut mache, fondern wollte diefe Tufch- und Sepiaübungen ins Unabfehbare fortfegen. Man vergipt zu leicht, daß all diefe Meifterchen nicht gerne ihre legten Geheimniffe herausgaben, bejonders wo fie eine Entthronung fiirchteten. — Anderer= feit3 war ein Mann wie Stieler allerdings ein aufrichtiger, freifinniger Lehrer, allein feine Palette war ein Necept von etiva zwei Dußend forgfältig vorbereiteten Mifchtönen, und der Auffaffung lag ein antifes Schema zu Grund, das überall gleich) in die Form hereinjprad).
Nun befaß aber Lindenfchmit bis in jene Beit feiner erjten großen Fresfen fdjon eine angewandte tenntnis aus eigener Maljchulung, wie fie in einer Pferdftudie, feinem Göß, ein und dem anderen Figücchen, und auffallend gefund in feinem Selbjtporträt (dem in Hemd- ärmeln) vorliegt. Hier war Ton und Frifche und eine ganz in der individuellen Form reg= fame Farbe. Auch der Gig bot aus dem dargeftellten Gartenmwinfel heraus jenes Gefühl der weit= und hochher zuftrömenden Zuft- und Lichtwelt. Hiegu fchictte fich trefflich die ein= fache liebevollrealiftifche Durchbildung in feinen gezeichneten Bauernföpfen; ihre feeliiche Auf- faffung vief nad) folder Malerei. Und das war auf dem Weg, wie man aus der Aquarell= behandlung der Köpfe und Geftalten auf der „Heldengefolgichaft“ erfieht. Nicht feine Jdeen- welt an fic) war das Hindernis.
Immerhin hatten fic) tm Jahre 1827 diefe gefunden und wertvollen Elemente feiner Anlage, Anfchauung und bisherigen Praxis noc) nicht zur bemußten organifierenden Malerei fonftituiert; und doch Hatten fie eg gemußt, um in dem Gonträren der frembden wider{pruds- reichen Anfprüche und in den Gefahren des eigenften geiftigen Wablfeldes auf die Dauer nicht tief Schaden zu nehmen. ALS die An- ordnung der Kompofition zur Giengener Schlacht endgültig feitftand, Fam e8 nunmehr gegen Ende des Sommers zur Farben— ffizge"), die den Stand feines Könnens und
', 53 cm breit, 43 cm Hod, in Delfarben.
Meinens in der Malerei ziemlich überbliden läßt. „Man thut wohl, fogleih in etwas auf die Lichtwirfung zu denken“, jchreibt er, nämlich gleich beim Zeichnen fFleiner Umrif- ffigzen. Die fleine Bleiffigze im Giengener Sfizzenbud) nahm in der Tat fchon Bedacht auf Lichtwirfung, und fegte auch den Staub zwifchen Reiterheer und Berg an; leßteres fand fich auch auf dem endgültig durchgebildeten Umriß, welcher durch Nötheln auf die Lein- wand übertragen ward. Der Lichtgang, auf den die Kompofition von Haus aus mitver= anlagt war, verläuft nun in der Farbenffizze von linf3 nad) rechts, ift aber zugleid Ober licht, nach außen frei, nach innen jedoch durch die dunkle Bergmwand abgeftellt, darüber noch ein heller Himmelftreif. Die Figuren befommen aljo das Licht voll auf ihre Vorderfeite, Bruft und Kopf, und zum Teil auf die fichtbaren Ceitenflähen. €3 ift ruhiges, gleichzerteiltes Licht mit Haren Schatten; dafür forgt die den Sonnenfchein verlegende Hintergrundhöhe. Der dazwiichen auffteigende Staub hebt aber die Conturen wieder deutlich von feiner weichen Helligkeit ab. Nm übrigen gilt von diejer Oelſkizze, was Lindenfchmit in feiner Anleitung vorträgt: „Die Farbenfkigge muß in bezug auf Färbung und Lidtwirfung alles leiften oder wenigftens andeuten, was das Bild leiften foll, alles muß fich trennen, was fich trennen fol, alles muß zufammenhängen, was zus fammenhängen foll, fet e3 durd) Licht oder Schatten, durch fanfte oder jtarfe Farben. — Das Haupterfordernis ift jedoch, daß jedes Bild feinen eigenen Ton hat; jeder Gegen- ftand will entweder in düſterer Schwermut, wo die Farben gleichjam ängftlich daher- rauschen, oder in glühender dunkler Sraft oder in hellem Tagesglange oder in einem heimlichen und Zaren Dämmerlichte eigens gefärbt fein. Dies ijt der dichterifche Ge- danfe, der ein folorierteS und gemaltes Bild von einem illuminierten unterfdeidet und den Gegenstand mit Geift und Leben verherrlict.”
Die Farbenffizze ift eigentlic) jdhon bild»
mäßig durchgeführt; nur die Männerföpfe
find teilmeife nur angelegt. Sie hat eine geichloffene Haltung. In den Halbfchatten= partien, die vom Rüden des Achilles herab und durch die am Boden liegenden, unterften
Jugend und Bildungsgeit 5
Geftiirzten hingiehen und hinter dem Herzog wieder auffteigen, herrfchen lauter ftille tiefere Töne; das Eifengrau= und blau der Panzer, das Goldichwarz und Silberfchwarz in den Pferdefirpern, da8 Moosgrün und Roftbraun der Waffenröde umrahmen die Bildmitte, ıwo dann das Licht von den lebhafteften Farben empfangen wird: das Gold in der gejunfenen und das in der mwehenden Fahne, die Gold- rüftung des Herzogs, den ein lichtblauer Mantel frifsh aus den Schatten hervor- Ichwingt, — diefes Gold Töjt den Bann der gedämpften Umgebung jehr fein und jeßt dann in feiner Mitte zwei verwandte, aber nod) freiere, leichtere und lichtere Farben, nämlid) den Goldfalben des Herzogs und den Rotrod des Ueberrannten ein. Go entfteht am rich- tigen Orte ein fachlicher, fraft- und Flang- voller Effekt; es durften hier etwa, um einer bloßen Fortjegung der Feinheit willen, feine ftummen Töne jtehen, denn der Dichterifche Gedanke fordert eben gerade den Widerftreit, — nidt in einander übergehende, jondern durch deutliche Wertintervalle fich heraus- fordernde Töne. Gleich daneben gleiten mit den Pferdefdpfen die feinen Scalen von Fahl, Fuchs-, Dunfel- und Schwarzbraun bis ing Stahlgrau der Rüftungen bildein. Auf der Höhe bildet die Kampffilhouette ein Gitter von graublauen und ähnlichen Lufttinen vor dem hellen Himmel, deren Härte draftifch und beabfichtigt ift.
Die Technik ift ein fchönes, disfretes Email, in den Pangern und in den Körpern der Noffe, nicht fehr did, aber dedend auf- getragen. Die Köpfe der Ritter find zur Er- reichung des Ausdruds breit angelegt, nur der Herzog, der NRotrod, und der Achilles zeigen auch Schon Charakter.
Sehr gut find die Fugen und mutigen Pferdeföpfe; Hier liegen offenbar befondere Studien zu Grund.
Die Gefamthaltung de3 Tons gemabhnt an Gobelins: Grau bald in Blau, bald in Grün und Schwarz variiert webt fich überall durch, von Rechts her fpricht allerdings ein mwärmeres Braun und der gelblie Staub herein. Die Bilder jollten ja aufgehängte Teppiche darftellen und waren mit Franfen gejäumt. Der graue Ton hat zwar in dem
Lichte etwas Trodenes, er trug aber gut auf die Fresfowirfung an.
So hatte Wilhelm, als er Mitte Sep- tember 1827 in feine Ferien ging, dem Fresfo gut vorgearbeitet. Die Farbenffizze muk in Diefer Beit fertig geworden jein, weil der lebensgroße Karton, der im Januar 1828 be= gonnen werden follte, fie vorausfeßt. Nas mentlic die Pferdeftudien, deren NRejultat in Der Oelffizge feftliegt, wären in der fnappen Winterszeit nicht mehr Hereingubringen ge= wejen.
M13 er von Johanna Kainprechter Ab fchied nahm, gab er ihr ein Stammbudchblatt, worauf er ein zweifaches Bildnis von fich gezeichnet. Darunter ift zu lefen: „Seßiges Porträt — Fünftiges Porträt — im Septem- ber 1827 — Ihres Freundes Wilhelm Linden fchmitt“; das fünftige war jein Schädel, und die Nüdjeite trug den Berg:
„Was grinfeft du mir hohler Schädel her,
Als daß dein Hirn wie meines einst ver- wirret
Den lichten Tag gefucht und in der Däm- merung jchwer
Mit Luft nad) Wahrheit jämmerlic) ge- irret.“ —
Gin eigentiimliches Gefchent fiir eine junge Dame, — aber ein Verfprechen auf Leben und Tod. Nocd) immer war von feiner eigenen Familie Niemand als fein Bruder im Ber- trauen. Die Mutter mochte etwas ahnen; fie hatte einmal ein „Tafchenbuch“ gefchidt, worin die Gefchichte einer jungen Künftler- ehe — ohne Vermögen — erzählt war. Rlauz precht fchrieb dazu: „hr hättet wohl Tieber das Geld mit dem Porto dafür im Sad. Doc abrathen mochte ich eurer Mutter nicht, die Mahlerfrau fol euch rühren! — Filcher, da er vorne die undeutfchen, nicht zugededten Frauenbilder fah, rieth fogleich ab.“
Die Brüder reiften am 13. September nach Ulm, dann die Donau hinauf nach Ried- lingen, dem Geburtöort der alten Frau Rain prechter. Sie war die Tochter eines Sciff- bauers Stiegelmaier, defjen Arbeit auch weiter ftromab bi8 Donaumörth begehrt war. Wahr: fcheinlich Tieß fich Wilhelm hier ein Papier ausfertigen, das für die Heirat mit Hanni erforderlich war. Dann nahmen fie den Weg nad Nordoften in das Brenztal im fchwäbi-
6 Hiftorienmaler Wilhelm indenfdmit, deS Welteren
Weiffenau trafen fie ein.
in ehe ee. mer
das Regiment von früher. Außerdem hatte fie jebt Heiratsvorjchläge für die Söhne. Wilhelm jedoch ging ganz in Porträt- malerei auf. Das war auch dem Vater lieb. Er räumte ihm gern das belle Bücherzimmer
—— BFE
‘aadb ut mci RE — — — Eh
Johanna Rainpredter. Bleiftiftzeihnung, '/s der wirft. Größe. Um 1826.
chon Anfang November wieder nad) München zurüd, Wilhelm blieb bis über Neujahr.
E3 follte auf länger als ein Jahrzehnt das Tette Mal fein. Das Mainzer Leben bewegte fi) wie früher um fich; auch fein Schiejal hatte den Kreis der Yugehörigen und Nächten geftreift; die Mutter führte einen neuen Titel, Frau Nichmeifterin, und
dazu ein, das mit feinen mohlgefüllten Ge- ftellen, auf denen einige Abgüffe antifer Köpfe prangten, einen gemütlichen, verwend- baren Hintergrund bot. Außer einigen ge- zeichneten Bildniffen, mworunter die Eltern, entjtanden etwa fechs Porträts in Del: das Bild einer Mainzer Dame, eines Hausfreuns des, dann der Schweiter Wilhelms, und be=
Qugend und Bildungsgeit
fonders das Bildnis des großherzogl. Geheim=- rat3 und Leibwundargtes Leydig. ALS die ganze Reihe fertig war, wurden die Kunit- freunde auf einen Sonntag zu einem Mittag- effen eingeladen, und alfo beftodjen vor die Bilder geführt. Der Hauptfenner, Herr Ar- beiter, „ergriff nach eingehender Befichtigung die Hand des Wilhelm; fein Lob war ftarf und ungeheuchelt, ev würde nicht nur, jon= dern fei fhon ein großer Meifter“. So be- richtete der Vater an Ludwig, und fügte Hinzu, das Bild des Leydig werde Wilhelms Ruf fiher gründen. „Porträtmalen macht be- liebt bei den Leuten, bringt Geld und auch andere Aufträge.” Er fah darin auch die befte Hebung; außerdem fühlte er fich felbit angeregt, taufchte feine Erfahrungen aus, be= fprach neue Gefchmadsrichtungen. Der Stand- punft des Alten war der einer mweltmänni- [chen PBädagogie, er äußerte fich gegen feinen Sohn Ludwig: „Was du von Düffeldorf und dem fdinen Rolorit in Porträt fagit, it allerdings wohl zu bedenken, denn ein ver= nünftig gewähltes lebhaftes Kolorit |pricht die Seele angenehm an; findet dann das Fritifche Auge vollends alles der jchönen Natur ge- mäß geordnet und an feinem Plage, fo ijt das Bergnügen der Seele um fo daurenter. Der Hauptzwed der jchönen Künfte ift und bleibt nicht nur allein Wahrheit, fondern auch hauptfächlich Vergnügen einer gebildeten Seele. Ich fage Wahrheit — das ijt der Natur gemäß gefchilderte Gegenftände ; — und in der Natur ift es ja gerade DdieB ange- nehme Farbenfpiel, nebjt den mandfaltigen Schattirungen, was uns in ihr fo fehr ge- fällt. Freilich ift, das richtig zu treffen, ge= wiß nur Wenigen gegeben; ich glaube aber, daß es doch fehr leichtfinnig ift, nicht mit vollem Ernft darnac) zu ftreben. — Warum follten die großen Meifter bei ihrem Talent dieß nicht haben erringen fünnen, — ich meine die, denen dieß angenehme Kolorit abgeht, — wenn fie den wahren Werth davon gefühlt hätten? Man wird darin wie in allem wirf-
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lich gut Gerathenem in der Kunft, noch Das Gute und Nütliche finden, daß folche Werke rohen und gebildeten Menfchen auf den erften Blid gefallen. Sieh die großen Werfe an, fo wirft du das finden; ein Woumermann bat die trefflich benüßt.*“ Die Kunst ift ihn alfo nicht für die Runft, und nod) weniger nur für einen auserwählten Kreis da! Daz gegen lag ihm die Haltbarkeit und Dauer- haftigfeit der Arbeit am Herzen; er jorgt für gute Malmittel und weiß foftbare Farben für feine Söhne zu erwerben, 3. B. eine Portion Ultramarin;!) fie follen jich brüderlich darein teilen, aber niemand den Befiß merfen lajjen, — und er freut fich darauf, „wenn ihr wie- der was Tüchtige8 malt und auch da ein wenig fo {dine Farbe anbringt.“
Auch Ludwigs Zeichnungen aus Tirol erfahren daS Lob, daß Ddiefe Feljenwände denen des Everdingen glichen, der faft nie darin erreicht worden fei. Ludwig war fo früh nad) München gegangen, einmal wegen des Beginns der Vorlefungen, und fodann um Borbereitungen für den Karton zu treffen. Damit hing das Gejchäft zufammen, eine für die Arbeit paffende Wohnung zu juchen. Sie müffe nicht gerade Nordlicht haben, wenn nur da8 Hauptzimmer weit und tief genug fet, um der Sonne ausweichen zu fünnen. Das Gejuchte fand fic) in der St. Annagaffe, alfo nicht weit vom Hofgarten, was fiir Cornelius wegen der Rorrefturbefuche wichtig war. Bez vor nemlid) Cornelius feinen Rontraft mit dem Hofbauintendanten, Herrn v. Stlenze, betr. Ausihmüdung des Hofgartenganges mit al fresco Gemälden abjchloß (21. Febr. 1828), war fchon der Zustand eingetreten, daß die Akademie anderweitig durch ihre neuen Auf- gaben in Anspruch genommen war und einen Kaum für die Arbeiten an den großen Rarz tonen nicht ftellen konnte. Ein beabfichtigter Barafenbau unterblieb und fo hatte Cornelius im Ginn der Abmachungen zu handeln ge= glaubt, wenn er in dem fog. Kaufhaus, d. 5. in der die Läden enthaltenden Abteilung der
ı) Im SKontraft gwifchen der f..b. Oofbauintendang und Prof. El. Zimmermann betr. Ausführung, der Loggiafresfen in der WU. Pinakothel, vom 26. Nov. 1827, find eine Reihe tehnifche Vorbereitungsarbeiten und gemifje Auslagen, fo die für teure Farben, Ultramarin und Kobalt, nod) eigens der f. Hofbauintendanz auf: erlegt. Die Summe von 45000 fl. war nur für die Kartone und die fünftlerifche Arbeit bein Malen jelber bejtimmt. ©. 8.5. Kreisardjiv, Münden: Alten der Kgl. Regierung von Oberbayern, Kammer des Innern; Reg. VII.
63. Nr. 1; Pinakothek, Nr. 47.
5 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfdmit, bes Welteren
Hofgartenarfaden, einen Raum vom Banfier v. Cichthal mietete. Doch fonnten Hier nicht alle Kartonzeichner bequem untergebracht wer= den. Daher fam e8, daß die Lindenfchmit ihren Karton zu Haufe zeichneten. Die Mei: nungsverjchiedenheit zwijchen dem Direktor der Wfademie und dem Hofbauintendanten, wer die Miete für das Lokal des Bazar und die Kojten für die Heizung, Beleuchtung, Be- dienung zu tragen Habe, 30g fic) noch bis ins Jahr 1832 hin. Cornelius fonnte die Auslagen nicht auf den Fond der WAfademie übernehmen, veil diefer durch machjende Schülerzahl, Modellgelder, einen zweiten Mo- dellfaal, Erweiterung der Wrchitefturfdule,
und die endgültige Einrichtung eines Wales.
gimmers, fowie durch die Veranftaltung der Kunftausftellungen aufgezehrt wurde. Er fonnte aber auch nicht zulaffen, daß diefe Rojten an der für die einzelnen Fresken d. h. für die Maler derfelben beftimmten Summe abgejeßt werde, zumal im Mai 1828 nod) zwei neue Bilder über den Querbogen, — e8 find die jchönen Allegorien Raulbadhs —, zu dem früheren Anjchlag hingugefommen mwaren.!) Cornelius hat diefen Strauß für feine Schüler wie für die Afademie fchlieglic) gewonnen.?)
Wilhelm erinnert feinen Bruder in einem Brief vom 28. November 1827 ganz furz an feine Mufträge: „Deine Gejchäfte als die Be- forgung des Kartons, der Mappen, des Xo- gies, die Befuche bei Cornelius, Stieler und Nulands wirft du wohl beforgt haben, und ich hoffe, dak du auch fchon eine Skizze zu unferer Schlacht unternommen haft.“ Dar: unter fann nicht gut eine durd) Ludwig aus- zuführende Farbenffizge gum Wrfadenfresfo gemeint gewejen fein, abgefehen davon, daß ev feine gemalt hat. Wilhelms Farbenifizze, nach der fi) dann das Fresfo bis ins ein zelne gerichtet hat, war fo ausführlich und liebevoll durchgebildet, daß fie nicht das Werk kurzer Beit neben dem drängenden Starton her fein fann. Folglich) ftand in diefer Bez
ziehung jchon alles fir und fertig da. Wud bedurfte der Karton fie zu feiner Regelung. &3 wird alfo unter einer „Sfizze zu unferer Schlacht“ etwas anderes zu verjtehen fein und da bliebe nur der Gedanfe an Sendling offen.
Wilhelm fam am 7. Januar 1828 mies der in München an; er war über Darmitadt gereift, „um fich zu lanciren“; dort fang die Demoifelle Sonntag die Donna Anna, „als ich mich dem Theater nahte, ergriff mic) das Vollsgemurmel und trug mich fchwebend bis auf den höchiten Blak auf das Paradieß“ ; dann war er in Worms mit einem Runft- händler, Artaria, und einem Gefchäftsmann, Memminger, gufammengetroffen. Sein Vater antwortete ihm am 23. Januar nad) Münz chen: „mir freuten uns alle jehr, daß du glüclich bei deinem Luppus angefommen bift; der wird fich auch recht herzlich gefreut haben; daß er dir am Thor entgegenfam durch den guten Heren Memminger unterrichtet, hat ung jehr ergögt. Der Herr Memminger war vors ber hier, der hiefige war mit ihm, fie hätten gern euere Zeichnungen gejehen.“
Wilhelms Name hatte in Mainz, Darmz ftadt, Heidelberg, Mannheim unter den Kunft- freunden und durch Kollegen, wie 3. B. den Heidelberger Maler Fries, fchon einen ge- wifjen Klang ; — gleich waren auch die Kunfts handler aufmerffam, die damals an den erz mwachenden Werfehrsorganifationen fic) auf- ranften und zwifchen den regen rheinijchen Städten und großen Plägen wie München noch unruhig bine und ber undulierten; dem „biefigen“ entiprad) immer ein ausmärtiger. Sp war auch das Speditionsgejchäft, das die gelegentlichen Sendungen der Lindenfchmit be= forgte, der Hofbanfier v. Eichthal aus den rheinifden Gegenden und griff unter der Hand in die Verhaltniffe der Kunft ein. Sein Bruder, der bayer. Finange und Regierungs- rat, der die Mufterverwaltung des Gutes Ebersberg eingerichtet hatte und die Ermwerbs=- und Berfehrsverhaltniffe in Stalien und Eng- land auf Reifen ftudierte, befreundete fich in
1) ©. $. Hreisarhiv, Münden. Acta des f. StaatSminift. d. Innern XVIII fasc. 399. ,Oofgarten
Arkaden ufm.“
*) Die eigentliche Zchde zwifchen Cornelius und Kenge hatte fhon eher, Ende 1827, eingefett, nämlich fiber die Loggiafresfen und betraf den alten Zwiſt zwifchen deforativen Stiinften und Bildwirfung. Unter diefem Gefihtspunft muß SKlengze’S Borgehen ciras billiger beurteilt werden, al8 c8 nad) dem bei Förjter,
Cornelius I. S. 419 ff., Erzählten ausficht.
Jugend und Bildungszeit 9
Schottland mit dem Bater der hiltorifchen Romantif, dem Dichter und weltpraftifden Ginfiedler Walter Scott. Und W. Scott hat nad) deffen Tod und beim Herannaben feines eigenen Endes auf der Heimfehr von Italien noch im Frühjahr 1832 das Sendlinger Fresfo befichtigt und fein großes Jnterejje für die feinen Hochjchotten jo verwandte Weife be- fundet. Sn diefen Sreiß gehört jchlieglich der Notar (?) v. Deffauer, der fpätere Bejiger des Bades Kochel, welcher Lindenfchmit jchon vor dem GSendlinger Unternehmen fannte und ihn im Herbjt 1831 in Gachen des Patents fiir die Lithographie des Sendlinger Gemäldes mit feiner gejchäftlich juriftifchen Erfahrung beriet. Hier in diefen Anfnüpfungen, die aus dem bürgerlich-fommerziellen Aufbau feiner Heimat und zum guten Teil Gejchäfts: und Gefellfchaftsbeziehungen feines Baters ent- iprangen, hätte fic) ein gutes Ausfommen, eine rajche zeitliche Anerfennung und jpätere "Unabhängigkeit angebahnt.
Immerhin ließen derartige Ausfichten, fowie aud) die Wnerfennung und der Ver- dienft aus feinen Mainzer Portrdten gerade jeßt das Beginnen, den eigenen Herd auf die eigene Ermwerböfraft allein zu gründen, leich- ter erjcheinen.
Er fchreibt fpäter einmal: „Seit meinem zweiundzwanzigſten Jahre verdiene ich mein Brot.” Das bezieht fic) auf die nun bei der Kartonzeichnung einfegenden Ratengahlungen, welche Cornelius monatlich ordnete. Wuf den Maler jedes einzelnen hHijtorijden Fresfos entfielen etwa gegen eintaufend Gulden!) im ganzen.
Der RKarton, in der Bildgröße, hatte eine Höhe von 2,26 Meter. Schorn gibt für die Fresken runde 8 Fuß Höhe und 10 Fuß Breite an. Die Uebertragung der fchon auf der Skizze forgfältig angeordneten Gemänder (und Fahnen) ins Lebensgroße ging nur mit Model. Ebenfo nahmen die fo Lebenswahr gegebenen Stellungen der Reiter und Gejtürz- ten jelbjt eine bedeutende Yeit in Anjpruch,
befonder8, wenn man bedenft, daß der fünjt- ler feine Geftalten vom Skelett aus durd)- fomponierte. Die Köpfe waren eine Aufgabe für fih, und es fommen minbdeften8 die der drei vorderen Reiter, drei Geftiirgte, und Albrecht für volle Porträt» und Charafter- wirfung in Betradt. Die Größe der Bilder und ihre Nähe forderte die Durchbildung der Einzelheit; und hier trat auch bri weniger gelungenen Rompojitionen oft ein naiver und frifcher Reiz hervor. Später murden Ddiefe Kartone von ihren Künftleen an bayerijche Städte, unbefannt an welche, geichentt.
Diefe Arbeit erjtredte fich biß in den Suni 1828 und wurde nur wenig unter- brochen. Dagegen jah er fic) vor eine bez deutfame Entjcheidung geftellt. Aus Nom ergingen Einladungen. Der Maler Simmler und der Diafon Lennig, zwei Mainzer, wünfch- ten ihn recht bald dort zu haben; fie feien gut eingeführt und wollten ihm in allem zur Hand gehen. Außerdem ließ ihn fein Freund Krafft grüßen und ihm mitteilen, ex fühle fi) fo franf, daß er nicht mehr aus Italien fommen werde. Qn Mainz verabredeten mehrere wohlhabende Bürger, den beiden Zindenjchmit einen längeren italienischen Auf- enthalt durch ein Stipendium zu ermöglichen. Diejer vorteilhafte Vorjdhlag wurde aud) in einem der näcjjten Jahre wiederholt. €8 ift klar, daß Wilhelm fich beim Publifum, das nicht höher jchwor ald Rom, ein ganz ans deres Relief fon durch den bloßen Aufent- halt dort gegeben hätte, und ebenfo hätte e3 ihm nach oben bin, in Cornelius’ Kreifen und auch beim König, die eigentlichen Weihen und eine Art Selbftändigfeit verfchafft. Wäre Wilhelm Lindenjchmit jolchen Erwägungen zu= gänglich gewejen, jo hätte auch jein Heirats- plan fich ihnen ein= und unterzuordnen ges mußt. Das war e8 jedoch nicht, was ihn abbielt, alg im Herbjt mit der Beendigung des Arfadenfresfos die Bahn fret wurde. Aber die Heberzeugung auf eigenem Boden feinen Lebensplan aufbauen zu follen, war
1) Siehe die Alten im F. Kreisarhiv, Münden. — Nad) Eornelius’ Berechnung entfielen von den 24000 fl. der Gejamtfumme 4800 ff. fiir Den Untrager der Gründe, Farben, Modelle ufw. Die übrigen 19000 fl. zerfielen urfpriinglid) in 16 gleiche Zeile, zu je 1200 fl. für je eines der 16 Hiftorienfresten eingerechnet den Betrag für die Dedenarabesfen und die gegenüberliegenden Allegorien an den Pfeilern und in den Bwideln; und davon
nod) ab der Betrag für die zwei großen Torbogenbilder.
einzelne Hijtorienbild. TMIU?2
So find 1000 fl. wohl zu hod gegriffen für das
2
10 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfdmit, des Welteren
zur ftarfen Flamme aufgefchlagen. Sie gebot ihm, feine Arbeit nicht nur dem Namen der Heimat gu weihen, fondern die gejtaltenden Elemente al8 das foftbarfte Cigentum einer echten Kunft diefem Boden zu entnehmen und eindrudsvoll Hinzuftellen.
G3 war der Entfhluß, mit dem Send» linger Gemälde für das Gedeihen und die Bufunft feines Gewerbes, dem er Geift und Leben anvertraute, mit dem vollen Maße un- verbogener Befähigung einzutreten. Seine Begeifterung wuch3 in der Ausführung des Urfadenfresfos, wo er die Schönheiten diejer Technik fennen und die Vorteile, die fie einer großaufgefaßten Kunft bietet, fchäßen lernte.
&3 wurde deshalb alles darangejegt, in diefem Sommer das Arfadenmwerf zu bemäl- tigen. Bon den Transparententwürfen für die Dürerfeier, woran er gedacht und woran fi) eine große Zahl feiner Mitjchüler betei- ligt Hatte, ftand er nun ab; er reifte zu den Feittagen des 6. und 7. April allerdings nad) Nürnberg, fo etwas verfdumte er nicht leicht. Auch galt die Feier zugleich der Aufrichtung und Verbreitung einer größeren Kunfttätigfeit in Deutfchland und fo findet fic) fein Mame aud) unter der GStiftungsurfunde des dort befchloffenen deutjchen Künftler-Bereins.')
Am 15. Juni begann er das Fresfo; e8 mar die Zeit, wo er feine Verlobung befannt gab. An diefem Tage jah Hanni noch den fertigen Karton in dem Arbeitszimmer der St. Annagaffe, der dann in die Arkaden ge- Ichafft wurde.) Wilhelm hatte das große Bimmer, wo der Karton entjtand, noch für furze Seit beibehalten, obwohl er fchon zum Maler Quaglio in die Burggaffe umgezogen war. Man rechnete nämlich damit, mit der zweiten Abteilung der Arkadenfresfen etwas früher beginnen zu fönnen. Da aber die dichtbelaubten Kaftanien an diefer Stelle den verfchalten Raum fehr verdunfelten, war um die Erlaubnis, einige Zweige entblättern zu dürfen, eingegeben worden. Als fie nicht er= langt werden fonnte, mußten erjt die Yenjter vergrößert werden.
8 wurde dann ohne Unterbredung an dem Fresfo gemalt und dank der Mitwirkung feines Bruders jtellte Wilhelm das Bild in
dem Beitraume vom 15. Juni biß gegen Ende de8 Septembers 1828 fertig. Gleich darauf trat er eine Reife an. Yn Schorns Aunft= blatt, vom 1. Januar 1829, Ir. 1 wird eine Ueberficht über den Stand der Malereien in den Arkaden gegeben; die Angaben beziehen fi natürlich auf den Herbft 1828, meil ja im Winter der Dunfelheit und des Froftes wegen nicht weitergearbeitet werden fonnte.
G8 werden die Titel der Bilder nebft furzer Erläuterung der Reihe nach gebracht, die Namen der Maler genannt und dann der Grad der Fertigitelung furz Hinzugefügt. Danad) war Fresfo
1. (Förster) fchon vollendet.
. (Zimmermann) fchon vollendet.
. (Rödel) unvollendet.
. (Stürmer) fertig.
. (Hermann) wird eben gemalt.
. (Stilfen) gemalt.
. (Hiltenfperger) unvollendet.
. Schladht bei Giengen. Gemalt von den Gebrüdern Lindenjchmitt.
9. Gemalt von Schilgen und Vols.
10. Wird erft im nächften Sommer gemalt.
11. (Eberle) noch unvollendet.
12. Gemalt von Stürmer.
13. 14. (Belgrad. Akademie) werden erjt gemalt.
15. Monten (Arcis sur Aube) ijt ge- malt.
16. (Berfaffungsurfunde) wird erjt gemalt.
E3 ift alfo jedesmal gefagt, was „erit gemalt wird“; das andere ift gemalt. Troß- dem war an Lindenfdmits Fresfo der untere Rand mit den Goldfranfen noch ungemalt. Sie find im folgenden Sommer nachgeholt worden.
Mitte Juni 1829, alfo ein Jahr nachdem Lindenfchmit an das Arkadenfresfo gefdritten war, und gerade in den Tagen als er den Karton für das Sendlinger Bild feftitellte, ift ihm fein erfter Sohn, Wilhelm Ludwig, ge- boren worden, — derfelbe, der im Sommer 1885 nad) Ginholung der Allerhöchiten Er= laubnis dem Arkadengemälde feinen heutigen ichönen und reifen Anblid verlieh und der im Suni 1895, als er die Wiederherftellung des Sendlinger Heldenbildes jchon begonnen hatte,
ot me Cw PO
axa oe
') Sörfter, Cornelius I, S. 488 ff. Wtenftite Nr. XIII. ») Nach einer Mitteilung und Aufihreibung meines Vaters, Prof. W. v. Lindenfchmit.
Jugend und Bildungszeit 11
geftorben ift. Das zweite Entjtehungsjahr des Sendlinger Bildes it das Geburtsjahr feiner Tochter Walburgis; bald nach der Enthül- lungsfeier des Bildes 1831 fam feine zmeite Tochter zur Welt, die von Cornelius’ Schwe- fter Jofepha aus der Taufe gehoben worden
zu erwarten hatte. Die Mutter hatte daheim eine reiche VBerforgung bereit, und hat es ihm nur fchwer verziehen, daß er auch hierin fic felber und dem Leben gefolgt war. Eine lieben8wiirdige Mtaingerin war auserfehen und diefe hatte, offenbar unter der mütterlichen
ift. Cornelius’ Schwefter bewies ihm große Sreundfchaft in fehmwieriger Beit, mozu auch ihre Anmwefenheit in der Frauenkirche gehört, als dort das blühende junge Paar getraut wurde. Wilhelm war erft 22 Jahre alt, und feine Eltern erhoben Ginfpruch gegen diejes Wagnis, weil er von feiner Seite Vermögen
Leitung, mit Geift und fluger Gefchmeidig- feit ihn zu tröften unternommen, als er nod) an der Neigung zur Frau von N. franfte. Allein gerade vor diefer zu früh bemuttern- den Klugheit der Schönen jcheute er. Als er die Hanni erwählte, waren e3 die entgegen- gejegten Eigenfchaften, reine Lebenskraft, ein 2%
12 Hiltorienmaler Wilhelm Lindenfhmit, des Welteren
ftarfer Mut, ein gutartiger Leichtfinn, der humoriftifch beanlagt war, aber auch zu tro= gen verstand. Jene merkwürdige Stamm blatt mit den „zufünftigen Porträt“ nahm fie gewiß mit Weinen und mit Lachen auf. Ein jähes Ende hatte ihn kurz vorher einem Freunde, der fehr an ihm gehangen, mit dem er fi überworfen hatte, wieder zugeführt. „Sein Name war Birgelmann. Er ftarb in meinen Armen.“ Der Tod, der auch andere feiner Freunde damals megraffte und Krufft in Rom, den Weder feiner Pläne, fchon zeich- nete, riß die legten Traummeben mit fich, die in ber Qugend, wo ein Augenblick entjcheidet, eine Ewigfeit hinmalen. „Denn des Lebens Schattenwurf entfliehft — weit hinaus und fült fchon dein Gebiet? — Flingt es fpäter aug einem von feinen Gedanfengedichten. Eine Ungeduld, da8 Leben zu niiken, die gerade die edelften Menjchen manchmal wahr haft peinigt, trieb ihn zu feinem Liebesbund und zu feinem Werf.
So befunden die Refte eines Sftgzenz buds vom Gerbft 1828, daß er fich wenig- ften8 im lUmfreife der Sendlinger Aufgabe bewegte und in Virol, wo die Erinnerungen und Zeichen des Bolfskrieges von 1809 nod) fo frifch waren, nach fprechenden Zügen fuchte. Er verließ München am 30. Septem- ber, oder einen Tag früher. Am 7. Oftober zeichnete er von der Straße bei Seefeld eine Ausficht und traf in Innsbrud ein. Sn der Bmifchenzeit war er in Kochel gemefen.
E3 ift nichts darüber befannt, ob er außerdem noch einmal Kochel aufgefucht hat. Die einzige Möglichkeit bite der Zeitraum vom 4. Mai bis zum 5. Juli 1829, wo die Aufenthaltseinträge des BivilftandSsregifters eine Qiice lafjfen, ohne jedoc) wie fonft eine Abmeldung zu buchen. Gegen einen irgend- wie längeren Zandaufenthalt im Frühlommer 1829 jprechen aber manche andere Gründe.
Somit ift der Herbit 1828 mwahrjcheinlich die lebte Gelegenheit, wo er jenen Socheler Bauern gezeichnet haben fann. Daß er in Kochel wirklich folche Leute, die er alsdann
in feinem Schlachtgemälde, fpez. bei der Haupt- figur verwertete, gezeichnet hat, beruht in diefer Allgemeinheit auf der Mitteilung, bezm. ftet3 gehegten Meinung feines Sohnes, des Afade- mieprofejlor3 W. v. Lindenfchmit.
Ih fann nur die Annahme machen, daß e3 fich um die nämliche Perfon wie in dem Briefe der Frau v. Deffauer (bei Sepp, Der bayer. Bauernfrieg, S. 360) handelt. Die Eingangs des Briefe geltend gemachten freundichaftlichen Beziehungen zmwifchen Defl- auer8 und dem Maler des Sendlinger Bildes haben wirklich beftanden. Auch mein Vater erneuerte die Befanntfchaft, als er im Sommer 1863 nad) zwanzigjähriger Abmwefenheit wieder nah München überfiedelte und den erjten Landaufenthalt in Kochel nahm. Damals machte er mich auf das fleine bretterverjchalte Haus am nördlichen Eingang des Dorfes aufmerffam; ich hielt e8 feitdem, ohne dap mir font Jemand von allen damit zufammen= hängenden Dingen je gefprochen, für die Heimat des ‚Schmieds von Rochel‘, fühlte mich aber beim fpäteren WVorbeimandern mehr an die bewegte Art als an die einzelnen Worte der furzen Mitteilung erinnert. Diefes Häuschen meint Frau v. Deffauer mit den Schlußmworten ihres Briefe8 von 1882: „Am Eingang des Dorfes fteht die alte Werfftätte noch, nur das Wohnhaus daneben wurde abgebrochen.“ Borher erzählt fie von den Meierifchen Nach- fommen, die auf dem „Bollbauer“ Leben. Nach) dem Kocheler Tauf- und Sterbebuch war auf dem Zollbauer der am 11. Juli 1794 zu Rodel als Sohn des Willibald Mayr geborene Michael Manr;!) er hatte am 25. Februar 1828 geheiratet, und jtarb am 10. Dezember 1869. Ym Herbfte 1828 ftand Michael Mayr im 35. Lebensjahre; auf jdmtlichen Bildffiazen der Jahre 1829 und 1830 bejitt der Held die Züge eines mittleren Dreißigerd. Das Todesdatum des M. Mayr ftimmt ungefähr mit der Angabe des Briefes der Frau v. D., daß das Modell des Künitlers vor 10 Jahren verftorber fei, da die bis zum Briefdatum (1882) verftrichene Zeit wohl nur
!) Der Screibung des Familiennameng Mayr im Kirdhenbud) fdliebt fich 1832 Grubers ,Balteh Mayr“ an. Makmann 1830 weicht mit „Balthafar Meyr“ ab und ftimmt mit dem Zettel (unbekannter Hand, f. unten). — ®. 2£., in deffen Nachlaß fich der Zettel fand, ift mit jeiner Schreibung „Baltafar Maier“ davon unabhängig (auf ©. 16 des Sendlinger Büchels, 1831) und hat aud) auf der 1829 anjgujegenden Lifte ,B. Mater’, aljo aus dem Gehör. Frau v. Deffauer, feit 1835 in Rodel, fcreibt ,Walthes Meier.“
Jugend und Bildungszeit 13
nad) Erinnerung eingefchägt ift. Anjtoß er- regt jedoch, daß fie fchreibt: „Der vor 10 Jahren verstorbene Balthes Meier hat dem Künitler Lindenjchmitt als Modell gedient.“ Diefer Name Balthes liebe fich als ein Zuname, den gerade ein Modell ohne fein Zutun oder felbft zunächft ohne fein Wiffen nachträglich aus den Umjtänden befommen fonnte, verjtehen. E83 wäre dag- felbe, wie wenn die Oberammergauer Baflions- ipieler furzweg mit dem Namen der von ihnen dargeftellten heiligen Perjonen benannt werden. Denn obgleich Frau v. D. nicht jagt, dak ihr B. Meier der Bauer auf dem Zollbauer ge= wefen fei, fo findet fic) um die erwähnte Zeit doc überhaupt fein Balthajar Mayr in den Rocheler Kirchenbüchern, wie mir Herr Pfarrer %. Hartmann gütigft mitteilt.
Wie fam nun 1828 Lindenfchmit dazu, diefen Bauern zu zeichnen, da ihm doch wahr- jcheinlich damals noch gar nichts über die Beteiligung eines Vorfahren diejes Meier an der Schlacht zu Ohren gefommen war? Leb- teres finnte man nur annehmen, wenn feft- ftiinde, Dak Mtabmann feine ,,Ueberlieferung” über jeinen Balthafar Meyr in der Tat fchon auf jenen früheren Ausflügen mit Neureuther und Fellner aufgetrieben habe, auf denen die Lindenfchmit jcheints wirklich) dabei waren. Das fteht alfo dahin.
Die Urjache, warum Lindenfchmit auf jenen Bauern aufmerffam wurde, als er ihm wohl ganz zufällig begegnete, liegt wo ans ders. Wilhelms Raffen- und Typenforfchun- gen, die fich durch fein ganzes Leben durch- ziehen und jene Anfichten ftiiken, die er in den „NRätjeln der VBormwelt“ über die Herkunft und den Kern der weißen Menjchheit fchon (1846') niederlegte, Liegen ihn auf allen Reifen auf den Menfchenfchlag acht geben. Sreilich hat er in diefen und den früheren Jahren nur zum Behufe fünftlerifcher Hebung oder mit der Beitimmung zu einem Porträt oder für ein Bild oder meil ihn die Schön- heit und die Eigenart eines Menjchen feifelte, feinen Gegenstand gewählt. Allein die Raijen- beobadhtung jtrich immer nebenher. Hatte er einmal irgendwo einen Typus aufgegriffen
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und hingeftellt, fo intereffierte ihn jelbitver- ftändlich gerade eine Leis abweichende Aehn- lichkeit, die ihm irgendwo ander in die Hände lief.
Und fo muß es in diefem Falle zugegangen fein. Auf der Wildalm in Steiermark hat er im Sommer 1825 jenen ©. 62, (3.4. Heft 1906) abgebildeten Holzfnecht gezeichnet. Diefer it im Typus jeines im Sendlinger Fresfo dar- geftellten B. Maier. Hiezu fommt, daß auf einem lojen Blatte zwei etwas von einander und von jenem Holzfnechte abweichende, aber nahverwandte Bauernföpfe ffizziert find. Die- jes Blatt trägt außerdem 1. den erjten, etwa 1829 entjtandenen Gedanken zum „Mufruf der Cherusfer durch Armin“, 2. am Mande unter den Köpfen ein fleines Verzeichnis, welches in Zahlen Mae für eine Anzahl Fie guren anmeilt, deren lebte als „B. Maier“ benannt ift, und 3. ift auf der Nüdjeite die Stellung des B. Maier mit Fahne und Kolben probiert.
Folgerungen für die Chronologie der ver= fchiedenen Entwürfe zu einem Gendlinger- Schlaht-Gemälde machen es mwahrjcheinlich, dak die Anwendung diejes Typus als Haupt- figur der Kompofition nicht von Anfang an beabfichtigt war. Andererfeits fteht feit, daß Lindenfchmit im Juli 1829 fchon entfchlofjen war ein Fresfo zu malen, und den Karton damals wahrjcheinlich Schon vorbereitet hatte, der ich auf diefe Gejtalt aufbaut. Andere Feftftellungen, fo die Befichtigung der Ber- löbnistafel in Egern und ähnlicher Denkmäler, find entweder im Sommer 1827 oder wahr- jcheinlicher im (Frühjahr? oder) Herbit 1829 gemacht worden.
Denn die Herbitreife von 1828 bietet daz für feinen rechten Raum. Wilhelm über: fchritt nämlich damal3 den Brenner und am 10. Oftober den SJauffen; auf dem Sand ftellte er feft, daß zwei Fahnen, die am 9. April Anno 1809 im Sterjinger Moos er= beutet waren, feine bayerifchen feien und daß ji auch unter den älteren feine befänden. Er notierte fich die unbeholfene, rührende In= Ichrift der Sandfcheibe, „te hängt über des
1) „Die Räthsel der Vorwelt oder Sind die Deutschen eingewandert?“ Mainz 1846. Seifert’sche Buchhandlung. — Das Bud ijt alfo vor Gobineau erfdienen und aud) gang unabhängig von Ddeffer
myſtiſcher Philoſophie.
14 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfhmit, des Welteren
Kriegerd ehemaligem Schlafgemad’. Jene Verſe auf Hofer jchrieb er damals nieder. Weiter alg Obermais fam er nicht. Er fehrte fehr rafch wieder denfelben Weg zurüd. Auf der Bride gu St. Leonhard war ein Pa3- quill auf ihn und feine Begleiter angeheftet: „Wir haben nicht der Weil — wir miiffen auf den Sand —“, weil fie damal3 fo geeilt hatten. Wm 26, fpateftens Ende Oftober war er wieder in München, in jeinem jungen Hausitand.
Freiherr von Hormayr jiedelte im Herbit 1828 nah München über und übernahm als wirklicher Geheimrat nad) des Königs Willen auch die publiziftifche Vertretung feiner Kunit= politif. Hormayr ift aber erjt im Herbit 1829 mit Lindenfchmit perfinlich befannt geworden; in einem Brief vom 26. September 1845 ver- ficert er Lindenfchmit feiner ,feit jechzehn Jahren dankverpflichteten Hohadhtung“. Bor Hormayr war Minifterialrat Eduard v. Schenk durch feine Stellung mit den Künftlern in naher Berührung. Sein „Belifar“ mar jeit dem Dürerfefte viel aufgeführt worden. Bon einer andern Dichtung „die Krone von Eypern“ hat er im Frühjahr 1832 eine eigenhändig ge= jchriebene Szene Wilhelm zum Andenfen ge- geben. Eduard v. Schenk wurde Ende Auguft 1828 Minifter des Innern. Er fcheint e3 gemwefen zu fein, welcher dem jungen Künftler bei jeinem gemwagten Unternehmen den Rüden ftarfte.
VI. Das Sendlinger Bild, 1829 bis 1831.
Im Winter 1828 auf 1829 find mei
Arbeiten, die Schlacht bei Sempad, (Winfel-
ried) und Armin die Cherusfer gegen Barus aufrufend, begonnen und durd) den Genbd- linger Plan jedoch über mehrere Jahre ver- fchoben worden.
Die Sendlinger Schlacht follte zuerit als Delbild gemalt werden. Der in der Anord- nung fertige Entwurf dazu befindet fich auf einem Bogen, auf dejfen Rüdfeite die „Wal- balla“ als ausgeführte Zeichnung begonnen, aber unvollendet gelaffen ift. Sie war zuerjt da, und wurde dann mit geröteltem Paus- papier überflebt, damit der Entwurf der ans deren Seite auf die Leinwand übertragen werden fonnte. Es ift hier ein Abjpringen aus dem ehemaligen Walhallagefüge deutlich.
Der Schlachtentwurf ift 75 cm breit und 54cm hoch, aljo Breitjormat. Wn eine Gloz rie oder fonft eine Entiwidelung in der Hobe ift nicht gedacht. Dagegen ift links im Hinter- grund die Kirche fichtbar.
Es war eine rein realiftifd) gemeinte Kampfizene, recht3 die Reiter, linfs die Bauern, beide in ähnlichen Gruppen wie auf dem Fresfo. Aber zmwifchen die Reiter ijt ein Vor- fämpfer gejtürmt, der den hölzernen Sturm= folben') mit beiden Armen führt. Sein Gee ficht ift dadurch bis an die Augen verdedt. Seine Haltung, fonjt der im Fresfo ähnlich, ift nicht abfichtlich betont, er ift nur von feinen Sameraden abgefommen, die fic) gegen die vordere Reihe der Reiter wehren. Hier it der Fahnenträger, eine Profilfigur; er führt in der Rechten den Stahlfolben, den auf dem Fresfo der Schmied führt. Diefe ganze SKampfizene, faft doppelt jo breit ent=
') In dem Entwurf gewahrt man drei hölzerne Stolben, mit beiden Armen zu führen, (Vorfämpfer
tehts, Erfchlagener linf® vorne, Kämpfender linfS im Hintergrund), und den leichten Stahlfolben für einen Arm (Fahnenträger). — „Eurieufer Verlauf‘ S. 14: vor Wajfferburg „ein Wirth ware . . todt geblieben, er hatte unter feiner Armatur einen neuen Morgenjtern geführt.“ Gebrauch und gar Neufertigung der veralteten Waffe war aufgefallen. Ein Stih in Imhof „Neu eröffn. Hiftor. Bilder Saal“ 6. Teil S. 29 ftellt die Schladht bei Aydenbad) dar; dort find zwei Mtorgenfterne gu fehen. Er hat diefe Stellen fdwerlid) gefannt; nod weniger die Angaben aus der „Ueberjiht der von dem Stlojter Benediltbeuren für das allgem. Landes-Defen= fionsmefen im jpan. Erbfolgefriege aufgebotenen Unterthanen u. |. w.“, melde Moramigfyg im Oberbayer. Archiv 16. Bd. 1856—57 aus unbenügten Schriften im f. Neihsardiv veröffentlihte. Dort heikt es S. 320 nad Aufzählung der XV. Gorporalfchaft: „Dann find aud alle Knecht und die noch übrigen vorhandenen wehr— haften Zeut mit Sturmfolben und Segefen verfehen, deren beyläufig 200 find“ und S. 323. „Summa Summarum der ganzen Mannjhaft ohne denen Anechten u. a. wehrhaften Leuten fo zu den Sturm-stolben und Senfen verordnet: 521 Mann.“ Das Koceler Aufgebot ijt möglichermweife (nad) K. v. Wallmenich, Der Oberländer Aufitand 1705, S. 152. Anm. 2, dejjen einer Grund, die gegen Tirol zu befegenden Pojtierungen, aber nod mehr die Tegernjeer hätte abhalten müjjen,) gar nicht vor München erfchienen ; dagegen gerieten von der ver: gejlenen Waffe gleich ganze vier Stüd in Lindenfchmits eriten Entwurf, und da fogar die von ifm forgfältig beachtete Egerer Tafel feine kennt, fo dürften eben Kocheler Kolben, beziehentlih ihr verworrener Nadllang den Weg in die Sage und bann ins Bild gefunden haben.
Jugend und Bildungszeit 15
widelt al3 auf dem Fresfo, ift in den Mittel- grund gefchoben; den Vordergrund bededen die Gefallenen, jchwere große Körper. Die Gruppe linf3 und der Jüngling rechts ift faſt ganz fo wie auf dem Fresfo. In der Mitte liegen andere Gefallene. Bon ihnen allen ift der VBorfämpfer, rechts im Mittelgrund, durch ein geftürztes Pferd gefchieden, das fo nocd in den fpäteiten Skizzen figuriert und ihn ganz außer Beziehung zu den fpäter foge- nannten Söhnen hält.
Das Alles gibt in feiner Tiefe und Breite mehr das Bild eines Schlahtfeldes, als
edlem Eifer, wallten mit ihm auf dem blut- gedüngten Schlachtfeld; der verjtorbene Land- tichter Steyrer in der Vorftadt Au zeigte die mwärmfte Teilnahme“ fchreibt Hormayr in den Bayerifchen Blättern 1832, Nr. 23.
In einem Brief Wilhelms an feinen Schwager, den Gemeindebevollmadtigten Dr. meiner, etwa vom Jahre 1838, find außer- dem Cornelius und der fgl. Stallmeifter W. v. Freyberg begeichnet, welche die Aufmun= terungen, die der Biirgermeifter bei folchen Gelegenheiten ausjprach, mitangehört haben.
Die wenigen Nachrichten über den Her-
auf dem Fresfo, und auch die Stellung der Kirche in einiger Entfernung lints meift dar- auf hin, daß der Künftler die Szene aufer- halb oder zmwifchen den nördlichen Höfen des Dorfes anfeßt. Er hatte aljo damals fchon die Nachrichten, welche die Sendlinger Baus ern hauptfächlich nach den Erinnerungen des Stnechtes Polaf zu geben mußten, eingezogen.
„Der Münchener Bürgermeijter Klar und Profeſſor Gärtner beftärkten Lindenfchmit mit
gang bei Sendling, welche noch erfahren wer- den konnten, find auf Seite 15 von Linden Ihmit8 „Gefchichte der Sendlinger Schlacht“ verwertet. Wilhelm fchrieb den Namen des Knechtes mit f, alfo Polak); auch die.Bay. Blätter (1832) bringen Polad. Die Reiter ritten darnach bei Thalfirchen auf die Höhe, umgingen das Dorf und bedrohten die Bauz ern im Rüden. Lindenfchmit hatte nur von Reitern gehört, und macht felbit den Schluß:
') Das E wurde in I verlefen, daher erfcheint im Drud Polal (S.15), d’ Olfort jt. d’Offort (S. 18). bezahlte ft. bepadte (S. 12). Auherdem fchrieb W. L. Lanze, im Drud Lange (S. 12), und Eraiburg, im Drud Xreuburg (S. 10). Hormayr hielt fid im ,Lajdenbud) 1835“ an das ihm vorliegende Schriften Lindenfamits mit den Drudfehlern, der ridjtige Polat war ifm entfallen.
16 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfdmit, des Welteren
„Die andern müffen an der Therefienwiefe | „hinter dem Dorf“, alfo Weiten und Norden, heraufgeritten fein”. Der Knecht, der fich in wo auch der Hauptgrundbefig, das Oberfeld einem Häuschen beim Wngerbauernhof ver- | liegt.)
ftedt hatte, hörte von da aus, was fid) drüben Eine Abfchrift des Pfarrberichtes von
in und hinter dem bl. Geifthof abfpielte, wo | 1705 wurde durch den Herrn Pfarrer von die Hauptmafje der Bauern fiel. | Mitterfendling, Thomas Graf, an Linden Diefe dürftigen Ermittelungen über das | Schmit übermittelt, im April 1830. Dertliche, die Umzingelung und den legten blu— Man fieht, daß der Künftler, wo er felber tigen Aft, ftimmen mit der überzeugenden Dar- forjchte, Richtiges und Tatfächliches zu ent- ftelung überein, welche Herr Oberft RK. von deden verftand. Das fann nicht wundern, Wallmenich') neuerdings gegeben hat. Auch wenn man die fcharffinnigen Mtethoden fennt, die Worte „in, und außer dem dorff, ab: durch welche die beiden Brüder fpäter die vor- fonderlih auf dem BVeldt Zunegit gefchichtlidje und Gräberforfchung aus dem hinter dem dorff bey 8000 Bauren abs __ Feltiftijcen Chaos herausgearbeitet haben. jcheulich feint nidergehaut“ aus dem Bericht | Und das müßte eigentlich bei der Abwägung, des Pfarrer Simon Soyer vom 28. Dezember | ob es fich beim Schmied von Kochel um eine
1705 führen auf dasjelbe. Denn Sendling volfSgeborene Sage oder um eine literarifche ift ein Stragendorf, die Höfe lagen alle weft- Erfindung handelt, ins Gewicht fallen.
lich, und nördlich, von der Straße, die Wohn: | Der Landrichter Steyrer, der in der Au feite mit dem Straßeneingang nad) Often ge | amtete, war es wohl, durch den Lindenfchmit richtet, die Stadel- und Stalljeite dahinter ijt von den Auer Zimmerleuten, die bei Send-
!) „Der Oberländer Aufitand 1705 und die Sendblinger Schladt“ von Karl von Wallmenid. Mit einem Plane Münden. Dr. 9. Lüneburg’3 Verlag 1906. — ©. befonders ©. 105. — ©. 116.
*) Die nördliche Längswand der Kirche, über das Grab der Bauern nad) dem Stampfplak hinüber- fdauend, bot fih von felbjt zur Bildwand; der Hintergrund im Fresfo find die Höfe; auf dem Entwurf geht der Hampf in gutem Abftand von der Stiche, nit auf dem Kirchhof vor. -— Quelle der Angaben über ben gemauerten Hirdhhof ift „die Europäifhe Fama, tom. IV. der 46. Theil, Gedrudt zum erftenmabhl 1706.“ ©. 660: „daß in dem Dorff Sendlingen .. . wofelbft die Bauern fih auf den gemauerten Kirchhof tretiriert hatten, faft in die 2000 Wufmiegler . . . in Stiicen gehauen -.. wurden.“ Daraus hat e8 die „Erläut. Germania Princeps . . burd) Dr. ©. v. Finfterwald“ 1749, 1V. Bud, Il. Cap. S. 2376. Nachdem, aber der 1706 erfcjienene ,Bayerifdhe Bauren-Krieg” S. 25 viel eingehender erzählte: „Sie poftierten fic) gwar wiederum in felbigem Dorffe hinter den Zäunen, auf dem Kirdhofe und den Häufern“; jo ftellt das Hier fehlende Wort „gemauert“ in der Fama nidt etwa eine au8smalende Mehrung jener Details dar, — fie bez fdrantt fi) ja und malt gar nicht aus —, fondern e8 erfdeint ein feiter Punkt der fofort mit dem Ereignis einfpringenden Distuffion, wenn nicht ihr Angelpunft, in niidhterner Weife feftgehalten. Der Bericht des Send- linger Pfarrers Simon Soyer, vom 28. Dez. 1705, fagt: „ond waf mid zum maiften beftürgt, ift, dB fye jo gar des vr. S. Margarithae gottshauf . . nit verfchondt, difes mit bluet vergieffen und beraubung der Hinein geflidten bauren prouanirt auc) auf dem fregthoff etliche erhoffen und nidergemadt.*“ Dies reiht, um fid dem Gedächtnig einzuprägen. Hatten nad) der Doc außerhalb des Dorfes vorgefallenen, aber nur zwei maligen (Extractus ex libro defunctorum Parochiae Lenggries de anno 1705 — ,,plurima pars ab hoste . . . partim erudeliter mactata . . . fuit: non obstante, quod illis binamjam vitae gratiam |: Pardon :| promiserit.“ $. KreiSardiv, Münden. Kunft u. Alterthum fasc. XVI. (Stönigl. geh. Regijtr. d. Qnnern. Den bayer. VolfSaufftand wider die Oefterr. i. Jahre 1705 betr.) unter dem Datum v. T. Jan. 1881 Protof. Nr. 362, 5., die 2. Beilage.) Niederwerfung der Bauern die Offiziere ihre Soldaten wieder in der Hand, wie wir annehmen follen und dürfen, fo fegen die blutigen Vorfälle auf dem Kirchhof einen erneuten Grund, alfo Widerftand, voraus. Die folgende unblutige, aber fyjtematifche (f. bei Pfarrer S. Soyer) Yus= plünderung der drei Sendling und Thalfirdens jteht in unlösbarem Zufammenhange mit dem ganzen Tat- fachenbilde und bemeijt, daß man zu fd@eiden veritand. Zichoffe8 mehrmaliger, von König Marx I. veranlaßter Aufenthalt in Bayern bezmwedte die nötigen Studien zu den Baier. Gejhidhten. Cr war jcheints aud) in Benediftbeuren gemefer. Sein Interejje an fpontanen Bolfstaten ift befannt. Er nun führt meines Wiffens das erite Mal eine Zweiteilung de3 Sendlinger Vorgangs ein: a) Verfuh das Dorf und den Kirchhof zu halten, Umgingelung, Gauthier fällt, „Viele flohen . . . und ftarben, zur Gegenmwehr unfähig“ und b) „Undere festen den ungleichen Kampf... . fort. Sie fanfen fechtend . . . wie Heldenbrüder fallen follen.” — Zu einem andern ftrittigen Punkt fei angeführt, daß „der Bayer. Baurensstrieg‘ ©. 40 in dem Briefe des Offizier vor Cham fagt: „Die beiden vornehmiten Gapitäng aber nennen fi) Brat-Wurft und Haber:Lumpen.“ (Raſtlos S. 88 falfd HadersZumpen.)
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ling gefallen feien, erfuhr. Denn der Spinn= meifter im Zucthaufe in der Au, Alois Schmidt,!) der 1832 die ,Gefdhichte des Bru- derbundes der HYimmerleute in der Vorjtadt Au“ verfaßte, war ihm nahe genug. Aber nicht Lindenfchmit, der im „Juli“ 1830 die erfte Feierlichkeit, welche die Zimmerleute an dem Sendlinger Grabe abhielten, al8 Augen geuge aus feinem Fresfoverichlag mit anjah und fie auf Seite 19 feines 1831 erfchienenen Büchelchens befchrieben hat, ijt der Erjte, der
Segest.
Die Cheruster.
„Münchener Konverfationsblatt“ Nr. 249 mit einem von Sch. (= Schmeller) unterzeichneten Artikel nach, — faft wörtlich, er zitiert ich aber wohl jelbit. Schmeller hat in diejfem Wuffag, worin er in erfter Linie das endlich nahende Zuftandefommen des Denkmals für den ftädtifchen Gottesader erörtert, den Mut, herauszufagen, daß dem Unternehmen „ganz vorzüglich politifde Hinderniffe in den Weg gejtellt wurden“, bis „endlich nad) allen möge lichen Umtrieben in vollen 12 Qahren....
Armin,
Getufchte Bleiftiftzeichnung, gut '/as wirfl. Größe. Hauptentwurf zu dem Bilde.
von Ddiefer Stiftung und deren Urfache meldet. Sondern die „Münchener Politifche Zeitung“ 1830 vom 29. Juni, Nr. 151, referiert une term 28. Juni, daß „geftern“ dieje Feier und die Wallfahrt nach Andechs ftattgefunden habe, und bezüglich der Schlacht, daß 34 Zimmer- leute daran Zeil hatten und gefallen feien. Dann folgte am 6. September 1830 das
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die wirfiche Ausführung der religiöfen Grund idee von jeiner jet regierenden 8. Majeität zur allgemeinen Freude . . genehmigt“ wurde. Schmeller hat alfo die Verantwortung für die 34 Zimmerleute übernommen. Lindenfehmit erzählt Seite 13 von vier Fahnen, die (zu Schäftlarn) ausgeteilt mur= den; „von der einen weiß man, daß fie der
) Nad K. von Malmerich ‚der Oberländer Wufftand 1705‘ S. 95 und Anm. 2 ein penfionierter
Seldwebel.
AM. ı1u2.
— Mad dim Eterbebud der Vorftadt Au war „Fra. Xaver Steyrer, Landridier, Liz. und Chef des Landmwehr-Batal. der Vorjtadt Au. 7 10. Juni 1831.
57 Jahre alt.“ 3
18 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenihmit, des Welteren
Wirt von Baierbrunn getragen hat“. Noch {pater maren die Bauern von Pullad) und Baierbrunn dem Maler fo zugetan, daß fie ihm aus freien Stüden fleine Funde, fo ein antife8 Bronzepferdchen, aus ihren Aedern in die Wohnung brachten.
Der Entwurf zu dem Oelbild hat ihm nicht viel Beit gefoftet; er ift [oder und lebendig hingefchrieben. Die Rompojition ijt aber nicht bi zu jener Schärfe eines Ynjtruz mente3 3ugefdjliffen, die in den Bildern „Winfelried“ und „Die Cherusfer“ den une vergleichlichen Eindrud Fühnfter Freiheit er- zeugt. Namentlih in den „Cherusfern“ ift der Sturm, der die Berfammlung durch- zudt, in den fich mannigfad) überfchneidenden Seitenfihten der zu Armin gleichmäßig hin- gefehrten Männerjchar dadurch gegipfelt, daß die vielen Köpfe fich in einem Iebhaften Wech- felverfehr einander zudrehen und den bejahen- den Zuruf, der fchon anbrauft, einander ab= gewinnen.
Gs find lauter mwohlpointierte PBorträte und die Zeit zu diefer umfänglichen Mühe muß in den Wintern 1828 auf 29 und 1829 auf 30 gefunden worden fein. Die „Cherus- ferverfammlung“ erichien März 1832 auf dem Kunftverein; aber Herbit 1831 auf Früh— jahr 1832 fcheidet unbedingt für die Herjtel- lung aus.
Die erjte blaffe Jdee dazu findet fich auf einem Blatt mit den zwei Typengefichtern ; der eine Kopf durch den Hut als Tiroler fenntlich, beide dicht übereinander, fodaß bei dem einen die mehr flavifche, bei dem zweiten die mehr galatifche Bildung hervortritt, leg: tere wieder in Annäherung an jenen deutfchen Typ, wie ihn der Steirer Holzinecht und der Rocheler Meier befigen. Auf der durchgebil- deten Beichnung 3u den Cherusfern erjcheinen aber auch einige Typen, die von der nieder= deutjchen Seite her an jenen Bayerntyp ftrei- fen, — immerhin ein fo wejenhafter Zufammen= bang, daß die Cherusferidee auch zeitlich ganz nahe an jenem Zmeitypenblatt aufgefchoffen fein möchte. Die beiden Köpfe find aber fpa- teftens vom Herbit 1828, weil es Tiroler find.
Den 2. Mai 1829 bezog er die Wohnung in der LVerchenitraße, in einem Edhaus zwi—
[chen der jegigen Schwanthaler- und Schiller- ftraße. Diefe Wahl Hing mit der Abficht auf Sendling zufammen. Der Entjchluß ein Fresfo an die Kirche felbjt zu malen, war fhon gewonnen.
Als ihm nun am 20. Juni 1829 ein Sohn geboren ward und die Botjchaft nach Mainz gelangte, überwand fich die neue Großmutter und machte, begleitet von ihrer Tochter, als- bald eine VBerföhnungsreife nach München, wo fie am 4. Juli eintraf.) Wilhelm hat fie hinaus nad) Sendling geführt und fie in alle Pläne eingeweiht, die ihr nicht ganz geheuer vorfamen. Denn daß die Sendlinger Ge- meinde das Gerüft, den Antrager und die Sarben bezahlen wollte, erjchien ihr doch für eine mehrjährige Anftrengung nicht die richtige finanzielle Entjprechung. Er verwies fie auch auf ein Haus in der Nähe, das der Kirche in Sendling gehörte und worin er feinen Karton aufftellen und zeichnen fonnte. Allein er hatte offenbar fchwere Mühe, fie über diefe neue Kühnheit zu beruhigen. Kurz vor ihrer Abreife fam die Sache noch einmal zur Sprache. In welcher Weife er feine Sache führte, erfieht man aus einem Traums bericht. „Die Nacht zuvor, eh meine Mutter abreifte, nachdem ich ihr gejagt, das Send- linger Bild fei mir heimlich von einem vor- nehmen Mann aufgetragen, träumte mir: Im Baterhaus werde ich von den Eltern in mein Schlafgemad) geführt, im Nebenzimmer fah ich die griechifche Pallas gelagert. Als die Eltern fich entfernt, trat fie lautlos an mein Lager, neigte fich mit ihrer übermenfch- lichen Größe auf mic) und indem fie mir mit der Rechten den Maden, mit der Linfen Die Kniefehle ergriff hob fie mich an ihre be= panzerte Brut. — — Diefer Traum hielt mich mehrere Tage noch um fo lebbhafter bez fangen, weil ich ihn herbeigeführt glaubte durch das, was ich zuvor im Geilt der grie- Hiichen Pallas gefprodjen”. Das war den 24. Suli.
Auf der Nebenfeite fieht man einen ge- feffelten jchlafenden Löwen gezeichnet, dem zwei ebenfall3 angefettete Doggen mit furcht- barem Big den Hals zerfleifchen. Biefer frühere Traum bezeichnet nur den Zuftand,
1) Das mehrjad) citierte Poligei-Civil-Standes-Regijter verzeichnet ihre Anmefenheit unter No. 4047.
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aus dem er fic) durd) den Sendlinger Ent- fhluß gu befreien juchte.
Der Pallastraum hat aber einige Ver- mwandtjchaft mit der „Geburt Lionardog“, einer Rompofition von Cornelius gu den Pinafo- thefloggien, woran diefer damals arbeitete. Dies Bild und der „Tod Lionardos‘ ift (1834) von Lindenfchmit gemalt worden.
Woher der Entjchluß zum Fresfo aud fam, er ftammt nicht aus dem äußerlichen Bedürfnis einen Helden zu erfinden oder einem fdhwad) beglaubigten zum Anfehen zu ver- belfen. Leute, die folche Hintertüren fennen, finden die Bauberpforte gu den Traumbhohen nie mehr. Dagegen fpritht der Pallastraum von innerer Erre⸗ gung, und das fpridt _ viel- leicht von der Neuheit des Entfchluffes.
Und das brachte jene rafhe Ume wandlung des ersten Entwur- fes ins Helden bafte hervor, die nach der Bentralgeftalt eines Trägers der Handlung und zugleich nach auffteigen- der Mafjenanordnung hintrieb. Diefe Ent- widlung liegt in einer Reihe fleiner Stiggen vor.
G8 find gwei Gruppen von Sfigzen; beide bezweden Anordnung. Die der 1. Gruppe haben noch Breitformat, d. 5. fie nehmen noch feine Rüdficht auf die Glorie. Dagegen find fie um einem SHaupthelden gruppiert. Und zwar ift er al3 jüngerer Mann zwifchen 30 und 40 Jahren gedacht. (ch unterfcheide von nun an M. Mt. = Modell Mayr, und H.8. M. = Held Baltafar Maier), Auf einem Blatt find vier Rampfffigzen vereint (= 1. Blatt). Unter der vierten, entwidelt- {ten Zeichnung ift ein Abfchied berittener Baus ern angebracht, neben ihr linfs die größere Einzelgeftalt (= n) des Kolbenfchwingers; er ift ein M. M., aber im Gefichtstypus nicht
ähnlich genug geraten. Die beiden darüber befindlichen Skizzen bringen al® Erinnerung aus dem Oelbildentwurf (= O) einen Drauf- gänger, der noch mit beiden Armen den Kol: ben führt und ein NRoß niedergefchlagen hat, was aud) in der 4. Skizze vor ihm zu feben ift. Die 3. Skizze, rechts unten, zeigt den Kolben, wie in 4., mit einem Arme hodge- Ihmwungen; doch ift der Mann ganz allein und von beiden Seiten von Reitern umgingelt. Gin Rebenblatt—N.) gibt in größerem For- mat die Hauptjache der 4. Skizze; hier ift ein M. Mt. deutlich, nämlich ein fleifchiges Geficht, die Nafenmwurzel leicht eingefdywun- gen, die Naje grad, mit breitem Ende und weiten fleifch- igen Flügeln; Unterfinn-
baden furg, wie bein, von furzem Boll» bart umfrauft. Man fieht, auch inn. waren perz finlide Züge gemeint! Mit- hin war in diefem Stadi- um des Sfiz- gieren8 ſchon Wert auf die Perfon gelegt. M18 er Ddiefe diirftigen Sfig- zen zeichnete, muß Lindenfchmit fdon eine Kunde befefjen haben, die mit M. Dt. gu tun hatte; fonft hätte er nicht fchon jekt den Kopf im Charakter des Eigners entwidelt und feft- gehalten. Diefe Kunde mag das ftumpfe Trümmerftüd einer Weberlieferung gemefen fein, nicht eine folche und auch nicht Sage; fie mag Sx heißen. Iedenfalls jchloß Sx aber einen jungen H. B. Mt. nicht aus; bot überhaupt feinen Anhalt über Alter. Aber al Lindenfdmit aus Rompofitionsgriinden nun einen Oaupthandelnden bedurfte, wurde ihm ein handelnder Zug, von dem Sx fprad, bedeutjam.
Vorausfegung ift, daß um 1820— 1830 ein ftarfer Widerftand bei Sendling für aus- gemacht galt.
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In der Totengruppe des Vordergrundes von O. befinden ich diefelben Vertreter wie im Sresfo, felbft der Bube. C8 waren und find alfo damit feine Söhne oder Freunde (Reifenftuel) de8 Schmiede gemeint. Sx fannte fie nicht.
Aber in einem Beitpunft der Arbeiten des Riinftlers wird M. M. ein alter Mann. Und das ift wahrjcheinlich der Ein- fluß jener ,Ueberlieferung’ (= Ug), deren Beitätigung Maßmann durch feine Nach- forfchung in Kochel und im Kocheler Kirchen buch zu erbringen hoffte. Maßmanns „Helden- tod“!) erfchtien Ende 1830. Mindeftens im Sommer diejes Jahres, oder auch noch früher, muß alfo die „Weberlieferung“ jchon umge laufen fein, und zwar in der Stadt München, denn Zindenfchmit hätte fie font bei feinem legten Aufenthalt 1828 in Kochel vernommen. Was Magmann bewog, an dem Ausdrud „Weberlieferung“ feftgubalten, nachdem er doch gewif auc) die Bauern ausgeforjdht hat, — fteht dahin.
Die eigene Abficht W. Lindenfchmits, eine „Seihichte der Sendlinger Schladt“ zu verfajjen, fam von den Vorfchlägen in der Doppelliste, d. §. er wollte eigentlich ein umgefehrtes Verhältnis von Jlluftration und Lert. Ein Ueberbleibfel jolcher Entwürfe ift der „Abfchied berittener Bauern“ unter der 4. Sfigge. Sie tragen Lanzen. Die Rüdkjeite de8 1. Blattes zeigt einen Reiterzug, mit Langen und jonjt in der Wontur des 17. Jahr- hunderts, an einem Waldgebirg entlang zieh- end. Schmeller (Bay. Volksfreund 23. Oft. 1827) bejchreibt dagegen die öfterreichifchen Uniformen auf dem Auffirchener Ex Voto 1705 und fügt hinzu: „Demnach fcheint das Koftüm aus dem 30jährigen Krieg in dem
. . auf einem Bolfstheater aufgeführten Schaujpiel „Die Sendlinger Bauernf{adlacht im Sabre 1705” gänzlich verfehlt gemejen zu feyn”. — Cbenfalls auf dem 1. Blatt reitet ein Mann in Blüchermantel mit Pfeife, mit Pijtole und Säbel gerüftet, im Regen dahin gegen Often, wie der Ramm des Zugjpig— Wetterfteins tm Hintergrund lehrt. Cs ijt
der „Nuszug zu Deutjchlands Befreiung“ und gemeint dürfte nach der fcharfen Naje und dem DOffiziersausfehen des Reiters der Major Henneberg fein, der fi) 1813 den Wiener Freimilligen anjchloß. Sein Name erfdeint auf einem Verzeichnis von Porträtmodellen zum Sendlinger Bild. Er ijt mwahrjcheinlich das Original zu dem vorderften der vor Gott- vater8 Thron erfdeinenden Helden in der Glorie des Fresfo; die foldatifche Haltung tft nod) gu erfennen. Aber er hat einen Rivalen im Typus, der mitbenußt wurde, nämlich den auf einer Lithographie des „Sendlinger Büchels“ abgebildeten Oberländler Schüt- zen, der auf einem Grat der Glaswand,
hinter der Benediftenmwand, fteht. Ausflüge in die Tölzer und Tegernjeer Gegend find nach den Sfiazenbiichern noch 1829 bis 1830 vor= und dem „Sendlinger Büchel“ zu Gut gefommen.
Eine 2. Gruppe anordnender Skizzen beiigt die Glorie und ftellt die Rompofition {con in jener Berdihtung wie auf dem Oresfo dar; nur feitwdrts ift ein gejtürzter Gaul aus den früheren Skizzen übrig. Die beiden Sfizzen auf diefem 2. Blatt find auf Lichtwirfung probiert, alfo fartonreif. Auf
') Im Suni 1905 habe id) aus der Sachlage, fowie den germaniftifhen und puriftifchen Yntereffen und einigen norddeutjchen Eigenheiten des anonymen Berfaffers auf Vtakmann gefdloffen und die Beftati-=
gung in Schadens „Gelehrtes Münden“ gefunden.
Unabhängig von mir gelangte Dr. A. Dreyer „die Send- linger Mordmeihnadt in Gefhichte, Saqe und Dichtung“ 190K. S. 35 ff. zu demjelben Ergebnie.
W.tT.
Jugend und Bildungszeit 21
der Miicfeite verläßt ein nordifdhe? Alpen- völfchen angejicht8 einer römischen Armee die brennenden Hütten feines Heimattales; das bedeutet eine hiftorifche Parallele zu der auch vom Often her betriebenen Aufrollung der echteuropäijchen Bevölferung. — Ob der B. Mt. auf dem 2. Blatt jung oder alt zu denfen, ift nicht gu erfehen. Auch auf dem Rüden des Zweitypenblattes iſt nur die Stellung der Sigur im groben, größeren Umriß probiert.
Nun erfcheint aber in einem viel jpäteren Stadium, das fdjon in die Fresfoarbeit felbft bereinreicht, der B. M. als jüngerer Mann, in den Drei:
ander. ES Handelt fic) alfo nocd um die AWbwagung der VBerhältniffe, jomwohl betreffs der perfpeftivifden Werjchiebung, al3 unter Beranjchlagung des Ranges der dargeftellten Naturen: denn die gittliden Wejen befigen einen etwas griferen Dtabftab, als die ans deren — eine fehr feine und maßvolle Er- höhung ihrer Bedeutung. Die Lifte geht die Figuren von oben nad) unten durch; leider it der untere Teil des Randes abgerifjen. Diefe Ver haltnislifte lautet: Himmelvater 20 Walhalla 6 (d. i. der Kreis der fel. Helden im
Bigern. Eine Hintergrund.) Baufe in der 1. Walfüre 18 Größe von 35 (d. i. die mittlere) cm: 26 cm gibt , 2. Walfüre 20 die fertigen Um: | Co) (d. i. die Lins) viffe des B. M. 5 OS 1, Held 13 und der beiden EDS 2. Helden 11 Reiter;das Blatt nl F Walküre 16(d.i. iſt quadriert, die Tan die recht3) Quadrate find ——* Reiter im Hin— nummeriert zur fra F JE tergrund 5 Uebertragung / ‘ — —— B. Maier 16 der Verhältniſſe | — Eh FE Be en 18 d. 5. gewiffer fal Es Die Lifte ges Höhen: und ag ) hört unter die Breitenpunfte —* fh 5 vorläufigen Ans auf die Mauer. AIR JOR > ordnungsarbei- Denn die Zeid) SS fo a ZN) 7 ten und ihre Ver⸗ nung auf der eu —— hältniſſe ſind Pauje ift fo abz "nicht endgiltig. geichloffen, daß Aber fie deutet fie den Karton Balthafar Maier auf eine viel {don voraus Oberfdrper aus der Paufe, ganze Größe. mächtigere, feßt. Der Federhut ift noch da, fällt aber | wenn auch nicht jo berubigte Anlage der
diefem B. M. rücdmwärts ins Genid; nur all- mäbhlich Löfte fic) Wilhelm von diefem Lieb- lingsſtück.
Der Hauptkämpfer iſt alſo auf allen Vor— arbeiten bis in das Jahr 1830 hinein oder noch länger in dem Alter des M. M. dar— geboten.
Anſchließende Folgerungen ergibt die Randnotiz auf dem Zweitypenblatt. Die Zah— len, die dieſer kleinen Figurenliſte beigeſchrie— ben ſind, betreffen noch nicht die Quadrate und den Ort im Karton, ſondern die Grö— ßenverhältniſſe der Figuren unter ein—
oberen Maſſen. Noch in der 2. Gruppe der anordnenden Skizzen, wo die Schlacht ſich der letztwilligen Gruppierung (des Fres— kos) bis auf einen Punkt fügt, ſind die Geſtalten der Glorie überwiegend groß und ſitzen ſo dicht über den Köpfen der Kämpfen— den, daß das trennende Gewölk faſt keinen Spielraum hat. Sie ſind jedoch ſelber eine Art Wolkenbildung und als überirdiſche Nebel— erſcheinungen ganz zart und in fahlen Tönen gedacht. Die dritte Walküre fehlt, ihren Ort rechts in der Höhe füllt ſchimmerndes Ge— wölk; — nach links wiegt ſich der Wolken—
22 Hiltorienmaler Wilhelm Lindenfdmit, des Welteren
fturm herab und in feinem Mechzen die Himmelsbotin, die ald Einzelne um fo bez deutender und draftifcher wirkt. Diefer jchräge, herausfordernd einfeitige Ablauf der Ober: faene griff mithin unmittelbar in den Raum und die Aufregung der irdischen Kampffzene hinein und entgegnete ihr mit gleicher Kraft.
In der Abänderung, die mit Einfeßung der dritten Walfüre fhon im Zeitpunkt der Lifte begonnen hat, jpürt man Cornelius’ Leitung oder wenigftens Anfchauung durd). Man darf an fein Kommandieren denfen, fondern in zeitweilig täglichem Umgang und dem Anteil, den er dem Werfe und dem Schüler zollte, machte fich bei allgemeinen Ausſprachen fein fünftlerifcher Einfluß von felbjt geltend. &8 war die Tradition zu Wort gefommen. Lindenfchmit bejchränft im Briefe von 1832 diefe Ginwirfung zwar auf das Können in der Kunft, fie ging aber ihm uns vermerft weiter; er fagt: „Der Fortgang aller Stiinfte, fo namentlich der bildenden Runft (hierunter nicht die Erfindung, fondern das Riinnen verftanden) beruht großenteils auf jenem Anfchliegen an die Vorgänger, an die Mitarbeiter. Dies erkannte ich, und indem id) eine Zeitlang aufmerkfam die Lehren des Cornelius in manden Teilen unferes Ge- fchäftes anhörte, ift e8 mir gelungen, viele Schwächen in meinen Werfen zu umgehen und neue Vorzüge hineinzutragen. Der Schul- geilt, der fie fehlerfreier machte, hat ihnen gwar augenblidld das eigentümliche Lebens: feuer etwas benommen; allein dies ift eine vorübergehende Folge.“ E8 war die Curythmie, die äußerliche Entfpredhung und Wobhl-Wbge- mogenheit. So bildete der rechtsjeitige Engel mit feiner dem linfen entfprechenden Flug— bahn eine Befriedung und Cinfaffung für das Ganze und war auch vom allgemeiniten Gedanfen (Gott entfendet Engel) gugelaffen. Wllein diefe allgemeinere Funftion riihrte an die Stärfe des eigentlichen Ympulfes, womit die urfprüngliche Einzelbotin fich fo deutlich als erfte Regung der zur Rettung genahten Gottheit verfirpert. Und was fich als reine Malerei der unmillfürlichen Empfindung nieder- ichlagen wollte, dies hemmte fich in der rechts= ldufigen Geftalt, welche den individuellen Mo- ment entfchiirgte. Eine Folge nur war, daß die Oberfzene überfüllt und gang mit Figuren ge-
dedt war. Sie mußte alfo in die Höhe rüden, um Luft zu fchaffen, und in diefer größeren Ferne fonnte fie Kleinere Maße an- nehmen. Hiemit und dur) den Wolkenhiatus gab die göttliche Glorie den zu lebhaften An- teil an der Kampfjzene — gang in Cornelius Sinne -—- auf und gewann ihre aufiteigende Erhabenheit.
Die Verhältnisliſte datiert alſo noch vor dieſer letzten Konſequenz, wie wiederum die 2. Skizzengruppe früher als die Liſte iſt. Inneren Gewißheiten zufolge gehört die Sturm— auffaſſung der Glorie und des in den Ent— ſcheidungen waltenden Gottes in die zeitliche Nähe des Pallastraumes vom Juli 1829, d. h. vor ihn. Die Liſte war ein Verſuch, die mit den Maßen verwachſene Sturmidee trotz des dritten Engels zu halten. Das Prinzipielle der Aenderung war noch unerkannt; es muß auch dann, bis Wilhelm ſich zu der milderen Idee bekannte, noch Zeit verſtrichen ſein. Erſt dann, etwa ſeit dem Herbſt, der durch den Beſuch in Egern (Notierung der zwei Engel) unterbrochen ſcheint, trat Lindenſchmit in die ſtrengere Arbeit des Kartons ein, der ſich Cornelius Empfehlung — wohl ſchon vor der etwa gegen Ende des Jahres an die kgl. Regierung gelangten Eingabe — geſellte.
Mithin liegt der Name ,‚B. Maier‘ um die Mitte 1829 feſt und dieſe Bezeichnung mußte auch der Einzelgeſtalt, ſobald ſie Kern einer Skizze (— 1. Gruppe) ward, ſchon eignen. Für das Kocheler Modell, das ja nicht B. hieß, kann von der Gelegenheit des Herbſtes 1828 her noch nicht der Zuname B. üblich geweſen ſein (— man müßte denn die früheſten Kocheler Aufenthalte Herangiehen.) Es ift alfo mit ‚B. Maier‘ in der Tat ein H.B.M. gemeint, und es figurieren auf der Lifte über- haupt feine Modellnamen, denen man auf einem andern Borträtvermerf begegnet (mit Luis für Walfüre, Henneberg für 1. Held), fondern lauter Sagenbegriffe.
Zugleich fprechen die auf dem Blatte fchon vorher befindlichen Yweitypenföpfe dafür, daß es ihretwegen zum Sendlinger Studien= material gelegt worden war und der notierte ‚B. Maier‘ in foldhem Typus gehalten werden follte, be3. daß das Modell dazu in diejfen Typus einfchlug. Er war aber jung gebildet, eben in direkter unbefangener Wiedergabe des
Jugend und Bildungszeit 23
Modellalters, und blieb jo jogar big zum Baufenfopf aus dem fpäteren Sartonftadium. Da nun fdlieblic) der ganz eigenartige Kopf der greifen Geftalt des Fresfos in
den bisherigen Typus einfchlägt, jo ift ein |
Nadhfomme eines Sendlinger Kämpfers be= deutfam geworden war. Alter des um 1828 auf dem Zollbauer eben verheirateten Michael Mayr überein.
Hiemit ftimmt das
Der Karton, wie aud) das Fresfo, waren
folches Fefthalten durd) alle Stadien der langwierigen Kompofition, mit dem Sprung ins entgegengefegte Alter, faum anders zu erflären, al3 daß das junge Modell — auger al8 Berfirperung eines der fonftanten Bauerntypen — aud) nod) als Vertreter und
fehr ausgeführt. Der zerftampfte Boden zeigte die Eindrüde der Füße und Hufe, das ge- ronnene mit Schnee und Sand gemifchte Blut und die Splitter der Waffen. Am Gürtel de8 Schmied jah man die feinfte Pfauen- federftideret und den Zinnftiftenbefchlag. Der
24 Hiftorienmaler WVirhelm Lindenfhmit, des Welteren
Karton und die eigentlichen Kopf und Körper: Engel mit den Spruchbändern vermerft; die ftudien exiftieren nicht mehr.') | Motive der verwundeten Bauern prägten fic
Auch der Inhalt zmeier Sfizzenbücher Wilhelm ein. Auf dem Ralvarienberg bei bemweift, daß W. Lindenjchmit zunächſt von Hohenburg wurde das Ex Voto des Hans dem Auftreten der UWeberlieferung Ug nichts | Wenzl mit dem öfterreichifchen Reiter ffizziert wußte oder fich nicht darum fümmerte. Das und die Farben der Dtontur beigejchrieben. eine Sfiggenbuc) mit Studien gum Winfel- Die Sterbebücher wurden fcheints durdhge- tied wird aus dem Winter 1829 auf 1830 | jtöbert; das zu Gmund ift notiert. Biemlich fein, weil e8 aud) einen Aft gu der Kopf- ausführliche Berichte über Vorfälle aus dem und Körperhaltung des jungen, unter B. M. Pandurenfrieg, über Trend jomwie den Bauern liegenden Burfchen uud die ausfchreitenden führer Kölbl (Kölbi), find in Dialekt nieder- Beine des B.M. enthält; ebenjo ift ein Sfizz- gejchrieben, — aus der Gegend von Tölz,
chen zu dem rechten Engel mit dem Moos: | Klojter Reitberg, Dietramzzell. Der Bruns franz darin, das Uebrige ift mweggeriffen und nerer von Sachjenfamm, der Refjelhofer Bauer dadurd) jind auch bezügliche Notizen zerjtört. werden genannt. Nichts deutet auf Kochel.
Daz gweite Sfigzenbuch ijt von Ludwig, dod Der fleine, Juni 1829 geborene Willi als mit einzelnen Skizzen und Notizen von Wil- MWidellind gezeichnet und eine Skizze zu helms Hand. G8 handelt von Ausflügen, die | Ludwigs „Lenore“, ein Bild, das Juli 1830
einigen Berlößnistafeln galten. Die Tafel von fertig war, beftimmen die Zeit diefer Nach— Egern murde flizziert, gemefjen, der Schmud forfchungen.?) ihres Rahmens befdjrieben, die fchwebenden Einiges davon, wie der Kölbi vom Afar-
') Debhalb ift man an das kleine Material gewiefen. Der Karton wurde beim Malen zerjchnitten, die Stüde litten bei der Webertragungsarbeit jehr. Später lagen die Rollen auf einem Dachboden in Mainz und blieben dort nad) dem Tode des Künftlers (1848) bei einem Umzuge zurüd, als fi der Sohn im Aus— land befand. Die Lithographie aus dem ‚Sendlinger Bücdjel‘ zeigt jedoch) den Stopf des Balthafar ziemlich ges treu der Malerei im alten Fresfo; aud) eine vor der Neumalung (1895) aufgenommene Photographie lehrt dies, und mir felber hat fic) die Gleichheit bei oftmaliger Vetradtung deS Freslos eingeprägt. Nur darf man fic) aur Vergleihung des Balthafartopjes nidt an die Neumalung von 1895 halten. Der Tod unterbrad meines Vaters, Prof. W. v. L., Wrbeit; nur die linfe größere Hälfte der Glorie ift von ihm und getreu nad) dem abgenommenen Original. Der Fortfeger, Hermann 2., befaß bei dem DVerberb des unteren Frestoteils feinen genauen Anhalt und ıwar auf die Standpunfte feines Grofvaters, die wir damals nit im Zufammen= bang mit der uns unbefannten Schmiedbalthesfrage würdigten, nidt aufmerffam gemadt. So erlitt der Kopf eine Veränderung. ,
2) W. 2. fpähte nad) altuellen Zügen, bd. h. folden, die bem wirklichen Vorgang entjtammen fönnten, und verleibte fie, je nadjdem fie feinem Standpunft zufagten, dem Gemälde ein. Egerer Herkunft hat ein in O und den Skizzen fehlendes Motiv: der vermwundete Offizier linfS im Hintergrund, der fic) auf RKnien und Armen aufridten möchte. Diefer padende Zug erfcheint auf der Egerer Tafel mehrfad) und geht weniger von dem Botivmaler felbft als von der lebhaften Erzählung der eigentlichen Befteller aus. . erkannte dag Nealiftifche, er fennzeichnete aber aud) das Tatfähhlidhe diefeg Zuges, indem er e8 an einem Offizier fi) aus- fpredjen ließ. — Unter den mit aller Deutlichfeit eines Berichtes dargeftellten Waffenarten der Egerer Tafel gibt es zwar Hellebarden und Spieße, aber feine Kolben. Auf erftere verzichtet 2., e8 Laffen fic alfo feine Kolben in O0 nicht einer Liebhaberei für das Mittelalterliche zufchreiben, aud) fhon wegen ihres hohen Progent= fates in O nidt. Zur groben Bauerndarafteriftif hätten Miftgabel und Drejchflegel nicht fehlen dürfen; 8. fhied fie als zu unedel aus, die Senfen, aber nur geradgerichtete, behielt er. Diefer innerftiliftifhe Grund würde menigitens für Zulafjung der Kolben ausreihen, aber nur fallS der moderne Betradter fic) nidt an der außer feine VBorausjegungen entfallenden Abfonderlichfeit jtoßen mußte; der Gebrauch von Kolben 1809 in Tirol war gwar dem Maler, aber nicht in breiten Streifen befannt. Das Auftreten der Kolben in O deutet daher auf Bericht und dafür bleibt, da fi) Egern ausschließt, nur Kodel. — In Nr. 3 des erften Stiggen= blattes dreht fic) nun der ganze Kampf um einen vereingelten, von ben Reitern rings umdrängten Mann, d. h.: als der Künjtler feine Kompofition umzubauen begann, mendete er fie auch einen Wugenblid im Sinne einer joldhen gefährlichen ifolierten Situation, die ihm wohl erzählt worden war; aud) das fiele mithin inner= halb des biß dahin allein vorhandenen Kocdeler Berichtes. — Die Zentralifation, fowie die menfdlide Jdee mwäre im Bilde volljtändig dDurd) eine Gruppe niederbredhender gleichwertiger Bauernfiguren und dabei realiftifch ungezwungener ausgedrüdt worden. Jm Winfelried, der ja zum Dezember 1830 fertig wurde und deifen Studien in dem obigen Skiggenbucd) neben Sendlinger Stüden hergeben, murde eine foldhe vor= und nieder= brechende Männerfhar außerordentlich ftraff gejhildert. Um heroifhe Haltung zu gewinnen braudte fic) der
Jugend und Bildungszeit 25
ftrom, ift in W. Lindenfdhmits „Gejchichte der Sendlinger Schlaht” (S. 19) übergegangen. Diefe Schrift ift im Hiftorifchen Teil faft ganz auf Raftlos „Die Defterreicher in Bayern“ aufgebaut. Die Zahl 800 auf ©. 17 für die in Sendling Begrabenen ijt nach der Rreuge infdrift (Sdmellers). Der Tod Arcos ift nad) der herfömmlichen Erzählung. Die jelb- ftiindigen Nachforfdungen bet den Sendlin- gern über den Ort des Borfalls find fdon
erwähnt. Die erfte Feier der Zimmerleute hat er mitangefehen, feine Schrift ift ‚wohl im Winter 1830 auf 31 verfaßt, fie erfchien erft furg vor der Enthiillung des Freskos. Makmanns „Heldentod“ ift nicht benußt. Dagegen fand fich in feinem Handerem- plar des Raftlos ein Zettel von nicht feft- guftellender Handjchrift,') welcher die „Ueber- lieferung“ Maßmannz (vgl. „Heldentod* ©. 11) etwas abweichend und vor= und nachher einige
Künftler alfo durhaus nicht an den einen Balthafar Maier flammern. Wud) bedrohte die Einzelgeftalt, wenn ihr tatfähhlich feine Kunde entjpradh, die Verjtändlichleit des Werkes mit einem Fiasto. Cine nod fo befdeidene
Sage jedoch gab ihr jene Weihe, die aud) allein den Künſtler gu dex ungleidh fompligierten Aufgabe begeiftern und zu ben fortgefegten Nahforfhungen und Studien bringen fonnte. — Schließlich die Hervorfehrung der Ungarn (der dem Künftler von Wien her mohlbefannten Rotmäntel) liegt in dem Standpunft, der nicht politifd und nidt datenbiftorifd fein will, fondern die tragifche Welt- und Verteidigungsitellung des deutfchen Stammes entfdleiert. Deshalb find allein fremde Reiter, — ob nun Ungarn oder Kroaten —, aud) von An= fang in 0 da. Uebrigeng beftätigte die Egerer Tafel an ihren Reitern lauter Hufarenmüßen (nur am rechten Flügel ein Hut, wohl Offizier.) Die bayerifchen Bergbauern, bie hier der fremde Vorftoß trifft, begreifen nad dem innerften Meinen des Miinftlers aud) da deutfde Stammovolf Oefterreidhs in fid. Man würdigte dies aud, und nad W. Lindenjdmits Beugnis ,waren die Freunde Defterreich8 nicht unter denen, die ihm infolge des Bildes Schwierigkeiten bereiteten, wie fi) erwies“.
1) Serr Dr. LZeidinger auf der Münchener Hof- und Staatsbibliothek hielt es für weibliche Handichrift.
A. M. Lu. 2 4
26 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfhmit, des Welteren
Quellen und Einzelheiten zu 1705 gibt. Hier
folgt die Abfchrift, wobei einige Zujäße von
der Hand Lindenfchmits durch Iateinifche Buch-
ftaben in Klammern unterjchieden werden: Vorderfeite: ,1) Georg Sebaftian Plinganfer, von Pfarrlicchen führte als Hauptmann die Meichenberger Landfahnen. Er leitete eigentlich den ganzen Stampf. 2) Xav. Meindel aus Jngolftadt, führte 500 Reiter:
3) Dalmay einige hundert Hujaren,
4) Xav. Oertel Dragoner,
5) Ehriftian Jäger umd andre zahlrei=
ches Fußvolf.
*) Balthafar Meyr, Schmid v. Cochel, und ſeine Söhne Lo— renz und Paul ſammelten nach einem ſtunden— langem Kampfe die noch!) übrigen 37*) Gebiergs- bauern im Stird)- hofe zu Sendling und ftritten bel= denmiithig bis fie alle fielen.
MM Th Me 1
Ouellen find:
1) G. S. Plinganfers handichriftlicher Bericht über den Aufitand des Land» volfes, im finigl. Bücherjale.
[Handschrift.]
2) Theatrum europaeum. —
3) Die Deftreicher in Bayern zu An- fang des 18. Jahrhunderts von Johannes Rajtlos, Ulm 1805.
4) Monatlicher Staatsjpiegel. 5) Lamberty’s memoires pour
servir A l’histoire du XVIII siécle.
8) [d. pilgernde Enkel: Augs- burg]
© [ite ee
Colonie} = = Yoh hebe Maß— manns Abmweich- ungen durch [ateiz nifche Schrift her= vor: „Stunden- lang wankte die
Entscheidung: zuletzt jammelte
—nach der Ueber- lieferung — Bal-
ne- nol
ae | thaſar Meyr, Au bei München 1.3.1830.
Schmid von Ko-
*) Er war ein riefenmäßiger Mann trug eine eiferne Seule, die 114 B
mog, und Rückſeite: „ſoll beym Gefecht an der Iſarbrücke allein bey 19 Oeſtreicher erſchlagen haben. Ein öſtreichiſcher Stabs— offizier, der ihn am Kirchhofe liegen ſah, rief: „Bey Gott! 100 ſolche Männer ſind furchtbarer als eine Armee pomadeduftender Franzoſen!“
Lithogr. aus W. Lindenfhmits Gefdichte der Sendlinger Shlagt. Hel mit feinen
Stark verkleinert.
Söhnen Lorenz und Saul Die allein noch übrigen 37 Gebirgsbauern. Der Tod schien ihnen rühmlicher, als ein Leben unter fremden Herren. Sie sanken, kämpfend bis zum letzten Hauch, Mann auf Mann, Einer nach und neben dem Andern, bi8 fie alle gefallen waren. Schmid Balthasar soll ein riefenhafter Mann gewesen seyn, der eine eiferne Steule |..] von 114 SBfd. [..] in dem Kampfe trug, und foll in dem Gefecht an der Harbrüde allein |..] neunzehen Dejter-
) uw. 2) „noch“ und „37“ find nachträglich von derjelben Hand über die Zeile gefchrieben. 8) d. pilgernde Enkel ijt nur vermutliche Zesart, Augsburg deutlich.
Jugend und Bildungszeit 27
zeicher erjchlagen haben. Ein öfterreichifcher Stab3offizier, der ihn am Freithofe dahin- gestreckt liegen fah, brach in die Worte aus: „Bei Gott! Hundert folder Männer find halt furdjtbarer als eine Armee pomade- duftender Franzojen.“
Der Zettel ftellt meine® Erachtens ein Diktat Makmanns dar (und zwar nad) einem Konzepte und Notizen zu feinem „Heldentod“), bezwedt Lindenfchmit Anmeifungen zur Ab- faffung feiner Schrift zu geben und ift mit mündlichen Erklärungen von Maßmann jelber und vermutlich im Herbit oder Winter 1830 übergeben worden. Dieje eigens übermittelten, bez. erbetenen Ausfünfte des Zettels hat W. L. nachweislich trogdem nicht mehr ausgenußt, was auf Berfpätung deutet. Cr jchaffte fich infolge des Zettel3 zuerjt den Raftlos an und hielt fich dann an bdiefen allein, ohne z. B. die von Makmann empfohlene und benußte Plinganferhandfchrift zu vergleichen. Die B. M.-Legende deS Zettels mußte für 2. allerdings irgend Etwas Neues enthalten; für eine erjte Mitteilung, über eine noch völlig unbefannte Sache, tritt fie jedoch in zu unvermittelter Fallung auf, — als folche müßte fie auch in den Skizzen gleich ganz ander durchgegriffen haben. Die B. M.- Legende des Bettels fann aber das im Fresfo dargeitellte höhere Alter der Hauptfigur mit- bedungen haben.
Die Gejtalt, in welder Held Baltafar Maier verkörpert wurde, ift auf dem Entwurf zum Delbild als fämpfender Bauer zwifchen den Reitern fchon vorhanden. Statt des mit beiden Armen geführten Stachelfolbens erhält fie dann den leichteren und fchöngeformten Stahlfolben in die Rechte, auf den Skizzen der 1. Gruppe; auf denen der 2. Gruppe auch die Fahne in die Linke, und die Profilgeftalt vom älteften Entwurf, die beides hatte, fällt aus. Wahrfcheinlich erft im’zweiten Sommer, alg die Arbeit am Fresfo gur unteren Hälfte vorrüdte, d. i. 1831, wurde aus dem jungen ein alter Baltafar Maier. An ihn fchloffen dann die WAusgeftaltungen der Gage an. Und es ift nicht einmal fo ficher, ob Linden- fhmit nicht nur um der Würde der Geftalt willen, und um den alten Zanditurmmann und einen Vater hervorgufehren, diefe Aen=- derung vollzogen hat. Die ungarischen Reiter find gemablt alg Fremde. Das ,,Pfui! Deutfche gegen Deutfche!” hat König Ludz- wig II. im Jahr 1866 und wohl fchon immer ausgefproden. Die nationalpolitiiche Ten denz des Bildes liegt hier gang fret da. Wn diefen Ungarn, jowie an dem Kampfgetüm- mel und dem ganzen YAufbau des Gemäldes bat fih Gruber für feinen „Schmiedbalthes‘ die Farben teilmeife bis ins einzelne 1832 erft gebolt.')
Bon einer Reihe Portrdtfipfe gibt eine
1) Exfurs gur Balthes- und Gruberfrage. Die Lithographien in VS Sendlinger Biel ge-
hören fpäteftens ins Frühjahr 1831, der Sommer war zu überfegt, — und früheftens in die Jahreswende von 1830 auf 1831, denn der Herbjt 1830 reichte gerade Hin, um bie große getufchte Zeichnung „Winfelried“ bis Anfang Dezember zu bemältigen, woran fid) eine Ausführung als Delbild {hloß. Auch fpriht 2. S. 19 ja von der Zimmermanngfeier „im vorigen Jahre‘. Nun zeigt das lithogr. Vollbild der SHhladt im S. Biidjl die ausgefprodene Unlehnung an den Steierifden Oolgtnedht (im Kopf des 9.8. M. f. Tertbild ©. 32); der Künftler ging alfo zum Alter zunädft nicht aus Erwägungen über, welche die Abkunft feines Kocheler Modell8 von einem Mittämpfer betrafen und in Verbindung bradıten mit dem bejahrteren (zwei Söhne!) B. M. des Zettels. Erft im Fresto felbft ift bann wieder der Kopf der Paufe Hervorgeholt und in den entfpredenden eines alten Mannes umgebildet. — Würde die quadrierte Paufe mit dem jungen Typus nicht ben Karton (volle, faubere Durch bildung der Mantelmotive, der Pferde, und Individualifierung der Gefichter der Reiter ufjw.) vorausfegen, würde fie nicht frühefteng ins Frühjahr 1830 gehören, fondern fi) näher an die Verhältniglifte (Mitte 1829) rüden laffen, fo fünnte man allenfalls in dem „B. Maier“ der legteren jhon die Wirkung der Z-Ug-Legende behaupten. So aber jteht nod) dreiviertel Jahr nadhher ber junge Typus in Bereitfchaft für bas Fresfo ba, während gerade die Wenderung ins Alter fi) unvermweilt hätte aufdrängen und bei fo frühem Auftreten diefer Legende ohnehin von vornherein in den Skizzen ein alter B. M. fich hätte ergeben müflen. 8 geht alfo nicht ohne Doppelanfag: und gwar Sx biß ins Jahr 1830 allein geltend, fodann erjt die dem Z und der Ug zugrunde liegende Ausjprengung. — Die „Söhne“ betreffend, fo fehlen fie in den Skizzen, Hier liegt immer ein Pferd, einmal ein erjchlagener Gegner vor den Füßen des B. M. In der Paufe ift der betreffende Raum leer ges lafien, dod) zeigte er wohl fon im Karton den toten Jüngling aus 0. Und aud) hier meine ih, daß rein aus fünjtlerifhen Gründen der wenigjagende Tierförper den jhon in O entwidelten Vorbergrundgruppen der gefallenen Bauern meiden mußte; mohlgemerkt: aud der RKnabe (Links) ift fdon fo in 0 da. Der Urheber von Z fonnte in dem fiinftigen Bild leicht dergleihen „Söhne“ vermuten, hütete fi) aber, fhon in Z ihr Alter 4*
he. YY erate oe re Yee a e/a eee, Oe ee oe See oe pe, ur
28 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfhmit, des Welteren
abgeriffene Notiz auf einer Mappe Kunde; e8 einbezogen: „Schwanthaler. Hanni. Munt. ftehen folgende Namen untereinander: Hilbs. Schwargmann. Ludwig. Major Henne- berg. Luis Walfiire. Maneffiih. Luis. Noth- burgis. Glodendon.“ Schwanthaler ijt unter den feligen Helden. Wilhelms Frau, Hanni, und Schwägerin, Luis, find Walküren (Noth- burgis, Walburgis), aber jchlieglich maneffifh und nicht als Porträt gefaßt. Die dritte Not- belferin, die in der Mitte, ift unbefannt, doch ihre echt deutjche, fogen. ,,rimifche Rafe fieht fehr in Cornelius Familie hinein; ein Portratfopf in Bleijtift, Profil, ijt dazu vorhanden, mig- lichermeije ijt e8 Qofefe Cornelius. Ludwig, Wilhelms Bruder, ift der jüngfte unter den aufgeftiegenen Helden; er wendet jein Geficht nad) linf8, wo fich Quife, als Walfiire, bes findet. Bor ihm ift die aufrechte Geftalt, zu , F der Henneberg und der Schüße den Ty— Porträt eines für den oberen Teil des pus gaben. — Der vorderfte Reiter dürfte der
BIETER ETRE NESS 4 = y MEN > wig © a tee Shrek, Fr .
Fresfo ausgewählten bayer. Bauern. : : piktsatbauet hie wee aise a Dr. Raindl aus Grafjau am Chiemfee „Porträt. Kochler. (Schlacht). Luis. Klar. Cornelius begutachtete den Karton beim
Daxenberger“; dann von links mit Klammer König und wird ihn nach ſeinem ſpäteren
feſtzulegen, was jedoch nach der Enthüllung des Freskos eintritt, vgl. in Gruber („Der ſtarke Schmiedbalthes“ 1832, S. 5.) den fünfzehnjährigen Paul und den achtzehnjährigen Lorenz. — Auf den Eindruck des Freskos bin, (daher nicht im Z, aber 1832, ©. 48), glaubte Gruber wohl der Hauptgeftalt eine Größe von 81/ (bayer.) Fuk zumefjen zu fünnen. Das wären 2m 40,7 om; im Fresfo bejigt die Gejtalt vom Ferfenitand über den linfen geftredten Kontur bis zum Scheitel gemeffen Inapp 2m — rund 6‘ 10* bayer., und dazu auf die per- ipsttivifhe Zurüdlehnung 2 Zoll veranlagt, ergeben fih 7 Schuh. Der von der Behe bis zum Wirbel fid in Altion aufredende Kontur, das auf Ausfall angelegte Zurüdfahren des gedrungen gemölbten Körperbaues läßt den Schmied inmitten einer ihm nur wenig nadjitehenden Umgebung bedeutend größer erfheinen. Der tote Jüngling ijt von ähnlihem, die Reiter von mittlerem Wuchs, die Pferde von einem Heineren Schlag. Der gewöhnliche Betradhter hält fämlihe Figuren für überlebensgroß, Gruber jhäste wohl auf 8 Fuß und trug dann der Perfpeftive nod) mit einigen Zol Rechnung — ein Vorbauen und ein peinliches Abrechnen mit einer für hiftorifch ausgegebenen Zahlenbafis, wie es auch fonjt bei Gruber zu verfpiiren ift. (Bgl. 34 Zimmer= leute, 37 Bauern Z, 35 Bauern + 2 Söhne gezählt vom Schmiedbalthes Grubers; und die Stundenberehnung der Kampfdauer Gr.). Gegenjtüd und Gegenprobe ijt die Keule von 114 # bei Gruber 1832 und fhon im Z. Der Maler hatte den Einhänderfolben (alfo feinen zu fchweren) fhon aus 0 in die Skizzen und ins Fresto übernommen, aljo nicht etwa erjt das fabelhafte Gewicht des Z in ein mögliches und gejhmadvolles herab=- gejegt. Spuren führen von Makmann (im Heldentod) auf einen Dritten, und auf diefem Wege künnte Gruber wohl eine Borftellung von der entjtehenden Kompofition, be. der Haupthandlung erhalten haben: eine eiferne Keule durfte erfledlich fhwer fein, und nahmiegen fonnte man fie ja nit. Gefehen bat Gr. da8 Bild ficher nicht vor der Enthüllung; Lindenfhmit jhloß fic) ftreng ab und hat während der Arbeit „verfappt in die mörtelbefprigte Haube feines Maurer8* aud wichtigen und vornehmen Bejud) abgemwiejen. — Lindenfchmit nennt den 9.B.M. nicht Fahnenträger; er gibt fie ihm als der Erfagfigur für den ausgefallenen Fahnenträger in 0, womit vielleicht wegen des niederen runden Hutes der ©. 13 bei W. LV. erwähnte Wirt von Baierbrunn gemeint war. Der Z fennt die Fahne nicht, aber 1832 verfagt fi) Gruber aud) diefen Zug des Frestos nicht. Er geht natürlid) auch über das Bild hinaus, jo mit der Lömwenfahne; während der Maler, der nad) alten bayerifhen Fahnen vergeblih in Tirol (1828 am Sand) gefudt hatte, bei den einfachen Farben blieb. All- mäbhlich fteigert fi” Gruber in ein Selbjtgefühl, das die Vorficht verfchmäht, erfindet jeinen „guten Lewen — geyer = und (illien’ Traum (S. 55, 56) und fdiebt ihn ©. 45 dem Maler als Anregung für die Glorie unter. So hat er nadtraglid das ganze Bild glitdlid) eingefdladtet, und gerade fein Kritifer, der Ardivar Dr. Schäffler, vermodte ihm alles zu glauben.
Drei Tage nad) der Enthüllungsfeier geriet jhon das M. Konverf.-Blatt (No. 286, 13. Oft. 1831), dag aus Dtakmann und &. eine Darjtellung des Kampfes (nicht etwa des Bildes) fombiniert, in dasjelbe &e=
Yugend und Bildungszeit 29
Verhalten wohl empfohlen haben. Im Som- mer 1830 hat er feinen Schüler öfter in
Alte Shon im März Wein, „damit du ihn Herrn Cornelius in Sendling draußen als vorfegen fannft.”
Sendling aufgefudt; aus Maing fendet der
Teife. G8 beißt im BVerfolge mit an Gruber gemahnender Ausdrudart: ,. . . Obiger Schmid Mayr [bier das 1. Mal fol]... fammelte nod 37 von ben übrigen Gebirgsländern [!] nebit feinen zwei Söhnen Lorenz und Paul um fih.... Mayr flug, die bayerifhe Fahne in der Linfen, mit ber in der Redten fürdterlih fhwingenden 114 Pfund fehmeren eifernen Keule... über den Leichen feiner Söhne Wes gufammen, ... biß aud) er, von gwei [I] ungarifden Reitern übermannt, niedergeftredt wurde .. .” Hier wird in Einzelheiten des Fresfos hineingedeutet (Söhne) und etwas Hiftorifches darin gejehen (zwei Reiter.) — Grubers Manier allmähliher Infinuation, andererfeits die von Dr. Al. Dreyer ©. 27, 28 gelenn- zeichnete Methode, feine Erfindungen an verjtedte und unklare Hiftorifche Umstände anzulehnen, begegnet 1832 in feinem „Starken Schmiedbalthes* in allen Graden; vorausgegangene Vermutungen Anderer und Aehnl. leiften ihm denfelben Dienst und er befteht befonders gern auf Abänderungen von Zahlen und anderer Veftimmungen. Vom Balthes meldet er S. 24 und 53, daß er guerft am Jfartor „die Pforte fprengt“, und dann „den Anfall auf ben rothen TZurm leitet“; eine Verdoppelung wie fhon im Ronverj.-Blatt 1831, No. 286, wo guerft nad 2’8 allgemeiner Faffung der Balth. M. „im Blute liegend, umringt und angeftaunt“ und dann bod nod Makmanns fpezielle Offigiersanekdote „Wei Gott! Hundert foldhe.. .“ gebradjt wird. Z hatte „bei 19“ Makmann gang einfad) 19 Oefterreider, Gruber aber zerlegt „B. ift der Erfte, ber den erften Feind erlegt, der... allein... no) adjtzehn Söldlinge gu Boden fhlägt.* — Um 2 Uhr Iäßt er Kriehbaums Reiter durch bie Sfar fegen, daher wird der Kampf auerft „vierftündig“ (S.34) und dann ,nod) awei volle Stunden (©. 35) fortgefeßt ; e8 fchmebt ihm die richtige Ankunftzeii 8 Uhr vor. — Von den 34 Zimmerleuten lag man 1830 in ben Zeitungen; Gruber darf fie vor dem Publifum nicht ganz ignorieren, madt aber S. 22, um die anders zuver= mwendende Zahl zu vertufchen, „300 Männer“ (bas Wort Zimmerleute wird vermieden) daraus. Die Zahl von „37 Gebirgsbauern“ Z hätte follidiert; er lehnt fi) hiemit an die umlaufende Zahl 34, wozu im Stillen „zwei Söhne“ Z und entw. 8. M. felbft oder in der Hinterhand Reifenftuel treten = 37. Im „Schmiebbalthes“ dient jedoch der Tod Reifenftuels gum Anlaß der Abzählung und jegt find eg natürlich) mit Augfchluß des eben gefallenen R. und des zählenden B. M. „jeine beiden Söhne und nod fiinf und dreißig Männer“ d, 5. die erforderlichen 37 „fiehe da!”
Die B. M.=Legende bes Z fpricht in „Gebierg“ oberbayerifh, mas nicht gerade nad) Gruber ausfieht; Mim. u. 2. fchreiben am betreff. Orte „Gebirg.“ Sonft dedt fic) die Ug mit ber Z-Regende faft wörtlich) (abgefehen vom Zichokkeeinfchlag hat bie Ug das bayerifcdhetuende halt, die Zahl 19 ft. „bey 19“, und Freithof f. unten) und in „Meyr“ bud[tablid (nur Mm. u. Z. fo), Lindenfhmit mit ihnen nur dem Sinne nad) (in feiner „Sage“ ©. 16 der Geſch d. S. Sch!., mofelbft „Maier*). — Die erften fünf Namen des Z mit ihrem Lert ftimmen der Reihe und dem Sinne nad), aber nicht wörtlich mit Zidhofte, 8. ©. 5. S, 398, 399, an welchen fih Mm. fonft anfchließt, während er hier die Tertabmweihungen des Z verbunden mit eigenartigen Zufäßen bringt. 8. hat Feine folde Zufammenordnung, nennt Dertel Dalmay Jäger gar nicht, Plinganfer und Meindl! an getrennter Stelle. Während aber Z „Xaver Meindel aus Ingolftadt“ und „Xaver Dertel“, fomwie „Kirdj- hof“ fchreibt, dedt fi) Grubers „Freithoff“ im Kalender ©. 54 und fein „Xaver Maindl, der Ingolftädter“ ©. 15 mit Makmann, deffen „Student &. O." ebenfalls in Grubers „Altpurfch Xaver Oertel” ftedt. Nicht nur den Meindel (nad Raftlos-Pling.), fondern aud) nod den Chr. Jager nennt Mafmann einen Studenten, woz von weber Bfdoffe nod) die (1835 in Horm. Tafhenbud) S. 141 veröffentlichte) Lista etma8 weik. Ein Ber-= glei awifden
[Der Aufitand an der Schwarza Iodte an Zfar, Vils und Inn. .]
So Georg Sebaftian Plinganfer .. . WIS er von Pfarrfirden, f. Geburtsort [. . ohnweit dem Roth flug er
.etforen ign .. gum] Hauptmann der Reichen berger Landfahnen. [Ein anderer Züngling] Meindel, führte eine Schaar von fünfhundert Reitern ; Dalmay einige Hundert Oufaren;
Xaver Oertel Dragoner; Chriftian Jager und Andere zahlreiches Fußvolf.
Bidotte S. 398 f. und
Heldentod ©. 7. f.
[Das Volt an der Vils und Roth ftand zu— erft auf. .|
Georg Sebaftian Plinganfervon Pfarr= firden, [fpäter des Kurfürften Geheimfchreiber, mit ihm der Student Maindl von Qngoljtadt, deffen Entel als Kaufmann in Landshut, bdeffen Urenfel als Redtspraftifant am Stadtgeridt zu München lebt, jtellten fich an die Spige.] Plinganfer führte die Reihenberger Landfahne und leitet, den ganzen Kampf.
Zaver Maindl, der Ingolftädtere führte 500 Reiter, [zu denen aud der Wadt- meijter Johann Qoffmann ftand;] Dalma’y [bez fehligte] einige Hundert Oufaren, |der Student] Laver Oertl Dragoner, [der Stus dent] Ghriftian Jäger und Undere [ein] zahlreiches Fußvolk.
30 Qijtorienmaler Wilhelm Lindenfhmit, des Aelteren
Der König war von dem Unternehmen auch andere Mitglieder des Hofs fich für den verftändigt und im ganzen damit einverjtan- Fortfchritt der Arbeit intereffiert. Infolge den. Außer dem Minifter v. Schenf haben | einer Eingabe Lindenfdmits war ihm etwa
lehrt, daß Mabmann zwar aud) hier den Zichoffe (Vils, Roth) fennt, aber an diefer Stelle in näherem Ver= bältnis zum Z fteht (ber Sag „leitete“, die Vornamen ,Xaver“), ob aber in Abhängigkeit davon oder umge= fehrt, ift nod) unklar. Außerdem Hat er den „Hoffmann“, fchreibt „Maindl, Oertl* (vgl. Lista Mainl, Dertl), fobann fennt er (neber Dt. aus Raftlos) aud) Oertl und Yager alS Studenten und die Nadfommen Maindls. 68 jpredhen alfo hier mündliche Nachrichten herein, die vielleicht von derfelben Seite und zufammen mit der Balth.eMeyr-Legende in Ug, bez. Z, fowie mit der allein bei Mam. S. 9 Anm. erzählten, „im Bolf gehenden Sage“ von dem djterr. Reiterbuhlen an ihn gelangten. Denn ohne diefe Perjonalien fonnte Mam. ebenfogut bei feiner Zichoffevorlage bleiben. Auch bedurfte er mit feiner Bibliothefpraris ganz gewiß nicht der in Z aufammengejtellten fünf Namen oder des Quellenverzeichnifjes am Schluß. Daher ift der Zettel fein urjprüngs liches Ganzes. So wie er vorliegt, ift er in den erjten beiden Bejtandteilen (a. die fünf Namen, b. die zmei Balthafarjtellen) bloß Excerpt, das aus den Notizen oder aus dem unfertigen Konzepte zum Heldentod nod vor beffen Erfheinen (Weihnachten 1830) gezogen ift (— andernfalls hätte fih W. 2. wohl an den Heldentod felbjt gehalten, wovon fich vielleicht eine einzige Shwahe Spur „riefenhait“ jtatt Z „riefenmäßig“ findet —), und zwar ift Z von Makmann nad) feiner Art wohl aus dem Kopfe diktiert (daher Meindel, Oertel; durch eine — Miindnerijfhe — Schreiberin erflart ich auch „Gebierg*) und etwas ergänzt (das eingefügte „noch“ „37*). Und während die erjte Balthajarjtelle für fich fteht und fogar fhon, wie nur breiter im Htod, A la Zichokte endigt („heldenmütig . . fielen“), fennzeichnet fi) unter Anmerfungszeihen zum Namen B. M. die zweite Stelle, die fi) allein mit feiner Größe und Kraft und deren Wirkungen beifhäftigt, al® ein befonderer Austrieb der Legende und als jelbjtändige Notiz. Wir haben mithin: Mündlihe Quellen, zuf. mit + Zschokke, controlliert durch die B. M.-Legende aujtretend, = Y Lista
Concept Makmanns
Zettel Heldentod
Der Zettel ftellt fich ferner — zumal in feinem dritten, dem Quellenteil — als eine erjte Anweifung für jemand dar, der eine Schrift über die Zeit der Sendlinger Schladt zu fehreiben vorhat. Jnfofern wäre der Zettel für den durch Mahmann in folhen Dingen ftetS beratenen Lindenshmit ganz unnötig gewefen, wenn er nicht eben von Makmann herfam. Daß dies die Bejtimmung der Zettelnotizen eigentlid) mar und Mafmann einen Anteil an deren Abjajjung Hat, geigt aud) die Verdeutihung „Bücherfal“ und im Zufammen= hang damit der Wert, der auf die Einfiht in die Plinganferhandfhriit — obgleich fie für 2. genügend im Rajftlos gu finden war — gelegt wird. Dieß fcheint bei der Ueberreidung des Zettel8 betont worden zu fein, fodaß — mie bei eiliger Kenntnisnahme gejchieht — Lindenjchmit fich felber noch ein zweites Mal Handschrift Dagubemertte. Während nun Makmann die Handfhrift wirklich benugt Hat (fj. Htod ©. 7 „die durhlaudtigite Nachfolge‘ — Plinganfer auf S. 131 des Abdruds in Verhandl. d. Hijt. Ver. f. Niederbay. 8 Bd. 1862 „die durdleidtigifte Nachitolge”, dagegen bei Naftlos S. 23 „die durhlaudtigiten Nachfolger“), hat Lindenfhmit dieS unterlaffen und offenbare Lefefehler des Naftlos in Namen übernommen, vgl. W. L. S. 18 „Obriſt Zele“ = R. ©. 56, ftatt ,obrift Qele” der Handirift, „D’Okford“ ftatt „D’Ogfort‘, und die Raftlos’she Kürzung ©. 50 betreffs der Mühldorfer Entfhuldigung. Eine auf das Genauejte durchgeführte Vergleihung lehrt, daß 2. von [hriftlihen Quellen und Darstellungen überhaupt nur den Raftlos benugt hat und daß ji, mit Ausnahme der Arkolegende, der eigenen Erforfhungen und der Schilderungen, jede Heinfte Einzelheit und ges wiffe Mutmaßungen auf R. gründen. Maffei und de la Colonie, die er jelber zu Lamberty, offenbar wegen YUrko, fchrieb, blieben trogdem ungelefen, die Martinswand (S.3) und die herfümmliche Erzählung unberichtigt. Um die fünf Namen des Z (bei denen Mtakmann den von ihm fpäter getabelten „Hoffmann“ mwegließ gemäß feiner Borftelung von Lindenfhmits Wbficjten), fowie um den ganzen Zihofte hat er fid) nicht weiter ges fiimmert. G8 fdjeint, dah die Beit fcpon au tnapp geworden war, den Anmeifungen des Zettels, als er fie erhielt, zu folgen, und nur der bequeme Raftlos verlodte ifn, feinem Beftande von eigenen Ermittelungen und iNuftrativen Gedanken den hiftoriihen Tert unterzulegen. Mit diefer Verjpätung hängt es zufammen, daß er den Verlauf der Gefechte am ftädtifchen Gottesader (Glodenbad)) und bei Sendling nad) der Egerer Tafel und der örtlichen Kunde bietet und die „Sage“ vom Balthafar Maier nur nadträglid anfügt. Vahmann dagegen gliedert fie al® „Ueberlieferung“ in die Zichokte’fche Kichhofverteidigung ein; dabei nennt er den Kirchhof „Freithof“ (auch fhon S. 4), ein Wort, das fid) ihm germaniftifch und aus dem Bericht des Pfarrers Soyer 1705 durd) ehrwiirdige Hiftorifde Farbe empfahl. Die unter dem Minifter v. Schenk und Geheimrat v. Hormayr feit Oftober 1830 (bis 1832) gepflogenen Erhebungen (f. Münd. Sreisardiv M. A. 1040, 123) förderten diefeS Dokument nicht zu Tage, obgleich eine Abjchrift davon den Copien einer vom Erzbifchöfl. Ordinariate befdiedenen Eingabe des Sendlinger Pfarramtes, v. 16. bez. 20. April 1830, beigegeben und mit diefen in Lindenfdmits Befig gelangt war. Sicherlich fah Mafmann das Schriftitüd bei ihm; das alte Wort war ihm ein Fund, den er übrigens für fic) auffob —: alfo aud) hier zroar gelegentlihe Fühlung awifden den Beiden, aber feine Bereinbarung iiber daS Bu-Bietende. Die wiederfprdde aud) dem felbjtändigen
Jugend und Bildungszeit 3
gegen Ende 1829 „von Sr. Maj. Regierung | Baterland gefallen, darguftellen.”1) Wie der die Erlaubnis zu teil geworden, den Helden- König das Unternehmen aufnahm, lehrt eine tod der Bayern, die 1705 für Fürft und | andere Briefitelle (W. 2. 1838 an Gmeiner):
eigenmilligen Charakter der beiden Männer. Außer feiner ganz anderen Arbeitsmweife fhlägt Mm. Idon beim Sammeln andere Wege ein und fehrt andere Seiten des Stoffes hervor. &8 lag überdies von vornherein in feiner Bahn, auf diefen Gegenjtand zu treffen. Aus dem Befreiungstriege wie Schmeller zurüd gedenft er mit patriotifher Trauer der vergeffenen Kriegergraber um Leipzig, (T. fein Gedicht „Winter“ in Menzel8 Moo8s tofen 1826, ©. 338). Im November 1828 befihtigt er die bloßgelegten Gebeine des Bauerngrabes auf dem Münchener Gottesader und nimmt die Vermutungen der Leute anteilsvol in fid auf (f. Heldentod ©. 4), geradefo wie er über die Wrfadenfresten jchreibt, bayerifhe Sagen gejhichtlich erläutert, Münchener Merk mwürdigfeiten und Bräuche befchreibt. Diefe publiziftifche Neigung und nit W. Lindenfchmit, wie F. v. Wall- menid) (S. 138, Unm. 2) vermuten möchte, bradte ihn darauf, fi) mit der Gejhichte der Sendlinger Schladt zu befaffen. €8 mare nur natürlih, daß Makmann, langft mit dem Vorhaben feines Freundes vertraut, die Zeit für feine Gedenfjchrift erfah. Sein Bemühen hatte inzwiichen eigene Refultate gezeitigt. Die Buch ftäblichkeit, womit er feine Ug glaubt vortragen zu müjjen, bezeichnet ihn genügend als deren Auffinder. Dazu ftimmt, daß eine Kenntnis, die man fonft bei Lindenfchmit vorausgejegt hat, diefem hier im Z noch eigens übermittelt wird, — offenbar, weil ihm die Wusfiihrlidfeit ber Z-Legende etwas Neues fein mußte. Denn anbererjeits jehen diefe unvermittelten Zeilen des Z nicht wie die erjte Mitteilung einer dem Empfänger völlig unbefannten Sade aus. Ware fie dies und folglich) die einzige und fofort fehr bejtimmte Nahricht, jo müßte fie {don bei den Sfiggen ganz anders durchgegriffen haben. — Die Uebermittelung des BettelS wird fo fpät fallen, daß die Zweifel, welche Lindenfhmit gegenüber den Einzelheiten von Z—Ug beihlien und fic fdlieblid dur unbeftimmtere Fafjung der „Sage“ in feiner Schrift äußerten, den Tert von Maßmanns Heldentod nicht mehr beeinflußt haben. Dod muß im Oauptpuntte eine Uebereinftimmung der Sx fiir Z—Ug gefprodjen haben; DtafBmann, der ja troß der Wusfage de8 Kirchenbuds an der Ug fefthalt, ftithte fic) wohl auf die Umftände, unter denen fie ifm erzählt ward.
Von dem legten Titel auf dem Z ift nur die Lefung „Augsburg“ gefichert; es könnte ein Tafdenbud gemeint fein, doch findet ich nichts dergleichen. Zu beachten ijt vielleicht die Anonymität. — Gruber jpann feinen Faden fadte an den Umftand an, dah ein Wuffehen veriprehendes Gemälde im Entftehen war. Einzelheiten des Z, namentlid) die 2. Stelle, fönnen von ihm in Umlauf gefegt fein; in der bejtimmten, von Makmann fo gemerteten Prägung des Z famen fie an ihn fehmwerlich als ein Auszug aus GruberS vorgeblidem „gedrängten Thaten= gemälde“ heran, das Gruber „schon im Herbjt des Jahres 1828 in einer Zeitjchrift Hinausgegeben“ haben will. Makmann hätte dann ficher zitiert und aud für feinen Z und die Ug etwas mehr vorgefunden, namentlid jene ungarifchen Abenteuer des Helden, melche aber dem Erfinder erjt bei dem Anblid des fertigen Bildes aufbdmmerten. Gruber hielt eben da8 mündliche Verfahren der Ausflüdhte wegen fürs erite feit und wird in der Tat, wie er beteuert, mit Erzählungen aus feinem vorgeblichen Stalender „nicht gegeigt“ haben. Dabei gab er die zweite Partie der Zettellegende mit jener auf eine Stelle des Bayerifden Bauern-Kriegs gepfropften DffizierSaneldote zuerst zum beften. Defhalb figuriert fie im Z als befondere Notiz; fie war bei einer anderen Gelegenheit, als die 1. Stelle, an Mm. gefommen, vielleiht fogar früher als die 1. Stelle, welche wegen ihrer Operation mit der Zahl 34 (+3) = 37 die Zeitungsberichte über die Zimmermannsfeier von Ende Juni 1830 vorausfegt. Wuch die Splitterhaftigkeit des Gruberifchen Kalenders findet in den ZeNotizen fhon ihr Vorbild. Die „Armee pomadeduftender Frangofen’ ift feit der Schlaht bei Rokbach hiftorifh; ein folder Zug mußte dem Preußen und Patrioten Makmann wohl angiehend, aber auc) undurdjdaubar fein, wie ja aud) in bem ungefdidten „halt“ das Verftändnis für Bayerifch-Dejterreichifche Möglichkeit fehlt. Yn diefer doppeltausge- wedfelten Anekdote fühlt man den Boden durd), auf dem Gruber zuerjt Fuß faßte. — Die Erfindung madte ihren Weg duch Mittelamänner. Grubers Ausfage, „daß mehrere Freunde der vaterländifhen Gefdidte . . fic . . erfundigten”, Hat Teilmahrheit; er hütet fi) wohl einen Namen zu nennen; den Maler zählt er nicht biefen Erfundigern bei; da er fid) aber ein BVerdienft an V8 Kompofition beilegen will, muß er von ihm reden ; die anonyme Wendung, mit der er ihn heranzieht („Künjtler, der das 8. Bild unter den Bögen bes fol. Hofgartens gemalt hat“ „Frifchgemälde“‘), wurde 1830 von Matmann (Heldentod S. 4) in verjtändiger Abfiht gewählt; bei Gruber 1832 ift die Meidung des Namens eine falfhe Geheimnistuerei. Das Bild vers ftedter Mtadination und aud) ihre zeitliche Abfolge würde durd einen legten Fund ich beftätigen, falls er auszumachen ift. indenfamit hat in feinem Rajtlos auf dem unteren Rand von ©. 78 mit Blei einen Namen hingefchrieben. Der Familienname ijt fat unleferlih, a8 Ganze finnte ,Jofep Gruber“ Heißen. Gruber felbjt führte im Drud ftetS „Ferdinand J.” oder „F. 3." alB Taufnamen.
Diefer Eintrag gewinnt feinen richtigen Sinn dadurd, daß Seite 78 wenige Zeilen oberhalb vom roten Turm die Rede ijt; über die 2. Stelle des Z, morin die 19 Erichlagenen, die 114 B, die Offigiers- anekdote fich häufen, befragte fid) 2. wohl mit Makmann; diefem wird e83 nun zwar gelungen fein, Gruber gu eruieren, — dod) faum, zu fpredjen. Daher blieb der Name ohne Adrejje und ohne den Titel einer etwa vermuteten Schrift und zeugt jo von der Vergeblichkeit der Erfundigung.
1) Worte, mit denen fih W. Lindenfhmit in feinem im Dezember 1831 an König Ludwig gerichteten Gejud auf diefe Eingabe bez. den „vor 2 Jahren“ erfolgten Bejcheid zurüdbezieht.
32 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfdmit, de8 Welteren
„Der König al3 er den Bericht erhielt, fchrieb an den Rand, ich fey win fo mehr hierüber zu beloben, als ich fein Bayer fey. Und dieß hat er mir feitdem mündlich wenigjtens 10 mal wiederholt.” Noch nach Jahren fam König Ludwig gern auf Sendling zu fprechen, fo in Hohenſchwangau. Auch Hormayr bringt diejes Wort, in den Bayer. Blättern; nur was er von Beifteuern binzufügt, beruht auf Ber- mwechslung, wie fie auch in den Zeitungen eingetreten ift. Man fonnte fich eben nicht
jo waren e8 doch“ — gefteht er fid) {pater — „große Hindernifje für die Gnade des Königs.“
Hierin trat bis in’3 Spätjahr 1831 feine Nenderung ein, und des Königs Geneigtheit fiir die Sendlinger Sache konnte fich daher aud) nicht in Buwendung von Mitteln äußern. Andernfalls hätte 2. in feinem Briefe, worin er die Erfahrungen, Kämpfe und Ereigniffe von der Bildenthüllung an bis in den Sommer 1832 dem Bruder anvertraut, eine derartige Allerhöchite Anteilnahme bejtimmt verzeichnet,
vorftellen, d. 5. in ihren dak der Maler Solgen bez das umfing- ſprochen; liche Werk in hätte darin der Haupt- die ehrendſte ſache allein be⸗ Förderung ſtritten habe. erblickt, nicht Dieſer Zug iſt ſo ſehr, weil aber weſent⸗ ſie den unaus⸗ lich. „Auch weichlichen hatte ich mich Exiftengfampf ſorgfältig ge— gemildert hät⸗ hütet, die Leu⸗ te, ſondern te in die Ar— weil dadurch mut meiner eine Unzahl Glücksum⸗ kleinlicher ſtände blicken Kränkungen, zu laſſen und Schädigun⸗ ſie wußten gen und Aus⸗ noch immer beutungen, nicht, wie denen er durch groß und ver⸗ abſonderliche wegen dieſes Umſtände — Hauptgruppe mit dem Balthaſar Maier. —
Aus der Litographie = B. L'8 „Gef. d. Sendl. Schlacht“ daritellend da8 Gemälde nommen, an ber Sendlinger Kirche. — Wirkl. Größe. twat, vonvorn
war.” Diefes Gebot feiner Verhaltniffe, anderer= feitS die fchaffende Qdealitdt, mit der er in feinem Werk voranfchritt, verband und ver- fittete ein ftarfer perfinlicher Stolz, der fich nicht fo fehr in politifchen und Parteimein— ungen, al8 in dichterifch-fünftlerifcher Unnache giebigfeit fühlte. Und fo gewann er e8 fidh und der hohen Spannung, mit der er am Werke war, nicht ab, dem König gemiffe erfte Schritte perjönlich entgegenzutun.
„Dbichon dies alles fich jehr gut mit dem Charakter eines Mannes verträgt, der das ernjte Bewuptfein hat, diefe und jene Handlung um eines edlen Zwedes willen zu vollführen,
herein von feinem Pfade ferngeblieben märe.
Der Gedanke, das Bild des Kampfes an der Stätte desjelben und über der Heerjtraße aufzurichten, fam bei den Befuchen und Nad)- forfchungen in Sendling ganz von felbft. Da eS nun die Wand der Kirche und einen Fried- hof Schmüden follte, mußte e8 in dem Sinn höchjter religiöfer Weihe umgeftaltet werben. Es war nicht ganz leicht, aber Wilhelm fand in der bejcheidenen volfstümlichen Wegblüte de3 „Marterls“ das entfaltungskräftige Vor- bild und formale Prinzip. Sein Gemälde it ein ins Heldenhafte gemwandeltes Marterl. Aus dem heißen Brodem der Schlacht hebt
Sugend und Bilbungszeit 33
e3 fich durch das falte Gewölf der nieder- finfenden Todbringerinnen zum Spender alles Odems Hhimmelan.
Nun hatte zwar der König einen Wunjch ausiprechen laffen; es fjcheint, daß er ftatt des richtenden Gottes die mitleidigere Geftalt der jungfräulichen Himmelskönigin vorgezogen hätte. Allein der Künftler bedurfte in der ftrengen Erhabenheit der auffteigenden Kom= pofition eben jene ruhig weitjchauende, unbe- irrte, die Welt im Gleichgewichte haltende, männliche Gottesgeftalt der ewigen Gerec)- tigkeit.
Schon rein al8 förperliches Motiv wirft diefe Geftaltung wie eine Wage. C8 ift die Uebertragung der fämtlichen Bertifalen, die vom Antlix deB Baltafar Maier, von den aufgeredten Armen der Sterbenden und dem Kampf auffteigen, in die Horizontale der aus- ebnenden, fegnenden Gotteshand und des aus dem Inneren hinausmaltenden Blides. Bon hier aus fenfen fich die Todesengel leife hinab und der ferne Jubelfchall aus den Lüften dar= über. Das ift die Glorie.
Qn diefe Glorie ift die „altbajumarifche Oeldengefolgfdaft’ und die , Walhalla” Wil- helms Hineinverflungen.
Darunter regt der Wolfenhimmel feinen MWiderftreit von Flammenfdein und Winter- fälte.
Einen befonderen realiftifden Zug hat der Künftler in den Grund des Schlachtfeldes verpflanzt: nämlich das Motiv des halbohn- mächtigen Berwundeten, der fich auf den Knieen wieder zu erheben verfucht. 8 ftammıt vom Egerner Botivbilde, wo e3 in mehr fader Wiederholung der fraffen Wirklichkeit aud) frag wirlt. Hier in dem einzelnen, zu= fammenfintenden Offizier ift e8 zum rühren- den Bug geworden.
Wm 6. April 1830 verlor Wilhelm durch den Tod des Großherzogs Ludwig von Heffen auch das ihm gegenwärtig fo nötige Stipen- dium. Im Juli reifte auch Cornelius nad Italien. Das Entgegenfommen des Pro- defans, Pfarrer Graf von Sendling ermög- lichte Lindenfchmit für die beiden fommenden Jahre in jenes der Kirche gehörige Haus überzufiedeln, wo er fchon einen Teil der Ar- beit vollführt Hatte.
Bis jet ftand aber noch immer das
Y.m.1u 2,
Borhäuschen, das über der nördlichen Kirchen tür erbaut war. Um e8 befeitigen zu fönnen und die Bildwand frei zu machen, wurde zu= exit eine Eingabe an das RK. Zandgericht ge= madt. Nach erlangtem günftigen Befdeid brachte Pfarrer Graf am 16. April das Ge- juh vor die firchliche Behörde, den allgem. geiftl. Rat des Erzbistums München-Freifing. Die Erlaubnis zum Abbrucd) traf am 20. April ein; damals fam auch jene Urkunde vom Pfarrer Soyer über die Sendlinger Schlacht zum Borjchein.
Sm Mai 1830 begann da8 Malen am Fresfo. Bm Juni zog Lindenfchmit mit Frau und Kind in das Haus bei der Kirche ein: er behielt dieje3 ganz gemütliche Heim bis in den Mai 1832, wo die Arbeiten in der Neji- denz an den Schillerbildern begannen.
Gein ,,Winkelried” paffierte den 5. De- gember den Runftverein. Der in der Weih- nacht ausgebrochene Studententumult ift mit feinen betrüblichen Folgen in Ludwigs Rari- faturen fehr luftig erzählt.
Das Jahr 1831 jah infolge der Prep- zenfur rapid verfchärfte Gegenfäge gwifden Regierung und der liberalen Kammergruppe. Die Oppofition unter Baron Clofen febte am 30. Mai die Entlafjung des Minifters v. Schenk durdh. Am 14. Yuni begann der VBorftoß gegen des Königs Aufwendungen für Runjt; felbjt die fiir die Arkaden, obwohl als volfstümlicdy und patriotifch anerkannt, follten nur unter Mipbilligung bemilligt werden, und am 8. Juli wurde das ganze Runftbudget von der Kammermehrheit verworfen. E38 hieß: Streichen fei auch eine Kunft.
Lindenfdmits Gemälde war außerhalb der Barteipolitif und wendete fich an daS ge- famte Bolf. Gs beftand auch in beiden La- gern eine freundliche Erwartung; da8 Er— Icheinen feines Schriftchens in der literarifch- artiftiichen Anjtalt, den 8. Oktober, wurde in Blättern beider Richtungen angezeigt und bez grüßt.
Wm 28. September vollendete Linden- {mit fein Werf; am 9. Oftober, an einem Sonntage fand die Enthüllung ftatt. Hier trat nun ein, mwa8 niemand gedacht hatte. Er erzähle e3 jelber:
„Den Abend vor der Eröffnung meines Bildes war ich allein und überdachte meine
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Lage. Ic Hatte ein großes für Bayern und für Deutfchlands Gefchichte, auch für die Kunft an fic) wichtiges Kunftwerk vollendet und wie mir die Renner fagten mit Glüd vollendet; die uneigennüßige Art wie ich das Werk unternommen, hatte mir bei allen, die davon gehört, Ehre erworben, Feinde hatte ich feine, oder fie waren verföhnt, meine Freunde liebten mid) innig, in meiner Familie war
mein Glüd unbemwölft und reich, meine Be-
fannten und Nachbarn achteten und fchäßten mich. Die bedeutenden Opfer, die ich der
Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfhmit, bes Kelteren
aus blauer Luft traf, war, daß eine politifche Partei jich der Ehre meiner Arbeit bemäch- tigte. Der Afjeifor Hader, deffen jervilen Schmarogergeift ich nicht geahnt und deffen Ankunft bei dem Feft mich gefreut hatte, be- nußte, aufgeftiftet von dem Magijtrat, dieje Gelegenheit, fich einen fogen. roten Rod zu
verdienen. Mit Unmillen hörte ich zu wie
er von der gefchichtlichen Bedeutung des Ge- genftandes abjpringend zu Ausfällen auf die Oppofition in der Ständefammer überging, wovon fich mehrere Mitglieder unter den Buz
Eröffnung meiner Laufbahn gebracht, jchienen bi8 zur Hefe ausgeleert, ein zmwedmäßiges Verhalten!) mußte fie einigermaßen erjegen fönnen. Was aber die Laufbahn betraf, fo fonnte man den moralifden Banden ver: trauen, die an mein Werk eine Nation und einen König, ja den Runftvater Cornelius fnüpften. So beruhigend diefe Betrachtungen waren, fo war meine Heiterkeit nur gemäßigt. Der erfte Schlag, der mich, wie man fagt,
hörern befanden. Ex bezeichnete fie als eine Rotte von vergweifelnden Mtenfden. . . Das Landvolf verftand diefe Gemeinpläße nicht und vergaß fie gänzlich, allein das Publifum behandelte von da an Herrn Hader mit tief- fter Verachtung und die Ständefammer Flagte ihn, indem fie jene Beleidigungen als ihrem Körper widerfahren betrachtete, förmlich an.) — Qn einer fo bewegten Zeit hätte mein Unternehmen nur anerfannt werden fünnen:
) Nämlid die Einleitung zur „Subfeription auf die Lithographie des Bildes, welde nad dem Urteil aller Gefhäftsleute mir meine für Herjtelung des Bildes gebrachten Opfer hätte erfeben können.“
*) Herr v. Elofen über Haders Rede, in der 121. Sigung der Kammer der Abgeordneten, (j. Münd). Eonverfationg-Blatt 1831, den 24. Oftober, No. 297, über die Sigung vom 21. Oftober.)
Jugend und Bildbungszeit 35
wenn e3 über alle politifche Barteien erhaben dajtand. Diefer Vorteil war unmiderbring- lich verloren. — Al den Landftänden, deren
verschiedene Parteien fich früher mit großem -
Wohlgefallen über mein Unternehmen und meine Perfon geäußert, . . die Subffription zur Lithographie vorgelegt wurde, äußerten die meiften gang falt, daß ihnen eine Erinne= ‘rung an jene Beleidigung ihrer Körperjchaft nur unangenehm fein finne. Der Umjtand, daß eine fo michtige Staatsgewalt meine Leiftung verläugnete, machte die öffentlichen Blatter . . . verftummen. — Eine andere Er- fcheinung, die mich wahrhaft zittern machte,
mar Neid, den ich unter den Stiinftlern hie
und da, und an gefährlichen Orten bemerkte. Einem Beobadter von Verftand . . . konnte es nicht entgehen, daß die bedeutenderen der jungen und älteren ünftler mit fchmweigen= dem Nachdenken ein Bild betrachteten, das fo anhaltend eine größere Menge aus allen Ständen mit ehrfurcht3vollen Gebärden vor fich verfammelte, eine größere, al3 fie ver- mochten vor eines der ihrigen zu bringen. War e8 der Zauber der Nationalität, des ge- fchichtlichen Bodens, war e8 die impofante Größe der Oberfläche des Bildes nahe .an der Heeritraße — ich merkte, daß fie diefes inner- [ich erwogen, leider fand fich fein erheblicher Fehler, die Menge fühlte fich befriedigt, fie mußten alfo ſchweigen. Selbjt meine näc)- ften Freunde teilten nicht jene Rührung, die mich den ganzen Tag erjchütterte; Cornelius unter den Riinfilern, mar der einzige, der gleid) mir innigft bewegt und ergriffen war.” —
Das Gefchaft der Subffription nahm fclechten Fortgang. Kaulbad), der die erjten Unterfchriften zu fammeln unternommen, wurde durch Fohr daran gehindert. Cornelius wollte fic) aus freien Stüden der Sache beim König annehmen, verjchob und vergaß es. Ebenfo verfagten Ringseis und Schobert. Ridel madhte einen mwohlgemeinten Verjuch, die Subjkription in Gang zu bringen, ohne Erfolg. — „Dazu gefellte fic) ein neuer Un fal. Mit Schreden berichteten mir meine Bekannten, daß eine Lithographie meines Bil- des an den Kunftläden hinge (von Ellmer) und in allen Brauhäufern herumgetragen werde”. — Nun drohte fchon Geldnot. Sein
Kredit lag in den legten Zügen. „Es hält fchwer bei einer folchen Lebensmweife uner- fchüttert zu bleiben.“ Dazu famen ungejchidte, teil8 gut, teit$ falfd) gemeinte Schritte in öffentlichen Blättern von unbefannter Seite, gegen die er Stellung nehmen mußte. Cine unrichtige Anforderung eines Scheinfreundes nahm feiner Sache bei den Gemeindebevoll- mäcdhtigten die Unantaftbarfeit.
„Cornelius fam häufig, faft täglich nach Sendling, wir fneipten miteinander, auch manchmal in ber Stadt, und ich verlor feine diefer Gelegenheiten, ihm näher zu rüden, feine Anfichten fennen zu lernen und ihn mit den meinigen vertraulich zu machen. Ich lernte ihn hiebei al3 einen Mann von Geift und Herz fennen, wenn ich auch zugeben muß, daß fein fcharfer Verftand durch die Gejellfchaft unferer befannten Myſtiker irre— geleitet ift“. Nun fegten die Unterhandluns gen über Lindenfchmits Beteiligung an dem Schillergimmer ein, begegneten aber den gripe ten Schwierigfeiten. Seine Berlegenheiten wadjjen, jeine Oduslichfeit und feine Frau leiden darunter fchwer. Bei den Freunden
A sos ae | é ae I \ i A ’ x : id J u Ä | —— ETS BER re L j — f ‘ Hi: F > a 4 Ui t rey I. * STE IR z
Selbitporträt W. Lindenfdmits um 1830. Bleiftiftumriß, !/s der wirfl. Größe.
zeigt fich immer mehr Erkältung gegen ihn.
„— Als ich mich allein fühlte, mwuch8 mir der
Mut. Ueberzeugungen ftellten fich ein. Bater-
landgliebe, Redlichkeit, Xatfraft, Mut, Be-
ftändigfeit, Fähigkeit . . halten die Menfchen, b*+
36 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfchmit, des Welteren
halten deine Freunde nicht ab dich zu zer- treten. DVerdienit allein wird dir... die Durchfegung deine Lebenszmwedes niemals fichern. Klugheit, Grüzgze, ein heitres Ueber- bliden der Schwachheiten in der menfchlichen Gefellfchaft ift eine faft unentbehrliche Be- dingung für Männer, welche wirfen wollen. E3 haben zwar Einige ohne diefe Maßregel durchaus anzumenden, ihren VebenSgwee fiegen gemacht; allein nicht bloß diefe haben ihren Sieg mit einem fchmerzlichen Untergang be= fiegelt, jondern viele taufende von tapfern Seelen hat der Mangel diefer Tugend mehr oder weniger jpurlos aus der menschlichen Gejelichaft ausgelöfcht, weil fie die Luft zu ihrer Entwidlung den Berhältniffen nicht ab- zuringen vermochten. Sch Ihämte mich diefe Wahrheit fo lange außer acht gelafjen zu haben. Sollte nicht ein verfchiedenes Rechtsverhältnis bei dem Angreifer und dem Verfolgten ftatt= finden? Sollte e3 dem gehebten Hirfch ver= boten fein, die Jagd auf eine falfde Spur zu leiten? Zudem bin ich feiner von denen, die ihrer Hoffnung durch Fortdauer auf einem Stern oder in einem warmen hellen Himmel fchmeicheln. Jch weiß zu gut, daß der menjch- liche Geift, wenn er feinen 2eib überdauern will, fid) vorher durch Nachdenken und durch Handeln Größe und Stärke erworben haben muß. Ja, ich will untergehen, aber erft nach- dem ich der Welt eine Reibe von Werfen aufgedrungen, die ihre Achtung feffeln und mir die Fortdauer meines Gewerbes verbürgen. So war e8 denn beichlofjene Sache, jene LeidenSbahn des Buriidgiehens des Triumphs fiir Wndere, nicht 3u betreten. . . . An diefer Etimmung ftrich ich auf den winter- falten Ebenen, welche die hiefige Gegend ume geben, herum nachdenfend über den widrigen Wind und aufmerffam nach dem Horizont meiner Verhaltniffe jpabend.~” Er findet bei fcharfer Betrachtung feines eigenen Verhaltens und des feiner Umgebung die Punkte, an denen fid) anz fnüpfen ließ, und handelt fofort. „Damals nun fiel es mir ein, daß ich nun feit Jahren alles tue, mas ein Mann für feinen Beruf und feine Angehörigen tun fann, und es be= mächtigte fich meiner einer falte Entfchloffen- beit, welcher der Erfolg gleichgültig und ohne Mert if. In meinem Haus wurde eine andre Saite aufgezogen. Die Töpfe und Tiegel
blieben zwar in mangelhaften Zustand, allein ich) 30g Abends, wenn ic) von Gefchäften nad) Haufe fam, Braten, Würfte, Ras, Heringe, Wein aus der Manteltajche. Das lekte Holz im Schuppen wurde zujammengefägt, große Fladerfeuer angezündet, gejotten und gebraten, und Lichter auf den Tifch geftellt mit ge- frauftem Papier gegiert, dag Ranapee an den Ofen gefdoben und aus einer langen Pfeife geraucht, bis das Efjen auf dem gededten Tische dampfte. Heißt das — alles bei jorg- fältig verfchloffener Türe.“
Die Darftellung diefer VBerhältniffe würde für fich ein Heft füllen. Kurz, er wendete fich fchlieglih in einem fleißig überdachten An- jucjen felber und direft an den König. Die
"Antwort fam bald und nad gweimaligem
Bejud) im Kabinett erhielt er die Subjfrip- tionslijte mit der Unterzeichnung des Königs auf 6 Eremplare. Dies bedeutete den ent= fchiedenen Beifall Ludwigs I. an dem ganzen Unternehmen. Noch vor furgem hatte der König in ähnlicher Angelegenheit einen Künit- ler abjchlägig bejchieden, mit dem Bemerfen, Er fubffribiere nur in hichft feltenen Fallen. Das hatte gerade Lindenfchmit abgehalten. Nun fam, mit diefem Ynf{trument in der Hand, das Vorgehen gegen den Lithographen Ellmer. Aber noch bejaß Lindenjchmit fein Privileg. Und fchon drohte in Augsburg ein Stic) gu erjcheinen. Hier half nun Dr. Deffauer. Minijterialrat v. Abel glaubte das Privileg nicht befürworten zu dürfen, ,,weil ich fein Privileg auf eine Sache verlangen fönne, die bereits aufgehört mein Eigentum zu fein! Jch glaubte zu träumen“. Er hatte nämlich das Fresfo der Gemeinde Sendling geichenkt. Doc, gab Abel zu, dab die Sache fih anfnüpfen laffe, wenn 2. ein Gefuch der Gemeinde Sendling beibringe. E83 war be- reits Sylveftertag; der Minifterwechjel jtand dicht bevor, dann hatte der König feine Beit, — und die Raubdrude erfchienen. „Ich nicht faul, auf und nad Sendling, die Bauern eilten mit mir auf8 Landgericht, wir fchmie= deten ein Gefuch.“ Durch befondere Befchleu- nigung vermochte dann Fiirft Wallerftein am 6. Januar 1832 das Privileg dem König zur Unterzeichnung vorzulegen. Nunmehr konnte die gefchäftliche Behandlung der Subjfription betrieben werden, wobei Kajpar Braun von
Jugend und Bildungszeit 37
großem Mugen war — und die fchöne Frau Deffauer. E8 gelang Lindenfchmit, den Führer der Oppofition, Baron Clofen, von feiner Schuldlofigfeit an der Haderjchen Rede zu über- zeugen. Dies war deshalb leichter weil Hader für jene halbjtündige Anftrengung feines Ge- nie glei zum Landrichter in Traunftein ernannt worden war, und Lindenfchmit bis jegt feinen Vorteil aufzumeifen hatte. Nun
mehr fubffribierte die Oppofition, und die
Unhanger der Regierung muften folgen. *) Lindenfchmit fonnte fi) nunmehr über-
zeugen, daß der König an feiner Leiftung
Wohlgefallen hatte. Der König bejuchte ihn in Sendling „und hat mich mit Gnade über- ſchüttet“.
Die Gegnerſchaft Klenzes gegen Linden— ſchmits Beteiligung an den Wandgemälden in der Reſidenz konnte allmählich überwunden werden. Im Einvernehmen mit Foltz er= hielten beide den Schillerauftrag. Das hitzige Komponieren, das jetzt begann, und ſchon etwa im März 1832 zur Malerei gedieh, macht es ohne weiteres erklärlich, daß Linden⸗ ſchmit für andere Dinge keine Augen und Ohren beſaß.“) Cornelius drängte, der König brannte auf ſchnelle Ausführung; Linden— ſchmit arbeitete vielfach tagsüber in Cornelius Zimmer in der Akademie und ging abends noch in den Akt.
Walter Scott, der damals todkrank von Italien heimreiſte, beſuchte das Bild in Send— ling und bat ſich 6 Exemplare des „Send— linger Büchels“ mitgenommen. Dies freute Lindenſchmit ganz beſonders und war der beſte Beweis, wie ausgezeichnet er den alt— nordiſchen Kämpenſchlag, der im bayeriſchen Oberländer lebt, getroffen hatte.
Nach diefen Kämpfen. und im Wieder- bejig eines angefehenen Wirfungstreijes ,,neigte fi) mein verföhnlicheg Gemüth bald zur Heiterkeit. Nun bin ich jegt in einer Stim= mung, wo ladelndes Vorherfehen der menjch- lihen Schwachheiten und entflammter Eifer für mein Ziel mir auf eine harmonifche Meife Schuß und Flügel auf meiner Bahn gewähren. Bon diefem Wendepunft an legte ich mich mehr auf zwei eigenthümliche Nich- tungen des menfchlichen Geiftes. Die jchöp-
) Die Lithographie von Elmer, mit Rand 43:45'/2cm, Bild allein 33:37 cm, hat in den Ober:
eden zwei Kränge mit Infchrift. Obne Namen des Druders oder Zeichners; dabei fehr roh. Ellmer mußte den Stein abjchleifen, W. 2. verfiegelte ihn und nahm die Auflage mit fort, am 22. Deg. 1831.
Die privilegierte Lithographie erfchien Frühjahr 1832. „Nach dem Originale gezeichnet von Friedrich Hohe. Gedruckt unter der Leitung von Fr. Hohe. Die Schlacht bei Sendling. An der Kirchen- wand von Sendling gemalt und allen hochherzigen Bayern gewidmet von Wilhelm Lindenschmit‘“ br. 55:5. 60 cm (bez. 44: 56°). In den obern Zeil der Glorie find nod) zwei Engel Hineingefeßt, die Haltung Gottvaters etwas und die Köpfe in der Schladht bedeutend verändert. — Anzeige in d. Münd). Polit. Zeitg. 28. Dez. 1831. No. 320.
Der Augsburger Stich wurde troß des fhon beftehenden Privilegs unter der Hand verbreitet. Etwa 1844 wurde die Schlacht allein von W. 2. Sohn lithographiert, ,,Gedr. v. J. B. Kuhn", br. 66:5. 48'/2, beg. 44: 331/2 cm.
*) Gruber8 1832 erfdienener „Schmiedbalthes“, ebenfo wie defjen Vortrag find „dem geachteten Künfller, der bas Ste Bild unter den Bögen des E. Hofgarteng gemalt“ fiherlid) völlig entgangen. Die „Schmiedbalthes-“ und Gruberfrage ift von Dr. Dreyer in der citierten Schrift treffend behandelt. Man wird aber den Eindrud ge- wonnen haben, daß der Dialer W. L. auf einem anderen Boden lebt, aud) wenn ihm Gruber begegnet fein follte. Wn einer Publikation, wie fie Gruber 1828 gegeben haben will, hätte er fich nicht begeiftert.
38 Hiftorienmaler Wilhelm Lindenfdmit, de8 Welteren, Jugend und Bildungszeit.
ferifche und erfindende Kraft hatte fich bisher an mir ausgebildet, fie war es, die mich er- halten, fie war es, der ich ausjchlieklic) opferte: allein diefe hervorbringende, oftmals ungeordnete Fähigkeit reicht nicht aus zur Vollendung. Yenelausübende, körperlich er- forfchende und handelnde Gejchidlichkeit, die unjre Väter Heimdal nannten, der Künft- lergeift der in den feingebildeten menjch- lichen Gliedern liegt und dann das Anjchließen an den Geijt des ganzen Menfchengefchlechtes, jenes Hand in Hand gehen, welches den Ein- zelnen nur al3 Blutkügelchen in dem großen lebenden Erdförper und Erdgeijt, den unfre Alten Wodan nannten, betrachten läßt, welches die einfame Erfindung hereinführt in die Wege des größeren Vereins, wo fie den vor- gejchriebenen Umlaufsgang fchonend und be= lebend einjchlägt und zugleich als Lohn für ihre Bejcheidenheit die volle Unterftügung des
——— —— — —
ganzen Leibes genießt, dieſe beiden Richtungen ſind es, die mich jetzt einladen und mir ihren Segen verſprechen. — Unſer Leben iſt ſehr ſparſam, aber angenehm und ruhig. An meinen Kindern habe ich tauſend Freude. Der Bub ſchießt auf und iſt ein Erzſchelm. Oft, wenn ich gedankenvoll und ſorgend im Zim— mer auf- und abſchritt, mußte ich laut auf— lachen, wenn ich bemerkte, daß er mit ver— ſchränkten Armen hinter mir dreinkam und meinen Gang nachahmte. Wenn ich das ſorg— loſe Schlummern dieſes wohlgebildeten Ge— ſchlechtes betrachte, ſo fühle ich meine Würde als Haupt dieſes kleinen Stammes und nichts iſt mir zu ſchwer, was ich nicht zur Begrün— dung ſeiner Zukunft unternehmen möchte.“
München im März 1906.
Hundert Jahre nach der Geburt des Künſtlers geſchrieben von ſeinem Enkel Wilhelm L.
Die beiden Flügelgruppen dieſes um 1829 angelegten, in der Mitte zerſtörten Aquarells ſind hier näher zu—
ſammengerückt, auch der unfertige obere Teil des Blattes iſt fortgelaſſen. Die Mitte enthielt etwa 4 Figuren,
wovon rechtsanſchließend noch die geſpreigten Beine eines Bannerträgers übrig. Das Original iſt im Ver⸗ hältnis von 60 cm breit : 40 cm hod.
Unm.: Seite 23 Spalte 1 legte Zeile ließ ftatt Bauerntiypen — Bayerniypen.
Zu älteren vor- und frühgefduchflihen Funden aus Altbayern. (Frühbrongezeitliche Ringhalstragen aus Oberbayern. Zum Grabfunde von Fürft) Bon Dr. B. Reinede. Mit 4 Abbildungen nad) photographifhen Aufnahmen und Zeichnung. Auf der fchmwäbifch-bayerifchen voralpinen | tiges Bild von den Befiedelungsverhältniffen
Hochebene find die älteften vorgefchichtlichen de8 Landes innerhalb der verfchiedenen Ab- Beitftufen der geologifchen Jebtzeit, die vor fchnitte der Vorzeit zu geben, zudem bejiten
dem zweiten Hauptabfchnitt des reinen Bronze- wir ja andere Anzeichen genug für die An= alter8 (der „älteren Qiigelgraber-Brongegeit nahme einer ziemlich dichten Bevölferung unferer Süddeutſchlands“) Liegen, in Grabfunden wie Gebiete auch während der frühen vorgejchicht- Wobhnftattenreften, wenn wir von den Pfahl: lien Stufen.
bauten des Bodenfees und bei Schufjenried ab- Yür den erjten Abjchnitt des reinen Bronze-
fehen, vorläufig noch jchmwach bezeugt. Hieraus alters, die frühe Bronzezeit, erhellt das ohne zu folgern, daß während de8 Neolithicums weitere aus den zahlreichen Fundftiiden aus einfdlieblid) der friihen Brongegeit das Gebiet Einzel- und Depotfunden, troßdem bei uns zwifchen Alpen und Donau nur fpärlid) und zwilchen Alpen und Donau nur wenig Gräber nur an einzelnen Stellen befiedelt gemejen, diefer Stufe!) befannt find, und Wohnftätten wäre jedoch völlig verfehlt. Denn unfere eben fo gut wie überhaupt nicht.
erft begonnene Funditatiftif ift für Gräber- Aus der Fülle des in Südbayern für die wie Wohnftätten-Materialien vorläufig noc) frühe Bronzezeit?) bereits Vorhandenen legen weit davon entfernt, ein nur annähernd rich- wir hier Materialien vor, die fic) auf einen
!) Deren aus Südbayern mir folgende gegenwärtig find: Seiboldsdorf bei Neuburg a, D. (zmeifelhaft); Zudering bei Ingolftadt (gweifelhaft); Sentofen bei Regensburg, neu entbedteg Steletgräberfeld mit typifchen Brongen und einem Golddrahtring (Muf. Regensburg); Straubing, Ortlerfhe Ziegelei, großes Steletgräber- feld; Hofhbam, Bez.-U. Laufen a. Salgad, Sfeletgrab mit Arm= und HalSringen (Hiftor. Verein, München); Obing bei Plattling, Steletgräber mit typifchen Bronzen (nicht näher unterfugt) ; Nußdorf am Inn, füdl. Rofenheim (zweifelhaft); Münden 1878, bei einem Hausbau redht8 ber JZfar, Fundftelle nicht verzeichnet: bei Steletreiten Brongedrahttutuli und vergierter Knochenring nad) Art der Straubinger Materialien (er. Beil. 3. Allg. Beit. 1906, S. 540 — bie hier vermutete Jdentität mit einem anderen, jüngeren Grabfunde aus München ift, wie man auf Grund der Haren Typenbefchreibung wohl hätte fehen dürfen, einfach ausgeichloffen). Die drei Iegten Funde liegen in der Präh. Staatsfammlung Münden. Wus dem Gebiet Hart nördlid) der Donau gehört nod hierher ein Grabfund aus ber Höhle Dürrloh im Shwaighaufer FZorft unm. Regensburg, gleidfalls in Münden. Die Glodenbederfunde, die in Siidbbayern nun von vier Punkten befannt find, haben mit unferer frühen Bronzezeit nicht8 gu tun, wie der Berichterjtatter in der Beil. 3. Wllg. Zeit. 1906, No. 217, &. 539 f., fchon hätte flar ausdrüden dürfen.
%) Eine unlängjt einem größeren Leferkreife mit voller Sicherheit vorgetragene Ungabe, daß dag Ende der Steinzeit und die frühe Bronzezeit rund 1500 v. Chr. angufegen fet (Beil. 3. Wg. Beit. 1906, S. 540, 542; in No. 300 der Beil. 3. Wg. Big. lieft mans freilid) nad anderen Quellen ploglid) gang anders), haben wir hier furz zu beleuchten. Seit Jahren bemühe id) mi” — aber wie id febe vergeblid) — mit dronologifden Kombinationen aufzuräumen, die, mie ich auch einmal in Kürze prägifierte, auf irrige Vorausfegungen fid ftügen wie in ber Methode unridtig find, und erftrebe durch Auffuchen immer neuer Beziehungen unferer vorgefhichtlichen Altertümer zur mittelmeerländifhen Frithgeit, aud) für die abfolute Ehronologie immer feftere Daten zu geminnen. Speziell für die reine Bronzezeit fonnte ic) zeigen, daß ihr Ende bei ung dem Uebergang von der jünger= zur fpätmyfenifhen Stufe im Wegäicum (rund 1200 v. Ehr.) entfpricht, weiter, dah bei ung in Mitteleuropa in der Schlußftufe des reinen Bronzealter8 Glasfhmud vorhanden ift, der nur aus den @lasfabrifen von Tel Wmarna ufw. ftammen fann. Um 1500 v. Chr. find wir da nidt fonderlid weit vom Beginn diefer vierten Stufe des reinen Brongealters Süddeutfchlands entfernt. Uber wiffenfdaftlide Wider- legung verdiene ich offenbar nicht. — Ebenfo muß der Angabe (Beil. No. 300), dak die Münchener Hoder- gräber die erjten in Bayern feien, die wiffenfdajftlid) unterjudt werden fonnten, nadbdriidlid entgegengetreten werden. Das große frühbrongezeitliche Hodergräberfeld von Straubing, über dag man vor Jahren von München aus allerdings mein Gutachten eingeholt, kennt man anfcheinend nicht! — Fürmwahr treffliche Iluftrationen fattfam erörterter, prinzipieller Streitfragen.
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40 Dr. B. Reinede
beftimmten Schmudtypus beziehen, näm= lich die aus Ringen zujammengefügten Hal3- bergen. Diefe Shmudform beanfprucht, ganz abgejehen davon, daß fie auf der voralpinen Hochfläche nun fchon in mehreren Exemplaren vertreten ift, deshalb unfer Intereffe, weil fie fich mit den im Donaugebiet ufw. aus zahl-
lofen Funden diefer Stufe befannten Halb- fabrifaten, den rohgegofjenen diden Halsringen mit umgerollten Enden, aufs engjte berührt.
Vor einem Jahrzehnt wurde in der Mos natsfchrift des Hiftorifchen Vereins von Ober- bayern ein derartiger Ringhalsfdmud aus jeh8 an den Enden durch Stifte zufammen- gehaltenen fchlichten Reifen bejprochen und abgebildet!) der bei Stammham a. Inn, B.-A. Altötting, gefunden wurde, angeblich auf einem Felde, objchon die braune Färbung der Bronze auf einen Moorfund fchliegen Lape. Das Stücd, das damals in den Bejig des Bayer rischen Rationalmufeums in München fam, jchien das einzige feiner Art aus Altbayern zu fein.
Einen gleichen, nur aus fünf recht dünnen, in der Größe etwas zunehmenden Ringen be= ftehenden Halsfchmud, den unfere Abbildung Ne. 1 in !/s der Größe zeigt, hatte jedoch bereits im Jahre 1883 %. Naue in München für jeine Sammlung erworben. Moorbraune Färbung der Ringe deutet einen Moorfund an. ALS das Objeft vor 24 Jahren in Mainz im Nö mifch-Germanifchen Zentralmufeum nachgebil- det wurde, trug es als Fundortsangabe die Signatur Tegernau-Afling (im Be. Ebersberg); es fünnte danach fehr wohl in dem großen Torfmoor bei Apling (Whlinger Moos) gefunden fein, wofür freilich ein jicherer Nachweis nicht erbracht ijt. Heute ift feltfamer Weife nun angegeben, daß e8 von Minering bei Reichenhall ftammen foll, die alte Cti-
quette auf dem Objeft felbft zeigt die urfpriinge liche Fundangabe gelifdht. Die Glaudwiirdige feit der Fundortsangabe wird hierdurch freilich ftarf erjchüttert, fo ftarf, daß die Snventaris fation der Bodenaltertiimer fie leider in der Statiftif einfady) nicht mehr verwerten fann. Sicher erfcheint nur nod, dak das Objeft altbayerifcher Herkunft ift, und als folches ver= dient e8 Beachtung. Das Stüd liegt nun mit der im Frühjahr 1906 erworbenen Kollektion aus Naue’s Bejig, die jo manches wichtige Dokument für die Vorgejchichte Altbayerns enthält (jo reiche alterbrongezeitlidje Grab- hügelfunde von Rottenried), im Germanijden Mufeum in Nürnberg.
Bedauerlicher Weife wieder von unbe= fanntem altbayerifjhem Fundort ftammt ein analoger Ninghalsfragen aus vier derartigen Ringen (größter Durchmefjer 14,5 cm; gegen die Enden zu zeigen die oberen Ringe eingefcjlagene Rerbvergierung), der im Sabre 1857 in München, ich vere mute, bei 3. v. Hefner, fiir die fomparaz tive Abteilung der Altertumsfammlungen im Nationalmufeum zu Kopenhagen erworben mwurde.?) Leider ijt e8 unmöglich, über den Fundort des Stüdes, das wir hier nach einer
gütigjt von Direftor Soph. Müller zur Vers fügung geitellten Photographie abbilden (Abb. 2), auch nur eine Vermutung zu äußern, denn eS fehlt bisher aus damaliger Beit an jege licher Notiz über einen derartigen verfchollenen
1) V 1896, No. 3, ©. 42—44; Montelius, Chron. d. ält. Bronzezeit, 1900, S. 33 (34), Fig. 79. *) Gorr.-Bl. d. deutfd. Unthr.-Gef. 1905, S. 36; Mufeumsinventar No. 16412. — Die Photographie zeigt zugleich die an diefer Stelle erwähnte Schlangenfibel, die mit dem Ringhalstragen nidts gu tun hat.
Zu älteren vor= und frühgefhicätlihen Funden aus Altbayern. 4
gund, den man mit dem Ropenhagener Exemplar in Verbindung bringen finnte. Be- achtensmwert ijt, dak Dtoorpatina auch diefes Schmuditüd wieder als Moorfund fennzeichnet. Aus Südbayern wurde vor furzem nod eine vierte Ringhalsberge diejer UWrt befannt, die aber jicher ein Erd>, nicht Moorfund, ift. Das einzeln (nicht in einem Grabe) gehobene Sti, das fieben Ringe bilden, ftammt von Senfofen, B.-W. Regensburg, und zwar von einer anderen Lofalitdt al8 die auf der nämlichen Feldmarf entdedten frühbrongezeit- lichen Sfeletgraber. E8 wurde bald nach der Auf= findung fürdasMufeuminftegensburgermworben. Die bayerifchen Mufeen bejigen mehrfach nod) glatte, mäßig dide Halsringe friihbronge- zeitlichen Typs, die von den oben erwähnten gleichalterigen Halbfabrifaten äußerlich fich fo= fort unterfcheiden. Die Fundorte diefer Ringe bier aufzuzählen, müffen wir unterlaffen, da fich bei ihnen ja die Kombination zu Ring- halsbergen durch eingefügte Stifte, wenn gewiß urfpriinglich auch vorhanden, nicht mehr nach» weifen [apt. Aber man fieht, daß diefer Schmudtypus in der frühen Bronzezeit un= ferer Gebiete fich einiger Beliebtheit erfreute. Von außerbayerifhem Boden der vor- alpinen Hochfläche fennen wir diefe Schmud= form nod) in einer aus jechs Ringen bejtehen- den Halsberge aus dem mürttembergijchen Oberfdjwaben, aus dem Torfmoor Liffen unweit Sduffenried, dem nämlichen Torf- moor, das auch einen Kleinen frühbrongzezeit- lichen Depotfund ergab,!) der in Bayern wieder Analogien findet. Aus anderen Zonen feien hier nur noch die fünf Gegenftüde (3. T. mit vielen Ringen) von Brabbia bet Varefe in Oberitalien, fowie ein Exemplar aus fieben Ringen aus einem bereits gur folgenden Stufe überleitenden Depotfunde von Tinsdahl in Holitein genannt. ?) An welchem Sinne wir die verhältnismäßig große Zahl von Vertretern dieſes Schmudtyps
wie die maffenhaft nachgemiefenen, typologifch naheftehenden Halbfabritate nebjt den übrigen gleichalterigen Materialien für die Gefchichte der Bejiedelung auf der voralpinen Hochfläche während der frühen Bronzezeit, in der zweiten Hälfte des III. vorchriftlichen Jahrtaufends, aufzufaffen haben, wurde bereits oben in aller Kürze angedeutet. Hier nur nod) ein paar Worte zur Gejchichte diefer Halsfhmudform. :
Derartiger Halsfdymud aus mebhreren, in der Größe machjenden Ringen, bejchränft fi) befanntlich nicht bloß auf den euro- päifch-prähiftorifchen Kreis, jondern erjcheint aud) bei Wölfern anderer ÜErdteile, und im europäifch= prähiftorifchen Kreife finden wir ihn auch wieder nicht bloß in diefer einen Stufe der Vorzeit vertreten. Bornehmlic in Mitteleuropa fehen wir folde Ringhalsfragen, deren einzelne Ringe teils durd) Stifte an den umgerollten Enden feft zufammengehalten werden, teils frei beweglich einer Berjchluß- platte eingefügt find, zu wiederholten Malen in verjchiedenen Gebieten als beliebten Schmud- gegenjtand in Gebraud).
Die hier furg unter Vorlegung einiger Exemplare behandelte frühbrongezeitliche Form?) löft in der anfchliegenden zmeiten Stufe der Bronzezeit in der mitteldeutfchen mie Ofte fee- Zone eine Nachahmung aus, bei der die aus Ningen zufammengeftüdte Hals— berge durch eine gleichgeformte mäßig dünn= gegoffene Brongeplatte mit fic) verjiingen- den umgerollten Enden erfeßt ift: die auf der Außenfeite im Guß hergeftellten Langsriefen deuten, wie Monteliuß bereit3 bemerkt, auf ornamentale Nachahmung der Ringe hin. Qn der DjftjeesZone dauern dann diefe gegofjenen, nun mit Spirale und Reilfdnittmotiven rei) verzierten Halsbergen bis zur frühen Hallftatt- zeit an.
Wirkliche Ringhalsfragen (mit beweglichen Ringen) find ung aus der reinen Bronge- zeit fonft nicht mehr befannt.4) Qn der
1) Photogr. Album der Ausftellung Berlin 1880, VIL, 8; Fundberidte aus Sdwaben, I, 1892, ©. 25;
Montelius, Chron. d. alt. Bronzezeit, S. 33, Fig. 78.
2 Qiteratur bei Montelius, S. 34.
8) Eine andere Gattung großen Halsfhmudes gleicher Zeitjtellung bilden die mondfichelförmigen wie auch fehr breiten flachen Halsbergen auß Bronge- und Golbdbled), die wir in der frühen Bronzezeit reichlich von ben britifhen Infeln (namentlid) aus Jrland), vereinzelt aus Nordfranfreid, Dänemark, Mitteldeutſchland (Muf. Göttingen) und Böhmen kennen. Diefer Typ lebt in Skandinavien wiederum einige Stufen hindurd) fort.
4) Das Alter eines Goldhalsfhmudes diefer Gattung aus Cintra (Portugal) im Britiihen Mufeum in London (Guide, Bronze Uge, S. 148) ijt nicht näher zu prägifieren.
A. M. 1 u 2.
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42 Dr. $. Reinede
erften Stufe der Hallitattzeit erfcheinen fie aber wieder plößlich in Mittel- wie Nord- deutfchland und Dänemarf, aus mäßig dünnen gedrehten wie jchlichten oder verzierten Ringen runden oder flachen Querfchnitt3 gebildet, ein= fac) an den Enden durch Stifte zufammen- gefiigt oder fcharnierartig in der VBerfchlußplatte beweglich.') Gm öftlichen Deutfchland (Hinter- pommern nebft den angrenzenden Gebieten) finden fich übrigens gleichzeitig in reichlicher Zahl durchbrochen gegofiene große Hals- Ichmudplatten, die deutlich wieder foldjen Ring= ſchmuck nachahmen.
Süddeutſchland, und zwar ſpeziell Nord— oſtbayern, führt dieſen Halsſchmuck jedoch erſt wieder in den beiden jüngeren Stufen der Hallſtattzeit Die oberpfälziſchen Grab— hügelfunde von Roxfeld und Schrotzhofen verweiſen ſolche Ringhalskragen noch in die Stufe der eiſernen Hallſtattſchwerter. In der Späthallitattzeit wird Diefer Schmud dann Hier geradezu ftereotyp. Jn zahlreichen Exemplaren fennen wir aus der Oberpfalz, Ober- franfen und den anjtoßenden mittelfränfiichen Gebieten?) die Halsfragen aus gedrehten wie reich durch Gravierung verzierten majfiven oder hohlen Ringen, fie bilden hier die häufige Bei- gabe der fpäthallftättichen Frauengräber. Ein wejentlicher Teil der hier ausgegrabenen Halg- bergen diefer Art dürfte nie im Leben getragen, fondern [ediglich als Grabbeigabe hergeftellt ſein, Totenſchmuck vorſtellen.
Gleichzeitig mit dieſen ſüddeutſchen Schmuck— ftüden der jüngeren Hälfte der Hallftattzeit und, mie die oftdeutfchen Gejichtsurnen an deuten, auch noch jpäter innerhalb des vor- römijchen Eijenalters, erfcheinen Ringhals- bergen wieder im öftlichen Deutfchland, an der unteren MWeichjel und den benachbarten Gebieten weitwärts, in einer erheblihen Anzahl von GEremplaren, gelegentlich) auch auf Ge- fichtsurnen felbjt zur Darjtellung gebracht.)
Daß aber mit diefen Materialien vorz
römifcher Beiten die Gejchichte diefer Hal8= fhmudformim europäifch-prähiftorifchen Ktreife noch feineswegs erjchöpft ift, lehrt der goldene Ringhalsihmud von Färjeftaden auf Oeland nebft feinen Gegenftüden aus Beftergitland, die der fpäten Kaiferzeit oder der älteren Hälfte der Meromingerzeit angehören.
Was für eine ganze Reihe von vor= und frühgefchichtlichen Typen gilt, nämlich, daß fie im europäifchprähiftorifchen Kreife nicht felten eine mehrtaufendjährige Gejchichte haben, daß fie über viele Stufen der Vorzeit in fontinuier- licher oder unterbrochener Folge in den näme lichen oder wechjelnden Gebieten fich verfolgen lajjen, da8 fehen wir hier aud) beftätigt für die aus Ringen zufammengefügten Halsbergen, für deren älteite Belege gerade der altbayerifche Boden fich ergiebig gezeigt hat.
* * *
Der VI. Band des Oberbayeriſchen Archivs (München 1845, S. 60 f., 427 f.) behandelt einen wertvollen Grabfund des V. nachchriſt— lichen Jahrhunderts, welcher im Jahre 1843 bei Fürſt, Gemeinde Pietling, im Bez.-A. Laufen a. Salzach, zum Vorſchein kam. Nach G. Wieſends ausführlicher Darlegung wurden hierſelbſt im Juni 1843 am Nordweſtende des ſogenannten Holzbreitenlandes (bei Hinterfürſt) neben der Eichleiten bei Erneuerung eines Grabens mit der Erde zwei Goldſchnallen mit Almandineinſätzen ausgeworfen, die zu— nächſt nach Salzburg verhandelt, dort kurze Zeit darauf von J. Sedlmaier angekauft und damit für Bayern gerettet wurden. Im September des genannten Jahres nahm Wie— ſend ſelbſt am Fundplatze Ausgrabungen vor. Dabei fand man neben menſchlichen Skeletreſten noch einen ſchlichten goldenen Armring mit verdickten Enden, eine dritte Goldſchnalle mit Almandineinlage, weiter einen Spitzbecher aus mäßig dunklem grünem Glaſe mit mitgegoſſener
) Depotfunde von Oldesloe und Eichede in Holſtein, Babow im Spreewald, Einzelfund aus dem Lüneburgiſchen; dazu das däniſche Material. — Die glatten und ornamentierten Ringe aus einem Depot von Thale am Harz, die gedrehten aus den Depots von Morgenitz auf Uſedom und Glowitz in Hinterpommern u. a.m. waren fider einft 3u folden Sdhmucgarnituren gufammengefiigt.
*) Bei Saalfeld jogar auf die mitteldeutihe Zone übergreifend. Ein Zund bei Hof, falls fein Fundort gefichert sit, gehört eigentlich aud) fhon in die mitteldeutfche Zone.
°) Die Monumente find hier die Ringhalstragen aus einem Depotfund mit Hallftatt = Brillenfibel von Schönmiefe, Kr. Marienburg (Wejtpreußen), die von Liffauer (Bronzezeit in Bejtpreußen) gefammelten Ring= balsbergen, endlich die befannten GefichtSurnen mit Darftellung eines folden Schmuckes.
Zu älteren vor- und frühgefhichtlihen Funden aus Altbayern. 43
Bogenverzierung (in Relief), endlich Scherben einer Henfelfanne aus gleichartigem Glafe. Der gefamte Grabfund wurde alZdann vom König Ludwig für das Antiquarium in München erworben.
Die drei Goldfchnallen und der Armring, typifche Formen vom Ende der römijchen Raifergeit, wie fie durch das Childerichgrab von Xournai eine fefte Datierung erhalten haben, famen fpäter in das Nationalmufeum, wofelbft fie heute neben dem Grabfund von Wittislingen eine Bierde der merovingifden Abteilung bilden!). Die Gläfer aus dem Grabe von Fürjt waren jedoch feither verfchollen. Das Nationalmufeum erhielt fie feinerzeit nicht; bei Abfaffung des IV. Bandes der Stataloge des Mufeums mute deshalb die Anficht ausge- {procjen werden, dak aus dem Funde wohl überhaupt nur der Goldfhmuderworben worden wire.
Dem ift aber nicht fo. Yn Wiefend’s Bericht heift e3 ausdrüdlich, daß der Fund für das Antiquarium angefauft wurde, alfo der ganze Fund und nicht bloß der Gold- fhmud?). Die Gläfer, Becher wie Kannen- fragmente, waren damals aljo dem Wnti- quarium iibermwiefen worden und mußten aud) jpäter noch dort fein. Freilich fehlte ihnen in den 1860er Sahren, bei der Ver— bringung der heimifchen Altertümer in das
!) Statalog IV, 1892, S. 194—196, No. 1517—20.
neugegründete Nationalmus= feum, wohl bereits jede Zund: fignatur. Deshalb galten jie als verjchollen, aber zu Un recht.
Bei einer gelegentlichen Durchſicht der Glasſamm— lung des Antiquariums in München fand ich ſofort den grünen Glasbecher von Fürſt wieder. Bei dem Stück (II. Saal, No. 148 des jetzigen Verzeichniffes) war natürlich der Fundort nicht angegeben. Aber die Jdentität mit dem gefuchten, bisher verfchollenen Becher ver- bürgt ein Vermerk in einem alten Inventar des Antiquariums vom Jahre 1852 (S. 288, No. 109), der den Glasbecher (ohne Fuß), „gefun= den nebft Goldfchmud bei Oberfürft“, erwähnt. Der Spikbecher (Ubb. 3), den wir hier nach einer Photographie wiedergeben, bejteht aus mäßig dunklem grünem Glafe (ohne die leicht blaus= oder gelbgrüne Färbung jüngerrömifcher Gläſer), die bogenartige Verzierung ift, wie bemerft, mitgegoffen, nicht eigens anfgefett. Die Höhe des Bechers beträgt 8,4 cm, der Durchmeffer der Miindung fajt 8 cm.
Die Hoffnung, auch die Scherben der Kanne von Fürft im Antiquarium wieder zu finden, ift jeher gering, zumal fie das genannte hands fchriftliche Verzeichnis der Sammlungen (vom Sahre 1852) nicht aufführt. Offenbar wurden die Fragmente nicht inventarifiert und find längit als fcheinbar belanglofe Nefte bei Seite geräumt und verloren gegangen. Auch dieje Kanne, die von Wiefend nur in Yeichnung
refonftruiert werden fonnte, beitand aus grünlichem Glaje. Wiejends Abbildung ijt jedoch falfch, widerfinnig, feine Re-
fonftruftion erinnert mehr an ein mittelalter= liches denn ein antifes Glasgefap. Troßdem handelt e8 fich bier um eine gute |pätrömijche Form. MWiejend feßte irrig den Henfel an den Gefäßkörper felbjt, während er in Wirf- lichfeit den Hals umfpannte, von der Schulter der Kanne zur wohl leicht fleeblattartig ge— drüdten Mündung reichend. Cbenjo hätte
2) 3. v. Hefner’8 „Verzeichnis der in der Sammlung des ft. Untiquariums bef. Ultertumsgegenftände‘ vom Jahre 1845 nennt (©. 65) freilich nur den Goldfhmud („bei FZridolfing gef.“); die Gläfer, rejp. der Glasbeder, find nicht befonders verzeichnet (fal8 der Becher nicht mit dem Stüd ©. 65, No. 25, identiich ift).
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44 Dr. ®. Reinede: Zu älteren vor= und frühgeihichtlihen Funden aus Altbayern.
Wiefend an der Schulter den Rannenbhals etwas fchärfer fich .abfegen laffen, weiter auch dem Körper mehr Eiform geben miiffen, dann wäre ohne weiteres hier der durchaus nicht unge- wöhnliche fpätrömifche Typ erfichtlich gemefen. Daß die Ergänzung der Vafe in Zeichnung Wiefend nicht recht gelang, haben wir dahin zu deuten, daß er doch nur recht wenig Frag- mente zur Verfügung hatte. Zur Erläuterung, wie wir uns die wohl unmwiederbringlich ver- Iorene Glasfanne von Fürft vorzustellen haben, lege ich bier die Abbildung einer Glasvaje aus der Kolleftion Slade im Britifchen Mus feum in London (Abb. 4) vor, die aus dem mir zugänglichen Abbildungsmaterial dem Fürfter Stück am näcdjten fommt.
Ueber die Goldfachen von Fürft hier aud) nod ein paar Worte. Die beiden zuerit auf- gefundenen Goldjchnallen mit Almandinein- lage wanderten, wie oben bemerkt, zunächit nad) Salzburg, mo fie Sedlmaier durch fchleu- nigen Anlauf für Bayern ficherte. Aus Salz- burg müffen jedoch) damals, noch vor Sedl- maier’3 Eingreifen, au; nad Wien eich. nungen beider Stüde, offenbar al3 Kauf-An= gebot, gefommen fein, aber ohne genaue Fund» angabe. Denn einige Jahre darauf bildete I. Arcneth in feinem Foliomwerfe über die antifen Gold» und Silbermonumente des K. Rt. Miing- und WAntifen-Rabinetts in Wien (1850, ©. 45) die Schnallen ab mit der Bezeichnung, daß fie aus dem Salzburgifchen ftammten. Die bayerische Provenieng fannte Arneth alio ebenjomwenig wie die Befchreibung des Fundes duch Wiefend. Diefe unrichtige Angabe Arneth’3 ift nun in dem großen Werke des Rumänen W. Odobesco über den Goldfdak von Petrofja (Tresor de Petrossa, Paris 1889 —1900, ©. 479, 480, Fig. 193), unter Beifügung der Ab bildung der Fürfter Schnallen nach Arneth, wiederholt mit der weiteren unrichtigen Bes merfung, daß dieje Objefte „aus dem Salz— burgifchen“ im £unfthiftorifchen Hofmufeum in Wien aufbewahrt würden. Hoffentlich gelingt es unjerem Hinmeis, den nicht eriftierenden, felbjtverftandlid) aud) in Sacken-Kenner's „Sammlungen des K. 8. Miinge und An— tifen-Rabinettes” (Wien 1866) nicht geführten Gund „aus dem Galzburgifchen“ aus der Literatur verfchwinden zu lafjen.
Goldihmud wie Glasvajen unferes Fundes
ent{tammen einem Grab mit unverbrannter Beifegung, wie Wiefend’s Unterfuchung Har nadwies. In Bayern fteht diefer Fund einzig in feiner Art da, falls nicht eine leider ver- fchollene, mit jüngerrömifchen Goldmünzen im Main bei Thüngersheim in Unterfranfen aus- gebaggerte Goldfibel in diefen Kreis von Ar- beiten gehört. Aus Deutfchland haben mir von analogen „frühmerovingifchen“ Materialien aus Edelmetall außer einem einzeln gefundenen goldenen Halsring von Ranfern in Schlejien noch die Grabfunde von Hödriht (Schlefien), vom Delberg bei Rüdern unweit Kannftadt und Wolfsheim in Rheinheffen, weiter reich ausgeftattete Gräber von Flonheim (Rhein— heilen) und Gültlingen Württemberg) zunennen, endlich ein einzelnes Goldplättchen mit Almans dinbefag (von Schwertfcheide) aus den Gräbern von Grof-Rarben in Oberbeffen.
Früher pflegte man Goldfehmud diefer Art, der feit dem fiebzehnten Jahrhundert durch die glüdliche Entdedung des Childerich-Grabes befannt ijt, auf barbarifche, oder gar lediglich gotifche Werfftätten zurüdzuführen. Das war aber ein fchwerer Jrrtum, wenngleich die Bar- baren der Völferwanderungszeit ja Liebhaber und Abnehmer folchen Schmudes waren. PViel- mehr gehören folche Gegenstände, wie wir nun wiffen, in den reis jpätrömifcher Aunftinduftrie, fie find nicht barbarifche, jondern, dem entgegen, reichsrömifche Fabrifate. Allerdings dürfte innerhalb der vielgeftalteten Anzahl fpätantiker Technifen und Formenreihen (des IV. und V. Sahrhunderts) derartiger Edelmetallihmud mit Almandineinlage eine Gruppe von Ars beiten vorjtellen, die, zwar auch im Weften einigermaßen verbreitet, zunächft in öftlichen Werkftätten, der Ofthälfte des Neiches, ent- ftanden find, vielleicht aber fofort im reich8- römischen Weften ebenfo wie im außerrömifchen Barbarengebiet nachgeahmt wurden. Im frühen Mittelalter fand dann diefe Verzierungsart nebjt anderen fpätantifen Technifen mie den ihnen eigentümlichen Ornamentmotiven aud) in Barbarenländern reichlich Verwendung, die Mehrzahl unferer merovingifchen Kleinfunde befundet unverfennbare Anlehnung an die Elemente der fpätantifen Runftinduftrie, frei- lid) nur zu oft ja in barbarifcher Weiter- führung, Verballhornung. Aber jo wenig die Gläfer aus dem Sfelettgrabe von Fürjt rein
“7 reg" | ———— ——
3. 2. Kull: Die Münggemichte mit befonderer Rüdfiht auf Bayern. 45
Iofaler, oder gar barbarifch-germanifcher Jn= duftrie ihre Entjtehung verdanken, fo wenig auch der Goldfehmud. Heitlich entfpricht unfer Bund durchaus den befannten fpätrömifchen Steletgräbern von Neumarglan bei Salzburg, fo grundverfchieden deren Keilfchnitt-Schmud- fachen, wiederun ausgezeichnete Fabrifate jpät- rimifden Runjthandwerf8, auch anmuten,
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weiter den Sfelettgrabern der rimifden Ie- fropole von Regensburg mit viel fchlichteren Beigaben, oder ganz befcheiden ausgejtatteten Stkelettgräbern im füdlichen Bayern, von Moo= fach bei München, Gintering (B3.-%. Münz chen II), Valley (Bz.-A. Miesbah), Eching bei Landsberg u. a. m.
(Mon. Boic. vol. III. p. 526.)
Die Münzgewidte mit befonderer Küchfidit auf Bayern
von 3. 2. Kull.
Seit ältefter Zeit werden die Münzen, welche wir Geld nennen nad) Normalgewichten geitüdelt, um eine fcharfe Gleichmäßigfeit bei Ausprägung der einzelnen Sorten zu erzielen. Diefe Gewichte, die Aufzahl, die Form und der Feingehalt bilden den Münzfuß , welcher jedem gefunden Münzmejen zu Grunde liegt und alle Rulturvilfer bid heute, haben fchon ihrer Selbfterhaltung wegen für ftrenge Münz- gejeße und Herftellung möglichft unveränder- licher Wertzeichen als Taufch- oder Zahlungs- mittel Sorge tragen miiffen.
Das Münz-Normalgewicht der römischen Kaiferzeit, die Libra von 327,456 Gramme!)
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haben aud) die Mterowinger der Ausprägung ihrer Solidi, Trienten und Silberdenare zu Grunde gelegt. Mit dem Niedergang ihrer Herrfchaft in Franken war jedod) eine fühl- bare Berfchlechterung de3 Miingwefens ein- getreten, weshalb Karl I. der Große — 768—814 — nach unzulänglicen Reform— verfuchen feines Baters, eine neue Mün;- ordnung mit dem Normalpfund — pondus Caroli — zu 409,32 Gramme?) errichtete. Dieſes Karlſche Münzpfund deſſen Ge— wicht man früher auf einen Bruchtheil über 367 Gramm ſchätzte, wurde zu 240 Denaren — 12 Solidi zu 20 oder 8 Solidi oder
) Zu meinen Gewichtsangaben benütze ich gute Quellen und bin der Meinung, daß Reſultate, welche Wiſſenſchaft und Praxis nach und nach erlangt haben, ſolange geachtet werden ſollen, als nicht die neuere
Forſchung erhebliche Differenzen nachweiſen kann.
) Vol. B. Hilliger, Hiſtor. Vierteljahrſchrift 1900, S. 161; hiezu Luſchin von Ebengreuth,
Bl. f. Munzfreunde Sp. 3067.
46 I 2. Kull
Schillinge zu 30 Denaren ausgeprägt. Der Solidus war und blieb in Bayern Rechnungs- oder Zählnominale. 3)
Etwa gegen Ende des zwölften Jahr: hundert3 tritt an Stelle des Karlichen Pfundes allgemein die Kölner Marf mit ca. 233,855 Gramme, für Altbayern die Negen3- burger Marf zu 246,144 Gramme, Gee mwichte die fomwohl als Richtftiide — auch Richtpfenninge genannt — für die Mtiinge wie zur Wage für die Edelmetalle dienten. Die Eintheilung der tonangebenden Kölnifchen Mark — obwohl in ihrer Gefammtheit häufig differirend®) war eine dreifache:
I. a) für Silber. 1 Marf -- 16 Lot a4 Quint & 4'/e Grän — 288 Gran.
b) Gold. 1 Marf — 24 Karat a 4 Gran & 3 Grin = 288 Gran.
IL. 1 Mtarf = 16 Lot A 4 Quint a 4 Pfenning & 2 Heller a 128 Teile des Richtpfennings, demnad) 1 Marf — 65536 Teile.
II: 1 Marf — 8 Ungen = 16 Lot = 64 QDuint = 2356 Pfenning = 512 Heller — 4352 AB oder Eichen.
Infolge der bayeriichen Landesteilung zwijchen Herzog Ludwig II. dem Strengen und feinem Bruder Heinrich) am 28. Mär; 1255 find die Benennungen Ober und Niederbayern und neben Regensburg?) und München die Münzftätten Landshut, Neuötting, Straubing und Qngolftadt entftanden. München und Zandshut prägten nach eigenem Gewicht bis Ende des XV. Jahrhunderts. Die Münchner Mark — aud Münchner Gelöt genannt ®) — wird mit 224,512, die Landshuter mit 249,460 Gramme angegeben. Beide Jtormal- gewichte waren zu 16 Lot = 64 Quint
— 256 Pfenninge eingeteilt. Anfangs des XVI. Jahrhunderts prägte und rechnete man in Altbayern mehrfah nah der Wiener Mark zu 280,006Gramme’) und der Miinge ordnung gwifden Rinig Ferdinand I. als Erz- hergog von Oefterreid), den Hergigen von Bayern nebit den Städten Augsburg und Ulm am 1. Febr. 1535 zu Augsburg wurde außer der Wiener, die Nürnberger Marf von 237,523 -- nach) Nobad 238,569 Gramme — zu Grunde gelegt.?) Für die Augsburger Mark werden 235,040, für die Würz- burger 238,569 Gramme angenommen und das Tiroler Landgemwicht hat Ehrenberg in neuefter Beit auf 252 Gramme berechnet.)
Die Reih8münzordnungen von 1524 und 1559, fomwie alle folgenden Konventionen bis einfchließlich derjenigen von 1838 wurden mit der Kölnifhen Marf zu 233,855 Gramm abgefcjloffen. Die Münzen des 521/. bezm. 45 Gulden oder 30 Talerfußes nach der Miingvereinigung vom 24. Januar 1857 gwi- fchen Oefterreich und den deutjchen Bundes- jtaaten find aus dem Bolle oder Miin3- pfund von 500 Gramme hervorgegangen, während diejenigen der neuen deutfchen Reichs= mwährung laut Gejeg von 1873 nach dem Mormalgewidt von taufend Gramm, dem Kilogramm, geprägt werden.
Wie diefe Normalgewichte mit der Be- nennung Libra, Münzpfund, Mark, Nichte pfenning ufw., fallen unter dem Titel „Münz= gewidte” auch die Einiäße alter und neuerer Miingwagen, die Gewichte der einzelnen Münzjorten, von denen wir vornehmlich die früher in Bayern ftark furfierenden Gold— und Gilbermiinzen befannt geben. E3 follen mindeft wiegen: Goldgulden 3,25; Bee
5) Vgl. meinen eigenen Artikel „Der Solidus oder Schilling in Bayern“, Altbayer. Monatjhrift 1906 ©. 106. Dafelbft find aber ©. 107 die Glichee8 für die Abbild. der ganzen Schillinge verwechfelt worden. Das erfte fiir Otto II. gehört an zweiter Stelle, das zweite für Philipp I an erfter Stelle.
*) Grote, Münzitudien Ill. ©. 1.
5) Das Miingredht zu Regensburg, weldeS die Bayernbhergige feit Iangem gemeinfdaftlid’ mit den Bifdhsfen von Regensburg ausübten, fiel bei diefer Teilung nebjt Niederbayern Herzog Heinrid) gu. Derfelbe ließ aud) in Landshut und temporär in Straubing und Neudtting müngen, während Zudiwig Il. München, Ingol=
Stadt und eine zeitlang Amberg benütte.
6) Muffat, Beiträge zur Gefdidte des bayer. Mitngwefen ufw. Mtdn. 1869, S. 37-237. ?) Alfred Nagl in feinem jüngjten Vortrag — Monatsbl. d. num. &. in Wien 1906 ©. 127 — will für die Wiener Mark um diefe Zeit 281 Gramme annehmen; vgl. Muffat über das Gewicht und den Gehalt
der öfterr. Pfenninge Münd). 1872.
8) 3. B. follen die fiebenlöth. Kreuzer mit 294'/2 Stüden aus der Wiener, oder mit 250 Stiiden aus
der Nitrnberger Vtarf gebradt werden ujm.
?) Mitt. d. Bayer. num. Gefellfhaft XII. ©. 81.
Die Münggemidhte mit befonderer Rüdficht auf Bayern. 47
dinen 3,28; Dufaten 3,40; Guineen 8,05; Vouisd’oroderDoppienG,70; Sdhildlouis- d’or 7,95; Mtaxrd’or 6,45; Rarolinen 9,50; Piftolen 6,75; Oefterr. Souverains 11,5; Qaubthaler28.9;Rronthaler 29; Con- ventionsthaler 28; Speziesthaler 28,50; Neichsgulden oder Guldenthaler 24,62; Bweidrittelftiide oder Gortengulden 10,15; Doppelgulden de$ 241/2 Guldenfupes 21; Doppelthaler 36,8; BVereins- und ältere preug. 2c. Thaler — 3 Mtarf, 18—22 Gramme. Außerdem eriftierten Gemwichtseinfäße mit auf- fteigender Verdoppelung bis zu 128 Stüden. für Dufaten und ausländifche Kronen.!%) Leb- tere wurden al marco zu 69!/2 Stiiden ge- rechnet. Als Münzgemwichte gelten in ge- miffer Hinficht auch die heute noch in Samm= lungen vorfommenden mehrfadhen Münz- forten, welche in früherer Zeit Münzmeifter und Wardeine als Richtitiide — pied fort, étalon, stal — benüßten. ALS folche nennen bei= fpielSmeife: den fiinffacen Thaler oder Guldenz grofchen König und RKaifers Maximilian I. — 1586— 1519; den vierfachen Goldgulden Bi- fchofs Martin von Schaumberg in Eichftädt von 1560; den zehnfachen Braunauer Schwarz-
pfenning Qudwig IX. des Reichen zu Land3- hut — 1450—1479 — und den dreißigfachen Halbbagen Albert V. von Bayern von 1564, welcher zugleich daS Gewicht eines Gulden taler8 repräjentierte.
Das ehemals häufig vorfommende Fehl: gewicht bei zufällig oder abfichtlich verftüme melten Goldmünzen ohne NRandfchrift mie Gvldgulden, Dufaten, Zechinen, ausländifche Kronen ufw. wurde durch da8 den alten Goldz oder Miingwagen beigegebene Wh-Gewidt berechnet. Wenn an den einfaden Stüden mehr als jechs Affe oder Ejchen — meift durch gemwinnfüchtiges Bejchneiden. des Ranz des — fehlten, dann follte felbjt bei guter Er= haltung von Bild und Schrift die Münze nicht mehr furjieren.
Als eine der größten Errungenschaften des deutjchen Volfes ift die auf einheitlichen Gejeg, Maß und Gewicht errichtete neue Goldz- und Marfwährung zu begrüßen. Wir fönnen uns derjelben aber erjt dann recht herzlich freuen, wenn wir Nüdblide auf eine viel- hundertjährige Vergangenheit mit ihren un= aufhörlihen Schwankungen und auf die häu- figen Miferen im Müngmefen geworfen haben.
) Kronen und Halbfronen gu 16 begw. 8 Gulden im Gewidte von 10 und 5 Gramme find aud) nad) der Miingvereinigung von 1857 von mehreren Kontrahenten, worunter Bayern, geprägt worden, während die Kronen der neuen Martmwährung 4, die Doppelfronen 8 Gramme wiegen.
(Aus das Neuefte von der Zeit 1704.)
Der hiftorifde Verein von Oberbayern bat wiederholt, jo zulegt im Jahre 1904, die Stadt Landsberg mit einem Bejuche beehrt, und gewiß find die verehrlichen Teilnehmer nicht unbefriedigt geblieben; bietet ja doch der am Steilrande des rechten Lechufers fich auf- bauende Ort gar manches, was den Hijtorifer wie den Künftler, den Altertumsfenner wie den Naturfreund, den Architekten und den Lieb— haber der Volfsfunft gleichmäßig erfreut und entzüdt. Grüne Anlagen umfäumen die Stadt, deren Mauern und Türme noch größtenteils erhalten find und im Bereine mit engen, winfeligen Gaffen und Gabden, mit alters- grauen Häufern, in deren Ausjehen fich die
Bild von geradezu phantaftiicher Wirkung, wie e3 nur der Stift eines Dore zu fchaffen gewohnt war. — Qn Kirchen und Kapellen erfreut eine reiche Zahl von Kunftfchäßen den Bejucher, und das mit feinen Stuffaturen ge- Ihmücdte Rathaus zeigt nicht nur die berühmten beiden Gemälde Meifter Herkfomerz, die farben prächtigen Fresken Pilotys und Schmwoifers, fondern es enthält auch das ftädtifche Archiv, das in feinem Beftande befonders eine große Anzahl von Urkunden bejigt. Diefelben be= ginnen mit dem Sabre 13151). Der Grund, warum feine älteren Dokumente vorhanden find, liegt darin, daß in genanntem Jahre HSriedrich der Schöne die Stadt eroberte und
verbrannte, wobei auch alle Urkunden der Berz nidtung anbeimfielen. ine Notiz, welche aus dem 15. Jahrhundert ftammt und fich auf der erjten Seite des fehr wertvollen Stadt- rechtsbuches?) findet, befagt hierüber: Zu merfen, daß die Stadt Landsberg ift gewonnen
Stilmandlungen von Jahrhunderten fpiegeln, eine malerifche Gruppierung jeltener Art, ein reichbewegte8 Ganze bilden. Breitet eine Mond- nacht, befonders im Winter, ihren ftillen Zauber über die Etadt, treten Licht und Schatten in Icharfen Tönen hervor, dann ergibt fich ein
1) Die im Archive liegende Urkunde aus dem Jahre 1306, durch melde Cunrat und Bertold die Wal- hopter ihren Hof zu Walhaupten an das Spital in Kaufbeuern um 33 Pfund Augsb. Pfennige verkaufen, ift offenbar erft fpäter hieher gelangt, und zwar als das Spital in Landsberg in den Befig Diejes Hofes fam. (Siehe darüber au) Dr. Schröder: Das Bistum Augsburg, 50. Heft, ©. 610 f.)
2) Das Landsberger RedhtSbud) ijt fiher eines der interejjantejten Stüde feiner Art. C8 enthält 144 Pergamentblätter in großem Format (ca. 27:37 cm) und gliedert fi fein Inhalt in mehrere Teile. Auf Blatt 2 ift ein Kalendarium. Das von Kaifer Ludwig gegebene bayrifde Landredht füllt das Bud bis Blatt 28, worauf big Blatt 47 das „verfigelt pud) ber ftat Redjt” Miindens folgt. Bon hier bis Fol. 53 find ,dy Redt aus Büchern abgejhriben, da man zu Münden aud) darnad) richtet und dy fy gar vaft haltet und do mir vns aud) darnad) rihten“. — Hierauf fommt ein biß Blatt 85 reihender Eintrag „Über der Stat Münden Süße“, und fließen fid) dann bis Fol. 99 die Nechtsbriefe an, weldhe der Stadt Münden ausgefertigt wurden. Es folgen nun die Briefe der Stadt Landsberg, die bis Blatt 136 reichen. Un jelbe reihen fic) die Beftimmungen über die jährliche Wahl des innern und äußern Rats, die Pilihtnahme des Rates, deB Stadtf{dreibers 2c., dann Berichte über folhe Wahlen aus dem 2. Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts. Aus diefer Zeit ſtammt aud ein Miffiv der Herzoge Wilhelm und Qudmwig bezüglich de8 vom Richter der Stadt zu leitenden Schwureß, über das Siegeln von Briefen ufm. Neben anderen Einträgen folgen hierauf Notizen (Qermerfe) über die eidliche Verpflichtung verfdiedener Land» und Stadtrihier des 16. und 17. Jahrhunderts und endlid, ans gebunden, die „Urticul, darauf der Richter Shmwören foll’, fowie nod) einige Beigaben, davon befonders 5 kurf.
Verordnungen aus dem Jahre 1684 zu nennen find.
Die Urkunden Ludwigs de8 Bayern im Stadtardiv zu Landsberg. 49
und zerjtört worden durch den hochgebornen Bürften und Herrn Herzog Friedrich von Defter- reid) und ift befchehen des Yahrs als man zählt nach Ehrifti Geburt dreigehnhundert und im fünfzehnten Sabre, de8 naicften Tags nach Sankt Egidytag des andern (= 2.) Septembris.
Unter den vorhandenen Urkunden jtehen an Alter wie Bedeutung jene drei obenan, welche von Ludwig d. B. herrühren, und durch mwelche der König foftbare Privilegien und Freiheiten der Stadt verleiht. Diefe Urkunden, einjt mit Jubel und Dant gegen den fönig- lichen Herrn empfangen, wurden Jahrhunderte bindurd) mit Ehrfurcht betrachtet und als Kleinodien der Stadt treulich gehütet, bis fie leider — fet e8 im RriegSgetiimmel von beute- fuchenden Soldaten, fet e3 durch Unverftand oder Bi swilligfeit — bejchädigt und ihrer Siegel beraubt wurden. Dennod) fann fein Zmeifel an ihrer Echtheit beftehen, wa8 auch die Ro- pien in bereits erwähntem Rechtsbuche bemeijen. — Sinnend ruht das Auge auf diefen Zeugen längft entihmwundener, fchidjalsfchwerer Tage, und aus den vergilbten Pergamentblättern und den feltfamen Buchftaben fpridt zu ung eine Stimme [eis und fremd wie ein Edo aus Waldestiefen und fcjafft längft vergangene Reiten Lebendig.*)
Bon befonderer Wichtigfeit und Bedeu- tung fowobhl fiir vaterlindifde al8 Iofale Hiftoriographie erfcheint die erfte Urkunde, aug- geftellt am Eonntag nad) Sanft Martinstag (= 16. November) 1315.) Durch fie ver- leiht der König an Landsberg gang aufer- ordentliche Gnaden, denn er gewährt nicht nur Ungeld und Wagenpfennig, fondern auch alle Rechte, welche München befigt. Aus den
Ihliten Worten, dem fnappen Inhalt ers
widft dem aufmerfjamen Lefer eine Fülle ge- {chicdtlidjen Stoffes, und aus den Zeilen des un- Icheinbaren Dokumentes leuchtet die Kunde einer uniterblichen Ruhmestat der getreuen Lechftadt.
Die Urkunde lautet:
Wir Ludwig von Gottes Gnaden römifcher König, zu allen Zeiten Mehrer des Reichs, tun fund allen denjenigen, die diejen Brief anfehend oder hörend lefen, daß wir von un- fern föniglihen Gnaden und angeborner Mildigkeit unferen lieben Getreuen, dem Rat und der Gemain der Bürger von Landsberg, die befondere Gnade getan haben, daß mir ihnen verleihen und verliehen haben mit mohl=- bedadhtem Sinn ewiglic) da8 Ungeld in der Stadt 3u Landsberg und den Wagenpfennig, den man nimmt an dem Lechtor, da man zu Landsberg über den Lech ausfährt, daß fie dagjelbe Ungeld und den Wagenpfennig immer- dar einnehmen follen zum Erjaß ihres großen Schaden3, den fie in unferm Dienft nahmen, al8 die Stadt gu Landsberg von unfern Feinden ganz verbrannt wurde, und dag fie defto beffer wieder bauen, befeftigen und auch befchirmen mögen diefelbe Stadt wo e8 Mug und Mot wird. Wir tun ihnen aud die befondere Gnade und verleihen ihnen emiglid alle die Rechte, die unfere Stadt von München und die Bürger feither von unfern Borfahrn felig, von unsund unferm Bruder Herzog Rudolf gehabt haben, daß diefelben Bürger von Landsberg alle diefelben Rechte völlig rechtlich und miige lid) fernerhin Haben und fie auch genießen follen gerade fo, al8 wenn wir fie ihnen von Wort zu Wort eigentlich mit diefem Brief verliehen hätten. Und gebieten allen unfern Amtleuten, die jeßt dafelbft find oder fpäter dahin gejegt werden, daß fie denfelben Bürgern von Landsberg behilflich feien und fie auch Ihirmen vor jedermann, damit ihnen die vor= genannte Gnade ruhig und ungerbrochen bleibe; und wer fie daran hindert, der muß darum unfere fönigliche Gnade entbehren. Und zur Urfund geben wir ihnen den Brief mit unferm
‚Snfiegel verfiegelt, der ift gegeben zu München
5) Diefe drei Urkunden finden fi) abgebrudt in Lori: Gefdidte deS Vedhrains, Urfundenband ©. 54
und 55, unter Nr. 39, 40 und 41.
4) Ein Abdrud diefer Urkunde erfcheint aud) auf S. 33 im Vermaltungs-Beridte der Stadt Landsberg vom Jahre 1889. Die dort auf S. 21 (nach Riegler Il. Band, S. 318) gemadte Ungabe, als ob Landsberg am 16. November 1315 von Ludwig d. B. mit einem neuen Wappen belehnt worden ware, wird durd) feinerlei Nahmeis gejtügt, und die weitere Angabe am gleihen Orte, al8 wären unmittelbar nad) diefem Gnaden= bemeife de8 16. November weitere Vergünftigungen am Sonntage nad) Sanft Martin erfolgt, ift ſchon inſo— ferne hinfällig, als diejer Tag mit dem 16. November identifd ijt, alfo dafiir aud nur die eine obige Urkunde
in Frage fommt. WM. 1a. 2,
7
50 9. Schober
des Sonntags nad) Sankt Martinstag, jo man zählt von Ehrifti Gedurt dreigehnhundert Jahr und darnad) in dem fünfzehnten Jahr, in dem erften Jahr unferes Reiches. 5)
In diefem Briefe gewährt Ludwig alfo den Bürgern Qandsbergs Ungeld und Wagen- pfennig®), und zwar teil® als Erfaß für den Schaden, den fie bei der Einnahme und Ber- ftörung der Stadt erlitten, teil® als Mittel, um die Stadt wiederberftellen und neu be= feitigen zu fönnen. Dieje Vergiinftigung er- Icheint ung erflärlich und verftändlich; ganz anders ift e8 aber, wenn wir hören, daß Land3- berg dazu aus befonderer Gnade nod alle Rechte erhielt, welche die Stadt München von
Bruder Rudolf feither erhalten Hatte. Wir miiffen uns flar machen, wa8 das ju bee deuten hatte. Landsberg befam dadurd) das Recht der eigenen Verwaltung (Unmittelbarfeit), eigene Gerichtsbarkeit, Schuß und freie Ge- leite für die Bürger auf allen Straßen, fein Bürger fonnte außerhalb der Stadt gepfändet werden, die Stadt hatte das Recht, jeden ihr oder dem Lande Schädlichen zu fahen, der Markt war gefreit, die Kaufleute Landsbergs genoffen Zollfreiheit im Reiche, die Stadt er- hielt das Recht des Dudenfdubes und der Sudenbefteuerung 2c. — Das waren Gnabden, wie fie noch feiner Stadt zugleich und in fol- chem Umfange verliehen worden waren. Was Münden, die Refidenz, durd) treue
des Königs Vorfahren, ibm felbft und feinem
5) Der genaue Originaltert der Urkunde, welcher gum Vergleiche hieher gefegt fein foll, heift:
e e o o
„Wir Lubomwid) von GoteS Genaden Romifder Chunid ze allen zeiten mer‘ des Rides Tun dunt
e allen den die difen brief anfehent / ober Horent [ejen. Dag wit von vnfern funidliden genaden und ange o borner miltihhait vnf*n Lieben getwen . .. bem Rat und der Gemain der Burg” von Landefperd | die befunder o genade getan haben | dag wir in verlihen und verlifen haben mit verdbadtem mote ewigliden bag vngelt in der Stat gv Landefperd / ond den wagen pjenning den man nimt an bem Laedhtor do man ze Lanbefperd a e ober den Qaedh aug fert | dag fi dagfelbe vngelt und den wagen pfenning imm*mer einnaemen fullen ze ergegung ites grogen fdabden den ft in vnf*m dienft namen nv / da die Stat ge Qanbefperd) von vn{*n veinden e gar verbrant wart | und dag fi deft’ bag wider pamen beveftn vnd aud) befhirmen mogn diefelben Stat [ma o eg nug / ond not wirt. Wir tun in aud) die befunder genade / und v’lihen in emwichlichen aller die recht die o o ons“ Stat von Munden vnd die Purg* ung her von vonf'n vorvarn faeligen / von vn8 / und von vnf'm o o bruder Herkogn Rudolf gehabt habent | dag diefelben Purg* von Landefperd alle bev felben recht als voͤllich⸗ e e o lichen | rehtichlich und moglich furbag haben / und ir auch geniegen fullen alg wir fi in von wort ge wort aigenlicdy mit difem brief v’lihen hettn. Und gebiten allen vnſ'n Umptlaeuten die nv da felben feint | oder her nad) da bin gefeget w’den | day fi den felben Burg'n von Landefperd gebolffen fein / ond fi aud fdirmen | vor allem maenlich | bag. in bie vorgenante genabe ftaet und ungerbroden beleibe vnbd fmaer in aud) dag vberfert / der moz dar pmb onf* tunidhtiden genaden enp’n. Bnd ge vrchund gebn wir in diſen brieff mit onf'm Infigel v’figelt. der ift gebn zu Munden des Sontagg nad) Sand Marteins tad) | do man galt von e Chriftes geburt drevgehenhundert Jar / darnad) in dem funifgebenden Jare / Jn dem erften Qare vnf‘s Rides.“
Die Urkunde ift 32,6:22 cm groß. Sie war, mie erfidtlid, in zwei Stüd: zerriffen und ift deshalb auf ein Pergamentftüd geleimt. Wud die Schnur fehlt voliftändig.
*) Das ,lingeli* war eine Art indirekte Steuer (Octroi), hauptfähli” auf Lebensmittel aller Art gelegt. Die Vorfilbe „Un“ ift alfo Hier nicht in verneinendem Ginne aufgufaffen, bezeichnet vielmehr eine Verjtärlung bes Ausdruds wie 3. B. bei den Wörtern Untiefe, Untojten, Untier. Der zur Einnahme des UngeltS aufgeftellte Beamte hieß „Ungelter“
Unter ,Wagenpfennig’ verftand man eine Ubgabe (Boll), welde am Ledjtore von allen Wägen und Karren, fo mit Kaufmannsgütern, Getreide, Holz und andern Verlaufsgegenftänden beladen waren, ere hoben wurde.
Was dag Münzfyftem jener Zeit betrifft, das ja fehr wedfelnd war, fo erinnert heute wohl die englifde Währung nod) am beiten daran. 2 Heller = 1 Pfennig, 12 Pfennige = 1 Schilling, 20 Schillinge = 1 Pfund Pfennige (Sterling) oder 2 Pfund Heller. Dab der damalige Geldwert ein ganz anderer, höherer war, erflärt fi) vorzüglid aus bem felteneren Vorfommen des Edelmetals, und wir lernen den Wert eines Pfennigs fhagen, wenn wir hören, daß 3. B. in jener Zeit 1 Pfund Schmalz 2 big 3 Pfennige, 1 Maß guter Wein 3 Pfennige, 1 Pfund Fleifd) 1 bis 1/2 Pfennige toftete, dak aber auch ein guter Wrbeitsverdienft nur 5 bis 7 Piennige pro Tag betrug.
Die Urkunden Ludwigs des Bayern im Stadtardiv zu Landsberg. 51
Dienste in vielen Jahren fi) erworben, das wurde dem Eleinen Landsberg mit einemmale gewährt.
Weshalb diejfe geradezu unerhörte Fülle von Gunftbezeugungen? Weil Landsberg ver- brannt worden war ? — Das war doch nichts fo Ungemöhnliches. Das Niederbrennen von Städten und Dörfern, da3 Berwiiften der Gegend lag im Kriegsbraudje jener Zeit. Das Schidjal, welches Landsberg getroffen, hatten hundert andere Orte auch erfahren, und dafür war ja die Stadt ausdrüdlich durch Ungeld und Wagenpfennig entfchädigt worden. Warum alfo troßdem fo großartige Zuwendungen? —
G8 ijt richtig, auch ftaatSmännifche und militärifche Erwägungen traten fräftig für Landsberg ein. Landsberg war Grenaftadt und Grenafefte. Es fperrte den Weg aus dem feind- lihen Schwaben, e3 bildete den Schliiffel gu Bayern, und deshalb war e8 von größter Wich- tigfeit, ob die Stadt mehrlos oder nicht, ob ihre Biirger guverlaffig und ftarf oder {chwanfend und fdwacd. — Dod) auch diefe gwar fehr bedeutfamen, aber nüchternen Bedenken find nicht hinreichend, folche ungemöhnlichen, von warmem Danfgefiihl getragenen Onadenbemeife genügend zu erlären. Die Begründung hiefür müffen wir in anderen Umftänden fuchen.
Der langwierige, unfelige Streit um die deutiche Königsfrone zmwifchen Ludwig d. B. und Friedrid) bem Schönen ift alljeit8 zur Genüge befannt. Plöglih und unerwartet dringen im lebten Drittel des Monats August 1315 Friedrich) der Schöne und fein Bruder Leopold mit Heeresmadht aus Schwaben an den Led, um in Bayern eingufallen. Augs- burg verfchließt ihnen Brüden und Tore; alfo wenden fie fich gen Landsberg, um hier den Uebergang zu erzwingen. Ludwigs Lage ift äußerst fritifih. Wie einen Schlaftrunfenen, fagt der Chronift des Klojters Fürftenfeld, bat ihn der Angriff aufgefchredt. Die Haupt- ftadt fcheint verloren, Bayern mehrlos dem Feinde preisgegeben; fein Heer, feine Hilfe. Ludwig eilt nad) dem Städtchen Friedberg, mehr zur Flucht als gum Kampfe gerüftet. Da hört Augsburg von feiner Nähe. Dem Bayern öffnet e3 die Tore, ihm fagt e8 jeine Unterftiigung zu, und diefe Hilfe hebt wieder den gejunfenen Mut Ludwigs, dem nun von nah und fern Getreue zueilen. Wahrenddeffen
aber tobt am ech ein blutiges Ringen. Lands» berg ift Landshut und Landsfhug gemorden, Bayerns und des Keiches Wal. Das mifjen die tapferen Berteidiger gar wohl; darum wehren fie todesmutig dem anftürmenden Feinde. Eine foftbare Beit fiir Friedrich ver- ftreiht. Sein Blan, rafch des Gegners Land in feine Gewalt zu bringen, fcheitert an den Mauern des Heinen Städtleind. Mächtig lodert deshalb fein Grimm ob folch unerwar= teten Widerftandes. CEndlid), nach langen Kämpfen, nad) wiederholten fruchtlofen An= griffen, nad) großen Opfern fällt die Stadt, und die Rache des Feindes legt fie in Afche und verwüftet die Gegend bis an den Ammer- fee. Das war am 2. September 1315. — Aber noch troßt die Burg. Hieher hatten fich die meilten Einwohner geflüchtet. Am 4. Sep- tember ift fie noch unbezwungen. Da melden Boten das Herannahen Ludwigs an der Spike eines Heeres. Die Lage Friedrichs fcheint gefährdet. Ein meiteres Vordringen dünkt nicht rätlich, zur offenen Feldfchlacht fühlt er fich zu fhwad. Er hebt deshalb die Belagerung auf und geht über den Led) zurüd. Bei Buchloe bezieht er ein feites Qager. Aber auch hier ijt feines Bleibens nicht Lange. Heftige Regengüffe gehen nieder, die Flüffe treten aus den Ufern, Ueberfchwenmungen ver= treiben ihn, und nun weicht er ganz aus Schwaben. Und die Schlußfolgerung? — Durd den ausdauernden, heldenmiitigen Wider: ftand Yandsbergs miklang das wohlvorbereitete Unternehmen Friedrichs, wurden Fürft und Land gerettet. Das ift e8, was zwifchen den Heilen diefer Urkunde zu lejen. Nur dadurch werden un die großartigen Gnadenbeweife Ludwigs verftindlid. Glänzende Tat erhielt glänzenden Lohn! — Und fragen wir, warum fein Gejchichtswerf von diefer Begebenheit meldet, fo wollen wir un daran erinnern, daß Iofale Gejchichtsquellen aus jener Zeit faft gar nicht eriftieren und das Wenige, was fie bieten, äußerft mangelhaft ift; haben wir ja felbjt über die Entjcheidungsfchlacht bei Mühldorf im Jahre 1322 feine genauen zeit- genöffifchen Berichte. E38 ift deshalb nicht zu verwundern, wenn fpätere Hiftorifer nichts von jener ruhmvollen Verteidigung Landsberg zu melden mwijfen und auch Riezler, unfer be= deutendfter vaterländifcher Gejchichts fchreiber, Tr
52 3. Schober
in Band IL, ©. 318, nur furz erwähnt: „Während Ludwig fich mit geringer Macht nad) Friedberg warf, fiel Landsberg in die Hand Leopolds und in Trümmer.” — Das Ihlichte Stid Pergament des Landsberger Archivs allein erinnert noch an jene hervor= tragende Tat Landsbergs und damit an eine Epijode, gleich denfwiirdig für der Stadt wie des Landes Gefchichte.
Die zweite Königsurfunde ift datiert vom 1. November 1320.
Die Tatfache, daß Landsberg nun fünf Sahre lang nicht mehr Hilfeflehend vor Qud- wig erfcheint, mag ein Zeichen fein, daß es durd) die gewährten Gnaden nad) und nad wieder zu Kräften fam. Wher iiberfdhagen wir dies nicht! Die Zeitverhältniffe waren zu un= günftig, um ein rajches Gefunden zu ermig- lihen. Der politifche Zwiefpalt dauerte fort und wurde von räuberifchem Gefindel trefflich ausgenüßt. Unter dem Scheine der Partei- nahme für Ludwig oder Friedrid) machten Wegelagerer und Raubritter die Straßen uns ficher und unternahmen auf eigene Fauft Fehden und fchonungslofe Beutezüge gegen Städte und wehrlofe Dörfer. Ein derartiger Barteigänger Friedrich war Heinrich der Frah oder Frazz (mie man damals fchrieb) von Wolfsberg im benachbarten Schwaben, trefflich unterjtüßt durch feine beiden Söhne Ulricd) und Eber- bard. In ihrem Wappen führten fie einen Wolf, und diefem Bilde machten fie auch alle Ehre, denn fie brandfdakten die ganze Gegend
des bayerischen Lechrains, hemmten Handel
und Berfehr, ja fogar den Anbau der Felder. Mag man aucd, annehmen, daß die Stadt, welche damals noch von geringen Umfange war, ihre Mauern notdürftig wieder hergeftellt hatte, fo war doc) das frühere Phetine oder Landsberg im Dorf, wie der an der Berge ftrage gelegene Teil hieß, unbewehrt. Dabei hatten diefe Raubritter Schuß und Hinterhalt an Herzog Leopold von Dfterreich, der ftets in Oberfdwaben auf der Lauer lag, um den günftigen Augenblid für einen neuerlichen Ein= fall in Bayern wahrzunehmen und auszunüßen. Diefen Zeitpunkt glaube er im Jahre 1319 gefommen. Friedrich) der Schöne hatte mit
Erzbifchof Friedrich von Salzburg ein Bündnis gefchloffen und drang nun von Salzburg aus über Laufen in Ludwigs Lande; Leopold mit 800 Rittern 30g aus Schwaben heran. Jeden fall überfeßte er bei Landsberg den Lech, denn er ging über Diefen am Ammerfee dem Sun gu, wo er fic) dann mit Friedrich ver- einigte. Ludwig wagte nicht das Heer der Brüder anzugreifen. Er zog fich zurüd und die Ofterreidher hatten Hinreidend Zeit, das im Jahre 1315 Berfäumte nachzuholen und da Land gründlichit zu vermiiften. Endlich trennten fie fich. Friedrich begab fich nach Ofter- reich, Leopold wandte fich wieder nad) Schwaben.
Welches war nun das neuerliche Schidfal Landsbergs? ES ift fehr naheliegend und wird auch durdy die zweite Urkunde beftätigt. Die faum aus dem Schutte erftandene Stadt, welche feinen genügenden Widerftand leiften fonnte, wurde zum: zweitenmale verbrannt. Da jolches jedenfalls fchon bei dem Einbruche Herzog Leopolds gefchah, jo dürfen wir diefe abermalige Zerftörung in da8 Ende des Mo— nat8 Wuguft oder anfangs September 1319
jegen. E83 mag damal3 eine trojtlofe Zeit
gemwejen fein für Landsberg und die ganze Gegend. Die Stadt in WAfche, der nahende Winter, der drohende Feind, der Vandesherr ohnmächtig, nirgends eine rettende Hand.
Im Frühjahre 1320 30g Ludwig mit einem Qeere an den Rhein gegen Leopold; aber im Herbite mußte er, ohne etwas erreicht zu haben, wieder zurüdgehen. Gegen Ende Oftober 1320 treffen wir ihn in Nürnberg. Dorthin Tchidte Landsberg Gefandte, um dem Könige das Elend der Stadt zu flagen und feine Hilfe zu erflehen. Dod) was fonnte Ludwig tun? Geld und Hilfe vermochte er nicht ‘zu geben, er hatte beides felbft nötig; ohne jeglichen Beijtand aber wollte er feine arme, getreue Stadt auch nicht laffen und fo fertigte er denn am 1. November 1320 die zweite, noch erhaltene Urfunde, wornad) Lands⸗ berg am obern Tore von je 3 eingeführten Scheiben oder von 3Galneyen?) Salz 1 Pfennig Boll erheben durfte.
Dieje zweite Urkunde lautet:
Wir Ludwig von Gottes Gnaden römischer
') Das Salz wurde entweder fejt, in Scheiben gepreßt, oder lofe, in Säden, eingeführt. Eine Galney, b. i. ein Sad (Maf), fabte joviel Salz als eine Scheibe Hatte.
Die Urkunden Ludwigs des Bayern im Stadtardiv gu Landsberg. 53
König, zu allen Zeiten Mehrer des Reiches, tun fund öffentlich mit diefem Brief, dak wir an- gefehen haben den großen Schaden, den unfere getreuen Bürger zu Landsberg von Brand und von Herzog Leupold und dem Frazz genommen haben und haben ihnen von unferer föniglichen Mildheit die Gnade getan, daß wir ihnen ver- liehen haben emwiglich, daß fie je von drei Schei= ben Salz, die von unferm Land zu Bayern zu dem obern Tor in die Stadt zu Landsberg ges führt werden, einen Pfennig nehmen follen und von drei Galneyen Salz ebenfoviel und follen auch dasjelbe Geld, das ihnen davon wird, an nicht8 anders legen, als dak fie unfere Stadt zu Landsberg davon bauen und befferu wo ihr dies Not fei. Und weil wir nicht wollen, daß ihnen die vorgenannte Gnade mit Gewalt gejchmälert werde, fo wollen wir und gebieten allen unferen Amtleuten und andern, mie fie genannt find, daß fie ihnen diefe Gnade ruhig halten und fie von unfertmwegen daran fchirmen follen, wo ihnen das Not fei. Und darüber zu einer Urfund geben mir ihnen diefen Brief mit unferm Qnfiegel verfiegelt, der geben ift zu Nürnberg am Allerheiligentag, da man zählt von Ehrijti Geburt dreizehnhundert Jahr, dar- nad) in dem zwanzigjten Jahr, in dem fechften Jahre unferes Reiches.)
Die zerbrochene Stadt hatte alfo jekt gu ihrer Wiederherftellung — auper den gewor- denen Rechten und Freiheiten — drei Hilfs- quellen: Ungeld, Wagenpfennig und Salzzoll. Aber alle diefe Mittel, jo gut fie gemeint waren,
Erfolg, wenn Handel und Verkehr blühten. Das war aber aus den fchon gefdilderten Gritn= den feine8weg8 der Fall. Die Bedringniffe mwährten fort und e8 ift fehr natürlich, daß deshalb auch die Klagen nicht verftummten, und daf fic) die Bürger, alS Ludwig wieder in München weilte, auf3 neue bittend nahten. Nun wählte der König einen andern Weg. — Maren durch die bisherigen Bewilligungen die Einnahmen der Stadt vermehrt worden, fo follten nunmehr die Yusgaben verringert wer= den. Am 10. März 1821 übergab er den Lands bergern eine Urfunde, worinnen ihnen der fünfte Teil der gewöhnlichen Stadtfteuer nachgelafjen wurde. Bisher hatte diefelbe 50 Pjund Augs- burger Pfennige betragen, nun wurde fie auf 40 Pfund ermäßigt, nach dem damaligen Geld- werte immerhin für das Eleine Gemeinmwefen eine bedeutende Erleichterung, die auch ver- bleiben follte, wenn die Stadt allenfall3 ver- fegt witrde. G8 war ja im Mittelalter oft genug der Fall, daß die Fürftenihren Gläubigern Städte und Länder zur Sicherung der gegebenen Darlehen verpfändeten.
Diefe dritte und legte Urkunde hat folgen- den Inhalt: Wir Ludwig von Gottes Gnaden römifcher König, zu allen Zeiten Mehrer des Reiches, tun fund allen denen, die diefen Brief anjehend oder hirend lefen, dak wir angefehen haben die grofe Urbeit, Schaden und Gebreften, die unfere lieben getreuen Bürger zu Landsberg von unferen Feinden und von mandherlei ans deren Sachen gehabt und gelitten haben und auch noch täglich Haben und leiden, und haben
verfpraden doch nur dann einen ausgiebigen
8) Der genaue Wortlaut der Urkunde Heißt:
„Wir Ludowid) von Gotes Gnaden Romifdher Chuͤnich / ge allen zeiten mer‘ des Riches v’iehen offen» lid an difem brief: Daz wir angefehen haben den grofjen fdaben / den vnfer liebe getriwe Burg‘ ge Qantfperd von brant | und von Hergog Leupolt und dem frazge genommen Habent / Vnd haben in von vnfer’ chunid)- lien miltiheit die gnade getan | daz wir in verlihen haben ewichlichen | dag fi ie von drein Scheiben Sales | die von unfe'm Lande ge Bay'n ze dem Obern Tore in die Stat ge Zantfperd) gefurt mw’den | ainen phennind nemen füln / ond von drein Galneyen Saltes als uil und juln and) dag felb Gelt, dag in ba von mitt | an nibtiv ander8 legen / bann dag fi vnfer Stat ge Bantfperd) da von bowen ond begge’n | fra ix de8 not fet. Bnd wan wir nibt mellen / dag in bie vorgenant gnade mit ibtiv uberuaren werde | So wellen wir und gebieten allen unf'n Amptleuten ond ande'n fwie fi genant fein | daz fi in bie felben gnade ftaet Halten / und ft von onfe'n wegen dar an fhmen fwa in des not fei. Bnd dar uber zu einem vrchunde geben wir in diſen brief mit vnſſm Inſigel verſigelten. Der geben iſt ze Nuͤrenberg an aller Heiligen tag. Do man zalt von Chriſtes geburt dreitgehen Hundert Jar / dar nad) in dem zmeintzigiften Jar | In dem Sehften Jare vnfers Rides.“
Die Urkunde ift 28,7:15,4 cm groß, unten 34 mm eingebogen und hängt nod) ein Stüd der aus gelber und roter Seide geflodhtenen Schnur an.
54 3. Schober: Die Urkunden Ludwigs des Bayern im Stadtardiv gu Landsberg.
ihnen die Gnade getan, daß wir ihnen an ihrer gewöhnlichen Steuer, der war [= welche (bi8her) war] fünfzig Pfund Augsburger Pfennig, die fie uns jährlich geben follten, alle Jahre zehn Pfund Augsburger Pfennig nachgelaffen haben und aud) lafjen, alfo daß fie ung, unfern Erben oder wem fie jegunt von uns ftehend oder fürbaß (— gleich oder fpäter) verfeßt werden, zu ihrer gewöhnlichen Steuer emig- lichen nicht mehr geben follen, dann (= al8) alle Jahre 40 Pfund Augsburger Pfennig und follen auch wir, unfere Erben, noch der, dem fie jebunt von uns ftehend oder fürbaß ver- fegt werden, noch fein unfer Amtmann, wie der genannt fei, nicht mehr von ihnen fordern noch nehmen zu ihrer gewöhnlichen Steuer, dann die vorgefchriebenen vierzig Pfund Wugs- burger Pfennig. Und darüber zu einer Ur- funde geben wir ihnen diefen Brief mit unferm Snfiegel verfiegelt, der geben ift zu München an dem Eritag (= Dienstag) in der Faften
nad) dem Sonntag fo man finget Ynvocavit, da man zählt von Ehrifti Geburt dreizehnhundert Jahr darnad) in dem einundzwanzigften Jahr in dem fiebten Jahr unferes Reiches.?)
Alfo die Föniglichen Urkunden, welche der Stadt eine fo reiche Fülle von Gnaden ver- bürgten. Freilich Löften fich fpäter manche der erhaltenen Vorzüge ab, immerhin aber blieb nod) genug übrig, um in fommenden Friedeng- zeiten, insbefonder8 im 15. Jahrhundert, Landsberg gu einer der reichiten Städte des Landes zu machen, bi dann die Religions- wirren des 16. und die Striegsitürme des 17. Jahrhunderts diefen Wohlitand wieder gu Grabe trugen. Haben aber auch diefe ehr- würdigen Dokumente ihre einftige Bedeutung verloren, jo find und bleiben fie doch nicht minder wertvoll al8 foftbare und unerjeß- lihe Stüde des Archives, al8 ein Denkmal perennis von Landsbergg Opfermut und Bürgertreue.
5) „WIR Ludowid von Gotes Gnaden Rowifder Chunid | ge allen geiten merer dbeS Rides. Tun
chunt allen den | die diefen brief anfehent oder Horent lefen. Dag wir angefehen haben. die groffen Urbait / fcdaden | und gebreften / die vnfer liebe get’we Purg* ge Bant{perd) von unfe'n veinden | und von manigerlai ande'n fachen gehabt und geliden habent | vnd aud nod taeglich) hHabent und leident | und haben in Div gnade getan / dag wir in an irre gewonliden ftero* der wag fuͤnfzich phunt Auſpurg'phenning die ſi vns Jaerlich geben folten / alle Jar zehen phunt Auſpurg' phenning lazzen haben vnd auch lazzen / Alſo daz ſie ung | onfe'n Erben / oder ſwem ſi iezunt von vns ſteent oder furbag v’feget w’dent / ge irer gewonlichen ſtew' ewichlichen niht mer geben füln | danne alle Jar viertzich phunt Aufpurg phenning. Bnd füln aud wir / onfer Erben / nod) ber, dem fi igunt von vn8 fteent od“ furbag vo feget w’dent / noch dehain unjer Umptman fwie der genant fei / niht mer von in vode'n nod nemen ze irer gewonlichen ftew / banne die vorgefdriben viertgid) phunt Aufpurg* phenning. Und dar uber gu einem vrchunde geben wir in difen brief mit onfe'm Infigel verfigelten. Der geben ift ge Munden jan dem Eritag in der vaften nad dem Suntag fo man finget Inuocauit. do man galt von Ehriftes geburt dreitzehen Hundert Yar / dar nad in dem ainem und zmweintzigften Jar. In dem Sibenden Jare unjers Rides.“
Die Urkunde ift 28,8:16,7 om groß, unten 37 mm eingebogen und Hdngt ebenfalls nod ein Stid der aus gelber und roter Seide geflodtenen Schnur an.
Dereinsverjammlungen.
Monatsverfammlung am 2. Jansar 1907. Herr Privatdozent Dr. Janfen fprad iiber ,Die Anz fänge und das Emporfteigen der Zugger‘. Im Jahre 1367 traten bie erfjten dürftigen Anfänge aus dem Dunkel der Gefhichte. ALS Stammort der Fugger ift das Dörfhen Graben bei Shwabmünden, das ftets im Befige der Zugger blieb, ermwiefen. Bon dort wanderte im Jahre 1368 Hans Fugger nad) Augs=- burg ein. Wenn hier von dem Einzug eine armen MWebergefellen mit dem Rangden auf dem Rüden er- aablt wird, fo ift das nicht richtig, denn Hans Fugger in den Steuerbüdhern Augsburgs als mit 44 Denare Steuer veranlagt, was immerhin einen für die da= malige Zeit nicht unbedeutenden Befig von ungefähr 88 Gulden vorausfegte. Die Genialität in der Er- faffung der Zeitumftände ift als Hauptgrund zur Größe der Fugger angufehen. &8 bereitete fi) da= mals eine Revolution ber Zünfte der Handwerker gegen die Bürger (Kaufleute) vor, die die Freigitgig- teit bedrohte und e8 FZugger wünjhenswert erfcheinen ließ, in Augsburg felbft anfäffig zu fein. Hiermit war der Grundftod gum Reichtum gelegt. Aus ber Ehe Hans Fuggers mit CElifabeth Gevattermann ftammt Andreas Fugger, der Begründer der Linie vom Reh, dod erft fein gweiter Sohn Jatob mar ber Begründer bes Haufes und der Linie der Fugger von der Lilie, die fie nod) Heute im Wappen führen. Er erwarb große Neihtümer, indem er an-« fing, Geldgefhäfte im großen zu maden und ben Gelbverfehr zwifhen den Ländern zu vermitteln.
€8 wäre jedod) faljch, den Reichtum des Haufes allein der Weltherrfhaft mit Geld gufdreiben gu wollen. Der größte Teil der Einkünfte floß aus den Bergwerten in Ungarn und Tirol fowobhl, als aud) aus dem Verkehr mit den meijt geldbedürftigen Fürften. Für ihre Darlehen, die die FZugger nicht felten nie wieder guriidbefamen, ließen fie fich meift wertvolle Privilegien geben. Auf diefe Weife traten fie in die Gerehtfame des Landesherrn ein, wie bieg fpäter unter Raifer Maximilian der Fall war, wo fie in Ddeffen Redjte eines Grafen von Lirol ein= traten. Qafob Fugger mar urjpränglid gum Geiftliden beftimmt und hatte bereits die niederen Weihen erhalten; übernahm aber dann das Gefdhaft, dag er nad) dem Tode feiner Brüder, felbit finderlog, für feine Neffen fortführte. Er hat etwas von Bis- mard gehabt, das aud) auf dem Holbeinichen Bilde
erfidtlid ift. Entjcheidend griff Fugger durch die Bereitjtellung der Mtittel ein, alS e& gur Wahl Karls V. gegenüber dem König von Frankreich tam. Durd feine Beziehungen zu Ungarn hat er gewiffer= magen die Richtung gegeben gwifchen Habsburg und Ungarn. Uber auch fozial hat fid) Jakob Fugger betdtigt dburd) bie im Jahre 1511 erfolgte Gründung der Fuggerei, eines Rompleres von 106 Eleinen Häuschen, in denen fic) Bedürftige für den geringen Betrag von einem Gulden ein Heim fdaffen konnten. Ein großer Schlag war e8 für Fugger, als der Nationalhaß ber Ungarn 1525 die Ausländer ver- trieb, wobdurd) den Zuggern großer Schaden ermudjß.
Nad Jatobs Tod 1525 übernahmen feine drei Neffen, Raimund, Anton und Hieronymus, dag Gee ihäft, wovon Anton, als der Iinternehmendfte, ein Reid) der Fugger unter fpanifder Oberhoheit in Südamerifa plante. Die Fugger waren von jeher ftrenge Ratholiten, und fo fonnte denn die tonfeffive nelle Spaltung der Reformationsgeit auf fie nicht ohne Einfluß bleiben. Ym Schmaltaldifhen Kriege mußte Anton Fugger Partei ergreifen. Hierdurch und durd) ben Abfall der Niederlande wurde Fuggers Großmadtftelung erfditttert. Früh hatten die Zugger angefangen, großen Grundbefig zu erwerben. Um hierbei ihre Stellung al® Lehensherrn zu ftärken, wurde bereitS 1511 Qafob Fugger geftattet, fid) als Udeligen gu betradten, feine Neffen wurden 1526 gu Grafen ernannt, morauf 1530 die Erhebung zu Reihsgrafen, Reihsbannerherren mit großen Privi- legien und Freiheiten erfolgt, die in der goldenen Bulle 1533 erneuert wird.
Monatsverfammlung am 1. Februar. Vor= trag bes Herrn Univerfitätsprofefjor Dr. &g. Preuß über ,Die Urfaden der- Größe und des Niederganges der Hanfa“. Der Vortrag ift bereits in der Beilage zur Allgemeinen Zeitung Nr. 60, 61 und 62 biefeg Jahres verdffentlidt worden.
Ereitag den 1. Mars wurde im Vereinglofale nadmittags 4 Ugr die ordentlide Generalverfammu- lang abgehalten.
Nachdem der 1. Herr Vorjtand den anwefenden Mitgliedern Auffhluß über den Stand und die Gee {afte beS Vereins gegeben Hatte, hielt der f. Reale lehrer und Stadtardivar Schober von Landsberg einen Vortrag Über „Die Urkunden Ludwigs des
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56 Sh Chronif de$ Hiftorifden Vereins von Oberbayern.
Bayern im Stadtardive gu Landsberg’. — Die ge- nannten Briefe datieren aus den Jahren 1315, 1320 und 1321. Bon befonderem Interefje ift die Urkunde aus dem Jahre 1315, den durdy fie verleiht der König der Kleinen Ledhitadt eine Anzahl von Freiheiten und Redte, wie fie noch feine Stadt mit einemmale und in joldem Umfange erhalten hatte. Eine Erklärung für folde auferordentlihen Gnadenbeweije fann nur in einer ausgezeichneten Tat Landsbergs gefunden werden. Diefe aber liegt, wie der Redner in inter- effanter Ausführung und Schlußfolgerung bemies, in dem tapferen und ausdauernden Widerjtande, den die Stadt im Jahre 1315 leiftete, als Friedrich der
. Schöne und fein Bruder Leopold plöglic) mit Heeres-
madt am Led) erfchienen, um in Bayern einzufallen. Zudwig war folden Ueberfalles nicht gewdrtig, und das Land wäre mwehrlos den Dejterreichern preis- gegeben gemejen, wenn nicht die Bürger Landsbergs durd) ihre Heldenmütige Verteidigung von Stadt und Burg die Feinde aufgehalten und ftarf gefdadigt hätten. Diefer ungeahnte Widerftand raubte Friedrich
- eine foftbare Zeit, und als endlich Landsberg fiel
und von dem ergrimmten Gegner in Ajche gelegt wurde, da hatte Ludwig bereits bei Augsburg ein itarfes Heer gefammelt, mit dem er nun gu Hilfe eilte. Der geplante Einfall war mißglüdt und Friedrih mußte fi wieder über den Led) nad Schwaben zurüdziehen. Die Tapferkeit und der Opfer= mut von Landsbergs Bürgerfhhaft Hatte Bayern und
feinen Fürjten vor Sdlimmem bewahrt, und könig- lich bewohnte Ludwig folde Treue. — Auch) in dem mweiteren Verlaufe des Streites zwifchen Ludwig und Friedrich hatie Landsberg, wie die Urkunden von 1320 und 1321 beweifen, vieles zu erdbulden, befonders von Herzog Leopold und Shmwäbifhen Raubrittern, die als Parteigänger Friedrichs auftraten. Der König entichädigte die Stadt durd) neue Gnaden und Rechte, die in Verbindung mit jenen des Jahres 1315 den Grund zu Landsbergs fpdterem Wohlitande Iegten, der freilich) durch den 30 jährigen Krieg wieder zu Grabe getragen wurde.
Reider Beifall der Anmefenden und fehr an erfennende Worte d.8 Herrn I. Borjtandes Lohnten den Redner, welcher der Verfammlung nicht nur die erwähnten drei Originalurfunden, fondern aud) das ebenfo wertvolle als Hochinterefjante Landsberger Rechtsbuch, dejfen bereitS im 14. Jahrhundert Ers mähnung gejchieht, zur Einfihtnahme vorgelegt hatte.
Dienstag den 2, April, Monatsverjamm- lung im Stiinftlerhaufe.
Es fanden zwei Vorträge ftatt, deren erften Serr Privatdozent Dr. Theod. Bitterauf iiber ,Die Mord= lichter in Bayern unter König Max I.“ hielt, während im anderen Bortrage Oerr f. Rechnungsrat ©. Uebel= ader „Die Spuren de8 vorgefdidtliden Miindens und die Gefdidte des Münchener Stadtwappens“ bebanbdelte.
Sähriftleitung und prebgefeslidhe Verantwortung: Dr. Held wein— Münden (Liebigjtraße 1/2). Kal. Hofbuchdruderei Kaftner & Callwen,
Ein unbekannter Eoder dev Vögefdien Malerfdinle) in Augsburg.
Ein Beitrag zur Kunftgefhichte de X. und XI. Jahrhunderts von Dr. Maz Kemmerid).
Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden die Produfte frühmittelalterlicher Miniatur- malerei nur ifoliert betrachtet und gemertet. Man fragte wohl nach der Entftehungszeit, machte fich aber die fünftlerifchen Zufammen- hänge mit ähnlich gearteten Werfen nicht Elar und hatte e8 fiir vermeffen gehalten, bier ragen nad der Malfchule zu ftellen und damit diefe verhältnismäßig primitiven Schöp- fungen ebenfo zu behandeln mie etwa die Gemälde eines Rubens oder Tizian. Erft durch die vortreffliche Publikation der Ada- handjfdrift in Trier durch Hubert Yanitfchek wurden die Runfthiftorifer auf die neue Wuf- gabe hingemiefen und feitdem find eine Reihe von Abhandlungen entjtanden, die manche Bartien des bisher fo dunklen Gebietes er= bellten.
Hat nun auch in einer Hinficht durd den Nachweis der Zugehörigkeit zu beftimmten Malfchulen das einzelne Werk an Bedeutung verloren, infofern e8 nur zum Teil eines Ganzen wurde, fo hat e8 andererfeit3 gerade dadurch gewonnen. Denn nun galt e8 nicht nur das vollftändige Material zu fammeln, fondern auch nad) Notizen und Anhaltspunften in den einzelnen Handfchriften zu fuchen, um fo die ganze Schule zeitlich und örtlich Tofa= lifieren zu fünnen. Denn war einmal ber Nachweis erbracht, daß eine Reihe von Werfen derfelben Werkftatt entftammte — und er war nicht allgufdwer gu erbringen, ift dod)
die Wehnlicdfeit hiufig auferordentlid) grof — dann galt folgerichtiger Weife jede Notiz in einem der Godices für alle.
Nun befitt das bifchöfliche Dommufeum in Augsburg in feinem Coder No. 104 ein Werk, das, bisher unbefannt oder doch wenige ftens nicht im entfernteften richtig erkannt, e3 wohl verdient, der Wiffenfdaft zugänglich gemacht zu werden. Da der Coder fic) als einer der wertvolljten Produfte einer der griften Malerfdulen aus der Wende des 1. Sahrtaufends repräfentiert, würde er ſchon des⸗ halb lediglich zur Kompletierung des bekannten Materials Beachtung verdienen. Er bietet aber mehr als das und an ihm werden wir vielleicht Anhaltspunkte zu weiteren Schlüffen gewinnen fünnen. Zu diefem Bwede miiffen wir zunädhft den Coder bejchreiben und zwar fo eingehend al® möglid), da gerade die Details bei der für unfer Auge recht ähnlichen frühmittelalterlihen Malerei be» deutungsvoll find. Deshalb werden wir bei den nad) Photographien hergeftellten Re- produftionen die Farben miglicdh{t genau an- geben. Sodann wird e8 unjere Aufgabe fein, durch Prüfung der Technik und dargeftellten Gegenständen die Fünftlerifchen Zulammen- hänge, in denen der Codex mit anderen ftebt, feftguftellen und die Rriterien der Schule fo- wie thr Verhältnis zur früheren und gleich- zeitig anderwärt3 betriebenen Kunftübung zu berüdfichtigen, endlich haben wir ju unter-
1) Wilh. VBöge „eine deutfdhe Malerfdule um die Wende de8 erften Jahrtaufends*. Ergdngungs- heft VII der Weſtdeutſchen Beitidrift fiir Gefdidte und Runft. Trier 1891.
A. M. 3 u. 4.
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58 Dr. Mar Kemmerid
fudjen, ob eine zeitliche und räumliche Lo- falifierung des Codex und daher auch der ganzen Handjchriftengruppe miglich ijt.
I. Zeil. Befdretbung der Handidrift.
Unfer Codex ijt ein aus 161 Pergament- blättern beftehendes Leftionar. Da bei der früheren falfden Zählung wohl infolge Zus fammenfleben8 der Blätter die Folia 64, 97 und 142 überfprungen wurden, fo bat die offizielle Zählung nur 158 Blatter, die zumeift in Lagen zu 4 und 5 Bogen zufammenges bunden find. Die Größe beträgt 26,5 zu 21 cm, auf jeder Seite ftehen 15 Zeilen in Minustelfdhrift. Die Bilder der Handichrift find durchgehends auf die auch vom Schreiber benußten Lagen gemalt, alfo nicht erjt nach— träglich eingefügt. Der urfprüngliche Einband des Codex exiftiert nidjt mehr, ftatt deffen it das Werk augenfcheinlid — nad) dem Stoff zu urteilen, — vor etwa 2 Jahrhunderten in rote Seide mit Blattmufter gebunden worden. Auf der Jnnenfeite des Dedels fteht von einer Hand des XV. Jahrhunderts „Hic sunt inclusae de reliquiis Sancti Laurentii“. Die ehemals im rüdmwärtigen Dedel einge- laffene Rapfel mit den Reliquien fehlt jekt.
Fol. 1b ftellt oben die Geburt Ehrifti, unten die Berfündigung an die Hirten dar. Bol. Tafel I. Die Gefamtgröße beträgt 19 gu 154/2 cm.
Die Geburt Chrifti ift auf himmel- blauem linierten Hintergrund — alle Blätter deS Codex zeigen diefe Linien — gemalt, der Boden ift gelbgriin (nach der Vögefchen Ter- minologie meergrün) fchattiert, oben ift das Blau durch einen blaßgelben Streifen abge- löft, der an der Stelle, wo die beiden Tiere auf goldenem mit bläulich-weißem Sande umgebenen SHintergrunde angebracht find, durch eine gezinnte Mauer von fchmusgiglicht odergelber Färbung unterbrochen wird. Der Hl. Iofeph ist blond, Haare, Bart und Geficht in derjelben rötlich-gelben Färbung, die fich auch bei Maria, dem Chriftusfind und dem linfen und rechten Engel wiederfindet. Die Punkte am OHaar und Bartanjak des hl. Yoz jeph find — wie in allen ähnlichen Fällen — Schwarz. Die Gefichtsfarbe ift ftetS diefelbe wie die der andern unbededten Körperteile. Die Gejichter der Hl. Familie find ziemlich
ftarf bejchädigt. Joſephs Untergewand iſt bläulich-⸗weiß, das Obergewand bräunlich-vio⸗ lett (purpurbraun), genau wie bei Maria, nur daß hier überdies die ganze Geſtalt von einem blaßgelb⸗grünen Schleier eingerahmt iſt. Die Krippe iſt Orange, mit dunklerem Rande und ſchmutzig-grünem Boden. Die Tunika des Chriſtuskindes iſt bläulich-⸗weiß, wie die ſeiner Eltern; ein lichtrötlich-violettes (purpurroſa) Tuch hüllt es ein. Sein Haar iſt braunrot, eine Färbung, die auf allen folgenden Bil- dern feftgehalten wird. Das Geficht des mitt- feren Engels ift blabgeb. Das Rind ift roft- braun, der Ejel violett. Der linke und rechte Engel hat fchwarze Haare, der mittlere braun rote. Die bläulich-weißen Tuniken der Engel haben die gleiche Farbe, wie die der heiligen Yamilie. Der Linke der Engel trägt dunfel-Lila= blauen Mantel und zart lila Flügel, der mittlere rötlichen Mantel und blaugraue Flügel, der rechte lila Mantel und rötliche Flügel derart, daß die Flügelfarbe des eriten Engels mit der Mantelfarbe des dritten, die Mantelfarbe des zweiten mit der Flügel- farbe des dritten identifch ift. Die Nimben find golden mit je einer feinen zinnoberroten und fchwarzen Linie eingerahmt, im Nimbus des Chriftusfindes ift ein feines zinnoberrotes Kreuz eingezeichnet.
Das untere Bild, die Verkündigung an die Hirten darjtellend, ift auf goldenem, nicht mehr ganz frifchem Hintergrund gemalt, der Boden ift wie im oberen Bilde grün fchattiert, zwifchen diefem und dem goldenen Hintergrund ift ein himmelblauer Streifen; der linke Hirte hat dunfelgraue bezw. fchmwarze Haare und rötlichbraune Haut, die auch die beiden andern mit ihm gemeinfam haben. Sein Mantel ift feuerrot, die Tunifa orange, die Wadenftriimpfe find dunfellilablau. Der Hirt rechts von ihm bat dunfle braunrote Haare und weife Tunifa. Der Hügel, auf dem beide figen, hatte wohl einst dunfelgraue Färbung, jegt jcheint hier das Pergament dur. Der Zurm ift gelblich mit feuerrotem Dach und Gefims, auf die dunfle rote Linien — wie auch bei den fpäter vorfommenden Dächern und Mauern — eingezeichnet find. Die Haare des ftehenden Hirten find dunfelbraunrot, feine Tu— nika bläulicheweiß, ebenfo die Fußbekleidung, fein Mantel ift dunfelbläulich, die Wadenjtrümpfe
Gin unbefannter Codex der Vigefden Malerfdule in Augsburg 59
dunfelzinnoberrot. Bon den Schafen find die am weiteften linf3 und recht3 blaßoder, das mittlere ift braunrot. Alle Nimben find — mo nicht ander3 bemerft — golden und mit feinem zinnoberroten und breiterem fchrwarzen Rande umgeben. Die Miniatur ift mit einer breiten goldenen Linie umgeben, deren Innen= rand chwarz, deren Außenrand zinnoberrot ift. Eine goldene Linie ift im gangen Codex ftets — von den Eleinen direkt auf das Pergament auf: . gefeßten Initialen abgefehen — an den Rändern von andersfarbigen, meift zinnoberroten feinen Linien eingefäumt.
Fol. 2a ift von der Initiale C in der Größe 19 zu 15 cm auf lichtpur= purnem?) — wie ftet3 im Coder -— liniertem Hintergrund eingenommen. Der Körper des Budhjitaben ift golden mit roter Füllung, der von C eingefchloffene Innenraum ift blau — auf der Abbildung weiß — und grün. Die Majusfel-Schrift „In illo Tempore (Qnitiale) Cum“ (auf unferer Abbildung nicht fichtbar) ift golden. Die Bordüre bilden abwed)- felnd bläulich (blaßultramarin) und grünlich (blaßgrüne Erde) gefärbte Palmetten mit dunfelblauem bezw. dunfelgriinem Kern, die auf rötlichem Hintergrund aufgejegt find. Die beiden goldenen Einfaffungslinien find von feinem Zinnoberrot außen und innen be- grenzt.
Fol. 11a ift ebenfalls von einer
Snitiale C mit goldenem rotgefülltem Körper eingenommen, deren Höhe — ohne Wfroterien — 21 cm bei einer größten Breite
pon 16cm betriigt. Der Jnnenraum ift blau
und griin gefirbt, der Hintergrund tief (dunfel- lila) purpurn. Der grünfchattierte Giebel hat blaßblaue Füllung mit braunrotem Ornament. Der Abakus der Säulen ift golden, der Kämpfer blafblau, Rapitelle violett, darunter ein fchmales goldenes Band, daran fchließt der gelb und blaß« rot.gefärbte Schaft, hierauf goldene Linien, die wie alle 3innoberrot eingefaßt find, dann die violette von goldenen zinnoberrot eingefaß- ten Linien abgefchloffene Bafis. Das ganze Gebäude fteht auf einer dunfelblaulichlila- fchattierten, von einer gefchlängelten roten Linie durchzogenen Unterlage, die von einer [chwarzen Linie unten begrenzt wird.
301. 35b zeigt oben eine Darftellung der Kreuzigung, unten Kreuzgabnahme und Grablegung. Bgl. Tafel II. Größe 19,2 zu 15 cm. Der Hintergrund bei beiden Darftellungen iftmattrötlichlila fchattiert, obenpurpurrofa. Der Boden ift gelbgrün fchattiert. Maria hat hell- blaues Kopftuh und Tunifa und braunroten (dunfelpurpurnen) Mantel, fomwie fchiwarze Schuhe. Der line Kriegsfnecht trägt hell= blaue Tunifa und Schuhe, bräunlichvioletten Mantel und dunkle bläulichlila Wadenftrümpfe mit zinnoberroten Tupfen an den Schienbeinen.
) Dem Purpur des Mittelalter$ entfpricht das heutige tiefe Lila, jedod eziftieren zahlreiche Nuancen, englifhrot Caput mortuum, purpurrofa 2c. Sie gu bezeichnen ijt nit immer möglid).
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Die Langenfpige ift — wie im ganzen Eoder — hellblau. Das goldene Kreuz wird von dun= felgrünen Konturen umjchloffen. Die auf un ferer Tafel deutlich erkennbare mweihe Linie, die die goldene Vorderfeite des Kreuzes von den grünen Seitenflächen fcheidet, ift im Ori- ginal zinnoberrot, ebenfo das Blut, welches aus den Seiten= und den Fußmunden Chrifti fließt. Chriftus mit rotbraunem Haar hier wie auf allen fonftigen Bildern des Coder dargeftellt, trägt purpurne Tunifa mit feinen weißen Bunften und weißer Einfaffung unten. Die Tunifa des rechten Kriegsfnechtes ift Ihmußig gelblich fchattiert, die des Johannes hellblau mit rötlich-gelbem Manteldarüber. Das Buch ift golden mit hellblauer Umrandung. Der Rand durch eine feine, fchwarze und zinnober- rote Linie eingefaßt. Alle Figuren haben Ihmwarze Haare mit Ausnahme von Ehriftug, dem linken der um den Mantel wiirfelnden Kriegsfnechte und dem Schergen rechts vom Kreuz, deren Haarfarbe braunrot ift. Die Figur der Sonne ift feuerrot mit weißer und fhmwarzer Modellierung, die des Mondes bimmelblau; beide ftehen in goldenem Felde mit zinnoberroter Umrahmung.
Bei der Kreugabnahme hat die linke igure Hellblaue Tunifa und dunfelblauen Mantel, die rechte hellblaue Tunifa und röt- lichen Dantel. Der Burpur in Chrifti Mantel ift etwasheller als oben. Die Figuren der Grab- legung haben Kleidungsftüde in umgekehrter Reihenfolge; Ehrifti Tunika ift hier hellblau. Der Mantel, um den die Hnechte würfeln, ift braunrot (wie der Mantel Mariä und der Mantel. Chrijti in der unteren Scene), die Würfel find golden mit ginnoberroter Ein- faffung. Der linfe Kriegsfnecht hat hellblaue, derrechte braune Tunifa. Das Grab ijt dunfel- grün mit roten und fehmwarzen Sprenfeln. Die Gefichtsfarbe bei allen Perfonen it röt- lichegelb, nur Chriftus, ‘deffen Geficht hier ftark befchädigt ift, hat etwas lichtere Farben, während die wiirfelnden Snedjte und der rechts vom Kreuz mit hellbraunem Rohr und dunfelbraunem Eimer die fdmubige rotbraune Färbung des niederen Volfes aufweifen. Dte Einrahmung ift wie auf Fol. 1b.
Sol. 36a wird von den Gnitialen IN auf liniertem lichtpurpurnem Grunde einge- nommen. Die größte Höhe beträgt 19,8, die
Dr. Max femmerid
größte Breite 15,1 cm. Der Buchftabenkörper ift golden mit roter Füllung. Bon den vier im Innenraum gebildeten Viereden find das Linke obere und rechte untere grün, das rechte obere und linfe untere blau ausgefüllt. Zur Umrah- mung ift purpur, gold, bell und dunfel, blau und grün verwandt. Die goldenen Einfaffungs- linien find von feinen zinnoberroten begrenzt. Die Schrift ,,illo Tempore“ ift golden.
Fol. 5lb mit einer größten Höhe von 20,2 und Breite von 16 cm ftellt die Frauen am Grabe dar. Tafel III. Der Hintergrund ijt golden, das Gebäude gelblichgrau mit feuer- rotem Dach und Gefimfe und hellbrauner Türe. Die beiden Tücher find hellblau, ebenfo die Kopf-
tiicher der Frauen, die Tunifen der Frauen und Krieger und deren Helme und Langenjpiken. Die linfe duntellila blaunimbierte Figur hat orange Mantel, die rechte grasgrünnimbierte rötlich» violetten, die hintere Frau ift mit orange- farbenem Nimbus verfehen. Die Nimben find mit feinen zinnoberroten und fchwarzen Linien eingefaßt. Das weiße Gewand des Engels ift mit carmoifinroten (VBöge nennt fie dunfelpurpurrofa, womit ich lieber das rötliche Violett de3 Mantels der vorderen Frau bezeichnen möchte, das jich etwas unterfcheidet) Streifen au) an den Nermeln verfehen. Sein goldener Nimbus mit zinnoberroter und fchwar= zer Einfaffung ift mit weißen Punkten verziert.
Der Stab in feiner Hand ift ebenfalls farmoifinrot. Der linfe Krieger ift blond mit rötlichviolettem Mantel und grasgrünem
Ein unbelfannter Goder der Vögefhen Malerfhule in Augsburg 61
Schilde, der rechte jchwarz mit dunfelgrünem Schilde und lilablauem Mantel. Die Lan- zenfchäfte find braun. Die Kifte, auf der der Engel fißt, ift grün mit fhwarzen Sprenfeln. Der Engel hat farmoifinrote, die Frauen blab- gelbe, die Krieger rötlichgelbe Hautfarbe. Die vorderfie Frau hat ein hellbraunes Gefäh in der Hand, die beiden anderen jchmußig meiße.
Die Grundfarbe der Verzierungen am Rande ift lichtpurpur, der goldverzierte äußere Rand englifchrot. Die Säulenbafen und Rapi- telle find rötlich Lila, die Schäfte hell lila mar- moriert. Die Guirlande über den Säulen ift in hell und dunfel, blau, violett, brauntot, weif, lila und grün fchattiert ausgeführt. Die freifchwebenden Früchte find rot fchattiert mit meißer Umrandung. Die Vögel blaugrau, Gold und rot.
Sol. 52a ift von der Qnitiale M in licht purpurnem Felde eingenommen, Höhe 19,7, größte Breite 14,5 cm. Der Buchftabenfirper ift gold mit rot gefüllt, der Innenraum ift blau und grün. Hier fei bemerkt, daß das tiefe Blau der Initiale nirgends fich in den Bierformen wiederholt. Solange feine allges mein anerkannte Terminologie eriftiert, lafjen fich diefe Feinheiten nicht in Worte leiden. Die Säulen find in dunkel fadmiumgelb und rot fcjattiert mit lichtodergelben, weiß punf- tierten Bändern, goldener Bafi3 und blau- lilafdattierten Rapitellen. Sie tragen einen mit Gold eingefaßten Bogen, deffen Ziermufter rot, blaugrau und grün in verfchiedenen
Schattierungen ausgeführt find. Der Grund ift fhwarz mit weißen Bunften. Die aus dem Bogen hervorwacdjfenden braunroten Ranfen tragen blau-lilafchattierte Kugeln. Der Buc;- ftabe fteht auf dunfelbläulich = lilafchattierter Bafis, die von einer weißen und einer roten Schlangenlinie durchzogen ift. Die Schrift lautet: „Scdm Marc. In illo tempore MAria“ (ba a itber dem M). Das Gold ijt, von der Schrift abgefehen, mit feinen ginnoberroten Linien eingefaßt.
Fol. 7Ob (alte Zählung 69b) enthält die Darftellung von Ehrifti Himmelfahrt auf zartem bläulichelila-Hintergrund. Tafel IV. Die Höhe beträgt 19, die Breite 15,3 cm. Der Boden befteht aus braunfchattierten Erdfchollen, darüber ift er grünlich braun. Oben geht der Hintergrund in purpurrofa über und verflingt in helleren Tönen. Die Engel und Chriftus haben — wie alle Perfonen des Bildes — hellblaue Tunika, hellgelben Mantel und rotbraune Haare. Die Flügel find gelb- grau fchattiert. Die Wolfe, auf welder Chriftus fteht, ift hell purpurofa mit gelber Umrandung ftarf fcjattiert, die Strablen find abmedfelnd blau und englifd rot. Bon den Siingern haben je gwei blonde, gmet graubraune und einer fchwarze Haare. Maria und Petrus hat rötlich violetten Mantel, der Jünger links von Maria und der rechts von Petrus trägt braunen Mantel, der am weiteften links von Ptaria und der am wieiteften redjt8 von Petrus dunfel- lilablauen Mantel. Alle Berfonen haben rötlich- gelbe Hautfarbe, bis auf Chriftus und die Engel
Abb. 5, fol. 71a (alte Zählung fol. 70a).
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62 Dr. Mar Kemmerig
mit hellgelben Gefichtern. Der Bart Petri ift wie immer hellblau, die englifch rote Um= rahmung ift mit Gold verziert. Der Baum ift dunfelgraubraun fchattiert.
Bol. Tla (alte Zählung 70a) ift von der Qnitiale R in lichtpurpurnem Felde ein- genommen. Die Höhe beträgt 19,1, die Breite 14,1 cm. Der Buchftabenfirper ift golden mit roter Füllung. Das linfe obere und das rechte untere Feld des Inneren ift grün, die andern blau gefärbt. Die Nandverzierung ift in weiß, hellerem und dunflerem Burpur ges halten. Die Einfaffungslinien find golden mit feinen zinnoberroten Säumen. Die Schrift ift wie ftets golden.
Fol. 73b (alte Zablung 72b) fchildert das Pfingitfeit. Tafel V. Höhe 19, Breite 15,4cm. Ueber goldenem Hintergrund erhebt fich das purpurne Dach mit linker hellgelber Giebel- feite und goldenen Afroterien. Die Linien auf dem Dach find dunfelpurpurn. Die beiden linfen Säulen find grün, die rechten gelb mit grünen Sapitellen, Wbafus und Dadj- balfen find Hellblau, der Fußboden ift braun, der Himmel grünblau, die Sonne befteht aus drei fongentrifden Kreifen, deren äußerer purpur ijt; der mittlere ift grün, der innere graublau, fämtliche find fchattiert und durch Ihmwarze Linien getrennt. Der innerfte Kreis ijt mit weißen und zinnoberroten Puntten befegt. Die Strahlen find golden, mit zinnober- roter Einfafjung. Sämtliche Jünger haben hellblaue Zunifen, während die Farbe der Mäntel von links nach rechts folgende ift: ritlidjgelb, braunrot (etwas dunfleres Burpurz rofa al der Mantel Mariä auf Tafel IV), dunkelblau mit grünen Streifen, grünlichgelb, ritlidgelb, braunrot, purpur, feuerrot, purpur und dunfellilablau mit grünen Streifen. Die Gefichtsfarbe aller ift rötlichgelb, die Haarfarbe von linfs nach rechts: fchwarz, braunrot bzw. dunfelpurpurrofa wie der Mantel mit fehmwarzen Zupfen, fchwarz, rotbraun, hellblau, fchwarz, ſchwarz, hellblau, jchwarz, jcehwarz, rotbraun und [hwarz!). Die Flammeajen find 3innober- rot. Die Schriftrollen find hellgelb bis anf die hellblaue des Greijes linfs. Das Buch ift
golden mit bellblauen Seiten und feiner ginnoberroter und jchwarzer Einfaffung und Ihmwarzen Bändern. Der Rand ijt englifchrot, nad) innen von einer fchwarzen Linie begrenzt.
Fol. 74a (alte Zählung 73a) ift von der Ynitiale S auf lichtpurpurnem Grunde ein- genommen. Die Höhe beträgt 19, die Breite 15,4 cm. Der Buchitabenförper ift golden mit zinnoberroter und purpurner Füllung. Der Innenraum ift blau und grün gefärbt. Die Umrandung befteht aus fchattierten grünen Palmetten in blauem Grunde. Die mittlere Palmette auf jeder Seite ift purpurn fchattiert. Die breiten Goldlinien des Nandes find von feinen zinnoberroten Linien eingefaßt. Die Schrift ift golden.
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ELEC ERIN OS Abb. 6, fol. 74a (alte Zählung 73a).
301. 86b (alte Zählung 85b) ftellt Zacha= rias mitdem Engel dar. Tafel VI. Die Höhe beträgt 19, die Breite 15,3 cm. Der Hinter- grund ilt golden, der Boden grün fchattiert, der Himmel hellgelb, die Seiten find purpurn ins helle Lila fpielend, alfo zmifchen dem tiefen Purpur von lla und dem bei den an- deren Initialen verwandtem hellen ftehend. Zacharias Hat hellblaue Tunifa, Bart und Haare, der Engel Hat hellblaue Tunika und ebenfolche fchattierte Flügel. Der Mantel des erjteren ijt feuerrot mit feinem weißen Mufter, der des leßteren grünlich gelb. Ba- arias hat grünen, der Engel dunfelblaulila
*) Was Hier mit fhmwarz bezeichnet ift, ift eine fehr fdwer definierbare dunkle, bald ing Graue, bald ing Grüne jpielende Farbe. Alle Farbenangaben haben felbftverftandlid teinen Unfprud auf abfolute Zus verldffigteit. Troß größter Mühe gelang e8 mir häufig nicht, für die zarten jtet8 ineinander übergehenden baw. mit andersfarbigen Lichtern gehihten Gouadefarben einen paffenden Wusdrud gu finden.
Ein unbelannter Eoder der Vögefhen Malerjhule in Augsburg 63°
Nimbus mit feiner zinnoberroter und fdhwar- zer Einfaffung. Die Hautfarbe beider ift röt- lichgelb, die Haarfarbe des Engels rotbraun. Stab und Schnur des hellbraunen Weihrauch- gefäßes ift ebenfalls dunfel rotbraun, Ießtere mit feinen zinnoberroten und meißen Win- dungen. Der Altar ift unten braun fchattiert, dann grüngelb, wie der Mantel des Engels, dann dunkelblau (die Bordüre) mit weißen und Ihwarzen Verzierungen, hierauf purpurrojfa. Auf dem Altar ift ein grüner, weiß, fchwarz und rot gefprenfelter Fled mit zwei hellblauen Kleinen Gefäßen. Die beiden linken Säulen find grünlichgelb fchattiert mit dunfelblaulila, die rechten purpurrofa fchattiert mit grünen Rapitellen. Das feuerrote Dach hat Links eine blaßblaue Giebelfeite.e Der Dachbalfen ift englifd) rot. Der Abakus der Säulen gelb fdattiert. Die Einrahmung ift englifch rot, mit feiner fchwarzer Innenlinie.
501. 87a (alte Zählung 86a) Initiale C auf lichtpurpurnem Grunde. Höhe 18,9, Breite 15,4cm. Der Buchftabenfirper befteht aus Gold mit roter Füllung, der Innenraum ift grün und blau ausgefüllt. Die Randvergierung befteht aus purpurrofa fdjattierten Kugeln auf grünem Grunde, als äußere und innere Ginrahmung dient je eine ftarfe Gold- linie, die von feinen zinnoberroten Linien eingefaßt ift.
Abb. 7, fol. 87a (alte Zahlung fol. 86a).
501. 90b (alte Zählung 89b) Petrus im Kerter. Tafel VII. Größe 19,3 zu 15,4cm. Der Hintergrund ift golden. Petrus mit hellblauer
Zunila, Bart und Haupthaar und hellgelbem Mantel trägt grünen Nimbus mit feiner zin- noberroter und fchwarzer Einfaffung. Der Engel in hellblauer Zunifa und orangefarbenem Mantel mit violett fehattierten (annähernd purpurrofa) Flügeln ift mit dunfellilablauem wie bei Petrus eingefabten Mimbus verfehen. Der Wächter links hat purpurrofa Tunika, blaufdattierte Wadenjtrümpfe mit meißen Punkten und hellgelbe Schuhe. Sein Schild ift feuerrot fchattiert mit weißen Verzierungen. Der Schild des rechten ift dunfelblaugriin, feine Zunifa hellbraun, die Wadenftrümpfe dunkelblau fchattiert, die Schuhe hellblau. Der Wächter unten lints ift wie der oben techt3 gefleidet, jedoch mit hellblauer Tunifa. Der Wächter unten rechts hat hellblaue Tu- nifa, dunfelblauen Mantel, feuerroten Schild, purpurne Strümpfe und hellgelbe Stiefel. Die Hautfarbe aller ift rötlichgelb, nur der Engel hellgelb. mei haben fchwarze, zwei rotbraune Haare. Der Fußboden oben und unten ift grünfchattiert. Das Gebäude ift fdmubig licht odergelb fchattiert, das Dach dunfler, die Türeinfaffung hellblau, ebenfo wie die Langenfpigen. Die Tür ift rötlich-gelb fchat- tiert, die Kette violett, die Lanzenfchäfte dunkelbraun, mit roten und weißen Ber- gierungen, die Einfaffung englifchrot mit feiner fhmwarzer Innenlinie Die Schilde find mit meißen Punkten verziert. Die untere Hälfte deS Bildes ift etwas gerfragt.
Ubb. 8, fol. 103a (alte Zählung 101 a).
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Fol. 103a (alte Zählung 101a) Jni=- tialen IN auf lichtpurpurnem Grunde. Die größte Höhe beträgt 21, die Breite Lbcm. Der goldene Budhftabenfirper ift mit rot und Burpur gefüllt, Iegterer mit hellen Bunften und Linien geziert, der Innenraum ift grün und verichoffen blau ausgemalt, auf der rechten Seite mit 3 weißen Verzierungen. Das Gold ift mit feinen ginnoberroten Linien eingefaßt. Die Umrahmung befteht aus grünen, blauen und purpurrofa fchattierten Balmetten. Die Einfafjung ift golden, ebenfo die Schrift. Im Innenraum der Ynitialen laffen fich Spuren von roten und meißen Bunften erfennen. Der Charakter der Malerei ift etwas von dem der anderen Initialen abweichend.
Fol. 106 b (alte Zählg. 104b) Johannes der Täufer, oben Tanz der Salome. Tafel VIII. Der Hintergrund diejes fehr farben prächtigen Bildes ift golden. Salome trägt dunfelblaulila Zunifa mit punftiertem Befaß in lichten Oder, hellblaue Nermel, gelbes Kopf- tuh, fdwarge Schuhe, braunroten Mantel und ein punftiertes Diadem in lichtem Oder. Der Tifch mit hellblauem Tifchtuche fteht vor einer violetten (lichtpurpur) Truhe mit oder- farbiger oberer und unterer Leifte. Die Kiffen und des Königs Mantel find grün (leuchtend permanentgrün), feine Zunifa lichtpurpur. Der Mann am meitelten links hat hellblaue Zunifa und braungriinen Ptantel, der links neben dem Rinig im hellblauen Bart hält einen hellgelben Becher und tragt eine dunfel- blaulila Tunifa. Die Männer recht? vom König haben hellblaue Zunifen, der fchmwarz- bärtige Mann braunroten Mantel, der bart- Iofe rechts dunfellilablauen Mantel. Der Bediente trägt hellblaue Tunika und Stiefel und braunrote Wadenjtrümpfe. Die Geräte auf dem Tijd) find hellgelb, ebenjo das Ge- fäß de3 Dieners. Fifd) und Klinge de3 Meffers find hellblau, Griff des leßteren fdwarz. Die Krone des Königs ift Lichtoder mit hellen Punkten. Der Fußboden ift hellbraun jchattiert.
Unten: Enthauptung des Johannes. Goldener Hintergrund und braunfchattierter Boden. Der Krieger trägt oderfarbige Tunika und braunen Mantel, dunfellilablaue Waden- Itrümpfe und hellblaue Stiefel, grünes Schwert mit hellblauem Griff. Die Mauern der Stadt find [hmußig odergelb (gelblichgrau), die Türme
hellblau, die Dächer feuerrot, das Tängliche Gebäude recht und die beiden Türme Lintg und rechts find duntel-purpurn bedacht. Der Leichnam de3 Yohannes ijt mit hellblauer Zunifa und lidtpurpurnem Mantel befleidet.
Daneben: Salome vor der Herodias. Die Kleidung der Salome wie oben, nur daß unter der Zunifa ein zweites hellblaue Ge- wand hervorfieht. Das Gefäß in ihren Händen iit hellgelb. Die Herodias fit auf grünem Politer, das auf gelbfchattierter (Lichtoder) Un terlage ruht und Hat ihre fchwarzbejchuhten Füße auf einer grauen Fupbant aufgefeßt. Ihre Zunifa und Kopftuch find hellblau, der Mantel englifdrot. Alle Gefichter haben rötlichgelbe Färbung, aber heller als 3. B. das des Hl. Sofeph auf fol. 1b. Die Einfaffung bejteht aus einer englifchroten Linie. Die Farbe der Schrift ift nicht feftzuftellen.
Fol. 113a (a.3. 111a) ftellt das Wunder des Jünglings von Naim dar. Tafel IX. Größe 19,4 zu 16,2 cm. Der Hintergrund ift fehr ähnlich dem auf Tafel IV. Chriftus bat hellblaue TZunifa — ebenfo die Jünger — und lichtpurpurnen Mantel. Der goldene Nimbus zeigt ein hellblaues Strahlenfreuz. Der ſchwarze Rand ift mit weißen Punkten geziert. Der hellblau gebartete Jünger hinter Ehriftus (Petrus) trägt grünlich-gelben Mantel, der bartlofe neben Petrus dunkel cadmiumgelben und der fchwargbärtige am Rande dunfellila- blauen Mantel. Der vordere Träger der Bahre hat cadmiumgelbe Tunifa, zinnoberroten Manz tel, dunfellilablaue Wadenftrümpfe und hell- blaue Stiefel. Sein rechter Nebenmann trägt Ihmußiggraugrüne Tunika, die yrau im Hinter- grund hHellblaues Kopftuch) und ebenfolchen Mantel und gelbgrüne Tunifa mit lide purpur weiß punftiertem Befag und fchmwarze Stiefel. Der rötlichhlonde bärtige Mann neben ihr Hat hellblaue Tunila und Stiefel und hellbraune Wadenftrümpfe. Der Binge ling auf der Bahre hat hellblaue Tunika und lichtpurpur Dede um den Unterförper. Der hintere Träger der Bahre hat hellblaue Zunifa, braunen Mantel, zinnoberrote Waden- ftrümpfe und lichtpurpur Stiefel. Die Trag- ftangen find aus Gold mit feiner ginnoberroter Einfaffung, die Bahre ift braun, die obere Hälfte des Bahrtuches fchmußiggrün, die untere lihtpurpurn mit weißen Verzierungen.
Ein unbelannter Koder der Vögefhen Mtalerfchule in Augsburg
Zafel I
fol. 1b. tiefpurpurnes Dach und hellblaue Seiten hat. Die Mauerzinnen links find dunkelgrau. Die Wfroterien find golden, das Gefimje am Tor- turm ift hellpurpurbraun. Die Gefichtsfarbe Ehrifti und der Jünger ift diefelbe Lichtgelbröt- 9
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lie wie auf den früheren Bildern, die andern Berfonen, von denen vier rotbraune, eine rötlichblonde, fieben dunfelgraue bezm. fchwarze Haare haben, zeigen zum Teil eine etwas dunf- lere Hautfarbe etwa wie die Hirten auf Fol. 1b. Die Schrift ift zinnoberrot, die Einfafjung englifchrot mit goldenen Verzierungen und [hmwarzen Innenlinien.
50l. 124a (a. 3. 122a) ftellt da8 Gleich- nis von der Hochzeit dar und ift eines der farbenprädttigften Gemälde (Tafel X). Größe 19,5 zu 15 cm, Oben das Gaftmahl. Der Hintergrund ift golden, der Fußboden licht- oder jchattiert, da8 Dach feuerrot mit bell- gelbem Giebel und Mfroterien. Die Säulen find hellgrünlichgelb fchattiert mit purpurrofa Rapitellen, die Vorhänge find dunfellilablau mit odergelben weißpunftierten Streifen und Ichwarzer Einfafjung. Der König trägt feuer- roten Mantel, Hell purpurne Tunifa mit lichtocergelben meißpunftiertem SBefag und fhwarze Schuhe. Bart und Kopfhaar ift hellblau, da8 Diadem Tichtodergelb mit roten und weißen Punkten. Der Bräutigam bat grüne (wie das Grün auf den meiften der vorigen Bilder, ins fchmußiggelbe fpielend) Zunifa in der Farbe des dunkelblau gerän= derten mit weißen und fchwarzen Punkten ver- zierten Tifchtuches und dunfellilablauen Mantel. Die andern Perfonen am Tifche haben bis auf den Mann im Werftagsgewande, der graue Kleidung mit feuerroten Stiefeln trägt, hellblaue Tunifen. Der am weiteften links trägt grauen, die Braut lichtpurpurnen Mantel und hellblaues Kopftuch. Der vordere Diener hatpurpurrofa Tunifa, feuerrote Wadenjtrümpfe mit weißen Punkten und hellblaue Stiefel, der andere Diener Hellgelbe Tunifa und Stiefel und dunfellilablaue Wadenftrümpfe. Der Schemel, auf den: der Mann im Werktags- gewande fikt, ift oder fchattiert. Die Fuß— banf grau. ;
Unten ftellt die Berjtoßung des Schuldigen in die Hölle dar. Diefe ift purpurn in allen Schattierungen, vom Bildrand zur Bildmitte heller mwerdend. Die Kleidung des Sünders ift mie oben, ebenfo die der Diener, nur daß die Farbe ihrer Stiefel umgekehrt ift. Der Bräutigam trägt dunfellilablaue Tunifa mit rotem punftiertem Bejaß, grünen Mantel und hellblaue Stiefel. Die Stäbe oben und
unten find purpurbraun fchattiert. Das ganze Bild ift von einer englifchroten Linie eingefaßt.
301. 153a (alte Zählung 150a) zeigt auf nicht mehr leudjtendem Goldgrunde die Ge- fcicte von Chriftus und Zadaus in der Größe von 19,4 zu 15 cm (Tafel XI). Chriftus trägt hellblaue Zunifa und lichtpurpurnen Mantel, der grüne Nimbus mit hellblauem Strahlenfreuz ift von feinen zinnoberroten und Thwarzen Linien mit weißen Punkten ein- gefaßt. Petrus hat mie immer hellblaue Haare und Tunifa und grünlich gelben Dan- tel, der Jünger hinter ihm mit rötlichblondem Bart trägt gelbliche Tunika und zart purpurnen Mantel (etwa in der Farbe der Seiten von 86b), der folgende hellblaue Tunifa mit licht odergelbem Mantel, der am weiteften rect hellblaue Tunifa und Stiefel, dunfel- lilablaue Wadenjftriimpfe und grünen Mantel.
Die Tunifa des Zachäus ift hellblau, ebenfo die Stiefel. Der Mantel ift feuerrot, die Wadenftrümpfe find dunfellilablau. Der braunfchattierte Baum mit grünfchattierten Blättern hat eine pilzartige hellblaue Krone. Die Türme der Stadt find hellblau, die Mauern Ihmugig odergeld fchattiert (gelblich-grau), die Dächer feuerrot, daS Gebäude links ift hell- gelb, das rechts rötlich mit tiefpurpurnem Dad. Der Boden ijt grün, die Umrahmung englifdrot. Am Scluffe des Kodex fehlen etwa 4 Bogen, zweifellos ebenfalls mit Mi- niaturen. Die Erhaltung der Malereien ift durcchgehends ganz vortrefflich, abgejehen von einigen zerfragten Stellen. Sträflicher Ueber- mut bat auf Fol. 51b (Tafel UL) und Fol. 73 b (Tafel V) dasfelbe gweifellos fehr alte, mir unbefannte Wappen eingerigt. Ein anderes Wappen mit der Beifchrift „haldewaerg“ (?) auf Fol. 124a (Tafel X).
Außer den genannten von uns in faft genauer Größe des Originales reprodugierten Abbildungen befinden fich Kleinere farbige Qni- tialen auf den folgenden Blättern: Fol. Yla (alte Zählung 90a), Fol. 105b (alte Zählung 103b), Fol. 113b (alte Zählung 111b), ol. 120b (alte Zählung 118b) und Fol. 121 b alte Bablung 119b). Ferner find fehr zahl- reiche unmittelbar auf das Pergament aufge- fete Initialen in Gold durch den ganzen Eodeg verjtreut.
Zafel II
Wenn wir oben verjuchten, die Farben möglichjt genau zu befdreiben, mas ja nature gemäß jelbjt bei größter darauf verwandter Mühe immer nur fehr unvolllommen gelingen fann, jo wird uns die weitere Unterfuchung die Notwendigkeit diefes Vorgehens bemeijen.
fol. 35b.
Bei der großen Aehnlichfeit der frühmittels alterlichen derjelben Zeit und demfelben Schuls zufammenhang entijtammenden Malereien fön= nen uns nur Details Aufklärung über Ent- ftehung3-Ort und Beit bieten. Deshalb gilt e3 fich hier in diefe zu verfenfen.
Qt
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Il. Die Teduil.
Alle Bilder der Handfdhrift find in Ded: farben ausgeführt und zwar auf Borzeichnungen in Tinte. Da unfere Handjchrift ducchgehends vortrefflich erhalten ift, fo läßt fich die Vor- zeichnung nur an wenigen Stellen erkennen; im allgemeinen ift fie durch die Dedfarben völlig zugededt. Wie Böge von feiner Schule, zu der, wie wir fehen werden der Coder gehört, fagt, hat diefe Dedmalerei im allge meinen einen flachen Charakter ohne eigentliche Modellierung. „Schatten und Lichter find mehr rein zeichnerifch eingetragen, nicht in breiten Flächen aufgefebt.” Prinzipiell find die Figuren nicht in Schwarzen Konturen ums zogen wie im fpäteren Mittelalter, vielmehr zeigt fic) der ftets fehr diskret auftretende Kontur nur an einzelnen Stellen. So wo das Gewand fich von den nadten Teilen ab- heben foll, alfo am Hals= und Nermelausfchnitt und wo die Füße unter der Tunika hervor- treten, fonft nur leicht angedeutet. Die hellen Gemwänder liegen ftet3 fonturlos auf dem Goldgrund. Deshalb können wir mit Bige fagen: „Der Kontur fcheidet nur (die farbigen Zeile unter einander), er umzieht nicht.“
„Was die Motivierung des Faltenwurfes im Innern angeht, fo find nur die Hauptzüge leicht, mehr fligzierend angedeutet, feine Ber- legung der Fläche in einzelne fcharf umriffene Helder, das Wefentlide der Motivierung in einem dunfkleren Ton der Gemwandfarbe jelbit gegeben.“ Und zwar ift zur Einzeichnung der Konturen in die Dedmalerei auch die Feder ftarf verwendet worden.
Was den Hintergrund der Scenenbilder anlangt, fo lajjen in der ganzen Schule und Ipeziell in unferem Codex fich zwei Arten deutlich unterfcheiden; der Goldene und der Ichattierte Yarbige, außerdem gibt e3 Ver— einigungen beider. Der Goldene findet fich auf fol. 1b unten, fol. 51b, 90b, 106b, 124a und 155a. Der Farbige auf fol. 35b, TOb und 113a. Er befteht, mie wir bet Befdhreibung der Bilder fahen, aus einer hellpurpurroſa Schicht zu oberft, darauf ein breiter, die eigentliche Bildfläche füllender bläulichlila (mattlila) Streifen (nad) Wöge, dem ich mich in allen Farbenbezeichnungen tunlihit anfchließe, ins Lilagrau fpielend)
dann folgt der grüne oder bräunliche Vorder- grund, einmal verläuft der farbige Hinter- grund in einem fchmußiggelben Streifen (fol. 113 a), der vielleicht Sandboden andeuten foll. Was die Kombination beider Gründe anlangt, fo ift auf fol. 73b und 86 b das Innere des Gebäudes golden, der Himmel darüber im eriteren Bilde blau und gelb geftreift, im zweiten nur gelb. Auf fol. 1b oben ift der Hintergrund blau, oben hellgelb. Damit fällt diefe8 Blatt aus dem Rahmen der andern heraus, wie e8 überhaupt einige geringe Ber- chiedenheiten von den andern Bildern auf- weift.
Der Vordergrund ift entweder grün in verfchiedenen Nuancen gwifden gelbgriin und tiefmeergrün, (fol. 1b, 35 b, 86b, 90 b, 155a) oder (fol. TOb, 73b, 106b, 124a), er ift bräunlich, rotbraun oder licht englifchrot und auch heller und ftellt dann Erdwellen . (fol. 7Ob) und Schollen dar, (fol. 106b 124b) Auf fol. 73b, wo die Scene in einem Ge- bäude fic) abfpielt ift das Leder braun mie ein geftrichener Bretter-Boden. Ein Vorder: grund fehlt auf fol. 5lb. Während fich in der Anwendung des Schollenvordergrundes fein beftimmtes Prinzip verfolgen läßt, infofern er fich auch findet, wo man gefchloffene Räume vermuten jollte, wie beim Gaftmahl und Tange der Salome, ijt er grün nur bei Scenen, die im Freien fpielen. Uebrigens wadfen aus manden ' der Bodenfurchen dreiblätterige Blumen von derjelben bräunlichen Farbe aus den Bodenvertiefungen heraus. Gbenfo hat Bige erkannt, daß der farbige Hintergrund da Anwendung findet, wo wir unter freien Himmel oder in die Luft verfeßt werden follen, der goldene Hintergrund aber vertritt in den Häufern die Wandflächen oder lift den Ort, wo fic) ein Vorgang abfpielt, unbe- {timmt. Sn der Umrahmung der Bilder find wenige Motive verwandt. Entweder fie ift golden (fol. 1b, 35b,) dann ift die Innen- feite von einer feinen fchwarzen, die äußere von einer feinen zinnoberroten Linie begrengt. Oder fie ift englifdrot (purpurbraun). Hier ift dann entweder die Einfaffungslinie mit goldenen Rauten, die durch goldene fent- rechte Stäbchen getrennt find verziert (fol. TO b, 5lb, 113a) genau wie im Codex Egberti,
Gin unbefannter Codex der Vsgefden Malerfdule in Augsburg
Tafel IIL
fol. 51b
Die Snitialen find durchgehends auf pur= purnen Hintergrund aufgefeßt und von goldenen Linien eingerahmt, die nach außen und innen von feinen zinnoberroten eingejäumt find. Hier
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zeigt fich alfv infofern eine Abmeichung von den Scenenbildern, al3, wie erwähnt, bei diefen die Ynnenlinie nicht golden, fondern jchwarz zu fein pflegt. Nur in zwei Fällen (fol. lla und 52a) find die Jnitialen überhaupt nicht eingerahmt, fondern ftehen tempelartig un= mittelbar auf dem Pergament auf einem bafisartigen Unterbau.
Das in den Spnitialen verwandte Gold ift ausnahmslos von feinen zinnoberroten Linien zu beiden Seiten eingerahmt.
Auch in der Kleidung Laffen fich gemein: fame Züge nachmweifen. So haben alle vor= nehmen Perfonen diefer Schule und unferer Sandfchrift, hellblaue Tuniken, nur der Engel (fol. 51b) hat eine weiße, der König (fol. 106 b) eine purpurne, (fol. 124a) eine purpurrofa gefärbte mit odergelben Beat, Salome eine dunfellilablaue mit derfelben Verzierung, (fol. 124a), und der Bräutigam einmal eine in dunfellilablauer (fol. 124a unten), einmal eine in grüner Farbe mit Verzierung.
Bemerkenswert ift, daß das weiße Ge- wand — nur Tunifa — des Engel3 am Grabe mit farmoifinroten (Bige fagt dunkel pur= purrofa) Streifen fic) ebenfo findet in der Baınberger H3. W. II. 42, fol. 69b und dem Code M. p. th. 49,5 der Würzburger Uni- verjitätsbibliothel, fol. 20a. Das Gewand
ift für einen beftimmten Typus des Engels am Grabe geradezu charakteriftifch und findet fich vielleicht auch noch in andern Handichriften unferer Schule in derfelben Scene.
Für die Tunifen der niederen Leute laffen fich feine Regeln aufftellen, wohl aber ift das Kleid des Gastes im Gleichnis von der Hodj= zeit grau, wie in Elm. 23338 fol. 158 b.
Jn unferer Handfchrift tragen Maria und Sofeph ftets dunfellilablaue Mantel, wie e8 aud) in den andern Kodices unferer Schule die Regel ift. Chrifti Mantel ift ftets pur- purn in verschiedenen Schattierungen nur auf fol. TOb hellgelb. Der König auf fol. 124 b ift mit feuerrotem Mantel befleidet, wie er aud) in den Kodice8 des Raifers Otto im Münfterfhag zu Aachen Tafel III, im Elm. 4453 Elm. 58 fol. 30b, im God. mbr. U. I. 19,4% der Beverinifchen Bibliothek in Hildes- heim fol. 84a, im Elm. 23338 fol. 154b, und 158 diejelbe Kleidung, die aber feine aus— nahmslofe Regel bildet, trägt. Diefelbe Farbe fommt auch bei anderen Perfonen vor, nämlich bei einem Sünger fol. 35b und 73b, bei BZahäus auf fol. 155a, bet Salome fol. 106 b und dem einen Tifchgenoffen ebenda, bei Zacharias fol. 86b. Die Jünger Ehrijti find auch in unferm Coder nicht nach bejtimmten Gefidtspuntten bekleidet. 1)
') Die Parallelftellen find, foreit fie nidjt Codices der Münchener Hofs und Staatsbibliothet (Elm.) betreffen, wo mit eine Bergleidung miglid) war, nad Vöges vorbildlidem Werke zitiert. Bei der großen Zuverläffigfeit diefes Autors dürften aud) ohne Nahprüfung die Verweifungen ridtig fein. Zur Vereinfadung fei nadhftehende von Vöge eingeführte Art der Bezeichnung Hinfort angewandt:
A. = Codex bes faijers Otto im Münfterfhat zu Wachen. Die Bezeichnung der Tafeln nad
St. Beilfel „Die Handfhrift des Kaifers Otto’.
M. = Cod. lat. Mone. (Clm.) 4453 Eim. 58. I. = Elm. 4452 Gim. 57. Il. = Elm. 4454 Gim. 59.
ILI. = Cod. Colon. XII (Darmft. 1951) membr. 2°, Evangelienbud) der Dombibliothet zu Köln.
a m
Cod. 84. 5. Aug. fol. mebr. Evangeliftar der Hergal. Bibl. gu Wolfenbüttel. Cod. membr, U. I. 19, 4°, Orationale der Beverinifchen Bibl. zu Hildesheim.
VI. = A. I. 42 membr. 2°, Wpofalypfe mit eingebundenem Evangelienbud) der fgl. BibI. zu Bamberg.
VIL. = Elm. 23 338.
VIII. = Cod. lat..18005 (Oratoire 35) Cod. membr, 2°, ein Gaframentar der Parifer National-Bibl. IX. — Mss. Centur. IV. No. 4, Cod. membr. 2°, ein Gvangeliar der Mitrnberger Stadtbibl. X. = M. p. th. 4, 5 Cod. membr. 4°, ein Leftionar der Würzburger Univerfitätsbibl. XI. = Cod. membr. 2°, No. CCXVIII, ein Evangeliar der Kölner Dombibl.
XII. = Gin Evangeliar in den vereinigten fgl. Sammlungen in Hannover, Prinzenftr. 4. Sect. X XI.
a No. 37, Cod. membr. 4°.
XIII. = Ed. V. 9 Cod. membr. 4°, ein Troparium und Sequentiarium der fgl. Bibl. in Bamberg. XIV. — Hs. ber Bibliotheca Queriniana gu Brescia Cod. membr. 2°. XV. = Cod. No. 1, 2, 4° 11 moembr. 4 ber fiirfilid) Wallerfteinfcen Bibl. zu Maihingen bei Nörd-
lingen, ein Benediftionale.
XVI. = Cod. No. 10, jegt XIV. 84 der Bibl. Sarberina.
Gin unbetannter oder der Vögefhen Malerfeäule in Augsburg
Tafel IV fol. TOb (alte Zählung fol. 69b).
Neben der erwähnten Borde in lichtem Punkten (fol. 106b 2 mal und fol. 124a odergelb mit weißen und dunfleren odergelben in verfdiedenen Nuancen) finden wir nod
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eine dunfelblaue mit fehmarzen Punkten auf fol. 86b und 124a unferes Koder. Diefelbe zeigt M. 30b, 192a; I. 149b, 161b; II. 25 b; Ill. 22b; IV. 4b, 66b, 79b; .V. 76b, VI. 16 b.
Bwei farbige Vorhinge, oben purpurrofa, unten dunfelgriin find in unferem Coder nicht enthalten, wohl aber in B. 31b; M. 24a, I. 3b, 17b, 149b; V. 4b, Hiergegen find die Vorhänge in unferer Handichrift dunellilablau auf fol. 86b, 124a, während das Bartud auf fol. 113a oben dunkelgrün unten purpur= rofa gefärbt ift und das dunfelgrüne Gewand der Frau auf demfelben Blatte eine Borde in purpurrofa Farbe zeigt. Bon den Scilden auf fol. 7Ob find zmei feuerrot, zwei dunfel- grün, beide Farben fchattiert. Diefelbe Kolorierung. findet fic) nebeneinander: I. 107b; IV. 69b, V. 56b, VI. 69b. Feuer- rot find die Schilde in A. Tafel III; VII. 158b; grün in M. 24a, 30b; VII. 82a.
Thronfeffel find in der ganzen Schule und in unferm Goder regelmäßig oderfarbig (fol. 106a unten) Kiffen grün (fol. 106a 2 mal). Das Fußbrett davor in unjerm Coder (fol. 106b) grau, mie die Kleidung des Gaftes font in der Schule grau, fchmußig purpurgrau, lilagrau, gelbgrau und vereinzelt bräunlich.
Der Mauerring der Städte und die Außenfläche der Gebäude iſt regelmäßig ſchmutziggrau bzw. gelbgrau ſo fol. 1b, 51b, 9Ob, 106b, 113a und 155a. Diefelbe Färbung findet fich in der ganzen Schule mit alleiniger Ausnahme von VI. b, wo das Gee mäuer fol. 8a blaßgelb, fol. 26a blaßlila ift. Wie die Mauern find auch die einzel- ftehenden Türme gefärbt, während folde im Mauerring hellblau find. So die auf fol. 106 b und 155 a. Böge hat beobachtet, daß die hellblaue Färbung in der ganzen Schule die Regel, die fich auf fol. 113a findende gelbgraue (ferner in A., M, 30b; I. 9a, 77b; VI. 45a) die Ausnahme bildet. Cine Ausnahme bildet ferner dag graue Mauerftüc — in der Farbe des Zußfchemel® und des Gaftes— auf fol. 113a.
Die Häufer im Innern der Städte find regel- mäßig in der Schule hellblau gefärbt, in unferm Codes nur auf fol. 113a die Seite des Tempels. Hingegen ift die feltene blap- gelbe und rötliche Färbung bier häufiger, (fol. 106a und 155a), nur in I. 77b; VI 8a und 45a find fie noch blaßgelb, in VI. 6b grau. Diefe Heine Abweichung unferes Stiles vom Schulftil könnte einen Hinweis auf den Ent- ftehungsort -— außerhalb des Hauptatelierd — und Künftler bezw. die Entjtehungszeit bieten. Die Dächer der Häufer und Türme find feuerrot oder purpurn. Dunlellila nur 2 Türme und das Langhaus auf fol. 106b und das Langhaus auf fol. 113a und fol. 155a. Dasfelbe gilt von der ganzen Schule. Nur in A. Tafel IX; M. 107a, 231b und I 9a fommt purpur vor, dunfellila nur I. 55a und 162a. G8 ift bemerfenSwert, dab in den Bamberger Codices I. und VI. fich fowohl die blaßgelbe Färbung der Häufer, als auc die dunfellilafarbige Bedachung als Abweichung vom Schulftil und in Uebereinftimmung mit unferm Codex finden. Afroterien find in uns ferer Handfchrift gern golden, nämlich fol. 11a, 73b, 2 mal, 113a, 3 mal, aber auch weiß, rofa, gelblich und hellblau.
Bemerkenswert find die Kapitelle, von denen fid) wohl folgende Formen unterfcheiden laſſen dürften: Das aus der Antike ftammende Alan- thus-Sapitell (fol. 51b, 52a, 86b), das Phan- tafie-Rapitell mit Kämpfern (fol. 11a), Die ge fchloffenen Knospen (73a) und die geöffneten (124a.) Die Färbung ift purpur, purpurrofa, helblau, dunfellilablau und grün und zwar ftets paarmeife. Diefe Kapitelle, befonders die mit Ufanthusmotiv find fiir unfere Zeit und Schule Hharafteriftijd.
Wir fommen jest gur widtigften Frage, der nad) der technifden Behandlung des Nadten. Nachdem die Charakteriftil, die Bige von feiner Schule gibt, gang genau aud) von unferem Codex gilt, fo fei eg mir geftattet fie hier wörtlich anzuführen, dies umfomehr als id) feinesmegs den Ergeig befike etwas {djon einmal gut gefagte3 mit eigenen Worten
Auf dag Nähere werden wir fpdter guriidfommen. — Da id) nicht beabfidtige — aud) wenn id) vermefjen genug wäre, e8 mir gugutrauen — bier ein Bud) gu fchreiben, dag mit dem Vögefhhen konkurrieren foll, fondern feine Ausführungen Iediglid) in etmaß ergänzen will, fo nehme ich vieles von ihm gefagte, ohne es ausdrücklich als zitiert zu bezeichnen, in meinen Text. Ich begnüge mich ausſchließlich mit dem kleinen Verdienſt, den Augsburger Cod. entdeckt und publiziert zu Haben. Vielleicht findet auch mein Verſuch einer Lokaliſierung Anklang.
Ein unbefannter Coder der Vigefden Malerfdule in Wugsburg 73
u 7
Tafel V Fol. T3b (alte Zählung fol. 72b).
ein zweites mal vielleicht weniger gut auszus | diefe: in farbigen, meift [in unferer Handfchrift drüden. Er fchreibt: 1) „Die Behandlung ift | bid auf die gang hellgelben Gefichter Chrifti
1) Die von mir gemadten, wo nidt befonder8 bemerkt, nur auf unfere Handihrift zutreffenden Zu= fage find in ediger Klammer beigefügt. — CEinfdlagig ift Bige S. 157 ff. Die bei Vöge fi findenden ein- faden Zeihnungen find nur teilmeife wiedergegeben.
UM 3 wd 10
und der Engel (Fol. TIb, 90b), wo er fehr hell bzw. grünlich weiß ift, und bei den Frauen am rabe(51b) ausschließlich] braunen Kontur!) werden auf die heller grundierte Fläche folgende Teile eingetragen: Augen mit Brauen (in 58. X fehlt hier der braune Strich), zwifchen Oberlid und leßteren bei großen Köpfen noch ein feiner Barellelftrich vgl. M. BI. 24 a“; das Auge wird durch zwei die Lider angebende ge- frümmte Linien gebildet, wie man auf jeder
unferer Abbildungen deutlich erkennen fann. '
Am äußeren Wugenwinfel entfteht nicht felten durch plößliches Umbiegen nad) oben ein rechter Winkel. Da unfere Handfdjrift Feine großen Köpfe enthält, fo fehlt bier auch der feine Parallelftrich, wie auch im folgenden alle die von Bige für folche angegebenen Merk- male. „Nafe, der braune Nafenkontur, fic diveft an die Braue anjekend, fehlt nur aus- nahmsmeife, an der Mafenfpike biegt er giem=- lich jcharf um, ein flacher, ziemlich Langer, ftet8 natürlich gebildeter Nafenflügel fett fich an ifn an; e8 ift alfo eine mejentlich im Profil gedachte Nafe, charakteriftiich die natür- fide Nafenflügelbildung; die Schule des Echternader Codex bildet die Naje unten in orm eines ftumpfen Winkels: (das heißt: die Najenform ift hier ftets auch bei mehr im Profil gedachten Köpfen mefentlich in Borderanficht gegeben)‘. Bige bemerkt jehr richtig, daß gerade in diefen fleinften Details die einzelne Schule ihre feft ausgebildeten Regeln hatte, an denen man unbedingt fefthielt. Wie er felbft die Nafenbildung feiner Schule von der gleichzeitigen Echternadher Kunite produktion unterfcheidet, jo hat Smwarzensfi?) die in der Regensburger Schule, der einzigen, die e8 an Bedeutung damals mit der Vö— gejchen aufnehmen fonnte, übliche Bildung der Nafe anderer Teile des Gefichtes feitgeftellt. Dadurch find wir in der Lage fchon allein am Geficht mit unfehlbarer Sicherheit — fo- weit e3 fid) um charafteriftifchen Nepräjen- tanten des Schultypus handelt, die Zuteilung der Miniaturen zu einem beftimmten Atelier vorzunehmen.
Fahren wir mit Vöges Worten fort: „Bei Köpfen in totaler Borderficht (in den Scenen= bildern fehr felten) feblt der braune Kontur
am Nafenbein entlang; untere Endung ganz natürlich gebildet (nie Y ); der Mund mit zwei Strichen angegeben: —— , bei größeren Köpfen (Huldigungsbildern) zwifchen Nafe und Mund: | (niemals zeigt der Mund rofa Fär- bung)“, dann von der Wange bis zum Kinn das Geficht in braunem Kontur vom Halfe abge fcieden, das Kinn wohl durch kleine Strichel- chen herausmodelliert; befonders charakteriftifch nun, daß das Geficht nicht prinzipiell von dunklem Kontur „rings umzogen ijt; Kontur tritt nur dann ein, mo e3 gilt, das Geficht von einer anderen in Dedfarbe ausgeführten Fläche zu trennen (alfo: wo es auf farbigem Nimbus liegt oder vom Kopftuch umhüllt ift, oder endlich da, wo innerhalb einer Gruppe Kopf neben Kopf gereiht ijt); mo ein Kopf, fei e8 im Profil oder mit der Wangenlinie direft auf den Goldgrund tritt, fehlt zumeijt der Außenkontur, oder tritt nur an einzelnen Punkten auf; das Ohr im Innern motiviert mit: 3 (rechtes Ohr), bei den fleinen Köpfen nicht jo deutlich. Dieje braune Konturierung wird nur an einzelnen Stellen durch Schwarz verjtärkt. Mit Schwarz werden markiert: die Brauen (der Kontur hier edig gebrochen); dann Nafenlöcher, Mundmwinkel, Bupille duch Ihmwarze Punkte bezeichnet, zwei Punkte in den Ohren [nicht immer; die innere Model- lterung Hat häufig nur diefe Form: 5]; oft am Sinn unten ein paar Strichelchen; models lierte Schattierung (im Ton etwas dunkler als der Grund) nur fehr jchüchtern; vor der Einzeichnung der Konturen leichte Schatten eingetujcht: an der Nafe entlang, unter dem Auge (3. T. das Auge felbft von der Braue abwarts dunfler unterlegt, ein einfaches Mittel, wodurd) der Kopf einen bejonders lebhaften Ausdrud befommt, vgl. H8. B Bl. 4b, 5a), vom Nafenflügel zum Mund, an der Wangen rundung entlang. Dann das Ganze vollendend, nach der dunklen Konturierung aufgejeßt: eine ganz in Strichen gegebene weiße (auch wohl gelbliche) oder in einer helleren Schattierung zugrunde liegenden Farbe gehaltene Auflichtung: ein Punkt im Auge ...., auf dem Nafen- flügel, dem Rinn..... , über den Brauen, unter dem Auge eine Reihe von in flachen Bogen fich hinziehenden parallelen Linien und
1) Das Braun des Konturs auf fol. 106b und 124a ijt etwas rötlicher als das in den anderen
Diiniaturen verwandte.
*) Georg Swargensti „Die Regensburger Bucdhmalerei des X. und XI. Jahrhunderts‘. Leipgig 1901.
Ein unbefannter Godez der Vigefden Mealerfdule in Augsburg 75
Tafel VI
bei fleinen Ripfen nicht fo ausdrüdlich, doc in allen Hs. belegbar, diefe Striche find nun gang bart aufgedrudt, auch das längft nicht bei allen Köpfen; die gleiche Strichelung au) am Halfe; dann auf dem Nafenrüden entlang:
weißer Strich, fi) an die über der Braue berlaufenden Linie anfchliegend, zwei Striche auf den Mund, fie legen fich über die dunklen Stride: ——,..... endlich da8 Obr meift um- zogen: 3.1) Durchaus Ausnahme bleibend das
1) Bu diefen Figuren, die nur ungefähr und nicht fämtlich wiedergegeben find, wolle das Bud VBöges 10*
verglichen werden.
76 Dr. Mar Kemmerigd
Experiment eines hervorragenden Vertreters der Schule — vielleicht durch ein entwidelteres Mufter veranlaßt —, wenn in der Hs. B. vgl. BL. da eine einfeitige Auflichtung — man Lönnte Beleuchtung jagen — an den Köpfen bemerkt wird; eine für das ganze Blatt einheitliche Beleuchtung ijt allerdings nicht durchgeführt ; aud) Bl. 4b der Hs. zeigt ftärfere Model- lierung, der Zufammenhang zmwifchen Stirn und Nafenknochen ftarf hervorgehoben.” Das von Hs. B. gefagte gilt auch fiir unfere nicht.
„Wohl finden fich öfter vom dunflen Kontur ganz oder faft ganz umriffene Hände (vgl. vor allem 68. VI.); im großen und ganzen ift die Hebung die: e8 werden die Finger voneinander durch einen Kontur ges fhieden und zwar läuft diefer (nur einfeitige) Kontur bei horizontal vorgeftredter „redender“ Hand an der unteren!) Seite der; der eigent- liche Fingerrüden, ebenfo der obere Außenfaum der Hand wird weiß aufgelichtet (der untere Saum zeigt meift dunklen Kontur; faft immer der Winkel zwifchen Daumen und Zeigefinger ganz mit Kontur umfahren) ; wie im Gejiht dann auch hier BVerftärfung mit Schwarz: Schwarze Punkte (feltener fleine Strichelchen, diefe ftets in Hs. X) unten gwifden den Fingern; in gleicher Weife fehlt aud) an den Füßen vorwiegend am oberen Saum der Kontur.“
Diefe vortreffliche Charafteriftif, die nod durch die Bemerlung ergängt fei, daß die Nägel der Füße und Zehen nirgends marliert find, trifft im vollen Umfange für unfere Hs. zu, während die Kriterien, die Böge von den Hs. XI—XIV gibt, nämlich vor allem ein ftärferes Vordringen der ſchwarzen Kontur, längere Bildung der Figuren, breitere Konturen, aufdringlichere Lichter, tupfige Behandlung der Haare 2c. bemweifen, daß unfere Hs. nicht diefen teilweife jpäteren Werken zuzurechnen ift, oder doch nicht zu einer der Filialfchulen gehört, in denen diefe Werke entjtanden find, die awar durchaus mit den Elementen der Mutterfchule arbeiteten, immerhin aber aus einen gemwiffen Verfall des reinen Stiles erkennen lafjen, daß fie fich
relativ früh von der Hauptfchule abfonderten. Gs hat für ung wenig Wert auf diefe Details, die man bei Böge (©. 163 f.) nachlefen möge, einzugehen, wichtig ift aber die Konftatierung, daß unjere Handfchrift ganz zweifellos mit den Werfen der Hauptfchule die größte Berwandtfchaft zeigt, ohne jedoch in allen Einzelheiten mit ihnen genau übereinzuftimmen. Bevor wir auf die Farbengebung des Nadten noch näher ein- geben, wollen wir die Rriterien der gleich- zeitigen Hauptidulen furg feftftellen. Diefer Vergleich wird vor allem zeigen, daß fid ganz verfchiedene Technifen in der Runft de8 X/XI. Jahrhunderts nachweifen Lafjen, Techniken, die die Zuteilung unferer Hs. aud) auf negativem Wege zur Bögefchule erzwingen. Bugleich rechtfertigt diefer Ber- gleich, der fi natiirlid) auf Einzelheiten erjtreden muß, unfere Befchäftigung mit fchein- bar geringfügigen Details.
Hafeloff, der Herausgeber des berühmten Pjalters der Erzbifchofs Egbert von Trier (977—993) in Cividale?) fchreibt in diefer Beziehung folgendes:
„Die technifche Behandlung der Köpfe und Hände ift der Gewandung entfprechend eine vorwiegend zeichnerifche. Einzelheiten unter= liegen gwar jteten Schwankungen, doch läßt fih das Pringip der Technif mie folgt harakterifieren: Die äußeren Konturen der Hände find braun (ein der Kaftanienfarbe zu= neigender Ton), jeder Finger hat an einer Seite [hwarzen, an der anderen braunen Kontur, die Nägel find meift braun. Der Fleifchton ift weißlich mit hellgrünen, felten rötlichen Schatten. Die Köpfe haben feinen einheitlichen Umtiß, die Tonfur trennt ein brauner Strich vom Nimbus, die Haare find teil® ganz Ihmwarz oder braun umgogen [in unfer Hs. niemal3], teild nur gegen den Nimbus oder die Tonfur abgegrenzt. Die Wangen haben, foweit fie nicht bärtig find, eine fchmwarze Linie gegen den Nimbus. Feit fteht das Schema erft für die Behandlung von Augen, Nafe und Mund. BZunädft die Augen:
1) Das ift gumeift richtig, ba aber, wie aud) Vöge betont, der Winkel zwifchen Daumen und Zeiges finger mit Kontur umfahren wird, fo bat aud) der Oberrand der Hand — ohne den Daumen — fdeinbar
einen Kontur.
?) Sauerland und Hafeloff „Der Pfalter Ergbifdof Egberts von Trier’.
Trier 1901, ©. 78.
Ein unbelannter Eodex der Vögefhen Malerfchule in Augsburg
[hwarz gegeben werden Brauen und Oberlid wie Umriß und Mittelpunft der Pupille (lebtere felbft ift grünlich, nur bei Petrus braun) [in unferer Hs. augsfchließlich fchmwarz], zwiſchen Brauen und Lid wird die Falte durch einen
fol. 90b (alte Zählung fol. 89 b).
braunen und darunter einen roten Strid bezeichnet, denen eine grüne und eine oft fehlende rote, Schattenlage entfpridt. Das Unterlid bilden einige helle braune Striche in einer grünen Schattenpartie. Die Nafe hat
17
78 Dr. Max Kemmerid
nur an der Spike feite braune, feltener ganz oder teilweife fchwarge Zeichnung, den Rüden bezeichnet ein weißer Strich, neben dem einer- feit8 ein grüner, andrerfeits ein roter Schatten liegt mit ebenfolchen Strichelchen darin. Der Mund ift durch zwei rotbraune Striche ange- geben, die Dtundwinkel durch jchruarze, dag Rot der Lippen ift nur teilweife und chwach durch Mennig angedeutet. Die Ohren bedeutet ein roter Fled, in dem eine rote, meift braun nachgezogene Wellenlinie.“
Wir fehen: fo viele Unterfchiede wie technifche Merkmale zwifchen unferer Hand= fchrift und dem Egbertpfalter. E3 fann da= nad) gar feinem Zweifel unterliegen, daß beibean verfdiedenen Orten oder dod mindestens zu verfchiedenen Zeiten ent- ftanden find. Diefe wichtige Erkenntnis möüffen wir fefthalten. Auf einzelnes werden wir {ptiter nod) guriidfommen. Zugleich möge der Lefer die von Hafeloff gegebene Beichreibung der Farbengebung des Nadten mit der weiter unten folgenden vergleichen. Nicht unerwähnt darf bleiben, daß aud) die Hintergründe im Pjalter die allergrifte Berfdhiedenheit von unferer Schule aufmeifen, ebenfo fich aber von der Regensburger nicht unmefentlich unter- ſcheiden.
Swarzenski, dem das Verdienſt gebührt, zuerſt die große in Regensburg gleichzeitig mit unſerer blühenden Schule feſtgelegt zu haben, ſchreibt von einem der früheſten Hauptwerke, dem Regelbuch von Niedermünſter, Cod. Ed. II, 11 der kgl. Bibliothek zu Bamberg folgen— de3'): „Das Inkarnat iſt ein fahler weißer Ton, der dick aufgetragen wird und deſſen leblofe Wirfung nicht einmal durd) das Auf- legen einer roten Farbe auf den Wangen [fommt in unferen Hs. niemals vor!] ge- mildert wird. Die innere Zeichnung des Ge= fichtes ift ausfdlieblid) in fchwarz gehalten und tritt gewöhnlich al8 fefte Linie aus dem Ton des Inlarnats hervor [in unferer Schule niemals]. Cigenartig ift befonders die Beich- nung der Augen. An die gut gefdywungene Linie des Oberlides fekt das Unterlid an, das aber nur am Anfang als Linie, dann aber als eine fchwarze Punktreihe gegeben wird, in ihrer Bewegung in einer dem Oberlid ganz
!) Swarzensti „Die Regensburger Buchmalerei deg X. und XI. Jahrhunderts’.
ent|prechenden Bogenlinie gefchwungen. Die Pupille ift ein großer, fchwarzer Rreispuntt, der unmittelbar am Oberlid hängt [die Augen unterjcheiden dag Regelbuch ganz charakteristisch vom Egbertpfalter und der Vögefchule]. Zwi— fen ifr und der gefennzeichneten Linie des Unterlides liegt aber noch eine zmeite fürzere Zinie, die die Pupille umfchließt und einen etwa parallelen fongentrifden Bogen zu diejer und zum Unterlide bildet. Die Augen wirken auf diefe fomplizierte Weife unheimlich groß. die Nafe ift gewöhnlich durch zmei parallele Striche gegeben [in unferer Schule niemal3], die oben an die Nugenbrauen anfegen und unten von der lebendigeren Linie der Nafen- flügel umgzogen find. Eine Andeutung der vertieften Rinne in der Mitte der Oberlippe ift nicht verfudjt. Der Mund ift in immer gleichmäßiger Weife durch einen geradezu uns bewegten, ziemlich langen, wagerechten Strich gegeben, unter den ein fürzerer, etwa paral= leler gefeßt ift, der an den Seiten furz aufge- bogen, den oberen ducchjchneidet. Häufig find aud) die Mundwinfel durch zwei fleine fenfredjte Strichel an den Enden der oberen Linie markiert. An den Händen find regel- mäßig [in unferer Hs. niemals] die Nägel und das erjte Gelenf ebenfalls in fchwarzer Beichnung eingetragen.
Mit der farbigen Behandlung des Fleifches ift e8 fchlecht beftellt. In trodenfter Weife ift auf den freidigen Grundton des Ynfarnats gwifden der Braue und dem Oberlid, gemiß um eine Vertiefung der Augen zu erreichen, helles Ziegelrot und giftiges Grün, überein ander liegend, eingetragen, Die gleichen Farben aud) auf dem Nafenrüden, — zwijchen den beiden Linien feiner Kontur. Das Grün findet fi) außerdem am Unterlid, das Rot nod) am Munde. Freier ift der Auftrag diefes hellen „feifchfarbenen“ Biegelrot an den Händen; e8 findet fih da in breiterer Linie in der
Richtung der Anöchel, außerdem am Hands
gelenkt, am Anfaß der Handwurzel (beim Ende der Mermel), — jchlieglich noch gelegentlich an der LZängsfeite der Finger, um ihre Rune dung auszudrüden.“ Zu diefen großen Ber- {chiedenbeiten der Technik zwifchen der Vöge- fhule — wir haben nur auf einige der augen=
Reipgig 1901, S. 53.
80 Dr. Mar Kemmerid
Da wir hier ausfdjlieflid) den Bwed haben zu bemeifen, daß unfere Handfchrift zur Vige- fchule gehört, weil ihre Technik mit diefer identifch ift, ferner, um ja jeden Zweifel aus- zufchließen und mit Rüdficht auf die fpäter vorgunehmende Lofalifierung unferer Schule, zeigen wollen, daß fie fchon deshalb zur Vige- ichule gehören muß, weil die anderen gleich- zeitigen Hauptfchulen eine ganz andere, eben- falls ftreng feftgehaltene Technik befolgten, nicht aber eine Gejchichte der Malerei des X./XI. Jahrhunderts fchreiben wollen, fo mögen unfere Angaben im mejentlichen ge- nügen. Immerhin fei auf Smwarzenglis Be- merfungen zu Elm. 14272 auf ©.59 und vor allem auf feine Ausführungen zum wunder: vollen Elm. 4456, Cim. 60, dem Gaframentar Raifer Heinrichs Il. (S. 77 ff.) fowie zum Utaevangeliar Elm. 13601 Cim. 54 (©. 111 ff.) hingewiefen. Wenn fich in diefer Glanzleiftung Regensburgs und — man kann getroft fagen — des Jahrhunderts auch einige recht bedeutende Verfchiedenheiten ergeben von der Technik des Regelbudes, wenn hier befonder8 neben ge: maltiger fünftlerifcher Individualität auch ein außerordentlich ftarfer byzantinifcher Einfluß unverfennbar ift, fo wird damit doch in feiner Weife eine Annäherung an die Ptalweife unferer Schule erzielt. Wir müffen vielmehr feithalten, daß jede Schule auc) für die jchein- bar gleichgiiltigften Details gang beftimmte Wusdrudsmittel hatte und gwar fo charaf: teriftifche, daß — find einmal in der Zukunft alle Kriterien feftgeftellt — jedes Werf mit Beitimmtheit einem KRofter wird zugeteilt werden finnen. 3.8. ift es jegt fchon möglich, nur nad) der Bildung des Mundes oder der Nafe, wie fie in einer Handfchrift regelmäßig wiederfehrt, Ddiefe einem beftimmten Atelier zuzumeifen oder dod) mindeften3, 3. B. in unferm Falle, aus diefen Einzelheiten zu be- meifen, daß der Coder nicht in Regensburg nod im Mtelier oder zur Beit bes CEgbert- pfalter8 gemalt fein fann.
Kehren wir nun zu unferm Soder, bezw. der VBögefchule zurüd, um die Darftellung des Nadten, die wir in kurzen Umriffen in zwei andern Schulen eben kennen lernten, zu charal- terifieren. Vöge fchreibt darüber (S. 171): „Das Gemwöhnliche ift ein rötliches Gelb (orange; bisweilen mehr purpurrofagelb, vgl. Hs. XT),
dazu ebenfoldje Schatten, brauner Kontur; e8 ift nicht etwa nur die Färbung der Laien [dies die Regel in unferer Hs.], aud) die Engel [3. B. fol. tb], Chriftus 2c. erfdeinen fo. Daneben dann eine Reihe von Jtuan- cierungen, Abjchwächungen, Steigerungen (zu= mal in A mannigfache Varianten, der Ton bier wohl gelbgrau, vgl. auch II BI. 35b). Ein ganz fahles Blaßgelb, Schatten und Ron- tur bellpurpurrofa, fih nur in den älteften Hss. findend (B. BI. 4b: Geiftliche und Frauen, Chriftus und die Cfflefia; Hs. Il in M. ging zu Purpurfontur über, vgl. auch die Evans geliften), dann fich wiederfindend in XI. (der Engel am Grabe), die Hs. eine auf die frühen Rodd. zurüdgehende Ableitung! [In unferer Hs. den mittleren Engel fol. 1b, die 3 Frauen fol. 5lb, Ehriftug und Engel fol. 7Ob, den Engel fol. 90b, ebenfo die {don weiter oben erwähnten Fälle, in denen die Kontur nicht braun, fondern ganz bell etwa grünlich- weif ift. Hellpurpurroja findet fic) bei uns nicht, eine weitere Wndeutung dafür, daß die Entftehung de3 Cod. nicht in die Frühzeit der Schule fallt.]
G3 foll mit dem Ton offenbar eine ge- wiffe vornehme BZartheit der Perfon ange- deutet werden; das fahle Blaßgelb findet fich auch mit grauen Schatten [bei unferer Hs. nicht, e8 bejteht dazu eben inhaltlich auch feine Beranlaffung], e8 fcheint das Fable des Schredens damit bezeichnet; wir finden fo in A die Figuren ded Meerjturmes, Maria, bie Shader an dem Krugifirus (vgl. aud T. XXXII u. f.), dann den Demoniafus in M. (doch vgl. die Engel auf den Evangelijten- bildern). Sit in der fpäteften Hs. (X) der rötlicyegelbe Ton ins Feuerrot gefteigert [in unferer Hs. niemal8], fo ift das nur ein Zeichen für die im allgemeinen fchreiender, härter gewordene Färbung diefes Spatlings, die auch 3. B. in den feuerroten Säumen der Bilder an Stelle der purpurnen zum Wuse drud kommt. Doch finden fich feuerrofa Töne vereinzelt fchon in den älteren Hss.. vgl. in A Tafel IX, XI (doch hier mit gelbgrauen, aud ins Grünliche ftreifenden Schatten); einen be= ftimmten Ginn hat e8, wenn fo die Könige von Sonnenaufgang erfcheinen. Apof. XVI. 12, die gleiche Farbe charafterifiert die Lafter Hs. VI. 60a ben Seprofus hier und in Hs. XI.
Tafel 1X
— Dunfelpurpurrofa [id) halte die Farbe für
farmoifin] erjcheint das Qnfarnat des Engels
am Grabe [in unferer Hs. nur bier fol. 51b],
vgl. die Hs. I. 117b; IV. 42b; V. 56b; VI. A.M.3 u4.
fol. 113a (alte Zählung fol. 111a).
69b; X. 20a; XI; XV (mehrfach auch die
Wächter ähnlich [in unferer Hs. nicht]), hier
beruht die Färbung auf dem Text: Erat autem
aspectus ejus sicut fulgur; vergl. Matth. 11
82 Dr. Mar Remmerid
XXVIII. 3, im allgemeinen fcheint e8 das Zeichen eines außergemöhnlichen feelifchen Zu- ftandes: die erregte Figur des Markus zeigt diefen Ton, e8 muß dies Infarnat als etwas feit langem für diefen Typus als folchen Charafteriftifches bezeichnet werden, denn die Figur zeigt dasfelbe aud) im Echternacher Roder. Diefelbe Farbe auch beim Hieronymus und feinen fchreibenden Mönchen in II. 4b. Hier eine noch deutlichere Charatteriftif: die Augen find fchielend verdreht [ähnlich bei der Frau rechts auf fol. 51b], das Gewaltfame der Infpiration fommt zur Erfcheinung; die= felbe Färbung dann bei den vom heiligen Geift pliglich erleuchteten Qiingern der Pfingit- darftellung (vgl. VII. 104b, XI [auf fol. 73b haben die Sünger jchon teilweife verdrehte Augen, fonft aber befteht fein Unterfchied zu anderen Menfchendarftellungen]), ferner bei den Befefjenen in M, dem in Wut geratenen König auf dem Gleichnis der Hochzeit in VII [in unfrer Hs. nicht]. Auch in befonderg feier- lihen Scenen findet fich die Farbe, fo auf dem Titelblatt der Hss. A (Tafel III; doc ift gerade in diefem Koder eine mehr pur= purne Färbung des Nadten häufiger); dann bet Ghriftus und den viri Galilaei auf der Darftellung des Süngften Gerichtes in VII, vgl. BI. 53a, ebenda den Lammanbeter (3. T.); vereinzelt bei dem Engel Hs. IV BI. 69b; alles in allem: ein Mittel primitiver Charaf- teriftil, das noch als folches bewußt zur Ver- wendung fommt. — Eine ganz bejtimmte Be- deutung hat ferner ein fehmußiges rötliches (purpurn) Grau (oft rötlich-braun), dazu dann ebenfolde Schatten, die Auflichtung in den= felben Tönen, wenig heller (niemals weiß). Diefe muddige Färbung bezeichnet den niedrig- ftehenden Mann!). E38 erfcheinen fo die Hirten auf der Darftellung der Geburt Ehrifti [fol. 1b; jedoch halte ich diefe Lichte rotbraune Färbung, die fich ganz bedeutend von der weit dunfleren der Wiirfler 2c. unterjcheidet, für eine An deutung der bräunenden Wirkung des vielen Aufenthaltes im Freien, bei jenen jedoch ge= mäß der allgemeinen Uebung der primitiven
Kunft, innere Eigenfchaften durch äußere Merf- male angubdeuten, für einen Hinweis auf die Verworfenheit der Betreffenden], der Blinde M 119a; vgl. aud) 155b, 163a; oft Knedhte: in A und M die Wiirfler unter dem Kreu;, die Tortores in A, regelmäßig der Stephaton: A, M, I, VII; die noch außerhalb der firch- lichen Gemeinfchaft Stehenden: B 4b; dann die Vertreter des Böfen felbjt: der Teufel (auch die Hölle felbft, vgl. A Tafel XXIV), vgl. A Taf. VII; M 32b; I 202a; V 57a; VI Bla 2.; aud der reihe Mann in der Hölle (vereinzelt berührt fich der Ton mit dem vorigen); auffallend, daß in diefem dunflen Snkarnat in A, vgl. Taf. XXV., Ehriftug und der Zachäus erfcheint; in A gehen offenbar die Töne mannigfach durcheinander. Wird das Niedrige und Sündhafte durch diefe Schmußigen Töne bedeutet, fo find blafje Schattierungen — wir wiefen fdon darauf bin — Zeichen des Sündlofen, Reinen, Seligen, VBornehmen. Dahin gehört die Zufammenftellung; blaß- gelber Ton, Schatten leicht griinlid); Kontur braun. Oft erfcheint Chriftus fo, vgl. M 29a, 34b, 60b, 116b; V 57a, 76b; dann die Be- mwohner de8 Paradiefes (Abraham, die Seele des Lazarus, die Engel) vgl. A Taf. XXIV, vgl. die Anbetung des Lammes in Vi; dann diefelbe Darftellung in V. 83b; ebenda 84: die Seligen; vielleicht nicht ohne einem be= ftimmten Sinn der Evangelift Johannes, der in den Berjen feit Augustin als der Geiftigite der Evangelijten gefeiert wird (vgl. Hs. I, II, dann die Apofalypfe); fehr häufig die Engel [in unfrer Hs. uur die beiden Engel fol. 7Ob unten]: M 28a; I. 202a; III. 16b; IV. 1b; 79b; V.36b, 57a, 76b f.; VI. 6b, 8a, 14a, 43b, Bla; VII. 1b; X. 7a; dann auch das Matthäusfymbol; V. 84a; die Maria M 28a; IV. 11b; V. 36b, 37a, 76b f.; die Frauen am Grabe: V.56b; X. 20a..... Statt des braunen Kontur nun auc) entjprechend dem grünen Schatten ein grüner Umriß; der Grund bleibt der Hellgelbe. Wir finden dies In— farnat bei denfelben Perfonen: bei Chriftus [fol. 7Ob], A Xafel VI; B 31b; I. 2a,
ı) Mir Scheint Vöge in diefem vereingelten Falle nicht fcharf unterfhieden zu Haben. Die „mubbige Färbung“ (fol. 35b, der net rechts vom Kreuz und die Würfler) gilt für häßlic) und wird deshalb dem Sünder gegeben. Die fonnengebräunte bezeichnet den niedern Mann, der fi) naturgemäß mehr im Freien aufhält als der Gelehrte und Frauen. Eine Analogie bietet die altägyptifche Hebung Frauen gelb, Männer rot=
braun gu färben.
Gin unbefannter Eodez der Vögefhen Malerfhule in Augsburg
83
131b, 161b, 162a; IT. 20b; IV. 59a; VI. 3a, 10b, 28b, 47b, 57a, 68b (Krugifiz); XII. oft bei den Engeln [fol. 1b der mittlere Engel, fol. 70b, 90b]: A af. VII, XX; Hs. 1 Ya,
fol. 124a (alte Zählung 122a).
131b, 161b; IV. 59a, 6la; VI. 9a, 10b, 21b, 24b, 28b, 37a, 41b, 45af., 58a, 55a, 57a, 61b, Tla; XII. (vgl. Verkündigung an die Hirten, Himmel fahrt); bet Maria: A Laf.XX, 11*
84 Dr. Mar Kemmerid
I. 161b, IV. 79b; dann XII; dann wieder bei den Frauen am Grabe [fol. 51 b]: I. 116b (ebenda 162a Maria und Martha); IV. 42b; VI. 69a; dann XI; im allgemeinen die Frauen: I. 202a; vgl. BBa...... Endlich .. noch) eine legte Manier: Der Grund ift hell- grün, Schatten und Kontur ebenfo. E38 ift die Farbe der Toten. So find dargeftellt, die aus den Gräbern Auferftandenen a. d. Dar ftelung des SJüngften Gerichtes, vgl. I. 201b, VI. 53a; die Leiche des Lazarus, M 231b, die Tochter de8 Qairus, XI. 34b. Qn der Wpofalypfe VI. Bl. 27b erfcheinen die Pro- pheten in diefer Farbung, dann in M Chriftus, Mofes und Elias in der Darftellung der Ver- Härung, die entfpredjende Scene in A zeigt die Färbung nicht.“
Daß wir e8 in unjerer Hs. mit einem Werf der Bögefchule zu tun haben, dürfte nach diefer verbliiffenden Uebereinftimmung wohl umfo weniger zweifelhaft fein, als die Unterfchiede gegenüber den vorerwähnten Schulen: des Egbertpfalters, der Regensburger und der Echternacher (man denfe an die andere Endung der Nafel Bgl. aud) Boge) gang handgreiflich find. Gerade aus den Feinheiten des Infarnates gewinnen wir aber auch eine relative Beftimmung der Beit, in welder unfer Kodeg entitand.
Wie Vöge nachgemwiefen hat, find die ver« fchiedenen Arten der Färbung des Nadten im mefentlichen jchon den Quellen eigentümlich, aus denen unfere Schule fchöpft. Yweifellos haben die verfchiedenen Arten der Färbung einen ganz beftimmten Ginn. Daraus geht hervor, daß diejenigen Handfchriften, in denen diefer urfprüngliche Sinn am reinften gewahrt ift, auch die älteften bezw. urfprünglichiten find, d. 5. an einem Orte entftanden, wo die gute Tradition fortledte. Nun ift, wie wir fahen, unfere Hs. in diefer Hinficht durchaus forreft, während in anderen Miniaturen der Schule der Sinn des Gnfarnates nicht jtets ge- wahrt bleibt. Daraus gewinnen wir einen weiteren Hinweis dafür, daß fie zu denjenigen Werken gehört, die gemalt wurden, al8 die Tradition noch rein gewahrt war, d. h. zur Blütezeit oder aber — wir haben die Wahl zwifchen beiden Möglichkeiten — in einer der widtigften Malfdulen. Diefe Er- fenntnis ijt wichtig. Wo eine nad) Jahres-
zahlen genaue Datierung nicht möglich ift, find folche Züge, jo nebenfächlich fie auf den ersten Blid erfcheinen, doc) von großer Bez deutung; zugleich gewinnen wir durd) fie eine relativ fichere Firierung des Entjtehungsortes. Wenigftens wiffen wir, daß die Hs. — im Gegenjaß zu den von Vige mit höheren Num= mern bezeichneten und auf fünf Filialjchulen verteilten Werfen (man vergleiche S. 177f.) — im Hauptfiß, wo fi) naturgemäß die ur: [prüngliche Bedeutung der Farbengebung am reinften enthielt, oder doch an einem Orte, der mit diefem in innigem Rontaft war, ent- ftand. €8 fei zugegeben, daß diefer Beweis nicht da8 Bwingende der mathematischen Schlupfolgerung befigt, wohl aber hat er hohe Wahrfcheinlichkeit für fih. Und mehr wird billigerweife niemand von aus ftiliftifchen Merkmalen gezogenen Folgerungen bean fprudjen finnen.
Wir wollen nicht auf andere ftiliftifche Gigentiimlichfeiten der Schule und des Kodex eingehen. Vöge bat darüber fo fcharffinnig und vorbildlich gemiljenhaft gehandelt, daß auf fein grundlegende Werf auch diesbezüglich neuerdings vermwiefen fei, nachdem unfer Bmed, den Kodex als ein Produkt der Vöge- fchule nachgewiefen gu haben, erreicht ijt; wir werden nun verfuden, aus ifonographifden Momenten denfelben Beweis anzutreten.
Sn Kürze fei nur noch auf die Initialen verwiefen, da aud) diefe für unfere Schule befonders charafteriftijd find, infofern fie als große goldene, mit blau und grün gefüllte, mit breiter Bordüre umgebene Buchftaben auf purpurnem Hintergrund die ganze Seite füllend auftreten (fol. 2a, lla, [hier Hintergrund dunfellila], 36a, 52a, 74a, 87a 103a). Das feltene, nur in A und B die Regel bildende Verfahren, den Qnitial unter eine Saulenarfade zu ftellen, findet in unferer Handjchrift auf fol. Ila und 5la ihr Analogon, außerdem nur in Hs. IV. fol. 12a, 43a. m übrigen fei auf Böge ©. 343 verwiesen.
III. Jkonographiſche Charakteriſtik.
Nachdem wir in Kürze und unter weſent— licher Beſchränkung auf die in unſerer Schule übliche Menſchendarſtellung den Nachweis er— brachten, daß der Augsburger Codex zur Vöge—
Gin unbefannter Coder der Vigefden Mtalerfdhule in Augsburg
fchule gehört, wollen wir nun verfuchen da8- felbe auch durd) Vergleichung der hier dar— geftellten Gegenftinde mit der Behandlung in anderen Werfen unferer Schule zu be=
fol. 155a (alte Zählung 152a).
meifen. Diefe Arbeit ift ebenfalls im mefent-
lihen nur ein Erzerpt aus dem Bigefdjen Werke.
Von dem bei Bige (S. 192f.) in Tabellen-
86 Dr. Max Kemmerid
form bearbeiteten 35 Gegenftände!) umfalfen- den biblifchen Zyflus befinden fich in unferer Handichrift 18; bemerkenswert ift, daß feine Szene in ihr enthalten ift, die nicht in anderen Werken ihr Analogon hätte. Ferner, daß die in der Vögefchule mit Ausnahme von A. und M. die auch bei Bige ausgefdieden find, übliche Aufeinanderfolge der Darftellungen in unferem Kodex genau eingehalten wird. Dies wird folgende Durchvergleichung ergeben, bei der die Handichrift A. und M., ebenfo B., das feinen biblifdjen Zyflus enthält nicht berüds fichtigt find.
Die Geburt EChrifti und Verlindig- ung an die Hirten ift — von der nur einmal (in XIV. fol. 1) vorkommenden Ber- fündigung an Maria abgefehen — da8 erite Bild faft in allen H88. und findet fich noch in: I fol. 8b und 9a; IV. fol. 1b; V. 36b und 87a; VII. 1b; 7b; X. Ta; XI. 21a; XII. 65a ; XV.19a anerfter Stelle. Nurin XIV. tritt wie gejagt, die Verkündigung an Maria an die Stelle unferes Bildes, während in VI. das jüngfte Gericht (53b) in VII. 21a) die Kreuzigung und in XII. die Kreuzabnahme und die Frauen am Grabe vorangehen.
Da die nun folgenden Szenen: Anbetung der Könige, Darftellung im Tempel, Taufe, Heilung des Ausfäßigen, der Blutflüffige Tochter des Jairus, die zwei Blinden von Jez ticho, Einzug in Jerufalem, Abendmahl, Fuß⸗ wafdung, Gefangennahme, Petri Berleugnung und Chriftus vor dem Hohen Priefter in unferem Kodeg nicht vertreten find, folgt nun die Kreugigung, KRreuzabnahme und Grablegung außer hier nocd in I. 107b und 108a*), VI. 68a, VII. 82b und XII. als 2. Bild, während fie in VIII. al8 ein- ziger Ausnahme der Geburt, Anbetung und Darftellung im Tempel vorangebt.
Die Frauen am@rabe find in unferer Schule und im Augsburger Koder die nadjfte Darjtellung. Wn derfelben dritten Stelle findet fie fic) noch in I. 116b und 117a, IV. 42b, V. 56 b, VI. 69b, VIII. 73b, X. 20a, X1. 103b XI. als 3. Bild, XIII. 82b, XIV. an 7. Stelle
und XV. 39b, mithin ift die Reihenfolge be- züglich diefer Szene überall die gleiche.
Während Chriftus in der Vorhölle fehlt, ift unfere 4. ein ganzes Blatt füllende Szene, die Himmelfahrt in der gleichen Reihen- folge enthalten in I. 181b, IV. 59a, VI. 71b VII. 89b, XI. 104b, XIV. an 9. Stelle und XV.44b. Nur in XIL, einer, wie wir fdon bei Betrachtung des Technik fahen, nach der Blütezeit entftandenen Handichrift, folgen hier die Anbetung der Könige und dann erft die Himmelfahrt.
Unfere 5. Miniatur, das Pfing ftfeft befindet fic) in allen Handjchriften unmittel- bar nad) der Himmelfahrt, in VII. 104b und X. 32a, wo diefe fehlt, in der richtigen Reihen folge.
DieDarftellung des zu den Jüngern redenden Heilandes fehlt in unferem Kodex; An 6. Stelle folgt Zacharias und der Engel. Diefe in den verglichenen Kodices fi nur nod dreimal findende Szene folgt in derfelben Ord« nung in I. 149b, IV. 66b und VII. 118b.
Mit Auslaffung einer auf die Geburt des Sohannes bezüglichen Szene und des Gleich- niffes vom Samariter folgt al3 7. Miniatur, Petrus im Gefängnis, ein Vorgang, der nur noch in IV. 69b dargeftellt ift. Da feine QHandfdrift der Schule diefe Szene enthält, fo fann die von DVöge aufgeftellte Reihen- folge nicht bindend fein, vielmehr mwifjen wir jebt, daß diejer Gegenstand nicht, wie bei Böge, die Nummer 29, fondern vielmehr die Nummer 26 tragen muß.
Hierauf folgt der Tod Johannes des Täufers bzw. der Tanz der Salome, hierauf Ehriftus und der Jüngling von Naim, welche bei den Szenen in Böges Tabelle nicht vertreten find, da fie nur in A. und M. und bier an anderer Stelle vorfommen. Den 10. Pla nimmt das Gleihnis von der Hochzeit ein, das fih noch in VII. 154b findet. Die leßte erhaltene Darftellung endlich ift Zahäug, ein Vorgang der an gleicher Stelle in I. 200a und VI. 184b wiederfehrt.
In der außerordentlichen Hebereinftimmung
1) Eine andere Zählung wäre au möglich. Im ganzen bietet die Schule nad) dem bei Vöge (Vergl. 387 ff.) gegebenen Verzeichnis 68 fcenifhe Darftellungen aus dem neuen Teftament. eiffel, „Die Bilder der Sandfhrift bes Kaifers Otto im Münfter zu Aachen“ Hat eine volljtändige Zufammenitellung der damals ber
banbelten Gegenftände ©. 52 ff.
2) Kreuzgabnahme und Grablegung auf einem befonderen Blatt.
Gin unbelannter Codex der Vögefden Malerfchule in Augsburg 87
in der Reihenfolge von unferem Koder mit den bei Vöge verglichenen,*) haben wir einen meiteren Hinmweis der Zugehörigkeit unferer Sandfchrift zu feiner Schule gegeben. Zugleich fönnen wir mit einer großen Wahrjcheinlich- feit auf die in Verluft geratenen Darftellungen fchließen. Da in der Schule nun noch die Dar- ftellung des Qammes, ein himmlifches Huldig- ungsbild und das Siingfte Gericht folgen, jo ift e8 unmahrfcheinlich, daß in unferer Hand- fhrift mehr Darftellungen enthalten waren. Underersfeits lakt fih aus der Zahl der fehlenden Lagen folgen, daß etwa drei Darjtellungen, mwahr- fcheinlich die genannten verloren gingen. Damit repräfentiert fich der Augsburger Koder nicht nur als einer der fchönften, fondern aud) al8 einer der reidften der ganzen Schule.
Wie BVige in einwandfreier Weifenachgemiefen hat, verarbeiten unfere Handfchriften ein und den- felben Motivenfchaß, der auf die Antike bzw. Byzanz zurüdgeht.
Die Uebereinftimmung in zahl= Tofen Einzelheiten neben manchen Verfdiedenheiten führt er durch» aus richtig auf Malbücher zurüd, die fopiert wurden — man muß fih vorftellen, daß jedes Atelier folche Vorlagen befaß, die e8 nie= mals fortgab, fondern ftets feinen Produktionen zugrunde legte — während er eine direkte Abhängigkeit der ein- zelnen Kodices alfo Kopien der fertigen Werke, ablehnt. €8 beftand alfo den Malereien gegen- über ein anderes Verfahren als gegenüber dem Zert, der von einem Urfoder fo und fo oft abgefchrieben wurde, fo daß die direkte Ab- hängigfeit der einzelnen Werke von einander einen Stammbaum der textlichen Ueberliefe- rung aufzuftellen erlaubt.
Da die von Bige verglichenen Szenen- darftellungen an Hand der von ihm gegebenen
Abbildungen die ifonographifche Einheit feiner Schule zur Evidenz bemeifen und ein Vergleich ber forrefpondierenden Darftellungen unferer Handfdjrift mit den bei ihm reprodugierten Bildern fofort aud) die Zugehörigkeit diefer zum Motivenfchaß feiner Schule ermeift, wollen wir uns jeßt auf eine furze Würdigung der bei ihm nicht abgebildeten Miniaturen be= ſchränken.
Halten wir die Darſtellung der Hochzeit in VII. 154b neben die gleiche Darftellung in unferer Qandfdjrift, dann fpringt die völlige
fol .154b Gleihnis von der Hocdzeit.
Uebereinftimmung beider fofort in die Augen. Diefelbe erjtredt fich jogar auf die Details der Yarbengebung, die fo identifch ift, daß man beide Werke derfelben Künftlerhand zufchreiben möchte, wenn nicht andere Momente, 3. B. dad tiefere Violett (Purpur), das in anderen Minia= turen von VII. gur Verwendung fommt, diefe Annahme abzulehnen zwingen würden. Aus der fait volllommenen Sdentität beider Male- reien läßt fich jedenfalls folgern, daß die ge= meinfame Vorlage farbig war.*)
ı) Wenn wir die in unfrer Hs. fi nicht findenden Scenen unberitdfidtigt laffen, dann ift die Reihen- folge in M. nadftehende: 1. Geburt und Verkündigung (28a); 2. Tod Johannes bes Täufers (1078); 3. Auf- erwedung bes Jünglings von Naim (155b); 4. Kreugigung, Kreugabnabme und Grablegung (248b). Die Reihen- folge in A. ift folgende: 1. Tod Johannes des Täufer (Blatt III); 2. Geburt und Verkündigung (Blutt XII);
3. Kreugigung (Blatt XVI).
) Gerade diefe Scene tft, wie ein Bid auf bie Abbildung bei Vöge (S.49) lehrt, auch im M. 107a fait ibentifh und zwar auch bezüglich ber Garbengebung, da nur Tifhtudh, Sopha, Mantel des Königs und andere
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Cod. lat. 23338
Diefelbe nahe Verwandt{dhaft ergibt eine Bufammenftellung der Bachiusfzene in VIT. 184b mit der unferen. Auch die nahe Ver- wandtjchaft der Zachariasfzene in VII. 118 mit der gleichen in unferem Werfe läßt über die Provenienz beider Werke aus dem- felben Atelier feinen Zweifel auffommen. Allerdings warnt VBöge mit Recht vor 3u- weitgehenden Sclüffen auf gemeinfame Entftehung am felben Orte — wir werden fpäter auf diefe Frage zurüdfommen — und will nur ein Schöpfen aus gemein= famer Quelle gelten laffen. Bemweifen läßt fic) auch wohl faum mehr, immerhin ift e3 aber wahrjcheinlich, daß Handfchriften, die neben denfelben — allen Werfen der Schule gemeinfamen — Motiven und der- felben Technik auch genau diefelbe Farben- ffala haben, zumal wenn die anderen den= felben Gegenstand behandelten Szenen nicht
Kleinigkeiten differieren. Wud) ber Tang der Salome in A. zeigt eine nidt geringe Ueberein= ftimmung mit ber genannten Darftellung (Wb- bildung Vöge ©. 48). — Unfere Abbildungen find auf etwa */s bezw. die Hälfte verkleinert.
differieren, dDemfelben Orte entfprangen, des- halb trägt auch Bige fein Bedenfen, die Hss. L.—X., A. M. und den Bamberger Rodex A. 1.47 demfelben Orte zuzumeifen (S. 145); Heinere Differenzen Laffen fic zwangslos als individuelle Variationen des ausführenden Künftlers deuten.
Die Zachariasfzene von VII. führt ung zur felben in I. 149b (obere Hälfte) hin= über und beweist die Zugehörigfeit aud diefes Werkes zur felben Schule wie der Augsburger Koder. Wenn wir von der Architektur abfehen, find beide Miniaturen völlig identifch auch in den Farben, nur dak das Gewand des Engels in I. hellgriin it im Gegenfa zum gelben mit grünen Schatten in unferem oder. Ferner fehlt der grüne Fled auf dem Altar und die Ger fäße find hier nicht hellblau, fondern golden. Neben mancher Berfchiedenheit in der tom= pofition — bei ganz gleichem Motivenfchag in den gemeinfamen Szenen — harmo- nieren mit unferem oder in I. nod) die Gruppe der — ifolierten — drei Frauen (116b), desgleichen der Engel (117a),
Badarias. fol. 118b,
Gin unbefannter Coder der Vigefden Malerfdule in Wugsburg 89
rr ae ee. Bei diefer außerordent- ‘ sit oer reas ties ‚ lichen Aehnlichkeit oder viel- ' mehr Gleichheit aller Hand- Schriften der Vögefchule Hin- | fichtlid) der Motive, muk man fich vielleicht über die vereinzelt differierenden Far= ben wundern. Ihre Ueber- einftimmung erklärt fic | grvanglo8 aus einem genauen Ropieren der Malervorlagen, ebenfo die Hebereinftimmung in der Zeichnung, die ent- weder direft durchgepauft wurde oder von den Rüd- feiten ber durchgezeichnet wurde, fo daß fie dann im 8 Gegenſinn erſcheint. Die Cod. lat. 4452 Gim. 57 Zadarias. for. 1495. Differenzen in der Farben-
ferner die Himmelfahrt (131b) und Zachäus (200). In Ießterer Darftellung fehlen nur die Stadt und einige Begleiter Ehrifti. Smmer- hin ift die UWebereinftimmung nicht fo groß, daß fie uns über den Schulzufammenhang hinaus zur Annahme der Entftehung am felben Orte oder gar von denfelben Händen zwingen würde. Auch Szenen, die in vielen Einzelheiten oder in der Kompofition diffe- tieren, wie 3. B. die Sreuzigung in I. 107b, Kreugtragung und Grablegung 108a dofumen- tieren fich ganz zweifellos als Verarbeitungen desfelben Motivenfdakes. Die Differengen find — von anderer Farbung in Cingelheiten ab- gejehen — im mefentlichen entjtanden durch Berteilung oder Zufammenziehung, durch Durch- zeichnung und dadurch umgelehrte Stellung der Figuren oder durch Vereinigung zweier verjchiedener Vorlagen. Wie fflavifd) man fic) aber an den mofailartig zufammengefeten Motivenfchaß hielt, Iehren nicht nur diefelben ftet3 wiederkehrenden Gefichtstypen, fondern aud) Cingelnbeiten wie 3. B. Sonne und Mond in I. 108a, die mit den auf der Geburtsfzene unferer Handjchrift verwandten völlig identifch Die Frauen am Grabe.
find. Die Grablegung ift im Gegenfinn gehalten.") God. lat. 4452 Gim 57. fol. 116b.
is
1) Dak das Mittelalter tedjnifd imftande war — ohne Pauspapier gu befigen —, eine Mtiniatur burdhaugeidnen, geht aus den Unterfuhungen von Henry Martin hervor. Bgl. Les miniaturistes a l’ex- position des „Primitifs Frangais.“ im Bulletin du Bibliophile 1905 72. Jahrgang ©. 377 ff., wo die früh mittelalterlide Technik eingehend unterfudt ift. Ferner Jaro Springer: „Gegenfeitige Kopien und Miniaturen“ in der Zeitfchrift für Bücherfreunde X. Jahrg. (1906/07) ©. 426 f.
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gebung, 3. B. dunfleres oder helleres Blau oder Purpur dürften fic) von Vorlagen herleiten laffen, die nur gezeichnet waren, die Farben aber in Worten angaben. Für diefe Bindung des Malers bietet das Mittelalter zahllofe Beifpiele.
Fallen wir unfere Refultate zufammen, dann fönnen wir jagen: Nach den Frites rien der Technik, der Reihenfolge der Darjtellung, der Zeichnung bezw. Kom= pofition und des Motivenfchaßes, fowie endlihder Färbung unterliegtes nicht demallergeringiten Zweifel, daß wirim Augsburger Kodex ein Werf der Vöge- {dhule und gwar eines der foftbarften aus der Blütezeit vor uns haben.
Damit trifft alles, was Bige fiir feine Schule feitgeftelt Hat, mutatis mutandis aud) auf unferen Roder zu, jo dag wir diefen Teil mit einem neuen Hinweis auf fein vor- bildliches Werk fchließen fünnen.
IV. Teil. Verfud einer jeitliden und örtlihden Fixierung des Augsburger Kodex und eines Teils der Vögefchule.
Bige gelang e3, wie wir gefehen haben, feine Schule nach ifonographifden und ftilifti- Ihen Merkmalen, al3 eine im mejentlichen gefdlofjene Gruppe zu fixieren. Wenn fie nun auch al3 Ginheit der Regensburger, der von Fulda, und der von Köln gegenüberfteht, und fich von der jüngeren in falifcher Zeit blüh— enden Echternacher Schule wefentlid) unter- fceidet'), fo find doch in ihr, wie er and) durchaus richtig erfannte, auch nicht unbedeu- tende Differenzierungen wahrzunehmen. Sie allein auf die Jndividualitäten der verfchiedenen in ihr wirkenden Stünftler zurüdzuführen, fcheint nicht angängig, mag aud) diefem Moment vielleicht eine größere Bedeutung zuzuschreiben fein, al8 man zumeift anzunehmen geneigt ift. Denn wie Beiffel?) richtig bervorhebt, Fann mit Nüdficht auf die Entwidlung eines Künft-
1) Vgl. Vöge 379 ff. und Hafeloff ©. 147 ff
ler3 ein Urteil nie vorfichtig genug ausfallen. Troßdem haben mir zur Erklärung der Ber- Ichiedenheiten neben Anlehnung an andere — wohl vorwiegend fpatantif — frühchriftliche und, im Gegenfak zu Regensburg, erft in zweiter Linie an buzantinifche bzw. griechische Vorbilder, die Entjtehung zu anderer Zeit und an anderem Ort in Rechnung zu ziehen. Leider find nur fehr wenige Werke der
Schule nach beiden Richtungen hin annähernd
genau fixierbar. Qn erfter Linie ift hier der Stoder Egberti?) zu nennen, der einzige, von dem c8 zweifellos feititeht, daß er für Erz— bifchof Egbert von Trier (977—93) auf der Reichenau als eines der fritheften Werke ge- malt wurde. Diefe berühmte, wohl bald nach 980 verfertigte Handfchrift unterfcheidet fich aber fehr wefentlid) von den anderen Werfen der Schule, fo dak Vöge daraus folgert, dak die Hauptgruppe, nämlich) A. M. und I.—X. nicht auf der Reichenau entftanden fein fdnnen. (S. 82f.)
Nun Hat Hafelofft) es mwahrjcheinlich ge- macht, daß der berühmte Pjalter Egbert, der Kodex Gertrudianus in Cividale, fiir Egbert auf der Reichenau oder doch wenigftens in Alemanz nien gemalt wurde. Da nun diefes Werk nicht nur vom oder Egberti, fondern auch von allen anderen Werfen der VBögefchule fich ganz aufßer- ordentlich ftark unterfcheidet, fo geht daraus her= vor, daß fajt gleichzeitig wenn auch nicht gerade im felben Atelier fo dod) wenigftens in derfelben Gegend recht verfdiedene Produfte gefchaffen wurden.) Da nur ein fleiner Teil der liber- reichen Handfchriftenproduftion duch Zufall erhalten blieb, fo fehlen auch zumeijt die Binde- glieder, und unfer Urteil fann nur Wahre Icheinlichkeit, niemals Gewißheit beanfpruchen. Snfolgedeffen werden wir VWöge nicht zuftimmen fünnen, wenn er die trennenden Momente zwilchen dem Koder und den anderen Werfen feiner Schule fo in den Vordergrund ftellt, daß er mit Bejtimmtheit erklären zu können glaubt,
’) „Geihichte der Evangelienbüder in der 1. Hälfte des Mittelalter“, Ergänzungsheft 92 und 98 zu
den Stimmen aus Maria Baad S. 225.
5) 5. £. Kraus: „Die Miniaturen des Kodez Egberti.” Freiburg i. B. 1884.
*) Sauerland und Hafeloff: „Der Pjalter Erzbifhof Egberts von Trier.“ Trier 1901 ©. 162 ff.
°) Der Beweis für die Entitehung des Egbertpfalter auf der Reidenau fheint mir nicht zwingend erbracht zu ſein; auch Beiſſel hegt Zweifel. Hingegen dürfte Haſeloffs Zuteilung nach Alamannien unan—
fechtbar ſein.
Gin unbefannter Codex der Vögefhen Malerfchule in Augsburg 91
der Kodex fet an einem anderen Orte als A. und M. und I.—X. entftanden, alfo der Reiz chenau abfpricht. Daß feine Beobachtungen von den innerhalb der Gemeinjamfeiten der Schule bejtehenden Unterfchieden von uns gebilligt nur nicht fo ftark betont werden, lehren unfere weiteren Ausführungen.
Durch ftiliftijche Uebereinftimmung hat Vöge feitgejtellt, dak auch das Berliner Epistolar (Rod. Ms. theol. lat. fol. 54) zu den zu Ege bert3 Zeiten auf der Reichenau entjtandenen Werfen gehört. Bemerkenswert ift, daß die Malereien (Baulus als Titelbild, Einzug Ehrifti in Serufalem fol. 15b, die Frauen am Grabe fol. 17b, Chrifti Himmelfahrt fol. 25a und Pfingitfeit fol. 26b) in der in feiner Schule üblichen Neihenfolge auftreten.‘) Hafeloff hat im Evangeliftar von Bouffay der Parifer Nationalbibliothek (Ms. lat. 10514) einen nahen Verwandten des gbertpjalter® und damit ein weiteres vielleicht auf der Reichenau oder doc) wenigftens in Wlemannien entftan- denes vielleiht von Nuodprecht, dem Maler des Cgbertpfalters, gejchaffenes Werk fejt- {tellen fönnen.*)
Bom berühmten Evangeliar Ottos in Machen (A) wilfen wir nur, daß e8 eines der älteften oder das ältejte Werk der engeren Vögefchule it, deSgleichen der engverwandte Bamberger Rodex A. 1.47, fowie der von Böge überfehene dortige Koder A. 1.43%) diefe drei Handjchriften find, mo nicht überhaupt Werke desfelben Künftlers, fo doch ficher am felben Orte ent- ftanden. Wir müfjen größtes Gewicht auf Datierung und drtlide Feftlegung diefer Kodizes legen, haben dafür aber feinen weiteren An= halt8punft alS das Borträt Kaijer Ottos. Deshalb gilt es fejtzuftellen, welcher Herrfcher feines Namens hier gemeint ift.
Wie ic) nachgewiefen zu haben glaubet)
ift e8 ein Qugendbild Otto IIL. und unmittels bar nad) feiner 996 vollzogenen Kaiferfrönung entftanden. Dagegen wendet Stephan Beiffel, einer der hervorragendjten Renner der Runft des X. Jahrhunderts, in einem Briefe an mich ein, daß in den wenigen Jahren von 996 bis auf Heinrich IL, alfo 1002 bzw. 1024 faum die Kunft eine fo große Wenderung, wie fie tatfächlich vorliegt, erfahren haben fünne. Nun hat allerdings fdon Boge mit Recht be= tont, daß Treibhauspflanzen — und zu folchen gehört ganz zweifellos diefe ganze Kunft um die Wende des Jahrtauſends — auferordent- lich fchnell er- — und verblühen. Auch aus Hafeloffs Unterfuchungen (S. 103) ge&t hervor, dak eine fehr fchnelle Entwidlung wahrjchein- lich ift, immerhin vermag ich troß der großen Uebereinftimmung de Nachener Porträts Otto III. mit den zahlreichen anderen von ihm erhaltenen nicht mit apodiftifcher Sicherheit feftzuftellen, daß diefes Jugendoild nur Otto III. und feinen anderen darftellen finne. Troß aller anerfennenswerten Borträtfähigfeit diefer Beit ift ficher, daß niemals eine Perfon in allen ihren Merfmalen wiedergegeben wurde, fondern daß es vielmehr nur gelang, eine be= Ihränfte Neihe von Porträtzügen im Bilde feftzuhalten. Noch heute fehen fich oft Jugend= bilder von verfchiedenen Perjonen zum Ver— mwechjeln ähnlich, deögleichen differieren Por- träts derjelben Berfon aus verfchiedenen Lebens- altern oft ftart voneinander. Berüdfichtigen wir nun neben der relativ primitiven Kunft noch die ficher vorhandene Familienähnlichkeit, dann werden wir die Möglichkeit nicht von der Hand weifen können, daß der Aachener Koder Otto II. in feiner Jugend darftellt, während wir mit Beftimmtheit wiffen, daß Dtto I, an den Beiffel in erfter Linie denkt, nicht gemeint fein fann.’) Otto I.
1) Bgl. ,Gin Verwandter des Soder Egbert“, Repertorium für Kunftwiffenfdaft XIX. Bd. (1896) ©. 105 f. und Hafeloff „Egbertpfalter* ©. 68 f. Eine nahezu vollftändige Zuſammenſtellung der Bigefdule bietet Beifjel: Das ,Evangelienbud Heinrichs III. aus dem Dom zu Goslar“ in der Biblivthef zu Upfala.
Düffeldorf 1898.
2) Vgl. Egbertpfalter ©. 81 ff. und über die weiteren Werle ©. 162 f. 8) Bgl. den Bamberger Katalog von Fr. Leitfhuh 1. Bd. BibelHandfdrift Mr. 76. — Zu cod. A. I. 47
vgl. Vöge ©. 99 ff.
+) „Wie jah Kaifer Otto III. aus“ in „Die Kriftlihe Kunft“. Münden 1907. Qunibeft.
5) Möglid), wenn aud) äußerft unwabhrideinlid ift au, daß hier gar fein Porträt, fondern nur ein Idealbildnis vorliegt bezw. ein Porträt, das nad) Hörenfagen angefertigt wurde. Man vergleiche darüber meine Ausführungen in „Die frühmittelalterliche Porträtmalerei in Deutfhland* (München 1907 bei G. D. W. Calmwey) E&. 110 und 127 f. Eher fann das Bild 972 entftanden fein, als Otto II, damals 17jährig, die
12*
92 Dr. Max Kemmerid)
war nämlic) in feinem Krönungsjahre 962 vierzigjährig und trug wie wir wifjen langen üppigen Vollbart, Otto II. hingegen zählte im Jahre feiner Krönung 967 erft 12 Jahre. Dak das Bild einen Süngling darjtellt, ift Elar, fomit erhalten wir al3 "Terminus post quem entweder — wie ich glaube — 996 oder, nehmen wir mit Beiffel, dejjen hervor: ragender Kennerfchaft ich nicht gerne opponieren möchte, an, daß die Handjchrift älter fein muß, das Jahr 967, oder, da die Thronbefteigung vielleicht das Bild veranlaßte 973. Doch in diefe Frage fich hier zu vertiefen hat für ung wenig Wert. Sicher ift, daß die Schule im legten Drittel des X. Jahrhunderts ihren Sik in Wlemannien, befonders in Reichenau hatte. Mit Beftimmtheit ift fein Werk in die Negie- rungszeit Otto I. zu datieren. Crft unter feinem Sohne und Enfel haben wir feften Boden: unter den Füßen. Zu Diefen Ermä- gungen ftimmt vollfommen überein, daß der Darmftädter Gerofoder (No. 1948 der groß- berzogl. Bibliothek) der, wie aus den Wid- mungsbildern hervorgeht, für Erzbijchof Gero gemalt wurde, und fich durch den engen An= fhluß an farolingifche Vorbilder als eines der alteften wenn nicht überhaupt das ältefte Werk des nachkarolingifchen Kunftfchaffens dofumen- tiert, in den Jahren 969—976 entitand. Daß er auf der Reichenau oder doch in Südmejt- deutfchland gemalt wurde, wie Hafeloff!) und Künftle?) annehmen, ift wahrfcheinlich, hat uns hier aber nicht weiter zu befchäftigen. Uns muß die Feftftellung genügen, daß das ältefte mit Beftimmtheit unferer Schule zuzumeifende MWerf, nämlich der Egbertfoder nach 980 ge- malt wurde. Daß der Cgbertpfalter etwa zwifchen 984 und 993 in Wlemannien ent- ftand, fei beildufig angeführt.
Wie bereit3 erwähnt und von Hafeloff wie
aud) von Bige und Beiffel bemerkt wurde, differiert innerhalb des großen Schulgufammen- banges der Egbertfoder von den Werfen der BVBögefchule im engeren Sinne dem Aachener Evangeliar undM. nicht unwefentlich. Allerdings find die Differenzen zwifchen A. und M. einerfeit3 und den Werfen I.—X. viel geringer als die zwifchen dem Egbertsfoder und etıva A. Da wir nun wiljen, daß neben der Reichenau auch in St. Gallen die Künfte blühten, fo ift e8 außer- ordentlich wahrjcheinlich, daß die eine Gruppe hierhin, die andere dorthin gu verweifen ift. Und zwar mwädjt die Wahrfcheinlichfeit der Herkunft einer Handjchrift mit ihrer Annähe- rung an den Egbertloder mwährend fie deito eher für St. Gallen in Frage fommt, je mehr fie fi) von diefem Werke entfernt. Das foll natürlich nur eine Vermutung fein, mehr nicht, denn bei der relativen Freizügigkeit der Mönche innerhalb ihres Ordens, bei der verfchiedenen Veranlagung der Künftler, ferner bei dem regen Austausch an Handfdriften und Berüh- rung mit fremden Mönchen?) ift eg gewiß im Bereiche der Möglichkeit gelegen, daß recht verjchiedenartige Produktionen im felben Atelier gejchaffen wurden. Immerhin fpriht — da wir von der Kunftbetätigung fomohl auf der Reichenau als auch in St. Gallen unterrichtet find — die Wahrfcheinlichkeit für unfere ing Auge gefaßte Scheidung.
Unfere Vermutung wird noch dadurd) be= jtärkt, daß im Hildesheimer Leftionar (V.) die Zefung „in nat. Sancti Galli* vorkommt, desgleichen im Cvangeliftar der Barberina (XVL) das Felt des Hl. Gallus durch eine Vigil ausgezeichnet ift.4) Cbenfo fteht im Saframentar der Parifer National-Bibliothet (VILL) der Heilige im Stalender und nad) Hafeloff (S. 161 Anm. 2) hat der Veydener Koder Perik fol. 17 (Univerfitätsbibliothef)
Reichenau befudte und den dortigen Handidhriften das größte Intereffe entgegenbradte. Troß diefer verfchiedenen Möglichkeiten, fheint mir doch die Wahrfdeinlidfeit nad mie vor für Otto III. und damit 996 zu fpredhen.
) Val. deffen Ausführungen über dem Egbertpfalter verwandte Werke ©. 114 ff.
2), „Die Kunft des Klojters Neihenau im IX. und X. Jahrhundert‘. Freiburg i. 8. 1906 ©. 17. Qn diefem Werk befindet fich eine fat vollftändige Zufammenftellung aller der Reichenau zugefchriebenen Malereien.
®) Beiffel weit („Evangelienbücher* ©. 77 f.) darauf hin, daß der Dtaler, den Kaifer Konftantin von Konjtantinopel fandte, um die Herzogin Hadewig von Schwaben zu porträtieren, mwahrjcheinlid) aud) St. Gallen befudt und den dortigen Mönchen Anregungen gegeben habe. Der Verkehr mit dem Orient war ja niez mals völlig unterbunden und auf ihn dürfen wir vielleiht manches fonft unerflärliche neuere Motiv in den Miniaturen zurüdführen. — Ueber den freundjdaftliden Verkehr zwifchen St. Gallen und Reichenau vgl.
Beifjel. Ebenda ©. 228.
*) Vgl. Beiffel: „Das Evangelienbud Heinrichs ILL“ ©. 15.
Ein unbefannter Codex der Vögefhen Malerfchule in Augsburg 93
in Qnitialen und Zierfeiten Ankflänge an das im ganzen Mittelalter in St. Gallen ruhende Psalterium Aureum, allerdings auch an den Egbertpfalter und „Handfchriften, welche feine Borftufe bilden“. Gndlich ift aus liturgifden Gründen der Rod. n. 25a 14 in St. Paul St. Gallen zuzumeifen!), deögleichen XIII. Wir fehen alfo, daß es nicht nur in unferer Schule alg Ganzes genommen, fondern aud) in Werfen, die mit dem YWugsburger Koder große VBerwandtjchaft aufmeifen, an Fingers zeigen nad) St. Gallen nicht fehlt. Diefe An= erfennung einer zweifachen Wurzel der Bige- fhule, in St. Gallen und auf der Reichenau ift aud) geeignet manche Widerfprüche der big- berigen Forfchung aufzulöfen. So würde eine Verweifung von Eim. 58 (M.) nach) St. Gallen neben ftiliftifchen Berfchiedenheiten auch erklären, weshalb diefe Handfchrift Scenen enthält, die in den Reichenauer Werfen fehlen, auf den Wandmalereien St. Gallens aber dargeftellt waren. — Dod) wie gefagt: das alles foll nur eine in befdeidenftem Tone vorgebrachte Vermutung fein und auc) unfere weiteren Ausführungen beanfprudjen nicht mehr als den Wert einer Anregung.
Sicher ift alfo bisher, daß die Kunſtpro— duktion in Alemannien im legten Drittel des X. Jahrhunderts nachweisbar if. Das wäre zur Firierung unferes Kodex nicht ausreichend, wenn wir nicht durch die auf innigfte mit ihm verwandten fogenannten Bamberger Ko» dize8 wertvolle Fingerzeige erhielten. Bon diefen ſ. Z. von Raifer Heinrich II. nach Bamberg, feiner 1007 errichteten Lieblingsgründung ge- ftifteten oder aus feinem Nachlaß ftammenden Werfen ijt Cim. 58 (M.) durch ein Porträt Otto III. auf die Zeit zmifchen 996 und 1002 einwandfrei datiert. Zugleich Laffen ftiliftifche Gründe feinen Zmeifel darüber bejtehen, dak diefe Handichrift die ältefte ift. Ueberdies unterfcheidet fic) diefer Rodex gwar nicht wefent-
lich, aber doch bemerkbar von den folgenden Werfen, die ebenfalls ziemlich genau datierbar find. Nämli” Eim. 57 (1.) gwifden 1002 und 1014, dem Jahre der Kaiferfrönung Heinrich, Eim. 59 (II.) und VI. aber in die Regierungszeit Heinrich (1002—24), da, wie gejagt, diefe Werke von ihm direkt gejtiftet wurden, oder aus feinem Nachlaß ftammen. VII. aber, da8 größte Berwandtfchaft mit unferem Koder aufmeift, dürfte mit Rüdficht auf Stil und Rleinheit de3 Formates etwas jünger fein.
Worauf e8 ung hier allein anfommen fann, ift der Beweis für die Entftehung unferes Koder in der ottonifcheheinrizifchen Blütezeit zu erbringen. Diefer dürfte aus jtiliftifchen und ifonographifchen Gründen wohl unmider- leglich gelungen fein. ?)
Schiwieriger, ja, genau genommen faft un- möglich ift e8, den Entjtehungsort mit mehr als einiger Wahrjcheinlichkeit zu fixieren. Wie erwähnt differieren innerhalb des gemeinfamen Schulcharakter8 verfchiedene Werke, 3. B. Ege bertfoder und A., M. und die anderen Bam berger Werke fo beträchtlich, daß eine Ver- weijung an die beiden — allerdings aufs innigfte verwandten — Malermerfitätten in St. Gallen und auf der Neichenau ratfam fchien. Unjer Kodex nun weift allerdings eine fo nahe Verwandtfchaft mit I., IL, VI. und VII. auf, ohne jedoch mit einem diefer Werke identisch zu fein, daß wir vielleicht noc) weiter gehen fünnen und diefe Handfchrift demfelben Klofter zumeifen dürfen. Befonders fei daran er- innert, daß abweichend vom fonftigen Schul- gebraud) in I., VI. und in unferm Goder fich die blaßgelbe Färbung der Häufer und die dunfellilafarbige Bedachung findet. Ferner werden mir zu Ddiefem DVerjudhe durch eine Notiz bewogen, die fich auf fol. 119a (alte Zählung) befindet. Die Leftionsüberfchrift lautet nämlich: „In dedicatione Basilicae
) Bgl. Beiffel: ,Evangelienbiider” S. 228 Anm. 2. — Daß nad) dem Heiligenverzeihnig von XIII mit VBalens, Senefius, Benedift, Pirmian, Adalbert, Gallus, Othmar, Columban und Theopontus nur Ala= mannien in Frage fommen ann, ift Har. Die Reichenau aber fheint mir mehr bezeichnet gu fein als St. Gallen. (Bgl. Hafeloff S. 15 ff.) — Smwargensti — Repertorium fiir RKunftwiffenfdaft XXVI. S. 389 ff. — Ietteres befonder$ 392 Unm. — priift fehr eingehend die Frage nad St. Gallen oder Reidenau. Dak nad Hafeloffs Unterfudungen fiir die Bigefdule nur nod) AWlamannien in Frage fommen fann, unterliegt aud) bet ifm feinem Zweifel. Bgl. dagu Beiffel: ,Gvangelienbiidher” S. 231.
3) Prof. Berthold Riehl fdeint unferen Kodex dem IX. Jahrhundert zumeifen gu wollen, was nad unjeren Ausführungen feiner Widerlegung mehr bedarf. Vgl. „Augsburg“ in Seemanns „Berühmte Kunft-
Bätten“ ©. 9.
94 Dr. Dax Kemmerid
Sci. Michahellis Archangeli*. Daß diefe Notiz von größter Wichtigkeit ift, liegt auf der Hand. ES handelt fic) nun darum, feft- guftellen, welche Bafilifen bzm. Slöfter des hl. Michael e8 damals in Deutfchland gab und welche für unferen Rodex davon in Frage fommen fönnen.
Hatten fchon nad) den bisherigen Betrach- tungen alle Anzeichen nad) Siidweftdeutfdland gewiefen, jo fann für ung die Köln-Trier- gegend umfo weniger mehr in Frage fommen, wofern jemand noc mit Böge an fie gedacht hatte — al8 weder in Trier nod in Köln, nod) in Edhternad) ein Wtichaelsflojter oder eine Michaelskirche nachweisbar ijt.!) Dak von den objfuren Heinen Orten feiner in Frage fommen fann, liegt bei der Zugehörigkeit unferer Handichrift zu der durch außerordentlich reiche Produktion ausgezeichnete Gruppe auf der Hand- Wohl aber wiirde Hildesheim in Betracht fommen, wenn die dortige unter dem hl. Bern= ward gepflegte recht minderwertige Dtalfunft aus jtiliftifchen und ifonographifchen Gründen nicht eine Angliederung an unfere Schule aus- fclifje.*) In Fulda, der Hochberühmten Kunftitätte, gab es nur eine dem Hl. Michael geweihte Kicchhoffapelle, denn ala folche ift nad) Prof. Scheifers die nod) heute dort exiftierende MtichaelSfirche aufgufaffen. In St. Gallen, aljo dem Zentrum der Schule, exiftierte
während Reichenau mit der Gründung einer fleinen Dtichael3fapelle begann, die jpäteren Kirchen aber anderen Heiligen geweiht waren.
Ernitlih in Betracht fommen nur Kofter Metten und Bamberg. Ürjteres, daS da= mals eine Malfchule befaß, von der mir aber nicht8 näheres befannt ift, jcheint mir auch zu fehr im Bannfreife Regensburgs zu liegen, dejfen von der unferen ganz charakteristisch unterfchiedene Kunftproduftion ung durch Georg Swargenslis vortreffliche Unterfuchungen bes fannt gemacht wurden. Somit fpricht bei der großen Bedeutung Bambergs, bei der Tatfache, daß aus ftiliftifden Griinden unfer Roder ganz zweifellos in die Regierungszeit Hein- rich8 II. zu datieren ijt, bei der großen Ueber- einftimmung mit anderen für oder in Bam= berg gejchriebenen Werfen, von denen einige Hinmeife auf den heil. Michael enthalten, und vor allem mit Nüdficht auf die vorgenannte Eintragung die an Gewißheit grenzende Wahr: fcheinlichkeit dafür, daß unfer Kodex zur Midaelsfirde in Bamberg gehörte, mithin deradhte der fogenannten Bann berger Codices ijt. Mit diefer faum an= zuzweifelnden Konftatierung find wir aber aud) imftande, das foftbare Werf genauer zu datieren.
Das Klofter auf dem Mtichelsberg in Bam= berg wurde ndmlicd) 1017 von Heinrich II. gegründet, 1021 eingemweiht.?) Damit haben wir
nur ein dem hl. Michael gemweihter Turm,
1) Durd) die LiebenSwiirdigteit des Herrn Dr. Veidinger wurde id) an Herrn Prof. Dr. Sceifers in
Mülheim an der Ruhr vermwiefen, den größten Kenner des Hl. Michael. Diefer Herr hatte die außerordentliche Güte, mir fein ganzes einfchlägiges Material zur Verfügung zu ftellen, fo daß ich in der Lage bin, nadftehend alle dem HI. Michael um das Jahr 1000 gemeihten Orte aufzuführen. Eine conclusio per exclusionem wird uns dann meiter führen.
Nad VMtabillon, Annales Ordinis S. Benedicti, eriftierten damals folgende Michaelstlöfter:
Tom. II, p. 59: Honaugia auf einer Rheininfel bei Straßburg, anno 720 erwähnt.
Tom. Il, 71: Slofter Ordorf, wohl glei; Ordruf in Heffen von Bonifacius 724 gegründet.
Tom. Il, 93: Klofter AUmoeneberg in Thüringen von Bonifacius gegründet.
Hi, 105: Softer Mondjee in Bayern, 739 gegründet.
Tom. I, 305: Slojter Metten an der Donau bei Regensburg, 792 gegründet. Hier eriftierte neben dem Midaelstlofter aud) nod) eine Micdaelsbafilifa.
Hi, 427: Slofter St. Michael an der Mtofel, heute S. Mihiel, anno 816 gegründet. of. aud) Appendix p. 691.
Tom. III, p. 588: Slofter Lüneburg, 967 gegründet.
Tom. IV, p. 191: Bamberg, von Heinrich II. 1007 gegründet. Nad) p. 279 erfolgte anno 1021 die Weihe.
Tom. IV, p. 291: 1015 Weihe der Crypta der Kirche des Klofter8 S. Michael in Hildesheim.
Tom. IV, p. 364: Erridtung einer ecclesia 8. Michaelis in Hersfeld. Hiermit haben mir fdjon die Schmelle der aus ftiliftifchen Gründen für unfern Koder in Frage fommenden Beit iiberfdjritten.
Aus der großen Reihe von Kliftern, durd) deren gütige Belanntgabe Herr Prof. Dr. Scheifers mid)
außerordentlich verpflichtet Hat, ragt al8 bedeutendjte Gründung Bamberg hervor. Dod davon gleich mehr.
2) Val. St. Veiffel: „Der HI. Berward von Hildesheim als SKünftler und Förderer der deutfden
Kunft.“ Hildesheim 1895.
5) Vgl. 3. Looshorn: „Die Gefhichte des Bistums Bamberg“ I. Band (München 1886) ©. 224 f.
Ein unbelannter Goder der VBögefchen Malerfchule in Augsburg 95
1017’ al Terminus post quem gemonnen. Da e3 jehr wahrjcheinlich ift, dak der Roder vom Raifer zur Einweihung, der er anmwohnte, geichenft wurde, menigftens aus einem Ber- gleich mit den vorgenannten datierbaren Bam= berger Codices hervorgeht, daß er ganz zweifello8 weder in die Frühzeit, noch in die Spätzeit der Schule, fondern in die Periode der Henricifchen Blütezeit fällt, jo dürften wir faum irren, wenn wir die Entftehung unferer Handfdhrift in die Periode von 1017 bis 1021 oder jpäteftens 1024, dem Tode3- jahre Heinrich, anfeten. Keinesfalls ift er Ipäter entjtanden, eher wenige Jahre früher. —
Iſt bis zu diefem PBunfte die Wahrfchein- lichfeit unferer Argumente groß, d. bh. fteht es felt, daß unfer Koder zur BVigefdule gehört, unter der Regierung Hein rigs I. entftand und Eigentum des Michelsflofters in Bamberg war, fo wagen wir nun eine Hypothefe mit aller Vorsicht auszufprechen.
Wie bereit8 angedeutet, hat man fich die mittelalterliche Kunfttätigfeit feineswegs als ein freies Schaffen vorzuftellen, fondern viel- mehr als eine an ganz hejtimmte Motive und enge technifche Schulregeln gebundene mehr oder weniger handwerf3- oder fabrifmibige Produktion. Während zum Beijpiel aus den den Maler betreffenden Anmeifungen auf ‚den berühmten Miniaturen de3 jegt in Berlin befindlichen SItalafragmentes, das in Quedlinburg gefunden wurde, dort, mo die HSarben abgebrödelt find, hervorgeht, daß diefer um 400 fchaffende Künftler feine Bilder nicht nach früheren Vorlagen fopierte, fondern fie frei [chuf,') hat der Vergleich unferer Hand- Ichrift mit anderen Werfen der Vögefchule er= geben, daß dies in der ottonifchen Kunft feineswegs der Fall war. Vielmehr dürfte der Betrieb in einem damaligen Atelier der gewejen fein, daß ein antiker, farolingifcher oder byzantinifchegriechifcher oder, oder auch ein Walbuch neueren Datums — was in praxi in diefem Falle gleichbedeutend ift — als Vor lage diente und mehr oder weniger jflavijch fopiert, oft direkt durchgepauft wurde. Weichen Darftellungen wefentlich voneinander ab, dann
ift das feineswegs mit Notwendigkeit auf die ichöpferifche Bhantafie des betreffenden Künft- ler3 zurüdzuführen, fondern zumeift auf die Tatfache, dak er eine andere ung unbefannte Vorlage mwählte oder zwei verfchiedene fom- binierte. Daß nebenbei aud) die Yndivi- dualität des Riinjtlers eine gewiffe, viel- leicht bedeutendere Rolle, als man bisher annahm, fpielte, foll damit feineswegs ge= feugnet fein.
Nun fahen wir, dah die Bamberger Codices fid) von den jur felben Schule gehirigen Reichenauer Werfen bei größter Uebereinftim- mung in Technik und dargeftellten Stoffen, doch auch wieder unterfcheiden. Das legt die Bermutung nahe, daß fie in einem nahe ver= wandten, aber doch nicht im gleichen Atelier Hergeftellt wurden.
E3 wird in erfter Linie davon abhängen, wie groß der Spielraum ijt, den wir der Jn: dividualität des Riinfilers, fowie der Pro= duftion innerhalb eines Klofter8 einräumen, denn nur wenn wir uns beide begrenzt denken, ift die Aufftellung von Zofalfchulen notwendig. Da nun aber Vöge, bei aller mit Recht be- tonter Homogenität der Erzeugniffe feiner Schule, doch die Annahme von fünf Lofal= fcyulen befürwortet, fo fcheint mir fein zwin- gender Grund vorhanden, eine folche gerade für unfere Codices in Abrede zu ftellen. Aller- dings ift e8 fiber jeden Zweifel erhaben, daß die alemannifden Bentren in weitem Um freife die Bedürfniffe an Miniaturen zu deden hatten, aber gerade in das Jahr 1006, alfo unmittelbar vor die Gründung Bambergs, fällt die große Strife in der Reichenau, die zahlreiche funjtfertige Mönche zwang, das Mutterflofter 3u verlaffen.) Was liegt da näher, al8 die Annahme, dak Heinric), der felbjt den harten und funftfeindliden Abt Smmo eingefebt hatte, den mit ihrer Kunit- fertigfeit und ihren Werfen das Rlofter ver- laffenden Mönchen in feiner Lieblingsgriin- dung Aufnahme gewährte? Beifjel jagt: „Die Vertriebenen hatten in anderen Benediltiner- fliftern Aufnahme gefunden und dort durdj ihre Kunft und durch mitgebrachte Bücher, die fie Hergeftellt hatten, oder an denen fie
') Bgl. Stephan Beijfel: „Geihichte der Soangelienbüdher“ ©. 87.
2) Vgl. Beijjel: „Evangelienbüder“ ©. 243.
96 Dr. Marz Kemmerid — Ein unbelannter Eoder der Vsgefden Malerfdule in Augsburg
noch arbeiteten, Reichenaus Malart mehr be- fannt gemacht und eingebürgert.“ Und Bam- berg, der verhätjchelte Liebling des Kaifers, die Stadt, in der foeben ein herrlicher Dom mit fieberhafter Eile erjtand, Bamberg gerade follte leer ausgegangen fein?
Diefe allgemeinen Erwägungen werden durd) die verfdhiedenen Hinmeife auf den heil. Michael in den Bamberger Werfen und be= fonders in unferem Kodex in konkreter Weile ergänzt. Daß Bamberg Malfchule in der Folgezeit Feine bedeutende Nolle gejpielt zu haben fcheint, widerlegt unfere Vermutung nit, denn nah der AWbfebung Bmmos und Inthronifation des Abtes Bern fehrten viele der vertriebenen Künftler wieder ins Mutterflofter zurüd. Der eine oder andere in Bamberg verbliebene würde dort gang gut bi an fein Lebensende oder bis gum Tode des Kaifers weiter gewirlt haben können. Mit unferer Oypothefe, die anzunehmen oder ab- zulehnen natürlich jedermann unbenommen ift, wäre aud) der außerordentlich großen Leber- einftimmung mit der Reichenauer beziehungs- weife St. Gallener Mtalweife Rechnung ge- tragen, die verhältnismäßig Kleinen Unter- fchiede, aljo die abweichende Färbung von Mauern und Dächern, aber auf die Jndivi- dualität der Künftler zurüdgeführt.
Doch wie gejagt: folange die Frage der Schulzufammenhänge noch nicht endgiiltig ge-
lft ift — vorerft wiffen wir nun mit Beftimmt- heit, daß die Vögefchule nad) Wlamannien zu lofalifieren ift —, folange fann auch unfere Hypnofe nur feuriftijden Wert bean fpruchen. )
Wir find vom einzelnen Werk ausgehend unvermerkt in die fchmwierigiten Probleme der funfthiftorifchen Forfchung des X. Jahrhunderts geraten. Ob wir zu ihrer Löfung ein Weniges beitrugen, mögen die Kenner entfcheiden. Unfer Zweck war ja nur der ein wertvolles Werk der Wiffenfdhaft zugänglich zu madjen, darum war die Arbeit feinesfalls umfonft. Cine Ge- Tchichte der Vögefchule oder der Malerei um die Sabhrtaufendwende zu fchreiben, lag ung fern; fie mögen Berufenere nah Abfchluß aller Vor- arbeiten in Angriff nehmen. Deshalb haben wir auf Volljtändigfeit verzichtet und mit der Kritif tunlichft zurüdgehalten. Ein Hinweis auf die be- deutendfte einfchlägige Literatur, voran Beifjels mufterhafte Gefchichte der Evangelienbücher hat ung in den meiften Fällen genügt. Unfer bejcheidenes Verdienst befchränft jich auf die Erfchliegung eines der fchönften Werke aus der Wende des Yahrtaufends. Dak hierzu das Domkapitel in Augsburg bereitwilligft die Erlaubnis erteilte, die Redaktion der Monats: hefte aber die Mittel gewährte, um Abbildungen in bisher auf dicfem Spezialgebiete nicht er= reichter Güte zu liefern, dafür fei beiden der berzlichfte Dank des Verfalfers ausgefproden.
1) Serr P. Stephan Beiffel S. J. beanftandete brieflich die Bezeichnung „Vögefhule” und will Lieber von einer ,fogenannten Reidjenauer” fpredjen. Whgefehen davon, dak mir aus fpradliden Griinden diefe Bes zeichnung nicht recht gefallen will, mare fie aud) nicht richtig. Denn „Reichenau“ ift gang beftimmt nur ein pars pro toto, Bei den innerhalb der Schulzufammenhänge relativ großen Verfdhiedenheiten bes Egbertpfalters des Kodex, der Wandgemälde und der anderen Miniaturen unter einander ift, wie fhon erwähnt, die Reichenau gang ficherlich nicht dag einzige als Entftehungsort in Frage kommende lofter. Aber auch das ift nicht fider, daß als zweites Kunftemporum nur no St. Gallen in Betradht fommt. Auch andere Klöjter beteiligten fid mit großer Wahrfcheinlichkeit am Schaffen. Within fcheint mir die Bezeichnung „Vögefchule“ nit nur aus Rüdfiht auf ihren verdienftvollen Schöpfer richtig gu fein, fondern vor allem aud) deshalb, weil fie feinerlei falfche Vorftelungen bezüglich des Entjtehungsortes auflommen läßt.
Die Ordenszeihen ans dev Kaningev Fürftengenft im Bayerifhen Hationalmufenm. Bon Friedrid 9. Hofmann.
Im Sabre 1781 madjte der für die Stadt Lauingen aufgeftellte Spegial - Hoffommiffar Hofrat Edler von Sezger in einem Berichte an Kurfürjt Karl Theodor in München darauf aufmerffam, „wie daß in der bey der Pfaar- fürchen befindlichen Kruft nicht nur fehr ville Durdläugtigfte Fürften-Berfohnen begraben ligen, fondern auch ein und andere der= gleichen hoche Leichname mit jehr foftbahren Gefdmud, fo andern Prätiofen umgeben fein follen.“ !)
Der Kurfürft gab infolge diejes Berichts den Befehl, die Sepultur „ohne weiteren An- ftand’ fofort gu öffnen. In den Tagen vom 24. September bis zum 4. Oftober 1781 wurde diefer Auftrag durch eine Kommiffion ausge= führt.
Die in den einzelnen Särgen gefundenen Pretiofen, welche die Kommiffion zu fich ge- nommen hatte, wurden auf Befehl Karl Theo- bors dem Miünzfabinette zur Aufbewahrung fiberwiefen.
Nad) Griindung de3 Bayrifden National- mufeums famen die fofibaren Schäße durch Berfügung des Königs Maximilian II. im Jahre 1862 in diefe Sammlungen. Dort find fie jebt in Saal 64 auögeftellt.
In dem Sarge des Pfalzgrafen Friedrich von Barkjtein und Weiden, der 1597 in dem von ihm erbauten Schloffe Friedrichsburg bei Bohenftrauß ftarb, fand fich num eine goldene Kette mit einem emaillierten Emblem, deffen Bedeutung bis jet noch nicht erfannt wurde.
Die Kette felbft befteht aus 36 größeren,
durch je vier gebogene Stränge und zmei Dejen zufammengefeßten Gliedern und ein- fachen Heinen Verbindungen. Die Schließe ift rofettenfirmig, aus feinen Renaiffance- Ornamenten gebildet. Jn einem großen Ringe, unter dem ein zierliches Verbindungsglied mit reicher Emaillierung über dem Kurhute, hängt an drei Kettchen das Kleinod, das auf beiden Seiten faft gleich) ornamentiert und reid) email- liert ift. Die Mtitte des Rleinods nimmt ein von Pfeil und Schwert freugweife durchbohrtes Herz ein, auf dem auf der Schaufeite eine als Fides bezeichnete Geftalt, mit Kreuz, Kelch und den Gefeßestafeln, auf der Nüdfeite eine Conftantia mit Anfer und wehendem Schleier Steht. Das Herz ift von einem goldnen Bande umrahmt, da8 beiderfeit3 in fchwarzem Email die Infchrift trägt: „VIRTVTIS AMORE 1589“ ; ein durchbrochener grüner Rautenfranz leitet zu einem meiteren Schriftbande über, das die Auffchrift trägt: „QVI PERSEVE- RAVERIT VSQVE AD FINEM SALVVS ERIT“. Das Band endet oben in zwei um ein fleinere3 ebenfall8 rot emaillierte3 Herz verfjchlungenen Händen. Das Ganze umgibt ein reich durchbrochener und emaillierter Re= naiffancerahmen, der oben über dem Eleineren Herzen von einem Ornamentfchildchen mit den Budjtaben F S V befrint wird.
Man hat aus der Tatjache, daß fic in dem Sarge des ebenfalls in Lauingen be- ftatteten Pfalggrafen Otto Heinric) von Sulz: badh-Hilpoltftein (+ 1604) genau das gleiche Kleinod vorfand, auf einen pfalgifden , Oaus-
1) 8. U. Bierdimpfl, Die Funde aus der Fiirjtengruft gu Lauingen im Bayerifden Mationalmujeum,
Münden 1881, S. 3. A. M. 8 u. 4.
13
98 Friedrid O. Gofmann: Die OrdenSgeiden aus der Qauinger Fürftengruft im Bayer. Nationalmufeum
orden“ geichloffen?). Jedoch zu Unrecht. Das Kleinod ift tatfächlich das Abzeichen des an- geblicd) 1590 von Kurfürft Chrijtian I. von Sadjen geftifteten Ordens der „Goldenen Ge- ſellſchaft“.
Die einzige originale Notiz über dieſen Orden, die ich in der äußerſt umfangreichen Literatur über die weltlichen Ritterorden fin— den fonnte, fteht bei Rammelsberg.?) Die hier gegebene furze Bemerfung über Grün- dung des Ordens, fowie die Befdhreibung des
Ordenszeicheng fchreibt Biedenfeld) Fritil- lo8 nad).
Es muß jedoch hier ficher in der Angabe des GStiftungsjahres ein Jrrtum vorliegen. Denn unfere beiden Ordenszeichen tragen die Jahreszahl 1589, die fich doch ficherlich auf die Gründung des Ordens bezieht. Wahr- cheinlich Hat fich eine Verwechslung mit dem Stiftungsjahr des herzoglid) Sächſiſchen „Or—⸗ den gegen die Untugend des Fluchens“ ein= geichlichen, der 1590 von Herzog Friedrich
*) E.M. Freiherr von Uretin, Wltertiimer und Kunftdenfmale des bayer. Herrfcherhaufes, Münden 1885, Abjchnitt: Pfalz-Neuburgifcher Fiirftenfdmucd aus dem 16. Jahrhdt., Nr. 1. — Das Bayerifhe Nationalmufeum,
München 1868, ©. 237. — Bierdimpfl, ©. 54.
8) Johann Wilhelm Rammelsberg, Beichreibung aller fowohl nod Heutiges Tages florierenden als bereit8 erlofdenen Geift- und Weltlihen Nitter- Orden in Europa, nebjt denen Bildnifjen derer Orbdens-
Zeichen, Berlin 1744, ©. 44.
+) Ferdinand Freiherr von Biedenfeld, Gejhichte und Verfaffung aller geijtliden und meltliden, ers lofjhenen und blühenden Ritterorden, I. Bd., Weimar 1841, ©. 139.
Dr. § Weber: Ein mertwiirdiges Grab eines neuen bajumwarifchen Reihengräberfeldes 99
Wilhelm I. von Sachfen-Weimar, fpäteren Wdminiftrator der RKurfachfifden Vande, ge- ftiftet murbde. +)
Bemerkt fei nod), dak eine Denfmiinge, die wohl auf die Vermahlung des Kurfiirften mit Sophia von Brandenburg (ohne Jahr) geprägt wurde, bereit al8 Revers eine ähns lihe Darftellung, wie unfer Ordenszeichen, trägt: die beiden gefreugten Rurfdjwerter, be- legt mit zwei aus Wolfen ragenden Händen, die ein Herz halten; darüber ‚der Kurhut.?) Ebenfalls aus Münzen Ehriftians I. erfahren wir aud) die Bedeutung der Budhftaben FSV, die auf den Ordens oberhalb des Herzens angebradjt find. Gie ftellen dag „Sym- bolum‘ des Surfürften dar: FIDE SED VIDE.®)
Ueber die Gefchichte des Ordens der Golde- nen Gejelljchaft ift mir nicht8 weiter befannt geworden.*) Vermutlich ift der Orden bereits beim Tode des Kurfürsten Ehriftian I. im Jahre 1591 wieder erlofchen, oder durch den oben
erwähnten „Orden gegen die Untugend des Sluchens“ erjegt worden.
Sedoch fenne ich nod) ein drittes Exemplar unferes Ordend. C8 wurde in einem Grab- gewilbe bei einem Umbau der Kirche zu Rofik im Herzogtum Sachfen= Altenburg gefunden. Der einftige Inhaber war wohl Thilo von Ofterhaufen auf Schelk (Scheldik), furfiirft- licher Rittmeifter zu Dresden, der am 24. Februar 1613 geftorben und in der Kirche zu Rofiz begraben worden war.
Bis 1886 gehörte diefe Kette mit den Ordenszeichen der befannten Sammlung Feliz in Leipzig and); mo fie heute, nach der BVer- fteigerung der Sammlung, aufbewahrt wird, weiß ich nicht zu jagen.)
Eine wohlgelungene farbige Abbildung und genaue Befchreibung findet fi in „Kunft und Gewerbe“, Wochenfchrift zur Förderung deut= {cer Kunftinduftrie, herausgegeben vom Bayer. Gemwerbemufeum in Nürnberg, 1878, Nr. 40, 6. 313.7)
Ein merkwürdiges Grab eines nenen Gajuwarifthen Keihengrabecfeldes. Bon Dr. 5. Weber. Mit einer Abbildung.
Auf dem 1904 gelegentlich eine Neubaus entdedten großen Friedhof der frühbairifchen Zeit in Seldlirhen a. d. Saalad, B.-W. Laufen, der fic) Hart an den jegigen angufchließen fcheint, zum großen Teil aber durch Käufer des Doris überbaut ift, wurden durd) den Suftos des Mufeums in Reichenhall, Herrn Maurer, 78 Gräber einer forgfaltigen Unterfuchung unter-
zogen. Während der Inhalt der übrigen von dem üblichen der jpätmeromwingifchen Zeit nicht abwich und keineswegs von größerer Wohlhaben- heit der Beftatteten zeigte, fiel ein Grab durd feine befondere Art der Ausftattung auf.
Die betreffende Stelle des Fundprotofolls des Herrn Maurer lautet:
„Grab IL, 1,80 m tief, 2 m lang. Das
1) Stiftungsbrief bet Wilhelm Ernft Tenzel, Monatliche Unterredungen, 1697, p. 991 ff. Dag Original des Stiftungsbriefeß befindet fi) in der herzoglichen Vibliothek zu Gotha, mit den Unterfhriften und Wappen
fämtliher Bruderfchaftsgenoffen von 1590.
*) Abbildung bei Wilhelm Ernft Tengel, Saxonia numismatica, ober Mebaillen-Gabinet von Ge- dädhtnig- Münzen und SchausPfennigen, melde die Durhlauditigften Chur= und Fürften zu Sahfen Wlbertinifder Hauptlinie prägen und verfertigen laffen, Frankfurt a. M. u. Leipzig 1705, Tab. 17, Nr. VIII (nit VII).
Dazu ©. 252.
Auch abgebildet bei Menadier, Schaumüngen des Haufes Hohenzollern, Berlin No. 80. — Karl Domanig, Die deutfhe Medaille in kunft- und fulturgefdidtlider Oinfidt, Wien 1907, Tafel 74, Mr. 663.
5) Ebenda. ©. 242. — Vgl. aud) I. Dielik, Die Wahl- und Dentiprüdje, Frankfurt a. M. 1887, ©. 105, wo der Sprud) jedod irrtümlich für Kurfürft Chriftian II. von Sadfen in Unfprud genommen wird.
4) Weitere Auffchlüffe tinnten wohl die fadfifden Archive geben.
5) Wuttionstatalog ber Sammlung Eugen Feliz in Leipzig, 1886, Nr. 446 mit Mbbildung.
6) Das Stüd fam wahrjcheinlich nad) Amerifa. Beichrieben aud) bei U. v. Eye und BP. E. Börner, Die Kunftfammlung von Eugen Felix in Leipzig, Leipzig 1880, ©. 4, Nr. 1614.
1) Irrtümlich find hier die Initialen de Symbolums F SV als „Namen ESV” gelefen.
18*
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Skelett nur teilweife erhalten. Beigaben: in der Halsgegend 2 feine Goldbänder mit Münz- abdrüden, 2 runde Goldplättchen ebenjo verziert und mit feinen Löchern durdhbohrt. Neben der redjten Schulter eine anfdeinend neue Ton— lampe mit dem Stempel Coessi. Längs des Körpers einzelne untenntliche Eifenteile mit Holz- fpuren und Gemebeabdrüden. Bwilchen den Fub- enden 2 Gijenpfeiljpigen mit Widerhaten, ans einander geroftet, die anfdeisend in einem Holz- behälter ftedten. Neben den Pfeilen Tierrippen. 1 m über der Leiche ein teilmeijes Pferdeftelett.” Da in gleicher Höhe auch bei einigen anderen Gräbern folche Heberrefte von Pferden fich fanden, fcheinen in jpäterer Beit hier Pferdefadaver ein- gegraben worden gu fein und ift ein Zufammen- hang mit den Gräbern nicht wahrſcheinlich.
Reider fonnten die an- ftoßenden Gräber IV und V nicht mehr unter- fucht werden, da fie von den Arbeitern fchon über: baut waren; das eben= falls zunädjft Tiegende Grab VII Hatte feinen bemerfen8werten Sn halt.
Das Ynventar des Grabes III könnte den Eindrud maden, als fei bier der Inhalt eines
früheren römifchen Brandgrabes mit dem des fpdteren eftat- tung8grabe8 vermifdt. Allein nad) der Beob- adtung Herrn Dtaurers lag aller Inhalt in gleiher Schidte und famen feinerlei fonftige Refte der Austattung
Dr. 5. Weber
beiden vereinzelt gefundenen nicht zum Streug gehörigen Goldplättchen zeigen. Das Münzbild ift die Nüdfeite römischer Münzen, wie fie unter Eonftantin dem Großen und feinen Söhnen Eonftans und Gonftantiuß II., alfo etwa von 306 bi8 360 n. Chr. zahlreich geprägt wurben. 68 ftellt zwei Legiondre dar, awifden denen in der Mitte das BVerillum fteht; die Umfchrift lautet: Gloria exercitus. Golbdfreuge aus diinnem Goldbled) in verfchiebener Form hat man fowohl in frantifden wie alamannifden einigemale, in8- befondere aber in langobardifchen Gräbern der fpäteren Meromingerzeit öfters, mern auch nicht gerade in diefer Form und Vergierungsweife, ge- funden. Aus bajumarifchen Gräbern ift e8, fo= weit befannt, dag erfte, in feiner eigenartigen Verzierung ohne jedes Ornament bisher über- haupt daß einzige. Nach Hrn. Dr. PB. Reinedes Unterjudjungen fam die Sitte, derartige Kreuze, die Schon ihrem Material nad gum Gebraud im Leben zu wenig wider= Itandsfähig gemefen wären, auf dem Toten- gewand anzubringen, im Südoften, in Wegyp- ten und Syrien auf, ver- breitete fi) zunädhftnach Mittel und Oberitalien fowie nad Südtirol und fam von da in alaman- nifde und bajumwarifde Gebiete. Sie gehören hier der fpdteren meroz wingifden Zeit an, etwa 750 n.Chr. und ftam- men wahrjcheinlich aus Ojfiginen in Oberitas lien, wo ſich ſpätrömiſche
römiſcher Brandgräber,
die Herrn Maurer ſicher nicht entgangen wären, weder hier noch auf dem ganzen unterſuchten Gebiet zum Vorſchein. Es iſt daher kein Zweifel, daß wir es mit einem ungeſtörten, von Anfang an in der aufgefundenen Weiſe ausgeſtatteten Grab zu tun haben.
Von Intereſſe ſind hierbei nur die Gold— bänder und die Lampe, da die Pfeilſpitzen, die Eiſenreſte und Tierknochen im Grabe ſich in den allgemein üblichen Rahmen der Beigaben in dieſer Zeit eingliedern.
Die 2 Goldbänder von dunnem Bronze— blech bildeten, wie fid) aus 3 feinen aufeinander- pafjenden Löchern der beiden Bänder ergibt, ein Kreuz, wie die Abbildung zeigt, und waren voll- ftändig mit aneinandergereihten Abdrüden eines und desfelben Müngzbildes beprägt, da8 auch die
Kunſtgewerbetechnik forterhalten hatte. Die Zeit der Münzen hat natürlich mit der Entitehungszeit unferes Kreuzes nichts zu tun.
Hat aljo aud) da8 Vorkommen eines folden Kreuzes in einem Grabe des Feldtirdener Graber- feldes nichts zeitlich widerfprechendes an fi, fo um fo mehr die gleichzeitige Beigabe einer an fcheinend neuen, unbenitgten römifchen Tonlampe. Diefe Lampen, meift mit dem Stempel Fortis, ge- hören der Beit der römifchen Brandgräber der mittlern Periode, etwa von 150—250 n. Ehr. an und wurden ebenfall8 nur zum Lotenkult here geftellt, weshalb fie aus den Gräbern in fo gut erhaltenem, faft neuen Zuftand zum Vorfchein fommen. Das Auftreten einer folden Lampe in einem Grabe des ausgehenden 7. oder der 1. Hälfte des 8. Ihrdts. n. Chr. ift in hohem Grade
Gin merfwitrdiges Grab eines neuen bajuwarijden Reihengräberfeldes 101
meriwitrdig. E8 bleiben nur hypothetijde WAn- nahmen zur Erklärung übrig, fei e8, daß die Lampe durd) Zufall in die Hände de Ver— ftorbenen oder feiner Angehörigen gelangte, fei e8, dah fie in der Familie als Kuriofum aufs bewahrt und irgend ein Aberglaube damit ver- bunden war. Daß in Feldkirchen römische Brand- gräber vorhanden miaren ober nod) find, liegt fehr nahe, da der Ort an einer römifchen Straße nad Reichenhall lag, in der Kirche früher ein römifcher Grabftein mar’), der nad Salzburg verjchleppt wurde, und der Ort in römifcher Zeit ſehr wohl fdjon befiedelt fein fonnte.
Eine weitere intereffante Frage ftellt das Grab Hinfichtlich des chriftliden Belenntinifjes des Beftatteten. Dak die Sitte der Anbringung von Kreuzen am Totenkleid in einem driftianifierten Volke auffam und im wefentliden eine chriftliche war, unterliegt wohl feinem Bweifel und man wird auf den erften Blid Hin geneigt fein, aud) unferen Toten für einen driftianifierten Bajuwaren oder wenigften8 einen aus einer längft riftliden Familie ftammenden Nomanen zu halten, wie foldje bet der Nahe Salgburgs jehr maglid) aud) bier febhaft waren. Allein bei ge- nauerer Betradtung ftehen diefen Annahmen doch gewidtige Bedenken entgegen. Das Grab liegt mitten unter den anderen, die färntlich feine Spur eines driftliden Symbols enthalten, fon= dern durchweg in der althergebradten Art aus- geitattet find, die Leichen der Männer mit Wehr und Waffen, die der Frauen mit Schmud und Attributen der Hausfrau. Cinen vereingelten drift. lihen Bajuwaren mitten unter feinen nichtchrift- lichen Vollsgenofjen anzunehmen, geftatten jchon die allgemeinen Beitverhältniffe nicht. Waren aber nod hriftlihe Romanen hier feßhaft, fo Hatten diefe fider ihren eigenen Begräbnisplag und wurden nicht mitten unter die fremden, ander8- gläubigen Herren des Landes begraben, felbft
wenn dieje tolerant genug waren, dies zu geftatten. €8 müßten fonft doch noch mehr Anzeichen einer riftlichen Bevölferung in dem Gräberfeld zum Borfdhein gefommen fein.
Das vereinzelte Auftreten eines urjprünglich für Ehriften beftimmten und in driftliden Offi zinen hergeftellten Schmudftüdes mitten unter vorriftlihen frühgermanifchen Gräbern ift aud nicht ohne Vorgang. Um nur ein in neuerer Beit vorgefommenes Beifpiel zu ‚erwähnen, fet an ein mitten in einem vordriftlichen alamanni- fen Friedhof in Ebenhofen, B.A. Ober⸗ dorf, erinnert, wmojelbft in einem Grabe ein Gürtelbefchläge mit chriftlicher Infchrift gefunden murde.?) Grabfreuze famen vereinzelt in füd- bairifden Reihengrabern der vordhriftliden Zeit bi Shwabmünden, Langeneringen und Ebermergen vor.?) In dem befannten Grabfund von Wittislingen befindet fid ebenfall® ein Golbdfreug, doch fann diefes Grab fon der chriftlihen Beit angehdren.‘) Man muß alfo annehmen, daß foldje aus drift- lichen Gebieten im Süden ftammende Schmud- ftüde in ben Befig von heidnifhen Wamannen und Bajumwaren fi verliefen, fet e8 als Gefdenfe, Beuteftüde oder Tali8mane. Das Feldfirchener Grab wird wohl, wie aus den bei- gegebenen Pfeilfpigen gu fdliefen, das eines Mannes gewefen fein. Die fon gu fehr ver- morfdten Gebeine lieben eine Feftftellung nad diefer Richtung nicht mehr zu. Sämtliche Funde aus diefem Neihengräberfeld befinden fi im m des Hiftorifchen Vereins von Reid en- ball.
Wenn auch diefem Grab feine weitergehende Bedeutung in ethnologifcher oder Fulturgefchicht- licher Hinficht gufommt, fo ift e8 doch immerhin unter der Menge einförmiger Gräber des 7. und früheren 8. Jahrhunderts infolge feines gemijchten Inhalts eine intereffantere Erſcheinung.
1) ©. Bair. Annalen 1833, OA. III. 252, Bonner Jabrbudh LXXXVIII. Yrrtimlid ift der Fundort angegeben in Hefner, röm. Baiern und in C. I. L. III 5590, mofelbjt Zeldfirchen bei Troftberg im B.-Y.
Traunftein angeführt ift.
3) Näheres f. Beitr. 3. Anthrop. u. Urgefh. Baierns XV. 114. Das Funditäd befindet fid) in ber
vorgeſch. Staatsſammlung.
2) Lindenſchmit, Altert. IV. 10, Fig. 1 und 2. XII. 38. d. 5. ©. v. Schw. u. N. T. II. Auf dem Langeneringer Kreuz iſt ebenfalls ein Münzabdruck. Sämtliche drei Kreuze befinden ſich im Maxim. Muſeum
in Augsburg. *) Sat. IV. d. Nat. Muf. 3. Nr. 1892.
Der Name der Station Augufta Vindel. inz volviert eine auffällige Ehrung des Plates von Seite der Römer, welche ja auch manchen an= dern Orten zu Teil geworden ift (mobei ähn- licher Anlaß beftanden haben fann), und welche Ehrung Fremder fich nicht erflärt, außer e8 wäre ein Vorteil rimifcherfeits hierbei zu ver- zeichnen möglich. Daß es fich bei „Augsburg“ um eine römifcherfeit3 erbaute Stadt gehandelt hätte, welche aus diefem Grund „erhabene“ Stadt der Vindelizier betitelt worden wäre, er= fcheint unmahrfcheinlich, da hierbei die leßteren zu gut abgefdnitten haben würden. Das „Aus gufta“ betreffende muß ja etwas römijches ge= wefen fein, fonjt wäre e3 nicht verewigt wor= den. G8 erjcheint nun möglich, daß jener vin= delizifche Pla feine Taufe dadurch erhielt, daß am felben der römifche Benefigiarius (Standar- tenträger) eine dem Auguftus zu Ehren be- nannte Figur als Stationsmittelpunft zur Yuf- Stellung bradte.
Da e8 fich um eine weibliche Figur gehan- delt hätte, fo ift die Hypothefe nicht jo ſehr gewagt: E3 fei eine aus fünftlerifchem Inter— effe von einem der Heerführer wie 3. B. Tie berius mitgeführte Brongefigur der Art benügt, wer weiß aus wa3 für diplomatifchen, der Eifer- fucht des Kaifers etwa Rechnung tragenden, nach Byzantinismus zwar wohl ausjehenden, aber germanifchenm Empfinden mohl unverftänd- lichem Grunde, und Augufta benannt worden, um einen Abglanz auf den Kaifer zu werfen. Dabei ließe aber der Umstand, daß dieje Figur jo bedeutungsvoll wurde, darauf fchließen, daß fie dem germanifchen Bolf fympathifch gewejen fei und ifm imponiert habe, was erflärlich wäre,
wenn dabei eine für fie fünftlerifche hervorra= gende Erjcheinung vorgelegen hätte, welche 3. B. ein Sdealbild der Menfchlichkeit bot, wie foldes unvergleichlich durch die Athene lemnia des Phidias damals hergejtellt worden ift. Plöß- li) den dem Schönen fehr zugänglichen, eine hohe Kulturftufe in funftgemerblichen Dingen jedenfalls erreicht habenden Barbaren geoffen- bart, müßte der Eindrud derartig gemefen fein, daß jich die Römer in der Lage von Siegern be= funden hätten, ohne eine Schlacht zu fchlagen, und die Methode diefe Seite ihrer Weberlegen- heit auszunügen, könnte verfchiedentlich anges wendet worden fein in Fällen, wo ein friege- rijdher Austrag inopportun gewefen wire, namentlich einem VBolfsftamm gegenüber, mel- cher fich nicht völlig feindlich gezeigt hätte. GZ fei erlaubt, darauf binzumeifen, daß Eiferfucht bei den vindelizifchen Stämmen be= Itanden haben fann fchon in Anfehung der Ein- nahme von Yöllen, welche fie wohl zu erheben an folden Stellen in der Lage waren, wo durch ihre Hilfe Flußläufe zu paffieren waren. Haben nun die Lilater ihre völlige Befiegung büßen müfjen dadurch, daß die pontes Tesse- nios ganz in Römerhände gelangten und fie zudem Hand» und Spanndienite zu deren Unter= haltung zu leilten gehabt haben, fo fann an einer andern, vielleicht früher jchon fonfurrie- renden Webergangsitelle, wie 3. B. in Lands- berg fich eine günftigere Situation für die vin- delizifchen Brüder der Lifater ergeben haben, in Augsburg aber, wohin die Römer zwifchen Wertach und Lech nad) Norden vorgehend, zus legt erjt Hingelangt fein werden, war mig: lichermeife feine divefte Feindfeligfeit mehr an-
Ueber römifche Yusnügung der allgemeinen tulturellen Ueberlegenheit 103
zutreffen, und e8 wäre dann unter Umftänden möglich gemwefen, daß, wie oben bemerft, ein Beneficiarius nad) Art der Tambourmajors unferer Mufilchors, für das Auge einen An giehungspuntt liefernd, mit Gegenftänden aus- geftattet gemefen mire, weldje da8 Yntereffe der Germanen in hervorragendem Maß erregt haben fonnte. So wie vor nicht Langer Zeit in unfern Tagen die lernbegierigen Japaner europäifcher Zivilifation gegenüber fich ver- hielten, fo möchten aud) Jene beim eventuellen Unblid zumal einer, fogar ung Moderne noch mit Befreiung der Seele erfreuenden Gegen- Itandes: Entzüden, Begeifterung, bedingungs- lofe Hingebung empfunden baben. Denkbar ware e8, daß diefelben, um ja den Genuß der
herrlichen Figur nicht zu entbehren, eingeladen haben finnten, felbe in Mitte ihrer Feftung aufzuftellen, fich die Bedingung gefallen Lafjend, daß die Römer, teilmeife wenigftens, ihren Wohnort mitbefegten. Dann hätten dieje Ur- fache gehabt, die betreffende Stadt nad) ihrem Stationmittelpunft Augufta Vindeliforum zu benennen.
Der Benefiziarius hatte an der Standarte Ketten und Pfähle zur Herftellung einer Cin- friedigung. Derfelbe war Vermalter der Kult- bilder und fo ergab ich ganz von felbjt die Möglichkeit, jene Augufta als den Mittelpunkt des Gejfamtlager8 und — als Ausgangspunft für alle Entfernungsangaben des Jtinerars Antonini 3. B. zu plagieren.
Dorträge von Oktober 1907 bis Juni |908:
1907 14. Oftober:
2. November:
2. Dezember:
1908 2. Januar:
1. Sebruar:
2. März:
I. April: J. Mai:
J. Juni:
Herr 3. Linde, H. Bauamtmann a. D.: ,RoOmerftragen im fiidlichen Bayern”.
Herr A. Dierling, K. Oberftlandesgerichtsrat a. D.: „Oberſt Auguſtin Fritſch, ein Lebensbild aus dem 30jährigen Kriege, auf Grundlage ſeiner von Oſtenrieder herausgegebenen Tagebücher”.
Herr K. Ritter von Mlenz, K. Generalmajor 3. D.: „Die Schlacht von Hohenlinden, 3. Dezember 1800%.
Berr K. Pfund, K. Reg.:Rat a. D.: „Bejchichtliche Erinnerungen aus dem Dolfsleben im Jfarwinkel um das Jahr 1670 * Herr Dr. U. Dreyer, Bibliothekar: „Das Münchener Zeitungswefen in den erften Dezennien des 19. Jahr: hunderts”. Generalverjammlung. Herr 3. Schober, H. Profeffor, Urchivar der Stadt Landsberg: „Johann Damaszenus Kleinmayen, der legte Wht von Weffobrunn’.
Herr Dr. §. Weber, K. Oberamtsrichter a. D.: „Über neue Ergebnifje der Inventarifierung der vorgefchichtlichen Altertümer in Oberbayern“.
Schriftleitung und preßoeſehliche Verantwortung: Dr. Heldm ein Münden (Liebigitraße 1/2).
Kgl. Hofbuchdruderei Kafiner & Callwey,
Altar des KHanonilus Kaspar Marolt, geft. 1513, im Domfreuzgang zu Freijing.
Stephan Koffaler, ein Sildhanes dec Frührenaifance in Altbayern.
Von Philipp Maria Salm.
tönt wurde. Die Verfchiedenheit des Materials einerfeitS wie jtiliftifche Gegenfäße andererfeits legen die Frage nahe, ob Mittelfchrein und Slügel überhaupt zu einem Ganzen gehören
Der Marolt-Altar im Domfreuzgang zu Freifing.
Sm Ojtfliigel des Domfreugganges yu Frei- fing findet jich, einem Epitaph nicht unähnlich, in die Wand eingemauert der obere Aufbau eines fteinernen Wltars; die Menja fehlt. (Abb. 1.) Eine Infchrift an der Predella jagt: Anno dni 1513 dns Gaspar Marolt Canoic ® frising Institvit In hoc Altarj ij Misas Ebdomodales Celebrarj q’ Requiescat j pace. Die Infchrift wird nach dem Worte „Gaspar“ dur) ein Fleines Relief eines reitenden Senfen= manne8, das als Zeilenfüllung dient, unter- brochen. (Abb. 2.)
Der Aufbau des Marolt-Altares oder Marolt: Epitaphes'), wie wir das Werk in der Folge Abb. 2 kurzweg nennen wollen, ſchließt ſich der Form Vom Altar des Kanonikus Kasſspar Marolt im Domkreuzgang der mittelalterlichen Altäre an, inſoferne das RR
EN
m — ⸗
größere Mittelfeld einen Schrein mit drei Heiligenfiguren, die Seitenteile die Altar— flügel nachahmen. Jener iſt aus rotem Mar— mor, dieſe ſind aus weichem Sandſtein ge—
und von dem gleichen Meiſſel herrühren. Für unſere Unterſuchung über den Meiſter des Werkes iſt die Beantwortung dieſer Frage von tiefgreifender Bedeutung; eine ſorgfältige Prüfung der einzelnen Teile muß deshalb für
arbeitet, der in der Farbe des Marmors ge—
ı) Den Marolt-Altar erwähnen zum erjten Mal Sighart, Die mittelalterliche Kunſt der Erzdiözeſe Minden-Freifing 1855 ©. 186 und Herm. U. Müller, Die Mufeen und Kunftwerfe Deutfchlands II. (1858) ©. 291. Zufammen mit dem im folgenden behandelten Grabjtein des Peter von Wltenhaus in St. Jodof zu Landshut führt den Altar dann Gighart, Gefdidte der bildenden Künfte in Bayern (1862) ©. 501 und 506 als Werk eines Meifters R.S. (!) auf. Log, Kunfttopographie Deutfhlands 11. (1863) ©. 126 befchreibt ihn kurz. Viible ftreift den Altar in feiner Gefhichte der deutjchen Renaiffance 1. Auflage (1872) ©. 521 und 2. Wuflage II. (1882) S. 7. Es folgen die Kunjtdentmale Bayerns (in der Folge zitiert K. D. B.) I, 366 und Taf. 43. Cine ein: gehende Würdigung ward dem Altar durd F. Ehrlid in bem Sammelblatt des hiftorifchen Vereins Freifing V (1895) ©. 44, burd) 3. Schleht ebenda VII (1906) S.68 und jhließlid) dur Rihard Hoffmann, Der Altar bau in der Erzdiögefe München-Freifing 1905 ©. 32 u. 35. Weltere Abbildungen des Altars in ben cod. germ. der Münchener Hof- und Staatsbibliothet (in der Folge zitiert cgm.) 1717 S. 520 und 1718 ©. 258. Erfterer gibt nur ben Schrein mit einer nicht dazugehörigen Infchrift, Iegterer ben ganzen Altar mit Predella und Flügeln.
Den Marolt-Altar und die mit ihm zufammenhängenden Bildiwerfe habe ich bereits im Jahre 1903 einem Sortrage im Hiftorifchen Vereine zu Grunde gelegt. Vgl. Altbayerifhe MtonatSfdrift Jahrgang IV (1%03—04) ©. 98.
AM. 5u6. 14
106 | Philipp Maria Salm
eine einwandfreie Löfung unerläßliche Be- dingung fein.
Betradten wir zunächſt den Schrein! Unter einem dreiteiligen, noch durchaus gotifch gedachten Baldachin ftehen in hohem Relief Maria mit dem Rinde, über der zmei Kleine Engel eine Krone halten, und feitlic) der Madonna St. Sebaftian und St. Barbara.') Bu Füßen des erfteren fniet der Stifter. Eine Heine Tafel neben ihm mit den Buchftaben D. G. M., die bisher fälfchlich als Künftler- monogramm angefprochen murden,?) aber in „Dominus Gaspar Marolt“ ihre ebenjo ein- fache mie fichere Löfung finden, fagt e3 deut- lid). Die drei Heiligenfiguren, jchliht und einfach in Haltung und Gruppierung bewahren nod) im wefentlicjen die Art der Gotif. Ihre Köpfe ermüden durch allzu fchematifche Bil- dung, der lebendige, fcharfgegeichnete Kopf des Stifter8 dagegen gibt fich deutlich als Porträt. Die forgfältige abmechjelungsreiche Technif weift auf einen mit allen Werkzeugen und Methoden wohl vertrauten Meifter.
Die Flügel Stellen in ihren ungleich großen Feldern Heilige in Einzelfiguren und zwei figurenreihe Szenen dar. Auf dem linken Flügel oben fteht in einer Nifche St. Petrus in einem Rauchmantel mit dem Schlüffel in der Rechten. Die Infchrift zu dem Figürchen lautet: CELI PORTAS APERIT. Gin fchmaler Fries — Putten mit einem Rauch- faß — trennt das obere Feld von dem unteren. Diefes zeigt ung St. Korbinian, den Patron des Bistums Freiling, von feinem be- padten Bären begleitet. Am unteren Rande des Feldes lejen wir: S. GVRBIANVS PATERANVS. Ein außerordentlich fubtil gearbeitete3 Relief mit einer Anbetung der Stönige bildet den Fuß des Flügels.
Auf dem rechten Flügel fehen wir oben St. Paulus fic) auf da8 Schwert ftüßen; dazu
die Infchrift: DOCTRIS INSTRVE. €3 folgt dann ein fchmales Feld mit zwei Engeln, die das Schweibtud) Chrifti Halten; dazu die In— fchrift: SALVE SANCTA FACIS(!) NRI SALVATORIS. In. der Nifche darunter faft ganz vom Rüden gefehen, fteht St. Sigmund. Die Beifchrift lautet: S. SIGMVND E.K. (Ein König?). Der Anbetung der Könige auf dem linfen Flügel entfpricht hier ein Martyrium St. Sebaftians. AlE Stüße feitlid) der Predella dient dem linfen Flügel ein leider fehr jtarf be- fchädigtes Figürchen des hl. Chriftophorus, dem rechten Flügel ein folches des HI. Georg.?) Die Flügel- fowie die Stüßfiguren an der Predella überrafchen vor allem durch die freie fühne Auf- faffung. Kaum 35 cm hod, wirfen fie in ihrer einfachen natürlichen Haltung und jchlich- ten gemefjenen Bewegung geradezu monumen= tal. Man könnte fie auf Zebensgröße bringen, fie hielten ftand.*) E3 find nicht bloß Figuren, die da vor ung ftehen, fondern Berjönlichkeiten, nicht ein hl. Petrus und ein HI. Paulus, fon= dern der Hl. Petrus und der Hl. Paulus, die glaubenzftarfen Apoftelfürften, der mildwürdige Bayernapoftel Corbinian und der fürftliche Sigismund.
Uber auch die Art, wie die Figürchen in ihre Nifchen Hineingeftellt, und wie diefe auf- gebaut find, ift neu. Das find nicht mehr die engen Nahmen drüdender Riel= oder Rlee= blattbogen der fpätgotifchen Grabfteine, fondern wirkliche Raumfchöpfungen, tiefe Nifchen, und gwar — mit Ausnahme einer — reine Re- naiffancegebilde. Hier tragen Eäulen mit ges drehtem Schaft auf einem Gebalf einen Muſchel⸗ giebel, dort ftiiken Pilafter einen Bogen, den Putten mit Gewinden zieren; St. Korbinian tritt uns mie aus hochgemölbter Kirche ent- gegen; nur St. Paulus fteht unter einer alter- tümlichen Laube von gefünfteltem Witgeflecht. Welcher Reichtum, welcher Wechfel von neuen
1) Das Vorbild für eine derartige Anordnung war wohl in erfter Linie dag Schema eines gotifden Schreinaltares; e8 erfcheint jedoch ebenfo wabhr{deinlid, dak fich der Meifter an bag Titelblatt eines Miffale hielt,
welches gemwöhnlid) Maria mit zwei Heiligen darftellte.
Der junge Burglmair oder der fog. Petrarfameifter
bat für ein von Erhardt Natdolt 1502 gedrudtes ,,Missale Frisingense“ einen foldjen Oolafdniit geliefert. Dörnhöfer: Ueber Burgfmair und Dürer. Beiträge zur Kunftgefhichte Franz Widhoff, gewidmet. Wien 1903 ©. 117.
1) K. D. B. I, 366 Taf. 43.
s) Nicht des hl. Michael, wie Ehrlich und Log (f. 0.) angeben.
4) Nicht uninterefjant ift ein Vergleich diefer Figürhen mit den großen Statuen der Hl. Georg und Chrijtophorus in der Frauentirdhe zu Münden, die in ihrer ganzen Yuffaffung und Haltung wie Vergrößerungen jener wirfen. Sannte vielleiht der Münchener Meifter bie Freifinger Figirden, oder liegt beiden Arbeiten
etwa ein gemeinfchaftliche® Vorbild zu Grunde?
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaiffance in Altbayern 107
Motiven! Wo fennt die Kunft Altbayerns jener Zeit etwas Gleiches?!
Ein Vergleich der Flügel mit dem Schrein wedt auf den erjten Blid die Vermutung, daß die einzelnen Teile überhaupt nicht zufammen- gehören, gefchmweige denn aus einer Hand her= vorgegangen find. Um mie viel größer und freier wirken die Figücchen der Flügel gegen- über den befangenen Geftalten des engen Screins; mie altertümlich mutet hier das gotifche Baldachingeranf im Gegenfag zu den neuen Arcchitelturformen der Rifchen an! Troß der Verfchiedenartigfeit des Material gehören jedoh unzweifelhaft Flügel und Schrein zu einem Ganzen; das bemeift {don da8 am untern Rande der einzelnen Teile durchgehende Profil- gefim8 von Platte, Kehle und Stab.!) Aber aud) der ftilkritifche Bergleid) gibt gemein- fame Bunfte. Go ruhen die Bogen des Sdreins auf Pfeilern, die durchaus jenen der Sigismundnifche des Iinfen Flügels gleichen; und auch die wechjelnde Funktion der Beine, die an den Apoftelfigürchen fcharf zu tage tritt, läßt fich an der Figur der Maria oder Barbara immerhin nod) nadempfinden. Bm übrigen jedod) an den Geftalten des Schreins diefes Zuviel an fnitterigen Falten und Fältchen, an den Flügelfiguren aber eine weife Be- Ihränfung auf große Linien, feine Verzettelung in Spielereien.
Dod) auch für diefe Unterfchiede baut fich uns eine Brüde. Warum wählte der Künftler Marmor für den Schrein, Sandftein für die Flügel? Sollte er nicht lediglich aus rein praftifchen Erwägungen von dem Marmor alg dem fpröden hart zu zwingenden Stoffe und der zeitraubenden Technik fich abgefehrt haben, um diefe Kleinen Gebilde mit leichterer Mühe in den weichen Sandftein — man dulde den Ausdrud — mehr fchneiden denn meißeln zu können. Gewiß hat die fpätmittelalterliche Plaftit Altbayern® derartige Sleinbildnerei aud) in Marmor getrieben. Erasmus Graffer arbeitet ähnlich die Löftliche Umrahmung feines Wrefinger Steines in der Petersfirche in Münden, Wolfgang Leb fchmüct mit Heiligen-
figürchen die Urchiteftur der Platte des Hoch- grabes in Ebersberg, und Bischof Tulpels Ornat auf feinem Grabjftein inder Münchener Frauen firhe prunft mit gierlid) in den Stein ge- meißelten Stidereien. Aber das alles ift nur deforatives Beimerk und dementfprechend nur mit flüchtigen Hieben angedeutet. Hier dagegen find die Figürchen um ihrer felbjt willen da; fie werden fogar eines deforativen Rahmens erjt noch gewürdigt, damit gehoben und hervor gehoben. Wie hätte der Meifter all diefe Fein- heiten und Hierlichfeit in dem miderfpenftigen Marmor zwingen Fönnen ohne erheblichen Zeit- aufwand und ohne die ftändige Gefahr, Stüde lo8zufprengen. Lag e8 alfo nicht nahe, den ge- fügigeren weichen Sandftein für die fubtile Aufgabe der Flügel vorzuziehen?! Aus dem verjchiedenen Material den Schluß ziehen zu wollen, daß die Teile nicht zufammengehören, ericheint aber nod) deshalb untunlich, weil dod) das Ganze als Altar gedacht und be- zeichnet ift. Einen fteinernen Altar follte der Meister fertigen ähnlich jenen mittelalterlichen, auf deren Flügeln die Figuren auch immer kleiner find al® im Gehäufe. Bweifellos hatte Marolt felber ein genaues Programm, ein Szenarium für alle darzuftellenden Berfonen und Epifoden aufgeftellt.
— Erklärt fich nun die Wahl de3 Sandfteins für die Flügel aus der beabfichtigten Klein— und Feinheit der Figuren und der Bierlichkeit des ardhitektonifchen Beimerf3, fo bleibt immer nod) die Frage offen, ob der Meifter gu diefem Wechjel des Stils in den Flügeln, der ihm einen Wechſel des Material® nahelegte, aus einem inneren Bedürfnis oder durch äußere VBer- anlaffung fam. Wenn wir an der Schöpfung des Altars durch eine Hand fefthalten, fo mifjen wir unbedingt das lettere annehmen, denn die verjchiedene Auffaffung und Empfindung in den Figuren febt dies geradezu ald Bedingung vor- aus. Der Meifter mußte neue Eindrüde in fi aufgenommen und fich ihnen willig gefügt haben. Für die Flügel in ihrer Gefamtanlage läßt fich nun gwar ein Vorbild nicht nachweifen,?) doch fönnen wir für ihre Einzelheiten ein Whhangig-
1) Der Marolt-Altar jtand ehemals in ber benadbarten, bem Domtreuggange angebauten St. Sebaftians- fapelle. Bet der TranSferierung an den jegigen Standort wurden die einzelnen Teile ungenau gufammengefiigt.
2) Man wird nur im allgemeinen, ähnlich etwa mie bei dem Altar der fehönen Maria von Albrecht Altdorfer (B. 50) an venezianifhe Grabdenfmäler erinnert.
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feit3-Verhältnis belegen. Rein fchmächlicher Nachgeborner konnte dafür in Frage fommen, fondern ein vorwärt3 Schauender, ein Starfer, ein Großer. Und der Größte, der jener Zeit und der deutfchen Kunft je gegeben ward, ftand denn auch bei diefem Werke Pate: Albrecht Dürer.
Fürs Erfte entlehnte unfer Steinmeß die Geftalten der beiden Apoftelfürften deg Meisters
Philipp Maria Halm
lide und Statthafte herauszulöfen. An die Stelle des vielfnitterigen Faltenwurfs treten vereinfachte Iangzügige Würfe, die noch mehr als das Vorbild das Bemegungsmotiv der Körper durchfühlen laffen. Bor allem gewinnt dabei die Geftalt des Petrus an [chlichter Größe und ge- mefjener Erhabenheit. Auch in der Haltung der Köpfe fcheint fich ein eigener Wille, eine neue Abficht auszufprechen. Dort bei Dürer
Holzichnitt „Das Schweißtuch Ehrifti“ von 1510 (B. 38) aus der Heinen Paffion. (bb. 3.) Die allgemeine Auffafjung der beiden Figuren und die Tätigfeit der Hände bezeugen unzmei- deutig die Abhängigkeit der Figirchen von Dü- rer8 Holzfchnitt. Aber nicht bedingungslos gab fich der Bildhauer in den Bann des Vurbilds, fondern er verftand e3 mit Gefchid, indem er dem Material des Steines Rechnung trug, aus dem Zuviel des Holzfchnittes das Brauchbare und Wefentlichfte, fiir den Mteifel das Taug-
Nuhe und Refignation als Stimmungs-Not- wenbdigfeit für den Inhalt der Santa Conver- fazione des „Schweißtuches“, hier in der fta= tuarifchen Faffung und Selbftindigfeit Leben und Entjchloffenheit.
Für die beiden anderen Figuren fommt Dürer nicht in Frage.
Lapt fic) die Geftalt St. Rorbinians {hlieflich auch aus mittelalterliden Grabfteinen beraus erflaren, fo fann man fic) die fecfe male- rifche Rüdenanficht St. Sigismunds faum ohne
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaiffance in Altbayern 109
Vorbild denken. Sollte man fie niht am | Stichen und Schnitten, die fiir foldje Geftalten Ende auf allgemeine Anregungen in Dürerd | unzählige Beijpiele bieten, zurüdführen dürfen! !)
1) Der altbayerifchen Malerei jener Zeit find ja folche Pofen nicht fremd und aud) in fpätgotifchen Altarrelief8 treten fie ab und zu auf; neu ift da8 Wagnis, fie ftatutarifc) zu verwerten. UWebrigeng zeigt ein Bild des Landshuter Malers Hans Wertinger gen. Schwab, Alexander und fein Arzt, von 1517, im Rudolphinum
110 Philipp Maria Salm
Unverhüllt zeigt fi) Dürer aber noch in Qntereffe. Marolt ftarb am 13. Juni 1513, dem Eleinen Relief der Anbetung der Könige; im gleichen Jahre, in dem auch die beiden ihm ift der entjprechende Holzfchnitt aus dem Meffen auf dem Altar geftiftet wurden. Das- „Marienleben“ (vor 1506, B. 87) zu Grunde felbe Jahr darf wohl auch fiir die Entftehung gelegt. ') des Altar3 angenommen werden. Wie {don
Woher aber nahm der Meifter feine Archis oben angedeutet, hat Marolt wohl felbjt noc) tefturen? Es dürfte faum einem Bweifel be- den ganzen Plan des Denkmals, mwenigjtens gegnen, daß auch bier wie allerorten Drud- dem ftofflichen Inhalte nach, beftimmt. erzeugniffe die Wege gemiefen haben. Wie Der Meifter des Werkes ift unbefannt. Gig anders hätte er zur Renntnis der neuen hart vermutet einen Bildhauer „Zr. S., wohl Formen fommen finnen. Diefe Annahıne ges einen Landshuter, da ein Grabmal in der winnt an Wahrfcheinlichkeit dadurch, daß Jodolstirde dortfelbft diefelbe Arbeit und das- wenig{ten8 eine der Nijchenumrahmungen — felbe Zeichen trägt*.?) Die neuere Forfdung freilich die altertümlichite —, jene des heil. |. Tieß das Monogramm außer acht?) oder fonnte Paulus, auf einen Holzfchnitt zurüdgeht. Sie e3 nicht mehr finden.) Troßdem ift e8 nod ift gleichfall8 dem Marienleben Dürers und vorhanden, wenn auch etwas verjtedt. An der zwar dem Blatte ,Joadim und Anna unter Bajis der beiden Kleinen Pfeiler der Sigismund- der goldenen Pforte” von 1504 (B. 79) ent— nifche find nämlich als Füllungen zmei fleine lehnt (Abb. 4). Hier offenbart fich die Freude | Täfelchen angebracht, von denen daS linke den des aus der Gotif erwadfenen Steinmegen am Budjtaben S, das redte den Budftaben R Einzelnen und an feinem hohen Vorbild aufs trägt (Abb. 5). deutlichfte, denn nicht allein, daß er genau Auf Grund diefer Signatur begnügen wir die Fünftlichen Verfchlingungen des WAftwerfs ung zunächft mit unferem Meifter als einen nachmeißelt, er geht fogar foweit, in denfelben Monogrammiften S. R. — nicht, wie Sighart die Figürchen mit all ihren Einzelheiten bei- lag, R. S., weiter zu arbeiten. zubehalten.
Die Abhängigkeit von Dürer erflärt aber ee a ontgagie NC nun aud) zur Genüge die ftiliftifchen Unter- | as: Poe fchiede der einzelnen Teile und den Wechjel des | a f Ly ! Materials. In dem Schrein gab der Meifter ! 4 ſich noch weſentlich ſelbſtſtändig; ſieht man ea En von den Pilaftern ab, fo deutet faum etwas UB. 5.
Dionogramm bes Kanonifus Kaspar Marolt
auf die neue Beit; er ift noch der Gotifer. ER Designs: ak reifen.
Sm Verlaufe der Arbeit aber ward ihm die Kenntnis Dürerfcher Kraft und Größe, der er fich nicht verfchließen fonnte. Sie wiejen ihm | neue Pfade. Meifters S. R.
In feiner Stellung an der Grenze zweier Das eben erwähnte Grabmal der Yodols= Welten verdient der Marolt- Altar befonderes firche in Landshut) ift eine prächtige Platte
Die übrigen fignierten Werle des
in Prag in der Haltung der vorderften Figur fowie im Roftiim derfelben Unkldnge an die Geftalt des Hl. Sigis- mund. Irgend welche fihere Schlüffe daraus gu giehen, erachte ich jedod) fiir ungulaffig.
1) Vergl. aud) Mader, Loy Sering 1905 S. 92. Auch) für das Fülftüd des reitenden Senfenmannes in der Schrift fheint mir ein Holzfchnitt Türer$ (B. 131) vorgelegen zu Haben.
2) Sighart, Gefhichte der bild. Künfte in Bayern. 1862 ©. 501.
5) K. D. B. I, 366.
‘) Sammelblatt de8 Hiftor. Vereins Freifing V (1895) G. 44.
5) Sighart, Gefdhidte ber bild. Kiinfte in Bayern 1862 ©. 506. Nagler, Die Monogrammiften V, GS. 65 Mr. 279. Staudenraus, Topogr. Stat. Vefdreibung von Landshut. 1835 6.114. Saad, die gotifde Urdhitettur und Plajtif ber Stadt Landshut 1894 ©. 55. Staudenraus und Haad Überfehen dag Monogramm. Wir erwähnen bier nod, dak an ber füdlichen Außenwand ber St. Jodofsfirdhe in Landshut fi) ein Epitaph eines Heinrich Shingspeil aus dem 15. Jahrhundert befindet — die Jahreszahl ift bis zur Untenntlichleit überarbeitet — welches in einem Schildchen einen ganz ähnlichen Pfeil wie das Mtonogramm am Stein de8 Peter von Alten
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frithrenaiffance in Altbayern 111
von rotem Marmor, die dem Ritter Peter von Altenhaus, Pfleger zu Maternberg, geft. 1513, gewidmet ift (Abb. 6). Sie ftellt ung den Ritter, auf einem fauernden Hunde ftehend, dar, voll ge= rüftet, mit dem Banner in der Rechten, die Linke am Schmwertgriff. Aus dem aufgefchlagenen Bifier blickt ein energifches Geficht mit fcharf gebogener Nafe. Das Bildfeld der Platte wird durch eine Einfaffung aus zufammengefügten ornamentalen Blumenfelchen eingeengt, die teils nadte, teil3 befleidete und gewappnete Putten beleben. Unterhalb der Schnauze des Hundes findet fich eine Eleine Tafel mit den Buchftaben S. und R., gwifden die ein Pfeil mit einem Querftrich eingefchoben ijt (Abb. 7).
E3 fann fein Zweifel betehen, daß wir in diefem Werk wieder den Meijter des Marolts Altares vor ung haben. Mehr als das Mono= gramm bezeugt es der Stil. Die Stellung Peters von Altenhaus gemahnt an die des hl. Georg recht3 der Predella. Die Betonung von Spiels und Standbein teilt die Figur des Ritters aud noch mit den andern Geftalten. Auch die Technif {apt an beiden Werfen gemeinfchaftliche Eigen- beiten erfennen; am augenfälligjten ift die Gleich: beit in der Behandlung des Chorrods Marolts und des Felles des Hundes, auf dem Peter von Altenhaus fteht.
Für die weitere Unterfuchung erfcheinen noch einige Eigentümlichfeiten befonderer Beachtung wert, fo des Meifters Vorliebe für die Butten, und die Freude an ornamentalem Beiwerf, Züge, denen wir jchon am Marolt-Epitaph begegneten; dann das gut beobachtete Fliegen des Schur- zes und fchlieglich das Schildchen, welches das Monogramm trägt.
Die Ausführung des Steines ift ungemein fleißig und hingebend. Kaspar Darolt und Peter von Altenhaus jtarben im gleichen Jahre, 1513. So werden auch ihre Epitaphien zu gleicher Beit entftanden fein. Stiliftifche Bedenken er- wachen nicht gegen diefe Annahme.
Weitere Arbeiten des Monogrammiften S. R. waren bisher nicht befannt. Wir führen zunächit noch zwei durch Zeichen beglaubigte an. Die eine fteht unmittelbar neben dem
haus trägt, jedoch find die Flugenden nad) außen gebogen. Wir Haben hier zweifellos fein Steinmetz⸗ zeihen, fondern eine Hausmarfe vor ung; der pris mitive Stein hat mit unjerem Meifter nicht das Geringite gemein.
Abb. 6. Grabplatte des Petrus von Wltenhaus, geft. 1513, in ber St. JodolStirde in Landshut.
Monogramm auf ber Grabplatte bes Peter von Altenhaus in der St. Jodofsfirdhe in Landehut.
Philipp Maria Halm
geft. 1520, der darauf in ziemlich flachem Relief dargeftellt ift.!) (Abb. 8.) Den untern Teil der Figur verdedt ein breite® Schriftband, fo daß fie, fieht man von dem fehmalen Saum der Albe ab, nur als Bruftbild wirkt. Der Hanonifus mit würdigen milden Zügen in dem leicht gefenften Ropfe fegnet den auf einer Brüftung vor ihm ftehenden Kelch. Eine jich perfpeftivifch vertiefende Nifche mit flafchen- artigen Säulenjchäften, ähnlich jenen an der Korbiniansnifche des Marolt-Epitaphs um- rahmt das Bild. Jn der unteren rechten Ede des Steines finden wir nun als Füllung eines Pilafterfußes ein Eleines an einem Riemen han- gendes Schild mit dem gleichen Pfeil, wie er am Stein de3 Petrus von Altenhaus zwifchen die Budhftaben S, und 2. eingefdjoben ift (bb. 9). Das Zeichen, das bisher allen Forfchungen ent= ging, ift ungmeifelhaft die Marfe des Steine meßen. Wie der Meifter am Mearoltjtein nur mit S. und AR. fige nierte, fo läßt er e8 bier mit Dem von einem Strid) durchquerten Pfeil bewenden. Die vollfommene jtiliftifche Uebereinftimmung mit
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TIT Pere
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platte des Kanonikus Petrus
Werfen zerſtreuen alle Kalbsor im Domkreuzgang
Bedenken, die etwa der zu Freiſing. verſchiedenartigen Abb. 8. Grabplatte des Kannnilus Petrus Kalbsor, geſt. 1820, Monogrammierung halber laut werden könnten.
im Domkreuzgang zu Freiſing Bon 1521. -
Die oberen Zwickel des Steines füllen links Marolt-Altar im Domkreuzgang zu Freiſing; es eine geflügelte Kugel mit den Buchſtaben iſt die Grabplatte des Kanonikus Petrus Kalbsor, A. P., rechts eine Kugel, auf der ein Täfel—
is; 1. — Ubb. 10. Vom Grabftein des Kanonikfus Petrus Kalbsor im Domfreuggang gu Freifing.
1) K. D. B. I, 366. H. 1,92. Br. 0,85 m.
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaifjance in Wltbayern 113
chen mit der Jahrzahl 1521, dem Entftehungs- jahr des Steines liegt (Abb. 10). Auch bier alfo wieder ein Täfelchen wie an dem Schrein, an dem rechten Flügel des Marolt- Wltars und am Steine in St. Jodof zu Bandshut.!)
Der andere fignierte Stein ift am Weft- portal der Garnifongfirche in Ingolftadt?) ein= gemauert; er ift einer Dorothea Efterreicherin, geft. 1521, und einer Elifabeth Ejterreicherin, geft. 1497, gewidmet (Abb. 11). Hier blieb der Bildhauer ganz ornamental. Eine Frührenaif- fance-NRifche, deren Bogen und Wölbung mit einer Art aufgefebtem Laubfagenornament ge- ziert ift, umfchließt eine runde Infchriftfcheibe; Berlenfchnüre, Wappenfchilde, Totenkopf, Stun= denglas füllen den unteren freien Raum. An der linken Säule aber lehnt ein Schilöchen mit der Jahrzahl 1522 als Entjtehungsdatum der Skulptur, und im oberen linfen Bogengwicdel findet fich wieder eine geflügelte Kugel, dieg- mal mit den Bucdjftaben S. und R. (Abb. 12.) Auch hier die Signierung alfo, aber wieder in ans derer Form; dennoch fann fein Zweifel bejtehen, daß e8 fich um den gleichen Meifter handelt.
1) Der Stein fand bisher Erwähnung bei Lübte, Gefdidte der Renaiffance in Deutfchland 1. Aufl. (1872) ©. 521 und 2. Wuflage II (1832) ©. 7; dann in den K.D.B. I, 366. Un beiden Stellen werden die Bud)- ftaben A. P. irrtiimlider Weife als Steinmeßzeichen angefprodjen, die eigentlide Meiftermarfe aber über fehen. Um die ftiliftijde Unterfudung nicht zu hemmen, verfdieben wir die Deutung der Budftaben A. P. auf eine geeignetere Stelle. Weltere Abbildungen des Steines — aus dem 18. Jahrhundert — bieten cgm. 1717 ©. 407 mit bem falfden Datum 1525 ftatt 1521; die Bud= ftaben A. P. fehlen; ferner cgm. 1718 ©. 193, wo alle in Frage ftehenden Zeichen meggelafien find.
*) K. D. B. I, 51, wo die Signatur unerwähnt blieb. H. 1,61 Br. 0,80 m.
Abb. 11. Epitaph ber Dorothea und Elifabeth Efterreicherin, geft. 1521 und 1497, an ber ehemal. Minoritenfirdhe in Ingolftadt.
Abb. 12. Meifterzeihen und Datierung vom Epitaph der Dorothea und Elifabeth
A M. b u. 6.
Eſterreicherin an der ehemal. Minoritenkirche in Ingolſtadt. 15
114 Philipp Maria Halm
Die nicht fignierten Werke des Meifters S. R.
Die vier fignierten Werke de3 Meijters S. L., von denen er gwet furg nach 1513, eines im Sahre 1521 und das legte im Jahre 1522 fertigte, bieten in ihrem Formenreihtum und ihren Stileigentiimlichfeiten fo viele Anhalts— punfte, daß es nicht fchmwer hält, eine giem-
1) K. D. B. I, 420. H. 1,88 Br. 0,96 m.
liche Anzahl weiterer Werfe dem Mteifter mit Sicherheit zuzumeifen.
Verfuchen wir gunddft die Lüde zwifchen dem Marolt-Epitaph und den beiden legten Ar- beiten auszufüllen. An erfter Stelle ift hier die Grabplatte einer Margarete von Fraun— burg, geft. 1515,1) in der Johannesfirde in Moosburg einzufchieben (Abb. 13). Die Hand des Meifters ift unverfennbar. Er verbindet in diefem Werk die ornamentalen Nifchen-Motive der beiden Steine von 1513; die Figur meift in Haltung und in den durch die Fußftellung
Abb. 14. Grabplatte des Chorherrn Wolfgang Wirfing, geft 1515, im Domfreuggang gu Freifing.
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frithrenaiffance in Altbayern 115
bedingten Gemwandfalten auf die Maria des Maroltidreines Hin, zu der fie ein freies Spiegelbild darftelt. In der Ausführung fteht diefer Stein nicht auf der Höhe der beiden früheren; er ift handwerflicher.
108 eingehenden und unmittelbaren Vergleich. Yür das erfte Epitaph, das eines Chorherrn Wolfgang Wirfing, geft. 1515 (Wbb. 14), wird die Bumeijung an S. R. begründet durch die Haltung des Oberkörper und namentlich des
Die näcjiten Werke des Meifters führen und wieder an den Ausgangspunkt unferer Unterfuhung, in den Domfreuggang von Frei fing. Wenige Schritte vom Marolt-Altar und dem Kalbsor-Epitaphentfernt, geftatten fie mühe-
Kopfes — Kalbsor-Cpitaph — durch den pro— filierten Bogen — Fraunburgerfiein in Mtoos- burg — und durch die außerordentlich charaf- terijtifche Technif.!)
Die nächjte Arbeit fteht im engften ftili-
1) Ueltere Abbildung in cgm. 1718. In der Sammlung bes Hiftorifchen Vereins Freifing befindet fi der ftart abgetretene Grabftein einer Webtiffin Margaretha Lefhin, geit. 1526, mit deren Bruftbild. Die
16*
116 Philipp Maria Salm
ftifchen Zufammenhang mit der fignierten Grab- platte des Canonicus Petrus Ralbsor. Sie ge= hört einem Cononicus Petrus Schaffmang- perger, gejt. 1516") an. (Abb. 15). Unter einer in
breitem Kleeblattbogen gefchlofjenen, perfpef-
tivifd) gefehenen Hallen-Nifche, die auf flafchen- artigen Säulen ruht, Iniet nach recht8 der Ber- ftorbene vor Kelch und Buch. Ohne auf die ein= zelnen Bunte, die für eine Zumeifung beftimmend find, wie die Balufterfaulen, das Quadermotiv der Nifche — KHalbsorftein —, die Modellierung des Kopfes, die technifche Behandlung des aus Pelaftreifen gefertigten Chorrodes näher ein- zugeben, fei der Blid nur auf das Heine geilen- füllende Relief am Ende der Jnfchrift gelenft, das einen am Boden fikenden Tod darftellt, der nad) einer Sanduhr auf einem Rade weift (Abb. 16). Diefes kleine Relief entfpricht in feinem Inhalt als Signum des Todes und in feiner Aufgabe al3 Raumfüllung ganz dem reitenden Senfenmann an der Infchrift des Marolt- fchreing. Yoh erblide in ihm, wenn aud fein zmwingendes, jo doc) ein ergänzendes Moment für die Zumeifung auch diefer Arbeit an den Monogrammiften S. R. Gigenartig reizvoll wirft an bdiefem Steine das flache perfpelti- vifche Relief der Halle, die gang im relievo sciacciato de8 italienifden Quattrocento an- gelegt ift.
ALS fünftes Werk des Meifter im Dome freuggang ju Freifing treffen wir auf einen
Stein mit dem lebensgroßen Bildnis des Canoni- cus Baulus Lang von Wellenburg, geft. 1521,?) der Propft in Salzburg, Baffau und Wörthfee und ein Bruder des berühmten Kardinal Mat- thäus Lang war (Abb. 17). Die allgemeine Auf- faffung der Figur und die Nifchenbildung er= innern unmittelbar an den Marolt=Altar, der geflügelte Kleine Schildhalter und die Putten mit den Feftons neben anderem an den Stein des Petrus von Altenhaus. Die Geftalt des Priefters ift fehr gliidlich in den nur vielleicht etwas zu engen Raum geftellt und hat in der leicht gefchwungenen Haltung oder, vielleicht bejfer gejagt, in der gemefjenen Bewegung, wie fie fic) in dem durch die feingefältelte Albe tretenden Spielbein äußert, etwas Freie, Ungezwungenes, lUnmittelbares. Gegenüber ähnlichen Geftalten des Meifters, wie 3. B. jener des Wolfgang Wirfing oder de3 Petrus Kalbsor erfennt man deutlich einen mwejent- lichen Fortfchritt; am augenfälligften aber wirft ein Vergleich mit der Figur des Petrus von Altenhaus. So frei und fihn fich aud der Ritter aus den Hüften hebt, fo ftehen feine Füße doch lahm und unficher auf dem Nüden des Hundes; Paulus Lang aber tritt feften gemwichtigen Schrittes in ftolzem Selbft- bemwußtfein einher.
Der prächtige Stein blieb allem Anfchein nad) unvollendet. Zwar find das Almutium und die Albe in ihrem ftofflichen Gegenjaß zwifchen dem weichen Pelz und dem vielfalti- gen Linnen fehr fein ausgeführt, dagegen ift der Kopf nicht viel über die allgemeine An- lage Hinausgediehen. Es fehlt ihm die ein- gehende Modellierung und der forgfame Schliff, die wir an anderen Arbeiten des Meifterg, 3. B. an dem Petrus von Altenhaug zu fehen gewöhnt find. Gs fteht ferner außer allem Bmeifel, daß der Stein nur unvollftändig auf uns gefommen ijt. Der jebige Zuftand des— felben, vor allem die baltlofe Form der Bogen- zwidel feßt zum mindeften einen weiteren Abjchluß nach vben und damit als hidft mwahrjcheinlich und zwar des befferen Verhält- niffes wegen auch eine reichere feitliche Archis
Urditeftur geht mit jener deS Wirfing-Epitaphs fo eng gufammen, daß diefe Arbeit zum mindeften dem reife unferes Meijters, wenn nicht ihm felbft, augefdrieben werden muf.
1) K. D. B. I, 365, H. 1,85 Br. 1,30 m. Meltere Abbildung in cgm. 1717 ©. 836.
*) üble, Gefhichte der Renaiffance in Deutfhland TI (1882). 7. Weltere Abbildungen in cgm. 1717 ©. 440 und cgm. 1718 ©, 221. K.D. B. I, 367. H. 2,23, Br. 1,15 m.
Abb. 17. GSrabftein des HKanonikus Paulus Lang von Wellenburg, geft. 1
521,
im Domfrenggang gu Freifing.
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaifjance in Altbayern 117
teftur voraus.') Wie diefe ungefähr zu denken ift, werden wir noch fpäter zu betrachten haben. Ob diefe Urchiteftur jemals gur Wus- führung fam, oder ob fie, ehedem vorhanden, gelegentlich der Aufitellung der Grabjteine im Kreuzgang durch Bifdof Johann Franz im Jahre 1708 etwa aus Gründen der Ron- formität mit den übrigen Steinen entfernt wurde, fteht dahin.
Qn Freifing findet fich feine weitere Mars morjfulptur, die mit unanfechtbarer Beftimmt- heit den Meifjel unjeres Meifters verriete. E8 fünnte nur noch der wenig bedeutende Grab- ftein des Canonicus Rupert Auer von Puelach, geft. 1520, in Frage fommen, wenigften’ bin- fichtlich der technifden Mache, doch weift er in der Art, wie die müde Figur unbeholfen in die Nifche gezwängt und wie die Hände ge= faltet find, eher auf einen [hmwächlichen Nach- ahmer, al3 auf den Meifter jelbit.
Wefentlich mehr Wahrfcheinlichkeit fpricht für den Grabjtein des Ritters Sigmund Bucher, geft. 1514, in ©. Cajtulus zu Moosburg. Bei einem Vergleich mit dem des Peter von Alten= haus, der in eriter Linie heranzuziehen ijt, wird diefer zunächit wegen des reichen Beimerfs und der außerordentlich feinen Durchbildung aller Einzelheiten mehr bejtechen. Greift man jedoch) das Wejentliche der beiden Werke heraus, die Figur der beiden Nitter, jo wird man der unverfennbaren Vorzüge de8 Moosburger Steines augenblidlich gewahr. Der Berzicht auf einengende Nijchen und ähnliches Beimerf geftattet der fühnen Figur des Bucher größere Bewegungsfreiheit. Peter von Altenhaus jteht unficher auf dem Hund, der Pucher dagegen wiegt fid) federnd in der Sicherheit des Sehrittes. E3 ift dasfelbe Empfinden, wie bet dem Canonicus Lang von Wellenburg. Jn diefem Bewegungsmotiv erblide ich auch den wefentlidften fiir den Mteifter S. R. fpredjen- den Grund; daneben legen freilich auch Schnitt und Behandlung der Helmzier und die Rüftung deffen Urheberjchaft nahe Weberrafchend wirkt der nur von einer Neßhaube bededte Kopf des Puchers; er ift ein unmittelbar dem Leben abgejchriebenes Porträt mit derben fnochigen und ent{dlofjenen Zügen, das zu den beiten
Bildniffen in Altbayern zählt. E83 überragt alle bisher von unjerem Meifter erwähnten Werfe, ohne jedoch dabei auf eine andere Hand hinzuweiſen.
Auch Landshut beſitzt noch ein weiteres Werk unſeres Meiſters in der Grabplatte des Ritters Georg Kärgl von Siesbach, geſt. 1527.2) Sie iſt in einem Nebenraum der Kärglſchen Kapelle zu Kloſter Seligental unter einer Treppe faſt unzugänglich eingemauert. Die
') Auf die Unvollſtändigkeit deuten auch die glatt behauenen Geſimsſtücke der Niſche. Haack, Die gotiſche Architektur und Plaſtik der Stadt Landshut 1894 S. 5b.
118 Philipp Maria Halm
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Um Jem.
Buweifung an S. R. rechtfertigt fich zunächſt durch die Architektur, die jener am Grabmal des Lang von Wellenburg nah verwandt und genau wie diefe an dem linfen unteren Ge- fimsftüd mit einem Wappen haltenden Engel- chen auggeftattet ift. Eine prächtige Figur ift der Ritter, der in ungezwungener Haltung mit faft gezierter Beweglichkeit auf einem Bären dem Wappentier der Kärgl — jteht. Die Mehnlichfeit mit den fchon erwähnten NRitter- grabfteinen fpringt unmittelbar in die Augen.
’ Der Umftand, daß das Todesdatum erjt jpäter
volllommen ausgefüllt wurde, bemeift, daß das Monument fchon zu Lebzeiten des Ritters errichtet wurde. ch febe es um das Jahr 1520 an. Auf diefe Zeit weifen auch die dem
, Steine des Lang von Wellenburg (geft. 1521)
nahezu fonforme Architektur fomie die ftiliftifche Uebereinftimmung mit dem folgenden Werfe des Meifters, welches das Entftehungsjahr 1520 trägt. Es ift der Grabftein des Thomas Löffel- hols von Ktolberg, geft. 1527, in der Stiftskirche zu Altötting,!) den fic) der Ritter alfo ſchon zu Lebzeiten hat meiffeln laffen (Abb. 18). Die in Hochrelief gearbeitete Figur trägt Maris miliangrüftung mit flatterndem Schurz wie Peter von Altenhaus, Sigmund Puder und Georg Kärgl; mit der Rechten faßt er die Fahne, die Linke ruht am Schwertgriff. Die Zus gehörigfeit zu den Arbeiten des Meifters S. Ze. offenbart fi) unmittelbar aus der Pfeiler- nifche mit den Feftons und den Putten in den Bogen, Motiven, zu denen fich gleiche oder jehr verwandte Formen in faft allen uns bisher befannt gewordenen Werfen nachweifen lafjen. Ueberdies dedt fich die Figur des Loffelholg mit den übrigen Rittergeftalten des S. R. in auffallender Weife und zwar nicht nur in der ganzen Auffafjung und Haltung, in der Stellung, in der WArtifulierung der lieder, fondern auch in jenen fleineren Eigen- tümlichfeiten, die weit deutlicher die Hand ihres Schöpfers verraten als in die Augen fpringende Allgemeinheiten, 3.B. in dem fliegenden Schurz.
Auch diefes Werk ift nicht in feiner ur= fpriingliden Bollftändigfeit erhalten; der Mangel einer Infchrift und eines fejten Rabh- mens weilt deutlich darauf Gin. Glüdlicher- meife aber haben zwei Zeichnungen des 17. bezw. des 18. Jahrhunderts?) den alten Aufbau des Monumentes feftgehalten. Bei beiden um= rahmt eine grofe Urdhiteftur das eigentliche Bildfeld. Die ältere Zeichnung (Abb. 19) er= fcheint etwa8 reicher; die auf dem WArdhitrav ftehenden Figuren eines Nitter8 und eines Ge- lehrten fcheinen fpätere Zutaten gewefen zu fein, fie fehlen bei der jüngeren Zeichnung.
)K.D.B. I, 2849. H. 2,30, Br. 1,10 m. Stulturgefdidtlid) intereffant ift diefer Stein durd) bie den Serufalemfahrer kennzeichnenden Orden vom Hl. Grabe und den Katharinenorden am unteren Rande der Platte. *) K. D. B. I, 2349. Die ältere Zeichnung befindet fi) in einem von Thomas Löffelhoig (1656—1716) verfaßten Familienbude im Archiv des Germanifden Mufeums in Nürnberg (D. 1, Nr. 1), die jüngere Zeich- nung in cgm 2266 (BI. 48), welder 1783 im Wuftrage der K. Ufademie der Wiffenfdaften hergeftellt wurde.
DIE Per
Vom Monument des Alexander Lebersfircher in der Pfarrlicche zu Gerzen.
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenafjance in Wltbayern 119
Diefe macht, obwohl noch mwefentlich dilet- tantifcher, in manchen Einzelheiten den Ein= drud forgfältigerer Treue. Nach ihr hätten die Säulen recht und Linfs der Nifche ganz und gar jenen an der Korbiniansnifche des Mearolt-Altars, und an den Epitaphien der Ranonifer Ralbsor und Schaffmannsperger geglichen.. So ähnlih nun mag aud) die Urdhiteftur de Steines de3 Paulus Lang von Wellenburg gemwejen fein.
Wie fünftlerifch mindermwertig die beiden Zeichnungen auch fein mögen, fo vermitteln fie un8 dod einen ungefähren Eindrud von der ehedem impofanten Wirfung de3 Steines. Unje- rer Einbildungsfraft aber fommen aud) nod gwei Werke de3 Mteijters S. A. gu Hilfe, die bis auf den heutigen Tag ihre reiche ardjitef- tonif{.he Pract wenigftens gum größten Teil bewahrt haben. G8 find die Denkmäler zweier Ritter in den Pfarrkirchen zu Arnftorf (Bezirks- amt Eggenfelden) und zu Gerzen (Bezirksamt Vilsbiburg) in Niederbayern. Das erfte, einem Hans von Klofen, geft. 1527, errichtet, entwidelt fic) 3u ciner Höhe von 3,5 m (Abb. 20). Yn einer flachen Nifche, die von einer kräftig gegliederten Frührenaiffance-Arcdhi- teftur umrahmt wird, fteht der Ritter mit geöffnetem Bifier. Sein Banner entfaltet fich hinter ihm in breiter Bahn. Die Mijche wird von einem Aufbau befrönt, der die bandartige Inschrift umschließt und in eine Mufchel mit feitlihen Boluten endigt. In diefer Höhen einteilung blieb da8 Denkmal unverfehrt, da- gegen ift die flanfierende Architektur nicht mehr intaft erhalten. Der Entftehungszeit de3 Werkes gehören die beiden eigenartigen Stüßen und die zwei Boluten mit NRofetten am Unterbau an. Befonderer Beachtung wert erfcheint es, daß diefe Teile wie die Flügel des Maroltaltars im Gegenfaß zum übrigen in Sandftein gemeißelt und duch Anftrich zum Ton des roten Mar=-
mors geftimmt find. Ob diefe Bauglieder ur
fprünglich die jegige Anordnung zum Mittel- teil hatten, erjcheint mehr als fraglid. Das
18. Jahrhundert nahm fich der Wiederherftel- :
lung de8 Werkes an, ergänzte in feiner Stil- weije nicht gerade ungefchidt die fehlenden Seitenteile der oberen Partien, fügte den Eruzi- firus mit Maria und Johannes Hinzu und febte aus den Reften der alten Umrahmung den unteren Teil, fo gut e3 eben ging, zufammen.
Ahb. 22. Monument bes Wlexanber Lebersfirchener, geft. 1521, in ber Pfarrfirdhe gu Gergen.
Eine Darlegung aller Cingelbeweife fiir die Bu- weifung de8 Werfes an S. A. erjcheint über- flüffig; fie ergeben fich dem prüfenden Auge
120 Philipp Maria Halm
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Abb. 23.
ohne weiters. Immerhin fei die Aufmerkfam- feit wieder auf die Feine Tafel gwifden den Füßen des Mitters und auf die Freude des Meifters an den Putten gelentt.
Der Stein in der Pfarrkirche zu Gergen, ungefähr eben fo groß, wenn auch nicht fo reich,
Sandftein- Reltef im Sighart-Mufeum in Freifing.
wie das Klofenfche Denkmal, übertrifft diejes an fünftlerifhem Gehalt (Abb. 21 und 22). Qn einer Nifche mit Frührenaiffancefäulen niet Wlerander LVebersliccher von Lichten- bag, geft. 1521, nach linfs gewendet in einem mit Sdnigwerf und einem Kleinen
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frithrenaiffance in Altbayern 121
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Abb. 24. i? Solzſchnitt der Mailänder Schule. Sammlung Rothſchild in Paris.
Wappen) !gezierten Betſchemel. Er trägt Im rechten Arm ruht die Lanzenſtange, durch den Maximiliansharniſch, aus dem Viſier die Hände rollen die großen Perlen eines Roſen— ſchaut ein mildes, fromm gläubiges Geſicht. kranzes. Das Feld über der Niſche nimmt ein
) Das Wappenſchildchen, urſprünglich in Bronze gegoſſen, wurde in den achtziger Jahren des 19. Jahr= hunderts entfernt und durch einen Gipsabguß erſetzt. W. M.5 1. 6, 16
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breites Schriftband ein. Die Befrinung des ganzen Aufbaues bildet ein Figürchen des „Ehriftus in der Raft“, zu dem aller Wahr- Icheinlichkeit nad) der Meifter das Titelbild der Heinen Holzichnitt-Paffion Albrecht Dürers von 1511 (B. 16) benüßt hat.
Der Stein des Alexander Leberskirdher er- weitert unfer Wiffen von dem Können des Meifters infoferne, al8 er fic) nicht mit der einfachen repräfentativen Darftellung des Ver- ftorbenen begniigt, fondern ein faft monu- mentales Genrebild, den Ritter im Gebete, gibt. Gr beherrjcht feine Aufgabe, von der etwas fchwer verftändlichen Haltung der Hände abgefehen, durchaus und weiß aud) den Mar- mor zu einem finnigen Gefichtsausdrud zu zwingen. In feelifcher Belebung, die ihm feines- weg3 immer al8 Hauptziel feiner Porträtkunft vorfchmebte, hat hier der Meifter S. 22. fein Beites gegeben. Zwar verfucht er da und dort über ein bloßes Abfchreiben der Natur hinausgu- gehen, wie etwa im Kopfe der Kanoniker Wir- fing und Ralbsor oder des Sigmund Pucher und am glüdlichiten hier im Gefichte des Ale— zander Lebergficcher, aber von fonderlicher Vertiefung lannn bei all diefen Verfuchen Feine Rede fein. Offenbar interefjierte den Meijter mehr die einzelne Berfon in ihrer Gejamter- fdeinung und Haltung. Ein Paulus Lang von Wellenburg, ein Sigmund Pucher, ein Georg Kärgl, fogar die Eleinen Figürchen des Marolt-Altares ftehen ald markig gefühlte, groß zügig umrifjene Vertreter ihres Standes vor uns. Man fpürt ihnen des Meifter8 Herr- Tchaft über den Körper, das Berjtändnis für die Funktionen der Glieder und für die be- weglidje Elaftigitét eines fraftigen Gefamtor- gani8mus nad); felbft die Putten, die nadten nicht weniger wie die befleideten, teilen in ihrer frifchen Natürlichkeit alle diefe Vor— giige mit den lebensgroßen Geftalten des Meifters.
* * *
Das bevorzugteite Material für den alts bayerifden Steinmeßen jener Bett war der rote — meift Adneter — Marmor; andere Stein= arten fommen verfchwindend felten zur Bermen= dung. Eine Zufammenftellung verjchiedener Wla=
Philipp Maria Halm
terialien an einem und demfelben Werf mie beim Maroltaltare mußte deshalb umfomehr überrafchen. Unfere Unterfuhung wieg vom Schrein diefes Werkes ausgehend gunddft den Weg nad) den Marmorffulpturen des Meifters. Wir können nun aber auch nod) gwei Sandz- fteinrelief8 unbedenklich dem gleichen Meifter zufchreiben. DBezeichnender Weile treffen wir fie an Orten, wo der Meifter S. A. durd fignierte Werke vertreten ift. Das erfte Relief, in der Sammlung der ehemaligen Mtartins- fapelle (Sighartmufeum) in Freifing, hat feiner- lei Injchrift (Abb. 23). Vielleicht ift e8 der Reit eines Altaraufbaues; darauf fcheint mir wenig⸗ ftens die Anordnung zu deuten. In einem reichen Rahmen fteht, von Engelwolfen ummogt, eine Figur des Salvators von faft Dürerifcher Kon zeption. Die Eden des Rahmens bilden De= daillons mit den vier Evangeliftenfymbolen, etwa im Einne eines Budhtitel3.!) Die Seiten- teile geben ein auffteigende8 reid) mit Putten belebteg Pilafterornament, die untere Leifte
“einen Fries von Engeln mit den Leidenswerf-
zeugen Chrifti. Im Kopfftüd fieht man Putten das figende Chriftfind auf einer Bahre mit fich führen; links und rechts diefer Gruppe jchließen fich al8 Gegenftüde die Verkündigung Mariä und der Sündenfall an. Das foftlide Werk befindet fich infolge derBermitterung des weichen Sandjteines in einem jammervollen Zuftande. Ganze Füllftüde des Rahmens find ausge- brochen, die oberften Schichten des ehedem be= malten NRelief3 haben fich ftellenmweife abge blättert und geben der Skulptur ein blatter- narbiges Ausſehen. Troßdem bewährt der Stein feine urfprüngliche feierlich reiche Wirkung. Die Puttenfigürchen find von reizender Lebendigkeit und erquidender Frifche, der hoch einherjchrei= tende Salvator mit dem prächtigen Qodenhaupte und der italienifchen Ponderation von monus mentaler Größe. Daß S. R. auch der Schöpfer dieſes Werkes ift, unterliegt feinem Zmeifel; der Vergleich mit den Flügeln des nur wenige Schritte entfernten Maroltjteines wirkt bier ebenfo überrafchend wie überzeugend. Nur eins erfcheint fremd, die malerische Weife des Mittel- feldes, fpeziell das wenig erfreuliche, zu voll und unruhig wirkende Engelgemölt, diefer zweite Tchwammige Rahmen innerhalb des eigentlichen
1) Vergl. 3. B. Butfch, Die Bücerornamentif der GFriihrenaiffance. Taf. 18 und Taf. 57.
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaifjance in Altbayern 123
Rahmens. Die Urfache ift leicht erfindlich; alles deutet darauf hin, daß dem Mittelfeld ein graphifches Vorbild, das uns jest unbe- fannt ift, zu Grunde lag. Man denkt an Dürer oder Cranad).
Für die Umrahmung find mir in der glüd- lichen Lage, die Vorbilder nachweilen zu können. Bunächft ift nicht fchwer zu erkennen, daß die Verfündigung der oberen Leifte in der ganzen Kompofition und in einer ganzen Reihe be- flimmender Einzelheiten genau Dürers Blatt aus dem Marienleben (B. 83) wieder gibt. Un gleich wichtiger aber ift die Wahl des zweiten BVorbildes. Auf den erjten Blid erhellt, daß fein Deutfcher diefen Rahmen erdacht haben fann. Um das Jahr 1520, in daß wir un- gefähr diefes Werk gu feken haben, fuden wir in Deutfchland vergebens nach folch reifen und reinen Schöpfungen des neuen Stils, felbft in der Buchlunft; es fonnte alfo nur Italien felbft unferem Meifter fpendend genaht fein. Das Vorbild fand fich denn auch in einem Holz= fchnitt der Mailändifchen Schule, betitelt: das Wunder der hl. Martha (Abb. 24). Das einzige bisher befannte Exemplar desjelben befindet ih in der Sammlung Rothichild in Paris.!) Er gehört der Zeit um 1500 an. Meifter S. R. nahm die ganze ornamentale Umrah- mung von dort herüber, fürzte die Seitenleiften um einige Ranfenglieder und fügte der oberen die Dürerifche VBerfündigung und den Sünden- fall ein. Bei aller Kopijtentreue gibt der Pteifter aber dod) auch etwas Perfönliches Hinzu, in= dem er aus den fchlanfen ätherifchen Putti des italienifchen Buchfünftler8, die gum Teile die Körperverhältniffe Erwachfener tragen, volle
fchmwellende Kinderglieder, echte deutfche Engel- Inaben im Sinne eines Dürer,?) Cranad) oder Altdorfer formte. Daß ein günftiges Gefchid den italienischen Holzichnitt wenigitens in einem Exemplare erhalten hat, ift um fo wichtiger, al3 dadurch unfere Kenntnis von der Runft der Frührenaiffance in Deutfchland in ihren Beziehungen zu Oberitalien um ein unmittel- bares Zeugnis, deren wir nicht allguviele be- fißen, bereichert wird. Für Altbayern ftebht ein derartig auffallendes und überzeugendes Beifpiel bis jet einzig da.
Das zweite Sandfteinrelief unferes Meifters, ein Epitaph für Hans Ejterreicher, geft. 1532 und Dorothea Ejterreicherin, geft. 1521, jteht im Chorder ehemaligen Minoritenz, jeßt Garnifons= ficche in Ingolftad?) (Abb. 25). Es ftellt in einer Mufdhelnifde einen fogenannten , Gnadenftuhl’ dar, d. h. den thronenden Gottvater, der vor fich Chrijtus am Kreuze hält; die Taube fist auf dem Querbalfen des Sreugholzes.‘) Unter der Bildgruppe fnien feitlich des Schriftfeldes in Eleineren mit Gehängen verzierten Nifchen die Verftorbenen. Alles architeltonifche Bei- werk weift nachdrüdlich auf die fignierten Werfe des Meifter8 S. A. hin. Für ihn Sprechen ferner noch die Teppich haltenden Engel und der fleine PButto als Wappenbalter, dem wir in ganz ähnlicher Weife mehrfach auf Werfen unferes Meifters begegnen. Der Kopf Gott Baters fteht in engfter Vermandtichaft mit jenem des vorermahnten Salvator8 in Frei- fing. Wenn in den Gewandfalten Gott Vaters einige Abweichung gegenüber anderen Arbeiten fich ergibt, fo ift dies zunächjt wieder auf den MWechfel des Materials zurüdzuführen, dann
1) Vergl. Lippmann, Der italienifhe Oolafdnitt im 15. Jahrhundert, im Jahrbuch der preußifchen
Kunftfammlungen V (1884) ©. 319 ff. Ehe mir diefe Whbilbung bei Lippmann befannt war, hielt ich Die Litelbilb-Umrahmung de8 Aureum opus de veritate contricionis von J. &. Vivalbdus, eines pradtigen Drudwerkes der Offigin Signerre in Saluggo von 1503 für dag Vorbild, mwenigftens für die fenfrechten Leiften. Ungmeifelbaft aber diente als folches die Bordüre des Nothfchildfchen Blattes. Diefes weilt Übrigens, was Lippmann gang überfehen gu haben jcheint, jo große ftiliftifhe Unterfhiede zmifhen Mittelfeld und Umrahmung auf, dak man nur zwei ganz verfchiedene Hände annehmen fan. Der Holzftod des fhmwäcdjeren altertümlichen Mittelfeldes ift eingefegt und paßt nur ungenau zum Format de Rahmens. Gab es am Ende Drude mit einem Salvatoı alg Mittelbild ?! Lippmanns Anfhauung, die Bordüze erinnere in Zeichnung und Aufbau an jene des Titel- Holafdnitts bei Vivaldus muß außerdem dahin prägifiert werden, baß dejien rechte Leifte vollftändig dem Spiegel- bild der linken Leiſte auf dem Rothſchildſchen Blatte entſpricht.
2) Auffallende Aehnlichkeit findet ſich zwiſchen dem ſtehenden Engelpaar der linken Leiſte und Dürers Stich mit den drei Genien (B. 66), der von Hans Baldung und anderen mehrfach nachgebildet wurde.
5) K. D. B. I, 50 H. 1,66 Br. 0,87 m.
4) Die Darjtellung de8 ,,Gnadenftuhls” war burd) das gange Mtittelalter in Deutfdland fehr vere breitet. Dürer gab ihr im Wllerheiligenbilde die gewaltigfte Rompofition. Bergl. aud) Berger, Handbuch ber fichlihen Kunftaltertümer in Deutfhland 1905. ©. 541,
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124 . Philipp Maria Salm
aber auch auf den Umftand, dab, wie der Gefamt- eindrud des Bildwerfs bezeugt, ficherlich auch bier ein graphijdhes Blatt in Relief iiberfest wurde. Das Ornament des rechten Pilafters ift übrigens einer Schmudfeifte Sans Springin= flee aus dem Hortulus animae, gedrucdt von
Yohann Stüchs ın Nürnberg im Jahre 1516, mwortmwörtlich entlehnt; das des Linken Pilafters variiert nur den Putto. Nicht ohne Belang für die Zufchreibung dürfte ferner noch fein, daß Hans Eiterreicher ') 1522 feinen beiden Frauen (geit. 1497 und 1521) von dem Meifter S. R. an der gleichen Kirche einen mit Kugel und Monogramm fignierten Grabftein hat errichten laffen. Und auch diefes Sandftein- Epitaph trägt am Gebälfftüd des linfen Pfeiler3 die geflügelte Kugel. In dem ,Gnadenftuhl’ be= figen wir des Meifters bedeutendfte Steinfkulp- tur; der würdevolle Kopf Gott Vaters und der trefflich modellierte Körper Chrifti werden von feiner anderen ähnlichen Schöpfung Altbayerns auch nur annähernd erreicht.
* * *
Verfuden wir eine chronologiiche Reihen folge der Werke aufzuftellen. Die genau da= tierten Steine des Thomas Löffelholz in Alt- ötting (1520), der de8 Kalbsor in Freifing (1521) und der erfterwähnte Stein der Eiter- reicher in Jngolftadt (1522) gewähren hiefür die einzigen feiten Punkte. Für die meiften anderen Steine muß, da bet faft allen das Todesjahr mit der Infchrift einheitlich einge— meiffelt ift, diejes al3 oberjte Grenze für die Entftehung angefehen werden. Darnad) allein ſchon wäre der Wltar des Ranonifus Marolt, geit. 1513, al8 dag altefte Werk des Mteijters angufprechen. Ueberdie3 weift ber Schrein aud nod) weit mehr Erinnerungen an die Gotif auf, als irgend eine andere Arbeit des S. AR. Der Umjtand aber, daß das Totenmal zugleich auch als eine Art Stiftungsbrief über die zwei Meffen errichtet wurde, läßt uns fauın über das Jahr 1515 berabgreifen. Aus ftiliftifchen Gründen und gemäß der Todesdaten fchliegen fich dann unmittelbar an die Steine des Betrus von Alten haus, geft. 1513, der Margarethe von Fraun— burg, geft. 1515, und de3 Ranonifer Wiring, geft. 1515 und Schaffmannsperger, gejt. 1516. Es folgt bierauf mit ficherem Entjtehungsdatum das Monument für Thomas Ldffelholg von 1520, dem wir in unmittelbare Nähe die Platte de8 Paulus Lang, geft. 1521, und den Ritter- grabftein des Sigmund Bucher, geft. 1514 feken.
1) Unf feinen Namen beziehen fic) ungweifelhaft die Budftaben 1 E (QohanneS Cfterreider) am
Scheitel des Bogens des gu ermahnenden Steines.
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaiffance in Altbayern 125
Yür die Einordnung der beiden legten an diefer Stelle fprechen außer rein ftiliftifchen Belegen auch die entwidelten Marimiliansrüftungen. Serner heit uns der gleiche Stilcharafter hier den Grabjtein des Georg Kärgl, geft. 1527, anzufchließen. &8 folgen alddann das Sand- fteinepitaph!) und die Marmorplatte der Ejterreicher von 1522. Gleichzeitig mit dem Sandjteinepitaph der Efterreider entftand das Salvator-Relief in Freifing. Der Stein des Alexander Vebersfircher, geft. 1521 und jener des Hans von Klojen, geft. 1527, find als die fpäteften Werke des Meifters angufehen; eine andere Stilphafe vertreten fie jedoch nicht. Aus der Fülle altbayerifcher Grabdenfmaler gelang eg mit Hilfe einiger monogrammierter Werke und auf Grund untrüglicher ftiliftifcher Gigentiimlidfeiten eine Gruppe herauszulöfen und fie einem uns gunddjt nod unbefannten Meifter zugufchreiben. Er mwechjelt, wie wir faben, ftändig fein Zeichen, hier S und R, dort ein Pfeil, dann beides verbunden oder die beiden Buchftaben in eine geflügelte Kugel eingegraben, jelbjt in der fpielenden Vermen- dung fleiner Tafeln möchte ich etwas Mono= grammatifches erbliden. Auch die außerordent- lid) charafteriftifche Technik konnte uns ftellen- weife Führerin fein. Ganz befonders bezeich- nend für den Meifter ijt e8, daß er das Stoff- lide mit dem Zahneifen behandelt und die Schläge unpoliert jtehen läßt im Gegenfak gu den Fleifchpartien, die er forgfältig fchleift. Dadurch erzielt er höchft malerifche und ab- wechjelungsreiche Wirkungen. Selbft wenn man nur der Mache, der Hammer- und Meiffelfüh- rung folgen wollte, fäme man zum gleichen Re= fultate wie durd) reine Stilfritif. Der Hammer-
‘ ⸗ Abb. 27. ſchlag des Meifters fällt, hat man ihn einmal Golgftatue bes HI. Wolfgang erkannt, unmittelbar ing Geficht.?) vom Hochaltar der Pfarrkirche in Reisbach.
Da an dieſem Epitaph das Todesjahr der 1521 verſtorbenen Dorothea Eſterreicherin noch nicht ausgefüllt ift, muß es vor die Marmorplatte von 1522 angefegt werden.
2) WIS Arbeit beS Meifters S. R. fprede id nod einen Grabjftein an, von dem id nur eine im Gers manifden Mufeum in Nitrnberg befindlide Photographie fenne, den ich troß eifriger Redherden jedod nidt im Original zu eruieren vermodte. Cr ftellt Chriftus am Kreuz mit Maria und Johannes in einer Renaiffance= nifhe dar, deren oberer Abfchluß reid) mit gotifhen Reminisgenfen durdfegt ift. Von ftiliftifhen Gründen abgefehen, verweift namentlich die Qnfdrift auf Freifing: Anno dni 1525 Desxvijtags January Ist gestorbe der Edel waltrsar ..gendorfer vnd am samstag vor letaretag starb anna sein hausfrav anno dni 1517 dé gotgenad, d’dreier fursté vnd bischové zu freising diener gewest ist. Der Stein ift burd feine Attri= bute, Sonne, Mond und die „Waffen Ehrifti” von hohem ifonographifden Ynterejje. Der Name ijt Ougen- borfer zu lefen; Hugendorfer war, wie Freifinger Rechnungen der Zeit (Rep, LIII. Fol. 63 Nr. 1327 des 8. KreiSardivs Landshut) ergeben, Rentmeifter der Freifinger Zürftbiichöfe,
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Abb. 28. Linker Flügel des Hocaltars der Pfarrkirche in Netsbach.
Der Bildfdniber S. LK.
Der Meifter S. R. war ein vielbegehrter, offenbar hochangefehener Steinmeb. Sein eigent- lichites Schaffensgebiet war die Grabftein- plaftif und damit das Relief. Nur einmal runden fic) ihm feine Geftalten zu faft freien Bollfiguren in den vier fleinen Heiligen auf den Flügeln des Maroltaltares, Wenn wir nun die Frage aufwerfen, ob etwa der Meifter auch in größeren Freiftatuen die dort ange-
Abb. 29. Rechter Flügel vom Hochaltar der Pfarrkirche in Reisbach.
deuteten Fähigkeiten für monumentale Diftion zu reicher Entfaltung zu bringen verftand, fo berühren wir damit zugleich die Möglichkeit, daß er auch zeitweife den Meiffel mit dem Schnigmeffer vertaufcht hätte, denn Freiftatuen famen in Altbayern zu Beginn des 16. Jahr- hunderts doch in erfter Linie für die großen, bolzgefchnigten Altäre in Betradt. An den Reften eines folchen lapt fic) nun auch die Hand unferes Meifters nachweifen.
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaiffance in Altbayern 127
In der Pfarrkirche zu NReisbad (Bez.:Amt anderen ungefähr gleichzeitigen Schnigwerfen, Dingolfing), das halben Weges zwifchen Gerzen zwei lebensgroße Holzfiguren des HI. Johannes und Urnftorf liegt, finden fich, zu einem mo= Baptifta und des Hl. Wolfgang!) nebjtzwei Altar- dernen gotifchen Hochaltar verwendet, unter flügeln (Abb.26-—29). Bon diefen ftellt einer den
1) Ob aud die lebendig aufgefaßte, faft barode Figur des HI. Michael im Giebel des Altar anzureihen ift, [abt fih nicht mit Sicherheit entjcheiden.
128 Philipp Maria Salm
hl. Michael al Seelenwäger und die Enthaup- tung de3 hl. Johannes des Täufers, der andere den Kampf des hl. Michael mit dem Drachen und eine tlonographiich außerordentlich intereffante Szene aus dem Leben des Hl. Wolfgang +) in Rez lief Dar. Die Standfiguren und die vier Rez lief3 der Flügel ergeben, mie etwa die Gewand: falten, die Gefichtszüge der Heiligen und am auffallendjten die Behandlung der Haare be- fehren finnen, unzmeifelhafte Uebereinjtim- mung; die Flügel aber tragen unverkennbar die Hand des Meifters S. AR. Man beobachte das durd) das Gewand tretende Bein St.
Michaels, feine fliegenden, charakteriftifch mit dem Bohrer behandelten Haare, die genau in diefer Weife St. Sebaftian in dem Mtarolt- fdjrein trägt oder da8 vom Rüden gejehene Sigirden St. Wolfgangs. Und ift e8 nur ein Zufall, daß dem Kampf St. Michaels mit dem Drachen Dürer mächtige Vifion aus der Apofalypfe (B. 72) zu Grunde gelegt ift, zumal wir des Meifter8 Spuren fchon des vefteren fich mit jenen begegnen fahen (Abb. 30). Erjcheint e3 nicht auffallend, daß zu all diefen Kriterien fich noch eine Kenntnis der Renaiffanceardhitef- tur gefellt, wie fie fonft faum bei andern gleich- zeitigen Meiftern Altbayerns begegnet. Der Bogen auf dem Relief der Enthauptung des bl. Johannes ift übrigens in feinen Hauptformen nad) der Nifche auf dem Sandftein-Epitaph der Ejterreicher in Ingolftadt aufgebaut und trägt an feinen beiden Pfeilern genau an der Stelle wie jenes und fogar zweimal — die geflügelte Kugel.
Die ftiliftijd) wie technifch genaue Ueber- einjtimmung mit den Flügeln meift auch die beiden prächtigen Statuen im Schrein des Ultares dem gleichen Meifter zu. Hätten wir nicht in den Flügeln das bindende Glied, fo wire der Pfad zu ihnen wohl fchwer zu finden gewejen. So aber wird das Auge, wenn e3 von den durch die Größe und das Material bedingten Unterfchieden?) abfieht, vor allem in der Auffaffung und der Ponderation der Geftalten den Mteifter der Figitrden des Ma- roltaltar8, den Schöpfer des Paulus Lang oder des Salvator-Relief3 erkennen. Auch von dem Material weniger abhängige Einzelheiten wie 3. B. die fiir ihre Zeit eminente Modellierung de$ Spielbeines deS Taufers hat der Mteijter S. R. fon abnlic) an andern Werfen ge- boten, fo ftiggenbaft am Martyrium Gt. Sebaftiang am Marolt-Altar und dann in ein= gebender Durchbildung an den beiden Sand- fteinrelief3.
') Daß Relief behandelt die offenbar aus dem Namen Wolfgang abgeleitete Vegende, daß der Heilige,
nachdem er Kirche und Zelle mit Hilfe de8 Teufels erbaut hatte, Gott bat, ihm einen Wolf im Pilgergemand zu fdiden, um damit dem Teufel den ausgedungenen Lohn — ben erften Pilger — ausliefern zu können. Bgl. Hiegu Mehler, Der Hl. Wolfgang 1894 ©. 212 ff. Außer der vorliegenden Darftellung ift mir fein einziges Beilpiel für die Verförperung diefes Stoffes durch die bildende Kunft befannt geworden; nur Michael Bader deutet fie flüchtig auf einem Flügelbilde feines Wltares in St. Wolfgang an.
*) Der Faltenwurf an den beiden Neisbadher Figuren wirkt gegenüber den anderen Figuren des S. R. fehr unruhig und vielfnitterig. Abgejehen von dem verfchiedenartigen Material hat dies feinen Grund in der neuen Bergoldung. Immerhin aber erfennt man dod) aud 3. B. an dem aufgefdlagenen Gewandfaume iiber dem Spielbein des Täufers alte Gewohnheiten des DMteifters.
rifhen Vereing in Landshut.
mlung des Hifto
Nelief der Taufe Ehrifti in der Sam
Abb. 32.
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaiffance in Altbayern 129
Die Reisbacher Sdhnigwerfe, gumal die beiden Iebensgroßen Schreinfiguren repräfen- tieren den Beginn der Blütezeit der nieder- bayerijden Wltarbildnerei. Hier entfaltet fich
alle Glieder hHarmonifch durchitrömen zu laffen, am reihften und natürlichften. Nichts Mittel alterliches haftet mehr an diefen Körpern, nur im Gewande fnittert e8 da und dort nod
Abb. 38. Mariä Schugmantel:Relief in ber Sammluug des Hiftorifchen Vereins in Landshut.
das Berjtändnis des Meifters für den organifchen Aufbau de3 Menfdjenfdrpers und das Ver-
migen, einen beftimmten Bewegungseffelt durch
nad). Die Entftehung der Reisbader Bild: werfe haben wir etwa um 1520 anzunehmen. !) Die wenig glüdliche Neufaffung der Reis-
Ab6. 34. Relief des HI. Martinus in der Sammlung des Hiftorifhen Vereins in Landshut.
1) Urdivalifdhe Reherhen im Pfarramt zu Neisbad) und im K. Kreisarhiv Landshut blieben ohne
jeden Erfolg. Sehr nahe ftehen den Reisbader Figuren zwei hervorragende Holaftatuen eines Hl. Laurentius und hl. Mauritius (9. ca. 0,92) in der Oberen Pfarrlirhe zu Ingolftadt, bod wage id nidt eine beftimmte Bumeifung an S. R. ausgufpreden, da die Körperverhältniffe andere als jene der Reisbadjer Figuren find. Bgl.
K. D. B. I, 35. Taf. 9. A. M. 5 wu. 6.
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bader Altarteile erfchwert erheblich den Ber- glei; mit den Steinarbeiten, die ung die Meifjelfchläge des Meifters S. R. unverhüllt und unverjehrt wiedergeben als der Hare Aus- drud feiner künftlerifchen Abficht. Die bunte, metallifch grelle Balette widerfpricht der Zeit und dem Stile der Bildmwerfe, zumal der Rez lief$, durchaus. UleberdieS hat man vor der Neufaffung den alten Grund völlig entfernt und den neuen Grund verftändnislos gleich- mäßig über alle Teile aufgetragen, fo daß fic in Verbindung mit der Farbe ftellenweife harte, faft rohe Wirkungen ergaben, namentlih an den Haaren und am Gemwande des Täufers auf den Flügeln. Grund und Farbe, die den Icharfen Schnitt des Mefjers hätten mildern und glätten müffen, heben ihn aufdringlich hervor. Ungmeifelhaft aber war das Reis— bacher Altarwerf wie alle altbayerifchen Altäre
auf farbige Wirkung berechnet. Nur Kanzeln, Leltorien und vor allem Chorgeftühle verzich- teten damals auf Farbe, dementfprechend blieb alle Modellierung und Ausführung bis zum endgültigen Effelt dem Schnigmeffer guge- wiefen. Derartige Arbeiten aus dem Anfange des 16. Jahrhunderts find, von Rleinbild- werfen abgejehen, in Altbayern außerordent- lich felten.
Das Köftlichfte davon befigt die Samme lung de3 hiftorifchen Vereins in Landshut in vier größeren figurenreichen Reliefs, welche die Krönung Mariä, die Manteljchaft Mariä, die Taufe Ehrifti und St. Martin mit dem Bettler (Abb. 31—36) darftellen. Und bHiegu gehören noch drei männliche Neliefbüften (Abb. 37). AU diefe Stüde, auf die des Näheren einzugehen mir hier unerläßlich dünft, bildeten der Tradition nach den bildneri- Ihen Schmud eines Besper- (oder Propften-) ftubles ber St. Martinsfiche in Landshut. Von den Arditekturteilen ift außer ein paar Stihbogen, deren Laibung mit einem Blatt- fries befeßt ift und deren Bwidel ein Delphin- ornament füllte, nicht mehr vorhanden, was
. den Aufbau, den wir uns in der Geftalt eines
Thrones ausdenten finnen, refonftruieren liefe. 1)
Die Ausführung aller Teile fpridt von einer geradezu eminenten Routine des Schniß- meffer8, die alles Gleichzeitige des Gebietes in den Schatten jtellt. Am deutlichjten offen- bart fie fi) in den Köpfen der drei Haupt- figuren der Taufe, zumal in dem Engel mit den fliegenden Haaren, der mit den fturmge: peitichten Wipfeln des Hintergrundes den „Donauftil“* in der Plaftif wie nicht leicht ein anderes Werk repräfentiert (Abb. 31). Aber nicht minder gefchiet ift das Meffer in den Ge- mwändern, in dem Landfchaftlichen und in dem Malftrom der Wolfenfluten auf dem Relief der Krönung Mariä geführt. Den Gipfel feines Könnens jedoch gibt der Künftler in dem prächtigen Oberkörper Chrifti.
Stil und Technik der Reliefs Taffen bei- nahe vergeffen, daß wir plaftifde Werke vor uns haben. Die ganze Anordnung und alle
1) Sekt find drei der Nelief8 — die Mantelfchaft, die Taufe und St. Martin (2. 0,63—0,70 m) mit den Architelturteilen zu einem Fries vereinigt. Die Krönung Mariä ift 0,88 m lang, die Büften find ca.
0,387 m hod.
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frithrenaiffance in Altbayern 131
Einzelheiten find durchaus malerifch gefehen. Mod) mehr käme dies zur Geltung, wären die Reliefs beffer in ihren Hintergründen erhalten. Gerade bei der Taufe Chrifti, die eine reiche Landichaft erwarten läßt, empfinden wir den Verlust ganz befonders. Aber die wenigen Refte diefes Mifrofosmos, die erhalten find, fprechen genug. Wie das ruhig ftrömende Waffer den Vorder= und Mittelgrund teilt, wie die differen- jierten Größen der Figuren das Bild vertiefen und laubiges Geäft den Horizont zu grenzen fcheint, gemahnt durchaus an einen Maler des Donauftils weit mehr al8 an irgend einen Plaftifer der Zeit. Selbit Hans Leinberger, der Ort= und Beitgenoffe diefes Mteijters bietet nicht entfernt Mehnliches. Was aber vor allem den fünftlerifchen Wert der Schnigmerfe hebt, ift die bei allen malerifchen Tendenzen ge- wahrte Klarheit in der bildnerifchen Er=- ſcheinung.
Wir gehen zu den einzelnen Reliefs über. Das beſterhaltene und wohl auch urſprünglich das vollendetſte iſt die Taufe Chriſti (Abb. 32). Die Szene iſt die altgewohnte, Johannes, Chriſtus und der die Gewänder haltende Engel; neu iſt aber die Kompoſition. Früher waren die beiden Hauptperſonen einander koordiniert, meiſt im Profil einander gegenübergeſtellt. Hier bildet die frontale Figur Chriſti die Symmetrieachſe; als Träger des ganzen In— halts der Epiſode aber erſcheint der Täufer in mantegnesker Rückanſicht, dem der Engel in
der Diagonale gegenüberſteht. Der Rhythmus der drei Figuren ſtimmt wunderbar zuſammen, die geſchmeidige Figur des Täufers, deren ausklingende Bewegung wir uns durch Er- gänzung der erhobenen Rechten vorſtellen müſſen, das Ausſchwingen der Hüfte des Täuf⸗ lings und die Haltung der Arme und ſchließlich die gegen die Gruppe zu ponderierte Stellung des Engels zeugen von ungewöhnlichem Schön— heitsſinn und voller Beherrſchung der Kom— poſition. Man mag Leinbergers Taufe im Raifer Friedrich-Mufeum!) daneben halten, um einen Maßftab für die fünftlerifche Größe und Reife diefes WerfeS gu gewinnen. Dazu fommen nod) die der Handlung andächtig folgenden Figürchen des Hintergrundeg, deren jedeS fiir fic) durchaus individuell gezeichnet ift.
Bei der Mariendarftellung (Abb. 33) fehlt leider der mwichtigite Teil, der Oberkörper der himmlischen Mutter, deren Mantel zwei Engel- chen über die Gläubigen ausbreiten. Da Inien fie die Vertreter aller Stände, der Papft, der Bifchof und Ordensgeiftliche, der Kaifer und andere weltliche Fürften. Aber es find nicht wie fonft lediglih Koftümfiguren, fondern fcharf ge- prägte Charaktere von entjchiedenem Porträt- gehalt. Trägt 3.8. nicht das Bild des Kaifers die Züge des gealterten Maximilian?!
Ein außerordentlich feines Bildchen ift indem Martinus-Relief gegeben (Abb. 34). Hier griff der Meijter in die reale Wirklichkeit. St. Martin halt fein Pferd vor dem Krüppel an, indem
') Abbild. im Münchener Jahrbuch für bildende Kunjt 1906. ©. 121.
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er den Zügel mit dem Arm an fich zieht. Dabei dreht er fich im Sattel nach der Seite, um den Mantel mit dem Schwerte zu teilen; leider fehlt diefes und die beiden Hände. Flehend und blöden Ausdruds ftredt der Krüppel feine verdorrten Arme dem Reiter entgegen. Mag das Rok in der Anatomie der einzelnen Körperteile auch etiwas fchematifch behandelt fein, fo prägt fich der Moment des Zügelns in der allgemeinen Haltung, vornehm- lich in den zurüdgeftemmten Beinen Har aus. Das bartlofe Geficht des Reiters, der wie ein biederer Landsinecht anmutet, ijt zweifelsohne ein Porträt und in feinem Ausdrud von Mit- leid und Milde ein piychologifches Meifterjtüd (Abb. 35).
Die Qunette der Krönung Mariä fagt uns wenig Neues. So reizvoll das Bildchen mit den in den Wolfen wie im Wajfer fich tum= melnden Engelchen auch fein mag, fo ver- harrt e3 im Hauptthema doch bei dem be- fannten Typus der Spätgotif (Abb. 36).
Die drei Reliefbüften (Abb. 37), in denen wir Propheten oder wohl eher noch chriftliche Helden erbliden dürfen, tragen gleichfalls Porträt- züge, find aber den größeren Maßverhältnijjen halber breiter behandelt als die übrigen Bild- werfe und wirfen in den Bartfringeln auch etwas altertiimlicher al8 jene. Dennoch find fie von gleicher Hand, aus gleicher Beit und rühren ficher ebenfall8 von dem Vesperjtuhle her. Un der einen Reliefbiifte, die wie die ſämt— lichen Schnigwerfe in Lindenholg ausgeführt find, ift ein Schriftband mit der Jahrzahl 1524 angebracht. Es iſt aus dem gleichen Eichenholz wie die Stichbogen der drei größeren Reliefs gejchnitten. Der Stil der Bilder entjpricht durch- aus diefer Zeit, jo daß wir unbedenklich die Jahrgahl 1524 als Entftehungsdatum des Besperjtuhles annehmen dürfen.
Wer der Meifter diefes hervorragenden Werkes war, ift ung nicht überliefert. Die Voll- endung und Reife und ebenfo die technifche Rou- tine, mit der bas Schnigmeffer fpielend wie ein Pinfel oder Griffel geführt wurde, deuten auf einen Meifter, der vorher mand) anderes Bild geichaffen Haben muß. Wan denkt zunächit an den um diefe Zeit in Landshut anfälligen Hans Leinberger. Ein Vergleich der Reliefs mit den fider beglaubigten Arbeiten diejes Metjters
Philipp Maria Halm
weift eine folche Möglichkeit aber fchlantweg zurüd. Neben Leinberger fann, foweit wir den Denkmilerfdhak des Grenggebietes von Oberz und Yiederbayern iiberbliden fdnnen, nur ein Meifter noch für diefe Zeit in Frage fommen, der Monogrammift S. R., und auf ihn weifen denn auch eine Reihe ftiliftifcher Eigentümlichkeiten der Desperjtuhl- Reliefs, die fich nicht durch den allgemein herrfchenden „Heitjtil” erklären laffen, und zwar fchon des= halb nicht, weil Arbeiten auch nur ähnlicher Ausdrudsformen, jene des Meijters S. R. aus genommen, fajt ganz fehlen.
Bon grundlegender Berüdfichtigung für den Vergleich mit den Schnigmwerfen des S. AR. muß bier fejtgehalten werden, was wir fdon oben dargelegt haben, die technifchen Unterfchiede, die in der Polydromierung bezw. Farb- lofigfeit der Nelief3 gründen, dann aber aud) die aus der verjchiedenen Bwedbeftimmung und beabjidtigten Wirkung fich ergebenden Wandlungen. Die Reliefs des Reisbacher Hoch- altars follten möglichjt weit dem Bejchauer fichtbar fein; daher große Elare einfache For= men, denen freilich die jebige grell bunte Faffung nicht gerecht wird. Die Reliefs des Besper- ftubles find faft fleinbildnerifde Urbeiten, die fic) den reichen Erzählungen des ihnen ehedem benachbarten Chorgeftühls in St. Martin zu Landshut eng anjchloffen und ein liebevolles Verfenfen in alle Einzelheiten, in jedes Figür- chen, jede Miene, jedes Fledchen Erde fordern.
Trogß der Unterfchiede erkennen wir aber aud) in vielen Zügen unfern Meifter wieder, fo vor allem in dem Aufbau und Duftus der Figuren. Man halte nur den Hl. Wolfgang von dem Meisbader Altarflügel neben den Täufer oder auch neben den Hl. Georg an der Predella des Maroltaltars; man vergleiche den Enieenden Kaifer mit dem Figiirden des Hans Efterreicher in Yngolftadt! Man be- tradjte vor allem auch die didföpfigen und furzhalfigen Engelchen auf den beiden Marien= reliefs, ob fie in ihrem fchalffaften Verfted- fpiel nicht die leibhaftigen Brüder der Putten auf den Monumenten des Thomas Löffelholz, des Hans von Klofen, des Alexander Lebers- firder u. a. find. Man prüfe die mitleidig finnenden Züge im Gefichte St. Martins, wie fie durchaus jenen des Hitters Leberskircher
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaifjance in Altbayern
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Abb. 37.
entfpredjen. Man febe dann den Sdhub- mantel der Maria in Bergleich mit den Fahnen- tüchern der beiden leßtgenannten Ritter oder die Architefturmotive der Martinslegende und der Büften mit jenen der Keisbacher Flügel oder dem Epitaph des Schaffmannsberger in Freifing!
Nod ein wichtiges Moment in dem Charakter der Vesperjtuhlreliefs Ienft unfer Auge auf den Meifter S. R., das Porträt- mäßige der Geftalten. Man findet faum einen Kopf, felbjt die Figürchen des Hintergrundes nicht ausgenommen, der nicht fcharf prägilierte individuelle Züge trüge. Gm ganzen örtlichen Bereiche der Hunt des S. HL. vermochte fein Zweiter ein Wehnliches zu bieten, felbft nicht der ihm in manchem verwandte Hans Leinberger. Was das Grenzgebiet von Ober- und Nieder- bayern, das hier in erjter Linie in Betracht fommt, an wirklichen Porträts oder porträt»
artigen Bildwerfen bietet, ift nicht zahlreich.
und greift nur vereinzelt über eine matte CHarafterifierung einiger weniger Typen hinaus. Daß aber gerade der Meifter S. AR. derartige fein individualifierte Figürchen zu formen ver- Stand, findet die einfachfte Löfung in dem Schwerpunkt feines fünftlerifchen Schaffen, in den Grabfteinporträts. Hier liegen die Keime für die jtrenge glaubhafte Zeichnung der einzelnen Perfönlichkeiten der Landshuter Reliefs, die in der fauberen Führung des Schnigmejjers, wie das Werf eines Klein- meifters anmuten. Man dürfte fic) nicht wundern, wenn einmal Medaillen des Meifters auftauchten, denn oft erweden die Köpfe auf
diefen Schnigbildern den unmittelbaren Ein- drud von Buchsmodellen.
In den in etwas größeren Berhältniffen gehaltenen Reliefbüften befigen wir gemiffer- maßen die Bindeglieder zwifchen den figürlichen Szenen des Vefperjtuhles und den Porträt- Steinen. So erinnert 3. B. der Prophet mit dem Bud) in der Kopfhaltung an den Lang von Wellenburg. Die beiden anderen weifen in Haare und Bartbehandlung diejelbe Mache auf, wie einerfeits der hl. Sebaftian des Dta- rolt-Epitaphs, andererfeit3 aber auch wie die Engelfrifuren der Reisbacher Flügel.
Die Landshuter Reliefs von 1524 erfcheinen erheblich fortgefchrittener als die des Neisbacher Altars. Dennoch möchte ich feine erhebliche Differenz in der Entftehungszeit annehmen. Dean muß fich Har darüber fein, daß das Vor— bild des Reisbacher Engeljturzes, das alter= tümlichite Blatt der Apofalypfe, beiläufig jhon zwanzig Jahre alt war, ald e8 der Meijter S. R. verwertete, und daß er das Gegenftüd dazu dem Gegebenen nad) Möglichkeit anpaffen mußte. In den beiden anderen Reliefs, wo ihn feine Fejjeln hemmen, ift er neugeitlicher und freier. Man vergleiche nur das Raum- empfinden; oben die Ausfüllung des ganzen Rah- mens, die Ausdehnung des Bilderjtoffes in aller Breite, unbefümmert um die Stellung des Vorgangs zur Landichaft, furzum, der Flächencharafter eines Wandteppich8; unten aber das entjchiedene Streben, die Figuren mit der örtlichen Umgebung und räumlichen Ber- tiefung in Einklang zu bringen. Hierin ftehen diefe Reliefs den Landshuter Arbeiten fehr nahe,
134 Philipp Maria Halm
und ich ziehe aus der Summe aller Stilähn- lichfeiten und Ermägungen äußerer Natur den Schluß, daß auch die Vefperftublreliefs fein anderer Meifter als S. R. gefchnitten haben fann.
Ueber diefe beiden Serien hinaus gelang es mir biß jeßt nicht, den Spuren unferes Meifters als Bildfchniger zu folgen. Nur noch in einem Werke glaube ich feine Hand zu fehen, oder beffer vielleicht gejagt, feinen Geift zu fpüren, in der Heinen Holzfigur eines HI. Florian der Sammlung Julius Böhler in München, die nad) Mitteilung ihres Befiters aus Landshut ftammen foll und in der Tat auch in ihrem Formgefühl und felifchem Gehalte dem nieder- bayerischen Empfinden ihrer Zeit durchaus ent- fpricht. Einen Meifter aber, dem diefes un- vergleichlich feine Figürchen mit den fprechen- den feelenvollen Zügen und dem hauchenden Mund näher ftünde als der Monogrammift S. R., wüßte ich nicht zu nennen.
Der Hof der bifhöflichen Refidenz in Freifing.
Zaffen wir nod) einmal die arditeftonifden Motive de3 Meifters ins Auge, wie mir fie vorwiegend an feinen Grabplaftifen trafen! Seine reich auSgefprodjene iiberquellende Luft an der neuen Schmudmeife, die ihn dad Meben= fächliche feiner Aufgabe nicht felten faft zur Hauptfache werden läßt, ward für unfere Unter- fuhung Häufig zur erjten und untrüglichen Spur. Saum daß er ein einzige® Grabmal gemeißelt hätte, dag folcher Bier entbehrte. Dabei ermüdet er nicht durch Wiederholungen, fondern ftrebt nad) Iuftigem Wechfel. Die Slügel des Marolt-Altar8 wirken faft wie ein Skijgenbuch, nach welchem die größeren Are beiten entftanden. Mehr noch als die flafchen- ähnlichen Säulen intereffieren, unter diefen aber die aus allen möglichen phantaftifchen Dlattkelchen und gedrehten, gerillten und ab- gefanteten Cingelfdrpern zufammengehäuften Stiiken. Woher fam dem Meifter die Rennt- nis diefer Formen ? Konnten wir für einige der Motive die Autorfchaft Albrecht Dürers
und Hans Springinflees nadjmeifen und laffen fid) die flafchenartigen Säulen am Wtarolt- altar, an den Epitaphien von Kalbsor und Schaffmannsberger u. a. a. O. auch aus ver- wandten Formen in Dürer Marienleben — Mariä TZempelgang (B. 81) — erklären, fo fehlen
‚uns für jene merkwürdigen Kompofitftügen,
wie fie am eigenartigiten die Steine in Gergen und Arnftorf flanfieren, alle geeigneten An- baltspunfte. Für ein einzelnes Glied, etwa ein Rapitell, mag man in ber zeitgenöffifchen Bücherilluftration, jo etwa den Druderzeug- niffen der Offigin Johannes Weykenburger in Landshut oder mehr nad) Nürnberger Offiginen, fchlieglid ein Beifpiel finden, nicht aber für den ganzen abjonderlichen Aufbau, für diefes Aufeinandertürmen aller möglichen Motive. Die gewohnte Gliederung einer Stiike in Fuß, Schaft und Haupt befteht für ihn fo gut mie gar nicht. Was liegt daran, wenn eine Bafis wie der Kelch eines Kapitells erfdeint, aus dem dann der Schaft heraus= feimt; e8 freut ihn die neue Form, und forg- lo8 und unbefümmert um ftatifch - äfthetifche Bedenken phantafiert er fic) diefe merfmitr- digen Stüßen zufammen. Eine folche reiche und vielgeftaltige Verwendung von Ardhitefturs gliedern ift der Grabplaftif der vorhergehenden Stilperiode, die über die dünnen Säulchen und Kielbogen nur in den feltenften Fällen hinaus: fam, fremd, und e8 mag wohl berechtigt fein, zu behaupten, daß troß der vorwiegend defo- rativen Ausgeftaltung und Anwendung feiner arditeftonijden Motive in dem Meifter S. R. etwas von einem Bautiinftler ftad. Ja, an einem Baumer! Altbayern® aus jener Beit finden wir fogar ganz ähnliche Gebilde, wie fie unfer Meifter anzuwenden nie erlahmte, näm= lich in den Loggien des Hofes der bifchöfliche Refideng in Freifing. Die Hallen des Refidenghofes in Freifing bilden das widhtigfte Moment in der fiinft- lerifchen Erjcheinung des bifchöflichen Schloffes (Abb. 38). Sie wurden nach einer Infchrifttafel (f. u.) im Jahre 1519 erbaut von Fürjtbifchof Philipp, Pfalzgraf bei Rhein, dem vierten Wit- telsbacher auf dem Stuhle des Hl. Korbinian.!)
1) Meichelbed, Historia frisingensis II (1729) &. 312 und 366. — Sighart, Gefdjichte ber bilbenden Fünfte in Bayern (1862) ©. 681. — Lüble, Gefhichte der Renaiffance in Deutfchland II (1882) S. 6 und I (1882) ©. 74. — Lambert und Stahl, Motive der deutfchen Architektur des 16., 17. und 18. Jahrhunderts. Mit Fert von 9. E. von Berlepfh. Taf. 5 und 6. — Sighart, Lübke und Berlepfc geben die falfde Jahrzahl 1520. —
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Stephan NRottaler, ein Bildhauer ber Frührenaiffance in Altbayern - 135
Die Hallen umziehen den Hof an der Nord- und Oftfeite in zwei Gefchofjen und zwar entjprechen jeder unteren Arkade je zwei des Obergefchoffes. Im dftlichen Flügel tragen die Hallen des Erd- geichofjes einfache, größtenteils erneuerte Kreuz- gemwölbe, im nördlichen Flügel Rippengemölbe ; die obere Halle ift im Oftflügel jebt flachge- dedt, während fi) im Nordflügel noch das alte verjchiedenartig figurierte Rippengemölbe erhalten hat.
Der Hauptreiz des Baues liegt, abgejehen von den fchönen Verhältniffen in den Stüßen der oberen Arkaden, die wie alle wichtigeren Glieder des Baues in rotem Marmor gemeiffelt
find (Abb. 39—42). Uns aber erfcheinen fie vor allem deshalb wichtig, meil fie mit ihren phan- taftifchen Formen die Erinnerung an die Grab- fteinarchitefturen des Meifters unmittelbar wachrufen. Am engften find fie mit den Säulen und Pfeilern am Steine des Hans von Klofen in Arnftorf und des Mlerander LeberSfirdher in Gerzen verwandt. Die ftiliftifche Aehnlich- feit ijt jo auffallend, daß man auch für jenen Bau die Hand des gleichen Meifter8 annehmen midte. Schon Lüble hat diefe Vermutung ausgefprochen freilich unter Annahme durchaus unftichhaltiger Gründe. Er fchreibt zunädjit: Sein Steinmebgeiden und das Ptonogramm
= Te FEUER
K. D. B. I, 339 und 378. — von Bezold, Die Baufunft der Nenaifjance in Deutfdland (1900) ©. 23 und ©. 175 ff. Schlieglich vermeife ich auf eine Eleinere, Ende ber neunziger Jahre verfaßte Abhandlung des Verfaflers in „Kunft und Handwerk“ Jahrgang LIE (1903) ©. 130 ff. Ardhivalifche Forfhungen in den Archiven
in Münden und Landshut blieben ohne Erfolg.
136 Philipp Maria Salm
A. P. hat er — der Meifter — an einem 1. Stüße. Eine halbe Säule. Täfelchen am Pfeiler eingegraben.“ 1) Dann erwähnt er flüch- Schaft. Schild. tig die Epitaphien von Marolt und Ralbsor 2. Stüße. (Abb. 39.) Achtlantiger Pfeiler. und bemerkt zu diefem: „Das Monogramm Täfelden am Schaft unterhalb A. P. — vgl. oben — deutet offenbar auf des Kapitels. den Meifter der Arkaden des Nefidenzhofes.“ ?) 3. Stüße. Bierfantig. An der Bafis eine Die Buchftaben A. P. am Stein des Kalbsor Tafel wie die monogrammierten alg ein Stiinftlermonogramm angufpredjen, TäfelchenanderSigismundnifche erjcheint, nachdem wir als folches das Scild- de Marolt-Wtars ; eben dort eine den mit dem durchquerten Pfeil, welches Sig- Kugel und ein an einem Riemen hart und Liibfe überfahen, nachgemwiefen haben, hangendes Wappenfchildchen — fo gut mie ausgefchloffen. Nicht ein Mono- mitdem Mohrenkopf von Freifing grammift A. P., fondern ein Meifter S. P., — gleich dem Schildden mit dem hat, wie uns die ftiliftifden Beziehungen zu Meifterzeichen am Kalbsorftein, den beiden andern mit S. Re. fignierten Ar- fernergmwei Täfelchen am Kapitel. beiten bewiefen haben, das Epitaph de3 Ranonifus 4. Stüße, An der Bafis gwet Täfelchen Kalbsor gemeiffelt.*) Mun haben aber auch wie an den Pfeilerbafen der mehrfache Nachforfchungen *) dag Steinmeß- Sigismundnifhe des Marolt- zeichen und die Buchftaben A. P., welche Sig- Altar und zwei Täfelchen im hart an einem Pfeiler des Refidenghofes ein- Blattlelch des Kapitells. gegraben gefehen haben will, nicht mehr auf- 5. Stüße. (Abb. 40.) Reine Tafel. Die finden fünnen. Auch eine eingehende Unter- Bafis ähnelt aber durchaus dem fuchung meinerfeits blieb nad) diefer Richtung Poftament derMlaria im Marolt- bin erfolglos, erbrachte ftatt deffen aber ein Schrein. anderes überraſchendes Reſultat, das ohne 6. Stütze. (Abb. 41.) Eckpfeiler mit Flach— Schwierigkeit und Zwang ſich mit den bis jetzt ornamenten gleich jenen des gewonnenen Forſchungsergebniſſen in überzeu— Eſterreicher-Steines von 1522. genden Einklang bringen läßt. Es zeigte ſich An der einen Seite hängt das zunächſt die auffallende Merkwürdigkeit, daß Biſchofswappen des Erbauers, ein dem Meifter S. ZR. jehr beliebtes Motiv, die in der Schildform fich mit vielen feine Tafel, die am Marolt-Altar, am Epitaph Beifpielen de3 Mteifters S. R. des Kalbsor und der Ejterreicherin und an dedend und an einem Riemen den Grabmalern des Peter von Altenhaus und hangend wie das Meifterzeichen des Hans von Klofen fpielend deforativ Ver- am Kalbsorftein. wendung fand, überrafchend häufig an Bafis, 7. Stüße. In dem Blattfelch des Kapitells Schaft und Kapitel der Stüßen wiederfebrt. eine Tafel wie an der 4. Stüße. Wir zählen in Kürze auf: 8. Stüße. (Abb. 42.) Am Schaft eine Tafel.
', Züble, Gefhichte der Renaiffance in Deutfdland Il (1882) ©. 6 und I (1882) ©. 174. In ganz ähnlicher Weife fdreibt Sighart — Gefdidjte der bild. Künfte in Bayern (1862) ©. 681 — „Der Name des Baumeifters ift durch fein Steinmeßzeihen und die Budjtaben A. P. angedeutet“. Ungmeifelhaft fubt Lübfe auf Sighart, wie aud) daraus erhellt, daf beide das falfhe Erbauungsjahr 1520 angeben, während die Buu=- infdrift deutlich dag Jahr 1519 nennt.
*) Liibfe a. a. DO. II (1882) ©. 7, wo aud nod de8 Steines des Paulus Lang als wohl von der Hand diefes Meifter8 herrührend gedacht wird.
5) Ob die Budftaben A. P. wirklid am Refidenghof angebradt waren, erfdeint mir mehr al¥ fraglid. Srrtiimer find bet Sighart feineSmwes felten, gibt er bod, obwohl in Freifing anfaffig, bas falfde Erbauungs- jahr 1520. — Die Buchstaben A. P. am Epitaph des Kalbsor fdeiden als Meiftergeiden aus. Sie finden am einfadhjiten ihre Deutung durd eine Stele im cgm. 1724 ©. 111 und 179, wonad ein Kanonilus „Andreas PUN von dem päbjtlihen Stuell 9. Petri Malbsohr fel. Canonifat iiberf{homen hat“. Der Nachfolger Kalbsors im Stanonifate, Andreas Püll, dürfte „zu dankbarer Gedähtnus“ das Epitaph feines Vorgängers geftiftet haben und ließ dann gegenüber der Tafel mit dem Entftehungsjahr desjelben die Unfangsbuchftaben feines Namens in die geflügelte Kugel meißeln.
4) K. D. B.I, 379.
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaiffance in Altbayern 137
9. Stüße. Ohne charakteriftifche Details.
10. Stüße. Unterhalb des Sapitelld eine Tafel. 11. Stüße. Ohne charafteriftifde Details.
Darnad) tragen, von anderen verwandten Motiven des Mteifters S. AR. ganz abzufehen, fieben unter den elf Stüßen die eigenartigen rechtedigen Täfelchen, deren wir im ganzen zwölf zählen. Dabei fällt aber vor allem auf, daß feines einen fachlichen med erfüllt, d. . feine Jahrzahl, fein Monogramm trägt, alfo wie am Monument des Hans von Klofen ledig- lich al3 raumfüllendes deforatives Motiv aufs tritt (Abb. 43.) Den Meifter freut das Schmud:
glied und in ſeiner Freude kann er es, kindiſch damit ſpielend, nicht oft genug anwenden. Es wirkt für ihn juſt wie ein Monogramm. Die Annahme, daß wir in dem Schöpfer der Loggien⸗ fäulen wieder den Meifter S. R. vor uns haben, wird noch durch ein weitere Argument be- ftätigt.
Das Mittelalter behandelte die Steinmek- zeichen ftets als etwas Selbfjtändiges und dem= gemäß brachte fie diefelben ohne ftörende oder trit- bende Zutaten flar und deutlich erfennbar an den Werfen an. Am Arkadenhof der Freifinger Refidenz jehen wir ein anderes. Unfer Meifter hat nämlich zwei feiner Zeichen direkt als
1) Derartige Täfelhen fommen in Ultbayern um diefe Zeit nur ganz vereinzelt vor, 3.8. am Grab= ftein des Stephan von Schaumburg (1524) in der Turmvorhalle der Kirche in Haslad) bei Traunftein. E8 liegt nahe zu vermuten, daß, wie Dürer Holzichnittfolgen im allgemeinen und befondern auf den altbayerifchen Steinmegen eingewirft haben, ibn aud) die dort faft auf jedem Blatt herumliegenden Tafelden zur Nadjs
abmung angeregt haben. A. M. 5 u. 6.
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Ornamentmotiv verwertet.) An dem Ed pilafter, der durch feine Stellung und als Träger des bijchöflichen Wappen einen ge- wiffen Vorrang einnimmt, finden wir einmal al8 oberjte Endigung der Bilafterfüllung eine geflügelte Kugel und außerdem am Poftament der entgegengejeßten Seite wieder die ge= flügelte Kugel, bier von einem durchquerten Pfeil durchbohrt und über einem Dreiberg Ichwebend. (Schlußvignette Abb. 45.)?) Zwar fehlen dem Pfeil die Flugenden, aber follen wir deshalb diefeS Kriterium, das nod Durd) eine ganze Reihe ftiliftifcher Merkmale geftiigt wird, ablehnen? Wir wifjen ja, dab der Meifter, wenn er überhaupt fignierte, jedes- mal fein Zeichen jpielend mechjelte. Wenn er dort S. und A. mit dem Pfeil (Peter von Alten- haus), bier S. und AR. mit der geflügelten Kugel (Stein der Ejterreicherin) kombinierte, warum follte er, ganz abgejehen davon, daß er die geflügelte Kugel überhaupt gerne ver- wendet, diejelbe nicht auch einmal mit dem Pfeil vereinen! Ueberdies ſprechen ja auch alle ftiliftifden und örtlichen Momente für die Hand des Mteifters. *)
Die Infchrifttafel am Nordflügel des Hofes befagt: PHILIPPS BISCHOVE ZV FREY- SING ADMINISTATOR ZV NVMBVRG PFALCZGRAVE BEY RHEIN HERCZOG IN BEYRN HAT DISEN PAW VON GRVND AVFGEFVERT VND VER- BRACHT ANNO DNI MDXIX. (Abb. 44.
Bwei fleine Engel, in Rifchen an den untern Eden der Tafel eingezwängt, halten je ein Wappen, deren eines Pfalzbayern mit dem Bistum Freifing, das andere Pfalgbayern mit dem Bistum Naumburg zufammenfaßt. Die Engelden muten wie ihre fleinen Gefellen am Stein des Lang von Wellenburg, des Klofen, oder am Krinung8relief des Landshuter Ves— perjtuhls an, und ihre fein gebohrten Loden
ftimmen gang mit jenen des bl. Sebaftian am Marolt-Altar überein. Wud) im Figürlichen alfo fchließt fich gwanglo8 der Ring. So haben wir denn in dem GSteinmegen und Schniter S. R. nunmehr aud einen Bau meifter gu fehen und zwar den Schöpfer des alteften Baumerfes deutfcher Frührenaiffance in Bayern.
Biihof Philipp hatte in dem Hofraum feines Schlofjes fchlieglich noch einen präch- tigen Marmorbrunnen errichten laffen. Alle Ehroniften erwähnen feiner in den über- Ihmwänglichiten Ausdrüden. So berichtet noch Meichelbed von ihn: Hoc veneranduspontifex in castro Frisingae fontem valde perutilem ex lapidibus pretiosis marmoreis jussit fieri structurae tam pretiosae firmae ac perutilis, quodinterrisnostris vix sibi similis reperitur.t) Nicht ein Stein, nicht die flüchtigfte Skizze zeugt mehr von diefem verfchollenen oder unter= gegangenen Werfe, von dem wir wohl nicht ohne Grund die Vermutung hegen diirfen, daß e8 gleichfalls eine Schöpfung unferes Meisters mar.
Bifdhof Philipp war ein reger Förderer der jchönen Künfte. Hans Schwab von Wer- tingen, der Hofmaler Herzogs Ludwig X. hat uns feine energifch-[ympathifchen Züge in einem Bilde der Schleigheimer Galerie feft- gebalten,®) von dem SRleinmeifter Friedrich Hagenauer und von einem Meifter aus dem Kreife des Eichjtätter Bildhauers Loy Hering rühren verfchiedene tüchtige Medaillen und Hleinere Porträtrelief8 des Fürften her‘) und gleichfalls von einem gewandten Schüler Loy Herings ließ er fic) aud) nod) gu Lebzeiten ein Epitaph von Solnhofer Kalkftein fertigen, das ihn im Schuße feines Patrones vor dem Gekreuzigten Enieend darftellt. Unter diefem Epitaph — in der Borhalle des Freifinger Domes — fteht jchließlich noch fein Grabftein
1) Was Sighart und Lübte (f. o.) als Steinmebgeiden anfahen, willen wir nicht, da beide teine
näheren Ungaben über Form und Ort maden.
*) Die ornamentale Verwendung eines monogrammatifden Zeidens fteht bei unferem Meifter durch⸗ aus nicht vereinzelt. Ich verweiſe nur auf den Entwurf Peter Flötners zu dem Mainzer Marktbrunnen, ere richtet 1526, wo ganz analog unſerer Eckſtütze, dem Ornament der Pilaſter dreimal Flötners Zeichen — Klöpfel und Balleiſen — eingewoben ſind. Vgl. Konrad Lange, Peter Flötner, Berlin 1897, ©. 81.
) Auf die übrige Architekltur des Hofes weiter einzugehen, würde den Rahmen unſerer Aufgabe über-
ſchreiten. Wir verweiſen auf die K. D. B. J, 378.
) Meichelbeck, Historia Frisingensis II (1729) S. 312. ) Katalog der Gemäldegalerie im K. Schloſſe zu Schleißheim 1905 Nr. 137. *) Ubbildungen im Yahrbud der K. preugifden Kunftjammlungen 1907 ©. 194 fi.
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von rotem Marmor mit dem lebensgroßen, jedoch etwas fdhwadliden Bilde des Bijchofs, wohl gleichfalls von einem Schüler Loy Herings.!) Man fühlt in Anfehung aller diefer Porträts deutlich den Geift der neuen Beit ; Bifchof Philipp war nicht mehr nur ein Fürft der Kirche im Flerifalen Geifte des Mittel- alter8, jondernbereits, wenn aud) nicht in univer= fellem Sinne, jo doch auf dem Gebiete der bildenden Künfte ein echter Renaifjancefürft. Bor allem ftand fein Sinn nad) ftolgen Bauten. Der Refidenzhof und das befcheidene Brauhaus auf dem Freifinger Domberge find die einzig erhaltenen Zeugen feiner Bauluft, von der die Ehronif rühmt: Insuper castrum ibidem tantis aedificiis construi ac decorari permisit, qualia nullus episcoporum ante ipsum fecit, ut cernitur ad oculum.?) Mahnt uns das
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RKapitelle und Bafen vom Laubengang ber bifchöflichen Nefidenz in Freifing.
alles nicht, zu gedenken, daß der Neffe des fürftlichen Bauherren, dem das bayerifche Stammland in dem Hofe der bijchöflichen Refidenz den erften Bau des neuen Stiles ver- dankt, jener hochgefinnte Mäcen war, der uns den ftolgeften Bau deutfcher Renaiffance gab — Ott Heintid.
Der Mteifter S. R. (Stephan Rottaler.)
Wer war der Meifter S. R.?
Nagler,>) der allein diefer Frage mit Rüd- fiht auf das Monogramm am Grabjtein des Petrus von Altenhaus in St. Jodof zu Lands- hut näher trat, vermutet, daß diefer Bild- bauer, den er mit vollem Rechte „den tüchtig- ten Meiftern feiner Beit’ zuzählt, in Landg=
ı) Abbildung im Sammelblatt des Hiftor. Vereins Freifing VI und VII (1888). Bgl. Hiezu ebenda VOI und IX (1900) ©. 10 und Mader, Loy Hering 1905 ©. 102.
2) Meichelbed, Historia Frisingensis II (1729) ©. 312.
5) Nagler, Die Monogrammiften Bd. V, ©. 55 Nr. 279.
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hut lebte und der Familie der alten Bildgießer von der Rofen angehörte. Ulric), der Sohn eine3 Hans von der Rofen, der 1502 zu Mün- chen ftarb, habe einen Sohn Simon hinterlaffen, der als Künftler in einem alten Regifter der Münchener Zunft erwähnt werde. Die Nach- richt ift unfontrollierbar und verdient hinficht- li) des Namens menig Glaubmwürdigfeit. Wie Nagler möchte aber auch ich am eheiten Landshut al3 den Sit de8 Riinftlers an- nehmen. edenfall8 erachte ich e3 für aus- geichloffen, daß er aus der [pätgotifchen zwar reichen aber handmwerflich derben Steinmegen- Kunft Freifings herausgewadfen ijt. Das war nicht der Boden für neue Keime Für Landshut fpricht wenigftens die zentrale Zage der Stadt im Bering der Arbeiten des Vteifters und ihre aus den Zeiten der reichen Herzöge nod) nachflingende Fünftlerifche Regſamkeit. Nach Landshut weifen nun aber auch ein paar ardjivalifde Motizen, die wir unbedenflid) auf unferen Mteifter bejiehen dürfen. Sie finden fih in einem Camerpuch anno xv° xvijmo Herzogs Ludwig X. unter: ainczig und gemains ausgeben anno ec. xvij und find bier nad den Originalen wiedergegeben.')
Item zallt Paulsen Sigersreiter zu Landshut umb 2° wax zu dem pild gen Oting auf geschäft meins genedigen herrn herczog Ludwigs mitsambt etlicher leinbat und zwilch laut seiner zetl durch vicztomb undersch(rieben). actum pfinczlags nach oculi A? zvij® .
xxx gid. vj 8 iij &.
Item zallt Steffan schniczer zu Lands- hut von dem gedachten pild zu machen; darfür im mein genediger herr so vil zu geben verschaft hat. actum mitwoch vor Philippj el Jacobj A? xvij®
vitj gld.
Item zalli Hannsen Jäger und Steffan Rottaler schniczer alls vormunder weillend Sigmunden Platners kinder auf geschäft meins genedigen herrn an dem küris, so der Adlczhauser an ine gefrumbl hat und
Jahrbuch für bildende Kunft I (1906) ©. 135. Dr. Budheit in Minden: Pafing.
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Philipp Maria Salm
damit gar beczali. aclum erichtags nach misericordia domini Anno ec. xzvij® x litt] gid.
In diefem „Stephan Rottaler“ erblide ich unfern Mteifter S. R. Die Frage nad) der Spentität beider, die Habich einmal lediglich unter Hinblid auf die Skulpturen im Freis finger Domkreuz ganz flüchtig aufwarf, ohne ihr jedoch näherzutreten?), fchwanfe ich nicht länger ‘unbedingt zu bejahen, nachdem viel- fade und untrügliche Spuren in den Werfen de8 Mongrammiften S. R., die nun in breiter Fülle vor uns liegen, nad) Zands- hut wiefen. Würden wir nur die Steins arbeiten des Meifters fennen, fo dürften wit uns dennoch nicht an dem Ausdeud „Schnitzer“ des Kammerbuchs ftoßen, denn der Gebrauch des Mittelalters erachtet die Be— zeichnung „Schnitzer“ als gleichbedeutend mit Steinmetz oder Bildhauer, nicht zum wenigſten in der Annahme, daß, wer das Schnitzmeſſer führte, auch den Hammer und Klöppel ſchwang. Nun aber hat unſere Unterſuchung uns in die Lage verſetzt, den Meiſter der Steinſkulpturen auch als den Schöpfer der hervorragenden Holz— bildwerke an dem Reisbacher Hochaltare und dem Landshuter Vesperſtuhle anzuerkennen, und damit ſind wir umſomehr berechtigt, den Monogrammijten S. AR. nunmehr mit dem vollen Namen „Stephan Rottaler“ zu belegen.
Weitere eingehende Recherchen nad) Stephan Rottaler in den Archiven in München und Landshut blieben erfolglos. In dem Dienfte Herzogs Ludwig X. war er offenbar nur vor= übergehend. Aus den obigen Einträgen erhellt nicht genügend, ıwag mitdiefem „pild gen Öting“ gemeint ift. ch vermute, daß e3 fich um ein mwächjernes Votivbild handelt, das vielleicht den Herzog jelbit lebensgroß darftellte und das für das Gnadenbild nad) Altötting geftiftet war. Der Fall wäre durchaus nicht vereinzelt; pil- gerte doch Pfalzgraf Otto Heinrich ein Jahr fpdter (1518) mit einem folchen lebensgroßen „wächjinen Bild“ nad) St. Wolfgang am Aber-
') &. Kreisarhiv Landshut Rep. XVII Fasz. 492. S. Habidh, Hans Leinberger in dem Münchener Den näheren Hinweis auf diefe Nrchivalien verdante ich Herrn
*) Bgl. bas Referat meines Vortrages über den Meifter S. R. in der Altbayer. Monatsihrift Jahr» gang IV (1903—1904) ©. 98 und Yabid), Hans Leinberger in dem Münchener Jahrbud) für bildende Kunft 1.
1906 ©. 185.
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaiffance in Altbayern 141
Abb. 44.
fee zum Dank für erlangte Genefung.') Einem folhen Bilde würde auch die Menge Wachs entiprechen und ebenfo die anfehnliche Summe, die Herzog Ludwig dafür ausgab. Darnadh wire Rottaler zugleich „Wach8boflierer“ ge- weſen.
Leider fehlen in den Archiven auch die Akten über den Bau der fürſtbiſchöflichen Reſi— denz zu Freiſing; eine „Raittung ſo Biſchof Philipp von aigener Handt gehalten 1524*,?) fpricht nicht mehr davon.
Auf den Meifter Stephan darf aber wohl nod ein Gintrag einer nun verfdollenen Hand- {chrift von 1740°) bezogen werden. Darnach war im Rreuggang de3 Frangisfaner-RKlofters in Landshut, der im Jahre 1802 abgetragen wurde, laut der hiebei zu Berluft gegangenen Injchrift- tafel begraben: Steffan Zottau Schnißer und feine Hausfrau Elsbet, geit. 1533 und 1532.
Es Handelt fic) bier offenbar, wie nicht felten bei Grabjteinbüchern des 18. Jahrhunderts, um einen Leje- oder Schreibfehler. Das R mochte dem Chroniften als ein verfchnörfeltes J, die Schlußligatur al8 ein U-Häubchen erichienen fein. Beftärkt wird die Vermutung, in der Tafel den Grabjtein Rottalers zu fehen, durch den Umftand, daß feines feiner Werke die Grenze des Todesdatums, 1533, überfchreitet.
Wobher fam der Meifter? Sein Name deutet auf das Rottal, und nad) Niederbayern führen ung auch viele feiner Arbeiten; doc ließ fich außer in Landshut nur noch in Eggenfelden der Name Rottaler nadjweifen, jedoch ohne irgend welche Beziehungen zu unferem Thema. *) Dagegen finden wir ihn, noch dazu auf funft- gefchichtlichem Boden an einem von ung mehr fach berührten Orte, in Ingoljtadt. Dort wird ung al3 „obrister maister ob dem pau“ der
1) Vgl. Rihard Andree, Motive und Weihegaben 1904 ©. 95 ff. Ein derartiges Votivbild aus dem Ende deS 15. Jahrhunderts befikt da8 „Ferdinandeum“ in Innsbrud in der fnieenden Wachsftatue des Grafen Bernhard von Görz, geit. 1500, auß St. Sigmund im Puftertal. Bgl. hiergu Stiakny, Eine gotifhe Votivftatue, . in der Beilage der Allgemeinen Zeitung 1898 Nr. 289 und 290, Abbildung in dem luftrierten Führer durch)
das Ferdinandeum in Innsbrud 1903 ©. 23.
2) Archiv des erzbifchöflihen Ordinariats Münden. Hedenftallerihe Sammlung Bd. 292. ®) Verhandlungen des Hiftorifhen Vereins für Niederbayern Bd. XIII (1868) Heft 4 ©. 445. 4) Verhandlungen des Hiftorifhen Vereins für Niederbayern Bd. XIV (1869) ©. 345, Bd. XV (1870)
6. 112, 119, Bd. XVI (1871) 6. 267.
142 Philipp Maria Salm
Pfarrkirche zu unferer lieben fchönen Frau ein Hanns Rottaler genannt, der 1496 — 1503 mit feinen Leuten die Kreuzbögen und Schluß— fteine der Schiffe fegte.') ch bin geneigt, ein vermwandtjchaftliches Verhältnis zwischen Hanns und Stephan Rottaler anzunehmen; vielleicht war Stephan der Sohn des Yngol- ftädter Baumeifterd. Yedenfalls hat e8 jehr viel Wahrfcheinlichkeit für fi, in Ingolftadt den Wusgangspunft für unferen Meifter zu erbliden, denn gerade dort begegnen uns Bildhauerarbeiten, die wie das Epitaph des Kapellans Andreas Mungit, geft. 1494 in St. Mori?) oder des Johannes und Leonz hard Plümel mit der Yahrzahl 1499 an der Stadtpfarrfirde®) in mander Hinficht die Borftufe zu den Werfen Meifter Stephans darftellen, ohne daß fie als frühe Arbeiten desjelben angenommen werden müßten; e3 find vielmehr unverkennbar von Augsburg abhängige Schöpfungen. Cin merfwiirdiges Zufammen- treffen darf man e8 wohl auch nennen, daß
am Gemölbe der füdmeftlichen Kapelle der Pfarrkirche zu unferer lieben fchönen Frau Renaiffanceformen auftreten. +) Und fchlieplich haben wir ung nocd) daran zu erinnern, daß Stephan Rottaler für den Yngolftadter Bürger Hanns Efterreicher zwei Gedenfiteine in die dortige Minoritenkicche fertigte. Stephan Rot- taler dürfte demnach) von Jngoljtadt geftammt haben, war fpater in Vandshut anfafjig und ift auch dort geftorben. So fünnen wir das Bild von dem fünftlerifchen Schaffen unjeres Meijters aud) mit einigen perfinlicden Vebens- notizen ausmalen, die, fo befcheiden fie aud fein mögen, für die Kunft- und Künitler- geihichte von nicht zu unterfchägendem Werte find.
Die fruchtbare und vielfeitige Tätigkeit als Steinmeß, Schniger und fogar als Architekt reiht Stephan Rottaler den hervorragendften Meistern Altbayerns an; er zählt mit Wolfgang Leb’), Matthäus Kreniß ®), Joerg Gartner”) und Hans Leinberger 3u den Bahnbrechern der Früh-
) Sammelblatt des Hiftor. Vereins in und für Ingolftadt Heft V (1880) ©. 224 und Heft XVI (1891)
©.4. Das dort von Fr. &. Oftermaier publizierte ardhivalifche Material bietet, da jede weitere Quellenangabe fehlt, feinen genügenden Anhalt zu weiteren Recherchen. UWeberdies ift der Beftand des Ingolftadbter Stadt- arhivg jo umfangreich und dermaßen in Unordnung, dak fic) nur bei fyftematifder Durdarbeitung ein Erfolg erhoffen läßt. K.D.B.I. ©, 24. Ginen intereffanten Vertrag des Hanns Nottaler von 1498 veröffentlichte Cl. Sdhledht im Unterhaltungsblatt der Yngolftadter Zeitung 1906 Nr. 9.
2) K. D. B. I, ©. 55.
5) K. D. B. I, ©. 40 und Taf. 10. Ferner Repertorium der Kunjtwiffenfdaft XIII (1890) S. 113. Jb {liebe mid) durdaus der Anfhauung I. Gröfchels an, welcher das Datum 1499 als Entftehungsgeit fiir den Gedentftein annimmt und vermeife Hinfichtlic) der beiden Engelputten, welche den gotifden Charafter des Epi- taphiums fid) etwas zur Renaiffance neigen Laffen, auf Werner Weisbad), Der junge Dürer, 1906 ©. 86.
*) K.D. B. I, S. 16, 42 und 26 und Taf.3. Die merfwiirdigen phantaftifden Gemwölbezieraten werden den Nadfolgern Hanns Rottalers, Erhard oder Ulric) Geidenreid) von Regensburg, in deren Händen der Bau der Rirde von 1503—1527 lag, zugefchrieben. Sichere Nadweife itber die Entftehungsgeit und den Meiſter fehlen zur Zeit.
Kurz vor Abihlup des Drudes erhalte ich durch die Gefälligfeit des Herrn Dr. Buchheit in Miindhen-Pafing nod einige auf den Namen „Rottaler“ bezügliche, aus Stadtfammerrednungen de8 Münchener Stadtarhivg gewonnene Notizen, die ich der Vollftändigfeit halber Hier anfüge. 1487, 1488 und 1490 erhält ein Nitter Jörg Rotialer Schenkungen von der Stadt. 1493, 1497 und 1600 wird unter den von ber Stadt Befoldeten erwähnt: „Zucas Rottaler Obrifter maurer Maifter‘. Bom Jahre 1500 lautet der Eintrag: Lucas maurer und Seinrid) 8ymermann gehen nad Landshut, das Bymmer und Dadwerd auf fand martens firden und den Turm zu befidtigen. Für etwaige Beziehungen diefes Lucas Rottaler zu Hans und Stephan Rottaler fehlen 3. 3. alle Anhaltspunkte. Wielleiht Haben wir in den Rottalern eine vielgliederige Baumeifterfamilie zu erbliden. — Ich verfehle nicht, Herrn Dr. Buchheit für die freundliche Ueberlaffung der Notizen aud hier meinen beften Danf auszusprechen.
5) Weber Wolfgang Leb f. meine Abhandlung in der „Zeitfchrift des Münchener Altertumsvereing“ 1904 ©. 20.
6) Ueber Matthäus Kreuiß f. meine Abhandlung „Die Türen ber Stiftsfitdhe in Altötting und ihr Meifter‘ in der Zeitfchrift „Die Kriftliche Kunjt“ 1904/1905. ©. 121. Weitere Arbeiten von Krenik wies Richard Hoffmann nad in den „Kunftfammlungen des erzbifchäfl. Kerifalfeminars zu Freifing’ in Deutinger-Spedt, Beiträge zur Gefhichte des Erzbistums Münden und Freifing Bd. X (1907)
7) Ueber Qoerg Gartner f. meine Abhandlung in der „Zeitfchrift deg Münchener Ultertumspereins* 1906/1907 ©. 1.
Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaiffance in Altbayern 143
renaiffanceplaftif und nimmt unter diefen wohl Stephan Rottaler für alle Beit der Ber- den erften Rang ein jomwohl nach der rein gefjenbeit 3u entreifen.
fünftlerifchen Bewertung feiner Werke, mie nach feiner Bedeutung fiir die Entwidelung des neuen Stil8 im bayerischen Stammlande. Daß er uns die Wege zeigte, wie ihm die junge Runft zu eigen ward, läßt feine Tätigfeit doppelt anziehend und reizvoll er= fcheinen.
Den Borrang feiner Kunjt in ihrer Stellung zu dem engeren Rreife feiner Beitgenoffen und dem Gebiete feiner Tätigfeit zu fchildern, muß id) anderem Orte vorbehalten.!) Hier galt es gundchft die Fünftlerifche Perfinlichfeit eines
bisher gänzlich unbefannten Mteifters in feinem Abb. 45.
; ; : Meifterzeich Edpfeiler des reichen vielgeftaltigem Lebenswerk aufzubauen. sate a Ra ee Schon diefes allein dürfte genügen, den Namen in Greifing.
!) In der Buhausgabe: Stephan Rottaler, ein Bildhauer der Frührenaiffance in Altbayern. Münden, Verlag von Georg D. W. Callwey.
BD
— — — Ce TER Kon —— —
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Heiträge zur Belduicte Mar Emannels.
Aus den Mörmann’fhen Papieren mitgeteilt von -Anton Freiberrn von Or. (Fortfegung.)
dürfen diejenigen fath. Fürften oder Stände, gegen die fi proteft. Klagen richten, nicht gewählt wer— den, ba niemand in eigener Sadje Richter fein fann. 3. Diejenigen proteft. Klagen, die fic) auf den 4. Ar= tifel beS RySmider Friedens beziehen, find gejondert zu behandeln, wenn nidt ingwifden die Ratholifden
Unter dem Titel: „Religionsfahen“ hat Mtir- mann außer zahlreihen Drudichriften viele Berichte aus Negensburg,!) Holland, Wien 2c. gefammelt, die
f) Zu den Religionsftreitigteiten 1719/20. | jaft famtlid) aus dem Sabre 1720 datiert find. Aug |
den bandjfdriftliden Beridten möge einiges Hier ihre Uebergriffe, die fie unter den Vorwand Ddiefes Plaß finden: Artikels fi) zu Schulden fommen ließen, wieder Ubfdrift?) eines in franzöfifcher Sprade abge- redreſſieren. faßten Promemorias des Königs von England an Regensburg, 19. X. 1719. Hier iſt u. a. ein den Kaiſer aus dem Jahre 1719 oder Anfang 1720: Religionsſtreit wegen Münchweiler anhängig, welcher Zur Beilegung der Religionswirren im Reich wünſcht Ort vom Herzogtum Zweibrücken zu Lehen rührt, der König von England, daß der Kaiſer 1. die Kur— welches Lehen Graf v. d. Leyen befigt. Dem Pfalz- fürften von Mainz und der Pfalz anmeife, fich jeder grafen fteht dag Epiffopalteht zu, mwährend v. bd. Neuerung zu enthalten und den früheren Zuftand Leyen das Pfarrpräfentationsreht hat. Im Jahre wieder Hergujtellen. 2. Die übrigen bereditigten Kla= 1686 wurbe der dortige evangel. Pfarrer fatholifd gen der Proteftanten binnen einem Jahr abjitelle und die Sranzofen bejegten tempore reunionis die und deshalb fofort in Regensburg eine gemifchte dortige Pfarrei mit einem fath. Pfarrer. Nachdem Kommiffion ins Leben rufe, die die Angelegenheiten das Herzogtum Zweibrüden dem Stönig von Sdwe- zu ordnen hat. UlS Mitglieder diefer Kommiffion den gugefallen war, befegte die Regierung zu Brwei-
1) Diefelben ftammen wabhrfdeinlid von dem dortigen bayer. Gefandten, Grafen Königsfeld. 2) Diefe undatierte Ubfdrift lag einem der Berichte aus Regensburg bei — weldhem ijt nicht mehr feſtzuſtellen.
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brüden Münchsmweiler mieder mit einem evangel. Pfarrer. Obmohl folder Pfarrer feit 20 Jahren in rubiger Poffeffion war, verfügte v. d. Leyen am 20. Juli 1719, daß der evangel. Pfarrer abzuziehen und einem fatholifchen Pla zu maden habe, da von 1686—1699 alfo nod) 2 Sabre nad) dem Rys- widerfrieden ein fath. Pfarrer anftandslo8 die Pfarre verjehen habe. &8 wurde ent{dieden, dak diefe Pro- gedur fid mit dem RySmicerfrieden nidt in Ein- Hang bringen [affe und bak der Suftand reftituiert werden müjje, wie er vor den franzöfifhen Neunio- nen beftand.
Regensburg, 15. XIL 1719. Der Pfalagraf von Zweibrüden hat unterm 27. November feinem biefigen Generalbevollmädtigten gefchrieben, daß er nidtS gegen die Friedensshlüffe unternehmen wolle und fein ganzes Bejtreben dahingehe, die Harmonie zwifchen Ratholifen und CEvangelifden in feinem Bande wieder herzuftellen. Wegen der zmeifelhaften Interpretation des 4. Artilels des Rysmwiderfriedeng müffe Saifer und Neid) Entfcheidung treffen.
Regensburg, 29. XII. 1719. Nachdem bie- jenigen Schriften, die vorigen Freitag vom Corpus Evangelicorum in Religionsfaden vereinbart murs den, gar meitläufig und umftändlic ausgefallen find, fonnte man vor dem Weihnadtsfeft mit der Mundierung nidt guredht fommen nod) aud folde dem faiferl. Pringipalfommiffdr') itberreiden. Die erwähnten Schriften enthalten wiederholt die Bitte um fdleunige Remedur und maden geltend, ba die bisherige faiferl. Erklärung gang ungenügend fei, man wolle fic) bei fo Haren Zatfahen nicht in förmliche Progeffe einlajfen, fondern e8 foll fofort gegen die turbatores pacis eingefdritten merden. In ermwähnter Konferenz Hat da8 Corp. Ev. in Saden ber argen Friedensftirungen durd) die Frei- herrn v. GSidingen befdloffen, daß diefelben vor allem ihre bedrängten evangel. Untertanen fatisfa- ateren follen; eher wolle man fich nicht herbeilajjen, dazu zu konkurrieren, wenn felbe die Ebernburgijche Indemnifationsfadye vor8 Neich bringen. Wegen der guten Stadt Speyer, die dur die bifchöfliche Re- gierung dafelbjt verarmt fei, fei der Herzog von Württemberg zu bitten, fich diefer Stadt anzuneh- men. Dem Bernehmen nad) follen nun aud) einige fatholifhe Gravamina, gur Verhandlung fommen; do dürften diefelben nur Privatquerelen einiger Partitularperjonen betreffen, während die Wugsb. Konfeffionsverwandten Bejchiwerden vorbringen, die fih auf ganze Fürftentümer, Graffchaften, Stände und Dörfer erjtreden,
Regensburg, 2. Januar 1720. Die Vor= ftelung des Corpus evang. wurde am Donnerstag abends um 5 Uhr vom furfädl. und furbranbdenb. Gefandten als Delegierten des Corp Ev.?) dem Eaiferl. Pringipalfommiffdr überreicht, der diefelbe fehr gnä= dig aufgenommen und verfproden, diefelbe fofort dem Staifer eingufdicden nidt ameifelnd, bak derfelbe
bedadht fein merbe, den Augsburger Konfeffionsver- wandten Satisfattion angedeihen zu laffen. Um 22. Dezember hatte das Corp. Ev. heftige Debatten darüber, ob befchloffen werden folle, daß die pfäl- aifhe Neligionsdellaration vom Jahre 1705 auf- gehoben merben fole. Die vom furbranbdenburg. Gefandten vorgebradjten Dubia wurden heftig beftrit= ten 2c.
Regensburg, 5. Januar 1720. Das Corp. Ev. ift fehr gefpannt auf die Antwort de8 Kaifers fomie die Weußerungen von furmainzifcher und fur: pfälzifher Seite. Man will unterdeffen darüber Ihlüffig werden, wie man ben Bedrängten einft= mweilen reichsverfajfungsgemäß Helfen könne und wollen die Augsburger Konfefjionsverwandten hiebei piano aber mit dejto mehr Nahdrud vorgehen.
Regensburg, 16. Januar 1720. Wiemohl bier einige verfichern, der Kaifer habe die Vorftellung des Corp. Ev. jehr gnädig entgegengenommen, der- felbe werde nädjtens feine Entfchliegung fundgeben und habe ingwifden über bas bisherige Verfahren der fathol. Stände fein größtes Mißfallen geäußert und verfproden, auf alle Weife zu tradten, die Be- ſchwerden abaujtellen und Friede und Rube wieder berauftellen, fo verlautet dod) anderfeits, daß der Kaifer die in jener Vorftellung gebraudten fehr nad- dritdliden Ausdrüde übel genommen, und baß er Daher aud) aus einem andern Ton reden merbe, mwenngleid) er bisher jehr geneigt gemejen fei, die von den Evangeliihen gerügten Mißjtände abzu= ftellen. Preußen Hat feinen Widerftand gegen das projeftierte Conclusum nun dod) aufgegeben, und ift befchloffen worden, daß dag Corp. Ev. die pfal- aifhe Religionsdeflaration von 1705 nidt aner- fenne, und darauf beftehe, dak in der untern Pfalz der WeftpHhalijde Friede, der Hallifde Receh u. dergl. auf dem Weftphalifden Frieden beruhende Pacta völlig wieder hergejtellt werden. Borige Woe ift Sreiherr v. Sidingen, turpfälz. Obrifttammerer und Konferengminifter, hier duch nad Wien, um daz gegen zu remonftrieren. n
Im Auftrage des Königs it am Freitag der Rammer= herr von Budewels (sic; vielleidht Podewils?) nad Münden, um Serenissimus wegen Reftitution ihrer Bande nad) dem Badiichen Frieden zu beglüdwünfchen.
Aus Holland, 19. Januar 1720. Der Herzogs Regent Hat fic) bei den Generalftaaten darüber be- fhwert, daß der Holldndijde Gefandte in Paris, Herr v. Hopp, die Freiheit der Religionsübung miß- brauche, indem er aud) königlichen Untertanen die Beimohnung bei der Predigt geftatte und felben die Kommunion in ihren Häufern reihen laffe; am Weihnadtstag hat abbé d’Etrangues die Kommu= nion bei den Reformierten empfangen, worüber bei den Katholifchen in Paris großer bruit ift. — Kar— dinal Alberoni ift nod nit an der frangdfifden Grenze angelangt. Auf feiner Durdreife Hat er an einigen Orten Spaniens viel Verdruß ausftehen
!) Ein Prinz von Sadjfen, Stardinal und Primas von Ungarn ze.
2) $ür „Corpus Evangelicorum“ wird im Folgenden obige Abkürzung gebraudt.
Mitteilungen aus den oberbayerifhen Ortsvereinen 145
müffen. 8 Meilen von Madrid ift er in einem Dorf von Kleinen Buben verhöhnt worden, die Steine auf feine Karoffe warfen, in etlichen Städten dagegen bat ihn der Magiftrat mit fdnigliden Ehren empz- fangen. Man glaubt, daß die Ungnade, in die er gefallen, nicht jehr ernft gemeint fei.
Aus Köln, 21. Januar 1720. Aus Heidelberg höre ich von verläffiger Seite, daß die dortigen pro= tejtierenden Miniftri von ihren Höfen Ordre befom- men haben, zu deflarieren, dag man Truppen in die Pfalz einrüden laffen werde, wenn der Kurfürft nicht vor dem Frühling den Neformierten ihre Kirchen mit deren Gefällen zurüderftatten würbe.
Negensburg, 30. Januar (720. Evangeli-
{derfeits beflagt man fic fehr über die fortgefegten ReligionSbedritdungen des Pfalagrafen von Bwei- briiden. In Effenheim ift megen nur brei fathol. Männern das Simultaneum eingeführt worden. Der tath. Paftor in Oberulm Hat 200 kath. Familien aus dem Maingifdhen mitgebradht und wiirden jest Schmähpredigten gehalten und gebe bas Simulta- neun zu Ungehörigfeiten Anlaß. Der Herzog beruft fi) darauf, daß zur Beit der [hmwedifhen Regierung vielfach Lutherifcher Gottesdienft entgegen den Frie= dengihlüffen eingeführt worden fei, er münjdhe nichts anderes als fowohl mit den evangelifhen als Tath. Ständen in gutem Einvernehmen zu leben.
Mitteilungen aus den oberbayerifhen ®rfsvereinen. Mit 3 Abbildungen nad photographifhen Aufnahmen.
81. Aus dem Vereinsgebiet Ingolftadt teilt Herr Medizinalrat Dr. Vierling gittigft den Fund einer wmifden Infhrift aus KIfding mit, die auf einem in amei Teile gebrochenen Steine fic) befindet, der gelegentlid) eines MNeubaueS gefunden wurde. Sie ftammt aus der Zeit Raifer VeSpafians und war jedenfalls an einem öffentlichen Gebäude der nicht unbebeutenden Straßenftation Germanicum ange bradt. Der derzeitige Verbleib der Infchrift ift uns befannt.
82. Aus dem Wliindjener Gebiet find einige Sunde befannt geworbden.
So wurden beim elettrifdhen Werk in Pullad in ber Sfar und gwar unter bem Wafferfpiegel von 3m in einer RieSanfdmemmung von ebenfalls 3 m eine Menge Gifenfabrifate und Robheifen aus den verfhiedenften Zeiten gefunden, die in dem Tief- beden, das bier durdh die Biegung de8 Flublaufes fic) gebildet, angefdmemmt wurden. G8 befinden
fid) unter den Zunden eine Menge Eifenftüde ohne Form, Roheifen, andere fhon zu Formen hergerichtete Stücde, viele halbfertige Fabrifate, wie lange Eifen=- bänder in Schmwertform, am oberen Ende in Spigen gufammengefelgt, Langenartige Formen; fdlieblid viele fertige Produfte, mie Werte und Beile ver= fciedener Form, Ketten, Ringe, Schlüffel, ein fattel- förmiges, maffiveg Geräte mit anferartigen Enden, Meffer und Scheren, fchon der Hiftorifhen, mittelalter- lichen und neueren Zeit angehörig. Von älteren Stüden interefjieren befonders gwei Barren in Spigmürfelform (wie der Direktor der Elektrizitätswerfe meint Quali- tats: nicht Roheifen), ein Dreigad, ein Eifenbeil mit Hohltülle und ein Zanzenfuß, Gegenstände, die La Tenezgeitlicher Herkunft zu fein fcheinen; ferner Yuf- eifen, Sporen, geflügelte Langenfpigen, Schwerter aus der fpdteren Reihengräber= oder fhon Karolingerzeit. Die aus fo verfchiedenen Zeiten gufammengemiirfelten Gegenftände fegen durch viele Jahrhunderte hindurd
phot. Rabfpieler
146 Mitteilungen aus den oberbayerifden Ortsvereinen
an den Sfarufern beftehende Schmieden voraus, aus deren Betrieben durdy Hochwafjer oder fonftige Er- eigniffe diefe Stüde in den Fluß gerieten und von ihm bis an den Strudel bei Pullach getrieben wurden. Die Funde famen ing Nationalmufeum, mojfelbit fie nad) dem Hier glänzend bewährten Verfahren bes Hrn. Konjervator Dr. WM. Schmid gereinigt und fonferviert wurden.
83. Ebenfalls aus dem Mündyener Gebiet er= halten wir dur die Güte unfere8 verehrten Mit- gliede8, Herrn KommerzienratS Radfpieler, eine in Wbb. 1 miedergegebene photographiiche Auf nahme bde8 befannten Grabficins in der Kirche zu
Milbertshofen, der einen mit vier Roffen pflügenden Bauer in einem gaunumgebenen Weer, auf dem ein Fohlen herumfpringt, darftellt und der in feiner Art ein Unifum ift. Das Inventari= fationsmerf der Hiftorifhen Kunft- und Wltertums= werfe erwähnt diefen Stein ohne eine Abbildung zu bringen, in Bd. I. 790 mit näheren Angaben hierüber.
84. Ein meiterer intereffanter Fund fam im Münchener Gebiet bei Qodham gutage, wofelbft römische fpätfaiferzeitliche Gräber angejchnitten mur= den. Bei einem der Sfelette wurde eine jhöne Bronze= Ihnalle und Gürtelfchließe gefunden, die in bie vor- geihichtlihe Sammlung des Staates gelangten. Ob
eine genauere Unterfuchung des Gräberfeldes erfolgte, ijt nicht befannt geworden.
85. Aus dem Gebiete des hijtorifchen Vereins von Weilheim erhalten wir über den auf S. 126 des vorigen Jahrganges diefer Zeitichrift erwähnten Münzfund bei Unterammergau durd) die Güte des Stonfervators des fgl. Miingtabinets Orn. Dr. Habic nähere Mitteilung. Danach beftand$ diefer in abgelegener Gegend gemachte, alfo offenbar ver= ftedte Scha aus 105 Silberdenaren, morunter 43 Legionsdenare von Antonius, meift fehr ab= genüßt, jıch befinden. Die übrigen Stüde reichen von Nero bis Commodus, der Schat umfaßt aljo eine Zeit von ungefähr 43 v. Chr. bis 185 n. Chr.
phot. Erhard
Die jüngiten Stüde find von guter Erhaltung, fo dak der Schaf nit lange nad) 185 n. Shr. ver- graben worden fein wird. Leider gelang es nicht, den intereffanten Fund für eine bayerifhe Sammlung zu erwerben. Der Fund wurde !Ja Stunde von Unter ammergau entfernt in einem alten Seller einer Schleif- mühle gemadt, der einftürzte und neu fundiert wurde. Die Münzen waren in einem Tongefäß, das wie üblich zerfchlagen wurde.
86. Aus dem Gebiete des Hiftorifden Vereins Landsberg a. L. wird ung durch die Güte unferes verehrten Mitgliedes Hrn. Dr. Erhard eine Auf- nahme des Aufgangs zur Pfarrlirhe von Kaufering zur Verfügung geftellt, die wir in Abb. 2 bringen.
Mitteilungen aus den oberbayerif—hen Ortsvereinen 147
G8 tft dies einer der in Bayern fehr feltenen gededten Wufgdnge, wie fie bei Kirhen Tirols und des Salgfammerguts öfter8 vorfommen. Zu ber auf der Höhe des Lechraing gelegenen Pfarrkirche
führt in 2 Wbfägen ein Stiegenaufgang, der im
unteren Teil mit einem fladen Dad) gebdedt ift, das im oberen Teil in einen Giebel übergeht und ben gweiten Ubfag mit einem Sattelbad dedt. E38 wird vielleiht der einzige derartige Aufgang in Oberbayern fein.
87. Eine wichtige Nadridt fommt aus dem öjtlichen Gebiet Oberbayerng, auß dem bisher ver- einslofen Städtchen Laufen a, 5. Jn deffen Nähe wurde bei Redl, Gem. Kirchanſchöring, ein römiſches
Skelettgräberfeld der ſpäten Kaiſerzeit entdeckt, das
mit dem vor einigen Jahren bei Vallei aufgefun— denen S. 178 des 5. Jahrganges dieſer Zeitſchrift be— ſprochenen gleichzeitig ſein dürfte. Es wurden 3 bis 4 Skelette im Garten eines der Höfe aufgedeckt, deren eines, ein weibliches, 83 Armringe aus ſchmalen glatten Bronzebändern am linken Unter— arm hatte, von denen zwei in Schlangenköpfe endigen. Außer dieſem Körperſchmuck kam nur ein graues Ton— gefäß von kleiner Urnenform in dieſem Grabe zu— tage. Die anderen Skelette hatten ebenfalls Bronze— armreife von feinem Bronzedraht mit Schlingen und ſchlangenförmigen Schlußverzierungen, ſcheinen alſo ebenfalls weibliche geweſen zu ſein. Eine methodiſche Unterſuchnng des ganzen Leichenfeldes fand noch nicht ſtatt. Die Funde kamen in die vorgeſchichtliche Staats⸗ ſammlung.
8. Aus dem Gebiete des hiſtoriſchen Vereins in Roſenheim erhalten wir durch die Güte des Orn. Magiſtrats-Sekretärs Nieberle eine photo— graphiſche Aufnahme (Abb. 8) des in der Vorhalle der Kirche in Prutting befindlichen, anſehnlichen Römerſteins, der leider in ſeinem reichen ornamen— talen Teil nicht mehr gut erhalten iſt. Der Stein wurde in einem jedenfalls nicht zu weit von Prut⸗ ting entfernten Tempel der Victoria zum Gedächt— nis eines Sieges angebracht, der unter Maximin, Conſtantin und Licinius erfochten wurde. Näheres über das Denkmal iſt bei Hefner, das römiſche Bayern, S. 84 und 85 angeführt.
89. Aus dem Vexeinsgebiet Friedberg kommt die Nachricht, daß am bayeriſchen Lechfeld zwiſchen Lechhauſen und Derching römiſche Brand— gräber der mittleren Kaiſerzeit und wie es ſcheint, auch ein Wohngebäude bei Gelegenheit von Kultur arbeiten angeſchnitten wurden. Leider wurde kein Sachverſtändiger rechtzeitig zugegogen und weder eine der ſtaatlichen Behörden noch der hiſtoriſche Verein von Oberbayern von der Entdeckung in
Abb. 3
Kenntnis geſetzt. Es wurden alſo die angeſchnit. tenen Gräber, welche Ton- und Glasoſſuarien ent— hielten, von den Arbeitern völlig zerſtört und die Gefäße zerſchlagen. Was ſonſt an Beigaben vor— handen war, wurde entweder verſchleppt oder nicht beachtet. Da die Unterſuchung dieſes Fundplatzes für die römiſche Beſiedlungsgeſchichte des Lechrains von großer Bedeutuug geweſen wäre, iſt es doppelt bedauerlich, daß jede Benachrichtigung der Stellen, welche eine Unterſuchung hätten methodiſch und ſach— kundig vornehmen können, unterlaſſen wurde.
90. Aus dem Gebiete des hiſtoriſchen Vereins von Aibling wird mitgeteilt, daß in der Ortsflur von Kleinhelfendorf unmittelbar an der vorüber— führenden Römerſtraße auf der Weſtſeite des Dorfes gelegentlich Kiesgrabens eine ſchöne Mittelbronze von Trajan vor kurzem gefunden wurde, die leider nicht in die Sammlung des Vereins in Aibling, ſondern in Privatbeſitz daſelbſt gelangt ſein ſoll.
(Fortſetzung folgt.)
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Ehronik des Hiftorifhren Vereins von Oberbayern.
Aus unfecec Cotenrolle.
Berzgeichnis der Mitglieder, weldje vom Tov, 1906 bis Mov. 1907 mit Sod abgegangen find. 1. Sh@midtner Andreas, Geiftl. Rat, Spitalfurat in Weilheim, Chrenmandatar, Gejtorben
1. Januar 1906. Wtitglied feit 1854. 2.Sand Wilhelm, t. Stabsauditeur a.D. in Minden. Geftorben 4. Januar 1907. 3. Sdhaller Micd., &. Gymnaftalprofefjor in Burg- baufen. Geftorben 10. Januar 1907. 4. Danhaufer Georg, Geiftl. Rat, Defan, Pfarrer in Flintsbad). Geftorben 30. Januar 1907. 5. Kobell Ludwig von, f. Kammerer, Regierungs- Präfident in Würzburg. Geft. 5. Februar 1907. 6. Korntheuer Dr. Andr., E. Bezirksarzt in Ebers- berg. Geftorben im Februar 1907. 7. Mulzer Joh. Nep., f. Regierungsrat, Bezirts- amtmann in Münden. Geftorben 14. März 1907. 8 Naue Dr. Julius, f Profeffor, Hijtorienmaler Münden. Geftorben 14. März 1907. 9. Probft Wilhelm, ftädt. Oberbeamter in München. Geftorben 14. März 1907. 10. Müller Dr. Fr3., !. BegirfSargt in Schongau. Geftorben 14. März 1907.
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11. Sauth Ant., f. Stiftungsadminiftrator in Alt- ötting. Geftorben im März 1907. 12. Rimifd Georg, Geiftl. Rat, Benefigiat a. D. in Minden. Geftorben 2. Apr! 1907. Mitglied feit 1869. 13. Riggauer Dr. Yang, f. Univerfitäts-Profeffor, RKonfervator des ft. Mtitngfabinetts. Geftorben 5. Wpril 1907. 14. Mad Ernft, Privatier in Bad Reidenhall. Geftorben 24. April 1907. 15. Wagner Jak, £f Landgeridtsrat in Opfenbad bei Lindau. Geftorben am 14. Wpril 1907. 16. Müller Ant, Bantbeamter in Münden. Geftorben 15. April 1907. 7. Heinlein Adam, Bädermeifter in Wajjerburg. Geftorben 9. Mai 1907. 8. Rofipal Wlbert, Kaufmann und Gutsbefiger in Münden. Geftorben 4. Juni 1907. 9. Zintgraf Heinrich, Quftigrat, freivef. Motar in Münden. Geftorben 17. Juni 1907. Mitglied feit 6. April 1863. Mandatar in Landsberg und langjähriger Bereinsfaffier.
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Mitglieder-Bugang im Jahre 1907.
1. Bezirt8-LehrersVerein Dorfen. 2. Ubert Dr. of. Ferd, ReidhSardivprattifant, Münden. 8. UlLbredt Reinhold, Warenagent, München. 4. Bed Hugo Dr., Apothefenbefiger in Altötting. 5. Braunmühl Ant., Edlervon, f. Oberamtsrichter, Waſſerburg. 6. Böhmländer Ernſt, Rechtspraktikant am k. Geb. Staats⸗Archiv, Münden. 7. Buchheit Hans, Dr. philos., Paſing-München. 8. Delamotte Georg, Oberſtleutnant und Bezirks— Kommandeur, Waſſerburg. 9. Eßlinger Frz. Taver, Gutsbeſitzer, Schloß Hart. 10. Ettal Kloſter, (Dr. Math. Eichinger, O. 8. B.). 11. Gabler Dr. Joſ., k. Bezirksamtmann. Pfaffenhofen. 12. Helmolt Dr. Hans, Literar. Beirat, München. 13. Hertel Joſ., k. Reallehrer, Waſſerburg. 14. Kammerer Max, k. Bahnexpeditor, München.
k. Eiſenbahn-Expeditor München.
16. Kirchleit ner Hans, k. Expeditor, München.
17. Kreß von Kreſſenſtein, Karl Frhr. v., k. Bezirksamts-Aſſeſſor, Badekommiſſär und Vereinsmandatar in Reichenhall.
18. Lechner Willibald, k. Pfarrer u. Diſtriktsſchul—
inſpektor in Baumburg.
19. Menz Karl, Ritter von, k. Generalmajor z. D.,
München.
20. Meyer Max, Kommerzienrat, Direktor der Bayer.
Vereinsbank in München.
21. Moeller Dr. Julius, praft. und Bahnarzt in Rott a. J.
22. Nett Joh. Paul, f Pfarrer in Schöngeifing. 23. Batin Dr. Wilhelm Aug., Vilar am Ff. Oof- und Kollegiatftift St. Kajetan, Münden.
24. Riß Franz Xaver, £. Oberamtsridter, Münden. 25. Rumpelfteiner Maz, Benefigiat in Wnging.
15. Riliani Eduard,
Ehronit des Hiftorifhen Vereins von Oberbayern 149
26. Sdhindlbed Ernft, Expofitus in Unterdarding. 27. Shmid Ludwig, graff. Urco- Sdhlobbenefigiat in Stein a. Traun. 28. Sdonger Chrijtian, f. Major im 6. Chev.-Regt., Bayreuth.
29. Schrank Dr. Georg, ?. Bez.:Arzt, Ebersberg. 30. S preti Seinrid Graf von, f. Kämmerer, Bezirts- amtmann und Bereinsmandatar in Berchtesgaden.
3. Strele Hof., f. Forftmeifter in UAnging,
32. Stumpf, Dr. Philipp, !. Gymnafial- Reltor, Hauptmann a. D., Burghaufen.
33. Vollmann Remigius, Oberlehrer, München.
34. Wallner Berta, cand. phil., Münden.
35. Baffermann Benno, Rentner, Münden.
Seine Königliche Hoheit Prinz:Regent Zuitpold geruhten auc) diefeS Jahr die dburd) den Wusfdhub in Borlage gebradten Publifationen deS Vereins allerhuldvollft entgegengunehmen, was dem Vorfigenden des Vereins dur eine Mitteilung der KR. Geheimfanglei allergnadigit gur Kenntnis gebracht wurde.
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Un Stelle der am 12. Ottober 1907 auSgefdiedenen beiden Herren Vorftände, Herr Univerfitätg- profefjor Geheimrat Dr. Gareis und Herr Profejjor Dr. Gabriel von Seidl, wurde zum I. Vorftand Exgelleng Nitter von Halder, Präfident der K. Regierung von Oberbayern, zum II. Vorfiande Herr Univerfitätsprofeflor
Dr. Doeberl gewablt.
Graelleng Ritter von Halder Hatten die Güte die Wahl anzunehmen, ebenfo Herr Univerfitdts-
profeſſor Doeberl. *
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An Stelle des ebenfalls ausgeſchiedenen Herrn Sekretärs Oeſchey wurde Herr Rechtspraktikant Böhm—
länder gewählt. *
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Es iſt eine Ehrenpflicht des Vereins, die ausgeſchiedenen Herren für die große Bereitwilligkeit und das ſegensvolle Intereſſe, womit dieſe für den Verein gewirkt haben, der aufrichtigſten Dankbarkeit zu verſichern.
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Vereinsverſammlungen.
Mittwoch, den 1. Mai, Monats verſamm- lung im Künſtlerhauſe.
Herr Privatdozent Dr. Aug. Roſenlehner fprah über „Die wirtjhaftliden Zuftände Bayerns unter Kurfiirft Maximilian IIL. Sofef’. Der Vortragende gebachte gunddft der für fein Thema einfchlägigen umfangreichen Literatur, die jedoch fid) miderfprehende Anfhauungen und Urteile ergebe. Was der KHurfürft, den Redner als Mufter eines abfolutiftifchen Herfchers bezeichnete, für die wirtfchaftliche Hebung Bayerns tat, war gar nicht unbedeutend. Daß die8 aud im Lande anerkannt wurde, bemwieß die rührende allgemeine Trauer bei feinem Tode, Wenn die Erfolge nit immer den Ideen diefes „aufgellärten Ubfolutiften’ entfpraden, fo war das vielfad in den Zeitverhältnifjen gelegen, denen fic) eben aud) der Fürft als Kind feiner Beit nicht entziehen fonnte. Zur Hebung des Merfantilig- mus gehörten vor allem eine dichte Bevölkerung und der Umlauf der Geldmittel. Die Didtigteit war aber
gering, nur ca. 995,000 Seelen. Dabei verhinderte die fatholifhe Erklufivität der Benölferung eine Ver=- mehrung durd) Aufnahme vertriebener Proteftanten und Galviniften, wie fie in anderen beutfchen Ländern erfolgte. Ein fompliziertes Zoliyften, das Anwadfen des Befiges der toten Hand und nicht zulegt Die Plusmaderei zugunsten des Hofes, an dem man e8 dem Sonnentönig in Verfailles gleich gu tun beftrebi war, beeinträdhtigten die nötige Geldjirfulation Dazu gefellte fih noch eine unfelige Vielvegiererei. Ein Mandat jagte das andere, von denen felbft die beftgemeinten auf da8 dem Altbayer eigene Miftrauen stießen; die geringe Volfsbildung Hinderte jede Auf- klärung. Ueberdies fehlte dem Bolfe die Rapital= fräftigfeit. Reich war nur die Kirche, der Adel tief verfchuldet, dem Beamtenium fehlten das Verftändbnis und nicht felten auch die „reinen Hände“; der Bauer war aber abhängig von den Grund» und Geridts- herren. Go fam e8, daß der Hurfürjt, dem Männer wie Iditatt, Kreitmayr und Stubenraud zur Seite
150 Chronik des Hiftorifhen Vereins von Oberbayern
Erasmus Georg von Seeling auf Hueb und Eglhardting, der Ehurfürftl. Saubt- und Refidenzitadt Münden Burgermaifter (Mitte des 18. Jahrh.).
ftanden, fein Land ebenfo verfchuldet zurüdfajjen mußte, al8 er eg mit 18 Jahren übernommen hatte. Unvergefjen bleiben aber dem Kurfürften feine Be- mühungen, Abhilfe zu fdaffen. Er ſchickte Inſpektoren aufs Land zur Aufflärung, fehuf felbjt Muftermirt- fhaften, wie die Landmwirtfchaftliche Schule in Schleiß- heim, und reorganifierte auf Anraten des Kommerzien= tat8 Stubenraud) das fehr im argen liegende Maut= und Uccifewefen. Waren trogdem die wirtfchaftlichen Verhältniffe unter feiner Regierung feine glänzenden, fo trifft den Kurfürften feine Schuld. Seinen guten Wbfidten ftanden die Zeitverhältniffe und die Den fung8art der Bevölkerung entgegen. Diefe zu ändern ging über menjhliche Kraft.
Qn der Monatsverfammlung an Samstag Den 1. Anni fprad) Herr Univerfitätsprofeffor Dr. Doeberl iiber ,Die innere Staat8verz waltung Bayerns unter bem Minifterium Montgelas“.
Der politifhe Anfhluß Bayerns an Napoleon I. und damit die Erhebung Bayerns zum Königreich wat einer der folgenfdwerften Utte in ber 1400jahrigen Geihichte Bayerns. Die Bedeutung diefer Erhebung bejteht weniger in der Rangerhihung als in der Er: werbung ber vollen Souveränität. Mit deren Hilfe entjtand der moderne Staat nad) dem Vorbilde des ftreng zentralifierenden Franfreih8 im Gegenfaß zu bem reaftiondren Staiferftaat an der Donau, und gwar, wie im eingelnen von dem Bortragenden ent= widelt wird, auf politifdem, wirtfhaftlidem, fogialem, firdlidem und geiftigem Gebiet. Die Veränderungen, die damit Bayern erfuhr, waren gleichbedeutend mit einer Revolution mitten im Frieden. Die neue Zeit hat wie ein Sturmmind bie Geifter geriittelt, fowohl ihre Freunde als ihre Geguer. Die einen, wie Georg v. Uretin, fehen den Staat in verjüngter Schönheit wieder auferjtehen, andere wieder errichten in der „Galerie der merfwürdigiten bayerifhen Staatsbe= amten“ oder in der Shmähjchrift des berüchtigten
Grafen Reifah „Bayern unter der Regierung des Minifteriums Meontgelas* dem Minifter und feinen Reformen einen Schandpfahl. Der Kampf entbrannte aufs neue mit befonderer Leidenfdaft beim Sturge des Minifters, er fette fich fort nad) feinem Tode big zum heutigen Tage. Man hat Montgelas einen revos Iutionären Minifter genannt, aber da8 blieb aud Zehen. v. Stein nit erfpart. Die Anbahnung des modernen Redhtsftaates ohne Eingriffe in bejtehende Rechte war eben unmöglich. Allerdings ift bei Mont- nelas djter8 mangelndes Verftändnis für die hiftorifche Entwidlung zu fonftatieren; er will, daß etwas fein folle, einfad weil er e8 für ridtig und niiglic hält.
Aber das war der Standpunkt der Aufflärung überhaupt. Dan Elagte vielfach) über die zu große Beweglichkeit de8 Verwaltungsfyftems, das mit feinen Verordnungen Bayern nidt gur Rube fommen Lief. Dazu fam, dah die Wusfihrung mander Maknahmen zu gewaltfam, zum Teil felbft geradezu brutal war, namentlich gegenüber den Perfonen und Befigtümern der aufgehobenen Klöjter und gegenüber den kirchlichen Neigungen und Gewohnheiten der Tiroler. Aber die Schuld fällt weniger dem Minifter als vielmehr den ausführenden Organen zu, fchledhtem Beamtenmaterial, das Montgelas nicht fhuf, fondern itberfam; da, wo die Ausführıng der Säfularifation in befjere Hände gelegt war, zum Beifpiel in der Fürftabtei Kempten oder in manden Gegenden Franten8, vollgog fid) der Uebergang von der alten in die neue Zeit viel rubiger und fchonender. Die Zentralifation, die fic) felbjt auf dag Stiftungs= und Gemeindevermögen und bie Armenpflege erftredte, und die StaatSomnipotenz gingen zu weit. Die Gefeggebung Montgelas’ brachte dem bayerifhen Bauern und Bürgertum die Ent- feffelung auf wirtfdaftlidjem, fogialem und firdlidem Gebiet, rif ben Sdugmall nieder, den die alten Mächte um fich aufgetürmt hatten. Der weitere Wus- bau mußte bei der ftaat8redtliden Anfhauung des Minifters und der politifden Unreife des Volfes einer
Qofeph Antoni Edler von — auf Egl- und Huglfing. Burgermaifter zu München (Mitte bes 18. Jahrh.).
Ehronit des Hiftorifchen Vereins von Oberbayern
fpäteren Zeit vorbehalten bleiben. Montgelas hat nad feinem Sturge felbjt einen bis jet ungebrudten Nehenfhaftsbericht über feine innere Staatsvermals tung gefdrieben. Hier führt er al8 Errungenfchaften feines Minifteriums an: die Begründung der Gleich. heit vor dem Gefege, die Berbefferung des Strafs rechts, die gleihmäßige Befteuerung, die Unabhängig« feit und Unabfegbarkeit der Richter, die Sorge für die Staatsdiener und ihre Familien, die VBejeitigung der eibeigenfdaft, bas Recht des Bauern, feine Güter au veräußern, die firhliche Toleranz, die maßvolle Preßfreigeit, die Befchränfung der firdhliden Juris— diftion, die Sdtularifation, die gleihmäßig dem Fis- fu8, ber Bevdlferung und der mwirtfchaftlihen Ent- mwidlung Bayerns zugute griommen fei, die Einfüh- rung de8 Pfarrfonfurfes im Interefje der Würdigfeit der firdliden Pfriindeninhaber, die Vervollfommnung des VolfSunterridts, die Vervielfaltigung der Schulen auf dem Lande, die Förderung der SKiinfte, die ftaat= liden Sammlungen. Dieje Errungenfchaften waren nad) der Anfiht Montgelas’ groß genug, um über gewiffe Mängel hinmwegaufehen, die einmal von ber menfdliden Natur nicht zu trennen feien. Selbjt Fürft Metternich äußerte fich über das von Montgelas Geleijtete dem bayerifden Gefandten in fehr aner= fennenden Worten: „Man muß zugeftehen, daß Bayern während der legten gehn Jahre eine religiöfe, politifche, bürgerlide und militärifche Revolution erlebt und glüdlih überftanden hat; das ift die einzige Nation, weldje Mut und Ausdauer gezeigt hat; alle Welt muß fie adten und follte ihrem Beifpiele folgen.“
Sonntag, 23. Bunt beging der Verein fein 63. Stiftungsfet mit cinem Anusfilnge nady Aib- ling. Die Mitglieder begaben fic) gunddft nad Heu- feld bei Wibling und dann nad) der Wallfahrtskirche
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Weihenlinden bei Högling. Högling ift durd ein in feiner Art einziges Herfommen in Oberbayern befannt. Dort fteht auf einem Bühel neben einem Brunnen oder Quell eine große Linde. Wer nun nad) Högling fommt und ein Jahr dort verweilt oder dorthin fid verheiratet, wird an diefem Plage ,g’higelt*, womit er erit ein rechter Höglinger wird. Diefe Prozedur beiteht darin, daß man ihn an Kirhmweih mit Mufit von feiner Behaufung abholt und ihn unter Begleitung der Bernohner um das Dorf herum zur Linde führt. Hier Heben ihn vier Mann un Armen und Beinen auf ihre Schultern und fhußen (fhwingen) ihn drei- mal in die Höhe unter dem Rufe: „Högel auf!’ Dann wird er aus dem Quell getauft und ihm ein großer Zindenzmweig auf feinen Hut gejtedt. Hierauf tanzen die „Behögelten“ mit ihren „Godeln* (Batinen) um die Linde herum und dann find fie erft richtige Hög- linger.
Weihenlinden fteht nun, wie bereits der Name fagt, Hiermit in Zufammenhang und weift auf eine uralte, auf vorgefhichtliche Zeit zurüctgehende Kultus- jtätte Hin. Eigentümlich ift aud) die Bezeichnung der Kirche im Vollsmunde: „Zu den drei heiligen Mäns nern.“ Die drei Perfonen der Trinität find dort nämlich durd) drei überlebensgroße Figuren darges ftellt, die fi) vollftändig gleichen und drei ganz gleich alterige Männer mit langen Bärten darjtellen. Inter der freundlichen und fadhtundigen Führung des Pfarrers Mayr von Högling befichtigte der Verein eingehend die aus drei Schiffen beftehende Kirche, die überaus aahlreiche, vielfach Eulturgefchichtlich intereffante Votin- tafeln, die auf mehrere Jahrhunderte zurüdreichen, enthält. Unter anderen find aud) verfdjiedDene von
Mfeorkanalur der LY, taddberger ; ö Bittiothek
152 Chronik des Hiftorifchen Vereins von Oberbayern
der üblichen Darftellung der Bauernfhladht zu Send- ling abmeichende Bilder gu fehen, darunter eines, da8 dem Lindenfchmitfchen Gemälde an der Send= lingertirde gum Vorbild gedient haben könnte.
Nach der Befihtigung der Kirche begaben jid die Teilnehmer des Ausfluges nach Heufeld zurüd und fuhren nad) Aibling, wo fie vom Bezinlgamtmann Regierungsrat v. Leiftner und den Mitgliedern des Hiftorifhen Vereins Aibling am Bahnhofe empfangen wurden. Während eines vorzüglich bereiteten Mittags=- mabhles im Schuhbräu (Befiger Delonomierat Wild) begrüßten in herzlichiter Weife Regierungsrat v. Zeit: ner und Bürgermeifter Shumberger die Gäfte, worauf der VBorfigende des Hiftorifchen Vereins Mün= den Geh. Juftigrat Profefjor Dr. Gareis mit den aufridtigiten Winfden für das Gedeihen Aiblings und feines Hiftorifhen Vereins feinen beften Danf ausſprach.
Hierauf fand in dem hiſtoriſch und baulich in— tereſſanten Zehetmayeriſchen Gaſthauſe zum Ratskeller (Bauernwirt), der Dienſtwohnung des ehemaligen Ratſchreibers, die erſte öffentliche Verſammlung des jungen hiſtoriſchen Vereins Aibling ſtatt. Der 1. Vor⸗ ſitzende, Poſtexpeditor 1. Klaſſe Wilh. Mayer, be— grüßte die Münchener Herren und erfreute hierauf die Verſammlung durch einen gediegenen Vortrag über Geſchichtliches aus Aiblings Vorzeit, insbeſondere über das Schloß auf dem Hofberg. Der Vorſitzende des Münchener Vereins ſprach ſeinen Dank aus und fügte einige intereſſante Mitteilungen über das Gerichtsweſen Aiblings zu Ende der Karolinger Zeit an.
Vom Alten und Aelteſten zum Neuen und Neueſten übergehend, ſchritt man zur Beſichtigung des neuen ſKteurhauſes. Abends konzertierte im Schuhbräu— keller noch die Kapelle der Kurmuſik, bei deren Klängen die Münchener Gäſte die Zeit bis zur Heimfahrt im fröhlichen Zuſammenſein mit den Aiblinger Vereins— mitgliedern verbrachten.
Nach Ablauf der Ferien begann die regelmäßige Monatsverſammlung wieder am 14. Oktober
mit einem Vortrage des Herrn Bauamtmann Linde über „Römerſtraßen im ſüdlichen Bayern“.
An Stelle des erkranlten Herrn Oberjtlandes- gerichtsrates VBierling fprad) in der Monatsner: fammlung am 2. November Herr Dr. Heldmwein über „Die Stellung der bayerifden Klöjter zur Wohl- fahrtspflege und Kunft am Borabende der Refor- mation’.
Die Monatsverfammlung am 2. Desember bradte einen höchst fejjelnden Vortrag des General- majors 3. D. v. Meng über die Schladt bei Hohen- linden am 3. Dezember 1800. Nad) einem kurzen Nüdblid über den Gang der Ereignifje im erjten Teile des Feldguges biS gu dem 15. Quli in Pars- dorf, einem bei München gelegenen Dorfe, abge= fdloffenen Waffenftillftand, betonte Redner zunädhit die fo unheilvol gewordene Annahme des öiter- reihifhen Oberfommandos, daß nad) der glüdlichen Sdhladht bei Ampfing mit einem ferneren Wider ftand der frangöfifhen Armee dieSfeits der Jfar nicht mehr zu rechnen fei. Man verfäumte am 2. De- aember volljtändig, fi) einen näheren Einblid in die im Rüdzug an bie Jjar vermutete franzöfifche Armee gu verfdaffen, bie aber am gleichen Tage weftlid des Großhaager Forjtes bei Hohenlinden bereits ver= fammelt war. Die Sorglofigfeit des öfterreihifchen Urmee-Oberlommandos hat eine graufame Strafe ereilt. GEingehend fdilberte ‘ber Vortragende unter Zuhilfenahme von RKartenmaterial die Bewegungen, Dispofitionen und intereffanten Einzelheiten der Schladt, darunter die fiegreiche Attade bayerischer Ehevaulegerd. Die Berfammlung, der aud eine Reihe höherer Offiziere anmohnte, nahm den Vor= trag mit Tebhaften Beifall auf. Hieran ſchloß ſich eine eingehende, namentlid militärisch höchſt inter- ejlante Diskuffion
Schriftleitung und preßgejeglihe Verantwortung: Dr. Held wein— Münden (Liebigjtraße 1/2).
Xgl. Hofbuchdruderei Kaftner & Callwey.
32101 073661645